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Le;
*
Be
_GSovethe’s’ .
Vollftändige Ausgabe letzter Hand.
Einunddreygigfter Band.
Unter des durchlauchtigften Heutfchen Bundes ſchuͤtzenden
Privilegien. _
Stuttgart und Tübingen,
in der 9. ©. Eotta’fhen Buchhandlung.
183530 -
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—
Oo
UN lag“ z
2 3106 1962
OF OXFORD
3*
In halnrt.
Tag⸗ und Jahres-Hefte als Ergänzung meiner ſonſti⸗
gen Bekenntniſſe, von 1749 bis 1806.
⸗—
Tag- und Sabres:- Hefte
| as
Ä Ergänzung
| meiner. |
fonftigen Bekenntniſſe.
| Soergerb Werte, XXXI. Bd - 4.-
Bon 1749 918 1764.
‚Bet:izeitig. erwachendem Talente, ch vorhan⸗
denen poetiſchen und proſabſchen Moſtern, mancher⸗
lei Eindruͤcke Lindlich bearbeitet, meiftens nachah⸗
mend, wie es gerade jedes Mufter andensete.
Die Einbildungskraft wird mit heiteren Bilbern be⸗
ſchaͤftigt, die ſich ſelbſtgefaͤllig an Perſoͤnlichkeit und
die. naͤchſten Zuſtaͤnde anſchloſſen. Der Geiſt nd-
herte ſich der wirklichen, wahrhaften Natur, durch
Gelegenheits⸗Gedichte; daher entfiand, ein gewiſſer
Begriff von menſchlichen Verhaͤltniſſen mit indivi⸗
adueller Mamnichfaltigkeit: denn beſondere Faͤlle wa⸗
zren au betrachten und, an behandeln. Vielſchreiberey
iu mehreren Sprachen, durch fruͤhzeitiges Dictiren
‚Hein |
+
„Bon 1764 bis 1769.
‚Aufenthalt in⸗Leipzig. Bedaͤrfniß einer. be⸗
ſchraͤukten Ferm zu doſſerer Beurtheilung dercige⸗
‚nen Productionen wird: gefuͤhlt; die Griechiſcha Fran⸗
zoͤſiſche, beſonders der Dramen, als anerkaunt, ia
geſetzlich, wird aufgenommen. Eruſtere, unſchul⸗
dige aber / fchmorzliche Jugendempfindungen draͤngen
4
Mich auf, werden betrachtet und ausgefprochen, in⸗
deffen der Jüngling mancherlei Verbrechen Innerhalb
des übertünchten Zuſtandes der bürgerlichen Gefell-
(haft gewahret. Won Arbeiten erfterer Art ift bie
Laune bes Verliebten und einige Xleder, von '
der zwepten die Mitfchuldigen übrig geblieben,
Senen man bei näherer Betrachtung ein fleißiges
Stubtum der Molterifhen Welt nicht abſprechen
wird; daher aber auch das Fremdartige ber Sitten,
wodurch das Stüd lange Zeit vom Theater ausge⸗
Schloffen blieb. ae
Bon 17/69 dis 1777.
Fernere Einſicht ins Leben.
Ereigniß, Leidenſchaft, Genuß und Pein. Man
fuͤhtt die Nothwendigkeit einer frelern Form und
ſchlaͤgt ſich auf die Engliſche Seite. So entſtehen
Werther, Goͤtz von Berlichingen, Egmont.
Bel einfacheren Gegenſtaͤnden wendet man ſich wie⸗
der zur beſchraͤnkteren Welfe: Clavigo, Stella,
Erwin und Elmire, Claudine von Villa
Bella, beide letztere proſaiſcher Verfuch mit Ge⸗
fängen durchwebt. Hleher gehören die Lieder an
Belinden und Lili, deren mande, fo wie ver
ſchiedene Gelegenheitsftäde, Epifteln und fonftige
. gefelige Scherze verloren gegangen.
gInzwiſchen geſchehen kuͤhnere Griffe In die tie
gere Menfchheit; es entfteht ein leidenſchaftlicher
5
Widerwille gegen mißleltende, befchränkte Theorien;
man widerfent fih dem Anpreifen falfher Mufter.
Alles diefes und was daraus folgt, war tiefund wahr -
empfunden, oft aber einfeitig und ungerecht, ausge⸗
ſprochen. Nachſtehende Productionen: Fauft, die
Punppenfpiele, Prolog zu Barth find indie:
em Sinne zu beurtheilen; fie} liegen jedermarn
vor. Augen. Dagegen waren bie Fragmente des:
ewigen Inden und Hauswurſt's Hochzeit
nicht mitzutheilen. Lezteres erſchien darum heiter
genug, weil die fämmtlichen Deutfchen Schimpfna-
men in ihren Charakteren perfönlich auftraten. Meh⸗
teres dieſer frechen Art iſt verloren gegangen; Goͤt⸗
ter, Heiden und Wieland erhalten. .
Die Recenfionen in den. Frankfurter. gelehrten |
Anzeigen von 1772 und 1773 geben einen vollſtaͤndigen
Begriff von dem damaligen Buftand unferer Sefell-
(haft und Perfönlichtelt, Ein unbedingtes Beſtre—
ben, ale Begränzungen zu durchbrechen, iſt bemerkbar.
Die erfte Schwelzerretfe eröffnete mir mannich⸗
faltigen Blick in die Welt; der Beſuch In Weimar
umſchlang mich mit ichönen Derhältniffen, und
drängte mich unverfehens auf einen neuen gluͤckli⸗
ben Lebensgang.
8181780
An allen vorgemeldeten, nach Weimar mitgebrach-
tn, unvollendeten Arbeiten konnte man nicht fort⸗
&
ĩ
6
fahren; denn da: der Dichter vurch -Antteigatken die:
Melt: vorweg nim :r, ſo iſt ihm bie anf ihn los⸗
dringende, wiehihe Welt unbequem und ftöyenb; fie:
wii tfangebenwas er ſchon bat, aber anders; daon
er ſich zum zweytenmale zueignen muß
Bei Gelegenheit eines Liebhaber⸗ Theaters mb: 2
fefiiiher: Tage wurden gedichtet und: aufgeführt:
Lite, die Geſchwiſter, Tphigenta,: Pros.
ferpiwa, letztere frevontlich in den Teiump:
der Empftudſamkeit eimgefchaltet und: ihre -
Wirkung vernichtet; wie Dem: überhaupt eine fchale-
Senttmensaltbit uͤberhandnehmend manche harte rea⸗
liſtiſche Gegewwirkung: veranlaßte. Viele kleine
Ernſt-, Schewze und Spottgedichte, bei groͤßeren
und kleineren Feſten, mit unmittelbaven Beyug: auf
Porſoͤnlichleiten und: das: naͤchſte Werhaͤltniß,/ wur:
den von: mir und andern, oft gemelnſchaftlich her⸗
vorgebracht. Das meiſte ging verloren; ein Cheil,
z. B: Hand Sachs, Iftieingefhaltet oder: ſonſt
verwendet: Die Anfänge bes Wilhelm Dretfter
wird man in dieſer Epoche auch ſchon. gewahrt, oe:
gleich nur kotyle donenartig: die fernere Eutiigelung:
und: Bildung zieht ſich durch viele Sabre.
Dagegen wurde manche Zeit und bbe auf den
Vorſatz: das Leben Herzog Bernhards zu
ſchreiben, vergebens aufgewendet. Nach vielfachem
Sammeln und mehemaligem Schematiſiren warb
zuletz nur allzullar/ daß hie Ereigniſſe bed Helden
kein Bild machen. uber jaumervallen Iliade des
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g:
dreyßigjaͤhrigen Krieges ſpielt er eine wuͤrdige Rolle,
lißt ſich aber von jener Geſellſchaft nicht abſondern.
Üinen Ausweg glaubte ich jedoch gefunden zu haben:
id wallte das Leben fhreiben wie einen erſten Band,
der einen zweyten nothwendig macht, auf den auch
ſchon vorbereitend gedeutet wird; überall follten
Verzahnungen ftehen bleiben, bamit jederman be-
daure, daß ein frühzeltiger Tod den Baumelfter
verhindert habe fein Werk zu vollenden. Für mich
war. dieſe Bemuͤhung nicht unfruchtbar; denn wie
das Stablum zu Berlichingen und Egmont mir tie-
fere Einficht in das funfzehnte und fechzehnte Jahr⸗
hundert gewährte, fo mußte mir dießmal die Ver⸗
wortenheit des fiebzehnten fih, mehr ale fonft
vielleicht gefchehen wäre, entwideln.
. Ende. 1779 fällt die zweyte Schwelzerreffe. Auf:
merlſamkeit auf aͤußere Segenftände, Anordnung
und Leitung unferer gefelligen Srrfahrt ließen wenig.
Woductivitaͤt aufkommen. Uebrig geblieben iſt da⸗
von als. Denkmal: die Wanderung von Genf auf
den Gotthard.
Die. Ruͤcxeiſe, da wir wieder in bie flaͤchere
Schweiz gelangten, ließ mich Jery und Baͤtely
erinnen; ich ſchrieb dag Gedicht fogleich und konnte
es völlig fertig. mit nach, Deutfchland nehmen. Die
Gebirgsluft die darinnen weht, empfinde ich noch,
Senn mir die Seftalten auf Bühnenbretern zwifchen
tluwanbund Pappanfelſen entgegen teten. .
8
Bi18 1786.
Die Anfänge Wilhelm Meifters hatten
lange gerubt. Ste entiprangen aus einem dunkeln
Vorgefuͤhl der großen Wahrheit: daß der Menſch
oft etwas verfuchen möchte, wozu Ihm Anlage vom’
der Natur verfagt ift, unternehmen und ausüben
möchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden fannz
ein inneres Gefühl warnt ihn abzuftehen, er kann
aber mit fih nicht Ind Klare kommen, und wird auf
falfhem Wege zu falfhem Zwecke getrieben, ohne
daß er weiß wie es zugeht. Hlezu kann alles gerech-
net werden, was man falfhe Tendenz, Dilettan⸗
tismus u. f. w. genannt bat. Geht ihm hierüber
von Zeit zu Zeit ein halbes Licht auf, fo entſteht
ein Gefühl das an Verzweiflung granzt, und doch
läßt er fich wieder gelegentlich von der Welle, nur
halb widerftrebend, fortreißen. Gar viele vergeu-
den hiedurch den fchönften Thell Ihres Lebens, und
verfallen zuledt in wunderfamen Trübfinn. Und doch
ift es möglich, daß alle die falfhen Schritte zu el-
nem unfchäßbaren Guten hinführen: eine Ahnung
die fih Im Wilhelm Meifter immer mehr entfaltet,
aufflärt und beftätigt, ia fih zulent mit Haren Wor⸗
ten ausſpricht: „Du kommſt mir vor wie Saul, der
Sohn Kis, der ausging feines Waters Efelinnen zu
ſuchen, und ein Koͤnigreich fand.“
Wer die kleine Oper: Scherz, eift und Rache,
mit Nachdenken leſen mag, wird finden, daß dazu
* 9
mehr Aufwand als billig gemacht worden. Sie be⸗
ſchaͤftigte mich lange Zeit; ein dunkler Begriff des
Intermezzo verfuͤhrte mich, und zugleich die Luſt
mit Sparſamkeit und Kargheit in einem engen
Kreiſe viel zu wirken. Dadurch haͤuften ſich aber
die Muſikſtuͤke dergeſtalt, daß drey Perſonen ſie
nicht zu leiſten vermoͤgen. Sodann hat der freche
Betrug, wodurch ein geiziger Pedant myſtlficirt
wird, fuͤr einen rechtlichen Deutſchen keinen Reiz,
wenn Itallaͤner und Franzoſen fi daran wohl er⸗
goͤtzen moͤchten; bei uns aber kann die Kunſt den
Mangel des Gemuͤths nicht leicht entſchuldigen.
Noch einen Grundfehler hat das Singſpiel, daß drey
Perſonen gleichſam eingeſperrt, ohne die Moͤglich⸗
teit eines Chors, dem Componiſten ſeine Kunft zu
entwideln und den Zuhoͤrer zu ergößen, nicht genug-
fame Gelegenheit geben, Deflenungeachtet hatte mir
mein Landsmanu Katfer, in Zuͤrich fih aufhaltend,
durch ſeine Compoſition manchen Genuß verſchafft,
viel zu denken gegeben und ein gutes Jugendver⸗
baitniß, welches ſich nachher in Nom erneuerte, im⸗
merfort lebendig erhalten.
Die Voͤgel und andere, verloren gegangene,
Feſtſpiele fuͤr Ettersburg mögen hier noch genannt
werden. Die zwey Acte von Elpenor wurden
1783 gefhrieben. Zu Ende biefer Epoche reifte der
Entſchluß, meine fämmtlihen Arbeiten bei Göfhen _
herauszugeben. Die Rebaction der vier erften
Bände war Michael 1786 vollendet.
109:
1787 544 17885:
Die vier lebten Bände ſollten ſodann nur mei-
ſteus angelegte und unvollendete Arbeiten enthalten;
auf Herders Anregung jedoch wird deren fernere-
Besrbeitung unternommen. Bon Ausführung bes
Einzelnen findet fih viel in den zwey Bänden der
Itallaͤniſchen Reiſe. Iphigente warb abgeſchloſſen
noch vor der Sticiltaniſchen Fahrt. Als ich; bei mei⸗
ner Ruͤckkehr nach tom, Egmont bearbeitete, fiel mir
auf in den Zeitungen leſen zu muͤſſen, daß in Bruͤf⸗
fet die Stenen, die ich geſchildert, ſich faſt woͤrt⸗
lich ernenerten, fo daß auch bier die poetiſche Antich-
pativn wieder In Betracht kam. In die eigentliche
Staltäntfche Operuform und ihre Vortheile hatte Ich
mich, bei meinem Aufenthalte in dem muſikaliſchen
Lande, rechteingebacht und einggäbt; deßhalb unter-
nahm Ich mit Vergnügen, Elaudine von Billa
bella metriſch zu bearbeiten, ingleichen Erwin
und Elmire, und fie dem Componiſten zu freubt-
ger Behandlung entgegen zu führen. Nach ber Ruͤck⸗
kehr aus Italien Im Fahr 1788 wurde Taffo erft ab⸗
geſchloſſen, aber die Ausgabe bei Göfchen dem Pu⸗
blitum vollſtaͤndig überliefert:
178%
Kaum war ich in das :Wrimarifche Lehen amd: bie:
dortigen Verhaͤltniffe, bezaͤglich auf: ekhäfte, Stu
\
|
11-
Bas und litetariſche: Aubeſten/ wieder eincerichtat.
a ſich die Franzoſiſche Revolutton entmigelte und.
Hp: Aufmerkſamleit aller Welt auf ſich zo. Schon
im Jahr 4785 hatte: bie: Halsbandgeſchichte einen
unaus ſycechtichen Eindruck auf mich gemacht, Im:
dem meſtttlichen Stobt:, Hof⸗ und: Staats⸗Ab⸗
grande, der ſich hber eröffnete, erſchlenen mir die
stenlichiten Folgen geſpenſterhaft, deren Erſchetnung
ich geraume Zeit nicht los werden konnte; wobel ich
mich ſa feltfem benahm, daß Freunde, unter denen
ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als bie erſte
Nachricht hievon zu uus gelangte, mie nur ſpaͤt, als
dle Renolntion laͤngſt aussehtecken war, geſtanden,
daß ich ihnen damals wie wahnſinnig vorgelomman
ſeye Ich werfolgte ben Proceß mit großer Aufmork⸗
fomiet, bamuͤhte mich in Sickkken um Nachrichtem.
von Caglloſtro und ſeiser Familie, und varmandelte
zuletze, nach gemohnter Weiſe, um alle Betggchtau⸗
gen lech zu werden, das ganze Ereigniß unter dem
Tel: ber Großs Cophtan, inſeine Dyar, mini
den Beggufindinieleictuheffer als zu. einem Schqus
ſpleie: getaugt: hätte: .Sanellmaiiter Reichandt griff
fgleih-eim,: eomppnitte mehreren Einzelna, als
Mn Vaß⸗Aelat Aſſet Gelehrte ſich zanken
ui: echten: x- Geh, gehntde. meinen
Qinten 10,
Diefe reine Dypunfor, welche vlelleicht Die ade:
Üggeneierdrametiihen biekbs, . war main. fa.elans:
„Mk gelaufig semonden, das ·ich manchen Bnsenfinnd.
42
darin behamdelte. Ein Singſpiel? die unglet-'
hen Hausgenoſſen, war fhon ziemlich weit
geblieben, Sieben handeinde Perfonen, bie aus Fa⸗
milienverhaͤltniß, Wahl, Zufall, Gewohnheit auf
Einem Schloß zufammen verweilten, ober von Zeit
zu Zeit ſich dafelbft verfammelten, waren dephalb.
dem Ganzer vortheihaft, weit fie die verſchiedenſten
Charaktere biideten, in Wollen und Können, hm
und Laſſen völlig einander entgegen fanden, entge⸗
gen wirkten und boch einander nicht los werben konn⸗
ren. Arien, Lieder, mebritimmige Partien dar-
aus vertheilte ich nachher.-in meine lyriſchen Semm⸗
ungen und machte dadurch jede Wiederaufnahme der '
Arbeit ganz unmöglich. ;
Stel nach meiner Ruͤckkunft aus Statien machte -
mir eine andere Arbeit viel Vergnaͤgen. Seit Ster⸗
ne's unnachahmliche fentimentale Neife den Ton ge-
geben und Nachahmer gewedt ‚Eiwaren Reiſebeſchrei⸗
bungen faft durchgängig den Gefühlen und Anfichten
bes Reiſenden gewidmet, Ich dagegen hatte die
Marime ergriffen, mid ſovlel ald möglich zu ver:
Idugnen und das Dbiect fo rein als nur zu thım
wäre in mich aufzunehmen. Diefen Grundſatz be-
folgte ich getreulih, als ich ben Nömifchen Carne⸗
val beimohnte. Ausführlich ward ein Schema aller
Vorkommenheiten aufgefest, auch fertigten gefällige
Künftler charakteriſtiſche Maskenzeichnungen. Auf
diefe Vorarbeiten gründete ih meine Darftellung
des Roͤmiſchen Carnevals, welche, gut auf-
13
genommen, geiſtreiche Menſchen veranlaßte, anf
ihren Reiſen gleichfalls das Eigenthuͤmlichſte der
Voͤlkerſchaften und Verbältniffe Mar und rein aus⸗
zudruͤcken; wovon ich nur den talentvollen, früh ver-
ihiedenen Sriedrih Schulz nennen umd feine
Befchreibung eines Polnifchen Reichſtags In Erinne-
tung bringen will,
l
1790.
Meine früheren Berhältniffe zur Univerfität Jena,
wodurch wiſſenſchaftliche Bemühungen angeregt und
begünftigt worden, eilte ich fogleih wieder anzu-
nüpfen. Die dortigen Mufeen fernerbin, unter
. Mitwirkung vorzüglicher ſachkundiger Männer, ver=
mehrt aufzuftellen, zu ordnen und zu erhalten war
eine fo angenehme als lehrreiche Befchäftigung, und
ih fühlte mich beim Betrachten der Natur, beim
Studium einer weitumbergreifenden Wiffenfchaft
für den Mangel an Kunftleben einigermaßen entfchd-
dig. Die Metamorphofe der Pflanzen
ward als Herzenserleichterung gefchrieben. Juden
ich fie abdruden ließ, hoffte ich ein Specimen pro
loco ben Wiffenden darzulegen. Ein botanifcher
Garten ward vorbereitet.
Mahleriſche Farbengebung war zu gleicher Zeit
mein Augenmerk, und ald ich auf die erften phyſi⸗
Shen Elemente biefer Lehre zurüdging, entdedte ich
—
44
zu meinem großen Erſtaunen: die: Newtonbſch e
Hyppotheſeßey falſch und naͤcht zu halten.
MDenaueres Unterſuchen beſtaͤtigte mir nur meine
Veberzeugung, "und fo war mit abermals sine Ent⸗
wicelungberantheit eisigeimpft,- die auf veben amd
Fhaͤtigkeit den größten Einfluß haben ſollte.
Angenehme haͤuslich-geſellige Verbaͤltutſſe geben |
mie Muth und Stimmung die Roͤmiſchen Ele-
gien auszuarbeiten und zu redigiren. Die VWene-
zianifhen Epigramme gewann ich unmittelbar
darauf. Ein längerer Aufenthalt in ber wunderba⸗
zen Buafferftadt, :erft in Erwartung: der yon Nom
zuruͤckkehrenden Herzogin Amalia, ſodann aber
ein Tängered Verwellen "dafelbit im Gefolge bleſer,
alles um ſich ber, auswaͤrts und zu Hauſe, befeben-
den Fuͤrſtin, brachten mir die größtem Vortheile.
Eine hiſtoriſche Ueberſicht der unſchaͤtzbaren Venezia⸗
niſchen Schule ward mir anſchaulich, als Ich erſt al⸗
lein, ſodann aber mit den Roͤmiſchen Freunden,
Heinrich Meyer und Bury, nah: Anleitung
Des hoͤchſt ſchaͤtzbaren Werkes: Della pittura Ve-
nesiana 1771, von den damals noch mverruͤckten
Kunſtſchaͤtzen, inſofern fie die Zeit verſchont hatte,
und wie man ſie zu erhalten und herzuſtellen ſuchte,
vollſtaͤndige Kenntniß nahm.
Die verehrte Fuͤrſtin mit dem ganzen Gefolge
beſuchte Mantna, und ergoͤtzte ſich an dem Ueber-
maß dortiger Kunſtſchaͤtze. Meyer sing nach fei-
nem Varerlande, der Schweiz, Bury nach Rom
IE 6
Aeruͤck; T die emwitere Meiſe der —XX
un’ eich.
Be wu Hauſe gelaugt, : warb. Ichumach' Dchle⸗
fien gefordert, wo sine 'bewafisete Stellung, ueyer
echte don Congreß von Nekihennbach Beguin-
:fligte. Erſt geben Cantonnirungsquartiere Welagen-
Heit zu einigen Cpigranmen, die hie und da einge⸗
ſchaltet ſind. In Breslau hingegen, wo ein felba-
tiſcher Hof und zugleich der Abel einer der erſten
Provlinzen des Roͤnigreichs glaͤnzte, wo man bie
ſchoͤ uſten Regimenter ununterbrochen marſchiren und
manduvrtren ſah, beſchaͤftigte mich unaufhoͤrlich,
jo wnderiih es auch klingen mag, die verglei⸗
chende Anatomie, weßhalb mitten in der-be-
wegteſten Welt, Ach als ESiuſiedler in mir ſelbſt
abgeſchloſſen lebte. -Diefer Schell des Naturſtu⸗
dirmms war ſonderbarlich angeregt werden. Als ich
amlich auf ben Duͤnen des Ado, welche die Wene⸗
dlaniſchen Lagunen von dem Abrlatiſchen Meere fon-
dern, mich oftmals erging ,: fand {ch einen fo glauͤck⸗
lich geborſtenen Schaffchaͤdel, der mir nicht allein
jene große fruͤher von mir erkaunte Wahrheit: bie
ſaͤmmtlichen Schaͤbelknochen ſeyen aus verwandelten
Wirbelknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte, ſon⸗
dern auch den: Ueberzang innerlich ungeformter, or⸗
ganiſcher Maſſen, durch Aufſchluß nach außen, zu
fortſchrettrnder Veredlung hoͤchſter Blldung · und Ent⸗
wicklung in die vorzuͤglichſten Sinneswerkzeuge vor
Augen fſreute, und zugleich meinen alten, durch Er⸗
16
fahrung beftärkten Glauben wieder: auffrifehte, wer:
her fi feft darauf brgründet, daß bie Natur Fein
Geheimniß Habe, was fie nicht Irgendwo dem auf:
merffamen Beobachter nadt vor die Augen ftellt.
Da ich nun aber einmal mitten in ber bewegte-
ften Lebensumgebung zum Knochenbau zurüdgetehrt
war, fo mußte meine Vorarbeit, die ih’ aufden
Zwifchenknochen vor Jahren verwendet, aber-
male rege werden, Loder, deſſen unermäbliche
Theilnahme und Einwirkung ich immerfort zu rüh-
men babe, gedenkt derfelben in feinem anatomifchen
Handbuch von 1788. Da aber die dazu gehörige
- Heine Abhandlung, Deutfch und Lateinifch, noch un-
-ter meinen Papieren liegt, fo erwähne ich kürzlich
nur fo viel: ich war völlig üderzeugt, ein allge-
meiner, durch Metamorphofe fih erbebender Typus
gehe durch die ſaͤmmtlichen organifhen Geſchoͤpfe
durch, laſſe fih in allen feinen Theilen auf gewiſſen
mittlern Stufen gar wohl beobachten, und mülffe
aAuch noch da anerfannt werden, wenn er ſich auf
der höchften Stufe ber Menſchheit Ing Berbotgene
befcheiden zuruͤckzieht.
Hierauf waren alle meine Arbeiten, auf die in
Breslau, gerichtet; die Aufgabe war Indeflen fo groß,
daß fie in einem zerftreuten Leben nicht geldf’t wer⸗
. den konnte. |
Eine Luftfahrt nach den Salinen von Wieliczka
and -ein bedeutender Gebirgs- und Landritt über
Adersbach, Glatz u. f. w. unternommen,
Ä erte
17
qꝛerte mit Erfahrung und Begriffen. Einiges fin-
det fich ‚aufgezeichnet.
1 7 95:5
Ein ruhiges, innerhalb des Hauſes und ber
Stadt zugebrachtes Jahr! Die freigelegenfte Woh-
nung, in welcher eine geräumige dunkle Kammer
einzurichten war, auch die anuftoßenden Gärten, wo⸗
felbft im Freien Verfuche jeder Art angeftellt wer⸗
den Eounten, veranlaßten mich den hromatiichen Un⸗
| terfuchungen ernftlih nachzuhängen. Ich bearbeitete
' vorzüglich die prismatiſchen Erfchelnungen, und in-
dem {ch die fubjectiven derfelben ind Unendliche ver-
: mannichfaltigte, warb ich fählg, das erſte Stüd
optifher Beiträge herauszugeben, die mit
| ſchlechtem Dank und hohlen Nedensarten der Schule
| dei Seite gefchoben wurden. Ä
1 Damit ich aber doch von dichteriſcher und aͤſtheti⸗
ſcher Seilte nicht allzukurz kaͤme, übernahm ich mit
Vergnuͤgen die Leitung des Hoftheaters. Cine:
ſolche neue Einrichtung ward veranlaßt durch den
„Abzug der Geſellſchaft Bellomo's, welche ſeit 1784
in Weimar geſpielt und angenehme Unterhaltung
gegeben hatte. Sie war aus Ober - Deutfchland ge-
ah Tommen, und man hatte fih mit jenem Dialekt im
. Dialog, um des guten Geſangs willen, befreundet.
; Tun waren die Stellen der Abzlehenden a leich⸗
Soetvers Werke. XXXI. Bi
is
ter zu erſetzen, weit man bie Theater von gang
Dentfchland zur Auswahl vor ſich ſah. Breslau
und Hannover, Prag und Berlin fendeten und tücdh-
tige Mitglieder, die fich in kurzer Zeit in einander
einfplelten und einfprachen, und gleich von Anfang
viele Zufriedenheit gewährten. Sodann blieben auch
von jener abziehenden Gefellfhaft verdienftvolle In⸗
dividuen zuräd, von welchen ich nur den unvergeßlf-
hen Malkolmi nennen will. Kurz vor der Ver—
Anderung ftarb ein fehr ſchaͤtzbarer Schaufpieler,
KReumann; er hinterließ und eine vlerzehniährige
Tochter, das liebenswuͤrdigſte, natuͤrlichſte Talent,
das mich um Ausbildung anflehte.
Nur wenig Vorftellungen zum Eintritt wurden
in Weimar gegeben. Die Gefellfchaft hatte einem
großen Bortheil, Sommers In Lauchftädt zu fpielen;
ein neues Publicum, aus Fremden, aus dem ge-
bildeten Theil der Nachbarſchaft, ben kenntnißrei⸗
hen Gliedern einer nähft gelegenen Alabemie, und
leidenfchaftlih fordbernden Tünglingen zufammen-
gefest, felten wir befriedigen. Neue Stüde wur⸗
den nicht eingelernt, aber die Altern durchgeuͤbt,
und fo kehrte die Gefellfchaft mit frifhem Muthe
im October nah Welmar zurid. Mit ber größten
Sorgfalt behandelte man nun die Städe jeder Art,
denn bei der neu zufammentretenden LAT
mußte alles neu eingelernt werden.
Gar fehr begänftigte mich jene Neigung zur mu⸗
ſikaliſchen Poeſie. Ein unermädlicher Concertmel⸗
19
fier, Stanz, und ein immer thätiger Theaterdich⸗
fed, Vulpius, griffen Tebhaft mit ein. Einer
Unzahl Itallaͤniſcher und Franzdfifher Opern eilte
man Dentfchen Tert unterzulegen, auch gar manchen
fon vorhandenen zu befferer Singbarkeit umzu⸗
färben. Die. Partituren wurden durch ganz
Deutfhland verfhidt. Fleiß und Luft, die man
biebet aufgewenbet, obgleih das Andenken völlig
verſchwunden ſeyn mag, haben nicht wenig zur Ver-
befferung Deutfcher Opernterte mitgewirkt.
Diefe Bemühungen theilte der aus Stallen mit
gleiher Morliche zurüdkehrende Freund, von Ein-
fiedel, und fo waren wir von biefer Seite auf
mehrere Jahre geborgen und verforgt, und da die
Sper immer ein Publicum anzuziehen und’ zu er-
gößen das ficherfte und bequemfte Mittel bleibt, fr
fonnten wir, von biefer Seite beruhigt, dem reci⸗
tirenden Schaufpiel defto reinere Aufmerkfamfeit
widmen. Nichts binderte diefes auf eine wuͤrdige
Weiſe zu behandeln und von Grund aus zu beleben.
Bellomo's Repertorium war ſchon von Beden-
tung. in Director fpielt alles ohne zu prüfen;
was faͤllt, hat doch einen Abend ausgefüllt, was
bleibt, wird forgfältig benutzt. Dittersborfiihe
Opern, Schauſpiele aus Ifflands befter Zeit, fan⸗
den wir und brachten fie nah. Die theatrali-
Then Abenteuer, eine immer erfreuliche Oper,
mit Cimaroſa's und Mozarts Muflt, ward noch vor:
Ende des Jahrs gegeben; König Johann aber,
N
20-
von Shafefneare , war unſer groͤßter Gewinn.
Shriftiane Neumann, ale Arthur, von mie
unterrichtet, that wundervolle Wirkung; alle bie
übrigen mit Ihr in Harmonie zu bringen, mußte
meine Sorge feyn. Und fo verfuhr id von vorne
herein, daß ich in jedem Stuͤck den vorzuͤglichſten
zu bemerken und ihm die andern. anzunaͤhern fischte.
1792.
Sp war ber Winter hingesangen und das Scheu:
fptel hatte ſchon einige Conſiſtenz gewonnen. Wie⸗
derholung früherer, werthvoller und beliebter Städe,
Verſuche mit aller Art von neneren gaben Unterhal⸗
tung. uud beſchaͤftigten das Urtheil des Publicums,
welches denn bie damals neuen Stuͤcke aus Ifflands
hoͤchſter Epoche mit Vergnuͤgen anzuſchauen ſich ge⸗
woͤhnte. Auch Kotzebne's Productionen wurden ſorg⸗
faͤltig aufgefuͤhrt und, inſofern es moͤglich war, auf
dem Repertorium erhalten.
Dittersdorfs Opern, dem ſingenden Schauſpieler
leicht, dem Publicum anmuthig, wurden mit Auf:
merkfamkeit gegeben; Hagemanniſche und Hagemei⸗
ſteriſche Stuͤcke, obgleich hohl, doch fuͤr den Augen⸗
blick Theilnahme erregend und Unterhaltung ge:
waͤhrend, nicht verſchmaͤht. Bedeutendes aber ge⸗
ſchah, als wir ſchon zu Anfange des Jahrs Mozarts
Don Juan und bald darauf Don Carlos von:
\
21
Schuͤler aufführen tonnten. Etin lebendiger Vor⸗
theil entſprang aus dem Beitritt des tungen Vohs
zu unferm Theater. Er wer von der Natur hoͤchſt
begänftigt und erſchien eigentlich jeht erft als bedeu⸗
tender Schanfpteler.
Das Srübiahr belebte "meine chromatiſchen Ar⸗
beiten, ch verfaßte das zweyte Stuͤkeder opti⸗
{den Beiträge und gab es von einer Tafel
begleitet heraus. In der Mitte des Sommers
warb Sch. abermals ins Feld berufen, bteßmal zu
ernſteren Scenen. Ich eilte uͤber Frankfurt, Main;
KTrier und: eLenemburg mach Longwi, weiches ich ben
28 Auguſt fon eingenommen fand; Yon da zog
ih mit bis Valmy, ſo ;wuke auch zuruͤck bis Drier;
ſadann, um die unendliche. Verwirrung der Hrer⸗
Nwruße zu vermeiden, bie Moſel herab nach Koblenz.
Maucherkei :Nuturerfuheuugen fihlangen: ſich, Für
den Aufmerkſamen, durch die bewegten Kriegser⸗
eigniſſe. "Einige Theile won Fiſchers phyſtkali⸗
Achem Woͤrterbuche beglelteten mich; manche Lauge⸗
‚weile ſteckender Tage betrog Ich duvch fortgeſetzte
chvommtiſche Arbeiten, wozu mich die ſchoͤnſten Er⸗
fahrengen in freier Welt anfregten, wie fie leine
Dantte :Hammer, Lein Löchlein im Laden geben
taun. Papirre, Acten und Zebchaungen daruͤber
dauften ſich.
Bei :meinem Beſuch in Mainz, Dürfetborf und
Mänfter lennte ich bemerken daß ‚meine :witen
Freunde mich nicht recht wieber erleunen wollten,
22
wovon uns in Hubers Schriften ein Wahrzeichen
übrig geblieben, deſſen pſochiſche Entwiclung gegen-
waͤrtig nicht ſcwer fallen follte.
179 3.
Shen dieſer widerwärtigen Art, alles Sentimen-
tale zu verfhmaben, fi an die. unvermeidliche
Wirklichkeit halb verzmeifelnd hinzugeben, begeg-
nete gerade Reinecke Fuchs als wuͤnſchens⸗
wertheſter Gegenſtand fuͤr eine, zwiſchen Ueber⸗
ſetzung und Umarbeitung ſchwebende Behandlung.
Meine, dieſer unheiligen Weltbibel gewid:
mete Arbeit gereichte mir zu Hauſe und auswaͤrts
zu Troſt und Freude. Ich nahm ſie mit zur Blo⸗
cade von Mainz, der ich bis zum Ende der Bela⸗
gerung beiwohnte; auch darf ich zu bemerken nicht
vergeflen, daß ich fie ‚zugleich ald Hebung im Hem-
meter vornahm, den wir freilih damals nur dem
' Gehör nahbildeten. Voß der die Sache verftand,
wohte, fo lange Klopfto lebte, aus Pietaͤt dem
guten alten Heren nicht. ins Geſicht fagen daß feine
Herameter fchlecht feyen; das mußten wir jüngeren
aber büßen, die wir von Jugend auf ung In jene
Rhythmik eingeleyert:hatten. Voß verläugnete ſelbſt
feine Weberfegung der Odyſſee, die wir verehrten,
fand an feiner Luiſe auszuſetzen, nach der wir und
bildeten, und fo wußten wir nicht — Heiligen
wir uns widmen ſollten.
23
Auch die Farbenlehre begleitete mich wieder an
den Rhein, und ich gewann in freier Luft, unter
heiterm Himmel, Immer freiere Anfihten über die.
mannichfaltigen Bedingungen unter benen die Farbe
erſcheint.
Dieſe Mannichfaltigkeit, verglichen mit meiner
beſchraͤnkten Faͤhigkelt des Gewahrwerdens, Auf⸗
faſſens, Ordnens und Verbindens, ſchien mir die
Nothwendigkeit einer Geſellſchaft herbeizuführen.
Eine ſolche dachte ich mir in allen ihren Gliedern,
bezeichnete die verfchledenen Obliegenheiten und
deutete zuletzt an, wie man, auf eine gleichwirkende
Art handlend, baldigſt zum Zweck kommen müßte.
Dieſen Aufſatz legte ich meinem Schwager Schloſ⸗
fer vor, den ich nach ber Uebergabe von Mainz,
dem fiegreichen Heere weiter folgend, in Heidelberg
ſprach; ich ward aber gar unangenehm überrafcht
als diefer alte Practicus mich herzlich auslachte und
verfiherte: In der Welt überhaupt, befonders
‚aber in dem Lieben Dentfchen Vaterlande, fey an
eine reine, gemeinfame Behandlung irgend einer
wiſſenſchaftlichen Aufgabe nicht zu benfen. Ich da⸗
gegen, obgleich auch nicht mehr jung, widerſprach
ald ein Gläubiger, wogegen er mir manches um:
fländitch vorausfagte, welches ich damals verwarf,
in der Folge aber, mehr als billig, probat gefun-
den habe. -
Und fo bielt ich für meine Perſon wenigftene
mich immer feſt an diefe Studien, wie an einem
24
Ballen im Schiffbruch: denn ich hatte nun zwey
Sabre unmittelbar und perfönlich das fuͤrchterliche
Bufammenbrechen aller Verhaͤltniſſe erlebt. Ein
Tag im SHauptquartiere zu Hans und ein. Tag in
dem wieder eroberten Mainz waren Symbole der
gleichzeitigen Weltgeſchichte, :wie fie es :noch jeßt
Demijentgen bleiben der fich Innchroniftifch jewer Dage
wieber zu erinnern ſucht.
Einem thärigen productiven Geifte, einem wahr⸗
haft vaterländifch gefinnten, und einheimifche Lite-
zatur befördernden Manne, wird man es zu Gute
halten, wenn ihn ber Umſturz alles Vorhandenen
ihredt, ohne daß die mindeſte Ahnung zu Ihm
ſpraͤche was benn beffered, ja nur auberes. daraus
erfolgen folle. Dean wird ihm beiftimmen wenn #3
ihn verbrießt, daß dergleichen Influenzen fih nach
Deutfchland erſtrecken, und verrädte, ja unwuͤrdige
Derfonen das Heft ergreifen. In diefem Sinne
war der Bürgergeneral geſchrleben, ingleichen
die Aufgeregten entworfen, ſodann die Un⸗
terhaltungen der Ausgewanderten. Alles
Droductionen die dem erften Urſprung, ja fogar der
Ausführung nah, meift in Diefes und das folgende
Jahr gehören.
Der Bürgergeuerai ward gegen Ende von
1793 in Weimar aufgeführt. Ein, Im Fach ber
BSchnaͤpſe hoͤchſt gewandter Schaufpieler, Bed,
war erſt zu unſerm Theater getreten, auf Selen
r
-
Tatent und Humor vertrauend fh eigentlich die
Rede ſchrbeb.
Er und der Schauſpieler Malkolmi ‚gaben ee
Hallen: aufs voſttommenſte; das Staͤck ward wieder-
Seit, aber die Urbilder diefer luſtigen Geſpenſter
waren zu furchtbar als daß nicht ſelbſt die Schelu⸗
bilder Hätten -beängftigen ſollen.
Neu und frifh traten die Sqhauſpieler SGraff
ad Hatde mit einiger Vorbildung zu unſerm
Dereine; die Eheleute Perth braten uns eine
Kebenswürbige Tochter, die in muntern Rollen
durchaus erfrewtich wirkte, und noch jept unter dem
Namen Vohs bei allen Theaterfreunden gefehlt
ud vellebt iſt.
Bon diefem Jahre durft' Ih hoſfen, es werde
mich ‚gegen bie vorigen, in weichen ich viel ent⸗
hehrt und gelitten, durch mancherlei Dhaͤtigkeit zer⸗
freuen, durch mancherlei Freundlichkeit erquicken;
md ich behuefte deffen ger ſehr.
Denn, perfoͤnlicher Zouge hoͤchſt bedeutender mb
bie Welt bedrohender Umwendungen geweſen su
ſeyn, das groͤßte Ungluͤck was Buͤrgern, Bauern
und Soldaten begegnen kann mit Augen geſehen,
ja folge Zuſtaͤnde getheilt zu haben, gab die trau⸗
uUigſte Stimmung.
Doch wie ſollte man ſich erholen, bamms.ıble
angehen Bewegungen innerhalb Franlreicha jeden
—
26 s
Kag beängftisten und bedrohten. Im vorigen
Jahre hatten wir den Tod bes Königs und der Koͤ⸗
- aigin bedauert, in diefem das gleihe Schiefal der
Prinzeß Elifabeth. Robespierre's Greuelthaten hat⸗
ten die Welt erſchreckt, und der Sinn fuͤr Freude
war ſo verloren, daß niemand uͤber deſſen Unter⸗
gang zu jauchzen ſich getraute; am wenigſten da die
äußern Kriegsthaten ber im innerſten aufgeregten
Nation unaufhaltſam vorwaͤrts draͤngten, rings
umher die Welt erſchuͤtterten und alles Beſtehende
mit Umſchwung, wo nicht mit Untergang bedrohten.
Indeß lebte man doch in einer traumartigen,
ſchuͤchternen Sicherheit im Norden und beſchwichtigte
die Furcht, durch eine halbgegruͤndete Hoffnung auf
das gute Verhaͤltniß Preußens zu den Franzoſen.
Bei großen Begebenheiten, ia ſelbſt in der du-
ßerſten Bedraͤngniß, kann der Menfh nicht unter-
laſſen mit Waffen des Wortes und der Schrift zu
kaͤmpſen. So machte ein Deutihes Heft großes
Aufſehen: Aufruf an alle Völker Euro:
pens; es fprach dem fiedenden Haß gegen bie Franz.
zofen aus, in dem Augenblide da ſich die ungebän-
digten Feinde mächtig gegen unfere Gränzen näber-
ten. Um aber den Wechfelftreit der Meinungen
aufs hoͤchſte zu treiben, ſchlichen Franzöfifhe revo⸗
Inttondre Lieder im Stillen umher; fie gelangten
auch zu mir, durch Perſonen denen man ed nicht
gugetraut hätte.
Der Innere Zwieſpalt der Deutihen in Abſicht
27
auf Vertheldignug und Gegenwirlung, zeigte ſich
offenbar Im Gange der politiſchen Anſtalten. Preu⸗
Gen, ohne fich über. die Abficht näher auszufprechen,
verlangte Derpflegung für feine Truppen; es er⸗
ſchien ein Aufgebot, niemand ‚aber wollte geben,
noch ſich gehörig waffnen und vorfehen. In Ne:
gensburg kam eine Union der. Fuͤrſten gegen Preu⸗
fen zur Sprache, begünftigt von derjenigen Seite,
welche Wergrößerungsablichten in ber einfeltigen
Sriebendverhandlung vermuthete. Minifter von
Hardenberg verfuchte dagegen bie Neichöftäube zu
Gunften feines Königs zu erregen und man ſchwank⸗
te, in Hoffuung einen: Halbfreund der Franzoſen zu
gewiunen, auch wohl anf. dieſe Seite. Wer fi
indeſſen von den Zuſtaͤnden Rechenſchaft gab, mochte,
wohl im Innern fih geftehen, daß. man fi mit
eiteln Hoffnungen zwiſchen Furcht und Sorge nur
binhalte. '
, Die Oeſterreicher zogen ſich aͤber den Nhein
heruͤber, die Engländer in die Niederlande, ber
Feind nahm - einen größern Naum ein und erwarb
reichlichere Mittel, Die Nachrichten von Flüchtigen
. aller Orten vermehrten ſich, und es wär Feine Fa⸗
mille, tein:-Greumdestreis, der nicht in feinen
Gliedern wäre befhädigt worden. "Man fenbete
mir aus dem füdlichen uud weftfichen Destfchland,
Schatzkaͤſtchen, Sparthaler, Koftbarkeiten man-
ber Art, zum treuen Aufbewahren, die mich als _
. Beugniffe großen Zutrauens erfreuten, waͤbrend fie
\88
amir als Bewelſe erner beaͤugſtigten o Matlon —*
wor Augen ſtanden.
Und fo. tudten dennauch, inſofedu ich in Ftaut⸗
Furt angeſeſſen war, die Boſorglichkeiten Immer
‚näher und ‚näher. Der ſchoͤne -bärgertiche Be—
ſitz, deffen :meine Matter ſeit dem Ubleben mul:
med Vaters ſich eufrente ward Ihe ſchon feit dem
Fruͤheren Anfang der Felndfeligleiten zur 2a, ohne
Daß fie ſich es zu bekennen getraute, doch hatte Ich
"bei meinem vorjährigen Beſuch fie Aber Ihren: Zu⸗
ſtand aufgeklärt und aufgemuntert ſich ſolcher Buͤrde
.gu entledigen. Aber gerade in dieſer Zeit war
unraͤthlich zu Thun: was man für nothwendig hieit.
Gin bei unfern Lebzuiten neuerbautes, Inkeger-
Uch bequemes und anfkändfges Haus, ein wohlvor⸗
ſorgter Keler, Hausgeraͤth aller: Art und der Bett
ah von gutem Geſchmack, Buͤcherſammlungen,
Gemaͤhlde, Kupferſtiche und Landcharten, Mter⸗
thuͤmer, kleine Kunſtwerke und Curioſitaͤten, gar
manches Merkwuͤrdige, das mein Water aus Licb⸗
haberey und Kenntwiß bei guter Gelegenheit um ſich
verfammelt hatte: es ſtand alles ba und noch bei⸗
ſammen, es griff durch Ort und Stellung gar ve⸗
sguem mad nunhäft In einander, und hatte zuſam⸗
men nut eigentlih feinen herkoͤmmlichen Werth;
Dachte man fi daß es follte vertheilt und gerkuout
werden, fo mußte man ſegten es verſchleudert
mb: verloren au ſehen.
Much mertte man N; indem man ſuch mit
28°
Freunden berieth, mit Mäflern unterhandelte, daß
in der jetigen Zeit ein jeder Merkauf, ſelbſt ein un—
vortheilhafter, fich verfpäten müde. Doc der Ext-
fing war einmal gefaßt, und die Ausſicht auf eine
lebenslaͤngliche Miethe in einem fchön gelegenen,
obgleich erfk new zu erbanenden Haufe gab der Eins
bildungstraft meiner guten Mutter eine heitere
Stimmung, die ihr manches Unangenehme der Ges
genwart übestragen half.
Schwanfende Gerüchte vom Au⸗ und Eindeingen
der Feinde verbreiteten fchredenvolle Unſicherheit.
Handelsleute ſchafften ihre Waaren fort, mehrere
das beweglich Koſtbare, und fo wurden auch viele
Berfonen aufgeregt, am fich felbft zu denken. Die
Unbequemlichfeit einer’ Auswanderung und Orte:
verdnberung ſtritt ‚mit der Furcht vor einer feinbil-
chen Behandlung; auch, werd mein Schwager Schlof-
fer In dieſem Strudel mit fortgerifien. Mehrmals:
bot ich meiner Mutter einen. ruhigen Aufenthalt bet
mir an, aber fie fühlte keine Sorge für Ihre eigene
Perſoͤnlichkeit; ſieweſtaͤrlte fich:imihrene altteſtament⸗
llchen Glauben, und, darch einige zur rechten ‚Seit
ihr begegnende Steffen aus, den Pſalmen und Pro:
pheten, in der Neigung zur Batxrſtadt, mit der. ſie
ganz eigentlich zuſgmmengewachſen ner; weshalb
fie denn auch nie eiamel —— sa mir uns
ternehmen wollte , : :-
Sie hatte ihr Bisiben an Drt * Stelle ent⸗
ſchleden ausgeſprochan, als Frau von la ae ſich
—
1} ’
30°
det Wieland anmeldete, und ihn dadurch in die
größte Verlegenheit fehte. Hier waren wir nun in
dem Fall, ihm und und einen Freundfchaftsdienft
zu erweifen. Angſt und Sorge hatten wir fchon ge-
nug, bazu aber noch obendrein die Wehllage zu er⸗
dulden fchlen ganz unmöglih. Gewandt in folhen
Dingen wußte meine Mutter, felbft fo vieles ertra⸗
gend, auch ihre Freundin zu befhwichtigen und fich
dadurch unfern größten Dank zu verbienen.
Sömmering mit feiner. treffiihen Sattin hielt
es in Frankfurt aus, bie fortwährende Unruhe zur
ertragen. Jakobi war aus Pempelfort nah Wands⸗
_ beit geflüchtet, die Seinigen hatten andere Orte ber
Sicherheit gefuht. Mar Jakobi war In meiner
Nähe als der Medicin Befliffener in Jena.
Das Theater, wenn ed mich auch nicht ergößte,
Anterhielt mich doch im fortwährender Beſchaͤftigung;
ich betrachtete es als eine Lehranftalt zur Kunſt mit
Heiterkeit, ja ale ein Symbol des Welt: und Ge⸗
ſchaͤftslebens, wo es auch nicht Immer fanft hergeht,
und übertrug was es Unerfreuliches haben mochte.
Schon zu Anfangides Tahres konnte die Zan⸗
berflöte gegeben werden, bald darauf Richard
Loͤwenherz, und dieß wollte zu jeher Seit, unter
den gesebenen Umftaͤnden, ſchon etwas heißen.
Daun kamen einige bedeutende‘ Ifflandiſche Schau
fpiele an bie Reihe, und unfer Perſonal Iernte fi
immer beſſer and reiner In diefe Vortraͤge finden.
Das Mepertorlum war ſchon anſehnlich, daher denn
131
Heinere Stüde, wenn fie fih auch nicht hielten, im⸗
mer einigemal als Neuigkeit gelten konnten. Die
Scenfpielerin Bed, welhe in diefem Jahre an-
trat, ‚füllte das in Ifflandifhen und Kotzebueſchen
Städten wohlbedahte Fach gutmüthiger und bösar-
tiger Mütter, Schweftern, Tanten und Schließe⸗
tinnen ganz volllommen aus. Vohs hatte die
hoͤchſt aumuthige, zur Gurli gefchaffene Port h ge⸗
heirathet, und es blieb in dieſer mittlern Region
wenig zu wuͤnſchen übrig. Die Geſellſchaft ſpielte
den Sommer über einige Monate in Lauchſtaͤdt, da-
ber man mie immer den doppelten Vortheil zog,
dag eingelernte Stüde fortgeubt wurden, ohne dem
Weilmariſchen Yubllcum verdrießlich zu fallen.
Nunmehr gegen Jena und bie dortigen Lehrbäh-
nen bie Aufmerkſamkeit lenkend, erwähne ich fol-
gendes:
Nach Reinholds Abgang, der mit Recht als
ein großer Verluſt für die Akademie erſchien, war
mit Kühnbeit, ja Werwegenheit, an feine Stelle
Fichte berufen werben, der in feinen Schriften
fi mit Großheit aber vielleicht nicht ganz gehörig
über die wichtigften Sitten: und Staategegenftände
erklaͤrt hatte. Es war eine der tüchtigften Perſoͤn⸗
lichkeiten, die man je gefehen, und an feinen Se-
finnungen in hoͤherm Betracht nichts auszuſetzen;
aber wie.hätte er mit der Welt, die er als feinen
erihaffenen Beſitz betrachtete, gleichen Schritt hal⸗
ten follen?
3%
Da man Ihm bie Stunden. die er zu öffentit-
hen Dorlefungen benutzen wollte, an Werkeltagen
verkuͤmmert hatte, fo unternahm er Sonntags Bor:
lefungen, deren. Einleitung Hinderniffe fanden.
Kleine und größere daraus entipringende Widerwär:
tigfeiten waren kaum, nicht ohne Unbequemlichkeitber
obern Behörden, getufcht und geſchlichtet, als une
deſſen Aeußerungen über Gott und göttliche Dinge,
über die man freilich beffer ein tiefes Stillſchweigen
beobachtet, von außen befchwerende Anregungen zu⸗
zogen. Im Kurfachlen wollte man von gemilfen
Stellen der Fichte'ſchen Zeitfchrift nicht das Beſte
denen, und freilich Hatte man alle Muͤhe dasjenige,
was in Worten etwas ſtark verfaßt war, durch an⸗
dere Worte leidlich auszulegen, zu milbern, und
wo nicht geltend doch verzeihlich zu machen.
Profeſſor Göttling, ber nad einer freiſinni⸗
gen Bildung buch wiffenfhaftlihe Reiſen unter die
altererften zu zählen iſt, bie den allerdingd hohen
Begriff der neuern Franzöfifchen Chemie in fih auf-
nahmen, trat mit der Entdedung hervor, daß Phos⸗
phor auch In Stickluft brenne. Die deßhalb entfte-
benden Hin- nnd Widerverſuche beſchaͤftigten und
eine. Zeit lang.
| Geh. Rath Voigt, ein getrener Mitarbeiter
anch Im mineralogiſchen Felde, kam von Carlsbad
zuruͤck und brachte ſehr ſchoͤne Tungſteine, theils in
groͤßeren Maſſen, theils Dentsich kryſtalliſirt, womit
wir
33
wir ſpaͤterhin, als dergleichen ſeltener vorkamen,
gar manchen Liebhaber erfreuen konnten.
Alerander von Humboldt längfk erwartet,
von Bayreuth anfommend, nöthigte uns Ins Allge:
weinere der Naturwiſſenſchaft. Sein dlterer Bru⸗
der, gleichfalls in Jena gegenwärtig, ein klares In⸗
tereffe nach allen Seiten binrichtend, theilte Stre-
ben, Forſchen und Unterricht.
Zu bemerken ift, daß Hofrath Lader eben bie
Bänderlchre lad, den hoͤchſt wichtigen Theil der
Anatomie: deun was vermittelt wohl Muskeln und
Knochen als die Bänder? Und doch ward durch eiue
defondere Verruͤcktheit der medicinifchen Tugend ge:
tade diefer Theil vernadhläfiigt. Wir Genannten,
mit Freund Mevern, wandelten bed Morgens im
tiefften Schnee, um in einem faft leeren anatomi-
fhen Auditorium diefe wichtige Verknüpfung aufs
deutlichfte nach den genaueften Präparaten vorges
tragen zu fehen.
Der treffliche, Immerfort thätige, Telbft die klein⸗
ſten Nahhülfen feines Beſtrebens nicht verfhmähen-
de Batſch ward in diefem Jahre In einen mäßigen
Theil des obern Fürftengartend zu Jena eingefept.
Da aber ein dort angeftellter, auf Nutzung angewie-
fener Hofgärtner im Hauptbefiß blieb, -fo gab es
manche Unannehmlichkeiten, welche zu befeitigen man
dießmal nur Plane für die Zukunft machen Eonnte. —
Auch In diefem Jahre, gleihfam zu guter Vor⸗
bedeutung, warb die Nachbarſchaft > gedachten
Borıpes Werke. XXXI. d.
$4
Gartens beiterer und fneundlicher. Ein ſcheil ber
Stadtmauer war eingefallen, and um bie Kñcunrher
Wieberherfichung zu vexymeihen, bafain$- man bie -
Ausſuͤllung bes Grabens audiefer Stelle; dann ſallte
hie gleiche Oporation ſich auf den übrigen. Theil nach
and nah eriireden.
Gegen bie großen Immer geftelgerten Forderun-
gen der Chromatik fühlte ich mehr und mehr meine
Unzulaͤnglichkelt. Sch ließ daher nicht ab, fort-
während Scmüthsfreunde heran zu ziehen. Mit
Schloffern gelang ed mir nicht: denn felbft in ben
friediichften Zeiten würde er diefem Geſchaͤft feine
Aufmerkſamkeit nicht zugewendet haben. Der fitt-
liche Theil des menfhlihen Weſens unterlag feinen
Betrachtungen, und von dem Innern zu bem Aeußern
überzugehen iſt ſchwerer als man denkt. Sömme=
ring dagegen fehte feine Theilnahme durch alle die
yerworrenen Schickſale fort. Gelftreih war fein
Eingreifen, förbernd felbft fein Widerfpruh, und
wenn Ich auf feine Mittbellungen recht aufmerfte,
ſo ſah ich immer welter.
Bon allen Unbilden dieſas Jahres nahm bie. Ma⸗
tur ihrer Gewohnheit gemäß nicht die yeringfte
Kenntniß. Alle Geldfrächte gedichen herrlich, eiles
teifte einen Monat früher, alles Obſt gelangte zur
Volltommenhelt, Apricoſen und Prkben, Melo⸗
nen und auch Caſtanien baten fi dem Liebhaber
reif und ſchmachaft bar, und fehlt in ber Reihe
>
35
—* Weiniahre finden wir 1794 mit auf-
gezahlt
Don Hterarifhen Arbeiten zu zeben , fo war
dr Reinecke Fuch s nunmehr abgebeudt; ‚allein
die Unbilden, die aus Verſendung der Freierem⸗
plare ſich aͤmmer hervarthun, bileben. auch. biefmal
nicht aus. So verdarb eine Zufaͤlligkeit mir die
frifche Theulnahme ‚meiner Gothalſchen Goͤnner und
Freunde. Herzog Ernſt hatte mir verſchiedene phy-
ſikaliſche Juſtrumente freundlichſt geborgt, bei deren
Ruͤckſendung ich die Exemplare des Scherzgedichtes
beipackte, ohne derſelben in meinem Brlefe zu er⸗
waͤhnen, ich weiß nicht ob.aus Ueberellung, oder
eine Ueberraſhung beabichtigend. Genug, der mit
ſolchen Geſchaͤften Beauftragte des Fuͤrſten mar: ab-
weſend und die Kiſte blieb lange Zeit unausgepackt;
Ih aber, ‚sine thelluebmende Erwlederung ſo wer⸗
sher und. fonft fo nänchlider. Freunde mehrere Wo-
hen entbehreud, machte mir tauſend Brillen, bis
endlich nach Gräffaung ber Kiſte nur Entſchuldigun⸗
gen, Auklagen, Bedauerniſſe wiederholt ausgedruͤckt,
mir ſtatt einer heitern Auinahme ungluͤckucherweiſe
zu Theil wurden.
Bon ber beurthellenden Selte aher waren Voſ⸗
ſens rhuthmiſche Pemerkungen nicht tröflih, und
ih mußte nur zufrleden ſeyn, Daß mein gutes Ver⸗
haͤltniß zu den Freunden nicht geſtoͤrt wurde, an⸗
ſtatt daß es ſich haͤtte erhoͤhen und beleben ſollen.
Doc ſetzte ſich alles bald wieder ins Gleiche: Prinz
=
56 -
Auguſt fuhr mit feinen Titerarifhen Scherzen fort,
Herzog Ernft gewährte mir unausgeſetzt ein wohl- |
gegruͤndetes Vertrauen, Indem ich befonders feiner |
Kunftliehhaberep gar manche angenehme Beſitzung
zufuͤhrte. Auch Voß konnte mit mir zufrieden feym,
indem ich auf feine Bemerkungen ahtend mich in der
Folge nachgiebig und bildfam erwies. |
Der Abdrud des erftien Bandes von Wilhelm
. Meifter war begonnen, der Entfchluß, eine Ar-
beit, an ber ih noch fo viel zu erinmern hatte, für
fertig zu erklären, war endlich gefaßt, und ich war
ftob den Anfang aus den Augen zu haben, wenn
mich fchon die Fortfegung fo wie die Ausficht auf eine
nunmehrige Beendigung hoͤchlich bedraͤngte. "Die
Nothwendigkeit aber iſt der befte Rathgeber.
In England erſchien eine Heberfeßung ber Iphi⸗
genla; Unger drudte fie nach; aber weder ein Eem⸗
plar des Originals noch der Eopte ift mir geblieben.
An dem Bergbane zu Ilmenau hatten wir ung
Thon mehrere Jahre herumgequält; eine fo wichtige
Unternehmung Ifolirt zu wagen, war nur einem ju⸗
gendlihen, thätig=frohen Uebermuth zu verzeihen.
Innerhalb eines großen eingerichteten Bergweſens
hätte fie ſich fruchtbarer fortbilden Können; allein
mit beſchraͤnkten Mitteln, fremden, obgleich fehr
tüchtigen, von Zeit zu Zeit herbeigerufenen Officlan⸗
ten konnte man zwar ind Klare kommen, babet aber
war die Ausführung weder umfichtig noch energifch
- genug, und das Werk, befonders bei einer ganz
37.
unerwartete» Raturbildung, mehr als einmal im
Begriff zu ſtocken.
Ein ausgeſchriebener Gewerkentag ward nicht
ohne Sorge von mir, und ſelbſt von meinem Colle⸗
gen, dem geſchaͤftsgewandteren Geh. Math Volgt,
mit einiger Bedenklichkeit bezogen; aber uns kam
ein Succurs, von woher wir ihn niemals erwartet .
bitten. Der Zeitgeift, dem man fo viel Gutes und.-
fo viel Böfes nachzufagen hat, zeigte ſich ale unfer.
Alliirter, einige der Abgeordneten fanden gerade
gelegen eine Art von Sonvent zu bilden, und fi.
der Führung und der Leitung der Sache zu unter-
ziehen. Anſtatt daß wir Commiſſarien alfo noͤthig
gehabt haͤtten, die Litaney von Uebeln, zu der wir
uns ſchon vorbereitet hatten, demuͤthig abzubeten,
ward ſogleich beſchloſſen, daß die Repraͤſentanten
ſelbſt ſich Punct fuͤr Punct an Ort und Stelle aufzu⸗
klaͤren und ohne Vorurtheil In die Natur der Sache
zu ſehen fi bemühen follten.
Wir traten gern in den Hintergrund, md von
jener Seite war man nachfichtiger gegen die Mängel,
die man felbft entdedt hatte, zutraulicher auf die
Huͤlfsmittel, die man felbft erfand, fo daß zuletzt
alles, wie wir es nur wünfchen konnten, befchloffen.
wurbe; und da es benn endlich an Gelde nicht feh-
len durfte, um biefe weifen Rathichläge Ins Wert
u fesen, fo wurden auch die nöthigen Summen
verwillist- und alles em mit Wohlgefallen ausein⸗
ander.
38
Ein wunderſamer, durch verwitkelte Schickfale
nicht ohne feine Schud verarmter Mann, hielt ſich
durch meine Unterſtuͤtzung in Iimenau unter fremdem
Namen auf. "Er war mir ſehr nirhtich, da er mir
in Bergwerks- und Steuerſachen durch unmittel⸗
bare Anſchauung, als gewandter, obgleich. hypochon⸗
driſcher Geſchaͤftsmann, mehreres überlieferte, was
ich ſelbſt nicht haͤtre bis auf den Grad einfehen und
mit zu eigen machen koͤnnen.
Durch meine vorjährige Reiſe an ben Nieder
rhein hatte ich mid; am Fritz Jakobi und die Fuͤrſtin
Galizin mehr angenaͤhert; doch blieb es immer ein
wunderbares Verhättnif; deſſen Art und Weite ſchwer
auszuſprechen und nur durch den Begriff der ganzen
Claſſe gebildeter, oder vielmehr der ſich erft bilden⸗
den Deutſchen einzufehen.
Dem beſten Theil der Natton war ein Licht auf⸗
gegangen, das fie as ber oͤden, gehalttoſen, ab⸗
haͤngigen Pedanterle. ald einem‘ kuͤmmerlichen Ste:
ben herauszuleiten verſpyrach. Sehr viele waren zu⸗
gleich von demſelben Geiſt ergriffen, fie erkannten
die gegenſeitigen Verdienſte, fie achteten einander,
fühlten das Beduͤrfniß fih zu verbinden, fie ſuch⸗
ten, fie Itebten fi, und dennvch konnte keine wahr⸗
hafte Einkgung entftehen: Das allgemeine Sntereffe,
ſittlich, morafffih,, war boch eln vages/ unbeſtimm⸗
tes, und es fehlte im Ganzen wie im Einzelnen an
‚Richtung zu befondern Thaͤtigkelten. Daber zerfiel
der große unfichtbare Kreis in Heinere, melft locale,
39
di mmmchod: Loblkche erſchufen unb hervorbrachten;
aler Ageutien iſolitten ſich die bedentonden immer
meht und · mehr. |
Es ift zwar dirß Die alte: Geſchichte, bierfih-bek..
Erneuerung und Belebung flarzer ſteckender Zuſtaͤnde
gar oft ereignet hat, und magz alſo für ein litera⸗
ruqes Beiſptel geiten, deffen was wir in der polls
ten und: kirchlichen Gefchtnte fo oft wiederholt
fegen.
Die AHuapifigumen wirkten ihrem Geiſt, Sun-
und Faͤhigkelt nach unbedingt; an fie fihteffen ſich
‚andere, die ſich zwar Kräfte fühlten, aber doch ſchon
gefekig und untergeordnob zu wirlen nicht: abgenetgt
waren; J
Kloßſrock fſey zuorſt genaunt. Geiſtig wende⸗
ten fi viele zu: ihmz feine beuſche abgemeſſene,
immer Ghefurcht gebteteude Perfoͤnlichkeit aber lockte
zu keiner Annaͤherung. An Wieland ſchloſſen ſich
gleichfaluss wenige perfäntih: das Literarkihe Zu⸗
trauen abet war graͤnzonlos; — bas fübliche Deutſche⸗
land, beſonders Wien, find: ihm ihre poetiſcht und
proſaiſche Cultur ſchuldig; — unuͤberſehbare Ein⸗
fenbungen: jedoch brachten ihn oft zu heiterer Ver⸗
jweirtung:
Herder wire fpdter. Sen anziehendes We⸗
fen fammelte nicht: elgentiich eine Menge um ihn
ber, aber Einzelne geftalteten fih an und um Ihn,
hielten an ihm fett, und hatten zu ihrem größtem
Wortheile fih Ihm ganz hingegeben. Und fo hatte
»
40
fi kleine Weltſpſteme gebildet. Auch Sleim war
ein Mittelpunet, um den ſich viele Talente verfan-
melten. Mir wurden viele Sprudelköpfe zu Theil,
welche faft den Ehrennamen eines Genie's zum Spitz⸗
namen herabgebracht hätten.
Aber bei allem diefen fand fich das Sonderbare,
daß nicht nur jeder Häuptling, fondern auch jeder
Angeordnete feine Selbftftändigfeit fefthielt und au=
dere deßhalb an und nad) fich In feine befonderen Ge⸗
finnungen heranzuziehen bemüht war: wodurch denn
die feltfamften Wirkungen und Gegenwirfungen ſich
bervorthaten.
Und wie Lavater forderte, daß man fi fi ch nach
feinem Beiſpiel mit Chriſto transfubftantliren muͤſſe,
ſo verlangte Jakobi, daß man ſeine individuelle,
tiefer. ſchwer zu definirende Denkweiſe in ſich auf⸗
nehmen ſolle. Die Fuͤrſtin hatte in der katholiſchen
Sinnesart, innerhalb der Ritualitäten der Kirche,
die Möglichkeit gefunden, ihren edlen Zwecken gemäß
zu leben und zu handeln. Diefe beiden liebten mih
wahrhaft, und ließen mich im Augenblid gewähren,
jedoch immer mit ſtiller, nicht ganz verheimlicter
Hoffaung mic ihren Gefinnungen völlig anzueignen;
ſie ließen ſich daher manche von meinen Unarten ge=
fallen, die ich oft aus Ungeduld und um mir gegen
fie Luft zu machen, vorfäglich ausübte.
Im Ganzen war jedoch jener Zuftand eine arl-
ftofratifche Anarchie, ungefähr wie der Conflict je-
ner, eine bedeutende Selbſtſtaͤndigkeit entweder fchon
—
r
S 44
befitenden ober au erringen ſtrebenden Gewalten ins
Spittelalter. Auch war es eine Art Mittelalter, das
einer höheren Eultur voranging, wie wir jest wohl
überfehen , da und mehrere Einblide in diefen nicht
zu befchreibenden, vieleicht für Nachlebende nicht
za faffenden Zuftand eröffnet worden. Hamanns
Briefe find hiezu ein unſchaͤtzbares Archiv, zu wel-
dem der Schlüfel Im Ganzen wohl möchte gefun⸗
ben werden, für bie einzelnen geheimen Faͤcher
vielleicht nie.
Als Hauẽkgenoſſen beſaß ich nunmehr meinen
aͤlteſten Roͤmiſchen Freund, Heinrich Meyer.
Erinnerung und Fortbildung Itallaͤniſcher Studien
blieb tägliche Unterhaltung. Bei dem letzten Auf»
enthalt in Venedig hatten wir und aufs Nene von,
Grund aus verftändigt und uns nur defto Inniger .
verbunden. \
- Wie aber alles Beitreben, einen Gegenſtand zu
faſſen, in der Entfernung vom Gegenſtande ſich nur
verwirrt, oder, wenn man zur Klarheit vorzudrin⸗
gen ſucht, die Unzulänglichfeit der Erinnerung fühl-
bar macht, und immerfort eine Ruͤckkehr zur Quelle
ded Anſchauens in der lebendigen Gegenwart for-
dert, fo war ed auch hier. Und wer, wenn er auch
mit wenigerem Ernft in Stallen gelebt, wuͤnſcht
nicht Immer dorthin zuräd zu Fehren !
Noh aber war der Zwiefpalt, den das willen:
fhaftlihe Bemühen in mein Dafeyn gebracht, kei⸗
neöweges ausgeglichen: denn die Art, wie ich bie
43
Naturrvfchrungen behaubeite, ſchien die Wrigen
Seelenkruͤſte ſaͤmmtlich für fi: u fordern.
In bieſenn Drange des Widerſtroits uͤbertraf ale
mem Wuͤrſche und Hoffnungen das auf: einmal
ſich entwiceinde Verhaͤltniß zu Schiller; vom ber
erben Amaͤherung an- war es ein maufhaktſames
Fortſchreiten phlloſophlſcher Ausbildung. und Aftheti-
ſcher Thaͤtigtolt. Zum Behuf feiner Horen mußte
ihen ſehr angelegen ſeyn, was: id im Stillen gear⸗
beitet, angefangen, unternommen, ſaͤmmtlich zu
kennen, nou: anzurogen und zu benutzen; für mich
war ed ein neuer Fruͤhling, In weichem alles froh
nebeweinander feine und aus aufgefchloffenen Sa—⸗
men und Zwrigen hervorging: Die nunmehr geſam⸗
mielten und georbneten belderſeitigen Briefe geben
en das. unmittelbarſte, reinſte und vollſtaͤndigſte
ugniß.
1795
Die Horn wurden ausgegeben, Gpifteln,
Clegien, Unterhaltungen der - Ausgewan⸗
derten von meiner Seite beigetragen: Außerbem-
überlegten und beriethen wir gemelnfan ben ganzen -
Inhalt diefer neuen Zeitſchrift, die Verhaͤltniſſe
ber. Mitarbeiter und was bei dergteichen Unterneh⸗
mungen fonft- vertommen mag. Hiebei lernte ih
Mitiebende kennen, ich ward mit Autoren und Pro⸗
49:
durtione Delamıt, bie mie ſonſt niemals einige
Yufmertfanttelt abgewonnen Bitten, Gällfer war
überhaupt weniger ausſchließend ale ich, unb mußte
nehfichtig ſeyn als Herausgeber.
Bei allem. dieſem Eonnt’ ich mich nicht enthalten
Anfangs July nah Carlsbad zu gehen, und über
vier Wochen dafelbft zu verweilen. In jüngern Jah⸗
ren iſt man ungeduldig bei den Heinften lebeln, und
Carlsbad war mir fchon oͤfters heilfam gewefen.
Vergebens aber hatt’ ich mancherlei Arbeiten mitge-
nommen, denn die auf gar vielfache Weiſe mich be-
rührende große Maſſe von Menſchen zerftreute, hin⸗
berte mich, gab mir freilich aber auch manche neue
Ausſicht auf Welt und Perfönlichkeiten.
Kane wat ich zuruͤch; ale don Iſmenau bie Nach⸗
richt sinkiefi, eiuibebensender Stollonbruch Habe dem
dostigew Beugknu‘: den Garaus gemacht. Ich eilte
bin, nad ſah wicht ohne Bedenken und Betruͤbniß
ein West, worauf: ſo viel Zeit, Kraft und Gelb ver⸗
wendet werben, im: ſich ſelbſt erſtickt und begraben.
Erhelternd war mir dagegen die Geſellfchaft mei⸗
nes fuͤnffaͤhrigen Sohnes, der dieſe Gegend, an
ber Ich mich: num -Feit zwanzg Jahren muͤde goſehen
und gebaut, mit friſchen Nndlichem Stan: ıbeber'
anffapte, alle Gegenſtaͤnde, Verhaͤltniſſe, Chättgs
fetten mit neuer Lebendluft ergriff und, viel entſchie⸗
dener als mit Worten haͤtte geſchehen koͤmen, durch
die That auoſprach: daß dem Abgeſtorbenon itm⸗
44
mer etwas DBelebtes folge, und der Antheil ber
Menfhen an diefer Erde niemals erlöfchen könne.
Bon da warb ich nach Eifenac gefordert; ber
Hof weilte dafelbft mit mehreren Fremden, befon=
ders Emigrirten. Bedenkliche Kriegebewegungen
tiefen jederman zur Aufmerkſamkeit: die Defterret-
her waren 60,000 Mann über den Mayn gegan-
gen, und es ſchien ald wenn in der Gegend von
Frankfurt die Ereigniffe lebhaft werben ſollten. @t-
nen Auftrag, der mih dem Kampfplatze genähert
hätte, wußte ich abzulehnen; ich kannte das Kriegs⸗
unheil au fehr, als daß ich es hätte auffuchen follen.
Hier begegnete mir ein Tal, an welchen ich öf-
tere zu denken Im Leben Urfache hatte. Graf Du:
manoir, unter allen Emigrirten ohne Frage ber
am meiſten Gebildete, von tüchtigem Charakter und
reinen Menfchenverftand, deſſen Urtheil ich meift
unbefangen gefunden hatte — er begegnete mie
in Eiſenach vergnügt auf der Straße und erzählte,
was in der Frankfurter Zeitung Günftiges für Ihre
Angelegenheiten ſtehe. Da ich doch auch- den Gang
des Weltweſens ziemlich vor mir im Sinne hatte,
fo ftußte ih und es fehlen mir unbegreiflih, wie
dergleichen fich follte ereignet haben. Ich eilte das
ber mir dad Blatt zu verfchaffen, und Tonnte beim
Lefen und Wiederlefen nichts Aehnliches darin finden,
bie Ich zuletzt eine Stelle gewahrte, die man allenfalld
auf diefe Angelegenheit beziehen Eonnte, da fie denn
aber gerade das Gegentheil würde bedeutet haben.
45
Fruͤher Hatte Ich fchon einmal ein Stärkeres,
aber freilich auh-von einem Emigrirten vernommen.
Die Franzoſen hatten fich bereits über ber ganjen
Dberflähe ‚ihres Waterlandes auf alle Welle gemor⸗
det; bie Affignate waren zu Mandaten, und biefe
wieder zu nicht geworben; von allem dem war um-
ftändiich und mit großem Bedauern die Nede, als
ein Marquis nilt einiger Beruhigung verfeßte: dieß
fey zwar ein großes Ungluͤck, nur befürchte er, es
werde noch gar der bürgerliche Krieg ausbrechen und
der Stantsbanquerutt unvermeidlich ſeyn.
Wem dergleichen von Beurthellung unmittelba-
zer Lebensverhältniffe vorgefommen, der wird ſich
nicht mehr wundern, wenn ihm in Meligion, Phi⸗
loſophie und Wiffenfchaft, wo des Menfchen abge-
fondertes Innere in Anſpruch genommen wird, eben
ſolche Verfinfterung des Urtheils und der Meinung
am hellen Mittag begegnet.
In derfelben Zeit ging Freund Meyer nah Ste:
lien zuruͤck; denn obgleich der Krieg in der Lombar⸗
dep ſchon heftig geführt wurde, fo war doch Im uͤbri⸗
sen alles noch unangetaftet, und wir lebten im Wahn
bie Jahre von 87 und '88 wiederholen zu können,
Seine Entfernung berandte mich alles Geſpraͤchs
ber bildende Kunft, und felbft meine Vorbereitung
ihm zu folgen, führte mich anf andere Wege.
San; abgelenft und zur Naturbettachtung zurüd-
geführt ward ich, als gegen Ende bes Jahrs die bei-
den Gebrüder von Humboldt in Jena erſchle⸗
u
26
ven. Bis nahmen boiderſeits in dieſen Augen⸗
Bild an Naturwiſſenſchaftan ‚großen Anthell, und
ich konnte mich nicht enthalten, meine Ideen aͤber
varglaichende Anatomie amd „baren: methohiſche Be⸗
handlung im Geſpraͤch mitzuth eilen. Daman meine
Darſtell ngen zuſammenhangend und ziamlich voll⸗
ftändig-ersrhtate , ward Ich aringend auigefordert fie
au Mepter-gu. buingen, Aueiches ich auch ſogleich be⸗
folgte, indem ich an Max Jalobi das Grundſchama
ainer verglaichenden Knochenlehre, ‚gegenwärtig wie
es mir war, dictirte, den Fraunden Gnuͤge that
‚und: wir ſelbſt einen Anhaltepnund gewann, woran
ih .meine weiteren Betrachtungen Inüpfen-Tannte.
Alexcander yon Humboldt's Einwmiskungen
‚serlaugen. beſonders behandelt zu werben. Seine
Gegenwart in Sana fördert: die vergleichende Auat o⸗
abe; er und ſein aͤlkerer Bruder bowogon mich, das
noch vorhandene allgemeine Schema gzundictiren.
Bei ſeinem Aufenthalt In. Bayreuth iſt mein brief⸗
liches Perhaͤltniß zu Ihm Febr intereſſant. |
Gleichzoitig and verbunden mit iom tritt Geh.
Math Wolf ven einer anbern Seite, doch im allge⸗
mainen Sinne mit ia unſern Krais.
Die Merfenbung. ber Frelaxemplare van Wil⸗
heim Meiſters orftem Theil befchäftiste mich sine
Weile, Die Poaauntwortung; war nur theilweiſe er-
freulich, im Ganzen keineswegs foͤrderlich; doch
bleiken die Briefe wie ſie damals einlangten und
noch porhanden Und, immer bedentend amd beſeh⸗
47
nd. HMezognund⸗Peisz von · Gothha, Fuer von Femı-
tsuhergbafelti, vou Thuͤmmel, meine Matter,
Shmmering, Schloſſer, won Humbaldt, von Dal⸗
derg ſin Mandhein, Woſt, Diemmeiften, wenn man
es gemau nicnant, se daſendando, gagen bie ge-
heime Gewalt des Werlkes ſich In Moſitur ſetzand.
‚Bine. geiſtxeiche; gellebte Freundin aber beachte mich
ganz beſondens in Benzweillung, durch Ahnung
manches Beheimuiffes, Peſtreban nach Enthalang
und ängfilihe Deuteley, auſtatt daß ich gemischt
hätte, ‚mean moͤchte die. Sache mehmen:mie fie ing
and ſich ben faßlichen Bin gueignen.
Judem un Unger bie Kosttehung. beirkehb and .
den sweuten Wand zu beſchleuntgen fnchte, argab
fh ein widerwästiges Verhaͤltaiß mit Sapellmeiſter
Neihardt. Man mar mit ihm, nugmihbtet fel-
ner vor⸗ und zudringlichen Ratur, in Mikstlicht auf
ſein bedentendes Talent, in gutem Vernehmen ge⸗
fanden, er mar ber erſte, der mit Gruſt und Bite=
tigkeit zusine lyrifchen Arbeiten durch RU ind Mll⸗
gemeine ſoͤrdoerte, und obnahin lag es in ‚meiner
Art aus herlaͤmwlicher Danfharkeitunbeaueme Man⸗
ſchen fortzudalhen, wenn ſie mir es nicht gar au arg
machten, alsdann aber meiſt mit Ungeſtuͤm ein ſol⸗
ches Verhaͤltniß abzubrechen. un hatte ſich Rei⸗
‚Hardt mit Wuth und Ingrimm din die Reralution
geworfen; ich :aber, ‚die. gräutichen nnaufhaltſamen
Folgen, folder gewaltthätig aufgelösten Auftäude. mit
Augen fhauend und zugleich ein ähnliches Geheim⸗
Sf
a8
treiben im Waterlande buch und durchblickend,
hielt ein- für allemal am Beſtehenden feſt, an deſ⸗
fen Verbefferung, Belebung und Richtung zum Sin=
ulgen, Verftändigen, ich mein Lebenlang bewußt
- und unbewußt gewirkt hatte, und konnte und wollte
biefe Geſinnung nicht verhehlen.
Reichardt hatte auch bie Lieder zum Wilhelm Mei-
ſter mit Gluͤck zu componiren angefangen, wie denn
immer noch feine Melodie zu: „Kennſt du das
Land,’ als vorzüglich bewundert wird. Unger
theilte ihm die Lieder der folgenden Bände mit,
und fo war er. von der muflfalifhen Seite unfer
Fremd, von der politifchen unfer Widerſacher, da⸗
ber fih im Stillen ein Bruch vorbereitete, der zu⸗
lest unaufhaltfam an den Tag Fam.
Ueber das Verhaͤltniß zu Jakobi habe ich hier-
naͤchſt beſſeres zu fagen, ob es gleich auch auf kei⸗
‘ nem fihern Fundament gebaut war. Lieben und
Dulden und von jener Seite Hoffnung, eine Sin⸗
nes veraͤnderung In mir zu bewirken, bdrüden es am
fürzeften aus. Er war vom Rheine wegwandernd
nach Holfteln gezogen, und hatte die freundlichfte
Aufnahme zu Entendorf in der Familie des Grafen
Neventlau gefunden; er meldete mir fein Behagen
an den dortigen Zuftänben aufs reizendſte, befchrteb
verfhiedene Familienfeſte zur Fever feines Geburts⸗
tage und. des Grafen, anmuthig und umftändlid,
wotauf denn auch eine wiederholte dringende Ein-
dadung dorthin erfolgte. x
etz
|
|
49
Dergleihen Mummereyen Inderhalb eines ein-
Tahen FZamilienzuftandes waren mir Immer wider-
wärtig, die Ausſicht darauf ſtieß mich mehr ab als
daß fie mich angezogen hätte; mehr aber noch hielt
mich das Gefühl zurüd, daß man meine menfähliche .
und dDichterifche Freiheit durch gewiſſe conventlonelle
Sittlichkeiten zu defhränfen gedachte, und Ich fühlte
mich Hierin fo feft, daß ich der dringenden Anfor-
derung, einen Sehn, der in der Nähe ftudirt und
promovirt hatte, dorthin zu geleiten, keineswegs
Folge leiſtete, fondern auf meiner Weigerung ftand-
haft verharrte.
Auch ſeine Briefe uͤber Wilhelm Meiſter waren
nicht einladend; dem Freunde ſelbſt ſo wie ſeiner
vornehmen Umgebung erſchien das Reale , noch dazu
eines niedern Kreiſes, nicht erbaulih; an der Sitt-
lichleit hatten die Damen gar manches auszufehen,
und nur ein einziger tächtiger überfchauender Welt-
mann, Graf Bernftorf, nahm bie Partey des be-
drängten Buches. Um fo weniger konnte der Au-
tor Luft empfinden, ſolche Lectionen perfünlich ein-
zunehmen und fih zwiſchen eine wohlmollende lie—
denswürdige Pedanterie und den Theetiſch geklemmt
zu ſehen.
Von der Fuͤrſtin Galizin erinnere ich mich
Nnicht, etwas über Wilhelm Meiſter vernommen zu
haben, aber in diefem Jaͤhre Härte. fih eine Ver⸗
wirrung auf, welche Jakobi zwiſchen ung gewirkt
batte, ich weiß nicht, ob aus leichtſi Aue en
Sorthe’d Werte. XXXI. 8
50
oder Vorſatz; es war aber nicht Löblich, und wäre
die Zürftin nicht fo reiner Natur gewefen , fo hätte
ſich fruͤh oder fpat eine unerfreuliche Scheidung er-
geben. Auch fie war von Münfter vor den Fran—
zofen geflohen; ihr großer, durch Religion geftärkter
"Charakter hielt fih aufrecht, und da eine ruhige
Thätigkeit fie überall hinbegleitete, blieb .fie mit
mir In wohlmollender Verbindung, und ich war froh
in jenen verworrenen Zeiten ihren Empfehlungen
gemäß manches Gute zu ftiften.
Wilhelm von Humboldts Theilnahme war
indeß fruchtbarer; aus feinen Briefen geht eine
flare Einfiht in das Wollen und Vollbringen her-
vor, daß ein wahres Förderniß daraus erfolgen
mußte. . ;
Schillers Theilnahme nenne ich zuleßt, fie war.
die Innigfte "und hoͤchſte; da jedoch Wr Briefe
hierüber no vorhanden find, fo darf ich weiter
nichts fagen, ale daß die Bekanntmachung derfelben
wohl eing ber fhönften Geſchenke feyn möchte, die
man einem gebildeten Publicum bringen kann.
Das Theater war ganz an mic gewiefen; was
ih im Ganzen ühberfahb und leitete warb durch
Kirmes ausgeführt; Vulpius, dem es zu diefem
Geſchaͤft an Talent nicht fehlte, griff ein mit zweck⸗
mäßiger Thätigkeit. Was Im Laufe dieſes Jahrs
geleljtet wurde, iſt ungefähr folgendes:
Die Zauberflöte gewährte noch immer ihren
fenyeren Einfluß, und die Opern zogen meht an als
8
51
alles ebrige. Don Juan, Doctor und Apo——
thefer, Coſa Rara, das Sonnenfeft der
Braminen befriedigten das Publicum. Leſſings
Werke tauchten von Zeit zu Zeit auf, doch waren
eigentlich Schroͤderiſche, Ifflandifhe, Kotzebtjeſche
Stuͤcke an der Tagesordnung. Auch Hagemann
und Großmann galten etwas. Abellino ward
den Schilleriſchen Stuͤcken ziemlich gleichgeſtellt,
unſere Bemuͤhung aber, alles und jedes zur Erſchei⸗
nung zu bringen, zeigte ſich daran vorzuͤglich, daß.
wir ein Stüd von Meyer, ben Sturm vom
Bodsberg, aufzuführen unternahmen, freilid-
mit wenig Gluͤck; indeſſen hatte man doch ein fol-
ches merkwuͤrdiges Städ gefehen und fein Dafeyn
wo nicht beurtheilt Doch empfunden.
Daß unfere Schaufpieler in Lauchftädt, Erfurt...
Rudolſtadt von. dem verfchledenften Publicum mit
Freuden aufgenommen, durch Enthuflasmus belebt. .
und duch gute Behandlung In ber Achtung gegen
ſich ſelbſt gefteigert wurden, gereichte nicht zum ge⸗
ringen Vortheil unferer Bühne und zur Aufriſchung
einer Thätigleit, die, wenn man baffelbe Publi⸗
cam immer vor fich fieht, deſſen Charakter, deſſen
Urtheilsweife man kennt, gar bald zu erfchlaffen
pflegt. we
Wenden fih nun meine Gebanten von dieſen
Heinen, in DVergleih mit: dem Weltweſen hoͤchſt
unwichtigen Verhälthiffen zu diefem, fo muß atr-
jener Bauer einfallen, den ich bei der Belagerung;
/
52
von Maltıy, Im Bereich der Kanonen, hinter einem
auf Rädern vor fih Hingefchobenen Sthanzforbe feine
Selbarbeht verrichten ſah. Der einzelne beſchraͤnkte
Menfſch gibt ſeine naͤchſten Zuſtaͤrde nicht anf, wie
auch dad große Ganze fich verhalten möge. —
Nun verlauteten die Baſeler Friedens - Yrätfmt-
narien und ein Schein von Hoffnung ging dem nörb-
lichen Dertſchland auf. Preußen machte Frieden,
Oeſterreich fette den Krieg fort; und nun fühlten
wie uns in neuer Sorge befangen; denn Shurfachfen
verweigerte den Beitritt zu einem 'befondern Frie⸗
den. Unſere Gefhäftsmänner und Diplomaten be⸗
wegten ſich nun nach Dresben, und unfer gnaͤdigſter
Herr, anregenb alle und tiydtig- vor allen, begab
fih nah Deffau. Inzwkſchen hörte man von Be⸗
wegunyen unter den Schweizer Landleuten, befon-
ders am oberen Zuͤrcherfee; ein deßhalb efmgeleiteter
Proceß regte den Widerſtreit der Geſinnungen nody
mehr auf; doch bald warb unfere Theilnahme fchon -
wieder: im bie Nähe gerufen. Das rechte Mayn⸗
ufer ſchlen abermals unſicher, man fürchtete fogar -
fuͤr unſere Gegenden, eine Demarcattongtinte kam
zur Sprache; doppelt und dreyfach traten: Zweifel
und George hervor.
Clairfait tritt auf, wir halten und an Chur:
ſachfen; nun werben aber ſchon Vorbereltungen
und Anſtalten gefordert, und: ald man Kriegs:
ſteuern ausfchreiben muß, fommt man endlich auf
den gluͤcklichen Gedanken, auch den Geiſt, an den
=
53
mau bieher nicht gedacht Hatte, contribnabel zu
machen; doc verlangte man nur von ihm. ein Don
Gratuit.
In dem Laufe dieſer Jahre hatte ‚meine Mutter
den wohlbetellten Weinkeller, die in manchen Faͤ⸗
hern wohlausgeruͤſtete Bibliothek, eine Gemaͤhlde⸗
Sammlung, das Beſte damalizer Kuͤnſtler enthal⸗
tend, und mas ſonſt ‚nicht alles verkauft, nad ich
ſah, indem fie dabei nur eine Buͤrde los zu feyn
froh war, bie ernfte Umgebung meines Waters zer⸗
ftädt und verfhlendert. Es war .auf meinen Au⸗
trieb gefheben, niemand -Ionnte damals dem an⸗
dern rathen noch helfen. Zuletzt blieb das Haus
noch übrig; dieß wurbe endlich auch verkauft und
die Meubeld, die fie nicht mitnehmen wollte, zum
Abſchluß in einer Auction vergeubet. Die Auslicht
auf ein neues luſtiges Quartier an ber Haupt⸗
wache realifirte fih, und dieſer Werhfel gewährte
zur Zeit, da nach worüherfiiegenber Frie dens hoffnung
neue Soxge wieder eintrat, ihr eine zerſtrenende
Beſchaͤftigung.
Als bedeutendes und fuͤr die Folge fruchtbares
Familien⸗Ereigniß habe ich zu bemerken, daß Ni⸗
colovius zu Eutin wohnhaft meine Nichte
heirathete, bie Tochter Schloſſers und meiner
Schweſter.
Außer den gedachten uͤnbilden brachte der Ver⸗
ſuch, entſchiedene Idealiſten mit den hoͤchſt realen
akademiſchen Verhaͤltniſſen in Verbindung. zu ſetzen,
7
51
“Fortdanernde Merdrießlichkeiten. Fichtens Abficht,
- Sonntags zu lefen und feine von mehreren Seiten
gehinderte Thätigkeit frei zu machen, mußte den
Widerſtand ſeiner Collegen hoͤchſt unangenehm em⸗
pfinden, bis ſich denn gar zuletzt ein Studenten⸗
Haufen vors Haus zu treten erkuͤhnte und ihm die
»RFenſter einwarf: bie unangenehmfte Welfe von dem
Daſeyn eines Nicht-Ichs überzeugt zu werben.
Aber nicht feine Perföntichkeit allein, auch die
‚eines andern machte den Unter- und Oberbehoͤrden
"viel zu fhaffen. Er hatte einen denkenden jungen.
Mann Namens Weißhuhn nach Jena berufen,
einen Gehuͤlfen und Mitarbeiter an ihm hoffend;
allein dieſer wich bald in einigen Dingen, das helßt
für einen Philoſophen in allen, von ihm ab, und
> ein reines Zuſammenſeyn war gar bald geftört, ob
"wir gleih zu den Horen deffen Thellnahme nicht
verſchmaͤhten. |
Diefer Wadere, mit den dußeren Dingen noch
weniger als Fichte ſich ins Gleichgewicht zu ſetzen
faͤhig, erlebte bald mit Prorector und Gerichten die
unangenehmſten perſoͤnlichen Haͤndel; es ging auf
Injurien-Proceſſe hinaus, welche zu beſchwichtigen
man von oben her die eigentliche Lebenẽwe isheit
hereinbringen mußte.
Wenn uns nun die Philoſophen kaum beizule⸗
gende Haͤndel von Zeit zu Zeit erneuerten, ſo nah⸗
men wir jeder guͤnſtigen Gelegenheit wahr, um die
eegenenen der Naturfreunde zu befoͤrdern.
4
55
Der geiſtig ſtrebende und unaufhaltſam vordringende
Batſch war denn im Wirklichen doch ſchrittweis zu⸗
frieden zu ſtellen, er empfand ſeine Lage, kannte
die Mittel die uns zu Gebote ſtanden, und beſchied
fh in billigen Dingen. Daher gereichte ed ung
zur Sreude, ihm fin dem fürftlihen Garten einen
“ fefteren Zuß zu verfhaffen; ein Glashaus, hin⸗
reichend für den Anfang, ward nach feinen Angaben
errichtet, wobei die Ausſicht auf fernere Begänftt-
gung fi von ſelbſt hervorthat.
Fuͤr einen Theil der Jenaiſchen Buͤrgerſchaft
ward auch gerade In dieſer Zeit ein bedeutendes
Gefhäft beendigt. Man hatte den alten Arm der
Saale oberhalb der Nafenmühle, der durch mehrere
Krämmungen die fhönften Wiefen des rechten Ufere
in Kiesbette des linken verwandelte, ins Trodne zu
legen einen Durchftih angeordnet, und .den Fluß
in gerader Linte abwärts zn führen unternommen.
Schon einige Jahre dauerte die Bemühung, welde
endlich gelang, und den anftoßenden Bürgern, gegen
geringe frühere Beiträge, ihre verlornen’ Räume
wieder gab, Indem ihnen die alte Saale und die
indeß zu nupbaren Weidichten herangewachfenen
Kiesraͤume zugemeffen und fie auf diefe Weiſe über
eihre Erwartung befriedigt wurden; weßhalb fie auh
eine feltene Dankbarkeit gegen die Vorgeſetzten des
Geſchaͤftes ausdruͤckten.
Unzufriedene machte man jedoch auch bei dieſer
Gelegenheit: denn auch ſolche Anlieger, die Im“
Pr
56
Unglauben auf den Erfolg bes Geſchaͤftes die fruͤ⸗
heren geringen Beiträge verweigert hatten, ver-
langten ihren Theil an dem eroberten Boden, wo
nicht als Recht doc als Gunft, die aber bier nicht
ftatt haben konnte, Indem herrfchaftiiche Caſſe für
ein bedeutendes Opfer einige Entfhädigung an dem
-errungenen Boden zu fordern hatte.
Dreyer Werke von ganz verfchledener Art, wel-
he jedoch In diefem Jahr das größte Auffehen er-
tegten, muß ich noch gedenken... Dumouriez
Leben ließ ung in bie befondern Morfallenheiten,
wovon und das Allgemeine leider genugſam befannt
mar, tiefer hineinfehen, manche Charaktere wurden
uns aufgefhloffen, und der Mann, der nnd Immer
‚viel Antheil abgewonnen ‚hatte, erfhlen ung Härer
und im günftigen Lichte. Gelftreihe Frauenzim⸗
mer, die denn doch immer Irgendwo Neigung unter-
zubringen genöthigt find, und den Tageshelden
‘wie bilig am meiſten begünftigen, erquidten und
erbauten fih an dieſem Werke, das ich forgfältig
ſtudirte, um die Epoche feiner Großthaten, von denen
ish perfönlich Zeuge gemwefen, mir bis Ins einzeln Ge⸗
heime genau zu vergegenwärtigen. Dabei erfreute
ih mich denn, daß fein Wortrag mit meinen Er=
fahrungen und Bemerkungen yolllommen uͤberein⸗
ſtimmte.
Das zweyte, dem allgemeinen Bemerken ſich
aufdringende Werk, waren Balde's Gedichte,
Mwelche nach Herders Uebexſetzung, jedoch mit Ver⸗
+
57 _ ⸗
heimlichung des eigentlichen Autors, ans Licht kamen
und ſich der ſchoͤnſten Wirkung erfreuten.
Bon reichem Zeitgehalt, mit Deutſchen Geſin⸗
nungen ausgeſprochen, wären fie immer vollkommen
gewefen; Eriegerifch verworrene Zeitläufte aber, die
fih in allen Jahrhunderten gleichen, fanden in die⸗
fem dichterifhen Spiegel ihr Bild wileder, und man.
empfand als wie von geftern, mas unfere Urpor⸗
fahren gequält und geängftigt hatte.
Einen ganz andern Kreis bildete ſich das britte
Wert. Lichtenbergs Hogarth und das In—⸗
tereffe daran war eigentlich ein gemactes: denn
wie hätte der Deutfche In beffen einfachem reinen
Zuftande fehr felten ſolche exsentrifhe Fragen vor—
fommen, bieran fich wahrhaft vergnügen koͤnnen?
Nur die Tradition, die einen von feiner Nation hoch⸗
gefeyerten Nomen auch auf dem Gontinent hatte
geltend gemacht, nur die Seltenheit, feine wunder⸗
lihen Darftellungen volſſtaͤndig zu beſitzen, und die
Bequemlichteit, zu Betrachtung und Bewunderung
feiner .Werfe weder Kunſtkenntniß noch hoͤheren
Sinne zu bedürfen, fondern allein böfen Willen
und Verachtung der Menſchheit mitbringen zu kͤn⸗
nen, erleichterte die. Verbreitung ganz beſonders,
vorzuͤglich aber daß Hogarths Witz auch Lichtenheige
Witzeleyen den Weg gebahnt hatte.
Junge Männer bie von Kindheit auf, ſeit bel⸗
nahe zwanzig Jahren an meiner Seite heranfge-
wachſen, fahen ſich nunmehr In der Welt um, und
58
die von ihnen mir zugehenden Nachrichten muß-
ten mir Freude machen, da ich fie mit Verftand
und Thatkraft auf Ihrer Bahn weiter fchreiten ſah.
Friedrich von Stein hielt fih in England auf
und gewann daſelbſt für feinen technifhen Sinn
viele Vortheile. Auguf von Herder fchrieb
aus Nenfchatel, wo er fih auf feine übrigen Lebens⸗
zwecke vorzubereiten dachte. °
. Mehrere Eimigrirte waren bei Hof und In der
Geſellſchaſt wohl aufgenommen, allein nicht alle be-
gnuͤgten fih mit diefen fochalen Vorthellen. Manche
von ihnen hegten die Abficht, bier wie an andern
Drten, durch eine Löhliche Thätigkeit ihren Lebens-
‚unterhalt zu gewinnen. Ein waderer Mann, ſchon
vorgerüdt in Jahren, mit Namen von Wendel,
brachte zur Sprade, daß in Ilmenau, bei einem
geſellſchaftlichen Hammerwerke, der herzoglichen
Kammer einige Antheile zuſtanden. Freilich wurde
dieſes Werl auf eine ſonderbare Weiſe benutzt, in⸗
dem die Hammermeiſter in einem gewiſſen Turnus
arbeiteten, jeder fuͤr ſich ſo gut er vermochte, um
nach kurzer Friſt ſeinem Nachfolger abermals auf
deſſen eigne Rechnung zu uͤberlaſſen. Eine ſolche
Einrichtung laͤßt ſich nur in einem altherkoͤmmlichen
Zuſtande denken, und ein hoͤher geſinnter, an eine
freiere Thaͤtigkeit gewoͤhnter Mann konnte ſich hierin
nicht finden, ob man ihm gleich die hertſchaftlichen
Antheile für ein maͤßiges Pachtgeld uͤberließ, das
man Me nie eingeforbert hätte, Sein ord⸗
59
%
nungsliehender, ins Ganze res. Geiſt Tuchte durch
erweiterte Plane feine Unzufriedenheit zu beſchwich⸗
tigen; bald follte man mehrere Theile, bald das
Ganze zu acquiriren fuchen:. beides war unmoͤglich,
da fich die mäßige Griftenz einiger ruhigen Familien
auf dieſes Gefchäft gründete.
Nach etwas anderem war nun der Geiſt gerich⸗
tet; man baute einen NReverberir- Ofen, um altes
Eiſen zu ſchmelzen und eine Gußanſtalt ing Wert
zu richten. Man verfprach ſich große Wirkung von
der aufwärts concentrirten Gluth; aber fie war
groß über alle Erwartung: denn das Dfengemölbe
ſchmolz zufammen, Indem das Eifen zum Fluß kam.
Noch manches andere ward. unternommen ohne
gluͤcklichen Erfolg; der gute Mann, endlich empfin-
dend daß er gänzlich aus feinem Elemente entfallen
ſey, gerieth In Verzweiflung, nahm eine übergroße
Gabe Opium zu fih, die, wenn nicht auf der Stelle
doch in ihren Folgen, feinem Leben ein Ende machte. ,
Freilich war fein Ungluͤck fo groß, daß weder die
Cheilnahme des’ Fürften noch die wohlwollende Thaͤ⸗
tigkeit der beauftragten Näthe Ihn wieder herzu-
ftefen vermochte. Weit entfernt von feinem Water- -
lande, in einem ſtillen Winter des Thüringer Wal-
des fiel auch er ein Opfer der grängenfofen Um⸗
waͤlzung.
Von Perſonen, deren Schickſalen und Verhaͤlt⸗
niſſen bemerke Folgenbes:
Schloſſer wandert aus und begibt ſich, da
“
60
man nicht au jedem Afol verzweifeln konnte, nach
Anſpach, und hat die Abficht bafelbit zu verbleiben. -
Herder füplt fih von einiger Entfernung, bie
fih nach und nach hervorthut, betzoffen, ohne bag
dem daraus eutftehenden Mißgefühl wäre zu helfen
geweien. Seine Abneigung gegen die Kautiſche Phi⸗
lofophie und daher auch gegen bie Akademie Jena,
batte ſich immer geſteigert, während ich mit beiden
durch das Verhaͤltniß zu Schiller Immer mehr zu⸗
fammenwuhe. Daher war jeder Verſuch bag alte
Verhaͤltniß herzuſtellen fruchtlod,.um fo mehr als
Wieland bie neuere Lehre felbft in der Perfon feines
Schwiegerſohns verwünfchte, und als Latitudinarier
fehr übel empfand, daß man Pflicht und Recht durch
Bernunft, fo wie es ‚hieß, firiten und allem hu—
moriſtiſch⸗poetiſchen Schwanken ein Ende zu machen
drohte.
Traurig aber war mir ein Schreiben. bed hoͤchſt
bedeutenden Carl von Mofer. Ich hatte ihn
früher auf dem Gipfel miniſterieller Machtvolllom⸗
menheit geſehen, wo er den. Ehecontrakt zwiſchen
unſerm theuren Fuͤrſtlichen Ehepaar aufzuſetzen nach
Carlsruhe berufen ward, zu einer Zeit, wo er mir
‚manche Gefaͤlligkeit erwles, ja einen Freund durch
entſchledene Kraft und Einfluß vom Untergang er⸗
rettete. Diefer war nun ſeit zwanzig Jahren nach
and nah in feinen Vermoͤgens-Umſtaͤnden derge-
ftalt zurüdgelommen, daß er auf einem alten Berg:
ſchloſſe Zuingenberg eig Hunmerlihes Leben führte,
Te A — Fi ] PR
61 | #4
Year wollte er ſich andy einer feinen Gemaͤhldefamm
ung entaͤußern, die er zu befferer Zeit mit Ge:
ſchmact um fi verfammelt hatte; er verfangte
meine Mitwirkung, und ich konnte fein zartes drin
gendes Verlangen leider nur mit einem freundlich
hoſtichen Btief erwiedern. Hierauf iſt bie Ant⸗
wort eines geiſtreichen bedraͤngten und zugleich in
ſein Schickſal ergebenen Mannes von det Art, daß
fie mich noch jetzt wie damals ruͤhrt, da ich im
weinen: Bereich kein Dritter fahr, folchem Beduͤrf⸗
afffe abzuthelfen.
Anateınte und Phyfivlvgie verlor ih dieſes Jahr
faſt nicht aus den Augen: Hoftath Loder demon⸗
ſtrirte das menſchleiche Gehirn einem Heinen Freun⸗
des» Cirkel, hergebrachtet Wekfe, In Schichten von
oben herein, mit’ ſeiner ihn auszeichnenden Klar⸗
hekt. Die Cumperſchen Arbeiten wurden mit dem⸗
ſelben durchgeſehen und durchgedacht.
Soͤmmerings Verſuch dem eigentlichen Sltz
der Seele naͤher nachzuſpuͤren, veranlaßte nicht we⸗
atge Beobachkung, Nachdenken ımb Pruͤfung.
Brandes In Braunſchwelg zeigte fih In Na⸗
tutbetrachtungen geiſtretch und belebend; auch er,
wie wir, verfuchte ſich am dem ſchwerſten Problemen.
Seit jener Epoche wo man ſich In Deutſchland
über den Mißbrauch der Geniulftaͤt zu beklagen an⸗
fing, drängten fich freilich von Sekt zu Zeit auffal⸗
lend verruͤckte Menſchen heran. Da nun ihr Be-
fireben in einer dunkeln, duͤſtern Region verfirte
- .
62
und gewöhnlich die Energie des Handelns ein guͤn⸗
ſtiges Vorurtheil und, die Hoffnung erregt, fie werde
fi von einiger Vernuͤnftigkeit wenigftens im Ver⸗
folg doch leiten Iaffen, fo verfagte man folhen Per-
fonen feinen Antheil nicht, bis fie denn zulegt ent=
weder felbft verzweifelten oder ung zur Verzweiflung
brachten.
Ein ſolcher war von Bielefeld, der ſich den
Cimbrier nannte, eine phyſiſch gluͤhende Natur, mit
einer gewiffen Einbildungsfraft begabt, die aber
ganz. in hohlen Raͤumen fich erging. Klopſtocks Pa⸗
triotismus und Meſſianismus hatten Ihn ganz er
fuͤllt, ihm GSeftalten und Gefinnungen geliefert, mit
denen er denn nach wilder und wüfter Weiſe gut:
herzig gebahtte. Sein großes Geihäft war ein
Gedicht vom jüngften Tage, mo fih denn wohl be=
greifen laͤßt, daß ich ſolchen apokalyptiſchen Ereig-
niffen, energumeniſch vorgetragen, keinen befonderen.
Geſchmack abgewinnen Eonnte. Sch fuchte ihn abzu⸗
iehnen, da er, jede Warnung ausfchlagend, auf
feinen feltfamen Wegen verharrte. So trieb er es
in Sena eine Zeit lang, zu Beängftigung guter ver⸗
nünftiger Gefellen und wohlwollender Gönner, bie
er endlich bei immer vermehrtem Wahnſinn, ſich
‚zum Fenſter herausſtuͤrzte und ſeinem ungluͤdlichen
Leben dadurch ein Ende machte.
Auch thaten ſich in Staats verhaͤltniſſen hlernaͤchſt
die Folgen einer jugendlichen Gutmuͤthigkeit hervor,
die ein bedeutendes Vertrauen auf einen Un—⸗
63 .
würdigen niedergelegt hatte. Die deßhalb entſtau⸗
denen Proceſſe wurden bießfeits von einfichtsvollen.
Männern mit großer Gewandtheit einem gluͤcklichen
Ausgang entgegen geführt. Indeſſen beunruhigte
eine ſolche Bewegung unſre gefeligen Kreife, indem
nahverwandte, fonft tüchtig denkende, auch und ver-
bundene Perſonen Ungerechtigfeit und Härte fahen,
wo wir nur eine ftetige Verfolgung eines unerläße
lihen Rechtsgangs zu erbliden glaubten. Die freund-
lichſten zarteften Neclamatlonen von jener Seite
binderten zwar den Gefchäftsgang nicht, allein be-
dauerlich war es, die fhönften Verhältniffe beinahe
zerſtoͤrt zu feben.
— 1796.
Die Weimariſche Bühne war nun ſchon fo be= _
fest und befeftigt, daß es In dieſem Jahre Teiner
neuen Schaufpieler bedurfte. Sum größten Vor⸗
theil derfelben trat. Iffland im März und April
vierzehmmal auf. Außer einem folchen beiehrenden,
binreißenden, unfhäßbaren Beiſpiele wurben biefe
Borftelungen bedeutender Stüde Grund eines
dauerhaften Repertoriums und ein Anlaß das Wün-
fhenswerthe näher zu kennen. Schiller, der an,
dem Vorhandenen immer feft hielt, redigirte zu
biefem Zwei den Egmont, der zum Schluß ber
Ifflandiſchen Gaſtrollen gegeben ward, ungefähr wie
er noch auf Deutfchen Bühnen vorgefielt wird. —
pP} \
64
Veberhaupt finden fi Hier, rüädfihtlih auf bag
Deutfhe Theater, die merfwärdigften Anfänge.
Schiller der fhon In feinem Carlos ſich einer ge-
wiffen Maͤßlgkeit befliß und durch Redaction biefes
Stuͤcks fuͤrs Theater zu einer beſchraͤnkteren Form
gewoͤhnte, hatte nun den Gegenſtand von Wallen-
fteln aufgefaßt und den granzenlofen Stoff in der
Geſchichte des dreyßtgiaͤhrigen Kriegs dergeftalt be-
handelt, daß er fih als Herrn dieſer Maffe gar
wohl empfinden mochte. Aber eben durch diefe Fülle
ward eine ftrengere Behandlumg peinlich, wovon Ich
Zeuge ſeyn konnte, weil er fi über alles, was er
dichteriſch vorhatte, mit andern gern befprach und
was zu thun ſeyn mochte hin und wieder überlegte.
Bei dem unabläffigen Thun und Treiben was
zwifhen ung ftatt fand, bei der entfchledenen Luft
Das Theater Eräftig zu beleben, ward ich angeregt
den Zauft wieder hervorzunehmen; allein was ich
auch that, ich entfernte ihn mehr vom Theater als
daß ich Ihn herangebracht hätte.
Die Horen gingen indeſſen fort, mein Antheil
blieb derſelbige; doch hatte Schillers graͤnzenloſe
Thätigleit den Gedanken eines Muſenalmangachs
gefaßt, einer poetifhen Sammlung, bie jener, meift
proſaiſchen, vortheilbaft zur Seite ftehen Könnte.
Auch hier war Ihm das Zutrauen feiner Landsleute
guͤnſtig. Die guten ftrebfamen Köpfe neigten ſich
zu ihm. Er ſchickte fih übrigens trefflich zu einem
folhen Redacteur; den Innern Werth eines Ge—⸗
dichts
65
dicht überfah er glei, und wenn ber. Berfufer
fi zu weitläuftig ausgethan hatte, ober nicht en=
digen: Eonnte, wußte er das Leberflüffige ſchuell
auszufondern. Ich ſah ihn wohl ein Gedicht auf
ein Drittheil Strophen rebuciren, wodurch es
wirktich brauchbar ward, ia bedeutend.
Ich felbft ward feiner Aufmunterung viel ſchul⸗
dig, wovon bie Horen und Almangche volgältiges
Zeugniß abgeben. Alexis und Dora, Braut
von Korinth, Spott und Bajadere wurden
bier ausgeführt oder entworfen. Die Kenien,
die aus unfchuldigen, ja gleichgältigen Anfängen fich
nach und nach zum Herbften und Schärfiten hinauf-
fteigerten, unterhielten ung viele Monate und mac
ten, als der Almanach erſchien, noch in biefem
Sahre die größte Bewegung und Erfchätterung im
der deutſchen Literatur. Sie wurden, als hoͤchſter
Mißbrauch der Preßfreiheit, von dem Publicum
verdammt. Die Wirkung aber bleibt unberechenbar.
Einer hoͤchſt Iteb und werthen, aber auch ſchwer
laſtenden Bürde entledigte ich mich gegen Ende
Auguſts. Die Meinfhrift des lebten Buches von
Wilhelm Meifter ging endlich ab an den Merleger.
Seit ſechs Fahren hatte ich Ernft_gemarht diefe frühe
Sonception auszubilden, zurecht zu ftellen und dem
Drucke nach und nad zu übergeben. Es bleibt da⸗
her biefes eine der Incalculabelften Productionen,
man mag fie im Ganzen oder in ihren Theilen be=
Soeethes Werte, XXXI. Bd. 5
66:
tracheen; je. mn ſier zu beurthellen fehlt mir bee
nahe ſelbſt bee Maßſbab.
Kaum aber hatte ich mich durch ſueceſſtoe Sor autiie: -
gäbe davon befreit ats: ich mir eine neue‘ Laſt aufs
legte, die jedoch leichtet zu trugen, oder vlelmehr
feine Laft war, weit.fie gewiſſe Vorſtellungen, Ge:
füple, Begriffe der Zeit auszufprehen Gelegenheit
gab. Der Plan von Herrmann und Doro-
thea war gleichzeitig mit ben Tageslaͤuften aus⸗
gedacht und entwickelt, die Ausfuͤhrung ward wäh-
rend des Septembers begonnen und vollbracht, ſo
daß ſie Freunden ſchon producirt werden konnte.
Mit Leichtigkeit und Behagen war das Gedicht ge⸗
ſchrieben, und es theilte dieſe Empfindungen mit.
Mic ſelbſt hatte Gegenſtand und Ausführung der⸗
geſtalt durchdrungen, daß ich das Gedicht niemals
ohne große Ruͤhrung vorleſen konnte, und dieſelbe
Wirkung iſt mie ſeit fo viel Jahren noch Immer.
geblleben.
Freund Mever ſchrieb fleißig aus Itallen ge⸗
wichtige Blätter. Meine. Vorbereildang ihm zu fol⸗
gen noͤthigte mich zu mannichfaltlgen Studien; deren
Acteuſtuͤche mir noch gegenwärtig vlelen Nutzen brin⸗
gen. Als ich mich in die Kunſtgeſchlchte von Flevenz
einarbeitete, ward mir Cellini wichtig, und ich
faßte, um mich dort recht einzubuͤrgern, gern den‘
Eutſchluß ſetne Selbſtoiographie gu uͤberſetzen; bes
ſonders weit fie Schillern zu det Horen brauchbar
ſchien.
67
Auch die Naturwiffenſchafken giugen nicht leer
and; Den Sommer ˖ uͤber fänd: ich die ſchoͤrſte Ge:
tegenheit Pflattzen unter farbigen Slafern md yanz
im Finfſtern zu erzlehen, fo wie die Mektamorphoſe
der Inſecten in Ihren Einzelnheiten zu verfolgen,
Galvanis us ud Chemisnrus drängten ſich
auf; die Chroͤmatkt ward zwiſchen allem durch -ge:
trieben; und um mir dem groͤßen Votthell der Mer:
gegenwaͤrtkgrng zu gewähren, fähd ſich eine edite
Gefellſchaft, Werke Vorktaͤge deſe Art: gern an:
hoͤren mochte.
Im Auswärtigen beharrt Chutahſen auf feiner
Anhaͤnglichkeit an Kaiſer und Reich, wand will in bie:
fem -Sinte fer Contingent marſchiren laſſer. Nach
unfere Manuſchaft ruͤſtet ſich; Die Koſten hierzu
geben manches zu bedenken.
Im groͤßen Wektweſen eteignet ih, daß: bie
hiuterbltebene Tochter Ludiigs XVI,- Meihceffin -
Marie Cheteſie Charlotte, bisher Inden Händen
der Republicaner, gegen gefangene Frungöfifce Ge⸗
nerale ausgewechſelt wird, ingleichen daß der Papſt
feinen Waffenftiäftand theuer erkauft.
Die Oeſterreicher gehen uͤber die Lahn zuruͤck,
beſtehen bei Anndberung der Franzoſen auf. dem Be⸗
fig von Frankfurt, die Stadt wird bombardirt, Me
Padengaffe zum Theil verdrammt',-fonft -wenfs- ge-
ſchadet, worauf deun die Uebetgabe erfolgt. Meine
gute Mutter, in ihrem ſchoͤnen neuen Quartiere
an der Hauptwache, hak gerade die: Zell hinauf⸗
6g
fhauend ben bedrohten und befchäbigten Theil vor
Augen, fie rettet Ihre Habſeligkeiten in feuerfefte -
Keller, und fluͤchtet über bie. freigelaflene Mayn⸗
brüde nah Offenbach. Ihr Brief befhalb verdient
beigelegt zu werden.
Der Churfürft von Mainz geht nach Heiligen
ftadt, der Aufenthalt des Landgrafen von. Darmſtadt
bleibt einige Zeit unbelfannt, die Frankfurter flüchs
ten, meine Mutter: halt aus. Wir eben In einer
eingefchlaferten Furchtſamkeit. In ben Rhein: und
Mapngegenden fortwährende Unruhen und Flucht.
Stau von Gondehofen verweilt in Eiſenach, und fo
durh Flüchtlinge, Briefe, Boten, Staffetten
ſtroͤmt der Kriegsallarm ein- und bad anderematl
bie zu und; doch betätigt fih nah und nach die
Hoffnung, daß wir in dem Augenblide nichts zu
fürchten haben, und wir halten und für geborgen.
Der König von Preußen, bei einiger Beranlaffung,
ſchreibt von Pyrmont an den Herzog, mit diplomas
tifher Gewandtheit den Beitritt zur Neutralität
vorbereitend und den Schritt erleichternd. Furcht,
Sorge, Verwirrung dauert fort, endlich erklärt fich
Chnrfachfen zur Neutralität, erſt vorläufig, dann
entfchieden, die Verhandlungen deßhalb mit Preu:
fen werden auch und befannt.
Doch kaum feinen wir durch ſolche Sicherheit
beruhigt, ſo gewinnen die Oeſterreicher abermals
die Oberhand. Morean zieht ſich zuruͤc, alle koͤni⸗
giſch Geſinnten bedauern die Ueberellung zu der man
’
> 69
fih Hatte hinreißen Iaffen, die Gerüchte vermehren
fi zum Nachtheil der Sranzgofen, Moreau wird zur
Seite verfolgt und beobachtet, ſchon fagt man Ihn
eingefchloffen; auch Jourdan zieht fih zuräd, und
man iſt in Verzweiflung a man 19) allzufrübzeitig
gerettet habe, .
Eine Geſellſchaft hochgebildetet Manner, welche
ſich jeden Freitag bei mir verfammeiten, beſtaͤtigte
ſich meht und mehr. Ich las einen Gefang ber
Ilias von Voß, erwarb mir Beifall, dem Gedicht
hohen Antheil, ruͤhmliches Anerkennen bem leber-
feßer. Ein jedes Mitgiied gab von feinen Gefchaf-
ten, Arbeiten, Liebhabereyen, beliebige Kenntniß,
mitfreimüthigem Antheil aufgenommen. Dr. Bud:
holz fuhr fort die nenften phyfifh = hemifchen Er⸗
fahrungen mit Gewandtheit und Gluͤck vorzulegen.
‚Nichts war ausgeihlofen, und das Gefühl der
cheilhaber, welches Fremde fogar in fih aufnah-
men, hielt von felbft alles ab, was einigermaßen
hätte laͤſtig ſeyn können. Akademiſche Lehrer ge-
felften fih hinzu, und wie fruchtbar diefe Anftalt
ſelbſt für die Univerfität geworden, geht aus dem
eingigen Beifplel fchon genugfam hervor, daß der.
Herzog, der iu einer folhen Sitzung eine Worlefung
des Doctor Chriſtian Wilhelm Hufeland angehört,
ſogleich befhloß Ihm eine Profeffur in Jena zu er-
theilen, wo derfeibe fi durch mannichfache Thaͤtig⸗
fett zu einem immer Ammenmenden irlungetretſe
vorzuberelten wußte.
—
70
Dieſle Societat gar In dem Grade negulitt, daß
meine Abweſenheit zu kelner Störung Anlaß gab,
vielmehr übernahm Geh. Rath Voigt bie Leitung,
und wir hatten uns mehrere Jahre der Folgen einer
gemeinſam geregelten Thaͤtigleit zu erfreuen.
Und fo ſahen wir denn auch unſexn trefflichen
Batſch dieſes Jahr In thätiger Iufsledenheit. Der
edle reine aus ſich felbft arbeitende Mann bebuxfte,
.. gleich einer ſaftigen Pflanze, weher- vieles. Erbseich
noch Starke Bewäflerung, da er bie Fähigkeit befaß
aus der Atmofphäre fih die beiten Nahzungsftoffe
ausuelonen. |
Bon diefem ſchoͤnen ftillen Wirken zeugen noch
heut feine Schreiben und Berichte, wie er ſich an
feinem maͤßigen Glashauſe begnuͤgt und durch das
allgemeine Zutrauen gleichzeltiger Naturforſcher Die
Achtung ſeluer Societaͤt wachſen und ihren Beſitz
ſich erweitern ſieht; wie er denn auch bei ſolchen
Gelegenheiten feine. Vorſaͤtze vertraulich „mitteilte,
nicht meniger feine Hoffnungen u Zu⸗
BAUEN:
77.37: |
Zu Ende des vorigen Jahrs machte ich eine Reiſe
einen gnaͤdigſten Herrn nach Leipzig zu begleiten;
beſuchte einen großen Ball wo ‚und die Herzen Dok
und Compagn., und wer ſich ſonſt durch bie Fenlen
71
merleht aber: arfhwedt hielt, mit Aſprehenſton, wie
das bite Princhp betrachtete. In Deffau ergößte
uns die Erinnerung ifruͤherer Beiten; die Famille
ou Loen zeigte fich ais eine angenehme, zutruu⸗
Ache Verwandtſchaft, und man konnde ſich der fräh-
den Fraufkfarter Tage und Stunden en
erinnern.
Schon in den BEER Donaten des Sabre er-
frente fich das Theater an dem Belteltt von Ca⸗
zoline Jagemann, als einer neuen Blende.
Dberon ward gegeben, bald darauf Telemach,
und manche Rollen tonnten mit mehr Auswahl be⸗
{et werten. Aeußerlich führte man dad Bühnen
ern zunaͤchſt In. feinem gewährten Gaunge fett,
inner halh aber: ward manches Bedentende vorberei-
tet. Schiller, des nunmehr ein wirlliches Theater
in Der Naͤhe und vor Augen Hatte, dachte ernitiu)
darauf feine Stüdfe fpielbarer zu. machen, und ale
ihm hierin Die große - Breite wie er Wallenſtein
ſchon gebucht abermols hinderlich war, entſchloß er
ſich ben Gegenſtand In mehreren Abtheilungen zu
behandeln. Dieß geh in Abweſenheit der Gefell⸗
ſchaft, den sangen Sowmer über, reichliche Be⸗
lehrung und Unterheltung. Schon war ber Prolog
geſchrieben, Wallenksind Lager wuchs heran.
Auch lich meinerfeiss. in volllommener Thaͤtig⸗
get: Herrmann und Do rothea erſchien als
Taſchenkuch, und ein neues epiſch⸗ romantiſches Ge⸗
Hit: wurde: gleich Daxanf entmorfen. Der Pian warin
A
72
- allen feinen Theiten durchgedacht, den ich ungluͤck⸗
licherweiſe meinen Freunden nicht verhehlte. Ste
tiethen mir ab, und es betrübt mich noch daß ich
ihnen Folge leiſtete: denn der Dichter allein kann
- wiffen was In einem Segenftande liegt, und was er
fr
‚für Reiz und Anmuth bei der Ausführumg daraus
entwideln könne. Ich fchrieb den neuen Pau—
ſias und die Metamorphofe der Pflanzen
in elegifher Form, Schiller wetteiferte, Indem er
. feinen Taucher gab. Im eigentlihen Siune blel-
ten wir Tag und Nacht keine Ruhe; Schillern be-
ſuchte ber Schlaf erft gegen Morgen; Leidenfhaften
: aler Art waren in Bewegung; durch die Zenien
Hatten wir ganz Deutfchland aufgeregt, jederman
fhalt und lachte zugleih. Die Verlesten ſuchten
und auch etwas Unangenehmes zu erweiſen, alle
unfere Gegenwirkung beftand in unermübet fortge-
ſetzter Thaͤtigkeit.
Die Untverfität Jena ſtand auf — Gipfel ihres
Flors; das Zuſammenwirken von talentvollen Men-
ſchen und gluͤcklichen Umſtaͤnden waͤre der treuſten
. Vebhafteften Schilderung werth. Fichte gab eine
neue Darſtellung der Wiſſenſchaftslehre im philo⸗
ſophiſchen Journal. Wolt mann hatte ſich inter⸗
eſſant gemacht und berechtigte zu den fchönften
Hoffnungen. Die Gebrüder von Humboldt
waren gegenwärtig, und Alles. ber Natur Angehörige
. Banı philoſophiſch und wiſſenſchaftlich zur Sprade.
Mein oſteologiſcher Typus von 1795 gab nun Ver:
il — — — ———— — —⏑—
73
anlaffung die oͤffentliche Sammlung fo wie meine
eigene rationeller zu betrachten und zu bennken.
Ich fhernatifirte die Metamorphofe der Infecten,
bie ich feit mehreren Jahren nicht aus den Augen
ef. Die Kraufifhen Zeichnungen der Harz⸗
fefen gaben Anlaß zu geologifhen Betrachtungen,
galvanifche Werfuhe wurden durch Humboldt ange⸗
ſtellt. Scherer zeigte ſich ads hoffnungsvoller Che-
mikus. Ich fing an die Farbentafeln In Ordnung
zu dringen. Für Schillern fuhr ich fort am Gellint
in überfeßen, und da ich bibliſche Stoffe in Abſicht,
poetifhe Gegenftände zu finden, wieder aufnahm,
fo lleß ih mich verführen, die Reife der Kinder
Israel durch die Wuͤſte kritiſch zu behandeln. Der
Aufſatz, mit beigefuͤgter Charte, ſollte jenen wun⸗
derlichen vierzigiährigen Irrgang zu einem, wo nicht
vernünftigen, doch faßlichen Unternehmen unrbilden.
Eine unwiderſtehliche Luft mach dem Land und
Sartenieben hatte damals die Menfchen ergriffen.
Schiler Taufte einen Garten bei Jena, und 308
hinaus; Wieland hatte ſich in Oßmannſtedt ange⸗
ſiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der
Im, ward in Oberroßla ein kleines Guüt verkaͤuf⸗
lich, ich hatte Abſichten darauf.
Als Beſuch erfreuten uns Lerſe und Hit.
Der feltfame Reiſende Lord Briftol gab mir zu
einer abenfeuerlihen Erfahrung Anlaß. Ich bereite
mich zu einer Reife nah der Schweiz, meinen aus
Italien zuruͤkfkehrenden Freunde Heinriih Meyer
74
„entgegen. Der Neimariſche Genlaßbau wäthist zur
Umſicht nad) einem -geifiseichen Architekten und ge⸗
ſchiten Handwerlern. Ach die Zeicheuſchule er⸗
Halt neue Anxegung.
Vor meiluer Abreiſe verbrenn' ich alle an mich
geſendeten Briefe ſeit 1772, aus entſchledener Ab⸗
neigpng gagen Publicatlon des ſtillen Gauss freund⸗
ſchaftlicher Mittheilung. Schiller beſucht mich noch
in Weimar, und ich reiſe den 30 July ab. Migin
geſchicter Schreiber mich begleitete, To iſt alles in
Acten geheftet, wohl erhalten, was damals auf⸗
fallend und bedeutend ſeyn konnte.
Da hiegaus mit ſchidlicher Redactlon ein- ganz
unterhajtended Baͤndchen fih bilden liaße, fo ſey
von dem ganzen Relleverlauf wur das llgemeinſte
bier angedeutet.
Unterweas byſchaͤftigt mich die genaue Betrach⸗
sung der Gegenden, hinſichtlich auf Geognoſie und
‚der Darauf gegrandeten Cultur. Sin Frankfurt be⸗
dehrt mid Soͤmmeriag, durch Unterbaltung, Praͤ⸗
parate nud Zaichnungen. Ich werde mit manchen
Perſoͤnlichleiten bekaunt, mit Oeffentlichm mb Be⸗
ſenderem; ich beachte das Thaater und fühne leb⸗
hafte Correſpondem; it Schiller mb andern Freum⸗
den. Oeſterreichiſche Garaiſen, aefangene Fran⸗
zoſen als Gegenſahz; jene von. imyperturbablem Exuſt,
dileſe Immer ‚non poſſenbafter Heite rieit. Franzoͤ⸗
ſiſche ſatpriſche Kapferſtiche.
‚Dean 264b von Sransfust, Aber Heldetbers,
76
Heilbronn, Ludwlasburg Iaı Ich den. sp. In Abtutt⸗
gast am, Kaufmann Rapy, Danneder, Shef-
faner werben befuht; ‚Belauutfcheft mit -Profer-
for Shonret, mit geſchickten Arbeitern von Zier-
tathen, Studatoren, Dusdratoren, die ſich aus der
bewegten Regierungszeit Herzog Carls hexſchrie⸗
ben; Unterhandlungen mit denſelhen, det dem
MWeimariſchen Schloßban anzuſtellen.
Anfang Septembers faͤllt der 5 —*X eit
und der Muͤhlbach, den Zumſteeg ſogleich com⸗
ponirt, ſodaun ber Juͤngling und die 3469 eu⸗
ne rin. Den 9 September In Tübingen, bei Cotta
gewohnt, bie vorziglihen bartigen Männer hefpro-
Heu. Maturaliencabinet des Profefor .D-ire be:
uichtigt, das, vormals Paagay in Frankfurt am
Dapı gehoͤrxig, mit der Uebevollſten Sorafalt-nach .
Zübingem trandportirt. marden. : Dep Ab Sentem⸗
ber von-bant weg. Schafhauſen, Mhekufal, Zürich,
Deu 21 In. Stäfa; Zufgmmenkunft. mit Meper,
mit ihm Die. Melfe angetreten; den. 28 über Marie
Einfiebel bie anf. ben. Gotthacd. Ders Detober
waren "wir wieder zurbd, , Zum drittenmale beſucht
ich bie ‚Heinen Cantane, and well die aphſche Feym
dei mir. gexade das Uebergewicht hatte, exſqun ich
æinen Tell unmittelbar in ber Gegenwart dex.claf-
Athen Herxtlichkeit. Eine folge Ublaitung-und Zer-
— war noͤthig, da mich die traurigſte Nach⸗
richt mitten in ben Gebirgen exreiſchte. Chriſtiane
* eumann, verehlichte Becker, war pon⸗uns ge⸗
\
76
fateden; Ich‘ widmete ihr die Elegie Euphroſine.
Liebreiches, ehrenvolles Andenken iſt nHes was wir
den Todten Ju geben vermögen.
Auf dem St. Gotthard hatte ich fchöne Minera⸗
Nlien ‘gewonnen; der KHauptgewinn aber war die
Unterhaltung mit meinem Freunde Meyer; er
“ brachte mir das lebendigſte Italien zuruͤck, das uns
die Kriegslaͤufte leider nunmehr verfchloffen. Wir
: bereiteten und zum Troſt auf die Proppläenvor.
Die Lehre von den Gegenftänden und was deun
eigentlich dargeftellt werden fol, beſchaͤftigte uns
vor allen Dingen. : Die genaue Beſchreibung md
fennerhafte- Bemerkung ber Kunftgegenftänbe after
: and neuer Zeit verwahrten wir ald Schäße für die
gukunft. Nachdem ich eine Beſchreibung von Stäfa
verfucht, die Tagebücher resdfet ind mundirt waren,
" gingen wir den 21’Dctober von dort ab. Den 26
° Detober von duͤrch abretfend Iangten wirden 6 No:
vember In Nürnberg an. In dem freundlichen Cir⸗
fel der Kreisgefandten durchlebten wit einige frohe |
: Tage. Den 15 Noventber von dort ab.
Im Welmar hatte die Ankunft mehrerer beden-
: tenden Emigrirten die Gefellfdjaft erweitert , ange=
‚nehm und miterhaltend gemadt. Nachzutragen tft
noch daß-Dberappellationsrath Körmer und feine
liebe und hoffnungs volle Familie ung im abgelaufenen
Sommer mit ihrer Gegenwart erfreute, und doch
bleibt noch manches Veſondete — merkwurdigen
Jahres zuruͤck
77. =
Millins antiquarifhe Thaͤtigkelt begann zu
wirken, den groͤßten Einfluß aber uͤbten Wolfs
Prolegomena.
Auf dem CTheater fand ich. die große Luͤce; Chri⸗
ſtiane Neumann fehlte, und doch war's der Platz
nach wo fie mir fo viel Intereſſe eingefloͤßt hatte.
Ih war durch fie an die Breter gewähnt, und fo
wendete ih uun dem Ganzen. zu, was ich ihr fonft
fat ausſchließlich gewidmet batte. .
Ihre Stelle war befeht, wenigſtens mit einer
wohlgefaͤlligen Schauſplelerin. Auch Caroline
Jagemann indeſſen bildete ſich immer mehr aus
amd erwarb ſich zugleich im Schaufptel allen Beifall.
Das Theater war fchon fo gut beftellt, daß die
eurrenten Stüde ohne Anftoß und Nivalität fi be⸗
fegen ließen.
Einen großen und einzigen Vortheil brachte aber
dieſer Unternehmung, daß die vorzuͤglichſten Werke
Ifflands und Kotzebüe's ſchon vom Theater gewirkt,"
und fi auf neuen, In Deutfchland noch nicht betre-
tenen Wegen großen Beifall erworben hatten. Beide
Autoren waren noch In ihrem Vigor; erfterer ale
Schaufpleler ftand in der ‚Epoche hoͤchſter Kunſtaus⸗
bildung.
Auch gereiäte zu unſerm groͤßten Vorthell, daß
wir nur vor einem Heinen, genugſam gebildeten
Yubllcum zu fplelen hatten, beffen Gefhmad wir
befriedigen und ung doch dabei unabhängig erhalten
tonnten; ja wir durften ‚manches KerKadEn, ung
N
78°
ſeſbſt unb'unfere Zaſchaner in einem hoͤheren Eine
auszublliden. SIE — a
Hier kam und nun Schiller vorzuͤhlkch zu Hilfe;
er ftand Im Vegrkff ſich zw beſchraͤrken, ben Roten,
Nebertriebenen, Gigantlſchen zu entfägen; ſchon
gelang ihm das wahrhaft Große und’ deffen natuͤr⸗
licher Ausdtuck. Wir vertebten’ feinen Tag in-ber‘
Nähe, ohne mE muͤndlich, keine Woche in: der.
Nachbarſchaft, ohne uns ſchrlfttich zu’ unterhalten.
—
179 8
So arbeiteten wir unermübet dem Beſuche Iff⸗
lands vor, welcher und im April durch acht feiner
Borftellungen anfrifchen ſollte. Groß wat der Ein—
fluß feiner Gegenwart: denn jeder Mitſplelende
mußte fi an ihm prüfen, Indem er mit ih wett-
eiferte, und bie nächte Folge davon war; daß auch
dießmal unfere Gefellfchaft gar loͤblich ausgeftatter
nach Lauchftädt 308. RE N
Kaum war fie abgegangen, als det‘ alte Winfäy
fih regte, In Weimar ein beferes Local für die
Bühne einzurihten. Schaufpieler und Publiram
fühlten fih eines anffändigerh Raumes wireblg, die
Nothwendigkeit einer folhen Veraͤnderung ward von
jederman anerkannt, und es bedurfte nur eines
geiſtreichen Anſtoßes um die Ausfuͤhrung zu beſtim⸗
men und zu beſchleunigen.
79
Baumeiſfter Dh ohret waͤr won Stuttgurt be⸗
rufen um ben neuen Schloßbau wekker zu fordern;
als Nebenzwock gab er einen fogleich beifaͤllig auf⸗
gewmmenen erfrentichen Plan zu einer neuen Ein⸗
tiaang dos vorhandenen Theatetlocals, nach wel⸗
chem ſich zu richten ex die groͤßtre Gewandtheit be⸗
wi, Und: ſo ward auch an uns die alte Bemer⸗
lung: wahr, daß Gegenwart eines Baumeiſters Bau⸗
luſt errege. Mit Fleiß uind Haſt bektieb man die
Arbeit, ſo daß mit dent. 42. Oetober Hof und Publi⸗
um zu: Eröffkung: des neuen Hauſes eingekaden
werden: kounten. Gin: Prolog don Schiller und
Wallenſteino "Lager gaben dfefer Feyerlichkeit Werth⸗
und: Würde,
Den: ganzen Schwer. hatte: es in senken:
hiezu nicht gefehlt, desm der große Walleuſteiniſche
Ceclus, zuerſt nur angekuͤndigt, beſchaͤftigte uns
durchaus, obgleich nicht ausſchließlich.
Von meinen- eigenen poetiſchen und ſchtiftſtel⸗
leriſches mein: habe tab ſo viel zu ſagen, daß die
Deiffogungen desnBoris mich nur einige Seit’
unkerhlolten. Zur EB itlels hatte ich den Ptan
sang iim Sinne, den fh Schillern eines Abends aus⸗
fuͤhelich erzaͤhtltke. Der Freuud fchalt mich aus, duß
Ih etwas fo klar vor mir ſehen kdunte, ohne ſoches
aucubiidon dar Worte und Sylbenmaß. So
angettieben und‘ fleißig ermahnt ſchrieb ich die zwey
erſtea Geſaͤuge; auch den Plan ſchrieb ich auf, zu
80
deſſen Foͤrderniß mir ein treuer Auszug aus der
Ilias dienen follte,
Doch hiervon leitete mich ab die Richtung zur
bildenden Kunſt, welche ſich bei Meyers Zuruͤckkunft
aus Italien ganz entſchieden abermals hervorgethan
hatte. Vorzüglich waren wir beſchaͤftigt das erfie
Stuͤck der. Propyläen, welches theils vorbereitet
theils gefchrieben wurde, lebhaft weiter zu fördern.
Cellini's Leben ſetzt' ih fort, ale einen Anhalte⸗
punkt ber Gefchichte des ſechzehnten Jahrhunderts.
Diderot von den Farben ward mit Aumerkungen
‚begleitet, welche mehr humoriſtiſch als kuͤnſtleriſch
zu nennen wären, und indem fih Meyer mit den
Segenftänden in. dem Hauptpunkt aller bildenden
Kunft gründlich befchäftigte, fchrieb ich ben Samm⸗
ler, um manches Nahdenten und Bedenken In die
heitere freiere Welt einzuführen.
In der Naturwiſſenſchaft fand ich manches zu
denken, zu befhauen und zu thun. Schellings
Weltſeele befhäftigte unfer hoͤchſtes Gelftesver-
mögen. . Wir ſahen ſie nun in der ewigen Meta-
morphofe der Außenwelt: abermals verkörpert. Alles
Naturgefhihtlihe, das fich ung lebendig näherte,
betrachtete ich wit großer Aufmerkſamkeit; fremde
merkwürdige Thiere, befonbers ein junger Elephant,"
vermehrten unfere Erfahrungen.
Hier muß Ich aber auch eines Aufſatzes geben-
fen, ben ich über pathologifches Elfenbein ſchrieb.
Ih hatte ſolche Stellen angefchoffener und wieder
ver⸗
81
verheilter Elephantenzaͤhne, die Befonders den
Kammmachetn hoͤchſt verdrießtih find, wenn ihte
Sige oft unvermuthet anf fie ſtoͤßt, ſeit mehreren
Jahren gefammelt, an Zahl mehr denn zwanzig
Stuͤcke, woran fi In gar Ihöner Folge zeigen ließ,
wie eine eiferne Kugel ind Imere der Zahn-
maffe eindringen, wohl die urganifche Lebendigkeit
fören aber nicht zerftören kann, Indem biefe fid
biee auf eine eigene Weiſe wehrt und wieder her-
ſtellt. Ich freute mic diefe Sammlung, befärfe-
ben und ausgelegt, dem Gabinette meines Freun-
des Loder, dem ich fo viel Belehrung fchuldig ge-
worden, dankbar einzuverleiben.
In weicher Hrönung und Abtheilung die Ge-
fdihte der Farbenlehre vorgetragen werben folte,
wird epochenweiſe durchgedacht und bie einzelnen
Schriftſteller ftudirt, auch‘ die Lehre ſelbſt genau er-
wogen und mit Schillern durchgeſprochen. Er war
es der den Zweifel loͤſte, der mich lange Zeit auf⸗
bieit: worauf denn eigentlich das wunderlice
Schwanten berube, daß gewiſſe Menfchen die Far-
ben verwechfeln, wobel man auf die Vermuthung
Im, daß fie einige Farben fehen, andere nicht
fehen!, da er denn zuletzt entichled, daß Ihnen bie
Erfemtniß des Blauen fehle. Ein junger Gilde:
meifter, der eben in Jena ftudirte, war in fol-
Gen Falle, ‘und bot fich freundlich zu alem Hin-
und Wiederverſuchen, woraus fih denn zuleht für
und jenes Refultat ergab.
Geethes· Werte. XXXI. Bo. 6
82
Ferner um das Mentale fihtlih barzuftellen,
yerfertigten wir zufammen mancherlei ſymboliſche
Schemata. So zeichneten wir eine Temperamenten=-
rofe, wie man eine Windrofe hat, und entwarfen
eine tabellarifhe Darftellung, was der Dilettantie-
mus jeder Kunft Nuͤtzliches und Schädliches bringe.
Gar mandhe Bortheile die wir im Naturwiſſen⸗
Tchaftlihen gewannen, find wir einem Befuh fhul-
dig geworden, den und Herr van Marum goͤn⸗
nen wollte. e
Damit aber auch von der andern Seite der Geift
zue unmittelbaren gemeinen Natur zurüdgezogen
werde, folgte ich der damaligen Tandfchaftlihen
Grille. Der Befis des Freiguts zu Roßla nöthlgte
mich dein Grund und Boden, der Landesart, den
doͤrflichen Verhältniffen näher zu treten, und ver-
lieh gar manche Anfihten und Mitgefühle, bie mie
fonft völlig fremd geblieben waren. Hieraus ent-
fand mir- auch eine nahbarlihe Gemeinfchaft mit
Wielanden, welder freilich tiefer in die Sache ge-
gangen war, indem er Weimar völlig verließ und
feinen Wohnort in Hfmannftedt auffchlug. Cr
hatte nicht bebacht was Ihm am erften hätte einfal-
len follen: daß er unfter Herzogin Amalla und fie
ihm zum Lebensumgang völlig unentbehrlich gewor-
den. Aus jener Entfernung entftand denn ein ganz
wunderbares Hin= und Wiederfenden von reitenden
und wandernden Boten, zugleich auch eine gewiſſe,
Taum zu befchwichtigende Unruhe.
83
Eine wunderbare Erſcheinung war in biefem
Sommer Frau von La Roche, mit der Wieland ei⸗
gentlich niemals übereingeftimmt hatte, jest aber mit
{he im vollkommnen Widerfpruch fi befand. Frei⸗
ih war eine gutmüthige Sentimentalität, bie allen-
falls vor dreyßig Jahren, zur Seit wecfelfeitiger
Schonung, noch ertragen werden Eonnte, nunmehr
sanz außer. der Jahreszeit, und einem Manne wie
Wieland unerträgiih. Ihre Enkelin, Sophie Bren-
tano, hatte fie begleitet und fpielte eine entgegenge-
feste, nicht minder wunderlihe Rolle.
179%
Den 30 Zanuar Aufführung von den Piccolo-
mint, den 20 April von Wallenftein. Indeſ⸗
fen war Schiller immer thätig. Marla Stuart und
die feindlihen Brüder kommen zur Sprache. Wir
beriethen und uͤber den Gedanken, die Deutſchen
Stuͤcke, die ſich erhalten ließen, theils unveraͤndert
im Druck zu ſammeln, theils aber veraͤndert und ins
Enge gezogen der negeren Zeit und ihrem Geſchmack
näher zu bringen. Eben daſſelbe follte mit auslaͤn⸗
diſchen Stüden gefhehen, eigene Arbeit jedoch durch
eine folhe Umbildung nicht verdrängt werben. Hier
it die Ablicht unverfennbar, den Deutfchen Thea⸗
tern-den Grund zu einem ſoliden Repertorium zu
legen, und der Eifer dieß zu leiten, Tpricht für die
‚34
Ueberzeugung, wie vothwendig und wichtig, wie
folgereich ein ſolches Unternehmen fey.
Wir. waren ſchon gewahnt gemeinſchaftlich gu
handeln, und wie wir dabei verfahren, iſt bereits
im: Margenblatt ausfuͤhrlich pergetragen. In das
gegenwaͤrtige Jahr faͤllt die Redaction vom. Mac⸗
beth und. bie. Ueberſezung son Mahomet.
De Mempiren der Stephanie von Bourbon
Conti exzegen in mir. Die Conception der natuͤrli⸗
ben. Tochter. In dem. Plane bereitete Ich mir
ein Gefäß, worin ich alles, was ich fa manches Jahr
über die Franzöfifche Revolution und deren Folgen
gefchrieben und gedacht, - mit geziemendem Ernfte
niederzulegen hoffte. Kleinere Stüde fchematifirte
ih mit Schillern gemeinſchaftlich, wovon noch eini⸗
ges von Schillern eigenhändig geſchrieben übrig iſt.
Die Propylaͤen wurden fortgefetzt. Im Septem-
ber hlelten wir die erſte Ausſtellung der Preisbil⸗
der; die Aufgabe wer Paris und Helena. Hart⸗
mann in Stuttgart erreichte den Prels.
Erwarben nun auf dieſe Weiſe die Weimarifchen
Kunſtfreunde ſich einiges Zutrauen der: Außenwelt,
fo war auch Schiller aufgeregt, weabkiflig die Me:
trachtung ‚über Natur, Kunſt und. Gitten: gemein-
ſchaftlich anzufiellen. Hier fuͤhlten wir. immer mehr
die Nothwendigkeit von tabellarifcher uud ſymboli⸗
der Behandlung Wir zeichneten sufammen jene
Temperamentenrofe wiederholt, au ber wügtihe
und fchädliche Einfluß des Dilettautismus auf elle
83
Maſte warb tabellariſch weiter ansgearbektet, wo⸗
von die Blaͤtter bekbhaͤndig noch vorllegen. Heber-
haupt wurden: ſolche methodiſche Entwuͤrfe durch
Schilers philoſoohiſchen Orbmmigegeikt, zu welchem
ich mich ſymboliſtrend Hinneigte, zur angenehmſten
Unterhaltung. Manahnn fie von Zeit zu Zeit wie⸗
der auf, pruͤfte ſie, ſtekiite ſie um, und fo iſt dem
auch Das Schema der Farbenlehre öfters dearbel⸗
tet worden.
Und ſo konnte das Leben nirgends ſtocken in den⸗
jenigen Zweigen der Wiſſenſchaft unb Kunſt, die wir
als bie unfrigen anſahen. Schelling theilte die Einſel⸗
tung zu ſeinem ⸗Entwurf ber Naturphiloſophie freund⸗
lich mir; er beſprach gern mancherlei Phyffkaliſches,
ich verfaßte einen allgemeinen Schematismus uͤber
Natur und Kunſt.
Im Auguſt und September bezog Ich meinen Gar⸗
ten am Stern, um einen ganzen Mondswechſel
darıh ein gutes Spiegel: Xefeftop zu beobachten; und
fo ward ich denn mit dieſem, ſo lange geliebten und
bewunderten Nachbar -endttih: naͤher bekannut. Bei
allem dieſem Ing ein großes Naturgedicht, das mir
vor der Seele ſchwebte, durchaus Im Hintergrund.
Während meines Gartenaufenthults las ich Her⸗
ders Fragmente, ingleichen Winckelmanns Briefe
und erſte Schriften, ferner Miltons verlornes Pa⸗
radtes, um die mannichfaltigſten Zuſtände, Denk:
und Dichtweiſen mir zu vergegenwaͤrtigen. It die
SA zurkickyrkehrt ſrubirte ich zu obgemeldeten
86
Theaterzweden ditere Englifhe Städe vorzüglich
des Ben Johnſons, nicht weniger andere, welche
- man Shalefpeare'n zufchreibt. Dur guten Math
nahm ih Autheil an den Schweftern-von Les: _
bos, deren Verfaſſerin mich früber als ein hoͤchſt
ſchoͤnes Kind, fpäter als ein vorzuͤglichſtes Talent
angezögen hatte. Tieck Lad mir feine Genoveva
“r
vor, deren wahrhaft poetiſche Behandlung mir fehr ,
viel Freude machte, und den freundlichften Beifall
abgewann. Auch die Gegenwart Wilhelm Yu
‚guft Schlegel war für mich gewinnreih. Kein
Augenbii warb müßig zugebraht, und man konnte
fhon auf viele Fahre hinaus ein geiftiges gemein⸗
fames Intereſſe vorherfehen.
189%
Dieſes Jahr brachte ich halb In Weimar, halb
in Jena zu. Den 30 Januar warb Mahomet auf⸗
geführt zu großem Vortheil für die Bildung unferer
Schaufpteler. Sie mußten fih aus Ihrem Natwra-
liſiren in eine gewiſſe Beſchraͤnktheit zurüdziehen,
deren Manlirirtes aber ſich gar leicht in ein Nafuͤr⸗
liches verwandeln ließ. Wir gewannen eine Vor⸗
übung in jedem Sinne zu den fchwierigeren rei⸗
deren Stüden, welche bald darauf erſchienen. Won
Dpern will Ih nur Tarare nennen.
ss Späterhin am 24 Detober, ale am Geburt⸗atag
. 87
der Herzogin Amalia, ward im engern Kreiſe Pa-
ldopbron und Neoterpe gegeben. Die Auffüh-
tung des Heinen Städs durch junge Kunftfreunde
war mufterhaft zu nennen. Künf Flguren ſplelten
in Masken, der Dame allein war vergoͤnnt, uns
— der eigenſten Anmuth ihrer Geſichtszuͤge zu er⸗
goͤtzen.
Dieſe Darfiellung bereitete jene Maskenkomoͤ⸗
dien vor, die in der Folge eine ganz neue Unterhal=
tung jahrelang gewährten.
Die Bearbeitung verfchledener Stüde, gemein⸗
ſchaftlich mit Schiller, ward fortgefeßt und zu bie-
fem Zweck das Geheimniß der Mutter von
Horace Walpole ſtudirt und behandelt, bei naͤherer
Betrachtung jedoch unterlaſſen. Die neueren klei⸗
nen Gedichte wurden an Unger abgeliefert, Die gu-
ten Frauen, ein gefelliger Scherz, gefhtiehen.
Nun follte zum nächften immer gefeyerten drey-
Sigften Januar ganz am Ende des Jahre Tancred
überfept werden, und fo gefchah es auch, ungeachtet
einer fi anmeldenden Erankhaften Unbehaglichkeit.
Als wir im Auguft diefes Jahre die zweyte Aus⸗
ſtellung vorbereiteten, fanden wir und fhon von
vielfeitiger Theilnahme begünftigt. Die Aufgabe:
ber Tod des Rheſus und Hektors Abfchleb von An-
dromache, hatten viele wartere Künftler gelockt.
Den erften Preis erhielt Hofmann zu Köln, den“
zweyten Nahl zu Kaffel. Der Ptopplaͤen drittes
und icdies Stuͤck ward; bei erſchwerter Ferrſetzung
88.
aufgegeben. Wie fih bösartige Menſchen dieſem
Unternehmen entgegengeſtellt, ſollte Wohl zum Troſt
unſerer Enkel, denen es auch nicht beſſer gehen wird,
gelegentlich naͤher bezeichnet werden.
Die Naturforſchung verfolgte ſtill ihren Gang.
Ein ſechs fußlger Herſchel war fr unſere wiſſenſchaft⸗
lichen Anſtalten angeſchafft. Ich beobachtete num
einzeln mehrere Mondwechſel, und machte wich mit
den bedeutendften Lichtgrängen bekannt, woburd ich.
denn einen guten Begriff von dem Relief der Mond-
oberfläche erhieft. Auch war mic die Haupteinthei—
Iung der Farbenlebre in die drey Hauptmaſſen, die
didaktifhe, polemifche und hiſtorlſche, zuerſt ganz
klar geworben, und hatte lich entfchieben.
, Um mir im Botanlfhen das Auffienfhe Syſtem
recht anihaulih zu machen, brachte ich. bie- ſaͤmmt⸗
chen Kupfer mehrerer boranifchen Octav-Werke in
jene Ordnung; fc erhlelt dadurch eine Anſchauung
der einzelnen Geftalt und eine Ueberfiht des Ganz
zen, welches fouft nicht zu verlangen geweſen wäre.
et 180% |
Zu Anfang bes Jahrs überfiel mich eine arim-
mige Krankheit;, bie. Veranlafung dazu mar fol
sende: feit der Aufführung Mahomets haste id.
eine Ueberſetzung des Tancred von Voltalre begon⸗
nen u wich hamit beſchaftigt; mun acer res
89
— und ic mußte das Werk ernſtlich an⸗
greifen, daher begab Ih mid Hälfte Decambers nad
Jena, mo Ich Inden großen Zimmern bes hergegli-
den Schloſſes einer altherloͤmmlichen Stimmung
fogteich gebisten konnte. Auch biefmal- waren bie
dertigen Zuſtaͤndb meiner Arbeit gaͤnſtig; allein die
Emſigkeit, womit ih mich daran hielt, Ueß mic
den ſchlimmen Elufluß der Localttaͤt dießmal wie
ſchon oͤfter uͤberſehen. Das Gebäude Hegt an dem
tiefſten Puncte der. Stadt, unmittelbar an der Muͤhl⸗
lade; Treppe fo wie Treppengebaͤude von Gpps,
us einer fehr falten und verkaͤltenden Steinart, an.
he fi bei, eintretenden Thaumetter Die Feuchtig⸗
teit. häufig anwirft, machen ben Aufenthait beſon⸗
ders Im: Winter ſehr zweydeutis. Alſein wer euere:
unternimmt und leiſtet, denkt er ˖ mahl an ben Ort mo
es gefchieht?, Genug ein heftiger Katarxhauͤberſiel
mich, ohne daß ich deßhalb in mern Wartet irve
geworden waͤre.
Damals hatte das Brownlgche Doama Ältere unh-
jüngere ‚Mebiciner ergriffen; ein. inger Freund
demſelben ergeben ,,. mußte von ber Erfabrung, baßı
Peruniauifger Balſom, vorhunden aut Opiym nd
Myrrhen, in den hoͤchſten Bruſtuͤbeln einen augen⸗
blicuchen Stillſtand verurſache und dem gefaͤhrlichen
Verlauf · ſich entgegenfege.. Er rigth wir zu dieſem
Mittsl, und in. dem Augenblick war Huflen, Mus-
wur und alles vexſchwunden. Wohlgemuth, bessh.;
ich int: ie WMoafe ſor Schedinss Begleltung weckt
90
Weimar, als gleich zu Anfange des Fahre der Ka-
tarrh mit verfiärktee Gewalt zurädlehrte und Ich
in einen Zuftand gerieth, der mir die Befinnung
raubte. Die Meinigen waren außer Faffung, bie
Aerzte tafteten nur, ber Herzog, mein gnaͤdigſter
Herr, die Gefahr überfchauend,, griff fogleich per-
föntih ein, und ließ durch einen Eilboten den Hof⸗
rath Starke von Jena herüberfommen. Es vergin-
gen einige Zuge, ohne daß ich zu einem völligen Be⸗
wußtfeyn zuruͤckkehrte, und als Ih nun dur die
Kraft der Ratur und Ärztliche Huͤlfe mic ſelbſt wie-
der gewahr wurde, fand ich die Umgebung des rech-
ten ‚Auges geſchwollen, das Sehen gehindert und
mich uͤbrigens in erbärmlihem Zuftande. Der Fürft
Ueß /in ſeiner forgfältigen Leitung nicht nach, der
hocherfahrne Leibarzt, im Praktiſchen von ſicherm
Griff, bot alles auf, und fo ſtellte Schlaf und Tran⸗
fpiration mich nach und nach wieder ber.
Innerlich hatte Ich mich Indeffen ſchon wieder fo
geftaltet, daß am 19 Januar bie Langeweile des Zu⸗
ftandes mit eine mäßige Thaͤtigkeit abforderte‘, und
ſo wendete ich mich zur -Ueberfehung bes Theophre-
ſtiſchen Buͤchletns von den Farben, bie ich ſchon
längft Im Sinne’ gehabt. Die nähften Freunde,
Schiller, Herder, Bolgt, Einfiedek’und Loder wa-
ren-thätig, mich über fernere böfe Etunden hin-
auszuheben.- Am 22 war fchon bei mir ein Eon-
cert veranftaltet, - und Durchlaucht dem Herzog -
konnt' Ih am 34, als am Tage, wo er nad Ber:
j 9 :
Unreifte, für die bis zulegt unmterbrochene Gerg-
fait mit erbeitertem Selfte danken: dem an dieſem
Tage hatte fih dad Auge wieder gedffnet, und man
durfte hoffen, frei nnd vohftändig abermals in die
Belt zu ſchauen. Auch konnte ich zunaͤchſt mit ge-
neſendem Blick die Gegenwart der durchlauchtigſten
Herzogin Amalia und Ihrer freundlich geiftreihen
Umgebung bei mir. verehren.
Am 29 durchging ih die. Rolle der Amenaide
at Demoiſelle Caspers, einer ſich heranbllden⸗
den Schauſpielerin. Freund Schiller leitete die
Proben, und fo gab er mir denn auch den 30 Abende
nach der Aufführung Nachricht von dem Gelingen.
So ging Ich ferner; diefeibe Rolle mit Demotfelle
Jagemann durch, deren Natukell und Verbienft.
als Schaufpielerin und Sängerin damals ein Ber:
ebrer nad — ——— haͤtte ſchildern
ſollen.
Brauchbar und — in menden. Mollen
war Ehlers als Schanfpieler und Saͤnger, beſon⸗
ders in dieſer letzten Eigenſchaft geſelliger Unterhal⸗
tung hoͤchſt willkeonunen, Inden en Balladen und an⸗
dere Lieder der Art: zur Guitarre mit genaueſter
Praͤciſſon ver Tertworte, ganz anverglaichlich vor⸗
trug. Er war unermüdet.. im GStudiren des eigent⸗
lichſten Ausdrucks, der darin beſteht, daß der Saͤn⸗
ger nach Einer Melodie die verſchiedenſte Bedeu⸗
tung der einzelnen Strophen hervorzuheben und fo
die Pflicht des Lyrblers und Epikers zugleich: zu er⸗
92
fügen:weiß. Hirvon durchdeungen Heb rrifih'd gern:
gofallen, wenn ich ihm zumuthete, mehrere Abends
ſtunden, ja bis tief ia bie Nacht hinein, daſſetbe
Lied mit allen Schattirungen aufs pünctäkbfte yw--
wiederholen: denn bei der gelungenen Paris über>
zeugte er ſich, wie verwerflech alles ſogenanute Duch⸗
camponiren der Lieder ſey, woburch der allgemrin
lyriſche Charakter ganz aufgehoben und. eine tale:
Thyeilnahme am Einzelnen gefordert uud ertegt wird.
Schon am 7 Februar regte: ſich In mir otr pros
ductive Ungeduld, ich vahm den Fauft wieder: vor
und führte ftellenwelfe: busientge aus, was in: Sekte
nung und Umriß ſchon laͤugſt vor mir lag.
Als ich zu Ende vorigen Jahrs u Jeue den Dan
erad vᷣearbeitete, ließen meine dortigen geiſtretchen
Freunde den Morwutf laut: werben, dußuch anich
mit Franzoͤſiſchen Staͤcen; welche bet der jentgen
Geſinnung von Deutſchland nicht wohl Gunſt erlan--
gen koͤnten, ſo emſig befdniftige und nichtẽ Eigenes
vernaͤhme, worom ich doch ſo manche: hatte merkrur
laſſen: Ith vief air: her: die natarllche Tochter
vor doer Seelr, deren ganz ansgefthetes Shen
Ian feitieinigen Farben: unser meinen Paplerrn lag. :
AGeltentuch· dacht/· ich an: ums. Weitere; allein
durch einen anfıGcführnngi geſtuͤtzten Aberzlauben⸗
daß ch rotn ‚Unttenehmen' nicht ausſprechen durfe
wert es gelingen: ſolle, verſchwien ich ſeibſti Schil⸗
leen die ſeer Achefte unb urfchben ihrn: Daher nid mus
thetine hmenh glauubens ante ccboe. Baba Docemn⸗
93 N
ber find: tcibenuents , daß ber.eufte Bet der matuͤtti⸗
chen Tochter seibenbet worden.
Doc Fechtte.· sd; nicht an Ableit rgen, veſondets
naturwiſſenſchafttichen,, fo wie ind Vhlloſophlſche
und Biterariſche. Ritter befuchte mid öfters, und
sb. ich. gleich sin ſeine Behandilungsweiſe mich nicht
ganz. ftuben fannte , ſo nahm ich voch gern von: ihm
auf, was er von Erfahrungen überlieferte: umd- was
er nach ſeinen Beſttebungen ſich ind Ganze auszu⸗
bilden getrieben war. Zu Schelllug und Schlegel
vlleb . ein. thaͤtiges mittheilendes Verhaͤldaiß. Tiere
Hbelt: ſich laͤnger In Weimar auf, ſeine Gegenwart
war timmer anmuthig foͤrdeuyrnd. Mit Paulus blieb
ebenfalls ein. iamer gleiches Verbuͤndnißz wie Bonn
alle ·hiefe Vochtitulſſe darch die Nähe von Wehnar
md FJenaſich immerfort lobendig erhlelten und durch
meinen Aufenthalt am — — mehr
beſtaͤrigt wurden.
Bor Mat urtiſtorlſchem beruhrte —
ein krummer Elephantenzahhn ward nach einem grb-
-Gen Regengußo in den Gelmeroͤder Schracht entdert.
Erddag höher als alls die vicherigen Weite dieſer fru⸗
Yan SGeſchorſee, welde: in:den DTaffſtetubruchen,
eingahuͤllerin Bie ſes Weftein, wenig Fuß uͤber der
Jim gefnnden werden; dieſer aber ward unmittel⸗
dar auf dem Kalfftoͤtz⸗ unter der. aufgeſchwemmuen
Erde im Geroͤlle entdeckt, über der Ilm etwa zwen-
hundert. Er ward zu einer Zeit gefunden, wo id,
dergietgen Gegenſtaͤnden eutfrrundet, daran wenig
» "94
Antheil nahm. . Die Kinder biekten-bie Materie für
- Meerfhaum und ſchickten folde Stüde nad Ciſenach,
“ur Heine Trämmer waren mir zugekommen, die ich
anf fib beruhen ließ. Bergrath Werner jedoch, bei
einem abermaligen belehrenden Beſuche, wußte fo-
‚gleich die Sache zu enticheiden, und wir erfreuten
uns der von einem: Meier des Fachs ausgeſproche⸗
nen Beruhigung.
Auch die Verhaͤltniſſe, in bie ich durch den Befitz
des Freiguts zu Roßla gekommen war, forderten
aufmerkſame Theilnahme fuͤr einige Zeit, wobei ich
jedoch die Tage, die mir geraubt zu werden ſchie⸗
nen, vielſeitig zu benutzen wußte. Der erſte Pach⸗
tes war auszuklagen, ein neuer einzuſetzen, und
: man mußte die Erfahrungen für etwas reinen, bie
man im Verfolg fo fremdartiger Dinge. nach. und
nach gewonnen hatte,
Zu Ende März war ein ländlicher Aufenthalt
ſchon erauidiih genug. Oekonomen und Juriſten
überließ. man das Gefchäft und ergößte ſich einſtwei⸗
len in freier. 2uft, und weil die Cencluſion ergo bi-
bamus zu allen⸗ Praͤmiſſen paßt, fo ward auch. bei
‚diefer Gelegenheit manches herkoͤmmliche und will:
kuͤrliche Feſt gefeuert; es fehlte nicht an Beſuchen,
und die Koften einer wohlbefeäten Tafel vermehr-
ten das Deficit, das der alte, Pachter zuruͤckgelaſ⸗
ſen hatte.
Der neue war ein leidenſchaftiicher Freund von
Banmzudt; feiner Neigung gab ein angenehmer
095 [ 5
Thalgrund von dem frachtbarften Boden Gelegen-
heit. zu folhen Anlagen, Die eine buſchige Seite
des Abhange, durch eine lebendige Auelle geſchmuͤckt,
tief dagegen meine alte Parkſpielerey au gefchlän-
gelten Wegen: und gefelligen Räumen hervor; genug
ed fehlte nichts ald das Nüslihe, und fo wäre die⸗
fee kleine Beſitz hoͤchſt wünfchenswerth geblichen.
Auch die Nahbarfhaft eines bedeutenden Städt
chens, Heinerer Ortſchaften, durch verftändige
Beamte und tuͤchtige Pächter geſelllgz, gaben dem
Aufenthalt befondern Reiz; die ſchon entfchlebene
Straßenführung nah Eckardsberge, welche unmit-
teldar hinter dem Hausgarten abgeſteckt wurde,
veranlaßte bereits Gedanken und Plane, wie man
ein Luſthaͤuschen anlegen und von dort an den bele-
benden Mepfuhren fih ergösen wollte; fo daß man
fih auf dem Grand und Boden, der einträglich Hätte
werben follen, nur neue Gelegenheiten zu vermehr-
. ten Ausgaben und verberblichen zerfirenungen mit
Behagen vorbereitete.
Eine fromme, für's Leben bedeutende Feyerlich⸗
keit fiel jedoch im Innern’ des Haufes In diefen Ta-
gen vor. Die Sonfirmation meines Sohnes, welche
Herder nad feiner edlen Welfe verrichtete, ließ une
nicht ohne rührende Erinnerung vergangner Ver⸗
bältniffe, nicht ohne Hoffnung Fünftiger IIEUAPUSIEE
Bezüge.
Unter dieſen und andern Creignifen wer der
Tag bingegangen; erste fowohl als Fremde ver:
‚9%
tangten, ich falle mich in ein Bad begeben, und fch
Tieß. mich, nach: dem damaligen Staͤrkungsfpftem,
um f6 mehr fuͤr Pyrmont beftimmen, aid ich mich
nach einem "Aufenthalt in Göttingen fihon laͤngſt
gefehnt hatte.
Den. 5 Juny reiftte ih ab vor Weimar, uud
gleich die exften Meilen waren mir hoͤchſt erfriſchend;
- Ich konnte wieder einen theiinehmenden Blick auf
die Welt werfen, ‚und obgleich von feinem aͤſtheti⸗
ſchen Gefühl begleitet, wirkte er doch hoͤchſt wohl⸗
thätig auf mein Inneres. Ich mochte ger bie Folge
der Gegend, bie Abwechielung ber Landesart be-
merken, nicht weniger ben Charakter der Städte,
Ihre ältere Herkunft, Erneuerung, Polieey, Arten
und Unarten. Auch die menfchliche Geſtalt zog mid
an: und ihre · hoͤchſt merlbaren Verſchiedenheiten; ich
fälle, daß ich der Welt wieder angehörte.
In Göttingen bei der Krone eingekehrt bemerkt
* als eben die Daͤmmerung einbrach, einige Be-
wegung auf der Straße; Studirende kamen und
gingen, ‚verioren ſich in Seitengaͤßchen und traten
1# bewegten- Muffe wieder vor. Endlich erſcholl
anf einmal: ein Freudiges Lebehoch! aber auch Tın
Augenblick war alles verfchwunden. Ich vernahm,
daß dergleichen Beifallsbe zeugungen verpönt ſeyen,
und es freute mich um ſo mehr, daß man es gewagt
hatte mich aur im Vorbeigehen aus dem Stegreife
zu begtaͤßen. an datauf erhielt ich ein Billet,
unter-
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97
unterzeihnet Schuh mamer aus Holſtein,
mir auf eine anftändig vertrauliche Art den Aa
wmeibet, den er und eine Geſellſchaft innger Freunde
gebegt, mich zu Michasli in Melmar zu befuchen,
und wie fie nunmehr hofften bier am Ort ihren
Wunſch befriedrigt zu Tegen. Ich Iprach fie mit Au⸗
theil unb Vergnuͤgen. Cin fo ——
wäre dem Seſunden fhon wehlthaͤtig geweſen, dem
Geneſenden ward er es doppelt.
Hofrath Blumenbach empfing mich nach ge⸗
wohnter Welle. Immer von dem NMeuſten und
Mertwärbigftien umgeben iſt fein Willlommen jeber-
zeit beichrend. Ich fah bei ihm ben erſten Aeroli⸗
then, an welches Naturerzeuguiß ber Glaube une
erſt vor kurzem in die Hand gegeben ward. Ein
junger Räftner und von Arnim, früber bes
kannt und verwandten Sinued, fuchten mich. auf
und begleiteten mich zur Reitbahn, wu ich ben be:
rähmten Stallmelfler Ayrerx in feinem Wirkunges
freife begrüßte. Eine wohlbeßellte Reitbahn hat im-
mer etwas Impoſantes; bas Pferd ſteht als Thier
ſehr hoch, doch feine bedeutende weitreichende In⸗
telligenz wirb auf eine wımderfame Weiſe durch ge=
bundene Ertremitäten befchräntt. Gin Geſchoͤpf,
das bei fo bedeutenden, ja großen Eigenſchaften fi
ung im Treten, Lanfen, Nennen zu.äußern vermag,
iſt ein feltfamer Gegenſtand für die Betrachtung, ia
man überzeugt fich beinahe, daß es nur zum Organ
des Menichen geihaffen fey, um gefellt zu höherem
Oretze'} Werte. KIXL Bd. 7
v8
Sinne und HZwerke das SKräftkgfte wie das Anmu⸗
thigſre bis zum Hamüglichen auszurichten. en
MWarum dann anch eine. Reithahne ſa wohlthaͤtig
auf.den Verſtaͤndigen witkt, iſt daß amar hier, viel⸗
teicht eimig in der Weit, die zweckmabige Beſchvan⸗
tung ber That, die Werksanung aller Willkir, ia
des Zufalls mit Augen ſchaut und mit dem Geiſte
begreift. Menſchen und schier verſchmelzen hier
dergeſtalt in Eins, daß man nicht tzzu ſagen mußte,
wer denn ekgentlich ben andern ersieht. Derzleichen
Betrachtungen warden bis aufs hoͤchſte geſteigert,
als man die zwey Paare ſegenanuter weißgeborner
Herde zu ſehen⸗bekam, welche Fuͤrſt Sangusko in
Hunnover für eine bedeutende Summe: getauft hatte,
.Von da zu der allerruhigften und unſichtbarſten
Thaͤtigkeit übergugehen, war in oberflaͤchlicher Be⸗
ſchauung der Bibliothek gegoͤnnt; man fuͤhlt ſich wie
in der Gegenwart eineg großen Gapitals, das e⸗
rarſctos unberechenbare Ainſen ſyendet.
Hofrath He ve zeigte mir’ Koͤpfe Howeriſcher
Helden von Diſch be in in groͤem Maßſtabe aus⸗
geführt; ich Tamnte. die Hand des alten. Freundes
wieder, und freute mich feiner fortgefenten Bemuͤ⸗
hungen, durch Stublum der Antike fi der Einſicht
zu nähern, wie ber bitbende Kuͤnſtler mit dem Dich⸗
ter zu wettelfern: habe. Wie viek weiter war man
nicht ſchon gekemnen nid wor zwanzig: Jahren, Da
Der trefftiche, das Hechte vorahnende KLeffing vor
den Irrwegen bes Grafen Cayfus warnen, und ges
9
gen Klotz und Miedel feine. Ueberzengung vertheidi⸗
gen mußte, daß man nämlich nicht nach dem Homer,
fouderu wie Homer mythologiſch⸗ epifhe Gegenſtaͤn⸗
de bisbEhnftleriich zu behambein habe,
Reue und ernemerte Bekanntſchaften fanden fi
wehlmwollend ein. Unter Leitung Blumenbachs be-
fah ich abermals die Muſeen, und fand im Stein-
zeihe mir noch unbelannte aufrreurspäifhe Mu⸗
ſterſtuͤuke.
Und wie denn jeder Ort ben fremden Ankoͤmm⸗
ing zerftreuend bin- und herzieht and unfere Faͤ⸗
higkeit, das Intereffe mit den Gegenfländen fchnell
zu wechfeln, von Augenblick zu Augenbiid in Au-
ſoruch nimmt, fo wußte ich die Bemuͤhung des Pro-
feſors Oſiander zu fhäben, der mir ‚bie wich⸗
tige Anftalt des neu⸗ und ſonderbar erbauten Necou-
chirhauſes, To wie bie Behandlung bes Geſchaͤftes
erllaͤrend zeigte.
Den Lodungen, mit denen Blumenbach die Ju⸗
-gend anzuziehen und fie unterhaltend. zu beichren
weiß, entging auch nicht mein zehnjaͤhriger Sohn.
Als ber. Knabe vernahm, daß von den vielgeftaltigen
Berfteinerungen ber Heinberg wie zufammengefebt
fey, drängte er mich zum. Beſuch diefer Hoͤhe, wo
«bean bie sewäßnlichen Debude häufig aufgepackt, die
feltnern aber einer fpdtern .emfigen Forſchung vor⸗
behalten wurben.
Und fo entfernte ich mich den 12 Juny von die⸗
ſem einzig bedeutenden Orte, in der angenehm be:
100
rubigenden Hoffnung mich zur Nachcur Länger ba-
felbft aufzuhalten.
Der Weg nah Pyrmont hot mir neue Betrach⸗
tungen dar: das Leinethal mit feinem milden Cha⸗
rakter erfchlen freundlich und wöhnlih; die Stabt
Einbeck, deren hoch aufftrebende Daͤcher mit Sand⸗
fteinplatten gededt find, machte einen wunderfamen
Eindrud. Sie ſelbſt und die nächte Umgegend mit
dem Sinne Zadigs durchwandelnd, glaubt’ ih zu _
bemerten, daß fie vor zwanzig, dreyßig Jahren einen
trefflihen Burgemeifter muͤſſe gehabt haben. Ich
fhloß dieß aus bedeutenden Baumpflanzungen von
ungefähr diefem Alter.
In Pyrmont bezog ich eine fhöne, ruhig gegen
das Ende des Orts Iiegende Wohnung bei dem
Brunnencafjierer, und es konnte mir nichts gluͤck⸗
licher begegnen ald daß Griesbachs ebendafelbft ein-
gemiethet hatten, und bald nach mir anfamen. .
Stille Nachbarn, geprüfte Freunde, fo unterrichtete
als wohlwollende Perfonen trugen zur ergößlichen
Unterhaltung das vorzäglichfte bei. Prediger
Schuͤtz aus Büdeburg, ienen ald Bruder und
Schwager, und mir ald Gleichniß feiner. längft be-
kannten Geſchwiſter höchft willlommen, mochte ſich
gern von allem was man werth und wuͤrdig halten
mag, gleichfalls unterhalten.
Hofrath Richter von Goͤttingen, in Beglei⸗
tung des augenkranken Fuͤrſten Sangusko, zeigte ſich
immer in den liebenswuͤrdigſten Eigenheiten, heiter
101
auf trockne Welfe, nediih und nedend, bald tronifch
und paradox, bald gründlich und offen.
Mit Tolhen Perfonen fand ich mich gleih an⸗—
fange zufammen; ich wüßte nicht, daß Ich eine Babes
zeit in befferer Geſellſchaft gelebt hätte, beſonders
da eine mehridhrige Bekanntſchaft ein wechfelfeitig
buldendes Vertrauen eingeleitet hatte.
Auch lernte ich kennen Frau von Weinheim,
ehemalige Generalin von Bauer, Mabame Scholin
and Naleff, Verwandte von Madame Sander In
Berlin. Anmuthige und liebenswürdige Freundin-
nen machten biefen Cirkel hoͤchſt wuͤnſchenswerth.
Leider war ein ftürmifh -regnerifches Wetter et:
ner Öftern Sufammenkunft. im Frelen hinderlich;
ih widmete mich zu Haufe der Ueberfeßung des
Theophraft und einer weitern Ausbildung der fich
immermehr bereihernden Farbenlehre.
Die merkwürdige Dunfthöhle In der Nähe des
Ortes, wo das Stidgas, welches mit Waller ver-
bunden fo Fräftig heilſam auf den menfchlichen Kör-
per wirkt, für ſich unfihtbar eine tödtliche Atmo-
fphäre bildet, veranlaßte manche Verſuche, die zur
Unterhaltung dienten. Nach ernftliher Prüfung des
Locals und des Niveau's jener Luftihicht konnte Ich
die auffallenden und erfreulihen Erperimente mit
fiherer Kuͤhnheit anftellen. Die auf dem unfichrbe-
baren Elemente Iuftig tanzenden Seifenblafen, das
ploͤtzliche Verlöfchen eines fladernden Strohwiſches,
das augen blickliche Wicherentzünden, und was der⸗
102
gleichen fonft noch war, bereitete (tammendes: Er⸗
gögen folchen Perfonen, die das: Phänomen noch
gar.nicht kannten, und Bewunderung, wenn fie es
noch. nicht im Großen und Freien ausgeführt gefeben
hatten, And. als: ih num ger diefed: geheinmißvolle
Agens, in Pyrmouter Flafchen gefhit, mit nad
Haufe trug und In jedem anſcheinend leeren Trinfz
glas das Wunder bed ausloͤſchenden Wachsſtocks
wlederholte, war die Geſellſchaft völlig zufrieden
und der unglaubtge Brunnenmeifter fo zur Ueber⸗
zeugung gelangt, daß er fi. bereit zeigte, mir ei⸗
nige dergleichen waſſerleere Flaſchen den übrigen ge⸗
fuͤllten mit beizupacken, deren Inhalt fi auch In
Weimar noch vollig wirkſam offenbarte:
Der Fußpfad nach Luͤde, zwiſchen abgeſchraͤnkten
Weideplaͤtzen her, ward oͤfters zuruͤckgelegt. In
dem Oertchen, das einigemal abgebrannt war, er:
regte eine defperate Hausinſchrift unſere Aufmerk⸗
ſamkeit; ſie lautet:
Gott ſegne das Haus!
Zweymal rannt' ich heraus,
Denn-zweymal iſt's abgebrannt,
Komm' ich zum. drittenmal gerannt,
Da ſegne Gott meinen Lauf,
Ich baus wahrlich nicht wieder auf.
Das Francisdaner⸗Kloſter ward beſucht und et⸗
nige dargebotene Milch genoſſen. Eine uralte Kitche
außerhalb des Ortes gab den erſten unfchwidigen
403
Begriff eines ſolchen früheren: Gotteshauſes mit
Schiff und Kreuzgaͤngen unter Einem Dad bei wöls
Kg giattem unverziertem-Borbergiebet. Man ſchrieb
fie. den Selten: Carls des Sroßen zu; auf alle Faͤlle
itfie fuͤr uralt zu achten, es ſey nun der Seht mach,
oder daß fie die uranfänglichen - Beduͤrfniffe jener
Gegend: ausipriät.
Mich. and beſonders meinen Sohn überrafchte
höchft angenehm das Anerbleten des Rectors Wer-
ner uns auf deu. ſogenannten Kryſtallberg hinter
Luͤde zu führen, wo man ‚bei. hellem Sonnenſchein
die Aeckor von taufend und. aber tauſend kleinen
Bergkroſtallen widerkhimmern ſieht. Sie haben Ih;
ven. Urſprung in⸗kleinenn Hoͤhlen eines Mergekiteing,
und ſind auf alle Weiſe merkwuͤrdig als ein neueres
Erzeugniß, wo ein Minimum der im. Kalkgeſteia
enthaltenan Kieſelerde, wahrſcheinlich dunſtartig
befreit, rein und waſſerheil in Kryſtalle zuſam⸗
ment ritt. —
Ferner beſuchten wie: bie hinter dem Koͤnigsberge
von Quaͤkern angelegte wie auch betriebene Meſſer⸗
fabrik, und fanden und veranlaßt, ihrem ganz: nah
bei Pyrmont gehaltenen Gottesdienſt mehrmals bei⸗
zuwohnen, deſſen, nach langer Erwartung, fuͤr im⸗
proviſirt gelten ſollende Rhetorik kaum jemand das
erſtemal, geſchweige denn bei-wiebethöltem Beſuch,
für inſpirirt anerkennen möchte. Es iſt eine traue
rige Sache, daß ein reiner Eultus jeder Art, ſobald
104
er au Orte befchräntt und durch bie Zeit bedingt Ift,
eine gewiffe Heucheley niemals ganz ablehnen kann.
Die Königin von Frankteih, Gemahlin Ludwig
bes XVIIL, unter dem Namen einer Graͤfin Lille,
erſchien auch am Brunnen, in weniger aber abge=
fchioffener Umgebung.
Bedeutende Männer habe ich ‚noch zu nennen:
Sonfiftorielrath Horftig und Hofrath Marguart,
ben letztern als einen Freund und Nachfolger Zim⸗
mermanns.
Das fortdauernde uͤble Wetter drängte die Ge⸗
fellfchaft Öfters Ins Theater. Mehr dem Perſonal
. als den Stüden wendete ich meine Aufmerkſamkeit
zu. Inter meinen Papieren find? ich noch ein Ver-
zeichniß der fämtlihen Namen und der geleifteten
Rollen, der zur Beurtheilung gelaffene Platz hinge⸗
gen ward nicht ausgefüllt. Iffland und Kotzebue
thaten auch hier das Befte, und Eulalia, wen
man fhon wenig von ber Rolle verftand, bewirkte
doch, dur einen fentimental:tönend weichlichen
Vortrag, den größten Effect; meine Nachbarinnen
zerfloffen in Thränen.
Was aber in Pyrmont apprehenfiv wie eine böfe
Schlange fi durch die Gefellfchaft windet und be=
wegt, iſt die Leidenfchaft bes Spiels und das daran
bei einem jeden, felbft wider Willen, erregte Ju⸗
gereffe. Man mag um Wind und Wetter zu ent=
gehen In die Säle felbft treten, oder in beſſern
Stunden die Allee auf und abwandeln, überall ziſcht
105
das Ungehener durch bie Reihen; bald hört man,
wie aͤngſtlich eine Gattin ben Gemahl nicht weiter
zu ſpielen aufieht, bald begegnet uns ein junger
Mann , der In Verzweiflung über feinen Verluſt
die Geliebte vernachläffigt, die Braut vergißt; dann
erfhallt auf einmal ein Ruf gränzenlofer Bewundes
rung: bie Bank fey gefprengt! Es geſchah dießmal
wirkiich In Roth und Schwarz. Der vorfihtige
Gewinner ſetzte fih alsbald in eine Poſtchaiſe, ſei⸗
nen unerwartet erworbenen Schatz bei nahen Freun⸗
den und Verwandten in Sicherheft zu bringen. Er
kam zuruͤck, wie es ſchien mit mäßiger Börfe, den"
er lebte ſtille fort, als wäre nichts gefchehen.
Nun aber kann man in biefer Gegend nicht ver-
weilen, obne auf jene Urgefchichten hingewleſen zu
werden, von denen ung Roͤmiſche Schriftiteller fo
ehrenvolle Nachrichten uͤberllefern. Hier iſt nody
die Umwallung eines Berges fichtbar, dort eine
Reihe von Hügeln: und Thaͤlern, wo gewiſſe Hee⸗
reszuͤge und Schlachten fih hatten ereiguen koͤnnen,
Da tft ein Gebirgs-, ein Ortsname, der dorthin
Binte zu geben fcheint; herkömmliche Gebraͤuche
fogar deuten auf bie früheften roh fenernden Zeiten,
und man mag fich wehren und wenden wie man will,
man mag noch fo viel Abneigung beweifen, vor ſol⸗
hen aus dem Ungewiſſen ins Ungewiſſere verleiten
ben Bemühungen, man findet fich wie in einem ma⸗
gifchen Kreife befangen, man identifichtt das Ver⸗
sangene mit der Gegenwart, man befchränft bie
106
allgemeinſte Raͤumlichkeit auf die jedesmal nächte
und fühlt ſich zuletzt in dem behagilchſten Zuſtande,
weil man fuͤr Einen Augenblick waͤhnt, man habe
ſich das Unfaßlichſte zur mntenere ——
gebracht.
Durch unterhaltungen ſolcherArt, gefelit zum
Leſen von. fo. manderlei Heften, Büchern. und Buͤ⸗
chelchen, alle mehr oder weniger auf. bie Geſchichte
von Pyrmont und die Nachbarſchaft bezuͤglich, warb
Zzuletzt der: Gedanke einer gewiſſen Darſtellung in
ir rege, wozu ich * meiner ia ſraleich ·ein
Schema verfertigte.
Das Jahr 1582, wo auf einmat ein wendete:
mer Big aus allen Weltgegenden nach Yyrmont-bin-
ftrömte, und die zwar bekannte aber noch nicht hoch⸗
Verähmte Quelle mit unzähligen Gaͤſten heimſuchte,
welche bei voͤllig mangelnden Einrichtungen ſich auf
die kuͤnrmerlichſte und wunberlihfte Art behelfen
mußten, ward als prägnanter Moment ergriffen
mib- anf einen ſolchen Zeitpunct, einen ſolchen mmvor-
Bereiteten- Zuſtand vorwärts und: ridwäitd- em
Maͤhrchen erbaut, das zur Abſicht Hatte, wie die
Amusemens des eaux de Spa, fowohl in ber
Kerne als der Gegenwart eine unterhaltende Beleh⸗
rung: gu: gewähren. Wie aber ein: fo Iöbliches Un⸗
ternehmen unterbrochen und zuletzt ganz aufgegeben
worden, wird aus dem Nachfolgenben benttich wer⸗
den. Jedoch Tau ein allgemeiner Entwurf unter
107
andern: kleinen Auffägen dem Lefer zunaͤchſt mitger
theilt werden.
Ya :Hatte die letzten Tage bei: fehr unbeftäubigem
Weiter. nicht. auf das angenehmſte zugebracdkt und
fing an zu fürchten, men Aufenthalt iu Pyrmont
wärbe mir nicht zum Heil gedeihen. Nach einer fo
huchentzimdlichen Krankheit mich: abermals im Bruns
hen Sinne einem: fo entfähleden anregenden Babe
zuzuſchicken, war vieleicht nicht ein Zeugulß richtig
beurtheilender Aerzte. Ich war auf einen: Grab
reisbar: gewerden, daß: mich" Wachts: die heftigſte
Blursbewegung nicht ſchlafen Ifed, bei Zuge das
Gleichguͤltigſte In einen excentriſchen Zuſtund vere
Der Herzog mein gnaͤdigſter Hert kam ben 9 July
in Pyrmont am, ich erfuhr, was ſich zumaͤchſt in
Belmar zugettagen und: was daſelbſt begonnen wor⸗
den; aber: eben: jener aufgeregte Zuſtand ließ mich
einer fo erwänfchten Naͤhe nicht genießen. Dis forte _
dauernde Regenwetter verhinberte: jede Geſeligkon
im Freien; ich entfernte mich am 17 Juld, wernig
erbaut von: den Refultaten moines Aufenthalts.
Durch Bewegung und Serftreuung auf der näife,
auch wohl wegen unterlaſſonen Gebtauchs des aufte⸗
genden Mineralwaſſers, gelängt” ich in gluͤcklkcher
Stimmung wach Gbottingen. Ich bezog olne ange⸗
nehme Wohnung bei dem Iuftrumenteumacer Koͤr⸗
= en der Allee im:enften Stoder Mein eigentiis
chee Zwed bei: elnem langern Aufenthalt daſeibſt
108
war, bie Luͤcken des biftorifchen Theils der Farben⸗
lehre, deren fih noch manche fühlbar machten, ab:
ſchließlich auszufüllen. Ich hatte ein Verzeichniß
aller Bäder und Schriften mitgebracht, deren ich
bisher nicht habhaft werden können; ich übergab fol-
ches dem Heren Profeffor Reuß und erfuhr von
ihm fo wie von allen übrigen Augeſtellten bie ent-
ſchiedenſte Beihäife. Nicht allein ward mir was
ich aufgezeichnet hatte vorgelegt, ſondern aud gar
mandes, bad mir unbekannt geblieben war, nach=
gewiefen. Einen großen Theil des Tags vergönnte
man mie anf. ber Bibllothek zuzubringen, viele
Werte wurben mir nach Haufe gegeben, und fe
verbracht? ich meine Zeit mit dem größten Nutzen.
Die Gelehrtengefchichte von Göttingen, nach Püt-
ter, fiubirte ich nun am Orte felbft mit größter Auf-
merkſamkeit und eigentlichfter Theilnahme, ja ich
ging die Lections-Katalogen vom Urſprung der Aka⸗
‚ demie forgfältig durch, worand man. denn die Ge⸗
ſchichte der Wiſſenſchaften newerer Zeit gar wohl
abnehmen konnte. Sodann beachtete Ich vorzüglich
die ſaͤmmtlichen phyſikaliſchen Compendien, nad
welchen geleſen worden, in den nach und nach auf⸗
einander folgenden Ausgaben, und In ſolchen beſon⸗
ders das Capitel von Licht und Farben.
Die uͤbrigen Stunden verbracht' ich ſodann in
großer. Erheiterung. Ich muͤßte dad ganze damals
lehende Göttingen nennen, wenn ich alles, was mir
an freumblichen Geſellſchaften, Mittags: und Abend-
109 - i
tafein, Spazlergängen und Landfahrten gu Theil
ward, einzeln aufführen wollte. Ich gedenke nur
einer angenehmen nah Wehnde mit Profefior Bo u⸗
terwecd zu Oberamtmann Weſtfeld, und einer
andern ven Hofrath Meiners veranftalteten, wo
ein ganz heiterer Tag zuerit auf der Papiermühle,
dann in Pöppelshaufen, ferner auf der Pleſſe, wo
eine ftattlihe Reftauration bereitet war, in Geſell⸗
fhaft des Profeſſor Fiorillo zugebracht, und am
Abend auf Mariaſpring tranlich beſchloſſen wurde.
Die unermuͤdliche durchgreifende Belehrung Hof⸗
rath Blumenbachs, die mir ſo viel neue Kenntniß
und Aufſchluß verlieh, erregte die Leidenſchaft mei⸗
ned Sohnes für die Foſſilien des Heinberges. Gar
manche Spazierwege wurden dorthin vorgenommen,
die häufig vorkommenden Eremplare gierig zuſam⸗
mengeſucht, den feltnern emfig nachgeſpuͤrt. Hier⸗
bei ergab fich der merkwuͤrdige Unterfchleb zweyer
Sharattere umd Tendenzen: indeß mein Sohn mit
der Leidenſchaft eined Sammlers bie Vorkommniſſe
aller Art zufammentrug, hielt Eduard, ein Sohn
Blumenbachs, als geborner Milttär, ſich bloß an
die DBelemniten und verwendete folhe, um einen -
Sandhaufen als Zeitung betrachtet mit Paliſſaden
zu umgeben.
Sehr oft beſucht' ich Profefor Hofmann,
und ward den Kroptogamen, bie für mich immer
eine umzugängliche Provinz gewefen, näher bekannt.
Ich ſah bei Ihm mit Bewimderung bie Ergengufffe
Pr
410
Iebofialer ‚Beruentndater, bie das ſonſt nur durch
Mikroſlope Sichtbare dem gewoͤhnlichen Tagesblick
entgegen führten. Ein gewaltfamer Regeuguß über-
ſchmemmte dem untere Garten, und rinige Straßen
van Goͤttiagen ſtanden uater Waffer. Hieraus er⸗
wuchs uns eine ſonderbare Verlegenheit. Zu einem
herrlichen, bei Hofrath Martens angeſtellten Gaſt⸗
mahl ſollten wir uns in Portechaiſen hinbringen laſ⸗
den. Ich kam gluͤcklich durch, allein ber Freund,
mit meinem Sohne zugleich eingeſchachtelt, warb
den Traͤgern zu febwer, fie fehten: wie bei troknem
Pflaſter den Kaſten nieder, und die geputzten In⸗
ſitzenden waren nicht wenig verwundert, den Strom
guihnen hereindringen zu fühlen.
Auch Profeſſor Sepfers zeigte mir die In⸗
Krumente der Sterumarte mit Gefaͤlligkeit umſtaͤnd⸗
Sch vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man
auf frequentirten Univerfitäten immer als Säfte zu
‚finden pfleat, lernt ich daſelbſt: kennen, Rd mit
Tebem Tag vermehrte ſich der Reichthum meines
Gewinne uͤber alles Erwarten. ind ſo hab’ Ich deun
auch der freundlichen Theilnahme des Profeffor Sar⸗
torius zu gedenken, ber: in allem und jebens Beduͤr⸗
fen, dergleichen man an fremden Orten mehr oder
weniger ausgeſetzt ift, mit Rath und That fortwaͤh⸗
rond zur Hand Sing, um durch umsenterbrochene Ge⸗
ſelligkeit die ſaͤmmtlichen Ereiguiffe meines dortigen
Aufenthaltes zu ainem nuͤtlichen und erfreulichen
. :Qanzon- zu · verflechten.
4
Auch Hatte derſelbe in Gefeliichaft: mit. Profefer
Hag or déie Seneigtheit: einen. Vortrag won mir zu
verlangen, und was Ih denn eigentlich bei meiner
Farbenlehre beabſichtige, näher zu veruahmen. Gi-
wen. folchen WUntzgge durft' ich wohl, halb Scherz
halb Ernft, zu signer Faſſung und Uebung nachge⸗
ben; doch lonnte bei meiner noch nicht: vollſtaͤndigen
Beherrſchung des Gegenſtaudes dieſer Verſuch we⸗
der mir noch ihnen zur Befriodigung aus ſchlagen.
Se verbracht Ih Denn die ßeit fo-angenehm als
nuͤtzlich, und mußte noch zulatzt gemahr werden,
wie gefaͤhrlich es fen äh einer ſo großen Maſſe vom
Gelehrſamkeit zu naͤhorn: denn indem ich, um ein⸗
zelner in mein Geſchaͤft einſchlagender Diſſertationen
willen, ganze Bünde dengleichen alademiſcher Schrif⸗
ten vor mich legte, ſo Fand ich nebenher allſeitig ſo
viel Anlockendes, daß ich bei meiner ohnehin leicht
su erregenden Beſtimmbarkeit und Vorkenntniß in
vielen Faͤchern, hier uud da hingezogen warb und
meine Collectaneen cine "bunte Goftaltaugunehmen
drohten. Ich faßte mich jedoch bald wieder ing
Enge und wußte zur rechten Zeit einen Abſchluß
zu finden.
Indeß Ih unn eine: Neihe von’ Tagen nuͤtzlich
md angenehm, wie es wohl, felten.Befchleht, ze
beachte, fo: erlitt ich dagegen zur Nechtzeit gar
manche: Unhilden, ‚Die im. Augenblick hoͤchſt verbriek-
lich nad Inder Folge laͤcherlich erſcheinen.
‚Meine und talentoolle wreundin Den,
112
Jagemann hatte kurz vor meiner Ankunft das publi-
cam anf einen hoben Grad entzädt; Chemänner-
‚ gedachten ihrer Vorzuͤge mit mehr Enthuflasmus
als den Frauen lieb war, und gleicherweife ſah man
eine -erregbare Jugend bingeriffen; aber mir hatte
die Superiorität Ihrer Natue- und Kunftgaben ein
großes Unheil bereitet. Die Tochter meines Wir:
thes Dem. Krämer hatte von Natur eine recht fchöne
Stimme, dur Uebung eine gluͤckliche Ausbildung
berfelben erlangt, ihr aber fehlte die Anfage Zum
Triller, deſſen Anmuth fie nun von einer fremden
Birtuofin In hoͤchſter Volllommenheit gewahrt wor:
den; nun fchten fie alles Wehrige zu vernachläffigen
und nahm fih vor, diefe Zierde des Gefanged zu
erringen. Wie fie es damit bie Tage über gehal⸗
ten, weiß ich nicht zu fagen, aber Nachts; eben
wenn man fich zu Bette legen weilte, erfiles ihr
Eifer den Gipfel: bis Mitternacht wiederhoite fie
gewiſſe cadenzartige Gänge, deren Schluß mit einem
rider getrönt werden follte, meiſtens aber haͤßlich
entftellt, wenigftend Dune Bedeutung, abgefhlofs
fen wurde.
Andern Anlaß zur Verzweiflung gaben ganz ent-
gegengefeste Töne; eine Hundefchaar verfammelte
ſich um das Eckhaus, deren Gebell anhaltend uner⸗
träglich war. Sie zu verfhenchen, griff man nad
dem erften beiten Werfbaren, und da flog denn mans
ches Ammonshorn des Helnberges, von meinem
Sohne muͤhſam herbeigetragen, gegen die unwill⸗
lkom⸗
ü v
415
Tommenen. Wubeförer, und gewoͤhnlich umfonfk.
Denn. wenn wir alle verſcheucht glaubten, beit’ es
immerfort bie wir endlich emtbedten, daß über um-
fern Haͤuptern fh ein. großer Hund des Haufes am
Fenſter aufrecht gefteßt feine Cameraden durch Er-
wieberung hervorrief.
Aber bieb- war. noch nicht: genng; aus tiefem
Schlaſe wedte mich der ungeheure Tom eines Hor-
ned, ald wenn: 08 mir zwiſchen die Bettvorhaͤnge
Yineisbiiefe. Ein Nachtwaͤchter unter meinem. Feu⸗
ter verrichtete fein Amt auf feinem Poſten, und
ich war doppelt und drepyfach ungluͤcklich, als feine
Pflichtgensſſen an allen Eden der auf die Allee füb-
zendew Straßen antworteten, um durch erfchredende
Toͤne uns zu beweiſen, daß fie fuͤr die Sicherheit
unſerer Ruhe beſorgt ſeyen. Nun ermachte die
krankhafte Reizbarleit, und es biteb mir nichts uͤbrig,
als mit der Policey In Unterhandlung zu treten,
welche bie befombere Gefaͤlligkelt hatte, erſt eins,
dann mehrere dieſer Hörer um des wunderlichen
Fremden willen zum Schweigen zu bringen, der Im
Begriff mar die Melle des Oheims in Humphry
Ktinter zu fpielen, deſſen ungeduldige Reizbarkeit
durch ein paar Walbhoͤrner zum -thätigen REN
geiteigest wurbe.. =
Belehtt, froh und dankbar teif’te ich den 14 Au⸗
guft von Göttingen ab, beſuchte die Baſaltbruͤche
son Dransfeld, beren problemmtifche Erſcheinung
fhon damals die Naturforfcher RENT: Ich
Soethed Werke. XXXI. Bd.
113
beftieg den hoben Hahn, anf weichem das ſchoͤnſte
Wetter die weite Umficht begünftigte, und den Be⸗
griff der Landſchaft vom Harz her deutlicher fallen
ließ. Ich begab mich nach Hanudvrifh-Minden, deſ⸗
fen merkwuͤrdige Lage auf einer Erdzunge, dur die
Bereinigung der Werre und Fulde geblidet, einem
fehr erfreutichen Anblick darbot. Mon da begab Ich
mich nah. Saffet, wo ich die Meinigen mit Prof.
Meyer antraf; wir befshen unter Anleitung bes
wodern Nahls, deſſen Gegenwart und an dem
fruͤhern Roͤmiſchen Aufenthalt gedenken ließ, Wil⸗
heimshöhe an dem Tage, wo die Springwafler das
mannichfaltige Park: und Garten Local verherrlich⸗
ten, Wir beachteten forgfältig die koͤſtlihen Ge-
maͤhlde ber Bildergalerie und des Schloffes, durch⸗
mandelten dad Mufenm und befuchten das Thea-
ter. Erfremich war und dad Begegnen eines: alten
theifuehmenden Freundes, Major von Truchſeß,
der in frübern Jahren durch rebliche Tuͤchtigkeit ſich
in die Reihe ber Göße von Berlichingen zu fielen
verdient hatte.
Den 21 Auguft gingen wir über Hoheneichen
nad Kreuzburz; am folgenden Tage, nahdem wir
die Salinen befehen, selangten wir. nach Eiſenach,
begrüßten bie Wartburg und den Maͤdelſtein, wo
fih manche Erinnerung von zwanzig Fahren her be=
lebte. Die Anlagen des Handelsmanns Roͤ ſe wa⸗
ren zu einem neuen unerwarteten Gegenftand in⸗
beflen herangewachfen.
115
Darauf gelangte Ich nach Gotha, wo Prinz Au-
guft mich nach altem freundfchaftlihem Verhaͤltniß
in feinem angenehmen Sommerbaufe wirthlich auf:
nahm und die ganze Zeit meines Aufenthalts eine
im Engen gefchlofiene Tafel hielt; wobei der Her:
zog umd die theuren von Frankenbergiſchen Gatten
niemals fehlten.
Herr von Grimm, der vor den großen revolu-
tionaͤren Unbilden flüchtend, kurz vor Ludwig dem
Sechzehnten, glädliher als diefer von Paris ent⸗
wichen war, hatte bei dem altbefreundeten Hofe
eine fihre Sreiftatt gefunden. Als geäbter Welt:
mann und angenehmer Mitgaft konnte er doch eine
innere Bitterfeit über den großen erduldeten Der:
luſt nicht immer verbergen. Ein Beifpiel wie da-
mals aller Beſitz in nichts zerfloß, ſey folgende
Geſchichte: Grimm hatte bei feiner Flut dem Ge:
(häftsträger einige hunderttaufend Franten In Afe
ſſignaten zurädgelaffen; biefe wurden durch Man⸗
date noch auf geringeren Werth reducirt, und als
nun jeder Einfihtige, bie DBernichtuug auch biefer
Papiere voraus fürdtend, fie in irgend eine unzer⸗
ſtoͤrliche Waare umzuſetzen trachtete, — wie man
denn 3. DB. Neid, Wachslichter und was dergleichen
nur noch zam Verlaufe angeboten wurde, begierlich
auffpeicherte — fo zauderte Grimme Geſchaͤftstraͤ⸗
ger wegen großer Verantwortlichkeit, bis er zulegt
in Verzweiflung noch etwas zu retten glaubte, wenn
er die ganze Summe. für eine Garnitur Brüffeler
w
416
Manchetten und Buſenkrauſe hingab. Grimm zoigte
fie gern: der Geſellſchuft, indem er launig den Vor⸗
zug pries, daß wohl niemand fo Foftbare Staatszier⸗
den aufzumwelfen-habe,
Die Erinnerung fräherer-Zeiten,, wo man in ben
achtziger Jahren in Gotha: gleichfalls: zuſammen ge-
werfen, ſich mit poetifchen Vorträgen, mit Afthe-
tiſch literariſchen Mittheiluagen unterhalten, flach
freilich fehr ab gegen den Augenblick, wo eine Hoff⸗
nung nach der andern verfhwand, und man: fich,
wie bei einer Suͤndfluth kaum anf den hoͤchſten SE
pfeln, fo hier kaum in der Naͤhe erhabener Gönner
und Freunde gefiihert glaubte. Indeſſen "fehlte ed
nicht an unterhaltender Heiterkeit. Meinen eintre⸗
tenden: Geburtstag wollte man mit gnädiger Auf⸗
merkfamkeit bet- einem folchen geſchloſſenen Mahle
feyern; ſchon an den gewöhntichen. Singen fah man
einigen Unterfchled; beim Nachtiſch aber trat nun
bie ſaͤmmtliche Linede des Prinzen in ſtattlich geklei⸗
detem Zug herein, voran der Haushofmeiſter; bie-
fer trugeine große, von bunten Wachsſtoͤcken flam-
mende Torte, deren ins Halbhundert ſich belaufende
Anzahl einander zu ſchmelzen und zu verzehren droh⸗
te, anſtatt daß bei Kinderſeverlichkeiten der Art
mb Raum gemg für ——— Lebenskerzen
uͤhrig bleibt.
Auch mag dieß ein Veiſpiel ſeyn, mit welcher
anftändigen Nalvetaͤt man ſchon ſeit fo viel Jahren
einer wechfelfeitigen Neigung fich zu erfremen gemußt,
417
wo Scherz und-Oinfmerkfamteit, outer Humor und
Gefaͤdligkeit, ‚aeifiweich und wohlwollend das Leben
durchaus gierlich durch zufuͤhzren ſich gemeinſam beei«
ſerten. |
n.
In der beiten Stimmung kehrte Ich am 30 Au⸗
su nach Weimar zuruͤck, und vergaß über den neu⸗
adringenden Beichäftigungen, daß mir noch legeud
eine Schwachheit als Folge des erduldeten Uebels
und einer gewagten Cur moͤchte zuruͤckgeblieben
ſeyn. Denn mich empfingen ſchon zu ber ms
wehrigen dritten Ausſtellung eingeſondete Coneur⸗
renzſtuͤcke. Sie warb abermals mit Sorgfalt ein⸗
geächtet, von Freunden, Nachbarn und Fremden
beſfucht, und. gab zu mannichfaltigen Huterhaltungen,
gu näherer Kenntniß mitlebender Kuͤnſtler und der
daraus heuzmieitenden Beſchaͤftigimg derſelben An⸗
laß. Nach geendigter Ausſtelung erhielt der in der
Roͤmiſch antiken Schule zu ſchoͤner Form uund rein⸗
lichſter Ausfuͤhrung gebildete Nahl bie Hälfte des
Hreiſes, wegen Achill auf Skyros, Hofmann aus
Köln hingegen, der farben- und Iebensinftigen Nie⸗
verläubifhen Schule entſproſſen, wesen Achills
Sempf' mit den Fluͤſſen, bie andere Hälfte; außer⸗
dem wurden beide Zeichnungen honorirt md zur
-Berzsierung ber Schloßzimmer aufbewahrt.
Und bier ift wohl der rechte Ort eines Haupt⸗
gedankens zu erwähnen, den ber umfichtige Fuͤpſt
ben Weimariſchen Kanſtfreunden zur Ueberlegung
und Ausfiheung gab. |
4118
Die Zimmer des neuelnzurichtenden Schloſſes
foßten nicht allein mit anftändiger fuͤrſtlicher Pracht
ausgeftattet werben, fie ſollten auch den Talenten
gleichzeitiger Künftler zum Denkmal gewidmet ſeyn.
Am reinften und vollftändigften ward dieſer Gebante
in dem von burchlauchtigfter Herzogin bewohnten
Edzimmer ausgeführt, wo mehrere Concurrenz⸗
und fonftige Stüde gleichzeitiger Deutſcher Künftler,
melit in Sepla, unter Glas und Rahmen auf ein-
fahen Grund angebracht wurden. Und fo wechfel-
ten auch in den übrigen Zimmern Bilder von Hof-
mann aus Köln und Nahl aus Kaflel, von Helarich
Meyer aus Stäfe und Hummel aus Neapel, Sta⸗
tuen und Basreliefe von Tiek, eingelegte Arbeit
und Flacherhobenes von Satel, In geſchmackvoller
harmoniſcher Folge. Daß jedoch diefer erfte Vor⸗
faß nicht durchgreifender ausgeführt werben, davdn
mag ber gewöhnliche Weltgang die Schuld tragen,
wo eine Löbliche Abfiht oft mehr durch den Zwie⸗
fpalt der Theilnehmenden, als durch aͤußere Hin⸗
derniſſe gefaͤhrdet wird.
Meiner Buͤſte, durch Tief mit großer Sorgfalt
gefertigt, darf ich einfchaltend an diefer Stelle wohl |
gedenken.
Was den Gang des Schloßbanes In der Haupt:
fache betrifft, fo Eonnte man demfelben mit beito
mehr Beruhigung folgen, als ein paar Männer wie
Genz und Raabe, darin völlig aufgeklärt zu wir:
ten angefangen, Ihr zuverlaͤſſiges Werbienft über:
1419
hob aller Zweifel in einigen Faͤllen, die man fonft
mit einer gewiſſen Bangigkeit ſollte betrachtet ha⸗
ben: denn im Grunde war es ein wunderbarer Zu⸗
ſtand. Die Mauern eines alten Gebaͤndes ſtanden
gegeben, einige neuere, ohne genugſame Umſicht
darin vorgenommene Anordnungen ſchienen über:
dachteren Planen hinderlich, und das Alte fo aut
ale das Treue hößeren nad freieren Unternehmungen
im Wege; weßhalb demm wirklich das Schloßgebäude
manchmal ansfahb wie ein Gebirg, aus dem man,
wach Inbdiſcher Weife, die Architektur heraushauen
wollte. Und fo leiteten dießmal das Geſchaͤft gerade
ein paar Männer, die freilich als geiftreiche Künft-
er mit friſchem Sinn herankamen, und von denen
man nicht abermals abzuändernde Abänderungen
Sondern eine fchtteßliche Feſtſtellung des BIEBENDEN
zu erwarten hatte. .
Sch wende nunmehr meine Betrachtungen zum
Theater zuräd, Am 24 October, ald am Jahrs⸗
tag des erften Maskenſpleles Paläophron und Neo⸗
terpe, wurben bie Brüder nach Terenz von ein
fiedel bearbeitet aufgeführt, und fo eine neue
Folge theatraliſcher Eigenheiten eingeleitet, die
eine Zeit lang gelten, Mannlchfaltigkeit in die Vor⸗
ſtellungen bringen und zu Ausbildung gewiſſer Fer⸗
tigkeiten Anlaß geben ſollten.
Schiller bearbeitete Leſſings Nathan, ich blieb
dabei nicht unthaͤtig. Den 28 November ward er
138
zum erſtenmal aufgefüher, ‚nicht ohne bemerklichen
Einfluß auf die Deutſche Buͤhne. |
Schiller Hatte die Jungfrau son Orleans in die⸗
tem Jahr besennen und geendigt; wegen Der Auf⸗
führung ergaben fich manche. Zweifel, die uns der
Stende beraubten ein fo wichtiges Werk zuerſt auf
Das Theuter zu bringen. Es war ber Thaͤtigkeit
Ifflands vorbehalten, ‚bei’den reichen Mitteln, Sie
ihm zu Gebote ſtanden, durch eine glänzende Dat:
ſtellung dieſes Meiſterſtuͤcks fih für alle Zeiten in
den Theater⸗Annalen einen bleibenden Ruhm gm
erwerben.
Nicht geriugen Einfluß auf muſre Diegrährigen Let:
Kungen erwies Mad. Unzelmanau, welche zu Ende
Septembers In Hauptrollen bei uns auftreten ſollte.
Gar manches Unbequeme ja Schaͤbliche hat die Gr⸗
ſchelnung von Gaͤſten auf dem Theuter; wir lehu
ten fie ſonſt moͤglich ab, wenn fie und nicht Gele—
genheit gaben, ſie ald neue Anregung und Steige-
tung -unferer bleibenden” Geſellſchaft zu Benupen,
dieß konnte nur durch vorzuͤglkiche Kuͤnſtler geſche—
hen: Mad. Unzelmann gad acht wichtige Vorſtellun⸗
gen hinterelnander, bei welchen das ganze Perſonal
in bedeutenden Rollen auftrat und ſchon an und file
fih, zugteth aber im Verhaͤltniß zu dem neuen
Bafte, das Möglichfte zu Ielften Hatte. "Dieß war
von unfhäßbarer Anregung. Nichts Ift trauriger
als der Schlendrian, mitt dem ſich der Einzeine ia
eine Gefammtbeit hingehen laͤßt; aber auf dem
424
Theater iſt es das Allerſchliumſte, weil hier augen⸗
blickliche Wirkung verlangt wird, und nicht etwe
ein durch die Zeit ſelbſt ſich einleltender Erfolg abzu⸗
warten if. Ein Schauſpieler, der ſich vernachläfligt,
ift mir die miderwärtigfte Creatur von ber Welt,
meift ift er incorrigibel, deßhalb find neues Publi⸗
emm md neue Rivale unentbehrlihe Nelzmittel:
jenes laͤßt ihm feine Fehler nicht hingehen, dieſer
fordert ihn zu ſchuldiger Anfttengung auf. Und To
möge denn nun auch das auf dem Deutfchen Theater
nnaufhaltfame Baftrollenfplelen fi zum allgemel⸗
nen Beten wirkſam erweifen.
Stoldbergs Öffentlicher Uebertritt zum katho⸗
liſchen Eultus zerriß die fchönften früher geknuͤpften
Bande. Ich verlormbabet ulihts, denn mein wäheres
Werbättmiß zu 18hm hatte fich ſchon UAngſt Im allge⸗
meines Wohlwellen :aufgelöft. Ich fuaͤhlte fol
für ihn als einen wauern., Hehensunkehigen, ‚Ihe:
Yenben Mann wahrhafte Neigung; aber balbi hatte
ich zu ‚bewerten, daß er ſich ale auf ich ſelbſt
Magen werde, und: ſodann erſchien er:mir 6 einur
der -außer dem Bereich meines Beſtrebens Heil und
Beruhigung fuche.
Auch uͤberrabchte wich vleſes Ereigniß keines⸗
wegs, ich hielt ihn baͤngſt Für katholiſch, wab er
er es ja ber Geſianung, dem Gauge, der Umge⸗
bung nach, Bud To konnt' aͤch mit Muhe dem: Am⸗
mutte zuſehen, der aus einer fpaͤren Munkfeftation
geheimer Mißverhaͤltniffe zuletzt entſpringen mußte.
122
1802.
Auf einen hohen Grad von Bildung waren fchon
Bühne und Zufchauer gelangt. Weber alles Erwar-
ten glüdten die Worftellungen von Jon (Ian. 4)
Zurandot (Jan. 30), Iphigenia (May 15),
Alarcos (May 29), fie wurden mit größter
Sorgfalt trefflich gegeben; letzterer konnte ſich je-
doch feine Gunft erwerben. Durch dieſe Vorftel-
[ungen bewiefen wir daß es Ernſt fey, alles was
der Aufmerkſamkeit würdig wäre einem freien rei-
nen Urtheil aufzuftelen; wir hatten aber dießmal
mit verdrängendem ae Partepgeift zu
kaͤmpfen.
Der groſe Zwieſpalt der ſich in der Deutſchen
Literatur hervorthat, wirkte, beſonders wegen der
Naͤhe von Jena, auf unſern Theaterkreis. Ich
hielt mich wit Schillern auf der einen Seite, wir
befannten uns zu der. neuern firebeuden Phllofephie
und einer daraus herzuleitenden Aeſthetik, ohne
viel auf Perſoͤnlichkeiten zu achten, die nebenher im
Befondern ein muthwilliges und freches Spiel
trieben.
Nun Hatten die Gebrüder Schlegel die Gegen:
partey am tiefften beleidigt, deßhalb trat ſchon
am Vorftelungsabend Jons, deffen Verfaſſer kein
Geheimntiß geblieben war, ein Oppoſitions⸗Verſuch
anbefheiden hervor; in den Swifchenacten fläfterte
man von allerlei Tadelnswuͤrdigem, wozu denn bie
423
freilich etwas bedenkliche Stellung ber Mutter er-
wuͤnſchten Anlaß gab. Ein fowohl den Auter als
bie Intendanz angreifender Aufſatz war in bag
Mode-VJournal projectiet, aber eraft und kraͤftig
zurüdgemwiefen; denn ed war noch nicht Grundſatz
daß in demfelbigen Staat, In berfelbigen Stadt es
irgend einem Glied erlaubt ſey, das zu zerftören
was andere kurz vorher aufgebaut hatten.
ir wollten ein für allemal den Klatſch bes
Tages auf unferer Bühne nicht dulden, indeß ber
andern Partey gerabe daran gelegen war fle zum
Tummelplas ihres Mißwollens zu entwürbigen.
Deßhalb gab ed einen großen Kampf, als ich aus
sen Kleinftädtern alles ausftrich was gegen bie Per-
fonen gerichtet war, die mit mir in der Haupt:
fache übereinftinimten, wenn ich auch nieht jedes Ver⸗
fahren billigen, noch ihre ſaͤmmtlichen Productionen
lobenswerth finden konnte. Dan regte fich von der
Gegenſeite gewaltig, und behauptete, daß wenn ber
Autor gegenwärtig fey, man mit ihm Rath zu pfle-
gen habe. Es fey mit Schilleen gefchehen und ein
anderer koͤnne das Gleiche fordern. Diele wunder⸗
liche Schlußfolge konnte bei mir aber nicht gelten;
Schiller brachte nur edel Aufregendes, zum Höheren
Strebenbes auf bie Bühne, jene aber Niederziehen⸗
des, das problematiſch Gute Entftellendes und Mer-
nichtenbes herbei; und das iſt dad Kunftftüd folcher
Geſellen, daß fie. jedes wahre reine Verhaͤltniß miß-
achtend ihre Schlechtigkeiten in die laͤſſige Nachſicht
324
einer geſelligen Convenlenz einzuſchmaͤrgen mailen,
Genug, die bezeichneten Stellen blieben verbannt,
und ich gab mir die Muͤhe alle entſtandenen Luͤcken
durch allgemeinen Scherz wieber ausgufällen, wo⸗
duch mir eben and, gelang bad. Lacken der Menge
zu erregen.
. Diefed:alled aber waren nur Kleinigkeiten gegen
den entfchiebenen Rüß, ber wegen eines am fünften
. März zu feyernden Feſtes in der Weimariſchen
‚Spetetät ſich ereignete. Die Sachen Kanden fo, daß
es fräher oder ſpaͤter dazu kommen mußte, mare
gerade gebachter Tag erwählt war, ift mie wicht er-
innerlich, genug an beusfelben follte zu Ehren Schil⸗
lers eine ‚große Erbibition won mancherlei anf ihn
amd feine Werke bezuͤglichen Darſtellungen in dem
greßen, von der Gemeine ganz neu decorirten Stabt-
haudfaale Platz Kunden. Die Shhcht war offenbar
Auffehen zu erregen, bie Geſellſchaft zu unterhal⸗
ten, den Theilnehmenden zu ſchmeicheln, ſich dem
Theater ontgegen zu ſtellen, ber oͤffentlichen Buͤhne
eine geſchloſſene entgegen zu ſetzen, Schillers Wohl⸗
wollen zu erſchleichen, mich durch ihn zu gewinnen,
oder, wenn das nicht. gefingen: ſollte/ ihn von mir
abzuziehen.
Schillern war nicht wohl gu Muthe / beb ver Sacht;
die Rolle die man. ihn: ſpielen lleß, war immer ver⸗
faͤnglich, unertraͤglich fuͤr einen Mann von ſeiner
Met, wie fie joben Wohlbentenden, To als eime
Bietfchetbe fungenhäfter Werehruugen in Menfeui sur
235
seoßer Geſellſchaft dazuſtehn. - Er- hatte Eu ſich
krank zu melden, doch war. er, gefelliger als ich,
burch Frauen⸗ und Famillienverhaͤltniſſe mehr in die
Sooietaͤt verflochten, faſt gewöthigt dieſon Kitten
Kelch aussufhlärfen. Wir: Tehten voraus daß es
vor-fich gehen wärde, und ſchorzten mauchen Abent
daruͤber; er haͤtte krank werben moͤgen, wenn er an
ſolche Zudringlichkeiten gedachte.
Soviel man vornehmen. konnte follten manche
Geſtalten der Schillerfgen Stüde vortreten; von
einer Jungfrau von. Drieand- war man’d gewiß,
- Selm und: Fahne, duch: Bllbſchuitzer und Vergul-
der behaglich über die Straßen in ein gewilled Haus
getragen, hatte großes Aufſehen euregt und das
Geheimniß voreilig ausgeſprengt. Die ſchoͤnſte Rokle
aber hatte ſich der Chorfuͤhrer ſelbſt vorbehalten;
eine gemauerte Form ſollte vorgebildet werden, der
edle Meifter im Schursfell daneben ſtehen, nach ge⸗
fprodmem geheimmißvollent Grußo, nach geftoſſener
gluͤhender Maſſe ſollte endlich ans der zerſchlagenen
Form Schillers Buͤſte hervortreten. Wiribeluſtige
ten uns an dieſem nach und nach ſich verbreiteden
Seheimniß, und en ‚den —— gelaſſen vor⸗
wuͤrts gehen: -
Nur hielt man und fir: altzugutmuthis, als man
une felbik zur Mitwirkung aufforderte. Schillers
— Original⸗Buͤſte, auf der Weimariſchen
Bibliothet befindlich, eine fruͤhete hotzliiche Gabe
Dannecers, wurde zu jenem 8wecke verlangt und
1236
aus dem ganz natärlichen Grunde abgefchlagen, weil
man noch nie eine Gypsbuͤſte unbefchädigt von einem
Feſle zuräderhalten habe. Noch einige andere, von
andern Selten her zufällig eintretende Verweigerun⸗
gen erregten jene Verbündeten aufs hoͤchſte; ſie be-
merften nicht daß mit einigen diplomatiſch⸗klugen
Schritten alles zu befeitigen fey, und fo glich nichts
dem Erftaunen, dem Befremden, dem Ingrimm, als
die Zimmerleute, die mit Stollen, Latten und Bre⸗
tern angezogen kamen, um das bramatiiche Geräft
aufzufchlagen, den Saal verfchloffen fanden, und
die Erklärung vernehmen mußten: er fey erſt ganz
nen eingerichtet und becorirt, man könne daher ihn
zu ſolchem tumultuarifchen Beginnen nicht einraͤu⸗
men, da fih niemand des zu befuͤrchtenden Scha⸗
dens verbürgen koͤnne.
Das erſte Finale des unterbrochenen Opferfeſtes
macht nicht einen fo entſetzlichen Spectafel als dieſe
Störung, ja Vernichtung des loͤblichſten Vorſatzes,
zuerſt in der oberen Societät und ſodann ftufenweife
durch alle Grabe der ſaͤmmtlichen Population an-
richtete. Da nun der Zufall unterfchiebliche, jenem
SBorhaben in den Weg tretende Hinderniſſe derge⸗
ftalt gefchidt combinirt hatte, daß man darin die
Leitung eines einzigen feinblichen Principe zu erfen-
nen glaubte; fo war ich es, auf den der heftigſte
Grimm ſich richtete, ohne daß ich es jemand ver:
argen mochte, Man hätte aber bedenken follen, daß
ein Mann wie Koßabue, der: durch vielfahe An:
127
laͤfe nach manchen Seiten bin Mißwollen erregt,
fih gelegentlich feindſelige Wirkungen fchneller da
und dorther zuzieht, als einer verabrebeten Ver⸗
fhwörung zu veranlaflen jemals gelingen würde.
War num eine bedeutende höhere Geſellſchaft
auf der Seite bes Widerfahers, fo zeigte bie mitt:
lere Staffe fich ihm abgenelgt, und brachte alles zur
Sprache, was gegen deſſen erfte jugendliche Unfers
tigfelten zu fagen war, und fo wogten die Geſin⸗
nungen gewaltfam wider einander.
Unfere hoͤchſten Herrſchaften hatten von Ihrem
erhabenen Standort, bei großartigem freiem Um⸗
blick, dieſen Privathändeln Feine Aufmerkfamteit
zugewendet; der Zufall aber, der, wie Schiller
ſagt, oft naiv ft, folte dem ganzen Creigniß die
Krone auffenen, Indem gerade in bem Moment der
verfchließende Burgemeiſter, als verbienter Ge⸗
ſchaͤftsmann, durch ein Decret die Auszeichnung ale
Rath erbielt. Die Weimaraner, denen es an geiſt⸗
reichen, dad Theater mit dem Leben verfnüpfenden
@infällen nie gefehlt bat, gaben ihm daher deu
Namen des Fürften Piccolomini, ein Prädicat, das
ihm auch ziemlich lange in heiterer Gefellfchaft ver:
biieben iſt.
Daß eine ſolche Erfhütterung auch In ber Folge
auf unfern gefelligen Kreis fchädlich eingewirkt habe,
laͤßt fih denken; was mich davon zundchft betroffen,
möge bier gleichfalls Plas finden.
Schon im Kauf des vergangenen Winters hielt
108
fly, ganz ohne fpeenlative Zweche, eine eble Ge⸗
fellfchaft zu und, an unferm: Umgang und ſonſtigen
Letſtungen fich erfrenend. Bei Gelegenheit ber
Piknits dieſer geſchloſſenen Bereinigung, die in mei-
nem Haufe, unter meiner Beſorgung, von Seit zu
Zeit gefeyert wurden, entfiunden mehrere nach⸗
bet ine Allgemeine verbreitete Geſaͤnge. So war
das Bekannte: „Mich ergreift ich weiß. nicht
wie,’ zw dem 22 Februar gedichtet, wo der durch⸗
lauchtigſte Erborinz, nad Paris reifend, zum letz⸗
tenmal bei uns einkehrte, worauf denn die dritte
Strophe des Liedes zu deuten iſt. Eben ſo hatten
wir ſchon das neue Jahr begruͤßt und Im Stiftungde
Uede: „Was gehft du fchöne Nachbarin‘ kounten
fi die Glieder der Geſellſchaft, als unter Leite
Masten verhält, gar wohl erkennen. Ferner warb
ich noch andere durch Iruiverät vorzüglich anfprechen«
de Geſaͤnge biefer Vereinigung fchuldig, wo Nele
gung ohne. Leidenfchaft, Wettelfer ohne Neid, Ge⸗
ſchmack ohne Anmaßung, Gefaͤlligkeit ohne Zkererey
und, zu all dem, Natuͤrlichkeit ohne Rohekt, wech
felſeitig In einander wirkten.
Nun hatten wir freilich den Widerſacher, unge⸗
achtet mancher feiner anklopfenden kluͤglichen Ver⸗
ſuche, nicht hereingelaſſen, wie er denn niemals
mein Haus betrat; weßhalb er genoͤthigt war fi
eine eigene Umgebung zu bilder, und dieß warb
ihm nicht fchwer. Durch gefaͤlliges, beſcheiden zu⸗
dringliches Weiwefen wußte er wohl einen Kreis
um
429
4
um ſich zu verſammeln; auch Perſonen des unſrigen
traten hinuͤber. Wo die Geſelligkeit Unterhaltung
findet, ft fie ju Haufe. Alle freuten fih an dem.
Feſte des fünften März activen Theil zu nehmen,
deßhalb Ih denn, als vermeintliher Zerftörer fol-
ches Freuden- und Chrentages, eine Zeit lang ver⸗
wünfcht wurde. Unſere Feine Verſammlung trennte
fi, und Sefänge jener Art gelangen mir nie wieder.
Alles jedoch was ih mir mit Schillern und an=
dern verbündeten thätigen Freunden vorgefeht, ging
unaufdaltfam feines Gang; denn wir waren im Le⸗
den ſchon gewohnt den Verluſt hinter ung zu laffen,
und den Gewinn im Auge zu behalten. Und bier.
tonnte ed um befto eher gefchehen, ald wir von dem
erhabenen Sefinnungen ber alleroderften Behoͤrden
gewiß waren, welhe nach einer höhern Anfiht bie
Hof= und Stabt-Abenteuer als gleichgültig vorüber:
gehend, fogar manchmal als unterhaltend betrach⸗
teten.
Ein Theater das fih mit frifhen jugendlichen
Subjerten von Zeit zu Zeit erneuert, muß lebendige
Fortſchritte machen; hierauf nun war beftändfg
unfer Abfehn gerichtet. 5
Am 17 Februar betrat Die. Maas zum erften-
mal unfere Bühne, , Ihre niedliche Geſtalt, ihr an⸗
muthig natürliches Wefen, ein wohlllingendes Or⸗
gan, kurz das Genze ihrer glüdlichen Indlviduali⸗
taͤt gewann ſogleich das Publicum. Nach drey Pro⸗
berollen: als Mädchen yon Marlenburg, als Roſine
Goethes Werke. Xxxxi. Br. 3 9
130
%
ir Juriſt und Bauer, als Loltchen dir Deuefthäm:
Hausvater, waͤrd Te engagirt, und man kouate ſoht
Hard bet: Beſetzuieg wichriger ride. auf ſie rechaen
Am 29 November machten wie abremals edüd Mi
nungsvolle Acqufſitkon. Aus Achtuug fir Wide:
Unzelmann, gus Neigung zu derſelben, wie einen.
aͤterikebſten Kuͤuftlerin, nahm Ich Ihren züblffaͤni⸗
gen Sohn anf aut Gluͤck nach Welinar. Zufaͤltz
pruͤft' dh ihn auf eine ganz eigene Weiſe. Er
mochte ſich eingetichtet Haben mir manchetlei vorzu⸗
tragen; allein ich gab ihm ein zur Haud lkegendes
ortentaltfches Maͤhrchenbuch, woͤrans er auf ber
Stelle ein heiteres Geſchichtchen las, mit fo viek
atürkkhem Humor, Charakteriſtik iin Ausdruck:
veim Perforen⸗ und Situationswechfel, daßich wun
weiter kelnen Zweifel am ihm hegte. Et trat in
der Rolle ats Gorge in den beiden Bllleks Aut Vei⸗
fat auf, had zeigte ſich befonders fu natuͤrlich hu⸗
moriſtiſchen Rollen aufs wuͤnſchenswertheſte.
Indeß nun auf unferer Bühne Se Kunſt in ju⸗
gendlich lebendiger Shaͤtigkeit foribluͤhre, ereignete
ſich ein Todesfall, deſſen zu crwaraen ich für Pflicht
halte.
Corona Schroͤder ſtarb, and: da ich mic
getade nicht Im der Verfliſſierig füptre te ein wohl⸗
verdientes Deukmal zu vidmen, To ſchien es mir
angenehm wunderbar, daß th int vor Te wel Jah⸗
ren ein Andenken fllftete, das ſch jetzt charakteriſti⸗
ſcher nicht zu errichten gewußt hätte: Es. war eben⸗
⸗
134
maͤhig bei einem Tobesielle, bei dem AMcheiden
Mie dings des Thagterdecorateurs, daß In ern⸗
Rer-Holtegfelt den ſchoͤnen Freundin gedacht wurde.
Gag: wohl erinnere ih mich des Trauergedichts, auf
ſchwarz geränbertem Papier fär das Tieffurter Joux⸗
nel reinlichſt abgeſcheiaben. Doch für Coronen war
es keine Varbedentung, ihre: ſchoͤne Geſtalt, ihr
munterer Geiſt exhiolten ſich noch lange Sabre; fie
haͤtte wohl noch langer in der Naͤhe einer Melt Kick
ben ſollen, ans der fie ſich zurädgegogen hatte.
Naqhtraͤglich au den Theaterangelegenbeiten iſt
nach zu bemertenta daß wir in dieſem Jahrr und gut⸗
mise beiachen lichen, auf ein Intriguen⸗Etuͤc
einen Preis zu ſetzen. Wir erhielten nach vnd nach
eis Dutzero, „aber mahll von fo deſperater und. ver⸗
trecter Art, daß wir nit genugſam und mundene
Manten,. was füs. ſeltſame falſche Beſtrehungen im
lleben Meatarlande heimlich. obwalteten, die. denn
Wi folchem Aufenf ſich an das Tageslicht draͤngten.
Bir hielten unfer Urtheil zuruͤg, da eigentlich keins
zu fällen mer, und Hefexten auf Verlangen ben Au⸗
toren Ihre Prednetionen wieder aus;
Auch iſt zu bemuenten, daß in biefem Jahre Cal⸗
deron, ben wir dem Namen nad Zeit:unferes Le- .
Bemetanntan, ſich zu nähern anfing und ung. gleich
eb den erſten Muiteriäden In Erlaunen fehte.
133
Zwiſchen alle diefe vorerzählten Arbeiten und
Sorgen fihlangen fh gar manche unangenehme Be⸗
muͤhungen, im Gefolg ber Pflichten, die ich gegen
die Mufeen zu Jena feit mehreren Jahren übernom-
men und durchgeführt hatte.
Der Tod des Hofraths Büttner, der fih in
der Mitte des Winters ereignete, legte mir ein
muͤhevolles und dem Gelfte wenig fruchtendes Ge⸗
(häft auf. Die "Eigenheiten dieſes wunderlihen
Mannes laffen fich in wenige Worte fallen: unbe⸗
gränzte Neigung zum wiſſenſchaftlichen Beſitz, be=
fchräntte Genaufgfeitsiiebe und Williger Drangel an
allgemein überfhauendem Ordnungsgeiſte. Seine
anſehnliche Bibliothek zu vermehren wendete er bie
Penſion an, die man ihm jährlich für die ſchuldige
Summe der Stammbibliothek barreihte. Mehrere
Zimmer im Seitengebaͤude des Schloffes waren Ihm
zur Wohnung eingegeben, und diefe ſaͤmmtlich be⸗
fest umd belegt. In allen Auctionen beftelte er
fh Bücher, undyals der alte Schloßvoigt, fein
Sommiffionair, ihm einftmals “eröffnete: daß ein
bedeutendes Buch ſchon zweymal vorhanden fey,
hieß es dagegen: ein gutes Buch koͤnne man nicht
oft genug haben.
Nach feinem Tode fand fich ein großes Simmer,
auf deſſen Boden bie fämmtlihen Auctionserwerb⸗
niſſe, yartienweis wie fie angelommen, neben ein-
ander hingelegt waren. Die Wandſchraͤnke fanden
gefünt, in dem Zimmer ſelbſt konnte man keinen
—
433
Fuß vor den andern fehen. Auf alte gebrechliche
Stühle waren Stöße roher Bücher, wie fie von der
Meſſe kamen, gehäuft; die gebrechlihen Füße knick⸗
ten zufammen, und Das Neue ſchob ſich floͤtzweiſe
uͤber das Alte hin.
In einem andern Zimmer lehnten, an den Waͤn⸗
den umher gethuͤrmt, planirte, gefalzte Buͤcher,
wozu der Probeband erſt noch hinzugelegt werden
ſollte. Und fo ſchlen diefer wadre Mann, im hoͤch⸗
fien Alter die Thätigkeit feiner Jugend fortzufegen
begierig, endlich nur in NWelleitäten verloren. Denke
man fih andere Kammern mit brauhbarem und un⸗
brauchbarem phyſikallſch⸗chemiſchem Apparat. über-
ftellt, und man wird die Verlegenheit mitfühlen, in
der ih mich befand, als diefer Theil des Nachlaſ⸗
ſes, von dem ſeiner Erben geſondert, uͤbernommen
und aus dem Quartiere, das ſchon laͤngſt zu andern
Zwecken beſtimmt geweſen, tumultuariſch ausge⸗
raͤumt werden mußte. Daruͤber verlor ich meine
Zeit, vieles kam zu Schaden, und mehrere Jahre
reichten nicht hin die Verworrenheit zu loͤſen.
Wie noͤthig in ſolchem Falle eine perſoͤnlich ent⸗
ſcheidende Gegenwart fey, überzeugt man ſich leicht.
Denn ˖ da wo nicht die Rede iſt das Beſte zu leiften,
fondern das Schlimmere zu vermeiden, entſtehen
unauflögliche, Zweifel, welche nur durch Entſchluß
und That zu beſeitigen ſind.
Leider ward ich zu einem andern gleichfalls drin⸗
genden. Befchäft abgerufen, und hatte mich gluͤclich
h 434
zu ſchaͤhen, ſolche Mirxcbelter yi Hintetlaſſen, Me
In beſprochenem Stune die Arbeit / einige Bett fort
zufuͤhren ſo faͤhlg als geneigt. waren.
Schon mehrmais wer Im Lauf unfter Theater⸗
gefſchichten von dein Vorthell die Rede geweſen,
welche der Lauchftaͤdter Sommeranfenthalt Ber Dei⸗
martſchen Geſellſchaft bringe; hier iſt aber deſſen
ganz vefonders zu erwaͤhnen. Die dortige Bähtte
war von Bellen ſo oͤkonomiſch als mögloch einge⸗
rrchtet; ein paar auf eknem Freien Platz ſteheude
hohe Bretergiebel, von weichen zu beibendus Pulrduch
bis nahe zur Erde reichte, ſtellten dieſen NRuſentem⸗
pel dar; der Immere Naum war Ber Laͤnge nach ducth
zwey Waͤnde getheilt, wovon der mittlere beit Thea⸗
ter und den Zuſchauern gewlbmet war, die betben
wiedrigen ſchmalen Seiten aber den’ Garbereben.
Nun aber, Hei neuerer Belebung ib‘ Etelgerung
unferer Auſtalt, forderten ſowohl die Stuͤcke als
bie Schauſpieler, beſonbers aber auch das Antike
und Lekpziger tzelnetende MONDERCRUR CI wurdiges
Lveal.
Der: mehrere Jahre laͤng ert ſechte, Yan Teb-
hafter betriebene Schloßbau zu Welmar vief'Iutent-
vvlle Baumetfter heran, und wie es inemer / war md
ſeyn wird: mo man bauten ſieht, regt ſich die Lüſt
zum Bauen. Wie fih’s nun vor einigen Jahten aus:
wies, da wir, bach: die Gegenwart bes Herrn
” 485
iemmet kesinkst, And: · Melmaruſc ſhaeter wär-
‚ap elunihketen, fa: fand ſich auch diaß al, daß bie
Hemen Benz. und Raghe aufgeſnrdert wunden, ei⸗
momAauſtadtar Hauoban dio eſtalt zu verleihen.
MDie Zweifel geoen ein ſolches Untemnahmen wa⸗
zen mialfach zur Spaache gel oamen. In bedeuten⸗
der Entfernung, auf fremdem Gruud und Boden,
Aal. ganz befonbeen Rügfichten der dort Angeſtellten,
„Shenen Die Hinbsuaifle laum zu befeitisen. ‚Der
ea de⸗ alten Thoaters mar zu einem groͤpezn e⸗
Vbande ‚nicht geelcnet, der ſchoͤne einzig: ſchickliche
am ſcerittig awiſchen mertshladenen Gerichts barlaei·
ten, und fo trug man Bedanken, das Heus dem
engen Sinne nach a hna sahitichenSrants.amfzuer-
hauen. Doc vonadent Draamgı dar ikanfinde , van
„unsuhlaet Schätigleit , vonichaden ſchoftlicher Kauſt⸗
ablebe, men ununnfieghener Mandursiuität gateloben
whaſeitigtencult enlich adles Emtarsenfichnehe; sin
saßen wand ontrrorjen, ein Modell bereisentlichen
Mahaengefartigt, and im Fabruar Hatte man ſich
vehen oͤber das und gaſchehen ſoſlle, vereiuiat. Ab⸗
aamtsten wand vor oAen Dinsan die Soͤttenferm,
‚Die das Gangze unter Hin Da bagreift. Eine maͤßige
Monhalle fuͤr Galle und ſcreypen ſolte angelegt. wer⸗
‚an , dahnater derohoͤhare Nasen. fhr bie Huſchauer
cemnarſoelgen, uudi ganz ⸗dahinter der hoͤchſte fuͤrs
Mheatert
Biel, je alles tanmt rauf: an, wo ein; Gr⸗
vaͤude ſtehe. Dieß ward an Qrt und Stelle mitgroͤß⸗
+
136
ter: Soräfalt bedacht, und auch nach der Ausfüh-
rung Tonnte man es nicht beffer verlangen. Der
Bau ging nun kraͤftig vor fih; im März lag das ac-.
cordirte Holz freilich noch bei Saalfeld eingefroren,
demungeachtet aber fpielten wir den 26 Juny zum
erftenmal. Das. ganze Unternehmen in feinem De-
tell; das Günftige und Ungünftige in feiner Eigen⸗
thämlichkeit, wie es unfere Thatluft trey Monate
lang unterhielt, Mähe, Sorge, Verdruß brachte
und durch alles hindurch perfönliche Aufopferung for-
derte, dieß zuſammen würbe einen kleinen Roman
geben, ber ald Symbol größerer Unternehmungen
fih ganz gut zeigen könnte,
Nan iſt das Erdffuen, Eintelten, Einweihen
folder Auſtalten immer bedeutend. In ſolchem
Falle ift die Aufmerkſamkeit gereist, die Neugierde
gefpannt und die Gelegenheit recht geeignet, das
Merhältniß der Bühne und des Publlcums zur Spra⸗
he zu bringen. Man verfäumte baher diefe Epoche
nicht und’ ftellte in einem Vorſpiel, auf ſymbollſche
and allegorifche: Weiſe, basienige vor, was in ber
letzten Zelt auf dem Deutfhen Theater überhaupt,
‚.befonders auf dem Welmarifhen gefheben war.
Das Poſſenſpiel, das Famillendrama, die Oper, bie
Tragoͤdie, das Natse fo wie: das Maskenſplel pro=
Durirten fih nah und nach in ihren Eigenheiten,
fpielten und erklärten fi felbft, oder wurden er⸗
klaͤrt, indem die Geftalt eines Mercur das Ganze
zuſammenknuͤpfte, auslegte, deutete.
437
Die Verwandlung eines.fchlechten Bauernuirths-
banfes in einen theatratifchen Palaſt, wobel zugleich
die meiften Perfonen in eine höhere Sphäre verſetzt
worben, beförderte heiteres Nachdenken.
Den 6 Zuny begab.ich mich nah Jena, und
ſchrieb das Vorſpiel ungefähr in acht Tagen; die
leste Hand ward in Lauchftädt felbit angelegt, - und
bis zur letzten Stunde memorirt und geübt. Es
that eine liebliche Wirkung, und lange Jahre er-
inuerte fi) mancher Freund, ber ung dort befuchte,
jener hochgeftelgerten Kunftgenäfle. .
Mein Lauchſtaͤdter Aufenthalt machte mir zur
Pflicht, auch Halle zu befuhen, da man uns von
dortber nachbartih, um bes Theaters, auch um
perfönlicher Verhättniffe :willen, mit oͤfterem Zu⸗
ſpruch beehrte. Ich nenne Sch. Rath Wolf, mit
welhem einen Tag zuzubringen ein ganzes Jahr
srändiiher Belehrung eintraͤgt; Kanzler Nie⸗
meyer, ber fo thätigen Thell.unfern Beftrekun- -
gen fchenkte, daß er die Andria zu bearbeiten uns
ternahm, wodurch wie denn die Summe unfrer
Mastenfpiele zu erweitern und zu BORMAHNIRTARL:
gen gluͤcklichen Anlaß fandem
Uund ſo war ble ſaͤmmtliche gebildete Umgebrug
at gleicher Freundlichkeit, mid und bie Auflalt,
bie mir fo ſehr am Herzen lag, geneigt zu beför-
bern. Die Nähe von Giebichenſtein lodte zu Beſu⸗
Sen bei dem gaſtfreien Reichard; eihe wuͤrdige Frau,
anmuthige fhöne Töchter, ſaͤmmtlich vereint, bil-
er.
:438
<&2tem in sie. eonrantiſch Läubikchen. Auſec halte
era hochſt geftligen Fumbtiavfteis, ie weſchem
foch bedemande Maͤnner aus ber Naͤhe mad Ferae
kuͤrzere oberisdagere Zeit gar wohl gelelan, sed
rel Alice Veebin dungen fuͤr das Raben antnuͤpften.
Auth Darf nicht auͤbargangen werben, daß ich ie
OR eloahem, weiche Neichard meinen LAadeun am froͤh⸗
fen vdergoͤnnt, under wohltklingenden Stimme ſei⸗
nmer aͤſteſten · Tochter gefuͤhlwoll vartragan hörte,
:Nehvigens bliebe noch gar anchas beinahe
Aufentbalt in Halle u bemerken. ‚Den botanilchen
Garten unter Spraugels Leltmung zu hetrachten,
ad: eheitfihe Kabinet, beiten Beſitzer Ich seiber
wicht mehr am Leben fand, zu:meinen. befonbern
een aufmorkſam zu beſchanen, war micht gerin⸗
‚ger Qecran;: chenn uͤderall, fowohlanhen Gegen⸗
egtanden als und dan Seſpraͤchen, kannte ich atrras
entnehmen, was mir zu mehrerer VolAkcaigkait
mb Horderniß meiner Stublen:biente.
Minen le ichen Morcheil, ber Rich immer bei ala⸗
domiſcham uufenthailt · he rroethut, Fand ich in Hena
adiaend ed : Auguſtinenais. Mit Oondearn ımr-
den fruͤher angemerktenenatonſiſche Prableme duvch⸗
MGeſprechen; tt. Hoeen lor gar vieles ber Su ſub⸗
noctiee Sehen mud die Farbenenſcheiauugverhandeit.
Oft: voriowen-wir.und fo tief inaden Cert, aß wir
ber Werg And hat bio imdie · tiefe Nacht herun
awandesten. nf. wannach Jena gezogen amd zeigte
uf ſich auzujaufen; ſeine große umſichtige Gelehe⸗
ac)
pinutcit," wickeln Gerräiheeneetighen Aexſtelauser,
abe Irtienbiichteit ſeiner duen lichen: Srifbeny ung mich
mr, mb mir wat nichts angelegener, als mich von
fructdares Berbältniß.
Umgeben von den Mufeen und von ae ‚ was
mich früh zu den Naturwiffenfhaften angeregt und
gefördert hatte, ergriff ich jede Gelegenheit, auch
Hier. mich zu vervolfftändigen. Die Wolfmilchsraupe
war dieſes Jahr Hanfig und Fräftig ausgebildet, an
vielen Tremplaren ſtudirte Ih das Wahsthum Bis
‚zu beffen Gipfel, fo wie den Uebergang zur Puppe.
Auch hier ward ‚ich mancher trivialen Worftellungen
und. Begriffe los.
Auch bie vergleichende Knochenlehre, die ich be⸗
ſonders mit mie Immer im Gedanken herumfähtte,
hatte großen Theil an meinen befchäftigten Stunden. -
Das Abſcherden bes Yerbienfieichen Batſch
Me, TEA Für Die Wiſſonſchaft, für die
See ie ame Ben, ptef
i zerfruett
—— Ein Thon zehöere der maturfor⸗
ſcheicheun Gefenſchuft; vieſefolgte ven Durectdren,
Avder witlmohr einer Höheren Leitang, bie mit bedeu⸗
genen: Aufande die Gchulden der Sertetdt be⸗
Jahlte sumd: ein vnees umenigekb liches Lacale fi Aue
worhnavutn Koͤrrer · anwies. Dor -ankere hell
130
Toante, ale Eigenthum des Nerftorbenen, deſſen
‚Erben nicht beftritten werben. Eigentlich hätte man
das kaum zu -trennende Ganze mit etwas mehrerem
Aufwand herübernehmen und zufammenhalten fer:
len, allein die Gründe warum ed nicht‘ geſchah, me-
ren auch von Gewicht.
Sing nun hier etwas verloren, fo war in der
fpäteren Jahrszeit ein neuer vorausgefehener Ge-
winn befhieden. Das bedeutende Mineraliencabt-
net des Fürften Galizin, das er als Präfident der-
felben ihr zugedacht hatte, follte nah Jena ge-
Ihafft und nach der von Ihm beliebten Ordnung auf⸗
geſtellt werden. Dieſer Zuwachs gab dem ohnehin
ſchon wohlverſehenen Muſeum einen neuen Glanz.
Die übrigen wiſſenſchaftlichen Anſtalten, meiner Lel⸗
tung untergeben, erhlelten ſich in einem mäßigen,
von der Caſſe gebotenen Zuftand. |
Belebt ſodann tar die. Akademie durch —
tende Stadirende, die durch ihr Streben und Hof⸗
fen auch den Lehrern gleichen jugendlichen Muth ga⸗
ben. Won bedeutenden, ‚einige Zeit ſich aufhalten⸗
den Fremden nenne: von Pohmanitz kv,der viel⸗
ſeitig ‚unterrichtet au unferm. Wollen und Worlen
Theil nehhmen und thaͤtig mit eingreifen, mochte. :
Neben allen dieſem wiſſenſchaftlichen Beftreben
hatte: die Jenaiſche Gefelligteib nichts von ihrem
heitern Charakter. veriuren. Neue heranwachſende,
hinzutretende Glieder vermehrten die Anmmh und
481
erfeßten reichlich, mas mie in Weimar auf einige
Zeit entgangen war.
Wie gern hätte ich biefe in jedem Sinne ange-
nehmen und beiehrenden Tage noch bie äbrige Schöne
Herbftzeit genoflen, allein die vorzubereitende Aus⸗
ſtellung trieb mich nah Weimar zuruͤck, womit ich
denn auch den September zubrachte: Denn bis bie
angefommenen Städe ſaͤmmtlich ein und aufges
rahmt wurden, bie man fie in ſchicklicher Ordnung
in günftigem Lichte aufgeftellt und den Befchauern
einen würdigen Anblick vorbereitet hatte, war Zeit
und Mühe nöthig,. befonderd da ich alles mit mei⸗
nem Freunde Meyer felbft verrichtete, auch auf ein
forgfältiges Iurüdfenden Bedacht zu nehmen hatte.
Perſeus und Andromeda war der für bie bieß-
jährige vierte Ausſtellung bearbeitete Gegenftand.
Auch dabei:hatten wir die Abſicht, auf die Herr:
lichfelt der äußern menfchlihen Natur in jugendli⸗
hen Körpern beiderlei Geſchlechts auſmerkſam zu
machen; benn wo follte man den Gipfel der Kunft
finden, als auf der Bläthenhöhe des Seſchopfs nach
Gottes Ebenbilde.
Ludwig Humntein, geboren in Neapel, wohn⸗
haft in Caſſel, war der Preis zu erkennen; er hatte
mit zartem Kunftfinn ud Gefühl den Gegenftand
behandelt: AAndromeda ftand aufrecht in ber Mitte
bed Bilbes am Zetfen, ihre ſchon befreite Iinte
Hand konnte durch Heranziehen einiger. Seiten des
Manteid VBeſcheidenheit und Schamhaftigkeit be-
5 Ber:
setdmeniz auctuhend af: Porſeus aufcbem Gasse
des Ungeheuers zu ihrer Seite, untsigegemhhen iaffee
ein heranellender Genus. ſo chen. die Feſſein ber
vehten Haud. Sehwe bewegte Fhutylingegefinit: er⸗
hoͤhte die Schoͤnheit und Kraft des miiebigen Yannadı
Elner Landfchaft von: Raben aus. Caſſet ward in
deſem / Fuch der Prois zuerlarnt. Die Jengaiſche
allgemeine Literaturzeitung vom: Jahr 180* erhaͤlt
derch einen: Umriß bes hikeriichen Gemaͤhldes dad
Andenkon des Biest: und. durch umſtundioiche Bes
fhreibung und Beurtheilung bet.eingefenbetun Bike
die Ertenerung jener Dhaͤtigkeit. 2
Indem wir mun:aber uns auf sche Weiſe bemh.
ten, datjenige in Ausuaͤbung zu. bringen andzu er⸗
hatten, was ber buüdenden Kunſt als allein gamaͤß
und vortheilhaft ſchon kaͤngſt anerkannt worden, ver⸗
nahmen wir in unſern Saͤlen: daß ein neuesMich⸗
lein vorhanden ſoy, welches vielen Sindruck mache;
ea bezog ſich auf. Knuſt, und weite bie Famnig⸗
leit als alleickges Fundament derſelben feſtſetzen.
Bon dieſer Nachricht waren wir wenig geruͤhrt; denn
wie ſollte auch eine Schlußfolge geiten, eine Schluß⸗
folge wie diefe: einige Moͤnche wen Kanſtlec, deß⸗
halb ſollen alle Kaͤrſtlev Moͤnche ſeyn.
Doch hätte bedonklich Acheinen daͤrſen, daß were
he Freunde, DIE unſere: Aus ſrelung ahelinchzinend
beſuchten, auch unſer Werfahren diſligten, ſich Sach
andieſen, wie man wohl merkte, fmeickeibeften,
Me Sthwaͤche beguͤnſtigenden Binfiäfierumgen. zu
— 188.
u;
ergägen fchfäwenn, und ſich davon dneglüdiihe Blitz
Ing verſprachen.
Die tm cteberoflelßtg befuchte Yunaiteifung gab⸗
Glegertheit, ſich mis einhernriſchen und ausmaͤrti⸗
gen Kirnſtfreunden zu unterhalten, auch febite ed,
dee Jachrszeit gemäß, micht au willlonumenen. Be=
ſuchen aus dot Ferne. Hofrath Biumenbach:giunte:
ſeinen Welrnariſch⸗ und Jenciſchen Freumden in igt
Rage, und auch dießmal wie. immer merklich feine:
Gegrawart den heiterſten Antorricht.
Und wie ein Gutes immer ein anderes zur Salat
at, fo ſtellte ſfich dus veine Vernehenen In der in⸗
nerften Deſe ſchaft nach une crach wieder her.
Eine bedentende Correſpondenz lieh. mich vumtt⸗
telbare Blitke ſelbſt In bie Ferne richten. Frie⸗
eig Schlegel, Bes bei feiner! Durchretſe mit:
wichn Benuhlungen: un feinen Alarcos wohl zu⸗
fiheben geweßen, gab mic von Pariſer Zuſtaͤnden
Hascktenbe Nachricht. Hoftath Sartorins, der
geichfalls⸗ zu einem Beſuch das lanze beſtandene
gute Verhaͤltniß abermals aufgrftiſcht und. eben jetzt
mir den Stadien dev. Hanſeſtaͤdte beſchaͤfrigt war,
Ri. an die ſens muichtigen Unternehmen arch aus
der Gere. Thell nohhmen.
Hoſrath Rocht itz, der unſer: Theater mit zu⸗
whmenbeitt Intereſſe betrachtete, gab ſolchesn durch
mehrere Bileſe, die ſich noch vorfinden, gu eriunmen,
Gar mauthes aubere von. erfreulichen Verhaͤltniſ⸗
ſen fin" Ich noch augemerkt; drey junge Mänter:
134
Klaproth, Bode, Haln, hielten fih In Wei⸗
mar auf, und benupten mit Verguͤnſtigung dem.
Buͤttneriſchen polyglottifhen Nachlaß.
Wenn ich nun biefes Jahr in Iimmerwährender
Bewegung gehalten wurde, und bald in Weimar
bald in Jena umd Lauchftddt meine Gefchäfte wie
ſte vorkamen verfab; fo gab auch ber Beſitz des Flei-
nen Freiguts Roßla Veranlaffung zu manchen Hin⸗
und Herfahrten. Zwar batte fih ſchon deutlich ge=
nug hervorgethan, daß wer von einem fo Heinen
Eigenthum wirklich Vortheil ziehen will, es felbft
bebauen, beforgen und, ale fein eigener Pachter
und Verwalter, den unmittelbaren Lebensunterhalt
daraus ziehen muͤſſe, da ſich denn eine ganz artige
Exiſtenz darauf gründen laſſe, nur nicht für einen
verwöhnten Weltbürger. Indeſſen bat das foge=
nannte Ländliche, in eimem angenehmen Thale, am.
einem Heinen baum- und bufhbegränzten Fluſſe,
in der Nähe von fruchtreichen Höhen, unfern eines
volfreihen und nahrhaften Städtchend, doch immer
etwas bad mid Tage lang unterhielt, und fogar
zu kleinen poetifchen Productionen eine heitere
Stimmung verlieh. Frauen und Kinder find bier
in ihrem Elemente, und die. in: Städfen unerttägs
liche Gevatterey ift hier wenigſtens an ihrem -ein-
fachften Urfprungs ſelbſt Abneigung und Mißwollen
feinen reiner, weil-fie aus ben unmittelbaren Bez
duͤrfniſfen der Menfchheit hervorfpringen.
Hoͤchſt angenehm war die Nachbarichaft von Oß⸗
mann-
445
mannſtedt, in demfelbigen Thale aufwaͤrts nur auf
der linken Seite des Waſſers. Auch Wielanden fing
diefer Naturzuftand an bedenklich zu werben; efn-
mal fegte er ſehr humoriſtiſch auseinander, welches
umſchweifes es beduͤrfe, um der Natur nur etwas
Genießbares abzugewinnen. Er wußte die Umſtaͤnd⸗
läjtelten des Erzeugniſſes der Futterkraͤuter gruͤnd⸗
lich und heiter darzuſtellen: erſt brachte er ben ſorg⸗
ſam gebauten Klee, muͤhſam durch eine theuer zu
ernaͤhrende Magd zuſammen/ und ließ ihn von der
Kuh verzehren, um nur zuletzt etwas Weißes zum
Kaffee zu haben.
Wieland hatte ſich In jenen Theater- und Feſt⸗
haͤndeln ſehr wacker benommen, wie er denn, immer
redlich, nur manchmal, wie es einem jeden ge⸗
ſchieht, in augenblicklicher Leidenſchaft, bei einge-
foͤßtem Vorurtheil, in Abneigungen, die nicht ganz
zu ſchelten waren, eine launige unbilligkeit gu du=
fern verführt ward. Wir befuchten Ihn oft nad
Tiſche und waren zeitig genug über die Wieſen wie⸗
der zu Hauſe.
In meinen Weimariſchen haͤuslichen Verhaͤlt⸗
niſſen ereignete ſich eine bedeutende Veraͤnderung.
Freund Meyer, der ſeit 1792, einige Jahre Ab-
wefenbeit ausgenommen, als Haus- und Tifchge-
uofe, mich durch belehrende, unterrichtende, be= _
tatbende Gegenwart erfreute, verließ mein Haus
In Gefolg einer eingegangenen ehlichen Verbindung.
Jedoch die Nothmwendigkeit ih ununterbrochen mit⸗
Soethed Werte, XXXI. We 410
4186
zutheilen, uͤberwand bald die geringe Entfernung,
ein wechfelfeitiged Einwirken bileb lebendig, fo daß
weder Hinderniß noch Pauſe jemals empfunden
warb,
Unter allen Tumulten dieſes Jahres lieh ich
doch nicht ab meinen Liebling Eugenien im StiL-
Ten zu hegen. Da mir dad Ganze vollfommen gegen-
wärtig war, fo arbeitete ih am Einzelnen wie ich
ging und ftand; daher denn auch bie große Ausführ-
Uchkelt zu erklären ift, Indem ich mich auf dem je-
desmaligen einzelnen Punct concentrirte, der un-
mittelbar In die Auſchauung treten follte.
Gellint gehörte ſchon mehr einer wilden zer-
freuten Welt an; auch diefen wußt' ih, jedoch
niht ohne Anftrengung, zu fördern: denn im
Grunde war die unternommene Arbeit mehr von
Belang ald Ich anfangs deuten mochte.
Reinecke Fuchs durfte nun auch In jedem lef=
denfchaftlich = Teichtfertigen Momente hervortreten,
fo war er wohl empfangen und für gewiſſe Zeit eben-
falls gepflegt.
1803
Zum neuen Jahre gaben wir Yaldophron
und Neoterpe auf dem öffentlichen Theater,
Schon war durh bie Vorſtellung der Terenzifchen
Brüder das Publicum an Masten gewöhnt, und
147
nun Tonnte das eigentlihe erſte Mufterftäd feine
gute Wirkung nicht verfehlen. Der frühere an die
Herzogin Amalie gerichtete Schluß ward ind Allge-
meinere gewendet, und die gute Aufnahme diefer
Darftellung bereitete den beften Humor zu erufteren
Unternehmungen.
Die Aufführung der Braut von Meffina
(19 März) machte viel Vorarbeit, durchgreifende
Lefe- und Theaterproben nötbig. Der bald darauf
folgenden natärlihen Tochter. erfter Theil
(2 April), fodann die Jungfrau von Orleans
verlangten die volle Zeit; wir hatten ung vielleicht
nie fo lebhaft, fo zweckmaͤßig und zu allgemeiner
Zufriedenheit bemüht.
Daß wir aber alles Mißwollende, Verneinende,
Herabziehende durchaus ablehnten und entfernten,
davon fey nachiiehendes ein Zeugniß. Zu Anfang
des Jahrs war mir durch einen werthen Freund ein
Feines Luſtſplel zugekommen mit dem Titel: der
Schaͤdelkenner, die reſpectablen Bemuͤhungen
eines Mannes wie Gall laͤcherlich und veraͤchtlich
machend. Ich ſchickte ſolches zuruͤck mit einer auf:
richtigen allgemeinen Erklaͤrung, welche als ins
Ganze greifend hier gar wohl einen Platz verdient.
„IJndem ich das Heine artige Stüd, als bei
ung nicht aufführbar, zurüdfende, halte ich es,
nach unferm alten freundfchaftlihen Verhaͤltniſſe,
für Pflicht die näheren Urfachen anzugeben.
Wir vermeiden auf unferm Theater, fo viek
‘448
moͤglich, alles was wifſenſchaftliche Unterſuchungen
vor der Menge herabfetzen koͤnnte, theils aus elge⸗
nmen Grunbſaͤtzen, theils Weil unſere Akudemie iu
der Naͤhe iſt, und es unfreundlich ſcheinen würde,
wenn wir das, womit fih dort mancher ſehr ernſt⸗
lich beſchaͤftigt, bier leicht und luͤcherkkich nehnren
wollten.
Gar mancher wiſſenſchaftliche Verfuh, der Na-
file irgend ein Gehelmniß abgewinnen zu wollen,
"Tann für fh, theils auch’ durch Charlatanerte der
Unternehmer, eine Lächertihe Seite bieten, und
man darf dem Komiker sticht verargen, wenn er’ im
Votbeigehen fih einen Fleinen Selteühleb erlaubt.
Darin find wir auch keineswegs pedantiſch; aber
wir Haben forgfältig alles was fich in einiger Breite
“Auf phlloſophiſche oder Itetatifhe Händel, auf bie
neue Theorie der Hellfunde u. ſ. w. bejog, ver:
mleden. Aus eben der Urfache möchten wir nicht
gern die Galliſche wunderliche Lehre, der es denn
doch, fo wenig ald ber Lavaterifhen, an einem
Sundament fehlen möchte, dem Gelächter Preis
geben, beſondets da wir fürchten müßten manchen
unferer achtungswerthen Zuhörer dadurch verdrleß⸗
lich zu machen.
Welmar am 24. Januar 1803.
Mit einem ſchon fruͤher auslaugenden und mun
friſch bereicherten Repertorium kamen wir wohl
ausgeſtattet nach Lauchſtaͤdt. Das neue Haus, bie
149
wichtigen. Städe, bie. ſorgfaͤltigſte Behandlung. er-
regten allgemeine Theilnahme. Die Andria bes.
Teronz, von Heren Niemeyer bearbeitet, warb
cheumäßig. wie bie Brüder. mit Annaͤhenung ang
Antike. aufgeführt. Auch von Leipzig fanden ſich
Aufchaner, fie fowahl als die von Halle wurden mit
unfern ernſten Bemuͤhungen immermehr bekannt
weiches und zu großem Vortheil gedieh. ch ver⸗
weilte dießmsai-nicht, Länger daſelbſt als nöthig, um.
mit. Hofrath Ricus, meinem. Mitcommiſſarius, bie
Beduͤrfniſſe der Baulichleiten und einiges Wins
ſchenswerthe der Umgebung anzuordnen.
In, Halle, Giebichenſtein, Merfeburg, Naum⸗
burg. exnenerte ich gar manche merthe Werbindung
Proſeſſor Wolf, Geh. Rath Schmalz, Jakob,
Reil, Lafontaine, Niemeper entgegneten
mir mit gemohnter Freundlichkeit. Ich beſah von
Lepſers Mineralien-Cabinet, beſtieg den. Petards
berg, um friſche Porphpr-Städe zu holen. Che ich
abzeifte ſah ich nech.mit. Freuden, daß unſer thea⸗
traliſches Ganzes. ſich ſchan won. ſelbſt bewegte und.
im Einzelnen nichts nachzuhelfen war, wohel freis
Ich. die. guaße Shaͤtigkeit bed. Regiſſeurs Genaft '
gerühms werben. mußte, Ich nahm meinen Ruͤck—
weg. über Merſeburg, das gute Verhaͤltuiß mit den
— oberen Behörden. zu, befeſtigen, ſodann
melnen Geſchaͤftan In. Weimar und Jena weites
— **
Al⸗ ich mir nun · für: diaſe Zalt das Theqter⸗
150
wefen ziemlich aus dem Sinne gefchlagen hatte,
ward ich im Geiſte mehr als jemald dahin zuruͤckge⸗
führt. Es meldeten fib, mit entfchledener Nei⸗
gung für die Bühne, zwey junge Männer, die fi
Wolf und Grüner nannten, von Augsburg kom⸗
mend, jener bisher zum Handelsſtande, diefer zum
Militär zu rechnen. Nach einiger Prüfung fand ich
bald daß beide dem Theater zur befondern Zierde
gereichen würden und baß, bei unferer fchon wohl-
deftellten Bühne, ein paar frifhe Subiecte von die⸗
- fem Werth fi fchnell heranbiiden würden. Ich be-
ſchloß fie feft zu Halten, und weil ich eben Zeit
hatte, auch einer heitern Ruhe genoß, begann ich
mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch
mir die Kunft aus ihren einfachften Elementen ent=
widelte und an den Fortſchritten beider Lehrlinge
mih nach und nach emporftndirte, fo dag Ich felbft
Härer über ein Geſchaͤft ward, dem ich mic bie=-
her inftinetmäßig Hingegeben hatte. Die Gramma-
tif, die ih mir ausbildete, verfolgte ih nachher
mit mehreren jungen Schaufpielern, einiges daven
iſt ſchriſtlich uͤbrig geblieben.
Nach jenen genannten beiden fügte ſich's, daß
noch ein huͤbſcher junger Mann, Namens Grim-
mer, mit gleihmäßigem Antrag bei und vortrat.
Auch von ihm lleß fih nach Geftalt und Weſen das
Befte hoffen, beſonders war er Schillern willkom⸗
men,.der feinen perfonenteihen Tell Ich Sinne
Hatte und auf ſchickliche Beſetzung der- ſaͤmmtlichen
451
Rollen fein Augenmerk richtete. Wie hielten da-
‚ ber auch ihn feit, und fanden ihn bald an feinem
platze brauchbar.
Der erfte Thell von @ugenie war gefchrleben,
gefptelt und gedrudt, das Schema des Ganzen lag
Scene nach Scene vor mir, und ich kann wohl fa-
gen, meine mehrjährige Neigung zu dieſem Erzeug-
niß Hatte keineswegs abgenommen.
Der zweyte Theil follte auf dem Landgut, dem
Aufenthalt Eugenlens, vorgehen, der dritte in ber
Hauptftabt, wo mitten in der größten Verwirrung
das wiedergefundene Sonett freilich kein Heil, aber
doch einen fhönen Augenblick würde hervorgebracht
haben. Doch ich darf nicht weiter gehen, weil ich
fonft das Ganze umftändlih vortragen müßte.
Ich hatte mich der freundlichſten Aufnahme
von vielen Seiten her zu erfreuen, wovon Ich die.
wohlthätigften Zengniffe gefammelt habe, die ip
dem Deffentiichen mitzutheilen vielleicht Gelegenheit
finde. Man empfand, man dachte, man folgerte
was ich nur wünfhen konnte; allein ich hatte den
großen unverzeiplihen Fehler begangen, mit dem
erften Theil bervorzutreten, eb" das Ganze vollen-
det war. Ich nenne den Fehler unverzeihlich, weit
er gegen meinen alten geprüften Aberglauben be
gangen wurde, einen Aberglauben, ber fich indeß
wohl ganz vernünftig erfiären läßt. i
Einen fehr tiefen Sinn hat jener Wahn, daß
man, um einen Schaß wirklich zu heben und zu er=
152.
greifen, ſtillſchweigend verfahren muͤſſe, kein Wort
ſprechen duͤrfe, wie viel Schreckliches und Ergoͤtzen
des auch von allen Seiten erſcheinen moͤge. Eben
fo bedeutſam iſt das Maͤhrchen, man muſſe, bek
wunderhafter Wagefahrt nach einem koſtbaren Ta—
lisman, in entlegenſten Bergwildniſſen, unaufbaltz
ſam vorſchrelten, ſich ja nicht umſehen, wenn auf
ſchroffem Pfade fuͤrchterlich drohende oder llebllch
lockende Stimmen ganz nahe hinter ung vernom—
men werden.
Indeſſen war's gefhehen, und bie geliebten Sce⸗
nen der Folge beſuchten mich nur manchmal wie
unſtaͤte Geifter, die wieberfehrend flehentlich nad ®
Erlöfung feufzen.
So wie ſchon einige Fahre machte der Zuftand,
von Jena und auch biefmal gat mande Sorge.
Seit der Franzoͤſiſchen Mevolution war, eine Unruhe
In die Menfchen gefommen, bergeftalt daß fie ent⸗
weder an ihrem Zuſtand zu ändern, oder ihren Su-
ftand wenlgſtens dem Ort much zu verdudern ge-,
dadıten, Hlerzu konnten befonderd die Lehrer a
Hochſchulen ihrer Stellung nah am meiiten verlodt
werden, und da eben zu dleſer Seit dergleichen An-
falten neu errichtet und vorzüglich begünftigt wurz,
den, fo fehlte es nicht am Relz und Einladung.
dorthin, wo man ein befferes Einkommen, höheren.
Rang, mehr Einfluß in einem weitern Kreife ſich
verſprechen konnte.
—— großwertifchen Ereigniffe muß man im,
u BE A SF- St E39 ——
Zu 3 Ma —
— 7° 3
153
Auge behalten, wenn man fi im Aflgemelnen einen
Begriff machen will von. dem was um Diefe Zeit in dem
Heinen Kreife ber Jenaiſchen Akademie fich ereignete.
Der im drztlihen Sache fo umfichtige und mit
mannichfahem Talent der Behandlung uyb Dar-
ſtellung begabte Chriſtian Wilhelm Hufelanp.
war nach Berlin berufen, führte dort den. Titel
eines Geheimen Raths, welcher in einem großen.
Reiche ſchon zum bloßen Ehrentitel geworben war,
indeffen er In Heineren Staaten. noch Immer bie.
urfprüngliche active Würde bezeichnete und ohne die⸗
felbe nicht Teicht verliehen werden konnte, Eine
folhe Rangerhoͤhung aber biieh anf die Zurüstgelaf-
fenen nicht ohne Einfluß.
Fichte hatte In feinem philoſophiſchen Jourgal
über. Gott und göttliche Dinge auf eine. Weiſe fi,
zu äußern gewagt, melde ben hergebrachten Aus⸗
drüden über folhe Gehelmniffe zu widerſprechen
ſchlen; er ward in Anfpruch genommen, feine Ver⸗
theidigung befferte die Sache nicht, weil. er leiden⸗
ſchaftlich zu Werke ging, obne Ahnung. wie gut
man dießzſeits für ihn, gefinng fey, wiewohl man
feine Sedanfen, feine Worte auszulegen wiſſe; wele
ches man freilich ihm. nicht gerade mit duͤrren Wor—
ten zu. erfeunen geben konnte, und eben fo. wenig,
die Art und Welfe, wie man ihm auf das gelindeite,
herauszuhelfen gedachte. Das Hin: und Wider-
reden, Das Wermuthen und Behaupten, bad Be—
ſtaͤrken und Entſchließen wogte in vielfachen unſichera
154
Neben auf der Akademie durcheinander, man fprach
von einem minifteriellen Vorhalt, von nichts Gerfn-
gerem ald einer Art Verweis, deffen Fichte fih zu
gewärtigen hätte. Hieruͤber ganz außer Faffung,
hielt er fih für berechtigt ein heftiges Schreiben
beim Mintfterium einzureichen, worin er jene Maß-
regel als gewiß vorausfeßend, mit Ungeftüm und
Trotz erllärte, er werde dergleihen niemals dulden,
er werde lieber ohne Weltered von der Akademie
abziehen, und In ſolchem Falle nicht allein, indem
mehrere bedeutende Lehrer mit Ihm einftimmig den.
Hrt gleichzeitig zu verlaffen gebächten.
Hiedurch war nun auf einmal aller gegen ihn
gehegte gute Wille gehemmt, ja paralyfirt: bier
blieb Fein Ausweg, Feine Vermittelung übrig, und
das gelindefte war, ihm ohne Weiteres feine Ent⸗
laſſung zu ertheilen. Nun erft, nachdem die Sache
fih nicht mehr Andern ließ, vernahm er die Wen-
dung, bie man ihr zu neben im Sinne gehabt, und
er mußte feinen übereilten Schritt bereuen, wie wir -
ihn bedanerten.
Zu einer Verabredung jeboch mit ihm die Afa-
demie zu verlaffen, wollte fi niemand befennen,
alles bileb für den Augenblid an feiner Stelle; doch
hatte fih ein heimlicher Unmuth aller Geiſter fo
bemäctigt, daB man in der Stille fih nah außen
umthat, und zuletzt Hufeland der Juriſt nad
Ingolſtadt, Paulus und Schelling aber nad
Würzburg wanderten.
155°
Nach allem diefem vernahmen wir im Anguft
die fo hochgeſchaͤtzte Kiteraturzeitung Tolle auch von
Yena weg und nach Halle gebraht werden. Der
Plan war Hug genug ängelegt, man wollte ganz im
gewohnten Gange das laufende Jahr durchführen
und fhließen, ſodann, als geſchaͤhe weiter nichts,
ein neues anfangen, zu Oſtern aber gleichſam nur
den Druckort verändern und durch ſolches Manduvre,
mit Anftand und Bequemlichkeit, dieſe Wichtige An⸗
ſtalt für ewig von Jena wegfpielen.
Die Sache war von der größten Bedeutſamkeit
und es tft micht zu viel gefagt: diefe ſtille Einlei⸗
tung bedrohte die Akademie für den Augenblick mit
völliger Anflöfung. Man war bießfeits wirklich in
Verlegenheit: denn ob man gleich das Recht hatte
die Unternehmer zu fragen, ob dieſes allgemeine
Gerücht einen Grund Habe, fo wollte man doch in
einer ſolchen gehäffigen Sache nicht uͤbereilt noch
hart erfcheinen; daher anfänglich ein Zaudern; das
aber von Tag zu Tag gefährlicher ward. Die erfte
hai des Auguſts war verfirihen, und alles kam
darauf an, was in ven ſechs Wochen bie Michael.
iu einer Gegenwirkung vorgenommen werden könnte.
Auf einmal kommt Hilfe, woher fie nicht zu er-
Marten war. Kokehne, der fich feit den Scenen
des vorigen Jahrs als Todfeind aller Welmarifchen
Thaͤtigkett erwieſen hatte, Tann feinen Triumph
nicht im Stillen fetern, er gibt In dem Freimuͤthi⸗
gen uͤbermuͤthig an den Rad: Mit der Atademie
156
Jena, welche bieher ſchan graßen ‚Verkauf. an tuͤch⸗
tigen Profeſſoren erlitten, ſey es nun voͤllig zu
Ende, indem die allgemeine Literaturzeltung, Im
Gefolg großer dem Nebasteur verwilligter, Beguͤn⸗
—— von da hinmeg und nach, Halle verlegß
werde.
Von unferer Seite hörte. nun ‚alles. Bedenken
auf; wir hatten. volle Urſache die Unternehmen zu
fragen, ob Dp- ihre Abſicht ſey? Und da-ſolche nyn
nicht gelaͤugnet werden konnte, fo erklärte man ihren
Vorſatz, die Anſtalt bis. Oſtern in Jena. hinzuhal⸗
- ten, für nichtig, und verſicherte zuglelch, man werde.
mit dem neuen Tahre in. Fena bie allgemeine Lite=-
raturzeitung ſelbſt fortſetzen. |
Diefe Erklärung war kühn genug, denn wir hate;
ten kaum ‚bie Moglichkeit In. ber Ferne. zu ſehen ge⸗
alaubt; doch rechtfertigte der: Erfolg dem wackern
Entihluß. Die Actenſtuͤde jener Tage. ſind in der
größten. Ordnung verwahrt, vielleicht. ergoͤhen ſich
unfere Nachkommen an dem: Hergang. biefer für, ung.
wenlaſtens hböchft bedeutenden, Begebenbelt,
Nachdem alſo bie Unftalt ber. Literatur-Zeitungs
in ihrem ganzen Gerichte gefichert war, hatte man.
fih nah. Männern umzufehen, - Die erteblgten: Lyhr⸗
faͤcher wieder zunbeienen, Wan mehreren. in Mage
ſchlag gebraten. Unatomem wurde, Ackermanu⸗
bezufen, welcher. den. Grund: zu einem Lingfh beab⸗
fichsigten. fiehguden: anatomiiheg: Muſeum leaten.
bapı der. Akadamie verbigipen. ſollte. Auch Sach eds.
457
ver ward Yetinkfejogen und der botaniſchen Anſtalt
votgeſetzt. Man hatte von feiner Perſoͤnlichkeit,
is eines udig hoͤchſt zarten und tieffinnfgen We-
eg die'beſten Hoffnungen für die Naturwiſſen⸗
aft. —W
Die von Lenz gegründete mineralogifche Socie⸗
tät erwedte das größte Vertrauen; alle Freunde
biefes Wiffens wanſchten als Mitglieber aufge⸗
nommen zu werden, und ſehr viele beeifertem ſich
tif bedenteuden Geſchenken das angelegte Cabinet
zu vermehren.
‚Unter ſolchen zeichnete ſich Fuͤrſt Galizin ans,
welcher die Ehre der ihm uͤbertragenen Präfldenten-
Pelle, durch das Gefchent Telties anſehnlichen Ca—
binets anzuerkennen fuchte, und da durch dieſen
Wie durch · andrra Zuwachs die Anſtalt hochſt bedeu⸗
tend grwotden, ſo deſtätigte bet Herzog gegen Ede
bes Jahrshie Statuten der Gefellfchaft, und gab
Me daburch unter den dffentlichen Anſtulten einen
entfchiedenen ang.
Dach dem Verluſt Tr manchet bedentenden Wer:
Pneu haͤtten wir uns ſedoch neumltwittender Maͤn⸗
Her zu erftenen. Fornorno kam von Rom, un
künftig In Bentrhlahd zu verblelben, “hir hielten
U feſt. Hetzogin · Amalie gab ihſm dke ſett Jage⸗
Minnie Tode unbeſeizte Biblkdthetarſtelle Uhrer be⸗
Mer Buͤchetfammlung; fehte gruͤnbliche Kennt⸗
utß der Italianiſchen Literatur, eine ausgefuchte
Vlbliothek dieſes Faches und feine angenehmen ge⸗
"458
feligen @igenfchaften — dieſen Erwerb hoͤchſt
ſchaͤtzbar. Daneben führte er einen bedeutenden
Schatz mit ſich, die hinterlaffenen Zeichnungen fei-
nes Freundes Karſtens, dem er. in feiner künft-
Verifchen Laufbahn bis an fein frühzeitiges Ende mit
Math und That, mit Urtbeil und Nachhuͤlfe treu⸗
lichſt beigeftanden hatte.
Dr. Riemer, der mit Heren von Humboldt
nach Italien gegangen war, und bort einige Zeit in
deffen Zamilientreis mitgewirkt hatte, war in Fer-
nows Geſellſchaft herausgereiſ't, und ald ge
wandter Kenner der alten Sprachen uns gleichfalls
hoͤchlich wilfommen. Er gefellte fich zu meiner Fa⸗
milie, nahm Wohnung bei mir und wendete feine
Sorgfalt meinem Sohne zu.
Auch mit Zelter ergab fi ch ein naͤheres Ver⸗
haͤltniß; bei ſeinem vierzehntaͤgigen Aufenthalt war
man wechſelſeitig in kuͤnſtleriſchem und ſittlichem
Sinne um vieled näher gekommen. Cr befand ſich
in dem feltfamften Drange zwifchen einem ererb-
ten, von Ingend auf geübten, bis zur Meifterfchaft
durchgeführten Handwerk, das Ihm eine bürgerliche
Exiſtenz dkonomiſch verficherte, und zwiſchen einem
eingebornen, kraͤftigen, unwlderſtehlichen Kunft-
triebe, der aus feinem Individuum den ganzen
Reichthum der. Tonwelt entwidelte. Jenes trel⸗
bend, von dieſem getrieben, von jenem eine erwor⸗
bene Fertigkeit beſitzend, ih dlefem nach einer zu er⸗
werbenden Gewandtheit beftzebt, fand er wicht
159
etwa wie Hercules am Scheldewege zwiſchen dem
was zu ergreifen oder zu meiden feyn möchte, ſon⸗
dern er ward von zwey gleich wertben Mufen Hin
und bergesogen,, deren eine fich feiner bemaͤchtigt,
deren andere dagegen er ſich anzueignen wuͤnſchte.
Bet feinem redlihen, tuͤchtig bürgerlihen Craft
war es ihm eben fo fche um fittlihe Bildung zu
tun, als diefe mit der Afthetifhen fo nah ver-
wandt, ja ihr verkörpert ift, und eine ohne bie an⸗
dere zu wechfelfeitiger Vollkommenheit nicht gedacht
werden kann.
Und fo konnte ein doppelt wechfelfeitiges Bes
fireben nicht außen bleiben, da die Weimariſchen
Kunftfrennde fich faft in demfelben Kalle befanden ;
wozu fie nicht gefchaffen waren, hatten fie zu leiſten,
und was fie Angebornes zu leiſten wänfchten, ſchien
immerfort unverfucht zu bleiben.
Die Angebaude der Bibliothek, nach dem Schloffe
zu, wurden der freieren Ausficht wegen abgebro-
hen, nun machte fi ftatt ihrer ein neuer Gelaß
ndthig, wozn die Herren Genz und Raabe gleich⸗
falls die Miffe zu liefern gefällig übernahmen. Was
fonft in jenen Plaß gefunden hatte, ftattlidhe Treppe,
geräumige Expeditions⸗ und Geſellſchaftszimmer
wurden gewonnen, ferner Im zweyten Stod nicht
allein Stand für mehrere Bücherrepofitorien, fon=
bern au einige Räume für Alterthämer, Kunſt⸗
fahen und was dem anhängt; nicht weniger wurde
das Muͤnzcabinet, vollftändig an Saͤchſiſchen Me:
160
dalllen, Thalern und kleineren Geldforten,‘ neben-
her auch mit Deukmuͤnzen, ingleihen Roͤmiſchen
und Griechiſchen verfehen, befonders aufbewahrt.
Da ich mich In meinem Leben vor nichts fo fehr
als vor leeren Morten gebätet, und mir eine
Phraſe, wobei nichts gedacht oder eıhpfunden war,
an andern unertraͤglich, an mir unmöglich Tchlen,
fo litt ich bei ber Ueberſetzung des Cellint, wozu
durchaus unmittelbare Anficht gefordert wird, wirk-
Uche Peln. Ich bedauerte herzlich daß ich meine
erfte Durhreife, meinen zweyten Aufenthalt zu
Flerenz nicht beffer genußt, mir von der Kunft
neuerer Zeit nicht ein eindringlicheres Anfchauen
verſchafft hatte. Freund Meyer, der in den Jahren
4796 und 1797 ſich daſelbſt die gruͤnblichſten Kennt⸗
niſſe erworben hatte, Half mir moͤglichſt aus, doc
ſehnt' ich mich Immer nad dem elgenen, nicht mehr
gegönnten Anblick. 5
Ich kam daher duf den Gedanken, ob nicht wenig-
ſtens Celliniſche Münzen, auf die er fich fonlel zu .
Gute thut, noch zu finden ſeyn möchten, ob nicht
Anderes was mich In jene Zeiten verfegen Tönnte
noch zu haben wäre. _ | RL
Gluͤckllcherwelſe vernahm Ih von einer Nürnber:
giſchen Auction, In welcher Kupfermünzen des fünf:
zehnten nnd fechjehnten, ja bes fiebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts feil geboten wurden, unb
es gelang die ganze Malle zu erbalten, Die Orl:
ginalfolge von Päpften, feit Martin bem V. bis
auf
un.
PS, > Zn 8
461
auf Clemens XI., alfo bis zum erften Viertel des
achtzehnten Jahrhunderts, wurde mir nicht allein
zu eigen, ſondern auch dazwiſchen Garbindie und
Priefter, Philofophen, Gelehrte, Künftter, merk:
würdige Frauen, in fcharfen unbefchädigten Exem⸗
- plaren, theils gegoffen, theils geprägt, aber ver-
wunderſam und bedauerlich: unter fo manchen Hun⸗
derten kein Cellini. Aufgeregt war man uun auch
bier das Sefhichtlihe zu ſtudiren; man forfchte
nach Bonanni, Mazuchelli und andern, und legte
fo ven Grund zu ganz neuer Belehrung.
Das ältere Schleßhaus vor dem Frauenthor war
fhon längft von den Parkanlagen überflügelt, der
Raum ben es einnahm bereits zwifhen Särten ein:
geſchloſſen und Spaziergängen, die Uebungen nad
der Scheibe, befonders aber das eigentlihe Vogel⸗
ſchleßen, nach und nach unbequem und gefährlich.
Zum Tauſch nahm ber Stadtrath mit mehr:
Aachem Gewinn einen großen fhön gelegenen Bezirk
sor dem Kegelthor, die weit verbreiteten Aeder foll-
ten in Gärten, Gartenländer verwendet und an
dem ſchicklichſten Plas ein neues Schießhaus gebaut
werben.
Die eigentlihe Lage eined Gebäudes, fobald
dem Architekten Sreiheit gegeben iſt, bleibt Immer
deffelben Hauptaugenmerk: ein laͤndliches Gebäube
fol die Gegend zieren und wird von ihr gealtert;
und fo war die forsfältigfte Berathung zwifhen dem
Berliner Architekten und den Weimariſchen Kunft
Goethe's Werle. XXXI. Bd. 41
“246%
freunden nicht weniger dem Stabtrath und her
Squͤtzengeſellſchaft eine geraume Zeit im Schwange.
Bei einem neuen Luſtgebaͤude mit ſeinen um-
gebungen, zur Aufnahme einer großen Menge be-
ftimmt, tft das Haupterforderniß Schatten, wel⸗
cher nicht ſogleich herbeigebannt werden kann. Hier
war alſo ein angenehmes Hoͤlzchen der nothwendige
Punct einen Fluͤgel daran zu lehnen, fuͤr die Haupt⸗
richtung entſchied ſodann eine oberhalb jenes Buſch⸗
werks hergehende uralte vierfache Lindenallee; man
mußte den Flügel und alfo das ganze Gebäube teat-
winfelig darauf richten. |
Sin mäßiger Plan, den Beduͤrfaiſſen allenfalls
hinreichend, erweiterte fih nah und nad; die
Schüsengefellfhaft, das Publicum, als die Tan—
zenden, die Genießenden, alle wollten bedacht ſeyn,
alfe verlangten ein ſchickllches und bequemes Local.
‚Nun aber forderte die nahebet doch gefondert anzu-
legende Wirthſchaft ebenfalls Ihre mannichfaltigen
Beduͤrfniſſe, und ſo dehnte ſich der Plan immer
mehr aus. Zwar gab die Ungleichheit Des Terrains,
bie man zu überwinden hatte, die fhönfte Gelegen-
heit aus der nothwendigen Bedingtheit des Locals
bie Forderungen des Zwedes zu entwideln, am
Ende aber konnte man fit) nicht Iäugnen , bei Öfos
nomifher Ausdehnung und nad dftberifhen Ruͤck⸗
fibten, über die Graͤnze des Beduͤrfniſſes hinaus⸗
gegangen zu ſeyn.
Doch ein Gebäude gehört unter die Dinge,
163
wlhe- nach erfähten ianeren Zweden auch zu Be⸗
frledisung der Augen aufgeftellt werben, ſo daß
man, wenn es fertia iſt, niemals frayt, wie viel
Erfindungstraft, Auftreugung, Zeit und Geld dazu
erforderlich geweſen: die Totalwirkung bleibt Immer
das Daͤmoniſche, dem wir huldigen.
Gegen Ende des Jabrs erlebte ich das Gluͤck
mein Verhaͤitniß zu den Erdſchollen von Roßla voͤl⸗
lig aufgehoben zu ſehen. War der vorige Pachter
eia Lebemann- und in feinem Geſchaͤft leichtſinnig
"und naetäfig, ſo hatte der neue ale bisheriger
Bürger einer Landſtadt, eine gewiſſe eiyene klein⸗
liche Rechtlichkeit, wooon die Behandlung jener-be-
kannten Quelle ein Symbol ſeyn mag. Der gute
Mann, in feinen Gartenbegriffen einen Spring-
braunen ale das doͤchſte befindend,, leitete das dort
- mäßig abfiehende Waller In engen Blechröhren an
:die niedrigfte Stelle, wo es denn wieder einige
Euß in die Höhe fpraug, aber ftatt des Waſſer⸗
: fplegets einen Sumpf bildete. Das idylliſche Na⸗
turwelen jenes Spazierganzs war um feine Einfalt
verfünmert , fo wie denn auch andere aͤhnliche An⸗
fetten ein gewiſſes erſtes Gefallen nicht mehr
auließen.
Zwiſchen allem dieſem war der haͤusliche Mann
doch auch. Mar geworden, dab die Beſitzung für den
der fie perſoͤalich benuße ‚ganz eintraͤglich ſey, und
in dem Maße wie mir der Beſitz verleidete, mußte
‚er ihm wänfhenswärdig erſcheinen, und fo ereig-
164
nete ſich's, daß ich nach Tehs Jahren das Gut Ihm
abtrat, ohne irgend einen Verluft ald der Zelt und
allenfalls des Aufwandes auf Ländliche Feſte, beren
Vergnuͤgen man aber doch auch für etwas rechnen
mußte. Konnte man ferner die klare Anſchauung
diefer Zuftände auch nicht zu Geld anfchlagen, fo
war doch viel gewonnen und nebenbei mancher ——
Tag im Freien geſellig zugebracht. |
Stau von Stael kam Anfangs December in
Weimar an, als ih noch in Jena mit dem Pro-
gramm befchäftigt war. Was mir Schiller Aber fe
am 21 December fchrieb diente auf einmal Aber das
mwechfelfeitige aus ihrer Gegenwart fih entwidelnde
Verhaͤltniß aufzuklären.
„Frau von Stael wird Ihnen völlig fo erſchei⸗
nen, wie Ste fie fih a priori fon confteufet ha⸗
ben werden; es iſt alles aus Einem Städ und kein
fremder, falfcher, pathologiſcher Zug in ihr. Dieß
macht daß man fih, troh des immenſen Abſtands
der Naturen und Dentweifen, volltommen wohl bet
{hr befindet, bad man alles von Ihr hören, ihre
alles‘ fagen mag. Die Franzöflihe Geiſtesbildung
ſtellt fie rein und in einem höchft Intereffanten Lichte
de. In allem was wir Philofophle nennen, folge
lich in allen lebten und hoͤchſten Inſtanzen, iſt man
mit ihr im Streit und bleibt es, troß alles Redens.
Aber ihr Naturell und Gefühl kit beſſer als ihre
Metaphufit, umd ihr ſchoͤner Verſtand erhebt fih zu
einem genlalifhen Vermögen. Ste will alles er:
165
kaͤren, einſehen, ausmeffen, fie .fatulrt nichts
Dunkles, Unzugänglihes, und wobin fie nicht mit
ihrer Zadel leuchten kann, da ift nichts für fie vor-
handen. Darum bat fie eine horrible Scheu vor
der Idealphiloſophie, welche nach ihrer Meinung
zur Myſtik und zum Aberglauben führt, und dag
{ft die Stidluft wo fie umlommt. Kür das was
wir. Poeſie nennen, ift kein Sinn in ihr, fie kann
fih von ſolchen Werfen nur das Leldenfchaftiiche,
Rednerifche und Allgemeine zueignen, aber fie wird
nichts Falſches fchägen, nur das Rechte nicht immer
erftennen. Ste erfehen aus biefen paar Worten,
daß die Klarheit, Entſchiedenhelt und geiftreide
Lebhaftigkeit ihrer Natur nicht anders ale wohlthaͤ⸗
tig wirfen können. Das einzige Läftige iſt die ganz
ungewöhnliche Fertigkeit ihrer Runge, man muß
fih ganz in ein Gehörorgan verwandeln, um ihr
folgen zu koͤnnen. Da fogar ich, bei meiner weni:
gen Fertigkeit. im Franzoͤſiſchreden, ganz leidlich mit
ihr fortfomme, fo werden Sie, bei ihrer größern
Nebung, eine ſehr leichte PUNBENMISATNON mit ihr
haben. ”’
Da Id nich von Jena — mein Geſchaͤft ab⸗
geſchloſſen zu haben nicht entfernen konnte, ſo ge⸗
langten noch gar mancherlei Schilderungen und
Nachrichten zu mir, wie Frau von Stael ſich be⸗
nehme und genommen werde, und ich konnte mir
ziemläich die Rolle vorſchreiben, weiche Ich zw ſpielen
haͤtte. Doch ſollte das alles ganz anders werben,
466°
wie in dem wählten Jahr, wohln wir hinüber“
gehen, zu melden iſt. |
Pie unbequem aber ein fo bedeutender Beſach
mir gerade zu der Seit fenn mußte, wird derjenige
mitempfinden, der die Wichtigketk bes Geſchaͤfts⸗
bedentt, dad mich damals in Jena feithfeit: Der:
weltberühmten allgemeinen- Literaturzeitung mit
Auftündisung des Dienftes zuvorzutsmmen, und:
indem fie fih an einen andern Ort bewegte, fie au
derfeiben Stelle fortfegen zu wollen war ein kuͤhnes
"Unternehmen, Man bedenft nicht immer daß eim
kuaͤhn Unternommenes in der Aitführung gleidfaie
Kuͤhnheit erfordert, : weit: bet dem Wagemeines
durch gemeine Mittel nicht wohl andzulaugen Fey
möchte. Mehr als Ein Verſtaͤndiger, Ciwfkhtiger:
gab mir das Erftaunen zu erkeimon, wie min: fidy.
in ein folk unmd liches Imternehmen habe einlafs
fea dürfen. Fretlich aber war die Sache dadurch
möglich. geworden ,. daß ein’ Man von. dem Merz.
dienfte "des Herrn Hofr. El qſt Ad t "Nic. zur Forte
ſetzung des Geſihaͤfts entſchlöß, an dem er bisher
ſo bedeutenden Theil genommen hatte.
Die Weimariſchen Kunſtfreunde hietten ed nun⸗
mehr für Pfliht, das was an Uhrem Ehufluß ge⸗
wichtig ſeyn konnte, auch auf die Schale zu begen.
Prelsaufgaben für biidende Kuͤnſtler, Recenſtonen
der eingeſendeten Blaͤtter, Preisertheilung, fonftig
verwandte Aneführungen, Ausſchreiben einer neuem,
Preis aufgabe. Dleſer Complerivon-tneihanber grei⸗
ng
7
167
fenden Operationen, welcher bisher den Propplaͤen
angehoͤrt hatte, ſollte nunmehr der allgemeinen Li⸗
teraturzeltung zu Theil werden. Das Programm
hiezu beſchaftigte mich in meiner dießmaligen Ab:
fonderung, Indem ih mit dem Freund und eifrigen
Mitarbeiter Heinrich Meyer in fortwährender Come
muntcation blieb.
Wer Gelegenheit hat den erften Jahrgang der
Neuen oder Jenaiſchen allgemeinen Kiteraturzeitung
anzufehen, der wird gern bekennen, daß es Feine
geringe Arbeit geweſen. Die Preidaufgabe von
41803 war auf verſchiedene Weife gelöft, auch Pro⸗
fefor Hoffmann aus Stuttgart der Preis zuer:
fannt, rahdem vorher die verfchiedenen Verdienfte
ber Mitwerber gewuͤrdigt ſowohl ald von freiwillig
Eingefendetem Rechenſchaft gegeben worden. Ale:
- dann, hatte man einen Verſuch gemacht Polygnot’s
Gemaͤhlde In der Leſche zu Delphi zu reftauriren und
fih in Gedanken der Kunft diefes Urvaters, wie es
ſich thun ließe, zu nähern.
Die Weimariſchen Kunftfreunde hatten dieſe
fünf Fahre her, während welder fie diefe Anitalt
buschgeführt, gar. wohl bemerlen konnen, daß eine
allzu eng beftimmte Aufgabe dem Künftler nicht
durchaus zuſage, und daß man bem freien Geift
einigen- Spielraum laffen müfle, um nad eignem
Sinn und Vermögen eing Wahl auftellen zu küns
nen. Die dießiaͤhrige Aufaabe war daher: dag
Menſchengeſchlecht vom Eremente des Waſſers be:
v
168
draͤngt, wovon wir eine ganz befondere Mannich⸗
faltigkeit hoffen konnten.
Aus jenem Programm fuͤge zum Schluß noch
eine Stelle hier ein, die Gelegenheit gibt ein
anmuthiges Ereigniß zu beſprechen. „Unter den
Schaͤtzen ber Galerie zu Kaſſel verdient die Ch a⸗
ritas, von Leonardo da Vinci, die Aufmerkſam⸗
keit der Kuͤnſtler und Liebhaber im hoͤchſten Grad.
Herr Riepenhauſen hatte den ſchoͤnen Kopf
dieſer Flgur, in Aquarellfarben, trefflich copirt,
zur Ausſtellung eingeſandt. Die ſuͤße Traurigkeit
des Mundes, das Schmachtende der Augen, die
ſanfte, gleichſam bittende Neigung des Hauptes,
ſelbſt der gedaͤmpfte Farbenton des Originalbildes
waren durchaus rein und gut nachgeahmt. Die
groͤßte Zahl derer, welche die Ausſtellung beſuchten,
haben dieſen Kopf mit vielem Vergnügen geſehen;
ja derfeibe muß einen Kunftliebhaber im hoͤchſten
Grade angezogen haben, indem wir die unverfenn-
baren Spuren eines herzlidien Kuſſes von angeneh⸗
men Lippen, auf dem Glaſe, da wo ed den Mund
bededt, aufgedrüdt fanden.’
Wie liebenswürdig aber das Facſimile eines ſol⸗
chen Kuſſes gemwefen, wird man nur erft ganz empfin-
“den, erfährt man die Umftände unter welchen fol-
ches möglich geworden. Unfere Ausftelung kam
dieſes Jahr fpäter zu Stande; bei dem Antheil
welchen das Publlcum zeigte, ließen w'r es iäuger
als gewöhnlich ftehen, die Zimmer wurden kälter
*
168
und nur gegen die Stunden bes eröffneten Ein⸗
laffes geheist. Eine geringe Abgabe für die ein⸗
malige Entrde zum Beſten der Anftalt war geneh⸗
migt, befonderd von Fremden; für Einheimiſche
war ein Abonnement eingerichtet, welches nach Be⸗
lieben auch außer der betimmten Zeit den Eintritt
gewährte. Indem wir alfo, nah Gewahrwerden
diefer liebevollen Theilnahme an einem vorzuͤglichen
Kunftwert, uns in ſtiller Heiterkeit den Urheber
zu entdeden bemühten, wurde folgendes erft feſt⸗
geſetzt. Jung war der Küffende, das Hätte man
vorausfehen können, aber die auf bem Glas firir-
ten Züge fprehen ed aus; er muß allein gewefen
feyn, vor vielen hatte man- dergleichen nicht wagen
dürfen. Dieß Ereigniß gefbah früh bei ungeheitzten
Zimmern: der Sehnfühtige hauchte das kalte Glas
an, drädte den Kup in feinen eignen Hauch, der
alsdann erftarrend fich confolldirte. Nur wenige
wurden mit diefer Angelegenheit befannt, aber es
war leicht auszumachen wer bei Seiten in den un
geheitzten Zimmern allein fich eingefunden, und ba
traf ſich's denn auch recht gut: die bis zur Gewiß⸗
beit gefteigerte Vermuthung blieb auf einem jungen
Menfchen ruhen, deffen wirklich Eüßliche Lippen wir
Eingeweihten nachher mehr als einmal freundlich
zu begrüßen Gelegenheit hatten. .
Sovtel wir willen iſt das Bild nach Dotpat ge=
kommen. —
470
180.4
Der Winter hatte fih mit aller Gewalt einge-
funden, die Wege waren verfchneit; auf der Schnecke
Sein Sortlommen. Frau von Stael kündigte ſich im—
mer dringender an, mein Gefchäft war vollendet,
und ih entfhloß mich in manderlet Betracht nach
Weimar zu gehen. Aber auch dießmal fühkt’ ich die
Schaͤdlichkeit des Winteraufenthaltes im Sdcloſſe.
Die ſo theure Erfahrung von 1801 hatte mich nicht
aufmerkſam, nicht kluͤger gemacht, ich kehrte mit
einem ſtarken Katarrh zuruͤck, der ohne gefaͤhrlich
zu ſeyn mich einige Tage im Bette und ſodann Wo—
chen lang in der Stube hielt. Dadurch ward mir
nun ein Theil des Aufenthalts dieſer ſeltenen Fran
hiſtoriſch, Indem Ich was In der Gefellfchaft vorging,
von Freunden berichtlic vernahm, und fo mußte
denn auch die Unterhaltung erft durch Billette, dann
durch Zwiegeſpraͤche, fpäter in dem kleinſten Cirkel
ftatt finden: vielleiht die günftigfte Weife, wie ich
fie kennen lernen und mich ihr, In fofern dieß mög:
lich war, auch mittheilen Fonnte, |
Mit entfhiedeuem Anbrang verfolgte fie ihre
Abfiht, unfere Zuſtaͤnde tennen zu lernen, fie ih⸗
ten Begriffen.ein- und unterzuondnen, fih nach dem
Einzelnen foviel als moͤglich gu erkundigen, ale
Weltfrau fi die gefelligen Verhaͤltniſſe Har zu ma⸗
chen, in ihrer geiftreihen Weiblichkeit die allgemei-
neren Vorftellungsarten und was man Philofophie
\
171
nennt, zu burdbeingen und zu darchſchauen. Ob
ich nun gleich gar keine Urſache hatte mich gegen ſie
zu verſtellen, wiewohl ich, auch wenn ich mich ge⸗
hen laſſe, doch immer won den Leuten nicht recht
gefaßt werde; fo trat Doch hier ein äußerer Umſtand
ein, der. mi färben Augenblick ſcheu machte. Ich
erhielt fo chen eiw erft herausgelommenes Franzd-
ſiſches Buch, die Eorrefpondenz von ein paar Frauen;
zimmern mit Mouffeau. enthaltend. Sie hatten den
unzugduglichen. Iheuen Mann ganz eigentlich mpftis
fichrt, Indem fie Ihm erſt durch keine Angelegen-
heiten zu ‚tntereffiren, . zu einen Briefwechfel mit:
itznen arzwindten gewußt, den fie, nachdem. fie beu
Scherz genug hatten, ———— und drucken
lleßen.
ı" Hieräber: gab !.ichı mein: Misfauen an Frau
von Stael zu erkennen, welche die Säache leicht
nahm, fogar:zır billigen fchten und wicht undeutlich
zu verfiehen gab: . fie denfe ungefähr gleicherweiſe
mit und zu verfahren... Weiter bedurft' es nichts,
um mich anfmerffam.nüd. vorſichtig zu machen, —
— zu verſchließen
Dle gesßen. Vorzuͤge dieſer bochdenkenden —
—— Schriftſtelleris liegen jederman vor
* ‚und bie Reſultate ihrer Reiſe durch Deutfchs
land zeigew'penugfem, wie wohl ſie ihre Belt an⸗
gewendet.
ꝛZthtyre wecke waren vielfach: ie Hollte bat fitt-
Aue, gefelige, Aterariſche Borimat kennen lernen
472
und fih Aber alles genau unterrichten; dann aber:
wollte auch fie gekannt ſeyn, und fuchte daher ihre
‚Anfichten eben fo geltend zu mahen, als es ihr
darum zu thun fehlen, unfre Dentweife zu erfors
fhen. Allein dabei konnte fie es nicht laffen; auch
wirfen wollte fie auf die Sinne, aufs Gefühl, auf
den Geiſt, fie wollte zu einer gewiſſen Thaͤtigkeit
aufregen, deren Mangel fie uns vorwarf,
Da fie keinen Begriff hatte von dem was Pflicht
heißt, und zu welcher ſtillen gefaßten Lage ſich der⸗
jenige, ber fie übernimmt, entfchiießen muß, fo
folte immerfort eimgegriffen, augenbiidiich. gewirkt,
fo wie in ber Geſellſchaft immer a end ver⸗
handelt werden:
Die Welmaraner find gewiß eines Enthafi —
faͤhig, viellelcht gelegentlich auch eines falſchen, aber
das Franzoͤſiſche Auflodern ließ fich nicht van Ihnen
erwarten, am wenigſten zu einer Zeit, wo die
Franzoͤſiſche Uebergewalt fo allſeitig drohte und ſtill⸗
Kuge Menſchen das unausweichliche Unheil vorausſa⸗
hen, das uns im naͤchſton Jabr⸗ an den Rund der
Vernichtung führen follde,
Auch vorlefend wid beclamirend wollte Sran
von Stael:fih Kränze erwerben: Ich entſchuldigte
mic von einem Abend, wo fie Phaͤdra vorerug und
wo ihr der mäßige Deutſche Beifall teineswegs ge:
nug that.
Philoſophiren In der Befellichaft heißt. 2) iber
amanfjösiihe yrohlemıe lekhaft unterhalten. Dich .
173
war ihre eigenfliche Luft und Leidenfchaft. Natuͤrli⸗
cherweiſe trieb Re es in Neben und Wechfelreden ge:
woͤhnlich bis zu denen Angelegenheiten bes Denkens
und Empfindens, bie- eigentlich nur zwifchen Gott
und dem Einzelnen zur Sprache kommen follten.
Dabei hatte fie, als Frau und Franzoͤſin, immer bie
Art, auf Hauptſtellen pofitiv zu verharren, und el-
gentiich nicht genau zu hören, was der andere fagte.
Dur alles diefes war ber böfe Genius in mir
aufgeregt, daß ich nicht anders als widerſprechend
diatektifch und problematifch alled Vorkommende be=
handelte, und fie durch hartnädige Gegenfäge oft
zur Verzweiflung brachte, wo fie aber erft recht
liebenswuͤrdig war, und Ihre Gewandtheit im Den-
ten und Erwidern auf bie glängendfte Weiſe dar⸗
that.
Noch Hatte ich mehrmals ˖unter vier Augen ſolge⸗
rechte Geſpraͤche mit ihr, wobei ſie jedoch auch nach
ihrer Weife laͤſtig war, indem ſie uͤber die bedeutend⸗
ſten Vorkommenheiten nicht einen Augenblick ſtilles
Nachdenken erlaubte, ſondern leidenſchaftlich verlang⸗
te, man folle bei dringenden Angelegenheiten, bei
ben wichtigften Gegenſtaͤnden eben fo ſchnell bei der
Hand ſeyn, als wenn man einen Geberbail aufzu⸗
fangen haͤtte.
Ein Geſchlchtchen ſtatt vieler möge bier Platz
nehmen: Frau von Stael trat einen Abend vor der
Hofzeit bei mir ein und ſagte gleich zum Willkommen,
mit heftiger Lebhaftigkeit: „Ich habe euch eine wich⸗
"474
tige Nachricht anzukuͤndigen: Moreau iſt erretirt
mit einigen andern, und des Verretys gegen Den
-Tprannen augeklagt.“ — Ich hatte ſeit tanger Zeit,
"wie federman, an der Perſoͤnilchkeit des Edlen Theil
genommen, und war feinen Thun und Handeln ge-
folgt; ich ricf im Stillen mir das Vergangene zu⸗
ruͤck, um, nah mein:r Art, daran das Geyenwär-
tige zu prüfen und da; Künftige daraus zu fchiteßen,
oder doch weniuflens zu ahnen. Die Dame veraͤn⸗
derte das Gefpräh, daſſelbe wie gewöhnlich, auf
mannichfach gieihgültige Dinge führend, und «is
ich in meinem Grübeln verharrend ihr nicht ſogleich
ge'präcig zu erwidern wußte, erneuerte fie die
fhon oft vernommenen Vorwürfe: id ſey dieſen
Abend wieder einmal, gewohnter Weife, maufade
und keine beitere Unterhaltung bei mir gu finden, —
Ich ward wirklich im Ernft boͤſe, verfizerte, fie fey
feines wahren Antbeils fähig; fie falle rt der Thuͤr
Ind Haus, betäube mich mir einem derben Schlag,
und verlange ſodann, man folle alfobaıd fein Aed⸗
hen pfeifen und von einem Gegenftand zum andern
huͤpfen.
Dergleichen Aeußerungen waren recht tm ihrem
Stun, fie wollte Leidenſchaft erregen, gleichviel
welche. Um mich zu verſoͤhnen, ſprach ſie die Mo:
mente des uedahten wichtigen Unfalls grändti Durch
und bewies dabei große Einficht im die Rage der
Dinge, wie in die Charaktere.
Ein anderes Geſchichtchen bezeugt gleichfalls,
2 175
wie heiter und leicht mit fhr zu leben war, wenn
man es auf ihre Weiſe nahm. An einem perfonen-
reihen Abendeffen bei Herzogin Amalle rap ih
weit von ihr, und war eben auch für dießmal ſtill
und mehr nachdenklich. Meine Nacbbarſchaft ver-
wies es mir, und es gab eine Fleine Bewegung, de⸗
ten Urfache endlich bis zu den höhern Perfonen hin-
aufreichte. Frau von Stael vernahm die Anklage
meines Schweigens, dußerte ſich daräber wie ge⸗
woͤhnlich, und fügte Hinzu: „Ueberhaupt mag ih
Goethe niht, wenn er nicht eine Bouteille Cham⸗
pagner getrunfen hat.“ Ich fagte darauf halb laut,
ſo daß ed nur meine Nächften vernehmen konnten: da
müffen wir und denn doch fhon manchmal zufammen
befpist haben: . Ein maͤßiges Seldchter entftand dar⸗
auf; fie wollte den Anlaß erfahren, niemand konnte
und mochte meine Worte im eigentlichſten Sinne
Sranzöfifch wieder geben; bis endiih Benjamin
Sonftant, auch ein Nahſitzender, auf ihr anhal-
tendes Fordern und Drängen, um die Sache abzu-
falleßen, ed unternahm, ihr mit einer euphemiſti⸗
ſchen Phraſe genug zu thun.
Was man jedoch von ſolchen Verhaͤltniſſen hin⸗
terher denken und ſagen mag, fo iſt immer zu be⸗
kennen, daß fie von großer Bedeutung und Elnfluß
auf die Folge geweſen. Jenes Werk über Deutſch⸗
‚land, welches feinen Urſprung dergleichen geſelligen
"Unterhaltungen verdanfte, iſt als ein maͤchtiges
Ruͤſtzeug anzuſehen, das in die Chineſiſche Mauer
176
⸗
antiquirter Vorurtheile, die und von Frankreich
trennte, ſogleich eine breite Luͤcke durchbrach, fa
daß man über dem Rhein und, in Sefolg deffen, _
über dem Canal, endlich von uns nähere Kenntniß
nahm, wodurch wir nicht anders als lebendigen Ein-
Auß auf den fernern Welten zu gewinnen hatten.
Segnen wollen wir alfo jenes Unbequeme und ben
Conflict nationeller Eigenthuͤmlichkelten, die ung
damals ungelegen kamen und Eeineswegs förderlich
erſcheinen wollten. i
Eben fo hätten wir daukbar ber Gegenwart Herrn
Benjamin Eonftant zu gedenken.
Gegen Ende Juny begab ih mich nah Jena und
‚ward gleich an demfelbigen Abend durch Iebhafte Io:
‚hannisfener munter genug empfangen. Es iſt feine
Stage: daß fich dieſe Luſtflammen auf den Bergen,
fowohl in der Nähe der Stabt, als wenn man das
Thal auf- und abwärts fährt ‚ überrafhend freund:
Lich. ausnehmen.
Nach Verfchledenheit der vorhandenen Materie:
Ken, ihrer Menge, mehr ober weniger Schnellig-
Felt der Verwendung, züngeln fie bald obelisken⸗
bald pyramidenartig in die Höhe, fcheinen glühend
zu verlöfhen und leben auf einmal ermuntert wie-
der auf. Und fo fieht man ein ſolches feuriges Wech⸗
felfpiel Thalauf Thalab, auf die mannichfaltigfte
Weiſe belebend fortfegen.
Unter allen diefen Erfheinungen that fich eine
. zwar nur auf kürzere Zeit, aber bedeutend und auf:
fallend
477
fallend hervor. Auf der Spise bes Hausberges,
weiber, von feiner Vorderſeite angefeben, kegel⸗
artig in die Höhe ſteigt, flammte gleihmäßig ein be-
deutendes Feuer empor, doch hatte es einen beweg-
Iihern und unrublgern Charakter; auch verlief nur
kurze Zeit, als es fi in zwey Baͤchen an ben Sei⸗
tm des Kegels herunterfließend ſehen ließ; diefe in
der Mitte durch eine feurige Querlinte verbunden
jeigten ein koloſſales leuchtendes A, auf deſſen
Gipfel eine ſtarke Flamme gleihfam ald Krone fi
hervorthat und auf den Namen unferer verehrten
Herzostn Mutter hindeutete. Diefe Gefcheinung
ward mit allgemeinem Beifall aufgenommen; frem-
de Bäfte fragten verwundert über die Mittel, wo⸗
durch ein fo bedeutendes und Feſtlichkeit kroͤnendes
Feuergebilde habe veranftaitet werben können. ”
- Sie erfuhren jedoch gar bald, daß dieſes dad
Bert einer vereinigten Menge war und einer ſolchen,
von der man es am wenigften erwartet hätte.
Die Untverfitdteftadt Jena, deren unterfte armfte
Kaffe ſich fo fruchtbar erweift, wie es in den pröß-
tm Städten fih zu ereignen pflegt, wimmelt von
Knaben verfchtedenen Alters, welche man gar füg:
lich den Lazaroni'g vergleichen kann. Dhne eigentlich‘
zu betteln, nehmen fie durch Wielthätigkeit das
Wohlthun ber Einwohner, befonders aber der Stu-
direnden in Anfpruch. Bei vorzäglidyer Frequenz
der Alademie hatte fich diefe Erwerbsclaffe befon-
ders vermehrt: fie ſtanden am Markte und an den
Sperte'3 Werte, XXXI. Bo, 42
178
Straßeneden überall bereit, . trugen Botſchaften
bin und wieder, beflellten Pferde und Wagen, tru-
gen bie Stammbuͤcher. hin und ber und ſollicitirten
das Einfchreiben, alled gegen geringe Retributio⸗
nen, welche denn doc ihnen und Ihren $amtılen
bedeutend zu Gute kamen. Man nannte fie Mobs
ten, wahrſcheinlich weil fie von der Sonne verbrannt,
fi durch eine dunklere Gefihtsfarbe auszeichneten.
Diefe hatten fi fchon lange her das Recht au=
gemaßt, bad Feuer auf der Spitze des Hausbergs
anzuzünden und zu unterhalten, welches anzufachen
und zu ernähren fie fih folgender Mittel bedienten.
Eben fo ben weiblichen Dienftboten der bürgerlichen
Häufer als ben Stubirenden wilfährig, mußten fie
jene durch manche Gefaͤlligkeit zu verpflichten, der⸗
geftalt daß ihnen die Befenftumpfen das Jahr über
aufbewahrt und zu diefer Feſtlichkeit abgeliefert wur-
den. Um biefe regelmäßig in Empfang zu nehmen,
theilten fie fih in bie Quartiere der Stadt nnd ge-
fangten am Abend des Johannistags ſchaarenweis
zuſammen auf ber Spitze des Haudberges an, wo
fie dann ihre Reisfackeln fo ſchnell als möglich ent:
zündeten, und ſodann mit ihnen manderlei Bewe⸗
gungen ma@ßten, welche ſich dießmal zu einem gros
Sen A geftalteten, da fie denn ſtill hielten und jeder
an feinem Platze die Flamme fo lange als möglich
zu erhalten fuchten.
Diefe lebhafte Erfheinung, bei einem peitern
Abendgelag von verfanimeiten Freunden gewahrt
179
und bewundert, eignete ſich auf alle Fälle, einigen
Euthufiadenus zu ertegen, Man fileh auf das Wohl
ber verehrten Fuͤrſtin an, und, da fchon-feit einis
ger Zeit eine immer ernftere Policei dergleichen fen-
tige Luſtbarleiten zu verbieten Anſtalten machte, fo
bedauerte man, daß eine ſolche Seelenfreude Fünf:
tig nicht mehr genoffen werden follte, und dußerte
den Wunſch für die Dauer einer ſolchen
heit im dem heitern Toaft:
Johamisfeuer fey unverwehrt,
Die Freude nie verloren!
Befen werben immer ftumpf geehrt
Und Jungens immer geboren.
Einer gründiihern Heiterlelt genoß man bei Un⸗
teefuchung ber dortigen wiſſenſchaftlichen Anſtalten;
beſonders hatte die Sammlung ber. mineralogifchen
Geſellſchaft an Reichthum und Drdnung merklich zu-
genommen. Die Blinfinter, welche zu ber Zeit erit
lebhaft zur Sprache gefommen,. gaben, wie ed mit
allem bedeutenden Neuen gefchiebt, dem Stublum
ein frifhes Intereſſe. Geognoſtiſche Erfahrungen
geologifhe Gedanken in ein folgerechtes Anfchauen
einzuleiten, gedachte man an ein Mebell, das beim
erften Aublick eine anmuthige Landſchaft vorftellen,
deren linebenheiten bei den Auseinanberziehen des
Ganzen durch bie innerlich angedeuteten verſchiede⸗
nen Gebirgearten rationell werden follten. Cine
Aulage im Kleinen ward gemacht, anfänglich nicht
x J
“
130
ohne Erfolg, uachher abet darch andere Intereffen
beſeitigt und durch ftteitige Vorſtellungsarten über
dergleichen problematiſche Dinge der Vorgeſſenhett
uͤbergeben.
Die von Hofrath vuttuer hinterlaſſene Biblio⸗
thek gab noch immer manches zu thun, und das Bin:
den der Buͤcher, das nachherige Einorduen ae
Beihäftigung. -
Hoͤchſt erfreulich aber: bei allem dieſem war der
Beſuch meines guadigftien Herrn, welcher mit Geh.
Rath von Voigt, einem in dieſen Geſchaͤften eifrig
mitwirkenden Staatsmanne, heruͤberkam. Wie be—
lohnend war es für einen ſolchen Fuͤrſten zu wir-
ten, welcher Immer neue Ausſichten dem Handeln
und Thım. eröffnete, Tobann bie Ausfährung mit
Dertrauen feinen Dienern überließ, immer von
Zeit zu Seit wieder eiumal hereinſah und ganz rich
tig beurtheilte, inwiefern. man den Abfihten gemäß
gehandelt hatte; da man Ihn denn wohl ein’ und
Das andere Mal durch die Mefultate fchnelleter
Fortfchritte zu überrafchen wußte.
Bei feiner dießmaligen Anwereuheit wurde er
Beſchluß reif, ein anatomifches Mufenm einzurich
ten, welches bei Abgang eines Profeflors ber Ann
tomie der wiſſenſchaftlichen Anſtalt verbleiben müffe.
Es ward dieſes um fo noͤthiger, als bei Entfernung
des bedeutenden Loderifhen Gabinets eine große
güde In diefem Fach empfunden wurde. Profeffer
Ackermann, von Hetdelberg berufen, machte ſich's
481
zur Pflicht, ſogleich: in diefem Sinne zu arbeiten
und zu fammeln, und unter feiner Anleitung gedieh
par batd Bas Unternehmen zuerit im didaktifchen
Einne, welcher durchaus ein anderer ift als der wiſ⸗
fenfchafttiche, der zuuleih auf Neues, Seltenes,
ia Eurlofes -Aufmertfamtelt und Bemuͤhung richtet,
und nur iu Befolg des nen allerdings Vin finden
faun sd muß.
Je ‚weiter ih in — remain Studien
vorrüdte, deſto wichtiger und liehwerther wollte
mir die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften überhaupt
eriheinen. Wer dem Gange einer höhern Erfennt-
niß und Einſicht getreulich folgt, wird zu bemerken
haben, daß Erfahrung und Wiſſen forsfchreiten und
ih bereichern koͤnuen, daß jedoch dad Denken und
die eigentlichſte Einſicht keineswegs in gleicher Maße
voſlkommener wird, und zwar aus der ganz natuͤrli⸗
chen Urſache, weil das Wiſſen unendlich und jedem
neugle tig Umherſtehenden zugaͤnglich, das Ueberle⸗
sen, Denkenr und Verknuͤpfen aber innerhalb eines
zewiſſen Kreifes der: menſchlichen Faͤhlglelten eln-
ge Oloſſen tz dergeſteſt, daß das Erkennen ber
vorliegenden. Weltgegenſtaͤnde, vom Firſtern bls
sum kleinſten lebdendigen Lebepunet, immer deutli⸗
cher und ausfuͤrrlicher werden kann, De wahre Ein⸗
ſicht in. die. Natur dieſet Dinge jedoch In ſich ſelbſt
gerindert iſt und dieſes in dem Grade, daß niot
allein die Indivlduen, ſondern ‚ganze Jahrhunder⸗
de vom JIrrtham ann: Wahrheit,. van ber Wahr⸗
482 _
beit zum Irrthum ſih in einem ſencen Arein be⸗
wegen.
In dieſem Jahre war ich Bis zu ber wichtigen
Zeit gelangt, wo die nachher königlich genannte Eng⸗
liſche Geſellſchaft fih erſt in Oxford, ‚dann in Lone
don zufammen that, burch mamidfaltige wichtige
Hinderniffe aufgehalten, fodann durch dengroßen
Brand in London im ihrer Thaͤtigkeit mmtefbvodhen,
zulegt aber immer mehr eingerichtet; geordnet und
gegruͤndet war.
Die Geſchichte dieſer Societat von Thomas
Sprat las ich mit großem Beifall, und bedeuten⸗
der Belehrung, was auch ſtreugere Forderer gegen
diefen freilich etwas flaͤchtigen Mann mögen eluzu⸗
wenden haben. Gelſtreich iſt er- immer, und laͤßt
uns in die Zuſtaͤnde ˖ recht olgenttich hinelnblicken.
Die Protofslle :diefer. Geſellſchaft, deransgege⸗
den von Birch, And dagkıen unbeftritten ganz un⸗
ſchaͤtzbar. Die Anfänge einer fo großen Auſtalt ges
ten und genug zu denken. Ich wibmetedieferh Werke
jede ruhige Stunde, 'unb:babe von dem mas ich miz
davon zugeeignet, in meiner Gefeftchtd ber Baden
lehre kurze Rechenſchaft gegeben. -
Hier darf ich aber nit veridiwälgen, daß Biete
Merle von der Göttinger Bibllothek, durch Die
Gunft des edlen Heyne mir zugelommen, deffen
nachſichtige Geneigtheit durch viele'Yahre mir mmuns
terbrochen zu Theil ward, ı wenn er gleich oͤfters
wegen verfpäteter ‚Surddfendimg mancher bedenten
433
ben Werke einen Heinen Unwillen nicht ganz verbarg.
Sreitih war meine deſultoriſche Lebens: und Stu⸗
dienweife meiſtens fchuld, daß ich an tüchtige Werte
nur einen Anlauf nehmen und fie wegen aͤußerer
Zudringlichkeiten bei Seite legen mußte, in Hoff:
nung eines günftigern Augenblidd, der fih denn
wohl auf eins lange Zeitftrede verzögerte.
Winckelmanns frühere Briefe an Hofr. Behrends
waren fhon laͤngſt in melnen Händen, und ich hatte
mich zu ihrer Andgabe vorbereitet. Um das was zu
Shliderung des außerordentlihen Mannes auf man
nicfaltige Weile dienen könnte, zufammenzuftellen,
zos ich die werthen Freunde, Wolfin Halle, Meyer
in Weimar, Zernow in Jena, mit Ins Intereffe,
und fo bildete fih nad und nach der Octavband, wie
er fodann in bie Hände bes Publlcums gelangte.
Ein Fran oͤſiſches Manuſcript, Diderots Neffe,
ward mir von Scillern eingehändigt, mit dem
Wunſche, ich möchte ſolches überfegen. Ich war
von jeher, zwar nicht für Diderotd Geflnnungen und
Dentwelfe, aber für felne Art ber Darftellung als
Autor ganz befonderd eingenommen, und ich fand
das mir vorliegende Kleine Heft von der größten
aufregenden Trefflichkeit. Frecher und gebaltener,
geiftreicher und verwegener, unfittlich - fittlicher war
mir kaum etwas vorgekommen; ich entfchloß mic
daher fehr germ zur Ueberfeßung; rief zu eignem
und fremdem Verſtaͤndniß das früher Gingefebene
and den Schaͤtzen ber Literatur hervor, und fo ent⸗
184
ſtand, was ich unter der Form von Noten in alphaz
betifher Ordnung dem Wert binzufügte, und es
endlich bei Goͤſchen herausgab. Die Deutiche Yeber=
feßung folle vorausgehen, und dad Original bald
nachher abgedrudt werden. Hievon überzeugt ver=
fäunte ich eine Abfchrift des Originals zu nehmen,
woraus, wie fpäter zu erzählen feyn wird, gar wun-
derlihe Verhaͤltniſſe fi hervorthaten.
Die neue Allgemeine Literatur - Zeitung bewegte
fih mit jedem Monat lebendiger vorwärts, nicht
ohne mancherlei Anfechtungen, doch ohne eigentli⸗
ches Hindernig. Alles Für und Wider, was bier
durchgefochten werden mußte, im Zufammenbaug
zu erzählen würde keine unangenehme Aufgabe ſeyn,
und der Gang eines wichtigen literarifchen Unter⸗
nehmens wäre jedenfalls belehrend. Hier koͤnnen
wir uns jedoch nur durch ein Gleichniß ausdraiden.
Der Irrthum jenſeits beftand darin: Man hatte
nicht bedaht, daß man von einem militaͤriſch-guͤn⸗
ſtigen Poſten wohl eine Batterie wegführen und an
einen andern bedeutenden verfeßen kann, daß aber
dadurch der Widerfacher. nicht verhindert wird, an
der verlaſſenen Stelle fein Gefchäß aufzufahren, um
für fih gleihe Vortheile daraus zu gewinnen. An
der Leitung bes Gefchäftes nahm ich fortwaͤhrenden
lebhaften Antheil: von Recenſionen, bie ich lieferte,
will ich nur die der Voſſiſchen Gedichte nennen und
bezeichnen.
Im Jahre 1797 hatte ich, mit dem aus Stellen -
485
jurüdlchrenden Freunde Meyer, eine Wanderung
nach den kleinen Santonen, wohin mid nun (dom
zum bdrittenmale eine unglaublihe Sehnſucht an⸗
teate, heiter vollbradht. Der Vierwaldfiädter See,
bie Schwyßer Hoden, Fluͤelen und Altborf, auf
dem Hin- und Herwege nur wieder mit freiem offe-
nem Auge befhaut, nöthigten meine Einbildungs⸗
fraft, dieſe Localitäten als eine ungeheure Lande
fchaft mit Perfonen zu bevötfern, und welche ſtellten
ſich ſchneller dar als Tell und feine wadern Zeitge-
noften ?. Ich erfann bier an Drt und Stelle ‚ein epi⸗
ſches Gedicht, dem Ich um fo lieber nachhing als Ich
wuͤnſchte, wieder eine größere Arbeit in Hexame⸗
tern zu unternehmen, in diefer [hönen Dichtart, in
Die fih nach und nach unire Sprache zu finden wußte,
wobei die Abfiht war, mic immer mehr dur
Uebung und Beachtung mit Freunden darin zu ver⸗
vollkommnen.
Von meinen Abſi chten melde nur mit Wenigem,
daß ich in dem Tell eine Art von Demos darzuſtel⸗
len vorhatte und ihm deßhalb als einen koloſſal kraͤf⸗
tigen Laſttraͤger bildete, die rohen Thierfelle und
ſonſtige Waaren durchs Gebirg heruͤber und hinuͤber
zu tragen ſein Lebenlang beſchaͤftigt, und, ohne ſich
weiter nu Herrſchaft noch Knechtſchaft zu bekuͤm⸗
mern, fein Gewerbe treibend und die unmittelbar
fien perfönliben lebel abzuwehren fählg und ent⸗
fhloffen. In biefem Siune war er den reiben
and höhern Landslenten befannt, und harmlos. übri-
486
gene auch unter den fremden Bebrängern. Diefe
feine Stellung erleihterte mir eine allaemeine in
Handlung geſetzte Erpofition, wodurd der eigent-
liche Zuſtand des Augenblicks anfhanlich ward,
Mein Landvolgt war einer von den behaglihen
Zorannen, weine herz und ruͤckſichtlos auf ihre
were hindringen, übrigens aber fi gern bequem
finden, deßhalb auch leben und leben laſſen, dabei
auch humoriſtiſch gelesentlich dieß oder jenes vers
üben, was entweder gleichgültig wirken oder auch
wohl Nutzen und Schaden zur Folge baten kann.
Man fieht aus beiden Schilderungen, daß die An
lage meines Gedichtes von beiden Seiten etwas
Laͤßliches hatte und einen gemeflenen Gang erlaubte,
weiher dem epiihen Gedinte fo wohl anftebt.
Die älteren Schweizer und. deren treue Repraͤſen⸗
tanten, an Bellsung, Ehre, Leib und Anſehn ver:
legt, folten das fittlih Leidenfchaftiihe jur in⸗
neren Gaͤhrung, Bewegung und endlihem Aus:
bruch treiben, indeß jene beiden Figuren perföns
ih gegen einander zu fiehen und unmittelbar auf -
einander zu wirken hatten.
Diele Gedanfen und Einbildungen, fo fehr fie
mich auch befhäftigt und fih zu einem reifen Gan⸗
zen gebildet hatten, gefielen mir ohne daß ich zur
Ausführung mich Hätte bewegt gefunden. Die
Deutſche Profodie, Infofern fie die aiten Sylben⸗
maße nachblldete, war, anflatt ſich fu regeln, immer
zroblematifcher; die anertannten Meifter ſolcher
| 0
l
Kuͤnſte und Kuͤnſllichkeiten Tagen bis zur Feindſchaft
in Widerfireir. Hierdurch ward das Zweifelhafte
no ungewifier; mir aber, wenn ich etwas vor⸗
batte, war es unmöglich über die Mittel erft zu
denfen, woburd der 3meL zu erreichen wäre; jene
maßten mir ſchon bei der Hand ſeyn, wenn ich die⸗
fen nicht alfobaid aufgeben follte, . - |
Ueber dieſes innere Bliden- und dufere Untere
laffen warea wir in das newe Jahrhundert einge:
treten. Ich Hatte. mir Schiller diefe Angelegenheit
oft beſprochen und ihn mit meiner lebhaften Schil⸗
derung jener Felswaͤnde und gedrängten Iuftäube
dft genug unterhalten, dergeſtalt daß fich bei ibm
dieſes Thema nach feiner Welle. zurechtftellen und’ _
foruren mußte. Auch er machte mich'mit feinen An⸗
fihten befaant, und ich emsbehrte nichts an efnem
Stoff der bei mir dem Reiz der Neuheit und bei
unmittelbaren Anſchauens verlosen. batte, und über:
Ueß ihm daher benfelben gerne und foͤrmlich, wie
ich ſchon fräher mir den Kranichen. des Ibycus und
manchem andern Thema gethan hatte; da fich ben
aus jener. obigen: Darſtellung, Wergiichen mit dem
Bchilleriſchen Dramm, dentüch ergibt,: dab Ihm alles
Sellommen angehört, und daß er mir nichts als
» DE Atregang und eine lebendigere Unſchauung ſchul⸗
. Big fep mag, ale ihm: die einfache Eegende hatte
gewaͤhren Sanen... '
Eine Bearbeitung .biefed Gegenſtandes warb
Iumerfort‘; wie gerhhutich, unter und beſprochen,
188
die Rollen zuletzt nach ſeiner Ueberzengung ausge:
theilt, die Proben gemeinſchaftlich uietfah und mit
Sorgfalt behandelt; auch fuchten wir in Eoftäm und
Decoration nur mäßig, wiewohl ſchicklich und charak⸗
teriſtiſch, zu verfahren, wobei, wie immer, mit
unſern oͤkonsmiſchen Kräften die Ueberzeugung zu⸗
ſammentraf, daß man wit allem Atuhern mäßig
verfahren, hingegen dad Innere, Geiſtige ſo hoch
als möglich ſteigern muͤſſe. Ueberwiegt jeres, ſo
erdruͤckt der einer jeden Sinnlichkeit am Ende doch
nichtigenngehuende "Stoff alles das eigentlich höher
Geformte ; deffentwegen das Schauſplel elaentiich
nur zulaͤſſig iſt. Den 17 Mär; war: bie Aufführung
und durch dieſe erſte wie durch die folgenden Bow
ſtelungen, nicht weniger durch das Gluͤch, weiches
dieſes Wert durchaus machte, bie Darauf: geivendett
Sergkait und Mühe, UPBIORENER a
belohnt. -
De Berabrebung — Sailer gemaß ein die:
pertorium unferd Deutfchen Theaters nach und. nach
zu bilden, verſuchte ih mich an Böh von Berlichin⸗
gen ohne dem Zweck ‚genug Ihun.zu koͤnnen. Dad
Gtuͤck blieb immer zu lang, In zwei Schelle: gethebt
war es unbequem, und der. fließenhe hiftorikche Seug
Himberte : durchaus ein ſtationaͤres Intereſſe der
Scenen, wie es auf dem Theater gefordert wird,
Indeſſen war die Arbeit angefangen und vollenhet,
aicht ohne Zeitverkuft und fonftige Usbilden.
Zn dieſenißeiten meldote ſich auchbel mir. Gecf
A.
189
Senwblo,: um die fuͤnfzig Earolin wieder zu empfen-
gen, dke er vor einigen Fahren bei mir niedergelegt
hatte; fie. waren ald Preis ausgefegt für die befte. "
Auftöfung einer von ihm geftelltem Frage ,. bie ich
genenwärtig ‚nicht mehr zu articuliren wüßte, bie
aber auf seine. wunderliche Welle da hinaneging:
wie ed ciymtliiy von ichen mit ber Budung der
Menſchen und menſchlicherDeſellſchaft zugegangen
ſey. Maw Hätte Taxen mögen, bie Antwort ſey in
Herbord been und Tonkigen Schriften der Art fchon
entbaften 'gewefen; auch haͤtte Herder in feinem
früheren Vigor um: diefen Prets zu gewinnen wohl
sch einmal zu einem faßlihen Resum6 jene Feder
walten laffıen. .
Des gute wohldentende —— ber ſich's um
die Auftlärung der Menfhen etwas wollte koſten
laſſen, hatte fih von der liniverfität Jena eine Vor⸗
ſtellung gemacht, ald wenn es eine Akademie der
Wiſſenſchaften wäre. Mon ihr ſollten die einge-
Zommenen Arbeiten durchgefehen und beurtheilt
werden. Wie fonderbar eine folche Forderung zu
unfern Zuftänden paßte, iſt bald überfehen. In-
deſſen befprah ih die Sahe mit Scillern weit:
laͤufig, ſodann auch, mit Griesbach. Beide fanden
die Aufgabe. alzumelt umgreifend und doch gemiffer-
maßen undbeftimmt. In weſſen Namen follte fie
ausgeihrieben, von wem follte fie beurtheilt wer-
den, und welcher Behörde durfte man zumuthen,
- bie eingehenden Schriften, welche nicht anders als
*
‚ 490
umfänglih ſeyn konnten, ſelbſt von dem beſten
Kopfe ausgearbeitet, durchzupruͤſen? Der Conflict
zwiſchen den Anatoliern und Oekumeniern war da-
mals lebhafter aid jetzt; man fing an ſich zu über:
zeugen, daß das Menſchengeſchlecht überall. unter
gewiſſen Staturbedingungen babe entfieben tönnen,
und daß jede fo entſtehende Menſchenrace ſich ihre
Sprache nah organiſchen Gefetzen habe: erfinden
muͤſſen. Jene Frage nothigte nun aufı.klafe Aur
fänge hinzudriagen. Entſchied man ſith fix eine
Seite, fo konnteder Aufſatz keinen allgemeinen Bel:
fall erwarten; ſchwanken zwifchen beiden war nicht
ein Leichtes. Genug, nah vielen Hinz und
Widerreden lieh ich Preid und Frage ruhen, und
ylelleicht hatte unfer Mäcen in ber Zwiſchenzeit an-
dere Gedanken gefaft, und glaubte fein Geld beſſer
anwenden zu können, welches aus meiner Ber:
wahrung und Verantwortung 108 zu werden für mic
ein angenehmes Ereigniß war.
1805
Alfo ward auch dieſes Jahr mit ben beften Vor⸗
fäsen und Hoffnungen angefangen, und zumal De
metrius umſtaͤndlich dfters beſprochen. Weit
wir aber beide durch koͤrperliche Gebrechen oͤfters
in den SHauptarbeiten geftört wurden, fo feßte
Schiller die Uebertragung der Phadra, Ich die des
— &
.
491
Mameau fort, wobei nicht elgne Production ver«
langt, ſondern unfer Talent dur fremde, fchon
vollendete Werke aufgebeitert und angeregt. wurde.
Ich ward bei meiner Arbeit aufgemuntert, ja
genoͤthigt die Franzoͤſiſhe Literatur wieder vorzu⸗
nehmen, und zu Verftändniß des feltfamen, frechen
Buͤchleins manche, für und Deutſche wenigſtens,
völlig verſchollene Namen in charakteriſtiſchen Bil⸗
dern abermals zu beleben. Muſikaliſche Betrach⸗
tungen rief ich auch wieder hervor, obgleich dieſe
mir fruͤher fo angenehme Beſchaͤftigung lange ge⸗
ſchwiegen hatte. Und fo benußte ich manche Stunde,
die mir fonft in Leiden und Ungeduld verloren ges
gangen wäre. Durch einen ſonderbar gluͤcklichen
Zufall traf zu gleicher Zeit ein Franzoſe hier ein,
Namens Terier, welcher fein Talent, Franzoͤ⸗
ſiſche Komödien mit abwechſelnder Stimme, wie
‚ihre Schaufpieler fie vortragen, munter und geift
reich vorzulefen, bei Hofe mehrere Abende hindurch
zu bewundern gab; mir befonders zu Genuß uad
Nutzen, da ih Molieren, den ich hoͤchlich ſchaͤtzte,
dem ich jährlich einige Zeit widmete, nm eine wohl
empfundene Verehrung Immer wieder zu prüfen und
zu erneuen, nunmehr in lebendiger Stimme von
einem Landsmann vernahm, der gleichfalld von
einem fo großen Talente durchdrungen, mit mir in
Hochſchaͤtzung deſſelben darſtellend wetteiferte.
Schiller, durch den drevßigſten Januar gedrängt,
arbeitete fleißig an Phaͤdra, die auch wirklich am
* 192
beſtimmten Tage aufgefuͤhrt ward, und hier am
Orte wie nachher auswaͤrts bedeutenden Schauſpie⸗
lerinnen Gelegenheit gab ſich herrotzuthun und ihr
Talent zu ſtelgern.
Indeſſen war ich durch zwey ſchrechaſte Vorfälle,
Durch zwey Brände weiche in wenigen Abenden und
Nächten binter einander entftanden, und wobei id
jedesmal perföntich bedroht war, in mein Nebel,
aus dem ich mich zu retten ftrebte, zurüdgeworfen.
Schiller fähite fich von gleichen Banden umihlungen.
Unfere perfönlihen Zuſammenkuͤnfte waren unter-
brochen; wir wecfelten fliegende Blätter. Einige
im Februar und März von Ihm gefhriebene zeugen
noch von feinen Leiden, von Thätigleit, Ergebung
und immer mehr ſchwindender Hoffnung. Anfangs
May wagt’ ih mich aus, Ich fand ihn im Begriff
ins Schaufptel zu gehen, wovon Ich Ihn nicht abhaf-
ten wollte: ein Mißbehagen binderte mid ihn zu
begleiten, und fo ſchieden wir vor feiner Hausthäre
um uns niemals wieder zu ſehen. Bel dem Zu⸗
ftande meines Körpers: und Geiftes, die nun auf-
recht zu bleiben aller eigenen Kraft bedurften, wagte
niemand die Nachricht von feinem Scheiden In meine
Einſamkeit zu bringen: Er war am Neunten ver:
fhteden, und ic nun von allen meinen Uebeln dop⸗
pelt und brevfach angefallen. .
Als ich mich ermannt hatte, blickt' Ich nach einer
entſchiedenen großen Thaͤtigkeit umher; mein erfter
Gedanke warden Demetrius zu vollenden. Von
’ dem
193
dem Vorfatz an bis In bie letzte Zeit hatten wir der
Yan öfters durchgeſprochen: Schiller mochte gern
unter dem Arbeiten mit fi felbft und andern für
und wider ftreiten, wie es zu machen wäre; er warb
eben fo wenig muͤde fremde Meinungen zu verneh-
men mie feine eigenen hik nid ber zu menden. Und
fo Hatte:i alle feine Stikte, vom Wallenitein an,
zur Seite begleitet; meiſtentheils friedlich und
freundlich, ob ih gleih mandhmal, züuleßt wenn
es zur Aufführung am, gewiſſe Dinge mit Heftig:
feit beftritt‘, wobei denn endlich einer oder der an-
dere nachzugeben für gut fand. Go hatte fein aus-
und aufſtrebender Geiſt auch bie Darſtellung des
Demetrius in viel zu großer Breite gebacht; ich
war Zeuge wie er die Erpofition in einem Vorſpiel
bald dem Wallenſteiniſchen, bald-dem Orleaniſchen
aͤhnlich ausbilden wollte, wie er nach und nach ſich
ins Engere 309 , die Hauptmomente zufammenfaßte,
und bie und da zu arbeiten anfing. Indem Ihn ein
Ereigniß vor bem andern anzog, hatte ich beiräthig
und mitthätig eingewirft, das Stuͤck war mir fo
lebendig als ihm. Nun brammt’ ich vor Begierde
unfere Unterhaltung, dem Tode zu Truß, fortzu⸗
ſetzen, feine Gedanken, Anfichten und Abfichten bis
ind Eimzelne zu bewahren, und ein herkoͤmmliches
Zufemmenarbeiten bei Nedaction eigener und frem⸗
der Stüde hier zum leßtenmal auf ihrem hoͤchſten
Gipfel zu zeigen. Sein Verluſt ſchien mir erſetzt,
Indem ich fein Dafenn fortfehte. u gemein:
Sees Werte, XXXI. Bd.
49-,
ſamen. Frennde hofft? ich gu, vorbindeng das Deutſche,
Theater, für weiches. wir bisher gemeinſchaftlich⸗
er dichtend und. heſtimmend, ich beiehrend, uͤbend
und ausfuͤhrend. gearbeitet „hatten. ſollte, bis zur
Herankunft eines friſchan ahnlichen Geiſtea, durch
ſeinen Abſchied nicht gantß Drama Fey .. Genie
aller Euthuſſasmus ben Die. BWerzejfluug Area,
großen Verluſt In und aufregt, hatto mich exgrußgen.
Frel war.ich von aller. Arbeit, In. wanigan Menaten
haͤtterich das Stuͤch vollendet. Ce aufellen Theatern,
zugleich - gefplelt. zu ſehen, wire bie herrlichſee
Tobtenfeper- geweien, bie: er ſelbſt ſich und dem...
Freunden. bereiset hätten... Ich Ahlen mir, geſande
ich ſchien mir gotroͤſtet. Nun aber ſetzten ſichder
Aunotuͤhruug mancheglei Hindemiſſt entgegen, mit
eiabger: Befoangabeik und Klacheit vielleicht: be⸗
feitigen, die ich aber Durch leidenſchaftlhhon Stursamın
und · Verworrenheit nur noch vormehrte; eigenſinnig
und uͤbereilt gab: ich den Vorſatz auf, und ich dauf
nochajetzt niit am. den Huſtaud zdenkanu⸗ in welchone
ich mich vorſetzt fuͤhlte. Naumoar mir. Schiller ei⸗
gentlich erſt entriffen. Fein. Umgang. eri::vorfagts.
Meiner kuͤuſtleriſchen · ESinbildungsleaft wen warbeten.:
fi mit dem Kotafall zu baſchaͤftigan, Semi ihm
aufzurichten gedachte, der. Längen. als jener zu Meſe
ſina, das Begraͤbniß uͤberdauarn ſollte; ſſe wandete
ſich nun / und. folgte dem Leichnam in Ale Grufty die
ihn gepraͤnglos eingeſchloſfen hatte. Nun finger:
mir erſt an zu. verwefen; unleidlicher Schmerz ex⸗
195
griff mich, und, da mich -Lötpenliche. Leiden. von iage:
licher Gefellfhaft trennten, fo-war ach In;tranwigiken:
Einſamkeit befangen. Malus Tagebuͤchen melden
nichts -von jenen. Zeit; dia weißen Blaͤtkar. deuten.
auf den hohlan Zuuſtand, und. mad ſonſt nocha am
Nachrichten ſichnfindet, zeugh nundaß Idea
fenden Geſchaͤften ohne weitere Antheil zur Seite
gings uud. mic. von ihnen leiten. eh, anſtatt fie:
zu leiten. Wie-oft mußt, ich nachher im Laufe he:
Zeit ſrill ‚bei mir. lächeln, wenn. theilnahmande
Freunde Schillers Monument in Weimarwermißr-
ten; mich wolkte: fort. und fort heduͤnken, als hätt“
ich ihm und anſerm Zuſammenſayn; das eaftemlichfken
ftiftey. koͤnnen.
Die: Ueberfegung yon Rame au's Noffan mar nach
durch Schillern; nach Leipzig: geſandt. Einige ges:
ſchriebene Hefte. der: Facbenlehae erhlolt Ic nach
ſeinem Tode zuruͤckt. Was er bei- angelttichenem
Stellen einzuwenden gehabt, konnt‘. ich: mir in: ſei⸗
nem Siıyerdeuteng. und: ſo wirlte ſeins Freundſchaft
vom. Tobtenreiche- aus; noch fort,, le die. meinige
unter dig Lebendigen. ſich gehaunt ſah.
Die elnfame Chaͤtigkeit mußt ich nun,auf einen
andern Gegenſtand werfen, Windelmaund Briefe;
die wir, zugkemmen waren, veranlafiten mich üben -
dieſen ‚herzlichen. Längfh vermißton, Mann au, denken⸗
und magic. Aber ihn. ſeit. ſo viel Jahren im: Geiſt
und Gemuͤth herumoettagen ins Enge zu dringen,
Manche Fraunde Be fam. fenger zu Deuraͤgen
6*2* | +? 2
. 496
aufgefordert, ja Schiller hatte vetſprochen nach ſel⸗
er Weiſe Theil zu nehmen.
Nun aber darfich ed wohl als die Farſorge eines
gutgeſiunten Genius preiſen, daB ein vorzuͤglich ge⸗
ſchaͤtzter und verehrter Mann, mit dem ich fruͤher
ar in den allgemeinen Verhaͤltniſſen eines gele⸗
gentlihen Driefwechfeld und Umgangs geſtanden,
Äh mir näher anzufchließen Veranlaſſung fühlte,
Profeſſor Wolf aus Halle bewährte feine Theil⸗
‚nahme an Windelmann und dem was ich füt fein
Andenken zu thun gedachte, durch Weberfendung
eines Aufſatzes, der mir hoͤchlich willlommen war, .
ob er ihn gleich für unbefriedigend erfiärte. Schon
im März des Jahre hatte er fih bei uns angekuͤn⸗
Met, die fämmtlichen Weimarifchen Freunde freuten
ſich ihn abermals in ihrem Kreife zu befigen, den
er leider um ein edles Mitglied vermindert, und
und alle in tiefer Herzenstrauer fand, ald er am
30 May in Weimar anlangte , begleitet von feiner
jüngeren Tochter, die In allen Reizen der frifchen
Zugend mit bem Frähling wettelferte. Ich konnte
den werthen Mann 'gaftfreundiich anfnehmen und
fo mit ihm höchft erfreulich beiehrende Stunden zu⸗
dringen. Da num ir. »Aneträulihem Verhaͤltniß
jeder offen von demjenigen fprach, was Ihm zimaͤchſt
am Herzen lag, fo that ſich ſehr bald die Differeng
entſchieden hervor, die zwifhen ung beiben obwal-
tete. Hier mar. a man anderer nr = diejenige,
”. NGC Yun w:
welche mich mit Schiller anſtatt zu — — =
4197
gereinigte. - Schillers ideeller Tendenz konnte fid-
meine reelle gar wohl nähern, und weil beide ver-
einzelt Doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, fo traten
beide zuletzt in einem Tebendigen Sinne zufammen.-
Wolf dagegen hatte fein. ganzes Keben den fchrift-
lichen teberlieferungen des Alterthums gewidmet, _
fie, infofern es möglih war, in Handſchriften,
oder fonft in Ausgaben, genau unterfuht und ver-
glichen. Sein durchdringender Gelft hatte fi der
Eigenheiten ber verfchledenen Autoren, wie fie ſich
nad) Orten und ‚Seiten ausſpricht, dergeftalt be⸗
maͤchtigt, fein Urtheil auf deu höchften Grab ge-
ſchaͤrft, daß er in dem Unterſchied der Sprache und
des Style zugleich den Unterfchleb des Geiſtes und
des Sinnes zu entdeden wußte, und dieß vom
Buchſtaben, von der Spibe hinauf bis zum rhyth⸗
mifhen ‚und proſaiſchen Wohlllang, von der
einfahen Wortfügung bis zur mannichfaltigen Ver⸗
dechtung der Saͤhe.
War ed daher ein Wunder, daß ein ſo großes
Talent, das mit ſolcher Sicherheit in dieſem Ele⸗
mente ſich erging, mit einer faſt magiſchen Ge—
wandtheit Tugenden und Maͤngel zu erkennen und
einem jeden feine Stelle ‚nach Laͤndern und Jahren
anzuweiſen verſtand, und ſo im hoͤchſten Grade die
Vergangenheit ſich vergegenwaͤrtigen konnte! —
War es alſo ein Wunder, daß ein ſolcher Mann
dergleichen durchgreifende Bemühungen auf das
hoͤchſte ſchaͤtzen und die daraus entſpringenden Re⸗
‚ 498
ſultate für einzig halten mußte! Genug, aus Tel-
znen Unterhaltungen ging'hervor: er achte Das’ nur
Einzigfuͤr geſchichtlich, Tür wahrhaft glaubwuͤrdig,
‚was durch geptäfte und zu prufende Schrift aus ver
Morzeit zu und heruͤbergekommen fey.
Dagegen hatten die: Wehmatkfihen: Lreunde mit
venſelben Ueberzeugungen einen andern Weg einge⸗
zſchlagen; bei leidenſchaftlicher Neigung fuͤr bndende
Kunſtimußten ſie gar: bald gewahr werden, dab auch
er idas Gefchichtilche fewohl der Grund eines jeden
Artheils als einer pruktiſchen Nacheiferung werben
koͤnne. Sie Hatten! daher ſowohl alte als nenete
Kunſtauf ihrem⸗ Lebenswege immer geſchichtlich gu
vbetruchten ſtich gewoͤhnt, und glaubten auch von ihrer
Seite ſich gar manches Merkmals bemaͤchtigt fu
haben ; woran ſich Feit id’ Ste Melſtet mid Scha⸗
ler,eſpraͤngliches und Nachgeahmtes, Vorganger
nd Nachfolger fuͤglich unterſchelden lkeßen.
Wenn unn im lebhafteſten Geſpraͤche Beide Arten
die Vergangenheit ſſch zu "Vergegenwärtigen zur
“Spräthe:tamen ,: fo daeften Die Weimarifchen Kunft⸗
zfreunde fih wohl gegen’ bew'treffiihen Mann In _
Worthell dunken/ da⸗ſie feinen ſtudten und Lalen⸗
iten volle Gerechtigleit wibetfahren ließen,“ khren
BGeſchmack an dem ſeinigen ſcharften, ' mitThrein
geiſtigen Vermoͤgen feinem Seiſte nachzubrkagen
Spaten: und ſich alſo im hoͤheren Sinne anferbittich
verelcherten. "Dagegen Ydngnete er hartnaͤckig bie
"Burdffätelt pres Verfahrens, und es faud ſich“ An
409
Wes ihn vom? Betzeutheil zu überzeugen! denn es
tſt ſchwer, jaumm dglkeh demjenigen der hithtans Liebe -
und Leidenſchaͤft ſich Avugend einet Betrachtung ge-
widmet hat und dadurch auch nach und ˖ nach zur ge⸗
naueren Kenntniß und zur Wergleichungsfaͤhigkeit
‚gefangtift, auch nur eine Ahnung des zu unterſchei⸗
vdenden aufzuregen, well denn doch immer zuletzt In
ſolchem Falle an Glauben, an Sıtrauen Anſpruch
gemucht werben muß. "Wenn: wir ihm nun ſehr
willig zupnben, daß einige Reden Cicero's, vor
denen: wir den größten Reſpect hatten, weil ſie zu
unferm wenigen Latein uns beßäfflich geweſen waren,
fie fpdter untergeſchobenes Muchwerk und keines⸗
wegs fuͤr fonderliche Redemuſter gu achten feyen, fo
wollte er uns dagegen keineswegs zugeben, daß man
auch die uͤberbliebenen Bildwerke nach einer gewiffen
RZeitfolge zwerfilhtlich ordnen koͤnne.
Ob> wir nun ·gleich gern einraͤnmten, daß auch
hier manches problematkfch moͤchte liegen bleiben;
wie denn ja auch der Schriftforſcher weder ſich ſelbſt
“noch undere jederzeit völlig befrledigen werde: ſo
“Sennten wir doch mtemäls von hm erfangen, daß
er unferen’ Documenten gleiche Guͤltigkeit mit den
-feinigen, unſerer durch Hebung erworbenen Sa⸗
garitaͤt gleihen Werth wie ber ſeinigen zugeftanden
"Hätte. : Aber chen mus diefem hartnärtfgen Conflict
ging für und ber bedeutende Vortheil hervor, daß
alle die Argumente Für und Wider auf das ent-
fſchiedenſte zur Sprache kamen, und es denn nicht
u
2300
fehlen konnte, daß jeder, Indem er den andern zus
erleuchten trachtete,, bei ſich ſelbſt auch heller und
klarer zu werben befttebt feyn mußte. .
Da nun allen diefen VBeltrebungen Wohlwollen,
Neigung, Freundſchaft, wechfelfeitiges Beduͤrfniß
zum Grunde lag, weil beide heile währender _
. Unterhaltung noch ‚Immer ein Unendliches von Kenut-
niß und Beſtreben vor ſich ſahen, To herrfchte In der
ganzen Zeit eines Tängeren Zuſammenſeyns eine
aufgereste Munterkeit, eine heftige Heiterkeit, die _
fein Stillſtehen duldete, und innerhalb deffelben
Kreiſes Immer neue Unterhaltung fand.
Nun aber mußte, indem von der Altern Kunft-
geſchichte die Nede war, ber Name Phidias oft ge-
nug erwähnt werden, der fo gut der Welt als der
Kunſtgeſchichte angehört: denn was wäre die Welt
ohne Kunft? und fo ergab ſich's ganz natürlich, daß
der beiden Koloflal-Köpfe der Diosfuren von Monte
Cavallo als in Rudolſtadt befindlich gedacht wurbe.
Der unglaubige Freund nahm hievon Gelegenheit
zu einer Spazierfahrt, ald Beweis des guten Wil⸗
tens fih ung zu nähern, allein, wie voraus zu fehen
war, ohne fonderlichen Erfolg: denn er fand leider
die beiden Rieſenkoͤpfe, für welche man bis jet
keinen ſchicklichen Raum finden können, an der Erbe
ftehen; ba denn nur dem liebevollſten Kenner ihre
Trefflichfeit Hätte entgegen leuchten mögen, Indem
jedes faßlihe Anfhauen Ihrer Vorzüge verfagt war.
Wohl aufgenommen von dem dortigen Hofe ver:
201
guügte er fich in ben bedeutend ſchoͤnen Umgebun⸗
gen, und fo kam er, nach einem Beſuch in Schwarz-
burg, mit feinen Begleiter, Freund Meyer, ver:
gnuͤgt und bebaglih, aber nicht überzeugt zuruͤck.
Die Weimariſchen Kunftfreunde hatten fich bet
dem Aufenthalt dieſes höchft werthen Mannes fo
viel Fremdes zugeeignet, fo viel’ Eigenes aufgeklärt
und geordnet, daß fle In mehr als Einem Sinne ſich
gefördert finden mußten, und da nun ihr Gaft noch
außerdem lebensluſtig als theilnehmender Geſell⸗
ſchafter fih erwies, fo war durch Ihn der ganze Kreis
auf das fchönfte belebt, und auch er Lehrte mit hei: -
terem Sinne und mit dringender Einladung zu
einem baldigen Gegenbeſuch in EN wohlgemuth
nach Hauſe zuruͤck.
Ich hatte daher die ſchoͤuſte DBeranlaffung aber:
mals nach LZauchftäbt zu gehen, obgleich das Theater
mich eigentlich nicht hinforberte. Das Repertorium
enthielt fo manches bort noch nicht gefehene Gute -
and Treffliche, fo daß wir mit dem anlodenden
Worte zum erſtenmale gar manchen unferer
Anfchläge zieren Tonnten. Möge bier den Freunden
der Theatergefchichte zu Liebe die damalige Conſtel⸗
lation vorgeführt werden, womit wir in jener Sphäre
zu glänzen fuchten, Als meiſtens neu, oder doch
ſehr beilebt, erfchlenen au Trauer- und Helden-
fpielen: Othello, Regulus, Wallenttein,
Nathan der Weiſe, Goͤtz von Berlichin-
ö '
-
: 302
gon,Jungfrauu“v on Orleans, Johanna
Bon Montfaucon. Ebenmaͤßlg Mirko man an
Luſt⸗md Gofahtſpieten⸗ ſecgende vor: Lio ren z
St Et, vbefchaͤmteEiferſucht, Mitſchul⸗—
dige, Laune des Verliebten, die bei—
den Klingsberge, Huſſiten und Pagen-
ſtreiche. An. Singfplelen wurden vorgetragen: ’
"Saalnire, Coſa Rara, Fauchon, Unter—⸗
brochenes Opferfeſt, Schatzgraͤber, So—
liman dei Zwepte: zum Schlüſſe ſodann das
Lied von ber Glöoͤcke, als ein werthes und wuͤr⸗
diges Andenken des verehrten Schiller, da einer
beabſichtigten eigentlichen Feyer ſich mancherlei Hin⸗
derniſſe entgegenſtellten.
Bei einem kurzen Aufenthalt in Lauchſtaͤdt ſuchte
ich daher vorzuͤglich dasjenige zu beſorgen was an
WBaullchlekiten und :fonftigem: Lotalltaͤten, wicht we⸗
Nlger was it: dortigen Beamten⸗zu verabreden wiıb
ufrſtguſtellen war, und begab mich ˖barauf nach Halle,
0 ich in⸗ dem Haufe meines Freundes die gaſt⸗
qhſte Aufnahme fand. Die vor kurzem abgebro⸗
1xhene Waterhaltung ward lebhuft fortgeſetzt, und
nach vleben⸗ Seiten hin erweitert: denn da Ich Wer
den aunabtärfig: arbritenden Mann, mitten in feiner
raͤgltchen, beſtiiumden, manchmal aufgenoͤthigten
LDhaͤtlgteit fund; ſo gab es taufend Gelegenheiten,
einen neuen Gegenſtand, "ine verwandte Materie,
Uurgend eine Ins‘ Sehen eiugreifende Handlung zum
Kext geoliſtreicher Geſpraͤch⸗ aufzufaſſen, wobei denn
—8
|
|
|
203
der Tag and halben Mechte Rune: voraͤber singen,
WE Bebentenden Neichthum zutuͤcklkeßen.
Hatte: unn an khin diel Gegenwürt eines: un⸗
egeheuren Wifſens zu Wewnndern, ſo war ich doch
che neugterig zu vernehmen, wie eb’ das Einyelne an
Die Jugend miethoblſch aid‘ ekngaͤnglich uͤberlieſere.
Jch horte daherndurch ſeine lkebensrrdige Töchter
‚geleitet, hiuter⸗ einer Tapeteuthure ſeinem Vottrag
amehrmals zu,” wolich Wen ie was ich von ihm
erwarten tonute In’ Bhaͤtigkeit Fund: Eine aus der
Falle: der Kenutniß!hetvortretende ‚freie Ueberlle⸗
Aetung, aus gruͤndlichſtem Wiſſen mit Frelheit,
Belt und Geſchmack fih uͤber Die Zuhoͤrer verbrei⸗
tende Mitthellung.
Rare ter vlchen Verhartaifen ·und gZuſtaͤu⸗
Wden gewonnen, laßtſich micht Aberfehend mie ein⸗
flußrelch dieſe ehem Monate aufiemein Leben ge⸗
vwrſen; witd aderer wweſrandine Mm: algemeinen
rtempftaden kbanen. *
Hier«auf nun erweerteto mich im einen andetn
erh vercharetfeade Belehrung.‘ Doctor
Soaaltbegaun ſeine Votiſtngen An den Lrften · Ta⸗
zgen DEE aanſt/Nnnd Aihngefente mich zunen vlelen
fich m I Veradtange nden Gutzoretn. Srilne Lrhre
enußte Ilelch ſo wle ls boanat une anfiug,
mir dem erſten Anblicke nach zufagen, "Ya wad ge⸗
x*wohnt daſ Gehirn or erleiden Anatomle
rcher JR velvuchren ‚ana ſchott· dem Rugre bein Geheim⸗
Sp Bleibt, daß die verſchiedenen "Sinne als Zweige
2 204
bes Ruͤcenmarks ausflleßen und erſt einfach, einzeln
zu erkennen, nach und nach aber ſchwerer zu beobach⸗
ten find, bis allmaͤhlich die angeſchwollene Maſſe
Unterſchied und Urſprung voͤllig verbirgt. Da nun
eben dieſe organiſche Operation ih -In allen Soſte⸗
men des Thiers von unten auf wiederholt und. fich
‚vom Greifiihen bis zum Unbemerkbaren ſteigert;
fo war mir ber Hauptbegriff keineswegs fremd, und
folte Gall, wie man vornahm, auch durch feinen
Scharfblick verleitet zu Tehr- Ind Specifiſche ‚gehen,
ſo hing es ja nur von uns ab, ein ſcheinbar pare-
doxes Abſondern in ein faßlicher Allgemeines hin⸗
‚über zu heben. Man konnte den Mord⸗, Raub⸗
und Diebſinn fo gut als die Kinder⸗, Freundes⸗
und Menſcheuliebe unter allgemeinere Rubrilen be⸗
greifen und: alſo gar: wohl gewiſſe Tendenzen weit
bem Worwalten gewiſſer Organe in Beaug feben.
Wer jedoch das Allgemeine zum Srumb.legt, wird
fih nicht leicht einer Anzahl waͤnſchens werther Schä-
ler. zu erfreuen.babens das Wefondere. hingegen zieht
die Menſchen an und. mit Recht: denn das Leben
iſt aufs Befondere angemiefen, und gar viele Mens
ſchen khunen kn Einzelnen⸗ihr Leben fortſetzen ohne
daß ſie ·nothig haͤtten weiter zu gehen als bie dahin,
wo der Menfünueriant und. Ihren fünf ——
vnu⸗ kommt. —
Beim Anfang ſeiner Vortrage brachte er einiges
die Metamorphofe der -Bflanze Beruͤhrendes zur
Sprache, fo daß ber- neben: mir ſitzende Sreunb
205
Loder mich mit einiger Verwunderung anfah; aber
eigentlich "zu verwundern war ed, daß er, ob er
sieih diefe Analogie gefühlt haben mußte, in ber
Folge nicht wieder darduf zuruͤck Fam, ba doch diefe
Idee gar wohl burch fein ganzes Geſchaͤft haͤtte wal⸗
ten koͤnnen.
Außer dlieſen oͤffentlichen/ vorzůslich ebaneblo⸗
sifchen Belehrungen entfältete er: privatim das Ge⸗
hirn ſelbſt vor unſern Augen, wodurch denn meine
Theitnahme ſich ſteigerte. Denn das Gehirn bleibt
Immer der Grund und daher das «Hauptaugenmerk,
da es fich nicht nach der Hirnfchale, fondern diefe
nach jenem zu richten bat, nmid zwar dergeftatt, daß
die innere Diploe der’ Strnfihate vom Sehtrn felt-
gehalten und an Ihre organffdhe Beſchraͤnkung ge-
fefeitt wird; dagegen denn, bei genugſamem Bor:
rath von Anochenmafte, Be dußere Lamina fich bis ing
Monſtroſe zu erweitern und innerhalb fo viele Kam⸗
mern und Fächer auszubilden dad Mecht behauptet.
Galls Vortrag durfte man wohl als ben Sipfel
versleichender Anatomie aneriennen, denn ob er
gleich feine Lehre von’ dorther nicht ableitete und
mehr von außen nad, innen verfuht, auch ſich mehr
eine Belehrung als eine Ableitung zum Zweck vor-
zufeßen fchten: fo ſtand doch alles mit dem Ruͤcken⸗
mark in folhem Bezug, daß dem Geiſt volllommene
Freiheit blieb fih nad Teiner Art dieſe Geheimniſſe
auszulegen. Auf alle Weiſe war die Galliſche Ent⸗
- faltung des Gehirns in einem Höheren Sinne als
4
206.
ieng;in der: Samen hensahtacer, EU;
ober ſegmentmaiſe venahen -Autginer Durch beſtiam⸗
ten Meſſerſchaatt. vom: gawiſſen sauter einander folz: “
genden Theilen Anklick uud Remen, erhielt, ohne⸗
daß auf; iraend atwes atiter darana ua kp. an al gar:
gewefen. Selbit die Bafis des Gehirns .. -diesiita:
ſpraͤnge; der Verne blieben gtalkenatuhſſe, denen
ih; ſo eruſt mir oh, auch nich abgewinnen
konnte; waßhach atuch noch por Kurzem hie ſchoͤnen
Abbildungen vom, Rica d'Azur mich voͤllig in Mer
zweiflung geſetzt hatten.
Dostgt Gall wer indes Gebellichatt, die mich,
fg; ſreundlich .ankagnonmneu hatker.. glelchtals wik-
eingeſchloſen, und „la fahen wir uns taͤglichfaſt⸗
ſtuͤndlich⸗ und das Gespräch hielt. ſich ammer in demn
Kreiſe ſeinger bemundeunnswuͤrdigan Beobachtung; er
ſcherzten über. uns alleund behauptete, mainem Stiru⸗
ban zufolge: ich⸗ Tonne den Mund nicht aufthun,
ohng. einen Troptus augzuſprochen; worauf⸗ er mich
denn freilich jeden Auganblick artappen konnte, Mein
ganzes Weſen betrachtet, verſicherte er QMun eruſte
lich, daß ich eigentlich zum Wollsxedner gehoren ſey.
Dergleichen gab, nun au allexiei Ichershakten Bestie:
gen, Gelegenhait, und⸗ ich moßte ed. gedteu.beilenn
daß man ‚ch mit, Sarufgfogmag im Eineireite.in,
fenemnheliebte.,
Nun miechte frellich / ſobche aehtiee Uprongmngn
verllochten in gefaliges Wohlleben, meinem. koͤrnera
lichen. Zuſtaͤnden nieht eben zuſagen; es uͤberfiel. mich
207
gang uperfehend den Varomemuseineh herfäum: .
lichen. Ugbehd;, das pon den Nieren ausgehandelichs
von Seit zu Acit ducch kranlhafte Sumptame, ſchmerzz
lich antaͤndigte. Es brachte miraiemal den Warn
theil einen groͤßern Anvaherung an Becgrath Welle.
weicher, ·als Art mich behandelnd mis gugleich als
Prabtiker, ale denkendor, wohlaaſinuter um Altr.;
ſchauendar Mann helaunt; mutda. Menſehrer dich.
meinen Buftenb: angelegen ſepnließ/ danon aibt eln
eigen haͤn diges Gutachten - Zeuguniß, welches vom
17 Septbr. dieſes Jahrs unter mainen Papieren
noch. mit Achtung vermahrt wird.
Doctar Galls ferneren Unterrbeht. ſollte Sch: denn
auch nicht wermkflen;. ax.batte die: Gefalligkelt, den
Apparat jeder Vorleſnug quf⸗mein Zimmer zu ſchaf⸗
fen and. mir/ der. ichn durch mein Aebel an höheren
Beſchauung und Batracktung nicht ‚gehindert Wie,
ſehr auslangenda Kayminiß und Ueberſicht feinen
Ueborzrugungen mitutrheilen
Daoctor Galh war: abgegaugen und beſuchte Goͤt⸗
tingen, wir aber warden. durch die Ausſicht eines
eigenen Abenteners angaessa. , Dar waudeyliche,
in manchem Siuampiste Daher durch ichan.hefennte.
prablemetäfche Mann. Hofrath Melreid.-Ia Helm⸗
ſtaͤdn, war mir ſchon ſo oft geuammt ,.. feine Umge-
bung, feimmerimärbiger Betz/ ſein onderbares
Betragen, fo wie bad Geheimniß, das uͤber ˖allam
biefenewaltete, hatte ſchan laͤugſt auf mich und meine
Freunde beunruhigend gewirkt, nah man mußte ſich
208 -
ſchelten, daß man eine fo einzig merkwuͤrdige Per⸗
fönlichteit, Die auf eine frühere vorübergehende -
Epoche hindeutete, nicht mit Augen gefehen, nicht
im Umgang einigermaßen erforfht habe, Profeſſor
Wolf war in demfelbigen Falle, und wir beichloffen, _
da wir den Mann zu Haufe wußten, eine Fahrt nach -
ihm, der wie ein geheinmißveller Greif über außer⸗
ordentlichen und kaum denkbaren Schaͤtzen waltete.
Mein humoriſtiſcher Nekfegefährte erlaubte gern, daß
mein vierzehnjähriger Sohn Aüguft Theil an diefer
Fahrt nehmen durfte, und diefes gerieth zur beften
gefelligen Erheiterung; denn Indem ber tüchtige ges
Ichrte Mann ben Knaben unausgeſetzt zu neden fich
zum Geſchaͤft machte, fo durfte diefer bes Rechts
der Nothwehr, welche denn auch, wenn fie gelingen
fol, offenſiv verfahren muß, fich zu bedienen, und
wie der Angreifende aud wohl manchmal die Graͤnze
überfchreiten zu koͤnnen glauben; wobei fih denn
wohl mitunter die wörtlihen.Medereyen in Kitzeln
und Balgen zu allgemeiner Heiterkeit, obgleich im
Wagen etwas unbequem, zu feigern pflegten. Run
machten wir Halt-in Weruburg, mo der würbige
Freund gewiſſe "Eigenheiten in Kauf und Tauſch
nicht unterließ, welche der iunge loſe Wogel, auf
alle Handlungen feines Gegners gefpannt, zu bes
merken, hervorzuheben und zu befcherzen nicht er⸗
mangelte. —
Der eben ſo treffliche als wunderliche Mann
Hatte auf alle Zoͤllner einen entſchledenen Haß gewor⸗
fen
209
fen und konnte ſie, ſelbſt wenn fie ruhig und mit
Nachſicht verfahren, : ia wohl eben deßhalb, nicht
ungehudelt laſſen, woraus denn unangenehme Bege-
benhetten beinahe entftanden wären.
"De nun aber auch dergfeichen Abneigungen mıd
"Cigenheiten uns in Magdeburg vom Befuch einiger
verdienten: Männer abhielten, To befchäftigte ich
mich vorzüglih mit den Alterthümern des Doms,
betrachtete die plafiifhen Monumente, vorzuͤglich
"die Grabmaͤler. Ich fpreche nur von drey bronze-
nen derfeiben, welche für drey Ersbtfchöfe von Mag-
deburg errichtet waren. Adelbert II nad 1403 ſteif
and ftarr, aber forgfältig und einigermaßen natär-
Uch, unter Lebensgröße. Friedrich nach 1464 über
Rebensgröße, natur - und kunſtgemaͤßer. Ernſt mit
der Yahrzahl 1499, ein unſchaͤtzbares Denkmal von
Veter Biſcher, das wenigen zu vergleichen iſt.
Hieran Tonnte ich mich nicht genug erfreuen: denn
wer einmal auf die Zunahme der Kunft, auf deren
Abnahme, Ausweihen zur Seite, Ruͤckkehr in den
rechten Weg, Herrſchaft einer Hauptepoche, Ein⸗
wirkung der "Subivtdnatitäten gerichtet, Aug und -
Sinn darnach gebildet hat, der finder fein Zwiege⸗
"Tpräch belehrender und unterhaltender als das ſchweig⸗
fame in’ einer Folge von folhen Monumenten. Ich
verzeichnete meine Bemerkungen fowohl zur Hebung
als Erinnerung, und finde die Blätter noch mit Ver-
anägen unter meinen Papieren; doch wuͤnſchte Ich
nihts mehr In biefen Stunden, als a“ eine ge⸗
Soetpe?6 Werte. XXXI. ©,
.
310
naue Nachbildung, beſonders des herrlichen Viſcher⸗
ſchen Monuments vorhanden ſeyn möge. (Ift-fpd-
terhin lobenswuͤrdig mitgetheilt worden.)
Stadt, Feſtung und, von den Waͤllen aus, die
Umgegend ward mit Aufmerkſamkeit und Theilnahme
betrachtet; beſonders verweilte mein Blick Lange auf
der großen Baumgruppe, welche nicht allzufern bie
Fläche zu zieren ehrwuͤrdig daſtand. Sie beſchat⸗
- tete Klofter Bergen, einen Ort, der mancherlet
Erinnerungen aufrief. Dort hatte Wieland im
allen eoncentrirten jugendlichen Bartgefühlen gewan⸗
delt, zu höherer Literarifhen Bildung den Grund
gelegt; dort wirkte Abt Steinmetz in frommem
Sinne, vielleicht einfeitig, doch redlich und Eräftig.
Und wohl bedarf die Welt, in ihrer unfrommen
Einſeitigkeit, auch ſolcher Licht: und Wärmequellen
um nicht durchaus im egofftifhen Irrſaale zu erfrie-
ren und zu verdurften.
Bei wiederholten Befuchen des Doms bemerk⸗
ten wir einen lebhaften Franzoſen in gelſtlicher Klei⸗
dung, der von dem Kuͤſter umher gefuͤhrt ſich mit
feinen Gefaͤhrten ſehr laut unterhielt, indeſſen wir
als Eingewohnte unſere ſtillen Zwecke verfolgten.
Wir erfuhren, es fen der Abbe Gregoirez, und
ob Ich gleich ſehr neugierig war mich Ihm zu nähern
und eine Bekanntſchaft anzuknäpfen, fo wollte doch
. mein Freund, aus Abneigung gegen den Galler,
nicht einwilligen, und wir begnügten ung in einiger
Serne befchäftigt fein Betragen genauer zu bemer:
—
ken und ſeine urthelle, bie er laut ausſprach, zw
vernehmen... ..
Mir verfolgten. unſern Weg, und da ber ueber⸗
gang aus einer Flußregion in die andere immer
der Hauptaugenmerk mein des Geognoſten war, fe
fielen mir die Sandftelnhöhen auf, die nun, ſtatt
nach der Elbe, nad) der Wefer hindeuteten. Helm⸗
ſtaͤdt ſelbſt liegt ganz freundlich, der Sand iſt dort,
wo ein geringes Waſſer flleßt, durch Gaͤrten und
ſonſt anmuthige Umgebung gebaͤndigt. Wer nicht
gerade den Begriff einer lebhaften Deutſchen Akade⸗
mie mitbringt, der wird angenehm uͤberraſcht ſeyn,
in einer ſolchen Lage eine ältere beſchraͤnkte Studien⸗
anſtalt zu finden, wo auf dem Fundament eines
fruͤhern Kloſterweſens Lehrſtuͤhle fpäterer Art ger
gründet worden, wo gute Pfründen einen behagli⸗
hen Sitz barbieten, wo altraͤumliche Gebäude ei⸗
‚nem anftäudigen Haushalt, bedeutenden Bibliothe⸗
‚Ten, anſehnlichen Cabinetten hinreichenden Platz
gewaͤhren, und eine ſtille Thaͤtigkeit deſto emſiger
ſchriftſtelleriſch wirken kann, als eine geringe Ver⸗
ſaqmmlung von Studirenden nicht jene Haft. der
ueberlieferung fordert, die. und auf beſuchten Aka⸗
demien nur übertaubt.
Das Perſonal ber Lehrer war auf alle Weiſe be—
deuten; ich darf nur die Namen Henke, Pott,
Lihtenftein, Crell, Brown und Bredom
‚nennen, fo weiß jederman den damaligen. Cirkel zu
ſchaͤtzen, in welchem die Reiſenden ſich befanden.
” 2f2
RXruubliche Gelehrſamtelt, willige Mitthellungen,
durch Immer nachwachſende Jugend erhaltene Hei—
rittit des Vmgangs, frohe Vehagllchkeit bei ern⸗
te end? Abeckmuͤßigen VBeſchüftigungen, »bas alles
wirkte ſolſchon In’ eittander, wozu noch die Frauen
nitwirkten, aͤltere durch guſtfteie Haͤuslichkeit, juͤn⸗
der Gattinnen mit Amuth, Ebchter in aller Ae⸗
venswurdigkeit, faͤmmtltch mir einer allgemeinen
oeknzigen Famille anzugehoͤren ſcheinend. Eben die
größen Raͤume altherkoͤmmlicher Haͤuſer erlaubten
zJahlreiche Gaſtmahle und die beſuchteſten Feſte.
Bei 'eihem derſelben zeigte ſich auch der Unter⸗
ſchled zwiſchen mir nid meinem Freunde. Am Ende
einer reichlkchen Abendtafel hatte man uns beiden
Soon ſchongeflochtene "range zugedacht; Ich hatte
dem ſchdnen Kinde, Bas mit ihn vufſetzte, mit ’ei-
ent tehhäft erwiberten Kuß gedankt und mich eitel
genng gefreut, als ich in ihren Augen bas Bekennt⸗
shi zu teten fühlen, daß ich-ihr fo geſchmuͤckt nicht
mißfalle. Indeſſen ſtraͤubte ſich mir gegenuͤber· der
elgenfinnige Gaſt gegen feine kebenssmuthige Goͤnne⸗
rin gar widerſpenſtig, und wenn auch der Kranz un⸗
“fer ſolchem Ziehen und Zerren nicht ganz euntſteillt
wurde, fo mußte doch das klebe Kind ſich einkger⸗
maßen vbeſchaͤmt zirůckztehen, daß fie ihn nicht los⸗
gewerden war.
neber ſo' vieles Anmuthige Hätten wir nun faft
"ben Zweck bergeffen Hiunen, ber ung eigentlich hle⸗
ber geführt Hatte: allein Beireis belebte durch
245 J
ſeine heitere Gegenwart: jebeg, Feſt. Nicht auge
wohl und bewaglich gehaut, konnte man eben. Dig,
Legenden ſeiner Fechterkuͤnſte gelten lagen; eine Aue: -
glonhiich. hohe „und gewolbte Stirn, gatz in Mißtt
nis der antern jeinfammen geſaaenen Theke.
le, deutete auf; einen Mann von beſondern Geiſtos⸗
kraͤften, und, in ſo hohen Jahren Lonne et ſich fürn
wahr. einer heſonders, muntsrv, und eungtheuchtlten⸗
Thaͤtigkeit erfrenen. |
In Belelfchaftenn., beſendars abey hei Tifcker-
gab er feiner Galantaxie Die gan eigene Wenduna.
daß er ſich als ehemgiager Verghrerx-der Miteca.
al; jetziaer Fretzur der Fochter ader Nichto unge⸗
zungen. daxzuſtelen wußte; und; mandieh lich dies
ſes oft. wiederhoitze Maͤhrchem gern gefallen...
zwar niemand auf den Beſitz ſeiner Hand, wohl. aber
mancher gern aufeigen Ayheil: at ſeinem Nachlaß
Aufpruch gamacht haͤtt o
Ansemeldet wie wie, Waren, bot, er uns alle,
aſtfreundſchaſtz ans. enasuyfuahne in ſein Han⸗
lehuton mein ab... Aankbae ber: lleßen wir uns einen
Roßen Theil des Sach bei Ahm anter ſeinta gab
wuͤrdigleiten gefollen.
Gar manche open feinen fruͤhe ben ‚Befltingen,
das ih ‚Den Mmsaen-unk Dom -ARnsne- na: noch; le⸗
hendig erhalten hatte, wer Inden: jaͤmmaplich ſtan
Unſtaͤnden die Vanaanſoniſchar Automaten fanden,
wir · durch ans paralyſire⸗ In einem alten. Garton⸗
hauſe IR: ber -Slätenspiehen in fehe: unlhelabsien
es
214-
Klekbern; aber er flötete nicht mehr, und Beirets
zeigte die urfprüngliche Walge vor, deren erfte ein:
fache Stuͤckchen Ihm nicht genügt hatten. Dagegen’
lleß er eine. zweyte Walze fehen, die er von jahre⸗
Tang im Haufe unterhaltenen Orgelkuͤuſtlern unter⸗
nehmen Ldifen, welche aber, da-jene zu fruͤh geſchte⸗
den, nicht vollendet noch an die Stelle geſetzt wer⸗
den können, weßhalb denn der Floͤtenſpreler gleich
anfangs verfiummte. Die Ente, unbefiedert, ſtand
als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter,
verdaute jedych nicht mehr: an allem ben warb er
aber keinesweges irre, fondern ſpraͤch von dieſen
„verafteten halbzerſtoͤrten Bingen mit ſoͤlchem Beha⸗
gen und fe wichtlgem Ausdruck, als wenn ſeit jenet
Zeit die Höhere Mechauik nichts friſches Bedeutende⸗
res hervorgebracht haͤtte. To man
In einem großen Saale, der Naturgeſchichte ge⸗
widmet, wurde gleichfalls die Bemetkung rege, daß
Alles was ſich ſelbſt erhaͤlt, bei ihm gut aufgeho⸗
sen Ten; So zeigte er einen ſehr feinen: Magnet⸗
Kein vor, ber ein großes Gewlcht trus, ekien aͤchten
Phrenlten vom Gap von groͤßter Schönheit," mb:
gonftige Minerallen in vorzäglihen Evemtplafen.
Aber eine In der Mitte des Saalt gedraͤngt ſte⸗
hende Reihe andgeftopfter' Vögel zerfielen unmittel⸗
Bar durch ‘Mottenfraß, fedap Gewuͤrm and Fedetn
auf den Geſtellen ſelbſt anfgehäufl lager; er be⸗
merkte dieß auch und verſichorte, 68-fey'eite Kriege⸗
Alk: denn alle Motten des Hacfes zoͤgen fü hieher,
215
und die übrigen Zimmer biieben von biefem Ge⸗
ſchmeiße rein. In geordneter Folge kamen benn
nah und nach die ſieben Wunder von Helmftädt zu
Tage; die Lieberkfühnifchen Präparate, fo wie die
Hahniſche Rechenmaſchine. Won jenen wurden ei:
nige wirklich bewundernswuͤrdige Belfpiele vorgemie-
fen, an dieſem complichtte Exempel einiger Species
durchgeführt. Das magifche Orakel jedoch war vers
fummt; Beireis hatte gefhworen, bie gehorfame
Uhr nicht wieder aufzuziehn, die auf feine, des
Entferntitehenden, Befehle bald ſtill hielt, bald
fortging. Ein Officer, den man wegen Erzaͤhlung
ſolcher Wunder Lügen geftraft, fey im Duell erfto-
hen-worden, und feit der Seit habe er ſich feft vor-
genommen, feine Bewunderer nie folher Gefahr
wieder anszufehen, noch bie Ungläubigen zu fo Aber-
ellten Sräuelthaten zu veranlaflen.
Nach dem bisher Erzählten darf man num wohl
fih einige ‚Bemerkungen erlauben. Belreis im
Jahre 1750 geboren fühlte ſich ale treffliher Kopf
eines weit umfaflenden Wilfeng fähig und zu viel⸗
feitiger Ausübung geſchiẽet. Den Anregungen fel-
ner Zeit zufolge ‚bildete er fih zum Polyhiſtor,
feine Thätigkeit widmete er ber Heilkunde, aber
det dem gluͤcklichſten alles‘ feſthaltenden Gedächtnig
konnte er ſich anmaßen, In den fämmtlichen Facultd-
ten zu. Haufe zu ſeyn, jeden Lehrftuhl mit Ehre zu
betreten. Seine Unterſchrift in meines a
Stammbuch lautet folgendermaßen:
‘216.
GODOFREDUS CHURISTOPHORUS BBIREIS.
Primarius Professor Medicinae, Chemiae, Chi-
rurgiae, Pharmaceutices, Physiees, Botanices
et reliquae Historiae naturalis.
Helmstadii a. d. XVII Augusti MDce66v.
Aus dem bisher Vorgezeigtan je doch ließ ſich ein⸗
ſehen, daß feine Sammlungen, dem naturhiſtori⸗
ſchen Theile yach, einen eigentlichen Zwec haben
konnten, daß hingegen dad, worauf er den meiſten
Werth legte, eigentlich Curioſitaͤten waren, die durch :
den hohen Kaufpreis Aufmerkſamkelt und Bewus«
derumy erregen follten; wobei denn nicht vergeffen,
wurde, daß bei Anlaufücheiten Kaiſer und Könige: :
überboten worden.
Dem fep nun wie ihm ler anfehniie Sum⸗
men mußten ihm zu Gebote ſtehn; denn or hatte,
wie man wohl bemerken kounte, eben fo fehr eine.
gelegene Zeit zu ſolchen ˖ Ankaͤufen 'abgemartet, ale
auch mehr denn -andere- vieleicht. fie ſogleich zahe
lungsfaͤhig erwielen, Obgenannte Gegenſtaͤnde zeigte
er zwar mit Autheil und Behagen umſtaͤndlich vor,
allein · die Freude daran ſchien ſelbſt gewiſſermaßen
nur hiſtoriſch gu ſeyng mo er ſich aber lebhaft, Idie-
doeufchaftlich aͤberre dend und zudringlich bewies, wen
bei Vorzeigen feiner Gemaͤhlde, ſeiner neneſten Lieb⸗
haberey, in die er ſich ohne die mindeſte Kenntaiße
eingelaſſen hatte. Bis ins Unbesreifliche ging. der
Grad, womit er ſich hieruͤber getaͤuſcht Hatte, oder
und zu taͤuſchen ſuchte, da er denn dach auch ver als
217
len Dingen gewiſſe Curioſa vorguftellen. pflegt. Hier.
war ein Chriftus, bei deifen Aublick ein Göttinger
Profeſſor in den bitterften Thraͤnenguß ſollte ausge⸗
brochen ſeyn, ſogleich darauf ein von einer Englifchen
Dogge angebelltes natürlich genug gemahltes Brot
anf dem Tiſche der Juͤnger zu Emaus, ein anderes
aus dem Feuer wunberwärbig geretteteg Heligenbild
und was bergleihen mehr feyn wochte.
Die Art feine Bilder vorzumelfen war feltfam
genug, und ſchlengewiffetmaßen abfichtitchz fie Kine
gen naͤmlich nicht. etwa anıben hellen breiten Lade
den feiner vbevew: Stockwerke wollgenteßbur nebene-
einander, fie: ſtanden vbelmchr in’ ſeireen Schlafzim⸗
mer uns das große Thronhimmelbette aw Deu Gane
den geſchichtet ᷣberetnanber, von wo er, alle. Huͤlf⸗
leiſtung ablehnendb, fie ſelbſt horholde unddahin taten:
bee zuruͤckbrachte. Eiunlges bitch’ tu dem Zimmer
. um die Beſchauer hetrumgeftellt, immret engerrund:
enger z0g?fich ber Kreis zuſammon, ſo daß freilich
bie Ungeduld unferes Melſegefaͤhrten allzuſtark er⸗
regt, pls: auebrache und fein . @ntfernen vous:
anlaßte.
Es war mir wirtikh augrnehm, denn ſolcht Quaui
len der Unvernunft ertragen ſich ˖lelchter ullein ie:
in Goſellſchaft eines. einfichtigen. Freundes, wo man
bet geftelgertem : Unwillen :jeden. Augenblid einen
Ausbruch von; einer. oder der andern m befuͤrch⸗
ten muß.
Und wirklich mar es q.· u ſlaci, was Beireis
ı
218
—
ſeinen Gaͤſten zumuthete; er wußte ſich naͤmlich da⸗
mit am meiſten, daß er von den groͤßten namhaften
Kuͤnſtlern drey Stuͤcke beſitze, yon der erſten, zwey-
ten und letzten Manier, und wie er fie vorſtellte
und vortrug, war jede Art von Faffung, die dem
Menfhen zu Gebot ftehen fol, kaum hinreichend,
denn die Ecene war lächerlich und ärgerlich beleidi⸗
gend und wahnſinnig zugleich.
Die erſten Lehrlingsproben eines Rafael, Ti⸗—
zian, Carracci, Correggio, Dominichin,
Guido und von wen nicht ſonſt waren nichts wei⸗
ter als ſchwache, von maͤßigen Kuͤnſtlern gefertigte,
auch wohl copirte Bilder. Hier verlangte er num
jederzeit Nachſicht gegen dergleichen Anfaͤnge, ruͤhmte
aber mit Bewunderung in den folgenden die außer⸗
ordentlichſten Fortſchritte. Unter ſolchen ber zwep⸗
ten Epoche zugeſchriebenen fand ſich wohl manches
Gute, aber von dem Namen, dem ed zugeeignet
worden, ſowohl dem Talent als der Zeit nach him⸗
melweit entfernt. Eben fo verhielt es ſich mit den
letzten, wo denn auch die Teerften Phrafen, deren an⸗
maßliche Unkenner ſich bebienen,. gar wohlsefaͤllig
vom Munde floſſen.
Zum Beweis der Aechtheit ſolcher und anderer
Bilder zeigte er die Auctions Katalogen vor, und
freute fich der gedruckten Kobpreifung jeder von ihm
erftandenen Nummer. Darunter befanden ſich zwar
aͤchte aber ſtark reftaurirte Originale; genug, am ir⸗
219°
gend eine Art von Kritik war bei biefem fonft were
then und würdigen Mamne gar nicht zu denken.
Hatte man mini die meiſte Zeit alle Geduld und
Zuruͤchaltung wöthlg, ‘To ward man denn doch mit⸗
unter dutch den wolue kee gucher Bilder getroͤſtet
und delohnt· a ee
nſchatz bar — Arbrecht —— vor⸗
trait, Von ihm ſelbſt zemahlt mit der Jahrzahl 1493,
alſo in ſeinem zwey und zwanzigſten Jahre, halbe
Lebensgtoͤße, Bruftſtuͤck, zwey Hände, die Ellenbo⸗
gen abgeſtutzt, purpurrothes Muͤtzchen mit kurzen
ſchmalen Neſtein, Hals blo unter die Säfäffelbeine
bloß/ am Hembe geftidter Obkrſaum, die Falten der
Aermel mit pfirſichrothen Bänbern witerbunden;
Mangraner mit gelben Schnürer verbraͤmter ueber⸗
wurf, wle Nic ein feiner Juͤngling gar zierlich her⸗
ausgeputzt haͤtte, in der Hand bedeutſam ein blau⸗
blahendes Erynglum, im Deutſchen Mannstreue
genannt,‘ ein ernfted- Yangiingsgefiht, feimende
Barthaurr wi Mund und Riem, das Ganze herr⸗
uqhgezrichnet, veich andꝰ unſchuldig, harmoniſch
in ſeinen Thesen, von ber! hoͤchſten Ausfüͤhrnng,
ventonimen Duͤrers wuͤrbig, obgleich mit ſeht duͤn⸗
J ner Farbe gemadhlt, die ſich an einigen Stellen zuſam⸗
mengezogen hatte.
Dieſes yreiswärbige, durchaus unfätbate Bi,
ya wahrer Kunſtfreund Im goldenem Rahmen
eiagefaßt um godnſren Schraͤnkchen aufbewahrtboat
ie, ließ er dos auf ein dannes Bret gemahlte,
299:
ohne.irgend einen: Rahmen und MWerwahnungs. Je⸗
den Augenblick fih zu ſpalten drohend, ward es
unporſichtiger als jedes. andare hexvorgeholt, auf=
und. wieder beh Seite geſtelltvicht weniges dier
dringende Thelinghme des Ballet, ‚bie 4 Sch
nung und Sicherung eines ſolchen Kleſnade Aehe
te, gleichsuͤltig ghasichuts en Ichlem ſich pie of⸗
rath Buͤttner. In- einem Bee
genfinnig zu: gefalleg.:
Ferner gedenl ich eines geihtoigh frei gemablteu
Bildes. von Rubens, laͤugliſch,nicht allzuaroß,
wie er fie fuͤp/ſolche nausgefaͤhrte Staen Ugbte.
Eine Hoͤckenfrau figemd ta der Fuͤlle eines mohlvaz--
ſorgten Gemuͤskrams, Kohlhaͤupten und Salat. alex.
Arten, Wurzeln, Zwiebelus allen. ‚Farben yud- Ges
falten; ſie aͤſt eben: im Handel mitz einer ſtattlichan
Buͤrgersfrau begriffen/ dexenbehaglicho Wuͤrde ſich
gar aut ausnimmt neben dem ruhig anbletenden es ;
ſen der Werkaͤuferin,hinter welcher zein Knahe, fo:
eben. im Begriff. inlgaſ Obſtzu fichlenn vone hhrere
Magdanit olnem nvorgeſe henen Achlag bedroht wird
An der andern Gpite, hiuter der augeiehenen Maͤr⸗
gerafrau, ſieht man dbre Magdeeinen wohlsafiocheee
nen, mit Markteaanen ſchan einigermoßen venſehen
nen Korb tragen, aber auch fie iſt nicht mäßige. Her
blict nad onen Bunichen: und ſeheint deſſen Finger:
seis- mie: einem cfreunbäiken: Mlick zwi: erwähetund
Mefler ;- gelacht: und ausifiarkaftar ceigeählueh: mar
niche leicſs EEE zu ſcuen Fr
2241
unere jaͤhrlichen Ausſtetltangen abzuſchließen feftge⸗
ſtellt fo wuͤrben wir dieſen Gegenſtand, wie er hier
Seſchrieben!iſt, als Prekſsaufgabe geſetzt haben, wm
die Kaͤnſtler kennen ˖zu lernen, bie, von ber aͤber⸗
handnehmenden Verirrung auf Soldgrund noch un⸗
angeſtkeckt, insd derbe friſche Leben Blick und Talent
zu wenden geneigt waͤren.
Zn unſtgeſchkchtikchen Sinne Inte denn auch
Belreis, bei Aufhebung der Kloͤſter, mehr als Ein
bedentendes Bid gewonnen; ich betrachtete fie-mit
Auctheil unb bemerkte manches in mein Taſchenbuch.
Hier find' ich mım verzgeichnet, daß außer dem erſten
vorgewieſenen, welches für Acht Byzantiniſch zu hal⸗
tem wäre, die Abrigen alle ins funfzehnte, vielleicht
Ans fechzehnte Jahrhandert fallen möchten. Zu el-
ner genaneren Wuͤrbigung mangelte es mir an durch⸗
- geeffender' Kenntuiß und bei einigem was ich allen⸗
tags noch Witte näher: beſtimmen Tönnen, brachte
mich Deitrehmung ‚und Nomenklatur unferes wun⸗
derltchen Sammlers Schritt oe Schritt aus der
Richte.
Denn er wollte nunein⸗fuͤr allemal, wie per⸗
aſonlich · ſo auch Ir feinen: Beſſtyemgen, einzig fedn,
ah wie er jenes erſte Brzautidiſche Stuͤck dem vber⸗
ten Jahrhundert zufchrieb, Teinles er ferner eine
ununterbrochene Reihe aus dem fünften, ſechs⸗
:ten u; f. wetbis ins funfzehnte mit einer Stcherheit
and Ueberzeugung vor, daß einem bie Gedanken ver⸗
singen, wie es zu geſchehen pflegt, wenn und das
222
handgreiflich Unmahre, ats etwas bas:fich von ſelbſt
verſteht, zutraulich vorgeſprochen wird, wo man denn
. weder ben Seilbftbetrug noch die, Unverſchaͤmtheit im
ſolchem Grade für moͤglich Bil.
Ein ſolches Beſchauen und-Betrachten ward le
dann durch feſtliche Gaſtmahle gar angenehm unter⸗
brochen. Hier ſpielte der ſeltſame Mann ſeine ju—
gendliche Rolle mit Behagen fort, er ſcherzte mit
den Müttern, als: wenn fie ihm auch wohl fruͤher
. hätten geneigt feyn mögen, mit den Töchtern, als
wenn er im Begriff märe ihnen feine Hand anzubie=
‚ten. Niemand erwiberte bergleihen Aeußerungen
und Anträge mit irgend einem Befremden, feibft
bie geiftreihen männlichen Glieder der Geſellſchaft
behandelten feine Chorheiten mit einiger Achtung,
und aus allem ging hervor, daß fein Haus, feine
Natur- und Kunftihäge, feine Baarſchaften unb
- Sapitalien, fein Reihthum, wirklich oder durch
Großthun geſteigert, vielen Ind Auge ſtach, weß⸗
halb denn die. Achtung für ſeine Verdienſte auch ſei⸗
nen Seltſamkeiten das Wort zu reden ſchien.
Und gewiß es war niemand geſchickter und ge-
wandter Erbſchleicherey zu erzeugen als er, ja es
ſchien Maxime zu ſepn, ſich dadurch eine nene kuͤnſt⸗
liche Famille und. dir unftomme — einee Anzahl
Menſchen su verſchaffen.
In ſeinem Schlafzimmer hing —* Vud eines
jungen Manned,: von der Art wie.mau bunberte
fieht, nicht anggezeichnet, weder anziehend nach ab-
223
ftoßend; dieſen ließ er feine Säfte gewöhnlich be-
fhauen und bejammerte dabei dad Ereigniß, daß
diefer junge Mann, an dem er vieles gewendet, dem
er fein ganzes Vermögen zugedacht, fi) gegen ihn
untreu und undenkbar beiwiefen, daß er ihn habe
müffen fahren laffen und nun vergebens nach einem
zweyten fih umfehe, mit dem er ein gleiches und
gluͤcklicheres Verhaͤltniß anknüpfen könne.
In dieſem Vortrag war irgend etwas Schelmi-
ſches; denn wie jeder bei Exrblidung eines Lotterie=
plans das große Loos auf fich bezieht, fo ſchlen auch
jebem Zuhörer, wenigftens in dem Augenblick, ein
Hoffnungsgeftiru zu leuchten; ja ich babe kluge Men-
ſchen gelannt, die fich eine Zeit lang von diefem Irr⸗
licht nachziehen Tiefen.
Den größten Theil bes Tages brachten wir bei
ihm zu, und Abends bewirthete er und auf Chineſi⸗
ſchem Porcellan und Silber mit fetter Schafmilch,
bie er als hoͤchſt geſunde Nahrung pries und auf-
nöthigte. Hatte man biefer ungewohnten Speife
erft einigen Geſchmack abgewonnen, fo iſt nicht zu
läugnen, daß man fie gern genoß, und fie auch woͤhl
als gefund anfprechen durfte.
‚Und fo beſah man denn auch feine aͤltern Samm⸗
lungen, zu deren glädtihem Beiſchaffen hiſtoriſche
Kenntniß genuͤgt, ohne Geſchmack zu verlangen.
Die goldenen Münzen Roͤmiſcher Kalfer und ihrer
Familien hatte er aufs vollftändigfte sufanmenge-
bracht, welches er durch die Katalogen bes Parifer
2
und Gothalſchen Sablinets eifrig zu belegen und da⸗
bei zugleich ſein Uebergewicht durch mehrere dort
fehlende Exemplare zu bezeugen wußte. Was jedoch
an diefer Sammlung am hoͤchſten zu "bewundern,
war die Volllommenheit der Abdruͤcke, welche ſaͤmmt⸗
Ach als kaͤmen fie aus der Münze vorlagen. Dieſe
Bemerkung nahm er wohl auf, ımd verficherte, daß
er die einzelnen erſt nach and nach eingetaufcht und
-mit-fehmwerer Zubuße gufeht erhatten und Doch noch
immer vor Bluͤck zu fagen babe.
- Beachte nun- der geſchaͤftige Befiher aus einem
nebenſtehenden Schrank neue "Schieber zum An⸗
ſchauen, fo warb man fogtelch der Zeit und dem Ort
nach anders wohln verſetzt. Sehr ſchoͤne Silbermuͤn⸗
zen Griechiſcher Staͤdte lagen vor, die, weil fie lange
genug in feunchter verſchloſſener Luft aufbewahrt wor⸗
. den, - dble-wohlerhaftenen- Gepraͤge mit einem blaͤu⸗
Aichen Anhauch darmiefen. Eben fo wenig fehlte es
ſodann an goldenen Mofenobfen, paͤpſtlichen diteren
"Münzen, an Bractenten, verfänglichen fatyrifchen
»Geprägen und was man nur merkwuͤrdig Seltfames
vei einer fo zahlreichen althertommtichen Sammlung
ermarten konnte.
nun war aber weht zu laͤngnen, daß er tn die⸗
{em Fache unterrichtet und In gewiſſem Sinne ein
Kenner war: denn er hatte ja fchom in früheren Jah⸗
‚ven eine kleine Abhandlung, wie aͤchte und falſche
Maͤnzen zu unterſcheiden ſeyen, heransgegeben.
Indeſſen ſcheint er auch Her wie in andern Dingen
fih
285
fo vinige Wifſtuͤr vorbehalten zu haben, dent er
behauptete, ‚Iartnädig und Aber «Be Muͤnzkeuner
triumphirend: die goldnen Lyfimachen feyen durch⸗
u fafch, und behandelte deßhalb einige vorllegende
ſhoͤne Exemplare hoͤchſt veraͤchtlich. Auch dieſes
AUeßen wir, wie manches andere, hingehen und er⸗
sösten und mit Belehrung an biefen wirklich felte-
wen Schäden.
Neben alten diefen Merkwuͤrdigkeiten, zwiſchen
fo vieler Zeit, bie und Beireis wibmete, trat im⸗
mer sugleich feine aͤrztliche Thaͤtigkeit hervor; bald
war er Morgens früh ſchon vom Laube, wo er eine
Baueroftau entbunden, zuruͤckgelehrt, bald Hatten
tg verwicelte Eonfaltationen beichäftigt und feft-
gehalton.
Wie er nun aber zu ſolchen Geſchaften Tag und
Nacht bereit ſeyn könne, und fie doch mit immer
glehiger aͤußerer Würde zu vollbringen im Stande
Sey, machte er auf feine Friſur aufmerkſam; er trug
admlich rolenartige Locken, laͤnglich, mit Nubeln
geſteckt, feſt gepicht Aber beiben Ohren. Das Vor⸗
Deshaupt war: mit einem Toupee gefhmädt, alles
feſt, glatt und tächtig gepubert. Auf diefe Meike,
fagte er, laſſe er fih ale Abend frifiren, lege fi,
"die Haare feftgebunden, zw Bette, und weihe
Stunde er denn auch zu einem Kranlen gerufen
werde, erſcheine er doch fo anftäubig, eben als wie
er in, jede Geſellſchaft komme. Und es iſt wahr,
man ſah Ihn in feiner hellblaugrauen vollftändigen
Seethe's Werte. XXXI. 9». 45
226
Steldung, in ſchwarzen Strämpfen und Schuber
mit großen Schnallen, überall ein- wie dad an⸗
. deremal. ' i '
Während folcher belebten Unterhaltung und fort-
dauernder Serftreuung hatte er eigentlich von un⸗
glaublihen Dingen noch wenig vorgebracht; allein
in der Zolge tonnte er nicht ganz unterlaffen die Li⸗
taney feiner Legenden nach und nad mitzuthellen.
Als er und nun eines Tags mit einem ganz wohl⸗
‚beftellten Saftmahle bewirtbete, fo mußte man eine
reihlihe Schuͤſſel befonders großer Krebſe in einer
fo bach⸗- und waflerarmen Gegend höchft merkwuͤrdig
finden; worauf ET denn verfiherte, fein Fiſchkaſten
dürfe niemals ohne dergleihen Vorrath gefunden
werden; er fey dieſen Geſchoͤpfen fo viel ſchuldig, er
achte den Genuß derfelben für fo hellſam, daß er
fie nicht nur ale ſchmackhaftes Gericht für werthe
Säfte, fondern als das wirkfamfte Arzeneimittel in
Außerften Fällen immerfort bereit halte. - Run aber
ſchritt er zu einigen geheimnißvollen Einleitungen,
er fprach von gänzliher Erſchoͤpfung, Indie er ſich
durch ununterbrochene hoͤchſt wichtige, «aber auch
höchft gefaͤhrliche Arbeit verſetzt geſehen, und wollte
dadurch den fhwierigen Proceß der hoͤchſten Wiſſen⸗
ſchaft verſtanden wiſſen.
In einem ſolchen Zuſtande habe er nun ohne Be⸗
wußtfeyn, in legten Zügen, hoffnungslos dagelegen,
als ein junger ihm herzlich verbundener Schuͤler
and Waͤrter, Durch inſpirationsmaͤßigen Inſtinct au⸗
227.
getrieben, eine Schüffel großer gefottener Krebſe
feinem Herrn und Meiſter dargebracht und davon
genugſam zu fich zunehmen genöthigt; worauf denn
diefer wunberfam Ind Leben zuruͤckgekehrt, und die
hohe Verehrung für biefes Gericht behalten habe,
Schalkhafte Freunde behaupteten, Beireis habe
fonft auch wohl gelegentlich zu verftchen gegeben,
er wüßte, durch bag Univerfale, ausgefuchte May⸗
täfer in junge Krebfe zu verwandeln, die er denn
auch nachher durch befondere fpagirifhe Nahrung zu
merfwürbiger Größe beraufzufüttern verfiehe. Wie
hielten dieß wie billig für eine im Geiſt und Ge⸗
fchmad des alten Wundertbäterd erfundene Legende, _
dergleichen mehr auf feine Rechnung herumgehen,
und die er, wie ja wohl Tafchenfpieler und fonftige
Thaumaturgen auch gerathen finden, keineswegs
abzuläugnen geneigt war.
Hofrath Beireiſens aͤrztliches Anſehen war im
der ganzen Gegend wohl gegründet, wie ihn denn
auch die grafiih Veltheimiſche Familie zu Harbke
als Hausarzt wiltommen hieß, in die er und daher
einzuführen fich ſogleich geneigt erklärte. Angemel⸗
det traten wir dort ein, ftattlihe Wirthſchaftsge⸗
baͤude bildeten vor dem hohen aͤltlichen Schloffe ei⸗
nen geräumigen Gutshof. Der Graf hieß und will⸗
tommen und freute fih an mir einen alten Freund
feines Vaters kennen zu Ternen, benn mit biefem
hatte ung andere durch mehrere Fahre das Studium
des Bergweſens verbunden, nur daß er verfuchte,
“228
Jene Naturlenntniſſe au Aufllaͤrung xroblematiſcher
‚Stellen alter Autoren zu benutzen. Mochte man
ihm bei dieſem Geſchaͤft auch allzugroßer Kuͤhnheit
beſchuldigon, fo konnte mau aͤhm einen geiſtreichan
Gegen den Garten Hin mar das alterthuͤmlich⸗
aufgeſchmuͤcte anſe hnliche Schloß vorzuͤglich ſchoͤn
‚gelegen. Unmittelbar aus demſelben trat man auf
ebene reinliche Flaͤchen, woran fish ſauft aufſteigende,
son Buͤſchen und Blumen uͤberſchattete Huͤgel an⸗
ſchloſſen. Bequeme Wege führten ſodann anfwaͤrts
‚zu heiteren Ausſichten ‚gegen benachbarte Höhen,
and man ward mit Dam meiten Umkreis der Herr⸗
ſchaft, befonders auch mit den wohlbeſtandenen
Waͤldern, immer mehr bekannt. Den Sraßnater
des Grafen hatte vor funfzig Jahren die Forſtcultur
ernſtlich befchiftigt, wobei erbeun Mordamericaniſche
Sewaͤchſe ber Deutſchen Landes art anzueignen trach⸗
tete. Wan, führte man ung in einen wohlbeſtande⸗
on Wald von Weypmonths⸗Klefern, anſehnlich
ſtark und hoch gewachſen, In deren ſtattlichen Be⸗
‚set wir ung, wie ſonſt in ben Forſten des Thaͤrin⸗
ger Waldes, auf Moos gelagert an einam guten
Fruͤhſtuͤck enauidten, und beſonders an ber zegal-
mäßigen Pflanzung ergoͤtzten. Denn dieſer großvaͤ⸗
geriiche Forſt zeigte aoch bie Wſichtlichkeit der er⸗
ſten Anlage, Indem die ſaͤmmtlichen Baͤume reihen⸗
Mois geſtellt ſich überall Ind Gevierte fehen Lehen.
Eben fo lonnte man In jeder Eorttabtheitung bei-ie-
299"
ber Baumzattung die Abſicht des vorſergenden Ahu⸗
herrn gar deurlich wahrnehmen.
Die imige Gruͤfta, fo eben ihrer Entbludung
mıhe, belleb leiber unſtchtber, da wie von ihrer ge-
raͤhmten Schoͤnhrit ſelbſt doch gern Zeugniß abgelegt
bitten: Judeſſen wußken wir uns mit ihrer Frau
Mutter, einer verwittibten Fran von Lauterbach
aus Frankfirrt am Mayn, von alter Relchſtaͤdtſſchen
Familienverhaͤltniſſen angenehm zw unterhalten.
Die beſte Bewttthung, ber anmıuthlnfte iftkt-
gang, beichrendes Geſpraͤch, worin und nach und‘
nach die Vortheile einer fo großen Befttzung im Ein:
zelnen deutliher wurden, befonbers da hier ſoviel
für bie Unkerthanen gefhelfen war, erregten den
ſtilleir Wunſch laͤnger zu verwellen, dem denn eine-
fteundlich dringenbe Einladung unverhofft- entgegen
kam: Aber ımfer theurer Gefaͤhrte, der fuͤttreff⸗
Ihe, ber hier für feine Neigung Feine Un⸗
terhaltä fand und defto cher und heftiger von fel-
ner gewoͤhnlichen Ungeduld ergriffen warb, verlangte
ſo Dringend: wieder in ’Helmftädt gu. ſeyn, daß wir
mis entfchlleßen müßten, aus einem fo angenehmen:
Keelfe zu ſcheiden; doch ſollte fich bet unferer Treue
many noch ein wechſelſeitiges Verhaͤlraiß entwittelh.
Der freundliche Wirth verehtte aus ſeinen foſſilen
Shäsen einen koͤſtlichen Enkriniten meinem: Sohn,
md: wir glaubten kaum etwas Gleichgefaͤlliges erwi⸗
dern zu koͤnnen, als ein forſtmuaͤnniſches Problem
zur Sprache kam. Im Ettersderg naͤmlich bei Wei⸗
250.
mar folle, nach Ausweis eines beliebten Journals,
eine Buche gefunden werden, weiche fih An Geſtalt
und fonftigen Eigenſchaften offenbar der Eiche nd-
here. Der Graf, mit angeerbter Neigung zur Forſt⸗
cultur, wuͤnſchte davan ‚eingelegte Zweige und was
fonft noch zu genauerer Kenntniß beitragen Tonne,
befonders aber wormöglich einige lebendige Pflanzen.
In der Folge waren wir fo gluͤcklich dieß Gewuͤnſchte
zu verfhaffen, unfer Verſprechen wirktich halten zu
. Eönuen, und hatten dad Vergnügen von dem zwep⸗
deutigen Baume lebendige Abkoͤmmllge zu überfeu-
den, auch nah Fahren von dem Gedeihen derſelben
erfreuliche Nachricht zu dernehmen.
Auf dem Ruͤckwage nun wie auf dem Hiuwege
hatten wir deun mancherlei von des alten ung gelei⸗
tenden Zauberers Großthaten zu hören. ‚Run ver:
nahmen wir aus deffen Munde, was. und [dom aug
- feinen frühern Tagen durch Ueberlieferunggugefons,
men war; doch genau befehen fand ſich in der Le—
gende dieſes Heiligen eine mestlihe Monotonie.
Als Knabe jugendlich muthiger Entſchluß, als Schuͤ⸗
ler raſche Selbſtvertheidigung; abademiſche Haͤndel,
Roppierfertigleit,. kunſtmaͤßige Geſchicklichkeit im
Reiten, und ſonſtige koͤrperliche Vorzuͤge, Muth
und Gewandtheit, Kraft und Ausdauer, Veſtaͤn⸗
digkeit und. Thatluſt; alles dieſes lag rüdwärtg in
dunklen Zeiten; dreyjaͤhrige Reiſen blieben geheim⸗
nißvoll, und. ſonſt noch manches im Vortrug, un
aber in ber Erörterung unbeſtimmt.
7
251
"Weit jedoch das auffallende Reſultat feines Le⸗
bensganges ein unüberfehlicher Beſitz von Koftbarz
teiten, ein unſchaͤtzbarer Geldreichthum zu ſeyn
ſchien; fo Eonnte es ihm an Gläubigen, an Ver⸗
ehrern gar nicht fehlen. Jene beiden find eine Art
von Hausgoͤttern, nach welchen bie Menge andaͤch⸗
tig unb gierig die Augen wendet. Iſt nun ein fol-
cher Befiß nicht etwa ererbt und offenbaren Herkom⸗
mens, fondern im Geheimniß felbft erworben; fo
gibt man im Dunkeln alles übrige Wunderbare zu,
man laßt ihn fein mährchenhaftes Wefen treiben:
denn eine Maffe gemünztes Gold und Siiber ver-
leiht feibft dem Unwahren Anſehen und Gewidt;
man läßt die Lüge gelten, Indem man bie Baar⸗
ſchaft beneidet. -
Die möglichen ober wahrfcheinlichen Mittei, wie
Beireis zu ſolchen Gütern gelangt, werden einſtim⸗
mig und einfach angegeben. Er folle eine Farbe
erfunden haben, die fih an die Stelle der Cochenille
ſetzen konnte; er folle vortheilhaftere Gaͤhrungspro⸗
ceſſe als die damals befannten an Fabrikherren mit-
getheilt haben. Wer In der Geſchichte der Chemie
bewanbert iſt, wird beurtheilen, ob in der Hälfte
des vorigen Jahrhunderts dergleichen Necepte um⸗
Herfchleichen konnten, er wird willen, in wiefern
fe in der neuern Zeit dffenbar und allgemein befannt
geworden. Sollte Beireis 3. B. nicht etwa zeitig
auf die Veredlung des Krapps gekommen ſeyn?
Nach allem diefem aber iſt das firtliche Element
232
"zu. bedeuten, worin und worauf eu gewirkt bat, ich
meine. die Zeit, den eigentlichen Stan, bad. Veduͤrf⸗
niß derfelben. Die Commumication ber Weltbuͤrger
ging noch nicht fo ſchaell wie gegenwaͤrtig, nach Eonnte-
jemand, der an entfernten Orten wie Swedenborg,
ober: auf einer beſchraͤnkten Iniwerfikkt wie Belrois
feinen Aufenthalt nahe, immer die beſte Gebegen⸗
heit finden, ſich in geheimnißvolles Dunkel zu hl:
len, Geiſter zu berufen, und am: Stein der Weiſen
zw arbeiten. Haben wir nicht In ben neuern Tagen
Sagiiefteo gefehen, wie er große Raͤume eilig durch⸗
ſtreifend, wechſelsweiſe im Süden, Nordon, Wer
fien feine Tafchenfplelereien treiben, und uͤberall
Anhänger finden konnte? Iſt ed denn zuviel geſagt,
daß ein gewiffer Aberglaube an damenifhe Meu—
Then niemals: aufhoͤren, ja daB zu jeder: Zoit ſich
immer ein Local finden wird, wo das problematiſch
Wahre, vor dem wir In ber Theorie allein Reſpect
haben, ſich in der Ausuͤbung mit der euͤge anf das
allerbequemſte begatten fan:
Länger als wir gebucht hatte nus die anmuthtge:
Geſellſchaft in Helmſtaͤdt aufgehalten. Hofrath
Beireis betrug ſich In jedem Sinne wohlwollend und
mittheilond, doch von feinem: Hamptichap- dem ⸗ Dies
manten hatte er noch nicht geſprochen, geſchweige
denſelben vorgewieſen. Niemand der Helmſtaͤdter
Alademieverwandten hatte denſelben geſehen, und
ein oft wiederholtes Maͤhrchen, daß dieſer unfchäße
bare Stein nicht am Orte ſey, diente ihm, wie wir
283
hösten, andı gegen Fremde zur Eutfchaldigung. Er
pflegte namlich ſcheinbar vertraulich zu aͤußern, daß
er. zwölf vollkommen gleiche verſſegelte Kaͤſtchen ein⸗
gerichtet habe, in deren einem. ber Edelſbein befind⸗
Ikh:fey. Dieſe zwoͤlf Kaͤſtchen un vertheile er an
auewaͤrrtge Freunde, deren jeder einen Schat zu
beſttzen glaube; er aber woͤſſe nur allein, wo er be⸗
findiich fey. Daher mußten: wir: befünhten,, daß er
auf: Anfragen biefes: Naturwunder gleichſalls ver-
läugnen. werbe. Gluͤcklicherwoiſe jedoch kurz vor un⸗
ſerm Abſchiede begegnete folgendes.
Eines. Morgens zeigte er in enem Bunde ber:
Reiſe Tonupneforts die Abbildung einiger natuͤrlichen
Diamanten, bie ſich in Eyform mit theilweiſer Ab⸗
weichung Ins Nieren: und Zitzonfoͤrmige unter den
Schaͤren dor Judier gefunden hatten. Nachdem er:
ms die Geſtalt wohl eingepraͤgt, brachte er ohne
weitere Eeremonien aus der rochten Hoſentaſche das
bedeutende Naturerzeugniß. In der Groͤße eines
maͤßlgen Gaͤnſoeyes war es volllommen Mar, durch⸗
ſichtig, doch ohne Spur, daß daran gefhitflen wor⸗
den; an der Seite bemerkte man einen ſchwachen
Hoͤcker, einen nierenfoͤrmigen Anuswuchs, wedurch
der: Stein jenen Abbildungen vollkdinmen aͤhnllch
ward, ‘
Mit feiner gewöhnlichen ruhigen Haltung: zeigte’
et darauf einige zweydeutige Verfuche, weiche bie:
Egenſchaften eines Dienmuten bethaͤtigen follten:
af: mäßiges Reiben zog ber Stein Papterfchnigchee
254
„on; bie englifhe Selle fehlen ihm nichts anzuhaben;
doch ging er eilig über diefe Beweisthümer hinweg,
und erzählte die oft wiederholte Geſchichte: wie er
den Stein unter einer Muffel geprüft und über das
herrliche - Schaufpiel der fih entwidelnden Flamme
das Feuer zu mildern und auszuloͤſchen vergeflen,
fo daß der Stein über eine Million Thaler an Werth
{a Kurzem verloren babe. Demungeachtet aber
pries er fih glüdlich, daß er ein Feuerwerk geſehen,
welches Kalfern und Königen verfagt worden.
Indeſſen er nun ſich weitläufigibarüder heraus⸗
Ueß, Hatte ich, chromatifcher Prüfungen eingedenk,
das Wunderep vor die Augen genomnten, um bie
horlzontalen Genfterftäbe dadurch zu betrachten, fand
aber die Karbenfäume nicht breiter, ale ein Berg-
krpſtall fie auch gegeben hätte; weßhalb ich im Stil⸗
len wohl einige Zweifel gegen die Aechtheit dieſes
gefeyerten Schaßes fernerhin nähren durfte. Und
fo war denn unfer Nufenthait durch die größte Rodo⸗
montade unferes wunderlichen Freundes ganz ei-
Zentlich gekrönt.
Bei heiteen vertraulichen Unterhaltungen in
Helmſtaͤdt, wo, denn vorzäglich bie Velreiſiſchen Ei-
genheliten zur Sprache kamen, ward auch mehrmals
eines höchft mwunderlihen Edelmanns gedacht, wel-
den man, ba unfer Ruͤckweg über Halberftadt ge⸗
sommen werben follte, als unfern vom Wege woh⸗
end, auf ber Reife gar wohl befuchen und fomit
De Kenntnis feltfamer Sharaktere erweitern könne.
2 2% 235 .
Man war zu einer folhen Erpebition deſto eher ge- 2
neigt, als der heitere geiſtreiche Probſt Hende ung
dorthin zu begleiten verſprach; woraus wenigſtens
hervorzugehen fehlen, daß man über die Unarten
und Unſchicklichkeiten jenes berufenen Mannes noch
allenfalls hinauskommen werde.
So .ſaßen wir denn zu, vier im Wagen, Probft
Hende mit einer langen weißen Thonpfeife, die er,
weil ihn jede andere Art zu rauhen anwiderte, ſo⸗
gar im Wagen, felbft, wie er verfiherte, anf wei-
teren Reifen, mit befonderer Worfiht ganz und un: .
zerftüdt zu erhalten wußte. .
In fo froher ald beichrender Unterhaltung leg⸗
ten wir den Weg zurüd, und langten ‚endlih an
dem Gute bed Mannes an, der, unter dem Namen
des tollen Hagen, weit und breit bekannt, wie _
eine Art ‚von gefährlihem Cyclopen auf einer ſchoͤ⸗
nen Behpung bauf’te. Der Empfang wur fchon
harafterifiiih genug. Er machte und aufmerkſam
anf das an tüchtigem Schmiedewerk hangende Schild
feines neuerbauten Gaſthofes, das den Gaͤſten zur
Locung dienen follte, ‚Bir waren jedoch nicht we⸗
wig verwundert, bier, von einem nicht -ungefchletten
Kuͤnſtler ein Bild ausgeführt zu fehen, welches das
Gegenſſuͤck jenes Schildes vorſtellt, an welchem der
Reiſende in das ſuͤdliche Frankreich ſich fo
umſtaͤndlich ergeht und ergoͤtzt; man fah auch hier
ein Wirthshaus mit dem bedenklichen Zeichen und
umſtehende Betrachter vorgeſtellt,
%
eu
.
2 256-
Ein ſoccher Empfang ließ une: freiiihi das
Schlinmſte vermuthen und ich ward aufmerkſauer,
indem mich die Ahnung auflog als ae
then neuen Freunde, mad: dem edten: Helmſtaͤdter
Drama, uns zu biefem Abenteuer beredet, mw -
uns als Mitfpieler in einer leidigen Satyrpoſſe ver⸗
witelt zu ſehen. Sollten: fie nicht, wenn: wir die-
fen Joeus unwilllg aufnahmen , nr mit einer ſtil⸗
len Schadenfreude kitzeln.
Doch ich verſcheuchte ſolchen Argwehn· als wir
das ganz anfehnliche Gehofte betraten. Die Wirth⸗
ſchaftsgebaͤude befanden ſich im beſten Zuſtand, die
Höfe in zweckmuͤßtger Ordnung, obgkeich ohne Spur
irgend einer aͤſthetiſchen Abfiht. Des Herren‘ ge⸗
legentliche Behandlung der Wirthſchaftsleute mußte
man rauh und hart nennen, aber ein guter Diner:
ber durchblickte machte fie ertraͤglich; auch ſchlenen⸗
die guten Leute an dieſe Weiſe ſchon ſo gewoͤhnt zu
ſeyn, da fie ganz ruhtg, als hätte man: ſie ſanft
angeſprochen, Ihren Gefchäft weiter oblagen.
In dem großen reinlichen hellen Tafeljiminer'
fanden wir die Hausfrau, eine ſchlanke wohlgebtle
dete Dame, bie fi aber in ftummer Leidendgeſtalt
ganz unthelfnehmend erwies und nnd die ſchwere
Duldung bie ſie zu übertragen hatte, unmittelbat zu
erfennen’gab. Ferner zwey Kinder, ein preußiſchet
Fahndrich auf Urkaub, und eine TDochter aus der
Braunſchweigiſchen Penfion zum Befudre da, beide
noch nicht zwanzig, ſtumm wie die Mutrter, milß
837
Ainer Niet mon Merwunderung drein ſehend, wenn
die ide jegernehn vielfaches Leiden ausſprachen.
Die Untexheltung war ſogleich einigermaßen ſol⸗
datiſch derb; der Burgunder, von Braunfchweig be⸗
BR, ganz vortrefflich; bie Hausfrau machte ſich
Buch ‚eine ſo · wohlbediente als vohlbeſtellte Tafel
„Bhre ;. daher maͤre denn bis deut alles ganz leidlich
„Begapgen, nur durfte wan ſch nicht weit umſehen
Ohne has Faune nohr gu erblicken, das durch bie haͤus⸗
‚Mes Zucht eines wohlhabenden Landedelmanns durch⸗
Zub. Ta den Eden des Saales ſtanden ſaubere
Magie des Apollin und aͤhnlicher Statuen, wun⸗
derlich aber ſah an fe aufgeputzt: denn er hatte
fie: wit Manfchesten,, von felnen abgelegten, wie
auit Feigenblaͤttern der guten Geſellſchaft zu acco-
modiren gegiauht. Ein folder Aublick gab nur um
ſo mehr Anprehenſion, da man verfihert ſeyn lann,
daß ein; Age ſchmacktes gewiß auf ein anderes hin⸗
deutet, und ſo faud ſichs auch. Das Geſpraͤch war
‚ao immer mit einiger Maͤßlgung, wenigſtens von
‚anfeser Seite, gefuͤhrt, aber doch auf alle Fälle in
egenwart der heran vachſenden Kinder unſchicklich
gerug. Als man ſie aber während des Nachtliſches
fertgeſchickt hatte, fand unfer wunderlicher Wirth
anuz:felesiih auf, nahm bie Manfchetihen non
Den /Statuen weg, und meinte nun ſey es Zeit
Äh etwas natuͤrlicher und freier zu beuchmen.
Mir hatten indeſſen ber bebaueruswerthen Lei⸗
denggeſtalt sinferer Wirthin hurh einen Schwant
"938
gleichfalls Urlaub verfchafft; denn wir bemerkten
worauf unfer Wirth ausgeheh mochte, Inden er
noch ſchmackhafteren Burgunder vorfehte, dem wir
uns nicht abhold bewiefen. Dennoch wurden wir
nicht gehindert nach aufgehobener Tafel einen Spa-
ziergang vorzufchlagen. Dazu wollte er aber keinen
Gaſt zulaffen, wenn er nicht vorher einen gewiſſen
Ort befucht hätte. Diefer gehörte freilich auch zum
Ganzen. Man fand in einem reinlihen Gabinet
einen gepoffterten Großvaterfeffel, und um zu einem
längeren Aufenthalt einzuladen, eine mannichfal⸗
tige Unzahl bunter ringsumher aufgeklebter Aupfer-
ftihe, fatyrifchen pasquillantifhen, unfauberen In-
halte, nedifch genng. Dieſe Beifplele genügen wohl
die wunderliche Lage anzudeuten in der wir ung be-
fanden. Bet eintretender Naht wörbigte er feine
bedrängte Hausfrau einige Lieder nad) eigener Wahl
zum Flügel zu fingen, wodurch fie ung bei gutem
Vortrag allerdings Vergnügen machte; zulcht aber
enthielt er fich nicht fein Mipfallen an ſolchen faden
Sefängen zu bezeugen, mit der Anmaßung ein
tüchtigeres vorzutragen, worauf fih denn bie gute
Dame gemuͤßigt fah eine Höchft unſchickliche und ab⸗
furde Strophe mit dem Flügel zu begleiten. Nun
fühlte ih, indignirt durch das Widerwärtige, in⸗
fpirirt durch den Burgunder, es fey Zeit meine Ju⸗
gend: Pferde zu befteigen, auf denen ich mic fonft
übermüthig gerne herumgetummelt hatte.
Nachdem er auf mein Erſuchen die beteftable
|
239
;.
Strophe noch einige Male wiederholt hatte, ver:
fiherte ih ihm das Gedicht ſey vortrefflih, nur
muͤſſe er ſuchen duch Tünftlichen Vortrag fih dem
örtlichen Inhalt gleich zu ftellen, ia ihn durch den _
rechten Ausdruck erft zu erhöhen. Nun war zuvoͤr⸗
derft von Forte und Piano die Rede, fodbann aber
von feineren Abfchattirungen,, von Accenten, und
fo mußte gar zuletzt ein Gegenſatz von Lifpeln und
Ausſchrey zur Sprache kommen. Hinter biefer Toll⸗
Ne lag jedoch eine Art von Didaskalie verborgen,
e mir denn auch eine große Mannichfaltigkeit von
Forderungen an ihn verfchaffte, woran er fich als
ein geiftreih baroder Mann zu unterhalten fchien.
Doch fuhte er diefe Läftigen Sumuthungen manch⸗
mal zu unterbrehen, indem er Burgunder ein⸗
fchenkte und Badwerk anbot. Unſer Wolf hatte fi,
unendlih gelangweilt, “fchon zurädgezogen; Abe
Heucke ging mit feiner langen thönernen Pfeife auf
und ab, und fchättete den ihm aufgedrungenen Bur⸗
gunder, feine Zeit erfehend, zum Fenſter hinaus,
mit der größten Gemuͤthsruhe den Verlauf dieſes
Unfinnes abzumarten. Dieß aber war Fein Gerin⸗
ges: denn ich forderte Immer mehr, nach Immer
einen wunderliheren Ausbrud von meinem humo⸗
riftifch gelehrigen Schüler, und verwarf zulebt gegen
Mitternacht alles Bisherige. Das fey nur einges
lernt, fagte Ich, und gar nichts wertb. Nun müffe
er erft aus elgnem Geiſt und Sinn das Wahre was
bisher verborgen geblieben ſelbſt erfinden, und da=
200
burch kt Dichter umb Wünfiter als Original wett⸗
eifern.
Hamm war er gewandt genug um einlger aaßen gu
gewahren daß hinter dieſen Tollheiten ein gewlffer
Stun verborgen ſey, in er ſchien ſich an einem fo
freventlichen Mſbrauch eigentlich reſpectabler Leh⸗
ten zu ergößen; doch war er iadeſſen ſelbſt muͤde,
and fo gu fangen muͤrbe geworden, uud als Ich eub-
th ben Schluß zog, er muͤſſe nun erfi der Rabe
siegen und abwarten, ob ihm nicht vielleicht Im
Traum eine Aufklärung komme, gab er gerne nach
amd entlieh md zu Bette.
Den andern Morgen waren wir fruͤh mieder bei
der Haud und zur Abreiſe bereit. Beim Fruͤhſtück
eing es ganz menichlich zu, es fchlen ale wolle er
und nicht mit ganz unguͤnſtigen Begriffen entiaffen.
As Landrath wußte er vom Zuſtand und den An⸗
gelegenheiten der Provinz fehr treffende, Bach feiner
Art bazode Nechenſchaft zu geben. Wir ſchieden
frenndlich und Eounten dem nach Helwuſtaͤdt mit um-
zerbrochener langen Pfeife zuruͤckkehrenden Freunde
für fein Geleit bei dieſem bedenllichen Abentener
nuͤcht genugſam Dank ſagen.
Vollkoammen friedlich und vernunftgemaͤß warb
und Dagegen ein laͤngerer Aufenthalt in Halberſtadt
beſchert. Schon war vor. einigen Jahren ber edle
Gle im zu ſelnen frühften Freunden hinuͤbergegan⸗
gen; ein Veſuch, dem ich Ihn vor geraumer Zeit
abſtattete, batte nur einen dunklen Eindruck zuruͤk⸗
ge⸗
—
244
gelaſſen, Indem. eindaz wiſcheneraufchenbes man⸗
nichfaltiges Leben mir bie: Eigenheiten: feiner Perſon
und Umgebung beinahe verloͤſchte. Auch konnde Ich,
damalswie in der Folge, kein Verhaͤltniß zuıfbnz
gewinnen, aber: feine Thaͤtigleſt war mir nlemalg
frembigeworden 5 ich hoͤrte viel von ihm duch Wie⸗
land: und: Herber, mit Demanset Immer: in: Brief⸗
wochſel und: Bezug blleb.
Dießmal wurdenc wir ſeiner Wohnung yon:
Herrn⸗ Koͤvt e ar ferundikh:empfangen, fie deutote
auf reinliche Wohlhaͤbigkelt, auf ein froedliches Le⸗
ben amd ſtilles geſelliges Behagen. Sein voruͤber⸗
gegangenes Wirken feierten: wir an ſeiner Verlaſe
ſenſchaft; viel ward von ihm⸗erzaͤhlt, manches vor⸗
gewleſen, und Herr Koͤrte verſprach durchneine and:
fuͤtzeliche Lebensbeſchrelbung und Heraus gabe ſeines
Brisfwehfels “einem: jeden Aalaß genug: zu ver⸗
Hafen, auf feine Weiſe⸗ ein ſo merkwichiges In⸗
Desidunm ſich wleder hervorzurufen.
Denn allgemeinen ⸗Deutſchon Melon. war Gleim
durch ſeine Gedichte am meiſten verwandt, werke:
er als ein vorzuͤglich llebender und liebeuswuͤrdiger
Mann evſcheint. Seine Pooſie von der techniſchen
Seite beſeten iſt rhothmlſchy nicht molodiſch, woß⸗
habb er ſich denn / auch meiſtens freier Spibenmaße
bedient; und: fo gewähren: Bere: und Reim, Brief
und Abhandkung durcheinander verſchlungen ben
Aasdreuck eines gemuͤthlichen Menſchenverſtandes,
innerhalbe einer wohlgeſinnten Beſchraͤnkung.
Soethes Werte, XXXI. Bd 16
242
Vor allem aber war und anziehend ber Freund:
Ichaftstempel, eine Semmlung von Bildniſſen di-
geser und neuerer Angehbrigen. Sie gab ein fchönes
Zeugniß wie er die Mitlebenden gefchäßt, und ung
eine angenehme Recapitulatlon fo vieler ausgezeich-
neter GSeftalten, eine Erinnerung an die bedeuten-
den einwohnenden Geiſter, an die Bezüge dieſer
Perfonen unter einander, nnd zu dem wertben
Manne, ber fie meiftens eine Zeitlang um fich ver-
fammelte, und die Scheldenden, die Abweſenden
wenigſtens im Bilde feftzubalten Sorge trug. Bel
foihem Betrachten ward gar manches Bedenken
beroorgerufen, nur eines ſprech' ich aus: man fah
aber hundert Poeten und Literatoren, aber unter
biefen keinen einzigen Mufiter and. Componiſten.
Wie? follte jener Greis, der, feinen Aeußerungen
nah, nur im Singen zu leben und zu athmen.
ſchien, keine Ahnung von dem eigentlichen Gefang
gehabt haben? von der Tonkunſt, dem wahren Ele⸗
ment woher alle Dichtungen entfpringea aan wohin
fe zuruͤckehren?
Suchte man nun aber in einen VBeerif fangen
su faſſen was und von dem edlen Manne vorſchwebt,
fo könnte man fagen: ein leidenſchaftliches Wohl⸗
‚ wollen lag feinem Cheralter gu Grunde, das er
durch Wort und That wirkfem zu machen ſuchte.
Durch Rede und Schrift aufmunternd, ein allge= -
meines rein menfchliches Gefühl zu verbreiten be=
müht zeigte er ſich, als Freund von jederman,
"243
hälfreich dem Darbenden, armer Tugend aber be-
fonders förderiih. Ihm, ale gutem Haushalter,-
ſcheint Wopithätig‘eit die einzige Liebhaberei gewe-
fen zu feyn, auf bie er feinen Ueberſchuß verwendet.
Das Metite thut er aus eigenen Kräften; ſeltener
und erſt in fpäteren Jahren bebient er fich feines
Kamend, feines Ruhms, um bei Königen und
Minifterk einigen Einfluß zu gewinnen, ohne ſich
dadurch ſehr gefördert zu fehen. Man behandelt
ihn ehrenvoll, duldet und belobt feine Thaͤtigkeit,
Hilft ihm auch wohl nach, trägt aber gewöhnlich Be⸗
denken in feine Abfichten Eräftig einzugehen.
Alles jedoch zufanimengenommen, muß ma
ihm ben eigentlichiten Bärgerfinn in jedem Betracht
. zugeftehen; er ruht als Menfch auf fih ſelbſt, ver-
mwaltet ein bedeutendes dffentlihes Amt, und be-
weiſſt Ah übrigens gegen Stadt und Provinz und
Sönigreich als Patriot, gegen Deutfches Vaterland
und Welt al& Achten Liberalen. Alles Nevolatio-
“ nafre dagegen , das In feinen diteren Tagen hervor:
tritt, iſt ihm hoͤchlich verhaßt, fo wie alles was
früher Preußens großem Könige und feinem Reiche
ſich feindſelig entgegenftellt.
Da nun ferner eine jede Religion das reine
ruhige Verkehr der Menfchen unter einander be⸗
fördern fol, die chriſtlich evangelifche jedoch hiezu
weſonders geeignet Sft5 fo Eonnte er bie Religion des
techtfchaffenen: Mannes, die Ihm angeboren und
ſeiner Natur norhwendig war, immerfort ausuͤbend,
m
—
"244
Aſch far den rechtslaubigſten „aller Menkhen- halten
md :anıdem ererbten Belewntniß, -fo -wie-bei dem
herkoͤmmlichen einfachen Cultus der peobeftanstagen
Kirche, gar wohl beembigen.
Nah allen dieſen tebhaften Vergegenmärtigen-
gen -follten wir noch ein Bild des MWergänglichen: er-
„bilden, denn auf ihrem Siechbette begräfiten wir
die ablebende Nichte Gleims, bie unten: dam. Ma-
men Qleminde viele Jahre die Bierbe eines dich⸗
teriſchen Kreiſes geweſen. Zu Ihrer aummtbigen
obſchon kraͤnklichen Bildung, ſtimmte gar fein die
große Reinlichkeit Ihrer. Umgebung, unde wir unter⸗
‚hielten ung gern mit ihr von vergangenen guten Ta⸗
gen, bie ihr nik dem Wandeln und Wirken Ihres
trefflichen Oheims Immer gegenwaͤttjs geblieben
waren.
Heletzt um unſere Wallfahrt ernſt amd wirdig
«buufchließen, traten wir in den Garten um das
‚Grab des edlen Greiſes, den nach vleljaͤhrigen Rei:
den und Schmerzen, Thaͤtigleit and Erdulden, mi-
geben von Denkmalen vergangener Fremde, wider
ihm gemuͤthlichen Stelle. gegönnt - mar aus zuruhen.
Die oͤden feuchten Raͤume des Doms befuchten
wir zu wiederholten Malen; er ſtand, ebglekh ſei⸗
nes fruͤhern religiofen Lebens beraubt, dach noch
anerſchuͤttert In urſpruͤnglicher Würde. Dergleichen
„Gebäude Haben etwas eigen Anziehendes, fie ver:
‚gege awaͤrtigen uns tüchtige. aber duͤſtere Huſtaͤnde,
and weil wir und manchmal gern: ind Hnlbdamkel
‘245
ger Bergengenbeit efihäten, fo finden wir ed wil-
rkommen, wenn eine ahnungsvolle Beſchraͤnkung ung
mit gewiſſen Schauern ergreift, koͤrverlich, phy⸗
rg, geiſtig auf Gofuͤhl, Einbildangskraft und
Semtth wie, und ſomlt ſittliche, poetiſche und
teligiofe Stinammg anregt.
Die Spieguiberge, unſchuldig buſchig bewachſene
Auhdhen, dem nachburlichen Harze vorllegend, jetzt
durch bie ſeltfamſten Gebllde ein Tummelplatz haͤß⸗
licher Creuturen, eben als wenn eine vermaledeite
Gefellſchaft, vom Blocsberge wiederkehrend, durch
Gottes unergruͤndlichen Rathſchluß hier wäre ver⸗
ſteinert worden. Am Fuße des Aufſtlegs dient ein
ungehenres Kap abſcheulichem Zwergengeſchlecht zum
Hochzeftſaal; undvon ba, durch alle Gaͤnge ber An⸗
Ingen, lauern Mißgeburten jeder Art, fo daß ber
Mißgeſtalten Hebende Praͤtorlus feinen mundas
anthropodemicus 'hler vollkommen realiſtrt erbiiden
Tunte.
Da fiel es denn recht auf, wie noͤthig es ſey in
Der Erziehung die Elnbildungskraft nicht zu befeitigen
ſondern zu regefn, ihr burch zeitig vorgeführte edle
‚Bilder Luſt am Schönen, Beduͤrfniß bes Mortreff-
Achen zu geben. Was hilift es bie Sinnlichkeit zu
zaͤhmen, den Verſtand zu bilden, der Vernunft Ihre
Horrſthuft zu fihern, die Einblldungskraft lauert
als ber maͤchtigſte Feind, fie Hat von Natur einen
Anwiderſtehllchen Trieb. zum Abſurden, ber ſelbſt
in gebildeten Menſchen mächtig wirtt und gegen alle
246 |
Cultur die angeftammte Rohheit fragenlichenber
Bilden mitten in ber anfiänbigften Welt wieder
zum Vorſchein bringt,
Bon ber übrigen Ruͤckreiſe darf ich nur voräber-
eilend fprehen. Wir fuchten dad Budethal und den
Längft befannten Hammer; von bier ging ih, nun
zum dritten Male in meinem Leben, das von Gra-
nitfelfen eingefchloffene raufhende Waſſer hinan,
und bier fiel mir wiederum auf, daß wir durch nichts
fo ſehr veranlaßt werben über ung felbft zu denken,
als wenn wir höchft bedeutende Gegenftände, befon-
ders entfchiedene charakteriftifche Naturfcenen, nad
langen Zwifchenräumen endlich wiederfehen und ben.
zurädgebliebenen Eindrud mit der gegenmwärtigem
Einwirkung: vergleihen. Da werden wir denn im
Ganzen bemerken, daß das Object immer mehr ber-
vortritt, daß wenn wir uns früher an den Gegen-
ftänden empfanden, Freud’ und Leid, Heiterkeit
und Verwirrung auf fie übertrugen, wir nunmehr
bei gebändigter Selbftigkeit ihnen das gebährende
Recht widerfahren laſſen, ihre Eigenheiten. zu er-
fennen und ihre Eigenfchaften, fofern wir fie durch⸗
dringen, In einem höhern Grade zu ſchaͤtzen willen.
Jene Art des Anfchauens gewahrt dere Fünftlerifche
Blick, diefe eignet fih dem Naturforfher, und ich
mußte mich, zwar anfangs nicht ohne Schmerzen,
zuletzt doch glüdlich preifen daß, Indem jener Siun
mich nach und-.nach zu verlaffen drohte, dieſer fi
in Aug’ und Geiſt defto Eräftiger entwicelte.
%
|
|
247
18.0 ©
Die Interims-Hoffnungen mit denen wir uns
phitifterhaft ſchon mande Jahre hingehalten, wur-
den fo abermals im Gegenwärtigen gendhrt. Zwar
brannte die Welt In allen Eden und Enden, Europe
hatte eine andere Geftalt genommen, zu Lande und
See gingen Städte und Flotten zu Trümmern,
aber das mittlere, das nördliche Deutfchland genoß.
noch eines gewiſſen fieberhaften. Friedens, In wel-
hem wie uns einer problematifhen Sicherheit hin-
saben. Das große Reich in Welten war gegründet,
es trieb Wurzeln und Zweige nad allen Selten hin.
Indeſſen fhien Preußen das Vorrecht gegönnt ſich
Im Norden zu befeftigen. Zunaͤchſt befaß es Erfurt,
einen fehr wichtigen Haltepunct, und wir ließen
ung in dieſem Sinne gefallen, daß von Anfang des
Jahrs Preußifche Truppen bei uns einkehrten. Dem
Regiment Oſtin folgten, Anfangs Februar, Fuͤ⸗
fetiere , fodann trafen ein die Negimenter Bork,
Arnim, Pirſch; man hatte fh ſchon an Diele
Unruhe gewöhnt.
Der Geburtetag unferer verehrten Herzogin,
der 30 Jannar, ward für dießmal zwar pomphaft
genug, aber doch mit unerfreulihen Vorahnungen
gefeiert. Das Regiment Oftin rühmte fich eines
Chords Trompeter das feines Gleichen nicht hätte;
fie traten in einem Halbkreis zum Willtommen auf
das Theater, gaben Proben Ihrer außerordentliche
348
Geſchicklichkeit, und begleiteten gulent einen Geſang,
deſſen allgemein befannte Melodie, einem Inſel⸗
tönig gewidmet ‚und noch keineswegs von dem pa-
triotifhen Feſtland überboten, ihre vollkommen
herzerhebende Wirkung that.
Eine Ueberſetzung oder Umbildung des Cid von
Corneille ward hiernach aufgeführt, fo wie aud
Stella, zum erftienmal mit tragifcher Kataftrophe,
Goͤtz von Berlichingen kam wieder an die Reihe,
nicht weniger Egmont. Schillers Glode mit allem
‚Apparat des Gießens und der fertigen Darftelang,
bie wir als Didaskalie ſchon längft verfacht hatten,
‚ward gegeben, und fo daß die fämmtliche Gefell:
fhaft mitwirkte, Indem der eigentliche dramatiſche
Kuuſt- und Handwerkstheil dem Meifter und ben
Sefellen anheim fiel, das übrige Lyrifche ‚aber an
die männlichen und weiblichen Glieder, von den aͤl⸗
teften bis zu den jüngften, verteilt und jebem
sharakteriftifch angeeignet ward.
Aufmerkſamkeit erregte im Ganzen der von Sff-
land zur Vorftellung gebrachte Doctor Luther,
od wir gleich gauderten, henfelden gleichfalls aufzu- -
nehmen.
Bel bem verlängerten Aufenthalt in Earlbbad
gebachte man ber nächften Theaterzeit, und ver:
:fachte Oehlenſchlaͤgers verbieuftliche Tragödle Hu:
ton Jarl'umferer Bühne umzuelgnen, ja es wur⸗
‚sen fogar. ſchon Kleider und Decorationen aufge:
fat und gefunden. Allein ſpaͤterhin fehlen es be⸗
.
‚289
den uch, zu ˖ einer Zeit · da mit Armen im. Emil ge-
‚Setelt: wurde, mit diefer- Heiligen Zierde ſich ſchetz⸗
waft au gebaͤrden. Im vergangenen Fruͤbjabr hatte
mwan ⸗nicht mehr thun koͤnnen als das beſteheunde
Mepertorium ˖ gu erhalten und einigermaßen: zu ver⸗
zmehren. Im Spaͤtjahr ats der Kriegsdrang jedes
Werhaͤltniß aufzruldſen drohte, hielt man für Pflicht
bie Füheateranfintt , als einen offeutlichen Schatz,
Als ein Gemeingut der Stadt zu bewahren. Nur
zwey Monate blieben die Vorſtellungen unterbro⸗
chen, die wiſſenſchaftlichen Bemuͤhungen nur wenige
Fage, mnd Ifflande Theaterkalender gab der Deut⸗
ſehen; Buͤhne eine ſchwunghafte Aufmunterung. |
Die projertirte ımeue Auſsgabe meiner Werke
„miete mich fe faͤmmtlich wieber durchgugehen,
und ich widmete jeder eiagelnen Production die ge-
‚hörige Ainfmeerffamteit, ob ich gleich bei meinen
„alten Vorſatze blieb nichts eigentlich umgufchreiben, °
:sder auf-einen hohen Grad zu verändern.
Mie gwep Mibtheilungen: der Elegien wie ſie noch
vorliegen, wurden eingerichtet und Fauſt in ſeiner
Aetigen Geſtalt fragmentariſch behandelt. So ge⸗
Aangte nich dieſes Jahr bis zum vierten Theil ein⸗
- fchlteßtich., aber mich beſchaͤftigte ein wichtigeres
Werk. Der epiſche Kell kam wieder zur Sprache
wie ·ich ihn 1797 in der Schweiz conckpirt, und nach⸗
‚her aem dramatiſchen Tell Schillers zu Liebe bei
Seite gelegt. Beide lhonaten recht gut neben ein⸗
ander beſtehen; Schlllern war mein Plan gar wohl
250
Bekannt, und ich war zuſrieden, daß er den Haupt⸗
begriff eines feibftftändigen von ben übrigen Mer-
ſchwornen unabhängigen Teil benutzte; in der Aus-
führımg aber mußte er, der Richtung feines Ta⸗
lents zu Folge fo wie.nach den Dentichen Theater:
bedürfniffen, einen ganz anderen Weg nehmen, amd
mir bileb das Epiſch⸗ruhig⸗grandioſe noch Immer zu
Gebot, fo wie die ſaͤmmtlichen Motive, wo ſie ſich
auch berührten, in beiden Bearbeitungen durchaus
eine andere Geftalt nahmen,
Ich hatte Zuft wieder einmal Herameter zu ſchrei⸗
ben, und mein gutes Verbättwiß zu Voß, Vater
und Sohn, ließ mich hoffen auch in biefer herrlichen
Versart Immer fiherer vorzuſchrelten. Aber die
Tage ımd Wochen waren fo ahnungsvoll, die lehten
Monate fo ſtuͤrmiſch nud ſo wenig Hoffnung zu
einem freieren Athemholen, daß ein Plan, auf dem
Dierwaldftädter See und auf dem Wege nad
Altorf, In der freien Natur concipirt, in dem be-
ängftigten he nicht wohl ware enre
geweſen.
Weann wir nun auch ſchon unfer — Ver⸗
haͤltniß zur bildenden Kunſt aufgegeben hatten, fo
blieb fie une doch im Innern ſtets lieb und werth.
Bildhauer Welffer, ein Kunftgenofte von Sriedrich
Tteck, bearbettete mit Gluͤck bie Buͤſte bes hier ver-
florbenen Herzogs von Braunſchweig, weihe, in
der Öffentlichen Blbliothet aufgeſtellt, einen ſchoͤnen
Beweis feines vielverſprechenden Talents abgibt.
251
Kupferſtiche find Überhaupt das Kunſtmittel durch
welches Kenner und Liebhaber fih am meiften unb
bequemften unterhalten, und fo empfingen wir aus
Rom von Smelin das vorzügliche Blatt, unter-
zeichnet der Tempel der Venus, nad Claude. Es
war mir um fo viel mehr werth, als das Original
erit nach meinem Abgang von Rom befaunt gewor-
den und ich mich alfo zum erſtenmal von den Vor⸗
zügen deſſelben aus dieſer Funftreichen Nachbildung
überzeugen follte.
Ganz in einem andern Face, aber heiter und
geiftreih genug, erſchlenen die Riepenhauſiſchen
Blätter zur Genoveva, deren Original» Zeichnungen
wir ſchon früher gefannt. Auch diefe jungen Maͤn⸗
ner, die ſich zuvor an Polygnot geübt hatten, wand⸗
ten fih nun gegen die Romantik, welche. fich durch
ſchriftſtelleriſche Talente bei'm Publicum einges
ſchmeichelt hatte, und ſo die Bemerkung wahr
machte: daß mehr als man denkt der bildende Kuͤnſt⸗
ler vom Dichter und Schriftſteller abhaͤngt.
In Carlsbad unterhielt mich belchrend eine
Sammlung Kupfer, weldhe Graf Löper mit ſich
führte; nicht weniger große mit der Geber gezeich-
nete, aquarellirte Blätter von Ramberg bewaͤhr⸗
ten das heitere gluͤcklich auffaſſende mitunter extem⸗
porirende, Talent des, genannten Kuͤnſtlers. Graf.
Eormeltlan befaß dieſelben und nehft-eigenen Ar⸗
beiten noch ˖ſehr fhöne Landfchaften In Deckfarben.
. Die hiefigen Sammlungen vermehrten fich durch
v
258 -
einen Schatz von⸗Zeichnungen im hoͤhern Sinne.
Karſtens kunſtlerlſche⸗Vorlaffenſchaft war an⸗ſei⸗
nen Freund’ Fer wo wevererbt, man⸗traf miti die⸗
ſem eine billkze Uobereinkanft, und fo wurden⸗ moh⸗
tere Zeichnungendes vorſchiedenſten Formats? gre
ßere Cartone und kleinere Blider, Studien: in
ſchwarzer Kreide, in Rothſtein, aquarellirte Feder⸗
zeichnungen und ſo vieles andere, was dem ⸗ Klimſt⸗
ler: das: jedesmalige Studium Bedütfniß oder Tunes
mannichfaltig ergreifen laͤßt, fuͤr unfer Muſeum
erworben.
Withelm Tuiſchbein der nach ‚feiner Entfer⸗
nung von Neapel, von dem Herzog von OAbenburg
beguͤnſtigt, ſich in einer friediichen gluͤckllhen Lage:
befand, ließ auch gelegentlich von ſich hoͤren, und
ſendete dieß Fruͤhjahr anches Aiigenohmo.
Er theikte zuerſt die Bemerkung mit, daß idie
fluͤchtigſten Wider oft die gluͤckchſten Gedanken⸗ha⸗
ben: eine⸗Beobachtung, die er: gemacht; als: Uimn:
viele hundert Gemaͤhlde von trefftichen Meiſtern,
herrlich gedacht aber: nichb: ſonderlich andgeführt,
vor die Augen zekommen; und es bewuͤhrt ſichfrei⸗
lich daßa dte ausgeführseften :BKber der miedertän⸗
diſthen Schule, bet allem: großen Rilchthuum wornlta
fie-ausgefimter: Andi, doch manchmal erwus / an⸗goiſt⸗
reiher Erfindung. zu wuͤuſchen uͤbtig laſſenEs.
ſcheint · alt: wenn die Gewiſſenhaßtigkeit des: Knnſt⸗⸗
lers, dem Aebhaber und Kenner etwas wollbommen
Würdiges. uͤborllefern zu wollen, ‚beu: Aufflug des
253
Selfies einigermaßen befchränfe; dahlagegen eine
geiſtreich gefaßte flüchtig hingeworfene Skizze außer
aller Berantwortung das vigenfte Talent des Kuͤnſt⸗
lers offenbare. Cr .fendete einige aquarellirte Co⸗
pien, von welchen uns zwey geblieben find: Schatz⸗
gräber In einem tiefen Stabtgraben und Safemat-
ten, bei Nachtzeit duch unzulaͤngliche Beſchwoͤrnu⸗
sen ſich bie böfen Geiſter auf ben Hals ziehenb,
der entbedten und fchon halbergriffenen Schäße ver⸗
Inftig. Der Anftand Eft bei biefer Gelegenheit nicht
durchaus beobachtet, Vorgeſtelltes und Ausführung
einen Gehetmbilde angemeilen; das zweyte Bild
vieleicht noch mehr. Eine graͤuliche Kriegsſcene,
erfchlagene beraubte Männer, troftlofe Weiber und
Kinder, im Hintergrunde ein Klofter in vollen
Flammen, im Vordergrund mißhandelte Mönde;
gleichfalls ein Bild welches im Schraͤnkchen muͤßte
aufbewahrt werden.
Serner fendete Tiſchbein an Herzogin Amalle
einen mäßigen Folioband aquarellirter Federzeich⸗
nungen. Hierin ift nun Tiſchbein ganz beſonders
gluͤcklich, weit auf diefe leichte Welfe ein geübtes
Talent Gedanken, Einfälle, Grillen ohne großen
Aufwand und ohne, Gefahr feine Seit zu verlieren
ausſpricht. Solche Blätter find fertig wie gedacht.
Thiere darzuftellen war immer Tiſchbeins Lieb⸗
haberei; fo erinnern wir ung bier auch eines Eſels,
der mit großem Behagen Ananas ftatt Difteln fraß.
Auf einem andern Bilde blickt man über die
Goethe's Werte, XXXI. 8% 17
* 254
Daͤcher einer großen Stadt gegen die aufgehenite
Ganue; ganz nah an bem Beſchauer, Im vorderſten
Vordergrunde, ſitzt ein fchwarger Deffeniunge un⸗
mittelbar au dem Schornſteia. Was an ihm noch
Farbe annehmen Tomte, war von ber Senne vergäls
det, und mau mußte den Gedanken allerliebſt finden,
daß der letzte Sohn bei jammervollſten Gewerbes
unter viel Tauſenden der Einzige ſey, der eines ſol⸗
hen herzerhehenben Naturanblicks genoͤſſe.
Dersgleichen Mittgelluugen geſchahen von Tiſch⸗
bein immer unter der Bebingung, daß man ihen
- eine poetifche ober profalfhe Auslegung feiner fitt-
lich kuͤnſtleriſchen Träume möge zukommen laſſen.
Die kleinen Gedichte, die man ihm zur Erwiderung
ſendete, finden ſich unter den meinigen. Herzogin
Amalle und ihre Umgebung theilten ſich darin nach
Stand und Wuͤrden, und erwiderten fo eigenhaͤn⸗
dig die Freundlichkeit des Gebers.
Auch Ich warb in Carlsbad angetrieben, bie be⸗
deutend abwechfelnden Gegenſtaͤnde mir durch Nach⸗
bildung beffer einguprägen; die volllommmern Skiz⸗
sen behielten einigen Werth für mich, und ich fing
an fie zu ſammeln.
. Ein Meballlen: Sabiuet, weldes von ber zwey:
ten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts an, Aber
den Weg, ben die Bildhauerkunft genommen, bin-
laͤnglichen Aufſchluß zu geben, fchon reich genug war,
vermehrte fih anſehnlich und Ileferte Immer voll
ſtaͤndigere Begriffe.
—
255
Eben fo wurde die Sammlung von eigenhändig
geſchriebenen Blättern vorzügliher Männer beträcht-
ih vermehrt. Ein Stammbuch der Walchiſchen Fa⸗
mitte, feit etwa den Anfängen des achtzehnten Jahr⸗
hunderts, worin Maffei vorausfteht, war hoͤchſt
Thäßenswerth, und Ich danfte fehr verpflichtet den
fteundlihen Gebern. Ein alphabetifches Verzeich⸗
niß des handfchriftlihen Beſitzes war gedruckt, ich
legte folhes jedem Brief an Freunde bei, und -
erhielt dadurch nach und nad fortbauernde Ver⸗
mehrung.
Von Kuͤnſtlern beſuchte uns nun abermals
Raabe von Berlin, und empfahl ſich eben fo durch
fein Talent wie durch feine Gefaͤlligkeit.
Aber betrüben mußte mih ein Brief von Ha-
ckert; diefer trefflihe Mann hatte fih von einem
apopiektifhen Anfall nur Infofern erholt, daß er
einen Brief dicttren und unterfchreiben konnte. Es
jammerte mich die Hand, die fo viel fihre Charak⸗
terftrfhe geführt, nun zitternd und unvollftändig,
ben eigenen, fo oft mit Freude und Vortheil un:
terzeidmeten berühmten Namen blog andeuten zu
- fehen.
Bei den Jenaiſchen Mufeen drangen Immer neue
Gegenftände zu, und man mußte befhalb Erweite-
rungen vornehmen und in der Anordnung eine ver-
änderte Methode befolgen.
Der Nachlaß von Batfch brachte neue Mühe
and Unbequemlichkeit. Er hatte die naturforfhende
256
Geſellſchaft geftiftet, auch In einer Reihe von Jah⸗
ten durch und für fie ein unterrihtendes Muſeum
aller Art zuſammengebracht, welches dadurch an⸗
fehnlicher und wichtiger geworben, daß er bemfelben
feine eigene Sammlung methodiſch eingefchaltet.
Rah feinem Hintritt reclamirten die Directoren
unb anmwefenden Glieder jener Geſellſchaft einen
Theil des Nachlaſſes, befonders das ihr zuſtehende
Mufeum; die Erben forderten den Reit, welchen
man ihnen, da eine Schenkung bes bieherigen Di⸗
rectors nur mutbmaßlih war, nicht vorenthalten
konnte. Bon Seiten herzoglicher Commiſſion ent⸗
ſchloß man ſich auch hier einzugreifen, und da man
mit den Erben nicht einig werden konnte, ſo ſchritt
man zu dem unangenehmen Geſchaͤft der Sonderung
und Theilung. Was dabei an Ruͤckſtaͤnden zu zah⸗
len war, glich man aus und gab der naturforſchen⸗
den Geſellſchaft ein Zimmer im Schloſſe, wo die
ihr zugehörigen Naturallen abgeſondert ſtehen konn⸗
ten. Man verpflichtete ſich, die Erhaltung und
Vermehrung zu beguͤnſtigen, und ſo ruhte auch die⸗
fer Gegenſtand ohne abzuſterben.
Als ich von Carlsbad im September zuruͤckkam,
fand ich das mineralogiſche Cabinet in der ſchoͤnſten
Ordnung, auch das zoologiſche reinlich aufgeflelt.
Dr. See beck brachte das ganze Jahr in Jena
zu und foͤrderte nicht wenig unſere Einſicht in die
Phyſik uͤberhaupt, und beſonders in die Farbenlehre.
Wenn er zu jenen Zwecken ſich um den Galvanlsmus
957
bemühte, To waren feine äbrigen Verſuche auf Ory-
Bation und Desorpdation, auf Erwarmen und Er⸗
falten, Entzünden und Ausloͤſchen für mic Im chro⸗
matifchen Sinne von der größten Bedeutung.
Sn Berfuh, Glasſcheiben trübe zu machen,
wollte unferm wadern Goͤttling nicht gelingen,
eigentlich aber nur deßhalb, weil er bie Sache zu
ernft nahm, da doch diefe chemifche Wirkung, wie
alle Wirkungen ber Natur, aus einem Hauch, aus
der mindeften Bedingung hervorgehen. Mit Pro-
feſſor Schelver ließen fi gar ſchoͤne Betrachtun⸗
‚gen wechſeln; das Zarte und Gruͤndliche feiner Na=
tur gab fich im Gefpräc gar liebenswuͤrdig hersor,
wo es dem Mitredenden fih mehr anbequemte als
fonft dem Xefer, der ſich immer, wie bei allzutief
gegriffenen Monologen, entfremdet fühlte,
Soͤmmerings Gehörwerkzeuge führten ung
zur Anatomie zurüd; Alexander von Humboldts
freundlihe Sendungen riefen uns in die weit und
breite Welt; Steffens Grundzüge ber phllofo-
phiſchen Naturwiffenfchaften gaben genug zu benfen,
indem man gewöhnlich mit ihm in uneiniger Einig-
keit lebte. ” Sen
um fo viel als mir gegeben feyn möchte, an bie
Mathematik heranzugehen, las ih Montuclas Hi-
stoire des Mathematiques, nnd nachdem
ich die höheren Anfichten, woraus das Einzelne fi
herleitet, abermals bei mir moͤglichſt aufgeklärt und
mic in die Mitte des Reichs ber Natur und ber
258
Freiheit zu ſteſlen gefucht, Tchrieb ich das Schema
ber allgemeinen Naturlehre, um für bie befondere
Chromatik einen fiheren Standpunct zu finden.
Ans ber alten Zeit, in die Ich fo gern zuruͤck⸗
trete, um die Mutter einer menfchenverftändigen
Anſchauung mir abermals zu vergegenmwärtigen, las
ih Agricola de ortu et causis subterraneorum
und bemerkte hiebel, daß ich auf eben einer folchen
Wanderung Ind Vergangene bleglaubwüärdigfte Nach⸗
riht von einem Meteorftein in der Thüringer Chros
nit fand. j
Und fo darf ich denn am Schluffe nicht vergeffen,
daß ich In der Pflanzenkunde zwey fchöne Anregun⸗
gen erlebte:. bie große Charte botanique d’apres
Ventenat machte nılr die Familienverhaͤltniſſe au⸗
genfälliger und eindruͤcklicher. Sie bing in einem -
großen Zimmer des Jenaiſchen Schloffes, welches
ich im erſten Stod bewohnte, und blieb, als ich eilig
dem Fürften Hohenlohe Platz machte, an der Wand
zuruͤck. Nun gab fie feinem unterrichteten Gene:
ralſtab, fo wie nachher dem Napoleon'ſchen gele-
gentliche Unterhaltung, und ich fand fie daſelbſt noch
unverfehrt, als ich nach fo viel Sturm und lnges
thuͤm meine fonft fo friedliche Wohnung wieder bezog.
Cotta's Naturbetrahtung über dag Wachsſthum
ber Pflanzen, nebſt beigefügten Mufterftüden von
durchichnittenen Hölgern, waren mir eine ſehr an:
genehme Gabe. Abermals regte fie jene Betrach⸗
tungen auf, denen ich fo viele Jahre durch nach
1
259°
Ging, und war die Hauptverauleffung, daß ich von
aeuem zur Morphologie mich wendend ben Worfab
faßte, fowehl die Metamorphoſe der Pflanzen als
fenſt fich anfchließenbes wieber abbeucken zu laffen.
Die Vorarbelten zur Farbenlehre, mit denen fi
mich feit: zwoͤtf Fahren ohne Unterbrechnug befahif-
Sigte, wesen fo weit ‚gebiehen, daß fin& bie Thelle
ummeu:mehr zu vanben anfingen und dad Ganze baſd
ſelbſt eine Conſiſtenz zu gewinnen verfprah. Was
uch nach meiner Weiſe an den: phyſiologiſchen Farben
thun konnte und wollte, war gethan, eben fo lagen
bie Anfaͤnge bed: Geichichtlichen bereits dor, mb
mian konnte Saher ben Druck des erfien und zweyten
weils zagleich anfangen. Ich wendete mie nım u
Sen pathologiſchen Farben; und. Im Geſchichtlichen
* unkerſucht, was Plinins von den Farben moch⸗
te geſagt haben.
Waͤhrend nun das Einzelne vorſchritt, ward ein
Schewa bes ganzen Lehre Immer burdhyearbeitet.
Dee .phofiſchen Farben verlangten nun ber Ord⸗
wung:auth meine ganze Aufmerkſamkeit. Die Be⸗
trachtung ihrer Etſchelnungs mittel und Bediugun⸗
gen wahen ale: meine Gelfteskraͤfte in Aufpruch.
Hier naht" ich nan meine laͤngſt befeſtlgte Keberzeu⸗
gung ausſprechen, daß, da wie alle Farben nur
durch Mittel und an Mitreln ſehen, bie Lehre vom
Truͤben, als dem allerzartefen: und: reinſten Mate⸗
Aelen, derjenige Beglun ſep, ou die ganze
— — entwilckole.
—
14
FO | |
260
Ueberzengt daß ruͤfwaͤrts, Innerhalb dem Kreife
ber phyſiologiſchen Farben, fich auch ohne mein Mit⸗
wirken eben daſſelbe nothwendig offenbaren muͤſſe,
ging ich vorwärts und rebigirte, was ich alles Aber
Reftaction mit mir felbft und andern verhandelt
hatte. Denn bier war eigentlich der AufentBait
jener bezaubernden Prinzeffin, welche im ficbenfar-
‚digen Schmud die ganze Welt sum. Belten hatte.
Hier lag der grimmig fophiftifhe Drache, einem
jeden bebrohlih, ber fih-unterftehen wollte, das
Abentener mit diefen Irrſalen gu wagen. Die Bes
‚bentfamteit dieſer Abtheilung und der dazu ge-
‚börigen Eapitel war groß, ich ſuchte ihr durch
Ausführlichteit genug zu thun und ich fürchte nicht,
daß etwas verfäumt worden ſey. Daß, wenn
bei der Mefraction Farben erfcheinen fohen, ein.
Bild, eine Graͤnze verrädt werben- mäffe, warb
feſtgeſtellt. Wie fih bei fubiestiven Merfischen
ſchwarz und weiße Bilder aller Art: durchs Yridıma
an ihren Mänbern verhalten, wie das Gleiche ge-
ſchieht an grauen Bildern aller Schattienngen, am
bunten jeder Zarbe und Abfiufung, bei ftärkerer
oder geringerer Refraction, alles ward fireng auds
einander geſetzt, und ich bin überzengt, daß der Leb-
rer, bie ſaͤmmtlichen Erfcheinungen in Derfuchen
vorlegend, weder an dem Phänomen noch am Vor⸗
trag etwas verueiten wird, _
Die katoptriſchen unb paroptiſchen Farben folg:
ten darauf, und es war in Betreff jener zu bemer
'261
ten, daß bei det Spiegelung nur alsdann Farben
erfheinen, wenn ber fplegelnde Kötper gerist oder
fabenartig glänzend angenommen wird. Dei ben
paroptiſchen Idugnete man bie Bengung und leitete
bie farbigen Streifen von Doppellichtern ber. Daß
die Ränder der Sonne jeder für fich einen eigenen
Schatten werfen, kam bei einer ringfoͤrmigen Son⸗
nenfinfterniß gar befräftigend zum Vorſchein.
Die finnlich fittlihe Wirkung ber Farbe warb
darauf ausgeführt; und Im Gefchichtlichen nebenher
Gauthiers Chroageneſie betrachtet.
Mit dem Abdruck waren wir bis zum dreyzehn⸗
ten Bogen des erften Theils und bis zum vierten
. bes zweyten gelangt, als mit dem vierzehnten Oc⸗
- tober das grimmigfte Unheil über ung hereinbrach,
und die überelit gelüchteten Papiere unwieberbring-
(ich zu vernichten broßte.
Glauͤcklich genug vermochten wir, bald wieder er-
mannt, mit andern Gefchäften auch biefes von nenem
zu ergreifen und. in gefaßter Thaͤtigkeit unfer Tage-
wert welter zu fördern.
Nun wurden vor allen Dingen bie nöthigen Ta⸗
fein forgfältig bearbeitet. "Cine mit dem guten und
werthen Munge fortgefeste Correſpondenz gab
uns Gelegenheit, feinen Brief dem Schluß ber Far⸗
benlehre beisufügen, wie denn auch Seebecks geſtei⸗
gerte Verſuche dem Ganzen zu Gute kamen.
Mit befreiter Bruſt dankten wir den Muſen fhr
fo offenbar zegdunten Betftand; aber Tann hatten
wie einigermaßen friſchen Athem geſchoͤpft, fo fa⸗
hen wir und genoͤthigt, um nicht zu ſtocken, alfo⸗
gleich den widermärtigen polenciſchen Theil anze-
faffen, und unfere Bemuͤhungen um Newtous Op⸗
u, fo wie die Prüfung feiner Werfuche und ber
daraus gezogenen Beweife, auch Ind Enge |
durch endlich zum Abfchluß zu bringen. Die Ein-
leitung des polemiſchen Theils gelang mit Aus zang
An fremden poetifhem Verdlenſt war, wo nicht
ausgedehnte aber doch innig eifreulihe Thellnapme.
Dos Wunderhorn alterthuͤmlich und phantaftifch,
ward feinem Verdienfte gemäß geſchaͤtzt, und eine
Mecenfion deffelben mit freundlicher Behaglichkeit
ausgefertigt.. Hil lers Naturbihtungen, gerade
im SGegenfaß, ganz gegenwärtig und der Wirklich-
keit angehörtig, wurden nad ihrer Art mit billlgem
Urtheil empfangen. Aladdin von Oehlenſchlaͤ—
ger warnicht weniger wohl aufgenommen, ließ aud
nicht alles, beſonders im Werlauf ber Kabel, ſich
gut heißen. Und wenn ich unter ben Stubien frü-
herer Zeit die Perfer. bed Aeſchylus bemerkt finde,
fo fcheint mir ald wenn eine Vorahnung deſſen,
was wir zu erwarten hatten, mid dahln getrieben
habe.
Aber einen eigentlichen: Natlonalanthebl hatten
doch die Nie belungen gewowienz fie ſich anzu⸗
eignen, ſich Ihnen hingugelen, war bie Snfk-mehre:
%
263
zer verblenter Männer, bie mit uns gleiche Vor⸗
liebe theilten.
Schillers Verlaſſenſchaft blieb ein Hauptaugen⸗
merk, ob ich gleich jenes fruͤhern Verſuchs ſchmerzlich
gedenkend allem Antheil an einer Herausgabe und
einer biographiſchen Skizze des trefilihen Freundes
ſtandhaft entſagte.
Adam Muͤllers Vorleſungen kamen mir in
die Haͤnde. Ich las, ja ſtudirte ſie, jedoch mit ge⸗
theilter Empfindung: denn wenn man wirklich darin
einen vorzuͤglichen Geiſt erblickkte, ſo ward man auch
mancher unſichern Schritte gewahr, welche nach und
nach folgerecht das beſte Naturell auf falſche Wege
fuͤhren mußten.
Hamanns Schriften wurden von Zeit zu Zeit
aus dem myftifhen Gewölbe wo fie ruhten, her⸗
vorgesogen. Der durch die fonderbare Sprachhülle
hindurch wirkende rein Fräftige Geiſt 309 Immer bie
Bildungsluſtigen wieder an, bis man, an fo viel
Räthfeln müde und tere, fie bei Seite legte und
boch jedesmal eine vollftändige Ausgabe zu. wuͤnſchen
nicht unterlaſſen konnte.
Wielands Ueberſetzung der Horaziſchen Epi⸗
ſtel an die Piſonen leitete mich wirklich auf eine
Zeit lang von andern Beſchaͤftigungen ab. Dieſes
problematifhe Werk wird dem einen anders vor-
kommen ald dem andern, und jedem alle zehn
Jahre auch wieder anders. Ich unternahm bag
Wagniß kuͤhner und wunderlicher Auslegungen des
3
264
Sanzen fowohl ald des Cinzelnen, die Ich wohl
aufgezeichnet wünfchte, und wenn auch nur um ber
humoriſtiſchen Anfiht willen: «Hein dieſe Gchanten
und Grillen, gleich fo vielen taufend andern in
freundfdaftlicher Converſation ausgeſprochen, gin⸗
gen ins Nichts der Luͤfte.
Der große Vortheil mit einem Manne zu woh⸗
nen, der ſich aus dem Grunde irgend einem Gegen⸗
ſtande widmet, warb ung reichlich durch Fern o ws
dauernde Gegenwart. Auch in dieſem Jahre brachte
er uns durch feine Abhandlung uͤber die Itallaͤni⸗
ſchen Dialekte mitten Ind Leben jenes merkwürdigen
Landes.
Auch die Geſchichte der neuern Deutſchen Litera⸗
tur gewann gar manches Licht; durch Johannes
Muͤller in ſeiner Selbſtbiographie, die wir mit
einer Recenſion begruͤßten; ferner durch den Druck
ber Gleimtſchen Briefe, bie wir dem einge⸗
weihten Körte, Hubers Lebensjahre, die wir
feiner treuen und in fo vieler Hinficht hoͤchſt ſchaͤtze ns⸗
werthen Gattin verdanken.
Von aͤlteren geſchichtlichen Studien findet ſich
nichts bemerkt, als daß ich des Lampridius Katſer⸗
gefchichte gelefen, und ich erinnere mich noch gar
wohl des Grauſens, das bei Betrachtung jenes Un⸗
regiments mic, befiel.
An dem hoͤhern Sittlichreligloſen Theil zu
nehmen, riefen mich die Studien von Daub und
Kreuzer auf, nicht weniger der Halliſchen Mif⸗
"265
: onsberichte zwey und ſiebzigſtes Stuͤck, das ich wie
bie vorigen ber Geneigtheit des Herrn Doctor
Knapp verbantte, weicher von meiner anfrichtigen
Thellnahme an der Verbreitung des fittliden Ge⸗
fühle durch religtöfe Mittel überzeugt, mir ſchon
ſeit Jahren die Nachrichten von ben gefegneten
Fortſchritten einer immer lebendigen Anftalt nicht
borenthielt.
Don anderer Seite ward ich zu ber Senntniß bed
‚gegenwärtig Politiſchen geführt buch die Segen:
gewaichte von Benz; fo wie mir von Auflldrung
einzelner Zeitereigniffe noch wohl erinnerlich iſt, daß
ein bei und wohnender Engländer von Bedeutung,
Herr Osborn, die Strategie der Schlacht von
Trafalgar, ihrem großen Sinn und kühner Aus:
führung nach, umſtaͤndlich graphiich erflärte.
Seit 1801 wo ih nah uͤberſtandener großer
Krankheit Pyrmont befucht hatte, war ich eigentlich
meiner Geſundheit wegen in kein Bad gekommen;
in Lauchſtaͤdt hatt' ich dem Theater zu Liebe manche
Zeit zugebracht, und in Weimar der Kunſtausſtel⸗
lung wegen. Allein es meldeten ſich dazwiſchen gar
manche Gebrechen, die eine duldende Indolenz eine
Zeitlang hingehen ließ; endlich aber von Freunden
und Aerzten beſtimmt, entſchloß ich mich Carlsbad
zu beſuchen, um ſo mehr, als ein thaͤtiger und be⸗
hender Freund, Major von Hendrich, die ganze
Reiſeſorge zu uͤbernehmen geneigt war. Ich fuhr
alſo mit ihm und Riemer Ende Map's ab. Unter⸗
266
wegs beſtanden wir erft daB Abenteuer, den Huf-
fiten vor Naumburg beizumohnen, und fu eine Ver⸗
legenheit anderer Art geriethen wir in Eger, als
wir bemerften daß ung die Pälfe fehlten, die, vor
lauter Geſchaͤftigkelt und Melfeanftalt vergeffen,
durch eine wunderlihe Complication von Itmftänden
auch an der Graͤnze nicht waren abgefordert worden.
Die Pollzepbeamten in Eger fanden eine Form die-
fem Mangel abzuhelfen, wie denn dergleichen Fälle
die ſchoͤnſte Gelegenheit barbieten, wo eine Behörde
ihre Competenz und Gewandtheit bethätigen Kann;
fie gaben ung einen Geleitſchein nach Carlsbad gegen
Merfprechen die Paͤſſe nachzuliefern.
An diefem Eurorte, wo man fi um zu genefen.
aller Sorgen entfchlagen ſollte, kam man dagegen
recht In die Mitte von Angft und Bekuͤmmernliß.
Fuͤrſt Neuß XIII., der mir immer ein gnaͤdl⸗
ger Herr gewefen, befand ſich daſelbſt, und war ge-
neigt mir mit diplomatifcher Gewandtheit das Un—
beit zu entfalten das unſern Zuſtand bebrohte. Glei⸗
ches Zutrauen hegte General Richter zu mit, der
mid ind Vergangene gar manchen Blick thun ließ.
Er hatte die harten Schickſale von Ulm mit erlebt,
und mie warb ein Tagebuch vom dritten October
4805 bis zum fiebzehnten, als dem Tage der eber-
gabe gedachter Feftung, mitgetheilt. So Fam der
Julius heran, eine bedeutende Nachricht verbrängte
bie andere. |
Zu Foͤrderniß geologifcher Studien hatte, in den
89
uhren be: ich Carlobad nit beſacht, Joſeph
Muͤller trenlich vorzearbeitet. Diefer wackere
Mann, vom Turnau gebuͤrtig, aid Steinſchne lder
erzogen, hatte ſich in dev. Welt mauncherlei verfacht,
unb wer zuletzt in Carisbad einheimiſch geworben
Dort beſchaͤſtigte er füh mit feiner Kunft mb. ger
riet; auf den Gebanken bie Carlsbader Sprubdel⸗
ſreine in Tafeln zu ſchneiden und rekalich zu pellven,
wodarch denn dieſe nusgeschhneten: Siater nach un
nach der naturliebenden Welt beſlannt wurden. Von
dieſen Prodnetionen ber heißen Quellen wenbete er
ſich zn andern auffallenden Gebirgserzeugniſſen,
ſammelte bie Zwillingskryſtalle des Feldſpathes,
welche die dortige Umgegend vereinzelt finden laͤßt.
Schon vor Jahren hatte er au unſern Syapter-
gingen Theil genommen, als ich mit Baron von
" Madnis und andern Naturfreunben bebsutenden
Gebirgsarten nachging, und in der Folge hatte er
Seit unb Muͤhe nicht gefpart, um eine mannichfaltige
charakte riſtiſche Sammlung aufzuitellen, fie zu nu⸗
meriren und nach ſeiner Art zu beſchreiben. Da er
nun dem Gebirg gefolgt war, ſo hatte ſich ziemlich,
was zuſammengehoͤrte, auch zuſammengefunden,
und es bedurfte nur. weniges, um fie wiſſenſchaft⸗
lichen Sweden näher zu führen, welches er fi beum
auch, obgleich hie und da mit einigem Wliderſtreben
gefallen ließ.
Was von feinen unterſuchungen mir den groͤßten
Gewinn verſprach war die Aufmerkſamkeit, die er
-
- 268
dem Uehergangsgeſtein gefhentt hatte, das fich dem
Sranuit des Hirſchenſprungs vorlegt, einen ft
Horuſtein durchzogenen Granit darſtelt, Schwe⸗
felkies und auch endlich Kalkſpath enthält. Die hei⸗
fen Quellen entſpringen unmittelbar hierans, und
man war nicht abgeneigt In biefer auffallenden geo⸗
Iogifchen Differenz, durch den Zutritt des Waſſers,
Exchieung und Aufloͤſung und fo das gehelmulßvolle
Naͤthſel der wunberbaren Waſſer aufgcheiit zu ſehen.
Er zeigte mie ſorgfaͤlklig die Spuren obgedachten
Geſteins, welches nicht leicht zu finden iſt, weil die
Gebaͤnde des Schloßbergs darauf laſten. Wir zo:
gen ſodann zuſammen durch die Gegend, befuchten
bie auf dem Granit auffigenden Baſalte Aber dem
Sammer, nahe dabei einen Ader, wo bie 3willinge-
kryſtalle fich ausgepflügt finden. Wir fuhren nach
Engelhaus, bemerkten im Drte felbft den Schrift:
granit und anderes vom Granit nur wenig abweis
chendes Geſtein. Der Klingftelnfelfen ward beftie-
gen und beklopft, und von ber weiten, obgleich
nicht erheiternden Ausſicht, ber Charakter gewon⸗
nen.
Su allem dieſem kam der günftige Umſtand binze,
daß Herr Legationsrath von Struve, in biefem
Fache fo unterrichtet als mitthellend und gefällig,
feine fhönen mitgeführten Stufen belehrend fehen
ließ, auch an unfern geologifhen Betrachtungen vies
len Theil nahm und felbft einen ibeellen Durch⸗
ſchnitt des Leffauer und Hohdorfer Gebirges zeich⸗
j
2069 no
nete, wodurch ber Zuſammenhang der Erbbrände
mit dem unter wmd: neben Ibegenden Gebirg deut:
lich dargeſtellt unb vermittelft vorltegender: Muſter,
ſowohl bed Orundgeſteins als ſeiner Veränderung
— Dad Feuer, belegt werben konnte.
Spazierfahrten, zu biefem Smwede angeftellt,
weten zugleich beichrend, erheiternd und von *
:Angelesenhelten des Tags ablenkend.
Spaͤterhin traten Bergrath Werner und Au⸗
uf von Herder, jener auf ddngene, bitfer auf
kuͤrzere Bett, an und heran. Wenn num auch, wie
bei willenfchaftlichen Unterhaltungen inmer geſchleht,
abweichende, ja emtraftitende Vorftellungkarten an
den Tag kommen, ſo iſt doch, wenn man bas Ge:
ſpraͤch anf bie Erfahrung binzumenden weiß, gar
‚vieles zu lernen. Werners Ableitung bes Spru-
beis von: fortbrennenden Steintohlen - Flößen war
mir zu befannt, als daß ich hätte wagen ſollen ihm
melne neuften Ueberzeugungen mitzutheilen, auch
gab er der Uebergangsgebirgsart vom Schloßberge,
‚die ich fo wichtig fand, nur einen untergeordneten
Werth. . Augufi von Herder tbeilte mir einige
fhöne Erfahrungen. von bem Gehalt der Gebirgs⸗
-gänge mit, der verfchleben ift, indem fie nach ver-
ſchiedenen Himmelsgegenden ftreihen. Es iſt im⸗
mer ſchoͤn, wenn man das unbegrelfliche als⸗wirk⸗
lich vor ſich ſieht.
Ueber eine: pädagogifch-milktärkfche Anſtalt Bei
der Franzoͤfifchen Armee gab uns ein trefflicher aus
Seite! Werie. XXXI. Bd, 418
270
Bayern kommender Geiſftlicher genane Nachricht.
Es werbe wimiih von Offickeren und tnbersffirionen
am Sonntage eine Art von Katrchiſatlon gehalten,
worin der Soldat über feine Pflichten fewohl ai
auch über ein sewiffes Erkennen, fo weit es ihn in
fſeinem Kreife fürbert, beichrt werbe. Man fah
wohl bad bie Abiiht wear, durchaus Enge und ge⸗
wandte, fich ſeibſt vertraneude Menſchen zu Bisben;
SHeh-aber ſetzte freitich voraus, daß ber fe an.
führende araße Geiſt demungeachtet über jeden und
ale herrorragend biich und von Naiſonncurs nichts
gu fürhten hatte.
Ansft und Gefahr jedsch vermehrte ber Brave
tuͤchtige Wähle aͤchter Deutfcher Patrioten, welche in
der ganz; ernſtlichen und nicht einmal verhohlnen
Abſicht einen Volkoaufftand zu organtſtren und zu
bewirken, über bie Drittel dagı fich leibenfchaftiiih
beſprachen, fo daß während wir von fernen Gewit-
tern uns bedroht fahen, auch in ber naͤchſten Rüge
ſich Nebel und Dunft zu bilden. anfing.
Indeffen war ber Deutihe Rheinbund. geſchlof⸗
fen und feine Folgen leicht zu uͤberſehen; auch fan:
ben wir bei unferer Ruͤckreiſe durch Hof in den Zei⸗
— die Nachricht: das Deutſche Reich fey aufs
geloͤſt.
Bwiſchen biefe beunruhigenden Geſpraͤche jedoch
traten manche ableitende. Landgraf Carl von
Heſſen, tieferen Studien von jeher zugethan, unter:
hielt ſich gern uͤber die Urgeſchichte der Menſchheit
371
eb war nicht absgeneist hoͤhere Anſichten anzuer⸗
kennen, ob man gleih.mit ihm eihtimmig anf einen
folgerechten Weg nicht gelangen konnte.
Carlabad gab damals das Befähl, als wäre man
im Lande Goſen; Defterreih war au einem ſchein⸗
bayen Frieden mit Frankreſch genoͤthigt und in Boͤh⸗
men ward man wenigſtens nicht, wie in Thuͤringen,
durch Märfche unb Wiedermärfche jeden Augenblick
aufgeregt. Allein kaum war man su Haufe, ale
man das bedrohende Gemitter wirklich heraurollen
ſah, bie entfchlebenfte Kriegserklaͤrung durch Heran⸗
marſch unuͤberſehlicher Truppen,
me leidenuſchaftliche Bewernug ber Gemuͤther
Vffenbarte ſich nach ihrem verſchiedenen Verhaͤltniß
und, wie ſich in ſolcher Stimmung jederzeit Maͤhr⸗
chen erzeugen, fo verbreitete ſich auch ein Geruͤcht
von dem Tode des Grafen Hangwitz, eines alten
Jugenbfreunbes, fräher als thätiger und gefälliger
Minifter anerkannt, jebt der ganzen Welt verhaßt,
ba ex den Unwillen der Deutſchen durch abgedrun⸗
gene Hinnelgung gu dem Srangdfifgen uehergewicht
auf ſich geladen.
Die: Preußen fahren fort Erfſurt zu befeſtigen;
ui; waere Farſt als Preußiſcher General, bereitet:
ih zum Abzuge. Welche ſorgenvolle Verhandlua⸗
gon Ich mit aeinom treuen und -owig wunerbeftihen
GSeſchaſtoſreunde dem Scuatoiniſter von Wotst
danrate gewochſelt, möchte ſchwer auszufprechen
272
feun; eben fo wenig die ptaͤgnante Unterhaitung
mit meinem Särten im PANpIABBERNET Nieder:
roßla.
Die Herzogin Mutter bewohnte Tiefutt, Ca⸗
pellmeiſter Hummel war gegenwärtig, und man
mufteiete mit ſchwerem Herzen; es iſt aber in ſol⸗
chen bedenklichen Momenten das Herkoͤnnnliche, daß
Vergnägungen und Arbeiten, - fü gut -wie fen,
Trinten,” Schlafen, in ——— Folge ERON
der fortschen.
Die Sarlsbader Gebirgefolge war in Jena ange⸗
langt, ich begab mich am ſechs und zwanzigſten Sep-
tember fie auszupaden und unter Beiftand des DI-
rectors Lenz vorläufig zu katalogiren; auch ward
ein ſolches Verzeichniß fuͤr das Jenaiſche Literatur⸗
Intelligenzblatt fertig geſchrieben und in die —
tey gegeben.
Indeſſen war ich in den Seitenligel des er
ſes gezogen, um dem Fürften Hohenlohe Platz zu
machen, der, mit feiner Truppenabtheilung wider⸗
willig heranrüdend, lieber auf der Straße nach Hof
dem Feind entgegen zu gehen gewänfcht hätte, Die⸗
fer trüben; Unfihten ungeachtet, wand nach alter
akademiſcher Weiſe mit Hegel manches phllofen
phiſche Garitel Durchgeipronen. Schelling gab
eire ;Erflärumg hexaus von Ths Beantwortet... Ich
war bei Fuͤrſt Hohenlohe zu Tafel, ſah manche bes
deutende Männer wieder, machte neue Belnunt-
275
ſchaften; niemanden war wohl, alle fühlten ſich in
Verzweiflung, bie keiner umhin Eonnte, wo nicht
durch Werte doch durch Betragen zu verrathen.
Mir Obriſt von Maſſenb ach, dem Helßtenfe,:
hatte ich eine wunderliche Scene. Auch bei ihm
Im die Neigung zu ſchriftſtellern des politiſchen
Klugheit und militairiſchen CThaͤtigkeit in den Weg.
Er hatte ein ſeltſames Opus verfaßt, nichts Gerin⸗
geres als ein moraliſches Manifeſt gesen Napoleon.
Jederman ahnete, fuͤrchtete die Uebergewalt ber
Fraunzoſen, und fo geſchah es denn daß der Drucer
begleitet von einigen Rathsperſonen ich ausiug,
nnd fie ſaͤmmtlich mich dringenb baten, den Drud
des vorgelegten Manuferiptes abzuwenden, welchen
beim Einrügen des Franzoͤſiſcher Heeres ber ‚Stadt:
nothwendig Verderben bringen muͤſſe. Ich lleß mir
ed übergeben und fand eine Folge von Perboden,
deren erſte mit ben Worten anfing: „Napoleon,
ich liebte dich!” die letzte chen: ‚Ach dafte
dich!“ Dezwiſchen waren alle Hoffnungen m
Ermartuugen auege fyprochen, Die man anfengs ven
ber Großheit bes: Mapoleon ſchen Charakters hegte,
indem man bee außerordentlichen anne ſittilche
menfchliche Zwecke unterlegen zu muͤſſen waͤhnte/
mad ‚sulent ward alles das Boͤſe was wen: in:der
nee :Beit von ihm erdulden mülen., ihr, geſchaͤri⸗
ten. Auedruͤden vorgemorfen. ı Mit wenigen Beräir
demmgm .hätte-man es ˖ in den Wrdruß⸗ aines ee
trorenen: Aabhabexs über ſeine treue: Weltehte:
274
AMerfetzen Können, und ſo erſchlen deeſer weite:
eben ſo daͤchorlich als yefährikth,
Durch dab Undriagen-ber wadern Jewenfer, mit
denen ich fo viele Jahre Ger in zutem Verhaͤlkktniß
geſtanden, uverſchritt ich das mir ſeibſt gegebene
Gefetz, mich nicht in oͤffentliche Haͤrdel zu miſchen;
Ich nahm das Heft und fand ben Autor in don weit⸗
laͤuftzen autiteu Ammern der Wilheimifken Apo⸗
‚tele. Nach ornenerter Bekanntſchaft rüdte Ich mit
meiner Yunteftation hervor, und hatte, wie zu etc
warten, mit einem beharrlichen Autor gu than.
aber Witch ein chen fo beharrlicher Buͤrger, usb
ment bie: Arzumente, die frellich Gewicht gemug
hatton, mit beredter Hefistelt:aud, To daß er zub-
U nachgab. Jeh eriunere nich noch bad ein lauger
fituter Preuße, dem Aufchn nach ein Mutant,
in unbewegter. Stelung unb imveräuberten Oefchts
zaͤyen dabel ſtand und fi wohl Aber He -Kühuhene
eines Buͤrgers anerlich Verwundern mochte. Go⸗
was: ich· ſchled von Sem Obstfien im beſten Verneh⸗
men / verftunht': in meinen Banttalte perfanforiiiben
@ehnde , die eigentlich am fir hinrrichend geweſen
wien, on ber ein⸗ invr ——— beat:
boaikten,
Minds tefehten — mattce ich auf; es
wre a Freitag den deltben Ortober. Din ale
u Ceubs Ferdinand uf ich wa ſeluer Wwe
wahtig inbifeemnlfich; Graerallleute aaut von Era⸗
OD von Malte, :Dinpinitun Wi
275
menftein, lehterer jung, Halbfranzos, freunb-
ch und zutraulih. Su Mittag mit allen bei Fuͤrſt
Hohenlohe zur Tafel.
Verwunderlich ſchienen mir bei dem großen Zu⸗
trauen auf Preußiiche Macht und Kriegsgewandtheit,
Barnungen bie hie und ba an meinen Ohren vor⸗
übergingen: man ſolle doch bie befien Sachen, bie
wichtigften Papiere zu verbergen ſuchen; ic aber,
unter folhen Umſtaͤnden aller Hoffuung quitt, rief,
als man eben die erſten Lerchen ſpeiſte: nun,
wenn ber Himmel einfällt, fo werben Ihrer viel ge=
fangen werben.
Den Sechften fanb ich in Weimar alles in voller
Unruhe und Beſtuͤrzung. Die großen Charattere
waren gefaßt und entichleden, man fuhr fort zum
überlegen, zu befchließen: Verbleiben, wer fi
entfernen follte? das war die Frage.
2 3 aU6 1982
OFOMORD
X
u
“
-
Goethe’s
Vollſtaͤndige Ausgabe letzter Hand. j
-
}
Zweyunddreyßigſter Band.
Unter des durchlauchtigſten deutſchen Bundes ſchuͤtzenden
Privilegien.
— — — —
Stuttgart und Tuͤbingen,
in der 9. ©. ECotta’fhen Buchhandlung. -:
185350
— ——
Iahalr i
Tags und Jahres: Sefte als Ergänzung meiner fen
gen Belenntuiſſe, von 1807 bis 1822.
Zum Andenken der Durchlauchtigſten Herzogin Anna
Amalia.
Zum Andenken des edlen Dichters, Bruders und Freun⸗
des Wieland.
u.
.
u...
nd und Sahres: Hefte
ats
ana
meiner
fonfiigen Bekenntniſſe.
Geethero Werte. XXXII. Sd.
1807.
Zu Ende des vorigen Jahrs war ˖das Theater
(don wieder eroͤffnet, Balcon und Logen, Parterre
und Galerie bevoͤllerten ſich gar bald wieder, als
Wahrzeichen und Gleichniß, daß in Stadt und Staat:
alles die alte Nichtung angenommen. Freillch hat⸗
ten wir von Gluͤck zu ſagen, daß der Kaiſer feiner
Hauptmaxime getreu blieb, mit allem. was den
Saͤchſiſchen Namen führte in Frieden und gutem
Willen zu leben, ohne fich durch irgend einen Nas
benumftand irre machen zu laffen. General Denzel,
der in Jena vor fo viel Jahren Theologie ftudirt hatte,
und wegen feiner Locallerintaiffe zu jener großen Erz
pebdition berufen ward, zeigte fi ald Commandant
zu freundlicher Behandiung gar geneigt. Der jün«
gere Mounter, bei uns erzogen, mit Freundſchaft
an manches Haus geknuͤpft, war ald Commiſſaire⸗
Drdonnatent angeitelt und ein gelindes Merfahren
beſchwichtigte nach :und nach. die. beunruhlgten Ge⸗
mäther. Jeder⸗hatte von den fhlimmen Tagen ber
etwas zu erzählen und gefiel fih In Erinnerung
uͤderſtandenen Unheild, auch ertrug man gar manche
Laft willig, als die aus dem Stegreif einbrechenden
Schrecniſſe nicht mehr zu. fürchten waren.
Ich und meine Naͤchſten fuchten alfo dem Thea⸗
—
—
4
ter feine alte Conſiſtenz wieder zu geben, und es
gelangte, zwar vorbereitet aber doch zufällig, zw.
einem neuen Glanz, buch eine freundliche dem in⸗
nigften Frieden herftellende Kunfterfhelunng. Taffo
ward aufgeführt , allerdings nicht erft unter ſolchen
Stürmen, vielmehr laͤngſt Im Stillen eingelerut:
denn wie bei und antretenbe jüngere Schauſpieler
ſich in manchen Rollen uͤbten, die ſie nicht alſobald
übernehmen ſollten, fo verfuhren auch bie aͤlteren,
indem fie manchmal ein Stüd einzulernen unter-
nahmen, das zur Anfführung nicht eben gleich ges
eignet ſchien. Hiernach hatten fie auch Taſſo feit
geraumer Zeit unter fich verabredet, vertheilt und
einſtudirt, auch wohl in meiner Gegenwart gelefen,
ohne daß ich jedoch, aus verzeiblihem Unglauben
und daran geknuͤpftem Gigenfinn, die Vorſtellung
hätte anfagen und entfcheiden wollen. Nun, ba
manches zu ftoden fehlen, da fich zu anderem Neuen.
weder Gelegenheit noch Muth fand, nothwendig zu
felernde Feſttage fih drängten, da regte fih bie
freundliche Zudringlichkeit meiner lieben Zöglinge,
fo daß ich zuletzt dasjenige halb unwillig zugeftand
was ich eifrig hätte wünfchen, befördern und mit
Danf anertennen follen. - Der Beifall ben dag
Stud genoß war volllommen ber Meife glei, bie-
es durch ein liebevolles anhaltendes Stubium ges
wonnen batte, und ich ließ mic gern beſchaͤmen,
indem fie dasjenige als möglich zeigten was Ich
hartuddig als unmöglich abgewiefen hatte. -
5
Mit beharrlicher frener Sorgfalt. ward auch bie
nächften Monate das Theater behandelt, und junge
Schauſpieler in allem was ihnen nöthig war, befon-
ders in einer gewiſſen natürlichen Geſetztheit, und
‚eigener perfönlichen Ausbildung, die alle Manier
ausſchließt, geleitet und unterrichtet. Cine höhere
Bedeutung für die Zukunft gab fodann der ſt an d⸗
hafte Prinz, ber, wie er einmal zur Sprade
gelommen, im Stillen unaufhaltfam fortwirkte.
Auf ein anderes, freilich In anderem Sinne, proble-
matifches Theaterſtuͤck hatte man gleichfalls ein Auge
geworfen, es war der zerbrochene Krug, der
gar manderlei Bedenken erregte, und eine hoͤchſt
üngünftige Aufnahme zu erleben hatte. Uber ei-
gentlich erholte fih das MWeimarifhe Theater erft
durch einen längeren Aufenthalt in Halle und Lauch⸗
ftädt, wo man, vor einem gleichfalls gebildeten,
zu böhern Forderungen berechtigten Publicum, das
Beſte was man liefern konnte zu leiſten genöthigt
war. Das Mepertorium biefer Sommervoritellun-
gen iſt vielleiht das bedeutendfte was die Wei⸗
marifhe Bühne, wie nicht Leicht eine andere, in fo
kurzer Zeit gedrängt aufzumelfen hat.
Gar bald nach Aufführung des Taffo, einer fo
reinen Darftellung zarter, geift- und Tiebevoller
Hof: und Weltfcenen, verließ Herzogin Amaile den
für fe im tiefften Grund erfchätterten, ia zerftör-
ten Daterlandeboden, allen zur Trauer, mir zum
befonderen Kummer. Ein elliger Auffag, mehriin
6
Geſchaͤftsform als in höherem inneren inne abge-
faßt, follte nur Bekenntuiß bleiben, wie viel mehr
ihrem Andenken id zu wibmen verpflichtet ſey.
Indeſſen wird man jene Skizze zunaͤchſt mitgerheilt
finden.
Um mid aber von allen biefen Bedraͤugniſſen
loszureißen und meine Gelfter Ind Freie su wenden,
kehrte th an die Betrachtung organifher Naturen
zuräd. Schon waren mehrmals Anllänge bis zu
mir gebrungen, daß die frühere Dentweife die mich
gluͤcklich gemacht auch in verwandten Gemäthern
fi entwidie; daher fühlt ich mich bewogen die
Metemorphofe der Pflanzen wieder abdruden
gu laffen, manchen alten Heft und Papierbuͤndel
durchzuſehen, um etwas ben Naturfreunden-Ange-
nehmes und Nuͤtzliches daraus zu ſchoͤpfen. Ich
glaubte bes Gelingens dergeſtalt ſicher zu ſeyn,
daß bereits im Meßkatalog Oſtern dieſes Jahres,
eine Ankuͤndigung unter dem Titel: Goethe's
Ideen über organiſche Bildung dieſerne⸗
gen auftrat, als koͤnnte zunaͤchſt ein ſolches Heft
ausgegeben werden. Die tieferen, hierauf bezuͤg⸗
lichen Betrachtungen und Studien wurden deßhalb
ernſtlicher vorgenommen als je; beſonders ſuchte
‚man von Casp. Ft. Wolfs Theorie der Genera⸗
tion ſich Immer mehr zu darchdringen. Die aͤlteren
oſteologiſchen Anfihten, vorzuͤglich bie im Jahre
1791 in Venedig von mir gemachte Entdeckung, daß
der Schädel and Ruͤcenwirbeln gebildet ſey, warb
7
naͤher belerchtet, und mit zwey theilnehmenden
Freunden, Wotgt dem Juͤngeren, und Riemer,
verhandelt, welche beide mir mit Erſtaunen bie
Nachricht brachten, daß fo eben dleſe Bedentung
der Schaͤdelknochen durch ein alademiſches
Programm Ins Publicum geſprungen fey, wie fie,
da ſie noch leben, Zeugniß geben koͤnnen. Ich er⸗
Fuchte ſie ſich ſtile zu halten, denn daß Im eben ge⸗
dachtem Programm die Sache nicht geiſtreich durch⸗
drungen, nicht aus der Quelle geſchoͤpft war, fiel
dem Wiſſenden nur allzuſehr in die Augen. Es
geſchahen mancherlel Verſuche mich reden zu machen,
aAllein·ich wußte zu ſchweigen. |
Naͤchſtdem wurden bie verfanmmelten Freunde
der orzaniſchen Metamorphoſen⸗Lehre buch einen
Zufall boguͤnſtigt: es zeigt ſich nämlich der mono-
ceulus apas manchmal, obgleich ſelten, in ſtehen⸗
den Waſſern der Tennifchen Gegend; dergleichen
ward mtr dießmal gebracht, und nirgends iſt wohl
dle Verwandlung eines Glieds, das Immer baffel-
vige bleibt‘, in eine andere Geſtalt deutlicher vor
Augen zu fehen als bei dieſem Geſchoͤpfe.
Da wan ferner feit fo viel Fahren Bergum Berg
beftiegen,, Fels um Fels beklettert und beklopft,
auch uhr verfdumt wurde Stellen und Schädite
zu befahren, fo Hatte ich auch die Naturerfcheinun-
tler Yet ſelbſt gesetchnet und ihre Welfe und
Weſen mir einzudruͤcken, theils zeichnen laffen, um
richtigere UNbbildungen an gewinnen und feſtzuhal⸗
—
-
1
‚8
ten. Bel allem diefem ſchwebte mir immer ein Mo⸗
del im Sinne, wodurd das anfchaylicher zu mache
wäre, wovon man fid) in der Natur überzeugt hatte.
Es folte auf der Oberfläche eine Landſchaft vorftel=
len, die aus dem flahen Lande bis in das hoͤchſte
Gebirg fih erhob. - Hatte man die, Durchſchnitts⸗
theile auseinander gerüdt, fo zeigte. fih an den in-
nern Profilen das Fallen, Streihen und was fonfk
“verlangt werden mochte. Diefen erften Verſuch be-
wahrte ich lange, und bemühte mich Ihm von Zeit
zu Zeit mehr Vollſtaͤndigkeit zu „geben. Freilich
‚aber ſtieß Ich dabei auf Probleme die fo leicht nicht
zu löfen waren. Hoͤchſt erwuͤnſcht begegnete mir
daher ein Antrag Des wadern Naturforſchers Ha⸗
‚ berie, den Kegationsrath Vertuch bei mir einge-
führt hatte. Ich legte ihm meine Arbeit vor mit
dem Wunfch, daß er fie weiter bringen möge; allein
bei einiger Berathung darüber ward ich nur allzu⸗
bald gewahr, daß wir in der Behandiungsart nicht
‚übereinftiimmen dürften. Sch überließ ihm jedoch
bie Anlage, auf feine weitere Bearbeitung hoflend,
babe fie aber, da er wegen meteorologifher Miß⸗
lehren fih von Weimar verdrießlich entferute, nie= .
mals wiedergefehen.
Hochgeehrt fand ih mich auch in der erſten Haͤlfte
des Jahrs, durch ein, von Herrn Alexander von
Humboldt, in blidlicher Darſtellung mir, auf fo
bedeutende Weiſe, gewidmetes gebaltvolles Werk:
Ideen zu einer Geographie ber Pflan⸗
“
9 =
zen, nehft einem Naturgemahlde der Tropen⸗
laͤnder.
Aus fruͤhſter und immer erneuter Freundſchaft
für den edlen Verfaſſer und durch dieſen neuften,
mir fo ſchmeichelhaften Anklang aufgerufen, eilte
Ih das Werk zu findiren; allein die Profilcharte
dazu follte, wie gemeldet ward, erft nachkommen.
Ungeduldig meine völlige Erkenntniß eines folhen
Werkes aufgehalten zu feben, unternahm ich gleich,
nach feinen Angaben, einen gewiſſen Raum, mit
Höhenmaßen an der Selte, in ein landſchaftliches
Bild zu verwandeln. Nachdem ich, der Vorſchrift
gemäß, die tropifche rechte Seite mir ausgebildet,
und fie als die Licht: und Sonnenfeite dargeftellt
hatte, fo ſetzt' ich zur linken an bie Stelle der
Schattenſeite die Europdlihen Höhen, und fo ent-
ftand eine ſymboliſche Landſchaft, nicht unangenehm
dem Anblick. Diefe zufällige Arbeit widmete ih
Infchriftlich dem Freunde, dem ich fie ſchuldis ger
worden war.
Das Induſtrie⸗Comptoir gab eine Abbildung mit
einigem Text heraus, welche auch auswärts fo viel
Gunſt erwarb, daß ein Nachſtich davon in vn
erſchien.
Zu der Farbenlehre wurden, mit Genanigkeit
. and Mühe, die laͤngſt vorbereiteten Tafeln nach
und nach ind Reine gebracht und geftochen, indeſſen
der Abdeud des Entwurfs immer vorwärts rädte
und zu Ende des Januars vollendet ward, Nun
40
Tomte man fih mit mehr Freiheit an bie YolemiE
‚wenden. Da Newton burch Verknüpfung mehrerer
Werlzenge und Vorrihtungen einen erperimentalen
Unfug getrieben hatte, fo wurden befonders die
Phaͤnsmene, wenn Priemen und Linſen anfeinander
werten, entwickelt und überhaupt. Die Newtoniſchen
Erperimente eins nach bem andern genauer unter⸗
ſucht. Somit konnte denn der Anfang des polemi⸗
fhen Theils zum Drud gegeben werben; das Ge⸗
ſchichtliche Kehlelt man zugiefh immer im Auge.
Nuguet über bie Farben aus bem Journal de Tre-
voux war höchft willkommen. Auch wandte man
ſich zuruͤck in die mittlere: Zeit; Roget Bacon Yam
wieder zur Sprache und zur Vorbereitung fſchrleb
man das Schema bes funfzehnten Jahrhunderte.
Freund Meyer ſtudirte das Eolorit der Alten
and. fing an einen Aufſatz daruͤber auszuarbeiten;
bie Berbbenfte diefer nie genug gu ſchaͤtzenden claf-
iſchen Altvordern wurden In ihrer reinen Natuͤrlich⸗
keit redlich geachtet. Eine Einleitung zur Farben⸗
Aehre, dazu ein Vorwort, war geſchrieben; auch
verſuchte ein theilnehmender Freund eine Ueber⸗
ſetzung ins Franzoͤſiſche, wovon mic bie bie jetzt
erhaltenen Blätter noch immer an die ſchoͤnſten
" Stunten erimmern. Indeſſen mußte die Polemik
‘immer fortgefegt und die gedbrudten Bogen beider
Thelle berihtigt werten. Am Ende bes Jahre
waren dreyßig Aushängebogen des erſten, umb fünfe
des zweyten Theile in mrinen Händen,
11
Wie ed.nun geht, wenn man ſich mit Gegen⸗
ſtarren lauge beſcaftigt und fie und. fa bekannt und |
eigen werden, daß fie uns bei jeder Gelegenheit
Sorfchweben, fo gebraucht man ſie auch g lei chniß⸗
weife tm Scherz und Craft; wie ih denn ein naar
gluͤckliche Einfälle heiterer Freunde in unfern lite⸗
rariſchen Mitthellungen anführen werde.
: Das Manufeript zu meinen Schriften wirb nach
und nach abgefendet, die erfte Lieferung. kommt ge:
druckt an.
ch vernehme Haderts Tod, man äßerfendet
mir nach ſeiner Anordnung biegraphiſche Aufſaͤtze
und Stlzzen, ic). ſchreibe fein Leben im Auszuse/
guerft fuͤrs Morgeunblatt.
Der workährige Aufenthalt In Carlsbad hatte
mein Befinden dergeſtalt verbeffert, daß ich wohl
das Sluͤck, dem großen hereinbrechenden Kriegsun⸗
heil nicht unterlegen zu ſeyn, ungezweifelt jener
forgfäftig gebrauchten Eur zuſchreiben durfte. Ich
entſchloß mid daher zu einer abermaligen Retſe und
zwar einer baldigen, mund ſchon in ber zweyten
Hälfte bes Man's war Ich dafſelbſt angelaugt. An
Hieineren Beſchichten, erfonnen , angefangen, fort.
geſetzt, ausgefaͤhrt, war” biefe Jahreszeit reich; fie
ſollten alle durch einen romantiſchen Faden unter
sen Titel: Wilhelm Meiſters Wander: .
.iahre zuſammengeſchlungen, ein wuaderlich an-
ziehendes Ganze bilden. Zu dieſem Hweck finden
42
fich bemerkt; Schluß der neuen Melufine, - der
1 *
Manu von fänfjig Jahren, die pilgernde Thoͤrin.
Gluͤcklich war ich nicht weniger mit Joſeph Muͤl⸗
ders Carlsbader Sammlung. Die Vorbereitungen |
bes verfloffenen Jahres waren forgfältig und hin-
reichend; ich hatte Beifpiele der darin aufzuführen-
Sebirgsarten zur Genuͤge mitgenommen und bie-
felben, meine Zwede hartnädig verfolgend, in dem
Senaifhen Mufeum niedergelegt, mit DBergrath
Lenz ihre Charakteriftit und dem Vorkommen ge-
maͤße Anordnung beſprochen.
Alſo ausgeruͤſtet gelangt' ich dießmal nach Carls⸗
bad in die Fuͤlle des Muͤlleriſchen Steinvorraths.
Mit weniger Abweichung von der vorjaͤhrigen Ord⸗
nung, in welcher ich eine Muſterſammlung noch
beiſammen fand, wurde, mit gutem Willen und
Veberzeugung des alten Steinfreundes, bie ent-
fchledene neue Ordnung beliebt, fogleich ein Auf:
faß gefertigt und wiederholt mit Sorgfalt darchte⸗
gangen.
Ehe der kleine Aufſatz nun abgedruckt werden
konnted mußte die Billigung ber obern Prager Be⸗
hoͤrde eingeholt werben, und fo hab’ ich bad Ver⸗
gnügen auf einem meiner Manuferipte das Vidi
‘der Prager Cenſur zu erkliden. Diefe wenigen
Bogen folten mir und andern in der Folge zum
" Leitfaden dienen und zu mehr fpecieller Unterfuchung
Anlaß geben.
N
13
Zugleich war die Abficht gewiſſe geolagifche Ueber⸗
zeugungen in die Wiſſenſchaft einzuſchwaͤrzen.
Fuͤr den guten Jeſeph Müller aber war die er⸗
freuliche Folge daß bie Aufmerkſamkeit auf ſeine
Sammlung gerichtet und mehrere Beſtellungen
darauf gegeben wurden. Doch ſo eingewurzelt war
ihm die, freilich wegen der Concurrenz fo noͤthige
Geheimnißluſt, daß er mir den Fundort von eini-
gen Nummern niemals entdecken wollte, vielmehr
die feltfamften Ausflüchte erfann um feine Steunde
"und Gönner irre zu führen.
In reiferen Jahren, wo man nicht mebr fo bef:
tig wie fonft durch Zerſtreuungen In die Weite ge-
trieben, durch Leidenichaften in bie Enge gezogen
wird, hat eine Badezeit große Vortheile, indem
die Mannichfaltigkeit fo vieler bedeutender Perfonen
von allen Seiten Lebendbelehrung zuführt. So
war diefes Fahr in Carlsbad mir Höchit günftig, in⸗
dem nicht nur bie reichfte und angenehmfte Unter:
haltung mir ward, (ondern fich auch ein Verhaͤltniß
antnüpfte, welches ſich in ber Folge fehr fruchtbar
auebiidete. Ich traf mit dem Mefidenten von
Meindard zuſammen, der mit Gattin und Kin:
dern diefen Aufenthalt wählte, um yon harten
Scickſalen fih zu erholen und auszuruben. In
fruͤheren Jahren mit in die Franzoͤſiſche Revolution
verflochten, ‚hatte er ſich einer Folge von Genera⸗
tionen angeähnlicht, war durch miniſterlelle und
diplomatifhe Dienfte hoch empor gelommen. Na⸗
18
poleon-, der⸗ihn nicht lleben · konnte, mußte ihn doch
zu gebrauchen, ſendete ihn aber zulezt an einen me
erfreutktchen und -gefäßriihen Poſten, nah Jaſſi,
“mo er feiner Pflicht treulich vorſtehend eine Zeit
lang verweitte, ſodann aber von den Ruffen aufge⸗
hoben, durch manche Länderftreden mit ben Setnts"
gen geführt, endlich auf bienfame Mörftellungen:
wieder Iosgegeben wurde. Hlevon hatte feine hoͤchſt
. gebildete Gattin, eine Hamburgerin, Reimarus
Tochter, eine treffliche Beſchreibung aufgefetzt, wo⸗
durch man die verwidelten, aͤngſtlichen Zuſtaͤnde
. genauer einfah und zu wahrer Thellnahime hinge-
noͤthigt wurde. |
Schon ber Moment, in welchem ſich efu‘ neuer
wuͤrdtger Landsmann von Schiller und Euvier dar⸗
ſtellte, war bedentend genug um alſobald eine nd»
here Verbindung gu bewirken. Weide Gatten, wahr:
haft aufrichtig nnd deutſch geſinnt, nach allen Get-
teh gebildet, Sohn und Tochter anmuthig und lie⸗
benswuͤrdig, hatten mich bald in ihren Kreis ge⸗
zogen. Det trefftiche Mann ſchloß ſich um fo mehr
am mich, als er, Nepräfentant einer Nation die im
Augenbiick fo vielen Menfchen wehe that, von der
übrigen geſelligen Welt nicht wohlwellend angeſehen
werden kowte. 3
Ein Mann vom Geſchaͤftsfache, gewohnt ſtch bie
fremdeſten Angelegenheiten vortragen am laffen, um
ſolche alsbald zurecht gelegt in klarer Ordnung zu
erkennen, leiht einem jeden fein Ohr, md fe
1
> 45:
goͤnnte mir auc-birfen. neue: Freund aubaltenbe Naf⸗
mertſamkeit, als Ach ihm meine: Farbenehre vorr
zutragen nicht untenlaffen -Ionste. Er werd ſehr
bald damit; vertraut, uͤbernahm die Ueberſetzung
einiger: Stellen, ja wir machten ben: Verſuch einer
ſonderbaren wechſelſeitigen Wiittkeitung , indem ich
ihm Geſchichte und Schiectſele der Farbenlehre, voa/
den aͤlteſten Zeiten his auf bie-nenften,. und auch
meine. Bemuhnngen, eines Morgens: aus dem
Stegreif vorarug, und. er Dagegen: ſeine Lebensge⸗
ſchichte am andern; Zage- gleichfale ſummarifche err
aͤhlta. So wurden, mir dem, Ic mit. dem: was
ihm Sagegnet, er mit. dem wasmiuch auf. das leb⸗
hafteſte beſchaͤftigte, zugleich bekannt, und ein in⸗
nigeres Eingreifen in die wartete Intereſſen
erlaichtett.
Zunachſt: hab ich nun der Günkin. Solme einer
gebornen Prinzeſſin von Dendienhurs. zu gedrafen, :
die mir Immer, wo ich ihr auch begegnete, ein gnaͤ⸗
diges Wohlwollen erwies. Sie veranlaßte mich
jederzeit ihr etwas vorzul. ma, und Ich. mählte ſtete
das Neuſte was mir aus Siun unk Herz: berwergen
quollen war, wodurch denn Pie Di vtuug edeomal
als der Ausdruck eines wahren Gefahls audr wahr
erſchlen und, weil fie: aus dem Innern ‚beruortrat,.
wieder aufs Innerſte ihre Wirkung ausübte. Eine
freundlich. finnige Hofdame, Froaͤnlein Leſtecq, war
ed, welde mit gutem Geifee dieſen vertraulichen
|
16 „,
Sodann foßte mir der Name Reinhard nod
einmal thener werben. Der Königl. Saͤchſiſche
Oberhofprediger ſuchte feine ſchon ſehr serrüttete
Geſundheit an der heißen Quelle wieder aufzubauen.
So leid es that, dieſen Wackern in bedenklichen
Krankheitsumſtaͤnden zu ſehen, ſo erfreulich war die
Unterhaltung mit ihm. Selne ſchoͤne ſittliche Natur,
fein ausgebildeter Geiſt, fein redliches Wollen, fo.
wie feine prattifche Einficht was zu wuͤnſchen und zu
erfireben ſey, traten überall, in ehrwuͤrdiger Lies
benswärbigteit hervor. Ob er gleich mit meiner
Art mich uͤber das Vorliegende zu Außern fich nicht
ganz befreunben konnte, ſo hatt' ich doch die Freude
in einigen Hauptpuncten gegen bie berrihende Mei⸗
nung mit ibm vollkommen überein zu ftimmen, -
woraus er einfehen mochte, daß mein ſcheinbarer
liberaliſtiſcher Indifferentismus, im tiefiten Ernſte
mit ihm praktiſch zuſammen treffend, dech nur eine
Maske feyn dürfte, hinter der ich mich fonft gegen
Yedanterie und Dünfel zu fhäßen fuchte. Auch ges
wann ich in. einem Hohen Grade ſein Vertrauen,
wodurch mir manches Treffliche zu Theil ward. Und
ſo waren es fittliche, das Unvergängliche beruͤhrende
Geſpraͤche welche das Gewaltſame der aufelnander
folgenden Kriegsnachrichten ablehnten ober. ‚mil:
derten.
Die erneuerte Bekanntſchaft mit dem —
Kreishanptmann von Schiller gewährte gleich
falls, ungeachtet der enden Arbeiten diefes äber-
haͤuf⸗
17
haͤuften Gefhäftömannes,, gar manche angenehme
Stunde. Auch aberrafchte mich durch feine Gegen: .
wart Hauptmann Blamenſtein, den ih vor
einem Jahr in Jena, am furdtbaren Worabend un:
ferer Ungläddtage, tbeiluehmend und aufrichtig ge-
" fanden. Voller Einſicht, Heiterkeit und gluͤcklicher
Einfaͤlle war er ber befte Gefelfchafter, und wir
trieben manden Schwant zuſammen; doch konnte
er, als leidenſchaftlicher Preuße mir nicht verzeihen,
daß ich mit einem Franzoͤſiſchen Diplomaten zu ver-
traulich umgehe. Aber auch biefed warb durch ein
paar Iuftige Einfälle bald zwiſchen uns in Freund⸗
ſchaft abgethan.
Nun aber ſchloß fich mir ein neuer Kreis auf:
Fürftin Bagration, ſchoͤn, relzend, anziehend,
verſammelte um ſich eine bedeutende Gefellfchaft.
Hier warb ich dem Fuͤrſten Ligne vorgeftellt, deſſen
Name mir. fchon fo viele Jahre befannt, deſſen
Perfoͤnlichteilt mir. durch Werhältniffe zu meinen
Freunden höchft merhwürbig geworben. Seine Ge⸗
genwart beftitigte feinen Ruf; er zeigte fi Immer
heiter, geiftreich, allen Vorfaͤllen gewachſen und als
Welt: und Lebemann überall willfommen und zu’
Kaufe. Der Herzog von Koburg zeichnete ſich aus
durch ſchoͤne Geftait und anmuthig wuͤrdiges Be⸗
tragen. Der Herzog von Weimar, den ich in Be⸗
zug auf mich zuerft ‚hätte nennen follen, weil ich
ihm bie ehremvolle Aufnahme in biefen Kreis gu
: serbanten hatte, beliebte benfelben durch ſeine Ge⸗
Goethe) Werte. XXXII. Bd. 2
m
7
18
—
—
genwart vorzüglich. Graf Corneillan war auch
hier, durch ſein ernſtes ruhlges Betragen und da⸗
durch daß er angenehme Kunſtwerke zur Unterhal⸗
tung brachte, immer willlommen. Vor der Woh⸗
nung der Fuͤrſtin, mitten auf der Wieſe, fanden
ſich ſtets einige Glieder dieſer Kette zuſammen;
unter dieſen auch Hofrath von Genz, der mit
großer Einſicht und Ueberſicht der kurzvergangenen
Kriegsereigniſſe mir gar oft ſeine Gedanken vertrau⸗
ih eröffnete, die Stellungen der Armeen, den Er⸗
folg der Schlachten und endlich fogar die erſte Nach⸗
richt von dem Frieden zu Tilſit mittheilte,
An Aerzten war dießmal Carlsbad gleichfalls ge:
ſegnet. Dr. Kappe von Dresden nenne ich zuerſt,
deſſen Anweſenheit im Bade mich immer gluͤcklich
machte, weil feine Unterhaltung uͤberaus lehrreich
“and feine Sorgfalt für den der ſich Ihm anvertraute
hoͤchſt sewiffenhaft war. Hofrath Sulzer von
Ronneburg, ein treuer Naturforfcher. und emſiger
Mineralog, ſchloß ih an; Dr. Mitterbacher,
fofern feine Gefchäfte erlaubten, war aud bei:
räthig. Dr. Florian, ein Böhme von Mamen:
- tin, trat gleichfalld hinzu, und fo hatte man Ges
legenheit mehr. als eine der Arztlihen Dent:k und
Behandiungswelfen gewahr zu werden.
Auch von Seiten der Stadt und Reglerung fchien
man geneigt, Anftalt zu treffen, dieſe heißen Quel⸗
len beffer ale bisher zu ehren; und den herangelod:
ten Fremden eine angenehmere Localität zu berei-
419
‚ten. Ein zur Selte bes Beruhardfelſens angeleg-
tes Hofpital gab Hoffnungen für die unvermögende -
Stoffe, und die. höheren Stände freuten ih ſchon
zum Voraus, dereinft am Neubrunnen einen be-
quemern und ſchicklichern Spaziergang zu finden.
Man zeigte mir die Plane vor, die nicht anders
als zu billigen waren; man hatte die Sache wirklich
im Großen überdacht, und ich frente mich gleich⸗
falls der nähen Ausfiht, mir fo viel taufend an
deren aus dem möglichft unanftändigen Gedränge in
eine würdig geräumige Säulenhalle verfept zu fepn.
Meiner Neigung zur Mineralogie war noch
manches andere fördert. Die Porcellanfadrik in
Dalwitz beftätigte mich abermals in meiner Ueber:
zeuzung daß geognoftifche Kenntniß im Großen und
im Kleinen jedem praftifhen Unternehmen von ber
größten Wichtigkeit ſey. Was wir fonft nur diefem
. oder jenem Lande zugeeignet glaubten, wiſſen wir
jetzt an hundert Orten zu finden: man ‚erinnere fi
der vormals wie ein Kleinod geachteten Saͤchſiſchen
Porzellanerde, die fi jetzt überall hervorthnt.
Fuͤr ein näheres Verftändniß der Edelſteine war
mir die Gegenwart eines Juweliers, Zoͤldner
von Prag, hoͤchſt intereffant: denn ob ich Ihm gleich
nur weniges abfaufte, fo machte er mich-mit fo vie-
‚lem befaunt was mir im Angenblid zur Freude und
in der Folge zum Naben gereichte.
Uebergehen will ich nicht, Daß Ich in meinen Tage⸗
buͤchern angemerit finde, wie ‚bes Dr. Haus:
—
Z 30
mann und feiner Reiſe nach Norwegen -mit
Ehren und Zutrauen in der: Befelpsait gedacht
worden.
Und ſo wurde mir auch noch, wie gewdhnlich in
den ſpaͤteſten Tagen des Carlsbader Aufenthalts,
Bergrath Werners Anweſenheit hoͤchſt belebend.
Wir Lannten einander ſeit vielen Jahren, und har⸗
monirten, vielleicht mehr durch wechſelſeitige Nach⸗
ſicht, als durch uͤbereinſtimmende Grundſaͤtze. Ich
vermied feinen Sprudelurſprung aus Kohlenfloͤtzen
zu beruͤhren, war aber In andern Dingen aufrichtig
und mittheilend, und er, mit wirklich mufterhafter
Gefaͤlligkeit, mochte gerirmeinen dynamiſchen Che:
fen, wenn er fie audı für: Brillen hielt, aus reicher
Erfahrung beichrend nachhelfen.
Es dag mir damals mehr als je am Herzen, bie
porphyrartige Blidung gegen conglomeratiſche her⸗
vor zu heben, und ob ihm gleich das Princip nicht
zuſagte, fo machte er mich doch in Gefolg meiner
Fragen mit einem höchft wichtigen Geſtein befannt;
er nannte es nach trefflicher eigenartiger Beſtim⸗
mung, dattelfoͤrmig koͤrnigen Quarz, der bei Prie⸗
born in Schleflen gefunden werde. Er zeichnete mir
fogleich die Art und Weife des Erſcheinens, und
veranlaßte daburch vielidhrige Nachforfehungen.
88 begegnet und auf Reifen, wo: wir entweder
mit fremden oder doc Lange nicht. gefehenen Per⸗
onen, es fey nun an ihrem Wohnort oder aud
unterwegs, zuſammentreffen, da wir fie ganz an-
21
ders finden;. als wir ſie zu denken gewohnt ware,
Wir erinnern uns, daß dieſer oder jener namhafte
Mann einem ober dem andere Wiſſen mit Neigung
nnd Leidenſchaft zugethan iſt; wir treffen ihn und
wuͤnſchen und gerade in dieſem Fache gu betehren,
und ſiehe da, er hat ſich ganz wo anders hingewenz
bet, uud das was wir bei ihm ſuchen iſt ihm voͤlliz
aus den Augen gekommen. So ginges mir dieß-
mal mit Bergrath Werner, welcher oryktognoſtiſche
und. geognoſtiſche Geſpraͤche lieber vermied und un⸗
ſere Aufmertſamkeit für ganz andere Gegenſtaͤnde
forderte.
Der Sprachforſchung war er dießsmal ganz eigente
lich ergeben; Deren Urſprung, Ableitung, Verwandt⸗
> Schaft gab feinem: ſcharfſinnigen Fleiß hinreichende
Beidäftigung, und es bedurfte nicht viel Seit, fo:
hatte. er und. audy für diefe Studien gewonnen; Cr
führte eine. Bibliothet von Pappentaften mit fich,
worin er alles was hierher gehörte, ordnungsgemäß,
wie es einem ſolchen Maun geziemt, verwahrte und
dadurch eine freie, geiftrehhe Mittheilung erleich⸗
terte: ji
Damit aber dieſes nicht allzu parador erſcheine,
fo denke man an die Noͤthigung, wodurch dieſer
Treffliche in ein ſolches Fach hingedraͤngt worden. |
Jedes Wiſſen fordert ein zweytes, ein drittes und
Immer fofort; wir mögen den Baum in feinen
Wurzeln oder in feinen Aeſten und Zweigen verfol-
gen, eins exglbt fi Immer aus dem. andern, und.
‘
22
je lebendiger irgend ein Wiffen in und wird, defte
mehr fehen wir und getrieben, es In feinem Zufam-
menbhange auf: und abwärts zu verfolgen. Werner
hatte fich in feinem Zach, wie er herankam, für bie
Einzelheiten foiher Namen bebient, wie fie feinem
Vorgänger beliebt; da er aber zu unterfcheiben an-
fing, ba fi täglich neue Gegenſtaͤnde aufdrangen,
fo fühlte er die Nothwendigleit ſelbſt Namen zu er⸗
theilen.
Namen zu geben iſt nicht ſo leicht wie man denkt,
und ein recht gruͤndlicher Sprachforſcher wuͤrde zu
manchen ſonderbaren Betrachtungen aufgeregt wer⸗
den, wenn er eine Kritik der vorliegenden orvkto⸗
gnoſtiſchen Nomenclatur ſchreiben wollte. Werner
fühlte das gar wohl, und holte freilich weit aus,
indem er, um Gegenftände eines gewiſſen Fachs zu
benennen, die Sprachen überhaupt In ihrem Ent-
ftehen, Entwidiungs- und Blidungsfinne betrach-
ten und ihnen das was gu feinem Zwecke gefordert
ward, ablernen wollte.
Niemand hat das Recht einem geiftreichen Manne
vorzuſchreiben, womit er ſich beſchaͤftigen ſoll. Der
Geiſt ſchießt aus dem Centrum ſeine Radien nach
ber Peripherle, ſtoͤßt er dort an, fo laͤßt ers auf
ſich beruhen, und treibt wieder neue Verſuchslinien
aus der Mitte, auf daß er, wenn ihm nicht gegeben
iſt ſeinen Kreis zu uͤberſchreiten, er ihn doch moͤg⸗
lichſt erlennen und ausfuͤllen moͤge. Und wenn auch
Werner uͤber dem Mittel den — vergeſſen haͤtte,
N
|
f
23
welches wir doch kelneswegs behanpten dürfen, fo’
waren wir boch Zeugen ber Freudigleit, womit er
das Geſchaͤft betrieb, und wir lernten von ihm und
lernten ihm ab, wie man verfährt, um fich in einem -
Unternehmen zu befchränfen, und darin eine Seit
lang Gluͤck und Befriedigung zu finden
. Sonft ward mir weder Muße noch Gelegenheit
In ditere Bebandlungen der Naturgefchichte einzu-
geben. Ich ftudirte den Albertus Magnus, aber
mit wenigem Erfolg. Dean müßte fi) den Zuftand
feines Jahrhunderts vergegenwärtigen, um nur
: einigermaßen zu begreifen was hier gemeint und ge⸗
than fey.
Gegen das Ende der Enr kam mein Sohn nach
Sorisbad, dem ich den Anblick des Ortes, wovon fo
oft zu Haufe bie Rede war, auch gönnen wollte.
Dieß gab Gelegenheit zu einigen Abenteuern, welche
den innern unruhigen Suftand der Geſellſchaft offen
harten, Es war zu jener Zeit eine Art von Pele:
. Shen Mode, grün, mit Schnären von gleicher
Farbe vielfach befeht, beim Meitem und auf der
Jagd ſehr bequem, und deßhalb ihr Gebrauch fehr
verbreitet: Diefe Hülle hatten fi mehrere durch
den Krieg verfprengte preußiſche Officiere, zu einer
Interimsuniform beliebt, und konnten überall unter
Päctern, Sutsbefisern, Jaͤgern, Pferdehändlern
und. Studenten unerlannt umhergehen. Mein Sohn
trug dergieihen. Indeſſen hatte man. in Carlsbad
einige dieſer verfappten Officdere ausgewittert, und
%
24
nun deutete gar bald diefes ausgezeichnete Coſtuͤm
- auf einen Preußen.
Niemand wußte von der Ankunft meines Soh⸗
ned. Ich ftand mit Fräulein Leſtoeq an der Tepel⸗
mauer vor dem - Sächfifhen Saale; er geht vorbek
und grüßt; fie zieht mich bei Seite und ſagt' mit
Heftigtelt: Dieß tft ein preußifher Officier, und
was mich erichredt, er fieht meinem Bruder .
äbulih. Ich will ihn Herrufen, verſetzte Ih, will
ihn eraminiren. Ich war fhon weg als fie mir
nachrief: Um Gottes willen, machen Ste‘ keine
Streihe! Ich brachte ihn zuräd, ſtellte ihn vor und
fagte: Diefe Dame, mein Herr, wuͤnſcht einige
Auskunft, mögen Ste und wohl entdeden woher
Ste kommen und wer Sie find? Beide junge Per:
fonen waren verlegen, eins wie das andere. Da
mein Sohn ſchwleg und nicht wußte was ed beden⸗
ten. fole, und das Fraͤulein ſchweigend auf einem
ſchicklichen Nüdzug zu denken ſchien, nahm Ih das
Wort und erklärte mit einer fcherzhaften Wendung,
daß es mein Sohn fey,, und wir müßten es für ein
Samtiliengläd halten, wenn er ihrem Bruder einl⸗
germaßen ähnlich Tehen Könnte. Sie glaubte es
nicht, bis das Mähren eublih in Wahrſcheinlich⸗
keit und zuletzt In Wirklichkeit überging.
Dad zweyte Abentener war nit fo ergoͤtzlich.
Wir waren Ihon in den September gelangt, zu der
Jahrszeit, in welcher die Polen häufiger fih In Carls⸗
bad zu verfammeln pflegen. Ihr Haß gegen bie
*
25
Preußen war ſchon felt langer Beit groß, und nadp:
den letzten Unfaͤlen in Beratung. übergegangen.
Sie mochten: unten der gruͤnen, als polniſchen Ur⸗
ſprumgs, recht eigentlich polniſchen Jace, dießmat
auch einen Preußen wittern. Er geht auf dem Platz
umher, vor den Häufern der Wieſe, vier Polen bes
gegnen ihm auf der Mitte des Sandweges herge⸗
hend; einer loͤſ't fih ab, geht au ihm vorbei,
ſieht ihm ins Geſicht und geſellt ſich wieder zu
den andern. Mein Sohn weiß fo au manoͤnvriren,
daß er ihnen nochmals: begegnet, . in der Witte
des Sandwegs auf ſie losgeht, und die Viere durch⸗
ſchneidet, dabei ſich auch ganz kurz erklärt, wieer
heiße, wo er wohne und zugleich daß ſeine Abreiſe
auf morgen früh beſtimmt ſey und daß wer mas an
ihn zu fuchen babe, es dieſen Abend noch thun könne,
Wir verbrachten den Abend ohne beuyruhigt zu ſeyn,
.und fo teiften wir auch dem andern Morgen ab,
Es war als könnte diefe Komoͤdie von vielen Acten
wie ein: Englifches Luftfpiel nicht endigen ohne Eh⸗
renhänbel,
Bei meiner Ruͤckunft von Carlsbad brachten mir
die Sänger ein Staͤndchen, woraus ich zugleich Nei⸗
gung, guten Willen, Fortſchreiten in ber Kunſt und
mand anderes Erfreuliche gewahr werden konnte.
Ich verguägte mich nunmehr bekannten Melodien
neue aus der Gegenwart geſchoͤpfte Lieder zu heite⸗
ter Geſelligkeit unterzulegen; Demolſelle Engels.
trug fie mit Seiſt und Leben war, und fo eigueten
26
wir uns die beliebteſten Sangweiſen nach und nach
dergeſtalt an, als wenn fie für unſern Kreis wären
gebichter worden. Muſikaliſche, mehrfiimmige Vor⸗
Abungen fanden fleißig ftatt und am dreyßigſten De⸗
cember Eonnte der erfie Sonntag vor großer Gefell-
ſchaft gefeyert werben. _ x
Das Weimariihe Theater gewann zu Michael
einen angenehmen and hoffnungsvollen Tenoriften,
Murrhard. Seine Ausbildung befdrderte ein
älterer mufltslifher Freund, dem eine gewiſſe con⸗
certmeifterlihe Sefchidlichkelt eigen war, mit der:
Bioline dem Geſang nachzuhelfen, und dem Sänger
Sicherheit, Muth und Luft einzufidßen. Dieb gab
Veranlaſſung zu mufltalifchen Didastallen nad, Art
‚jener dramatifhen zu halten,. als Voräbung, um
den Sänger in Rollen einzuleiten, die Ihm vielleicht
nur fpäter zugetheilt würden. Zugleich war die Ab⸗
fiht Perfonen von weniger Stimme In leichten faß-
lihen Dpern, die als Einſchub Immer willkommen
find, brauchbar und angenehm zu mahen. Hleraus
‚entiprang fernerhin eine Hebung mebrftimmigen Ge⸗
fanges, welches denn früher oder fpäter dem Thea⸗
ter zum Nutzen zu Gute fommen mußte.
Auch ale Dichter wollte I für bie Bühne nicht
unthätig bleiben. Ich fchrieb einen Prolog für Leip⸗
zig, wo unfere Schaufpleler eine Zeit lang auftreten
folten; ferner einen Prolog zum drevßigſten Sep⸗
tember, um die Wiedervereinigumg der Färftlidien Fax .
milie nach jener widerwärtigen Trennung zu feyern.
u
Als das wictigfte interwehien bemerle ich je:
bob, daß ih Pandorens Wiederkunft zu
bearbeiten anfing. Ich that ed zwey jungen Män-
nern, vieljährigen Freunden, zu Liebe, Leo
von Sedendorf und Dr. Stoll, beide von
Ikterariihem Beſtreben, dachten einen Muſenalma⸗
nach in Wien heraus zu fördern; er follte den Titel
Pandora führen, und da der mythologifche Punct,
wo Prometheus auftritt, mir Immer gegenwärtig
und zur. belebten Fixidee geworden, fo griffich ein, -
nicht ohne die ernftlichften Intentionen, wie ein
jeder fi uͤberzeugen wird, der dad Stüd fo weites _
vorliegt aufmerffam betrachten mag.
Dem Bande meiner epifhen Gedichte follte
“ Ahiltets binzugefüstwerden; ich nahm das Ganze
wieder vor, hatte jedoch genug zu thun, mur bie
beiden erften Gefänge fü weit zu führen, um fie .
anfügen zu koͤnnen. -
Gedenken muß ich auch noch einer ebenfalld aus
feeundfchaftlihem Sinne unternummenen Arbeit.
Johannes von Müller hatte mit Anfang des
Jahres zum Andenten König Friedrichs des Zwep⸗
ten eine atabemifhe Rede gefchrieden, und wurde
deßhalb heftig angefochten. Nun hatte er felt den
erften Jahren unferer Bekanntfchaft mir viele Liebe
und Treue erwiefen und wefentlide Dienfte gelef-
ftet; ich dachte, daher Ihm wieder etwas Gefälliges
zu erzeigen, und glaubte es würde ihm angenehm
ſeyn, wenn er von irgend einer Seite her fein Un=
28
ternehmen gebilligt ſaͤhe. Eln freundiicher Wiber-
hall durch eine harmloſe Ueberſetzung fehlen: mir das
geeignetſte; fie trat im Morgenblatt hervor, und er
wußte mir's Dank, ob an — Sage gleich wichts ges
beffert wurbe.
Pandora's Wieberkunft war ſchematiſirt, und die
Ausführung geſchah nah und nach. Nur ber erſte
Theil warb fertig, zeigt aber ſchon wie abſichtiich
dDiefes Werk unteruommen und fortgeführt worden.
Die bereits zum dftern genannten Meinen Exrzäh-
| lungen befchäftigten mich in heitern Stunden, und
auch die Wahlyerwandtfchaften: follten in der Ark
Zur; behandelt werden. Allein fie dehnten ſich bald
ans, ber Stoff war allgubedeutend „nnd zu-tief in
mir gewurzelt, als daß ich ihn auf eine ſe leichte
Weiſe hätte befeitigen können.
Pandora ſowohl als die Wahtverwanbtigeften
druͤcken das fchmerzlihe Gefuͤhl der Cutbehrung aus,
und konnten alfo nebeneinander gar wohl gedeihen.
Pandorens erſter Theil gelangte zu rechter Zeit ge⸗
gen Ende des Jahrs nach Wien; das Schema der
Wahlverwandtſchaften war weit gediehen, und man⸗
che Vorarbeiten theilweiſe vollbracht. Eln anderes
Intereſſe that ſich im letzten Viertel des Jahres her⸗
vor; ich wendete mich an die Nibelungen, woven woven·
wohl manches zu ſagen waͤre.
Ich kannte laͤngſt das Daſeyn dieſes Gedichts
aus Bodmers Bemuͤhungen. Chriſtian Heiurich⸗
Müller ſendete mir feine Ausgabe leider ungehef⸗
29
tet, das koͤſtliche Werk blieb roh bei mir liegen und
ich, in anderem Sefhäft, Neigung und Sorge be-
fangen, biieb fo ſtumpf dagegen wie bie übrige Deut-
ſche Welt; nur Ins ich zufällig eine Seite die nach
außen gekehrt war, und fand bie Stelle, wo die
Meerfenuen dem kuͤhnen Helden weiffagen. Dieb
traf mich, ohne daß ich wäre gereizt worden, ing
Ganze tiefer einzugehen; ich phantafirte mir viel-
mehr eine für ſich beftehende Ballade des Inhalte,
‚die mich fin der Einbildungskraft oft befchäfsigte,
‚obfiben ich es möcht dazu brachte ſie aeueges und
zu vollenden.
Nun aber ward, wie alles feine Meife haben
will, durch patrietifche Thaͤtigkeit die Theilnahme
an dieſem wichtigen Alterthum allgemeiner und ber
Bugang bequemer. Die Damen, denen ich das Gluͤck
hatte nach Immer am Mittwoche Vorträge zu than,
erkundigten fih darnach, und ich fäumte nicht ihnen
davon gewänfchte Kenntniß zu geben. Unmittelbar
ergriff ich das Original und arbeitete mich bald der-
maßen hinein, „daß ich, den Tert vor mir habend,
Belle für Zeile eine verftändiiche Ueberſetzung vorle-
. Ten konnte, Es bileb der Ton, der Gang und vom
"Inhalt ging auch nichts verloren. Am beften gluͤckt
rin ſolcher Vortrag ganz aus dem GStegreife, weil
der Stun fih beifammen halten und der Geiſt leben⸗
dig kraͤftig wirken mn, indem es eine Art von Im⸗
vroviſiren iſt. Dach Indem ich in das Ganze des poe⸗
— Werls auf dieſe Weife einzubringen dachte,
U
50 Z
‘fo verfäumte ich nicht mich auch bergeftalt vorzube⸗
reiten, daß ich auf Befragen über das Einzelne ein: ,
germaßen Rechenſchaft zu geben im Stande wäre.
Ich verfertigte mir ein Verzeichniß ber Perfonen. |
und Charaktere, Adchtige: Auffäge über Localität
und Geſchichtliches, Sitten und Leidenſchaften, Har⸗
monie und Jacongrultaͤten, und entwarf zugleich
zum erften Theil eine hypothetiſche Charte. Hle⸗
durch gewann fch viel für ben Augenblick, mehr für
die Folge, Indem ich nachher bie ernften anhaltenden
Bemuͤbungen Deutſcher Sprach- und Alterthums-
Freunde beſſer zu — zu genleßen und zu
benußen wußte.
Zwey weit ee Werte wurden durch
Doctor Nlethammer angeregt von Muͤnchen her;
ein hiſtoriſch rellgtofes Volksbuch und eine allge⸗
meine Liederfammlung zu Erbauung und Ergoͤtzung
der Deutfhen. Beides wurde eine Zeit lang durch⸗
gedacht und ſchematiſirt, das Unternehmen jedoch,
wegen mancher Bedenklichkeit aufgegeben. Iubeffen
wurden von beiden, weil doch In ber Folge etwas
Aehnliches unternommen werben konnte bie gefam-
melten Papiere zurüdgelegt.
Zu Hackerts Biographie wurde die Vorarbeit
ernfttich betrieben. Es war eine fehwierige Auf:
gabe; denn bie mir überlieferten Papiere waren
weder ganz ale Stoff noch ganz als Bearbeitung an-
zufeben. Das Gegebene war nicht ganz aufzuldfen,
_ and wie ed lag nicht völlig zu gebrauchen. Es ver:
e 31
langte daher diefe Arbeit mehr Sorgfalt und Mühe
als ein eigenes aus mir ſelbſt entfprungengs Wer,
und es gehörte einige Beharrlichkeit und die ganze,
dem abgefchledenen Freunde gewidmete Liebe und
Hochachtung dazu, um nicht die Unternehmung auf⸗
zugeben, da die Erben des edlen Mannes, welche
ſich den Werth der Manuſcripte ſehr hoch vorſtellten,
mir nicht aaf das allerfreundlichſte begegneten.
Sowohl der polemiſche als der hiſtoriſche Theit
der Farbenlehre ruͤcken zwar langſam aber doch gleich⸗
maͤßig fort; von geſchichtlichen Studien bleiben Ro⸗
ger Bacon, Aquilonius und Boyle die Hauptſchrift⸗
fteller, am Ende bes Jahre iſt der erfte Theil meiſt
vollendet, der zweyte nur zum neunten Nevifions-
bogen gelangt.
Die Jenaiſchen Anftalten hatten ſich nad den
Triegerifchen Stuͤrmen, aus denen fie glüdtich und
wie durch ein Wunder gerettet worden, völlig wie⸗
der erholt, alle Theilnehmenden hatten eifrig einge-
griffen, und als man Im September tie ſaͤmmtlich re-
vidirte, ließ ſich dem Schöpfer derfelben, unferm
gnaͤdigſten Herren, „bet feiner gluͤclichen Ruͤctehr da⸗
von — Vortrag abſtatten.
J ——
1808.
Di⸗ geſelligen Perſoͤnlichkeiten in Carlsbad hat⸗
ten dieſen Sommer fuͤr mich ein ganz ander Weſen;
32
die Herzogin von Curland, immer ſelbſt anmuthig
mit anmuthiger Umgebung, Frau von der Recke,
begieltet von Tiedge und was ſich daran anfchlof,
bildeten hoͤchſt erfreulih eine berkimmiihe Mitte
der dortigen Zuftände. Man hatte ſich fo oft gefe-
hen, an derfelben Stelle, in denfelbeu Verbindun-
sen, ‚man harte fih in feinet Art und Welſe im⸗
mer als diefeibigen gefumben ; es war als hätte man
viele Jahre miteinander gelebt, man-vertraute ein-
‚ander ohne ſich eigentlich zu lennen.
Sür mid. machte die Familie Zigeſar einen
andern mehr entfchledenen, nothwendigern Kreis.
Ich kannte Eltern und Nachkommen bis in alle Ver-
gweilsungen, für den Vater Imtte Ich immer Hoch⸗
achtung, Ich darf wohl fagen Verehrung empfunden. .
Die unverwüftbar behagliche Chätigtelt der Mut⸗
ter ieh in Ihrer Umgebung wiemand unbefriedigt;
Kinder, bei meinem erſten Eintritt in Dradendorf
noch nicht geboren, kamen mir ftattlich und liebens⸗
- würdig berangewachfen bier entgegen; Bekannte und
Verwandte ichloffen ſich an, einiger und zufam⸗
menſtimmender wäre kein. Cirkel zu finden. Frau
von Sedendorf, geborne von Uechtritz, und
Pauline Gotter waren nicht geringe Sierden
dieſes Verhaͤltniſſes. Alles ſuchte zu gefallen und .
jedes gefiel fih mit dem andern, weil die Gefell-
‚fchaft ſich paarweiſe bildete, und Schelfuht und
Mißhelligkeit zugleich ausſchloß. Diefe ungeſuchten
Werhaͤltuiſſe brachten eine Lebensweiſe hervor, die
bei
- 33
bei bebeutendern Intereſſen eine Novelle nicht über
gekleidet hätte.
Dei einem in der Fremde miethwelfe geführten
Haushalt erſcheinen ſolche Zuftände ganz natuͤrlich
und bei geſellſchaftlichen Wanderungen ſind ſie ganz
unvermeidlich. Das Leben zwiſchen Carlsbad und
Franzenbrunnen, im Ganzen nach gemeſſener Vor⸗
ſchrift, im Einzelnen immer zufaͤllig, veranlaßt,
von ber Klugheit ber Aelteren zuerſt angeordnet,
von Leidenfchaftlichkeit der Sängern am Ende body
geformt, machte auch die aus ſolchem Conflict her⸗
vorgehenden Unbilden Immer noch ergoͤtzlich, fo wie.
in der Erinnerung hoͤchſt angenehm, well bocd zus
Iekt. alles ausgeglichen und überwunden war.
Von jeher und noch mehr feit einigen Jahren
überzeugt, daß die Zeitungen eigentlich nur da find,
um bie Menge binznhalten und über den Augenblick
zu verbienden, es fey nun daß den Mebacteur eine
Außere Gewalt hindere das Wahre zu fagen, oder
daß ein innerer Parteyſinn ihm ebendaſſelbe verbiete,
las ich keine mehr: denn von den Hanptereigniffen -
benadrichtigten mich nenigleltstuftige Krennde, und -
fonft hatse ich im Laufe diefer Zeit nichts zu fuchen.
Die Allgemeine Zeitung jedoch durch Freundlichkeit
des Herrn Cotta regelmaͤßig zugeſendet, haͤufte ſich
bei mir an, und fo fand ich durch die Ordnungsliebe
eines Sanzlepgenofien die Jahre 1806 und 1807 rein-
lich gebunden, eben als ich nach Carlsbad abreifen
wollte, Ob ich nun gleich, der Erfahrung gemäß,
Goeiperd Werte. XXXI. 20. 3
54
wenig Buͤcher bei fokhen Gelegenheiten mit ne
nahm, indem man die mitgenommenen ud vorhan⸗
denen nicht benußt, wohl aber ſolche Ikeft, die ans
zufällig von Freunden mitgetheitt werben, ſo fand
ich bequem und erfreulich diefe polltiſche Bibtiothek
mit mir zu führen, und fie gab nicht allein mir un,
erwarteten Unterricht und Imterhaltung, ſondern
auch Freunde, weihe dieſe Bände bei mir gewaie
wurden, erfuchten mich abwechfelnd barum, fo daß
ih fie am Ende gar nicht wicher zur Hand Yrhıgem
konnte; und vieleicht zeigte dieſes Blatt eben darin
fein beſonderes Verdienft, daß es mit Huger: dietar⸗
dation zwar bie und da. zurüdhieit, aber doch mt
Gewiſſenhaftigkelt nah und nach mitzutheilen nicht:
verfäumte, was dem finuigen Beobachter: Hug
geben follte.
Indeſſen war die Lage des Yugenbiits noch im-
met baͤngllch genug, fo daß die verſchlebenan Voͤl⸗
kerſchaften, welche an einem ſolchen Heilork zuſam⸗
mentreffen, gegen einander eine gewiſſe Apprehen⸗
fion empfanden und deßhalb ſich auch alles politi⸗
ſchen Geſpraͤchs enthielten. tm fo mehr aber mußte
die Kectüre folcher Schriften als ein Surrogat beffels-
ben lebhaftes Beduͤrfniß merken.
Des regierenden Herzogs Auguſt von St be
darf Ich nicht vergeffen, ber ſich, als problemdtiſch
darzuſtellen und, unter einer gewbſſen welchllchen
Form, angenehm und widerwärtig zu ſeyn bellebte.
Ich Habe mich nicht über ihn zu beklagen; aber es
36 _ V
war Immer aͤugſtlich eine Einladung zu ſeiner Tafel
anzunehmen, weil man nicht verausſehen fFounte,
weihen der Ehrengäfte er ſchonungslos zu behan⸗
dein zufällig genetgt feyn möchte.
Sodahn will Ich noch des Fuͤrſt⸗Viſchofs von.
Breslau und eines geheimnißvollen Schweden, in
der Badeliſte von Reiterholm genannt, eriwäße
nen. Erſterer war leidend, aber freundlich und zu⸗
thunlich, ' bei einer wahrheit perſoͤnlichen Wuͤrde.
Mit letzterem war die Unterhaltung immer beden⸗
tend, aber weil man fen Geheimniß fdronte umb
doch es zufällig zu berühren immer fürchten mnfte,
ſo fam man wenig mit ihm sufammen, da wir ihn
nicht ſuchten und er uns vermied.
Kreishauptmann von Schiller zeigte ſich wie
immer, cher den Surgäften ausweichend als fich
ihnen anfcehließend, ein am feiner Stelle fehr neth-
wendiged Betragen, da er bei vorkommenden poll:
teylichen Faͤllen Ale, nur infofern fie Recht oder
Unrecht hatten ; betrachten Tonnte und Fehr anderes .
Verhaͤltniß, welches perſoͤnlich fo keicht günftig odet
ungunfttg ſtimmt, hier obwalten durfte.
Mit Bergrath von Herder feste Ich bie her⸗
koͤmmlichen Gefpräcdhe fort, als wären wir nur
' eben vor Eurzem gefchichen, fo auch mit Wilhelm
. vor Suͤtz, welcher, wie ſich bald bemerken ließ,
auf feinem Wege gleichfalls treullch fortſchreiten
morhte.
Auch BVerprath Werner trat nach feiner Ger
6
wohnheit erſt fpät Herzu. Seine Gegenwart be-
lehrte jederzeit, man mochte ihn und feine Denk: .
weiſe betrachten, oder die Gegenftände mit denen
er fih abgab, durch ihn Tennen lernen,
Ein längerer Aufenthalt in Franzenbrunnen laͤßt
mich ben problematifhen Kammerberg bei Eger oͤf⸗
terd befuhen. Ich ſammle deſſen Producte, be=
trachte Ihn genau, befchreibe und zeichne ihn. Ich
finde mich veranlaßt von der Reußiſchen Meinung,
die ihn als pſeudovnlcaniſch anfpricht, abzugeben
und ihn für vulcanifch zu erklären. In diefem Sinne
fchreib’ ich einen Auffaß, welcher für fich felber ſpre⸗
den mag; vollkommen möcte die Aufgabe dadurch
wohl nicht gelöft, und eine Ruͤckkehr zu der Reußi⸗
{hen Auslegung gar wohl räthiih fun. — _
In Carlsbad war erfreulich zu ſehen, baß die
Joſeph Muͤlleriſchen Samminngen Gunſt gewannen,
obgleich die immerfort bewegten Kriegslaͤufte alle
eigentlich wiſſenſchaftlichen Bemuͤhungen mit Ungunſt
verfolgten. Doch war Muͤller gutes Muthes, trug
haͤufige Steine zuſammen und, an die neue Ord⸗
nung gewöhnt, wußte er ſie ſo zierlich zurecht zu
ſchlagen, daß bei Saͤmmlungen groͤßeren oder kleine⸗
ren Formats alle Stuͤcke von gleichem Maße ſauber
und inſtructiv vor uns lagen. Denn weil aus den un⸗
ter dem Hammer zerſprungenen Steinen immer der
paſſende oder bedeutende ſich auswaͤhlen lleß und das
Weggeworfene nicht von Werthe war, ſo konnte er
immer den Liebhaber aufs beſte und treulichſte ver⸗
—
57
forgen. Aber zu bewegen war er nicht feinen rohen
Vorrath zu ordnen; die Sorge fein Monopol zu ver-
Hleren und Gewohnheit der Unordnung machten ihn
allem guten Rath unzugänglih. Bei jeder frifchen-
Sammlung fing er an aus dem chaotifhen Vorrath-
auszuklanben und nach der neuen Einrichtung, auf
Bretern, die duch ſchwache Bretchen In Vlerecke
getheilt waren und dadurch die Groͤße des Exem⸗
plars angaben, in der Nummerfolge die Steine zu
vertheilen und ſo die Caſen des Bretes nach und
nach auszufüllen. Ich beſuchte Ihn täglich auf dem
Wege nah dem Neubrunnen zu einer immer er-
freulichen belehrenden Unterhaltung; benn ein fol-
her Naturkreis möge noch fo beſchraͤnkt ſeyn, es
wird immer darin etwas Neues oder and bem Alten
‚etwas hervorſtehend erſcheinen.
Nah ſolchen vielleicht allzutrocken und materiell
erſchelnenden Gegenſtaͤnden ſollten mich erneuerte
Verhaͤltnuiſſe mit wackern Kuͤnſtlern auf eine eigne
Welſe anregen und beleben.
Die Gegenwart Kaazens, bes vorzuͤglichen
Dresdener Landfchaftsmahlere, brachte mir viel -
Steude und Belehrung, befonders da er meifterhaft
meine’ bilettantifhen Skizzen fogleih In ein wohl
erfheinendes Bild zu verwandeln wußte. Indem
er dabei eine, Aquarell- und Dedfarben leicht ver⸗
bindende Manier gebrauchte, rief er auch mich aus
meinem-phantafttfhen Kritzeln zu einer reineten Bes
handlung. Und zum Belege, wie und die Nähe
FE ui
- = * ' *
bes Meiſters gleich einem Elemente hebt und trägt,
bewabre Ih noch aus jener Zeit einige Bidtter die,
gleich Lichtpunsten, anbenten: daB man unter fol
den Umfänben etwas vermag, was vor⸗ und nach⸗
her als unmöglich erfchlenen wäre.
Sodann hatte Ich die angenehme Ueberraſchung
yon einem vieliährigen Freunde und Angeeigneten,
nad) altem Herkommen, mic leidenfchaftlich angegan⸗
gen zufehen. Es war ber gute, talentvolle Bury,
der, im Gefolg ber Frau Erbprinzeß von Heſſen⸗
Saffel, in und um Dresden, zu Kunft: und Natur:
genuß, ſich eine Zeit lang aufgehalten hatte und
nun, beurlaubt, auf einige Tage bierber kam. _
Ich ſchrleb ein Gedicht zu Ehren und Freuden
dieſer wuͤrdigen, auch mir gewogenen Dame, wel⸗
ches, fin der Mitte eines großen Blattes kaligrae⸗
phirt, mit dem bilderreichſten Nahmen eingefaßt
werben ſollte, die Gegenden darſtellend, durch wel⸗
che fie gereif't, die Gegenſtaͤnde denen fie bie meiſte
Aufmerkſamkeit, zugewenbet, die Ihe den meiſten
Genuß gewährt hatten. Eine andführlihe Skizze _
ward erfunden und gezeichnet und alles dergeſtalt
mit Eifer-vorbereitet, daß au glüdlicher Ausfuͤh⸗
rung nit zu zweifela war. Das Gedicht feibft
findet fih unter ben meinigen, jedoch nur mit ben
Anfangs buchſtaben bezeichnet, abgedrudt. Bel die⸗
fer Gelegenheit zeichnete Bury abermals mein Por⸗
trait in Heinem Format und Umriß, welches .meine
Familie ‚als erfrenliches Denkmal jener Zelt in der
3
Folge zu ſchaͤten wußte. So bereicerte ſich denn
yon Selten der bildenden Kunſt dieſer Sommerauf⸗
enthalt, welcher einen ganz andern Charakter als
Der vorige, Dec aber auch einen werthen und folge= .
reilchen angenommen hatte.
- Rah. meiner, Ruͤckkunft ward Ich zu noch höherer
Sungbetrachtung aufyefordert. Die unfhäsbaren
Mionettiihen Paſten nach Griechiſchen Münzen wa⸗
zen angelommen. Man fah in einen Abgrund der
Wergangenheit und erftaunte über die herrlicften
Gebllde. Man bemühte ſich In diefem Reichthum
gu elner wahren Sdaͤtzung zu gelangen und fühlte
voraus, daß man für viele Jahre Unterricht umd
Auferbanung baber zu erwarten babe. Gefchnittene
Steine von Bedeutung vermehrten meine Ring⸗
Sammlung. Albrecht Dürers Federzeihnungen In
Steindruck kamen wiederholt und vermehrt zu ung.
unge, deſſen zarte, fromme, liebenswuͤrdige
Bewuͤhungen bei ung guten Eingang gefunden hat-
ven, ſendete mir die Driginalzeichnungen feiner gedan-
ken⸗ und blumenreichen Tageszeiten, welche, obgleich
fo treu und forgfältig In Kupfer ausgeführt, doch an
antärtichem unmittelbarem Ausdruck große Borzüge
bewiefen. Auch andere, meiſt balb vollendete Um⸗
rißzeichnungen von nicht geringerem Werthe waren
beigelegt. Alles wurde dankbar zurüdgefandt, ob
man gleich manches, wäre es. ohne Indiscretion zu
thun gewefen, gern bei unfern Sammlungen, zum
Aundenken eines vorzäglihen Talents, behalten hätte.
40
Auch wurden uns im Spätiahr eine Anzahl lanb-
ſchaftilcher Zeichnungen von Friedrich die ange
nehmfte Betrachtung und Unterhaltung, Sein ſchoͤ—
nes Talent war bei ung gelannt und gefhäßt, ‚bie.
Gedanken feiner Arbeiten zart, ja fromm, aber in
einem firengern Kunftfinne nicht durchgaͤngig gu bil⸗
ligen. Wie dem auch fey, manche fchöne Zengniſſe
feines Verdienſtes find bei ung einheimifch gewor⸗
den. Am Schluſſe des Jahrs befuchte uns ber
überall wilfommene Kuͤgelchen, er mablte mein
Portralt, und feine Perfönlichkeit mußte nothwendig
anf den gebildet gefeligen Kreis die zartefte Ein⸗
wirkung ausüben.
Ein Ständen das mir die Sänger vor meiner
Abreiſe nah Carlsbad braten, verfiderte mic
damals ihrer Neigung und beharrlichen Fleißes
auch während meiner Abweſenheit, und dem gemäß
fand ich auch bei meiner Wiederkehr alles in bem-
felben Gange. Die muſikaliſchen Privatuͤbungen
wurden fortgefegt, und das gefellige Lehen gewann
dadurch einen höchft erfreulichen Anklang.
- Gegen Ende bes Jahres ergaben fih beim Chea⸗
ter mancherlei Mißhelligkeiten, welde, zwar ohne
den Gang ber Vorftellungen zu unterbrechen, doch
ben December verfümmerten. Nah mancherlei
Discuffionen vereinigte man fih über eine neue Ein⸗
richtung, in Hoffnung auch diefe werde eine Zeit
Jang dauern können.
Des perfönlich Erfreullchen begegnete mir in dies
x
4
fem Jahre manches: Unſern jungen Herrſchaften
ward Prinzeß Marie geboren, allen zur Frende,
und befondere auch mir, der ih einen neuen Zweig -
des fürftiichen Baumes, dem ich mein ganzes Leben
gewidmet hatte, hervorfproflen fab. -
Mein Sohn Auguft zog rüftig und wohlgemuth
auf die Akademie Heidelberg, mein Segen, meine
Sorgen und Hoffäungen folgten ihm dabin. An
wichtige, vormals Jenalfhe Freunde, Voß und Thi⸗
baut, von Ingend auf empfohlen, konnte er wie {m
elterlichen Haufe betrachtet werben.
- Bei der Durchreife durch Frankfurt begrüßte er
feine gute Großmutter, noch eben zur rechten Selt,
da fie fpäter Im September ung leider entriffen ward.
Auch gegen Ende des Jahres ereignete fi ber Tod
eines jüngern Mannes, ben wir jedoch mit Bes
dauern fegueten. Fernow ftarb, mad. viel be-
ſchwerlichem Leiden; die Erweiterung der Halsarte-
tie quälte Ihn lange bedrängte Tage und Näcte,
bis ex endlich eines Morgens, aufrecht ſitzend, ploͤtz⸗
lich, wie es bei foihen Uebeln gu gefchehen pflegt,
entfeelt gefunden warb.
Sein Verluft wear groß für uns, denn die Duelle
der Itallaͤniſchen Literatur, die ſich ſeit Jagemanns
Abſcheiden kaum wieder hervorgethan hatte, ver⸗
ſiegte zum zweytenmale; denn alles fremde Literarf-
ſche muß gebracht, ja aufgedrungen werden, ed muß
wohlfeil, mit weniger Bemuͤhung zu haben ſeyn,
Wenn wir daraach greifen ſollen, um es bequem zu
*
en
42
arniehen. & fehen wir im atliaen Deuntſchland
das Itallaͤniſche, im weſtlichen das Franz oͤſiſche, Im
noͤrdlichen das Englifſche wegen einer nachbarlichen
oder ſonſtiger Einwirkung voewmaiten. -
Der im September erft in ber Naͤhe verfam-
meite, dann bis zu uns heranruoͤckkende Congreß zu
Erfurt iſt von fo großer Bedeutung, auch der Ein⸗
Auß dieſer Epoche auf meine Zuftände fo wichtig,
daß eine beſondere Darftellung diefer wenigen Tage
wohl unternommen werben Tollte.
e 1809.
Dieſes Jahr muß mir in ber Erinnerung, fchb-
mer Nefultate wegen, immer lieb und theuer blei⸗
den; ich brachte ſolches ohne Auswärtigen Aufent⸗
halt, theils in Weimar, theils ia Jena zu, wo⸗
Durch es mehr Einheit und Geſchloſſenheit gewann
als andere, die, meiſt in der Hälfte durch eine Ba⸗
dereife zerfchnitten, an mannichfaltiger Zerſtreunng
zu leiden hatten.
Mas ih mir aber in Jena zu leiften vorgenom⸗
men, foßte eigentlich durch einen ganz ununterbro-
denen Aufenthalt begünftigt feyn; dieſer war mir
jedoch uicht gegönnt, unerwartete Kriegslaͤufte bran-
gen zu und nöthigten zu einem mehrmaligen Orts⸗
wechſel.
Die ferneren und naͤheren Kriesebewe gungen in
43
Spanten und Oeſterreich mußten ſchon jeberman in
Furcht und Sorgen fehen. Der Abmarſch unferer .
Jaͤger, den 14 März mad Tyrol, war traurig und _
bedenklich; gleich barauf zeigte fi Einquartierung;
‚der Prinz von Ponte-Corvo, als Anführer des
Saͤchfiſchen Armeecorps, wendete fich nach ber Sränge
son Böhmen und zog von Weimar ben 25 April
nach Kranichfeld. Ich aber laͤngſt, und befonders
ſchon ſeit den letzten Jahren, gewohnt mich von der
Außenwelt voͤllig abzuſchließen, meinen Geſchaͤften
nachzubangen, Geiſtesproductionen zu foͤrdern, be⸗
gab mich fhen am 29 April nach Jena. Dort bear⸗
beitete-ich die Geſchichte ber Farbenlehre, holte das
- funfzehnte und ſechszehnte Jahrhundert nach und
ſchrieb die Geſchichte meiner eigenen chromatifchen
Belehrung und fortfchreiteuder Studien, welche Ar-
. "beit ih am vier und zwanzigften May, vorläufig abe
sefhloffen, bei Seite legte, und fie auch nur erſt
gegen Enbe des Jahre wieder aufnahm, ale Nuns
gens Farbenkugel unſere chromatiſchen Betrachtun-
gen aufs neue in Bewegung ſetzte.
In dieſer Epoche fuͤhrte ich die Farbenlehre bis
zu Ende bes achtzehnten Jahrhunderts, wie denn
auch zu gleicher Zeit der Druck des zweyten Theils
ununterbrochen fortging und die Aufmerkſamkeit zu⸗
naͤchſt ſich auf die Controvers mit Newton richtete.
Bei allem dieſem war Dr. Seebeck theilnehmend
und huͤlfreich.
Um von poetiſchen Arbeiten nunmehr zu fees,
*
in 2 “
fo hatte ich von Ende May’s an die Wahlverwandtz -
fhaften, deren erſte Eonception mic ſchon Längft
beſchaͤftigte, nicht wieder aus dem Sinne gelaffen.
Niemand verfennt an diefem Roman eine tief lei⸗
denſchaftliche Wunde, bie im Heilen fi zu ſchlie⸗
Ben fhent, ein Herz das zu genefen fürchtet. Schon
vor einigen Jahren war ber Hauptgedanke gefaßt,
nur bie Ausführung erweiterte, vermannichfaltigte
ih immerfort und drohte die Kunftgränge zu über
ſchreiten. Endlih nach ſo vielen Vorarbeiten beftd-
tigte fih der Entfhluß, man wolle ben Drud be⸗
ginnen, über manden Zweifel hinausgehen, das
eine fefthalten, dus andere endlich beſilmmen.
In dlefem raſchen Vorſchtitt warb Ich jedoch auf
‘einmal geftört, denn Indem man bie Nachrichten
des gewaltfamen Vordringens der Franzofen in
Defterreih mit Bangigkeit vernommen hatte, bes
gann ber König von Weftphalen einen Zug gegen
Böhmen, weßhalb ic den 13 Juny nad Weimar
gurädging. Die Nachrichten von biefer ſonderba⸗
ren Eipedition waren fehr ungewiß, als zwey,
dem Hauptquartier folgende diplomatiſche Freunde,
von Reinhard und Wangenheim, mic uner-
wartet befuchten, einen merklaͤrlichen Rüdyug raͤth⸗
felhaft anfündigend. Schon am 15 July fommt
ber König nah Weimar, der Nüdzug ſcheint im
Flucht auszuarten und gleih am zwanzigſten dngftigt
das umherſtreifende Delfifhe Corps uns und die
Nachbarſchaft. Aber auch dieſes Gewitter zieht
—
45
= fänet in nordweſtlicher michtung und
ſaͤume nicht am 23 Julv wieder nach Jena zu
gehen.
Unmittelbar — werden die Wahlverwandt⸗
ſchaften in die Druckerey gegeben, und Indem dlieſe
fleißig fördert, fo reinigt und ründet ſich aud nad
and nach die Handichrift, und der dritte Detober be=
freit mich von dem Werke, ohne daf die Empfin⸗
dung bes Inhalte ſich ganz hätte verlieren koͤnnen.
In gefellger Unterhaltung wandte fih das In⸗
tereffe faſt ausſchließlich gegen nordifhe und übers
Haupt tomantiſche Worzeit. Die, nad dem Dilgl:-
nal, aus dem Stegreif vorgefragene, und immer
beffer gelingende Ueberſetzung der Nibelungen hielt
durchaus bie Aufmertfamteit einer ebeln Sefelfhaft _
fe, die fih fortwährend Mittwochs In meiner Woh-
sung verfammelte. Fierabras und andere dhnliche
Heidenfagen und Gedichte, König Rother, Triſtan
und Iſelde folgten und begünftigten einander; be-
fonders aber wurde die Aufmerkſamkeit auf Wilkina
Saga und fonftige nordifhe Verhaͤltniſſe und Pro-
ductionen gelenkt, als der wunderlihe Fußreiſende
Nunen: Antiguar Arndt bei und eintehrte, durch
perſoͤnliche Mirtheitungen und Vorträge bie Gefells
ſchaft wo nicht für ſich einnahın, doch fich Ihr erträg-
lich zu machen ſuchte. Dr. Majers nordifhe Sa⸗
gen trugen das Ihrige bei, uns unter dem duͤſtern
Himmel wohlbehaglich zu erhalten; zugleich war
nichts natürlicher als daß man Deutfhe Sprachal⸗
-
46
terthämer hetyorhob und Immer mehr ſchaͤtzen lern⸗
te, wozu Grimms Aufenthalt unter und mitwirk⸗
te, indeß ein gründlich grammatifcher Ernit burg
des Knaben Wunderhorn lieblich aufgefriſcht warde.
Die Ausgabe meiner Werte bei Cotta forderte
. gleichfalls manchen Zeitaufwand, fie erfchien und
gab mir Gelegenheit durch Verſendung mander
Eremplare mich Goͤnnern und Freunden ins Gedaͤcht⸗
niß zu rufen. Mon derſelben wird an ehem andern
Orte die Dede ſeyn.
Was aber bei meinen dießjaͤhrigen Bemühungen
am entfchledenften auf das Künftige hinwies, wa⸗
ren Vorarbeiten gu jenem bedentenden Unternehmen
einer Selbſtbiographie, denn es mußte mit Sorg⸗
falt und Umſicht verfahren werben, ba es bedenfiich
ſchien, fich lange verfloffener Jugendzeiten erinnern
zu wollen. Doch ward enbdlich der Vorfab dazu ges
faßt, mit dem Entſchluß gegen fih und andere unfe
richtig zu ſeyn und ſich ber Wahrheit moͤglichſt zu
naͤhern, in ſoweit bie Erinnerung wur kumer days
behuͤlflich ſeyn wollte.
Meinen dießjaͤhrigen laͤngern Aufenthalt in Tone
forderte auch bie neue Giuriätung, weiche in Ab⸗
fiht des Hauptgeſchaͤftes das mir oblag untängk be⸗
Hebs wurde; Unſer gnaͤdigſter Herr nämlich Hatte
angeordnet, daß alle immittelbaren Anſtalten füs
Wiſſenſchaft und Kunft unter Eine Oberaufſecht ver⸗
fammelt, ans Einer Caſſe befiristen und in Einem
Sinne verhaͤltatßmaͤßig fortgeführk werben. ſolltes.
47
Hoͤchſtbieſelben hatten das Zutrauen zu Geh. Rath
von Wolgt und mir, daß Mir dieſe Abſichten tren
und zweckmaͤßlg erfüllen wärben. Zu diefen Anſtal⸗
ten aber, welche, ohne mit aͤhnlichen Inftituten ver-
knuͤpft, und In ditere Verhaͤltniſſe verflochten zw
feyn, bloß von dem Willen des Firften abhingen,
Indem er auch den Aufwand derfelben ans eigenen
Mitteln beftritt, gehörte In Weiner die Bibliothek
und das Muͤnzcabinet, ingleichen die freie Zeichen⸗
ſchule; In Jena die verschiedenen feit dem Regie⸗
rungsamtritt Bes Herzogs erfi gegrändeten und ohne
Mitwirtang der. uͤbrigen hoͤchſten Herren Erhulter
der Akademie, errichteten Muſeen und fonftigen
wiſſenſchaftlichen Einrichtungen. Bel nunmehrigem
Verein alter dieſer Inſtitute, die bieher befondere -
Etats gehabt, hing es vorn ben Vorgeſetzten ab, zu
ermeſſen wo jedesmal, nach Vorkommaiß ber Um—
ſtaͤnde, Gelder verwendet und diefem und jenem
Zweige nachgeholfen werden ſollte; welches bt le⸗
bendiget Ueberficht and vorurtheilsfreien Geſinaun⸗
gen um deſto moͤglicher war, ba ber Fuͤrſt wicht ſo⸗
wohl Vorſchlaͤge zu dem was geſchehen ſollte ver⸗
langte, als vielmehr gern von dem was geſchehen
war berichtllich und perſoͤnllch Kennkulß nahm.
Da die gedachten Jenaiſchen Anftalten, ſeit drey⸗
Pla Jahren gedruͤndet und fortgeführt, bei ber
Franzoͤſiſchen Invaſion nur wenig gellften Hatten, -
ſo fuchte man fie um defto muchiger vonkemmen her-
Due 1.2 LU 2 andere net damit sa verniien,
⸗
48
Weil aber wegen Erweiterung beſchraͤnkter Locall⸗
täten und zweckmaͤßiger Umftellung des vorhande⸗
nen, alles diefed eine gewiſſe durchdringende indi⸗
vlduelle Einficht verlangte; ſo wurde die yerföulihe
Gegenwart desienigen der zu entſcheiden berechtigt.
war, um fo mehr erfordert, als hier kein Plan ſich
denten ließ, und nur eine, bie augenblidlichen Um:
fände benutzende Gewandthelt zum Ziele führen.
Eounte, J
Für Weimar dagegen machte ſich eine Baulich⸗
keit von Bedeutung noͤthig, ein Anbau nämlich an
Herzogliche Bibliothek, wodurch ſowohl Erpeditions⸗
zimmer als andere Raͤume zu dem, ſich immer ver-
mehrenden Vorrath an Büchern, Kupferſtichen und
andern Kunftfahen gewonnen wurden, Die wegen
Ausbau des Schloffes anweſenden Preußiſchen Archl⸗
tetten Genz und Raabe waren bejrätbig, und fo
entitand ein fo nuͤtzliches als erfreuliches auch inner⸗
Halb wohl verzierted Gebäude. - - :
. Doc nicht für Räume und, Sammlungen allein
werd geforgt, eine durch Sparfamteit in gutem
Zuftand erhaltene Caſſe erlaubte gerade zur rechten
Seit einen jungen Naturforfber, den Prokeſſor
Woigt, nach Frankreich zu ſenden, der gut vorbe⸗
reitet, in Parts und andern Orten, felgen; Aufent⸗
halt forgfältig zu nuken wußte, und in ſedem Sinne
wohlausgeftattet zurüdkebrte.
Das Theater ging, nach überitandenen leichten
Stuͤrmen, rubig ſeinen Opng. Vei dergleichen Er⸗
re⸗
49
regungen iſt niemals bie Frage wer etwas leiften,
fondern ‚wet einwirken und befeblen fol; find bie
_ Mifverhättuiffe ausgeglichen, fo bleibt alles wie
vorher uud iſt nicht beſſer wo wicht ſchlimmer. Das _
Mepertorium mar wohl ausgeftattet, und man wie-
derholte die Stüde, bergeftalt bab das Publicum
an fie gewöhnt blieb, ohne Ihrer überbräffig zu wer-
den. Die neuſten Erzeugniffe: Antigene von
Rochlitz, Knebels Ueberſezung von Saul des
Alfieri, die Tochter Jepht a von Robert, wur-
den der Reihe nach gut aufgenoumen. Werners
bedeutendes Talent zu begünftigen bereitete man
eine Aufführung bes 2a Februars mit großer Sorg⸗
falt vor, indeſſen bie gefaͤlligen helteren Stuͤcke von
Steigenteſch ſich Im Publicum einſchmeichelten.
Demoiſelle Haͤsler als vielverſprechende Saͤn⸗
gerin, Moltke als hoͤchſt angenehmer Tenor, tra⸗
ten zu unſerer Buͤhne und nahmen Theil an den
Didastalten welche treulich und eifrig fortgeſetzt
wurden. Werner verſuchte große und kleine Tra⸗
gödien, ohne daß man hoffen konnte fie für das
. Theater brauchbar zu. fehen.
_ Die häustihen mufitalifchen Unterhaltungen ge⸗
wannen durch ernfiere Einrichtungen Immer mehr an
Werth. Das Sängerhor unter Anleitung Eber-
weins Teiftete Immer mehr. - Donnerflag Abends.
war Probe, nach ber man meiſtens zu einem fröh-
chen Mahl zufammenblich. Sonntags Aufführung
‚vor großer guter Gefellfchaft, begleitet von irgend
Goethes Werke, XXXII. w. | 4
50 v
einem Fruͤhſtuͤk. Diefe durch den Sommer einiger:
- maßen unterbrochenen Privatübungen wurden im
Spätherbft fogleich wieder aufgenommen, indeſſen
Theater und Öffentlihe Muſik durch den antretenben
Capellmeiſter Müller belebt und geregelt wurden.
Auch iſt nicht zu vergeffen, daB im Laufe des Jahre
Sränlein aus dem Winkel uns durch bie man⸗
nichfaltigften Talente zu ergögen wußte,
Auch die bildende Kunft,. die wir freilich Immer-
fort auf das herzlichfte pflegten, brachte uns biefes
Jahr die ſchoͤnſten Fruͤchte.
In Muͤnchen wurden die Handzeichnungen Al⸗
brecht Duͤrers herausgegeben, und man durfte wohl
ſagen, daß man erſt jetzt das Talent des ſo hoch ver⸗
ehrten Meiſters erkenne. Aus der gewiſſenhaften
Peinlichkeit, die ſowohl feine Gemaͤhlde als Holz-
ſchnitte beſchraͤnkt, trat er heraus bei einem Werke
wo ſeine Arbeit nur ein Beiweſen bleiben, wo er
mannichfaltig gegebene Raͤume verzleren ſollte. Hier
erſchien fein herrliches Naturell völlig heiter und
humoriſtiſch; es war das fhönfte Geſchenk des auf
zeimenden Steindruds.
Bon ber Mahlerey wurben wir auch gar freund:
lich theilnehmend heimgeſucht; Kagelchen der gute,
Alta Umgang allen fo werthe Künftler verweilte meh⸗
rere Wochen bei und, ex mahlte Wielands Portrait
- und meins nach der Perſon, Herderd und Schillers
nach der Heberlieferung. Menſch und Mahler waren
51 | *
eins in ihm, und daher werden jene Bilder Immer
einen doppelten Werth behalten. |
. Wie nun er burch Menfchengeftalt die Aufmerk⸗
ſamkeit ſowohl auf ſeine Arbeit als auf die Gegen-
ſtaͤnde hinzog, fo zeigte Kaaz mehrere landſchaft⸗
Uche Gemaͤhlde vor, theils nach der Natur eigens
erfunden, theils den beiten Vorgängern nachgebil-
det. Die Ausftellung fowohl hier als In Jena gab
zu finnig gefelligen Vereinen den heiterften Anlaß,
und brachte auch folhe Perfonen zufammen bie ſich
ſonſt weniger zu naͤhern pflegten.
Hirts Wert über die Baukunſt forderte zu
- neuer Aufmerkfamteit und Theilnahme in diefem
Sache, fodann nöthigte er uns durch bie Reſtaura⸗
tionen bes Tempels ber Diana zu Ephefus, Inglei-
hen des Salomonifchen, Ins Altertum zuräd, Su
Gerichte und-trümmerhafter Anfhauung mußte bie \
Einbildungskraft fih gefelen; wir nahmen lebhaft
Theil, umd AUENeN: zu aͤhnlichen Verſuchen auf: -
geregt. —
Ein vorzuͤgliches für alterthuͤmliche Kunſt hoͤchſt
wichtiges Geſchenk erthellte uns Herr Dr. Stieg⸗
lütz, indem er Schwefelabgäffe feiner anfehnlichen
Muͤnzſammlung verehrte und fowohl dadurch als
durch das beigefügte Verzelchniß den Forfchungen in
den Felde alterthuͤmlicher Kunft nicht geringen Vor⸗
ſchnub leiſtete. a
Zugleich vermehrten ſich unfere Münzfächer durch
Medaillen des funfzehnten und fehzehnten Jahr⸗
\
* 3572
hunderts. Betrachtungen daruͤber wurden zu Pro⸗
grammen ber allgemeinen Jenalſchen Literaturzei⸗
tung beſtimmt; der kunſtreiche Schwerdgeburt,
mit gewiſſenhafter Genauigkeit, ſtach dazu einige
Umrißtafeln. u
Zu allen dieſen fügte fih noch eine Saumlung
Aöfteiger Ausgrabungen metellner Geräthe von uns
-helansıten Formen, denen ih viel Aufmerkſamkeit
ſchenkte. Ich forſchte manches darüber In ber ältern
Geldhihte, befonders jener Epoche wo Heiden und
Chriſtenthum in Frauken und Thüringen gegen eins
ander ſchwankten. Unter ben Bädern bie ich da⸗
mals auffchlug waren mir bie Antiquitates Nord-
gavienses befonderd merkwürdig, und veranlaßten
- eine geuane Betrachtung ber Paganien, b. h.
per beibnifhen Gebräuche, melde durch bie erſten
Fraͤnkiſchen · Concillen verbaunt wurden. Ich über:
zeugte mich aufs neue daß unſere heidniſchen Ur⸗
vaͤter zwar viele auf Naturahnungen ſich beziehende
duͤſter aberglaͤubiſche Gewohnheiten, aber keine fra⸗
tzeuhaften Goͤtenbilder gehabt. Ein ſchriftlicher Auf⸗
fatz über dieſe Gegenſtaͤnde ward nom dem Fuͤrſtlich
Reußiſchen Beſitzer freundlich aufgenommen wnd
mir dagegen ein Eremplar ber gefundenen raͤthſel⸗
haften Alterthuͤmer verehrt.
Auch eine Sammlung von eigenen Handfchriften
Hedentender Perſonen ward diefes Jahr Buch Freun⸗
desgunſt anfehulich vermehrt, und. fo beitärkte fi
der Glaube daß die Handſchrift auf den Charakter
53
des Schreibenden und feine jedesmaligen Zuftaͤnde
—
entſchieden hinweiſe, wenn man auch mehr durch
Ahnung als durch Haren Begriff fih ımb andern
davon Nechenfchaft geben könne; wie ed ja bei aller
Phyſiognomik der Fan iſt, welde bei Ihrem aͤchten
Naturgrunde nur dadurch außer Credit kam, daß
man ſie zu einer Wiſſenſchaft machen wollte.
Von Naturereigniſſen erwaͤhne ich des gewalt⸗
famen Sturms in der Nacht vom 30 auf den 31
Januar, weicher weit und breit wuͤthete, und auch
mir einen empfindlichen Schaden brachte, indem er
einen alten ehrwuͤrdigen Wachholderbaum in mei⸗
nem Garten am Sterne niederwarf und fo einen
freuen Zeugen slädliher Tage von meiner Seite
riß. Diefer Baum, ber einzige In der ganzen Ge⸗
gend, wo ber Wacholder faft nur als Geſtruͤppe
vorkommt, hatte fi wahrſcheinlich aus jenen Zei⸗
ten erhalten wo hier noch keine Gartencultur ge=
wefen. Es hatten ſich allerlei Fabeln von ihm verz'
breitet: ein ehemaliger. Beſitzer, ein Schumann,
ſollte darunter begraben feyn, zwiſchen ihm und
dem alten Haufe, in deſſen Nähe er fand, wollte
man geſpenſterhafte Mädchen, die den Plab reine
fchrten, gefehen haben; genng er gehörte zu dem
abenteuerlichen Compiler jenes Aufenthalts, In wel⸗
hem fo manche Tahre meines Lebens hingefloffen,
und der mir und andern dur Neigung und Ge-
wohnheit, durch Dichtung - und Wahn fo herzlich
lieb geworden.
S
. 54
Den umgeltürsten Baum ließ ich durch einen
jungen Künftler zeichnen, wie.er noch auf Herzog⸗
licher Bibliothek zu: fehen iſt; die unterſchrift ſagt
von ihm folgendes:
„Oben gezeihneter Wachholderbaum ſtand
in dem Garten des Herrn Geheim. Raths von
Gdethe, am Stern. Die Hoͤhe vom Boden bis da⸗
bin wo er ſich in zwey Aeſte theilte, war zwoͤtf hie⸗
ſige Fuß, die ganze Höhe 43 Fuß. Unten an ber
Erde hielt er 17 Zoll im Durchmeſſer, dba wo er fih
in die beiden Aeſte theilte, 15 Zoll. Jeder Aft
11 300, und nachher fiel es ab, bie fich die Spisen
ganz zart verzweigten.
Bon feinem Außerft hohen Alter wagt man nichts
zu fagen. Der Stamm war inwendig vertrodnet,
das Holz or mit horizontalen Riſſen durch⸗
fohnitten, wie man fie an den Kohlen zu fehen
pflegt, von gelbliher” Farbe und von Würmern
zerfreffen.
Der große Sturm, weicher In der Nacht vom 30
zum 31 Januar wüthete Im Jahr 1809, riß Ihn um;
ohne dieſes außerordentliche Ereigniß hätte er noch
. Lange. ftehen tönnen. Die Gipfel der Aeſte fo wie
die Enden ber Zweige waren durchaus grün und J
lebendig.“
55
181
Ein bedeutendes Jahr, abwechſelnd am Thätlg-
keit, Genuß und Gewinn; fo daß ich mic bei einem-
überreichen Ganzen in Verlegenheit fühle, wie ih
die Theile gehörig orbuungsgemäß barftellen fol.
2er allen Dingen verdient wohl das Wiſſen⸗
ſchaftliche einer nähern Erwähnung. Hier war ber
Anfang dee Jahrs mühfam genug; man war mit
dem Abdrud der Zarbenichre fo weit vorgerüdt,
daB man den Abſchluß vor Jubilate zu bewirken ..
nicht für unmöglich hielt; ich Ichloß den polemifhen
Theil, fo wie die Geſchichte des achtzehnten Jahr
Hundert: die nach meinen forgfältigen Zeichnungen
geftochenen Tafeln wurden illuminirt, die Recapitu⸗
lation des Ganzen vollbradt, und man fah das letzte
Blatt mit Vergnügen in die Druderey wandern.
- Dieb geſchah achtzehn Jahre nach dem Gewahr⸗
werden eines uralten Irrthums, In Gefolg von un=
abläffigen Bemähnungen und dem endlich gefundenen
Yuncte worum fick alles nerfammeln mußte. Die
bisher getragene Laft war fo groß, daß ich ben 16
May als gluͤchlichen Befreiungstag anfah, an wel-
chem ich mich In den Wagen fehte, um nach Böhmen
zu fahren. Um die Wirkung war Ich wenig befüm-
mert, und that wohl. Einer fo volllommenen Un⸗
theilnahme und abweifenden Unfrenndiichleit wat‘ -
ih aber doch wicht gewärtig; Ich Ichweige davon und
exwähne tieber mie viel ich bei diefer und bei: mels
—
nen uͤbrigen wiſſenſchaftlichen und literariſchen Ar⸗
beiten einen mehrjaͤhrigen Hausgenoſſen, Reiſege⸗
faͤhrten, ſo gelehrten als gewandten und freundlichen
Mitarbeiter Dr. Frledrich Wilhelm Riemer ſchul⸗
dig geworden.
Weil man aber einmal des Muͤhens und Be⸗
muͤhens gewohnt, ſich immer ſehr gern und leicht
neue Laſten auflegt, ſo entwickelte ſich, bei nochma⸗
liger ſchematiſcher Ueberſicht der Farbenlehre, der
verwandte Gedanke: ob man nicht auch die Ton⸗
lehre unter aͤhnlicher Anſicht auffaſſen koͤnnte, und
fo entſprang eine ausführliche Tabelle, wo In drey
Solumnen, Subject, Object und Wermittelung aufe
geftellt worden.
Und wie Feine unferer Gemuͤthskraͤfte ſich auf
dem einmal eingefchlagenen Wege leicht irre machen
läßt, es fey num daß man zum Wahren oder zum
Falſchen hinſchreite; fo wurbe jewe Vorſtellungs art
auf die ganze Phyſik angewandt: das Subjert im ges
nauer Erwägung feiner auffaffenden und erfennens
den Drgane, das Objeet ats ein allenfalls Erkenn⸗
bares gegenüber, bie Erſcheinung, durch Verſuche
wiederholt und vermannichfaltist, in ber Mitte;
wodurch denn eine ganz eigene Art von Eerfhung
bereitet wurde.
Der Verſuch, als Beweis irgend 5
tiven Ansſpruches, ward verworfen; es eutſtand
was man ſchon laͤngſt Anfrage an bie Natur ge⸗
nannt hat. Und wie denn alles Crfinden als elite
‚57
wetfe Antwort auf eine vernünftige Frage augefehen
werben kann, fo konnte man fich bei jedem Schrift
überzeugen, daß man auf dem rechten Wege fey,
indem man überall im Einzelnen und Ganzen nur
Gewinne zur Seite fab,
Wie fehr ich aber auch durch glädiiche Umgebung
in dieſem Fache feftgebalten wurde, geht daraus herz
vor, daß Doctor Seebeck ſowohl zu Haufe als
auswärts faſt Immer in meiner Nähe blieb. Pro⸗
feſſor Boigt kam ans Frankreich zuräd und theilte
gar manche fhöne Erfahrung und Anfiht mit; die
‚wiffenfchaftlihen Zuftände in Paris wurden und
duch einen Deutfchen nach unferer Spradh- und
Denkweiſe näher gebracht, und ‘wir bekannten mit
_ Vergnügen, daß er feine Zeit ſowohl für fih als
“für und gut angewendet hatte,
Was für Muflt im Theater, fowohl in ben
eriten ald letzten Monaten des Jahrs geſchah, ver⸗
melde kürzlich: die Uebungen ber freimilfigen Haus⸗
capelle wurden regelmäßig fortgefeht; Donnerſtags
Abends Probe vor einigen Freunden gehaiten, Sonne
tags Früh Aufführung vor großer Geſellſchaft. Ael⸗
tere und jüngere Theaterſaͤnger, Choriſten und -
- Kebhaber nahmen Theil; Ebermein dirigirte
meiſterhaft. Mehrſtimmige Sachen von Zelter und
andern Stallänifchen Großen wurben Ins Leben ge:
fuͤhrt und Ihr Andenken yegrändet, Vergnügen und
Nutzen, Anwendung und dortfchreiten in Eins ver⸗
banden.
Dadurch daß die Probe von der Ausführung
vollkommen getrennt. bileb, ward das dilettantifche
Pfuſchen völlig entfernt, das gewöhnlich erft im
Augenblick der Aufführung no probirt, ia bis ben
lehten Augenblick nnausgemacht laͤßt, was denn
eigentlich aufgeführt werden kann und ſoll.
Die Donnerftage waren kritiſch und bibaktifc,
bie Sonntage für jeden empfänglich und genußreich.
Gegen Ende des Jahre konnten von diefer Ge⸗
ſellſchaft Öffentliche Unterhaltungen Im Theater ge-
geben werben; man führte folde Muſikſtuͤcke auf,
welhe zu hören das Publicum fonft keine Gelegen⸗
beit findet, und woran jeder Gebildete fi wenig:
ſtens einmal im Leben follte erquickt und erfreut
haben. Als Beiſpiel nenne ich bier Johanna
Sebus, componirt von Zelter, die einen unaus-
—ͤſchlichen Eindruck In allen Gemuͤtherw zurüd ließ.
| Ebenmäßig wurden mit dem recitirenden Schau:
fpielern die: Didastalien fortgefegt, mit ben ge:
uuͤbteſten nur beinenen Stüden, mit ben Jüngeren
bei frifher Beſetzung Älterer Rollen. Diefe legte
- Bemühung iſt elgentlih der wichtigfte Theil dee
Unterrichts, ganz allein durch ſolches Nachholen
und Nacarbeiten wird ein ungefiörted Enfemble
erhalten.
Zalre, überfegt von Pencer, bewies aber:
mals die Fertigkeit unferes Perſonals Im reinen Re⸗
eitiven. und Declamiren. Die erfte Lefeprabe war '
N
59
fo voltommen, daß ein gebitdetes Yublicum durch⸗
aus dabei hätte gegenwärtig feyn können.
- Der vierundzwanzigite Gebruar von
Werner, an feinem Tage aufgeführt, war vols
lends ein Triumph vollkommener Darſtellung. Das
Schredlihe des Stoffe verſchwand vor der Reinheit
und Sicherheit der Ausführungz dem aufmerkſam⸗
ften Kenner blieb nichts zu wuͤnſchen übrig.
Bewegte Plaſtik ward und durch das ausgezeich⸗
nete Talent der Fran Hendel Schäß vorgeführt;
dffenttiche ernfte Darftellung, heitere ſcherzhafte ia
Tomifhe Simmerunterhaltung gewährte nene Kunft-
anfichten und vielen Genuß.
Die Vorftellung der Oper Achill durch Brizzi
in Staltänifher Sprache eröffnete gegen Ende des
Jahrs ein neues Feld, und zu gleicher Zeit näherte -
fih , unter den ernfteften und treuften Bemähun
gen, bei hochgeſteigertem Talent des Schaufpielere
Wolf, ber ftandhafte Prinz der erfehnten
Aufführung.
Bezüglich auf bildende Kunft ergab fich gleichfalls
eine merkwürdige Epoche. Die Gebräter Boiſ⸗
ferde fandten mir durch ben auf die Leipziger
Meſſe reifenden Buchhändler Zimmer von Heidel-
berg ihre koͤſtlichen ausgeführten Zeichnungen des
Domgebäudes. Gern rief ich bie Gefühle jener
- Jahre zuräd, als der Straßburger Muͤnſter mie
Bewunderung abnöthigte, und mid. zu ſeltſamen
aber tief empfundenen enthufiaſtiſchen Aeuferungen
68
veranlaßte. Nun ward das Gtublam jener aͤlteren
.. befonderen Baukunſt abermuls ernſtlich und gruͤnd⸗
lich aufgeregt, und dieſer wichtige Gegeuſtand von
ben Weimariſchen Kunſtfreunden theilnehmend im
Betrachtung gezogen.
Eine Anwandlung landſchaftliche Skizzen zu zeich⸗
nen wies ich nicht ab; bei Spazlergaͤngen Im Fruͤh⸗
ling, befonders nahe bei Jena, fat’ ich irgend
einen Segenftand auf, ber fih zum Blild qualiftciren
weite, mad ſuchte Ihn zu Haufe alsdann zu Paplet
zu bringen. Gleichermaßen werd weine Einbil-
dungskraft durch Erzählungen leicht erregt, fo daß
ich Gegenden. von denen im Gefpräh die Rede
war, alfobald zu entwerfen trachtete. Diefer wun-
derfame. Trieb erhielt fi lebhaft auf meiner ganzen
Reife, und verließ mich nur bei meiner Ruͤckttehr,
am nicht wieder hervorzutreten.
Auch fehlte es nicht Im Laufe bed Jahrs an Ge⸗
legenheit fefllihen Tagen manches Gedicht und
mande Darftellung zu widmen. Die romens
tifhe Poeſie, ein großer Redontenaufzug war
bem dreyßigſten Jauuar gewibmet, zum 16 Februar
wiederholt, wobei zugleih eine charakterkitifche
Reihe Ruſſiſcher Voͤlkerſchaften ſich auſchloß, gleiche
falls von Gedicht und Geſang begleitet. Die Gegen⸗
wart der Kaiſerin von Oeſterreich Majeſtaͤt in Carls⸗
bad rief gleich angenehme Pfllchten hervor, und
manches andere Heinere Gedicht entwidelte fich im
Stillen.
‚ 61
Hackerts Biographie ward indeſſen ernſtlich au-
gegriffen, eine Arbeit die viel Zeit und Muͤhe ko⸗
ſtete; wobei uns das Audenlen an ben verewigten
Freund zu Huͤlfe kemmen mußte. Denn obgleich
die vorliegenden Papiere van Bebentung waren und
genugfamen Gehalt lieferten, To blieb doch bie ver-
ſchiedenartige Form deſſelben ſchwer zu gewältigen
und in irgend ein congruentes Ganzes zuſammen⸗
zufuͤgen. I —
Zerſtreuungen ber Reiſe, vorübergehende Theil⸗
nahme begegnender Freunde an kleineren Aufſaͤtzen
erinnerte mich an die mancherlei Einzelnheiten, die
auf eine Verbindung warteten, um dem Publicum
ſich, theils neu theils zum zweytenmale, wieder
vorzuſtellen. Der Gedanke ber Wanderjahre,
der den Lehrfahren fo natuͤrlich folgte, bildete ſich
mehr und mehr ans, und befchäftigte mic In eiu:-
zelnen Stunden bie auf andere Welfe nicht genußt
werden lkonnten.
Bezüglich auf die Rechte des Autors mußte man
merkwuͤrdig finden, daß Minifter Portalis bei
wie anfragte: ob es mit meiner Bewilligung ges
ſchehen koͤnne, daß ein Koͤlniſcher Buchhändler die
Mahlverwandtichaften : abdrude? Ich antwortete
dankbar in Betreff meiner, verwied aber bie Ange⸗
legenheit an den rechtmäßigen Verleger, So viel
höher ftanden fchon die Franzoſen im Begriff don
geiſtigem Befig uud gleichem Recht des Höheru und
63
Nedern, wozu ſich die guten Deutfchen wohl ſobald
nicht erheben werden.
In Carlsbad betrachtete ich bie Verwuͤſtung die
der Sprudel angerichtet mit großem Intereſſe. Aus
den hinteren Fenſtern des weißen Hirſches zeichnete
ich dieſen ſeltfamen Zuſtand ſorgfaͤltig nach der Wirk⸗
lichkeit, und überließ mich der Erinnerung viel-
jähriger Betrachtungen und Zolgerungen, deren id
bier nur Fürzlich erwähnen darf.
u, ® 18114 -
Diefes Jahr zeichnet ſich durch anhaltende äußere
Thaͤtigkelt befondere aus. Das Leben Philipp
Haderts ward abgebrudt und bie vorliegenden Pa⸗
piere nach jedesmaligem Beduͤrfniß forgfältig redi⸗
girt. Durch dieſe Arbeit wurd’ ih nun abermals
nah Süden gelodt; die Ereigniffe die ich jener Seit
in Hackerts Gegenwart ober doch in ſeiner Nähe er:
. fahren hatte, wurden In ber Einbildungskraft le⸗
14
bendig; ich hatte Urfache mich zu fragen, warum
ich dasjenige. was Ich für einen andern thue nicht für
mich ſelbſt zu leiſten unternehme? Ich wandte mid
‚daher noch vor Vollendung jenes Bandes an meine
‚eigene frübfte Lebensgeſchichte; bier fand fih num
freilich daß ich zu lange gezaudert hatte. Bei mei⸗
ner Mutter Lebzeiten hätt’ ich das Werk unterneb-
men folen, damals hätte ich ſelbſt noch jenen Kinz
x Ü +
\
_
63
derſcenen naͤher geſtanden, und waͤre durch die
hohe Kraft ihrer Erinnerungsgabe voͤllig dahin ver⸗
ſetzt worden. Nun aber mußte ich dieſe entſchwun⸗
denen Geiſter in mir ſelbſt hervorrufen und manche
Erinnerungsmittel gleich einem nothwendigen Zau⸗
berapparat muͤhſam und kunſtreich zuſammenſchaffen.
Ich hatte die Entwicklung eines bedeutend gewor⸗
denen Kindes, wie ſie ſich unter gegebenen Umſtaͤn⸗
den hervorgethan, aber doch wie ſie im allgemeinen
dem Menſchenkenner und deſſen Einſichten gemaͤß
waͤre, darzuſtellen.
In dieſem Sinne nannt' ich beſcheiden genug ein
folhes mit forgfältiger Treue bebandeltes Wert:
Wahrheit und Dichtung, innigſt überzeugt,
daß der Menſch in der Gegenwart is vielmehr noch
in der Erinnerung die Außenwelt nah feinen Eigen-
beiten biidend modele. ”
Diefes Geſchaͤft, inſofern Ich durch gefchichtlihe
Studien und fonftige. Local: und Perfonen- Verge-
‚genwärtigung viel Zeit aufzuwenden hatte, befchäf-
tigte mich wo Ich ging und fiand, zu Haufe wie
auswaͤrts, bergeftalt daß mein wirklicher Zuſtand
den Charakter einer Rebenſache annahm, ob Ih
gleich übera wo ich durch's Leben hingefordert
wurde, gleich wieder mit ganzer Kraft und vollem
Sinne mich gegenwaͤrtig erwies. J
Für das Theater geſchah ſehr viel, wobei des
trefflichen Wolf ſich immer ſteigerndes Talent im
beſten Sinne hervortrat. Der ſtandhafte Prinz
|
64 a
ward mit algemeinem Veifalle aufgefuͤhrt, und fo
der Bühne eine ganz neue Provinz erobert. Auch
erſchien Wolf ald Pygmallon, mund -felne Dar:
ſtellung machte vergeffen, wie unzuläßlic und uner:
freulich dieß Stud eigentlich fey.
Bon Kucbels überfester Saul Aifieri's, die
tochter Jephta, Taſſo wurden wiederholt,
NRomeo und Julie fürs Theater bearbeitet;
wobei fewohl Riemer als Wolf eifrig mitwirkten;
und fo ward auch für bie nächfte Folge Ealderong
Leben ein Traum vorbereitet.
Demoifele Frank aus Mannheim erntete als
Emmeline und Fanchon großen Beifall; Brizzi
wicberholte feinen Beſuch, die Vorſtellung von
Achill nahm wieder ihren glänzenden Gang. Die
zweyte große Oper Ginevra Tonnte fih jener nicht
gleich ſtellen; auch bier bewahrheitete fih die alte
Lehre, daß ein verfehlter Text der Muſik und Dar⸗
ftellung Insgehelm dem Iintergang vorbereite. Ein
Boͤſewicht und Verraͤther nimmt fih am Ende über-
au Ihiecht and, am fchlechteften auf dem Chester,
wo ber Verlauf feiner Niederträchtigleiten abge
fponnen und und vor bie Augen geführt wird.
Das neuerbaute Schaufplelhaus gu Halle ver:
Ich die ſaͤmmtlichen Vortheile ber Lauchftädter
Bühne; die Einweihung deſſelben gab Gelegenheit
zu einem Prolog, welchem freundliche Theilnahme
zu Theil ward. —
Mit dee Muſik gelang es wit aid fo —
65
- was ich vor einem Jahre meine Hauscapelle zu
nennen wagte, fühlte ih im Junerſten bedroht.
Niemand merkte einige Weränderung, aber es hat-
ten ſich gewiſſe Wahlverwandtichaften eingefunden,
die mir fogleich gefährlich fehlenen, ohne daß ich
Ihren Einfluß hätte hindern Finnen. Noch zu Anz
fang des Jahres ward nad herkömmlicher Weife
verfahren, doch ſchon nicht mehr In fo regelmäßiger
wöchentliher Folge. Noch.trugen wir aͤchte alte
Sachen vor, mehrere neue Canons von Ferrari
belebten die Luft der Sänger und den Beifall der
Zuhörer; ich aber hatte mich fchon in dieſen Vers
Inft ergeben, und als bei meiner bevorstehenden
Sommerreife zu Ende Aprils eime Yanfe eintreten
mußte, fo war ſchon mein Entſchluß gefaßt nie wie-
der zu beginnen: ich verlor dabei fehr viel, und
mußte deßhalb ernftlih bedacht ſeyn mich ander⸗
waͤrts zu entſchaͤdigen.
Noch während dieſer anferbaulichen Unterhal⸗
tung ſchrieb ich die Cantate Rinaldo fuͤr des
Prinzen Friedrich von Gotha Durchlaucht; ſie ward
Durch den verdienſtvollen Capellmeiſter Winter
componirt, und gewaͤhrte, durch des Prinzen an⸗
muthige Tenorſtimme vorgetragen, von Choͤren be⸗
gleitet, einen ſchoͤnen Genuß. Fa
Was fih auf Kitere bildende Kunſt bezog warb
vorzüglich geachtet. Meyer bearbeitete unabläffig
die Kunſtgeſchichte, und alle deßhalb gepflogenen Un—
terfahungen gaben Stoff zu belehrendem Geſpraͤch.
Gorthe's Werte. xxxu. m 5
66 |
mMionetiſche Yale Wisgriechifcher Drängen hat⸗
"ten, als bie wärblsften Documente jener un die
entſchie denſten Ausſſchten eröffnet.
Die Luſt ſich Vergangenes zu vergegenwaͤrtigen
wirkte fort, und wir ſuchten mit Huͤlfe eines guten
Nechners den Rogus des Hephaͤſtion, beſonders
aber das ungeheure Amphitheater wieder herzuſtel⸗
Ien, in befien Mitte er aufgeführt war, und wozu
die Mauer von Babylon Erde und Schutt hatte
hergeben müffen, wie zum Rogus die Ziegeln. Das
ganze Griechiſche Heer fah mit Bequemlichkeit der
Geier zu.
Viele Jahrhunderte waren Dagegen zu überfchref-
ten, ald Dr. Sulpiz Boifferde mit einer wid-
tigen Folge von Zeihnungen und Kupfern bei ung
eintraf, und unfere Kunfibetrachtungen ind Mittel-
alter hinlenkte. Hier verweilten wir fo. gern, weil
eine wohl überdachte Folge übereinftimmenber Mo-
numente vor und lag, die und In eine zwar büftere
aber durchaus ehren und antheilwerthe Zeit ver-
feste. Das Lebhafte Intereffe des Vorzeigenden,
die gründiihe Erkenntniß jener Zuftände und. Ab⸗
- fihten, alles theilte ſich mit, und man ließ fi,
wie bei einer veränderten Thegterdecoration, aber
mals gern In Zeiten und Localitäten verfeßen, zu .
denen man in ber Wirklichkeit ar wieder gelan⸗
gen follte,
Und ſo ward ein treuer Sinnes⸗ und Herzens⸗
FR 67 -
band mit dem chlen Gaſte geſchloſſen, ber für bie
übrige Lebenszeit folgereich zn werden verſprach.
Ferner hatte berfelbe Sederzeichnungen nach dem
‚Sedihte: die Nibelungen, von Cornelius
- mitgebracht, deren alterthuͤmlich tapferen Sinn, mit
unglaubliher technifher Kertigkeit ansgeſprochen,
man höchlich bewundern mußte, i
Als Nachllang jener früheren Weimariſchen
Kunſtaus ſtellung, in Gefolg guter daraus ſich here
leitender Verhaͤltniſſe mit lebenden Kuͤnſtlexn, ward
gar manches eingeſendet. Der verdienſtvolle Nau⸗
werck zu Ratzeburg ſchickte Zeichumgen und Ge⸗
maͤhlde; des allzuftuͤh abgeſchledenen Landſchafts⸗
mahlers Kaaz hinterlaſſene Zeichnungen wurden
vorgelegt. Prinzeß Caroline von Medienburg,
ſelbſt einen ſchoͤnen Sinn fuͤr landſchaftliche Zeich⸗
‚unngen beſitzend, fo wie anmuthig ausführend, ver:
Ihaffte ſich von beiden eine Auswahl.
. Sp wurben wir. auch mit einem hoffnungéevollen
"Ralente eines iung abgefchiebenen Mannes Namens
Wehle zum erfienmal befaunt, deſſen Verlaſ⸗
fenfhaft Barın Schönberg: MRothfhänberg
kaͤuflich an ſich gebracht hatte. Sowohl in Skizzen
als ausgeführten Blaͤttern nad Ber Natur offen-
barte fih ein gluͤcklich kuͤnſtleriſcher Bild in De -
Welt, und das Jutereſſe an dieſen Blaͤttern war
durch fremdartige ſeltſanliche Localitaͤt erhöht. Cr
war bis Tifflis vorgedrungen, und hatte Fernes fo
—
68
wie Nahes mit charakteriſtiſcher geichtigteit ben Pa⸗
pier anvertraut.
Bor ber Naturbetrahtung war. man einiger-
maßen auf der Hnt;, doch findirte Ich zwiſchendurch
die Geſchichte der Phyfit, um dad Heranfommen
biefer höchften Wilfenfchaft mir möglichft zu verge-
genwärtigen: denn ganz allein durch Aufklärung ber
Vergangenheit laͤßt ſich die Gegenwart_ begreifen.
Eine Wiſſenſchaft ift, wie jede menſchliche Anftalt
und Einrichtung, eine ungeheure Gontignation von
Wahrem und Kalfhem, von Freiwilligen und Noth⸗
mendigem, von Gefundem und Kraukhaftem; alles
was wir tagtäglich gewahr werben, dürfen wir am
Ende doh nur ale Symptome anfehen, die wenn
wir ung wahrhaft ausbilden wollen, auf ihre phys
fiologifhen und pathologifchen drineire surädzufüß-
ren find.
Ich enthlelt mich perfönlih von Verſuchen aller
Yet, aber ein Indianiſches Welßfener auf dem Land⸗
-grafenberg, von Profeſſor Döbereiner abge⸗
brannt, gab durch Erleuchtung des Thales, befon-
ders der gegenüber liegenden Berge, eine hoͤchſt
überrafhende Erfcheinung.
Nach dleſem' aufblidenden Lichtglanze durfte ſich
der herrliche langverweilende Komet wohl auch noch
fehen laſſen, unfere Augen entzüden und unfern in⸗
nern Sinn In das Weltall hinausforbern.
-
Mein dießjaͤhriger Aufenthait in Carlsbad nahm
einen ganz eigenen Charakter an; die Luft des Haf⸗
% —
*7
— F .-
69 ö
tens an ber Natur, des Zeichnens und Nachbildens
hatte mich ganz und gar verlaffen; nichts ber Art
wollte weiter gelingen, und fo war ich auch des Durch⸗
ſtoͤberns und Durchklopfens der allzubekannten Fels:
maſſen völlig muͤde. Müller, in hoben Sahren,
war nicht mehr anregend, und fo fah’ ich benn auch
die Bemühungen, dem Sprubel feinen alten Weg
wieder zu weifen, - mit Gleichgültigkeit, getröftet
durch Die Bemerkung, daß man zwar althergebradh-
ten VorurtHellen zu fhmeicheln, aber‘ bo einem _
ähnlichen Uebel zuvor zu kommen trachtete.
In Geſellſchaft von lebensluſtigen Freunden und
Freundinnen übergab ich mich einer tagverzehrenden
Zerftreuung. Die herkoͤmmlichen Promenaden zu
Sub und Wagen gaben Raum genug fich nach allen
Selten zu bewegen; die näheren fowohl als die ent:
fernten Luftorte wurden befucht, zu welchen fich noch
ein neuer auf eine faft Lächerliche Weiſe gefellt hatte.
- Su Wehedisg, einem Dorfe über der Eger gegen
Dalwitz gelegen, hatte fih ein Bauer, der ald Fuhr⸗
mann bis Uagarn frachtete, auf dem Ruͤckwege mit
jungen geiftig wohlfhmedenden Weinen beladen und
In Hof und Haus eine Kleine Wirthſchaft errichtet.
Bei dem niedrigen Stande des Papiergeldes, fat
wie Zehn gegen Eins, trank man eine anmuthige
Flaſche Ungerwein für den Betrag von wenig Sil-
bergroſchen. Die Neuheit, dag Seltfame, ia bie
Unbequemlichkeit des Aufenthalte, fügten zur Wohl:
feilheit einen gewiffen Reiz; man 309 hinaus, man
70
lachte, fyettete Aber fit und andere und hatte fın-
mer mehr bed einſchmeichelnden Weins genoffer
«is Hikig war. Man trug fi über eine ſolche Wall⸗
fahrt mic folgender Auekdote: Drey beiahrte Din
wer gingen nach Weheditz zum Weine:
- Drift Dtto, alt - „ 87 Jahr,
Stenfhneiter Mile 8 —
Ein fat . . „ 32° —
255 Jahr.
©trzechten wader, und wur der letzte zeigte bei Nach⸗
haufegeben einige Spuren von Beſpitzung, bie bei-
ben andern griffen dem Juͤngeren unter bie Weme
und braten ihn gluͤcklich zurüd in feine Wohnung.
Einen ſolchen «allgemeinen Leihtfinn beghaftigte
jener niedere Stand des Papiers. in ergangenes
Patent hatte’ alle Welt verwirrt gemacht, bie vor⸗
handenen Zettel hatten allen Werth verloren, man
erwartete die neuen fogenaumten Antteipationsfcheis
ne. Die Verkäufer und Empfänger konnten dem
ſiakenden Papierwerth nicht genug nachruͤcken, ben
Käufern und Ausgebenden gerteth ed auch nicht zum
Vorthelt; fie verfchleuberten Groſchen und wurden
ſo allmaͤhlich Ihre Thaler los. Der Zuſtand war von
der Art, daß er auch ben Seſoanenten zur Ver⸗
rädtheit hinriß.
Doch tft dei Tag folang, daß er ſich ohne nuͤtz⸗
liche Beſchaͤftigung nicht hinbringen läßt, und fo
fente ich mit Riemers Beiſtand unter fortwähren-
dem Beſprechen die Arbeit an der Biographie fort,
gi
dad Räte ansfährend, das Fernere ſchematiſirend.
un“ waren zum fortgefeßten Lefen und Betrachten
die kletneren Schriften Plutarchs jederzeit bei der
Hand, wie es benn au, an manderlei Erfahrung
amd Belehrung in einem fo großen Zufammenfiuß
von- bebeutenden Menſchen, die In gefchäftsiofer
Freiheit fi gern von dem was ihnen lleb und werth
Efk unterhalten, keineswegs fehlen konnte.
Don Perfonen, bie dieſes Jahr in Weimar ein-
geſprochen, find‘ ich folgende bemerft! Engels
hardt, Architekt von Kaffel, auf feiner Dutchreife
nach Stallen. Man wollte behaupten, ich babe ihn
in frühereg Zeit als Mufterbild feines Kunftgenoffen
in den Wahlverwandtfchaften Im Auge gehabt. Der
fo geſchickte als gefälige Raabe hielt ſich einige
Zeit bei uns auf, mahlte mein Bildniß in Del auf
Kupfer. Ritter Dhara, ein treffliher Geſell⸗
fhafter, guter Wirth und Ehrenmann, wählte
Welmar fuͤr einige Zeit zu feinem Wohnort. Die
Gefchichten feiner viefiähtigen Irrfahrten, die er
mir einigem Scherz über ich felbit zu würjen ver-
ſtand, verbreiteten über feine Tafel einen angeneh⸗
men vertraulichen Ton. Daß feine Köchin bie treff-
lichſten Beefſteaks zu bereiten wußte, auch daß er
mie dem aͤchteſten Molla- Kaffe feine Gaftmahle
ſchkoß, warb ihm nicht zum geringen Verdlenſt ans
pereämet. :
Lefevre, Fraunzoͤſiſcher Legationsſecretair von
Kaſſel kammend, durch Baron Reinhard angemel⸗
“= 72
bet, regte im lebhaften Geſpraͤch Franzoͤſiſche Rede,
Poeſie und Geſchichte wieder auf, zu angenehmſter
Unterhaltung. Profeſſor Thierfc ging, gute Ein⸗
druͤcke zuruͤcklaſſend und Hoffentlich mituehmend, bei -
ung vorüber, Das Ehepaar von Arnim- bielt
fih eine Zeit lang bei ung auf; ein altes Wertrauen
hatte fich fogleich eingefunden; aber eben durch folche
freie unbedingte Mittheilungen erfchien erft die Dif-
ferenz, in die fih ehemalige Uebereinftimmung auf-
gelöftt hatte. . Wir fchieden in Hoffnung einer
- tigen glüdlihern Annäherung.
Don wichtigen Büchern, deren Einfluß ——
war, las ich St. Croix Examen des Historiens
d’Alexandre; Heerend Ideen über die Geſchichte
bed Handel; Degerando histoire de la philo-
sophie; fie verlangten ſaͤmmtlich, daß man feine
-Umfiht Innerhalb der vergangenen Zelten auszu⸗
behnen und zu erweitern fich entfchließe.
Jakobi ‚von den göttlihen Dingen” machte
mir nicht wohl; wie konnte mir das Buch eines fo
herzlich gellebten Freundes willfommen feya, worin
ich die Theſe durchgeführt fehen follte: die Natur
verberge Gott. Mußte, bei meiner reinen tiefen
angebornen und geübten Auſchauungsweiſe, die mid
Gott In der Natur, die Natur in Gott zu ſehen nu⸗
verbruͤchlich gelehrt hatte, To daß dieſe Vorſtellungs⸗
art ben Grund meiner ganzen Exiſtenz machte, mußte
nicht ein fo feltfamer, einfeitig-befchränfter Aus⸗
73
ſpruch mich dem Seiſte nach von bem ebelften Wanne,
beffen Herz ich verehrend liebte, für ewig entfernen?
Doch ih hing meinem ſchmerzlichen Verdruſſe nicht
nah, ich rettete mich vielmehr zu meinen alten’
Aſyl, und fand in Spinoza's Ethik auf mehrere
Wochen meine tägliche Unterhaltung, nnd da fich
indeß meine Bildung gefteigert hatte, warb ih, im _
ſchon Bekannten, gar manches das ſich neu und an⸗
ders hervorthat, auch ganz eigen friſch auf mich ein⸗
wirkte, zu meiner Verwunderung, gewahr.
Ouwarows Project einer Aſiatiſchen Akademie
loctte mich in jene Regionen, wohin ich auf längere
Zeit zu wandern ohnedem geneigt war. Hebels
abermalige alemannifche Gedichte gaben mir den an⸗
genehmen Eindrud, den wir bei Annäherung von
Stammverwandten immer empfinden. Nicht fo von
Hagens Heldenbuch; hier hatte ſich eine alles ver⸗
wanbdelnde Zeit dazwifchen gelegt. Eben fo brachte
mir Buͤſchings armer Heinrich, ein an und für
ſich betrachtet hoͤchſt ſchaͤzenswerthes Gedicht, phy⸗
ſiſch⸗aͤſthetiſchen Schmerz. Den Ekel gegen einen
aus ſaͤtzigen Herrn, für den fi das waderfte Mäb-
chen aufopfert, wirb man ſchwerlich los; wie denn
durchaus ein Jahrhundert, wo Die widerwärtigfte
Krankheit in einemfort Motive zu leidenfchaftlihen
Liebes = und Nitterthaten reihen muß, und mit Ab⸗
ſcheu erfült. Die dort einem Heroismus zum
Grunde liegende ſchreckliche Krankheit wirkt wenig⸗
ſtens auf mie fo gewaltſam, daß ich mich vom blo⸗
—
72
fen Berühren eis ſoichen Buchs ſchon angeſteckt
glaube,
Durch einen befoubern Zufnll kam mir ſobann
ein Wert zur Hand, von welchem man dagegen eime
unfittiiche Anftedung hätte befürdkten koͤnnen; weil.
men fich aber vor geiſtigen Einwirkungen, aus einem
sewiffen frevelhaften Düntel immer ſicherer Hält ald
vor körperlichen, fo las ich die Baͤndchen mit Ber:
gnägen und Eile, ba fie mir nicht Tamge vergdumt
waren; es find 'bie Novelle galanti vor Verocchio:
ſie ſtehen denen bes Abbate Eaftt an poetiſchem und
rhetoriſchem Werth ziemlich nahe, wur iſt Caſti
kuͤnſtleriſch mehr zuſammen genommen und behertſcht
feinen Stoff meifterhafter. Auf Erlanetang eines
Freundes ſchloß ich die Novelle del Bandeli unnstts
telbar an. Die Abentener des Rittet Srelewr mid
Manon lEscot wurden als nahe verwandt het⸗
beigerufen; doch muß Ih mir zaletzt das Zeuguiß
geben, daß ich nach allem diefem endlich zum Laud⸗
prediger von Walefleid mit unſchutdigem Beragen
———
1812
Se Samilte Kobler erbffnete mie hiot aumu⸗
| thigen Balletten das Jahr. Romed und Julle, für
Daun Turandot'werben wiederholt; die Aufführung
von: Leben ein Traum vorbereitite. Die zw
Tee — — — EHE, SEE Mm Th. SE U TUE WER RE,
.
9
75
wurdiger Darſtellaug ſolcher Stuͤcke erforderlichen
Aufſtrenguagen gaben neus. Gelegenheit yum tiefer
eindringenden Studium ımb Dee ganzen Behandlung
einen friſthen Schwung. Ein junger Schaufpleler
trat Heap, Namens Durand, mit allen Vorzuͤ⸗
gen bie man im allgemeinen am einem jungen ſoge⸗
namıten Liebhaber wünfhen kann, nur vermißte
man am ihm ein gewilles inneres Teuer, oder auch
nut jene Art von Enthuſiasmus, ber Ihn aus fi
ſelbſt heransgetrieben, womit er fih bem Publicum
aufgedrungen hätte, daß es Ihn fühlen und anerfen-
nen mußte. Man hoffte jedoch, daß er dieß Pe⸗
därfniß bald ſelbſt empfinden werde.
CTheodot Körner war als Theaterdichter her-
vorgetreten; deſſen Tony, Zrini und Rofa-
munde, als Nachklaͤnge einer kurz vergangenen.
Epoche, von den Schauſpielern leicht aufgefaßt und
wiedergegeben und eben fo dem Publicum ſinn- und
artverwandt von ihm günftig aufgenommen wurden.
Zu böyeren Zwecken ward die große Zenobia von
Calderon fendirt und der wunderbare Magus
durch Sriefens Ueberſetzung uns angendähert.
Wolf md Nlemer machten einen Plan zu Auf⸗
führung des Fauſt, wodurch der Dichter verleitet
ward mit dieſem Gegenſtand ſſch abermals zu be-
fchaͤftkgen, manche Swifchenfeenen zn bedenken, ja
ſogar Decorationen und ſonſtiges Erforderniß zu
entwerfen. Zee genannten, immer thaͤtigen Freun⸗
be entwaktfen gleichfalls den Verſach einer neuen
76
NRedaction des Egmont mit Wiederherſtellung ber
Herzogin von Parma, die ſie nicht entbehren woll⸗
ten. Die Anweſenheit der Madame Schönber-
ger veranlaßte die erfreulichften Darftellungen.
Iffland ſchloß das Jahr auf dad erwuͤnſchteſte,
indem er mehrmals auftrat; vom 20 Dechr. an ſehen
wir folgende Vorftellungen: Clementine, Selbſt⸗
beberrfchung, ber Zube, Künftlers Erdewallen, Don
Ranndo und der arme Poet; der Kaufmann von Ve⸗
nedig, der gutherzige Polterer.
Neben ihm traten von unferm wohlbeftellten
Theater folgende Schaufpieler auf, deren Gemein:
fhaft er feiner hohen Kunſt nicht unwuͤrdig fand.
Es fheint uns der Sache gemäß Ihre Namen bier
aufzufüsren, die Herren: Durand, Deny, Graff,
Genaſt, Haide, Lorzing, Malkolmi, Oels, Unzel:
mann, Wolf; ſodann die Damen: Bed, Eber⸗
wein, Engels, Lorzing, Wolf.
Der Biographlie zweyter Band wurde gearbeitet
und abgefhloffen, auch der dritte Band eingeleitet,
im Ganzen entworfen, im Cinzelnen ausgeführt.
In Gefolg der Darftelung Mofalfcher Sefchichte im
ertten Bande nahm ich den Irrgang der Kinber
Iſtael durch die Wuͤſte aus alten Papieren wieder
dor, die Arbeit feibft aber wurde zu andern Sweden
zurüdgelegt.
Drey Gedichte für Kaiſerliche Dojeftäten, im
Namen der Carlsbader Buͤrger, gaben mir eine che
—
x
m
ı tenvoll angenehme Gele zenheit zu verſachen, ob noch
einiger poetiſcher Geiſt in mir walte. |
In der bildenden Kunſt ereignete fi manches
Guͤnſtige: bie Nachricht von dem Fund auf Aegina
eröffnete der Kunftgefchichte neue Ausfihten, an
weichen wir und mit Freund Meyer, der in feinen
Bemühungen Immer vorwärte sing , erbauten und
ergösten.
Der Gedanke ans vorliegenden alten Münzen
dad Andenken verlorner Kunſtwerke zu ergänzen,
war zu reizend und hatte einen bergeftalt Toliden
Grund, daB man nah dem Auffab über Mprons
Kuh in bergleihen Betrachtungen fortfuhr, ben
Dlympifhen Supiter, die Polpkletifhe Zune, und
manches andere wuͤrdige Bild auf diefe Welfe wie:
der herzuftellen trachtete.
‚Ein Heiner Sentaur von Silber, etwa ſpannen⸗
lang und bewundernswuͤrdig gearbeitet, rief eine
lebhafte Streitigkeit hervor, ob er antik oder mo⸗
dern ſey. Die Weimariſchen Kunſtfreunde, uͤber⸗
zeugt daß in ſolchen Dingen niemals an Ueberein⸗
ſtimmung und Entſcheidung zu denken ſey, bewun⸗
derten ihn, belehrten ſich daran und traten zu der⸗
jenigen Partey, die ihn fuͤr alt und aus den erſten
Kaiſerzeiten hielt. 4
Ich acquirirte eine nicht gar ellenhohe altfloren⸗
tiniſche Copie des ſitzenden Moſes von Michelangelo,
in Bronze gegoſſen und im Einzelnen durch Grab⸗
ſtichel und andere ciſellrende Juſtrumente fleißigſt
\ ⸗
78
vollendet: ein ſchoͤnes Dentmal forgfältiser, beinahe
gleichzeitiger Nachbildung eines hoͤchſt geſchaͤtzten
Kunftwertes jener Epoche, und ein Beiſplel wie man
- dem kleinen Blide, weiches natuͤrlich die Sroßheit
des Originals nicht darſtellen kounte, durch-eine-ge-
wiſſe Ausfuͤhrlichkeit im Einzelnen, onen eigenthän:
Usen Werth zu geben wußte.
Die Naturwiffenfhaft erfreute fich menden Be:
mwinnes; Ramdor „von den Berbaunngswerkzeugen
‚der Inſecten“ beſtaͤtigte mſere Denkweife über bie
allmaͤhliche Steigerung organiſcher Weſen. Uebri⸗
gens aber wandte ſich die Aufmerkſamleit mehr ge⸗
gen allgemeine Naturforſchung.
Doctor Seebed, der chromatiſchen Angelegen⸗
heit immerfort mit gewohnten Fleiße folgend, be⸗
muͤhte ſich lum den zweyten Newtoniſchen Verſuch,
den ich in meiner Polemit nur fo viel als wötbig
berührt hatte; er-bearheitete ihn In meiner Segen:
wart und es ergaben fi wichtige Mefultate, wie
jene Lehre, ſobald man anfatt ber anfaͤngtichen
_ Srismen zu Linfen übergeht, in eine faſt unnuflds-
liche Verfitzung verwidelt werbe.
Zu allgemeiner Wetrachtung und Erhebung bes
Geiſtes eigmeten ſich die Schriften des Jordenus
Brunus von Nola, aber freilich das geblegene Geld
and Siiber aus der Maſſe jener ſo ungleich begab-
ten Erzgaͤuge auszuſchelden und unter den: Hammer
zu bringen, erfordert faft ‚mehr als menſchliche
Kräfte vermögen, und ein jeder dem ein abalicet
| 79 ee
eich eingebsren iſt thut beſſer, ſich unmittelbar
an die Natur zu wenden, als ſich mit den Gangar ·
ten, vielleicht mit Solagenhalden detgangeaet
Zehrhunderte herumzumuͤhen.
In Carlsbad fand man ſich wieder zu hertdum⸗ |
Shen geologiſchen Vetrachtungen gendthigt. Die
Erwelterung bed Raumes um deu Neubrunnen, ein
kuͤhnes vielleicht in früherer Zeit nicht denkbares
Bornehmen, beitärkte in ben bisherigen Vorſtellun⸗
gen; ein merkwärbiges Geſtein ward daſelbſt gewon-
nen, Started Walter ber Tepl und heftiges: Aufbrau⸗
fen ber heißen Quellen trafen zuſammen, Umfände .
welche auf die Hppotheſe hinzubeuten fchlenen: dieſe
gpoeße Naturwirlung ſey als ein ungeheures sr
fches Erperiment angufehen.
Bon Töplis aus befuchte man Doctor Stolz
in Außig und belehrte fich an deffen trefflihen Kennt-
niffen und Sammlungen. Zoffile Knochen in Boͤh⸗
men waren auch zur Sprache gefommen. :
‚Rah. Haufe zuruͤcktekehrt verweilte man zuerſt
in Jena, am den dortigen Muſeen im Augenblick
einer eintretenden guͤnſtigen Epoche eine fteubige
Aufuterkſamkeit zu widmen. Ihro Kaiſerliche Ho⸗
heit, bie Frau Erbprinzeß beſtimmten eine -anfohe-.
liche Summe zu dleſem Zwecke, und Mechanicus
Rörmer verfertigte eine Luftpumpe: für ‚bad phy⸗
Mealiſche Cabinet. Sonftige Inſtrumente und anu⸗
dere Anſchaffungen dorthin werden gleichfalls einge⸗
leitet, und am des Raumes mehr. zu gewinnen,
—
80
die oberen Zimmer im Jenaiſchen Schloß für die .
Aufnahme eines Theils der Muſeen eingerichtet.
Bon Trebra verehrte merkwürdige Granitüber-
gangsplatten als Documente früherer gesgnoftifcher
Wanderungen aufdem Harze; fein Werl vom In⸗
uern ber Gebirge wird aufs Neue vorgenommen
und dabei Ältere und jüngere Berfiellungsarten. be:
ſprochen.
Sogenanute Schwefelquellen in Verla an der
Ilm, oberhalb Weimar gelegen, die Austrocknung
des Teichs, worin ſie ſich manchmal zeigten, und
Benutzung derſelben zum Heilbade, gab Gelegen⸗
heit geoguoftifhe und chemiſche Betrachtungen her⸗
vorzurufen. Hliebei zeigte ſich Profeſſor Döbereiner
auf das lebhafteſte thellnehmend und einwirkend.
1813.
Die ernenerte Gegenwart Brizzi's hatte der
Oper einen eigenen Schwung gegeben, auch die Auf:
führung derfeiben Itallaͤniſch möglich gemacht. Kei⸗
nem Sänger iſt diefe Sprache ganz. fremd: denn er
ang fein Talent mehrentheils in felbiger produci⸗
ten; fie ift überhaupt für den, dem bie Natur ein
gluͤckliches Ohr gegönnt, Leicht zu erlernen. _Zu groͤ⸗
)
|
ßerer Bequemlichkeit und fchnellerer Wirkung werd
ein Sprachmeifter angeftellt.: Eben fo hatte Ifflanbs
Gegenwart alle Aufmerkfamteit unferer Schaufpielet
: au:
|
8
augerent, und fie wettelferten allzufanımt wuͤrdig
sehen Ihm zu fiehen. Wer In bie Sache tief genug
hinelnfah,, kounte wohl erfennen, daß die Ueberein⸗
ſtlinmung, die Einheit unferer Buͤhne dieſem gro⸗
Gen Schauſpieler volllonsmene- Leichtigkeit und Be⸗
quemlichkeit gab, ſich wie auf einem reinen Element
nach Gefallen zu bewegen. Nach ſeiner Abreiſe
wurde alles wieder ernſtlich und treulich fortgeſetzt;
aber jedes kuͤnſtleriſche Beſtreben durch Furcht vor
immer naͤher herandringenden Kriegsereigniſſen der⸗
geſtalt gelaͤhmt, daß man ſich begnuͤgen mußte mit
"Don Vorraͤthen auszulangen.
Poetiſcher Gewinn war dieſes Jahr nicht reich⸗
lUch; drey Romanzen: dee Todtenkranz, der ge:
treue Eckhard und die wandelnde Glocke
verdienten einige Erwaͤhnung. Der Loͤwenuſtuhl,
eine Oper, gegruͤndet auf bie alte Ueberlleſerung,
de ich nachher In der Ballade „„die Kinder bie hoͤ⸗
ren es gerne” ausgeführt, gerleth Ins Stocken und
verharrte darin. Der Epliog zum Eſſer darf wohl - '
auch eswähnt werben.
Der dritte Band meiner Blographle warb redf-
giet und abgedruckt und erfreute ſich, ungeachtet
an mißlicher Umftände, einer guten Wirkung. .
Das Itallaͤniſche Tagebuch ward näher beleuchtet
‚und zu beffien Behandlung Anftalt gemacht; ein
Aufſatz zu Wielands Andenken in der Trauerloge
vorgelefen und zu vertraulicher Mitrheilang dem
Drud. aͤbergeben.
Goethedb Werte. XXXII. Bbv. 6
82.
Im Felde der Literatur warb - manches Aeltere,
Neuere und Berwandte vorgenommen und mehr
ober weniger durch Fortſetzung ber Arbeit irgend
einem Ziele näher gebracht, beſonders ift das Stu⸗
dium zu erwäßnen, das män Shafeipeate'n in Be⸗
zug auf feine Vorgänger widmete, ä
Seographifhe Charten zu finnliher Darſtellung
der über bie Welt vertheilten Spraden wurben mit
Wilhelm von Humboldts Thellnahme bear-
heitet, begränzt und illuminirt; eben fo warb “
von Alexander von Humboldt veranlaßt, die
Berghoͤhen der alten und neuen Welt in ein verglei-
chendes landſchaftliches Bild zu bringen.
Hier iſt nun am Platze mit wenigem auszuſpre⸗
hen, wie ih das Gluͤck gleichzeitig mit den vorzuͤg⸗
lichſten Männern zu leben mir zu verdienen fuchte.
Bon dem Standpuncte aus, worauf ed Gott und
der Natur mich zu feßen bellebt und mo ich zunaͤchſt
den Umftänden gemäß zu wirken nicht unterlieh, fab
ih mich überall um, wo große Beſtrebungen fi
hervorthaten und andauernd wirkten. Ich meines
Theils war bemüht durh Studien, eigene Leiftun-
gen, Sammlungen und Verſuche ihnen entgegen zu
kommen und ſo, auf den Gewinn deſſen was ich nie
ſelbſt erreicht hätte, treulich vorbereitet, es zu ver⸗
dienen, daß ich unbefangen ohne Rivallitaͤt oder Neid
ganz frifh und Ichendig dasjenige mir zueignen
durfte, was von den beiten Geiftern dem Jahrhun⸗
dert geboten ward, Und fo 508 fih mein Weg gar
Ri 83
manden fhönen Unternehmungen parallel, nahm
feine Richtung grad auf andere zu; das Neue war
mir deshalb niemals fremd und Ih Fam nicht in Ge⸗
fahr, es mit Heberrafhung aufzunehmen, oder we⸗
gen veralteten Vorurtheils zu verwerfen.
Als Zeichen der Aufmerkſamkeit auf das allerbes.
fonderfte brachte id/ Durchgeichnungen von Bildern:
aus einer alten Handfchrift des Sachfenfplegels Ken:
nern und Mebhabern In bie Hände, welche denn auch
davon den Löhlichiten Gebrauch machten, ‚und die
Symbolit eines, In Abficht auf bildende Kunft, voͤl⸗
Ha Eindifchen Beitalters gar finnig und überzeugend
auslegten.
Des Allerneneften * zu erwaͤhnen ſendete mir
Abbate Monti, fruͤherer Verhaͤltniſſe echenn
ſeine Ueberſetzung der Zitas.
Als Kunſtſchaͤtze kamen mir ins Haus: Gypeab
guß von Jupiters Koloſſal⸗Buͤſte, Heine Herme eines
Indiſchen Bachus von rothem antiken Marmor, Gyps⸗
abguͤſſe von Peter Viſchers Statuen der Apoſtel am
Grabmal des heiligen Sebaldus zu Nürnberg. Vor⸗
züglich bereicherten eine meiner liebwertheſten Samm-
lungen Papftliche Mängen, doppelt erwunſcht thelle
wegen Ausfuͤllung gewiffer Luͤcken, theils weit fie die
- Einfihten in die. Sefhichte der Plaftit und der bil: -
denden Kunft überhaupt vorzüglich beförderten, .
Freund Meyer fepte feine Kunftgefchichte fort; Phi⸗
loſtrats Gemähibe belebten fih wieder, man ftudirte
Heypynes Arbeiten darüber; die koloſſale Statue Do⸗
84:
mitiaus, von Statius befchrieben, finbte man fich
gleichfalls zu vergegenwärtigen, zu reſtautiren und
an Drt wub Stelle zu ſetzen. Die Philologen Ries
mer und Haud waren wit Gefaͤlligkeit beiräthig:
Viscontl's Teonpgraphie grecque ward wieber auf⸗
genommen, und in jene alten Seiten führte mich un-
mittelbar ein hoͤchſt willlommenes Geſchenk. Here
Börnftett befchentte mich im Namen ber zu fo-
bedeutenden Sweden nach Griechenland Gereiften
mit einem sum Spaylerfiabe umgeformten Palmen
zweig von der Akropolis; eine bebeutenbe Grkechtſche
Silbermuͤnze vertrat die Stelle bed Knopfes.
Damit man ja recht an folhen Betrachtungen
feſigehalten werde, fand fich Gelegenheit die Dres de⸗
wer Sammlung der Originallen ſowohl «ld ber: Ab⸗
guͤſſe mit Muße zu betrachten.
Indeſſen sog deun doch auch de Meiſterſchaft
mancher Art, die den Neuern vorzüglich zu Theil
geworden, eine gefühlte Aufmerkſamkeit an ſich.
Bei Betrachtung Ruis daliſcher Arbeiten entſtand ein
Heiner Aufſatz: der Laudſchaftsmahler als Dichter.
Won Mittebendben hatte man Gelegenheit bie
Arbeiten Kerfiings kennen gu lernen und Urſache
fie werth zu ſchaͤtzen.
Naturwiſſen ſchaften, befonbers Geologie, erhlel⸗
ten ſich gleichfalls in der Reihe; von Thpiin aus be⸗
ſuchte ich die Zinnwerke von Graupen, Zinnwalde
und Altenberge; in Bilin erfreute Ich mich ber vel
‚ tung des erfahrnen klar denkeuden Dr. Reuß; ich
—
“
gelangte unter feiner Führung bis an ben Fuß bes
Btliner Felſens, wo anf dem Klinsfiein In Maffe
der fäulenförmige unmittelbar anffteht; sine geringe
Veränderung ber Bedingungen mag bie Veraͤnde⸗
ung dieſes Geſtaltens leicht bewirkt haben.
Die in ber Naͤhe von Bilin ſich befindenben Gra⸗
naten, deren Sortiren und Behaudlung aͤberhaupt,
ward mir gleichfalls ausführlich bekannt.
Eben fo viel wäre von anderer Seite ein Veſuch
son Dr. Stolz in Außig zu rügmen; auch bier er=
ſchien das große Verdienſt eines Mannes, ber fe
nen Kreis zunaͤchſt durchpruͤft, und bem ankommen⸗
den Gaſt gleich ſo viel Kenntniſſe mittheilt, als ihm
ein laͤngerer Aufenthalt kaum haͤtte gewaͤhren koͤnnen.
Aus dem mannichfaltigen Buͤcherſtudium ſind Hier.
abermals Trebra's Erfahrungen vom Innern ber Ge⸗
birge und Charpentiers Werte zu nennen. Ei war
meine Art auf Anſichten und Heberzeugungen mitle-
bender Männer vorzuͤglich zu achten, befonbers wenn
fie nicht gerade der Schnurre des Tags angemeffene
Bewegung maden konnten.
Das Intentionitte Schwefelbad zu Berka gab zu
wancherlei Discuſfionen Gelegenheit; man verfucte,
was man vorausichen keunte und Lich bewenden,
was man wicht hätte beabfichtigen follen.
Die entoptiihen Farbes erregten Aufmerkſam⸗
keit; unabhängig hievon hatte ich einen Aufſatz über
den Doppelfpath gefchrieben.
Und ſo bemerke ich am Schiufle, daß die Iuſtru⸗
86
mente fuͤr die Jenaiſche Sternwarte beſtellt und
Klugens Werk uͤber den animaliſchen Magnetis⸗
mus beachtet wurde.
Bedeutende Perſonen wurden von mir geſehen.
In Tharand Forſtmeiſter Cotta, in Toͤplitz Dr. Kap⸗
pe, Graf Bruͤhl, General Thielemann, Rittmeiſter
von Schwanenfeld, Profeſſor Dietrich vom Gymna⸗
ſium zu Commotau, Großfuͤrſtinnen Katharina und
Maria.
Nach der Schlacht von Leipzig in Weimar geſe⸗
hen: Wilhelm von Humboldt; Graf Metternich;
Staatskanzler von Hardenberg; Prinz VPaul von
Wuͤrtemberg; Prinz Auguſt von Preußen; Kur⸗
prinzeß von Heſſen; Profeſfor John, SERIE;
Hofrath Rochlitz. |
Hier muß ich noch einer Eigenthamlichteit mel-
ner Handlungsweiſe gedenken. Wie fich in der po⸗
litiſchen Welt irgend ein ungeheures Bedrohliches
hervorthat, fo warf ich mic eigenfinnig auf das Ent:
ferntefte. Dahin iſt denn zu rechnen, daß ich von
meiner Ruͤckkehr and Carlsbad an mic mit ernſtlich⸗
fen Stublum dem Chinefifchen eich widmete, und
dazwiſchen, eine nothgedrungene unerfreulihe Auf⸗
führung des Eſſex im Auge, der Schaufpfelerin Wolf
zu Liebe und um ihre fatale Nolle zuletzt noch eini⸗
germaßen glänzend zu machen, den Epilog zu Eifer
ſchrieb, gerade an dem Tage der Schlaht von
Leipzig. |
Zum Behnf meiner eigenen Biographie zog ich
F 87
aus ben Frankfurter gelehrten Zeitungen vom Jahr
-4772 und 1773 bie Necenfionen aus, welde ganz
‚oder zum Theil mir gehörten. lm in iene Zeiten
mich: noch mehr zu verſetzen fiudirte ih Möfer 6
. Mhantafien, ſodann aber auh Klingers Werte,
die mich an die unverwuͤſtliche Thaͤtigkeit nach einem
‚befondern eigenthämlichen Weſen gar harakteriftiich
-erimerten. In Abficht auf allgemeineren Sinn in
Begruͤndung Afthetifhen Urtheils hielt ich mid
immerfort an Erneſti's Technologie Sriedl-
ſcher und Roͤmiſcher Redekunſt, und beſplegelte mich
darinnen ſcherz⸗ und ernſthaft, mit nicht weniger
Beruhigung, daß ich Tugenden und Maͤngel nach ein
paar tauſend Jahren als einen großen Beweis
menſchlicher Beſchraͤnktheit in meinen eigenen
Schriften unausweichlich wieder zuruͤckkehren ſah.
Von Ereigniſſen bemerke vorlaͤufig: der Fran⸗
zoͤſiſche Geſandte wird in Gotha uͤberrumpelt und
enttommt. Ein geringes Corps Preußen beſetzt
Weimar, und will und glauben machen, wir feyen
unter feinem Schuge fiher. Die Sreimilligen bes
. tragen ſich umartig und nehmen nicht für fi ein.
Ich reife ab, DBegegniffe unterwegs. In Dresden
iuffifche Einquartierung, Nachts mit Fadeln. In⸗
gleichen der König von Preußen. In Löplig Ver⸗
traulichkelten. Borläufige Andeutungen einer all
„gemeinen Verbindung gegen Napoleon. Schlacht
von Lünen. Franzoſen in Dresden. Waffenftili-
ftand. Aufenthalt in Böhmen. Luſtmandͤuvre zwi-
—
An
— _
/
J 8
eigniſſe in Dresden. Ruͤcktehr nad Weiner. Se
jüngfte Franzoͤſiſche Garde zieht ein. General
Travers, ben Ich als jenen Begleiter des Königs .
von Holland kennen gelernt, wird bei mir.gu: ſei⸗
ner hoͤchſten Berwunderung einquartiert. Die Frau⸗
⸗oſen ziehen alle vorwärts, Schlacht von Seipzig.
Die Kofaten ſchleichen heran, der Franzoͤſiſche Ge⸗
ſandte wird bier. genommen, die Franzoſen von
Apolda und Umpferſtedt her andraͤngend. Die
Stadt wird vom Eiterdberg. her überfallen, : Die
Oeſtectelchet nruͤcken ein.
\
181%
Auf dem Theater fah man bie Schulb von
Muͤllner. Ein ſolches Städ, man denke uͤbrigens
davon wie man wolle, bringt der Buͤhne den gre-
Jen Vortheil, daß jedes Mitglied ſich zuſammen
nehmen, ſein Moͤglichſtes thun muß; um feiner
Molle nur einigermaßen gemaͤß zu erſcheinen.
Die Loͤſung dieſer Aufgabe bewirkte . mehrere
treffliche Worftellungen von Romeo und Julie,
Egmont, Wallenfteins Lager. und Tod,
Alle Rolleuveräuderungen die in dieſen Städten vor-
fielen, wurden benußt zu forgfältigen -Didassakten,
um geäbte und ungeäbte Schauſpleler mit. mm:
in Harmonie zu feben.
.”
>
\
\ *
Indem men: ih nun 16 eiwae Neuen, Frem⸗
dem und zugleich Bedeutendem umſah, glaubte man
and den Schauſpielen Fouque's, Arnims und.
anderer Humsriſten einigen Mostheil zichen an koͤn⸗
wen, und durch theatermaͤßige Bearbeitung ihrer,
.:äfterd fahr glüdtichen uud - bie auf einen gewiflen
Grad gäuftigen. Gegenfidude fie buͤhnengerecht au
‚machen: eiu Unternehmen welches jedoch nicht durch⸗
zufuͤhren mer, fo wenig als bei den früheren Ar-
beiten von. Ried und Brentane,
Der Beſuch des Füriten Radzivil erregte
gleichfalls eine ſchwer zu befriedigende Sehnſucht;
feine gentaltfhe ung glädtich mit fortreißende Som-
pofition zu Fauft ließ uns doch nur entfernte Hoff:
nung fehen, das feltfame Stüd auf das Et su
Bringen, °
Unfere Schauſpielergeſellſchaft folite wie bioher
wach dießmal der Gunſt genteßen in Halle den Som⸗
:mer durch Worſtellungen zu geben. Der wadere
Reil, dem die dortige Buͤhne ihre Entſternung ver⸗
dankte, war geſtorben; man: wuͤnſchte ein Vorfpiel,
das zugleich als Tadtenfeier für den trefflichen Mann
gelten Hönnte;-ich entwarf es beim Fruͤhlingsaufent⸗
halte zu Berka an der Ilm. Mid ich aber, durch
Sffland unerwartet aufgefordert, bad Erwadhen
bes Gpimenides. unternahm, fo wurde jenes
durch . Riemer mach: Werabredung : ausgearbeitet.
Capellmeiſter Weber beſuchte mich wegen ber
z .
M 09
Compoſition des Epimenides über die wir und ver:
glichen.
Das Monodram Profſerpina, wurde, nach
Eberweins Compoſition, mit Mabame Wolf einge⸗
lernt, und eine kurze, aber hoͤchſt bedeutende SBor-
ſtellung vorbereitet, in welcher Recitation, Decla⸗
mation, Mimitk und edelbewegte plaſtiſche Dar⸗
Itellung wetteiferten, und zuletzt ein großes Tablean,
Pluto's Reich vorſtellend und das. Ganze kroͤnend,
einen ſehr guͤnſtigen Eindruck hinterlleß.
Das Gaſtmahl der Weiſen, ein dramatiſch
Iprifcher Scherz, worte bie verfchiebenen Philoſophen
jene zudringlichen metaphpfifchen Stagen, womit
das Volk fie oft beläftigt, auf heitere Weiſe beant-
worten, oder vielmehr ablehnen, war, wohl nicht
fürs Theater, doch für geſellſchaftliche Muſik be-
ftimmt, mußte aber, wegen Anzüglichfeit, unter
die Paraltpomena gelegt werben.
Muflfalifhe Aufmunterung buch Zelters Ge⸗
genwart und buch Inſpector Schus end Vortrag
der Bachiſchen Sonaten.
Die Feierlichkeiten zur Ankunft des Herzogs
aus dem glädtichen Feldzug erregten Worbereitungen
zu architektonifher Zterbe ber Strafen. Nebaction
einer Gedichtſammlung nachher unter dem Titel:
Willkommen herausgegeben.
Indeſſen war bie neue Ausgabe meiner Werte
vorbereitet; der biographiſhe dritte Wand gelangte
zu Iubllate ins Publicum. "Die Itallaͤniſche Reiſe
91
rüdte vor, ber weſtoͤſtliche Divan ward ge-
gründet; die Meife nach den Rhein⸗, Main: und
Neckargegenden gewährte eine große Ausbeute und-
reihlihen Stoff an Perſoͤnlichleiten, Localitaͤten,
Kunſtwerken und Kunſtreſten.
In Heidelberg bei Boiſſerée's, Studium der
Niederlaͤndiſchen Schule In Gefolg Ihrer Sammlung.
Studium des Koͤlner Doms und anderer alten Bau⸗
lichkeiten nah Riſſen und Planen. Letzteres fort⸗
geſetzt in Darmſtadt bei Moller. Alte Ober:
deutſche Schule in Frankfurt bei Schuͤtz. Von die⸗
fer Ausbeute und reichlichem Stoff an Menfchen-
Tenntnfg, Gegenden, Kunftwerken und Kunftreften
mitgetheilt in der Zeitfhrift Rheln und Malin.
Naturwiffenfhaft wurde fehr gefördert durch ge⸗
fällige Mittheilung des Bergrath Cramer zw.
Wiesbaden an Mineralien und Notizen des DBerg-
wefens auf dem Wefterwalde. Das Darmftäbter
Mufeum, bie Frankfurter Mufeen, Aufenthalt bei
Geheimerath von Leonharb In Hanau Nach
meiner Ruͤcktunft Sorge für Jena.
"Bon öffentlichen Ereigniſſen bemerke ich die Ein⸗
nahme von Paris, und daß ich ber erſten Feier bes
achtzehnten Octobers In Frankfurt beimohnte, _
)
1815
Schon im vorigen Jahre waren mir bie ſaͤmmt⸗
lihen Gedichte. Hafis In ber von Hammerfchen
"Ueberfegung zugelommen, und wenn ich früher ben
bier und da In Zeitſchriften überfegt mitgetheilten
einzelnen Stuͤcken dieſes herrlichen Poeten nichts
abgewinnen kounte, fo mirkten ſie doch jetzt zuſam⸗
men deſto lebhafter auf mich ein, und ich mußte
mic dagegen productiv verhalten, weil ich ſonſt vor
der mächtigen Erſcheinung nicht haͤtte beſtehen können.
Die Einwirkung war zu lebhaft, die Deutſche Ueber⸗
ſetzung lag vor, und ich mußte alſo hier Veranlaſ⸗
fung finden zu eigener Theilnahme, Alles was den
. Stoff und dem Sinne nach bei mir Aehnliches ver-
wahrt und gebegt worben, that ſich hervor, und
dieß mit um fo mehr Heftigleit als ich hoͤchſt noͤthig
fühlte mich aus der wirklihen Welt, bie ſich ſelbſt
offenbar und im Stillen bedrohte, In eine ideelle zu
guͤchten, an welcher vergnüglichen Theil zu nehmen
meiner Luft, Fähigkeit und Willen überlafen war.
- Nicht gamı fremd mit ben Elgenthuͤmlichkeiten
des Oſtens wandt' ih wid zur Sprache, inſofern
\e8 unertäßti war jene Luft zu athmen, ſogar zur
Schrift mit ihren, Eigenheiten und Verzierungen.
Ich rief die Moallafatd hervor, deren ich einige
gleich nach ihrer Erfheinung überfeßt hatte, Den
Beduinen⸗Zuſtand bracht' ich mir vor die Einbildungs⸗
Kraft; Mahomets Leben von Delsner, mit dem
95:
ich mich ſchon laͤngſt befreundet hatte, förberte mid
aufs neue, Das-Derhättutb zu v. Diez befefligte
ſich; das Buch Cabus eröffnete mir den Schau:
platz jener Sitten in einer hoͤchſt bedeutenden Zeit
ber unſrizen gleich, wo ein Fuͤrſt gar wohl Urſache
hatte feinen Sohn in einem weitiäufigen Werke zu
belehren, wie er allenfalls bei trautigftem Schick⸗
fale ſich doch noch In einem Geſchaͤft und Gewerbe
durch die Welt bringen könne: Metſchnun und
Leite, als Muſter einer grängenlofen Liebe, war _
- wieder dem Gefühl und bes Einbildungsfraft, zus
geeiguet; bie reine Religion der Parfen aus dem
fpäteren Verfall hervorgehoben und zu Ihrer ſchoͤ⸗
nen Einfalt zuruͤckgefuͤhrt; die Längft ſtudtrten Rei⸗
ſenden, Andrea bella Valle, Tavernier, Char⸗
din abſichtlich durchgeleſen, und fo haͤufte ſich der
Stoff, bereicherte ſich der Gehalt, daß ih nur
ohne Bebenfen zulangen konnte, um das augen⸗
blicktlich Bedurfte · ſogleich zu ergreifen und anzuwen⸗
den. Diez war die Gefältigkeit ſelbſt, meine
wunderlichen Sragen zu beantworten; Lorsbach
hoͤchſt theilnehmend und hiufreich; auch blieb ich
durch ihn nicht ohne Veruͤhrung mit Splveſtre
de Sacy; und obgleich dieſe Maͤnner kaum ahnen
noch weniger begreifen konnten was ich eigentlich
wolle, ſo trug doch ein jeder dazu bei mich aufs
elliſte in einem Felbe aufzuklaͤren In dem ich mich
manchmal geuͤbt, aber: niemals ernſtlich umgeſehen
hatte. Und wie mir bie von Hammerſche Ueber⸗
il
94
ſetzung täglich zur Hand war, umd mir zum Buch
ber Bücher wurde, fo verfehlte Ich nicht aus feinen
Zundgruben mir manches Kleinod zuzuelgnen.
Indeſſen ſchien der politifhe Himmel ſich nach
“+ and nach aufzuklaͤren, der Wunſch In bie freie Weit,
beſonders aber ins freie Geburtsland, zu dem id
- wieder Luft und Antheil faſſen konnte, drängte mic
zu einer Reife. Heitere Luft.und rafche Bewegung
gaben fogleich mehreren Probuctionen im neuen oͤſt⸗
lichen Sinne Raum. Ein heilfamer Badeaufenthalt,
ländliche Wohnung in bekannter von Tugend auf be-
tretener Gegend, Theilnahme geiftreicher, lieben⸗
‚der Sreunde, gedieh zur Belebung und Steigerntg
eines gluͤclichen Zuftandes, der fich einem jedem
Neinfühlenden aus dem Divan barbieten muß.
Gegen Ende diefer Wallfahrt fand ich meine
Sanfmlung fo bereichert, daß ich fie ſchon nach ge:
wiffer Werwandtfchaft fondern, in Bücher einthei⸗
fen, die Verhaͤltniſſe der verfchtedenen Zweige er⸗
meffen, und das Ganze, wo nicht der Vollendung,
doch dem Abſchluß näher bringen konnte. Und fo
hatt’ ich In diefer Zerſtreuung mehr gewonnen und
gefunden, als mic eine gleiche Zeit In den ruhvoll⸗
fien Tagen hätte gewähren können.
Kor meiner Abreife. waren vier Bände der neuen
Auflage meiner Werke fortgefenbet; ich fing an bie
Steiltanifche Neife zu rebigiren, doch riß das orten-
tatifhe Intereffe meln ganzes Vermögen mit fih
fort ;. gluͤclich genug! denn wäre — Trieb aufge⸗
—
95
m, abgelenkt werben, ich hätte ben Weg zu
m Paradieſe nie wieder zu finden gewußt.
Wenig Fremdes berährte mich; doch nahm. ich
en Antheil,an Griechifchen Liedern neuerer Zeit,
In Original und Neberfegung mitgetheilt wur=
‚ und die ich bald gedrudt zu fehen wuͤnſchte.
Herren von Natzmer und Harthaufen
en dieſe ſchoͤne Arbeit übernommen.
In literariſcher Hinfiht förberten mih nicht
ig Göttinger. Anzeigen, deren ich viele Bände
ber Wiesbadner Bibliothek anfraf, und fie, dee
nung nah, mit gemüthliher -Aufmerkfamteit
blad. Hier ward man erft gewahr, was man.
bt und bdurchlebt hatte, und was ein ſolches
k bedeute, das mit Umfiht aus dem Tage ent⸗
ngen in die Zeiten fortwirkt. Es iſt höchft an=
hm in diefem Sinne das laͤngſt Gefchehene zu
achten. Man fieht dag Wirfende und Gewirfte
ı im Sufammenhange,“aller mindere Werth iſt
ı zerftoben,- der falfche Antheil des AugenblidE
erfhwunden, die Stimme der Menge verhallt,
das uͤberbliebene Wuͤrdige iſt nicht genug zu
zen.
Zunaͤchſt waͤre ſodann ber aͤlteren Deutfchen Bau=
t zu gebenten, berem Begriff fih mir Immer
e und mehr erweiterte und reinigte.
Eine Fahrt nah Köln In der ehrenden Gefel-
t bes Herrn Staatsminiſters von Stein, druͤckte
mf das Siegel, Ih ſah mit vorbereiteten
R 96.
Erftaımen das ſchmerzenvolle Deutmal Ger Unrollea⸗
Dung , nnd konnte doch mit Augen Das Maß faſſen,
von dem was 06. hätte werden follen, ob es gleich
dem angeftrengteften Sinne noch immer umbegreif:
Uch ablieb. Auch von alterthuͤmlicher Miahterey: fanb
ſich in Profeffor Wallraffs Summinng und an⸗
derer Privaten gar viel zu ſchauen, gar mancher
Werth zu erkennen, und-der Aufentbalt, fo kurz ex
geweſen, Heß doch unvergängkihe Wirkungen zuruͤck.
- Diefe wurden gehegt und erhöht durch die geſellige
Näbe von Suipis Boiſſerée, mit bem ich von
Wlesbaden über Mainz, Frankfurt, Barmftadt - refs
fend faft nur folhe Gefprähe führte In Heidel⸗
berg angelangt, fand ich die: gaſtfreundlichſte Auf⸗
nahme, nnd hatte die fchönfte- Gelegenheit bie um:
ſchaͤtzbare Sammlung mehrere Tage zu betrachten,
mich von ihrer charakteriſtiſchen Vortrefflichkeit tm
Einzeinen zw überzeugen, und in chen dem Maße
hiſtoriſch wie artiftifch zus beiehren. Aufgezeichnet
ward manches Bemerfte, dem Gedaͤchtniß zu Hulfe
und kuͤnftigem Gebrauche sum Beſten.
Hinſichtlich auf Baukruſt, im Bezug auf meine
Kölner Fahrt, warb gar manches, im Gegenwart
von Grund und Aufrkſſen aͤlterer Deutfcher, Nieder⸗
laͤndiſcher und: Franzöffidier Gebäude, beſprochen
und verhandelt, wodurh man dena ſich nach unb
nach faͤhig fühlte aus einer großen, oft wunber-
fihen und verwirrenden Maſſe das Meine und
ea wohin der menſchliche Seift unter jeber
Form
x
B '97
em ſtrebt, beransjufinden und fich zuzueignen.
e zwey Mollerfchen erſten Hefte, In dem Au⸗
blick erſcheinend, gewährten hierbei erwänfdte
fe. Das Technifche anlangend, gab ein altes
rucktes Exemplar „der Steinmeben Bruͤder⸗
aft“ von der hohen Bedeutſamkeit dieſer Gilde
merkwuͤrdiges Zeugniß. Wie Handwerk und
ft hier zuſammen traf, ließ ſich recht gut ein-
en.
So wurd' ich denn auch auf dieſer Reiſe ge⸗
hr, wie viel ich bisher, durch das unſelige
iegs⸗ und Knechtſchaftsweſen auf einen kleinen
ſeil des Vaterlandes eingeſchraͤnkt, leider ver⸗
ßt und fuͤr eine fortſchreitende Bildung verloren
tte. In Frankfurt konnte ich die Staͤdeliſchen
haͤtze abermals bewundern, auch ber patriotiſchen
ſichten bed Sammlers mid erfreuen; nur uͤber⸗
( mich die Ungebuld fo viel Kräfte ungenutzt zu
en: denn meinem Sinne nah hätte man bei
{ geringerem Vermoͤgen bie Auſtalt gründen,
richten und die Künftler ins Leben führen Eöns
n. Dann .bätte bie Kunft Thon feit Sahren
öne Früchte getragen, und dasjenige hinreichend
ſetzt, was dem Eapital an Intereſſen Bat
segangen wäre.
Die Brentano'ſche Sammlung an Gemaͤhl⸗
n.und Kupferſtichen und anderen Kunſtwerken gab
ppelten Genuß, bei dem lebhaften Antheil der
Goetheb Werke. XXXII. Bd. 7
98
Beſitzer und ihrer freundlichen Anffotberung ſo vlel
Gutes mit zu genleßen.
Dr. Grambs, der ſeine Kunſtſchaͤze den Stä-
beitfchen anzuſchließen bedacht wer, ließz mehrmals
feine treffiichen Beſitzungen theilwelſe beſchanen;
wobei denn gar manche Betrachtung einer gruͤub⸗
liheren Keuntniß den Weg bahute. Hofrath Be:
der in Offenbach zeigte bedeutende Gemaͤhlde,
Münzen und Gemmen vor, nicht abgeneigt dem
Liebhaber eins und das andere Wuͤnſcheuswerthe zu
überlaflen.
Auf Naturgeſchichte bezüglich ſahen wir bie
Sammlung von Bögeln bei Hofrath Meyer, nicht
oßne neue Bolehrung über diefen herrlichen Zweig.
der Naturkunde. nes:
Das Senkenberguͤſche Stift: ia. Frankfurt
fand man in deu beften Händen; bie Chätigleit des
Augenblicks ließ vorausſehen, daß eine neue. Epoche
dieſer ſchoͤnen Anſtalt unmittelbar zu erwarten fey.
In Carloruhe ward ung, durch Geneigtheit des
Herrn Gmelin, eine zwar fluͤchtige aber hinrel-
chende Ueberſicht des hoͤchſt bedeutenden Cabinets;
wie wir denn uͤberhaupt die kurze dort vergoͤnnte
Zeit eben ſo nuͤtzlich als vergnuͤglich anwendeten.
Bei fo manchen Hin⸗ und Wiederfahrten konnte
die Geognoſie auch nicht leer ausgehen. Von Hoͤ⸗
vels. Gebitge der Sraffchaft Mark wurden, befon-
ders mit Beihuͤlfe dortiger Beamten, auch in der
Serne beiehrend. In Holzapfel, bei Gelegenhelt
99
des bortigen hoͤchſt ˖· merkwuͤrdigen Ganges, kam
Werners Gang⸗Theorie (von 1791) zur Sprache,
ingleſchen des dort angeſtellten Schmidt Werſchie⸗
bung der Gänge (von 1810). Dieſe wichtige, von
mir ſo oft betrachtete und immer gehrimmißvollblei⸗
bende Erſcheinung · trat mie: abermals vor bie Seele,
und ich hatte dad Oi Im: Lahnthal einer anfgeho:-
denen Abtey ungefaͤhr gegenfiber, auf ehter verlaſ⸗
fenen Hatbe Thenſchieferplatten mit kreuzwelskau⸗
fenden ſich mehr oder wenkger verfchkebenden Quarz⸗
gaͤngen zu finden, wo des Grundphaͤnomen mit Au⸗
gen geſehen, wenn auch nicht begriffen noch —
ausgeſprochen werben kann.
Beſonderes Oki ereignete fh mir auch zu
Bibrich, indem des Herrn Erzherzogs Earl
K. H. die Gnade hatte, nach einem intereffamter
Geſptaͤch, mir die Beſchreibung Ihrer Feldzuͤge mit
den hoͤchſt genau und ſauber geſtochenen Charten zu
verehren. Auf dieſen uͤberans ſchaͤdbaren Blaͤttern
fand ſich gerade die umgebung ber Lahn von Wetz⸗
lar bis Neuwied, und, ich muchte die Bemerkung,
daß eine gate Milltaͤrcharte zu: geognoſtiſchen Zwe⸗
den bie allerdiemichſte ſey. Denn weder Soldat
noch Geognoft fragt, wem Fluß, Land’ und Gebirg
„gehöre, fondern jener: inwiefern es ihm zu feinen
Operationen vortheilhaft, und diefer: wie es für
feine Erfahrungen ergaͤnzend und nochmals belegend
ſepn moͤchte. Eine Fahrt in verfchtedene Gegenden
‚zu beiden Selten der Lahn, mit Bergrath Cramer
100°
begonnen und mit ihm größtentheils durchgefuͤhrt,
gab manche fhöne Kenntniß und Elnſicht; auch ver-
diente fie wohl unter die Heinen geognoftifchen Rei⸗
fen aufgenommen zu werden.
Auch meiner Mädreife werde Ich mid immer
mit vorzüglihem Antheil erinnern. Non Helbel-
berg auf Würzburg legte ich fie mit Sulpitz Boiſ⸗
ferde zuruͤk. Da uns ‚beiden der Abſchied wehe
- that, fo war es beſſer auf frembem Grund und Bo- .
den zu fcheiben, als auf dem heimifchen, Ich reiste
fodann Aber Meiningen, ben Thüringeswald, auf
- Gotha, und kam den 11 October In Welmar an,
nachdem Ich viele Wochen mich auswärts umgeſehen.
Zu Haufe erwaͤhn ich zuerſt den Beſuch bed Dr.
Stolz, des wackern Arztes aus Toͤplitz, wobel mie
neralogiſche und geognoſtiſche Unterhaltung, die
uns früher in Böhmen belehrt und ergögt, mit Lei:
benfchaft. erneuert wurde. Bei: bem nächfien
Aufenthalte. in Jena leitete mich Profeſſor Döbe-
reiner zuerft in die Geheimniſſe ber Stoͤchlometrie;
. auch machte er zu gleicher Seit wiederholte Verſuche
mit dem Weißfeuer, welches von bem Landgrafen
herunter das Jenaiſche Thal erhellend einen magiſch
überrafchenden Anblick gewährte.
In der Farbenichte warb fortichreitend einiges
gethan; die entoptifchen Farben bleiben beftändiges
Augenmerk Daß ih In Frankfurt Dr. Seebeck
begegnet war, gerieth zu großem Gewinn, Indem
er, außer allgemeiner, Ind Ganze greifender Unter:
= — 104 — —
haltung, beſonders die Lehre des Doppelſpaths, die
er wohl durchdrungen hatte, und das Verhaͤltniß
der Achſen ſolcher doppelt refrangirender Koͤrper
Naturfreunden vor Augen zu bringen wußte. Die
Tonlehre warb weiter mit ber Farbenlehre vergli⸗
chen; Profeſſor Voigt verfolgte ſeine Bemerkun⸗
gen bezuͤglich auf Farben organiſcher Koͤrper, und
uͤber meiner ganzen naturhiſtoriſchen Beſchaͤftigung
ſchwebte die Howardiſche Wolkenlehre. —
Nach ſo viel Natuͤrlichem iſt's doch wohl auch
billig zur Kunſt zuruͤckzukehren! Auf dem Weimari⸗
ſchen Theater beſchaͤftigte man ſich immerfort mit
Calderon; die große Zenobka ward aufgefuͤhrt.
Die drey erſten Acte gerlethen trefflich, die zwey
letzteren, auf natlonalsconventlonelled und tempo⸗
raͤres Intereſſe gegruͤndet, wußte niemand weder
zu genießen noch zu beurtheilen, und nach dieſem
letzten Verſuche verklang gewiſſermaßen der Beifall,
der den erſten Stuͤcken ſo reichlich geworden war.
‚Das Monodram Proſerpina warb bei ung
mit Ebermweins Compoſition gluͤcklich dargeſtellt;
Epimenides ‚ für Berlin gearbeitet; zu Schil⸗
lers und Ifflands Andenken gemeinſchaftlich mit
Peucer ein kleines Stuͤck gefchrieben. In dieſer
Epoche durfte man wohl fagen, daß ſich das Wei:
marifhe Theater, In Abficht auf reine Mecitation,
träftige Declamation, natürliches zugleich und Eunft-
reiches Darftellen auf einen bedeutenden Gipfel des
inneren Werths erhoben hatte, Auch das Aeußere
4
- 10%
mußte ſich nach und yadı ſteigern; fo bie Garderobe
durch Nacheiferung, zuerſt der Frauenzimmer, hier⸗
auf der Männer. Ganz zur rechten Zeit gewannen
wir an dem Decorsteur Beuther einen vortreff⸗
Uchon, In ber Schule von Fuentes gebildeten
Kuͤnſtler, det buch perſpectiviſche Mittel unfere
Heinen Raͤume ind Gränzenlofe .zu-ermeitern, durch
charakteriſtiſche Architeltur zu vermannichfaltigen,
- und durch Geſchmack und Zierlichkeit hoͤchſt ange⸗
nehm zu machen wußte. Jede Art von Styl unter-
warf er feiner perfpectivifchen Fertigkeit, ſtuditte
auf der Welmarifchen Bibliothek bie Aegyptiſche fe
wie bie Altdeutſche Bauart, und gab den fie for:
dernden Städen dadurch neues Anſehn und eigen⸗
thuͤmlichen Glanz.
Und fo, kann man ſagen, das Weimariſche Theater
war auf feinen hoͤchſten ihm erreichbaren Puuct zu
Diefer Epoche gelangt, ber man eine -euwünfckte
Dauer auch für bie nähe und falgende Zeit wer:
fprechen durfte.
Don ber eingeihräntten Breterbuͤhne auf ben
großen Weltſchauplatz hinaus zu treten, moͤge nun
auch vessönnt ſeyn. Mapoleons Wiederkehr er:
fhredte die Welt, hundert ſchicklalſchwangere Tage
mußten wir Durchleben , :bie kaum entfernten Trup⸗
pen kehrten zuräd, in Wiesbaden fand ich die Preu⸗
Hifche Garde; Freiwillige waren ‚aufgerufen, und
bie friedlich boſchaͤftigton, kaum zu Athem gelomme⸗
nen Buͤrger fuͤgten ſich wie der einem Zuſtande, dem
403
ihre phyßſchen Keaͤfte nicht zewachſen und ihre fitt-
lichen naht einſtimmig waren; bie Schlacht von
Waterloo, in Wiesbaden zu großem Schreien als
verloren ‚gemeldet, fodann zu überrwfchender, is
betaͤubender Frrude, als gewonnen - angekündigt.
In Furcht vor fchneller Ansbreisung der Frauzöfl-
ſchen Truppen, wie vormals über Provinzen und
Laͤnder, machten Babesäfte ſchon Anftalten zum
Einyaden, und fonnten fih vom Schrecken erholend
die nunuͤtze Vorſicht leineswegs bedauern.
- Bon Perſonen babe noch mit Ehrfarcht und
Danlbbarkeit zu nennen: Erzherzog Carl in Bibrich,
Großfuͤrſtin Catharina in Wiesbaden, Herzog und
Hergzogin von Cumberland bei Fraukfurt, deu Erb⸗
großherzog von Mecklenburg ebendaſelbſt; in Carls⸗
zuhe.die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner
and Hebel; nach Haufe gelangt, Ihro ber regie-
- ‚wenden Kaiſerin von Rußland Waieftät fämmtliche
Umgebung; Graf Barclay de Tollp.
"Das mannichfaltig Bebeutende, das ich vor
einen: Jahr im eigentiichen Mutterlaude geſehen,
erlebt und gebacht hatte, mußte ſich aufirgenb eine
Welfe wiederſplegeln. Ehr Heft „Kunſt und Alter⸗
um am Rhein und Mayn“ werd unternommen,
nud bau am Ende vorigen Jahrs mehr als eine
408 —
Vorarbeit durchgefuͤhrt; die aͤlteren Nieberlaͤnder,
van Eyck und was ſich von ihm herſchrieb, gruͤnd⸗
„lich erwogen; das fruͤhere problematiſche Bild Vero⸗
nica zu kuͤnftigem Gebrauch verkleinert und geſto—⸗
chen. Büfhings woͤchentliche Nachrichten arbei⸗
teten zu gleichem Zweck, und in dieſem Sinne
wandte ſich bie Pietaͤt der Weimariſchen KRunft-
freunde gegen alte Heiligenbilder, die wir von Heils⸗
berg am Thuͤringerwald kommen und unter unſern
Augen repariren ließen. Weil aber immer in
neuerer Zeit. Eins Ins Andere wirkt, ia ſogar Ge:
genfeitiged durch Gegenſeitiges, fo-war auch ein
Heldenbild, ale Gleichniß von Bluͤchers Perſoͤn⸗
lichkeit, in Gefolg feiner großen Thaten zur Sprache
gekommen.
Wenn der Held mit Gefahr ſeines Lebens md
Ruhms die Schiefale der Welt. aufs Spiel ſezt,
und der Erfolg ihm glädficherweife zuſagt, fo flaumt
der Patriot und nimmt gern den Künftler zu Huͤlfe,
um für fein Bewindern, fein Verehren irgend eine
Sprache zu finden.
In hergebrachter Denkweiſe der Vorzeit, he⸗
roiſche Geſtalt mit angenaͤhertem Coſtum der Neu⸗
welt heranzubringen, war nach vorgaͤngigem Schrift⸗
wechſel mit Herrn Director Schadow zuletzt die
Aufgabe und Uebereinkunft. Wegen Beſchaͤdigung
des erſten Modells brachte der Kuͤnſtler ein zweytes,
woruͤber man, nach lehrreichen Geſpraͤchen, zufeßt
bis auf Veraͤnderungen, welche das Vollenden immer
N
105 j
herbeifuͤhrt, fich tremlich vereinigte, . Und fo fleht
dieſes Bild, wie auf dem Scheidepunct Alterer und
neuerer Zeit, auf ber Graͤnze einer gewiſſen conven⸗
tionellen Sdealität, weldhe an Erinnerung und Ein⸗
bildungskraft ihre Forderungen richtet, und einer
unbedingten Natürlichkeit, weiche, die Kunſt, felbft
wider Willen, an eine oft beſchwerliche Wahrhaf⸗
tigkeit bindet.
Von Berlin erfreuten mic transparente Ge⸗
mählde nach meinem Hans Sachs. Denn wie mic
früher Nachbildung der dlteren trenlich ernften cha⸗
gatteriftifhen Dichtkunſt lange Zeit erzoͤtzt hatte,
fo war mir es angenehm fie wieder als vermittlend
‚gegen neuere Künftler auftreten zu fehen. Zeichnun⸗
. gen zum Fauſt von Cornelius und Netfch wirt
ten in ihrer Art das Aehnliche: denn ob man glei
eine vergangene Vorftellungsweife weder zuruͤckru⸗
fen kann noch ſoll, fo ift es doch loͤblich fich hiſtoriſch
praktiſch an ihr zu üben und durch neuere Kunſt das
Andenken einer Afteren aufzufrifhen, damit man,
ihre DVerbienfte erfennend, ſich alddann um fo lieber
zu freieren Regionen erhebe.
In geſellſchaftlichen Kreifen hatte die euft zu
Bilderfcenen immer zugenommen, und ward von
mir, wenn auch nicht unmittelbar gefördert, doch
gelegentlich mit einigen Strophen begleltet.
Im Nachklang der Rheiniſchen Eindrüde warb
von dem Weimariſchen Kunſtfreunden das Bild des
heiligen Rochus, wie er als voͤllig ausgebeutelt vom
106
feinem Palaſt bie Pilgerſchaft antritt, erfunden sub
Jtizzirt, hierauf ſorgfaͤltig sartonirt, und zuletzt von
zarter Frauerzaͤmmerhand gomahlt, in ber freund⸗
Urhen RochasrCapelle gänftig aufgenommen. En
geftochener verkleinerter Umriß iſt in dem zweyten
Rhein⸗ und Mapnubeft wie billig vorgebunden.
Von Offenbach erhlelt ic ſchoͤne brorzene Did
zen, bie mich in den Anfang des ſechszebuten Jahr⸗
hunderts wieder zurktführten.-.. Graf Cicoguara's
Sioria della Scultura Fam eben gu, rechter Zeit
dieſen ſchoͤnen Studien zu Hülfe. In höhere Megie⸗
um führte uns der Olympiſche Jupiter von Quatre⸗
mere de Quincy; hier gab es viel gu lemen.umb
‚zu deuten, Die Antımit;der Elziniſchen Marmore
erragte großes Verlangen unter allen Kuuſtlieb⸗
babern; indeſſen blieb auch Burtin Connaissance
des Tableaux, das und Einſicht In ein. anderes be⸗
dentenbed Gelb gewährte, wicht unbeachtet.
Die Neftauration: ber Dresdner Gemaͤhlde kam
in Anregung. Welch eine große Auſtalt hiegu er:
forderikh; fey, einigermaßen barguftellen, erzählte
ich von der Reſtaurations⸗Akademie in Venedig, Die
aus einem Director amd zwölf Profeſſoren beftand,
und große Räume einos Kloſters zu Ihren Arbeiten
bezogen hatte. Eine ſolche Wiederherſtellung und
Rettung iſt wichtiger als. man denkt, fie Tann nicht
ms dem Stegreif unternommen werben.
+ Die Weimarifche Zeichenfchule Hatte fich in eine
sroße Veränderung zu fügen. Da das alte Local za
. i 4 >
E 407
aAndern Zwecken beftimmt, und kein gleich großes.
für fie zu finden. war, fo muchen bie Elaffen ge⸗
£heilt, für die erfte ein Gebaͤude auf der Esplanade
erkauft, bie beiden andern aber var dem Frauen⸗
chor im fogenannten Jägerhaus eingerichtet. Auch
. Diefe Beräuberung wie die vorhergehenden verdiente -
wohl eine befondere Schilderung, indem ſie nicht
oqhne gute Folgen für bie Anſtalt felbit bielben
ſollte.
Glelchzeltig ward ein vorzuglicher Bildhauer Na-⸗
mens Kaufmann von Nom berufen, der auch
dDilieſe Kunſt wieder neu zum Leben brachte.
2 Sol id meiner eigenen Arbeiten gedenken, fo
Hab’ ich wohl zuerſt ded Dinans zu erwähnen. |
Er ward immer mehr fupplitt, geordnet und. einf-
a⸗s bavan zum Damenlalender beftimmt. Für den
hiſtoriſchen und erHlärenden Thell fammelte ich
Immer mehr Vorarbeit. Bon Dieb Denkiwärdig-
Zeiten, deſſen GStreitigkeit mit Hammer, deg letze
teren orientaliſche Fundgruben, ſtudirte ich mit
Aunfmerkfamtelt, und uͤberall ſchoͤpfte Ich frifche oͤſt⸗
- Sie Luft. Krox Zeilon kam zu rechter Seit mir In
bie Hände; beſonders werth jedoch erfhlen mir
Se yde.perfifche Religion; und wie denn, fobald ein
bedeutender Stoff mir vor die. Seele trat, Ich den⸗
felben unwillkuͤrlich zu geftalten aufgefordert wurde,
fo entwarf ich eine. Drientaltfhe Oper, und fing au
fie zu bearbeiten. Sie wäre auch fertig geworben,
da fie wirklich eine Zeitlang In mir lebte, hätte ich
-
"
408
"einen Muſiker zur Exite und ein großes Publienum
vor mie gehabt, um genoͤthigt zu feyn den Faͤhlig⸗
Zeiten und Zertiglelten des einen, fo wie dem Ge⸗
(mad und den Fordbermigen des andern entgegen
zu arbeiten.
Wunderliche Menfchen wie ed giebt, verlang⸗
ten, verführt dutch die Schillerſche Ausgabe in
chronologiſcher Folge, das Gleiche von mir, umd
haͤtten beinahe ben fchon eingeleiteten Abdruck In
Verwirrung gebracht. Meine Gründe, dieſes ab-
zulehnen, wurden indeß gebilligt, und das Geſchaͤſt
ging unbehelligt feinen Gang. Der neunte und
zehnte Band warb revibirt ; die Itallaͤniſche Reife,
befonders nach Neapel und Sicillen, geftaltete ſich
immer mehr, und wie eine Arbeit die andere jeder:
zeit hervorruft, konnt' ich nicht unterlaffen an dem
vierten, fo lange verzögerten und erwarteten Bande
von Wahrheit und Dichtung wieder einige Haupt:
momente zu verzeichnen. Das Rhein⸗ und Mayn⸗
beft zweytes Städ ward. gefördert, Reinecke Fuchs
durchgefehen, und das Rochnsfeſt gefchrieben. |
Die zweyte Lleferung meiner Werte kommt an,
die Paralipomena werben neuerdings beachtet, ein
Lied für das Berliner Kınftlerfeft gefchrieben , wes
gegen eine beabfichtigte große Santate zum Luther:
feit, wegen Mangel an Zelt und Aufmunterung,
bald- nad der Gonception, aufgeſtelltem Schema
und geringer Bearbeitung liegen biteb, und für die
Ausbildung verloren ging,
109
Mein Antheil an fremden Werken bezog ſich leb⸗
haft auf Byrons Gedichte, ber immer wichtiger
‚bervortrat, und mich nah und nah mehr anzog,
da er mic früher buch hypochondriſche Leidenfchaft
und heftigen Selbſthaß abgeſtoßen, und wenn ich
mish feiner großen Perſoͤnlichkeit zu nähern wünfchte,
von feiner Muſe mich voͤllig zu entfernen drohte.
Ich leſe den Eorfaren und Lara, nicht ohne Bewun⸗
derung und Untbeil. Sm gleicher Zeit erfchlenen
Nelſons Briefe mit feinem Leben, gaben viel zu
denten und viel zu trauern. Grtes, dur bie
Ausgabe des zweyten Theils feines Galderon, machte
uns im Spanien des fiebzehnten Jahrhunderts immer
einheimiſcher. Anatole verfeßte und nach einem
nieuern Paris, und ließ uns einen fchönen Noman-
. bewundern Die Friedensgefangenen von
Lawrence, eine der feltfamften Productionen,
noͤthigte uns alle Aufmerkſamkeit einem ganz ver:
wuͤnſchten Buftand zu ſchenken. Reiſende Englaͤn⸗
der in Verdun feſtgehalten, nach neneren Voͤlker⸗
rechtsmaximen beim Ausbruch eines Krieges mit
Albion; republicaniſche Franzoſen, beſonders Com⸗
mandant und Eommandantin, von geringem Stande
während der Revolution einporgelommen; heim⸗
liche, für Engländer gehaltene Emigrirte, verkappte
Vornehme und wer fonft noch zu bemerken wäre,
machen ein barodes Bild, das auf bie Nachwelt zu
tommen verdient, weil ed nur unter dieſer Bebins
sung von. einem geiſtreich danſchauendem Leidensge⸗
—
N
J
440
nofſen concipirt und mehr mit Haß ‘als Liebe vollen⸗
det werden konnte.
Ruckſtuhl ſchrieb über die Deutfhe Sprache,
und das nicht zu erfhhpfende Wert Erneſti's Tech-
nologia rhetoriea Graecorum et Romanorum
lag mir immer zus Hand: dem dadurch erfuhr kb
wieberhoft, was. ich in meer fehrfftitellerffchen
Laufbdahn recht und unrecht gemacht hatte. Noch
aber muß ich einer hoͤchſt merkwuͤrdigen, vielleicht
einzigen Datftellumg gedenten; es ift das Tag- und
Stundenbuch der Leipziger Schlacht von Roqlie,
wovon ich anderwo gehandelt habe.
Die Jenaiſchen unmittelbaren Anſtalten der
Naturlehre im Allgemeinen, der Naturgeſchichte im
Beſondern gewidmet, erfreuten ſich der aufmerk⸗
ſamſten Behandlung. Faſt im allen Abtheilungen
war bie innere Thätigtelt fo herangemachfen, daß
man ſie zwar durch gute Haushaltung ſaͤmmtlich be⸗
ſtreiten konnte, aber doch an einen neuen erhoͤhten
Maſeumsetat nothwendig denfen und einen neuer
Maß ſtab fefſtſtellen mußte. Doͤbereiners Wohnhaus
ward ausgebaut, ein Gartenſtuͤck dei der Gtem:
"warte angekauft und: zu diefem Befitz hinzugefchta-⸗
gen: Die Veterinaͤranſtalt in Jena beſtaͤtigte ſich;
Profeſſor Renner begann feinen Eurfus, und ich
gab meine aͤlteren zerſaͤgten und ſonſt präperktten
- Merbefgädei zum didaktiſchen Anfang 'hinäber, da
ffe früher mir auch‘ zum "Anfang gebient hatten.
Die lang unterbrochenen Ausgrabungen des ut⸗
!
444
alten: Grabhuͤgels bei Romſtedt wurden forbgefeht, -
und gaben une mehrere Schidel; nicht wentzer
wurde durch befonbere Aufmerkſamkeit nach Jene ein
ganzes Stelett geſchufft und forgfkitig geordnet nie⸗
dergelegt. Ein durch Kaochenaufſchwellung merk⸗
wuͤrdig monſtroſer Schaͤdel kam in Gypsabguͤſſen von
Darmftadt, durch die Gewogenheit des Herrn
Schlicht egroll.
Ich if wir das Andenken Safpar Friebrich
Wolfs wieder hervor, durchdachte Jaͤgers Miß⸗
bildung der Gewaͤchſe, ingleichen Philtpp N. . . . .
Dflanzentrankheiten. Bon Humboldts Wer
über Vertheitung ber Pflauzongeſtalten auf bem
Erdboden war hoͤchſt willlommen, und Need von
Eſenbeck ausfuͤhrlichſte Arbeit über Pilze und
Schwaͤmme ließ mich ein treffitdhes: Mitkroſtop be⸗
dauern, das mir ein ſeltſames Schickſal in ben ans
genehmſton Lebensaugenblicken zerfkört hatte.
Aus dem Thierteiche wurde uns ein Wunder⸗
geſchoͤpf, det proteus anguinus, durch Herrn Pto⸗
feſſor Confhigiachi vorgezelgt, der ihn, in einem
Gkaſe mit Waſſer, auf⸗der Meiſe hoͤchſt ſorgfaͤltig im
Buſen verwahrt, leboudig bis zu · uns gebracht hatte.
Im Mieraireiche waren wir ſehr begänftigt;
Geheimerath Heims gu Meiningen. wichtige
" Sammlung gelangte durch fein Weohlwollen für we
.fere Auſtalt nad: Jona, wo ſie nach fonem: Sinn
geordnet aufgeſtellt wurde. Mon einzelnen Motk⸗
wuͤrdigkeiten verbient der Kugel⸗Sienit von Valllnes
\
442
and Corſica vorzüglich Erwähnung. In meine
Sammlung gelangten, in Gefolg eines voriährl-
gen Meifebefuhs, Mineralien vom Weſterwald und
Rhein, auch ein Hyalit von Frankfurt als Ueberzug
vielleicht ber größeften Zlähe, am der er je ſich vor:
gefunden, von fieben Zoll im Durhmefler. Geh.
Kath von Leonhards „Bedeutung und Stand der
Mineralien” bereicherte uns von theoretifche Seite.
Howard Wollenterminologie warb fleißig auf
die atmofphärifhen Erfcheinungen angewenbet, unb
man gelangte zu befonderer Sertigkeit fie mit bem
Barometerſtand zu paralleltfiren.
Zu fonftigen phyfitalifchen Auftlaͤrungen war der
Verſuch einer Gasbelenchtung In Jena verauftaltet;
wie wir benn auch durch Dübereiner bie Ark durch
Druck verfhiedene Stoffe zu extrahiren, kennen
Jernten.
Im Chrematiſchen waren bie entoptiſchen Phan⸗⸗
mene an der Tagesotdnung. Ich nahm zuſammen
was ich bis jetzt erfahren hatte, und trug es tm els
nem kurzen Aufſatz vor, deſſen bald gefühlte Unzu⸗
aͤnglichkeit mich zu weitern Forſchungen nöthigte und
mich immer nälter zu. dem Wahrbaften hindraͤngte.
Profeſſor Pfaff fandte mir fein Wert gegen
die Farbenlehre, nach einer ben Deutfchen angebot:
gen unartigen Zubringlichleit. Ich legte es zur
Seite bis auf känftige Tage, wo ich mit mir ſelbſt
volltommen abgefhloffen haͤtte. Seinen eigenen
Meg zu verfolgen bleibt immer das Vortheilhafte⸗
fte,
s 113
fie; donn .biefer Hat das -Gihcitihe uns von Jvrwe⸗
gen wieder auf und ſelbſt zurktzufähren.
Dr. Schopenhauer trat als wohlwollender
Zrennd au meine Seite. Wir verhandelten man⸗
ed uͤbereinſtimnnend mit einander, doch ließ fi
guletzt eine gewiffe Scheldung nicht vermeiden, wie
wenn zwey Freunde, die bisher mit einander gegan⸗
sen, ſich die Hand geben, der eine jedoch nad Nor⸗
den, der andere nad Suͤden will, ba fie denn fehr
ſchnell einander and dem Geſichte Iommen.
Varbenverſuche mit vegetabiilfchen Ertracten dien-
ten wisberheit bie hoͤchſte Conſequenz der. Farben:
lehre darzutbun
Nm mins ih aber ein Zwiſchenſpiel tim Zuſam⸗
menhange vortragen, worin maucherlet vorkommt
vas Ich unter bie Rubriken nicht zerfplittern mochte. -
Wei herannahender guter Witterung gedachte ich
nach Wunſch und Neigung die Ihönen Tage des vo:
eigen Jahrs im Mutterlande abermals zu genießen.
Freund Meyer wollte mic begleiten, Natur amd
Kunft ſollten ıms mit ihren Schaͤten überfälen.
Borarbeiten waren gemacht, Plane entworfen wie
alles zu genleßen und zu nutzen wäre; und fo faßen
wir wohlgepadt and eingerichtet in einem bequemen
Wagen; aber bie. Hälfte des Erfurter Weges war
no wit erreicht, als wir umgeworfen wurben, bie
Aqſe brach, der Freund ſich au ber Stirme beſchaͤ⸗
Ynte und wir umzukehren genöthigt wurden. Mus
Uemuth und Aberglaube warb bie nr werte
©oethe3 Werte. XXXII. 2
414
vielleicht uͤberellt aufgegeben, und wir verfügten uns
ohne langes Beſinnen nach Denftäbt, wo ein Thuͤ⸗
zinger Schwefelwafler gute Wirkung verſprach. Dort
. Intereffirte mich nach melner Gewohnheit Localität
. und Geſchichte: denn eigentlich bewegt fich die Cha:
ringer Vorwelt viel an ber Unftrat. Ich las daher
die Thäringifhe Chronik, die an Drt und Stelle
“gar manches In deutlicher Localität erſcheinen Le.
Die Lage der Stadt: an ihrem' Platz und in der Um⸗
gegend ward beachtet, und man Fonnte wohl begrek
fen, wie bier in ber frühften Zelt ih Wohnungen
geſammelt hatten. Wir befuchten- Herbsleben an
der Unſtrut, Kteinwallhaufen und andere nabgele-
‚gene Orte, und fo fanden"wir in der Ebene ausge:
trocknete Seen, Tufffteinbrüche und Konchplien des
füßen Waſſers in Menge. Faſt bei allen Excurſio⸗
nen batten wir die Ruͤckſeite des Ettersbergs vor
-Augen und konnten und Leicht nad) Haufe denken
Die Menge verfammelte fi bei einem Vogelſchle⸗
Gen, nicht weniger bei einem Brunnenfeit, welches
- durch. einen Kinderaufzug recht gemuͤthlich wurde.
Agamemnon uͤberſetzt von Humboldt, war
mir ſo eben in die Haͤnde gekommen, und ver⸗
jfeh mir den bequemen Genuß eines Stuͤckes, das
ih von jeher abgöttiih verehrt hatte. Iulins
Fronto von Niebuhr fuchte mich auf; unerwar:
- tet erfchlen Geheime Rath Wolf, die Unterhaltung
war bedeutend und förderliih, und Meyer nahm
daran ‚eingreifenden kuͤnſtleriſchen Antheil. Zufäl:
115
lig jedoch verließen mich beide Freunde am 27 Au⸗
guft, und fo.hatte Ich Zeit genug meinen Geburte-
tag abermals in filler Sammlung zu feyern, und
Den Werth der Kränze zu bedenten, womit ich mein
Zimmer von ber wohlwollenden Wirthin aufge-
ſchmuͤckt ſah. Uebrigens war ih ber mir an biefem
Drte gegönnten Sammlung und Ruhe die ausführ:
lihe Darftellung des Roch usfeſtes ſchuldis ge⸗
worden.
Ferner hab' ich zu ruͤhmen, welchen vorzůglichen
Genuß mir ein Hermſtaͤdtiſches Concert und
Privat: Exhibition gegeben, da, von muſikaliſchen
Sreunden lange Zeit entfernt, ich diefem herrli⸗
hen Kunft: und Naturelement beinahe entfrembet
worden.
Deffentlice Ereigniſſe, die mich in dieſem Jahr
nah genug beruͤhrten, erwaͤhn' ich mit freudiger und
trauriger Erinnerung. Am 30 Januar ward der
Saltenorden geftiftet und mir zugleich das Stoß: - -
Treuz ertheilt. Des Herzog Bernhards Ver:
mählung gab die fchöuften Hoffnungen; Dagegen
verfente mic der Tod der Kaiſerin von Defter-
reich In einen Zuſtand, deſſen Nachgefühl mid
ntemals wieder verlaffen hat. ‚Der Staatsminifter
‚von Voigt, ein theurer vieljägriger Mitarbeiter
und Beförderer meiner wohlgemeinten Unterneh⸗
mungen, .. feyerte fein Dienftiubiläum, das ich mit
einem Gedicht und den treuften Wünfchen begrüßt.
Bon Befuchen bemerk ich folgende, ſaͤmmtlich
446 i —
Erinnerungen fruͤher und fruͤhſter Zetten erwecdend:
von Melliſch, Dr. Hufeland, Mar Jalobi, von Laf⸗
fert, Dr. Chladni, Zeiter und Wüken, Graf un
Gräfin Dbanel, Hofräthin Kaͤſtner aus Hennever.
@in folcher Innerer Friebe ward durch den aͤußern
gIrleden der Weit beguͤnſtigt, als nach ausgeſproche⸗
ner Preßfreihelt die: Ankuͤndegnug ber Iſts erfchlen
und jeber wohldenkende Weltkenner die Leicht zu
berechnenden unmittelbaren, und bie nicht zu be
rochnenden weiteren Felgen mit Schrechen und Be:
dauevn vorausſah.
1,8 17.
Dieſes Jahr warb id auf mehr als Eins Welse
zu einem laͤugern Aufent halt in Seua veranlaßt, ben
ich vorausfah und beihalb.an eigenen Diannseriphen,
Zeichnangen, Apparaten und Sammlangen manches
Hinaͤber ſchaffte. Zuvoͤrderſt wurden die ſaͤmuttli⸗
chen Aufbalten durchgeſehen, und als ich gar man⸗
es für Bildung und Umblibung der Pllanzen erh
wuͤrdiges vorfand, ein eigenes botauiſches Diufewm
eingerichtet und darin ſowohl bedentende Sammlun⸗
gen getrockneter Pflanzen, Anfaͤnge einer Zuſam⸗
menſtellung von. Saͤmereyen, nicht weniger Bei⸗
ſpiele deſſen was ih auf Holzbildung bezog, auge⸗
legt und in Verbindung gebracht, Monſtroſitanen
aber von beſonderer Wichtigkeit in einer sraßen deci·
henfolge aufgeſtellt.
N WE GE — US TUE TEE TE NEE TE le ie m EEE
.
217
Be Berfogting des Hoſmechanicuß Koͤrner u
von Weimar nach Jena bramte einen geſchickt: ge⸗
wandten, thaͤtzgen Manns deu dortigen Auſtatten in
He Naͤhe. Ein noch in Weimar von demfelben ver:
- fertigte Paſſage⸗Juſtrument ward, wiegen. einiger
an- der Sternwarte zu beſorgenden Bauigteiten,
zuerſt in dem Exhloffe: aufgeftellt. -
Serner de mannichfuitigen Gaben, welche Se⸗
reniſſtinuc von ber Drapländifben Reife mitgebracht, _
wurden in bie vorſchtedenen Faͤcher eingeordnet.
Die Ausgaben hatten fi; gemehrt, der @tat
niußte abermals cwpttalwelfe darchgearbeitet wer
ven; I ſchrieb einen umſtaͤrdtichen Auffatz deßhatb
mid eine klare Ueberſicht —— hoͤchſten gar
yorzulegen.
Allein es kam in dem venten Diortel des Jah⸗
res eine mehrjaͤhrig beſprochene und wegen großer
Schwierigkeiten Immer verſchobene Angelegeuhelt
wleder In Anregung. Unter allen theils auf Sere⸗
niſſſimi Betrteb und Koften allein, theils mit Zu⸗
ziehung des’ Gothoalſchen Hofes, verbdeſſorten ober
gar nen gegründeten Anſtalten konnte man: leider Die
atademifche⸗: Bibllothek noch möcht zaͤhlen; ſie Lay
hofftrangslos im Argen, ohne daß man deßhalb Je-
mand eigentfidy bie Schuld haͤtte geben Können, Su
‚ben: vor drey hundert Fahren geſtiſteten Anfängen
hatte ſich nach und nah eine bedeutende Suhl von
einzelnen ' Blcherſammlungen, durch Vermachtuiß,
Ankauf und fonftige &ontrarte, 0 weniger ein⸗ |
—
118
—— Bücher, auf mannichfaltige Seife gehäuft,
daß fie floͤhartig in dem ungänftigften Locale bei ber
widerwärtigften, großentheils zufälligen Cinrichtung
. über und nebenelnander gelagert fanden. Wie und
wo men ein Buch finden ſollte, war beinahe ein
ausſchließliches Geheimnis mehr des Bibllothekdie⸗
nors ale ber höheren Angeftellten. Die Räume lang-
ten nicht mehr zu, die Buderifhe Bibilothek ſtand
verfchloffen, kaum zugänglich; fie follte nach dem
Willen des Stifterd ewig unangetaftet bleiben.
Aber nicht nur biefe fonderbaren Verhaͤltniſſe
ſollten entwidelt und diefes Chaos geordnet werden,
auch die im Schloß befindliche ehemals Buͤttneriſche
Bibliethek wollte. man gleichfalls ber Hauptmaſſe
einverleibt fehen. Ueberſchaute man die Sache im
Sanzen, durhdrang man das Einzelne, fo burfte
man fi nicht laͤugnen, daß bei völlig neu zu fchaf:
fenden 2ocalitäten, vielleicht wenig Bände In ber
alten Ordnung nebeneinander würden zu ſtehen
kommen. Unter biefen Umſtaͤnden war wohl nie:
mand zu verdenten, wenn ex den Angriff bed Ge:
ſchaͤfts zu befchleunigen Anſtand nahm, „Endlich aber
erhielt ih am 14 October durch gnaͤdigſtes Reſcript
den Auftrag, bie Angelegenheit ungeſaͤumt zu. be:
handeln. Hier blieb alfo nichts übrig ale die Sache
nochmals durchzudenken, bie Hinderniſſe für Null
‚zu erfiären, wie man ja.bei jedem bedeutenden Un-
ternehmen thun muß, befonders wenn ed unter ber
Clauſul non obstantibus quibuscunque muthiq
-.
N
419 a
anzugreifen ift. Und fo begann ich raſch und fuhr
unaufhaltſam fort.
. Die Facchtigkeit des untern Saals hatte man
jahrelang beiammert; Fein Vorfchlag aber warind
Wert gefeht, noch weniger durchgeführt worden.
Die war alfo zuerft Ind Auge zu fallen. Die bes
Schräntende Mauer nach dem Graben zu wurbe, troß
einer lebhaften fogar Intriguirenden Proteftation,
abgetragen, bie vorliegende Erbe weggefchaflt, vor
allen Dingen aber. die Expeditionszimmer fo einge-
richtet, daß man darin gern arbeiten mochte. In⸗
deſſen andere Baulichkeiten vorbereitet und accordirt
wurden, verfloß das Jahr.
Fuͤr bie Veterinaͤrſchule mußte nun vorzuͤglich
geſorgt werden. Die Einrichtung berfelben ging
Schritt vor Schritt. Bon willenfchaftliher Seite
Brachte ih mein Portefenile der vergleihenden Ana=
tomie nach Jena, und ftellte was von Zeichnungen
am meiften bedeutend gefanden wurde unter Glas
und Rahmen.
Profeffor Renner demouſtrirte mir verſchiede⸗
nes, beſonders bezuͤglich auf das lymphatiſche Sy⸗
ſtem. Eine verendete Phoca wird dem herumzie⸗
henden Thierwaͤrter abgekauft und ſecirt, bedeuten⸗
de Praͤparate werden verfertigt.
Spix Cephalogeneſis erſcheint: bei mannichfal⸗
tiger Benutzung derſelben ftoßt man auf unangeneh⸗
me Hinderniffe. Methode ber allgemeinen Darftels
lung, Nomenclatur der einzelnen Theile, beides iſt
180
nicht zur Netfe gediehen; auch fieht man bene: Mer
an, daß mehr Veberliefertes als Elgengebachtes vor:
getragen werde. | ww
Heroid von Warburg macht une tuub Yes
tomie der Raupen amd Schmetterlinge ein ungeneh-
mes Sefchent. Wie viel weiter in finniger Betrach⸗
tung organischer Naturweren find wir nicht feit dem
fleißigen und übergenanen Lionet gekommen!
Sch bearbeite mit Neigung bad: zweyte Heft ber
Morphologie und betrachte gef@ichttich de: Einſtuß
der Kantiſchen Lehre auf meine Stubien.
| Geognoſie, Geologie, Mineralogie uni Mgehb⸗
riges war an ber. Tagesordnung. Ich uͤberdachte
die Lehre von den Gaͤngen uͤberhaupt, vergegenwaͤr⸗
tigte mir Werners und Eharpentierd Ueberzeugun⸗
gen. Die merkwuͤrdigen Thonſchieferplatten aus
dem Lahnnthal ſtellt' ich als Tableau zuſammen.
Muſter bes Gerinnens ber. Felsmaffen fuchte Ich
überall auf, und glaubte vieles zu finden was fuͤr
die porphyrartige Entſtehung fo mancher Dreccien
zeugte. Eine von Seventifimo angefſchaffte Suite
von Chamouni ward im Mufeum folgemaͤßig aufge:
fiedt, nicht weniger mamche-Schweiger Gebligs arten,
Modelle und Panoramen jedes nach feiwer Weile
aufbewahrt, benutzt und zur Evidenz gebracht.
Die Umgegenden Babend erregten brh Giͤm⸗
bernats Unterſuchung und Behandlung eln wach⸗
ſendes Intereſſe, und ſeine geologiſche Eharde jener
Gegend, von hoher Haud mitgethelit, wer dem
- 41 e
angenhikttichen Bedarfuiß unferer Studien uͤberans
willkommen. Brocchi's Thal von Faffa forberte
uns auf, die Wacenbildung nach ihm und andern: zu
Herr Kammerherr von Preen hatte auf einer
Reife dorthin auch für mich bie, ſchoͤnſten Exemplare
ſtubiren.
beſorgt.
Mawe's Auffap.Aber Braßlien med bie horti
gen Edelſteine gab und von dieſer Seite eine naͤ⸗
here Kenutniß jener Linder. IH aber trat in echt
ammittelbares Verhaͤltniß zu ihm, und erkbelt durch
feine Vorfſorge eine ſchoͤne Sammlung Englkſcher
Harsitifen, wie immer, mmnittefbar vom Urgebtrg
gewennen, nab zwar dießmal im Chloritge ſtein.
Geheimeraths von Leonhard große Tabellen⸗
Werte, in Gefelfhaft mit andern Naturfoeihern _
herausgegeben, erteichterten bie Ruorhmung meines
—
Nicht geringe Aafklaͤrungen in Geslogte wu
Grographie jedoch verbantte Ich ber Enropältehen Ge⸗
blegscharte Seorriote. So ward mir, sum Bei⸗
fiel, Spaniens, für einen Feldherrn fo chicanofer,
den Guerillae fo guͤnſtiger Grund. und Boden anf
einmal deutiih. Ich zeichnete feine Hauptwäfler-
fcheide auf meine Charte von Spanten, und fo warb
mir jede Metferönte, fo wie jeber Feldzug, jedes
regelmaͤßlge und unregelmaͤßtge Beglnnen dee Art
Kar und begreifllch; und wer gedachte koloffale
Charte ſelnen geoguoſtiſchen, geologiſchen, geogra⸗
. 132
yhifhen und topographifhen Stubien mit Sinn gu
Grunde legt, wird fih dadurch aufs hoͤchſte geför-
dert fehen.
Die Chromatik befchäftigte mich im Etifen un⸗
ausgeſetzt; ich ſuchte mir den Zuſtand derſelben in
England, Frankreich, Deutſchland zu vergegenwaͤr⸗
tigen, ich ſtudirte vier Engliſche Schriftſteller, welche
fü in dileſem Fache hervorgethan, ſuchte mir ihre
Leiſtungen und Sinnesweiſen deutjih zu machen;
26 waren Bancroft, Sowerby, Dr. Neab
und Bremfter. Einerſeits bemerkte Ich mit Ber:
gnuͤgen daß fie, durch reine Betrachtung der Phäno-
mene, fih dem Naturwege genäbert, ja ihn fogar
. manchmal berührt hatten; aber mit Bebauern wurde
ich bald gewahr, daß fie fih von dem alten Itrthum,
die Farbe ſey im Licht enthalten, nicht völlig be⸗
freien konnten, baß fie ſich der herkoͤmmlichen Ter⸗
minologie bedienten und deßhalb im die größte Ver⸗
wickelung geriethen. Auch fehlen beſonders Brew-
ſter zu glauben, durch eine unendliche Ausfuͤhrlich⸗
keit der Verſuche werde die Sache gefoͤrdert, da
vielmehr mannichfaltige und genaue Experimente
nur Vorarbeiten der wahren Naturfreunde find, um
ein reines, von allen Nebendingen befreites Real
tat zuleht ausſprechen zu koͤnnen.
- Das Widerwärtigfte aber, was mir jemals vor
"Augen gelommen, war Biots Eapitel über bie
‚entoptifhen Farben, dort Polarifation dei Lichte
genannt, So hatte man beun, nad falfcher Ana⸗
423
logie eined Magnetſtabs, das Licht auch in zwey
Pole verzerrt und alſo, nicht weniger wie vorher,
die Farben aus einer Differenzirung des Unveraͤu⸗
derlichſten und Unantaftbarften erklären wollen.
Um. nun aber einen falfhen Sa mit Bewelfen
zu verdeden, ward bier abermals bie fämmtliche
mathematifhe Ruͤſtkammer in Bewegung gefeht, fo
Daß die Natur ganz und gar vor dem dußern und
innern Sinhe verfhwand. Ich mußte dad ganze
Ereigniß als einen pathologifchen Fall anfehen, als
wenn ein organifcher Körper einen Splitter finge
und Ein ungefhidter Chirurg, anftatt diefen zu
augenblidliher Heilung herauszuziehen, bie größte
Sorgfalt auf die Gefhwulft verwendete, um folde
zu mildern und gu vertheilen, indeffen das Geſchwuͤr
innerlich bid zur Unheilbarkeit fortarbeitete.
Und fo war es mir denn auch ganz ſchrecklich, ale
ein alabemifcher Lehrer, nach Anleitung eines Pro⸗
gramms bes Hofrath Meyer in Göttingen,_ mit
unglaublicher Ruhe und Sicherheit, vor hohen und
einfichtigen Verfonen, ben unftatthafteften Apparat
auskramte; da man denn nach Schauen und Wieder-
ſchauen, nah Blinzen und Wiederblinzen, weder '
wußte was man gefehen hatte noch was man fehen
ſollte. Ich war indeflen bei den erften Anitalten
auf und davon gegangen und hörte ben Verlauf die⸗
fer Demönftration, als vorausgefehen,. bei meiner -
Ruͤckkunft ohne Verwunderung.: Auch erfuhr man
bei dieſer Gelegenheit, unter Vorweiſung einiger
j
D
+
-
—
424
Blllarbkugeln, daß bie runden Lihttäellden, wen
fie mit den Polen aufs Glas treffen, durch un
durch gehen, wie fie aber mit dem Aequatvr automi⸗
men, mit Yroteft zuruͤckgeſchiet werden.
Judeſſen vermamicfattigte ich die eutoptiſchen
Verſuche Ins Graͤnzenloſe, da fih denn gulest dem
einfachen atmoſphaͤriſchen Urſprung entdecken mußte.
Zu völliger Ueberzeugung beſtaͤtigte ſich der Haupt⸗
begriff am ſiebzehuten Juny bei ganz kkarem Him⸗
mel, und ih machte num Auſtalt die vielen Einzel⸗
heiten als Schalen und Huͤllen wegzuwerfen, mb
den Kern Natur: und Kunſtfreunden mändfih und
ſchriftlich mitzutbellen. Dabei entdeckte ſich daß
ein dem Mahler guͤnſtiges oder unguͤnftiges Licht
von dem directen oder obllquen Widerſchein herruhre.
Profeſſor Ronx hatte die Sefaͤlllgkeit mir genaue
Nachbildungen ber entoptiſchen Farbenbitder zu lie⸗
fern. Beide Seiten, die heile ſowohl als die dunkle,
ſuh man nun in geſteigerter Folge nebeneinauder,
jeder Beſchauende rief aus, daß er bie Chtabnifchen
Flguren gefärbt vor ſich ſehe.
Der Aufſatz Leonardo da Vinchs über die Br:
ſache ber biauen Farbenerſcheinung an fernen ‘Bergen
und Gegenftänden, machte mir wiederholt große
N grande. Er Hatte als ein die Natur unmittelbar
anfchauendb auffaffender an ber Erfhehrung feibit
denkender fie durchdringender Künftler ohne weiters
das Rechte getroffen. Nicht weniger kam die Theil⸗
nahme einzelner aufnrerfender und denkender Min:
25
ae. Staatsrath Schulz in Berlin überfandte
mir beu zwepten Aufſatz über phyſiologe Farben,
mo ich meine Hauptbegriffe Ind Leben geführt ſah.
Eben ſo erbaute mich Profeſſor Hegels Zuftim-
zunng. Seit Schillers Ableben hatte ih mich von
aller Philoſophie im Stillen entfernt, ‚und ſuchte
mar die mir eingeborne Methobit, indem ih fie .
gegen Natur, Kunſt und Leben wendete, Immer zir
groͤßerer Sicherheit und Gewandtheit auszubilden.
Soßen Werth mußte deßhalb für mich haben, u
ſehen und. zu bebenten, wie ein Phllofoph von dem
was ich meinerſelts nad meiner Weiſe vorgelegt,
nach feiner Art Kenntniß nehmen und damit gebaren
mögen Und hierdurch war mir volllommen ver⸗
goant das geheimnißvoll klare Licht, als bie hoͤchſte
Energie, ewig, einzig und untheilbar zu betrachten.
. Für bie bildende Kunſt näherten fich dieſes Jaht
große Auffchliffe. Won Elgins Marmoren vernahm
man immer mehr uud mehr, uud bie Begierde et-
was dem Phidias Angehöriges-mit Augen zu fehen,
ward fo lebhaft und heftig, daß ich an einem ſchoͤ⸗
non fonnigen. Morgen, ohle Abfiht aus dem Haufe
fahrend, von meiner Leibenfchaft überrafcht, ohne -
SBorbereitung aus dem Stegreife nah. Rudolſtadt
lenkte, und mich dort, an ben erſtaunens wuͤrdigen
Köpfen von Monte Cavallo, für lange Zeit her⸗
Sellte. Nähere Kenntnis der Neginetifhen Marmore
mard mir gleichfalls durch Zeichnungen bed in Rom
mit der Reſtaura tion Beauftragten; und zu. einem
126
der herzlichſten Erzengniffe neuerer Kunſt wendete
ich mich durch eine gleiche Veranlaffung.
Boſſi's Werk über das Abendmahl von Leo⸗
nardo da Vinci näher zu betrachten befaͤhigten mic
die Durchzeichnungen, welche unfer Fürft aus May:
land mitgebracht hatte; Stublum und Vergleichung
derfelben befchäftigten mich lange, und fonft war
noch manches und zur Betrachtung angendhert. Die
architeftonifchen Ueberreite von Eleuſis, in Gefell-
Schaft unferes Oberbaudirectord Coudrav betrad-
tet, Tießen in eine unvergleichliche Zeit hinuͤber fe-
hen. Schinke s große bewundernswärdige Feber:
zeichnungen, bie neuften Münchner Steindräde,
Thierfabeln von Mengden, eine KAupferftid-
ſammlung aus einer Leipziger Auction, ein ſchaͤtzens⸗
werthes Oelbildchen von Rochlitz verehrt, hiek
ten meine Betrachtung von vielen Seiten feft. Zu:
lest fand ich Gelegenheit eine bedeutende Samm⸗
lung Majolika anzufchaffen, welche ihrem Verdienft
nad) unter neueren Kunfkwerten fi allerdings jel:
gen durften,
- Bon elguen Arbeiten ſag' ich folgendes. Um
des Divand willen feßte Ich meine Studien Ortenta:
liſcher Eigenheiten immer fort, und wendete viele
Zeit darauf; da aber bie Handſchrift im Orient von
fo großer Bedeutung ift, fo wird man es kaum
feltfam finden, daß Ih mich, ohne fonderliches
Sprachſtudium, doch dem Schönfchreiben mit @ifer
swibmete, und zu Scherz und Ernft Ortentallfhe mir
—
-427
vorliegende Manuſcripte fo nett ald möglich, ja mit
mancherlei herkoͤmmlichen Zierrathen naczubilden
ſuchte. Dem aufmerkſamen Leſer wird bie Einwir⸗
kung dieſer geiſtig techniſchen Bemühungen bei naͤ⸗
herer Betrachtung der Gedichte nicht entgehen.
Die dritte Lieferung meiner Werke, neunter bie
zwölfter Band, erfcheint zu DOftern; das zweyte
Rhein: und Maynheft wird abgeſchloſſen, das dritte
angefangen und vollbraht. Die Reife nad Neapek
‚und Sicillen wird gedruckt, die Biographie über:
"Hanpt wieder vorgenommen. Ich verzeikhne „die
Meteore des literariſchen Himmels‘ und beſchaf⸗
tige mich „die Urthelldworte Franzoͤſiſcher Kritiker”
aus der von Grimmiſchen Sorrefpondenz auszu⸗
ziehen; einen Auffaß über bie Hohlmuͤnzen, Regen⸗
bogen-Schüffelden genannt, theif’ ich den Freunden
ſolcher Eurkofitäten mit. Die berühmte Hellsberger
Inſchrift laſſe ih mit einer von Hammerſchen Er:
klaͤrung abdruden, die jedoch kein Gluͤck macht.
Bon Poetiſchem wuͤßt' ich nichts vorzuzeigen
als die Orphiſchen Worte in fünf Stanzen, und _
einen Irifhen Todtengefang aus Glenarvon uͤberſetzt.
Zur Naturkenntniß erwähne ich bier ein bedeus
tendes Nordlicht im Februar. 2
Vebereinftimmung des Stoffs mit der Form der
Pflanzen beiebte die Unterhaltung zwifchen mir und
Hof. Voigt, deſſen Naturgefhihte, als dem
Studium hoͤchſt förderlih, dankbar anzımehmen
war. An die Verſtaͤubung der Berberishlume und
Pr
128 -
der dorthin beusenden gelben Audwäcfe diteser
Zweigbiätter wendete ih mauche Betrachtung.
Dur bie Gefäligkeit Hofrath Doͤbereiners
Somnte ich much ber ſtoͤchlemetriſchen Lehre Im SER-
gemeinen fersierweit aunähern. Zufaͤllig macht’ ich
mir ein Geſchaͤft, eine alte Ansgabe des Thomas
Campanella de sensu rerum von Drudfehlern zu
reinigen:. eine Folge des hoͤchſt aufmerskſamen Le—
ſens, das ich dieſem wichtigen Denkual feiner Zeit
son neuem zumenbete: Graf Bonquoi erfreute
auch feine abwefenden Freunde durch fernere gedruckte
Mittheilungen, in welchen feine geiſtreiche Thaͤtig⸗
keit und um fo mehr aufprah, als fie und bie
porſonliche Unterhaltung deſſelben wieber vergegen⸗
wärtigte.
Da ans näherer Betrachtung ber Höwarbifeken
WBoltenformen hervorzugehen ſchien, daß ihre ver⸗
fchledenen Formen verſchiedenen atmoſphaͤriſchen Hoͤ⸗
ben eigneten, fo wurden fie verſucheweiſe auf jene
frühere Hoͤhentafel forgfältig eingetragen, uwb fo
die werhfelfeitigen Bezüge im allgemeinen verfinn-
- Hit und dadurch einer Praͤfung angenähert.
Hier ſchließt fih nun, indem ich von Buͤchern zu
reden gedenke, ganz natuͤrlich Die Ueberſetzung bes
Jadiſchen Megha⸗Duhta freundlich an. Man hatte
a nılt Wollen und Wolkenformen fo Iauge getta-
gen, nnd Eomnte nun erſt biefem Wollenboten fu
feinen tanfenbfikitig veränderten Geftalten wit deſto
——— im ER folgen.
Eng:
n 1
:
&
5
— 4239
— Poeſie und Literatur trat vor allen an⸗
dern dieſes Jahr beſonders in den Vordergrund;
Lord Byrons Gedichte, je mehr man ſich mit ben
Gigenheiten dieſes außersrdentlichen Geiſtes bekannt
‚machte, gewannen immer größere Thellnahme, fo
daß Männer und Frauen, Mägblein und Jungge⸗
ſellen faſt aller Deutſchheit und Nationalitaͤt zu ver⸗
geſſen ſchienen. Bei erleichterter Gelegenheit ſeine
Werke zu finden und zu beſitzen, ward es auch mir
zur Gewohnheit mich mit ihm zu beſchaͤftigen. Er
war mir ein theurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm
in Gedanken gern auf den Irrwegen ſeines Lebens.
Der Roman Slenarvon follte uns uͤber man⸗
ches Liebesabenteuer beffelben Auffchlüffe geben;
allein das voluminofe Werk war an Intereſſe feiner
Maſſe nicht gleich, es wiederholte ſich In Situatio-
nen, befonders In unerträglihen; man mußte ihm
einen gemwiffen Werth zugeftehen, den man aber mit
mehr Freude belannt hätte, wenn er ung in zwey
mäßigen Bänden wäre dargereicht worden. _
— Ron Peter Pindar wänfht ih mir, nach⸗
dem Ich feinen Namen fo lange nennen gehört, end⸗
dich auch einen deutlihen Begriff; ich gelangte dazu,
erinnere mic deſſen aber nur, daß er mir wie ein
der Garricatur ſich zuneigendes Talent vorfam.
Sohn Hunters Leben erſchien hoͤchſt wichtig, als.
Denkmal eines herriichen Geiſtes, der fich bei ge-
ringer Schulbildung an ber Natur edel und kräftig
entwidelte. Das Leben Franklins ſprach Im All⸗
Goethes Werte XXXII. @& 9
“350
gemeinen benfelben: Stun aus, im Beſondern him⸗
melweit von jenen verfchleden. Bon fernen, bisker
unsugänglihen Gegenden belehrte und El pyin⸗
ſtons Kabul; das bekanntere dagegen -verbewtihdgte
Raffles Geſchichte von Java gang ungemein. Su:
gleich traf das Prachtwerk Imbifcher Jagden, boforgt
von Howett, bel-uns-an, und half durch teefiiihe
Bilder einer Einbiidungslraft nah, die ſich, ohne
gerade dieſen Punct der Wirklichkeit zu treffen, Ins
Unbeſtimmte wuͤrde verloren baden. Auf Nord⸗
america bezuͤglich warb und Vielfaches zu Theil.
Bon Buͤchern und ſonſtigen Deuckſchriften und
deren Einwirkung bemerke folgended: Hermann
über bie ditefte Griechiſche Mytholegie Intereffizte
bie Weimariſchen Sprachftennde auf einen heben
Grad. In einem verwandten Situne Raynouard
Grammatik der Romantfhen Sprache. Manuserit
venu de St. Helene beſchaͤftigte alle Welt. NMecht⸗
beit oder Unaͤchtheit, Halbe ober ganze Ueſpruͤuglich⸗
keit wurde durchgeſprochen und durchgefochten. Daß
men dem Heroen gar manches abgehorcht hatte,
blieb offenbar und unzweifelhaft. Deutſchlaubs Ur⸗
geſchichte von Barth griff in untere Studien der
Zeit nicht ein; dagegen war der Pfingſtmontag
son Profeſſor Arnold in Straßburg eine hoͤchſt
llebenswuͤrdige Erſchelnung. Es iſt ein. entſcheden
anmuthiges Gefühl, von dem man wohl Wut: lich
nicht Mares Bewußtſeyn zu geben, wenn ſich eine
Nation. in den Eigenthuͤmlichkeiten ihrer Sueder
—
|
; ‘434, |
beſplegelt: denn je nur im Beſondern effennt man,
dab man: Verwandte «hat, im Allgemelnen fuͤhlt
an Immermur die Stppfhaft von Adam her. Ich
beſchaftigte mich niet mie gedachtem Stuck und ſpruch
mein Bebagen daran aufrichtig und tnmtänbikhy aus.
Won Ereigniſſen bemerfe Weniges aber für mich
and andere Bedeutendes. Seit vierzig Jahren zu
Wagen, Pferd and Fuß Dhuͤringen Treug und quer
parchwandernd wear! ih niemals nach Paulinzelle
gekonmmen, obgkeich wenige Stunden davon hin und
ber mich bewegend. Es war damals no nicht
Mode dieſe kirchlkicehen Ruinen als hoͤchſt bedeutend
⸗
und ehrwuͤrdig zu betrachten; eudlich ader mußte ich
ſo viel davon hoͤren, die einhdeimlſche und retfende
junge Welt ruͤhmte⸗mir den ‚großartigen Aublick,
daß ich mich entichtoß meinen bießjährigen Webätte-
:tag, den ich immer gern: im Stillen feyerte, eluſtim
dort zuzubringen. Ein ſehr ſchoͤner Tag:begünfläte
Das Unternehmen, aber auch hier bereitete mnirdie
Sreundfehaft‘ ein unerwartetes Feſt. Oberfoͤrſtmei⸗
ſter von Fritfch hatte von Ylmenau her mit mei⸗
nem Sohne ein frohes Gaftmahl veranftaltet, wo⸗
het wir jenes von der Schwarzburg-Rudolſtaͤdt i⸗
ſchen Regierung aufgeraͤumte alte Bauwerkemit hei⸗
terer Muße beſchauen konnten. Seine Entſtehung
faͤllt in den Anfang des zwoͤlften Jahrhunderts, wo
tod, die Anwendung der Halbtitkelbogen ſtatt fand.
‚Die Mefdrmatkon verſetzte folches in die Wuͤſte
pr es eutſtanden wär; das geiſtliche Ziel war
. 433
verſchwunden, aber es blieb ein Mittelpunct welt⸗
licher Gerechtſame und Einnahme bis auf den he;
Aigen Tag. „Zerfiört warb es nie, aber au oͤkone⸗
miſchen Zweden theils abgetragen, theils entſtelt;
wie man denn auf dem Brauhauſe noch von den ur:
alten Koloffalziegeln, einige hart gebrannt und gle
firt, wahrnehmen Tan; ja ich zweifle nicht, daß man
In den Amts: und andern Angebäuden noch einiges
son bem urarten Gebaͤlke ber flahen Dede und fon
ſtiger urfpränglichen Eontignation entdeden wuͤrde.
Aus der Zerne Fam und Nachricht von Zerſtoͤ⸗
zung und Wiederherfiellung. Das Berliner Schau:
ſpielhans war niedergebrannt; ein neues ward ix
Leipzig errichtet. Ein Symbol der Souverainetät
ward und Weimaranern durch die Feyerlichkeit, als
der Großherzog vom Thron den Fürften von Thurn
und Taris, In feinem Abgeordneten, mit dem Pol:
regal beiteh, wobei wir fämmtlihen Diener in ge:
ziemendem Schmud, nah Rangesgebuͤhr erſchienen,
and alſo auch unſrerſeits die Oberherrſchaft des Fuͤr⸗
dien anerkannten, indeſſen im Lauf deſſelben Jahrs
eine allgemeine Geyer Deutſcher Studirender am
18 Juny zu Jena und noch bedeutender den 18 Dee
töber auf der Wartburg eine ahnungsvolle Gegen:
wirkung verkuͤndigten.
Das Meformationd.: Zubllaum verfhwand vor
diefen frifhen jüngeren Bemühungen. Vor drey
hundert Fahren hatten tüchtige Männer Großes um
Lernommen ; nun fehlenen Ihre Großthaten veraltet
455
und mochte fih ganz anderes von ben neueften öf-
fentlich geheimen Beftrebungen erwarten.
Perſoͤnliche Erneuerung früherer Guuſt und Ge⸗
wogenheif ſollte mich auch dieſes Jahr öfter begläden-
Die Frau Erbprinzeffin von Heffen wußte
nich niemals In Ihrer Nähe, ohne mir Gelegenheit
zu geben mic ihrer fortdauernden Gnade perſoͤnllch
zu verfihern. Herr Staateminifter von Humboldt
ſprach auch dießmal wie Immer belebend und anre⸗
gend bei mir ein. Eine ganz eigene Einwirkung je⸗
Doch auf längere Zeit empfand Ich von ber bedeuten
den Anzahl in Jena und Leipzig ftudirender junger
Griechen. Der Wunſch, ih beſonders Deutfche Bil⸗
dung anzueignen, war bei ihnen hoͤchſt lebhaft, To
wie das Verlangen allen ſolchen Gewinn dereinſt
zur Aufklärung, zum Hell ihres Vaterlandes zu ver-
wenden. Ihr Fleiß glich Ihrem DBeftreben, nur war
zu bemerten, daß fie, was den Hauptiiun des Le-
bens betraf, mehr von Worten ale von Haren Be⸗
griffen und Zwecken regiert wurden. e
Yapadopulos, der mich In Jena öfters be--
ſuchte, rähmte mir einft im jugendlichen Enthuſias⸗
mus ben Lehrvortrag feines philoſophiſchen Mei-
fters. Es Klingt, rief er aus, fo herrlich, wenn
der vortrefflihe Mann von Tugend, Zreiheit
und Vaterland fpriht. Als ih mic aber erkun⸗
digte, was denn biefer treffliche Lehrer eigentlich
- von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, ers
hieft ich zur Antwort: das könne er fo eigentlich
f
Bi
t 6 414
wicht fagen, aber Berk und Ton-Hängen Ikan fets-
vor der Seele nad; — Freihenn und Bes
terland.
Es Aſt derfeibe, weluer zu — Zeit meins Inhl⸗
genle ins Neugriechiſche Überfehte, und wunderbar
genug, wenn. man das Stuͤck in diefer Sprache: und
In dieſer Beziehnng beteachtet, fo druͤct es gaug
elgentlich die ſehnſaͤchtigen Gefuͤyle eines reiſenden,
oder verbanuton ‚Griechen aus denn die allgemeine
Sehnſucht nach dem. Vaterlande iſt hier unter ber
Sehnſucht nach Griechenland, als dem einzig menſch⸗
lich gebildeten Lande, ganz ſpecifiſch:ausge druͤckt
Eine neue angenehme Bekanatſchaft machte ich
an einem Fellenbergiſchen Gehuͤlfen Namens Lippe,
beffen. klare Rahe, Entſchiedenheit feiner Lebens⸗
zwecke, Sicherheit. von dem: guten Erfolg: feiner
Wirkungen mie hoͤchſt (chäbhar entgegen traten, und
mich zugleich: in. der guten Meinung.fo für iha wie
für das: Inſtitut Dem. ee ſich gewidmet hatte beſtaͤrk⸗
ten. Gar mannichſaltig war. ein orwuͤnſchtes Wire
ſehen. Wulhelnm von Schüß von Ziehingen er:
neuerte frühere Unterhaltusgen in Eruft:und Tiefe.
hit biefem Freunde erging es mir indeſſen ſehr
wunderliche bei dem Anfenge jedes Geſpraͤches tm
-fen wir in allen Praͤmiſſen völlig zuſammenz im fort⸗
währender- Unterhaltung. jedoch kamen wie iurmer
weiter auselnander, fo daß zuletzt an. feine. Vers
ſtaͤndigung ‚mehr zu benten war, Gewöhnlich ereig⸗
nete fi dieß auch bei des Correſponden; und vper⸗
v⸗
-
135
urſachte mir manche Pein, bis ich mir dieſen felten
vortkommenden Widerſpruch endlich aufzuloͤſen das:
Gluͤck ball; Doch auch das Umgelebrte ſollte mir
begegnen, damit es ja an keiner Erfahrung fehle.
Hofrath Hirt, mit welchem ich mich, was die
Grundſaͤtze betraf, niemals hatte vereinigen können,
erfreute mich durch einen mehrtägigen Beſuch, bei”
welchem, fo im ganzen Verlauf als Im Einzelnen, \
auch nicht die geringfte Differenz vorfam. Betrach⸗
tete ih nun das angedeutete Verhaͤltniß zu bei⸗
. den Freunden genau, fo entfprang es daher, daß
yon Schuͤh aus dem. Algemeinen, das mir gemäß
war, Ind. Allgemeinere ging, wohin ih ihm .nicht fol⸗
gem konnte, Hirt dagegen bag beiberfeisige. Allge⸗
meine auf fich: beruben ließ, und ſich au das Ein⸗
zelne hielt, worin er: Herr und Meiſter war, wo
man ſeine Gedanken yern' vernahm und ihm mit
Uecberzengung zuſtimmte.
Der Beſuch von Berliner Freunden, Staatsrath
Hufeland und. Langermanı, Varnhagen
von: Exfe: bHeb mir, wie die Frommen fich audzu:
druͤcken gewohnt find;, nicht ohne Segen: denn was
kann ſegenreicher ſeyn als wohlwollende einſtimmende
Zeitgenoſſen zu ſehen, die auf dem: Wege ſich und
andere zu bilden unaufhaltſam fortſchreiten?
Eln junger Batfch, an ſeinen Vater durch freund⸗
liches: thaͤtiges Benehmen, fo wie durch uͤberelaſtim⸗
-mende gefällig geiftreihe Geſtalt erinnernd, kehrte
von Caird zurüd, wohin er in Gefchäften Europdi-
136
fher Kaufleute gegangen war. Er hatte zwar treue
aber keineswegs kunſtgemaͤße Zeichnungen von bor-
tigen Gegenden mitgebracht, fo auch Keine Alter
thuͤmer Aegyptiſcher und Griechlfcher Abkunft. Er
fhien mit lebendiger Thaͤtigkelt dasjenige im prak⸗
tirhen Handel wirken zu wollen, was fein Water
theoretifch in der Naturwiſſenſchaft geleitet hatte.
181 8%
Der Divan war auch den Winter über mit fo
viel Neigung, Liebe, Leidenſchaft gehegt und ge-
pflegt worden, daß man den Drud deſſelben im Mo⸗
nat März anzufangen nicht Sänger zauderte. Auch
gingen die Studien Immerfort, damit man durch
Noten, durch einzelne Aufſaͤtze, ein beſſeres Ver⸗
ſtaͤndniß zu erreichen hoffen durfte: denn freilich
mußte der Deutſche ſtuhen, wenn man ihm etwas
aus einer ganz andern Welt heruͤberzubringen unter⸗
nahm. Auch hatte die Probe in dem Damenkalen⸗
der das Publicum mehr irre gemacht als vorbereitet.
‚Die Zwerdeutigkeit: ob es Ueberſetzungen oder au⸗
geregte ober angeelgnete Nachbiidungen ſeyen, kam
dem Unternehmen nicht zu Gute; ich ließ es «ber
feinen Gang sehen, ſchon gewohnt das Deutſche
Yublicam erſt ſtutzen zu ſehen, eh' es empfing und
genoß.
Vor allen Dingen ſchlen ſodann nothwendis *
437
. Charaktere der fieben Perſiſchen Hauptdichter und
ihre Leiftungen mir und andern klar zu machen.
Dieb warb nur möglich, Indem ich mich der von Ham⸗
merifchen bedeutenden Arbeit mit Ernſt und Treue
zu bedienen trachtete. Alles warb herangezogen,
Anquetills Religionsgebraͤuche ber alten Par⸗
Ten, Bidpats Fabeln, Freptags Arabiſche Ges
dichte, Michaelis Arabiſche Grammatik,‘ alles
mußte dienen mich dort einheimiſcher zu machen.
Indeſſen hatten bie von unferm Fuͤrſten aus Mal⸗
land mitgebrachten Seltenheiten, wovon ſich der grö=
Bere Theil -auf Leonardo's Abendmahl bezog, im
hoͤchſten Grad meine Aufmerkfamteit errest. Nach
eiftigem Studium der Arbeit Boſſi's über dieſen Ge⸗
genſtand, nach Vergleichung der vorllegenden Durch⸗
zeichnungen, nach Betrachtung vieler andern gleich⸗
zeitigen Kunſtleiſtungen und Vorkommniſſe, warb
endlich die Abhandlung geſchrieben wie ſie im Druck
vorliegt, und zugleich ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt, um
den Mailänder Freunden verſtaͤudlich zu ſeyn. Zu
gleicher Seit warb uns von dorther ein ähnlicher
Widerſtreit des Antiten und Modernen, wie er fi
auch in Deutſchland rührt und regt, gemeldet; man
mußte von dorther auch Aber Claſſiſches und Ro⸗
mantifches polemifhe Nachrichten vernehmen.
Zwiſchen allem diefem, bei irgend einer Pauſe,
nach dem Griechiſchen hingezogen, verfolgte ich ei⸗
nen alten Liebllngsgedanken, daß Myrons Kuh
auf ben Muͤnzen Dyrrachiums dem Hauptſinne nad)
138
anfbehaiten ſey: — was kanm erwaͤnſchter; ſeyn
als entihledenes: Andenken des Hoͤchſten aus einer
Zeit, die nicht wieber Tommi? Eben dieſer Stun
lieh mich auch Philo ſt rats Gemaͤhlde wieber aufs
nehenen, mit dee Vorſatz das trimmerhaft Ver⸗
gangene duvch einen Sun, ber ſich ihm gleichguhlk-
den trachtet; wleder zu beleben. Womit ich mich
fon noch. befchaͤſtigt, zeigt Kunſt und. Alterthum
viertes Std:
Ein: wunderfamer Zuſtand bei hehrem Monden⸗
ſchein brachte mir das Lied Um Mitternacht,
weiches mir deſto lieber und: werther iſt, da ich micht
ſagen koͤnnte, woher ed kam und wohin es wollte,
Aufgefordert, und deßhalb ‘tn ſeiner Catſtehung kla⸗
zer, aber doch eben fo wenig In. der Aus fuͤhrung
berechenbar, erſchien mir. zu: Ende bes Jahrs ein
Gedicht, in, kurger Zeit verlangt, erfunden, einge⸗
Jeitet und vellbracht. Zu Verehrung Ihre Majeſtaͤt
deu: Kabferin Mutter ſollte ein Maslenzug bie viel⸗
jaͤnrigen: ppotiſchen Leiftungen bes Weimariſchen Nu⸗
ſenlkreiſes, in eingelnen Gruppen geſtalten und: biefe
einem Angenblick in hoͤchſter Gegenwart verweilend,
durch {bitte Sedichte fick ſelbſt erklaͤren. Er warb
anz: 18, December: aufgeführt, und hatte ſich einer
günftigen Aufnahme und: danernden Erinnern zu.
. erfreuen.
Kurg vorber war: der A7te untriste. Wand neh
ner: Werke bei: mir. angelangt... Mein Unfenthatt in
Jena: war dießmal auf mehr als Eine Weiſe frucht⸗
. 8 .
®
120
Ban, Jqhahalte mich im Enter der- Kanne zu Cams⸗
Dorf einguartiest nad gene: mit Bequemlichkeit, bef
freier nnd. fahrer Aus⸗- und Umſicht, beſonders der
charakteriſtiſchen Wolkenerſchelnungen. Ich beach⸗
tete fie, nad Howard, In-Besug.auf.den Barome⸗
ter, und gewann ‚manderiet Einficht.
Zasleich war. das entoptiſche Farbencapitel au
Der Tagasordnung. Brewſters Nerfuche, dem Glaſe
Ds Dınd, wie ſonſt durch⸗Hitze, diefeibe- Aigen
ſchaft des regelmäßigen Sarbenzeigens bei Spiege-
Tuygg.zu ertheilen, gelangen gar wohl, unb Id: miles _
nerfelss , überzeugt vom Zufammenwirten bes Tech⸗
niſch⸗ Mecha niſchen mit dem. Dynamiſch⸗Ideellen,
lieh die Seebeckiſchen Krenze auf Damaſtart ſilden
und konntefie nun: nach belle bigem Scheinwechſel
hell oder dunkel auf derſelben Flaͤche ſehen. Dr.
Se4b eck beſuchte mid den 16 Juny, und feine
Gegenwert förderte in dieſem Augonblick wie immer
zur gelegenen Zeit.
In Carlsbad fah ich voll Bedauern ein ———
beitetes: meſſingenes Rohr mit Gradbogen, wodurch
die Polariſation bes Lichtes. erwigfen werden ſollte.
Es war in Paris gefertigt, man ſah aber: bier in
des Beſſchraͤnkung nur -theilweite, was wir fon
Idugfi.gauz.und völlig in freier. Luft darzuſtellen ver⸗
ſtanden. Deſto angenehmer war mir ein Apparat
zu gleichem Zwede, verehrt zu meinem Geburtstage,
vvn Profeſfor Schweiager, welcher alles leiſtet
was.mas in dieſem Su verlangen a
1
m
⸗
— 140
Zur Geoguofle waren und auch bie ſchoͤnſten Bei⸗
träge gefommen,, wit bedenteuden Exemplaren and
Stellen. Brochi’s Werk über Italiaͤniſche Foſſi⸗
lien, Sömmerings foſſile Eidechfen und Fle—
dermäufe. Won ba erhuben wir und wieder in
ältere Regionen, betrachteten Werners Gang-
theorie und Freyslebens Saͤchſiſche Zinnforma⸗
tion. Eine angekuͤnbigte Mineralienſammlung aus
Norden kommt an, Verſteinerungen von der Inſel
Ruͤgen durch Kofegarten, Minerallen aus Sici⸗
lien und der Inſel Eiba durch Odeleben. Die
Lage des Coͤleſtins bei Dornburg wird erforſcht.
Durch beſondere Gelegenheit kommt die Geognoſie
ber Vereinigten Staaten ım6 näher. Was für Vor⸗
theil daher entfpringt, wirb auf freundliche umd fo:
ide Weite erwidert. |
In Boͤhmen war fogleich die allgemeine Geogno-
fie um deſto ernfter gefördert, ald ein junger weit-
fhreitender Bergfreund, Namens Neupel, auf
kurze Zeit mit und zufammentraf, und eine Charte
bes Koͤnigreichs mir zu illuminiren bie Gefaͤlligkelt
hatte, des Vorſatzes in einer eigenen Schrift die⸗
ſes Beftreben welter zu führen und öffentlich be:
kannt zu machen. Man befuhte Haidingers
Dorcellanfabrit In Ellbogen, wo man außer dem
SMaterlal bes reinen verwitterten Feldſpathes auch
das ansgebreitete Brennumeterlal dee Braunkohlen
kennen kernte, und von bem Fundort der Zwillinge:
kryſtalle zugleich unterrichtet wurde. - Wir beſuch⸗
4
ten Bergmeiſter Beſchorner in Schladenwalbe,
erfrenten und an deſſen inſtructiver Mineralien⸗
ſammlung, "und erlangten zugleih am Tage eine
Art von Neberfiht der Xocalität des Stockwerks.
Im Granit einbrechende, oder vielmehr im Sranit -
enthaltene, und fi durch Verwitterung daraus. ab-
löfende Theile, wie 3 B. Slimmerkugeln, wurden
bemerkt und aufgehoben. So wurden mir aud
ſehr belehrende kryſtallographiſche Unterhaltungen
mit Profeffor Weiß. Er hatte einige kryſtalliſirte
Diamente bei ſich, deren Entwidlungsfolge er nah
feiner höheren Einfiht mich gewahr werden lief.
Eine Heine Mülleriihe Sammlung, befonders in⸗
fiructio, ward “zurecht gelegt; Mofenquarz von Köz
nigswart gelangte zu mir, fo wie ich einige Boͤh⸗
mifche Shryfolithe gelegentlih anſchaffte. g
Bei meiner Ruͤckkehr fand ich zu Haufe Meines
tallen von Coblenz und fonftiged Belehrendes bie-
fer Art! Auf die Ulademie Jena war bie Auf-
merkſamkeit der höcften Herren Erhalter ganz be=
fonders gerichtet; fie follte aufs“ neue ausgeſtattet
und befekt werden. Man unternahm die älteren
Statuten der neuen Zeit. gemäß einzurichten, und
auch ih, Infofern die unmittelbaren Anftaiten mit
der Alabemie fih berührten, hatte das Meinige
durch dienfame Worfchläge beigetragen. Das Bis
bllotheksgeſchaͤft jedoch heiſchte ſeit Anfang des
Jahres fortgeſetzte und erweiterte Thaͤtigkelt. Das
Zoral wurde in genaue Betrachtung gezogen, und
RE
443
hanptſachlich was an Mänmiihkeiten, vhne großen
Aufwand zu gewinnen ſey, artiiitfch and haud⸗
wertsmäßtg überlegt, wach in wlefern dvem gemäß
die Arbeit ſelbſt begonnen und fortgefeßt "werben
koͤnne, wohl uͤberdacht. Die Worfhiäge au ſicherem
©ang der Amyelegeirheit werden durch die hoͤrhſten
Höfe gebilligt und’entfchteden, und Actorde ınttden
Handwerkern fogleich geſchloſſen. Die Hanptfuche
biteb :immer die Trodentegung des untern großen
Saals. Wie man von Außen gegen Oraben md
Garten zu Luft ‚gemacht hatte, ſo geſchah es man
‚andy von Innen durch Vertkefung des Hofes. Alles
andere was zur Sicherhelt und Trodut des Se-
baͤudes dienen kennte, ward beraten und ausge
fuͤhrt, daher die aͤnßere Betappung fogleih vorge
nommen. Nachdem auch im Innern -gewiffe Hin⸗
derniffe mit Lebhaftkigkeit beſeltigt waren, ward
nunmehr die Schloßblbliothek transtockitt, welches
mit beſonderer Sorgfalt und Vorſicht geſchah,
indem man ſie In der bisherigen Ordnung wie⸗
der auffirlite, am bis zur neuen Anorbumg auch
die Benutzung derfelben nicht zu untetbrechen.
tteberhaupt iſt hier zu Ehren der Angeſtellten zu be⸗
merten, daß bei allem Umkehren des Ganzen wie
des Einzelnen die Bibliothek nach wie vor, ja nurh
viel ſtaͤrker und lebhafter, benutzt werden konnte.
Her finde Ih am eine Schald abpatragen, tu-
dem Ich die Mäntrer mente ; welche mir In Yiefom
hoͤchſt verteilten id verworrenen Sefajkfr "reits
443
- ich “und jeber Anorduung gemaͤß mitwirbend ſich
erwiefen haben. -Profeffer Guͤldenapfel, Disgeriger
. Yenalfcher Bibliothekar, sharte- unter bean ’sorigen
Buftand ſo viel gelitten, daß er zu einer. Voraͤnde rung
derfelben freudig die Send bot, und eine gewiſſe
hvpochondriſche Sorgfalt auch auf die neue Veraͤu⸗
derung mit Raͤthlichleit hiunwendete. Rath VBul⸗
pius, Bibliothelar In Weimar, hatte bisher der
im Schloß verwahrten Buͤttneriſchen Vibliothek vor⸗
‚geftauden, und verſagte zu der Dwanslocation der⸗
ſelben feine Dienſte nicht, wie ex. denn auch nanche
neune noͤthig werdende Verzeichniſſe mit großer Fer⸗
nigkelt zu liefern wußte. Dr. eher, ein junger
kraͤftiger Mann, übernahm die Obforge Aber. die oft
miß lichen Baulichteiten, indem ſowohl Lie Be⸗
nutzung der Localitaͤten zu neuen Zwerken als anch
der Wiedergebrauch von Repoſitorien und andern
Holzarbeiten eine ſowohl gewandte als forrdauernde
Aufficht und Anleitung erforderten. Der Gangzliſt
Compter, ber bisherige Cuſtos der Schloßbibliothek
Farber thaten jeder an ſetiner: Stelle und auf ſeine
Woelſe das Moͤgliche, fo daß ich In diefem Falle die
Liebe zur Sache und die Anhaͤnglichteit an mich
real. Angeſtellten nicht genug fam zu ruͤhmen
wuͤßte.
Innerhalb dieſer arbeltſamen Zeit war der Pers
$auf der Grunerſchon ſo hoͤchſt bedeutenden Biblio⸗
thek angelandigt, und ſogar der Antrag gethan
ſoſlche im Ganzen anzutaufen und die. Dubledten in
4144
ber Folge wieder zu veräußern‘ Ich, als ein ab:
gefagter Feind fotcher Operationen, bei denen nichts
zu gewinnen iſt, ließ den Grunerſchen Katalog mit
den Katalogen ſaͤmmtlicher Bibliotheken vergleichen
und durch Buchflaben andeuten, was und wo es
ſchon befeffen werde: Durch biefe muͤhſelige und
in der Swifchengelt ‘oft getadelte Sorgfalt erfchien
gulegt, wie viel Vorzuͤgliches die Öffentlichen An-
falten ſchon beſaßen; über bas andere was noch zu
acquiriren wäre, ward bie medichnifhe Facultaͤt
gefragt, und wir gelangten dadurch mit mäßigem
Aufwand zu dem Inhalt ber ganzen Grunerfchen
Bibliothek. Schon aber konnte fih diefe neue nuꝛ
eben erſt Beſtand gewinnende, in Gefolg ihres aka:
demifchen Rufes, einer auswärtigen Aufmerkfam-
teilt erfreuen, indem mit freundlicher Anmerkung
der Herzog von Egreton bie von Ihm herausge⸗
sebenen Werke fämmtlich einfendete. Im Novem⸗
ber erftattete die Behörde einen Hauptbericht, wel-
cher ſich hoͤchſten Belfals um fo mehr getröften
ſollte, als ber umſichtige Fürft:perfönlih von dem
ganzen Gefchäftögange Schritt vor Schritt Kennt:
niß genommen hatte.
Die Oberaufficht über bie ſaͤmmtlichen unmittels
baren Anftalten hatte fi Im Innern noch einer be:
ſondern Pflicht zu entledigen. Die Thaͤtigkeit In
einzeinen wiffenfchaftlihen Fächern hatte fich derge⸗
flalt vermehrt, die Zorderungen waren auf einen
ſolchen/ Grad gewachſen, daß der bisherige Etat
nibqt
. 188
nicht meha hönreiihte. Dieß konute zwar Im Game.
zen: bei guter Wirthacraft einigermaßen ausgeglichen.
werden: allein das Unfihere mar zu. befeitigen, ja
es mußten, mehrerer Kiarheit wegen, neue Rede
nungscapitel unb eine neue Etatsordnung einge-.
führt werden. In diefem Augenblit war der bie:
herige Rechnungsfuͤhrer, als Rentbeamter, von
Hexrjoglicher Kammer an eine andere Stelle befoͤr⸗
Dert, und bie beichwerlice Arbeit, die alte Rech⸗
nung abzuſchließen, bie. Gewährichaft los zu werben
und eineg neuen Etat nebft Rechnungsformular aufs
zuſtellen, Uieb mir dem Morgefehten, der wegen
Eigenbelt ber Lage fi kaum der Mitwirkung eines
Kunſtwerſtaͤndigen bedienen konnte.
Auch in dleſes Jahr fällt ein Unternehmen,
Deſſen man fich vielleicht nicht Hätte unterzichen fol-
len: das Abteagen bes Löherthore. Als nämlich.
Das, heiter auch von außen hergefiellte Bibliotheks
gehäude den Wunſch hervorrief, gleicherweiſe bie
naͤchſte bisher vernachläffigte Umgebung gereinigt
"und erheitert zu ſehen, fo that man den Vorſchlag,
ſowobl das. äußere als Innere Loͤberthor abzutragen,
zu gleicher Zeit die Gräben auszufällen und dadurch
einen Marktplatz für Holz: und Fruchtwagen, nicht
weniger ‚eine Verbindung ber Stadt in Feuersge⸗
fahr mit_ ben Teichen zu bewirken. Das Lehtere
warb auch bald erreicht; als man aber an die in⸗
nern Gebäude kam, durch deren Wegräumung man
einen Rettlichen Eingang. der Stadt wu gewinnen
— Bar, XXI. ®, 19.
446
hoffte, that fi eine Gegenwirkung hervor, ge⸗
gründet auf die moderne Marime, baß ber. Ein
zeiue durchaus ein Recht babe gegen ben Vorthell
des Sanzen ben feinigen geltend zu machen. Und
fo blieb ein hoͤchſt unſchicklicher Aubli ftehen, dem,
wenn. es glädt, bie Folgezeit den Augen unferer
Nachkommen entziehen wird.
Für die Einfiht in höhere bildende Kunſt bes
gann dieſes Jahr ‚eine neue Epoche. Schon war
Nachricht und Zeichnung der Aeginetifhen Marmore
zu uns gefommen, bie Bildwerke von Phigalla
ſahen wir in Selchuungen, Umriffen und ausgeführ-
teren Blättern vor nnd, jedoch war das Hoͤchſte uns
noch fern geblieben; daher forfchten wir dem Var⸗
thenon und feinen Glebelbildern, wie fie die Rei⸗
fenden bes fiebzehnten Jahrhunderts noch gefchen
hatten, fleißig nach, und erhleften von Paris; jene
Zeihnung copirt, bie damals zwar nur leicht gefer⸗
“tigt, doch einen beutlichern Begriff von ber Inten⸗
tion des Ganzen vesihaffte, als es in ber neuern
Zeit bei fortgefehter Zerftörung möglih it. Aus.
der Schule des Londner Mahlers Hapbon fanbte
man uns die Sopien in ſchwarzer Kreide, glei
geoß mit ben Marmoren, ba und denn der Hercu⸗
les und die im Schoos einer andern ruhende Figur,
auch die dritte dazu gehörige Sidende, im
Maßſtab, in ein würbiges Erſtaunen verfeßte. El⸗
nige Weimariſche Kunftfreunde hatten auch bie
Gppsabgäife wiederholt geſehen, und beiräfiigtem,
147
daß man bier die hoͤchſte Stufe der nffrbete
Kunſt Im Altertum gewahr werbe.
Zu gleicher Zeit ließ und eine koſtbare Sendung
von Kupferſtichen aus dem ſechzehnten Jahrhundert
in eine andere gleichfalls hoͤchſt ernſthaft gemeinte
Kunſtepoche ſchauen. Die beiden Baͤnde von Bartſch
XIV und XV wurden bezuͤglich hierauf ſtudirt,
und was wir dahin gehoͤriges ſchon beſaßen durchge⸗
ſehen, und nur einiges, wegen ſehr hoher Preife,
‚mit befcheldener Liehhaberey angekauft.
Gleichfalls hoͤchſt unterrichtend, in einer neuern
Sphäre jedoch, war eine große Kupferſtich-Sen⸗
dung aus einer Leipziger Auction. Sch fah Jack⸗
ſons holsgefchnittene Blätter beinahe vollftändig
zum erftenmal; ich ordnete und betrachtete biefe
Acquiſition, und fand fie in mehr ale Einem Sinne
bedeutend. Eine jede Technik wird merkwuͤrdig,
wenn fie fih an vorzuͤgliche Gegenſtaͤnde, ja wohl
gar an ſolche wagt, bie das ihr Vermoͤgen hinaus⸗
reichen.
Aus der Franzoͤſiſchen Säule erhielt ih lvlele |
gute Blätter um den geringften Preis. Die Nachbar-
natton war bamald In dem Grabe verhaßt, daß
man ihr kein Merdienft zugeftehen, und_fo wenig
- irgend etwas das von ihr herfäme, an feinen Be—
fiß herangiehen mochte. Und fo war mir fhon ſeit
einigen Auctionen ‚gelangen, für. ein Spottzeld,
bedeutende, ſogar in der — und Kunfigefhihte
140
wohl gelannte, durch Aueldeten und Eigenheiten
der Kuͤnſtler namhafte große wehlgeſtochene Blätter,
eigenhaͤndige Madirungen mehrerer im achtzehnten
Jahthundert beruͤhmter und beliebter Kuͤnſtler, das
Stuͤck für zwey Groſchen anzuſchaffen. Das Gleiche
gerieth mir mit Sebaftian Bourbons geäßten
Blättern, und ich lernte bei diefer Gelegenheit
einen Känftler, ben ih immer im Allgemeinen ge⸗
fhägt, auch im Einzelnen werth achten.
Eine Medaille, welhe die Mailänder zu Ehren
unferes Zürften ald ein Andenken. feines dortigen
Aufenthalts prägen laffen, gibt: mir Gelegenbeit
zus: Plaſtik zurädzufcehsen. Ich acqulrirte zu glei⸗
cher Zeit eine vorzuͤglich fehbne Münze Ateranbers;
mehrere kleine Bronzen von Bedeutung wurden
mit in Carls bad thetie kaͤuflich, tyeils darch Freun⸗
decgeſchenb, gluͤclich zu eigen. Graf Tolfkofs
Basreiiefe, deren ih: nur wenige kannte, über:
ſchicte mir des wohtwollende Kuͤnſtler, durch einen
voruͤbereilenden Courler, und daß ich noch einiges
Zerſtreute zuſammenfaſſe, das Kupferwerk voru
Sanyo Santo in Bife erneute das Stubbsn.iemer
älsern Eyode, fo wie Im wanderbarſten Gegenſah
dad Omaggio.della Provincia Veneta alla.S, M.
; YImperatrice d’Asstria, von bem- wunderlichen
Sinnen und Denken gleichzeitiger Künfler ein Bel:
fpiel-vor Augen bradte. Don dem in Paris beſtell⸗
ten zwey Pferbelöpfen, einem Venezlanbſchen und ı
Atheniſchen, kam jener zuerſt und Ueß .und feine:
r ' : 449
Vortzage· empſiaden, chend der andere durch Aber⸗
ſchwengliche Großhelt dafaͤr ‚mempfängti gemaot
Bi
L)
181%
vVon perfönfigen Verhältniffen waͤre
" folgendes zu fagen: die König on Wuͤrtemberg
ſtirbt zu Unfeng, Erbgroßherzog von’ Medienburg
zu Ende »des Jahrs. Staatembniſter von Voigt
verläßt meiden 22 März, fuͤr mich entſteht eine
große Luͤcke, und dem Kreiſe meiner Thaͤtigkeit
entgeht ein mitnirkendes Princip. Er fuͤhlte ſich in
ider letzten Zeit ſehr angegriffen von den unaufhhalt⸗
ſam wirklenbden revolutiondren Potenzen, und isch
ptles ihn deßhalb ſelig, daß er die Ermordung
Kotzebne's, die am 23 März vorfiel, nicht mehr
erfuhr, noch durch die. heftige Bewegung, weiche
Deutſchland hlerauf ergriff, aͤngſtlich beunruhigt
wurde.
In dem ubrigens ganz ruhlgen Gang und Bug
‚der Weit trafen Ihrvo Meaieftdt die reglerende Kal⸗
ſerin von Nußland In Wetmar ein; ich fa in diefer
.- Zeit den: Grafen Stourdza mb ben: Staaterath
yon Köhler,
Erfreuliches begegnete dem: Fuͤrſtlichen Haufe,
daß dem Herzog’ Bernhard ein Sohn geboren "war,
An Eteigulß,⸗das allgemeine Heiterleit verbreitet⸗
*
: 150 \
Der Aufenthalt in Doraburg und Jena gab zu man-
cherlei Dergnüglichleiten Anlaß. Die Prinzeffianen
hatten ihren Garten in Jena bezogen, wodurch
denn bin und her viele Bewegung entftand; auch
wurde die hohe Geſellſchaft dadurch vermehrt, daß
Herzog von Meiningen und Prinz Paul von Med⸗
fenburg, der Studien wegen, in Jena einige Zeit
verweilten.
In Carlsbad ſah ich Fuͤriu Metternich und
deffen diplomatifche Umgebung, und fand an ihm
‚wie fonft einen guädigen Herrn. Grafen Bern
ſtorf lernt ich perfönlich Fennen, nachdem ich ihn
. lange Jahre hatte vortheilhaft nennen hören, und
Jhn wegen inniger treuer Verhaͤltniſſe zu werthen
Steunden aud fhägen lernen. Auch fah ich Graf
Kaunis und andere, die mit Kaiſer Franz in Mom
geweſen waren, fand. aber feinen darunter, der non
‚ der deutihfrommen Ansftelung im Palaſte Eaffa-
relli hätte ein Günftiges vermeiden mögen. Den
Strafen. Sarl Harrach, den ich vor fo viel Jahren,
als er fib der Medicin zu widmen den Entſchluß
faßte, In Carlsbad genan kannte, fand ich, zu mei⸗
nem großen Vergnügen, gegen mic ‚wieder wie ich
ihn verlaffen, und feinem Berufe nunmehr leiden:
Schaftlih tren. Seine ganz einfach lebhaften Er⸗
zählungen von der beweglichen Wiener Lebensweife
verwirrten mir wirklich In den erſten Abenden Siune
und Verſtand, doch in der Folge. giug es beſſer;
theils ich die Darſtellung eines fo Ereifeihaften
8d
- 451
Treibens mehr gewohnt, theils befchräutte er fi
auf die Schliderung feiner praktlihen Chaͤtigkeit,
Ärztlicher Verhaͤltniſſe, merkwuͤrdiger Berübrungen
und Einflüffe, Me eine Perſon der Art als Standes-, .
Welt: und Hellmann erlebt, und ih erfuhr In die⸗
fen Puncte gar manches Neue und Srembartige,
Geheimerath Behrens von Berlin, ein fo-
gleich Vertrauen erwedender Medicus, ward mir
und meinem Begleiter dem Dr. Nebbein, einem
jüngeren, vorzüglich einfichtigen und forgfältigen
Arste, als Nachbar lieb und werth. Die verwitt-
wete Fran Berghauptmann von Trebra erinnerte
mid an ben großen Verluſt, ben ich vor kurzem In
ihrem Gemahl, einem vieljährigen fo nachfichtigen
als nachheilfenden Freund erlitten; und fo warb Ich
auch im Geſpraͤch mit Profeffor Dietrich von Com⸗
motau an frühere Töpliger Momente bingewiefen,
alte Frende, altes Leid wieder hervorgerufen. |
Zu Haufe, fo wie In Jena, ward mir gar man⸗
ches Gute durch bleibende und vorübergehende Per⸗
fonen. Ih nenne bie Grafen Canikoff und
Bombelles, und ſodann ditere und neuere Freun⸗
de, theilnehmend und belehrend. Nees von
Eſenbeck, nah Berlin reifend und zuruͤckkehrend,
von Stein aus Breslau. Mannichfeltige Mit-
theilungen biefes thätigen räftigen Mannes und
fräperen Zoͤglings erfreuten mich. Ein gleiches
Verhaͤltniß -ernenerte ſich zu Bergrath yon. Herz
353
ber... Senornl- Ouyerintenbent Kraufe erfiblen
als tieftranter Maun, und man mußte vielleiiht
manche ſchwache Aeußerung einem Inwehnenden wu:
‚helibaren Uebel zuſchreiben. Er empfahl den oberen
Ciaffen des Sramaſſuas Tiedgens:Mranla als.
ein Haffifhes Wert, wohl uliht bedenkend, daß Vie
von dem treffiihen Dichter fo glädlih befämpfte
Zweifelfuht ganz aus der Mode gelommen, daß
niemand mehr an fich felbft zweifte, und ſich die
Zeit gar nicht nehme an Gott zu zweifeln. Seine
Gegenwart muthete mich nicht an; Ich habe Ihn nur
einmal gefehen, und bedauert daß er feine gerähmte
Einfiht und Thätigkeit nicht auch an Weimarifchen
Kirchen und Schulen babe beweifen fönnen. Lebens⸗
beiterer war mir der Anblick ber zahlreichen See:
beckiſchen Familie, die von Nürnberg nad Ber⸗
Im 309, den glüdlihen Aufenthalt an jenem Orte
mit innigem Bedauern rühmend, früherer Je⸗
nalfher Verhaͤltniſſe an Ort und Stelle ſich leb⸗
Haft erinnernd, und nad Berlin mit freudiger Hoff-
nung hiuſchauend. Ein Beſuch Dr. Schopen⸗
hauers, eines melft verfannten, aber auch fechwer
zu fenmenden, verbienftvolen jungen Mannes, regte
mich auf und gedlieh zur wechſelſeitigen Belehrung.
Ein junger Angefieitter von Berlin, der ſich dur
Calent, Maͤßigung und Fleiß ans bedenklichen An-
ſtaͤnden zu einer anſehnlichen Stelle, eluem beque⸗
men haͤuslichen Zuſtande und einer ruͤbſchen jungen
Stan geholfen hatte. Major von Luck, der Maln⸗
\
2 45
zer Humoriſt, der ganz nach ſeiner Welle zum Bes
Such bei ‘mir unverſehens eintritt, fein Bleiben
ohne Noth verkürzt und gerade aus Hebereilung die
- Meltegelegenheit verfäumt. Franz Ntcötoving,
ein lieber Verwandter, hielt ſich länger auf, und
gab Naum eine vielverfptechende Jugend zu Temren
- and zu ſchaͤtzen. Geheimerath von Willemer,
: ber bie Folgen einer für ihn Höchft traurigen Ange⸗
legenheit großmuͤthig abzulenfen ſuchte, reiftte nad)
Berlin, um von Ihro Majeſtaͤt dem Köntg Ver⸗
zeitung Tür den Gegner feines Sohnes zu eiflehen.
Der Siehe Gigas beſuchte mich bfters, auch
hatte. ich feine Landsleute, bie um höhere Bildung
zu gewinnen nah Dentfchland gekommen waren,
immer freundlich aufgenommen. Praͤftdent von
Belten and Bayreuth, fo fehr wie jeder Vorge-
feßte von akademiſcher Turbulenz beunruhigt, "bes
fügte mih, und man kounte ſich uͤber die damals
fo dringeriden Angelegenheiten nichts Erfreuttches
mittheilen. Die Weimar: und Gothaiſchen Megle-
rungs bevollmaͤchtigten von Eonta and von Hof
fprachen gleichfalls wegen afabemifcher Beſorgulſſe
bei mir ein. Ein Sohn von Baggefen erfreute
mic durch heitere Gegenwart und unbewundenes
Geſpraͤch. Eruſt von Schiller, dem es Hier
nicht giäden wollte, ging einer Auftellung im Preu⸗
Bifhen entgegen. Sodann lernte ich noch einen
jungen Chemicus, Namens Runge, kennen, ber
- mir auf gutem Wege au. feyn ſchlen.
4154
+
Des Antheils hab’ ich nunmehr zu erwähnen,
ben- man meinem fiebzigfien Geburtstage an vielen |
Drten und von vielen. Seiten ber zu ſchenken ge- |
neigt war. Durch eine wunderlihe Grille eigenfie
niger Verlegenheit fuchte ich der Zeyer meines Ge:
burtstags jederzeit auszuweichen. Dießmal Hatte
ich ihn zwiſchen Hof und Carlsbad auf der Reiſe zu
gebracht; am letzten Orte kam ich Abends an, und
in befchränftem Sinne glaubt’ id überwunden zu
baden, Allein am 29 Auguft follte ih zu einem
fhon befprohenen Gaſtmahl auf den Poſthof einge:
laden werden, wovon ich mid, In Ruͤckſicht auf
meine Sefundheit, nicht ohne Srund entichuldigen
mußte. Auch überraichte mich aus ber Ferne noch
gar mannichfaltiged Gute. In Frankfurt am Main
hatte man am 28 Anguft ein ſchoͤnes und bedeuten
des Zeit gefevert; die Geſellſchaft ber Deutſchen
Geſchichtskunde hatte mich zum Ehrenmitgliede er:
nannt, bie Ausfertigung befhalb erhielt Ih durch
minifteriele Gelegenheit. Die Medlenburgifcen
Herren Etände ‚verehrten mir zu dieſem Tage eine
goldne Medaille, als Dankzeichen für den Kunſt⸗
antheil den ich bei Merfertigung der. Bluͤcheriſchen
Statue genommen hatte.
46
168 2 0.
Nachdem wir den 29 Maͤrz eine Mondderdunt⸗
lung ‚beobachtet. hatten, blieb bie auf den 7 Sep⸗
tember angekuͤndigte ringfoͤrmige Sonnenfinſterniß
unſer Augenmerk, Auf der Sternwarte zu Jena
wurden vorläufige Zeichnungen derſelben verfertigt,
Der Tag kam heran, aber leider mit ganz uͤberwoͤlk⸗
tem Himmel. In dem’ Garten der Prinzeffinnen
waren Einrichtungen getroffen, daß mehrere Per-
fonem zugleich eintreten konnten. Sereniſſimus be:
ſuchten Ihre eben Enkel zur guten Stunde, bag
Gewoͤlk um die Sonne ward liter, Anfang und
”. Mitte Fonnten vollfommen beobachtet werben, und
den Austritt, dad Ende zu fehen begab man fi
auf die Sternwarte, wo Profeffor Poſſelt mit an-
bern Angefteiten befchäftigt war; Auch hier gelang
die Betrahtung, und man konnte vollfonimen zu—
frieden feyn, während in Weimar ein bedeckter
Himmel jede Anficht vereitelte.
Auf einer Reife nach Carlsbad beobachtete ich
die Woelkenformen ununterbrochen, und redigirte
- : bie: Bemerkungen daſelbſt. Ich ſetzte ein ſolches
Woltendiarium bie Ende: July und weiter fort, wo⸗
durch ich die Entwicklung der fichtbaren atmofphärl-
fhen Zuftände auseinander immer mehr kennen
lernte, und endlih eine Zuſammenſtellung ber
Woltenformen auf einer Tafel In verichledenen Zel-
‚dern unternehmen, fonnte, Nah Haufe äurüdge-
= x 456 r
kehrt, beſprach Ich die Angelegenheit mit Profeſſot
—
Poſſelt, welcher daran ſehr verſtaͤndigen Theil
nahm, Auch wurden nunmehr von Elſenach Wet:
terbeobachtungen. eingeſeudet. Mon Büchern för:
derte mich am meiften Brandes Witterungs kunde
und ſonſtige Bemuͤhungen in dieſem Fache. Ditt⸗
mars Arbeiten wurden benutzt, freillch nicht in
dem Sinne wie es der gute Mann wuͤnſchen mochte.
Das Botaniſche ward nicht außer Augen gelaf⸗
fen; der Velvederiſche Katalog kam zu Stande, nad
‘ib ſah mich dadurch veranlaft die Geſchichte ber
Belmariihen Botanik zu fhreiben. Ich kkeß bier:
‚auf ein Zranzdiifbes Heft überfehen, Das in. ga
lontem Wortrag bie, Vermehrung der. Erifen au:
rieth und anleitete. Jäger über Mipbäidung der
Pflanzen, Decandolle Arzueyktaͤfte derſeiben,
Henſchel gegen die Sexualität, Nees von
Eſenbecks Haudbah, Robert Braum über bie
Spngenefiften wurden fämmtlic beachtet, da ein
Aufenthalt in dem botenlihen Garten zu Jena mir
dalin die erwuͤnſchteſte Muße gab,
WBedeutender Honkathau wurde 'atfıber 'Erck
beobachtet und beſchrieben; Herr Dostor‘Carnd
thellte von einem Korchhof in Sachfen ein zartes
Veflechte ‚von Lindenwurzan mit, weiche, zu ben
Saͤrgen hinabgeſtiegen, dieſe ſowohl als die enthalde⸗
nen Leichname wie mit Fliigranarbelt unwickelt Wat:
ten. Jeh fuhr fort mich mit Wartung bes: Bryophyl-
Aum sälychaum zu beſchaͤfſtigen, dieſer Yıkange · die
———_
⸗
Bu;
dem Teiumph- ber Metamorphoſe im. Offenbaren-
feyert. Zabeflta war durch bie Reiſe Defterreichts
ſcher und Baverliher Naturforfber nah Brafilien
die lebhafteſte Hoffnung erre at. &
Auf meiner Meife nad Carlsbad nahm ih den
De über Wunſiedel nach Alexandersbad, wo ich
bio: ſeltſaman Trümmer eines. Granitgeblrges nad)
olelen· Jahren feit 1785 zum erſtenmal wieder
eobachtete. Mein Abichen- vor. gewaltſamen Er⸗
drangen‘, ‚die man. auch bier mit reichlichen Erd⸗
eben, Vulcanen, Waflerfiutben und andern Kita⸗
üſchen Ereignifion;geltend: zu. machen ſuchte, warb
uf ber-Stelle vermehrt, da: mit. einem. rubigen
glick ſicht gax wohl erkennen ließ, daß durch theil⸗
see Aufloͤſung wie theilmeife Beharrlichkeit des Ur⸗
eſteins, durch ein daraus exfolgendes Stehenblelben,
Anden, Stuͤrgen, und zwar In ungehenern Maſſen,
efe:flannensmütdige- Erfihelsung ganz naturgemäß
h ergeben habe. Auch dieſer Gegenſtand ward Im
einen wiſſenſchaftlichen Heften wörtiih und bildlich
wubgteit; ich zwaifle jedych daß eine fo. ruhige An⸗
ei Dem turbulenten Keitalter genügen werde;
In Earls bad leste Ich hie alte gengnoftihe Folge
eben tm. belehrenden Muftern zufammen, worunter
oͤue Städerded Granits vom Schloßberge un
eenhardtsfelſen, mit Hornſteinadern durchzogen,
: wohl. in die Augen fielen. Eine neue fpecigliere:
lge, auf Porcellan⸗ und Steingutgsfabricotion. fi
iohend,. augleih die natürlichen unveränderten -
458 s
Stüde enthaltend, warb angefügt. Cine ſolche voll⸗
ftändigfte Sammlung zeigte ih dem Fuͤrſten von
Thurn und Tarid und feiner Umgebung vor, wels
her bei theilnehmendem Beſuch mit dem Aufgewie⸗
fenen zufrieden ſchien.
Den pfenbovulcanifchen Gebirgen ſchenkte ich
gleichfalls erneute Aufmerkſamkeit, wozu mir einige,
Behufs des Wegebanes, neu aufgeſchloſſene Berg:
raͤume in der Gegend von Dallwitz und Leſſau die
beſte Gelegenheit gaben. Hler war ed augenfaͤlllg
wie die urſpruͤnglichen Schichten bes früheren Fiäp-
. gebirges, ehmals innigſt mit Steinfohlenmaffe ver:
miſcht, nunmehr durchgegluͤht, als bunter Porcellan-
jaſpis, in ihrer alten Lage verharrten, dba denn
z. B. auch eine ganze Schicht: ftengtichen Eifenftelnd
ſich dazwiſchen deutlich auszeithnete, und Veranlaſ⸗
fung gab, ſowohl die Muͤlleriſche Sammlung, als
die eigenen und Freundescabinette, mit großen und
‚ beiehtenden Stüden zu bereichern. -
Als ich num hierauf den, duch ben Wegeban,
immer. weiter aufgefchloffenen Kammerberg bei @ger
beftieg, forgfältig abermals’ betrachtete und Lie
regelmäßigen Schichten deſſelben zenau anfah, fo
mußt’ ich freilich zu ber Ueberzengung bed Berg
r Reuß wieder zuruͤckkehren, und dieſes proble⸗
matiſche Phaͤnomen fuͤr pſeudovulcaniſch anſprechen.
Hier war ein mit Kohlen geſchichteter Glimmerſchie⸗
fer wie dort ſpaͤtere Thonflöhlager durchgluͤtzt, ger
ſchmolzen und dadurch mehr oder weniger verändert.
159
Diefe Üeberzeugung einem friſchen Anſchauen
gemäß, Toftete mich nichts ſelbſt gegen ein eignes
gebrudtes Heft anzunehmen; denn wo ein beden42
tendes Problem vorliegt, tft e6 Tein Wunder wenn
ein redlicher Forfher In feiner Wreinung wechfelt.
Die kleinen Bafalte vom Horn, einem hohen
Berge in der Nähe von Ellbogen, denen man bei der
Groͤße einer Kinderfauft oft eine beftimmte Geſtalt
abgewinnen kaun. Der Grundtypus, woraus alle
die übrigen Formen fich zu entwideln fchlenen, ward
in Thon nachgebildet, auch Mufterfläde an Herrn
von Schreibers nach Wien gefendet.
Auf den Jenaiſchen Mufeen revidire fh die .
Carlsbader Suite mit neuer Ueberfiht, und da man
denn doch immer vorfäßliche Fener- und Gluthver⸗
ſuche anftelt, um zu den Naturbrändem parallele
Erſcheinungen zu gewinnen, fo hatte ich In der Fla⸗
ſchenfabrik zu Zwaͤtzen dergleichen anftellen laſſen,
und es betrübt mich die hemifchen Erfolge nicht Im
ber eingelelteten Ordnung des Kataloge aufbewahrt
zu haben, befonders da einige Gebirgsarten nad) dem
beftigften Brande fich Augerft regelmäßig geftalteten.
Sleiherweife fandte man von Coblenz aus natärlt-
hen Thon und baraus übermäßig gebrannte Ziegeln,
welche auch ſich ſchlacenartig und zugleich geftaltet
erwleſen.
Jüngere Freunde verſorgten mich mit Mufter:
ftüden von dem Urgeſchlebe bei Danzig, ingleichen
bei Berlin, aus denen man eine völlig foftematifche
160
Sammlung Geſteinarten, und smar is ihnen haͤrte⸗
ſten Feld: und Bangtheilen anreihen kounte.
Das Beifpiel einer allerlezten Formation zeligte
uns der Steinfchnelder Facius. Er hatte in einem
Tufffteinconglomesat, weiches mancerlei abgerundete
Geſchiebe enthielt, auch elgen geſchnittenen Chalce⸗
don gefunden, worauf ein Obelisk mit allerlei nicht
Aegpptiſchen Zeichen, ein kaieend Betender an der el⸗
nen, ein ſtehend Opfernder au der andern Seite,
von. leidliher Arbeit. Man ſuchte ih biefe offen
dar zufällige Erfchelnmg aus vorwaltenden Umſtaͤn⸗
den zu erklaͤren, bie jedoch bier zu entwickeln nicht
der Drt li. Der Medienburgifhe Kammerherr
‚Kerr von Preen verehrte mir von einer Reife
aus. Toro witgebrachte bedeutende Minexralien;
Graf Bebemar, koͤniglich Dänifher Kammer:
herr, ſchoͤne Opale von den Kerroe = Jufeln.
Au Büchern waren mir Fehr angenehm: Noofe
Aber Bafaltgenefe, ein alter Sleichzeitiger, ber auch
noch an alten Begriffen bielt; ferner defien Sym
bdola; einen Auszug bes erſteren theitt! Ih Im Deude
mit., ‚einer bed ledteren Legt noch unter meinen Va⸗
‚pieren. Herrn uon Schreibers Aerslitben für
derten ung auc in biefem Capitel. Won England
waren ſehr willlommen The first Principles of
Geology, byG.B. Greenougbh. Lond. 4849.
Die Werneriſchen Anfihten, bie men. nun ſchon fo
viele Jahre gewohnt mar, in einer fremden Spracht
wieder zu veruchmen, war aufregend ergöslicd.
Eine
-
7
ine große geologiſche Charte von England wer
ıcch befondere Ausführung und Meinlichleit einer
nften Belehrung hoͤchſt foͤrderlich. Als ſelbſtthaͤ⸗
g lieferte ich zur Morphologie und Raturwiflene
haft des erfien Bandes drittes Heft.
Erifche Luft zu Bearbeitung ber Farbenlehre ga=
en bie entoptifchen Zarben. Ich hatte mit großer
sorgfalt meinen Aufſatz Im Auguſt dieſes Jahrs ab-
eschloffen und dem Drud übergeben. Die Ablel-
ing, ber ich in meiner Farbenlehre gefolgt, fand
ch auch bier bewährt; ber entoptifche Apparat war
mer mehr vereinfacht "worden. Glimmer- und
zypsblaͤttchen wurden bei Verſuchen angewendet,
nad ihre Wirkung ſorgfaͤltig verglichen. Ich hatte
as Gluͤck mit Herrn Stanısrath Schulz diefe An-
elegenheit nochmals durchzugehen, ſodann begab
ch mich an verſchiedene Paralipomien« der Farben⸗
era Purkinje zur Kenntniß des Sehens warb
usgegogen und die Widerfaher meiner Bemühun-
en nah Fahren aufgeftelt.
Bon theilnehmenden Freunden wurd' ich auf ein
Berk aufmerkſam gemacht: Nouvelle Chiroagene-
ie par le Prince, weldes ald Wirkung und
Beftätigung meiner Zarbenlehre angefehen werden
Dane. . Bel näyerer Betrachtung fand ſich jedoch ein
yedeutender Unterfhied. Der Verfafler war auf dem⸗
reiben Wege wie ich dem Irrthum Newtons auf die
Spur gefommen, allein er foͤrderte weder fih noch
andere, Indem er, wie Doctor Read auch gethän,
Seethes Werte. XXXII. Bo. 44
—8
etwas gleich uUnhalthares an NMe alte Etelle ſetzen
wollte. Es gab mir zu abermaliger Betrachtung
Anlaß, wie der Menſchy von einer Erleuchtang er:
griffen und aufgeklaͤrt, doch ſo ſchnen vieder in · die
Finſterniß ſelnes Indioldunms zuruͤckfaͤſt, wo er
ſich alsdann mit einem ſchwachen ——— kuͤm⸗
merlich fortzuhelfen ſucht.
Gar marcherlei Betrachtungen uͤber Das: Herkom⸗
men in den Wiſſenſchaften, über Vorſchritt und
Retardation, ia Ruͤckſfchritt, werben angeſtellt. Der
ſich immer mehr an den: Tag gebende, und doc im⸗
“mer geheimnißvollere Bezug aller phyſtkalifchen Phaͤ⸗
nomene auf einander ward mit Befcheibenheit be-
trachtet und fo die Chladniſchen und Seebeckiſchen
touren paralleliſirt, als auf-einmat in der Ent:
deckung des Bezugs des Galvanismus auf die Mag⸗
netnadel, durch Prof. Derftedt, ſich und ein bei-
nahe blendendes Licht aufthat. Dagegen betrachtete
ich ein Beiſpiel des fuͤrchterlichſten Obſeurantkiimns
mit Schrecken, indem ich die Arbeiten Biots uͤber
die Polariſation des Lichtes näher ſtudirte. Man
wird wirklich krank über. ein ſolches Verfahren; ders
gleichen Theorien, Beweis- und Ausführungsarten
"find wahrhafte Nekrofen, gegen werde die leben⸗
digfte Organtfation ſich nicht herſtellen kann.
Der untere große Jenaiſche Biblidthekſaal war
nun in der Hauptfache hetgeſtellt; die Mepofitoriem,
. die fonft: der Länge nach der Raum verfinfterten;
nahmen nummehr in der Quere dns Licht gehbrig-
168. En
auf: En: buntes, yon-Serentfiimo: verchtied ait⸗
deutſches Fenſter ward eingeſetzt und Daneben die
— — — — — —
Gypsbuͤſtun der beiden Herten Nutritoren aufge⸗
ſtellt, in dem oberen Saal ein geraͤumager Pult⸗
eingerichtet und: fo immer mehreren Erforderubffen .·
Genuͤge geleiſtet. Um in den allzueisfachen, unver⸗
ziorten, dem Auge wenig Ergoͤtzliches bletenden Saͤ⸗
len: einige Erheiterung anzubringen, dachte: man
auf ſymboliſche, bie verſchiedenen gaiſtigen Thaͤtig⸗
keiten bezeichnende Bilder, welche ſonſt fa beliebt,
mis Sinnſpruͤchen begleitet, im allen wiſſenſchaftli⸗
chen Auſtalten dem Beſucher entgegen leuchteken.--
Einiges wurde ausgefuͤhrt, anderes durch Herrn
Schinkels Gefaͤlligkeit vorbereitet, das Meiſte
blieb als Skizze, in nur als bloßer Gedanke zuruͤck.
Die Buderiſchen Deduetionen wurden durch Vul⸗
pius tatalegirt, ein Boͤhmiſches Manuſcript auf-
Huſfſens Zeiten: bezuͤglich, ducch Pr. Wlo kar uͤber⸗
ſetzt, ein: Hauptbibliothels⸗Bericht erſtattet, eine
uͤberſichtliche · Fortwirlung durch ausführliche. Tage
buͤcher und Dr. Wellers perſoͤnliche —————
tung. moͤglich gemacht. |
Bei der -botanifchen Anfait. befhäfsigte, und. bie.
Aulage eines neuen Glashauſes, nach dem Befehl.
Sereniſſimi, und unter deſſen beſonderer Mitwir⸗
kung. Riß und Auſchlag wurden geprüft, die Acc
corde abge ſchloſſen und gu gehoͤriger Zeit, die Arbeit
vollendet. Auch war ber Ankauf der Starkiſche n
Praͤparatenfammleng: für das anatomiſche Cabinet
164
gebilligt und abgeſchloſſen, ber Rransport berfelben
aber, welcher ein neues Local forderte, noch aufge-
"fhoben. Der untere große Saat im Schloſſe, der
feit Entfernung der Büttneriihen Bibliothek noch
im Wufte lag, warb völlig wieber hergeſtellt, um
verſchlede Euriofa darin aufzubewahren. Ein bebeu-
tenbes Modell des Amfterdbamer Rathhauſes, Das
bet mehrmaligem Umſtellen und Transpsrtiren hoͤchſt
beſchaͤdigt worden war, ließ fih nun reparirt ruhig
wieder aufrichten.
In Weimar ging alles feinen Bang; dad Münz-
cabinet war an Vulpius zu endlicher Einorbunng
uͤbergeben worden, auch kam die Actenrepoſitur
voͤllig In Ordnung.
Zu meinem Geburtstagsfeſte hatte voriges Jahr
die angefehene Geſellſchaft der Deutfchen Alterthuͤ—⸗
mer In Frankfurt am Main die Aufmerkfamteit,
mich unter die Ehrenmitglieder aufzunehmen. In—
dem ich nun ihre Forderungen näher betrachtete,
und welche Thellnahme fie allenfalls auch von mir
wänfchen Eönnte, fo ging.mir der Gedanke bei, es
möchte wohl auch ein Vortheil ſeyn, in ſpaͤtern Jah⸗
ten, bei hoͤherer Ausbildung, in ein neues Fady ge⸗
rufen zu werden. Es lag auf der Jenaiſchen Biblio⸗
thek ein gefchästes Manufctipt von der Chronik des
Dtto von Freyſingen, auch einige andere, melde
nah dem Wunfch jener Gefellfchaft follten beſchrie⸗
ben werden. Nun batte ber Bibliothekfchreiber .
Eompter ein befondered Talent zu dergleichen
— N
165
Dingen, es glüdte Ihm die Nachahmung der alten
Schriftzuͤge ganz befondere, deßwegen er auch bie ge=
naueſte Aufmerkſamkeit auf fo etwas zu legen pflegte.
Ich verfertigte ein forgfältiges Schema, wornach bie
Codices Punct für Punct verglichen werden follten.
Hiernach fing er an gedachtes Manufcript des Otto
| von Frepſingen mit dem eriten Straßburger Ab⸗
= druc deffelben zu vergleichen; eine Arbeit die nicht
| fortgefegt wurde. Im Ganzen warb jedoch die Be⸗
fhäftigung eine Zeit lang fortgefeht, fo wie bad Der:
haͤltniß zu Herrn Bühler in Frankfurtunterhalten.
Zu gleicher Zeit erfaufte die Frau Erbgroßhergo=
gin aus der Auction des Sanonieus PIE zu Köln
-eine wohlerhaltene filberne Schale, deren einge:
grabene Darftelung ſowohl als Infchrift fih auf el-
nen Taufact Friedrich des Erften beziehen und auf
einen Pathen Otto genannt. Es wurde In Stein:
druck für Frankfurt copirt, dafelbft und an mehreren
Drten commentirt; aber eben hieraus zeigte fich,
wie unmöglich es fey antiquariſche Meinungen zu
vereinigen. Ein deßhalb geführtes Actenheft iſt ein
merkwuͤrdiges Beiſplel eines folhen antiquariich-
Eritifhen Diffenfus, und ich Idugne nicht, daß mir
nach folder Erfahrung weitere Luft und Muth zu
diefem Studium ausging. Denn meiner guädigften.
Sürftin hatte ich eine Erflärung der Schale ange-
Fündigt, und da Immer ein Widerfprucd dem andern
‚folgte, fo ward die Sache bergeftalt ungewiß, daß
man Kaum noch bie füberne Schafe In der Hand zu
166
halten glaubte und wirklich zwetfelte, ob man Bild
and JInſchrift noch vor Augen habe.
Der Triumphzug Mantegna’s, von Anbreas
Andreani in Holz gefehnitten, Hatte unter den
Kunſtwerken des fechzehnten Jahrhunderts von jeher
meine größte Aufmerkſamkeit an fi gezogen. Ich
veſaß einzelne Blätter deſſelben, und ſah fie vell-
ftändig in Feiner Sammlung ohne ihnen eine leb⸗
hafte Betrachtung ihrer Folge zu wibmen. Endtlich
erhielt ich fie Teibft und konnte fie ruhig weben und
hinter einander befchauen; ich ſtudirte den Waſari
deßhalb, welcher mir aber nicht gufagen wollte. Wo
‚aber gegenwärtig die Orfginale feyen, da-fe, als
auf Tafeln gemahlt, von Mantun-weggefährt wor⸗
den, blieb mir verbergen. Ich hatte meine Blaͤtter
eines Morgens in bem Jenaiſchen Gartenhauſe vol:
ſtaͤndig aufgelegt, um fie-genaner zu betrachten, ald
epder junge Mel liſch, ein Sohn meines alten Freun⸗
des, hereintrat und ſich alſobald In bekannter Ge⸗
ſellſchaft zu fi erklaͤrte, Indem er kurz vor ſei⸗
ner Abreiſe aus England fie zu Hamptoncontt wohl:
erhalten in den’ koͤniglichen Zimmern verlaffen hatte.
Die Nachforſchung ward leichter, ich erneuerte meine
Verhaͤltniſſe zu Heren Dr. Nöhben, weicher. auf
die freundlichſte Weiſe bemuͤht war allen meinen
Wuͤnſchen entgegen zu kommen. Sahl, Maß, Su:
-ftand, in die Geſchichte ihres Beſitzes von Carl dem
Erken-her,' alles ward aufgeklärt, wie ich ſolches in
- „Kunft und Altertum EV: Band 1IHeft umnſtand⸗
467
lich ausgeführt habe. ‚Die-son-Mantegna felbft in
Aupfer geſtochenen Oxiginalblätter aus biefer. Folge
Samen mir gleichfalls durch Freundesgunſt zur Hand,
und ich konnte alle zuſammen mit den Nachweiſun⸗
gen von Bartſch vergikhen, nunmehr ausfuͤhrlich
erkennen und mich uͤber einen ſo wichtigen Punct der
Kunſteeſchichte ganz eigens aufklaͤren. |
Bon Jrgend anf war: meine Freude mit bilden⸗
den Künftlern amzugeben. Durch freie leichte Be⸗
vuchang entſtand im Geipräc und aus dem Geſpraͤch
atwias.vor unfern Augen; man ſah gleih, ob man
„Sich verſtanden hatte und konnte fich um befto cher
verſtaͤndigen. Diefed Vergnügen marb mir dießmal
‚dar hohem: Grade: Herr Staatsrath Schulz brachte
smir-brey-wärdige Berliner Känftler nach Jona, wo
aich igegen Ende ded Sommers in der gewöhnlichen
Gartenwohaung mich aufhielt. Herr Geh. Rath
-Schiufel machte mich mit den Abfichten feines
aeuen. Theaterbaues bekannt und wies zugleich un⸗
ſchaͤtzbare landſchaftliche Federzeichnungen vor, die
"ex auf einer Reife Ind. Tyrol gewonnen hatte. Die
Herren Tie ckeund Rauch mobellitten meine Buͤſte,
‚erſterers zuglekch ein Profil von Freund Knebel.
Gine lebtzafte ja leidenſchaftliche Kunſtrunterhaltung
ergab ſich dabei, uud: ich burfte dieſe Tage unter die
ſchoͤnſten bes Fahres Tednien: Nach vollbrachtem
Modell An: chen: ſorgte Hofblidhauer Kaufmann
far eine poſorm. Die Freunde⸗begaben ſich nach
Meimar, wohin sch: nes folgte, und die angenehm⸗
1.
fen Stunden wiederholt genof. Es hatte fi in |
den wenigen Tagen ſo viel Productives — Anlage und
Ausführung, Biene und Vorbereitung, Belehren-⸗
bes und Ergoͤtzliches — zuſammengedraͤngt, daß bie
- Erinnerung. daran Immer wieder neu belebend ſich
erweiſen mußte.
Von den Berliniſchen Kunſtzuſtaͤnden ward ich
nunmehr aufs vollſtaͤndigſte unterrichtet, als Hof⸗
rath Meyer mir das Tagebuch eines dortigen
Aufenthaltes mittheilte; fo wie bie Betrachtung über
- Kunft und Kunftwerte im Allgemeinen, durch deſſen
Auffäpe in Bezug auf Kunftfchulen und Kunftfammes
Inugen, bis zu Ende bes Jahre lebendig erhalten
"wurde. Von moderner Plaſtlk erhielt ih bie vol:
ſtaͤndige Sammlung der Medalllons, welche Graf
Tolftot, zu Ehren des großen Befreiungskrieges,
in Meffing gefchnitten hatte. Wie hoͤchlich lobens⸗
werth diefe Arbeit angefprochen werben mußte, feße
ten die Weimariſchen Kunftfreunde in Kunft und
Altertum mehr auselnander.
Leipziger Auctionen und ſonſtige Gelegenheiten
verfchafften meiner Kupferſtichſammlung belehrende
Beifpiele. Braundräre, nah Rafaelin da Regglo,
einer Grablegung, wovon ich das Original ſchon eis
nige Zeit befaß, gaben über bie Verfahrungs art der
Kuͤnſtler und Nachbildner erfrenlichen Auffchiuf.
pie Sacramente von Youffin ließen tief in das
Nature! eines fo bedeutenden Künftlere hinein⸗
Schauen. Alles mar durch den Gehanfen gerechtfer:
„’
469 — > nn
tigt, auf Kunftbegriff gegrändet; aber eine gewiſſe
Nalvetaͤt, die fich Teldft und die Herzen anderer.
auffchließt, fehlte faft durchaus, und in ſolchem
Sinne war eine Folge fe wichtiger und verehrier
Gegenſtaͤnde hoͤchſt förderlich. |
Auch kamen mir gute Abbräde zu von Hals
enwangs Aquatinta nach forgfältigen Nahl i⸗
ſchen Zeichnungen ber vier Caſſeler Elaude Lo—⸗
rains.:- Diefe feßen Immerfort in Erſtaunen und.
erhalten um fo größeren Werth, als die Originale,
aus unferer Nachbarſchaft enträdt, in dem hohen
Norden nur wenigen zugänglich bleiben.
Der wadere, immer fleipige, den Deimartfhen
Kunftfreunden Immer geneigt gebliebene Friedrich
Smelin fendete von felnen Kupfern zum Virgil
der Herzogin von Devonfhire bie melften Probe⸗
abdräde. So fehr man aber auch hier feine Nabel
bewunderte, ſo ſehr bedauerte man, daß er folden
Originalen habe feine Hand leihen muͤſſen. Diefe
Blätter, zur Begleitung einer Prachtausgabe ber
Aeneis von Unnibal Caro beſtimmt, geben ein _
tranriges Beiſplel von ber modernen realiftiihen
Tendenz, welche fih hauptſaͤchlich bei den Englän=
been wirkſam erweift. Denn was kann wohl trau
tiger feyn, als einem Dichter aufhelfen zu wollen
duch Darftellung wuͤſter Gegenden, welche bie leb⸗
haftefte Einbildungskraft nicht wieder anzubauen und
su bevölfern wüßte? Muß man denn nicht ſchon an-
‚nehmen, dep — zu gehn — Mahe gebe: ſich
Ä ⸗
270
denen Umzuſid der ſateinſchen Meilt· zu. wergegen⸗
waͤrtigen, um die laͤngſt verlaſenen, verſchuunde⸗
nen, durchaus veraͤnderten Schloͤſſer mb Staͤdte
‚einigermaßen vor ben Voͤmern feiner Seit dichteriſch
aufzuſtutzen? Und bedenkt man nicht, daß verwuͤſtete,
der Erde gleich gemachte, verſumpfte Localitaͤten bie
EAunbtidurgokraft vollig paralyſiren and fie alles Auf⸗
und Nachſchwungs, der allenfalls noch mäglich--wäre,
fh: dem Dihter gleichzuſtellen, völlig berauben?
Die Muͤnchener Steindruͤcke ließen uns die un⸗
aufhaltfamen Fortſchritte einer fo-bechwichtigen Tech⸗
nit von Zeit zu Zeit anſchaunen. Die Kupfer zum
Fauſt, von Retich:gegeihnet, erſchienen im Nach⸗
Hd zu London, hoͤchſt reinlich und genan. Siu⸗hi⸗
Aſoriſches Blatt, die verſaumelten Miniſter beim
Wälener Gongreffe darſtellend, ein Seſchenk der Frau
Herzogin von Curlaud, nahm In den Porteferillen
des groͤßten Formats feinen: Platz.
Der alteſte Grundfatz ber Chromatik: die For:
. pertiche Farbe fey: ein Durkles, das man mwr:bei
durchſcheinendem "Lichte gewahr werde, bethaͤtigte
fh an den trausparenten ˖Schweigerlandſchaften,
welche Koͤnig von Schaffhauſen belans Auffbeilte.
Ein kraftig Ourqhſchienenes fehter ſich ian· die Stelle
des bebhaft Befchienenen und uͤbermannte Dad Auge
:fo, daß auftatt bad entſchte denſten Menuſſes endlich
ein peiavolles Gehählrchitwnt.
Shüchlih habe dh noch danklarrrines Stein⸗
drucds. zu gedenken, welcher von Rain; at meinen
-
471
Hiehikgeigen Geburtstag fevernd, mit einem Gebicht
freuudlich gefendet wurde. Auch laugte ber Riß an
. zu einem Monument, welches meine theuren Lande-
:4eute mein zugebacht hatten. Als anmuthige Wergie-
rung ſeiner idylliſchen Gartenfseme, : wie ber:ente
⁊ Freundes⸗GSedanke die Abficht ausſprach, waͤr res
dankkbar anzuerkennen geweſen, aber als große archi⸗
teftentihbe ſelbſtſtaͤndige Prachtmaſſe war es wohl ge⸗
giemender fie beſcheiden zu verbitten.
Aber zu höheren, ja zu ben höchften Kuuſtbe⸗
trahtımgen wurden wir aufgefordert, : indem -bie
Bau⸗und Bilbwerte Stiechentands Lebhafter zur
„Sprache-tamen. Au das Parthenon wurden wir
aufs neue. geführt, von dem Elginiſchen Marmoren
kam und nähere Kunde, nicht weniger von dem Phi⸗
‚gaitfihen. Die änferten Sränzenmenfchiliher Aunft-
thaͤtigkeit im hoͤchſten Sinne. und mit aatuͤrlichſter
Nachblidung wurden wir gewahr und prieſen uns
gkuͤcklich auch dieß erlebt zu haben.
ach ein gleichgeitiger Freund feffelte CTrieb und
Einbildungskraft am Alterthum; das neueſte Heft
von Diſchb eins Biidwerken zum Homergab zu man⸗
‚hen Vergleichungen Anlaß. Der Mailaͤndiſche Codex
der Mind, obgleich aus ſpaͤterer Zeit, war für bie
Kunſtbetrachtungen von großem Belang, indem offen-
‚bar ältere herrliche Kunſtwerke darin nachgebildet und
deren Andenken Dadurch für und erhalten worden.
Der Aufenthalt .Heren Rabe's in om und
.. Nmpelrwar. faͤr ums:miht ohne Wirkung geblieben.
172
Wir hatten auf höhere Veranlaffung bemfelbigen
einige Aufgaben mitgethellt, wovon fehr fchöne Re
faltste uns uͤberſendet wurden, Cine Copie ber UL
dobrandiniſchen Hochzeit, wie ber Künftier fie vor
fand, lleß fih mit einer aͤlteren, vor dreyßig Jah
ren gleichfalls fehr forgfältig gefertisten, angenchm
vergleihen. Auch hatten wir, um das Colorit ber
Pompeilfhen Gemaͤhlde wieder Ind Gedaͤchtniß zu
zufen, davon einige Gopien gewuͤnſcht, da ung denn
der waere Künftler mit Nachbildung der befannten
Sentauren unb Tänzerinnen höchlich erfreute. Das
chromatiſche Zartgefühl der Alten zeigte fich Ihren
übrigen Verdienſten voͤllig gleich, und wie folt’ es
auch einer fo barmonifhen Menfhheit an biefem
Sauptpuncte gerade gemangelt haben? wie follte,
ftatt diefes großen Kunfterforberniffes, eine Lüde In
ihrem vollftändigen Werfen geblieben ſeyn?
Als aber unfer werther Känftler bei der Näd-
“reife nah Rom biefe feine Arbeit vorwies, erklaͤr⸗
ten fie die dortigen Nazarener für völlig uunks und
zweckwidrig. Cr aber ließ ſich dadurch nicht irren,
. Sondern zeichnete und colorirte, auf unſern Math,
in Florenz einiges nach Peter von Cortona, woburd
unfere Ueberzeugung, daß diefer Künftler beſonders
für Farbe ein Schönes Naturgefühl gehabt habe, ſich
abermals beftdtigte. Wäre ſeit Anfang des Jahr:
hunderts unfer Einfluß auf Deutſche Künftler nicht
ganz verloren gegangen, hätte fi ber durch Froͤm⸗
meley erfchlaffte Geiſt nicht auf ergrauten Moder
173
guräsgegogen, fo würden. wir gu einer Sammlung
ber Art Gelegenheit gegeben haben, bie dem rei⸗
nen Natur- und Kunftblid eine Geſchichte älteren
und neueren Colorits, wie fie fhon mit Worten
verfaßt worden, in DBeifplelen vor Augen gelegt
Hätte. Da es aber einmal nicht ſeyn follte, fo ſuch⸗
ten wir nur und und bie wenigen zunaͤchſt Verbuͤn⸗
deten in vernünftiger Ueberzeugung zu beflärken,
inbeß jener wahnfinnige Seetengeift keine Schen
trug bad Verwerfliche ald Grundmarxime alles kuͤnſt⸗
leriſchen Handelns aus zuſprechen.
Mit, eigenen kuͤnſtleriſchen Productionen waren
wir in Weimar nicht gluͤcklich. Heinrich Müller,
der ſich In München des Steindruck befleißigt hatte,
ward aufgemuntert, verfchlebene bier vorhandene
Zeihnungen, worunter auch Karftenfhe waren,
auf Stein zu übertragen; fie gelangen ihm zwar
nicht übel, allein das unter dem Namen Weimari-
ſche Pinakothek ausgegebene erſte Heft gewann, bei
überfühten Markt; mo noch dazu ſich vorgüglichere
Waare fand, eine Käufer. Er verfuchte noch ei⸗
nige Platten, allein man ließ das. Geſchaͤft Inge hal⸗
: ten, in Hoffnung, bei verbeflerter Technik In der
Folge daſſelbe wieder aufzunehmen,
Als mit bildender Kunit einigermaßen verwandt
bemerkte ich bier, daß meine Aufmerkfamtelt auf
eigenhaͤndige Schriftzäge vorzäglicher Perfonen die⸗
ſes Jahre auch wieder angeregt worben, indem eine
Beſchrelbung bes Schloffes Friedland, mit Facſimi⸗
J
478°.
le's von bedeuteanben Mamen sand: bein —eepphgikäufe:
gen Kriege, herauskam , dbie.ih an meine Origlinal⸗
Doeumente ſogleich ergaͤngend auſchloß. Auch er
ſchlen zu derfelben Zeit ein Portrait: des merkwuͤr⸗
digen: Maumes in ganzer Figur, von der leichtgeuͤb⸗
ten Hand des Directvr Langer in Prag, wodurch⸗
denn die Geiſter jenen: Tage zwiofach au nus wieder
berungebaunt wurdent —
Von gleicher Theilnahme an: Werten: mandgeer
Art wäre fonlel zu ſagen. Hermanad Progaammen
über das Wefen und. die Behandiung ber Mythelo⸗
gie empfing. ich mit der: Hochachtung, bie ich den
Arbeiten dieſes vorzuͤglichen Mannes vom jeher ges.
widmet hatte: denn was lann uns zu hoͤherem Vor⸗
theil gereichen, als in bie: Auſichten ſolcher Maͤn⸗
ner einzugehen, bie mit Tief: und-GScharffimm ihre
Aufmerkſamkelt auf. ein einziges. Ziel hhiurichten ?
Eine Bemerkung; konnte moͤr nicht entgehen, daß bie:
ſpracherfindenden Utvoͤller, bei. Benamnug ber Na⸗
turerſcheknungen und deren Verehrutgals walten⸗
der Goethelnnon, mehr durch das Farchthare als durch
das⸗Erfreullche dreſelben aufgeregt worden, ſo baß
fie eigentlich mehritamuituariſch zerſtoͤrenbe als ru⸗
hig ſchaffende Gottheiten: gewahr wurden: Meier
ſchkenen, da ſich denn doch diefes Menſchengeſchlecht
in ſeinen Grundzaͤgen niemals veraͤndert, bie nene⸗
fien: geologiſchen Thooriſten von eben dem Schiage,
bie ohne fenerfpefonde Berge, Erbboben/ Kluft⸗
riſſe, unterirbiſche Druck⸗ und Quetſchwerke Crudea
Aa: 5 =
sure), ‚Shleme. und: Ghnbgathen time Weit. su
er ſchaſſew wiſſen.
WEL fs. Prologemene-mwahen: Ich. abermals var.
Dis Arbeiten: dieſes Mannes, mit dem⸗ ich in naͤt
heran; perſoͤnlichenn Verhaͤuniſſen ſtand, hatten mir
auch ſchon laͤugſt auf: meinem: Wege vorgeleuchtet.
Beim Studiron des gedachten Merkes merk ich mir
ſelbſt md: meinen: innern Geiſtesoperatisnen auf.
Da gewahrt‘ ich denn, daß eine Spſtole und Dia⸗
ſtole immerwaͤhrend in mir vorgiug. Ich war ge⸗
wohne dierbeiden Homeriſchen Gedichte als ·Ganzhei⸗
ten anzuſchen, und hier: wurden ſie mir jedes: mit
großer Kenntniß/ Scharffmu: und Geſchickuichleit ge⸗
trennt und :audsinenber gezegen, und indem ſich
moein Verſtaud dieſer Vorſtellung willig hingab, ſo
faßte gleich: Darauf. ein: herkoͤmmliches Gefuͤhl alles
wieder auf einen Punet zuſammen, und eine geile:
Laͤßlichkeit, die uns bete allen wahren poetiſchen Pro⸗
duetkenon ergretft, lleß mich die bekannt gewordenen
Liten, Differenzen und Maͤntel wohlwollendruͤber⸗
ſehen. Reiſigs Bemerkungen über ben Ariſto⸗
phanes erſchbenen wᷣald darauf; ich eignote mir gleiche.
falls was mir gehörte daraus zu, obgleich das Gram⸗
matiſchean ſich ſelbſt außerhaib meiner Sphaͤre Lag.
Lebhufte Unterhaltungen mit dieſem tuͤchtigen jun⸗
gen Manne, geiftreich wechfelfeltige: Mitthellungen
verllehen mir bel moinom dieß maligen Adageren Hufe:
enthalt· in Jena die angene huſten·Stunden.
Die Franzoͤftſche Literatar, Ältere und neuere,
—*
"476.
erregte auch dießmal vorzuͤglich mein Intereſſe. Den
mir zum Leſen faſt aufgedrungenen Roman An a⸗
oje mußt' ich als genügend billigen. Die Werke
der Madame Roland erregten bewunderndes Er⸗
ſtaunen. Daß ſolche Eharaftere und Talente zum
Vorſchein kommen, wirb wohl ber Hauptvortheil
bleiben, welchen unfelige Zeiten ber Nachwelt über:
diefern. Sie find es denn auch, weiche ben abfchen-
lichſten Tagen der Weitgeſchichte in unfern Augen
einen fo hohen Werth geben. Die Gefchichte der
Johanna von Drleans in ihrem ganzen Detail thut
eine gleiche Wirkung, uur daß fie in der Entfernung
“mehrerer Jahrhunderte noch ein gewilles abentener-
Uches Helldunkel gewinnt. Eben fo werden bie Ge⸗
Dichte Mariens von Fraukteich durch den Duft der
Jahre, der fih zwiſchen und und ihre Perſoͤnlichkeit
hineinzieht, anmuthiger und Lieber.
. Bon Deutfchen Probuctionen war mir Olfried
und Lifen« eine hoͤchſt willlommene Exrfcheinung,
worüber ih mich auch mit Autheil ausſprach. Das
- "einzige Bedenken, was fih auch iu der Folge eint-
germaßen rechtfertigte, war: der junge Mann
‚möchte fih in foldien Umfang zu früh ausgegeben
Haben, Werners Maceabder und Houwalbs
Bild traten mir, jedes in feiner Art, unerfreulid
entgegen; fie kamen mir vor wie Ritter, weiche um
ihre Worgänger zu überbleten den Dank außerhalb
der Schranken ſuchen. Auch enthielt Ih mich von
diefer Zeit an alles Neueren, -Senuß und Beur
thei⸗
D
.
r
4
U. -497
€ 4 heilung jüngeren, Sersnshern m. Geiſtern ‚Aberlaf-
‚fend, denen Sole Beeren, die mir nicht mehranun⸗
den, walten, uch fchmackheft fean;inmauten.
Sn; eine frühere. Zeit. jedoch durch Blumaners
Aeneis verſetzt, erſchrack ich gauz eigentlich, indem
Ic mir. vergegauwaͤrtigen wollte, wie eine fo graͤn⸗
zaxloſe Ruͤchternheit und. Plattheit doch auch einmal
|
Bam; Tag willkommen und gemaß hatte ſeyn können.
Koutisemeh von Jken zog mich unerwartet
vwieder · nach dem Selent. .: Meine Bemunderung je⸗
ner Maͤhrchen, beſonders nach der aͤlteren Redac⸗
tion, wopon Koſegarten in dem Auhange und Bei⸗
ſpiele gab, ‚erhöhte ſich, oder vielmehr fe friſchte ich
an: lebendige Gegenwart des Unerforſchlichen und
Unglaunblichen iſtres, was nad hier ſo gewaltſam er⸗
frenlich anzieht. Wie laicht waͤren ſolche unſchaͤtzba⸗
ze naive Dinge duuch moſtiſche Symbolik für. Ge⸗
Kahl und Ginbildungstraft zu zerſtoͤren. Als voͤlli⸗
sen Gegenſatz erwaͤhne ich bier. einer ſchriftlichen
GSanunlung Lettiſcher Sieber, ı bie eben fo begraͤuzt,
wie jene graͤnzenlos, fi in dem natürlichen, ein:
Ffachſten Kreiſe bewegten.
„In ferne Länder warb. mein Antheil hingezogen
‚amd in die AIchracklichſten Africaniſchen Zuſtaͤnde ver⸗
ſetzt, durch Dam ont In: Maroccaniſcher Sclaverey;
in Verhaͤltniſſe aͤlterer, und nenerer ſteigender und
. Iinfender: Wüdung, durch Laborde's Reiſe nach
ESpanien. An die Oſtſee fuͤhrte mich ein geſchriebe⸗
nes Reiſetagebuch von Zelter, das mir aufs neue
Geetbe's Werte. XXXII. Bd. 12
. 178 -
die Ueberzengung bethätigte, daß die Neigung, die
wir zum Neifenden hegen, uns aufs allerſicherſte
entfernte Localitäten und Sitten vergegenwärtigt.
Bebdeutende Yerfönlichkeiten, ferner und näper,
forderten meine Theilnahme. Des Schwetzerhaupt:
mann Landolt's- Biographie von Weiß, befon:
ders mit einigen handſchriftlichen Zufäßen, ermener:
ten Anfhauung und Begriff des wunderfamften
Menfhenkindes, das viekeicht auch nurin der Schwei;
geboren und groß werben konnte. Ich Hatte ben
Mann Im Jahre 1779 perfönlich kennen gelernt,
und als Liebhaber von Seltfamteiten und Excentri:
eitäten, die tuͤchtige Wunberlichkeit deifelben auge:
ſtaunt, auch mich an den Mähren, mit denen
man ſich von ihm trug, nicht wenig ergößt. Hier
fand ich nun jene früheren Tage wieder hervorgeho-
ben und konnte ein ſolches pſychiſches Phänomen um
fo eher begreifen, als ich ſeine perfönliche Gegen-
wart und die Umgebung worin ich ihn kennen ge:
lernt, ber Einbildungskraft und dem Nachdenken zu
Huͤlfe rief
Naͤher beruͤhrte mich die zwiſchen Voß und
Stolberg ausbrechende Mishelligkeit, nicht ſo⸗
wohl der Ausbruch ſelbſt, als die Einſicht in ein
vieljaͤhriges Mißverhaͤltniß, das kluͤgere Mienfchen
fruͤher ausgeſprochen und aufgehoben hätten. Aber
wer entfchließt ſich leicht zu einer folchen Operation?
Eind doch Ortsverhaͤltniſſe, Famillenbezüge, Her:
Noͤmmlichkelten und Gewohnheiten ſchon abſtumpfend
479
genug; fie machen in Geſchaͤften, im Eh⸗ und
Hausftande, In gefelligen Verbindungen das Uner⸗
trägliche ertragbar. Auch hätte das Unvereinbare
von Voſſens und Stolbergs Natur fih früher aus⸗
geſprochen und entichleden, Hätte nicht Agnes als
Engel das irdiſche Unweſen befänftigt, und als Gra⸗
ziofo eine furchtbar drohende Tragödie mit aumu⸗
thiger Ironie duch die erften Ucte zu mildern ge-
fuht. Kaum war fie abgetreten, fo that fi das
Unverföhntihe hervor, und. wir haben daraus zu
lernen, daß wir zwar nicht überelit, doch bald mögs
lichſt ans Verhaͤltniſſen treten follen, die einen
Mißklang in unfer Leben bringen, ober daß wir ung
. ein für allemal entfchließen müffen, denfelben zu
dulden und aus anberm Betracht mit Weisheit zu
übertragen. Eins iſt freilich fo ſchwer ale das an⸗
bere, indeſſen ſchicke ſich jeder, fo gut er Tann, In
das was Ihm begegnet in Sefolg von Ereiguiffen
oder von Entſchluß.
Mich befuhte Ernſt Sch u Barth, deſſen per⸗
ſoͤnliche Bekanntſchaft mir hoͤchſt angenehm war.
Die Neigung womit er meine Arbeiten umfaßt
hatte, mußte mir ihn lieb und werth machen, ſei⸗
ne ſinnige Gegenwart lehrte mich ihn noch höher
ſchaͤzen, und ob mie zwar die Eigenheit ſeines
Charakters einige Sorge für ihn gab, wie er ſich
- In das bürgerlihe Wefen finden und fügen werde,
‚fo that ſich doch eine Ausſicht auf, in bie er mit
günftigem Geſchick einzutreten hoffen durfte,
/
180
‚@bgene ' Arbeiten und Vorarbeiten beſchafttigten
mich nf einen hohen’ Grad. Ich nahm der gwer⸗
pen "Aufenthalt in Mom wieder: vor, ummder te
Wäniteen Reiſe einen nothwendigen Fortgaug anzu⸗
ſchlͤecßen; ſodam aber fundich⸗ mich befkkmemt-bie
Eempagne von 7792 und die Belagernug von Bein;
zu “behandeln. Ich machte deßhalb einen Acchnt
‚aus meinen Tugebuͤchern, las vmehrere auf jerne
Epechen bezuͤgliche: Werke, und Tuchtermeanche Erin
: wermugen: hervor. Ferner Tehrteb ich eine Fauna:
riſche⸗Chronil ber’ Jahre 1797und· 98, und Ueferte
zwey Hefte von Kunſt und Alterthum, ald Abechluß
des zweyten Bandes, and bereitete das erſte des
drteten vor, wobel ichs einer abermaligen ſorgfal⸗
tigen Entikelang bet Mottiver der Illas zur geden⸗
ten babe. Ich sfchefeb den Werräther ſein
ferdit ‚bie‘ Fortfetzung bes nufbraunen Mäb-
hens, und fürberter ben ideellen Bufemimenhang
ver Wanderjahre. Die “freie Semuthlichkelt
einer Meife erbaubte inte dem Divan wieber nahe
za treten; ich erweiterte das Birch des Parabieſes,
‚ud fand anches in die vorhergehenden einzuſchal⸗
gen, “»Die Tor freundlich ⸗ von vieben "Selten her be⸗
gangene Feyer- meines Geburtstages fuchte ich bank:
ar durch rein ſpabolifches Gedicht gu erwidern.
n Aufgeregt durch thefinehmende Anfrage Tehrieh ic
.ı eigen Gommenter su dem abſtruſen ' Gedichte:
AWHaryreiſe im Winter,
eee Seeccur befdaftigte mich Graf
%
484°
Carmagnola. Der: wahrhaft: liebenswärbise. _
Verfaſſer Alerander Manzont, einsehemer Dice:
ter, ward wegen theatraliſcher Ortsverletzung: von
feinen Landeteuten des Romanticismus angektagt,
von beffen Unarten doch nicht die geringe an ihm⸗
haftete. Er hielt ſich an einen hiſtoriſchen Gange,
feine Dichtung hatte den Charalter einer volllom⸗
menen Humanitaͤt, und. ob - er: gleich wenig ſich in
Tropen erging, ſo waren doch ſeins lyriſchen Aeu⸗
berungen hoͤchſt rühmenswerth, wie ſelbſt mißwel⸗
lende Kritiker anerkennen mußten... Unſere guten:
Deutſchen Jünglinge-könnten: aun thm ein Beifpiel
ſehen, wie man in einfacher Groͤße natuͤrlich wal⸗
tet; vlelleicht duͤrfte ſie das von dem durchaus fal-
ſchen Tranfcendiren: zurkdibringen:
Muſik war: mie ſpaͤrlich aber doch lleblich zuge:
meſſen. Ein Kinderlied zum Nepomucksfeſte Im
Carlsbad gedichtet, und: einige andere von aͤhnlicher
. Nabvetät gab mir Freund Zelter In angemeffener
Weiſe unb hohem. Sinne zuruͤck. Muſildtirecter
Eberwe in wandte fein Talent dem Divan mit
Gluͤck zu, und fo wurde mir durch den-alleritehften.
Vortrag feiner Frau manche ergoͤtzliche ‚gefellige
Stunde.
Einiges auf Perſonen Bezuͤgliche will ich, wie-
ichres bemerkt finde, ohne weiteren Zufammenhang: .
außzeichnen. Der: Herzog von: Berry. wird. ermerdet,
zum ESchrecken von gang. Fraukreich. Hofrath J a⸗
gemnnn ſtirbt zur: Bebamenng: von: Weimar,
a 482.
Herrn von Gagerns laͤngſt erfehnte Bekannt:
ſchaft wird mir bei einem freundlichen Befuche,, wo
mir bie elgenthämlihe Individnalltaͤt des vorzuͤg⸗
lichen Mannes entgegen tritt. Ihro Majeftät der
König von Würtemberg beehren mich In Begleitung
unferer jungen Herrſchaften mit Ihro Gegenwart.
Hierauf habe Ich das Wergnügen auch felne.beglef-
tenden -Savallere, werthe Männer, kennen zu ler:
sen. In Carlsbad treff ich mit Sönnern und
Sreunden zufammen. Graͤfin von ber Rede
und Herzogin von Eurlamd find’ Ich wie fonft
an und theilnehmend gewogen. Mit Dr.
Schuͤtz werden Iiterarifhe Unterhaltungen fortge-
ſetzt. Legationsrath Conta nimmt einfichtigen
Theil an den geognoftifhen Ercurfionen. Die auf
folhen Wanderungen und fonft zufammengebrachten
Mufterftäde betrachtet ber Färft von Thurn und
Taxis mit Antheil, fo wie auch beffen Begleitung
fih dafür intereſſirt. Prinz Earl von Schwarz
durg:Sondershaufen zeigt fich mir gewogen.
Mit Profeffor Hermann ans Leipzig fährt mic
das gute. Gluͤck zuſammen, und man gelangt wech⸗
ſelſeitig zu naͤherer Aufklaͤrung.
Und fo darf ih denn wohl auch zuletzt in Scher;
und Ernft einer bärgerlihen Hochzeit gebeuten, bie
auf dem Schleßhanfe, dem fogenannten kleinen
Verſailles, gefepert wurde. Ein angenehmes Thal
an der Seite des Schladenwalder Weges war von
. wohlgeffeibeten Bürgern überTäet, welche ſich thellg .
483 j f
2is Säfte des jungen Paars unter einer alle über-
ſchallenden Tanımuflt mit einer.Pfeife Tabak luſt⸗
mandelnd, oder bei oft wieder gefüllten Glaͤſern und
Blerkruͤglein ſitzend, gar traulich ergößten. Ich ge⸗
ſellte mich zu Ihnen, und gewann In wenigen Stun-
ben einen beutlihern Begriff von dem eigentlich
ſtaͤdtiſchen Suftande Carlsbads, als ich in vielen
Jahren vorher mir nicht hatte zueignen können, da
ich den Drt bloß als ein großed Wirthe: und Kran-
kenhaus anzuſehen gewohnt war.
Mein nachheriger Aufenthalt in Sena wurde ba- -
Durch fehr erheitert, daß die Herrfchaften einen
Schell des Sommers In Dormburg zubrachten, wo⸗
durch eine lebhaftere Geſelligkelt entſtand, auh
manches Unermwartete fih bervorthat; wie ich denn
den berühmten Indiſchen Gaukler und Schwert-
verfchluder Krtom Balabla feine außerordentlihen
Künfte mit Erftaunen bei diefer Gelegenheit vor=
tragen fah.
Gar mancherlei Befuche beglädten und erfreuten
mich In dem alten Gartenhauſe und dem daran wohl-
gelegenen wiſſenſchaftlich geordneten botanifchen
Sorten: Madame Rodde, geborne Schlößer, bie
ich vor vielen Jahren bei ihrem Water gefehen hatte,
wo fie als das fchönfte hoffnungsvollſte Kind jur
Srende des firengen fat mißmuthigen Mannes -
gluͤcklich emporwuchs. Dort fab Ich auch Ihre Buͤſte,
welche unfer Landemanı Trippel kurz vorher in
Rom gearbeitet hatte, .ald Water und Tochter ſich
184°
dort befanden. - Ich ubchte weht wiſſen ob" ein Ab⸗
guß davon noch: uͤbrig iſt, mb wo er fi findet; er
follte vervfeifäitigt werden? Water und: Tochter ver:
dienen "daß ihr Audenbenr erhalte biete: Nom
Both und Gemahlin us nett, ehr werthes Che:
paar, duch Herrn von Preen mir naͤher verwandt
und bekannt, brachten mir eis. Natur: ud Nutlo⸗
naldichters, D. G. BabſtsProductionen, welche ſich
neben den Arbelten ſeiner: gleichbuͤrtiger gac wohl
und loͤblich ausnehmen. Hoͤchſt ſchaͤzbar ſtud feine
Gelegenheits gedichte, die uns einen althertonnn⸗
lichen Zuſtand in feſtlkichen Augenblicen new belebt
wieder darſtellen. Gtaf Paar, Abkatunt bes Fur⸗
ſten von Schwarzenderg, dem ich in Carlsbad mich
freundſchaftlich verbuuben hatte, verſichrtte mie
duch unerwartetes Erfiheinen und durch fortgefetzte
vertrauliche Geſpraͤche feine uwwerbruͤchtiche Neigang.
Anton Prokeſch, gleichfalls Adutant des Fuͤrſten/
ward mir durch ihn zugefuͤhrt. Beide von der Ha⸗
nemanniſchen Lehre durchdrungen, auf welche der
hertliche Fuͤrſt fee Hoffnung geſetzt hatte, mach
ten mich damit umſtaͤudikch bekannt, undamit ſchlen
daraus hervorzugehen, daß, wer auf ſich ſelbſt anf:
merkfam einer angemeffenen Diaͤt nachledt, beretts
jener Methode ſich unbewußt amaͤhert.
Herr von der Malsburg gab mir Gelege:
. heit ihm für fo manches unfflärende Verzutgen und
tiefere Einſicht in bie Spankſche Literatur” zu dan:
ken. Ein Fellenberg'ſcher; Sohn brachte mir
485°
die menſchenfreundilch bildenden Benräfungen bes‘
Vaters beuitticherzu Otan uud See. Fam vor-
Helwig, geborne vn Imhof, erauedte: bank: ihrer.
Gegenwart angenehme 'Sriumerungen früherer Wer: -
Hanne, ſo wie: ihrer Zeichnungen’ bestefan,: daß
fie auf dem Grund immer fortbaute, den fie: in‘
Geſellſchaft der Kunfkfreunde vor Jahren in Weis.
mar: gebeat hatte. Graf und Gräfin Hopfgarten,
fo wie Foͤrſter und. Stau, braten: mir perfoͤn⸗
. Hd die Werfihermg befannten und unbekannten:
treuen Antheils an meinem Daſeyn. Geheimeruth
Rubolphi von Berlin, fo wie Profeſſor Weiß /
gingen allzuſchnel voruͤber, und doch war ihre kurze
Gezorwart mir zur aufmunternben Belehtaug.
Er unſern Kreis erwarteten wir zu dieſer Zeit
Herrn Generalfuperintendenten Roͤhr. Welche:
große Vortheile durch ihn für uns ſich bereiteten,
= war gleich bei ſelnem Eintritt zwar nicht zu berech
nen, aber doch veraudsufehen. Me kam er zur
gluͤcktichen Stunde; feine erſte geiſtlicht Handlung
war die Tauſe meines zweyten Eukeis, beffen use
entwickeltes Weſen mie ſchon manches Gute vorzu⸗
beuten ſchhen. Geh. Hoftath Blumenb ach und
Zamitie erfreuten uns einige Tape: durch Ihre Ge⸗
genwart, er immer: der heiterr, umfichtige kennat⸗
nißrekche Mann von unerloſchnem Gedaͤchtniß/
felbfenänbig ; ein: wahrrer Repruͤſentant ber großen
gelehrten Anſtalt, als deren hoͤchſt bebrutenbes⸗
Mitglied er ſo viele Jahre gewirkt hatte. Die lie⸗
4186
den Verwandten, Rath Schloffer mb Gattin,
von Franffart am Main kommend, hielten ſich
einige Tage bei und auf, und das viefiährig thaͤ⸗
tige freundfchaftliche Verhaͤltniß konnte ſich durch
verfönliche Gegenwart nur zu höherem Vertrauen
ftelgern. Geheimerath Wolf beliebte bie gruͤnd⸗
Then Iiterarifchen Studien duch feinen belehrenden
Widerſpruchsgeiſt, und bei feiner Abreiſe traf. es
fi zufällig, daß er den nad Halle berufenen Dr.
.Reißig als Geſellſchafter mit dahin nehmen konnte,
welchen jungen Mann ich nicht allein um meinetwil⸗
len ſehr ungern fcheiden fah. Dr. Kuͤchelbecker
von Petersburg, von Quandt und Gemahlin,
von Arnim und Mahler Ruhl braten durch
die Intereffanteften Unterhaltungen große Mannich⸗
faltigkeit in unfere gefeligen Tage- i
Bon Selten unferer fürftlihen Familie erfreute
und die Gegenwart Herzog Bernhards mit Gemah⸗
Yin und Nachkommenſchaft; faft zu gleicher Zeit aber
foßten durch eine unglädlihe Berhädigung- unferer
Frau Großherzogin, indem fie bei einem unver
ſehenen Audgleiten den Arm brach, die ſaͤmmtlichen
Ihrigen in Kummer und Sorge verfeht werden.
Nachtraͤglich will Ich noch bemerken, daß Ende
' Septembers die Revolution in Portugal ausbrach;
daß ich perſoͤnlich einem Geſchaͤft entging, deſſen
Uebernahme bei großer Verantwortlichkeit mich mit
unuͤberſehbarem Verdruß bedrohte.
V
487
18 2 1.
Zu eigenen Arbeiten fand fih manche Verau⸗
laffung. Wieljährige Neigung und Freundſchaft bes
Grafen Brühl verlangte zu Eröffnung des neuen
Berliner Schaufpielhaufes einen Prolog, der denn
wegen dringender Seit gleichſam aus dem Stegreife
erfunden und ausgeführt werden mußte. Die gute
Wirkung war auch mir höchft erfreutlih: denn ich
hatte die Gelegenheit erwünfht gefunden, dem
wertben Berlin ein Zeihen meiner Thellnahme an
bedeutenden Epochen feiner Zuftände zu geben.
Ih faßte darauf die Paralipomena wieder an.
Unter diefer Rubrik verwahre Ich mir verfchledene
Zutterale, was noch: von meinen Gedichten unge: .
druckt oder ungefammelt vorhanden feyn mag. Sie
zu ordnen, und ba viel Gelegenheitägedichte bar-
unter find, fie zu commentiren, pflegte Ich von Zeit
zu Seit, indem eine folge Arbeit in die Länge nicht
anziehen Tann. -
Auch zahme Xenien bracht th zuſammen; denn
ob man gleich feine Dichtungen überhaupt nicht
duch Verdruß und Widerwärtiges entſtellen fol,
fo wird man ſich doch Im Einzelnen manchmal Luft
machen; von Heinen auf dleſe Weiſe entſtehenden
Productionen fonderte ich die laͤßlichſten und ſtelte
fie in Pappen zuſammen.
Schon ſeit einigen Jahren hatte mich die Wol⸗
tenbiidung nach Howard befihäftigt und große Vor⸗
„188;
theile bei Naturbetrachtungen gewährt. Ich ſchrleb
ein Ehrengebähtniß fin. vier Strophen, welche bie
Hauptworte feiner Terminologie enthielten; auf
Anſuchen Londoner Freunde ſodann noch einem Eins
gang von drey Strophen, zu beſſerer Vollſtaͤndigkeit
und Verdentlichung des Sinnes.
Lord Bprons Invective gegen die Edimburger,
bie mich In vielfachem Sinne intereſſirte, fing ich
an zu überfehen, doch nöfhigten mich die Unkunde
der vielen Yartirularien bald inne zu halten, Deſto
leichter ſchrieb ich Gedichte zu einer Sendung von
Tiihbeins Zeichnungen, und eben bergleichen zu
Landihäften nach meinen Skizzen radirt.
Hierauf warb mir das unerwartete Gluͤck Ihro
bes Großfuͤrſten Nicolaus und Gemahlin" Alerandra
Kaliſerl. Hohelt, Im Selett unfrer anddfgften Herr:
ſchaften bei mir in Haus und Garten zu verehrten.
Der Frau Großfürftin Talferl. Hoheit vergöunten
einige poetifihe Betten in das zierlich⸗praͤchtige SE
bum verebrend einzuzeichnen.
Auf Anuregung eines tbeilnehmenden Freundes
ſuchte ich meine in Druck und Manuſcript zerfſteru⸗
ten naturwiffenſchaftlicher Gedichte zufemmmen, und
ordnete: fie nach Bezug und Folge.
Endllch ward eine Indiſche, mir laͤngſt in Sace
ſchwebende, von Zeit zu Zeit ergriffene Legende wie⸗
der lebendig, und ich ſuchte fie voͤllig zu gewtilgen.
SH’ ich mm von der Pdefie zur: Proſa binhber,
fo Habe ich zu erzäßten: ba: die Wandetjehre nenen
⸗
—* ner Re
ch 5
189
Anctheil erregten. Ich nahm dad Manuſcript vor,
"ans einzelnen zum Theil ſchon abgedruckten Heinen
e@szählungen beftehend,, weiche durch Wanderungen
einen vhalanuten· Geftglt verkaupft, zwar nicht aug
Einom Stuͤck, aber dach in Einem Sinn erſcheinen
ſollden. Es war wenig daran zu thun, und ſelbſt
ober bderſtreſende Gehult gab zu neuen Gedanken
Anlaß, und ermuthigte zur Ausfuͤhrung. Der
Druck. war :mit Januar angeſaugen, und in der
Haͤffte May beendigt.
Kunſt und Alterthum III B. H. Bebanbelte ;
man zu gleicher Zeit, und legte darin manches nie⸗
der was. gebildeten Freunden angenehm feyn fallte.
Ganderbaregenng ergriff: mic im Voruͤbergehen
‚ber: Trieb, am vierten: Bande von Wahrheit und
MDichtung zn arbeiten; ein Dritthell Daran. ward
‚wefchriehen, «weiches freilich. einladen ſollte das
Mebriger nachabringen. Veſonbers mard ein ange⸗
ı nahe. Abentener von: Lillis «Geburtätagimit'Mel-
auns cheweagebeben, anderes bemerkt und audge-
gebchnet. :: Doch ſah: ich mich bald von; einer. ſolchen
: Yebeit ‚bie nur durch liebevolle Vertraulichkeit ge⸗
alingen, kann, darch anderweitige Beſchaͤftigung zer⸗
AItreutund abgelenkt.
Einige Novellen wurden proiectirt: bie gefaͤhr⸗
liche Nachlaͤſſigkeit, verderbliches Zutrauen auf Ge⸗
2 wohnheit ,und mehr ⸗dorgleichen ganz einfache Le⸗
2vSensmomwente, and. herkoͤmmlicher Gleichguͤltigkeit
190
. heraus: u auf ihre bedeutende Höhe herven
gehoben.
In der Mitte November ward an der Cam:
pagne von 1792 angefangen. Die Sonberung me
Verknuͤpfung des Vorliegenden erforderte ale Axf:
merkſamkeit; man wollte durchaus wahr blelber
und zugleich den gebührenden Eupbemismus mid
verfäumen. Kunft und Alterthum III B. 3 Heft
verfnigte gleichfalls feinen Weg; auch leichtere Be:
mühungen, wie etwa bie Vorreden zum Deutſche⸗
Gil⸗Blas, Heinere Biographien zur Trauerloge
gelangen freundlich In ruhigen Zwiſchenzeiten.
Von außen, auf mih und meine Arbeiten be
zuͤglich, erfchlen gar manches. Angenehme. Eine
Ueberfeßung von Howards Ehreugedaͤchtniß zeigte
mir daß ich auch den Sinn der Engländer getroffen
und ihnen mit der Hochſchaͤtzung Ihres Landsmannes
Freude gemadht. Dr. Noͤhden, bei dem Muſenm
in London angeſtellt, überfehte commentirend meine
Abhandlung über da Vinck's Abendmahl, die er In
treffiicher Ausgabe auf dag zietlichfte gebunden über:
fendet. Rameau's Neffe wird in Paris überfeht
und einige Zeit für das Original gehalten, und fo
‚werden auch meine Theaterſtuͤcke uach und nad
übertragen. Meine Cheilnahme an fremder wie
an Deutfäher Literatur kann ich folgendermaßen be:
währen.
Man erinnert fü ch welch' ein ſchmerzliches Ge⸗
fühl über die Freunde der Dichtkunſt und des Ge:
N
191
nuvſſes an derſelbey ſich verbreitete, als die Perſon⸗
lichkeit des Homer, die Einheit des Urhebers jener
weltberuͤhmten Gedichte, auf eine ſo kuͤhne und
-täctige Weiſe beſtritten wurde. Die gebildete
Menfhheit war im Tiefften aufgerest, und wenn.
fie ſchon die Gründe des hoͤchſt bedeutenden Geg⸗
ners nicht zu entfräften vermochte, fo konnte fie
doc ben alten Einn und Trieb fih Hier nur Eine
Duelle zu denten, woher fo viel Köftliches.entfprun-
gen, nicht ganz bei fih ausloͤſchen. Diefer Kampf
mwährte num fchon über zwanzig Jahre, und es war
eine Ummwälzung der ganzen Weltgefinnung nöthig,
um der alten Vorftellungsart wieder einigermaßen
Zuft zu machen. j
Aus dem- Zerſtoͤrten und Zerftädten wuͤnſchte
die Mehrheit der claffifh Geblideten fi wieber
berzuftellen, aus bem Unglanben zum Glauben, aus
dem Sondern zum Vereinen, aus der Kritik zum Ge⸗
nuß wieder zu gelangen. Eine frifhe Jugend war
herangewachfen, unterrichtet wie lebensluſtig, fie
unternahm mit Muth und Freiheit den Vorthell zu
gewinnen, deſſen wir in unſrer Jugend auch ge=-
noffen hatten, ohne die fhärffte Unterfuchung ſelbſt
den Schein eines wirkſamen Ganzen als ein Gau⸗
zes gelten zu laſſen. Die Jugend liebt das Zer⸗
ſtuͤckelte überhaupt nicht, die Zeit hatte ſich in man⸗
chem Sinne Eräftig hergeftellt, und fo fühlte man
fhon den früheren Geiſt ber lien wiederum
‚walten,
—
192
Schubarths ren: uͤber Homer wurden Jet,
ſeine geiſtreiche Behandlung, beſenders hie heraus⸗
gehobene Beguͤnſtigung der Trojaner, excegten ein
nes Intereſſe, und man: fühlte ſich biefer Act die
Sache angufehn. „geneigt. Ein Engliſcher Aufſat
‚über Hammer, worin man auch bie Einheit und Hu:
theillbarkeit jener Gedichte auf eine : freundüche
Weiſe zu behaupten ſuchte, kam zu galegener Zeit,
und ich, in ber Ueberzeugrug daß, wie es. da bis
‚auf den heutigen Tag mit ſolchen Werken geſchieht,
der letzte Redacteur und ſtunige Abſchreiber; getrech⸗
‚ tet.habe ein Ganges nach feiner Fählgkeit und
Ueberengung hesguftellen und zwuberlisfern, ſuchte
den Auszug der Yllas wieder vor, ben: ich zu fuel:
‚ Ierer. Ueberſicht derfelben :vor. visien Jahren, unter:
aaonmen hatte.
„De Fragmente Phaſthons, waa Ritter He nmann
‚amitgetheilt, erregten meine Productivitaͤt. Ich
‚Ainbiste eilig: manches· Stuͤck des Euripides, um mit
den Siun dleſes außererdentlichen Mannes apleber
zu vergegenwaͤrtigen · Profeſſor Goͤttling aͤhberſetzte
edie Fragmente, und aͤch beſchaͤftigte mich lange mit
‚eines moͤglichen Ergaͤnzung.
Asiftephanes. von · Voß ‚gab. mad neue Anſichten
‚and ein friſches Intereſſe amben ſaltſamſten aller
cTheater dichter. Plutarchuund Appian werden ſtu⸗
dirt, diesmalum ber Xelamphaüge willen, in Ab⸗
ſicht Mant agnas Blaͤtter, deren Darſtellungen er
offenbar and den Alten gefhöpft, beffer. wärkigen
zu
! 195
zu Eönnen. Bel diefem Anlaß warb man zugleich
in den böchft wichtigen Greigniffen und Zuſtaͤnden
. der Roͤmiſchen Geſchichte hin und hergeführt. Mon
Knebels Ueberfeßung des Lucrez, welcher nad viel-
fältigen Stubien und Bemühungen endlich heraus⸗
kam, nöthigte zu weiteren Betrachtungen und Stu-
dlien in dbemfeiben Felde; man warb zu dem hoben
Stande ber Roͤmiſchen Cultur ein. halbes Jahrhun⸗
dert vor Chriſti Geburt, und in das Werbältniß der
Didt- und Nebeluäft zum Kriegs: und Staatswe⸗
fen genöthigt. Dionys von Halikarnaß konnte nicht
verfäumt werben, und fo reizend war der Gegen-
- Stand, daß mehrere Freunde ſich mit und an dem⸗
ſelben unterhielten.
Nun war der Antheil an der Engliſchen Literatur |
durch vielfahe Bücher und Schriften, befonders auch
burch die Huͤttneriſchen hoͤchſt intereflanten handfchrift-
Uichen Berichte von Londen gefendet, immer leben⸗
dig erhalten. Lord Byrons fruͤherer Kampf gegen
feine ſchwachen und: unwuͤrdigen Recenſenten brad;-
te mir die Namen mander felt dem Anfange des
Jahrhunderts Merkwärbig gewordener Dichter und
Hrofaiften vor die Seele, unb ich lad baher Jacob⸗
fons biographifhe Chreſtomathie mit Aufmerkſam⸗
keit, um von ihren Zuſtaͤnden und Kalenten das
- Genauere zu erfahren. Lord Byrons Marino Fa:
Gero, wie fein Manfred, In Dörings Ueberſetzung,
hielten uns icnen werthen außerorbentiihen Mann
immer vor Augen. Kenilworth von Walter Scott,
Serie) Werte. XXXII. Dr. 45.
494
ftatt vieler andern feiner Romane :anfmerkfam ge:
lefen, ließ mid feln vorzuͤgliches Talent, Hei:
fches in lebendige Aufchauung zu verwandeln, bemet-
ten und aͤberhaupt als hoͤchſt gewandt in dieſer
Dicht⸗ und Schreibart anerkennen.
Unter Vermittlung bes ‚Englifhen, nach Anlei⸗
tung des werthen Profeſſor Koſegarten, enmdte.ih
mid wieder eine Zeitlang nach Indien. Durch fee
genaue Ueberſetzung bes Anfangs von .;Gamerıyı,
am dieſes unſchaͤtzbare Gedicht mir mieder lebendie
vor die Seele, und gewann ungemein durch eines
treue Annäherung. Auch Nala ſtudirte ich mit Be:
wundesung, und bedauerte nur, daß bei uns Em
pfindung „Sitten und Denkweiſe fo verſchieden von
jener öͤſtlichen Nation ſich ausgebilaet Haben, bh
ein fo bedeutendes Wert ‚unter wid -ume wenige,
vielleicht aur Leſer vom Fache, fichgewinsen:aräcte,
Non Spaniſchen Erzengniſſen nenne ich zuvor⸗
derft ein bedeutendes Werk: Spanien und» bie
Revolution. Ein Bereifter, mit Zen :Sitrem
der Helbinfel, den Staub: Bf: und Fiaau
verhältniffen :gar- wohl bekannt, Eroͤſfnet uns me:
thodiſch und zuverlaͤfſig wie es in den Jehren, me
er ſelbſt Zeuge gewefen ‚mit:den Innern Verhaͤll⸗
niffen auggefchen, and gibt und einen: Begriff vn
dem, was in einem ſolhen Lande Durch Unwäks:
gen bewirkt wird. “Sehne Mrt:gm ſchauen und ya
benten ſagt dem Zeitgeiſt nicht gu; daher feeretist
diefer das Buch durch ein unverbruhtiches Schuti⸗·
495
‚sen, In weiher Art von Inauifitiondsenfur es De
Dentichen weit gebracht haben. -
... 3wey Städe von Calderon machten mid fehr
gluͤcklich: der abſurdeſte Gegenſtand In; Minzera von
Copacabaua; ber vernunft⸗ :und maturgemaͤßeſte,
bie Tochter ber Luft, beide mit ‚gleichem Geiſt und
uͤberſchwenglichem Talent behandelt, daß die Macht
des Genie's in Beherrſchung alles Widerſprechendan
‚Daraus aufs kraͤftigſte hervorleuchtet, und den hohen
Werth fohher Productionen deppelt mad drepfach
benckunde
t.
Eine Spanifche Blumanleſe, durch Gefaͤlligkrit
des Herrn Perthes erhalten, war: mir hoͤchſt erfreu⸗
lich; ich eignete mir daraus zu was ich vormochte,
-shaleich meine geringe Sprachkenntuiß mich dabei
manche Hinberung erfahren ließ.
Aus Italien gelangte nur wenig in meinen Kreis:
Yldegonda von Groſſi ersegte meine ganze
Aufmerkfamtelt, ob ich gleich niht Zeit geinaun
oͤffentlich daraͤber etwas zu ſagen. Hier ſieht man
die mannichlaltigſte Wirkſamleit eines vorzuͤglichen
Talents, das fſich großer Ahnherren ruͤhmen Ban,
aber auf eine wunderſame Welle. Die Starzen
Hund ganz fuͤrtrefflich, ber Gesenftanb modem uner-
freullch, Die Aneführung hoͤchſt gebildet nach. bem
Charakter großer Worgänger: Tafio'’d Anmush,
Arioſts Gewandtheit, Dante!s widerwaͤrtige oft ab⸗
ſcheuliche Großheit, eins nach dem andern wirkelt
Ah ab. Ich mochte das Werk nicht wieder leſen,
496
um es näher zu beurthellen, da ich genug zu thun
batte die gefpenfterhaften Ungeheuer, bie mich bei
der erften Leſung verſchuͤchterten, nach und nach aus
der Einbiibungstraft zu vertiigen.
Deſto willkommener blieb mie Graf Carma—
guola, Trauerſpiel von Manzoni, einem wahrbaf:
ten, klarauffaſſenden, innig durchdringenden, menfe:
ich fuͤhlenden gemuͤthlichen Dichter.
Von ber neuern Deutſchen Literatur durft' id
wenig Kenntniß nehmen; meiſt nur was ſich unmit⸗
telbar auf mich bezog, konnt' ich in meine übrige
Thaͤtigkelit mit aufnehmen. Zaupers Grundzüge
einer Deutſchen theoretiſch⸗praktiſchen Poetik, brach⸗
ten mich mir ſelbſt entgegen, und gaben mir, wie
us einem Spiegel, zu manchen Betrachtungen
Anlaß. Ich fagte mir: da man ia doch zum Inter:
richte ber Iugenb und zur Einleitung in eine Sprache
Chreſtomathien anwendet , fo ift es gar nicht uͤbel
gethan fih an einen Dichter zu halten, der mehr
aAus Trieb und Schidfal, benn aus Wahl und Wor⸗
daß dahin gelangt, felbft eine Chreftomathie zu ſeyn:
denn ba findet fih Im Ganzen boch Immer ein ans
dem Stublum vieler Vorgänger geblideter Sim
‚und Geſchmack. Dieſes beſchraͤnkt keineswegs ben
juͤngeren Mann, der einen ſolchen Gang nimmt,
ſondern noͤthigt ihn, wenn er ſich Tange genug in
einem gewiſſen Kreife eigenfinnig umher getrieben
Het, sum Ausflug tn die weite Welt und im bie
Serne ber Zeitalter, wie man an Schubarth
‘
197
fehen Tann, ber fih eine ganze Welle In meinem -
Bezirk enthielt und fih dadurch nur geftärkt fand,
nunmehr die fhwierigiten Probleme des Alterthums
anzugreifen und eine geiftreiche Loͤſung zu bewirken.
Dem guten Zauper fagte Ich manches, was Ihm foͤr⸗
derlich ſeyn konnte, und beantwortete feine Apho-
rifmen, die er mir im Manufeript zufendete, mit
Eurzen Bemerkungen, für ihn und andere nicht ohne
Nutzen.
Die Neigung womit Dr. Kannegießer meine
Harzreiſe zu entziffern ſuchte, bewog mich in meine
fruͤhſte Zeit zuruͤck zu gehen und einige Aufſchluͤſſe
uͤber jene Epoche zu geben.
Ein Manuſcript aus dem funfzehnten Jahrhun⸗
dert, bie Legende der heiligen drey Koͤnige Ind
Maͤhrchenhafteſte dehnend und ausmahlend, hatte
mid, ba ich es zufällig gewann, in manchem Sinne
intereſſirt. Ich befchäftigte mih damit, und ein
geiftreicher junger Mann, Dr. Schwab, modte e&
überfegen. Diefes Stublum gab Anlaß zu Be⸗—
trahtung wie Mährhen und Geſchlchten epochen⸗
weife gegen und durcheinander arbeiten, fo daß fie .
fhwer zu fundern find, und man fie durch ein wel-
teres Trennen nur weiter zerftört.
Jedesmal bei meinem. Aufenthalt in Böhmen
bemüht” ich mich einigerikaßen um Geſchichte und
Sprache, wenn auch nur Im allgemeinften. Dieß-
mal. las ich wieder Zacharias Theobaldus Huffiten= .
krieg und warb mit Stransky respublica Bohe-
⸗
198.
mias, mit ber Geſchichte des Verfaſſers ſelbſt und
bem Werthe bed Werts, zu Vergnügen und Be⸗
lehtung näher befaunt. Durch die Ordnung: ber
alademiichen Bibliothek zu Jena, wurde auch eire
Sammlung fliegenber Blätter des ſechzehnten Jahr⸗
hunderts dein Gebrauch zugänglich: einzelne Nach
richten, bie man in Ermanselimg von Zeitungen
dem Publicum mitthellte, wo man unmittelbar mit
dem urfpränglihen Factum genauer befaunt wurde
als jetzt, wo jedesmal eine Partey und dasjenige
mittheilt, was ihren Geſinnungen und Abſichten
gemäß tft, weßhalb man erſt hinterdrein die Tages-
blaͤtter mit Nutzen und wahrer Einficht zu leſen in
den Fall komut.
Die unfhänbare Boifferéeſche Sammlung, bie
und einen nenen Begriff von früherer Nioderbeut«
fer Kunftmahlerey gegeben und fo eine Zäde in ber
Kunſtgeſchichte ziemlich ausgefuͤllt hat, ſollte deun
‚an darch treffliche Steindraͤcke dem Abweſenben
bekannt und der Ferne foglekh angelockt werden,
ſich diefen Schaͤtzen perſoͤnlich zu hähern. - Strixner,
ſchon wegen feiner Muͤnchner Arbeiten laͤngſt ge⸗
ruͤhmt, zeigte ſich auch hier zu ſeinem großen Vor⸗
theil; und obgleich der auffallende Werth der Ori⸗
ginalbilder In glaͤnzender Faͤrbung boſteht, fo ler:
nen wir body bier den Gedanken, ben Ausbruck, bie
Zekchnung und Sufammenfehung fennen, und Wer:
den, wie mit den Oberdeutſchen Kuͤnſtlern burd
Kupferſtiche und Holzſchnitte, fo bier durch eine
- 499
wewerfundene Nachbitdungsweiſe auch mit ben bls⸗
ber unter uns kaum genaunten Meiftern des fanf-
zehnten und fechzehhten Jahrkunderts vertraut.
Jeder Kupferſtichfammler wird fick biefe Hefte germ
anfhaffen, da in Betracht ihres innern Werthes
der Preis für mäßig zu achten iſt
So erſchienen und denn auch die Hamburger
Steindruͤcke, meiſt Portraits, Im Vortrefftichkeit
vor zufammenlebenden und arbeitenden Kuͤnſtlern
unternommen und ausgeführt. Wir wuͤnſchen einem
jeden Liebhaber Gtäd zu guten Abdrüden derfelben.
Bieled- andere, was die Zeit hervorbrachte, und
was wohl für graͤnzenlos angeſprochen werden kann,
iſt an- anderem: Orte genannt und gewürdigt.
Nun wollen wir noch einer eigenen Bemühung
gedenken, eines Weimariſch⸗lithographiſchen Heftes
mit erffärendem Text, das wir unter dem Titel
einer Pinatothet herausgaben. Die Abfiht war
manches bei ung vorhandene Mittheilungswerthe
ins Pubileum zu bringen. Wie es aber auch da⸗
mit mochte befhaffen ſeyn, biefer kleine Verſuch
erwarb ſich zwar manche Goͤnner aber wenig Kaͤufer,
und werd nur langſam und im Stillen fortgeſeht,
um den wackeren Kuͤnſtler nicht ohne Uebung zu
laſſen und eine Technik lebendig zu erhalten, welche
zu fördermelm jeder Ort, groß ober klein, ſich zum
Vortheil rechnen ſollte.
Nun aber brachte die Kupferſte cherkuuſt nach lan⸗
"gem Erwarten und ein Batt von der größten Be⸗
200
deutung. Hier wird und im fchönfter Klarheit und
Reinlichkeit ein Bild Raphaels überliefert, aus den
ſchoͤnſten Juͤnglingsjahren; bier iſt bereits ſoviel
geleiſtet als noch zu hoffen. Die lange Zeit, welche
der uͤberliefernde Kupferſtecher Longhi hierauf ver⸗
wendet, muß als gluͤcklich zugebracht angeſehen wer⸗
den, fo daß man fhm den dabei errungenen Ge⸗
winn gar wohl gönnen mag. —
Von Berlin kamen und faft zu gleicher Zeit
Mufterblätter für Handwerker, bie auch wohl einem
jeden Kuͤnſtler hoͤchſt willtommen ſeyn müßten.
Der Zwed iſt edel und fchön, einer ganzen großen
Nation das Gefühl des Schönen und Reinen auch
an unbelebten Formen mitzutbeilen; daher iſt an
biefen Muftern alles mufierhaft: Wahl der Gegen:
flände,. Zufammenftellung, Folge und Vollftändig-
feit, Tugenden welche zufammen, biefem Anfange
‘gemäß, fi in den zu wünfdhenden Heften Immer
‚mebr offenbaren werben,
Nah fo trefflihen ind Ganze reichenden Arbel-
ten darf ich wohl eines einzelnen Blattes gebeufen,
das ſich zunaͤchſt auf mich bezieht, doch ald Kunft-
wert nicht ohne Verdienſt bleibt, man verdankt es
der Bemühung, welche fi Dawe, ein Englifcher
Mahler, bei feinen. längeren biefigen Aufenthalt
. um mein Portrait gegeben; es iſt in feiner Art ale
E
gelungen anzufpredhen, und war es wohl werth in
England forgfältig geftochen zu werben,
In die freie Welt wurden wir durch Landfchafte:
IE
201
zeichnungen des Herrn David Heß aus Zuͤrich hin⸗
ausgefuͤhrt. Eine ſehr ſchoͤn colorirte Aquatinten⸗
folge brachte und auf den Weg uͤber“ den Simplon,
ein Koloffalbau, ber zu feiner Zeit viel Redens
machte, 1
In ferne Regionen „verfesten und bie Zeichnun⸗
gen zu des Prinzen von Neuwied Durchlaucht Bra-
’
ſilianiſche Reife :- das Wunderfame der Gegenftände
fhien mit ber kuͤnſtleriſchen Darftellung zu wett=
J eiſern.
Noch einer Kuͤnſteley muß ich gedenten, bie aber
als rärhfelhaft jeden guten erfinderifhen Kopf in
Anſpruch nahm und beunruhigte: es. war-bie Erfin⸗
dung eine Kupfertafel nach Belleben größer oͤder
Meiner abzudrucken. Sch ſah dergleichen Proben.
blaͤtter bei einem Reiſenden, der folhe fo eben als
. eine große Seltenheit von Parts gebracht hatte, und
man mußte ſich, ungeachtet der Unwahrſcheinllchkeit,
. doch bei näherer Unterfuchung überzeugen: ber grö-
ßere und Heinere Abdrud feyen wirklich als Eines
Urſprungs anzuerkennen.
Unm nun auch von der Mahlerey einiges Beden4)⸗
tende zu melden, ſo verfehlen wir nicht zu eroͤffnen,
daß, als auf hoͤhere Veranlaſſung dem talentreichen
Hauptmann Raabe nach Italien bis Neapel zu
gehen Mittel gegönnt waren, wir ihm den Auf⸗
trag geben konnten, verfchledenes zu copiren, wel⸗
ches zur Geſchichte des Eolerits merimärdig und
für diefen wichtigen Kunſttheil ſelbſt förderlich wer⸗
202
den möchte. Was er während fälner Rekſe geleiftet
und Ins Vaterland geſendet, ſo wie bad nach Wei:
enbung feiner Wanberfihaft Mitgebrachte war gerade
der lobenswardige Beitrag ben wir wänfdten. Die
Aldobrandinifhe Hochzeit in ihrem nenften Zuſtande,
die unſchaͤtzbaren Taͤnzeriimen und Bachifchen Gen:
tauren, von deren Geſtalt md Zuſammen ſetzuug
men: alueunfulls im Norden: durch Kupferſriche urter:
richtet wird., ſah man jetzt gefaͤrbt, und konnte and
bier den großen antiken Geſchmackſinn freudig be⸗
wundern. Solche Bennhung wollte freilich Deut⸗
ſchen, von modernem Jerfal befangenen Kunſtjuͤn⸗
gern nicht einfichtig werben, weßhalb man denn ſo⸗
wohl ſich ſelbſt als den verfhindigen Kinftler su be:
ruhigen wußte.
Angenähert dem antiken Sinne erfhien uns
darauf Mantegna's Teiumphaug abermals hoͤchſt
willkommen; wir ließen, geflägt auf den eigenhaͤu⸗
digen. Rupferftich bes großen Künftlers, das zehnte
hinter den Triumphwagen beſtinmte Biatt in glel>
cher Yet und Größe zeichnen, und brachten. dadurch
eine hoͤchſt lehrreich abgefhloffene Folge zur Ans
ſchauung.
Mit größter Sorgfalt in Zeichmg umb Farbe
nachgebilbete Copien alter Stapmahlereyen ber St.
Gereond: Kirche in Koͤln fehten jeberman In Ber:
wunberung, und gaben einen mertwärbigen Beleg,
wie fi eine ans Ihren erfien Elementen auftretende
2303
Kuuſt u Erreichung ihrer Zweckt w benchmen
gewußt ·
Anderes diefer Riederdeutſchen Saunle, weiter
Yerauftommend und: ausgeblideter, ward und durch
Die Freunbikhleit bes Boiſſereeſchen Kretſes zu Theil;
wie ah denn auch fpäter von Caffel ein neueres
zu dem Alten zuruͤckſtrebendes Kuuftbemäben vor:
Augen am: drey fingenbe Engel von Ruhl, weiche
wir wegen aus fuͤhrlicher Genanigkeit befonderer Auf:
merkſamkelt werth zu achten Urſache hatten.
Im Gegenſatz jedoch von dieſer ſtrengen fich felbſt
retarbirenden Kunft kam ung von Antwerpen: ein
lebensluſtiges Gemaͤhlbe, Rubens als Juͤngling,
von einer ſchoͤnen ſtattlichen Frau dem alternden
Lipſius vorgeftelt, und zwar in bem unverändert
aus jener Zeit het verbliebenen: Zimmer, worin dies -
fet auf fehre Weife vorpiglihe Mann als Reviſor
der Ylantintfchen: Offteln gearbeitet hatte,
Unmittelbar ſtimmte hiezu eine Eople nah dem
Soͤhnen Rubens In Dresden, weiche Gräfin Julle
von Egloffſtein vor kurzem lebhaft undgluͤcklich voll
endet hatte. Wie bewunderten zu gleicher Zeit ihr
hoͤchſt geüabtes und ansgebfidetes Talent in einem
Zelchenbuche, worin fie Freundes⸗-Portraite fo wie
Iandfchaftlihe Familienſitze mit fo großer Gemandt-
beit als: Natuͤrlichkeit eingezeichnet:
Endlich Fam: auch mein eigenes ſtockendes Talent
zur Sprache, indem bedeutende und wertbe Samm⸗
ler etwas von meiner Hand verlangten, denen ich
"208
denn mit einiger Schen willfahtte, zugleich aber
eine ziemliche Anzahl von mehr ald gewohnt rein-
lichen Blättern in Einen Band vereinigte: es waren
die vom Sabre 1810, wo mich zum leßtenmale ber
Trieb die Natur nady meiner. Art auszuſprechen
Monate lang beliebte; fie durften für mi, bes fon-
derbaren Umſtands halber, einlgen Werth haben.
Im Bezug auf die Baukunſt verhielt ich mic
eigentlich nur hiſtoriſch, theoretisch und kritiſch.
DHberbaubirector Soudray, grünblih, gewandt, fo
thaͤtig als geiftreich, geb mir Kenntniß von ben bei
uns zu unternehmenben Bauten, amd das Geſpraͤch
daräber war mir hoͤchſt förderiih. Wir gingen
manche bedeutende Kupferwerke -zufammen durch;
das neue von Durand: Partie graphique des
Cours d’Architecture etc. an furz vergangene Zeit
erinnernd; Richardson: The New Vitruvius Bri-
tannicus, und im Einzelnen die ſtets muſterhaften
Zierrathen Albertolli's und Moreau's.
Hoͤchſt vollkommen in dieſem Fache war eine
Zeichnung, mir von Berlin durch das Wohlwollen
des Herrn Theater: Intendanten zugeſendet, die
Decoration innerhalb welcher bei Eroͤffnung des
Theaters der von mir verfaßte Prolog gefprochen
worden.
Bolfferde’s Abhandlung über den Kölner Dem
tief mic in frühere Jahrhunderte zuräd; man be-
durfte aber das Manufeript eher als mir lieb wer,
and der mit augenblicklichem Interefle angefponmene
- . E i r
205, _ \
Gaben der Reflexionen zerriß, deſſen eben fo eifriges
Antnüpfen jedoch manchen Zufälligkeiten unterwor⸗
fen ſeyn moͤchte.
Hatte man nun dort bie altdentſche Baukunſt
‚auf ihrem hoͤchſt geregelten Gipfel erblidt, fo lie⸗
Gen andere Darftelungen, wie 5. B. die alten Bau-
bentmate im Denerreichifhen Kaiſerthume, nur.
eine beim Hergebrachten ins Wilfärlihe auslau⸗
fende Kunſt ſehen.
Ax ine gute Zeit dieſer Bauart erinnerte jedoch |
‚eine uralte juͤdiſche Synagoge in Eger, einft zur
chriſtlichen Capelle umgewandelt, jet verwaif’t vom
Gottes dienſte bes alten und neuen KTeflamente.
Die Jahrzahl einer alten Hebräifchen JInſchrift Hoch
am Pfeller, war felbft einem bucchreifeuden ſtudir⸗
ten Inden nicht zu eutzifern. Diefelbe Zweydeutig-
keit, welche ſowohl die Jahres: als Volks zahlen der
Ebraͤer hoͤchſt unſicher laͤßt, waltet auch hier, und
hieß und von fernerer Unterſuchung abſtehen.
In der Plaſtit zeigte ſich auch einige Thaͤtigkeit,
wenn nicht im Vielen doch im Bebentenden; einige/
Düften In Gyps und Marmor vom Hofbildhauer
Kaufmann erhalten Beifall, und eine Heinere Me:
daille mit Sereniffimi Bild in Paris zu ie
ward beſprochen und berathen.
. Theorie und Kritif, auch fonftiger Einfinß ver⸗
folgte feinen Gang, und müßte bald im Engeren
‚bald {m DBreiteren. Ein Anfſatz des Weimarifchen
Kunftfreundes für Berlin, Kunſtſchulen und Alades
206
men betreff end, ein anberer uf Muſeen rädfichtiie,
acc leberzeusumg mitgetheilt, wenn auch wicht
aller Orten mit Biligung aufgenommen; eine SE:
hardlung aber den Steindruck, die Meier falder
Aunſt beiobend, ihnen gewiß erftenlich: alles die⸗
ſes zeigte von dem Eruſt, womit men das Heil der
Kunft von. ſeiner Seite zu fördern mannichfaltig
‚bebacht war.
Eine ſehr angenehme Unterhattung. mir amd:
wärtigen Freunden gewährte, durch Bewmmitte:
img von Kapferſlichen, manche Betrachtung ııber
Konteptiou, ‚höhere fo mie techniſche Compofi⸗
don, Erfinden and Geltendmachen ber Motire.
Der hehe Wenth der Kupferſtecherkunſt in biefem
Yiloniichen Siane, warb zugleich hervregethoben
And ſefuͤr din he gehalten. -
Die Ruf verſprach gleichfalls in meinem haͤut⸗
Uchen Kreiſe ſich wie der gu heben; Alexander Bau:
cher und Frau, mit. Bioline und ‚Harfe, ſetzten qu⸗
erft einen Leinen Kreis verſammeilter Freunde In
Verwunderung und Erſtannen, wie es ihnen nach⸗
Her mit amſeren und hem ſo zroßen und an «iss
Zoeffiihe gewoͤhnten Berkiner -Yublicum gelang
Director Elerwein und feiner Gattin muuiäuihihe
productive und andfährende Tal ente wilotten.
wilederholtem Genuß, wub in ber.päiite@ten.Zannte
ſcheu ein groͤßeres Seucert gegeben: werben. - Merk
tation umb thytheniſchen Vertrag. zu vernehmen mb
arzuleiten, war eine .alte nie ganz erſlerbene Tel:
>
: - 907
denfheft. Zwed entſchiedene Talente dieſes Faches
Graͤfin Julie Egloffſtein und. Fräulein Abele Scho⸗
penhauer, ergehten ſich deu Berliner. Prolog vor⸗
zutragen, jede nach ihrer Weile, jede bie Peeſte
durchdringend und ihrem Charatter gemäß in lie⸗
benswuͤrdiger Verſchirdenheit darſtellend. Durch
Die kenntnißreiche Sorgfalt eines laͤugſt bewährten
Freundes, Hofrath Rochlitz, kam cin bedachtfam
gepruͤfter Schreiberiſcher Flugel yon Leipzig an;
gluͤcklicherweiſe: denn bald datauf baachte uns Bei-
ter einen hoͤchſte Vermünberung erregenden Zoͤgling,
Felix Mendelſohn, deſſen unglanbliches Dalent wir
ohne eine ſolche vermittelnde Mechanik niemals
bitten ;gemahr. werden koͤnuen. Und fo.lam denn
auch ein großes bedeutendes Concert zu. Stande,
wobei unfer wicht genug zunpetiſende Capellmeiſter
Hommel ſich gleichfalls hoͤren ließ, der ſodann auch
von. Zeit zu Zeit durch die merlsuͤrdigſten Muss -⸗ß·
Adungen den Beſitz des vorghgikhen Inſtrumentes
Ins Unſchaͤtzbare zu erheben verftaud.
Sch amnde mich ger Natarforſchnug, und da Ib’
sch vor allem zu ſagen, daß Parkineſs Wert iiber
das ſubjective Sehen mich befondersraufnegte. Ih
608 es ans und fchrieb Moten dazu, und ließ, in
Abſicht Gebwauch Devon in meinen Heften zumachen,
die beigefaͤgte Tafel copivan, welche mähfemeunb _
ſchwierige Arbeit der. genaue: Kuͤnſftter gear anter⸗
maben, weil er in früherer Zeit durch uͤhnliche Er⸗
ſcheinungen geaͤngſtigt worden, mad nun mit; Ver⸗
— 208
gnuͤgen erfuhr, daß fie als naturgemäß kelnen kranl⸗
haften Zuſtand aıdeuteten. “
Da anf dem reinen Begriff vom Trüben bie
ganze Sarbenlehre beruht, indem wir durch ihn zur
Anſchauung bed Urphänomens gelangen, und durch
eine vorfichtige Entwicklung beffelben uns über die
ganze ſichtbare Welt aufgeltärt finden, fo war es
wohl der Muͤhe werth fich umzuſehen, wie Die ver:
ſchiedenen Voͤlker fi bieräber ausgebrädt, von
wo fie ausgegangen und wie fie, roher ober zarter,
in der Beziehung fich näherer oder entfernterer
Analogien bedient. Man fuchte gewiſſe Wiener
Trinkglaͤſer habhaft zu werben, auf welchen eine
truͤbe Glaſur das Phaͤnomen ſchoͤner als irgendws
darſtellte.
Werſchiedenes Chromatiſche wurde zum vierten
Hefte aus fruͤheren Papieren hervorgeſucht; Ber⸗
narbinns Telefins ſowohl überhaupt als beſonders
der Farbe wegen ftabirt. Seebedd Worlefung über
die Wärme im prismatiihen Sounenbilde war hoͤchſt
willfommen, und die früheren eigenen Vorſtellun⸗
‚gen über biefe merkwürdigen Erfpeinungen et:
wachten wieder.
Hofmechanicne’ Körner befaäftigte ſich Flintgiet
zu fertigen, ſtellte in feiner. Werkſtatt nad, Frau⸗
zoͤſiſchen Vorſchriften ein Inftrument. auf, zu ben
fogenannten Polariſationsverſuchen; das Mefultat
derfelben. war, wie man ſich fihon lange belehrt
‘ Hatte, kuͤmmerlich, und merkwuͤrdig genug ba
“
lei·
‚208
glelcher Zeit eine Fehde⸗zwlſchen Blot und Arrago
laut zu werden anfing; woraus fuͤr den Wiſſendon
die Nichtigkeit dieſer gangen Lehre noch mehe an den
Tag kam.
Herr von Henning von Berlin beſuchte mich,
er war in die Farbenlehre, dem zufolge was ich
mit ihm ſyrach, volkemmen eingeweiht, und zeigte
Muth oͤffentlich derſelben ſich arzunehmen. Ich
theiklte ihm die Tabelle mit, woraus hervorgehen
fokte, was für Phaͤnomene und. in welcher Orbuung
man: bei einem drematifehen Vertrag zu ſchauen | =
und su beachten habe.
In der Kenntnib ber Oberfläche unfred Erdbo⸗
dens wurden wir fehr geförbert durch Graf Steru⸗
bergs Flora der. Vorwelt und zwar deren erſtes nnd
zweytes Stuͤck, Hlezu gefellte ſich die Pflanzenkunde
von Rothe in Breslan. Huch des Urſtters, der ans
dem Haßleber Torfbruch nach: Jena gebracht und
dort aufgeſtellt wurde, iſt wohl als eines der neue⸗
ſten Zeugnifſe ber früheren Thiergeſtalten bier zu
erwähnen. Das Archiv der Urwelt hatte ſchon oi⸗
nes gleichen gedacht, und mie ward das beſondere
muͤgen, mit Hömn Koͤrto In: Halberſtadt bei
dieſer Gelegenheit ein früheres freundliches Ver⸗
haltniß zu ernenen.
Die Abſicht Kaͤferftolus einen geologiſchen Atlas
fuͤr Deutſchland heraus zugeben, war mir hoͤchſt er⸗
wuͤnſcht, ich nahm eifrig Theil daran und war gern
was die Farbung betrifft mit meiner Ueberzeugung
Goethes Werke. XXXII 88 414
wi
210
beiräthig. Leider Tonnte durch die Gleichguͤltigkeit
der ausführenden Techniler gerade diefer Haupt: |
punct nicht ganz gelingen, Wenn die Farbe zu Dar:
ſtellung weſentlicher Unterfchlede dienen fol, fo
. mäßte man ihr die größte Aufmerkfamkeit widınen.
Die Marienbader Gebirgsarten fammelte man
mit Sorgfalt, in Jena geordnet wurden fie dann
verſuchs weiſe dem Publicum mitgetheilt, ſowohl
am mic ſelbſt bei Wiederkehr eines Anhaltens zu
verfihern ale auch Nachfolgern dergleihen an bie
Hand zu geben. Sartorius übergab dem Jenaiſchen
Mufeum eine Folge der Gebirgsarten von der Roͤhn
ſich herſchreibend, als Beleg zu feiner dem Vulcan
gewidmeten Abhandlung.
Auch in dieſem Jahre lenkte ich die Aufmerkſam⸗
keit meiner Schleſiſchen Freunde auf den Prieborner
gegliederten Sandſtein, oder wie.man dieſe wun⸗
derſame Gebirgsart nennen will, fp wie auf bie in
fruͤherer Zeit haͤufigen, aber nicht erfannten Blitz⸗
roͤhren bei Maſſel, an einem endlichen Gelingen
nicht verzweifelnd.
Im Allgemeinſtlen wurbe ich geförhest durch d'Au⸗
biſſon de Voiſins Geognoſie und durch Sorliot Hoͤ⸗
hencharte von Europe,
Meteorologie ward. fleißig betrieben; Profeſſor
Poſſelt that das Seinige; Eondurteur Schrön bil:
dete ſein Talent Immer mehr aus; Hofmechanicus
Körner war In allen technifchen Vorrichtungen auf
‚das ſorgfaͤltigſte behuͤlflich, und alles trug bei die Ab-
& 211
fihten und Anordnungen bes Fürften möglichit zu
befördern. Eine Inſtruction für die fämmtlichen
Beobachter im Großherzosthum" warb aufgefeßt,
"neue Tabellen gezeichnet und gejtochen; die atmoſphaͤ⸗
rifhen Beobachtungen in der Mitte April waren
merkwürdig, fo wie der Höherauch vom 27 Zuny.
Der junge Preller brachte meine Woltenzeichnungen
ind Reine, und damit ed an keinerlei Beobachtungen
fehlen möge, beauftzggte man den Jenaiſchen Thuͤr⸗
mer auf gewiſſe Meteore aufmerkfam zu feyn. In⸗
deſſen gaben die Dittmarifchen Prophezeyungen viel
zu reden, woraus aber weder Nußen noch Beifall
hervorging.
Woollte man ausfuͤhrlicher von der Belrederiſchen
Thaͤtigkeit in der Pflanzencultur ſprechen, ſo muͤßte
man hiezu ein eigenes Heft verwenden. Erwaͤhnt
fey nur daß ein Palmenhaus zu Stande fam, wel-
ches zugleich bem Kenner genügen und den Geſchmack
eines jeden DBefuchenden befriedigen muß. Das
entgegengefebte Ende der tropifchen. Vegetation ga=
ben getrocknete Pflangen- Exemplare von ber Infel
Mellville, welche durch Kummer und Dürftigleit
fih befonders auszeichneten uud das letzte Ner-
fchwinden einer übrigens befannten Vegetation vor&
Auge festen. Der Kloß eines beihädigten And wie⸗
der zufammengewachfenen Baumflammes gab zu
manchen Unterfuchungen über die Wieberherftel- _
lungskraft der Natur Anlaß. -
In Jena fing der botanifhe Garten an fi neu⸗
212
betebt gu — ber demſelben vorgeſetzte Hofrath
Voigt, imgleichen der babet angeſtellte Kunſtgaͤrtner
Baumaun, machten eine Reife nah Berlin, woher
fie nit ohne Vortheil fuͤr ſich und die Anſtalt ze
ricktehrten.
Ich ließ mie augelegen ſeyn die beiden Bände
mb Wiſfenfſchaftstehre durch das vierte
Heft abzuſchließen, und behielt noch fo viel Borrath
übrig, um auch wohl ein folgendes vorzubereiten.
18 22.
Zur altdentſchen Baukunſt, su Yräfung ihres
Charakters, durch Schauͤtzung ihres Sinnes, zum
Begriff der Seit worin fie entſtand, —— mie
zwey bedeutende Werte. Mollers Deutihe Baus
benttwate, beren erfied Heft nun geſchloſfen, lagen
uns vor. Nach mehreren Probedruͤcen erſchien auch
das erſte Heft des Boiffereeſchen Domwerks. Ein
großer Theil des Tertes, den ich vorher im Dann:
fertpt ſtudirt Watte, lag bei, und die Ueberzeugung
beftätigte ſich, daß zu richtiger Einſteht in biefer
Sache, Zeit, Religten,; Sitte, Kunſtfolge, Bebhef:
uiß, Umlage der Jahrhunderte, wo biefe Banart
uͤberſchwenglich ausgedehnt im Anwendung biähte,
alles zuſammen als eine große lebendige Einheit zu
betrachten fey. Wie fih num an das. Kirchthum and
Das Ritterthum anfhloh, gu anderm Beduͤrfulß in
— —Nif — PER
213
gleichen Einne, wollte —XX wohl erwegen
feyr.
Die Piakit braute wenig aber Bedentenbes;
Ä bie Beinere Medaille mit Sereniſſimi Bild und: der
JInſchrift: Doctarum frontium praemia, warb in
Paris von Barre geſchnitten. Min kleiner Vae⸗
chus von Bronze, Acht autik und von ber groͤßten
Zierlichleit, ward mir buch bie Geuelstheit des
Herrn Major von Staff. Er war auf dem Feld⸗
auge wach Italien durch Welſchland bie nach Cala-
"wert anzufhaffen Gelegenheit. Deine Vorliebe
für folche Werte lennend verehrte er mir das Keine
Bud, weiches wie ich es anſehe nuͤch zu. erheitern
- geeignet iſt.
Tiſchbein, aus alter guter. Neigung, über-
raſchte mich durch eine Gemme mit Storch und
Zube, die Arbeit roh, Gedanle und Compoſition
ganz vortrefflich.
Kb erhalte Howards Klima von London,
zwey Bände. Poffelt ſchreibt eine Necenfion. Die
—2 Beobachtungen gehen nach allen Rubri⸗
Sen fort und werben regelmaͤßig in Tabellen ger
bracht. Director Bifchoff von Dührenberge bringt
auf vergleichende Barometer-Beobachtungen, benen
man entgegen kommt, , Zeichnungen de’ Wollenge-
. ftalten wurden gefammelt, mit Aufmerkſamleit fort:
geſetzt. Beobachten und Ueberlegen gehen gleichen
Schrittes, dabei wird durch ſymboliſch graphiſche
\
| Ballen des Queckſilbers innerhalb gewiſſer Gränzen |
einer ftetig veränderten Anzlehungskraft der Erbe
2314
Darftelung der gieihförmige Gang fo vieler, wo
nicht zu fagen aller Barometer, deren Beobachtun⸗
gen fi von ſelbſt parallel ftellten, zum Anlaß eine
telluriſche Urſache zu finden und das Steigen und
zuzuſchreiben.
Bet meinem dießmaligen Wufenthalt in Boͤh⸗
men ward die geologifhe Sammlung der Marienba⸗
der Gegend ‘wieder aufgenommen und vervollftdu-
digt, in Bezug auf die Acten und das in ben Drad
gegebene Verzeichniß. In einem Schtanfe wurben
foihe, wohlgeordnet, bei ber Abrelfe Dr. Heibler
übergeben, als Grundlage für kuͤnftige Naturfor:
(her, Das Töpler Mufeum verehrt mir fehönen
Kalkſchiefer mit Fiſchen und Pflanzen, von ber Herr:
Schaft Walſch. Angenehmes und lehrreiches Ein:
Aprehen des Herrn von Bud. In Eger traf ih
den, für Naturkunde aufmerkfamen Herrn Math
Gruͤner, befhäftigt eine uralte koloſſale Eiche,
die quer über das Flußbett im Tiefen gelegen hatte,
Hervorziehen zu laffen. _Die Rinde war völlig braun⸗
tohlenartig. Sodann befuchten wir ben ehemaligen
Kalkbruch von Dölig, wo der Mammuthszahn ſich
berfchrieb, ber lange Zeit als merkwuͤrdiges Erbſtuͤc
der befißende* Familie Torgfältig aufbewahrt, nur:
mehr für das Prager Mufeum beftimmt wurde,
Ich ließ ihn abgleßen, um ihn zur nähern Unterſu⸗
dung an Herrn D’Alton mitzutbellen,
215
- Mit dutchtreiſenden REN wurbe bas Geſam⸗
melte betrachtet, wie auch ber problematiſche Kam⸗
merberg wieder beſucht. Bei allem dieſem war
Dlast Naturgeſchichte von Böhmen — und
behuͤlflich
Herr von Eſchwege kommt aus Srafilien,
zeigt Juwelen, Metalle und Gebirgkarten vor. Se⸗
zeaiffimus machen bedeutenden Anlauf. Bei diefer
Gelegenheit wirb mir die Edelſteinſammlung über:
geben, welche fräher aus ber Bruckmanniſchen Erb⸗
ſchaft erfauft wurde. Mir war hoͤchſt Intereffant
‚eine ſolche, von einem früheren. pafionirten Liebha⸗
der und, ‚für feine Zeit, treuen und umfichtigen
Kenner, zufammengeftellte Folge zu revibiren, bag
Fpäter Acqutrirte einzufchalten und dem Ganzen ein
froͤhliches Anſehn zu geben. Cine Zahl don 50 ro⸗
ben Demantfrpftallen, merkwürdig einzeln, noch
mehr der Reihe nah betrachtet, jebt von Herrn
Soret nach ihrer Geſtaltung beihrieben und geord⸗
met, gab mir eine ganz neue Anſicht über dieſes
wmerkwärbige.- und höchfte Naturereigniß. Ferner.
theilte Herr von Eſchwege Brafilianiihe Gebirgs⸗
‚arten mit, die abermals beiwiefen, daß die Gebirgs⸗
arten der neuen Welt mit denen der alten in ber '
erften Urerfheinung vollkommen übereinftiinmen;
wie denn auch ſowohl feine gedrudten als handſchrift⸗
then Bemerkungen bierüber DRDEEMEEIDEN: Auf⸗
ſchluß verleihen.
Zur un verfertigte Ih das Schema zur
!
z
a6
Yıimzenedtur Im Gteßherzogzthum Weimar. Ein
wunderbar gezeichnetes Buchenholz gewann ich als
pathologiſches Phaͤnemen. Ein geſpaltener Klet
war es, von einem Buchſtamme, im weichem: ſich
entdedte, daß vor mehreren Jahren die Rinde negek |
mäßig mit einem eingeſchnittenen Kreuze begeichuet
worden, weiches aber vornarbend uͤherwachſen in den
GStamm eingeſchloſſen, ſich nuumehr in der :Bpal-
tung als Form ud Abdruck wiederholt. |
Das Verhaͤltniß zu Era Meyer gab. mir aoned
Leben und Anregung. Das Geſchlecht Junens, von
demfelben adher befiimmmt and buschgeführs, bracht
ich mir mit Beigälfe von KHoft-gramisa adstrreca
zur Anſchauung.
Und fo muß Ich noch zam Schinß eines riefen⸗
hafter Cactus melo- Cactus, von Herrn Wahrk
au Frankfurt gefendet., dankbar erwaͤhnen.
Fuͤr das — erſchienen mehrere beben⸗
sende Werke. Die große naturgefchchttlche Chatke
yon Wilbraud und Mitgen, in Begug auf bas
Element des Waſſers wıb auf Bergeshoͤhe, win ſich
die Drganifation Überall verhalte. Ihr Werth warb
fagleih anerkannt, Pie ſchoͤne augenfällige Darftel⸗
Jung an die Wand geheftet, zum taͤglichen Gebrauch
vorgegeigt und commentirt in gefelligen : Werhälelfs
Kaͤferſtetas geognoſtiſches Dentſchland war
in ſeiner Fortſetzung gleichfalls ſehr foͤrderlich vuud
wire es bei genauerer Färbung noch mehr gewefen.
—
-.. ME (ED VW TE WE EEE
— —
er
847
Man wird ſich's in ſolchen Faͤllen noch öfter wieber-
holen maͤſſen, daß da mo man durch Farben unter-
ſcheiden win, ſie doch auch unterſcheidbar ſeyn follten,
Das vierte Heft meiner morphologiſchen und na⸗
turwiſſonſchaftlichen Bemaͤhungen ward ſorgfaͤltig
durchdacht · und ‚ausgeführt, da mit ihm Die beiden
‚Bände für dießmal geſchloſſen feya ſollten.
Die Veraͤndorung des Erboberftihe von Herrn
908 Hof gab neuen Reiz. Hier legt ein Schah,
au welchem man immer etwas hinzuthun möchte, in⸗
dem man fich daran bereichert, ?
Ich exhlelt zu Aufriſchung der Berg: und Ge-
ſeeinluſt bedeutende Pflanzenabdruͤke, in Kohlen:
Fchlefer durch ben -fosgfältigen and diefen Studien
ergebenen Rentaminmn Wahr, Fichtelbergiſche
Mineralien erhalte ich von -Rebwip, manches an:
dere von Tyrol, wogegen ich ben Freunden ver-
fhledenes zuſende. Herr Soret vermehrt meine
Sammlung durch) manches Bedeutende, ſowohl aus
Savoyen als aud der Juſel Elba. nud fernern Gegen⸗
den. Seine kryſtallographifche Kenutniß war hoͤchſt
foͤrderlich In Beſtimmung der Diamanten: und ande⸗
rer näher :zu bezeihnenden Mineralien; wobei er
denn bie von ihm In Druck verfaßten: Auffaͤtze willig
mittheilte und befprach.
Im Chromatiſchen ward mir greßer Gewinn, in:
dem eudlich Die Hoffaung erfchten, daß ein Juͤngerer
die Pacht über fh nehmen wolle biefes wichtige
‚Kapitel durchzufuͤhren und davchzufechten. Hetr
318
von Henning befuhte mih und brachte hoͤchſt
gluͤclich gerathene entoptiſche Glaͤſer, auch ſchwarze
Slasſpiegel mit, welche verbunden durchaus alle
wuͤnſchenswerthen Phänomene ohne viel weitere Um:
ftändlichkett vor die Augen- bringen. Die Unterhal⸗
tung war leicht, er hatte das Geſchaͤft durchbrungen,
und manche Frage, die ihm übrig blieb, konnt' id
ihm gar bald beantworten. Er erzählte von feinen
Moriefungen, wie er es damit gehalten, und zu
Venen er mir fhon ble Einleitung mitgetheilt. Wech⸗
felfeitig tanfhte man Anfiht und Verſuche; einen
‚älteren Aufſatz Aber Prismen In Verbindung mit
Linſen, "bie man im biöherigen Vortrag zu falfchen
Zwecken angewendet, ‚überlieferte ih ihm, und er
Dagegen regte mic an, die hromatifchen Acten und
Papiere nunmehr vollkommener und fahgemäßer zu
orbnen. Dieſes alles geſchah Im Herbſt und gab mir
nicht wenig Beruhigung.
Ein entoptifher Apparat war für Berlin einge:
richtet und fortgeſendet, indeſſen die einfachen en⸗
toptiſchen Glaͤſer mit ſchwatzen Glas ſpiegeln auf ei:
nen neuen Weg leiteten, die Eutdeckungen vermehr⸗
ten, die Anficht erweiterten, und fodau zu der eu
toptifchen Eigenſchaft des ſchmelzenden Eiſes Gele⸗
genheit gaben.
Die Farbentabelle wurde revidirt und abgebrudt;
ein hoͤchſt forgfältiges Inſtrument, die Phänomene
“der Lichtpolarifation nach Franzoͤſiſchen Grunbfägen
ſehen zu laffen, warb bei mir aufgeftelit, und id
A
, 219 /
Hatte Gelegenheit deſſen Ban und zelftung —
men kennen zu lernen.
In der Zoologie foͤrderte mich Carus Urwirbel,
nicht weniger eine Tabelle, in welcher die Filiation
ſaͤmmtlicher Wirbelverwandlungen anſchaulich ver-
zeichnet war.- Hier empfing ich num erſt den Lohn
für meine früheren allgemeinen Bemühungen, in⸗
dem ich die von mir nur geahnete Ausführung bis
ind Einzelne vor Augen fah. Ein Gleiches warb
mir, indem ih D'Altons frühere Arbeit über bie
pferde wieder durchnahm, und ſodann durch deſſen
Dahpderme und Raubthiere belehrt: und erfreut -
wurde.
. Der hinter dem Ettersberg im Torfbruche ges
fundene Urftier befchäftigte mich eine Zeitlang. Er
ward In Jena aufgeftellt, möglichft reftaurirt und
zu einem Ganzen verbunden. Dadurch kam id
wieder mit einem alten Woblmollenden in Be⸗
ruͤhrung, Herrn Dr. Körte, ber mit bei dieſer
Gelegenheit manches Angenehme erwies. ;
Heinroths Anthropologie gab mir Aufſchluͤſſe
uͤber meine Verfahrnngsart In Naturbetrachtungen,
als Ich eben bemüht war mein naturwiſſenſchaftliches
Heft zu Stande zu bringen,
Herr Purkinje befuchte uns und gewährte
einen entſchiedenen Begriff von merkwuͤrdiger Per⸗
ſoͤnlichkeit und unerhoͤrter Anftrengung und Auf⸗
opferung.
Indem ich zu meiner eigenen Aufllaͤrung Kune
| — |
jeld Glaemacherkunſt, bie ich bisher in daſteren
Vorurtheil und ohne wahre Schaͤtzung betvachtet
‚Herrn Dr. Döbereiner, weicher air die —
Erfahrungen und Entdocknugen mittheilte. Gegen
Ende des Jahrs kam er nach Weimar, um vor Ge
reniſſimo und einer gebiibeten Geſellſchaft bie wich
tigen Verſuche galvaniſch magnetiſcher wedifelfel
tiger Einwirkung mit Augen fehen zu laſſen and ex
klaͤrende Bemerkungen angutnäpfen, bie bei tan
vorher erfreuendem Beſuche des Herrn Prefeſor
Oerſtedt nur um deſto erwuͤnſchter ſeyn mußten.
Was geſellige Mittheilungen betrifft, wear bie
ſes Jahr unferem Kreiſe gar wohl gerathen; gwey
Kage ber Woche waten beſtimmt unſern gnaͤbdigſten
Herrſchaften bei mir einiges Bedeutende vorzulegen
md darüber bie nöthigen Aufklaͤrungen zu geben.
Sega fand: fich denn jederzeit neuer Anlaß, und bie
Mannichfaltiglelt war :geoß, indem Altes mb
Neues, Kunſtreiches und Wiſſenſchaftliches jeder⸗
zeit wohl aufgenemmen wurde.
Geben Abend fand fich ein angerer Kreis bei mir
sufammen, unterrichtete - Verfonen beiderlei Ge⸗
ſchlechts; damit aber:auch ber Antheil fich erweitere,
. feste man den Dienflag feſt, wo man ſicher war
eine gute Geſellſchaft an dem Chectiich gufamaımen
zu feben; auch vorzügliche Geiſt und Herz erquikende
R Muſik warh yon. Zeit zu Zeit vernommen. Gebil⸗
er >; 21.
dete , Eustiaber aiımen m biefen Unterhaltungen 4;
M Fehlt, und da ich außerdem gegen Mittag gewoͤhn⸗
‚ lich Frembe auf kurze Seit gern annahm, fo blieb
id zwar auf mein Haus eingeſchraͤnft, doch immer
nme der Außenweit in Berkbrung; viellelcht inniger
a gruͤnblicher, als nen nach außen be⸗
wert wnd zerfitemt hätte,
Ein. innger Bibliothek⸗ und Archiveverwandter
macht ein Repertorium uͤber meine ſaͤmmtlichen
Werke und ungedruckten Schriften, nachdem er alles
fortirt und. geordnet hatte.
Bet dieſer Gelegenheit Fand ſich ein vorlaͤu⸗
figer Werfuch bie Ehronik meines Lehend zu redi⸗
giren, ber bisher vermißt war, wodurch ich mid:
ganz beſonders gefoͤrdert ſah. Ib ſetzte glei: dar⸗
auf mit neuer Luft’die Arbeit fort, durch weitere
Ausführung des Einzelnen.
Ban Bren aus Antwerpen fendete feine Hefte
zur Lehre dee Zeichenkunſt. Tiſchbeins Homer
VII Städt kam an. Die große Mafle lithographi-
- (her Zeichnungen von Strirner und Piloti
fonderte ih nah Schulen und Meiftern, wodurch
beun die Sammlung zuerft wahrhaften Werth ge-
wann, Steindruͤcke von allen Seiten bauerten fort,
und brachten manches gute Bild zu unfrer Kenntniß.
Einem Freund zu Liebe erklärte ich ein paar proble- -
matifche Kupfer, Polidors Manna und ein Tizia⸗
niſches Blatt, Landſchaft, St. Georg, mit dem Dra-
— — — — mn —— —— — — — E& ma =; u w
322
hen und ber ausgefesten Schönheit; Mantegun’s
TCriumphzug ward fernerweit redigirt.
Mahler Kolbe von Duͤſſeldorf ftellte bier einige
Arbeiten aus, und vollendete verfchiedene Portraite;
man freute fich diefen- wadern Mann, dem man
ſchon felt ben Weimariſchen Kunftausftellungen ge:
fannt, nunmehr perſdulich zu ſchaͤen und ſich fel:
ned Talents zu freuen. Gräfin Julie Egtoffitelz
machte bedeutende Vorfaritte in der Kunſt. Ich
Heß die Radirungen nad) meinen Skizzen austufchen
and ausmahlen, um fie an Freunde zu überlaffen.
Meyers Kunftgefhichte ward ſchließlich mundirt
und dem Drud angendhert. -Dr. Carus gab einen
ſehr wohlgebachten und wohlgefühlten Aufſatz über
Landſchaftsmahlerey in dem fchönen Sinne feiner
eigenen Productionen.
Zum feyetlichen Andenken
ge wu
Durdlaudtigften —
Fürſtin und Frau
anne Amalia,
verwittweten
Sera zu Sachfen-Weimar und Em)
.. geborenen
Herzogin von Braunſchweig und Liner.
1807.
%
Menn dad Leben ber Gteßen dieſer Welt, fo
lange es Ihnen von Gott gegomt It, dem übrigen
Menſchengeſchlecht als: ein Beiſpiel vorlenukten fell,
damit Standhaftigkeit tm Ungii and: theilne hmen⸗
des Wirken im Gluͤck immer allgemeiner werbe, fü
ift die Betrachtung eines bedeutenden vergangenen
Lebens von gleich großer Wichtigkeit, Indem eine
kurzgefaßte Meberfiht der Tugenden und Thaten
. einem jeden zur Nacelferung, als eine große und
unfhäßbare Gabe, überliefert werben kann.
Der Lebenslauf ber Fuͤrſtin, deren Andenken wir
heute feyern, verdient mit und vor vielen. an--
dern. fib dem Gedaͤchtniß einzuprägen, beſonders
berienigen, bie früher unter ihrer Regierung und
fpäter unter Ihren immerfort Iandesmütterlichen
Einfläffen, manches Guten theilhäft geworden, und
ihre Huld, ihre. Freundlichkeit perſoͤnlich zu erfahren
das Gluͤck Hatten
Entſproſſen aus. cinem Hauſe, das vom.-bem 4793.
fräeften Voreltern am bedeutende wuͤrdige umb Zu
tapfere Ahnherren zähle, "Nichte eines Koͤnigs,
des größten Mannes feiner Zeit; vow Tugend
auf umgehen von: Geſchwiſtern und Verwandten,
Denen Großheit eigen war, . bie: sum: ein anber
"Beftreben kannten, als ein ſolches, das anlm:
Speihe'3 Werte, XXXII. 8 45
—
*
226
voll und auch der Zukunft bewundernswuͤrdig wäre;
is der Mitte eines regen, fih in manchem Stun
weiter bildenden Hofes, einer Vaterſtadt, welche
fih duch mancherlei Anftalten zur Cultur der
Kunft und. Wiſſenſchaft auszeichnete, ward fie bald
sewahr, daß auch in ihr ein folder Keim: liege,
und freute fih der Ausbildung, die ihr durch
die treflichften Männer, welche fpäterhbin in der
Kirche und Im Meich der Gelehrſamkeit glänzten,
gegeben wurde.
1756. Von dort wurde fie früh hinweg gerufen zur
‚Verbindung mit einem jungen Fuͤrſten, der mit ihr
zugleich in ein heiteres Xeben einzutreten, feiner
. ferbft und der DVortheile des Güde zu genießen
4757. begann. Cin Sohn entfprang aus diefer Vereini⸗
k
sung, auf ben fih alle Fteuden und Hoffnungen
verfammelfen; aber der Mater fellte-fih wenig an
ihm und an dem zweyten gar nicht erfreuen, ber
erſt nach feinem Tode das Licht der Welt er:
blickte.
ars. Vormuͤnderin von Unmuͤndigen, ſelbſt nod
minderiaͤhrig, fühlte fie ſich, bei. dem einbrechen⸗
den fiebeniährigen Kriege, In einer bedenklichen
Lage. Als Reichsfuͤrſtin verpflichtet, auf der:
jenigen Seite zu ſtehen, die fih gegen Ihren
großen Oheint erklärt hatte, durch bie Nähe bee
Kriegswirkungen fethft gedrängt, fand fie eine Bes
enhigung in dem Befuh des‘ großen beerführenden
-227 -
Königs. Ihre Provinzen erfuhren viel ungemas,
Doch kein Verberben erbrüdte fie.
Endlich zeigte fih der erwuͤnſchte Frieden, und
ihre erften Sorgen waren bie einer zwiefahen Mut: -
ter, für das Land und für ihre Söhne. Sie er⸗
muͤdete nicht mit Geduld und Milde das Gute umd
Nuͤtzliche zu beförbern, felbft wo es nicht etwa gleich
Grund faffen wollte. Sie erhielt und nährte ihr
Bolt bei anhaltender furdtbarer Hungersnoth.
Gerechtigkeit und freier Edelmuth bezeichneten 1772.
alle ihre Regentenbeſchluͤſe und Anordnungen.
Ehen ſo war im Innern ihre herzlichſte Sorge
auf die Soͤhne gewendet. Vortreffliche, verdienſt⸗
volle Lehrer wurden angeſiellt, wodurch fie zu einer
Berfammlung vorzüglicher Männer den Anlaß gab,
und alles dasjenige begründete, was fpäter für
Diefes befondere Land, ja für das ganze Deutſche
‚ DBaterland, To lebhaft und bedeutend wirkte.
Alles Gefällige was das Leben zieren kann, fuchte
ſie fogleih, nacı dem gegebenen Maß, um fich zu
yerfammeln, und fie war im Begriff mit Sreude
und Zutrauen das gemwiffenhaft Verwaltete ihrem |
Durchlauchtigſten Sohn zu übergeben, als das 1774.
unerwartete Ungläd des Weimariſchen Schloßbran-
bes die gehoffte Freude. in Trauer und Sor⸗
gen verwandelte. Aber auch bier zeigte fie ben
eiugeborhen Geiſt: denn unter großen Vorberel⸗
tungen zu Milderung fo wie zu Benußung her
% j a 228
Zeigen biefe® Ungluͤcks übergab fie ruhm⸗ und
ehrenvoll Ihrem zur -Weltiähuiskelt. erwachſenen
Erſtgebornen die Regierung feiner väterlichen Sta«-
ten, und trat eine [orgenfreiete Abtheilung des
Lebens an, &
ve Degentichaft Aeaqte dem Lande mannich.
faltiges Oluͤck, ja das Ungluͤck felbſt gab Aulaß zu
Verbefferungen. Wer bazm faͤhig war nahm fie au.
Gerechtigkeit, Staatswirthſchaft, Policey befeſtig⸗
sen, entwickelten, beftätisten ſich. Ein ganz as:
derer Seiſt war uͤber Hof nad Stadt gekommen.
Bedeutende Fremde von Stande, Gelehrte, Kuͤnſt⸗
ler, wirkten befuchend oder bleibend. Der Gebraud
einer großen Bibliothek wurde’ frei gegeben, ein
gutes Theater unterhalten, und bie nene Generation
zur Ausbildung des Geiſtes veranlaßt. Man unter:
ſuchte den Zuftand ber Akademie Jena. Der Fuͤr⸗
ftin Freigebigkeit machte die vorgefchlagenen Einrich⸗
tungen möglich, und ſo wurde diefe Anftalt be:
feftfgt und weiterer Verbefferung faͤhlg gemacht.
Mit welcher frendigen Empfindung mußte fie
nun, unter den’ Händen Ihres unermuͤdeten Sob⸗
nes, felbft über Hoffnung und Erwartung, alle ihre
- früheren Wuͤnſche erfüllt fehen, um fo mehr, als
nah und nah aus. ber glädlichtten Cheverbindung
eine märdige frohe Nachkommenſchaft ſich entwickelte.
Das ruhige Bewußtſeyn ihre Pflicht gethan,
ba⸗ was ihr oblag, geleiſtet zu haben, —
229
fie zu einem ſtillen, mit Neigung gewählten Yrivat⸗
leben, wo fie fh, von Kunſt und Wiſſenſchaft, fo
wie non ber fhönen Natur Ihres Ländlichen Aufent-
halts umgeben, gluͤcklich fühlte, Sie gefiel fih im
Umgang geiſtreicher Perſonen, und freute ſich Ver⸗
haͤltniſſe dieſer Axt anzulnuͤpfen, zu erhalten und
nuͤtzlich zu machen; ja es iſt fein bebsutender Name
von Welmar ausgegangen, des nicht in ihren Kreife
früäher- ober fpaten gewirkt haͤtte. So bereitete fie
fi vor zu elner-Nelfe, ienfelts der Alpen, um für
ihre Geſundheit Bewegung und ein milderes Kllına 1788.
zu außen: denun Zur; vorher erfuhr fie ‚einen Au⸗
fall ,. der das: Ende ihrer Tage herkeigusufen ſchlen.
Aber einen hoͤhern Genuß hoffte fie von dem
Auſchan⸗n deſſen, was fie in den Kuͤnſten fo
lange geahnet hatte, veſonders von der Mufk,
van der He ſich fruͤber gruͤndlich zu unterrichten
wßte; eine: veue Erweiterung der Lobens anſich⸗
ten duxrch bie Bolanatſchaft edler und: gebildeter
Meunſchen, die jene gluͤclichen Gegenden als Ein⸗
heimiſche und Fremde wenberzlichten, und jede .
Stande: des Umgangs; zu: einem nenlmündigen Zeitz.
meet erhähten,
Maude- Froude exwartate fie nach ihrer Buridh i
Iuaft, als fie, mit mandenlei Schäten ber Kunſt
undder Erfahrung gekchmäst, Ihre haͤusliche Schwelle
betrat. Die Vermählung ihres bluͤhenden Eulels 1804.
mit einer unvergleichlichen Prinzeſſin, bie erwuͤnſch⸗
tem ehelichen Folgen gaben zu Feſten Aulaß, wobel
|
|
*
I)
230
fie fi des mit raſtloſem Eifer, tiefem Kunſtſiun
und wählendem Geſchmack wieder aufgerichteten und
ausgeſchmuͤckten Schloffes erfreuen konnte, und uns
hoffen ließ, daß, zum Erſatz für fo manches frühe
Leiden und Entbehren, ihr Leben fich in ie langes
und rubiges Alter verlieren würde.
Abet es war von dem Alles gentenden anders
‚ vorgefehen. Hatte fit während dieſes gezeichneten
Lebensganges manches Ungemach tief empfunden,
vor Jahren den Verluſt zweyer tapferen Bruͤder,
die auf Heereszügen ihren Tod fanden, eines drit-
ten, der ſich für andere aufopfernd, von ben Fluthen
verſchlungen warb, eines geliebten entfernten Soh⸗
nes, TpAter eines verehrten, als Gaſt bei ihr ein
Tehrenden Bruders, und eines hoffnungsvollen
lieblichen Urenkels, fo hatte fie fi) mit inwohnen⸗
der Kraft immer wieder zu faſſen und den Kebens-
faden wieder zu ergreifen gewußt, - Aber in dieſen
legten Zelten, da der unbarmberzige Krieg, nach⸗
dem er unfer fo lange gefchont, uns endlich und fie
. ergriff, da fie, um eine berziich ‚geliebte Tugend
aus dem wilden Drange zu. retten, ihre Wohnung
verließ, eingedent jener Stuüben, als die Flamme
#e ans ihren Zimmern und Gälen verbrängte, num
bei diefen Gefahren und Befchwerden der Reiſe,
bei dem Unglätt, das fi über ein hohes verwandtes,
über ihr eigenes Hans verbreitete, bei dem Tode
des letzten einzig gellebten und verehrten Bruders,
in dem Augenblick, da fie ale ihre auf den feſteſten
&
231
Beſitz, auf wohl erworbenen Familienruhm gebau-
ten jugendlihen Hoffnungen, Erwartungen von
jener Seite verfchwinden fah: da ſcheint ihr Herz
nicht länger gehalten und ihr muthiger Geiſt gegen
den Andrang irdiſcher Kräfte das Uebergewicht ver-
Toren zu haben. Doc) blieb fie noch immer fich ſelbſt
gleich, im Aeußern ruhig, gefällig, anmuthlg,
theilnehmend und mitthellend, und niemand aus
fhrer Umgebung konnte fürchten, ‚fie fo gefchwind
aufgelöft zu fehen. Sie zauderte,. ſich fir Frank
zu erklaͤren, ihre Krankheit war kein Leiden, fie 1807.
fhled ans ber Geſellſcaft der Ihrigen, wie fie 49,
gelebt hatte. Ihr Tod, ihre Verluſt follte nur
fihmerzen, als nothwendig, unvermeidlich, nicht
durch zufällige, baͤngliche, angſtvolle Nebenum⸗
ſtaͤnde.
Und wem von uns iſt in gegenwärtigen Augen-
genbliden, mo bie Erinnerung vergangener Uebel,
zu der Zurcht vor zukünftigen gefehlt, gar manches
Gemuͤth beängftigt, nicht ein ſolches Bild ſtandhaft
ruhiger Ergebung troͤſtlich und aufrichtend! Wer
von uns darf ſagen: meine Leiden waren ſo groß
als bie ihrigen; uud wenn jemand eine ſolche trau-
rige Vergleichung anftellen koͤnnte, fo würde er fi
an einem fo erhabenen Belſpiele geſtaͤrkt und er⸗
quickt fuͤhlen.
Ja! — wir kehren zu unſerer erſten Betrach⸗
tung zuruͤck — das iſt der Vorzug edler Naturen,
daß ihr Sn in höhere Regionen ſegnend
-
232
wirkt, wie ihr Verweilen auf ber Erbe; daß fie und
von dorther, gleih Sternen, entgegen leuchten,
als Richtpimete, wohin wir unfern Lauf bei eiuer
sur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu
tihten haben; daß dieienigen, zu denen. wir und
als zu Wohlwollenden und Hülfreihen im Leben
hinwendeten, nun bie ſehnſuchtsvollen Blicke nach
ſich ziehen, als Vollendete, Selige.
%
3u
brußderlichem Andenken
Wielands
1813.
E
Durchlauchtigſter Protector,
Sehr Ehrwärbiger Meifter,
Verehrungswärbigfte Anweſende!
Ob es gleich dem Einzelnen unter keiner Bedln- -
gung geziemen will, alten ehrwürbigen Gebraͤuchen
ſich entgegen zu ſtellen, und das, was unfere wei⸗
fen Vorfahren beliebt und angeordnet, eigenwilig “
zu verändern, fo würde ich doc, ftände mir der
-Zauberftab wirklich zu Gebote, ben die Mufe unferm
abgefchledenen Freunde geiftig anvertraut, ich würde
diefe ganze büftere Umgebung augenblidlich In eine
heitere verwandeln: dieſes Finſtere müßte ſich gleich
vor Ihren Augen erhellen, amd ein feſtlich gefhmäd-
ter Saal mit bunten Teppichen und munteren Kraͤn⸗
sen, fo froh und klar ale dad Leben unferes Freun⸗
des, ſollte vor Ihnen ericheinen. Da möchten bie
Schoͤpfungen feiner blühenden Phantafie Ihre Yu’ .
gen,. Ihren Gelft anziehn, ber Olymp mit feinen
Göttern, eingeführt durch die Muſen, geſchmuͤct
duch die Grazien, follte zum lebendigen Zeugniß
dienen, daß derjenige, der in fo heitexer Umgebung
‚. gelebt, und. diefer Heiterkeit gemäß auch von ung
| —
—
236
geſchieden, unter die gluͤcklichſten Menfhen zu zaͤh⸗
‚ Ien, und keinesweges mit Klage, ſondern mit Aus:
druck der Freude und bed Jubels zu beftatten fey.
Was ih jedoch ben aͤußern Sinnen nicht bat:
ftellen Tann, fey den Innern dargebracht. Achtzi,
Jahre; wie viel in wenigen Sylben! Wer von ums
wagt es, in der Gefhwindigtelt zu durchkaufen und
ſich gu vergegemwärtigen., was To viste Jahre, wohl
angewandt, bedenten? Wer von und: möchte behaup:
ten, daß er ben Werth eines,“ in jedem Betradt
vorftändigen, Lebens ſogleich zu ermeffen und zu
ſchaͤtzen wiffe?
Begtelten wir unſern Freund auf : dem Stufe:
gange ſeiner Tage, fehen wir ſhn als Knaben, Juͤnz⸗
ling, Manm und Greis, To finden wie, daß Ibm
das ungemeine Gkuͤck zu Theil werd, die Btuͤthe
einer jeden dleſer Jahreszeiten zu: pfißkten; Dem
andy das hohe Alter hat Feine Bluͤtche, und auch bie⸗
fer auf das heittrſte ſich zu freuen war Ihm gegoͤnnt.
Mur wenig Men«ate ſind es, als die verbundenen
Bruͤber fire geheimntßvolle · Sy hiny fuͤrlihn mit Ro⸗
fen betraͤnzten nr ausgabe hc," baß wenn Ant
Meon, ver’ Sreis, ſeine erhoͤßte Slunlichkeit met
keichten Roſenzweigen zu ſchmuͤcken unkernahm
De ſittliche Sinulichkelt, die gemäßiste, geiſtreiche
Lebensfreude Iunferes: Edken einen ven, gedrängt
gewunbenen Kranz netten
Wenige Wechen mb es, daß Vifek’ treifiie
Freund noch — —— nicht nur ie
wohnte,
237.
wohnte, federn auch in khnen thaͤtig wirkte. Er
Hat feinen Ansgang aus dem Irdiſchen durch unſern
Kreis hindarch genommen; wir waren Ihm auch noch
zuletzt De Naͤchſten, und wenn das Vaterland, ſo
wie das Ausland, fein Andenten fehert, wo Tollte
dieß fraͤher und kraͤftiger gefchehen, als bei nas!
Den ehrwuͤrdigen Gebeten miferer Meiſter habe
ich mich daher nicht entziehen daͤrfen, amib ſpreche
in-biefer angeſehenen Berſammlang zu fehten An⸗
denken um fo lieber einige Worte, als fie fluͤchtige
sBerläufer feyn Fönnen: deſſen, was tinftig- die Weit,
mas unfere Berbräberumg für Ihn thun wird. Diele
Geſinnung iſt's, diefe abfiet, um derentwiſlen ih -
mir ein geneigtes Gehör erbitten darf; and wenn
dasjenige, mad ich mehr amd einer faſt vierzig Jahre
geprüften Reigimg, als aus rebmerifiher Ueberble⸗
gung, keineßwegs In gehöriger Verbinduug, ſondern
vielmehr in kurzen Saͤhen, in ſprungweiſe vorbrage,
weder des Gefeyerten, noch der Feyernden wuͤrdig
erſcheinen duͤrfte, fo muß Ich bemerlen, daß bier
nur eine Vorarbeit, ein Entwurf, ja nur der In⸗
halt aud wenn mem wi, Marginalien eines Tänf-
tigen Werts gu erwarten feyen. Und fo werde denn,
ohne weiteres Zaubern, zu bem und-fo lieben, wer⸗
‚then, it heillgen Gegenſtand gefritten!
Bleland war in der Nähe von Biberach, ei⸗
. ner Meinen Reichsſtabt in Schwaben, 1753 geboten.
Sein Bater, ein evangeliſcher Getftiicher, gab ihm
eine forgfältige Erztehung und legte bei ihm den er-
| Baer Werke, XXX. Br. 46
238
ſten Grund ber Schulkenntniſſe. Hierauf warb er
nach Klofter Bergen an der Elbe geſendet, wo eine
Srjichungs= und Lehranftalt, 'unter der Aufficht des
wahrhaft frommen Abtes Steinmes, in gutem
Rufe fand. Won da begab er fih auf die Univer⸗
fität zu Tübingen, fobann lebte er einige Zeit ale
Hauslehrer in Bern, warb aber bald. nad Zürich zu
Bodmern gezogen, den man in Süddeutfchlamd,
wie Gleimen nachher in Norddeutſchland, die
‚Hebamme des Genies nennen konnte. Dort über:
‚ließ er fich ganz der Luft, welhe das Selbfthervor:
Eringen der Jugend verfhafft, wenn dad Talent un:
ter freundlicher Anleitung ſich ausbildet, ohne baf
die höheren Forderungen der Kritik dabei zur Spra-
‚che fommen. Doc entwuchs er bald jenen erhält:
niſſen, kehrte in feine Vaterſtadt zuräl, und warb
von nun an fein eigner Lehrer und Bildner, indem
er auf das raͤſtloſeſte feine literariſch poetifche er
‚gung fortſetzte. Die mechaniſchen Amtsgefchäfte ei:
nes Vorſtehers der Canzley raubten ihm zwar Belt,
aber nicht Luft und Muth, und bamit je fein Geiſt
in fo engen Verhältniffen nicht verfümmerte, wurde
“er dem in der Nähe begüterten Grafen Stablon,
churfuͤrſtlich Mainziſchem Minifter, befannt. Iu
dieſem angefehenen, wohleingerichteten Haufe weht
ihn zuerſt die Welt- und Hofluft an; innere und
äußere Staatsverhaͤltniſſe blieben ihm nicht fremd,
und ein Gönner für das ganze Leben warb ihm der
. Graf Hierdurch, blieb er dem Churfürften von
—
239
Mainz nicht umbetannt, und als unter Emmerich
Joſeph die Akademie zu Erfurt wieder belebt wer= .
den follte, fo berief man unfern Freund dahin, und
berhätigte dadurch die duldfamen Seflnnungen, wel⸗
che fich über alle chriſtllchen Religionsverwandten, ja
über die ganze Menichheit, vom Anfange des Jahr:
Hunderte her verbreitet.
Er konnte nicht lange In Erfurt wikten, ohne der
Herzogin Megentin von Weimar befannt zu
werden, wo ihn der für alles Gute. fo thätige
Carl von Dalberg einzuführen nicht erman⸗
gelte. Ein auslangend bildender Unterricht ihrer
fürftlihen Söhne war das Hauptaugenmerk einer
zaͤrtlichen, Telbit höchlt gebildeten Mutter, und fo
ward er herüber berufen, damit er feine literaris
hen Talente, „feine fittlihen Vorzuͤge zum Beften
des fürftlihen Haufes, zu unferm Wohl und zum
Wohl des Ganzen verwendete.
Die ihm nach Vollendung des Erzlehungsgeſchaͤf⸗
tes zugefagte Ruhe wurde ihm fogleich gegeben, und:
als ihm eine mehr als zugefagte Erleichterung ſei⸗
ner häuslihen Umftände zu Theil ward, führte er
feit beinah vierzig Jahren ein, feiner Natur und
feinen Wuͤnſchen völlig gemäßes Leben.
Die Wirkungen Wielands auf das Publicum wa⸗
ren ununterbrochen und bauernd. Er hat fein Zeit⸗
alter fi zugeblidet, dem Geſchmack feiner Jahres:
genoſſen fo wie ihrem Urtheil eine entſchiedene Rich⸗
tung gegeben, bergeftalt, daß feine Verdienſte ſchon
240 F
genugfem erlanut, geſchaͤtzt, ja geſchildert find. Su
nmnuchem Werke kber Deutſche Literatur tft fo ehren⸗
voll als finwig Aber thn geſprechen; Ich gedenke nur
deſſen, was Kättner, Eſchenburg, Mauſo,
Eich ho r n von thm geruͤhmt haben.
Und woher kam bie geoße Wirtung, weiche er
auf die Deutfchen ausübte? Sle war eine Folge ber
Tüchttgteht and ber Offenheit feines Weſens. Menſch
und Schriftſteller hatten fig In ihm ganz durchbrun⸗
gen, er bichtete als ein Lebender und Ichte dichtend.
Fa Werfen und Proſa verhehtte er niemals was ihm
angenblidlich zu Sinne, wie es Ihm jfedesmal zu
Muthe ſey, und fo ſchrieb er auch Urthetlend un)
artheilte ſchreſbend. Nus ber Fruchtbarkeit ſeine⸗
Srifres emquoll die Fruchtbarteit ſeiuer Feder.
Ich bediene mich des Aus drucs Geber wicht ai
einer vednerkſchen Phrafe; er gilt hier ganz eigemt:
lich, und wenn eine freurme Verehrung manchem
Sehrtftſteller dadurch heibiete, daß fie ſich eines
Held, womit er eine Werte gebildet, zu bemaͤchti⸗
gen ſuchte, fo:bärfte ber Alel, drffen fh teilen
bebtente, getetß vor vbelen biefer Auseichunng we:
dig ſeyn. Denn daß er alles wit eiyewer Haud
und ſehr ſchoͤn ſchrieb, zugleich mit Freiheit ub
Veſonnruhelt, daß er das Seſchriebene Immer vor
Augen hatte, ſorgfaͤltig pruͤfte, veraͤnderte, befferte,
wuserbroffen bildete and umbilbete, ja wide mchbe
ward, Werke von Umfang wieberholt cbſchrelben,
bieſes gab feinen Productionen das Zarde, Zierliche,
241 s
Faßliche, das Natürlichelegante, welches nicht durch
Bemühung, ſondern durch heitere, gemintifche Auf⸗
merkſamleit auf ein ‚(chen fertiges Werl hervorge⸗
bracht merden Tan. ;
Diefe ſorgfaͤltige Bearbeitung. feiner Schriften
entiptang amd einer frohen Ueberzeugung, welche zu
Ende feined Schweizeriſchen Aufenthaltes im ihm
mag hervorgetreten feyn, als die. Ungeduld bes Her⸗
vorbeingene fich in etwas legte, umd der Wanſch,
ein Wollendeted dem Gemeinweſen darzubringen,
entſchiedener und deutlicher rege ward.
Da nun bei Ihm ber Mann und. der Dichter Eine
Perſon ausmachten, fo werden. wir, wenn wir von
jenem reden, auch biefen zugleich ſchildern. Reiz⸗
barkeit und Beweglichkeit, Begleiterinnen dichteri⸗
ſcher und redneriſcher Talente, beherrſchten ihn in
einem hohen Grade; aber eine mehr angeblldete
als augeborne Maͤßigung hielt ihnen dad. Gleichge⸗
wicht. Unſer Freund war des Entäufiesmus im
hoͤchſten Grade fühle, und in det Jugend gab er
fich ihm ganz bin, und dieſes um fo lebhafter uud:
anhaltender, als jene ſchͤne Zeit, in welher der -
Jüngling den Werth und bie Würbe.bes Vortreff⸗
ichſten, es fey erreichbar oder unerteichbar, in ſich
uͤhlt, für ihn ſich durch mehrere Jahre verlängerte.
Jene frohen, reinen Gefilde der -galbenen Zeit,
ene Paradiefe der Unſchuld, bewohnte er länger
Id andere. Sein Geburtähans, mo: ein gebildeter
Heiftlicher ald Water waltete, bad uralte, an ben
ö 242°
Ufern der Elbe lindenumgebene Kloſter Bergen,
‚wo ein frommer LXehrerpatriachalifh wirkte, das
in feinen Grundformen noch Eöfterlihe Tübingen,
jene einfahen Schweizerwohnungen,, umraufcht von
Baͤchen, befpält von Seen, umfchloffen von Zelfen;
überall fand er fein Delphi wieder; überall bie Haine,
in denen er, ale ein ſchon erwachſener gebilbeter
Süngling, noch immer ſchwelgte. Dort zogen ihn
die Denkmale mächtig an, die uns von der männlt:
chen Unſchuld der Griechen hinterlaffen find. Cprus,
Araſpes und Panthea und gleich hohe Geftalten leb⸗
ten in ihm auf, er fühlte den Platoniihen Geiſt in
ſich weben, er fühlte, daß er beffen bedurfte, um
jene Bilder für fih und für andere wiederherzuſtel⸗
. ten, und biefed um fo eher, als er nicht ſowohl dich⸗
terifhe Schattenbilder hervorrufen, _fondern viel:
mehr wirklichen Weſen einen fittlihen Einfluß zu
verfhaffen hoffte.
Aber gerade daß er 0 lange in dieſen höheren
Regionen zu verweilen das Gluͤck hatte, daß er alled
was er dachte, fühlte, in ſich bildete, traͤumte,
wähnte, lange Zeit für die vollfommenfte Wirklich⸗
feit halten durfte, eben dieſes verbitterte ihm bie
Frucht, die er von dem Baum bes Erkenntniffes zu
pfluͤcken endlich genöthigt warb.
Wer kann dem Conflict mit der Außenwelt ent:
gehen? Auch unfer Freund wirb in diefen Streit
hineingezogen; ungern läßt er fih durch Erfahrung
und Leben widerſprechen, und da ihm nach langem
\
243
Sträuben nicht gelingen will, jene herrlichen Ge- -
talten mit denen der gemeinen Welt, jenes hohe Wol⸗
en mit den Bedärfniffen des Tags zu vereinigen,
entſchließt er ſich, das Wirtlihe für das Nothwens
dige gelten zu Iaffen, und erklaͤrt das ihm bisher
Wahrgefchlenene für Phantaſterey.
Aber auch bier zeigt fich die Eigenthuͤmlichkelt,
die Energie feines Geiſtes bewundernswuͤrdig. Bel
aller Lebensfuͤlle, bei fo ſtarker Lebensluſt, bei herr
lichen Innern Anlagen, bei redlichen geiftigen Wuͤn⸗
ſchen und Abfichten, fühlt er fich von der Welt ver=
letzt und um feine größten Schäße bevortheilt. Nir⸗
gende kann er nun mehr in der Erfahrung wieder-
finden, was fo viele Jahre fein Gluͤck gemacht hatte,
ja der innigfte Beftand feines Lebens gewefen war;
aber er verzehrt fich nicht In eitlen Klagen, beren
wir in Profa und Werfen von andern fo viele ken⸗
nen; fondern er entfchließt fich zur Gegenwirkung.
Cr kündigt allem, was fich In ber Wirklichkeit nicht
immer nachweiſen laͤßt, den Krieg an, zuvörberft
alfo der Platonifhen Liebe, fobann aller bogmatl-
Ärenden Phlloſophie, beſonders ben heiben Extre⸗
men, ber Stolfihen und Ppthagoreifchen. Inver-
ſoͤhnlich arbeitet er ferner_dem religioͤſen Fanatis⸗
mus und allem, was dem Verſtande excentrifch er⸗
fheint, entgegen. -
- Aber. fogleich überfälitt ihn die Sorge, er möge:
zu weit gehn, er möge felbft phantaftifch handeln,
und min heginnt er zugleich einen Kampf gegen bie
*
*
204
gemeine Dieniceit. Ex lehnt ſich auf gegen les,
was wir unter dem Wort Phlliſte rey as be greifen
gewohnt find, gegen ſtocen de Pedanterey, kleinſtaͤdti⸗
ſches Weſen, kuͤmmerliche dußere Sitte, beigranäte
Kritik, falſche Spwoͤdigleit, platte Behnglichkelt,
anmaßliche Würde, und wie biefe Ungeiften, derc
Name Legen iſt, nur alle zu bezeichnen feyn mögen.
Hierbei verfährt er durchaus genialtſch, ohne
Vorſatz und Selbſtbewußtſeyn. Cr findet fich in der
Klemme zwifhen dem Dentbaren und bem Wirktt-
hen, und indem er beide zu gewältigen ober zu
verbinden Maͤßigung anrathen muß, fo muß er
feibft an fi Halten, und, Indem er gerecht ſeyn
win, vielſeltig werden.
Die verſtaͤndige reine Rechtlichkeit ehler Eugläus
der und ihre Wirkung in ber fittlicken Welt, eines
Addiſon, eines Steele, batten ihn ſchon laͤngſt
angezagen; nun findet er aber. in dioſer Genoſſen
ſchaft einen Mann, deſſon Slune / it ihm weitge⸗
maͤßer If,
| Shaftesbuey, ben 9 — Drake
&e, am jedem Geblibeten einen. trefftichen Deuter
Ins Gedaͤchtniß zu rufen, Shaftesburd lebte zu einer
Zeit, wo In: ber Roligien ſeines Waterlaubes manche
Bewegung vorging; wo die herrſchende Kirche mit
- Gewalt: die Andersgeſinnten zu bezaͤhmen dachte.
Auch den East, bie Sitten bedrohte manche, was
einen Werfiäubigen, Wohldenkenden in Sorge [eben
—
£ j 245
muß. Gegen alles dieſes, glaubte er, ſey am. bes
ſten durch Frohßan zu wirlen; nur das, was man
mit Heiterleit anſehe, werde man recht ſehn, war
feine Dreinung. Wer mit Heltesseit in feinen eige⸗
usn Buſen ſchauen Töne, muͤſſe ein suter Mann
ſeyn. Darauf komme alles an, und alles übrige
Gute entiprings haben. Geiſt, Wis, Humor ſeven
de Achten Organe, womit ein ſolches Gemuͤth die
Weit anfaſſe. Ale Gegenſtaͤnde, ſelbſt die eruſteſten,
müßten eine folche Klarheit und Freiheit vertragen,
wenn fie nicht wit einer mar anmaßlichen Wuͤrde
prunkten, fonbere einen aͤchten, die Probe nicht
ſchemenden Werth im fich Selb enthielten, Bei die⸗
fem geiſtreichen Verſuch, bie Gegenflände zu ge⸗
mältigen, Tonnte man nicht umhin, fi nad) ent-
fheidenden Behörden umzufehn, und fo warb einer:
feits der Menfchenverftand über den Inhalt, und
der Gefchmad über die Art des Vortrags zu Rich⸗
ter geſetzt.
An einem ſolchen Manne fand nun unfer Wie-
land nit einen Vergaͤnger, dem er folgen, nit |
einen Sencffen, mit Dem er webelten ſollte, ſondern
einen wahrhaften aͤlteren Zwilllagebruder im GSeiſte,
dem er vollfommen glich, ohne nach ihm gebildet
zu ſeyn; wie man denn von Menaͤchmen wit fa⸗
gen koͤnnte, welcher dad Origkaal, und welcher die
Copie ff.
Was jener, in einem hoͤheren Stande gebeten;
an zeitlichen Mitteln mehr begabt, durch Reiſen,
Fr
⸗
246
Aemter, Weltumſicht mehr beguͤnſtigt, in einen
weiteren Kreiſe, zu einer ernſteren Zeit, in dem
meerumfloffenen England leiſtete, eben dieſes be:
wirkte unfer Freund von einem anfangs fehr be:
ſchraͤnkten Yunct aus, durch eine beharrliche Tg 1
tigtelt, durch ein ftetiges Wirken in feinem, überall
von Land und Bergen umgranzten Vaterlande, und
das Reſultat davon war, damit wir ung bei unferm
gedrängten Vortrage eines Eurzen, aber allgemein
verſtaͤndlichen Wortes bedienen, jene Popularphilo⸗
fopbie, wodurch ein praktiſch geübter Sinn zum -
Urtheil über den moralifchen Werth ber Dinge, ſo
wie uͤber ihren aͤſthetiſchen zum Richter beſtellt wird.
Dleſe, in England vorbereitet und auch Ir
Deutfhland durch Umſtaͤnde gefordert, warb alſo
durch, dichterifche und gelehrte Werke, ia durchs Le
ben ſelbſt, von unferm Freunde, in Gefelfchaft von
unzähligen Wohlgefinnten verbreitet.
Haben wir jedoch, in fofern von Anſicht, Geſin⸗
unng, Ueberſicht die Rede ſeyn Tann, Shaftes⸗
burv und Wieland volltommen aͤhnlich gefunden,
ſo war doch dieſer jenem an Talent weit uͤberle⸗
gen; denn was ber Englaͤnder verſtaͤndig lehrt und
wuͤnſcht, das weiß der Deutihe, in Verfen und
Proſa, dichteriih und redneriſch auszuführen.
Su biefer Ausführung aber mußte ihm. die Frau:
zoͤſiſche Behandlungswelfe am meiften sufagen. Gel
terleit, Wis, Gelſt, Eleganz iſt in Frankreich fchen
247
vorhanden; feine blühende Einbildungstraft, weiche
fih jent nur mit leichten und frohen Gegenftänden '
befchäftigen will, wendet fi nach ben Feen- und
Rittermaͤhrchen, welde ihm die größte Freiheit ge-
währen. Auch bier reicht ihm Frankreich in der
Tauſend und Einen Nacht, in der Romanenbiblio-
thel fchom halb verarbeitete zugerichtete Stoffe, in⸗
deſſen die alten Schäe dieſes Fachs, welche Deutſch⸗
land befist, noch zoh und ungenleßbar dalagen.
Gerade dieſe Gedichte find es, welche Wielande
Nuhm am melften verbreiteten und beftdtigten.
Ihre Munterleit fand bei jederman Eingang, und
feibft die ernſteren Deutichen ließen fie ſich gefallen!
denn alle biefe Werte traten wirklich ‚zur rechten
und günftigen Zeit hervor. Sie waren allein dem
Sinne gefchrieben, ben wir oben entwidelt haben.
Oft unternahm ber gluͤckliche Dichter das Kunſtſtuͤck,
ganz gleichgültigen Stoffen durch die Bearbeitung
einen hoben Werth zu geben, und wenn es nicht
zu laͤugnen iſt, daß er bald den Verſtand über bie
höheren Kräfte, bald die Sinnlichkeit über bie fitt-
lichen triumphiren Idßt, fo muß man boch auch ge⸗
ftehn, daß am rechten Ort alles, was ſchoͤne See-
len nur zieren mag, die Oberhand behalte.
Fruͤher, wo nicht als alle, doch als die meiſten die⸗
fer Arbeiten, war die Ueberſetzung Shakefpear's.
Wieland fürchtete niht, durch Studien feiner Ori⸗
ginalitaͤt Eintrag zu thun, ja fchon früh war er über:
zeugt, daß, wie burch Bearbeitung fchon bekannter
248
Stoffe, te auch darch Ueberſegung vorbanbene
Werte, ein lebhafter reicher Geiſt bie beſte Erauk
dung faͤnde.
Shakeſpearn zu uͤberſeßen, war in jenen Tag
ein kuͤhner Gedanke, weil felbft. gebifbete Literete
ten bie Moͤglichlelt Idugneten, daß ein ſolches Ue
ternehmen gelingen koͤnne. Wieland überfegte mit
Freiheit, erhafchte den Stun feines Autors, =
bei Sefte, was thm nicht "übertragbar fehlen,
fo gab er feiner Nation efnen allgemeinen —
von ben herrlichſten Werken einer andern, Teiwem
Zeitalter die Einfiht In die hohe Bildung vergan⸗
gener Jahrhunderte.
Diefe Ueberfegung, To elus steße: Wirkung fie
in Deutſchland hervorgebracht, ſcheint auf Wieland
felbft wenig Einfuß gehabt zu haben. Er ſtand mit
feinem Autor allzuſehr in Widerſtrelt, wie mas
genunfam erlennt aus den übergangenen und ausge⸗
laſſenen Stellen, mehr noch aus ben hinzugefuͤgten
Noten, aus welchen bie Franzoͤſche Simesart her⸗
vorblickt.
Anderſeits aber finb them die Griechen, in ihrer
Maͤßigung und Reinheit, hoͤchſt ſchatzhare Muſter.
Er fühle ſich mit ihnen durch Geſchmach verbun⸗
den; Religior, Sitten, Verfaſſung, alles gibt
ibm Anlaß, ſeine Vielſeitigkeit zu üben, und da
weder bie Goͤtter, noch bie Philoſophen, weder
bad Walt noch bie Voͤlker, fo wenig als bie Staats.
+ .
249
und Kriegeleute fich unter einander verteagen, fo
findet er überall die erwünfchterte Gelegenheit, in⸗
dem er zu zweifeln. und zu ſcherzen ſcheint, feine
billige⸗ duldſame/ menſchliche Lehre wiederholt ein⸗
sufhätfen. |
Zugleich gefält er ſich, problematiſche Charaktere
darzuſtellen, und es macht ihm z. B. Vergnuͤgen,
ohne Ruͤckſicht auf weibliche Keufchheit‘, das Liebens⸗
wiürdige einer Muſarion, Lais und Phrpne hervor:
zubeben, und ihre Lebenswelsheit über die Schul-
weishelt der Philofophen zu erhöhen.
Aber auch unter biefen findet cr einen Mann,
den er ald Nepräfentanten feiner Gefimumgen aus⸗
biiden mb darſtellen Tann, ch meine -Mirkfkippen.
Hier find Phltofephle und Weitgenuß durch eine
kluge Begränzung fo helter und waͤnſchens werth
verbunden, daß man fich ats Mitlebender in einem
fo ſchoͤnen Lande, in fo guter Eefellſchaft zu ſinden
wuͤnſcht. Man tritt fo gera mit dieſen unterrich⸗
teten, wohldendenden, geblideten, frehen Menfchen
in Verbindung, ja man glaubt, fa lange men in
Godanken unter Ihnen wanbelt, auch wie fie geſtunt
su ſeyn, wie fie zu denktin.
In dieſen Bezirken erhielt ſich mfer Freund
Dura ſorgfuͤltige VBoruͤbungen, welche dem Ueber⸗
ſeter noch mehr als dem Dichter nothwendig ſind;
und fo entſtand bet Deutſche Zuchen, ber uns ben
Briehifhen um deſto lebhafter darſtellen mußte
. |
230.
als Verfaſſer und Ueberſetzer für wahrhafte Gi
verwandte gelten können.
Ein Mann von folhen Talenten aber, prebie
er auch noch fo fehr das Gebuͤhrende, wird fd
doch manchmal verfacht fühlen, bie Linie des Ar:
ftändigen und Schicklichen zu uͤberſchreiten, da von
jeher das Sente ſolche Wagftüde unter feine Geredt:
fame gesähit»hat. Diefen. Trieb befriebigte te:
Iond, indem er fih dem kühnen, außerordentliche⸗
Ariſtophanes anzugleichen fuchte, und die eben fo
verwegnen als geiftteihen Scherze durch eigne an:
gebotne Grazie gemildert überzutragen wußte.
Freilich war zu allen biefen Darftellungen and
eine Einfiht in die höhere bildende. Kunſt nörhle,
and da unferm Freund niemals dad Anfchauen
jener überbliebenen alten- Meifterwerfe gegönnt
‚ward, fo ſuchte ex durch den Gedanken fich zu ihnes
zu erheben, fie durch die Einbiibungsfraft zus ver:
gegenwärtigen, bergeftalt, daß: man bewundern
muß, wie ber vorzüglihe Geiſt fih auch von dem
Entfernten einen Begriff zu machen weiß, ja es
würde ihm volllommen gelungen feyn, hätte ihn
nicht eben ‚feine lobenswerthe Behutſamkeit abge: -
halten, entichledene Schritte zu thun; denn bie
‚Sunft überhaupt, befonder& aber die ber Alten,
läßt fi ohne Enthufiasmus weder faffen noch bes
sreifen. Wer nicht mit Erfiaunen und NBewun:
derung anfangen will, ber findet nicht den Iugang
in das IBAcIE Heiligthum. Unſer Freund aber war
/ i
— —
Ü)
251
viel zu bebächtig, und wie hätte er auch In dieſem
einzigen Falle eine Ausnahme von feiner allgemei⸗
nen Lebensregel machen follen ? —
War er jedoch mit den Griechen durch Geſchmack
nah verwandt, ſo war er es mit. den Roͤmern noch
mehr durch Geſinnung. Nicht daß er fich Durch republi⸗
caniſchen oder patriotiſchen Eiſer haͤtte hinreißen laſ⸗
fen, ſondern er findet, wie er ſich den Griechen ge⸗
wilfermaßen nur andichtete, unter ben Römern
wirklich ‚feines Gleichen. Horaz hat viel Aehnliches
‚von ihm; felöft Eunftreih, feibit Hof- und Welt-
mann iſt ex ein verftändiger Beurtheller Des Lebens
und der Kunft; Cicero, Philofoph, Redner, Staats⸗
mann ,' thätiger Bürger, und beide aus unſchein⸗
baren Anfängen zu großen Würden und Ehren ge
laungt. Fass —
Wie gern mag ſich unſer Freund, indem er ſich
mit den Werken dieſer beiden Maͤnner beſchaͤftigt,
in ihr Jahrhundert, in ihre Umgebungen, zu ihren
Zeitgenoſſen verſetzen, um uns ein anſchauliches
Bild jener Vergangenheit zu uͤbertragen, und es
gelingt ihm zum Erſtaunen. Vielleicht Fönnte man
im Ganzen mehr Wohlmwollen gegen die Menfchen
verlangen, mit denen er fich befchäftigt, aber er
fuͤrchtet fih fo fehr vor der Parteplickeit, daß er
lieber gegen fie als für fie Partep nehmen mag.
Es gibt zwey Ueberſetzungsmaximen: die eine
verlangt, daß ber Autor einer fremden Nation zu
and herüber gebracht werde, dergeſtalt, daß wir
*
/
—
a 252
ihn als den nnfrigen anfehen koͤnnen; bie andere
hingegen macht an und die Fordermg, daß wir ung
zu dem Sremben hinüber begeben und uns in feine
Zuftände, felne Spronhmelfe, feine Eigenheiten
finden folten. Die Vorzuͤge von beiten find durch
muſterhafte Beiſpiele allen gebilbeten Menfchen ge:
nugſam bekannt. Unfer Fremd, der auch bier den
Mittelweg ſuchte, war beide zu verbinden beruͤht,
doch zog er als Mann von Gefuͤhl und Geſchmuck in
zweifelhaften Faͤllen die erſte Maxime vor.
Niemand bat vieleicht fo Iumig empfunden, welch
verwickeltes Geſchaͤft eine Ueberfetzung fey, als er.
Wie tief war er uͤberzengt, daß nicht das Wert,
fondern ber Sinn belebe. Man betratite, wie er
in feinen Einleitungen uns erſt in bie Beit zu ver-
fegen und mit ben Perfonen vertrant zu machen be⸗
uräht it, wie er alsdann feinen Autor anf eine ung
ſchon bekannte, unferem Shm und Ohr vermunbte
Weiſe ſprechen kaͤßt, und zuletzt noch manche Ein⸗
zelheit, weiche dunkel biefden, Zweifel erregen, an:
froͤßig werben konnte, in Noten awögnlegen und zu
Hefeitigen ſucht. Durch dieſe dreyfache Bemuͤhnung
fieht man recht wohl, hat er ſich etſt feines Gegen
ſtandes bemaͤchtigt, und ſo glibt er ſich deun auch bie
redlichſte Mühe, und in ben Fall zu ſetzen, daß
feine Einſicht und mitgetheilt werde, auf def wir
auch ben Genuß mit ihm theiten.
Ob er nun gleih mehrerer Sprachen mächtis
war, ſo Br er fi bach feſt an die beiden, in denen
uns
ww | — — — — ——
=. — —
..
253
uns der Werth und die Würde der Morwelt am
reinſten überliefert ift. Denn fo. wenig wir Iäugnen
wollen, daß ans ben Fundgruben anderer alten Li⸗
teraturen mancher Schaß gefördert worden und noch
zu fördern ift, fo wenig.wird man und mwiderfpre-
chen, wenn wir behaupten, die Sprache ber Grie⸗
Ken und Römer habe und bi auf den heutigen
"Tag köftlihe Gaben überliefert, die an Gehalt dem
üdrigen Beften glei, der Form nad allem andern
vorzuziehen find.
Die Deutſche Reichsverfaſſung, weide fo vlele
Kleine Staaten in fi begriff, ähnlichte darin der
Griechiſchen. Die geringfte, unfcheinbare, ia unſicht⸗
bare Stadt, weil fie ein eignes Sntereffe hatte, -
‚mußte folhes In fi hegen, erhalten und gegen die.
Nachbarn vertheidigen. Daher war ihre Jugend
fruͤhzeitig aufgewectt und aufgefordert über Staats:
verhaͤltniſſe nachzudenken. Und fo war auch Wie-
land, ald Sanzleyverwefer einer der kleinſten Reichs⸗
ftädte, In dem Fall, Patriot und im beffern Sinne
Demagog zu ſeyn; wie er, denn einmal über einen
ſolchen Gegenftand die zeitige Ungnade des benach⸗
barten Grafen Stadion, feines Goͤnners, Lieber
auf fih zu ziehen, als unpatriotiſch nachzugeben,
bie Entſchließung faßte.
Schon ſein Agathon belehrt uns, daß er auch in
dieſem Fache geregelten Geſinnungen den Vorzug
gab, indeß gewann er doch Gegenſtaͤnden fo viel An⸗
theil ab, daß alle feine Berhäftigungen und Nei⸗
Goethe's Werte. XXXII. æd. 17
254
gungen in ber Folge ihn nicht hinderten, über bie
felben zu denken. Beſonders fühlte er fich aufi
neue dazu aufgefordert, als er fih einen bedeuten:
ben Elufluß auf die Bildung hoffuungsvoller Fuͤrſter
verfprechen durfte. _
Aus allen den Werken, die er in biefer Art ge:
liefert, tritt ein weltbärgerlicher Sign hervor, und
da fie in einer Zeit gefchrieben find, wo die Macht
der Alleinherrſchaft noch nicht erſchuͤttert war, fo If
fein Hauptgefhäft, den Machthabern ihre Pflichten
dringend vorzuftellen und fie auf das Gluͤck hinzu:
weifen, das fie in dem Gluͤck der Ihrigen finden
ſollten.
Nun aber trat die Epoche ein, in der eine auf⸗
geregte Nation alles bisher Beſtandene niederriß
und die Geiſter aller Erdbewohner zu einer allge-
meinen Gefehgebung zu berufen fchlen. Auch hier:
über erklärt er fi mit umfichtiger Beſcheidenheit
und ſucht durch verftändige Vorſtellangen, Die er
unter mancherlei Formen verkleidet, irgend efn
Gleichgewicht in der bewegten Menge bervorzubrin⸗
sen. Da aber der Tumult der Anarchie Immer
N her, wer wird, und eine freiwillige Vereinigung der
Maſſe undenkbar erſcheint, fo iſt er der Erſte, der
die Ninberrſchaft wieder anraͤth und den Mann be⸗
zeichnet, ve das inder der Wiederherſtelluns
a e ef, daß umfer Treund über
Bedentt man nn pn
biefe — nicht etwa dreterdrein 1 ſondern
mn
ns.
—
VLe
255
gleichzeitig geſchrieben, und als Herausgeber eines
vielgelefenen Journals Gelegenheit hatte, ja ge-
nöthigt war, ſich monatith aus dem Stegreife
vernehmen zu laflen, fo wird derjenige, der feinem
Lebensgange hronologifch zu folgen berufen iſt, nicht
obne Bewunderung gewahr werden, mit welcher
Aufmerkſamkeit er den rafhen Begebenheiten des
Tags folgte und mit welcher Klugheit er fih abe
ein Deutfher und ars ein denkender theilnehmenber
Mann durchaus benommen hat. Und bier Ift es der
Drt, der für Deutfchland fo wichtigen Zeitichrift,
des Deutfhen Mercurd, zu gedenken. Diefes
Unternehmen war nicht dag erſte in feiner Art, aber
doch zu jener Zeit neu und bedeutend, Ihm ver-
fhaffte fogtelh der Name bed Herausgebers. ein
großes Zutrauen: denn daß ein Manu, der felbft
dichtete, auch die Gedichte anderer Im die Welt
einzuführen verfprah, daß ein Shriftflelfer, dem
man fo berrlihe Werke verbanfte, ſelbſt urtheilen,
feine Meinung öÖffentlih bekennen wollte, dleß er-
regte die arößten Hoffnungen. Auch verfammelten
fi) wertvolle Männer bald um Ihn her, und bie-
fer Verein vorzuͤglicher Litcratoren wirkte fo viel,
daß man dur mehrere Jahre hin ſich des Mercure
als Leitfadens in unferer eiterarge ſchlchte bedienen
ann. Auf das Publicum überhaupt bar die Mir-
fung groß und bedeutend; denn wenn iauf ber einen
E ‚Seite das Leſen und Urtheilen aber etne größene
Maffe ſich verbreitete, fo ward auch Die Huf, fih
256
augenblicklich mitzutheilen, bei einem jeden rege,
der irgend etwas zu geben hatte. Mehr als er er:
wartete und verlangte, floß dem Herausgeber zu;
fein Gluͤck wekte Nachahmer, ähnliche ne
entſtanden, bie erft monatlih, daunn wochen =
tagweife fih ins Publicum drängten unb —
jene Babploniſche Verwirrung hervorbrachten, von
ber wir Zenge waren und find, und bie eigentlich
daher entfpringt, daß jeberman reden uud mie:
mand bören will.
Was ben Werth und die Würde des Deutfchen
Merenrs vieie Jahre durch erhleit, war die dem
Herausgeber deffelben angeborne Liberalität. Wie⸗
land war nicht zum Parteyhaupt gefchaffen; wer die
„Maͤßlgung ald Hauptmarime. anerkennt, darf fih
feiner Einſeitigkeit fchuldig mahen. Was feinen
regen Gelft aufrelzte, fuchte er durch Menſchenver⸗
fiand und Geſchmack bei fih felbft in's Sleihe zu
bringen, und fo behandelte er auch feine Mitarbei-
ter, für die er ſich keineswegs enthufiasmirte; und
wie er die von ihm fo hoch geachteten alten Autoren,
: Indem er fie mit Sorgfalt überfeßte, doch oͤfters in
den Noten zu befriegen pflegte, fo machte er auch
oft gefchäßte, ja geliebte Mitarbeiter durch mißbil⸗
ligende Noten verdrleßlich, ja fogar abwendig.
- Schon früher hatte unfer Freund wegen größerer
und fleinerer Schriften gar manche Anfechtung lel-
den Ale ‚, um fo weniger konnte es ihm aid
25%
Beraudgehet einer Zeitſchrift an literariſchen Feh⸗
den ermangeln. Aber auch hier beweiſ't er ſich als |
immer derfelbe. Ein folder Federkrieg darf ihm
niemals lange dauern, und wie ſich's einigermaßen
in die Länge ziehen will, fo läßt er dem Gegner
Das letzte Wort, und geht feines gewohnten Pfades.
Ausländer haben Tcharflinnig bemerkt, . daß
Deutſche Schriftfiellee weniger ald bie Autoren
anderer Nationen auf das Publicum Ruͤckſicht neb⸗
men, und daß man daher in ihren Schriften, den
Menſchen, der ſich felbit ausbildet, den Menfchen,
der ſich felbit etwas zu Dante machen will, und.
folglich den Charakter beflelben, gar bald abneh⸗
men koͤnne. Diefe Eigenihaft haben wir fchon oben _
Wielanden befonders zugefchrieben, und ed wird
um fo intereffanter feyır, feine Schriften wie fein
Leben in biefem Sinne zu reihen und zu verfolgen,
als man’ früber und ſpaͤter den Charakter unferes
Steundes aus eben diefen Schriften verdächtig zu
machen fuchte. Gar viele Menfhen find noch jet
an ihm irre, weil fie fih vorftellen, der Vielſeitige
muͤſſe gleichgültig und der Bewegliche wankelmuͤthig
feyn. Man bedenkt nicht, daß der Cherakter fich
nur durchaus, aufs Praftifche beziehe. Nur in bem,
was der Menſch thut, zu thun fortfährt, worauf
er behartt, darin zeigt ee Charakter, und In dieſem
Stune hat es keinen feitern, fih felbft immer glei⸗
dern Mann gegeben als Wieland. Wenn er fich
der Mannichfaltigfeit feiner Empfindungen, der
y I
‘.
258
Beweglichkeit feiner Gedanken überließ, feinem ein⸗
zelnen Eindruck Herrſchaft über fih erlauben wollte,
fo zeigte er eben dadurch die Feſtigkelt und Sicher:
beit feines Sinnes. Der gelftreihe Mann fpielte
gern mit feinen Meinungen, aber, ich kann alle Mit⸗
lebenden als Zeugen auffordern, niemals mit feinen
Gefinnungen. Und fo erwarb er fi viele Freunde
und erhielt fie. _ Daß er irgend einen entfchledenen
Feind gehabt, iſt mir nicht belannt geworden. Im
Genuß feiner dichteriſchen Arbeiten lebte er viele
Jahre in ftädtifcher, bürgerlicher, freundlichgefent:
ger Umgebung, und erreichte die Anszeichnung eines
vollftändigen Abdrucks feiner forgfältig durchgeſe⸗
henen Werte, ja einer Prachtausgabe derſelben.
Aber er follte noch im Herbft feiner Jahre den
Einfluß des Zeitgelftes empfinden und auf eine nicht
vorzufehende Weife - ein neues Leben, eine neue
Jugend beginnen. Der Segen des bolden Friedens
hatte (ange Zeit über Deutfchland gewaltet, dußere
allgemeine Sicherheit und Ruhe traf mit den in-
nern, menſchlichen, weltbürgerlihen Gefinnungen
gar fhön zufammen: Der friediihe Städter ſchien
feiner Mauern nicht mehr zu bedürfen, man entjog
fih ihnen, man fehnte ſich auf's Land. Die Sicher:
heit des Grundbeſitzers gab jederman Vertrauen,
das freie Naturleben zog jederman an, und wie
ber gefellig geborne Mensch fich öfters den füßen
Trug vorbilden kann, als lebe er beffer, bequemer,
froher In der Abgefondertheit, fo fchlen auch Wie⸗
‚259
‚land, ben bereits die hoͤchſte ltterariſche Muße ge⸗
goͤnnt war, ſich nach einem noch muſenhaft ruhigern
Aufenthalt umzuſehen; und als er gerade in der
Naͤhe von Weimar ſich ein Landgut zuzueignen Ge⸗
legenheit und Kräfte fand, faßte er den Entſchluß,
daſelbſt den Reſt feines Lebens zuzubringen. Und
‚ bier mögen die, welche ihn öfters befucht, welche
mit ihm gelebt, umftändlich erzählen, wie er ge-
tabe bier inefeiner ganzen Liebenswürbigleit er-
fchien, als Haus- und Familienvater, als Freund
und Gatte, befonders aber, weil er fi den Men⸗
fhen wohl entziehen, die Menſchen ihn aber nicht
entbehren konnten, wie er als gafifreier Wirth
feine gefelligen Tugenden am "anmuthigften ent:
wickelte.
Indeß ich num jüngere Freunde zu dieſer idyl⸗
liſchen Darſtellung auffordere, ſo muß ich nur kurz
und theilnehmend gedenken, wie dieſe laͤndliche
Heiterkeit durch das Hinſcheiden einer theuern mit⸗
wohnenden Freundin und dann durch den Tod ſei⸗
ner werthen, ſorgſamen Lebensgefährtin getrübt
worden. Er legt biefe theueren Mefte auf eignem
Grund und Boden nieder, und Indem er fih ent
ſchließt, die für ihm allzuſehr verflochtene landwirth⸗
ſchaſtliche Beſorgung aufzugeben, und fich des einige
Jahre froh genoffenen Grundbeſitzes zu entäußern, -
«fo behält ex fich doch den Plab, den Raum zwiſchen
beiden Geliebten vor, um dort auch feine ruhige
Stätte zu finden. Und borthin haben denn die
260
verehrten Brüder ihn begleitet, ja gebracht, und
dadurch feinen Thönen und anmuthigen Willen er:
fünt, daß die Nachkommen feinen Grabhuͤgel in
einem lebendigeg Haine befuhen und heiter ver: '
ehren follten.
Nicht ohne Höhere Veranlaffung aber kehrte der
Sreund nach der Stadt zuräd; denn das Merhäit:
niß zu feiner großen Goͤnnerin, der Herzosin Mut⸗
ter, hatte ihm jenen Ländlichen Aufenthalt mehr als
einmal verduͤſtert. Er fühlte aur zu fehr, was es
ihm koſte, von Ihr entfernt zu ſeyn. Er konnte ih⸗
ren Umgang nicht entbehren, und deffelben doch nur
mit Unbequemlichkeit und Unftatten genießen. Und
.fo, nachdem er feine Familie bald erweitert, bald
verengt, bald vermehrt, bald vermindert, balb
verfammelt, bald zerftreut gefehen, zieht die erha- |
bene Färftin ihn In ihren nadhften Kreis. Er kehrt
zurüd, bezieht eine Wohnung ganz nahe der fuͤrſt⸗
lichen, nimmt Theil an dem Sommeraufenthalt in
Tiefurt, und betrachtet fih nun ald Glied des Han:
ſes und Hofes.
Wieland war ganz eigentlich für bie größere Ge⸗
feufhaft geboren, ja bie größte würde fein eigent:
liches; Element gewefen feyn; denn weil er nirgends
oben an ftehen, wohl aber gern an allem Theil neh⸗
men wollte, und über alles mit Maßigung ſich zu
aͤußern geneigt war, fo mußte er nothwendig als
angenehmer Geſellſchafter erſcheinen, ia er wäre es
r
m. m vr m
/
261
unter einer leichtern, nicht jede Unterhaltung al
ernſt nehmenden Nation noch mehr geweſen.
Denn ſein dichteriſches, fo wie fein literariſch
Streben war unmittelbar aufs Leben gerichtet, u
wenn er auch nicht gerade immer einen praftifd
Zweck fuhte, ein praftifhes Ziel hatte er doch i
mer nah oder fern vor Augen. Daher waren fe
Gedanken beftändig Har, fein Ausdrud deutlich,
meinfaßlich, und da er, bei ausgebreiteten Ken
niffen, ſtets an dem nterefle des Tags feſthie
demfelben folgte, fich geiſtreich damit befchäftig
fo war au feine Unterhaltung durchaus mannl
faltig und belebend; wie ich denn auch nicht Iel
jemand gelannt habe, weldher das, was von |
dern Gluͤckliches in bie Mitte gebracht wurde, 1
mehr Freudigkeit aufgenommen und mit mehr
bendigkeit erwidert hätte.
Beti dieſer Art zu denken, ſich und andere
unterhalten, bei der redlichen Abſicht, auf fein 3
alter zu wirken, verargt man Ihin nun wohl ni:
daß er genen die neuern philofophifhen Schulen
nen Widerwillen faßte. Wenn früher Kant
Heinen Schriften nur von feinen größern Anfich
prpraͤludirte, und in heitern Formen felbft über
wichtigſten Gegenftände. fih problematifch zu aͤuß
ſchien, da ftand er unſerm Freunde noch nah
nug; als aber das ungeheure Lehrgebäude errid
war, fo mußten alle die, weiche fich bisher In frei
Leben, bichtend fo wie philofophirend ergangen |
Berg 262
ten, fie-mußten eine Drobburg, eine Zwingfefte
daran erbiiten, von woher ihre heitern Streif-
zuͤge über dad Feld der Erfahrung befchränft wer:
den ſollten. j
Aber nicht allein für den Phlloſophen, auch für
den Dichter war, bei der neuen Geiſtesrichtung,
Tobald eine große Maffe fich von ihr hinziehen Ließ,
viel, ja alles zu befürchten. Denn ob 28 gleich im
Anfang fheinen wollte, als wäre bie Abficht über-
Haupt nur auf Wiſſenſchaft, fodenn auf Sittenichre
und was hievon zundchft abhängig iſt, gerichtet, fo
war doch leicht. einzufehen, daß wenn man jene wid-
tigen Angelegenheiten des höheren Willens und bes
firtlihen Handelns, feiter als bisher gefhehen,, zu
begründen dadte, wenn man dort ein firengereg,
in fi mehr zufammenhängendes, aus den Tiefen
Her Menschheit entwideltes Urtheil verlangte, daß
man, fag’ ih, den Geſchmack auch bald auf ſolche
Grundfäge hinweiſen, und deßhalb fuchen würde,
Individuelles Gefallen, zufällige Bildung, Volks⸗
eigenheiten durchaug zu befeitigen, und ein allgemet-
neres Gefeh zur Entſcheldungsnorm heroorzurufen.
Dieß gefchah auch wirklich, und in der Poeſie that
fh eine neue Epoche hervor, welde mit unferm
Sreunde, fo wie er ‚mit Ihr In Wißerfpruch ſtehen
mußte. Von diefer Zeit an erlebte er manches un⸗
billige Urtheil, ohne jedoch fehr davon gerährt zu
werden, und ich erwähne biefes Umſtands hier aus:
druͤcklich, weit der daraus in der Deutfhen Literatur
. Be
“ —
263
entftanbene Sonfict noch keineswegs beruhigt und
ausgeglichen iſt, und well ein Wohlwollender, wenn
er Wielands Verdienſt ſchaͤhen und fein Andenken
kraͤftig aufrecht erhalten will, von der Lage der
Dinge, von dem Herankommen ſo wie der Folge der
Meinungen, von dem Charakter, den Talenten der
mitwirkenden Perſonen genau unterrichtet ſeyn
muͤßte, die ‚Kräfte, bie Verdlenſte beider Theile
wohl kennen, und, um unpartepifch zu wirken, beiden
Parteyen gewiffermaßen angehören.
Doc von jenen hieraus entforungenen, Hleineren
oder größeren Senden zieht mich eine ernfle Betrach⸗
tung ab, der wir und nunmehr zu überlaflen haben.
Die zwiſchen Infern Bergen und Hügeln, In un
fern anmuthig bewäflerten Thaͤlern viele Jahre
gluͤcklich angeſiedelte Ruhe war ſchon längit durch
Kriegs zuͤge wo nicht verſcheucht, doch bedroht. Als
der folgenreiche Tag anbrach, der uns in Erſtaunen
und Schreden ſetzte, da das Schickſal der Welt in
unfern Spazlergängen entfchleben ward, auch In die⸗
fen fhredlihen Stunden, denen unfer Freund ſorg⸗
108 entgegenlebte, verließ ihn dag Gluͤck nicht; denn
er ward, erſt durch’ die Worforge eines jungen ent⸗
f&loffenen Freundes, dann durch bie. Aufmerkſam⸗
keit der Franzoͤſiſchen Gewalthaber gerettet, die in
(hm den verbienten weltberühmten Schriftfteler und.
zugleih ein Mitglied ihres großen —
Juſtituts verehrten.
/
264
Er hatte bald hierauf mit und allen den ſchmerz⸗
lihen Verluſt Amaltens zu ertragen. Hof und
Stadt waren eifrig bemuͤht, Ihm jeden Erfab zu rei:
hen, und bald Darauf ward er: von zwey Kaiſern mit
Ehrenzeihen begnadet, dergleichen er in feinem
langen Leben nicht gefucht, ia nicht einmal erwar⸗
tet hatte.
Aber fo wie am trüben, fo auh am heitern
Tage war er fich felbft gleih, und ef bethätigt hie:
durch den Vorzug zartgebildeter Naturen, deren
mittlere Cmpfänglichleit dem: guten wie dem böfen
Geſchick mäßig zu begegnen verſteht.
Am bewunderungswuͤrdigſten jedoch erfchlen er,
koͤrperlich und geiftig betrachtet, nach dem harten |
Unfall, der ihn in fo-hohen Jahren betraf, als ee
buch den Sturz des Wagens zugleich mit einer ger
liebten Tochter höchlich verlegt ward. Die ſchmerz⸗
lichen Folgen des Falles, bie Langeweile der Gene-
fung ertrug er mit dem größten Gleichmuth, und
tröftete meht feine Freunde als fich ſelbſt durch die
Aenßerung: es ſey ihm niemals ein dergleichen Un⸗
glück begegnet, und es möge den Göttern wehl bil⸗
ig gefchlenen haben, daß er auch auf dieſe Weife
die Schuld der Menfchbeit abtrage. Run genas er
‚auch bald, Indem fich feine Natur wie bie eines
Zünglinge ſchnell wieder herftellte, und ward uns
dadurch zum Zeugnis, wie ber Sartheit und Rein⸗
heit auch eine hohe phyſiſche Kraft verliehen fey-
——— ——
965 F
Wie ſich nun ſeine Lebensphiloſophie auch bei die⸗
fer Prüfung bewährte, fo brachte ein ſolcher Unfall
Seine Veränderung in der Geſinnung noch in feiner
Lebensweife hervor. Nach feiner Genefung gefellig
wie vorher, nahm er Theil an den herfümmtichen
Unterhaltungen des umgänglihen Hof- und Stadt-
Tebens, mit wahrer Neigung und anhaltenden Be⸗
muͤhen an den Arbeiten. der verbundenen Brüder. -
So ſehr auch jederzeit fein Blick auf das Irdiſche,
- auf die Erkenntniß, die Benußung deſſelben gerich-
. tet fbien — bes Außerweltlichen, des Heberfinnlichen
konnte er doch, als ein vorzäglihbegabter Mann,
keineswegs entbehren. Auch bier trat jener Con⸗
flict, den wir oben umſtaͤndlich zu ſchildern für Pflicht
gehalten, mertwürdig hervor; denn Indem er alles
abzulehnen fhlen, was außer den Gränzen ber all:
gemeinen Erfenntniffe liegt, außer dem Kreiſe defs
fen, was fih durdy Erfahrung bethätigen läßt, fo
konnte er fich doch niemals enthalten, gleihfam ver⸗
ſuchsweiſe, über die fo ſcharf gesogenen ‚Linien wo
nicht binauszufchreiten, doch hinüber zu bilden und
fih eine außermweltiihe Welt, einen Zuftand, von
bem ums alle angebornen Seelenträfte keine Kennt
niß geben Fönnen, nach feiner Weiſe aufzuerbanen
und darzuftellen.
Einzelne Züge feiner Schriften geben hiezu man⸗
nichfaltige Belege, befonderd aber darf ich mich auf-
feinen Agathodaͤmon, auf feine Euthanafle berufen,
ia auf jene ſchoͤnen, fo verftändigen als herzlichen
A
*
266
Aeußerungen, die er noch vor kurzem offen und un
bewunden diefer Verſammlung mitthellen mögen.
Denn zu unferm Brüberverein hatte fi in Ihm eine
vertrauensvolle Neigung aufgethan. Schon als
Juͤngling mit demjenigen befannt, was uns von ben,
Mofterien der Alten Hiftortfch überliefert worden,
floh er zwar nach feiner heitern, Karen Siunesart
jene trüben Geheimniſſe, aber verläugnete ſich nicht,
- daß gerade unter diefen, vielleicht feltfamen Häfen
—*
zuerſt unter die rohen und finnlihen Menſchen hoͤhere
Begriffe eingefuͤhrt, durch ahnungsvolle Symbole
maͤchtige, leuchtende Ideen erwedt, ber Glaube
an einen uͤber alles waltenden Gott eingeleitet,
die Tugend wiufhenswerther dargeſtellt, und die
Hoffnung auf die Fortdauer unſers Daſeyns ſowohl
von frifhen Schreduiffen eines trüben Aberglau-
bens, als von den eben fo falfhen Forderungen ei⸗
‚ner lebendiuftigen Sinnlichkeit gereinigt werben.
Nun als Greis von fo vielen wertben Freunden
und Seitgenoffen auf der Exrde-zurüdgelafien, ſich
in, manchem Siune einſam füplend, näherte er ſich
unferm theueren Bunde. Wie fro& er in denſelben
befucht, unfern Augelegenheiten feine Aufmetkſam⸗
keit gegönnt, fich der Aufnahme vorzäglicher junger
Männer erfreut, unfern ehrbaren Saftmahlen beige:
wohnt, und fih nicht enthalten, über manche wich⸗
‚tige Angelegenheit feine Gedanken zu erdffuen, da⸗
son find wir alle Zeugen, wir haben es freundlich
— — —
— a —— — —
‚getreten, wie anhaltend er unſere Verſammlungen
267
und dankbar anerkannt. Ja wenn dieſer altgegruͤn⸗
dete und nach manchem Zeitwechſel oft wieder her⸗
geſtellte Bund eines Zeugniſſes beduͤrfte, fo würde
hier das volllommenſte bereit ſeya, indem ein ta⸗
lentreicher Mann, verſtaͤndig, vorſichtig, umſichtig,
erfahren, wohldenkend und mäßig, bei uns ſeines
Gleichen zu finden glaubte, fih bei ung In einer Ge⸗
ſellſchaft fühlte, die er, der beften gewohnt, . ale
Vollendung feiner menſchlichen and gefelligen Wün=
ſche fo gern anerkannte.
Bor diefer fo merkwürdigen und hochgeſchaͤßten
Verſammlung, obgleih von unfern Meiftern aufge-
"fordert, über den Abgefchledenen wenige Worte zu
fprehen, würde ich wohl haben ablehnen dürfen, in
der Betrachtung, daß nicht eine flüchtige Stunde,
Leichte, unzufammenhängende Blätter, ſondern ganze
Jahre, ja manche wohl uͤberdachte und geordnete
Bände nöthig find, um fein Andenken ruͤhmlich zu
feyern, neben dem Monumente, das er fi) ſelbſt
in feinen Werken und Wirkungen würdig errichtet hat.
Auch übernahm ich dieſe ſchoͤne Prlicht nur in der Be-
trachtung: es könne dad von mir Worgeträgene dem
‚zur Einleitung dienen, was künftig, bei wiederholter
Feyer feines Andenkens, von andern befler zu leiſten
wäre. Wird es unfern verehrten Meiftern gefallen,
mit diefem Auffag in ihre Lade alle dasjenige nie-
derzulegen, was öffentlich über unfern Freund er-
ſcheinen wird, nod mehr aber dasjenige, was unfere
Brüder, auf die er am meiften und am eigenften ge=
i 268
wirkt, welche eines ununterbrochenen nähern Um⸗
gangs mit ihm genoffen, vertraulich äußern und mit-
theilen möchten, fo würde biedurd ein Schaß von
Thatfahen, Nachrichten und Urtheilen gefammelt, |
welcher woht einzig in feiner Art ſeyn dürfte, und
- woraus denn unfere Nachkommen fhöpfen könnten,
um mit ftandhafter Neigung ein fo wuͤrdiges An-
denken immerfort zu beſchuͤtzen, zu erhalten und
zu verklaͤren.
41426174
“.