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Full text of "Goethe's werke. Vollständige Ausg. letzter Hand .."

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Le; 


* 
Be 








_GSovethe’s’ . 


Vollftändige Ausgabe letzter Hand. 


Einunddreygigfter Band. 


Unter des durchlauchtigften Heutfchen Bundes ſchuͤtzenden 
Privilegien. _ 





Stuttgart und Tübingen, 
in der 9. ©. Eotta’fhen Buchhandlung. 
183530 - 


ne 2 


— 
Oo 
UN lag“ z 
2 3106 1962 

OF OXFORD 


3* 






In halnrt. 


Tag⸗ und Jahres-Hefte als Ergänzung meiner ſonſti⸗ 
gen Bekenntniſſe, von 1749 bis 1806. 


⸗— 


Tag- und Sabres:- Hefte 
| as 
Ä Ergänzung 
| meiner. | 


fonftigen Bekenntniſſe. 


| Soergerb Werte, XXXI. Bd - 4.- 


Bon 1749 918 1764. 


‚Bet:izeitig. erwachendem Talente, ch vorhan⸗ 
denen poetiſchen und proſabſchen Moſtern, mancher⸗ 
lei Eindruͤcke Lindlich bearbeitet, meiftens nachah⸗ 
mend, wie es gerade jedes Mufter andensete. 
Die Einbildungskraft wird mit heiteren Bilbern be⸗ 
ſchaͤftigt, die ſich ſelbſtgefaͤllig an Perſoͤnlichkeit und 
die. naͤchſten Zuſtaͤnde anſchloſſen. Der Geiſt nd- 
herte ſich der wirklichen, wahrhaften Natur, durch 
Gelegenheits⸗Gedichte; daher entfiand, ein gewiſſer 
Begriff von menſchlichen Verhaͤltniſſen mit indivi⸗ 
adueller Mamnichfaltigkeit: denn beſondere Faͤlle wa⸗ 
zren au betrachten und, an behandeln. Vielſchreiberey 
iu mehreren Sprachen, durch fruͤhzeitiges Dictiren 
‚Hein | 


+ 





„Bon 1764 bis 1769. 


‚Aufenthalt in⸗Leipzig. Bedaͤrfniß einer. be⸗ 
ſchraͤukten Ferm zu doſſerer Beurtheilung dercige⸗ 
‚nen Productionen wird: gefuͤhlt; die Griechiſcha Fran⸗ 
zoͤſiſche, beſonders der Dramen, als anerkaunt, ia 
geſetzlich, wird aufgenommen. Eruſtere, unſchul⸗ 
dige aber / fchmorzliche Jugendempfindungen draͤngen 


4 


Mich auf, werden betrachtet und ausgefprochen, in⸗ 
deffen der Jüngling mancherlei Verbrechen Innerhalb 
des übertünchten Zuſtandes der bürgerlichen Gefell- 
(haft gewahret. Won Arbeiten erfterer Art ift bie 
Laune bes Verliebten und einige Xleder, von ' 
der zwepten die Mitfchuldigen übrig geblieben, 
Senen man bei näherer Betrachtung ein fleißiges 
Stubtum der Molterifhen Welt nicht abſprechen 
wird; daher aber auch das Fremdartige ber Sitten, 
wodurch das Stüd lange Zeit vom Theater ausge⸗ 
Schloffen blieb. ae 


Bon 17/69 dis 1777. 
Fernere Einſicht ins Leben. 

Ereigniß, Leidenſchaft, Genuß und Pein. Man 
fuͤhtt die Nothwendigkeit einer frelern Form und 
ſchlaͤgt ſich auf die Engliſche Seite. So entſtehen 
Werther, Goͤtz von Berlichingen, Egmont. 
Bel einfacheren Gegenſtaͤnden wendet man ſich wie⸗ 
der zur beſchraͤnkteren Welfe: Clavigo, Stella, 
Erwin und Elmire, Claudine von Villa 
Bella, beide letztere proſaiſcher Verfuch mit Ge⸗ 
fängen durchwebt. Hleher gehören die Lieder an 
Belinden und Lili, deren mande, fo wie ver 
ſchiedene Gelegenheitsftäde, Epifteln und fonftige 
. gefelige Scherze verloren gegangen. 





gInzwiſchen geſchehen kuͤhnere Griffe In die tie 


gere Menfchheit; es entfteht ein leidenſchaftlicher 


5 


Widerwille gegen mißleltende, befchränkte Theorien; 
man widerfent fih dem Anpreifen falfher Mufter. 


Alles diefes und was daraus folgt, war tiefund wahr - 


empfunden, oft aber einfeitig und ungerecht, ausge⸗ 
ſprochen. Nachſtehende Productionen: Fauft, die 
Punppenfpiele, Prolog zu Barth find indie: 


em Sinne zu beurtheilen; fie} liegen jedermarn 


vor. Augen. Dagegen waren bie Fragmente des: 


ewigen Inden und Hauswurſt's Hochzeit 
nicht mitzutheilen. Lezteres erſchien darum heiter 


genug, weil die fämmtlichen Deutfchen Schimpfna- 
men in ihren Charakteren perfönlich auftraten. Meh⸗ 
teres dieſer frechen Art iſt verloren gegangen; Goͤt⸗ 
ter, Heiden und Wieland erhalten. . 


Die Recenfionen in den. Frankfurter. gelehrten | 


Anzeigen von 1772 und 1773 geben einen vollſtaͤndigen 
Begriff von dem damaligen Buftand unferer Sefell- 
(haft und Perfönlichtelt, Ein unbedingtes Beſtre— 
ben, ale Begränzungen zu durchbrechen, iſt bemerkbar. 

Die erfte Schwelzerretfe eröffnete mir mannich⸗ 
faltigen Blick in die Welt; der Beſuch In Weimar 
umſchlang mich mit ichönen Derhältniffen, und 


drängte mich unverfehens auf einen neuen gluͤckli⸗ 


ben Lebensgang. 


8181780 
An allen vorgemeldeten, nach Weimar mitgebrach- 


tn, unvollendeten Arbeiten konnte man nicht fort⸗ 


& 


ĩ 


6 


fahren; denn da: der Dichter vurch -Antteigatken die: 


Melt: vorweg nim :r, ſo iſt ihm bie anf ihn los⸗ 
dringende, wiehihe Welt unbequem und ftöyenb; fie: 


wii tfangebenwas er ſchon bat, aber anders; daon 


er ſich zum zweytenmale zueignen muß 


Bei Gelegenheit eines Liebhaber⸗ Theaters mb: 2 


fefiiiher: Tage wurden gedichtet und: aufgeführt: 
Lite, die Geſchwiſter, Tphigenta,: Pros. 
ferpiwa, letztere frevontlich in den Teiump: 


der Empftudſamkeit eimgefchaltet und: ihre - 


Wirkung vernichtet; wie Dem: überhaupt eine fchale- 
Senttmensaltbit uͤberhandnehmend manche harte rea⸗ 


liſtiſche Gegewwirkung: veranlaßte. Viele kleine 
Ernſt-, Schewze und Spottgedichte, bei groͤßeren 


und kleineren Feſten, mit unmittelbaven Beyug: auf 
Porſoͤnlichleiten und: das: naͤchſte Werhaͤltniß,/ wur: 
den von: mir und andern, oft gemelnſchaftlich her⸗ 
vorgebracht. Das meiſte ging verloren; ein Cheil, 
z. B: Hand Sachs, Iftieingefhaltet oder: ſonſt 
verwendet: Die Anfänge bes Wilhelm Dretfter 
wird man in dieſer Epoche auch ſchon. gewahrt, oe: 


gleich nur kotyle donenartig: die fernere Eutiigelung: 


und: Bildung zieht ſich durch viele Sabre. 


Dagegen wurde manche Zeit und bbe auf den 


Vorſatz: das Leben Herzog Bernhards zu 


ſchreiben, vergebens aufgewendet. Nach vielfachem 


Sammeln und mehemaligem Schematiſiren warb 
zuletz nur allzullar/ daß hie Ereigniſſe bed Helden 


kein Bild machen. uber jaumervallen Iliade des 


— ———⏑ — — 


— — — rn ee N ⏑ — 


g: 

dreyßigjaͤhrigen Krieges ſpielt er eine wuͤrdige Rolle, 
lißt ſich aber von jener Geſellſchaft nicht abſondern. 
Üinen Ausweg glaubte ich jedoch gefunden zu haben: 
id wallte das Leben fhreiben wie einen erſten Band, 
der einen zweyten nothwendig macht, auf den auch 
ſchon vorbereitend gedeutet wird; überall follten 
Verzahnungen ftehen bleiben, bamit jederman be- 
daure, daß ein frühzeltiger Tod den Baumelfter 
verhindert habe fein Werk zu vollenden. Für mich 
war. dieſe Bemuͤhung nicht unfruchtbar; denn wie 
das Stablum zu Berlichingen und Egmont mir tie- 
fere Einficht in das funfzehnte und fechzehnte Jahr⸗ 
hundert gewährte, fo mußte mir dießmal die Ver⸗ 
wortenheit des fiebzehnten fih, mehr ale fonft 
vielleicht gefchehen wäre, entwideln. 

. Ende. 1779 fällt die zweyte Schwelzerreffe. Auf: 
merlſamkeit auf aͤußere Segenftände, Anordnung 
und Leitung unferer gefelligen Srrfahrt ließen wenig. 
Woductivitaͤt aufkommen. Uebrig geblieben iſt da⸗ 
von als. Denkmal: die Wanderung von Genf auf 
den Gotthard. 

Die. Ruͤcxeiſe, da wir wieder in bie flaͤchere 
Schweiz gelangten, ließ mich Jery und Baͤtely 
erinnen; ich ſchrieb dag Gedicht fogleich und konnte 
es völlig fertig. mit nach, Deutfchland nehmen. Die 
Gebirgsluft die darinnen weht, empfinde ich noch, 
Senn mir die Seftalten auf Bühnenbretern zwifchen 
tluwanbund Pappanfelſen entgegen teten. . 








8 
Bi18 1786. 

Die Anfänge Wilhelm Meifters hatten 
lange gerubt. Ste entiprangen aus einem dunkeln 
Vorgefuͤhl der großen Wahrheit: daß der Menſch 
oft etwas verfuchen möchte, wozu Ihm Anlage vom’ 
der Natur verfagt ift, unternehmen und ausüben 
möchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden fannz 
ein inneres Gefühl warnt ihn abzuftehen, er kann 
aber mit fih nicht Ind Klare kommen, und wird auf 
falfhem Wege zu falfhem Zwecke getrieben, ohne 
daß er weiß wie es zugeht. Hlezu kann alles gerech- 
net werden, was man falfhe Tendenz, Dilettan⸗ 
tismus u. f. w. genannt bat. Geht ihm hierüber 
von Zeit zu Zeit ein halbes Licht auf, fo entſteht 
ein Gefühl das an Verzweiflung granzt, und doch 
läßt er fich wieder gelegentlich von der Welle, nur 
halb widerftrebend, fortreißen. Gar viele vergeu- 
den hiedurch den fchönften Thell Ihres Lebens, und 
verfallen zuledt in wunderfamen Trübfinn. Und doch 
ift es möglich, daß alle die falfhen Schritte zu el- 
nem unfchäßbaren Guten hinführen: eine Ahnung 
die fih Im Wilhelm Meifter immer mehr entfaltet, 
aufflärt und beftätigt, ia fih zulent mit Haren Wor⸗ 
ten ausſpricht: „Du kommſt mir vor wie Saul, der 
Sohn Kis, der ausging feines Waters Efelinnen zu 
ſuchen, und ein Koͤnigreich fand.“ 


Wer die kleine Oper: Scherz, eift und Rache, 
mit Nachdenken leſen mag, wird finden, daß dazu 


* 9 


mehr Aufwand als billig gemacht worden. Sie be⸗ 
ſchaͤftigte mich lange Zeit; ein dunkler Begriff des 
Intermezzo verfuͤhrte mich, und zugleich die Luſt 
mit Sparſamkeit und Kargheit in einem engen 
Kreiſe viel zu wirken. Dadurch haͤuften ſich aber 
die Muſikſtuͤke dergeſtalt, daß drey Perſonen ſie 
nicht zu leiſten vermoͤgen. Sodann hat der freche 
Betrug, wodurch ein geiziger Pedant myſtlficirt 
wird, fuͤr einen rechtlichen Deutſchen keinen Reiz, 
wenn Itallaͤner und Franzoſen fi daran wohl er⸗ 
goͤtzen moͤchten; bei uns aber kann die Kunſt den 
Mangel des Gemuͤths nicht leicht entſchuldigen. 
Noch einen Grundfehler hat das Singſpiel, daß drey 
Perſonen gleichſam eingeſperrt, ohne die Moͤglich⸗ 
teit eines Chors, dem Componiſten ſeine Kunft zu 
entwideln und den Zuhoͤrer zu ergößen, nicht genug- 
fame Gelegenheit geben, Deflenungeachtet hatte mir 
mein Landsmanu Katfer, in Zuͤrich fih aufhaltend, 
durch ſeine Compoſition manchen Genuß verſchafft, 
viel zu denken gegeben und ein gutes Jugendver⸗ 
baitniß, welches ſich nachher in Nom erneuerte, im⸗ 
merfort lebendig erhalten. 

Die Voͤgel und andere, verloren gegangene, 
Feſtſpiele fuͤr Ettersburg mögen hier noch genannt 
werden. Die zwey Acte von Elpenor wurden 
1783 gefhrieben. Zu Ende biefer Epoche reifte der 
Entſchluß, meine fämmtlihen Arbeiten bei Göfhen _ 
herauszugeben. Die Rebaction der vier erften 
Bände war Michael 1786 vollendet. 





109: 


1787 544 17885: 
Die vier lebten Bände ſollten ſodann nur mei- 
ſteus angelegte und unvollendete Arbeiten enthalten; 


auf Herders Anregung jedoch wird deren fernere- 


Besrbeitung unternommen. Bon Ausführung bes 


Einzelnen findet fih viel in den zwey Bänden der 


Itallaͤniſchen Reiſe. Iphigente warb abgeſchloſſen 
noch vor der Sticiltaniſchen Fahrt. Als ich; bei mei⸗ 


ner Ruͤckkehr nach tom, Egmont bearbeitete, fiel mir 


auf in den Zeitungen leſen zu muͤſſen, daß in Bruͤf⸗ 
fet die Stenen, die ich geſchildert, ſich faſt woͤrt⸗ 
lich ernenerten, fo daß auch bier die poetiſche Antich- 
pativn wieder In Betracht kam. In die eigentliche 


Staltäntfche Operuform und ihre Vortheile hatte Ich 


mich, bei meinem Aufenthalte in dem muſikaliſchen 
Lande, rechteingebacht und einggäbt; deßhalb unter- 
nahm Ich mit Vergnügen, Elaudine von Billa 
bella metriſch zu bearbeiten, ingleichen Erwin 
und Elmire, und fie dem Componiſten zu freubt- 


ger Behandlung entgegen zu führen. Nach ber Ruͤck⸗ 


kehr aus Italien Im Fahr 1788 wurde Taffo erft ab⸗ 
geſchloſſen, aber die Ausgabe bei Göfchen dem Pu⸗ 
blitum vollſtaͤndig überliefert: 





178% 


Kaum war ich in das :Wrimarifche Lehen amd: bie: 


dortigen Verhaͤltniffe, bezaͤglich auf: ekhäfte, Stu 


\ 
| 


11- 


Bas und litetariſche: Aubeſten/ wieder eincerichtat. 
a ſich die Franzoſiſche Revolutton entmigelte und. 
Hp: Aufmerkſamleit aller Welt auf ſich zo. Schon 
im Jahr 4785 hatte: bie: Halsbandgeſchichte einen 
unaus ſycechtichen Eindruck auf mich gemacht, Im: 
dem meſtttlichen Stobt:, Hof⸗ und: Staats⸗Ab⸗ 
grande, der ſich hber eröffnete, erſchlenen mir die 
stenlichiten Folgen geſpenſterhaft, deren Erſchetnung 
ich geraume Zeit nicht los werden konnte; wobel ich 
mich ſa feltfem benahm, daß Freunde, unter denen 
ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als bie erſte 
Nachricht hievon zu uus gelangte, mie nur ſpaͤt, als 
dle Renolntion laͤngſt aussehtecken war, geſtanden, 
daß ich ihnen damals wie wahnſinnig vorgelomman 
ſeye Ich werfolgte ben Proceß mit großer Aufmork⸗ 
fomiet, bamuͤhte mich in Sickkken um Nachrichtem. 
von Caglloſtro und ſeiser Familie, und varmandelte 
zuletze, nach gemohnter Weiſe, um alle Betggchtau⸗ 
gen lech zu werden, das ganze Ereigniß unter dem 
Tel: ber Großs Cophtan, inſeine Dyar, mini 
den Beggufindinieleictuheffer als zu. einem Schqus 
ſpleie: getaugt: hätte: .Sanellmaiiter Reichandt griff 
fgleih-eim,: eomppnitte mehreren Einzelna, als 
Mn Vaß⸗Aelat Aſſet Gelehrte ſich zanken 
ui: echten: x- Geh, gehntde. meinen 
Qinten 10, 
Diefe reine Dypunfor, welche vlelleicht Die ade: 
Üggeneierdrametiihen biekbs, . war main. fa.elans: 
„Mk gelaufig semonden, das ·ich manchen Bnsenfinnd. 





42 


darin behamdelte. Ein Singſpiel? die unglet-' 
hen Hausgenoſſen, war fhon ziemlich weit 
geblieben, Sieben handeinde Perfonen, bie aus Fa⸗ 
milienverhaͤltniß, Wahl, Zufall, Gewohnheit auf 
Einem Schloß zufammen verweilten, ober von Zeit 
zu Zeit ſich dafelbft verfammelten, waren dephalb. 
dem Ganzer vortheihaft, weit fie die verſchiedenſten 
Charaktere biideten, in Wollen und Können, hm 
und Laſſen völlig einander entgegen fanden, entge⸗ 
gen wirkten und boch einander nicht los werben konn⸗ 
ren. Arien, Lieder, mebritimmige Partien dar- 
aus vertheilte ich nachher.-in meine lyriſchen Semm⸗ 
ungen und machte dadurch jede Wiederaufnahme der ' 
Arbeit ganz unmöglich. ; 
Stel nach meiner Ruͤckkunft aus Statien machte - 
mir eine andere Arbeit viel Vergnaͤgen. Seit Ster⸗ 
ne's unnachahmliche fentimentale Neife den Ton ge- 
geben und Nachahmer gewedt ‚Eiwaren Reiſebeſchrei⸗ 
bungen faft durchgängig den Gefühlen und Anfichten 
bes Reiſenden gewidmet, Ich dagegen hatte die 
Marime ergriffen, mid ſovlel ald möglich zu ver: 
Idugnen und das Dbiect fo rein als nur zu thım 
wäre in mich aufzunehmen. Diefen Grundſatz be- 
folgte ich getreulih, als ich ben Nömifchen Carne⸗ 
val beimohnte. Ausführlich ward ein Schema aller 
Vorkommenheiten aufgefest, auch fertigten gefällige 
Künftler charakteriſtiſche Maskenzeichnungen. Auf 
diefe Vorarbeiten gründete ih meine Darftellung 
des Roͤmiſchen Carnevals, welche, gut auf- 


13 


genommen, geiſtreiche Menſchen veranlaßte, anf 
ihren Reiſen gleichfalls das Eigenthuͤmlichſte der 
Voͤlkerſchaften und Verbältniffe Mar und rein aus⸗ 
zudruͤcken; wovon ich nur den talentvollen, früh ver- 
ihiedenen Sriedrih Schulz nennen umd feine 
Befchreibung eines Polnifchen Reichſtags In Erinne- 
tung bringen will, 
l 





1790. 

Meine früheren Berhältniffe zur Univerfität Jena, 
wodurch wiſſenſchaftliche Bemühungen angeregt und 
begünftigt worden, eilte ich fogleih wieder anzu- 
nüpfen. Die dortigen Mufeen fernerbin, unter 
. Mitwirkung vorzüglicher ſachkundiger Männer, ver= 
mehrt aufzuftellen, zu ordnen und zu erhalten war 
eine fo angenehme als lehrreiche Befchäftigung, und 
ih fühlte mich beim Betrachten der Natur, beim 
Studium einer weitumbergreifenden Wiffenfchaft 
für den Mangel an Kunftleben einigermaßen entfchd- 
dig. Die Metamorphofe der Pflanzen 
ward als Herzenserleichterung gefchrieben. Juden 
ich fie abdruden ließ, hoffte ich ein Specimen pro 
loco ben Wiffenden darzulegen. Ein botanifcher 
Garten ward vorbereitet. 

Mahleriſche Farbengebung war zu gleicher Zeit 
mein Augenmerk, und ald ich auf die erften phyſi⸗ 
Shen Elemente biefer Lehre zurüdging, entdedte ich 


— 


44 


zu meinem großen Erſtaunen: die: Newtonbſch e 
Hyppotheſeßey falſch und naͤcht zu halten. 
MDenaueres Unterſuchen beſtaͤtigte mir nur meine 
Veberzeugung, "und fo war mit abermals sine Ent⸗ 


wicelungberantheit  eisigeimpft,- die auf veben amd 


Fhaͤtigkeit den größten Einfluß haben ſollte. 


Angenehme haͤuslich-geſellige Verbaͤltutſſe geben | 


mie Muth und Stimmung die Roͤmiſchen Ele- 
gien auszuarbeiten und zu redigiren. Die VWene- 
zianifhen Epigramme gewann ich unmittelbar 
darauf. Ein längerer Aufenthalt in ber wunderba⸗ 
zen Buafferftadt, :erft in Erwartung: der yon Nom 
zuruͤckkehrenden Herzogin Amalia, ſodann aber 
ein Tängered Verwellen "dafelbit im Gefolge bleſer, 
alles um ſich ber, auswaͤrts und zu Hauſe, befeben- 
den Fuͤrſtin, brachten mir die größtem Vortheile. 
Eine hiſtoriſche Ueberſicht der unſchaͤtzbaren Venezia⸗ 
niſchen Schule ward mir anſchaulich, als Ich erſt al⸗ 
lein, ſodann aber mit den Roͤmiſchen Freunden, 
Heinrich Meyer und Bury, nah: Anleitung 
Des hoͤchſt ſchaͤtzbaren Werkes: Della pittura Ve- 
nesiana 1771, von den damals noch mverruͤckten 
Kunſtſchaͤtzen, inſofern fie die Zeit verſchont hatte, 
und wie man ſie zu erhalten und herzuſtellen ſuchte, 
vollſtaͤndige Kenntniß nahm. 

Die verehrte Fuͤrſtin mit dem ganzen Gefolge 
beſuchte Mantna, und ergoͤtzte ſich an dem Ueber- 
maß dortiger Kunſtſchaͤtze. Meyer sing nach fei- 
nem Varerlande, der Schweiz, Bury nach Rom 


IE 6 

Aeruͤck; T die emwitere Meiſe der —XX 

un’ eich. 
Be wu Hauſe gelaugt, : warb. Ichumach' Dchle⸗ 
fien gefordert, wo sine 'bewafisete Stellung, ueyer 
echte don Congreß von Nekihennbach Beguin- 
:fligte. Erſt geben Cantonnirungsquartiere Welagen- 
Heit zu einigen Cpigranmen, die hie und da einge⸗ 
ſchaltet ſind. In Breslau hingegen, wo ein felba- 
tiſcher Hof und zugleich der Abel einer der erſten 
Provlinzen des Roͤnigreichs glaͤnzte, wo man bie 
ſchoͤ uſten Regimenter ununterbrochen marſchiren und 
manduvrtren ſah, beſchaͤftigte mich unaufhoͤrlich, 
jo wnderiih es auch klingen mag, die verglei⸗ 
chende Anatomie, weßhalb mitten in der-be- 
wegteſten Welt, Ach als ESiuſiedler in mir ſelbſt 
abgeſchloſſen lebte. -Diefer Schell des Naturſtu⸗ 
dirmms war ſonderbarlich angeregt werden. Als ich 
amlich auf ben Duͤnen des Ado, welche die Wene⸗ 
dlaniſchen Lagunen von dem Abrlatiſchen Meere fon- 
dern, mich oftmals erging ,: fand {ch einen fo glauͤck⸗ 
lich geborſtenen Schaffchaͤdel, der mir nicht allein 
jene große fruͤher von mir erkaunte Wahrheit: bie 
ſaͤmmtlichen Schaͤbelknochen ſeyen aus verwandelten 
Wirbelknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte, ſon⸗ 
dern auch den: Ueberzang innerlich ungeformter, or⸗ 
ganiſcher Maſſen, durch Aufſchluß nach außen, zu 
fortſchrettrnder Veredlung hoͤchſter Blldung · und Ent⸗ 
wicklung in die vorzuͤglichſten Sinneswerkzeuge vor 
Augen fſreute, und zugleich meinen alten, durch Er⸗ 


16 


fahrung beftärkten Glauben wieder: auffrifehte, wer: 
her fi feft darauf brgründet, daß bie Natur Fein 
Geheimniß Habe, was fie nicht Irgendwo dem auf: 
merffamen Beobachter nadt vor die Augen ftellt. 

Da ich nun aber einmal mitten in ber bewegte- 
ften Lebensumgebung zum Knochenbau zurüdgetehrt 
war, fo mußte meine Vorarbeit, die ih’ aufden 
Zwifchenknochen vor Jahren verwendet, aber- 
male rege werden, Loder, deſſen unermäbliche 
Theilnahme und Einwirkung ich immerfort zu rüh- 
men babe, gedenkt derfelben in feinem anatomifchen 
Handbuch von 1788. Da aber die dazu gehörige 
- Heine Abhandlung, Deutfch und Lateinifch, noch un- 
-ter meinen Papieren liegt, fo erwähne ich kürzlich 
nur fo viel: ich war völlig üderzeugt, ein allge- 
meiner, durch Metamorphofe fih erbebender Typus 
gehe durch die ſaͤmmtlichen organifhen Geſchoͤpfe 
durch, laſſe fih in allen feinen Theilen auf gewiſſen 
mittlern Stufen gar wohl beobachten, und mülffe 
aAuch noch da anerfannt werden, wenn er ſich auf 
der höchften Stufe ber Menſchheit Ing Berbotgene 
befcheiden zuruͤckzieht. 

Hierauf waren alle meine Arbeiten, auf die in 
Breslau, gerichtet; die Aufgabe war Indeflen fo groß, 
daß fie in einem zerftreuten Leben nicht geldf’t wer⸗ 
. den konnte. | 

Eine Luftfahrt nach den Salinen von Wieliczka 
and -ein bedeutender Gebirgs- und Landritt über 
Adersbach, Glatz u. f. w. unternommen, 
Ä erte 


17 


qꝛerte mit Erfahrung und Begriffen. Einiges fin- 
det fich ‚aufgezeichnet. 


1 7 95:5 

Ein ruhiges, innerhalb des Hauſes und ber 
Stadt zugebrachtes Jahr! Die freigelegenfte Woh- 
nung, in welcher eine geräumige dunkle Kammer 
einzurichten war, auch die anuftoßenden Gärten, wo⸗ 
felbft im Freien Verfuche jeder Art angeftellt wer⸗ 
den Eounten, veranlaßten mich den hromatiichen Un⸗ 
| terfuchungen ernftlih nachzuhängen. Ich bearbeitete 
' vorzüglich die prismatiſchen Erfchelnungen, und in- 
dem {ch die fubjectiven derfelben ind Unendliche ver- 
: mannichfaltigte, warb ich fählg, das erſte Stüd 
optifher Beiträge herauszugeben, die mit 

| ſchlechtem Dank und hohlen Nedensarten der Schule 
| dei Seite gefchoben wurden. Ä 


1 Damit ich aber doch von dichteriſcher und aͤſtheti⸗ 
ſcher Seilte nicht allzukurz kaͤme, übernahm ich mit 
Vergnuͤgen die Leitung des Hoftheaters. Cine: 
ſolche neue Einrichtung ward veranlaßt durch den 
„Abzug der Geſellſchaft Bellomo's, welche ſeit 1784 
in Weimar geſpielt und angenehme Unterhaltung 
gegeben hatte. Sie war aus Ober - Deutfchland ge- 

ah Tommen, und man hatte fih mit jenem Dialekt im 
. Dialog, um des guten Geſangs willen, befreundet. 
; Tun waren die Stellen der Abzlehenden a leich⸗ 
Soetvers Werke. XXXI. Bi 


is 


ter zu erſetzen, weit man bie Theater von gang 
Dentfchland zur Auswahl vor ſich ſah. Breslau 
und Hannover, Prag und Berlin fendeten und tücdh- 
tige Mitglieder, die fich in kurzer Zeit in einander 
einfplelten und einfprachen, und gleich von Anfang 
viele Zufriedenheit gewährten. Sodann blieben auch 
von jener abziehenden Gefellfhaft verdienftvolle In⸗ 
dividuen zuräd, von welchen ich nur den unvergeßlf- 
hen Malkolmi nennen will. Kurz vor der Ver— 
Anderung ftarb ein fehr ſchaͤtzbarer Schaufpieler, 
KReumann; er hinterließ und eine vlerzehniährige 
Tochter, das liebenswuͤrdigſte, natuͤrlichſte Talent, 
das mich um Ausbildung anflehte. 

Nur wenig Vorftellungen zum Eintritt wurden 
in Weimar gegeben. Die Gefellfchaft hatte einem 
großen Bortheil, Sommers In Lauchftädt zu fpielen; 
ein neues Publicum, aus Fremden, aus dem ge- 
bildeten Theil der Nachbarſchaft, ben kenntnißrei⸗ 
hen Gliedern einer nähft gelegenen Alabemie, und 
leidenfchaftlih fordbernden Tünglingen zufammen- 
gefest, felten wir befriedigen. Neue Stüde wur⸗ 
den nicht eingelernt, aber die Altern durchgeuͤbt, 
und fo kehrte die Gefellfchaft mit frifhem Muthe 
im October nah Welmar zurid. Mit ber größten 
Sorgfalt behandelte man nun die Städe jeder Art, 
denn bei der neu zufammentretenden LAT 
mußte alles neu eingelernt werden. 

Gar fehr begänftigte mich jene Neigung zur mu⸗ 
ſikaliſchen Poeſie. Ein unermädlicher Concertmel⸗ 


19 
fier, Stanz, und ein immer thätiger Theaterdich⸗ 


fed, Vulpius, griffen Tebhaft mit ein. Einer 


Unzahl Itallaͤniſcher und Franzdfifher Opern eilte 
man Dentfchen Tert unterzulegen, auch gar manchen 
fon vorhandenen zu befferer Singbarkeit umzu⸗ 
färben. Die. Partituren wurden durch ganz 
Deutfhland verfhidt. Fleiß und Luft, die man 
biebet aufgewenbet, obgleih das Andenken völlig 
verſchwunden ſeyn mag, haben nicht wenig zur Ver- 
befferung Deutfcher Opernterte mitgewirkt. 

Diefe Bemühungen theilte der aus Stallen mit 
gleiher Morliche zurüdkehrende Freund, von Ein- 
fiedel, und fo waren wir von biefer Seite auf 
mehrere Jahre geborgen und verforgt, und da die 
Sper immer ein Publicum anzuziehen und’ zu er- 
gößen das ficherfte und bequemfte Mittel bleibt, fr 
fonnten wir, von biefer Seite beruhigt, dem reci⸗ 
tirenden Schaufpiel defto reinere Aufmerkfamfeit 
widmen. Nichts binderte diefes auf eine wuͤrdige 
Weiſe zu behandeln und von Grund aus zu beleben. 

Bellomo's Repertorium war ſchon von Beden- 
tung. in Director fpielt alles ohne zu prüfen; 
was faͤllt, hat doch einen Abend ausgefüllt, was 
bleibt, wird forgfältig benutzt. Dittersborfiihe 


Opern, Schauſpiele aus Ifflands befter Zeit, fan⸗ 


den wir und brachten fie nah. Die theatrali- 
Then Abenteuer, eine immer erfreuliche Oper, 
mit Cimaroſa's und Mozarts Muflt, ward noch vor: 
Ende des Jahrs gegeben; König Johann aber, 


N 


20- 


von Shafefneare , war unſer groͤßter Gewinn. 
Shriftiane Neumann, ale Arthur, von mie 
unterrichtet, that wundervolle Wirkung; alle bie 
übrigen mit Ihr in Harmonie zu bringen, mußte 
meine Sorge feyn. Und fo verfuhr id von vorne 
herein, daß ich in jedem Stuͤck den vorzuͤglichſten 
zu bemerken und ihm die andern. anzunaͤhern fischte. 


1792. 

Sp war ber Winter hingesangen und das Scheu: 
fptel hatte ſchon einige Conſiſtenz gewonnen. Wie⸗ 
derholung früherer, werthvoller und beliebter Städe, 
Verſuche mit aller Art von neneren gaben Unterhal⸗ 
tung. uud beſchaͤftigten das Urtheil des Publicums, 
welches denn bie damals neuen Stuͤcke aus Ifflands 

hoͤchſter Epoche mit Vergnuͤgen anzuſchauen ſich ge⸗ 
woͤhnte. Auch Kotzebne's Productionen wurden ſorg⸗ 
faͤltig aufgefuͤhrt und, inſofern es moͤglich war, auf 
dem Repertorium erhalten. 

Dittersdorfs Opern, dem ſingenden Schauſpieler 
leicht, dem Publicum anmuthig, wurden mit Auf: 
merkfamkeit gegeben; Hagemanniſche und Hagemei⸗ 
ſteriſche Stuͤcke, obgleich hohl, doch fuͤr den Augen⸗ 
blick Theilnahme erregend und Unterhaltung ge: 
waͤhrend, nicht verſchmaͤht. Bedeutendes aber ge⸗ 
ſchah, als wir ſchon zu Anfange des Jahrs Mozarts 
Don Juan und bald darauf Don Carlos von: 


\ 


21 


Schuͤler aufführen tonnten. Etin lebendiger Vor⸗ 
theil entſprang aus dem Beitritt des tungen Vohs 
zu unferm Theater. Er wer von der Natur hoͤchſt 
begänftigt und erſchien eigentlich jeht erft als bedeu⸗ 
tender Schanfpteler. 

Das Srübiahr belebte "meine chromatiſchen Ar⸗ 
beiten, ch verfaßte das zweyte Stuͤkeder opti⸗ 
{den Beiträge und gab es von einer Tafel 
begleitet heraus. In der Mitte des Sommers 
warb Sch. abermals ins Feld berufen, bteßmal zu 
ernſteren Scenen. Ich eilte uͤber Frankfurt, Main; 
KTrier und: eLenemburg mach Longwi, weiches ich ben 
28 Auguſt fon eingenommen fand; Yon da zog 
ih mit bis Valmy, ſo ;wuke auch zuruͤck bis Drier; 
ſadann, um die unendliche. Verwirrung der Hrer⸗ 
Nwruße zu vermeiden, bie Moſel herab nach Koblenz. 
Maucherkei :Nuturerfuheuugen fihlangen: ſich, Für 
den Aufmerkſamen, durch die bewegten Kriegser⸗ 
eigniſſe. "Einige Theile won Fiſchers phyſtkali⸗ 
Achem Woͤrterbuche beglelteten mich; manche Lauge⸗ 
‚weile ſteckender Tage betrog Ich duvch fortgeſetzte 
chvommtiſche Arbeiten, wozu mich die ſchoͤnſten Er⸗ 
fahrengen in freier Welt anfregten, wie fie leine 
Dantte :Hammer, Lein Löchlein im Laden geben 
taun. Papirre, Acten und Zebchaungen daruͤber 
dauften ſich. 

Bei :meinem Beſuch in Mainz, Dürfetborf und 
Mänfter lennte ich bemerken daß ‚meine :witen 

Freunde mich nicht recht wieber erleunen wollten, 


22 


wovon uns in Hubers Schriften ein Wahrzeichen 
übrig geblieben, deſſen pſochiſche Entwiclung gegen- 
waͤrtig nicht ſcwer fallen follte. 


179 3. 


Shen dieſer widerwärtigen Art, alles Sentimen- 

tale zu verfhmaben, fi an die. unvermeidliche 
Wirklichkeit halb verzmeifelnd hinzugeben, begeg- 
nete gerade Reinecke Fuchs als wuͤnſchens⸗ 
wertheſter Gegenſtand fuͤr eine, zwiſchen Ueber⸗ 
ſetzung und Umarbeitung ſchwebende Behandlung. 
Meine, dieſer unheiligen Weltbibel gewid: 
mete Arbeit gereichte mir zu Hauſe und auswaͤrts 
zu Troſt und Freude. Ich nahm ſie mit zur Blo⸗ 
cade von Mainz, der ich bis zum Ende der Bela⸗ 
gerung beiwohnte; auch darf ich zu bemerken nicht 
vergeflen, daß ich fie ‚zugleich ald Hebung im Hem- 
meter vornahm, den wir freilih damals nur dem 
' Gehör nahbildeten. Voß der die Sache verftand, 
wohte, fo lange Klopfto lebte, aus Pietaͤt dem 
guten alten Heren nicht. ins Geſicht fagen daß feine 
Herameter fchlecht feyen; das mußten wir jüngeren 
aber büßen, die wir von Jugend auf ung In jene 
Rhythmik eingeleyert:hatten. Voß verläugnete ſelbſt 
feine Weberfegung der Odyſſee, die wir verehrten, 
fand an feiner Luiſe auszuſetzen, nach der wir und 
bildeten, und fo wußten wir nicht — Heiligen 
wir uns widmen ſollten. 





23 


Auch die Farbenlehre begleitete mich wieder an 
den Rhein, und ich gewann in freier Luft, unter 
heiterm Himmel, Immer freiere Anfihten über die. 
mannichfaltigen Bedingungen unter benen die Farbe 
erſcheint. 

Dieſe Mannichfaltigkeit, verglichen mit meiner 
beſchraͤnkten Faͤhigkelt des Gewahrwerdens, Auf⸗ 
faſſens, Ordnens und Verbindens, ſchien mir die 
Nothwendigkeit einer Geſellſchaft herbeizuführen. 
Eine ſolche dachte ich mir in allen ihren Gliedern, 
bezeichnete die verfchledenen Obliegenheiten und 
deutete zuletzt an, wie man, auf eine gleichwirkende 
Art handlend, baldigſt zum Zweck kommen müßte. 
Dieſen Aufſatz legte ich meinem Schwager Schloſ⸗ 
fer vor, den ich nach ber Uebergabe von Mainz, 
dem fiegreichen Heere weiter folgend, in Heidelberg 
ſprach; ich ward aber gar unangenehm überrafcht 
als diefer alte Practicus mich herzlich auslachte und 
verfiherte: In der Welt überhaupt, befonders 
‚aber in dem Lieben Dentfchen Vaterlande, fey an 
eine reine, gemeinfame Behandlung irgend einer 
wiſſenſchaftlichen Aufgabe nicht zu benfen. Ich da⸗ 
gegen, obgleich auch nicht mehr jung, widerſprach 
ald ein Gläubiger, wogegen er mir manches um: 
fländitch vorausfagte, welches ich damals verwarf, 
in der Folge aber, mehr als billig, probat gefun- 
den habe. - 

Und fo bielt ich für meine Perſon wenigftene 
mich immer feſt an diefe Studien, wie an einem 





24 


Ballen im Schiffbruch: denn ich hatte nun zwey 
Sabre unmittelbar und perfönlich das fuͤrchterliche 
Bufammenbrechen aller Verhaͤltniſſe erlebt. Ein 
Tag im SHauptquartiere zu Hans und ein. Tag in 
dem wieder eroberten Mainz waren Symbole der 
gleichzeitigen Weltgeſchichte, :wie fie es :noch jeßt 
Demijentgen bleiben der fich Innchroniftifch jewer Dage 
wieber zu erinnern ſucht. 


Einem thärigen productiven Geifte, einem wahr⸗ 
haft vaterländifch gefinnten, und einheimifche Lite- 
zatur befördernden Manne, wird man es zu Gute 
halten, wenn ihn ber Umſturz alles Vorhandenen 
ihredt, ohne daß die mindeſte Ahnung zu Ihm 
ſpraͤche was benn beffered, ja nur auberes. daraus 
erfolgen folle. Dean wird ihm beiftimmen wenn #3 
ihn verbrießt, daß dergleichen Influenzen fih nach 
Deutfchland erſtrecken, und verrädte, ja unwuͤrdige 
Derfonen das Heft ergreifen. In diefem Sinne 
war der Bürgergeneral geſchrleben, ingleichen 
die Aufgeregten entworfen, ſodann die Un⸗ 
terhaltungen der Ausgewanderten. Alles 
Droductionen die dem erften Urſprung, ja fogar der 
Ausführung nah, meift in Diefes und das folgende 
Jahr gehören. 


Der Bürgergeuerai ward gegen Ende von 
1793 in Weimar aufgeführt. Ein, Im Fach ber 
BSchnaͤpſe hoͤchſt gewandter Schaufpieler, Bed, 
war erſt zu unſerm Theater getreten, auf Selen 


r 


- 


Tatent und Humor vertrauend fh eigentlich die 
Rede ſchrbeb. 

Er und der Schauſpieler Malkolmi ‚gaben ee 
Hallen: aufs voſttommenſte; das Staͤck ward wieder- 
Seit, aber die Urbilder diefer luſtigen Geſpenſter 
waren zu furchtbar als daß nicht ſelbſt die Schelu⸗ 
bilder Hätten -beängftigen ſollen. 

Neu und frifh traten die Sqhauſpieler SGraff 
ad Hatde mit einiger Vorbildung zu unſerm 
Dereine; die Eheleute Perth braten uns eine 
Kebenswürbige Tochter, die in muntern Rollen 
durchaus erfrewtich wirkte, und noch jept unter dem 
Namen Vohs bei allen Theaterfreunden gefehlt 
ud vellebt iſt. 


Bon diefem Jahre durft' Ih hoſfen, es werde 
mich ‚gegen bie vorigen, in weichen ich viel ent⸗ 
hehrt und gelitten, durch mancherlei Dhaͤtigkeit zer⸗ 
freuen, durch mancherlei Freundlichkeit erquicken; 
md ich behuefte deffen ger ſehr. 

Denn, perfoͤnlicher Zouge hoͤchſt bedeutender mb 
bie Welt bedrohender Umwendungen geweſen su 
ſeyn, das groͤßte Ungluͤck was Buͤrgern, Bauern 
und Soldaten begegnen kann mit Augen geſehen, 

ja folge Zuſtaͤnde getheilt zu haben, gab die trau⸗ 
uUigſte Stimmung. 

Doch wie ſollte man ſich erholen, bamms.ıble 
angehen Bewegungen innerhalb Franlreicha jeden 


— 





26 s 


Kag beängftisten und bedrohten. Im vorigen 
Jahre hatten wir den Tod bes Königs und der Koͤ⸗ 
- aigin bedauert, in diefem das gleihe Schiefal der 
Prinzeß Elifabeth. Robespierre's Greuelthaten hat⸗ 
ten die Welt erſchreckt, und der Sinn fuͤr Freude 
war ſo verloren, daß niemand uͤber deſſen Unter⸗ 
gang zu jauchzen ſich getraute; am wenigſten da die 
äußern Kriegsthaten ber im innerſten aufgeregten 
Nation unaufhaltſam vorwaͤrts draͤngten, rings 
umher die Welt erſchuͤtterten und alles Beſtehende 
mit Umſchwung, wo nicht mit Untergang bedrohten. 

Indeß lebte man doch in einer traumartigen, 
ſchuͤchternen Sicherheit im Norden und beſchwichtigte 
die Furcht, durch eine halbgegruͤndete Hoffnung auf 
das gute Verhaͤltniß Preußens zu den Franzoſen. 

Bei großen Begebenheiten, ia ſelbſt in der du- 
ßerſten Bedraͤngniß, kann der Menfh nicht unter- 
laſſen mit Waffen des Wortes und der Schrift zu 
kaͤmpſen. So machte ein Deutihes Heft großes 
Aufſehen: Aufruf an alle Völker Euro: 
pens; es fprach dem fiedenden Haß gegen bie Franz. 
zofen aus, in dem Augenblide da ſich die ungebän- 
digten Feinde mächtig gegen unfere Gränzen näber- 
ten. Um aber den Wechfelftreit der Meinungen 
aufs hoͤchſte zu treiben, ſchlichen Franzöfifhe revo⸗ 
Inttondre Lieder im Stillen umher; fie gelangten 
auch zu mir, durch Perſonen denen man ed nicht 
gugetraut hätte. 

Der Innere Zwieſpalt der Deutihen in Abſicht 


27 

auf Vertheldignug und Gegenwirlung, zeigte ſich 
offenbar Im Gange der politiſchen Anſtalten. Preu⸗ 
Gen, ohne fich über. die Abficht näher auszufprechen, 
verlangte Derpflegung für feine Truppen; es er⸗ 
ſchien ein Aufgebot, niemand ‚aber wollte geben, 
noch ſich gehörig waffnen und vorfehen. In Ne: 
gensburg kam eine Union der. Fuͤrſten gegen Preu⸗ 
fen zur Sprache, begünftigt von derjenigen Seite, 
welche Wergrößerungsablichten in ber einfeltigen 
Sriebendverhandlung vermuthete. Minifter von 
Hardenberg verfuchte dagegen bie Neichöftäube zu 
Gunften feines Königs zu erregen und man ſchwank⸗ 
te, in Hoffuung einen: Halbfreund der Franzoſen zu 
gewiunen, auch wohl anf. dieſe Seite. Wer fi 
indeſſen von den Zuſtaͤnden Rechenſchaft gab, mochte, 
wohl im Innern fih geftehen, daß. man fi mit 
eiteln Hoffnungen zwiſchen Furcht und Sorge nur 
binhalte. ' 

, Die Oeſterreicher zogen ſich aͤber den Nhein 
heruͤber, die Engländer in die Niederlande, ber 
Feind nahm - einen größern Naum ein und erwarb 
reichlichere Mittel, Die Nachrichten von Flüchtigen 
. aller Orten vermehrten ſich, und es wär Feine Fa⸗ 
mille, tein:-Greumdestreis, der nicht in feinen 
Gliedern wäre befhädigt worden. "Man fenbete 
mir aus dem füdlichen uud weftfichen Destfchland, 
Schatzkaͤſtchen, Sparthaler, Koftbarkeiten man- 
ber Art, zum treuen Aufbewahren, die mich als _ 
. Beugniffe großen Zutrauens erfreuten, waͤbrend fie 





\88 


amir als Bewelſe erner beaͤugſtigten o Matlon —* 
wor Augen ſtanden. 

Und fo. tudten dennauch, inſofedu ich in Ftaut⸗ 
Furt angeſeſſen war, die Boſorglichkeiten Immer 
‚näher und ‚näher. Der ſchoͤne -bärgertiche Be— 
ſitz, deffen :meine Matter ſeit dem Ubleben mul: 
med Vaters ſich eufrente ward Ihe ſchon feit dem 
Fruͤheren Anfang der Felndfeligleiten zur 2a, ohne 
Daß fie ſich es zu bekennen getraute, doch hatte Ich 
"bei meinem vorjährigen Beſuch fie Aber Ihren: Zu⸗ 
ſtand aufgeklärt und aufgemuntert ſich ſolcher Buͤrde 
.gu entledigen. Aber gerade in dieſer Zeit war 
unraͤthlich zu Thun: was man für nothwendig hieit. 

Gin bei unfern Lebzuiten neuerbautes, Inkeger- 
Uch bequemes und anfkändfges Haus, ein wohlvor⸗ 
ſorgter Keler, Hausgeraͤth aller: Art und der Bett 
ah von gutem Geſchmack, Buͤcherſammlungen, 

Gemaͤhlde, Kupferſtiche und Landcharten, Mter⸗ 
thuͤmer, kleine Kunſtwerke und Curioſitaͤten, gar 
manches Merkwuͤrdige, das mein Water aus Licb⸗ 
haberey und Kenntwiß bei guter Gelegenheit um ſich 
verfammelt hatte: es ſtand alles ba und noch bei⸗ 
ſammen, es griff durch Ort und Stellung gar ve⸗ 
sguem mad nunhäft In einander, und hatte zuſam⸗ 
men nut eigentlih feinen herkoͤmmlichen Werth; 
Dachte man fi daß es follte vertheilt und gerkuout 
werden, fo mußte man ſegten es verſchleudert 
mb: verloren au ſehen. 

Much mertte man N; indem man ſuch mit 


28° 


Freunden berieth, mit Mäflern unterhandelte, daß 
in der jetigen Zeit ein jeder Merkauf, ſelbſt ein un— 
vortheilhafter, fich verfpäten müde. Doc der Ext- 
fing war einmal gefaßt, und die Ausſicht auf eine 
lebenslaͤngliche Miethe in einem fchön gelegenen, 
obgleich erfk new zu erbanenden Haufe gab der Eins 
bildungstraft meiner guten Mutter eine heitere 
Stimmung, die ihr manches Unangenehme der Ges 
genwart übestragen half. 

Schwanfende Gerüchte vom Au⸗ und Eindeingen 
der Feinde verbreiteten fchredenvolle Unſicherheit. 
Handelsleute ſchafften ihre Waaren fort, mehrere 
das beweglich Koſtbare, und fo wurden auch viele 
Berfonen aufgeregt, am fich felbft zu denken. Die 
Unbequemlichfeit einer’ Auswanderung und Orte: 
verdnberung ſtritt ‚mit der Furcht vor einer feinbil- 
chen Behandlung; auch, werd mein Schwager Schlof- 
fer In dieſem Strudel mit fortgerifien. Mehrmals: 
bot ich meiner Mutter einen. ruhigen Aufenthalt bet 
mir an, aber fie fühlte keine Sorge für Ihre eigene 
Perſoͤnlichkeit; ſieweſtaͤrlte fich:imihrene altteſtament⸗ 
llchen Glauben, und, darch einige zur rechten ‚Seit 
ihr begegnende Steffen aus, den Pſalmen und Pro: 
pheten, in der Neigung zur Batxrſtadt, mit der. ſie 
ganz eigentlich zuſgmmengewachſen ner; weshalb 
fie denn auch nie eiamel —— sa mir uns 
ternehmen wollte , : :- 

Sie hatte ihr Bisiben an Drt * Stelle ent⸗ 
ſchleden ausgeſprochan, als Frau von la ae ſich 


— 





1} ’ 


30° 


det Wieland anmeldete, und ihn dadurch in die 
größte Verlegenheit fehte. Hier waren wir nun in 
dem Fall, ihm und und einen Freundfchaftsdienft 
zu erweifen. Angſt und Sorge hatten wir fchon ge- 
nug, bazu aber noch obendrein die Wehllage zu er⸗ 
dulden fchlen ganz unmöglih. Gewandt in folhen 
Dingen wußte meine Mutter, felbft fo vieles ertra⸗ 
gend, auch ihre Freundin zu befhwichtigen und fich 
dadurch unfern größten Dank zu verbienen. 

Sömmering mit feiner. treffiihen Sattin hielt 
es in Frankfurt aus, bie fortwährende Unruhe zur 
ertragen. Jakobi war aus Pempelfort nah Wands⸗ 
_ beit geflüchtet, die Seinigen hatten andere Orte ber 
Sicherheit gefuht. Mar Jakobi war In meiner 
Nähe als der Medicin Befliffener in Jena. 

Das Theater, wenn ed mich auch nicht ergößte, 
Anterhielt mich doch im fortwährender Beſchaͤftigung; 
ich betrachtete es als eine Lehranftalt zur Kunſt mit 
Heiterkeit, ja ale ein Symbol des Welt: und Ge⸗ 
ſchaͤftslebens, wo es auch nicht Immer fanft hergeht, 
und übertrug was es Unerfreuliches haben mochte. 

Schon zu Anfangides Tahres konnte die Zan⸗ 
berflöte gegeben werden, bald darauf Richard 
Loͤwenherz, und dieß wollte zu jeher Seit, unter 
den gesebenen Umftaͤnden, ſchon etwas heißen. 
Daun kamen einige bedeutende‘ Ifflandiſche Schau 
fpiele an bie Reihe, und unfer Perſonal Iernte fi 
immer beſſer and reiner In diefe Vortraͤge finden. 
Das Mepertorlum war ſchon anſehnlich, daher denn 


131 


Heinere Stüde, wenn fie fih auch nicht hielten, im⸗ 
mer einigemal als Neuigkeit gelten konnten. Die 
Scenfpielerin Bed, welhe in diefem Jahre an- 
trat, ‚füllte das in Ifflandifhen und Kotzebueſchen 
Städten wohlbedahte Fach gutmüthiger und bösar- 
tiger Mütter, Schweftern, Tanten und Schließe⸗ 
tinnen ganz volllommen aus. Vohs hatte die 
hoͤchſt aumuthige, zur Gurli gefchaffene Port h ge⸗ 
heirathet, und es blieb in dieſer mittlern Region 
wenig zu wuͤnſchen übrig. Die Geſellſchaft ſpielte 
den Sommer über einige Monate in Lauchſtaͤdt, da- 
ber man mie immer den doppelten Vortheil zog, 
dag eingelernte Stüde fortgeubt wurden, ohne dem 
Weilmariſchen Yubllcum verdrießlich zu fallen. 

Nunmehr gegen Jena und bie dortigen Lehrbäh- 
nen bie Aufmerkſamkeit lenkend, erwähne ich fol- 
gendes: 

Nach Reinholds Abgang, der mit Recht als 
ein großer Verluſt für die Akademie erſchien, war 
mit Kühnbeit, ja Werwegenheit, an feine Stelle 
Fichte berufen werben, der in feinen Schriften 
fi mit Großheit aber vielleicht nicht ganz gehörig 
über die wichtigften Sitten: und Staategegenftände 
erklaͤrt hatte. Es war eine der tüchtigften Perſoͤn⸗ 
lichkeiten, die man je gefehen, und an feinen Se- 
finnungen in hoͤherm Betracht nichts auszuſetzen; 
aber wie.hätte er mit der Welt, die er als feinen 
erihaffenen Beſitz betrachtete, gleichen Schritt hal⸗ 
ten follen? 


3% 


Da man Ihm bie Stunden. die er zu öffentit- 
hen Dorlefungen benutzen wollte, an Werkeltagen 


verkuͤmmert hatte, fo unternahm er Sonntags Bor: 


lefungen, deren. Einleitung Hinderniffe fanden. 
Kleine und größere daraus entipringende Widerwär: 
tigfeiten waren kaum, nicht ohne Unbequemlichkeitber 
obern Behörden, getufcht und geſchlichtet, als une 
deſſen Aeußerungen über Gott und göttliche Dinge, 
über die man freilich beffer ein tiefes Stillſchweigen 
beobachtet, von außen befchwerende Anregungen zu⸗ 
zogen. Im Kurfachlen wollte man von gemilfen 
Stellen der Fichte'ſchen Zeitfchrift nicht das Beſte 
denen, und freilich Hatte man alle Muͤhe dasjenige, 
was in Worten etwas ſtark verfaßt war, durch an⸗ 
dere Worte leidlich auszulegen, zu milbern, und 
wo nicht geltend doch verzeihlich zu machen. 
Profeſſor Göttling, ber nad einer freiſinni⸗ 
gen Bildung buch wiffenfhaftlihe Reiſen unter die 
altererften zu zählen iſt, bie den allerdingd hohen 
Begriff der neuern Franzöfifchen Chemie in fih auf- 
nahmen, trat mit der Entdedung hervor, daß Phos⸗ 
phor auch In Stickluft brenne. Die deßhalb entfte- 
benden Hin- nnd Widerverſuche beſchaͤftigten und 
eine. Zeit lang. 
| Geh. Rath Voigt, ein getrener Mitarbeiter 
anch Im mineralogiſchen Felde, kam von Carlsbad 
zuruͤck und brachte ſehr ſchoͤne Tungſteine, theils in 
groͤßeren Maſſen, theils Dentsich kryſtalliſirt, womit 
wir 


33 


wir ſpaͤterhin, als dergleichen ſeltener vorkamen, 
gar manchen Liebhaber erfreuen konnten. 

Alerander von Humboldt längfk erwartet, 
von Bayreuth anfommend, nöthigte uns Ins Allge: 
weinere der Naturwiſſenſchaft. Sein dlterer Bru⸗ 
der, gleichfalls in Jena gegenwärtig, ein klares In⸗ 
tereffe nach allen Seiten binrichtend, theilte Stre- 
ben, Forſchen und Unterricht. 

Zu bemerken ift, daß Hofrath Lader eben bie 
Bänderlchre lad, den hoͤchſt wichtigen Theil der 
Anatomie: deun was vermittelt wohl Muskeln und 
Knochen als die Bänder? Und doch ward durch eiue 
defondere Verruͤcktheit der medicinifchen Tugend ge: 
tade diefer Theil vernadhläfiigt. Wir Genannten, 
mit Freund Mevern, wandelten bed Morgens im 
tiefften Schnee, um in einem faft leeren anatomi- 
fhen Auditorium diefe wichtige Verknüpfung aufs 
deutlichfte nach den genaueften Präparaten vorges 
tragen zu fehen. 

Der treffliche, Immerfort thätige, Telbft die klein⸗ 
ſten Nahhülfen feines Beſtrebens nicht verfhmähen- 
de Batſch ward in diefem Jahre In einen mäßigen 
Theil des obern Fürftengartend zu Jena eingefept. 
Da aber ein dort angeftellter, auf Nutzung angewie- 
fener Hofgärtner im Hauptbefiß blieb, -fo gab es 
manche Unannehmlichkeiten, welche zu befeitigen man 
dießmal nur Plane für die Zukunft machen Eonnte. — 

Auch In diefem Jahre, gleihfam zu guter Vor⸗ 
bedeutung, warb die Nachbarſchaft > gedachten 

Borıpes Werke. XXXI. d. 


$4 


Gartens beiterer und fneundlicher. Ein ſcheil ber 
Stadtmauer war eingefallen, and um bie Kñcunrher 
Wieberherfichung zu vexymeihen, bafain$- man bie - 
Ausſuͤllung bes Grabens audiefer Stelle; dann ſallte 
hie gleiche Oporation ſich auf den übrigen. Theil nach 
and nah eriireden. 


Gegen bie großen Immer geftelgerten Forderun- 
gen der Chromatik fühlte ich mehr und mehr meine 
Unzulaͤnglichkelt. Sch ließ daher nicht ab, fort- 
während Scmüthsfreunde heran zu ziehen. Mit 
Schloffern gelang ed mir nicht: denn felbft in ben 
friediichften Zeiten würde er diefem Geſchaͤft feine 
Aufmerkſamkeit nicht zugewendet haben. Der fitt- 
liche Theil des menfhlihen Weſens unterlag feinen 
Betrachtungen, und von dem Innern zu bem Aeußern 
überzugehen iſt ſchwerer als man denkt. Sömme= 
ring dagegen fehte feine Theilnahme durch alle die 
yerworrenen Schickſale fort. Gelftreih war fein 
Eingreifen, förbernd felbft fein Widerfpruh, und 
wenn Ich auf feine Mittbellungen recht aufmerfte, 
ſo ſah ich immer welter. 


Bon allen Unbilden dieſas Jahres nahm bie. Ma⸗ 
tur ihrer Gewohnheit gemäß nicht die yeringfte 
Kenntniß. Alle Geldfrächte gedichen herrlich, eiles 
teifte einen Monat früher, alles Obſt gelangte zur 
Volltommenhelt, Apricoſen und Prkben, Melo⸗ 
nen und auch Caſtanien baten fi dem Liebhaber 
reif und ſchmachaft bar, und fehlt in ber Reihe 


> 


35 


—* Weiniahre finden wir 1794 mit auf- 
gezahlt 

Don Hterarifhen Arbeiten zu zeben , fo war 
dr Reinecke Fuch s nunmehr abgebeudt; ‚allein 
die Unbilden, die aus Verſendung der Freierem⸗ 
plare ſich aͤmmer hervarthun, bileben. auch. biefmal 
nicht aus. So verdarb eine Zufaͤlligkeit mir die 
frifche Theulnahme ‚meiner Gothalſchen Goͤnner und 
Freunde. Herzog Ernſt hatte mir verſchiedene phy- 
ſikaliſche Juſtrumente freundlichſt geborgt, bei deren 
Ruͤckſendung ich die Exemplare des Scherzgedichtes 
beipackte, ohne derſelben in meinem Brlefe zu er⸗ 
waͤhnen, ich weiß nicht ob.aus Ueberellung, oder 
eine Ueberraſhung beabichtigend. Genug, der mit 
ſolchen Geſchaͤften Beauftragte des Fuͤrſten mar: ab- 
weſend und die Kiſte blieb lange Zeit unausgepackt; 
Ih aber, ‚sine thelluebmende Erwlederung ſo wer⸗ 
sher und. fonft fo nänchlider. Freunde mehrere Wo- 
hen entbehreud, machte mir tauſend Brillen, bis 
endlich nach Gräffaung ber Kiſte nur Entſchuldigun⸗ 
gen, Auklagen, Bedauerniſſe wiederholt ausgedruͤckt, 
mir ſtatt einer heitern Auinahme ungluͤckucherweiſe 
zu Theil wurden. 

Bon ber beurthellenden Selte aher waren Voſ⸗ 
ſens rhuthmiſche Pemerkungen nicht tröflih, und 
ih mußte nur zufrleden ſeyn, Daß mein gutes Ver⸗ 
haͤltniß zu den Freunden nicht geſtoͤrt wurde, an⸗ 
ſtatt daß es ſich haͤtte erhoͤhen und beleben ſollen. 
Doc ſetzte ſich alles bald wieder ins Gleiche: Prinz 





= 


56 - 


Auguſt fuhr mit feinen Titerarifhen Scherzen fort, 
Herzog Ernft gewährte mir unausgeſetzt ein wohl- | 

gegruͤndetes Vertrauen, Indem ich befonders feiner | 
Kunftliehhaberep gar manche angenehme Beſitzung 

zufuͤhrte. Auch Voß konnte mit mir zufrieden feym, 
indem ich auf feine Bemerkungen ahtend mich in der 
Folge nachgiebig und bildfam erwies. | 

Der Abdrud des erftien Bandes von Wilhelm 

. Meifter war begonnen, der Entfchluß, eine Ar- 
beit, an ber ih noch fo viel zu erinmern hatte, für 
fertig zu erklären, war endlich gefaßt, und ich war 
ftob den Anfang aus den Augen zu haben, wenn 
mich fchon die Fortfegung fo wie die Ausficht auf eine 
nunmehrige Beendigung hoͤchlich bedraͤngte. "Die 
Nothwendigkeit aber iſt der befte Rathgeber. 

In England erſchien eine Heberfeßung ber Iphi⸗ 
genla; Unger drudte fie nach; aber weder ein Eem⸗ 
plar des Originals noch der Eopte ift mir geblieben. 

An dem Bergbane zu Ilmenau hatten wir ung 
Thon mehrere Jahre herumgequält; eine fo wichtige 
Unternehmung Ifolirt zu wagen, war nur einem ju⸗ 
gendlihen, thätig=frohen Uebermuth zu verzeihen. 
Innerhalb eines großen eingerichteten Bergweſens 
hätte fie ſich fruchtbarer fortbilden Können; allein 

mit beſchraͤnkten Mitteln, fremden, obgleich fehr 
tüchtigen, von Zeit zu Zeit herbeigerufenen Officlan⸗ 
ten konnte man zwar ind Klare kommen, babet aber 
war die Ausführung weder umfichtig noch energifch 

- genug, und das Werk, befonders bei einer ganz 


37. 


unerwartete» Raturbildung, mehr als einmal im 
Begriff zu ſtocken. 

Ein ausgeſchriebener Gewerkentag ward nicht 
ohne Sorge von mir, und ſelbſt von meinem Colle⸗ 
gen, dem geſchaͤftsgewandteren Geh. Math Volgt, 
mit einiger Bedenklichkeit bezogen; aber uns kam 
ein Succurs, von woher wir ihn niemals erwartet . 
bitten. Der Zeitgeift, dem man fo viel Gutes und.- 
fo viel Böfes nachzufagen hat, zeigte ſich ale unfer. 
Alliirter, einige der Abgeordneten fanden gerade 
gelegen eine Art von Sonvent zu bilden, und fi. 
der Führung und der Leitung der Sache zu unter- 
ziehen. Anſtatt daß wir Commiſſarien alfo noͤthig 
gehabt haͤtten, die Litaney von Uebeln, zu der wir 
uns ſchon vorbereitet hatten, demuͤthig abzubeten, 
ward ſogleich beſchloſſen, daß die Repraͤſentanten 
ſelbſt ſich Punct fuͤr Punct an Ort und Stelle aufzu⸗ 
klaͤren und ohne Vorurtheil In die Natur der Sache 
zu ſehen fi bemühen follten. 

Wir traten gern in den Hintergrund, md von 
jener Seite war man nachfichtiger gegen die Mängel, 
die man felbft entdedt hatte, zutraulicher auf die 
Huͤlfsmittel, die man felbft erfand, fo daß zuletzt 
alles, wie wir es nur wünfchen konnten, befchloffen. 
wurbe; und da es benn endlich an Gelde nicht feh- 
len durfte, um biefe weifen Rathichläge Ins Wert 
u fesen, fo wurden auch die nöthigen Summen 
verwillist- und alles em mit Wohlgefallen ausein⸗ 
ander. 


38 


Ein wunderſamer, durch verwitkelte Schickfale 
nicht ohne feine Schud verarmter Mann, hielt ſich 
durch meine Unterſtuͤtzung in Iimenau unter fremdem 
Namen auf. "Er war mir ſehr nirhtich, da er mir 
in Bergwerks- und Steuerſachen durch unmittel⸗ 
bare Anſchauung, als gewandter, obgleich. hypochon⸗ 
driſcher Geſchaͤftsmann, mehreres überlieferte, was 
ich ſelbſt nicht haͤtre bis auf den Grad einfehen und 
mit zu eigen machen koͤnnen. 

Durch meine vorjährige Reiſe an ben Nieder 
rhein hatte ich mid; am Fritz Jakobi und die Fuͤrſtin 
Galizin mehr angenaͤhert; doch blieb es immer ein 
wunderbares Verhättnif; deſſen Art und Weite ſchwer 
auszuſprechen und nur durch den Begriff der ganzen 
Claſſe gebildeter, oder vielmehr der ſich erft bilden⸗ 
den Deutſchen einzufehen. 

Dem beſten Theil der Natton war ein Licht auf⸗ 
gegangen, das fie as ber oͤden, gehalttoſen, ab⸗ 
haͤngigen Pedanterle. ald einem‘ kuͤmmerlichen Ste: 
ben herauszuleiten verſpyrach. Sehr viele waren zu⸗ 
gleich von demſelben Geiſt ergriffen, fie erkannten 

die gegenſeitigen Verdienſte, fie achteten einander, 
fühlten das Beduͤrfniß fih zu verbinden, fie ſuch⸗ 
ten, fie Itebten fi, und dennvch konnte keine wahr⸗ 
hafte Einkgung entftehen: Das allgemeine Sntereffe, 
ſittlich, morafffih,, war boch eln vages/ unbeſtimm⸗ 
tes, und es fehlte im Ganzen wie im Einzelnen an 
‚Richtung zu befondern Thaͤtigkelten. Daber zerfiel 
der große unfichtbare Kreis in Heinere, melft locale, 








39 


di mmmchod: Loblkche erſchufen unb hervorbrachten; 
aler Ageutien iſolitten ſich die bedentonden immer 
meht und · mehr. | 

Es ift zwar dirß Die alte: Geſchichte, bierfih-bek.. 
Erneuerung und Belebung flarzer ſteckender Zuſtaͤnde 
gar oft ereignet hat, und magz alſo für ein litera⸗ 
ruqes Beiſptel geiten, deffen was wir in der polls 
ten und: kirchlichen Gefchtnte fo oft wiederholt 
fegen. 

Die AHuapifigumen wirkten ihrem Geiſt, Sun- 
und Faͤhigkelt nach unbedingt; an fie fihteffen ſich 
‚andere, die ſich zwar Kräfte fühlten, aber doch ſchon 
gefekig und untergeordnob zu wirlen nicht: abgenetgt 
waren; J 

Kloßſrock fſey zuorſt genaunt. Geiſtig wende⸗ 
ten fi viele zu: ihmz feine beuſche abgemeſſene, 
immer Ghefurcht gebteteude Perfoͤnlichkeit aber lockte 
zu keiner Annaͤherung. An Wieland ſchloſſen ſich 
gleichfaluss wenige perfäntih: das Literarkihe Zu⸗ 
trauen abet war graͤnzonlos; — bas fübliche Deutſche⸗ 
land, beſonders Wien, find: ihm ihre poetiſcht und 
proſaiſche Cultur ſchuldig; — unuͤberſehbare Ein⸗ 
fenbungen: jedoch brachten ihn oft zu heiterer Ver⸗ 
jweirtung: 

Herder wire fpdter. Sen anziehendes We⸗ 
fen fammelte nicht: elgentiich eine Menge um ihn 
ber, aber Einzelne geftalteten fih an und um Ihn, 
hielten an ihm fett, und hatten zu ihrem größtem 
Wortheile fih Ihm ganz hingegeben. Und fo hatte 


» 


40 


fi kleine Weltſpſteme gebildet. Auch Sleim war 
ein Mittelpunet, um den ſich viele Talente verfan- 
melten. Mir wurden viele Sprudelköpfe zu Theil, 
welche faft den Ehrennamen eines Genie's zum Spitz⸗ 
namen herabgebracht hätten. 

Aber bei allem diefen fand fich das Sonderbare, 
daß nicht nur jeder Häuptling, fondern auch jeder 
Angeordnete feine Selbftftändigfeit fefthielt und au= 
dere deßhalb an und nad) fich In feine befonderen Ge⸗ 
finnungen heranzuziehen bemüht war: wodurch denn 
die feltfamften Wirkungen und Gegenwirfungen ſich 
bervorthaten. 

Und wie Lavater forderte, daß man fi fi ch nach 
feinem Beiſpiel mit Chriſto transfubftantliren muͤſſe, 
ſo verlangte Jakobi, daß man ſeine individuelle, 
tiefer. ſchwer zu definirende Denkweiſe in ſich auf⸗ 
nehmen ſolle. Die Fuͤrſtin hatte in der katholiſchen 
Sinnesart, innerhalb der Ritualitäten der Kirche, 
die Möglichkeit gefunden, ihren edlen Zwecken gemäß 
zu leben und zu handeln. Diefe beiden liebten mih 
wahrhaft, und ließen mich im Augenblid gewähren, 
jedoch immer mit ſtiller, nicht ganz verheimlicter 
Hoffaung mic ihren Gefinnungen völlig anzueignen; 
ſie ließen ſich daher manche von meinen Unarten ge= 

fallen, die ich oft aus Ungeduld und um mir gegen 
fie Luft zu machen, vorfäglich ausübte. 

Im Ganzen war jedoch jener Zuftand eine arl- 
ftofratifche Anarchie, ungefähr wie der Conflict je- 
ner, eine bedeutende Selbſtſtaͤndigkeit entweder fchon 

— 


r 


S 44 

befitenden ober au erringen ſtrebenden Gewalten ins 
Spittelalter. Auch war es eine Art Mittelalter, das 
einer höheren Eultur voranging, wie wir jest wohl 
überfehen , da und mehrere Einblide in diefen nicht 
zu befchreibenden, vieleicht für Nachlebende nicht 
za faffenden Zuftand eröffnet worden. Hamanns 
Briefe find hiezu ein unſchaͤtzbares Archiv, zu wel- 
dem der Schlüfel Im Ganzen wohl möchte gefun⸗ 
ben werden, für bie einzelnen geheimen Faͤcher 
vielleicht nie. 

Als Hauẽkgenoſſen beſaß ich nunmehr meinen 
aͤlteſten Roͤmiſchen Freund, Heinrich Meyer. 
Erinnerung und Fortbildung Itallaͤniſcher Studien 
blieb tägliche Unterhaltung. Bei dem letzten Auf» 
enthalt in Venedig hatten wir und aufs Nene von, 
Grund aus verftändigt und uns nur defto Inniger . 
verbunden. \ 

- Wie aber alles Beitreben, einen Gegenſtand zu 
faſſen, in der Entfernung vom Gegenſtande ſich nur 
verwirrt, oder, wenn man zur Klarheit vorzudrin⸗ 
gen ſucht, die Unzulänglichfeit der Erinnerung fühl- 
bar macht, und immerfort eine Ruͤckkehr zur Quelle 
ded Anſchauens in der lebendigen Gegenwart for- 
dert, fo war ed auch hier. Und wer, wenn er auch 
mit wenigerem Ernft in Stallen gelebt, wuͤnſcht 
nicht Immer dorthin zuräd zu Fehren ! 

Noh aber war der Zwiefpalt, den das willen: 
fhaftlihe Bemühen in mein Dafeyn gebracht, kei⸗ 
neöweges ausgeglichen: denn die Art, wie ich bie 





43 


Naturrvfchrungen behaubeite, ſchien die Wrigen 
Seelenkruͤſte ſaͤmmtlich für fi: u fordern. 

In bieſenn Drange des Widerſtroits uͤbertraf ale 
mem Wuͤrſche und Hoffnungen das auf: einmal 
ſich entwiceinde Verhaͤltniß zu Schiller; vom ber 
erben Amaͤherung an- war es ein maufhaktſames 
Fortſchreiten phlloſophlſcher Ausbildung. und Aftheti- 
ſcher Thaͤtigtolt. Zum Behuf feiner Horen mußte 
ihen ſehr angelegen ſeyn, was: id im Stillen gear⸗ 
beitet, angefangen, unternommen, ſaͤmmtlich zu 
kennen, nou: anzurogen und zu benutzen; für mich 
war ed ein neuer Fruͤhling, In weichem alles froh 
nebeweinander feine und aus aufgefchloffenen Sa—⸗ 
men und Zwrigen hervorging: Die nunmehr geſam⸗ 
mielten und georbneten belderſeitigen Briefe geben 
en das. unmittelbarſte, reinſte und vollſtaͤndigſte 

ugniß. 





1795 

Die Horn wurden ausgegeben, Gpifteln, 
Clegien, Unterhaltungen der - Ausgewan⸗ 
derten von meiner Seite beigetragen: Außerbem- 
überlegten und beriethen wir gemelnfan ben ganzen - 
Inhalt diefer neuen Zeitſchrift, die Verhaͤltniſſe 
ber. Mitarbeiter und was bei dergteichen Unterneh⸗ 
mungen fonft- vertommen mag. Hiebei lernte ih 
Mitiebende kennen, ich ward mit Autoren und Pro⸗ 


49: 


durtione Delamıt, bie mie ſonſt niemals einige 
Yufmertfanttelt abgewonnen Bitten, Gällfer war 
überhaupt weniger ausſchließend ale ich, unb mußte 
nehfichtig ſeyn als Herausgeber. 


Bei allem. dieſem Eonnt’ ich mich nicht enthalten 
Anfangs July nah Carlsbad zu gehen, und über 
vier Wochen dafelbft zu verweilen. In jüngern Jah⸗ 
ren iſt man ungeduldig bei den Heinften lebeln, und 
Carlsbad war mir fchon oͤfters heilfam gewefen. 
Vergebens aber hatt’ ich mancherlei Arbeiten mitge- 
nommen, denn die auf gar vielfache Weiſe mich be- 
rührende große Maſſe von Menſchen zerftreute, hin⸗ 
berte mich, gab mir freilich aber auch manche neue 
Ausſicht auf Welt und Perfönlichkeiten. 


Kane wat ich zuruͤch; ale don Iſmenau bie Nach⸗ 
richt sinkiefi, eiuibebensender Stollonbruch Habe dem 
dostigew Beugknu‘: den Garaus gemacht. Ich eilte 
bin, nad ſah wicht ohne Bedenken und Betruͤbniß 
ein West, worauf: ſo viel Zeit, Kraft und Gelb ver⸗ 
wendet werben, im: ſich ſelbſt erſtickt und begraben. 

Erhelternd war mir dagegen die Geſellfchaft mei⸗ 
nes fuͤnffaͤhrigen Sohnes, der dieſe Gegend, an 
ber Ich mich: num -Feit zwanzg Jahren muͤde goſehen 
und gebaut, mit friſchen Nndlichem Stan: ıbeber' 
anffapte, alle Gegenſtaͤnde, Verhaͤltniſſe, Chättgs 
fetten mit neuer Lebendluft ergriff und, viel entſchie⸗ 
dener als mit Worten haͤtte geſchehen koͤmen, durch 
die That auoſprach: daß dem Abgeſtorbenon itm⸗ 


44 


mer etwas DBelebtes folge, und der Antheil ber 
Menfhen an diefer Erde niemals erlöfchen könne. 
Bon da warb ich nach Eifenac gefordert; ber 
Hof weilte dafelbft mit mehreren Fremden, befon= 
ders Emigrirten. Bedenkliche Kriegebewegungen 
tiefen jederman zur Aufmerkſamkeit: die Defterret- 
her waren 60,000 Mann über den Mayn gegan- 
gen, und es ſchien ald wenn in der Gegend von 
Frankfurt die Ereigniffe lebhaft werben ſollten. @t- 
nen Auftrag, der mih dem Kampfplatze genähert 
hätte, wußte ich abzulehnen; ich kannte das Kriegs⸗ 
unheil au fehr, als daß ich es hätte auffuchen follen. 
Hier begegnete mir ein Tal, an welchen ich öf- 
tere zu denken Im Leben Urfache hatte. Graf Du: 
manoir, unter allen Emigrirten ohne Frage ber 
am meiſten Gebildete, von tüchtigem Charakter und 
reinen Menfchenverftand, deſſen Urtheil ich meift 
unbefangen gefunden hatte — er begegnete mie 
in Eiſenach vergnügt auf der Straße und erzählte, 
was in der Frankfurter Zeitung Günftiges für Ihre 
Angelegenheiten ſtehe. Da ich doch auch- den Gang 
des Weltweſens ziemlich vor mir im Sinne hatte, 
fo ftußte ih und es fehlen mir unbegreiflih, wie 
dergleichen fich follte ereignet haben. Ich eilte das 
ber mir dad Blatt zu verfchaffen, und Tonnte beim 
Lefen und Wiederlefen nichts Aehnliches darin finden, 
bie Ich zuletzt eine Stelle gewahrte, die man allenfalld 
auf diefe Angelegenheit beziehen Eonnte, da fie denn 
aber gerade das Gegentheil würde bedeutet haben. 


45 


Fruͤher Hatte Ich fchon einmal ein Stärkeres, 
aber freilich auh-von einem Emigrirten vernommen. 
Die Franzoſen hatten fich bereits über ber ganjen 
Dberflähe ‚ihres Waterlandes auf alle Welle gemor⸗ 
det; bie Affignate waren zu Mandaten, und biefe 
wieder zu nicht geworben; von allem dem war um- 
ftändiich und mit großem Bedauern die Nede, als 
ein Marquis nilt einiger Beruhigung verfeßte: dieß 
fey zwar ein großes Ungluͤck, nur befürchte er, es 
werde noch gar der bürgerliche Krieg ausbrechen und 
der Stantsbanquerutt unvermeidlich ſeyn. 

Wem dergleichen von Beurthellung unmittelba- 
zer Lebensverhältniffe vorgefommen, der wird ſich 
nicht mehr wundern, wenn ihm in Meligion, Phi⸗ 
loſophie und Wiffenfchaft, wo des Menfchen abge- 
fondertes Innere in Anſpruch genommen wird, eben 
ſolche Verfinfterung des Urtheils und der Meinung 
am hellen Mittag begegnet. 

In derfelben Zeit ging Freund Meyer nah Ste: 
lien zuruͤck; denn obgleich der Krieg in der Lombar⸗ 
dep ſchon heftig geführt wurde, fo war doch Im uͤbri⸗ 
sen alles noch unangetaftet, und wir lebten im Wahn 
bie Jahre von 87 und '88 wiederholen zu können, 
Seine Entfernung berandte mich alles Geſpraͤchs 
ber bildende Kunft, und felbft meine Vorbereitung 
ihm zu folgen, führte mich anf andere Wege. 

San; abgelenft und zur Naturbettachtung zurüd- 
geführt ward ich, als gegen Ende bes Jahrs die bei- 
den Gebrüder von Humboldt in Jena erſchle⸗ 


u 





26 


ven. Bis nahmen boiderſeits in dieſen Augen⸗ 
Bild an Naturwiſſenſchaftan ‚großen Anthell, und 
ich konnte mich nicht enthalten, meine Ideen aͤber 
varglaichende Anatomie amd „baren: methohiſche Be⸗ 
handlung im Geſpraͤch mitzuth eilen. Daman meine 
Darſtell ngen zuſammenhangend und ziamlich voll⸗ 
ftändig-ersrhtate , ward Ich aringend auigefordert fie 
au Mepter-gu. buingen, Aueiches ich auch ſogleich be⸗ 
folgte, indem ich an Max Jalobi das Grundſchama 
ainer verglaichenden Knochenlehre, ‚gegenwärtig wie 
es mir war, dictirte, den Fraunden Gnuͤge that 
‚und: wir ſelbſt einen Anhaltepnund gewann, woran 
ih .meine weiteren Betrachtungen Inüpfen-Tannte. 
Alexcander yon Humboldt's Einwmiskungen 
‚serlaugen. beſonders behandelt zu werben. Seine 
Gegenwart in Sana fördert: die vergleichende Auat o⸗ 
abe; er und ſein aͤlkerer Bruder bowogon mich, das 
noch vorhandene allgemeine Schema gzundictiren. 
Bei ſeinem Aufenthalt In. Bayreuth iſt mein brief⸗ 
liches Perhaͤltniß zu Ihm Febr intereſſant. | 
Gleichzoitig and verbunden mit iom tritt Geh. 
Math Wolf ven einer anbern Seite, doch im allge⸗ 
mainen Sinne mit ia unſern Krais. 
Die Merfenbung. ber Frelaxemplare van Wil⸗ 
heim Meiſters orftem Theil befchäftiste mich sine 
Weile, Die Poaauntwortung; war nur theilweiſe er- 
freulich, im Ganzen keineswegs foͤrderlich; doch 
bleiken die Briefe wie ſie damals einlangten und 
noch porhanden Und, immer bedentend amd beſeh⸗ 


47 


nd. HMezognund⸗Peisz von · Gothha, Fuer von Femı- 
tsuhergbafelti, vou Thuͤmmel, meine Matter, 
Shmmering, Schloſſer, won Humbaldt, von Dal⸗ 
derg ſin Mandhein, Woſt, Diemmeiften, wenn man 
es gemau nicnant, se daſendando, gagen bie ge- 
heime Gewalt des Werlkes ſich In Moſitur ſetzand. 
‚Bine. geiſtxeiche; gellebte Freundin aber beachte mich 
ganz beſondens in Benzweillung, durch Ahnung 
manches Beheimuiffes, Peſtreban nach Enthalang 
und ängfilihe Deuteley, auſtatt daß ich gemischt 
hätte, ‚mean moͤchte die. Sache mehmen:mie fie ing 
and ſich ben faßlichen Bin gueignen. 
Judem un Unger bie Kosttehung. beirkehb and . 
den sweuten Wand zu beſchleuntgen fnchte, argab 
fh ein widerwästiges Verhaͤltaiß mit Sapellmeiſter 
Neihardt. Man mar mit ihm, nugmihbtet fel- 
ner vor⸗ und zudringlichen Ratur, in Mikstlicht auf 
ſein bedentendes Talent, in gutem Vernehmen ge⸗ 
fanden, er mar ber erſte, der mit Gruſt und Bite= 
tigkeit zusine lyrifchen Arbeiten durch RU ind Mll⸗ 
gemeine ſoͤrdoerte, und obnahin lag es in ‚meiner 
Art aus herlaͤmwlicher Danfharkeitunbeaueme Man⸗ 
ſchen fortzudalhen, wenn ſie mir es nicht gar au arg 
machten, alsdann aber meiſt mit Ungeſtuͤm ein ſol⸗ 
ches Verhaͤltniß abzubrechen. un hatte ſich Rei⸗ 
‚Hardt mit Wuth und Ingrimm din die Reralution 
geworfen; ich :aber, ‚die. gräutichen nnaufhaltſamen 
Folgen, folder gewaltthätig aufgelösten Auftäude. mit 
Augen fhauend und zugleich ein ähnliches Geheim⸗ 


Sf 


a8 


treiben im Waterlande buch und durchblickend, 
hielt ein- für allemal am Beſtehenden feſt, an deſ⸗ 
fen Verbefferung, Belebung und Richtung zum Sin= 
ulgen, Verftändigen, ich mein Lebenlang bewußt 
- und unbewußt gewirkt hatte, und konnte und wollte 
biefe Geſinnung nicht verhehlen. 

Reichardt hatte auch bie Lieder zum Wilhelm Mei- 
ſter mit Gluͤck zu componiren angefangen, wie denn 
immer noch feine Melodie zu: „Kennſt du das 
Land,’ als vorzüglich bewundert wird. Unger 
theilte ihm die Lieder der folgenden Bände mit, 
und fo war er. von der muflfalifhen Seite unfer 
Fremd, von der politifchen unfer Widerſacher, da⸗ 
ber fih im Stillen ein Bruch vorbereitete, der zu⸗ 
lest unaufhaltfam an den Tag Fam. 

Ueber das Verhaͤltniß zu Jakobi habe ich hier- 
naͤchſt beſſeres zu fagen, ob es gleich auch auf kei⸗ 
‘ nem fihern Fundament gebaut war. Lieben und 
Dulden und von jener Seite Hoffnung, eine Sin⸗ 
nes veraͤnderung In mir zu bewirken, bdrüden es am 
fürzeften aus. Er war vom Rheine wegwandernd 
nach Holfteln gezogen, und hatte die freundlichfte 
Aufnahme zu Entendorf in der Familie des Grafen 
Neventlau gefunden; er meldete mir fein Behagen 
an den dortigen Zuftänben aufs reizendſte, befchrteb 
verfhiedene Familienfeſte zur Fever feines Geburts⸗ 
tage und. des Grafen, anmuthig und umftändlid, 
wotauf denn auch eine wiederholte dringende Ein- 
dadung dorthin erfolgte. x 

etz 


| 


| 


49 


Dergleihen Mummereyen Inderhalb eines ein- 
Tahen FZamilienzuftandes waren mir Immer wider- 
wärtig, die Ausſicht darauf ſtieß mich mehr ab als 
daß fie mich angezogen hätte; mehr aber noch hielt 
mich das Gefühl zurüd, daß man meine menfähliche . 
und dDichterifche Freiheit durch gewiſſe conventlonelle 
Sittlichkeiten zu defhränfen gedachte, und Ich fühlte 
mich Hierin fo feft, daß ich der dringenden Anfor- 
derung, einen Sehn, der in der Nähe ftudirt und 
promovirt hatte, dorthin zu geleiten, keineswegs 
Folge leiſtete, fondern auf meiner Weigerung ftand- 
haft verharrte. 

Auch ſeine Briefe uͤber Wilhelm Meiſter waren 
nicht einladend; dem Freunde ſelbſt ſo wie ſeiner 
vornehmen Umgebung erſchien das Reale , noch dazu 
eines niedern Kreiſes, nicht erbaulih; an der Sitt- 
lichleit hatten die Damen gar manches auszufehen, 
und nur ein einziger tächtiger überfchauender Welt- 
mann, Graf Bernftorf, nahm bie Partey des be- 
drängten Buches. Um fo weniger konnte der Au- 
tor Luft empfinden, ſolche Lectionen perfünlich ein- 
zunehmen und fih zwiſchen eine wohlmollende lie— 
denswürdige Pedanterie und den Theetiſch geklemmt 
zu ſehen. 

Von der Fuͤrſtin Galizin erinnere ich mich 
Nnicht, etwas über Wilhelm Meiſter vernommen zu 
haben, aber in diefem Jaͤhre Härte. fih eine Ver⸗ 
wirrung auf, welche Jakobi zwiſchen ung gewirkt 
batte, ich weiß nicht, ob aus leichtſi Aue en 

Sorthe’d Werte. XXXI. 8 


50 


oder Vorſatz; es war aber nicht Löblich, und wäre 
die Zürftin nicht fo reiner Natur gewefen , fo hätte 
ſich fruͤh oder fpat eine unerfreuliche Scheidung er- 
geben. Auch fie war von Münfter vor den Fran— 
zofen geflohen; ihr großer, durch Religion geftärkter 
"Charakter hielt fih aufrecht, und da eine ruhige 
Thätigkeit fie überall hinbegleitete, blieb .fie mit 
mir In wohlmollender Verbindung, und ich war froh 
in jenen verworrenen Zeiten ihren Empfehlungen 
gemäß manches Gute zu ftiften. 

Wilhelm von Humboldts Theilnahme war 
indeß fruchtbarer; aus feinen Briefen geht eine 
flare Einfiht in das Wollen und Vollbringen her- 
vor, daß ein wahres Förderniß daraus erfolgen 
mußte. . ; 
Schillers Theilnahme nenne ich zuleßt, fie war. 
die Innigfte "und hoͤchſte; da jedoch Wr Briefe 

hierüber no vorhanden find, fo darf ich weiter 
nichts fagen, ale daß die Bekanntmachung derfelben 
wohl eing ber fhönften Geſchenke feyn möchte, die 
man einem gebildeten Publicum bringen kann. 

Das Theater war ganz an mic gewiefen; was 
ih im Ganzen ühberfahb und leitete warb durch 
Kirmes ausgeführt; Vulpius, dem es zu diefem 
Geſchaͤft an Talent nicht fehlte, griff ein mit zweck⸗ 








mäßiger Thätigkeit. Was Im Laufe dieſes Jahrs 


geleljtet wurde, iſt ungefähr folgendes: 
Die Zauberflöte gewährte noch immer ihren 
fenyeren Einfluß, und die Opern zogen meht an als 


8 


51 


alles ebrige. Don Juan, Doctor und Apo—— 
thefer, Coſa Rara, das Sonnenfeft der 
Braminen befriedigten das Publicum. Leſſings 
Werke tauchten von Zeit zu Zeit auf, doch waren 
eigentlich Schroͤderiſche, Ifflandifhe, Kotzebtjeſche 
Stuͤcke an der Tagesordnung. Auch Hagemann 
und Großmann galten etwas. Abellino ward 
den Schilleriſchen Stuͤcken ziemlich gleichgeſtellt, 
unſere Bemuͤhung aber, alles und jedes zur Erſchei⸗ 
nung zu bringen, zeigte ſich daran vorzuͤglich, daß. 
wir ein Stüd von Meyer, ben Sturm vom 
Bodsberg, aufzuführen unternahmen, freilid- 
mit wenig Gluͤck; indeſſen hatte man doch ein fol- 
ches merkwuͤrdiges Städ gefehen und fein Dafeyn 
wo nicht beurtheilt Doch empfunden. 

Daß unfere Schaufpieler in Lauchftädt, Erfurt... 
Rudolſtadt von. dem verfchledenften Publicum mit 
Freuden aufgenommen, durch Enthuflasmus belebt. . 
und duch gute Behandlung In ber Achtung gegen 
ſich ſelbſt gefteigert wurden, gereichte nicht zum ge⸗ 
ringen Vortheil unferer Bühne und zur Aufriſchung 
einer Thätigleit, die, wenn man baffelbe Publi⸗ 
cam immer vor fich fieht, deſſen Charakter, deſſen 
Urtheilsweife man kennt, gar bald zu erfchlaffen 
pflegt. we 

Wenden fih nun meine Gebanten von dieſen 
Heinen, in DVergleih mit: dem Weltweſen hoͤchſt 
unwichtigen Verhälthiffen zu diefem, fo muß atr- 
jener Bauer einfallen, den ich bei der Belagerung; 


/ 


52 


von Maltıy, Im Bereich der Kanonen, hinter einem 
auf Rädern vor fih Hingefchobenen Sthanzforbe feine 
Selbarbeht verrichten ſah. Der einzelne beſchraͤnkte 
Menfſch gibt ſeine naͤchſten Zuſtaͤrde nicht anf, wie 
auch dad große Ganze fich verhalten möge. — 

Nun verlauteten die Baſeler Friedens - Yrätfmt- 
narien und ein Schein von Hoffnung ging dem nörb- 
lichen Dertſchland auf. Preußen machte Frieden, 
Oeſterreich fette den Krieg fort; und nun fühlten 
wie uns in neuer Sorge befangen; denn Shurfachfen 
verweigerte den Beitritt zu einem 'befondern Frie⸗ 
den. Unſere Gefhäftsmänner und Diplomaten be⸗ 
wegten ſich nun nach Dresben, und unfer gnaͤdigſter 
Herr, anregenb alle und tiydtig- vor allen, begab 
fih nah Deffau. Inzwkſchen hörte man von Be⸗ 
wegunyen unter den Schweizer Landleuten, befon- 
ders am oberen Zuͤrcherfee; ein deßhalb efmgeleiteter 
Proceß regte den Widerſtreit der Geſinnungen nody 
mehr auf; doch bald warb unfere Theilnahme fchon - 
wieder: im bie Nähe gerufen. Das rechte Mayn⸗ 
ufer ſchlen abermals unſicher, man fürchtete fogar - 
fuͤr unſere Gegenden, eine Demarcattongtinte kam 
zur Sprache; doppelt und dreyfach traten: Zweifel 
und George hervor. 

Clairfait tritt auf, wir halten und an Chur: 
ſachfen; nun werben aber ſchon Vorbereltungen 
und Anſtalten gefordert, und: ald man Kriegs: 
ſteuern ausfchreiben muß, fommt man endlich auf 
den gluͤcklichen Gedanken, auch den Geiſt, an den 


= 


53 


mau bieher nicht gedacht Hatte, contribnabel zu 
machen; doc verlangte man nur von ihm. ein Don 
Gratuit. 

In dem Laufe dieſer Jahre hatte ‚meine Mutter 
den wohlbetellten Weinkeller, die in manchen Faͤ⸗ 
hern wohlausgeruͤſtete Bibliothek, eine Gemaͤhlde⸗ 
Sammlung, das Beſte damalizer Kuͤnſtler enthal⸗ 
tend, und mas ſonſt ‚nicht alles verkauft, nad ich 
ſah, indem fie dabei nur eine Buͤrde los zu feyn 
froh war, bie ernfte Umgebung meines Waters zer⸗ 
ftädt und verfhlendert. Es war .auf meinen Au⸗ 
trieb gefheben, niemand -Ionnte damals dem an⸗ 
dern rathen noch helfen. Zuletzt blieb das Haus 
noch übrig; dieß wurbe endlich auch verkauft und 
die Meubeld, die fie nicht mitnehmen wollte, zum 
Abſchluß in einer Auction vergeubet. Die Auslicht 
auf ein neues luſtiges Quartier an ber Haupt⸗ 
wache realifirte fih, und dieſer Werhfel gewährte 
zur Zeit, da nach worüherfiiegenber Frie dens hoffnung 
neue Soxge wieder eintrat, ihr eine zerſtrenende 
Beſchaͤftigung. 

Als bedeutendes und fuͤr die Folge fruchtbares 
Familien⸗Ereigniß habe ich zu bemerken, daß Ni⸗ 
colovius zu Eutin wohnhaft meine Nichte 
heirathete, bie Tochter Schloſſers und meiner 
Schweſter. 

Außer den gedachten uͤnbilden brachte der Ver⸗ 
ſuch, entſchiedene Idealiſten mit den hoͤchſt realen 
akademiſchen Verhaͤltniſſen in Verbindung. zu ſetzen, 


7 


51 


“Fortdanernde Merdrießlichkeiten. Fichtens Abficht, 
- Sonntags zu lefen und feine von mehreren Seiten 
gehinderte Thätigkeit frei zu machen, mußte den 
Widerſtand ſeiner Collegen hoͤchſt unangenehm em⸗ 
pfinden, bis ſich denn gar zuletzt ein Studenten⸗ 
Haufen vors Haus zu treten erkuͤhnte und ihm die 
»RFenſter einwarf: bie unangenehmfte Welfe von dem 
Daſeyn eines Nicht-Ichs überzeugt zu werben. 

Aber nicht feine Perföntichkeit allein, auch die 
‚eines andern machte den Unter- und Oberbehoͤrden 
"viel zu fhaffen. Er hatte einen denkenden jungen. 
Mann Namens Weißhuhn nach Jena berufen, 
einen Gehuͤlfen und Mitarbeiter an ihm hoffend; 
allein dieſer wich bald in einigen Dingen, das helßt 
für einen Philoſophen in allen, von ihm ab, und 
> ein reines Zuſammenſeyn war gar bald geftört, ob 
"wir gleih zu den Horen deffen Thellnahme nicht 
verſchmaͤhten. | 

Diefer Wadere, mit den dußeren Dingen noch 
weniger als Fichte ſich ins Gleichgewicht zu ſetzen 
faͤhig, erlebte bald mit Prorector und Gerichten die 
unangenehmſten perſoͤnlichen Haͤndel; es ging auf 
Injurien-Proceſſe hinaus, welche zu beſchwichtigen 
man von oben her die eigentliche Lebenẽwe isheit 
hereinbringen mußte. 

Wenn uns nun die Philoſophen kaum beizule⸗ 
gende Haͤndel von Zeit zu Zeit erneuerten, ſo nah⸗ 
men wir jeder guͤnſtigen Gelegenheit wahr, um die 
eegenenen der Naturfreunde zu befoͤrdern. 


4 


55 


Der geiſtig ſtrebende und unaufhaltſam vordringende 
Batſch war denn im Wirklichen doch ſchrittweis zu⸗ 
frieden zu ſtellen, er empfand ſeine Lage, kannte 
die Mittel die uns zu Gebote ſtanden, und beſchied 
fh in billigen Dingen. Daher gereichte ed ung 
zur Sreude, ihm fin dem fürftlihen Garten einen 
“ fefteren Zuß zu verfhaffen; ein Glashaus, hin⸗ 
reichend für den Anfang, ward nach feinen Angaben 
errichtet, wobei die Ausſicht auf fernere Begänftt- 
gung fi von ſelbſt hervorthat. 
Fuͤr einen Theil der Jenaiſchen Buͤrgerſchaft 
ward auch gerade In dieſer Zeit ein bedeutendes 
Gefhäft beendigt. Man hatte den alten Arm der 


Saale oberhalb der Nafenmühle, der durch mehrere 


Krämmungen die fhönften Wiefen des rechten Ufere 
in Kiesbette des linken verwandelte, ins Trodne zu 
legen einen Durchftih angeordnet, und .den Fluß 
in gerader Linte abwärts zn führen unternommen. 
Schon einige Jahre dauerte die Bemühung, welde 
endlich gelang, und den anftoßenden Bürgern, gegen 
geringe frühere Beiträge, ihre verlornen’ Räume 
wieder gab, Indem ihnen die alte Saale und die 
indeß zu nupbaren Weidichten herangewachfenen 
Kiesraͤume zugemeffen und fie auf diefe Weiſe über 


eihre Erwartung befriedigt wurden; weßhalb fie auh 


eine feltene Dankbarkeit gegen die Vorgeſetzten des 
Geſchaͤftes ausdruͤckten. 
Unzufriedene machte man jedoch auch bei dieſer 


Gelegenheit: denn auch ſolche Anlieger, die Im“ 


Pr 


56 


Unglauben auf den Erfolg bes Geſchaͤftes die fruͤ⸗ 
heren geringen Beiträge verweigert hatten, ver- 
langten ihren Theil an dem eroberten Boden, wo 
nicht als Recht doc als Gunft, die aber bier nicht 
ftatt haben konnte, Indem herrfchaftiiche Caſſe für 
ein bedeutendes Opfer einige Entfhädigung an dem 
-errungenen Boden zu fordern hatte. 

Dreyer Werke von ganz verfchledener Art, wel- 
he jedoch In diefem Jahr das größte Auffehen er- 
tegten, muß ich noch gedenken... Dumouriez 
Leben ließ ung in bie befondern Morfallenheiten, 
wovon und das Allgemeine leider genugſam befannt 
mar, tiefer hineinfehen, manche Charaktere wurden 
uns aufgefhloffen, und der Mann, der nnd Immer 
‚viel Antheil abgewonnen ‚hatte, erfhlen ung Härer 
und im günftigen Lichte. Gelftreihe Frauenzim⸗ 
mer, die denn doch immer Irgendwo Neigung unter- 
zubringen genöthigt find, und den Tageshelden 
‘wie bilig am meiſten begünftigen, erquidten und 
erbauten fih an dieſem Werke, das ich forgfältig 
ſtudirte, um die Epoche feiner Großthaten, von denen 
ish perfönlich Zeuge gemwefen, mir bis Ins einzeln Ge⸗ 
heime genau zu vergegenwärtigen. Dabei erfreute 
ih mich denn, daß fein Wortrag mit meinen Er= 
fahrungen und Bemerkungen yolllommen uͤberein⸗ 
ſtimmte. 

Das zweyte, dem allgemeinen Bemerken ſich 
aufdringende Werk, waren Balde's Gedichte, 


Mwelche nach Herders Uebexſetzung, jedoch mit Ver⸗ 


+ 


57 _ ⸗ 


heimlichung des eigentlichen Autors, ans Licht kamen 
und ſich der ſchoͤnſten Wirkung erfreuten. 

Bon reichem Zeitgehalt, mit Deutſchen Geſin⸗ 
nungen ausgeſprochen, wären fie immer vollkommen 
gewefen; Eriegerifch verworrene Zeitläufte aber, die 
fih in allen Jahrhunderten gleichen, fanden in die⸗ 
fem dichterifhen Spiegel ihr Bild wileder, und man. 
empfand als wie von geftern, mas unfere Urpor⸗ 
fahren gequält und geängftigt hatte. 

Einen ganz andern Kreis bildete ſich das britte 
Wert. Lichtenbergs Hogarth und das In—⸗ 
tereffe daran war eigentlich ein gemactes: denn 
wie hätte der Deutfche In beffen einfachem reinen 
Zuftande fehr felten ſolche exsentrifhe Fragen vor— 
fommen, bieran fich wahrhaft vergnügen koͤnnen? 
Nur die Tradition, die einen von feiner Nation hoch⸗ 
gefeyerten Nomen auch auf dem Gontinent hatte 
geltend gemacht, nur die Seltenheit, feine wunder⸗ 
lihen Darftellungen volſſtaͤndig zu beſitzen, und die 
Bequemlichteit, zu Betrachtung und Bewunderung 
feiner .Werfe weder Kunſtkenntniß noch hoͤheren 
Sinne zu bedürfen, fondern allein böfen Willen 


und Verachtung der Menſchheit mitbringen zu kͤn⸗ 


nen, erleichterte die. Verbreitung ganz beſonders, 
vorzuͤglich aber daß Hogarths Witz auch Lichtenheige 
Witzeleyen den Weg gebahnt hatte. 

Junge Männer bie von Kindheit auf, ſeit bel⸗ 
nahe zwanzig Jahren an meiner Seite heranfge- 
wachſen, fahen ſich nunmehr In der Welt um, und 





58 


die von ihnen mir zugehenden Nachrichten muß- 
ten mir Freude machen, da ich fie mit Verftand 
und Thatkraft auf Ihrer Bahn weiter fchreiten ſah. 
Friedrich von Stein hielt fih in England auf 
und gewann daſelbſt für feinen technifhen Sinn 
viele Vortheile. Auguf von Herder fchrieb 
aus Nenfchatel, wo er fih auf feine übrigen Lebens⸗ 
zwecke vorzubereiten dachte. ° 

. Mehrere Eimigrirte waren bei Hof und In der 
Geſellſchaſt wohl aufgenommen, allein nicht alle be- 
gnuͤgten fih mit diefen fochalen Vorthellen. Manche 
von ihnen hegten die Abficht, bier wie an andern 
Drten, durch eine Löhliche Thätigkeit ihren Lebens- 
‚unterhalt zu gewinnen. Ein waderer Mann, ſchon 
vorgerüdt in Jahren, mit Namen von Wendel, 
brachte zur Sprade, daß in Ilmenau, bei einem 
geſellſchaftlichen Hammerwerke, der herzoglichen 
Kammer einige Antheile zuſtanden. Freilich wurde 
dieſes Werl auf eine ſonderbare Weiſe benutzt, in⸗ 
dem die Hammermeiſter in einem gewiſſen Turnus 
arbeiteten, jeder fuͤr ſich ſo gut er vermochte, um 
nach kurzer Friſt ſeinem Nachfolger abermals auf 


deſſen eigne Rechnung zu uͤberlaſſen. Eine ſolche 


Einrichtung laͤßt ſich nur in einem altherkoͤmmlichen 
Zuſtande denken, und ein hoͤher geſinnter, an eine 
freiere Thaͤtigkeit gewoͤhnter Mann konnte ſich hierin 
nicht finden, ob man ihm gleich die hertſchaftlichen 
Antheile für ein maͤßiges Pachtgeld uͤberließ, das 
man Me nie eingeforbert hätte, Sein ord⸗ 


59 


% 


nungsliehender, ins Ganze res. Geiſt Tuchte durch 
erweiterte Plane feine Unzufriedenheit zu beſchwich⸗ 
tigen; bald follte man mehrere Theile, bald das 
Ganze zu acquiriren fuchen:. beides war unmoͤglich, 
da fich die mäßige Griftenz einiger ruhigen Familien 
auf dieſes Gefchäft gründete. 

Nach etwas anderem war nun der Geiſt gerich⸗ 
tet; man baute einen NReverberir- Ofen, um altes 
Eiſen zu ſchmelzen und eine Gußanſtalt ing Wert 
zu richten. Man verfprach ſich große Wirkung von 
der aufwärts concentrirten Gluth; aber fie war 
groß über alle Erwartung: denn das Dfengemölbe 
ſchmolz zufammen, Indem das Eifen zum Fluß kam. 
Noch manches andere ward. unternommen ohne 
gluͤcklichen Erfolg; der gute Mann, endlich empfin- 
dend daß er gänzlich aus feinem Elemente entfallen 
ſey, gerieth In Verzweiflung, nahm eine übergroße 
Gabe Opium zu fih, die, wenn nicht auf der Stelle 
doch in ihren Folgen, feinem Leben ein Ende machte. , 
Freilich war fein Ungluͤck fo groß, daß weder die 
Cheilnahme des’ Fürften noch die wohlwollende Thaͤ⸗ 
tigkeit der beauftragten Näthe Ihn wieder herzu- 
ftefen vermochte. Weit entfernt von feinem Water- - 
lande, in einem ſtillen Winter des Thüringer Wal- 
des fiel auch er ein Opfer der grängenfofen Um⸗ 
waͤlzung. 

Von Perſonen, deren Schickſalen und Verhaͤlt⸗ 
niſſen bemerke Folgenbes: 

Schloſſer wandert aus und begibt ſich, da 





“ 


60 
man nicht au jedem Afol verzweifeln konnte, nach 


Anſpach, und hat die Abficht bafelbit zu verbleiben. - 


Herder füplt fih von einiger Entfernung, bie 

fih nach und nach hervorthut, betzoffen, ohne bag 

dem daraus eutftehenden Mißgefühl wäre zu helfen 
geweien. Seine Abneigung gegen die Kautiſche Phi⸗ 
lofophie und daher auch gegen bie Akademie Jena, 

batte ſich immer geſteigert, während ich mit beiden 


durch das Verhaͤltniß zu Schiller Immer mehr zu⸗ 
fammenwuhe. Daher war jeder Verſuch bag alte 


Verhaͤltniß herzuſtellen fruchtlod,.um fo mehr als 
Wieland bie neuere Lehre felbft in der Perfon feines 
Schwiegerſohns verwünfchte, und als Latitudinarier 
fehr übel empfand, daß man Pflicht und Recht durch 
Bernunft, fo wie es ‚hieß, firiten und allem hu— 
moriſtiſch⸗poetiſchen Schwanken ein Ende zu machen 
drohte. 

Traurig aber war mir ein Schreiben. bed hoͤchſt 
bedeutenden Carl von Mofer. Ich hatte ihn 
früher auf dem Gipfel miniſterieller Machtvolllom⸗ 
menheit geſehen, wo er den. Ehecontrakt zwiſchen 
unſerm theuren Fuͤrſtlichen Ehepaar aufzuſetzen nach 
Carlsruhe berufen ward, zu einer Zeit, wo er mir 
‚manche Gefaͤlligkeit erwles, ja einen Freund durch 
entſchledene Kraft und Einfluß vom Untergang er⸗ 
rettete. Diefer war nun ſeit zwanzig Jahren nach 
and nah in feinen Vermoͤgens-Umſtaͤnden derge- 
ftalt zurüdgelommen, daß er auf einem alten Berg: 
ſchloſſe Zuingenberg eig Hunmerlihes Leben führte, 


Te A — Fi ] PR 


61 | #4 


Year wollte er ſich andy einer feinen Gemaͤhldefamm 
ung entaͤußern, die er zu befferer Zeit mit Ge: 
ſchmact um fi verfammelt hatte; er verfangte 
meine Mitwirkung, und ich konnte fein zartes drin 
gendes Verlangen leider nur mit einem freundlich 
hoſtichen Btief erwiedern. Hierauf iſt bie Ant⸗ 
wort eines geiſtreichen bedraͤngten und zugleich in 
ſein Schickſal ergebenen Mannes von det Art, daß 
fie mich noch jetzt wie damals ruͤhrt, da ich im 
weinen: Bereich kein Dritter fahr, folchem Beduͤrf⸗ 
afffe abzuthelfen. 

Anateınte und Phyfivlvgie verlor ih dieſes Jahr 
faſt nicht aus den Augen: Hoftath Loder demon⸗ 
ſtrirte das menſchleiche Gehirn einem Heinen Freun⸗ 
des» Cirkel, hergebrachtet Wekfe, In Schichten von 
oben herein, mit’ ſeiner ihn auszeichnenden Klar⸗ 
hekt. Die Cumperſchen Arbeiten wurden mit dem⸗ 
ſelben durchgeſehen und durchgedacht. 

Soͤmmerings Verſuch dem eigentlichen Sltz 
der Seele naͤher nachzuſpuͤren, veranlaßte nicht we⸗ 
atge Beobachkung, Nachdenken ımb Pruͤfung. 

Brandes In Braunſchwelg zeigte fih In Na⸗ 
tutbetrachtungen geiſtretch und belebend; auch er, 
wie wir, verfuchte ſich am dem ſchwerſten Problemen. 

Seit jener Epoche wo man ſich In Deutſchland 
über den Mißbrauch der Geniulftaͤt zu beklagen an⸗ 
fing, drängten fich freilich von Sekt zu Zeit auffal⸗ 
lend verruͤckte Menſchen heran. Da nun ihr Be- 
fireben in einer dunkeln, duͤſtern Region verfirte 


- . 


62 


und gewöhnlich die Energie des Handelns ein guͤn⸗ 
ſtiges Vorurtheil und, die Hoffnung erregt, fie werde 
fi von einiger Vernuͤnftigkeit wenigftens im Ver⸗ 
folg doch leiten Iaffen, fo verfagte man folhen Per- 
fonen feinen Antheil nicht, bis fie denn zulegt ent= 
weder felbft verzweifelten oder ung zur Verzweiflung 
brachten. 

Ein ſolcher war von Bielefeld, der ſich den 
Cimbrier nannte, eine phyſiſch gluͤhende Natur, mit 
einer gewiffen Einbildungsfraft begabt, die aber 
ganz. in hohlen Raͤumen fich erging. Klopſtocks Pa⸗ 
triotismus und Meſſianismus hatten Ihn ganz er 
fuͤllt, ihm GSeftalten und Gefinnungen geliefert, mit 
denen er denn nach wilder und wüfter Weiſe gut: 
herzig gebahtte. Sein großes Geihäft war ein 
Gedicht vom jüngften Tage, mo fih denn wohl be= 
greifen laͤßt, daß ich ſolchen apokalyptiſchen Ereig- 
niffen, energumeniſch vorgetragen, keinen befonderen. 
Geſchmack abgewinnen Eonnte. Sch fuchte ihn abzu⸗ 
iehnen, da er, jede Warnung ausfchlagend, auf 
feinen feltfamen Wegen verharrte. So trieb er es 
in Sena eine Zeit lang, zu Beängftigung guter ver⸗ 
nünftiger Gefellen und wohlwollender Gönner, bie 
er endlich bei immer vermehrtem Wahnſinn, ſich 
‚zum Fenſter herausſtuͤrzte und ſeinem ungluͤdlichen 
Leben dadurch ein Ende machte. 

Auch thaten ſich in Staats verhaͤltniſſen hlernaͤchſt 
die Folgen einer jugendlichen Gutmuͤthigkeit hervor, 
die ein bedeutendes Vertrauen auf einen Un—⸗ 


63 . 


würdigen niedergelegt hatte. Die deßhalb entſtau⸗ 
denen Proceſſe wurden bießfeits von einfichtsvollen. 
Männern mit großer Gewandtheit einem gluͤcklichen 
Ausgang entgegen geführt. Indeſſen beunruhigte 
eine ſolche Bewegung unſre gefeligen Kreife, indem 
nahverwandte, fonft tüchtig denkende, auch und ver- 
bundene Perſonen Ungerechtigfeit und Härte fahen, 
wo wir nur eine ftetige Verfolgung eines unerläße 
lihen Rechtsgangs zu erbliden glaubten. Die freund- 
lichſten zarteften Neclamatlonen von jener Seite 
binderten zwar den Gefchäftsgang nicht, allein be- 
dauerlich war es, die fhönften Verhältniffe beinahe 
zerſtoͤrt zu feben. 


— 1796. 


Die Weimariſche Bühne war nun ſchon fo be= _ 
fest und befeftigt, daß es In dieſem Jahre Teiner 
neuen Schaufpieler bedurfte. Sum größten Vor⸗ 
theil derfelben trat. Iffland im März und April 
vierzehmmal auf. Außer einem folchen beiehrenden, 
binreißenden, unfhäßbaren Beiſpiele wurben biefe 
Borftelungen bedeutender Stüde Grund eines 
dauerhaften Repertoriums und ein Anlaß das Wün- 
fhenswerthe näher zu kennen. Schiller, der an, 
dem Vorhandenen immer feft hielt, redigirte zu 
biefem Zwei den Egmont, der zum Schluß ber 
Ifflandiſchen Gaſtrollen gegeben ward, ungefähr wie 
er noch auf Deutfchen Bühnen vorgefielt wird. — 


pP} \ 


64 


Veberhaupt finden fi Hier, rüädfihtlih auf bag 
Deutfhe Theater, die merfwärdigften Anfänge. 
Schiller der fhon In feinem Carlos ſich einer ge- 
wiffen Maͤßlgkeit befliß und durch Redaction biefes 
Stuͤcks fuͤrs Theater zu einer beſchraͤnkteren Form 
gewoͤhnte, hatte nun den Gegenſtand von Wallen- 
fteln aufgefaßt und den granzenlofen Stoff in der 
Geſchichte des dreyßtgiaͤhrigen Kriegs dergeftalt be- 
handelt, daß er fih als Herrn dieſer Maffe gar 
wohl empfinden mochte. Aber eben durch diefe Fülle 
ward eine ftrengere Behandlumg peinlich, wovon Ich 
Zeuge ſeyn konnte, weil er fi über alles, was er 
dichteriſch vorhatte, mit andern gern befprach und 
was zu thun ſeyn mochte hin und wieder überlegte. 

Bei dem unabläffigen Thun und Treiben was 
zwifhen ung ftatt fand, bei der entfchledenen Luft 
Das Theater Eräftig zu beleben, ward ich angeregt 
den Zauft wieder hervorzunehmen; allein was ich 
auch that, ich entfernte ihn mehr vom Theater als 
daß ich Ihn herangebracht hätte. 

Die Horen gingen indeſſen fort, mein Antheil 
blieb derſelbige; doch hatte Schillers graͤnzenloſe 
Thätigleit den Gedanken eines Muſenalmangachs 
gefaßt, einer poetifhen Sammlung, bie jener, meift 
proſaiſchen, vortheilbaft zur Seite ftehen Könnte. 
Auch hier war Ihm das Zutrauen feiner Landsleute 
guͤnſtig. Die guten ftrebfamen Köpfe neigten ſich 
zu ihm. Er ſchickte fih übrigens trefflich zu einem 
folhen Redacteur; den Innern Werth eines Ge—⸗ 

dichts 





65 


dicht überfah er glei, und wenn ber. Berfufer 
fi zu weitläuftig ausgethan hatte, ober nicht en= 
digen: Eonnte, wußte er das Leberflüffige ſchuell 
auszufondern. Ich ſah ihn wohl ein Gedicht auf 
ein Drittheil Strophen rebuciren, wodurch es 
wirktich brauchbar ward, ia bedeutend. 


Ich felbft ward feiner Aufmunterung viel ſchul⸗ 
dig, wovon bie Horen und Almangche volgältiges 
Zeugniß abgeben. Alexis und Dora, Braut 
von Korinth, Spott und Bajadere wurden 
bier ausgeführt oder entworfen. Die Kenien, 
die aus unfchuldigen, ja gleichgältigen Anfängen fich 
nach und nach zum Herbften und Schärfiten hinauf- 
fteigerten, unterhielten ung viele Monate und mac 
ten, als der Almanach erſchien, noch in biefem 
Sahre die größte Bewegung und Erfchätterung im 
der deutſchen Literatur. Sie wurden, als hoͤchſter 
Mißbrauch der Preßfreiheit, von dem Publicum 
verdammt. Die Wirkung aber bleibt unberechenbar. 


Einer hoͤchſt Iteb und werthen, aber auch ſchwer 
laſtenden Bürde entledigte ich mich gegen Ende 
Auguſts. Die Meinfhrift des lebten Buches von 
Wilhelm Meifter ging endlich ab an den Merleger. 
Seit ſechs Fahren hatte ich Ernft_gemarht diefe frühe 
Sonception auszubilden, zurecht zu ftellen und dem 
Drucke nach und nad zu übergeben. Es bleibt da⸗ 
her biefes eine der Incalculabelften Productionen, 
man mag fie im Ganzen oder in ihren Theilen be= 

Soeethes Werte, XXXI. Bd. 5 


66: 
tracheen; je. mn ſier zu beurthellen fehlt mir bee 
nahe ſelbſt bee Maßſbab. 

Kaum aber hatte ich mich durch ſueceſſtoe Sor autiie: - 
gäbe davon befreit ats: ich mir eine neue‘ Laſt aufs 
legte, die jedoch leichtet zu trugen, oder vlelmehr 
feine Laft war, weit.fie gewiſſe Vorſtellungen, Ge: 
füple, Begriffe der Zeit auszufprehen Gelegenheit 
gab. Der Plan von Herrmann und Doro- 
thea war gleichzeitig mit ben Tageslaͤuften aus⸗ 
gedacht und entwickelt, die Ausfuͤhrung ward wäh- 
rend des Septembers begonnen und vollbracht, ſo 
daß ſie Freunden ſchon producirt werden konnte. 
Mit Leichtigkeit und Behagen war das Gedicht ge⸗ 
ſchrieben, und es theilte dieſe Empfindungen mit. 
Mic ſelbſt hatte Gegenſtand und Ausführung der⸗ 
geſtalt durchdrungen, daß ich das Gedicht niemals 
ohne große Ruͤhrung vorleſen konnte, und dieſelbe 
Wirkung iſt mie ſeit fo viel Jahren noch Immer. 
geblleben. 

Freund Mever ſchrieb fleißig aus Itallen ge⸗ 
wichtige Blätter. Meine. Vorbereildang ihm zu fol⸗ 
gen noͤthigte mich zu mannichfaltlgen Studien; deren 
Acteuſtuͤche mir noch gegenwärtig vlelen Nutzen brin⸗ 
gen. Als ich mich in die Kunſtgeſchlchte von Flevenz 
einarbeitete, ward mir Cellini wichtig, und ich 
faßte, um mich dort recht einzubuͤrgern, gern den‘ 
Eutſchluß ſetne Selbſtoiographie gu uͤberſetzen; bes 
ſonders weit fie Schillern zu det Horen brauchbar 
ſchien. 


67 


Auch die Naturwiffenſchafken giugen nicht leer 
and; Den Sommer ˖ uͤber fänd: ich die ſchoͤrſte Ge: 
tegenheit Pflattzen unter farbigen Slafern md yanz 
im Finfſtern zu erzlehen, fo wie die Mektamorphoſe 
der Inſecten in Ihren Einzelnheiten zu verfolgen, 

Galvanis us ud Chemisnrus drängten ſich 
auf; die Chroͤmatkt ward zwiſchen allem durch -ge: 
trieben; und um mir dem groͤßen Votthell der Mer: 
gegenwaͤrtkgrng zu gewähren, fähd ſich eine edite 
Gefellſchaft, Werke Vorktaͤge deſe Art: gern an: 
hoͤren mochte. 

Im Auswärtigen beharrt Chutahſen auf feiner 
Anhaͤnglichkeit an Kaiſer und Reich, wand will in bie: 
fem -Sinte fer Contingent marſchiren laſſer. Nach 
unfere Manuſchaft ruͤſtet ſich; Die Koſten hierzu 
geben manches zu bedenken. 

Im groͤßen Wektweſen eteignet ih, daß: bie 
hiuterbltebene Tochter Ludiigs XVI,- Meihceffin - 
Marie Cheteſie Charlotte, bisher Inden Händen 
der Republicaner, gegen gefangene Frungöfifce Ge⸗ 
nerale ausgewechſelt wird, ingleichen daß der Papſt 
feinen Waffenftiäftand theuer erkauft. 

Die Oeſterreicher gehen uͤber die Lahn zuruͤck, 
beſtehen bei Anndberung der Franzoſen auf. dem Be⸗ 
fig von Frankfurt, die Stadt wird bombardirt, Me 
Padengaffe zum Theil verdrammt',-fonft -wenfs- ge- 
ſchadet, worauf deun die Uebetgabe erfolgt. Meine 
gute Mutter, in ihrem ſchoͤnen neuen Quartiere 
an der Hauptwache, hak gerade die: Zell hinauf⸗ 


6g 


fhauend ben bedrohten und befchäbigten Theil vor 
Augen, fie rettet Ihre Habſeligkeiten in feuerfefte - 
Keller, und fluͤchtet über bie. freigelaflene Mayn⸗ 
brüde nah Offenbach. Ihr Brief befhalb verdient 
beigelegt zu werden. 

Der Churfürft von Mainz geht nach Heiligen 
ftadt, der Aufenthalt des Landgrafen von. Darmſtadt 
bleibt einige Zeit unbelfannt, die Frankfurter flüchs 
ten, meine Mutter: halt aus. Wir eben In einer 
eingefchlaferten Furchtſamkeit. In ben Rhein: und 
Mapngegenden fortwährende Unruhen und Flucht. 
Stau von Gondehofen verweilt in Eiſenach, und fo 
durh Flüchtlinge, Briefe, Boten, Staffetten 
ſtroͤmt der Kriegsallarm ein- und bad anderematl 
bie zu und; doch betätigt fih nah und nach die 
Hoffnung, daß wir in dem Augenblide nichts zu 
fürchten haben, und wir halten und für geborgen. 

Der König von Preußen, bei einiger Beranlaffung, 
ſchreibt von Pyrmont an den Herzog, mit diplomas 
tifher Gewandtheit den Beitritt zur Neutralität 
vorbereitend und den Schritt erleichternd. Furcht, 
Sorge, Verwirrung dauert fort, endlich erklärt fich 
Chnrfachfen zur Neutralität, erſt vorläufig, dann 
entfchieden, die Verhandlungen deßhalb mit Preu: 
fen werden auch und befannt. 

Doch kaum feinen wir durch ſolche Sicherheit 
beruhigt, ſo gewinnen die Oeſterreicher abermals 
die Oberhand. Morean zieht ſich zuruͤc, alle koͤni⸗ 
giſch Geſinnten bedauern die Ueberellung zu der man 





’ 


> 69 


fih Hatte hinreißen Iaffen, die Gerüchte vermehren 
fi zum Nachtheil der Sranzgofen, Moreau wird zur 
Seite verfolgt und beobachtet, ſchon fagt man Ihn 
eingefchloffen; auch Jourdan zieht fih zuräd, und 
man iſt in Verzweiflung a man 19) allzufrübzeitig 
gerettet habe, . 

Eine Geſellſchaft hochgebildetet Manner, welche 

ſich jeden Freitag bei mir verfammeiten, beſtaͤtigte 
ſich meht und mehr. Ich las einen Gefang ber 
Ilias von Voß, erwarb mir Beifall, dem Gedicht 
hohen Antheil, ruͤhmliches Anerkennen bem leber- 
feßer. Ein jedes Mitgiied gab von feinen Gefchaf- 
ten, Arbeiten, Liebhabereyen, beliebige Kenntniß, 
mitfreimüthigem Antheil aufgenommen. Dr. Bud: 
holz fuhr fort die nenften phyfifh = hemifchen Er⸗ 
fahrungen mit Gewandtheit und Gluͤck vorzulegen. 
‚Nichts war ausgeihlofen, und das Gefühl der 
cheilhaber, welches Fremde fogar in fih aufnah- 
men, hielt von felbft alles ab, was einigermaßen 
hätte laͤſtig ſeyn können. Akademiſche Lehrer ge- 
felften fih hinzu, und wie fruchtbar diefe Anftalt 
ſelbſt für die Univerfität geworden, geht aus dem 
eingigen Beifplel fchon genugfam hervor, daß der. 
Herzog, der iu einer folhen Sitzung eine Worlefung 
des Doctor Chriſtian Wilhelm Hufeland angehört, 
ſogleich befhloß Ihm eine Profeffur in Jena zu er- 
theilen, wo derfeibe fi durch mannichfache Thaͤtig⸗ 
fett zu einem immer Ammenmenden irlungetretſe 
vorzuberelten wußte. 


— 


70 


Dieſle Societat gar In dem Grade negulitt, daß 
meine Abweſenheit zu kelner Störung Anlaß gab, 
vielmehr übernahm Geh. Rath Voigt bie Leitung, 
und wir hatten uns mehrere Jahre der Folgen einer 
gemeinſam geregelten Thaͤtigleit zu erfreuen. 

Und fo ſahen wir denn auch unſexn trefflichen 
Batſch dieſes Jahr In thätiger Iufsledenheit. Der 
edle reine aus ſich felbft arbeitende Mann bebuxfte, 
.. gleich einer ſaftigen Pflanze, weher- vieles. Erbseich 
noch Starke Bewäflerung, da er bie Fähigkeit befaß 
aus der Atmofphäre fih die beiten Nahzungsftoffe 
ausuelonen. | 

Bon diefem ſchoͤnen ftillen Wirken zeugen noch 
heut feine Schreiben und Berichte, wie er ſich an 
feinem maͤßigen Glashauſe begnuͤgt und durch das 
allgemeine Zutrauen gleichzeltiger Naturforſcher Die 
Achtung ſeluer Societaͤt wachſen und ihren Beſitz 
ſich erweitern ſieht; wie er denn auch bei ſolchen 
Gelegenheiten feine. Vorſaͤtze vertraulich „mitteilte, 
nicht meniger feine Hoffnungen u Zu⸗ 
BAUEN: 





77.37: | 

Zu Ende des vorigen Jahrs machte ich eine Reiſe 
einen gnaͤdigſten Herrn nach Leipzig zu begleiten; 
beſuchte einen großen Ball wo ‚und die Herzen Dok 
und Compagn., und wer ſich ſonſt durch bie Fenlen 





71 


merleht aber: arfhwedt hielt, mit Aſprehenſton, wie 
das bite Princhp betrachtete. In Deffau ergößte 
uns die Erinnerung ifruͤherer Beiten; die Famille 
ou Loen zeigte fich ais eine angenehme, zutruu⸗ 
Ache Verwandtſchaft, und man konnde ſich der fräh- 
den Fraufkfarter Tage und Stunden en 
erinnern. 

Schon in den BEER Donaten des Sabre er- 
frente fich das Theater an dem Belteltt von Ca⸗ 
zoline Jagemann, als einer neuen Blende. 
Dberon ward gegeben, bald darauf Telemach, 
und manche Rollen tonnten mit mehr Auswahl be⸗ 
{et werten. Aeußerlich führte man dad Bühnen 
ern zunaͤchſt In. feinem gewährten Gaunge fett, 
inner halh aber: ward manches Bedentende vorberei- 
tet. Schiller, des nunmehr ein wirlliches Theater 
in Der Naͤhe und vor Augen Hatte, dachte ernitiu) 
darauf feine Stüdfe fpielbarer zu. machen, und ale 
ihm hierin Die große - Breite wie er Wallenſtein 
ſchon gebucht abermols hinderlich war, entſchloß er 
ſich ben Gegenſtand In mehreren Abtheilungen zu 
behandeln. Dieß geh in Abweſenheit der Gefell⸗ 
ſchaft, den sangen Sowmer über, reichliche Be⸗ 
lehrung und Unterheltung. Schon war ber Prolog 
geſchrieben, Wallenksind Lager wuchs heran. 

Auch lich meinerfeiss. in volllommener Thaͤtig⸗ 
get: Herrmann und Do rothea erſchien als 
Taſchenkuch, und ein neues epiſch⸗ romantiſches Ge⸗ 

Hit: wurde: gleich Daxanf entmorfen. Der Pian warin 


A 


72 


- allen feinen Theiten durchgedacht, den ich ungluͤck⸗ 


licherweiſe meinen Freunden nicht verhehlte. Ste 
tiethen mir ab, und es betrübt mich noch daß ich 
ihnen Folge leiſtete: denn der Dichter allein kann 


- wiffen was In einem Segenftande liegt, und was er 


fr 


‚für Reiz und Anmuth bei der Ausführumg daraus 


entwideln könne. Ich fchrieb den neuen Pau— 
ſias und die Metamorphofe der Pflanzen 
in elegifher Form, Schiller wetteiferte, Indem er 


. feinen Taucher gab. Im eigentlihen Siune blel- 


ten wir Tag und Nacht keine Ruhe; Schillern be- 
ſuchte ber Schlaf erft gegen Morgen; Leidenfhaften 


: aler Art waren in Bewegung; durch die Zenien 


Hatten wir ganz Deutfchland aufgeregt, jederman 
fhalt und lachte zugleih. Die Verlesten ſuchten 
und auch etwas Unangenehmes zu erweiſen, alle 
unfere Gegenwirkung beftand in unermübet fortge- 
ſetzter Thaͤtigkeit. 

Die Untverfität Jena ſtand auf — Gipfel ihres 
Flors; das Zuſammenwirken von talentvollen Men- 
ſchen und gluͤcklichen Umſtaͤnden waͤre der treuſten 


. Vebhafteften Schilderung werth. Fichte gab eine 


neue Darſtellung der Wiſſenſchaftslehre im philo⸗ 
ſophiſchen Journal. Wolt mann hatte ſich inter⸗ 
eſſant gemacht und berechtigte zu den fchönften 
Hoffnungen. Die Gebrüder von Humboldt 
waren gegenwärtig, und Alles. ber Natur Angehörige 


. Banı philoſophiſch und wiſſenſchaftlich zur Sprade. 


Mein oſteologiſcher Typus von 1795 gab nun Ver: 


il — — — ———— — —⏑— 


73 
anlaffung die oͤffentliche Sammlung fo wie meine 
eigene rationeller zu betrachten und zu bennken. 
Ich fhernatifirte die Metamorphofe der Infecten, 
bie ich feit mehreren Jahren nicht aus den Augen 
ef. Die Kraufifhen Zeichnungen der Harz⸗ 
fefen gaben Anlaß zu geologifhen Betrachtungen, 
galvanifche Werfuhe wurden durch Humboldt ange⸗ 
ſtellt. Scherer zeigte ſich ads hoffnungsvoller Che- 
mikus. Ich fing an die Farbentafeln In Ordnung 
zu dringen. Für Schillern fuhr ich fort am Gellint 
in überfeßen, und da ich bibliſche Stoffe in Abſicht, 
poetifhe Gegenftände zu finden, wieder aufnahm, 
fo lleß ih mich verführen, die Reife der Kinder 
Israel durch die Wuͤſte kritiſch zu behandeln. Der 
Aufſatz, mit beigefuͤgter Charte, ſollte jenen wun⸗ 
derlichen vierzigiährigen Irrgang zu einem, wo nicht 
vernünftigen, doch faßlichen Unternehmen unrbilden. 

Eine unwiderſtehliche Luft mach dem Land und 
Sartenieben hatte damals die Menfchen ergriffen. 
Schiler Taufte einen Garten bei Jena, und 308 
hinaus; Wieland hatte ſich in Oßmannſtedt ange⸗ 
ſiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der 
Im, ward in Oberroßla ein kleines Guüt verkaͤuf⸗ 
lich, ich hatte Abſichten darauf. 

Als Beſuch erfreuten uns Lerſe und Hit. 
Der feltfame Reiſende Lord Briftol gab mir zu 
einer abenfeuerlihen Erfahrung Anlaß. Ich bereite 
mich zu einer Reife nah der Schweiz, meinen aus 
Italien zuruͤkfkehrenden Freunde Heinriih Meyer 


74 


„entgegen. Der Neimariſche Genlaßbau wäthist zur 
Umſicht nad) einem -geifiseichen Architekten und ge⸗ 
ſchiten Handwerlern. Ach die Zeicheuſchule er⸗ 
Halt neue Anxegung. 

Vor meiluer Abreiſe verbrenn' ich alle an mich 
geſendeten Briefe ſeit 1772, aus entſchledener Ab⸗ 
neigpng gagen Publicatlon des ſtillen Gauss freund⸗ 
ſchaftlicher Mittheilung. Schiller beſucht mich noch 
in Weimar, und ich reiſe den 30 July ab. Migin 
geſchicter Schreiber mich begleitete, To iſt alles in 
Acten geheftet, wohl erhalten, was damals auf⸗ 
fallend und bedeutend ſeyn konnte. 

Da hiegaus mit ſchidlicher Redactlon ein- ganz 
unterhajtended Baͤndchen fih bilden liaße, fo ſey 
von dem ganzen Relleverlauf wur das llgemeinſte 
bier angedeutet. 

Unterweas byſchaͤftigt mich die genaue Betrach⸗ 
sung der Gegenden, hinſichtlich auf Geognoſie und 
‚der Darauf gegrandeten Cultur. Sin Frankfurt be⸗ 
dehrt mid Soͤmmeriag, durch Unterbaltung, Praͤ⸗ 
parate nud Zaichnungen. Ich werde mit manchen 
Perſoͤnlichleiten bekaunt, mit Oeffentlichm mb Be⸗ 
ſenderem; ich beachte das Thaater und fühne leb⸗ 

hafte Correſpondem; it Schiller mb andern Freum⸗ 
den. Oeſterreichiſche Garaiſen, aefangene Fran⸗ 
zoſen als Gegenſahz; jene von. imyperturbablem Exuſt, 
dileſe Immer ‚non poſſenbafter Heite rieit. Franzoͤ⸗ 
ſiſche ſatpriſche Kapferſtiche. 
‚Dean 264b von Sransfust, Aber Heldetbers, 


76 


Heilbronn, Ludwlasburg Iaı Ich den. sp. In Abtutt⸗ 
gast am, Kaufmann Rapy, Danneder, Shef- 
faner werben befuht; ‚Belauutfcheft mit -Profer- 
for Shonret, mit geſchickten Arbeitern von Zier- 
tathen, Studatoren, Dusdratoren, die ſich aus der 
bewegten Regierungszeit Herzog Carls hexſchrie⸗ 
ben; Unterhandlungen mit denſelhen, det dem 
MWeimariſchen Schloßban anzuſtellen. 

Anfang Septembers faͤllt der 5 —*X eit 
und der Muͤhlbach, den Zumſteeg ſogleich com⸗ 
ponirt, ſodaun ber Juͤngling und die 3469 eu⸗ 
ne rin. Den 9 September In Tübingen, bei Cotta 
gewohnt, bie vorziglihen bartigen Männer hefpro- 
Heu. Maturaliencabinet des Profefor .D-ire be: 
uichtigt, das, vormals Paagay in Frankfurt am 
Dapı gehoͤrxig, mit der Uebevollſten Sorafalt-nach . 
Zübingem trandportirt. marden. : Dep Ab Sentem⸗ 
ber von-bant weg. Schafhauſen, Mhekufal, Zürich, 
Deu 21 In. Stäfa; Zufgmmenkunft. mit Meper, 
mit ihm Die. Melfe angetreten; den. 28 über Marie 
Einfiebel bie anf. ben. Gotthacd. Ders Detober 
waren "wir wieder zurbd, , Zum drittenmale beſucht 
ich bie ‚Heinen Cantane, and well die aphſche Feym 
dei mir. gexade das Uebergewicht hatte, exſqun ich 
æinen Tell unmittelbar in ber Gegenwart dex.claf- 
Athen Herxtlichkeit. Eine folge Ublaitung-und Zer- 
— war noͤthig, da mich die traurigſte Nach⸗ 

richt mitten in ben Gebirgen exreiſchte. Chriſtiane 
* eumann, verehlichte Becker, war pon⸗uns ge⸗ 


\ 


76 


fateden; Ich‘ widmete ihr die Elegie Euphroſine. 
Liebreiches, ehrenvolles Andenken iſt nHes was wir 
den Todten Ju geben vermögen. 

Auf dem St. Gotthard hatte ich fchöne Minera⸗ 
Nlien ‘gewonnen; der KHauptgewinn aber war die 
Unterhaltung mit meinem Freunde Meyer; er 
“ brachte mir das lebendigſte Italien zuruͤck, das uns 
die Kriegslaͤufte leider nunmehr verfchloffen. Wir 
: bereiteten und zum Troſt auf die Proppläenvor. 
Die Lehre von den Gegenftänden und was deun 
eigentlich dargeftellt werden fol, beſchaͤftigte uns 
vor allen Dingen. : Die genaue Beſchreibung md 
fennerhafte- Bemerkung ber Kunftgegenftänbe after 
: and neuer Zeit verwahrten wir ald Schäße für die 
gukunft. Nachdem ich eine Beſchreibung von Stäfa 
verfucht, die Tagebücher resdfet ind mundirt waren, 
" gingen wir den 21’Dctober von dort ab. Den 26 
° Detober von duͤrch abretfend Iangten wirden 6 No: 
vember In Nürnberg an. In dem freundlichen Cir⸗ 
fel der Kreisgefandten durchlebten wit einige frohe | 
: Tage. Den 15 Noventber von dort ab. 
Im Welmar hatte die Ankunft mehrerer beden- 
: tenden Emigrirten die Gefellfdjaft erweitert , ange= 
‚nehm und miterhaltend gemadt. Nachzutragen tft 
noch daß-Dberappellationsrath Körmer und feine 
liebe und hoffnungs volle Familie ung im abgelaufenen 
Sommer mit ihrer Gegenwart erfreute, und doch 
bleibt noch manches Veſondete — merkwurdigen 


Jahres zuruͤck 








77. = 


Millins antiquarifhe Thaͤtigkelt begann zu 
wirken, den groͤßten Einfluß aber uͤbten Wolfs 
Prolegomena. 

Auf dem CTheater fand ich. die große Luͤce; Chri⸗ 
ſtiane Neumann fehlte, und doch war's der Platz 
nach wo fie mir fo viel Intereſſe eingefloͤßt hatte. 
Ih war durch fie an die Breter gewähnt, und fo 
wendete ih uun dem Ganzen. zu, was ich ihr fonft 
fat ausſchließlich gewidmet batte. . 

Ihre Stelle war befeht, wenigſtens mit einer 
wohlgefaͤlligen Schauſplelerin. Auch Caroline 
Jagemann indeſſen bildete ſich immer mehr aus 
amd erwarb ſich zugleich im Schaufptel allen Beifall. 
Das Theater war fchon fo gut beftellt, daß die 
eurrenten Stüde ohne Anftoß und Nivalität fi be⸗ 
fegen ließen. 

Einen großen und einzigen Vortheil brachte aber 
dieſer Unternehmung, daß die vorzuͤglichſten Werke 
Ifflands und Kotzebüe's ſchon vom Theater gewirkt," 
und fi auf neuen, In Deutfchland noch nicht betre- 
tenen Wegen großen Beifall erworben hatten. Beide 
Autoren waren noch In ihrem Vigor; erfterer ale 
Schaufpleler ftand in der ‚Epoche hoͤchſter Kunſtaus⸗ 
bildung. 

Auch gereiäte zu unſerm groͤßten Vorthell, daß 
wir nur vor einem Heinen, genugſam gebildeten 
Yubllcum zu fplelen hatten, beffen Gefhmad wir 
befriedigen und ung doch dabei unabhängig erhalten 
tonnten; ja wir durften ‚manches KerKadEn, ung 


N 


78° 


ſeſbſt unb'unfere Zaſchaner in einem hoͤheren Eine 
auszublliden. SIE — a 
Hier kam und nun Schiller vorzuͤhlkch zu Hilfe; 
er ftand Im Vegrkff ſich zw beſchraͤrken, ben Roten, 
Nebertriebenen, Gigantlſchen zu entfägen; ſchon 
gelang ihm das wahrhaft Große und’ deffen natuͤr⸗ 
licher Ausdtuck. Wir vertebten’ feinen Tag in-ber‘ 
Nähe, ohne mE muͤndlich, keine Woche in: der. 
Nachbarſchaft, ohne uns ſchrlfttich zu’ unterhalten. 


— 


179 8 
So arbeiteten wir unermübet dem Beſuche Iff⸗ 

lands vor, welcher und im April durch acht feiner 
Borftellungen anfrifchen ſollte. Groß wat der Ein— 
fluß feiner Gegenwart: denn jeder Mitſplelende 
mußte fi an ihm prüfen, Indem er mit ih wett- 
eiferte, und bie nächte Folge davon war; daß auch 
dießmal unfere Gefellfchaft gar loͤblich ausgeftatter 
nach Lauchftädt 308. RE N 

Kaum war fie abgegangen, als det‘ alte Winfäy 
fih regte, In Weimar ein beferes Local für die 
Bühne einzurihten. Schaufpieler und Publiram 
fühlten fih eines anffändigerh Raumes wireblg, die 
Nothwendigkeit einer folhen Veraͤnderung ward von 
jederman anerkannt, und es bedurfte nur eines 
geiſtreichen Anſtoßes um die Ausfuͤhrung zu beſtim⸗ 
men und zu beſchleunigen. 


79 


Baumeiſfter Dh ohret waͤr won Stuttgurt be⸗ 
rufen um ben neuen Schloßbau wekker zu fordern; 
als Nebenzwock gab er einen fogleich beifaͤllig auf⸗ 
gewmmenen erfrentichen Plan zu einer neuen Ein⸗ 
tiaang dos vorhandenen Theatetlocals, nach wel⸗ 
chem ſich zu richten ex die groͤßtre Gewandtheit be⸗ 
wi, Und: ſo ward auch an uns die alte Bemer⸗ 
lung: wahr, daß Gegenwart eines Baumeiſters Bau⸗ 
luſt errege. Mit Fleiß uind Haſt bektieb man die 
Arbeit, ſo daß mit dent. 42. Oetober Hof und Publi⸗ 
um zu: Eröffkung: des neuen Hauſes eingekaden 
werden: kounten. Gin: Prolog don Schiller und 
Wallenſteino "Lager gaben dfefer Feyerlichkeit Werth⸗ 
und: Würde, 


Den: ganzen Schwer. hatte: es in senken: 
hiezu nicht gefehlt, desm der große Walleuſteiniſche 
Ceclus, zuerſt nur angekuͤndigt, beſchaͤftigte uns 
durchaus, obgleich nicht ausſchließlich. 


Von meinen- eigenen poetiſchen und ſchtiftſtel⸗ 
leriſches mein: habe tab ſo viel zu ſagen, daß die 
Deiffogungen desnBoris mich nur einige Seit’ 
unkerhlolten. Zur EB itlels hatte ich den Ptan 
sang iim Sinne, den fh Schillern eines Abends aus⸗ 
fuͤhelich erzaͤhtltke. Der Freuud fchalt mich aus, duß 
Ih etwas fo klar vor mir ſehen kdunte, ohne ſoches 
aucubiidon dar Worte und Sylbenmaß. So 
angettieben und‘ fleißig ermahnt ſchrieb ich die zwey 
erſtea Geſaͤuge; auch den Plan ſchrieb ich auf, zu 





80 


deſſen Foͤrderniß mir ein treuer Auszug aus der 
Ilias dienen follte, 

Doch hiervon leitete mich ab die Richtung zur 
bildenden Kunſt, welche ſich bei Meyers Zuruͤckkunft 
aus Italien ganz entſchieden abermals hervorgethan 
hatte. Vorzüglich waren wir beſchaͤftigt das erfie 
Stuͤck der. Propyläen, welches theils vorbereitet 
theils gefchrieben wurde, lebhaft weiter zu fördern. 
Cellini's Leben ſetzt' ih fort, ale einen Anhalte⸗ 
punkt ber Gefchichte des ſechzehnten Jahrhunderts. 
Diderot von den Farben ward mit Aumerkungen 
‚begleitet, welche mehr humoriſtiſch als kuͤnſtleriſch 
zu nennen wären, und indem fih Meyer mit den 
Segenftänden in. dem Hauptpunkt aller bildenden 
Kunft gründlich befchäftigte, fchrieb ich ben Samm⸗ 
ler, um manches Nahdenten und Bedenken In die 
heitere freiere Welt einzuführen. 

In der Naturwiſſenſchaft fand ich manches zu 
denken, zu befhauen und zu thun. Schellings 
Weltſeele befhäftigte unfer hoͤchſtes Gelftesver- 
mögen. . Wir ſahen ſie nun in der ewigen Meta- 
morphofe der Außenwelt: abermals verkörpert. Alles 
Naturgefhihtlihe, das fich ung lebendig näherte, 
betrachtete ich wit großer Aufmerkſamkeit; fremde 
merkwürdige Thiere, befonbers ein junger Elephant," 
vermehrten unfere Erfahrungen. 

Hier muß Ich aber auch eines Aufſatzes geben- 
fen, ben ich über pathologifches Elfenbein ſchrieb. 
Ih hatte ſolche Stellen angefchoffener und wieder 

ver⸗ 


81 

verheilter Elephantenzaͤhne, die Befonders den 
Kammmachetn hoͤchſt verdrießtih find, wenn ihte 
Sige oft unvermuthet anf fie ſtoͤßt, ſeit mehreren 
Jahren gefammelt, an Zahl mehr denn zwanzig 
Stuͤcke, woran fi In gar Ihöner Folge zeigen ließ, 
wie eine eiferne Kugel ind Imere der Zahn- 
maffe eindringen, wohl die urganifche Lebendigkeit 
fören aber nicht zerftören kann, Indem biefe fid 
biee auf eine eigene Weiſe wehrt und wieder her- 
ſtellt. Ich freute mic diefe Sammlung, befärfe- 
ben und ausgelegt, dem Gabinette meines Freun- 
des Loder, dem ich fo viel Belehrung fchuldig ge- 
worden, dankbar einzuverleiben. 

In weicher Hrönung und Abtheilung die Ge- 
fdihte der Farbenlehre vorgetragen werben folte, 
wird epochenweiſe durchgedacht und bie einzelnen 
Schriftſteller ftudirt, auch‘ die Lehre ſelbſt genau er- 
wogen und mit Schillern durchgeſprochen. Er war 
es der den Zweifel loͤſte, der mich lange Zeit auf⸗ 
bieit: worauf denn eigentlich das wunderlice 
Schwanten berube, daß gewiſſe Menfchen die Far- 
ben verwechfeln, wobel man auf die Vermuthung 
Im, daß fie einige Farben fehen, andere nicht 
fehen!, da er denn zuletzt entichled, daß Ihnen bie 
Erfemtniß des Blauen fehle. Ein junger Gilde: 
meifter, der eben in Jena ftudirte, war in fol- 
Gen Falle, ‘und bot fich freundlich zu alem Hin- 
und Wiederverſuchen, woraus fih denn zuleht für 
und jenes Refultat ergab. 

Geethes· Werte. XXXI. Bo. 6 


82 


Ferner um das Mentale fihtlih barzuftellen, 
yerfertigten wir zufammen mancherlei ſymboliſche 
Schemata. So zeichneten wir eine Temperamenten=- 
rofe, wie man eine Windrofe hat, und entwarfen 
eine tabellarifhe Darftellung, was der Dilettantie- 
mus jeder Kunft Nuͤtzliches und Schädliches bringe. 

Gar mandhe Bortheile die wir im Naturwiſſen⸗ 
Tchaftlihen gewannen, find wir einem Befuh fhul- 
dig geworden, den und Herr van Marum goͤn⸗ 
nen wollte. e 

Damit aber auch von der andern Seite der Geift 
zue unmittelbaren gemeinen Natur zurüdgezogen 
werde, folgte ich der damaligen Tandfchaftlihen 
Grille. Der Befis des Freiguts zu Roßla nöthlgte 
mich dein Grund und Boden, der Landesart, den 

doͤrflichen Verhältniffen näher zu treten, und ver- 
lieh gar manche Anfihten und Mitgefühle, bie mie 
fonft völlig fremd geblieben waren. Hieraus ent- 
fand mir- auch eine nahbarlihe Gemeinfchaft mit 
Wielanden, welder freilich tiefer in die Sache ge- 
gangen war, indem er Weimar völlig verließ und 
feinen Wohnort in Hfmannftedt auffchlug. Cr 
hatte nicht bebacht was Ihm am erften hätte einfal- 
len follen: daß er unfter Herzogin Amalla und fie 
ihm zum Lebensumgang völlig unentbehrlich gewor- 
den. Aus jener Entfernung entftand denn ein ganz 
wunderbares Hin= und Wiederfenden von reitenden 
und wandernden Boten, zugleich auch eine gewiſſe, 
Taum zu befchwichtigende Unruhe. 





83 


Eine wunderbare Erſcheinung war in biefem 
Sommer Frau von La Roche, mit der Wieland ei⸗ 
gentlich niemals übereingeftimmt hatte, jest aber mit 
{he im vollkommnen Widerfpruch fi befand. Frei⸗ 
ih war eine gutmüthige Sentimentalität, bie allen- 
falls vor dreyßig Jahren, zur Seit wecfelfeitiger 
Schonung, noch ertragen werden Eonnte, nunmehr 
sanz außer. der Jahreszeit, und einem Manne wie 
Wieland unerträgiih. Ihre Enkelin, Sophie Bren- 
tano, hatte fie begleitet und fpielte eine entgegenge- 
feste, nicht minder wunderlihe Rolle. 


179% 

Den 30 Zanuar Aufführung von den Piccolo- 
mint, den 20 April von Wallenftein. Indeſ⸗ 
fen war Schiller immer thätig. Marla Stuart und 
die feindlihen Brüder kommen zur Sprache. Wir 
beriethen und uͤber den Gedanken, die Deutſchen 
Stuͤcke, die ſich erhalten ließen, theils unveraͤndert 
im Druck zu ſammeln, theils aber veraͤndert und ins 
Enge gezogen der negeren Zeit und ihrem Geſchmack 
näher zu bringen. Eben daſſelbe follte mit auslaͤn⸗ 
diſchen Stüden gefhehen, eigene Arbeit jedoch durch 
eine folhe Umbildung nicht verdrängt werben. Hier 
it die Ablicht unverfennbar, den Deutfchen Thea⸗ 
tern-den Grund zu einem ſoliden Repertorium zu 
legen, und der Eifer dieß zu leiten, Tpricht für die 


‚34 


Ueberzeugung, wie vothwendig und wichtig, wie 
folgereich ein ſolches Unternehmen fey. 

Wir. waren ſchon gewahnt gemeinſchaftlich gu 
handeln, und wie wir dabei verfahren, iſt bereits 
im: Margenblatt ausfuͤhrlich pergetragen. In das 
gegenwaͤrtige Jahr faͤllt die Redaction vom. Mac⸗ 
beth und. bie. Ueberſezung son Mahomet. 

De Mempiren der Stephanie von Bourbon 
Conti exzegen in mir. Die Conception der natuͤrli⸗ 
ben. Tochter. In dem. Plane bereitete Ich mir 
ein Gefäß, worin ich alles, was ich fa manches Jahr 
über die Franzöfifche Revolution und deren Folgen 
gefchrieben und gedacht, - mit geziemendem Ernfte 
niederzulegen hoffte. Kleinere Stüde fchematifirte 
ih mit Schillern gemeinſchaftlich, wovon noch eini⸗ 
ges von Schillern eigenhändig geſchrieben übrig iſt. 

Die Propylaͤen wurden fortgefetzt. Im Septem- 
ber hlelten wir die erſte Ausſtellung der Preisbil⸗ 
der; die Aufgabe wer Paris und Helena. Hart⸗ 
mann in Stuttgart erreichte den Prels. 

Erwarben nun auf dieſe Weiſe die Weimarifchen 
Kunſtfreunde ſich einiges Zutrauen der: Außenwelt, 
fo war auch Schiller aufgeregt, weabkiflig die Me: 
trachtung ‚über Natur, Kunſt und. Gitten: gemein- 
ſchaftlich anzufiellen. Hier fuͤhlten wir. immer mehr 
die Nothwendigkeit von tabellarifcher uud ſymboli⸗ 
der Behandlung Wir zeichneten sufammen jene 
Temperamentenrofe wiederholt, au ber wügtihe 
und fchädliche Einfluß des Dilettautismus auf elle 





83 


Maſte warb tabellariſch weiter ansgearbektet, wo⸗ 
von die Blaͤtter bekbhaͤndig noch vorllegen. Heber- 
haupt wurden: ſolche methodiſche Entwuͤrfe durch 
Schilers philoſoohiſchen Orbmmigegeikt, zu welchem 
ich mich ſymboliſtrend Hinneigte, zur angenehmſten 
Unterhaltung. Manahnn fie von Zeit zu Zeit wie⸗ 
der auf, pruͤfte ſie, ſtekiite ſie um, und fo iſt dem 
auch Das Schema der Farbenlehre öfters dearbel⸗ 
tet worden. 

Und ſo konnte das Leben nirgends ſtocken in den⸗ 
jenigen Zweigen der Wiſſenſchaft unb Kunſt, die wir 
als bie unfrigen anſahen. Schelling theilte die Einſel⸗ 
tung zu ſeinem ⸗Entwurf ber Naturphiloſophie freund⸗ 
lich mir; er beſprach gern mancherlei Phyffkaliſches, 
ich verfaßte einen allgemeinen Schematismus uͤber 
Natur und Kunſt. 

Im Auguſt und September bezog Ich meinen Gar⸗ 
ten am Stern, um einen ganzen Mondswechſel 
darıh ein gutes Spiegel: Xefeftop zu beobachten; und 
fo ward ich denn mit dieſem, ſo lange geliebten und 
bewunderten Nachbar -endttih: naͤher bekannut. Bei 
allem dieſem Ing ein großes Naturgedicht, das mir 
vor der Seele ſchwebte, durchaus Im Hintergrund. 

Während meines Gartenaufenthults las ich Her⸗ 
ders Fragmente, ingleichen Winckelmanns Briefe 
und erſte Schriften, ferner Miltons verlornes Pa⸗ 
radtes, um die mannichfaltigſten Zuſtände, Denk: 
und Dichtweiſen mir zu vergegenwaͤrtigen. It die 
SA zurkickyrkehrt ſrubirte ich zu obgemeldeten 


86 
Theaterzweden ditere Englifhe Städe vorzüglich 


des Ben Johnſons, nicht weniger andere, welche 
- man Shalefpeare'n zufchreibt. Dur guten Math 


nahm ih Autheil an den Schweftern-von Les: _ 


bos, deren Verfaſſerin mich früber als ein hoͤchſt 
ſchoͤnes Kind, fpäter als ein vorzuͤglichſtes Talent 
angezögen hatte. Tieck Lad mir feine Genoveva 


“r 


vor, deren wahrhaft poetiſche Behandlung mir fehr , 


viel Freude machte, und den freundlichften Beifall 
abgewann. Auch die Gegenwart Wilhelm Yu 
‚guft Schlegel war für mich gewinnreih. Kein 
Augenbii warb müßig zugebraht, und man konnte 


fhon auf viele Fahre hinaus ein geiftiges gemein⸗ 


fames Intereſſe vorherfehen. 


189% 

Dieſes Jahr brachte ich halb In Weimar, halb 
in Jena zu. Den 30 Januar warb Mahomet auf⸗ 
geführt zu großem Vortheil für die Bildung unferer 
Schaufpteler. Sie mußten fih aus Ihrem Natwra- 
liſiren in eine gewiſſe Beſchraͤnktheit zurüdziehen, 
deren Manlirirtes aber ſich gar leicht in ein Nafuͤr⸗ 


liches verwandeln ließ. Wir gewannen eine Vor⸗ 


übung in jedem Sinne zu den fchwierigeren rei⸗ 


deren Stüden, welche bald darauf erſchienen. Won 
Dpern will Ih nur Tarare nennen. 
ss Späterhin am 24 Detober, ale am Geburt⸗atag 


. 87 


der Herzogin Amalia, ward im engern Kreiſe Pa- 
ldopbron und Neoterpe gegeben. Die Auffüh- 
tung des Heinen Städs durch junge Kunftfreunde 
war mufterhaft zu nennen. Künf Flguren ſplelten 
in Masken, der Dame allein war vergoͤnnt, uns 
— der eigenſten Anmuth ihrer Geſichtszuͤge zu er⸗ 
goͤtzen. 

Dieſe Darfiellung bereitete jene Maskenkomoͤ⸗ 
dien vor, die in der Folge eine ganz neue Unterhal= 
tung jahrelang gewährten. 

Die Bearbeitung verfchledener Stüde, gemein⸗ 
ſchaftlich mit Schiller, ward fortgefeßt und zu bie- 
fem Zweck das Geheimniß der Mutter von 
Horace Walpole ſtudirt und behandelt, bei naͤherer 
Betrachtung jedoch unterlaſſen. Die neueren klei⸗ 
nen Gedichte wurden an Unger abgeliefert, Die gu- 
ten Frauen, ein gefelliger Scherz, gefhtiehen. 

Nun follte zum nächften immer gefeyerten drey- 
Sigften Januar ganz am Ende des Jahre Tancred 
überfept werden, und fo gefchah es auch, ungeachtet 
einer fi anmeldenden Erankhaften Unbehaglichkeit. 

Als wir im Auguft diefes Jahre die zweyte Aus⸗ 
ſtellung vorbereiteten, fanden wir und fhon von 
vielfeitiger Theilnahme begünftigt. Die Aufgabe: 
ber Tod des Rheſus und Hektors Abfchleb von An- 
dromache, hatten viele wartere Künftler gelockt. 
Den erften Preis erhielt Hofmann zu Köln, den“ 
zweyten Nahl zu Kaffel. Der Ptopplaͤen drittes 
und icdies Stuͤck ward; bei erſchwerter Ferrſetzung 





88. 


aufgegeben. Wie fih bösartige Menſchen dieſem 
Unternehmen entgegengeſtellt, ſollte Wohl zum Troſt 
unſerer Enkel, denen es auch nicht beſſer gehen wird, 
gelegentlich naͤher bezeichnet werden. 

Die Naturforſchung verfolgte ſtill ihren Gang. 
Ein ſechs fußlger Herſchel war fr unſere wiſſenſchaft⸗ 
lichen Anſtalten angeſchafft. Ich beobachtete num 
einzeln mehrere Mondwechſel, und machte wich mit 
den bedeutendften Lichtgrängen bekannt, woburd ich. 
denn einen guten Begriff von dem Relief der Mond- 
oberfläche erhieft. Auch war mic die Haupteinthei— 
Iung der Farbenlebre in die drey Hauptmaſſen, die 
didaktifhe, polemifche und hiſtorlſche, zuerſt ganz 
klar geworben, und hatte lich entfchieben. 

, Um mir im Botanlfhen das Auffienfhe Syſtem 
recht anihaulih zu machen, brachte ich. bie- ſaͤmmt⸗ 
chen Kupfer mehrerer boranifchen Octav-Werke in 
jene Ordnung; fc erhlelt dadurch eine Anſchauung 
der einzelnen Geftalt und eine Ueberfiht des Ganz 
zen, welches fouft nicht zu verlangen geweſen wäre. 
et 180% | 

Zu Anfang bes Jahrs überfiel mich eine arim- 
mige Krankheit;, bie. Veranlafung dazu mar fol 
sende: feit der Aufführung Mahomets haste id. 
eine Ueberſetzung des Tancred von Voltalre begon⸗ 


nen u wich hamit beſchaftigt; mun acer res 





89 


— und ic mußte das Werk ernſtlich an⸗ 
greifen, daher begab Ih mid Hälfte Decambers nad 
Jena, mo Ich Inden großen Zimmern bes hergegli- 
den Schloſſes einer altherloͤmmlichen Stimmung 
fogteich gebisten konnte. Auch biefmal- waren bie 
dertigen Zuſtaͤndb meiner Arbeit gaͤnſtig; allein die 
Emſigkeit, womit ih mich daran hielt, Ueß mic 
den ſchlimmen Elufluß der Localttaͤt dießmal wie 
ſchon oͤfter uͤberſehen. Das Gebäude Hegt an dem 
tiefſten Puncte der. Stadt, unmittelbar an der Muͤhl⸗ 
lade; Treppe fo wie Treppengebaͤude von Gpps, 

us einer fehr falten und verkaͤltenden Steinart, an. 
he fi bei, eintretenden Thaumetter Die Feuchtig⸗ 
teit. häufig anwirft, machen ben Aufenthait beſon⸗ 
ders Im: Winter ſehr zweydeutis. Alſein wer euere: 
unternimmt und leiſtet, denkt er ˖ mahl an ben Ort mo 
es gefchieht?, Genug ein heftiger Katarxhauͤberſiel 
mich, ohne daß ich deßhalb in mern Wartet irve 
geworden waͤre. 

Damals hatte das Brownlgche Doama Ältere unh- 
jüngere ‚Mebiciner ergriffen; ein. inger Freund 
demſelben ergeben ,,. mußte von ber Erfabrung, baßı 
Peruniauifger Balſom, vorhunden aut Opiym nd 
Myrrhen, in den hoͤchſten Bruſtuͤbeln einen augen⸗ 
blicuchen Stillſtand verurſache und dem gefaͤhrlichen 
Verlauf · ſich entgegenfege.. Er rigth wir zu dieſem 
Mittsl, und in. dem Augenblick war Huflen, Mus- 
wur und alles vexſchwunden. Wohlgemuth, bessh.; 

ich int: ie WMoafe ſor Schedinss Begleltung weckt 


90 


Weimar, als gleich zu Anfange des Fahre der Ka- 
tarrh mit verfiärktee Gewalt zurädlehrte und Ich 
in einen Zuftand gerieth, der mir die Befinnung 
raubte. Die Meinigen waren außer Faffung, bie 
Aerzte tafteten nur, ber Herzog, mein gnaͤdigſter 
Herr, die Gefahr überfchauend,, griff fogleich per- 
föntih ein, und ließ durch einen Eilboten den Hof⸗ 
rath Starke von Jena herüberfommen. Es vergin- 
gen einige Zuge, ohne daß ich zu einem völligen Be⸗ 
wußtfeyn zuruͤckkehrte, und als Ih nun dur die 
Kraft der Ratur und Ärztliche Huͤlfe mic ſelbſt wie- 
der gewahr wurde, fand ich die Umgebung des rech- 
ten ‚Auges geſchwollen, das Sehen gehindert und 
mich uͤbrigens in erbärmlihem Zuftande. Der Fürft 
Ueß /in ſeiner forgfältigen Leitung nicht nach, der 
hocherfahrne Leibarzt, im Praktiſchen von ſicherm 
Griff, bot alles auf, und fo ſtellte Schlaf und Tran⸗ 
fpiration mich nach und nach wieder ber. 
Innerlich hatte Ich mich Indeffen ſchon wieder fo 
geftaltet, daß am 19 Januar bie Langeweile des Zu⸗ 
ftandes mit eine mäßige Thaͤtigkeit abforderte‘, und 
ſo wendete ich mich zur -Ueberfehung bes Theophre- 
ſtiſchen Buͤchletns von den Farben, bie ich ſchon 
längft Im Sinne’ gehabt. Die nähften Freunde, 
Schiller, Herder, Bolgt, Einfiedek’und Loder wa- 
ren-thätig, mich über fernere böfe Etunden hin- 
auszuheben.- Am 22 war fchon bei mir ein Eon- 
cert veranftaltet, - und Durchlaucht dem Herzog - 
konnt' Ih am 34, als am Tage, wo er nad Ber: 


j 9 : 


Unreifte, für die bis zulegt unmterbrochene Gerg- 
fait mit erbeitertem Selfte danken: dem an dieſem 
Tage hatte fih dad Auge wieder gedffnet, und man 
durfte hoffen, frei nnd vohftändig abermals in die 
Belt zu ſchauen. Auch konnte ich zunaͤchſt mit ge- 
neſendem Blick die Gegenwart der durchlauchtigſten 
Herzogin Amalia und Ihrer freundlich geiftreihen 
Umgebung bei mir. verehren. 

Am 29 durchging ih die. Rolle der Amenaide 
at Demoiſelle Caspers, einer ſich heranbllden⸗ 
den Schauſpielerin. Freund Schiller leitete die 
Proben, und fo gab er mir denn auch den 30 Abende 
nach der Aufführung Nachricht von dem Gelingen. 
So ging Ich ferner; diefeibe Rolle mit Demotfelle 
Jagemann durch, deren Natukell und Verbienft. 
als Schaufpielerin und Sängerin damals ein Ber: 
ebrer nad — ——— haͤtte ſchildern 
ſollen. 

Brauchbar und — in menden. Mollen 
war Ehlers als Schanfpieler und Saͤnger, beſon⸗ 
ders in dieſer letzten Eigenſchaft geſelliger Unterhal⸗ 
tung hoͤchſt willkeonunen, Inden en Balladen und an⸗ 
dere Lieder der Art: zur Guitarre mit genaueſter 
Praͤciſſon ver Tertworte, ganz anverglaichlich vor⸗ 
trug. Er war unermüdet.. im GStudiren des eigent⸗ 
lichſten Ausdrucks, der darin beſteht, daß der Saͤn⸗ 
ger nach Einer Melodie die verſchiedenſte Bedeu⸗ 
tung der einzelnen Strophen hervorzuheben und fo 
die Pflicht des Lyrblers und Epikers zugleich: zu er⸗ 


92 


fügen:weiß. Hirvon durchdeungen Heb rrifih'd gern: 
gofallen, wenn ich ihm zumuthete, mehrere Abends 
ſtunden, ja bis tief ia bie Nacht hinein, daſſetbe 
Lied mit allen Schattirungen aufs pünctäkbfte yw-- 
wiederholen: denn bei der gelungenen Paris über> 
zeugte er ſich, wie verwerflech alles ſogenanute Duch⸗ 
camponiren der Lieder ſey, woburch der allgemrin 
lyriſche Charakter ganz aufgehoben und. eine tale: 
Thyeilnahme am Einzelnen gefordert uud ertegt wird. 

Schon am 7 Februar regte: ſich In mir otr pros 
ductive Ungeduld, ich vahm den Fauft wieder: vor 
und führte ftellenwelfe: busientge aus, was in: Sekte 
nung und Umriß ſchon laͤugſt vor mir lag. 

Als ich zu Ende vorigen Jahrs u Jeue den Dan 
erad vᷣearbeitete, ließen meine dortigen geiſtretchen 
Freunde den Morwutf laut: werben, dußuch anich 
mit Franzoͤſiſchen Staͤcen; welche bet der jentgen 
Geſinnung von Deutſchland nicht wohl Gunſt erlan-- 
gen koͤnten, ſo emſig befdniftige und nichtẽ Eigenes 
vernaͤhme, worom ich doch ſo manche: hatte merkrur 
laſſen: Ith vief air: her: die natarllche Tochter 
vor doer Seelr, deren ganz ansgefthetes Shen 
Ian feitieinigen Farben: unser meinen Paplerrn lag. : 

AGeltentuch· dacht/· ich an: ums. Weitere; allein 
durch einen anfıGcführnngi geſtuͤtzten Aberzlauben⸗ 
daß ch rotn ‚Unttenehmen' nicht ausſprechen durfe 
wert es gelingen: ſolle, verſchwien ich ſeibſti Schil⸗ 
leen die ſeer Achefte unb urfchben ihrn: Daher nid mus 
thetine hmenh glauubens ante ccboe. Baba Docemn⸗ 


93 N 


ber find: tcibenuents , daß ber.eufte Bet der matuͤtti⸗ 
chen Tochter seibenbet worden. 

Doc Fechtte.· sd; nicht an Ableit rgen, veſondets 
naturwiſſenſchafttichen,, fo wie ind Vhlloſophlſche 
und Biterariſche. Ritter befuchte mid öfters, und 
sb. ich. gleich sin ſeine Behandilungsweiſe mich nicht 
ganz. ftuben fannte , ſo nahm ich voch gern von: ihm 
auf, was er von Erfahrungen überlieferte: umd- was 
er nach ſeinen Beſttebungen ſich ind Ganze auszu⸗ 
bilden getrieben war. Zu Schelllug und Schlegel 
vlleb . ein. thaͤtiges mittheilendes Verhaͤldaiß. Tiere 
Hbelt: ſich laͤnger In Weimar auf, ſeine Gegenwart 
war timmer anmuthig foͤrdeuyrnd. Mit Paulus blieb 
ebenfalls ein. iamer gleiches Verbuͤndnißz wie Bonn 
alle ·hiefe Vochtitulſſe darch die Nähe von Wehnar 
md FJenaſich immerfort lobendig erhlelten und durch 
meinen Aufenthalt am — — mehr 
beſtaͤrigt wurden. 

Bor Mat urtiſtorlſchem beruhrte — 
ein krummer Elephantenzahhn ward nach einem grb- 
-Gen Regengußo in den Gelmeroͤder Schracht entdert. 
Erddag höher als alls die vicherigen Weite dieſer fru⸗ 
Yan SGeſchorſee, welde: in:den DTaffſtetubruchen, 
eingahuͤllerin Bie ſes Weftein, wenig Fuß uͤber der 
Jim gefnnden werden; dieſer aber ward unmittel⸗ 
dar auf dem Kalfftoͤtz⸗ unter der. aufgeſchwemmuen 
Erde im Geroͤlle entdeckt, über der Ilm etwa zwen- 
hundert. Er ward zu einer Zeit gefunden, wo id, 
dergietgen Gegenſtaͤnden eutfrrundet, daran wenig 





» "94 


Antheil nahm. . Die Kinder biekten-bie Materie für 

- Meerfhaum und ſchickten folde Stüde nad Ciſenach, 
“ur Heine Trämmer waren mir zugekommen, die ich 
anf fib beruhen ließ. Bergrath Werner jedoch, bei 
einem abermaligen belehrenden Beſuche, wußte fo- 

‚gleich die Sache zu enticheiden, und wir erfreuten 
uns der von einem: Meier des Fachs ausgeſproche⸗ 
nen Beruhigung. 

Auch die Verhaͤltniſſe, in bie ich durch den Befitz 
des Freiguts zu Roßla gekommen war, forderten 
aufmerkſame Theilnahme fuͤr einige Zeit, wobei ich 
jedoch die Tage, die mir geraubt zu werden ſchie⸗ 
nen, vielſeitig zu benutzen wußte. Der erſte Pach⸗ 
tes war auszuklagen, ein neuer einzuſetzen, und 

: man mußte die Erfahrungen für etwas reinen, bie 
man im Verfolg fo fremdartiger Dinge. nach. und 
nach gewonnen hatte, 

Zu Ende März war ein ländlicher Aufenthalt 
ſchon erauidiih genug. Oekonomen und Juriſten 
überließ. man das Gefchäft und ergößte ſich einſtwei⸗ 
len in freier. 2uft, und weil die Cencluſion ergo bi- 
bamus zu allen⸗ Praͤmiſſen paßt, fo ward auch. bei 
‚diefer Gelegenheit manches herkoͤmmliche und will: 

kuͤrliche Feſt gefeuert; es fehlte nicht an Beſuchen, 

und die Koften einer wohlbefeäten Tafel vermehr- 
ten das Deficit, das der alte, Pachter zuruͤckgelaſ⸗ 
ſen hatte. 

Der neue war ein leidenſchaftiicher Freund von 
Banmzudt; feiner Neigung gab ein angenehmer 


095 [ 5 


Thalgrund von dem frachtbarften Boden Gelegen- 
heit. zu folhen Anlagen, Die eine buſchige Seite 
des Abhange, durch eine lebendige Auelle geſchmuͤckt, 
tief dagegen meine alte Parkſpielerey au gefchlän- 
gelten Wegen: und gefelligen Räumen hervor; genug 
ed fehlte nichts ald das Nüslihe, und fo wäre die⸗ 
fee kleine Beſitz hoͤchſt wünfchenswerth geblichen. 
Auch die Nahbarfhaft eines bedeutenden Städt 
chens, Heinerer Ortſchaften, durch verftändige 
Beamte und tuͤchtige Pächter geſelllgz, gaben dem 
Aufenthalt befondern Reiz; die ſchon entfchlebene 
Straßenführung nah Eckardsberge, welche unmit- 
teldar hinter dem Hausgarten abgeſteckt wurde, 
veranlaßte bereits Gedanken und Plane, wie man 
ein Luſthaͤuschen anlegen und von dort an den bele- 
benden Mepfuhren fih ergösen wollte; fo daß man 
fih auf dem Grand und Boden, der einträglich Hätte 
werben follen, nur neue Gelegenheiten zu vermehr- 
. ten Ausgaben und verberblichen zerfirenungen mit 
Behagen vorbereitete. 

Eine fromme, für's Leben bedeutende Feyerlich⸗ 
keit fiel jedoch im Innern’ des Haufes In diefen Ta- 
gen vor. Die Sonfirmation meines Sohnes, welche 
Herder nad feiner edlen Welfe verrichtete, ließ une 
nicht ohne rührende Erinnerung vergangner Ver⸗ 
bältniffe, nicht ohne Hoffnung Fünftiger IIEUAPUSIEE 
Bezüge. 

Unter dieſen und andern Creignifen wer der 
Tag bingegangen; erste fowohl als Fremde ver: 








‚9% 


tangten, ich falle mich in ein Bad begeben, und fch 
Tieß. mich, nach: dem damaligen Staͤrkungsfpftem, 
um f6 mehr fuͤr Pyrmont beftimmen, aid ich mich 
nach einem "Aufenthalt in Göttingen fihon laͤngſt 
gefehnt hatte. 


Den. 5 Juny reiftte ih ab vor Weimar, uud 
gleich die exften Meilen waren mir hoͤchſt erfriſchend; 
- Ich konnte wieder einen theiinehmenden Blick auf 
die Welt werfen, ‚und obgleich von feinem aͤſtheti⸗ 
ſchen Gefühl begleitet, wirkte er doch hoͤchſt wohl⸗ 
thätig auf mein Inneres. Ich mochte ger bie Folge 
der Gegend, bie Abwechielung ber Landesart be- 
merken, nicht weniger ben Charakter der Städte, 
Ihre ältere Herkunft, Erneuerung, Polieey, Arten 
und Unarten. Auch die menfchliche Geſtalt zog mid 
an: und ihre · hoͤchſt merlbaren Verſchiedenheiten; ich 
fälle, daß ich der Welt wieder angehörte. 


In Göttingen bei der Krone eingekehrt bemerkt 
* als eben die Daͤmmerung einbrach, einige Be- 
wegung auf der Straße; Studirende kamen und 
gingen, ‚verioren ſich in Seitengaͤßchen und traten 
1# bewegten- Muffe wieder vor. Endlich erſcholl 
anf einmal: ein Freudiges Lebehoch! aber auch Tın 
Augenblick war alles verfchwunden. Ich vernahm, 
daß dergleichen Beifallsbe zeugungen verpönt ſeyen, 
und es freute mich um ſo mehr, daß man es gewagt 
hatte mich aur im Vorbeigehen aus dem Stegreife 

zu begtaͤßen. an datauf erhielt ich ein Billet, 

unter- 





| 
| 


97 


unterzeihnet Schuh mamer aus Holſtein, 

mir auf eine anftändig vertrauliche Art den Aa 
wmeibet, den er und eine Geſellſchaft innger Freunde 
gebegt, mich zu Michasli in Melmar zu befuchen, 
und wie fie nunmehr hofften bier am Ort ihren 
Wunſch befriedrigt zu Tegen. Ich Iprach fie mit Au⸗ 
theil unb Vergnuͤgen. Cin fo —— 
wäre dem Seſunden fhon wehlthaͤtig geweſen, dem 
Geneſenden ward er es doppelt. 

Hofrath Blumenbach empfing mich nach ge⸗ 
wohnter Welle. Immer von dem NMeuſten und 
Mertwärbigftien umgeben iſt fein Willlommen jeber- 
zeit beichrend. Ich fah bei ihm ben erſten Aeroli⸗ 
then, an welches Naturerzeuguiß ber Glaube une 
erſt vor kurzem in die Hand gegeben ward. Ein 
junger Räftner und von Arnim,  früber bes 
kannt und verwandten Sinued, fuchten mich. auf 
und begleiteten mich zur Reitbahn, wu ich ben be: 
rähmten Stallmelfler Ayrerx in feinem Wirkunges 
freife begrüßte. Eine wohlbeßellte Reitbahn hat im- 
mer etwas Impoſantes; bas Pferd ſteht als Thier 
ſehr hoch, doch feine bedeutende weitreichende In⸗ 
telligenz wirb auf eine wımderfame Weiſe durch ge= 
bundene Ertremitäten befchräntt. Gin Geſchoͤpf, 
das bei fo bedeutenden, ja großen Eigenſchaften fi 
ung im Treten, Lanfen, Nennen zu.äußern vermag, 
iſt ein feltfamer Gegenſtand für die Betrachtung, ia 
man überzeugt fich beinahe, daß es nur zum Organ 
des Menichen geihaffen fey, um gefellt zu höherem 

Oretze'} Werte. KIXL Bd. 7 





v8 


Sinne und HZwerke das SKräftkgfte wie das Anmu⸗ 
thigſre bis zum Hamüglichen auszurichten. en 

MWarum dann anch eine. Reithahne ſa wohlthaͤtig 
auf.den Verſtaͤndigen witkt, iſt daß amar hier, viel⸗ 
teicht eimig in der Weit, die zweckmabige Beſchvan⸗ 
tung ber That, die Werksanung aller Willkir, ia 
des Zufalls mit Augen ſchaut und mit dem Geiſte 
begreift. Menſchen und schier verſchmelzen hier 
dergeſtalt in Eins, daß man nicht tzzu ſagen mußte, 
wer denn ekgentlich ben andern ersieht. Derzleichen 
Betrachtungen warden bis aufs hoͤchſte geſteigert, 
als man die zwey Paare ſegenanuter weißgeborner 
Herde zu ſehen⸗bekam, welche Fuͤrſt Sangusko in 
Hunnover für eine bedeutende Summe: getauft hatte, 
.Von da zu der allerruhigften und unſichtbarſten 
Thaͤtigkeit übergugehen, war in oberflaͤchlicher Be⸗ 
ſchauung der Bibliothek gegoͤnnt; man fuͤhlt ſich wie 
in der Gegenwart eineg großen Gapitals, das e⸗ 
rarſctos unberechenbare Ainſen ſyendet. 

Hofrath He ve zeigte mir’ Koͤpfe Howeriſcher 
Helden von Diſch be in in groͤem Maßſtabe aus⸗ 
geführt; ich Tamnte. die Hand des alten. Freundes 
wieder, und freute mich feiner fortgefenten Bemuͤ⸗ 
hungen, durch Stublum der Antike fi der Einſicht 
zu nähern, wie ber bitbende Kuͤnſtler mit dem Dich⸗ 
ter zu wettelfern: habe. Wie viek weiter war man 
nicht ſchon gekemnen nid wor zwanzig: Jahren, Da 
Der trefftiche, das Hechte vorahnende KLeffing vor 
den Irrwegen bes Grafen Cayfus warnen, und ges 


9 


gen Klotz und Miedel feine. Ueberzengung vertheidi⸗ 
gen mußte, daß man nämlich nicht nach dem Homer, 
fouderu wie Homer mythologiſch⸗ epifhe Gegenſtaͤn⸗ 
de bisbEhnftleriich zu behambein habe, 

Reue und ernemerte Bekanntſchaften fanden fi 
wehlmwollend ein. Unter Leitung Blumenbachs be- 
fah ich abermals die Muſeen, und fand im Stein- 
zeihe mir noch unbelannte aufrreurspäifhe Mu⸗ 


ſterſtuͤuke. 

Und wie denn jeder Ort ben fremden Ankoͤmm⸗ 
ing zerftreuend bin- und herzieht and unfere Faͤ⸗ 
higkeit, das Intereffe mit den Gegenfländen fchnell 
zu wechfeln, von Augenblick zu Augenbiid in Au- 
ſoruch nimmt, fo wußte ich die Bemuͤhung des Pro- 
feſors Oſiander zu fhäben, der mir ‚bie wich⸗ 
tige Anftalt des neu⸗ und ſonderbar erbauten Necou- 
chirhauſes, To wie bie Behandlung bes Geſchaͤftes 
erllaͤrend zeigte. 

Den Lodungen, mit denen Blumenbach die Ju⸗ 
-gend anzuziehen und fie unterhaltend. zu beichren 
weiß, entging auch nicht mein zehnjaͤhriger Sohn. 
Als ber. Knabe vernahm, daß von den vielgeftaltigen 
Berfteinerungen ber Heinberg wie zufammengefebt 
fey, drängte er mich zum. Beſuch diefer Hoͤhe, wo 
«bean bie sewäßnlichen Debude häufig aufgepackt, die 
feltnern aber einer fpdtern .emfigen Forſchung vor⸗ 
behalten wurben. 

Und fo entfernte ich mich den 12 Juny von die⸗ 
ſem einzig bedeutenden Orte, in der angenehm be: 


100 


rubigenden Hoffnung mich zur Nachcur Länger ba- 
felbft aufzuhalten. 

Der Weg nah Pyrmont hot mir neue Betrach⸗ 
tungen dar: das Leinethal mit feinem milden Cha⸗ 
rakter erfchlen freundlich und wöhnlih; die Stabt 
Einbeck, deren hoch aufftrebende Daͤcher mit Sand⸗ 
fteinplatten gededt find, machte einen wunderfamen 
Eindrud. Sie ſelbſt und die nächte Umgegend mit 
dem Sinne Zadigs durchwandelnd, glaubt’ ih zu _ 
bemerten, daß fie vor zwanzig, dreyßig Jahren einen 
trefflihen Burgemeifter muͤſſe gehabt haben. Ich 
fhloß dieß aus bedeutenden Baumpflanzungen von 
ungefähr diefem Alter. 

In Pyrmont bezog ich eine fhöne, ruhig gegen 
das Ende des Orts Iiegende Wohnung bei dem 
Brunnencafjierer, und es konnte mir nichts gluͤck⸗ 
licher begegnen ald daß Griesbachs ebendafelbft ein- 
gemiethet hatten, und bald nach mir anfamen. . 
Stille Nachbarn, geprüfte Freunde, fo unterrichtete 
als wohlwollende Perfonen trugen zur ergößlichen 
Unterhaltung das vorzäglichfte bei. Prediger 
Schuͤtz aus Büdeburg, ienen ald Bruder und 
Schwager, und mir ald Gleichniß feiner. längft be- 
kannten Geſchwiſter höchft willlommen, mochte ſich 
gern von allem was man werth und wuͤrdig halten 
mag, gleichfalls unterhalten. 

Hofrath Richter von Goͤttingen, in Beglei⸗ 
tung des augenkranken Fuͤrſten Sangusko, zeigte ſich 
immer in den liebenswuͤrdigſten Eigenheiten, heiter 


101 


auf trockne Welfe, nediih und nedend, bald tronifch 
und paradox, bald gründlich und offen. 

Mit Tolhen Perfonen fand ich mich gleih an⸗— 
fange zufammen; ich wüßte nicht, daß Ich eine Babes 
zeit in befferer Geſellſchaft gelebt hätte, beſonders 
da eine mehridhrige Bekanntſchaft ein wechfelfeitig 
buldendes Vertrauen eingeleitet hatte. 

Auch lernte ich kennen Frau von Weinheim, 
ehemalige Generalin von Bauer, Mabame Scholin 
and Naleff, Verwandte von Madame Sander In 
Berlin. Anmuthige und liebenswürdige Freundin- 
nen machten biefen Cirkel hoͤchſt wuͤnſchenswerth. 

Leider war ein ftürmifh -regnerifches Wetter et: 
ner Öftern Sufammenkunft. im Frelen hinderlich; 
ih widmete mich zu Haufe der Ueberfeßung des 
Theophraft und einer weitern Ausbildung der fich 
immermehr bereihernden Farbenlehre. 

Die merkwürdige Dunfthöhle In der Nähe des 
Ortes, wo das Stidgas, welches mit Waller ver- 
bunden fo Fräftig heilſam auf den menfchlichen Kör- 
per wirkt, für ſich unfihtbar eine tödtliche Atmo- 
fphäre bildet, veranlaßte manche Verſuche, die zur 
Unterhaltung dienten. Nach ernftliher Prüfung des 
Locals und des Niveau's jener Luftihicht konnte Ich 
die auffallenden und erfreulihen Erperimente mit 
fiherer Kuͤhnheit anftellen. Die auf dem unfichrbe- 
baren Elemente Iuftig tanzenden Seifenblafen, das 
ploͤtzliche Verlöfchen eines fladernden Strohwiſches, 
das augen blickliche Wicherentzünden, und was der⸗ 


102 


gleichen fonft noch war, bereitete (tammendes: Er⸗ 
gögen folchen Perfonen, die das: Phänomen noch 
gar.nicht kannten, und Bewunderung, wenn fie es 
noch. nicht im Großen und Freien ausgeführt gefeben 
hatten, And. als: ih num ger diefed: geheinmißvolle 
Agens, in Pyrmouter Flafchen gefhit, mit nad 
Haufe trug und In jedem anſcheinend leeren Trinfz 
glas das Wunder bed ausloͤſchenden Wachsſtocks 
wlederholte, war die Geſellſchaft völlig zufrieden 
und der unglaubtge Brunnenmeifter fo zur Ueber⸗ 
zeugung gelangt, daß er fi. bereit zeigte, mir ei⸗ 
nige dergleichen waſſerleere Flaſchen den übrigen ge⸗ 
fuͤllten mit beizupacken, deren Inhalt fi auch In 
Weimar noch vollig wirkſam offenbarte: 

Der Fußpfad nach Luͤde, zwiſchen abgeſchraͤnkten 
Weideplaͤtzen her, ward oͤfters zuruͤckgelegt. In 
dem Oertchen, das einigemal abgebrannt war, er: 
regte eine defperate Hausinſchrift unſere Aufmerk⸗ 
ſamkeit; ſie lautet: 


Gott ſegne das Haus! 
Zweymal rannt' ich heraus, 
Denn-zweymal iſt's abgebrannt, 
Komm' ich zum. drittenmal gerannt, 
Da ſegne Gott meinen Lauf, 
Ich baus wahrlich nicht wieder auf. 


Das Francisdaner⸗Kloſter ward beſucht und et⸗ 


nige dargebotene Milch genoſſen. Eine uralte Kitche 
außerhalb des Ortes gab den erſten unfchwidigen 


403 


Begriff eines ſolchen früheren: Gotteshauſes mit 
Schiff und Kreuzgaͤngen unter Einem Dad bei wöls 
Kg giattem unverziertem-Borbergiebet. Man ſchrieb 
fie. den Selten: Carls des Sroßen zu; auf alle Faͤlle 
itfie fuͤr uralt zu achten, es ſey nun der Seht mach, 
oder daß fie die uranfänglichen - Beduͤrfniffe jener 
Gegend: ausipriät. 


Mich. and beſonders meinen Sohn überrafchte 
höchft angenehm das Anerbleten des Rectors Wer- 
ner uns auf deu. ſogenannten Kryſtallberg hinter 
Luͤde zu führen, wo man ‚bei. hellem Sonnenſchein 
die Aeckor von taufend und. aber tauſend kleinen 
Bergkroſtallen widerkhimmern ſieht. Sie haben Ih; 
ven. Urſprung in⸗kleinenn Hoͤhlen eines Mergekiteing, 
und ſind auf alle Weiſe merkwuͤrdig als ein neueres 
Erzeugniß, wo ein Minimum der im. Kalkgeſteia 
enthaltenan Kieſelerde, wahrſcheinlich dunſtartig 
befreit, rein und waſſerheil in Kryſtalle zuſam⸗ 
ment ritt. — 


Ferner beſuchten wie: bie hinter dem Koͤnigsberge 
von Quaͤkern angelegte wie auch betriebene Meſſer⸗ 
fabrik, und fanden und veranlaßt, ihrem ganz: nah 
bei Pyrmont gehaltenen Gottesdienſt mehrmals bei⸗ 
zuwohnen, deſſen, nach langer Erwartung, fuͤr im⸗ 
proviſirt gelten ſollende Rhetorik kaum jemand das 
erſtemal, geſchweige denn bei-wiebethöltem Beſuch, 
für inſpirirt anerkennen möchte. Es iſt eine traue 
rige Sache, daß ein reiner Eultus jeder Art, ſobald 





104 


er au Orte befchräntt und durch bie Zeit bedingt Ift, 
eine gewiffe Heucheley niemals ganz ablehnen kann. 

Die Königin von Frankteih, Gemahlin Ludwig 
bes XVIIL, unter dem Namen einer Graͤfin Lille, 
erſchien auch am Brunnen, in weniger aber abge= 
fchioffener Umgebung. 

Bedeutende Männer habe ich ‚noch zu nennen: 
Sonfiftorielrath Horftig und Hofrath Marguart, 
ben letztern als einen Freund und Nachfolger Zim⸗ 
mermanns. 

Das fortdauernde uͤble Wetter drängte die Ge⸗ 
fellfchaft Öfters Ins Theater. Mehr dem Perſonal 
. als den Stüden wendete ich meine Aufmerkſamkeit 
zu. Inter meinen Papieren find? ich noch ein Ver- 
zeichniß der fämtlihen Namen und der geleifteten 
Rollen, der zur Beurtheilung gelaffene Platz hinge⸗ 
gen ward nicht ausgefüllt. Iffland und Kotzebue 
thaten auch hier das Befte, und Eulalia, wen 
man fhon wenig von ber Rolle verftand, bewirkte 
doch, dur einen fentimental:tönend weichlichen 
Vortrag, den größten Effect; meine Nachbarinnen 
zerfloffen in Thränen. 

Was aber in Pyrmont apprehenfiv wie eine böfe 
Schlange fi durch die Gefellfchaft windet und be= 
wegt, iſt die Leidenfchaft bes Spiels und das daran 
bei einem jeden, felbft wider Willen, erregte Ju⸗ 
gereffe. Man mag um Wind und Wetter zu ent= 
gehen In die Säle felbft treten, oder in beſſern 
Stunden die Allee auf und abwandeln, überall ziſcht 


105 


das Ungehener durch bie Reihen; bald hört man, 
wie aͤngſtlich eine Gattin ben Gemahl nicht weiter 
zu ſpielen aufieht, bald begegnet uns ein junger 
Mann , der In Verzweiflung über feinen Verluſt 
die Geliebte vernachläffigt, die Braut vergißt; dann 
erfhallt auf einmal ein Ruf gränzenlofer Bewundes 
rung: bie Bank fey gefprengt! Es geſchah dießmal 
wirkiich In Roth und Schwarz. Der vorfihtige 
Gewinner ſetzte fih alsbald in eine Poſtchaiſe, ſei⸗ 
nen unerwartet erworbenen Schatz bei nahen Freun⸗ 
den und Verwandten in Sicherheft zu bringen. Er 
kam zuruͤck, wie es ſchien mit mäßiger Börfe, den" 
er lebte ſtille fort, als wäre nichts gefchehen. 

Nun aber kann man in biefer Gegend nicht ver- 
weilen, obne auf jene Urgefchichten hingewleſen zu 
werden, von denen ung Roͤmiſche Schriftiteller fo 
ehrenvolle Nachrichten uͤberllefern. Hier iſt nody 
die Umwallung eines Berges fichtbar, dort eine 
Reihe von Hügeln: und Thaͤlern, wo gewiſſe Hee⸗ 
reszuͤge und Schlachten fih hatten ereiguen koͤnnen, 
Da tft ein Gebirgs-, ein Ortsname, der dorthin 
Binte zu geben fcheint; herkömmliche Gebraͤuche 
fogar deuten auf bie früheften roh fenernden Zeiten, 
und man mag fich wehren und wenden wie man will, 
man mag noch fo viel Abneigung beweifen, vor ſol⸗ 
hen aus dem Ungewiſſen ins Ungewiſſere verleiten 
ben Bemühungen, man findet fich wie in einem ma⸗ 
gifchen Kreife befangen, man identifichtt das Ver⸗ 
sangene mit der Gegenwart, man befchränft bie 


106 


allgemeinſte Raͤumlichkeit auf die jedesmal nächte 
und fühlt ſich zuletzt in dem behagilchſten Zuſtande, 
weil man fuͤr Einen Augenblick waͤhnt, man habe 
ſich das Unfaßlichſte zur mntenere —— 
gebracht. 


Durch unterhaltungen ſolcherArt, gefelit zum 
Leſen von. fo. manderlei Heften, Büchern. und Buͤ⸗ 
chelchen, alle mehr oder weniger auf. bie Geſchichte 
von Pyrmont und die Nachbarſchaft bezuͤglich, warb 

Zzuletzt der: Gedanke einer gewiſſen Darſtellung in 
ir rege, wozu ich * meiner ia ſraleich ·ein 
Schema verfertigte. 


Das Jahr 1582, wo auf einmat ein wendete: 
mer Big aus allen Weltgegenden nach Yyrmont-bin- 
ftrömte, und die zwar bekannte aber noch nicht hoch⸗ 
Verähmte Quelle mit unzähligen Gaͤſten heimſuchte, 
welche bei voͤllig mangelnden Einrichtungen ſich auf 
die kuͤnrmerlichſte und wunberlihfte Art behelfen 
mußten, ward als prägnanter Moment ergriffen 
mib- anf einen ſolchen Zeitpunct, einen ſolchen mmvor- 
Bereiteten- Zuſtand vorwärts und: ridwäitd- em 
Maͤhrchen erbaut, das zur Abſicht Hatte, wie die 
Amusemens des eaux de Spa, fowohl in ber 
Kerne als der Gegenwart eine unterhaltende Beleh⸗ 
rung: gu: gewähren. Wie aber ein: fo Iöbliches Un⸗ 
ternehmen unterbrochen und zuletzt ganz aufgegeben 
worden, wird aus dem Nachfolgenben benttich wer⸗ 
den. Jedoch Tau ein allgemeiner Entwurf unter 


107 


andern: kleinen Auffägen dem Lefer zunaͤchſt mitger 
theilt werden. 

Ya :Hatte die letzten Tage bei: fehr unbeftäubigem 
Weiter. nicht. auf das angenehmſte zugebracdkt und 
fing an zu fürchten, men Aufenthalt iu Pyrmont 
wärbe mir nicht zum Heil gedeihen. Nach einer fo 
huchentzimdlichen Krankheit mich: abermals im Bruns 
hen Sinne einem: fo entfähleden anregenden Babe 
zuzuſchicken, war vieleicht nicht ein Zeugulß richtig 
beurtheilender Aerzte. Ich war auf einen: Grab 
reisbar: gewerden, daß: mich" Wachts: die heftigſte 
Blursbewegung nicht ſchlafen Ifed, bei Zuge das 
Gleichguͤltigſte In einen excentriſchen Zuſtund vere 
Der Herzog mein gnaͤdigſter Hert kam ben 9 July 
in Pyrmont am, ich erfuhr, was ſich zumaͤchſt in 
Belmar zugettagen und: was daſelbſt begonnen wor⸗ 
den; aber: eben: jener aufgeregte Zuſtand ließ mich 
einer fo erwänfchten Naͤhe nicht genießen. Dis forte _ 
dauernde Regenwetter verhinberte: jede Geſeligkon 
im Freien; ich entfernte mich am 17 Juld, wernig 
erbaut von: den Refultaten moines Aufenthalts. 

Durch Bewegung und Serftreuung auf der näife, 
auch wohl wegen unterlaſſonen Gebtauchs des aufte⸗ 
genden Mineralwaſſers, gelängt” ich in gluͤcklkcher 
Stimmung wach Gbottingen. Ich bezog olne ange⸗ 
nehme Wohnung bei dem Iuftrumenteumacer Koͤr⸗ 
= en der Allee im:enften Stoder Mein eigentiis 

chee Zwed bei: elnem langern Aufenthalt daſeibſt 





108 
war, bie Luͤcken des biftorifchen Theils der Farben⸗ 


lehre, deren fih noch manche fühlbar machten, ab: 


ſchließlich auszufüllen. Ich hatte ein Verzeichniß 


aller Bäder und Schriften mitgebracht, deren ich 


bisher nicht habhaft werden können; ich übergab fol- 
ches dem Heren Profeffor Reuß und erfuhr von 
ihm fo wie von allen übrigen Augeſtellten bie ent- 
ſchiedenſte Beihäife. Nicht allein ward mir was 
ich aufgezeichnet hatte vorgelegt, ſondern aud gar 
mandes, bad mir unbekannt geblieben war, nach= 
gewiefen. Einen großen Theil des Tags vergönnte 
man mie anf. ber Bibllothek zuzubringen, viele 
Werte wurben mir nach Haufe gegeben, und fe 
verbracht? ich meine Zeit mit dem größten Nutzen. 
Die Gelehrtengefchichte von Göttingen, nach Püt- 
ter, fiubirte ich nun am Orte felbft mit größter Auf- 
merkſamkeit und eigentlichfter Theilnahme, ja ich 
ging die Lections-Katalogen vom Urſprung der Aka⸗ 
‚ demie forgfältig durch, worand man. denn die Ge⸗ 
ſchichte der Wiſſenſchaften newerer Zeit gar wohl 
abnehmen konnte. Sodann beachtete Ich vorzüglich 
die ſaͤmmtlichen phyſikaliſchen Compendien, nad 
welchen geleſen worden, in den nach und nach auf⸗ 
einander folgenden Ausgaben, und In ſolchen beſon⸗ 
ders das Capitel von Licht und Farben. 

Die uͤbrigen Stunden verbracht' ich ſodann in 
großer. Erheiterung. Ich muͤßte dad ganze damals 
lehende Göttingen nennen, wenn ich alles, was mir 
an freumblichen Geſellſchaften, Mittags: und Abend- 


109 - i 


tafein, Spazlergängen und Landfahrten gu Theil 
ward, einzeln aufführen wollte. Ich gedenke nur 
einer angenehmen nah Wehnde mit Profefior Bo u⸗ 
terwecd zu Oberamtmann Weſtfeld, und einer 
andern ven Hofrath Meiners veranftalteten, wo 
ein ganz heiterer Tag zuerit auf der Papiermühle, 
dann in Pöppelshaufen, ferner auf der Pleſſe, wo 
eine ftattlihe Reftauration bereitet war, in Geſell⸗ 
fhaft des Profeſſor Fiorillo zugebracht, und am 
Abend auf Mariaſpring tranlich beſchloſſen wurde. 

Die unermuͤdliche durchgreifende Belehrung Hof⸗ 
rath Blumenbachs, die mir ſo viel neue Kenntniß 
und Aufſchluß verlieh, erregte die Leidenſchaft mei⸗ 
ned Sohnes für die Foſſilien des Heinberges. Gar 
manche Spazierwege wurden dorthin vorgenommen, 
die häufig vorkommenden Eremplare gierig zuſam⸗ 
mengeſucht, den feltnern emfig nachgeſpuͤrt. Hier⸗ 
bei ergab fich der merkwuͤrdige Unterfchleb zweyer 
Sharattere umd Tendenzen: indeß mein Sohn mit 
der Leidenſchaft eined Sammlers bie Vorkommniſſe 
aller Art zufammentrug, hielt Eduard, ein Sohn 
Blumenbachs, als geborner Milttär, ſich bloß an 
die DBelemniten und verwendete folhe, um einen - 
Sandhaufen als Zeitung betrachtet mit Paliſſaden 
zu umgeben. 

Sehr oft beſucht' ich Profefor Hofmann, 
und ward den Kroptogamen, bie für mich immer 
eine umzugängliche Provinz gewefen, näher bekannt. 
Ich ſah bei Ihm mit Bewimderung bie Ergengufffe 


Pr 





410 


Iebofialer ‚Beruentndater, bie das ſonſt nur durch 
Mikroſlope Sichtbare dem gewoͤhnlichen Tagesblick 
entgegen führten. Ein gewaltfamer Regeuguß über- 
ſchmemmte dem untere Garten, und rinige Straßen 
van Goͤttiagen ſtanden uater Waffer. Hieraus er⸗ 
wuchs uns eine ſonderbare Verlegenheit. Zu einem 
herrlichen, bei Hofrath Martens angeſtellten Gaſt⸗ 
mahl ſollten wir uns in Portechaiſen hinbringen laſ⸗ 
den. Ich kam gluͤcklich durch, allein ber Freund, 
mit meinem Sohne zugleich eingeſchachtelt, warb 
den Traͤgern zu febwer, fie fehten: wie bei troknem 
Pflaſter den Kaſten nieder, und die geputzten In⸗ 
ſitzenden waren nicht wenig verwundert, den Strom 
guihnen hereindringen zu fühlen. 
Auch Profeſſor Sepfers zeigte mir die In⸗ 
Krumente der Sterumarte mit Gefaͤlligkeit umſtaͤnd⸗ 
Sch vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man 
auf frequentirten Univerfitäten immer als Säfte zu 
‚finden pfleat, lernt ich daſelbſt: kennen, Rd mit 
Tebem Tag vermehrte ſich der Reichthum meines 
Gewinne uͤber alles Erwarten. ind ſo hab’ Ich deun 
auch der freundlichen Theilnahme des Profeffor Sar⸗ 
torius zu gedenken, ber: in allem und jebens Beduͤr⸗ 
fen, dergleichen man an fremden Orten mehr oder 
weniger ausgeſetzt ift, mit Rath und That fortwaͤh⸗ 
rond zur Hand Sing, um durch umsenterbrochene Ge⸗ 
ſelligkeit die ſaͤmmtlichen Ereiguiffe meines dortigen 
Aufenthaltes zu ainem nuͤtlichen und erfreulichen 
. :Qanzon- zu · verflechten. 





4 


Auch Hatte derſelbe in Gefeliichaft: mit. Profefer 
Hag or déie Seneigtheit: einen. Vortrag won mir zu 
verlangen, und was Ih denn eigentlich bei meiner 
Farbenlehre beabſichtige, näher zu veruahmen. Gi- 
wen. folchen WUntzgge durft' ich wohl, halb Scherz 
halb Ernft, zu signer Faſſung und Uebung nachge⸗ 
ben; doch lonnte bei meiner noch nicht: vollſtaͤndigen 
Beherrſchung des Gegenſtaudes dieſer Verſuch we⸗ 
der mir noch ihnen zur Befriodigung aus ſchlagen. 

Se verbracht Ih Denn die ßeit fo-angenehm als 
nuͤtzlich, und mußte noch zulatzt gemahr werden, 
wie gefaͤhrlich es fen äh einer ſo großen Maſſe vom 
Gelehrſamkeit zu naͤhorn: denn indem ich, um ein⸗ 
zelner in mein Geſchaͤft einſchlagender Diſſertationen 
willen, ganze Bünde dengleichen alademiſcher Schrif⸗ 
ten vor mich legte, ſo Fand ich nebenher allſeitig ſo 
viel Anlockendes, daß ich bei meiner ohnehin leicht 
su erregenden Beſtimmbarkeit und Vorkenntniß in 
vielen Faͤchern, hier uud da hingezogen warb und 
meine Collectaneen cine "bunte Goftaltaugunehmen 
drohten. Ich faßte mich jedoch bald wieder ing 
Enge und wußte zur rechten Zeit einen Abſchluß 
zu finden. 

Indeß Ih unn eine: Neihe von’ Tagen nuͤtzlich 
md angenehm, wie es wohl, felten.Befchleht, ze 
beachte, fo: erlitt ich dagegen zur Nechtzeit gar 
manche: Unhilden, ‚Die im. Augenblick hoͤchſt verbriek- 
lich nad Inder Folge laͤcherlich erſcheinen. 

‚Meine und talentoolle wreundin Den, 


112 


Jagemann hatte kurz vor meiner Ankunft das publi- 

cam anf einen hoben Grad entzädt; Chemänner- 
‚ gedachten ihrer Vorzuͤge mit mehr Enthuflasmus 
als den Frauen lieb war, und gleicherweife ſah man 
eine -erregbare Jugend bingeriffen; aber mir hatte 
die Superiorität Ihrer Natue- und Kunftgaben ein 
großes Unheil bereitet. Die Tochter meines Wir: 
thes Dem. Krämer hatte von Natur eine recht fchöne 
Stimme, dur Uebung eine gluͤckliche Ausbildung 
berfelben erlangt, ihr aber fehlte die Anfage Zum 
Triller, deſſen Anmuth fie nun von einer fremden 
Birtuofin In hoͤchſter Volllommenheit gewahrt wor: 
den; nun fchten fie alles Wehrige zu vernachläffigen 
und nahm fih vor, diefe Zierde des Gefanged zu 
erringen. Wie fie es damit bie Tage über gehal⸗ 
ten, weiß ich nicht zu fagen, aber Nachts; eben 
wenn man fich zu Bette legen weilte, erfiles ihr 
Eifer den Gipfel: bis Mitternacht wiederhoite fie 
gewiſſe cadenzartige Gänge, deren Schluß mit einem 
rider getrönt werden follte, meiſtens aber haͤßlich 
entftellt, wenigftend Dune Bedeutung, abgefhlofs 
fen wurde. 
Andern Anlaß zur Verzweiflung gaben ganz ent- 
gegengefeste Töne; eine Hundefchaar verfammelte 
ſich um das Eckhaus, deren Gebell anhaltend uner⸗ 
träglich war. Sie zu verfhenchen, griff man nad 
dem erften beiten Werfbaren, und da flog denn mans 
ches Ammonshorn des Helnberges, von meinem 
Sohne muͤhſam herbeigetragen, gegen die unwill⸗ 
lkom⸗ 


ü v 


415 


Tommenen. Wubeförer, und gewoͤhnlich umfonfk. 
Denn. wenn wir alle verſcheucht glaubten, beit’ es 
immerfort bie wir endlich emtbedten, daß über um- 
fern Haͤuptern fh ein. großer Hund des Haufes am 
Fenſter aufrecht gefteßt feine Cameraden durch Er- 
wieberung hervorrief. 

Aber bieb- war. noch nicht: genng; aus tiefem 


Schlaſe wedte mich der ungeheure Tom eines Hor- 


ned, ald wenn: 08 mir zwiſchen die Bettvorhaͤnge 
Yineisbiiefe. Ein Nachtwaͤchter unter meinem. Feu⸗ 
ter verrichtete fein Amt auf feinem Poſten, und 
ich war doppelt und drepyfach ungluͤcklich, als feine 
Pflichtgensſſen an allen Eden der auf die Allee füb- 
zendew Straßen antworteten, um durch erfchredende 
Toͤne uns zu beweiſen, daß fie fuͤr die Sicherheit 
unſerer Ruhe beſorgt ſeyen. Nun ermachte die 
krankhafte Reizbarleit, und es biteb mir nichts uͤbrig, 
als mit der Policey In Unterhandlung zu treten, 
welche bie befombere Gefaͤlligkelt hatte, erſt eins, 
dann mehrere dieſer Hörer um des wunderlichen 
Fremden willen zum Schweigen zu bringen, der Im 
Begriff mar die Melle des Oheims in Humphry 
Ktinter zu fpielen, deſſen ungeduldige Reizbarkeit 
durch ein paar Walbhoͤrner zum -thätigen REN 
geiteigest wurbe.. = 
Belehtt, froh und dankbar teif’te ich den 14 Au⸗ 
guft von Göttingen ab, beſuchte die Baſaltbruͤche 
son Dransfeld, beren problemmtifche Erſcheinung 
fhon damals die Naturforfcher RENT: Ich 
Soethed Werke. XXXI. Bd. 


113 


beftieg den hoben Hahn, anf weichem das ſchoͤnſte 
Wetter die weite Umficht begünftigte, und den Be⸗ 
griff der Landſchaft vom Harz her deutlicher fallen 
ließ. Ich begab mich nach Hanudvrifh-Minden, deſ⸗ 
fen merkwuͤrdige Lage auf einer Erdzunge, dur die 
Bereinigung der Werre und Fulde geblidet, einem 
fehr erfreutichen Anblick darbot. Mon da begab Ich 
mich nah. Saffet, wo ich die Meinigen mit Prof. 
Meyer antraf; wir befshen unter Anleitung bes 
wodern Nahls, deſſen Gegenwart und an dem 
fruͤhern Roͤmiſchen Aufenthalt gedenken ließ, Wil⸗ 
heimshöhe an dem Tage, wo die Springwafler das 
mannichfaltige Park: und Garten Local verherrlich⸗ 
ten, Wir beachteten forgfältig die koͤſtlihen Ge- 
maͤhlde ber Bildergalerie und des Schloffes, durch⸗ 
mandelten dad Mufenm und befuchten das Thea- 
ter. Erfremich war und dad Begegnen eines: alten 
theifuehmenden Freundes, Major von Truchſeß, 
der in frübern Jahren durch rebliche Tuͤchtigkeit ſich 
in die Reihe ber Göße von Berlichingen zu fielen 
verdient hatte. 

Den 21 Auguft gingen wir über Hoheneichen 
nad Kreuzburz; am folgenden Tage, nahdem wir 
die Salinen befehen, selangten wir. nach Eiſenach, 
begrüßten bie Wartburg und den Maͤdelſtein, wo 
fih manche Erinnerung von zwanzig Fahren her be= 
lebte. Die Anlagen des Handelsmanns Roͤ ſe wa⸗ 
ren zu einem neuen unerwarteten Gegenftand in⸗ 
beflen herangewachfen. 





115 


Darauf gelangte Ich nach Gotha, wo Prinz Au- 
guft mich nach altem freundfchaftlihem Verhaͤltniß 
in feinem angenehmen Sommerbaufe wirthlich auf: 
nahm und die ganze Zeit meines Aufenthalts eine 
im Engen gefchlofiene Tafel hielt; wobei der Her: 
zog umd die theuren von Frankenbergiſchen Gatten 
niemals fehlten. 

Herr von Grimm, der vor den großen revolu- 
tionaͤren Unbilden flüchtend, kurz vor Ludwig dem 
Sechzehnten, glädliher als diefer von Paris ent⸗ 
wichen war, hatte bei dem altbefreundeten Hofe 
eine fihre Sreiftatt gefunden. Als geäbter Welt: 
mann und angenehmer Mitgaft konnte er doch eine 
innere Bitterfeit über den großen erduldeten Der: 
luſt nicht immer verbergen. Ein Beifpiel wie da- 
mals aller Beſitz in nichts zerfloß, ſey folgende 
Geſchichte: Grimm hatte bei feiner Flut dem Ge: 
(häftsträger einige hunderttaufend Franten In Afe 


ſſignaten zurädgelaffen; biefe wurden durch Man⸗ 


date noch auf geringeren Werth reducirt, und als 
nun jeder Einfihtige, bie DBernichtuug auch biefer 
Papiere voraus fürdtend, fie in irgend eine unzer⸗ 
ſtoͤrliche Waare umzuſetzen trachtete, — wie man 
denn 3. DB. Neid, Wachslichter und was dergleichen 
nur noch zam Verlaufe angeboten wurde, begierlich 
auffpeicherte — fo zauderte Grimme Geſchaͤftstraͤ⸗ 
ger wegen großer Verantwortlichkeit, bis er zulegt 
in Verzweiflung noch etwas zu retten glaubte, wenn 
er die ganze Summe. für eine Garnitur Brüffeler 


w 





416 
Manchetten und Buſenkrauſe hingab. Grimm zoigte 
fie gern: der Geſellſchuft, indem er launig den Vor⸗ 
zug pries, daß wohl niemand fo Foftbare Staatszier⸗ 
den aufzumwelfen-habe, 

Die Erinnerung fräherer-Zeiten,, wo man in ben 
achtziger Jahren in Gotha: gleichfalls: zuſammen ge- 
werfen, ſich mit poetifchen Vorträgen, mit Afthe- 
tiſch literariſchen Mittheiluagen unterhalten, flach 
freilich fehr ab gegen den Augenblick, wo eine Hoff⸗ 
nung nach der andern verfhwand, und man: fich, 
wie bei einer Suͤndfluth kaum anf den hoͤchſten SE 
pfeln, fo hier kaum in der Naͤhe erhabener Gönner 
und Freunde gefiihert glaubte. Indeſſen "fehlte ed 
nicht an unterhaltender Heiterkeit. Meinen eintre⸗ 
tenden: Geburtstag wollte man mit gnädiger Auf⸗ 
merkfamkeit bet- einem folchen geſchloſſenen Mahle 
feyern; ſchon an den gewöhntichen. Singen fah man 
einigen Unterfchled; beim Nachtiſch aber trat nun 
bie ſaͤmmtliche Linede des Prinzen in ſtattlich geklei⸗ 
detem Zug herein, voran der Haushofmeiſter; bie- 
fer trugeine große, von bunten Wachsſtoͤcken flam- 
mende Torte, deren ins Halbhundert ſich belaufende 
Anzahl einander zu ſchmelzen und zu verzehren droh⸗ 
te, anſtatt daß bei Kinderſeverlichkeiten der Art 

mb Raum gemg für ——— Lebenskerzen 
uͤhrig bleibt. 
Auch mag dieß ein Veiſpiel ſeyn, mit welcher 
anftändigen Nalvetaͤt man ſchon ſeit fo viel Jahren 
einer wechfelfeitigen Neigung fich zu erfremen gemußt, 


417 


wo Scherz und-Oinfmerkfamteit, outer Humor und 
Gefaͤdligkeit, ‚aeifiweich und wohlwollend das Leben 
durchaus gierlich durch zufuͤhzren ſich gemeinſam beei« 
ſerten. | 


n. 

In der beiten Stimmung kehrte Ich am 30 Au⸗ 
su nach Weimar zuruͤck, und vergaß über den neu⸗ 
adringenden Beichäftigungen, daß mir noch legeud 
eine Schwachheit als Folge des erduldeten Uebels 
und einer gewagten Cur moͤchte zuruͤckgeblieben 
ſeyn. Denn mich empfingen ſchon zu ber ms 
wehrigen dritten Ausſtellung eingeſondete Coneur⸗ 
renzſtuͤcke. Sie warb abermals mit Sorgfalt ein⸗ 
geächtet, von Freunden, Nachbarn und Fremden 
beſfucht, und. gab zu mannichfaltigen Huterhaltungen, 
gu näherer Kenntniß mitlebender Kuͤnſtler und der 
daraus heuzmieitenden Beſchaͤftigimg derſelben An⸗ 
laß. Nach geendigter Ausſtelung erhielt der in der 
Roͤmiſch antiken Schule zu ſchoͤner Form uund rein⸗ 
lichſter Ausfuͤhrung gebildete Nahl bie Hälfte des 
Hreiſes, wegen Achill auf Skyros, Hofmann aus 
Köln hingegen, der farben- und Iebensinftigen Nie⸗ 
verläubifhen Schule entſproſſen, wesen Achills 
Sempf' mit den Fluͤſſen, bie andere Hälfte; außer⸗ 
dem wurden beide Zeichnungen honorirt md zur 
-Berzsierung ber Schloßzimmer aufbewahrt. 

Und bier ift wohl der rechte Ort eines Haupt⸗ 
gedankens zu erwähnen, den ber umfichtige Fuͤpſt 
ben Weimariſchen Kanſtfreunden zur Ueberlegung 
und Ausfiheung gab. | 


4118 


Die Zimmer des neuelnzurichtenden Schloſſes 
foßten nicht allein mit anftändiger fuͤrſtlicher Pracht 
ausgeftattet werben, fie ſollten auch den Talenten 
gleichzeitiger Künftler zum Denkmal gewidmet ſeyn. 
Am reinften und vollftändigften ward dieſer Gebante 
in dem von burchlauchtigfter Herzogin bewohnten 
Edzimmer ausgeführt, wo mehrere Concurrenz⸗ 
und fonftige Stüde gleichzeitiger Deutſcher Künftler, 
melit in Sepla, unter Glas und Rahmen auf ein- 
fahen Grund angebracht wurden. Und fo wechfel- 
ten auch in den übrigen Zimmern Bilder von Hof- 
mann aus Köln und Nahl aus Kaflel, von Helarich 
Meyer aus Stäfe und Hummel aus Neapel, Sta⸗ 
tuen und Basreliefe von Tiek, eingelegte Arbeit 
und Flacherhobenes von Satel, In geſchmackvoller 
harmoniſcher Folge. Daß jedoch diefer erfte Vor⸗ 
faß nicht durchgreifender ausgeführt werben, davdn 
mag ber gewöhnliche Weltgang die Schuld tragen, 
wo eine Löbliche Abfiht oft mehr durch den Zwie⸗ 
fpalt der Theilnehmenden, als durch aͤußere Hin⸗ 
derniſſe gefaͤhrdet wird. 

Meiner Buͤſte, durch Tief mit großer Sorgfalt 


gefertigt, darf ich einfchaltend an diefer Stelle wohl | 


gedenken. 

Was den Gang des Schloßbanes In der Haupt: 
fache betrifft, fo Eonnte man demfelben mit beito 
mehr Beruhigung folgen, als ein paar Männer wie 
Genz und Raabe, darin völlig aufgeklärt zu wir: 
ten angefangen, Ihr zuverlaͤſſiges Werbienft über: 


1419 


hob aller Zweifel in einigen Faͤllen, die man fonft 
mit einer gewiſſen Bangigkeit ſollte betrachtet ha⸗ 
ben: denn im Grunde war es ein wunderbarer Zu⸗ 
ſtand. Die Mauern eines alten Gebaͤndes ſtanden 
gegeben, einige neuere, ohne genugſame Umſicht 
darin vorgenommene Anordnungen ſchienen über: 
dachteren Planen hinderlich, und das Alte fo aut 
ale das Treue hößeren nad freieren Unternehmungen 
im Wege; weßhalb demm wirklich das Schloßgebäude 
manchmal ansfahb wie ein Gebirg, aus dem man, 
wach Inbdiſcher Weife, die Architektur heraushauen 
wollte. Und fo leiteten dießmal das Geſchaͤft gerade 
ein paar Männer, die freilich als geiftreiche Künft- 
er mit friſchem Sinn herankamen, und von denen 
man nicht abermals abzuändernde Abänderungen 
Sondern eine fchtteßliche Feſtſtellung des BIEBENDEN 
zu erwarten hatte. . 


Sch wende nunmehr meine Betrachtungen zum 
Theater zuräd, Am 24 October, ald am Jahrs⸗ 
tag des erften Maskenſpleles Paläophron und Neo⸗ 
terpe, wurben bie Brüder nach Terenz von ein 
fiedel bearbeitet aufgeführt, und fo eine neue 
Folge theatraliſcher Eigenheiten eingeleitet, die 
eine Zeit lang gelten, Mannlchfaltigkeit in die Vor⸗ 
ſtellungen bringen und zu Ausbildung gewiſſer Fer⸗ 
tigkeiten Anlaß geben ſollten. 


Schiller bearbeitete Leſſings Nathan, ich blieb 
dabei nicht unthaͤtig. Den 28 November ward er 





138 


zum erſtenmal aufgefüher, ‚nicht ohne bemerklichen 
Einfluß auf die Deutſche Buͤhne. | 

Schiller Hatte die Jungfrau son Orleans in die⸗ 
tem Jahr besennen und geendigt; wegen Der Auf⸗ 
führung ergaben fich manche. Zweifel, die uns der 
Stende beraubten ein fo wichtiges Werk zuerſt auf 
Das Theuter zu bringen. Es war ber Thaͤtigkeit 
Ifflands vorbehalten, ‚bei’den reichen Mitteln, Sie 
ihm zu Gebote ſtanden, durch eine glänzende Dat: 
ſtellung dieſes Meiſterſtuͤcks fih für alle Zeiten in 
den Theater⸗Annalen einen bleibenden Ruhm gm 
erwerben. 

Nicht geriugen Einfluß auf muſre Diegrährigen Let: 
Kungen erwies Mad. Unzelmanau, welche zu Ende 
Septembers In Hauptrollen bei uns auftreten ſollte. 


Gar manches Unbequeme ja Schaͤbliche hat die Gr⸗ 


ſchelnung von Gaͤſten auf dem Theuter; wir lehu 
ten fie ſonſt moͤglich ab, wenn fie und nicht Gele— 
genheit gaben, ſie ald neue Anregung und Steige- 
tung -unferer bleibenden” Geſellſchaft zu Benupen, 
dieß konnte nur durch vorzuͤglkiche Kuͤnſtler geſche— 
hen: Mad. Unzelmann gad acht wichtige Vorſtellun⸗ 
gen hinterelnander, bei welchen das ganze Perſonal 
in bedeutenden Rollen auftrat und ſchon an und file 
fih, zugteth aber im Verhaͤltniß zu dem neuen 


Bafte, das Möglichfte zu Ielften Hatte. "Dieß war 


von unfhäßbarer Anregung. Nichts Ift trauriger 
als der Schlendrian, mitt dem ſich der Einzeine ia 
eine Gefammtbeit hingehen laͤßt; aber auf dem 


424 


Theater iſt es das Allerſchliumſte, weil hier augen⸗ 
blickliche Wirkung verlangt wird, und nicht etwe 
ein durch die Zeit ſelbſt ſich einleltender Erfolg abzu⸗ 
warten if. Ein Schauſpieler, der ſich vernachläfligt, 
ift mir die miderwärtigfte Creatur von ber Welt, 
meift ift er incorrigibel, deßhalb find neues Publi⸗ 
emm md neue Rivale unentbehrlihe Nelzmittel: 
jenes laͤßt ihm feine Fehler nicht hingehen, dieſer 
fordert ihn zu ſchuldiger Anfttengung auf. Und To 
möge denn nun auch das auf dem Deutfchen Theater 
nnaufhaltfame Baftrollenfplelen fi zum allgemel⸗ 
nen Beten wirkſam erweifen. 

Stoldbergs Öffentlicher Uebertritt zum katho⸗ 
liſchen Eultus zerriß die fchönften früher geknuͤpften 
Bande. Ich verlormbabet ulihts, denn mein wäheres 
Werbättmiß zu 18hm hatte fich ſchon UAngſt Im allge⸗ 
meines Wohlwellen :aufgelöft. Ich fuaͤhlte fol 
für ihn als einen wauern., Hehensunkehigen, ‚Ihe: 
Yenben Mann wahrhafte Neigung; aber balbi hatte 
ich zu ‚bewerten, daß er ſich ale auf ich ſelbſt 
Magen werde, und: ſodann erſchien er:mir 6 einur 
der -außer dem Bereich meines Beſtrebens Heil und 
Beruhigung fuche. 

Auch uͤberrabchte wich vleſes Ereigniß keines⸗ 
wegs, ich hielt ihn baͤngſt Für katholiſch, wab er 
er es ja ber Geſianung, dem Gauge, der Umge⸗ 
bung nach, Bud To konnt' aͤch mit Muhe dem: Am⸗ 
mutte zuſehen, der aus einer fpaͤren Munkfeftation 
geheimer Mißverhaͤltniffe zuletzt entſpringen mußte. 





122 


1802. 


Auf einen hohen Grad von Bildung waren fchon 
Bühne und Zufchauer gelangt. Weber alles Erwar- 
ten glüdten die Worftellungen von Jon (Ian. 4) 
Zurandot (Jan. 30), Iphigenia (May 15), 
Alarcos (May 29), fie wurden mit größter 
Sorgfalt trefflich gegeben; letzterer konnte ſich je- 
doch feine Gunft erwerben. Durch dieſe Vorftel- 
[ungen bewiefen wir daß es Ernſt fey, alles was 
der Aufmerkſamkeit würdig wäre einem freien rei- 
nen Urtheil aufzuftelen; wir hatten aber dießmal 
mit verdrängendem ae Partepgeift zu 
kaͤmpfen. 


Der groſe Zwieſpalt der ſich in der Deutſchen 
Literatur hervorthat, wirkte, beſonders wegen der 
Naͤhe von Jena, auf unſern Theaterkreis. Ich 
hielt mich wit Schillern auf der einen Seite, wir 
befannten uns zu der. neuern firebeuden Phllofephie 
und einer daraus herzuleitenden Aeſthetik, ohne 
viel auf Perſoͤnlichkeiten zu achten, die nebenher im 
Befondern ein muthwilliges und freches Spiel 
trieben. 

Nun Hatten die Gebrüder Schlegel die Gegen: 
partey am tiefften beleidigt, deßhalb trat ſchon 
am Vorftelungsabend Jons, deffen Verfaſſer kein 
Geheimntiß geblieben war, ein Oppoſitions⸗Verſuch 
anbefheiden hervor; in den Swifchenacten fläfterte 
man von allerlei Tadelnswuͤrdigem, wozu denn bie 


423 


freilich etwas bedenkliche Stellung ber Mutter er- 
wuͤnſchten Anlaß gab. Ein fowohl den Auter als 
bie Intendanz angreifender Aufſatz war in bag 


Mode-VJournal projectiet, aber eraft und kraͤftig 


zurüdgemwiefen; denn ed war noch nicht Grundſatz 
daß in demfelbigen Staat, In berfelbigen Stadt es 
irgend einem Glied erlaubt ſey, das zu zerftören 
was andere kurz vorher aufgebaut hatten. 

ir wollten ein für allemal den Klatſch bes 
Tages auf unferer Bühne nicht dulden, indeß ber 
andern Partey gerabe daran gelegen war fle zum 
Tummelplas ihres Mißwollens zu entwürbigen. 
Deßhalb gab ed einen großen Kampf, als ich aus 
sen Kleinftädtern alles ausftrich was gegen bie Per- 
fonen gerichtet war, die mit mir in der Haupt: 
fache übereinftinimten, wenn ich auch nieht jedes Ver⸗ 
fahren billigen, noch ihre ſaͤmmtlichen Productionen 
lobenswerth finden konnte. Dan regte fich von der 
Gegenſeite gewaltig, und behauptete, daß wenn ber 
Autor gegenwärtig fey, man mit ihm Rath zu pfle- 
gen habe. Es fey mit Schilleen gefchehen und ein 
anderer koͤnne das Gleiche fordern. Diele wunder⸗ 
liche Schlußfolge konnte bei mir aber nicht gelten; 
Schiller brachte nur edel Aufregendes, zum Höheren 
Strebenbes auf bie Bühne, jene aber Niederziehen⸗ 
des, das problematiſch Gute Entftellendes und Mer- 
nichtenbes herbei; und das iſt dad Kunftftüd folcher 
Geſellen, daß fie. jedes wahre reine Verhaͤltniß miß- 


achtend ihre Schlechtigkeiten in die laͤſſige Nachſicht 





324 


einer geſelligen Convenlenz einzuſchmaͤrgen mailen, 
Genug, die bezeichneten Stellen blieben verbannt, 
und ich gab mir die Muͤhe alle entſtandenen Luͤcken 
durch allgemeinen Scherz wieber ausgufällen, wo⸗ 
duch mir eben and, gelang bad. Lacken der Menge 
zu erregen. 

. Diefed:alled aber waren nur Kleinigkeiten gegen 
den entfchiebenen Rüß, ber wegen eines am fünften 
. März zu feyernden Feſtes in der Weimariſchen 
‚Spetetät ſich ereignete. Die Sachen Kanden fo, daß 
es fräher oder ſpaͤter dazu kommen mußte, mare 
gerade gebachter Tag erwählt war, ift mie wicht er- 
innerlich, genug an beusfelben follte zu Ehren Schil⸗ 
lers eine ‚große Erbibition won mancherlei anf ihn 
amd feine Werke bezuͤglichen Darſtellungen in dem 
greßen, von der Gemeine ganz neu decorirten Stabt- 
haudfaale Platz Kunden. Die Shhcht war offenbar 
Auffehen zu erregen, bie Geſellſchaft zu unterhal⸗ 
ten, den Theilnehmenden zu ſchmeicheln, ſich dem 
Theater ontgegen zu ſtellen, ber oͤffentlichen Buͤhne 
eine geſchloſſene entgegen zu ſetzen, Schillers Wohl⸗ 
wollen zu erſchleichen, mich durch ihn zu gewinnen, 
oder, wenn das nicht. gefingen: ſollte/ ihn von mir 
abzuziehen. 

Schillern war nicht wohl gu Muthe / beb ver Sacht; 
die Rolle die man. ihn: ſpielen lleß, war immer ver⸗ 
faͤnglich, unertraͤglich fuͤr einen Mann von ſeiner 
Met, wie fie joben Wohlbentenden, To als eime 
Bietfchetbe fungenhäfter Werehruugen in Menfeui sur 


235 


seoßer Geſellſchaft dazuſtehn. - Er- hatte Eu ſich 
krank zu melden, doch war. er, gefelliger als ich, 
burch Frauen⸗ und Famillienverhaͤltniſſe mehr in die 
Sooietaͤt verflochten, faſt gewöthigt dieſon Kitten 
Kelch aussufhlärfen. Wir: Tehten voraus daß es 
vor-fich gehen wärde, und ſchorzten mauchen Abent 
daruͤber; er haͤtte krank werben moͤgen, wenn er an 
ſolche Zudringlichkeiten gedachte. 

Soviel man vornehmen. konnte follten manche 
Geſtalten der Schillerfgen Stüde vortreten; von 
einer Jungfrau von. Drieand- war man’d gewiß, 
- Selm und: Fahne, duch: Bllbſchuitzer und Vergul- 
der behaglich über die Straßen in ein gewilled Haus 
getragen, hatte großes Aufſehen euregt und das 
Geheimniß voreilig ausgeſprengt. Die ſchoͤnſte Rokle 
aber hatte ſich der Chorfuͤhrer ſelbſt vorbehalten; 
eine gemauerte Form ſollte vorgebildet werden, der 
edle Meifter im Schursfell daneben ſtehen, nach ge⸗ 
fprodmem geheimmißvollent Grußo, nach geftoſſener 
gluͤhender Maſſe ſollte endlich ans der zerſchlagenen 
Form Schillers Buͤſte hervortreten. Wiribeluſtige 
ten uns an dieſem nach und nach ſich verbreiteden 
Seheimniß, und en ‚den —— gelaſſen vor⸗ 
wuͤrts gehen: - 

Nur hielt man und fir: altzugutmuthis, als man 

une felbik zur Mitwirkung aufforderte. Schillers 
— Original⸗Buͤſte, auf der Weimariſchen 
Bibliothet befindlich, eine fruͤhete hotzliiche Gabe 
Dannecers, wurde zu jenem 8wecke verlangt und 


1236 


aus dem ganz natärlichen Grunde abgefchlagen, weil 
man noch nie eine Gypsbuͤſte unbefchädigt von einem 
Feſle zuräderhalten habe. Noch einige andere, von 
andern Selten her zufällig eintretende Verweigerun⸗ 
gen erregten jene Verbündeten aufs hoͤchſte; ſie be- 
merften nicht daß mit einigen diplomatiſch⸗klugen 
Schritten alles zu befeitigen fey, und fo glich nichts 
dem Erftaunen, dem Befremden, dem Ingrimm, als 
die Zimmerleute, die mit Stollen, Latten und Bre⸗ 
tern angezogen kamen, um das bramatiiche Geräft 
aufzufchlagen, den Saal verfchloffen fanden, und 
die Erklärung vernehmen mußten: er fey erſt ganz 
nen eingerichtet und becorirt, man könne daher ihn 
zu ſolchem tumultuarifchen Beginnen nicht einraͤu⸗ 
men, da fih niemand des zu befuͤrchtenden Scha⸗ 
dens verbürgen koͤnne. 
Das erſte Finale des unterbrochenen Opferfeſtes 
macht nicht einen fo entſetzlichen Spectafel als dieſe 
Störung, ja Vernichtung des loͤblichſten Vorſatzes, 
zuerſt in der oberen Societät und ſodann ftufenweife 
durch alle Grabe der ſaͤmmtlichen Population an- 


richtete. Da nun der Zufall unterfchiebliche, jenem 


SBorhaben in den Weg tretende Hinderniſſe derge⸗ 
ftalt gefchidt combinirt hatte, daß man darin die 
Leitung eines einzigen feinblichen Principe zu erfen- 
nen glaubte; fo war ich es, auf den der heftigſte 
Grimm ſich richtete, ohne daß ich es jemand ver: 
argen mochte, Man hätte aber bedenken follen, daß 
ein Mann wie Koßabue, der: durch vielfahe An: 





127 


laͤfe nach manchen Seiten bin Mißwollen erregt, 
fih gelegentlich feindſelige Wirkungen fchneller da 
und dorther zuzieht, als einer verabrebeten Ver⸗ 
fhwörung zu veranlaflen jemals gelingen würde. 

War num eine bedeutende höhere Geſellſchaft 
auf der Seite bes Widerfahers, fo zeigte bie mitt: 
lere Staffe fich ihm abgenelgt, und brachte alles zur 
Sprache, was gegen deſſen erfte jugendliche Unfers 
tigfelten zu fagen war, und fo wogten die Geſin⸗ 
nungen gewaltfam wider einander. 

Unfere hoͤchſten Herrſchaften hatten von Ihrem 
erhabenen Standort, bei großartigem freiem Um⸗ 
blick, dieſen Privathändeln Feine Aufmerkfamteit 
zugewendet; der Zufall aber, der, wie Schiller 
ſagt, oft naiv ft, folte dem ganzen Creigniß die 
Krone auffenen, Indem gerade in bem Moment der 
verfchließende Burgemeiſter, als verbienter Ge⸗ 
ſchaͤftsmann, durch ein Decret die Auszeichnung ale 
Rath erbielt. Die Weimaraner, denen es an geiſt⸗ 
reichen, dad Theater mit dem Leben verfnüpfenden 
@infällen nie gefehlt bat, gaben ihm daher deu 
Namen des Fürften Piccolomini, ein Prädicat, das 
ihm auch ziemlich lange in heiterer Gefellfchaft ver: 
biieben iſt. 

Daß eine ſolche Erfhütterung auch In ber Folge 
auf unfern gefelligen Kreis fchädlich eingewirkt habe, 
laͤßt fih denken; was mich davon zundchft betroffen, 
möge bier gleichfalls Plas finden. 

Schon im Kauf des vergangenen Winters hielt 


108 


fly, ganz ohne fpeenlative Zweche, eine eble Ge⸗ 
fellfchaft zu und, an unferm: Umgang und ſonſtigen 
Letſtungen fich erfrenend. Bei Gelegenheit ber 
Piknits dieſer geſchloſſenen Bereinigung, die in mei- 
nem Haufe, unter meiner Beſorgung, von Seit zu 
Zeit gefeyert wurden, entfiunden mehrere nach⸗ 
bet ine Allgemeine verbreitete Geſaͤnge. So war 
das Bekannte: „Mich ergreift ich weiß. nicht 
wie,’ zw dem 22 Februar gedichtet, wo der durch⸗ 
lauchtigſte Erborinz, nad Paris reifend, zum letz⸗ 
tenmal bei uns einkehrte, worauf denn die dritte 
Strophe des Liedes zu deuten iſt. Eben ſo hatten 
wir ſchon das neue Jahr begruͤßt und Im Stiftungde 
Uede: „Was gehft du fchöne Nachbarin‘ kounten 
fi die Glieder der Geſellſchaft, als unter Leite 
Masten verhält, gar wohl erkennen. Ferner warb 
ich noch andere durch Iruiverät vorzüglich anfprechen« 
de Geſaͤnge biefer Vereinigung fchuldig, wo Nele 
gung ohne. Leidenfchaft, Wettelfer ohne Neid, Ge⸗ 
ſchmack ohne Anmaßung, Gefaͤlligkeit ohne Zkererey 
und, zu all dem, Natuͤrlichkeit ohne Rohekt, wech 
felſeitig In einander wirkten. 

Nun hatten wir freilich den Widerſacher, unge⸗ 
achtet mancher feiner anklopfenden kluͤglichen Ver⸗ 
ſuche, nicht hereingelaſſen, wie er denn niemals 
mein Haus betrat; weßhalb er genoͤthigt war fi 
eine eigene Umgebung zu bilder, und dieß warb 
ihm nicht fchwer. Durch gefaͤlliges, beſcheiden zu⸗ 
dringliches Weiwefen wußte er wohl einen Kreis 

um 





429 


4 
um ſich zu verſammeln; auch Perſonen des unſrigen 
traten hinuͤber. Wo die Geſelligkeit Unterhaltung 
findet, ft fie ju Haufe. Alle freuten fih an dem. 
Feſte des fünften März activen Theil zu nehmen, 
deßhalb Ih denn, als vermeintliher Zerftörer fol- 
ches Freuden- und Chrentages, eine Zeit lang ver⸗ 
wünfcht wurde. Unſere Feine Verſammlung trennte 
fi, und Sefänge jener Art gelangen mir nie wieder. 

Alles jedoch was ih mir mit Schillern und an= 
dern verbündeten thätigen Freunden vorgefeht, ging 
unaufdaltfam feines Gang; denn wir waren im Le⸗ 
den ſchon gewohnt den Verluſt hinter ung zu laffen, 
und den Gewinn im Auge zu behalten. Und bier. 
tonnte ed um befto eher gefchehen, ald wir von dem 
erhabenen Sefinnungen ber alleroderften Behoͤrden 
gewiß waren, welhe nach einer höhern Anfiht bie 
Hof= und Stabt-Abenteuer als gleichgültig vorüber: 
gehend, fogar manchmal als unterhaltend betrach⸗ 
teten. 

Ein Theater das fih mit frifhen jugendlichen 
Subjerten von Zeit zu Zeit erneuert, muß lebendige 
Fortſchritte machen; hierauf nun war beftändfg 
unfer Abfehn gerichtet. 5 

Am 17 Februar betrat Die. Maas zum erften- 
mal unfere Bühne, , Ihre niedliche Geſtalt, ihr an⸗ 
muthig natürliches Wefen, ein wohlllingendes Or⸗ 
gan, kurz das Genze ihrer glüdlichen Indlviduali⸗ 
taͤt gewann ſogleich das Publicum. Nach drey Pro⸗ 
berollen: als Mädchen yon Marlenburg, als Roſine 

Goethes Werke. Xxxxi. Br. 3 9 





130 
% 
ir Juriſt und Bauer, als Loltchen dir Deuefthäm: 
Hausvater, waͤrd Te engagirt, und man kouate ſoht 
Hard bet: Beſetzuieg wichriger ride. auf ſie rechaen 
Am 29 November machten wie abremals edüd Mi 
nungsvolle Acqufſitkon. Aus Achtuug fir Wide: 
Unzelmann, gus Neigung zu derſelben, wie einen. 
aͤterikebſten Kuͤuftlerin, nahm Ich Ihren züblffaͤni⸗ 
gen Sohn anf aut Gluͤck nach Welinar. Zufaͤltz 
pruͤft' dh ihn auf eine ganz eigene Weiſe. Er 


mochte ſich eingetichtet Haben mir manchetlei vorzu⸗ 


tragen; allein ich gab ihm ein zur Haud lkegendes 
ortentaltfches Maͤhrchenbuch, woͤrans er auf ber 
Stelle ein heiteres Geſchichtchen las, mit fo viek 
atürkkhem Humor, Charakteriſtik iin Ausdruck: 


veim Perforen⸗ und Situationswechfel, daßich wun 


weiter kelnen Zweifel am ihm hegte. Et trat in 
der Rolle ats Gorge in den beiden Bllleks Aut Vei⸗ 
fat auf, had zeigte ſich befonders fu natuͤrlich hu⸗ 
moriſtiſchen Rollen aufs wuͤnſchenswertheſte. 

Indeß nun auf unferer Bühne Se Kunſt in ju⸗ 
gendlich lebendiger Shaͤtigkeit foribluͤhre, ereignete 


ſich ein Todesfall, deſſen zu crwaraen ich für Pflicht 


halte. 
Corona Schroͤder ſtarb, and: da ich mic 
getade nicht Im der Verfliſſierig füptre te ein wohl⸗ 


verdientes Deukmal zu vidmen, To ſchien es mir 


angenehm wunderbar, daß th int vor Te wel Jah⸗ 
ren ein Andenken fllftete, das ſch jetzt charakteriſti⸗ 
ſcher nicht zu errichten gewußt hätte: Es. war eben⸗ 


⸗ 


134 


maͤhig bei einem Tobesielle, bei dem AMcheiden 
Mie dings des Thagterdecorateurs, daß In ern⸗ 
Rer-Holtegfelt den ſchoͤnen Freundin gedacht wurde. 
Gag: wohl erinnere ih mich des Trauergedichts, auf 
ſchwarz geränbertem Papier fär das Tieffurter Joux⸗ 
nel reinlichſt abgeſcheiaben. Doch für Coronen war 
es keine Varbedentung, ihre: ſchoͤne Geſtalt, ihr 
munterer Geiſt exhiolten ſich noch lange Sabre; fie 
haͤtte wohl noch langer in der Naͤhe einer Melt Kick 
ben ſollen, ans der fie ſich zurädgegogen hatte. 

Naqhtraͤglich au den Theaterangelegenbeiten iſt 
nach zu bemertenta daß wir in dieſem Jahrr und gut⸗ 
mise beiachen lichen, auf ein Intriguen⸗Etuͤc 
einen Preis zu ſetzen. Wir erhielten nach vnd nach 
eis Dutzero, „aber mahll von fo deſperater und. ver⸗ 
trecter Art, daß wir nit genugſam und mundene 
Manten,. was füs. ſeltſame falſche Beſtrehungen im 
lleben Meatarlande heimlich. obwalteten, die. denn 
Wi folchem Aufenf ſich an das Tageslicht draͤngten. 
Bir hielten unfer Urtheil zuruͤg, da eigentlich keins 
zu fällen mer, und Hefexten auf Verlangen ben Au⸗ 
toren Ihre Prednetionen wieder aus; 

Auch iſt zu bemuenten, daß in biefem Jahre Cal⸗ 
deron, ben wir dem Namen nad Zeit:unferes Le- . 
Bemetanntan, ſich zu nähern anfing und ung. gleich 
eb den erſten Muiteriäden In Erlaunen fehte. 





133 


Zwiſchen alle diefe vorerzählten Arbeiten und 
Sorgen fihlangen fh gar manche unangenehme Be⸗ 
muͤhungen, im Gefolg ber Pflichten, die ich gegen 
die Mufeen zu Jena feit mehreren Jahren übernom- 
men und durchgeführt hatte. 

Der Tod des Hofraths Büttner, der fih in 
der Mitte des Winters ereignete, legte mir ein 
muͤhevolles und dem Gelfte wenig fruchtendes Ge⸗ 
(häft auf. Die "Eigenheiten dieſes wunderlihen 
Mannes laffen fich in wenige Worte fallen: unbe⸗ 
gränzte Neigung zum wiſſenſchaftlichen Beſitz, be= 
fchräntte Genaufgfeitsiiebe und Williger Drangel an 
allgemein überfhauendem Ordnungsgeiſte. Seine 
anſehnliche Bibliothek zu vermehren wendete er bie 
Penſion an, die man ihm jährlich für die ſchuldige 
Summe der Stammbibliothek barreihte. Mehrere 
Zimmer im Seitengebaͤude des Schloffes waren Ihm 
zur Wohnung eingegeben, und diefe ſaͤmmtlich be⸗ 
fest umd belegt. In allen Auctionen beftelte er 
fh Bücher, undyals der alte Schloßvoigt, fein 
Sommiffionair, ihm einftmals “eröffnete: daß ein 
bedeutendes Buch ſchon zweymal vorhanden fey, 
hieß es dagegen: ein gutes Buch koͤnne man nicht 
oft genug haben. 

Nach feinem Tode fand fich ein großes Simmer, 
auf deſſen Boden bie fämmtlihen Auctionserwerb⸗ 
niſſe, yartienweis wie fie angelommen, neben ein- 
ander hingelegt waren. Die Wandſchraͤnke fanden 
gefünt, in dem Zimmer ſelbſt konnte man keinen 


— 


433 


Fuß vor den andern fehen. Auf alte gebrechliche 
Stühle waren Stöße roher Bücher, wie fie von der 
Meſſe kamen, gehäuft; die gebrechlihen Füße knick⸗ 
ten zufammen, und Das Neue ſchob ſich floͤtzweiſe 
uͤber das Alte hin. 

In einem andern Zimmer lehnten, an den Waͤn⸗ 
den umher gethuͤrmt, planirte, gefalzte Buͤcher, 
wozu der Probeband erſt noch hinzugelegt werden 
ſollte. Und fo ſchlen diefer wadre Mann, im hoͤch⸗ 
fien Alter die Thätigkeit feiner Jugend fortzufegen 
begierig, endlich nur in NWelleitäten verloren. Denke 
man fih andere Kammern mit brauhbarem und un⸗ 
brauchbarem phyſikallſch⸗chemiſchem Apparat. über- 
ftellt, und man wird die Verlegenheit mitfühlen, in 
der ih mich befand, als diefer Theil des Nachlaſ⸗ 
ſes, von dem ſeiner Erben geſondert, uͤbernommen 
und aus dem Quartiere, das ſchon laͤngſt zu andern 
Zwecken beſtimmt geweſen, tumultuariſch ausge⸗ 
raͤumt werden mußte. Daruͤber verlor ich meine 
Zeit, vieles kam zu Schaden, und mehrere Jahre 
reichten nicht hin die Verworrenheit zu loͤſen. 

Wie noͤthig in ſolchem Falle eine perſoͤnlich ent⸗ 
ſcheidende Gegenwart fey, überzeugt man ſich leicht. 
Denn ˖ da wo nicht die Rede iſt das Beſte zu leiften, 
fondern das Schlimmere zu vermeiden, entſtehen 
unauflögliche, Zweifel, welche nur durch Entſchluß 
und That zu beſeitigen ſind. 

Leider ward ich zu einem andern gleichfalls drin⸗ 
genden. Befchäft abgerufen, und hatte mich gluͤclich 





h 434 
zu ſchaͤhen, ſolche Mirxcbelter yi Hintetlaſſen, Me 
In beſprochenem Stune die Arbeit / einige Bett fort 
zufuͤhren ſo faͤhlg als geneigt. waren. 





Schon mehrmais wer Im Lauf unfter Theater⸗ 
gefſchichten von dein Vorthell die Rede geweſen, 
welche der Lauchftaͤdter Sommeranfenthalt Ber Dei⸗ 
martſchen Geſellſchaft bringe; hier iſt aber deſſen 
ganz vefonders zu erwaͤhnen. Die dortige Bähtte 
war von Bellen ſo oͤkonomiſch als mögloch einge⸗ 
rrchtet; ein paar auf eknem Freien Platz ſteheude 
hohe Bretergiebel, von weichen zu beibendus Pulrduch 
bis nahe zur Erde reichte, ſtellten dieſen NRuſentem⸗ 
pel dar; der Immere Naum war Ber Laͤnge nach ducth 
zwey Waͤnde getheilt, wovon der mittlere beit Thea⸗ 
ter und den Zuſchauern gewlbmet war, die betben 
wiedrigen ſchmalen Seiten aber den’ Garbereben. 
Nun aber, Hei neuerer Belebung ib‘ Etelgerung 
unferer Auſtalt, forderten ſowohl die Stuͤcke als 
bie Schauſpieler, beſonbers aber auch das Antike 
und Lekpziger tzelnetende MONDERCRUR CI wurdiges 
Lveal. 

Der: mehrere Jahre laͤng ert ſechte, Yan Teb- 
hafter betriebene Schloßbau zu Welmar vief'Iutent- 
vvlle Baumetfter heran, und wie es inemer / war md 

ſeyn wird: mo man bauten ſieht, regt ſich die Lüſt 
zum Bauen. Wie fih’s nun vor einigen Jahten aus: 
wies, da wir, bach: die Gegenwart bes Herrn 


” 485 


iemmet kesinkst, And: · Melmaruſc ſhaeter wär- 
‚ap elunihketen, fa: fand ſich auch diaß al, daß bie 
Hemen Benz. und Raghe aufgeſnrdert wunden, ei⸗ 
momAauſtadtar Hauoban dio eſtalt zu verleihen. 
MDie Zweifel geoen ein ſolches Untemnahmen wa⸗ 
zen mialfach zur Spaache gel oamen. In bedeuten⸗ 
der Entfernung, auf fremdem Gruud und Boden, 
Aal. ganz befonbeen Rügfichten der dort Angeſtellten, 
„Shenen Die Hinbsuaifle laum zu befeitisen. ‚Der 
ea de⸗ alten Thoaters mar zu einem groͤpezn e⸗ 
Vbande ‚nicht geelcnet, der ſchoͤne einzig: ſchickliche 
am ſcerittig awiſchen mertshladenen Gerichts barlaei· 
ten, und fo trug man Bedanken, das Heus dem 
engen Sinne nach a hna sahitichenSrants.amfzuer- 
hauen. Doc vonadent Draamgı dar ikanfinde , van 
„unsuhlaet Schätigleit , vonichaden ſchoftlicher Kauſt⸗ 
ablebe, men ununnfieghener Mandursiuität gateloben 
whaſeitigtencult enlich adles Emtarsenfichnehe; sin 
saßen wand ontrrorjen, ein Modell bereisentlichen 
Mahaengefartigt, and im Fabruar Hatte man ſich 
vehen oͤber das und gaſchehen ſoſlle, vereiuiat. Ab⸗ 
aamtsten wand vor oAen Dinsan die Soͤttenferm, 
‚Die das Gangze unter Hin Da bagreift. Eine maͤßige 
Monhalle fuͤr Galle und ſcreypen ſolte angelegt. wer⸗ 
‚an , dahnater derohoͤhare Nasen. fhr bie Huſchauer 
cemnarſoelgen, uudi ganz ⸗dahinter der hoͤchſte fuͤrs 
Mheatert 


Biel, je alles tanmt rauf: an, wo ein; Gr⸗ 
vaͤude ſtehe. Dieß ward an Qrt und Stelle mitgroͤß⸗ 


+ 


136 


ter: Soräfalt bedacht, und auch nach der Ausfüh- 
rung Tonnte man es nicht beffer verlangen. Der 
Bau ging nun kraͤftig vor fih; im März lag das ac-. 
cordirte Holz freilich noch bei Saalfeld eingefroren, 
demungeachtet aber fpielten wir den 26 Juny zum 
erftenmal. Das. ganze Unternehmen in feinem De- 
tell; das Günftige und Ungünftige in feiner Eigen⸗ 
thämlichkeit, wie es unfere Thatluft trey Monate 
lang unterhielt, Mähe, Sorge, Verdruß brachte 
und durch alles hindurch perfönliche Aufopferung for- 
derte, dieß zuſammen würbe einen kleinen Roman 
geben, ber ald Symbol größerer Unternehmungen 
fih ganz gut zeigen könnte, 
Nan iſt das Erdffuen, Eintelten, Einweihen 
folder Auſtalten immer bedeutend. In ſolchem 
Falle ift die Aufmerkſamkeit gereist, die Neugierde 
gefpannt und die Gelegenheit recht geeignet, das 
Merhältniß der Bühne und des Publlcums zur Spra⸗ 
he zu bringen. Man verfäumte baher diefe Epoche 
nicht und’ ftellte in einem Vorſpiel, auf ſymbollſche 
and allegorifche: Weiſe, basienige vor, was in ber 
letzten Zelt auf dem Deutfhen Theater überhaupt, 
‚.befonders auf dem Welmarifhen gefheben war. 
Das Poſſenſpiel, das Famillendrama, die Oper, bie 
Tragoͤdie, das Natse fo wie: das Maskenſplel pro= 
Durirten fih nah und nach in ihren Eigenheiten, 
fpielten und erklärten fi felbft, oder wurden er⸗ 
klaͤrt, indem die Geftalt eines Mercur das Ganze 
zuſammenknuͤpfte, auslegte, deutete. 


437 


Die Verwandlung eines.fchlechten Bauernuirths- 
banfes in einen theatratifchen Palaſt, wobel zugleich 
die meiften Perfonen in eine höhere Sphäre verſetzt 
worben, beförderte heiteres Nachdenken. 

Den 6 Zuny begab.ich mich nah Jena, und 
ſchrieb das Vorſpiel ungefähr in acht Tagen; die 
leste Hand ward in Lauchftädt felbit angelegt, - und 
bis zur letzten Stunde memorirt und geübt. Es 
that eine liebliche Wirkung, und lange Jahre er- 
inuerte fi) mancher Freund, ber ung dort befuchte, 
jener hochgeftelgerten Kunftgenäfle. . 

Mein Lauchſtaͤdter Aufenthalt machte mir zur 
Pflicht, auch Halle zu befuhen, da man uns von 
dortber nachbartih, um bes Theaters, auch um 
perfönlicher Verhättniffe :willen, mit oͤfterem Zu⸗ 
ſpruch beehrte. Ich nenne Sch. Rath Wolf, mit 
welhem einen Tag zuzubringen ein ganzes Jahr 
srändiiher Belehrung eintraͤgt; Kanzler Nie⸗ 
meyer, ber fo thätigen Thell.unfern Beftrekun- - 
gen fchenkte, daß er die Andria zu bearbeiten uns 
ternahm, wodurch wie denn die Summe unfrer 
Mastenfpiele zu erweitern und zu BORMAHNIRTARL: 
gen gluͤcklichen Anlaß fandem 

Uund ſo war ble ſaͤmmtliche gebildete Umgebrug 
at gleicher Freundlichkeit, mid und bie Auflalt, 
bie mir fo ſehr am Herzen lag, geneigt zu beför- 
bern. Die Nähe von Giebichenſtein lodte zu Beſu⸗ 
Sen bei dem gaſtfreien Reichard; eihe wuͤrdige Frau, 
anmuthige fhöne Töchter, ſaͤmmtlich vereint, bil- 





er. 


:438 


<&2tem in sie. eonrantiſch Läubikchen. Auſec halte 
era hochſt geftligen Fumbtiavfteis, ie weſchem 
foch bedemande Maͤnner aus ber Naͤhe mad Ferae 


kuͤrzere oberisdagere Zeit gar wohl gelelan, sed 


rel Alice Veebin dungen fuͤr das Raben antnuͤpften. 
Auth Darf nicht auͤbargangen werben, daß ich ie 
OR eloahem, weiche Neichard meinen LAadeun am froͤh⸗ 
fen vdergoͤnnt, under wohltklingenden Stimme ſei⸗ 
nmer aͤſteſten · Tochter gefuͤhlwoll vartragan hörte, 
:Nehvigens bliebe noch gar anchas beinahe 
Aufentbalt in Halle u bemerken. ‚Den botanilchen 
Garten unter Spraugels Leltmung zu hetrachten, 
ad: eheitfihe Kabinet, beiten Beſitzer Ich seiber 
wicht mehr am Leben fand, zu:meinen. befonbern 
een aufmorkſam zu beſchanen, war micht gerin⸗ 
‚ger Qecran;: chenn uͤderall,  fowohlanhen Gegen⸗ 
egtanden als und dan Seſpraͤchen, kannte ich atrras 
entnehmen, was mir zu mehrerer VolAkcaigkait 
mb Horderniß meiner Stublen:biente. 
Minen le ichen Morcheil, ber Rich immer bei ala⸗ 
domiſcham uufenthailt · he rroethut, Fand ich in Hena 
adiaend ed : Auguſtinenais. Mit Oondearn ımr- 
den fruͤher angemerktenenatonſiſche Prableme duvch⸗ 
MGeſprechen; tt. Hoeen lor gar vieles ber Su ſub⸗ 


noctiee Sehen mud die Farbenenſcheiauugverhandeit. 


Oft: voriowen-wir.und fo tief inaden Cert, aß wir 
ber Werg And hat bio imdie · tiefe Nacht herun 
awandesten. nf. wannach Jena gezogen amd zeigte 
uf ſich auzujaufen; ſeine große umſichtige Gelehe⸗ 


ac) 


pinutcit," wickeln Gerräiheeneetighen Aexſtelauser, 
abe Irtienbiichteit ſeiner duen lichen: Srifbeny ung mich 
mr, mb mir wat nichts angelegener, als mich von 


fructdares Berbältniß. 

Umgeben von den Mufeen und von ae ‚ was 
mich früh zu den Naturwiffenfhaften angeregt und 
gefördert hatte, ergriff ich jede Gelegenheit, auch 
Hier. mich zu vervolfftändigen. Die Wolfmilchsraupe 
war dieſes Jahr Hanfig und Fräftig ausgebildet, an 
vielen Tremplaren ſtudirte Ih das Wahsthum Bis 

‚zu beffen Gipfel, fo wie den Uebergang zur Puppe. 
Auch hier ward ‚ich mancher trivialen Worftellungen 
und. Begriffe los. 

Auch bie vergleichende Knochenlehre, die ich be⸗ 
ſonders mit mie Immer im Gedanken herumfähtte, 
hatte großen Theil an meinen befchäftigten Stunden. - 

Das Abſcherden bes Yerbienfieichen Batſch 
Me, TEA Für Die Wiſſonſchaft, für die 
See ie ame Ben, ptef 


i zerfruett 
—— Ein Thon zehöere der maturfor⸗ 

ſcheicheun Gefenſchuft; vieſefolgte ven Durectdren, 
Avder witlmohr einer Höheren Leitang, bie mit bedeu⸗ 
genen: Aufande die Gchulden der Sertetdt be⸗ 
Jahlte sumd: ein vnees umenigekb liches Lacale fi Aue 
worhnavutn Koͤrrer · anwies. Dor -ankere hell 


130 


Toante, ale Eigenthum des Nerftorbenen, deſſen 
‚Erben nicht beftritten werben. Eigentlich hätte man 
das kaum zu -trennende Ganze mit etwas mehrerem 
Aufwand herübernehmen und zufammenhalten fer: 
len, allein die Gründe warum ed nicht‘ geſchah, me- 

ren auch von Gewicht. 


Sing nun hier etwas verloren, fo war in der 
fpäteren Jahrszeit ein neuer vorausgefehener Ge- 
winn befhieden. Das bedeutende Mineraliencabt- 
net des Fürften Galizin, das er als Präfident der- 
felben ihr zugedacht hatte, follte nah Jena ge- 


Ihafft und nach der von Ihm beliebten Ordnung auf⸗ 


geſtellt werden. Dieſer Zuwachs gab dem ohnehin 
ſchon wohlverſehenen Muſeum einen neuen Glanz. 
Die übrigen wiſſenſchaftlichen Anſtalten, meiner Lel⸗ 
tung untergeben, erhlelten ſich in einem mäßigen, 
von der Caſſe gebotenen Zuftand. | 


Belebt ſodann tar die. Akademie durch — 
tende Stadirende, die durch ihr Streben und Hof⸗ 
fen auch den Lehrern gleichen jugendlichen Muth ga⸗ 
ben. Won bedeutenden, ‚einige Zeit ſich aufhalten⸗ 
den Fremden nenne: von Pohmanitz kv,der viel⸗ 
ſeitig ‚unterrichtet au unferm. Wollen und Worlen 
Theil nehhmen und thaͤtig mit eingreifen, mochte. : 

Neben allen dieſem wiſſenſchaftlichen Beftreben 
hatte: die Jenaiſche Gefelligteib nichts von ihrem 
heitern Charakter. veriuren. Neue heranwachſende, 
hinzutretende Glieder vermehrten die Anmmh und 


481 


erfeßten reichlich, mas mie in Weimar auf einige 
Zeit entgangen war. 

Wie gern hätte ich biefe in jedem Sinne ange- 
nehmen und beiehrenden Tage noch bie äbrige Schöne 
Herbftzeit genoflen, allein die vorzubereitende Aus⸗ 
ſtellung trieb mich nah Weimar zuruͤck, womit ich 
denn auch den September zubrachte: Denn bis bie 
angefommenen Städe ſaͤmmtlich ein und aufges 
rahmt wurden, bie man fie in ſchicklicher Ordnung 
in günftigem Lichte aufgeftellt und den Befchauern 
einen würdigen Anblick vorbereitet hatte, war Zeit 
und Mühe nöthig,. befonderd da ich alles mit mei⸗ 
nem Freunde Meyer felbft verrichtete, auch auf ein 
forgfältiges Iurüdfenden Bedacht zu nehmen hatte. 

Perſeus und Andromeda war der für bie bieß- 
jährige vierte Ausſtellung bearbeitete Gegenftand. 
Auch dabei:hatten wir die Abſicht, auf die Herr: 
lichfelt der äußern menfchlihen Natur in jugendli⸗ 
hen Körpern beiderlei Geſchlechts auſmerkſam zu 
machen; benn wo follte man den Gipfel der Kunft 
finden, als auf der Bläthenhöhe des Seſchopfs nach 
Gottes Ebenbilde. 

Ludwig Humntein, geboren in Neapel, wohn⸗ 
haft in Caſſel, war der Preis zu erkennen; er hatte 
mit zartem Kunftfinn ud Gefühl den Gegenftand 
behandelt: AAndromeda ftand aufrecht in ber Mitte 
bed Bilbes am Zetfen, ihre ſchon befreite Iinte 
Hand konnte durch Heranziehen einiger. Seiten des 
Manteid VBeſcheidenheit und Schamhaftigkeit be- 


5 Ber: 


setdmeniz auctuhend af: Porſeus aufcbem Gasse 
des Ungeheuers zu ihrer Seite, untsigegemhhen iaffee 
ein heranellender Genus. ſo chen. die Feſſein ber 
vehten Haud. Sehwe bewegte Fhutylingegefinit: er⸗ 
hoͤhte die Schoͤnheit und Kraft des miiebigen Yannadı 

Elner Landfchaft von: Raben aus. Caſſet ward in 
deſem / Fuch der Prois zuerlarnt. Die Jengaiſche 
allgemeine Literaturzeitung vom: Jahr 180* erhaͤlt 
derch einen: Umriß bes hikeriichen Gemaͤhldes dad 
Andenkon des Biest: und. durch umſtundioiche Bes 
fhreibung und Beurtheilung bet.eingefenbetun Bike 
die Ertenerung jener Dhaͤtigkeit. 2 

Indem wir mun:aber uns auf sche Weiſe bemh. 
ten, datjenige in Ausuaͤbung zu. bringen andzu er⸗ 
hatten, was ber buüdenden Kunſt als allein gamaͤß 
und vortheilhaft ſchon kaͤngſt anerkannt worden, ver⸗ 
nahmen wir in unſern Saͤlen: daß ein neuesMich⸗ 
lein vorhanden ſoy, welches vielen Sindruck mache; 
ea bezog ſich auf. Knuſt, und weite bie Famnig⸗ 
leit als alleickges Fundament derſelben feſtſetzen. 
Bon dieſer Nachricht waren wir wenig geruͤhrt; denn 
wie ſollte auch eine Schlußfolge geiten, eine Schluß⸗ 
folge wie diefe: einige Moͤnche wen Kanſtlec, deß⸗ 
halb ſollen alle Kaͤrſtlev Moͤnche ſeyn. 

Doch hätte bedonklich Acheinen daͤrſen, daß were 
he Freunde, DIE unſere: Aus ſrelung ahelinchzinend 
beſuchten, auch unſer Werfahren diſligten, ſich Sach 
andieſen, wie man wohl merkte, fmeickeibeften, 
Me Sthwaͤche beguͤnſtigenden Binfiäfierumgen. zu 


— 188. 
u; 


ergägen fchfäwenn, und ſich davon dneglüdiihe Blitz 
Ing verſprachen. 

Die tm cteberoflelßtg befuchte Yunaiteifung gab⸗ 
Glegertheit, ſich mis einhernriſchen und ausmaͤrti⸗ 
gen Kirnſtfreunden zu unterhalten, auch febite ed, 
dee Jachrszeit gemäß, micht au willlonumenen. Be= 
ſuchen aus dot Ferne. Hofrath Biumenbach:giunte: 
ſeinen Welrnariſch⸗ und Jenciſchen Freumden in igt 
Rage, und auch dießmal wie. immer merklich feine: 
Gegrawart den heiterſten Antorricht. 

Und wie ein Gutes immer ein anderes zur Salat 
at, fo ſtellte ſfich dus veine Vernehenen In der in⸗ 
nerften Deſe ſchaft nach une crach wieder her. 

Eine bedentende Correſpondenz lieh. mich vumtt⸗ 
telbare Blitke ſelbſt In bie Ferne richten. Frie⸗ 
eig Schlegel, Bes bei feiner! Durchretſe mit: 
wichn Benuhlungen: un feinen Alarcos wohl zu⸗ 
fiheben geweßen, gab mic von Pariſer Zuſtaͤnden 
Hascktenbe Nachricht. Hoftath Sartorins, der 
geichfalls⸗ zu einem Beſuch das lanze beſtandene 
gute Verhaͤltniß abermals aufgrftiſcht und. eben jetzt 
mir den Stadien dev. Hanſeſtaͤdte beſchaͤfrigt war, 
Ri. an die ſens muichtigen Unternehmen arch aus 
der Gere. Thell nohhmen. 

Hoſrath Rocht itz, der unſer: Theater mit zu⸗ 
whmenbeitt Intereſſe betrachtete, gab ſolchesn durch 
mehrere Bileſe, die ſich noch vorfinden, gu eriunmen, 

Gar mauthes aubere von. erfreulichen Verhaͤltniſ⸗ 
ſen fin" Ich noch augemerkt; drey junge Mänter: 





134 


Klaproth, Bode, Haln, hielten fih In Wei⸗ 
mar auf, und benupten mit Verguͤnſtigung dem. 
Buͤttneriſchen polyglottifhen Nachlaß. 

Wenn ich nun biefes Jahr in Iimmerwährender 
Bewegung gehalten wurde, und bald in Weimar 
bald in Jena umd Lauchftddt meine Gefchäfte wie 
ſte vorkamen verfab; fo gab auch ber Beſitz des Flei- 
nen Freiguts Roßla Veranlaffung zu manchen Hin⸗ 
und Herfahrten. Zwar batte fih ſchon deutlich ge= 
nug hervorgethan, daß wer von einem fo Heinen 
Eigenthum wirklich Vortheil ziehen will, es felbft 
bebauen, beforgen und, ale fein eigener Pachter 
und Verwalter, den unmittelbaren Lebensunterhalt 
daraus ziehen muͤſſe, da ſich denn eine ganz artige 
Exiſtenz darauf gründen laſſe, nur nicht für einen 
verwöhnten Weltbürger. Indeſſen bat das foge= 
nannte Ländliche, in eimem angenehmen Thale, am. 
einem Heinen baum- und bufhbegränzten Fluſſe, 
in der Nähe von fruchtreichen Höhen, unfern eines 
volfreihen und nahrhaften Städtchend, doch immer 
etwas bad mid Tage lang unterhielt, und fogar 
zu kleinen poetifchen Productionen eine heitere 
Stimmung verlieh. Frauen und Kinder find bier 
in ihrem Elemente, und die. in: Städfen unerttägs 
liche Gevatterey ift hier wenigſtens an ihrem -ein- 
fachften Urfprungs ſelbſt Abneigung und Mißwollen 
feinen reiner, weil-fie aus ben unmittelbaren Bez 
duͤrfniſfen der Menfchheit hervorfpringen. 

Hoͤchſt angenehm war die Nachbarichaft von Oß⸗ 

mann- 


445 


mannſtedt, in demfelbigen Thale aufwaͤrts nur auf 
der linken Seite des Waſſers. Auch Wielanden fing 
diefer Naturzuftand an bedenklich zu werben; efn- 
mal fegte er ſehr humoriſtiſch auseinander, welches 
umſchweifes es beduͤrfe, um der Natur nur etwas 
Genießbares abzugewinnen. Er wußte die Umſtaͤnd⸗ 
läjtelten des Erzeugniſſes der Futterkraͤuter gruͤnd⸗ 
lich und heiter darzuſtellen: erſt brachte er ben ſorg⸗ 
ſam gebauten Klee, muͤhſam durch eine theuer zu 
ernaͤhrende Magd zuſammen/ und ließ ihn von der 
Kuh verzehren, um nur zuletzt etwas Weißes zum 
Kaffee zu haben. 

Wieland hatte ſich In jenen Theater- und Feſt⸗ 
haͤndeln ſehr wacker benommen, wie er denn, immer 
redlich, nur manchmal, wie es einem jeden ge⸗ 
ſchieht, in augenblicklicher Leidenſchaft, bei einge- 
foͤßtem Vorurtheil, in Abneigungen, die nicht ganz 
zu ſchelten waren, eine launige unbilligkeit gu du= 
fern verführt ward. Wir befuchten Ihn oft nad 
Tiſche und waren zeitig genug über die Wieſen wie⸗ 
der zu Hauſe. 

In meinen Weimariſchen haͤuslichen Verhaͤlt⸗ 
niſſen ereignete ſich eine bedeutende Veraͤnderung. 
Freund Meyer, der ſeit 1792, einige Jahre Ab- 
wefenbeit ausgenommen, als Haus- und Tifchge- 
uofe, mich durch belehrende, unterrichtende, be= _ 
tatbende Gegenwart erfreute, verließ mein Haus 
In Gefolg einer eingegangenen ehlichen Verbindung. 
Jedoch die Nothmwendigkeit ih ununterbrochen mit⸗ 

Soethed Werte, XXXI. We 410 


4186 


zutheilen, uͤberwand bald die geringe Entfernung, 
ein wechfelfeitiged Einwirken bileb lebendig, fo daß 
weder Hinderniß noch Pauſe jemals empfunden 
warb, 

Unter allen Tumulten dieſes Jahres lieh ich 
doch nicht ab meinen Liebling Eugenien im StiL- 
Ten zu hegen. Da mir dad Ganze vollfommen gegen- 
wärtig war, fo arbeitete ih am Einzelnen wie ich 
ging und ftand; daher denn auch bie große Ausführ- 
Uchkelt zu erklären ift, Indem ich mich auf dem je- 
desmaligen einzelnen Punct concentrirte, der un- 
mittelbar In die Auſchauung treten follte. 

Gellint gehörte ſchon mehr einer wilden zer- 
freuten Welt an; auch diefen wußt' ih, jedoch 
niht ohne Anftrengung, zu fördern: denn im 
Grunde war die unternommene Arbeit mehr von 
Belang ald Ich anfangs deuten mochte. 

Reinecke Fuchs durfte nun auch In jedem lef= 
denfchaftlich = Teichtfertigen Momente hervortreten, 
fo war er wohl empfangen und für gewiſſe Zeit eben- 
falls gepflegt. 


1803 


Zum neuen Jahre gaben wir Yaldophron 
und Neoterpe auf dem öffentlichen Theater, 
Schon war durh bie Vorſtellung der Terenzifchen 
Brüder das Publicum an Masten gewöhnt, und 


147 


nun Tonnte das eigentlihe erſte Mufterftäd feine 
gute Wirkung nicht verfehlen. Der frühere an die 
Herzogin Amalie gerichtete Schluß ward ind Allge- 
meinere gewendet, und die gute Aufnahme diefer 
Darftellung bereitete den beften Humor zu erufteren 
Unternehmungen. 

Die Aufführung der Braut von Meffina 
(19 März) machte viel Vorarbeit, durchgreifende 
Lefe- und Theaterproben nötbig. Der bald darauf 
folgenden natärlihen Tochter. erfter Theil 
(2 April), fodann die Jungfrau von Orleans 
verlangten die volle Zeit; wir hatten ung vielleicht 
nie fo lebhaft, fo zweckmaͤßig und zu allgemeiner 
Zufriedenheit bemüht. 

Daß wir aber alles Mißwollende, Verneinende, 
Herabziehende durchaus ablehnten und entfernten, 
davon fey nachiiehendes ein Zeugniß. Zu Anfang 
des Jahrs war mir durch einen werthen Freund ein 
Feines Luſtſplel zugekommen mit dem Titel: der 
Schaͤdelkenner, die reſpectablen Bemuͤhungen 
eines Mannes wie Gall laͤcherlich und veraͤchtlich 
machend. Ich ſchickte ſolches zuruͤck mit einer auf: 
richtigen allgemeinen Erklaͤrung, welche als ins 
Ganze greifend hier gar wohl einen Platz verdient. 
„IJndem ich das Heine artige Stüd, als bei 
ung nicht aufführbar, zurüdfende, halte ich es, 
nach unferm alten freundfchaftlihen Verhaͤltniſſe, 
für Pflicht die näheren Urfachen anzugeben. 

Wir vermeiden auf unferm Theater, fo viek 


‘448 


moͤglich, alles was wifſenſchaftliche Unterſuchungen 
vor der Menge herabfetzen koͤnnte, theils aus elge⸗ 
nmen Grunbſaͤtzen, theils Weil unſere Akudemie iu 
der Naͤhe iſt, und es unfreundlich ſcheinen würde, 
wenn wir das, womit fih dort mancher ſehr ernſt⸗ 
lich beſchaͤftigt, bier leicht und luͤcherkkich nehnren 
wollten. 

Gar mancher wiſſenſchaftliche Verfuh, der Na- 
file irgend ein Gehelmniß abgewinnen zu wollen, 
"Tann für fh, theils auch’ durch Charlatanerte der 
Unternehmer, eine Lächertihe Seite bieten, und 
man darf dem Komiker sticht verargen, wenn er’ im 
Votbeigehen fih einen Fleinen Selteühleb erlaubt. 
Darin find wir auch keineswegs pedantiſch; aber 
wir Haben forgfältig alles was fich in einiger Breite 
“Auf phlloſophiſche oder Itetatifhe Händel, auf bie 
neue Theorie der Hellfunde u. ſ. w. bejog, ver: 
mleden. Aus eben der Urfache möchten wir nicht 
gern die Galliſche wunderliche Lehre, der es denn 
doch, fo wenig ald ber Lavaterifhen, an einem 
Sundament fehlen möchte, dem Gelächter Preis 
geben, beſondets da wir fürchten müßten manchen 
unferer achtungswerthen Zuhörer dadurch verdrleß⸗ 
lich zu machen. 

Welmar am 24. Januar 1803. 


Mit einem ſchon fruͤher auslaugenden und mun 
friſch bereicherten Repertorium kamen wir wohl 
ausgeſtattet nach Lauchſtaͤdt. Das neue Haus, bie 


149 


wichtigen. Städe, bie. ſorgfaͤltigſte Behandlung. er- 
regten allgemeine Theilnahme. Die Andria bes. 
Teronz, von Heren Niemeyer bearbeitet, warb 
cheumäßig. wie bie Brüder. mit Annaͤhenung ang 
Antike. aufgeführt. Auch von Leipzig fanden ſich 
Aufchaner, fie fowahl als die von Halle wurden mit 
unfern ernſten Bemuͤhungen immermehr bekannt 
weiches und zu großem Vortheil gedieh. ch ver⸗ 
weilte dießmsai-nicht, Länger daſelbſt als nöthig, um. 
mit. Hofrath Ricus, meinem. Mitcommiſſarius, bie 
Beduͤrfniſſe der Baulichleiten und einiges Wins 
ſchenswerthe der Umgebung anzuordnen. 

In, Halle, Giebichenſtein, Merfeburg, Naum⸗ 
burg. exnenerte ich gar manche merthe Werbindung 
Proſeſſor Wolf, Geh. Rath Schmalz, Jakob, 
Reil, Lafontaine, Niemeper entgegneten 
mir mit gemohnter Freundlichkeit. Ich beſah von 
Lepſers Mineralien-Cabinet, beſtieg den. Petards 
berg, um friſche Porphpr-Städe zu holen. Che ich 
abzeifte ſah ich nech.mit. Freuden, daß unſer thea⸗ 
traliſches Ganzes. ſich ſchan won. ſelbſt bewegte und. 
im Einzelnen nichts nachzuhelfen war, wohel freis 
Ich. die. guaße Shaͤtigkeit bed. Regiſſeurs Genaft ' 
gerühms werben. mußte, Ich nahm meinen Ruͤck— 
weg. über Merſeburg, das gute Verhaͤltuiß mit den 
— oberen Behörden. zu, befeſtigen, ſodann 

melnen Geſchaͤftan In. Weimar und Jena weites 
— ** 
Al⸗ ich mir nun · für: diaſe Zalt das Theqter⸗ 


150 

wefen ziemlich aus dem Sinne gefchlagen hatte, 
ward ich im Geiſte mehr als jemald dahin zuruͤckge⸗ 
führt. Es meldeten fib, mit entfchledener Nei⸗ 
gung für die Bühne, zwey junge Männer, die fi 
Wolf und Grüner nannten, von Augsburg kom⸗ 
mend, jener bisher zum Handelsſtande, diefer zum 
Militär zu rechnen. Nach einiger Prüfung fand ich 
bald daß beide dem Theater zur befondern Zierde 
gereichen würden und baß, bei unferer fchon wohl- 
deftellten Bühne, ein paar frifhe Subiecte von die⸗ 
- fem Werth fi fchnell heranbiiden würden. Ich be- 
ſchloß fie feft zu Halten, und weil ich eben Zeit 
hatte, auch einer heitern Ruhe genoß, begann ich 
mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch 
mir die Kunft aus ihren einfachften Elementen ent= 
widelte und an den Fortſchritten beider Lehrlinge 
mih nach und nach emporftndirte, fo dag Ich felbft 
Härer über ein Geſchaͤft ward, dem ich mic bie=- 
her inftinetmäßig Hingegeben hatte. Die Gramma- 
tif, die ih mir ausbildete, verfolgte ih nachher 
mit mehreren jungen Schaufpielern, einiges daven 
iſt ſchriſtlich uͤbrig geblieben. 

Nach jenen genannten beiden fügte ſich's, daß 
noch ein huͤbſcher junger Mann, Namens Grim- 
mer, mit gleihmäßigem Antrag bei und vortrat. 
Auch von ihm lleß fih nach Geftalt und Weſen das 
Befte hoffen, beſonders war er Schillern willkom⸗ 
men,.der feinen perfonenteihen Tell Ich Sinne 
Hatte und auf ſchickliche Beſetzung der- ſaͤmmtlichen 


451 
Rollen fein Augenmerk richtete. Wie hielten da- 


‚ ber auch ihn feit, und fanden ihn bald an feinem 
platze brauchbar. 


Der erfte Thell von @ugenie war gefchrleben, 
gefptelt und gedrudt, das Schema des Ganzen lag 
Scene nach Scene vor mir, und ich kann wohl fa- 
gen, meine mehrjährige Neigung zu dieſem Erzeug- 
niß Hatte keineswegs abgenommen. 

Der zweyte Theil follte auf dem Landgut, dem 
Aufenthalt Eugenlens, vorgehen, der dritte in ber 
Hauptftabt, wo mitten in der größten Verwirrung 


das wiedergefundene Sonett freilich kein Heil, aber 


doch einen fhönen Augenblick würde hervorgebracht 
haben. Doch ich darf nicht weiter gehen, weil ich 
fonft das Ganze umftändlih vortragen müßte. 

Ich hatte mich der freundlichſten Aufnahme 
von vielen Seiten her zu erfreuen, wovon Ich die. 
wohlthätigften Zengniffe gefammelt habe, die ip 
dem Deffentiichen mitzutheilen vielleicht Gelegenheit 
finde. Man empfand, man dachte, man folgerte 
was ich nur wünfhen konnte; allein ich hatte den 
großen unverzeiplihen Fehler begangen, mit dem 
erften Theil bervorzutreten, eb" das Ganze vollen- 
det war. Ich nenne den Fehler unverzeihlich, weit 
er gegen meinen alten geprüften Aberglauben be 
gangen wurde, einen Aberglauben, ber fich indeß 
wohl ganz vernünftig erfiären läßt. i 

Einen fehr tiefen Sinn hat jener Wahn, daß 
man, um einen Schaß wirklich zu heben und zu er= 


152. 


greifen, ſtillſchweigend verfahren muͤſſe, kein Wort 
ſprechen duͤrfe, wie viel Schreckliches und Ergoͤtzen 
des auch von allen Seiten erſcheinen moͤge. Eben 
fo bedeutſam iſt das Maͤhrchen, man muſſe, bek 
wunderhafter Wagefahrt nach einem koſtbaren Ta— 
lisman, in entlegenſten Bergwildniſſen, unaufbaltz 
ſam vorſchrelten, ſich ja nicht umſehen, wenn auf 
ſchroffem Pfade fuͤrchterlich drohende oder llebllch 
lockende Stimmen ganz nahe hinter ung vernom— 
men werden. 

Indeſſen war's gefhehen, und bie geliebten Sce⸗ 
nen der Folge beſuchten mich nur manchmal wie 


unſtaͤte Geifter, die wieberfehrend flehentlich nad ® 


Erlöfung feufzen. 

So wie ſchon einige Fahre machte der Zuftand, 
von Jena und auch biefmal gat mande Sorge. 
Seit der Franzoͤſiſchen Mevolution war, eine Unruhe 
In die Menfchen gefommen, bergeftalt daß fie ent⸗ 


weder an ihrem Zuſtand zu ändern, oder ihren Su- 


ftand wenlgſtens dem Ort much zu verdudern ge-, 
dadıten, Hlerzu konnten befonderd die Lehrer a 
Hochſchulen ihrer Stellung nah am meiiten verlodt 
werden, und da eben zu dleſer Seit dergleichen An- 
falten neu errichtet und vorzüglich begünftigt wurz, 
den, fo fehlte es nicht am Relz und Einladung. 
dorthin, wo man ein befferes Einkommen, höheren. 
Rang, mehr Einfluß in einem weitern Kreife ſich 
verſprechen konnte. 

—— großwertifchen Ereigniffe muß man im, 


u BE A SF- St E39 —— 


Zu 3 Ma — 


— 7° 3 


153 


Auge behalten, wenn man fi im Aflgemelnen einen 
Begriff machen will von. dem was um Diefe Zeit in dem 
Heinen Kreife ber Jenaiſchen Akademie fich ereignete. 

Der im drztlihen Sache fo umfichtige und mit 
mannichfahem Talent der Behandlung uyb Dar- 
ſtellung begabte Chriſtian Wilhelm Hufelanp. 
war nach Berlin berufen, führte dort den. Titel 
eines Geheimen Raths, welcher in einem großen. 
Reiche ſchon zum bloßen Ehrentitel geworben war, 
indeffen er In Heineren Staaten. noch Immer bie. 
urfprüngliche active Würde bezeichnete und ohne die⸗ 
felbe nicht Teicht verliehen werden konnte, Eine 
folhe Rangerhoͤhung aber biieh anf die Zurüstgelaf- 
fenen nicht ohne Einfluß. 

Fichte hatte In feinem philoſophiſchen Jourgal 
über. Gott und göttliche Dinge auf eine. Weiſe fi, 
zu äußern gewagt, melde ben hergebrachten Aus⸗ 
drüden über folhe Gehelmniffe zu widerſprechen 
ſchlen; er ward in Anfpruch genommen, feine Ver⸗ 
theidigung befferte die Sache nicht, weil. er leiden⸗ 
ſchaftlich zu Werke ging, obne Ahnung. wie gut 
man dießzſeits für ihn, gefinng fey, wiewohl man 
feine Sedanfen, feine Worte auszulegen wiſſe; wele 
ches man freilich ihm. nicht gerade mit duͤrren Wor— 
ten zu. erfeunen geben konnte, und eben fo. wenig, 
die Art und Welfe, wie man ihm auf das gelindeite, 
herauszuhelfen gedachte. Das Hin: und Wider- 
reden, Das Wermuthen und Behaupten, bad Be— 
ſtaͤrken und Entſchließen wogte in vielfachen unſichera 


154 


Neben auf der Akademie durcheinander, man fprach 
von einem minifteriellen Vorhalt, von nichts Gerfn- 
gerem ald einer Art Verweis, deffen Fichte fih zu 
gewärtigen hätte. Hieruͤber ganz außer Faffung, 
hielt er fih für berechtigt ein heftiges Schreiben 
beim Mintfterium einzureichen, worin er jene Maß- 
regel als gewiß vorausfeßend, mit Ungeftüm und 
Trotz erllärte, er werde dergleihen niemals dulden, 
er werde lieber ohne Weltered von der Akademie 
abziehen, und In ſolchem Falle nicht allein, indem 
mehrere bedeutende Lehrer mit Ihm einftimmig den. 
Hrt gleichzeitig zu verlaffen gebächten. 

Hiedurch war nun auf einmal aller gegen ihn 
gehegte gute Wille gehemmt, ja paralyfirt: bier 
blieb Fein Ausweg, Feine Vermittelung übrig, und 
das gelindefte war, ihm ohne Weiteres feine Ent⸗ 
laſſung zu ertheilen. Nun erft, nachdem die Sache 
fih nicht mehr Andern ließ, vernahm er die Wen- 
dung, bie man ihr zu neben im Sinne gehabt, und 


er mußte feinen übereilten Schritt bereuen, wie wir - 


ihn bedanerten. 

Zu einer Verabredung jeboch mit ihm die Afa- 
demie zu verlaffen, wollte fi niemand befennen, 
alles bileb für den Augenblid an feiner Stelle; doch 
hatte fih ein heimlicher Unmuth aller Geiſter fo 
bemäctigt, daB man in der Stille fih nah außen 
umthat, und zuletzt Hufeland der Juriſt nad 
Ingolſtadt, Paulus und Schelling aber nad 
Würzburg wanderten. 





155° 


Nach allem diefem vernahmen wir im Anguft 
die fo hochgeſchaͤtzte Kiteraturzeitung Tolle auch von 
Yena weg und nach Halle gebraht werden. Der 
Plan war Hug genug ängelegt, man wollte ganz im 
gewohnten Gange das laufende Jahr durchführen 
und fhließen, ſodann, als geſchaͤhe weiter nichts, 
ein neues anfangen, zu Oſtern aber gleichſam nur 
den Druckort verändern und durch ſolches Manduvre, 
mit Anftand und Bequemlichkeit, dieſe Wichtige An⸗ 
ſtalt für ewig von Jena wegfpielen. 

Die Sache war von der größten Bedeutſamkeit 
und es tft micht zu viel gefagt: diefe ſtille Einlei⸗ 
tung bedrohte die Akademie für den Augenblick mit 
völliger Anflöfung. Man war bießfeits wirklich in 
Verlegenheit: denn ob man gleich das Recht hatte 
die Unternehmer zu fragen, ob dieſes allgemeine 
Gerücht einen Grund Habe, fo wollte man doch in 
einer ſolchen gehäffigen Sache nicht uͤbereilt noch 
hart erfcheinen; daher anfänglich ein Zaudern; das 
aber von Tag zu Tag gefährlicher ward. Die erfte 
hai des Auguſts war verfirihen, und alles kam 

darauf an, was in ven ſechs Wochen bie Michael. 
iu einer Gegenwirkung vorgenommen werden könnte. 

Auf einmal kommt Hilfe, woher fie nicht zu er- 
Marten war. Kokehne, der fich feit den Scenen 
des vorigen Jahrs als Todfeind aller Welmarifchen 
Thaͤtigkett erwieſen hatte, Tann feinen Triumph 
nicht im Stillen fetern, er gibt In dem Freimuͤthi⸗ 
gen uͤbermuͤthig an den Rad: Mit der Atademie 





156 


Jena, welche bieher ſchan graßen ‚Verkauf. an tuͤch⸗ 
tigen Profeſſoren erlitten, ſey es nun voͤllig zu 
Ende, indem die allgemeine Literaturzeltung, Im 
Gefolg großer dem Nebasteur verwilligter, Beguͤn⸗ 
—— von da hinmeg und nach, Halle verlegß 
werde. 

Von unferer Seite hörte. nun ‚alles. Bedenken 
auf; wir hatten. volle Urſache die Unternehmen zu 
fragen, ob Dp- ihre Abſicht ſey? Und da-ſolche nyn 
nicht gelaͤugnet werden konnte, fo erklärte man ihren 
Vorſatz, die Anſtalt bis. Oſtern in Jena. hinzuhal⸗ 
- ten, für nichtig, und verſicherte zuglelch, man werde. 
mit dem neuen Tahre in. Fena bie allgemeine Lite=- 
raturzeitung ſelbſt fortſetzen. | 

Diefe Erklärung war kühn genug, denn wir hate; 
ten kaum ‚bie Moglichkeit In. ber Ferne. zu ſehen ge⸗ 
alaubt; doch rechtfertigte der: Erfolg dem wackern 
Entihluß. Die Actenſtuͤde jener Tage. ſind in der 
größten. Ordnung verwahrt, vielleicht. ergoͤhen ſich 
unfere Nachkommen an dem: Hergang. biefer für, ung. 
wenlaſtens hböchft bedeutenden, Begebenbelt, 

Nachdem alſo bie Unftalt ber. Literatur-Zeitungs 
in ihrem ganzen Gerichte gefichert war, hatte man. 
fih nah. Männern umzufehen, - Die erteblgten: Lyhr⸗ 
faͤcher wieder zunbeienen, Wan mehreren. in Mage 
ſchlag gebraten. Unatomem wurde, Ackermanu⸗ 
bezufen, welcher. den. Grund: zu einem Lingfh beab⸗ 
fichsigten. fiehguden: anatomiiheg: Muſeum leaten. 
bapı der. Akadamie verbigipen. ſollte. Auch Sach eds. 


457 


ver ward Yetinkfejogen und der botaniſchen Anſtalt 


votgeſetzt. Man hatte von feiner Perſoͤnlichkeit, 
is eines udig hoͤchſt zarten und tieffinnfgen We- 
eg die'beſten Hoffnungen für die Naturwiſſen⸗ 
aft. —W 

Die von Lenz gegründete mineralogifche Socie⸗ 
tät erwedte das größte Vertrauen; alle Freunde 
biefes Wiffens wanſchten als Mitglieber aufge⸗ 
nommen zu werden, und ſehr viele beeifertem ſich 
tif bedenteuden Geſchenken das angelegte Cabinet 
zu vermehren. 

‚Unter ſolchen zeichnete ſich Fuͤrſt Galizin ans, 
welcher die Ehre der ihm uͤbertragenen Präfldenten- 
Pelle, durch das Gefchent Telties anſehnlichen Ca— 
binets anzuerkennen fuchte, und da durch dieſen 
Wie durch · andrra Zuwachs die Anſtalt hochſt bedeu⸗ 
tend grwotden, ſo deſtätigte bet Herzog gegen Ede 
bes Jahrshie Statuten der Gefellfchaft, und gab 
Me daburch unter den dffentlichen Anſtulten einen 
entfchiedenen ang. 

Dach dem Verluſt Tr manchet bedentenden Wer: 
Pneu haͤtten wir uns ſedoch neumltwittender Maͤn⸗ 
Her zu erftenen. Fornorno kam von Rom, un 
künftig In Bentrhlahd zu verblelben, “hir hielten 
U feſt. Hetzogin · Amalie gab ihſm dke ſett Jage⸗ 
Minnie Tode unbeſeizte Biblkdthetarſtelle Uhrer be⸗ 
Mer Buͤchetfammlung; fehte gruͤnbliche Kennt⸗ 
utß der Italianiſchen Literatur, eine ausgefuchte 
Vlbliothek dieſes Faches und feine angenehmen ge⸗ 


"458 


feligen @igenfchaften — dieſen Erwerb hoͤchſt 
ſchaͤtzbar. Daneben führte er einen bedeutenden 
Schatz mit ſich, die hinterlaffenen Zeichnungen fei- 
nes Freundes Karſtens, dem er. in feiner künft- 
Verifchen Laufbahn bis an fein frühzeitiges Ende mit 
Math und That, mit Urtbeil und Nachhuͤlfe treu⸗ 
lichſt beigeftanden hatte. 

Dr. Riemer, der mit Heren von Humboldt 
nach Italien gegangen war, und bort einige Zeit in 
deffen Zamilientreis mitgewirkt hatte, war in Fer- 
nows Geſellſchaft herausgereiſ't, und ald ge 
wandter Kenner der alten Sprachen uns gleichfalls 
hoͤchlich wilfommen. Er gefellte fich zu meiner Fa⸗ 
milie, nahm Wohnung bei mir und wendete feine 
Sorgfalt meinem Sohne zu. 

Auch mit Zelter ergab fi ch ein naͤheres Ver⸗ 
haͤltniß; bei ſeinem vierzehntaͤgigen Aufenthalt war 
man wechſelſeitig in kuͤnſtleriſchem und ſittlichem 
Sinne um vieled näher gekommen. Cr befand ſich 
in dem feltfamften Drange zwifchen einem ererb- 
ten, von Ingend auf geübten, bis zur Meifterfchaft 
durchgeführten Handwerk, das Ihm eine bürgerliche 
Exiſtenz dkonomiſch verficherte, und zwiſchen einem 
eingebornen, kraͤftigen, unwlderſtehlichen Kunft- 
triebe, der aus feinem Individuum den ganzen 
Reichthum der. Tonwelt entwidelte. Jenes trel⸗ 
bend, von dieſem getrieben, von jenem eine erwor⸗ 
bene Fertigkeit beſitzend, ih dlefem nach einer zu er⸗ 
werbenden Gewandtheit beftzebt, fand er wicht 





159 


etwa wie Hercules am Scheldewege zwiſchen dem 
was zu ergreifen oder zu meiden feyn möchte, ſon⸗ 
dern er ward von zwey gleich wertben Mufen Hin 
und bergesogen,, deren eine fich feiner bemaͤchtigt, 
deren andere dagegen er ſich anzueignen wuͤnſchte. 
Bet feinem redlihen, tuͤchtig bürgerlihen Craft 
war es ihm eben fo fche um fittlihe Bildung zu 
tun, als diefe mit der Afthetifhen fo nah ver- 
wandt, ja ihr verkörpert ift, und eine ohne bie an⸗ 
dere zu wechfelfeitiger Vollkommenheit nicht gedacht 
werden kann. 

Und fo konnte ein doppelt wechfelfeitiges Bes 
fireben nicht außen bleiben, da die Weimariſchen 
Kunftfrennde fich faft in demfelben Kalle befanden ; 
wozu fie nicht gefchaffen waren, hatten fie zu leiſten, 
und was fie Angebornes zu leiſten wänfchten, ſchien 
immerfort unverfucht zu bleiben. 

Die Angebaude der Bibliothek, nach dem Schloffe 
zu, wurden der freieren Ausficht wegen abgebro- 
hen, nun machte fi ftatt ihrer ein neuer Gelaß 
ndthig, wozn die Herren Genz und Raabe gleich⸗ 
falls die Miffe zu liefern gefällig übernahmen. Was 
fonft in jenen Plaß gefunden hatte, ftattlidhe Treppe, 
geräumige Expeditions⸗ und Geſellſchaftszimmer 
wurden gewonnen, ferner Im zweyten Stod nicht 
allein Stand für mehrere Bücherrepofitorien, fon= 
bern au einige Räume für Alterthämer, Kunſt⸗ 
fahen und was dem anhängt; nicht weniger wurde 
das Muͤnzcabinet, vollftändig an Saͤchſiſchen Me: 


160 


dalllen, Thalern und kleineren Geldforten,‘ neben- 
her auch mit Deukmuͤnzen, ingleihen Roͤmiſchen 
und Griechiſchen verfehen, befonders aufbewahrt. 

Da ich mich In meinem Leben vor nichts fo fehr 
als vor leeren Morten gebätet, und mir eine 
Phraſe, wobei nichts gedacht oder eıhpfunden war, 
an andern unertraͤglich, an mir unmöglich Tchlen, 
fo litt ich bei ber Ueberſetzung des Cellint, wozu 
durchaus unmittelbare Anficht gefordert wird, wirk- 
Uche Peln. Ich bedauerte herzlich daß ich meine 
erfte Durhreife, meinen zweyten Aufenthalt zu 
Flerenz nicht beffer genußt, mir von der Kunft 
neuerer Zeit nicht ein eindringlicheres Anfchauen 
verſchafft hatte. Freund Meyer, der in den Jahren 
4796 und 1797 ſich daſelbſt die gruͤnblichſten Kennt⸗ 
niſſe erworben hatte, Half mir moͤglichſt aus, doc 
ſehnt' ich mich Immer nad dem elgenen, nicht mehr 
gegönnten Anblick. 5 

Ich kam daher duf den Gedanken, ob nicht wenig- 


ſtens Celliniſche Münzen, auf die er fich fonlel zu . 


Gute thut, noch zu finden ſeyn möchten, ob nicht 
Anderes was mich In jene Zeiten verfegen Tönnte 
noch zu haben wäre. _ | RL 
Gluͤckllcherwelſe vernahm Ih von einer Nürnber: 
giſchen Auction, In welcher Kupfermünzen des fünf: 
zehnten nnd fechjehnten, ja bes fiebzehnten und 
achtzehnten Jahrhunderts feil geboten wurden, unb 
es gelang die ganze Malle zu erbalten, Die Orl: 
ginalfolge von Päpften, feit Martin bem V. bis 


auf 


un. 


PS, > Zn 8 


461 


auf Clemens XI., alfo bis zum erften Viertel des 
achtzehnten Jahrhunderts, wurde mir nicht allein 
zu eigen, ſondern auch dazwiſchen Garbindie und 
Priefter, Philofophen, Gelehrte, Künftter, merk: 
würdige Frauen, in fcharfen unbefchädigten Exem⸗ 


- plaren, theils gegoffen, theils geprägt, aber ver- 


wunderſam und bedauerlich: unter fo manchen Hun⸗ 
derten kein Cellini. Aufgeregt war man uun auch 
bier das Sefhichtlihe zu ſtudiren; man forfchte 
nach Bonanni, Mazuchelli und andern, und legte 
fo ven Grund zu ganz neuer Belehrung. 

Das ältere Schleßhaus vor dem Frauenthor war 
fhon längft von den Parkanlagen überflügelt, der 
Raum ben es einnahm bereits zwifhen Särten ein: 
geſchloſſen und Spaziergängen, die Uebungen nad 
der Scheibe, befonders aber das eigentlihe Vogel⸗ 
ſchleßen, nach und nach unbequem und gefährlich. 

Zum Tauſch nahm ber Stadtrath mit mehr: 
Aachem Gewinn einen großen fhön gelegenen Bezirk 
sor dem Kegelthor, die weit verbreiteten Aeder foll- 
ten in Gärten, Gartenländer verwendet und an 


dem ſchicklichſten Plas ein neues Schießhaus gebaut 


werben. 

Die eigentlihe Lage eined Gebäudes, fobald 
dem Architekten Sreiheit gegeben iſt, bleibt Immer 
deffelben Hauptaugenmerk: ein laͤndliches Gebäube 
fol die Gegend zieren und wird von ihr gealtert; 
und fo war die forsfältigfte Berathung zwifhen dem 
Berliner Architekten und den Weimariſchen Kunft 

Goethe's Werle. XXXI. Bd. 41 


“246% 


freunden nicht weniger dem Stabtrath und her 
Squͤtzengeſellſchaft eine geraume Zeit im Schwange. 

Bei einem neuen Luſtgebaͤude mit ſeinen um- 
gebungen, zur Aufnahme einer großen Menge be- 
ftimmt, tft das Haupterforderniß Schatten, wel⸗ 
cher nicht ſogleich herbeigebannt werden kann. Hier 
war alſo ein angenehmes Hoͤlzchen der nothwendige 
Punct einen Fluͤgel daran zu lehnen, fuͤr die Haupt⸗ 
richtung entſchied ſodann eine oberhalb jenes Buſch⸗ 
werks hergehende uralte vierfache Lindenallee; man 
mußte den Flügel und alfo das ganze Gebäube teat- 
winfelig darauf richten. | 

Sin mäßiger Plan, den Beduͤrfaiſſen allenfalls 
hinreichend, erweiterte fih nah und nad; die 
Schüsengefellfhaft, das Publicum, als die Tan— 
zenden, die Genießenden, alle wollten bedacht ſeyn, 
alfe verlangten ein ſchickllches und bequemes Local. 
‚Nun aber forderte die nahebet doch gefondert anzu- 
legende Wirthſchaft ebenfalls Ihre mannichfaltigen 
Beduͤrfniſſe, und ſo dehnte ſich der Plan immer 
mehr aus. Zwar gab die Ungleichheit Des Terrains, 
bie man zu überwinden hatte, die fhönfte Gelegen- 
heit aus der nothwendigen Bedingtheit des Locals 
bie Forderungen des Zwedes zu entwideln, am 
Ende aber konnte man fit) nicht Iäugnen , bei Öfos 
nomifher Ausdehnung und nad dftberifhen Ruͤck⸗ 
fibten, über die Graͤnze des Beduͤrfniſſes hinaus⸗ 
gegangen zu ſeyn. 

Doch ein Gebäude gehört unter die Dinge, 


163 


wlhe- nach erfähten ianeren Zweden auch zu Be⸗ 
frledisung der Augen aufgeftellt werben, ſo daß 
man, wenn es fertia iſt, niemals frayt, wie viel 
Erfindungstraft, Auftreugung, Zeit und Geld dazu 
erforderlich geweſen: die Totalwirkung bleibt Immer 
das Daͤmoniſche, dem wir huldigen. 

Gegen Ende des Jabrs erlebte ich das Gluͤck 
mein Verhaͤitniß zu den Erdſchollen von Roßla voͤl⸗ 
lig aufgehoben zu ſehen. War der vorige Pachter 
eia Lebemann- und in feinem Geſchaͤft leichtſinnig 
"und naetäfig, ſo hatte der neue ale bisheriger 
Bürger einer Landſtadt, eine gewiſſe eiyene klein⸗ 
liche Rechtlichkeit, wooon die Behandlung jener-be- 
kannten Quelle ein Symbol ſeyn mag. Der gute 
Mann, in feinen Gartenbegriffen einen Spring- 
braunen ale das doͤchſte befindend,, leitete das dort 
- mäßig abfiehende Waller In engen Blechröhren an 
:die niedrigfte Stelle, wo es denn wieder einige 
Euß in die Höhe fpraug, aber ftatt des Waſſer⸗ 
: fplegets einen Sumpf bildete. Das idylliſche Na⸗ 
turwelen jenes Spazierganzs war um feine Einfalt 
verfünmert , fo wie denn auch andere aͤhnliche An⸗ 
fetten ein gewiſſes erſtes Gefallen nicht mehr 
auließen. 

Zwiſchen allem dieſem war der haͤusliche Mann 
doch auch. Mar geworden, dab die Beſitzung für den 
der fie perſoͤalich benuße ‚ganz eintraͤglich ſey, und 
in dem Maße wie mir der Beſitz verleidete, mußte 
‚er ihm wänfhenswärdig erſcheinen, und fo ereig- 





164 


nete ſich's, daß ich nach Tehs Jahren das Gut Ihm 
abtrat, ohne irgend einen Verluft ald der Zelt und 
allenfalls des Aufwandes auf Ländliche Feſte, beren 
Vergnuͤgen man aber doch auch für etwas rechnen 
mußte. Konnte man ferner die klare Anſchauung 
diefer Zuftände auch nicht zu Geld anfchlagen, fo 
war doch viel gewonnen und nebenbei mancher —— 
Tag im Freien geſellig zugebracht. | 

Stau von Stael kam Anfangs December in 
Weimar an, als ih noch in Jena mit dem Pro- 
gramm befchäftigt war. Was mir Schiller Aber fe 
am 21 December fchrieb diente auf einmal Aber das 
mwechfelfeitige aus ihrer Gegenwart fih entwidelnde 
Verhaͤltniß aufzuklären. 

„Frau von Stael wird Ihnen völlig fo erſchei⸗ 
nen, wie Ste fie fih a priori fon confteufet ha⸗ 
ben werden; es iſt alles aus Einem Städ und kein 
fremder, falfcher, pathologiſcher Zug in ihr. Dieß 
macht daß man fih, troh des immenſen Abſtands 
der Naturen und Dentweifen, volltommen wohl bet 
{hr befindet, bad man alles von Ihr hören, ihre 
alles‘ fagen mag. Die Franzöflihe Geiſtesbildung 
ſtellt fie rein und in einem höchft Intereffanten Lichte 
de. In allem was wir Philofophle nennen, folge 
lich in allen lebten und hoͤchſten Inſtanzen, iſt man 
mit ihr im Streit und bleibt es, troß alles Redens. 
Aber ihr Naturell und Gefühl kit beſſer als ihre 
Metaphufit, umd ihr ſchoͤner Verſtand erhebt fih zu 
einem genlalifhen Vermögen. Ste will alles er: 


165 


kaͤren, einſehen, ausmeffen, fie .fatulrt nichts 
Dunkles, Unzugänglihes, und wobin fie nicht mit 
ihrer Zadel leuchten kann, da ift nichts für fie vor- 
handen. Darum bat fie eine horrible Scheu vor 
der Idealphiloſophie, welche nach ihrer Meinung 
zur Myſtik und zum Aberglauben führt, und dag 
{ft die Stidluft wo fie umlommt. Kür das was 
wir. Poeſie nennen, ift kein Sinn in ihr, fie kann 
fih von ſolchen Werfen nur das Leldenfchaftiiche, 
Rednerifche und Allgemeine zueignen, aber fie wird 
nichts Falſches fchägen, nur das Rechte nicht immer 
erftennen. Ste erfehen aus biefen paar Worten, 
daß die Klarheit, Entſchiedenhelt und geiftreide 
Lebhaftigkeit ihrer Natur nicht anders ale wohlthaͤ⸗ 
tig wirfen können. Das einzige Läftige iſt die ganz 
ungewöhnliche Fertigkeit ihrer Runge, man muß 
fih ganz in ein Gehörorgan verwandeln, um ihr 
folgen zu koͤnnen. Da fogar ich, bei meiner weni: 
gen Fertigkeit. im Franzoͤſiſchreden, ganz leidlich mit 
ihr fortfomme, fo werden Sie, bei ihrer größern 
Nebung, eine ſehr leichte PUNBENMISATNON mit ihr 
haben. ”’ 

Da Id nich von Jena — mein Geſchaͤft ab⸗ 
geſchloſſen zu haben nicht entfernen konnte, ſo ge⸗ 
langten noch gar mancherlei Schilderungen und 
Nachrichten zu mir, wie Frau von Stael ſich be⸗ 
nehme und genommen werde, und ich konnte mir 
ziemläich die Rolle vorſchreiben, weiche Ich zw ſpielen 
haͤtte. Doch ſollte das alles ganz anders werben, 


466° 


wie in dem wählten Jahr, wohln wir hinüber“ 
gehen, zu melden iſt. | 
Pie unbequem aber ein fo bedeutender Beſach 
mir gerade zu der Seit fenn mußte, wird derjenige 
mitempfinden, der die Wichtigketk bes Geſchaͤfts⸗ 
bedentt, dad mich damals in Jena feithfeit: Der: 
weltberühmten allgemeinen- Literaturzeitung mit 
Auftündisung des Dienftes zuvorzutsmmen, und: 
indem fie fih an einen andern Ort bewegte, fie au 
derfeiben Stelle fortfegen zu wollen war ein kuͤhnes 
"Unternehmen, Man bedenft nicht immer daß eim 
kuaͤhn Unternommenes in der Aitführung gleidfaie 
Kuͤhnheit erfordert, : weit: bet dem Wagemeines 
durch gemeine Mittel nicht wohl andzulaugen Fey 
möchte. Mehr als Ein Verſtaͤndiger, Ciwfkhtiger: 
gab mir das Erftaunen zu erkeimon, wie min: fidy. 
in ein folk unmd liches Imternehmen habe einlafs 
fea dürfen. Fretlich aber war die Sache dadurch 
möglich. geworden ,. daß ein’ Man von. dem Merz. 
dienfte "des Herrn Hofr. El qſt Ad t "Nic. zur Forte 
ſetzung des Geſihaͤfts entſchlöß, an dem er bisher 
ſo bedeutenden Theil genommen hatte. 
Die Weimariſchen Kunſtfreunde hietten ed nun⸗ 
mehr für Pfliht, das was an Uhrem Ehufluß ge⸗ 
wichtig ſeyn konnte, auch auf die Schale zu begen. 
Prelsaufgaben für biidende Kuͤnſtler, Recenſtonen 
der eingeſendeten Blaͤtter, Preisertheilung, fonftig 
verwandte Aneführungen, Ausſchreiben einer neuem, 
Preis aufgabe. Dleſer Complerivon-tneihanber grei⸗ 


ng 


7 
167 


fenden Operationen, welcher bisher den Propplaͤen 
angehoͤrt hatte, ſollte nunmehr der allgemeinen Li⸗ 
teraturzeltung zu Theil werden. Das Programm 
hiezu beſchaftigte mich in meiner dießmaligen Ab: 
fonderung, Indem ih mit dem Freund und eifrigen 
Mitarbeiter Heinrich Meyer in fortwährender Come 
muntcation blieb. 

Wer Gelegenheit hat den erften Jahrgang der 
Neuen oder Jenaiſchen allgemeinen Kiteraturzeitung 
anzufehen, der wird gern bekennen, daß es Feine 
geringe Arbeit geweſen. Die Preidaufgabe von 
41803 war auf verſchiedene Weife gelöft, auch Pro⸗ 
fefor Hoffmann aus Stuttgart der Preis zuer: 
fannt, rahdem vorher die verfchiedenen Verdienfte 
ber Mitwerber gewuͤrdigt ſowohl ald von freiwillig 
Eingefendetem Rechenſchaft gegeben worden. Ale: 
- dann, hatte man einen Verſuch gemacht Polygnot’s 
Gemaͤhlde In der Leſche zu Delphi zu reftauriren und 
fih in Gedanken der Kunft diefes Urvaters, wie es 
ſich thun ließe, zu nähern. 

Die Weimariſchen Kunftfreunde hatten dieſe 
fünf Fahre her, während welder fie diefe Anitalt 
buschgeführt, gar. wohl bemerlen konnen, daß eine 
allzu eng beftimmte Aufgabe dem Künftler nicht 
durchaus zuſage, und daß man bem freien Geift 
einigen- Spielraum laffen müfle, um nad eignem 
Sinn und Vermögen eing Wahl auftellen zu küns 
nen. Die dießiaͤhrige Aufaabe war daher: dag 

Menſchengeſchlecht vom Eremente des Waſſers be: 





v 
168 


draͤngt, wovon wir eine ganz befondere Mannich⸗ 
faltigkeit hoffen konnten. 

Aus jenem Programm fuͤge zum Schluß noch 
eine Stelle hier ein, die Gelegenheit gibt ein 
anmuthiges Ereigniß zu beſprechen. „Unter den 
Schaͤtzen ber Galerie zu Kaſſel verdient die Ch a⸗ 
ritas, von Leonardo da Vinci, die Aufmerkſam⸗ 
keit der Kuͤnſtler und Liebhaber im hoͤchſten Grad. 
Herr Riepenhauſen hatte den ſchoͤnen Kopf 
dieſer Flgur, in Aquarellfarben, trefflich copirt, 
zur Ausſtellung eingeſandt. Die ſuͤße Traurigkeit 
des Mundes, das Schmachtende der Augen, die 
ſanfte, gleichſam bittende Neigung des Hauptes, 
ſelbſt der gedaͤmpfte Farbenton des Originalbildes 
waren durchaus rein und gut nachgeahmt. Die 
groͤßte Zahl derer, welche die Ausſtellung beſuchten, 
haben dieſen Kopf mit vielem Vergnügen geſehen; 
ja derfeibe muß einen Kunftliebhaber im hoͤchſten 
Grade angezogen haben, indem wir die unverfenn- 
baren Spuren eines herzlidien Kuſſes von angeneh⸗ 
men Lippen, auf dem Glaſe, da wo ed den Mund 
bededt, aufgedrüdt fanden.’ 

Wie liebenswürdig aber das Facſimile eines ſol⸗ 
chen Kuſſes gemwefen, wird man nur erft ganz empfin- 
“den, erfährt man die Umftände unter welchen fol- 
ches möglich geworden. Unfere Ausftelung kam 
dieſes Jahr fpäter zu Stande; bei dem Antheil 
welchen das Publlcum zeigte, ließen w'r es iäuger 
als gewöhnlich ftehen, die Zimmer wurden kälter 


* 


168 
und nur gegen die Stunden bes eröffneten Ein⸗ 
laffes geheist. Eine geringe Abgabe für die ein⸗ 
malige Entrde zum Beſten der Anftalt war geneh⸗ 
migt, befonderd von Fremden; für Einheimiſche 
war ein Abonnement eingerichtet, welches nach Be⸗ 
lieben auch außer der betimmten Zeit den Eintritt 
gewährte. Indem wir alfo, nah Gewahrwerden 
diefer liebevollen Theilnahme an einem vorzuͤglichen 
Kunftwert, uns in ſtiller Heiterkeit den Urheber 
zu entdeden bemühten, wurde folgendes erft feſt⸗ 
geſetzt. Jung war der Küffende, das Hätte man 
vorausfehen können, aber die auf bem Glas firir- 
ten Züge fprehen ed aus; er muß allein gewefen 
feyn, vor vielen hatte man- dergleichen nicht wagen 
dürfen. Dieß Ereigniß gefbah früh bei ungeheitzten 
Zimmern: der Sehnfühtige hauchte das kalte Glas 
an, drädte den Kup in feinen eignen Hauch, der 
alsdann erftarrend fich confolldirte. Nur wenige 
wurden mit diefer Angelegenheit befannt, aber es 
war leicht auszumachen wer bei Seiten in den un 
geheitzten Zimmern allein fich eingefunden, und ba 
traf ſich's denn auch recht gut: die bis zur Gewiß⸗ 
beit gefteigerte Vermuthung blieb auf einem jungen 
Menfchen ruhen, deffen wirklich Eüßliche Lippen wir 
Eingeweihten nachher mehr als einmal freundlich 
zu begrüßen Gelegenheit hatten. . 

Sovtel wir willen iſt das Bild nach Dotpat ge= 
kommen. — 





470 
180.4 
Der Winter hatte fih mit aller Gewalt einge- 
funden, die Wege waren verfchneit; auf der Schnecke 
Sein Sortlommen. Frau von Stael kündigte ſich im— 
mer dringender an, mein Gefchäft war vollendet, 
und ih entfhloß mich in manderlet Betracht nach 
Weimar zu gehen. Aber auch dießmal fühkt’ ich die 
Schaͤdlichkeit des Winteraufenthaltes im Sdcloſſe. 
Die ſo theure Erfahrung von 1801 hatte mich nicht 
aufmerkſam, nicht kluͤger gemacht, ich kehrte mit 
einem ſtarken Katarrh zuruͤck, der ohne gefaͤhrlich 
zu ſeyn mich einige Tage im Bette und ſodann Wo— 
chen lang in der Stube hielt. Dadurch ward mir 
nun ein Theil des Aufenthalts dieſer ſeltenen Fran 
hiſtoriſch, Indem Ich was In der Gefellfchaft vorging, 
von Freunden berichtlic vernahm, und fo mußte 
denn auch die Unterhaltung erft durch Billette, dann 
durch Zwiegeſpraͤche, fpäter in dem kleinſten Cirkel 
ftatt finden: vielleiht die günftigfte Weife, wie ich 
fie kennen lernen und mich ihr, In fofern dieß mög: 
lich war, auch mittheilen Fonnte, | 


Mit entfhiedeuem Anbrang verfolgte fie ihre 
Abfiht, unfere Zuſtaͤnde tennen zu lernen, fie ih⸗ 
ten Begriffen.ein- und unterzuondnen, fih nach dem 
Einzelnen foviel als moͤglich gu erkundigen, ale 
Weltfrau fi die gefelligen Verhaͤltniſſe Har zu ma⸗ 
chen, in ihrer geiftreihen Weiblichkeit die allgemei- 
neren Vorftellungsarten und was man Philofophie 


\ 


171 


nennt, zu burdbeingen und zu darchſchauen. Ob 
ich nun gleich gar keine Urſache hatte mich gegen ſie 
zu verſtellen, wiewohl ich, auch wenn ich mich ge⸗ 
hen laſſe, doch immer won den Leuten nicht recht 
gefaßt werde; fo trat Doch hier ein äußerer Umſtand 
ein, der. mi färben Augenblick ſcheu machte. Ich 
erhielt fo chen eiw erft herausgelommenes Franzd- 
ſiſches Buch, die Eorrefpondenz von ein paar Frauen; 
zimmern mit Mouffeau. enthaltend. Sie hatten den 
unzugduglichen. Iheuen Mann ganz eigentlich mpftis 
fichrt, Indem fie Ihm erſt durch keine Angelegen- 
heiten zu ‚tntereffiren, . zu einen Briefwechfel mit: 
itznen arzwindten gewußt, den fie, nachdem. fie beu 
Scherz genug hatten, ———— und drucken 
lleßen. 

ı" Hieräber: gab !.ichı mein: Misfauen an Frau 
von Stael zu erkennen, welche die Säache leicht 
nahm, fogar:zır billigen fchten und wicht undeutlich 
zu verfiehen gab: . fie denfe ungefähr gleicherweiſe 
mit und zu verfahren... Weiter bedurft' es nichts, 
um mich anfmerffam.nüd. vorſichtig zu machen, — 
— zu verſchließen 

Dle gesßen. Vorzuͤge dieſer bochdenkenden — 
—— Schriftſtelleris liegen jederman vor 
* ‚und bie Reſultate ihrer Reiſe durch Deutfchs 

land zeigew'penugfem, wie wohl ſie ihre Belt an⸗ 
gewendet. 
ꝛZthtyre wecke waren vielfach: ie Hollte bat fitt- 
Aue, gefelige, Aterariſche Borimat kennen lernen 


472 


und fih Aber alles genau unterrichten; dann aber: 
wollte auch fie gekannt ſeyn, und fuchte daher ihre 
‚Anfichten eben fo geltend zu mahen, als es ihr 
darum zu thun fehlen, unfre Dentweife zu erfors 
fhen. Allein dabei konnte fie es nicht laffen; auch 
wirfen wollte fie auf die Sinne, aufs Gefühl, auf 
den Geiſt, fie wollte zu einer gewiſſen Thaͤtigkeit 
aufregen, deren Mangel fie uns vorwarf, 

Da fie keinen Begriff hatte von dem was Pflicht 
heißt, und zu welcher ſtillen gefaßten Lage ſich der⸗ 
jenige, ber fie übernimmt, entfchiießen muß, fo 
folte immerfort eimgegriffen, augenbiidiich. gewirkt, 
fo wie in ber Geſellſchaft immer a end ver⸗ 
handelt werden: 

Die Welmaraner find gewiß eines Enthafi — 

faͤhig, viellelcht gelegentlich auch eines falſchen, aber 
das Franzoͤſiſche Auflodern ließ fich nicht van Ihnen 
erwarten, am wenigſten zu einer Zeit, wo die 
Franzoͤſiſche Uebergewalt fo allſeitig drohte und ſtill⸗ 
Kuge Menſchen das unausweichliche Unheil vorausſa⸗ 
hen, das uns im naͤchſton Jabr⸗ an den Rund der 
Vernichtung führen follde, 
Auch vorlefend wid beclamirend wollte Sran 
von Stael:fih Kränze erwerben: Ich entſchuldigte 
mic von einem Abend, wo fie Phaͤdra vorerug und 
wo ihr der mäßige Deutſche Beifall teineswegs ge: 
nug that. 

Philoſophiren In der Befellichaft heißt. 2) iber 
amanfjösiihe yrohlemıe lekhaft unterhalten. Dich . 


173 


war ihre eigenfliche Luft und Leidenfchaft. Natuͤrli⸗ 
cherweiſe trieb Re es in Neben und Wechfelreden ge: 
woͤhnlich bis zu denen Angelegenheiten bes Denkens 
und Empfindens, bie- eigentlich nur zwifchen Gott 
und dem Einzelnen zur Sprache kommen follten. 
Dabei hatte fie, als Frau und Franzoͤſin, immer bie 
Art, auf Hauptſtellen pofitiv zu verharren, und el- 
gentiich nicht genau zu hören, was der andere fagte. 

Dur alles diefes war ber böfe Genius in mir 
aufgeregt, daß ich nicht anders als widerſprechend 
diatektifch und problematifch alled Vorkommende be= 
handelte, und fie durch hartnädige Gegenfäge oft 
zur Verzweiflung brachte, wo fie aber erft recht 
liebenswuͤrdig war, und Ihre Gewandtheit im Den- 
ten und Erwidern auf bie glängendfte Weiſe dar⸗ 
that. 
Noch Hatte ich mehrmals ˖unter vier Augen ſolge⸗ 
rechte Geſpraͤche mit ihr, wobei ſie jedoch auch nach 
ihrer Weife laͤſtig war, indem ſie uͤber die bedeutend⸗ 
ſten Vorkommenheiten nicht einen Augenblick ſtilles 
Nachdenken erlaubte, ſondern leidenſchaftlich verlang⸗ 
te, man folle bei dringenden Angelegenheiten, bei 
ben wichtigften Gegenſtaͤnden eben fo ſchnell bei der 
Hand ſeyn, als wenn man einen Geberbail aufzu⸗ 
fangen haͤtte. 

Ein Geſchlchtchen ſtatt vieler möge bier Platz 
nehmen: Frau von Stael trat einen Abend vor der 
Hofzeit bei mir ein und ſagte gleich zum Willkommen, 
mit heftiger Lebhaftigkeit: „Ich habe euch eine wich⸗ 





"474 


tige Nachricht anzukuͤndigen: Moreau iſt erretirt 
mit einigen andern, und des Verretys gegen Den 
-Tprannen augeklagt.“ — Ich hatte ſeit tanger Zeit, 
"wie federman, an der Perſoͤnilchkeit des Edlen Theil 
genommen, und war feinen Thun und Handeln ge- 
folgt; ich ricf im Stillen mir das Vergangene zu⸗ 
ruͤck, um, nah mein:r Art, daran das Geyenwär- 
tige zu prüfen und da; Künftige daraus zu fchiteßen, 
oder doch weniuflens zu ahnen. Die Dame veraͤn⸗ 
derte das Gefpräh, daſſelbe wie gewöhnlich, auf 
mannichfach gieihgültige Dinge führend, und «is 
ich in meinem Grübeln verharrend ihr nicht ſogleich 
ge'präcig zu erwidern wußte, erneuerte fie die 
fhon oft vernommenen Vorwürfe: id ſey dieſen 
Abend wieder einmal, gewohnter Weife, maufade 
und keine beitere Unterhaltung bei mir gu finden, — 
Ich ward wirklich im Ernft boͤſe, verfizerte, fie fey 
feines wahren Antbeils fähig; fie falle rt der Thuͤr 
Ind Haus, betäube mich mir einem derben Schlag, 
und verlange ſodann, man folle alfobaıd fein Aed⸗ 
hen pfeifen und von einem Gegenftand zum andern 
huͤpfen. 

Dergleichen Aeußerungen waren recht tm ihrem 
Stun, fie wollte Leidenſchaft erregen, gleichviel 
welche. Um mich zu verſoͤhnen, ſprach ſie die Mo: 

mente des uedahten wichtigen Unfalls grändti Durch 
und bewies dabei große Einficht im die Rage der 

Dinge, wie in die Charaktere. 
Ein anderes Geſchichtchen bezeugt gleichfalls, 


2 175 


wie heiter und leicht mit fhr zu leben war, wenn 
man es auf ihre Weiſe nahm. An einem perfonen- 
reihen Abendeffen bei Herzogin Amalle rap ih 
weit von ihr, und war eben auch für dießmal ſtill 
und mehr nachdenklich. Meine Nacbbarſchaft ver- 
wies es mir, und es gab eine Fleine Bewegung, de⸗ 
ten Urfache endlich bis zu den höhern Perfonen hin- 
aufreichte. Frau von Stael vernahm die Anklage 
meines Schweigens, dußerte ſich daräber wie ge⸗ 
woͤhnlich, und fügte Hinzu: „Ueberhaupt mag ih 
Goethe niht, wenn er nicht eine Bouteille Cham⸗ 
pagner getrunfen hat.“ Ich fagte darauf halb laut, 
ſo daß ed nur meine Nächften vernehmen konnten: da 
müffen wir und denn doch fhon manchmal zufammen 
befpist haben: . Ein maͤßiges Seldchter entftand dar⸗ 
auf; fie wollte den Anlaß erfahren, niemand konnte 
und mochte meine Worte im eigentlichſten Sinne 
Sranzöfifch wieder geben; bis endiih Benjamin 
Sonftant, auch ein Nahſitzender, auf ihr anhal- 
tendes Fordern und Drängen, um die Sache abzu- 
falleßen, ed unternahm, ihr mit einer euphemiſti⸗ 
ſchen Phraſe genug zu thun. 

Was man jedoch von ſolchen Verhaͤltniſſen hin⸗ 
terher denken und ſagen mag, fo iſt immer zu be⸗ 
kennen, daß fie von großer Bedeutung und Elnfluß 
auf die Folge geweſen. Jenes Werk über Deutſch⸗ 

‚land, welches feinen Urſprung dergleichen geſelligen 
"Unterhaltungen verdanfte, iſt als ein maͤchtiges 
Ruͤſtzeug anzuſehen, das in die Chineſiſche Mauer 





176 


⸗ 

antiquirter Vorurtheile, die und von Frankreich 
trennte, ſogleich eine breite Luͤcke durchbrach, fa 
daß man über dem Rhein und, in Sefolg deffen, _ 
über dem Canal, endlich von uns nähere Kenntniß 
nahm, wodurch wir nicht anders als lebendigen Ein- 
Auß auf den fernern Welten zu gewinnen hatten. 
Segnen wollen wir alfo jenes Unbequeme und ben 
Conflict nationeller Eigenthuͤmlichkelten, die ung 
damals ungelegen kamen und Eeineswegs förderlich 
erſcheinen wollten. i 

Eben fo hätten wir daukbar ber Gegenwart Herrn 
Benjamin Eonftant zu gedenken. 

Gegen Ende Juny begab ih mich nah Jena und 
‚ward gleich an demfelbigen Abend durch Iebhafte Io: 
‚hannisfener munter genug empfangen. Es iſt feine 
Stage: daß fich dieſe Luſtflammen auf den Bergen, 

fowohl in der Nähe der Stabt, als wenn man das 
Thal auf- und abwärts fährt ‚ überrafhend freund: 
Lich. ausnehmen. 

Nach Verfchledenheit der vorhandenen Materie: 
Ken, ihrer Menge, mehr ober weniger Schnellig- 
Felt der Verwendung, züngeln fie bald obelisken⸗ 
bald pyramidenartig in die Höhe, fcheinen glühend 
zu verlöfhen und leben auf einmal ermuntert wie- 
der auf. Und fo fieht man ein ſolches feuriges Wech⸗ 
felfpiel Thalauf Thalab, auf die mannichfaltigfte 
Weiſe belebend fortfegen. 

Unter allen diefen Erfheinungen that fich eine 
. zwar nur auf kürzere Zeit, aber bedeutend und auf: 

fallend 





477 


fallend hervor. Auf der Spise bes Hausberges, 
weiber, von feiner Vorderſeite angefeben, kegel⸗ 
artig in die Höhe ſteigt, flammte gleihmäßig ein be- 
deutendes Feuer empor, doch hatte es einen beweg- 
Iihern und unrublgern Charakter; auch verlief nur 
kurze Zeit, als es fi in zwey Baͤchen an ben Sei⸗ 
tm des Kegels herunterfließend ſehen ließ; diefe in 
der Mitte durch eine feurige Querlinte verbunden 
jeigten ein koloſſales leuchtendes A, auf deſſen 
Gipfel eine ſtarke Flamme gleihfam ald Krone fi 
hervorthat und auf den Namen unferer verehrten 
Herzostn Mutter hindeutete. Diefe Gefcheinung 
ward mit allgemeinem Beifall aufgenommen; frem- 
de Bäfte fragten verwundert über die Mittel, wo⸗ 
durch ein fo bedeutendes und Feſtlichkeit kroͤnendes 
Feuergebilde habe veranftaitet werben können. ” 

- Sie erfuhren jedoch gar bald, daß dieſes dad 
Bert einer vereinigten Menge war und einer ſolchen, 
von der man es am wenigften erwartet hätte. 

Die Untverfitdteftadt Jena, deren unterfte armfte 
Kaffe ſich fo fruchtbar erweift, wie es in den pröß- 
tm Städten fih zu ereignen pflegt, wimmelt von 
Knaben verfchtedenen Alters, welche man gar füg: 
lich den Lazaroni'g vergleichen kann. Dhne eigentlich‘ 
zu betteln, nehmen fie durch Wielthätigkeit das 
Wohlthun ber Einwohner, befonders aber der Stu- 
direnden in Anfpruch. Bei vorzäglidyer Frequenz 
der Alademie hatte fich diefe Erwerbsclaffe befon- 
ders vermehrt: fie ſtanden am Markte und an den 

Sperte'3 Werte, XXXI. Bo, 42 





178 


Straßeneden überall bereit, . trugen Botſchaften 
bin und wieder, beflellten Pferde und Wagen, tru- 
gen bie Stammbuͤcher. hin und ber und ſollicitirten 
das Einfchreiben, alled gegen geringe Retributio⸗ 
nen, welche denn doc ihnen und Ihren $amtılen 
bedeutend zu Gute kamen. Man nannte fie Mobs 
ten, wahrſcheinlich weil fie von der Sonne verbrannt, 
fi durch eine dunklere Gefihtsfarbe auszeichneten. 

Diefe hatten fi fchon lange her das Recht au= 
gemaßt, bad Feuer auf der Spitze des Hausbergs 
anzuzünden und zu unterhalten, welches anzufachen 
und zu ernähren fie fih folgender Mittel bedienten. 
Eben fo ben weiblichen Dienftboten der bürgerlichen 
Häufer als ben Stubirenden wilfährig, mußten fie 
jene durch manche Gefaͤlligkeit zu verpflichten, der⸗ 
geftalt daß ihnen die Befenftumpfen das Jahr über 
aufbewahrt und zu diefer Feſtlichkeit abgeliefert wur- 
den. Um biefe regelmäßig in Empfang zu nehmen, 
theilten fie fih in bie Quartiere der Stadt nnd ge- 
fangten am Abend des Johannistags ſchaarenweis 
zuſammen auf ber Spitze des Haudberges an, wo 
fie dann ihre Reisfackeln fo ſchnell als möglich ent: 
zündeten, und ſodann mit ihnen manderlei Bewe⸗ 
gungen ma@ßten, welche ſich dießmal zu einem gros 
Sen A geftalteten, da fie denn ſtill hielten und jeder 
an feinem Platze die Flamme fo lange als möglich 
zu erhalten fuchten. 

Diefe lebhafte Erfheinung, bei einem peitern 
Abendgelag von verfanimeiten Freunden gewahrt 


179 

und bewundert, eignete ſich auf alle Fälle, einigen 
Euthufiadenus zu ertegen, Man fileh auf das Wohl 
ber verehrten Fuͤrſtin an, und, da fchon-feit einis 
ger Zeit eine immer ernftere Policei dergleichen fen- 
tige Luſtbarleiten zu verbieten Anſtalten machte, fo 
bedauerte man, daß eine ſolche Seelenfreude Fünf: 
tig nicht mehr genoffen werden follte, und dußerte 
den Wunſch für die Dauer einer ſolchen 
heit im dem heitern Toaft: 


Johamisfeuer fey unverwehrt, 

Die Freude nie verloren! 

Befen werben immer ftumpf geehrt 
Und Jungens immer geboren. 


Einer gründiihern Heiterlelt genoß man bei Un⸗ 
teefuchung ber dortigen wiſſenſchaftlichen Anſtalten; 
beſonders hatte die Sammlung ber. mineralogifchen 
Geſellſchaft an Reichthum und Drdnung merklich zu- 
genommen. Die Blinfinter, welche zu ber Zeit erit 
lebhaft zur Sprache gefommen,. gaben, wie ed mit 
allem bedeutenden Neuen gefchiebt, dem Stublum 
ein frifhes Intereſſe. Geognoſtiſche Erfahrungen 
geologifhe Gedanken in ein folgerechtes Anfchauen 
einzuleiten, gedachte man an ein Mebell, das beim 
erften Aublick eine anmuthige Landſchaft vorftellen, 
deren linebenheiten bei den Auseinanberziehen des 
Ganzen durch bie innerlich angedeuteten verſchiede⸗ 
nen Gebirgearten rationell werden follten. Cine 
Aulage im Kleinen ward gemacht, anfänglich nicht 


x J 


“ 


130 


ohne Erfolg, uachher abet darch andere Intereffen 
beſeitigt und durch ftteitige Vorſtellungsarten über 
dergleichen problematiſche Dinge der Vorgeſſenhett 
uͤbergeben. 

Die von Hofrath vuttuer hinterlaſſene Biblio⸗ 
thek gab noch immer manches zu thun, und das Bin: 
den der Buͤcher, das nachherige Einorduen ae 
Beihäftigung. - 

Hoͤchſt erfreulich aber: bei allem dieſem war der 
Beſuch meines guadigftien Herrn, welcher mit Geh. 
Rath von Voigt, einem in dieſen Geſchaͤften eifrig 
mitwirkenden Staatsmanne, heruͤberkam. Wie be— 
lohnend war es für einen ſolchen Fuͤrſten zu wir- 
ten, welcher Immer neue Ausſichten dem Handeln 
und Thım. eröffnete, Tobann bie Ausfährung mit 
Dertrauen feinen Dienern überließ, immer von 
Zeit zu Seit wieder eiumal hereinſah und ganz rich 
tig beurtheilte, inwiefern. man den Abfihten gemäß 
gehandelt hatte; da man Ihn denn wohl ein’ und 
Das andere Mal durch die Mefultate fchnelleter 
Fortfchritte zu überrafchen wußte. 

Bei feiner dießmaligen Anwereuheit wurde er 
Beſchluß reif, ein anatomifches Mufenm einzurich 
ten, welches bei Abgang eines Profeflors ber Ann 
tomie der wiſſenſchaftlichen Anſtalt verbleiben müffe. 
Es ward dieſes um fo noͤthiger, als bei Entfernung 
des bedeutenden Loderifhen Gabinets eine große 
güde In diefem Fach empfunden wurde. Profeffer 
Ackermann, von Hetdelberg berufen, machte ſich's 


481 


zur Pflicht, ſogleich: in diefem Sinne zu arbeiten 
und zu fammeln, und unter feiner Anleitung gedieh 
par batd Bas Unternehmen zuerit im didaktifchen 
Einne, welcher durchaus ein anderer ift als der wiſ⸗ 
fenfchafttiche, der zuuleih auf Neues, Seltenes, 
ia Eurlofes -Aufmertfamtelt und Bemuͤhung richtet, 
und nur iu Befolg des nen allerdings Vin finden 
faun sd muß. 

Je ‚weiter ih in — remain Studien 
vorrüdte, deſto wichtiger und liehwerther wollte 
mir die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften überhaupt 
eriheinen. Wer dem Gange einer höhern Erfennt- 
niß und Einſicht getreulich folgt, wird zu bemerken 
haben, daß Erfahrung und Wiſſen forsfchreiten und 
ih bereichern koͤnuen, daß jedoch dad Denken und 
die eigentlichſte Einſicht keineswegs in gleicher Maße 
voſlkommener wird, und zwar aus der ganz natuͤrli⸗ 
chen Urſache, weil das Wiſſen unendlich und jedem 
neugle tig Umherſtehenden zugaͤnglich, das Ueberle⸗ 
sen, Denkenr und Verknuͤpfen aber innerhalb eines 
zewiſſen Kreifes der: menſchlichen Faͤhlglelten eln- 
ge Oloſſen tz dergeſteſt, daß das Erkennen ber 
vorliegenden. Weltgegenſtaͤnde, vom Firſtern bls 
sum kleinſten lebdendigen Lebepunet, immer deutli⸗ 
cher und ausfuͤrrlicher werden kann, De wahre Ein⸗ 
ſicht in. die. Natur dieſet Dinge jedoch In ſich ſelbſt 
gerindert iſt und dieſes in dem Grade, daß niot 
allein die Indivlduen, ſondern ‚ganze Jahrhunder⸗ 
de vom JIrrtham ann: Wahrheit,. van ber Wahr⸗ 


482 _ 
beit zum Irrthum ſih in einem ſencen Arein be⸗ 
wegen. 

In dieſem Jahre war ich Bis zu ber wichtigen 
Zeit gelangt, wo die nachher königlich genannte Eng⸗ 
liſche Geſellſchaft fih erſt in Oxford, ‚dann in Lone 
don zufammen that, burch mamidfaltige wichtige 
Hinderniffe aufgehalten, fodann durch dengroßen 
Brand in London im ihrer Thaͤtigkeit mmtefbvodhen, 
zulegt aber immer mehr eingerichtet; geordnet und 
gegruͤndet war. 

Die Geſchichte dieſer Societat von Thomas 
Sprat las ich mit großem Beifall, und bedeuten⸗ 
der Belehrung, was auch ſtreugere Forderer gegen 
diefen freilich etwas flaͤchtigen Mann mögen eluzu⸗ 
wenden haben. Gelſtreich iſt er- immer, und laͤßt 
uns in die Zuſtaͤnde ˖ recht olgenttich hinelnblicken. 

Die Protofslle :diefer. Geſellſchaft, deransgege⸗ 
den von Birch, And dagkıen unbeftritten ganz un⸗ 
ſchaͤtzbar. Die Anfänge einer fo großen Auſtalt ges 
ten und genug zu denken. Ich wibmetedieferh Werke 
jede ruhige Stunde, 'unb:babe von dem mas ich miz 
davon zugeeignet, in meiner Gefeftchtd ber Baden 
lehre kurze Rechenſchaft gegeben. - 

Hier darf ich aber nit veridiwälgen, daß Biete 
Merle von der Göttinger Bibllothek, durch Die 
Gunft des edlen Heyne mir zugelommen, deffen 
nachſichtige Geneigtheit durch viele'Yahre mir mmuns 
terbrochen zu Theil ward, ı wenn er gleich oͤfters 
wegen verfpäteter ‚Surddfendimg mancher bedenten 


433 


ben Werke einen Heinen Unwillen nicht ganz verbarg. 
Sreitih war meine deſultoriſche Lebens: und Stu⸗ 
dienweife meiſtens fchuld, daß ich an tüchtige Werte 
nur einen Anlauf nehmen und fie wegen aͤußerer 
Zudringlichkeiten bei Seite legen mußte, in Hoff: 
nung eines günftigern Augenblidd, der fih denn 
wohl auf eins lange Zeitftrede verzögerte. 
Winckelmanns frühere Briefe an Hofr. Behrends 
waren fhon laͤngſt in melnen Händen, und ich hatte 
mich zu ihrer Andgabe vorbereitet. Um das was zu 
Shliderung des außerordentlihen Mannes auf man 
nicfaltige Weile dienen könnte, zufammenzuftellen, 
zos ich die werthen Freunde, Wolfin Halle, Meyer 
in Weimar, Zernow in Jena, mit Ins Intereffe, 
und fo bildete fih nad und nach der Octavband, wie 
er fodann in bie Hände bes Publlcums gelangte. 
Ein Fran oͤſiſches Manuſcript, Diderots Neffe, 
ward mir von Scillern eingehändigt, mit dem 
Wunſche, ich möchte ſolches überfegen. Ich war 
von jeher, zwar nicht für Diderotd Geflnnungen und 
Dentwelfe, aber für felne Art ber Darftellung als 
Autor ganz befonderd eingenommen, und ich fand 
das mir vorliegende Kleine Heft von der größten 
aufregenden Trefflichkeit. Frecher und gebaltener, 
geiftreicher und verwegener, unfittlich - fittlicher war 
mir kaum etwas vorgekommen; ich entfchloß mic 
daher fehr germ zur Ueberfeßung; rief zu eignem 
und fremdem Verſtaͤndniß das früher Gingefebene 
and den Schaͤtzen ber Literatur hervor, und fo ent⸗ 





184 


ſtand, was ich unter der Form von Noten in alphaz 
betifher Ordnung dem Wert binzufügte, und es 
endlich bei Goͤſchen herausgab. Die Deutiche Yeber= 
feßung folle vorausgehen, und dad Original bald 
nachher abgedrudt werden. Hievon überzeugt ver= 
fäunte ich eine Abfchrift des Originals zu nehmen, 
woraus, wie fpäter zu erzählen feyn wird, gar wun- 
derlihe Verhaͤltniſſe fi hervorthaten. 

Die neue Allgemeine Literatur - Zeitung bewegte 
fih mit jedem Monat lebendiger vorwärts, nicht 
ohne mancherlei Anfechtungen, doch ohne eigentli⸗ 
ches Hindernig. Alles Für und Wider, was bier 
durchgefochten werden mußte, im Zufammenbaug 
zu erzählen würde keine unangenehme Aufgabe ſeyn, 
und der Gang eines wichtigen literarifchen Unter⸗ 
nehmens wäre jedenfalls belehrend. Hier koͤnnen 
wir uns jedoch nur durch ein Gleichniß ausdraiden. 
Der Irrthum jenſeits beftand darin: Man hatte 
nicht bedaht, daß man von einem militaͤriſch-guͤn⸗ 
ſtigen Poſten wohl eine Batterie wegführen und an 
einen andern bedeutenden verfeßen kann, daß aber 
dadurch der Widerfacher. nicht verhindert wird, an 
der verlaſſenen Stelle fein Gefchäß aufzufahren, um 
für fih gleihe Vortheile daraus zu gewinnen. An 
der Leitung bes Gefchäftes nahm ich fortwaͤhrenden 
lebhaften Antheil: von Recenſionen, bie ich lieferte, 
will ich nur die der Voſſiſchen Gedichte nennen und 
bezeichnen. 

Im Jahre 1797 hatte ich, mit dem aus Stellen - 


485 


jurüdlchrenden Freunde Meyer, eine Wanderung 
nach den kleinen Santonen, wohin mid nun (dom 
zum bdrittenmale eine unglaublihe Sehnſucht an⸗ 
teate, heiter vollbradht. Der Vierwaldfiädter See, 
bie Schwyßer Hoden, Fluͤelen und Altborf, auf 
dem Hin- und Herwege nur wieder mit freiem offe- 
nem Auge befhaut,  nöthigten meine Einbildungs⸗ 
fraft, dieſe Localitäten als eine ungeheure Lande 
fchaft mit Perfonen zu bevötfern, und welche ſtellten 
ſich ſchneller dar als Tell und feine wadern Zeitge- 
noften ?. Ich erfann bier an Drt und Stelle ‚ein epi⸗ 
ſches Gedicht, dem Ich um fo lieber nachhing als Ich 
wuͤnſchte, wieder eine größere Arbeit in Hexame⸗ 
tern zu unternehmen, in diefer [hönen Dichtart, in 
Die fih nach und nach unire Sprache zu finden wußte, 
wobei die Abfiht war, mic immer mehr dur 
Uebung und Beachtung mit Freunden darin zu ver⸗ 
vollkommnen. 

Von meinen Abſi chten melde nur mit Wenigem, 
daß ich in dem Tell eine Art von Demos darzuſtel⸗ 
len vorhatte und ihm deßhalb als einen koloſſal kraͤf⸗ 
tigen Laſttraͤger bildete, die rohen Thierfelle und 
ſonſtige Waaren durchs Gebirg heruͤber und hinuͤber 
zu tragen ſein Lebenlang beſchaͤftigt, und, ohne ſich 
weiter nu Herrſchaft noch Knechtſchaft zu bekuͤm⸗ 
mern, fein Gewerbe treibend und die unmittelbar 
fien perfönliben lebel abzuwehren fählg und ent⸗ 
fhloffen. In biefem Siune war er den reiben 
and höhern Landslenten befannt, und harmlos. übri- 


486 


gene auch unter den fremden Bebrängern. Diefe 
feine Stellung erleihterte mir eine allaemeine in 
Handlung geſetzte Erpofition, wodurd der eigent- 
liche Zuſtand des Augenblicks anfhanlich ward, 
Mein Landvolgt war einer von den behaglihen 
Zorannen, weine herz und ruͤckſichtlos auf ihre 
were hindringen, übrigens aber fi gern bequem 
finden, deßhalb auch leben und leben laſſen, dabei 
auch humoriſtiſch gelesentlich dieß oder jenes vers 
üben, was entweder gleichgültig wirken oder auch 
wohl Nutzen und Schaden zur Folge baten kann. 
Man fieht aus beiden Schilderungen, daß die An 
lage meines Gedichtes von beiden Seiten etwas 
Laͤßliches hatte und einen gemeflenen Gang erlaubte, 
weiher dem epiihen Gedinte fo wohl anftebt. 
Die älteren Schweizer und. deren treue Repraͤſen⸗ 
tanten, an Bellsung, Ehre, Leib und Anſehn ver: 
legt, folten das fittlih Leidenfchaftiihe jur in⸗ 
neren Gaͤhrung, Bewegung und endlihem Aus: 
bruch treiben, indeß jene beiden Figuren perföns 
ih gegen einander zu fiehen und unmittelbar auf - 
einander zu wirken hatten. 

Diele Gedanfen und Einbildungen, fo fehr fie 
mich auch befhäftigt und fih zu einem reifen Gan⸗ 
zen gebildet hatten, gefielen mir ohne daß ich zur 
Ausführung mich Hätte bewegt gefunden. Die 
Deutſche Profodie, Infofern fie die aiten Sylben⸗ 
maße nachblldete, war, anflatt ſich fu regeln, immer 
zroblematifcher; die anertannten Meifter ſolcher 


| 0 


l 
Kuͤnſte und Kuͤnſllichkeiten Tagen bis zur Feindſchaft 
in Widerfireir. Hierdurch ward das Zweifelhafte 
no ungewifier; mir aber, wenn ich etwas vor⸗ 
batte, war es unmöglich über die Mittel erft zu 
denfen, woburd der 3meL zu erreichen wäre; jene 
maßten mir ſchon bei der Hand ſeyn, wenn ich die⸗ 
fen nicht alfobaid aufgeben follte, . - | 
Ueber dieſes innere Bliden- und dufere Untere 
laffen warea wir in das newe Jahrhundert einge: 
treten. Ich Hatte. mir Schiller diefe Angelegenheit 
oft beſprochen und ihn mit meiner lebhaften Schil⸗ 
derung jener Felswaͤnde und gedrängten Iuftäube 
dft genug unterhalten, dergeſtalt daß fich bei ibm 
dieſes Thema nach feiner Welle. zurechtftellen und’ _ 
foruren mußte. Auch er machte mich'mit feinen An⸗ 
fihten befaant, und ich emsbehrte nichts an efnem 
Stoff der bei mir dem Reiz der Neuheit und bei 
unmittelbaren Anſchauens verlosen. batte, und über: 
Ueß ihm daher benfelben gerne und foͤrmlich, wie 
ich ſchon fräher mir den Kranichen. des Ibycus und 
manchem andern Thema gethan hatte; da fich ben 
aus jener. obigen: Darſtellung, Wergiichen mit dem 
Bchilleriſchen Dramm, dentüch ergibt,: dab Ihm alles 
Sellommen angehört, und daß er mir nichts als 
» DE Atregang und eine lebendigere Unſchauung ſchul⸗ 
. Big fep mag, ale ihm: die einfache Eegende hatte 
gewaͤhren Sanen... ' 
Eine Bearbeitung .biefed Gegenſtandes warb 
Iumerfort‘; wie gerhhutich, unter und beſprochen, 


188 


die Rollen zuletzt nach ſeiner Ueberzengung ausge: 
theilt, die Proben gemeinſchaftlich uietfah und mit 
Sorgfalt behandelt; auch fuchten wir in Eoftäm und 
Decoration nur mäßig, wiewohl ſchicklich und charak⸗ 
teriſtiſch, zu verfahren, wobei, wie immer, mit 
unſern oͤkonsmiſchen Kräften die Ueberzeugung zu⸗ 
ſammentraf, daß man wit allem Atuhern mäßig 
verfahren, hingegen dad Innere, Geiſtige ſo hoch 
als möglich ſteigern muͤſſe. Ueberwiegt jeres, ſo 
erdruͤckt der einer jeden Sinnlichkeit am Ende doch 
nichtigenngehuende "Stoff alles das eigentlich höher 
Geformte ; deffentwegen das Schauſplel elaentiich 
nur zulaͤſſig iſt. Den 17 Mär; war: bie Aufführung 
und durch dieſe erſte wie durch die folgenden Bow 
ſtelungen, nicht weniger durch das Gluͤch, weiches 
dieſes Wert durchaus machte, bie Darauf: geivendett 
Sergkait und Mühe, UPBIORENER a 
belohnt. - 

De Berabrebung — Sailer gemaß ein die: 
pertorium unferd Deutfchen Theaters nach und. nach 
zu bilden, verſuchte ih mich an Böh von Berlichin⸗ 
gen ohne dem Zweck ‚genug Ihun.zu koͤnnen. Dad 
Gtuͤck blieb immer zu lang, In zwei Schelle: gethebt 
war es unbequem, und der. fließenhe hiftorikche Seug 
Himberte : durchaus ein ſtationaͤres Intereſſe der 
Scenen, wie es auf dem Theater gefordert wird, 
Indeſſen war die Arbeit angefangen und vollenhet, 
aicht ohne Zeitverkuft und fonftige Usbilden. 

Zn dieſenißeiten meldote ſich auchbel mir. Gecf 


A. 


189 


Senwblo,: um die fuͤnfzig Earolin wieder zu empfen- 
gen, dke er vor einigen Fahren bei mir niedergelegt 


hatte; fie. waren ald Preis ausgefegt für die befte. " 


Auftöfung einer von ihm geftelltem Frage ,. bie ich 
genenwärtig ‚nicht mehr zu articuliren wüßte, bie 
aber auf seine. wunderliche Welle da hinaneging: 
wie ed ciymtliiy von ichen mit ber Budung der 
Menſchen und menſchlicherDeſellſchaft zugegangen 
ſey. Maw Hätte Taxen mögen, bie Antwort ſey in 
Herbord been und Tonkigen Schriften der Art fchon 
entbaften 'gewefen; auch haͤtte Herder in feinem 
früheren Vigor um: diefen Prets zu gewinnen wohl 
sch einmal zu einem faßlihen Resum6 jene Feder 
walten laffıen. . 

Des gute wohldentende —— ber ſich's um 
die Auftlärung der Menfhen etwas wollte koſten 
laſſen, hatte fih von der liniverfität Jena eine Vor⸗ 
ſtellung gemacht, ald wenn es eine Akademie der 
Wiſſenſchaften wäre. Mon ihr ſollten die einge- 
Zommenen Arbeiten durchgefehen und beurtheilt 
werden. Wie fonderbar eine folche Forderung zu 
unfern Zuftänden paßte, iſt bald überfehen. In- 
deſſen befprah ih die Sahe mit Scillern weit: 
laͤufig, ſodann auch, mit Griesbach. Beide fanden 
die Aufgabe. alzumelt umgreifend und doch gemiffer- 
maßen undbeftimmt. In weſſen Namen follte fie 
ausgeihrieben, von wem follte fie beurtheilt wer- 
den, und welcher Behörde durfte man zumuthen, 


- bie eingehenden Schriften, welche nicht anders als 


* 


‚ 490 


umfänglih ſeyn konnten, ſelbſt von dem beſten 
Kopfe ausgearbeitet, durchzupruͤſen? Der Conflict 
zwiſchen den Anatoliern und Oekumeniern war da- 
mals lebhafter aid jetzt; man fing an ſich zu über: 
zeugen, daß das Menſchengeſchlecht überall. unter 
gewiſſen Staturbedingungen babe entfieben tönnen, 
und daß jede fo entſtehende Menſchenrace ſich ihre 
Sprache nah organiſchen Gefetzen habe: erfinden 
muͤſſen. Jene Frage nothigte nun aufı.klafe Aur 
fänge hinzudriagen. Entſchied man ſith fix eine 
Seite, fo konnteder Aufſatz keinen allgemeinen Bel: 
fall erwarten; ſchwanken zwifchen beiden war nicht 
ein Leichtes. Genug, nah vielen Hinz und 
Widerreden lieh ich Preid und Frage ruhen, und 
ylelleicht hatte unfer Mäcen in ber Zwiſchenzeit an- 
dere Gedanken gefaft, und glaubte fein Geld beſſer 
anwenden zu können, welches aus meiner Ber: 
wahrung und Verantwortung 108 zu werden für mic 
ein angenehmes Ereigniß war. 


1805 


Alfo ward auch dieſes Jahr mit ben beften Vor⸗ 
fäsen und Hoffnungen angefangen, und zumal De 
metrius umſtaͤndlich dfters beſprochen. Weit 
wir aber beide durch koͤrperliche Gebrechen oͤfters 
in den SHauptarbeiten geftört wurden, fo feßte 
Schiller die Uebertragung der Phadra, Ich die des 

— & 


. 


491 


Mameau fort, wobei nicht elgne Production ver« 
langt, ſondern unfer Talent dur fremde, fchon 
vollendete Werke aufgebeitert und angeregt. wurde. 

Ich ward bei meiner Arbeit aufgemuntert, ja 
genoͤthigt die Franzoͤſiſhe Literatur wieder vorzu⸗ 
nehmen, und zu Verftändniß des feltfamen, frechen 

Buͤchleins manche, für und Deutſche wenigſtens, 

völlig verſchollene Namen in charakteriſtiſchen Bil⸗ 

dern abermals zu beleben. Muſikaliſche Betrach⸗ 
tungen rief ich auch wieder hervor, obgleich dieſe 
mir fruͤher fo angenehme Beſchaͤftigung lange ge⸗ 
ſchwiegen hatte. Und fo benußte ich manche Stunde, 
die mir fonft in Leiden und Ungeduld verloren ges 
gangen wäre. Durch einen ſonderbar gluͤcklichen 

Zufall traf zu gleicher Zeit ein Franzoſe hier ein, 

Namens Terier, welcher fein Talent, Franzoͤ⸗ 

ſiſche Komödien mit abwechſelnder Stimme, wie 

‚ihre Schaufpieler fie vortragen, munter und geift 

reich vorzulefen, bei Hofe mehrere Abende hindurch 

zu bewundern gab; mir befonders zu Genuß uad 

Nutzen, da ih Molieren, den ich hoͤchlich ſchaͤtzte, 

dem ich jährlich einige Zeit widmete, nm eine wohl 

empfundene Verehrung Immer wieder zu prüfen und 
zu erneuen, nunmehr in lebendiger Stimme von 
einem Landsmann vernahm, der gleichfalld von 
einem fo großen Talente durchdrungen, mit mir in 

Hochſchaͤtzung deſſelben darſtellend wetteiferte. 

Schiller, durch den drevßigſten Januar gedrängt, 
arbeitete fleißig an Phaͤdra, die auch wirklich am 


* 192 


beſtimmten Tage aufgefuͤhrt ward, und hier am 
Orte wie nachher auswaͤrts bedeutenden Schauſpie⸗ 
lerinnen Gelegenheit gab ſich herrotzuthun und ihr 
Talent zu ſtelgern. 

Indeſſen war ich durch zwey ſchrechaſte Vorfälle, 
Durch zwey Brände weiche in wenigen Abenden und 
Nächten binter einander entftanden, und wobei id 
jedesmal perföntich bedroht war, in mein Nebel, 
aus dem ich mich zu retten ftrebte, zurüdgeworfen. 
Schiller fähite fich von gleichen Banden umihlungen. 
Unfere perfönlihen Zuſammenkuͤnfte waren unter- 
brochen; wir wecfelten fliegende Blätter. Einige 
im Februar und März von Ihm gefhriebene zeugen 
noch von feinen Leiden, von Thätigleit, Ergebung 
und immer mehr ſchwindender Hoffnung. Anfangs 
May wagt’ ih mich aus, Ich fand ihn im Begriff 
ins Schaufptel zu gehen, wovon Ich Ihn nicht abhaf- 
ten wollte: ein Mißbehagen binderte mid ihn zu 
begleiten, und fo ſchieden wir vor feiner Hausthäre 
um uns niemals wieder zu ſehen. Bel dem Zu⸗ 
ftande meines Körpers: und Geiftes, die nun auf- 
recht zu bleiben aller eigenen Kraft bedurften, wagte 
niemand die Nachricht von feinem Scheiden In meine 
Einſamkeit zu bringen: Er war am Neunten ver: 
fhteden, und ic nun von allen meinen Uebeln dop⸗ 
pelt und brevfach angefallen. . 

Als ich mich ermannt hatte, blickt' Ich nach einer 
entſchiedenen großen Thaͤtigkeit umher; mein erfter 
Gedanke warden Demetrius zu vollenden. Von 

’ dem 


193 


dem Vorfatz an bis In bie letzte Zeit hatten wir der 
Yan öfters durchgeſprochen: Schiller mochte gern 
unter dem Arbeiten mit fi felbft und andern für 
und wider ftreiten, wie es zu machen wäre; er warb 
eben fo wenig muͤde fremde Meinungen zu verneh- 
men mie feine eigenen hik nid ber zu menden. Und 
fo Hatte:i alle feine Stikte, vom Wallenitein an, 
zur Seite begleitet; meiſtentheils friedlich und 
freundlich, ob ih gleih mandhmal, züuleßt wenn 
es zur Aufführung am, gewiſſe Dinge mit Heftig: 
feit beftritt‘, wobei denn endlich einer oder der an- 
dere nachzugeben für gut fand. Go hatte fein aus- 
und aufſtrebender Geiſt auch bie Darſtellung des 
Demetrius in viel zu großer Breite gebacht; ich 
war Zeuge wie er die Erpofition in einem Vorſpiel 
bald dem Wallenſteiniſchen, bald-dem Orleaniſchen 
aͤhnlich ausbilden wollte, wie er nach und nach ſich 
ins Engere 309 , die Hauptmomente zufammenfaßte, 
und bie und da zu arbeiten anfing. Indem Ihn ein 
Ereigniß vor bem andern anzog, hatte ich beiräthig 
und mitthätig eingewirft, das Stuͤck war mir fo 
lebendig als ihm. Nun brammt’ ich vor Begierde 
unfere Unterhaltung, dem Tode zu Truß, fortzu⸗ 
ſetzen, feine Gedanken, Anfichten und Abfichten bis 
ind Eimzelne zu bewahren, und ein herkoͤmmliches 
Zufemmenarbeiten bei Nedaction eigener und frem⸗ 
der Stüde hier zum leßtenmal auf ihrem hoͤchſten 
Gipfel zu zeigen. Sein Verluſt ſchien mir erſetzt, 

Indem ich fein Dafenn fortfehte. u gemein: 

Sees Werte, XXXI. Bd. 


49-, 


ſamen. Frennde hofft? ich gu, vorbindeng das Deutſche, 
Theater, für weiches. wir bisher gemeinſchaftlich⸗ 
er dichtend und. heſtimmend, ich beiehrend, uͤbend 
und ausfuͤhrend. gearbeitet „hatten. ſollte, bis zur 
Herankunft eines friſchan ahnlichen Geiſtea, durch 
ſeinen Abſchied nicht gantß Drama Fey .. Genie 
aller Euthuſſasmus ben Die. BWerzejfluug Area, 
großen Verluſt In und aufregt, hatto mich exgrußgen. 
Frel war.ich von aller. Arbeit, In. wanigan Menaten 
haͤtterich das Stuͤch vollendet. Ce aufellen Theatern, 
zugleich - gefplelt. zu ſehen, wire bie herrlichſee 
Tobtenfeper- geweien, bie: er ſelbſt ſich und dem... 
Freunden. bereiset hätten... Ich Ahlen mir, geſande 
ich ſchien mir gotroͤſtet. Nun aber ſetzten ſichder 
Aunotuͤhruug mancheglei Hindemiſſt entgegen, mit 
eiabger: Befoangabeik und Klacheit vielleicht: be⸗ 
feitigen, die ich aber Durch leidenſchaftlhhon Stursamın 
und · Verworrenheit nur noch vormehrte; eigenſinnig 

und uͤbereilt gab: ich den Vorſatz auf, und ich dauf 

nochajetzt niit am. den Huſtaud zdenkanu⸗ in welchone 
ich mich vorſetzt fuͤhlte. Naumoar mir. Schiller ei⸗ 
gentlich erſt entriffen. Fein. Umgang. eri::vorfagts. 
Meiner kuͤuſtleriſchen · ESinbildungsleaft wen warbeten.: 
fi mit dem Kotafall zu baſchaͤftigan, Semi ihm 
aufzurichten gedachte, der. Längen. als jener zu Meſe 
ſina, das Begraͤbniß uͤberdauarn ſollte; ſſe wandete 
ſich nun / und. folgte dem Leichnam in Ale Grufty die 
ihn gepraͤnglos eingeſchloſfen hatte. Nun finger: 
mir erſt an zu. verwefen; unleidlicher Schmerz ex⸗ 


195 


griff mich, und, da mich -Lötpenliche. Leiden. von iage: 
licher Gefellfhaft trennten, fo-war ach In;tranwigiken: 
Einſamkeit befangen. Malus Tagebuͤchen melden 
nichts -von jenen. Zeit; dia weißen Blaͤtkar. deuten. 
auf den hohlan Zuuſtand, und. mad ſonſt nocha am 
Nachrichten ſichnfindet, zeugh nundaß Idea 
fenden Geſchaͤften ohne weitere Antheil zur Seite 
gings uud. mic. von ihnen leiten. eh, anſtatt fie: 
zu leiten. Wie-oft mußt, ich nachher im Laufe he: 
Zeit ſrill ‚bei mir. lächeln, wenn. theilnahmande 
Freunde Schillers Monument in Weimarwermißr- 
ten; mich wolkte: fort. und fort heduͤnken, als hätt“ 
ich ihm und anſerm Zuſammenſayn; das eaftemlichfken 
ftiftey. koͤnnen. 

Die: Ueberfegung yon Rame au's Noffan mar nach 
durch Schillern; nach Leipzig: geſandt. Einige ges: 
ſchriebene Hefte. der: Facbenlehae erhlolt Ic nach 
ſeinem Tode zuruͤckt. Was er bei- angelttichenem 
Stellen einzuwenden gehabt, konnt‘. ich: mir in: ſei⸗ 
nem Siıyerdeuteng. und: ſo wirlte ſeins Freundſchaft 
vom. Tobtenreiche- aus; noch fort,, le die. meinige 
unter dig Lebendigen. ſich gehaunt ſah. 

Die elnfame Chaͤtigkeit mußt ich nun,auf einen 
andern Gegenſtand werfen, Windelmaund Briefe; 
die wir, zugkemmen waren, veranlafiten mich üben - 
dieſen ‚herzlichen. Längfh vermißton, Mann au, denken⸗ 
und magic. Aber ihn. ſeit. ſo viel Jahren im: Geiſt 
und Gemuͤth herumoettagen ins Enge zu dringen, 
Manche Fraunde Be fam. fenger zu Deuraͤgen 


6*2* | +? 2 


. 496 


aufgefordert, ja Schiller hatte vetſprochen nach ſel⸗ 
er Weiſe Theil zu nehmen. 

Nun aber darfich ed wohl als die Farſorge eines 
gutgeſiunten Genius preiſen, daB ein vorzuͤglich ge⸗ 
ſchaͤtzter und verehrter Mann, mit dem ich fruͤher 
ar in den allgemeinen Verhaͤltniſſen eines gele⸗ 
gentlihen Driefwechfeld und Umgangs geſtanden, 
Äh mir näher anzufchließen Veranlaſſung fühlte, 
Profeſſor Wolf aus Halle bewährte feine Theil⸗ 
‚nahme an Windelmann und dem was ich füt fein 
Andenken zu thun gedachte, durch Weberfendung 
eines Aufſatzes, der mir hoͤchlich willlommen war, . 
ob er ihn gleich für unbefriedigend erfiärte. Schon 
im März des Jahre hatte er fih bei uns angekuͤn⸗ 
Met, die fämmtlichen Weimarifchen Freunde freuten 
ſich ihn abermals in ihrem Kreife zu befigen, den 
er leider um ein edles Mitglied vermindert, und 
und alle in tiefer Herzenstrauer fand, ald er am 
30 May in Weimar anlangte , begleitet von feiner 
jüngeren Tochter, die In allen Reizen der frifchen 
Zugend mit bem Frähling wettelferte. Ich konnte 
den werthen Mann 'gaftfreundiich anfnehmen und 
fo mit ihm höchft erfreulich beiehrende Stunden zu⸗ 
dringen. Da num ir. »Aneträulihem Verhaͤltniß 
jeder offen von demjenigen fprach, was Ihm zimaͤchſt 
am Herzen lag, fo that ſich ſehr bald die Differeng 
entſchieden hervor, die zwifhen ung beiben obwal- 
tete. Hier mar. a man anderer nr = diejenige, 


”. NGC Yun w: 
welche mich mit Schiller anſtatt zu — — = 


4197 


gereinigte. - Schillers ideeller Tendenz konnte fid- 
meine reelle gar wohl nähern, und weil beide ver- 
einzelt Doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, fo traten 
beide zuletzt in einem Tebendigen Sinne zufammen.- 

Wolf dagegen hatte fein. ganzes Keben den fchrift- 
lichen teberlieferungen des Alterthums gewidmet, _ 
fie, infofern es möglih war, in Handſchriften, 
oder fonft in Ausgaben, genau unterfuht und ver- 
glichen. Sein durchdringender Gelft hatte fi der 
Eigenheiten ber verfchledenen Autoren, wie fie ſich 
nad) Orten und ‚Seiten ausſpricht, dergeftalt be⸗ 
maͤchtigt, fein Urtheil auf deu höchften Grab ge- 
ſchaͤrft, daß er in dem Unterſchied der Sprache und 
des Style zugleich den Unterfchleb des Geiſtes und 
des Sinnes zu entdeden wußte, und dieß vom 
Buchſtaben, von der Spibe hinauf bis zum rhyth⸗ 
mifhen ‚und proſaiſchen Wohlllang, von der 
einfahen Wortfügung bis zur mannichfaltigen Ver⸗ 
dechtung der Saͤhe. 

War ed daher ein Wunder, daß ein ſo großes 
Talent, das mit ſolcher Sicherheit in dieſem Ele⸗ 
mente ſich erging, mit einer faſt magiſchen Ge— 
wandtheit Tugenden und Maͤngel zu erkennen und 
einem jeden feine Stelle ‚nach Laͤndern und Jahren 
anzuweiſen verſtand, und ſo im hoͤchſten Grade die 
Vergangenheit ſich vergegenwaͤrtigen konnte! — 
War es alſo ein Wunder, daß ein ſolcher Mann 
dergleichen durchgreifende Bemühungen auf das 
hoͤchſte ſchaͤtzen und die daraus entſpringenden Re⸗ 


‚ 498 
ſultate für einzig halten mußte! Genug, aus Tel- 
znen Unterhaltungen ging'hervor: er achte Das’ nur 
Einzigfuͤr geſchichtlich, Tür wahrhaft glaubwuͤrdig, 
‚was durch geptäfte und zu prufende Schrift aus ver 
Morzeit zu und heruͤbergekommen fey. 

Dagegen hatten die: Wehmatkfihen: Lreunde mit 
venſelben Ueberzeugungen einen andern Weg einge⸗ 
zſchlagen; bei leidenſchaftlicher Neigung fuͤr bndende 
Kunſtimußten ſie gar: bald gewahr werden, dab auch 
er idas Gefchichtilche fewohl der Grund eines jeden 
Artheils als einer pruktiſchen Nacheiferung werben 

koͤnne. Sie Hatten! daher ſowohl alte als nenete 
Kunſtauf ihrem⸗ Lebenswege immer geſchichtlich gu 
vbetruchten ſtich gewoͤhnt, und glaubten auch von ihrer 
Seite ſich gar manches Merkmals bemaͤchtigt fu 
haben ; woran ſich Feit id’ Ste Melſtet mid Scha⸗ 
ler,eſpraͤngliches und Nachgeahmtes, Vorganger 
nd Nachfolger fuͤglich unterſchelden lkeßen. 

Wenn unn im lebhafteſten Geſpraͤche Beide Arten 
die Vergangenheit ſſch zu "Vergegenwärtigen zur 
“Spräthe:tamen ,: fo daeften Die Weimarifchen Kunft⸗ 
zfreunde fih wohl gegen’ bew'treffiihen Mann In _ 
Worthell dunken/ da⸗ſie feinen ſtudten und Lalen⸗ 
iten volle Gerechtigleit wibetfahren ließen,“ khren 
BGeſchmack an dem ſeinigen ſcharften, ' mitThrein 
geiſtigen Vermoͤgen feinem Seiſte nachzubrkagen 
Spaten: und ſich alſo im hoͤheren Sinne anferbittich 
verelcherten. "Dagegen Ydngnete er hartnaͤckig bie 

"Burdffätelt pres Verfahrens, und es faud ſich“ An 


409 
Wes ihn vom? Betzeutheil zu überzeugen! denn es 


tſt ſchwer, jaumm dglkeh demjenigen der hithtans Liebe - 


und Leidenſchaͤft ſich Avugend einet Betrachtung ge- 
widmet hat und dadurch auch nach und ˖ nach zur ge⸗ 
naueren Kenntniß und zur Wergleichungsfaͤhigkeit 
‚gefangtift, auch nur eine Ahnung des zu unterſchei⸗ 
vdenden aufzuregen, well denn doch immer zuletzt In 
ſolchem Falle an Glauben, an Sıtrauen Anſpruch 
gemucht werben muß. "Wenn: wir ihm nun ſehr 
willig zupnben, daß einige Reden Cicero's, vor 
denen: wir den größten Reſpect hatten, weil ſie zu 
unferm wenigen Latein uns beßäfflich geweſen waren, 
fie fpdter untergeſchobenes Muchwerk und keines⸗ 
wegs fuͤr fonderliche Redemuſter gu achten feyen, fo 
wollte er uns dagegen keineswegs zugeben, daß man 
auch die uͤberbliebenen Bildwerke nach einer gewiffen 
RZeitfolge zwerfilhtlich ordnen koͤnne. 

Ob> wir nun ·gleich gern einraͤnmten, daß auch 
hier manches problematkfch moͤchte liegen bleiben; 
wie denn ja auch der Schriftforſcher weder ſich ſelbſt 
“noch undere jederzeit völlig befrledigen werde: ſo 
“Sennten wir doch mtemäls von hm erfangen, daß 
er unferen’ Documenten gleiche Guͤltigkeit mit den 
-feinigen, unſerer durch Hebung erworbenen Sa⸗ 
garitaͤt gleihen Werth wie ber ſeinigen zugeftanden 

"Hätte. : Aber chen mus diefem hartnärtfgen Conflict 
ging für und ber bedeutende Vortheil hervor, daß 
alle die Argumente Für und Wider auf das ent- 


fſchiedenſte zur Sprache kamen, und es denn nicht 


u 


2300 


fehlen konnte, daß jeder, Indem er den andern zus 
erleuchten trachtete,, bei ſich ſelbſt auch heller und 
klarer zu werben befttebt feyn mußte. . 

Da nun allen diefen VBeltrebungen Wohlwollen, 
Neigung, Freundſchaft, wechfelfeitiges Beduͤrfniß 
zum Grunde lag, weil beide heile währender _ 


. Unterhaltung noch ‚Immer ein Unendliches von Kenut- 
niß und Beſtreben vor ſich ſahen, To herrfchte In der 


ganzen Zeit eines Tängeren Zuſammenſeyns eine 
aufgereste Munterkeit, eine heftige Heiterkeit, die _ 
fein Stillſtehen duldete, und innerhalb deffelben 
Kreiſes Immer neue Unterhaltung fand. 

Nun aber mußte, indem von der Altern Kunft- 
geſchichte die Nede war, ber Name Phidias oft ge- 
nug erwähnt werden, der fo gut der Welt als der 


Kunſtgeſchichte angehört: denn was wäre die Welt 


ohne Kunft? und fo ergab ſich's ganz natürlich, daß 
der beiden Koloflal-Köpfe der Diosfuren von Monte 
Cavallo als in Rudolſtadt befindlich gedacht wurbe. 
Der unglaubige Freund nahm hievon Gelegenheit 


zu einer Spazierfahrt, ald Beweis des guten Wil⸗ 


tens fih ung zu nähern, allein, wie voraus zu fehen 
war, ohne fonderlichen Erfolg: denn er fand leider 
die beiden Rieſenkoͤpfe, für welche man bis jet 
keinen ſchicklichen Raum finden können, an der Erbe 
ftehen; ba denn nur dem liebevollſten Kenner ihre 
Trefflichfeit Hätte entgegen leuchten mögen, Indem 
jedes faßlihe Anfhauen Ihrer Vorzüge verfagt war. 
Wohl aufgenommen von dem dortigen Hofe ver: 








201 


guügte er fich in ben bedeutend ſchoͤnen Umgebun⸗ 
gen, und fo kam er, nach einem Beſuch in Schwarz- 
burg, mit feinen Begleiter, Freund Meyer, ver: 
gnuͤgt und bebaglih, aber nicht überzeugt zuruͤck. 


Die Weimariſchen Kunftfreunde hatten fich bet 
dem Aufenthalt dieſes höchft werthen Mannes fo 
viel Fremdes zugeeignet, fo viel’ Eigenes aufgeklärt 
und geordnet, daß fle In mehr als Einem Sinne ſich 
gefördert finden mußten, und da nun ihr Gaft noch 
außerdem lebensluſtig als theilnehmender Geſell⸗ 
ſchafter fih erwies, fo war durch Ihn der ganze Kreis 
auf das fchönfte belebt, und auch er Lehrte mit hei: - 
terem Sinne und mit dringender Einladung zu 
einem baldigen Gegenbeſuch in EN wohlgemuth 
nach Hauſe zuruͤck. 


Ich hatte daher die ſchoͤuſte DBeranlaffung aber: 
mals nach LZauchftäbt zu gehen, obgleich das Theater 
mich eigentlich nicht hinforberte. Das Repertorium 
enthielt fo manches bort noch nicht gefehene Gute - 
and Treffliche, fo daß wir mit dem anlodenden 
Worte zum erſtenmale gar manchen unferer 
Anfchläge zieren Tonnten. Möge bier den Freunden 
der Theatergefchichte zu Liebe die damalige Conſtel⸗ 
lation vorgeführt werden, womit wir in jener Sphäre 
zu glänzen fuchten, Als meiſtens neu, oder doch 
ſehr beilebt, erfchlenen au Trauer- und Helden- 
fpielen: Othello, Regulus, Wallenttein, 
Nathan der Weiſe, Goͤtz von Berlichin- 

ö ' 


- 


: 302 


gon,Jungfrauu“v on Orleans, Johanna 
Bon Montfaucon. Ebenmaͤßlg Mirko man an 
Luſt⸗md Gofahtſpieten⸗ ſecgende vor: Lio ren z 
St Et, vbefchaͤmteEiferſucht, Mitſchul⸗— 
dige, Laune des Verliebten, die bei— 
den Klingsberge, Huſſiten und Pagen- 
ſtreiche. An. Singfplelen wurden vorgetragen: ’ 
"Saalnire, Coſa Rara, Fauchon, Unter—⸗ 
brochenes Opferfeſt, Schatzgraͤber, So— 
liman dei Zwepte: zum Schlüſſe ſodann das 
Lied von ber Glöoͤcke, als ein werthes und wuͤr⸗ 
diges Andenken des verehrten Schiller, da einer 
beabſichtigten eigentlichen Feyer ſich mancherlei Hin⸗ 
derniſſe entgegenſtellten. 

Bei einem kurzen Aufenthalt in Lauchſtaͤdt ſuchte 
ich daher vorzuͤglich dasjenige zu beſorgen was an 
WBaullchlekiten und :fonftigem: Lotalltaͤten, wicht we⸗ 
Nlger was it: dortigen Beamten⸗zu verabreden wiıb 
ufrſtguſtellen war, und begab mich ˖barauf nach Halle, 

0 ich in⸗ dem Haufe meines Freundes die gaſt⸗ 
qhſte Aufnahme fand. Die vor kurzem abgebro⸗ 
1xhene Waterhaltung ward lebhuft fortgeſetzt, und 
nach vleben⸗ Seiten hin erweitert: denn da Ich Wer 
den aunabtärfig: arbritenden Mann, mitten in feiner 
raͤgltchen, beſtiiumden, manchmal aufgenoͤthigten 

LDhaͤtlgteit fund; ſo gab es taufend Gelegenheiten, 

einen neuen Gegenſtand, "ine verwandte Materie, 
Uurgend eine Ins‘ Sehen eiugreifende Handlung zum 

Kext geoliſtreicher Geſpraͤch⸗ aufzufaſſen, wobei denn 


—8 


| 
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| 


203 


der Tag and halben Mechte Rune: voraͤber singen, 
WE Bebentenden Neichthum zutuͤcklkeßen. 
Hatte: unn an khin diel Gegenwürt eines: un⸗ 


egeheuren Wifſens zu Wewnndern, ſo war ich doch 


che neugterig zu vernehmen, wie eb’ das Einyelne an 


Die Jugend miethoblſch aid‘ ekngaͤnglich uͤberlieſere. 
Jch horte daherndurch ſeine lkebensrrdige Töchter 
‚geleitet, hiuter⸗ einer Tapeteuthure ſeinem Vottrag 
amehrmals zu,” wolich Wen ie was ich von ihm 
erwarten tonute In’ Bhaͤtigkeit Fund: Eine aus der 
Falle: der Kenutniß!hetvortretende ‚freie Ueberlle⸗ 
Aetung, aus gruͤndlichſtem Wiſſen mit Frelheit, 
Belt und Geſchmack fih uͤber Die Zuhoͤrer verbrei⸗ 
tende Mitthellung. 
Rare ter vlchen Verhartaifen ·und gZuſtaͤu⸗ 
Wden gewonnen, laßtſich micht Aberfehend mie ein⸗ 
flußrelch dieſe ehem Monate aufiemein Leben ge⸗ 
vwrſen; witd aderer wweſrandine Mm: algemeinen 
rtempftaden kbanen. * 
Hier«auf nun erweerteto mich im einen andetn 
erh vercharetfeade Belehrung.‘ Doctor 
Soaaltbegaun ſeine Votiſtngen An den Lrften · Ta⸗ 
zgen DEE aanſt/Nnnd Aihngefente mich zunen vlelen 
fich m I Veradtange nden Gutzoretn. Srilne Lrhre 
enußte Ilelch ſo wle ls boanat une anfiug, 
mir dem erſten Anblicke nach zufagen, "Ya wad ge⸗ 
x*wohnt daſ Gehirn or erleiden Anatomle 
rcher JR velvuchren ‚ana ſchott· dem Rugre bein Geheim⸗ 
Sp Bleibt, daß die verſchiedenen "Sinne als Zweige 





2 204 


bes Ruͤcenmarks ausflleßen und erſt einfach, einzeln 
zu erkennen, nach und nach aber ſchwerer zu beobach⸗ 
ten find, bis allmaͤhlich die angeſchwollene Maſſe 
Unterſchied und Urſprung voͤllig verbirgt. Da nun 
eben dieſe organiſche Operation ih -In allen Soſte⸗ 
men des Thiers von unten auf wiederholt und. fich 
‚vom Greifiihen bis zum Unbemerkbaren ſteigert; 
fo war mir ber Hauptbegriff keineswegs fremd, und 
folte Gall, wie man vornahm, auch durch feinen 
Scharfblick verleitet zu Tehr- Ind Specifiſche ‚gehen, 
ſo hing es ja nur von uns ab, ein ſcheinbar pare- 
doxes Abſondern in ein faßlicher Allgemeines hin⸗ 
‚über zu heben. Man konnte den Mord⸗, Raub⸗ 
und Diebſinn fo gut als die Kinder⸗, Freundes⸗ 
und Menſcheuliebe unter allgemeinere Rubrilen be⸗ 
greifen und: alſo gar: wohl gewiſſe Tendenzen weit 
bem Worwalten gewiſſer Organe in Beaug feben. 
Wer jedoch das Allgemeine zum Srumb.legt, wird 
fih nicht leicht einer Anzahl waͤnſchens werther Schä- 
ler. zu erfreuen.babens das Wefondere. hingegen zieht 
die Menſchen an und. mit Recht: denn das Leben 
iſt aufs Befondere angemiefen, und gar viele Mens 
ſchen khunen kn Einzelnen⸗ihr Leben fortſetzen ohne 
daß ſie ·nothig haͤtten weiter zu gehen als bie dahin, 
wo der Menfünueriant und. Ihren fünf —— 
vnu⸗ kommt. — 
Beim Anfang ſeiner Vortrage brachte er einiges 
die Metamorphofe der -Bflanze Beruͤhrendes zur 
Sprache, fo daß ber- neben: mir ſitzende Sreunb 


205 


Loder mich mit einiger Verwunderung anfah; aber 
eigentlich "zu verwundern war ed, daß er, ob er 
sieih diefe Analogie gefühlt haben mußte, in ber 
Folge nicht wieder darduf zuruͤck Fam, ba doch diefe 
Idee gar wohl burch fein ganzes Geſchaͤft haͤtte wal⸗ 
ten koͤnnen. 

Außer dlieſen oͤffentlichen/ vorzůslich ebaneblo⸗ 
sifchen Belehrungen entfältete er: privatim das Ge⸗ 
hirn ſelbſt vor unſern Augen, wodurch denn meine 
Theitnahme ſich ſteigerte. Denn das Gehirn bleibt 
Immer der Grund und daher das «Hauptaugenmerk, 
da es fich nicht nach der Hirnfchale, fondern diefe 
nach jenem zu richten bat, nmid zwar dergeftatt, daß 
die innere Diploe der’ Strnfihate vom Sehtrn felt- 
gehalten und an Ihre organffdhe Beſchraͤnkung ge- 
fefeitt wird; dagegen denn, bei genugſamem Bor: 
rath von Anochenmafte, Be dußere Lamina fich bis ing 
Monſtroſe zu erweitern und innerhalb fo viele Kam⸗ 
mern und Fächer auszubilden dad Mecht behauptet. 

Galls Vortrag durfte man wohl als ben Sipfel 
versleichender Anatomie aneriennen, denn ob er 
gleich feine Lehre von’ dorther nicht ableitete und 
mehr von außen nad, innen verfuht, auch ſich mehr 
eine Belehrung als eine Ableitung zum Zweck vor- 
zufeßen fchten: fo ſtand doch alles mit dem Ruͤcken⸗ 
mark in folhem Bezug, daß dem Geiſt volllommene 
Freiheit blieb fih nad Teiner Art dieſe Geheimniſſe 
auszulegen. Auf alle Weiſe war die Galliſche Ent⸗ 
- faltung des Gehirns in einem Höheren Sinne als 


4 


206. 
ieng;in der: Samen hensahtacer, EU; 
ober ſegmentmaiſe venahen -Autginer Durch beſtiam⸗ 


ten Meſſerſchaatt. vom: gawiſſen sauter einander folz: “ 


genden Theilen Anklick uud Remen, erhielt, ohne⸗ 
daß auf; iraend atwes atiter darana ua kp. an al gar: 
gewefen. Selbit die Bafis des Gehirns .. -diesiita: 
ſpraͤnge; der Verne blieben gtalkenatuhſſe, denen 

ih; ſo eruſt mir oh, auch nich abgewinnen 


konnte; waßhach atuch noch por Kurzem hie ſchoͤnen 


Abbildungen vom, Rica d'Azur mich voͤllig in Mer 


zweiflung geſetzt hatten. 


Dostgt Gall wer indes Gebellichatt, die mich, 


fg; ſreundlich .ankagnonmneu hatker.. glelchtals wik- 
eingeſchloſen, und „la fahen wir uns taͤglichfaſt⸗ 
ſtuͤndlich⸗ und das Gespräch hielt. ſich ammer in demn 
Kreiſe ſeinger bemundeunnswuͤrdigan Beobachtung; er 
ſcherzten über. uns alleund behauptete, mainem Stiru⸗ 
ban zufolge: ich⸗ Tonne den Mund nicht aufthun, 
ohng. einen Troptus augzuſprochen; worauf⸗ er mich 
denn freilich jeden Auganblick artappen konnte, Mein 
ganzes Weſen betrachtet, verſicherte er QMun eruſte 
lich, daß ich eigentlich zum Wollsxedner gehoren ſey. 
Dergleichen gab, nun au allexiei Ichershakten Bestie: 
gen, Gelegenhait, und⸗ ich moßte ed. gedteu.beilenn 
daß man ‚ch mit, Sarufgfogmag im Eineireite.in, 
fenemnheliebte., 

Nun miechte frellich / ſobche aehtiee Uprongmngn 
verllochten in gefaliges Wohlleben, meinem. koͤrnera 


lichen. Zuſtaͤnden nieht eben zuſagen; es uͤberfiel. mich 


207 


gang uperfehend den Varomemuseineh herfäum: . 
lichen. Ugbehd;, das pon den Nieren ausgehandelichs 
von Seit zu Acit ducch kranlhafte Sumptame, ſchmerzz 
lich antaͤndigte. Es brachte miraiemal den Warn 
theil einen groͤßern Anvaherung an Becgrath Welle. 
weicher, ·als Art mich behandelnd mis gugleich als 
Prabtiker, ale denkendor, wohlaaſinuter um Altr.; 
ſchauendar Mann helaunt; mutda. Menſehrer dich. 
meinen Buftenb: angelegen ſepnließ/ danon aibt eln 
eigen haͤn diges Gutachten - Zeuguniß, welches vom 
17 Septbr. dieſes Jahrs unter mainen Papieren 
noch. mit Achtung vermahrt wird. 

Doctar Galls ferneren Unterrbeht. ſollte Sch: denn 
auch nicht wermkflen;. ax.batte die: Gefalligkelt, den 
Apparat jeder Vorleſnug quf⸗mein Zimmer zu ſchaf⸗ 
fen and. mir/ der. ichn durch mein Aebel an höheren 
Beſchauung und Batracktung nicht ‚gehindert Wie, 
ſehr auslangenda Kayminiß und Ueberſicht feinen 
Ueborzrugungen mitutrheilen 

Daoctor Galh war: abgegaugen und beſuchte Goͤt⸗ 
tingen, wir aber warden. durch die Ausſicht eines 
eigenen Abenteners angaessa. , Dar waudeyliche, 
in manchem Siuampiste Daher durch ichan.hefennte. 
prablemetäfche Mann. Hofrath Melreid.-Ia Helm⸗ 
ſtaͤdn, war mir ſchon ſo oft geuammt ,.. feine Umge- 
bung, feimmerimärbiger Betz/ ſein onderbares 
Betragen, fo wie bad Geheimniß, das uͤber ˖allam 
biefenewaltete, hatte ſchan laͤugſt auf mich und meine 
Freunde beunruhigend gewirkt, nah man mußte ſich 


208 - 


ſchelten, daß man eine fo einzig merkwuͤrdige Per⸗ 
fönlichteit, Die auf eine frühere vorübergehende - 
Epoche hindeutete, nicht mit Augen gefehen, nicht 
im Umgang einigermaßen erforfht habe, Profeſſor 
Wolf war in demfelbigen Falle, und wir beichloffen, _ 
da wir den Mann zu Haufe wußten, eine Fahrt nach - 
ihm, der wie ein geheinmißveller Greif über außer⸗ 
ordentlichen und kaum denkbaren Schaͤtzen waltete. 
Mein humoriſtiſcher Nekfegefährte erlaubte gern, daß 
mein vierzehnjähriger Sohn Aüguft Theil an diefer 
Fahrt nehmen durfte, und diefes gerieth zur beften 
gefelligen Erheiterung; denn Indem ber tüchtige ges 
Ichrte Mann ben Knaben unausgeſetzt zu neden fich 
zum Geſchaͤft machte, fo durfte diefer bes Rechts 
der Nothwehr, welche denn auch, wenn fie gelingen 
fol, offenſiv verfahren muß, fich zu bedienen, und 
wie der Angreifende aud wohl manchmal die Graͤnze 
überfchreiten zu koͤnnen glauben; wobei fih denn 
wohl mitunter die wörtlihen.Medereyen in Kitzeln 
und Balgen zu allgemeiner Heiterkeit, obgleich im 
Wagen etwas unbequem, zu feigern pflegten. Run 
machten wir Halt-in Weruburg, mo der würbige 
Freund gewiſſe "Eigenheiten in Kauf und Tauſch 
nicht unterließ, welche der iunge loſe Wogel, auf 
alle Handlungen feines Gegners gefpannt, zu bes 
merken, hervorzuheben und zu befcherzen nicht er⸗ 
mangelte. — 
Der eben ſo treffliche als wunderliche Mann 
Hatte auf alle Zoͤllner einen entſchledenen Haß gewor⸗ 
fen 


209 


fen und konnte ſie, ſelbſt wenn fie ruhig und mit 
Nachſicht verfahren, : ia wohl eben deßhalb, nicht 
ungehudelt laſſen, woraus denn unangenehme Bege- 
benhetten beinahe entftanden wären. 

"De nun aber auch dergfeichen Abneigungen mıd 
"Cigenheiten uns in Magdeburg vom Befuch einiger 
verdienten: Männer abhielten, To befchäftigte ich 

mich vorzüglih mit den Alterthümern des Doms, 
betrachtete die plafiifhen Monumente, vorzuͤglich 
"die Grabmaͤler. Ich fpreche nur von drey bronze- 
nen derfeiben, welche für drey Ersbtfchöfe von Mag- 
deburg errichtet waren. Adelbert II nad 1403 ſteif 
and ftarr, aber forgfältig und einigermaßen natär- 
Uch, unter Lebensgröße. Friedrich nach 1464 über 
Rebensgröße, natur - und kunſtgemaͤßer. Ernſt mit 
der Yahrzahl 1499, ein unſchaͤtzbares Denkmal von 
Veter Biſcher, das wenigen zu vergleichen iſt. 
Hieran Tonnte ich mich nicht genug erfreuen: denn 
wer einmal auf die Zunahme der Kunft, auf deren 
Abnahme, Ausweihen zur Seite, Ruͤckkehr in den 
rechten Weg, Herrſchaft einer Hauptepoche, Ein⸗ 
wirkung der "Subivtdnatitäten gerichtet, Aug und - 
Sinn darnach gebildet hat, der finder fein Zwiege⸗ 
"Tpräch belehrender und unterhaltender als das ſchweig⸗ 
fame in’ einer Folge von folhen Monumenten. Ich 
verzeichnete meine Bemerkungen fowohl zur Hebung 
als Erinnerung, und finde die Blätter noch mit Ver- 
anägen unter meinen Papieren; doch wuͤnſchte Ich 
nihts mehr In biefen Stunden, als a“ eine ge⸗ 
Soetpe?6 Werte. XXXI. ©, 


. 





310 


naue Nachbildung, beſonders des herrlichen Viſcher⸗ 
ſchen Monuments vorhanden ſeyn möge. (Ift-fpd- 
terhin lobenswuͤrdig mitgetheilt worden.) 

Stadt, Feſtung und, von den Waͤllen aus, die 
Umgegend ward mit Aufmerkſamkeit und Theilnahme 
betrachtet; beſonders verweilte mein Blick Lange auf 
der großen Baumgruppe, welche nicht allzufern bie 
Fläche zu zieren ehrwuͤrdig daſtand. Sie beſchat⸗ 
- tete Klofter Bergen, einen Ort, der mancherlet 
Erinnerungen aufrief. Dort hatte Wieland im 
allen eoncentrirten jugendlichen Bartgefühlen gewan⸗ 
delt, zu höherer Literarifhen Bildung den Grund 
gelegt; dort wirkte Abt Steinmetz in frommem 
Sinne, vielleicht einfeitig, doch redlich und Eräftig. 
Und wohl bedarf die Welt, in ihrer unfrommen 
Einſeitigkeit, auch ſolcher Licht: und Wärmequellen 
um nicht durchaus im egofftifhen Irrſaale zu erfrie- 
ren und zu verdurften. 

Bei wiederholten Befuchen des Doms bemerk⸗ 
ten wir einen lebhaften Franzoſen in gelſtlicher Klei⸗ 
dung, der von dem Kuͤſter umher gefuͤhrt ſich mit 
feinen Gefaͤhrten ſehr laut unterhielt, indeſſen wir 
als Eingewohnte unſere ſtillen Zwecke verfolgten. 
Wir erfuhren, es fen der Abbe Gregoirez, und 
ob Ich gleich ſehr neugierig war mich Ihm zu nähern 
und eine Bekanntſchaft anzuknäpfen, fo wollte doch 
. mein Freund, aus Abneigung gegen den Galler, 
nicht einwilligen, und wir begnügten ung in einiger 
Serne befchäftigt fein Betragen genauer zu bemer: 


— 


ken und ſeine urthelle, bie er laut ausſprach, zw 
vernehmen... .. 

Mir verfolgten. unſern Weg, und da ber ueber⸗ 
gang aus einer Flußregion in die andere immer 
der Hauptaugenmerk mein des Geognoſten war, fe 
fielen mir die Sandftelnhöhen auf, die nun, ſtatt 
nach der Elbe, nad) der Wefer hindeuteten. Helm⸗ 
ſtaͤdt ſelbſt liegt ganz freundlich, der Sand iſt dort, 
wo ein geringes Waſſer flleßt, durch Gaͤrten und 
ſonſt anmuthige Umgebung gebaͤndigt. Wer nicht 
gerade den Begriff einer lebhaften Deutſchen Akade⸗ 
mie mitbringt, der wird angenehm uͤberraſcht ſeyn, 
in einer ſolchen Lage eine ältere beſchraͤnkte Studien⸗ 

anſtalt zu finden, wo auf dem Fundament eines 
fruͤhern Kloſterweſens Lehrſtuͤhle fpäterer Art ger 
gründet worden, wo gute Pfründen einen behagli⸗ 
hen Sitz barbieten, wo altraͤumliche Gebäude ei⸗ 
‚nem anftäudigen Haushalt, bedeutenden Bibliothe⸗ 
‚Ten, anſehnlichen Cabinetten hinreichenden Platz 
gewaͤhren, und eine ſtille Thaͤtigkeit deſto emſiger 
ſchriftſtelleriſch wirken kann, als eine geringe Ver⸗ 
ſaqmmlung von Studirenden nicht jene Haft. der 
ueberlieferung fordert, die. und auf beſuchten Aka⸗ 
demien nur übertaubt. 

Das Perſonal ber Lehrer war auf alle Weiſe be— 
deuten; ich darf nur die Namen Henke, Pott, 
Lihtenftein, Crell, Brown und Bredom 
‚nennen, fo weiß jederman den damaligen. Cirkel zu 
ſchaͤtzen, in welchem die Reiſenden ſich befanden. 


” 2f2 
RXruubliche Gelehrſamtelt, willige Mitthellungen, 
durch Immer nachwachſende Jugend erhaltene Hei— 
rittit des Vmgangs, frohe Vehagllchkeit bei ern⸗ 
te end? Abeckmuͤßigen VBeſchüftigungen, »bas alles 
wirkte ſolſchon In’ eittander, wozu noch die Frauen 
nitwirkten, aͤltere durch guſtfteie Haͤuslichkeit, juͤn⸗ 
der Gattinnen mit Amuth, Ebchter in aller Ae⸗ 
venswurdigkeit, faͤmmtltch mir einer allgemeinen 
oeknzigen Famille anzugehoͤren ſcheinend. Eben die 
größen Raͤume altherkoͤmmlicher Haͤuſer erlaubten 
zJahlreiche Gaſtmahle und die beſuchteſten Feſte. 
Bei 'eihem derſelben zeigte ſich auch der Unter⸗ 
ſchled zwiſchen mir nid meinem Freunde. Am Ende 
einer reichlkchen Abendtafel hatte man uns beiden 
Soon ſchongeflochtene "range zugedacht; Ich hatte 
dem ſchdnen Kinde, Bas mit ihn vufſetzte, mit ’ei- 
ent tehhäft erwiberten Kuß gedankt und mich eitel 
genng gefreut, als ich in ihren Augen bas Bekennt⸗ 
shi zu teten fühlen, daß ich-ihr fo geſchmuͤckt nicht 
mißfalle. Indeſſen ſtraͤubte ſich mir gegenuͤber· der 
elgenfinnige Gaſt gegen feine kebenssmuthige Goͤnne⸗ 
rin gar widerſpenſtig, und wenn auch der Kranz un⸗ 
“fer ſolchem Ziehen und Zerren nicht ganz euntſteillt 
wurde, fo mußte doch das klebe Kind ſich einkger⸗ 
maßen vbeſchaͤmt zirůckztehen, daß fie ihn nicht los⸗ 
gewerden war. 
neber ſo' vieles Anmuthige Hätten wir nun faft 
"ben Zweck bergeffen Hiunen, ber ung eigentlich hle⸗ 
ber geführt Hatte: allein Beireis belebte durch 


245 J 


ſeine heitere Gegenwart: jebeg, Feſt. Nicht auge 
wohl und bewaglich gehaut, konnte man eben. Dig, 
Legenden ſeiner Fechterkuͤnſte gelten lagen; eine Aue: - 
glonhiich. hohe „und gewolbte Stirn, gatz in Mißtt 
nis der antern jeinfammen geſaaenen Theke. 
le, deutete auf; einen Mann von beſondern Geiſtos⸗ 
kraͤften, und, in ſo hohen Jahren Lonne et ſich fürn 
wahr. einer heſonders, muntsrv, und eungtheuchtlten⸗ 
Thaͤtigkeit erfrenen. | 

In Belelfchaftenn., beſendars abey hei Tifcker- 
gab er feiner Galantaxie Die gan eigene Wenduna. 
daß er ſich als ehemgiager Verghrerx-der Miteca. 
al; jetziaer Fretzur der Fochter ader Nichto unge⸗ 
zungen. daxzuſtelen wußte; und; mandieh lich dies 
ſes oft. wiederhoitze Maͤhrchem gern gefallen... 
zwar niemand auf den Beſitz ſeiner Hand, wohl. aber 
mancher gern aufeigen Ayheil: at ſeinem Nachlaß 
Aufpruch gamacht haͤtt o 

Ansemeldet wie wie, Waren, bot, er uns alle, 
aſtfreundſchaſtz ans. enasuyfuahne in ſein Han⸗ 
lehuton mein ab... Aankbae ber: lleßen wir uns einen 

Roßen Theil des Sach bei Ahm anter ſeinta gab 
wuͤrdigleiten gefollen. 

Gar manche open feinen fruͤhe ben ‚Befltingen, 
das ih ‚Den Mmsaen-unk Dom -ARnsne- na: noch; le⸗ 
hendig erhalten hatte, wer Inden: jaͤmmaplich ſtan 
Unſtaͤnden die Vanaanſoniſchar Automaten fanden, 
wir · durch ans paralyſire⸗ In einem alten. Garton⸗ 
hauſe IR: ber -Slätenspiehen in fehe: unlhelabsien 


es 





214- 


Klekbern; aber er flötete nicht mehr, und Beirets 
zeigte die urfprüngliche Walge vor, deren erfte ein: 
fache Stuͤckchen Ihm nicht genügt hatten. Dagegen’ 
lleß er eine. zweyte Walze fehen, die er von jahre⸗ 
Tang im Haufe unterhaltenen Orgelkuͤuſtlern unter⸗ 
nehmen Ldifen, welche aber, da-jene zu fruͤh geſchte⸗ 
den, nicht vollendet noch an die Stelle geſetzt wer⸗ 
den können, weßhalb denn der Floͤtenſpreler gleich 
anfangs verfiummte. Die Ente, unbefiedert, ſtand 
als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter, 
verdaute jedych nicht mehr: an allem ben warb er 
aber keinesweges irre, fondern ſpraͤch von dieſen 
„verafteten halbzerſtoͤrten Bingen mit ſoͤlchem Beha⸗ 
gen und fe wichtlgem Ausdruck, als wenn ſeit jenet 
Zeit die Höhere Mechauik nichts friſches Bedeutende⸗ 
res hervorgebracht haͤtte. To man 
In einem großen Saale, der Naturgeſchichte ge⸗ 
widmet, wurde gleichfalls die Bemetkung rege, daß 
Alles was ſich ſelbſt erhaͤlt, bei ihm gut aufgeho⸗ 
sen Ten; So zeigte er einen ſehr feinen: Magnet⸗ 
Kein vor, ber ein großes Gewlcht trus, ekien aͤchten 
Phrenlten vom Gap von groͤßter Schönheit," mb: 
gonftige Minerallen in vorzäglihen Evemtplafen. 
Aber eine In der Mitte des Saalt gedraͤngt ſte⸗ 
hende Reihe andgeftopfter' Vögel zerfielen unmittel⸗ 
Bar durch ‘Mottenfraß, fedap Gewuͤrm and Fedetn 
auf den Geſtellen ſelbſt anfgehäufl lager; er be⸗ 
merkte dieß auch und verſichorte, 68-fey'eite Kriege⸗ 
Alk: denn alle Motten des Hacfes zoͤgen fü hieher, 


215 


und die übrigen Zimmer biieben von biefem Ge⸗ 
ſchmeiße rein. In geordneter Folge kamen benn 
nah und nach die ſieben Wunder von Helmftädt zu 
Tage; die Lieberkfühnifchen Präparate, fo wie die 
Hahniſche Rechenmaſchine. Won jenen wurden ei: 
nige wirklich bewundernswuͤrdige Belfpiele vorgemie- 
fen, an dieſem complichtte Exempel einiger Species 
durchgeführt. Das magifche Orakel jedoch war vers 
fummt; Beireis hatte gefhworen, bie gehorfame 
Uhr nicht wieder aufzuziehn, die auf feine, des 
Entferntitehenden, Befehle bald ſtill hielt, bald 
fortging. Ein Officer, den man wegen Erzaͤhlung 
ſolcher Wunder Lügen geftraft, fey im Duell erfto- 
hen-worden, und feit der Seit habe er ſich feft vor- 
genommen, feine Bewunderer nie folher Gefahr 
wieder anszufehen, noch bie Ungläubigen zu fo Aber- 
ellten Sräuelthaten zu veranlaflen. 

Nach dem bisher Erzählten darf man num wohl 
fih einige ‚Bemerkungen erlauben. Belreis im 
Jahre 1750 geboren fühlte ſich ale treffliher Kopf 
eines weit umfaflenden Wilfeng fähig und zu viel⸗ 
feitiger Ausübung geſchiẽet. Den Anregungen fel- 
ner Zeit zufolge ‚bildete er fih zum Polyhiſtor, 
feine Thätigkeit widmete er ber Heilkunde, aber 
det dem gluͤcklichſten alles‘ feſthaltenden Gedächtnig 
konnte er ſich anmaßen, In den fämmtlichen Facultd- 
ten zu. Haufe zu ſeyn, jeden Lehrftuhl mit Ehre zu 
betreten. Seine Unterſchrift in meines a 
Stammbuch lautet folgendermaßen: 


‘216. 


GODOFREDUS CHURISTOPHORUS BBIREIS. 
Primarius Professor Medicinae, Chemiae, Chi- 
rurgiae, Pharmaceutices, Physiees, Botanices 

et reliquae Historiae naturalis. 
Helmstadii a. d. XVII Augusti MDce66v. 


Aus dem bisher Vorgezeigtan je doch ließ ſich ein⸗ 
ſehen, daß feine Sammlungen, dem naturhiſtori⸗ 
ſchen Theile yach, einen eigentlichen Zwec haben 
konnten, daß hingegen dad, worauf er den meiſten 
Werth legte, eigentlich Curioſitaͤten waren, die durch : 
den hohen Kaufpreis Aufmerkſamkelt und Bewus« 
derumy erregen follten; wobei denn nicht vergeffen, 
wurde, daß bei Anlaufücheiten Kaiſer und Könige: : 
überboten worden. 

Dem fep nun wie ihm ler anfehniie Sum⸗ 
men mußten ihm zu Gebote ſtehn; denn or hatte, 
wie man wohl bemerken kounte, eben fo fehr eine. 
gelegene Zeit zu ſolchen ˖ Ankaͤufen 'abgemartet, ale 
auch mehr denn -andere- vieleicht. fie ſogleich zahe 
lungsfaͤhig erwielen, Obgenannte Gegenſtaͤnde zeigte 
er zwar mit Autheil und Behagen umſtaͤndlich vor, 
allein · die Freude daran ſchien ſelbſt gewiſſermaßen 
nur hiſtoriſch gu ſeyng mo er ſich aber lebhaft, Idie- 
doeufchaftlich aͤberre dend und zudringlich bewies, wen 
bei Vorzeigen feiner Gemaͤhlde, ſeiner neneſten Lieb⸗ 
haberey, in die er ſich ohne die mindeſte Kenntaiße 
eingelaſſen hatte. Bis ins Unbesreifliche ging. der 
Grad, womit er ſich hieruͤber getaͤuſcht Hatte, oder 
und zu taͤuſchen ſuchte, da er denn dach auch ver als 


217 


len Dingen gewiſſe Curioſa vorguftellen. pflegt. Hier. 
war ein Chriftus, bei deifen Aublick ein Göttinger 

Profeſſor in den bitterften Thraͤnenguß ſollte ausge⸗ 

brochen ſeyn, ſogleich darauf ein von einer Englifchen 

Dogge angebelltes natürlich genug gemahltes Brot 

anf dem Tiſche der Juͤnger zu Emaus, ein anderes 
aus dem Feuer wunberwärbig geretteteg Heligenbild 
und was bergleihen mehr feyn wochte. 

Die Art feine Bilder vorzumelfen war feltfam 
genug, und ſchlengewiffetmaßen abfichtitchz fie Kine 
gen naͤmlich nicht. etwa anıben hellen breiten Lade 
den feiner vbevew: Stockwerke wollgenteßbur nebene- 
einander, fie: ſtanden vbelmchr in’ ſeireen Schlafzim⸗ 
mer uns das große Thronhimmelbette aw Deu Gane 
den geſchichtet ᷣberetnanber, von wo er, alle. Huͤlf⸗ 
leiſtung ablehnendb, fie ſelbſt horholde unddahin taten: 
bee zuruͤckbrachte. Eiunlges bitch’ tu dem Zimmer 
. um die Beſchauer hetrumgeftellt, immret engerrund: 

enger z0g?fich ber Kreis zuſammon, ſo daß freilich 
bie Ungeduld unferes Melſegefaͤhrten allzuſtark er⸗ 
regt, pls: auebrache und fein . @ntfernen vous: 
anlaßte. 

Es war mir wirtikh augrnehm, denn ſolcht Quaui 
len der Unvernunft ertragen ſich ˖lelchter ullein ie: 
in Goſellſchaft eines. einfichtigen. Freundes, wo man 
bet geftelgertem : Unwillen :jeden. Augenblid einen 
Ausbruch von; einer. oder der andern m befuͤrch⸗ 

ten muß. 


Und wirklich mar es q.· u ſlaci, was Beireis 


ı 


218 


— 


ſeinen Gaͤſten zumuthete; er wußte ſich naͤmlich da⸗ 
mit am meiſten, daß er von den groͤßten namhaften 
Kuͤnſtlern drey Stuͤcke beſitze, yon der erſten, zwey- 
ten und letzten Manier, und wie er fie vorſtellte 
und vortrug, war jede Art von Faffung, die dem 
Menfhen zu Gebot ftehen fol, kaum hinreichend, 
denn die Ecene war lächerlich und ärgerlich beleidi⸗ 
gend und wahnſinnig zugleich. 


Die erſten Lehrlingsproben eines Rafael, Ti⸗— 
zian, Carracci, Correggio, Dominichin, 
Guido und von wen nicht ſonſt waren nichts wei⸗ 
ter als ſchwache, von maͤßigen Kuͤnſtlern gefertigte, 
auch wohl copirte Bilder. Hier verlangte er num 
jederzeit Nachſicht gegen dergleichen Anfaͤnge, ruͤhmte 
aber mit Bewunderung in den folgenden die außer⸗ 
ordentlichſten Fortſchritte. Unter ſolchen ber zwep⸗ 
ten Epoche zugeſchriebenen fand ſich wohl manches 
Gute, aber von dem Namen, dem ed zugeeignet 
worden, ſowohl dem Talent als der Zeit nach him⸗ 


melweit entfernt. Eben fo verhielt es ſich mit den 


letzten, wo denn auch die Teerften Phrafen, deren an⸗ 
maßliche Unkenner ſich bebienen,. gar wohlsefaͤllig 
vom Munde floſſen. 


Zum Beweis der Aechtheit ſolcher und anderer 
Bilder zeigte er die Auctions Katalogen vor, und 
freute fich der gedruckten Kobpreifung jeder von ihm 
erftandenen Nummer. Darunter befanden ſich zwar 
aͤchte aber ſtark reftaurirte Originale; genug, am ir⸗ 


219° 


gend eine Art von Kritik war bei biefem fonft were 
then und würdigen Mamne gar nicht zu denken. 

Hatte man mini die meiſte Zeit alle Geduld und 
Zuruͤchaltung wöthlg, ‘To ward man denn doch mit⸗ 
unter dutch den wolue kee gucher Bilder getroͤſtet 
und delohnt· a ee 

nſchatz bar — Arbrecht —— vor⸗ 
trait, Von ihm ſelbſt zemahlt mit der Jahrzahl 1493, 
alſo in ſeinem zwey und zwanzigſten Jahre, halbe 
Lebensgtoͤße, Bruftſtuͤck, zwey Hände, die Ellenbo⸗ 
gen abgeſtutzt, purpurrothes Muͤtzchen mit kurzen 
ſchmalen Neſtein, Hals blo unter die Säfäffelbeine 
bloß/ am Hembe geftidter Obkrſaum, die Falten der 
Aermel mit pfirſichrothen Bänbern witerbunden; 
Mangraner mit gelben Schnürer verbraͤmter ueber⸗ 
wurf, wle Nic ein feiner Juͤngling gar zierlich her⸗ 
ausgeputzt haͤtte, in der Hand bedeutſam ein blau⸗ 
blahendes Erynglum, im Deutſchen Mannstreue 
genannt,‘ ein ernfted- Yangiingsgefiht, feimende 
Barthaurr wi Mund und Riem, das Ganze herr⸗ 

uqhgezrichnet, veich andꝰ unſchuldig, harmoniſch 
in ſeinen Thesen, von ber! hoͤchſten Ausfüͤhrnng, 
ventonimen Duͤrers wuͤrbig, obgleich mit ſeht duͤn⸗ 


J ner Farbe gemadhlt, die ſich an einigen Stellen zuſam⸗ 


mengezogen hatte. 

Dieſes yreiswärbige, durchaus unfätbate Bi, 
ya wahrer Kunſtfreund Im goldenem Rahmen 
eiagefaßt um godnſren Schraͤnkchen aufbewahrtboat 
ie, ließ er dos auf ein dannes Bret gemahlte, 


299: 


ohne.irgend einen: Rahmen und MWerwahnungs. Je⸗ 
den Augenblick fih zu ſpalten drohend, ward es 
unporſichtiger als jedes. andare hexvorgeholt, auf= 

und. wieder beh Seite geſtelltvicht weniges dier 
dringende Thelinghme des Ballet, ‚bie 4 Sch 
nung und Sicherung eines ſolchen Kleſnade Aehe 
te, gleichsuͤltig ghasichuts en Ichlem ſich pie of⸗ 

rath Buͤttner. In- einem Bee 
genfinnig zu: gefalleg.: 

Ferner gedenl ich eines geihtoigh frei gemablteu 
Bildes. von Rubens, laͤugliſch,nicht allzuaroß, 
wie er fie fuͤp/ſolche nausgefaͤhrte Staen Ugbte. 
Eine Hoͤckenfrau figemd ta der Fuͤlle eines mohlvaz-- 
ſorgten Gemuͤskrams, Kohlhaͤupten und Salat. alex. 
Arten, Wurzeln, Zwiebelus allen. ‚Farben yud- Ges 
falten; ſie aͤſt eben: im Handel mitz einer ſtattlichan 
Buͤrgersfrau begriffen/ dexenbehaglicho Wuͤrde ſich 
gar aut ausnimmt neben dem ruhig anbletenden es ; 
ſen der Werkaͤuferin,hinter welcher zein Knahe, fo: 
eben. im Begriff. inlgaſ Obſtzu fichlenn vone hhrere 
Magdanit olnem nvorgeſe henen Achlag bedroht wird 
An der andern Gpite, hiuter der augeiehenen Maͤr⸗ 
gerafrau, ſieht man dbre Magdeeinen wohlsafiocheee 
nen, mit Markteaanen ſchan einigermoßen venſehen 
nen Korb tragen, aber auch fie iſt nicht mäßige. Her 
blict nad onen Bunichen: und ſeheint deſſen Finger: 
seis- mie: einem cfreunbäiken: Mlick zwi: erwähetund 
Mefler ;- gelacht: und ausifiarkaftar ceigeählueh: mar 
niche leicſs EEE zu ſcuen Fr 


2241 
unere jaͤhrlichen Ausſtetltangen abzuſchließen feftge⸗ 
ſtellt fo wuͤrben wir dieſen Gegenſtand, wie er hier 
Seſchrieben!iſt, als Prekſsaufgabe geſetzt haben, wm 
die Kaͤnſtler kennen ˖zu lernen, bie, von ber aͤber⸗ 
handnehmenden Verirrung auf Soldgrund noch un⸗ 
angeſtkeckt, insd derbe friſche Leben Blick und Talent 
zu wenden geneigt waͤren. 

Zn unſtgeſchkchtikchen Sinne Inte denn auch 
Belreis, bei Aufhebung der Kloͤſter, mehr als Ein 
bedentendes Bid gewonnen; ich betrachtete fie-mit 

Auctheil unb bemerkte manches in mein Taſchenbuch. 
Hier find' ich mım verzgeichnet, daß außer dem erſten 
vorgewieſenen, welches für Acht Byzantiniſch zu hal⸗ 
tem wäre, die Abrigen alle ins funfzehnte, vielleicht 
Ans fechzehnte Jahrhandert fallen möchten. Zu el- 
ner genaneren Wuͤrbigung mangelte es mir an durch⸗ 
- geeffender' Kenntuiß und bei einigem was ich allen⸗ 
tags noch Witte näher: beſtimmen Tönnen, brachte 
mich Deitrehmung ‚und Nomenklatur unferes wun⸗ 

derltchen Sammlers Schritt oe Schritt aus der 

Richte. 

Denn er wollte nunein⸗fuͤr allemal, wie per⸗ 
aſonlich · ſo auch Ir feinen: Beſſtyemgen, einzig fedn, 
ah wie er jenes erſte Brzautidiſche Stuͤck dem vber⸗ 
ten Jahrhundert zufchrieb, Teinles er ferner eine 
ununterbrochene Reihe aus dem fünften, ſechs⸗ 
:ten u; f. wetbis ins funfzehnte mit einer Stcherheit 
and Ueberzeugung vor, daß einem bie Gedanken ver⸗ 
singen, wie es zu geſchehen pflegt, wenn und das 


222 


handgreiflich Unmahre, ats etwas bas:fich von ſelbſt 
verſteht, zutraulich vorgeſprochen wird, wo man denn 

. weder ben Seilbftbetrug noch die, Unverſchaͤmtheit im 
ſolchem Grade für moͤglich Bil. 

Ein ſolches Beſchauen und-Betrachten ward le 
dann durch feſtliche Gaſtmahle gar angenehm unter⸗ 
brochen. Hier ſpielte der ſeltſame Mann ſeine ju— 
gendliche Rolle mit Behagen fort, er ſcherzte mit 

den Müttern, als: wenn fie ihm auch wohl fruͤher 
. hätten geneigt feyn mögen, mit den Töchtern, als 
wenn er im Begriff märe ihnen feine Hand anzubie= 
‚ten. Niemand erwiberte bergleihen Aeußerungen 
und Anträge mit irgend einem Befremden, feibft 
bie geiftreihen männlichen Glieder der Geſellſchaft 
behandelten feine Chorheiten mit einiger Achtung, 
und aus allem ging hervor, daß fein Haus, feine 
Natur- und Kunftihäge, feine Baarſchaften unb 
- Sapitalien, fein Reihthum, wirklich oder durch 
Großthun geſteigert, vielen Ind Auge ſtach, weß⸗ 
halb denn die. Achtung für ſeine Verdienſte auch ſei⸗ 
nen Seltſamkeiten das Wort zu reden ſchien. 

Und gewiß es war niemand geſchickter und ge- 

wandter Erbſchleicherey zu erzeugen als er, ja es 
ſchien Maxime zu ſepn, ſich dadurch eine nene kuͤnſt⸗ 
liche Famille und. dir unftomme — einee Anzahl 
Menſchen su verſchaffen. 

In ſeinem Schlafzimmer hing —* Vud eines 
jungen Manned,: von der Art wie.mau bunberte 
fieht, nicht anggezeichnet, weder anziehend nach ab- 


223 


ftoßend; dieſen ließ er feine Säfte gewöhnlich be- 
fhauen und bejammerte dabei dad Ereigniß, daß 
diefer junge Mann, an dem er vieles gewendet, dem 
er fein ganzes Vermögen zugedacht, fi) gegen ihn 
untreu und undenkbar beiwiefen, daß er ihn habe 
müffen fahren laffen und nun vergebens nach einem 
zweyten fih umfehe, mit dem er ein gleiches und 
gluͤcklicheres Verhaͤltniß anknüpfen könne. 

In dieſem Vortrag war irgend etwas Schelmi- 
ſches; denn wie jeder bei Exrblidung eines Lotterie= 
plans das große Loos auf fich bezieht, fo ſchlen auch 
jebem Zuhörer, wenigftens in dem Augenblick, ein 
Hoffnungsgeftiru zu leuchten; ja ich babe kluge Men- 
ſchen gelannt, die fich eine Zeit lang von diefem Irr⸗ 
licht nachziehen Tiefen. 

Den größten Theil bes Tages brachten wir bei 
ihm zu, und Abends bewirthete er und auf Chineſi⸗ 
ſchem Porcellan und Silber mit fetter Schafmilch, 
bie er als hoͤchſt geſunde Nahrung pries und auf- 
nöthigte. Hatte man biefer ungewohnten Speife 
erft einigen Geſchmack abgewonnen, fo iſt nicht zu 
läugnen, daß man fie gern genoß, und fie auch woͤhl 
als gefund anfprechen durfte. 

‚Und fo beſah man denn auch feine aͤltern Samm⸗ 
lungen, zu deren glädtihem Beiſchaffen hiſtoriſche 
Kenntniß genuͤgt, ohne Geſchmack zu verlangen. 
Die goldenen Münzen Roͤmiſcher Kalfer und ihrer 
Familien hatte er aufs vollftändigfte sufanmenge- 
bracht, welches er durch die Katalogen bes Parifer 





2 


und Gothalſchen Sablinets eifrig zu belegen und da⸗ 

bei zugleich ſein Uebergewicht durch mehrere dort 
fehlende Exemplare zu bezeugen wußte. Was jedoch 

an diefer Sammlung am hoͤchſten zu "bewundern, 
war die Volllommenheit der Abdruͤcke, welche ſaͤmmt⸗ 
Ach als kaͤmen fie aus der Münze vorlagen. Dieſe 
Bemerkung nahm er wohl auf, ımd verficherte, daß 

er die einzelnen erſt nach and nach eingetaufcht und 
-mit-fehmwerer Zubuße gufeht erhatten und Doch noch 
immer vor Bluͤck zu fagen babe. 

- Beachte nun- der geſchaͤftige Befiher aus einem 
nebenſtehenden Schrank neue "Schieber zum An⸗ 
ſchauen, fo warb man fogtelch der Zeit und dem Ort 
nach anders wohln verſetzt. Sehr ſchoͤne Silbermuͤn⸗ 

zen Griechiſcher Staͤdte lagen vor, die, weil fie lange 
genug in feunchter verſchloſſener Luft aufbewahrt wor⸗ 
. den, - dble-wohlerhaftenen- Gepraͤge mit einem blaͤu⸗ 
Aichen Anhauch darmiefen. Eben fo wenig fehlte es 
ſodann an goldenen Mofenobfen, paͤpſtlichen diteren 
"Münzen, an Bractenten, verfänglichen fatyrifchen 
»Geprägen und was man nur merkwuͤrdig Seltfames 
vei einer fo zahlreichen althertommtichen Sammlung 

ermarten konnte. 
nun war aber weht zu laͤngnen, daß er tn die⸗ 
{em Fache unterrichtet und In gewiſſem Sinne ein 
Kenner war: denn er hatte ja fchom in früheren Jah⸗ 
‚ven eine kleine Abhandlung, wie aͤchte und falſche 
Maͤnzen zu unterſcheiden ſeyen, heransgegeben. 
Indeſſen ſcheint er auch Her wie in andern Dingen 
fih 





285 


fo vinige Wifſtuͤr vorbehalten zu haben, dent er 
behauptete, ‚Iartnädig und Aber «Be Muͤnzkeuner 
triumphirend: die goldnen Lyfimachen feyen durch⸗ 
u fafch, und behandelte deßhalb einige vorllegende 
ſhoͤne Exemplare hoͤchſt veraͤchtlich. Auch dieſes 
AUeßen wir, wie manches andere, hingehen und er⸗ 
sösten und mit Belehrung an biefen wirklich felte- 
wen Schäden. 
Neben alten diefen Merkwuͤrdigkeiten, zwiſchen 
fo vieler Zeit, bie und Beireis wibmete, trat im⸗ 
mer sugleich feine aͤrztliche Thaͤtigkeit hervor; bald 
war er Morgens früh ſchon vom Laube, wo er eine 
Baueroftau entbunden, zuruͤckgelehrt, bald Hatten 
tg verwicelte Eonfaltationen beichäftigt und feft- 
gehalton. 
Wie er nun aber zu ſolchen Geſchaften Tag und 
Nacht bereit ſeyn könne, und fie doch mit immer 
 glehiger aͤußerer Würde zu vollbringen im Stande 
Sey, machte er auf feine Friſur aufmerkſam; er trug 
admlich rolenartige Locken, laͤnglich, mit Nubeln 
geſteckt, feſt gepicht Aber beiben Ohren. Das Vor⸗ 
Deshaupt war: mit einem Toupee gefhmädt, alles 
feſt, glatt und tächtig gepubert. Auf diefe Meike, 
fagte er, laſſe er fih ale Abend frifiren, lege fi, 
"die Haare feftgebunden, zw Bette, und weihe 
Stunde er denn auch zu einem Kranlen gerufen 
werde, erſcheine er doch fo anftäubig, eben als wie 
er in, jede Geſellſchaft komme. Und es iſt wahr, 
man ſah Ihn in feiner hellblaugrauen vollftändigen 
Seethe's Werte. XXXI. 9». 45 





226 


Steldung, in ſchwarzen Strämpfen und Schuber 
mit großen Schnallen, überall ein- wie dad an⸗ 
. deremal. ' i ' 
Während folcher belebten Unterhaltung und fort- 
dauernder Serftreuung hatte er eigentlich von un⸗ 
glaublihen Dingen noch wenig vorgebracht; allein 
in der Zolge tonnte er nicht ganz unterlaffen die Li⸗ 
taney feiner Legenden nach und nad mitzuthellen. 
Als er und nun eines Tags mit einem ganz wohl⸗ 
‚beftellten Saftmahle bewirtbete, fo mußte man eine 
reihlihe Schuͤſſel befonders großer Krebſe in einer 
fo bach⸗- und waflerarmen Gegend höchft merkwuͤrdig 
finden; worauf ET denn verfiherte, fein Fiſchkaſten 
dürfe niemals ohne dergleihen Vorrath gefunden 
werden; er fey dieſen Geſchoͤpfen fo viel ſchuldig, er 
achte den Genuß derfelben für fo hellſam, daß er 
fie nicht nur ale ſchmackhaftes Gericht für werthe 
Säfte, fondern als das wirkfamfte Arzeneimittel in 
Außerften Fällen immerfort bereit halte. - Run aber 
ſchritt er zu einigen geheimnißvollen Einleitungen, 
er fprach von gänzliher Erſchoͤpfung, Indie er ſich 
durch ununterbrochene hoͤchſt wichtige, «aber auch 
höchft gefaͤhrliche Arbeit verſetzt geſehen, und wollte 
dadurch den fhwierigen Proceß der hoͤchſten Wiſſen⸗ 
ſchaft verſtanden wiſſen. 
In einem ſolchen Zuſtande habe er nun ohne Be⸗ 
wußtfeyn, in legten Zügen, hoffnungslos dagelegen, 
als ein junger ihm herzlich verbundener Schuͤler 
and Waͤrter, Durch inſpirationsmaͤßigen Inſtinct au⸗ 


227. 


getrieben, eine Schüffel großer gefottener Krebſe 
feinem Herrn und Meiſter dargebracht und davon 
genugſam zu fich zunehmen genöthigt; worauf denn 
diefer wunberfam Ind Leben zuruͤckgekehrt, und die 
hohe Verehrung für biefes Gericht behalten habe, 
Schalkhafte Freunde behaupteten, Beireis habe 
fonft auch wohl gelegentlich zu verftchen gegeben, 
er wüßte, durch bag Univerfale, ausgefuchte May⸗ 
täfer in junge Krebfe zu verwandeln, die er denn 
auch nachher durch befondere fpagirifhe Nahrung zu 
merfwürbiger Größe beraufzufüttern verfiehe. Wie 
hielten dieß wie billig für eine im Geiſt und Ge⸗ 
fchmad des alten Wundertbäterd erfundene Legende, _ 
dergleichen mehr auf feine Rechnung herumgehen, 
und die er, wie ja wohl Tafchenfpieler und fonftige 
Thaumaturgen auch gerathen finden, keineswegs 
abzuläugnen geneigt war. 

Hofrath Beireiſens aͤrztliches Anſehen war im 
der ganzen Gegend wohl gegründet, wie ihn denn 
auch die grafiih Veltheimiſche Familie zu Harbke 
als Hausarzt wiltommen hieß, in die er und daher 
einzuführen fich ſogleich geneigt erklärte. Angemel⸗ 
det traten wir dort ein, ftattlihe Wirthſchaftsge⸗ 
baͤude bildeten vor dem hohen aͤltlichen Schloffe ei⸗ 
nen geräumigen Gutshof. Der Graf hieß und will⸗ 
tommen und freute fih an mir einen alten Freund 
feines Vaters kennen zu Ternen, benn mit biefem 
hatte ung andere durch mehrere Fahre das Studium 
des Bergweſens verbunden, nur daß er verfuchte, 


“228 


Jene Naturlenntniſſe au Aufllaͤrung xroblematiſcher 
‚Stellen alter Autoren zu benutzen. Mochte man 
ihm bei dieſem Geſchaͤft auch allzugroßer Kuͤhnheit 
beſchuldigon, fo konnte mau aͤhm einen geiſtreichan 
Gegen den Garten Hin mar das alterthuͤmlich⸗ 
aufgeſchmuͤcte anſe hnliche Schloß vorzuͤglich ſchoͤn 
‚gelegen. Unmittelbar aus demſelben trat man auf 
ebene reinliche Flaͤchen, woran fish ſauft aufſteigende, 
son Buͤſchen und Blumen uͤberſchattete Huͤgel an⸗ 
ſchloſſen. Bequeme Wege führten ſodann anfwaͤrts 
‚zu heiteren Ausſichten ‚gegen benachbarte Höhen, 
and man ward mit Dam meiten Umkreis der Herr⸗ 
ſchaft, befonders auch mit den wohlbeſtandenen 
Waͤldern, immer mehr bekannt. Den Sraßnater 
des Grafen hatte vor funfzig Jahren die Forſtcultur 
ernſtlich befchiftigt, wobei erbeun Mordamericaniſche 
Sewaͤchſe ber Deutſchen Landes art anzueignen trach⸗ 
tete. Wan, führte man ung in einen wohlbeſtande⸗ 
on Wald von Weypmonths⸗Klefern, anſehnlich 
ſtark und hoch gewachſen, In deren ſtattlichen Be⸗ 
‚set wir ung, wie ſonſt in ben Forſten des Thaͤrin⸗ 
ger Waldes, auf Moos gelagert an einam guten 
Fruͤhſtuͤck enauidten, und beſonders an ber zegal- 
mäßigen Pflanzung ergoͤtzten. Denn dieſer großvaͤ⸗ 
geriiche Forſt zeigte aoch bie Wſichtlichkeit der er⸗ 
ſten Anlage, Indem die ſaͤmmtlichen Baͤume reihen⸗ 
Mois geſtellt ſich überall Ind Gevierte fehen Lehen. 
Eben fo lonnte man In jeder Eorttabtheitung bei-ie- 


299" 


ber Baumzattung die Abſicht des vorſergenden Ahu⸗ 
herrn gar deurlich wahrnehmen. 

Die imige Gruͤfta, fo eben ihrer Entbludung 
mıhe, belleb leiber unſtchtber, da wie von ihrer ge- 
raͤhmten Schoͤnhrit ſelbſt doch gern Zeugniß abgelegt 
bitten: Judeſſen wußken wir uns mit ihrer Frau 
Mutter, einer verwittibten Fran von Lauterbach 
aus Frankfirrt am Mayn, von alter Relchſtaͤdtſſchen 
Familienverhaͤltniſſen angenehm zw unterhalten. 

Die beſte Bewttthung, ber anmıuthlnfte iftkt- 
gang, beichrendes Geſpraͤch, worin und nach und‘ 
nach die Vortheile einer fo großen Befttzung im Ein: 
zelnen deutliher wurden, befonbers da hier ſoviel 
für bie Unkerthanen gefhelfen war, erregten den 
ſtilleir Wunſch laͤnger zu verwellen, dem denn eine- 
fteundlich dringenbe Einladung unverhofft- entgegen 
kam: Aber ımfer theurer Gefaͤhrte, der fuͤttreff⸗ 
Ihe, ber hier für feine Neigung Feine Un⸗ 
terhaltä fand und defto cher und heftiger von fel- 
ner gewoͤhnlichen Ungeduld ergriffen warb, verlangte 
ſo Dringend: wieder in ’Helmftädt gu. ſeyn, daß wir 
mis entfchlleßen müßten, aus einem fo angenehmen: 
Keelfe zu ſcheiden; doch ſollte fich bet unferer Treue 
many noch ein wechſelſeitiges Verhaͤlraiß entwittelh. 
Der freundliche Wirth verehtte aus ſeinen foſſilen 
Shäsen einen koͤſtlichen Enkriniten meinem: Sohn, 
md: wir glaubten kaum etwas Gleichgefaͤlliges erwi⸗ 
dern zu koͤnnen, als ein forſtmuaͤnniſches Problem 
zur Sprache kam. Im Ettersderg naͤmlich bei Wei⸗ 


250. 


mar folle, nach Ausweis eines beliebten Journals, 
eine Buche gefunden werden, weiche fih An Geſtalt 
und fonftigen Eigenſchaften offenbar der Eiche nd- 
here. Der Graf, mit angeerbter Neigung zur Forſt⸗ 
cultur, wuͤnſchte davan ‚eingelegte Zweige und was 
fonft noch zu genauerer Kenntniß beitragen Tonne, 
befonders aber wormöglich einige lebendige Pflanzen. 
In der Folge waren wir fo gluͤcklich dieß Gewuͤnſchte 
zu verfhaffen, unfer Verſprechen wirktich halten zu 
. Eönuen, und hatten dad Vergnügen von dem zwep⸗ 
deutigen Baume lebendige Abkoͤmmllge zu überfeu- 
den, auch nah Fahren von dem Gedeihen derſelben 
erfreuliche Nachricht zu dernehmen. 

Auf dem Ruͤckwage nun wie auf dem Hiuwege 
hatten wir deun mancherlei von des alten ung gelei⸗ 
tenden Zauberers Großthaten zu hören. ‚Run ver: 
nahmen wir aus deffen Munde, was. und [dom aug 
- feinen frühern Tagen durch Ueberlieferunggugefons, 
men war; doch genau befehen fand ſich in der Le— 
gende dieſes Heiligen eine mestlihe Monotonie. 
Als Knabe jugendlich muthiger Entſchluß, als Schuͤ⸗ 
ler raſche Selbſtvertheidigung; abademiſche Haͤndel, 
Roppierfertigleit,. kunſtmaͤßige Geſchicklichkeit im 
Reiten, und ſonſtige koͤrperliche Vorzuͤge, Muth 
und Gewandtheit, Kraft und Ausdauer, Veſtaͤn⸗ 
digkeit und. Thatluſt; alles dieſes lag rüdwärtg in 
dunklen Zeiten; dreyjaͤhrige Reiſen blieben geheim⸗ 
nißvoll, und. ſonſt noch manches im Vortrug, un 
aber in ber Erörterung unbeſtimmt. 


7 


251 


"Weit jedoch das auffallende Reſultat feines Le⸗ 
bensganges ein unüberfehlicher Beſitz von Koftbarz 
teiten, ein unſchaͤtzbarer Geldreichthum zu ſeyn 
ſchien; fo Eonnte es ihm an Gläubigen, an Ver⸗ 
ehrern gar nicht fehlen. Jene beiden find eine Art 
von Hausgoͤttern, nach welchen bie Menge andaͤch⸗ 
tig unb gierig die Augen wendet. Iſt nun ein fol- 
cher Befiß nicht etwa ererbt und offenbaren Herkom⸗ 
mens, fondern im Geheimniß felbft erworben; fo 
gibt man im Dunkeln alles übrige Wunderbare zu, 
man laßt ihn fein mährchenhaftes Wefen treiben: 
denn eine Maffe gemünztes Gold und Siiber ver- 
leiht feibft dem Unwahren Anſehen und Gewidt; 
man läßt die Lüge gelten, Indem man bie Baar⸗ 
ſchaft beneidet. - 

Die möglichen ober wahrfcheinlichen Mittei, wie 
Beireis zu ſolchen Gütern gelangt, werden einſtim⸗ 
mig und einfach angegeben. Er folle eine Farbe 
erfunden haben, die fih an die Stelle der Cochenille 
ſetzen konnte; er folle vortheilhaftere Gaͤhrungspro⸗ 
ceſſe als die damals befannten an Fabrikherren mit- 
getheilt haben. Wer In der Geſchichte der Chemie 
bewanbert iſt, wird beurtheilen, ob in der Hälfte 
des vorigen Jahrhunderts dergleichen Necepte um⸗ 
Herfchleichen konnten, er wird willen, in wiefern 
fe in der neuern Zeit dffenbar und allgemein befannt 
geworden. Sollte Beireis 3. B. nicht etwa zeitig 
auf die Veredlung des Krapps gekommen ſeyn? 

Nach allem diefem aber iſt das firtliche Element 


232 


"zu. bedeuten, worin und worauf eu gewirkt bat, ich 
meine. die Zeit, den eigentlichen Stan, bad. Veduͤrf⸗ 
niß derfelben. Die Commumication ber Weltbuͤrger 
ging noch nicht fo ſchaell wie gegenwaͤrtig, nach Eonnte- 
jemand, der an entfernten Orten wie Swedenborg, 
ober: auf einer beſchraͤnkten Iniwerfikkt wie Belrois 
feinen Aufenthalt nahe, immer die beſte Gebegen⸗ 
heit finden, ſich in geheimnißvolles Dunkel zu hl: 
len, Geiſter zu berufen, und am: Stein der Weiſen 
zw arbeiten. Haben wir nicht In ben neuern Tagen 
Sagiiefteo gefehen, wie er große Raͤume eilig durch⸗ 
ſtreifend, wechſelsweiſe im Süden, Nordon, Wer 
fien feine Tafchenfplelereien treiben, und uͤberall 
Anhänger finden konnte? Iſt ed denn zuviel geſagt, 
daß ein gewiffer Aberglaube an damenifhe Meu— 
Then niemals: aufhoͤren, ja daB zu jeder: Zoit ſich 
immer ein Local finden wird, wo das problematiſch 
Wahre, vor dem wir In ber Theorie allein Reſpect 
haben, ſich in der Ausuͤbung mit der euͤge anf das 
allerbequemſte begatten fan: 

Länger als wir gebucht hatte nus die anmuthtge: 
Geſellſchaft in Helmſtaͤdt aufgehalten. Hofrath 
Beireis betrug ſich In jedem Sinne wohlwollend und 
mittheilond, doch von feinem: Hamptichap- dem ⸗ Dies 
manten hatte er noch nicht geſprochen, geſchweige 
denſelben vorgewieſen. Niemand der Helmſtaͤdter 
Alademieverwandten hatte denſelben geſehen, und 
ein oft wiederholtes Maͤhrchen, daß dieſer unfchäße 
bare Stein nicht am Orte ſey, diente ihm, wie wir 


283 


hösten, andı gegen Fremde zur Eutfchaldigung. Er 
pflegte namlich ſcheinbar vertraulich zu aͤußern, daß 
er. zwölf vollkommen gleiche verſſegelte Kaͤſtchen ein⸗ 
gerichtet habe, in deren einem. ber Edelſbein befind⸗ 
Ikh:fey. Dieſe zwoͤlf Kaͤſtchen un vertheile er an 
auewaͤrrtge Freunde, deren jeder einen Schat zu 
beſttzen glaube; er aber woͤſſe nur allein, wo er be⸗ 
findiich fey. Daher mußten: wir: befünhten,, daß er 
auf: Anfragen biefes: Naturwunder gleichſalls ver- 
läugnen. werbe. Gluͤcklicherwoiſe jedoch kurz vor un⸗ 
ſerm Abſchiede begegnete folgendes. 

Eines. Morgens zeigte er in enem Bunde ber: 
Reiſe Tonupneforts die Abbildung einiger natuͤrlichen 
Diamanten, bie ſich in Eyform mit theilweiſer Ab⸗ 
weichung Ins Nieren: und Zitzonfoͤrmige unter den 
Schaͤren dor Judier gefunden hatten. Nachdem er: 
ms die Geſtalt wohl eingepraͤgt, brachte er ohne 
weitere Eeremonien aus der rochten Hoſentaſche das 
bedeutende Naturerzeugniß. In der Groͤße eines 
maͤßlgen Gaͤnſoeyes war es volllommen Mar, durch⸗ 
ſichtig, doch ohne Spur, daß daran gefhitflen wor⸗ 
den; an der Seite bemerkte man einen ſchwachen 
Hoͤcker, einen nierenfoͤrmigen Anuswuchs, wedurch 
der: Stein jenen Abbildungen vollkdinmen aͤhnllch 
ward, ‘ 

Mit feiner gewöhnlichen ruhigen Haltung: zeigte’ 
et darauf einige zweydeutige Verfuche, weiche bie: 
Egenſchaften eines Dienmuten bethaͤtigen follten: 
af: mäßiges Reiben zog ber Stein Papterfchnigchee 


254 


„on; bie englifhe Selle fehlen ihm nichts anzuhaben; 
doch ging er eilig über diefe Beweisthümer hinweg, 
und erzählte die oft wiederholte Geſchichte: wie er 
den Stein unter einer Muffel geprüft und über das 
herrliche - Schaufpiel der fih entwidelnden Flamme 
das Feuer zu mildern und auszuloͤſchen vergeflen, 
fo daß der Stein über eine Million Thaler an Werth 
{a Kurzem verloren babe. Demungeachtet aber 
pries er fih glüdlich, daß er ein Feuerwerk geſehen, 
welches Kalfern und Königen verfagt worden. 

Indeſſen er nun ſich weitläufigibarüder heraus⸗ 
Ueß, Hatte ich, chromatifcher Prüfungen eingedenk, 
das Wunderep vor die Augen genomnten, um bie 
horlzontalen Genfterftäbe dadurch zu betrachten, fand 
aber die Karbenfäume nicht breiter, ale ein Berg- 
krpſtall fie auch gegeben hätte; weßhalb ich im Stil⸗ 
len wohl einige Zweifel gegen die Aechtheit dieſes 
gefeyerten Schaßes fernerhin nähren durfte. Und 
fo war denn unfer Nufenthait durch die größte Rodo⸗ 
montade unferes wunderlichen Freundes ganz ei- 
Zentlich gekrönt. 

Bei heiteen vertraulichen Unterhaltungen in 
Helmſtaͤdt, wo, denn vorzäglich bie Velreiſiſchen Ei- 
genheliten zur Sprache kamen, ward auch mehrmals 
eines höchft mwunderlihen Edelmanns gedacht, wel- 
den man, ba unfer Ruͤckweg über Halberftadt ge⸗ 
sommen werben follte, als unfern vom Wege woh⸗ 
end, auf ber Reife gar wohl befuchen und fomit 
De Kenntnis feltfamer Sharaktere erweitern könne. 


2 2% 235 . 
Man war zu einer folhen Erpebition deſto eher ge- 2 
neigt, als der heitere geiſtreiche Probſt Hende ung 
dorthin zu begleiten verſprach; woraus wenigſtens 
hervorzugehen fehlen, daß man über die Unarten 
und Unſchicklichkeiten jenes berufenen Mannes noch 
allenfalls hinauskommen werde. 

So .ſaßen wir denn zu, vier im Wagen, Probft 
Hende mit einer langen weißen Thonpfeife, die er, 
weil ihn jede andere Art zu rauhen anwiderte, ſo⸗ 
gar im Wagen, felbft, wie er verfiherte, anf wei- 
teren Reifen, mit befonderer Worfiht ganz und un: . 
zerftüdt zu erhalten wußte. . 

In fo froher ald beichrender Unterhaltung leg⸗ 
ten wir den Weg zurüd, und langten ‚endlih an 
dem Gute bed Mannes an, der, unter dem Namen 
des tollen Hagen, weit und breit bekannt, wie _ 
eine Art ‚von gefährlihem Cyclopen auf einer ſchoͤ⸗ 
nen Behpung bauf’te. Der Empfang wur fchon 
harafterifiiih genug. Er machte und aufmerkſam 
anf das an tüchtigem Schmiedewerk hangende Schild 
feines neuerbauten Gaſthofes, das den Gaͤſten zur 
Locung dienen follte, ‚Bir waren jedoch nicht we⸗ 
wig verwundert, bier, von einem nicht -ungefchletten 
Kuͤnſtler ein Bild ausgeführt zu fehen, welches das 
Gegenſſuͤck jenes Schildes vorſtellt, an welchem der 
Reiſende in das ſuͤdliche Frankreich ſich fo 
umſtaͤndlich ergeht und ergoͤtzt; man fah auch hier 
ein Wirthshaus mit dem bedenklichen Zeichen und 
umſtehende Betrachter vorgeſtellt, 





% 


eu 


. 


2 256- 


Ein ſoccher Empfang ließ une: freiiihi das 
Schlinmſte vermuthen und ich ward aufmerkſauer, 
indem mich die Ahnung auflog als ae 
then neuen Freunde, mad: dem edten: Helmſtaͤdter 
Drama, uns zu biefem Abenteuer beredet, mw - 
uns als Mitfpieler in einer leidigen Satyrpoſſe ver⸗ 
witelt zu ſehen. Sollten: fie nicht, wenn: wir die- 
fen Joeus unwilllg aufnahmen , nr mit einer ſtil⸗ 
len Schadenfreude kitzeln. 

Doch ich verſcheuchte ſolchen Argwehn· als wir 
das ganz anfehnliche Gehofte betraten. Die Wirth⸗ 
ſchaftsgebaͤude befanden ſich im beſten Zuſtand, die 
Höfe in zweckmuͤßtger Ordnung, obgkeich ohne Spur 
irgend einer aͤſthetiſchen Abfiht. Des Herren‘ ge⸗ 
legentliche Behandlung der Wirthſchaftsleute mußte 
man rauh und hart nennen, aber ein guter Diner: 
ber durchblickte machte fie ertraͤglich; auch ſchlenen⸗ 
die guten Leute an dieſe Weiſe ſchon ſo gewoͤhnt zu 
ſeyn, da fie ganz ruhtg, als hätte man: ſie ſanft 
angeſprochen, Ihren Gefchäft weiter oblagen. 

In dem großen reinlichen hellen Tafeljiminer' 
fanden wir die Hausfrau, eine ſchlanke wohlgebtle 
dete Dame, bie fi aber in ftummer Leidendgeſtalt 
ganz unthelfnehmend erwies und nnd die ſchwere 
Duldung bie ſie zu übertragen hatte, unmittelbat zu 
erfennen’gab. Ferner zwey Kinder, ein preußiſchet 
Fahndrich auf Urkaub, und eine TDochter aus der 
Braunſchweigiſchen Penfion zum Befudre da, beide 


noch nicht zwanzig, ſtumm wie die Mutrter, milß 


837 


Ainer Niet mon Merwunderung drein ſehend, wenn 
die ide jegernehn vielfaches Leiden ausſprachen. 
Die Untexheltung war ſogleich einigermaßen ſol⸗ 
datiſch derb; der Burgunder, von Braunfchweig be⸗ 
BR, ganz vortrefflich; bie Hausfrau machte ſich 
Buch ‚eine ſo · wohlbediente als vohlbeſtellte Tafel 
„Bhre ;. daher maͤre denn bis deut alles ganz leidlich 
„Begapgen, nur durfte wan ſch nicht weit umſehen 
Ohne has Faune nohr gu erblicken, das durch bie haͤus⸗ 
‚Mes Zucht eines wohlhabenden Landedelmanns durch⸗ 
Zub. Ta den Eden des Saales ſtanden ſaubere 
Magie des Apollin und aͤhnlicher Statuen, wun⸗ 
derlich aber ſah an fe aufgeputzt: denn er hatte 
fie: wit Manfchesten,, von felnen abgelegten, wie 
auit Feigenblaͤttern der guten Geſellſchaft zu acco- 
modiren gegiauht. Ein folder Aublick gab nur um 
ſo mehr Anprehenſion, da man verfihert ſeyn lann, 
daß ein; Age ſchmacktes gewiß auf ein anderes hin⸗ 
deutet, und ſo faud ſichs auch. Das Geſpraͤch war 
‚ao immer mit einiger Maͤßlgung, wenigſtens von 
‚anfeser Seite, gefuͤhrt, aber doch auf alle Fälle in 
egenwart der heran vachſenden Kinder unſchicklich 
gerug. Als man ſie aber während des Nachtliſches 
fertgeſchickt hatte, fand unfer wunderlicher Wirth 
anuz:felesiih auf, nahm bie Manfchetihen non 
Den /Statuen weg, und meinte nun ſey es Zeit 
Äh etwas natuͤrlicher und freier zu beuchmen. 
Mir hatten indeſſen ber bebaueruswerthen Lei⸗ 
denggeſtalt sinferer Wirthin hurh einen Schwant 


"938 


gleichfalls Urlaub verfchafft; denn wir bemerkten 
worauf unfer Wirth ausgeheh mochte, Inden er 
noch ſchmackhafteren Burgunder vorfehte, dem wir 
uns nicht abhold bewiefen. Dennoch wurden wir 
nicht gehindert nach aufgehobener Tafel einen Spa- 
ziergang vorzufchlagen. Dazu wollte er aber keinen 
Gaſt zulaffen, wenn er nicht vorher einen gewiſſen 
Ort befucht hätte. Diefer gehörte freilich auch zum 
Ganzen. Man fand in einem reinlihen Gabinet 
einen gepoffterten Großvaterfeffel, und um zu einem 
längeren Aufenthalt einzuladen, eine mannichfal⸗ 
tige Unzahl bunter ringsumher aufgeklebter Aupfer- 
ftihe, fatyrifchen pasquillantifhen, unfauberen In- 
halte, nedifch genng. Dieſe Beifplele genügen wohl 
die wunderliche Lage anzudeuten in der wir ung be- 
fanden. Bet eintretender Naht wörbigte er feine 
bedrängte Hausfrau einige Lieder nad) eigener Wahl 
zum Flügel zu fingen, wodurch fie ung bei gutem 
Vortrag allerdings Vergnügen machte; zulcht aber 
enthielt er fich nicht fein Mipfallen an ſolchen faden 
Sefängen zu bezeugen, mit der Anmaßung ein 
tüchtigeres vorzutragen, worauf fih denn bie gute 
Dame gemuͤßigt fah eine Höchft unſchickliche und ab⸗ 
furde Strophe mit dem Flügel zu begleiten. Nun 
fühlte ih, indignirt durch das Widerwärtige, in⸗ 
fpirirt durch den Burgunder, es fey Zeit meine Ju⸗ 
gend: Pferde zu befteigen, auf denen ich mic fonft 
übermüthig gerne herumgetummelt hatte. 

Nachdem er auf mein Erſuchen die beteftable 


| 
239 


;. 
Strophe noch einige Male wiederholt hatte, ver: 
fiherte ih ihm das Gedicht ſey vortrefflih, nur 
muͤſſe er ſuchen duch Tünftlichen Vortrag fih dem 
örtlichen Inhalt gleich zu ftellen, ia ihn durch den _ 
rechten Ausdruck erft zu erhöhen. Nun war zuvoͤr⸗ 
derft von Forte und Piano die Rede, fodbann aber 
von feineren Abfchattirungen,, von Accenten, und 
fo mußte gar zuletzt ein Gegenſatz von Lifpeln und 
Ausſchrey zur Sprache kommen. Hinter biefer Toll⸗ 
Ne lag jedoch eine Art von Didaskalie verborgen, 

e mir denn auch eine große Mannichfaltigkeit von 
Forderungen an ihn verfchaffte, woran er fich als 
ein geiftreih baroder Mann zu unterhalten fchien. 
Doch fuhte er diefe Läftigen Sumuthungen manch⸗ 
mal zu unterbrehen, indem er Burgunder ein⸗ 
fchenkte und Badwerk anbot. Unſer Wolf hatte fi, 
unendlih gelangweilt, “fchon zurädgezogen; Abe 
Heucke ging mit feiner langen thönernen Pfeife auf 
und ab, und fchättete den ihm aufgedrungenen Bur⸗ 
gunder, feine Zeit erfehend, zum Fenſter hinaus, 
mit der größten Gemuͤthsruhe den Verlauf dieſes 
Unfinnes abzumarten. Dieß aber war Fein Gerin⸗ 
ges: denn ich forderte Immer mehr, nach Immer 
einen wunderliheren Ausbrud von meinem humo⸗ 
riftifch gelehrigen Schüler, und verwarf zulebt gegen 
Mitternacht alles Bisherige. Das fey nur einges 
lernt, fagte Ich, und gar nichts wertb. Nun müffe 
er erft aus elgnem Geiſt und Sinn das Wahre was 
bisher verborgen geblieben ſelbſt erfinden, und da= 





200 


burch kt Dichter umb Wünfiter als Original wett⸗ 
eifern. 

Hamm war er gewandt genug um einlger aaßen gu 
gewahren daß hinter dieſen Tollheiten ein gewlffer 
Stun verborgen ſey, in er ſchien ſich an einem fo 
freventlichen Mſbrauch eigentlich reſpectabler Leh⸗ 
ten zu ergößen; doch war er iadeſſen ſelbſt muͤde, 
and fo gu fangen muͤrbe geworden, uud als Ich eub- 
th ben Schluß zog, er muͤſſe nun erfi der Rabe 
siegen und abwarten, ob ihm nicht vielleicht Im 
Traum eine Aufklärung komme, gab er gerne nach 
amd entlieh md zu Bette. 

Den andern Morgen waren wir fruͤh mieder bei 
der Haud und zur Abreiſe bereit. Beim Fruͤhſtück 
eing es ganz menichlich zu, es fchlen ale wolle er 
und nicht mit ganz unguͤnſtigen Begriffen entiaffen. 
As Landrath wußte er vom Zuſtand und den An⸗ 
gelegenheiten der Provinz fehr treffende, Bach feiner 
Art bazode Nechenſchaft zu geben. Wir ſchieden 
frenndlich und Eounten dem nach Helwuſtaͤdt mit um- 
zerbrochener langen Pfeife zuruͤckkehrenden Freunde 
für fein Geleit bei dieſem bedenllichen Abentener 
nuͤcht genugſam Dank ſagen. 

Vollkoammen friedlich und vernunftgemaͤß warb 
und Dagegen ein laͤngerer Aufenthalt in Halberſtadt 
beſchert. Schon war vor. einigen Jahren ber edle 
Gle im zu ſelnen frühften Freunden hinuͤbergegan⸗ 
gen; ein Veſuch, dem ich Ihn vor geraumer Zeit 
abſtattete, batte nur einen dunklen Eindruck zuruͤk⸗ 
ge⸗ 


— 


244 


gelaſſen, Indem. eindaz wiſcheneraufchenbes man⸗ 
nichfaltiges Leben mir bie: Eigenheiten: feiner Perſon 
und Umgebung beinahe verloͤſchte. Auch konnde Ich, 
damalswie in der Folge, kein Verhaͤltniß zuıfbnz 
gewinnen, aber: feine Thaͤtigleſt war mir nlemalg 
frembigeworden 5 ich hoͤrte viel von ihm duch Wie⸗ 
land: und: Herber, mit Demanset Immer: in: Brief⸗ 
wochſel und: Bezug blleb. 

Dießmal wurdenc wir ſeiner Wohnung yon: 
Herrn⸗ Koͤvt e ar ferundikh:empfangen, fie deutote 
auf reinliche Wohlhaͤbigkelt, auf ein froedliches Le⸗ 
ben amd ſtilles geſelliges Behagen. Sein voruͤber⸗ 
gegangenes Wirken feierten: wir an ſeiner Verlaſe 
ſenſchaft; viel ward von ihm⸗erzaͤhlt, manches vor⸗ 
gewleſen, und Herr Koͤrte verſprach durchneine and: 
fuͤtzeliche Lebensbeſchrelbung und Heraus gabe ſeines 
Brisfwehfels “einem: jeden Aalaß genug: zu ver⸗ 
Hafen, auf feine Weiſe⸗ ein ſo merkwichiges In⸗ 
Desidunm ſich wleder hervorzurufen. 

Denn allgemeinen ⸗Deutſchon Melon. war Gleim 
durch ſeine Gedichte am meiſten verwandt, werke: 
er als ein vorzuͤglich llebender und liebeuswuͤrdiger 
Mann evſcheint. Seine Pooſie von der techniſchen 
Seite beſeten iſt rhothmlſchy nicht molodiſch, woß⸗ 
habb er ſich denn / auch meiſtens freier Spibenmaße 
bedient; und: fo gewähren: Bere: und Reim, Brief 
und Abhandkung durcheinander verſchlungen ben 
Aasdreuck eines gemuͤthlichen Menſchenverſtandes, 
innerhalbe einer wohlgeſinnten Beſchraͤnkung. 

Soethes Werte, XXXI. Bd 16 





242 


Vor allem aber war und anziehend ber Freund: 
Ichaftstempel, eine Semmlung von Bildniſſen di- 
geser und neuerer Angehbrigen. Sie gab ein fchönes 
Zeugniß wie er die Mitlebenden gefchäßt, und ung 
eine angenehme Recapitulatlon fo vieler ausgezeich- 
neter GSeftalten, eine Erinnerung an die bedeuten- 
den einwohnenden Geiſter, an die Bezüge dieſer 
Perfonen unter einander, nnd zu dem wertben 
Manne, ber fie meiftens eine Zeitlang um fich ver- 
fammelte, und die Scheldenden, die Abweſenden 
wenigſtens im Bilde feftzubalten Sorge trug. Bel 
foihem Betrachten ward gar manches Bedenken 
beroorgerufen, nur eines ſprech' ich aus: man fah 
aber hundert Poeten und Literatoren, aber unter 
biefen keinen einzigen Mufiter and. Componiſten. 
Wie? follte jener Greis, der, feinen Aeußerungen 
nah, nur im Singen zu leben und zu athmen. 
ſchien, keine Ahnung von dem eigentlichen Gefang 
gehabt haben? von der Tonkunſt, dem wahren Ele⸗ 

ment woher alle Dichtungen entfpringea aan wohin 
fe zuruͤckehren? 

Suchte man nun aber in einen VBeerif fangen 
su faſſen was und von dem edlen Manne vorſchwebt, 
fo könnte man fagen: ein leidenſchaftliches Wohl⸗ 

‚ wollen lag feinem Cheralter gu Grunde, das er 
durch Wort und That wirkfem zu machen ſuchte. 
Durch Rede und Schrift aufmunternd, ein allge= - 
meines rein menfchliches Gefühl zu verbreiten be= 
müht zeigte er ſich, als Freund von jederman, 


"243 


hälfreich dem Darbenden, armer Tugend aber be- 
fonders förderiih. Ihm, ale gutem Haushalter,- 
ſcheint Wopithätig‘eit die einzige Liebhaberei gewe- 
fen zu feyn, auf bie er feinen Ueberſchuß verwendet. 
Das Metite thut er aus eigenen Kräften; ſeltener 
und erſt in fpäteren Jahren bebient er fich feines 
Kamend, feines Ruhms, um bei Königen und 
Minifterk einigen Einfluß zu gewinnen, ohne ſich 
dadurch ſehr gefördert zu fehen. Man behandelt 
ihn ehrenvoll, duldet und belobt feine Thaͤtigkeit, 
Hilft ihm auch wohl nach, trägt aber gewöhnlich Be⸗ 
denken in feine Abfichten Eräftig einzugehen. 

Alles jedoch zufanimengenommen, muß ma 
ihm ben eigentlichiten Bärgerfinn in jedem Betracht 
. zugeftehen; er ruht als Menfch auf fih ſelbſt, ver- 
mwaltet ein bedeutendes dffentlihes Amt, und be- 
weiſſt Ah übrigens gegen Stadt und Provinz und 
Sönigreich als Patriot, gegen Deutfches Vaterland 
und Welt al& Achten Liberalen. Alles Nevolatio- 
“ nafre dagegen , das In feinen diteren Tagen hervor: 
tritt, iſt ihm hoͤchlich verhaßt, fo wie alles was 
früher Preußens großem Könige und feinem Reiche 
ſich feindſelig entgegenftellt. 

Da nun ferner eine jede Religion das reine 
ruhige Verkehr der Menfchen unter einander be⸗ 
fördern fol, die chriſtlich evangelifche jedoch hiezu 
weſonders geeignet Sft5 fo Eonnte er bie Religion des 
techtfchaffenen: Mannes, die Ihm angeboren und 
ſeiner Natur norhwendig war, immerfort ausuͤbend, 


m 
— 


"244 


Aſch far den rechtslaubigſten „aller Menkhen- halten 


md :anıdem ererbten Belewntniß, -fo -wie-bei dem 
herkoͤmmlichen einfachen Cultus der peobeftanstagen 
Kirche, gar wohl beembigen. 

Nah allen dieſen tebhaften Vergegenmärtigen- 
gen -follten wir noch ein Bild des MWergänglichen: er- 
„bilden, denn auf ihrem Siechbette begräfiten wir 


die ablebende Nichte Gleims, bie unten: dam. Ma- 


men Qleminde viele Jahre die Bierbe eines dich⸗ 
teriſchen Kreiſes geweſen. Zu Ihrer aummtbigen 
obſchon kraͤnklichen Bildung, ſtimmte gar fein die 
große Reinlichkeit Ihrer. Umgebung, unde wir unter⸗ 
‚hielten ung gern mit ihr von vergangenen guten Ta⸗ 
gen, bie ihr nik dem Wandeln und Wirken Ihres 
trefflichen Oheims Immer gegenwaͤttjs geblieben 
waren. 
Heletzt um unſere Wallfahrt ernſt amd wirdig 
«buufchließen, traten wir in den Garten um das 
‚Grab des edlen Greiſes, den nach vleljaͤhrigen Rei: 
den und Schmerzen, Thaͤtigleit and Erdulden, mi- 
geben von Denkmalen vergangener Fremde, wider 
ihm gemuͤthlichen Stelle. gegönnt - mar aus zuruhen. 
Die oͤden feuchten Raͤume des Doms befuchten 
wir zu wiederholten Malen; er ſtand, ebglekh ſei⸗ 
nes fruͤhern religiofen Lebens beraubt, dach noch 
anerſchuͤttert In urſpruͤnglicher Würde. Dergleichen 
„Gebäude Haben etwas eigen Anziehendes, fie ver: 
‚gege awaͤrtigen uns tüchtige. aber duͤſtere Huſtaͤnde, 


and weil wir und manchmal gern: ind Hnlbdamkel 


‘245 


ger Bergengenbeit efihäten, fo finden wir ed wil- 
rkommen, wenn eine ahnungsvolle Beſchraͤnkung ung 
mit gewiſſen Schauern ergreift, koͤrverlich, phy⸗ 
rg, geiſtig auf Gofuͤhl, Einbildangskraft und 
Semtth wie, und ſomlt ſittliche, poetiſche und 
teligiofe Stinammg anregt. 

Die Spieguiberge, unſchuldig buſchig bewachſene 
Auhdhen, dem nachburlichen Harze vorllegend, jetzt 
durch bie ſeltfamſten Gebllde ein Tummelplatz haͤß⸗ 
licher Creuturen, eben als wenn eine vermaledeite 
Gefellſchaft, vom Blocsberge wiederkehrend, durch 
Gottes unergruͤndlichen Rathſchluß hier wäre ver⸗ 
ſteinert worden. Am Fuße des Aufſtlegs dient ein 
ungehenres Kap abſcheulichem Zwergengeſchlecht zum 
Hochzeftſaal; undvon ba, durch alle Gaͤnge ber An⸗ 
Ingen, lauern Mißgeburten jeder Art, fo daß ber 
Mißgeſtalten Hebende Praͤtorlus feinen mundas 
anthropodemicus 'hler vollkommen realiſtrt erbiiden 
Tunte. 
Da fiel es denn recht auf, wie noͤthig es ſey in 
Der Erziehung die Elnbildungskraft nicht zu befeitigen 
ſondern zu regefn, ihr burch zeitig vorgeführte edle 
‚Bilder Luſt am Schönen, Beduͤrfniß bes Mortreff- 
Achen zu geben. Was hilift es bie Sinnlichkeit zu 
zaͤhmen, den Verſtand zu bilden, der Vernunft Ihre 
Horrſthuft zu fihern, die Einblldungskraft lauert 
als ber maͤchtigſte Feind, fie Hat von Natur einen 
Anwiderſtehllchen Trieb. zum Abſurden, ber ſelbſt 
in gebildeten Menſchen mächtig wirtt und gegen alle 





246 | 


Cultur die angeftammte Rohheit fragenlichenber 
Bilden mitten in ber anfiänbigften Welt wieder 
zum Vorſchein bringt, 

Bon ber übrigen Ruͤckreiſe darf ich nur voräber- 
eilend fprehen. Wir fuchten dad Budethal und den 
Längft befannten Hammer; von bier ging ih, nun 
zum dritten Male in meinem Leben, das von Gra- 
nitfelfen eingefchloffene raufhende Waſſer hinan, 
und bier fiel mir wiederum auf, daß wir durch nichts 
fo ſehr veranlaßt werben über ung felbft zu denken, 
als wenn wir höchft bedeutende Gegenftände, befon- 
ders entfchiedene charakteriftifche Naturfcenen, nad 
langen Zwifchenräumen endlich wiederfehen und ben. 
zurädgebliebenen Eindrud mit der gegenmwärtigem 
Einwirkung: vergleihen. Da werden wir denn im 


Ganzen bemerken, daß das Object immer mehr ber- 


vortritt, daß wenn wir uns früher an den Gegen- 
ftänden empfanden, Freud’ und Leid, Heiterkeit 
und Verwirrung auf fie übertrugen, wir nunmehr 
bei gebändigter Selbftigkeit ihnen das gebährende 
Recht widerfahren laſſen, ihre Eigenheiten. zu er- 
fennen und ihre Eigenfchaften, fofern wir fie durch⸗ 
dringen, In einem höhern Grade zu ſchaͤtzen willen. 
Jene Art des Anfchauens gewahrt dere Fünftlerifche 
Blick, diefe eignet fih dem Naturforfher, und ich 
mußte mich, zwar anfangs nicht ohne Schmerzen, 
zuletzt doch glüdlich preifen daß, Indem jener Siun 
mich nach und-.nach zu verlaffen drohte, dieſer fi 
in Aug’ und Geiſt defto Eräftiger entwicelte. 





% 


| 
| 


247 


18.0 © 


Die Interims-Hoffnungen mit denen wir uns 
phitifterhaft ſchon mande Jahre hingehalten, wur- 
den fo abermals im Gegenwärtigen gendhrt. Zwar 
brannte die Welt In allen Eden und Enden, Europe 
hatte eine andere Geftalt genommen, zu Lande und 
See gingen Städte und Flotten zu Trümmern, 
aber das mittlere, das nördliche Deutfchland genoß. 
noch eines gewiſſen fieberhaften. Friedens, In wel- 
hem wie uns einer problematifhen Sicherheit hin- 
saben. Das große Reich in Welten war gegründet, 
es trieb Wurzeln und Zweige nad allen Selten hin. 
Indeſſen fhien Preußen das Vorrecht gegönnt ſich 
Im Norden zu befeftigen. Zunaͤchſt befaß es Erfurt, 
einen fehr wichtigen Haltepunct, und wir ließen 
ung in dieſem Sinne gefallen, daß von Anfang des 
Jahrs Preußifche Truppen bei uns einkehrten. Dem 
Regiment Oſtin folgten, Anfangs Februar, Fuͤ⸗ 
fetiere , fodann trafen ein die Negimenter Bork, 
Arnim, Pirſch; man hatte fh ſchon an Diele 
Unruhe gewöhnt. 


Der Geburtetag unferer verehrten Herzogin, 
der 30 Jannar, ward für dießmal zwar pomphaft 
genug, aber doch mit unerfreulihen Vorahnungen 
gefeiert. Das Regiment Oftin rühmte fich eines 
Chords Trompeter das feines Gleichen nicht hätte; 
fie traten in einem Halbkreis zum Willtommen auf 
das Theater, gaben Proben Ihrer außerordentliche 





348 


Geſchicklichkeit, und begleiteten gulent einen Geſang, 
deſſen allgemein befannte Melodie, einem Inſel⸗ 
tönig gewidmet ‚und noch keineswegs von dem pa- 
triotifhen Feſtland überboten, ihre vollkommen 
herzerhebende Wirkung that. 

Eine Ueberſetzung oder Umbildung des Cid von 
Corneille ward hiernach aufgeführt, fo wie aud 
Stella, zum erftienmal mit tragifcher Kataftrophe, 
Goͤtz von Berlichingen kam wieder an die Reihe, 
nicht weniger Egmont. Schillers Glode mit allem 
‚Apparat des Gießens und der fertigen Darftelang, 
bie wir als Didaskalie ſchon längft verfacht hatten, 
‚ward gegeben, und fo daß die fämmtliche Gefell: 
fhaft mitwirkte, Indem der eigentliche dramatiſche 
Kuuſt- und Handwerkstheil dem Meifter und ben 
Sefellen anheim fiel, das übrige Lyrifche ‚aber an 
die männlichen und weiblichen Glieder, von den aͤl⸗ 
teften bis zu den jüngften, verteilt und jebem 
sharakteriftifch angeeignet ward. 

Aufmerkſamkeit erregte im Ganzen der von Sff- 
land zur Vorftellung gebrachte Doctor Luther, 
od wir gleich gauderten, henfelden gleichfalls aufzu- - 
nehmen. 

Bel bem verlängerten Aufenthalt in Earlbbad 

gebachte man ber nächften Theaterzeit, und ver: 
:fachte Oehlenſchlaͤgers verbieuftliche Tragödle Hu: 
ton Jarl'umferer Bühne umzuelgnen, ja es wur⸗ 
‚sen fogar. ſchon Kleider und Decorationen aufge: 
fat und gefunden. Allein ſpaͤterhin fehlen es be⸗ 


. 


‚289 


den uch, zu ˖ einer Zeit · da mit Armen im. Emil ge- 
‚Setelt: wurde, mit diefer- Heiligen Zierde ſich ſchetz⸗ 
waft au gebaͤrden. Im vergangenen Fruͤbjabr hatte 
mwan ⸗nicht mehr thun koͤnnen als das beſteheunde 
Mepertorium ˖ gu erhalten und einigermaßen: zu ver⸗ 
zmehren. Im Spaͤtjahr ats der Kriegsdrang jedes 
Werhaͤltniß aufzruldſen drohte, hielt man für Pflicht 
bie Füheateranfintt , als einen offeutlichen Schatz, 
Als ein Gemeingut der Stadt zu bewahren. Nur 
zwey Monate blieben die Vorſtellungen unterbro⸗ 
chen, die wiſſenſchaftlichen Bemuͤhungen nur wenige 
Fage, mnd Ifflande Theaterkalender gab der Deut⸗ 
ſehen; Buͤhne eine ſchwunghafte Aufmunterung. | 
Die projertirte ımeue Auſsgabe meiner Werke 
„miete mich fe faͤmmtlich wieber durchgugehen, 
und ich widmete jeder eiagelnen Production die ge- 
‚hörige Ainfmeerffamteit, ob ich gleich bei meinen 
„alten Vorſatze blieb nichts eigentlich umgufchreiben, ° 
:sder auf-einen hohen Grad zu verändern. 
Mie gwep Mibtheilungen: der Elegien wie ſie noch 
vorliegen, wurden eingerichtet und Fauſt in ſeiner 
Aetigen Geſtalt fragmentariſch behandelt. So ge⸗ 
Aangte nich dieſes Jahr bis zum vierten Theil ein⸗ 
- fchlteßtich., aber mich beſchaͤftigte ein wichtigeres 
Werk. Der epiſche Kell kam wieder zur Sprache 
wie ·ich ihn 1797 in der Schweiz conckpirt, und nach⸗ 
‚her aem dramatiſchen Tell Schillers zu Liebe bei 
Seite gelegt. Beide lhonaten recht gut neben ein⸗ 
ander beſtehen; Schlllern war mein Plan gar wohl 





250 


Bekannt, und ich war zuſrieden, daß er den Haupt⸗ 
begriff eines feibftftändigen von ben übrigen Mer- 


ſchwornen unabhängigen Teil benutzte; in der Aus- 


führımg aber mußte er, der Richtung feines Ta⸗ 


lents zu Folge fo wie.nach den Dentichen Theater: 


bedürfniffen, einen ganz anderen Weg nehmen, amd 


mir bileb das Epiſch⸗ruhig⸗grandioſe noch Immer zu 


Gebot, fo wie die ſaͤmmtlichen Motive, wo ſie ſich 


auch berührten, in beiden Bearbeitungen durchaus 


eine andere Geftalt nahmen, 


Ich hatte Zuft wieder einmal Herameter zu ſchrei⸗ 
ben, und mein gutes Verbättwiß zu Voß, Vater 
und Sohn, ließ mich hoffen auch in biefer herrlichen 


Versart Immer fiherer vorzuſchrelten. Aber die 


Tage ımd Wochen waren fo ahnungsvoll, die lehten 


Monate fo ſtuͤrmiſch nud ſo wenig Hoffnung zu 
einem freieren Athemholen, daß ein Plan, auf dem 
Dierwaldftädter See und auf dem Wege nad 
Altorf, In der freien Natur concipirt, in dem be- 


ängftigten he nicht wohl ware enre 


geweſen. 

Weann wir nun auch ſchon unfer — Ver⸗ 
haͤltniß zur bildenden Kunſt aufgegeben hatten, fo 
blieb fie une doch im Innern ſtets lieb und werth. 
Bildhauer Welffer, ein Kunftgenofte von Sriedrich 
Tteck, bearbettete mit Gluͤck bie Buͤſte bes hier ver- 


florbenen Herzogs von Braunſchweig, weihe, in 


der Öffentlichen Blbliothet aufgeſtellt, einen ſchoͤnen 
Beweis feines vielverſprechenden Talents abgibt. 








251 


Kupferſtiche find Überhaupt das Kunſtmittel durch 
welches Kenner und Liebhaber fih am meiften unb 
bequemften unterhalten, und fo empfingen wir aus 
Rom von Smelin das vorzügliche Blatt, unter- 
zeichnet der Tempel der Venus, nad Claude. Es 
war mir um fo viel mehr werth, als das Original 
erit nach meinem Abgang von Rom befaunt gewor- 
den und ich mich alfo zum erſtenmal von den Vor⸗ 
zügen deſſelben aus dieſer Funftreichen Nachbildung 
überzeugen follte. 

Ganz in einem andern Face, aber heiter und 
geiftreih genug, erſchlenen die Riepenhauſiſchen 
Blätter zur Genoveva, deren Original» Zeichnungen 
wir ſchon früher gefannt. Auch diefe jungen Maͤn⸗ 
ner, die ſich zuvor an Polygnot geübt hatten, wand⸗ 
ten fih nun gegen die Romantik, welche. fich durch 
ſchriftſtelleriſche Talente bei'm Publicum einges 
ſchmeichelt hatte, und ſo die Bemerkung wahr 
machte: daß mehr als man denkt der bildende Kuͤnſt⸗ 
ler vom Dichter und Schriftſteller abhaͤngt. 

In Carlsbad unterhielt mich belchrend eine 
Sammlung Kupfer, weldhe Graf Löper mit ſich 
führte; nicht weniger große mit der Geber gezeich- 
nete, aquarellirte Blätter von Ramberg bewaͤhr⸗ 
ten das heitere gluͤcklich auffaſſende mitunter extem⸗ 
porirende, Talent des, genannten Kuͤnſtlers. Graf. 
Eormeltlan befaß dieſelben und nehft-eigenen Ar⸗ 
beiten noch ˖ſehr fhöne Landfchaften In Deckfarben. 

. Die hiefigen Sammlungen vermehrten fich durch 


v 





258 - 


einen Schatz von⸗Zeichnungen im hoͤhern Sinne. 
Karſtens kunſtlerlſche⸗Vorlaffenſchaft war an⸗ſei⸗ 
nen Freund’ Fer wo wevererbt, man⸗traf miti die⸗ 
ſem eine billkze Uobereinkanft, und fo wurden⸗ moh⸗ 
tere Zeichnungendes vorſchiedenſten Formats? gre 
ßere Cartone und kleinere Blider, Studien: in 
ſchwarzer Kreide, in Rothſtein, aquarellirte Feder⸗ 
zeichnungen und ſo vieles andere, was dem ⸗ Klimſt⸗ 
ler: das: jedesmalige Studium Bedütfniß oder Tunes 
mannichfaltig ergreifen laͤßt, fuͤr unfer Muſeum 
erworben. 

Withelm Tuiſchbein der nach ‚feiner Entfer⸗ 
nung von Neapel, von dem Herzog von OAbenburg 
beguͤnſtigt, ſich in einer friediichen gluͤckllhen Lage: 
befand, ließ auch gelegentlich von ſich hoͤren, und 
ſendete dieß Fruͤhjahr anches Aiigenohmo. 

Er theikte zuerſt die Bemerkung mit, daß idie 
fluͤchtigſten Wider oft die gluͤckchſten Gedanken⸗ha⸗ 
ben: eine⸗Beobachtung, die er: gemacht; als: Uimn: 
viele hundert Gemaͤhlde von trefftichen Meiſtern, 
herrlich gedacht aber: nichb: ſonderlich andgeführt, 
vor die Augen zekommen; und es bewuͤhrt ſichfrei⸗ 
lich daßa dte ausgeführseften :BKber der miedertän⸗ 
diſthen Schule, bet allem: großen Rilchthuum wornlta 
fie-ausgefimter: Andi, doch manchmal erwus / an⸗goiſt⸗ 
reiher Erfindung. zu wuͤuſchen uͤbtig laſſenEs. 
ſcheint · alt: wenn die Gewiſſenhaßtigkeit des: Knnſt⸗⸗ 
lers, dem Aebhaber und Kenner etwas wollbommen 
Würdiges. uͤborllefern zu wollen, ‚beu: Aufflug des 


253 


Selfies einigermaßen befchränfe; dahlagegen eine 
geiſtreich gefaßte flüchtig hingeworfene Skizze außer 
aller Berantwortung das vigenfte Talent des Kuͤnſt⸗ 
lers offenbare. Cr .fendete einige aquarellirte Co⸗ 
pien, von welchen uns zwey geblieben find: Schatz⸗ 
gräber In einem tiefen Stabtgraben und Safemat- 
ten, bei Nachtzeit duch unzulaͤngliche Beſchwoͤrnu⸗ 
sen ſich bie böfen Geiſter auf ben Hals ziehenb, 
der entbedten und fchon halbergriffenen Schäße ver⸗ 
Inftig. Der Anftand Eft bei biefer Gelegenheit nicht 
durchaus beobachtet, Vorgeſtelltes und Ausführung 
einen Gehetmbilde angemeilen; das zweyte Bild 
vieleicht noch mehr. Eine graͤuliche Kriegsſcene, 
erfchlagene beraubte Männer, troftlofe Weiber und 
Kinder, im Hintergrunde ein Klofter in vollen 
Flammen, im Vordergrund mißhandelte Mönde; 
gleichfalls ein Bild welches im Schraͤnkchen muͤßte 
aufbewahrt werden. 

Serner fendete Tiſchbein an Herzogin Amalle 
einen mäßigen Folioband aquarellirter Federzeich⸗ 
nungen. Hierin ift nun Tiſchbein ganz beſonders 
gluͤcklich, weit auf diefe leichte Welfe ein geübtes 
Talent Gedanken, Einfälle, Grillen ohne großen 
Aufwand und ohne, Gefahr feine Seit zu verlieren 
ausſpricht. Solche Blätter find fertig wie gedacht. 

Thiere darzuftellen war immer Tiſchbeins Lieb⸗ 
haberei; fo erinnern wir ung bier auch eines Eſels, 
der mit großem Behagen Ananas ftatt Difteln fraß. 

Auf einem andern Bilde blickt man über die 

Goethe's Werte, XXXI. 8% 17 


* 254 


Daͤcher einer großen Stadt gegen die aufgehenite 
Ganue; ganz nah an bem Beſchauer, Im vorderſten 
Vordergrunde, ſitzt ein fchwarger Deffeniunge un⸗ 
mittelbar au dem Schornſteia. Was an ihm noch 
Farbe annehmen Tomte, war von ber Senne vergäls 
det, und mau mußte den Gedanken allerliebſt finden, 
daß der letzte Sohn bei jammervollſten Gewerbes 
unter viel Tauſenden der Einzige ſey, der eines ſol⸗ 
hen herzerhehenben Naturanblicks genoͤſſe. 
Dersgleichen Mittgelluugen geſchahen von Tiſch⸗ 
bein immer unter der Bebingung, daß man ihen 
- eine poetifche ober profalfhe Auslegung feiner fitt- 
lich kuͤnſtleriſchen Träume möge zukommen laſſen. 

Die kleinen Gedichte, die man ihm zur Erwiderung 
ſendete, finden ſich unter den meinigen. Herzogin 
Amalle und ihre Umgebung theilten ſich darin nach 
Stand und Wuͤrden, und erwiderten fo eigenhaͤn⸗ 
dig die Freundlichkeit des Gebers. 

Auch Ich warb in Carlsbad angetrieben, bie be⸗ 
deutend abwechfelnden Gegenſtaͤnde mir durch Nach⸗ 
bildung beffer einguprägen; die volllommmern Skiz⸗ 
sen behielten einigen Werth für mich, und ich fing 
an fie zu ſammeln. 

. Ein Meballlen: Sabiuet, weldes von ber zwey: 
ten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts an, Aber 
den Weg, ben die Bildhauerkunft genommen, bin- 
laͤnglichen Aufſchluß zu geben, fchon reich genug war, 
vermehrte fih anſehnlich und Ileferte Immer voll 
ſtaͤndigere Begriffe. 


— 


255 


Eben fo wurde die Sammlung von eigenhändig 
geſchriebenen Blättern vorzügliher Männer beträcht- 
ih vermehrt. Ein Stammbuch der Walchiſchen Fa⸗ 
mitte, feit etwa den Anfängen des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts, worin Maffei vorausfteht, war hoͤchſt 
Thäßenswerth, und Ich danfte fehr verpflichtet den 
fteundlihen Gebern. Ein alphabetifches Verzeich⸗ 
niß des handfchriftlihen Beſitzes war gedruckt, ich 
legte folhes jedem Brief an Freunde bei, und - 
erhielt dadurch nach und nad fortbauernde Ver⸗ 
mehrung. 

Von Kuͤnſtlern beſuchte uns nun abermals 
Raabe von Berlin, und empfahl ſich eben fo durch 
fein Talent wie durch feine Gefaͤlligkeit. 

Aber betrüben mußte mih ein Brief von Ha- 
ckert; diefer trefflihe Mann hatte fih von einem 
apopiektifhen Anfall nur Infofern erholt, daß er 
einen Brief dicttren und unterfchreiben konnte. Es 
jammerte mich die Hand, die fo viel fihre Charak⸗ 
terftrfhe geführt, nun zitternd und unvollftändig, 
ben eigenen, fo oft mit Freude und Vortheil un: 
terzeidmeten berühmten Namen blog andeuten zu 
- fehen. 

Bei den Jenaiſchen Mufeen drangen Immer neue 
Gegenftände zu, und man mußte befhalb Erweite- 
rungen vornehmen und in der Anordnung eine ver- 
änderte Methode befolgen. 

Der Nachlaß von Batfch brachte neue Mühe 
and Unbequemlichkeit. Er hatte die naturforfhende 





256 


Geſellſchaft geftiftet, auch In einer Reihe von Jah⸗ 
ten durch und für fie ein unterrihtendes Muſeum 
aller Art zuſammengebracht, welches dadurch an⸗ 
fehnlicher und wichtiger geworben, daß er bemfelben 
feine eigene Sammlung methodiſch eingefchaltet. 
Rah feinem Hintritt reclamirten die Directoren 
unb anmwefenden Glieder jener Geſellſchaft einen 
Theil des Nachlaſſes, befonders das ihr zuſtehende 
Mufeum; die Erben forderten den Reit, welchen 
man ihnen, da eine Schenkung bes bieherigen Di⸗ 
rectors nur mutbmaßlih war, nicht vorenthalten 
konnte. Bon Seiten herzoglicher Commiſſion ent⸗ 
ſchloß man ſich auch hier einzugreifen, und da man 
mit den Erben nicht einig werden konnte, ſo ſchritt 
man zu dem unangenehmen Geſchaͤft der Sonderung 
und Theilung. Was dabei an Ruͤckſtaͤnden zu zah⸗ 
len war, glich man aus und gab der naturforſchen⸗ 
den Geſellſchaft ein Zimmer im Schloſſe, wo die 
ihr zugehörigen Naturallen abgeſondert ſtehen konn⸗ 
ten. Man verpflichtete ſich, die Erhaltung und 
Vermehrung zu beguͤnſtigen, und ſo ruhte auch die⸗ 
fer Gegenſtand ohne abzuſterben. 

Als ich von Carlsbad im September zuruͤckkam, 
fand ich das mineralogiſche Cabinet in der ſchoͤnſten 
Ordnung, auch das zoologiſche reinlich aufgeflelt. 

Dr. See beck brachte das ganze Jahr in Jena 
zu und foͤrderte nicht wenig unſere Einſicht in die 
Phyſik uͤberhaupt, und beſonders in die Farbenlehre. 
Wenn er zu jenen Zwecken ſich um den Galvanlsmus 


957 
bemühte, To waren feine äbrigen Verſuche auf Ory- 
Bation und Desorpdation, auf Erwarmen und Er⸗ 
falten, Entzünden und Ausloͤſchen für mic Im chro⸗ 
matifchen Sinne von der größten Bedeutung. 

Sn Berfuh, Glasſcheiben trübe zu machen, 
wollte unferm wadern Goͤttling nicht gelingen, 
eigentlich aber nur deßhalb, weil er bie Sache zu 
ernft nahm, da doch diefe chemifche Wirkung, wie 
alle Wirkungen ber Natur, aus einem Hauch, aus 
der mindeften Bedingung hervorgehen. Mit Pro- 


feſſor Schelver ließen fi gar ſchoͤne Betrachtun⸗ 
‚gen wechſeln; das Zarte und Gruͤndliche feiner Na= 


tur gab fich im Gefpräc gar liebenswuͤrdig hersor, 
wo es dem Mitredenden fih mehr anbequemte als 
fonft dem Xefer, der ſich immer, wie bei allzutief 
gegriffenen Monologen, entfremdet fühlte, 
Soͤmmerings Gehörwerkzeuge führten ung 
zur Anatomie zurüd; Alexander von Humboldts 
freundlihe Sendungen riefen uns in die weit und 
breite Welt; Steffens Grundzüge ber phllofo- 
phiſchen Naturwiffenfchaften gaben genug zu benfen, 
indem man gewöhnlich mit ihm in uneiniger Einig- 
keit lebte. ” Sen 
um fo viel als mir gegeben feyn möchte, an bie 
Mathematik heranzugehen, las ih Montuclas Hi- 
stoire des Mathematiques, nnd nachdem 
ich die höheren Anfichten, woraus das Einzelne fi 
herleitet, abermals bei mir moͤglichſt aufgeklärt und 
mic in die Mitte des Reichs ber Natur und ber 


258 


Freiheit zu ſteſlen gefucht, Tchrieb ich das Schema 
ber allgemeinen Naturlehre, um für bie befondere 
Chromatik einen fiheren Standpunct zu finden. 

Ans ber alten Zeit, in die Ich fo gern zuruͤck⸗ 
trete, um die Mutter einer menfchenverftändigen 
Anſchauung mir abermals zu vergegenmwärtigen, las 
ih Agricola de ortu et causis subterraneorum 
und bemerkte hiebel, daß ich auf eben einer folchen 
Wanderung Ind Vergangene bleglaubwüärdigfte Nach⸗ 
riht von einem Meteorftein in der Thüringer Chros 
nit fand. j 

Und fo darf ich denn am Schluffe nicht vergeffen, 
daß ich In der Pflanzenkunde zwey fchöne Anregun⸗ 
gen erlebte:. bie große Charte botanique d’apres 
Ventenat machte nılr die Familienverhaͤltniſſe au⸗ 


genfälliger und eindruͤcklicher. Sie bing in einem - 


großen Zimmer des Jenaiſchen Schloffes, welches 
ich im erſten Stod bewohnte, und blieb, als ich eilig 
dem Fürften Hohenlohe Platz machte, an der Wand 
zuruͤck. Nun gab fie feinem unterrichteten Gene: 
ralſtab, fo wie nachher dem Napoleon'ſchen gele- 
gentliche Unterhaltung, und ich fand fie daſelbſt noch 
unverfehrt, als ich nach fo viel Sturm und lnges 
thuͤm meine fonft fo friedliche Wohnung wieder bezog. 

Cotta's Naturbetrahtung über dag Wachsſthum 
ber Pflanzen, nebſt beigefügten Mufterftüden von 
durchichnittenen Hölgern, waren mir eine ſehr an: 
genehme Gabe. Abermals regte fie jene Betrach⸗ 


tungen auf, denen ich fo viele Jahre durch nach 


1 


259° 


Ging, und war die Hauptverauleffung, daß ich von 
aeuem zur Morphologie mich wendend ben Worfab 
faßte, fowehl die Metamorphoſe der Pflanzen als 
fenſt fich anfchließenbes wieber abbeucken zu laffen. 
Die Vorarbelten zur Farbenlehre, mit denen fi 
mich feit: zwoͤtf Fahren ohne Unterbrechnug befahif- 
Sigte, wesen fo weit ‚gebiehen, daß fin& bie Thelle 
ummeu:mehr zu vanben anfingen und dad Ganze baſd 
ſelbſt eine Conſiſtenz zu gewinnen verfprah. Was 
uch nach meiner Weiſe an den: phyſiologiſchen Farben 
thun konnte und wollte, war gethan, eben fo lagen 


bie Anfaͤnge bed: Geichichtlichen bereits dor, mb 
mian konnte Saher ben Druck des erfien und zweyten 


weils zagleich anfangen. Ich wendete mie nım u 
Sen pathologiſchen Farben; und. Im Geſchichtlichen 


* unkerſucht, was Plinins von den Farben moch⸗ 
te geſagt haben. 

Waͤhrend nun das Einzelne vorſchritt, ward ein 
Schewa bes ganzen Lehre Immer burdhyearbeitet. 
Dee .phofiſchen Farben verlangten nun ber Ord⸗ 
wung:auth meine ganze Aufmerkſamkeit. Die Be⸗ 
trachtung ihrer Etſchelnungs mittel und Bediugun⸗ 
gen wahen ale: meine Gelfteskraͤfte in Aufpruch. 
Hier naht" ich nan meine laͤngſt befeſtlgte Keberzeu⸗ 
gung ausſprechen, daß, da wie alle Farben nur 
durch Mittel und an Mitreln ſehen, bie Lehre vom 
Truͤben, als dem allerzartefen: und: reinſten Mate⸗ 


Aelen, derjenige Beglun ſep, ou die ganze 


— — entwilckole. 


— 


14 


FO | | 


260 


Ueberzengt daß ruͤfwaͤrts, Innerhalb dem Kreife 
ber phyſiologiſchen Farben, fich auch ohne mein Mit⸗ 
wirken eben daſſelbe nothwendig offenbaren muͤſſe, 
ging ich vorwärts und rebigirte, was ich alles Aber 
Reftaction mit mir felbft und andern verhandelt 
hatte. Denn bier war eigentlich der AufentBait 
jener bezaubernden Prinzeffin, welche im ficbenfar- 
‚digen Schmud die ganze Welt sum. Belten hatte. 
Hier lag der grimmig fophiftifhe Drache, einem 
jeden bebrohlih, ber fih-unterftehen wollte, das 
Abentener mit diefen Irrſalen gu wagen. Die Bes 
‚bentfamteit dieſer Abtheilung und der dazu ge- 
‚börigen Eapitel war groß, ich ſuchte ihr durch 
Ausführlichteit genug zu thun und ich fürchte nicht, 
daß etwas verfäumt worden ſey. Daß, wenn 
bei der Mefraction Farben erfcheinen fohen, ein. 
Bild, eine Graͤnze verrädt werben- mäffe, warb 
feſtgeſtellt. Wie fih bei fubiestiven Merfischen 
ſchwarz und weiße Bilder aller Art: durchs Yridıma 
an ihren Mänbern verhalten, wie das Gleiche ge- 
ſchieht an grauen Bildern aller Schattienngen, am 
bunten jeder Zarbe und Abfiufung, bei ftärkerer 
oder geringerer Refraction, alles ward fireng auds 
einander geſetzt, und ich bin überzengt, daß der Leb- 
rer, bie ſaͤmmtlichen Erfcheinungen in Derfuchen 
vorlegend, weder an dem Phänomen noch am Vor⸗ 
trag etwas verueiten wird, _ 

Die katoptriſchen unb paroptiſchen Farben folg: 
ten darauf, und es war in Betreff jener zu bemer 


'261 


ten, daß bei det Spiegelung nur alsdann Farben 
erfheinen, wenn ber fplegelnde Kötper gerist oder 
fabenartig glänzend angenommen wird. Dei ben 
paroptiſchen Idugnete man bie Bengung und leitete 
bie farbigen Streifen von Doppellichtern ber. Daß 
die Ränder der Sonne jeder für fich einen eigenen 
Schatten werfen, kam bei einer ringfoͤrmigen Son⸗ 
nenfinfterniß gar befräftigend zum Vorſchein. 

Die finnlich fittlihe Wirkung ber Farbe warb 
darauf ausgeführt; und Im Gefchichtlichen nebenher 
Gauthiers Chroageneſie betrachtet. 

Mit dem Abdruck waren wir bis zum dreyzehn⸗ 
ten Bogen des erften Theils und bis zum vierten 
. bes zweyten gelangt, als mit dem vierzehnten Oc⸗ 
- tober das grimmigfte Unheil über ung hereinbrach, 
und die überelit gelüchteten Papiere unwieberbring- 
(ich zu vernichten broßte. 

Glauͤcklich genug vermochten wir, bald wieder er- 
mannt, mit andern Gefchäften auch biefes von nenem 
zu ergreifen und. in gefaßter Thaͤtigkeit unfer Tage- 
wert welter zu fördern. 

Nun wurden vor allen Dingen bie nöthigen Ta⸗ 
fein forgfältig bearbeitet. "Cine mit dem guten und 
werthen Munge fortgefeste Correſpondenz gab 
uns Gelegenheit, feinen Brief dem Schluß ber Far⸗ 
benlehre beisufügen, wie denn auch Seebecks geſtei⸗ 
gerte Verſuche dem Ganzen zu Gute kamen. 

Mit befreiter Bruſt dankten wir den Muſen fhr 
fo offenbar zegdunten Betftand; aber Tann hatten 





wie einigermaßen friſchen Athem geſchoͤpft, fo fa⸗ 
hen wir und genoͤthigt, um nicht zu ſtocken, alfo⸗ 
gleich den widermärtigen polenciſchen Theil anze- 
faffen, und unfere Bemuͤhungen um Newtous Op⸗ 
u, fo wie die Prüfung feiner Werfuche und ber 
daraus gezogenen Beweife, auch Ind Enge | 
durch endlich zum Abfchluß zu bringen. Die Ein- 
leitung des polemiſchen Theils gelang mit Aus zang 


An fremden poetifhem Verdlenſt war, wo nicht 
ausgedehnte aber doch innig eifreulihe Thellnapme. 
Dos Wunderhorn alterthuͤmlich und phantaftifch, 
ward feinem Verdienfte gemäß geſchaͤtzt, und eine 
Mecenfion deffelben mit freundlicher Behaglichkeit 
ausgefertigt.. Hil lers Naturbihtungen, gerade 
im SGegenfaß, ganz gegenwärtig und der Wirklich- 
keit angehörtig, wurden nad ihrer Art mit billlgem 
Urtheil empfangen. Aladdin von Oehlenſchlaͤ— 
ger warnicht weniger wohl aufgenommen, ließ aud 
nicht alles, beſonders im Werlauf ber Kabel, ſich 
gut heißen. Und wenn ich unter ben Stubien frü- 
herer Zeit die Perfer. bed Aeſchylus bemerkt finde, 
fo fcheint mir ald wenn eine Vorahnung deſſen, 
was wir zu erwarten hatten, mid dahln getrieben 
habe. 


Aber einen eigentlichen: Natlonalanthebl hatten 
doch die Nie belungen gewowienz fie ſich anzu⸗ 
eignen, ſich Ihnen hingugelen, war bie Snfk-mehre: 


% 


263 


zer verblenter Männer, bie mit uns gleiche Vor⸗ 
liebe theilten. 

Schillers Verlaſſenſchaft blieb ein Hauptaugen⸗ 
merk, ob ich gleich jenes fruͤhern Verſuchs ſchmerzlich 
gedenkend allem Antheil an einer Herausgabe und 
einer biographiſchen Skizze des trefilihen Freundes 
ſtandhaft entſagte. 

Adam Muͤllers Vorleſungen kamen mir in 
die Haͤnde. Ich las, ja ſtudirte ſie, jedoch mit ge⸗ 
theilter Empfindung: denn wenn man wirklich darin 
einen vorzuͤglichen Geiſt erblickkte, ſo ward man auch 
mancher unſichern Schritte gewahr, welche nach und 
nach folgerecht das beſte Naturell auf falſche Wege 
fuͤhren mußten. 

Hamanns Schriften wurden von Zeit zu Zeit 
aus dem myftifhen Gewölbe wo fie ruhten, her⸗ 
vorgesogen. Der durch die fonderbare Sprachhülle 
hindurch wirkende rein Fräftige Geiſt 309 Immer bie 
Bildungsluſtigen wieder an, bis man, an fo viel 
Räthfeln müde und tere, fie bei Seite legte und 
boch jedesmal eine vollftändige Ausgabe zu. wuͤnſchen 
nicht unterlaſſen konnte. 

Wielands Ueberſetzung der Horaziſchen Epi⸗ 
ſtel an die Piſonen leitete mich wirklich auf eine 


Zeit lang von andern Beſchaͤftigungen ab. Dieſes 


problematifhe Werk wird dem einen anders vor- 
kommen ald dem andern, und jedem alle zehn 


Jahre auch wieder anders. Ich unternahm bag 
Wagniß kuͤhner und wunderlicher Auslegungen des 


3 








264 


Sanzen fowohl ald des Cinzelnen, die Ich wohl 
aufgezeichnet wünfchte, und wenn auch nur um ber 
humoriſtiſchen Anfiht willen: «Hein dieſe Gchanten 
und Grillen, gleich fo vielen taufend andern in 
freundfdaftlicher Converſation ausgeſprochen, gin⸗ 
gen ins Nichts der Luͤfte. 

Der große Vortheil mit einem Manne zu woh⸗ 
nen, der ſich aus dem Grunde irgend einem Gegen⸗ 
ſtande widmet, warb ung reichlich durch Fern o ws 
dauernde Gegenwart. Auch in dieſem Jahre brachte 
er uns durch feine Abhandlung uͤber die Itallaͤni⸗ 
ſchen Dialekte mitten Ind Leben jenes merkwürdigen 
Landes. 

Auch die Geſchichte der neuern Deutſchen Litera⸗ 
tur gewann gar manches Licht; durch Johannes 
Muͤller in ſeiner Selbſtbiographie, die wir mit 
einer Recenſion begruͤßten; ferner durch den Druck 
ber Gleimtſchen Briefe, bie wir dem einge⸗ 
weihten Körte, Hubers Lebensjahre, die wir 
feiner treuen und in fo vieler Hinficht hoͤchſt ſchaͤtze ns⸗ 
werthen Gattin verdanken. 

Von aͤlteren geſchichtlichen Studien findet ſich 
nichts bemerkt, als daß ich des Lampridius Katſer⸗ 
gefchichte gelefen, und ich erinnere mich noch gar 
wohl des Grauſens, das bei Betrachtung jenes Un⸗ 
regiments mic, befiel. 

An dem hoͤhern Sittlichreligloſen Theil zu 
nehmen, riefen mich die Studien von Daub und 
Kreuzer auf, nicht weniger der Halliſchen Mif⸗ 








"265 


: onsberichte zwey und ſiebzigſtes Stuͤck, das ich wie 
bie vorigen ber Geneigtheit des Herrn Doctor 
Knapp verbantte, weicher von meiner anfrichtigen 
Thellnahme an der Verbreitung des fittliden Ge⸗ 
fühle durch religtöfe Mittel überzeugt, mir ſchon 
ſeit Jahren die Nachrichten von ben gefegneten 
Fortſchritten einer immer lebendigen Anftalt nicht 
borenthielt. 

Don anderer Seite ward ich zu ber Senntniß bed 
‚gegenwärtig Politiſchen geführt buch die Segen: 
gewaichte von Benz; fo wie mir von Auflldrung 
einzelner Zeitereigniffe noch wohl erinnerlich iſt, daß 
ein bei und wohnender Engländer von Bedeutung, 
Herr Osborn, die Strategie der Schlacht von 
Trafalgar, ihrem großen Sinn und kühner Aus: 
führung nach, umſtaͤndlich graphiich erflärte. 

Seit 1801 wo ih nah uͤberſtandener großer 
Krankheit Pyrmont befucht hatte, war ich eigentlich 
meiner Geſundheit wegen in kein Bad gekommen; 
in Lauchſtaͤdt hatt' ich dem Theater zu Liebe manche 
Zeit zugebracht, und in Weimar der Kunſtausſtel⸗ 
lung wegen. Allein es meldeten ſich dazwiſchen gar 
manche Gebrechen, die eine duldende Indolenz eine 
Zeitlang hingehen ließ; endlich aber von Freunden 
und Aerzten beſtimmt, entſchloß ich mich Carlsbad 
zu beſuchen, um ſo mehr, als ein thaͤtiger und be⸗ 
hender Freund, Major von Hendrich, die ganze 
Reiſeſorge zu uͤbernehmen geneigt war. Ich fuhr 
alſo mit ihm und Riemer Ende Map's ab. Unter⸗ 





266 

wegs beſtanden wir erft daB Abenteuer, den Huf- 
fiten vor Naumburg beizumohnen, und fu eine Ver⸗ 
legenheit anderer Art geriethen wir in Eger, als 
wir bemerften daß ung die Pälfe fehlten, die, vor 
lauter Geſchaͤftigkelt und Melfeanftalt vergeffen, 
durch eine wunderlihe Complication von Itmftänden 
auch an der Graͤnze nicht waren abgefordert worden. 
Die Pollzepbeamten in Eger fanden eine Form die- 
fem Mangel abzuhelfen, wie denn dergleichen Fälle 
die ſchoͤnſte Gelegenheit barbieten, wo eine Behörde 
ihre Competenz und Gewandtheit bethätigen Kann; 
fie gaben ung einen Geleitſchein nach Carlsbad gegen 
Merfprechen die Paͤſſe nachzuliefern. 

An diefem Eurorte, wo man fi um zu genefen. 
aller Sorgen entfchlagen ſollte, kam man dagegen 
recht In die Mitte von Angft und Bekuͤmmernliß. 

Fuͤrſt Neuß XIII., der mir immer ein gnaͤdl⸗ 
ger Herr gewefen, befand ſich daſelbſt, und war ge- 
neigt mir mit diplomatifcher Gewandtheit das Un— 
beit zu entfalten das unſern Zuſtand bebrohte. Glei⸗ 
ches Zutrauen hegte General Richter zu mit, der 
mid ind Vergangene gar manchen Blick thun ließ. 
Er hatte die harten Schickſale von Ulm mit erlebt, 
und mie warb ein Tagebuch vom dritten October 
4805 bis zum fiebzehnten, als dem Tage der eber- 
gabe gedachter Feftung, mitgetheilt. So Fam der 
Julius heran, eine bedeutende Nachricht verbrängte 
bie andere. | 
Zu Foͤrderniß geologifcher Studien hatte, in den 





89 


uhren be: ich Carlobad nit beſacht, Joſeph 
Muͤller trenlich vorzearbeitet. Diefer wackere 
Mann, vom Turnau gebuͤrtig, aid Steinſchne lder 
erzogen, hatte ſich in dev. Welt mauncherlei verfacht, 
unb wer zuletzt in Carisbad einheimiſch geworben 
Dort beſchaͤſtigte er füh mit feiner Kunft mb. ger 
riet; auf den Gebanken bie Carlsbader Sprubdel⸗ 
ſreine in Tafeln zu ſchneiden und rekalich zu pellven, 
wodarch denn dieſe nusgeschhneten: Siater nach un 
nach der naturliebenden Welt beſlannt wurden. Von 
dieſen Prodnetionen ber heißen Quellen wenbete er 
ſich zn andern auffallenden Gebirgserzeugniſſen, 
ſammelte bie Zwillingskryſtalle des Feldſpathes, 
welche die dortige Umgegend vereinzelt finden laͤßt. 
Schon vor Jahren hatte er au unſern Syapter- 
gingen Theil genommen, als ich mit Baron von 


" Madnis und andern Naturfreunben bebsutenden 


Gebirgsarten nachging, und in der Folge hatte er 
Seit unb Muͤhe nicht gefpart, um eine mannichfaltige 
charakte riſtiſche Sammlung aufzuitellen, fie zu nu⸗ 
meriren und nach ſeiner Art zu beſchreiben. Da er 
nun dem Gebirg gefolgt war, ſo hatte ſich ziemlich, 
was zuſammengehoͤrte, auch zuſammengefunden, 
und es bedurfte nur. weniges, um fie wiſſenſchaft⸗ 
lichen Sweden näher zu führen, welches er fi beum 
auch, obgleich hie und da mit einigem Wliderſtreben 
gefallen ließ. 
Was von feinen unterſuchungen mir den groͤßten 
Gewinn verſprach war die Aufmerkſamkeit, die er 








- 


- 268 


dem Uehergangsgeſtein gefhentt hatte, das fich dem 
Sranuit des Hirſchenſprungs vorlegt, einen ft 
Horuſtein durchzogenen Granit darſtelt, Schwe⸗ 
felkies und auch endlich Kalkſpath enthält. Die hei⸗ 
fen Quellen entſpringen unmittelbar hierans, und 
man war nicht abgeneigt In biefer auffallenden geo⸗ 
Iogifchen Differenz, durch den Zutritt des Waſſers, 
Exchieung und Aufloͤſung und fo das gehelmulßvolle 
Naͤthſel der wunberbaren Waſſer aufgcheiit zu ſehen. 

Er zeigte mie ſorgfaͤlklig die Spuren obgedachten 
Geſteins, welches nicht leicht zu finden iſt, weil die 
Gebaͤnde des Schloßbergs darauf laſten. Wir zo: 
gen ſodann zuſammen durch die Gegend, befuchten 
bie auf dem Granit auffigenden Baſalte Aber dem 
Sammer, nahe dabei einen Ader, wo bie 3willinge- 
kryſtalle fich ausgepflügt finden. Wir fuhren nach 
Engelhaus, bemerkten im Drte felbft den Schrift: 
granit und anderes vom Granit nur wenig abweis 
chendes Geſtein. Der Klingftelnfelfen ward beftie- 
gen und beklopft, und von ber weiten, obgleich 
nicht erheiternden Ausſicht, ber Charakter gewon⸗ 
nen. 

Su allem dieſem kam der günftige Umſtand binze, 
daß Herr Legationsrath von Struve, in biefem 
Fache fo unterrichtet als mitthellend und gefällig, 
feine fhönen mitgeführten Stufen belehrend fehen 
ließ, auch an unfern geologifhen Betrachtungen vies 
len Theil nahm und felbft einen ibeellen Durch⸗ 
ſchnitt des Leffauer und Hohdorfer Gebirges zeich⸗ 


j 


2069 no 
nete, wodurch ber Zuſammenhang der Erbbrände 


mit dem unter wmd: neben Ibegenden Gebirg deut: 


lich dargeſtellt unb vermittelft vorltegender: Muſter, 


ſowohl bed Orundgeſteins als ſeiner Veränderung 
— Dad Feuer, belegt werben konnte. 


Spazierfahrten, zu biefem Smwede angeftellt, 
weten zugleich beichrend, erheiternd und von * 
:Angelesenhelten des Tags ablenkend. 

Spaͤterhin traten Bergrath Werner und Au⸗ 


uf von Herder, jener auf ddngene, bitfer auf 


kuͤrzere Bett, an und heran. Wenn num auch, wie 
bei willenfchaftlichen Unterhaltungen inmer geſchleht, 
abweichende, ja emtraftitende Vorftellungkarten an 


den Tag kommen, ſo iſt doch, wenn man bas Ge: 
ſpraͤch anf bie Erfahrung binzumenden weiß, gar 
‚vieles zu lernen. Werners Ableitung bes Spru- 


beis von: fortbrennenden Steintohlen - Flößen war 


mir zu befannt, als daß ich hätte wagen ſollen ihm 
melne neuften Ueberzeugungen mitzutheilen, auch 


gab er der Uebergangsgebirgsart vom Schloßberge, 


‚die ich fo wichtig fand, nur einen untergeordneten 


Werth. . Augufi von Herder tbeilte mir einige 
fhöne Erfahrungen. von bem Gehalt der Gebirgs⸗ 


-gänge mit, der verfchleben ift, indem fie nach ver- 


ſchiedenen Himmelsgegenden ftreihen. Es iſt im⸗ 
mer ſchoͤn, wenn man das unbegrelfliche als⸗wirk⸗ 
lich vor ſich ſieht. 

Ueber eine: pädagogifch-milktärkfche Anſtalt Bei 


der Franzoͤfifchen Armee gab uns ein trefflicher aus 


Seite! Werie. XXXI. Bd, 418 





270 


Bayern kommender Geiſftlicher genane Nachricht. 
Es werbe wimiih von Offickeren und tnbersffirionen 
am Sonntage eine Art von Katrchiſatlon gehalten, 
worin der Soldat über feine Pflichten fewohl ai 
auch über ein sewiffes Erkennen, fo weit es ihn in 
fſeinem Kreife fürbert, beichrt werbe. Man fah 
wohl bad bie Abiiht wear, durchaus Enge und ge⸗ 
wandte, fich ſeibſt vertraneude Menſchen zu Bisben; 
SHeh-aber ſetzte freitich voraus, daß ber fe an. 
führende araße Geiſt demungeachtet über jeden und 
ale herrorragend biich und von Naiſonncurs nichts 
gu fürhten hatte. 

Ansft und Gefahr jedsch vermehrte ber Brave 
tuͤchtige Wähle aͤchter Deutfcher Patrioten, welche in 
der ganz; ernſtlichen und nicht einmal verhohlnen 
Abſicht einen Volkoaufftand zu organtſtren und zu 
bewirken, über bie Drittel dagı fich leibenfchaftiiih 
beſprachen, fo daß während wir von fernen Gewit- 
tern uns bedroht fahen, auch in ber naͤchſten Rüge 
ſich Nebel und Dunft zu bilden. anfing. 

Indeffen war ber Deutihe Rheinbund. geſchlof⸗ 
fen und feine Folgen leicht zu uͤberſehen; auch fan: 
ben wir bei unferer Ruͤckreiſe durch Hof in den Zei⸗ 
— die Nachricht: das Deutſche Reich fey aufs 
geloͤſt. 

Bwiſchen biefe beunruhigenden Geſpraͤche jedoch 
traten manche ableitende. Landgraf Carl von 
Heſſen, tieferen Studien von jeher zugethan, unter: 
hielt ſich gern uͤber die Urgeſchichte der Menſchheit 





371 


eb war nicht absgeneist hoͤhere Anſichten anzuer⸗ 
kennen, ob man gleih.mit ihm eihtimmig anf einen 
folgerechten Weg nicht gelangen konnte. 

Carlabad gab damals das Befähl, als wäre man 
im Lande Goſen; Defterreih war au einem ſchein⸗ 
bayen Frieden mit Frankreſch genoͤthigt und in Boͤh⸗ 
men ward man wenigſtens nicht, wie in Thuͤringen, 
durch Märfche unb Wiedermärfche jeden Augenblick 
aufgeregt. Allein kaum war man su Haufe, ale 
man das bedrohende Gemitter wirklich heraurollen 
ſah, bie entfchlebenfte Kriegserklaͤrung durch Heran⸗ 
marſch unuͤberſehlicher Truppen, 


me leidenuſchaftliche Bewernug ber Gemuͤther 
Vffenbarte ſich nach ihrem verſchiedenen Verhaͤltniß 
und, wie ſich in ſolcher Stimmung jederzeit Maͤhr⸗ 
chen erzeugen, fo verbreitete ſich auch ein Geruͤcht 
von dem Tode des Grafen Hangwitz, eines alten 
Jugenbfreunbes, fräher als thätiger und gefälliger 
Minifter anerkannt, jebt der ganzen Welt verhaßt, 
ba ex den Unwillen der Deutſchen durch abgedrun⸗ 
gene Hinnelgung gu dem Srangdfifgen uehergewicht 
auf ſich geladen. 


Die: Preußen fahren fort Erfſurt zu befeſtigen; 
ui; waere Farſt als Preußiſcher General, bereitet: 
ih zum Abzuge. Welche ſorgenvolle Verhandlua⸗ 
gon Ich mit aeinom treuen und -owig wunerbeftihen 
GSeſchaſtoſreunde dem Scuatoiniſter von Wotst 
danrate gewochſelt, möchte ſchwer auszufprechen 





272 


feun; eben fo wenig die ptaͤgnante Unterhaitung 
mit meinem Särten im PANpIABBERNET Nieder: 
roßla. 


Die Herzogin Mutter bewohnte Tiefutt, Ca⸗ 
pellmeiſter Hummel war gegenwärtig, und man 
mufteiete mit ſchwerem Herzen; es iſt aber in ſol⸗ 
chen bedenklichen Momenten das Herkoͤnnnliche, daß 
Vergnägungen und Arbeiten, - fü gut -wie fen, 
Trinten,” Schlafen, in ——— Folge ERON 
der fortschen. 


Die Sarlsbader Gebirgefolge war in Jena ange⸗ 
langt, ich begab mich am ſechs und zwanzigſten Sep- 
tember fie auszupaden und unter Beiftand des DI- 
rectors Lenz vorläufig zu katalogiren; auch ward 
ein ſolches Verzeichniß fuͤr das Jenaiſche Literatur⸗ 
Intelligenzblatt fertig geſchrieben und in die — 
tey gegeben. 

Indeſſen war ich in den Seitenligel des er 
ſes gezogen, um dem Fürften Hohenlohe Platz zu 
machen, der, mit feiner Truppenabtheilung wider⸗ 
willig heranrüdend, lieber auf der Straße nach Hof 
dem Feind entgegen zu gehen gewänfcht hätte, Die⸗ 
fer trüben; Unfihten ungeachtet, wand nach alter 
akademiſcher Weiſe mit Hegel manches phllofen 
phiſche Garitel Durchgeipronen. Schelling gab 
eire ;Erflärumg hexaus von Ths Beantwortet... Ich 
war bei Fuͤrſt Hohenlohe zu Tafel, ſah manche bes 
deutende Männer wieder, machte neue Belnunt- 


275 


ſchaften; niemanden war wohl, alle fühlten ſich in 
Verzweiflung, bie keiner umhin Eonnte, wo nicht 
durch Werte doch durch Betragen zu verrathen. 
Mir Obriſt von Maſſenb ach, dem Helßtenfe,: 
hatte ich eine wunderliche Scene. Auch bei ihm 
Im die Neigung zu ſchriftſtellern des politiſchen 
Klugheit und militairiſchen CThaͤtigkeit in den Weg. 
Er hatte ein ſeltſames Opus verfaßt, nichts Gerin⸗ 
geres als ein moraliſches Manifeſt gesen Napoleon. 
Jederman ahnete, fuͤrchtete die Uebergewalt ber 
Fraunzoſen, und fo geſchah es denn daß der Drucer 
begleitet von einigen Rathsperſonen ich ausiug, 
nnd fie ſaͤmmtlich mich dringenb baten, den Drud 
des vorgelegten Manuferiptes abzuwenden, welchen 
beim Einrügen des Franzoͤſiſcher Heeres ber ‚Stadt: 
nothwendig Verderben bringen muͤſſe. Ich lleß mir 
ed übergeben und fand eine Folge von Perboden, 
deren erſte mit ben Worten anfing: „Napoleon, 
ich liebte dich!” die letzte chen: ‚Ach dafte 
dich!“ Dezwiſchen waren alle Hoffnungen m 
Ermartuugen auege fyprochen, Die man anfengs ven 
ber Großheit bes: Mapoleon ſchen Charakters hegte, 
indem man bee außerordentlichen anne ſittilche 
menfchliche Zwecke unterlegen zu muͤſſen waͤhnte/ 
mad ‚sulent ward alles das Boͤſe was wen: in:der 
nee :Beit von ihm erdulden mülen., ihr, geſchaͤri⸗ 
ten. Auedruͤden vorgemorfen. ı Mit wenigen Beräir 
demmgm .hätte-man es ˖ in den Wrdruß⸗ aines ee 
trorenen: Aabhabexs über ſeine treue: Weltehte: 


274 


AMerfetzen Können, und ſo erſchlen deeſer weite: 
eben ſo daͤchorlich als yefährikth, 

Durch dab Undriagen-ber wadern Jewenfer, mit 
denen ich fo viele Jahre Ger in zutem Verhaͤlkktniß 
geſtanden, uverſchritt ich das mir ſeibſt gegebene 
Gefetz, mich nicht in oͤffentliche Haͤrdel zu miſchen; 
Ich nahm das Heft und fand ben Autor in don weit⸗ 
laͤuftzen autiteu Ammern der Wilheimifken Apo⸗ 
‚tele. Nach ornenerter Bekanntſchaft rüdte Ich mit 
meiner Yunteftation hervor, und hatte, wie zu etc 
warten, mit einem beharrlichen Autor gu than. 
aber Witch ein chen fo beharrlicher Buͤrger, usb 
ment bie: Arzumente, die frellich Gewicht gemug 
hatton, mit beredter Hefistelt:aud, To daß er zub- 
U nachgab. Jeh eriunere nich noch bad ein lauger 
fituter Preuße, dem Aufchn nach ein Mutant, 
in unbewegter. Stelung unb imveräuberten Oefchts 
zaͤyen dabel ſtand und fi wohl Aber He -Kühuhene 
eines Buͤrgers anerlich Verwundern mochte. Go⸗ 
was: ich· ſchled von Sem Obstfien im beſten Verneh⸗ 
men / verftunht': in meinen Banttalte perfanforiiiben 
@ehnde , die eigentlich am fir hinrrichend geweſen 
wien, on ber ein⸗ invr ——— beat: 
boaikten, 


Minds tefehten — mattce ich auf; es 
wre a Freitag den deltben Ortober. Din ale 
u Ceubs Ferdinand uf ich wa ſeluer Wwe 
wahtig inbifeemnlfich; Graerallleute aaut von Era⸗ 

OD von Malte, :Dinpinitun Wi 





275 


menftein, lehterer jung, Halbfranzos, freunb- 
ch und zutraulih. Su Mittag mit allen bei Fuͤrſt 
Hohenlohe zur Tafel. 

Verwunderlich ſchienen mir bei dem großen Zu⸗ 
trauen auf Preußiiche Macht und Kriegsgewandtheit, 
Barnungen bie hie und ba an meinen Ohren vor⸗ 
übergingen: man ſolle doch bie befien Sachen, bie 
wichtigften Papiere zu verbergen ſuchen; ic aber, 
unter folhen Umſtaͤnden aller Hoffuung quitt, rief, 
als man eben die erſten Lerchen ſpeiſte: nun, 
wenn ber Himmel einfällt, fo werben Ihrer viel ge= 
fangen werben. 

Den Sechften fanb ich in Weimar alles in voller 
Unruhe und Beſtuͤrzung. Die großen Charattere 
waren gefaßt und entichleden, man fuhr fort zum 
überlegen, zu befchließen: Verbleiben, wer fi 
entfernen follte? das war die Frage. 








2 3 aU6 1982 
OFOMORD 
X 







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- 


Goethe’s 


Vollſtaͤndige Ausgabe letzter Hand. j 


- 


} 


Zweyunddreyßigſter Band. 


Unter des durchlauchtigſten deutſchen Bundes ſchuͤtzenden 
Privilegien. 


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in der 9. ©. ECotta’fhen Buchhandlung. -: 
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— —— 


Iahalr i 





Tags und Jahres: Sefte als Ergänzung meiner fen 
gen Belenntuiſſe, von 1807 bis 1822. 
Zum Andenken der Durchlauchtigſten Herzogin Anna 
Amalia. 
Zum Andenken des edlen Dichters, Bruders und Freun⸗ 
des Wieland. 


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nd und Sahres: Hefte 
ats 
ana 

meiner 


fonfiigen Bekenntniſſe. 





Geethero Werte. XXXII. Sd. 


1807. 


Zu Ende des vorigen Jahrs war ˖das Theater 
(don wieder eroͤffnet, Balcon und Logen, Parterre 
und Galerie bevoͤllerten ſich gar bald wieder, als 
Wahrzeichen und Gleichniß, daß in Stadt und Staat: 
alles die alte Nichtung angenommen. Freillch hat⸗ 
ten wir von Gluͤck zu ſagen, daß der Kaiſer feiner 
Hauptmaxime getreu blieb, mit allem. was den 
Saͤchſiſchen Namen führte in Frieden und gutem 
Willen zu leben, ohne fich durch irgend einen Nas 
benumftand irre machen zu laffen. General Denzel, 
der in Jena vor fo viel Jahren Theologie ftudirt hatte, 
und wegen feiner Locallerintaiffe zu jener großen Erz 
pebdition berufen ward, zeigte fi ald Commandant 
zu freundlicher Behandiung gar geneigt. Der jün« 
gere Mounter, bei uns erzogen, mit Freundſchaft 
an manches Haus geknuͤpft, war ald Commiſſaire⸗ 
Drdonnatent angeitelt und ein gelindes Merfahren 
beſchwichtigte nach :und nach. die. beunruhlgten Ge⸗ 
mäther. Jeder⸗hatte von den fhlimmen Tagen ber 
etwas zu erzählen und gefiel fih In Erinnerung 
uͤderſtandenen Unheild, auch ertrug man gar manche 
Laft willig, als die aus dem Stegreif einbrechenden 
Schrecniſſe nicht mehr zu. fürchten waren. 

Ich und meine Naͤchſten fuchten alfo dem Thea⸗ 


— 


— 


4 


ter feine alte Conſiſtenz wieder zu geben, und es 
gelangte, zwar vorbereitet aber doch zufällig, zw. 
einem neuen Glanz, buch eine freundliche dem in⸗ 
nigften Frieden herftellende Kunfterfhelunng. Taffo 
ward aufgeführt , allerdings nicht erft unter ſolchen 
Stürmen, vielmehr laͤngſt Im Stillen eingelerut: 
denn wie bei und antretenbe jüngere Schauſpieler 
ſich in manchen Rollen uͤbten, die ſie nicht alſobald 
übernehmen ſollten, fo verfuhren auch bie aͤlteren, 


indem fie manchmal ein Stüd einzulernen unter- 


nahmen, das zur Anfführung nicht eben gleich ges 
eignet ſchien. Hiernach hatten fie auch Taſſo feit 
geraumer Zeit unter fich verabredet, vertheilt und 
einſtudirt, auch wohl in meiner Gegenwart gelefen, 
ohne daß ich jedoch, aus verzeiblihem Unglauben 
und daran geknuͤpftem Gigenfinn, die Vorſtellung 
hätte anfagen und entfcheiden wollen. Nun, ba 
manches zu ftoden fehlen, da fich zu anderem Neuen. 
weder Gelegenheit noch Muth fand, nothwendig zu 
felernde Feſttage fih drängten, da regte fih bie 
freundliche Zudringlichkeit meiner lieben Zöglinge, 
fo daß ich zuletzt dasjenige halb unwillig zugeftand 
was ich eifrig hätte wünfchen, befördern und mit 
Danf anertennen follen. - Der Beifall ben dag 
Stud genoß war volllommen ber Meife glei, bie- 
es durch ein liebevolles anhaltendes Stubium ges 
wonnen batte, und ich ließ mic gern beſchaͤmen, 
indem fie dasjenige als möglich zeigten was Ich 


hartuddig als unmöglich abgewiefen hatte. - 








5 

Mit beharrlicher frener Sorgfalt. ward auch bie 
nächften Monate das Theater behandelt, und junge 
Schauſpieler in allem was ihnen nöthig war, befon- 
ders in einer gewiſſen natürlichen Geſetztheit, und 
‚eigener perfönlichen Ausbildung, die alle Manier 
ausſchließt, geleitet und unterrichtet. Cine höhere 
Bedeutung für die Zukunft gab fodann der ſt an d⸗ 
hafte Prinz, ber, wie er einmal zur Sprade 
gelommen, im Stillen unaufhaltfam fortwirkte. 
Auf ein anderes, freilich In anderem Sinne, proble- 
matifches Theaterſtuͤck hatte man gleichfalls ein Auge 
geworfen, es war der zerbrochene Krug, der 
gar manderlei Bedenken erregte, und eine hoͤchſt 
üngünftige Aufnahme zu erleben hatte. Uber ei- 
gentlich erholte fih das MWeimarifhe Theater erft 
durch einen längeren Aufenthalt in Halle und Lauch⸗ 
ftädt, wo man, vor einem gleichfalls gebildeten, 
zu böhern Forderungen berechtigten Publicum, das 
Beſte was man liefern konnte zu leiſten genöthigt 
war. Das Mepertorium biefer Sommervoritellun- 
gen iſt vielleiht das bedeutendfte was die Wei⸗ 
marifhe Bühne, wie nicht Leicht eine andere, in fo 
kurzer Zeit gedrängt aufzumelfen hat. 

Gar bald nach Aufführung des Taffo, einer fo 
reinen Darftellung zarter, geift- und Tiebevoller 
Hof: und Weltfcenen, verließ Herzogin Amaile den 
für fe im tiefften Grund erfchätterten, ia zerftör- 
ten Daterlandeboden, allen zur Trauer, mir zum 
befonderen Kummer. Ein elliger Auffag, mehriin 





6 
Geſchaͤftsform als in höherem inneren inne abge- 
faßt, follte nur Bekenntuiß bleiben, wie viel mehr 
ihrem Andenken id zu wibmen verpflichtet ſey. 
Indeſſen wird man jene Skizze zunaͤchſt mitgerheilt 
finden. 

Um mid aber von allen biefen Bedraͤugniſſen 
loszureißen und meine Gelfter Ind Freie su wenden, 
kehrte th an die Betrachtung organifher Naturen 
zuräd. Schon waren mehrmals Anllänge bis zu 
mir gebrungen, daß die frühere Dentweife die mich 
gluͤcklich gemacht auch in verwandten Gemäthern 
fi entwidie; daher fühlt ich mich bewogen die 
Metemorphofe der Pflanzen wieder abdruden 
gu laffen, manchen alten Heft und Papierbuͤndel 
durchzuſehen, um etwas ben Naturfreunden-Ange- 
nehmes und Nuͤtzliches daraus zu ſchoͤpfen. Ich 
glaubte bes Gelingens dergeſtalt ſicher zu ſeyn, 
daß bereits im Meßkatalog Oſtern dieſes Jahres, 
eine Ankuͤndigung unter dem Titel: Goethe's 
Ideen über organiſche Bildung dieſerne⸗ 
gen auftrat, als koͤnnte zunaͤchſt ein ſolches Heft 
ausgegeben werden. Die tieferen, hierauf bezuͤg⸗ 
lichen Betrachtungen und Studien wurden deßhalb 
ernſtlicher vorgenommen als je; beſonders ſuchte 
‚man von Casp. Ft. Wolfs Theorie der Genera⸗ 
tion ſich Immer mehr zu darchdringen. Die aͤlteren 
oſteologiſchen Anfihten, vorzuͤglich bie im Jahre 
1791 in Venedig von mir gemachte Entdeckung, daß 
der Schädel and Ruͤcenwirbeln gebildet ſey, warb 


7 
naͤher belerchtet, und mit zwey theilnehmenden 
Freunden, Wotgt dem Juͤngeren, und Riemer, 
verhandelt, welche beide mir mit Erſtaunen bie 
Nachricht brachten, daß fo eben dleſe Bedentung 
der Schaͤdelknochen durch ein alademiſches 
Programm Ins Publicum geſprungen fey, wie fie, 
da ſie noch leben, Zeugniß geben koͤnnen. Ich er⸗ 
Fuchte ſie ſich ſtile zu halten, denn daß Im eben ge⸗ 
dachtem Programm die Sache nicht geiſtreich durch⸗ 
drungen, nicht aus der Quelle geſchoͤpft war, fiel 
dem Wiſſenden nur allzuſehr in die Augen. Es 
geſchahen mancherlel Verſuche mich reden zu machen, 
aAllein·ich wußte zu ſchweigen. | 

Naͤchſtdem wurden bie verfanmmelten Freunde 
der orzaniſchen Metamorphoſen⸗Lehre buch einen 

Zufall boguͤnſtigt: es zeigt ſich nämlich der mono- 
ceulus apas manchmal, obgleich ſelten, in ſtehen⸗ 
den Waſſern der Tennifchen Gegend; dergleichen 
ward mtr dießmal gebracht, und nirgends iſt wohl 
dle Verwandlung eines Glieds, das Immer baffel- 
vige bleibt‘, in eine andere Geſtalt deutlicher vor 
Augen zu fehen als bei dieſem Geſchoͤpfe. 

Da wan ferner feit fo viel Fahren Bergum Berg 
beftiegen,, Fels um Fels beklettert und beklopft, 
auch uhr verfdumt wurde Stellen und Schädite 

zu befahren, fo Hatte ich auch die Naturerfcheinun- 
tler Yet ſelbſt gesetchnet und ihre Welfe und 
Weſen mir einzudruͤcken, theils zeichnen laffen, um 
richtigere UNbbildungen an gewinnen und feſtzuhal⸗ 


— 
- 








1 


‚8 


ten. Bel allem diefem ſchwebte mir immer ein Mo⸗ 
del im Sinne, wodurd das anfchaylicher zu mache 
wäre, wovon man fid) in der Natur überzeugt hatte. 
Es folte auf der Oberfläche eine Landſchaft vorftel= 


len, die aus dem flahen Lande bis in das hoͤchſte 


Gebirg fih erhob. - Hatte man die, Durchſchnitts⸗ 
theile auseinander gerüdt, fo zeigte. fih an den in- 
nern Profilen das Fallen, Streihen und was fonfk 


“verlangt werden mochte. Diefen erften Verſuch be- 


wahrte ich lange, und bemühte mich Ihm von Zeit 
zu Zeit mehr Vollſtaͤndigkeit zu „geben. Freilich 


‚aber ſtieß Ich dabei auf Probleme die fo leicht nicht 


zu löfen waren. Hoͤchſt erwuͤnſcht begegnete mir 
daher ein Antrag Des wadern Naturforſchers Ha⸗ 


‚ berie, den Kegationsrath Vertuch bei mir einge- 


führt hatte. Ich legte ihm meine Arbeit vor mit 
dem Wunfch, daß er fie weiter bringen möge; allein 
bei einiger Berathung darüber ward ich nur allzu⸗ 


bald gewahr, daß wir in der Behandiungsart nicht 
‚übereinftiimmen dürften. Sch überließ ihm jedoch 


bie Anlage, auf feine weitere Bearbeitung hoflend, 
babe fie aber, da er wegen meteorologifher Miß⸗ 
lehren fih von Weimar verdrießlich entferute, nie= . 
mals wiedergefehen. 

Hochgeehrt fand ih mich auch in der erſten Haͤlfte 
des Jahrs, durch ein, von Herrn Alexander von 
Humboldt, in blidlicher Darſtellung mir, auf fo 
bedeutende Weiſe, gewidmetes gebaltvolles Werk: 
Ideen zu einer Geographie ber Pflan⸗ 


“ 


9 = 
zen, nehft einem Naturgemahlde der Tropen⸗ 
laͤnder. 

Aus fruͤhſter und immer erneuter Freundſchaft 
für den edlen Verfaſſer und durch dieſen neuften, 
mir fo ſchmeichelhaften Anklang aufgerufen, eilte 
Ih das Werk zu findiren; allein die Profilcharte 
dazu follte, wie gemeldet ward, erft nachkommen. 
Ungeduldig meine völlige Erkenntniß eines folhen 
Werkes aufgehalten zu feben, unternahm ich gleich, 
nach feinen Angaben, einen gewiſſen Raum, mit 
Höhenmaßen an der Selte, in ein landſchaftliches 
Bild zu verwandeln. Nachdem ich, der Vorſchrift 
gemäß, die tropifche rechte Seite mir ausgebildet, 
und fie als die Licht: und Sonnenfeite dargeftellt 
hatte, fo ſetzt' ich zur linken an bie Stelle der 
Schattenſeite die Europdlihen Höhen, und fo ent- 
ftand eine ſymboliſche Landſchaft, nicht unangenehm 
dem Anblick. Diefe zufällige Arbeit widmete ih 
Infchriftlich dem Freunde, dem ich fie ſchuldis ger 
worden war. 

Das Induſtrie⸗Comptoir gab eine Abbildung mit 
einigem Text heraus, welche auch auswärts fo viel 
Gunſt erwarb, daß ein Nachſtich davon in vn 
erſchien. 

Zu der Farbenlehre wurden, mit Genanigkeit 
. and Mühe, die laͤngſt vorbereiteten Tafeln nach 
und nach ind Reine gebracht und geftochen, indeſſen 
der Abdeud des Entwurfs immer vorwärts rädte 
und zu Ende des Januars vollendet ward, Nun 





40 


Tomte man fih mit mehr Freiheit an bie YolemiE 
‚wenden. Da Newton burch Verknüpfung mehrerer 
Werlzenge und Vorrihtungen einen erperimentalen 
Unfug getrieben hatte, fo wurden befonders die 
Phaͤnsmene, wenn Priemen und Linſen anfeinander 
werten, entwickelt und überhaupt. Die Newtoniſchen 
Erperimente eins nach bem andern genauer unter⸗ 
ſucht. Somit konnte denn der Anfang des polemi⸗ 
fhen Theils zum Drud gegeben werben; das Ge⸗ 
ſchichtliche Kehlelt man zugiefh immer im Auge. 
Nuguet über bie Farben aus bem Journal de Tre- 
voux war höchft willkommen. Auch wandte man 
ſich zuruͤck in die mittlere: Zeit; Roget Bacon Yam 
wieder zur Sprache und zur Vorbereitung fſchrleb 
man das Schema bes funfzehnten Jahrhunderte. 
Freund Meyer ſtudirte das Eolorit der Alten 
and. fing an einen Aufſatz daruͤber auszuarbeiten; 
bie Berbbenfte diefer nie genug gu ſchaͤtzenden claf- 
iſchen Altvordern wurden In ihrer reinen Natuͤrlich⸗ 
keit redlich geachtet. Eine Einleitung zur Farben⸗ 
Aehre, dazu ein Vorwort, war geſchrieben; auch 
verſuchte ein theilnehmender Freund eine Ueber⸗ 
ſetzung ins Franzoͤſiſche, wovon mic bie bie jetzt 
erhaltenen Blätter noch immer an die ſchoͤnſten 
" Stunten erimmern. Indeſſen mußte die Polemik 
‘immer fortgefegt und die gedbrudten Bogen beider 
Thelle berihtigt werten. Am Ende bes Jahre 
waren dreyßig Aushängebogen des erſten, umb fünfe 
des zweyten Theile in mrinen Händen, 


11 
Wie ed.nun geht, wenn man ſich mit Gegen⸗ 


ſtarren lauge beſcaftigt und fie und. fa bekannt und | 


eigen werden, daß fie uns bei jeder Gelegenheit 
Sorfchweben, fo gebraucht man ſie auch g lei chniß⸗ 
weife tm Scherz und Craft; wie ih denn ein naar 
gluͤckliche Einfälle heiterer Freunde in unfern lite⸗ 
rariſchen Mitthellungen anführen werde. 


: Das Manufeript zu meinen Schriften wirb nach 


und nach abgefendet, die erfte Lieferung. kommt ge: 
druckt an. 


ch vernehme Haderts Tod, man äßerfendet 


mir nach ſeiner Anordnung biegraphiſche Aufſaͤtze 
und Stlzzen, ic). ſchreibe fein Leben im Auszuse/ 
guerft fuͤrs Morgeunblatt. 

Der workährige Aufenthalt In Carlsbad hatte 
mein Befinden dergeſtalt verbeffert, daß ich wohl 
das Sluͤck, dem großen hereinbrechenden Kriegsun⸗ 
heil nicht unterlegen zu ſeyn, ungezweifelt jener 
forgfäftig gebrauchten Eur zuſchreiben durfte. Ich 
entſchloß mid daher zu einer abermaligen Retſe und 
zwar einer baldigen, mund ſchon in ber zweyten 
Hälfte bes Man's war Ich dafſelbſt angelaugt. An 


 Hieineren Beſchichten, erfonnen , angefangen, fort. 


geſetzt, ausgefaͤhrt, war” biefe Jahreszeit reich; fie 
ſollten alle durch einen romantiſchen Faden unter 


sen Titel: Wilhelm Meiſters Wander: . 


.iahre zuſammengeſchlungen, ein wuaderlich an- 
ziehendes Ganze bilden. Zu dieſem Hweck finden 





42 


fich bemerkt; Schluß der neuen Melufine, - der 


1 * 


Manu von fänfjig Jahren, die pilgernde Thoͤrin. 
Gluͤcklich war ich nicht weniger mit Joſeph Muͤl⸗ 


ders Carlsbader Sammlung. Die Vorbereitungen | 


bes verfloffenen Jahres waren forgfältig und hin- 
reichend; ich hatte Beifpiele der darin aufzuführen- 
Sebirgsarten zur Genuͤge mitgenommen und bie- 
felben, meine Zwede hartnädig verfolgend, in dem 
Senaifhen Mufeum niedergelegt, mit DBergrath 
Lenz ihre Charakteriftit und dem Vorkommen ge- 


maͤße Anordnung beſprochen. 


Alſo ausgeruͤſtet gelangt' ich dießmal nach Carls⸗ 
bad in die Fuͤlle des Muͤlleriſchen Steinvorraths. 
Mit weniger Abweichung von der vorjaͤhrigen Ord⸗ 
nung, in welcher ich eine Muſterſammlung noch 
beiſammen fand, wurde, mit gutem Willen und 
Veberzeugung des alten Steinfreundes, bie ent- 
fchledene neue Ordnung beliebt, fogleich ein Auf: 
faß gefertigt und wiederholt mit Sorgfalt darchte⸗ 
gangen. 

Ehe der kleine Aufſatz nun abgedruckt werden 
konnted mußte die Billigung ber obern Prager Be⸗ 


hoͤrde eingeholt werben, und fo hab’ ich bad Ver⸗ 


gnügen auf einem meiner Manuferipte das Vidi 
‘der Prager Cenſur zu erkliden. Diefe wenigen 
Bogen folten mir und andern in der Folge zum 


" Leitfaden dienen und zu mehr fpecieller Unterfuchung 


Anlaß geben. 


N 


13 


Zugleich war die Abficht gewiſſe geolagifche Ueber⸗ 
zeugungen in die Wiſſenſchaft einzuſchwaͤrzen. 

Fuͤr den guten Jeſeph Müller aber war die er⸗ 
freuliche Folge daß bie Aufmerkſamkeit auf ſeine 
Sammlung gerichtet und mehrere Beſtellungen 
darauf gegeben wurden. Doch ſo eingewurzelt war 
ihm die, freilich wegen der Concurrenz fo noͤthige 
Geheimnißluſt, daß er mir den Fundort von eini- 
gen Nummern niemals entdecken wollte, vielmehr 
die feltfamften Ausflüchte erfann um feine Steunde 
"und Gönner irre zu führen. 

In reiferen Jahren, wo man nicht mebr fo bef: 
tig wie fonft durch Zerſtreuungen In die Weite ge- 
trieben, durch Leidenichaften in bie Enge gezogen 
wird, hat eine Badezeit große Vortheile, indem 
die Mannichfaltigkeit fo vieler bedeutender Perfonen 
von allen Seiten Lebendbelehrung zuführt. So 
war diefes Fahr in Carlsbad mir Höchit günftig, in⸗ 
dem nicht nur bie reichfte und angenehmfte Unter: 
haltung mir ward, (ondern fich auch ein Verhaͤltniß 
antnüpfte, welches ſich in ber Folge fehr fruchtbar 
auebiidete. Ich traf mit dem Mefidenten von 
Meindard zuſammen, der mit Gattin und Kin: 
dern diefen Aufenthalt wählte, um yon harten 
Scickſalen fih zu erholen und auszuruben. In 
fruͤheren Jahren mit in die Franzoͤſiſche Revolution 
verflochten, ‚hatte er ſich einer Folge von Genera⸗ 
tionen angeähnlicht, war durch miniſterlelle und 
diplomatifhe Dienfte hoch empor gelommen. Na⸗ 








18 


poleon-, der⸗ihn nicht lleben · konnte, mußte ihn doch 
zu gebrauchen, ſendete ihn aber zulezt an einen me 
erfreutktchen und -gefäßriihen Poſten, nah Jaſſi, 
“mo er feiner Pflicht treulich vorſtehend eine Zeit 
lang verweitte, ſodann aber von den Ruffen aufge⸗ 
hoben, durch manche Länderftreden mit ben Setnts" 
gen geführt, endlich auf bienfame Mörftellungen: 
wieder Iosgegeben wurde. Hlevon hatte feine hoͤchſt 
. gebildete Gattin, eine Hamburgerin, Reimarus 
Tochter, eine treffliche Beſchreibung aufgefetzt, wo⸗ 
durch man die verwidelten, aͤngſtlichen Zuſtaͤnde 
. genauer einfah und zu wahrer Thellnahime hinge- 
noͤthigt wurde. | 
Schon ber Moment, in welchem ſich efu‘ neuer 
wuͤrdtger Landsmann von Schiller und Euvier dar⸗ 
ſtellte, war bedentend genug um alſobald eine nd» 
here Verbindung gu bewirken. Weide Gatten, wahr: 
haft aufrichtig nnd deutſch geſinnt, nach allen Get- 
teh gebildet, Sohn und Tochter anmuthig und lie⸗ 
benswuͤrdig, hatten mich bald in ihren Kreis ge⸗ 
zogen. Det trefftiche Mann ſchloß ſich um fo mehr 
am mich, als er, Nepräfentant einer Nation die im 
Augenbiick fo vielen Menfchen wehe that, von der 
übrigen geſelligen Welt nicht wohlwellend angeſehen 
werden kowte. 3 
Ein Mann vom Geſchaͤftsfache, gewohnt ſtch bie 





fremdeſten Angelegenheiten vortragen am laffen, um 


ſolche alsbald zurecht gelegt in klarer Ordnung zu 


erkennen, leiht einem jeden fein Ohr, md fe 


1 


> 45: 
goͤnnte mir auc-birfen. neue: Freund aubaltenbe Naf⸗ 
mertſamkeit, als Ach ihm meine: Farbenehre vorr 
zutragen nicht untenlaffen -Ionste. Er werd ſehr 
bald damit; vertraut, uͤbernahm die Ueberſetzung 
einiger: Stellen, ja wir machten ben: Verſuch einer 
ſonderbaren wechſelſeitigen Wiittkeitung , indem ich 
ihm Geſchichte und Schiectſele der Farbenlehre, voa/ 

den aͤlteſten Zeiten his auf bie-nenften,. und auch 
meine. Bemuhnngen, eines Morgens: aus dem 
Stegreif vorarug, und. er Dagegen: ſeine Lebensge⸗ 
ſchichte am andern; Zage- gleichfale ſummarifche err 
aͤhlta. So wurden, mir dem, Ic mit. dem: was 
ihm Sagegnet, er mit. dem wasmiuch auf. das leb⸗ 
hafteſte beſchaͤftigte, zugleich bekannt, und ein in⸗ 
nigeres Eingreifen in die wartete Intereſſen 
erlaichtett. 

Zunachſt: hab ich nun der Günkin. Solme einer 
gebornen Prinzeſſin von Dendienhurs. zu gedrafen, : 
die mir Immer, wo ich ihr auch begegnete, ein gnaͤ⸗ 
diges Wohlwollen erwies. Sie veranlaßte mich 
jederzeit ihr etwas vorzul. ma, und Ich. mählte ſtete 
das Neuſte was mir aus Siun unk Herz: berwergen 
quollen war, wodurch denn Pie Di vtuug edeomal 
als der Ausdruck eines wahren Gefahls audr wahr 
erſchlen und, weil fie: aus dem Innern ‚beruortrat,. 
wieder aufs Innerſte ihre Wirkung ausübte. Eine 
freundlich. finnige Hofdame, Froaͤnlein Leſtecq, war 
ed, welde mit gutem Geifee dieſen vertraulichen 

| 





16 „, 


Sodann foßte mir der Name Reinhard nod 
einmal thener werben. Der Königl. Saͤchſiſche 
Oberhofprediger ſuchte feine ſchon ſehr serrüttete 
Geſundheit an der heißen Quelle wieder aufzubauen. 
So leid es that, dieſen Wackern in bedenklichen 
Krankheitsumſtaͤnden zu ſehen, ſo erfreulich war die 
Unterhaltung mit ihm. Selne ſchoͤne ſittliche Natur, 
fein ausgebildeter Geiſt, fein redliches Wollen, fo. 
wie feine prattifche Einficht was zu wuͤnſchen und zu 
erfireben ſey, traten überall, in ehrwuͤrdiger Lies 
benswärbigteit hervor. Ob er gleich mit meiner 
Art mich uͤber das Vorliegende zu Außern fich nicht 
ganz befreunben konnte, ſo hatt' ich doch die Freude 
in einigen Hauptpuncten gegen bie berrihende Mei⸗ 
nung mit ibm vollkommen überein zu ftimmen, - 
woraus er einfehen mochte, daß mein ſcheinbarer 
liberaliſtiſcher Indifferentismus, im tiefiten Ernſte 
mit ihm praktiſch zuſammen treffend, dech nur eine 
Maske feyn dürfte, hinter der ich mich fonft gegen 
Yedanterie und Dünfel zu fhäßen fuchte. Auch ges 
wann ich in. einem Hohen Grade ſein Vertrauen, 
wodurch mir manches Treffliche zu Theil ward. Und 
ſo waren es fittliche, das Unvergängliche beruͤhrende 
Geſpraͤche welche das Gewaltſame der aufelnander 
folgenden Kriegsnachrichten ablehnten ober. ‚mil: 
derten. 

Die erneuerte Bekanntſchaft mit dem — 
Kreishanptmann von Schiller gewährte gleich 
falls, ungeachtet der enden Arbeiten diefes äber- 

haͤuf⸗ 








17 


haͤuften Gefhäftömannes,, gar manche angenehme 
Stunde. Auch aberrafchte mich durch feine Gegen: . 
wart Hauptmann Blamenſtein, den ih vor 
einem Jahr in Jena, am furdtbaren Worabend un: 
ferer Ungläddtage, tbeiluehmend und aufrichtig ge- 
" fanden. Voller Einſicht, Heiterkeit und gluͤcklicher 
Einfaͤlle war er ber befte Gefelfchafter, und wir 
trieben manden Schwant zuſammen; doch konnte 
er, als leidenſchaftlicher Preuße mir nicht verzeihen, 
daß ich mit einem Franzoͤſiſchen Diplomaten zu ver- 
traulich umgehe. Aber auch biefed warb durch ein 
paar Iuftige Einfälle bald zwiſchen uns in Freund⸗ 
ſchaft abgethan. 

Nun aber ſchloß fich mir ein neuer Kreis auf: 
Fürftin Bagration, ſchoͤn, relzend, anziehend, 
verſammelte um ſich eine bedeutende Gefellfchaft. 
Hier warb ich dem Fuͤrſten Ligne vorgeftellt, deſſen 
Name mir. fchon fo viele Jahre befannt, deſſen 
Perfoͤnlichteilt mir. durch Werhältniffe zu meinen 
Freunden höchft merhwürbig geworben. Seine Ge⸗ 
genwart beftitigte feinen Ruf; er zeigte fi Immer 
heiter, geiftreich, allen Vorfaͤllen gewachſen und als 
Welt: und Lebemann überall willfommen und zu’ 
Kaufe. Der Herzog von Koburg zeichnete ſich aus 
durch ſchoͤne Geftait und anmuthig wuͤrdiges Be⸗ 
tragen. Der Herzog von Weimar, den ich in Be⸗ 
zug auf mich zuerft ‚hätte nennen follen, weil ich 
ihm bie ehremvolle Aufnahme in biefen Kreis gu 
: serbanten hatte, beliebte benfelben durch ſeine Ge⸗ 
Goethe) Werte. XXXII. Bd. 2 


m 


7 


18 


— 
— 


genwart vorzüglich. Graf Corneillan war auch 


hier, durch ſein ernſtes ruhlges Betragen und da⸗ 
durch daß er angenehme Kunſtwerke zur Unterhal⸗ 
tung brachte, immer willlommen. Vor der Woh⸗ 
nung der Fuͤrſtin, mitten auf der Wieſe, fanden 


ſich ſtets einige Glieder dieſer Kette zuſammen; 


unter dieſen auch Hofrath von Genz, der mit 
großer Einſicht und Ueberſicht der kurzvergangenen 
Kriegsereigniſſe mir gar oft ſeine Gedanken vertrau⸗ 
ih eröffnete, die Stellungen der Armeen, den Er⸗ 
folg der Schlachten und endlich fogar die erſte Nach⸗ 


richt von dem Frieden zu Tilſit mittheilte, 


An Aerzten war dießmal Carlsbad gleichfalls ge: 
ſegnet. Dr. Kappe von Dresden nenne ich zuerſt, 
deſſen Anweſenheit im Bade mich immer gluͤcklich 


machte, weil feine Unterhaltung uͤberaus lehrreich 


“and feine Sorgfalt für den der ſich Ihm anvertraute 


hoͤchſt sewiffenhaft war. Hofrath Sulzer von 
Ronneburg, ein treuer Naturforfcher. und emſiger 
Mineralog, ſchloß ih an; Dr. Mitterbacher, 
fofern feine Gefchäfte erlaubten, war aud bei: 
räthig. Dr. Florian, ein Böhme von Mamen: 


- tin, trat gleichfalld hinzu, und fo hatte man Ges 


legenheit mehr. als eine der Arztlihen Dent:k und 
Behandiungswelfen gewahr zu werden. 

Auch von Seiten der Stadt und Reglerung fchien 
man geneigt, Anftalt zu treffen, dieſe heißen Quel⸗ 
len beffer ale bisher zu ehren; und den herangelod: 
ten Fremden eine angenehmere Localität zu berei- 





419 


‚ten. Ein zur Selte bes Beruhardfelſens angeleg- 
tes Hofpital gab Hoffnungen für die unvermögende - 


Stoffe, und die. höheren Stände freuten ih ſchon 
zum Voraus, dereinft am Neubrunnen einen be- 
quemern und ſchicklichern Spaziergang zu finden. 
Man zeigte mir die Plane vor, die nicht anders 
als zu billigen waren; man hatte die Sache wirklich 


im Großen überdacht, und ich frente mich gleich⸗ 
falls der nähen Ausfiht, mir fo viel taufend an 


deren aus dem möglichft unanftändigen Gedränge in 
eine würdig geräumige Säulenhalle verfept zu fepn. 


Meiner Neigung zur Mineralogie war noch 


manches andere fördert. Die Porcellanfadrik in 
Dalwitz beftätigte mich abermals in meiner Ueber: 
zeuzung daß geognoftifche Kenntniß im Großen und 
im Kleinen jedem praftifhen Unternehmen von ber 
größten Wichtigkeit ſey. Was wir fonft nur diefem 
. oder jenem Lande zugeeignet glaubten, wiſſen wir 
jetzt an hundert Orten zu finden: man ‚erinnere fi 
der vormals wie ein Kleinod geachteten Saͤchſiſchen 
Porzellanerde, die fi jetzt überall hervorthnt. 


Fuͤr ein näheres Verftändniß der Edelſteine war 


mir die Gegenwart eines Juweliers, Zoͤldner 
von Prag, hoͤchſt intereffant: denn ob ich Ihm gleich 
nur weniges abfaufte, fo machte er mich-mit fo vie- 
‚lem befaunt was mir im Angenblid zur Freude und 
in der Folge zum Naben gereichte. 

Uebergehen will ich nicht, Daß Ich in meinen Tage⸗ 
buͤchern angemerit finde, wie ‚bes Dr. Haus: 


— 


Z 30 


mann und feiner Reiſe nach Norwegen -mit 
Ehren und Zutrauen in der: Befelpsait gedacht 
worden. 

Und ſo wurde mir auch noch, wie gewdhnlich in 
den ſpaͤteſten Tagen des Carlsbader Aufenthalts, 
Bergrath Werners Anweſenheit hoͤchſt belebend. 
Wir Lannten einander ſeit vielen Jahren, und har⸗ 
monirten, vielleicht mehr durch wechſelſeitige Nach⸗ 
ſicht, als durch uͤbereinſtimmende Grundſaͤtze. Ich 
vermied feinen Sprudelurſprung aus Kohlenfloͤtzen 
zu beruͤhren, war aber In andern Dingen aufrichtig 
und mittheilend, und er, mit wirklich mufterhafter 
Gefaͤlligkeit, mochte gerirmeinen dynamiſchen Che: 
fen, wenn er fie audı für: Brillen hielt, aus reicher 
Erfahrung beichrend nachhelfen. 

Es dag mir damals mehr als je am Herzen, bie 
porphyrartige Blidung gegen conglomeratiſche her⸗ 
vor zu heben, und ob ihm gleich das Princip nicht 
zuſagte, fo machte er mich doch in Gefolg meiner 
Fragen mit einem höchft wichtigen Geſtein befannt; 
er nannte es nach trefflicher eigenartiger Beſtim⸗ 
mung, dattelfoͤrmig koͤrnigen Quarz, der bei Prie⸗ 
born in Schleflen gefunden werde. Er zeichnete mir 
fogleich die Art und Weife des Erſcheinens, und 

veranlaßte daburch vielidhrige Nachforfehungen. 

88 begegnet und auf Reifen, wo: wir entweder 
mit fremden oder doc Lange nicht. gefehenen Per⸗ 
onen, es fey nun an ihrem Wohnort oder aud 
unterwegs, zuſammentreffen, da wir fie ganz an- 





21 


ders finden;. als wir ſie zu denken gewohnt ware, 
Wir erinnern uns, daß dieſer oder jener namhafte 
Mann einem ober dem andere Wiſſen mit Neigung 
nnd Leidenſchaft zugethan iſt; wir treffen ihn und 
wuͤnſchen und gerade in dieſem Fache gu betehren, 
und ſiehe da, er hat ſich ganz wo anders hingewenz 
bet, uud das was wir bei ihm ſuchen iſt ihm voͤlliz 
aus den Augen gekommen. So ginges mir dieß- 
mal mit Bergrath Werner, welcher oryktognoſtiſche 
und. geognoſtiſche Geſpraͤche lieber vermied und un⸗ 
ſere Aufmertſamkeit für ganz andere Gegenſtaͤnde 
forderte. 

Der Sprachforſchung war er dießsmal ganz eigente 
lich ergeben; Deren Urſprung, Ableitung, Verwandt⸗ 
> Schaft gab feinem: ſcharfſinnigen Fleiß hinreichende 
Beidäftigung, und es bedurfte nicht viel Seit, fo: 
hatte. er und. audy für diefe Studien gewonnen; Cr 
führte eine. Bibliothet von Pappentaften mit fich, 
worin er alles was hierher gehörte, ordnungsgemäß, 
wie es einem ſolchen Maun geziemt, verwahrte und 
dadurch eine freie, geiftrehhe Mittheilung erleich⸗ 

terte: ji 
Damit aber dieſes nicht allzu parador erſcheine, 
fo denke man an die Noͤthigung, wodurch dieſer 
Treffliche in ein ſolches Fach hingedraͤngt worden. | 
Jedes Wiſſen fordert ein zweytes, ein drittes und 
Immer fofort; wir mögen den Baum in feinen 
Wurzeln oder in feinen Aeſten und Zweigen verfol- 
gen, eins exglbt fi Immer aus dem. andern, und. 


‘ 





22 


je lebendiger irgend ein Wiffen in und wird, defte 
mehr fehen wir und getrieben, es In feinem Zufam- 
menbhange auf: und abwärts zu verfolgen. Werner 
hatte fich in feinem Zach, wie er herankam, für bie 
Einzelheiten foiher Namen bebient, wie fie feinem 
Vorgänger beliebt; da er aber zu unterfcheiben an- 
fing, ba fi täglich neue Gegenſtaͤnde aufdrangen, 
fo fühlte er die Nothwendigleit ſelbſt Namen zu er⸗ 
theilen. 

Namen zu geben iſt nicht ſo leicht wie man denkt, 
und ein recht gruͤndlicher Sprachforſcher wuͤrde zu 
manchen ſonderbaren Betrachtungen aufgeregt wer⸗ 
den, wenn er eine Kritik der vorliegenden orvkto⸗ 
gnoſtiſchen Nomenclatur ſchreiben wollte. Werner 
fühlte das gar wohl, und holte freilich weit aus, 
indem er, um Gegenftände eines gewiſſen Fachs zu 
benennen, die Sprachen überhaupt In ihrem Ent- 
ftehen, Entwidiungs- und Blidungsfinne betrach- 
ten und ihnen das was gu feinem Zwecke gefordert 
ward, ablernen wollte. 

Niemand hat das Recht einem geiftreichen Manne 
vorzuſchreiben, womit er ſich beſchaͤftigen ſoll. Der 
Geiſt ſchießt aus dem Centrum ſeine Radien nach 
ber Peripherle, ſtoͤßt er dort an, fo laͤßt ers auf 
ſich beruhen, und treibt wieder neue Verſuchslinien 
aus der Mitte, auf daß er, wenn ihm nicht gegeben 
iſt ſeinen Kreis zu uͤberſchreiten, er ihn doch moͤg⸗ 
lichſt erlennen und ausfuͤllen moͤge. Und wenn auch 
Werner uͤber dem Mittel den — vergeſſen haͤtte, 


N 


| 
f 


23 


welches wir doch kelneswegs behanpten dürfen, fo’ 
waren wir boch Zeugen ber Freudigleit, womit er 
das Geſchaͤft betrieb, und wir lernten von ihm und 
lernten ihm ab, wie man verfährt, um fich in einem - 
Unternehmen zu befchränfen, und darin eine Seit 
lang Gluͤck und Befriedigung zu finden 

. Sonft ward mir weder Muße noch Gelegenheit 
In ditere Bebandlungen der Naturgefchichte einzu- 
geben. Ich ftudirte den Albertus Magnus, aber 
mit wenigem Erfolg. Dean müßte fi) den Zuftand 
feines Jahrhunderts vergegenwärtigen, um nur 
: einigermaßen zu begreifen was hier gemeint und ge⸗ 
than fey. 

Gegen das Ende der Enr kam mein Sohn nach 
Sorisbad, dem ich den Anblick des Ortes, wovon fo 
oft zu Haufe bie Rede war, auch gönnen wollte. 
Dieß gab Gelegenheit zu einigen Abenteuern, welche 
den innern unruhigen Suftand der Geſellſchaft offen 
harten, Es war zu jener Zeit eine Art von Pele: 
. Shen Mode, grün, mit Schnären von gleicher 
Farbe vielfach befeht, beim Meitem und auf der 
Jagd ſehr bequem, und deßhalb ihr Gebrauch fehr 
verbreitet: Diefe Hülle hatten fi mehrere durch 
den Krieg verfprengte preußiſche Officiere, zu einer 
Interimsuniform beliebt, und konnten überall unter 
Päctern, Sutsbefisern, Jaͤgern, Pferdehändlern 
und. Studenten unerlannt umhergehen. Mein Sohn 
trug dergieihen. Indeſſen hatte man. in Carlsbad 
einige dieſer verfappten Officdere ausgewittert, und 


% 








24 


nun deutete gar bald diefes ausgezeichnete Coſtuͤm 
- auf einen Preußen. 

Niemand wußte von der Ankunft meines Soh⸗ 
ned. Ich ftand mit Fräulein Leſtoeq an der Tepel⸗ 
mauer vor dem - Sächfifhen Saale; er geht vorbek 
und grüßt; fie zieht mich bei Seite und ſagt' mit 
Heftigtelt: Dieß tft ein preußifher Officier, und 
was mich erichredt, er fieht meinem Bruder . 
äbulih. Ich will ihn Herrufen, verſetzte Ih, will 
ihn eraminiren. Ich war fhon weg als fie mir 
nachrief: Um Gottes willen, machen Ste‘ keine 
Streihe! Ich brachte ihn zuräd, ſtellte ihn vor und 
fagte: Diefe Dame, mein Herr, wuͤnſcht einige 
Auskunft, mögen Ste und wohl entdeden woher 
Ste kommen und wer Sie find? Beide junge Per: 
fonen waren verlegen, eins wie das andere. Da 
mein Sohn ſchwleg und nicht wußte was ed beden⸗ 
ten. fole, und das Fraͤulein ſchweigend auf einem 
ſchicklichen Nüdzug zu denken ſchien, nahm Ih das 
Wort und erklärte mit einer fcherzhaften Wendung, 
daß es mein Sohn fey,, und wir müßten es für ein 
Samtiliengläd halten, wenn er ihrem Bruder einl⸗ 
germaßen ähnlich Tehen Könnte. Sie glaubte es 
nicht, bis das Mähren eublih in Wahrſcheinlich⸗ 
keit und zuletzt In Wirklichkeit überging. 

Dad zweyte Abentener war nit fo ergoͤtzlich. 
Wir waren Ihon in den September gelangt, zu der 
Jahrszeit, in welcher die Polen häufiger fih In Carls⸗ 
bad zu verfammeln pflegen. Ihr Haß gegen bie 


* 


25 


Preußen war ſchon felt langer Beit groß, und nadp: 
den letzten Unfaͤlen in Beratung. übergegangen. 
Sie mochten: unten der gruͤnen, als polniſchen Ur⸗ 
ſprumgs, recht eigentlich polniſchen Jace, dießmat 
auch einen Preußen wittern. Er geht auf dem Platz 
umher, vor den Häufern der Wieſe, vier Polen bes 
gegnen ihm auf der Mitte des Sandweges herge⸗ 
hend; einer loͤſ't fih ab, geht au ihm vorbei, 
ſieht ihm ins Geſicht und geſellt ſich wieder zu 
den andern. Mein Sohn weiß fo au manoͤnvriren, 
daß er ihnen nochmals: begegnet, . in der Witte 

des Sandwegs auf ſie losgeht, und die Viere durch⸗ 

ſchneidet, dabei ſich auch ganz kurz erklärt, wieer 
heiße, wo er wohne und zugleich daß ſeine Abreiſe 
auf morgen früh beſtimmt ſey und daß wer mas an 
ihn zu fuchen babe, es dieſen Abend noch thun könne, 
Wir verbrachten den Abend ohne beuyruhigt zu ſeyn, 

.und fo teiften wir auch dem andern Morgen ab, 
Es war als könnte diefe Komoͤdie von vielen Acten 
wie ein: Englifches Luftfpiel nicht endigen ohne Eh⸗ 
renhänbel, 

Bei meiner Ruͤckunft von Carlsbad brachten mir 
die Sänger ein Staͤndchen, woraus ich zugleich Nei⸗ 
gung, guten Willen, Fortſchreiten in ber Kunſt und 
mand anderes Erfreuliche gewahr werden konnte. 
Ich verguägte mich nunmehr bekannten Melodien 
neue aus der Gegenwart geſchoͤpfte Lieder zu heite⸗ 
ter Geſelligkeit unterzulegen; Demolſelle Engels. 
trug fie mit Seiſt und Leben war, und fo eigueten 





26 


wir uns die beliebteſten Sangweiſen nach und nach 
dergeſtalt an, als wenn fie für unſern Kreis wären 
gebichter worden. Muſikaliſche, mehrfiimmige Vor⸗ 
Abungen fanden fleißig ftatt und am dreyßigſten De⸗ 
cember Eonnte der erfie Sonntag vor großer Gefell- 
ſchaft gefeyert werben. _ x 

Das Weimariihe Theater gewann zu Michael 
einen angenehmen and hoffnungsvollen Tenoriften, 
Murrhard. Seine Ausbildung befdrderte ein 
älterer mufltslifher Freund, dem eine gewiſſe con⸗ 
certmeifterlihe Sefchidlichkelt eigen war, mit der: 
Bioline dem Geſang nachzuhelfen, und dem Sänger 
Sicherheit, Muth und Luft einzufidßen. Dieb gab 
Veranlaſſung zu mufltalifchen Didastallen nad, Art 
‚jener dramatifhen zu halten,. als Voräbung, um 
den Sänger in Rollen einzuleiten, die Ihm vielleicht 
nur fpäter zugetheilt würden. Zugleich war die Ab⸗ 
fiht Perfonen von weniger Stimme In leichten faß- 
lihen Dpern, die als Einſchub Immer willkommen 
find, brauchbar und angenehm zu mahen. Hleraus 
‚entiprang fernerhin eine Hebung mebrftimmigen Ge⸗ 
fanges, welches denn früher oder fpäter dem Thea⸗ 
ter zum Nutzen zu Gute fommen mußte. 

Auch ale Dichter wollte I für bie Bühne nicht 
unthätig bleiben. Ich fchrieb einen Prolog für Leip⸗ 
zig, wo unfere Schaufpleler eine Zeit lang auftreten 
folten; ferner einen Prolog zum drevßigſten Sep⸗ 
tember, um die Wiedervereinigumg der Färftlidien Fax . 
milie nach jener widerwärtigen Trennung zu feyern. 


u 


Als das wictigfte interwehien bemerle ich je: 
bob, daß ih Pandorens Wiederkunft zu 
bearbeiten anfing. Ich that ed zwey jungen Män- 
nern, vieljährigen Freunden, zu Liebe, Leo 
von Sedendorf und Dr. Stoll, beide von 
Ikterariihem Beſtreben, dachten einen Muſenalma⸗ 
nach in Wien heraus zu fördern; er follte den Titel 
Pandora führen, und da der mythologifche Punct, 
wo Prometheus auftritt, mir Immer gegenwärtig 
und zur. belebten Fixidee geworden, fo griffich ein, - 
nicht ohne die ernftlichften Intentionen, wie ein 
jeder fi uͤberzeugen wird, der dad Stüd fo weites _ 
vorliegt aufmerffam betrachten mag. 

Dem Bande meiner epifhen Gedichte follte 
“ Ahiltets binzugefüstwerden; ich nahm das Ganze 
wieder vor, hatte jedoch genug zu thun, mur bie 
beiden erften Gefänge fü weit zu führen, um fie . 
anfügen zu koͤnnen. - 

Gedenken muß ich auch noch einer ebenfalld aus 
feeundfchaftlihem Sinne unternummenen Arbeit. 
Johannes von Müller hatte mit Anfang des 
Jahres zum Andenten König Friedrichs des Zwep⸗ 
ten eine atabemifhe Rede gefchrieden, und wurde 
deßhalb heftig angefochten. Nun hatte er felt den 
erften Jahren unferer Bekanntfchaft mir viele Liebe 
und Treue erwiefen und wefentlide Dienfte gelef- 
ftet; ich dachte, daher Ihm wieder etwas Gefälliges 
zu erzeigen, und glaubte es würde ihm angenehm 
ſeyn, wenn er von irgend einer Seite her fein Un= 





28 
ternehmen gebilligt ſaͤhe. Eln freundiicher Wiber- 


hall durch eine harmloſe Ueberſetzung fehlen: mir das 


geeignetſte; fie trat im Morgenblatt hervor, und er 
wußte mir's Dank, ob an — Sage gleich wichts ges 
beffert wurbe. 

Pandora's Wieberkunft war ſchematiſirt, und die 


Ausführung geſchah nah und nach. Nur ber erſte 


Theil warb fertig, zeigt aber ſchon wie abſichtiich 
dDiefes Werk unteruommen und fortgeführt worden. 


Die bereits zum dftern genannten Meinen Exrzäh- 


| lungen befchäftigten mich in heitern Stunden, und 
auch die Wahlyerwandtfchaften: follten in der Ark 
Zur; behandelt werden. Allein fie dehnten ſich bald 


ans, ber Stoff war allgubedeutend „nnd zu-tief in 


mir gewurzelt, als daß ich ihn auf eine ſe leichte 
Weiſe hätte befeitigen können. 
Pandora ſowohl als die Wahtverwanbtigeften 
druͤcken das fchmerzlihe Gefuͤhl der Cutbehrung aus, 
und konnten alfo nebeneinander gar wohl gedeihen. 
Pandorens erſter Theil gelangte zu rechter Zeit ge⸗ 
gen Ende des Jahrs nach Wien; das Schema der 
Wahlverwandtſchaften war weit gediehen, und man⸗ 
che Vorarbeiten theilweiſe vollbracht. Eln anderes 
Intereſſe that ſich im letzten Viertel des Jahres her⸗ 
vor; ich wendete mich an die Nibelungen, woven woven· 
wohl manches zu ſagen waͤre. 
Ich kannte laͤngſt das Daſeyn dieſes Gedichts 
aus Bodmers Bemuͤhungen. Chriſtian Heiurich⸗ 
Müller ſendete mir feine Ausgabe leider ungehef⸗ 





29 
tet, das koͤſtliche Werk blieb roh bei mir liegen und 
ich, in anderem Sefhäft, Neigung und Sorge be- 
fangen, biieb fo ſtumpf dagegen wie bie übrige Deut- 
ſche Welt; nur Ins ich zufällig eine Seite die nach 
außen gekehrt war, und fand bie Stelle, wo die 
Meerfenuen dem kuͤhnen Helden weiffagen. Dieb 
traf mich, ohne daß ich wäre gereizt worden, ing 
Ganze tiefer einzugehen; ich phantafirte mir viel- 
mehr eine für ſich beftehende Ballade des Inhalte, 
‚die mich fin der Einbildungskraft oft befchäfsigte, 
‚obfiben ich es möcht dazu brachte ſie aeueges und 
zu vollenden. 

Nun aber ward, wie alles feine Meife haben 
will, durch patrietifche Thaͤtigkeit die Theilnahme 
an dieſem wichtigen Alterthum allgemeiner und ber 
Bugang bequemer. Die Damen, denen ich das Gluͤck 
hatte nach Immer am Mittwoche Vorträge zu than, 
erkundigten fih darnach, und ich fäumte nicht ihnen 
davon gewänfchte Kenntniß zu geben. Unmittelbar 
ergriff ich das Original und arbeitete mich bald der- 
maßen hinein, „daß ich, den Tert vor mir habend, 
Belle für Zeile eine verftändiiche Ueberſetzung vorle- 
. Ten konnte, Es bileb der Ton, der Gang und vom 

"Inhalt ging auch nichts verloren. Am beften gluͤckt 
rin ſolcher Vortrag ganz aus dem GStegreife, weil 
der Stun fih beifammen halten und der Geiſt leben⸗ 

dig kraͤftig wirken mn, indem es eine Art von Im⸗ 

vroviſiren iſt. Dach Indem ich in das Ganze des poe⸗ 
— Werls auf dieſe Weife einzubringen dachte, 


U 


50 Z 


‘fo verfäumte ich nicht mich auch bergeftalt vorzube⸗ 
reiten, daß ich auf Befragen über das Einzelne ein: , 
germaßen Rechenſchaft zu geben im Stande wäre. 
Ich verfertigte mir ein Verzeichniß ber Perfonen. | 
und Charaktere, Adchtige: Auffäge über Localität 
und Geſchichtliches, Sitten und Leidenſchaften, Har⸗ 
monie und Jacongrultaͤten, und entwarf zugleich 
zum erften Theil eine hypothetiſche Charte. Hle⸗ 
durch gewann fch viel für ben Augenblick, mehr für 
die Folge, Indem ich nachher bie ernften anhaltenden 
Bemuͤbungen Deutſcher Sprach- und Alterthums- 
Freunde beſſer zu — zu genleßen und zu 
benußen wußte. 

Zwey weit ee Werte wurden durch 
Doctor Nlethammer angeregt von Muͤnchen her; 
ein hiſtoriſch rellgtofes Volksbuch und eine allge⸗ 
meine Liederfammlung zu Erbauung und Ergoͤtzung 
der Deutfhen. Beides wurde eine Zeit lang durch⸗ 
gedacht und ſchematiſirt, das Unternehmen jedoch, 
wegen mancher Bedenklichkeit aufgegeben. Iubeffen 
wurden von beiden, weil doch In ber Folge etwas 
Aehnliches unternommen werben konnte bie gefam- 
melten Papiere zurüdgelegt. 

Zu Hackerts Biographie wurde die Vorarbeit 
ernfttich betrieben. Es war eine fehwierige Auf: 
gabe; denn bie mir überlieferten Papiere waren 
weder ganz ale Stoff noch ganz als Bearbeitung an- 
zufeben. Das Gegebene war nicht ganz aufzuldfen, 
_ and wie ed lag nicht völlig zu gebrauchen. Es ver: 





e 31 


langte daher diefe Arbeit mehr Sorgfalt und Mühe 
als ein eigenes aus mir ſelbſt entfprungengs Wer, 
und es gehörte einige Beharrlichkeit und die ganze, 
dem abgefchledenen Freunde gewidmete Liebe und 
Hochachtung dazu, um nicht die Unternehmung auf⸗ 
zugeben, da die Erben des edlen Mannes, welche 
ſich den Werth der Manuſcripte ſehr hoch vorſtellten, 
mir nicht aaf das allerfreundlichſte begegneten. 

Sowohl der polemiſche als der hiſtoriſche Theit 
der Farbenlehre ruͤcken zwar langſam aber doch gleich⸗ 
maͤßig fort; von geſchichtlichen Studien bleiben Ro⸗ 
ger Bacon, Aquilonius und Boyle die Hauptſchrift⸗ 
fteller, am Ende bes Jahre iſt der erfte Theil meiſt 
vollendet, der zweyte nur zum neunten Nevifions- 
bogen gelangt. 

Die Jenaiſchen Anftalten hatten ſich nad den 
Triegerifchen Stuͤrmen, aus denen fie glüdtich und 
wie durch ein Wunder gerettet worden, völlig wie⸗ 
der erholt, alle Theilnehmenden hatten eifrig einge- 
griffen, und als man Im September tie ſaͤmmtlich re- 
vidirte, ließ ſich dem Schöpfer derfelben, unferm 
gnaͤdigſten Herren, „bet feiner gluͤclichen Ruͤctehr da⸗ 
von — Vortrag abſtatten. 


J —— 


1808. 


Di⸗ geſelligen Perſoͤnlichkeiten in Carlsbad hat⸗ 
ten dieſen Sommer fuͤr mich ein ganz ander Weſen; 


32 
die Herzogin von Curland, immer ſelbſt anmuthig 
mit anmuthiger Umgebung, Frau von der Recke, 
begieltet von Tiedge und was ſich daran anfchlof, 
bildeten hoͤchſt erfreulih eine berkimmiihe Mitte 
der dortigen Zuftände. Man hatte ſich fo oft gefe- 
hen, an derfelben Stelle, in denfelbeu Verbindun- 
sen, ‚man harte fih in feinet Art und Welſe im⸗ 
mer als diefeibigen gefumben ; es war als hätte man 
viele Jahre miteinander gelebt, man-vertraute ein- 

‚ander ohne ſich eigentlich zu lennen. 

Sür mid. machte die Familie Zigeſar einen 
andern mehr entfchledenen, nothwendigern Kreis. 
Ich kannte Eltern und Nachkommen bis in alle Ver- 
gweilsungen, für den Vater Imtte Ich immer Hoch⸗ 
achtung, Ich darf wohl fagen Verehrung empfunden. . 
Die unverwüftbar behagliche Chätigtelt der Mut⸗ 
ter ieh in Ihrer Umgebung wiemand unbefriedigt; 
Kinder, bei meinem erſten Eintritt in Dradendorf 
noch nicht geboren, kamen mir ftattlich und liebens⸗ 
- würdig berangewachfen bier entgegen; Bekannte und 

Verwandte ichloffen ſich an, einiger und zufam⸗ 
menſtimmender wäre kein. Cirkel zu finden. Frau 
von Sedendorf, geborne von Uechtritz, und 
Pauline Gotter waren nicht geringe Sierden 
dieſes Verhaͤltniſſes. Alles ſuchte zu gefallen und . 
jedes gefiel fih mit dem andern, weil die Gefell- 
‚fchaft ſich paarweiſe bildete, und Schelfuht und 
Mißhelligkeit zugleich ausſchloß. Diefe ungeſuchten 
Werhaͤltuiſſe brachten eine Lebensweiſe hervor, die 

bei 


- 33 


bei bebeutendern Intereſſen eine Novelle nicht über 
gekleidet hätte. 


Dei einem in der Fremde miethwelfe geführten 


Haushalt erſcheinen ſolche Zuftände ganz natuͤrlich 
und bei geſellſchaftlichen Wanderungen ſind ſie ganz 
unvermeidlich. Das Leben zwiſchen Carlsbad und 
Franzenbrunnen, im Ganzen nach gemeſſener Vor⸗ 
ſchrift, im Einzelnen immer zufaͤllig, veranlaßt, 


von ber Klugheit ber Aelteren zuerſt angeordnet, 


von Leidenfchaftlichkeit der Sängern am Ende body 


geformt, machte auch die aus ſolchem Conflict her⸗ 
vorgehenden Unbilden Immer noch ergoͤtzlich, fo wie. 


in der Erinnerung hoͤchſt angenehm, well bocd zus 


Iekt. alles ausgeglichen und überwunden war. 

Von jeher und noch mehr feit einigen Jahren 
überzeugt, daß die Zeitungen eigentlich nur da find, 
um bie Menge binznhalten und über den Augenblick 
zu verbienden, es fey nun daß den Mebacteur eine 
Außere Gewalt hindere das Wahre zu fagen, oder 
daß ein innerer Parteyſinn ihm ebendaſſelbe verbiete, 


las ich keine mehr: denn von den Hanptereigniffen - 


benadrichtigten mich nenigleltstuftige Krennde, und - 


fonft hatse ich im Laufe diefer Zeit nichts zu fuchen. 
Die Allgemeine Zeitung jedoch durch Freundlichkeit 


des Herrn Cotta regelmaͤßig zugeſendet, haͤufte ſich 
bei mir an, und fo fand ich durch die Ordnungsliebe 


eines Sanzlepgenofien die Jahre 1806 und 1807 rein- 

lich gebunden, eben als ich nach Carlsbad abreifen 

wollte, Ob ich nun gleich, der Erfahrung gemäß, 
Goeiperd Werte. XXXI. 20. 3 





54 
wenig Buͤcher bei fokhen Gelegenheiten mit ne 
nahm, indem man die mitgenommenen ud vorhan⸗ 
denen nicht benußt, wohl aber ſolche Ikeft, die ans 
zufällig von Freunden mitgetheitt werben, ſo fand 
ich bequem und erfreulich diefe polltiſche Bibtiothek 
mit mir zu führen, und fie gab nicht allein mir un, 
erwarteten Unterricht und Imterhaltung, ſondern 
auch Freunde, weihe dieſe Bände bei mir gewaie 
wurden, erfuchten mich abwechfelnd barum, fo daß 
ih fie am Ende gar nicht wicher zur Hand Yrhıgem 
konnte; und vieleicht zeigte dieſes Blatt eben darin 
fein beſonderes Verdienft, daß es mit Huger: dietar⸗ 
dation zwar bie und da. zurüdhieit, aber doch mt 
Gewiſſenhaftigkelt nah und nach mitzutheilen nicht: 
verfäumte, was dem finuigen Beobachter: Hug 
geben follte. 

Indeſſen war die Lage des Yugenbiits noch im- 
met baͤngllch genug, fo daß die verſchlebenan Voͤl⸗ 
kerſchaften, welche an einem ſolchen Heilork zuſam⸗ 
mentreffen, gegen einander eine gewiſſe Apprehen⸗ 
fion empfanden und deßhalb ſich auch alles politi⸗ 
ſchen Geſpraͤchs enthielten. tm fo mehr aber mußte 
die Kectüre folcher Schriften als ein Surrogat beffels- 
ben lebhaftes Beduͤrfniß merken. 

Des regierenden Herzogs Auguſt von St be 
darf Ich nicht vergeffen, ber ſich, als problemdtiſch 
darzuſtellen und, unter einer gewbſſen welchllchen 
Form, angenehm und widerwärtig zu ſeyn bellebte. 
Ich Habe mich nicht über ihn zu beklagen; aber es 


36 _ V 
war Immer aͤugſtlich eine Einladung zu ſeiner Tafel 
anzunehmen, weil man nicht verausſehen fFounte, 
weihen der Ehrengäfte er ſchonungslos zu behan⸗ 
dein zufällig genetgt feyn möchte. 

Sodahn will Ich noch des Fuͤrſt⸗Viſchofs von. 
Breslau und eines geheimnißvollen Schweden, in 
der Badeliſte von Reiterholm genannt, eriwäße 
nen. Erſterer war leidend, aber freundlich und zu⸗ 
thunlich, ' bei einer wahrheit perſoͤnlichen Wuͤrde. 
Mit letzterem war die Unterhaltung immer beden⸗ 
tend, aber weil man fen Geheimniß fdronte umb 
doch es zufällig zu berühren immer fürchten mnfte, 
ſo fam man wenig mit ihm sufammen, da wir ihn 
nicht ſuchten und er uns vermied. 

Kreishauptmann von Schiller zeigte ſich wie 
immer, cher den Surgäften ausweichend als fich 
ihnen anfcehließend, ein am feiner Stelle fehr neth- 
wendiged Betragen, da er bei vorkommenden poll: 
teylichen Faͤllen Ale, nur infofern fie Recht oder 
Unrecht hatten ; betrachten Tonnte und Fehr anderes . 
Verhaͤltniß, welches perſoͤnlich fo keicht günftig odet 
ungunfttg ſtimmt, hier obwalten durfte. 

Mit Bergrath von Herder feste Ich bie her⸗ 
koͤmmlichen Gefpräcdhe fort, als wären wir nur 
' eben vor Eurzem gefchichen, fo auch mit Wilhelm 
. vor Suͤtz, welcher, wie ſich bald bemerken ließ, 
auf feinem Wege gleichfalls treullch fortſchreiten 
morhte. 

Auch BVerprath Werner trat nach feiner Ger 


6 


wohnheit erſt fpät Herzu. Seine Gegenwart be- 
lehrte jederzeit, man mochte ihn und feine Denk: . 
weiſe betrachten, oder die Gegenftände mit denen 
er fih abgab, durch ihn Tennen lernen, 

Ein längerer Aufenthalt in Franzenbrunnen laͤßt 
mich ben problematifhen Kammerberg bei Eger oͤf⸗ 
terd befuhen. Ich ſammle deſſen Producte, be= 
trachte Ihn genau, befchreibe und zeichne ihn. Ich 
finde mich veranlaßt von der Reußiſchen Meinung, 
die ihn als pſeudovnlcaniſch anfpricht, abzugeben 
und ihn für vulcanifch zu erklären. In diefem Sinne 
fchreib’ ich einen Auffaß, welcher für fich felber ſpre⸗ 
den mag; vollkommen möcte die Aufgabe dadurch 
wohl nicht gelöft, und eine Ruͤckkehr zu der Reußi⸗ 
{hen Auslegung gar wohl räthiih fun. — _ 

In Carlsbad war erfreulich zu ſehen, baß die 
Joſeph Muͤlleriſchen Samminngen Gunſt gewannen, 

obgleich die immerfort bewegten Kriegslaͤufte alle 
eigentlich wiſſenſchaftlichen Bemuͤhungen mit Ungunſt 
verfolgten. Doch war Muͤller gutes Muthes, trug 
haͤufige Steine zuſammen und, an die neue Ord⸗ 
nung gewöhnt, wußte er ſie ſo zierlich zurecht zu 
ſchlagen, daß bei Saͤmmlungen groͤßeren oder kleine⸗ 
ren Formats alle Stuͤcke von gleichem Maße ſauber 
und inſtructiv vor uns lagen. Denn weil aus den un⸗ 
ter dem Hammer zerſprungenen Steinen immer der 
paſſende oder bedeutende ſich auswaͤhlen lleß und das 
Weggeworfene nicht von Werthe war, ſo konnte er 
immer den Liebhaber aufs beſte und treulichſte ver⸗ 


— 


57 


forgen. Aber zu bewegen war er nicht feinen rohen 
Vorrath zu ordnen; die Sorge fein Monopol zu ver- 

Hleren und Gewohnheit der Unordnung machten ihn 
allem guten Rath unzugänglih. Bei jeder frifchen- 
Sammlung fing er an aus dem chaotifhen Vorrath- 
auszuklanben und nach der neuen Einrichtung, auf 

Bretern, die duch ſchwache Bretchen In Vlerecke 

getheilt waren und dadurch die Groͤße des Exem⸗ 

plars angaben, in der Nummerfolge die Steine zu 

vertheilen und ſo die Caſen des Bretes nach und 

nach auszufüllen. Ich beſuchte Ihn täglich auf dem 

Wege nah dem Neubrunnen zu einer immer er- 

freulichen belehrenden Unterhaltung; benn ein fol- 

her Naturkreis möge noch fo beſchraͤnkt ſeyn, es 

wird immer darin etwas Neues oder and bem Alten 

‚etwas hervorſtehend erſcheinen. 

Nah ſolchen vielleicht allzutrocken und materiell 
erſchelnenden Gegenſtaͤnden ſollten mich erneuerte 
Verhaͤltnuiſſe mit wackern Kuͤnſtlern auf eine eigne 
Welſe anregen und beleben. 

Die Gegenwart Kaazens, bes vorzuͤglichen 
Dresdener Landfchaftsmahlere, brachte mir viel - 
Steude und Belehrung, befonders da er meifterhaft 
meine’ bilettantifhen Skizzen fogleih In ein wohl 
erfheinendes Bild zu verwandeln wußte. Indem 
er dabei eine, Aquarell- und Dedfarben leicht ver⸗ 
bindende Manier gebrauchte, rief er auch mich aus 
meinem-phantafttfhen Kritzeln zu einer reineten Bes 
handlung. Und zum Belege, wie und die Nähe 





FE ui 


- = * ' * 


bes Meiſters gleich einem Elemente hebt und trägt, 
bewabre Ih noch aus jener Zeit einige Bidtter die, 
gleich Lichtpunsten, anbenten: daB man unter fol 
den Umfänben etwas vermag, was vor⸗ und nach⸗ 
her als unmöglich erfchlenen wäre. 

Sodann hatte Ich die angenehme Ueberraſchung 
yon einem vieliährigen Freunde und Angeeigneten, 
nad) altem Herkommen, mic leidenfchaftlich angegan⸗ 
gen zufehen. Es war ber gute, talentvolle Bury, 
der, im Gefolg ber Frau Erbprinzeß von Heſſen⸗ 
Saffel, in und um Dresden, zu Kunft: und Natur: 
genuß, ſich eine Zeit lang aufgehalten hatte und 
nun, beurlaubt, auf einige Tage bierber kam. _ 

Ich ſchrleb ein Gedicht zu Ehren und Freuden 
dieſer wuͤrdigen, auch mir gewogenen Dame, wel⸗ 


ches, fin der Mitte eines großen Blattes kaligrae⸗ 


phirt, mit dem bilderreichſten Nahmen eingefaßt 
werben ſollte, die Gegenden darſtellend, durch wel⸗ 
che fie gereif't, die Gegenſtaͤnde denen fie bie meiſte 
Aufmerkſamkeit, zugewenbet, die Ihe den meiſten 
Genuß gewährt hatten. Eine andführlihe Skizze _ 
ward erfunden und gezeichnet und alles dergeſtalt 
mit Eifer-vorbereitet, daß au glüdlicher Ausfuͤh⸗ 
rung nit zu zweifela war. Das Gedicht feibft 
findet fih unter ben meinigen, jedoch nur mit ben 
Anfangs buchſtaben bezeichnet, abgedrudt. Bel die⸗ 
fer Gelegenheit zeichnete Bury abermals mein Por⸗ 
trait in Heinem Format und Umriß, welches .meine 
Familie ‚als erfrenliches Denkmal jener Zelt in der 


3 


Folge zu ſchaͤten wußte. So bereicerte ſich denn 
yon Selten der bildenden Kunſt dieſer Sommerauf⸗ 
enthalt, welcher einen ganz andern Charakter als 
Der vorige, Dec aber auch einen werthen und folge= . 
reilchen angenommen hatte. 

- Rah. meiner, Ruͤckkunft ward Ich zu noch höherer 
Sungbetrachtung aufyefordert. Die unfhäsbaren 
Mionettiihen Paſten nach Griechiſchen Münzen wa⸗ 
zen angelommen. Man fah in einen Abgrund der 
Wergangenheit und erftaunte über die herrlicften 
Gebllde. Man bemühte ſich In diefem Reichthum 
gu elner wahren Sdaͤtzung zu gelangen und fühlte 
voraus, daß man für viele Jahre Unterricht umd 
Auferbanung baber zu erwarten babe. Gefchnittene 
Steine von Bedeutung vermehrten meine Ring⸗ 
Sammlung. Albrecht Dürers Federzeihnungen In 
Steindruck kamen wiederholt und vermehrt zu ung. 

unge, deſſen zarte, fromme, liebenswuͤrdige 
Bewuͤhungen bei ung guten Eingang gefunden hat- 
ven, ſendete mir die Driginalzeichnungen feiner gedan- 
ken⸗ und blumenreichen Tageszeiten, welche, obgleich 
fo treu und forgfältig In Kupfer ausgeführt, doch an 
antärtichem unmittelbarem Ausdruck große Borzüge 
bewiefen. Auch andere, meiſt balb vollendete Um⸗ 
rißzeichnungen von nicht geringerem Werthe waren 
beigelegt. Alles wurde dankbar zurüdgefandt, ob 
man gleich manches, wäre es. ohne Indiscretion zu 
thun gewefen, gern bei unfern Sammlungen, zum 
Aundenken eines vorzäglihen Talents, behalten hätte. 


40 


Auch wurden uns im Spätiahr eine Anzahl lanb- 
ſchaftilcher Zeichnungen von Friedrich die ange 
nehmfte Betrachtung und Unterhaltung, Sein ſchoͤ— 
nes Talent war bei ung gelannt und gefhäßt, ‚bie. 
Gedanken feiner Arbeiten zart, ja fromm, aber in 
einem firengern Kunftfinne nicht durchgaͤngig gu bil⸗ 
ligen. Wie dem auch fey, manche fchöne Zengniſſe 
feines Verdienſtes find bei ung einheimifch gewor⸗ 
den. Am Schluſſe des Jahrs befuchte uns ber 
überall wilfommene Kuͤgelchen, er mablte mein 
Portralt, und feine Perfönlichkeit mußte nothwendig 
anf den gebildet gefeligen Kreis die zartefte Ein⸗ 
wirkung ausüben. 

Ein Ständen das mir die Sänger vor meiner 
Abreiſe nah Carlsbad braten, verfiderte mic 
damals ihrer Neigung und beharrlichen Fleißes 

auch während meiner Abweſenheit, und dem gemäß 
fand ich auch bei meiner Wiederkehr alles in bem- 
felben Gange. Die muſikaliſchen Privatuͤbungen 
wurden fortgefegt, und das gefellige Lehen gewann 
dadurch einen höchft erfreulichen Anklang. 

- Gegen Ende bes Jahres ergaben fih beim Chea⸗ 
ter mancherlei Mißhelligkeiten, welde, zwar ohne 
den Gang ber Vorftellungen zu unterbrechen, doch 
ben December verfümmerten. Nah mancherlei 
Discuffionen vereinigte man fih über eine neue Ein⸗ 
richtung, in Hoffnung auch diefe werde eine Zeit 
Jang dauern können. 

Des perfönlich Erfreullchen begegnete mir in dies 


x 


4 


fem Jahre manches: Unſern jungen Herrſchaften 
ward Prinzeß Marie geboren, allen zur Frende, 


und befondere auch mir, der ih einen neuen Zweig - 


des fürftiichen Baumes, dem ich mein ganzes Leben 
gewidmet hatte, hervorfproflen fab. - 

Mein Sohn Auguft zog rüftig und wohlgemuth 
auf die Akademie Heidelberg, mein Segen, meine 
Sorgen und Hoffäungen folgten ihm dabin. An 
wichtige, vormals Jenalfhe Freunde, Voß und Thi⸗ 
baut, von Ingend auf empfohlen, konnte er wie {m 
elterlichen Haufe betrachtet werben. 

- Bei der Durchreife durch Frankfurt begrüßte er 
feine gute Großmutter, noch eben zur rechten Selt, 
da fie fpäter Im September ung leider entriffen ward. 
Auch gegen Ende des Jahres ereignete fi ber Tod 
eines jüngern Mannes, ben wir jedoch mit Bes 
dauern fegueten. Fernow ftarb, mad. viel be- 
ſchwerlichem Leiden; die Erweiterung der Halsarte- 
tie quälte Ihn lange bedrängte Tage und Näcte, 
bis ex endlich eines Morgens, aufrecht ſitzend, ploͤtz⸗ 
lich, wie es bei foihen Uebeln gu gefchehen pflegt, 
entfeelt gefunden warb. 

Sein Verluft wear groß für uns, denn die Duelle 
der Itallaͤniſchen Literatur, die ſich ſeit Jagemanns 
Abſcheiden kaum wieder hervorgethan hatte, ver⸗ 
ſiegte zum zweytenmale; denn alles fremde Literarf- 
ſche muß gebracht, ja aufgedrungen werden, ed muß 


wohlfeil, mit weniger Bemuͤhung zu haben ſeyn, 
Wenn wir daraach greifen ſollen, um es bequem zu 


* 


en 


42 


arniehen. & fehen wir im atliaen Deuntſchland 
das Itallaͤniſche, im weſtlichen das Franz oͤſiſche, Im 
noͤrdlichen das Englifſche wegen einer nachbarlichen 
oder ſonſtiger Einwirkung voewmaiten. - 

Der im September erft in ber Naͤhe verfam- 
meite, dann bis zu uns heranruoͤckkende Congreß zu 
Erfurt iſt von fo großer Bedeutung, auch der Ein⸗ 
Auß dieſer Epoche auf meine Zuftände fo wichtig, 
daß eine beſondere Darftellung diefer wenigen Tage 
wohl unternommen werben Tollte. 





e 1809. 
Dieſes Jahr muß mir in ber Erinnerung, fchb- 
mer Nefultate wegen, immer lieb und theuer blei⸗ 
den; ich brachte ſolches ohne Auswärtigen Aufent⸗ 
halt, theils in Weimar, theils ia Jena zu, wo⸗ 
Durch es mehr Einheit und Geſchloſſenheit gewann 
als andere, die, meiſt in der Hälfte durch eine Ba⸗ 
dereife zerfchnitten, an mannichfaltiger Zerſtreunng 
zu leiden hatten. 

Mas ih mir aber in Jena zu leiften vorgenom⸗ 
men, foßte eigentlich durch einen ganz ununterbro- 
denen Aufenthalt begünftigt feyn; dieſer war mir 
jedoch uicht gegönnt, unerwartete Kriegslaͤufte bran- 
gen zu und nöthigten zu einem mehrmaligen Orts⸗ 
wechſel. 

Die ferneren und naͤheren Kriesebewe gungen in 


43 
Spanten und Oeſterreich mußten ſchon jeberman in 
Furcht und Sorgen fehen. Der Abmarſch unferer . 
Jaͤger, den 14 März mad Tyrol, war traurig und _ 
bedenklich; gleich barauf zeigte fi Einquartierung; 

‚der Prinz von Ponte-Corvo, als Anführer des 
Saͤchfiſchen Armeecorps, wendete fich nach ber Sränge 

son Böhmen und zog von Weimar ben 25 April 
nach Kranichfeld. Ich aber laͤngſt, und befonders 
ſchon ſeit den letzten Jahren, gewohnt mich von der 
Außenwelt voͤllig abzuſchließen, meinen Geſchaͤften 
nachzubangen, Geiſtesproductionen zu foͤrdern, be⸗ 

gab mich fhen am 29 April nach Jena. Dort bear⸗ 
beitete-ich die Geſchichte ber Farbenlehre, holte das 
- funfzehnte und ſechszehnte Jahrhundert nach und 
ſchrieb die Geſchichte meiner eigenen chromatifchen 
Belehrung und fortfchreiteuder Studien, welche Ar- 

. "beit ih am vier und zwanzigften May, vorläufig abe 
sefhloffen, bei Seite legte, und fie auch nur erſt 
gegen Enbe des Jahre wieder aufnahm, ale Nuns 
gens Farbenkugel unſere chromatiſchen Betrachtun- 
gen aufs neue in Bewegung ſetzte. 

In dieſer Epoche fuͤhrte ich die Farbenlehre bis 
zu Ende bes achtzehnten Jahrhunderts, wie denn 
auch zu gleicher Zeit der Druck des zweyten Theils 
ununterbrochen fortging und die Aufmerkſamkeit zu⸗ 
naͤchſt ſich auf die Controvers mit Newton richtete. 
Bei allem dieſem war Dr. Seebeck theilnehmend 
und huͤlfreich. 

Um von poetiſchen Arbeiten nunmehr zu fees, 


* 





in 2 “ 


fo hatte ich von Ende May’s an die Wahlverwandtz - 
fhaften, deren erſte Eonception mic ſchon Längft 
beſchaͤftigte, nicht wieder aus dem Sinne gelaffen. 
Niemand verfennt an diefem Roman eine tief lei⸗ 
denſchaftliche Wunde, bie im Heilen fi zu ſchlie⸗ 
Ben fhent, ein Herz das zu genefen fürchtet. Schon 
vor einigen Jahren war ber Hauptgedanke gefaßt, 
nur bie Ausführung erweiterte, vermannichfaltigte 
ih immerfort und drohte die Kunftgränge zu über 
ſchreiten. Endlih nach ſo vielen Vorarbeiten beftd- 
tigte fih der Entfhluß, man wolle ben Drud be⸗ 
ginnen, über manden Zweifel hinausgehen, das 
eine fefthalten, dus andere endlich beſilmmen. 
In dlefem raſchen Vorſchtitt warb Ich jedoch auf 
‘einmal geftört, denn Indem man bie Nachrichten 
des gewaltfamen Vordringens der Franzofen in 
Defterreih mit Bangigkeit vernommen hatte, bes 
gann ber König von Weftphalen einen Zug gegen 
Böhmen, weßhalb ic den 13 Juny nad Weimar 
gurädging. Die Nachrichten von biefer ſonderba⸗ 
ren Eipedition waren fehr ungewiß, als zwey, 
dem Hauptquartier folgende diplomatiſche Freunde, 
von Reinhard und Wangenheim, mic uner- 
wartet befuchten, einen merklaͤrlichen Rüdyug raͤth⸗ 
felhaft anfündigend. Schon am 15 July fommt 
ber König nah Weimar, der Nüdzug ſcheint im 
Flucht auszuarten und gleih am zwanzigſten dngftigt 
das umherſtreifende Delfifhe Corps uns und die 
Nachbarſchaft. Aber auch dieſes Gewitter zieht 


— 


45 


= fänet in nordweſtlicher michtung und 


ſaͤume nicht am 23 Julv wieder nach Jena zu 
gehen. 

Unmittelbar — werden die Wahlverwandt⸗ 
ſchaften in die Druckerey gegeben, und Indem dlieſe 
fleißig fördert, fo reinigt und ründet ſich aud nad 
and nach die Handichrift, und der dritte Detober be= 
freit mich von dem Werke, ohne daf die Empfin⸗ 
dung bes Inhalte ſich ganz hätte verlieren koͤnnen. 


In gefellger Unterhaltung wandte fih das In⸗ 


tereffe faſt ausſchließlich gegen nordifhe und übers 


Haupt tomantiſche Worzeit. Die, nad dem Dilgl:- 


nal, aus dem Stegreif vorgefragene, und immer 


beffer gelingende Ueberſetzung der Nibelungen hielt 
durchaus bie Aufmertfamteit einer ebeln Sefelfhaft _ 


fe, die fih fortwährend Mittwochs In meiner Woh- 
sung verfammelte. Fierabras und andere dhnliche 
Heidenfagen und Gedichte, König Rother, Triſtan 
und Iſelde folgten und begünftigten einander; be- 
fonders aber wurde die Aufmerkſamkeit auf Wilkina 
Saga und fonftige nordifhe Verhaͤltniſſe und Pro- 
ductionen gelenkt, als der wunderlihe Fußreiſende 


Nunen: Antiguar Arndt bei und eintehrte, durch 


perſoͤnliche Mirtheitungen und Vorträge bie Gefells 
ſchaft wo nicht für ſich einnahın, doch fich Ihr erträg- 
lich zu machen ſuchte. Dr. Majers nordifhe Sa⸗ 
gen trugen das Ihrige bei, uns unter dem duͤſtern 
Himmel wohlbehaglich zu erhalten; zugleich war 
nichts natürlicher als daß man Deutfhe Sprachal⸗ 


- 


46 


terthämer hetyorhob und Immer mehr ſchaͤtzen lern⸗ 
te, wozu Grimms Aufenthalt unter und mitwirk⸗ 


te, indeß ein gründlich grammatifcher Ernit burg 


des Knaben Wunderhorn lieblich aufgefriſcht warde. 
Die Ausgabe meiner Werte bei Cotta forderte 


. gleichfalls manchen Zeitaufwand, fie erfchien und 


gab mir Gelegenheit durch Verſendung mander 
Eremplare mich Goͤnnern und Freunden ins Gedaͤcht⸗ 
niß zu rufen. Mon derſelben wird an ehem andern 


Orte die Dede ſeyn. 


Was aber bei meinen dießjaͤhrigen Bemühungen 
am entfchledenften auf das Künftige hinwies, wa⸗ 
ren Vorarbeiten gu jenem bedentenden Unternehmen 
einer Selbſtbiographie, denn es mußte mit Sorg⸗ 
falt und Umſicht verfahren werben, ba es bedenfiich 
ſchien, fich lange verfloffener Jugendzeiten erinnern 
zu wollen. Doch ward enbdlich der Vorfab dazu ges 
faßt, mit dem Entſchluß gegen fih und andere unfe 
richtig zu ſeyn und ſich ber Wahrheit moͤglichſt zu 


naͤhern, in ſoweit bie Erinnerung wur kumer days 


behuͤlflich ſeyn wollte. 

Meinen dießjaͤhrigen laͤngern Aufenthalt in Tone 
forderte auch bie neue Giuriätung, weiche in Ab⸗ 
fiht des Hauptgeſchaͤftes das mir oblag untängk be⸗ 
Hebs wurde; Unſer gnaͤdigſter Herr nämlich Hatte 
angeordnet, daß alle immittelbaren Anſtalten füs 
Wiſſenſchaft und Kunft unter Eine Oberaufſecht ver⸗ 
fammelt, ans Einer Caſſe befiristen und in Einem 
Sinne verhaͤltatßmaͤßig fortgeführk werben. ſolltes. 


47 


Hoͤchſtbieſelben hatten das Zutrauen zu Geh. Rath 
von Wolgt und mir, daß Mir dieſe Abſichten tren 
und zweckmaͤßlg erfüllen wärben. Zu diefen Anſtal⸗ 
ten aber, welche, ohne mit aͤhnlichen Inftituten ver- 
knuͤpft, und In ditere Verhaͤltniſſe verflochten zw 
feyn, bloß von dem Willen des Firften abhingen, 
Indem er auch den Aufwand derfelben ans eigenen 
Mitteln beftritt, gehörte In Weiner die Bibliothek 
und das Muͤnzcabinet, ingleichen die freie Zeichen⸗ 
ſchule; In Jena die verschiedenen feit dem Regie⸗ 
rungsamtritt Bes Herzogs erfi gegrändeten und ohne 
Mitwirtang der. uͤbrigen hoͤchſten Herren Erhulter 
der Akademie, errichteten Muſeen und fonftigen 
wiſſenſchaftlichen Einrichtungen. Bel nunmehrigem 
Verein alter dieſer Inſtitute, die bieher befondere - 
Etats gehabt, hing es vorn ben Vorgeſetzten ab, zu 
ermeſſen wo jedesmal, nach Vorkommaiß ber Um— 
ſtaͤnde, Gelder verwendet und diefem und jenem 
Zweige nachgeholfen werden ſollte; welches bt le⸗ 
bendiget Ueberficht and vorurtheilsfreien Geſinaun⸗ 
gen um deſto moͤglicher war, ba ber Fuͤrſt wicht ſo⸗ 
wohl Vorſchlaͤge zu dem was geſchehen ſollte ver⸗ 
langte, als vielmehr gern von dem was geſchehen 
war berichtllich und perſoͤnllch Kennkulß nahm. 

Da die gedachten Jenaiſchen Anftalten, ſeit drey⸗ 
Pla Jahren gedruͤndet und fortgeführt, bei ber 
Franzoͤſiſchen Invaſion nur wenig gellften Hatten, - 
ſo fuchte man fie um defto muchiger vonkemmen her- 
Due 1.2 LU 2 andere net damit sa verniien, 


⸗ 


48 


Weil aber wegen Erweiterung beſchraͤnkter Locall⸗ 
täten und zweckmaͤßiger Umftellung des vorhande⸗ 
nen, alles diefed eine gewiſſe durchdringende indi⸗ 
vlduelle Einficht verlangte; ſo wurde die yerföulihe 
Gegenwart desienigen der zu entſcheiden berechtigt. 
war, um fo mehr erfordert, als hier kein Plan ſich 
denten ließ, und nur eine, bie augenblidlichen Um: 
fände benutzende Gewandthelt zum Ziele führen. 
Eounte, J 

Für Weimar dagegen machte ſich eine Baulich⸗ 
keit von Bedeutung noͤthig, ein Anbau nämlich an 
Herzogliche Bibliothek, wodurch ſowohl Erpeditions⸗ 
zimmer als andere Raͤume zu dem, ſich immer ver- 
mehrenden Vorrath an Büchern, Kupferſtichen und 
andern Kunftfahen gewonnen wurden, Die wegen 
Ausbau des Schloffes anweſenden Preußiſchen Archl⸗ 
tetten Genz und Raabe waren bejrätbig, und fo 
entitand ein fo nuͤtzliches als erfreuliches auch inner⸗ 
Halb wohl verzierted Gebäude. - - : 

. Doc nicht für Räume und, Sammlungen allein 
werd geforgt, eine durch Sparfamteit in gutem 
Zuftand erhaltene Caſſe erlaubte gerade zur rechten 
Seit einen jungen Naturforfber, den Prokeſſor 
Woigt, nach Frankreich zu ſenden, der gut vorbe⸗ 
reitet, in Parts und andern Orten, felgen; Aufent⸗ 
halt forgfältig zu nuken wußte, und in ſedem Sinne 
wohlausgeftattet zurüdkebrte. 

Das Theater ging, nach überitandenen leichten 
Stuͤrmen, rubig ſeinen Opng. Vei dergleichen Er⸗ 
re⸗ 











49 


regungen iſt niemals bie Frage wer etwas leiften, 
fondern ‚wet einwirken und befeblen fol; find bie 
_ Mifverhättuiffe ausgeglichen, fo bleibt alles wie 
vorher uud iſt nicht beſſer wo wicht ſchlimmer. Das _ 
Mepertorium mar wohl ausgeftattet, und man wie- 
derholte die Stüde, bergeftalt bab das Publicum 
an fie gewöhnt blieb, ohne Ihrer überbräffig zu wer- 
den. Die neuſten Erzeugniffe: Antigene von 
Rochlitz, Knebels Ueberſezung von Saul des 
Alfieri, die Tochter Jepht a von Robert, wur- 
den der Reihe nach gut aufgenoumen. Werners 
bedeutendes Talent zu begünftigen bereitete man 
eine Aufführung bes 2a Februars mit großer Sorg⸗ 
falt vor, indeſſen bie gefaͤlligen helteren Stuͤcke von 
Steigenteſch ſich Im Publicum einſchmeichelten. 

Demoiſelle Haͤsler als vielverſprechende Saͤn⸗ 
gerin, Moltke als hoͤchſt angenehmer Tenor, tra⸗ 
ten zu unſerer Buͤhne und nahmen Theil an den 
Didastalten welche treulich und eifrig fortgeſetzt 
wurden. Werner verſuchte große und kleine Tra⸗ 
gödien, ohne daß man hoffen konnte fie für das 
. Theater brauchbar zu. fehen. 

_ Die häustihen mufitalifchen Unterhaltungen ge⸗ 
wannen durch ernfiere Einrichtungen Immer mehr an 
Werth. Das Sängerhor unter Anleitung Eber- 
weins Teiftete Immer mehr. - Donnerflag Abends. 
war Probe, nach ber man meiſtens zu einem fröh- 
chen Mahl zufammenblich. Sonntags Aufführung 
‚vor großer guter Gefellfchaft, begleitet von irgend 

Goethes Werke, XXXII. w. | 4 


50 v 


einem Fruͤhſtuͤk. Diefe durch den Sommer einiger: 
- maßen unterbrochenen Privatübungen wurden im 
Spätherbft fogleich wieder aufgenommen, indeſſen 
Theater und Öffentlihe Muſik durch den antretenben 
Capellmeiſter Müller belebt und geregelt wurden. 
Auch iſt nicht zu vergeffen, daB im Laufe des Jahre 
Sränlein aus dem Winkel uns durch bie man⸗ 
nichfaltigften Talente zu ergögen wußte, 


Auch die bildende Kunft,. die wir freilich Immer- 
fort auf das herzlichfte pflegten, brachte uns biefes 
Jahr die ſchoͤnſten Fruͤchte. 


In Muͤnchen wurden die Handzeichnungen Al⸗ 
brecht Duͤrers herausgegeben, und man durfte wohl 
ſagen, daß man erſt jetzt das Talent des ſo hoch ver⸗ 
ehrten Meiſters erkenne. Aus der gewiſſenhaften 
Peinlichkeit, die ſowohl feine Gemaͤhlde als Holz- 
ſchnitte beſchraͤnkt, trat er heraus bei einem Werke 
wo ſeine Arbeit nur ein Beiweſen bleiben, wo er 
mannichfaltig gegebene Raͤume verzleren ſollte. Hier 
erſchien fein herrliches Naturell völlig heiter und 
humoriſtiſch; es war das fhönfte Geſchenk des auf 
zeimenden Steindruds. 

Bon ber Mahlerey wurben wir auch gar freund: 
lich theilnehmend heimgeſucht; Kagelchen der gute, 
Alta Umgang allen fo werthe Künftler verweilte meh⸗ 

rere Wochen bei und, ex mahlte Wielands Portrait 
- und meins nach der Perſon, Herderd und Schillers 
nach der Heberlieferung. Menſch und Mahler waren 








51 | * 

eins in ihm, und daher werden jene Bilder Immer 
einen doppelten Werth behalten. | 

. Wie nun er burch Menfchengeftalt die Aufmerk⸗ 
ſamkeit ſowohl auf ſeine Arbeit als auf die Gegen- 
ſtaͤnde hinzog, fo zeigte Kaaz mehrere landſchaft⸗ 
Uche Gemaͤhlde vor, theils nach der Natur eigens 
erfunden, theils den beiten Vorgängern nachgebil- 
det. Die Ausftellung fowohl hier als In Jena gab 
zu finnig gefelligen Vereinen den heiterften Anlaß, 
und brachte auch folhe Perfonen zufammen bie ſich 
ſonſt weniger zu naͤhern pflegten. 

Hirts Wert über die Baukunſt forderte zu 


- neuer Aufmerkfamteit und Theilnahme in diefem 


Sache, fodann nöthigte er uns durch bie Reſtaura⸗ 
tionen bes Tempels ber Diana zu Ephefus, Inglei- 
hen des Salomonifchen, Ins Altertum zuräd, Su 


Gerichte und-trümmerhafter Anfhauung mußte bie \ 


Einbildungskraft fih gefelen; wir nahmen lebhaft 


Theil, umd AUENeN: zu aͤhnlichen Verſuchen auf: - 


geregt. — 

Ein vorzuͤgliches für alterthuͤmliche Kunſt hoͤchſt 
wichtiges Geſchenk erthellte uns Herr Dr. Stieg⸗ 
lütz, indem er Schwefelabgäffe feiner anfehnlichen 
Muͤnzſammlung verehrte und fowohl dadurch als 
durch das beigefügte Verzelchniß den Forfchungen in 
den Felde alterthuͤmlicher Kunft nicht geringen Vor⸗ 
ſchnub leiſtete. a 

Zugleich vermehrten ſich unfere Münzfächer durch 
Medaillen des funfzehnten und fehzehnten Jahr⸗ 


\ 





* 3572 
hunderts. Betrachtungen daruͤber wurden zu Pro⸗ 


grammen ber allgemeinen Jenalſchen Literaturzei⸗ 
tung beſtimmt; der kunſtreiche Schwerdgeburt, 


mit gewiſſenhafter Genauigkeit, ſtach dazu einige 


Umrißtafeln. u 
Zu allen dieſen fügte fih noch eine Saumlung 
Aöfteiger Ausgrabungen metellner Geräthe von uns 
-helansıten Formen, denen ih viel Aufmerkſamkeit 
ſchenkte. Ich forſchte manches darüber In ber ältern 
Geldhihte, befonders jener Epoche wo Heiden und 
Chriſtenthum in Frauken und Thüringen gegen eins 
ander ſchwankten. Unter ben Bädern bie ich da⸗ 
mals auffchlug waren mir bie Antiquitates Nord- 
gavienses befonderd merkwürdig, und veranlaßten 
- eine geuane Betrachtung ber Paganien, b. h. 
per beibnifhen Gebräuche, melde durch bie erſten 
Fraͤnkiſchen · Concillen verbaunt wurden. Ich über: 
zeugte mich aufs neue daß unſere heidniſchen Ur⸗ 
vaͤter zwar viele auf Naturahnungen ſich beziehende 
duͤſter aberglaͤubiſche Gewohnheiten, aber keine fra⸗ 
tzeuhaften Goͤtenbilder gehabt. Ein ſchriftlicher Auf⸗ 
fatz über dieſe Gegenſtaͤnde ward nom dem Fuͤrſtlich 
Reußiſchen Beſitzer freundlich aufgenommen wnd 
mir dagegen ein Eremplar ber gefundenen raͤthſel⸗ 
haften Alterthuͤmer verehrt. 
Auch eine Sammlung von eigenen Handfchriften 
Hedentender Perſonen ward diefes Jahr Buch Freun⸗ 
desgunſt anfehulich vermehrt, und. fo beitärkte fi 
der Glaube daß die Handſchrift auf den Charakter 


53 


des Schreibenden und feine jedesmaligen Zuftaͤnde 


— 


entſchieden hinweiſe, wenn man auch mehr durch 


Ahnung als durch Haren Begriff fih ımb andern 
davon Nechenfchaft geben könne; wie ed ja bei aller 
Phyſiognomik der Fan iſt, welde bei Ihrem aͤchten 
Naturgrunde nur dadurch außer Credit kam, daß 
man ſie zu einer Wiſſenſchaft machen wollte. 

Von Naturereigniſſen erwaͤhne ich des gewalt⸗ 
famen Sturms in der Nacht vom 30 auf den 31 


Januar, weicher weit und breit wuͤthete, und auch 


mir einen empfindlichen Schaden brachte, indem er 
einen alten ehrwuͤrdigen Wachholderbaum in mei⸗ 
nem Garten am Sterne niederwarf und fo einen 
freuen Zeugen slädliher Tage von meiner Seite 
riß. Diefer Baum, ber einzige In der ganzen Ge⸗ 
gend, wo ber Wacholder faft nur als Geſtruͤppe 
vorkommt, hatte fi wahrſcheinlich aus jenen Zei⸗ 
ten erhalten wo hier noch keine Gartencultur ge= 


wefen. Es hatten ſich allerlei Fabeln von ihm verz' 


breitet: ein ehemaliger. Beſitzer, ein Schumann, 
ſollte darunter begraben feyn, zwiſchen ihm und 
dem alten Haufe, in deſſen Nähe er fand, wollte 
man geſpenſterhafte Mädchen, die den Plab reine 
fchrten, gefehen haben; genng er gehörte zu dem 
abenteuerlichen Compiler jenes Aufenthalts, In wel⸗ 
hem fo manche Tahre meines Lebens hingefloffen, 
und der mir und andern dur Neigung und Ge- 
wohnheit, durch Dichtung - und Wahn fo herzlich 
lieb geworden. 


S 


. 54 


Den umgeltürsten Baum ließ ich durch einen 
jungen Künftler zeichnen, wie.er noch auf Herzog⸗ 
licher Bibliothek zu: fehen iſt; die unterſchrift ſagt 
von ihm folgendes: 

„Oben gezeihneter Wachholderbaum ſtand 
in dem Garten des Herrn Geheim. Raths von 
Gdethe, am Stern. Die Hoͤhe vom Boden bis da⸗ 
bin wo er ſich in zwey Aeſte theilte, war zwoͤtf hie⸗ 
ſige Fuß, die ganze Höhe 43 Fuß. Unten an ber 
Erde hielt er 17 Zoll im Durchmeſſer, dba wo er fih 
in die beiden Aeſte theilte, 15 Zoll. Jeder Aft 
11 300, und nachher fiel es ab, bie fich die Spisen 
ganz zart verzweigten. 

Bon feinem Außerft hohen Alter wagt man nichts 
zu fagen. Der Stamm war inwendig vertrodnet, 
das Holz or mit horizontalen Riſſen durch⸗ 
fohnitten, wie man fie an den Kohlen zu fehen 
pflegt, von gelbliher” Farbe und von Würmern 
zerfreffen. 

Der große Sturm, weicher In der Nacht vom 30 
zum 31 Januar wüthete Im Jahr 1809, riß Ihn um; 
ohne dieſes außerordentliche Ereigniß hätte er noch 
. Lange. ftehen tönnen. Die Gipfel der Aeſte fo wie 

die Enden ber Zweige waren durchaus grün und J 
lebendig.“ 








55 
181 


Ein bedeutendes Jahr, abwechſelnd am Thätlg- 
keit, Genuß und Gewinn; fo daß ich mic bei einem- 
überreichen Ganzen in Verlegenheit fühle, wie ih 
die Theile gehörig orbuungsgemäß barftellen fol. 
2er allen Dingen verdient wohl das Wiſſen⸗ 
ſchaftliche einer nähern Erwähnung. Hier war ber 
Anfang dee Jahrs mühfam genug; man war mit 
dem Abdrud der Zarbenichre fo weit vorgerüdt, 

daB man den Abſchluß vor Jubilate zu bewirken .. 
nicht für unmöglich hielt; ich Ichloß den polemifhen 
Theil, fo wie die Geſchichte des achtzehnten Jahr 
Hundert: die nach meinen forgfältigen Zeichnungen 
geftochenen Tafeln wurden illuminirt, die Recapitu⸗ 
lation des Ganzen vollbradt, und man fah das letzte 
Blatt mit Vergnügen in die Druderey wandern. 


- Dieb geſchah achtzehn Jahre nach dem Gewahr⸗ 
werden eines uralten Irrthums, In Gefolg von un= 
abläffigen Bemähnungen und dem endlich gefundenen 
Yuncte worum fick alles nerfammeln mußte. Die 
bisher getragene Laft war fo groß, daß ich ben 16 
May als gluͤchlichen Befreiungstag anfah, an wel- 
chem ich mich In den Wagen fehte, um nach Böhmen 
zu fahren. Um die Wirkung war Ich wenig befüm- 
mert, und that wohl. Einer fo volllommenen Un⸗ 
theilnahme und abweifenden Unfrenndiichleit wat‘ - 
ih aber doch wicht gewärtig; Ich Ichweige davon und 
exwähne tieber mie viel ich bei diefer und bei: mels 


— 


nen uͤbrigen wiſſenſchaftlichen und literariſchen Ar⸗ 
beiten einen mehrjaͤhrigen Hausgenoſſen, Reiſege⸗ 
faͤhrten, ſo gelehrten als gewandten und freundlichen 
Mitarbeiter Dr. Frledrich Wilhelm Riemer ſchul⸗ 
dig geworden. 

Weil man aber einmal des Muͤhens und Be⸗ 
muͤhens gewohnt, ſich immer ſehr gern und leicht 
neue Laſten auflegt, ſo entwickelte ſich, bei nochma⸗ 
liger ſchematiſcher Ueberſicht der Farbenlehre, der 
verwandte Gedanke: ob man nicht auch die Ton⸗ 
lehre unter aͤhnlicher Anſicht auffaſſen koͤnnte, und 
fo entſprang eine ausführliche Tabelle, wo In drey 
Solumnen, Subject, Object und Wermittelung aufe 
geftellt worden. 

Und wie Feine unferer Gemuͤthskraͤfte ſich auf 
dem einmal eingefchlagenen Wege leicht irre machen 
läßt, es fey num daß man zum Wahren oder zum 
Falſchen hinſchreite; fo wurbe jewe Vorſtellungs art 
auf die ganze Phyſik angewandt: das Subjert im ges 
nauer Erwägung feiner auffaffenden und erfennens 
den Drgane, das Objeet ats ein allenfalls Erkenn⸗ 
bares gegenüber, bie Erſcheinung, durch Verſuche 
wiederholt und vermannichfaltist, in ber Mitte; 
wodurch denn eine ganz eigene Art von Eerfhung 
bereitet wurde. 

Der Verſuch, als Beweis irgend 5 
tiven Ansſpruches, ward verworfen; es eutſtand 
was man ſchon laͤngſt Anfrage an bie Natur ge⸗ 
nannt hat. Und wie denn alles Crfinden als elite 


‚57 
wetfe Antwort auf eine vernünftige Frage augefehen 
werben kann, fo konnte man fich bei jedem Schrift 
überzeugen, daß man auf dem rechten Wege fey, 
indem man überall im Einzelnen und Ganzen nur 
Gewinne zur Seite fab, 

Wie fehr ich aber auch durch glädiiche Umgebung 
in dieſem Fache feftgebalten wurde, geht daraus herz 
vor, daß Doctor Seebeck ſowohl zu Haufe als 
auswärts faſt Immer in meiner Nähe blieb. Pro⸗ 
feſſor Boigt kam ans Frankreich zuräd und theilte 

gar manche fhöne Erfahrung und Anfiht mit; die 
‚wiffenfchaftlihen Zuftände in Paris wurden und 
duch einen Deutfchen nach unferer Spradh- und 
Denkweiſe näher gebracht, und ‘wir bekannten mit 
_ Vergnügen, daß er feine Zeit ſowohl für fih als 
“für und gut angewendet hatte, 

Was für Muflt im Theater, fowohl in ben 
eriten ald letzten Monaten des Jahrs geſchah, ver⸗ 
melde kürzlich: die Uebungen ber freimilfigen Haus⸗ 
capelle wurden regelmäßig fortgefeht; Donnerſtags 
Abends Probe vor einigen Freunden gehaiten, Sonne 
tags Früh Aufführung vor großer Geſellſchaft. Ael⸗ 
tere und jüngere Theaterſaͤnger, Choriſten und - 

- Kebhaber nahmen Theil; Ebermein dirigirte 
meiſterhaft. Mehrſtimmige Sachen von Zelter und 
andern Stallänifchen Großen wurben Ins Leben ge: 
fuͤhrt und Ihr Andenken yegrändet, Vergnügen und 
Nutzen, Anwendung und dortfchreiten in Eins ver⸗ 
banden. 





Dadurch daß die Probe von der Ausführung 
vollkommen getrennt. bileb, ward das dilettantifche 
Pfuſchen völlig entfernt, das gewöhnlich erft im 
Augenblick der Aufführung no probirt, ia bis ben 
lehten Augenblick nnausgemacht laͤßt, was denn 
eigentlich aufgeführt werden kann und ſoll. 


Die Donnerftage waren kritiſch und bibaktifc, 
bie Sonntage für jeden empfänglich und genußreich. 

Gegen Ende des Jahre konnten von diefer Ge⸗ 
ſellſchaft Öffentliche Unterhaltungen Im Theater ge- 
geben werben; man führte folde Muſikſtuͤcke auf, 
welhe zu hören das Publicum fonft keine Gelegen⸗ 
beit findet, und woran jeder Gebildete fi wenig: 
ſtens einmal im Leben follte erquickt und erfreut 
haben. Als Beiſpiel nenne ich bier Johanna 
Sebus, componirt von Zelter, die einen unaus- 
—ͤſchlichen Eindruck In allen Gemuͤtherw zurüd ließ. 


| Ebenmäßig wurden mit dem recitirenden Schau: 
fpielern die: Didastalien fortgefegt, mit ben ge: 
uuͤbteſten nur beinenen Stüden, mit ben Jüngeren 
bei frifher Beſetzung Älterer Rollen. Diefe legte 
- Bemühung iſt elgentlih der wichtigfte Theil dee 
Unterrichts, ganz allein durch ſolches Nachholen 
und Nacarbeiten wird ein ungefiörted Enfemble 
erhalten. 
Zalre, überfegt von Pencer, bewies aber: 
mals die Fertigkeit unferes Perſonals Im reinen Re⸗ 
eitiven. und Declamiren. Die erfte Lefeprabe war ' 


N 


59 
fo voltommen, daß ein gebitdetes Yublicum durch⸗ 
aus dabei hätte gegenwärtig feyn können. 

- Der vierundzwanzigite Gebruar von 
Werner, an feinem Tage aufgeführt, war vols 
lends ein Triumph vollkommener Darſtellung. Das 
Schredlihe des Stoffe verſchwand vor der Reinheit 
und Sicherheit der Ausführungz dem aufmerkſam⸗ 
ften Kenner blieb nichts zu wuͤnſchen übrig. 

Bewegte Plaſtik ward und durch das ausgezeich⸗ 
nete Talent der Fran Hendel Schäß vorgeführt; 
dffenttiche ernfte Darftellung, heitere ſcherzhafte ia 
Tomifhe Simmerunterhaltung gewährte nene Kunft- 
anfichten und vielen Genuß. 

Die Vorftellung der Oper Achill durch Brizzi 
in Staltänifher Sprache eröffnete gegen Ende des 
Jahrs ein neues Feld, und zu gleicher Zeit näherte - 
fih , unter den ernfteften und treuften Bemähun 
gen, bei hochgeſteigertem Talent des Schaufpielere 
Wolf, ber ftandhafte Prinz der erfehnten 
Aufführung. 

Bezüglich auf bildende Kunft ergab fich gleichfalls 
eine merkwürdige Epoche. Die Gebräter Boiſ⸗ 
ferde fandten mir durch ben auf die Leipziger 
Meſſe reifenden Buchhändler Zimmer von Heidel- 

berg ihre koͤſtlichen ausgeführten Zeichnungen des 
Domgebäudes. Gern rief ich bie Gefühle jener 
- Jahre zuräd, als der Straßburger Muͤnſter mie 
Bewunderung abnöthigte, und mid. zu ſeltſamen 
aber tief empfundenen enthufiaſtiſchen Aeuferungen 


68 


veranlaßte. Nun ward das Gtublam jener aͤlteren 
.. befonderen Baukunſt abermuls ernſtlich und gruͤnd⸗ 
lich aufgeregt, und dieſer wichtige Gegeuſtand von 
ben Weimariſchen Kunſtfreunden theilnehmend im 
Betrachtung gezogen. 

Eine Anwandlung landſchaftliche Skizzen zu zeich⸗ 
nen wies ich nicht ab; bei Spazlergaͤngen Im Fruͤh⸗ 
ling, befonders nahe bei Jena, fat’ ich irgend 
einen Segenftand auf, ber fih zum Blild qualiftciren 
weite, mad ſuchte Ihn zu Haufe alsdann zu Paplet 
zu bringen. Gleichermaßen werd weine Einbil- 
dungskraft durch Erzählungen leicht erregt, fo daß 
ich Gegenden. von denen im Gefpräh die Rede 
war, alfobald zu entwerfen trachtete. Diefer wun- 
derfame. Trieb erhielt fi lebhaft auf meiner ganzen 
Reife, und verließ mich nur bei meiner Ruͤckttehr, 
am nicht wieder hervorzutreten. 

Auch fehlte es nicht Im Laufe bed Jahrs an Ge⸗ 
legenheit fefllihen Tagen manches Gedicht und 
mande Darftellung zu widmen. Die romens 
tifhe Poeſie, ein großer Redontenaufzug war 
bem dreyßigſten Jauuar gewibmet, zum 16 Februar 
wiederholt, wobei zugleih eine charakterkitifche 
Reihe Ruſſiſcher Voͤlkerſchaften ſich auſchloß, gleiche 
falls von Gedicht und Geſang begleitet. Die Gegen⸗ 
wart der Kaiſerin von Oeſterreich Majeſtaͤt in Carls⸗ 
bad rief gleich angenehme Pfllchten hervor, und 
manches andere Heinere Gedicht entwidelte fich im 
Stillen. 


‚ 61 


Hackerts Biographie ward indeſſen ernſtlich au- 
gegriffen, eine Arbeit die viel Zeit und Muͤhe ko⸗ 
ſtete; wobei uns das Audenlen an ben verewigten 
Freund zu Huͤlfe kemmen mußte. Denn obgleich 
die vorliegenden Papiere van Bebentung waren und 
genugfamen Gehalt lieferten, To blieb doch bie ver- 
ſchiedenartige Form deſſelben ſchwer zu gewältigen 
und in irgend ein congruentes Ganzes zuſammen⸗ 
zufuͤgen. I — 


Zerſtreuungen ber Reiſe, vorübergehende Theil⸗ 

nahme begegnender Freunde an kleineren Aufſaͤtzen 
erinnerte mich an die mancherlei Einzelnheiten, die 
auf eine Verbindung warteten, um dem Publicum 
ſich, theils neu theils zum zweytenmale, wieder 
vorzuſtellen. Der Gedanke ber Wanderjahre, 
der den Lehrfahren fo natuͤrlich folgte, bildete ſich 


mehr und mehr ans, und befchäftigte mic In eiu:- 


zelnen Stunden bie auf andere Welfe nicht genußt 
werden lkonnten. 


Bezüglich auf die Rechte des Autors mußte man 
merkwuͤrdig finden, daß Minifter Portalis bei 
wie anfragte: ob es mit meiner Bewilligung ges 
ſchehen koͤnne, daß ein Koͤlniſcher Buchhändler die 
Mahlverwandtichaften : abdrude? Ich antwortete 
dankbar in Betreff meiner, verwied aber bie Ange⸗ 
legenheit an den rechtmäßigen Verleger, So viel 
höher ftanden fchon die Franzoſen im Begriff don 
geiſtigem Befig uud gleichem Recht des Höheru und 


63 


Nedern, wozu ſich die guten Deutfchen wohl ſobald 
nicht erheben werden. 

In Carlsbad betrachtete ich bie Verwuͤſtung die 
der Sprudel angerichtet mit großem Intereſſe. Aus 
den hinteren Fenſtern des weißen Hirſches zeichnete 
ich dieſen ſeltfamen Zuſtand ſorgfaͤltig nach der Wirk⸗ 


lichkeit, und überließ mich der Erinnerung viel- 


jähriger Betrachtungen und Zolgerungen, deren id 
bier nur Fürzlich erwähnen darf. 


u, ® 18114 - 
Diefes Jahr zeichnet ſich durch anhaltende äußere 


Thaͤtigkelt befondere aus. Das Leben Philipp 


Haderts ward abgebrudt und bie vorliegenden Pa⸗ 
piere nach jedesmaligem Beduͤrfniß forgfältig redi⸗ 
girt. Durch dieſe Arbeit wurd’ ih nun abermals 
nah Süden gelodt; die Ereigniffe die ich jener Seit 
in Hackerts Gegenwart ober doch in ſeiner Nähe er: 


. fahren hatte, wurden In ber Einbildungskraft le⸗ 


14 


bendig; ich hatte Urfache mich zu fragen, warum 


ich dasjenige. was Ich für einen andern thue nicht für 
mich ſelbſt zu leiſten unternehme? Ich wandte mid 


‚daher noch vor Vollendung jenes Bandes an meine 


‚eigene frübfte Lebensgeſchichte; bier fand fih num 


freilich daß ich zu lange gezaudert hatte. Bei mei⸗ 


ner Mutter Lebzeiten hätt’ ich das Werk unterneb- 
men folen, damals hätte ich ſelbſt noch jenen Kinz 


x Ü + 
\ 





_ 


63 


derſcenen naͤher geſtanden, und waͤre durch die 
hohe Kraft ihrer Erinnerungsgabe voͤllig dahin ver⸗ 
ſetzt worden. Nun aber mußte ich dieſe entſchwun⸗ 
denen Geiſter in mir ſelbſt hervorrufen und manche 
Erinnerungsmittel gleich einem nothwendigen Zau⸗ 
berapparat muͤhſam und kunſtreich zuſammenſchaffen. 
Ich hatte die Entwicklung eines bedeutend gewor⸗ 
denen Kindes, wie ſie ſich unter gegebenen Umſtaͤn⸗ 
den hervorgethan, aber doch wie ſie im allgemeinen 
dem Menſchenkenner und deſſen Einſichten gemaͤß 
waͤre, darzuſtellen. 

In dieſem Sinne nannt' ich beſcheiden genug ein 
folhes mit forgfältiger Treue bebandeltes Wert: 
Wahrheit und Dichtung, innigſt überzeugt, 
daß der Menſch in der Gegenwart is vielmehr noch 
in der Erinnerung die Außenwelt nah feinen Eigen- 
beiten biidend modele. ” 

Diefes Geſchaͤft, inſofern Ich durch gefchichtlihe 
Studien und fonftige. Local: und Perfonen- Verge- 
‚genwärtigung viel Zeit aufzuwenden hatte, befchäf- 
tigte mich wo Ich ging und fiand, zu Haufe wie 
auswaͤrts, bergeftalt daß mein wirklicher Zuſtand 
den Charakter einer Rebenſache annahm, ob Ih 
gleich übera wo ich durch's Leben hingefordert 
wurde, gleich wieder mit ganzer Kraft und vollem 
Sinne mich gegenwaͤrtig erwies. J 

Für das Theater geſchah ſehr viel, wobei des 
trefflichen Wolf ſich immer ſteigerndes Talent im 
beſten Sinne hervortrat. Der ſtandhafte Prinz 





| 


64 a 
ward mit algemeinem Veifalle aufgefuͤhrt, und fo 
der Bühne eine ganz neue Provinz erobert. Auch 
erſchien Wolf ald Pygmallon, mund -felne Dar: 
ſtellung machte vergeffen, wie unzuläßlic und uner: 
freulich dieß Stud eigentlich fey. 

Bon Kucbels überfester Saul Aifieri's, die 


tochter Jephta, Taſſo wurden wiederholt, 


NRomeo und Julie fürs Theater bearbeitet; 
wobei fewohl Riemer als Wolf eifrig mitwirkten; 
und fo ward auch für bie nächfte Folge Ealderong 
Leben ein Traum vorbereitet. 

Demoifele Frank aus Mannheim erntete als 
Emmeline und Fanchon großen Beifall; Brizzi 
wicberholte feinen Beſuch, die Vorſtellung von 
Achill nahm wieder ihren glänzenden Gang. Die 
zweyte große Oper Ginevra Tonnte fih jener nicht 
gleich ſtellen; auch bier bewahrheitete fih die alte 
Lehre, daß ein verfehlter Text der Muſik und Dar⸗ 
ftellung Insgehelm dem Iintergang vorbereite. Ein 
Boͤſewicht und Verraͤther nimmt fih am Ende über- 
au Ihiecht and, am fchlechteften auf dem Chester, 
wo ber Verlauf feiner Niederträchtigleiten abge 
fponnen und und vor bie Augen geführt wird. 

Das neuerbaute Schaufplelhaus gu Halle ver: 
Ich die ſaͤmmtlichen Vortheile ber Lauchftädter 
Bühne; die Einweihung deſſelben gab Gelegenheit 
zu einem Prolog, welchem freundliche Theilnahme 
zu Theil ward. — 

Mit dee Muſik gelang es wit aid fo — 





65 


- was ich vor einem Jahre meine Hauscapelle zu 
nennen wagte, fühlte ih im Junerſten bedroht. 
Niemand merkte einige Weränderung, aber es hat- 
ten ſich gewiſſe Wahlverwandtichaften eingefunden, 
die mir fogleich gefährlich fehlenen, ohne daß ich 
Ihren Einfluß hätte hindern Finnen. Noch zu Anz 
fang des Jahres ward nad herkömmlicher Weife 
verfahren, doch ſchon nicht mehr In fo regelmäßiger 
wöchentliher Folge. Noch.trugen wir aͤchte alte 
Sachen vor, mehrere neue Canons von Ferrari 
belebten die Luft der Sänger und den Beifall der 
Zuhörer; ich aber hatte mich fchon in dieſen Vers 
Inft ergeben, und als bei meiner bevorstehenden 
Sommerreife zu Ende Aprils eime Yanfe eintreten 
mußte, fo war ſchon mein Entſchluß gefaßt nie wie- 
der zu beginnen: ich verlor dabei fehr viel, und 
mußte deßhalb ernftlih bedacht ſeyn mich ander⸗ 
waͤrts zu entſchaͤdigen. 

Noch während dieſer anferbaulichen Unterhal⸗ 
tung ſchrieb ich die Cantate Rinaldo fuͤr des 
Prinzen Friedrich von Gotha Durchlaucht; ſie ward 
Durch den verdienſtvollen Capellmeiſter Winter 
componirt, und gewaͤhrte, durch des Prinzen an⸗ 
muthige Tenorſtimme vorgetragen, von Choͤren be⸗ 
gleitet, einen ſchoͤnen Genuß. Fa 

Was fih auf Kitere bildende Kunſt bezog warb 
vorzüglich geachtet. Meyer bearbeitete unabläffig 
die Kunſtgeſchichte, und alle deßhalb gepflogenen Un— 
terfahungen gaben Stoff zu belehrendem Geſpraͤch. 

Gorthe's Werte. xxxu. m 5 








66 | 
mMionetiſche Yale Wisgriechifcher Drängen hat⸗ 
"ten, als bie wärblsften Documente jener un die 
entſchie denſten Ausſſchten eröffnet. 


Die Luſt ſich Vergangenes zu vergegenwaͤrtigen 
wirkte fort, und wir ſuchten mit Huͤlfe eines guten 
Nechners den Rogus des Hephaͤſtion, beſonders 
aber das ungeheure Amphitheater wieder herzuſtel⸗ 
Ien, in befien Mitte er aufgeführt war, und wozu 
die Mauer von Babylon Erde und Schutt hatte 
hergeben müffen, wie zum Rogus die Ziegeln. Das 
ganze Griechiſche Heer fah mit Bequemlichkeit der 
Geier zu. 

Viele Jahrhunderte waren Dagegen zu überfchref- 
ten, ald Dr. Sulpiz Boifferde mit einer wid- 
tigen Folge von Zeihnungen und Kupfern bei ung 
eintraf, und unfere Kunfibetrachtungen ind Mittel- 
alter hinlenkte. Hier verweilten wir fo. gern, weil 
eine wohl überdachte Folge übereinftimmenber Mo- 
numente vor und lag, die und In eine zwar büftere 
aber durchaus ehren und antheilwerthe Zeit ver- 
feste. Das Lebhafte Intereffe des Vorzeigenden, 
die gründiihe Erkenntniß jener Zuftände und. Ab⸗ 
- fihten, alles theilte ſich mit, und man ließ fi, 
wie bei einer veränderten Thegterdecoration, aber 
mals gern In Zeiten und Localitäten verfeßen, zu . 
denen man in ber Wirklichkeit ar wieder gelan⸗ 
gen follte, 


Und ſo ward ein treuer Sinnes⸗ und Herzens⸗ 


FR 67 - 
band mit dem chlen Gaſte geſchloſſen, ber für bie 
übrige Lebenszeit folgereich zn werden verſprach. 

Ferner hatte berfelbe Sederzeichnungen nach dem 

‚Sedihte: die Nibelungen, von Cornelius 

- mitgebracht, deren alterthuͤmlich tapferen Sinn, mit 

unglaubliher technifher Kertigkeit ansgeſprochen, 

man höchlich bewundern mußte, i 


Als Nachllang jener früheren Weimariſchen 
Kunſtaus ſtellung, in Gefolg guter daraus ſich here 
leitender Verhaͤltniſſe mit lebenden Kuͤnſtlexn, ward 
gar manches eingeſendet. Der verdienſtvolle Nau⸗ 
werck zu Ratzeburg ſchickte Zeichumgen und Ge⸗ 
maͤhlde; des allzuftuͤh abgeſchledenen Landſchafts⸗ 
mahlers Kaaz hinterlaſſene Zeichnungen wurden 
vorgelegt. Prinzeß Caroline von Medienburg, 
ſelbſt einen ſchoͤnen Sinn fuͤr landſchaftliche Zeich⸗ 
‚unngen beſitzend, fo wie anmuthig ausführend, ver: 
Ihaffte ſich von beiden eine Auswahl. 

. Sp wurben wir. auch mit einem hoffnungéevollen 
"Ralente eines iung abgefchiebenen Mannes Namens 
Wehle zum erfienmal befaunt, deſſen Verlaſ⸗ 
fenfhaft Barın Schönberg: MRothfhänberg 
kaͤuflich an ſich gebracht hatte. Sowohl in Skizzen 
als ausgeführten Blaͤttern nad Ber Natur offen- 
barte fih ein gluͤcklich kuͤnſtleriſcher Bild in De - 
Welt, und das Jutereſſe an dieſen Blaͤttern war 
durch fremdartige ſeltſanliche Localitaͤt erhöht. Cr 
war bis Tifflis vorgedrungen, und hatte Fernes fo 


— 








68 


wie Nahes mit charakteriſtiſcher geichtigteit ben Pa⸗ 
pier anvertraut. 
Bor ber Naturbetrahtung war. man einiger- 


maßen auf der Hnt;, doch findirte Ich zwiſchendurch 


die Geſchichte der Phyfit, um dad Heranfommen 
biefer höchften Wilfenfchaft mir möglichft zu verge- 
genwärtigen: denn ganz allein durch Aufklärung ber 
Vergangenheit laͤßt ſich die Gegenwart_ begreifen. 
Eine Wiſſenſchaft ift, wie jede menſchliche Anftalt 


und Einrichtung, eine ungeheure Gontignation von 


Wahrem und Kalfhem, von Freiwilligen und Noth⸗ 
mendigem, von Gefundem und Kraukhaftem; alles 
was wir tagtäglich gewahr werben, dürfen wir am 
Ende doh nur ale Symptome anfehen, die wenn 
wir ung wahrhaft ausbilden wollen, auf ihre phys 
fiologifhen und pathologifchen drineire surädzufüß- 
ren find. 

Ich enthlelt mich perfönlih von Verſuchen aller 
Yet, aber ein Indianiſches Welßfener auf dem Land⸗ 


-grafenberg, von Profeſſor Döbereiner abge⸗ 


brannt, gab durch Erleuchtung des Thales, befon- 
ders der gegenüber liegenden Berge, eine hoͤchſt 
überrafhende Erfcheinung. 

Nach dleſem' aufblidenden Lichtglanze durfte ſich 
der herrliche langverweilende Komet wohl auch noch 
fehen laſſen, unfere Augen entzüden und unfern in⸗ 


nern Sinn In das Weltall hinausforbern. 


- 


Mein dießjaͤhriger Aufenthait in Carlsbad nahm 


einen ganz eigenen Charakter an; die Luft des Haf⸗ 


% — 
*7 


— F .- 
69 ö 


tens an ber Natur, des Zeichnens und Nachbildens 
hatte mich ganz und gar verlaffen; nichts ber Art 

wollte weiter gelingen, und fo war ich auch des Durch⸗ 
ſtoͤberns und Durchklopfens der allzubekannten Fels: 
maſſen völlig muͤde. Müller, in hoben Sahren, 
war nicht mehr anregend, und fo fah’ ich benn auch 
die Bemühungen, dem Sprubel feinen alten Weg 
wieder zu weifen, - mit Gleichgültigkeit, getröftet 
durch Die Bemerkung, daß man zwar althergebradh- 


ten VorurtHellen zu fhmeicheln, aber‘ bo einem _ 


ähnlichen Uebel zuvor zu kommen trachtete. 

In Geſellſchaft von lebensluſtigen Freunden und 
Freundinnen übergab ich mich einer tagverzehrenden 
Zerftreuung. Die herkoͤmmlichen Promenaden zu 
Sub und Wagen gaben Raum genug fich nach allen 
Selten zu bewegen; die näheren fowohl als die ent: 
fernten Luftorte wurden befucht, zu welchen fich noch 
ein neuer auf eine faft Lächerliche Weiſe gefellt hatte. 





- Su Wehedisg, einem Dorfe über der Eger gegen 


Dalwitz gelegen, hatte fih ein Bauer, der ald Fuhr⸗ 
mann bis Uagarn frachtete, auf dem Ruͤckwege mit 
jungen geiftig wohlfhmedenden Weinen beladen und 
In Hof und Haus eine Kleine Wirthſchaft errichtet. 
Bei dem niedrigen Stande des Papiergeldes, fat 
wie Zehn gegen Eins, trank man eine anmuthige 
Flaſche Ungerwein für den Betrag von wenig Sil- 
bergroſchen. Die Neuheit, dag Seltfame, ia bie 
Unbequemlichkeit des Aufenthalte, fügten zur Wohl: 
feilheit einen gewiffen Reiz; man 309 hinaus, man 








70 


lachte, fyettete Aber fit und andere und hatte fın- 
mer mehr bed einſchmeichelnden Weins genoffer 
«is Hikig war. Man trug fi über eine ſolche Wall⸗ 
fahrt mic folgender Auekdote: Drey beiahrte Din 
wer gingen nach Weheditz zum Weine: 

- Drift Dtto, alt - „ 87 Jahr, 

Stenfhneiter Mile 8 — 
Ein fat . . „ 32° — 

255 Jahr. 
©trzechten wader, und wur der letzte zeigte bei Nach⸗ 
haufegeben einige Spuren von Beſpitzung, bie bei- 
ben andern griffen dem Juͤngeren unter bie Weme 
und braten ihn gluͤcklich zurüd in feine Wohnung. 

Einen ſolchen «allgemeinen Leihtfinn beghaftigte 
jener niedere Stand des Papiers. in ergangenes 
Patent hatte’ alle Welt verwirrt gemacht, bie vor⸗ 
handenen Zettel hatten allen Werth verloren, man 
erwartete die neuen fogenaumten Antteipationsfcheis 
ne. Die Verkäufer und Empfänger konnten dem 
ſiakenden Papierwerth nicht genug nachruͤcken, ben 
Käufern und Ausgebenden gerteth ed auch nicht zum 
Vorthelt; fie verfchleuberten Groſchen und wurden 
ſo allmaͤhlich Ihre Thaler los. Der Zuſtand war von 
der Art, daß er auch ben Seſoanenten zur Ver⸗ 
rädtheit hinriß. 

Doch tft dei Tag folang, daß er ſich ohne nuͤtz⸗ 
liche Beſchaͤftigung nicht hinbringen läßt, und fo 
fente ich mit Riemers Beiſtand unter fortwähren- 

dem Beſprechen die Arbeit an der Biographie fort, 





gi 


dad Räte ansfährend, das Fernere ſchematiſirend. 
un“ waren zum fortgefeßten Lefen und Betrachten 
die kletneren Schriften Plutarchs jederzeit bei der 
Hand, wie es benn au, an manderlei Erfahrung 
amd Belehrung in einem fo großen Zufammenfiuß 
von- bebeutenden Menſchen, die In gefchäftsiofer 
Freiheit fi gern von dem was ihnen lleb und werth 
Efk unterhalten, keineswegs fehlen konnte. 

Don Perfonen, bie dieſes Jahr in Weimar ein- 

geſprochen, find‘ ich folgende bemerft! Engels 
hardt, Architekt von Kaffel, auf feiner Dutchreife 
nach Stallen. Man wollte behaupten, ich babe ihn 
in frühereg Zeit als Mufterbild feines Kunftgenoffen 
in den Wahlverwandtfchaften Im Auge gehabt. Der 
fo geſchickte als gefälige Raabe hielt ſich einige 
Zeit bei uns auf, mahlte mein Bildniß in Del auf 
Kupfer. Ritter Dhara, ein treffliher Geſell⸗ 
fhafter, guter Wirth und Ehrenmann, wählte 
Welmar fuͤr einige Zeit zu feinem Wohnort. Die 

Gefchichten feiner viefiähtigen Irrfahrten, die er 

mir einigem Scherz über ich felbit zu würjen ver- 
ſtand, verbreiteten über feine Tafel einen angeneh⸗ 
men vertraulichen Ton. Daß feine Köchin bie treff- 
lichſten Beefſteaks zu bereiten wußte, auch daß er 
mie dem aͤchteſten Molla- Kaffe feine Gaftmahle 
ſchkoß, warb ihm nicht zum geringen Verdlenſt ans 
pereämet. : 

Lefevre, Fraunzoͤſiſcher Legationsſecretair von 
Kaſſel kammend, durch Baron Reinhard angemel⸗ 


“= 72 


bet, regte im lebhaften Geſpraͤch Franzoͤſiſche Rede, 
Poeſie und Geſchichte wieder auf, zu angenehmſter 
Unterhaltung. Profeſſor Thierfc ging, gute Ein⸗ 
druͤcke zuruͤcklaſſend und Hoffentlich mituehmend, bei - 
ung vorüber, Das Ehepaar von Arnim- bielt 
fih eine Zeit lang bei ung auf; ein altes Wertrauen 
hatte fich fogleich eingefunden; aber eben durch folche 
freie unbedingte Mittheilungen erfchien erft die Dif- 
ferenz, in die fih ehemalige Uebereinftimmung auf- 
gelöftt hatte. . Wir fchieden in Hoffnung einer 
- tigen glüdlihern Annäherung. 


Don wichtigen Büchern, deren Einfluß —— 
war, las ich St. Croix Examen des Historiens 
d’Alexandre; Heerend Ideen über die Geſchichte 
bed Handel; Degerando histoire de la philo- 
sophie; fie verlangten ſaͤmmtlich, daß man feine 
-Umfiht Innerhalb der vergangenen Zelten auszu⸗ 
behnen und zu erweitern fich entfchließe. 


Jakobi ‚von den göttlihen Dingen” machte 
mir nicht wohl; wie konnte mir das Buch eines fo 
herzlich gellebten Freundes willfommen feya, worin 
ich die Theſe durchgeführt fehen follte: die Natur 
verberge Gott. Mußte, bei meiner reinen tiefen 
angebornen und geübten Auſchauungsweiſe, die mid 
Gott In der Natur, die Natur in Gott zu ſehen nu⸗ 
verbruͤchlich gelehrt hatte, To daß dieſe Vorſtellungs⸗ 
art ben Grund meiner ganzen Exiſtenz machte, mußte 
nicht ein fo feltfamer, einfeitig-befchränfter Aus⸗ 





73 


ſpruch mich dem Seiſte nach von bem ebelften Wanne, 
beffen Herz ich verehrend liebte, für ewig entfernen? 
Doch ih hing meinem ſchmerzlichen Verdruſſe nicht 
nah, ich rettete mich vielmehr zu meinen alten’ 
Aſyl, und fand in Spinoza's Ethik auf mehrere 
Wochen meine tägliche Unterhaltung, nnd da fich 
indeß meine Bildung gefteigert hatte, warb ih, im _ 
ſchon Bekannten, gar manches das ſich neu und an⸗ 
ders hervorthat, auch ganz eigen friſch auf mich ein⸗ 
wirkte, zu meiner Verwunderung, gewahr. 
Ouwarows Project einer Aſiatiſchen Akademie 
loctte mich in jene Regionen, wohin ich auf längere 
Zeit zu wandern ohnedem geneigt war. Hebels 
abermalige alemannifche Gedichte gaben mir den an⸗ 
genehmen Eindrud, den wir bei Annäherung von 
Stammverwandten immer empfinden. Nicht fo von 
Hagens Heldenbuch; hier hatte ſich eine alles ver⸗ 
wanbdelnde Zeit dazwifchen gelegt. Eben fo brachte 
mir Buͤſchings armer Heinrich, ein an und für 
ſich betrachtet hoͤchſt ſchaͤzenswerthes Gedicht, phy⸗ 
ſiſch⸗aͤſthetiſchen Schmerz. Den Ekel gegen einen 
aus ſaͤtzigen Herrn, für den fi das waderfte Mäb- 
chen aufopfert, wirb man ſchwerlich los; wie denn 
durchaus ein Jahrhundert, wo Die widerwärtigfte 
Krankheit in einemfort Motive zu leidenfchaftlihen 
Liebes = und Nitterthaten reihen muß, und mit Ab⸗ 
ſcheu erfült. Die dort einem Heroismus zum 
Grunde liegende ſchreckliche Krankheit wirkt wenig⸗ 
ſtens auf mie fo gewaltſam, daß ich mich vom blo⸗ 


— 





72 


fen Berühren eis ſoichen Buchs ſchon angeſteckt 
glaube, 

Durch einen befoubern Zufnll kam mir ſobann 
ein Wert zur Hand, von welchem man dagegen eime 
unfittiiche Anftedung hätte befürdkten koͤnnen; weil. 
men fich aber vor geiſtigen Einwirkungen, aus einem 
sewiffen frevelhaften Düntel immer ſicherer Hält ald 

vor körperlichen, fo las ich die Baͤndchen mit Ber: 
gnägen und Eile, ba fie mir nicht Tamge vergdumt 
waren; es find 'bie Novelle galanti vor Verocchio: 
ſie ſtehen denen bes Abbate Eaftt an poetiſchem und 
rhetoriſchem Werth ziemlich nahe, wur iſt Caſti 
kuͤnſtleriſch mehr zuſammen genommen und behertſcht 
feinen Stoff meifterhafter. Auf Erlanetang eines 
Freundes ſchloß ich die Novelle del Bandeli unnstts 
telbar an. Die Abentener des Rittet Srelewr mid 
Manon lEscot wurden als nahe verwandt het⸗ 
beigerufen; doch muß Ih mir zaletzt das Zeuguiß 


geben, daß ich nach allem diefem endlich zum Laud⸗ 


prediger von Walefleid mit unſchutdigem Beragen 
——— 





1812 


Se Samilte Kobler erbffnete mie hiot aumu⸗ 
| thigen Balletten das Jahr. Romed und Julle, für 
Daun Turandot'werben wiederholt; die Aufführung 
von: Leben ein Traum vorbereitite. Die zw 





Tee — — — EHE, SEE Mm Th. SE U TUE WER RE, 
. 


9 


75 
wurdiger Darſtellaug ſolcher Stuͤcke erforderlichen 
Aufſtrenguagen gaben neus. Gelegenheit yum tiefer 
eindringenden Studium ımb Dee ganzen Behandlung 
einen friſthen Schwung. Ein junger Schaufpleler 
trat Heap, Namens Durand, mit allen Vorzuͤ⸗ 
gen bie man im allgemeinen am einem jungen ſoge⸗ 
namıten Liebhaber wünfhen kann, nur vermißte 
man am ihm ein gewilles inneres Teuer, oder auch 
nut jene Art von Enthuſiasmus, ber Ihn aus fi 
ſelbſt heransgetrieben, womit er fih bem Publicum 
aufgedrungen hätte, daß es Ihn fühlen und anerfen- 
nen mußte. Man hoffte jedoch, daß er dieß Pe⸗ 
därfniß bald ſelbſt empfinden werde. 

CTheodot Körner war als Theaterdichter her- 
vorgetreten; deſſen Tony, Zrini und Rofa- 


munde, als Nachklaͤnge einer kurz vergangenen. 


Epoche, von den Schauſpielern leicht aufgefaßt und 
wiedergegeben und eben fo dem Publicum ſinn- und 
artverwandt von ihm günftig aufgenommen wurden. 


Zu böyeren Zwecken ward die große Zenobia von 


Calderon fendirt und der wunderbare Magus 
durch Sriefens Ueberſetzung uns angendähert. 
Wolf md Nlemer machten einen Plan zu Auf⸗ 
führung des Fauſt, wodurch der Dichter verleitet 
ward mit dieſem Gegenſtand ſſch abermals zu be- 
fchaͤftkgen, manche Swifchenfeenen zn bedenken, ja 
ſogar Decorationen und ſonſtiges Erforderniß zu 
entwerfen. Zee genannten, immer thaͤtigen Freun⸗ 
be entwaktfen gleichfalls den Verſach einer neuen 





76 
NRedaction des Egmont mit Wiederherſtellung ber 


Herzogin von Parma, die ſie nicht entbehren woll⸗ 


ten. Die Anweſenheit der Madame Schönber- 
ger veranlaßte die erfreulichften Darftellungen. 
Iffland ſchloß das Jahr auf dad erwuͤnſchteſte, 
indem er mehrmals auftrat; vom 20 Dechr. an ſehen 
wir folgende Vorftellungen: Clementine, Selbſt⸗ 
beberrfchung, ber Zube, Künftlers Erdewallen, Don 
Ranndo und der arme Poet; der Kaufmann von Ve⸗ 
nedig, der gutherzige Polterer. 


Neben ihm traten von unferm wohlbeftellten 
Theater folgende Schaufpieler auf, deren Gemein: 
fhaft er feiner hohen Kunſt nicht unwuͤrdig fand. 
Es fheint uns der Sache gemäß Ihre Namen bier 
aufzufüsren, die Herren: Durand, Deny, Graff, 
Genaſt, Haide, Lorzing, Malkolmi, Oels, Unzel: 
mann, Wolf; ſodann die Damen: Bed, Eber⸗ 
wein, Engels, Lorzing, Wolf. 


Der Biographlie zweyter Band wurde gearbeitet 
und abgefhloffen, auch der dritte Band eingeleitet, 
im Ganzen entworfen, im Cinzelnen ausgeführt. 
In Gefolg der Darftelung Mofalfcher Sefchichte im 
ertten Bande nahm ich den Irrgang der Kinber 
Iſtael durch die Wuͤſte aus alten Papieren wieder 
dor, die Arbeit feibft aber wurde zu andern Sweden 
zurüdgelegt. 

Drey Gedichte für Kaiſerliche Dojeftäten, im 
Namen der Carlsbader Buͤrger, gaben mir eine che 


— 





x 


m 


ı tenvoll angenehme Gele zenheit zu verſachen, ob noch 
einiger poetiſcher Geiſt in mir walte. | 

In der bildenden Kunſt ereignete fi manches 
Guͤnſtige: bie Nachricht von dem Fund auf Aegina 
eröffnete der Kunftgefchichte neue Ausfihten, an 
weichen wir und mit Freund Meyer, der in feinen 
Bemühungen Immer vorwärte sing , erbauten und 
ergösten. 

Der Gedanke ans vorliegenden alten Münzen 
dad Andenken verlorner Kunſtwerke zu ergänzen, 
war zu reizend und hatte einen bergeftalt Toliden 
Grund, daB man nah dem Auffab über Mprons 
Kuh in bergleihen Betrachtungen fortfuhr, ben 
Dlympifhen Supiter, die Polpkletifhe Zune, und 
manches andere wuͤrdige Bild auf diefe Welfe wie: 
der herzuftellen trachtete. 

‚Ein Heiner Sentaur von Silber, etwa ſpannen⸗ 
lang und bewundernswuͤrdig gearbeitet, rief eine 
lebhafte Streitigkeit hervor, ob er antik oder mo⸗ 
dern ſey. Die Weimariſchen Kunſtfreunde, uͤber⸗ 
zeugt daß in ſolchen Dingen niemals an Ueberein⸗ 
ſtimmung und Entſcheidung zu denken ſey, bewun⸗ 
derten ihn, belehrten ſich daran und traten zu der⸗ 
jenigen Partey, die ihn fuͤr alt und aus den erſten 
Kaiſerzeiten hielt. 4 

Ich acquirirte eine nicht gar ellenhohe altfloren⸗ 
tiniſche Copie des ſitzenden Moſes von Michelangelo, 
in Bronze gegoſſen und im Einzelnen durch Grab⸗ 
ſtichel und andere ciſellrende Juſtrumente fleißigſt 


\ ⸗ 


78 


vollendet: ein ſchoͤnes Dentmal forgfältiser, beinahe 
gleichzeitiger Nachbildung eines hoͤchſt geſchaͤtzten 
Kunftwertes jener Epoche, und ein Beiſplel wie man 
- dem kleinen Blide, weiches natuͤrlich die Sroßheit 
des Originals nicht darſtellen kounte, durch-eine-ge- 
wiſſe Ausfuͤhrlichkeit im Einzelnen, onen eigenthän: 
Usen Werth zu geben wußte. 


Die Naturwiffenfhaft erfreute fich menden Be: 


mwinnes; Ramdor „von den Berbaunngswerkzeugen 
‚der Inſecten“ beſtaͤtigte mſere Denkweife über bie 
allmaͤhliche Steigerung organiſcher Weſen. Uebri⸗ 
gens aber wandte ſich die Aufmerkſamleit mehr ge⸗ 
gen allgemeine Naturforſchung. 

Doctor Seebed, der chromatiſchen Angelegen⸗ 
heit immerfort mit gewohnten Fleiße folgend, be⸗ 
muͤhte ſich lum den zweyten Newtoniſchen Verſuch, 
den ich in meiner Polemit nur fo viel als wötbig 
berührt hatte; er-bearheitete ihn In meiner Segen: 
wart und es ergaben fi wichtige Mefultate, wie 


jene Lehre, ſobald man anfatt ber anfaͤngtichen 


_ Srismen zu Linfen übergeht, in eine faſt unnuflds- 
liche Verfitzung verwidelt werbe. 
Zu allgemeiner Wetrachtung und Erhebung bes 
Geiſtes eigmeten ſich die Schriften des Jordenus 
Brunus von Nola, aber freilich das geblegene Geld 
and Siiber aus der Maſſe jener ſo ungleich begab- 
ten Erzgaͤuge auszuſchelden und unter den: Hammer 
zu bringen, erfordert faft ‚mehr als menſchliche 
Kräfte vermögen, und ein jeder dem ein abalicet 


| 79 ee 
eich eingebsren iſt thut beſſer, ſich unmittelbar 


an die Natur zu wenden, als ſich mit den Gangar · 


ten, vielleicht mit Solagenhalden detgangeaet 
Zehrhunderte herumzumuͤhen. 

In Carlsbad fand man ſich wieder zu hertdum⸗ | 
Shen geologiſchen Vetrachtungen gendthigt. Die 
Erwelterung bed Raumes um deu Neubrunnen, ein 
kuͤhnes vielleicht in früherer Zeit nicht denkbares 
Bornehmen, beitärkte in ben bisherigen Vorſtellun⸗ 
gen; ein merkwärbiges Geſtein ward daſelbſt gewon- 
nen, Started Walter ber Tepl und heftiges: Aufbrau⸗ 
fen ber heißen Quellen trafen zuſammen, Umfände . 
welche auf die Hppotheſe hinzubeuten fchlenen: dieſe 
gpoeße Naturwirlung ſey als ein ungeheures sr 
fches Erperiment angufehen. 

Bon Töplis aus befuchte man Doctor Stolz 
in Außig und belehrte fich an deffen trefflihen Kennt- 
niffen und Sammlungen. Zoffile Knochen in Boͤh⸗ 
men waren auch zur Sprache gefommen. : 

‚Rah. Haufe zuruͤcktekehrt verweilte man zuerſt 
in Jena, am den dortigen Muſeen im Augenblick 
einer eintretenden guͤnſtigen Epoche eine fteubige 
Aufuterkſamkeit zu widmen. Ihro Kaiſerliche Ho⸗ 
heit, bie Frau Erbprinzeß beſtimmten eine -anfohe-. 
liche Summe zu dleſem Zwecke, und Mechanicus 
Rörmer verfertigte eine Luftpumpe: für ‚bad phy⸗ 
Mealiſche Cabinet. Sonftige Inſtrumente und anu⸗ 
dere Anſchaffungen dorthin werden gleichfalls einge⸗ 
leitet, und am des Raumes mehr. zu gewinnen, 


— 





80 


die oberen Zimmer im Jenaiſchen Schloß für die . 


Aufnahme eines Theils der Muſeen eingerichtet. 


Bon Trebra verehrte merkwürdige Granitüber- 


gangsplatten als Documente früherer gesgnoftifcher 
Wanderungen aufdem Harze; fein Werl vom In⸗ 
uern ber Gebirge wird aufs Neue vorgenommen 
und dabei Ältere und jüngere Berfiellungsarten. be: 
ſprochen. 

Sogenanute Schwefelquellen in Verla an der 
Ilm, oberhalb Weimar gelegen, die Austrocknung 
des Teichs, worin ſie ſich manchmal zeigten, und 
Benutzung derſelben zum Heilbade, gab Gelegen⸗ 
heit geoguoftifhe und chemiſche Betrachtungen her⸗ 
vorzurufen. Hliebei zeigte ſich Profeſſor Döbereiner 
auf das lebhafteſte thellnehmend und einwirkend. 





1813. 
Die ernenerte Gegenwart Brizzi's hatte der 
Oper einen eigenen Schwung gegeben, auch die Auf: 
führung derfeiben Itallaͤniſch möglich gemacht. Kei⸗ 
nem Sänger iſt diefe Sprache ganz. fremd: denn er 
ang fein Talent mehrentheils in felbiger produci⸗ 
ten; fie ift überhaupt für den, dem bie Natur ein 


gluͤckliches Ohr gegönnt, Leicht zu erlernen. _Zu groͤ⸗ 


) 


| 


ßerer Bequemlichkeit und fchnellerer Wirkung werd 


ein Sprachmeifter angeftellt.: Eben fo hatte Ifflanbs 


Gegenwart alle Aufmerkfamteit unferer Schaufpielet 
: au: 


| 





8 


augerent, und fie wettelferten allzufanımt wuͤrdig 
sehen Ihm zu fiehen. Wer In bie Sache tief genug 
hinelnfah,, kounte wohl erfennen, daß die Ueberein⸗ 
ſtlinmung, die Einheit unferer Buͤhne dieſem gro⸗ 
Gen Schauſpieler volllonsmene- Leichtigkeit und Be⸗ 
quemlichkeit gab, ſich wie auf einem reinen Element 
nach Gefallen zu bewegen. Nach ſeiner Abreiſe 
wurde alles wieder ernſtlich und treulich fortgeſetzt; 
aber jedes kuͤnſtleriſche Beſtreben durch Furcht vor 
immer naͤher herandringenden Kriegsereigniſſen der⸗ 
geſtalt gelaͤhmt, daß man ſich begnuͤgen mußte mit 
"Don Vorraͤthen auszulangen. 

Poetiſcher Gewinn war dieſes Jahr nicht reich⸗ 
lUch; drey Romanzen: dee Todtenkranz, der ge: 
treue Eckhard und die wandelnde Glocke 
verdienten einige Erwaͤhnung. Der Loͤwenuſtuhl, 
eine Oper, gegruͤndet auf bie alte Ueberlleſerung, 
de ich nachher In der Ballade „„die Kinder bie hoͤ⸗ 
ren es gerne” ausgeführt, gerleth Ins Stocken und 


verharrte darin. Der Epliog zum Eſſer darf wohl - ' 


auch eswähnt werben. 

Der dritte Band meiner Blographle warb redf- 
giet und abgedruckt und erfreute ſich, ungeachtet 
an mißlicher Umftände, einer guten Wirkung. . 

Das Itallaͤniſche Tagebuch ward näher beleuchtet 
‚und zu beffien Behandlung Anftalt gemacht; ein 
Aufſatz zu Wielands Andenken in der Trauerloge 
vorgelefen und zu vertraulicher Mitrheilang dem 
Drud. aͤbergeben. 
Goethedb Werte. XXXII. Bbv. 6 





82. 


Im Felde der Literatur warb - manches Aeltere, 
Neuere und Berwandte vorgenommen und mehr 
ober weniger durch Fortſetzung ber Arbeit irgend 
einem Ziele näher gebracht, beſonders ift das Stu⸗ 
dium zu erwäßnen, das män Shafeipeate'n in Be⸗ 
zug auf feine Vorgänger widmete, ä 

Seographifhe Charten zu finnliher Darſtellung 
der über bie Welt vertheilten Spraden wurben mit 
Wilhelm von Humboldts Thellnahme bear- 
heitet, begränzt und illuminirt; eben fo warb “ 
von Alexander von Humboldt veranlaßt, die 
Berghoͤhen der alten und neuen Welt in ein verglei- 

chendes landſchaftliches Bild zu bringen. 
Hier iſt nun am Platze mit wenigem auszuſpre⸗ 
hen, wie ih das Gluͤck gleichzeitig mit den vorzuͤg⸗ 
lichſten Männern zu leben mir zu verdienen fuchte. 
Bon dem Standpuncte aus, worauf ed Gott und 
der Natur mich zu feßen bellebt und mo ich zunaͤchſt 
den Umftänden gemäß zu wirken nicht unterlieh, fab 
ih mich überall um, wo große Beſtrebungen fi 
hervorthaten und andauernd wirkten. Ich meines 
Theils war bemüht durh Studien, eigene Leiftun- 

gen, Sammlungen und Verſuche ihnen entgegen zu 
kommen und ſo, auf den Gewinn deſſen was ich nie 
ſelbſt erreicht hätte, treulich vorbereitet, es zu ver⸗ 
dienen, daß ich unbefangen ohne Rivallitaͤt oder Neid 
ganz frifh und Ichendig dasjenige mir zueignen 
durfte, was von den beiten Geiftern dem Jahrhun⸗ 
dert geboten ward, Und fo 508 fih mein Weg gar 


Ri 83 


manden fhönen Unternehmungen parallel, nahm 
feine Richtung grad auf andere zu; das Neue war 
mir deshalb niemals fremd und Ih Fam nicht in Ge⸗ 
fahr, es mit Heberrafhung aufzunehmen, oder we⸗ 
gen veralteten Vorurtheils zu verwerfen. 

Als Zeichen der Aufmerkſamkeit auf das allerbes. 
fonderfte brachte id/ Durchgeichnungen von Bildern: 
aus einer alten Handfchrift des Sachfenfplegels Ken: 
nern und Mebhabern In bie Hände, welche denn auch 
davon den Löhlichiten Gebrauch machten, ‚und die 
Symbolit eines, In Abficht auf bildende Kunft, voͤl⸗ 
Ha Eindifchen Beitalters gar finnig und überzeugend 
auslegten. 

Des Allerneneften * zu erwaͤhnen ſendete mir 
Abbate Monti, fruͤherer Verhaͤltniſſe echenn 
ſeine Ueberſetzung der Zitas. 

Als Kunſtſchaͤtze kamen mir ins Haus: Gypeab 
guß von Jupiters Koloſſal⸗Buͤſte, Heine Herme eines 
Indiſchen Bachus von rothem antiken Marmor, Gyps⸗ 
abguͤſſe von Peter Viſchers Statuen der Apoſtel am 

Grabmal des heiligen Sebaldus zu Nürnberg. Vor⸗ 
züglich bereicherten eine meiner liebwertheſten Samm- 


lungen Papftliche Mängen, doppelt erwunſcht thelle 


wegen Ausfuͤllung gewiffer Luͤcken, theils weit fie die 
- Einfihten in die. Sefhichte der Plaftit und der bil: - 
denden Kunft überhaupt vorzüglich beförderten, . 

Freund Meyer fepte feine Kunftgefchichte fort; Phi⸗ 

loſtrats Gemähibe belebten fih wieder, man ftudirte 
Heypynes Arbeiten darüber; die koloſſale Statue Do⸗ 


84: 

mitiaus, von Statius befchrieben, finbte man fich 
gleichfalls zu vergegenwärtigen, zu reſtautiren und 
an Drt wub Stelle zu ſetzen. Die Philologen Ries 
mer und Haud waren wit Gefaͤlligkeit beiräthig: 
Viscontl's Teonpgraphie grecque ward wieber auf⸗ 
genommen, und in jene alten Seiten führte mich un- 
mittelbar ein hoͤchſt willlommenes Geſchenk. Here 
Börnftett befchentte mich im Namen ber zu fo- 
bedeutenden Sweden nach Griechenland Gereiften 

mit einem sum Spaylerfiabe umgeformten Palmen 
zweig von der Akropolis; eine bebeutenbe Grkechtſche 
Silbermuͤnze vertrat die Stelle bed Knopfes. 

Damit man ja recht an folhen Betrachtungen 
feſigehalten werde, fand fich Gelegenheit die Dres de⸗ 
wer Sammlung der Originallen ſowohl «ld ber: Ab⸗ 
guͤſſe mit Muße zu betrachten. 

Indeſſen sog deun doch auch de Meiſterſchaft 
mancher Art, die den Neuern vorzüglich zu Theil 
geworden, eine gefühlte Aufmerkſamkeit an ſich. 
Bei Betrachtung Ruis daliſcher Arbeiten entſtand ein 
Heiner Aufſatz: der Laudſchaftsmahler als Dichter. 

Won Mittebendben hatte man Gelegenheit bie 
Arbeiten Kerfiings kennen gu lernen und Urſache 
fie werth zu ſchaͤtzen. 

Naturwiſſen ſchaften, befonbers Geologie, erhlel⸗ 
ten ſich gleichfalls in der Reihe; von Thpiin aus be⸗ 
ſuchte ich die Zinnwerke von Graupen, Zinnwalde 
und Altenberge; in Bilin erfreute Ich mich ber vel 
‚ tung des erfahrnen klar denkeuden Dr. Reuß; ich 


— 





“ 


gelangte unter feiner Führung bis an ben Fuß bes 
Btliner Felſens, wo anf dem Klinsfiein In Maffe 
der fäulenförmige unmittelbar anffteht; sine geringe 
Veränderung ber Bedingungen mag bie Veraͤnde⸗ 
ung dieſes Geſtaltens leicht bewirkt haben. 

Die in ber Naͤhe von Bilin ſich befindenben Gra⸗ 
naten, deren Sortiren und Behaudlung aͤberhaupt, 
ward mir gleichfalls ausführlich bekannt. 

Eben fo viel wäre von anderer Seite ein Veſuch 
son Dr. Stolz in Außig zu rügmen; auch bier er= 
ſchien das große Verdienſt eines Mannes, ber fe 
nen Kreis zunaͤchſt durchpruͤft, und bem ankommen⸗ 
den Gaſt gleich ſo viel Kenntniſſe mittheilt, als ihm 
ein laͤngerer Aufenthalt kaum haͤtte gewaͤhren koͤnnen. 
Aus dem mannichfaltigen Buͤcherſtudium ſind Hier. 
abermals Trebra's Erfahrungen vom Innern ber Ge⸗ 
birge und Charpentiers Werte zu nennen. Ei war 
meine Art auf Anſichten und Heberzeugungen mitle- 
bender Männer vorzuͤglich zu achten, befonbers wenn 
fie nicht gerade der Schnurre des Tags angemeffene 
Bewegung maden konnten. 

Das Intentionitte Schwefelbad zu Berka gab zu 
wancherlei Discuſfionen Gelegenheit; man verfucte, 
was man vorausichen keunte und Lich bewenden, 
was man wicht hätte beabfichtigen follen. 

Die entoptiihen Farbes erregten Aufmerkſam⸗ 
keit; unabhängig hievon hatte ich einen Aufſatz über 
den Doppelfpath gefchrieben. 

Und ſo bemerke ich am Schiufle, daß die Iuſtru⸗ 


86 
mente fuͤr die Jenaiſche Sternwarte beſtellt und 
Klugens Werk uͤber den animaliſchen Magnetis⸗ 
mus beachtet wurde. 

Bedeutende Perſonen wurden von mir geſehen. 
In Tharand Forſtmeiſter Cotta, in Toͤplitz Dr. Kap⸗ 
pe, Graf Bruͤhl, General Thielemann, Rittmeiſter 
von Schwanenfeld, Profeſſor Dietrich vom Gymna⸗ 
ſium zu Commotau, Großfuͤrſtinnen Katharina und 
Maria. 

Nach der Schlacht von Leipzig in Weimar geſe⸗ 
hen: Wilhelm von Humboldt; Graf Metternich; 
Staatskanzler von Hardenberg; Prinz VPaul von 
Wuͤrtemberg; Prinz Auguſt von Preußen; Kur⸗ 
prinzeß von Heſſen; Profeſfor John, SERIE; 
Hofrath Rochlitz. | 

Hier muß ich noch einer Eigenthamlichteit mel- 
ner Handlungsweiſe gedenken. Wie fich in der po⸗ 
litiſchen Welt irgend ein ungeheures Bedrohliches 
hervorthat, fo warf ich mic eigenfinnig auf das Ent: 
ferntefte. Dahin iſt denn zu rechnen, daß ich von 
meiner Ruͤckkehr and Carlsbad an mic mit ernſtlich⸗ 
fen Stublum dem Chinefifchen eich widmete, und 
dazwiſchen, eine nothgedrungene unerfreulihe Auf⸗ 
führung des Eſſex im Auge, der Schaufpfelerin Wolf 
zu Liebe und um ihre fatale Nolle zuletzt noch eini⸗ 
germaßen glänzend zu machen, den Epilog zu Eifer 
ſchrieb, gerade an dem Tage der Schlaht von 

Leipzig. | 
Zum Behnf meiner eigenen Biographie zog ich 








F 87 


aus ben Frankfurter gelehrten Zeitungen vom Jahr 
-4772 und 1773 bie Necenfionen aus, welde ganz 
‚oder zum Theil mir gehörten. lm in iene Zeiten 
mich: noch mehr zu verſetzen fiudirte ih Möfer 6 
. Mhantafien, ſodann aber auh Klingers Werte, 
die mich an die unverwuͤſtliche Thaͤtigkeit nach einem 
‚befondern eigenthämlichen Weſen gar harakteriftiich 
-erimerten. In Abficht auf allgemeineren Sinn in 
Begruͤndung Afthetifhen Urtheils hielt ich mid 


immerfort an Erneſti's Technologie Sriedl- 


ſcher und Roͤmiſcher Redekunſt, und beſplegelte mich 
darinnen ſcherz⸗ und ernſthaft, mit nicht weniger 
Beruhigung, daß ich Tugenden und Maͤngel nach ein 


paar tauſend Jahren als einen großen Beweis 


menſchlicher Beſchraͤnktheit in meinen eigenen 
Schriften unausweichlich wieder zuruͤckkehren ſah. 
Von Ereigniſſen bemerke vorlaͤufig: der Fran⸗ 
zoͤſiſche Geſandte wird in Gotha uͤberrumpelt und 
enttommt. Ein geringes Corps Preußen beſetzt 
Weimar, und will und glauben machen, wir feyen 
unter feinem Schuge fiher. Die Sreimilligen bes 
. tragen ſich umartig und nehmen nicht für fi ein. 
Ich reife ab, DBegegniffe unterwegs. In Dresden 
iuffifche Einquartierung, Nachts mit Fadeln. In⸗ 
gleichen der König von Preußen. In Löplig Ver⸗ 
traulichkelten. Borläufige Andeutungen einer all 
„gemeinen Verbindung gegen Napoleon. Schlacht 
von Lünen. Franzoſen in Dresden. Waffenftili- 
ftand. Aufenthalt in Böhmen. Luſtmandͤuvre zwi- 


— 
An 


— _ 


/ 


J 8 
eigniſſe in Dresden. Ruͤcktehr nad Weiner. Se 
jüngfte Franzoͤſiſche Garde zieht ein. General 


Travers, ben Ich als jenen Begleiter des Königs . 


von Holland kennen gelernt, wird bei mir.gu: ſei⸗ 
ner hoͤchſten Berwunderung einquartiert. Die Frau⸗ 
⸗oſen ziehen alle vorwärts, Schlacht von Seipzig. 
Die Kofaten ſchleichen heran, der Franzoͤſiſche Ge⸗ 


ſandte wird bier. genommen, die Franzoſen von 


Apolda und Umpferſtedt her andraͤngend. Die 
Stadt wird vom Eiterdberg. her überfallen, : Die 
Oeſtectelchet nruͤcken ein. 


\ 


181% 


Auf dem Theater fah man bie Schulb von 


Muͤllner. Ein ſolches Städ, man denke uͤbrigens 
davon wie man wolle, bringt der Buͤhne den gre- 
Jen Vortheil, daß jedes Mitglied ſich zuſammen 


nehmen, ſein Moͤglichſtes thun muß; um feiner 


Molle nur einigermaßen gemaͤß zu erſcheinen. 
Die Loͤſung dieſer Aufgabe bewirkte . mehrere 
treffliche Worftellungen von Romeo und Julie, 


Egmont, Wallenfteins Lager. und Tod, 


Alle Rolleuveräuderungen die in dieſen Städten vor- 


fielen, wurden benußt zu forgfältigen -Didassakten, 


um geäbte und ungeäbte Schauſpleler mit. mm: 
in Harmonie zu feben. 





.” 
> 
\ 
\ * 


Indem men: ih nun 16 eiwae Neuen, Frem⸗ 
dem und zugleich Bedeutendem umſah, glaubte man 
and den Schauſpielen Fouque's, Arnims und. 
anderer Humsriſten einigen Mostheil zichen an koͤn⸗ 
wen, und durch theatermaͤßige Bearbeitung ihrer, 
.:äfterd fahr glüdtichen uud - bie auf einen gewiflen 
Grad gäuftigen. Gegenfidude fie buͤhnengerecht au 
‚machen: eiu Unternehmen welches jedoch nicht durch⸗ 
zufuͤhren mer, fo wenig als bei den früheren Ar- 
beiten von. Ried und Brentane, 


Der Beſuch des Füriten Radzivil erregte 
gleichfalls eine ſchwer zu befriedigende Sehnſucht; 
feine gentaltfhe ung glädtich mit fortreißende Som- 
pofition zu Fauft ließ uns doch nur entfernte Hoff: 
nung fehen, das feltfame Stüd auf das Et su 
Bringen, ° 


Unfere Schauſpielergeſellſchaft folite wie bioher 
wach dießmal der Gunſt genteßen in Halle den Som⸗ 
:mer durch Worſtellungen zu geben. Der wadere 

Reil, dem die dortige Buͤhne ihre Entſternung ver⸗ 
dankte, war geſtorben; man: wuͤnſchte ein Vorfpiel, 
das zugleich als Tadtenfeier für den trefflichen Mann 
gelten Hönnte;-ich entwarf es beim Fruͤhlingsaufent⸗ 
halte zu Berka an der Ilm. Mid ich aber, durch 
Sffland unerwartet aufgefordert, bad Erwadhen 
bes Gpimenides. unternahm, fo wurde jenes 
durch . Riemer mach: Werabredung : ausgearbeitet. 
Capellmeiſter Weber beſuchte mich wegen ber 


z . 


M 09 


Compoſition des Epimenides über die wir und ver: 
glichen. 

Das Monodram Profſerpina, wurde, nach 
Eberweins Compoſition, mit Mabame Wolf einge⸗ 
lernt, und eine kurze, aber hoͤchſt bedeutende SBor- 
ſtellung vorbereitet, in welcher Recitation, Decla⸗ 
mation, Mimitk und edelbewegte plaſtiſche Dar⸗ 
Itellung wetteiferten, und zuletzt ein großes Tablean, 


Pluto's Reich vorſtellend und das. Ganze kroͤnend, 


einen ſehr guͤnſtigen Eindruck hinterlleß. 


Das Gaſtmahl der Weiſen, ein dramatiſch 
Iprifcher Scherz, worte bie verfchiebenen Philoſophen 
jene zudringlichen metaphpfifchen Stagen, womit 
das Volk fie oft beläftigt, auf heitere Weiſe beant- 
worten, oder vielmehr ablehnen, war, wohl nicht 
fürs Theater, doch für geſellſchaftliche Muſik be- 
ftimmt, mußte aber, wegen Anzüglichfeit, unter 
die Paraltpomena gelegt werben. 

Muflfalifhe Aufmunterung buch Zelters Ge⸗ 
genwart und buch Inſpector Schus end Vortrag 
der Bachiſchen Sonaten. 

Die Feierlichkeiten zur Ankunft des Herzogs 
aus dem glädtichen Feldzug erregten Worbereitungen 
zu architektonifher Zterbe ber Strafen. Nebaction 
einer Gedichtſammlung nachher unter dem Titel: 


Willkommen herausgegeben. 


Indeſſen war bie neue Ausgabe meiner Werte 
vorbereitet; der biographiſhe dritte Wand gelangte 
zu Iubllate ins Publicum. "Die Itallaͤniſche Reiſe 





91 


rüdte vor, ber weſtoͤſtliche Divan ward ge- 
gründet; die Meife nach den Rhein⸗, Main: und 
Neckargegenden gewährte eine große Ausbeute und- 
reihlihen Stoff an Perſoͤnlichleiten, Localitaͤten, 
Kunſtwerken und Kunſtreſten. 

In Heidelberg bei Boiſſerée's, Studium der 
Niederlaͤndiſchen Schule In Gefolg Ihrer Sammlung. 
Studium des Koͤlner Doms und anderer alten Bau⸗ 
lichkeiten nah Riſſen und Planen. Letzteres fort⸗ 
geſetzt in Darmſtadt bei Moller. Alte Ober: 
deutſche Schule in Frankfurt bei Schuͤtz. Von die⸗ 
fer Ausbeute und reichlichem Stoff an Menfchen- 
Tenntnfg, Gegenden, Kunftwerken und Kunftreften 

mitgetheilt in der Zeitfhrift Rheln und Malin. 

Naturwiffenfhaft wurde fehr gefördert durch ge⸗ 

fällige Mittheilung des Bergrath Cramer zw. 
Wiesbaden an Mineralien und Notizen des DBerg- 
wefens auf dem Wefterwalde. Das Darmftäbter 
Mufeum, bie Frankfurter Mufeen, Aufenthalt bei 
Geheimerath von Leonharb In Hanau Nach 
meiner Ruͤcktunft Sorge für Jena. 

"Bon öffentlichen Ereigniſſen bemerke ich die Ein⸗ 

nahme von Paris, und daß ich ber erſten Feier bes 
achtzehnten Octobers In Frankfurt beimohnte, _ 





) 


1815 


Schon im vorigen Jahre waren mir bie ſaͤmmt⸗ 
lihen Gedichte. Hafis In ber von Hammerfchen 


"Ueberfegung zugelommen, und wenn ich früher ben 


bier und da In Zeitſchriften überfegt mitgetheilten 
einzelnen Stuͤcken dieſes herrlichen Poeten nichts 
abgewinnen kounte, fo mirkten ſie doch jetzt zuſam⸗ 
men deſto lebhafter auf mich ein, und ich mußte 
mic dagegen productiv verhalten, weil ich ſonſt vor 
der mächtigen Erſcheinung nicht haͤtte beſtehen können. 
Die Einwirkung war zu lebhaft, die Deutſche Ueber⸗ 
ſetzung lag vor, und ich mußte alſo hier Veranlaſ⸗ 
fung finden zu eigener Theilnahme, Alles was den 


. Stoff und dem Sinne nach bei mir Aehnliches ver- 
wahrt und gebegt worben, that ſich hervor, und 
dieß mit um fo mehr Heftigleit als ich hoͤchſt noͤthig 


fühlte mich aus der wirklihen Welt, bie ſich ſelbſt 
offenbar und im Stillen bedrohte, In eine ideelle zu 
guͤchten, an welcher vergnüglichen Theil zu nehmen 
meiner Luft, Fähigkeit und Willen überlafen war. 


- Nicht gamı fremd mit ben Elgenthuͤmlichkeiten 
des Oſtens wandt' ih wid zur Sprache, inſofern 
\e8 unertäßti war jene Luft zu athmen, ſogar zur 
Schrift mit ihren, Eigenheiten und Verzierungen. 
Ich rief die Moallafatd hervor, deren ich einige 
gleich nach ihrer Erfheinung überfeßt hatte, Den 


Beduinen⸗Zuſtand bracht' ich mir vor die Einbildungs⸗ 


Kraft; Mahomets Leben von Delsner, mit dem 


95: 


ich mich ſchon laͤngſt befreundet hatte, förberte mid 
aufs neue, Das-Derhättutb zu v. Diez befefligte 
ſich; das Buch Cabus eröffnete mir den Schau: 
platz jener Sitten in einer hoͤchſt bedeutenden Zeit 
ber unſrizen gleich, wo ein Fuͤrſt gar wohl Urſache 

hatte feinen Sohn in einem weitiäufigen Werke zu 
belehren, wie er allenfalls bei trautigftem Schick⸗ 
fale ſich doch noch In einem Geſchaͤft und Gewerbe 
durch die Welt bringen könne: Metſchnun und 


Leite, als Muſter einer grängenlofen Liebe, war _ 


- wieder dem Gefühl und bes Einbildungsfraft, zus 
geeiguet; bie reine Religion der Parfen aus dem 
fpäteren Verfall hervorgehoben und zu Ihrer ſchoͤ⸗ 
nen Einfalt zuruͤckgefuͤhrt; die Längft ſtudtrten Rei⸗ 


ſenden, Andrea bella Valle, Tavernier, Char⸗ 


din abſichtlich durchgeleſen, und fo haͤufte ſich der 
Stoff, bereicherte ſich der Gehalt, daß ih nur 
ohne Bebenfen zulangen konnte, um das augen⸗ 


blicktlich Bedurfte · ſogleich zu ergreifen und anzuwen⸗ 


den. Diez war die Gefältigkeit ſelbſt, meine 
wunderlichen Sragen zu beantworten; Lorsbach 


hoͤchſt theilnehmend und hiufreich; auch blieb ich 


durch ihn nicht ohne Veruͤhrung mit Splveſtre 
de Sacy; und obgleich dieſe Maͤnner kaum ahnen 


noch weniger begreifen konnten was ich eigentlich 


wolle, ſo trug doch ein jeder dazu bei mich aufs 
elliſte in einem Felbe aufzuklaͤren In dem ich mich 


manchmal geuͤbt, aber: niemals ernſtlich umgeſehen 


hatte. Und wie mir bie von Hammerſche Ueber⸗ 


il 


94 


ſetzung täglich zur Hand war, umd mir zum Buch 


ber Bücher wurde, fo verfehlte Ich nicht aus feinen 
Zundgruben mir manches Kleinod zuzuelgnen. 
Indeſſen ſchien der politifhe Himmel ſich nach 


“+ and nach aufzuklaͤren, der Wunſch In bie freie Weit, 


beſonders aber ins freie Geburtsland, zu dem id 
- wieder Luft und Antheil faſſen konnte, drängte mic 
zu einer Reife. Heitere Luft.und rafche Bewegung 
gaben fogleich mehreren Probuctionen im neuen oͤſt⸗ 
lichen Sinne Raum. Ein heilfamer Badeaufenthalt, 
ländliche Wohnung in bekannter von Tugend auf be- 
tretener Gegend, Theilnahme geiftreicher, lieben⸗ 
‚der Sreunde, gedieh zur Belebung und Steigerntg 
eines gluͤclichen Zuftandes, der fich einem jedem 
Neinfühlenden aus dem Divan barbieten muß. 

Gegen Ende diefer Wallfahrt fand ich meine 
Sanfmlung fo bereichert, daß ich fie ſchon nach ge: 
wiffer Werwandtfchaft fondern, in Bücher einthei⸗ 
fen, die Verhaͤltniſſe der verfchtedenen Zweige er⸗ 
meffen, und das Ganze, wo nicht der Vollendung, 
doch dem Abſchluß näher bringen konnte. Und fo 
hatt’ ich In diefer Zerſtreuung mehr gewonnen und 
gefunden, als mic eine gleiche Zeit In den ruhvoll⸗ 
fien Tagen hätte gewähren können. 

Kor meiner Abreife. waren vier Bände der neuen 
Auflage meiner Werke fortgefenbet; ich fing an bie 
Steiltanifche Neife zu rebigiren, doch riß das orten- 
tatifhe Intereffe meln ganzes Vermögen mit fih 
fort ;. gluͤclich genug! denn wäre — Trieb aufge⸗ 


— 





95 

m, abgelenkt werben, ich hätte ben Weg zu 
m Paradieſe nie wieder zu finden gewußt. 
Wenig Fremdes berährte mich; doch nahm. ich 
en Antheil,an Griechifchen Liedern neuerer Zeit, 
In Original und Neberfegung mitgetheilt wur= 
‚ und die ich bald gedrudt zu fehen wuͤnſchte. 
Herren von Natzmer und Harthaufen 
en dieſe ſchoͤne Arbeit übernommen. 
In literariſcher Hinfiht förberten mih nicht 
ig Göttinger. Anzeigen, deren ich viele Bände 
ber Wiesbadner Bibliothek anfraf, und fie, dee 
nung nah, mit gemüthliher -Aufmerkfamteit 
blad. Hier ward man erft gewahr, was man. 
bt und bdurchlebt hatte, und was ein ſolches 
k bedeute, das mit Umfiht aus dem Tage ent⸗ 
ngen in die Zeiten fortwirkt. Es iſt höchft an= 
hm in diefem Sinne das laͤngſt Gefchehene zu 
achten. Man fieht dag Wirfende und Gewirfte 
ı im Sufammenhange,“aller mindere Werth iſt 
ı zerftoben,- der falfche Antheil des AugenblidE 
erfhwunden, die Stimme der Menge verhallt, 
das uͤberbliebene Wuͤrdige iſt nicht genug zu 
zen. 
Zunaͤchſt waͤre ſodann ber aͤlteren Deutfchen Bau= 
t zu gebenten, berem Begriff fih mir Immer 
e und mehr erweiterte und reinigte. 

Eine Fahrt nah Köln In der ehrenden Gefel- 
t bes Herrn Staatsminiſters von Stein, druͤckte 
mf das Siegel, Ih ſah mit vorbereiteten 


R 96. 


Erftaımen das ſchmerzenvolle Deutmal Ger Unrollea⸗ 
Dung , nnd konnte doch mit Augen Das Maß faſſen, 
von dem was 06. hätte werden follen, ob es gleich 
dem angeftrengteften Sinne noch immer umbegreif: 
Uch ablieb. Auch von alterthuͤmlicher Miahterey: fanb 
ſich in Profeffor Wallraffs Summinng und an⸗ 
derer Privaten gar viel zu ſchauen, gar mancher 
Werth zu erkennen, und-der Aufentbalt, fo kurz ex 
geweſen, Heß doch unvergängkihe Wirkungen zuruͤck. 
- Diefe wurden gehegt und erhöht durch die geſellige 
Näbe von Suipis Boiſſerée, mit bem ich von 
Wlesbaden über Mainz, Frankfurt, Barmftadt - refs 
fend faft nur folhe Gefprähe führte In Heidel⸗ 
berg angelangt, fand ich die: gaſtfreundlichſte Auf⸗ 
nahme, nnd hatte die fchönfte- Gelegenheit bie um: 
ſchaͤtzbare Sammlung mehrere Tage zu betrachten, 
mich von ihrer charakteriſtiſchen Vortrefflichkeit tm 
Einzeinen zw überzeugen, und in chen dem Maße 
hiſtoriſch wie artiftifch zus beiehren. Aufgezeichnet 
ward manches Bemerfte, dem Gedaͤchtniß zu Hulfe 
und kuͤnftigem Gebrauche sum Beſten. 
Hinſichtlich auf Baukruſt, im Bezug auf meine 
Kölner Fahrt, warb gar manches, im Gegenwart 
von Grund und Aufrkſſen aͤlterer Deutfcher, Nieder⸗ 
laͤndiſcher und: Franzöffidier Gebäude, beſprochen 
und verhandelt, wodurh man dena ſich nach unb 
nach faͤhig fühlte aus einer großen, oft wunber- 
fihen und verwirrenden Maſſe das Meine und 
ea wohin der menſchliche Seift unter jeber 
Form 


x 





B '97 

em ſtrebt, beransjufinden und fich zuzueignen. 
e zwey Mollerfchen erſten Hefte, In dem Au⸗ 
blick erſcheinend, gewährten hierbei erwänfdte 
fe. Das Technifche anlangend, gab ein altes 
rucktes Exemplar „der Steinmeben Bruͤder⸗ 
aft“ von der hohen Bedeutſamkeit dieſer Gilde 
merkwuͤrdiges Zeugniß. Wie Handwerk und 
ft hier zuſammen traf, ließ ſich recht gut ein- 
en. 


So wurd' ich denn auch auf dieſer Reiſe ge⸗ 

hr, wie viel ich bisher, durch das unſelige 
iegs⸗ und Knechtſchaftsweſen auf einen kleinen 
ſeil des Vaterlandes eingeſchraͤnkt, leider ver⸗ 

ßt und fuͤr eine fortſchreitende Bildung verloren 

tte. In Frankfurt konnte ich die Staͤdeliſchen 

haͤtze abermals bewundern, auch ber patriotiſchen 

ſichten bed Sammlers mid erfreuen; nur uͤber⸗ 

( mich die Ungebuld fo viel Kräfte ungenutzt zu 

en: denn meinem Sinne nah hätte man bei 

{ geringerem Vermoͤgen bie Auſtalt gründen, 

richten und die Künftler ins Leben führen Eöns 

n. Dann .bätte bie Kunft Thon feit Sahren 

öne Früchte getragen, und dasjenige hinreichend 

ſetzt, was dem Eapital an Intereſſen Bat 
segangen wäre. 


Die Brentano'ſche Sammlung an Gemaͤhl⸗ 
n.und Kupferſtichen und anderen Kunſtwerken gab 
ppelten Genuß, bei dem lebhaften Antheil der 
Goetheb Werke. XXXII. Bd. 7 


98 


Beſitzer und ihrer freundlichen Anffotberung ſo vlel 
Gutes mit zu genleßen. 

Dr. Grambs, der ſeine Kunſtſchaͤze den Stä- 
beitfchen anzuſchließen bedacht wer, ließz mehrmals 
feine treffiichen Beſitzungen theilwelſe beſchanen; 
wobei denn gar manche Betrachtung einer gruͤub⸗ 
liheren Keuntniß den Weg bahute. Hofrath Be: 
der in Offenbach zeigte bedeutende Gemaͤhlde, 
Münzen und Gemmen vor, nicht abgeneigt dem 
Liebhaber eins und das andere Wuͤnſcheuswerthe zu 
überlaflen. 

Auf Naturgeſchichte bezüglich ſahen wir bie 
Sammlung von Bögeln bei Hofrath Meyer, nicht 
oßne neue Bolehrung über diefen herrlichen Zweig. 
der Naturkunde. nes: 

Das Senkenberguͤſche Stift: ia. Frankfurt 
fand man in deu beften Händen; bie Chätigleit des 
Augenblicks ließ vorausſehen, daß eine neue. Epoche 
dieſer ſchoͤnen Anſtalt unmittelbar zu erwarten fey. 

In Carloruhe ward ung, durch Geneigtheit des 
Herrn Gmelin, eine zwar fluͤchtige aber hinrel- 
chende Ueberſicht des hoͤchſt bedeutenden Cabinets; 
wie wir denn uͤberhaupt die kurze dort vergoͤnnte 
Zeit eben ſo nuͤtzlich als vergnuͤglich anwendeten. 

Bei fo manchen Hin⸗ und Wiederfahrten konnte 
die Geognoſie auch nicht leer ausgehen. Von Hoͤ⸗ 
vels. Gebitge der Sraffchaft Mark wurden, befon- 
ders mit Beihuͤlfe dortiger Beamten, auch in der 
Serne beiehrend. In Holzapfel, bei Gelegenhelt 


99 


des bortigen hoͤchſt ˖· merkwuͤrdigen Ganges, kam 
Werners Gang⸗Theorie (von 1791) zur Sprache, 
ingleſchen des dort angeſtellten Schmidt Werſchie⸗ 
bung der Gänge (von 1810). Dieſe wichtige, von 
mir ſo oft betrachtete und immer gehrimmißvollblei⸗ 
bende Erſcheinung · trat mie: abermals vor bie Seele, 
und ich hatte dad Oi Im: Lahnthal einer anfgeho:- 
denen Abtey ungefaͤhr gegenfiber, auf ehter verlaſ⸗ 
fenen Hatbe Thenſchieferplatten mit kreuzwelskau⸗ 
fenden ſich mehr oder wenkger verfchkebenden Quarz⸗ 
gaͤngen zu finden, wo des Grundphaͤnomen mit Au⸗ 
gen geſehen, wenn auch nicht begriffen noch — 
ausgeſprochen werben kann. 

Beſonderes Oki ereignete fh mir auch zu 
Bibrich, indem des Herrn Erzherzogs Earl 
K. H. die Gnade hatte, nach einem intereffamter 
Geſptaͤch, mir die Beſchreibung Ihrer Feldzuͤge mit 
den hoͤchſt genau und ſauber geſtochenen Charten zu 
verehren. Auf dieſen uͤberans ſchaͤdbaren Blaͤttern 
fand ſich gerade die umgebung ber Lahn von Wetz⸗ 
lar bis Neuwied, und, ich muchte die Bemerkung, 
daß eine gate Milltaͤrcharte zu: geognoſtiſchen Zwe⸗ 
den bie allerdiemichſte ſey. Denn weder Soldat 
noch Geognoft fragt, wem Fluß, Land’ und Gebirg 
„gehöre, fondern jener: inwiefern es ihm zu feinen 
Operationen vortheilhaft, und diefer: wie es für 
feine Erfahrungen ergaͤnzend und nochmals belegend 
ſepn moͤchte. Eine Fahrt in verfchtedene Gegenden 
‚zu beiden Selten der Lahn, mit Bergrath Cramer 





100° 


begonnen und mit ihm größtentheils durchgefuͤhrt, 
gab manche fhöne Kenntniß und Elnſicht; auch ver- 
diente fie wohl unter die Heinen geognoftifchen Rei⸗ 
fen aufgenommen zu werden. 

Auch meiner Mädreife werde Ich mid immer 
mit vorzüglihem Antheil erinnern. Non Helbel- 
berg auf Würzburg legte ich fie mit Sulpitz Boiſ⸗ 
ferde zuruͤk. Da uns ‚beiden der Abſchied wehe 
- that, fo war es beſſer auf frembem Grund und Bo- . 
den zu fcheiben, als auf dem heimifchen, Ich reiste 
fodann Aber Meiningen, ben Thüringeswald, auf 

- Gotha, und kam den 11 October In Welmar an, 
nachdem Ich viele Wochen mich auswärts umgeſehen. 

Zu Haufe erwaͤhn ich zuerſt den Beſuch bed Dr. 
Stolz, des wackern Arztes aus Toͤplitz, wobel mie 
neralogiſche und geognoſtiſche Unterhaltung, die 
uns früher in Böhmen belehrt und ergögt, mit Lei: 
benfchaft. erneuert wurde. Bei: bem nächfien 
Aufenthalte. in Jena leitete mich Profeſſor Döbe- 
reiner zuerft in die Geheimniſſe ber Stoͤchlometrie; 
. auch machte er zu gleicher Seit wiederholte Verſuche 
mit dem Weißfeuer, welches von bem Landgrafen 
herunter das Jenaiſche Thal erhellend einen magiſch 
überrafchenden Anblick gewährte. 

In der Farbenichte warb fortichreitend einiges 
gethan; die entoptifchen Farben bleiben beftändiges 
Augenmerk Daß ih In Frankfurt Dr. Seebeck 
begegnet war, gerieth zu großem Gewinn, Indem 
er, außer allgemeiner, Ind Ganze greifender Unter: 








= — 104 — — 


haltung, beſonders die Lehre des Doppelſpaths, die 
er wohl durchdrungen hatte, und das Verhaͤltniß 
der Achſen ſolcher doppelt refrangirender Koͤrper 
Naturfreunden vor Augen zu bringen wußte. Die 
Tonlehre warb weiter mit ber Farbenlehre vergli⸗ 
chen; Profeſſor Voigt verfolgte ſeine Bemerkun⸗ 
gen bezuͤglich auf Farben organiſcher Koͤrper, und 
uͤber meiner ganzen naturhiſtoriſchen Beſchaͤftigung 
ſchwebte die Howardiſche Wolkenlehre. — 
Nach ſo viel Natuͤrlichem iſt's doch wohl auch 
billig zur Kunſt zuruͤckzukehren! Auf dem Weimari⸗ 
ſchen Theater beſchaͤftigte man ſich immerfort mit 
Calderon; die große Zenobka ward aufgefuͤhrt. 
Die drey erſten Acte gerlethen trefflich, die zwey 
letzteren, auf natlonalsconventlonelled und tempo⸗ 
raͤres Intereſſe gegruͤndet, wußte niemand weder 
zu genießen noch zu beurtheilen, und nach dieſem 
letzten Verſuche verklang gewiſſermaßen der Beifall, 
der den erſten Stuͤcken ſo reichlich geworden war. 
‚Das Monodram Proſerpina warb bei ung 
mit Ebermweins Compoſition gluͤcklich dargeſtellt; 
Epimenides ‚ für Berlin gearbeitet; zu Schil⸗ 
lers und Ifflands Andenken gemeinſchaftlich mit 
Peucer ein kleines Stuͤck gefchrieben. In dieſer 
Epoche durfte man wohl fagen, daß ſich das Wei: 
marifhe Theater, In Abficht auf reine Mecitation, 
träftige Declamation, natürliches zugleich und Eunft- 
reiches Darftellen auf einen bedeutenden Gipfel des 
inneren Werths erhoben hatte, Auch das Aeußere 


4 





- 10% 


mußte ſich nach und yadı ſteigern; fo bie Garderobe 
durch Nacheiferung, zuerſt der Frauenzimmer, hier⸗ 
auf der Männer. Ganz zur rechten Zeit gewannen 
wir an dem Decorsteur Beuther einen vortreff⸗ 
Uchon, In ber Schule von Fuentes gebildeten 
Kuͤnſtler, det buch perſpectiviſche Mittel unfere 
Heinen Raͤume ind Gränzenlofe .zu-ermeitern, durch 
charakteriſtiſche Architeltur zu vermannichfaltigen, 
- und durch Geſchmack und Zierlichkeit hoͤchſt ange⸗ 
nehm zu machen wußte. Jede Art von Styl unter- 
warf er feiner perfpectivifchen Fertigkeit, ſtuditte 
auf der Welmarifchen Bibliothek bie Aegyptiſche fe 
wie bie Altdeutſche Bauart, und gab den fie for: 
dernden Städen dadurch neues Anſehn und eigen⸗ 
thuͤmlichen Glanz. 

Und fo, kann man ſagen, das Weimariſche Theater 
war auf feinen hoͤchſten ihm erreichbaren Puuct zu 
Diefer Epoche gelangt, ber man eine -euwünfckte 
Dauer auch für bie nähe und falgende Zeit wer: 
fprechen durfte. 

Don ber eingeihräntten Breterbuͤhne auf ben 
großen Weltſchauplatz hinaus zu treten, moͤge nun 
auch vessönnt ſeyn. Mapoleons Wiederkehr er: 
fhredte die Welt, hundert ſchicklalſchwangere Tage 
mußten wir Durchleben , :bie kaum entfernten Trup⸗ 
pen kehrten zuräd, in Wiesbaden fand ich die Preu⸗ 
Hifche Garde; Freiwillige waren ‚aufgerufen, und 
bie friedlich boſchaͤftigton, kaum zu Athem gelomme⸗ 
nen Buͤrger fuͤgten ſich wie der einem Zuſtande, dem 





403 


ihre phyßſchen Keaͤfte nicht zewachſen und ihre fitt- 
lichen naht einſtimmig waren; bie Schlacht von 
Waterloo, in Wiesbaden zu großem Schreien als 
verloren ‚gemeldet, fodann zu überrwfchender, is 
betaͤubender Frrude, als gewonnen - angekündigt. 
In Furcht vor fchneller Ansbreisung der Frauzöfl- 
ſchen Truppen, wie vormals über Provinzen und 
Laͤnder, machten Babesäfte ſchon Anftalten zum 
Einyaden, und fonnten fih vom Schrecken erholend 
die nunuͤtze Vorſicht leineswegs bedauern. 

- Bon Perſonen babe noch mit Ehrfarcht und 
Danlbbarkeit zu nennen: Erzherzog Carl in Bibrich, 
Großfuͤrſtin Catharina in Wiesbaden, Herzog und 
Hergzogin von Cumberland bei Fraukfurt, deu Erb⸗ 
großherzog von Mecklenburg ebendaſelbſt; in Carls⸗ 
zuhe.die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner 
and Hebel; nach Haufe gelangt, Ihro ber regie- 
- ‚wenden Kaiſerin von Rußland Waieftät fämmtliche 
Umgebung; Graf Barclay de Tollp. 





"Das mannichfaltig Bebeutende, das ich vor 
einen: Jahr im eigentiichen Mutterlaude geſehen, 
erlebt und gebacht hatte, mußte ſich aufirgenb eine 
Welfe wiederſplegeln. Ehr Heft „Kunſt und Alter⸗ 
um am Rhein und Mayn“ werd unternommen, 
nud bau am Ende vorigen Jahrs mehr als eine 


408 — 


Vorarbeit durchgefuͤhrt; die aͤlteren Nieberlaͤnder, 
van Eyck und was ſich von ihm herſchrieb, gruͤnd⸗ 
„lich erwogen; das fruͤhere problematiſche Bild Vero⸗ 
nica zu kuͤnftigem Gebrauch verkleinert und geſto—⸗ 
chen. Büfhings woͤchentliche Nachrichten arbei⸗ 
teten zu gleichem Zweck, und in dieſem Sinne 
wandte ſich bie Pietaͤt der Weimariſchen KRunft- 
freunde gegen alte Heiligenbilder, die wir von Heils⸗ 
berg am Thuͤringerwald kommen und unter unſern 
Augen repariren ließen. Weil aber immer in 
neuerer Zeit. Eins Ins Andere wirkt, ia ſogar Ge: 
genfeitiged durch Gegenſeitiges, fo-war auch ein 
Heldenbild, ale Gleichniß von Bluͤchers Perſoͤn⸗ 
lichkeit, in Gefolg feiner großen Thaten zur Sprache 
gekommen. 
Wenn der Held mit Gefahr ſeines Lebens md 





Ruhms die Schiefale der Welt. aufs Spiel ſezt, 


und der Erfolg ihm glädficherweife zuſagt, fo flaumt 
der Patriot und nimmt gern den Künftler zu Huͤlfe, 
um für fein Bewindern, fein Verehren irgend eine 
Sprache zu finden. 
In hergebrachter Denkweiſe der Vorzeit, he⸗ 
roiſche Geſtalt mit angenaͤhertem Coſtum der Neu⸗ 
welt heranzubringen, war nach vorgaͤngigem Schrift⸗ 
wechſel mit Herrn Director Schadow zuletzt die 
Aufgabe und Uebereinkunft. Wegen Beſchaͤdigung 
des erſten Modells brachte der Kuͤnſtler ein zweytes, 
woruͤber man, nach lehrreichen Geſpraͤchen, zufeßt 
bis auf Veraͤnderungen, welche das Vollenden immer 


N 








105 j 


herbeifuͤhrt, fich tremlich vereinigte, . Und fo fleht 
dieſes Bild, wie auf dem Scheidepunct Alterer und 
neuerer Zeit, auf ber Graͤnze einer gewiſſen conven⸗ 
tionellen Sdealität, weldhe an Erinnerung und Ein⸗ 
bildungskraft ihre Forderungen richtet, und einer 
unbedingten Natürlichkeit, weiche, die Kunſt, felbft 
wider Willen, an eine oft beſchwerliche Wahrhaf⸗ 
tigkeit bindet. 

Von Berlin erfreuten mic transparente Ge⸗ 
mählde nach meinem Hans Sachs. Denn wie mic 
früher Nachbildung der dlteren trenlich ernften cha⸗ 
gatteriftifhen Dichtkunſt lange Zeit erzoͤtzt hatte, 
fo war mir es angenehm fie wieder als vermittlend 
‚gegen neuere Künftler auftreten zu fehen. Zeichnun⸗ 
. gen zum Fauſt von Cornelius und Netfch wirt 

ten in ihrer Art das Aehnliche: denn ob man glei 
eine vergangene Vorftellungsweife weder zuruͤckru⸗ 
fen kann noch ſoll, fo ift es doch loͤblich fich hiſtoriſch 
praktiſch an ihr zu üben und durch neuere Kunſt das 
Andenken einer Afteren aufzufrifhen, damit man, 
ihre DVerbienfte erfennend, ſich alddann um fo lieber 
zu freieren Regionen erhebe. 

In geſellſchaftlichen Kreifen hatte die euft zu 
Bilderfcenen immer zugenommen, und ward von 
mir, wenn auch nicht unmittelbar gefördert, doch 
gelegentlich mit einigen Strophen begleltet. 

Im Nachklang der Rheiniſchen Eindrüde warb 
von dem Weimariſchen Kunſtfreunden das Bild des 

heiligen Rochus, wie er als voͤllig ausgebeutelt vom 


106 


feinem Palaſt bie Pilgerſchaft antritt, erfunden sub 
Jtizzirt, hierauf ſorgfaͤltig sartonirt, und zuletzt von 
zarter Frauerzaͤmmerhand gomahlt, in ber freund⸗ 
Urhen RochasrCapelle gänftig aufgenommen. En 


geftochener verkleinerter Umriß iſt in dem zweyten 


Rhein⸗ und Mapnubeft wie billig vorgebunden. 


Von Offenbach erhlelt ic ſchoͤne brorzene Did 


zen, bie mich in den Anfang des ſechszebuten Jahr⸗ 
hunderts wieder zurktführten.-.. Graf Cicoguara's 
Sioria della Scultura Fam eben gu, rechter Zeit 
dieſen ſchoͤnen Studien zu Hülfe. In höhere Megie⸗ 
um führte uns der Olympiſche Jupiter von Quatre⸗ 
mere de Quincy; hier gab es viel gu lemen.umb 
‚zu deuten, Die Antımit;der Elziniſchen Marmore 
erragte großes Verlangen unter allen Kuuſtlieb⸗ 
babern; indeſſen blieb auch Burtin Connaissance 
des Tableaux, das und Einſicht In ein. anderes be⸗ 
dentenbed Gelb gewährte, wicht unbeachtet. 

Die Neftauration: ber Dresdner Gemaͤhlde kam 
in Anregung. Welch eine große Auſtalt hiegu er: 
forderikh; fey, einigermaßen barguftellen, erzählte 








ich von der Reſtaurations⸗Akademie in Venedig, Die 


aus einem Director amd zwölf Profeſſoren beftand, 
und große Räume einos Kloſters zu Ihren Arbeiten 


bezogen hatte. Eine ſolche Wiederherſtellung und 


Rettung iſt wichtiger als. man denkt, fie Tann nicht 
ms dem Stegreif unternommen werben. 

+ Die Weimarifche Zeichenfchule Hatte fich in eine 
sroße Veränderung zu fügen. Da das alte Local za 


. i 4 > 
E 407 

aAndern Zwecken beftimmt, und kein gleich großes. 
für fie zu finden. war, fo muchen bie Elaffen ge⸗ 
£heilt, für die erfte ein Gebaͤude auf der Esplanade 
erkauft, bie beiden andern aber var dem Frauen⸗ 

chor im fogenannten Jägerhaus eingerichtet. Auch 

. Diefe Beräuberung wie die vorhergehenden verdiente - 
wohl eine befondere Schilderung, indem ſie nicht 
oqhne gute Folgen für bie Anſtalt felbit bielben 
ſollte. 

Glelchzeltig ward ein vorzuglicher Bildhauer Na-⸗ 

mens Kaufmann von Nom berufen, der auch 

dDilieſe Kunſt wieder neu zum Leben brachte. 

2 Sol id meiner eigenen Arbeiten gedenken, fo 
Hab’ ich wohl zuerſt ded Dinans zu erwähnen. | 
Er ward immer mehr fupplitt, geordnet und. einf- 
a⸗s bavan zum Damenlalender beftimmt. Für den 
hiſtoriſchen und erHlärenden Thell fammelte ich 
Immer mehr Vorarbeit. Bon Dieb Denkiwärdig- 
Zeiten, deſſen GStreitigkeit mit Hammer, deg letze 
teren orientaliſche Fundgruben, ſtudirte ich mit 
Aunfmerkfamtelt, und uͤberall ſchoͤpfte Ich frifche oͤſt⸗ 

- Sie Luft. Krox Zeilon kam zu rechter Seit mir In 
bie Hände; beſonders werth jedoch erfhlen mir 
Se yde.perfifche Religion; und wie denn, fobald ein 
bedeutender Stoff mir vor die. Seele trat, Ich den⸗ 
felben unwillkuͤrlich zu geftalten aufgefordert wurde, 
fo entwarf ich eine. Drientaltfhe Oper, und fing au 
fie zu bearbeiten. Sie wäre auch fertig geworben, 
da fie wirklich eine Zeitlang In mir lebte, hätte ich 


- 


" 


408 


"einen Muſiker zur Exite und ein großes Publienum 
vor mie gehabt, um genoͤthigt zu feyn den Faͤhlig⸗ 


Zeiten und Zertiglelten des einen, fo wie dem Ge⸗ 
(mad und den Fordbermigen des andern entgegen 
zu arbeiten. 

Wunderliche Menfchen wie ed giebt, verlang⸗ 
ten, verführt dutch die Schillerſche Ausgabe in 
chronologiſcher Folge, das Gleiche von mir, umd 
haͤtten beinahe ben fchon eingeleiteten Abdruck In 
Verwirrung gebracht. Meine Gründe, dieſes ab- 
zulehnen, wurden indeß gebilligt, und das Geſchaͤſt 
ging unbehelligt feinen Gang. Der neunte und 
zehnte Band warb revibirt ; die Itallaͤniſche Reife, 
befonders nach Neapel und Sicillen, geftaltete ſich 
immer mehr, und wie eine Arbeit die andere jeder: 
zeit hervorruft, konnt' ich nicht unterlaffen an dem 
vierten, fo lange verzögerten und erwarteten Bande 
von Wahrheit und Dichtung wieder einige Haupt: 
momente zu verzeichnen. Das Rhein⸗ und Mayn⸗ 
beft zweytes Städ ward. gefördert, Reinecke Fuchs 
durchgefehen, und das Rochnsfeſt gefchrieben. | 

Die zweyte Lleferung meiner Werte kommt an, 
die Paralipomena werben neuerdings beachtet, ein 
Lied für das Berliner Kınftlerfeft gefchrieben , wes 
gegen eine beabfichtigte große Santate zum Luther: 
feit, wegen Mangel an Zelt und Aufmunterung, 
bald- nad der Gonception, aufgeſtelltem Schema 
und geringer Bearbeitung liegen biteb, und für die 
Ausbildung verloren ging, 





109 


Mein Antheil an fremden Werken bezog ſich leb⸗ 
haft auf Byrons Gedichte, ber immer wichtiger 
‚bervortrat, und mich nah und nah mehr anzog, 
da er mic früher buch hypochondriſche Leidenfchaft 
und heftigen Selbſthaß abgeſtoßen, und wenn ich 
mish feiner großen Perſoͤnlichkeit zu nähern wünfchte, 
von feiner Muſe mich voͤllig zu entfernen drohte. 
Ich leſe den Eorfaren und Lara, nicht ohne Bewun⸗ 
derung und Untbeil. Sm gleicher Zeit erfchlenen 
Nelſons Briefe mit feinem Leben, gaben viel zu 
denten und viel zu trauern. Grtes, dur bie 
Ausgabe des zweyten Theils feines Galderon, machte 
uns im Spanien des fiebzehnten Jahrhunderts immer 
einheimiſcher. Anatole verfeßte und nach einem 
nieuern Paris, und ließ uns einen fchönen Noman- 
. bewundern Die Friedensgefangenen von 
Lawrence, eine der feltfamften Productionen, 
noͤthigte uns alle Aufmerkſamkeit einem ganz ver: 
wuͤnſchten Buftand zu ſchenken. Reiſende Englaͤn⸗ 
der in Verdun feſtgehalten, nach neneren Voͤlker⸗ 
rechtsmaximen beim Ausbruch eines Krieges mit 
Albion; republicaniſche Franzoſen, beſonders Com⸗ 
mandant und Eommandantin, von geringem Stande 
während der Revolution einporgelommen; heim⸗ 

liche, für Engländer gehaltene Emigrirte, verkappte 
Vornehme und wer fonft noch zu bemerken wäre, 
machen ein barodes Bild, das auf bie Nachwelt zu 
tommen verdient, weil ed nur unter dieſer Bebins 
sung von. einem geiſtreich danſchauendem Leidensge⸗ 


— 





N 


J 


440 
nofſen concipirt und mehr mit Haß ‘als Liebe vollen⸗ 


det werden konnte. 


Ruckſtuhl ſchrieb über die Deutfhe Sprache, 
und das nicht zu erfhhpfende Wert Erneſti's Tech- 
nologia rhetoriea Graecorum et Romanorum 
lag mir immer zus Hand: dem dadurch erfuhr kb 
wieberhoft, was. ich in meer fehrfftitellerffchen 
Laufbdahn recht und unrecht gemacht hatte. Noch 
aber muß ich einer hoͤchſt merkwuͤrdigen, vielleicht 
einzigen Datftellumg gedenten; es ift das Tag- und 
Stundenbuch der Leipziger Schlacht von Roqlie, 
wovon ich anderwo gehandelt habe. 

Die Jenaiſchen unmittelbaren Anſtalten der 


Naturlehre im Allgemeinen, der Naturgeſchichte im 


Beſondern gewidmet, erfreuten ſich der aufmerk⸗ 
ſamſten Behandlung. Faſt im allen Abtheilungen 
war bie innere Thätigtelt fo herangemachfen, daß 
man ſie zwar durch gute Haushaltung ſaͤmmtlich be⸗ 
ſtreiten konnte, aber doch an einen neuen erhoͤhten 


Maſeumsetat nothwendig denfen und einen neuer 


Maß ſtab fefſtſtellen mußte. Doͤbereiners Wohnhaus 


ward ausgebaut, ein Gartenſtuͤck dei der Gtem: 
"warte angekauft und: zu diefem Befitz hinzugefchta-⸗ 


gen: Die Veterinaͤranſtalt in Jena beſtaͤtigte ſich; 
Profeſſor Renner begann feinen Eurfus, und ich 
gab meine aͤlteren zerſaͤgten und ſonſt präperktten 


-  Merbefgädei zum didaktiſchen Anfang 'hinäber, da 


ffe früher mir auch‘ zum "Anfang gebient hatten. 
Die lang unterbrochenen Ausgrabungen des ut⸗ 


! 


444 
alten: Grabhuͤgels bei Romſtedt wurden forbgefeht, - 
und gaben une mehrere Schidel; nicht wentzer 
wurde durch befonbere Aufmerkſamkeit nach Jene ein 
ganzes Stelett geſchufft und forgfkitig geordnet nie⸗ 
dergelegt. Ein durch Kaochenaufſchwellung merk⸗ 
wuͤrdig monſtroſer Schaͤdel kam in Gypsabguͤſſen von 
Darmftadt, durch die Gewogenheit des Herrn 
Schlicht egroll. 

Ich if wir das Andenken Safpar Friebrich 
Wolfs wieder hervor, durchdachte Jaͤgers Miß⸗ 
bildung der Gewaͤchſe, ingleichen Philtpp N. . . . . 
Dflanzentrankheiten. Bon Humboldts Wer 
über Vertheitung ber Pflauzongeſtalten auf bem 
Erdboden war hoͤchſt willlommen, und Need von 
Eſenbeck ausfuͤhrlichſte Arbeit über Pilze und 
Schwaͤmme ließ mich ein treffitdhes: Mitkroſtop be⸗ 
dauern, das mir ein ſeltſames Schickſal in ben ans 
genehmſton Lebensaugenblicken zerfkört hatte. 

Aus dem Thierteiche wurde uns ein Wunder⸗ 
geſchoͤpf, det proteus anguinus, durch Herrn Pto⸗ 
feſſor Confhigiachi vorgezelgt, der ihn, in einem 
Gkaſe mit Waſſer, auf⸗der Meiſe hoͤchſt ſorgfaͤltig im 
Buſen verwahrt, leboudig bis zu · uns gebracht hatte. 

Im Mieraireiche waren wir ſehr begänftigt; 
Geheimerath Heims gu Meiningen. wichtige 

" Sammlung gelangte durch fein Weohlwollen für we 
.fere Auſtalt nad: Jona, wo ſie nach fonem: Sinn 
geordnet aufgeſtellt wurde. Mon einzelnen Motk⸗ 
wuͤrdigkeiten verbient der Kugel⸗Sienit von Valllnes 


\ 


442 


and Corſica vorzüglich Erwähnung. In meine 

Sammlung gelangten, in Gefolg eines voriährl- 
gen Meifebefuhs, Mineralien vom Weſterwald und 
Rhein, auch ein Hyalit von Frankfurt als Ueberzug 
vielleicht ber größeften Zlähe, am der er je ſich vor: 
gefunden, von fieben Zoll im Durhmefler. Geh. 
Kath von Leonhards „Bedeutung und Stand der 
Mineralien” bereicherte uns von theoretifche Seite. 

Howard Wollenterminologie warb fleißig auf 
die atmofphärifhen Erfcheinungen angewenbet, unb 
man gelangte zu befonderer Sertigkeit fie mit bem 
Barometerſtand zu paralleltfiren. 

Zu fonftigen phyfitalifchen Auftlaͤrungen war der 
Verſuch einer Gasbelenchtung In Jena verauftaltet; 
wie wir benn auch durch Dübereiner bie Ark durch 
Druck verfhiedene Stoffe zu extrahiren, kennen 


Jernten. 


Im Chrematiſchen waren bie entoptiſchen Phan⸗⸗ 
mene an der Tagesotdnung. Ich nahm zuſammen 
was ich bis jetzt erfahren hatte, und trug es tm els 
nem kurzen Aufſatz vor, deſſen bald gefühlte Unzu⸗ 


aͤnglichkeit mich zu weitern Forſchungen nöthigte und 


mich immer nälter zu. dem Wahrbaften hindraͤngte. 
Profeſſor Pfaff fandte mir fein Wert gegen 
die Farbenlehre, nach einer ben Deutfchen angebot: 
gen unartigen Zubringlichleit. Ich legte es zur 
Seite bis auf känftige Tage, wo ich mit mir ſelbſt 
volltommen abgefhloffen haͤtte. Seinen eigenen 
Meg zu verfolgen bleibt immer das Vortheilhafte⸗ 
fte, 








s 113 


fie; donn .biefer Hat das -Gihcitihe uns von Jvrwe⸗ 
gen wieder auf und ſelbſt zurktzufähren. 

Dr. Schopenhauer trat als wohlwollender 
Zrennd au meine Seite. Wir verhandelten man⸗ 
ed uͤbereinſtimnnend mit einander, doch ließ fi 
guletzt eine gewiffe Scheldung nicht vermeiden, wie 
wenn zwey Freunde, die bisher mit einander gegan⸗ 
sen, ſich die Hand geben, der eine jedoch nad Nor⸗ 
den, der andere nad Suͤden will, ba fie denn fehr 
ſchnell einander and dem Geſichte Iommen. 

Varbenverſuche mit vegetabiilfchen Ertracten dien- 


ten wisberheit bie hoͤchſte Conſequenz der. Farben: 


lehre darzutbun 
Nm mins ih aber ein Zwiſchenſpiel tim Zuſam⸗ 


menhange vortragen, worin maucherlet vorkommt 


vas Ich unter bie Rubriken nicht zerfplittern mochte. - 
Wei herannahender guter Witterung gedachte ich 
nach Wunſch und Neigung die Ihönen Tage des vo: 
eigen Jahrs im Mutterlande abermals zu genießen. 
Freund Meyer wollte mic begleiten, Natur amd 
Kunft ſollten ıms mit ihren Schaͤten überfälen. 
Borarbeiten waren gemacht, Plane entworfen wie 
alles zu genleßen und zu nutzen wäre; und fo faßen 
wir wohlgepadt and eingerichtet in einem bequemen 
Wagen; aber bie. Hälfte des Erfurter Weges war 
no wit erreicht, als wir umgeworfen wurben, bie 
Aqſe brach, der Freund ſich au ber Stirme beſchaͤ⸗ 
Ynte und wir umzukehren genöthigt wurden. Mus 
Uemuth und Aberglaube warb bie nr werte 
©oethe3 Werte. XXXII. 2 


414 


vielleicht uͤberellt aufgegeben, und wir verfügten uns 
ohne langes Beſinnen nach Denftäbt, wo ein Thuͤ⸗ 
zinger Schwefelwafler gute Wirkung verſprach. Dort 
. Intereffirte mich nach melner Gewohnheit Localität 
. und Geſchichte: denn eigentlich bewegt fich die Cha: 
ringer Vorwelt viel an ber Unftrat. Ich las daher 
die Thäringifhe Chronik, die an Drt und Stelle 
“gar manches In deutlicher Localität erſcheinen Le. 
Die Lage der Stadt: an ihrem' Platz und in der Um⸗ 
gegend ward beachtet, und man Fonnte wohl begrek 
fen, wie bier in ber frühften Zelt ih Wohnungen 
geſammelt hatten. Wir befuchten- Herbsleben an 
der Unſtrut, Kteinwallhaufen und andere nabgele- 
‚gene Orte, und fo fanden"wir in der Ebene ausge: 
trocknete Seen, Tufffteinbrüche und Konchplien des 
füßen Waſſers in Menge. Faſt bei allen Excurſio⸗ 
nen batten wir die Ruͤckſeite des Ettersbergs vor 
-Augen und konnten und Leicht nad) Haufe denken 
Die Menge verfammelte fi bei einem Vogelſchle⸗ 
Gen, nicht weniger bei einem Brunnenfeit, welches 

- durch. einen Kinderaufzug recht gemuͤthlich wurde. 
Agamemnon uͤberſetzt von Humboldt, war 
mir ſo eben in die Haͤnde gekommen, und ver⸗ 
jfeh mir den bequemen Genuß eines Stuͤckes, das 
ih von jeher abgöttiih verehrt hatte. Iulins 
Fronto von Niebuhr fuchte mich auf; unerwar: 
- tet erfchlen Geheime Rath Wolf, die Unterhaltung 
war bedeutend und förderliih, und Meyer nahm 
daran ‚eingreifenden kuͤnſtleriſchen Antheil. Zufäl: 








115 


lig jedoch verließen mich beide Freunde am 27 Au⸗ 
guft, und fo.hatte Ich Zeit genug meinen Geburte- 
tag abermals in filler Sammlung zu feyern, und 
Den Werth der Kränze zu bedenten, womit ich mein 
Zimmer von ber wohlwollenden Wirthin aufge- 
ſchmuͤckt ſah. Uebrigens war ih ber mir an biefem 
Drte gegönnten Sammlung und Ruhe die ausführ: 
lihe Darftellung des Roch usfeſtes ſchuldis ge⸗ 
worden. 

Ferner hab' ich zu ruͤhmen, welchen vorzůglichen 
Genuß mir ein Hermſtaͤdtiſches Concert und 
Privat: Exhibition gegeben, da, von muſikaliſchen 
Sreunden lange Zeit entfernt, ich diefem herrli⸗ 
hen Kunft: und Naturelement beinahe entfrembet 
worden. 

Deffentlice Ereigniſſe, die mich in dieſem Jahr 
nah genug beruͤhrten, erwaͤhn' ich mit freudiger und 
trauriger Erinnerung. Am 30 Januar ward der 


Saltenorden geftiftet und mir zugleich das Stoß: - - 


Treuz ertheilt. Des Herzog Bernhards Ver: 
mählung gab die fchöuften Hoffnungen; Dagegen 
verfente mic der Tod der Kaiſerin von Defter- 
reich In einen Zuſtand, deſſen Nachgefühl mid 
ntemals wieder verlaffen hat. ‚Der Staatsminifter 
‚von Voigt, ein theurer vieljägriger Mitarbeiter 
und Beförderer meiner wohlgemeinten Unterneh⸗ 
mungen, .. feyerte fein Dienftiubiläum, das ich mit 
einem Gedicht und den treuften Wünfchen begrüßt. 

Bon Befuchen bemerk ich folgende, ſaͤmmtlich 


446 i — 

Erinnerungen fruͤher und fruͤhſter Zetten erwecdend: 
von Melliſch, Dr. Hufeland, Mar Jalobi, von Laf⸗ 
fert, Dr. Chladni, Zeiter und Wüken, Graf un 
Gräfin Dbanel, Hofräthin Kaͤſtner aus Hennever. 

@in folcher Innerer Friebe ward durch den aͤußern 
gIrleden der Weit beguͤnſtigt, als nach ausgeſproche⸗ 
ner Preßfreihelt die: Ankuͤndegnug ber Iſts erfchlen 
und jeber wohldenkende Weltkenner die Leicht zu 
berechnenden unmittelbaren, und bie nicht zu be 
rochnenden weiteren Felgen mit Schrechen und Be: 
dauevn vorausſah. 





1,8 17. 

Dieſes Jahr warb id auf mehr als Eins Welse 
zu einem laͤugern Aufent halt in Seua veranlaßt, ben 
ich vorausfah und beihalb.an eigenen Diannseriphen, 
Zeichnangen, Apparaten und Sammlangen manches 
Hinaͤber ſchaffte. Zuvoͤrderſt wurden die ſaͤmuttli⸗ 
chen Aufbalten durchgeſehen, und als ich gar man⸗ 
es für Bildung und Umblibung der Pllanzen erh 
wuͤrdiges vorfand, ein eigenes botauiſches Diufewm 
eingerichtet und darin ſowohl bedentende Sammlun⸗ 
gen getrockneter Pflanzen, Anfaͤnge einer Zuſam⸗ 
menſtellung von. Saͤmereyen, nicht weniger Bei⸗ 
ſpiele deſſen was ih auf Holzbildung bezog, auge⸗ 
legt und in Verbindung gebracht, Monſtroſitanen 
aber von beſonderer Wichtigkeit in einer sraßen deci· 
henfolge aufgeſtellt. 








N WE GE — US TUE TEE TE NEE TE le ie m EEE 
. 


217 


Be Berfogting des Hoſmechanicuß Koͤrner u 
von Weimar nach Jena bramte einen geſchickt: ge⸗ 


wandten, thaͤtzgen Manns deu dortigen Auſtatten in 
He Naͤhe. Ein noch in Weimar von demfelben ver: 


- fertigte Paſſage⸗Juſtrument ward, wiegen. einiger 


an- der Sternwarte zu beſorgenden Bauigteiten, 
zuerſt in dem Exhloffe: aufgeftellt. - 


Serner de mannichfuitigen Gaben, welche Se⸗ 


reniſſtinuc von ber Drapländifben Reife mitgebracht, _ 
wurden in bie vorſchtedenen Faͤcher eingeordnet. 

Die Ausgaben hatten fi; gemehrt, der @tat 
niußte abermals cwpttalwelfe darchgearbeitet wer 
ven; I ſchrieb einen umſtaͤrdtichen Auffatz deßhatb 
mid eine klare Ueberſicht —— hoͤchſten gar 
yorzulegen. 

Allein es kam in dem venten Diortel des Jah⸗ 


res eine mehrjaͤhrig beſprochene und wegen großer 
Schwierigkeiten Immer verſchobene Angelegeuhelt 


wleder In Anregung. Unter allen theils auf Sere⸗ 
niſſſimi Betrteb und Koften allein, theils mit Zu⸗ 
ziehung des’ Gothoalſchen Hofes, verbdeſſorten ober 
gar nen gegründeten Anſtalten konnte man: leider Die 
atademifche⸗: Bibllothek noch möcht zaͤhlen; ſie Lay 
hofftrangslos im Argen, ohne daß man deßhalb Je- 
mand eigentfidy bie Schuld haͤtte geben Können, Su 


‚ben: vor drey hundert Fahren geſtiſteten Anfängen 


hatte ſich nach und nah eine bedeutende Suhl von 
einzelnen ' Blcherſammlungen, durch Vermachtuiß, 
Ankauf und fonftige &ontrarte, 0 weniger ein⸗ | 


— 


118 


—— Bücher, auf mannichfaltige Seife gehäuft, 
daß fie floͤhartig in dem ungänftigften Locale bei ber 
widerwärtigften, großentheils zufälligen Cinrichtung 
. über und nebenelnander gelagert fanden. Wie und 
wo men ein Buch finden ſollte, war beinahe ein 
ausſchließliches Geheimnis mehr des Bibllothekdie⸗ 
nors ale ber höheren Angeftellten. Die Räume lang- 
ten nicht mehr zu, die Buderifhe Bibilothek ſtand 
verfchloffen, kaum zugänglich; fie follte nach dem 
Willen des Stifterd ewig unangetaftet bleiben. 

Aber nicht nur biefe fonderbaren Verhaͤltniſſe 
ſollten entwidelt und diefes Chaos geordnet werden, 
auch die im Schloß befindliche ehemals Buͤttneriſche 
Bibliethek wollte. man gleichfalls ber Hauptmaſſe 
einverleibt fehen. Ueberſchaute man die Sache im 
Sanzen, durhdrang man das Einzelne, fo burfte 
man fi nicht laͤugnen, daß bei völlig neu zu fchaf: 
fenden 2ocalitäten, vielleicht wenig Bände In ber 
alten Ordnung nebeneinander würden zu ſtehen 
kommen. Unter biefen Umſtaͤnden war wohl nie: 
mand zu verdenten, wenn ex den Angriff bed Ge: 
ſchaͤfts zu befchleunigen Anſtand nahm, „Endlich aber 
erhielt ih am 14 October durch gnaͤdigſtes Reſcript 
den Auftrag, bie Angelegenheit ungeſaͤumt zu. be: 
handeln. Hier blieb alfo nichts übrig ale die Sache 
nochmals durchzudenken, bie Hinderniſſe für Null 

‚zu erfiären, wie man ja.bei jedem bedeutenden Un- 
ternehmen thun muß, befonders wenn ed unter ber 
Clauſul non obstantibus quibuscunque muthiq 


-. 


N 





419 a 
anzugreifen ift. Und fo begann ich raſch und fuhr 
unaufhaltſam fort. 

. Die Facchtigkeit des untern Saals hatte man 
jahrelang beiammert; Fein Vorfchlag aber warind 
Wert gefeht, noch weniger durchgeführt worden. 
Die war alfo zuerft Ind Auge zu fallen. Die bes 
Schräntende Mauer nach dem Graben zu wurbe, troß 
einer lebhaften fogar Intriguirenden Proteftation, 
abgetragen, bie vorliegende Erbe weggefchaflt, vor 
allen Dingen aber. die Expeditionszimmer fo einge- 
richtet, daß man darin gern arbeiten mochte. In⸗ 
deſſen andere Baulichkeiten vorbereitet und accordirt 
wurden, verfloß das Jahr. 

Fuͤr bie Veterinaͤrſchule mußte nun vorzuͤglich 
geſorgt werden. Die Einrichtung berfelben ging 
Schritt vor Schritt. Bon willenfchaftliher Seite 
Brachte ih mein Portefenile der vergleihenden Ana= 
tomie nach Jena, und ftellte was von Zeichnungen 
am meiften bedeutend gefanden wurde unter Glas 
und Rahmen. 

Profeffor Renner demouſtrirte mir verſchiede⸗ 
nes, beſonders bezuͤglich auf das lymphatiſche Sy⸗ 
ſtem. Eine verendete Phoca wird dem herumzie⸗ 
henden Thierwaͤrter abgekauft und ſecirt, bedeuten⸗ 
de Praͤparate werden verfertigt. 

Spix Cephalogeneſis erſcheint: bei mannichfal⸗ 
tiger Benutzung derſelben ftoßt man auf unangeneh⸗ 
me Hinderniffe. Methode ber allgemeinen Darftels 
lung, Nomenclatur der einzelnen Theile, beides iſt 


180 


nicht zur Netfe gediehen; auch fieht man bene: Mer 
an, daß mehr Veberliefertes als Elgengebachtes vor: 
getragen werde. | ww 

Heroid von Warburg macht une tuub Yes 
tomie der Raupen amd Schmetterlinge ein ungeneh- 
mes Sefchent. Wie viel weiter in finniger Betrach⸗ 
tung organischer Naturweren find wir nicht feit dem 
fleißigen und übergenanen Lionet gekommen! 

Sch bearbeite mit Neigung bad: zweyte Heft ber 
Morphologie und betrachte gef@ichttich de: Einſtuß 
der Kantiſchen Lehre auf meine Stubien. 
| Geognoſie, Geologie, Mineralogie uni Mgehb⸗ 

riges war an ber. Tagesordnung. Ich uͤberdachte 
die Lehre von den Gaͤngen uͤberhaupt, vergegenwaͤr⸗ 
tigte mir Werners und Eharpentierd Ueberzeugun⸗ 
gen. Die merkwuͤrdigen Thonſchieferplatten aus 
dem Lahnnthal ſtellt' ich als Tableau zuſammen. 
Muſter bes Gerinnens ber. Felsmaffen fuchte Ich 
überall auf, und glaubte vieles zu finden was fuͤr 
die porphyrartige Entſtehung fo mancher Dreccien 
zeugte. Eine von Seventifimo angefſchaffte Suite 
von Chamouni ward im Mufeum folgemaͤßig aufge: 
fiedt, nicht weniger mamche-Schweiger Gebligs arten, 
Modelle und Panoramen jedes nach feiwer Weile 
aufbewahrt, benutzt und zur Evidenz gebracht. 

Die Umgegenden Babend erregten brh Giͤm⸗ 
bernats Unterſuchung und Behandlung eln wach⸗ 
ſendes Intereſſe, und ſeine geologiſche Eharde jener 
Gegend, von hoher Haud mitgethelit, wer dem 





- 41 e 
angenhikttichen Bedarfuiß unferer Studien uͤberans 
willkommen. Brocchi's Thal von Faffa forberte 
uns auf, die Wacenbildung nach ihm und andern: zu 


Herr Kammerherr von Preen hatte auf einer 
Reife dorthin auch für mich bie, ſchoͤnſten Exemplare 


ſtubiren. 


beſorgt. 


Mawe's Auffap.Aber Braßlien med bie horti 
gen Edelſteine gab und von dieſer Seite eine naͤ⸗ 
here Kenutniß jener Linder. IH aber trat in echt 
ammittelbares Verhaͤltniß zu ihm, und erkbelt durch 
feine Vorfſorge eine ſchoͤne Sammlung Englkſcher 
Harsitifen, wie immer, mmnittefbar vom Urgebtrg 
gewennen, nab zwar dießmal im Chloritge ſtein. 

Geheimeraths von Leonhard große Tabellen⸗ 


Werte, in Gefelfhaft mit andern Naturfoeihern _ 


herausgegeben, erteichterten bie Ruorhmung meines 
— 

Nicht geringe Aafklaͤrungen in Geslogte wu 
Grographie jedoch verbantte Ich ber Enropältehen Ge⸗ 
blegscharte Seorriote. So ward mir, sum Bei⸗ 
fiel, Spaniens, für einen Feldherrn fo chicanofer, 
den Guerillae fo guͤnſtiger Grund. und Boden anf 
einmal deutiih. Ich zeichnete feine Hauptwäfler- 
fcheide auf meine Charte von Spanten, und fo warb 
mir jede Metferönte, fo wie jeber Feldzug, jedes 
regelmaͤßlge und unregelmaͤßtge Beglnnen dee Art 
Kar und begreifllch; und wer gedachte koloffale 
Charte ſelnen geoguoſtiſchen, geologiſchen, geogra⸗ 





. 132 


yhifhen und topographifhen Stubien mit Sinn gu 
Grunde legt, wird fih dadurch aufs hoͤchſte geför- 
dert fehen. 

Die Chromatik befchäftigte mich im Etifen un⸗ 
ausgeſetzt; ich ſuchte mir den Zuſtand derſelben in 
England, Frankreich, Deutſchland zu vergegenwaͤr⸗ 
tigen, ich ſtudirte vier Engliſche Schriftſteller, welche 
fü in dileſem Fache hervorgethan, ſuchte mir ihre 
Leiſtungen und Sinnesweiſen deutjih zu machen; 
26 waren Bancroft, Sowerby, Dr. Neab 
und Bremfter. Einerſeits bemerkte Ich mit Ber: 

gnuͤgen daß fie, durch reine Betrachtung der Phäno- 
mene, fih dem Naturwege genäbert, ja ihn fogar 
. manchmal berührt hatten; aber mit Bebauern wurde 
ich bald gewahr, daß fie fih von dem alten Itrthum, 
die Farbe ſey im Licht enthalten, nicht völlig be⸗ 
freien konnten, baß fie ſich der herkoͤmmlichen Ter⸗ 
minologie bedienten und deßhalb im die größte Ver⸗ 
wickelung geriethen. Auch fehlen beſonders Brew- 
ſter zu glauben, durch eine unendliche Ausfuͤhrlich⸗ 
keit der Verſuche werde die Sache gefoͤrdert, da 
vielmehr mannichfaltige und genaue Experimente 
nur Vorarbeiten der wahren Naturfreunde find, um 
ein reines, von allen Nebendingen befreites Real 
tat zuleht ausſprechen zu koͤnnen. 

- Das Widerwärtigfte aber, was mir jemals vor 
"Augen gelommen, war Biots Eapitel über bie 
‚entoptifhen Farben, dort Polarifation dei Lichte 
genannt, So hatte man beun, nad falfcher Ana⸗ 








423 


logie eined Magnetſtabs, das Licht auch in zwey 


Pole verzerrt und alſo, nicht weniger wie vorher, 


die Farben aus einer Differenzirung des Unveraͤu⸗ 
derlichſten und Unantaftbarften erklären wollen. 

Um. nun aber einen falfhen Sa mit Bewelfen 
zu verdeden, ward bier abermals bie fämmtliche 
mathematifhe Ruͤſtkammer in Bewegung gefeht, fo 
Daß die Natur ganz und gar vor dem dußern und 
innern Sinhe verfhwand. Ich mußte dad ganze 
Ereigniß als einen pathologifchen Fall anfehen, als 
wenn ein organifcher Körper einen Splitter finge 
und Ein ungefhidter Chirurg, anftatt diefen zu 
augenblidliher Heilung herauszuziehen, bie größte 
Sorgfalt auf die Gefhwulft verwendete, um folde 
zu mildern und gu vertheilen, indeffen das Geſchwuͤr 
innerlich bid zur Unheilbarkeit fortarbeitete. 

Und fo war es mir denn auch ganz ſchrecklich, ale 
ein alabemifcher Lehrer, nach Anleitung eines Pro⸗ 
gramms bes Hofrath Meyer in Göttingen,_ mit 
unglaublicher Ruhe und Sicherheit, vor hohen und 
einfichtigen Verfonen, ben unftatthafteften Apparat 
auskramte; da man denn nach Schauen und Wieder- 


ſchauen, nah Blinzen und Wiederblinzen, weder ' 


wußte was man gefehen hatte noch was man fehen 
ſollte. Ich war indeflen bei den erften Anitalten 


auf und davon gegangen und hörte ben Verlauf die⸗ 
fer Demönftration, als vorausgefehen,. bei meiner - 


Ruͤckkunft ohne Verwunderung.: Auch erfuhr man 


bei dieſer Gelegenheit, unter Vorweiſung einiger 


j 
D 
+ 
- 
— 


424 
Blllarbkugeln, daß bie runden Lihttäellden, wen 
fie mit den Polen aufs Glas treffen, durch un 
durch gehen, wie fie aber mit dem Aequatvr automi⸗ 
men, mit Yroteft zuruͤckgeſchiet werden. 

Judeſſen vermamicfattigte ich die eutoptiſchen 
Verſuche Ins Graͤnzenloſe, da fih denn gulest dem 
einfachen atmoſphaͤriſchen Urſprung entdecken mußte. 
Zu völliger Ueberzeugung beſtaͤtigte ſich der Haupt⸗ 
begriff am ſiebzehuten Juny bei ganz kkarem Him⸗ 
mel, und ih machte num Auſtalt die vielen Einzel⸗ 
heiten als Schalen und Huͤllen wegzuwerfen, mb 
den Kern Natur: und Kunſtfreunden mändfih und 
ſchriftlich mitzutbellen. Dabei entdeckte ſich daß 
ein dem Mahler guͤnſtiges oder unguͤnftiges Licht 
von dem directen oder obllquen Widerſchein herruhre. 
Profeſſor Ronx hatte die Sefaͤlllgkeit mir genaue 
Nachbildungen ber entoptiſchen Farbenbitder zu lie⸗ 
fern. Beide Seiten, die heile ſowohl als die dunkle, 
ſuh man nun in geſteigerter Folge nebeneinauder, 
jeder Beſchauende rief aus, daß er bie Chtabnifchen 
Flguren gefärbt vor ſich ſehe. 

Der Aufſatz Leonardo da Vinchs über die Br: 
ſache ber biauen Farbenerſcheinung an fernen ‘Bergen 
und Gegenftänden, machte mir wiederholt große 
N grande. Er Hatte als ein die Natur unmittelbar 
anfchauendb auffaffender an ber Erfhehrung feibit 
denkender fie durchdringender Künftler ohne weiters 
das Rechte getroffen. Nicht weniger kam die Theil⸗ 
nahme einzelner aufnrerfender und denkender Min: 


25 

ae. Staatsrath Schulz in Berlin überfandte 
mir beu zwepten Aufſatz über phyſiologe Farben, 
mo ich meine Hauptbegriffe Ind Leben geführt ſah. 
Eben ſo erbaute mich Profeſſor Hegels Zuftim- 
zunng. Seit Schillers Ableben hatte ih mich von 
aller Philoſophie im Stillen entfernt, ‚und ſuchte 
mar die mir eingeborne Methobit, indem ih fie . 
gegen Natur, Kunſt und Leben wendete, Immer zir 

groͤßerer Sicherheit und Gewandtheit auszubilden. 


Soßen Werth mußte deßhalb für mich haben, u 


ſehen und. zu bebenten, wie ein Phllofoph von dem 


was ich meinerſelts nad meiner Weiſe vorgelegt, 


nach feiner Art Kenntniß nehmen und damit gebaren 
mögen Und hierdurch war mir volllommen ver⸗ 
goant das geheimnißvoll klare Licht, als bie hoͤchſte 
Energie, ewig, einzig und untheilbar zu betrachten. 
. Für bie bildende Kunſt näherten fich dieſes Jaht 
große Auffchliffe. Won Elgins Marmoren vernahm 
man immer mehr uud mehr, uud bie Begierde et- 
was dem Phidias Angehöriges-mit Augen zu fehen, 
ward fo lebhaft und heftig, daß ich an einem ſchoͤ⸗ 
non fonnigen. Morgen, ohle Abfiht aus dem Haufe 
fahrend, von meiner Leibenfchaft überrafcht, ohne - 
SBorbereitung aus dem Stegreife nah. Rudolſtadt 
lenkte, und mich dort, an ben erſtaunens wuͤrdigen 
Köpfen von Monte Cavallo, für lange Zeit her⸗ 
 Sellte. Nähere Kenntnis der Neginetifhen Marmore 
mard mir gleichfalls durch Zeichnungen bed in Rom 
mit der Reſtaura tion Beauftragten; und zu. einem 


126 


der herzlichſten Erzengniffe neuerer Kunſt wendete 
ich mich durch eine gleiche Veranlaffung. 
Boſſi's Werk über das Abendmahl von Leo⸗ 
nardo da Vinci näher zu betrachten befaͤhigten mic 
die Durchzeichnungen, welche unfer Fürft aus May: 
land mitgebracht hatte; Stublum und Vergleichung 
derfelben befchäftigten mich lange, und fonft war 
noch manches und zur Betrachtung angendhert. Die 
architeftonifchen Ueberreite von Eleuſis, in Gefell- 
Schaft unferes Oberbaudirectord Coudrav betrad- 
tet, Tießen in eine unvergleichliche Zeit hinuͤber fe- 
hen. Schinke s große bewundernswärdige Feber: 
zeichnungen, bie neuften Münchner Steindräde, 
Thierfabeln von Mengden, eine KAupferftid- 
ſammlung aus einer Leipziger Auction, ein ſchaͤtzens⸗ 
werthes Oelbildchen von Rochlitz verehrt, hiek 
ten meine Betrachtung von vielen Seiten feft. Zu: 
lest fand ich Gelegenheit eine bedeutende Samm⸗ 
lung Majolika anzufchaffen, welche ihrem Verdienft 
nad) unter neueren Kunfkwerten fi allerdings jel: 
gen durften, 
- Bon elguen Arbeiten ſag' ich folgendes. Um 
des Divand willen feßte Ich meine Studien Ortenta: 
liſcher Eigenheiten immer fort, und wendete viele 
Zeit darauf; da aber bie Handſchrift im Orient von 
fo großer Bedeutung ift, fo wird man es kaum 
feltfam finden, daß Ih mich, ohne fonderliches 
Sprachſtudium, doch dem Schönfchreiben mit @ifer 
swibmete, und zu Scherz und Ernft Ortentallfhe mir 


— 





-427 


vorliegende Manuſcripte fo nett ald möglich, ja mit 
mancherlei herkoͤmmlichen Zierrathen naczubilden 
ſuchte. Dem aufmerkſamen Leſer wird bie Einwir⸗ 
kung dieſer geiſtig techniſchen Bemühungen bei naͤ⸗ 
herer Betrachtung der Gedichte nicht entgehen. 

Die dritte Lieferung meiner Werke, neunter bie 
zwölfter Band, erfcheint zu DOftern; das zweyte 
Rhein: und Maynheft wird abgeſchloſſen, das dritte 
angefangen und vollbraht. Die Reife nad Neapek 
‚und Sicillen wird gedruckt, die Biographie über: 
"Hanpt wieder vorgenommen. Ich verzeikhne „die 
Meteore des literariſchen Himmels‘ und beſchaf⸗ 
tige mich „die Urthelldworte Franzoͤſiſcher Kritiker” 
aus der von Grimmiſchen Sorrefpondenz auszu⸗ 
ziehen; einen Auffaß über bie Hohlmuͤnzen, Regen⸗ 
bogen-Schüffelden genannt, theif’ ich den Freunden 
ſolcher Eurkofitäten mit. Die berühmte Hellsberger 
Inſchrift laſſe ih mit einer von Hammerſchen Er: 
klaͤrung abdruden, die jedoch kein Gluͤck macht. 

Bon Poetiſchem wuͤßt' ich nichts vorzuzeigen 
als die Orphiſchen Worte in fünf Stanzen, und _ 
einen Irifhen Todtengefang aus Glenarvon uͤberſetzt. 

Zur Naturkenntniß erwähne ich bier ein bedeus 
tendes Nordlicht im Februar. 2 

Vebereinftimmung des Stoffs mit der Form der 
Pflanzen beiebte die Unterhaltung zwifchen mir und 
Hof. Voigt, deſſen Naturgefhihte, als dem 
Studium hoͤchſt förderlih, dankbar anzımehmen 
war. An die Verſtaͤubung der Berberishlume und 


Pr 





128 - 

der dorthin beusenden gelben Audwäcfe diteser 
Zweigbiätter wendete ih mauche Betrachtung. 
Dur bie Gefäligkeit Hofrath Doͤbereiners 
Somnte ich much ber ſtoͤchlemetriſchen Lehre Im SER- 
gemeinen fersierweit aunähern. Zufaͤllig macht’ ich 
mir ein Geſchaͤft, eine alte Ansgabe des Thomas 
Campanella de sensu rerum von Drudfehlern zu 
reinigen:. eine Folge des hoͤchſt aufmerskſamen Le— 
ſens, das ich dieſem wichtigen Denkual feiner Zeit 
son neuem zumenbete: Graf Bonquoi erfreute 
auch feine abwefenden Freunde durch fernere gedruckte 
Mittheilungen, in welchen feine geiſtreiche Thaͤtig⸗ 
keit und um fo mehr aufprah, als fie und bie 
porſonliche Unterhaltung deſſelben wieber vergegen⸗ 
wärtigte. 

Da ans näherer Betrachtung ber Höwarbifeken 
WBoltenformen hervorzugehen ſchien, daß ihre ver⸗ 
fchledenen Formen verſchiedenen atmoſphaͤriſchen Hoͤ⸗ 
ben eigneten, fo wurden fie verſucheweiſe auf jene 
frühere Hoͤhentafel forgfältig eingetragen, uwb fo 
die werhfelfeitigen Bezüge im allgemeinen verfinn- 
- Hit und dadurch einer Praͤfung angenähert. 

Hier ſchließt fih nun, indem ich von Buͤchern zu 
reden gedenke, ganz natuͤrlich Die Ueberſetzung bes 
Jadiſchen Megha⸗Duhta freundlich an. Man hatte 
a nılt Wollen und Wolkenformen fo Iauge getta- 
gen, nnd Eomnte nun erſt biefem Wollenboten fu 
feinen tanfenbfikitig veränderten Geftalten wit deſto 
——— im ER folgen. 

Eng: 


n 1 


: 
& 
5 

— 4239 


— Poeſie und Literatur trat vor allen an⸗ 
dern dieſes Jahr beſonders in den Vordergrund; 
Lord Byrons Gedichte, je mehr man ſich mit ben 
Gigenheiten dieſes außersrdentlichen Geiſtes bekannt 
‚machte, gewannen immer größere Thellnahme, fo 
daß Männer und Frauen, Mägblein und Jungge⸗ 
ſellen faſt aller Deutſchheit und Nationalitaͤt zu ver⸗ 
geſſen ſchienen. Bei erleichterter Gelegenheit ſeine 
Werke zu finden und zu beſitzen, ward es auch mir 
zur Gewohnheit mich mit ihm zu beſchaͤftigen. Er 
war mir ein theurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm 
in Gedanken gern auf den Irrwegen ſeines Lebens. 

Der Roman Slenarvon follte uns uͤber man⸗ 
ches Liebesabenteuer beffelben Auffchlüffe geben; 
allein das voluminofe Werk war an Intereſſe feiner 
Maſſe nicht gleich, es wiederholte ſich In Situatio- 
nen, befonders In unerträglihen; man mußte ihm 
einen gemwiffen Werth zugeftehen, den man aber mit 
mehr Freude belannt hätte, wenn er ung in zwey 
mäßigen Bänden wäre dargereicht worden. _ 

— Ron Peter Pindar wänfht ih mir, nach⸗ 
dem Ich feinen Namen fo lange nennen gehört, end⸗ 
dich auch einen deutlihen Begriff; ich gelangte dazu, 
erinnere mic deſſen aber nur, daß er mir wie ein 
der Garricatur ſich zuneigendes Talent vorfam. 
Sohn Hunters Leben erſchien hoͤchſt wichtig, als. 
Denkmal eines herriichen Geiſtes, der fich bei ge- 
ringer Schulbildung an ber Natur edel und kräftig 
entwidelte. Das Leben Franklins ſprach Im All⸗ 

Goethes Werte XXXII. @& 9 








“350 


gemeinen benfelben: Stun aus, im Beſondern him⸗ 
melweit von jenen verfchleden. Bon fernen, bisker 
unsugänglihen Gegenden belehrte und El pyin⸗ 
ſtons Kabul; das bekanntere dagegen -verbewtihdgte 
Raffles Geſchichte von Java gang ungemein. Su: 
gleich traf das Prachtwerk Imbifcher Jagden, boforgt 
von Howett, bel-uns-an, und half durch teefiiihe 
Bilder einer Einbiidungslraft nah, die ſich, ohne 
gerade dieſen Punct der Wirklichkeit zu treffen, Ins 
Unbeſtimmte wuͤrde verloren baden. Auf Nord⸗ 
america bezuͤglich warb und Vielfaches zu Theil. 
Bon Buͤchern und ſonſtigen Deuckſchriften und 


deren Einwirkung bemerke folgended: Hermann 


über bie ditefte Griechiſche Mytholegie Intereffizte 
bie Weimariſchen Sprachftennde auf einen heben 
Grad. In einem verwandten Situne Raynouard 
Grammatik der Romantfhen Sprache. Manuserit 
venu de St. Helene beſchaͤftigte alle Welt. NMecht⸗ 
beit oder Unaͤchtheit, Halbe ober ganze Ueſpruͤuglich⸗ 

keit wurde durchgeſprochen und durchgefochten. Daß 
men dem Heroen gar manches abgehorcht hatte, 


blieb offenbar und unzweifelhaft. Deutſchlaubs Ur⸗ 


geſchichte von Barth griff in untere Studien der 
Zeit nicht ein; dagegen war der Pfingſtmontag 
son Profeſſor Arnold in Straßburg eine hoͤchſt 
llebenswuͤrdige Erſchelnung. Es iſt ein. entſcheden 
anmuthiges Gefühl, von dem man wohl Wut: lich 


nicht Mares Bewußtſeyn zu geben, wenn ſich eine 


Nation. in den Eigenthuͤmlichkeiten ihrer Sueder 


— 


| 


; ‘434, | 
beſplegelt: denn je nur im Beſondern effennt man, 


dab man: Verwandte «hat, im Allgemelnen fuͤhlt 


an Immermur die Stppfhaft von Adam her. Ich 
beſchaftigte mich niet mie gedachtem Stuck und ſpruch 


mein Bebagen daran aufrichtig und tnmtänbikhy aus. 


Won Ereigniſſen bemerfe Weniges aber für mich 
and andere Bedeutendes. Seit vierzig Jahren zu 
Wagen, Pferd and Fuß Dhuͤringen Treug und quer 


parchwandernd wear! ih niemals nach Paulinzelle 


gekonmmen, obgkeich wenige Stunden davon hin und 
ber mich bewegend. Es war damals no nicht 


Mode dieſe kirchlkicehen Ruinen als hoͤchſt bedeutend 


⸗ 


und ehrwuͤrdig zu betrachten; eudlich ader mußte ich 


ſo viel davon hoͤren, die einhdeimlſche und retfende 


junge Welt ruͤhmte⸗mir den ‚großartigen Aublick, 


daß ich mich entichtoß meinen bießjährigen Webätte- 
:tag, den ich immer gern: im Stillen feyerte, eluſtim 
dort zuzubringen. Ein ſehr ſchoͤner Tag:begünfläte 
Das Unternehmen, aber auch hier bereitete mnirdie 
Sreundfehaft‘ ein unerwartetes Feſt. Oberfoͤrſtmei⸗ 
ſter von Fritfch hatte von Ylmenau her mit mei⸗ 
nem Sohne ein frohes Gaftmahl veranftaltet, wo⸗ 
het wir jenes von der Schwarzburg-Rudolſtaͤdt i⸗ 
ſchen Regierung aufgeraͤumte alte Bauwerkemit hei⸗ 
terer Muße beſchauen konnten. Seine Entſtehung 
faͤllt in den Anfang des zwoͤlften Jahrhunderts, wo 
tod, die Anwendung der Halbtitkelbogen ſtatt fand. 
‚Die Mefdrmatkon verſetzte folches in die Wuͤſte 


pr es eutſtanden wär; das geiſtliche Ziel war 


. 433 


verſchwunden, aber es blieb ein Mittelpunct welt⸗ 
licher Gerechtſame und Einnahme bis auf den he; 
Aigen Tag. „Zerfiört warb es nie, aber au oͤkone⸗ 
miſchen Zweden theils abgetragen, theils entſtelt; 
wie man denn auf dem Brauhauſe noch von den ur: 
alten Koloffalziegeln, einige hart gebrannt und gle 
firt, wahrnehmen Tan; ja ich zweifle nicht, daß man 
In den Amts: und andern Angebäuden noch einiges 
son bem urarten Gebaͤlke ber flahen Dede und fon 
ſtiger urfpränglichen Eontignation entdeden wuͤrde. 

Aus der Zerne Fam und Nachricht von Zerſtoͤ⸗ 
zung und Wiederherfiellung. Das Berliner Schau: 
ſpielhans war niedergebrannt; ein neues ward ix 
Leipzig errichtet. Ein Symbol der Souverainetät 
ward und Weimaranern durch die Feyerlichkeit, als 
der Großherzog vom Thron den Fürften von Thurn 
und Taris, In feinem Abgeordneten, mit dem Pol: 
regal beiteh, wobei wir fämmtlihen Diener in ge: 
ziemendem Schmud, nah Rangesgebuͤhr erſchienen, 
and alſo auch unſrerſeits die Oberherrſchaft des Fuͤr⸗ 
dien anerkannten, indeſſen im Lauf deſſelben Jahrs 
eine allgemeine Geyer Deutſcher Studirender am 
18 Juny zu Jena und noch bedeutender den 18 Dee 
töber auf der Wartburg eine ahnungsvolle Gegen: 
wirkung verkuͤndigten. 

Das Meformationd.: Zubllaum verfhwand vor 
diefen frifhen jüngeren Bemühungen. Vor drey 
hundert Fahren hatten tüchtige Männer Großes um 
Lernommen ; nun fehlenen Ihre Großthaten veraltet 








455 


und mochte fih ganz anderes von ben neueften öf- 
fentlich geheimen Beftrebungen erwarten. 
Perſoͤnliche Erneuerung früherer Guuſt und Ge⸗ 
wogenheif ſollte mich auch dieſes Jahr öfter begläden- 
Die Frau Erbprinzeffin von Heffen wußte 


nich niemals In Ihrer Nähe, ohne mir Gelegenheit 


zu geben mic ihrer fortdauernden Gnade perſoͤnllch 
zu verfihern. Herr Staateminifter von Humboldt 
ſprach auch dießmal wie Immer belebend und anre⸗ 
gend bei mir ein. Eine ganz eigene Einwirkung je⸗ 
Doch auf längere Zeit empfand Ich von ber bedeuten 
den Anzahl in Jena und Leipzig ftudirender junger 
Griechen. Der Wunſch, ih beſonders Deutfche Bil⸗ 
dung anzueignen, war bei ihnen hoͤchſt lebhaft, To 
wie das Verlangen allen ſolchen Gewinn dereinſt 
zur Aufklärung, zum Hell ihres Vaterlandes zu ver- 
wenden. Ihr Fleiß glich Ihrem DBeftreben, nur war 
zu bemerten, daß fie, was den Hauptiiun des Le- 
bens betraf, mehr von Worten ale von Haren Be⸗ 
griffen und Zwecken regiert wurden. e 

Yapadopulos, der mich In Jena öfters be-- 
ſuchte, rähmte mir einft im jugendlichen Enthuſias⸗ 
mus ben Lehrvortrag feines philoſophiſchen Mei- 
fters. Es Klingt, rief er aus, fo herrlich, wenn 
der vortrefflihe Mann von Tugend, Zreiheit 
und Vaterland fpriht. Als ih mic aber erkun⸗ 
digte, was denn biefer treffliche Lehrer eigentlich 
- von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, ers 
hieft ich zur Antwort: das könne er fo eigentlich 


f 


Bi 


t 6 414 
wicht fagen, aber Berk und Ton-Hängen Ikan fets- 


vor der Seele nad; — Freihenn und Bes 


terland. 

Es Aſt derfeibe, weluer zu — Zeit meins Inhl⸗ 
genle ins Neugriechiſche Überfehte, und wunderbar 
genug, wenn. man das Stuͤck in diefer Sprache: und 


In dieſer Beziehnng beteachtet, fo druͤct es gaug 


elgentlich die ſehnſaͤchtigen Gefuͤyle eines reiſenden, 
oder verbanuton ‚Griechen aus denn die allgemeine 
Sehnſucht nach dem. Vaterlande iſt hier unter ber 
Sehnſucht nach Griechenland, als dem einzig menſch⸗ 
lich gebildeten Lande, ganz ſpecifiſch:ausge druͤckt 
Eine neue angenehme Bekanatſchaft machte ich 
an einem Fellenbergiſchen Gehuͤlfen Namens Lippe, 
beffen. klare Rahe, Entſchiedenheit feiner Lebens⸗ 
zwecke, Sicherheit. von dem: guten Erfolg: feiner 
Wirkungen mie hoͤchſt (chäbhar entgegen traten, und 
mich zugleich: in. der guten Meinung.fo für iha wie 
für das: Inſtitut Dem. ee ſich gewidmet hatte beſtaͤrk⸗ 
ten. Gar mannichſaltig war. ein orwuͤnſchtes Wire 
ſehen. Wulhelnm von Schüß von Ziehingen er: 


neuerte frühere Unterhaltusgen in Eruft:und Tiefe. 


hit biefem Freunde erging es mir indeſſen ſehr 

wunderliche bei dem Anfenge jedes Geſpraͤches tm 
-fen wir in allen Praͤmiſſen völlig zuſammenz im fort⸗ 
währender- Unterhaltung. jedoch kamen wie iurmer 
weiter auselnander, fo daß zuletzt an. feine. Vers 
ſtaͤndigung ‚mehr zu benten war, Gewöhnlich ereig⸗ 
nete fi dieß auch bei des Correſponden; und vper⸗ 


v⸗ 


- 








135 


urſachte mir manche Pein, bis ich mir dieſen felten 

vortkommenden Widerſpruch endlich aufzuloͤſen das: 

Gluͤck ball; Doch auch das Umgelebrte ſollte mir 

begegnen, damit es ja an keiner Erfahrung fehle. 

Hofrath Hirt, mit welchem ich mich, was die 

Grundſaͤtze betraf, niemals hatte vereinigen können, 

erfreute mich durch einen mehrtägigen Beſuch, bei” 

welchem, fo im ganzen Verlauf als Im Einzelnen, \ 

auch nicht die geringfte Differenz vorfam. Betrach⸗ 
tete ih nun das angedeutete Verhaͤltniß zu bei⸗ 

. den Freunden genau, fo entfprang es daher, daß 
yon Schuͤh aus dem. Algemeinen, das mir gemäß 
war, Ind. Allgemeinere ging, wohin ih ihm .nicht fol⸗ 
gem konnte, Hirt dagegen bag beiberfeisige. Allge⸗ 
meine auf fich: beruben ließ, und ſich au das Ein⸗ 
zelne hielt, worin er: Herr und Meiſter war, wo 

man ſeine Gedanken yern' vernahm und ihm mit 

Uecberzengung zuſtimmte. 

Der Beſuch von Berliner Freunden, Staatsrath 
Hufeland und. Langermanı, Varnhagen 
von: Exfe: bHeb mir, wie die Frommen fich audzu: 
druͤcken gewohnt find;, nicht ohne Segen: denn was 
kann ſegenreicher ſeyn als wohlwollende einſtimmende 
Zeitgenoſſen zu ſehen, die auf dem: Wege ſich und 
andere zu bilden unaufhaltſam fortſchreiten? 

Eln junger Batfch, an ſeinen Vater durch freund⸗ 
liches: thaͤtiges Benehmen, fo wie durch uͤberelaſtim⸗ 

-mende gefällig geiftreihe Geſtalt erinnernd, kehrte 
von Caird zurüd, wohin er in Gefchäften Europdi- 


136 

fher Kaufleute gegangen war. Er hatte zwar treue 
aber keineswegs kunſtgemaͤße Zeichnungen von bor- 
tigen Gegenden mitgebracht, fo auch Keine Alter 
thuͤmer Aegyptiſcher und Griechlfcher Abkunft. Er 
fhien mit lebendiger Thaͤtigkelt dasjenige im prak⸗ 
tirhen Handel wirken zu wollen, was fein Water 
theoretifch in der Naturwiſſenſchaft geleitet hatte. 





181 8% 


Der Divan war auch den Winter über mit fo 
viel Neigung, Liebe, Leidenſchaft gehegt und ge- 
pflegt worden, daß man den Drud deſſelben im Mo⸗ 
nat März anzufangen nicht Sänger zauderte. Auch 
gingen die Studien Immerfort, damit man durch 
Noten, durch einzelne Aufſaͤtze, ein beſſeres Ver⸗ 
ſtaͤndniß zu erreichen hoffen durfte: denn freilich 
mußte der Deutſche ſtuhen, wenn man ihm etwas 
aus einer ganz andern Welt heruͤberzubringen unter⸗ 
nahm. Auch hatte die Probe in dem Damenkalen⸗ 
der das Publicum mehr irre gemacht als vorbereitet. 
‚Die Zwerdeutigkeit: ob es Ueberſetzungen oder au⸗ 
geregte ober angeelgnete Nachbiidungen ſeyen, kam 
dem Unternehmen nicht zu Gute; ich ließ es «ber 
feinen Gang sehen, ſchon gewohnt das Deutſche 
Yublicam erſt ſtutzen zu ſehen, eh' es empfing und 
genoß. 
Vor allen Dingen ſchlen ſodann nothwendis * 








437 


. Charaktere der fieben Perſiſchen Hauptdichter und 


ihre Leiftungen mir und andern klar zu machen. 
Dieb warb nur möglich, Indem ich mich der von Ham⸗ 
merifchen bedeutenden Arbeit mit Ernſt und Treue 
zu bedienen trachtete. Alles warb herangezogen, 
Anquetills Religionsgebraͤuche ber alten Par⸗ 
Ten, Bidpats Fabeln, Freptags Arabiſche Ges 
dichte, Michaelis Arabiſche Grammatik,‘ alles 
mußte dienen mich dort einheimiſcher zu machen. 
Indeſſen hatten bie von unferm Fuͤrſten aus Mal⸗ 
land mitgebrachten Seltenheiten, wovon ſich der grö= 
Bere Theil -auf Leonardo's Abendmahl bezog, im 
hoͤchſten Grad meine Aufmerkfamteit errest. Nach 
eiftigem Studium der Arbeit Boſſi's über dieſen Ge⸗ 
genſtand, nach Vergleichung der vorllegenden Durch⸗ 
zeichnungen, nach Betrachtung vieler andern gleich⸗ 
zeitigen Kunſtleiſtungen und Vorkommniſſe, warb 
endlich die Abhandlung geſchrieben wie ſie im Druck 
vorliegt, und zugleich ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt, um 
den Mailänder Freunden verſtaͤudlich zu ſeyn. Zu 
gleicher Seit warb uns von dorther ein ähnlicher 
Widerſtreit des Antiten und Modernen, wie er fi 
auch in Deutſchland rührt und regt, gemeldet; man 
mußte von dorther auch Aber Claſſiſches und Ro⸗ 
mantifches polemifhe Nachrichten vernehmen. 
Zwiſchen allem diefem, bei irgend einer Pauſe, 
nach dem Griechiſchen hingezogen, verfolgte ich ei⸗ 
nen alten Liebllngsgedanken, daß Myrons Kuh 


auf ben Muͤnzen Dyrrachiums dem Hauptſinne nad) 





138 


anfbehaiten ſey: — was kanm erwaͤnſchter; ſeyn 
als entihledenes: Andenken des Hoͤchſten aus einer 
Zeit, die nicht wieber Tommi? Eben dieſer Stun 
lieh mich auch Philo ſt rats Gemaͤhlde wieber aufs 
nehenen, mit dee Vorſatz das trimmerhaft Ver⸗ 
gangene duvch einen Sun, ber ſich ihm gleichguhlk- 
den trachtet; wleder zu beleben. Womit ich mich 
fon noch. befchaͤſtigt, zeigt Kunſt und. Alterthum 
viertes Std: 

Ein: wunderfamer Zuſtand bei hehrem Monden⸗ 
ſchein brachte mir das Lied Um Mitternacht, 
weiches mir deſto lieber und: werther iſt, da ich micht 
ſagen koͤnnte, woher ed kam und wohin es wollte, 
Aufgefordert, und deßhalb ‘tn ſeiner Catſtehung kla⸗ 
zer, aber doch eben fo wenig In. der Aus fuͤhrung 
berechenbar, erſchien mir. zu: Ende bes Jahrs ein 
Gedicht, in, kurger Zeit verlangt, erfunden, einge⸗ 
Jeitet und vellbracht. Zu Verehrung Ihre Majeſtaͤt 
deu: Kabferin Mutter ſollte ein Maslenzug bie viel⸗ 
jaͤnrigen: ppotiſchen Leiftungen bes Weimariſchen Nu⸗ 
ſenlkreiſes, in eingelnen Gruppen geſtalten und: biefe 
einem Angenblick in hoͤchſter Gegenwart verweilend, 
durch {bitte Sedichte fick ſelbſt erklaͤren. Er warb 
anz: 18, December: aufgeführt, und hatte ſich einer 
günftigen Aufnahme und: danernden Erinnern zu. 
. erfreuen. 

Kurg vorber war: der A7te untriste. Wand neh 
ner: Werke bei: mir. angelangt... Mein Unfenthatt in 
Jena: war dießmal auf mehr als Eine Weiſe frucht⸗ 


. 8 . 
® 


120 


Ban, Jqhahalte mich im Enter der- Kanne zu Cams⸗ 
Dorf einguartiest nad gene: mit Bequemlichkeit, bef 
freier nnd. fahrer Aus⸗- und Umſicht, beſonders der 
charakteriſtiſchen Wolkenerſchelnungen. Ich beach⸗ 
tete fie, nad Howard, In-Besug.auf.den Barome⸗ 
ter, und gewann ‚manderiet Einficht. 

Zasleich war. das entoptiſche Farbencapitel au 
Der Tagasordnung. Brewſters Nerfuche, dem Glaſe 
Ds Dınd, wie ſonſt durch⸗Hitze, diefeibe- Aigen 
ſchaft des regelmäßigen Sarbenzeigens bei Spiege- 
Tuygg.zu ertheilen, gelangen gar wohl, unb Id: miles _ 
nerfelss , überzeugt vom Zufammenwirten bes Tech⸗ 
niſch⸗ Mecha niſchen mit dem. Dynamiſch⸗Ideellen, 
lieh die Seebeckiſchen Krenze auf Damaſtart ſilden 
und konntefie nun: nach belle bigem Scheinwechſel 
hell oder dunkel auf derſelben Flaͤche ſehen. Dr. 
Se4b eck beſuchte mid den 16 Juny, und feine 
Gegenwert förderte in dieſem Augonblick wie immer 
zur gelegenen Zeit. 

In Carlsbad fah ich voll Bedauern ein ——— 
beitetes: meſſingenes Rohr mit Gradbogen, wodurch 
die Polariſation bes Lichtes. erwigfen werden ſollte. 
Es war in Paris gefertigt, man ſah aber: bier in 
des Beſſchraͤnkung nur -theilweite, was wir fon 
Idugfi.gauz.und völlig in freier. Luft darzuſtellen ver⸗ 
ſtanden. Deſto angenehmer war mir ein Apparat 
zu gleichem Zwede, verehrt zu meinem Geburtstage, 
vvn Profeſfor Schweiager, welcher alles leiſtet 
was.mas in dieſem Su verlangen a 


1 





m 
⸗ 


— 140 

Zur Geoguofle waren und auch bie ſchoͤnſten Bei⸗ 
träge gefommen,, wit bedenteuden Exemplaren and 
Stellen. Brochi’s Werk über Italiaͤniſche Foſſi⸗ 
lien, Sömmerings foſſile Eidechfen und Fle— 
dermäufe. Won ba erhuben wir und wieder in 
ältere Regionen, betrachteten Werners Gang- 
theorie und Freyslebens Saͤchſiſche Zinnforma⸗ 
tion. Eine angekuͤnbigte Mineralienſammlung aus 
Norden kommt an, Verſteinerungen von der Inſel 
Ruͤgen durch Kofegarten, Minerallen aus Sici⸗ 
lien und der Inſel Eiba durch Odeleben. Die 
Lage des Coͤleſtins bei Dornburg wird erforſcht. 
Durch beſondere Gelegenheit kommt die Geognoſie 
ber Vereinigten Staaten ım6 näher. Was für Vor⸗ 
theil daher entfpringt, wirb auf freundliche umd fo: 
ide Weite erwidert. | 

In Boͤhmen war fogleich die allgemeine Geogno- 
fie um deſto ernfter gefördert, ald ein junger weit- 
fhreitender Bergfreund, Namens Neupel, auf 
kurze Zeit mit und zufammentraf, und eine Charte 
bes Koͤnigreichs mir zu illuminiren bie Gefaͤlligkelt 
hatte, des Vorſatzes in einer eigenen Schrift die⸗ 
ſes Beftreben welter zu führen und öffentlich be: 
kannt zu machen. Man befuhte Haidingers 
Dorcellanfabrit In Ellbogen, wo man außer dem 
SMaterlal bes reinen verwitterten Feldſpathes auch 
das ansgebreitete Brennumeterlal dee Braunkohlen 
kennen kernte, und von bem Fundort der Zwillinge: 
kryſtalle zugleich unterrichtet wurde. - Wir beſuch⸗ 


4 


ten Bergmeiſter Beſchorner in Schladenwalbe, 
erfrenten und an deſſen inſtructiver Mineralien⸗ 
ſammlung, "und erlangten zugleih am Tage eine 
Art von Neberfiht der Xocalität des Stockwerks. 
Im Granit einbrechende, oder vielmehr im Sranit - 
enthaltene, und fi durch Verwitterung daraus. ab- 
löfende Theile, wie 3 B. Slimmerkugeln, wurden 
bemerkt und aufgehoben. So wurden mir aud 
ſehr belehrende kryſtallographiſche Unterhaltungen 
mit Profeffor Weiß. Er hatte einige kryſtalliſirte 
Diamente bei ſich, deren Entwidlungsfolge er nah 
feiner höheren Einfiht mich gewahr werden lief. 
Eine Heine Mülleriihe Sammlung, befonders in⸗ 
fiructio, ward “zurecht gelegt; Mofenquarz von Köz 
nigswart gelangte zu mir, fo wie ich einige Boͤh⸗ 
mifche Shryfolithe gelegentlih anſchaffte. g 
Bei meiner Ruͤckkehr fand ich zu Haufe Meines 
tallen von Coblenz und fonftiged Belehrendes bie- 
fer Art! Auf die Ulademie Jena war bie Auf- 
merkſamkeit der höcften Herren Erhalter ganz be= 
fonders gerichtet; fie follte aufs“ neue ausgeſtattet 
und befekt werden. Man unternahm die älteren 
Statuten der neuen Zeit. gemäß einzurichten, und 
auch ih, Infofern die unmittelbaren Anftaiten mit 
der Alabemie fih berührten, hatte das Meinige 
durch dienfame Worfchläge beigetragen. Das Bis 
bllotheksgeſchaͤft jedoch heiſchte ſeit Anfang des 
Jahres fortgeſetzte und erweiterte Thaͤtigkelt. Das 
Zoral wurde in genaue Betrachtung gezogen, und 


RE 
443 

hanptſachlich was an Mänmiihkeiten, vhne großen 
Aufwand zu gewinnen ſey, artiiitfch and haud⸗ 
wertsmäßtg überlegt, wach in wlefern dvem gemäß 
die Arbeit ſelbſt begonnen und fortgefeßt "werben 
koͤnne, wohl uͤberdacht. Die Worfhiäge au ſicherem 
©ang der Amyelegeirheit werden durch die hoͤrhſten 
Höfe gebilligt und’entfchteden, und Actorde ınttden 
Handwerkern fogleich geſchloſſen. Die Hanptfuche 
biteb :immer die Trodentegung des untern großen 
Saals. Wie man von Außen gegen Oraben md 
Garten zu Luft ‚gemacht hatte, ſo geſchah es man 
‚andy von Innen durch Vertkefung des Hofes. Alles 

andere was zur Sicherhelt und Trodut des Se- 
baͤudes dienen kennte, ward beraten und ausge 
fuͤhrt, daher die aͤnßere Betappung fogleih vorge 

nommen. Nachdem auch im Innern -gewiffe Hin⸗ 
derniffe mit Lebhaftkigkeit beſeltigt waren, ward 
nunmehr die Schloßblbliothek transtockitt, welches 
mit beſonderer Sorgfalt und Vorſicht geſchah, 
indem man ſie In der bisherigen Ordnung wie⸗ 
der auffirlite, am bis zur neuen Anorbumg auch 
die Benutzung derfelben nicht zu untetbrechen. 
tteberhaupt iſt hier zu Ehren der Angeſtellten zu be⸗ 
merten, daß bei allem Umkehren des Ganzen wie 
des Einzelnen die Bibliothek nach wie vor, ja nurh 

viel ſtaͤrker und lebhafter, benutzt werden konnte. 
Her finde Ih am eine Schald abpatragen, tu- 
dem Ich die Mäntrer mente ; welche mir In Yiefom 
hoͤchſt verteilten id verworrenen Sefajkfr "reits 





443 


- ich “und jeber Anorduung gemaͤß mitwirbend ſich 
erwiefen haben. -Profeffer Guͤldenapfel, Disgeriger 
. Yenalfcher Bibliothekar, sharte- unter bean ’sorigen 
Buftand ſo viel gelitten, daß er zu einer. Voraͤnde rung 
derfelben freudig die Send bot, und eine gewiſſe 
hvpochondriſche Sorgfalt auch auf die neue Veraͤu⸗ 
derung mit Raͤthlichleit hiunwendete. Rath VBul⸗ 
pius, Bibliothelar In Weimar, hatte bisher der 


im Schloß verwahrten Buͤttneriſchen Vibliothek vor⸗ 


‚geftauden, und verſagte zu der Dwanslocation der⸗ 
ſelben feine Dienſte nicht, wie ex. denn auch nanche 
neune noͤthig werdende Verzeichniſſe mit großer Fer⸗ 
nigkelt zu liefern wußte. Dr. eher, ein junger 
kraͤftiger Mann, übernahm die Obforge Aber. die oft 
miß lichen Baulichteiten, indem ſowohl Lie Be⸗ 
nutzung der Localitaͤten zu neuen Zwerken als anch 
der Wiedergebrauch von Repoſitorien und andern 
Holzarbeiten eine ſowohl gewandte als forrdauernde 
Aufficht und Anleitung erforderten. Der Gangzliſt 
Compter, ber bisherige Cuſtos der Schloßbibliothek 


Farber thaten jeder an ſetiner: Stelle und auf ſeine 


Woelſe das Moͤgliche, fo daß ich In diefem Falle die 
Liebe zur Sache und die Anhaͤnglichteit an mich 
real. Angeſtellten nicht genug fam zu ruͤhmen 
wuͤßte. 

Innerhalb dieſer arbeltſamen Zeit war der Pers 
$auf der Grunerſchon ſo hoͤchſt bedeutenden Biblio⸗ 
thek angelandigt, und ſogar der Antrag gethan 
ſoſlche im Ganzen anzutaufen und die. Dubledten in 


4144 
ber Folge wieder zu veräußern‘ Ich, als ein ab: 
gefagter Feind fotcher Operationen, bei denen nichts 
zu gewinnen iſt, ließ den Grunerſchen Katalog mit 
den Katalogen ſaͤmmtlicher Bibliotheken vergleichen 
und durch Buchflaben andeuten, was und wo es 
ſchon befeffen werde: Durch biefe muͤhſelige und 
in der Swifchengelt ‘oft getadelte Sorgfalt erfchien 
gulegt, wie viel Vorzuͤgliches die Öffentlichen An- 


falten ſchon beſaßen; über bas andere was noch zu 


acquiriren wäre, ward bie medichnifhe Facultaͤt 
gefragt, und wir gelangten dadurch mit mäßigem 
Aufwand zu dem Inhalt ber ganzen Grunerfchen 
Bibliothek. Schon aber konnte fih diefe neue nuꝛ 
eben erſt Beſtand gewinnende, in Gefolg ihres aka: 
demifchen Rufes, einer auswärtigen Aufmerkfam- 
teilt erfreuen, indem mit freundlicher Anmerkung 
der Herzog von Egreton bie von Ihm herausge⸗ 
sebenen Werke fämmtlich einfendete. Im Novem⸗ 
ber erftattete die Behörde einen Hauptbericht, wel- 
cher ſich hoͤchſten Belfals um fo mehr getröften 
ſollte, als ber umſichtige Fürft:perfönlih von dem 
ganzen Gefchäftögange Schritt vor Schritt Kennt: 
niß genommen hatte. 

Die Oberaufficht über bie ſaͤmmtlichen unmittels 
baren Anftalten hatte fi Im Innern noch einer be: 
ſondern Pflicht zu entledigen. Die Thaͤtigkeit In 
einzeinen wiffenfchaftlihen Fächern hatte fich derge⸗ 
flalt vermehrt, die Zorderungen waren auf einen 
ſolchen/ Grad gewachſen, daß der bisherige Etat 

nibqt 





. 188 


nicht meha hönreiihte. Dieß konute zwar Im Game. 
zen: bei guter Wirthacraft einigermaßen ausgeglichen. 
werden: allein das Unfihere mar zu. befeitigen, ja 
es mußten, mehrerer Kiarheit wegen, neue Rede 
nungscapitel unb eine neue Etatsordnung einge-. 
führt werden. In diefem Augenblit war der bie: 
herige Rechnungsfuͤhrer, als Rentbeamter, von 
Hexrjoglicher Kammer an eine andere Stelle befoͤr⸗ 
Dert, und bie beichwerlice Arbeit, die alte Rech⸗ 
nung abzuſchließen, bie. Gewährichaft los zu werben 
und eineg neuen Etat nebft Rechnungsformular aufs 
zuſtellen, Uieb mir dem Morgefehten, der wegen 
Eigenbelt ber Lage fi kaum der Mitwirkung eines 
Kunſtwerſtaͤndigen bedienen konnte. 

Auch in dleſes Jahr fällt ein Unternehmen, 
Deſſen man fich vielleicht nicht Hätte unterzichen fol- 
len: das Abteagen bes Löherthore. Als nämlich. 
Das, heiter auch von außen hergefiellte Bibliotheks 
gehäude den Wunſch hervorrief, gleicherweiſe bie 
naͤchſte bisher vernachläffigte Umgebung gereinigt 
"und erheitert zu ſehen, fo that man den Vorſchlag, 
ſowobl das. äußere als Innere Loͤberthor abzutragen, 
zu gleicher Zeit die Gräben auszufällen und dadurch 
einen Marktplatz für Holz: und Fruchtwagen, nicht 
weniger ‚eine Verbindung ber Stadt in Feuersge⸗ 
fahr mit_ ben Teichen zu bewirken. Das Lehtere 
warb auch bald erreicht; als man aber an die in⸗ 
nern Gebäude kam, durch deren Wegräumung man 
einen Rettlichen Eingang. der Stadt wu gewinnen 

— Bar, XXI. ®, 19. 





446 


hoffte, that fi eine Gegenwirkung hervor, ge⸗ 
gründet auf die moderne Marime, baß ber. Ein 
zeiue durchaus ein Recht babe gegen ben Vorthell 
des Sanzen ben feinigen geltend zu machen. Und 
fo blieb ein hoͤchſt unſchicklicher Aubli ftehen, dem, 
wenn. es glädt, bie Folgezeit den Augen unferer 
Nachkommen entziehen wird. 

Für die Einfiht in höhere bildende Kunſt bes 
gann dieſes Jahr ‚eine neue Epoche. Schon war 
Nachricht und Zeichnung der Aeginetifhen Marmore 
zu uns gefommen, bie Bildwerke von Phigalla 
ſahen wir in Selchuungen, Umriffen und ausgeführ- 
teren Blättern vor nnd, jedoch war das Hoͤchſte uns 
noch fern geblieben; daher forfchten wir dem Var⸗ 
thenon und feinen Glebelbildern, wie fie die Rei⸗ 
fenden bes fiebzehnten Jahrhunderts noch gefchen 
hatten, fleißig nach, und erhleften von Paris; jene 
Zeihnung copirt, bie damals zwar nur leicht gefer⸗ 
“tigt, doch einen beutlichern Begriff von ber Inten⸗ 
tion des Ganzen vesihaffte, als es in ber neuern 
Zeit bei fortgefehter Zerftörung möglih it. Aus. 
der Schule des Londner Mahlers Hapbon fanbte 
man uns die Sopien in ſchwarzer Kreide, glei 
geoß mit ben Marmoren, ba und denn der Hercu⸗ 
les und die im Schoos einer andern ruhende Figur, 
auch die dritte dazu gehörige Sidende, im 
Maßſtab, in ein würbiges Erſtaunen verfeßte. El⸗ 
nige Weimariſche Kunftfreunde hatten auch bie 
Gppsabgäife wiederholt geſehen, und beiräfiigtem, 





147 


daß man bier die hoͤchſte Stufe der nffrbete 


Kunſt Im Altertum gewahr werbe. 
Zu gleicher Zeit ließ und eine koſtbare Sendung 


von Kupferſtichen aus dem ſechzehnten Jahrhundert 


in eine andere gleichfalls hoͤchſt ernſthaft gemeinte 
Kunſtepoche ſchauen. Die beiden Baͤnde von Bartſch 


XIV und XV wurden bezuͤglich hierauf ſtudirt, 


und was wir dahin gehoͤriges ſchon beſaßen durchge⸗ 

ſehen, und nur einiges, wegen ſehr hoher Preife, 

‚mit befcheldener Liehhaberey angekauft. 
Gleichfalls hoͤchſt unterrichtend, in einer neuern 


Sphäre jedoch, war eine große Kupferſtich-Sen⸗ 
dung aus einer Leipziger Auction. Sch fah Jack⸗ 


ſons holsgefchnittene Blätter beinahe vollftändig 


zum erftenmal; ich ordnete und betrachtete biefe 
Acquiſition, und fand fie in mehr ale Einem Sinne 
bedeutend. Eine jede Technik wird merkwuͤrdig, 
wenn fie fih an vorzuͤgliche Gegenſtaͤnde, ja wohl 
gar an ſolche wagt, bie das ihr Vermoͤgen hinaus⸗ 
reichen. 


Aus der Franzoͤſiſchen Säule erhielt ih lvlele | 


gute Blätter um den geringften Preis. Die Nachbar- 
natton war bamald In dem Grabe verhaßt, daß 
man ihr kein Merdienft zugeftehen, und_fo wenig 
- irgend etwas das von ihr herfäme, an feinen Be— 
fiß herangiehen mochte. Und fo war mir fhon ſeit 
einigen Auctionen ‚gelangen, für. ein Spottzeld, 
bedeutende, ſogar in der — und Kunfigefhihte 





140 


wohl gelannte, durch Aueldeten und Eigenheiten 
der Kuͤnſtler namhafte große wehlgeſtochene Blätter, 
eigenhaͤndige Madirungen mehrerer im achtzehnten 
Jahthundert beruͤhmter und beliebter Kuͤnſtler, das 
Stuͤck für zwey Groſchen anzuſchaffen. Das Gleiche 
gerieth mir mit Sebaftian Bourbons geäßten 
Blättern, und ich lernte bei diefer Gelegenheit 
einen Känftler, ben ih immer im Allgemeinen ge⸗ 
fhägt, auch im Einzelnen werth achten. 

Eine Medaille, welhe die Mailänder zu Ehren 
unferes Zürften ald ein Andenken. feines dortigen 
Aufenthalts prägen laffen, gibt: mir Gelegenbeit 
zus: Plaſtik zurädzufcehsen. Ich acqulrirte zu glei⸗ 
cher Zeit eine vorzuͤglich fehbne Münze Ateranbers; 
mehrere kleine Bronzen von Bedeutung wurden 
mit in Carls bad thetie kaͤuflich, tyeils darch Freun⸗ 
decgeſchenb, gluͤclich zu eigen. Graf Tolfkofs 
Basreiiefe, deren ih: nur wenige kannte, über: 
ſchicte mir des wohtwollende Kuͤnſtler, durch einen 
voruͤbereilenden Courler, und daß ich noch einiges 
Zerſtreute zuſammenfaſſe, das Kupferwerk voru 
Sanyo Santo in Bife erneute das Stubbsn.iemer 
älsern Eyode, fo wie Im wanderbarſten Gegenſah 
dad Omaggio.della Provincia Veneta alla.S, M. 
; YImperatrice d’Asstria, von bem- wunderlichen 
Sinnen und Denken gleichzeitiger Künfler ein Bel: 
fpiel-vor Augen bradte. Don dem in Paris beſtell⸗ 
ten zwey Pferbelöpfen, einem Venezlanbſchen und ı 
Atheniſchen, kam jener zuerſt und Ueß .und feine: 


r ' : 449 
Vortzage· empſiaden, chend der andere durch Aber⸗ 
ſchwengliche Großhelt dafaͤr ‚mempfängti gemaot 
Bi 





L) 


181% 

vVon perfönfigen Verhältniffen waͤre 
" folgendes zu fagen: die König on Wuͤrtemberg 
ſtirbt zu Unfeng, Erbgroßherzog von’ Medienburg 
zu Ende »des Jahrs. Staatembniſter von Voigt 
verläßt meiden 22 März, fuͤr mich entſteht eine 


große Luͤcke, und dem Kreiſe meiner Thaͤtigkeit 


entgeht ein mitnirkendes Princip. Er fuͤhlte ſich in 
ider letzten Zeit ſehr angegriffen von den unaufhhalt⸗ 
ſam wirklenbden revolutiondren Potenzen, und isch 
ptles ihn deßhalb ſelig, daß er die Ermordung 
Kotzebne's, die am 23 März vorfiel, nicht mehr 
erfuhr, noch durch die. heftige Bewegung, weiche 
Deutſchland hlerauf ergriff, aͤngſtlich beunruhigt 
wurde. 
In dem ubrigens ganz ruhlgen Gang und Bug 
‚der Weit trafen Ihrvo Meaieftdt die reglerende Kal⸗ 
ſerin von Nußland In Wetmar ein; ich fa in diefer 
.- Zeit den: Grafen Stourdza mb ben: Staaterath 
yon Köhler, 

Erfreuliches begegnete dem: Fuͤrſtlichen Haufe, 
daß dem Herzog’ Bernhard ein Sohn geboren "war, 
An Eteigulß,⸗das allgemeine Heiterleit verbreitet⸗ 


* 





: 150 \ 

Der Aufenthalt in Doraburg und Jena gab zu man- 
cherlei Dergnüglichleiten Anlaß. Die Prinzeffianen 
hatten ihren Garten in Jena bezogen, wodurch 
denn bin und her viele Bewegung entftand; auch 
wurde die hohe Geſellſchaft dadurch vermehrt, daß 
Herzog von Meiningen und Prinz Paul von Med⸗ 
fenburg, der Studien wegen, in Jena einige Zeit 
verweilten. 

In Carlsbad ſah ich Fuͤriu Metternich und 
deffen diplomatifche Umgebung, und fand an ihm 
‚wie fonft einen guädigen Herrn. Grafen Bern 
ſtorf lernt ich perfönlich Fennen, nachdem ich ihn 
. lange Jahre hatte vortheilhaft nennen hören, und 
Jhn wegen inniger treuer Verhaͤltniſſe zu werthen 
Steunden aud fhägen lernen. Auch fah ich Graf 
Kaunis und andere, die mit Kaiſer Franz in Mom 
geweſen waren, fand. aber feinen darunter, der non 
‚ der deutihfrommen Ansftelung im Palaſte Eaffa- 
relli hätte ein Günftiges vermeiden mögen. Den 
Strafen. Sarl Harrach, den ich vor fo viel Jahren, 


als er fib der Medicin zu widmen den Entſchluß 


faßte, In Carlsbad genan kannte, fand ich, zu mei⸗ 
nem großen Vergnügen, gegen mic ‚wieder wie ich 
ihn verlaffen, und feinem Berufe nunmehr leiden: 


Schaftlih tren. Seine ganz einfach lebhaften Er⸗ 


zählungen von der beweglichen Wiener Lebensweife 
verwirrten mir wirklich In den erſten Abenden Siune 
und Verſtand, doch in der Folge. giug es beſſer; 
theils ich die Darſtellung eines fo Ereifeihaften 


8d 








- 451 


Treibens mehr gewohnt, theils befchräutte er fi 
auf die Schliderung feiner praktlihen Chaͤtigkeit, 
Ärztlicher Verhaͤltniſſe, merkwuͤrdiger Berübrungen 
und Einflüffe, Me eine Perſon der Art als Standes-, . 
Welt: und Hellmann erlebt, und ih erfuhr In die⸗ 
fen Puncte gar manches Neue und Srembartige, 


Geheimerath Behrens von Berlin, ein fo- 
gleich Vertrauen erwedender Medicus, ward mir 
und meinem Begleiter dem Dr. Nebbein, einem 
jüngeren, vorzüglich einfichtigen und forgfältigen 
Arste, als Nachbar lieb und werth. Die verwitt- 
wete Fran Berghauptmann von Trebra erinnerte 
mid an ben großen Verluſt, ben ich vor kurzem In 
ihrem Gemahl, einem vieljährigen fo nachfichtigen 
als nachheilfenden Freund erlitten; und fo warb Ich 
auch im Geſpraͤch mit Profeffor Dietrich von Com⸗ 
motau an frühere Töpliger Momente bingewiefen, 

alte Frende, altes Leid wieder hervorgerufen. | 


Zu Haufe, fo wie In Jena, ward mir gar man⸗ 
ches Gute durch bleibende und vorübergehende Per⸗ 
fonen. Ih nenne bie Grafen Canikoff und 
Bombelles, und ſodann ditere und neuere Freun⸗ 
de, theilnehmend und belehrend. Nees von 
Eſenbeck, nah Berlin reifend und zuruͤckkehrend, 
von Stein aus Breslau. Mannichfeltige Mit- 
theilungen biefes thätigen räftigen Mannes und 
fräperen Zoͤglings erfreuten mich. Ein gleiches 
Verhaͤltniß -ernenerte ſich zu Bergrath yon. Herz 








353 


ber... Senornl- Ouyerintenbent Kraufe erfiblen 
als tieftranter Maun, und man mußte vielleiiht 
manche ſchwache Aeußerung einem Inwehnenden wu: 


‚helibaren Uebel zuſchreiben. Er empfahl den oberen 


Ciaffen des Sramaſſuas Tiedgens:Mranla als. 
ein Haffifhes Wert, wohl uliht bedenkend, daß Vie 
von dem treffiihen Dichter fo glädlih befämpfte 
Zweifelfuht ganz aus der Mode gelommen, daß 
niemand mehr an fich felbft zweifte, und ſich die 
Zeit gar nicht nehme an Gott zu zweifeln. Seine 
Gegenwart muthete mich nicht an; Ich habe Ihn nur 
einmal gefehen, und bedauert daß er feine gerähmte 
Einfiht und Thätigkeit nicht auch an Weimarifchen 
Kirchen und Schulen babe beweifen fönnen. Lebens⸗ 
beiterer war mir der Anblick ber zahlreichen See: 
beckiſchen Familie, die von Nürnberg nad Ber⸗ 
Im 309, den glüdlihen Aufenthalt an jenem Orte 
mit innigem Bedauern rühmend, früherer Je⸗ 
nalfher Verhaͤltniſſe an Ort und Stelle ſich leb⸗ 
Haft erinnernd, und nad Berlin mit freudiger Hoff- 
nung hiuſchauend. Ein Beſuch Dr. Schopen⸗ 
hauers, eines melft verfannten, aber auch fechwer 
zu fenmenden, verbienftvolen jungen Mannes, regte 


mich auf und gedlieh zur wechſelſeitigen Belehrung. 


Ein junger Angefieitter von Berlin, der ſich dur 
Calent, Maͤßigung und Fleiß ans bedenklichen An- 
ſtaͤnden zu einer anſehnlichen Stelle, eluem beque⸗ 
men haͤuslichen Zuſtande und einer ruͤbſchen jungen 
Stan geholfen hatte. Major von Luck, der Maln⸗ 


\ 


2 45 
zer Humoriſt, der ganz nach ſeiner Welle zum Bes 
Such bei ‘mir unverſehens eintritt, fein Bleiben 
ohne Noth verkürzt und gerade aus Hebereilung die 

-  Meltegelegenheit verfäumt. Franz Ntcötoving, 
ein lieber Verwandter, hielt ſich länger auf, und 
gab Naum eine vielverfptechende Jugend zu Temren 

- and zu ſchaͤtzen. Geheimerath von Willemer, 

: ber bie Folgen einer für ihn Höchft traurigen Ange⸗ 
legenheit großmuͤthig abzulenfen ſuchte, reiftte nad) 
Berlin, um von Ihro Majeſtaͤt dem Köntg Ver⸗ 
zeitung Tür den Gegner feines Sohnes zu eiflehen. 
Der Siehe Gigas beſuchte mich bfters, auch 
hatte. ich feine Landsleute, bie um höhere Bildung 
zu gewinnen nah Dentfchland gekommen waren, 
immer freundlich aufgenommen. Praͤftdent von 
Belten and Bayreuth, fo fehr wie jeder Vorge- 
feßte von akademiſcher Turbulenz beunruhigt, "bes 
fügte mih, und man kounte ſich uͤber die damals 
fo dringeriden Angelegenheiten nichts Erfreuttches 
mittheilen. Die Weimar: und Gothaiſchen Megle- 
rungs bevollmaͤchtigten von Eonta and von Hof 
fprachen gleichfalls wegen afabemifcher Beſorgulſſe 
bei mir ein. Ein Sohn von Baggefen erfreute 
mic durch heitere Gegenwart und unbewundenes 
Geſpraͤch. Eruſt von Schiller, dem es Hier 
nicht giäden wollte, ging einer Auftellung im Preu⸗ 
Bifhen entgegen. Sodann lernte ich noch einen 
jungen Chemicus, Namens Runge, kennen, ber 
- mir auf gutem Wege au. feyn ſchlen. 


4154 
+ 


Des Antheils hab’ ich nunmehr zu erwähnen, 
ben- man meinem fiebzigfien Geburtstage an vielen | 
Drten und von vielen. Seiten ber zu ſchenken ge- | 
neigt war. Durch eine wunderlihe Grille eigenfie 
niger Verlegenheit fuchte ich der Zeyer meines Ge: 
burtstags jederzeit auszuweichen. Dießmal Hatte 
ich ihn zwiſchen Hof und Carlsbad auf der Reiſe zu 
gebracht; am letzten Orte kam ich Abends an, und 
in befchränftem Sinne glaubt’ id überwunden zu 
baden, Allein am 29 Auguft follte ih zu einem 
fhon befprohenen Gaſtmahl auf den Poſthof einge: 
laden werden, wovon ich mid, In Ruͤckſicht auf 
meine Sefundheit, nicht ohne Srund entichuldigen 
mußte. Auch überraichte mich aus ber Ferne noch 
gar mannichfaltiged Gute. In Frankfurt am Main 
hatte man am 28 Anguft ein ſchoͤnes und bedeuten 
des Zeit gefevert; die Geſellſchaft ber Deutſchen 
Geſchichtskunde hatte mich zum Ehrenmitgliede er: 
nannt, bie Ausfertigung befhalb erhielt Ih durch 
minifteriele Gelegenheit. Die Medlenburgifcen 
Herren Etände ‚verehrten mir zu dieſem Tage eine 
goldne Medaille, als Dankzeichen für den Kunſt⸗ 
antheil den ich bei Merfertigung der. Bluͤcheriſchen 
Statue genommen hatte. 








46 
168 2 0. 


Nachdem wir den 29 Maͤrz eine Mondderdunt⸗ 
lung ‚beobachtet. hatten, blieb bie auf den 7 Sep⸗ 
tember angekuͤndigte ringfoͤrmige Sonnenfinſterniß 
unſer Augenmerk, Auf der Sternwarte zu Jena 
wurden vorläufige Zeichnungen derſelben verfertigt, 
Der Tag kam heran, aber leider mit ganz uͤberwoͤlk⸗ 
tem Himmel. In dem’ Garten der Prinzeffinnen 
waren Einrichtungen getroffen, daß mehrere Per- 
fonem zugleich eintreten konnten. Sereniſſimus be: 


ſuchten Ihre eben Enkel zur guten Stunde, bag 
Gewoͤlk um die Sonne ward liter, Anfang und 
”. Mitte Fonnten vollfommen beobachtet werben, und 


den Austritt, dad Ende zu fehen begab man fi 
auf die Sternwarte, wo Profeffor Poſſelt mit an- 
bern Angefteiten befchäftigt war; Auch hier gelang 
die Betrahtung, und man konnte vollfonimen zu— 
frieden feyn, während in Weimar ein bedeckter 
Himmel jede Anficht vereitelte. 


Auf einer Reife nach Carlsbad beobachtete ich 


die Woelkenformen ununterbrochen, und redigirte 
- : bie: Bemerkungen daſelbſt. Ich ſetzte ein ſolches 


Woltendiarium bie Ende: July und weiter fort, wo⸗ 


durch ich die Entwicklung der fichtbaren atmofphärl- 


fhen Zuftände auseinander immer mehr kennen 
lernte, und endlih eine Zuſammenſtellung ber 
Woltenformen auf einer Tafel In verichledenen Zel- 


‚dern unternehmen, fonnte, Nah Haufe äurüdge- 





= x 456 r 
kehrt, beſprach Ich die Angelegenheit mit Profeſſot 


— 


Poſſelt, welcher daran ſehr verſtaͤndigen Theil 
nahm, Auch wurden nunmehr von Elſenach Wet: 


terbeobachtungen. eingeſeudet. Mon Büchern för: 
derte mich am meiften Brandes Witterungs kunde 
und ſonſtige Bemuͤhungen in dieſem Fache. Ditt⸗ 
mars Arbeiten wurden benutzt, freillch nicht in 
dem Sinne wie es der gute Mann wuͤnſchen mochte. 

Das Botaniſche ward nicht außer Augen gelaf⸗ 
fen; der Velvederiſche Katalog kam zu Stande, nad 
‘ib ſah mich dadurch veranlaft die Geſchichte ber 
Belmariihen Botanik zu fhreiben. Ich kkeß bier: 
‚auf ein Zranzdiifbes Heft überfehen, Das in. ga 
lontem Wortrag bie, Vermehrung der. Erifen au: 


rieth und anleitete. Jäger über Mipbäidung der 
Pflanzen, Decandolle Arzueyktaͤfte derſeiben, 


Henſchel gegen die Sexualität, Nees von 
Eſenbecks Haudbah, Robert Braum über bie 
Spngenefiften wurden fämmtlic beachtet, da ein 
Aufenthalt in dem botenlihen Garten zu Jena mir 
dalin die erwuͤnſchteſte Muße gab, 

WBedeutender Honkathau wurde 'atfıber 'Erck 
beobachtet und beſchrieben; Herr Dostor‘Carnd 
thellte von einem Korchhof in Sachfen ein zartes 
Veflechte ‚von Lindenwurzan mit, weiche, zu ben 
Saͤrgen hinabgeſtiegen, dieſe ſowohl als die enthalde⸗ 


nen Leichname wie mit Fliigranarbelt unwickelt Wat: 


ten. Jeh fuhr fort mich mit Wartung bes: Bryophyl- 
Aum sälychaum zu beſchaͤfſtigen, dieſer Yıkange · die 


———_ 


⸗ 


Bu; 


dem Teiumph- ber Metamorphoſe im. Offenbaren- 
feyert. Zabeflta war durch bie Reiſe Defterreichts 
ſcher und Baverliher Naturforfber nah Brafilien 
die lebhafteſte Hoffnung erre at. & 

Auf meiner Meife nad Carlsbad nahm ih den 
De über Wunſiedel nach Alexandersbad, wo ich 
bio: ſeltſaman Trümmer eines. Granitgeblrges nad) 
olelen· Jahren feit 1785 zum erſtenmal wieder 
eobachtete. Mein Abichen- vor. gewaltſamen Er⸗ 
drangen‘, ‚die man. auch bier mit reichlichen Erd⸗ 
eben, Vulcanen, Waflerfiutben und andern Kita⸗ 
üſchen Ereignifion;geltend: zu. machen ſuchte, warb 
uf ber-Stelle vermehrt, da: mit. einem. rubigen 
glick ſicht gax wohl erkennen ließ, daß durch theil⸗ 
see Aufloͤſung wie theilmeife Beharrlichkeit des Ur⸗ 
eſteins, durch ein daraus exfolgendes Stehenblelben, 
Anden, Stuͤrgen, und zwar In ungehenern Maſſen, 
efe:flannensmütdige- Erfihelsung ganz naturgemäß 
h ergeben habe. Auch dieſer Gegenſtand ward Im 
einen wiſſenſchaftlichen Heften wörtiih und bildlich 
wubgteit; ich zwaifle jedych daß eine fo. ruhige An⸗ 
ei Dem turbulenten Keitalter genügen werde; 

In Earls bad leste Ich hie alte gengnoftihe Folge 
eben tm. belehrenden Muftern zufammen, worunter 
oͤue Städerded Granits vom Schloßberge un 
eenhardtsfelſen, mit Hornſteinadern durchzogen, 
: wohl. in die Augen fielen. Eine neue fpecigliere: 
lge, auf Porcellan⸗ und Steingutgsfabricotion. fi 
iohend,. augleih die natürlichen unveränderten - 





458 s 
Stüde enthaltend, warb angefügt. Cine ſolche voll⸗ 
ftändigfte Sammlung zeigte ih dem Fuͤrſten von 
Thurn und Tarid und feiner Umgebung vor, wels 
her bei theilnehmendem Beſuch mit dem Aufgewie⸗ 
fenen zufrieden ſchien. 

Den pfenbovulcanifchen Gebirgen ſchenkte ich 
gleichfalls erneute Aufmerkſamkeit, wozu mir einige, 
Behufs des Wegebanes, neu aufgeſchloſſene Berg: 
raͤume in der Gegend von Dallwitz und Leſſau die 
beſte Gelegenheit gaben. Hler war ed augenfaͤlllg 
wie die urſpruͤnglichen Schichten bes früheren Fiäp- 
. gebirges, ehmals innigſt mit Steinfohlenmaffe ver: 
miſcht, nunmehr durchgegluͤht, als bunter Porcellan- 
jaſpis, in ihrer alten Lage verharrten, dba denn 
z. B. auch eine ganze Schicht: ftengtichen Eifenftelnd 
ſich dazwiſchen deutlich auszeithnete, und Veranlaſ⸗ 
fung gab, ſowohl die Muͤlleriſche Sammlung, als 


die eigenen und Freundescabinette, mit großen und 


‚ beiehtenden Stüden zu bereichern. - 

Als ich num hierauf den, duch ben Wegeban, 
immer. weiter aufgefchloffenen Kammerberg bei @ger 
beftieg, forgfältig abermals’ betrachtete und Lie 
regelmäßigen Schichten deſſelben zenau anfah, fo 
mußt’ ich freilich zu ber Ueberzengung bed Berg 
r Reuß wieder zuruͤckkehren, und dieſes proble⸗ 
matiſche Phaͤnomen fuͤr pſeudovulcaniſch anſprechen. 
Hier war ein mit Kohlen geſchichteter Glimmerſchie⸗ 
fer wie dort ſpaͤtere Thonflöhlager durchgluͤtzt, ger 


ſchmolzen und dadurch mehr oder weniger verändert. 








159 


Diefe Üeberzeugung einem friſchen Anſchauen 
gemäß, Toftete mich nichts ſelbſt gegen ein eignes 
gebrudtes Heft anzunehmen; denn wo ein beden42 
tendes Problem vorliegt, tft e6 Tein Wunder wenn 
ein redlicher Forfher In feiner Wreinung wechfelt. 

Die kleinen Bafalte vom Horn, einem hohen 
Berge in der Nähe von Ellbogen, denen man bei der 
Groͤße einer Kinderfauft oft eine beftimmte Geſtalt 
abgewinnen kaun. Der Grundtypus, woraus alle 
die übrigen Formen fich zu entwideln fchlenen, ward 
in Thon nachgebildet, auch Mufterfläde an Herrn 
von Schreibers nach Wien gefendet. 

Auf den Jenaiſchen Mufeen revidire fh die . 
Carlsbader Suite mit neuer Ueberfiht, und da man 
denn doch immer vorfäßliche Fener- und Gluthver⸗ 
ſuche anftelt, um zu den Naturbrändem parallele 
Erſcheinungen zu gewinnen, fo hatte ich In der Fla⸗ 
ſchenfabrik zu Zwaͤtzen dergleichen anftellen laſſen, 
und es betrübt mich die hemifchen Erfolge nicht Im 
ber eingelelteten Ordnung des Kataloge aufbewahrt 
zu haben, befonders da einige Gebirgsarten nad) dem 
beftigften Brande fich Augerft regelmäßig geftalteten. 
Sleiherweife fandte man von Coblenz aus natärlt- 
hen Thon und baraus übermäßig gebrannte Ziegeln, 
welche auch ſich ſchlacenartig und zugleich geftaltet 
erwleſen. 

Jüngere Freunde verſorgten mich mit Mufter: 
ftüden von dem Urgeſchlebe bei Danzig, ingleichen 
bei Berlin, aus denen man eine völlig foftematifche 


160 


Sammlung Geſteinarten, und smar is ihnen haͤrte⸗ 
ſten Feld: und Bangtheilen anreihen kounte. 

Das Beifpiel einer allerlezten Formation zeligte 
uns der Steinfchnelder Facius. Er hatte in einem 
Tufffteinconglomesat, weiches mancerlei abgerundete 
Geſchiebe enthielt, auch elgen geſchnittenen Chalce⸗ 
don gefunden, worauf ein Obelisk mit allerlei nicht 
Aegpptiſchen Zeichen, ein kaieend Betender an der el⸗ 
nen, ein ſtehend Opfernder au der andern Seite, 
von. leidliher Arbeit. Man ſuchte ih biefe offen 
dar zufällige Erfchelnmg aus vorwaltenden Umſtaͤn⸗ 
den zu erklaͤren, bie jedoch bier zu entwickeln nicht 
der Drt li. Der Medienburgifhe Kammerherr 
‚Kerr von Preen verehrte mir von einer Reife 

aus. Toro witgebrachte bedeutende Minexralien; 
Graf Bebemar, koͤniglich Dänifher Kammer: 
herr, ſchoͤne Opale von den Kerroe = Jufeln. 

Au Büchern waren mir Fehr angenehm: Noofe 
Aber Bafaltgenefe, ein alter Sleichzeitiger, ber auch 
noch an alten Begriffen bielt; ferner defien Sym 
bdola; einen Auszug bes erſteren theitt! Ih Im Deude 
mit., ‚einer bed ledteren Legt noch unter meinen Va⸗ 
‚pieren. Herrn uon Schreibers Aerslitben für 

derten ung auc in biefem Capitel. Won England 

waren ſehr willlommen The first Principles of 

Geology, byG.B. Greenougbh. Lond. 4849. 

Die Werneriſchen Anfihten, bie men. nun ſchon fo 
viele Jahre gewohnt mar, in einer fremden Spracht 

wieder zu veruchmen, war aufregend ergöslicd. 

Eine 





- 


7 


ine große geologiſche Charte von England wer 


ıcch befondere Ausführung und Meinlichleit einer 
nften Belehrung hoͤchſt foͤrderlich. Als ſelbſtthaͤ⸗ 


g lieferte ich zur Morphologie und Raturwiflene 


haft des erfien Bandes drittes Heft. 

Erifche Luft zu Bearbeitung ber Farbenlehre ga= 
en bie entoptifchen Zarben. Ich hatte mit großer 
sorgfalt meinen Aufſatz Im Auguſt dieſes Jahrs ab- 
eschloffen und dem Drud übergeben. Die Ablel- 
ing, ber ich in meiner Farbenlehre gefolgt, fand 
ch auch bier bewährt; ber entoptifche Apparat war 
mer mehr vereinfacht "worden. Glimmer- und 
zypsblaͤttchen wurden bei Verſuchen angewendet, 
nad ihre Wirkung ſorgfaͤltig verglichen. Ich hatte 
as Gluͤck mit Herrn Stanısrath Schulz diefe An- 
elegenheit nochmals durchzugehen, ſodann begab 
ch mich an verſchiedene Paralipomien« der Farben⸗ 
era Purkinje zur Kenntniß des Sehens warb 
usgegogen und die Widerfaher meiner Bemühun- 
en nah Fahren aufgeftelt. 

Bon theilnehmenden Freunden wurd' ich auf ein 
Berk aufmerkſam gemacht: Nouvelle Chiroagene- 
ie par le Prince, weldes ald Wirkung und 
Beftätigung meiner Zarbenlehre angefehen werden 
Dane. . Bel näyerer Betrachtung fand ſich jedoch ein 
yedeutender Unterfhied. Der Verfafler war auf dem⸗ 
reiben Wege wie ich dem Irrthum Newtons auf die 
Spur gefommen, allein er foͤrderte weder fih noch 
andere, Indem er, wie Doctor Read auch gethän, 

Seethes Werte. XXXII. Bo. 44 


—8 


etwas gleich uUnhalthares an NMe alte Etelle ſetzen 


wollte. Es gab mir zu abermaliger Betrachtung 
Anlaß, wie der Menſchy von einer Erleuchtang er: 
griffen und aufgeklaͤrt, doch ſo ſchnen vieder in · die 


Finſterniß ſelnes Indioldunms zuruͤckfaͤſt, wo er 


ſich alsdann mit einem ſchwachen ——— kuͤm⸗ 
merlich fortzuhelfen ſucht. 

Gar marcherlei Betrachtungen uͤber Das: Herkom⸗ 
men in den Wiſſenſchaften, über Vorſchritt und 
Retardation, ia Ruͤckſfchritt, werben angeſtellt. Der 
ſich immer mehr an den: Tag gebende, und doc im⸗ 


“mer geheimnißvollere Bezug aller phyſtkalifchen Phaͤ⸗ 


nomene auf einander ward mit Befcheibenheit be- 
trachtet und fo die Chladniſchen und Seebeckiſchen 
touren paralleliſirt, als auf-einmat in der Ent: 
deckung des Bezugs des Galvanismus auf die Mag⸗ 
netnadel, durch Prof. Derftedt, ſich und ein bei- 
nahe blendendes Licht aufthat. Dagegen betrachtete 


ich ein Beiſpiel des fuͤrchterlichſten Obſeurantkiimns 


mit Schrecken, indem ich die Arbeiten Biots uͤber 
die Polariſation des Lichtes näher ſtudirte. Man 
wird wirklich krank über. ein ſolches Verfahren; ders 
gleichen Theorien, Beweis- und Ausführungsarten 
"find wahrhafte Nekrofen, gegen werde die leben⸗ 
digfte Organtfation ſich nicht herſtellen kann. 


Der untere große Jenaiſche Biblidthekſaal war 


nun in der Hauptfache hetgeſtellt; die Mepofitoriem, 
. die fonft: der Länge nach der Raum verfinfterten; 
nahmen nummehr in der Quere dns Licht gehbrig- 





168. En 
auf: En: buntes, yon-Serentfiimo: verchtied ait⸗ 


deutſches Fenſter ward eingeſetzt und Daneben die 


— — — — — — 


Gypsbuͤſtun der beiden Herten Nutritoren aufge⸗ 
ſtellt, in dem oberen Saal ein geraͤumager Pult⸗ 
eingerichtet und: fo immer mehreren Erforderubffen .· 
Genuͤge geleiſtet. Um in den allzueisfachen, unver⸗ 
ziorten, dem Auge wenig Ergoͤtzliches bletenden Saͤ⸗ 
len: einige Erheiterung anzubringen, dachte: man 
auf ſymboliſche, bie verſchiedenen gaiſtigen Thaͤtig⸗ 
keiten bezeichnende Bilder, welche ſonſt fa beliebt, 
mis Sinnſpruͤchen begleitet, im allen wiſſenſchaftli⸗ 
chen Auſtalten dem Beſucher entgegen leuchteken.-- 
Einiges wurde ausgefuͤhrt, anderes durch Herrn 
Schinkels Gefaͤlligkeit vorbereitet, das Meiſte 
blieb als Skizze, in nur als bloßer Gedanke zuruͤck. 
Die Buderiſchen Deduetionen wurden durch Vul⸗ 
pius tatalegirt, ein Boͤhmiſches Manuſcript auf- 
Huſfſens Zeiten: bezuͤglich, ducch Pr. Wlo kar uͤber⸗ 
ſetzt, ein: Hauptbibliothels⸗Bericht erſtattet, eine 
uͤberſichtliche · Fortwirlung durch ausführliche. Tage 
buͤcher und Dr. Wellers perſoͤnliche ————— 
tung. moͤglich gemacht. | 
Bei der -botanifchen Anfait. befhäfsigte, und. bie. 
Aulage eines neuen Glashauſes, nach dem Befehl. 
Sereniſſimi, und unter deſſen beſonderer Mitwir⸗ 
kung. Riß und Auſchlag wurden geprüft, die Acc 
corde abge ſchloſſen und gu gehoͤriger Zeit, die Arbeit 
vollendet. Auch war ber Ankauf der Starkiſche n 
Praͤparatenfammleng: für das anatomiſche Cabinet 


164 


gebilligt und abgeſchloſſen, ber Rransport berfelben 
aber, welcher ein neues Local forderte, noch aufge- 
"fhoben. Der untere große Saat im Schloſſe, der 
feit Entfernung der Büttneriihen Bibliothek noch 
im Wufte lag, warb völlig wieber hergeſtellt, um 
verſchlede Euriofa darin aufzubewahren. Ein bebeu- 
tenbes Modell des Amfterdbamer Rathhauſes, Das 
bet mehrmaligem Umſtellen und Transpsrtiren hoͤchſt 
beſchaͤdigt worden war, ließ fih nun reparirt ruhig 
wieder aufrichten. 

In Weimar ging alles feinen Bang; dad Münz- 
cabinet war an Vulpius zu endlicher Einorbunng 
uͤbergeben worden, auch kam die Actenrepoſitur 
voͤllig In Ordnung. 

Zu meinem Geburtstagsfeſte hatte voriges Jahr 
die angefehene Geſellſchaft der Deutfchen Alterthuͤ—⸗ 
mer In Frankfurt am Main die Aufmerkfamteit, 
mich unter die Ehrenmitglieder aufzunehmen. In— 
dem ich nun ihre Forderungen näher betrachtete, 
und welche Thellnahme fie allenfalls auch von mir 
wänfchen Eönnte, fo ging.mir der Gedanke bei, es 
möchte wohl auch ein Vortheil ſeyn, in ſpaͤtern Jah⸗ 
ten, bei hoͤherer Ausbildung, in ein neues Fady ge⸗ 
rufen zu werden. Es lag auf der Jenaiſchen Biblio⸗ 
thek ein gefchästes Manufctipt von der Chronik des 
Dtto von Freyſingen, auch einige andere, melde 
nah dem Wunfch jener Gefellfchaft follten beſchrie⸗ 
ben werden. Nun batte ber Bibliothekfchreiber . 
Eompter ein befondered Talent zu dergleichen 





— N 


165 


Dingen, es glüdte Ihm die Nachahmung der alten 
Schriftzuͤge ganz befondere, deßwegen er auch bie ge= 
naueſte Aufmerkſamkeit auf fo etwas zu legen pflegte. 

Ich verfertigte ein forgfältiges Schema, wornach bie 
Codices Punct für Punct verglichen werden follten. 
Hiernach fing er an gedachtes Manufcript des Otto 

| von Frepſingen mit dem eriten Straßburger Ab⸗ 
= druc deffelben zu vergleichen; eine Arbeit die nicht 
| fortgefegt wurde. Im Ganzen warb jedoch die Be⸗ 
fhäftigung eine Zeit lang fortgefeht, fo wie bad Der: 
haͤltniß zu Herrn Bühler in Frankfurtunterhalten. 

Zu gleicher Zeit erfaufte die Frau Erbgroßhergo= 

gin aus der Auction des Sanonieus PIE zu Köln 
-eine wohlerhaltene filberne Schale, deren einge: 
grabene Darftelung ſowohl als Infchrift fih auf el- 

nen Taufact Friedrich des Erften beziehen und auf 
einen Pathen Otto genannt. Es wurde In Stein: 
druck für Frankfurt copirt, dafelbft und an mehreren 
Drten commentirt; aber eben hieraus zeigte fich, 

wie unmöglich es fey antiquariſche Meinungen zu 
vereinigen. Ein deßhalb geführtes Actenheft iſt ein 
merkwuͤrdiges Beiſplel eines folhen antiquariich- 
Eritifhen Diffenfus, und ich Idugne nicht, daß mir 

nach folder Erfahrung weitere Luft und Muth zu 
diefem Studium ausging. Denn meiner guädigften. 
Sürftin hatte ich eine Erflärung der Schale ange- 
Fündigt, und da Immer ein Widerfprucd dem andern 
‚folgte, fo ward die Sache bergeftalt ungewiß, daß 
man Kaum noch bie füberne Schafe In der Hand zu 


166 


halten glaubte und wirklich zwetfelte, ob man Bild 
and JInſchrift noch vor Augen habe. 
Der Triumphzug Mantegna’s, von Anbreas 

Andreani in Holz gefehnitten, Hatte unter den 
Kunſtwerken des fechzehnten Jahrhunderts von jeher 
meine größte Aufmerkſamkeit an fi gezogen. Ich 
veſaß einzelne Blätter deſſelben, und ſah fie vell- 
ftändig in Feiner Sammlung ohne ihnen eine leb⸗ 
hafte Betrachtung ihrer Folge zu wibmen. Endtlich 
erhielt ich fie Teibft und konnte fie ruhig weben und 
hinter einander befchauen; ich ſtudirte den Waſari 
deßhalb, welcher mir aber nicht gufagen wollte. Wo 
‚aber gegenwärtig die Orfginale feyen, da-fe, als 
auf Tafeln gemahlt, von Mantun-weggefährt wor⸗ 
den, blieb mir verbergen. Ich hatte meine Blaͤtter 
eines Morgens in bem Jenaiſchen Gartenhauſe vol: 
ſtaͤndig aufgelegt, um fie-genaner zu betrachten, ald 


epder junge Mel liſch, ein Sohn meines alten Freun⸗ 


des, hereintrat und ſich alſobald In bekannter Ge⸗ 
ſellſchaft zu fi erklaͤrte, Indem er kurz vor ſei⸗ 
ner Abreiſe aus England fie zu Hamptoncontt wohl: 
erhalten in den’ koͤniglichen Zimmern verlaffen hatte. 
Die Nachforſchung ward leichter, ich erneuerte meine 
Verhaͤltniſſe zu Heren Dr. Nöhben, weicher. auf 
die freundlichſte Weiſe bemuͤht war allen meinen 
Wuͤnſchen entgegen zu kommen. Sahl, Maß, Su: 
-ftand, in die Geſchichte ihres Beſitzes von Carl dem 
Erken-her,' alles ward aufgeklärt, wie ich ſolches in 
- „Kunft und Altertum EV: Band 1IHeft umnſtand⸗ 








467 


lich ausgeführt habe. ‚Die-son-Mantegna felbft in 
Aupfer geſtochenen Oxiginalblätter aus biefer. Folge 
Samen mir gleichfalls durch Freundesgunſt zur Hand, 
und ich konnte alle zuſammen mit den Nachweiſun⸗ 
gen von Bartſch vergikhen, nunmehr ausfuͤhrlich 
erkennen und mich uͤber einen ſo wichtigen Punct der 
Kunſteeſchichte ganz eigens aufklaͤren. | 
Bon Jrgend anf war: meine Freude mit bilden⸗ 
den Künftlern amzugeben. Durch freie leichte Be⸗ 
vuchang entſtand im Geipräc und aus dem Geſpraͤch 
atwias.vor unfern Augen; man ſah gleih, ob man 
„Sich verſtanden hatte und konnte fich um befto cher 
verſtaͤndigen. Diefed Vergnügen marb mir dießmal 
‚dar hohem: Grade: Herr Staatsrath Schulz brachte 
smir-brey-wärdige Berliner Känftler nach Jona, wo 
aich igegen Ende ded Sommers in der gewöhnlichen 
Gartenwohaung mich aufhielt. Herr Geh. Rath 
-Schiufel machte mich mit den Abfichten feines 
aeuen. Theaterbaues bekannt und wies zugleich un⸗ 
ſchaͤtzbare landſchaftliche Federzeichnungen vor, die 
"ex auf einer Reife Ind. Tyrol gewonnen hatte. Die 
Herren Tie ckeund Rauch mobellitten meine Buͤſte, 
‚erſterers zuglekch ein Profil von Freund Knebel. 
Gine lebtzafte ja leidenſchaftliche Kunſtrunterhaltung 
ergab ſich dabei, uud: ich burfte dieſe Tage unter die 
ſchoͤnſten bes Fahres Tednien: Nach vollbrachtem 
Modell An: chen: ſorgte Hofblidhauer Kaufmann 
far eine poſorm. Die Freunde⸗begaben ſich nach 
Meimar, wohin sch: nes folgte, und die angenehm⸗ 


1. 
fen Stunden wiederholt genof. Es hatte fi in | 
den wenigen Tagen ſo viel Productives — Anlage und 


Ausführung, Biene und Vorbereitung, Belehren-⸗ 
bes und Ergoͤtzliches — zuſammengedraͤngt, daß bie 


- Erinnerung. daran Immer wieder neu belebend ſich 


erweiſen mußte. 

Von den Berliniſchen Kunſtzuſtaͤnden ward ich 
nunmehr aufs vollſtaͤndigſte unterrichtet, als Hof⸗ 
rath Meyer mir das Tagebuch eines dortigen 
Aufenthaltes mittheilte; fo wie bie Betrachtung über 


- Kunft und Kunftwerte im Allgemeinen, durch deſſen 


Auffäpe in Bezug auf Kunftfchulen und Kunftfammes 


 Inugen, bis zu Ende bes Jahre lebendig erhalten 
"wurde. Von moderner Plaſtlk erhielt ih bie vol: 
ſtaͤndige Sammlung der Medalllons, welche Graf 


Tolftot, zu Ehren des großen Befreiungskrieges, 
in Meffing gefchnitten hatte. Wie hoͤchlich lobens⸗ 
werth diefe Arbeit angefprochen werben mußte, feße 
ten die Weimariſchen Kunftfreunde in Kunft und 
Altertum mehr auselnander. 

Leipziger Auctionen und ſonſtige Gelegenheiten 
verfchafften meiner Kupferſtichſammlung belehrende 
Beifpiele. Braundräre, nah Rafaelin da Regglo, 
einer Grablegung, wovon ich das Original ſchon eis 
nige Zeit befaß, gaben über bie Verfahrungs art der 
Kuͤnſtler und Nachbildner erfrenlichen Auffchiuf. 


pie Sacramente von Youffin ließen tief in das 


Nature! eines fo bedeutenden Künftlere hinein⸗ 
Schauen. Alles mar durch den Gehanfen gerechtfer: 


„’ 


469 — > nn 


tigt, auf Kunftbegriff gegrändet; aber eine gewiſſe 

Nalvetaͤt, die fich Teldft und die Herzen anderer. 

auffchließt, fehlte faft durchaus, und in ſolchem 

Sinne war eine Folge fe wichtiger und verehrier 

Gegenſtaͤnde hoͤchſt förderlich. | 

Auch kamen mir gute Abbräde zu von Hals 
enwangs Aquatinta nach forgfältigen Nahl i⸗ 


ſchen Zeichnungen ber vier Caſſeler Elaude Lo—⸗ 
rains.:- Diefe feßen Immerfort in Erſtaunen und. 


erhalten um fo größeren Werth, als die Originale, 
aus unferer Nachbarſchaft enträdt, in dem hohen 
Norden nur wenigen zugänglich bleiben. 


Der wadere, immer fleipige, den Deimartfhen 


Kunftfreunden Immer geneigt gebliebene Friedrich 
Smelin fendete von felnen Kupfern zum Virgil 
der Herzogin von Devonfhire bie melften Probe⸗ 
abdräde. So fehr man aber auch hier feine Nabel 
bewunderte, ſo ſehr bedauerte man, daß er folden 
Originalen habe feine Hand leihen muͤſſen. Diefe 
Blätter, zur Begleitung einer Prachtausgabe ber 


Aeneis von Unnibal Caro beſtimmt, geben ein _ 


tranriges Beiſplel von ber modernen realiftiihen 
Tendenz, welche fih hauptſaͤchlich bei den Englän= 
been wirkſam erweift. Denn was kann wohl trau 
tiger feyn, als einem Dichter aufhelfen zu wollen 
duch Darftellung wuͤſter Gegenden, welche bie leb⸗ 
haftefte Einbildungskraft nicht wieder anzubauen und 
su bevölfern wüßte? Muß man denn nicht ſchon an- 
‚nehmen, dep — zu gehn — Mahe gebe: ſich 


Ä ⸗ 


270 


denen Umzuſid der ſateinſchen Meilt· zu. wergegen⸗ 
waͤrtigen, um die laͤngſt verlaſenen, verſchuunde⸗ 
nen, durchaus veraͤnderten Schloͤſſer mb Staͤdte 
‚einigermaßen vor ben Voͤmern feiner Seit dichteriſch 
aufzuſtutzen? Und bedenkt man nicht, daß verwuͤſtete, 
der Erde gleich gemachte, verſumpfte Localitaͤten bie 
EAunbtidurgokraft vollig paralyſiren and fie alles Auf⸗ 
und Nachſchwungs, der allenfalls noch mäglich--wäre, 
fh: dem Dihter gleichzuſtellen, völlig berauben? 
Die Muͤnchener Steindruͤcke ließen uns die un⸗ 
aufhaltfamen Fortſchritte einer fo-bechwichtigen Tech⸗ 
nit von Zeit zu Zeit anſchaunen. Die Kupfer zum 
Fauſt, von Retich:gegeihnet, erſchienen im Nach⸗ 
Hd zu London, hoͤchſt reinlich und genan. Siu⸗hi⸗ 
Aſoriſches Blatt, die verſaumelten Miniſter beim 
Wälener Gongreffe darſtellend, ein Seſchenk der Frau 
Herzogin von Curlaud, nahm In den Porteferillen 
des groͤßten Formats feinen: Platz. 
Der alteſte Grundfatz ber Chromatik: die For: 
. pertiche Farbe fey: ein Durkles, das man mwr:bei 
durchſcheinendem "Lichte gewahr werde, bethaͤtigte 
fh an den trausparenten ˖Schweigerlandſchaften, 
welche Koͤnig von Schaffhauſen belans Auffbeilte. 
Ein kraftig Ourqhſchienenes fehter ſich ian· die Stelle 
des bebhaft Befchienenen und uͤbermannte Dad Auge 
:fo, daß auftatt bad entſchte denſten Menuſſes endlich 
ein peiavolles Gehählrchitwnt. 
Shüchlih habe dh noch danklarrrines Stein⸗ 
drucds. zu gedenken, welcher von Rain; at meinen 


- 


471 


Hiehikgeigen Geburtstag fevernd, mit einem Gebicht 
freuudlich gefendet wurde. Auch laugte ber Riß an 
. zu einem Monument, welches meine theuren Lande- 


:4eute mein zugebacht hatten. Als anmuthige Wergie- 
rung ſeiner idylliſchen Gartenfseme, : wie ber:ente 
⁊ Freundes⸗GSedanke die Abficht ausſprach, waͤr res 


dankkbar anzuerkennen geweſen, aber als große archi⸗ 
teftentihbe ſelbſtſtaͤndige Prachtmaſſe war es wohl ge⸗ 
giemender fie beſcheiden zu verbitten. 

Aber zu höheren, ja zu ben höchften Kuuſtbe⸗ 
trahtımgen wurden wir aufgefordert, : indem -bie 


Bau⸗und Bilbwerte Stiechentands Lebhafter zur 


„Sprache-tamen. Au das Parthenon wurden wir 
aufs neue. geführt, von dem Elginiſchen Marmoren 


kam und nähere Kunde, nicht weniger von dem Phi⸗ 


‚gaitfihen. Die änferten Sränzenmenfchiliher Aunft- 
thaͤtigkeit im hoͤchſten Sinne. und mit aatuͤrlichſter 
Nachblidung wurden wir gewahr und prieſen uns 


gkuͤcklich auch dieß erlebt zu haben. 


ach ein gleichgeitiger Freund feffelte CTrieb und 


Einbildungskraft am Alterthum; das neueſte Heft 


von Diſchb eins Biidwerken zum Homergab zu man⸗ 
‚hen Vergleichungen Anlaß. Der Mailaͤndiſche Codex 


der Mind, obgleich aus ſpaͤterer Zeit, war für bie 


Kunſtbetrachtungen von großem Belang, indem offen- 

‚bar ältere herrliche Kunſtwerke darin nachgebildet und 

deren Andenken Dadurch für und erhalten worden. 
Der Aufenthalt .Heren Rabe's in om und 


.. Nmpelrwar. faͤr ums:miht ohne Wirkung geblieben. 


172 


Wir hatten auf höhere Veranlaffung bemfelbigen 
einige Aufgaben mitgethellt, wovon fehr fchöne Re 
faltste uns uͤberſendet wurden, Cine Copie ber UL 
dobrandiniſchen Hochzeit, wie ber Künftier fie vor 
fand, lleß fih mit einer aͤlteren, vor dreyßig Jah 
ren gleichfalls fehr forgfältig gefertisten, angenchm 
vergleihen. Auch hatten wir, um das Colorit ber 
Pompeilfhen Gemaͤhlde wieder Ind Gedaͤchtniß zu 
zufen, davon einige Gopien gewuͤnſcht, da ung denn 
der waere Künftler mit Nachbildung der befannten 
Sentauren unb Tänzerinnen höchlich erfreute. Das 
chromatiſche Zartgefühl der Alten zeigte fich Ihren 
übrigen Verdienſten voͤllig gleich, und wie folt’ es 
auch einer fo barmonifhen Menfhheit an biefem 
Sauptpuncte gerade gemangelt haben? wie follte, 
ftatt diefes großen Kunfterforberniffes, eine Lüde In 
ihrem vollftändigen Werfen geblieben ſeyn? 

Als aber unfer werther Känftler bei der Näd- 
“reife nah Rom biefe feine Arbeit vorwies, erklaͤr⸗ 
ten fie die dortigen Nazarener für völlig uunks und 
zweckwidrig. Cr aber ließ ſich dadurch nicht irren, 
. Sondern zeichnete und colorirte, auf unſern Math, 
in Florenz einiges nach Peter von Cortona, woburd 
unfere Ueberzeugung, daß diefer Künftler beſonders 
für Farbe ein Schönes Naturgefühl gehabt habe, ſich 
abermals beftdtigte. Wäre ſeit Anfang des Jahr: 
hunderts unfer Einfluß auf Deutſche Künftler nicht 
ganz verloren gegangen, hätte fi ber durch Froͤm⸗ 
meley erfchlaffte Geiſt nicht auf ergrauten Moder 


173 


guräsgegogen, fo würden. wir gu einer Sammlung 
ber Art Gelegenheit gegeben haben, bie dem rei⸗ 
nen Natur- und Kunftblid eine Geſchichte älteren 
und neueren Colorits, wie fie fhon mit Worten 
verfaßt worden, in DBeifplelen vor Augen gelegt 
Hätte. Da es aber einmal nicht ſeyn follte, fo ſuch⸗ 
ten wir nur und und bie wenigen zunaͤchſt Verbuͤn⸗ 
deten in vernünftiger Ueberzeugung zu beflärken, 
inbeß jener wahnfinnige Seetengeift keine Schen 
trug bad Verwerfliche ald Grundmarxime alles kuͤnſt⸗ 
leriſchen Handelns aus zuſprechen. 

Mit, eigenen kuͤnſtleriſchen Productionen waren 
wir in Weimar nicht gluͤcklich. Heinrich Müller, 
der ſich In München des Steindruck befleißigt hatte, 
ward aufgemuntert, verfchlebene bier vorhandene 
Zeihnungen, worunter auch Karftenfhe waren, 
auf Stein zu übertragen; fie gelangen ihm zwar 
nicht übel, allein das unter dem Namen Weimari- 
ſche Pinakothek ausgegebene erſte Heft gewann, bei 
überfühten Markt; mo noch dazu ſich vorgüglichere 
Waare fand, eine Käufer. Er verfuchte noch ei⸗ 
nige Platten, allein man ließ das. Geſchaͤft Inge hal⸗ 
: ten, in Hoffnung, bei verbeflerter Technik In der 
Folge daſſelbe wieder aufzunehmen, 

Als mit bildender Kunit einigermaßen verwandt 
bemerkte ich bier, daß meine Aufmerkfamtelt auf 
eigenhaͤndige Schriftzäge vorzäglicher Perfonen die⸗ 
ſes Jahre auch wieder angeregt worben, indem eine 
Beſchrelbung bes Schloffes Friedland, mit Facſimi⸗ 


J 


478°. 


le's von bedeuteanben Mamen sand: bein —eepphgikäufe: 

gen Kriege, herauskam , dbie.ih an meine Origlinal⸗ 

Doeumente ſogleich ergaͤngend auſchloß. Auch er 
ſchlen zu derfelben Zeit ein Portrait: des merkwuͤr⸗ 
digen: Maumes in ganzer Figur, von der leichtgeuͤb⸗ 
ten Hand des Directvr Langer in Prag, wodurch⸗ 
denn die Geiſter jenen: Tage zwiofach au nus wieder 
berungebaunt wurdent — 

Von gleicher Theilnahme an: Werten: mandgeer 
Art wäre fonlel zu ſagen. Hermanad Progaammen 
über das Wefen und. die Behandiung ber Mythelo⸗ 
gie empfing. ich mit der: Hochachtung, bie ich den 
Arbeiten dieſes vorzuͤglichen Mannes vom jeher ges. 
widmet hatte: denn was lann uns zu hoͤherem Vor⸗ 
theil gereichen, als in bie: Auſichten ſolcher Maͤn⸗ 
ner einzugehen, bie mit Tief: und-GScharffimm ihre 


Aufmerkſamkelt auf. ein einziges. Ziel hhiurichten ? 


Eine Bemerkung; konnte moͤr nicht entgehen, daß bie: 
ſpracherfindenden Utvoͤller, bei. Benamnug ber Na⸗ 
turerſcheknungen und deren Verehrutgals walten⸗ 
der Goethelnnon, mehr durch das Farchthare als durch 
das⸗Erfreullche dreſelben aufgeregt worden, ſo baß 
fie eigentlich mehritamuituariſch zerſtoͤrenbe als ru⸗ 
hig ſchaffende Gottheiten: gewahr wurden: Meier 
ſchkenen, da ſich denn doch diefes Menſchengeſchlecht 
in ſeinen Grundzaͤgen niemals veraͤndert, bie nene⸗ 
fien: geologiſchen Thooriſten von eben dem Schiage, 
bie ohne fenerfpefonde Berge, Erbboben/ Kluft⸗ 
riſſe, unterirbiſche Druck⸗ und Quetſchwerke Crudea 


Aa: 5 = 
sure), ‚Shleme. und: Ghnbgathen time Weit. su 
er ſchaſſew wiſſen. 

WEL fs. Prologemene-mwahen: Ich. abermals var. 
Dis Arbeiten: dieſes Mannes, mit dem⸗ ich in naͤt 
heran; perſoͤnlichenn Verhaͤuniſſen ſtand, hatten mir 
auch ſchon laͤugſt auf: meinem: Wege vorgeleuchtet. 
Beim Studiron des gedachten Merkes merk ich mir 
ſelbſt md: meinen: innern Geiſtesoperatisnen auf. 
Da gewahrt‘ ich denn, daß eine Spſtole und Dia⸗ 
ſtole immerwaͤhrend in mir vorgiug. Ich war ge⸗ 
wohne dierbeiden Homeriſchen Gedichte als ·Ganzhei⸗ 
ten anzuſchen, und hier: wurden ſie mir jedes: mit 
großer Kenntniß/ Scharffmu: und Geſchickuichleit ge⸗ 
trennt und :audsinenber gezegen, und indem ſich 
moein Verſtaud dieſer Vorſtellung willig hingab, ſo 
faßte gleich: Darauf. ein: herkoͤmmliches Gefuͤhl alles 
wieder auf einen Punet zuſammen, und eine geile: 
Laͤßlichkeit, die uns bete allen wahren poetiſchen Pro⸗ 
duetkenon ergretft, lleß mich die bekannt gewordenen 
Liten, Differenzen und Maͤntel wohlwollendruͤber⸗ 

ſehen. Reiſigs Bemerkungen über ben Ariſto⸗ 
phanes erſchbenen wᷣald darauf; ich eignote mir gleiche. 
falls was mir gehörte daraus zu, obgleich das Gram⸗ 
matiſchean ſich ſelbſt außerhaib meiner Sphaͤre Lag. 
Lebhufte Unterhaltungen mit dieſem tuͤchtigen jun⸗ 
gen Manne, geiftreich wechfelfeltige: Mitthellungen 
verllehen mir bel moinom dieß maligen Adageren Hufe: 

enthalt· in Jena die angene huſten·Stunden. 

Die Franzoͤftſche Literatar, Ältere und neuere, 


—* 


"476. 


erregte auch dießmal vorzuͤglich mein Intereſſe. Den 
mir zum Leſen faſt aufgedrungenen Roman An a⸗ 
oje mußt' ich als genügend billigen. Die Werke 
der Madame Roland erregten bewunderndes Er⸗ 
ſtaunen. Daß ſolche Eharaftere und Talente zum 
Vorſchein kommen, wirb wohl ber Hauptvortheil 
bleiben, welchen unfelige Zeiten ber Nachwelt über: 
diefern. Sie find es denn auch, weiche ben abfchen- 
lichſten Tagen der Weitgeſchichte in unfern Augen 
einen fo hohen Werth geben. Die Gefchichte der 
Johanna von Drleans in ihrem ganzen Detail thut 
eine gleiche Wirkung, uur daß fie in der Entfernung 
“mehrerer Jahrhunderte noch ein gewilles abentener- 
Uches Helldunkel gewinnt. Eben fo werden bie Ge⸗ 
Dichte Mariens von Fraukteich durch den Duft der 
Jahre, der fih zwiſchen und und ihre Perſoͤnlichkeit 
hineinzieht, anmuthiger und Lieber. 
. Bon Deutfchen Probuctionen war mir Olfried 
und Lifen« eine hoͤchſt willlommene Exrfcheinung, 
worüber ih mich auch mit Autheil ausſprach. Das 
- "einzige Bedenken, was fih auch iu der Folge eint- 
germaßen rechtfertigte, war: der junge Mann 
‚möchte fih in foldien Umfang zu früh ausgegeben 
Haben, Werners Maceabder und Houwalbs 
Bild traten mir, jedes in feiner Art, unerfreulid 
entgegen; fie kamen mir vor wie Ritter, weiche um 
ihre Worgänger zu überbleten den Dank außerhalb 
der Schranken ſuchen. Auch enthielt Ih mich von 
diefer Zeit an alles Neueren, -Senuß und Beur 
thei⸗ 


D 
. 
r 
4 


U. -497 


€ 4 heilung jüngeren, Sersnshern m. Geiſtern ‚Aberlaf- 


‚fend, denen Sole Beeren, die mir nicht mehranun⸗ 
den, walten, uch fchmackheft fean;inmauten. 
Sn; eine frühere. Zeit. jedoch durch Blumaners 


Aeneis verſetzt, erſchrack ich gauz eigentlich, indem 


Ic mir. vergegauwaͤrtigen wollte, wie eine fo graͤn⸗ 


zaxloſe Ruͤchternheit und. Plattheit doch auch einmal 


| 


Bam; Tag willkommen und gemaß hatte ſeyn können. 
Koutisemeh von Jken zog mich unerwartet 


vwieder · nach dem Selent. .: Meine Bemunderung je⸗ 


ner Maͤhrchen, beſonders nach der aͤlteren Redac⸗ 


tion, wopon Koſegarten in dem Auhange und Bei⸗ 
ſpiele gab, ‚erhöhte ſich, oder vielmehr fe friſchte ich 
an: lebendige Gegenwart des Unerforſchlichen und 

Unglaunblichen iſtres, was nad hier ſo gewaltſam er⸗ 
frenlich anzieht. Wie laicht waͤren ſolche unſchaͤtzba⸗ 
ze naive Dinge duuch moſtiſche Symbolik für. Ge⸗ 
Kahl und Ginbildungstraft zu zerſtoͤren. Als voͤlli⸗ 


sen Gegenſatz erwaͤhne ich bier. einer ſchriftlichen 


GSanunlung Lettiſcher Sieber, ı bie eben fo begraͤuzt, 
wie jene graͤnzenlos, fi in dem natürlichen, ein: 


Ffachſten Kreiſe bewegten. 


„In ferne Länder warb. mein Antheil hingezogen 


‚amd in die AIchracklichſten Africaniſchen Zuſtaͤnde ver⸗ 


ſetzt, durch Dam ont In: Maroccaniſcher Sclaverey; 


in Verhaͤltniſſe aͤlterer, und nenerer ſteigender und 
. Iinfender: Wüdung, durch Laborde's Reiſe nach 
ESpanien. An die Oſtſee fuͤhrte mich ein geſchriebe⸗ 


nes Reiſetagebuch von Zelter, das mir aufs neue 
Geetbe's Werte. XXXII. Bd. 12 


. 178 - 


die Ueberzengung bethätigte, daß die Neigung, die 
wir zum Neifenden hegen, uns aufs allerſicherſte 
entfernte Localitäten und Sitten vergegenwärtigt. 
Bebdeutende Yerfönlichkeiten, ferner und näper, 
forderten meine Theilnahme. Des Schwetzerhaupt: 
mann Landolt's- Biographie von Weiß, befon: 
ders mit einigen handſchriftlichen Zufäßen, ermener: 
ten Anfhauung und Begriff des wunderfamften 
Menfhenkindes, das viekeicht auch nurin der Schwei; 
geboren und groß werben konnte. Ich Hatte ben 
Mann Im Jahre 1779 perfönlich kennen gelernt, 
und als Liebhaber von Seltfamteiten und Excentri: 
eitäten, die tuͤchtige Wunberlichkeit deifelben auge: 
ſtaunt, auch mich an den Mähren, mit denen 
man ſich von ihm trug, nicht wenig ergößt. Hier 
fand ich nun jene früheren Tage wieder hervorgeho- 
ben und konnte ein ſolches pſychiſches Phänomen um 
fo eher begreifen, als ich ſeine perfönliche Gegen- 
wart und die Umgebung worin ich ihn kennen ge: 
lernt, ber Einbildungskraft und dem Nachdenken zu 
Huͤlfe rief 
Naͤher beruͤhrte mich die zwiſchen Voß und 
Stolberg ausbrechende Mishelligkeit, nicht ſo⸗ 
wohl der Ausbruch ſelbſt, als die Einſicht in ein 
vieljaͤhriges Mißverhaͤltniß, das kluͤgere Mienfchen 
fruͤher ausgeſprochen und aufgehoben hätten. Aber 
wer entfchließt ſich leicht zu einer folchen Operation? 
Eind doch Ortsverhaͤltniſſe, Famillenbezüge, Her: 
Noͤmmlichkelten und Gewohnheiten ſchon abſtumpfend 


479 

genug; fie machen in Geſchaͤften, im Eh⸗ und 
Hausftande, In gefelligen Verbindungen das Uner⸗ 
trägliche ertragbar. Auch hätte das Unvereinbare 
von Voſſens und Stolbergs Natur fih früher aus⸗ 
geſprochen und entichleden, Hätte nicht Agnes als 
Engel das irdiſche Unweſen befänftigt, und als Gra⸗ 
ziofo eine furchtbar drohende Tragödie mit aumu⸗ 
thiger Ironie duch die erften Ucte zu mildern ge- 
fuht. Kaum war fie abgetreten, fo that fi das 
Unverföhntihe hervor, und. wir haben daraus zu 
lernen, daß wir zwar nicht überelit, doch bald mögs 
lichſt ans Verhaͤltniſſen treten follen, die einen 
Mißklang in unfer Leben bringen, ober daß wir ung 
. ein für allemal entfchließen müffen, denfelben zu 
dulden und aus anberm Betracht mit Weisheit zu 
übertragen. Eins iſt freilich fo ſchwer ale das an⸗ 
bere, indeſſen ſchicke ſich jeder, fo gut er Tann, In 
das was Ihm begegnet in Sefolg von Ereiguiffen 
oder von Entſchluß. 

Mich befuhte Ernſt Sch u Barth, deſſen per⸗ 
ſoͤnliche Bekanntſchaft mir hoͤchſt angenehm war. 
Die Neigung womit er meine Arbeiten umfaßt 
hatte, mußte mir ihn lieb und werth machen, ſei⸗ 
ne ſinnige Gegenwart lehrte mich ihn noch höher 
ſchaͤzen, und ob mie zwar die Eigenheit ſeines 
Charakters einige Sorge für ihn gab, wie er ſich 
- In das bürgerlihe Wefen finden und fügen werde, 
‚fo that ſich doch eine Ausſicht auf, in bie er mit 

günftigem Geſchick einzutreten hoffen durfte, 


/ 


180 


‚@bgene ' Arbeiten und Vorarbeiten beſchafttigten 
mich nf einen hohen’ Grad. Ich nahm der gwer⸗ 


pen "Aufenthalt in Mom wieder: vor, ummder te 


 Wäniteen Reiſe einen nothwendigen Fortgaug anzu⸗ 
ſchlͤecßen; ſodam aber fundich⸗ mich befkkmemt-bie 
Eempagne von 7792 und die Belagernug von Bein; 
zu “behandeln. Ich machte deßhalb einen Acchnt 
‚aus meinen Tugebuͤchern, las vmehrere auf jerne 


Epechen bezuͤgliche: Werke, und Tuchtermeanche Erin 


: wermugen: hervor. Ferner Tehrteb ich eine Fauna: 
riſche⸗Chronil ber’ Jahre 1797und· 98, und Ueferte 


zwey Hefte von Kunſt und Alterthum, ald Abechluß 


des zweyten Bandes, and bereitete das erſte des 
drteten vor, wobel ichs einer abermaligen ſorgfal⸗ 
tigen Entikelang bet Mottiver der Illas zur geden⸗ 
ten babe. Ich sfchefeb den Werräther ſein 
ferdit ‚bie‘ Fortfetzung bes nufbraunen Mäb- 
hens, und fürberter ben ideellen Bufemimenhang 
ver Wanderjahre. Die “freie Semuthlichkelt 
einer Meife erbaubte inte dem Divan wieber nahe 
za treten; ich erweiterte das Birch des Parabieſes, 
‚ud fand anches in die vorhergehenden einzuſchal⸗ 
gen, “»Die Tor freundlich ⸗ von vieben "Selten her be⸗ 
gangene Feyer- meines Geburtstages fuchte ich bank: 
ar durch rein ſpabolifches Gedicht gu erwidern. 
n Aufgeregt durch thefinehmende Anfrage Tehrieh ic 
.ı eigen Gommenter su dem abſtruſen ' Gedichte: 
AWHaryreiſe im Winter, 
eee Seeccur befdaftigte mich Graf 


% 


484° 


Carmagnola. Der: wahrhaft: liebenswärbise. _ 
Verfaſſer Alerander Manzont, einsehemer Dice: 
ter, ward wegen theatraliſcher Ortsverletzung: von 
feinen Landeteuten des Romanticismus angektagt, 
von beffen Unarten doch nicht die geringe an ihm⸗ 
haftete. Er hielt ſich an einen hiſtoriſchen Gange, 
feine Dichtung hatte den Charalter einer volllom⸗ 
menen Humanitaͤt, und. ob - er: gleich wenig ſich in 
Tropen erging, ſo waren doch ſeins lyriſchen Aeu⸗ 
berungen hoͤchſt rühmenswerth, wie ſelbſt mißwel⸗ 
lende Kritiker anerkennen mußten... Unſere guten: 
Deutſchen Jünglinge-könnten: aun thm ein Beifpiel 
ſehen, wie man in einfacher Groͤße natuͤrlich wal⸗ 
tet; vlelleicht duͤrfte ſie das von dem durchaus fal- 
ſchen Tranfcendiren: zurkdibringen: 

Muſik war: mie ſpaͤrlich aber doch lleblich zuge: 
meſſen. Ein Kinderlied zum Nepomucksfeſte Im 
Carlsbad gedichtet, und: einige andere von aͤhnlicher 

. Nabvetät gab mir Freund Zelter In angemeffener 
Weiſe unb hohem. Sinne zuruͤck. Muſildtirecter 
Eberwe in wandte fein Talent dem Divan mit 
Gluͤck zu, und fo wurde mir durch den-alleritehften. 
Vortrag feiner Frau manche ergoͤtzliche ‚gefellige 
Stunde. 

Einiges auf Perſonen Bezuͤgliche will ich, wie- 

ichres bemerkt finde, ohne weiteren Zufammenhang: . 
außzeichnen. Der: Herzog von: Berry. wird. ermerdet, 
zum ESchrecken von gang. Fraukreich. Hofrath J a⸗ 
gemnnn ſtirbt zur: Bebamenng: von: Weimar, 


a 482. 


Herrn von Gagerns laͤngſt erfehnte Bekannt: 
ſchaft wird mir bei einem freundlichen Befuche,, wo 
mir bie elgenthämlihe Individnalltaͤt des vorzuͤg⸗ 
lichen Mannes entgegen tritt. Ihro Majeftät der 
König von Würtemberg beehren mich In Begleitung 
unferer jungen Herrſchaften mit Ihro Gegenwart. 
Hierauf habe Ich das Wergnügen auch felne.beglef- 
tenden -Savallere, werthe Männer, kennen zu ler: 
sen. In Carlsbad treff ich mit Sönnern und 
Sreunden zufammen. Graͤfin von ber Rede 
und Herzogin von Eurlamd find’ Ich wie fonft 
an und theilnehmend gewogen. Mit Dr. 

Schuͤtz werden Iiterarifhe Unterhaltungen fortge- 
ſetzt. Legationsrath Conta nimmt einfichtigen 
Theil an den geognoftifhen Ercurfionen. Die auf 
folhen Wanderungen und fonft zufammengebrachten 
Mufterftäde betrachtet ber Färft von Thurn und 
Taxis mit Antheil, fo wie auch beffen Begleitung 
fih dafür intereſſirt. Prinz Earl von Schwarz 
durg:Sondershaufen zeigt fich mir gewogen. 
Mit Profeffor Hermann ans Leipzig fährt mic 
das gute. Gluͤck zuſammen, und man gelangt wech⸗ 
ſelſeitig zu naͤherer Aufklaͤrung. 

Und fo darf ih denn wohl auch zuletzt in Scher; 
und Ernft einer bärgerlihen Hochzeit gebeuten, bie 
auf dem Schleßhanfe, dem fogenannten kleinen 
Verſailles, gefepert wurde. Ein angenehmes Thal 
an der Seite des Schladenwalder Weges war von 

. wohlgeffeibeten Bürgern überTäet, welche ſich thellg . 


483 j f 
2is Säfte des jungen Paars unter einer alle über- 
ſchallenden Tanımuflt mit einer.Pfeife Tabak luſt⸗ 
mandelnd, oder bei oft wieder gefüllten Glaͤſern und 
Blerkruͤglein ſitzend, gar traulich ergößten. Ich ge⸗ 
ſellte mich zu Ihnen, und gewann In wenigen Stun- 
ben einen beutlihern Begriff von dem eigentlich 
ſtaͤdtiſchen Suftande Carlsbads, als ich in vielen 
Jahren vorher mir nicht hatte zueignen können, da 
ich den Drt bloß als ein großed Wirthe: und Kran- 
kenhaus anzuſehen gewohnt war. 

Mein nachheriger Aufenthalt in Sena wurde ba- - 
Durch fehr erheitert, daß die Herrfchaften einen 
Schell des Sommers In Dormburg zubrachten, wo⸗ 
durch eine lebhaftere Geſelligkelt entſtand, auh 
manches Unermwartete fih bervorthat; wie ich denn 
den berühmten Indiſchen Gaukler und Schwert- 
verfchluder Krtom Balabla feine außerordentlihen 
Künfte mit Erftaunen bei diefer Gelegenheit vor= 
tragen fah. 

Gar mancherlei Befuche beglädten und erfreuten 
mich In dem alten Gartenhauſe und dem daran wohl- 
gelegenen wiſſenſchaftlich geordneten botanifchen 
Sorten: Madame Rodde, geborne Schlößer, bie 
ich vor vielen Jahren bei ihrem Water gefehen hatte, 
wo fie als das fchönfte hoffnungsvollſte Kind jur 
Srende des firengen fat mißmuthigen Mannes - 
gluͤcklich emporwuchs. Dort fab Ich auch Ihre Buͤſte, 
welche unfer Landemanı Trippel kurz vorher in 
Rom gearbeitet hatte, .ald Water und Tochter ſich 





184° 


dort befanden. - Ich ubchte weht wiſſen ob" ein Ab⸗ 
guß davon noch: uͤbrig iſt, mb wo er fi findet; er 
follte vervfeifäitigt werden? Water und: Tochter ver: 
dienen "daß ihr Audenbenr erhalte biete: Nom 
Both und Gemahlin us nett, ehr werthes Che: 
paar, duch Herrn von Preen mir naͤher verwandt 
und bekannt, brachten mir eis. Natur: ud Nutlo⸗ 
naldichters, D. G. BabſtsProductionen, welche ſich 


neben den Arbelten ſeiner: gleichbuͤrtiger gac wohl 


und loͤblich ausnehmen. Hoͤchſt ſchaͤzbar ſtud feine 
Gelegenheits gedichte, die uns einen althertonnn⸗ 


lichen Zuſtand in feſtlkichen Augenblicen new belebt 


wieder darſtellen. Gtaf Paar, Abkatunt bes Fur⸗ 
ſten von Schwarzenderg, dem ich in Carlsbad mich 
freundſchaftlich verbuuben hatte, verſichrtte mie 
duch unerwartetes Erfiheinen und durch fortgefetzte 
vertrauliche Geſpraͤche feine uwwerbruͤchtiche Neigang. 
Anton Prokeſch, gleichfalls Adutant des Fuͤrſten/ 
ward mir durch ihn zugefuͤhrt. Beide von der Ha⸗ 
nemanniſchen Lehre durchdrungen, auf welche der 
hertliche Fuͤrſt fee Hoffnung geſetzt hatte, mach 
ten mich damit umſtaͤudikch bekannt, undamit ſchlen 
daraus hervorzugehen, daß, wer auf ſich ſelbſt anf: 
merkfam einer angemeffenen Diaͤt nachledt, beretts 
jener Methode ſich unbewußt amaͤhert. 
Herr von der Malsburg gab mir Gelege: 
. heit ihm für fo manches unfflärende Verzutgen und 
tiefere Einſicht in bie Spankſche Literatur” zu dan: 
ken. Ein Fellenberg'ſcher; Sohn brachte mir 


485° 


die menſchenfreundilch bildenden Benräfungen bes‘ 
Vaters beuitticherzu Otan uud See. Fam vor- 
Helwig, geborne vn Imhof, erauedte: bank: ihrer. 
Gegenwart angenehme 'Sriumerungen früherer Wer: - 
Hanne, ſo wie: ihrer Zeichnungen’ bestefan,: daß 
fie auf dem Grund immer fortbaute, den fie: in‘ 
Geſellſchaft der Kunfkfreunde vor Jahren in Weis. 
mar: gebeat hatte. Graf und Gräfin Hopfgarten, 
fo wie Foͤrſter und. Stau, braten: mir perfoͤn⸗ 
. Hd die Werfihermg befannten und unbekannten: 
treuen Antheils an meinem Daſeyn. Geheimeruth 
Rubolphi von Berlin, fo wie Profeſſor Weiß / 
gingen allzuſchnel voruͤber, und doch war ihre kurze 
Gezorwart mir zur aufmunternben Belehtaug. 
Er unſern Kreis erwarteten wir zu dieſer Zeit 
Herrn Generalfuperintendenten Roͤhr. Welche: 
große Vortheile durch ihn für uns ſich bereiteten, 
= war gleich bei ſelnem Eintritt zwar nicht zu berech 
nen, aber doch veraudsufehen. Me kam er zur 
gluͤcktichen Stunde; feine erſte geiſtlicht Handlung 
war die Tauſe meines zweyten Eukeis, beffen use 
entwickeltes Weſen mie ſchon manches Gute vorzu⸗ 
beuten ſchhen. Geh. Hoftath Blumenb ach und 
Zamitie erfreuten uns einige Tape: durch Ihre Ge⸗ 
genwart, er immer: der heiterr, umfichtige kennat⸗ 
nißrekche Mann von unerloſchnem Gedaͤchtniß/ 
felbfenänbig ; ein: wahrrer Repruͤſentant ber großen 
gelehrten Anſtalt, als deren hoͤchſt bebrutenbes⸗ 
Mitglied er ſo viele Jahre gewirkt hatte. Die lie⸗ 


4186 


den Verwandten, Rath Schloffer mb Gattin, 
von Franffart am Main kommend, hielten ſich 
einige Tage bei und auf, und das viefiährig thaͤ⸗ 
tige freundfchaftliche Verhaͤltniß konnte ſich durch 
verfönliche Gegenwart nur zu höherem Vertrauen 
ftelgern. Geheimerath Wolf beliebte bie gruͤnd⸗ 
Then Iiterarifchen Studien duch feinen belehrenden 
Widerſpruchsgeiſt, und bei feiner Abreiſe traf. es 
fi zufällig, daß er den nad Halle berufenen Dr. 
.Reißig als Geſellſchafter mit dahin nehmen konnte, 
welchen jungen Mann ich nicht allein um meinetwil⸗ 
len ſehr ungern fcheiden fah. Dr. Kuͤchelbecker 
von Petersburg, von Quandt und Gemahlin, 
von Arnim und Mahler Ruhl braten durch 
die Intereffanteften Unterhaltungen große Mannich⸗ 
faltigkeit in unfere gefeligen Tage- i 
Bon Selten unferer fürftlihen Familie erfreute 
und die Gegenwart Herzog Bernhards mit Gemah⸗ 
Yin und Nachkommenſchaft; faft zu gleicher Zeit aber 
foßten durch eine unglädlihe Berhädigung- unferer 
Frau Großherzogin, indem fie bei einem unver 
ſehenen Audgleiten den Arm brach, die ſaͤmmtlichen 
Ihrigen in Kummer und Sorge verfeht werden. 
Nachtraͤglich will Ich noch bemerken, daß Ende 
' Septembers die Revolution in Portugal ausbrach; 
daß ich perſoͤnlich einem Geſchaͤft entging, deſſen 
Uebernahme bei großer Verantwortlichkeit mich mit 
unuͤberſehbarem Verdruß bedrohte. 


V 





487 
18 2 1. 
Zu eigenen Arbeiten fand fih manche Verau⸗ 
laffung. Wieljährige Neigung und Freundſchaft bes 
Grafen Brühl verlangte zu Eröffnung des neuen 
Berliner Schaufpielhaufes einen Prolog, der denn 
wegen dringender Seit gleichſam aus dem Stegreife 
erfunden und ausgeführt werden mußte. Die gute 
Wirkung war auch mir höchft erfreutlih: denn ich 
hatte die Gelegenheit erwünfht gefunden, dem 
wertben Berlin ein Zeihen meiner Thellnahme an 
bedeutenden Epochen feiner Zuftände zu geben. 


Ih faßte darauf die Paralipomena wieder an. 
Unter diefer Rubrik verwahre Ich mir verfchledene 


Zutterale, was noch: von meinen Gedichten unge: . 


druckt oder ungefammelt vorhanden feyn mag. Sie 
zu ordnen, und ba viel Gelegenheitägedichte bar- 
unter find, fie zu commentiren, pflegte Ich von Zeit 
zu Seit, indem eine folge Arbeit in die Länge nicht 
anziehen Tann. - 

Auch zahme Xenien bracht th zuſammen; denn 
ob man gleich feine Dichtungen überhaupt nicht 
duch Verdruß und Widerwärtiges entſtellen fol, 
fo wird man ſich doch Im Einzelnen manchmal Luft 
machen; von Heinen auf dleſe Weiſe entſtehenden 
Productionen fonderte ich die laͤßlichſten und ſtelte 
fie in Pappen zuſammen. 

Schon ſeit einigen Jahren hatte mich die Wol⸗ 
tenbiidung nach Howard befihäftigt und große Vor⸗ 





„188; 


theile bei Naturbetrachtungen gewährt. Ich ſchrleb 
ein Ehrengebähtniß fin. vier Strophen, welche bie 
Hauptworte feiner Terminologie enthielten; auf 
Anſuchen Londoner Freunde ſodann noch einem Eins 
gang von drey Strophen, zu beſſerer Vollſtaͤndigkeit 
und Verdentlichung des Sinnes. 

Lord Bprons Invective gegen die Edimburger, 
bie mich In vielfachem Sinne intereſſirte, fing ich 
an zu überfehen, doch nöfhigten mich die Unkunde 
der vielen Yartirularien bald inne zu halten, Deſto 
leichter ſchrieb ich Gedichte zu einer Sendung von 
Tiihbeins Zeichnungen, und eben bergleichen zu 
Landihäften nach meinen Skizzen radirt. 

Hierauf warb mir das unerwartete Gluͤck Ihro 
bes Großfuͤrſten Nicolaus und Gemahlin" Alerandra 
Kaliſerl. Hohelt, Im Selett unfrer anddfgften Herr: 

ſchaften bei mir in Haus und Garten zu verehrten. 
Der Frau Großfürftin Talferl. Hoheit vergöunten 
einige poetifihe Betten in das zierlich⸗praͤchtige SE 
bum verebrend einzuzeichnen. 

Auf Anuregung eines tbeilnehmenden Freundes 
ſuchte ich meine in Druck und Manuſcript zerfſteru⸗ 
ten naturwiffenſchaftlicher Gedichte zufemmmen, und 
ordnete: fie nach Bezug und Folge. 

Endllch ward eine Indiſche, mir laͤngſt in Sace 
ſchwebende, von Zeit zu Zeit ergriffene Legende wie⸗ 
der lebendig, und ich ſuchte fie voͤllig zu gewtilgen. 

SH’ ich mm von der Pdefie zur: Proſa binhber, 
fo Habe ich zu erzäßten: ba: die Wandetjehre nenen 


⸗ 


—* ner Re 
ch 5 





189 


Anctheil erregten. Ich nahm dad Manuſcript vor, 


"ans einzelnen zum Theil ſchon abgedruckten Heinen 


 e@szählungen beftehend,, weiche durch Wanderungen 


einen vhalanuten· Geftglt verkaupft, zwar nicht aug 
Einom Stuͤck, aber dach in Einem Sinn erſcheinen 


ſollden. Es war wenig daran zu thun, und ſelbſt 
ober bderſtreſende Gehult gab zu neuen Gedanken 
Anlaß, und ermuthigte zur Ausfuͤhrung. Der 
Druck. war :mit Januar angeſaugen, und in der 
Haͤffte May beendigt. 


Kunſt und Alterthum III B. H. Bebanbelte ; 
man zu gleicher Zeit, und legte darin manches nie⸗ 
der was. gebildeten Freunden angenehm feyn fallte. 


Ganderbaregenng ergriff: mic im Voruͤbergehen 


‚ber: Trieb, am vierten: Bande von Wahrheit und 
MDichtung zn arbeiten; ein Dritthell Daran. ward 


‚wefchriehen, «weiches freilich. einladen ſollte das 


Mebriger nachabringen. Veſonbers mard ein ange⸗ 


ı nahe. Abentener von: Lillis «Geburtätagimit'Mel- 


auns cheweagebeben, anderes bemerkt und audge- 


gebchnet. :: Doch ſah: ich mich bald von; einer. ſolchen 
: Yebeit ‚bie nur durch liebevolle Vertraulichkeit ge⸗ 


alingen, kann, darch anderweitige Beſchaͤftigung zer⸗ 


AItreutund abgelenkt. 
Einige Novellen wurden proiectirt: bie gefaͤhr⸗ 
liche Nachlaͤſſigkeit, verderbliches Zutrauen auf Ge⸗ 


2 wohnheit ,und mehr ⸗dorgleichen ganz einfache Le⸗ 
2vSensmomwente, and. herkoͤmmlicher Gleichguͤltigkeit 


190 


. heraus: u auf ihre bedeutende Höhe herven 
gehoben. 

In der Mitte November ward an der Cam: 
pagne von 1792 angefangen. Die Sonberung me 
Verknuͤpfung des Vorliegenden erforderte ale Axf: 
merkſamkeit; man wollte durchaus wahr blelber 
und zugleich den gebührenden Eupbemismus mid 
verfäumen. Kunft und Alterthum III B. 3 Heft 
verfnigte gleichfalls feinen Weg; auch leichtere Be: 
mühungen, wie etwa bie Vorreden zum Deutſche⸗ 


Gil⸗Blas, Heinere Biographien zur Trauerloge 


gelangen freundlich In ruhigen Zwiſchenzeiten. 

Von außen, auf mih und meine Arbeiten be 
zuͤglich, erfchlen gar manches. Angenehme. Eine 
Ueberfeßung von Howards Ehreugedaͤchtniß zeigte 
mir daß ich auch den Sinn der Engländer getroffen 
und ihnen mit der Hochſchaͤtzung Ihres Landsmannes 
Freude gemadht. Dr. Noͤhden, bei dem Muſenm 
in London angeſtellt, überfehte commentirend meine 
Abhandlung über da Vinck's Abendmahl, die er In 
treffiicher Ausgabe auf dag zietlichfte gebunden über: 
fendet. Rameau's Neffe wird in Paris überfeht 
und einige Zeit für das Original gehalten, und fo 
‚werden auch meine Theaterſtuͤcke uach und nad 
übertragen. Meine Cheilnahme an fremder wie 


an Deutfäher Literatur kann ich folgendermaßen be: 


währen. 
Man erinnert fü ch welch' ein ſchmerzliches Ge⸗ 
fühl über die Freunde der Dichtkunſt und des Ge: 


N 


191 


nuvſſes an derſelbey ſich verbreitete, als die Perſon⸗ 
lichkeit des Homer, die Einheit des Urhebers jener 
weltberuͤhmten Gedichte, auf eine ſo kuͤhne und 
-täctige Weiſe beſtritten wurde. Die gebildete 
Menfhheit war im Tiefften aufgerest, und wenn. 
fie ſchon die Gründe des hoͤchſt bedeutenden Geg⸗ 
ners nicht zu entfräften vermochte, fo konnte fie 
doc ben alten Einn und Trieb fih Hier nur Eine 
Duelle zu denten, woher fo viel Köftliches.entfprun- 
gen, nicht ganz bei fih ausloͤſchen. Diefer Kampf 
mwährte num fchon über zwanzig Jahre, und es war 
eine Ummwälzung der ganzen Weltgefinnung nöthig, 
um der alten Vorftellungsart wieder einigermaßen 
Zuft zu machen. j 

Aus dem- Zerſtoͤrten und Zerftädten wuͤnſchte 
die Mehrheit der claffifh Geblideten fi wieber 
berzuftellen, aus bem Unglanben zum Glauben, aus 
dem Sondern zum Vereinen, aus der Kritik zum Ge⸗ 
nuß wieder zu gelangen. Eine frifhe Jugend war 
herangewachfen, unterrichtet wie lebensluſtig, fie 
unternahm mit Muth und Freiheit den Vorthell zu 
gewinnen, deſſen wir in unſrer Jugend auch ge=- 
noffen hatten, ohne die fhärffte Unterfuchung ſelbſt 
den Schein eines wirkſamen Ganzen als ein Gau⸗ 
zes gelten zu laſſen. Die Jugend liebt das Zer⸗ 
ſtuͤckelte überhaupt nicht, die Zeit hatte ſich in man⸗ 
chem Sinne Eräftig hergeftellt, und fo fühlte man 
fhon den früheren Geiſt ber lien wiederum 
‚walten, 


— 


192 


Schubarths ren: uͤber Homer wurden Jet, 
ſeine geiſtreiche Behandlung, beſenders hie heraus⸗ 
gehobene Beguͤnſtigung der Trojaner, excegten ein 
nes Intereſſe, und man: fühlte ſich biefer Act die 
Sache angufehn. „geneigt. Ein Engliſcher Aufſat 
‚über Hammer, worin man auch bie Einheit und Hu: 
theillbarkeit jener Gedichte auf eine : freundüche 
Weiſe zu behaupten ſuchte, kam zu galegener Zeit, 
und ich, in ber Ueberzeugrug daß, wie es. da bis 
‚auf den heutigen Tag mit ſolchen Werken geſchieht, 

der letzte Redacteur und ſtunige Abſchreiber; getrech⸗ 
‚ tet.habe ein Ganges nach feiner Fählgkeit und 
Ueberengung hesguftellen und zwuberlisfern, ſuchte 
den Auszug der Yllas wieder vor, ben: ich zu fuel: 
‚ Ierer. Ueberſicht derfelben :vor. visien Jahren, unter: 
aaonmen hatte. 

„De Fragmente Phaſthons, waa Ritter He nmann 
‚amitgetheilt, erregten meine Productivitaͤt. Ich 
‚Ainbiste eilig: manches· Stuͤck des Euripides, um mit 

den Siun dleſes außererdentlichen Mannes apleber 

zu vergegenwaͤrtigen · Profeſſor Goͤttling aͤhberſetzte 
edie Fragmente, und aͤch beſchaͤftigte mich lange mit 

‚eines moͤglichen Ergaͤnzung. 

Asiftephanes. von · Voß ‚gab. mad neue Anſichten 
‚and ein friſches Intereſſe amben ſaltſamſten aller 
cTheater dichter. Plutarchuund Appian werden ſtu⸗ 
dirt, diesmalum ber Xelamphaüge willen, in Ab⸗ 

ſicht Mant agnas Blaͤtter, deren Darſtellungen er 
offenbar and den Alten gefhöpft, beffer. wärkigen 

zu 


! 195 


zu Eönnen. Bel diefem Anlaß warb man zugleich 
in den böchft wichtigen Greigniffen und Zuſtaͤnden 
. der Roͤmiſchen Geſchichte hin und hergeführt. Mon 
Knebels Ueberfeßung des Lucrez, welcher nad viel- 
fältigen Stubien und Bemühungen endlich heraus⸗ 
kam, nöthigte zu weiteren Betrachtungen und Stu- 
dlien in dbemfeiben Felde; man warb zu dem hoben 
Stande ber Roͤmiſchen Cultur ein. halbes Jahrhun⸗ 
dert vor Chriſti Geburt, und in das Werbältniß der 
Didt- und Nebeluäft zum Kriegs: und Staatswe⸗ 
fen genöthigt. Dionys von Halikarnaß konnte nicht 
verfäumt werben, und fo reizend war der Gegen- 
- Stand, daß mehrere Freunde ſich mit und an dem⸗ 
ſelben unterhielten. 


Nun war der Antheil an der Engliſchen Literatur | 


durch vielfahe Bücher und Schriften, befonders auch 
burch die Huͤttneriſchen hoͤchſt intereflanten handfchrift- 
Uichen Berichte von Londen gefendet, immer leben⸗ 
dig erhalten. Lord Byrons fruͤherer Kampf gegen 
feine ſchwachen und: unwuͤrdigen Recenſenten brad;- 
te mir die Namen mander felt dem Anfange des 
Jahrhunderts Merkwärbig gewordener Dichter und 
Hrofaiften vor die Seele, unb ich lad baher Jacob⸗ 
fons biographifhe Chreſtomathie mit Aufmerkſam⸗ 
keit, um von ihren Zuſtaͤnden und Kalenten das 
- Genauere zu erfahren. Lord Byrons Marino Fa: 
Gero, wie fein Manfred, In Dörings Ueberſetzung, 
hielten uns icnen werthen außerorbentiihen Mann 
immer vor Augen. Kenilworth von Walter Scott, 
Serie) Werte. XXXII. Dr. 45. 


494 
ftatt vieler andern feiner Romane :anfmerkfam ge: 
lefen, ließ mid feln vorzuͤgliches Talent, Hei: 
fches in lebendige Aufchauung zu verwandeln, bemet- 
ten und aͤberhaupt als hoͤchſt gewandt in dieſer 
Dicht⸗ und Schreibart anerkennen. 

Unter Vermittlung bes ‚Englifhen, nach Anlei⸗ 
tung des werthen Profeſſor Koſegarten, enmdte.ih 
mid wieder eine Zeitlang nach Indien. Durch fee 
genaue Ueberſetzung bes Anfangs von .;Gamerıyı, 
am dieſes unſchaͤtzbare Gedicht mir mieder lebendie 
vor die Seele, und gewann ungemein durch eines 
treue Annäherung. Auch Nala ſtudirte ich mit Be: 
wundesung, und bedauerte nur, daß bei uns Em 
pfindung „Sitten und Denkweiſe fo verſchieden von 
jener öͤſtlichen Nation ſich ausgebilaet Haben, bh 
ein fo bedeutendes Wert ‚unter wid -ume wenige, 
vielleicht aur Leſer vom Fache, fichgewinsen:aräcte, 

Non Spaniſchen Erzengniſſen nenne ich zuvor⸗ 
derft ein bedeutendes Werk: Spanien und» bie 
Revolution. Ein Bereifter, mit Zen :Sitrem 
der Helbinfel, den Staub: Bf: und Fiaau 
verhältniffen :gar- wohl bekannt, Eroͤſfnet uns me: 
thodiſch und zuverlaͤfſig wie es in den Jehren, me 
er ſelbſt Zeuge gewefen ‚mit:den Innern Verhaͤll⸗ 
niffen auggefchen, and gibt und einen: Begriff vn 
dem, was in einem ſolhen Lande Durch Unwäks: 
gen bewirkt wird. “Sehne Mrt:gm ſchauen und ya 
benten ſagt dem Zeitgeiſt nicht gu; daher feeretist 
diefer das Buch durch ein unverbruhtiches Schuti⸗· 








495 


‚sen, In weiher Art von Inauifitiondsenfur es De 
Dentichen weit gebracht haben. - 
... 3wey Städe von Calderon machten mid fehr 
gluͤcklich: der abſurdeſte Gegenſtand In; Minzera von 
Copacabaua; ber vernunft⸗ :und maturgemaͤßeſte, 
bie Tochter ber Luft, beide mit ‚gleichem Geiſt und 
uͤberſchwenglichem Talent behandelt, daß die Macht 
des Genie's in Beherrſchung alles Widerſprechendan 
‚Daraus aufs kraͤftigſte hervorleuchtet, und den hohen 
Werth fohher Productionen deppelt mad drepfach 
benckunde 


t. 

Eine Spanifche Blumanleſe, durch Gefaͤlligkrit 
des Herrn Perthes erhalten, war: mir hoͤchſt erfreu⸗ 
lich; ich eignete mir daraus zu was ich vormochte, 

-shaleich meine geringe Sprachkenntuiß mich dabei 
manche Hinberung erfahren ließ. 

Aus Italien gelangte nur wenig in meinen Kreis: 
Yldegonda von Groſſi ersegte meine ganze 
Aufmerkfamtelt, ob ich gleich niht Zeit geinaun 
oͤffentlich daraͤber etwas zu ſagen. Hier ſieht man 
die mannichlaltigſte Wirkſamleit eines vorzuͤglichen 

Talents, das fſich großer Ahnherren ruͤhmen Ban, 
aber auf eine wunderſame Welle. Die Starzen 
Hund ganz fuͤrtrefflich, ber Gesenftanb modem uner- 
freullch, Die Aneführung hoͤchſt gebildet nach. bem 
Charakter großer Worgänger: Tafio'’d Anmush, 
Arioſts Gewandtheit, Dante!s widerwaͤrtige oft ab⸗ 
ſcheuliche Großheit, eins nach dem andern wirkelt 
Ah ab. Ich mochte das Werk nicht wieder leſen, 





496 


um es näher zu beurthellen, da ich genug zu thun 
batte die gefpenfterhaften Ungeheuer, bie mich bei 
der erften Leſung verſchuͤchterten, nach und nach aus 
der Einbiibungstraft zu vertiigen. 

Deſto willkommener blieb mie Graf Carma— 
guola, Trauerſpiel von Manzoni, einem wahrbaf: 
ten, klarauffaſſenden, innig durchdringenden, menfe: 
ich fuͤhlenden gemuͤthlichen Dichter. 

Von ber neuern Deutſchen Literatur durft' id 
wenig Kenntniß nehmen; meiſt nur was ſich unmit⸗ 
telbar auf mich bezog, konnt' ich in meine übrige 
Thaͤtigkelit mit aufnehmen. Zaupers Grundzüge 
einer Deutſchen theoretiſch⸗praktiſchen Poetik, brach⸗ 
ten mich mir ſelbſt entgegen, und gaben mir, wie 
us einem Spiegel, zu manchen Betrachtungen 
Anlaß. Ich fagte mir: da man ia doch zum Inter: 
richte ber Iugenb und zur Einleitung in eine Sprache 
Chreſtomathien anwendet , fo ift es gar nicht uͤbel 
gethan fih an einen Dichter zu halten, der mehr 
aAus Trieb und Schidfal, benn aus Wahl und Wor⸗ 
daß dahin gelangt, felbft eine Chreftomathie zu ſeyn: 
denn ba findet fih Im Ganzen boch Immer ein ans 
dem Stublum vieler Vorgänger geblideter Sim 
‚und Geſchmack. Dieſes beſchraͤnkt keineswegs ben 
juͤngeren Mann, der einen ſolchen Gang nimmt, 
ſondern noͤthigt ihn, wenn er ſich Tange genug in 
einem gewiſſen Kreife eigenfinnig umher getrieben 
Het, sum Ausflug tn die weite Welt und im bie 
Serne ber Zeitalter, wie man an Schubarth 


‘ 


197 


fehen Tann, ber fih eine ganze Welle In meinem - 
Bezirk enthielt und fih dadurch nur geftärkt fand, 
nunmehr die fhwierigiten Probleme des Alterthums 
anzugreifen und eine geiftreiche Loͤſung zu bewirken. 
Dem guten Zauper fagte Ich manches, was Ihm foͤr⸗ 
derlich ſeyn konnte, und beantwortete feine Apho- 
rifmen, die er mir im Manufeript zufendete, mit 
Eurzen Bemerkungen, für ihn und andere nicht ohne 
Nutzen. 

Die Neigung womit Dr. Kannegießer meine 
Harzreiſe zu entziffern ſuchte, bewog mich in meine 
fruͤhſte Zeit zuruͤck zu gehen und einige Aufſchluͤſſe 
uͤber jene Epoche zu geben. 

Ein Manuſcript aus dem funfzehnten Jahrhun⸗ 
dert, bie Legende der heiligen drey Koͤnige Ind 
Maͤhrchenhafteſte dehnend und ausmahlend, hatte 
mid, ba ich es zufällig gewann, in manchem Sinne 
intereſſirt. Ich befchäftigte mih damit, und ein 
geiftreicher junger Mann, Dr. Schwab, modte e& 
überfegen. Diefes Stublum gab Anlaß zu Be⸗— 
trahtung wie Mährhen und Geſchlchten epochen⸗ 
weife gegen und durcheinander arbeiten, fo daß fie . 
fhwer zu fundern find, und man fie durch ein wel- 
teres Trennen nur weiter zerftört. 

Jedesmal bei meinem. Aufenthalt in Böhmen 
bemüht” ich mich einigerikaßen um Geſchichte und 
Sprache, wenn auch nur Im allgemeinften. Dieß- 
mal. las ich wieder Zacharias Theobaldus Huffiten= . 
krieg und warb mit Stransky respublica Bohe- 


⸗ 


198. 


mias, mit ber Geſchichte des Verfaſſers ſelbſt und 
bem Werthe bed Werts, zu Vergnügen und Be⸗ 
lehtung näher befaunt. Durch die Ordnung: ber 
alademiichen Bibliothek zu Jena, wurde auch eire 
Sammlung fliegenber Blätter des ſechzehnten Jahr⸗ 
hunderts dein Gebrauch zugänglich: einzelne Nach 
richten, bie man in Ermanselimg von Zeitungen 
dem Publicum mitthellte, wo man unmittelbar mit 
dem urfpränglihen Factum genauer befaunt wurde 
als jetzt, wo jedesmal eine Partey und dasjenige 
mittheilt, was ihren Geſinnungen und Abſichten 
gemäß tft, weßhalb man erſt hinterdrein die Tages- 
blaͤtter mit Nutzen und wahrer Einficht zu leſen in 
den Fall komut. 

Die unfhänbare Boifferéeſche Sammlung, bie 
und einen nenen Begriff von früherer Nioderbeut« 
fer Kunftmahlerey gegeben und fo eine Zäde in ber 
Kunſtgeſchichte ziemlich ausgefuͤllt hat, ſollte deun 
‚an darch treffliche Steindraͤcke dem Abweſenben 
bekannt und der Ferne foglekh angelockt werden, 
ſich diefen Schaͤtzen perſoͤnlich zu hähern. - Strixner, 
ſchon wegen feiner Muͤnchner Arbeiten laͤngſt ge⸗ 
ruͤhmt, zeigte ſich auch hier zu ſeinem großen Vor⸗ 
theil; und obgleich der auffallende Werth der Ori⸗ 
ginalbilder In glaͤnzender Faͤrbung boſteht, fo ler: 
nen wir body bier den Gedanken, ben Ausbruck, bie 
Zekchnung und Sufammenfehung fennen, und Wer: 
den, wie mit den Oberdeutſchen Kuͤnſtlern burd 
Kupferſtiche und Holzſchnitte, fo bier durch eine 


- 499 
wewerfundene Nachbitdungsweiſe auch mit ben bls⸗ 
ber unter uns kaum genaunten Meiftern des fanf- 
zehnten und fechzehhten Jahrkunderts vertraut. 
Jeder Kupferſtichfammler wird fick biefe Hefte germ 
anfhaffen, da in Betracht ihres innern Werthes 
der Preis für mäßig zu achten iſt 

So erſchienen und denn auch die Hamburger 
Steindruͤcke, meiſt Portraits, Im Vortrefftichkeit 
vor zufammenlebenden und arbeitenden Kuͤnſtlern 
unternommen und ausgeführt. Wir wuͤnſchen einem 
jeden Liebhaber Gtäd zu guten Abdrüden derfelben. 

Bieled- andere, was die Zeit hervorbrachte, und 
was wohl für graͤnzenlos angeſprochen werden kann, 
iſt an- anderem: Orte genannt und gewürdigt. 

Nun wollen wir noch einer eigenen Bemühung 
gedenken, eines Weimariſch⸗lithographiſchen Heftes 
mit erffärendem Text, das wir unter dem Titel 
einer Pinatothet herausgaben. Die Abfiht war 
manches bei ung vorhandene Mittheilungswerthe 
ins Pubileum zu bringen. Wie es aber auch da⸗ 
mit mochte befhaffen ſeyn, biefer kleine Verſuch 
erwarb ſich zwar manche Goͤnner aber wenig Kaͤufer, 
und werd nur langſam und im Stillen fortgeſeht, 
um den wackeren Kuͤnſtler nicht ohne Uebung zu 
laſſen und eine Technik lebendig zu erhalten, welche 
zu fördermelm jeder Ort, groß ober klein, ſich zum 
Vortheil rechnen ſollte. 

Nun aber brachte die Kupferſte cherkuuſt nach lan⸗ 
"gem Erwarten und ein Batt von der größten Be⸗ 





200 


deutung. Hier wird und im fchönfter Klarheit und 
Reinlichkeit ein Bild Raphaels überliefert, aus den 
ſchoͤnſten Juͤnglingsjahren; bier iſt bereits ſoviel 
geleiſtet als noch zu hoffen. Die lange Zeit, welche 
der uͤberliefernde Kupferſtecher Longhi hierauf ver⸗ 
wendet, muß als gluͤcklich zugebracht angeſehen wer⸗ 
den, fo daß man fhm den dabei errungenen Ge⸗ 
winn gar wohl gönnen mag. — 
Von Berlin kamen und faft zu gleicher Zeit 


Mufterblätter für Handwerker, bie auch wohl einem 


jeden Kuͤnſtler hoͤchſt willtommen ſeyn müßten. 
Der Zwed iſt edel und fchön, einer ganzen großen 
Nation das Gefühl des Schönen und Reinen auch 
an unbelebten Formen mitzutbeilen; daher iſt an 
biefen Muftern alles mufierhaft: Wahl der Gegen: 
flände,. Zufammenftellung, Folge und Vollftändig- 
feit, Tugenden welche zufammen, biefem Anfange 


‘gemäß, fi in den zu wünfdhenden Heften Immer 
‚mebr offenbaren werben, 


Nah fo trefflihen ind Ganze reichenden Arbel- 
ten darf ich wohl eines einzelnen Blattes gebeufen, 
das ſich zunaͤchſt auf mich bezieht, doch ald Kunft- 
wert nicht ohne Verdienſt bleibt, man verdankt es 
der Bemühung, welche fi Dawe, ein Englifcher 
Mahler, bei feinen. längeren biefigen Aufenthalt 


. um mein Portrait gegeben; es iſt in feiner Art ale 


E 


gelungen anzufpredhen, und war es wohl werth in 
England forgfältig geftochen zu werben, 
In die freie Welt wurden wir durch Landfchafte: 


IE 


201 


zeichnungen des Herrn David Heß aus Zuͤrich hin⸗ 
ausgefuͤhrt. Eine ſehr ſchoͤn colorirte Aquatinten⸗ 
folge brachte und auf den Weg uͤber“ den Simplon, 
ein Koloffalbau, ber zu feiner Zeit viel Redens 
machte, 1 
In ferne Regionen „verfesten und bie Zeichnun⸗ 


gen zu des Prinzen von Neuwied Durchlaucht Bra- 


’ 


ſilianiſche Reife :- das Wunderfame der Gegenftände 
fhien mit ber kuͤnſtleriſchen Darftellung zu wett= 


J eiſern. 


Noch einer Kuͤnſteley muß ich gedenten, bie aber 
als rärhfelhaft jeden guten erfinderifhen Kopf in 


Anſpruch nahm und beunruhigte: es. war-bie Erfin⸗ 


dung eine Kupfertafel nach Belleben größer oͤder 
Meiner abzudrucken. Sch ſah dergleichen Proben. 
blaͤtter bei einem Reiſenden, der folhe fo eben als 


. eine große Seltenheit von Parts gebracht hatte, und 


man mußte ſich, ungeachtet der Unwahrſcheinllchkeit, 


. doch bei näherer Unterfuchung überzeugen: ber grö- 


ßere und Heinere Abdrud feyen wirklich als Eines 


Urſprungs anzuerkennen. 


Unm nun auch von der Mahlerey einiges Beden4)⸗ 


tende zu melden, ſo verfehlen wir nicht zu eroͤffnen, 
daß, als auf hoͤhere Veranlaſſung dem talentreichen 
Hauptmann Raabe nach Italien bis Neapel zu 
gehen Mittel gegönnt waren, wir ihm den Auf⸗ 
trag geben konnten, verfchledenes zu copiren, wel⸗ 
ches zur Geſchichte des Eolerits merimärdig und 
für diefen wichtigen Kunſttheil ſelbſt förderlich wer⸗ 


202 


den möchte. Was er während fälner Rekſe geleiftet 
und Ins Vaterland geſendet, ſo wie bad nach Wei: 
enbung feiner Wanberfihaft Mitgebrachte war gerade 
der lobenswardige Beitrag ben wir wänfdten. Die 
Aldobrandinifhe Hochzeit in ihrem nenften Zuſtande, 
die unſchaͤtzbaren Taͤnzeriimen und Bachifchen Gen: 
tauren, von deren Geſtalt md Zuſammen ſetzuug 
men: alueunfulls im Norden: durch Kupferſriche urter: 
richtet wird., ſah man jetzt gefaͤrbt, und konnte and 
bier den großen antiken Geſchmackſinn freudig be⸗ 
wundern. Solche Bennhung wollte freilich Deut⸗ 
ſchen, von modernem Jerfal befangenen Kunſtjuͤn⸗ 
gern nicht einfichtig werben, weßhalb man denn ſo⸗ 
wohl ſich ſelbſt als den verfhindigen Kinftler su be: 
ruhigen wußte. 


Angenähert dem antiken Sinne erfhien uns 
darauf Mantegna's Teiumphaug abermals hoͤchſt 
willkommen; wir ließen, geflägt auf den eigenhaͤu⸗ 
digen. Rupferftich bes großen Künftlers, das zehnte 
hinter den Triumphwagen beſtinmte Biatt in glel> 
cher Yet und Größe zeichnen, und brachten. dadurch 
eine hoͤchſt lehrreich abgefhloffene Folge zur Ans 
ſchauung. 

Mit größter Sorgfalt in Zeichmg umb Farbe 
nachgebilbete Copien alter Stapmahlereyen ber St. 
Gereond: Kirche in Koͤln fehten jeberman In Ber: 
wunberung, und gaben einen mertwärbigen Beleg, 
wie fi eine ans Ihren erfien Elementen auftretende 


2303 


Kuuſt u Erreichung ihrer Zweckt w benchmen 
gewußt · 

Anderes diefer Riederdeutſchen Saunle, weiter 
Yerauftommend und: ausgeblideter, ward und durch 
Die Freunbikhleit bes Boiſſereeſchen Kretſes zu Theil; 


wie ah denn auch fpäter von Caffel ein neueres 


zu dem Alten zuruͤckſtrebendes Kuuftbemäben vor: 
Augen am: drey fingenbe Engel von Ruhl, weiche 
wir wegen aus fuͤhrlicher Genanigkeit befonderer Auf: 
merkſamkelt werth zu achten Urſache hatten. 

Im Gegenſatz jedoch von dieſer ſtrengen fich felbſt 
retarbirenden Kunft kam ung von Antwerpen: ein 
lebensluſtiges Gemaͤhlbe, Rubens als Juͤngling, 
von einer ſchoͤnen ſtattlichen Frau dem alternden 
Lipſius vorgeftelt, und zwar in bem unverändert 
aus jener Zeit het verbliebenen: Zimmer, worin dies - 
fet auf fehre Weife vorpiglihe Mann als Reviſor 
der Ylantintfchen: Offteln gearbeitet hatte, 

Unmittelbar ſtimmte hiezu eine Eople nah dem 
Soͤhnen Rubens In Dresden, weiche Gräfin Julle 
von Egloffſtein vor kurzem lebhaft undgluͤcklich voll 
endet hatte. Wie bewunderten zu gleicher Zeit ihr 
hoͤchſt geüabtes und ansgebfidetes Talent in einem 
Zelchenbuche, worin fie Freundes⸗-Portraite fo wie 
Iandfchaftlihe Familienſitze mit fo großer Gemandt- 
beit als: Natuͤrlichkeit eingezeichnet: 

Endlich Fam: auch mein eigenes ſtockendes Talent 
zur Sprache, indem bedeutende und wertbe Samm⸗ 
ler etwas von meiner Hand verlangten, denen ich 


"208 
denn mit einiger Schen willfahtte, zugleich aber 
eine ziemliche Anzahl von mehr ald gewohnt rein- 
lichen Blättern in Einen Band vereinigte: es waren 
die vom Sabre 1810, wo mich zum leßtenmale ber 
Trieb die Natur nady meiner. Art auszuſprechen 
Monate lang beliebte; fie durften für mi, bes fon- 
derbaren Umſtands halber, einlgen Werth haben. 

Im Bezug auf die Baukunſt verhielt ich mic 
eigentlich nur hiſtoriſch, theoretisch und kritiſch. 
DHberbaubirector Soudray, grünblih, gewandt, fo 

thaͤtig als geiftreich, geb mir Kenntniß von ben bei 
uns zu unternehmenben Bauten, amd das Geſpraͤch 
daräber war mir hoͤchſt förderiih. Wir gingen 
manche bedeutende Kupferwerke -zufammen durch; 
das neue von Durand: Partie graphique des 
Cours d’Architecture etc. an furz vergangene Zeit 
erinnernd; Richardson: The New Vitruvius Bri- 
tannicus, und im Einzelnen die ſtets muſterhaften 
Zierrathen Albertolli's und Moreau's. 

Hoͤchſt vollkommen in dieſem Fache war eine 
Zeichnung, mir von Berlin durch das Wohlwollen 
des Herrn Theater: Intendanten zugeſendet, die 
Decoration innerhalb welcher bei Eroͤffnung des 
Theaters der von mir verfaßte Prolog gefprochen 
worden. 

Bolfferde’s Abhandlung über den Kölner Dem 
tief mic in frühere Jahrhunderte zuräd; man be- 
durfte aber das Manufeript eher als mir lieb wer, 
and der mit augenblicklichem Interefle angefponmene 


- . E i r 
205, _ \ 


Gaben der Reflexionen zerriß, deſſen eben fo eifriges 
Antnüpfen jedoch manchen Zufälligkeiten unterwor⸗ 
fen ſeyn moͤchte. 

Hatte man nun dort bie altdentſche Baukunſt 
‚auf ihrem hoͤchſt geregelten Gipfel erblidt, fo lie⸗ 
Gen andere Darftelungen, wie 5. B. die alten Bau- 
bentmate im Denerreichifhen Kaiſerthume, nur. 
eine beim Hergebrachten ins Wilfärlihe auslau⸗ 
fende Kunſt ſehen. 

Ax ine gute Zeit dieſer Bauart erinnerte jedoch | 
‚eine uralte juͤdiſche Synagoge in Eger, einft zur 
chriſtlichen Capelle umgewandelt, jet verwaif’t vom 
Gottes dienſte bes alten und neuen KTeflamente. 
Die Jahrzahl einer alten Hebräifchen JInſchrift Hoch 
am Pfeller, war felbft einem bucchreifeuden ſtudir⸗ 
ten Inden nicht zu eutzifern. Diefelbe Zweydeutig- 
keit, welche ſowohl die Jahres: als Volks zahlen der 
Ebraͤer hoͤchſt unſicher laͤßt, waltet auch hier, und 
hieß und von fernerer Unterſuchung abſtehen. 

In der Plaſtit zeigte ſich auch einige Thaͤtigkeit, 
wenn nicht im Vielen doch im Bebentenden; einige/ 
Düften In Gyps und Marmor vom Hofbildhauer 
Kaufmann erhalten Beifall, und eine Heinere Me: 
daille mit Sereniffimi Bild in Paris zu ie 
ward beſprochen und berathen. 

. Theorie und Kritif, auch fonftiger Einfinß ver⸗ 
folgte feinen Gang, und müßte bald im Engeren 
‚bald {m DBreiteren. Ein Anfſatz des Weimarifchen 
Kunftfreundes für Berlin, Kunſtſchulen und Alades 


206 


men betreff end, ein anberer uf Muſeen rädfichtiie, 

acc leberzeusumg mitgetheilt, wenn auch wicht 
aller Orten mit Biligung aufgenommen; eine SE: 
hardlung aber den Steindruck, die Meier falder 
Aunſt beiobend, ihnen gewiß erftenlich: alles die⸗ 
ſes zeigte von dem Eruſt, womit men das Heil der 
Kunft von. ſeiner Seite zu fördern mannichfaltig 
‚bebacht war. 

Eine ſehr angenehme Unterhattung. mir amd: 
wärtigen Freunden gewährte, durch Bewmmitte: 
img von Kapferſlichen, manche Betrachtung ııber 
Konteptiou, ‚höhere fo mie techniſche Compofi⸗ 
don, Erfinden and Geltendmachen ber Motire. 
Der hehe Wenth der Kupferſtecherkunſt in biefem 
Yiloniichen Siane, warb zugleich hervregethoben 
And ſefuͤr din he gehalten. - 

Die Ruf verſprach gleichfalls in meinem haͤut⸗ 
Uchen Kreiſe ſich wie der gu heben; Alexander Bau: 
cher und Frau, mit. Bioline und ‚Harfe, ſetzten qu⸗ 
erft einen Leinen Kreis verſammeilter Freunde In 
Verwunderung und Erſtannen, wie es ihnen nach⸗ 
Her mit amſeren und hem ſo zroßen und an «iss 
Zoeffiihe gewoͤhnten Berkiner -Yublicum gelang 
Director Elerwein und feiner Gattin muuiäuihihe 
productive und andfährende Tal ente wilotten. 
wilederholtem Genuß, wub in ber.päiite@ten.Zannte 
ſcheu ein groͤßeres Seucert gegeben: werben. - Merk 
tation umb thytheniſchen Vertrag. zu vernehmen mb 
arzuleiten, war eine .alte nie ganz erſlerbene Tel: 


> 


: - 907 
denfheft. Zwed entſchiedene Talente dieſes Faches 
Graͤfin Julie Egloffſtein und. Fräulein Abele Scho⸗ 
penhauer, ergehten ſich deu Berliner. Prolog vor⸗ 
zutragen, jede nach ihrer Weile, jede bie Peeſte 
durchdringend und ihrem Charatter gemäß in lie⸗ 
benswuͤrdiger Verſchirdenheit darſtellend. Durch 
Die kenntnißreiche Sorgfalt eines laͤugſt bewährten 
Freundes, Hofrath Rochlitz, kam cin bedachtfam 
gepruͤfter Schreiberiſcher Flugel yon Leipzig an; 
gluͤcklicherweiſe: denn bald datauf baachte uns Bei- 
ter einen hoͤchſte Vermünberung erregenden Zoͤgling, 
Felix Mendelſohn, deſſen unglanbliches Dalent wir 
ohne eine ſolche vermittelnde Mechanik niemals 
bitten ;gemahr. werden koͤnuen. Und fo.lam denn 
auch ein großes bedeutendes Concert zu. Stande, 
wobei unfer wicht genug zunpetiſende Capellmeiſter 
Hommel ſich gleichfalls hoͤren ließ, der ſodann auch 


von. Zeit zu Zeit durch die merlsuͤrdigſten Muss -⸗ß· 


Adungen den Beſitz des vorghgikhen Inſtrumentes 
Ins Unſchaͤtzbare zu erheben verftaud. 

Sch amnde mich ger Natarforſchnug, und da Ib’ 
sch vor allem zu ſagen, daß Parkineſs Wert iiber 
das ſubjective Sehen mich befondersraufnegte. Ih 
608 es ans und fchrieb Moten dazu, und ließ, in 
Abſicht Gebwauch Devon in meinen Heften zumachen, 
die beigefaͤgte Tafel copivan, welche mähfemeunb _ 
ſchwierige Arbeit der. genaue: Kuͤnſftter gear anter⸗ 
maben, weil er in früherer Zeit durch uͤhnliche Er⸗ 
ſcheinungen geaͤngſtigt worden, mad nun mit; Ver⸗ 


— 208 
gnuͤgen erfuhr, daß fie als naturgemäß kelnen kranl⸗ 
haften Zuſtand aıdeuteten. “ 

Da anf dem reinen Begriff vom Trüben bie 
ganze Sarbenlehre beruht, indem wir durch ihn zur 
Anſchauung bed Urphänomens gelangen, und durch 
eine vorfichtige Entwicklung beffelben uns über die 
ganze ſichtbare Welt aufgeltärt finden, fo war es 
wohl der Muͤhe werth fich umzuſehen, wie Die ver: 
ſchiedenen Voͤlker fi bieräber ausgebrädt, von 

wo fie ausgegangen und wie fie, roher ober zarter, 
in der Beziehung fich näherer oder entfernterer 
Analogien bedient. Man fuchte gewiſſe Wiener 
Trinkglaͤſer habhaft zu werben, auf welchen eine 
truͤbe Glaſur das Phaͤnomen ſchoͤner als irgendws 
darſtellte. 

Werſchiedenes Chromatiſche wurde zum vierten 
Hefte aus fruͤheren Papieren hervorgeſucht; Ber⸗ 
narbinns Telefins ſowohl überhaupt als beſonders 


der Farbe wegen ftabirt. Seebedd Worlefung über 


die Wärme im prismatiihen Sounenbilde war hoͤchſt 
willfommen, und die früheren eigenen Vorſtellun⸗ 
‚gen über biefe merkwürdigen Erfpeinungen et: 
wachten wieder. 

Hofmechanicne’ Körner befaäftigte ſich Flintgiet 
zu fertigen, ſtellte in feiner. Werkſtatt nad, Frau⸗ 
zoͤſiſchen Vorſchriften ein Inftrument. auf, zu ben 
fogenannten Polariſationsverſuchen; das Mefultat 


derfelben. war, wie man ſich fihon lange belehrt 
‘ Hatte, kuͤmmerlich, und merkwuͤrdig genug ba 


“ 


lei· 


‚208 


glelcher Zeit eine Fehde⸗zwlſchen Blot und Arrago 
laut zu werden anfing; woraus fuͤr den Wiſſendon 
die Nichtigkeit dieſer gangen Lehre noch mehe an den 
Tag kam. 

Herr von Henning von Berlin beſuchte mich, 
er war in die Farbenlehre, dem zufolge was ich 
mit ihm ſyrach, volkemmen eingeweiht, und zeigte 
Muth oͤffentlich derſelben ſich arzunehmen. Ich 
theiklte ihm die Tabelle mit, woraus hervorgehen 
fokte, was für Phaͤnomene und. in welcher Orbuung 


man: bei einem drematifehen Vertrag zu ſchauen | = 


und su beachten habe. 

In der Kenntnib ber Oberfläche unfred Erdbo⸗ 
dens wurden wir fehr geförbert durch Graf Steru⸗ 
bergs Flora der. Vorwelt und zwar deren erſtes nnd 
zweytes Stuͤck, Hlezu gefellte ſich die Pflanzenkunde 
von Rothe in Breslan. Huch des Urſtters, der ans 
dem Haßleber Torfbruch nach: Jena gebracht und 
dort aufgeſtellt wurde, iſt wohl als eines der neue⸗ 
ſten Zeugnifſe ber früheren Thiergeſtalten bier zu 
erwähnen. Das Archiv der Urwelt hatte ſchon oi⸗ 
nes gleichen gedacht, und mie ward das beſondere 

muͤgen, mit Hömn Koͤrto In: Halberſtadt bei 
dieſer Gelegenheit ein früheres freundliches Ver⸗ 
haltniß zu ernenen. 

Die Abſicht Kaͤferftolus einen geologiſchen Atlas 
fuͤr Deutſchland heraus zugeben, war mir hoͤchſt er⸗ 
wuͤnſcht, ich nahm eifrig Theil daran und war gern 
was die Farbung betrifft mit meiner Ueberzeugung 

Goethes Werke. XXXII 88 414 


wi 


210 


beiräthig. Leider Tonnte durch die Gleichguͤltigkeit 
der ausführenden Techniler gerade diefer Haupt: | 
punct nicht ganz gelingen, Wenn die Farbe zu Dar: 


ſtellung weſentlicher Unterfchlede dienen fol, fo 
. mäßte man ihr die größte Aufmerkfamkeit widınen. 


Die Marienbader Gebirgsarten fammelte man 
mit Sorgfalt, in Jena geordnet wurden fie dann 
verſuchs weiſe dem Publicum mitgetheilt, ſowohl 
am mic ſelbſt bei Wiederkehr eines Anhaltens zu 
verfihern ale auch Nachfolgern dergleihen an bie 
Hand zu geben. Sartorius übergab dem Jenaiſchen 
Mufeum eine Folge der Gebirgsarten von der Roͤhn 
ſich herſchreibend, als Beleg zu feiner dem Vulcan 
gewidmeten Abhandlung. 

Auch in dieſem Jahre lenkte ich die Aufmerkſam⸗ 
keit meiner Schleſiſchen Freunde auf den Prieborner 
gegliederten Sandſtein, oder wie.man dieſe wun⸗ 
derſame Gebirgsart nennen will, fp wie auf bie in 
fruͤherer Zeit haͤufigen, aber nicht erfannten Blitz⸗ 
roͤhren bei Maſſel, an einem endlichen Gelingen 
nicht verzweifelnd. 

Im Allgemeinſtlen wurbe ich geförhest durch d'Au⸗ 
biſſon de Voiſins Geognoſie und durch Sorliot Hoͤ⸗ 
hencharte von Europe, 

Meteorologie ward. fleißig betrieben; Profeſſor 
Poſſelt that das Seinige; Eondurteur Schrön bil: 
dete ſein Talent Immer mehr aus; Hofmechanicus 
Körner war In allen technifchen Vorrichtungen auf 


‚das ſorgfaͤltigſte behuͤlflich, und alles trug bei die Ab- 


& 211 


fihten und Anordnungen bes Fürften möglichit zu 
befördern. Eine Inſtruction für die fämmtlichen 
Beobachter im Großherzosthum" warb aufgefeßt, 
"neue Tabellen gezeichnet und gejtochen; die atmoſphaͤ⸗ 
rifhen Beobachtungen in der Mitte April waren 
merkwürdig, fo wie der Höherauch vom 27 Zuny. 
Der junge Preller brachte meine Woltenzeichnungen 
ind Reine, und damit ed an keinerlei Beobachtungen 
fehlen möge, beauftzggte man den Jenaiſchen Thuͤr⸗ 
mer auf gewiſſe Meteore aufmerkfam zu feyn. In⸗ 
deſſen gaben die Dittmarifchen Prophezeyungen viel 
zu reden, woraus aber weder Nußen noch Beifall 
hervorging. 

Woollte man ausfuͤhrlicher von der Belrederiſchen 
Thaͤtigkeit in der Pflanzencultur ſprechen, ſo muͤßte 
man hiezu ein eigenes Heft verwenden. Erwaͤhnt 
fey nur daß ein Palmenhaus zu Stande fam, wel- 
ches zugleich bem Kenner genügen und den Geſchmack 
eines jeden DBefuchenden befriedigen muß. Das 
entgegengefebte Ende der tropifchen. Vegetation ga= 
ben getrocknete Pflangen- Exemplare von ber Infel 
Mellville, welche durch Kummer und Dürftigleit 
fih befonders auszeichneten uud das letzte Ner- 
fchwinden einer übrigens befannten Vegetation vor& 
Auge festen. Der Kloß eines beihädigten And wie⸗ 
der zufammengewachfenen Baumflammes gab zu 
manchen Unterfuchungen über die Wieberherftel- _ 
lungskraft der Natur Anlaß. - 

In Jena fing der botanifhe Garten an fi neu⸗ 





212 


betebt gu — ber demſelben vorgeſetzte Hofrath 
Voigt, imgleichen der babet angeſtellte Kunſtgaͤrtner 
Baumaun, machten eine Reife nah Berlin, woher 
fie nit ohne Vortheil fuͤr ſich und die Anſtalt ze 
ricktehrten. 
Ich ließ mie augelegen ſeyn die beiden Bände 
mb Wiſfenfſchaftstehre durch das vierte 
Heft abzuſchließen, und behielt noch fo viel Borrath 
übrig, um auch wohl ein folgendes vorzubereiten. 





18 22. 


Zur altdentſchen Baukunſt, su Yräfung ihres 
Charakters, durch Schauͤtzung ihres Sinnes, zum 
Begriff der Seit worin fie entſtand, —— mie 
zwey bedeutende Werte. Mollers Deutihe Baus 
benttwate, beren erfied Heft nun geſchloſfen, lagen 

uns vor. Nach mehreren Probedruͤcen erſchien auch 
das erſte Heft des Boiffereeſchen Domwerks. Ein 
großer Theil des Tertes, den ich vorher im Dann: 
fertpt ſtudirt Watte, lag bei, und die Ueberzeugung 
beftätigte ſich, daß zu richtiger Einſteht in biefer 
Sache, Zeit, Religten,; Sitte, Kunſtfolge, Bebhef: 
uiß, Umlage der Jahrhunderte, wo biefe Banart 
uͤberſchwenglich ausgedehnt im Anwendung biähte, 
alles zuſammen als eine große lebendige Einheit zu 
betrachten fey. Wie fih num an das. Kirchthum and 
Das Ritterthum anfhloh, gu anderm Beduͤrfulß in 








— —Nif — PER 


213 
gleichen Einne, wollte —XX wohl erwegen 
feyr. 


Die Piakit braute wenig aber Bedentenbes; 


Ä bie Beinere Medaille mit Sereniſſimi Bild und: der 


JInſchrift: Doctarum frontium praemia, warb in 
Paris von Barre geſchnitten. Min kleiner Vae⸗ 
chus von Bronze, Acht autik und von ber groͤßten 
Zierlichleit, ward mir buch bie Geuelstheit des 
Herrn Major von Staff. Er war auf dem Feld⸗ 
auge wach Italien durch Welſchland bie nach Cala- 
"wert anzufhaffen Gelegenheit. Deine Vorliebe 
für folche Werte lennend verehrte er mir das Keine 
Bud, weiches wie ich es anſehe nuͤch zu. erheitern 
- geeignet iſt. 

Tiſchbein, aus alter guter. Neigung, über- 
raſchte mich durch eine Gemme mit Storch und 
Zube, die Arbeit roh, Gedanle und Compoſition 
ganz vortrefflich. 

Kb erhalte Howards Klima von London, 
zwey Bände. Poffelt ſchreibt eine Necenfion. Die 
—2 Beobachtungen gehen nach allen Rubri⸗ 
Sen fort und werben regelmaͤßig in Tabellen ger 
bracht. Director Bifchoff von Dührenberge bringt 
auf vergleichende Barometer-Beobachtungen, benen 
man entgegen kommt, , Zeichnungen de’ Wollenge- 
. ftalten wurden gefammelt, mit Aufmerkſamleit fort: 
geſetzt. Beobachten und Ueberlegen gehen gleichen 
Schrittes, dabei wird durch ſymboliſch graphiſche 


\ 


| Ballen des Queckſilbers innerhalb gewiſſer Gränzen | 
einer ftetig veränderten Anzlehungskraft der Erbe 


2314 


Darftelung der gieihförmige Gang fo vieler, wo 
nicht zu fagen aller Barometer, deren Beobachtun⸗ 
gen fi von ſelbſt parallel ftellten, zum Anlaß eine 
telluriſche Urſache zu finden und das Steigen und 


zuzuſchreiben. 
Bet meinem dießmaligen Wufenthalt in Boͤh⸗ 
men ward die geologifhe Sammlung der Marienba⸗ 


der Gegend ‘wieder aufgenommen und vervollftdu- 
digt, in Bezug auf die Acten und das in ben Drad 


gegebene Verzeichniß. In einem Schtanfe wurben 
foihe, wohlgeordnet, bei ber Abrelfe Dr. Heibler 


übergeben, als Grundlage für kuͤnftige Naturfor: 


(her, Das Töpler Mufeum verehrt mir fehönen 
Kalkſchiefer mit Fiſchen und Pflanzen, von ber Herr: 
Schaft Walſch. Angenehmes und lehrreiches Ein: 
Aprehen des Herrn von Bud. In Eger traf ih 
den, für Naturkunde aufmerkfamen Herrn Math 
Gruͤner, befhäftigt eine uralte koloſſale Eiche, 
die quer über das Flußbett im Tiefen gelegen hatte, 
Hervorziehen zu laffen. _Die Rinde war völlig braun⸗ 
tohlenartig. Sodann befuchten wir ben ehemaligen 
Kalkbruch von Dölig, wo der Mammuthszahn ſich 
berfchrieb, ber lange Zeit als merkwuͤrdiges Erbſtuͤc 
der befißende* Familie Torgfältig aufbewahrt, nur: 
mehr für das Prager Mufeum beftimmt wurde, 
Ich ließ ihn abgleßen, um ihn zur nähern Unterſu⸗ 
dung an Herrn D’Alton mitzutbellen, 








215 


- Mit dutchtreiſenden REN wurbe bas Geſam⸗ 
melte betrachtet, wie auch ber problematiſche Kam⸗ 
merberg wieder beſucht. Bei allem dieſem war 
Dlast Naturgeſchichte von Böhmen — und 
behuͤlflich 

Herr von Eſchwege kommt aus Srafilien, 
zeigt Juwelen, Metalle und Gebirgkarten vor. Se⸗ 

zeaiffimus machen bedeutenden Anlauf. Bei diefer 
Gelegenheit wirb mir die Edelſteinſammlung über: 
geben, welche fräher aus ber Bruckmanniſchen Erb⸗ 
ſchaft erfauft wurde. Mir war hoͤchſt Intereffant 
‚eine ſolche, von einem früheren. pafionirten Liebha⸗ 


der und, ‚für feine Zeit, treuen und umfichtigen 


Kenner, zufammengeftellte Folge zu revibiren, bag 
Fpäter Acqutrirte einzufchalten und dem Ganzen ein 
froͤhliches Anſehn zu geben. Cine Zahl don 50 ro⸗ 
ben Demantfrpftallen, merkwürdig einzeln, noch 
mehr der Reihe nah betrachtet, jebt von Herrn 
Soret nach ihrer Geſtaltung beihrieben und geord⸗ 
met, gab mir eine ganz neue Anſicht über dieſes 
wmerkwärbige.- und höchfte Naturereigniß. Ferner. 
theilte Herr von Eſchwege Brafilianiihe Gebirgs⸗ 
‚arten mit, die abermals beiwiefen, daß die Gebirgs⸗ 
arten der neuen Welt mit denen der alten in ber ' 
erften Urerfheinung vollkommen übereinftiinmen; 
wie denn auch ſowohl feine gedrudten als handſchrift⸗ 
then Bemerkungen bierüber DRDEEMEEIDEN: Auf⸗ 
ſchluß verleihen. 

Zur un verfertigte Ih das Schema zur 


! 
z 


a6 


Yıimzenedtur Im Gteßherzogzthum Weimar. Ein 
wunderbar gezeichnetes Buchenholz gewann ich als 
pathologiſches Phaͤnemen. Ein geſpaltener Klet 
war es, von einem Buchſtamme, im weichem: ſich 
entdedte, daß vor mehreren Jahren die Rinde negek | 
mäßig mit einem eingeſchnittenen Kreuze begeichuet 
worden, weiches aber vornarbend uͤherwachſen in den 
GStamm eingeſchloſſen, ſich nuumehr in der :Bpal- 
tung als Form ud Abdruck wiederholt. | 

Das Verhaͤltniß zu Era Meyer gab. mir aoned 
Leben und Anregung. Das Geſchlecht Junens, von 
demfelben adher befiimmmt and buschgeführs, bracht 
ich mir mit Beigälfe von KHoft-gramisa adstrreca 
zur Anſchauung. 

Und fo muß Ich noch zam Schinß eines riefen⸗ 
hafter Cactus melo- Cactus, von Herrn Wahrk 





au Frankfurt gefendet., dankbar erwaͤhnen. 

Fuͤr das — erſchienen mehrere beben⸗ 
sende Werke. Die große naturgefchchttlche Chatke 
yon Wilbraud und Mitgen, in Begug auf bas 
Element des Waſſers wıb auf Bergeshoͤhe, win ſich 
die Drganifation Überall verhalte. Ihr Werth warb 
fagleih anerkannt, Pie ſchoͤne augenfällige Darftel⸗ 
Jung an die Wand geheftet, zum taͤglichen Gebrauch 
vorgegeigt und commentirt in gefelligen : Werhälelfs 

Kaͤferſtetas geognoſtiſches Dentſchland war 
in ſeiner Fortſetzung gleichfalls ſehr foͤrderlich vuud 
wire es bei genauerer Färbung noch mehr gewefen. 


— 


-.. ME (ED VW TE WE EEE 


— — 


er 


847 


Man wird ſich's in ſolchen Faͤllen noch öfter wieber- 
holen maͤſſen, daß da mo man durch Farben unter- 
ſcheiden win, ſie doch auch unterſcheidbar ſeyn follten, 

Das vierte Heft meiner morphologiſchen und na⸗ 
turwiſſonſchaftlichen Bemaͤhungen ward ſorgfaͤltig 
durchdacht · und ‚ausgeführt, da mit ihm Die beiden 
‚Bände für dießmal geſchloſſen feya ſollten. 

Die Veraͤndorung des Erboberftihe von Herrn 
908 Hof gab neuen Reiz. Hier legt ein Schah, 
au welchem man immer etwas hinzuthun möchte, in⸗ 
dem man fich daran bereichert, ? 

Ich exhlelt zu Aufriſchung der Berg: und Ge- 
ſeeinluſt bedeutende Pflanzenabdruͤke, in Kohlen: 
Fchlefer durch ben -fosgfältigen and diefen Studien 
ergebenen Rentaminmn Wahr, Fichtelbergiſche 


Mineralien erhalte ich von -Rebwip, manches an: 


dere von Tyrol, wogegen ich ben Freunden ver- 
fhledenes zuſende. Herr Soret vermehrt meine 
Sammlung durch) manches Bedeutende, ſowohl aus 
Savoyen als aud der Juſel Elba. nud fernern Gegen⸗ 
den. Seine kryſtallographifche Kenutniß war hoͤchſt 
foͤrderlich In Beſtimmung der Diamanten: und ande⸗ 
rer näher :zu bezeihnenden Mineralien; wobei er 
denn bie von ihm In Druck verfaßten: Auffaͤtze willig 
mittheilte und befprach. 

Im Chromatiſchen ward mir greßer Gewinn, in: 
dem eudlich Die Hoffaung erfchten, daß ein Juͤngerer 
die Pacht über fh nehmen wolle biefes wichtige 
‚Kapitel durchzufuͤhren und davchzufechten. Hetr 


318 


von Henning befuhte mih und brachte hoͤchſt 
gluͤclich gerathene entoptiſche Glaͤſer, auch ſchwarze 
Slasſpiegel mit, welche verbunden durchaus alle 
wuͤnſchenswerthen Phänomene ohne viel weitere Um: 
ftändlichkett vor die Augen- bringen. Die Unterhal⸗ 
tung war leicht, er hatte das Geſchaͤft durchbrungen, 
und manche Frage, die ihm übrig blieb, konnt' id 
ihm gar bald beantworten. Er erzählte von feinen 
Moriefungen, wie er es damit gehalten, und zu 
Venen er mir fhon ble Einleitung mitgetheilt. Wech⸗ 
felfeitig tanfhte man Anfiht und Verſuche; einen 
‚älteren Aufſatz Aber Prismen In Verbindung mit 
Linſen, "bie man im biöherigen Vortrag zu falfchen 

Zwecken angewendet, ‚überlieferte ih ihm, und er 

Dagegen regte mic an, die hromatifchen Acten und 

Papiere nunmehr vollkommener und fahgemäßer zu 

orbnen. Dieſes alles geſchah Im Herbſt und gab mir 

nicht wenig Beruhigung. 

Ein entoptifher Apparat war für Berlin einge: 
richtet und fortgeſendet, indeſſen die einfachen en⸗ 
toptiſchen Glaͤſer mit ſchwatzen Glas ſpiegeln auf ei: 
nen neuen Weg leiteten, die Eutdeckungen vermehr⸗ 
ten, die Anficht erweiterten, und fodau zu der eu 
toptifchen Eigenſchaft des ſchmelzenden Eiſes Gele⸗ 
genheit gaben. 

Die Farbentabelle wurde revidirt und abgebrudt; 
ein hoͤchſt forgfältiges Inſtrument, die Phänomene 

“der Lichtpolarifation nach Franzoͤſiſchen Grunbfägen 
ſehen zu laffen, warb bei mir aufgeftelit, und id 


A 





, 219 / 
Hatte Gelegenheit deſſen Ban und zelftung — 
men kennen zu lernen. 

In der Zoologie foͤrderte mich Carus Urwirbel, 
nicht weniger eine Tabelle, in welcher die Filiation 
ſaͤmmtlicher Wirbelverwandlungen anſchaulich ver- 
zeichnet war.- Hier empfing ich num erſt den Lohn 
für meine früheren allgemeinen Bemühungen, in⸗ 
dem ich die von mir nur geahnete Ausführung bis 
ind Einzelne vor Augen fah. Ein Gleiches warb 
mir, indem ih D'Altons frühere Arbeit über bie 
pferde wieder durchnahm, und ſodann durch deſſen 
Dahpderme und Raubthiere belehrt: und erfreut - 
wurde. 

. Der hinter dem Ettersberg im Torfbruche ges 
fundene Urftier befchäftigte mich eine Zeitlang. Er 
ward In Jena aufgeftellt, möglichft reftaurirt und 
zu einem Ganzen verbunden. Dadurch kam id 
wieder mit einem alten Woblmollenden in Be⸗ 
ruͤhrung, Herrn Dr. Körte, ber mit bei dieſer 
Gelegenheit manches Angenehme erwies. ; 

Heinroths Anthropologie gab mir Aufſchluͤſſe 
uͤber meine Verfahrnngsart In Naturbetrachtungen, 
als Ich eben bemüht war mein naturwiſſenſchaftliches 
Heft zu Stande zu bringen, 

Herr Purkinje befuchte uns und gewährte 
einen entſchiedenen Begriff von merkwuͤrdiger Per⸗ 
ſoͤnlichkeit und unerhoͤrter Anftrengung und Auf⸗ 
opferung. 

Indem ich zu meiner eigenen Aufllaͤrung Kune 


| — | 
jeld Glaemacherkunſt, bie ich bisher in daſteren 
Vorurtheil und ohne wahre Schaͤtzung betvachtet 


‚Herrn Dr. Döbereiner, weicher air die — 
Erfahrungen und Entdocknugen mittheilte. Gegen 
Ende des Jahrs kam er nach Weimar, um vor Ge 
reniſſimo und einer gebiibeten Geſellſchaft bie wich 
tigen Verſuche galvaniſch magnetiſcher wedifelfel 
tiger Einwirkung mit Augen fehen zu laſſen and ex 
klaͤrende Bemerkungen angutnäpfen, bie bei tan 
vorher erfreuendem Beſuche des Herrn Prefeſor 


Oerſtedt nur um deſto erwuͤnſchter ſeyn mußten. 


Was geſellige Mittheilungen betrifft, wear bie 
ſes Jahr unferem Kreiſe gar wohl gerathen; gwey 
Kage ber Woche waten beſtimmt unſern gnaͤbdigſten 
Herrſchaften bei mir einiges Bedeutende vorzulegen 
md darüber bie nöthigen Aufklaͤrungen zu geben. 
Sega fand: fich denn jederzeit neuer Anlaß, und bie 
Mannichfaltiglelt war :geoß, indem Altes mb 
Neues, Kunſtreiches und Wiſſenſchaftliches jeder⸗ 
zeit wohl aufgenemmen wurde. 


Geben Abend fand fich ein angerer Kreis bei mir 


sufammen, unterrichtete - Verfonen beiderlei Ge⸗ 
ſchlechts; damit aber:auch ber Antheil fich erweitere, 
. feste man den Dienflag feſt, wo man ſicher war 

eine gute Geſellſchaft an dem Chectiich gufamaımen 


zu feben; auch vorzügliche Geiſt und Herz erquikende 


R Muſik warh yon. Zeit zu Zeit vernommen. Gebil⸗ 





er >; 21. 

dete , Eustiaber aiımen m biefen Unterhaltungen 4; 
M Fehlt, und da ich außerdem gegen Mittag gewoͤhn⸗ 
‚ lich Frembe auf kurze Seit gern annahm, fo blieb 
id zwar auf mein Haus eingeſchraͤnft, doch immer 

nme der Außenweit in Berkbrung; viellelcht inniger 
a gruͤnblicher, als nen nach außen be⸗ 
wert wnd zerfitemt hätte, 


Ein. innger Bibliothek⸗ und Archiveverwandter 
macht ein Repertorium uͤber meine ſaͤmmtlichen 
Werke und ungedruckten Schriften, nachdem er alles 
fortirt und. geordnet hatte. 


Bet dieſer Gelegenheit Fand ſich ein vorlaͤu⸗ 

figer Werfuch bie Ehronik meines Lehend zu redi⸗ 
giren, ber bisher vermißt war, wodurch ich mid: 
ganz beſonders gefoͤrdert ſah. Ib ſetzte glei: dar⸗ 
auf mit neuer Luft’die Arbeit fort, durch weitere 
Ausführung des Einzelnen. 

Ban Bren aus Antwerpen fendete feine Hefte 
zur Lehre dee Zeichenkunſt. Tiſchbeins Homer 
VII Städt kam an. Die große Mafle lithographi- 

- (her Zeichnungen von Strirner und Piloti 
fonderte ih nah Schulen und Meiftern, wodurch 
beun die Sammlung zuerft wahrhaften Werth ge- 
wann, Steindruͤcke von allen Seiten bauerten fort, 
und brachten manches gute Bild zu unfrer Kenntniß. 
Einem Freund zu Liebe erklärte ich ein paar proble- - 
matifche Kupfer, Polidors Manna und ein Tizia⸗ 
niſches Blatt, Landſchaft, St. Georg, mit dem Dra- 


— — — — mn —— —— — — — E& ma =; u w 


322 


hen und ber ausgefesten Schönheit; Mantegun’s 
TCriumphzug ward fernerweit redigirt. 

Mahler Kolbe von Duͤſſeldorf ftellte bier einige 
Arbeiten aus, und vollendete verfchiedene Portraite; 
man freute fich diefen- wadern Mann, dem man 
ſchon felt ben Weimariſchen Kunftausftellungen ge: 
fannt, nunmehr perſdulich zu ſchaͤen und ſich fel: 
ned Talents zu freuen. Gräfin Julie Egtoffitelz 
machte bedeutende Vorfaritte in der Kunſt. Ich 
Heß die Radirungen nad) meinen Skizzen austufchen 
and ausmahlen, um fie an Freunde zu überlaffen. 

Meyers Kunftgefhichte ward ſchließlich mundirt 
und dem Drud angendhert. -Dr. Carus gab einen 
ſehr wohlgebachten und wohlgefühlten Aufſatz über 
Landſchaftsmahlerey in dem fchönen Sinne feiner 

eigenen Productionen. 





Zum feyetlichen Andenken 
ge wu 
Durdlaudtigften — 
Fürſtin und Frau 
anne Amalia, 
verwittweten 
Sera zu Sachfen-Weimar und Em) 
.. geborenen 
Herzogin von Braunſchweig und Liner. 


1807. 





% 





Menn dad Leben ber Gteßen dieſer Welt, fo 
lange es Ihnen von Gott gegomt It, dem übrigen 
Menſchengeſchlecht als: ein Beiſpiel vorlenukten fell, 
damit Standhaftigkeit tm Ungii and: theilne hmen⸗ 
des Wirken im Gluͤck immer allgemeiner werbe, fü 
ift die Betrachtung eines bedeutenden vergangenen 
Lebens von gleich großer Wichtigkeit, Indem eine 
kurzgefaßte Meberfiht der Tugenden und Thaten 
. einem jeden zur Nacelferung, als eine große und 
unfhäßbare Gabe, überliefert werben kann. 

Der Lebenslauf ber Fuͤrſtin, deren Andenken wir 
heute feyern, verdient mit und vor vielen. an-- 
dern. fib dem Gedaͤchtniß einzuprägen, beſonders 
berienigen, bie früher unter ihrer Regierung und 
fpäter unter Ihren immerfort Iandesmütterlichen 
Einfläffen, manches Guten theilhäft geworden, und 
ihre Huld, ihre. Freundlichkeit perſoͤnlich zu erfahren 
das Gluͤck Hatten 

Entſproſſen aus. cinem Hauſe, das vom.-bem 4793. 
fräeften Voreltern am bedeutende wuͤrdige umb Zu 
tapfere Ahnherren zähle, "Nichte eines Koͤnigs, 
des größten Mannes feiner Zeit; vow Tugend 
auf umgehen von: Geſchwiſtern und Verwandten, 
Denen Großheit eigen war, . bie: sum: ein anber 
"Beftreben kannten, als ein ſolches, das anlm: 

Speihe'3 Werte, XXXII. 8 45 


— 


* 


226 
voll und auch der Zukunft bewundernswuͤrdig wäre; 
is der Mitte eines regen, fih in manchem Stun 
weiter bildenden Hofes, einer Vaterſtadt, welche 
fih duch mancherlei Anftalten zur Cultur der 
Kunft und. Wiſſenſchaft auszeichnete, ward fie bald 
sewahr, daß auch in ihr ein folder Keim: liege, 
und freute fih der Ausbildung, die ihr durch 
die treflichften Männer, welche fpäterhbin in der 
Kirche und Im Meich der Gelehrſamkeit glänzten, 
gegeben wurde. 


1756. Von dort wurde fie früh hinweg gerufen zur 


‚Verbindung mit einem jungen Fuͤrſten, der mit ihr 
zugleich in ein heiteres Xeben einzutreten, feiner 
. ferbft und der DVortheile des Güde zu genießen 


4757. begann.  Cin Sohn entfprang aus diefer Vereini⸗ 


k 


sung, auf ben fih alle Fteuden und Hoffnungen 
verfammelfen; aber der Mater fellte-fih wenig an 
ihm und an dem zweyten gar nicht erfreuen, ber 
erſt nach feinem Tode das Licht der Welt er: 
blickte. 


ars. Vormuͤnderin von Unmuͤndigen, ſelbſt nod 


minderiaͤhrig, fühlte fie ſich, bei. dem einbrechen⸗ 
den fiebeniährigen Kriege, In einer bedenklichen 
Lage. Als Reichsfuͤrſtin verpflichtet, auf der: 
jenigen Seite zu ſtehen, die fih gegen Ihren 
großen Oheint erklärt hatte, durch bie Nähe bee 
Kriegswirkungen fethft gedrängt, fand fie eine Bes 
enhigung in dem Befuh des‘ großen beerführenden 





-227 - 


Königs. Ihre Provinzen erfuhren viel ungemas, 
Doch kein Verberben erbrüdte fie. 


Endlich zeigte fih der erwuͤnſchte Frieden, und 
ihre erften Sorgen waren bie einer zwiefahen Mut: - 
ter, für das Land und für ihre Söhne. Sie er⸗ 
muͤdete nicht mit Geduld und Milde das Gute umd 
Nuͤtzliche zu beförbern, felbft wo es nicht etwa gleich 
Grund faffen wollte. Sie erhielt und nährte ihr 
Bolt bei anhaltender furdtbarer Hungersnoth. 
Gerechtigkeit und freier Edelmuth bezeichneten 1772. 
alle ihre Regentenbeſchluͤſe und Anordnungen. 


Ehen ſo war im Innern ihre herzlichſte Sorge 
auf die Soͤhne gewendet. Vortreffliche, verdienſt⸗ 
volle Lehrer wurden angeſiellt, wodurch fie zu einer 
Berfammlung vorzüglicher Männer den Anlaß gab, 
und alles dasjenige begründete, was fpäter für 
Diefes befondere Land, ja für das ganze Deutſche 
‚ DBaterland, To lebhaft und bedeutend wirkte. 


Alles Gefällige was das Leben zieren kann, fuchte 
ſie fogleih, nacı dem gegebenen Maß, um fich zu 
yerfammeln, und fie war im Begriff mit Sreude 
und Zutrauen das gemwiffenhaft Verwaltete ihrem | 
Durchlauchtigſten Sohn zu übergeben, als das 1774. 


unerwartete Ungläd des Weimariſchen Schloßbran- 


bes die gehoffte Freude. in Trauer und Sor⸗ 
gen verwandelte. Aber auch bier zeigte fie ben 
eiugeborhen Geiſt: denn unter großen Vorberel⸗ 
tungen zu Milderung fo wie zu Benußung her 


% j a 228 


Zeigen biefe® Ungluͤcks übergab fie ruhm⸗ und 
ehrenvoll Ihrem zur -Weltiähuiskelt. erwachſenen 
Erſtgebornen die Regierung feiner väterlichen Sta«- 
ten, und trat eine [orgenfreiete Abtheilung des 
Lebens an, & 


ve Degentichaft Aeaqte dem Lande mannich. 
faltiges Oluͤck, ja das Ungluͤck felbſt gab Aulaß zu 
Verbefferungen. Wer bazm faͤhig war nahm fie au. 
Gerechtigkeit, Staatswirthſchaft, Policey befeſtig⸗ 
sen, entwickelten, beftätisten ſich. Ein ganz as: 
derer Seiſt war uͤber Hof nad Stadt gekommen. 
Bedeutende Fremde von Stande, Gelehrte, Kuͤnſt⸗ 
ler, wirkten befuchend oder bleibend. Der Gebraud 
einer großen Bibliothek wurde’ frei gegeben, ein 
gutes Theater unterhalten, und bie nene Generation 
zur Ausbildung des Geiſtes veranlaßt. Man unter: 
ſuchte den Zuftand ber Akademie Jena. Der Fuͤr⸗ 
ftin Freigebigkeit machte die vorgefchlagenen Einrich⸗ 
tungen möglich, und ſo wurde diefe Anftalt be: 
feftfgt und weiterer Verbefferung faͤhlg gemacht. 
Mit welcher frendigen Empfindung mußte fie 
nun, unter den’ Händen Ihres unermuͤdeten Sob⸗ 
nes, felbft über Hoffnung und Erwartung, alle ihre 
- früheren Wuͤnſche erfüllt fehen, um fo mehr, als 
nah und nah aus. ber glädlichtten Cheverbindung 
eine märdige frohe Nachkommenſchaft ſich entwickelte. 


Das ruhige Bewußtſeyn ihre Pflicht gethan, 
ba⸗ was ihr oblag, geleiſtet zu haben, — 








229 


fie zu einem ſtillen, mit Neigung gewählten Yrivat⸗ 
leben, wo fie fh, von Kunſt und Wiſſenſchaft, fo 
wie non ber fhönen Natur Ihres Ländlichen Aufent- 
halts umgeben, gluͤcklich fühlte, Sie gefiel fih im 
Umgang geiſtreicher Perſonen, und freute ſich Ver⸗ 
haͤltniſſe dieſer Axt anzulnuͤpfen, zu erhalten und 
nuͤtzlich zu machen; ja es iſt fein bebsutender Name 
von Welmar ausgegangen, des nicht in ihren Kreife 
früäher- ober fpaten gewirkt haͤtte. So bereitete fie 
fi vor zu elner-Nelfe, ienfelts der Alpen, um für 
ihre Geſundheit Bewegung und ein milderes Kllına 1788. 
zu außen: denun Zur; vorher erfuhr fie ‚einen Au⸗ 
fall ,. der das: Ende ihrer Tage herkeigusufen ſchlen. 
Aber einen hoͤhern Genuß hoffte fie von dem 
Auſchan⸗n deſſen, was fie in den Kuͤnſten fo 
lange geahnet hatte, veſonders von der Mufk, 
van der He ſich fruͤber gruͤndlich zu unterrichten 
wßte; eine: veue Erweiterung der Lobens anſich⸗ 
ten duxrch bie Bolanatſchaft edler und: gebildeter 
Meunſchen, die jene gluͤclichen Gegenden als Ein⸗ 
heimiſche und Fremde wenberzlichten, und jede . 
Stande: des Umgangs; zu: einem nenlmündigen Zeitz. 
meet erhähten, 

Maude- Froude exwartate fie nach ihrer Buridh i 
Iuaft, als fie, mit mandenlei Schäten ber Kunſt 
undder Erfahrung gekchmäst, Ihre haͤusliche Schwelle 
betrat. Die Vermählung ihres bluͤhenden Eulels 1804. 
mit einer unvergleichlichen Prinzeſſin, bie erwuͤnſch⸗ 

tem ehelichen Folgen gaben zu Feſten Aulaß, wobel 


| 
| 


* 


I) 


230 


fie fi des mit raſtloſem Eifer, tiefem Kunſtſiun 
und wählendem Geſchmack wieder aufgerichteten und 
ausgeſchmuͤckten Schloffes erfreuen konnte, und uns 
hoffen ließ, daß, zum Erſatz für fo manches frühe 
Leiden und Entbehren, ihr Leben fich in ie langes 
und rubiges Alter verlieren würde. 
Abet es war von dem Alles gentenden anders 
‚ vorgefehen. Hatte fit während dieſes gezeichneten 
Lebensganges manches Ungemach tief empfunden, 
vor Jahren den Verluſt zweyer tapferen Bruͤder, 
die auf Heereszügen ihren Tod fanden, eines drit- 
ten, der ſich für andere aufopfernd, von ben Fluthen 
verſchlungen warb, eines geliebten entfernten Soh⸗ 
nes, TpAter eines verehrten, als Gaſt bei ihr ein 
Tehrenden Bruders, und eines hoffnungsvollen 
lieblichen Urenkels, fo hatte fie fi) mit inwohnen⸗ 
der Kraft immer wieder zu faſſen und den Kebens- 
faden wieder zu ergreifen gewußt, - Aber in dieſen 
legten Zelten, da der unbarmberzige Krieg, nach⸗ 
dem er unfer fo lange gefchont, uns endlich und fie 
. ergriff, da fie, um eine berziich ‚geliebte Tugend 
aus dem wilden Drange zu. retten, ihre Wohnung 
verließ, eingedent jener Stuüben, als die Flamme 
#e ans ihren Zimmern und Gälen verbrängte, num 
bei diefen Gefahren und Befchwerden der Reiſe, 
bei dem Unglätt, das fi über ein hohes verwandtes, 
über ihr eigenes Hans verbreitete, bei dem Tode 
des letzten einzig gellebten und verehrten Bruders, 
in dem Augenblick, da fie ale ihre auf den feſteſten 


& 





231 


Beſitz, auf wohl erworbenen Familienruhm gebau- 
ten jugendlihen Hoffnungen, Erwartungen von 


jener Seite verfchwinden fah: da ſcheint ihr Herz 


nicht länger gehalten und ihr muthiger Geiſt gegen 
den Andrang irdiſcher Kräfte das Uebergewicht ver- 


Toren zu haben. Doc) blieb fie noch immer fich ſelbſt 


gleich, im Aeußern ruhig, gefällig, anmuthlg, 
theilnehmend und mitthellend, und niemand aus 
fhrer Umgebung konnte fürchten, ‚fie fo gefchwind 
aufgelöft zu fehen. Sie zauderte,. ſich fir Frank 


zu erklaͤren, ihre Krankheit war kein Leiden, fie 1807. 
fhled ans ber Geſellſcaft der Ihrigen, wie fie 49, 


gelebt hatte. Ihr Tod, ihre Verluſt follte nur 
fihmerzen, als nothwendig, unvermeidlich, nicht 
durch zufällige, baͤngliche, angſtvolle Nebenum⸗ 
ſtaͤnde. 

Und wem von uns iſt in gegenwärtigen Augen- 


genbliden, mo bie Erinnerung vergangener Uebel, 


zu der Zurcht vor zukünftigen gefehlt, gar manches 
Gemuͤth beängftigt, nicht ein ſolches Bild ſtandhaft 
ruhiger Ergebung troͤſtlich und aufrichtend! Wer 


von uns darf ſagen: meine Leiden waren ſo groß 


als bie ihrigen; uud wenn jemand eine ſolche trau- 
rige Vergleichung anftellen koͤnnte, fo würde er fi 
an einem fo erhabenen Belſpiele geſtaͤrkt und er⸗ 


quickt fuͤhlen. 
Ja! — wir kehren zu unſerer erſten Betrach⸗ 


tung zuruͤck — das iſt der Vorzug edler Naturen, 


daß ihr Sn in höhere Regionen ſegnend 


- 








232 


wirkt, wie ihr Verweilen auf ber Erbe; daß fie und 
von dorther, gleih Sternen, entgegen leuchten, 
als Richtpimete, wohin wir unfern Lauf bei eiuer 
sur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu 
tihten haben; daß dieienigen, zu denen. wir und 
als zu Wohlwollenden und Hülfreihen im Leben 
hinwendeten, nun bie ſehnſuchtsvollen Blicke nach 
ſich ziehen, als Vollendete, Selige. 








% 


3u 
brußderlichem Andenken 
Wielands 
1813. 








E 


Durchlauchtigſter Protector, 
Sehr Ehrwärbiger Meifter, 
 Verehrungswärbigfte Anweſende! 


Ob es gleich dem Einzelnen unter keiner Bedln- - 
gung geziemen will, alten ehrwürbigen Gebraͤuchen 
ſich entgegen zu ſtellen, und das, was unfere wei⸗ 

fen Vorfahren beliebt und angeordnet, eigenwilig “ 
zu verändern, fo würde ich doc, ftände mir der 
-Zauberftab wirklich zu Gebote, ben die Mufe unferm 
abgefchledenen Freunde geiftig anvertraut, ich würde 
diefe ganze büftere Umgebung augenblidlich In eine 
heitere verwandeln: dieſes Finſtere müßte ſich gleich 
vor Ihren Augen erhellen, amd ein feſtlich gefhmäd- 
ter Saal mit bunten Teppichen und munteren Kraͤn⸗ 
sen, fo froh und klar ale dad Leben unferes Freun⸗ 
des, ſollte vor Ihnen ericheinen. Da möchten bie 
Schoͤpfungen feiner blühenden Phantafie Ihre Yu’ . 
gen,. Ihren Gelft anziehn, ber Olymp mit feinen 
Göttern, eingeführt durch die Muſen, geſchmuͤct 
duch die Grazien, follte zum lebendigen Zeugniß 
dienen, daß derjenige, der in fo heitexer Umgebung 
‚. gelebt, und. diefer Heiterkeit gemäß auch von ung 
| — 


— 


236 
geſchieden, unter die gluͤcklichſten Menfhen zu zaͤh⸗ 
‚ Ien, und keinesweges mit Klage, ſondern mit Aus: 
druck der Freude und bed Jubels zu beftatten fey. 

Was ih jedoch ben aͤußern Sinnen nicht bat: 
ftellen Tann, fey den Innern dargebracht. Achtzi, 
Jahre; wie viel in wenigen Sylben! Wer von ums 
wagt es, in der Gefhwindigtelt zu durchkaufen und 
ſich gu vergegemwärtigen., was To viste Jahre, wohl 
angewandt, bedenten? Wer von und: möchte behaup: 
ten, daß er ben Werth eines,“ in jedem Betradt 

vorftändigen, Lebens ſogleich zu ermeffen und zu 
ſchaͤtzen wiffe? 

Begtelten wir unſern Freund auf : dem Stufe: 
gange ſeiner Tage, fehen wir ſhn als Knaben, Juͤnz⸗ 
ling, Manm und Greis, To finden wie, daß Ibm 
das ungemeine Gkuͤck zu Theil werd, die Btuͤthe 
einer jeden dleſer Jahreszeiten zu: pfißkten; Dem 
andy das hohe Alter hat Feine Bluͤtche, und auch bie⸗ 
fer auf das heittrſte ſich zu freuen war Ihm gegoͤnnt. 
Mur wenig Men«ate ſind es, als die verbundenen 
Bruͤber fire geheimntßvolle · Sy hiny fuͤrlihn mit Ro⸗ 
fen betraͤnzten nr ausgabe hc," baß wenn Ant 
Meon, ver’ Sreis, ſeine erhoͤßte Slunlichkeit met 
keichten Roſenzweigen zu ſchmuͤcken unkernahm 
De ſittliche Sinulichkelt, die gemäßiste, geiſtreiche 
Lebensfreude Iunferes: Edken einen ven, gedrängt 
gewunbenen Kranz netten 

Wenige Wechen mb es, daß Vifek’ treifiie 
Freund noch — —— nicht nur ie 

wohnte, 











237. 


wohnte, federn auch in khnen thaͤtig wirkte. Er 
Hat feinen Ansgang aus dem Irdiſchen durch unſern 
Kreis hindarch genommen; wir waren Ihm auch noch 
zuletzt De Naͤchſten, und wenn das Vaterland, ſo 
wie das Ausland, fein Andenten fehert, wo Tollte 
dieß fraͤher und kraͤftiger gefchehen, als bei nas! 
Den ehrwuͤrdigen Gebeten miferer Meiſter habe 
ich mich daher nicht entziehen daͤrfen, amib ſpreche 
in-biefer angeſehenen Berſammlang zu fehten An⸗ 
denken um fo lieber einige Worte, als fie fluͤchtige 
sBerläufer feyn Fönnen: deſſen, was tinftig- die Weit, 


mas unfere Berbräberumg für Ihn thun wird. Diele 


Geſinnung iſt's, diefe abfiet, um derentwiſlen ih - 
mir ein geneigtes Gehör erbitten darf; and wenn 
dasjenige, mad ich mehr amd einer faſt vierzig Jahre 
geprüften Reigimg, als aus rebmerifiher Ueberble⸗ 
gung, keineßwegs In gehöriger Verbinduug, ſondern 
vielmehr in kurzen Saͤhen, in ſprungweiſe vorbrage, 
weder des Gefeyerten, noch der Feyernden wuͤrdig 
erſcheinen duͤrfte, fo muß Ich bemerlen, daß bier 
nur eine Vorarbeit, ein Entwurf, ja nur der In⸗ 
halt aud wenn mem wi, Marginalien eines Tänf- 
tigen Werts gu erwarten feyen. Und fo werde denn, 
ohne weiteres Zaubern, zu bem und-fo lieben, wer⸗ 
‚then, it heillgen Gegenſtand gefritten! 
Bleland war in der Nähe von Biberach, ei⸗ 


. ner Meinen Reichsſtabt in Schwaben, 1753 geboten. 


Sein Bater, ein evangeliſcher Getftiicher, gab ihm 


eine forgfältige Erztehung und legte bei ihm den er- 


| Baer Werke, XXX. Br. 46 


238 


ſten Grund ber Schulkenntniſſe. Hierauf warb er 
nach Klofter Bergen an der Elbe geſendet, wo eine 
Srjichungs= und Lehranftalt, 'unter der Aufficht des 
wahrhaft frommen Abtes Steinmes, in gutem 
Rufe fand. Won da begab er fih auf die Univer⸗ 
fität zu Tübingen, fobann lebte er einige Zeit ale 
Hauslehrer in Bern, warb aber bald. nad Zürich zu 
Bodmern gezogen, den man in Süddeutfchlamd, 
wie Gleimen nachher in Norddeutſchland, die 
‚Hebamme des Genies nennen konnte. Dort über: 
‚ließ er fich ganz der Luft, welhe das Selbfthervor: 
Eringen der Jugend verfhafft, wenn dad Talent un: 
ter freundlicher Anleitung ſich ausbildet, ohne baf 
die höheren Forderungen der Kritik dabei zur Spra- 
‚che fommen. Doc entwuchs er bald jenen erhält: 
niſſen, kehrte in feine Vaterſtadt zuräl, und warb 
von nun an fein eigner Lehrer und Bildner, indem 
er auf das raͤſtloſeſte feine literariſch poetifche er 
‚gung fortſetzte. Die mechaniſchen Amtsgefchäfte ei: 
nes Vorſtehers der Canzley raubten ihm zwar Belt, 
aber nicht Luft und Muth, und bamit je fein Geiſt 
in fo engen Verhältniffen nicht verfümmerte, wurde 
“er dem in der Nähe begüterten Grafen Stablon, 
churfuͤrſtlich Mainziſchem Minifter, befannt. Iu 
dieſem angefehenen, wohleingerichteten Haufe weht 
ihn zuerſt die Welt- und Hofluft an; innere und 
äußere Staatsverhaͤltniſſe blieben ihm nicht fremd, 
und ein Gönner für das ganze Leben warb ihm der 
. Graf Hierdurch, blieb er dem Churfürften von 


— 











239 


Mainz nicht umbetannt, und als unter Emmerich 


Joſeph die Akademie zu Erfurt wieder belebt wer= . 
den follte, fo berief man unfern Freund dahin, und 
berhätigte dadurch die duldfamen Seflnnungen, wel⸗ 
che fich über alle chriſtllchen Religionsverwandten, ja 
über die ganze Menichheit, vom Anfange des Jahr: 
Hunderte her verbreitet. 

Er konnte nicht lange In Erfurt wikten, ohne der 
Herzogin Megentin von Weimar befannt zu 
werden, wo ihn der für alles Gute. fo thätige 
Carl von Dalberg einzuführen nicht erman⸗ 
gelte. Ein auslangend bildender Unterricht ihrer 
fürftlihen Söhne war das Hauptaugenmerk einer 
zaͤrtlichen, Telbit höchlt gebildeten Mutter, und fo 
ward er herüber berufen, damit er feine literaris 
hen Talente, „feine fittlihen Vorzuͤge zum Beften 
des fürftlihen Haufes, zu unferm Wohl und zum 
Wohl des Ganzen verwendete. 

Die ihm nach Vollendung des Erzlehungsgeſchaͤf⸗ 
tes zugefagte Ruhe wurde ihm fogleich gegeben, und: 
als ihm eine mehr als zugefagte Erleichterung ſei⸗ 
ner häuslihen Umftände zu Theil ward, führte er 
feit beinah vierzig Jahren ein, feiner Natur und 
feinen Wuͤnſchen völlig gemäßes Leben. 

Die Wirkungen Wielands auf das Publicum wa⸗ 
ren ununterbrochen und bauernd. Er hat fein Zeit⸗ 
alter fi zugeblidet, dem Geſchmack feiner Jahres: 
genoſſen fo wie ihrem Urtheil eine entſchiedene Rich⸗ 
tung gegeben, bergeftalt, daß feine Verdienſte ſchon 


240 F 


genugfem erlanut, geſchaͤtzt, ja geſchildert find. Su 
nmnuchem Werke kber Deutſche Literatur tft fo ehren⸗ 
voll als finwig Aber thn geſprechen; Ich gedenke nur 
deſſen, was Kättner, Eſchenburg, Mauſo, 
Eich ho r n von thm geruͤhmt haben. 

Und woher kam bie geoße Wirtung, weiche er 
auf die Deutfchen ausübte? Sle war eine Folge ber 
Tüchttgteht and ber Offenheit feines Weſens. Menſch 
und Schriftſteller hatten fig In ihm ganz durchbrun⸗ 
gen, er bichtete als ein Lebender und Ichte dichtend. 
Fa Werfen und Proſa verhehtte er niemals was ihm 
angenblidlich zu Sinne, wie es Ihm jfedesmal zu 
Muthe ſey, und fo ſchrieb er auch Urthetlend un) 
artheilte ſchreſbend. Nus ber Fruchtbarkeit ſeine⸗ 
Srifres emquoll die Fruchtbarteit ſeiuer Feder. 

Ich bediene mich des Aus drucs Geber wicht ai 
einer vednerkſchen Phrafe; er gilt hier ganz eigemt: 
lich, und wenn eine freurme Verehrung manchem 
Sehrtftſteller dadurch heibiete, daß fie ſich eines 
Held, womit er eine Werte gebildet, zu bemaͤchti⸗ 
gen ſuchte, fo:bärfte ber Alel, drffen fh teilen 
bebtente, getetß vor vbelen biefer Auseichunng we: 
dig ſeyn. Denn daß er alles wit eiyewer Haud 
und ſehr ſchoͤn ſchrieb, zugleich mit Freiheit ub 
Veſonnruhelt, daß er das Seſchriebene Immer vor 
Augen hatte, ſorgfaͤltig pruͤfte, veraͤnderte, befferte, 
wuserbroffen bildete and umbilbete, ja wide mchbe 
ward, Werke von Umfang wieberholt cbſchrelben, 

bieſes gab feinen Productionen das Zarde, Zierliche, 








241 s 
Faßliche, das Natürlichelegante, welches nicht durch 
Bemühung, ſondern durch heitere, gemintifche Auf⸗ 
merkſamleit auf ein ‚(chen fertiges Werl hervorge⸗ 
bracht merden Tan. ; 

Diefe ſorgfaͤltige Bearbeitung. feiner Schriften 
entiptang amd einer frohen Ueberzeugung, welche zu 
Ende feined Schweizeriſchen Aufenthaltes im ihm 
mag hervorgetreten feyn, als die. Ungeduld bes Her⸗ 
vorbeingene fich in etwas legte, umd der Wanſch, 
ein Wollendeted dem Gemeinweſen darzubringen, 
entſchiedener und deutlicher rege ward. 

Da nun bei Ihm ber Mann und. der Dichter Eine 
Perſon ausmachten, fo werden. wir, wenn wir von 
jenem reden, auch biefen zugleich ſchildern. Reiz⸗ 
barkeit und Beweglichkeit, Begleiterinnen dichteri⸗ 


ſcher und redneriſcher Talente, beherrſchten ihn in 


einem hohen Grade; aber eine mehr angeblldete 
als augeborne Maͤßigung hielt ihnen dad. Gleichge⸗ 
wicht. Unſer Freund war des Entäufiesmus im 
hoͤchſten Grade fühle, und in det Jugend gab er 
fich ihm ganz bin, und dieſes um fo lebhafter uud: 
anhaltender, als jene ſchͤne Zeit, in welher der - 
Jüngling den Werth und bie Würbe.bes Vortreff⸗ 
ichſten, es fey erreichbar oder unerteichbar, in ſich 
uͤhlt, für ihn ſich durch mehrere Jahre verlängerte. 
Jene frohen, reinen Gefilde der -galbenen Zeit, 
ene Paradiefe der Unſchuld, bewohnte er länger 
Id andere. Sein Geburtähans, mo: ein gebildeter 
Heiftlicher ald Water waltete, bad uralte, an ben 


ö 242° 


Ufern der Elbe lindenumgebene Kloſter Bergen, 
‚wo ein frommer LXehrerpatriachalifh wirkte, das 
in feinen Grundformen noch Eöfterlihe Tübingen, 
jene einfahen Schweizerwohnungen,, umraufcht von 
Baͤchen, befpält von Seen, umfchloffen von Zelfen; 
überall fand er fein Delphi wieder; überall bie Haine, 
in denen er, ale ein ſchon erwachſener gebilbeter 
Süngling, noch immer ſchwelgte. Dort zogen ihn 
die Denkmale mächtig an, die uns von der männlt: 
chen Unſchuld der Griechen hinterlaffen find. Cprus, 
Araſpes und Panthea und gleich hohe Geftalten leb⸗ 
ten in ihm auf, er fühlte den Platoniihen Geiſt in 
ſich weben, er fühlte, daß er beffen bedurfte, um 

jene Bilder für fih und für andere wiederherzuſtel⸗ 
. ten, und biefed um fo eher, als er nicht ſowohl dich⸗ 
terifhe Schattenbilder hervorrufen, _fondern viel: 
mehr wirklichen Weſen einen fittlihen Einfluß zu 
verfhaffen hoffte. 

Aber gerade daß er 0 lange in dieſen höheren 
Regionen zu verweilen das Gluͤck hatte, daß er alled 
was er dachte, fühlte, in ſich bildete, traͤumte, 
wähnte, lange Zeit für die vollfommenfte Wirklich⸗ 
feit halten durfte, eben dieſes verbitterte ihm bie 
Frucht, die er von dem Baum bes Erkenntniffes zu 
pfluͤcken endlich genöthigt warb. 

Wer kann dem Conflict mit der Außenwelt ent: 
gehen? Auch unfer Freund wirb in diefen Streit 
hineingezogen; ungern läßt er fih durch Erfahrung 
und Leben widerſprechen, und da ihm nach langem 


\ 











243 


Sträuben nicht gelingen will, jene herrlichen Ge- - 


talten mit denen der gemeinen Welt, jenes hohe Wol⸗ 
en mit den Bedärfniffen des Tags zu vereinigen, 
entſchließt er ſich, das Wirtlihe für das Nothwens 
dige gelten zu Iaffen, und erklaͤrt das ihm bisher 
Wahrgefchlenene für Phantaſterey. 

Aber auch bier zeigt fich die Eigenthuͤmlichkelt, 


die Energie feines Geiſtes bewundernswuͤrdig. Bel 
aller Lebensfuͤlle, bei fo ſtarker Lebensluſt, bei herr 


lichen Innern Anlagen, bei redlichen geiftigen Wuͤn⸗ 
ſchen und Abfichten, fühlt er fich von der Welt ver= 
letzt und um feine größten Schäße bevortheilt. Nir⸗ 
gende kann er nun mehr in der Erfahrung wieder- 
finden, was fo viele Jahre fein Gluͤck gemacht hatte, 
ja der innigfte Beftand feines Lebens gewefen war; 
aber er verzehrt fich nicht In eitlen Klagen, beren 
wir in Profa und Werfen von andern fo viele ken⸗ 
nen; fondern er entfchließt fich zur Gegenwirkung. 
Cr kündigt allem, was fich In ber Wirklichkeit nicht 
immer nachweiſen laͤßt, den Krieg an, zuvörberft 
alfo der Platonifhen Liebe, fobann aller bogmatl- 
Ärenden Phlloſophie, beſonders ben heiben Extre⸗ 
men, ber Stolfihen und Ppthagoreifchen. Inver- 
ſoͤhnlich arbeitet er ferner_dem religioͤſen Fanatis⸗ 
mus und allem, was dem Verſtande excentrifch er⸗ 
fheint, entgegen. - 


- Aber. fogleich überfälitt ihn die Sorge, er möge: 


zu weit gehn, er möge felbft phantaftifch handeln, 
und min heginnt er zugleich einen Kampf gegen bie 


* 








* 


204 


gemeine Dieniceit. Ex lehnt ſich auf gegen les, 
was wir unter dem Wort Phlliſte rey as be greifen 
gewohnt find, gegen ſtocen de Pedanterey, kleinſtaͤdti⸗ 
ſches Weſen, kuͤmmerliche dußere Sitte, beigranäte 
Kritik, falſche Spwoͤdigleit, platte Behnglichkelt, 
anmaßliche Würde, und wie biefe Ungeiften, derc 
Name Legen iſt, nur alle zu bezeichnen feyn mögen. 


Hierbei verfährt er durchaus genialtſch, ohne 
Vorſatz und Selbſtbewußtſeyn. Cr findet fich in der 
Klemme zwifhen dem Dentbaren und bem Wirktt- 
hen, und indem er beide zu gewältigen ober zu 
verbinden Maͤßigung anrathen muß, fo muß er 


feibft an fi Halten, und, Indem er gerecht ſeyn 


win, vielſeltig werden. 


Die verſtaͤndige reine Rechtlichkeit ehler Eugläus 
der und ihre Wirkung in ber fittlicken Welt, eines 
Addiſon, eines Steele, batten ihn ſchon laͤngſt 
angezagen; nun findet er aber. in dioſer Genoſſen 
ſchaft einen Mann, deſſon Slune / it ihm weitge⸗ 
maͤßer If, 
| Shaftesbuey, ben 9 — Drake 

&e, am jedem Geblibeten einen. trefftichen Deuter 
Ins Gedaͤchtniß zu rufen, Shaftesburd lebte zu einer 
Zeit, wo In: ber Roligien ſeines Waterlaubes manche 
Bewegung vorging; wo die herrſchende Kirche mit 
- Gewalt: die Andersgeſinnten zu bezaͤhmen dachte. 
Auch den East, bie Sitten bedrohte manche, was 
einen Werfiäubigen, Wohldenkenden in Sorge [eben 


— 








£ j 245 
muß. Gegen alles dieſes, glaubte er, ſey am. bes 
ſten durch Frohßan zu wirlen; nur das, was man 
mit Heiterleit anſehe, werde man recht ſehn, war 
feine Dreinung. Wer mit Heltesseit in feinen eige⸗ 
usn Buſen ſchauen Töne, muͤſſe ein suter Mann 
ſeyn. Darauf komme alles an, und alles übrige 
Gute entiprings haben. Geiſt, Wis, Humor ſeven 
de Achten Organe, womit ein ſolches Gemuͤth die 
Weit anfaſſe. Ale Gegenſtaͤnde, ſelbſt die eruſteſten, 
müßten eine folche Klarheit und Freiheit vertragen, 
wenn fie nicht wit einer mar anmaßlichen Wuͤrde 
prunkten, fonbere einen aͤchten, die Probe nicht 
ſchemenden Werth im fich Selb enthielten, Bei die⸗ 
fem geiſtreichen Verſuch, bie Gegenflände zu ge⸗ 
mältigen, Tonnte man nicht umhin, fi nad) ent- 
fheidenden Behörden umzufehn, und fo warb einer: 
feits der Menfchenverftand über den Inhalt, und 
der Gefchmad über die Art des Vortrags zu Rich⸗ 
ter geſetzt. 

An einem ſolchen Manne fand nun unfer Wie- 
land nit einen Vergaͤnger, dem er folgen, nit | 
einen Sencffen, mit Dem er webelten ſollte, ſondern 
einen wahrhaften aͤlteren Zwilllagebruder im GSeiſte, 
dem er vollfommen glich, ohne nach ihm gebildet 
zu ſeyn; wie man denn von Menaͤchmen wit fa⸗ 
gen koͤnnte, welcher dad Origkaal, und welcher die 
Copie ff. 

Was jener, in einem hoͤheren Stande gebeten; 
an zeitlichen Mitteln mehr begabt, durch Reiſen, 

Fr 
⸗ 





246 


Aemter, Weltumſicht mehr beguͤnſtigt, in einen 
weiteren Kreiſe, zu einer ernſteren Zeit, in dem 
meerumfloffenen England leiſtete, eben dieſes be: 
wirkte unfer Freund von einem anfangs fehr be: 


ſchraͤnkten Yunct aus, durch eine beharrliche Tg 1 


tigtelt, durch ein ftetiges Wirken in feinem, überall 
von Land und Bergen umgranzten Vaterlande, und 
das Reſultat davon war, damit wir ung bei unferm 
gedrängten Vortrage eines Eurzen, aber allgemein 
verſtaͤndlichen Wortes bedienen, jene Popularphilo⸗ 





fopbie, wodurch ein praktiſch geübter Sinn zum - 
Urtheil über den moralifchen Werth ber Dinge, ſo 


wie uͤber ihren aͤſthetiſchen zum Richter beſtellt wird. 


Dleſe, in England vorbereitet und auch Ir 
Deutfhland durch Umſtaͤnde gefordert, warb alſo 
durch, dichterifche und gelehrte Werke, ia durchs Le 
ben ſelbſt, von unferm Freunde, in Gefelfchaft von 

unzähligen Wohlgefinnten verbreitet. 


Haben wir jedoch, in fofern von Anſicht, Geſin⸗ 
unng, Ueberſicht die Rede ſeyn Tann, Shaftes⸗ 
burv und Wieland volltommen aͤhnlich gefunden, 
ſo war doch dieſer jenem an Talent weit uͤberle⸗ 
gen; denn was ber Englaͤnder verſtaͤndig lehrt und 
wuͤnſcht, das weiß der Deutihe, in Verfen und 
Proſa, dichteriih und redneriſch auszuführen. 

Su biefer Ausführung aber mußte ihm. die Frau: 
zoͤſiſche Behandlungswelfe am meiften sufagen. Gel 
terleit, Wis, Gelſt, Eleganz iſt in Frankreich fchen 


247 

vorhanden; feine blühende Einbildungstraft, weiche 
fih jent nur mit leichten und frohen Gegenftänden ' 
befchäftigen will, wendet fi nach ben Feen- und 
Rittermaͤhrchen, welde ihm die größte Freiheit ge- 
währen. Auch bier reicht ihm Frankreich in der 
Tauſend und Einen Nacht, in der Romanenbiblio- 
thel fchom halb verarbeitete zugerichtete Stoffe, in⸗ 
deſſen die alten Schäe dieſes Fachs, welche Deutſch⸗ 
land befist, noch zoh und ungenleßbar dalagen. 

Gerade dieſe Gedichte find es, welche Wielande 
Nuhm am melften verbreiteten und beftdtigten. 
Ihre Munterleit fand bei jederman Eingang, und 
feibft die ernſteren Deutichen ließen fie ſich gefallen! 
denn alle biefe Werte traten wirklich ‚zur rechten 
und günftigen Zeit hervor. Sie waren allein dem 
Sinne gefchrieben, ben wir oben entwidelt haben. 
Oft unternahm ber gluͤckliche Dichter das Kunſtſtuͤck, 
ganz gleichgültigen Stoffen durch die Bearbeitung 
einen hoben Werth zu geben, und wenn es nicht 
zu laͤugnen iſt, daß er bald den Verſtand über bie 
höheren Kräfte, bald die Sinnlichkeit über bie fitt- 
lichen triumphiren Idßt, fo muß man boch auch ge⸗ 
ftehn, daß am rechten Ort alles, was ſchoͤne See- 
len nur zieren mag, die Oberhand behalte. 

Fruͤher, wo nicht als alle, doch als die meiſten die⸗ 
fer Arbeiten, war die Ueberſetzung Shakefpear's. 
Wieland fürchtete niht, durch Studien feiner Ori⸗ 
ginalitaͤt Eintrag zu thun, ja fchon früh war er über: 
zeugt, daß, wie burch Bearbeitung fchon bekannter 


248 


Stoffe, te auch darch Ueberſegung vorbanbene 
Werte, ein lebhafter reicher Geiſt bie beſte Erauk 
dung faͤnde. 

Shakeſpearn zu uͤberſeßen, war in jenen Tag 
ein kuͤhner Gedanke, weil felbft. gebifbete Literete 
ten bie Moͤglichlelt Idugneten, daß ein ſolches Ue 
ternehmen gelingen koͤnne. Wieland überfegte mit 
Freiheit, erhafchte den Stun feines Autors, = 
bei Sefte, was thm nicht "übertragbar fehlen, 
fo gab er feiner Nation efnen allgemeinen — 
von ben herrlichſten Werken einer andern, Teiwem 
Zeitalter die Einfiht In die hohe Bildung vergan⸗ 
gener Jahrhunderte. 


Diefe Ueberfegung, To elus steße: Wirkung fie 
in Deutſchland hervorgebracht, ſcheint auf Wieland 
felbft wenig Einfuß gehabt zu haben. Er ſtand mit 
feinem Autor allzuſehr in Widerſtrelt, wie mas 
genunfam erlennt aus den übergangenen und ausge⸗ 
laſſenen Stellen, mehr noch aus ben hinzugefuͤgten 
Noten, aus welchen bie Franzoͤſche Simesart her⸗ 
vorblickt. 

Anderſeits aber finb them die Griechen, in ihrer 
Maͤßigung und Reinheit, hoͤchſt ſchatzhare Muſter. 
Er fühle ſich mit ihnen durch Geſchmach verbun⸗ 
den; Religior, Sitten, Verfaſſung, alles gibt 
ibm Anlaß, ſeine Vielſeitigkeit zu üben, und da 
weder bie Goͤtter, noch bie Philoſophen, weder 
bad Walt noch bie Voͤlker, fo wenig als bie Staats. 


+ . 
249 


und Kriegeleute fich unter einander verteagen, fo 
findet er überall die erwünfchterte Gelegenheit, in⸗ 
dem er zu zweifeln. und zu ſcherzen ſcheint, feine 
billige⸗ duldſame/ menſchliche Lehre wiederholt ein⸗ 
sufhätfen. | 

Zugleich gefält er ſich, problematiſche Charaktere 
darzuſtellen, und es macht ihm z. B. Vergnuͤgen, 
ohne Ruͤckſicht auf weibliche Keufchheit‘, das Liebens⸗ 
wiürdige einer Muſarion, Lais und Phrpne hervor: 
zubeben, und ihre Lebenswelsheit über die Schul- 
weishelt der Philofophen zu erhöhen. 


Aber auch unter biefen findet cr einen Mann, 
den er ald Nepräfentanten feiner Gefimumgen aus⸗ 
biiden mb darſtellen Tann, ch meine -Mirkfkippen. 
Hier find Phltofephle und Weitgenuß durch eine 
kluge Begränzung fo helter und waͤnſchens werth 
verbunden, daß man fich ats Mitlebender in einem 
fo ſchoͤnen Lande, in fo guter Eefellſchaft zu ſinden 
wuͤnſcht. Man tritt fo gera mit dieſen unterrich⸗ 
teten, wohldendenden, geblideten, frehen Menfchen 
in Verbindung, ja man glaubt, fa lange men in 
Godanken unter Ihnen wanbelt, auch wie fie geſtunt 
su ſeyn, wie fie zu denktin. 

In dieſen Bezirken erhielt ſich mfer Freund 
Dura ſorgfuͤltige VBoruͤbungen, welche dem Ueber⸗ 
ſeter noch mehr als dem Dichter nothwendig ſind; 
und fo entſtand bet Deutſche Zuchen, ber uns ben 
Briehifhen um deſto lebhafter darſtellen mußte 


. | 
230. 


als Verfaſſer und Ueberſetzer für wahrhafte Gi 
verwandte gelten können. 

Ein Mann von folhen Talenten aber, prebie 
er auch noch fo fehr das Gebuͤhrende, wird fd 
doch manchmal verfacht fühlen, bie Linie des Ar: 
ftändigen und Schicklichen zu uͤberſchreiten, da von 
jeher das Sente ſolche Wagftüde unter feine Geredt: 
fame gesähit»hat. Diefen. Trieb befriebigte te: 
Iond, indem er fih dem kühnen, außerordentliche⸗ 
Ariſtophanes anzugleichen fuchte, und die eben fo 
verwegnen als geiftteihen Scherze durch eigne an: 
gebotne Grazie gemildert überzutragen wußte. 
Freilich war zu allen biefen Darftellungen and 
eine Einfiht in die höhere bildende. Kunſt nörhle, 
and da unferm Freund niemals dad Anfchauen 
jener überbliebenen alten- Meifterwerfe gegönnt 
‚ward, fo ſuchte ex durch den Gedanken fich zu ihnes 
zu erheben, fie durch die Einbiibungsfraft zus ver: 
gegenwärtigen,  bergeftalt, daß: man bewundern 
muß, wie ber vorzüglihe Geiſt fih auch von dem 
Entfernten einen Begriff zu machen weiß, ja es 
würde ihm volllommen gelungen feyn, hätte ihn 


nicht eben ‚feine lobenswerthe Behutſamkeit abge: - 


halten, entichledene Schritte zu thun; denn bie 
‚Sunft überhaupt, befonder& aber die ber Alten, 
läßt fi ohne Enthufiasmus weder faffen noch bes 
sreifen. Wer nicht mit Erfiaunen und NBewun: 


derung anfangen will, ber findet nicht den Iugang 


in das IBAcIE Heiligthum. Unſer Freund aber war 


/ i 


— — 





Ü) 


251 

viel zu bebächtig, und wie hätte er auch In dieſem 

einzigen Falle eine Ausnahme von feiner allgemei⸗ 

nen Lebensregel machen follen ? — 
War er jedoch mit den Griechen durch Geſchmack 

nah verwandt, ſo war er es mit. den Roͤmern noch 


mehr durch Geſinnung. Nicht daß er fich Durch republi⸗ 
caniſchen oder patriotiſchen Eiſer haͤtte hinreißen laſ⸗ 


fen, ſondern er findet, wie er ſich den Griechen ge⸗ 
wilfermaßen nur andichtete, unter ben Römern 
wirklich ‚feines Gleichen. Horaz hat viel Aehnliches 
‚von ihm; felöft Eunftreih, feibit Hof- und Welt- 
mann iſt ex ein verftändiger Beurtheller Des Lebens 


und der Kunft; Cicero, Philofoph, Redner, Staats⸗ 


mann ,' thätiger Bürger, und beide aus unſchein⸗ 
baren Anfängen zu großen Würden und Ehren ge 
laungt. Fass — 
Wie gern mag ſich unſer Freund, indem er ſich 
mit den Werken dieſer beiden Maͤnner beſchaͤftigt, 
in ihr Jahrhundert, in ihre Umgebungen, zu ihren 


Zeitgenoſſen verſetzen, um uns ein anſchauliches 


Bild jener Vergangenheit zu uͤbertragen, und es 
gelingt ihm zum Erſtaunen. Vielleicht Fönnte man 
im Ganzen mehr Wohlmwollen gegen die Menfchen 
verlangen, mit denen er fich befchäftigt, aber er 
fuͤrchtet fih fo fehr vor der Parteplickeit, daß er 


lieber gegen fie als für fie Partep nehmen mag. 


Es gibt zwey Ueberſetzungsmaximen: die eine 
verlangt, daß ber Autor einer fremden Nation zu 
and herüber gebracht werde, dergeſtalt, daß wir 


* 


/ 


— 





a 252 


ihn als den nnfrigen anfehen koͤnnen; bie andere 
hingegen macht an und die Fordermg, daß wir ung 
zu dem Sremben hinüber begeben und uns in feine 
Zuftände, felne Spronhmelfe, feine Eigenheiten 
finden folten. Die Vorzuͤge von beiten find durch 
muſterhafte Beiſpiele allen gebilbeten Menfchen ge: 
nugſam bekannt. Unfer Fremd, der auch bier den 
Mittelweg ſuchte, war beide zu verbinden beruͤht, 
doch zog er als Mann von Gefuͤhl und Geſchmuck in 
zweifelhaften Faͤllen die erſte Maxime vor. 

Niemand bat vieleicht fo Iumig empfunden, welch 
verwickeltes Geſchaͤft eine Ueberfetzung fey, als er. 
Wie tief war er uͤberzengt, daß nicht das Wert, 
fondern ber Sinn belebe. Man betratite, wie er 
in feinen Einleitungen uns erſt in bie Beit zu ver- 
fegen und mit ben Perfonen vertrant zu machen be⸗ 
uräht it, wie er alsdann feinen Autor anf eine ung 
ſchon bekannte, unferem Shm und Ohr vermunbte 
Weiſe ſprechen kaͤßt, und zuletzt noch manche Ein⸗ 
zelheit, weiche dunkel biefden, Zweifel erregen, an: 
froͤßig werben konnte, in Noten awögnlegen und zu 
Hefeitigen ſucht. Durch dieſe dreyfache Bemuͤhnung 
fieht man recht wohl, hat er ſich etſt feines Gegen 
ſtandes bemaͤchtigt, und ſo glibt er ſich deun auch bie 
redlichſte Mühe, und in ben Fall zu ſetzen, daß 
feine Einſicht und mitgetheilt werde, auf def wir 
auch ben Genuß mit ihm theiten. 

Ob er nun gleih mehrerer Sprachen mächtis 
war, ſo Br er fi bach feſt an die beiden, in denen 

uns 


ww | — — — — —— 


=. — — 


.. 


253 


uns der Werth und die Würde der Morwelt am 
reinſten überliefert ift. Denn fo. wenig wir Iäugnen 
wollen, daß ans ben Fundgruben anderer alten Li⸗ 
teraturen mancher Schaß gefördert worden und noch 
zu fördern ift, fo wenig.wird man und mwiderfpre- 
chen, wenn wir behaupten, die Sprache ber Grie⸗ 
Ken und Römer habe und bi auf den heutigen 
"Tag köftlihe Gaben überliefert, die an Gehalt dem 
üdrigen Beften glei, der Form nad allem andern 
vorzuziehen find. 

Die Deutſche Reichsverfaſſung, weide fo vlele 
Kleine Staaten in fi begriff, ähnlichte darin der 
Griechiſchen. Die geringfte, unfcheinbare, ia unſicht⸗ 
bare Stadt, weil fie ein eignes Sntereffe hatte, - 
‚mußte folhes In fi hegen, erhalten und gegen die. 
Nachbarn vertheidigen. Daher war ihre Jugend 
fruͤhzeitig aufgewectt und aufgefordert über Staats: 
verhaͤltniſſe nachzudenken. Und fo war auch Wie- 
land, ald Sanzleyverwefer einer der kleinſten Reichs⸗ 
ftädte, In dem Fall, Patriot und im beffern Sinne 
Demagog zu ſeyn; wie er, denn einmal über einen 
ſolchen Gegenftand die zeitige Ungnade des benach⸗ 
barten Grafen Stadion, feines Goͤnners, Lieber 
auf fih zu ziehen, als unpatriotiſch nachzugeben, 
bie Entſchließung faßte. 

Schon ſein Agathon belehrt uns, daß er auch in 
dieſem Fache geregelten Geſinnungen den Vorzug 
gab, indeß gewann er doch Gegenſtaͤnden fo viel An⸗ 

theil ab, daß alle feine Berhäftigungen und Nei⸗ 
Goethe's Werte. XXXII. æd. 17 


254 


gungen in ber Folge ihn nicht hinderten, über bie 
felben zu denken. Beſonders fühlte er fich aufi 
neue dazu aufgefordert, als er fih einen bedeuten: 
ben Elufluß auf die Bildung hoffuungsvoller Fuͤrſter 
verfprechen durfte. _ 
Aus allen den Werken, die er in biefer Art ge: 
liefert, tritt ein weltbärgerlicher Sign hervor, und 
da fie in einer Zeit gefchrieben find, wo die Macht 
der Alleinherrſchaft noch nicht erſchuͤttert war, fo If 
fein Hauptgefhäft, den Machthabern ihre Pflichten 
dringend vorzuftellen und fie auf das Gluͤck hinzu: 
weifen, das fie in dem Gluͤck der Ihrigen finden 
ſollten. 
Nun aber trat die Epoche ein, in der eine auf⸗ 
geregte Nation alles bisher Beſtandene niederriß 
und die Geiſter aller Erdbewohner zu einer allge- 
meinen Gefehgebung zu berufen fchlen. Auch hier: 
über erklärt er fi mit umfichtiger Beſcheidenheit 
und ſucht durch verftändige Vorſtellangen, Die er 
unter mancherlei Formen verkleidet, irgend efn 
Gleichgewicht in der bewegten Menge bervorzubrin⸗ 
sen. Da aber der Tumult der Anarchie Immer 
N her, wer wird, und eine freiwillige Vereinigung der 
Maſſe undenkbar erſcheint, fo iſt er der Erſte, der 


die Ninberrſchaft wieder anraͤth und den Mann be⸗ 
zeichnet, ve das inder der Wiederherſtelluns 
a e ef, daß umfer Treund über 


Bedentt man nn pn 
biefe — nicht etwa dreterdrein 1 ſondern 


mn 


ns. 





— 


VLe 


255 
gleichzeitig geſchrieben, und als Herausgeber eines 


vielgelefenen Journals Gelegenheit hatte, ja ge- 


nöthigt war, ſich monatith aus dem Stegreife 
vernehmen zu laflen, fo wird derjenige, der feinem 
Lebensgange hronologifch zu folgen berufen iſt, nicht 
obne Bewunderung gewahr werden, mit welcher 
Aufmerkſamkeit er den rafhen Begebenheiten des 
Tags folgte und mit welcher Klugheit er fih abe 
ein Deutfher und ars ein denkender theilnehmenber 
Mann durchaus benommen hat. Und bier Ift es der 
Drt, der für Deutfchland fo wichtigen Zeitichrift, 
des Deutfhen Mercurd, zu gedenken. Diefes 


Unternehmen war nicht dag erſte in feiner Art, aber 


doch zu jener Zeit neu und bedeutend, Ihm ver- 
fhaffte fogtelh der Name bed Herausgebers. ein 
großes Zutrauen: denn daß ein Manu, der felbft 
dichtete, auch die Gedichte anderer Im die Welt 
einzuführen verfprah, daß ein Shriftflelfer, dem 
man fo berrlihe Werke verbanfte, ſelbſt urtheilen, 


feine Meinung öÖffentlih bekennen wollte, dleß er- 


regte die arößten Hoffnungen. Auch verfammelten 
fi) wertvolle Männer bald um Ihn her, und bie- 
fer Verein vorzuͤglicher Litcratoren wirkte fo viel, 
daß man dur mehrere Jahre hin ſich des Mercure 


als Leitfadens in unferer eiterarge ſchlchte bedienen 


ann. Auf das Publicum überhaupt bar die Mir- 
fung groß und bedeutend; denn wenn iauf ber einen 


E ‚Seite das Leſen und Urtheilen aber etne größene 


Maffe ſich verbreitete, fo ward auch Die Huf, fih 


256 


augenblicklich mitzutheilen, bei einem jeden rege, 
der irgend etwas zu geben hatte. Mehr als er er: 
wartete und verlangte, floß dem Herausgeber zu; 
fein Gluͤck wekte Nachahmer, ähnliche ne 
entſtanden, bie erft monatlih, daunn wochen = 
tagweife fih ins Publicum drängten unb — 
jene Babploniſche Verwirrung hervorbrachten, von 
ber wir Zenge waren und find, und bie eigentlich 
daher entfpringt, daß jeberman reden uud mie: 
mand bören will. 


Was ben Werth und die Würde des Deutfchen 
Merenrs vieie Jahre durch erhleit, war die dem 
Herausgeber deffelben angeborne Liberalität. Wie⸗ 
land war nicht zum Parteyhaupt gefchaffen; wer die 
„Maͤßlgung ald Hauptmarime. anerkennt, darf fih 
feiner Einſeitigkeit fchuldig mahen. Was feinen 
regen Gelft aufrelzte, fuchte er durch Menſchenver⸗ 
fiand und Geſchmack bei fih felbft in's Sleihe zu 
bringen, und fo behandelte er auch feine Mitarbei- 
ter, für die er ſich keineswegs enthufiasmirte; und 
wie er die von ihm fo hoch geachteten alten Autoren, 


: Indem er fie mit Sorgfalt überfeßte, doch oͤfters in 


den Noten zu befriegen pflegte, fo machte er auch 
oft gefchäßte, ja geliebte Mitarbeiter durch mißbil⸗ 
ligende Noten verdrleßlich, ja fogar abwendig. 


- Schon früher hatte unfer Freund wegen größerer 
und fleinerer Schriften gar manche Anfechtung lel- 
den Ale ‚, um fo weniger konnte es ihm aid 








25% 
Beraudgehet einer Zeitſchrift an literariſchen Feh⸗ 


den ermangeln. Aber auch hier beweiſ't er ſich als | 


immer derfelbe. Ein folder Federkrieg darf ihm 
niemals lange dauern, und wie ſich's einigermaßen 
in die Länge ziehen will, fo läßt er dem Gegner 
Das letzte Wort, und geht feines gewohnten Pfades. 

Ausländer haben Tcharflinnig bemerkt, . daß 
Deutſche Schriftfiellee weniger ald bie Autoren 
anderer Nationen auf das Publicum Ruͤckſicht neb⸗ 
men, und daß man daher in ihren Schriften, den 
Menſchen, der ſich felbit ausbildet, den Menfchen, 


der ſich felbit etwas zu Dante machen will, und. 


folglich den Charakter beflelben, gar bald abneh⸗ 


men koͤnne. Diefe Eigenihaft haben wir fchon oben _ 


Wielanden befonders zugefchrieben, und ed wird 
um fo intereffanter feyır, feine Schriften wie fein 
Leben in biefem Sinne zu reihen und zu verfolgen, 
als man’ früber und ſpaͤter den Charakter unferes 
Steundes aus eben diefen Schriften verdächtig zu 
machen fuchte. Gar viele Menfhen find noch jet 
an ihm irre, weil fie fih vorftellen, der Vielſeitige 


muͤſſe gleichgültig und der Bewegliche wankelmuͤthig 


feyn. Man bedenkt nicht, daß der Cherakter fich 
nur durchaus, aufs Praftifche beziehe. Nur in bem, 
was der Menſch thut, zu thun fortfährt, worauf 
er behartt, darin zeigt ee Charakter, und In dieſem 
Stune hat es keinen feitern, fih felbft immer glei⸗ 


dern Mann gegeben als Wieland. Wenn er fich 


der Mannichfaltigfeit feiner Empfindungen, der 


y I 


‘. 
258 


Beweglichkeit feiner Gedanken überließ, feinem ein⸗ 
zelnen Eindruck Herrſchaft über fih erlauben wollte, 
fo zeigte er eben dadurch die Feſtigkelt und Sicher: 
beit feines Sinnes. Der gelftreihe Mann fpielte 
gern mit feinen Meinungen, aber, ich kann alle Mit⸗ 
lebenden als Zeugen auffordern, niemals mit feinen 
Gefinnungen. Und fo erwarb er fi viele Freunde 
und erhielt fie. _ Daß er irgend einen entfchledenen 
Feind gehabt, iſt mir nicht belannt geworden. Im 
Genuß feiner dichteriſchen Arbeiten lebte er viele 
Jahre in ftädtifcher, bürgerlicher, freundlichgefent: 
ger Umgebung, und erreichte die Anszeichnung eines 
vollftändigen Abdrucks feiner forgfältig durchgeſe⸗ 
henen Werte, ja einer Prachtausgabe derſelben. 
Aber er follte noch im Herbft feiner Jahre den 
Einfluß des Zeitgelftes empfinden und auf eine nicht 
vorzufehende Weife - ein neues Leben, eine neue 
Jugend beginnen. Der Segen des bolden Friedens 
hatte (ange Zeit über Deutfchland gewaltet, dußere 
allgemeine Sicherheit und Ruhe traf mit den in- 
nern, menſchlichen, weltbürgerlihen Gefinnungen 
gar fhön zufammen: Der friediihe Städter ſchien 
feiner Mauern nicht mehr zu bedürfen, man entjog 
fih ihnen, man fehnte ſich auf's Land. Die Sicher: 
heit des Grundbeſitzers gab jederman Vertrauen, 
das freie Naturleben zog jederman an, und wie 
ber gefellig geborne Mensch fich öfters den füßen 
Trug vorbilden kann, als lebe er beffer, bequemer, 
froher In der Abgefondertheit, fo fchlen auch Wie⸗ 





‚259 


‚land, ben bereits die hoͤchſte ltterariſche Muße ge⸗ 
goͤnnt war, ſich nach einem noch muſenhaft ruhigern 
Aufenthalt umzuſehen; und als er gerade in der 
Naͤhe von Weimar ſich ein Landgut zuzueignen Ge⸗ 
legenheit und Kräfte fand, faßte er den Entſchluß, 
daſelbſt den Reſt feines Lebens zuzubringen. Und 
‚ bier mögen die, welche ihn öfters befucht, welche 
mit ihm gelebt, umftändlich erzählen, wie er ge- 
tabe bier inefeiner ganzen Liebenswürbigleit er- 
fchien, als Haus- und Familienvater, als Freund 
und Gatte, befonders aber, weil er fi den Men⸗ 
fhen wohl entziehen, die Menſchen ihn aber nicht 
entbehren konnten, wie er als gafifreier Wirth 
feine gefelligen Tugenden am "anmuthigften ent: 
wickelte. 

Indeß ich num jüngere Freunde zu dieſer idyl⸗ 
liſchen Darſtellung auffordere, ſo muß ich nur kurz 
und theilnehmend gedenken, wie dieſe laͤndliche 
Heiterkeit durch das Hinſcheiden einer theuern mit⸗ 
wohnenden Freundin und dann durch den Tod ſei⸗ 
ner werthen, ſorgſamen Lebensgefährtin getrübt 
worden. Er legt biefe theueren Mefte auf eignem 
Grund und Boden nieder, und Indem er fih ent 
ſchließt, die für ihm allzuſehr verflochtene landwirth⸗ 

ſchaſtliche Beſorgung aufzugeben, und fich des einige 
Jahre froh genoffenen Grundbeſitzes zu entäußern, - 

«fo behält ex fich doch den Plab, den Raum zwiſchen 
beiden Geliebten vor, um dort auch feine ruhige 
Stätte zu finden. Und borthin haben denn die 


260 


verehrten Brüder ihn begleitet, ja gebracht, und 


dadurch feinen Thönen und anmuthigen Willen er: 
fünt, daß die Nachkommen feinen Grabhuͤgel in 
einem lebendigeg Haine befuhen und heiter ver: ' 
ehren follten. 


Nicht ohne Höhere Veranlaffung aber kehrte der 
Sreund nach der Stadt zuräd; denn das Merhäit: 
niß zu feiner großen Goͤnnerin, der Herzosin Mut⸗ 
ter, hatte ihm jenen Ländlichen Aufenthalt mehr als 
einmal verduͤſtert. Er fühlte aur zu fehr, was es 
ihm koſte, von Ihr entfernt zu ſeyn. Er konnte ih⸗ 


ren Umgang nicht entbehren, und deffelben doch nur 
mit Unbequemlichkeit und Unftatten genießen. Und 


.fo, nachdem er feine Familie bald erweitert, bald 


verengt, bald vermehrt, bald vermindert, balb 
verfammelt, bald zerftreut gefehen, zieht die erha- | 
bene Färftin ihn In ihren nadhften Kreis. Er kehrt 
zurüd, bezieht eine Wohnung ganz nahe der fuͤrſt⸗ 
lichen, nimmt Theil an dem Sommeraufenthalt in 
Tiefurt, und betrachtet fih nun ald Glied des Han: 
ſes und Hofes. 


Wieland war ganz eigentlich für bie größere Ge⸗ 
feufhaft geboren, ja bie größte würde fein eigent: 
liches; Element gewefen feyn; denn weil er nirgends 
oben an ftehen, wohl aber gern an allem Theil neh⸗ 
men wollte, und über alles mit Maßigung ſich zu 
aͤußern geneigt war, fo mußte er nothwendig als 
angenehmer Geſellſchafter erſcheinen, ia er wäre es 


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m. m vr m 


/ 


261 


unter einer leichtern, nicht jede Unterhaltung al 
ernſt nehmenden Nation noch mehr geweſen. 

Denn ſein dichteriſches, fo wie fein literariſch 
Streben war unmittelbar aufs Leben gerichtet, u 
wenn er auch nicht gerade immer einen praftifd 
Zweck fuhte, ein praftifhes Ziel hatte er doch i 
mer nah oder fern vor Augen. Daher waren fe 
Gedanken beftändig Har, fein Ausdrud deutlich, 


meinfaßlich, und da er, bei ausgebreiteten Ken 


niffen, ſtets an dem nterefle des Tags feſthie 
demfelben folgte, fich geiſtreich damit befchäftig 
fo war au feine Unterhaltung durchaus mannl 
faltig und belebend; wie ich denn auch nicht Iel 


jemand gelannt habe, weldher das, was von | 


dern Gluͤckliches in bie Mitte gebracht wurde, 1 
mehr Freudigkeit aufgenommen und mit mehr 
bendigkeit erwidert hätte. 

Beti dieſer Art zu denken, ſich und andere 
unterhalten, bei der redlichen Abſicht, auf fein 3 
alter zu wirken, verargt man Ihin nun wohl ni: 
daß er genen die neuern philofophifhen Schulen 
nen Widerwillen faßte. Wenn früher Kant 
Heinen Schriften nur von feinen größern Anfich 


prpraͤludirte, und in heitern Formen felbft über 


wichtigſten Gegenftände. fih problematifch zu aͤuß 
ſchien, da ftand er unſerm Freunde noch nah 
nug; als aber das ungeheure Lehrgebäude errid 
war, fo mußten alle die, weiche fich bisher In frei 
Leben, bichtend fo wie philofophirend ergangen | 


Berg 262 


ten, fie-mußten eine Drobburg, eine Zwingfefte 
daran erbiiten, von woher ihre heitern Streif- 
zuͤge über dad Feld der Erfahrung befchränft wer: 
den ſollten. j 
Aber nicht allein für den Phlloſophen, auch für 
den Dichter war, bei der neuen Geiſtesrichtung, 
Tobald eine große Maffe fich von ihr hinziehen Ließ, 
viel, ja alles zu befürchten. Denn ob 28 gleich im 
Anfang fheinen wollte, als wäre bie Abficht über- 
Haupt nur auf Wiſſenſchaft, fodenn auf Sittenichre 
und was hievon zundchft abhängig iſt, gerichtet, fo 
war doch leicht. einzufehen, daß wenn man jene wid- 
tigen Angelegenheiten des höheren Willens und bes 
firtlihen Handelns, feiter als bisher gefhehen,, zu 
begründen dadte, wenn man dort ein firengereg, 
in fi mehr zufammenhängendes, aus den Tiefen 
Her Menschheit entwideltes Urtheil verlangte, daß 
man, fag’ ih, den Geſchmack auch bald auf ſolche 
Grundfäge hinweiſen, und deßhalb fuchen würde, 
Individuelles Gefallen, zufällige Bildung, Volks⸗ 
eigenheiten durchaug zu befeitigen, und ein allgemet- 
neres Gefeh zur Entſcheldungsnorm heroorzurufen. 
Dieß gefchah auch wirklich, und in der Poeſie that 
fh eine neue Epoche hervor, welde mit unferm 
Sreunde, fo wie er ‚mit Ihr In Wißerfpruch ſtehen 
mußte. Von diefer Zeit an erlebte er manches un⸗ 
billige Urtheil, ohne jedoch fehr davon gerährt zu 
werden, und ich erwähne biefes Umſtands hier aus: 
druͤcklich, weit der daraus in der Deutfhen Literatur 


. Be 
“ — 








263 


entftanbene Sonfict noch keineswegs beruhigt und 
ausgeglichen iſt, und well ein Wohlwollender, wenn 
er Wielands Verdienſt ſchaͤhen und fein Andenken 
kraͤftig aufrecht erhalten will, von der Lage der 
Dinge, von dem Herankommen ſo wie der Folge der 
Meinungen, von dem Charakter, den Talenten der 
mitwirkenden Perſonen genau unterrichtet ſeyn 
muͤßte, die ‚Kräfte, bie Verdlenſte beider Theile 
wohl kennen, und, um unpartepifch zu wirken, beiden 
Parteyen gewiffermaßen angehören. 


Doc von jenen hieraus entforungenen, Hleineren 
oder größeren Senden zieht mich eine ernfle Betrach⸗ 
tung ab, der wir und nunmehr zu überlaflen haben. 


Die zwiſchen Infern Bergen und Hügeln, In un 
fern anmuthig bewäflerten Thaͤlern viele Jahre 
gluͤcklich angeſiedelte Ruhe war ſchon längit durch 
Kriegs zuͤge wo nicht verſcheucht, doch bedroht. Als 
der folgenreiche Tag anbrach, der uns in Erſtaunen 


und Schreden ſetzte, da das Schickſal der Welt in 


unfern Spazlergängen entfchleben ward, auch In die⸗ 
fen fhredlihen Stunden, denen unfer Freund ſorg⸗ 
108 entgegenlebte, verließ ihn dag Gluͤck nicht; denn 
er ward, erſt durch’ die Worforge eines jungen ent⸗ 
f&loffenen Freundes, dann durch bie. Aufmerkſam⸗ 
keit der Franzoͤſiſchen Gewalthaber gerettet, die in 
(hm den verbienten weltberühmten Schriftfteler und. 
zugleih ein Mitglied ihres großen — 

Juſtituts verehrten. 


/ 


264 


Er hatte bald hierauf mit und allen den ſchmerz⸗ 
lihen Verluſt Amaltens zu ertragen. Hof und 
Stadt waren eifrig bemuͤht, Ihm jeden Erfab zu rei: 
hen, und bald Darauf ward er: von zwey Kaiſern mit 
Ehrenzeihen begnadet, dergleichen er in feinem 
langen Leben nicht gefucht, ia nicht einmal erwar⸗ 
tet hatte. 


Aber fo wie am trüben, fo auh am heitern 
Tage war er fich felbft gleih, und ef bethätigt hie: 
durch den Vorzug zartgebildeter Naturen, deren 
mittlere Cmpfänglichleit dem: guten wie dem böfen 
Geſchick mäßig zu begegnen verſteht. 


Am bewunderungswuͤrdigſten jedoch erfchlen er, 
koͤrperlich und geiftig betrachtet, nach dem harten | 
Unfall, der ihn in fo-hohen Jahren betraf, als ee 
buch den Sturz des Wagens zugleich mit einer ger 
liebten Tochter höchlich verlegt ward. Die ſchmerz⸗ 
lichen Folgen des Falles, bie Langeweile der Gene- 
fung ertrug er mit dem größten Gleichmuth, und 
tröftete meht feine Freunde als fich ſelbſt durch die 
Aenßerung: es ſey ihm niemals ein dergleichen Un⸗ 
glück begegnet, und es möge den Göttern wehl bil⸗ 
ig gefchlenen haben, daß er auch auf dieſe Weife 
die Schuld der Menfchbeit abtrage. Run genas er 
‚auch bald, Indem fich feine Natur wie bie eines 
Zünglinge ſchnell wieder herftellte, und ward uns 
dadurch zum Zeugnis, wie ber Sartheit und Rein⸗ 
heit auch eine hohe phyſiſche Kraft verliehen fey- 


——— —— 


965 F 


Wie ſich nun ſeine Lebensphiloſophie auch bei die⸗ 
fer Prüfung bewährte, fo brachte ein ſolcher Unfall 
Seine Veränderung in der Geſinnung noch in feiner 
Lebensweife hervor. Nach feiner Genefung gefellig 
wie vorher, nahm er Theil an den herfümmtichen 
Unterhaltungen des umgänglihen Hof- und Stadt- 
Tebens, mit wahrer Neigung und anhaltenden Be⸗ 
muͤhen an den Arbeiten. der verbundenen Brüder. - 
So ſehr auch jederzeit fein Blick auf das Irdiſche, 
- auf die Erkenntniß, die Benußung deſſelben gerich- 
. tet fbien — bes Außerweltlichen, des Heberfinnlichen 
konnte er doch, als ein vorzäglihbegabter Mann, 
keineswegs entbehren. Auch bier trat jener Con⸗ 
flict, den wir oben umſtaͤndlich zu ſchildern für Pflicht 
gehalten, mertwürdig hervor; denn Indem er alles 
abzulehnen fhlen, was außer den Gränzen ber all: 
gemeinen Erfenntniffe liegt, außer dem Kreiſe defs 
fen, was fih durdy Erfahrung bethätigen läßt, fo 
konnte er fich doch niemals enthalten, gleihfam ver⸗ 
ſuchsweiſe, über die fo ſcharf gesogenen ‚Linien wo 
nicht binauszufchreiten, doch hinüber zu bilden und 
fih eine außermweltiihe Welt, einen Zuftand, von 
bem ums alle angebornen Seelenträfte keine Kennt 
niß geben Fönnen, nach feiner Weiſe aufzuerbanen 
und darzuftellen. 

Einzelne Züge feiner Schriften geben hiezu man⸗ 
nichfaltige Belege, befonderd aber darf ich mich auf- 
feinen Agathodaͤmon, auf feine Euthanafle berufen, 
ia auf jene ſchoͤnen, fo verftändigen als herzlichen 


A 


* 





266 


Aeußerungen, die er noch vor kurzem offen und un 


bewunden diefer Verſammlung mitthellen mögen. 
Denn zu unferm Brüberverein hatte fi in Ihm eine 
vertrauensvolle Neigung aufgethan. Schon als 


Juͤngling mit demjenigen befannt, was uns von ben, 


Mofterien der Alten Hiftortfch überliefert worden, 
floh er zwar nach feiner heitern, Karen Siunesart 
jene trüben Geheimniſſe, aber verläugnete ſich nicht, 


- daß gerade unter diefen, vielleicht feltfamen Häfen 


—* 


zuerſt unter die rohen und finnlihen Menſchen hoͤhere 
Begriffe eingefuͤhrt, durch ahnungsvolle Symbole 
maͤchtige, leuchtende Ideen erwedt, ber Glaube 
an einen uͤber alles waltenden Gott eingeleitet, 
die Tugend wiufhenswerther dargeſtellt, und die 
Hoffnung auf die Fortdauer unſers Daſeyns ſowohl 
von frifhen Schreduiffen eines trüben Aberglau- 
bens, als von den eben fo falfhen Forderungen ei⸗ 


‚ner lebendiuftigen Sinnlichkeit gereinigt werben. 


Nun als Greis von fo vielen wertben Freunden 
und Seitgenoffen auf der Exrde-zurüdgelafien, ſich 
in, manchem Siune einſam füplend, näherte er ſich 
unferm theueren Bunde. Wie fro& er in denſelben 


befucht, unfern Augelegenheiten feine Aufmetkſam⸗ 
keit gegönnt, fich der Aufnahme vorzäglicher junger 


Männer erfreut, unfern ehrbaren Saftmahlen beige: 


wohnt, und fih nicht enthalten, über manche wich⸗ 


‚tige Angelegenheit feine Gedanken zu erdffuen, da⸗ 


son find wir alle Zeugen, wir haben es freundlich 


— — — 
— a —— — — 


‚getreten, wie anhaltend er unſere Verſammlungen 


267 


und dankbar anerkannt. Ja wenn dieſer altgegruͤn⸗ 
dete und nach manchem Zeitwechſel oft wieder her⸗ 
geſtellte Bund eines Zeugniſſes beduͤrfte, fo würde 
hier das volllommenſte bereit ſeya, indem ein ta⸗ 
lentreicher Mann, verſtaͤndig, vorſichtig, umſichtig, 
erfahren, wohldenkend und mäßig, bei uns ſeines 
Gleichen zu finden glaubte, fih bei ung In einer Ge⸗ 
ſellſchaft fühlte, die er, der beften gewohnt, . ale 
Vollendung feiner menſchlichen and gefelligen Wün= 
ſche fo gern anerkannte. 

Bor diefer fo merkwürdigen und hochgeſchaͤßten 
Verſammlung, obgleih von unfern Meiftern aufge- 
"fordert, über den Abgefchledenen wenige Worte zu 
fprehen, würde ich wohl haben ablehnen dürfen, in 
der Betrachtung, daß nicht eine flüchtige Stunde, 
Leichte, unzufammenhängende Blätter, ſondern ganze 
Jahre, ja manche wohl uͤberdachte und geordnete 
Bände nöthig find, um fein Andenken ruͤhmlich zu 
feyern, neben dem Monumente, das er fi) ſelbſt 
in feinen Werken und Wirkungen würdig errichtet hat. 
Auch übernahm ich dieſe ſchoͤne Prlicht nur in der Be- 
trachtung: es könne dad von mir Worgeträgene dem 
‚zur Einleitung dienen, was künftig, bei wiederholter 
Feyer feines Andenkens, von andern befler zu leiſten 
wäre. Wird es unfern verehrten Meiftern gefallen, 
mit diefem Auffag in ihre Lade alle dasjenige nie- 
derzulegen, was öffentlich über unfern Freund er- 
ſcheinen wird, nod mehr aber dasjenige, was unfere 
Brüder, auf die er am meiften und am eigenften ge= 


i 268 
wirkt, welche eines ununterbrochenen nähern Um⸗ 


gangs mit ihm genoffen, vertraulich äußern und mit- 


theilen möchten, fo würde biedurd ein Schaß von 


Thatfahen, Nachrichten und Urtheilen gefammelt, | 


welcher woht einzig in feiner Art ſeyn dürfte, und 


- woraus denn unfere Nachkommen fhöpfen könnten, 


um mit ftandhafter Neigung ein fo wuͤrdiges An- 
denken immerfort zu beſchuͤtzen, zu erhalten und 
zu verklaͤren. 


41426174 








“.