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Full text of "Grillparzer's sämmtliche Werke"

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u. en 














m Tg nn — — 


Terme 
Grillparzers 


37 
Sämmtliche Werke 
in zehn Bänden. 
Zweite Ausgabe. 


Siebenter Band. 


TE ⸗ 


Hfuffgarf. 
Verlag der 3. ©, Cotta ſchen Buchhandlung. 
1874. 


Bustruderei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart. 








a 


sureh zit 


Inhalt. 


Ein Bruderzwiſt in QabBbung.. 02 onen. 1 
Die Judin vom Toledo 2 222. ll 


Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


' Trauerfpiel in fünf Aufzügen. 


Grtliparzer, Verte. Vn. 1 


Alle Dramen diefer Gefammtausgabe Griflparzer’s find den Bühnen 
gegenüber als Manufeript gebrudt. 





Berjonen. 


Rudolf IL, römifchedeutfcher Kaifer. 


Mathias, j 
Rarimiltan, | feine Brüder. 


—— | „feine Neffen. 

Don Cäſar, des Kaiferd natürlicher Sohn. 
Melhior Klefel. 

Herzog Julius von Braunfhmeig. 
Mathes Thurn. 

Graf Schlid, 


Gin Wortführer der böhmischen Stände, 


Seyfried Breuner. 

Oberſt Wallenftein. 

Wolf Rumpf, des Kaijerd Kämmerer. 
Dberft Ramee, 

Ein Hauptmann. 

Feldmarfhall Rußworm. 

Prokop, ein Bürger von Prag. 

Lucretia, feine Tochter. 

Ein Fahnenführer. 

Mehrere Soldaten, Bürger und Diener. 





Frſter Aufzug. 


— — 


Auf dem Kleinſeiter Ring zu Prag. 


Feldmarſchall Rußzworm, ohne Waffen, von der Stadtwache geführt, 
an deren Spike eine Gerichtsperſon. Rechts im Borgrunde Don 
Cäfar mit Begleitern. — Früher Morgen. 


@Berichtsperfon. 
Im Namen Taiferlicher Majeftät 
Ruf’ ich Euch zu: Laßt ab! 
Don Cäfar. 
Ich nicht, fürwahr! 
Ihr gebet den Gefangnen denn heraus, 
Den man zurüdhält ohne Fug und Redt. 
Berichtsperfon. 
Nah Recht und Urtheil, wie's der Richter fprach. 
Bon Cãäſar. 
So war das Urtheil falſch, der Richter toll. 
Der Mann hat einen Anderen erjchlagen, 
Weil jener ihn erichlug, kam er zuvor nicht. 
Gerichtsperſon. 
Der Richter kam zuvor, hätt' er's geklagt. 
Bon Cäſar. 
Ha, Feiger Schutzwehr, die von Feigen ſtammt; 


6 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


Wer hat ein Schwert, und bettelt erft um Schuß? 
Dann: wenn Belgiojofo fiel von feiner Hand, 
Geſchah's auf mein Geheiß. 

Rußworm. 

Mit Gunſt, Don Cäſar. 

Ich war Euch ſtets mit Neigung zugethan, 
Als einem wackern Herrn von raſchen Gaben, 
Wohl auch erkennend und mich gerne fügend 
Dem, was in Euch von höherm Stamm und Urſprung; 
Doch hat Feldmarſchall Rußworm ſeine Tage 
Befehl gegeben Andern oft und viel, 
Empfangen nie, ala nur vom Heereöfürften. 
Ob falſche Nachricht, Ohrenbläfer Tüde 
Mich trieb zur That, die nun mich felbft verdammt, 
Ob meine Dienft' in mander Türkenſchlacht 
Nücficht verdienen, Mildrung und Gehör, 
Das mag ber Richter prüfen und erwägen; 
Allein, daß Belgiojofo Euch im Weg, 
Euch Nebenbuhler war in Euerm Werben, 
‚Hat feinen Tod fo wenig ihm gebracht, 
Als, war er’ nicht, es ihn vom Tod errettet. 

Bon Läfar. 
Nun denn, fo faßt mi auch und führt mich mit! 
Denn wahrlich, hätt’ ihn biefer nicht getöbtet, 
Belgiofo fiel durch mich, ich hatt’3 gelobt. 

Geridtsperfon. 

Wir richten ob der That, den Willen Gott. 

Bon Cãſar. 
Ich aber duld' es nicht! Mit diefem Schwert 
Entreiß’ ih Euch bie Beute, die Euch lodt. 
Setzt an! Auf fie! Macht’ den Gefangnen frei! 

Geridtsperfon. 

Zu Hülfe der Gerechtigkeit! 





Erſter Aufzug. 7 


Bürger kommen aus ihren Häufern. 


Rußworm. 
Laßt ab! 


Ihr ſeid zu ſchwach und bringt die Stadt in Aufruhr. 


Steht meinen Feinden offen, nun wie vor, 
Des ſonſt ſo güt'gen, meines Kaiſers Ohr, 
So rettet mich kein Gott! Laßt ab, laßt ab! 
Zu beten ſcheint jetzt nöth'ger als zu fechten. 
Wo iſt der Minorit? 
| Don Cäſar. 

Und ich ſoll's anfehn, 

Es anjehn, ich mit meinen eignen Augen? 


Lucretia kommt mit ihrem Vater aus einem Haufe rechts im 
Vorgrunde. 


Don Cäſar. 
Ha, Heudlerin, fo kommſt du, dich zu meiden 
Am Unbeil, das dur) dich, um deinetwillen da? 
Sieh, diefer ift’3, der deinen Buhlen ſchlug. 
Er that's, nicht ich, doch freut mich, was er that — 
Ein Ende fette jenem nächt'gen Flüftern, 
Den Ständchen, dem Gefos, drob Wergerniß 
Den Nachbarn kam, beforgt um fcheue Töchter; 
Er that’3, und ftatt dafür ihn zu belohnen, 


Schleppt man ihn vor den Richter und verdammt ihn. 


Prokop 
(zur Gerichtsperſon). 
Iſt es geſtattet, Herr, auf offner Straße 
Ehrbare Mädchen zu beſchimpfen alſo? 
Bon Cäſar. 


Ehrbare Mädchen? Ha, ſie täuſcht dich, Alter, 
So wie ſie mich getäuſcht und alle Welt! 


ru ut Zt Me 


8 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Wohin nur geht ihr? Ja, zur Kirche wohl! 
Da weift fie ab die volle Eündenfpule, 
Um neue drauf zu winden, ſtill bemüht. 
Warum gehft du in Schwarz? Dir ftarb kein Bluts- 
freund. 
Negifter führ' ich über alles Unheil, 
dich bedroht und das dich ſchon betraf. 
Kein Blutsfreund farb bir. Warum denn in Schwarz? 
Klagſt du ob Dem, den dieſer Mann erfchlug? 
Sprich Ja, und biefes Schwert — D Nacht und Gräuel! 
Warum in Schwarz? 
Prokop. 
Komm, laß uns gehn, mein Kind! 


Bon Cüfar. 
Geh nicht, und du! — Bleib noch! — Lucretia! 
(Profop mit feiner Tohter ob.) 
Ich will ihr nah! — Und doch! — Rußworm, verzeih, 
Mich übermannte, blendete der Born. 
Doch fol darob nicht deine Sache leiden. 
Zum Raifer geb’ ich, forbre beine Freiheit, 
Und meigert er's — Glaub nur, er wird es nicht! — 
So werf' ih vor ihm ab die Gnaben alle, 
Die Laften, die mir feine Laune ſchuf, 
Gönn’ Andern das Bemühn, ihm zu gefallen, 
Und ſuch' in Ungarn Türkenfäbel auf. 
Leb wohl — Ihr Andern aber merkt euch diefes Wort: 
Wird ihm ein Haar gekrümmt, eh neue Botfchaft, 
Des Kaiſers eigener Befehl es heifcht, 
Zahlt euer Kopf für jede raſche Regung. 
(Im Borübergeen vor Lucretic's Kaufe.) 
Haus, ſei verdammt, du Hölle mir von je! 6.) 
(Rußworm wird nad der andern Geite abgeführt.) 











Erfter Aufzug. 9 


Berwandlung. 
Saal im kaiſerlichen Schloffe zu Prag. 


Durch die Mittelthüre treten Hofleute auf, die ih im Hintergrunde 
zerfireuen. Ein Kämmerer fommt durd den Haupteingang, hinter 
ihm Kleſel und Erzherzog Mathias. 


Aleſel. 
Ich bitt' Euch, Herr! 
Kämmerer. 
Fürwahr, e8 Tann nicht fein. 
Klefel. 
Ein Augenblick Gehör. 
Kämmerer. 
Sie find beſchäftigt. 
&lefel. 
Des Kaifers Bruder felbft. 
Kämmerer. 
Wenn auch, wenn auch! 
Doch will ich wohl verſuchen, ob's gelingt. 
(Mb in eine Geitenthüre rechts.) 
Mathias. 
So viel denn braudt’3, den Kaiſer nur zu fehn! 
Klefel. 
Den Kaifer? Herr, glaubt Ihr, wir find fo weit? 
Bei Wolfen Rumpf, geheimem Kämmerer, 
Sudt ihr nun Aubienz. 
Mathias. 
Du heil’ger Gott! 
Und das im felben Schloß, denfelben Zimmern, 
Wo id an unſers Vaters Hand einherging 
Mit meinem Bruder — ber geliebt're Sohn. 


10 Ein Bruderzwiſ in Habsburg. 


Aleſel. 
Ja, der geliebt're Sohn! Da liegt es eben! 
Hätt! Euer Vater minder Euch geliebt, 
Was gilt e8? Euer Bruber liebt! Euch wärmer. 


Mathias. 
Entehrt, verftoßen! 
&lefel. 
Hart, ich geb’ es zu. 
Doc) war der Schritt bedenklich wohl genug, 
Der Euch zulegt gebracht aus allen Hulden. 
Reist ab von Wien ins ferne Nieverland, 
Stellt an die Spige der Rebellen Euch, 
Entzweit die Höfe von Madrid und Wien 
Und, was das Schlimmfte, kehrt denn endlich heim 
Und habt nichts effeftuirt. 
Mathias. 
Ich ward getäufcht, 
Dranien betrog mich um den Sieg. 
Doch war der Plan, geſteht es, göttlich ſchön: 
Hinein zu greifen in den wilden Aufruhr 
Und aus den Trümmern, ſchwimmend rechts und links, 
Sich einen Thron erbaun, ſein eigner Schöpfer, 
Niemand darum verpflichtet, als ſich ſelbſt. 
&lefel. 
Ich ſeh' es kommen. Weht der Wind von daher? 
Hab, was du haft, woher du's haft, gilt gleich, 
Gekauft, ererbt — nur nicht geftohlen, Herr. 
Zwar Politik nennt fo was acquirirt 
Und find't fi wohl dabei. 
Mathias. 
Mit mir ift’3 aus. 
Ich will den Kaiſer unterthänig bitten, 


Erfter Aufzug. 11 


Mir zu verleihn die Stadt und Herrfchaft Steyr, 
Dort will ich leben und dafür entjagen 
AU meinem Erbrecht, aller Succeflion, 
Die mir gebührt auf öfterreich’fche Lande, . 
Der Anfalletag, er fände mic) im Grab. 
&lefel. 

Nun allzu wenig, wie nur erit zu viel. 
So treibt ihr euch denn ftet3 im Neußerften, 
D Marimilians unweiſe Söhne! 

(Nachdem er ſich umgeſehen, leiſe.) 
Eu'r Spiel ſteht gut, Ihr habt die Trümpfe, Herr! 
Harrt aus! Harrt aus! Und nur nichts von Entſagung, 
Von Schäferglück! Begehrt mir ein Kommando 
In Ungarn! Ein Kommando, ſag' ich, Herr! 
Was ſoll Euch Steyr? Der Wagebalken ſteht, 
Und kurze Friſt, ſo ſchnellt ein Quentchen mehr 
In Eurer Schale dieſe in die Höh! 

Auf Euch ruht Habsburgs Heil, das Heil der Kirche, 
Ruht unſer Aller Heil. | 
Mathias. 

Mit mir iſt's aus! 
Klefel. 
Sch ſeh', es ift, und fo geb’ ih Euch auf. 
Hier fommt Herr Rumpf, führt felber Eure Sade. 
(Er tritt zurüd.) 


Wolf Rumpf kommt aus der zweiten Geitenthüre rechts, Schriften 

unter dem Arme, gebüdten Ganges, der Kämmerer hinter ihm. — 

Der Kämmerer zeigt mit der Hand auf Erzherzog Mathias. Rumpf 

geht, ohne darauf zu achten, der Mittelthüre zu. Nachdem er fie faſt 
erreicht hat, tritt ihm Kleſel in den Weg. 


&lefel. 
Eu’r Strengen! Darf erzherzogliche Durchlaucht 
Gehör beim Kaifer hoffen? 


12 Ein Bruderzwiſ in Habsburg. 


Rumpf. 
. Kann nidt fein. 
Aleſel 
(auf Mathias zeigend, der im Vorgrund ſtehhh. 
Dort ſind Sie ſelbſt. 
Rumpf. 
Je, Diener, Diener! — Geht nicht. 
Des Kaiſers Majeftät find unwohl. — Acta, 
Negotia, 
&lefel. 
Nur wenige Minuten. 
CEeiſe zu Mathias.) 
Drängt ihn, drängt ihn! 
Mathias. 
Herr Rumpf, gebt mir die Hand! 
Rumpf. 
Je, meritir's nicht. Aber Tann nicht fein. 
Nicht wohl geruht; empfinden ſich turbirt 
Mit mal di teste. Wage meinen Dienft, 
So ih es permittir'. 
Aleſel. 
Ihr ſcherzt, Herr Rumpf. 
Wer Fennt nit Eure Macht an biefem Hof? 
Rumpf. 
So ſcheint's, fo ſcheint's. Doch find der Herr gar ftreng. 
Se näher ihm, fo näher feinem Born. 
Noch geftern Abend waren hoch ergrimmt, 
Sein kein Philipp der dritte, fehrieen fie, 
Dietiren ſich zu laſſen von Privaten. 
Mußt' meinen Abzug nehmen eilig durch die Thür. 
Es darf nicht fein. Ich kann nicht, kann nicht, nein! 
(Gr entfernt ſich von ihnen.) 


Erſter Aufaug. 13 
Don Cäfar flürmt zur Ihüre herein. 


Bon Käfer. 
Wo ift der Kaifer? Nun, Perüdenmann, 
Iſt er zu Sprechen? 
Rumpf. 
Huldreichſt guten Morgen, 
Sefior Don Cäſar. Gott erhalt! Eu’r Gnaben! 
Bon Cãſar. 
Wie geht's dem Kaijer? 
Rumpf. 
Gut, verwunderlich. 
Der Herr verjüngen fich mit jedem Tage, 
Sehn wie ein Dreißiger. Sagt’ ich doch heut nur: 
Daß Sie fo jelten öffentlich fich zeigten, 
Die Weiber fein’3, die drob am Meiften klagten. 
Da lachten Seine Majeftät. 
Bon Läfar. 
Sch glaub's wohl. 
War ich dabei, ich hätte auch gelacht. 
Ein Dreitiger! mit ſolchem Bauch und Beinen. 
Wie nun, kann ich ihn Sprechen? 
Aumpf. 
Allerding?. 
Ein Weilchen nur, hochgnäbige Geduld. 
Des Kaiſers Majeftät find — 
(Er fpriht ihm ins Ohr, auf Mathias zeigend.) 
Bon Cüfar. 
Gut denn, gut. 
Wem tft das Pferd, das man im Hofe führt? 
Rumpf. 
Ach, Euer, wenn hr wollt.” Der Kaiſer hat es heute 
Bejeben und gefauft. 


14 Gin Bruderzwift in Habsburg. 


Bon Cäſar. 
Ich will's befteigen. 


Mathias. 
Wer ift der junge Mann? 
" &lefel. B 
So wißt Ihr nicht? 
Ein Findelfind, im Schloſſe hier gefunden. 
Der Kaifer liebt ihn fehr. Begreift Ihr nun? 
Mathias. 


&lefel. 
Wohl, er felbft. — Nun, noch einmal, 
Begehrt in Ungarn ein Kommando. 


Mathias. 


ab.) 


Don Cäfar? 


Wozu? 
&lefel. 
Ihr follt noch hören; doch verlangt es! 


Ein Kämmerer tritt ein. 


Kämmerer. 
Erzherzog Ferdinand aus Steiermark 
Sind angefommen, bitten um Gehör. 
Rumpf. 
Du liebe Zeit! Ihr Gnaden find twillfommen. 
(Rämmerer ab.) 
Aleſel. 
Seht Ihr? Da kommt der Fünft'ge Kaiſer an, 
Der Erb’ von Defterreih, wenn Ihr nicht worfeht. 
Mathias. 


Ich will in Ungarn ein Kommando fuden. 





Erfter Aufzug. 15 


Dann — hab’ ich dich veritanden? — Klefel, dann, 
Die Macht in Händen — 
Klefel. 
Nur gemach, gemacht 
Ihr habt die Macht noch nicht. 


Mathias. 
| Und ich foll betteln? 
Alefel. 
Um Gotteswillen, Ihr verderbt noch Alles. 
(Ein Kämmerer öffnet die Seitenthüre rechts.) 
Rumpf. 
Der Kaiſer fommt. Ich bitt' Eu’r Durchlaucht, freunds 
lichſt 
Abſeit zu treten, bis ich angefragt. 
Mathias. 
Ich muß den Kaiſer ſprechen, und ich bleibe. 
Rumpf. 
Bedenkt! | 
Mathias. 
Ich hab's gejagt. 
Rumpf. 
Nun denn, mit Gott! 
Stellt Euch dorthin. Der Kaiſer geht vorüber, 
Wenn er zur Meſſe ſich verfügt. Vielleicht 
Will Euch das Glück, daß er Euch ſieht und anſpricht. 
Er kommt. 
Alcfel. 
Berfärbt Ihr Euch? Nur Muth, nur Muth! 
Der Augenblid gibt Alles oder nimmt e3. 


(Alles ſteht in ehrfurchtsvoller Erwartung. Erzherzog Mathias zieht ſich 
bis hinter die Seitenthüre links zurück. Kleſel in ſeiner Nähe.) 


16 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Zwei Trabanten treten aus der Eeitenthüre rechts und ftellen fi 
daneben auf; dann einige Bagen, julegt der Kaifer, auf einen 
Krüdenftab geftügt. Zwei Männer, Gemälde haltend, knieen auf 
feinem Wege. Er bleibt vor ‚dem erften flehen, betrachtet es, zeigt 
dann mit dem Stode darnah hin und bezeihnet an feinem eigenen 
linken Arme die Stelle, wo das Bild ihm verzeichnet ſcheint. Er 
fhüttelt den Kopf, das Bild wird weggebracht. Er fleht vor dem 
zweiten und gibt Zeichen der Billigung. Endlich nidt er Rumpfen 
zu, daß diefes zu behalten ſei: zugleih hebt er drei Finger der 
rechten Hand empor. 


Rumpf. 
Zweitauſend? 


Rudolf 
(heftig und ftart). 
Drei. 
(Ex tritt zum Tifhe, auf dem mehrere Bücher liegen, Er ergreift 
eines derfelben.) 
Rumpf. 
Aus Spanien. 


Rudolf (heiten). 
Zope de Vega. 


Rumpf. 
Depefchen auch von Eurer Majeſtät 
Gefandten an dem Hofe zu Mabrid. 

(Rudolf fchiebt die auf dem Tiſche liegenden Brieffhaften verädht- 
lich zurück. Gr ſetzt ſich und liest, das aufgefchlagene Bud in der 
Hand.) 

Erzherzog Ferdinand find angelangt. 


(Rudolf fieht aufhorchend einen Augenblid vom Buche weg und liest 
dann meiter.) 


Don Cäfar waren bier. 
(Rudolf, obige Bewegung.) 
Sie fommen tieber. 





Erfter Aufzug. 17 


Klefel (u Mathios). 
Nehmt Euch nur Muth! Ihr zittert, weiß e3 Gott. 
(Der Raifer lat unterm Lefen laut auf.) 
Die Zeit ift günftig. Seine Majeftät 
Scheint frobgelaunt. Verſucht's! 
Rudolf (im Lefen). 
Divino autor, 
Fenix de Espaüa. 
(Matpias nähert fih ihm.) 
Mathias. 
Gnäd'ger Herr und Kaifer, 
Ich hab's geivagt, aus meinem Bann zu Linz — 
Rudolf 
om Bude aufblidend). 
Sortija del olvido — €i, ei, ei! 
„Ring des Vergeſſens“ — a, wer den befäße! 
Mathias. 
Ob Ihr vergönnt — 
(er laßt ſich auf ein Anie nieder) 
Bereit, mein Herr und Kaifer, 
Die Rechte alle, die mein Eigenthum, 
Und die man mir beneivet, aufzugeben, 
Mein Erbrecht auf die öfterreich’Ichen Lande, 
Die Hoffnung, einft zu folgen auf dem Thron, 
Für einen Drt, um ruhig drauf zu fterben. 
(Gr legt die Hand auf die Armlehne von des Kaiſers Stuhl.) 
Rudolf. 
Wer da. — Rumpf! Will allein fein! — Rumpf allein! 
Allein. 
Mathias. 


Mein Kaifer und mein Herr! 
Grillparzer, Verte. VI. 2 


18 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Audolf 
Den Stoc gegen Rumpf erhoben). 
Mein! 
B Rumpf. 
Ich ſagt' es ja, doch Seine Durchlaucht drängten. 
Rudolf 
(mit Reigender Heftigleit). 
Allein! 


Rumpf gu Mathias). 
Entfernt Euch, gnäb’ger Herr! 


&lefel. 
Kommt, tommt! 
Verloren geht fonft Alles. 
Mathias. 
Gott! 
Rudolf (or fh hin). 
Allein. 
Mathias. 


Führt mid ins Grab, da wird mir doch wohl Ruh. 
(Ab, von Aleſel geführt.) 
Rudolf Pump). 
Allein. 
Rumpf. 
Was nun beginnen? Gott! 
(Gr hebt daß Buch auf, daß der Kaiſer weggeivorfen hat, und reicht 


es ihm.) 
Das Bud! 
(Rudolf weißt es zurid.) 
Berichte find as Ungarn eingelangt: 
Naab ift entfegt, und Papa wird belagert. 
Die Malcontenten follen Willens fein — 
(tebhafter) 
Ein Kaufmann aus Florenz hat fich gemelbet. 


Erſter Aufzug. 19 


Geſchnittne Steine führt er aller Art 
Von hohem Werthe. 

Audslf. 

Sehn! 

Rumpf. 

Allein bie Preife 

Sei'n unerſchwinglich. 

Audslf. 

Albern. 


Rumpf. 
Soll ich alfo? — Gut. 
Der ſpaniſche Drator, Balthafar 
Zufiga, wünſcht Gehör. 
(Der Kaiſer fhüttelt den Kopf.) 
Beliebt's Euch etwa, 
Nunmehro die Berichte —? 
(Der Raifer Rökt unwwillig mit dem Gtode auf den Boden.) 
Guter Gott! 


Don Cäfar tommt. 


Rumpf. 
Ihr kommt zur rechten Zeit. Verſucht, ob etwa — 
Bon Cäfar. 

IH küſſ'ſ Eu'r Majeftät die hohen Hände. 

(Der Raifer mißt ihn mit zornigem Blide.) 
Ihr fcheint nicht gut gelaunt, doch muß ich ſprechen. 
€3 gilt ein Leben, gilt wohl mehr als bieß. 
€3 hat ein Kriegögericht, ob eines Todtſchlags, 
Verübt im berben Fall der Selbftvertheib’gung, 
Zum Henkersſchwert verurtheilt Hermann Rußworm, 
Den treuften Diener Eurer Majeftät, 
Den Helven in ber Türken heißen Schlachten. 


20 Ein Brudergoift in Haböburg. 


Ich bitt' Euch nun, das Urtheil aufzuheben, 
Das Unfinn ift, Verrüdtheit, Gottesläftrung, 
Euch zu erhalten ein fo theures Leben, 
Mir einen Freund, den ich nicht laſſen kann, 
Und retten muß, gält’ es das Neußerfte. 
Rudotph fieht Wolfen Rumpf fragend an.) 
Rumpf. 
Es ift von wegen Hermann Rußworm, 
Der, halb gereizt und halb aus leid'gem Zufall, 
Den Oberften erfchlug. 
(Der Keiſer wirft, wie ſuchend, die auf dem Tiſche liegenden Papiere 
untereinander.) 
Vielleicht das Urtheil? 
lag zur Unterfchrift in dero Kabinet. 
Soll ich vieleicht? — Ich gehe, es zu holen. 
(Ub durd) die Thüre rechts.) 
Bon Cãſar. 
IH dan? Eu'r Majeftät denn nur im Voraus 
Für die Begnadigung des wackern Mannes, 
Der Alles ift, was dieſes Wort befagt, 
Indeß fein Feind ein Weiber, Pfaffenbiener, 
Ein Heuchler und ein Schurf! Und wenn der Rußworm 
In Zornesgluth ſich allzu weit vergaß, 
So denkt: derſelbe gom, ber bier den Gegner jchlug, 
Gewann Euch aud in Ungarn zwanzig Schlachten. 
(Rumpf tommt mit einem gefiegelten Palet zurüd.) 
Rumpf. 








Das Urtheil. 
(Gr reißt die Schrift dem Raifer, der fie zurlaweist.) 
Guter Gott! — Beliebt vielleicht 
Majeftät, hochgnädig zu beftimmen, " 
dero Abſicht mit fo wicht'ger Schrift? 
(Der Raifer nimmt das Patet, Let hohnlachend die Aufſchrift und gibt 
@& zurd.) 


Eur 








— nn — 


Erſter Aufzug. 21 


Ich weiß recht wohl: die äußre Fert'gung lautet: 
An Rath und Schöffen Eurer Altſtadt Prag; 
Doch, wenn das Urtheil wirklich unterſchrieben, 
Wie ich vermuthen ſollte — 
(Der Kaiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.) 
Bon Cäſar. 
Gnäd'ger Herr! 
Ich muß Euch bitten, für zwei Augenblicke 
Die feindlich düſtre Laune aufzugeben, 
Die ſich in dieſem Schweigen wohlgefällt. 
Bedenkt: kommt dieſes Urtheil, ſo gefertigt 
Und unterſchrieben, auf das Prager Schloß, 
So ſtirbt mein Freund. J 
Rudolf. 
Er ſtirbt! — Und du mit ihm, 
Wagſt ferner du's, ein Wort für ihn zu ſprechen. — 
Entarteter! ich kenne deine Wege. 
Du ſchwärmſt zu Nacht mit ausgelaßnen Leuten, 
Stellſt nach den Kindern ehrbar ſtiller Bürger, 
Hältſt dich zu Meutern, Lutheranern. 
Bon Cäſar. 
Meuter 
Hab' ich mit meiner Freundſchaft nie beehrt. 
Und was den Glauben, Herr, betrifft, da richtet 
Nur Gott. 
Rudolf. 
Ja, Gott und du. Ihr Beide, nicht wahr? 
Glaub du an Das, was deine Lehrer glaubten, 
Die Weiſeren, die Beſſern laß entſcheiden, 
Dann kommt's wohl noch an dich. — Der Rußworm ſtirbt! 
Und dank es Gott und einem Reſt von Neigung, 
Daß ich die Helfer, ſie, die darum wußten, 
Die lobten, billigten den feigen Mord, 


22 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


An Belgiojofo freventlih vollbracht, 
Nicht ebnermaßen fuche mit dem Schwert. — 
Das Mädchen, dem bu nachftellft, wüſten Sinns, 
Lafı frei! 
Bon Cäfar. 
Nein, Herr, denn fie betrog mid. 
Rudolf. 
Meinſt du? 

Cäfar, jo lang die ew'gen Sterne kreiſen, 
Betrigt der Mann das Weib, 


Bon Cäfer. 

Zum Mindften war's jo 

Mit einer Frau, die mir gar nah verwandt. 
Rudolf. 
Die dir verwandt? So kennſt du deine Mutter? 
Und kennſt du Den, der dir das Leben gab? 
Sag Ja! ſag Ja! und ewiges Gefängniß, 
Entfernt vom Strahl des gottgegebnen Lichts — 
So haben in den Sternen ſie's geleſen: 
Je näher mir, mir um ſo grimmrer Feind. 
Und alſo ſteht er da, hohnlachend, trotzend, 
Wie einſt der Teufel vor des Menſchen Sohn, 
Fort, dieſes Lachen, fort! — Gib deine Waffen! 
Nehmt ihn gefangen! — Wie, ihr zögert? weilt? 
So will ich ſelbſt mit meiner eignen Hand — 
(Zu einem Trabanten, der zu Außerfl dechts ſteht.) 
Leib beine Partifan mir, alter Freund: 
Daß id — ö 
(Indem er den Gtod fahren läßt, um nad der Partifan zu greifen, 
wantt er und iR im Begriff zu fallen. Die Umfichenden eilen Herzu, 
ihn zu unterftüßen.) 

Legt ihr die Hand an mich? Rebellen ihr: 
Yo soy el emperador! Der Kaifer ih! 





Erfter Aufzug. 23 


Bin ich verkauft im Innern meiner Burg, 
Und ift fein Echirmer, ift fein Helfer nah? 


Erzherzog Ferdinand erfheint in der Thüre. 


Serdinand. 
Viel Glück ins Haus! — Wie, Eure Majeſtät? 
Was iſt? Was war? Wer ſagt's? 
Bon Cäſar 
(su Rumpf, der ihn zu begütigen ſtrebth. 
Mich fümmert’3 wenig, 
Ob taufend Teufel mir entgegen grinfen! 
SHerdinand 
su Don Caſar, die Hand leife ans Schwert gelegt). 
Geht, junger Menſch! Ihr lernt fonft einfehn, 
Daß ung der Böfe nah, wenn man ihn ruft. 
Fort ihr! und ihr! 
(Die Anweſenden ziehen fi) gegen den Kintergrund. Don Gäfar in 
ihrer Mitte, von Rumpf geleitet. Alle ab.) 
Serdinand 
Gum Raifer treten). 
Mein Taiferlicher Herr! 
Rudolf. 
Wer ſeid Ihr? Wer? Und mie erfühnt Ihr Euch? 
Ferdinand. 
Eu’: Neffe bin ich, Herr, und Euer Knecht, 
Fernand von Grätz, zu jedem Dienft bereit. 
Audolf 
(M& dor der Berührung zurüdziehend). 
Es bien! es bien! AN gut! Seid uns mwillfommen! 
Serdinand. 
Wollt Yhr nicht figen, Herr? Ich ſeh's, der Zorn, 
Er zehrt mit Macht an Euerm eblen Sein. 
(&r leitet den Kaifer zum Lehnftuht.) 


24 Gin Bruderzwift in Habsburg. 


Ru dolf (isend). 
ht Ihr, fo halten wir's in unſerm Schloß — 
So dringt die Zeit, die wildverworrne, neue, 
Durch hundert Wachen bis zu uns heran 
Und zwingt zu ſchauen uns ihr gräulich Antlitz. — 
Die Zeit, die Zeit! Denn jener junge Mann, 
e ſehr er tobt, er iſt doch nur ihr Schüler, 
Er bt nur, was die Meifterin gelehrt. — 
Schaut rings um Euch in aller Herren Land, 
Wo ift noch Achtung für der Väter Sitte, 
Nr edles Willen und fiir Hohe Kunft? 
ind fie vom alten Tempel ihres Gottes 
Nicht ausgezogen auf den Berg von Dan 
Und haben dort ein Kalb fi) aufgerichtet, 
Vor dem fie knieen, ihrer Hände Wert? 
€s beißt: den Olauben reinigen. Daß Ott! 
Der Glaube reint ſich felbft im reinen Herzen. 
Nein, Eigenbünfel war e3, Eigenfucht, 
Die nichts erfennt, was nicht ihr eignes Werk. 
Deßhalb nun tadl' ich jenen Jüngling, ftraf’ ihn, 
Und fährt er fort, erreicht ihn bald fein Biel, 
Allein erfenn’ auch, was ihn fo entftellt. 


Daucht mir's doch manchmal grimmiges Vergnügen, 
Dit ihm zu ringen, in des Argen Bruft 
Die Keime aufzufuchen der Verkehrtheit, 
ihm geliehn fo wildverworrne Welt. 
Die Zeit Tann ich nicht bänd’gen, aber ihn, 
Ihn will ich bänd’gen, hilft der gnäd'ge Gott. 
Serdinand. 
Ihr werdet's, Herr, und bändigtet die Zeit, 
Wär Euch der Wille dort fo feſt als hier. 
Rudolf. 
Mein Ohm, der fünfte Karl, hat’3 nicht gefonnt, 














Erner Aufzug. 


Sanet Juſt ſah ihn als büßenden Karthäufer. 
Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann, 
Ich Tann es auch nicht. 
Serdinand. 
O des argen Mißtrauns 
In Euer edles Selbſt und ſeine Gaben! 
Wollt erſt nur, wollt! Und Gottes Beiſtand wird 
Wie ein erhört Gebet auf Euch ſich ſenken. 
Die Zeit bedarf des Arztes, und Ihr ſeid's. 
Rudolf. 
Ein wackrer Arzt, der jelber Heilung braudt! 
Und dann: allein! 
Serdinand. 
So wärt Ihr, Herr, allein? 
Verzeiht dem Schüler, der den Meiſter meiſtert. 
Um Euch ſchaart ſich die Hälfte einer Welt, 
Die treu noch ihrem Gott und ſeinem Abbild: 
Dem Fürſten auf dem angeſtammten Thron. 
Für Euch iſt Spanien, der Papſt, iſt Wälſchland, 
Des eignen Erblands ungebrochne Kraft, 
Noch nicht verführt von falſchen Glaubenslehren. 
Zählt Eure Schaar, und zehnfach, hundertfach 
Wiegt ſie die Gegner auf, die, ſchwach an Zahl, 
Nur ſcheinbar ſich durch Regſamkeit verdoppeln. 
Rudolſ. 
Der Arme viel, wo aber bleibt das Haupt? 


Serdinand. 


26 


Ihr ſelbſt, dem Niemand gleich an Sinn und Wiffen. 


Dann noch die edlen Fürſten Cures Hauſes, 

Die Gott als Helfer ſelbſt Euch anerſchuf. 
Rudelf. 

Sprecht Ihr von Eu? 


26 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


Serdinand. 
Sp werde nie mir Heil, 
Als je mein Sinn ein andre Trachten Tannte, 
Deſtreichs Wohl und Jeſu Chrifti Ruhm. 
Mein Alter heißt mich Iernen, ftatt zu lehren, 
Auch bin nicht ich's, die Brüber find’, die Nächſten: 
Der edle Mar, Albrecht, der finnig weile, 
Und jener Dritte — Erſte, den nur eben 
Im Vorgemach ich kummervoll — 
Audolf (ib abmendend). 
Es bien! 
Serdinand. 
Scht Ihr! da fenkt das alte Mißtraun wieder 
Sid) nebelgleih herab auf Eure Stirn. 
D, weh ung, wenn es wahr, was man ich fagt, 
Daß jener finftern Sternekund'gen Einer, 
Die Euern Hof zum Sammelplag erwählt, 
Dit aſtrologiſch dunkler Prophezeiung 
Eud) abgewandt von Euerm edlen Haus, 
Gefahr androhend von den Nahverwandten. 
D, weh uns, wenn es fo, und Ihr für Schein 
Den wahren Vortheil aufgebt, Aller Heil. 
Audolf (uffahrend). 
Für Schein? Für Schein? So Iennft du dieſe Kunft, 
— Wenn's eine Kunft — daß du fo hart fie ſchmähſt? 
Glaubft du, es gäb’ ein Sandkorn in der Welt, 
Das nicht gebunden an die ew'ge Kette 
Bon Wirkſamkeit, von Einfluß und Erfolg? 
Und jene Lichter wären Pfennigferzen, 
Zu leuchten trunfnen Bettlern in der Nacht? 
Ich glaub’ an Gott und nit an jene Sterne; 


Doc) jene Sterne audy, fie find von Gott: 
Die erften Werke feiner Hand, in denen 











Erfter Aufzug. 97 


Er feiner Schöpfung Abriß nieberlegte, 

Da fie und er nur in ber wüſten Welt. 

Und hätt es jpäter nicht dem Herrn gefallen, 
Den Menfchen hinzufegen, das Geſchöpf, 

E3 wären feine Zeugen feines Waltens 

Als jene hellen Boten in der Nacht. 

Der Menſch fiel ab von ihm, fie aber nicht. 
Mie eine Lämmerheerde ihrem Hirten, 

So folgen fie gelehrig feinem Ruf, 

Sp heut ald morgen, wie am eriten Tag. 
Drum ift in Sternen Wahrheit, im Geſtein, 
Sn Pflanze, Thier und Baum, im Menfchen nicht. 
Und mwer’3 verftünde, ftill zu fein mie fie, 
Gelehrig fromm, den eignen Willen meilternd, 
Ein aufgefpanntes, demuthvolles Ohr, 

Ihm mürbe leicht ein Wort der Wahrheit Fund, 
Die durch die Welten geht aus Gottes Munde. 
Fragſt aber du: ob fie mir felber Tund, 

Die hohe Wahrheit aus der Wejen Munde? 

So fag’ ich: Nein, und aber wieder: Nein. 

Sch bin ein ſchwacher, unbegabter Mann, 

Der Dinge tieffter Kern ift mir verjchlofien. 
Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht 
Für Das, daß Andre mächtig und ich nicht. 


Wenn aber, ob nur Schüler, Meifter nicht, 
Sch gerne weile in den lichten Räumen; 
Kennit du dag Wörtlein: Ordnung, junger Mann? 
Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haug, 
Hier unten eitle Willfür und Verwirrung. 
Macht mid zum Wächter auf dem Thurm bei Nacht, 
Daß ich erwarte meine hellen Sterne, 
Belaufche das veritänd’ge Augenwinken, 
Mit dem fie ftehn um ihres Meifters Thron — 


28 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


(immer leiſer ſprechend) 

Wenn nun der Herr die Uhr rückt ſeiner Zeit, 
Die Ewigkeit in jedem Glockenſchlag, 
Für die das Oben und das Unten gleich, 
Ins Brautgemach — des Weltbau's Kräfte eilen 
— Gebunden — in der Strahlen Conjunctur — 
Und der Malefiecus — — das böfe Trachten — — 
(Gr verfiummt allmählig. Sein Haupt fintt auf die Bruſt. Paufe. 

Eherzog Ferdinand tritt ihm, beforgt, einen Sqhritt näher.) 

Rudolf (emporfarend). 
Iſt Jemand hier? — Ja fo! — Was ſoll's? 
Ihr ſpracht von meinem Bruder, von Mathias. 
Ich ſeh', e8 ift ein Plan. Was alfo will man? 
Warum verließ er feinen Bann zu Linz? 
Serdinand. 
Und wenn's der Wunſch nad Thätigkeit nur wäre? 
Rudolſ. 
Nach Thätigkeit? Iſt er denn thätig nicht? 
reitet, rennt und ficht. Wir Beide haben 
Von unſerm Vater Thatkraft nicht geerbt. 
— Allein ich weiß es, und er weiß es nicht. 
Was alſo noch? Zum Mindſten will ich zeigen, 
Daß nicht der Sterne Drohn, daß euer Trachten, 
Die Heimlichkeit der nah verwandten Bruſt, 
Mir Mißtraun gab und gibt. — Die Klugheit riethe, 
Zu halten ihn in heilfamer Entfernung, 
Allein ihr wollt's. Was alfo ſoll's mit ihm? 
Serdinand. 





Er wünſchte — 
Rudolf. 
Nun? 
Serdinand. 
In Ungarn ein Kommando. 








Y 


Erſter Aufzug. 29 


Rudolf. 
Hat er ſchon je, und wo hat er geſiegt? 
Zwar iſt der Mansfeld dort, ein tücht'ger Degen, 
Der gönnt ihm gern die Ehre des Befehls 
Und thut die Pflichten ſelbſt. Schickt ihn denn hin! 
Doch heißt ihn zügeln ſeine Thätigkeit, 
Er füge ſich des Feldherrn beßrer Einſicht. 
Auch ſind der Krieger dort, der Führer viel, 
Die zugethan der neuen Glaubensmeinung. 
Es iſt jetzt nicht die Zeit, noch da der Ort, 
Zu ſtreiten für die Wahrheit einer Lehre. 
(Da Erzherzog Ferdinand zurüdtritt.) 
Rudolf. 
Mas it? Was geht Ihr fort? 
Serdinand. 
Nicht anzuhören, 
Wie Deſtreichs Haupt, mie Deutichlands Herr und Kaijer 
Das Wort führt den Abtrünnigen vom Glauben. 
Rudolf. 
Das Wort führt, ih? Kommt Euch die Luft, zu ſcherzen? 
Allein wer wagt’3, in diefer trüben Zeit 
Den vielverfchlungnen Knoten der Verwirrung 
Zu löfen Eines Streichs! 
Serdinand. 
Wer's wagte? ch! 
Rudolf. 
Das fpricht ſich gut. 
Serdinand. 
Nur das? Es iſt gejchehn. 
Sn Steier mindeftens, in Krain und Kärnthen 
Iſt ausgetilgt der Keim der Ketzerei. 
An Einem Tag auf fürftlichen Befehl 





30 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Bekehrten fih an fechzigtaufend Seelen, 
Und zwanzigtaufend wandern flüchtig aus. 


Audolf. 
Und ohne mich zu fragen? 
Serdinand. 
Herr, ich ſchrieb, 
Sp wiederholt ala dringend, aber frudtlos. 


Rudolf 
(die auf dem Tiſche liegenden Papiere unter einander ſchiebend). 
Es ift bier wohl Verwirrung oft mit Schriften. 
Serdinand. 
Da Schritt ich denn zur That, dem beiten Rath. 
Mein Land ift rein, o wär’ es aud) das Eure! 


Rudolf, 
Und Zwanzigtauſend wandern flüchtig aus? 
Mit Weib und Kind? Die Nächte find fchon kühl. 
Serdinand. 
Durch Drangfal, Herr, und Schmerz erzieht ung Gott. 
Rudolf. 
Und Das im felben Augenblid, wo du 
Die Sachfenfürjtin freift, die Proteſtantin? 
Serdinand, 
Gott gab mir Kraft, die Neigung zu befiegen, 
Wenn Ihr's erlaubt, jo fteh ich ab von ihr 
Und werbe um des Bayernherzogd Tochter. 
Rudolf. 
Sie ift nicht ſchön. 
Serdinand. 
Ihr Herz iſt Schön wor Gott. 





Erſter Aufzug. 31 


Rudolf 
(eine Geberde des Schiefgewachſenſeins magend). 
Beinah — 
Serdinand. 
Gerad ihr Sinn, ihr Wandel und ihr Glauben. 


Rudolf. 
Nun, ich bewundre Euch. — Weil’ deine Hände! 
Iſt das hier Fleiſch? Iebendig, wahres Fleiſch? 
Und fließt bier Blut in biefen bleichen Abern? 
Freit eine Andre, als er meint und liebt — 
Mit Weib und Kind, bei ziwanzigtaufend Mann, 
In falten Herbitesnächten, frierend, darbend! 
Mir kommt ein Grauen an. Sind hier nit Menfchen ? 
Ich will bei Menſchen fein. Herbei! Herein! 


Mit dem Gtode auf den Boden fampfend. Die Hoflente kommen 
zurüd, 


’ Rudolf. 
Die Kinderzeiten werben wieder wahr, 
Und mich umſchaudert's tie Gefpenfterglauben. 

(Zu Groberzog Ferdinand.) 

Weilt Ihr noch länger hier bei uns in Prag, 
Treibts Euch zurüd vieleicht ſchon nad} der Heimat? 
Serdinand. 

Ich reiſe nächſt, wenn Manches erſt geſchlichtet 
(lebhaft) 
Und meinen Bruber ich Euch vorgeftellt. 
Rudolf. 
So ift der Leupold da? Wo ift, wo mweilt er? 


Rumpf. 
Im Schloßhof tummelt er das türffche Roß, 


32 Ein Bruberzwift in Habsburg. 


Das hr gekauft, und das Don Cäſar ſchulte. 
Sie jubeln, daß der Erker wiederhallt. 


Rudolf. 
ubeln? Tummelt? Ein verzogner Fant, 
bjch wild und raſch, bei Wein und Spiel und Schmaus. 
Wohl felbft bei Weibern au, man fpricht davon. 
Allein er ift ein Menſch. Ich will ihn ſehn, 
Den Leupold fehn! Wo ift er? Bringt ihn ber! 
(Einige find gegangen.) 





Audolf (u Ferdinand). 
Beliebt's Euch unterbeflen, die Gemächer, 
Die man Euch hier bereitet, zu befehn? 
Wo bleibt der Range? Warum kommt er nicht? 


Erzherzog Seopolds Stimme 
(on außen). 





Señor! 
Rudolf. 
Aha, er ruft. — — Was gibt es dort? 


Aus der Geitenthüre links if ein Hofbedienter herausgetreten. 


Rumpf. 
Die Kapellane fragen unterthänigft, 
Ob Eure Majeftät den Gottesdienſt — 

Rudolf 

(018 Baret abnehmend und Mantel und Aleid ordnend). 
Des Herren Dienft vor Allem. 
(Zu Eryderzog Ferdinand.) 
Wenn's beliebt! 
(Zu den Uebrigen.) 

Und Tommt mein Neffe, heißt ihn nur ung folgen. 


Erfter Aufzug. 33 
Erzherzog Leopold jur Thüre hereinftürzend. 


feopold. 

Mein gnäd’ger Ohm! 

(Da er den bereits georpneten Zug fleht, ftußt er und zieht das Baret ab.) 
Rudolf. 
Nur dort, an Eure Stelle. . 


(Auf einen Wink Erzherzog Yerdinands ſtellt fih Leopold ihm zur 

Seite. Der Zug ſetzt fih in Bewegung, die beiden Erzberzoge unmittel- 

bar vor dem Kaifer. Nah einigen Schritten tippt Lebterer Erzherzog 

Leopold auf die Schulter. Diefer wendet fih um und kußt ihm lebhaft 

die Hand. Der Raifer winkt ihm liebreih drohend, Stillſchweigen zu, 
und fie geben weiter. Die Uebrigen folgen paarweife.) 


Der Vorhang fällt. 


Grillparger, Werke VII. 3 


Bweiter Aufzug. 


Freier Mat im kaiſerlichen Lager. Im Hintergrunbe die Gezelte. 


Ein Hauptmann tritt Hinter fi ſchreitend auf, wobei er eine kurze 
Partifane wagrecht vor ſich Hält. 


Hauptmann. 
Burüd, ſag' ich, zurüd auf eure Poſten! 
Seid ihr Soldaten, wie? und flieht den Feind? 


Gin Trupp Sofdaten tommt von derfelben Geite, ein Fahnen ⸗ 
träger unter ihnen. 


Sahnenträger. 
Wir fliehen, meint Ihr, Herr? Nun denn mit Gunſt, 
Sagt erſt, wo iſt der Feind, ob vor- ob rückwärts? 
Ein Krieger ficht wohl, weiß er, gegen wen; 
Doch wo nicht Ordnung, Kundſchaft und Befehl, 
Wehrt er ſich ſeiner Haut und weiter nichts. 
Hauptmann. 
So meifterft du, ein Knecht, den Heeresfürften? 
Sahnenträger. 
Db zehnmal Herr und zwanzigmale Knecht, 
Wenn Einer irrt, hat doch der Andre recht. 
Mir waren auf am Damm bei Raab geftellt, 


Zweiter Aufzug. 35 


Wir da und fünfzig Andre, die der Säbel 

Der Türken fraß in biefer blut'gen Nacht, 

Auf blahem Feld, zur Unterftügung rings, 

So weit das Auge trug, nit Wacht, noch Poften. 
Doch machten wir 'nen Kirchhof zum Kaftell 

Und hielten ftraff. Da bricht's mit einmal Ios: 
Allah! Allah! aus taufend bärt'gen Kehlen, 

Nicht vor uns, hinter ung. "Die Donau durch 
Rauſcht wie ein zweiter Strom, quer durch den andern, 
Der Spahi und fein Roß. Hilf Jeſu Chrift! 

Da galt fein Säumen, und war eitel Nacht, 
Trapp, trapp, ba fprengen Taiferliche Reiter 

Und jagen andre, kaiſerlich, wie fie. 

Der Musfetier ſchießt los, und den er traf, 

Es war fein Landsmann, in des Dunkels Wirren, 
Die rafche Kugel wechſelnd mit dem Freund. 

Bald ift das ganze Heer nur eine Flucht, 

Ein Jammern und ein Töbten und ein Schrei'n. 
In all der Haft vergaß man ganz auf uns, 

Zu gehn, zu bleiben waren wir die Meifter, 

Doc blieben wir. Erſt nach drei heißen Stürmen, 
Als Mander ſchon mit feiner Haut bezahlt, 

Brad auf das Heine Häuflein; und nicht feitwärts, 
Nur Sicherheit für unfre Leiber jugend, 

Zum Lager gradaus ſchlugen wir uns durch. 

Und find nun bier, dem Türken, ſucht er uns, 
Der Rückkehr Straße ſchwarz mit Blut zu zeichnen, 
Doch ihn zu fuchen, keineswegs gewillt, 

Man zeig’ und denn, wer führt und wer befiehlt. 


Mehrere im Trupp. 
So iſts — Ein Führer erft! — Dann folgen Alle. 
Hauptmann. 
So bin id unter Meutern? 


36 Ein Bruderzwift in Habsburg. 
' 
Oberſt Ramee tommt. 


Hauptmann. 
Mein Herr Oberft, 
errath und Aufruhr in des Lagers Mitte, 
Die hier und der — 
(63 haben ſich nad) und nad Immer Mehrere gefammelt.) 
ARamee (palblaut). 
Laßt nur, laßt nur für jetzt. 
Der Feind im Anzug und das Heer entmuthigt, 
Man drückt jegt füglicher ein Auge zu, 
Als den Gehorfam noch durch Strenge prüfen. 
Was weiß man von dem Felbheren? 
Hauptmann. 





Prinz Mathias? 
Ramee. 
Wem fonft? 
Hauptmann. 

Verſchieden gehen die Gerüchte. 
Er ward gefehn in Mitte der Verwirrung. 
Die Einen laſſen ihn am vechten Donauufer 
Die Straße nehmen nad Haimburg und Wien, 
Die Andern — heil’ger Gott, wenn er ven Türken —! 
Was machen wir, vereinzelt, ohne ihn? 


Ramee. 
Dafjelbe mein’ ih, was mit ihm, ben Frieden. 
Hauptmann. 
Allein der Kaifer will nicht. 
Ramer. 
Wollen! Wollen! 


Hier fragt ſich, was man muß, nicht, was man will. 
Auch, ift der äußre Krieg erft beigelegt, 
Hat man die rüft'gen Arme frei nad} innen. 


Zweiter Aufzug. 37 


Hauptmann. 
Was aber foll mit all der Soldateska? 
Wir find im Nüdftand mit zwölf Monat Solo. 
Ramer. 
Erzherzog Leupold wirbt in Paſſau Völfer, 
Wenn hier das Handwerk ruht, fragt an bei uns. 
Hauptmann. 
Und gegen wen —? 
Ramer. 
Die Rüftung geht in Pafjau ! 
Man weiß nod nicht. Für wen, ih hab's gejagt, 
Auf jeden Fall für Deftreih und den Kaiſer. 
Wer find die Männer? 


Einige ſchwarz gelleidete Herren gehen quer über bie Bühne. Mehrere 
grüßen fie mit abgegogenen Hüten. 


Hauptmann. 
- Mit den golbnen Ketten? 
Die proteſtant'ſchen Herrn aus Defterreich. 
Sie kamen, den Erzherzog anzuſprechen 
In Sachen ihres neuen Chriftenthums, 
Und halten ſich deriveile zu den Ungarn. 
Das lauſcht und flüftert, ſchleicht und Fonfpirirt. 
Wär’ ich der Prinz, wie wollt’ ich heim fie enden ! 
Ramee. 
Heim ſenden? ei, wenn ihr ſie ſelbſt berieft? 
Geibergeſchrei Hinter der Scene.) 
Was dort? 


Gin Soldat, eine gefangene Türkin an der Hand führend 


Soldat. 
Nein, fag' ich, nein! 


38 Ein Bruderzwiſt in Haböburg. 
Zwei Küraffiere, die ihm folgen. 


Küraffier. 
Muß doch, muß doch! 
Soldat. 
Mein ift die Heibin, zehn und hunbertmal. 
Ihr Haus in Oran fiel mir zum Beutetheil, 
Ich war's, der ihren Bräutigam erſchlug, 
Drum ift fie mein und Das von Rechtes wegen. 
Küraffier. 
Mir drüden fie die Hand. 
Soldat (ur Zürfin). 
Iſt's wahr? — Sie Tann nicht eben. 
Wenn's wahr, fo ſpalt' ich ihr den Kopf, Doch jetzt, 
Jetzt ift fie mein und — 
Küraffier 
Pie Hand am Eäbel). 
Wollen eben jehn. 
Soldat. 
Kommt an, fommt an! Ob Einer gegen Bivei. 
Iſt Niemand ba, der einem Landsmann hilft? 
Hauptmann 
(zwiſchen fie tretend). 
Zurüd, Samländer, ketzeriſche Hunde! 
Küraffier. 
Mas fagen Mann? 
Hauptmann. 
Iſt's etwa nicht befannt, 
Daß Türk und Lutheraner ftet3 im Bunde? 
Wie ging’ fonft Alles fchief in Rath und Lager? 
Die heute Nacht der Flucht das Beifpiel gaben, 
Die Ketzer waren's, finnend auf Verrath. 





Zweiter Aufzug. 39 


Sahnenträger 
(im Borgrunde reht8). 
Wer das fagt, lügt. 
Hauptmann 
(fein Schwert Halb gezogen). 
Mir das? Wer hat geſprochen? 
Bmeiter Soldat ' 
(rechts im Vorgrunde). 
Mit Gunft: hat er doch recht. Hier diefer Mann, 
Obgleich ein Luthriſcher und Kirchenleugner, 
Gefochten hat er in ber heut'gen Schlacht 
Wie Einer, ber gebenkt des ew'gen Heils. - 
Und ob ich gleich ala rechter Katholik . 
Verdammen muß, was feine Pred'ger lehren, 
Im Lager hier ſind alle Tapfern Brüder, 
Und ſomit meine Hand. 
Sahnenträger (ehftagend). 
Hier meine. 
Mehrere 
(ein Gleiches thuend). 
Freund und Bruber! 
Rings herum. 
Auf Ja und Nein! 
Trotz Papft und Rom! 
Wir Ale! 
Hauptmann. 
Hört Ihr? 
Ramee. 
Laßt nur! 


Geſchre i (dm Hintergrunde). 
Hoheifa! Die Zigeuner! 


40 J Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Im Hintergrunde tritt ſchlechte Mufit auf. Einige Paare folgen, ſich 

bei den Händen Haltend und zum Tanze anfhidend, Die anweſenden 

Sofbaten ſammeln ſih bei dem dort Rehenben artetendergelte. Mufit 

und Tänger gehen hinein. Gelädter, Zuteinten. — Kleſel von der 
teihten Seite ommend. 


&lefel. 
Du heil'ger Gott! bin ich im Chriftenlager, 
Und dient kathol'ſchen Fürften dieſes Heer? 
Ramer. 
Wenn Euch das kränkt, ſeid wohlgemuth, 
Das Lager wird Euch fürder nicht mehr ärgern. 
Ihr ſeid nach Prag berufen, wiſſen wir, 
Der Kaiſer ſieht Euch hier nicht allzugern. 
Wann reist Ihr ab? 
&lefel. 
Wenn's meine Pflicht erheifcht. 
Die keineswegs mir Prag bis jet bezeichnet. 
Der Seelenhirt gehört in feinen Sprengel. 
Ramer. 
Und ift Eu'r Sprengel hier im Lager? Neuftabt, 
Neuftadt und Wien, bort leuchte Euer Licht. 
Ihr feid hier Schuld an mandem Schief' und Argen, 
Seht Eure Meinung durch und führt den Arieg 
ALS eine Wallfahrt nach 'nem Gnadenort, 
Nebjtvem, daß wenig Gnad' in Eurem Thun. 
Verfehrt Ihr doch mit eitel Proteftanten 
Und wendet Eurem Herrn bie Herzen ab, 
Die hm bereit aus ben getreuen Landen. 
Doc) ift zur Zeit ein andres Regiment. 
Mathias, dieſes Lagers Fürft und Führer, 
Er fand den Rückweg nicht der andern Flücht’gen, 
Und die Erzherzoge, die Ihr berieft 
Aus Gräg und Wien, zu einem Rathſchlag heißt es, 














Zweiter Aufzug. 41 


Sie find im Lager, treten in fein Amt 

Und werden Euerm Flüftern wenig horchen. 
&lefel, 

Ob Ihr beleidigt mich, es ſei verziehn, 

Allein um aller Heil'gen willen, ſagt, 


Was von Erzherzog Mathias Euch bekannt. 


Ramee. 
Bekannt, daß nichts bekannt. Er iſt nicht hier, 
Ob nun in Wien, ob — hoffen wir das Beſte. 
Euch ſei genug: im Lager iſt er nicht. 
Drum reist nur ab, wenn Ihr nicht vorher noch 
Bei Denen, die ihm folgen im Befehl 
Und die dort nahn, wollt Euer Heil verfuchen. 


Stellt eu in Orbnung! Die Erzberzoge. 


Die im Hintergrunde Befindlihen ftellen fi in eine Reihe. Bon der 
linken Seite Iommen die Erzherzoge Ferdinand, Leopold und 
Maximilian, 


Marimilian 
(ein beleibter, wohlbehaglicher Herr). 
Die Wege rütteln, wie das böfe Fieber. 
Hat noch von unſerm Bruder nichts verlautet? 
Alefel 
(der in den Borgrund rechts getreten, auf fie zugehend). 
Gott ſegne euern Eintritt, edle Herrn! 
(Die Erzherzoge fehen nah der entgegengefekten Seite und gehen quer 
über die Bühne ab.) 
Klefel (ih zurüdziehend). 
Du heil'ger Gott! 
Seopold 
(der zurüdgeblieben, lints in den Vorgrund tretend). 
Namee! 


42 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Aamee (u ihm tretend). 
Erlaudter Here! 

£eopold. 
Es fteht hier ſchlimm, und doch, heben!’ ich's recht, 
Möcht' ich faft fagen: gut. Sie haben Pläne. 
Das Lager bier, ich fürdte, löſt ſich auf. 
Haft du verfucht, ob Ein und Andre willig, 
Bei ung zu dienen im Pafjauer Heer? 

Ramer. 
Bei zwanzig Führer. 

Ceopold. 

Halt, ſprich leiſe, hier! 
(Gr zieht ſich mit ihm nach der linten Geite, wo Ramee zu ihm ſpricht.) 

Aleſel 
(in der Mitte der Bühne mit einer Bewegung gegen den Erzherzog). 
Ob ich's verſuche, noch einmal verſuche? 


Eine Gruppe Soldaten rechts im Vorgrunde. 


Erfter (batbtaut). 
Des Kaiſers Sohn, Don Cäfar, ift im Lager. 
Er wirbt Gehülfen zu geheimem Anfchlag. 
Es ſoll 'ner Kutſche mit zwei Frauen gelten, 
Begleitet nur von wenigen Berittnen. 
Bweiter. 
Das wär’ ja wie ein Räuberüberfall. 
Erfer. 
Des Kaifers Sohn und Räuber? Dann zulet, 
Was fümmert’3 dich? Sieh hier, man zahlt mit Gold. 
(Düngen zeigen.) 
weiter. 
Gehſt bu? 





Zweiter Aufzug. 43 


Erfter. 
Ja wohl! und Kunz und Hand und Märten. 
Klefel (im Mittelgrunde). 
Nein, lieber fterben, ala den Einſichtsloſen 
Die Einfiht opfern und gerechten Stolz. 
Leopold 
u Ramee, auf Alefel zeigend). 
Sei raſch und Hug und hüte bi vor Dem! 
i weiter 
Cechis im Borgrunde). 
Hier Haft du mi! Soll's bald? 


Erfter. 
Heut Abend. 
weiter. 
" Gut. 
Gefchrei (inter der Scene). 
Vivat! Vivat! 
Ramee. 
Was iſt? 
Hauptmann 


(in die Gcene nad) links Blidend). 
Ein Mann — umgeben — 
In ungriſch niedrer Tracht — 's ift der Erzherzog. 
Ramee. 
Mathias? 
Hauptmann. 
Wohl! — Nun Vivat, Vivat denn, 
Wer's treu mit Deftreih meint und feinem Haus. 
(Mefel, der bei dem Worte Mathias zufammengefahren, fürzt jekt auf 


den Hauptmann zu, ihm die Reiite mit beiden Händen drüdend, dan 
eilt er nad) der finfen Seite ab.) 


44 Ein Bruberzoift in Habsbutg. 


Alle 
(in derfelßen Richtung folgend). 
Vivat! Vivat! 
Ramee. 
Nun, Vivat denn wir Alle! 
(Gr flieht Ab an.) 
Erfter 
(auß der Gruppe rechts). 
Wir fommen noch zurecht. Doch wahrt die Zunge! 
(Sie jiehen fih nad der teten Eeite zurüd. Die Bühne iR leer 
geworden.) 


Verwandlung. 


Das Innere eined Zelte. Kurzer Raum, im Hintergrunbe 
durch einen Vorhang gefchloffen. 
Yon Hufen $Brt man noch immer Zivatsufen. Ergherzog Mathias 
in einfachem ungariſchen, bis an die Rnie reichenden Rode, ein paar 
Diener hinter fih, von der rechten Seite. 


Mathias. 
Ha, jubelt nur, ihr wadern, treuen Jungen! 
Diegmal fürwahr ging’3 nahe gnug an Leib. 
(Sein Aleid befehend, zu den Dienern.) 
Gebt einen andern Rod! — Und doch, laßt immer! 
Nicht trennen will ich mich von biefen Kleidern, 
Bis abgewafchen biefes Tages Schimpf. 

Doc einen Stuhl, denn auszuruhn geziemt ſich, 
Eh man die Kraft zu neuem Wirken fpannt. ö 
&lefel 
(von rechts eintreten). 

Gebt Raum! Gebt Raum! Ich muß zu meinem Herrn! 
(Sid) vor ihm auf die Aniee werfend und feine Hand faffend.) 

Ihr ſeid's, Ihr lebt! D, uns ift Allen Heil! 


Zweiter Aufzug. 45 


Mathias 

(Klefel emporbebend). 
Habt Dank, mein Freund! Habt Dank für Eure Liebe. 
Sa, dießmal galt's. Ein Boll, ein Haar, 
Und Prinz Mathias ging zum dunfeln Land, 
Wo Fürften ſich als Bettlergleiche finden. 

(Sein Kleid zeigend.) 
Der Riß bier, Schau! Das war ein türffcher Säbel, 
Den einzeln ich dem Einzelnen beitand. 
Es gab zu thun, 

(mit einer Handbewegung) 

doch eine fchiefe Quart 
Des alten Mazzamoro, unſers Lehrers 
Aus früher Anabenzeit, Das endlich half. 
Ein alter Landmann gab mir diefen Rod, 
Und fo kam ich zurüd ins eigne Lager. 

(Diener haben einen kurzen Mantel gebradt.) 

Was ſoll's? — Sagt’ ich denn nit? Es gilt wohl gleich. 
(Diener ziehen ihm das ungariſche Kleid aus und geben ihm den Mantel 

um, während defien.) 


Kleſel. 
Wie waren wir beſorgt ſeit Flucht und Schlacht. 


Mathias. 

Die Schlacht ging ſchief. Der alte Mansfeld “ 
Mit feinem Zaudern hat das Heer ververbt, 
Das ift kein Mann für tücht'ges Werk und Wagen. 
Dagegen diefe Türken, 

Pen Mantel zurecht ziehend, die Diener entfernen ſich) 

wahr bleibt wahr. 

Sonſt ſchützt e ein Fluß den drangelehnten Flügel, 
Sie aber ſchwimmen durch mit Roß und Mann, 
Und was ein Bollwerk ſchien, wird Punkt des Angriffs. 
In Zukunft ſieht man ſich wohl vor. — Nun aber? 


46 Ein Bruberzwift in Habsburg. 


Was geht für Nachricht von den Flüchtigen? 
Sind fie zuruck ins Lager? Fehlen Viel’? 
&lefel. 
Ein Drittheil, fagt man, faft des ganzen Heeres. 
Mathias 
(auf und nieder gehend). 
Ein Drittheil, ſchlimm! 
&lefel. 
Nicht wahr? Ihr feht nun felbft — 
Mathias. 
Es finden Manche fi wohl fpäter ein. 
Doch hätt! ih mir gedacht — 
Aleſel. 
Der Reſt entmuthigt, 
So daß kein Mittel, als — 
Aathias. 
Erneuter Angriff — 
&lefel. 


Mathias. 
Neuer, boppelt ftarker Angriff. 
leſel. 
Ihr wart ja doch vor Kurzem überzeugt, 
Daß nur allein Vertrag — 
Mathias. 
Vor Kurzem, ja, 
Da war ich Sieger. Aber nun: beſiegt. 
Bei dieſem Wort empört ſich mir das Blut 
Und ſteigt vom Herzen glühend in die Wangen. 
Mir ſchwebt ein Plan vor aus Vegetius, 
Bewährt ſich der, dann ſprechen wir des Weitern. 


Als Frieden. 





\ 


Zweiter Aufzug. 47 


Was frag’ ich nach des Heeres Zahl und Stärke? 
Das Schlimmfte fteht dem Beſten oft zunädft. 
Wälzt fi) der Strom erft dieſes Heidenvolks 

Bis an die Grängen hin des deutſchen Reichs, 

It Münden erft bebroht und Ulm und Augsburg, 
Dann ſchütteln jene römiſch deutſchen Schäfer 
Den Schlummer ab der eignen Sicherheit, 

Und auf dem Lechfeld ſchlägt man eine Schlacht, 
Die Türken tilgend, wie voreinft die Hunnen. 


&lefel. 
Iſt Das Eu'r Wort, im felben Augenblid‘, 
Mo die Erzherzoge, von Euch berufen, 
Im Lager fon, zu handeln von dem Frieben? 
Mathias. 
Sie mögen ſich den Krieg einmal befehn, 
Mitmachen etiva gar. Dergleichen frommt 
Für Gegenwart und Zufunft; endlich gehn, 
Wohin fie Laune treibt, Beruf, Geſchäft. 
Klefel, 
Und wenn ber Kaifer nun erfährt, 
Daß man hier Rath gehalten gegen feinen Willen. 


Mathias. 
Erfahren mußt’ er's, ob nun jeßt, ob fpäter. 
&lefel. 
Doch Schütte der Erfolg vor feinem Zorn. 
Mathias. 
Den beiten Schuß gibt in ber Fauft das Schwert. 
&lefel. 
Und wenn er Euch nun ab vom Heer beruft? 
Mathias. 


Vielleicht gehorcht' ich nicht. 


48 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


&lefel. 
Geftügt auf mas? 
Der Feldherr, der Gehorfam weigert, heift 
Verräther, aber wer den Frieven gibt 
Dem auögefognen Land, wär's ohne Auftrag, 
Er ift der Netter, Abgott feines Volks. 
(Qatbleife.) 
Vergeßt Ihr denn, daß Sultan Amurat, 
Der Frieden braucht, dem Geber biefer Ruh 
In Ungarn Macht und Einfluß gerne gönnt? 
So wie, daß Oeſtreichs Stände beiven Glaubens 
Dem Retter in der Noth fi) in die Arme — 
Die doch auch Hände haben — freudig ftürzen. 
Mathias. 
Ich hab's gefaft. Die Schmach ertrüg’ ich nicht. 


Ein Diener anmelden. 


Biener. 
Die Herrn Erzherzoge. 
Aleſel. 

Um Gotteswillen! 
Erkennt doch, daß es Wahnſinn, was Ihr wollt. 
Und doch — Kommt’3 wie ein Lichtſtrahl nicht von Oben? 
Es iſt zu ſpät. Bleibt, Herr, bei Eurer Weigrung. 

(Sid nach dem Vorgrunde entfernend.) 
Vielleicht reift unfern Anſchlag dieß zumeift. 

Die Erzherzoge werden eingeführt. 

Marimilian. 
Nun Bruder, Gott zum Gruß. Doppelt willkommen, 
Al kaum entronnen folder Fährlichkeit. 
Mathias (ablehnend). 

Gefahr ift ja des Krieges Kern und Inhalt. 





Zweiter Aufzug. 49 


Marimilian. 
Nun aber and Geſchäft. Man rief uns ber, 
Als Zeugen dachten wir von einem Sieg, 
Um zu bewundern Eure Strategie; 
Doch ſcheint Gott Mars, der ftrahlenvde Planet, 
Borläufig in. rüdgängiger Bewegung. 
Mathias. 
Aus Vor: und Rückwärts bildet ſich der Kreislauf. 
Marimilian. 
Doch bleibt man hübſch im Kreis und fommt nicht 
" vorwärts. 
Nun, Bruder, ſei nicht unwirſch, ging's mir auch doch 
Nicht anders in dem Streit um Polens Krone. 
Sie fingen mich ſogar, trotz Stand und Krone. 
Der Krieg kennt nicht Reſpekt, er zahlt auf Sicht. 
Hier bring' ich dir die Neffen, die du kennſt, 


Obgleich ſeitdem 
(auf Leopold zeigend) 


gewachſen 
(auf Ferdinand) 
und gealtert. 
Sie kamen ber, den Kreislauf zu ſtudiren 
Des Gottes Mars. Auch will man, heißt's, beratben 
Um Dieß und Das. Zuletzt denn find mir bier. 
Serdinand 
(auf Max zeigend). 
Des Bruders Gruß, nicht theilend feinen Scherz. 
Leopold. 
Und hocherfreut, Euch, Oheim, wohl zu finden. 
Mathias. 
Das geht nun ſo im Lager ab und zu, 
Bald oben und bald unten. Iſt's gefällig? 
Ein Imbiß findet ſich mohl noch zur Labung. 
Orillparzer, Werke. VII. 4 


50 Ein Bruderzmift in Habsburg. 


Marimilian. 
Sch liebe nichts vom Krieg, am Wenigften 
Die Kriegerkoft. Ein deutſcher Drbensmeifter 
Will Alles ordentlich, zumal die Tafel. 
Wir haben und aus unfrer Reifefüche 
Im Wagen fchon geftärkt und banken freunblichft. 
Auch will ich Feine Lorbeern hier erwerben; 
Drum raſch nur ans Geichäft; ift das beenbigt, 
Kehr' ich nach Wien zurüd, fobalb nur möglich, 
Und wo ein Weg noch von den Türken frei. 
Du feheinft nicht meiner Meinung, Leopold? 
Bleib bier, gebraud; dein Schwert! Du bift noch jung, 
Und kommt's zur Flucht, bewegſt du rüſt'ge Beine. 
Ich bin von Blei, das zwar aus ber Muskete 
Ein raſches Ding, fonft aber träg und ſchwer. 
Nun aber: wo der Rathstiſch und die Stühle? 
(Nefel zieht an einer Schnur, der Vorhang des Zeltes öffnet fid und 
zeigt einen grünbehangenen Tiſch und Wrmfeffel.) 
Marimilian. 
Der Teppich grün, ah, fo bin ich's gewohnt. 
An einem rothen Tiſch fiel’ mir nichts ein, 
Ein blaubehangner führte grab ins Tollhaus, 
Doch grün, das ftärft das Aug und den Verftand. 
Kommt denn, ihr Herrn! 
(Ceife zu Mathias.) 
Doch hier ift Einer, 
Der überlei mir bünft in unferm Rath. 
"Klefel (u Mathias). 
Befehlt Ihr irgend noch, erlauchter Herr? 
Sonft, mit Crlaubniß, fie’ ich mic) zurück. 


’ Marimilian. 
Bleibt immer denn und führt das Protofoll! 





Zweiter Aufzug. 51 


Dan fpricht fonft her und hin und weiß zuletzt 
Nicht Ja, noch Nein, und wer und was geſprochen. 
{Zu den Uebrigen.) 
Geht figen, figen! Kommt! 
(Rlefeln daB Ende rechts am Tiſche anweifend.) 
Hier Euer Plag! 
. Doch mir zulieb, ſprecht erft, wenn man Euch fragt. 
Nun, Leopold? 
feopold 
(am Ende ints). 
Ihr wißt, ich ftehe gern. 
Marimilian. 
Ih weiß, ih weiß! In Gräg vorm Bäderlaben 
Haft du geftanden, eifern, ftunbenlang, 
Bis ſich die holde Mehlverwandlerin 
Am Fenſter, günſtig, eine Venus, zeigte. 
Ceopold. 
Ein Stadtgeklatſch. 
Aarimilian. 
Es klatſchte, wie von Küſſen, 
Und Niemand wußt' es, als die ganze Stadt. 
(Zu Rlefel.) 
Tunkt Ihr die Feder ein? Ihr werdet doch. nicht 
Das alles ſetzen ſchon ins Protofol? 
Seht nur, er mahnt uns, Klügeres zu fprechen, 
Und er bat Recht, nun alfo denn: zur Sache. 
Komm figen, Leopold! 
£copold. 
Nicht, bis ich weiß: 
Ob mit des Kaifers Willen, ob dawider 
Wir und vereinen bier zu Spruch und Rath. 
Mathias ’ 
(nad) einer Paufe). 
Sagt etwas, Klejel! 


59 Ein Bruderzwift in Habäburg. 


Klefel, 
Wenn ich alfo darf: 
Es will gewiß der Menſch fein eignes Beftes. 
Wird nun des Kaiſers Beſtes hier berathen, 
Kann man noch zweifeln, ob es auch fein Wille? 
Leopold. 
Ich aber will nur, was ich ſelber will, 


Und Herrſcher heißt, wer herrſcht nach eignem Willen. 


Mathias. 
Man merkt es wohl, Ihr ſucht des Kaiſers Gunſt. 
Ceopold. 
Wer ſie nicht wünſcht, iſt nicht ſein Unterthan. 
Mathias. 
Doch hängt ein Nebenvortheil manchmal noch 
Der Demuth an, die nur Gehorſam ſchien. 
Ferdinand. 
Komm, Bruder Leopold, es ſoll nicht heißen, 
Daß wir aus Grätz Gerüchten Nahrung geben, 
Die Erberſchleichung gegen das Geſetz 
Auf unſers Hauſes Wappenmantel ſpritzen. 
£copold. 
Sp will ih hören denn, doch fiten nicht. 
Mathias. 
Wie's Euch beliebt. ' 
Marimilian. 
Nun alfo denn; was fol’s? 
Da Aleſel nad einer Schrift in feinem Bufen greift.) 
Marimilian. 
Laßt fteden, Herr, wir willen, was Ihr bringt: 
Ein künſtlich ausgefeilt Elaborat, 
Das und den Frieden mit den Türken fol 
Als räthlich, nöthig, unerläßlich ſchildern. 


Zweiter Aufzug. 


Ihr feid der Wiederhall von Euerm Herrn, 
Menn nicht vielmehr dag Echo er von Euch. 
Und deßhalb ohne Vorwort zur Berathung. 
Der Friede wäre gut, allein der Kaifer, 
Des Landes Haupt und Herr, er will ihn nicht. 
Nebftdem, daß unter ſolchen Schmeichelhüllen 
Ein Anfchlag, meint man, andrer Art jich birgt. 
(Zu Rlefel.) 
Sch mil Euch fchelten, Herr, drum bieß ich Euch 
Hier fihen unter uns; da Brubderliebe 
Und Fürftenadhtung mir nicht will geftatten, 
Zu fchelten meinen Bruder, Euern Herrn. 
Die Stände, jagt man, proteftant’fchen Glaubens 
Aus Defterreich verfehren ſtill mit Euch, 
Und als den Preis der Sichrung vor den Türken, 
Nebit Zugeftändniß ihrer Glaubensübung, 
Berfpriht man, einem Fürften unſers Haufes, 
Den ich nicht Tennen will, nicht nennen mag, 
Ein neuerdadhtes Schüeramt zu gründen, 
Halb abgefondert von dem Stamm des Reichs. 
Ihr ſeht, mas Ihr geſponnen, fam ans Licht. 
Seid noch Ihr für den Frieden? 
&lefel. 
Durchlaucht, ja. 
Wenn dießmal auch Berleumbung wahr gefprochen, 


53 


Mas gut, bleibt gut, wär’ auch der Geber fchlimm. 


Marimilian. 
Und, Bruder, du? — Mlein, was frag’ ich noch, 
(auf Klefel zeigend) 
Hat diefer deine Meinung doch gefprochen. 


Mathias. 


(Zu Rlefel.) 
Sagt Eure Meinung noch einmal. 


Glaubft du? 


54 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Klefel. 
Den Frieden, hoher Herr. 
Mathias. 
Und ich den Krieg. 
Ich bin beſchimpft im Angeficht der Welt. 
Die Ehre unfrer Waffen ſtell' ich ber, 
Dann mag die Klugheit und die Furcht berathen. 
Marimilian. 
Nun, Bruder, fei nicht kindiſch, möcht’ ich fagen. 
Hoffft du, gefehlagen mit dem ganzen Heer, 
Nun mit dem halben Sieg dir zu erringen? 
Von hier bis Wien ift nirgends eine Stellung, 
Die Mauern Wiens verfallen, ungebeffert, 
Ein Wandelgang für frieblihe Bewohner, 
Nicht eine Abwehr gegen ſolchen Feind. 
&lefel 
(ie Feder eintaußend, eifrig). 
So feid Ihr für den Frieden? 
Marimilian. 
Ich? Bewahr! 
Aleſel. 
Doch ſpracht entgegen Ihr dem Krieg. 
Aarimilian. 
Ei, laßt mich! 
Serdinand gu Mathias). 
Wozu noch kommt, daß ed mich heidnifch dünkt, 
Für Kriegesruhm und weltlich eitle Chre 
Das Wohl des Lands, der ganzen Chriftenheit 
Zu ſehen auf ein trügerifches Spiel. 
Ecopold. 
Fernand, fie haben did). 
Serdinand. 
Was fällt dir ein? 


Zweiter Aufzug. 55 


Scopold. 
Wer billigt, der bewilligt wohl zuletzt. 
Serdinand (fortfahrend). 
Auch find im Heer beinah nur Proteftanten, 
Und wo der Glaube fehlt, wo bleibt die Hoffnung? 
Kleſel (u Mathias). 
Beliebt!’ 3 Euch, hoher Herr? 


Mathias. 
Was Das betrifft, 
Sp weiß ich Keinen gläubiger ala mid). 
Doch ift das Land, find feine höchſten Stellen 
Mit diefen Proteftanten ja befebt. 
Muß ich fie ſchonen nicht, will ich fie brauchen? 
Muß ich fie brauchen nicht, wenn zwingt die Noth? 
Und ſag' ich's nur: die Fähigften, die Kühnſten, 
Die Keber ſind's, ich weiß nicht, mie es kommt. 
Alefel 
(auf fein Papier herabgebeugt, wie vor fi). 
Der Krieg ift diefer Spaltung Keim und Wurzel. 
Serdinand (auf Aleſeh). 
Da ſpracht Ihr wahr, wenn irgend jemals fonit! 
Weil Ruhe war in meiner Steiermarf, 
Weil ich bei Kebern brauchte nicht zu betteln, 
Gelang’3 mir, ihre Rotte zu zerftreun; 
Und deßhalb, wäre nicht des Kaiſers Wille, 
Stimmt’ ih in Euern Antrag freudig ein. 
Doc gäb' es einen Ausweg, wie mir däucht, 
Der Krieg und Frieden gleicherweis vereint: 
Den Waffenſtillſtand — 
(Zu Aleſel.) 
Schüttelt Ihr den Kopf? 
Mathias. 
Und foll er nicht, fo lang fein Kopf ihm eigen? 


56 Ein Bruderzwift in Habsburg 


Glaubt hr, ver Türke werde müßig gehn, 

Für Waffenrub und folden armen Tand 

Des Vortheils fich begeben, ver ihm lacht? 

— Wenn er im PVortheil ja, wie's wirklich ſcheint — 
Das ift der Fluch von unferm edeln Haus: 

Auf halben Wegen und zu halber That 

Mit halben Mitteln zauderhaft zu ftreben. 

Sa ober Nein, bier ift fein Mitteltveg. 


Serdinand. 
Wenn man ung drängt, das ift nicht Brauch noch Sitte. 
Mathias. 
Es drängt die Zeit; wir felbft find die Bebrängten. 
Serdinand. 
Und kennt man die Bedingungen des Feinds? 
Alefel 
(den Stuhl rüdend). 
Das ift zu willen leicht aus erſter Quelle. 
Des Ofner Baſſa Sekretär und Dolmetfch 
Iſt hier im Lager; wenn hr e3 geftattet, 
Führ’ ich ihn her, hört felbft dann, was er bringt. 
Marimilian. 
Mir ift gemein nicht? mit den grimmen Türken. 
Serdinand. 
Weiß fonft man irgend, frag’ ich noch einmal, 
Die Punkte, die der Heide nimmt und gibt? 
Alefel, 
Der Stand wie vor dem Krieg. 
Marimilian. 
Das wäre billig. 
Ceopold. 
Halt aus, Fernand, halt aus! Kehr' ruhig heim. 


Zweiter Aufzug. 


Sch bleibe hier; wär's als gemeiner Reiter, 
Wär's auf den Trümmern des zerftörten Wiens: 
Durch Blut und Krieg mit allen feinen Schreden, 
Zu fechten für des Kaiſers Macht und Willen. 
Serdinand 
"(fi mit Abſcheu von ihm mendend). 
Nun Frieden alfo denn! 
Ceopold. 
Fernand, auch du? 
Ferdinand. 
Fragſt du mich noch, der du mich ſelber zwingſt, 
Mir ſchildernd alle Gräuel des Verweigerns? 
Alefel 
(ruhig zu Mathias). 
Ihr feid für Krieg? 
Mathias. 
Wenn man mich überftimmt! 
£eopold. 
Hier ift noch Einer. Ohm, wir find zu Bivei. 
| Mathias. 
Gerade deßhalb Frieden aud. 
Marimilian. 
Wir find zu Ende. 
Alefel. 
Borerft erlaubt, daß mit zwei Worten nur 
Dem Pfortendolmetich, der im Lager hartt, 
Den Rathichluß ich verlünde fammt dem Frieden. 
Serdinand. 
Warum jo rajch? 
Alefel. 
Mir haben dann, was hr 
In Eurer Weisheit wünſchenswerth erachtet: 


58 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Stilitand der Waffen. Denn, o Herr, bebenft! 
Benübt der Türke feinen jetz'gen Vortheil 
Und ſchneidet ab das Heer im Rüden gar, 
So fteigert er, befürcht’ ich, feine Forbrung, 
Und unfre Opfer fteigern ſich zugleich. 
Marimilian. 
Schreibt immer denn! 
Serdinand. 


In mir ringt's wirren Zweifel. 


Was gäb' ich nicht, wär' mir der Schritt erſpart. 
Marimilian. 

Zulegt bat unfer Bruder jüngfter Zeit 

So fehr fi von Geſchäften rlidgezogen 

Und aufgefchoben, was doch unverfchieblich, 

Daß ihm ein milder Zwang vielleicht erwünscht. 

Leopold. 
Ihr werdet ſehen, was ihr angerichtet. 


Aleſel klingelt, ein Diener erſcheint. 


Alefel 
(den gefalteten Zettel übergebend). 

Des Dfner Bafia Sekretär. Sogleich! 

(Diener ab.) 

Marimilian. 

Noch einmal fag’ ich denn, wir find zu Ende. 

Klefel. 
Nicht ganz, erlauchte Herrn! 

(Aufſtehend.) 

Wenn ich bisher 

Nur auf Erlaubniß ſprach und wider Willen, 
Tret' ich nun auf in meinem ‚eignen Amt, 
Als Seelenhirt, als Redner für ein Volf 





Me 


Zweiter Aufzug. 59 


Und als Bertreter unſers beil’'gen Glaubens. 
Diejelbe Stimme, die in Wien und Neuftadt 
Zu Taufenden befehrt mit ihrer Macht, 
Erheb' ih nun mit gleichem Feuereifer 
Sm Angeſicht der Gegenwart und Zukunft. 
Ihr ſchloßt den Frieden, edle Herrn. Allein 
Wenn ihn, gelegt, der Kaifer nun vermwirft? 
Marimilian. 
Er wird e3 nidt. 
Leopold. 
Er wird's. 
Alefel 
(zu Leopold, höhniſch). 
Ihr habt's getroffen 
Und kennt, ſo ſcheint's, des Kaiſers tiefſte Meinung. 
(Mathias will auffahren, Kleſel hält ihn mit einer Handbewegung 
zurück.) 
Ferdinand. 
Das ſagt Ihr uns, nachdem der Bote fort, 
Der unſer Wort verpfändet an den Türken? 
Aleſel. 
Die Noth erkennend, ſchloßt ihr den Vertrag, 
Doch erſt gehalten ſind Verträge wirklich. 
Wenn nun der Kaiſer euern Schluß verwirft? 
Marimilian. 
Dann waſchen wir in Unfchuld unfre Hände. 
Klefel, 
Das wäre Unfchuld, Schlimmer noch als Schuld. 
Dieß edle Land, es darf nicht untergehn 
Und Alles, was dem Menfchen hoch und heilig, 
Nicht von dem Ueberbruß, den Wechjellaunen 
Und der Entfernung zwifchen Prag und Wien 
"Abhängig fein zu drohendem Berberben. 


60 Ein Bruderzmift in Habsburg. 


Am heut'gen Tag vertragenb mit dem Feind, 
— Obgleich vorläufig nur, auf fpätern Abſchluß — 
Erkanntet in euch felber ihr die Macht, 
Zu forgen für des Vaterlandes Befte. 
Doch nicht der Kaifer nur ift wanfelmüthig: 
Der Türk ift treulos, als ein Heide ſchon, 
Im ganzen Reich der fernen Möglichkeiten 
Iſt nichts als Zmeifel, Arglift und Gefahr. 
Ihr Könnt nicht immer hier zu Rathe figen, 
Deßhalb ift nöthig, daß für Alle Einer 
Mit Macht bekleidet, wenn's die Noth erheifcht, 
Zu handeln als des Haufes Hort und Säule. 
£eopold. 
Er fpricht für feinen Herrn. 
K&lefel. 
Diekmal nicht alfo: 
Befragt ihr mich, wen ich vor Allen liebe, 
Wen ich an Tapferkeit, an hohem Sinn, 
Voran den Fürften mander Länber fege, 
So ift die Antwort: ihn dort, meinen Herrn. 
Allein zu folhem Amt fehlt ihm die Feftigfeit, 
Nicht Kraft, doch das Beharren im Entſchluß. 
Mathias (Gornigh. 
Ich will Euch zeigen, ob ich feft, ob nicht. 
&lefel, 
Auch hat man uns geheimes Einverftändniß 
Mit Ketzern, Unzufriednen Schuld gegeben, 
Das darf nicht fein bei anvertrauter Macht. 
Erzherzog Marimilian wäre rein. 
Marimilian. 
Ich bin entwohnt des Wirkens und Befehlens, 
Mic träfe ganz, mas meinen Bruder halb. 


D 





Zweiter Aufzug. 61 


&lefel, 
Nun denn: ein Mufter hier der Feftigfeit, 
Der Herr der Steiermarf, der, raſcher That, 
Die Keberei getilgt in feinem Land. 
Mathias. 
Was fällt Euch ein? Iſt Euch denn nicht befannt, 
Daß diefe Gräber um bes Kaiſers Gunft, 
Mit Hoffnung wohl, zu folgen auf dem Thron, 
Der Eine laut, der Andre leife buhlen? 
Ferdinand (m Klee). 
Auch, habt gerühmt Ihr meine Feſtigkeit, 
Vergaßt Ihr ihre Wurzel: das Gewiſſen, 
Das eine Beugung etwa mir erlaubt 
Zu gutem Zweck, wie etwa heut und jetzt; 
Doch Uebertretung, förmliche Verletzung 
Mir nicht geſtattet, gält' es eine Krone. 
Mathias iſt des Hauſes Aelteſter: 
Thut Noth denn übertragene Gewalt, 
Wie es faſt ſcheint, ſo ſei ſie ihm vertraut. 
Mathias. 
Ja, mir gebührt'3 vor Allen und mit Redt. 
Alefel 
(ein Papier aus dem Buſen ziehend). 
Da braudt es nur noch eure Unterfchrift. 
Ceopold. 
Seht ihr den Schalk? er hat's ſchon in der Taſche. 
Aleſel. 
Die Vollmacht, ja, allein der Name fehlt. 
(Die Schrift hinhaltend.) 
Er blieb hier weiß. 
Serdinand (u Marimilian). 
Wenn's, Oheim, Euch genehm. 
(Sie leſen die Schrift.) 


2 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


£eopold. 
Schreibt nur Rudolphus, fo bleibt's nad) wie vor. 
Ihr habt uns hier am Narrenfeil geleitet, 
Ich geh’ nach Prag und zeig’3 dem Kaifer an. 
Mathias. 
Das birft Ihr nicht. 
Klefel Pemittig). 
Herr, das war die Bebingung: 
Geheim zu halten, was beſchloß der Rath. 
feopold 
(fein Wehrgehäng zurecht richtend). 
So will id nur im Dffnen und Geheimen 
Den Kaifer ſchützen, den ihr doch bebroht. 
Serdinand,. 
Ich jege denn Mathias. 
Marimilian. 
Immerhin. 
Ferdinand (unterzeihnend). 
Und bier die Unterfchrift: 
Marimiliam (eben fo). 
So tie bie meine. 
Ferdinand Per aufgeflanden iR). 
Wenn ich betrachte diefe Unglücksſchrift, 
So geht's durch meine Seele wie Verberben. 
Klefel. 
Sie Tiegt noch hier; es braucht nur, fie zerreißen, 
So ftehen wir auf gleichem Platz, wie vor. 
Ferdinand. 
Ich fühle wohl, esmuß. Komm, Leupold, mit nad) Grätz, 
Es drängt mich, mein Gewiſſen auszuſchütten 
Vor Dem, ber feine Zweifel kennt und lbst. - 
Marimiliamn (aufchend). 
Es ift geſchehn. Nun, Bruber, aber höre: 





5 





Zweiter Aufzug. 63 


Sei feit und treu! Bor Allem aber wiſſe: 
Warſt Eines Sinnes du mit diefem Mann, 
(auf Klefel zeigend) 
Ich hätte die Gewalt dir nicht gegeben. 
Drum braud ihn, er ift Flug, doch hüte Dich. 
Mathias (freng) 
Ich werde wohl und hab’ ihn heut erfannt. 
| Serdinand. 
Vielmehr begehr’ ich, daß Ihr ihn gebraudht. 
Er ift ein Eifrer für die fromme Sache. 
Ceopold. 
Du zitterſt ja! 
Serdinand. 
Laß nur, es geht vorüber. 


Leopold. 
Wir haben keinen guten Kampf gekämpft. 
Mathias. 
Wollt ihr jchon fort? 
Marimilian. 
Laß ung! wir find betrübt. 
Und ohne Abichied denn! — Geht ihr? 
Serdinand um Seopold. 
Wir folgen. 
Mathias. 
Zur Kutfche wenigftens nehmt das Geleit. 
Auf bald’ges, frohes Wiederſehn. 
Bie Erzherzoge. 
Wir hoffen's. 
(Sie gehen, von Mathias geleitet.) 
Alefel, 
Nun raſch ang Werk! Bor Allem die Depefchen. 
(Er ſetzt fih und fohreibt.) 





64 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


Mathias (urädiommend). 
Nie, du noch bier? Du trittft vor meine Augen, 
Nachdem du erft geſprochen wider mich? 


Klefel (auffchend). 
r, wider Euh? Für Euch! Ihr habt die Schrift, 
Euch zum Herren macht in diefem Land, 
(Da Mathias zu ihm tritt.) 
Wenn Ihr mich ftört, ſuch' anderwärts ich Ruh. 
gilt, zu ſchreiben, Schreiben, raſch und viel. 
Und diefe Schrift, Ihr follt mir fie noch küſſen, 
Vie ich fie küſſe jegt. 
Wir find geborgen. 
(Gr tritt in Innere des Zeltes, deſſen Vorhänge er herabläkt.) 


Mathias. ß 
Er ift ein Räthſel, was er thut und fpricht. 
Und feine Rebe ftreitet mit ihm felber. 
— Nun ja, die Schrift — 
Greudig auffahrend.) 
He, Klefel, Klefel Höre! 
(Gr tritt an den Vorhang.) 
Er gibt nicht Antwort; laſſ'e ich ihn denn jegt! 
Ein Meer von Bildern ſchwimmt vor meiner Geele. 
(Auf die Geitenthüre zugehend, bleibt er fiehen, als ob er umlehren 
wollte, geht aber nach einigem Befinnen ab.) 








Gegend in ber Nähe des Kaiferlichen Lagers. Abendbämmerung. 


Man hört einige Slintenfhüffe hinter der Scene. Prokop, ein bloßes 
Schwert in der Hand, fommt mit feiner Torhter, 


Prokop. 
Komm, meine Tochter, noch hält biefer Arm 
Und fühlt ſich ftarf genug, dich zu vertheid'gen. 


Zweiter Aufzug. 65 


Zwei Taiferliche Soldaten folgen. 


Erfer. 
Gebt Euch, ſag' ich. Ihr Iebtet längſt nicht mehr, 
Wär’ nicht die Furcht, das Mädchen zu verlegen. 

Prokop (rufen). 

Jane! Bafıl! 

Bweiter. 

Die hörten auf, zu hören. 

Ihr feid der einzig Lebende, drum hört! 


Prokop. 
So will ich fterben denn, mein Kind vertheid'gend. 
Allein was wird aus ihr, wenn ich erlag! 


Erfer. 
Das eben, Herr, bedenkt und weicht der Noth, 
Sonſt eins, zwei, drei, und Euer Tag ift aus. 

(Ste nähern fih ihm.) 

Prokop. 
Lebt denn fein Retter mehr im weiten AU? 
Rein Helfer, der bebrängte Unſchuld ſchirmt? 

(Xrompeten in der Nähe.) 

Hört ihr? 


Ein dritter Soldat tommt, 


Erfter. 
Was ift? 


Britter. 
Die Herrn Erzherzoge, 
Die, ſtark begleitet, aus dem Lager kehren, 
Ein Unftern führt fie eben bier vorbei. 
Wir find zu ſchwach, entflieht! 


Grillparger, Werte. VIL 5 


66 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Erfter. 
Ich werde wohl! 
Der Lohn, zum Glück, ward vorhinein bezahlt. 
(Gie ziehen fih zuräd.) 
Prokop. 
Wir find gerettet, Kind! Lucretia, börft du? 


Erzherzog Leopold und Oberft Ramee kommen mit Begleitung, 
die bloßen Schwerter in der Hand, 


Seopold. 
Nicht Türken find’3, des eignen Lagers Auswurf; 
Zu Brudermord gezüdt das feige Schwert. 
erfolgt fie, gebt dem Henker feine Beute! 
(Rome und Einige in der Richtung der Flüctigen ab.) 
£eopold. 
Und wer feid Ihr? 


Erzherzog Ferdinand mit Dienern und Faden iR gelommen, 


Prokop 
(gegen Ferdinand gewendeh. 
Ein Bürger, Herr, von Prag 
Mit feiner Tochter, die Euch dankt die Rettung. 
Ein Nächtiger am Hof verfolgte fie. 
Deshalb nun wollt’ ich fie nad; Dukla bringen 
Zu einer Tante, bie bort lebt im Schloß. 
Allein der Kriegslärm, damals weit entfernt, 
Er überholte uns auf umfrer Reife. 
Seitdem nun irren wir auf Seitentvegen 
Und hofften in dem Chriftenlager Schu. 
Seopold 
Qucretia’s Hand fafjend). 
Erholt Euch, ſchönes Kind. 





Zweiter Aufzug. 67 


£ueretia 
Cie Hand zurädzichend). 
Nicht ſchön, doch ehrbar. 
Ramee und ſeine Begleiter kommen mit einem in einen dunkeln 
Mantel Gehüllten zurüd. 
Ramee. 
Den Einz’gen nur gelang es zu ereilen. 
£eopold. 
Verhullt Ihr Euch? — Es ift nit Faſtnachtſpiel! 
Die Fackel her. 
(Gin Diener leuchtet Hin.) 
£ucretia, 
D Gott, er iſt's. 
Serdinand. 
Don Cäfar! 
Prokop. 
Derfelbe, den wir flohn. 
Serdinand. 
Wie kommt Ihr hieher? 
Bon Cäſar. 
Fragt nicht und laßt mich frei. 
Serdinand. 
Nicht alfo, Freund! 
Der Kaifer will Euch gern in feiner Nähe, 
Und hr bebürft, fo ſeh' ich, ftrenger Hut. 
(Zu einem Befehlahaber.) 
Geleitet ihn mit Eurer Schaar von Reitern 
Und fagt dem Kaifer, wenn Ihr kommt nad) Prag — 
Allein das thu’ ich ſelbſt, wenn's an ber Zeit. 
Geht nur! Ihr haftet mir für feine Stellung. 
(Don Gäfar wird fortgebradt.) 
Prokop. 
Allein was wird aus una? 


68 Gin Bruderzwiſ in Habsburg. 


Serdinand. 
Schließt euch nur an, 
Bis ihr die Gränze habt erreicht von Mähren, 
Wo ſicher euer Weg. 
Prokop. 
Nehmt taufend Dank. 
Komm nur, mein Kind. 
Rad Don Caſar hinweiſend.) 
Er Tann nicht weiter ſchaden. 
(Ab mit Sucretia.) 
Seopold. 
Nun Bruber, fieh, wir thaten doch ein Gutes. 
Serdinand. 
Nachdem wir Schlimmes erft, ich fühl's, gethan. 
Seopold. 
Sei nicht betrübt, es findet ſich noch Alles. 
Was halb du weißt und halb ih dir verſchwieg: 
Das Heer in Pafjau, das ih, andern Vorwands, 
Ceit lange werb', es ftellt die Wage gleich 
Und gibt dem Kaifer wieder feing Rechte. 
Serdinand 
Cie Arme auf feine Squltern legend). 
Nicht? Unvorfichtiges, mein Freund und Bruder! 
Seopold 
(während Ferdinand fih auf ihn Rükt). 
Vorausficht ift ja Vorficht, ober nicht? 
Die Klugheit gibt nur Rath, die That entfcheibet. 
Es fol ſich Alles nod zum Guten wenden. 
(Imbern fie abgehen, fällt der Vorhang.) 








Driffer Aufzug. 


Zimmer im Schloffe auf dem Hradſchin. Rechts im Hinter: 
grunde eine thürförmige Deffnung, in der ein Schmelztiegel auf 
einem chemifchen Dfen fteht. Daneben der Haupteingang. 


Kaifer Rudolf kommt aus einer Geitenthüre rechts. 


Rudolf. 
He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böſe? 
Iſt Alles denn verworren und verfehrt? 
Es fehlt an Kohlen, Kohlen. 


Ein Mann in berußter Jade und Müße, einen Korb Kohlen am 
Arme, ift eingetreten. 


Rudolf. 
Träger Zaudrer! 

Bejorgt denjelben Dienst feit dreißig Jahren 
Und gafft und gloßt, ala wär's zum erſten Mal. 

(Der Mann bejhäftigt fih im Hintergrunde.) 
Wo fchütteft du die Kohlen bin? Carajo! 
Scheint's doch, du mwillft mir die Netorte füllen, 
Und nicht den Herd. Verwünſchter Schlingel! 
Bit du bezahlt, zu Tode mich Zu ärgern? 

Ber Mann 


(nah vorn kommend, feine Mütze abnehmend und fih auf ein Knie 
niederlaffend). 


Berzeibt, o Herr, ich bin's nur nicht gewohnt. 


70 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. = 


Rudolf. 
Du bift nit Martin? — Fuego de Dios! 
(Der Mann hat auch dos Wams geöffnet.) 
Rudolf. 
Ah — Herzog Julius von Braunſchweig, Liebben! 
Wie kommt Ihr her? und doch zumeift — 
(mißtrauifp mehrere Schritte zurüdtretend) 
Was wollt Ihr? 
3Iulins. 
Ceit vierzehn Tagen ſuch' ich Aubienz 
Und fonnte nun und nimmer fie erhalten, 
Da griff ich in der Noth zu biefer Lift. 
Verzeiht dem Treuen, der es gut gemeint. 
Audolf. 
Ha, ba, ba, ha! Kein übler Spaß! Steht auf! 
Ihr könnt nun wenigſtens dem Wolf beftät'gen, 
Daß ich noch Iebe, was man, heißt's, bezweifelt. 
Sulius 
er aufgeftanden if). 
Beyweifelt, und mit Recht. 
Rudolf. 
Ja, alter Freund, 
Damit ich lebe, muß ich mich begraben, 
Ich wäre tobt, Iebt’ ich mit diefer Welt. 
Und daß ich Iebe, ift von Nöthen, Freund. 
Ich bin das Band, das diefe Garbe hält, 
Unfruchtbar felbft, doch nöthig, weil es binbet. 
Sulius 
(ver den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat). 
Dod; wird das Band nun Inder, Majeftät? 
Rudolf. 
Mein Name berrfht, das ift zur Zeit genug. 
Glaubft, in Vorausficht lauter Herrfchergrößen 





Dritter Aufzug. . 71 


Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat? 
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt von Nöthen, 
Um den fi) Alles ſchaart, was gut und recht 
Und widerſteht dem Falſchen und dem Schlimmen, 
Hat in der Zukunft ziveifelhaftes Reich 
Den Samen man geworfen einer Ernte, _| 
ie mandmal gut und vielmal wieder ſpärlich. 
Zudem gibt's Lagen, wo ein Schritt voraus 
Und einer rückwärts gleichertveis verderblich. 
Da hält man fi) denn ruhig und erwartet, 
Bis frei der Weg, ben Gott dem Rechten ebnet. 
u 3Iulins. 
Doc wenn Ihr ruht, ruhn deßhalb auch die Andern? 
Rudolf. 
Sie regen fih, doch immerbar im Kreis. 
Die Zeit hat Feine Männer, Freund wie Feind. 
Sulius. 
Allein der Krieg in Ungarn? 
Rudolf. 
Der ift gut. 
Den Krieg, ich haſſ' ihn, als der Menfchheit Brandmal, 
Und einen Tropfen meines Blutes gäb’ ich 
Für jede Thräne, die fein Schwert erpreft; 
Allein der Krieg in Ungarn, der ift gut. 
Er hält zurüd die ftreitenden Parteien, 
Die fich zerfleiſchen in der Meinung ſchon. 
Die Türkenfurcht bezähmt ven Lutheraner, 1 
Der Aufruhr finnt in Thaten, wie im Wort, 
Sie ſchreckt den Eifrer meines eignen Glaubens, 
Der feinen Haß ambichtet feinem Gott. 
Fluch jedem Krieg! Doch beſſer mit den Türken, 
Als Bürgerkrieg, als Glaubens, Meinungsſchlachten. 
Hat erft der Eifer fi im Stehn gefühlt, 


72 Ein Bruderzwift in Habsburg, 


! Die Meinung fich gelöst ins eigne Nichts, 
Dann ift es Zeit zum Frieden, dann, mein Freund, 
Soll grünen er auf unfern lichten Gräbern. 
Iulins. 
Allein der Friede warb gefchlofien. 
Rudolf. 
Ward, 
Sch weiß, doch nicht betätiget von mir, 
Und alfo ift es Krieg, big Gott ihn fchlichtet. 
Doch daß ich nicht auf Zwiſt und Streit geitellt — 
Siehſt du? ich ſchmelze Gold in jenem Tiegel. 
Weißt du, wozu? — Es hört ung Niemand, mein’ ih — 
Sch hab’ erbacht im Sinn mir einen Drben, 
: Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht, 
Und Friedengritter fol die Schaar mir heißen. 
’ Die wähl' ich aus ven Beiten aller Länder, 
Aus Männern, die nicht dienftbar ihrem Selbit, 
Nein, ihrer Brüder Noth und bittern Leiden; 
Auf daß fie, meithin durch die Welt zeritreut, 
Entgegentreten fernher jedem Zwiſt, 
Den Länbergier und, was fie nennen: Ehre, 
Durch alle Staaten jät der Chriftenbeit, 
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts. 
Dann mag der Türke dräun, wir brohn ihm wieder. 
Nicht außen auf der Bruft trägt man ben Orben, 
Nein, innen, wo der Herzichlag ihn erwärmt, 
Er fich belebt am Puls des tiefften Lebens, 

Mach auf dein Kleid! — Wir find noch unbemerkt. — 
(Er hat aus der Schublade des Tiſches eine Kette mit daranhängender 
Schaumünze hervorgezogen.) 

Der Wahlſpruch heißt: Nicht ich, nur Gott — Sprich's nach! 
3ulius 
Der fein Kleid geöffnet und fih auf ein Knie niebergelafjen hat). 

Nun denn: Nicht ih, nur Gott — und hr! 





Dritter Aufzug. 73 


Audolf. 
Nein, wörtlid. 


Sulius. 
Nicht ih, nur Gott. 


Rudolf 
(nachdem er ihm die Keite umgehangen) 
Es ift befondres Gold, 
Gewonnen auf geheimnißvollem Wege; 
Nun aber flieg die Hülle, doppelt, dreifach, 
Daß Niemand es erblickt. Du bift ein Kleber, | 
Allein ein Ehrenmann. So fei geehrt. 


Sulins 
(der aufgeftanden ift). 
D Herr, wenn Ihr dem Undersmeinenden, 
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglüdt, 
Warum verfühnt Ihr nicht den Streit ber Meinung 
Und gebt dem Glauben feinen Werth: die Freiheit, 
Euch ſelbſt befreiend fo zu voller Macht? 


Rudolf. 
Zu voller Macht? Die Macht iſt's, was ſie wollen. 
Mag ſein, daß dieſe Spaltung im Beginn N 
Nur mißverſtandne Sagungen des Glaubens, ' 
„est hat fie gierig in fich eingefogen, 
Was Unerlaubtes fonft die Welt beivegt. 
Der Reichsfürſt wi fi löſen von dem Reich, 
Dann kommt der Abel und befämpft die Fürften; 
Den gibt die Noth, die Tochter der Verschwendung , 
Drauf in des Bürger® Hand, des Krämers, Mäflers, 
Der allen Werth abwägt nach Goldgewicht. 
“Der dehnt fich breit und hört mit Spottes Lächeln 
Bon Thoren reden, die man Helden nennt, 
Bon Weifen, die nicht klug für eignen Sädel, 


74 Ein Bruderzmift in Habsburg. 


Von Allem, was nicht nügt und Zinfen trägt. 
Bis endlich aus ber unterften ber Tiefen 
Ein Scheufal auffteigt, gräßlich anzufehn, 

Mit breiten Schultern, teitgefpaltnem Mund, 
Nah Allem lüftern und durch nichts zu füllen. 
Das ift die Hefe, die den Tag gewinnt, 

Nur um ben Tag am Abend zu verlieren, 
Angränzend an das Geift: und Willenlofe. 

Der ruft: aud mir mein Theil, vielmehr das Ganze! 
id wir bie Mehrzahl doch, die Stärfern doch, 
Sind Menſchen fo wie ihr, und unfer Recht. 





Des Menſchen Recht heißt Hungern, Freund, und 

leiden, 
Ch noch ein Ader war, der frommer Pflege 
Die Frucht vereint, den Vorrath für das Jahr; 
Als noch das wilde Thier, ein Brubermörber, 
Den Menfchen fchlachtete, der waffenlos, 
Als noch der Winter und bes Hungers Zahn 
Alljährlich Ernte hielt von Menfchenleben. 
Begehrft ein Recht du als urfprünglich erftes, 
So kehr' zum Zuftand wieder, der ber erfte. 
Gott aber hat die Drbnung eingelegt, 
Vor da an ward es licht, das Thier ward Menſch. 
— Ich fage bir: nicht Schthen und Chazaren, 
Die einft den Glanz getilgt der alten Welt, 
Bedrohen unfre Zeit, nicht fremde Völker; 
Aus eignem Schooß ringt los ſich der Barbar, 
Der, wenn erſt ohne Zügel, alles Große, 
Die Kunft, die Wifjenfchaft, den Staat, die Kirche 
Herabftürzt von der Höhe, bie ſie ſchützt, 
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit, 
Bis ANes gleich, ei ja, weil Alles niebrig. 

Er fekt fh.) 





Dritter Aufzug. 75 


IJJulius. 
Ihr ſchätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze, 
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart. 
Rudolf. 
Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß, 
Weil es mit eitler Menſchenklugheit nicht 
Dem Neuen vorgeht oder es hervorruft, 
Nein, weil es einig mit dem Geiſt des All, 
Durch klug und ſcheinbar unklug, raſch und zögernd, 
Den Gang nachahmt der ewigen Natur 
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft 
Der Rückkehr harrt der Geiſter, welche ſchweifen. 
Julius. 
Doch Eure Brüder denken nicht wie Ihr. 
Rudolf. 
Mein Bruder iſt nicht ſchlimm, obgleich nicht klug, 
Ich geb' ihm Spielraum, er begehrt, zu ſpielen. 
Julius. 
War's Spiel, daß eigner Macht er ſchloß den Frieden? 
Iſt's Spiel, daß er den Herren ſpielt im Land? 
Rudolf. 
Du ſpielſt mit Worten, wie er mit der Macht. 
Julius. 
Man ſagt, der Türke hab' ihm angeboten 
Die Krone Ungarns. 
Rudolf. 
Sagt! die Krone Ungarns, 
Der Tuͤrke hat das Land. Was ſoll das Zeichen? 
Julius. 
Die Proteſtanten — Herr, ich bin ein Proteſtant, 
Doch nur im Glauben, nicht in Widerſetzung — 
Sie haben ihm als Preis der Glaubensübung 
Beiſtand geſchworen wider Männiglich. 





76 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Rudolf. - 
Mein Bruder ift Tatholifcher als ich. 
Er iſt's aus Furt, indeß ich's nur aus Ehrfurcht. 
Die Glaubensfreiheit ftünde gut mit ihm! 
| Sulius. 
Sp nützt er fie, um fpäter fie zu täufchen. 
Die Wirkung bleibt die nämliche für jekt. 
In Mähren greift die Regung ſchon um fidh, 
Und fremde Truppen ziehen durch die Stäbte. 
Rudolf. 
Das ift der Tilly, den ich hingefandt — 
Ich bin fo blind nicht, als ihr etwa glaubt — 
Der bält das Land im Baum. 
3ulius. 
Es find die Völfer 
Aus Eures Bruders ungarifchem Heer. 
Sn Böhmen ſelbſt — 
Rudolf. 
Du weißt nicht, mas du fpridjit. 
Die Böhmen find ein ftarres Voll, doch treu. 
3ulius. 
Bor Allem treu ftammalter Meberzeugung. 
Der Huß ift tobt, doch neu regt fich fein Glaube. 
Sn Prag hält man ſchon Rath und Tnüpft Vereine. 
Rudolf 
(gegen die Thüre gewendet). 
Und was verſchweigt man mir? 
Sulius. 
Verzeiht, o Herr! 
Man will es Euch gemeldet haben, doch — 
Rudolf. 
Der Eine ſagt mir Dieß, der Andre Das, 
Wie's ihm ſein Vortheil eingibt, ſeine Meinung. 





Dritter Aufzug. 77 


Arm find wir Fürften, willen das Geheime, 
Allein das Offenkund'ge, was der Bettler weiß, 
Der Tagelöhner, bleibt ung ein Geheimniß,. 
Auch war fo viel zu thun in le$ter Zeit. 
Der Schotte Dee war hier. Ein Wundermann bes Wiſſens, 
Der einbringt in die Urnacht des Gefchaffnen 
Und fie erhellt mit gottgegebnem Licht; 
Ich habe viel gelernt in dieſer Zeit. 
Hätt' ich gleich ihm nur Einen mir zur Geite, 
Ich ftünde diefer Welt und ihrem Dräun. 
Iulius. 
Ihr feid verrathen, hoher Herr, verlauft. 
Indeß Ihr Iernt, lehrt She der Welt den Aufruhr, 
Der Schon entfeffelt tobt in Euern Städten. 
Rudolf. 
Haft du's gejehn? 
3ulius. 
Sch nicht. 
Rudolf. 
Sp ſprich auch nicht! 
Ein Jeder fieht ein Andres, nein, fieht nichts, 
Und gibt den Rath, der nichtig ſchon von vornher. 
Sulius. 
Ein Mann ift bier, er fommt von Brünn und Wien. 
Er bat geſehn. Es tft derjelbe, Herr, 
Der Euern Flüchtling rückgebracht — Don Cäſar. 
Audolf. 
Bring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn ſprechen. 
Er bat geleiftet mir den höchften Dienft, 
Der mir erwieſen warb feit langen Jahren. 
Sulius, 
Er ift im Vorgemach. 


78 Ein Bruderzwift in Habäburg. 


Rudolf. 

Warum nicht hier? 
Was zögert er? Warum nicht mir genüber? 
Don Cäſar! Wie mein Innres fich. empört! 
Der freche Sohn der Zeit. — Die Zeit ift ſchlimm, 
Die ſolche Kinder nährt und braucht des Zügels. 
Der Lenker findet fih, wohl auch der Zaum. 


Herzog Julius bat indeffen Lueretias Vater eingeführt. 


Rudolf 
(ihm einige Schritte entgegengehend), 
Ah du, mein Ehrenmann! 
(Zurüdtretend.) 
Bleibt immer dort: 
Dort an der Thür. Ihr feid ein Bürger Prags? 
Brokop. 
Ich bin es, Majeftät. 
RAudolf. 
Geit wann denn führen 
Die Bürger Waffen? 
Brokop 
(auf den Dolch in feinem Gürtel blidend). 
Herr, die böſe Zeit 
Gebeut, zu rüſten fid. 
(Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Be⸗ 
wegung nad der Thüre.) 
Doch will ih — 
Audolf. 
Bleibt ! 
Ihr habt den Flüchtling, der ſich Cäfar nennt, 
Geftellt ung als Gefangenen zur Haft. 
Wir danken Euch und denken, Eure Tochter 
Zu ſchützen gegen ihn; vorausgeſetzt, 











Dritter Aufzug. 79 


Daß fie nicht felbit, wie etwa Weiberart, 
Ihn Anfangs tändelnd angezogen — 


Prokop. 
Nein! 
Rudolf. 
Nun, Ihr Tprecht kurz. Ihr ſeid ein Proieſtant? 
Prokop. 
Herr, Utraquiſt, des böhm'ſchen Glaubens. 
Rudolf. 


So! 
Warum des böhmiſchen und nicht des deutſchen? 
Des wälſchen, griechiſch, ſpan'ſchen? — Arme Wahrheit! 
Vergaß ich faſt doch, daß es ſo viel Kirchen 
Als Kirchenräume gibt und — Kirchhofgräber. 
Nun gut. Vor Cäſar lebt nur künftig ſicher, 
Ich will ihn hüten, wie des Auges Stern. 
Und hört Ihr einſt, er ſei zur Nacht geſtorben, 
So denkt nur: ſeine Krankheit hieß Verbrechen, 
Und Strafe war ſein Arzt. — Ihr kommt von Wien. 
Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde 
Und halb ein Wink von meiner Hand zerſtreut. 
Doch lüſtet mich's zu hören, was Ihr ſaht, 
Ein einfach ſchlichter Mann. 
Prokop 
(gegen Herzog Julius). 
Das von der Huld' gung? 
(Zum Kaiſer.) 
Sch war dabei in Wien, als beide Dejtreich 
Im Landhausſaal gefhtooren Euerm Bruder. 
Audolf. 
Geſchworen als Erzherzog; nun, er iſt's. 
Prokop. 
Umringt war er von ungriſchen Magnaten, 


80 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd 
Ihn grüßten als des Ungarlandes König. 


Rudolf. 
Das iſt nicht wahr! 
. Prokop 
(zu Herzog Julius). 
So Tann ich wieder gehn? 
Rudolf. 
Wenn ich Euch's beige, früher nicht, noch jpäter. 
Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet, 
Nachfolger etiva; ob auch das zur Zeit 
Nicht ficher noch, abhängig von gar Vielem. 
In Mähren dann? 
Brokop. 
Ih war in Brünn zugegen 
Beim Einzug Eures Bruders, wo er jubelnd, 
Bor Allem von den Dienern meines Glaubens, 
Empfangen ward, ein Retter in der Noth. 
Die proteſtant'ſchen Kirchen ftehen offen; 
Und ob er gleich fich letter Zeit entfernt — 
Rudolf. 
Entfernt? Wohin? 
Prokop. 
Man weiß nicht, Herr, die Richtung. 


Audolf 
(zu Herzog Julius). 
Ich fage dir: er ging zurüd nad Wien. 

Ihm fehlt der Muth, Sch Tenne diefen Menfchen: 
Zum Anfang vafch, doch zögernd, kommt's zur That. 
(Zu Prokop.) 

Ich danke dir, mein Freund, und weiß genug; 
Der Aufftand ift am Schluß, mie dein Bericht. 











Dritter Aufzug. 81 


Prokop. 
Obgleich ſich der Erzherzog nun entfernt, 
Blieb doch an ſeiner Stelle Biſchof Kleſel, 
Der mit der Gränze meuteriſch verkehrt. 
Rudolf. 
Wie war Das? Kleſel? Iſt er doch in Neuſtadt, 
Wohin ich ihn gebannt, in ſeinem Sprengel. 
| Arokop. 
Er ift in Brünn, wo ich ihn ſelber ſprach 
Bon wegen meines ficheren Geleitz, 
Und fteht vor Allen nahe dem Erzherzog. 


Rudolf _ 
(zu Herzog Julius). 
Das wäre jchlimm. Wenn jener liſt'ge Prieſter 
Das, was dem Andern fehlt, ven Muth, die Thatkraft, 
Ihm göße in die unentſchiedne Seele — 
Das märe jchlimm, und den!’ ich fort und meiter, 
Vergrößert ſich's zu wirklicher Gefahr. 
(Zu Prokop.) 
Sch dank' Euch, guter Freund, Ihr ſeid entlafien, 
Und Euer Kind, es zähl' auf meinen Schuß. 
(Da Prokop fi entfernt und die Thüre offen fleht.) 
He, Wolfgang! Wolfgang Rumpf! 


Wolfgang Rumpf eintretend. 


Rumpf. 
Hier, Majeftät. 
Audolf. 
Bringt die Berichte diejer leßten Tage, 
Und was an Briefen, in mein Sabinet, 
Und will ich Tünftig ungeftört mich wiſſen, 
So hindert's nit, daß, wenn das Haus in Flammen, 
Ihr dennoch kommt und anfagt: Herr, es brennt. 
Grillparzer, Werke VII. 6 


82 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Herzog ISulius 
(zu Rumpf halblaut). 
War's möglich denn? 
Aumpf (ebenfo). 
Ihr wißt nicht, edler Herzog. 
Der Kaiſer drohten mit geſchwungnem Dolch, 
Wenn Jemand nur ihn anzusprechen ivagte. 
Audolf. 
Nun wohl, Ihr habt das Zünglein an der Wage, 
Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht, 
Ihr habt es rohen Drängen? angeſtoßen: 
Es ſchwankt, und blut'ge Todeslooſe fallen 
Aus beiden Schalen auf die bange Welt. 
Leiht mir nicht Eure Schuld; wenn's etwa Schuld nicht, 
Daß ich vertraut, ein ſchwacher Sterblicher, kein Gott. 
Ruft mir den Kanzler! 
Rumpf. 
Herr, er iſt ſchon hier 
Und ſpricht im ſpan'ſchen Saale zu den Ständen. 
Rudolf. 
Die Stände, wie? 
Rumpf. 
Die gleicherweis erſchienen, 
Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt. 
(Zu Herzog Julius.) 
O Herr, o Herr! Wir wiſſen's erſt ſeit jetzt: 
Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden 
Sind insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor, 
Von wo ſie nun, durch Meuterer verſtärkt, 
Mit Heeresmacht heranziehn gegen Prag. 
Die Stadt iſt in Bewegung, Manifeſte 
Sind angeſchlagen an den Straßenecken, 
Die von des Kaiſers Hoheit ehrfurchtslos — 








FA 


Dritter Aufzug. 83 


s Audolf. 
Sch weiß den Inhalt diefer Manifeite: | 
Daß ich, ein alter Mann, an Willen ſchwach, 
Entziehbe mid) dem Reich und feinen Sorgen; 
Indeß mich das Geſpenſt der. blut’gen Zufunft 
Berfolgt bis in mein innerſtes Gemad) 
Und, Nachts empor auf meinem Lager fibend, 
Der Trommel Ruf, des Schlachtenlärmg Getos 
Mir wachend ſchlägt ans Obr, den Traum ergänzend. 
Dazu noch das Bemwußtjein, daß im Handeln, 
Ob jo nun oder fo, der Zündftoff Tiegt, 
Der diefe Mine donnernd fprengt gen Himmel. 
Ihr habt gehandelt, wohl! das Thor geht auf, 
Und eine große Zeit hält ihren Einzug. 
Was wollen fie, die Stände? Weiß man es? 


| Rumpf. 
Gie tragen eine Handfeit vor fich her, 
Bon Pergament gerollt, auf einem Kiffen. 


Audolf. 
Es ift der Majeſtätsbrief, den fie früher 
Mir vorgelegt, doch damals ich zurüdiwieg, 
Berechtigung zufichernd ihrem Glauben, 
(Bitter.) 

Die Zeit jcheint ihnen günſtig zum Bertrag. 

(Die Müke abziehend, heftig.) 
Allmächt'ger Gott, der du mid) eingejeht, 
Zu wahren beiner Ehre und der meinen, 
Die Doppellaft, fie ſpottet meiner Kraft, 
Und nit vermag ich fürder, fie zu tragen. 
Sch Stelle dir zurüd, was beines Reichs, 


Biſt du der Starke doch, und was du millit, 


Führft du zum Ziel durch unerforfchte Wege. 
Doch mas mein eigned Amt, daß diefe Welt 


84 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Ein Spiegel jei, ein Abbild deiner Ordnung, 
Daß Fried und Eintracht wohnen brüderlich, 
Bom Unrecht ungeltört und von Verrath, 
Das will ich üben, ftehit du, Gott, mir bei. 
(Er bat fein Baret wieder aufgefekt.) 


Ich will hinüber zu den treuen Ständen; 
Treu nämlih, wenn — und ehrenhaft, obgleih — 
Anhänglich auch, jedoch — wahrhaft, nur daß — 
Und mie die frummen Mege alle heißen, 
Auf denen Selbftfucht geht und die Gemeinheit. 
(Er macht einige Schritte gegen die Thüre, dann bleibt er ftehen, mit 

dem Fuße flampfend.) 
Mid widert's an, ih mag den Hohn nicht jehn, 
Die Schadenfreude auf ben freien Stirnen. 
Ruft fie herüber. Heißt das: einen Ausfchuß, 
Für Alle führend insgefammt das Wort. 
Erträglich ift der Menſch als Einzelner, 
sm Haufen fteht die Thierwelt gar zu nah. 
Was zögerft du? Auf fie berüber, ſag' ich. 

(Rumpf ab.) 

Nun, Herzog Julius, fühlt Ihr noch die Kraft, 
Das Schwert zu jchwingen in der alten Rechten? 
Mich felbit befüllt ein Hauch der Jugendzeit, 
Und an der Spitze, den! ich, meiner Treuen 
Hinauszuziehn, um Stine gegen Stirn 
Den Aufruhr zu befragen, was fein Biel. 
Nicht dag mich Iodt die ftolge Herrſchermacht, 
Und wüßt' ih Schultern, die zum Tragen tüdhtig, 
Sch Ichüttelte fie ab als elle Lait, 
Bon da an erit ein Menfch und neu geboren; 
Doc wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt, 
Geziemt e3 Gott allein nur, fie zu nehmen, 
Sie abzulegen, ſelbſt, auch ziemt fich nicht. 





Dritter Aufzug. 85 


Wo ift mein Degen? Wolfgang, Wolfgang Rumpf! 
Er lehnt am Tiſch, zunächſt an meinem Bette. 
(Da Herzog Julius auf das Kabinet zugeht.) 
Herr, Ihr bemüht Euch jelbit? Habt Dank, o Lieber! 
(Herzog Julius ind Kabinet ab.) 


Rudolf 
(gegen den Haupteingang gewendet). 
Hört mich denn Niemand? Sind fie ſchon geflohn, 
Bom Niedergang gewendet zu dem Aufgang? 
Das ſoll ſich ändern, ja es fol, e8 muß. 
(Herzog Julius kommt zurüd.) 


Ihr bringt den_Mantel au? Habt hr doch vecht, 

Die Welt verlangt den Schein. Wir Beide nur, 

Wir tragen innerhalb des Kleids den Drben. 
(Nahdem er mit Herzog Julius' Hülfe den Mantel umgehängt.) 


Den Degen legt nur hin! Iſt doch das Eifen 

Faſt wie der Menſch. Geſchaffen, um zu nügen, 
Wird es zur jchneid’gen Wehr und trennt und fpaltet 
Die Schöne Welt und aller Weſen Einklang. 


Sch böre Tommen. Nun, wir find bereit, 
Und fromnt die Milde nicht, fo Hilft das Schmert. 


Der Kaifer ſetzt ih, mehrere böhmifche Stände treten ein. Bor 
ihnen ein Page, der auf einem ſammtenen Kiffen eine Pergament- 
tolle trägt. 


Audolf. 
Fragt fie, mas ihr Begehr! 
(Da Einer vortritt.) 
Nicht Ihr, Graf Thurn! 
Ihr ſeid Fein Eingeborner, feid fein Böhme, 
Die Luft an Unruh bat Euch hergeführt. 
Laßt einen Anbern, laßt den Nächiten Sprechen. 


86 Gin Bruderzwift in Habsburg. 


Bweiter (vortretend). 
Erlauchter Herr und König, gnäd’ger Kaifer, 
Euch iſt befannt, mas ſich im Land begibt 
Und in dem Nachbarland an feinen Gränzen. 
Bewaffnet ziehen Schaaren gegen Prag, 
Und Eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer. 
Da iſt das Volk nun mannigfach bewegt: 
Die Einen mwittern heimlich Einverſtändniß 
Mit Eurer Majeität betrauten Räthen 
Und meinen, wenn das fremde Heer im Land, 
Werd’ e3 die Schneide fehren gegen ung, 
Zum Umfturz unfrer Satzungen und Rechte. 


Audolf 
(vor fih hinſprechend). 
Sehr heimlich wär’ das Einverftändnig, wahrlich. 
Der Wortführer. 
Die Andern wieder werden angelodt 
Bon Dem, was ihnen anbeut die Empörung: 
Freiheit der Meinung und der Glaubensübung, 
Was jedem Menfchen theurer als fein Selbit. 
Nicht wir nur find’3, die diefe Sprache führen, 
Allein das Volk — 
Audolf. 
Das Boll! Ei ja, das Voll! 
Habt ihr das Volk bedacht, wenn ihr die Zehnten, 
Das Herrenrecht von ihnen eingetrieben? 
Das Volk! Das find die vielen leeren Nullen, 
Die gern ſich beifeßt, mer ſich fühlt als Zahl, 
Doch mwegftreicht, kommt's zum Theilen in der Rechnung. 
Sagt lieber, daß ihr ſelbſt ergreift den Anlaß, 
Mir abzuzivingen, mas ich euch verweigert, 
Und jet auch weigern würde, ftünde gleich 
Ein Mörder mit gehobnem Dolch vor mir. 





Dritter Aufzug. | 87 


Doc handelt ſich's von mir nicht jeßt, noch euch, 
Vielmehr von Dem, was fein muß und gejchehn, 
Soll nicht der Grundbau jener mweifen Fügung, 
Die Gott gejebt und die man nennt den Staat, 
Sm milden Taumel auseinander gehn. 
Sch ſeh's an jener Schrift. Es iſt die gleiche, 
Wie fie fett Monden liegt in meinem Zimmer, 
Gleichſtellung forbernd für den neuen Glauben. 
Mas ihr bier bittet, beut euch an ber Aufruhr. 
Bor Irrthum kann ich länger euch nicht wahren, 
Aufruhr erfparen aber Tann ich euch. 
Seid ihr zufrieden, wenn ich euch verſpreche, 
Sobald geftillt die Unruh in dem Land, 
Frei zu bemwilligen, was ihr begehrt? 
Ihr ſchweigt. Mißtraut ihr mir? 
Abgeordneter. 
Nicht Euch, Herr Kaiſer, 
Dem Einfluß aber von Madrid und Rom. | 
Rudolf. 

Hätt' ich gehört auf Das, was dorther tönt, 
Wär' längſt getilgt die Lehre ſammt den Schülern, 
Und in Verbannung geiferte der Trotz. 
Ich aber duldete mit Vatermilde 
Die Ueberzeugung ehrend ſelbſt im Irrthum. 
Verfolgt ward Niemand wegen ſeiner Meinung; 
Im Heer, im Rathe ſitzen eure Jünger. 

(Auf Herzog Julius zeigend.) 
Selbſt hier mein Freund iſt euch ein Lehrgenoß. 
Geduldet hab' ich, aber nicht gebilligt, 
Beſtät'gen wäre billigen zugleich. 


Zuckt ihr die Schulter? Nun, ihr meint, das Meſſer 
Sitzt eben an der Kehle, und habt recht. 
Wil ich vergeſſen nicht mein weltlich Amt, 


88 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Muß ich dem Himmel überlaffen feines. 
Gebt her die Schrift! Sie ift wohl gleichen Inhalts 
Mit jener frühern; doch da ihr mißtraut, 
Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt eure Schrift! 
(Die Rolle, die der Page ihm Inieend darbietet, vom Kiffen nehmend.) 
Sit doch, als ginge mild verzehrend Feuer 
Aus diefer Rolle, dag die Welt entzündet 
Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen 
Mit neuer Sündfluth bändigen die Gluth, 
Und Pobelherrſchaft heißt die Ueberſchwemmung. 

(Die Schrift entfaltend und lefend.) 
Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel 
Bon Treu, Anhänglichfeit — wohl Liebe gar! 
Drum fordert ihr auch gleicher Neigung Pfänder. 


Ein Hofdiener if unmittelbar aus der Thüre links gelommen und 
hat ih Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaifer gegenüber im Vor⸗ 
grunde fteht. 


Biener (leife). 
Erzherzog Leopold aus Steiermark 
Sind angefommen, heimlich, unerkannt, 
Und mwünjchen augenblidliches Gehör. 
Aumpf (ebenfo). 
Es ift nicht möglich jetzt. 
Diener. 
Sie dringen jehr. 
(Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Raifer madıt.) 
Audolf. 

Was ſoll's? Jetzt ift nicht Zeit. — Was immer. Später! 
(Rumpf zieht fih zurüd und bedeutet dem Diener dur Zeichen, der 
fi entfernt.) 

Audolf (weiter leſend). 

Hier ift ein Punkt, der neu. Der muß hinweg. 

Gehorfam zu verweigern, gibt er euch 





Dritter Aufzug. 89 


Das ausgelprocdhne Recht, wird irgendivie 
Geordnet was entgegen eurer Sabung. 

Das iſt der Aufruhr, ftändig, als Gefeb. 
Bedenkt ihr auch dag Beispiel, das ihr gebt? 

ch nicht allein bin Herr, auch ihr ſeid Herren, 
Habt Unterthanen, die in eurer Pflicht; 

Menn ihr mir troßt, fo drohen fie euch wieder. 
Erjt gebt dem Einzelnen, dem Unverjtänd’gen 
Ein Urtheil ihr in Dem, mo felbft die Weiſen 
Berftummend ftehn als an der Weisheit Gränze; 
Dann ruft ihr ihn vom Ader auf den Marft, 
Zählt feine Stimme mit und beißt ihn mehren 
Die Mehrzahl wider Ehrfurdht und Geſetz. 

hr ftellt ihn gleich mit euch und hofft doch, Fünftig 
Als Mindern ihn zu ftellen unter eu? 

Und wärt ihr auch fo chriftlich mild gefinnt, 

Sm Menſchen nur zu fehen euern Bruder: 

Seht an die Welt, die fihtbar offenfund’ge, 

Wie Berg und Thal und Fluß und Wieſe jtehn. 
Die Höhen, felber Tabl, ziehn an die Wollen 
Und fenden fie al3 Regen in das Thal, 

Der Wald hält ab den zebrend wilden Sturm, 
Die Duelle trägt nicht Frucht, doch nährt fie Früchte, 
Und aus dem Wechſelſpiel von hoch und niedrig, 
Bon Frucht und Schu erzeugt fich diefes Ganze, 
Deß Grund und NRedt in Dem liegt, daß es ift. 
Zieht nicht vor das Gericht die heil’gen Bande, 
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt, 
Ermeislos, weil fie jelber der Erweis, 
Berfnüpfen, was das Klügeln feindlich trennt. 
Du ehrſt den Vater — aber er tft hart; 

Du liebft die Mutter — die beſchränkt und ſchwach, 
Der Bruder ift der nächlte dir der Menjchen, 
Wie fehr entfernt in Worten und in That; 


90 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht, 

So fragft du nicht, ob fie der Frauen Erfte, 

Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Weiz, 

Ein Fehler ihrer Zunge ſcheint Muſik, 

Und das: Sch weiß nicht was, das dich entzüdt, 

Iſt ein: Sch weiß nicht was für alle Anden; 

Du Tiebft, du hoffit, du glaubft. Iſt doch der Glaube 

Nur das Gefühl der Eintracht mit dir felbft, 

Das Zeugniß, daß du Menſch auf beiden Seiten: 

Als einzeln ſchwach, und ſtark ala Theil des AU. 

Daß deine Väter glaubten, was du jelbit, 

Und deine Kinder fünftig treten gleiche Pfade, 

Das iſt die Brüde, die aus Menfchenherzen 

Den unerforichten Abgrund überbaut, 

Bon dem fein Senkblei noch erforfcht die Tiefe. 

D, prüfe nicht die Stüben, beßre nicht! 

Dein Menſchenwerk zerjtört den geift’gen Halt, 

Und deine Enkel lachen einit der Trümmer, 

In denen deine Weisheit mobernd liegt. 

Sit eure Sagung wahr, mwirb fie beitehn 

Und, wie das Bäumchen, das vom Stein gedrüdt, 

Die Zweige breiten, fiegenb ob der Lait; 

Allein wenn falſch, jo wißt, daß feine Wurzeln 

Auflodern AU, was feſt und alt und ficher. 

Der Zmeifel zeugt den Zweifel an fich felbit, 

Und einmal Ehrfurcht in fich jelbft geipalten, 

Lebt fie als Ehrſucht nur noch und als Furdt. 

Maßt euch nicht an, zu deuteln Gottes Wahrheit. 
Abgeordneter. 

Mir baun auf feiten Boden, auf die Schrift. 

Audolf. 


Die Schrift? 
(raſch unterfchreibend) 
Hier meine Unterfchrift. Da ihr 





Dritter Aufzug. 9] 


Den todten Zügen einer welken Hand 
Mehr traut, als dem lebendig warmen Wort, 
Das, von dem Mund der Liebe fortgepflangt, 
Empfangen wird von liebedurft'gem Obr, 
Hier ſchwarz auf weiß. — Und nun noch Blut als Siegel. 
Blut ift das rothe Wachs, das jede Lüge 
Zur Wahrheit ftempelt; wenn von Volk zu Volk, 
Warum nicht au von Fürft zu Unterthan? 
Und nun hinaus, beweifen mit dem Schwert, 
Mas nur der Geift dem Geifte ſoll beweiſen. 
Des Reiches Ehre ſoll und muß beftehn. 
Und ift das Thor dem Unheil nun geöffnet, 
Iſt Mord und Brand gejchleudert in die Welt, 
Dann denkt einjt fpät, wenn längſt ich more: 
Wir waren auch dabei und haben es gewollt. 
(Ein ferner Kanonenſchuß.) 

Rudolf Guſammenfahrend). 

Was ift? — Mein Geift ift ſtark, mein Leib nur zittert. 
Zu einem Diener, der eingetreten ift und fi Rumpf genähert hat. 
Audolf. 

Was ſoll's? 
Diener. 
Man hat den Wall am Wiſſehrad beſetzt 
Und ſchießt auf Truppen, die der Stadt ſich nahn. 
Rudolf. 
Man ſoll nicht ſchießen! 
(Neuer Kanonenſchuß.) 
Audolf 
(mit dem Fuße flampfend). 
Sol nit, fag’ ich euch! 
Die Stände 
(die Schwerter ziehend). 
Mit Gut und Blut für unfern Herrn und KRaifer! 


9% Ein Bruderzwift in Habsburg. 


| Andolf. 
Da fteht’3 vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg, 
Was ich vermieden all mein Leben lang, 
Es tritt vor mich am Ende meiner Tage. 
Es fol, es darf nit. Stedt die Schwerter ein, 
Bertragt euch mit dem Feind. Und diefe Handfeft, 
Die ihr als Preis des Beiftands abgetrogt, 
Sei euch geſchenkt. — Ihr felbft, Herr Kanzler, ſeht, 
Was fie begehren draußen vor der Stadt. 
Sit es mein Bruder doch, beitimmt, zu berrichen, 
Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinmwegrafft. 
Er übe fich vorläufig in der Kunft, 
Der undankbaren, ewig unerreichten, 
In der, verkehrt, was font den Menfchen adelt: 
Erit der Erfolg des Wollen Werth beitimmt, 
Der reinfte Wille werthlos — wenn erfolglos. 
In Böhmen aber will ich rubig fißen 
Und barren, bis der Herr mich zu fih ruft. 
(Mit einer Entlaffungsbewegung gegen die Stände.) 
Mit Gott, ihr Herrn! 
(Die Stände entfernen fid.) 
Und Ihr, Herr Kanzler, eilt! 
(Alle, bis uuf Herzog Julius und den Kaifer, ab.) 


Rudolf. 


So ſind wir denn allein. — Ein wüſtes Wort. 
Du tadelſt mich, mein Freund? 


Julius. 
Herr, ich verehr' Euch. 
Rudolf. 
Ich bin ſo gut nicht, als es etwa ſcheint — 
Die Andern nennen's ſchwach, ich nenn' es gut. 
Denn was Entſchloſſenheit den Männern heißt des Staats, 
Iſt meiſtenfalls Gewiſſenloſigkeit, 


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Tritter Aufzug. 93 


Hochmuth und Leichtfinn, der allein nur ſich, 
Und nidt das Schickſal, hat im. Aug, der Andern; 
Indeß der gute Mann auf hoher Stelle 
Erzittert vor den Folgen feiner That, 

Die, als die Wirkung eines Feberftrichg, 

Glück oder Unglüd forterbt jpäten Enkeln. 

Ich aber bin jo gut nicht, als du glaubft. 

In diefen Adern fträubt ſich noch der Herricher, 
Und Zorn und Rachſucht glüht in meiner Bruft: 
Zu züchtigen, die ſich an mir vergeflen, 

Die ſchwach mich nennen, ſchwächer mweit als ich; 
Die alte Bruft zu ſchnüren nod in Erz 

Und in dem Glanz verlegter Majeftät 

Genüber mich zu ftellen den Verräthern, 

Ob fich ihr Aug empor zu meinem tagt. 

Und mar ein Funke Gluth in diefen Männern, 
Die fih Vertreter nennen eines Volks, 

War irgend etwas nur in ihrem Blid, 

Das mehr ala Eigennug und Schadenfreude, 
sch ftünde jet mit ihnen drauß im Feld 

Und töbtete mit Bliden den Berrath. 


Die Seitenthüre links dffnet fih, Erzherzog Leopold, in einen 
dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus. 


Audolf. 
Siehft du, da fommt er, der Berfucher, ba! 
Mein Sohn, mein Leopold! — Und doch hinweg! 
Er jteht im Bund mit meines Herzens Wünfchen. 
Er wird mir jagen, daß ja noch ein Heer 
In Paſſau fteht, zu meinem Dienit geworben: 
Daß Rache füß und daß der Kampf gerecht. 
Mein Sohn, es ift zu ſpät! Ich darf nicht, will nicht. 
Sie nennen ſchwach mich, und ich bin’s zum Kampf, 


94 Ein Bruderzwift in Hab3burg. 


Allein zum lieben reichen noch die Kräfte. 
Berfucher, fort! Ob bundertmal mein Sohn. 

(Er eilt ins Kabinet rechts.) 

feopold 

(der den Mantel abgemworfen). 
Mein Obelm und mein Herr! 

(An der Thüre des Kabinets.) 

Berichließt Ihr Euch? 
Bulins (gu Rumpf). 

Geht Ihr und meilet draußen vor der Thür, 
Damit Fein Unberufner jtörend nahe. N 

. (Rumpf gebt hinaus.) 

Ceopold. 

So komm' ich her ſpornſtreichs auf Seitenwegen, 
Verborgen, unerkannt, und bring' Euch Hülfe, 
Und Ihr verſchließt die Pforte mir, das Herz? 
Ja denn, noch iſt ein Kriegsheer Euch bereit, 
Mit Müh halt' ich's in Paſſau nur zurück. 
Ein Wort von Euch, und tauſend Schwerter flammen 
Zu Euerm Schutz, zum Schutz der Majeſtät. 
Doch wenn Ihr auch den Retterarm verſchmäht, 
Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue. 
Laßt mich, das Haupt gelehnt an dieſe Pfoſten, 
Nicht glauben, Eure Bruſt ſei hart wie ſie. — 

Die Thüre wird bewegt — ſie öffnet ſich — Mein Vater! 
(Er ſtürzt in das Kabinet, deſſen Thüre ſich Hinter ihm ſchließt.) 
Sulius 
(mit gefalteten Händen). 

D, daß nun nicht der Groll, gefräntte Würde 
Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt, 
Gern übergeht in jegliches Empfinden: 

Bon hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn, 
Ihn hinreißt, einzuwill'gen in das Schlimmſte: 
Zu handeln, da's zu ſpät. | 


Dritter Aufzug. 95 


Aumpf. 
(zur Thüre hereinſprechend). 
Herr Biſchof Kiel. 
Sulius. 
Nicht jebt, nur jebo nicht! 
Aumpf. 
Sie laſſen ſich 
Abweiſen nicht. 


Kleſel eintretend. 


Kleſel. 
Nein, wahrlich, in der That. 
Sulius 
(ihm entgegentretend, mit gebämpfter Stimme). 
Ihr wagt es, Herr, hier in denfelben Räumen, 
Die Euer Rath mit Zwietracht angefült — 
Alefel. 
sch komme her im Auftrag meines Herrn. 
Julius. 
Wollt Sr den Kaifer zwingen, Euch zu fprechen? 
Alefel. 
Da fe Gott für! Gemeldet will ich werben, 
Sp heißt mein Auftrag, und wenn abgetviefen, 
Kehr' ich zurüd, Doch melden muß man mid). 
(Er fest fih links im Vorgrunde.) 
Sulius. 
Ich bitt! Euch, Herr, Tprecht Ieife. 
&lefel, 
Und warum? 
Julius. 
Glaubt Ihr denn nicht, die Stimme ſchon des Mannes, 
Der ihm, er glaubt's, ſo Schlimmes zugefügt, 


96 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Muß in bes Kaiſers Bruft jegt, wo Entſchlüſſe 
Hart mit Entfchlüffen fämpfen, Scham und Zorn — 


Alefel. 
Jetzt ift nicht von Entfchlüffen mehr die Rebe, 
Nothwendigkeit ift da, und fie ſchließt ab. 
(In des Kaiſers Kabinet wird geflingelt.) 
Sulius. 
Es ift gefhehn! Nun wahre Gott der Folgen! 
(Wolfgang Rumpf geht ins Kabinet.) 
Sulius. 
Und war fein Anderer als Ihr zu finden 
Zu folder Botichaft, die faft Klingt wie Hohn? 
Klefel, 
Vieleicht meil ich allein Fein Echranz und Höfling, 
Gewohnt, zu jagen gradaus, mas gemeint. 
| Sulius. 
Die Derbheit ift nicht immer Neblichkeit. 
Klefel. 
So ift fie denn Arznei, die, ſchon als bitter, 
Den langverwöhnten Magen ftärkt und heilt; 
Und Heilung war gemeint mit diefem Umſchwung, 
Man wird’3 zuletzt erfennen, hört man mid). 
Mer den Ertrintenden erfaßt am Haar, 
Er bat gerettet ihn und nicht beleidigt. 
(Rumpf kommt aus dem Kabinete zurüd.) 
Rumpf. 
Der Kaiſer ift ergrimmt, er heißt Euch gehn, 
Bon feinem Antlit fern der Strafe harren. 
Der nächſte Augenblid droht Euch Gefahr.. 
&lefel. 
Sch gehe denn. Den Frieden wollt' ich bringen, 
Wählt man den Haß, fo ſuche man nad Madit. 


— ⸗ 








Dritter Aufzug. 97 


Die Strafe, die man droht, fie liegt fo fern, 
Wir freuen und indeſſen an dem Lohn. 

(Er gebt.) 

Julius. 
Es werden Stimmen laut im Kabinet. 
Geht Ihr hinein, verſucht es, ſie zu ſtören. 
Ich fürchte dieß Geſpräch und ſeine Folgen. 


Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinete, in das ſogleich 
Rumpf hineingeht. 


Leopold 
(einen Zettel in die Höhe haltend). 


Ich hab's, ich hab’. 
I 
Aus der Seitenthüre links tritt Oberft Ramee heraus. 


Ceopold. 


Ramee und nun die Pferde! 
(Er nimmt ſeinen Mantel auf.) 


Nichts theurer iſt hier Lands, als der Entſchluß, 
Man muß ihn warm verzehren, eh er kalt wird. 


Rumpfs Stimme (im Kabineh. 
Erzherzogliche Hoheit! 
Julius 
(ſich Leopolden nähernd). 
Gnäd'ger Herr! 


Ceopold. 
Schon fommt die Neue, dünkt mich, laß uns gehn! 
(Erzherzog Leopold und Ramee durch die Geitenthüre links ab.) 
Rumpf 
(aus dem Kabinet kommend). 
Der Kaifer will noch einmal mit Euch fprechen, 
Es ift noch Eins zu jagen. | 
Grillparzer, Werke. VII. 7 


98 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Julius. 
Er iſt fort. 


Rumpf. 


. Der Herr iſt ſein kaum mächtig, ſchlägt die Bruſt. 


Julius. 
Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr, 
So flieg’ ich, ftatt zu gehn, denn das Verderben, 
Es fteht vor mir in gräßlicher Geftalt. 
(Er folgt dem Erzherzog durch die Geitenthüre links.) 
Aumpf 
(fih dem Kabinet nähernd). 
Man bringt ihn noch zurüd. — Der Herzog felber — 


Eh er ſein Pferd beſteigt, ereilt man ihn. 
(Er geht ins Kabinet.). 


Der Kleinſeitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt 
den Hintergrund. 


Die drei Wortführer der Stände kommen von der linken Seite. 


Graf Thurn. 
Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog. 
Der Bortrab feines Heer3 nimmt heute Nacht 
Duartier in unfrer Stadt. Man hofft ihn jelbit, 
Ob freilich nur im Durchzug vor der Hand, 
Dem Tünft’gen Unterthban den Tünft'gen Herrn 
Mit mildem Segensblid vorerft zu zeigen. 
Wie immer denn! Kommt, fchließt euch an! 
Sit er ja doch der Netter, der Befreier. 


5chlick. 
Nur fürcht' ich, ſproßt in ihm der alte Same, 


‚Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg. 





Dritter Aufzug. 99 


Thurn. 

Für neues Drängen gibt es neue Mittel, 
Und fag’ ich: neue, mein’ ich nur die alten. 
Der leife Wiberftand ftumpft jeden Stachel, 
Und ftreiten fie um unſre Krone ſich, 
Berarmen wie im Rechtsftreit beide Theile, 
Reich werden Richter nur und Anwalt, wir. 
Kommt Zeit, fommt Rath. — Hört ihr die Glocken? 
Man bat ihn von den Thürmen wohl erblidt, 
Und dort der erſte Trupp von feinen Schaaren. 
(Geläut der Gloden. Im Hintergrunde beginnt von der rechten Geite 
mit Muſik und Fahnen der Vorüberzug von Eoldaten. Das Volk drängt 
ſich nad rüdwärts, die Blide eben dahin gerichtet, fo daß fie den Zug 

derdeden und der Borgrund leer bleibt.) 

® 

Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee, in Mäntel gehüllt, 
fommen von lints im Borgrunde. Herzog Julius folgt ihnen. 


Sulius. 
Sch lafl Euch nicht. Ihr müßt zurüd zum Kaifer. 
Ceopold. 
Ich habe ſchriftlich ſeinen hohen Willen, 
Nun iſt's an mir, ihn treulich zu vollziehn. 
Julius. 
Kommt Ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen, 
So gährt der Aufruhr neu, des Kaiſers Gegner 
Benützen es zu ſeinem Untergang. 
Es iſt zu ſpät. 
Ceopold. 
Und früher war's zu früh. 
Wann iſt die rechte Zeit? 
Julius (ihn anfaſſend). 
Ich laſſ' Euch nicht. 
So faſſ' ich Euch und flehe: kehrt zurück! 


100 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


£eopold 
(den Mantel abftreifend, der in Herzog Julius’ Hand zurüdbleibt). 
Wie Zojeph denn im Haufe Potiphar . 
Laff ich den Mantel Euch, mich felber nicht. 
Ramee 
(auf das Volk zeigend). 
Herr, wenn man Euch erkennt. 


Ceopold. 


Man ſoll mich kennen! 


(Mit ſtarken Schritten nach rechts abgehend.) 
Halt ihn zurück! 
(Ramee tritt zwiſchen Beide.) 
Sulins. 


Nun dent, es ift gejchehn. 
(Den Mantel fallen laffend.) 

Die Hulle liegt am Boden, das Verhüllte 
Geht offen in die Welt als Untergang. 
(Ramee folgt dem Erzherzog.) 


Der Zug im Hintergrunde hat ſich indeſſen fortgeſetzt. Jetzt erſcheint 
Erzherzog Mathias zu Roß, die Menge überragend. Das Volt 
drängt fih ihm entgegen. 


Bolk. 
Vivat Mathias! Hoch des Landes Recht! 


(Indem Herzog Julius mit einer ſchmerzlich abwehrenden Bewegung fi 
nad rüdmärts wendet, Fällt der Vorhang.) 





Dierter Aufzug. 


Die Kleinfeite in Prag, wie zu Anfang des erften Aufzuges. 
Die Sturmglode wird gezogen. Man hört fchießen. 


Bürger treten fliehend auf. 


Ein Bürger. 
Flieht, Nachbar, flieht! 's ift das Paſſauer Kriegsvolk. 
Der Kaiſer bat fie in das Land gerufen, 
Erzherzog Leopold, fein Neffe, führt fie. 


Prokop aus feinem Haufe tretend. 


Prokop. 
Was ift, was fol’3?. 
Bürger. 
Ihr wißt ja: die Pafjauer. 
Prokop. 
Doc ift die Stadt bewahrt. 
Bürger. 
Man bat die Pforte 
Geöffnet ihnen oben am Hradſchin, 
Und nun ergießt der Trupp ſich durch die Straßen. 
Prokop 
(fein Schwert zichend). 
Sp greift zur Wehr! 


102 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Bürger. 
Dort, ſeht ihr, fommt ein Trupp. 
Prokop. 
Schließt euch und haltet aus! Iſt doch die Stabt 
Bon Männern voll; thut Jeder feine Pflicht, 
Sp lehren wir den Räubern mohl bie Reue. 
(Gegen fein Haus gewendet.) 
Dich, Kind, indeß befehl’ ich Gottes Hut. 
Der ift fein Bürger, der die eigne Sorge 
Vergißt nicht in der Noth des Allgemeinen. 
Zieht euch zu jener Ede, fie gibt Schuß, 
Und gehn fie vor, jo fallt in ihre Seiten. 
(Sie ziehen fi zurüd.) 


Oberft Ramee tritt auf mit Soldaten. 


Ramee 
(zu Einigen, die ihre Gewehre anſchlagen). 
Halt ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer. 
Wir überfallen ſie, und ohne Blut, 
So will es der Erzherzog, ſind wir Sieger. 
Drängt nicht zu ſcharf! Denn raſch in ihrem Rücken 
Eilt eine Reiterſchaar der Moldau zu, 
Beſetzt die Brüde, dringt ins offne “Thor; 
Die Mtftabt unfer, find wir Herrn von Prag. 
(Trompeten in weiter fyerne.) 
Die Brüde ift genommen. Jetzt auf fie! 
(Mit den Soldaten nad der rechten Seite ab. Man hört Lärm des 
Gefechts.) 


Don Cäſar im Wams, ohne Hut, kommt, von einigen Solbaten 
umgeben. 
Cäſar. 

Ich dank' euch, Freunde, daß ihr mich entledigt 








Vierter Aufzug. "103 


Der bittern Haft, in der mich hielt die Willfür 
Um Sener wegen, die dort oben wacht. 
(Auf Profops Haus zeigend, in deſſen oberm Geſchoß ein Licht brennt.) 
Sch will mit euch, will kämpfen, fechten, fterben, 
Gleichviel, für wen, und gleichviel, gegen wen; 
Den, ber mich tödtet, nenn’ ich meinen Freund, 
Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei 
Mit ihr, die mich verbarb. 
(Da Einige fih der Thür nähern.) 
Halt, fein Geräuſch! 
Ich Tenne die Gelegenheit des Hauſes 
Aus frührer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer 
Iſt noch ein Pförtchen, das ins Innre führt, 
Bon mo zwei Treppen nach der Gartenjeite 
Zum Söller fteigen nächſt an ihr Gemach. 
Dort ſei's verjucht, und ihr bewahrt den Eingang! 
(Sie verlieren fih hinter dem Haufe.) 


Zimmer in Prokops Haufe. An ber linken Seite ein Fenſter. 
Gegenüber eine Thüre. Im Hintergrunde zwei andere, worunter 
eine Glasthüre, die nach dem Söller führt. 


Lucretia tritt auß der Seitenthüre links. 


£ucretin. 

Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht. 
Ich börte Schießen, fchrein, Geklirr der Waffen, 
Und er verläßt fein Kind in diejer Noth. 
D, daß die Männer nur ind Weite ftreben! 
Sie nennen’3 Staat, das allgemeine Befte, 
Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur. 
Gibt's denn ein Beites, das nicht auch ein Nächites? 
Mein Herz jagt Nein, nächſtpochend an die Bruft. 

(Ans Fenſter tretend.) 


104 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Nun ift es ruhig, und der graue Schein 

Dom Ziskaberg verkündet ſchon die Sonne. 
(Raſch umgewendet.) 

Hör' ich Geräuſch, und kehrt mein Vater heim? 


Die Glasthüre des Söllers öffnet ſich, und Don Cäfer tritt ein. 


Bon Cãäſar. 
Biel Glück ins Haus! 


£urretia. 
D Gott, fo ſchaut das Unglüd! 
Bon Läfar. 
Erſchreckt nicht, bolde Maid! ch bin es felbit; 
Und bin’3 aud nit. Die Afche nur des Feuers, 
Das einft für Euch geglüht, ihr wißt, wie heiß; 
Der Schatten nur des Weſens, das ich war. 
Und ſelbſt der letzte Schintmer dieſes Daſeins, 
Der noch ins Dunkel ſtrahlt, das Leben heißt, 
Kommt zu verlöſchen mir in dieſer Nacht. 
Ich geh' in Kampf und weiß, ich werde fallen, 
Die Ahnung trügt nicht, wenn von Wunſch erzeugt. 
Was ſoll ich auch in dieſer wüſten Welt, 
Ein Zerrbild zwiſchen Niedrigkeit und Größe; 
Verleugnet von dem Manne, der mein Vater, 
Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt — 
Erzittert nicht! Davon iſt nicht die Rede. 
Die Leidenſchaften und die heißen Wünſche, 
Die mich bewegt, ſie liegen hinter mir, 
Ich habe ſie begraben, eingeſargt. 
Was iſt es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke, 
Ein Etwas, das nie Etwas und nie Nichts, 
Je demnach ich mir's denke, ich, nur ich. 
Und Recht und Unrecht, Weſen, Wirklichkeit, 
Das ganze Spiel der buntbewegten Welt, 


A — — #_ 


Vierter Aufzug. 105 


Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen, 
Das fie erzeugt und aufhebt, wie es will. 
Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln, 
Ich pochte forfchend an des Fremden Thür, 
Gelefen hab’ ich und gehört, verglichen, 
Und fand fie beide haltlos, beide leer. 
Bertilgt die Bilder ſolchen Schattenjpiels, 
Blieb nur das Licht zurüd, des Gauklers Lampe, 
Das ſie als Weſen an die Wände malt, 
Als einz'ge Leidenſchaft, der Wunſch: zu wiſſen. 
Laßt mich erkennen Euch, nur deßhalb kam ich, 
Zu wiſſen, was Ihr ſeid, nicht, was Ihr ſcheint. 
Denn wie's nur Eine Tugend gibt: die Wahrheit, 
Gibt's auch Ein Laſter nur: die Heuchelei. 
Cucretia. 
Mir aber dünkt, der Heuchler, wie Ihr's nennt, 
Zeigt mindſtens Ehrfurcht vor dem Heil'gen, Großen, 
Das Eure Wahrheit leugnet, wenn ſie's ſchmäht. 
Don Käfer. 
So ſeid Ihr Heudjlerin? 
Cucretia. 
Ich war es nie. 
Bon Cãſar. 

Ich fürchte doch: ein Bißchen, holde Maid, 
Als ich, nun lang, zum erſten Mal Euch ſah, 
Da ſchien mir alle Reinheit, Unſchuld, Tugend 
Vereint in Euerm jungfräulichen Selbſt; 
Zeigt wieder Euch mir alſo, laßt mich glauben! 
Und wie der Mann, der Abends ſchlafen geht, 
Von eines holden Eindrucks Macht umfangen, 
Er träumt davon die ſelig lange Nacht, 
Und beim Erwachen tritt daſſelbe Bild 
Ihm mit dem Sonnenſtrahl zugleich vor's Auge; 


106 Ein Bruderzwift in HAbShurg. 


So gebt mir Euch, Euch felber auf die Reife, 
Bon der zurüd der Wandrer nimmer fehrt. 
Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt. 
£ucretia, 
Wie ohne Grund Ihr mich zu hoch geftellt, 
Sp ftelt Ihr mich zu tief nun ohne Grund. 
Bon Cäſar. 
Nicht doch, nicht Doch! — Ihr ftießet mich zurüd. 
sch mußt’ e3 dulden, manchen Fehls bemußt. 
Doc feht, da war ein Mann, Belgivjofo hieß er, 
Ein Heudler und ein Schurk — 
£ucretia. 
Er war es nidt. 
Bon Cäſar. 
Vertheidigt Ihr ihn denn? 
£urretia. 
Wer klagt ihn an? 


Bon Käfer. | 
Sch, der ich ihn gelannt. — Er hielt zu mir; 
In all dem Treiben, das mit Necht man tadelt, 
Sm wilden Toben war er mein Genof, 
Doc ging er hin und zeigt’ es heimlich an 
Und brachte mich um meines Vater Liebe. 

LCucretia. 

Der laute Ruf erſpart' ihm dieſe Müh. 

Bon Cäſar. 


Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund. 
Doch plötzlich kehrt' er ſichtlich mir den Rücken; 


| Su gleicher Zeit betrat er Euer Haus. 


— 
“ 


Cucretia. 
F war der Freund des Vaters, nicht der meine. 





Vierter Aufzug. 107 


Bon Käfer. 
Als Freund des Vaters denn nahmt Ihr ihn auf, 
Doc als der Eure, denk' ich, fam er wieder, 
War Mitbewohner faft in diefem Haus, 
Bei Tag, bei Nadıt. 


£urretia. 
Zu Abend, wollt Ihr jagen, 
Im Beifein meines Vater, ander nie. 


Bon Cäfar. 
Sch aber ſtand genüber auf ber Straße, 
Mit Reif und Schnee bedeckt, und jah empor 
Zum Fenfter, mo die Schatten Glüdlicher 
Wie Müden flogen um den Strahl des Lichts. 
Da endlich Tam der Tag, der ihn :beftrafte. 


LCucretia. 

Erinnert Ihr mich noch an ſeinen Tod? 

Bon Cãſar. 
Nicht ich that's, noch geſchah's um meinetwillen, 
Das Euch zu ſagen, kam zumeiſt ich her. 
Feldmarſchall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer, 
Doch Thäter ſeiner Thaten er allein, 
Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder ſonſt, 
Hat ihn beſiegt in ehrlichem Gefecht, 
Wie's Edelleute pflegen und Soldaten. 
Und wißt Ihr, welches Loos ward meinem Freund? 
Der Kaiſer ließ auf offnem Marktplatz ihm 
Das Haupt vom Rumpfe trennen, Angeſichts 
Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen. 
Gedenk' ich jenes Tags, jo gährt's in mir, 
Und blutige Gebanfen werben wach. 
Stünd’ er vor mir, der heuchelnde Verräther, 
Nicht damals that ich's, aber jetzt geſchäh's: 


108 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Das Schwert bis an das Heft in feiner Bruft, 
Bezahlt’ er mir die Schreien jener Stunde. 
Cucretia. 
O Gott! wer rettet mich? 
Bon Cäſar. 
Seid nicht beſorgt! 
Mir iſt's, ſagt' ich, um Wahrheit nur zu thun. 
Glaubt nicht auch, daß mich Eiferſucht bewegt! 
Die Eiferſucht iſt Demuth, ich bin ſtolz, 
Verachtung liegt mir näher als der Haß. 
Doch daß Ihr von erlogner Tugend Höhe 
Herabſeht auf die Welt, auf mich, auf Alle, 
Den gleichen Fehl verhehlend in der Bruſt, 
Das ſoll nicht ſein. Fluch aller Heuchelei! 
Sagt mir: ich liebt' ihn, den geſchiednen Freund, 
Ich liebt' ihn, weil ſein Antlitz zart und weiß, 
Ich liebt' ihn, weil ſein Haar von Salben duftend, 
Ich liebt' ihn, weil ich thöricht, albern, ſchwach, 
Sagt's, und ich laß Euch frei. 
Cucretia. 
Ich liebt' ihn nicht; 
Nur Gott hat meine Liebe und mein Vater. 
Bon Cäſar. 


Recht gut, recht ſchön! — Doch weß iſt dieſes Bild — 


Ich bin vertraut mit Eures Hauſes Räumen — 
(die Seitenthüre öffnend) 
Weß iſt das Bild, das hängt an jener Wand, 
Vom Licht der Lampe bublerifch befchienen ? 
Iſt's Belgiojoſo's nicht? Ertappt, ertappt ! 
£urretia. 
Mein Bater hängt’ es bin. 
Bon Cäfar. 
Und Ihr, Madonna, 





Vierter Aufzug. 109 


Ihr rüdtet Euern Schemel zum Gebet 
Hart an das Bild, daß, wenn bie Lippen beten, 
Das Herz zugleich ſchwelgt in Erinnerungen, 
Grinnerungen, die — Und wenn ich tobt, 
Lacht an der Seite eines neuen Buhlen 
Ihr mein und meiner Liebe, wie Ihr lachtet 
An Belgiojoſo's Hand. 

(Lucretia entflieht ins Seitengemach.) 

Bon Cäſar. 
Nicht dort hinein! 

Nicht dort hinein, vor meines Feindes Bild, 
Des Heuchlers, Heuchlerin! — Ringſt bu die Hände 
Zu ihm als deinem Heiligen? 
Er bat eine Piſtole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Rich⸗ 

tung der offnen Thüre abſchießt.) 


olg ihm nad! 
— Was iſt gefchehn? von ih 9 
(In die Thüre blidend.) 
Weh mir! — D meine Thaten! 
(Er wirft ſich auf die Knie, die Augen mit den Händen bededend.) 


Ein Hauptmann kommt mit Soldaten. 


Hauptmann. 
Hier fiel ein Schuß, und er tft in ber Nähe. 


Prokop, der AG durch die Soldaten drängt. 


Prokop. 
Zucretia, mein Kind! 
(An der offenen Thüre.) 
O! gräulich, gräßlich | 
(Er flürgt hinein, die Thüre ſchließt ih Hinter ihm.) 
Hauptmann 
(Don Eäfar emporrichtend) 
Wir ſuchten Euch! | 


110 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Bon Cäfar. 
Nun denn, Ihr habt gefunden. 
Gibt's Richter noch in Prag? 
Hauptmann. 
Es gibt fie wieder. 
Der Feind hinausgefchlagen aus der Stadt, 
Kehrt Ordnung und das Recht zurüd von Neuem. 
Don Cäfar. 
So richtet mich! Erfpart mir ſelbſt die Müh. 
(Er gebt auf die Hinterthüre zu, von den Soldaten gefolgt.) 


Prokop in der Seitenthüre erſcheinend. 


Prokop. 
Hieher, hieher! Wielleicht iſt Hülfe möglich! 
(Einige Diener, die während des Vorigen gelommen find, folgen ihm 
ins Eeitengemad. — Alle ab.) 


Garten im töniglichen Schloffe auf dem Hradſchin. In der Mitte 
des Hintergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrabe. 


Heinricd, Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaff⸗ 
neten Bürgern. 


Thurn. 
Stellt Wachen aus, beſetzt die äußern Pforten! 
Von hier aus ließ den Feind man in die Stadt, 
Darum bewahrt vor Allem den Hradſchin. 

(Die Bürger geben.) 

5qchlick. 
Scheint's doch ein Wunder faſt, daß wir gerettet. 

Thurn. 
Das Wunder war der Muth, die Tapferkeit 
Der wackern Bürger unſrer Altſtadt Prag. 











Vierter Aufzug. 1ll 


Der Feinde Plan mar Iiftig angelegt: 

Hier oben von Verräthern eingelaflen, 

Drang ihre Schaar nur langfam zögernd vor, 
Als ob den Widerſtand der Gegner fcheuend; 
Doch deſto fchneller fliegt durch Seitengaffen 

Ihr Reitertrupp der Molbaubrüde zu, 

Die Altjtadt wohl im Schlaf noch überfallend. 
Schon füllt die Brüde fih mit Roß und Mann, 
Schon dringen, die zuvorderit, in die Stadt; 

Da fällt mit Eins das Gitter vor das Thor, 
Und von dem Thurm, aus Büchfen und Karthaunen 
Ergießt ſich Feuer auf die wilde Schaar. 

Die Rofje bäumen, und die Reiter ftürzen, 

Der Bortrupp weicht, der Nachzug drängt nad) vorn, 
Und unentwirrter Knäuel füllt die Brüde, 
Entladend in die Moldau fein Gebräng; 

Bis endlich Schreden, mädjt’ger als bie Raubgier, 
Nach rückwärts treibt den lauten Menfchenftrom, 
Sich überftürzend und den Nachbar ſchäd'gend; 
Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei, 

Daß unfern Bürgern, die im Ausfall folgen, 

Die Mühe nur des Schlachtens übrig bleibt. 

Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug, 

Und Bürgertreue fchließt die Einbruchspforte, 

Die Rachſucht öffnete und der Verrath. 


Sdlic. 
Doc find fie ſtark noch außen vor der Stabt. 


Thurn. 
Seid unbeforgt! Der räuberifche Durchzug 
Bon Paſſau ber, durchs obre Deiterreich 
Bis fern nad) Böhmen, blieb nicht unbewacht, 
Sp wie er unvorbergefehen nicht. 
Bon ringsum fammeln fih die Garnifonen, 





| 112 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog 
Mathias, derzeit noch von Ungarn König, 
Und bald von Böhmen, dent ich, etwa auch, 
Er ift zur Hand, raſch folgend ihrer Ferfe. 
Ja nur, weil nicht gewachſen ihm im Feld, 
Verſuchten fie heut Nacht den Ueberfall. 
Bon bier verbrängt, ihr Zufluchtsort verloren, 
Berftäubt in alle Winde bald die Schaar. 

5chlick. 
Allein was thun wir ſelbſt? 

Thurn. 

Man wirbt um Euch. 

Verhaltet Euch wie die verſchämte Braut, 
Der neue Freier bringt Euch neue Gaben. 


Herzog Julins kommt mit einem Hauptmanne, der einen 
Shlüfiel trägt. 


Julius. 
Ihr Herrn, iſt Das wohl Fug und Recht? Man ſtellt 
Im Schloſſe Wachen, wie in Kerkermauern, 
Selbſt vor des Kaiſers fürſtliches Gemach. 
Man fordert ab die Schlüſſel aller Pforten, 
Des Eingangs Freiheit und des Ausgangs hemmend. 
Zuletzt noch dieſen, der vor Allem nöthig. 
Er führt zum Thurm, in den man rück Don Cäſar, 
Den unglückſelig wildverworrnen, brachte, 
Im Wahnſinnfieber gen ſich ſelber wüthend. 
Die Aerzte haben, Blut mit Blut bekämpfend, 
Die Adern ihm geöffnet an dem Arm. 
Er braucht des Beiſtands und des freien Zutritts, 
Drum fordr' ich dieſen Schlüſſel hier von Euch. 
Thurn. 
Doch däucht mich, daß Don Cäſar, eben er, 








Dierter Aufzug. 113 


Verbunden mit den Räubern heute Nacht, 
Theil nahm an all dem Gräuel, ber geſchah, 
Mephalb er in Gewahrfam nur mit Nedht. 


Sulius. 

Der Richter wird erfennen feine Schuld. 
Thurn. 

Man weiß noch nicht, wer Richter hier im Lande. 


Julius. 
Doch wohl nicht Ihr? 
Thurn. 
Verhüt' es Gott! 
Doch auch nicht Jene, die, des Unheils Stifter, 
Als ſchuldig etwa ſelber ſich gezeigt. 
Wir harren eines Höhern, der ſchon naht; 
Allein damit Ihr ſeht, daß Euer Werth 
Als Fürſt des Reiches und als Ehrenmann 
Auch hier im fernen Böhmen anerkannt, 
Nehmt dieſen Schlüſſel, ob zwar auf Bedingung: 
Daß nur der Eintritt und für Aerzte nur, 
Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn 
Geknüpft an dieſen Bürgen ſeiner Haft. 
Julius. 
Ich dank' Euch, edler Graf, und bin erbötig 
Zu gleichem Dienſt, kommt Ihr in gleichen Fall. 
Doch jetzt nehmt Euern Abſchied, wenn's beliebt. 
Von fern ſeh' ich des Kaiſers Majeſtät, 
Den Ihr vertrieben aus der Burg Gemächern; 
Gönnt ihm den Athem in der freien Luft. 
Thurn. 
Die Luft iſt frei für Jeden, doch die Burg 
Verſchließt man gern vor Untreu und Verrath. 
(Er entfernt ſich mit ſeinem Begleiter.) 
Grillparzer, Werke. VI. 8 


114 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Der Kaifer tommt, von Rumpf und Ginigen begleitet, von der 
linten Seite, Er bleibt vor einem Blumenbeete Reben. 


Rumpf. 
Die Blumen find zum guten Theil gefnidt, 
Das that der böfe Sturm in heut’ger Nacht. 
(Der Kaifer nidt beflätigend mit dem Kopfe.) 
Den Sturmmwind mein’ ich eben, Majeftät. 
(Der Kaifer hat fi nad vorn bewegt, jetzt bleibt er fiehen und fährt 
mit dem Stabe einige Male über den Boden.) 
Der Fußtritt vieler Kommenden und Gehnden 
Hat arg gehaust in diefes Gartens Wegen. 
Des Gärtners Rechen gleicht es wieder aus. 


Beliebt's Euch nun, den Thieren nachzuſehn, 
Die in den Käfigen der Füttrung barren? 
Der Löwe nimmt die Nahrung nur von Eud). 
Die Wärter jagen, daß gefenkten Haupts 
. Er leiſe jtöhnt, wie Einer, der betrübt. 
(Der Raifer hat den Herzog von Braunfchweig bemerkt und hält ihm 
die Hand hin.) 
Sulius 
(auf ihn zugehend). 
Mein Kaifer und mein Herr! 
(Er will ihm die Hand kuſſen, der Kaifer zieht fie zurüd und hält fie, 
als zum Handſchlag, wieder hin.) 
Julius 
(des Kaiſers Hand mit beiden faſſend). 
Nun denn, willfommen! 
Mich freut das MWohlfein Eurer Majeftät. 
(Der Kaiſer lat hoͤhniſch.) 
Nah Wollen, fagt ein Sprüchwort, fommt die Sonne, 


Die Sonne Aller aber ift das Recht. 
(Der Kaifer weist mit dem Stabe gen Himmel.) 





Vierter Aufzug. 115 


Julius. 

Nicht nur dort oben, auch ſchon, Herr, hienieden. 
Denn ſelbſt der Böfewicht will nur für fi 
Als einzeln ausgenommen fein vom Recht, 

Die Andern wünſcht er vom Geſetz gebunden, 
Damit vor Räuberhand bewahrt fein Raub. 
Die Andern denken gleich in gleichem Falle, 
Und jeder Schurk ift einzeln gegen Alle; 
Die Mehrheit fiegt, und mit ihr ſiegt das Recht. 
Wär's anders, Herr, die Welt beftünde nicht, 
Und alle Bande des gemeinen Wohls, 
Sie wären längſt gelöst von Eigennutz. 
In Eurem Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürſten, 
Sie werden ruhig zuſehn dem Verderben hier, 
Nicht böſes Beiſpiel für ſich ſelbſt befürchten? 
Selbſt Euer Volk — 


Ein Bürger, nadläffig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter, tritt 
von der linken Seite auf, betrachtet die Anweſenden und kehrt auf 
einen Wink Herzog Julius’ wieder zurüd. Der Kaifer fährt zufammen, 


Rumpf. 
Es find die Wachen — 
Die Zeibwacht freilich nicht der Königsburg — 
Weil fie behaupten, daß bier vom Hradſchin 
Den Feind man eingelaſſen in die Stadt, 
Und weil man Thor und Pforte will verwahren. 
(Der Kaiſer droht heftig mit dem Ginger in die Ferne.) 


| Sulins. 
O, ſcheltet nicht den Neffen, der Euch liebt! 
Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr, 
Er fühlt das Unglüd tiefer als Ihr felbit. 
Cr war bei mir, als ſchon der Kampf entfchieben, 
Und bat mich, naflen Augs, ihn zu -verkreten 





116 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Ob feiner Wagniß, die der Zufall nur, 
Ein mißverſtandener Befehl vereitelt, 
Sonſt wart Ihr frei und Herr in Euerm Land. 
Er geht nach Deutichland, um des Reiches Stände 
Zum Schuße zu vereinen ſeines Herrn. 
Zugleich die andern Fürften Eures Haufes — 
' (u Rumpf) 
Ward es gemeldet jchon? 
(Auf eine entſchuldigende Geberde Rumpfs.) 
Sie find uns nab. 
Sie fommen heut nach Prag, um als Vermittler - 
Zu ſchlichten diefen unheilvollen Zwiſt, 
Dabei auch, wie Ihr früher ſelbſt begehrt, 
Abbittend der verletzten Majeſtät, 
Genug zu thun für Alles, was ſie ſelbſt 
In guter Meinung früherhin geſündigt. 
Die Welt, ſie fühlt die Ordnung als Bedürfniß 
Und braucht nur ihr entſetzlich Gegentheil 
In voller Blöße nackt vor ſich zu ſehn, 
Um ſchaudernd rückzukehren in die Bahn. 
(Der Kaiſer zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den 


Boden ſtoßend, und entfernt ſich dann auf Rumpf geſtützt nach dem 
Hintergrunde.) 


Ein Diener, von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius. 


Diener. 

Um Gotteswillen gebt den Schlüffel, Herr! 
Sulius. 

Was ift? 
Diener. 


Die Aerzte fordern Einlaß zu Don Cäſar. 
(Der Raifer hat fi umgewendet und blickt forſchend nach den Sprechenden.) 


Aumpf. 
Der Kaifer wünſcht zu willen, was die Sache. 





— — —— 5 


Vierter Aufzug. 117 


Julius. | 
Man hat Don Cäſar in den Thurm gebradt, 
Wo als Erkranktem, der dem Wahnfinn nahe, 
Die Adern man geöffnet ihm am Arm. 


Diener. 
Er aber tobte an dem Eifengitter 
Und rief nach einem Richter, um Gericht, 
Er molle leben nicht; bis plöglich, jetzt nur, 
Er den Verband ſich von den Adern rif. 
Es jtrömt fein Blut, und die verfchlofine Thür 
Verwehrt den Eintritt den berufnen ersten. - 
Gibt man den Schlüffel nicht, ift er verloren. 


Julius 
(den Schlüffel aus dem Gürtel ziehend). 
Hier nimm und eil! 
(Der Kaifer winkt mit dem fyinger.) 
‚Allein bedenkt, o Herr! 
(Da der Raifer den Schlüffel genommen hat und fi damit entfernt, 
ihm zur Seite folgend.) 
Bon einem Augenblid bängt ab fein Leben, 
Und nicht fein Leben nur, fein Ruf, fein Werth. 
Ihm jelbjt und jedem Andern, ver ihm nah, 
Liegt nun daran, daß er vor feinen Richtern 
Erläutre, was er that und was ihn trieb, 
Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Thier, 
Daß wie ein Menſch er aus dem Leben ſcheide, 
Wenn nicht gereinigt, doch entfchuldigt mindftens. 
Ihm werde Spruch und Nedit. 
Raifer 
(der, auf den Stufen des Brunnens ſtehend, den Schlüffel hinab- 
geworfen hat, mit flarler Stimme). 


Er ift gerichtet, 


118 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Bon mir, von feinem Kaifer, feinem — 
(mit zitternder, von Weinen erflidter Stimme) 
| Herrn! 
(Er wankt nad der linken Seite von Rumpf unterſtützt ab.) 
Sulius 
(auf die Stufen des Brunnens tretend und binabfehend). 
Es ift umjonft! Don Cäfar ift verloren. 
Sprengt auf die Thür! — Und doch, e8 ziemt uns nicht, 
Dem Urtheil vorzugreifen feines Richters — 
D, daß er doch mit gleicher Feftigfeit 
Das Unrecht ausgetilgt in feinem Staat, 
Als er es austilgt nun in feinem Haufe. 
Geht nur, es ift geſchehn. 
Hinter der Scene 
(wird gerufen). 
Halt da! Zurück! 
Sulins. 
Was dort? 

Der Kaifer aufgehalten von den Wachen? 
Legſt du die Hand an ihn, an ben Gefalbten? 
Das fol nicht fein, fo lang ich leb' und athme. 
Mein legte Blut für ihn! Zurüd die Hände! 
Sonſt zahlſt du deine Frechheit mit dem Tod. 

(Gr geht, die Hand am Schwert, nad der linken Seite ab.) 


Verwandlung. 
Gemach in der Burg, wie zu Anfang des dritten Aufzuges. 
Die nifchenartige Vertiefung recht3 im Hintergrunde mit einem 
herabgelaffenen Vorhange bededt. 


Thuru und Schlid tommen, ein Arbeiter mit Schurzfell Hinter ihnen. 
Thurn. 


Ward jeder Ausgang nad) Geheiß verſchloſſen? 
Hier ift noch eine Thür. 





Vierter Aufzug. 119 


Arbeiter 
(den Vorhang mwegziehend und au einer in der Mauer befeftigten 
Spange zurüdidlagend). 
Sie ift nicht mehr. 
Mit Starken Bohlen hat man fie verrammelt, 
Gie hält fo feſt nun, als die feite Wanb. 
Churn. 
Geht immer nur und feht nach außen zu. 
(Arbeiter ob.) 
Thurn. 
Bor Allem liegt daran, daß unfer König, 
Der aus fich ſelbſt wohl Schlimmes nie begehrt, 
Nicht, von Verräthern heimlich meggebradt, 
Zur Fahne diene feindlihem Beginn. 
Schlick. 
Allein, mein Freund, wir ehren unſern König, 
Und Das geht weiter, als die Abſicht war. 
Thurn. 
Die Abſicht, Freund, iſt ein vorſicht'ger Reiter 
Auf einem Nenner feurig, der die That, 
Den fpornt er an zu haftigem Vollzug. 
Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel 
Und meint, nun wär's genug. Allein das Thier, 
Bon feiner edlen Art dahin gerifjen 
Und von dem Wurf des Lebens und ber Kraft, 
Es ftürmt noch fort duch Feld und Buſch und Korn, 
Bis endlich das Gebiß die Gluth befiegt, 
Da ehrt man. denn zurüd. 


Sdlid. 
Wenn's dann noch möglich. 


Thurn. 
Wenn nicht, dann nur fein Wort von Zweck und Abficht, 


120 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


AN, was gefchehn, das haft bu auch gewollt. 

Doch nahen Tritte; wohl der Kaifer felbit; 

Laßt und noch fehen nach der äußern Pforte. 
(Sie gehen dur die Thüre links.) 


Der Kaiſer kommt auf Rumpf gefüst, Herzog Julius geht vor 
ihm ber. 


Sulins. 
Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverftand. 
Der Mann, den man zur Obhut bingeftellt, 
Erfannt’ Euch nicht. 
(Der Kaiſer nidt Höhnifh mit dem Kopfe.) 
Er folgte dem Befehl, 
Der Jedermann den Zutritt unterjagte. 


(Der Kaiſer erblidt den verfähloffenen Eingang zum Laboratorium 
und zeigt mit dem Gtode darauf hin.) 


Rumpf 
(den zurückgeſchlagenen Vorhang herablaſſend). 
Beſorgniß wohl für Eure Sicherheit, 
Man will den Eingang Unberufnen wehren. 


Rudolf. 

Den Eingang? Sag: den Ausgang! Mir, dem Kaiſer. 
Ich bin's und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft. 
Drum fort von mir, du menſchlich naher Schmerz, 
Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde. 
Und weißt du, wer's gethan? Nicht daß mein Bruder 
Die Hand erhoben wider meine Krone; 
Ich hab' ihn nie geliebt, und er iſt eitel, 
Er that nach ſeinem Weſen, obgleich ſchlimm. 

(Ans Fenſter tretend.) 
Doch dieſe Stadt. Schau, wie ſie üppig liegt, 
Geziert mit Thürmen und mit edlem Bau, 
Verſchönt durch Kunſt, was Gott ſchon reich geſchmückt. 











Vierter Aufzug. 121 


Und mein Werk ift'3. Hier war mein Königsſitz, 
Für Prag gab ich das lebensvolle Wien, 

Den Sit ber Ahnen feit des Reiches Wiege; 
Die beuchlerifche Stille that mir wohl, 

Weil ſelbſt ich ftil und heimisch gern in mir. 
Gehütet wie den Apfel meines Auges 

Hab! ich dieß Land und dieſe arge Stadt, 

Und während alle Welt ringsum in Krieg, 
Lag einer blühenden Oaſe gleich 

Es in der Wüfte von Gewalt und Mord. 

Doc bift du müde deiner Herrlichkeit 

Und ſtehſt in Waffen gegen deinen Freund? 
Sch aber fage dir: wie eine böje Beule 

Die ſchlimmen Säfte all des Körpers anzieht, 
Zum Herde wird der Fäulniß und des Gräuls, 
So wird der Zündftoff diefes Kriegs zu dir, 
Der lang Berjchonten, nehmen feinen Weg, 
Nachdem du ihm gewieſen deine Straßen. 

In deinem Umfang Tämpft er feine Schlachten, 
Nach deinen Kindern richtet er fein Schwert, 
Die Häupter deiner Edlen werben fallen 

Und deine Sungfraun, losgebundnen Haars, 
Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande. 

Das fei dein Loos, und alſo — fluch' ich dir! — 
Die du die Wohlthat zahljt mit böfen Thaten. 


Mo ift mein Stod? Die Kniee werden ſchwach, 
Laßt Niemand ein! Ich höre Stimmen drauß, 
Wer immer auch, ein Feind iſt's und Verräther. 


Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erſcheinen in der 
Thüre. 


Rumpf. 
Es find die Herrn Erzherzoge. D Wonne! 


122 . Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Rudolf. 
Ihr fein es? Bruder, du? Willlommen, Better! 
Nehmt Sitz! Ihr Tommt in wunderlicher Zeit. 
(Er hat ſich gefekt.) 
Was Neues in der Welt? Zwar ftet3 Daſſelbe: 
Das Alte ſcheidet, und das Neue wird. 
Kommt ihr zum Taufichmaus oder zum Begräbniß? 
Serdinand. 
Eh wir uns fegen, fo erlaubt, daß knieend 
Abbitte wir für das Vergangne leiften, 
Den Willen unterftellend für die That. 
(Die Erzherzoge knieen.) 
Audolf. 
Vom Boden auf! — Und du, mein guter Bruder, 
Spridft nicht? 
Marimilian. 
Mir ift das Weinen näher. 
Auch kniet ſich's Schwer mit meines Körpers Laſt. 


Rudolf. 

Vom Boden auf! Soll unſer edles Haus 
Vor Jemand knieen als vor ſeinem Gott? 
Iſt Einer todt, ſo liegt er auf dem Grund, 
Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog. 

(Die Beiden find aufgeſtanden.) 
Sollt' ich euch ftrenger richten als mich jelbit? 
Wir haben’3 gut gemeint, doch Tam es übel. 
Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen, 
Kann er’3 nicht ſelbſt vollführen, er allein, 
Miſcht von der Leidenſchaft, der böſen Selbſtſucht 
Der Andern, die als Werkzeug ihm zur Hand, 
So viel ſich bei, daß, hat er nun vollbracht, 
Ein Zerrbild vor ihm ſteht, ſtatt ſeiner That. 
Ich habe viel gefehlt, ich ſeh' es ein, 











Bierter Aufzug. 123 


Seitdem ich aus den Neben, die am Gipfel, 
Herabgeftiegen in das tiefe Thal, 
In dem das Grab liegt als die letzte Stufe. 
Ich hielt die Welt für Hug, fie ift es nicht. 
Gemartert vom Gedanken drohnder Zukunft, 
Dacht' ich die Zeit von gleicher Furcht beivegt, 
Im weiſen Zögern feh'nd die einz'ge Rettung. 
Allein der Menfch lebt nur im Augenblid, 
Was heut ift, fümmert ihn, es gibt fein Morgen. 
So rannten fie hinein ins tolle Werl, 
Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt. 
Ich tadl' euch nicht, ihr wart' beforgt ums Ganze, 
Nicht böſe Selbftfucht hat euch irrgeführt. 
Nur Einen tadl' ich, den ich hier nicht nenne; 
Den ich veradhtet einft, alsdann gehaßt 
Und nun bebaure als des Jammers Erben. 
Er bat nur feiner Eitelfeit gefröhnt, 
Und dacht' er an die Welt, jo war’3 als Bühne, 
Als Schauplatz für fein leeres Heldenfpiel. 
Marimilian 
(dom Stuhle aufftehend). 
Gerade darum, Bruder, find wir bier. 
Es muß der böfe Zwiſt zum Abgrund kehren 
Und Recht dir werben, der bu rechtlich bift. 
Rudolf. 
Davon kein Wort! Der König iſt dahin. 
Ich geb' ihn auf. Allein das Königthum 
Möcht' ich der Welt erhalten, der's von Nöthen. 
Mein Bruder herrſcht in Ungarn und in Deftreich, 
Er will's in Böhmen auch, nicht fünftig, jest. 
Wohlan, e3 fei darum; denn Feine Theilung 
Verträgt, was alle Theile eint zum Ganzen. 
Ich felbit, wie einft mein Oheim, Karl der fünfte, 
Als er die Welt, wie fie nun mich, zurüdftieß, 


124 Ein Bruderzwift in Haböburg. 


Im Klofter von Sanct Juſtus in Hifpanien 
Den Tod erwartete, jo will auch ich. 

Es währt nicht lang, ich fühl” e8 wohl, denn Undank 
Gräbt tiefer als des Todtengräbers Spaten; 
Und Klofter ſei und Zelle mir dieß Schloß. 
Mathias herrſche denn. Er lerne fühlen, 

Das Tadeln leicht und Beſſerwiſſen trüglich, 
Da e3 mit bunten Möglichkeiten ſpielt; 

Doch Handeln ſchwer, als eine Wirklichkeit, 
Die ftimmen foll zum Kreis der Wirklichkeiten. 
Er ſieht dann ein, daß Satungen der Menschen 
Ein Maß des Thörichten nothwendig beigemifcht , 
Da fie für Menſchen, die der Thorheit Kinder. 
Daß an der Uhr, in der die Feder drängt, 
Das Kronrab mejentlich jo wie die Triebfraft, 
Damit nicht abrollt Eines Zugs das Werk, 
Und fie in ihrem Zögern meist die Stunde. 

Ihr felbit wart um mein Herrfcheramt bemüht, 
Mehr faft ala gut. Sorgt auch für ihn. 
Allein bedenkt: der auf dem Throne fiht, 

Er ift die Fahne doch des Regiments, 

Zerriſſen ober ganz, verdient fie Ehrfurcht. 


Fernand, du glaubjt dich ſtark und biſt eg auch, 
Bor Allem, wenn du meinft, für Gott zu ftreiten. 
Sei's gleicherweis auch ſonſt, und ftark, nicht hart! 
Was dir als Höchftes gilt: die Ueberzeugung, 
Acht’ fie in Andern auch, fie iſt von Gott, 

Und er wird felbft die Irrenden belehren. 
Des Menfchen Innres, mie die Außenwelt, 
Hat er getheilt in Tag und dunkle Nacht. 
Das Aug ertrüge nicht beftänd’ges Licht, 
Da führt er an dem Horizont herauf 

Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille, 





Vierter Aufzug. 125 


Wo die Empfindung auftwacht, das Gefühl, 
Und ſüße Schauer durch die Seele fchreiten. 
Doch immer Nacht, wär’ fchlimmer noch ald nie, _ 
Und mas du weißt, weißt du durch Tag und Licht. 


Ich felber war ein Mann der Dunlelheit. 
Bon ihren Streitigkeiten angeelelt, 
Floh ich dahin, allivo die frühjten Menfchen 
Zuerft erfannten ihres Lebens Meifter. 
Vom Hügel auf zu den Geſtirnen blidend 
Und ihre ftet'ge Wieberfehr betrachten, 
Erſcholl's in ihrer Bruft: es iſt ein Gott 
Und ewig die Geſetze feines Waltens. 
Seitdem hat er ſich kundig offenbart 
Und übertönt die Stimmen der Natur; 
Doch in der Stille klingen fie noch nad, 
Und als er felbft als Menſch zu Menfchen kam, 
Da fand er einen Stern, und jene Weifen, 
Gie liegen ruhen ihrer Weisheit Dünkel 
Und folgten jenem Zeichen bi zur Hütte, 
Wo Schon die Hirten ftanden und die Engel 
Aus meiter Ferne „Friede, Friede!” fangen. 
— Iſt bier Muſik? 


Julius. 
Wir hören nichts, o Herr. 


Audolf. 

Nun denn, fo iſt's der Nachklang von der Weihnacht, 
Die mir berübertönt aus ferner Zeit, 

An die ich glaube und im Glauben fterbe. . 

— Niht Stern, nur Gott! — Wer bift denn bu, 
Du flammender Komet? Nur Dunft und Nebel — 
Nun, Frieden aud mit dir, mit Allen Frieden. — 
Wie hold es Mingt und fort und fort und meiter! — 


126 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Marimilian. 
Sein Geiſt beginnt zu ſchwärmen. 
Serdinand. 
Laßt uns gehen! 
Verſöhnen, was zu ſühnen iſt, und dann 
Ihm ſchützend ſtehn zur Seite, Wächtern gleich. 
Rumpf. 
Ah, wir empfehlen euch den frommen Herrn. 
(Die Erzherzoge gehen.) 
Rudolf. 
Und einig, einig ſeid! Das Neue drängt. 
Die alternden Gefchlechter fterben aus, 
Das Band gelöst, bricht e3 die Einzelnen. 


Rumpf. 
Sie find fchon fort. 
Rudolf. 
Schon fort? Nun, um fo beſſer! 
Mir iſt fo leicht, jo wohl. Gebt mir nur Luft! 
Ich will ana Feniter. 
Rumpf. 
Herr, wir leiten Euch. 
Rudolf. 
Nas fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft. 
(Er verfugt, aufzuftehn.) 
Doch iſt's der Geift nur, meine Glieder warten. 
Rückt einen Stuhl ans Fenſter, ich will Luft. 
(Unterflügt ang Syenfter gehend, zu Herzog Julius.) 
Siehft du? So lohnt die Welt für unfre Sorge. 
Sie faugt ung aus und findet uns dann welk, 
Indeß fie prangt mit unjern beiten Kräften. 
(Er fist.) 
Das Feniter auf! 








Bierter Aufzug. 127 


Rumpf. 
Allein, o Herr, bevenft ! 
Ihr habt der Luft Euch forglich ſtets verſchloſſen. 


Rudolf. 
Nicht Kaiſer bin ich mehr, ich bin ein Menſch 
Und will mich laben an dem Allgemeinen. 
Wie wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt 
Mit ihren Straßen, Plätzen, voll von Menſchen. 


Julius. 
Und gabt ihr erſt den Fluch in Euerm Zorn. 


| Rudolf. 
That ich's? Nun, ich bereu's. Mit jedem Athemzug 
Saug’ ich zurüd ein vorfchnell rafches Wort, 
Ich will allein dag Weh für Alle tragen. 
Und alſo jegn’ ich dich, verlodte Stadt, 
Was Böſes du gethan, es fei zum Guten. 


Mein Geijt verirrt ſich in die Jugendzeit. 
Als ich aus Spanien fam, mo ich erzogen, 
Und man nun meldete, daß Deutichlands Küfte 
Sich nebelgleih am Horizonte zeige, 
Da lief ich aufs Verdeck, und offner Arme 
Nief ih: Mein Vaterland! Mein theures Vaterland! 
— So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater — 
Um Rand der Emigfeit emporzutaucen. 
— St e3 denn dunkel bier? — Dort ſeh' ich Licht, 
Und flügelgleich umgibt es meinen Yeib. 
— Aus Spanien fomm’ ich, aus gar harter Zucht, 
Und eile dir entgegen — nicht mehr deutſches, 
Nein, himmliſch Vaterland. — Willſt du? — Ich w will! — 

(Er finkt zurüd.) 


Rumpf. 
Ruft Aerzte! Er hat öfter ſolchen Anfall. 


128 Ein Bruderzwif in Habsburg. 


Der Herzichlag geht. Nach Herten, Hülfe, ſchnell! 

Und bringt ihn auf fein Bett in jene Kammer! 

Ich mag nicht denken, daß e3 Schlimmres wäre. 

Sulius (fih entfernend). 

Das Schlimmſte fennt fein Schlimmres, er erlitt’3. 

Der Kaifer ftarb, ob auch der Menſch genefe. 
Rumpf. 

Er lebt, ich fühl's. Faßt ihn nur forglid an! 
Sulius 

(auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend). 
Mein edler, frommer, mildgefinnter Herr! 


Der Vorhang fällt. 


ð 





Fünfter Aufzug. 


Saal in der Taiferlichen Burg zu Wien. 
Klefel ſteht wartend. Erzherzog Ferdinand kritt ein. 


Serdinand. 

Iſt endlich mir gegönnt, bei meinem Oheim, 

Mit dem ich Sprechen muß, Gehör zu finden? 

&Alefel. 

Die Thüre fteht Euch offen jederzeit, 

Ihr feht ihn täglich, ſtündlich, wenn Ihr wollt. 
Ferdinand. 

D ja! im Schwall des Hofs, bei Spiel, beim Tanz. 

Wohl auch im Kabinet, in Eurem Beifein. 

Klefel 

Er ift der Herr und ich fein Diener nur. 

Befiehlt er mir, zu gehen, geb’ ich; bleibe, 

Wenn er mein Bleiben fürberlich ermißt. 
Serdinand. 

Nur neuli Sprach ich endlich ihn allein, 

Nur merkt’ ich wohl aus den zerjtreuten Bliden, 

Die ſtets er warf nad) der Tapetenthür, 

Daß Jemand dort verſteckt, der uns behorchte. 

Und Ihr wart's, mein’ ich; leugnet's, wenn Ihr könnt. 

Grillparzer, Werke. VII. 9 





130 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Alefel. 
Wär’ es geſchehn, geſchah es auf Befehl: 
Gehorchen ſchließt das Horchen felbjt nicht aus. 
Serdinand. 
Wir aber wollen's länger nicht mehr dulden, 
Daß fih ein Fremder eindrängt zwilchen ung 
Und ftört die Einigkeit von unferm Haufe. 
War's darum, daß wir und Euch angeſchloſſen 
Und gegen ihn, den rechten, güt’gen Herrn? 
So daß die Röthe mir der Scham noch jetzt, 
Indem ich ſpreche, aufiteigt bis zur Stirne. 
Da hieß es, daß ein Haupt dem Reich von Nöthen, 
Daß nur mit feftem Tritt und fiherm Aug 
Der Ausweg fei zu finden aus den Wirren, 
In denen labyrinthiſch geht die Zeit, 
Und wir, wir flimmten ein — wär's nie gefchehn! — 
Doch kaum erreicht das langerjehnte Ziel, 
Geftillt die Gier des Herren und — des Dieners, 
Wankt man auf gleichem Irrweg dur den Wald 
Und meint: ſich regen, fei jchon weiter gehn. 
Klefel. 
Ihr irrt; ein feiter Plan beberrfcht dag Ganze, 
Und jeder Schritt führt näher an das Biel. 
Serdinend. 
Doc dieſes Ziel, ſag' ich, es ift verberblich. 
Ausgleichung heißt's, Gleichgültigfeit für Jedes; 
Bermengung Dep, was Menjchen ijt und Gottes. 
Sagt jelbit, ob Euer Herr — 
Alefel. 
Nur meiner? 
Serdinand. 
Meiner auch. 
Doch einen Abſtand bildet wohl, was nah und nächft. . 








Günfter Aufzug. 131 


Sagt jelbjt: mar es nicht heißer Thatenburft, 

Zu zügeln faum und kaum zurüdzubalten, 

Sp lang die Krone lag im Reich der Hoffnung, 

- Und nun, bebedt mit ihr, al3 einem Helm, 

Den Scepter ala ein Schwert in feiner Hand, 
Schläft er auf trägen Purpurkiſſen ein 

Und bringt die Zeiten Kaifer Rubolfs wieder. 
Sa, ſchlimmer noch; denn Jener war die Wage, 
Die beide Theile hielt im Gleichgewicht; 

Ihr aber legt, was Euch noch bleibt an Schwere, 
Der Einen Schale zu, und zwar der fchlechten, 
Der gottverhaßten, der verderblichen. 

Iſt nicht halb Defterreich noch immer proteftantifch, 
Mit Kegern nicht befebt ein jeglih Amt? 

Die hohe Schule, deren Rector Ihr, 

Ertönt von Worten fredher Kirchenleugner. 


Klefel. . 
Mir juchen Willen bei der Wiflenjchaft, 
Der Glaube wird gelehrt von gläub’gen Meiftern. 


Serdinend. 
Fluch jedem Willen, das nicht aufwärts geht 
Zu aller Wefen Herrn und einz'gem Urfprung. 


&lefel. 
Bon oben rinnt der Quell, doch rinnt er nicht zurück; 
Mo er das Licht betritt, ift er ſchon Lauf, nicht Duelle. 


Serdinand. 
Seid Ihr Derfelbe, der, ein Kirchenfürſt, 
Berufen zur Vertheid'gung ihrer Lehre? 
Der fie vertheidigt auch, o ja, ich weiß, 
So lang der Kirche Gold und Rang und Anfehn 
Euch noch ein Lohn ſchien, der des Strebens werth; 
Und habt, fo jagt die Welt, nicht nur von Glaubensſchätzen, 


132 Ein Bruderzwift in Haböburg. 


Auch von den Schäten diefer ird'ſchen Welt 
Ein Artiges gehäuft in Euern Speichern. 
Kleſel. 
Man ſieht ſich vor; die Zeiten ſchlagen um. 
| Serdinand. 
So mag der Einzelne vielleicht fich tröften, ” 
Doc für den Staat gibt e8 Fein Einzelnes, 
Für ihn hängt Alles an derfelben Kette. 
Sa, felbit die Mächte, die mit uns vereint, 
Die gleichen Wegs mit unfern ebnen Bahnen, 
Sie nehmen an der Lauheit Aergerniß 
Und ziehen ſich zurüd. Was bleibt ung dann? 
Hipanien, der Papſt, das fromme Bayern. 
&lefel. 
Bon daher aljo kommt's? Mein hoher Herr, 
Es forgt ein Jeder doch zunächſt für fich, 
Der Freund ift, mehr als meiner noch, fein eigner. 
Hilpanien begehrt die Niederlande 
Durch unjern Beiltand und mit unferm Blut. 
Der Papſt ift der Kompaß, deß fichre Nadel 
Die Richtung anzeigt uns zum fernen Pol; 
Allein die Segel ftellen und das Ruder brauchen, 
Das überläßt er uns; wir hoffen jo. 
Und endlich Bayern. Arglos frommer Herr, 
So jeht Ihr nicht, wohin fein Streben geht? 
Iſt Deſtreich erjt verworren und geſchwächt, 
Steht nichts im Weg ihm zu der Kaiferfrone. 
Serdinand, 
Der Bayerfürſt hegt gottesfürdht'gen Sinn, 
Das Wohl der Kicche fucht er, nicht fein eignes. 
&lefel. 
Will Einer erit die Herrſchaft Gott verichaffen, 
Sieht er in fih gar leicht des Herren Werkzeug 





Fünfter Aufzug. 133 


Und jtrebt, zu herrſchen, damit Jener herriche; 
Auch iſt der Seeleneifer und der Eigennut 
Richt gar jo unvereinbar, als man glaubt. 
Die Meberfpannung läßt zumweilen nach, 
Und mie der Adler, der der Sonne nächſt, 
Holt er fih Kräftigung durch ird'ſche Beute. 
Man meint’3 ſelbſt von der Curie in Rom. 
" Serdinand. 
Ob Ihr nun ſprecht, was Euch und mir nicht ziemt, 
— Ihr nennt, ich weiß e3, derlei Bolitif — 
Doch Eins thut Noth in allen ernften Dingen: 
Entfchiedenheit; ob unfer Ihr, ob nicht. 
Aleſel. 
Was nennt Ihr unſer? Ich bin meines Herrn. 
Er iſt mein Uns, mein Euch, mein Ich, mein Alles. 
Er iſt entſchieden, und ich bin es auch. 
Doch wenn die Macht nicht einig wie der Wille, 
Wer trägt die Schuld, als Jene, die im Dunkeln 
Am Hofe ſelbſt fich bilden zur Bartei 
Und die PBarteiung in den Ländern nähren? 
In Böhmen felbft, wo man den Majeſtätsbrief 
Erfüllen will, getreulich, ohne Hehl, 
Trifft jeder Auftrag Seiner Majeſtät 
Auf einen heimlich widerſprechenden, 
Gegeben von den Nächſten ſeines Hauſes. 
Die Utraquiſten wollen Kirchen baun, 
Wozu ſie Kaiſer Rudolfs Brief berechtigt, 
Man hindert ſie und ſtellt die Arbeit ein. 
Ferdinand. 
Null iſt der Majeſtätsbrief, als erzwungen. 
Alefel. 
Erzwungen ift zulegt ein jeber Friebe; 
Der Schwächere gibt nad. Doch fol das Schwert 


134 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Nicht wüthen bis zu völliger Vertilgung, 
Muß Friede werben, ber nur Friebe ift, 
Menn er gehalten wird, ob frei, ob nicht. 
Sie ſollen Kirchen baun, jo will's ihr König. 


Serdinand. 
Sagt doch vielmehr nur: hr. 


Kiefel. 

Nun alfo: ich, 
Sofern mein Rath ein Theil von jenem Willen. 
Mich hat umfonft aus meiner Niedrigkeit 
Die Vorficht nicht geitellt auf jene Stufe, 
Zu der fonft nur Geburt und Gunft erhebt, 
Der Kirche Macht bekleidet mit dem Purpur, 
Der mich den Königen zur Seite jtellt. 
Sch werde nicht vor Menjchen feig erzittern, 
Und mwären’d Könige — im Land ber Zulunft; 
Die nämlich kommen Tann, nicht kommen muß, 


Ferdinand. 
Da wär' zu zittern denn an mir? 


&lefel. 
Niemand fol zittern! 
Bor Allem, ver im Recht ift und der Flug. 
Serdinand 
(auf die Kabinetsthüre zugehend). 
Da ift denn Einer nur, der hier entjcheibet. 
Alefel 
(mit einer gleihen Bewegung). 
Ich bin beftellt. 
Ferdinand. 
Und. ich, ich bin berufen, 
Sm Sinn der Schrift. Berufen und — ermählt, 
In Böhmen wenigſtens als künft'ger König. 


Yünfter Aufzug. 135 
Ein Kämmerling erfiheint in der Kabinetäthüre, 


Alefel. 
Sagt, daß wir warten bier, und fputet Euch! 
(Der Kämmerling geht ind Kabinet zurüd. — Kleſel geht mit ſtarken 
Schritten auf und nieder.) 
Serdinand (fih entfernend). 
Der Bauer ftedit noch ganz in feinem Leibe, 
Mit des Emporgelommnen Uebermuth. 
(Der Kämmerling kommt zurüd.) 
Ferdinand. 
Hat man gemeldet alſo? 
Kämmerling 
(mit einer Einlaßbewegung). 
Eminenz! 
(Klefel geht mit ſtarkem Schritt ins Kabinet.) 
Kämmerling. 
Entſchuld'gen ſoll ich Seine Majeſtät, 
Hochwicht'ge Nachricht ſei aus Prag gekommen, 
Sie ſtehn zu Dienſt, wenn das Geſchäft beendigt. 
Serdinand. 
Ich bin's gewohnt, den Dienern nachzuſtehn. 
Wie iſt's in Prag, vor Allem mit dem Kaiſer? 
Kämmerling. 
Ein Anfall, wie er öfter ſchon ihn traf, 
Nur ſtark wie nie, bedroht ſein Leben, ſorgt man. 
Doch gibt man Hoffnung noch — für dieſes Mal. 
Ferdinand. 
Ich bete drum, denn er iſt unſre Hoffnung, 
Der, ſchutzlos ſelber, unſer einz'ger Schutz. 
(Kämmerling geht zurück.) 
Ferdinand. 
Nun denn, der Augenblick der That, er kam. 


136 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Stirbt Kaiſer Rudolf, mas wohl furchtbar nah, 
Und folgt Mathias auf dem deutichen Throne, 
Berdoppeln ſich die furchtſamen Bedenken, 

Die ihm dieß Schwanfen in die Bruft gelegt. 
Des Neiches Fürften, ketzeriſch zumeift, 

Hier Sachſen, Brandenburg, die böfe Pfalz, 
Sie nöthigen zur Schonung, ſchwachem Dulden, 
Und jene .Spaltung jet fich endlos fort, 

Sn der Gott jelbit fowie fein Wort gefpalten. 


Bor Allem jegt muß diefer Prieſter fort, 
Dep ſchlimme Schmeichelei, gehüllt in Derbheit, 
Ihn ehrlich nennt, wo liſtig er zumeift. 

Dep Leichtigkeit in Schrift und Wort und That 
Ihn unentbehrlich macht, mweil er bequem 
Die Herrichaft auflöst in die Unterfchrift. 


Jetzt oder nie! Seit Monden jeh’ ich's fommen, 
Und der ich Feſtigkeit von Andern forbre, 
Mir ringen Zmeifel jelber in der Bruft. 
(Aus der Taſche feines Mantel Briefe bervorziehend.) 
Bin ich gewappnet nicht mit aller Vollmadıt 
Don Rom, von Spanien, dem Fathol’fchen Deutichland? . 
Das böfe Beispiel, das ich etwa gebe, 
Es findet fich geheiliget im Zweck: 
Der Ehre Gottes und dem Sieg der Kirche. 

| (Das Baret abnehmen.) 

So war dem Hohenpriejter wohl zu Muth, 
Als er den Ahab tödtete im Haus des Herrn. 
Er warf fich nieder vor der Bundeslade, 
Wie ich jebt beugen möchte hier mein Knie 
Und Gottes Wink erflehn und feine Stimme. 


Ich will noch einmal meinen Oheim ſprechen, 
Ihm vor die Augen legen dieſe Briefe, 








Fünfter Aufzug ' 137 


Die alle fordern, mas das Heil von Allen, 
Dann aber rajch, denn er ift wanfelmüthig! 
Der nächſte Tag bringt einen andern Sinn, 
Und die Gewohnheit iſt das Band der Schwäche. 

(Die Thüre im Hintergrunde öffnend.) 
Seyfried, bit du bereit? 


Seyfried Breuner eintretend. 


Scyfried. 
Ich bin's jeit lange. 
Serdinand. 
Nun, diepmal gilt's. Beforg erft einen Wagen. 


Seyfried. 
Des Kleſel Kutfche, die ihn hergebradht, 
Hält unten noch im Hof. 
Serdinand. 
Um deſto befler. 
Indeß ich noch mit meinem Oheim fpreche, 
. Halt ihn zurüd durd) irgend einen Vorwand, 
Bis ich dir fage: jeßt! Dann jchnell nad) Kufſtein. 
Merk wohl, er darf zurüd nicht in fein Haug, 
Denn. feine Schriften find vor Allem wichtig. 
Er kommt. Geh nur und fieh nach deinen Leuten. 
Eeyfried ab.) 


Klefel fommt aus dem FKabinet. 


Ferdinand. 
Darf ich nun endlich meinem Oheim nahn? 
Alefel. 
Er ging nur eben nad) der Schloßfapelle, 
Doc kehrt er wieder, ehrt ihn ver Beſuch. 


d 


138 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Ferdinand. 
Es iſt kaum zehn, um eilf Uhr iſt die Meſſe. 
Klefel. 
Die Andacht bindet ſich an feine Zeit. 
Serdinand. 
Nun, das habt Ihr gethan. Ach dan!’ Euch drum. 
Ich forderte ein Zeichen erft vom Himmel, 
hr gebt das Zeichen felbft. Noch einmal: Dank! 
Das ift der Lohn der Schlauheit, daß fie fein 
Den Faden fpinnt, bis er, am Feinſten, bricht. , 
Ihr ſollt nach Kufftein, Herr! 
Alefel. 
Nicht daß ich wüßte! 
Mir it zu reifen weder Zeit noch Luft. 
Serdinand. 
Doch wenn hr müßt? 
LAlefel 
(ih dem Kabinete nähernd). 
Mer wagt bier zu gebieten? 
Serdinand. 
Ihr habt ja felbit des Schutzes Euch beraubt. 
Der König ift von feinen Zimmern fern, 
Gejendet habt Ihr ihn nad) der Kapelle 
Und feid gegeben nun in unfre Macht. 
Der Papft will Euch in Rom; deßhalb nah Aufftein, 
Das annoch deutſch und auf dem Weg nah Wälfchland. 
Kleſel. 
Der König ruft zurück mich Augenblicks. 
Ferdinand. 
Seid deſſen wirklich Ihr ſo ſicher? 
Kleſel. 
— Nein! 


Ihm hat die Herrſchaft aufgedrückt die Makel, 





Fünfter Aufzug. 139 


Die fie der Kön’ge beften nur erjpart: 

Unficherheit und Mangel an Entſchluß. 

Doc Später, wenn der Samen aufgegangen, 

Den man gefät in den entzweiten Zanben, 
Verwirrung und Empörung, ja der Strieg 

Sn blutigrother Blüthe wuchernd ſproſſen, 

Dann wird man pilgern hin zu Kuffteins Thoren, 
Dann kehr' ich heim in fiegendem Triumph. 


Seyfried eintretend. 


Seyfried. 
Es drängt die Zeit. 

Serdinand. 

Sei immer ruhig, Freund, 
Er bat dafür geforgt, daß uns fein Herr 
Nicht vor der Zeit hier ftöre im Beginnen. 
Nun aber fort! Es ziemt nicht meiner Würde, 
Den Schergen bier zu jpielen nebit dem Richter. 
Obwohl's mich freut, erquicdt in meinem Sinn, 
— Nicht meinetiwillen, nein, um Gottes wegen — 
Im Staub zu fehn den Mann, der ihm getroßt. 
Glück auf den Weg! Nach Kufitein alfo raſch! 

(Durch die Mittelthüre ab.) 
Klefel. 

Herr Seyfried, feht, ih war Euch ſtets ein Freund. 

Seyfried, 
Drum habt Ihr meiner Schweſter auch veriveigert 
Die Benfion, die ihr zu Recht gebührt. 

Alefel. 

Sie fol fie haben, und verlangt Ihr Gold, 
Nennt den Betrag bis dreißigtaufend Kronen, 
Pur gönnt mir Auffhub, eine Vierteljtunbe. 


140 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Laßt mid) zu Haufe ordnen noch Papiere, 
Man Hat jo viel, was nicht für Jeden taugt. 
Sceyfried. 
Sch bin vom jelben Stoff, wie meine Waffen: 
Die FYauft von Eifen und die Bruft von Erz. 
(Auf die Seitenthüre links zeigend.) 
Dort unjer Weg. Berlegt Euch nicht auf Bitten. 


&lefel. 
Ihr mahnt mich recht. Ich habe hier geboten, 
Und will nicht betteln um der Bettler Gnade. 
‚ Vollführt denn die Befehle Eures Herrn, 

Der ſich von Eifen fühlt, wie Euer Harniſch, 
So oft ihn Glaubenseifer vorwärts treibt; 
Doch, kommt's einmal zu menjchlicher Zerwürfniß, 
Bor Jedem zittern wird, der ftarken Sinns 
Sich dienend aufgedrungen ihm zum Herrn. 

Er wird mein Räder fein. Ich ahn' ihn fchon 
Und höre feine Tritte aus ber Ferne. 


Ein Diener, der die Mittelthüre öffnet, anmeldend. 


Diener. 
Herr Oberit Wallenftein. 
Kleſel. 
Hört Ihr den Namen? 
Scyfried,. 
Jetzt iſt nicht Zeit zu. Sprechen. Dort hinaus! 


Aus der Eeitenthüre find Trabanten herausgetreten. 


Alefel 
(zu Seyfried, der vorausgehen will). 
Zurüd, mir bleibt der Vorrang, wär's in Ketten. 
(Er geht mitten dur die Trabanten ab. Seyfried folgt.) 


Fünfter Aufzug. 141 


Oberſt Wallenftein ift eingetreten und fieht ihm verwundert nad. 
Erzherzog Ferdinand kommt dur die Mittelthüre. 


Serdinand. 
Wir freuen uns, Herr Oberſt, Euch zu fehn. 
hr kommt aus Prag? 
Wallenſtein. 
Auf einem Umweg, ja. 
Ferdinand. 
Wie ſteht's im Schloß? 
Wallenſtein. 
Verwirrung aller Orten. 
Man ſpricht von Krankheit, Manche gar von Tod. 
Ferdinand. 
Verhüt' es Gott! 
Wallenſtein. 
Er wird wohl etwa, denk' ich. 
Allein im Land bedarf es unſre Sorge, 
Da iſt das Unterſte zu oberſt, Herr. 
Serdinand. 
Vielleicht das Oberfte zu unterft bald. 


Wallenſtein. 

Man hat den Bau der Kirchen eingeſtellt, 
Die ihnen zugeſagt der Majeſtätsbrief. 

Ferdinand. 
Das hat er nicht. 

Wallenſtein. 

Nun, auch gut, alſo nicht. 
Allein ſie glauben's, und der Aufſtand lodert 
In Braunau, Pilſen, weit herum im Land. 
Schon bis nach Prag erſtreckt ſich die Bewegung, 
Der Mathes Thurn liegt dort im Hinterhalt. 


142 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Serdinand, 
Und unfre Treuen, Martiniz, Slawata, 
Des Landes fromme Pfleger, dulden ſie's? 


Wallenflein. 
Sie haben Aergeres bereit3 erduldet. 
Der Mathes Thurn ließ eben, als ich abging, 
Nach einet alten Landesſitte, jagt’ er, 
Sie aus den Fenſtern werfen am Hradichin, 
Im vollen Landtag und im beiten Sprechen. 
Doc find fie unverlegt, ſeid unbeforgt. 
Sie haben noch gar höflich ſich entfchulbigt, 
Weil nah dem Rang fie nicht zu liegen kamen, 
Zu oberft, weil zuletzt, der Sekretär. 
Betrachtet Böhmen drum als feindlih Land. 


Ferdinand. 
Nun, um fo beiler denn! 
Wallenſtein. 
Ihr ſeid mein Mann! 
Drum eben iſt Gewalt Gewalt genannt, 
Weil ſie entgegen tritt dem Widerſtand. 
Und wie im Feld der Heeresfürſt gebeut, 
Nicht fremde Meinung oder Tadel ſcheut, 
So ſei auch in des Landes Regiment 
Ein Gott, Ein Herr, Ein Wollen ungetrennt. 
Ich will nun noch zu Seiner Majeſtät. 
Ferdinand. 
Laßt das auf ſpäter. Setzt für jetzt Euch hin, 
Schreibt die Befehle an die Garniſonen. 
Wallenſtein. 
Das iſt bereits geſchehn. 
| Ferdinand. 
Durch wen? und wann? 











Fünfter Aufzug. 143 


Wallenſtein. 
Da auf den Stationen, als ich herritt, 
Man mit den Pferden zögerte, wie's Brauch, 
Benutzt' ich jede Raſt und ſchrieb die Orders 
An die entfernt gelegnen Truppen ſelbſt, 
Sie theils nach Brünn, theils her nach Wien beſcheidend. 
Erwartet heut noch die Dampierre'ſchen Reiter, 
Kaprara's Fußvolk auch iſt wohl ſchon nah. 
Der Krieg hat Füße denn doch nur und Hände, 
Wenn er Geſchwindigkeit mit Kraft vereint. 
Ferdinand. 
Und Das nahmt Ihr auf Euch? 
Wallenſtein. 
So ſollt' ich nicht? 
Ferdinand. 
Ich dank' Euch, Herr; und denk' Euch wohl zu brauchen, 
Wenn mich einſt Gott auf dieſen Thron geſetzt. 
Doch will ich mich auch hüten, nehmt's nicht übel, 
Daß Ihr nicht mehr mir dient, als lieb mir ſelbſt. 
Wallenſtein. 
Wer kann wohl ſagen, meint ein altes Sprüchwort: 
Aus dieſem Brunnen will ich niemals trinken! 
Die Zeit entſcheidet da, Herr — und der Durſt. 
Ferdinand 
(die Mittelthüre öffnend). 
Herbei, wer in den Vorgemächern draußen 
Und treu es meint mit Deſtreichs edlem Haus. 


Mehrere treten ein. 


Serdinand. 
In Prag hat fich der Böbel, Glaubenspöbel, 
Erfrecht, was nimmermehr zu bulben ziemt. 


144 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Wer Chriſt und Edelmann, iſt aufgefordert, 


Zu ziehn mit uns für Gott und für das Ned. 
Einige. 
Geht uns bereit! 


Andere. 
Mit Gut und Blut und Leben! 


Serdinand. 
Befendet Tilly, fehreibt an Bayerns Herzog, 
Daß uns ihr Beiſtand ſicher, wenn er noth. 


Obwohl für jedes Menſchenleben gern 
Ich einen Theil hingäbe meines Selbſt, 
Will ich nicht ruhn, bis dieſes böſe Schlingkraut 
Vertilgt in jeder Windung bis zum Kern. 


(Trompeten in der Ferne.) 


Wallenſtein 
(ans Fenſter eilend). 


Das ſind, weiß Gott! ſchon die Dampierre'ſchen Reiter. 


Die habt Ihr nun wie Würfel in der Hand. 


König Mathias kommt aus dem Kabinete, 


Mathias. 
Was find das für Trompeten? und was fol’s? 
Serdinand. 
Die Truppen, Herr, die ſich nach Prag begeben, 
Wo frecher Aufruhr uns die Stirne beut. 


‚ Mathias. 
Die Früchte Das von dem geheimen “Treiben, 
Das hinter unferm Rüden ſtill bemüht. 
Shit nad dem Kardinal! 
(da die Angeredeten verlegen zurüdtreten). 
Was zögert ihr? 








Fünfter Aufzug. 145 


Serdinand. 
Er ift nur eben abgereist nach Kufſtein. 


Mathias. 
In diefem Augenblid? Sit er von Sinnen? 


Ferdinand. 
Gerad in dieſem Augenblick, mein König. : 
(Auf das Kabinet zeigend.) 
Gefällt's Euch, bier ins Innre einzutreten, 
So leg’ ih Euch die Gründe dienftlich vor. 


Mathias (freng). 
Sprecht öffentlich, damit ich offen richte. 


Serdinand 

(Schriften aus dem Mantel ziehend, halblaut). - 
Die Briefe bier von Bayern, Spanien, Rom, 
Den einz gen Stützen unfrer guten Sache, 
Die nur auf die Entfernung dieſes Manns 
Den Beiftand ung verheißen, den wir brauchen. 
Hier Oberft Wallenftein, er fommt aus Prag 
Und meldet ung, daß dort der Aufftanb rege. 
Die Andersgläubigen der andern Länder 
Erwarten nur das Zeichen ſolchen Aufbruchs, 
Um zu vereinen ſich zu gleichem Trotz. 
Glaubt Ihr, daß wir mit unfern eignen Kräften, 

(auf die Schriften zeigend) 

Nicht unterftügt von gleichgefinnten Mächten, 
Dem Sturm gewacdjlen, der uns rings bebroht? 


Mathias. 
Wär Klefel bier, er wüßte deß wohl Rath. 


Serdinand. 
Er ift faum auf dem Weg. Geliebt es Euch, 
Sp bringen Boten ihn noch heut zurüd. 
Srillparzger, Werke. VII. 10 


146 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Allein alsdann verzeiht, wenn ich mich ſelbſt 
Vereine mit den Schreibern dieſer Briefe, 
Zurüd mich ziehend in mein ftilles Land. 

(Mit gebeugtem Knie die Schriften hinhaltend.) 


Mathias 

(die Schriften ihm heftig aus der Hand nehmend). 
Wir wollen jehn! — Herr Oberit Wallenitein, 
‘hr kommt von Prag, wie fteht e8 mit dem Kaifer? 

(mit einem Seitenblide auf Erzherzog Fyerdinand) 
Ich fühle mich nur jebt an ihn gemahnt. 

Wallenſtein. 

Er ward ſo oft im Leben todt geſagt, 
Daß nun auch kaum man den Gerüchten glaubt, 
Die Unheil kündend ſich vom Schloß verbreiten. 
Doch überholt' ich an der Taborbrücke 
Ein Sechsgeſpann mit kaiſerlichem Wappen 
Und Herren drin in Schwarz, vielleicht in Trauer. 
Hier ſind ſie, däucht mich; hört die Antwort ſelbſt. 


Herzog Julius von Braunſchweig und einige Hofleute, die reich⸗ 
verzierte Kleinodiengehäufe tragen, jämmtli in Trauer, treten ein. 


Mathias. 
Sch weiß genug. Es Sprechen eure Kleider. 
Mein Bruder tobt. Wär’ ich es erft nur aud). 
(an der Thüre des Kabinets) 


Und Niemand folge mir! Ich will allein fein. 
(Er geht hinein.) 
| | Serdinand, 
Und ift e3 jo? 
Sulius. 
Es ift. Ein jäher Anfall, 
Der noch der Hoffnung Raum ließ, weil er öfter, 











s Günfter Aufzug. | | 147 


So fagen feine Diener, ihn ergriff. 

Doch dießmal war's der Tod. Er ift geſchieden. 
Serdinand. 

O, daß der Drang der Zeit mir Weile gönnte, 

Ihn zu beweinen, wie er es verdient. 

Er war ein frommer Fürſt. 


Fulius. 
Wohl, und ein weiſ'rer, 
Als ihm die Haſt der Uebereilung zugibt. 


Serdinand 
Doch zeigt die Weisheit fi im Handeln meift. 
Julius. 
Wo nichts zu wirken, iſt auch nicht zu handeln. 
Die Zeit hilft ſelbſt ſich mehr, als man ihr Hilft. 
Wir bringen die Inſignien des Reichs, | 
Das einem Andern nun zu Recht gehört, 
Ein Erbe, der die Erbſchaft Schon beſitzt. 
Und jo nun, meine Freundespflicht erfüllt, 
— Er war mein Freund, ich menigftens der feine — 
Empfehl’ ich dieſes Land in Gottes Schuß 
Und kehre rüd zu meinem, das mich ruft. 
Serdinand. 
Bor Allem noch nehmt unfers Haufes Dant, 
Herr, und erlaubt, daß bis zur äußern Thür — 
Sulius (ablebnend). 
Der Tod macht gleich. Wir Alle müſſen fterben. 
(Er geht. Seine Begleiter fegen die Kapſeln mit den Inſignien auf 
einen rechts im Hintergrunde ftehenden Tiſch. — Militärmufit in 
der Ferne.) 
Wallenſtein 
(ans Fenſter eilend). 
Das iſt Kaprara's Fußvolk, wie ich ſagte. 


148. Ein Bruderzwiſt in Habsburg. + 


Serdinand. 

Laßt diefe Töne ſchweigen, die den Jubel 
Sn unjer3 Herzen? Trauer fpottend miſchen. 
— Auch ftört es etwa Seine Majeftät, 
Die jebt wohl ſchwer von anderen Gebanlen. 
(Es ift Jemand auf den Ballon getreten und hat mit dem Schnupf- 

tu ein Zeichen gemadt. Die Mufik fchiweigt.) 
Und fo im Geift der Leichenfeier folgend 
Des hingeſchiednen Herrn, laßt uns ihn rächen. 
Zwar Rache ziemt dem ächten Chriften nicht, 
Doc feine Feinde ftrafen, die auch unſre, 
Und ftrafend fie, wär's mit Berluft des Lebens, 
Zugleich erretten fie vom ew'gen Tod. 
Ein furzer Feldzug nur fteht uns bevor — 


Wallenſtein 
(in der Menge). 
Der Krieg iſt gut, und währt' er dreißig Jahr. 


Ferdinand. 
Wer ſprach? Was fällt Euch ein? Und warum dreißig? 
Iſt's doch, als ob mit wiederholtem Schall 
Das Wort von allen Wänden wiedertönte. 
Ein kurzer Feldzug, ſagt' ich, und ſo iſt's; 
Was fällt Euch ein? Und warum dreißig eben? 
Wallenſtein. 
Ei, Herr, man nennt ſo viel ein Menſchenleben, 
Und eh nicht, die nun Männer, faßt das Grab, 
Und die nun Kinder, Männer ſind geworden, 
Legt ſich die Gährung nicht, die jetzt im Blut. 
Ferdinand. 
Wir achten Euch als wohlerprobten Krieger, 
Als tücht'gen Führer, wohl dereinſt als Feldherrn, 
Doch zum Propheten ſeid Ihr noch zu jung. 


u. 


Hünfter Aufzug, 149 


Und wenn Ihr, wie man jagt, in Sternen lest, 
Sp denkt an Kaijer Rudolfs traurig Wiſſen. 


Nun laßt uns die Befehle noch bereiten, 
Daß Jedem kundig, wo fein wahrer Punkt. 
Denn gleich der That ehr' ich die kluge Schrift; 
Die Feder ſchlägt oft ſichrer als die Waffe. 

Muſik und Cärm 
(auf der Straße). 
Vivat Mathias! 

Serdinand. | 

Schweigt man nimmer denn? 


Ein Diener, der eingetreten ift. 


Diener. 
Der Tod des Kaiſers hat fich ſchon verbreitet. 
Man jaudhzt dem neuen Herrn. Man will ihn fehn. 
Auf der Straße. 
Bivat Mathias! 
Serdinand 
(auf das Kabinet zeigend). 
Geh denn Einer hin — 
Und fage — Meldet Seiner Majeltät 
Des Volles Wunſch und der Getreuen Bitte. 
(Der Diener geht ins Kabinet.) 
Serdinand. 
Man muß die Stimmung nüben, wenn fie neu. 
Gealtert theilt fie gern des Alters Ziveifel 
Und frägt nach Gründen, enblos im Warum. 
Mathias 
(aus dem Kabinete). 
Wird mir r denn nimmer Ruh? Was fol es no? 


150 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Serdinand. 
Das Boll, von dem Ereigniß unterrichtet, 
Das feinen Herrn beruft zum deutichen Thron, 
Dazu die Krieger, die ins Feld ſich rüſten, 
Verlangen, Euch zu fehn, erlauchter Herr. 


Mathias. 


Nun denn, nur fchnell. 


Serdinand 
(auf die Glasthüre zeigend). 
Vielleicht bier vom Balkon. 


Mathias. 
Geht Ihr mit mir und fteht an meiner Geite, 
Vielleicht erfennt dag Voll dann, wer fein Herr. 


(Erzherzog Ferdinand tritt mit einer ehrerbietigen Verbeugung 
zurück.) 


So öffnet denn die Thür! — Und — 
(mit einer Abſchiedsbewegung) 


Gott befohlen! 


(Er tritt auf den Balkon; Jubelgeſchrei von außen). 


Ferdinand. 
Wir wollen denn nicht länger läſtig fallen. 
Ich ſelber ziehe nicht mit Euch ins Feld, 
Doch will ich ſorgen, daß, dieweil Ihr fern 
Die Feinde tilgt mit ſcharfgeſchliffner Waffe, 
Die Gegner in dem Rücken Eures Heers, 
Die heimlichen, deßhalb gefährlichſten, 
Gejätet und geſichtet und getilgt, 
Auf daß das Land ein wohlbeſtellter Garten, 
Ein Aehrenfeld, zu Frucht dem höchſten Herrn. 

(Indem die Anweſenden ſich öffnen und einen Durchgang bilden.) 








Fünfter Aufzug. 151 


Serdinand. 

Es geht in Krieg, feid froh, Herr Wallenftein. 
Wallenſtein. 

Ich bin's. 
Mehrere. 


Wir auch, und währt! es dreißig Jahr. 
— a, wären's dreißig — dreißig! — Um jo befler. 
(Indem fie Wallenftein die Hand fehütteln, Alle ab.) 


Mathias 

(der vom Ballon zurückkommt). 
Was Sprachen fie von Krieg und dreißig Jahren? 
Sch werd’ es nicht erleben. Glüd genug. 
Und übrall Lärm. Ich aber brauchte Stille. 
Tönt's doch in meinem Innern laut genug; 
Und wieder öde, daß fein Wiederhall 
Des allgemeinen Jubels rüderklingt. 
Am Ziel ift nichts mir deutlich als der Weg, 
Der Fein erlaubter war und fein gerechter. 


(Sein Blid trifft die Reihsfleinodien, er wendet die Augen ab.) 


D Bruder, lebteft du, und wär’ ich tobt! 
Gekoſtet hab’ ich, was mir herrlich ſchien, 
Und das Gebein ift mir darob vertrodnet; 
Entſchwunden jene Träume künft'ger Thaten, 
Machtlos wie du, wanf ich der Grube zu. 


Ich will ind Freie, mich zeritreun — und doch, 
Wie ein Magnet zieht’3 mir die Augen hin 
Und täufcht mit Formen, die nicht find, ich weiß. 
Reicht denn dein Haß herüber übers Grab, 
Selbſt nad der Strafe noch? 


(Lärm und Mufit von Neuem auß der Ferne.) 


152 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Mathias 
(gegen den Tiſch gelehrt in einiger Entfernung niederfnieend und 
wiederholt die Bruſt fchlagend). 


Mea culpa, mea culpa, 
Mea maxima culpa. 


Bon der Straße, 
Bivat Mathias! 


(Indem das Bivatrufen fortwährt und Mathias das Geficht mit beiden 
Händen bededt, fällt der Vorhang.) 





Die Jüdin von Toledo. 


Hiftorifhes Trauerfpiel in fünf Aufzügen. 


Alle Dramen diefer Gefammtausgabe Griliparzer’3 find den Bühnen 
gegenüber als Manufkript gedrudt. 





Berfonen. 


Alfons der Edle (VIIL), König von Kaftilien. 

Eleonore von England, deflen Gemablin. (Tochter 
Heinrich 11.) 

Der Prinz, beider Sohn. 

Manriquez, Grafvon Lara, Almirante von Kaftilien. 

Don Sarceran, befien Sohn. 

Doña Clara, Ehrendame der Königin. 

Die KRammerfrau der Königin. 

Sfaaf, der Sube. 

a deſſen Töchter. 

Reinero, des Königs Knappe. 

Standesherrn, Hofdamen, Bittfteller, Diener und 
Leute aus dem Volk. 


Drt der Handlung: Toledo und Umgebung. 
Zeit um das Jahr 1195. 





— 


SErſter Anfang. 


— — — 


Im königlichen Garten zu Toledo. 
Iſaak, Rahel und Eſther kommen. 


Sfaak. 
Bleib zurüd, geh nicht in’ Garten — 
Weißt du nicht, es ift verboten? 
Wenn der König bier luſtwandelt, 
Darf Fein Zub — Gott wird fie richten! — 
Darf Fein Zub den Ort betreten. 

Rahel (fing). 

Za, la, la, la. 

Sfaak. 

Hörft du nicht denn? 

Rahel. 
Ei, wohl hör’ ich. 

Ifaak. 

Nun, und weichſt nicht? 

Rahel. 

Hör’ und meiche doch nicht. 
| 3faak, 
Se, je, je! Was fucht mich Gott? 
Gab doch meinen Deut den Armen, 
ı u. 


158 Die Judin von Toledo. 


Hab’ gebetet und gefaftet, 
Weiß nicht, wie Verbotnes fchmedet ; 
Se, und dennoch fucht mich Gott! 
Rahel (u Efider). 
Ei, was zerrft du mich am Arme? 
Und ich bleib’ und gehe doch nicht. 
Ich will mal den. König jehen 
Und den Hof und all ihr Wefen, 
All ihr Gold und ihr Geſchmeide. 
Sol ein Herr fein, weiß und roth, 
Yung und fchön, ich will ihn fehn. 


Ifaak. 
Und wenn dich die Knechte fangen? 
Rahel. 
Ei, id bitte mich wohl los. 
Iſaak. 


Ja, wie deine Mutter, gelt? 
Die ſah auch nach ſchmucken Chriſten. 
War nach Misraims Töpfen lüſtern. 
Hielt' ich ſie nicht ſtreng bewacht, 
Glaubt' ih — nu, Gott wird verzeihen! — 
Deine Th ara ſtamme bortber, 
Sei ein Erbtheil fchnöber Chriften; 
Da Iob’ ich mein erftes Weib, 

(au Eſther) 
Deine Mutter, brav wie bu, 
Wenn aud arm. Was nüste mir 
Auch der Reihthum jener Zweiten? 
Hat fie nicht damit gefchaltet, 
Schmaus und Gaftgebot gehalten, 
Schmuck gelauft und Edelſteine? 
Schau! fie iſt wohl ihre Tochter! 
Hat fie fich nicht rings behangen, 


vg 


Eriter Aufzug. 


Prangt fie nicht in ſchönen Kleidern, 
Als ein Babel anzujehn? 
Rahel (fingen). 
Bin ich nicht fchön, 
Bin ich nidt reich? 
Und fie ärgern fi, 
Und mich Tümmert’3 nicht, la, la, la, Ia. 
VTIfaak. 
ebt fie auf reichen Schuhen, 
t fie ab, frägt nichts darnach, 
Seder Schritt gilt einen Dreier. 
Hat im Ohr ihr reich Gefchmeibe, 


Kommt ein Dieb und nimmt ihr's ab, 


Fällt's in’ Buſch, wer findet’3 wieder? 
Rahel 
(ein Ohrgehänge abnehmend). 
Gieh, fo ſchraub' ich's los und halt’ es, 
Wie das blitt und wie das flimmert ! 
Und doch acht’ ich's fo geringe, 
Wenn mir's einfällt, ſchenk' ich's dir, 
X (au Efher) 
Oder werf' es von mir, ſieh! 


159 


(Sie macht mit der Hand eine fortſchleudernde Bewegung.) 


3faak 
(nad der Rihtung des Wurfes laufend). 
Weh, o meh! Wo flog es hin? 


eh, o weh! Wie find’ ich's wieder? 


(Er fuht im Gefträude.) 
Eſther. 
Ei, was kommt dich an? Das Kleinod — 
Rahel. 
Glaubſt du denn, ich ſei ſo thöricht 
Und verſchleuderte das Gut? 


160 Die Jüdin von Toledo. 


Sieh, ich hab's, halt’3 in der Hand, 
Häng’ e3 wieder in mein Obr, 
Weiß und Hein, zum Schmud der Wange. 
Jſaak (uchend). 
Weh! Verloren! 
Rahel. 
Vater, kommt nur! 
Seht, das Kleinod iſt gefunden, 
's war ja Spaß nur. 
Iſaak. 
Daß dich Gott —! 
Sp zu ſpaßen! Und nun komm! 
Rahel, 
Vater, jedes, nur nicht dieß. 
Sch muß mal den König ſehen, 
Und er mid, ja, ja, er mid). 
Menn er fommt und wenn er fragt: 
Mer ift dort die ſchöne Jüdin? 
Sag, mie beißt du? — Rahel, Herr! 
Iſaaks Rahel! ſprech' ich dann, 
Und er Tneipt mich in die Baden, 
Heiße dann die ſchöne Rahel. ‚ 
Mag der Neid darob zerplagen, *" 
Wenn ſie's ärgert, kümmert's mid? 


Eſther. 
3faak. 


Eſther. 
Dort naht der Haufen. 
3faak. | 
Herr des Lebens! Was gefchieht mir? 


Vater! 


Wie? 


Erſter Aufzug. 161 


’3 ift Rehabeam und fein Volk. 
Wirſt du gehen? 
Rahel, 
Vater, hört doch! 
Sfaak. 
Nun, fo bleibe! Ejther, Tomm! 
Laſſen wir allein die Thörin. 
Mag der Unrein-Händige kommen, 
Gie berühren, mag fie tödten! 
Hat ſie's felber doch gewollt. 
Either, komm! 
| Rahel. 
Je, Vater, bleibt! 
3faak, 
Immer zu! Komm, Ejther, Tomm! 
(Er geht.) 
Rahel. 
Ich will nicht allein fein! Hört ihr? 
Bleibt! — Sie gehn — O meh mir, weh! 
Sch will nicht allein ſein! Hört ihr? 
Ach, fie fommen. — Schweiter! Vater! 
(Eilt ihnen nad.) 


Der König, die Königin, der Almirante von Kaftilien Don 
Manriquez, Graf von Lara, Donna Clara kommen mit Gefolge. 


Kon ig (im Auftreten). 
Laßt näher nur dag Rolf! Es ftört mich nicht; 
Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet 
Als Höchften unter Vielen mich, und Menfchen “"' 
(Zur Königin gewendet.) 
Und du, fein mindrer Theil von meinem MWefen, 
Willkommen mir in diefer treuen Stadt, 
Grillparzer, Werke. VII. 11 


162 Die Jüdin don Toledo. 


Willkommen in Toledo’3 alten Mauern. 

Gieh rings um dich, und höher poch' dein Herz, 
Denk nur, du ftehft an meines Geiftes Wiege: 
Hier ift fein Pla, Tein Haus, Tein Stein, fein Baum, 
Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Loofe. 
Als ich vor meines böſen Oheims Wüthen, 

Des Königs von Leon, ein vaterloſer, 

Der Mutter früher ſchon beraubter Knabe, 
Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh 
Und mich von Stadt zu Stadt Kaſtiliens Bürger 
Wie Hehler eines Diebſtahls heimlich führten, 
Weil Tod bedräute Wirth zugleich und Gaſt, 
Und übrall nun umſtellt war meine Spur, 

Da brachten mich die Männer, Don Eſtevan 
Illan, den längſt der Raſen birgt des kühlen Grabs, 
Und dieſer Mann, Manriquez Graf von Lara, 
Hieher, den Hauptſitz von der Feinde Macht, 
Und bargen mich im Thurm von Sanct Roman, 
Den du dort ſiehſt hoch ob den Häuſern ragen. 
Dort lag ich ſtill, ſie aber ſtreuten aus 

Den Samen des Gerüchts ins Ohr der Bürger. 
Und als am Tage Himmelfahrt die Menge 
Verſammelt war vor jenes Tempels Pforte, 

Da führten ſie mich auf des Thurmes Erker 
Und zeigten mich dem Volk und ſchrien hinab: 
Hier mitten unter euch, hier euer König, 

Der Erbe alter Fürſten, ihres Rechts 

Und eurer Rechte williger Beſchirmer. 

Ich war ein Kind und weinte, ſagten ſie, 

Noch aber hör' ich ihn, den gellen Aufſchrei, 

Ein einzig Wort aus tauſend bärt'gen Kehlen, 
Und tauſend Schwerter wie in Einer Hand, 

Der Hand des Volks. Gott aber gab den Sieg, 
Die Leoneſer flohn; und fort und fort, 


Erfter Aufzug. 


Ich jelber Fahne mehr ala Krieger noch 
Inmitten eines Heers, durchzog das Land, 
Erfechtend mit des Mundes Lächeln Siege; 

Sie aber lehrten mich und pflegten mein, 

Und Muttermilch floß mir aus ihren Wunden. 
Deßhalb, wenn andre Fürjten Väter heißen 
Des eignen Volks, nenn’ ich mich feinen Sohn, 
Denn was ich bin, verdank' ich ihrer Treue. 


Manriquez. 
Wenn Alles, was Ihr ſeid, vieledler Herr, 
Von daher wirklich ſtammen ſollte — dann, 
Dann nehmen wir den Dank und ſind deß froh, 
Wenn unſre Lehren, unſre Pflege ſich 
In ſo viel Ruhm, in ſo viel Thaten ſpiegeln, 
Dann iſt der Dank ſo ein' als andre Pflicht. 
(Zur Konigin.) 


Seht ihn nur an mit Eurem holden Blick; 

Denn ſo viel Könige noch in Spanien waren, 

Vergleicht ſich keiner ihm an hohem Sinn. 

Das Alter iſt wohl delſüchtig ſonſt, 

Auch ich bin alt undKadle gern und viel, 

Und oft hab’ ich, im Rath mit meiner Meinung 

Befiegt von feinem fürftlich hohen Wort, 

Geheim erbost — heißt das, auf furze Zeit — 

Bös Zeugniß aufgeſucht gen meinen Herrn, 

Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend, 

Doch immer kehrt' ich tief beſchämt zurück, 

Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos. 
König. 

Ei, ei! Der Lehrer auch ein Schmeidhler, Lara? 

Doch mollen wir nicht Dieß und Das beftreiten. 

Bin ich nicht fchlimm, fo befler denn für euch, 

Obgleich der Menſch, der wirklich ohne Fehler, 


163 _ 





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164 Die Judin von Toledo. 


Auch ohne Tugend wäre, fürcht' ich faſt; 
Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln 
Die etwa trübe Nahrung ſaugt tief aus dem Boden, 
So ſcheint der Stamm, der Weisheit wird genannt 
Und der dem Himmel eignet mit den Aeſten, 
Kraft und Beſtehn aus trübem Irdiſchen, 
Dem Fehler nah Verwandtem aufzuſaugen. 
War Einer je gerecht, der niemals hart? 
Und der da mild, iſt ſelten ohne Schwäche. 
Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht. 
Beſiegter Fehl iſt all des Menſchen Tugend, 
Und wo kein Kampf, da iſt auch keine Macht. 
Mir ſelber ließ man nicht zu fehlen Zeit: 

ls Knabe ſchon den Helm auf ſchwachem Haupt, 
Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß, 
Das Aug gekehrt auf meines Gegners Dräun, 
Blieb mir kein Blick für dieſes Lebens Güter, 
Und was den reizt und lockt, lag fern und fremd. 
Daß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erſt, 
Als man mein Weib mir in der Kirche traute, 
Die wirklich ohne Fehl, wenn irgend Jemand, 
Und die ich, grad heraus, noch wärmer liebte, 


Wär' manchmal, ſtatt des Lobs, auch etwas zu verzeihn. 


(Zur Königin.) 
Nu, nu, erſchrick nur nicht, war's doch nur Scherz! 
Doch ſoll den Tag man nicht vor Abend loben 
Und malen nicht den Teufel an die Wand. 
Nun aber, ſtatt zu rechten, laß die Zeit, 
Die kurzgegönnte, uns der Ruh genießen. 
Die Fehden inner Landes ſind gedämpft, 
Doch rüſtet ſich, ſagt man, der Maure neu 
Und hofft aus Afrika verwandte Hülfe, 
Ben Juſſuf und ſein ſtreitgewohntes Heer; 
Da gibt's dann neuen Krieg und neue Plage. 








— — — — — — 


Erſter Aufzug. 165 


Bis dahin Öffnen wir die Bruft dem Frieden 
Und athmen ein die ungewohnte Luft. 
Iſt Feine Nachricht da? — Allein vergaß ich's? 
Du fiehft ja nicht um dich her, Leonore, 
Und ſchauſt, was wir gefchaffen, dir zur Luft? 
Käönigin. 
Was ſoll ich ſehn? 
König. 
O weh doch, Almirante! 
Wir haben's nicht getroffen, ob bemüht. 
Da gruben wir nun Tag' und Wochen lang 
Und hofften, dieſen Garten umzuſtalten, 
Der nur Orangen trägt und Schatten gibt, 
Sn einen, wie fie England hegt und liebt, 
Das ftrenge Vaterland für einen Strengen; 
Allein fie lächelt, ſchüttelt ftil das Haupt. — 
So find fie nun, Britannien Kinder, alle; 
Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Band, 
Sp meijen ſie's zurüd und lächeln vornehm. 
Die Meinung minbeftens war gut, Xenore, 
Und fo gib nur ein Wort des Danks den Männern, 
Die fi für ung, meiß Gott, wie lang, bemüht. 
Königin. 
vIo dank' euch, edle Herrn! 
König. 
Nun zu was Anderm; 
Der Tag hat einen Riß. Ich hoffte, dir 
An Hütten, Wiefen engliihen Geſchmacks 
Noch Das und Dieß im Garten rings zu zeigen; 
Doc iſt's verfehlt. Verſtell' dich nicht, o Liebe! 
Es ift fo, denten wir nicht mehr daran! 
Da bleibt ein Stündchen denn für das Gefchäft, 
Eh ſpan'ſcher Wein uns Spaniens Küche würzt. 


166 Die Jüdin von Toledo. 


ft noch Fein Bote von der Gränze da? 
Toledo haben wir mit Fleiß erjehn, 
Um nah zu fein der Kunbfchaft von bem deinbe, 
Und doch Fein Bote? 
Manrigueg. 
Herr! 
König. 
Mas iſt's? Wie nur? 
Manriquez. 
Ein Bote kam. 
König. 
Nun denn! 
A,anriquez 
(auf die Königin zeigend). 
Ein wenig [päter. 
König. 
Mein Weib, ſie iſt gewohnt an Rath und Krieg, 
Die Königin theilt Jedes mit dem König. 
Aanriquez. 
Doch dürfte mehr noch als die Botſchaft etwa 
Der Bote ſelber —. 
König. 
Und wer iſt's? 
Manriquez. 
Mein Sohn. 
König. 
Ah, Garceran! Laß ihn nur kommen! 
(Zur Königin.) 
Bleib. 


Der junge Mann hat höchlich wohl gefehlt, 
Als er verkleidet fchlich ind Fraungemach, 
Die Holde feines Herzens zu erfpähn. 





Erſter Aufzug. 167 


Nu, Dona Clara, ſenkt nur nicht das Haupt, 

Der Mann ift wader, obgleich jung und raſch, 

Gefpiele mir aus meiner Knabenzeit, 

Und unverjöhnlich fein, wär’ etwa jchlimmer, 

Als leichtgeſinnt den Fehler überjehn. 

Auch, dent ich, hat er reichlich abgebüßt, 

Seit Monden ſchon verbannt. zur fernen Gränze. 
(Auf einen Wink der Königin entfernt fih Dora Clara.) 

Nun gebt fie do: O Sittfamleit, 

Noch fittlicher als Sitte! 


Garceran kommt. 


König. 
| Ah, mein Freund! 

Wie ſteht's bei euch? Sind Alle dort fo bang, 
Wie du, und alfo mädchenhafter Scheu? 
Dann ſteht es ſchlimm um unfrer Reife Schuß. 

Garreran, 
Ein wackrer Mann, Herr, fürchtet feinen Feind, 
Doc ſchwer drückt edler Fraun gerechter Born. 

König. 

Gerechter Zorn, ja wohl! Und glaube nidt, 
Daß ich mit Brauch und Schi es minder ftreng 
Und ernftlich halt’, als meine Frau. 
Doc bat der Zorn und Alles feine Gränze, 
Drum nochmals, Garceran, mie ſteht's bei euch? 
Macht euch der Feind, ob Frieden gleich, zu ſchaffen? 

Garceran. 
Wir ſchlugen uns, als wär's ein Scheingefecht, 
Mit blut'gen Wunden dieſſeits, Herr, und drüben; 
Der Friede glich dem Krieg ſo auf ein Haar, 
Daß nur im Treubruch aller Unterſchied; 
Seit kurzer Zeit jedoch hielt Ruh der Gegner. 


168 Die Yüdin von Toledo. 


König. 
Ei, das iſt ſchlimm! 
Garceran. 
Wir denken's auch und glauben, 
Er rüfte fich für einen größern Schlag. 
Auch heißt's, daß Schiffe täglich Wolf und Worrath 
Aus Afrika nad Sadir überführen, 
Wo heimlich fich vereint ein ftattlich Heer, 
Zu dem der neue Herrſcher von Maroffo, Juſſuf, 
Sol ftoßen mit dem dort geworbnen Volf; 
Dann Täme wohl der Schlag, der uns bedroht. 
König. 
Nun, ſchlagen fie, jo Schlagen wir dann wieder, 
Wie fie ein König, führt der eure euch. 
Und ift ein Gott, wie er denn wirklich ift, 
Und Recht der Ausspruch ſeines Munds, jo hoff’ ich, 
Zu fiegen, weil ein Recht und meil ein Gott. 
Mid dauert nur des Landmann bittre Noth, 
sch jelbit, ala Höchſter, ich bin da zum Schwerften. 
Laßt in den Kirchen ſich das Volk verfammeln 
Und flehen zu dem Herm, der Siege gibt; 
Die Heiligthümer jeien ausgeftellt, 
Und Jeder bete, der da künftig ftreitet. 
Barreran. 
Schon ohne Aufruf ward dein Wort erfüllt, 
Die Gloden tönen weithin an der Gränze, 
Und in den Tempeln jfammelt fi das Volk; 
Nur daß ihr Eifer, irrend, mie fo oft, 
Sich gegen jene Anbersgläub’gen menbet, 
Die Handel und Gewinn im Land zerftreut; 
Schon warb ein „Jude hier und da mißhanbelt. 
König. 
Und ihr, ihr duldet's? Nun, beim großen Gott! 





Erſter Aufzug. 169 


Wer ſich mir anvertraut, den will ich ſchützen, 
Ihr Glaube kümmert fie, mich, was fie thun. 


Garreran. 
Dan nennt fie Späher in der Mauren Sold. 
König. - 
Niemand verräth zulebt, was er nicht weiß, 
Und da ich ihren Mammon ftet3 verachtet, 
Hab’ nie auch noch begehrt ich ihren Rath. 
Was fein wird, weiß nur ich, nicht Chrift noch Jude, 
Und deßhalb ſag' ich euch bei eurem Kopf — 
Eine Weiberfiimme 
.. (von außen). 
Meh uns! | 
| König. 
Mas ift? 
Garreran. 
Dort, Herr, ein alter Mann, 
Ein Jude, ſcheint's, verfolgt von Gartenknechten, 
Zwei Mädchen neben ihm; die eine, ſchau! 
Gie flieht hieher. 
| König. 
Ganz recht; denn hier iſt Schuß, 
Und Gottes Donner, wer ein Haar ihr frümmt. 
(dm die Scene rufend.) 
Hieher, nur hier! 


Rahel kommt flichend. 


Rahel. 
D weh, .fie tödten mich, 
Wie dort den Vater! Iſt denn nirgends Hülfe? 
(Sie erblidt die Königin und niet vor ihr.) 


O holdes Frauenbild, bejchirme mich, 


170 Die Jüdin von Toledo. 


Stred aus die Hand und fchüße deine Magd, 
sch will Dir dienen auch, nicht Jüdin, Sklavin. 
(Sie greift nad den Händen der Königin, die fi von ihr abwendet.) 
Rahel (aufkehend). 
Auch hier nicht Rettung, übrall Angft und Tod. 
Wohin nur flieh’ ich? 
Ach, bier fteht ein Mann 
Mit Mondicheinaugen, ftrahlend Troft und Kühlung, 
Und Alles um ihn ber beißt Majejtät. 
Du kannſt mich ſchützen, Herr, ad), und du wirſt's. 
Ich will nicht fterben, will nicht! Nein, nein, nein! 
(Sie wirft fih vor dem Könige nieder, feinen rechten Fuß umklam⸗ 
mernd, da8 Haupt zu Boden gejentt.) 
König 
(zu Einigen, die fih nähern). 
Laßt fie! Der Schrei beraubt fie fait der Sinne, 
Und mie fie ſchaudert, fchütternd mich mit fidh. 
Rahel (emporgericte). 
Und Alles, was ich habe, VS 
(ihr Armband ablöfend) un? 
diefe Spangen, 
Das Halsgeſchmeid und dann dieß theure Tuch), 
(ein Tuch abloſend, das fie fhawlartig um den Hals geſchlungen trägt) 
Der Vater hat's gelauft um vierzig Pfund, 
Hecht indifches Geweb, ich geb’ es hin, 
Nur laßt mein Leben mir, ich will nicht jterben. 
(Sintt in ihre vorige Stellung zurüd.) 


Man hat Iſaak und Ejther gebradt. 
Aönig. 
Was hat der Mann verbroden? 


Manriguez 
(da Alle Schweigen). 
| — Herr, du meißt, 





Erfter Aufzug. 171 


Verboten iſt der Eintritt diefem Bolf 
In Könige Garten, wenn der Hof zur Stelle. 
König. 
Nun, wenn's verboten, fo erlaub’ ich’3 denn. 
Aa Efther. | 
Er ift Fein Späher, Herr, ein Handelsmann, 
Die Briefe, die er führt, fie find hebräiſch, 
Und nicht arabiſch, nicht in aurenſprache. +” 
ö— König. 
Sch glaub’s, ich glaub’s. 
(Auf Rahel zeigend.) 
Und dieſe? 
Efther. 
Meine Schweiter. 
König. 
Sp nimm fie denn und bring fie fort. 
Rahel 
(da Efiher ſich ihr nähert). 
— Nein, nein! 
Sie faſſen mich, fie führen mich hinaus 
Und tödten mich! 
(Mit den Händen auf den abgelegten Schmud zeigend.) 
Hier ift mein Löſegeld, 
Hier will ich bleiben und ein wenig fchlafen. 
(Die Wange an des König Knie gelegt.) 
Hier ift die Sicherheit, bier ruht ſich's gut. 
Königin. 
Wollt Ihr nicht gehn? 
König. 
Ihr jebt, ich bin gefangen. 
Königin. 
Seid Ihr gefangen, bin ich frei; ich gehe. 


(Mit ihren Frauen ab.) 


172 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Nun noch aud) Das! Mit ihrem Züchtigthun 
Erichaffen fie, was fie entfernen möchten. 
(Zu Nabel ftreng.) 
Ich fage dir, fteh auf! — Gib ihr ihr Tuch 
Und laß fie gehn. 
’ Rahel. 
D Herr, nur noch ein Weildden — 
Die Glieder find gelähmt, ic) Tann nicht fehreiten. 
(Den Ellbogen aufs Knie und den Kopf in die Hand geftübt.) 
König (surüdtretend). 
Und ift fie immer denn fo fchredhaft? 
Efther. 
D nicht doch! 
Sie war vor Kurzem übermüthig noch 
Und troßte, wollte, Herr, dich fehen. 
Aönig. 
Mich? 
Sie hat es ſchwer bezahlt. 
Eſther. 
Auch ſonſt zu Hauſe 
Treibt ſie nur Poſſen, ſpielt mit Menſch und Hund 





Und macht uns lachen, wenn wir noch ſo ernſt. 
| König. 

Sp wollt’ ich denn, fie wäre eine Chrijtin 

Und hier am Hof, wo Langeweil genug: \ 


Ein Bißchen Scherz käm' etwa uns zu Gtatten. 
He, Oarceran! 
GBarreran. 
Erlaucdter Herr und König. 
Efther 
(mit Rahel befhäftigt). 
Steh auf, ſteh auf! 


Erſter Aufzug. 173 


Rahel 
(ih emporhebend und Eſther den Halsſchmuck abnehmend, den fie zu 
dem übrigen legt). 


Und gib nur, was du haft, 
Es ift mein Löſegeld. 
Eſther. 
Es ſei denn alſo. 
König. 
Was dünkt dir von Dem allen? 
Barreran. 
Mir, o Herr? 
König. 
Verſtell' dich nicht, du bift ein feiner Kenner. 
Sch ſelbſt hab’ nie nach Weibern viel gefehn, 
Doch dieſe ſcheint mir fchön. 
Barreran. 
Sie iſt's, o Herr! 
König. 
So fei denn ſtark; denn du folljt fie geleiten. 
Rahel 
(die in der Mitte der Bühne mit gebrochenen Knien und geſenktem 
Haupte fleht, den Aermel aufftreifend). 
Leg mir das Armband an. — D weh, du drückſt mid, 
Den Halsſchmuck auch — zwar der hängt ja noch hier, 
Das Tuch bebalt, mir ift fo ſchwer und ſchwül. 
Rönig. 
Bring fie nad) Haus! 
Barceran. 
Doch, Herr, ich fürchte. 
König. 
Was? 


174 Die Judin von Toledo. 


Efther 
Maheln das Kleid am Halfe zurecht richtend). 
Und wie das Kleid verjchoben und zerftört. 
Barreran. 
Das Volk ift aufgeregt. 
| König. 
Du haft nicht Unrecht. 
Obwohl ein Wort des Königs Schub genug, 
Iſt's befler doch, zu meiden jeden Anlaß. 
Bring fie vorerft nach einem der Kiosk', 
Die rings im Garten ftehn, und kommt der Abend — 
Barreran. 
Ich höre, hoher Herr! 
König. 
Wie nur? Ya fo! — 
Seid ihr nicht fertig noch? 
Ä Efiher. 
| Wir find’, o Herr! 
König. 
Und ift es Abend und das Volk verlaufen, 
So führe fie nad) Haus, und fomit gut. 


Barreran. 
Komm, fehnöde Heibin! 
Aönig. uf 
"Heidin! welche Poſſen! 
Efiher 


(zu Rahel,’ die fih zum Fortgehen anfdhidt), + - ON 
Und danfft du nicht dem Herrn für fo viel Huld? 
Ä Rahel 
(no immer erjchöpft, fi gegen den König wendend). 
Hab Dank, o Herr, für deinen mächt'gen Schuß ! 
D, daß ich nicht ein ärmlih Welen wäre, | 
(mit einer Bewegung der Hand Über den Hals) 





Erſter Aufzug. 175 


Daß diefer Hals gekürzt von Henfershand, 
Daß diefe Bruft ein Schild gen beine Feinde — 
Zwar das begehrit du nicht — 
Rönig 
Ein hübſcher Schild! — 
Somit denn geht mit Gott. Und — Garceran, 
. (leifer) 
Ich wünſchte nicht, daß diefe hier, mein, Schüßling, 
Durch irgendiwie zudringlich Tühne Poſſen 
Beleidigt, je geſtört — 
Rahel 
(die Hand an die Stirne gelegt). 
— Ich kann nicht gehn. 
König 
(da ihr Garceran den Arm bieten will). 
Wozu den Arm? Laß ſie die Schweſter führen. 
Du, alter Mann, bewahre deine Tochter, 
Die Welt iſt arg, ſo hüte deinen Schatz. 
(Rahel und die Ihrigen, von Garceran begleitet, ab.) 
König 
(ihnen nadfehend). 
Eie wankt noch immer. AL ihr ganzes Wefen 
Ein Meer von Angft in ftet3 erneuten Wellen. 
(Den einen Fuß befehend.) 
Hielt fie den Fuß mir doch fo eng umklammert, 
Daß er faft fchmerzt — Im Grunde wunderlich, 
Ein feiger Mann, er wird mit Recht verachtet, 
Und dieß Gefchlecht ift ſtark erſt, wenn es ſchwach. 
Oh, Almirante, was ſagt Ihr dazu? 
Manriquez. 
Ich denke, hoher Herr, daß meinen Sohn 
Ihr eben jetzt ſo fein, als ſtreng beſtraft. | 
—8 





176 Die Judin von Toledo. 


König. 
Beitraft? x 
U Manrigurz. 
Als Huter ihn beſtellend dieſem Pöbel. 


König. 

Die Strafe, Freund, ift, den!’ ich, nicht fo hart, 
Ich felbft hab’ nie nach Weibern viel gefragt, 

(auf das Gefolge zeigend) 
Doch diefe Herrn find etwa andrer Meinung. 
Nun aber fort ok dieſen wirren Bildern! 
Laßt uns zur Waßel, mich verlangt nach Stärkung, 
Und bei dem erſten Trunk am feſtlich frohen Tag 
Gedenk ein Jeder deß — woran er denken mag. 
Hier iſt kein Rang! Nur zu! Voraus! Voran! 


(Indem die Hofleute fi zu beiden Seiten ordnen und der König 
mitten dur fie abgeht, fällt der Vorhang.) 


weiter Aufzug. 


Ein Theil des Gartens. Kurzes Theater. Recht? ein Garten: 
haus’ mit einem Ballon und einer Thüre, zu der mehrere 
Stufen emporführen. 


Garceran, zur Thüre heraustretend. 


Barreran. 
Sp rett' ih mich denn etwa vor der Hand. 
Das Mädchen, fie ift Schön und eine Närrin, 
Und da die liebe Thorheit ift 'ne Thörin, 
Gefährliher als ſelbſt die ſchlauſte nicht. 
Zudem thut' 3 Noth, daß meinen guten Ruf - 
Und meine Leiden aft für Dora Clara — 
Die ſchweigſamſte von Allen, die je ſchwiegen — 
Sch neu zu Ehren bringe, —* noch Zeit; 
Entfliehen der Gefahr nennt Sieg der Kluge. 


Ein Knappe des Konigs kommt. 


⁊ 


Knappe. 
Herr Garceran! 
Garceran. 
Ab, Robert, und was ſoll's? 
Knappe. 
Der König, Herr, befahl mir, nachzuſehn, 
Ob Ihr noch bier mit Eurer Pflegbefohlnen. 


Grillparzer, Werke. VI. 12 


178 Die Judin von Toledo. 


Garreran. 
Ob wir noch bier? Befahl er doch — Ab, Freund, 
Du follteft nachſehn, ob ich etwa oben? 
Sag nur, das Mädchen fei im Gartenhaus 
. Und ich bier außen. Das wird ihm genügen. 


Anappe. 
Hier find Gie felbft. 
Barreran. 
Ah, Majeftät! 
Der König kommt in den Mantel‘ gehüllt, der Knappe geht. 
König. 
Nun, Freund, 
Noch immer hier? 
Garreran. 
Habt hr doch jelbjt befohlen, 
Daß erft beim Anbrud von des Abends Dunkel — 
König, 
Ja wohl, ja wohl! Doch reifer Ueberlegung 
Scheint beſſer, daß ihr reist bei Tageslicht — 
Du giltft für kühn. 
Garreran. 
So glaußt Ihr, hoher Herr — 
Aönig. 
Sch glaube, daß du ehrit des Königs Wort, 
Der, was er ſchützte, unbeläftigt wünſcht. 
Allein Gewoͤhnheit iſt des Menſchen Meifter, 
Und unſer Wille will oft, weil er muß. 


Drum geht nur jetzt. Was aber treibt dein Schützling? 


Garcteran. 
Zum Anfang war ein Weinen ohne Maß, 
Allein die Zeit bringt Troſt, pflegt man zu ſagen; 














Zweiter Aufzug. . 179 


So war's auch bier. Vorbei der erſte Schred, 

Fand Munterkeit, ja Scherz ſich wieder ein. 

Man jah nun erit das jchimmernde Geräth, 

Die Seide der Tapeten warb beivunbert, 

Des Vorhangs Stoff nad Ellen abgeſchätzt, 

Man bat fich eingerichtet und ift rubig. 

König. 

. Und feheint fie fich zu fehnen nach der Heimat? 
Garceran. 

Beinah, und manchmal wieder ſcheint es, nein. 

Doch leichter Sinn grämt ſich nicht gern voraus. 


Afnis. 
Du haſt doch nicht veſanmt, der Worte Köder 
Nach ihr auch auszuwerfen nach Gewohnheit? 
Wie nahm ſie's auf? 

Garceran. 

Nu, Herr, nicht eben ſchlimm. 
König. 
Du lügſt. — Im Grunde biſt du glücklich, Menſch! 
Schwebſt wie ein Vogel durch die heitern Lüfte 
Und ſenkſt dich nieder, wo die Beere lockt, 
Und weißt zu finden dich beim erſten Blick. 
Ich bin ein König, und mein Wort erſchreckt, 
Doch wär' ich ſelbſt erſchrocken, ſtünd' ich irgend 
Genüber einem Weib zum erſten Mal. 
Wie fängſt du's an? Belehre mich ein menig,' 
Sch bin ein Neuling in dergleichen Dingen, . 
Nicht befier als ein groß gewachines Kind. 
Da wird gejeufzt?. 
| PP. Garceran. 
Pfui, Herr, das wär' veraltet! 
König. | 

Nun denn, geblidt! Und Junker Gänſrich ſchaut, 





180 Die din von Laispe 


Bis Dame Gänschen wieder ſchaut. Nicht jo? 
Dann nimmft du wohl die Laute gar zur Hand, 
Genüber dem Ballon, wie etwa bier, 

Und fingft ein Trächzend Lied, wozu der Mond, 
Ein bleicher Kuppler, durch die Bäume funkelt, 
Und Blumenfelde duften füßen Rauſch, 

Bis nun der günſt'ge Augenblid erfchernt, 

Der Vater, Bruber — oder Gatte gar 

Das Haus ve ißt auf etwa gleichen Pfaben, 
Und nun die 30 winkt ihr leifes: pft! 

Da trittit du ein, und eine warme Hand 
Ergreift die deine, führt dich durch die Gänge, 
Die dunkel wie das Grab und endlos gleitend 
Den Wunſch erhöhn, bis endlich Ambrabuft 
Und bleicher Schimmer durch die Riten dringend 
Bezeichnen, daß erreicht das holde Biel. \ıF 
Die Thür gebt auf, und bell im — immer , 
Auf dunkeln Sammt die Glieder hingegoſſen, 


Den weißen Arm umkreiſt von Perlenſchnüren, 
Lehnt weichgeſenkten Hauptes die Erſehnte, | 
Die goldnen Loden — nein, ich fage, Ihmayg! — ‚ 


Des Hauptes Rabenhaar und jo dann ieiter. 
Du ſiehſt, ich bin gelehrig, Garceran, 
Und da gilt gleich denn: Chriftin, Maurin — Jüdin. 


u Barceran. 


Auf Maurinnen ſind Streiter wir der Gränze 
Zu Recht verwieſen, doch die Jüdin, Herr — 


Kaniq. 
Spiel' etwa du den Koſtverächter doch! 
Ich wette, wenn das Mädchen dir dort oben 
Nur einen Blid gegönnt, du mwäreft Flamme, 
Ich felber lieb’ es nicht, dieß Volk, doch weiß ich, 
Mas fie verunziert, es iſt unfer Werf; 


— — 


u 


Zweiter Aufzug. 181 
— u 

Wir ah fie, und grollen, wenn fie bihten. 

Zubem ift etwas Großes, Garceran, 

In diefem Stamm von unjtät flücht'gen Hirten: 

Mir andern find von heut, fie aber reichen 

Bis an der Schöpfung Wiege, mo die Gottheit 

Noch Menſchen gleich in Paradieſen ging, 

Wo Cherubim zu Gaft bei Patriarchen, .. 

Und Richter war und Recht der ein’ge Gott. 


- Sammt all der Märchenwelt, die Wahrheit aud) 


Bon Kain und Abel, von Rebekka's Klugheit, 
Bon Jakob, der um Rahel dienend freite — 
Wie heißt das Mädchen? 
Garceran. 
Herr, ich weiß nicht. 
König. 


Bon Ahasverus, der den Herricherftab 
Ausſtreckte über Efther, die, fein Weib 

Und felber Jüdin, Schuggott war den Ihren. 
Sp Chriſt als Mufelmann führt feinen Stammbaum 
Hinauf zu diefem Volk als ältftem, erftem, 

So daß fie uns bezweifeln, wir nicht fie. 


Ei! 


Und bat es, Eſau gleich, fein Recht verfcherzt, 


Mir kreuz'gen täglich zehenmal den Herrn 
Durch unſre Sünden, unfre Mifiethaten, 

Und Sene haben’3 einmal nur gethan. 

un aber laß ung gehn! Vielmehr bleib bu! 
Geleite fie und merfe dir ihr Haus. 
Vielleicht einmal, wenn müde Sorge drüden, 
Beſuch' ich fie und freu’ mich ihres Dante. 
(Im Begriffe, zu gehn, hört er Geräufh im Haufe und bleibt fiehen.): 
Was ift? 

Garceran. 
Geräuſch im Haus. Scheint's doch beinah, 


1823 Die Jüdin von Toledo, 


Sie ftrafen Lügen dein gefpendet Lob 
Und ftreiten unter ſich. 
König 
(aufs Haus zugehend). 
Mas gibt's zu ftreiten? 


Hank tommt auß dem Gartenhaufe. 


Jſaak (urüdipregend). 
Nun denn, fo bleibt und fpielt um euer Haupt! 
Schon einmal ging's euch nah. Sch rette mich. 
König. 
Frag, mas es gibt. 
Barreran. 
Mas fol es, guter Mann? 
Iſaak (su Garceran). 
Ah, Ihr ſeid's, hoher Herr, der ung beichirmt. 
Mein Rachelchen, ſie jpricht gar viel von Euch, 
Sie hat Euch lieb. 
König. 
Zur Sade! Was Geſchwätz — 
3faak. 
Wer iſt der Herr? 
Garceran. 
Gleichviel. Du aber rebe, 
Was ift der Anlaß des Gelärms dort oben? 


Jſaak 
(zum Fenſter hinaufſprechend). 
Nun ja, es wird auch kommen. Wartet nur. 
(Zu Garceran.) 
Ihr ſelber habt geſehn mein Rachelchen, 
Wie ſie geweint, geſtöhnt, die Brüſte ſchlug 
Halb ſinnverwirrt. Ei ja doch, Herr, mein Leben! 














Zweiter Aufzug. 183 


Kaum mußte fie vorüber die Gefahr, 
Da kam zurüd der alte Uebermuth: 
Sie lachte, tanzte, fang, halb toll von Neuem, 
Sie rüdte dag Geräth, das heilig iſt 
Bewacht von Tod, und poltert — mie ihr hört. 
Trägt fie am Gürtel nicht ein Schlüffelbund ? 
Nun, das verfucht fie, Herr, an allen: Schränfen, 
Die längs den Wänden ftehn, und öffnet fie; 
Da hängen nun Gewänber aller Art: 
Der Bettler bei dem König, Engel, Teufel 
In bunter Reih — 
König 
(halblaut zu Garceran), 
Vom legten Faſtnachtſpiel. 


3Taak. 
Da wählt fie eine Krone ſich heraus ae 
Mit Federſchmuck, — nicht Gold, vergüldet Blech, 
Man kennt es am Gewicht, gilt zwanzig Heller — 
Legt fich ein fchleppend Kleid um ihre Schultern 
Und jagt, fie fei die Königin. 
(Zurüdfpredend.) 
Sa, Thörin! 

Zulegt — im Nebenzimmer hängt ein Bild 
Des Königs, unfer8 Herrn, den Gott erhalte! 
Das nimmt fie von der Wand und trägt's herum, 
Nennt es Gemahl, ſpricht's an mit füßen Worten 
Und drüdt’3 an ihre Bruft. 

(Der König geht mit ſtarken Schritten auf das Haus zu.) 


GBarceran. 
Mein hoher Herr! 
3faak (urüdweihend). 
Weh mir! | 


184 Die Züdin von Toledo, 


König 
(auf den Stufen flehend, mit ruhiger Stimme). 
Den Scherz ſäh' gern ich in der Nähe, 
Zudem rüdt eurer Heimkehr Zeit heran. 
Ich wünſchte nicht verfäumt die günft’ge Stunde. 
Du, Alter, aber fomm! Denn nicht allein, 
Nicht unbewacht will nahn ich deinen Kindern. 
(Er gebt ins Haus.) 

3Taak. “ 

War das der König? Weh! 


Barreran. 
Geh nur hinein! 
3faak. 
Zieht er fein Schwert, find alle wir gerichtet! 
Barceran. 
Geh immer nur! Und was die Yurcht betrifft, 
Nicht deine Tochter iſt's, noch du, für die ich fürchte. 
(Er fößt den Zögernden zur Thür hinein und folgt. Beide ab.) 


Saal in dem Gartenhaus; im Hintergrund nad links eine 
Thüre, im Vordergrund rechts eine zweite. 


Rahel, eine Federkrone auf dem Kopf und einen goldgefticten Mantel 

um die Schultern, ift bemüht, einen Lehnftuhl aus dem Seitengemade 

rechts herauszuſchleppen. Efther ift durch den Haupteingang ein= 
getreten. 


Rahel. 
Hier foll der Lehnſtuhl her, hier in der Mitte. 
| Efther. 


Um Gottes Willen, Nabel, fieh dich vor! 
Dein Muthwill wird ung noch ins Unglüd ftürgen. 





[lt —— — — — 


Zweiter Aufzug. 185 


Rahel. 
Der König hat das Haus uns eingeräumt, 
So lang wir es bewohnen, iſt's das unſre. 
(Sie haben den Stuhl in die Mitte gerüdt.) 
| Rahel (fh befehend). 
Und meine Schleppe, nicht wahr? fteht mir gut. 
Und diefe Federn niden, wenn ich nide. 
Nun fehlt noch Eins — und — warte nur, ich hol’ es, 
(Sie geht in die Seitenthür zurüd.) 
Efther. 
D, wären wir nur meit, nur erft zu Haufe! 
Der Bater auch bleibt fern, den fie vertrieb. 
Rahel —E 
(kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen). 
Hier iſt des Königs Bild gelöſt vom Rahmen, 
Das nehm' ich mit. 
Eſther. 
Treibt wieder dich die Thorheit? 
Wie oft nicht warnt’ ich dich? 
Rahel. 
Und hab' ich dir gehorcht? 
Eſther. 
Beim Himmel, nein! 
Rahel. 
Und werd's auch dießmal nicht. 
Das Bild gefällt mir, fieh, es ift jo ſchön. 
ch häng' e8 in der Stube nächſt zum Bette. 
Des Morgen? und des Abends blid’ ich's an 
Und denke mir — was man nun eben denkt, 
Wenn man der Kleider Laſt von fich gefchüttelt 
Und frei fich fühlt von jedem läſt'gen Drud. 
Doch daß fie meinen nicht, ich ſtehl' es etwa, 
— Bin ich doch reich und brauche Stehlens nicht — 


186 Die Jübin von Toledo. 


Du trägft mein eigen Bild an deinem Hals, 

Das hängen wir an diefes andern Stelle, 

Das mag er anfehn, jo wie feines ih, 

Und mein gedenken, hätt’ er mich vergefjen. 

Rück' mir den Schemel her, ich bin die Königin, 

Und diefen König heft' ich an den Stuhl. 

Die Hexen, jagt man, die zur Liebe zwingen, 

Sie bohren Nadeln, fo, in Wachsgebilde, 

Und jeder Stich dringt bis zum Herzen ein 

Und hemmt und fürdert wahr geichaffnes Leben. 

(Sie befeftigt das Bild an die vier Eden mit Nadeln an die Lehne 

des Stuhls.) 

D, gäbe jeber diefer Stiche Blut, 

Sch wollt’ es trinken mit den burft'gen Lippen 

Und mid) erfreun am Unheil, das ich ſchuf. 

Nun hängt es da und tft fo ſchön als ftumm; 

sch aber red’ ihn an als Königin 

Mit Mantel und mit ‚Krone, die mich Eleiben. 
(Sie bat fih auf den Schemel geſetzt und ſitzt vor dem Bilde.) 

Ihr ehrvergeſſner Mann, ſtellt Euch nur fromm, 

Ich Tenne dennoch jeden eurer Schliche; V 

Die Jüdin, fie gefiel Euch, Ieugnet’3 nur, 

Und Sie iſt Schön, bei meinem hohen Wort, 

Nur mit mir felber etwa zu vergleichen. 


Der König, von Garceran und Iſaak gefolgt, ift gefommen und 
bat fi Hinter den Stuhl geftelii, die Arme auf die Nüdlehne gelegt, 
fie betradhtend, Rahel fortfahrend. 


Rahel. 
sch, Eure Königin nun, duld’ es nicht, 
Denn eiferfüchtig bin ich mie ein Wiefel. 
Ob Ihr nun fchmeigt, das mehrt nur Eure Schuld. 
Geiteht! Gefiel fie Euh? Sagt Ya! 


Zweiter Aufzug. 187 


König. 
Nun ja! 
(Rahel fährt zufammen, blidt nad) dem Bilde, dann aufwärts, erfennt 
den König und bleibt regungslos auf dem Schemel.) 
Kon i g (vortretend). 
Erjchredt dih Das? Du wollteſt's, und ich fag’s. 
Ermanne dich, du bift in Freundes Händen. 

(Er firedt die Hand nah ihr aus, fie fährt vom Schemel empor und 
flieht nad der Thür rechts, wo fie tiefathmend und mit geſenktem 
Haupt ftehen bleibt.) 

König. 

Iſt fie fo jcheu? 

Efther. 

Nicht immer, gnäd’ger Herr! 
Und ſcheu nicht, jchredhaft nur. , 

König. 
Bin ich fo gräulich? 

(Sid ihr nähernd.) 
Rahel 
(fchüttelt heftig mit dem Kopfe). 

König. 
Nun denn, jo falle dich, mein gutes Kind. 
Sa, du gefielft mir, fag’ ich noch einmal, 
Und kehr' ich heim aus dieſem heil’'gen Srieg, 
In den mich Ehre ruft und meine Pflicht, 
Frag’ in Toledo ich vielleicht nach dir. 
Wo wohnt Ihr dort? 

Jſaak (ſhnell). 

Herr, in der Judenſtraße 
In Ben Mathae's Haus. 

Eſther. 

Wenn man nicht eier 

Uns etwa ſchon vertrieb. 


188 Die Judin von Toledo. 


König. 

Dafür mein Wort; 
Ich weiß zu ſchützen, wem ich Schuß gelobt. 
Und wenn bu dort auch fo geſprächig bift 
Und gut gelaunt, wie früher mit den “Deinen, 
Nicht Scheu, wie jet, verplaubr’ ich wohl ein Stündchen 
Und bole Athem aus dem Qualm bes Hof8. 
Nun aber geht, denn es ift hohe Zeit. 
Du, Garceran, begleite fie; doch erft noch 
Häng diefes Bild zurüd an feine Stelle. 


Rahel 
(auf den Stuhl losftürzend). 
Das Bild ift mein. 
König 
Was kommt dir bei? 
BZurüd zum Rahmen ſoll's, aus dem du's nahmſt. 
Rahel (su Garceran). 
Berühr die Nadeln nicht, noch diefes Bild, 
Sonit feftig” ich's mit einem tiefern Stich, 
(mit einer Nadel nah dem Bilde fahrend) 
Siehſt du? gerad ins Herz. 
Aönig. 
Halt ein! Beim Himmel! 
Haft du mich faft erichredt. Wer bift du, Mädchen? 
Uebſt du geheime Künjte, bie Verbrechen? 
War's doch, als fühlt’ ich in ber eignen Bruft 
Den Stich nad jenem Bild. 


Efther. 
Mein hoher Herr, 
Sie ift nur ein verwöhnt, vermwilbert Mäbchen 
Und meiß von unerlaubten Künften nicht, 
Es kam ihr ein, und alfo that ſie's eben. 


Zweiter Aufzug. 189 


König. 
Man foll mit Derlei aber keck nicht fpielen. 
Es trieb bis zu den Augen mir das Blut, 
Und wie im wirren Licht feh’ ich die Dinge. 


(gu Garceran) 
Iſt fie nicht Schön? 
— Garceran. 
Sie iſt's, mein Herr und Rai 
König. B 
Und wie das wogt und wallt und glüht und he 
(Rahel bat unterdeffen das Bild abgenommen und zufammengerollt.) 
König. 
Du willſt das Bild denn durchaus nicht entbehren? 
Rahel (u Eher). 
Sch nehm e8 mit. 
König. 
Nun denn in Gottes Namen. 
Er wird's verhüten, wenn ein * droht. 
Nur eilig fort. Nimm, Garceran, 
Den Weg, der rückwärts durch den Garten führt. 
Das Volk iſt aufgeregt; es liebt, als ſchwach, 
Die Schwäche gern zu prüfen an dem Schwächern. 
Barceran (am Fenſter). 
Doch jeht, o Herr, es naht der ganze Hof, 
Die Königin an bes Geleites Spike. 
König 
Hierher? Verwünſcht! Iſt bier fein anbrer Ausgang? 
Mich mwidern an die Deutungen des Schwarms. 
Garceran 
(auf die Seitenthür zeigend). 
. Bielleicht in dieß Gemach. 
König. 
Was fällt dir ein? 


190 Die Jüdin von Toledo. 


Soll ich verbergen mich vor meinen Dienern? 
Und doch fürcht’ ich den Schmerz ber Königin, 
Sie fünnte glauben, — mas ich felber glaube. 
sch rette denn die wirre Majeftät. 

Sieh zu, daß du baldmöglich ſie entferneft. 

(Er geht in das Geitengemad).) 
Efiher. 
Ich ſagt' e8 ja: es ift der Weg des Unglüds. 


Die Königin, von Manrignez und Mehreren begleitet, tritt ein. 


Königin. 

Es ward gefagt, der König fer hier oben. 

Garreran. 
Er war, doch ging er fort. 

Königin. 
Und bier die Jüdin. 

Manriquez. 
Geſchmückt, dem losgelaßnen Wahnſinn gleich, 
Mit all dem Flitterſtaat des Puppenſpiels. 
Leg ab die Krone, die dir nicht geziemt, 
Selbſt nicht im Scherz; den Mantel von der Schulter! 

(Eſther hat ihr beides abgenommen.) 
Was hält ſie in der Hand? 
Rahel. 
Es iſt mein eigen. 

Manriquez. 

Das wollen wir erſt ſehn. 
Eſther. 
Wir ſind ſo arm nicht, 

Daß wir nach fremdem Werth die Hände ſtreckten. 

Manriquez 

(auf die Seitenthür zugehend). 

Auch dort in jenen Zimmern forſcht man erſt, 





A . 


Ztoeiter Aufzug. 191 


Ob nicht? abhanden, ob die Habjucht nicht 
Sich mit der Frechheit, fo wie bier, verbunden. 
Garceran 
(ihm in den Weg tretend). 
Hier, Vater, ruf ich: Halt! 
Manriquez. 
Kennſt du mich nicht? 
Garceran. 
So Euch als mich. Doch gibt es, wißt Ihr, Pflichten, 
Die ſelbſt dem Vaterrecht die Wage halten. 
Manriquez. 
Sieh mir ins Aug! Er kann es nicht ertragen. 
So raubt mir denn zwei Söhne dieſer Tag. 
(Zur Königin.) 
Wollt Ihr nicht gehn? 
Königin. 
Sch möchte, doch ich kann nicht, 
Vielmehr ich kann, beim Himmel, denn ich muß. 
(Zu Garceran.) 


Ziemt Euer Amt gleich einem Ritter nicht, 
Doch dank' ich Euch, daß Ihr es treulich übt. 
Zu ſehen, wäre Tod — doch leiden kann ich, 
Und trefft Ihr Euren Herrn vor Abend noch, 
Sagt ihm, daß rück ich nach Toledo ging — allein! 
(Die Königin und ihr Gefolge ab.) 
Garceran. 
So mußte mich das Unglück dieſen Tag 
Grade heut vom Heere heimwärts führen. 
(Rahel zu Eſther, die ſich mit ihr beſchäftigt.) 
| Rahel. . 
Ich wäre nicht gewichen, gält's den Top. 
Efiher (u Garceran). 
Nun aber bringt uns fort, wir bitten Euch. 


192 Die Züdin von Toledo. 


Garceran. 
Erit frag ich noch den König, was fein Wilke. 
(Un die Seitenthüre pochend.) 
Mein hoher Herr! — Wie nur? Kein Zeihen? — Sollte 
Ein Unfall? — Wie denn immer au — ich Öffne. 


Der König tritt heraus und bleibt im Vordergrunde fliehen, indeß 
die Andern fih zurüdziehen. 


König. 
So it die Ehre und der Ruf der Welt 
Kein ebner Weg, auf dem der jchlichte Gang 
Die Richtung und das Ziel den Werth beitimmt ; 
„Iſt's nur des Gauklers ausgejpanntes Seil, 
Auf 'dem ein Fehltritt von der Höhe ftürzt, 
Und jebes Straucheln preisgibt dem Gelächter? 
Mus ich, noch geitern Vorbild aller Zucht, 
Mich heute fcheun vor jedes Dieners Bliden? 
Drum fort mit dir, du Buhler um die Gunft, 
Beitimmen wir uns jelber unfre Pfabe. 
(Sid ummwendend.) 
Wie, ihr noch hier? 
Barceran. 
- Wir harıen des Befehls. 
König. 
Hätt’ft du doch immer des Befehls geharrt 
Und mwärft geblieben an ber fernen Gränze. 
Anſteckend ift dein Beiſpiel, Garceran. 
Garceran. 
Gerechte Fürſten ſtrafen jeden Fehl, 
Den eignen ſelbſt. Allein, da ſelber ſtraflos, 
Trifft Andre gern das Zürnen ihrer Bruſt. 
König. 
Ich bin kein ſolcher, Garceran. Sei ruhig! 


Zweiter Aufzug. 1 g 3 


Wir bleiben dir wie früher zugethan. 
Doch nun bring diefe fort, und zwar auf immer. 
Was Andern Laune, tft beim Fürften Schuld. 
(Da Rahel fih ihm nähert.) 
Laß nur! Doch diefes Bild leg erft noch ab, 
Stell e3 zurüd, von wo es ward genommen. 
Ich will's; drum zögre nid. 
Rahel (u Eſther). 
So komm du mit. 
(Indem fi beide der Seitenthüre nähern.) 
Trägft du mein eigen Bild mie ſonſt am Halje? 
Efther. 
Was willſt du? 
Rahel. 
Meinen Willen. Gält's das Schlimmſte. 
(Sie gehen in die Seitenthüre.) 
König. 
Dann Tehr’ zur Gränze, wohin näcft ich folge. 
Wir wollen in der Mauren Blut die Schmadh, 
Die gleichgetheilte, diejeg Tages waſchen, 
Daß wieder wir ertragen Menjchenblid. 
(Die Mädchen kommen zurüd.) 


Rahel. 
Es iſt gejchehn. 
König. 
Und fort nun ohne Abſchied. 
Efther. 
Nimm unjern Dank, o Herr. 
Rahel. 
Den meinen nidt. 
| König. 
Nun jo denn: ohne Danf. 
Grillparzer, Werke. \I. 13 


194 Die Jüdin von Toledo. 


Rahel. 
Ich par’ ihn auf. 
König. 
Das heißt, auf nie. 
Rahel. 
Ich weiß Das befler. 
(Zu Eſther.) 


Komm. 
(Sie gehen, von Barceran begleitet, wobei der Alte tiefe Berneigungen 
madt.) 
König. 


Die höchfte Zeit war's, daß fie ging, denn wahrlich, 
Die Langeweile eines Fürſtenhofs, 
Sie mat die Kurzweil manchmal zum Bebürfniß. 
Doc diefes Mädchen, obgleich ſchön und veizend, 
Sie Scheint verwegner Bruft und heftigen Sinns; 
Da fieht ſich denn ein Kluger billig vor. 

Alonso! 


Ein Diener tritt ein. 


Diener. 
Hoher Herr. 

König. 

Bereit’ die Pferde. 

Diener. 
Herr, nad Toledo? 

König. 

Nach Alarcos, Freund. 

Wir wollen an die Gränze in den Krieg, 
Darum bereit' das Nöthigſte nur vor. 
Vier Augen drohen in Toledo mir: 
Voll Waſſer zwei, und andre zwei voll Feuer. 
Sie wollte ſich von meinem Bild nicht trennen, 
Dem Tode ſelbſt, ſo ſchien es, trotzte ſie, 





Zweiter Aufzug. 195 


Doc braucht! es nur mein ftreng gebietend Wort, 

So hing fie'3 wieder an die alte Stelle. 

Schaufpielerfünfte waren's, meiter nichts. 

Doch ob ſie's auch dem Rahmen eingefügt? 

Da ich auf lange diefen Drt verlaffe, 

Sei Alles, jo wie früher, unverrüdt 

Und biefes Vorgangs letzte Spur verſchwunden. 

(Er geht ins Seitengemad. Baufe, während welcher der Diener die 

von Nabe) abgelegten Kleider vom Stuhle aufnimmt und über den 

Arm hängt, die Krone aber in der Hand hält. — Der König kommt 
zurüd, Rahels Bild haltend.) 


König. 
Mein Bildniß fort und dieß an feiner Stelle — 
hr eignes iſt's, es brennt in meiner Hand. 
(Das Bild auf den Boden fchleudernd.) 
Fort mit dir, fort! Geht jo weit denn die Frechheit? 
Das darf nicht fein! Indeß ich ihrer felbft 
Nur mit gexechtem Widermillen bene, 
Schürt fie, gemalt , mir Gluth in meine Bruſt. 
Und dann mein eigen Bild in ihren Händen! 
Man ſpricht von magiſch unerlaubten Künſten, 
Die dieſes Volk mit derlei Zeichen übt, 
Und etwas, wie von Zauber, kommt mich an. 
(Zum Diener.) 
Nimm dieß vom Boden auf und eile ſpornſtreichs, 
Bis du ſie einholſt. 
Diener. 
Men, Gebieter? 
König 
Men? 
Nun eben Garceran und jene Beiden, 
Stell dieß zurüd dem Mädchen und begehre — 
Diener. 
Was, hoher Herr? 


196 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Soll ich die eignen Diener 
Zu Mitbewußten machen meiner Scham? 


Ich will nur jelbit den Taufch, wär's Noth, erzwingen. 
Nimm auf das Bild! — Ich felbit berühr' es nicht. 


(Der Diener hat das Bild aufgehoben.) 
König. 
Wie ungeſchickt! Birg’3 nur an deiner Bruft; 
Doch wär’ es dort erwärmt bon frember Wärme: 
Gib her, ich nehm’ e3 felbit, und folge mir, - 
Wir holen fie noch ein. 
| Beben’ ich's recht, 
So fann, da einmal rege der Verdacht, 
Ein Unfall fie betreffen, ja Gemaltthat, 
Da ſchützt zumeiſt mein eigenes Geleit. 
Du aber folge mir. 
(Er hat das Bild angeblidt und dann in den Bufen geftedt.) 
Iſt dort nicht ſeitwärts 
Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho, 
Mit einer Maurin, aller Welt verborgen —? 
Diener. 
So iſt's, erlauchter Herr. | 
König. 
Wir wollen unfre Ahnen 
Nachahmen in der Tapferkeit, dem Werth, 
Und nit in ihrer Schwäche niederm Straucheln. 
Bor Allem gilt es, ſich erobern ſelbſt — 
Und dann entgegen feindlichen Erobrern. 
Retiro heißt das Schloß? — Was wollt’ ich nur? 
Sa fo, nur fort! Und fer verfchwiegen. Zwar 
Du weißt ja nicht. Um fo viel beſſer. Komm! 
(Mit dem Diener ab.) 
Der Vorhang fällt. 


— — — 5 — — U iss 





Dritter Aufzug. 


Garten im königlichen Luſtſchloß; im Hintergrund fließt ber 
Tajo, nach vorn auf der rechten Eeite eine geräumige Laube. 


Lints in einer Reihe mehrere Bittfteller, Geſuche in der Hand; 
Iſaak fteht bei ihnen. 


3faak. 
Es ward euch ſchon gejagt, hier mweilt man nicht, 
Hier geht demnächſt luſtwandeln meine Tochter, 
Und er mit ihr, er jelbft; ich ſag' nicht, wer, 
Erzittert denn und geht, und eure Schriften 
Tragt zu des Königs Räthen nad) Toledo. 

(Er nimmt dem Einen feine Schrift ab.) 
Laß fehn. — Unftatthaft, fort. 
Bittfieller. 
Ihr haltet’3 ja verkehrt. 

Sfaak. 
Weil eben auch verkehrt die ganze Bitte 
Und jo auch ihr. Stört hier nicht länger, fort. 

öweiter Bittfteller. 

Herr Iſaak, hört! Ihr kennt mich von Toledo. 

Sfaak. 
Ich Tenn’ Euch nicht. In diefer leßten Zeit 
Sind fühlbar ſchwach geworben meine Augen. 





198 Die Züdin von Toledo. 


weiter Bittfteller. 
Nun fo kenn' ich denn Euch, und diefen Beutel, 
Den ihr verlort, ich ftel’ ihn Euch zurüd. 


3faak. 
Den ich verlor? D, ich erfenn’ ihn wieder, 
Bon grüner Seide, zehn Piaſter brin. 
Zweiter Bittfieller. 
Herr, zwanzig. 
Sfaak. 
Zwanzig? Nun, mein Aug ift gut, 
Nur mein Gedächtniß wird mitunter ſchwach. 
Und diefes Blatt enthält wohl die Erklärung 
Des ganzen Vorfalls, mo du fandſt und mie. 
Die Meldung an die hohe Obrigkeit 
ft nicht mehr nöthig, aber gib nur, gib. 
Beftellen wollen wir's an feinem Ort, 
Daß ruchbar dein Geruch von Ehrlichkeit. 
(Die Bittſteller Halten ihre Geſuche Hin, er ergreift mit jeder Hand 
eine Shrift und wirft fie zu Boden.) 
Mas e3 auch immer ſei, bier eure Antiwort. 
(Zu einem Dritten.) 
Du trägft hier einen Ring an deiner Hand, 
Der Stein ift gut, laß jehn. 
(Der Bittfteller gibt ihm den Ping.) 
Ein Faden zwar 
Entjtellt den reinen Glanz. Da nimm ihn iieber. 
(Er ftedt ihn an den eignen Finger.) 
Dritter Bittfieller. 
Shr ftecktet ihn an Eure Hand! 


3faak. 


An meine? 
Mahrhaftig ja, ich dacht’, ich gab ihn bir. 
Er iſt fo eng, ich martre mid) umfonft. 





Dritter Aufzug. 199 


| Dritter Bittfleller. 
Behaltet ihn, doch nehmt auch diefe Schrift. 
Tank 
i (fh mit dem Wing beſchäftigend). 

Ich nehme Beides denn, dir zum Gedächtniß. 
Der König fol den Ring, vielmehr die Schrift 
Ermwägen, troß dem Faden im Geſuch — 
Dem Faden in dem Steine — wollt' ich jagen. 
Nun aber alle fort — Sit bier fein Stod? 
Muß ich mich mit dem Chriſtenpöbel plagen? 


Sarceran if währenddem eingetreten. 


Ä Garceran. 
Glückauf, Ihr ſitzt im Rohr und ſtimmt die Pfeifen, 
Die Ihr Euch ſchneidet, find' ich, etwas hoch. 
Sfaak. 0 
Mir ift des Ortes Heimlichkeit vertraut, 
Der König ift nicht hier, er will nicht hier fein. 
Und wer ihn ftört — felbft hr, Herr Garceran, 
Ich muß Euch heißen gehn, es ift nicht anders. 
Garceran. 
Ihr juchtet früher nur nad) einem Stod; 
Wenn Ihr ihn findet, bringt ihn mir. Er ziemt, 
Scheint's, Eurem Rüden mehr, als Eurer Hand. 
3Taak. 
Nun braust Ihr auf. So feid ihr Chriften alle, 
Nur immer grade zu. Allein die Klugheit, 
Die Vorſicht, das geſchmeid'ge Warten fehlt. 
Der König unterhält ſich gern mit mir. 
Barceran. 
Langweiligkeit wird ſelbſt zur Unterhaltung, 
Wenn Langeweile vor fich jelber flieht. 


200 Die Judin von Toledo. 


Sfaak. 
Er ſpricht mit mir von Staat und Geldeswerth. 
Barreran. 
Sp rührt von Euch vielleicht die neue Orbnung, 
Nach der ein Dreier nur zwei Grojchen gilt? 
Sfaak. 
Geld, Freund, ift aller Dinge Hintergrund. 
Es droht der Feind, da Fauft Ihr Waffen Euch, 
Der Söldner dient für Sold, und Sold tft Gelb. 
hr eßt das Geld, Ihr trinkt’, denn was Ihr eßt, 
Es iſt gefauft, und Kauf ift Geld, fonft nichts. 
Die Zeit wird fommen, Freund, wo jeder Menſch 
. Ein Wechfelbrief, geftellt auf kurze Sicht. 
Sch bin des Königs Rath. Wenn hr nun felber 
Einträchtig molltet gehn mit Iſaaks Glück — 
Garceran. 
Einträchtig ih mit Euch? Es ift mein Fluch, 
Daß mich der Zufall und ver leid'ge Anfchein 
Gemengt in biefer Thorheit wüſtes Treiben, 
Das Pflicht und Eid auf harte Proben ftellt. 
3faak. 
Mein Rachelchen fteigt täglich in der Gunft. 
Garreran. 
D, daß doch dieſer König feine Jugend, 
Der Knabenjahre haft'gen Ungeſtüm, 
In Spiel und Tand, wie Mancher fonft, verlebt! 
Allein als Kind von Männern nur umgeben, 
Bon Männern großgezogen und gepflegt, 
Genährt vorzeitig mit der Weisheit Früchten, 
Selbſt feine Ehe treibenn ala Geſchäft, 
Kommt ihm zum erften Mal das Weib entgegen, 
Das Weib als foldhes, nichts als ihr Gejchlecht, 
Und rächt die Thorheit an der Weisheit Zögling. 





Dritter Aufzug. 201. 


Das edle Weib ift halb ein Mann, ja ganz; 

Erft ihre Fehler machen fie zu Weibern. 

Und nun ift auch der Widerftand befiegt, 

Den die Erfahrung leiht dem oft Getäuſchten; 
Zum bittern Ernſt wird ihm das Iofe Spiel. 


Doch ſoll's nicht länger währen, ſag' ic) Euch. 
Der Feind fteht an den Gränzen, und der König ' 
Gehört zu feinem Heer, ich führ’ ihn bin, 

Und euer Blendwerk fällt zurüd ins Nichts. 


Sfaak. 

Verſucht's, ob's Euch gelingt. Wenn nicht mit ung, 
So ſeid Ihr gegen uns. Ihr breit ven Hals, 
Wenn Ihr den weiten Abgrund überfpringt. 
Muſik von Tylöten ertönt.) 

Hört hr, da Tommen’fie mit Cymbeln und Poſaunen, 
Wie Ahasverus mit dem Weibe Ejther, 
Die unfer Voll zu Glanz und Ruhm erhöht. 


Garceran. 
Muß ich in dieſes Königs üpp'gem Treiben 
Mein eignes Bild aus frührer Zeit erſpähn 
Und mich in ihm, in mir mich ſeiner ſchämen? 


Ein Schiff, auf dem der König mit Rahel und Gefolge, erſcheint 
auf dem Fluſſe und legt an. 


König 

Legt an! Hier ift der Platz und hier die Laube. 
Rahel, 

Der Nachen fehüttert. Haltet ein, ich falle. 

(Der König ift and Land gejprungen.) 

Rahel. 

Und bier auf diefem Brett, das ſchwank und ſchräg, 

Soll ih ans Ufer? 


202 Die Jüdin von Toledo, 


König. 
Hier nimm meine Hand. 
Rahel. 
Nein, nein, mir ſchwindelt. 
Garceran (vor fig). 
Schwindelt's bir, fürwahr? 
Mönig (der fie and Land geleitet). 
| Nun iſt's geſchehn, das übergroße Werk. 
Rahel. 
Nein, nie betret’ ich, nimmermehr ein Schiff. 
(Des Königs Arm ergreifend.) 
Erlaubt, mein hoher Herr. Ich bin fo Schwach, 
Und fühlt mein Herz, es fchlägt, als wär's im Fieber. 
Aönig. 
Die Furcht tft Weiberreht. Doch Ihr mißbraucht's. 
Rahel. 
Und nun entzieht Ihr mir hartherzig Eure Stüße, 
Auch diefes Gartens Gänge, nicht mit Sand, 
Mit Icharfen Steinen find fie roh beftreut, 
Für Männertritt und nicht für Frauenjchritte. 
| König. 
Legt einen Teppich ihr und madt ein Ende. 
Rahel. 
Sch fühl’ es wohl, ich bin Euch nur zur Laſt. 
D, wäre meine Schweiter nur erjt hier. 
Denn ich bin Frank und ſterbens-todesmatt. 
Nur diefe Kiffen hier? 
(Die Kiffen in der Laube heftig untereinander werfend.) 
Nein! nein, nein, nein! 
Aönig (lachend). 
Die Mattigkeit zum Glück läßt etwas nach. 
(Garceran erblickend.) 


Ach, Garceran! Sieh nur, ſie iſt ein Kind! 











Dritter Aufzug. 203 


Garreran. 
Ein jehr verwöhntes, ſcheint's. 
König. 
So find fie alle. 
Es jteht ihr wohl. 
Barreran. 
Nachdem nun der Gefchmad. 
König. 
Sieh, Garceran, ich fühle ganz mein Unrecht; 
Doch weiß ih auch, daß eines Winfes nur, 
Es eines Worts bedarf, um dieſes Trauerfpiel 
Zu löfen in fein eigentliches Nichte. 
Und alſo duld’ ich es, ‚weil ich’3 bebarf 
In dieſen Wirren, die ich ſelbſt verfchuldet. 
Wie ſteht's im Heer? 
| Garceran. 
Wie Ihr ſeit länger wißt. 
Die Feinde rüſten ſich. 
| König. 
Wir wollen’? auch. 
Nur noch ein Tage drei, daß dieß Getänbel 
Als abgethan ich aus dem Innern weile, 
Und zwar für immer, wenn fommt Beit und Rath. 
GBarreran. 
Der Rath vielleicht, allein die Zeit entflieht. 
König. 
Wir holen fie mit Thaten wohl noch ein. 
Rahel. 
Nun fprechen fie, und ach, ich weiß, wovon, 
Von Blut, von Krieg, von wüſter Heidenſchlacht, 


Und Sener dort verfchwört fich gegen mich; 
Lockt feinen Heren ins Lager fern von bier, 


204 Die Züdin von Toledo. 


Daß frei der Weg zu mir für meine Feinbe. 
Und do, Herr Garceran, ich hab’ Euch lieb; 
Ihr wißt mit zarten Frauen umzugehn, 
Man Sprit von Eurer Liebe kühnem Werben, 
Bon Euren Thaten in der Minne Streit. 
hr ſeid nicht wie der König, Euer Herr, 
Der rauh felbft in der Zärtlichleit Begegnung, 
Der jeves milde Wort fogleich bereut, 
Und deſſen Neigung ein verjtechtes Hafjen. 
Kommt her, fett Euch zu mir, ich möchte fprechen, 
Nicht einfam fein in all dem lauten Schwarm; 
Allein Ihr kommt nicht, wohl, man hält Euch ab. 

(Weinend.) 
Man gönnt mir feine Freude, feinen Troft, 
Hält mich in abgeſchiedner Eflaverei. 
Wär’ ich exit nur daheim in Vaters Haufe, 
Wo Alles mir zu Willen und zu Dienft, 
Indeß ich hier ein Wegwurf der Verachtung. 

König. 
Geh bin zu ihr. 

Barreran. 
So ſoll ih? 
König. 
Geh nur, geh! 

Rahel, 
Setzt Euch zu mir, nur näher, näher, jo. 
Noch einmal, Garceran, ich hab’ Euch lieh. 
Ihr feid ein ächter Ritter in der That, 
Nicht nur dem Namen nad), wie ſie's gelernt, 
Die ftolgen, eijernen Kajtilier, 
Bon ihren Feinden, von der Mauren Volt; 
Nur dag, was jene zierlich und gefchidt 
Als Ausdrud üben angebornen Sinns, 


Sn 


Dritter Aufzug. 205 


Sie rauh und derb nachahmen, meil geborgt. 
Gebt mir die Hand, ſieh doch, wie ift fie weich, 
Und doch führt Ihr das Schwert, wie jene Andern. 
Nur ſeid Ihr heimisch auch im Fraungemach, 
Ihr wißt, was Brauch und heitre Umgangsfitte. 
Hier diefer Ring ift wohl von Doña Klara, 

Die viel zu bleich für wangenfriſche Liebe, 

Mär’ nicht die Farbe, die dem Antlit fehlt, 
Erjegt durch ſtets erneutes Schamerröthen. 

Doc bier ſeh' ich noch andre Ringe mehr, 

Wie viel habt Ihr Geliebte? nun — geiteht. 


Garceran. 

Wie, wenn ich Euch dieſelbe Frage ſtellte? 

Rahel. 
Ich habe nie geliebt, doch könnt' ich lieben, 
Wenn ich in einer Bruſt den Wahnſinn träfe, 
Der mich erfüllte, wär' mein Herz berührt. 
Bis dahin mach' ich die Gebräuche mit, 
Die hergebracht im Götzendienſt der Liebe, 
Wie man in fremden Tempeln etwa kniet. 

König 

(der während des Borigen von vorn nah rückwäris auf und nieder 


gegangen ift, jet linf3 im Borgrunde zu einem der Diener gewende 
balblaut). 


Bring meine Waffen, eine volle Rüftung, 

Abſeits zum Gartenhaus und harre mein. 

Sch will ing Lager, mo man mein bebarf. 
(Diener ab.) 


Rahel. 
Seht Euren König nur. Er glaubt, zu lieben, 
Und doch fprech’ ich zu Euch, drüd’ Euch die Hand. 
Ihn kümmert's nicht, und wie ein guter Hauswirth 
Bollbringt er den gefchäftig lauten Tag, 


206 ’ Die Jüdin von Toledo, 


Zufrieben, fchließt der Abend nur die Rechnung. 

Geht nur, Ihr ſeid wie er und wie die Andern alle. 

Wär’ meine Schweiter bier, fie tft befonnen _ 

Und flüger weit als ich; doch fällt der Funke 

Bon Willen und Entihluß in ihre Bruft, 

Dann Iodert fie in gleichen Flammen auf. 

Wär’ fie ein Mann, fie wär! ein Held. Ihr Alle 

Erläget ihrem Blid und ihrem Muth; 

Ich will indeß nur jchlafen, bis fie kommt. 

Bin ich doc) jelbit ein Traum nur einer Nat. 
(Sie legt den Kopf auf den Arm und diefen auf die Kiffen.) 


Barreran 
(zum König tretend, der ftehen geblieben ift und auf die Ruhende 
hinſchaut). 
Erlauchter Herr! 
König 


(no immer binblidend). 
Wie meinft du? 
Garreran. 
Wenn's genehm, 
Kehr’ ich zurüc ins Lager zu dem Heer. 
König (wie oben). 
Das Heer verließ das Lager, und warum? 
Barceran. 
Ihr hört mich nicht. Ich felber will dahin. 
König. 
Und wirft erzählen dort von meinen Schwächen. 


Garceran. 
Wovon? 


König. 
Bon mir, von Dem, was bier gejchab. 
Garreran. 
Dazu müßt’ ih vor Allem es verftehen. 


Dritter Aufzug. 207 


König. 
Sa fo! Glaubit du an Zauberei? 
Garcteran. 
Beinahe. 
Seit Kurzem, Herr! 
= König. 
Und weßhalb nur ſeit Kurzem? 
Garceran. 


Man liebt doch ſonſt nur, was man achtet auch; 


Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr — 
König. 

Beratung wär’ ein viel zu hartes Wort. 

Nichtachtung etwa, doch bleibt’3 wunderbar. 

Barreran. 

Das Wunder freilich ift ein wenig alt 

Und ftammt von jenem Tag im Paradies, 

Wo Gott das Weib fchuf aus des Mannes Rippe. 
König 

Doc ſchloß er auch die Bruft, nachdem’3 gefchehn, 

Und gab den Eingang in die Hut des Willens. 


Du folljt zum Heer, doch nicht allein, mit mir. 


Rahel (ich emporrigtend). 
Die Sonne fchleiht ſich ein in mein Verſteck, 
Wer ſchürzt den Vorhang mir nach jener Geite? 
(Rechts in die Scene blidend.) 
Dort gehn zwei Männer, ſchwere Waffen tragend, 
Die Lanze paßte gut für meinen Zweck. 
“ (In die Scene rufen.) 
Hierher! nach bier! Hört ihr denn nicht? und fchnell! 
(Der abgefendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und 
Lanze, der andre Schild und Bruſtharniſch des Königs tragen, fommen.) 


| Rahel. 
Gobt Eure Lanze, guter Mann, und ſtoßt fie 


208 Die Jüdin von Toledo, 


Hier mit der Spitze in den Boden ein, 
Damit dag Dad) geſtützt nach jener Seite 
Und breiter dann der Schatten, wie er fol — 
— Macht Ihr's? — Nun gut! — Und jener Zweite, 
Er trägt, der Schnede gleich, fein eignes Haus, 
Wenn's nicht vielmehr das Haus für einen Andern. 
— Beil’ her den Schild! — Ein Spiegel in der That! 
Zwar rauh, wie Alles hier, doch dient's zur Noth. 
(Der Schild wird ihr vorgehalten.) 
Man bringt das Haar in Ordnung, meist zurüd, 
Was forglos fich zu mweit hervorgewagt, 
Und freut ſich, daß ung Gott fo löblich ſchuf. 
Allein die Wölbung bier entftellt. Hilf, Himmel! 
Was für gedunſ'ne Baden. Nein, mein Freund, 
Wir find zufrieden mit der eignen Fülle. 
— Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg, - 
Denn er verhüllt, was fiegreich meift, die Augen; 
Doch wie gefchaffen für der Liebe Streit. 
Setzt mir den Helm aufs Haupt! — Ach, ihr verlegt 
mid. — 
Empört fi) der Geliebte und wird ftolz, 
Den Helmjturz nieder | 
(Das Viſir herablaffend.) 
Und er fteht in Nadt. 
Doch wollt! er etwa gar ſich uns entziehn, 
Schidt nach dem Heergeräth, uns zu verlajien, 
Hinauf mit dem Viſir. 
(Sie thut es.) 
Es werde Licht. 
Die Sonne ſiegt, verſcheuchend alle Nebel. 
König 
(auf ſie zugehend). 
Du albern ſpielend, thöricht-weiſes Kind. 


Dritter Aufzug. 209 


Rahel, 
Zurüd! — Gebt mir den Schild, gebt mir die Lanze; 
Man naht mir mit Gewalt. Ich ſchütze mich. 
König. 
Stred deine Waffen nur! Dir naht fein Arg. 
(Ihre beiden Hände faflend.) 


Efther kommt von rüdwärts links. 


Rahel. 

Ah du, mein Schweiterlein! Sei mir gegrüßt! 
Fort mit der Mummerei! Nur fehnell, nur fchnell! 
hr reißt den Kopf mir mit! Seib ihr nicht tölpiſch! 

(Ihr entgegeneilend.) 
Willkommen noch einmal, o Schweſter mein, 
Wie hab' ich mich geſehnt nach deiner Nähe! 
Und bringſt du mir das Armband und die Spangen, 
Die Salben mir und Wohlgerüche mit, 
Die in Toledo feil und ich beſtellt? 


Eſther. 
Ich bringe ſie zugleich mit ſchwerern Dingen, 
Mit übler Nachricht, die gar böſer Schmuck. 


Erlauchter Herr und Fürſt! Die Königin 
Hat von Toledo's Mauern ſich entfernt 
Nach jenem Luſtſchloß, wo zum erſten Mal 
Zu unſerm Unheil, Herr, wir Euch geſehn. 

(Zu Garceran.) 

Zugleich mit ihr ging Euer edler Vater, 
Manriquez Lara, rings mit offnen Briefen 
Beſcheidend all des Reiches Standesherrn, 
Um zu berathen das gemeine Beſte. 
Als wäre herrenlos das Königreich 
Und Ihr geſtorben, der Ihr Herr und König. 

Grillparzer, Werke. VII. 14 


210 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Ich denke wohl, du träumtft. 
Efther. 
Ich wache, Herr. 
Vor Allem für das Leben meiner Schweſter, 
Die man bedroht und die zuletzt das Opfer. 
Rahel. 
O weh mir, weh! Bat ich Euch denn nicht längſt, 
Zu ſcheiden, Herr, zurückzugehn an Hof 
Und dort zu ſtören meiner Feinde Trachten. 
Allein Ihr bliebt. Seht, hier ſind Eure Waffen, 
Der Helm, der Schild und dort der lange Speer, 
Ich ſammle ſie. — Doch ich vermag es nicht. 
König (su Eſther). 
Sorg' du für jene Thörin, die fich zehn Mal 
In jedem Athemzuge widerſpricht. 
Sch will an Hof; doch brauch’ ich Feiner Waffen ; 
Mit offner Bruft, mit unbewehrtem Arm 
Tret' ich in meiner Unterthanen Mitte 
Und frage: Wer jich aufzulehnen wagt? 
Sie follen wiflen, daß ihr Herr noch lebt 
Und daß die Sonne tobt nicht, wenn e3 Abend, 
Daß fie am Morgen neu fi ftrahlend hebt. 
Du folgft mir, Garceran. 
Garceran. 
Seht mich bereit. 
Eſther. 
Doch, Herr, was wird aus uns? 
Rahel. 
O, bleibt doch, bleibt! 
König. 
Das Schloß iſt feſt, der Kaſtellan bewährt, 


7 


Dritter Aufzug. 211 


Er wird Euch fchügen mit dem eignen Leben. 
Denn fühl ich gleich, daß ich, wie fehr, gefehlt, 
Soll Niemand drunter leiden, der, vertrauend 
Auf meinen Schuß, jo Schub als Fehl getheilt. 
Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus; 
Denn fänd’ ich jene Stände noch verfammelt, 
Bon mir berufen nicht und nicht bereditigt, 
So müßt’ ich ſtrafen, und das will ich nicht. 
Drum heiß fie ſchnell nur auseinandergehn. 
Und deinem Vater fag: War er mein Schüber 
Und mein Vertreter in der Knabenzeit, 
Sp weiß ich jelber nun mein Recht zu ſchützen, 
Auch gegen ihn und gegen Jedermann. 
Komm nur! Und ihr lebt wohl! 
Rahel (ich ihm nähernd). 
Erlauchter Herr! 
König. 
Laß jetzt! Ich brauche Kraft und feiten Willen 
Und möchte nicht im Abſchied mich erweichen. 
Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt; 
In welcher Art, und mas die Zufunft bringt, 
Hült Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall 
Set! id) mein Wort an mern Schirm und Schuß. 
Komm, Garceran! Mit Gott! Er fei mit euch! 
(Der König und Garceran nad der linten Seite ab.) 
Rahel. 
Er liebt mich nicht, ich hab’ es längſt gewußt. 
Efther. 
D Schweſter! nutzlos ift das fpäte Wiſſen, 
Das fommt, wenn ung der Schade fchon belehrt. 
Ich warnte dich, du haſt mich nicht gehört. 
Rahel. 
Er war fo heiß und feurig im Beginn. 





212 Die Jüdin von Toledo. 
Efiher. 

Nun gleicht er fühl die Uebereilung aus. 
Rahel, 


Mas aber wird aus mir, die ich vertraut? 
Laß ung entfliehn! 
Eſther. 
Die Straßen ſind beſetzt, 
Das ganze Land in Aufruhr gegen uns. 
Rahel. 
So ſoll ich ſterben denn, und bin noch jung 
Und möchte leben noch. Zwar leben nicht, 
Nein, todt ſein unverwarnt und unverhofft. 
Der Augenblick des Sterbens nur erſchüttert. 
(An Eſthers Halſe.) 
Unglücklich bin ich, Schweſter, rettungslos! 
(Nah einer Pauſe, mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.) 
Und ift das Halsband auch mit Amethyften, 
Das du gebracht? 
Eſther. | 
Es iſt, mit Perlen aud, Ä 
Sp bell wie deine Thränen und fo reichlid. | 
Rahel. 
Ich will e8 gar nicht jehn. Nur Später etwa, 
Wenn unfre Haft fich dehnt zu längrer Zeit, 
Berftreuung beifcht das ew'ge Einerlei, 
Verſuch' ich es und ſchmücke mich zum Tod. 
Doc) jieh, wer naht? — Ha, ba, ba, ha! Fürwahr, 
Iſt's unfer Vater nicht? und zwar im Harniſch. 


Mi __.. 


Iſaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Bruftbarnifc 
unter feinem langen Rod, kommt von ling. 


Sfaak. 
Sch bin’3, der Vater der ungerathnen Kinder, 


Dritter Aufzug. 213 


Die meinen Tag verfürzen vor der Zeit. 

In Harniſch, ja! Drobt denn der Mörder nicht? _ 

Schützt fich der Leib von jelber vor dem Dolch? 

Ein unverjehner Schlag zerſchellt den Kopf. 

Auch birgt der Harniſch mir die Wechfelbriefe, 

Die Taſchen tragen das erfparte Gold; - 

Das grab’ ich ein und ſchütze Leib und Seele 

Bor Armuth und vor Tod. Und lacht ihr mein, 

Sp geb’ ich euch den Fluch des Patriarchen, 

Der Iſaak hieß, mie ich; ihn, mit der Stimme 

Des frommen Jakob und mit Eſau's Händen, 

Nur mit verfehrtem Recht der Erftgeburt. 

Ich forg um mid. Was fümmert ihr mich länger! 

Horch! 
Rahel. 

Welch Geräuſch? 


Eſther. 
Man zieht die Brücken auf. 

Schub und Gefängniß tft uns nun dieß Schloß. 

Rahel. 
Ein Zeichen, daß der König aus den Thoren. 
Sp eilt er fort! Wird er auch wieberlehren? 
Ich fürdte: Nein! Das Aeußerſte befürcht' ich. 

(An Eſthers Bruft finfend.) 

Und hab’ ihn, Schweiter, wahrhaft doch geliebt. 


Der Borhang fällt. 


Dierter Aufzug. 


Saal mit einem Thronfite rechts im Vordergrund. 


Daneben in gleiher Reihe nad links laufend mehrere Stühle, auf denen 
acht oder zehn Faftilifche Standesherren fiten. Dem Thron zunächſt 
Manriquez de Lara, der aufgeflanden iſt. 


Manriguez. 
Sp find wir denn in Trauer bier verfammelt, 
Nur Wenige, fofern die kurze Frift, 
Verbunden mit der Nähe feines Sites, 
Die Möglichkeit zur Ankunft Jedem bot. 
Es finden Mehrere ſich fpäter ein; 
Doc jetzt ſchon heißt für voll uns zu erachten 
Die dringende, die allgemeine Noth, 
Die feinen Auffchub gönnt. Bor Allem fehlt 
In unferm erniten Kreis Derjenige, 
Sn dejlen hohem Recht nicht nur der Vorſitz, 
Selbſt die Berufung jteht zu ſolchem Rath, 
So daß halb rechtlos ſchon wir im Beginn. 
Dephalb nun war ich, edle Herrn, bevadıt, 
Zu laden unſrer Königin Majeität, 
Sp ſchwer fie trifft der Inhalt der Beſprechung, 
Zu nehmen ihren Sit dort unter uns; 
Damit wir willen, daß nicht herrenlos, 
Daß nicht aus eigner Willfür mir verfammelt. 





Vierter Aufzug. 215 


Der Gegenftand nun unſers heut’gen Raths 

Sit, hoff und fürcht' ich, Allen fchon befannt. 
Es hat der König, unfer hoher Herr, 

Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur, 
Nein, au an Gaben, fo dag, ſchaun wir rüdmwärts 
In unfrer Vorzeit aufgefchlagnes Bud, 

Mir Jeines Gleichen faum noch ein Mal finden, 
Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten, 

Hat fie einmal vom Wege fich verirrt, 

Den Fehler auch mit gleicher Stärfe will — 

Es hat der König fih vom Hof entfernt, 

Verlockt von eines Weibes üpp’gem Sinn, 

Was und zu richten keineswegs geziemt. — 

— Die Königin! — 


Die Königin, von Dota Clara und einigen Damen begleitet, 

tritt von der rehten Seite auf, und nachdem fie den Standesherren, 

die fih erhoben haben, durd eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre 
Pläße zu nehmen, ſetzt fie fih auf den Thronſeſſel. 


Manriquez. 
Erlaubt Ihr, hohe Frau? 
Königin (leife). 


Fahrt fort! 
Manriguez. 

Ich mwiederhole denn mein Früh'res: 
„Bas und zu richten keineswegs geziemt.“ 
Doch rüftet fi der Maure an den Gränzen 
Und droht mit Krieg dem fchwerbedrängten Land; 
Da ift des Königs Recht zugleich und Pflicht, 
Mit felbit berufnem und geworbnem Heer 
Entgegen ſich zu ftemmen der Gefahr. 
Allein der König fehlt. Zwar wird er fommen, 
Sch weiß. Wär es auch nur, dieweil er zürnt 
Ob unferer Verfammlung Eigenmadt. 


216 Die Judin von Toledo. 


Doch bleibt der Grund, der ihn von ung entfernt, 
So kehrt er wieder in die alten Bande, 
Und mir find eben, nad) wie vor, vermwaift. 
Beliebt? 

(Die Königin bedeutet ihn, fortzufahren.) 

Da muß vor Allem denn die Dirne fort. 
Da liegt denn manch ein Vorſchlag etiva vor. 
Die Einen wollen fie mit Gold erfaufen, 
Die Andern fie gefangen aus dem Land 
In weit entlegenen Gewahrſam jenden. 
Doch Gold hat auch der König, und ob fern, 
Die Macht weiß wohl zu finden, was ſie ſucht. 
Ein dritter Vorſchlag — 

(da die Königin aufgeſtanden iſt) 


Edle Frau, mit Gunſt. 

Ihr ſeid zu mild für unſer hart Geſchäft, 
Und Eure Güte, durch fein feſtes Wollen 
Bon Zeit zu Zeit gefräftigt und erneut, 
Hat unfern Heren vielleicht zumeift entfernt. 
Ich tadle nicht, ich ſage nur, was it. 
Deßhalb begebt Euch nur der eignen Meinung. 
Zwar, wenn Ihr reden wollt, mohlan, fo ſprecht. 
Welch Blumen: Schidfal, welche Schmeichelftrafe, 
Glaubt Ihr dem Fehl der Bubhlerin gemäß? 

Rönigin (feife). 
Den Tod. 

Manriquez. 

Fürwahr? 
Königin Geſtimmter). 
Den Tod. 
Manriquez. 
Ihr hört's, ihr Herren! 





"F 


Vierter Aufzug. 


Das mar der dritte Antrag, ben ich) früher, 
Obgleich‘ ein Mann, nicht auszusprechen tagte. 
Königin. 
Iſt denn die Ehe nicht das SHeiligfte, 
Dar fie zu Recht erhebt, was ſonſt verboten, 
Und, was ein Abſcheu jedem Wohlgeſchaffnen, 
Yufnimmt ind Neich der gottgefäll’gen Pflicht? 
Die andern Satzungen des höchſten Gottes 
Verftärfen nur den Antrieb eines Guten; 
Doch was fo ftark, daß es die Sünde abelt, 
Muß mächt'ger fein, als jegliches Gebot. 
Dagegen hat nun dieſes Weib gefrevelt. 
Währt aber meines Gatten Fehltritt' fort, 
So war ich felbft in all der frühern Zeit 
Nur eine Sünderin, und nicht ein Weib, 
Und unjer Sohn ein mißgeborner Ausmwurf, 
Sid felber Schande und den Eltern Schmad). 
Seht Schuld Ihr in mir felbft, fo tödtet mid). 
Ich mil nicht leben, wenn mit Schuld befledt. 
Dann mag er aus den Königstöchtern rings 
Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür, 
Nicht das Erlaubte mwohlthut feinem Sinn. . 
Doch ift dieß Weib ver Schandfled diefer Erbe, 
So reinigt Euren König und fein Land. 
Ich ſchäme mich, daß ich vor Männern ſpreche, 


Und was kaum ſchicklich auch; doch zwingt die Noth. 


Manriquez. 
Doch wird der König es, und wie ertragen? 
Königin. 
Er wird wohl, weil er fol und darum muß. 
Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mörbern; 
Bor Allem treff er mich in diefe Bruft. 
(Sie ſetzt ſich.) 


218 Die Jüdin von Toledo. 


Manriquez. 
Es iſt kein andrer Ausweg, muß ich ſagen. 
Es ſterben in der Schlacht die Edelſten, 
Und eines bittern grauenhaften Tods; 
Von Durſt verſchmachtend, unter Pferdeshufen 
In jedes Schmerzes ſchärferer Verdopplung, 
Als je ein Sünder auf dem Hochgericht. 
Die Krankheit rafft die Beſten täglich fort, 
Gott geizt mit ſeiner Menſchen Leben nicht; 
Und ſoll man ängſtlich ſein, da wo ſein Wort, 
Die heil'ge Ordnung, die er ſelbſt geſetzt, 
Den Tod des Einen fordert, der gefrevelt. 
Wir wollen insgeſammt den König angehn, 
Ihn bitten, zu entfernen jenen Anſtoß, 
Der ihn von uns und uns von ihm entfernt. 
Und weigert er's, dann walte blut'ges Recht, 
Bis wieder Eins der Fürſt und das Geſetz, 
Und wir dann Beiden in dem Einen dienen. 


Ein Diener kommt. 


Bicner. 
Don Oarceran. 
Manriquez. 
Und wagt es der Verräther? 
Sagt ihm — 
Diener. 
Im Auftrag Seiner Majeftät. 
Manriquez. 
Das iſt ein Anderes, und wär's mein Todfeind, 
Er hat mein Ohr, ſpricht er des Königs Worte. 


Garceran tritt ein. 


Manrigurz. 
Sagt Euern Auftrag und dann? Gott befohlen. 


Vierter Aufzug. 


Barreran. 
Erlauchte Königin und Ihr, mein Vater, 
Zugleich ihr Andern, diefes Landes Beite, 
Ich fühl! am heut'gen Tag wie niemals fonft, 
Daß das Bertraun, der Güter Zöftlichites, 


Und Zeichtfinn, wenn auch Teiner Schuld bewußt, 


Berderblicher und lähmender als Schuld; 
Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht, 
Der Leichtfinn aber alle jtellt in Ausficht. 


Und fo, am heut’gen Tag, ob rein mich fühlend, 


Steh’ ich als ein Bemalelter vor Euch, 

Den Unbevadht abbüßend meiner Jugend. 
Manriquez. 

Davon ein ander Mal. Jetzt Euern Auftrag. 
Garceran. 

Der König löſt durch mich den Landtag auf. 
Manriquez. 

Und gab er denn, da er den Leichtſinn ſandte, 

Nichts Feſtes ihm als Bürgſchaft auf die Reiſe, 

Kein ſchriftlich Wort zumeiſt von ſeiner Hand? 
Garceran. 


. Er folgt mir auf dem Fuß. 


Manriquez. 
So viel genügt! 

Und alſo löſ' ich in des Königs Namen 
Die Reichsverſammlung auf. Ihr ſeid entlaſſen. 
Doch hört ihr meinen Wunſch und meinen Rath, 
So kehrt noch nicht zurück in eure Häuſer, 
Vielmehr harrt in der Nähe, rings vertheilt, 
Bis klar, ob Don Alfonſo unſer Amt, 
Ob uns obliegt, das ſeine zu vertreten. 

(Zu Garceran.) 


Ihr aber, ſo gewandt in Fürſtendienſt, 


219 





220 Die Judin von Toledo. 


Seid etwa Ihr zum Späher auch berufen, 

Sp meldet nur dem König, mas ich rieth, 

Und daß die Stände in der That gelöst, 

Doch auch bereit, zur That fich zu vereinen. 
Barreran. 

Noch einmal denn im Angeſicht von Allen 

Zehn’ ich die Schuld ab diejes wirren. Vorgangs. 

Mie Zufall nur mich aus dem Lager brachte, 

War's Zufall, daß der König mich erfah, 

Dieg Mädchen vor des Volles Muth zu ſchützen; 

Und mas durd Warnung, Gegenred’ und Grünbe 

Ein Mann vermag, um Unrecht zu verbüten, 

Hab’ ich verfucht, ob fruchtlog freilich wohl. 

Berachtet mich, wenn's anders, als ich fage. 

Und Dona Clara, Ihr, die ihr mir beftimmt 

Durch unfrer Väter Wunfch, der auch der meine, 

Zu bergen braucht Ihr nicht Eu’r edles Haupt. 

Zwar Eurer würdig nicht — ich war's wohl nie — 

Doch minder würdig nicht als fonft und jemals, 

Steh’ ih vor Euch und ſchwöre: Alfo iſt's. 
Manrigue:. 

Iſt's alfo denn, und feid hr noch ein Mann, 

Seid ein Kaſtilier, tretet unter ung 

Und führt mit uns des Vaterlandes Sadıe. 

Ihr ſeid befannt im Schloffe von Retiro, 

Der Hauptmann öffnet Euch, wenn Ihr's begehrt. 

Vielleicht ift jolch ein Einlaß ung von Nöthen, 

Wenn taub der König, unfer hoher Herr. 
Garceran. 

Nichts gegen meinen König, meinen Herrn. 
Manriquez. 

Ihr habt die Wahl. Folgt jetzt nur dieſen Andern, 

Vielleicht kommt Alles beſſer, als man glaubt. 


ur 


Vierter Aufzug. 921 
Diener, von links eintretend. 


Diener. 
Des Königs Majeftät ! 
Manrigurz 
(zu den Ständen, auf die Mittelthür zeigend). 
Nur bier hinaus! 
(Zu den Dienern.) 
Und ihr feßt diefe Stühle an die Wand. 
Nichts Fol ihn mahnen, daß man hier getagt. 
Rönigin 
(die vom Thron geftiegen). 
Es wankt mein Knie, und mir Steht Niemand bei! 
Manrigue:. 
Die Kraft war mit der Sitte fonft vereint, 
Doch wurden fie in jüngfter Zeit ſich feind. 
Die Kraft blieb bei der Jugend, mo fie war, 
Die Sitte floh zum altergrauen Haar. 
Nehmt meinen Arm. Wie ſchwankend aud die Schritte: 
Die Kraft entflob, doch treulich hielt die Sitte. 


(Er führt die Königin nad rechts ab. Die Stände mit Garceran haben 
fih durd die Mittelthür entfernt.) 


Der König kommt von der linken Seite, hinter ihm fein Knappe. 


Aönig. 

Der Braune, fagit du, hinkt? Nun, e3 ging 3 ſcharf, 
Doch hab’ ich feiner fürber nicht von Nöthen. 
Laß ihn am Zügel führen nad Toledo, 
Dort ftelt ihn Ruh als beite Heilung ber. 
Ich jelber will an meiner Gattin Seite 
Sn ihrer Kutſche mich dem Volle zeigen, 
Auf daß es glaubt, was es mit Augen Sieht, 
Daß abgethban der Zwiſt und die Zerwärfniß. 

(Der Knappe ab.) 


+ 


292 Die Jüdin von Toledo. 


Ich bin allein. Kommt Niemand mir entgegen? 
Nur kahle Wand und ſchweigendes Geräth. 
Hier haben fie vor Kurzem, fcheint’3, getagt. 
O, dieſe leeren Stühle fprechen lauter, 
Als Jene, die drauf ſaßen, es gethan. 
Allein was fol das Grübeln und Betrachten; 
Gut maden heißt es: Damit fang’ ih an. 
Hier geht’3 hinein zu meiner Frau Gemädern, 
Betret’ ich denn den unwillkommnen Weg. 

(Er nähert fih der Seitenthür rechts.) 


Allein die Thür verfperrt! — Hola, da drinnen, - 


Der König iſt's, der Herr in diefem Haus, 


Für mich gibt’3 bier fein Schloß und feine Thür. 


Eine Kammerfran tritt aus der Thür. 


König. 
Beriperrt ihr euch? 
Kammerfrau. 
Die Kön'gin, Majeſtät — 
(da der König mit ſtarken Schritten hin und ber geht) 
Die innre Thür auch hat fie jelbft verſchloſſen. 
König. 
Eindringen will ich nit. Sagt ihr denn an, 
Ich fei zurüd und laſſe fie entbieten — 
Vielmehr jagt: bitten, mie ich's jett gejagt. 
(Die Rammerfrau geht.) 
könig 
(dem Throne gegenüber). 
Du hoher Si, die andern überragend, 
Gib, daß mir niebriger nicht fein als du, 
Auch ohne jene Stufen, die du leihit, 
Das Map einhalten Dep, mas groß und gut. 


Vierter Aufzug. 293 
Die Königin kommt. 
König 
(ihr mit audgeftredter Hand entgegen gehend). 
Lenore, ſei gegrüßt! 
Königin. 
Seid uns willkommen! 
König. 
Und nit die Hand? 
Königin. 
Ich freu’ mid, Euch zu fehn. 
König: 
Und nidt die Hand? 
Rönigin 
‚(in Thränen ausbredend). 
D Gott und Bater! 
König. 
Lenore, diefe Hand tft nicht verpeitet. 
Zieh’ ich in Krieg, wie ich denn foll und muß, 
Sp wird fie Feindes Blut vollauf bebeden, 
Doch klares Waſſer tilgt die Makel aus, 
Und rein mwerb’ ich fie bringen zum Willkomm. 
Das Wafler nur der Zörperlichen Dinge 
Hat für die Seelen geiftigen Erſatz. 
Du bift ala Chriftin glaubensſtark genug, 
Der Reue zuzutrauen ſolche Madıt. 
Wir Andern, die auf Thätigfeit geftellt, 
Sind fo beſcheidnem Mittel nicht geneigt, 
Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden, 
Ja, halb nur Furcht iſt eines neuen Fehls. | 
Wenn aber befres Wollen, freudiger Entſchluß 
Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt, 
Sp nimm’3, wie ich es gebe, wahr und ganz. 


2924 Die Jüdin von Toledo. 


Königin 
(beide Hände binhaltend). 
D Gott, wie gern. 
König. 
Ä Nicht beide Hände! 

Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner, 
Gibt man zum Pfand von Bündniß und Vertrag, 
Bielleicht um anzubeuten, nicht nur das Gefühl, 
Das feinen Sit im Herzen aufgefchlagen, 
Auch der Verſtand, des Menfchen ganzes Wollen 
Muß Dauer geben Dem, was man verfprad); 
Denn wechjelnd mie die Zeit ift das Gefühl, — 
Mas man erivogen, bleibt in feiner Kraft. 

Aönigin 

(die Rechte bietend). 

Auch Das! Mein ganzes Selbſt. 


König. 
Die Hand, ſie zittert. 

(Sie loslafſend.) 
Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib. 
Und glaube nicht, weil minder weich ich ſpreche, 
Daß minder ich drum weiß, wie groß mein Fehl, 
Und minder ich verehre deine Güte. 

Königin. 
Verzeihn iſt leicht. Begreifen iſt viel ſchwerer. 
Wie es nur möglich war? Ich faſſ' es nicht. 


König. 

Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder, 
Als ſolche hat man einftens uns vermählt, 
Und wir, mir lebten fort ala fromme Kinder; 
Doc Kinder wachſen, nehmen zu an fahren, 
Und jebes Stufenalter der Entwidlung, 

Es fündet an ſich durch ein Unbehagen, 

8 














Vierter Aufzug. 225 


Wohl öfters eine Krankheit, die und mahnt, 

Wir fein diefelben und zugleich auch Andre, ” 

Und Andres zieme ſich im Nämlichen. 

So ift’3 mit unferm Innern auch beſtellt, 

Es dehnt ſich aus, und einen weitern Umkreis 

Beſchreibt es um den alten Mittelpunkt. 

Solch eine Krankheit haben wir beſtanden; 

Und ſag' ich: wir, ſo mein' ich, daß du ſelbſt 

Nicht unzugänglich ſeiſt dem innern Wachsthum. 

Laß uns die Mahnung ſtumpf nicht überhören! 

Wir wollen künftighin als Kön'ge leben, 

Denn, Weib, wir ſind's. Uns nicht der Welt verſchließen 

Noch Allem, was da groß in ihr und gut; 

Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung 

Des Abends heim in ihre Zellen kehren, 

Bereichert durch des Tages Vollgewinn, 

Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit, 

Nun doppelt ſüß durch zeitliches Entbehren. 

Käsnigin. 
Wenn du's begehrſt, ich ſelbſt vermiſſ es nicht. 
König. 

Du wirſt's vermiſſen dann in der Erinnrung, 

Wenn du erſt haſt, woran man Werthe mißt. 

Nun aber laß Vergangnes uns vergeſſen! 

Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn 

Den Weg verſperre ſich durch Dieß und Das, 

Durch das Gerümpel eines frühern Zuſtands. 

Ich ſpreche mich von meinen Sünden los, 

Du ſelbſt bedarfſt es nicht in deiner Reinheit. 

Königin. 

Nicht jo, nicht fo! D, wüßteſt du, mein Gatte, 

Was für Gedanken, ſchwer und unbeilvoll, 

Den Weg gefunden in mein banges Herz. 
©rillparzer, Werke. VI. 15 


Kg = wr 


226 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Wohl etwa Rachſucht gar? "Nun, um fo beſſer, 
Du fühlft dann, daß Verzeihen Menfchenpflicht 
Und Niemand ficher ift, auch nicht der Beſte. 
Wir wollen uns nicht rächen und nicht ftrafen ; 
Denn jene Andre, glaub, ift ohne Schuld, 
Wie's die Gemeinheit ift, die eitle Schwäche, 
Die nur nicht mwiberfteht und fich ergibt. 
ch felber trage, ich, die ganze Schuld. 

Königin. 
D, laß mich glauben, was mich hält und tröftet. = 
Der Mauren Bolt und AU, was ihnen ähnlich, 
Geheime Künjte üben fie, verruchte, 
Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, böfen Tränfen, 
Die in der Bruft des Menſchen Herz verfehren 
Und ihrem Willen machen unterthan. 

König. 
Umgeben ſind wir rings von Zaubereien, 
Allein wir ſelber ſind die Zauberer. 
Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah, 
Was wir verſchmäht, ſcheint andrer Zeit uns hold, 
Und in der Welt voll offenbarer Wunder 

Sind wir das größte aller Wunder ſelbſt. 


Königin. 





Sie hat dein Bild. 
König. 

Sie ſoll es wieder geben, 
Und heften will ich's ſichtlich an die Wand 
Und drunter ſchreiben für die ſpäten Enkel: 
Ein König, der an ſich nicht gar ſo ſchlimm, 
Hat ſeines Amts und ſeiner Pflicht vergeſſen; 
Gott ſei gedankt, daß er ſich wieder fand. 


Vierter Aufzug. 23237 


Königin. 
Allein du felber trägt an deinem Hals — 
König. 
Sa jo! ihr Bild? Ward dir Das au fchon fund? 


(Nimmt das Bild mit der Kette vom Halfe und legt e8 aufden Tiſch 
rechts im Vordergrund.) 


En leg’ ich es denn hin, und mög’ es Tiegen, 
Ein Bliß, der nicht mehr ſchädlich nach dem Donner. 
Das Mädchen aber felbit, fie ſei entfernt! 
Mag denn mit einem Mann fie ihres Volle — 
(von vorn nad rüdwärts auf und abgehend, in Abſätzen ftehen bleibend) 
Db Das zwar nicht. — Die Weiber diejes Stamms 
Sind leiblih, gut ſogar — Mlein die Männer 
Mit ſchmutz'ger Hand und engem Wucherfinn, 
Ein Solder fol das Mädchen nicht berühren. 
Am Ende hat fie Beflern angehört. — 
Allein mas kümmert's und? — Ob fo, ob fo, 
Wie nah, wie fern! Ste mögen felber forgen. 
Königin. 
Doch wirft du ſtark auch bleiben, Don Alfonfo? 
König 
(ſtehen bleibend). 
Sieh nur, du haft das Mädchen nicht gekannt. 
Nimm alle Fehler diefer weiten Erbe, 
Die Thorheit und die Eitelkeit, die Schwäche, 
Die Lift, den Trotz, Gefallfucht, ja, die Habjucht, 
Bereine fie, fo haft vu dieſes Weib. 
Und wenn ftatt Zauber räthſelhaft du's nennft, 
Daß jemals fie gefiel, fo ftimm’ ich ein 
Und ſchämte mich, wär's nicht natürlich wieder. 
(Geht auf und nieder.) 
Königin. 
D, nit natürlich, glaube mir, mein Gatte. 





228 Die Züdin von Toledo, 


Künig (fehen bleibend). 
Ein Zauber endlich ift, er beißt Gewohnheit, 
Der Anfangs nicht beftimmt, doch fpäter feithält ; 
Bon Dem, mas ftörend, wibrig im Beginn, 
Abftreift den Eindrud, der und nicht genehm, 
Das Fortgejegte fteigert zum Bebürfniß. 
Iſt's leiblich doch auch anders nicht beftellt, 
Die Kette, die ſie trug — und die nun liegt, 
Auf immer abgethan — ſo Hals als Bruſt, 
Sie haben an den Eindruck ſich gewöhnt, 

(ſich ſchüttelnd) 
Und fröſtelnd geht's mir durch die leeren Räume. 
Ich will mir eine andre Kette wählen. 
Der Körper ſcherzt nicht, wenn er warnend mahnt. 
Und damit nun genug! 
Doch daß ihr blutig 

Euch rächen wolltet an der armen Thörin, 


Das war nicht gut. 
(Zum Tiſch tretend.) 


Denn ſieh nur dieſe Augen — 
Nun ja, die Augen — Körper, Hals und Wuchs, 
Das hat Gott wahrlich meiſterhaft gefügt; 
Sie ſelber machte ſpäter ſich zum Zerrbild. 
Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren, 
Und nicht zerſtören, was er weiſe ſchuf. 
Rönigin. 
Berühr es nicht! 
König. 
Schon wieder denn der Unfinn! 
"Und wenn ich’3 nehme wirklich in die Hand, 
(er hat das Bild auf die Sand gelegt) 
Bin ich ein Andrer drum? Schling' ich die Kette 
Aus Scherz, um bein zu fpotten, um den Hals, 
(er t5ut’8) 


Bierter Aufzug. 229 


Das Bild, das dich erſchreckt, im Bufen bergen, 
Bin wieder ich Alfonſo, der es einfieht, 
Daß er gefehlt, und der den Fehl verdammt. 
Drum ſei's des Unfinns endlicd doch genug. 
(Er entfernt fih vom Tiſch) 
Königin. 
Allein — 
König 
(mild nad ihr blidend). 
Was iſt? 
Königin. 
D Gott im Himmel! 
König. 
Erfchried nicht, gutes Weib. Doch fei vernünftig 
‚Und miederhole mir nicht ſtets Daſſelbe, 
Es mahnt zulegt mid) an den Unterſchied. . 
(Auf den Tiſch, dann auf feine Bruft zeigend.) 
Dort jenes Mädchen — zwar jebt ift fie hier — 
War thöricht fie, jo gab fie ſich als ſolche 
Und mollte Hug nicht fein, noch fromm und fittig. 
Das ift die Art der tugendhaften Weiber, 
Daß ewig fie mit ihrer Tugend zahlen. 
Bilt du betrübt, fo tröften fie mit Tugend, 
Und bift du froh geitimmt, iſt's wieder Tugend, 
Die dir zulett die Heiterkeit benimmt, 
Wohl gar die Sünde zeigt als einz'ge Rettung. 
Was man die Tugend nennt, find Tugenden, 
Verſchieden, mannigfalt nach Zeit und Lage, 
Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl, 
Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug. 
Ich will die Kette nur vom Halfe legen, 
Denn fie erinnert mich — 
Und dann, Lenore, 


930 Die Züdin don Toledo. 


Daß du mit den Vaſallen dich verbünbet, 
Das war nicht gut, war unklug, mwibrig. 
Wenn du mir zürnit, bift du in deinem Recht; 
Doc diefe Männer, meine Unterthanen, 
Mas wollen fie? Bin ich ein Kind, ein Knabe, 
Der noch nicht weiß, mas er fich felber ſchuldet? 
Des Reiches Sorge theilen fie mit mir, 
Und gleiche Sorge, weiß ich, ift mir Pflicht. 
Doch ih, Mfonfo, ich, der Menſch, ver Mann 
In meinem Haus, in meinem Sein und Weſen, 
Schuld’ ich des Reiches Männern Redenjchaft? 
Nicht jo! Und Hört’ ich nichts als meinen Zorn, 
Ich kehrte raſch zurüd, woher ich kam, 
Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urtheil, 
Nicht ihrer Billigung ich unterthan. 

(Nad) vorn tretend und mit dem Fuß auf den Boden ſtampfend.) 
Und endlich diefer Alte, Don Manriquez, 
Wenn er mir Vormund war, ift er es noch? 


Don Manriguez erſcheint in der Mittelthür. Die Königin zeigt mit 
gerungenen Händen nad ihrem Gatten. Manriquez zieht ſich mit einer 
berubigenden Bewegung beider Hände zurüd. 


König. 

Erfühnt er fih, dem König vorzufchreiben 
Die hausgebadnen Lehren fginer Weisheit? 
Wohl gar zu heimlicher, verwegner That —? 

(In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.) 
Ich will Das unterfuchen, ich, ala Richter, 
Und zeigt fi) eine Spur nur von Vergehn, 
Bon frevelhafter Abjicht oder That, 
Je näher mir der Schuldige, ja nächſt, 
Nur um fo härter büß er fein Erfühnen. 
Nicht du, Lenore, nein, du bift entſchuldigt. 


(Die Königin bat fi mährend des Letzten leiſe durch die Seitenthür 
rechts entfernt.) 











Vierter Aufzug. 231 


Mo ging fie Hin? So läßt man mid allein? 
Bin ich der Thor in meinem eignen Haus? 

(Er nähert fi der Seitenthür rechts.) 
Ich mil zu ihr! — Die Thür verichlofien? 

(Die Thür mit einem Fußtritt fprengend.) 

| Auf! 

So nehm' ich mir im Sturm mein häuslich Glück. 
(Er geht hinein.) 


— 


Don Manriquez und Garceran erſcheinen in der Mittelthür. 
Lebterer macht einen Schritt über die Schwelle. 


| Manriquez. 
Willſt du mit uns? 
Garceran. 
Mein Vater! 
Manriquez. 
| Willſt du nit? 
Die Andern find voran, folgt du? 
GBarreran. 


Ich folge. 


(Sie ziehen fih zurüd, die Thüre geht zu.) 
Paufe. — Der König tommt zurüd. In der Stellung eines Horchenden. 
König. 
Horch wieder! — Es ift nichts, und Alles Stille — 
Die Zimmer meiner Gattin leer, verlaflen; 
Rückkehrend aber, in der Erferftube, 
Vernahm ich Lärm von Wagen und von Roſſen, 


Sn reißendem Galopp das Weite ſuchend. 
Bin ich allen? — He, Garceran! Reinero! 


Der Knappe kommt aus der Seitenthür tin, 
König. 
Mas ift? Was geht hier vor? 


l 


233 Die Züdin von Toledo. 


Anappe. 
Erlauchter Herr, 
Das Schloß iſt menfchenleer; Ihr felbit und ich 
Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner. 
| König. 
Die Königin? 
Anappe. 
Verließ das Schloß zu Wagen. 
König. 
Schon nad) Toledo. denn zurüd? 
Anappe. 
| Ich weiß nicht. 
Allein die Herren — | 
König. 
Welche Herrn? 
Knappe. 
Die Stände, 
Die ſich geſammt auf ihre Pferde ſchwangen, 
Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo, 
Vielmehr den Weg, auf dem Ihr ſelber kamt. 
König. | 
Ha! nach Retiro? Fällt's wie Schuppen doch 
Von meinen ſehenden und blinden Augen! 
Das iſt der Mord! Sie gehen, ſie zu tödten. 
Mein Pferd! Mein Pferd! 
Knappe. 
Das Eure, hoher Herr, 
Ward als gelähmt, wie ſelber Ihr befahlt — 
König. 
Nun denn ein andres, Garcerans, das beine. 
Anappe. 
Man hat die Pferde ſämmtlich meggebracht, 





Vierter Aufzug. 233 


Mit fih geführt, vielleicht gejagt ins Freie. 
Die Ställe find geleert, ſowie das Schloß. 
König. 
Sie denken, mic) zu überholen. Fort! 
Schaff mir ein Pferd, und wär's ein Adergaul, 
Es fol ihm Flügel leihen meine Rache. 
Und wenn's gefhah? — Dann, guter Gott, dann gib, 
Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Menſch 
Die Echuld beftrafe und die Schuldigen. 
Schaff mir ein Pferd! Sonft bift du einverjtanden 
Und zahlſt mit deinem Kopf, wie Mle, 
(an der Thür ftehen bleibend, mit heftiger Bewegung) 
Alle! 
(Er eilt fort.) 


Der Borhang fällt. 


Fünfter Aufzug 


Saal im Schlofie von Retiro, mit einer Mittels und zwei 
Seitenthüren. Ueberall Zeichen ber Zerftörung. Links im 
Vorgrunde ein umgeftürzter Pugtifch mit zerftreutem Geräthe. 
Rechts im Hintergrunde ein gleichfal3 umgeworfener Tiich, 
darüber ein Gemälde, halb aus dem Rahmen berauggerifien. 
In der Mitte des Gemachs ein Stuhl. Es ift dunkel. 


Von augen Hinter der Mittelmand Geräufh von Stimmen, Yuß- 
tritte und Waffengellirr. 


Stimmen von aufen. 
Es ift genug! 
Das Zeichen tönt! 
Zu Bferbe! 


(Die Stimmen und die Fußtritte entfernen fid.) 


Pauſe. — Dann kommt der alte Iſaak aus der Geitenthüre rechts, 
einen nachſchleifenden Teppich über den Kopf geftülpt, den er fpäter 
fallen läßt. 


3faak. 
Sie find nun fort? — Ich höre nichts. 
(Zurüdtretend.) 
Doch ja! — 
Nein, wieder nichts. Ich habe mich veritedt, 
Als fie nach Räuberart das Schloß durchfuchten. 


Fünfter Aufzug. 235 


Am Boden lag ich, in mich felbit gefrümnt, 
Und diefe Dede war mir Dach und Schirm. 
Doch nun wohn? — Was ich erfpart, erworben, 
Hab’ ich vorlängft im Garten eingefcharrt ; 

Das hol’ ich |päter, wenn der Lärm vorüber. — 
Wo ift die Thür? Wie vett” ich meine Seele? 


Efther tritt aus der Thüre links. 


3faak. 
Wer fommt? Weh mir! 
Efther. 
Geid Ihr's? 
Sfaak. 


Efther. 
Wie meinft du? Rahel? Eſther bin ih nur. 
Jſaak. 
Nur, ſagſt du, nur? Du, meine einz'ge Tochter, 
Die einz'ge, weil die beſte. 
Eſther. 
Sag vielmehr: 
Die beſte, weil die einz'ge. Alter Mann, 
So weißt du nicht vom heut'gen Ueberfall, 
Und weißt du nicht, wem all ihr Wüthen galt? 
3faak. 
Sch weiß es nicht und will eg auch nicht wiſſen, 
Sit Rahel doch entflohn, in Sicherheit. 
D, fie ift Hug — Gott meiner Väter! 
Was ſuchſt du mich, mich armen alten Mann, 
Und fprichft zu mir aus meiner Kinder Munbe? 
Sch aber glaub’ es nicht. Es ift nit. Nein. 


(Er finft am Stuhle in der Mitte der Bühne nieder, das Haupt da= 
gegen lehnend.) 


Biſt bu es, Rahel? 


236 Die Jüdin von Toledo. 


Efther. 
So jet denn ſtark durch feige Furchtſamkeit. 
Doch Ichelt’ ich Andre, was ich ſelber war. 
Als fie nun famen und, vom Schlaf erwacht, 
Ich bin zur Hülfe meiner Schmeiter eilte 
Ins legte ferne, innerite Gemach, 
Da faßt mich Einer an mit ſtarker Hand 
Und jchleubert mich zu Boden. Und ich Feige, 
Ich fiel in Ohnmacht, als es galt, 
Mein Leben für die Schwelter hinzugeben, 
Zu fterben wenigſtens zugleich mit ihr. 
Als ich erwachte, war die That gefchehn, 
Vergebens jedes Mittel der Belebung. 
Da konnt' ich meinen und die Haare raufen; 
Das ift die rechte Feigheit, Weiberart. 


3faak. 
Sie fagen Dieß und Das. Ich aber glaub’3 nicht. 


Eſther. 
Leih deinen Stuhl zum Sitzen, alter Mann; 
(Sie rüdt den Stuhl nad vorne.) 
Die Glieder werden ſchwach mir unterm Leib. 
Hier will ich bleiben und will Wache halten. 
(Sett ſich.) 
Bielleiht, daß Einem dünkt ver Mühe merth, 
Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte, 
Und fommt zurüd und töbtet, was noch übrig. 


Sfuak (am Boden). 











Mich nicht! mich nicht! Hier kommt ſchon Einer. Horch! 


Nein, Viele! — Schütze mich, ich flieh' zu bir. 

(Er flieht zu ihrem Stuhl, wo er ſich am Boden niederkauert.) 
Eſther. 

Ich will Euch hüten, einer Mutter gleich, 

Des altergrauten Vaters zweite Kindheit, 








. — 7 
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Fünfter Aufzug. | 237 


Und fommt der Tod, fo fterbt Ihr Finderlos, 
Ich geh’ voran und folge meiner Schwefter. 


In der Mittelthür erfcheint der König mit feinem Knappen, der 
eine Yadel trägt. 


| König. 
Dring’ ich noch meiter vor? Begnüg’ ich mid 
Mit Dem, mas ich ſchon weiß, eh ich’3 gejehn? 
Das ganze Schloß, zeritört, werheert, vermüftet, 
Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu: 
Es ift zu fpät, der Gräuel iſt gefchehn. 
Und Dep trägft du die Schuld, verruchter Zaudrer, 
Menn etwa gar nicht einverftanden aud). 
Allein du mweinit, und Thränen lügen nicht. 
Sieh ber, ich weine auch. Allein, aus Wuth, 
Aus unbefriedigter Begier nach Rache. 
Steck deine Fackel bier in diefen Ring 
Und geh ing Dorf, verfammle die Gemeinde, 
Heiß fie mit Waffen, wie's der Zufall beut, 
Sich ftellen hier im Schloß. Ich ſelbſt entbiete, 
Wenn's Morgen erft, durch Schreiben rings mein Volk, 
Der Arbeit Kinder und der harten Mühn. 
An ihrer Spitze will ich rächend gehn 
Und brechen all die Schlöfler jener Großen, 
Die, Diener halb, und halb auch wieder Herrn, 
Sich felber dienen und den Herren meiftern: 
Beherricher und Beherrſchte — alſo ſei's. 
Und jene Zwitter tilg’ ich rächend aus, 
Die ftolz auf Blut, auf das in ihren Adern 
Und auf das fremde, wenn's ihr Schwert vergoß. 
Laß hier dein Licht und geh! Sch bleib’ allein. 
Sch brüte die Geburten meiner Race. 


(Der Diener ftedt feine Yadel in den Ring neben ver Thüre und 
entfernt fi.) 


238 Die Jüdin von Toledo. 


König 
(einen Schritt nad) vorn machend). 
Was regt fih dort? Iſt hier noch Leben übrig? 
Gebt Antwort! 


Sfaak. 
Gnädiger Herr Miflethäter, 

Verſchont ung, edler Mörder ! 

König. 

Du biſt's, Alter: 

Erinnre mich nit dran, daß fie dein Kind; 
Es minderte ihr Bild in meiner Seele. 
Und du biſt Eſther, nicht? 


Eſther. 
Ich bin es, Herr. 

König. 
Und iſt's geſchehn? 

Eſther. 

Es iſt. 
König. 
Ich wußt' es wohl, 

Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen. 
Glaub, das Gefäß iſt voll; was man noch zugießt, 
Fließt ab vom Rand und ſchwächt des Inhalts Gift. 
Als ich noch lebte, wollt' ich ſie verlaſſen, 
Nun, da ſie todt, verläßt ſie nimmer mich. 
Und dieß ihr Bild auf dieſer meiner Bruſt, 
Es gräbt ſich ein und ſchlägt nach innen Wurzel. 
Denn war nicht ſelber ich's, der ſie getödtet? 
Blieb ſie mir fern, ſie ſpielte noch, ein Kind, 
Sich ſelbſt zur Luſt und Anderen zur Freude. 
Vielleicht — ob Das zwar nicht. Ich ſage Nein! 
Kein Andrer durfte ihre Hand berühren 


Fünfter Aufzug. 239 


Und Niemands Lippen nahen ihrem Mund. 
Kein frecher Arm — fie war des Königs Eigen, 
Ob nie gefehn, gehörte fie doch mir, 

Der Reize Macht dem Herrſcher auf dem Thron. 


3faak. 
Spricht er von Rahel? 


Efther. 
Wohl, von Eurer Tochter. 
So fehr der Schmerz verlornen Werth verdoppelt, 
Sag’ ih Euch doch, Ihr Ichlagt zu hoch fie an. 
König. 
Meinſt du? Ich ſage dir, ſie ſind nur Schatten, 
Ich, du und jene Andern aus der Menge; 
Denn biſt du gut, haſt du es ſo gelernt, 
Und bin ich ehrenhaft, ich ſah's nicht anders; 
Sind jene Andern Mörder, wie ſie's ſind, 
Schon ihre Väter waren's, wenn es galt. 
Die Welt iſt nur ein ew'ger Wiederhall, 
Und Korn aus Korn ift ihre ganze Ernte. 
Sie aber war die Wahrheit, ob verzerrt, 
AN, was fie that, ging aus aus ihrem Selbſt, 
Urplötzlich, unverhofft und ohne Beifpiel. 
Seit ich fie jah, empfand ich, daß ich lebte, 
Und in der Tage trübem Einerlei 
War fie allein mir Weſen und Geltalt. 


Sp wie man fagt, daß in Arabiens Wüſten 
Der Wandrer, der ſich lang im Sand geplagt, 
Der Sonne Brand ertragen glühnden Haupts, 
Mit Einem Mal ein blühend Eiland trifft, 
Umbrandet von der See der trodnen Stellen, 
Da blühen Blumen, winkt der Bäume Schatten, 
Der Kräuter Hauch fteigt mildernd in die Luft 


240 Die Jüdin von Toledo. 


Und wölbt fih unterm Himmel als ein zweiter. 
Zwar ringelt ſich die Schlange unterm Buſch, 
Ein reißend Thier, von gleichem Durft gequält, 
Fand etiva feinen Weg zur fühlen Quelle; 
Doch jubelt auch der Wanbrer, wegemüd, 

Und faugt mit gier'gem Mund den Labetranf 
Und wirft fi in des Grafes üpp'gen Wuchs. 
Den üpp’'gen Wuchs. Fürwahr! Ich will fie fehn, 
Noch einmal jenen ftolgen Bau der lieber, 
Den Mund, der Athem ſog und Leben hauchte 
Und der, nunmehr auf immerdar verftummt, 


Mich anklagt, daß ich fie jo fchlecht befchüßt. 


Efther. 
Thu's nicht, o Herr! Da's nun gejchehn, 
Laß es gejchehen jein. Laß uns den Sammer, 
Du trenne nicht dich, Herr, von deinem Volk. 
König. 
Meinft du? Ich bin der König, weißt du wohl? 
Nicht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt, 
Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld 
Hab’ ich geſchworen an dem Krönungstag 
Und will es halten bis an meinen Tod. 
Dazu muß ich mid ſtärken, mich verhärten; 
Dann Alles, was dem Menfchen hoch und werth, 
Wird man entgegenjtellen meinem Grimm: 
Eririnerung aus meiner Knabenzeit, 
Des Mannes erſte bräutliche Begegnung, 
Die Freundſchaft und die Dankbarkeit, die Milde; 
Mein ganzes Leben, ſchroff in Eins geballt, 
MWird mir genüberftehn in Waffenrüftung 
Und mid zum Kampfe fordern mit mir felbft, 
Drum muß ich von mir felbjt mich erſt entfernen. 
Ihr Bild, wie e3 vor mir ſteht hier und bort, 


Nur — 


Fünfter Aufzug. 241 


An jeder Wand, in dieſer, jener Ecke, 
Zeigt mir ſie nur in ihrer frühern Schönheit, 
Mit ihren Schwächen, die ſo reizend auch. 
Ich will ſie ſehn, zerſtört, verſehrt, mißhandelt; 
Verſenken mich im Gräuel ihres Anblicks, 
Vergleichen jedes Blutmal ihres Leibes 
Mit ihrem Abbild hier auf meiner Bruſt 
Und lernen Unmenſch ſein genüber Gleichen. 
(Da Eſther aufgeflanden iſt.) 
Sprich mir kein Wort! Ich will! Und dieſe Fackel 
Soll mich begleiten, flammend wie ich ſelbſt, 
Nur leuchtend, weil zerſtörend und zerſtört. 
Sie iſt in jenem letzten innern Zimmer, 
Wo ich ſo oft —? 
Eſther. 
Sie iſt, ſie war, ſie bleibt. 
König 
(hat die Fackel ergriffen). 
Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg. 


Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Gräuel! 
(Er geht in die Seitenthüre lints.) 


Ifaak. 
Wir find im Dunkeln. 


Efther. 
Wohl im Dunkel rings, 
Umgeben von des Unglüds graufer Nacht. 
Allein der Tag bridt an. Laß mich verſuchen, 
Ob ich die Glieder trage bis dahin. | 
(Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.) ' 
Der Morgen dämmert ſchon, fein bleicher Schein 
Schaut, wie entfegt, die Gräuel der Berftörung, 
Den Unterfchied von- Geftern und von Heut. 
(Auf die am. Boden zerfireuten Schmudjahen blidend.) 
Grillparzer, Berfe VII. 16 








242 Die Züdin von Toledo, 


Da liegen fie, die Trümmer unſres Glüds, 
Der bunte Tand, um befientwillen mir, 
Ja wir, nur wir — nicht Er, der dort fih Schuld gibt — 
Die Schwefter opferten, dein thöricht Kind. 
AN, mas geſchieht, ift Recht. Wer fich beklagt, 
Verklagt fich ſelbſt und feine eigne Thorbeit. 
3faak 

(der fih in den Stuhl gefekt Hat). 
Hier will ich fiten. Seit der König da, 
Fürcht' ich fie nicht und Alle, die noch kommen. 


Die Mittelthure öffnet ih, Manriquez und Garceran, hinter ihnen 
die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere Große 


treten ein. 


Manriquez. 
Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf. 
Wir haben an dem König uns verſündigt, 
Das Gute wollend, aber nicht das Recht. 
Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehn. 
Eſther 
(auf der andern Seite, eines Rucks den umgeſtürzten Tiſch aufhebend). 
Verwüſtung, ordne dich! Laß ſie nicht glauben, 
Daß wir erſchrocken oder daß wir feig. 
Königin. 
Hier ſind ſie, jene Andern. 
Manriquez. 
Immerhin! 
Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht. 
Stellt euch in Reih und Ordnung, wenn's beliebt. 
Königin. 
Mich laßt voran, ich bin die Schuldigſte. 
Manriquez. 
Nicht alſo, edle Frau! Ihr ſpracht das Wort, 


- mE 2 


Fu 


Fünfter Aufzug.- 943 


Doch als es Fam zur That, habt Ihr gezittert, 
Euch widerſetzt und Schonung anbefohlen, 
Obgleich umfonft; denn Noth war und Gebot. 


Auch wünſcht' ich nicht, daß ſich fein erfter Grimm 


Entlüde auf die Häupter, die und hoch, 
Zunächſt nad ihm die Hoffnung unſers Throns. 
Sch jelber that’3, zwar nicht mit meiner Hand, 
Allein mit Rath, mit furchtbar ernftem Mitleid. 
Sch trete vor Euch hin. Und du, mein Sohn, 
Haft du den Muth, als Mann auch zu vertreten, 
Mas du gehindert nicht, wenn nicht gefördert, 
So daß dein Streben, wieber gut zu madıen, 
Und deine Rückkehr felbft nicht ohne Schuld? 

. Barreran. 

Seht mich bereit. Ich tret’ an Eure Seite, 
Und treffe mich des Königs erſter Zorn. 


| Efther (Herüberrufend). 
Ihr dort, obgleich ihr Mörder feid gefammt 
Und würdig jeden Tods und jeder Strafe; 
Genug des Unheils ift bereits gejchehn, 
Sch wünſchte nicht die Gräuel noch vermehrt. 
Der König ift dort drin bei meiner Schweſter, 
Und vorher ſchon ergrimmt, wird ihn ihr Anblid 
Aufftacheln zu vermehrter, neuer Wuth. 
Auch dauert mid das Weib dort und ihr Kind, 
Unfchuldig halb, und halb auch felbjt nur ſchuldig. 
Drum geht, weil e3 noch Zeit. Begegnet nicht 
Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß. 


Ä Manriquez. 
Weib, wir ſind Chriſten. 
Eſther. 


Nun, ihr habt's gezeigt. 
Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott! 


244 Die Zudin von Toledo. 


j Manriquez. 
Als ſolche abzubüßen auch bereit, 
Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend. 
Legt eure Schwerter ab. Hier iſt das meine. 
Die Wehr an Mannes Seite ſpricht von Schutz. 
Schon unſre Anzahl ſtreitet mit der Demuth, 
Sie theilt die Schuld, die doch in Jedem ganz. 
(Alle haben die Schwerter vor Manriquez auf den Boden gelegt.) 
So harren wir. Vielmehr geh Einer hin, 
Und trete förderſamſt den König an: 
Des Landes Noth erheiſcht, daß er ſich faſſe, 
Ob ſo, ob ſo, und wär's auch nur bereuend 
Zu raſche That, von der wir ſelbſt das Opfer. 
Geh du, mein Sohn! 
Garceran 
(der einige Schritte gemacht hat, umkehrend). 
Seht hier den König ſelbſt. 

Der König ſtürzt aus dem Seitengemache. Nach ein Paar Schritten 
wendet er ſich um und ſieht ſtarr nach der Thüre. 
Königin. 

D Gott im Himmel! 
Manrigues. 
Ruhig, gnäd'ge Frau. 

(Der Koͤnig geht nach vorn. Er bleibt mit untergeſchlagenen Armen 
vor Iſaak ſtehen, der wie ſchlummernd im Seſſel liegt. Darauf geht 
er nach dem Vorgrund.) 

Eſther (u Iſaah. 

Schau, deine Feinde zittern. Freuſt du dich? 
Ich nicht. Die Todte wacht doch nimmer auf. 
(Der König, im Vorgrunde, betrachtet feine beiden Hände und ſtreift 
daran, wie reinigend, mit der einen über die andere. Hierauf dies 
felbe Bewegung über den Oberleib. Zulett fährt er nad dem Halfe, 
die Hände um den Umkreis deffelben bewegend. In diefer letzten 
Stellung, die Hände noch immer am Halfe, bleibt er ſtehen und flieht 
ftarr vor ſich hin.) 





Fünfter Aufzug. 945 


Manriquez. 
Erlauchter Fürſt und König! Gnäd'ger Herr! 
Kö nig (emporfahrend). 
Ihr ſeid's. Ihr kommt zurecht. Euch ſucht' ich eben; 
Und Alle. Ihr erſpart mir manche Müh. 
(Er tritt vor ſie hin, ſie mit zornigen Blicken meſſend.) 
Manriquez 
(auf die am Boden liegenden Waffen zeigend). 
Wir haben unfre Wehr von ung gelegt — 
König. 
Ich jehe Schwerter. Kommt ihr, mich zu tödten? 
Bollendet euer Werk. Hier meine Bruft. 
(Er. öffnet fein Kleid.) 
Königin. 
Er hat's nicht mehr! 
König. 
Mie meint Ihr, Schöne Frau? 
Königin. 
Das böſe Bild iſt fort von feinem Halfe. 
König. 
Ich gehe, es zu holen. 
(Sr macht ein paar Schritte gegen die Seitenthüre und bleibt ftehen.) 
Königin. 
Gott, noch immer! 
Manriquez. 
Wir wiſſen wohl, wie ſehr wir, Herr, gefehlt; 
Vor Allem: nicht der Rückkehr zu dir ſelbſt, 
Dir ſelbſt und deinem edlen Sinn vertrauend; 
Allein die Zeit war dringender als wir. 
Es bebt das Land. Der Feind an unſern Gränzen, 
Er. fordert auf zu Wehr und Widerſtand. 
König. 
Und Feinde muß man ftrafen, oder nicht? 


246 Die Züdin von Toledo. 


Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von folchen. 
He, Garceran! 
Garceran. 
Meint Ihr mich, hoher Herr? 
König. 
Ich meine dich. Du haſt mich zwar verrathen, 
Allein du warſt mein Freund. Komm her zu mir. 
Sag mir, was hieltſt du von dem Mädchen dort? 
Nun — die du morden halfſt — doch davon ſpäter. 
Was hielteſt du von ihr, da ſie noch lebte? 
Garceran. 
Herr, ſie war ſchön. 
König. 
So! und was meiter noch? 
GBarreran. 
Doch auch verbuhlt und leicht, voll arger Tüden. 
König. 
Und Das verjchmwiegit du mir, als es noch Zeit? 
Garceran. 


Ich ſagt' es Euch. 
König. 


Und ich hab's nicht geglaubt? 
Wie fam Das? Sag nur an! 
Barreran. 
Die Königin, 
Sie räth auf Zauberei. 
König. 
Das iſt der Aberglaube, 
Der nachglaubt, mas er erit fich vorgeglaubt. 
Barceran. 
Zum Theil war's freilich wieder auch natürlich. 
König. 
. Natürlich iſt zulegt nur, was erlaubt. 








Fünfter Aufzug. 247 


Und war id nicht ein König, mild, gerecht? 
Der Abgott meines Volle und all der Meinen; 
Nicht leer an Sinn, und blind auch nicht vor Allem. 
Sch jage dir: fie war nicht jchön. 
Garceran. 
Wie meint Ihr? 
König. 
Ein böſer Zug um Wange, Kinn und Mund, 
Ein lauernd Etwas in dem Feuerblid 
Bergiftete, entjtellte ihre Schönheit. 
Betrachtet hab’ ich mir's und hab’ verglichen. 
Als ich dort eintrat, meinen Zorn zu ftacheln, 
Halb bange vor der Steigrung meiner Wuth, 
Da Fam es anders, als ich mir's gebadht. 
Statt üpp’ger Bilder der Vergangenheit 
Trat Weib und Kind und Volk mir vor die Augen. 
Zugleich jchien fich ihr Antlitz zu verzerren, 
Die Arme ſich zu regen, mich zu faflen. 
Da warf ich ihr ihr Bild nad in die Gruft 
Und bin nun hier und ſchaudre, wie du fiehft. 
Nun aber geb. Haft du mic) doch verrathen, 
Faſt thut mir leid, daß ich euch ftrafen muß. 
Tritt hin zu deinem Vater, zu den Andern: 
Kein Unterfchied; denn alle ſeid ihr jchulbig. 
Manrigurz 
(mit flarler Stimme). 
Und Ihr nit auch? 
König 
(nad einer Pauſe). 
Der Mann hat Recht; ich auch. 
Allein was ift die Welt, mein armes Land, | 
Wenn Niemand rein und übrall nur Berbrecher? 
Doch bier mein Sohn. Tritt du in unfre Mitte, 
Du folft der Schußgeift fein von diefem Lande, 


245 Tie Jüdin von Toledo. 


Ob uns ein höhrer Richter dann verzeiht. 
Führt,. Dofa Clara, Ihr ihn an der Hand! 
Eud bat ein günftiges Geſchick verliehn, 

In Unbefangenbeit bis dieſen Tag 

Das Leben zu durchziehn; Ihr feid es mwerth, 
Die Unfchuld einzuführen unter uns. 

Doch halt! Hier ift die Mutter, Was fie that, 
Gie that e8 für ihr Kind. Ihr iſt verziehn. 

(Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.) 
Madofia, ftraft Ihr mih? Wollt Ihr mir zeigen 
Die Stellung, die mir ziemte gegen Euch? 
Raftilier, jebt her! Hier euer König, 

Und die Regentin bier an feiner Statt; 

Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns; 

Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet 

Zur Buße hinziehn nach Jeruſalem, 

Sp will ih, meiner Makel mir bewußt, 

Eud führen gegen jene Anbersgläub’gen, 

Die an der Gränze fern aus Afrika 

Mein Volk bevrohn und dieß mein ftiles Land. 

Kehr’ ich denn wieder und, will's Gott, ala Eieger, 

Dann follt ihr jagen, ob ich wieder werth, 

Das Recht zu ſchützen, das ich nun verlegt. 

Euch, Jeden trifft die Strafe, jo mie mich; 

Denn in die dichtiten Haufen unjrer Feinde 

Sollt ihr mir folgen, ihr gefammt, zunädift. 

Und wer dann fällt, er hat gebüßt für Alle. 

So ftraf’ ih euch und mid). Hier meinen Sohn, 

Gebt ihn auf einen Schild, gleich einem Thron, 

Denn er ift heut der König dieſes Landes, 

Und fo geſchaart, laßt gehn und vor das Boll. 
(Man hat einen Schild gebracht.) Ä 

Ihr Frauen beide, reicht dem Kind die Hand, 

Sein erfter Thron ift ſchlüpfrig — mie der zweite. 





x 


Fünfter Aufzug. 249 


Du Garceran, du bleibjt an meiner Oeite, 

Wir haben gleichen Leichtfinn zu vertreten, 

Mir wollen kämpfen wie mit Einer Kraft. 

Und haft du dich gereinigt jo mie ich, 

Bielleicht hält jene Stille, Sittenreine 

Dich ihrer Huld und ihres Auges werth. 

Ihr jollt ihn beilern, Dona Clara: doch, um Gott! 

Macht ihm die- Tugend nicht nur achtungswerth, 

Nein, liebenswürdig auch. Das ſchützt vor Vielem. 
(Trompeten aus der Ferne.) 

Hört ihr! Sie rufen uns, die ich beſchieden 

Als Beiſtand gegen euch, ſie ſind bereit 

Zur Hülfe gegen unſer aller Feind, 

Den grimmen Mauren, der den Gränzen droht 

Und den ich ſenden will mit Schmach und Wunden 

Rück in ſein heimiſch dürres Wüſtenland, 

Auf daß das unſre, frei von Unbill, 

Nach innen und nach außen wohl bewahrt. 

Voraus! Boran! Geliebt es Gott: zum Sieg. 


(Der Zug bat fid jhon früher geordnet. Voraus einige Bajallen ; 

dann daB Kind auf dem Schilde, das die Tyrauen zu beiden Seiten 

an den Händen halten, dann der Reſt der Mannen. Zuletzt der König, 
fih vertraulih auf Garceran flüßend.) 


Efiher 

(zu ihrem Bater). 
Siehſt du, fie find ſchon heiter und vergnügt 
Und ftiften Ehen für die Zufunft fchon. 
Sie find die Großen, haben zum Berföhnungsfeft 
Ein Opfer ſich geichlachtet aus den Kleinen 
Und reichen fich die annoch blut’ge Hand. 

(In die Mitte des Theater tretend.) 
Ich aber ſage dir, du ftolzer König: 
Geh bin, geh bin in prunfendem Bergefien — 
Du hältſt dich frei von meiner Schweſter Macht, 

®rillparzer, Werke. VI. 17 


— 3 u 


250 Die ZJüdin von Toledo. 


Weil abgeftumpft der Stachel ihres Eindrucks 
Und du von dir wirfit, mas dich einit gelodt. 
Am Tag der Schlacht, wenn deine ſchwanken Reihen 
Erjchüttert von der Feinde Uebermadt, 
Und nur ein Herz, das rein und ftarf und ſchuldlos, 
Gewachſen der Gefahr und ihrem Drobn; 
Menn du emporjhauft dann zum tauben Himmel, 
Dann wird das Bild des Opfers, das bir fiel, 
Nicht in der üpp'gen Schönheit, die Dich lockte, 
Entftelt, verzerrt, mie fie dir ja mißfiel, 
Vor deine zagend bange Seele treten; 
Dann ſchlägſt du wohl auch reuig an die Bruft, 
Dann denfft du anxdie Jüdin von Tolebo. 

(Den Alten an der Schulter faflend.) 
Kommt, Vater, fommt! Wir haben dort zu thun. 

(Auf die Seitenthüre zeigend.) 


3faak 
(der aus dem Schlafe erwadt). 
Doch ſuch' ich erft mein Gelb. | 
Efther. | 
Denkt Ihr noch def | 
Im Angeficht des Sammer und der Noth? ( 
Dann feid Ihr ſchuldig au, und ih — und fie. 
Wir ftehn gleich Jenen in der Sünder Reihe; 
Dann nehm’ ich rüd den Fluch, den ich gejprochen. | 
Verzeihn wir denn, damit man uns berzeihe. | 
(Die Arme gegen die Seitenthüre audgeftredt.) 


Der Vorhang Fällt. | 


- 
. [ 
a 


“ 








Srillparzer’s 
Sämmtliche Werke 
in 3ehn Bänden. 
Zweite Ausgabe, 


Achter Band. 


Hfuffgarf. 
Verlag der J. ©. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
1874. 


Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart. 


Inhalt. 


Das Klofter bei Sendomir. (Mglaja 1828) 
Der arme Spielmann. (Iris 1848) 
Ein Erlebniß. (1822). 
Erinnerungen an Beethoven 
Studien zum ſpaniſchen Theater: 
Ueber Zope de Bega im Allgemeinen . 
Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen 
Zur Philofophie und Religion .. 


Das Klofter bei Sendomir. 


Nah einer als wahr überlieferten Begebenheit. 


(Aglaja 1828.) 


Grillparzer, Werke. VIU. 1 


Die Strahlen der untergehenden Sonne vergolbeten 
die Abhänge eines der reizenditen Thäler der Woimod- 
Ihaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß ruhten fie auf 
den Mauern des an der Dftfeite fenfterreich und wohn⸗ 
lich prangenden Klojters, als eben zwei Reiter, von 
wenigen Dienern begleitet, ven Saum der gegenüber: 
liegenden Hügelfette erreichten und, won der Veſper⸗ 
glode gemahnt, nach furzem, betrachtendem Verweilen, 
ihre Pferde in Ichärfern Trott fetten, thaleinwärts, 
dem Klofter zu. 

Die Kleidung der ſpäten Gäſte bezeichnete die Srem- 
den. Breitgebrüdte, beftederte Hüte, das Elennfoller 
vom dunkeln Bruſtharniſch gebrüdt, die ftraffanliegen- 
. den Unterkleiver und hohen Stulpftiefel erlaubten nicht, 
fie für eingeborne Polen zu halten. Und jo war es 
auch. Als Boten des deutſchen Kaiſers zogen fie, ſelbſt 
Deutiche, an den Hof des Friegerifchen Johann Sobiesky, 
und vom Abend überrafcht, juchten fie Nachtlager in 
dem vor ihnen liegenden Klofter. 

Das bereits abendlich verſchloſſene Thor warb ben 
Einlaßheifchenden geöffnet, und der Pförtner hieß fie 
eintreten in die geräumige Gaſtſtube, wo Erfrifchung 
und Nachtruhe ihrer warte; obgleih, wie er ent 
Ihuldigend binzufette, der Abt und die Konventualen, 
bereitö zur Veſper im Chor verfammelt, fich für heute 
die Bewillfommung fo werther Gäfte verfagen müßten. 
Die Angabe des etwas mißtrauisch blickenden Mannes 


4 | Das Kloſter bei Sendomir. 


ward durch den eintönigen Zuſammenklang halb 
fprechend, halb fingend erhobener Stimmen befräftigt, 
die, aus dämpfender Ferne durch die hallenden Ge 
wölbe fich hinwindend, den Chorgefang einer geistlichen 
Gemeine deutlich genug bezeichneten. 

Die beiden Fremden traten in das angewiefene Ge- 
mach, welches, obgleich, wie das ganze Klojter, offen: 
bar erſt feit Kurzem erbaut, doch alterthümliche Spig- 
formen mit abfichtlicher Genauigkeit nachahmte. Weni- 
ges, doch anftänbiges Geräthe war rings an den Wän- 
den vertheilt. Die hoben Bogenfenfter gingen ins 
Freie, mo der in Dften auffteigende Mond, mit der 
legten Abendhelle Tämpfend, nur ſparſame Schimmer 
auf die Erhöhungen des hüglichten Bodens warf, indeß 
in den Falten der Thäler und unter den Bäumen des 
Forftes ſich allgemach die Nacht mit ihrem dunkeln Ge: 
folge Ingerte, und ftile Ruhe, hold vermifchend, ihren 
Schleier über Belebtes und Unbelebtes ausbreitete. 

Die eigenen Diener der Ritter trugen Wein auf 
und Abendkoſt. Ein derbgefügter Tifch, in die Brüftung 
bes geöffneten Bogenfenſters gerüdt, empfing die er: 
mübdeten Gäfte, die, auf hohe Armftühle gelagert, ſich 
bald an dem zauberifchen Spiele des Monblichtes er: 
gößten, bald, zu Wein und Speife zurüdfehrend, den 
Körper für die Reife. des nächſten Tages ftärkten. 

Eine Stunde mochte auf diefe Art vergangen fein. 
Die Nacht war vollends eingebrochen, Glodenflang 
und Chorgefang längjt verjtummt. Die zur Rube ge 
endeten Diener hatten eine büfterbrennende Ampel, 
in ber Mitte des Gemaches hängend, angezündet, und 
noch immer ſaßen die beiden Ritter am Fenſter, im 
eifrigen Geſpräch; vielleicht vom Zweck ihrer Reife, 
offenbar von Wichtigem. Da pochte es mit Fräftigem 
Finger an die Thüre des Gemaches, und ebe man 





Das Klofter bei Sendomir. 5 


noch, ungern die Rede unterbrechend, mit einem: Herein! 
geantmwortet, öffnete ſich diefe, und eine feltfame Men- 
Ichengeftalt trat ein, mit ber Frage: ob fie euer be- 
dürften? 

Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an 
mehreren Stellen geflidtes Mönchskleid gehült, das 
fonderbar genug gegen den derben, gedrungenen Körper: 
bau abſtach. Obgleich von Alter ſchon etwas gebeugt, 
und mehr unter ala über der Mittelgröße, mar doc) 
ein eigener Ausdrud /von Entſchloſſenheit und Kraft 
über fein ganzes Weſen verbreitet, fo daß, die Klei- 
dung abgerechnet, der Befchauer ven Mann eher für 
Alles, als für einen friedlichen Sohn der Kirche, er: 
fannt hätte. Haar und Bart, vormals augenfcheinlid) 
rabenſchwarz, nun aber überwiegend mit Grau gemischt 
und, troß ihrer Länge, ſtark gefräufelt, brängten ſich 
in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn. Das 
Auge, Tlöfterlich geſenkt, hob fich nur felten; wenn 
e8 aber aufging, traf es wie Wetterichlag, fo grauen- 
haft funfelten die Schwarzen Sterne aus den afchfahlen 
Wangen, und man fühlte fich erleichtert, menn die 
breiten Liber fie wieder bedediten. Sp beichaffen und 
jo angethan, trat der Mönch, ein Bündel Holz unter 
dem Arme, vor die Fremden bin, mit der Frage: ob 
fie Feuer bebürften? 

Die Beiden ſahen fi an, erftaunt ob der feltfamen 
Erſcheinung. Indeſſen Iniete der Mönch am Kamine 
nieder und begann, Feuer anzumachen, ließ fich auch 
durch die Bemerkung nicht ftören, daß man gar nicht 
frisre, und feine Mühe überflüflig ſei. Die Nächte 
würden ſchon rauh, meinte er, und fuhr, in feiner 
Arbeit fort. Nachdem er jein Wert vollendet, und das 
Feuer luſtig brannte, blieb er ein paar Augenblide 
am Kamine jtehen, die Hände wärmend, dann, ohne 


6 Das Stlofter bei Sendomir. 


ih ſcheinbar um die Fremden zu befümmern, fohritt 
er ſchweigend der Thüre zu. 

Schon ſtand er an diefer und hatte die Klinfe in 
ber Hand, da fprach Einer der Fremden: „Nun Ihr 
einmal bier feid, ehrwürbiger Vater —“ 

„Bruder!“ fiel der Mönch, wie unwillig, ein, und 
ohne ſich umzufehen, blieb er, bie Stien gegen die 
Thüre geneigt, am Eingange ftehen. 

„Nun denn aljo, ehrwürdiger Bruder!” fuhr der 
Fremde fort, „da Ihr Schon einmal hier ſeid, fo gebt 
ung Aufſchluß über Einiges, das mir zu willen ben 
Wunſch hegen.“ 

„Fragt!“ ſprach, ſich umwendend, der Mönch. 

„So wißt denn,“ ſagte der Fremde, „daß uns die 
herrliche Lage und Bauart Eures Kloſters mit Be⸗ 
wunderung erfüllt hat, vor Allem aber, daß es ſo 
neu iſt und vor Kurzem erſt aufgeführt zu ſein ſcheint.“ 

Die dunkeln Augen des Mönches hoben ſich bei 
dieſer Rede und hafteten mit einer Art grimmigen Aus— 
druckes auf dem Sprechenden. 

„Die Zeiten ſind vorüber,“ fuhr dieſer fort, „wo 
die Errichtung ſolcher Werke der Frömmigkeit nichts 
Seltenes war. Wie lange ſteht das Kloſter?“ 

„Wißt Ihr es vielleicht ſchon?“ fragte, zu Boden 
blickend, der Mönch, „oder wißt Ihr es nicht?“ 

„Wenn das Erſtere, würde ich fragen?“ entgegnete 
der Fremde. 

„Es trifft ſich zuweilen,“ murmelte Jener. „Drei 
Jahre ſteht dieß Kloſter. Dreißig Jahre!“ fügte er 
verbeſſernd hinzu und ſah nicht auf vom Boden. 

„Wie aber hieß der Stifter?” fragte der Fremde 
weiter. „Welch gottgeliebter Mann?” — Da bradı 
der Mönch in ein fchmetterndes Hohngelächter aus. Die 
Stuhllehne, auf die er fich geftüßt hatte, brach Frachend 











I 
Das Klofter bei Sendomir. T 


unter feinem Drud zufammen; eine Hölle ſchien in 
dem Blide zu flammen, den er auf die Fremden richtete, 
und plößlich gewendet, ging er ſchallenden Trittes zur 
Thüre hinaus. 

Noch hatten fih die Beiden von ihrem Erftaunen 
nicht erholt, da ging die Thüre von Neuem auf, und 
derjelbe Mönch trat ein. Als ob nichts vorgefallen 
wäre, ſchritt er auf den Kamin zu, Ioderte mit dem 
Störeifen da3 Feuer auf, legte Holz zu, blies in die 
Flamme. Darauf fi ummwendend, fagte er: „ch bin 
der Mindeite von den Dienern dieſes Haufes. Die 
niedrigften Dienſte find mir zugewieſen. Gegen Fremde 
muß ich gefällig fein und antworten, wenn fie fragen. 
Ihr habt ja auch gefragt? Was war es nur?“ 

„Bir wollten über die Gründung dieſes Kloſters 
Auskunft einholen,“ ſprach der Aeltere der beiben 
Deutichen, „aber Eure fonverbare Weigerung” — 

„3a, ja!” fagte der Mönch, „Ihr jeid Fremde und 
fennet Ort und Leute noch nicht. Ich möchte gar zu 
gerne Eure thörichte Neugierde unbefriedigt lafjen, aber 
dann klagt Ihr's dem Abte, und der ſchilt mich wieder, 
wie damals, als ich dem Palatin von Plozk an bie 
Kehle griff, weil er meiner Bäter Namen fchimpfte. 
Kommt Ihr von Warſchau?“ fuhr er nad) einer Kleinen 
Meile fort. 

„Wir geben dahin,” antwortete Einer der Fremden. 

„Das ift eine arge Stadt,” fagte der Mönch, in: 
dem er fich febte. „Aller Unfrieden geht von dort aus. 
Wenn der Stifter dieſes Klofters nicht nach Warſchau 
fam, ſo ftiftete er überhaupt Tein Klofter, es gäbe feine 
Mönche bier, und ich wäre auch Feiner. Da ihr nicht 
von dorther kommt, mögt ihr rechtliche Leute jein, 
und Alles betrachtet, will ich euch die Gefchichte er- 
zählen. Aber unterbrecht mich nicht und fragt nicht 


« 


8 Das Kiofter bei Senbomir. 


weiter, wenn ich aufhöre. Am Ende Sprech’ ich felbit 
gerne wieder einmal davon. — Wenn nur nicht fo 
viel Nebel dazwischen läge, man fieht Taum das alte 
Stammſchloß durchſchimmern, und der Mond Scheint 
auch jo trübe.” — Die lebten Worte verloren fich in 
ein unberftändliches Gemurmel und machten enblid 
einer tiefen Stille Blag, während welcher der Mönd, 
die Hände in bie weiten Aermel geitedt, das Haupt 
auf die Bruft gefunfen, unbeweglih da Jah. Schon - 
glaubten die Beiden, feine Zufage habe ihn gereut, 
und wollten fopfjchüttelnd fich entfernen, da richtete 
er ſich plöglich mit einem verftärkten Athemzuge empor; 
die vorgeſunkene Kapuze fiel zurüd; das Auge, nicht 
mehr wild, ftrahlte in faſt wehmüthigem Lichte; er 
jtüßte das dem Mond entgegengewendete Haupt in bie 
Hand und begann: 

„Starfchensty hieß der Mann, ein Graf feines 
Stammes, dem gehörte die weite Umgegend und ber 
Platz, mo dieß Klofter ſteht. Damals war aber noch 
fein Klofter. Hier ging der Pflug; er jelber baute 
dort oben, wo jetzt geborjtene Mauern das Mondlicht 
zurüdiwerfen. Der Graf war nicht ſchlimm, wenn auch 
gerade nicht gut. Am Kriege hieß man ihn tapfer; 
fonft lebte er ftill und abgeſchieden im Schloffe feiner 
Väter. Ueber Eines wunderten fi) die Leute am 
Meiften: nie hatte man ihn einem weiblichen Wefen 
mit Neigung zugetban gefeben, ftchtlich vermieb er 
den Umgang mit Frauen. Er galt daher für einen 
MWeiberfeind; doch war er keiner. Ein von Natur 
Ihücdhterner Sinn, und — laßt ſehn, ob ich's treffe!“ 
jagte der Mönch, indem er ſich aufrichtete — „ein 


- über Alles gehendes Behagen im Befit feiner jelbit 


hatte ihm bis dahin feine Annäherung erlaubt. Ab: 
weſenheit von Unluft war ihm Luſt. — Habt ihr 





Das Klofter bei Sendomir. 9 


noch Wein übrig? Gebt mir einen Becher! der Graf 
war jo ſchlimm nicht.” 

Der Mönch trank, dann fuhr er fort: „So lebte 
Starſchensky, fo gedachte er, zu fterben; doch mar es 
ihm anders beitimmt. Ein ‚Reichstag rief ihn nad). 
Warſchau. Unmwillig über die Verkehrtheit der Menge, 
deren Jeder nur ſich mollte, wo es dad Wohl des 
Ganzen galt, ging er eines Abends durd die Straßen 
der Stadt; ſchwarze Regenwolken hingen am Himmel, 
jeden Augenblic bereit, fich zu entladen, dichtes Dunfel 
ringsum. Da bört er plöglich hinter fich eine meib- 
lihe Stimme, die zitternd und fchluchzend ihn an- 
fpricht: Wenn Ihr ein Menfch feid, fo erbarmt euch) 
eine Unglüdlichen! Raſch umgemwendet, erblidt ber 
Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände ent- 
gegen firedt. Die Kleivung ſchien ärmlih, Hals und 
Arme fchimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf 
folgt der Bittenden. Zehn Schritte gegangen, tritt fie 
in eine Hütte, Starſchensky folgt, und bald fteht er 
mit ihr allein auf dem dunkeln Flur. Eine warme, 
weiche Hand ergreift die feinige. — Seid Ihr Ordens⸗ 
ritter?“ unterbrach fich der Mönch, zu dem Jüngern 
der Fremden gewendet. „Was bedeutet das Kreuz auf 
Eurem Mantel?" — „Sch bin Maltejer,“ entgegnete 
diefer. — „hr auch?“ wendete der Mönch ih zum 
Bieiten. — „Keineswegs,“ war die Antwort. — „Habt 
Ihr Weib und Kinder?” — „Beides hatt! ih nie.” — 
„Die alt ſeid Ihr?" — „Fünf und vierzig.” — „So! 
fol” murmelte Topfnidend der Mönch. Dann fuhr 
er fort: 

„Ein bis dahin unbefanntes Gefühl ergriff ven 
Grafen bei der Berührung der warmen Hand. Gie 
erzählen ein morgenländifches Märchen von Einem, dem 
plößlich verliehen ward, die Sprache der Vögel und 


10 Das Kloſter bei Sendomir. 


andern Naturweſen zu verſtehen, und der nun, im 
Schatten liegend am Bachesrand, mit freudigem Er- 
ftaunen rings um fich überall Wort und Sinn ver: 
nahm, wo er vorher nur Geräufch gehört und Laute. 
Sp erging e3 dem Grafen. Eine neue Welt ftand vor 
ibm auf, und bebend folgte er feiner Führerin, die 
eine Feine Thüre öffnete und mit ihm in ein niederes, 
ſchwacherleuchtetes Zimmer trat. 

„Der erite Strahl des Lichtes fiel auf das Mädchen. 
Starſchensky's innerjtes Weſen jubelte auf, daß bie 
Wirklichkeit gehalten, was die Ahnung verſprach. Das 
Mädchen war fchön, Schön in jedem Betradht. Schwarze 
Locken ringelten ſich um Stirn und Naden und er- 
hoben, mit der gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonder- 
baren den Reiz des hellblau ftrahlenden Auges. Der 
Mund mit üppig aufgeworfenen, beinahe zu hochrothen 
Lippen, warb keineswegs durch eine kleine Narbe ent: 
ftelt, die, als jchmale, weißlich gefärbte Linie ſchräg 
abwärts laufend, fih in den Karmin der Oberlippe 
verlor. Grübchen in Kinn und Wangen; Stirn und 
Naje, wie vielleicht gerade der Maler fie nicht denkt, 
wie fie aber meinen Landsmänninnen mohl jtehen, 
vollendeten den Ausdrud des reizenden Köpfchens und 
fanden in ſchönem Einklange mit den Formen eines 
zugleih ſchlank und voll gebauten Körpers, deſſen 
üppige Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob ala 
verbarg. — Nicht wahr, davon wißt Ihr nichts, Mal⸗ 
tejer? Ja, ja, bei dem alten Mönch rappelt’3 einmal 
wieder! Laßt und noch Eins. trinfen! — Sp, und 
nun gut. 

„Der Graf ftand verloren im Anfıhaun des Mädchens 
und bemerkte faum, daß in einem Winkel der Hütte, 
auf moderndes Stroh gebettet, einen zerriflenen Sattel 
Statt des Kifiens unter dem Kopfe, mit Lumpen bebedt, 


Das Klofter bei Sendomir. 11 


die Jammergeſtalt eines alten Mannes lag, der jetzt 
die Hand aus ſeinen ärmlichen Hüllen hervorſtreckte 
und mit erloſchener Stimme fragte: Biſt du's, Elga? 
Men bringſt du mir da? — Hier der Unglückliche, 
fprah das Mädchen zu Starfchensiy gewendet, für 
den ich, durch äußerfte Noth getrieben, Euer Mitleid 
anſprach. Er ift mein Bater, ein Edelmann von altem 
Stamm und Abel, durch Verfolgungen bis hierher ge- 
bracht. — Damit ging fie hin, und am Lager deö 
Greiſes niedergelauert, fuchte fie, durch Zurechtrüden 
und Ausbreiten, in die Lumpen, die ihn bedeckten, 
einen Schein von NAnftändigleitt und Ordnung zu 
bringen. 

„Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geſchichte. 
Der vor ihm lag, war der Staroft von Laſchek. Er 
und feine zwei Söhne hatten fih in politifche BVer- 
bindungen eingelaflen, die das Vaterland mißbilligte. 
Ihre Anfchläge wurden entbedt. Die beiden Söhne 
fammt einigen Unvorfichtigen, die mit ihnen gemeine 
Sache gemadit, traf Verbannung; der Vater, feiner 
Güter beraubt, war im Elend. 

„Sm erſten Augenblide, als Starjchensity den 
Namen Lafchel hörte, wußte er auch ſchon, daß die 
Lage des Unglüdlichen nicht ganz unverfchuldet mar. 
Denn, wenn er aud einer unmittelbaren Theilnahme 
an den Anfchlägen feiner Söhne nicht gerabezu über: 
wiefen werden Tonnte, fo hatte er doch durch Leichtfinn 
in der Jugend und üble Wirthichaft im worgerüdten 
Alter feinen Söhnen die rechtlichen Wege des Empor: 
kommens fehwierig und Wagnifje willkommen gemadt. 
AN dieß war dem Grafen nicht verborgen. Aber es 
galt, einen Unglüdlichen zu retten, und Elga’s Vater 
batte den beredtejten Fürſprecher bei dem Entbrannten 
für feine Tochter. 


12 Das Klofter bei Sendomir. 


„Laſchek ward in eine anftändige Wohnung gebracht, 
er und feine Tochter mit dem Nothwendigen verſehen. 
Starſchensky verwendete feinen Einfluß, feine Ver: 
bindungen, er ließ fi) bis zu Geld und Gefchenten 
herab, um die Wiederherftellung des Entſetzten, die 
Rüdberufung der Berbannten zu erwirten. Glüdlicher: 
weile waren die äußern Verbältnifje längft vorüber, 
welche die Anjchläge jener Unvorfichtigen gefährlich 
gemacht hatten, Verzeihung warb bewilligt; die Vers 
wiefenen rüfteten fich zur Heimkehr. Mehrere der Un- 
glücksgenoſſen hatten, ihrem Leichtfinne treu, Dienite 
in fremden Landen genommen; nur Laſcheks beide Söhne 
und ein entfernter Verwandter des Haufes, Dginskfy 
genannt, machten Gebrauch won der ſchwer erlangten 
Erlaubniß. Täglich erwartete man ihre Ankunft. 

„Die Wiedergabe von Lafchels eingezogenen Gütern 
zeigte fich indeß als wenig Nuten bringen. Täglich 
erichienen neue Gläubiger. Hauptftod und rüdjtändige 
Zinfen verjchlangen weit den Werth des vorhandenen 
Unbemweglichen. Starſchensky trat ind Mittel, bezahlte, 
verjchuldete feine eigenen Güter und konnte dennoch 
faum einen geringen Reft der Stammbefigungen als 
Pfropfreis für die Zukunft retten. 

„Slüdlicher ſchien er mittlerweile in feinen Be: 
werbungen um Elga’3 Herz. Als das Mädchen ſich 
zum erſten Male wieder in anjtändigen Kleidern erblidte, 
flog fie ihm beim Eintritte auffchreiend entgegen, und 
ein lange nachgefühlter Kup von ihren brennenden 
Lippen lohnte feine Borforge, fein Bemühn. Diefer 
erite Kup blieb freilich vor der Hand auch der legte, 
nicht3 deſtoweniger durfte fich aber doch Starſchensky 
mit der Hoffnung fchmeicheln, ihrem Herzen nicht gleich: 
gültig zu fein. Sie war gern in feiner Gefellichaft, 
fie bemerkte und empfand feine Abmwefenbeit. Oft über: 


Das Klofter bei Sendomir. 13 


raſchte er ihr Auge, das gedankenvoll und betraxhtend 
auf ihn geheftet war; ja einige Male konnte er nur 
durch fchnelles Zurüdyiehen verhindern, daß nicht ein 
Kup, den er gar zu gerne feinen Lippen gegönnt hätte, 
auf feine Hand gebrüdt wurde. Er war voll der 
Tchönjten Hoffnungen. Doch mit einem Male änderte fich 
die Scene. Elga warb düfter und nachvenfend. Wenn 
ſonſt ihre Neigung für Zerftreuungen, für Kleiderzier 
und Lebensgenuß ſich auf3 Beftimmtefte ausfprach und 
manchmal hart an die Gränzen des Zuviel zu ftreifen 
ſchien, fo mied fie jeßt bie Geſellſchaft. Streitende 
Gedanken jagten ihre Wolfen über die jchöngeglättete 
Stirne; das getrübte Auge ſprach von Thränen, und 
nicht felten drängte fich ein Einzelner der ftörenden 
Gäſte unter der fchnellgefentten Wimper hervor. Star: 
ſchensky bemerkte, wie der Vater fie dann ernit, bei: 
nabe drohend anblidte, und eine erfünftelte Heiterkeit 
das Beitreben des Mädchens bezeichnete, einen heim: 
lihen Kummer zu unterbrüden. Einmal, raſch durchs 
Vorgemach auf die Thüre des Empfangzimmers zu- 
Ihreitend, hörte Starſchensky die Stimme des Sta: 
rojten, der aufs Heftigfte erzürnt fchien und ſich fogar 
ziemlich gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf öffnete 
die Thüre und fah ringsum, erblidite aber Fein Drittes; 
nur die Tochter, die nicht weinend und höchſt erhitzt, 
vom Bater abgefehrt, im Feniter Stand. Ihr mußten 
jene Scheltiworte gegolten haben. Da ward es feiter 
Entſchluß in der Seele des Grafen, durch eine raſche 
Werbung um Elga’8 Hand der marternden Ungemwiß- 
heit des Verhältnifles ein Ende zu machen. 
"Während er fich kurze Frift zur Ausführung diefes 
Vorſatzes nahm und Elga’3 vorige Heiterkeit nach und 
nad zurüdfehrte, langten bie aus ber Verbannung 
heimberufenen Angehörigen an. Elga ſchien weniger 





14 Das Klofter bei Sendomir. 


Freude über den Wiederbeſitz der jo lange entbehrten 
Brüder zu empfinden, als der Graf vorausgeſetzt hatte. 
Am Auffallendften aber war ihre fchroffe Kälte, um 
e3 nicht Härte zu nennen, gegen den Gefährten von 
ihrer Brüder Schuld und Strafe, den armen Better 
Oginsky, den fie Faum eines Blides würdigte. Gut 
gebaut und wohl ausfehend, wie er war, fchien er 
eine ſolche Abneigung buch nichts zu verdienen; viel: 
mehr war in feinem, beinahe zu unterwürfigen Be: 
nehmen das Streben fichtbar, ſich um die gute Mei- 
nung von Jedermann zu bewerben. Seine Härte fonnte 
ihn aufbringen; nur ſchien ihm freilich jede Gelegen- 
beit erwünfcht, fich der beinahe verächtlichen Behand: 
lung Elga’3 zu entziehen. Zulegt verſchwand er ganz, 
und Niemand mußte, mo er hingelommen war. 

„Run endlich trat der Graf mit feiner Bewerbung 
hervor, der alte Staroft meinte Freudenthränen, Elga 
Sant ſchamerröthend und ſprachlos in feine Arme, und 
der Bund war geſchloſſen. Laute Seite verfündeten 
der Hauptſtadt Starſchensky's Glück, und wiederholte, 
zahlreich bejuchte Feſte verficherten ihn der allgemeinen 
Theilnahme. Durd eine Ehrenbedienitung am Hofe 
feftgebalten, lernte er bald fih in Geräufch und Glanz 
fügen, ja wohl gar daran Vergnügen finden, wenigſtens 
infomeit Elga es fand, deren Gefchmad für rauſchende 
Zufibarkeiten fi immer bejtimmter ausſprach. Aber 
war fie nit jung, war fie nicht Schön? Hatte nicht, 
nach langen Unfällen, jede Luft für fie den doppelten 
Reiz, als Luft und als neu? Der Graf gewährte und 
war glücklich. Nur Eines fehlte, um ihn ganz felig 
zu machen: ſchon war ein volles Jahr feit feiner Ber: 
mählung verftrichen, und Elga gab noch Feine Hoff: 
nung, Mutter zu werben. 

„Doch plöglid warb der Rauſch des Glüdlichen 








Das Klofter bei Sendomir. 15 


auf eine noch weit empfindlichere Weife gejtört. Stars 
fchensfy’3 Hausverwalter, ein als redlich erprobter 
Dann, erfchien, trübe Wolfen auf der gefurcdhten Stirn. 
Man ſchloß fich ein, man rechnete, man verglich, und 
e3 zeigte fich bald nur zu deutlich, daß dur Das, was 
für Elga’3 Verwandte gefchehen war, durch den ſchranken⸗ 
Iofen Aufwand der letzten Zeit des Grafen Vermögens: 
ftand erfchüttert war und jchleunige Vorſorge erheifchte. 
Das Schlimmfte zu diefer Verwirrung hatten Elga’s 
beide Brüder getban. Wie denn überhaupt das Un- 
glück nur Beilerungsfähige beflert, jo war die Alles 
verichlingende Genußliebe des leichtfertigen Paares 
durch die lange Entbehrung nur noch gieriger geivorben. 
Auf die Kaffe des Grafen mit ihrem Unterhbalte an- 
gewiefen, hatten fie den überfchwänglichiten Gebraud 
von diejer Zugeitehung gemadt, und nachdem ber in 
Geligfeit ſchwimmende Graf auf die erften Anfragen 
feiner beforgten Gejchäftsleute ungebuldig die Antwort 
ertheilt hatte: man ſolle es nicht zu genau nehmen 
und feinen Schwägern geben, was fie bebürften, war 
bald des Forderns und Nehmens kein Ende. 

„Der Graf überfah mit einem Blide das Bedenk⸗ 
liche feiner Lage, und orbnungsliebend wie er mar, 
batte für ihn ein raſches Umfehren von dem einge: 
ihlagenen Taumelpfabe nichts Beängftigendes. Nur 
der Gedanke an Elga machte ihm bange. Wird das 
heitere, in unbefangenem Frohſinn fo gern hinſchwebende 
Weſen —? Aber es mußte fein, und der Graf that, 
was er mußte. Mit Eopfendem Herzen trat er in Elga’3 
Gemach. Aber wie angenehm warb er. überrafcht, als, 
da er kaum die Berhältnifie auseinandergeſetzt und die 
Nothwendigkeit gefchildert hatte, die Stadt zu ver- 
lafien, um auf eigener Scholle den Leichtfinn der letzt⸗ 
verflofienen Zeit wieder gut zu machen, als bei der. 


16 Das Klofter bei Sendomir. 


eriten Andeutung ſchon Elga an feine Bruft ftürzte 
und fich bereitwillig und erfreut erflärte. Was er wolle, 
was er gebiete, fie werde nur gehorfam fein! Dabei 
ſtürzten Thränen aus ihren Augen, und fie wäre zu 
feinen Füßen gefallen, wenn er es nicht verhindert, 
fie nicht emporgehoben hätte zu einer langen, Zeit und 
Außenwelt aufbebenden Umarmung. 

„Alle Anftalten zur Abreife wurden gemacht. Star: 
ſchensky, der, von Jugend auf an Einſamkeit gewohnt, 
alle Freuden des Hofes und der Stadt nur in der 
Freude, die feine Gattin daran zeigte, genofjen hatte, 
fegnete beinahe die Unfälle, die ihn zwangen, in den 
Schooß feiner ländlichen Heimat zurüdzufehren. Elga 
padte und forgte, und in ben erſten Nachmittagsftun: 
den eines warmen Maitages war man mit Kiften und 
Päden in dem alterthümlihen Stammſchloſſe ange- 
fommen, das, neu eingerichtet und aufs Belte in 
Stand gelegt, durch Nachtigallenfchlag und Blüthen: 
buft metteifernd erjeßte, was ein vermöhnter Gefchmad 
in Bergleih mit den, Paläften der Städte allenfalls 
hätte vermifjen fünnen. " 

„Bald nad) der Ankunft ſchien fih zum Theile auf: 
zuflären, warum Elga'n die Aenderung der bisherigen 
Lebensweiſe jo leicht geworden war. Sie ftand in den 
eriten Monaten einer bis jet verheimlichten Schwanger: 
ſchaft, und Starſchensky, mit der Erfüllung aller feiner 
Wünſche überfchüttet, Tannte Feine Gränzen feines 
Glücks. | 

„Srühling und Sommer veritrichen unter ländlichen 
Ergöglichleiten, orbnenden Einrichtungen und frohen 
Erwartungen. Als das Laub gefallen war und rauhe 
Stürme, die erften Boten des Winters, an den Fenftern 
des Schloffes rüttelten, nahte Elga’n die erjehnte und 
gefürchtete Stunde, fie gebar, und ein engelfchönes, 








Das Kloſter bei Sendomir. 17 


Heines Mädchen ward in die Arme des Grafen gelegt, 
der die Tochter mit fegnenden Thränen benebte. Leicht 
überftanden, wie die Geburt, waren die Folgen, und 
Elga blühte bald wieder einer Roſe gleich. 

„Soviel günftige Vorfälle wurden leider durch un- 
angenehme Nachrichten aus der Hauptftabt unterbrochen. 
Der alte Staroft, Elga's Vater, war geftorben und 
hatte feine Umftände in der größten Zerrüttung hinter- 
lafjen. Die beiden Söhne, in ihrer tollen Verſchwendung 
nicht mehr von ihrem bebächtlicher gewordenen Schwager 
unterftügt, häuften Schulden auf Schulden, und ihre 
Gläubiger, die in Hoffnung auf den Nachlaß des alten 
Vaters zugewartet hatten, fahen fi) zum Theile in 
ihrer Erwartung dadurch getäufcht, daß in dem Teſta⸗ 
mente deö Staroften eine beträchtliche Summe, in Folge 
einer früher gefchehenen fürmlichen Schenkung, an jenen 
armen Better Oginsky überging. Diefer Better war, 
wie befannt, ſeit längerer Zeit verſchwunden. Er 
mußte aber doch noch eben, und fein Aufenthalt nicht 
Jedermann ein Geheimniß fein, denn die ihm beftimmte 
Summe ward gefordert, übernommen, und die Sache 
blieb abgethan. | 

„Zu den Verſchwendungen der beiden Laſchek ge- 
jellten ſich überdieß noch Gerüchte, als ob fie neuer: 
dings verbotene Anfchläge hegten und Parteigänger 
für landesfchäbliche Neuerungen würben. Starſchensky 
ah ſich aufs Ueberläftigfte von feinen Schwägern und 
ihren Gläubigern beftürmt, er wies aber, nachdem er 
gethan, was in feinen Kräften ftand, alle weitere Ans 
forderung ftandhaft von ſich und hatte das Vergnügen, 
Elga'n in ihren Gefinnungen mit den feinigen ganz 
übereinftimmen zu fehen. Ya, als die Brüder, gleich: 
ſam zum legten Verſuch, ſich auf dem Schloſſe des 
Grafen einfanden, jahen fie fi von der Schweſter 

Grillparzer, Werke. VIII. 2 


18 Das Klofter bei Sendomir. 


mit Vorwürfen überhäuft, und man fchied beinahe in 
Feindichaft. 

„Sp gingen mehr als zwei Jahre vorüber, und 
der Friede des Haufes blühte, nach überitandenen 
Stürmen, nur um fo fhöner empor. Sah ſich gleich der 
Graf in feinen Wünfchen nad) einem männlichen Stamm⸗ 
«halter fortwährend getäufcht, jo wendete ſich dafür 
eine um jo größere, eine ungetheilte Liebe auf das 
theure, einzige Kind. 

„Kaum konnte aber auch etwas Reizenveres gedacht 
werden, als das kleine, rajch ſich entwidelnde Mädchen. 
In allen ſchon angekündigten Formen der Mutter Ab- 
bild, jchten fich die Schaffende Natur bei dem holden 
Köpfchen’ in einem feltfamen Spiele gefallen zu haben. 
Wenn Elga bei der Schwärze ihrer Haare und Brauen 
durch ein hellblaues Auge auf eine eigene Art reizend 
anfprach, fo war bei dem Kinde diefe Verkehrung des 
Gewöhnlichen nachgeahmt, aber wieder verkehrt; denn 
goldene Locken ringelten fih um das zierliche Häuptchen, 
und unter den langen blonden Wimpern barg fidh, 
wie ein Räuber vor der Sonne, das große ſchwarz⸗ 
rollende Auge. Der Graf fherzte oft über diefe, wie 
er es nannte, auf den Kopf gejtellte Aehnlichkeit, und 
Elga drüdte dann das Kind inniger an fi, und ihre 
Rippen bafteten auf den gleichgejchwellten, ſtrahlenden 
von gleichem Roth. 

„Der Graf widmete alle Stunden, die er nicht 
den häuslichen Freuden ſchenkte, einzig der Wieder: 
berftellung feiner, durd) die unüberlegte Freigebigfeit 
an Elga’3 Verwandte berabgelommenen Vermögens: 
umſtände und der Verbefferung feiner Güter. Tagelang 
durchging er Meierhöfe und Fruchticheuern, Saatfelder 
und Holzichläge, immer von feinem Hausverwalter bes 
gleitet, einem alten, reblichen Manne, der, vom Bater 


Das Klofter bei Sendomir. 19 


auf den Sohn vererbt, deflen ganzes Vertrauen befap. 
Schon feit längerer Zeit bemerkte Starſchensky eine 
auffallende Düfterbeit in den Zügen des Alten. Wenn 
er unvermuthet fi nad ihm umwendete, überrafchte 
er das fonft immer beitere Auge beinahe wehmüthig 
auf ſich geheftet. Doch ſchwieg der Mann. 

„Sinft, als Beide die Hiße eines brennenden Bor: 
mittages mit den Schnittern getheilt hatten und der 
Graf, im Schatten eines Erlenbufches gelagert, mit. 
Behagen einen Trunf frifchen Waſſers aus der Hand 
feines alten Dieners empfing, da rief diefer losbrechend 
aus: Wie herrlich Gottes Segen auf den Felbern fteht! 
Wie glücklich fih der Befiger von dem Allen fühlen 
muß! — Das thut er auch, entgegnete, Topfnidend und 
zu wiederholtem Trinken anjegend, der Graf. — Es 
begreift fich allenfallg noch, fuhr der Alte fort, wie es 
in den Städten Unzufriedene gibt, die an Etant und 
Ordnung rütteln und denen die Gewalt Nichts zu 
Dante machen fann, aber auf dem Lande, in Wald 
und Feld, fühlt man’3 beutlih, daß doch am Ende 
Gott allein Alles vegiert; und der hat’3 noch immer 
gut gemacht bis auf diefen Augenblid. Aber die Ruhe: 
ftörer haben feine Raft, bis fie Alles verwirrt und 
zerrüttet, Bater und Bruder in ihr Neb gezogen, 
Schweſter und Schwäger. Gottes Verderben über fie! 
— Der Graf war aufgeitanden. Ich merfe wohl, ſprach 
er, daß du auf meiner Frauen Brüder zielft. Haft du 
etwa neuerlich von ihnen gehört? — Da fiel der alte 
Mann plöglich zu Starſchensky's Füßen, und in heiße 
Thränen ausbrechend, rief er: Herr, laßt Euch nicht 
verlocken! Denkt an Weib und Kind! An fo Manches, 
was Ihr bejigt! An Eurer Väter rubmwürdigen Namen! 
— Was fommt dir an? zürnte dev Graf. — Her, 
rief der Alte, Eure Schwäger finnen Böfes, und Ihr 


90 Das Klofter bei Sendomir. 


wißt um ihr Vorhaben! — Spricht der Wahnfinn aus 
dir? fchrie Starſchensky. — Ich weiß, was ich fage, 
entgegnete der Alte. Ein Vertrauter Eurer Schwäger 
fommt zu Euch heimlich auf? Schloß. Heimlich wird 
er eingelaflen. Tagelang liegt er in der halbverfallenen 
Warte am weſtlichen Ende der Thiergartenmauer ver: 
borgen. — Wer fagt das? — Sch, der ich ihn felbit 
gefehen habe, — Heimlich aufs Schlop kommend? — 
Heimlich aufs Schloß! — Wann? — Dit! — Ein Ber: 
trauter meiner Schwäger? — In Warfchau ſah ich 
ihn an ihrer Seite. — Weißt du feinen Namen? — 
Euch ift mohlbefannt, daß ich nur Einmal in Warſchau 
war, und da hatte ich Wichtigeres in Eurem Dienite 
zu Schaffen, ala mich um die Namen von Eurer Schwäger 
zahlreichen Zechgefellen zu befümmern. Aber, daß ich 
ihn mit ihnen ſah, deß bin ich gewiß. — Zu melden 
Stunden ſahſt du ihn aufs Schloß fommen? — Nachts! 
— Starſchensky fchauderte unwillfürlih zufammen bei 
diefer legten Antwort, obgleich eine kurze Befinnung 
ihm fo viele mögliche Erklärungsarten dieſer räthjels 
haften Bejuche darbot, daß er bei feiner Nachhaufes 
Zunft Schon wieder beinahe ganz rubig mar. Nur fragte 
er wie im Vorbeigehn Elga’n: ob fie fchon lange Feine 
Nachricht von ihren Brüdern erhalten babe? Seit fie 
zulegt felbft hier waren, feine, — entgegnete fie ganz 
unbefangen. Der Graf gebot dem alten Hausverwalter, 
dem er feine patriotifchen Beſorgniſſe leicht ausgerebet 
hatte, das tiefite Stillichweigen über die ganze Sache, 
bejchloß aber doch, wo möglich näher auf den Grund 
zu jehen. 

„Einige Zeit verftrich, da war er eines Nachmittags 
zu Pferde geftiegen, um eine feiner entferntern Bes 
figungen zu befudhen, wo er mehrere Tage zubringen 
wollte. Schon hatte er einen guten Theil des Weges 


Das Klofter bei Sendomir: 21 


gemacht, und des Abend fing an, einzubrechen, da hörte 
er binter fi laut und ängjtlich feinen Namen rufen. 
Umblidend, erkannte er den alten Hausverwalter, ber 
auf einem abgetriebenen Pferde Teuchend und athemlos 
ihn einzuholen fich beftrebte und mit Rufen und Hänbes 
winten anzubalten und ihn zu erwarten bat. Der 
Graf zog den Zügel feines Roſſes an und hielt. An: 
gelangt, drängte ber Alte fih hart an feinen Heren 
und ftammelte ihm Teuchend feine Kunde ins Ohr. Der 
Veranlafler jener Bejorgnifie, der räthfelhafte Unbe- 
fannte war wieder in der Nähe des Schloffes gefehen 
worden. Der Graf wandte fein Roß, und Eines Laufes 
Iprengten fie den Weg zurüd, heimmwärts, mit Mühe 
von den Dienern gefolgt. Eine gute Strede vom Schloſſe 
fliegen Beide ab und gaben die Pferde dem Diener, 
der angewiefen wurde, ihrer an einem bezeichneten 
Plate zu barren. Durch Geſtrüpp und Dickicht gingen 
fie jener Warte zu, wo ber Fremde fi) am Defteiten 
zeigen ſollte. Es war indeß bunfel geworben, und 
der Mond zögerte noch, aufzugeben, obſchon bereits 
dur eine dDämmernde Helle am Saum des Horizontes 
angekündigt. Da fiel plötzlich durch die dicht ver- 
ſchlungenen Zweige ein Licht in ihre Augen, in der: 
jelben Richtung, in der jene Warte liegen mußte. Sie 
beeilten ih, den Rand bes Waldes zu erreichen, und 
waren nun am Yuße des von Bäumen entblößten 
Hügels angelommen, auf dem die Warte ftand. Aber 
fein Licht blidte durch die ausgebrödelten Schußfchar: 
ten; Feine Spur eines menfchliden Weſens. Zwar 
wollte der alte Berwalter bei dem Schein des eben 
aufgehenden Mondes friſche Fußtritte am Boden be: 
merken, auch war es keineswegs in der Drbnung, 
bte Thüre unverfchlofien zu finden; aber das erfte 
Unzeihen konnte täuſchen, das andere ließ ſich fo 


99 Das Klofter bei Sendomir. 


leiht aus einer Nachläſſigkeit des Schloßwarts er⸗ 
klären. 

„Leichter athmend, ging der Graf mit feinem Be: 
gleiter den Hügel herab, dem Schloffe zu. Der Mond 
warf fein Silber über die ruhig ſchlummernde Gegend 
und verwandelte das vor ihnen liegende Schloß in 
einen fchimmernden Feenpalaft. In der Seele Star: 
ſchensky's ging, reizender als je, das Bild feiner Gattin 
auf. Jetzt erſt geſtand er ſich's, daß ein Theil bes 
in ihm aufleimenvden Verbachtes ihr gegolten hatte, 
und nun, im Gefühle feines Unrechts, ihr Bild, mie 

- fie forglos fchlummernd im jungfräulichen Bette lag, 
vor den Augen feiner Geele, entitand eine Sehnfucht 
nach ihr in feinem Innern, wie er fie, feit den Tagen 

des erjten Begegmens, der bräutlichen Bewerbung faum 
je empfunden hatte. 

„So träumte er, fo ging ev. Da fühlte er fich 
plöglich angeftoßen. Sein Begleiter war’3; der zeigte 
mit dem Finger vor fid) hin in das hellerleuchtete Feld. 
Starſchensky folgte der Richtung und fah eine Manns: 
geftalt, melche, die vom Monde unerleuchtete, dunkle 
Seite ihnen zugefehrt, übers Feld dem Schloſſe zu: 
Ihlid. Der Graf war fein felbjt nicht mächtig. Mit 
einem lauten Ausruf, ven gezückten Säbel in ber Fauſt, 
ftürzte er auf die Geftalt Io8. Der Fremde, frühzeitig 
gewarnt, floh, vom Schloſſe ab, den Bäumen zu. 
Schon im Begriffe, ihn dahin zu verfolgen, mard ber 
Graf dur eine zweite Erjcheinung davon abgehalten, 
die dicht an der Mauer des Schloffes fih hinſchob. 
Diefe zweite ward bald erreicht und gab fich zitternd 

und bebend als Dortla, der Gräfin Kammermädchen, 

Jkund. Auf die erfte Frage: Was fie hier gemacht? 
ſtotterte fie unzufammenhängende Entfchuldigungen; bie 
zweite: wie fie hierher gelommen? beantwortete an ihrer 


Das Klofter bei Sendomir. 23 


Statt das geöffnete Ausfallpförtchen, das, gemöhnlich 
verjperrt und verriegelt, nur auf des Grafen Befehl 
mit einem Schlüffel, den er felbft verwahrte, geöffnet 
werden Tonnte. 

„Alle Berfuche, von dem Mädchen ein Geſtändniß 
zu erpreflen, maren vergeblih. Da ergriff fie ver Graf 
hocherzürnt bei der Hand und führte fie gewaltfam 
durch die mannigfach verfchlungenen Gänge bis zu den 
Zimmern feiner Gemahlin, die er noch erleuchtet und 
unverfchloffen fand. Elga felbft war wach und in 


Kleidern. Der Graf, ftotternd vor Wuth, erzählte « 


das Gefchehene und verlangte, daß das Mädchen ent: 
weder augenblidlich bekenne, oder auf der Stelle aus 
Dienft und Haufe entfernt werde. Dortfa war auf 
die Kniee gefallen und zitterte und meinte. 


„Starſchensky hatte fich feine Gattin verlegen, ober. 


feinem gerechten Zorne beiftimmend gedacht. Keines 
von beiden geſchah. Kalt und theilnahmlos bat fie 
ihn Anfangs, die Ruhe des Haufes nicht durch fein 
lautes Scelten zu ftören, und als er fortfuhr und 
die Entfernung des Mädchens begehrte, da erklärte fie 
mit fteigender Wärme: Ihr gebühre, über dag Ber: 
halten ihrer Dienerinnen zu richten, fie ſelbſt werde 
unterfuhen und entjcheiden. Der Graf, außer fi, 
309 das Mädchen vom Boden auf, fie gewaltſam aus 
dem Zimmer zu bringen, aber Elga jprang hinzu, er- 
griff des Mädchens andere Hand, riß fie zu fih, indem 
fie ausrief: Nun denn, fo ftoß auch mich aus dem 
Haufe, denn darauf iſt e3 doch wohl abgejehen! Daß 
ich früher dich jo gefannt! Unglüdliche, die ich bin! 
fuhr fie laut weinend fort; gefränft, mißhandelt! Aber 
Tchuldlofe Diener follen nicht um meinetwillen leiden! 
Dabei zeigte jie dem Mädchen mit dem Finger auf die 
Thüre ihres Schlafgemadhes; diefes verftand den ftummen 





24 Das Kloſter bei Sendomir. 


Befehl und ging eilig hinein. Elga folgte und ſchloß 
die Thüre hinter ſich ab. 

„Starſchensky ſtand wie vom Donner getroffen. 
Einmal raffte er ſich empor und ging auf das Zimmer 
feiner Frau zu; halben Weges aber blieb er ſtehen 
und verfanf neuerdings in bumpfes Staunen. Der 
alte Hausverwalter trat zu ihm und fprad einige 
Morte; der Graf aber ging ohne Antwort an ihm 
vorüber zur Thüre hinaus, über die Gänge, auf fein 
Gemach, das im entgegengefehten Flügel des Schlofjes 
lag. An der Schwelle wendete er ſich um, durch eine 
Bewegung der Hand jede Begleitung zurückweiſend, 
und bie Thüre ging hinter ihm zu. Wie er die Nacht 
zubrachte — wer Tann es wiffen? Der Diener, der bes 
Morgens zu ihm eintrat, fand ihn angelleibet, auf 
einem Stuble fitend. Er ſchien zu jchlafen, doch näher 
befeben, ſtanden die Augen offen und ftarrten vor fich 
hin. Der Diener mußte einigemal feinen Namen nennen, 
bis er fih bewegte. Dann erft meldete jener feine 
Botfchaft, indem er ihn im Namen ber Gräfin bat, 
das Frühftüf auf ihrem Zimmer einzunehmen. Star 
ſchensky ſah ihn ftaunend an, dann aber ſtand er auf 
und folgte ſchweigend, mohin jener ihn, bortretend, 
geleitete. 

„Heiter und blühend, als ob Nichts worgefallen 
wäre, kam ihm Elga entgegen; fie erwähnte halb 
Icherzend der GEreigniffe der verflofjenen Nadt. Das 
Kammermädchen ward eines heimlichen Liebeshandels 
angeklagt, Dortfa ſelbſt gerufen, die ein unwahrſchein⸗ 
liches Märchen unbeholfen genug erzählte. Zulegt bat 
fie um Verzeihung, welche die Gräfin, mit Rückſicht 
auf fonft gezeigtes gutes Betragen, im eigenen und 
in. ihres Gatten Namen großmüthig ertbeilte. Der 
Straf, am Schluffe doch auch um feine Zuftimmung 





y 


DaB Klofter bei Sendomir. 25 


befragt, ertheilte dieſe fopfnidend, und das Mädchen 
blieb im Haufe. 

„Schweigend nahm Starſchensly das Frühftüd ein, 
ftumm ging er aus dem Schloſſe. Der alte Hausver- 
walter, der ihm auf feinem Wege entgegenfam, magte, 
neben ihm bergebend, nicht, das Stillfchweigen zu 
brechen, und fuchte nur in den Zügen feines Herrn 
Antwort auf feine zurüdigebaltenen Fragen und Zweifel. 


Sp gingen fie, fo ae nee, wie 
fonft, wie immer. “Der Graf beftrebte ſich nıcht bloß, 
über die Vorfälle des geitrigen Tages nichts zu denken, 
er. dachte wirklich nichts. Denn wenn der verfolgte 
Strauß fein Haupt im Busch verbirgt und wähnt, fein 
Nichtjehen der Gefahr ſei zugleich ein Nichtdaſein ders 
jelben, jo thut der Menfch nicht anders. Unwillkürlich 
Ichließt er fein Auge vor einem bereinbrechenden Un: 
vermeiblichen, und jedes Herz hat feine Geheimnifie, 
die es abjichtlich verbirgt vor fich felbit. 

„Einige Tage darauf wollte Starſchensky eintreten 
bei feiner Gemahlin. €3 hieß, fie fer im Babe; doch 
hörte er die Stimme feines Kindes im nächſten Ge: 
made, und er ging hinein. Da fand er die Kleine 
am Boden fitend, mitten in einer argen Verwirrung, 
die fie angerichtet, Elga's Schmud und Kleinodien 
lagen rings um das Kind zerftreut, und das offene, 
umgeltürzte Schmudfäftchen nebft dem herabgezogenen 
Teppich des daneben ſtehenden Putztiſches zeigte deutlich 
die Art, wie es ſich das foftbare Spielzeug verſchafft 
hatte. Starſchensky trat gutmüthig fcheltend hinzu, 
ftritt dem Kinde Stüd für Stüd feinen Raub ab und 
verfuchte nun, die glänzenden Steine wieder an ihre 
Stelle zu legen. Der Dedel des Schmudfäftcheng, 
augenfcheinlich ein doppelter, war durch den Sturz 
vom Tiſche aus den Fugen gewichen, und ba der Graf 











26 Das Klofter bei Sendomir. 


verfuchte, ihn, mit dem Finger drückend, wieder zurüd 
zu prefien, fiel der innere Theil der doppelten Ver— 
kleidung auf den Boden und zeigte in dem rüdgebliebenen 
hohlen Raume ein Porträt, das, ſchwach eingefügt, 
leicht von der Stelle wich und das nun der Graf bielt 
ın der zitternden Hand. 

„Es war das Bild eines Mannes in polnifcher 
Nationaltraht. Das Gefühl einer entſetzlichen Aehn⸗ 
lichfeit überfiel den Grafen wie ein Gewappneter. Da 
war das oft befprochene Naturfpiel mit den ſchwarzen 
Augen und blondem Haare, wie — bei feinem Kinde. — 
Er ſah das Mädchen an, dann wieder das Bild. — 
Diefe Züge hatte er ſonſt Schon irgend gefehen; aber 
warn? mo? — Schauer überliefen ihn. — Er blidte 
wieder hin. Da fchaute ihn fein Kind mit fchwarzen 
Schlangenaugen an, und die blonden Haare Ioberten 
wie Flammen, und die Erinnerung an jenen ver 
ſchmähten Better in Warſchau ging gräßlich in ihm auf. 
— Oginsky! ſchrie er und hielt fi) am Tifche, und die 
Zähne feines Mundes fchlugen Tlappernd aneinander. 

„Ein Geräuſch im Nebenzimmer fchredite ihn empor. 
Er befeftigte den Dedel an feine Stelle, fchloß das 
Käftchen, das Bild hatte er in feinen Bufen geftedt: 
fo floh er, wie ein Mörder. 

„Dieſen Tag ward er im Schloffe nicht mehr gefehen. 
Sein Platz blieb leer am Mittagstifche. Gegen Abend 
kam er ing Zimmer der Wärterin und verlangte nach dem 
Kinde. Das nahm er bei der Hand und führte e8 in ben 
Garten, der einſam gelegenen Mooshütte zu. Dort fand 
ihn nad) einer Stunde der fuchende Hausverwalter, in 
eine Ruhebank zurüdgelehnt. Das Kind ftand zwischen 
feinen Knieen, er ſelbſt hielt ein Bild in ber Hand, 
abwechſelnd auf dieſes, dann auf die Kleine blickend, 
wie Einer, der vergleicht, — meinte der alte Mann. 





Das SHlofter bei Eendomir. 97 


„Am folgenden Morgen war Starſchensky verreist, 
Niemand wußte, wohin. Er aber war in Warfchau; 
dort forfchte er, zu jpät! nah Elga’3 früheren Ber: 
bältniffen. Er erfuhr, daß fie und Oginsky, der in 
des alten Staroften Haufe erzogen war, fih fchon 
frühzeitig geliebt, daß, aus Beforgniß vor der machjen- 
den Vertraulichkeit, der ausfichtslofe Vetter entfernt 
wurde; daß, aus feiner Verbannung zurüdfehrend, 
furz vor Starſchensky's Vermählung, er feine An: 
ſprüche erneuert habe und jene beveutende Summe 
Geldes, die in des alten Laſchek letztem Willen ihm 
zugedacht war, zum Theil der Preis feines Rüdtrittes 
war; das Elga fih nur Schwer von ihm getrennt und 
feine Armuth und Starfchensty’s Reichthum, verbunden 
mit dem Andringen ihrer Verwandten, der Haupt: 
grund ihrer Einwilligung zur Verbindung mit dem 
Grafen geweſen war. AN dieſe Geheimniffe fol einer 
von Elga’3 Brüdern, gegen den er fi zur rechten 
Zeit freigebig zeigte, dem Grafen um Geld verrathen und 
ihm zugleich den Ort angezeigt haben, mo Oginsky, 
einem geleifteten Schwur zufolge, fich verborgen hielt. 

„Auf dem Schloſſe berrichte unterbeflen Unruhe 
und Beſorgniß. Elga felbft war Übrigen? augenjchein- 
lich die Ruhigſte von Allen. Sie ſchien das befremb: 
liche Betragen ihres Gatten noch auf Rechnung jener 
nächtlichen Weberrafhung zu jchieben, über die, da 
durchaus Niemanden etwas Beftimmtes zur Laſt gelegt 
werden konnte, der Graf, wie fie hoffte, ſich am Ende 
wohl felbjt beruhigen werve. Jenes Kammermäbchen 
mar noch immer in ihren Dienften. 

„uUnvermuthet erfchien nach einiger Zeit der Graf 
auf der Gränze feiner Befigung, in feinem Gefolge 
ein verjchloffener Wagen, von deſſen Inhalt Niemand 
wußte. Eine verbüllte Geftalt, vielleicht durch Knebel 


28 Das Klofter bei Sendomir. 


anı Sprechen verhindert, warb berausgehoben und dem 
durch Briefe im Voraus an die Gränge beichiedenen 
Hausverwalter übergeben. Die alte Warte an der Weſt⸗ 
jeite des Thiergartens, ſeitdem jorgfältig verſchloſſen, 
nahm die jonverbare Erfcheinung in ihren Gewahrſam, 
und bunfle Gerüchte verbreiteten fih unter den Be 
twohnern der Umgegend. 

„Der Graf ging auf fein Schloß. Laut jubelnd 
fam ihm Elga entgegen, das Kind an ihrer Hand. Er 
hörte, wie unruhig man über feine plögliche Abreife 
geweſen, wie jehnlih man ihn zurüdermwartet, Der 
Kleinen Fortichritte wurden angerühmt, einige Proben 
bes erlangten Geſchicklichkeit auf der Stelle abgelegt. 
Da die Zeit des Abendeſſens gekommen war, erklärte 
Starſchensky fih unpaß und ermüdet von der Reife. 
Er ging, trog aller Gegenvorftellungen, allein auf 
fein Zimmer, wo er ſich einfchlog. Do war fein 
Bedürfniß nach Ruhe nur vorgegeben, denn Nachts 
verließ er fein Gemad und ging allein nach der Warte, 
wo er bi zum grauenden Morgen blieb. 

„Am darauf folgenden Tage war Elga verbrießlich, 
Ihmollend. Des Grafen nächtlicher Gang mar nicht 
unbemerkt geblieben. Elga fand ſich vernadläfligt und 
zeigte ihre Unzufrievenheit darüber. Starſchensky 
unterbrach ihre mißmuthigen Aeußerungen, indem er 
von ihrer beiderjeitigen Lage zu fpredhen anfing. Er 
bemerfte, daß bei feinem jehigen Aufenthalte in 
Warſchau, bei dem erneuten Anblid der Zerftreuungen 
jener genußliebenden Stadt, es ihm klar geimorben, 
wie ein fo reizendes, lebensfrohes Weſen, als Elga, 
auf dem Lande gar nit an ihrer Stelle fei. Er 
fragte fie, ob fie den Aufenthalt in der Hauptitabt 
vorziehen würde? — An feiner Seite, entgegnete fie. 
— Er felbit, verficherte der Graf, werde durch jeine 


Das Klofter bei Sendomir. 29 


Geſchäfte auf den Gütern feftgehalten; feine Vermögens: 
umſtände feten Schlimmer, als man geglaubt, er müfle 
bleiben. Dann bleive auch fie, fagte Elga. An feiner 
Seite wolle fie leben und jterben. — Nun verwünfchte 
fie die beiden Brüder, die durch ihre unverfchämten 
Forderungen den allzu guten Gatten in fo mande 
Verlegenheit geftürzt. Sie verficherte, nun aber auch 
jeden Reit von Liebe für fie abgelegt zu haben. Wenn 
ibre Brüder bettelnd vor der Thüre ftänden, fie würde 
nicht Öffnen, fagte fie. Der Graf übernahm zum Theil 
die BVertheidigung feiner Schwäger. Er babe fie in 
Warſchau geſprochen. Es war einer ihrer Verbannungs⸗ 
gefährten bei ihnen, — wie hieß er doch? — Elga 
ſann gleichfalls nach. — Oginsky! rief der Graf und 
blickte ſie raſch an. Sie veränderte nicht eine Miene 
und ſagte: Die Genoſſen meiner Brüder ſind alle 
ſchlecht, dieſer aber iſt der ſchlechteſte! — Welcher? 
— Den du nannteſt! — Welcher war das? — Nun, 
Oginsky! antwortete ſie, und ein leichtes Zucken in 
ihren Zügen verrieth eine vorübergehende Bewegung. 

„Der Graf war ans Fenſter getreten und blickte 
hinaus. Elga folgte ihm, ſie lehnte den Arm auf 
ſeine Schulter. Der Graf ſtand unbeweglich. Star⸗ 
ſchensky, ſagte ſie, ich bemerke eine ungeheuere Ver⸗ 
änderung in deinem Weſen. Du liebſt mich nicht, 
wie ſonſt. Du verſchweigſt mir Manches. Der Graf 
wendete ſich um und ſagte: Nun denn, ſo laß uns 
reden, weil du Rede willſt. Du kennſt die Zerrüttung 
meiner Vermögensumſtände, du kennſt deren Urſache. 
Was noch ſonſt mich drückt, weiß nur ich. Wenn nun 
dieſe Ereigniſſe ſchwer auf mir liegen, jo martert nicht 
weniger der Gedanke, daß ich die Urfadhe wohl gar 
jelbft herbeigeführt habe. Gewiß mar ber Leichtfinn 
tadelnsmwerth, mit dem ich das Erbe meiner Väter ver: 


30: Dos Klofter bei Scndomir. 


waltete; vielleicht war ich aber ſogar damals jtrafbar, 
als ich, der Störrifche, an Abgefchiedenheit Gewohnte, 
um die Hand bes lebensfrohen Mädchens warb, un: 
befümmert, ob ich fie, meine Frau geworben, zu einer 
Lebensart verdammte, deren Einförmigfeit ihr uner= 
träglich ‚werden mußte. — Starſchensky! fagte Elga 
und ſah ihn mit fchmeichelndem Vorwurfe an. — 
Man hat mir fremde Dienfte angeboten, fuhr Star: 
ſchensky fort, und genau bejehen, it: eg vielleicht am 
Beften, ich meide für einige, vielleicht für längere Zeit 
dag Land meiner Väter. eltern noch maren meine 
Entſchlüſſe finfterer. Aber die Weberlegung der heutigen 
Nacht zeigte mir dieſen Entihluß als den beiten. 
Heute Nacht, verfeßte Elga mißtrauiſch, heute Nacht 
haft du überlegt? Und wo? Auf jener Warte etwa? 
Und da Starſchensky betroffen zurüdfuhr: Hab’ ich 
dich? — fuhr fie fort. Won dort ber holft du beine 
Beſorgniſſe? Bon dorther deinen Wunſch, zu reifen? 
Und die Reifegefährtin wohl auch? Durch das Gerücht 
mußte ich erfahren, wie eine verhüllte Gejtalt, wahr 
ſcheinlich eine glüdlichere Geliebte, dort abgeſetzt ward, 
zu der du nun allnächtlich die Zärtlichkeit trägit, die 
bu an dem Altare mir zugeſchworen. Iſt das mein 
Lohn? — Komm! wendete fie fih zu dem daneben: 
ſtehenden Kinde, Tomm! Wir find ihm zur Laft! Er 
hat andere Freuden fennen gelernt, als in dem Kreife 
der Seinen! damit wendete fie fich zum Gehen. Ein 
gellendes Hohngelächter entfuhr dem Munde des Grafen, 
über das er ſelbſt zuſammenſchrak, wie über das 
eines Andern. Elga wendete fib um. Ich mußte 
wohl, fagte fie, daß es nur Scherz war. Aber bie 
Enthüllung des Geheimnifjes jener Warte erſparſt du 
div noch nicht. Sch muß ſelbſt Schauen, mas fie ver: 
birgt. Verſprichſt du mir Das? Der Graf war auf 











Das Klofter bei Sendomir. 3] 


ein Nuhebett geſunken und verhüllte das Gefiht in 
jeine beiven Hände. Da hörte er eine Thüre gehen. 
Durch die Finger blidend, fah er das Kammermäbchen 
feiner Frau, bie eben mit ihrem Nachtzeuge eintreten 
wollte, und Elga'n, die mit einem liſtigenGeſichte 
ihr Entfernung zuwinkte. Elga nahte bierauf dem 
Nuhebette, und fich neben ihren Gatten hinſetzend, 
ſprach fie: Komm, Starſchensky, laß ung Frieden 
Ichließen! Wir haben uns ja doch Schon fo lange nicht 
ohne Zeugen geſprochen. Damit neigte fie ihre Wange 
an bie feinige und zog eine feiner Hände an ihr 
lopfendes Herz. Ein Schauder überfiel den Grafen. 
Höllenſchwarz ſtand's vor ihm. Er ftieß fein Weib 
zurüd und entflob. 

„Mitternacht hatte gefchlagen. Alles im Schloffe 
war ſtille. Elga jchlief in ihrem Zimmer. Da fühlte 
fie fi angefaßt, und aus dem Schlafe emporfahrend, 
Jah fie beim Schein der Nachtlampe ihren Gatten, der, 
eine Blenblaterne in der Hand, fie aufftehen und ſich 
anfleiven hieß. Auf ihre Frage: wozu? entgegnete 
er: Sie habe Verlangen gezeigt, die Geheimniſſe jener 
Warte kennen zu lernen. Am Tage ginge das nicht 
an; wenn ſie aber Finiternig und Nachtluft nicht 
Icheue, jo möge fie ihm folgen. Aber halt du nichts 
Arges im Sinne? fagte die Gräfin; du warſt geitern 
Abends fo fonderbar! — Wenn bu nicht folgen millit, 
jo bleibe, ſprach Starjchensfy ‚und mar im Begriffe, 
fih zu entfernen. Halt! rief Elga Wenn Furcht⸗ 
ſamkeit der Weiber allgemeines Erbtheil iſt, jo bin ich 
fein Weib. Auch muß diefer Zuſtand von Ungemiß- 
beit enden. Vielleicht bit du in dich gegangen, haft 
erfannt. — Wenn du dich überzeugen willit — ſprach 
Starichensty, fo fteh auf und folge mir. — Elga war 
aus dem Bette gefprungen und hatte einen Schlafpelz 


39 Das Klofter bei Sendomir. 


übergeworfen. Sie wollte geben. Uber indeß war 
das Kind erwacht, das in dem Bette ihr zur Geite 
ſchlief. Es fing an, zu meinen. Dein Kind wird bie 
Bewohner des Schloffes wecken, fagte der Graf. De, 
ohne ein Wort zu fprechen, nahm Elga die Kleine 
empor, wickelte fie in ein marmverhüllendes Tuch, und 
das Kind auf dem Arme, folgte fie dem leitenden 
Gatten, 

„Die Nacht war Fühl und dunkel. Die Sterne 
zwar fchimmerten taufenvfältig am trauergefärbten 
Himmel, aber fein Mond beleuchtete der Wandler ein- 
famen Pfad, nur des Grafen Blendlaterne warf kurze 
Streiflichte auf den Boden und die unterften Blätter 
der mitternädhtig ſchlummernden Gefträude. 

„So hatten fie den, von feiner ehemaligen Be: 
nügung jo genannten Thiergarten durchichritten und 
waren nun bei jener Warte angelangt, dem eigent: 
lichen Biele ihrer Wanderung. Da wendete der Graf 
fih um zu feiner Gattin und ſprach: Du bift nun im 
Begriffe, das verborgenite Geheimnig deines Gatten 
zu erforfchen. Du willſt ihn überrafchen über dem 
Bruce feiner ehelichen Treue, ihn beichämen in Bei 
fein einer verworfenen Geliebten. Es ıft billig, daß 
Gefahr und Vortheil auf beiden Seiten gleich fei. 
Bevor du eintrittft, ſchwöre mir, daß du jelber nie 
eines gleichen Fehls dich ſchuldig gemacht, daß du rein 
jeift an dem Verbrechen, deſſen bu zeibft deinen Gatten. 
Du ſuchſt Ausflühte, ſprach Elga. Weib! fuhr ver 
Graf fort, durchgeh in Gedanken dein verfloffenes 
Leben, und wenn bu eine Makel, ich will nicht jagen, 
ein Brandmal, darin entvedft, fo tritt nicht ein in 
biefes Gemäuer. Elga drängte fi, am Grafen vorbei, 
dem Eingange zu. Er ftellte fi ihr von Neuem in 
den Weg, indem er ausrief: Du gehft nicht ein, bevor 


Das Kloſter bei Sendomir. 33 


Du mir's eidlich verfihert. Lege die Hand auf das 
Haupt deines Kindes und ſchwöre! — Da legte Elga 
die Rechte auf das Haupt der fchlummernden Kleinen 
und fprah: So überflüflig mir ein folder Schwur 
fcheint, jo gut du jelbft davon überzeugt bift, wie ſehr 
er e3 fei, jo befräftige ich doch! — Halt! fchrie Star: 
ſchensky, e8 ift genug. Tritt ein und ſieh! 

„Der Graf Schloß auf. Sie ftiegen eine fchmale 
Menbeltreppe hinan, die zu einer gleichfalls verſchloſſe⸗ 
nen Thüre führte. Der Graf öffnete auch diefe, und 
nun traten fie in ein geräumiges Gemadh, deſſen innerer 
Theil durch einen dunklen Vorhang abgeichlofien war. 
Der Graf feßte Stühle an einem vorgefchobenen Tifche 
zurecht, entzündete an dem Lichte feiner Blendlaterne 
zwei Wachskerzen in fchweren, ehernen Leuchtern, 308 
aus der Schublade des Tifches ein Heft Papiere ber: 
vor und winkte feiner Frau, fich zu ſetzen, indem er 
fih gleichfalls niederließ. Elga fah rings um fich her, 
bemerkte aber Niemand. Sie ſaß und hörte. 

„Da begann der Graf, dem Lichte näher rüdend, 
zu lefen aus den Papieren, die er hielt: „„Auch be 
fenne ich, mit der Tochter des Staroften Laſchek un- 
erlaubte Gemeinichaft gepflogen zu haben; vor und 
nach ihrer Vermählung mit dem Grafen Starfchensty. 
Ihrer Ehe einziges Kind — —““ Unerbörte Verleum: 
dung! fchrie Elga und fprang auf. Wer wagt ed, mic 
folder Dinge zu zeihen? — Oginsky! rief der Graf. 
Steh auf und befräftige deine Ausfage! Bei diejen 
Worten hatte er den Vorhang hinweggeriffen, und eine 
Mannsgeftalt zeigte fih, auf Stroh liegend, mit Ketten 
an die Wand gefeflelt. Wer ruft mir? fragte der Ge- 
fangene. Elga ift bier, fagte der Graf, und fragt, ob 
e3 wahr fei, daß du mit ihr gelost? — Wie oft joll 
ich's noch wiederholen? fagte der Mann, fich in feinen 

Brillparzer, Werte. VII. 3 


34 Tas Klofter bei Eendomir. 


Ketten umkehrend. — Hörit du? fchrie ber Graf zu 
feiner Gattin, die bleich und erftarrt da ftand. Nimm 
bier den Schlüffel und öffne die Fefleln diejes Mannes ! 
Elga zauderte. Da riß der Graf feinen Eäbel halb 
aus der Scheibe, und fie ging. Klirrend fielen die 
Ketten ab, und Oginsky trat vor. Was wollt Ihr 
von mir? fagte er. Du haft mid am Tiefiten verlegt, 
ſprach der Graf. Du weißt, wie Männer und Edel⸗ 
leute ihre Beleidigungen abthun. Hier nimm diefen 
Stahl, fuhr er fort, indem er einen zweiten Säbel 
aus feinem Oberrode bervorzog, und ftelle dich mir! 
— Ich mag nicht fechten! jagte Oginsky. — Du mußt! 
fchrie Starjchensfy und drang auf ihn ein. Mittler: 
weile hörte man Geräufch auf ber Treppe. Elga, die 
unbeweglich da gejtanden hatte, fprang jebt der Thüre 
zu und verſuchte, diefe zu Öffnen, indem fie laut um 
Hülfe ſchrie. Starſchensky ereilte fie, ba fie eben nad) 
der Klinke griff, ftieß das Weib zurüd und ſchloß 
die Thüre ab, Die Zmifchenzeit benügte Oginsky, 
und während der Graf noch am Eingange befchäftigt 
war, riß er das Fenfter auf und fprang hinab. Der 
Hal war nicht tief; Oginsky erreichte unbefchäbigt den 
Boden, und ald der Graf von der Thüre weg zum 
Fenſter eilte, werhallten bereits die Fußtritte des Ent- 
flohenen in weiter Entfernung. 

„Der Graf wendete fih nun zu feiner Gemahlin. 
Dein Mitjchuldiger ift entflohben, fagte er, aber bu 
entgebft mir nicht. — Kannft du jene Verleumdung glau- 
ben? jtammelte Elga. — ch glaube Dem, was ich weiß, 
ſprach Starſchensky, und dem Stempel der Aehnlich— 
: feit in den Zügen dieſes Kindes. Du mußt jterben, 
ſagte er, und zwar bier auf der Stelle! — Elga war auf 
die Kniee gefallen. Erbarme dich meines Lebens! rief 
fie. Beginne mit mir, was du wilft! Verbanne mich! 








Das Klofter bei Sendomir. ‘ 35 


verftope mich! heiße mich in’ einem Klofter, in einem 
Kerker den Reit meiner Tage vollbringen, nur laß 
mich leben! leben! — Der Graf bedachte fich eine Weile, 
dann ſprach er: Weil du denn biefes fchmacherfüllte, 
fheuglihe Daſein ſchätzeſt über Alles, jo wiſſe: ein 
einziges Mittel gibt es, dich zu retten. Nenn’ es, 
nenne es, wimmerte Elga. Der Brandfled meiner 
Ehre, jprady der Graf, ift dieß Kind. Wenn feine 
Augen der Tod jchließt, wer weiß, ob mein Grimm 
ſich nicht legt. Wir find allein, Niemand fieht ung, 
Nacht und Dunkel verbüllen die That. Geh hin und 
tödte das Kind! — Wie, ich? fchrie Elga. Tödten? 
Mein Kind?- Unmenfchlidder! Verruchter! Was finnit 
du mir zu? — Nun denn! rief Starſchensky und hob 
den weggeworfenen Säbel vom Boden auf. — Halt! 
ſchrie Elga, halt! Ich will! Sie ftürzte auf ihr Kind los 
und preßte es an ihren Bufen, bevedte es mit Thränen. 
— Du zauderft? ſchrie Starſchensky und machte eine 
Bewegung gegen fie. — Nein! nein! rief Elga. Ber: 
zeihe mir Gott, was ich thun muß, mas ich nicht laſſen 
Tann. Berzeihe du mir, zum Unglück Gebornes! 
Damit hatte fie das Kind wiederholt an ihre Bruft 
gedrüdt; mit meggewandtem Auge ergriff fie eine große 
Nadel, die ihren Pelz zufammenbielt; das Werkzeug 
blinkt, der bewaffnete Arm — Halt! ſchrie plöglich 
Starſchensky. Dahin wollt’ id) dich haben! ſehen, ob 
noch eine Regung in dir, die werth des Tages. Aber 
es iſt ſchwarz und Naht. Dein Kind fol nicht fter- 
ben, aber, Schändliche, du! und damit jtieß er ihr 
den Säbel in die Seite, daß das Blut in Strömen 
emporfprang und fie hinfiel über dag unverlette Kind. 

„Diefelbe Nacht war eine des Schredens für die 
Bewohner der umliegenden Gegend. Bon einer Feuer: 
röthe am Himmel aufgejchredt, Tiefen fie zu und jahen 


— 





— 


36 - Daß Klofter bei Senbomir. 


die alte Warte an der Weitfeite der Thiergartenmauer 
von Starſchensky's Schloffe in hellen Flammen. Alle 
Berfuche, zu löjchen, maren vergebens; bald ſtanden 


nur ſchwarze Mauern unter ausgebrannten, rauchen: . 


den Trümmern. Man wollte den Grafen weder; er 
fehlte, mit ihm fein Weib, fein Kind. Die Brand- 
ftätte ward durchſucht und zwar allerdings menfchliches 
Gebein aufgefunden, aber follten das die Refte dreier 
Menſchen fein? 

„Beim Scheiben derſelben Nacht aber fühlte fich 
ein armes Köhlerweib im Gebirge die Glüdlichite aller 
Sterblihen. Denn als fie mit ihrem Manne lag und 
Schlief, pochte e8 an der Hüttenthüre. Sie ftand auf 
und öffnete; ba ſah fie im Scheine des anbrechenden 
Morgens ein meinendes Kind von etwa zwei Jahren 
vor fich ſtehen, jtatt aller Kleider in ein weites Tuch 
gebült, ein Käftchen neben ſich. Geöffnet, zeigte dieſes 
mehr Gold, als ſich das arme Paar je beifammen ge 
träumet hatte. Ein paar beigelegte Zeilen empfahlen 
das Kind der Vorforge der Beiden und verjprachen 
fernere Gelbfpende in der Zukunft. 


„Nach zwei Tagen erfchien ver Graf wieder in der _ 


Mitte der Seinigen, aber nur um ſich zu einer Reife 
nah Warſchau zu bereiten. Dort angelangt, ſuchte 
und erhielt er perfünliches Gehör beim Könige, nad 
deſſen Beendigung der Fürſt, fihtbar erfchüttert, feinen 
Kanzler holen ließ und ihm offene Briefe auszuferti— 
gen befahl, welche dem Grafen Starſchensky, als Leb- 
ten ſeines Stammes, die freie Verfügung über jeine 
Lehengüter einräumten. 


„Die Güter ſelbſt wurden theils werfauft und der 


Erlös zur Tilgung von Schulden verwendet, theilz 
als Stiftung einem Klofter zu Eigenthume gegeben, 
das man nicht fern von der Stelle zu bauen anfing, 











Das Klofter bei Sendomir. 37 


wo bie alte, abgebrannte Warte geftanden hatte. Das 
ift die Gefchichte dieſes Kloſters,“ endete der Mönch. 

„Der Graf felbft aber?" — fragte Einer der 
Fremden. 

„Ich babe Euch glei Anfangs gewarnt,” ſagte 
der Mönch, „nicht mweiter zu fragen, wenn ich auf: 
höre, nun thut Ihr's aber doch! Zahlreiche Seelmefjen 
wurden gejftiftet für die Ruhe Derjenigen, die eine 
rafche Gewaltthat hinmweggerafft in der Mitte ihrer 
Sünden; um Vergebung für den Unglüdlichen, der 
in verbammlicher Webereilung Verbrechen beitraft durch 
Verbrechen. Der Graf mar Mönd geworden in dem 
von ihm geftifteten Klofter. Anfangs fand er Troit 
in der Stille des Klofterlebens, in der Einförmigfeit 
der Bußübungen. Die Zeit aber, ftatt den Stachel 
abzuftumpfen, zeigte ihm jtet3 gräßlicher feine That. 
Ueber ihn fam feines Stammes thatenheifchender Geift, 
und bie Einfamfeit der Zelle warb ihm zur Folter: 
qual. In Zweiſprach mit Geiftern und gen fich ſelber 
mwüthend, hütete man ihn als Wahnfinnigen manches 
Jahr. Endlich geheilt, irrte er bei Tag umber; jedes 
Geihäft war ihm Erquidung, an den Bäumen des 
Forftes übte er feine Kraft. Nur Nachts, um die 
Stunde, da die beflagenswerthe That gejchah, die erfte 
nad) Mitternacht, wenn die Todtenfeier beginnt” — 
— So weit war er in feiner Erzählung gelommen, 
da ward diefe durch die eriten Töne eines aus der 
Klojterficche herübertönenden Chorgejanges unter: 
brochen; zugleich ſchlug die Glode Ein Uhr. 

Bei den eriten Lauten fchütterte der Mönch zu: 
fammen. Seine Kniee jchlotterten, feine Zähne fchlugen 
aneinander, er fchien binfinfen zu wollen, als ſich 
plöglich die Thüre öffnete und ber Abt des Kloſters 
in hbochaufgerichteter Stellung, das Kreuz feiner Würde 


38 Das SHofer bei Sendomir. 


funfelnd auf der Bruft, in die Schmwelle trat. „Wo 
bleibſt du, Starſchensky?“ rief er. „Die Stunde deiner 
' Buße ift gelommen.” Da wimmerte der Möndh, und 
‘ zufammengefrümmt, mie ein verwunbetes Thier, in 
weiten Kreifen, dem Hunde glei, ber die Etrafe 
- fürchtet, ſchob er fih der Thüre zu, die der Abt, 
zurüdtretend, ihm frei ließ. Dort angelangt, ſchoß 
er wie ein Pfeil hinaus, ver Abt, hinter ihm, ſchloß 
die Thüre. 

Noch lange hörten die Fremden dem Chorgejange 
zu, bis er verflang in die Etille der Nacht und fie 
ihr Lager fuchten zu kurzer Ruhe. 

Am Morgen nahmen fie Abſchied vom Abte, ihm 
dantend für die gaftfreundlide Bewirtbung. ‘Der 
‚jüngere gewann es über fih, nad dem Mönche ver 
geitrigen Nacht zu fragen, worauf der Prälat, ohne 
zu antworten, ihnen eine glüdliche Reife wünſchte. 

Sie zogen nad Warſchau und nahmen filh vor, 
auf der Nüdreife meitere Kunde bon dem Zuftande 
des Mönches einzuziehen, in dem fie wohl den unglüds 
lihen Starfchensiy erlannt hatten. Aber eine Yen 
derung in ihren Geſchäften fchrieb ihnen eine andere 
Straße zur Rückkehr vor, und nie haben fie mehr 
etwas von dem Mönche und dem Kloſter bei Senbomir 
gehört. 





Der arme Spielmann. 


(Srid 1848.) 


In Wien ift der Sonntag nad dem Vollmonde im 
Monat Juli jedes Jahres ſammt dem darauf folgen: 
den Tage ein eigentliches Volksfeſt, wenn je ein Feſt 
diejen Namen verbient hat. Das Volk befucht es und 
gibt es jelbit; und wenn Vornehmere dabei erfcheinen, 
fo können fie e8 nur in ihrer Eigenfchaft ala Glieder 
des Volks. Da ift feine Möglichkeit der Abſonderung; 
wenigſtens vor einigen Jahren noch war feine. 

An diefem Tage feiert die mit dem Augarten, der 
Leopoldſtadt, dem Prater in ununterbrochener Luſtreihe 
zufammenhängende Brigittenau ihre Kirchweihe. Bon 
Brigittenficchtag zu Brigittenfirchtag zählt feine guten 
Tage das arbeitende Voll. Lange erwartet, erjcheint 
endlih das faturnalifche- Feſt. Da entitehbt Aufruhr 
in der gutmüthig ruhigen Stabt. Eine wogende 
Menge erfüllt die Straßen. Geräuſch von Fußtritten, 
Gemurmel von Sprechenden, das bie und da ein lauter 
Ausruf durchzuckt. Der Unterfchied der Stände ift 
verſchwunden; Bürger und Soldat theilt die Bewegung. 
An den Thoren der Stadt wächst der Drang. Ge: 
nommen, verloren und mwiedergenommen, ift endlich 
der Ausgang erfämpft. Aber die Donaubrüde bietet 
neue Schwierigleiten. Auch bier fiegreich, ziehen end⸗ 
lich zwei Ströme, die alte Donau und die gejchwoll- 
nere Woge des Volls, ſich kreuzend quer unter und 
über einander, die Donau ihrem alten Ylußbette nad), 
der Strom bes Volles, der Einbämmung der Brüde 


42 Der arme Spielmann. 


entnommen, ein weiter, tojender See, fich ergießend 
in Alles dedender Weberfchwemmung Ein neu Hin- 
zugelommener fände die Zeichen bedenklich. Es ift 
aber der Aufruhr der Freude, die Losgebundenheit 
der Luft. 

Schon zwiſchen Etabt und Brüde haben ſich Korb: 
wagen aufgeitellt für die eigentlichen Hierophanten 
dieſes Weihfeſtes: die Kinder ber Dienftbarkeit und 
der Arbeit. Weberfüllt und dennoch im Galopp durch: 
fliegen fie die Menfchenmafle, die ſich hart vor ihnen 
öffnet und hinter ihnen fchließt, unbeſorgt und uns 
verlegt. Denn es iſt in Wien ein ftillfichmeigender 
Bund zwiſchen Wagen und Menjchen: nicht zu über: 
fahren, jelbft im vollen Lauf; und nicht überfahren 
zu werden, auch ohne alle Aufmerkfjamtleit. 

Bon Selunde zu Sekunde wird der Abftand zwi: 
Then Wagen und Wagen Kleiner. Schon miſchen fich 
einzelne Equipagen der Vornehmeren in den oft unter: 
brochenen Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis 
endlich fünf bis ſechs Stunden vor Nacht die einzelnen 
Pferdes und Kutjchen: Atome fich zu einer kompakten 
Reihe verbichten, die, ſich felber hemmend und durch 
Zufahrende aus allen Quergaflen gehemmt, das alte 
Sprühmort: Beſſer Ichlecht gefahren, als zu Fuße 
gegangen, offenbar zu Schanden macht. Begafft, be 
dauert, beipottet, fißen bie gepußten Damen in den 
ſcheinbar ftille jtehenden Kutjchen. Des immerwährenden 
Anhaltens ungewohnt, bäumt fich der Holiteiner Rappe, 
als wollte er feinen, durch den ihm vorgehenden Korb: 
wagen gehemmten Weg obenhin über diefen hinaus 
nehmen, was auch die fchreiende Weiber und Kinder- 
bevölkerung des Plebejer-Fuhrwerks offenbar zu be: 
fürchten fcheint. Der jchnell dahinſchießende Fiaker, 
zum erften Male feiner Natur ungetreu, berechnet 





Der arme Spielmann. | 43 


ingrimmig den Berluft, auf einem Wege drei Stunden 
zubringen zu müſſen, den er fonft in fünf Minuten 
durchflog. Zanf, Geſchrei, wechſelſeitige Ehrenangriffe 
der Kutſcher, mitunter ein Peitſchenhieb. 

Endlich, wie denn in dieſer Welt jedes noch ſo 
hartnäckige Stehenbleiben doch nur ein unvermerktes 
Weiterrücken iſt, erſcheint auch dieſem status quo 
ein Hoffnungsſtrahl. Die erſten Bäume des Augartens 
und der Brigittenau werden ſichtbar. Land! Land! 
Land! Alle Leiden ſind vergeſſen. Die zu Wagen 
Gekommenen ſteigen aus und miſchen ſich unter die 
Fußgänger, Töne entfernter Tanzmuſik ſchallen her: 
über, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet. 
Und ſo fort und immer weiter, bis endlich der breite 
Hafen der Luſt ſich aufthut und Wald und Wieſe, 
Muſik und Tanz, Wein und Schmaus, Schattenſpiel 
und Seiltänzer, Erleuchtung und Feuerwerk ſich zu 
einem pays de cocagne, einem Eldorado, einem 
eigentlichen Schlaraffenlande vereinigen, das leider, 
oder glücklicherweiſe, wie man es nimmt, nur einen 
und den nächſt darauf folgenden Tag dauert, dann 
aber verſchwindet, wie der Traum einer Sommernacht, 
und nur in der Erinnerung zurückbleibt und allenfalls 
in der Hoffnung. 

Ich verſäume nicht leicht, dieſem Feſte beizuwohnen. 
Als ein leidenſchaftlicher Liebhaber der Menſchen, vor⸗ 
züglich des Volkes, ſo daß mir ſelbſt als dramatiſchem 
Dichter der rückhaltloſe Ausbruch eines überfüllten 
Schauſpielhauſes immer zehnmal intereſſanter, ja be- 
lehrender war, als das zuſammengeklügelte Urtheil 
eines an Leib und Seele verkrüppelten, von dem Blut 
ausgeſogener Autoren ſpinnenartig aufgeſchwollenen 
literariſchen Matadors; — als ein Liebhaber der Men- 
fchen, fage ich, beſonders wenn fie in Maflen für 





44 Der arme Epielmann. 


einige Zeit der einzelnen Zwecke vergeflen und fich als 
Theile des Ganzen fühlen, in dem denn doch zulebt 
das Göttlihe liegt, — ald einem Solchen ift mir 
jedes Volksfeſt ein eigentliches Seelenfeft, eine Wall 
fahrt, eine Andacht. Wie aus einem aufgeroliten, 
ungebeuren, dem Rahmen des Buches entiprungenen 
Plutarh, Iefe ich aus den beitern und heimlich be 
fümmerten Gefichtern, dem lebhaften oder gebrücdten 
Gange, dem mechjelfeitigen Benehmen der Yamilien- 
glieder, den einzelnen halb unwilllürlichen Heußerungen, 
mir die Biographieen der unberühmten Menjchen zus 
jammen, und wahrlih! man kann die Berühmten nicht 
veritehben, wenn man bie Obſeuren nicht burchgefühlt 
bat. Von dem Wortwechſel mweinerhitter Karren⸗ 
jchieber fpinnt fi) ein unfichtbarer, aber ununter: 
brochener Faden bis zum Zwiſt der Götterfühne, und 
in der jungen Magd, die, halb wider Willen, dem 
drängenden Liebhaber feitab vom Gewühl der Tanzen 
den folgt, liegen als Embryo die Julien, die Dibo’s 
‚und die Mebeen. 

Auch vor zwei Jahren hatte ich mich, mie gewöhn⸗ 
lich, den Iuftgierigen Kirchweibgäften als Yußgänger 
mit angefchlofien. Schon waren die Hauptichwierig: 
feiten der Wanderung überwunden, und ich befand 
mid; bereit3 am Ende des Augartend, die erfehnte 
Brigittenau hart vor mir liegend. Hier ift nun nod) 
ein, wenn gleich der letzte Kampf zu beftehen. Ein 
Ihmaler Damm, zwiſchen unburchbringlichen Befrie: 
dungen bindurdhlaufend, bildet die einzige Verbindung 
der beiden Luftorte, deren gemeinfchaftlihe Gränze ein 
in der Mitte befinbliches hölzernes Gitterthor bezeichnet. 
Un gewöhnliden Tagen und für gewöhnliche Spazier: 
gänger bietet dieſer Verbindungsweg überflüfligen 
Raum; am Kirchweibfeite aber würde feine Breite, 


Der arme Spielmann. 45 


auch vierfach genommen, noch immer zu fchmal fein 
für die endlofe Menge, die, heftig nachdrängend und 
von Rückkehrenden im entgegengejegten Sinne durch⸗ 
freuzt, nur durd die allfeitige Gutmüthigfeit ber 
Zuftwandelnden fih am Ende doch leinlich zurecht 
findet. 

Ich hatte mi dem Zug der Menge hingegeben 
und befand mich in der Mitte bes Dammes, bereits 
auf Haffiihem Boden, nur leider zu ftet3 erneutem 
Gtilleftehen, Ausbeugen und Abwarten genöthigt. Da 
mar denn Zeit genug, das feitwärts am Wege Befind- 
lihe zu betrachten. Damit es nämlich der genuß 
lechzenden Menge nit an einem Vorſchmack der zu 
erwartenden Seligkeit mangle, hatten fi linf3 am 
Abhang der erhöhten Dammftraße einzelne Muſiker 
aufgeftellt, die, mwahrjcheinlich die große Concurrenz 
ſcheuend, bier an den Propyläen die Erftlinge der 
noch unabgenüßten Freigebigfeit einernten wollten. 
Eine Harfenfpielerin mit wiberlich ftarrenden Augen. 
Ein alter invalider Stelzfuß, der auf einem entjeh- 
lichen, offenbar von ihm ſelbſt verfertigten Inftrumente, 
balb Hadbrett und halb Dreborgel, die Schmerzen 
feiner Verwundung dem allgemeinen Mitleid auf eine 
analoge Weife empfindbar machen wollte. Ein lahmer, 
verwachjener Knabe, er und feine Violine einen ein- 
zigen ununterfcheivbaren Knäuel bildend, der endlos 
fortrolende Walzer mit all der beftifchen SHeftigfeit 
feiner verbildeten Bruft herabfpielte Endlich — und 
er zog meine ganze Aufmerkſamkeit auf fih — ein 
alter, ‚leicht fiebzigjähriger Mann in einem faden— 
fcheinigen, aber nicht unreinlidhen Moltonüberrod mit 
lächelnder, fich jelbit Beifall gebenvder Miene. Baar: 
bäuptig und Tabllöpfig ftand er da, nach Art dieſer 
Leute, den Hut als Sammelbücje vor fi auf dem 


46 Der arme Spielmann. 


Boden, und jo bearbeitete er eine alte vielzerſprungene 
Bioline, wobei er den Takt nicht nur durch Aufheben 
und Niederfehen des Fußes, ſondern zugleich durch 
übereinftimmende Bewegung des ganzen gebüdten 
Körpers marlirte. Aber al diefe Bemühung, Einheit 
in feine Xeiftung zu bringen, mar fruchtlos, denn 
was er fpielte, fchien eine unzufammenhängende Folge 
von Tönen ohne Zeitmag und Melodie. Dabei mar 
er ganz in fein Werk vertieft: die Lippen zuckten, 
die Augen waren jtarr auf das vor ihm befindliche 
Notenblatt gerichtet — ja wahrhaftig Notenblatt! 
Denn indeß alle andern, ungleih mehr zu Danf 
ipielenden Mufiter fich auf ihr Gedächtniß verließen, 
batte der alte Mann mitten in dem Gewühle ein 
feines, leicht tragbares Bult vor fich hingeſtellt mit 
ſchmutzigen, zergriffenen Noten, die Das in. jchöniter 
Ordnung enthalten mochten, was er jo außer allem 
Bufammenhange zu hören gab. Gerade das Unge⸗ 
wöhnliche diefer Ausrüstung hatte meine Aufmerkſamkeit 
auf ihn gezogen, jo wie es auch die Heiterkeit des 
vorüberwogenden Haufens erregte, der ihn auslachte 
und den zum Sammeln bingejtellten Hut des alten 
Mannes leer ließ, indeß das übrige Orcheſter ganze 
Kupferminen einfadte. Ich war, um das ‚Original 
ungeftört zu betrachten, in einiger Entfernung auf den 
Seitenabhang des Dammes getreten. Er pielte noch 
eine Weile fort. Endlich hielt er ein, blidte, wie aus 
einer langen Abweſenheit zu fi) gefommen, nach dem 
Firmament, das jchon die Spuren des nahenden 
Abends zu zeigen anfing, darauf abwärts in feinen 
Hut, fand ihn leer, jeßte ihn mit ungetrübter Heiterkeit 
auf, ftedte den Geigenbogen zwiſchen die Eaiten; sunt 
certi denique fines, jagte er, ergriff fein Notenpult 

und arbeitete ſich mühſam duch die dem Seite 





Der arme Spielnann. 47 


zuftrömende Menge in entgegengefebter Richtung, als 
Einer, der heimfebrt. 

Das ganze Weſen des alten Mannes war eigentlich 
wie gemacht, um meinen anthropologifchen Heißhunger 
aufs Aeußerfte zu reizen. Die bürftige und doch eble 
Geftalt, feine unbefiegbare Heiterkeit, fo viel Kunſt⸗ 
eifer bei fo viel Unbeholfenheit; daß er gerade zu 
einer Zeit heimkehrte, mo für andere feines Gleichen 
erjt die eigentliche Ernte anging; endlich die wenigen, 
aber mit der richtigften Betonung, mit völliger &e- 
läufigkeit gefprochenen Lateinischen Worte. Der Mann 
batte aljo eine jorgfältigere Erziehung genofjen, ſich 
Kenntniffe eigen gemadt, und nun — ein Bettel: 
muſikant! Ich zitterte vor Begierde nad dem Zu: 
fammenbange. 

Aber fchon befand fih ein dichter Menfchenwall 
zwiſchen mir und ihm. Klein, wie er war, und durch 
das Notenpult in feiner Hand nad) allen Seiten hin 
ftörend, fchob ihn Einer dem Andern zu, und ſchon 
hatte ihn das Ausgangsgitter aufgenommen, indeß ich 
noch in der Mitte des Dammes mit der entgegen: 
ftrömenden Menſchenwoge Tämpfte. Sp entichwand er 
mir, und als ich endlich felbit ins ruhige Freie gelangte, 
war nad) allen Seiten weit und breit Fein Spielmann 
mehr zu jeben. 

Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Luft an 
dem Volksfeſt genommen. Ich durchftrich den Augarten 
nach allen Richtungen und befchloß endlich, nach Haufe 
zu kehren. 

In die Nähe des kleinen Thürchens gekommen, 
das aus dem Augarten nach der Taborftraße führt, 
hörte ich plößlich den befannten Ton der alten Bioline 
wieder. Ich verdoppelte meine Schritte, und fiehe da! 
der Gegenftand meiner Neugier ftand, aus Leibes— 


48 Der arme Spielmann. 


träften fpielend, im Kreife einiger Knaben, die un 
geduldig einen Walzer von ihm verlangten. Einen 
Walzer fpiell riefen fie; einen Walzer, börft du nicht? 
Der Alte geigte fort, fcheinbar ohne auf fie zu achten, 
bis ihn die Kleine Zuhörerfchaar ſchmähend und ſpottend 
verließ, fih um einen Zeiermann fammelnd, der feine 
Dreborgel in ber Nähe aufgeftellt hatte. | 

Sie wollen nicht tanzen, jagte wie betrübt ber 
alte Mann, fein Mufilgerätbe zufammenlefend. Ach 
wer ganz nahe zu ihm getreten. Die Kinder kennen 
eben feinen andern Tanz, als den Walzer, ſagte ich. 
Sch fpielte einen Walzer, verjeßte er, mit dem Geigen- 
bogen den Ort des joeben gefpielten Stüdes auf feinem 
Notenblatte bezeichnend. 

Man muß derlei au führen, der Menge wegen. 
Aber die Kinder haben Tein Ohr, fagte er, indem er 
wehmüthig den Kopf ſchüttelte. — Laſſen Sie mid) 
wenigjtend ihren Undanf wieder gut machen, ſprach 
ih, ein Silberftül aus der Tafche ziehen und ihm 
hinreichend. — Bitte! bitte! rief der alte Mann, wobei 
er mit beiden Händen ängſtlich abwehrende Bewegungen 
. machte, in den Hut! in den Hut! — Ich legte das 
Geldſtück in den vor ihm ftehenden Hut, aus dem es 
unmittelbar darauf der Alte: herausnahm und ganz 
zufrieden einftedte; das heißt einmal mit reichem Ge- 
winn nach Haufe gehen, jagte er ſchmunzelnd. — Eben 
recht, ſprach ich, erinnern Sie mich auf einen Umftand, 
der jchon früher meine Neugier rege machte! Ihre 
heutige Einnahme fcheint nicht die befte geweſen zu 
fein, und doch entfernen Sie fih in einem Augen 
blide, mo eben die eigentliche Ernte angeht. Das Felt 
dauert, willen Sie wohl, die ganze Nacht, und Sie 
fönnten da leicht mehr gewinnen, als an acht gewöhn⸗ 
lihden Tagen. Wie foll ich mir Das erklären? 


Der arme Spielmann. 49 


Wie Sie fi) Das erklären follen? verſetzte der Alte. 
Berzeihen Sie, ich weiß nicht, wer Sie find, aber Sie 
müfjen ein wohltbätiger Herr fein und ein Freund der 
Muſik, dabei zog er das Silberftüd noch einmal aus 
der Taſche und brüdte es zwiſchen feine gegen bie 
Bruft gehobenen Hände. Ich will Ihnen daher nur 
die Urfachen angeben, obgleich ich oft deßhalb ver- 
lacht worden bin. Erſtens war ih nie ein Nacht: 
fchwärmer und halte es auch nicht für recht, Andere 
durch Spiel und Gefang zu einem ſolchen mwiberliehen 
Vergehen anzureizen; zweitend muß ſich der Menfch in 
allen Dingen eine gewiſſe Ordnung feitfegen, ſonſt 
geräth er ins Wilde und Unaufbaltfjame Drittens 
endlich — Herr! ich Spiele den ganzen Tag für die 
lärmenden Leute und gewinne kaum kärglich Brob 
dabei; nber der Abend gehört mir und meiner armen 
Kunft. 

Abends halte ich mich zu Haufe, und — dabei ward 
feine Rede immer leifer, Röthe überzog fein Geficht, 
fein Auge fuchte den Boden — dba fpiele ich denn aus 
der Einbildung, jo für mich ohne Noten. Phantafiren, 
glaub’ ich, heißt es in den Mufikbüchern. 

Mir waren Beide ganz ftill geworden. Er, aus 
Beihämung über das verrathene Geheimniß jeines 
Innern; ich, voll Erftaunen, den Mann von den 
höchften Stufen der Kunſt fprechen zu hören, der nicht 
im Stande war, den leichteften Walzer faßbar wieder: 
zugeben. Er bereitete ſich indeß zum Fortgehen. 

Wo wohnen Sie? fagte ih. Ich möchte mohl 
einmal Ihren einfamen Webungen beimohnen. — Oh, 
verſetzte er fast flehend, Sie willen wohl, das Gebet 
gehört ind Kämmerlein. — So will ih Sie denn ein- 
mal am Tage befuchen, ſagte ih. — Den Tag über, 
erwiberte er, gebe ich meinem Unterhalt bei den Leuten 

Grillparzer, Bere. VIIL 4 


50 Der arme Spielmann, 


nah. — Alſo des Morgens denn. — Sieht es doch 
beinahe aus, fagte der Alte lächelnd, als ob Sie, 
verehrter Herr, der Beſchenkte wären, und ich, wenn 
es mir erlaubt ift zu fagen, der Wohlthäter; fo freund: 
lich find Sie, und fo widerwärtig ziehe ich mich zurüd. 
Ihr vornehmer Beſuch wird meiner Wohnung immer 
eine Ehre fein; nur bäte ich, daß Sie den Tag Ihrer 
Dahinkunft mir großgünftig im Voraus beftimmten, 
damit weder Sie durch Ungehörigkeit aufgehalten, noch 
ich genöthigt werde, ein zur Zeit etwa begonnenes 
Geſchäft unziemlich zu unterbrehen. Mein Morgen 
nämlich bat auch feine Beitimmung. Sch balte es 
jedenfall8 für meine Pflicht, meinen Gönnern und 
Mohlthätern für ihr Gejchen? eine nicht ganz unwür⸗ 
dige Gegengabe darzureichen. Ich will fein Bettler 
jein, verehrter Herr. ch weiß wohl, daß die übrigen 
öffentlichen Mufilleuge fih damit begnügen, einige 
auswendig gelernte Gafjenhauer, Deutfchwalzer, ja 
wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer 
wieder von denſelben anfangend, fort und fort herab 
zu fpielen, jo dag man ihnen gibt, um ihrer 108 zu 
werben, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genofjener 
Tanzfreuden oder ſonſt unordentlicher Ergötzlichkeiten 
wieder lebendig macht. Daher fpielen fie auch aus 
bem Gedächtniß und greifen faljch mitunter, ja häufig. 
Bon mir aber ſei fern, zu betrügen. Sch habe deß— 
halb, theils weil mein Gedächtniß überhaupt nicht das 
befte ift, theils weil e8 für Jeden jchwierig ſein bürfte, 
verwidelte Zufammenfegungen geachteter Muſikverfaſſer 
Note für Note bei ſich zu behalten, dieſe Hefte mir 
felbft ing Reine gefchrieben. Er zeigte dabei durch⸗ 
blätternd auf fein Muſikbuch, in dem ich zu meinem 
Entjegen mit forgfältiger, aber widerlich jteifer Schrift 
ungeheuer ſchwierige Compofitionen alter berühmter 


Der arme Spielmann. 51 


Meifter, ganz ſchwarz von Baflagen und Doppelgriffen, 
erblidte. Und verlei fpielte der alte Mann mit feinen 
ungelenfen Fingern! Indem ih nun dieſe Stüde 
iptele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den 
nah Stand und Würden geachteten, längft nicht mehr 
lebenden Meiftern und Verfaſſern, thue mir jelbit genug 
und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir milbeft 
gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt, durch Ber- 
eblung des Geſchmackes und Herzens der ohnehin von 
fo vielen Seiten geftörten und irre geleiteten Zuhörer: 
ſchaft. Da derlei aber, auf daß ich bei meiner Rebe 
bleibe — und dabei überzog ein jelbitgefälliges Lächeln 
jeine Züge — da derlei aber eingeübt fein will, find 
meine Morgenftunden ausjchließend biefem Exercitium 
beitimmt. Die drei eriten Stunden des Tages der 
Hebung, die Mitte dem Broderwerb und der Abend 
mir und dem lieben Gott, das heißt nicht unehrlich 
:getbeilt, jagte er, und dabei glänzten jeine Augen mie 
feucht; er lächelte aber. 

Gut denn, fagte ich, fo werde ich Sie einmal Mor: 
gens überrafhen. Wo wohnen Sie? Er nannte mir 
die Gärtnergaffe. — Hausnummer? — Nummer 34 
im erften Stode. — In der That! rief ih, im Stod: 
werke der VBornehmen? — Das Haus, fagte er, hat 
zwar eigentlich nur ein Erdgeſchoß; es ift aber oben 
neben der Bodenfammer noch ein Fleines Zimmer, das 
bemohne ich gemeinfchaftlich mit zwei Handwerksgeſellen. 
— Ein Zimmer zu Dreien? — Es ift abgetheilt, fagte 
er, und ich habe mein eigenes Bette. 

Es wird ſpät, ſprach ih, und Sie wollen nad 
Haufe. Auf Wieverfehen denn! und dabei fuhr ich 
in die Tafche, um das früher gereichte gar zu Kleine 
Geldgeſchenk allenfalls zu verboppeln. Er aber hatte 
mit der einen Hand das Notenpult, mit der andern 


52 Der arme Bpielmann. 


feine Violine angefaßt und rief haftig: Was ich devoteſt 
gerbitten muß. Das Honorarium für mein Spiel ift 
mir bereits in Fülle zu Theil geworben, eines andern 
Perbienftes aber bin ich mir zur Zeit nicht bewußt. 
Daber machte er mir mit einer Abart vornehmer Leich⸗ 
tigfeit einen ziemlich linkiſchen Krabfuß und entfernte 
fih, jo jchnell ihn feine alten Beine trugen. 

Sch batte, wie gefagt, die Luft verloren, dem 
Volksfeſte für diefen Tag länger beizumohnen, ich ging 
daher heimmwärts, den Weg nach der Leopoldſtadt ein- 
Ichlagend, und von Staub und Hite erfchöpft, trat 
ih in einen der dortigen vielen Wirthögärten, die, 
an gewöhnlichen Tagen überfüllt, heute ihre ganze 
Kundichaft der Brigittenau abgegeben hatten. Die 
Stille des Ortes, im Abftich der lärmenven Volksmenge, 
that mir wohl, und mich verſchiedenen Gedanken über: 
laſſend, an denen der alte Spielmann nicht den legten 
Antheil hatte, war es völlig Nacht geworben, als ich 
endlid des Nachhaufegehens gedachte, ven Betrag 
meiner Rechnung auf den Tiſch legte und der Stabt 
zuſchritt. 

In der Gärtnergaſſe, hatte der alte Mann gejagt, 
wohne er. ft bier in der Nähe eine Gärtnergafle? 
fragte ich einen Fleinen Jungen, der über den Weg 
lief. Dort, Herr! verfeßte er, indem er auf eine 
Duerftraße binwies, bie, von ber Häufermafle ber 
Vorſtadt ſich entfernend, gegen das freie Feld hinaus 
lief. Sch folgte der Richtung. Die Straße befiand 
aus zeritreuten einzelnen Häufern, die, zwiſchen großen 
Küchengärten gelegen, die Befchäftigung ver Bewohner 
und den Urfprung des Namens Gärtnergaffe augen- 
fällig darlegten. In welcher diefer elenden Hütten 
wohl mein Driginal wohnen mochte? Ach hatte die 
Hausnummer glüdlich vergeflen, auch war in ber 





Der arme Spielmann, 53 


Dunkelheit an das Erkennen irgend einer Bezeichnung 
faum zu denken. Da fchritt, auf mich zukommend, 
ein mit Küchengewächfen jchwer belavener Mann an 
mir vorüber. Kratzt der Alte einmal wieder, brummte 
er, und ftört die orventlichen Leute in ihrer Nachtruhe. 
Zugleih, wie ich vorwärts ging, fehlug der leise, 
langgehaltene Ton einer Violine an mein Ohr, ber 
aus dem offen ftehenden Bodenfeniter eines menig ent- 
fernten ärmlichen Hauſes zu kommen fchien, das, niedrig 
und ohne Stockwerk wie die übrigen, ſich durch dieſes 
in der Umgränzung des Daches liegende Giebelfeniter 
vor den andern augzeichnete. Ach ftand ftille Ein 
leifer, aber beftimmt gegriffener Ton ſchwoll bis zur 
Heftigfeit, ſenkte ſich, verklang, um gleich darauf 
wieder bis zum lautelten Gellen empor zu fteigen, und 
zivar immer berfelbe Ton mit einer Art genußreichem 
Daraufberuhen wieberholt. Endlich kam ein Intervall. 
E3 war die Quarte. Hatte der Spieler ſich vorher 
‚an dem Klange des einzelnen Tone geweibet, fo war 
nun das gleichſam mollüftige Schmeden dieſes harmo⸗ 
niſchen Berhältnifjes noch ungleich fühlbarer. Sprung: 
weiſe gegriffen, zugleich geftrichen, auch die dazwiſchen 
liegende Stufenreihe höchſt bolperig verbunden, bie 
Terz marlirt, wiederholt. Die Quinte daran gefügt, 
einmal mit zitterndem Klang, wie ein ftilles Weinen, 
ausgehalten, verhallend, dann in wirbelnder Schnellig: 
teit ewig wiederholt, immer dieſe ſelben Berhältnifie, 
die nämlichen Töne. — Und Das nannte der alte Mann 
Phantafiren! — Obgleich es im Grunde allerdings 
ein Phantafiren war, für den Spieler nämlih, nur 
nicht auch für den Hörer. 

Ich weiß nicht, wie lange Das gedauert haben 
mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich 
bie Thüre des Haufes aufging, ein Mann, nur mit 


54 Der arme Spielmann. .- 


dem Hemde und loſe eingefnöpftem Beinkleide ange- 
than, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße 
trat und zu dem Giebelfenſter emporrief: Soll Das 
heute einmal wieder gar kein Ende nehmen! Der Ton 
der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder 
beleidigend. Die Violine verſtummte, ehe die Rede 
noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, 
das Giebelfenſter ſchloß ſich, und bald herrſchte eine 
durch nichts unterbrochene Todtenſtille um mich her. 
Ich trat, mühſam in den mir unbekannten Gaſſen 
mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch 
phantaſirte, aber, Niemand ſtörend, für mich, im 
Kopfe. 
Die Morgenſtunden haben für mich immer einen 
eigenen Werth gehabt. Es iſt, als ob es mir Be— 
dürfniß wäre, durch die Beſchäftigung mit etwas 
Erhebendem, Bedeutendem in den erſten Stunden des 
Tages mir den Reſt deſſelben gewiſſermaßen zu heiligen. 
Ich kann mich daher nur ſchwer entſchließen, am frühen 
Morgen mein Zimmer zu verlaſſen, und wenn ich, 
ohne vollgültige Urſache, mich einmal dazu nöthige, 
ſo habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwiſchen 
gedankenloſer Zerſtreuung oder ſelbſtquäleriſchem Trüb: 
ſinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den 
Beſuch bei dem alten Manne, der verabredetermaßen 
in den Morgenſtunden ſtattfinden ſollte, verſchob. 
Endlich ward die Ungeduld meiner Herr, und ich ging. 
Die Gärtnergaſſe war leicht gefunden, ebenſo das 
Haus. Die Töne der Violine ließen ſich auch dießmal 
hören, aber durch das geſchloſſene Fenſter bis zum 
Ununterſcheidbaren gedämpft. Ich trat ins Haus. 
Eine vor Erſtaunen halb ſprachloſe Gärtnersfrau wies 
mich eine Bodentreppe hinauf. Ich ſtand vor einer 
niedern und halb ſchließenden Thüre, pochte, erhielt 





Der arme Spielmann. 55 


feine Antwort, drüdte endlich die Klinke und trat ein. 
sch befand mich in einer ziemlid geräumigen, fonft 
aber höchft elenden Kammer, deren Wände von allen 
Seiten den Umriſſen de3 ſpitzzulaufenden Daches folgten. 
Hart neben der Thüre ein ſchmutziges, miberlich ver: 
jtörtes Bette, von allen Zuthaten der Unorbentlichkeit 
umgeben; mir gegenüber, hart neben dem fchmalen 
Fenſter, eine zweite Zagerjtätte, dürftig, aber veinlich, 
und höchſt forgfältig gebettet und bevedt. Am Fenfter 
ein kleines Tiſchchen mit Notenpapier und Schreibge- 
räthbe, im Fenfter ein Paar Blumentöpfe. Die Mitte 


des Zimmers von Wand zu Wand war am Boden : 


mit einem dicken Kreidenftriche bezeichnet, und man 
kann fich Taum einen grelleren Abftih von Schmuß und 


nn. 


Reinlichkeit denfen, als diesſeits und jenſeits der ge⸗ 
zogenen Linie dieſes Aequators einer Welt im Kleinen 


herrſchte. 


Hart an dem Gleicher hatte der alte Mann ſein 


Notenpult hingeſtellt und ſtand, völlig und ſorgfältig 
gekleidet, davor und — exercirte. Es iſt ſchon bis 
zum Uebelklang ſo viel von den Mißklängen meines 


und, ich fürchte beinahe, nur meines Lieblings die 


Rede geweſen, daß ich den Lefer mit der Bejchreibung 
dieſes höllifchen Concertes verfchonen will. Da die 


Uebung größtentheil® aus Paflagen beitand, jo war ' 


an ein Erkennen der gefpielten Stüde nicht zu denken, 
was übrigens auch fonft nicht leicht geweſen fein 
möchte. Einige Zeit Zuhören ließ mich endlich ben 
Faden durch dieſes Labyrinth erkennen, gleichjam die 
Methode in der Tollheit. Der Alte genoß, indem er 
ipielte. Seine Auffaſſung unterfchied hierbei aber 
ſchlechthin nur zmeierlei, den Wohlllang und ven 
Vebelflang, von denen der erjtere ihn erfreute, ja 


entzücdte, indeß er dem lettern, auch dem harmoniſch 


⸗ 
Er v 


66 Der arme Spielmann. 


begründeten, nad Möglichkeit aus dem Wege ging. 
Statt nun in einem Mufifftüde nah Sinn und Rhyth⸗ 
mus zu betonen, bob er heraus, verlängerte er die 
dem Gehör mobhlthuenden Noten und Intervalle, ja 
nahm feinen Anftand, fie willlürlih zu wiederholen, 
wobei fein Geficht oft geradezu den Ausdrud der Ver 
zückung annahm. Da er nun zugleich die Difjonanzen 
fo furz als möglich abthat, überdieß die für ihn zu 
ſchweren Baflagen, von denen er aus Gemwiflenhaftigfeit 
nicht eine Note fallen ließ, in einem gegen das Ganze 
viel zu langſamen Zeitmaß vortrug, jo kann man fi 
wohl leicht eine dee von der Verwirrung madıen, 
die daraus hervorging. Mir ward es nachgerade ſelbſt 
zu viel. Um ihn aus feiner Abweſenheit zurüdzu: 
bringen, ließ ich abfichtlih den Hut fallen, nachdem 
ich mehrere Mittel ſchon fruchtlos verfucht hatte. Der 
alte Mann fubr zufammen, feine Kniee zitterten, Taum 
fonnte er die zum Boden geſenkte Violine halten. Ich 
trat hinzu. Oh, Sie ſind's, gnädiger Herr! fagte er, 
gleihfam zu fich ſelbſt kommend. ch hatte nicht auf 
Erfüllung Ihres hohen Verſprechens gerechnet. Er 
nöthigte mich, zu fiten, räumte auf, legte hin, fah 
einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann 
plöglich einen auf einem Tifche neben der Stubenthür 
jtehenden Teller und ging mit demfelben zu jener 
binaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtneröfrau 
Iprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur 
Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rüden 
verbarg und heimlich wieder hinſtellte. Er Batte 
offenbar Obft verlangt, um mich zu bemwirtben, es 
aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht 
hübich, fagte ich, um feiner Verlegenheit ein Ende zu 
machen. — Die Unordnung ift verwiefen. Sie nimmt 
ihren Rüdzug durch die Thüre, wenn fie auch berzeit 








Der arme Spielmann. 57 


noch nicht über die Schwelle if. Meine Wohnung 
reicht nur bis zu dem Striche, fagte der Alte, mobei 
er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers 
zeigte. Dort drüben wohnen zwei Hanbmwerfögefellen. 
— Und refpectiven diefe Ihre Bezeichnung? — Sie 
nicht, aber ich, fagte er. Nur die Thüre ift gemein: 
ſchaftlich — Und werden Sie nicht geftört von Ihrer 
Nachbarſchaft? — Kaum, meinte er. Sie Tommen 
des Nachts ſpät nad) Haufe, und wenn fie mich da 
auch ein wenig im Bette auffchreden, fo ift dafür die 
Luft des Wiedereinfchlafens um fo größer. Des Mor: 
gen® aber mwede ich fie, wenn ich mein Zimmer in 
Ordnung bringe. Da fchelten fie wohl ein wenig und 
geben. 

Ich hatte ihn während deſſen betrachtet. Er war 
höchſt reinlich gefleivet, die Geftalt gut genug für 
jeine Jahre, nur die Beine etwas zu kurz. Hand und 
Fuß von auffallender Zartheit. — Sie ſehen mid an, 
jagte er, und haben dabei Ihre Gedanten? — Dap 
ih nad Ihrer Gefchichte lüftern bin, verſetzte ich. 
— Gefchichte? wiederholte er. Ich habe Feine Gefchichte. 
Heute wie geftern, und morgen wie heute. Weber: 
morgen freilich und weiter hinaus, mer Tann das 
wiffen? Doch Gott wird forgen, der mweiß ed. — 
Ihr jetiges Leben mag wohl einförmig genug fein, 
fuhr ich fort; aber Ihre früheren Schickſale. Wie 
es fich fügte — daß ich unter die Mufikleute Tam? 
fiel er in die Baufe ein, die ich unwillkürlich gemadt 
batte. Ich erzählte ihm nun, wie er mir beim erften 
Anblide aufgefallen; den Eindrud, den die von ihm 
geiprochenen lateinischen Worte auf mic) gemacht hätten. 
Lateinisch, tönte er nad. Lateiniſch? das habe ich 
freilich auch einmal gelernt, oder vielmehr hätte es 
lernen jollen und fünnen. Loqueris latine? wandte 


58 Der arme Spielmann. 


er ſich gegen mich, aber ich könnte es nicht fortfegen. 
Es ift gar zu lange ber. Das aljo nennen Sie meine 
Geſchichte? Wie es kam? Ja fo! da ift denn freilich 
allerlei geſchehen; nicht8 befonvers, aber doch allerlei. 
Möchte iche mir's doch felbft einmal wieder erzählen. 
Ob ich’3 nicht gar vergeſſen habe. Es ift noch früh 
am Morgen, fuhr er fort, mobei er in die Uhrtaſche 
griff, in der fich freilich Feine Uhr befand. — Ich 308 
die meine, e3 war faum 9 Uhr. — Wir haben Zeit, 
und faft fommt mich die Luft, zu fchwagen, an. Er 
war während des Lebten zuſehends ungezwungener ge 
worden. Seine Geftalt verlängerte ſich. Er nahm 
mir ohne zu große Umftände den Hut aus der Hand 
und legte ihn aufs Bette, ſchlug fitend ein Bein 
über das andere und nahm überhaupt die Lage eine? 
mit Bequemlichkeit Erzählenden an. 
Sie haben — hob er an — ohne Zweifel von 
dem Hofrathbe — gehört? Hier nannte er den Namen 
eines Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen 
Jahrhunderts unter dem bejcheidenen Titel eines 
Bureauchef3 einen ungeheuren, beinahe Miniftersähn- 
lihen Einfluß ausgeübt hatte Ich bejahte meine 
Kenntnig des Mannes. — Er war mein Vater, fuhr 
er fort. — Sein Vater? des alten Spielmanns? des 
Bettler3? Der Einflußreiche, der Mächtige, fein Vater? 
Der Alte ſchien mein Erftaunen nicht zu bemerken, 
Sondern ſpann, fichtbar vergnügt, den Faden feiner 
Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei 
Brüdern, die in Staatödieniten body hinauf kamen, 
nun aber fchon beide todt find; ich allein lebe nodh, 
fagte er und zupfte dabei an feinen fabenjcheinigen 
Beinkleidern, mit nievergefchlagenen Augen einzelne 
Sederchen davon herablefend. Mein Vater war ehr: 
geizig und heftig. Meine Brüder thaten ihm genug. 








nn. EEE — —— A. 


Der arme Spielmann. 59 


Mich nannte man einen langſamen Kopf; und ich war IM [7 wa 
langfam. Wenn ic) mich recht erinnere, ſprach er 
weiter — und dabei fenfte er, feitwärt? gewandt, mie 
in eine weite Ferne hinausblidend, ven Kopf gegen 
die unterftügende linte Sand, — wenn ich mid) recht 
erinnere, jo märe ich wohl im Stande gemelen, 
allerlei zu erlernen, wenn man mir nur Zeit und 
Ordnung gegönnt hätte. Meine Brüder fprangen mie 
Gemjen von Spite zu Spite in den Lehrgegenftänden 
herum, ich Tonnte aber durchaus nichts hinter mir 
lafjen, und wenn mir ein einziges Wort fehlte, mußte 
ich von vorne anfangen. So ward ich denn immer ' 
gedrängt. Das Neue follte auf den Platz, den das 
Alte noch nicht verlaffen hatte, und ich begann, ſtockiſch 
zu werden. So batten fie mir die Muſik, vie jebt 
die Freude und zugleich der Stab meines Lebens ift, 
geradezu verhaßt gemacht. Wenn ich Abends im Zwie⸗ 
licht die Violine ergriff, um mich nach meiner Art 
ohne Noten zu vergnügen, nahmen fie mir das In— 
ftrument und fagten, das verdirbt die, Applicatur, 
Hagten über Ohbrenfolter und vermwiefen mich auf die 
Lehrſtunde, mo die Folter für mich anging. ch babe 
Zeitlebens Nicht? und Niemand fo gehaßt, als ich 
damals die Geige: hapte. 

Mein Bater, aufs Neußerfte unzufrieden, fchalt 
mich häufig und drohte, mich zu einem Handwerke zu 
geben. ch magte nicht, zu jagen, wie glüdlich mid) 
das gemacht hätte. Ein Drechsler oder Schriftjeger 
wäre ich gar zu gerne geweſen. Er- hätte eö ja aber 
doch nicht zugelaflen, aus Stolz. Endlich gab eine 
öffentlihe Schulprüfung, der man, um ihn zu be— 

- gütigen, meinen Vater beizumohnen beredet hatte, den 
Ausfchlag. Ein unreblicher Lehrer beftimmte im Vor: 
aus, was er mich fragen werde, und fo ging Alles 


— 


60 Der arme Spielmann. 





vortrefflich. Endlich aber fehlte mir — e8 waren au$: 
wendig zu fagende Verſe des Horaz — ein Wort. 
Mein Lehrer, der Topfnidend und meinen Vater ans 
lächelnd zugebört hatte, Tam meinem Stoden zu Hülfe 
und flüfterte e8 mir zu. Ich aber, der das Wort in 
meinem Innern und im Zufammenhange mit dem 
Uebrigen fuchte, hörte ihn nicht. Er wiederholte es 
mehrere Male; umfonft. Enplich verlor mein Bater 
die Geduld. Cachinnum! (fo hieß das Wort) fchrie 
er mir donnernd zu. Nun war's gejchehen. Wußte 
ich das Eine, fo hatte ich dafür das Uebrige vergeflen. 
Ale Mühe, mich auf die rechte Bahn zu bringen, war 
verloren. Ich mußte mit Schande aufitehen, und als 
ih, der Gewohnheit nah, binging, meinem Bater 
die Hand zu küſſen, ftieß er mich zurüd, erhob fich, 
machte der Berfammlung eine furze Verbeugung und. 
ging. Ce gueux fchalt er mich, was ich damals nicht 
war, aber jebt bin. Die ‚Eltern prophezeien, wenn 
fie reden! Uebrigens war mein Bater ein guter Mann. 
Nur heftig und ehrgeizig. 

Bon diefem Tage an ſprach er fein Wort mehr 
mit mir. Seine Befehle famen mir durch die Haus: 
genofjen zu. So kündigte man mir gleich des nächften 
Tages an, daß es mit meinen Studien ein Ende habe. 
Ich erſchrak heftig, weil ich wußte, wie bitter es 
meinen Bater Fränfen mußte. ch that den ganzen 
Tag nichts, ala weinen und bazwifchen jene Inteinifchen 
Verſe recitiren, die ih nun aufs Und wußte mit ben 
vorhergehenden und nachfolgenden dazu. Ich verſprach, 
durch Fleiß den Mangel an Talenten zu erfeßen, wenn 
man mich noch ferner die Schule befuchen ließe, mein 
Vater nahm aber nie einen Entſchluß zurüd. 

Eine Weile blieb ich nun unbefchäftigt im väter- 
lichen Haufe. Enbli that man mich verfuchsmweife 


Der arme Spielmann. 61 


zu einer Rechenbehörde. Rechnen war aber nie meine 
Stärke geweſen. Den Antrag, ins Militär zu treten, ' 
wies ich mit Abfcheu zurüd. Ich kann noch jetzt Feine 
Uniform ohne innerlihen Schauder anfehen. Daß man 
werthe Angehörige allenfall® aud mit Lebensgefahr | 
ſchützt, ift wohl gut und begreiflich, aber Blutvergießen 
und Verſtümmelung als Stand, als Beichäftigung. 
Nein! Nein! Nein! Und dabei fuhr er mit beiden 
Händen über beide Arme, als fühlte er ftechend eigene 
und fremde Wunden. | 

Ich kam nun in bie Kanzlei unter die Abfchreiber. 
Da war ih redht an meinem Plate. Ich hatte immer 
das Schreiben mit Luft getrieben, und noch jebt weiß 
ich mir feine angenehmere Unterhaltung, als mit guter 
Tinte auf gutem Papier Haar: und Schattenftriche an 
einander zu fügen zu Worten oder auch nur zu Bud: 
ftaben. Muſiknoten find nun gar überaus ſchön. Da- 
mals dachte ich aber noch an Feine Mufik, 

Ich war fleißig, nur aber zu ängſtlich. Ein un- 
richtiges Unterfcheidungsgeichen, ein ausgelaffenes Wort 
im Concepte, wenn es fi auch aus dem Sinne er: 
gänzen ließ, machte mir bittere Stunden. Im Zweifel, 
ob ich mich genau ans Driginal halten oder aus 
Eigenem beifegen follte, verging die Zeit angſtvoll, 
und ich fam in den Ruf, nachläſſig zu fein, indeß ich 
mid) im Dienfte abquälte, wie Keiner. So bradıte 
ih ein Baar Jahre zu, und zwar ohne Gehalt, da, 
als die Reihe der Beförderung an mich fam, mein 
Bater im Rathe einem Andern feine Stimme gab und 
die Übrigen ihm zufielen aus Ehrfurdt. 

Um diefe Zeit — ſieh nur, unterbrach er fi, es 
giebt denn doch eine Art Gelchichte. Erzählen wir die 
Gefchichtel Um diefe Zeit ereigneten fich zwei Begeben- 
beiten: die traurigfte und die freubigfte meines Lebens. 





nn — — 


62 Der arme Spielmann. 


Meine Entfernung aus dem väterlichen Haufe näm⸗ 
lih und das Wiederkehren zur holden Tonkunft, zu 
meiner Violine, die mir treu geblieben ift bis auf 
diefen Tag. 

Ich Iebte in dem Haufe meines Vaters, unbeachtet 
von den Hausgenoſſen, in einem Hinterftübchen, das 
in des Nachbars HoF binausging. Anfangs aß ich 
am Yamilientifche, wo Niemand ein Wort an mid 
richtete. Als aber meine Brüder auswärts befördert 
wurden und mein Vater beinahe täglich zu Gaſt ge 
Inden war — die Mutter lebte feit lange nicht mehr 
— fand man es unbequem, meinetwegen eine eigene 
. Küche zu führen. Die Bedienten erhielten Koftgeld; 
ih auch, das man mir aber nicht auf die Hand gab, 
jondern monatweife im Speifehaufe bezahlte. Ich war 
daher wenig in meiner Stube, die Abenbftunden aus: 
genommen; denn mein Bater verlangte, daß ich läng— 
jten3 eine halbe Stunde nad dem Schluß der Kanzlei 
zu Haufe fein ſollte. Da ſaß ich denn, und zwar, 
meiner ſchon damals angegriffenen Augen halber, in 
der Dämmerung: ohne Licht. Sch dachte auf Das und 
Jenes und mar nicht traurig und nicht froh. 

Wenn id nun fo ſaß, börte ih auf dem Nach— 
barshofe ein Lied fingen. Mehrere Lieder, heißt das, 
worunter mir aber eines vorzüglich gefiel. E3 mar 
jo einfah, fo rührend und hatte den Nachdruck fo 
auf der rechten Stelle, daß man die Worte gar nicht 
zu hören brauchte. Wie ich denn überhaupt glaube, 
die Worte verderben die Muſik. — Nun öffnete er 
den Mund und brachte einige beifere raube Töne her: 
vor. Sch babe von Natur feine Stimme, fagte er 
und griff nach der Violine Er fpielte, und zwar 
diegmal mit richtigem Ausdrude, die Melodie eines 
gemüthlichen, übrigens gar nicht ausgezeichneten Liedes, 








Der arme Spielmann. | 63 


wobei ihm die Finger auf den Saiten zitterten und 
endlich einzelne Thränen über die Baden liefen. 

Das war das Lied, fagte er, die Violine hinlegenv. 
Sch hörte e3 immer mit neuem Vergnügen. So ehr 
e3 mir aber im Gedächtniß lebendig war, gelang es 
mir doch nie, mit der Stimme auch nur zwei Töne 
davon richtig zu treffen. Ich warb faſt ungeduldig 
von Zuhören. Da fiel mir meine Geige in die Augen, 
die aus meiner Jugend ber, wie ein altes Rüftftüd, 
ungebraudt an der Wand hing. Ich griff darnach, 
und — es mochte fie wohl der Bediente in meiner 
Abweſenheit benügt haben — fie fand fich richtig ge- 
ftimmt. Als ih nun mit dem Bogen über die Saiten 
fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mid) 
angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres 
hinein und aus dem Innern wieder beraud. Die 
Luft um mid war wie geſchwängert mit Trunfenbeit. 
Das Lied unten im Hofe und die Töne bon meinen 
Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einfamkeit. 
Ich fiel auf die Kniee und betete laut und Tonnte 
nicht begreifen, daß ich das holde Gottesweſen einmal 
gering geihäßt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und 
füßte die Violine und drüdte fie an mein Herz und 
ipielte wieder und fort. 

Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperfon, 
die fang — tönte derweile unausgefegt; mit dem Nach— 
jpielen ging es aber nicht fo leicht. 

Sch hatte das Lieb nämlich nicht in Noten. Auch 
merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunft, 
was ich etwa einmal mußte, fo ziemlich vergefien 
hatte. Ich konnte daher nicht das und das, fondern 
nur überhaupt fpielen. Obwohl mir das jeweilige 
Mas der Mufit, mit Ausnahme jenes Lieds, immer 
ziemlich gleichgültig war und auch geblieben ift bis 





64 Der arme Spielmann. 


zum heutigen Tag. Sie fpielen den Wolfgang Ama⸗ 
deus Mozart und den Sebaftian Bach, aber den lieben 
Gott fpielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade 
des Tons und Klangs, feine wunderthätige Weberein- 
ftimmung mit dem burftigen, zerlechgenden Ohr, daß 
„. — fuhr er leifer und ſchamroth fort — der dritte Ton 
zujammenftimmt mit dem erjten und der fünfte des: 
gleichen, und die Nota sensibilis hinauffteigt, mie eine 
erfüllte Hoffnung, die Diſſonanz herabgebeugt wird 
als wiflentlihe Bosheit oder vermeſſener Stolz, und. 
die Wunder ber Bindung und Umkehrung, wodurch 
auch die Secunde zur Gnade gelangt in den Schooß 
des Wohlklangs. Mir hat das Alles, obmohl viel 
fpäter, ein Mufifer erflärt. Und, wovon ich aber 
nichtö verftehe, die fuga und das punctum contra 
punctum und der canon a duo, a tre unb fo fort, 
ein ganzes Himmelsgebäude, eines ind andere greifend, 
ohne Mörtel verbunden und gehalten von Gottes 
Hand. Davon will Niemand etwas willen bis auf 
Wenige. Vielmehr ftören fie dieſes Ein: und Aus: 
athmen der Seelen durch Hinzufügung allenfall3 auch 
zu jprechender Morte, wie die Kinder Gottes fich ver: 
banden mit den Töchtern der Erde; daß es hübjch 
angreife und eingreife in ein ſchwieliges Gemüth. Herr, 
ſchloß er endlih, halb erſchöpft, die Rede iſt dem 
Menſchen nothiwendig wie Speife, man follte aber aud) 
den Tranf rein erhalten, der da kommt von Gott. 
Ich kannte meinen Mann beinahe nicht mehr, jo 
lebhaft war er geworben. Er hielt ein wenig inne. 
Wo blieb ich nur in meiner Gefchichte? ſagte er endlich. 
Gi ja, bei dem Liede und meinen Berfuchen, c8 nad 
zujpielen. Es ging aber nicht. Ich trat ans Feniter, 
um befjer zu hören. Da ging eben die Sängerin über 
den Hof. Ich ſah fie nur von rüdmwärts, und doch 














Der arme Spielmanı. 65 


fam fie mir befannt vor. Sie trug einen Korb, mit, 
wie e3 fchien, noch ungebadenen Kuchenftüden. Sie 
trat in ein Pförtchen in ver Ede des Hofes, da mohl 
ein Badofen inne fein mochte, denn immer fortfingend, 
hörte ich mit hölzernen Geräthen fcharren, mobei bie 
Stimme einmal dumpfer und einmal heller lang, wie 
Eines, das ſich büdt und in eine Höhlung hineinfingt, 
“ dann wieder erhebt und aufrecht daſteht. Nach einer 
Weile Tam fie zurüd, und nun merkte ich erft, warum 
fie mir vorher befannt vorkam. ch kannte fie nämlich 
wirklich jeit längerer Zeit. Und zwar aus der Kanzlei. 
Damit verhielt e3 fi) jo. Die Amtsſtunden fingen 
früb an und währten über den Mittag hinaus, Mehrere 
von den jüingeren Beamten, die nun entweder wirklich 
Hunger fühlten, oder eine halbe Stunde damit vor 
fih bringen wollten, pflegten gegen eilf Uhr eine 
Kleinigkeit zu fi au nehmen. Die Gewerbgleute, die 
Alles zu ihrem Vortheile zu benugen wiſſen, erjparten 
den Ledermäulern den Weg und bracdten ihre Feil- 
Ichaften ind Amtsgebäude, wo fie fih auf Stiege und 
Gang damit binftellten. Ein Bäder verkaufte Fleine 
Weißbrode, die Obftfrau Kirfchen. Vor Allem aber 
waren gewiſſe Kuchen beliebt, die eines benachbarten 
Grieslers Tochter ſelbſt verfertigte und nod) warm zu 
Markt brachte. Ihre Kunden traten zu ihr auf den 
Gang hinaus, und nur felten kam fie, gerufen, in 
die Amtsſtube, wo dann der etwas grämliche Kanzlei⸗ 
vorſteher, wenn er ihrer gewahr wurde, eben fo jelten 
ermangelte, fie wieder zur Thüre binauszumeifen, ein 
Gebot, dem fie fih nur mit Groll, und. unmillige 
Worte murmelnd, fügte. 
Das Mädchen galt bei meinen Kameraden nicht für 
ſchön. Sie fanden fie zu Klein, mußten die Farbe ihrer 
Haare nicht zu beitimmen. Daß fie Kabenaugen habe, 
Grillpyarzer, Werte. VII. 5 


66 Der arme Gpielmann. 


beftritten Einige, Bodengruben aber gaben Alle zu. Nur 
von ihrem ftämmigen Wuchs fprachen. alle mit Beifall, 
fchalten fie aber grob, und Einer wußte viel von einer 
Ohrfeige zu erzählen, deren Spuren er noch acht Tage 
nachher gefühlt haben wollte. 

Ich ſelbſt gehörte nicht unter ihre Kunden. Theilg 
fehlte mir's an Geld, theils habe ich Epeife und Tranf 
wohl immer — oft nur zu fehr — als ein Bebürfniß 
anerfennen müffen, Luft und Vergnügen darin zu fuchen 
aber, ift mir nie in den Sinn gefommen. Wir nahmen 
‚daher feine Notiz von einander. Einmal nur, um mid 
zu neden, machten ihr meine Kameraden glauben, id) 
hätte nach ihren Eßwaaren verlangt. Sie trat zu mei- 
nem Arbeitstifch und hielt mir ihren Korb bin. Ich 
faufe nichts, liebe Jungfer, fagte ih. Nun, warum 
beftellen Sie dann die Leute? rief fie zornig. Ich ent- 
Ihuldigte mich, und jo wie ich die Schelmerei gleich 
‚ weg hatte, erklärte ich ihr’3 aufs Beſte. Nun, fo 
ſchenken Sie mir wenigftens einen Bogen Papier, um 
meine Kuchen darauf zu legen, fagte fie. ch machte 
ihr begreiflih, daß das Kanzleipapier fei und nicht 
mir gehöre, zu Haufe aber hätte ich welches, das mein 
wäre, davon wollt’ ich ihr bringen. Zu Haufe habe 
ich ſelbſt genug, fagte fie fpöttifch und fchlug eine Heine 
Lache auf, indem fie fortging. 

Das war nur vor wenigen Tagen gejchehen, und 
ih gedachte aus dieſer Belanntichaft fogleih Nuten 
für meinen Wunſch zu ziehen. Ich Inöpfte daher des 
andern Morgens ein ganzes Bud) Papier, an dem es 
bei ung zu Haufe nie fehlte, unter den Nod, und ging 
auf die Kanzlei, mo ich, um mich nicht zu verratben, 
meinen Harnifch mit großer Unbequemlichleit auf dem 
Leibe behielt, bi ich gegen Mittag aus dem Ein= und 
Ausgehen meiner Kameraden und dem Geräufch der 





Der arme Spielmann. 67 


Tauenden Baden merkte, daß die Kuchenverläuferin 
gelommen war, und glauben fonnte, daß der Haupt 
anbrang der Kunden vorüber fei. Dann ging ich hin: 
aus, zog mein Papier hervor, nahm mir ein Herz und 
trat zu dem Mädchen bin, die, den Korb vor ſich auf 
dem Boden und den rechten Fuß auf einen Schemel 
geftelt, auf dem fie gewöhnlich zu fißen pflegte, da- 
Stand, leife jummend und mit dem auf den Schemel 
geſtützten Fuß den Tact dazu tretend. Sie maß mid 
vom Kopf bis zu den Füßen, als ich näher fam, was 
meine Verlegenbeit vermehrte. Liebe Jungfer, fing ich 
endlih an, Sie haben neulich von mir Papier begehrt, 
als feines zur Hand war, das mir gehörte. Nun habe 
ich welches von Haufe mitgebracht und — damit hielt 
ich ihr mein Papier bin. ch habe Ihnen ſchon neulich 
gejagt, erwiberte fie, daß ich felbit Papier zu Haufe 
habe. Indeß man Tann Alles brauchen. Damit nahm 
fie mit einem leichten Kopfniden mein Geſchenk und 
legte e3 in den Korb. Bon den Kuchen wollen Sie 
nicht? fagte fie, unter ihren Waaren berummufternd, 
auch ift das Beſte fchon fort. ch danlte, fagte aber, 
daß ich eine andere Bitte hätte. Nu, allenfalls? ſprach 
fie, mit dem Arm in die Handhabe des Korbes fahrend 
und aufgerichtet daſtehend, wobei fie mich mit heftigen 
Augen anblitte. Ich fiel raſch ein, daß ich ein Lieb 
baber der Tonkunſt fei, obwohl erft jeit Kurzem, daß 
ich fie jo fchöne Lieber fingen gehört, beſonders eines, 
Sie? Mih? Lieder? fuhr fie auf, und wo? Ich er 
zählte ihr weiter, daß ich in ihrer Nachbarichaft wohne 
und fie auf dem Hofe bei ver Arbeit belaufcht hätte, 
Eines ihrer Lieber gefiele mir befonders, jo daß ich's 
ſchon verfucht hätte, auf der Violine naczufpielen. 
Wären fie etwa gar derfelbe, rief fie aus, der jo fragt: 
auf der Geige? — Ich war bamals, wie ich bereits 


68 Der arme Spielmann. 


fagte, nur Anfänger und babe erſt fpäter mit vieler 
Mühe die nöthige Geläufigfeit in diefe Finger gebracht, 
unterbrach ſich der alte Mann, wobei er mit der Iinfen 
Hand, als einer, der geigt, in der Luft herumfingerte. 
Mir war e8, fehte er feine Erzählung fort, ganz beiß 
ins Geficht geftiegen und ich fah auch ihr an, daß das 
harte Wort fie gereute. Werthe Jungfer, fagte ich, 
das Kraten rührt von daher, daß ich das Lieb nicht 
in Noten habe, weßhalb ich auch höflichſt um die Ab- 
fchrift gebeten haben wollte. Um die Abſchrift? fagte 
fie. Das Lied ift gedrudt und wird an den Etraßen- 
eden verfauft. Das Lied? entgegnete ih. Das find 
wohl nur die Worte. — Nun ja, die Worte, das Lied, 
— Aber der Ton, in dem man's fingt. — Schreibt 
man denn berlei auch auf? fragte fie. Freilich! war 
meine Antwort, das ift ja eben die Hauptfache. Und 
wie haben denn Sie's erlernt, werthe Jungfer? — Ich 
hörte es ſingen, und da ſang ich's nach. — Ich er⸗ 
ſtaunte über das natürliche Ingenium; wie denn über⸗ 
haupt die ungelernten Leute oft die meiſten Talente 
haben. Es iſt aber doch nicht das Rechte, die eigent⸗ 
liche Kunft. Ich war nun neuerdings in Verzweiflung. 
Aber welches Lied ift es denn eigentlich? fagte fie. Ich 
weiß fo viele. — Alle ohne Noten? — Nun freilid; 
alfo welches war es denn? — Es iſt gar jo fchön, 
erflärte ih mid. Steigt gleich Anfangs in die Höhe, 
fehrt dann in fein Inwendiges zurüd und hört ganz 
leife auf. Sie fingen’3 auch am öfteſten. Ach, das wird 
wohl das fein! fagte fie, feste den Korb wieder ab, 
ftellte den Fuß auf den Schemel und fang nun mit 
ganz leifer und doch Flarer Stimme das Lied, mobei 
fie da3 Haupt duckte, fo ſchön, fo lieblih, daß, ebe 
fie noch zu Ende war, ich nach ihrer herabhängenden 
Sand fuhr. Oho! fagte fie, den Arm zurüdziehend, 








Der arme Spielmann. 69 


denn fie meinte wohl, ich wollte ihre Hand unziem-$/ an 4 
licherweife anfaflen, aber nein, Füllen wollte ich fie,\, _ 
obſchon fie nur ein armes Mädchen war. — Nun, ich. 


bin ja jebt au ein armer Mann. 

Da ih nun vor Begierde, das Lied zu haben, mir 
in die Haare fuhr, tröftete fie mich und fagte: der 
Drganift der Betersfirche Täme öfter um Muskatnuß 
in ihres Vaters Gewölbe, den wolle fie bitten, Alles 
auf Noten zu bringen. ch könnte es nah ein paar 
Tagen dort abholen. Hierauf nahm fie ihren Korb 
unb ging, wobei ich ihr das Geleite big zur Stiege 
gab. Auf der oberften Stufe die lebte Verbeugung 
machend, überrafchte mich der Kanzleivorſteher, der mich 
an meine Arbeit gehen hieß und auf das Mädchen 
halt, an dem, wie er behauptete, fein gutes Haar 
fei. Ich war darüber heftig erzürnt und wollte ihm 
eben antiworten, daß ich, mit feiner Erlaubniß, vom 
Gegentheile überzeugt fei, als ich bemerkte, daß er 


bereit in fein Zimmer zurüdgegangen war, weßhalb 
ich mich .faßte und ebenfalld an meinen Schreibtiih 
ging. Doch ließ er fich feit diefer Zeit nicht nehmen, - 

daß ich ein lieverlicher Beamter und ein ausfchweifen: _ 


der Menich jet. 


Ich konnte auch wirklich defielben und die darauf 
folgenden Tage kaum etwas Vernünftiges arbeiten, fo / 
ging mir das Lied im Kopfe herum, und ich war wie 
verloren. Ein paar Tage vergangen, mußte ich wieder 
nicht, ob e3 jchon Zeit fei, die Noten abzuholen oder ' 


nicht. Der Organiſt, hatte das Mädchen gejagt, kam 
in ihres Baterd Laden, um Muskatnuß zu Taufen; 
die Fonnte er.nur zu Bier gebrauchen. Nun war jeit 
einiger Zeit Fühles Wetter und daher wahrfcheinlich, 
daß der mwadere Tonkünftler fi) eher an den Wein 
halten und daher fo bald feine Muskatnuß bebürfen 


SS 
[4 


[4 


0 Der arme Sptelmann. 


werde. Zu fchnell anfragen fchien mir unhöfliche Zu- 
dringlichkeit, allzu langes Warten fonnte für Gleich: 
gültigfeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf 
dem Gange zu fprechen, getraute ih mir nicht, da 
unjere erfte Zufammenfunft bei meinen Kameraden ruch⸗ 
bar geworben war, und fie vor Begierbe brannten, 
mir einen Streich zu fpielen. 

Ich hatte inzwifchen die Violine mit Eifer wieber 
aufgenommen und übte vor der Sand das Fundament 
gründlich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu 
Zeit, aus dem Kopfe zu fpielen, wobei ich aber das 
Fenfter forgfältig fchloß, da ich wußte, daß mein Vor- 
trag mißfiel. Aber wenn ich das Fenfter auch öffnete, 
befam ich mein Lieb doch nicht wieber zu hören. Die 
Nachbarin fang theils gar nicht, theils fo leiſe und 
bei verſchloſſener Thüre, daß ich nicht zwei Töne unter: 
ſcheiden konnte. | 

Endlich — es waren ungefähr drei Wochen ver- 
gangen — vermochte ich’3 nicht mehr auszuhalten, 
Ich hatte zwar fchon durch zwei Abende mich auf die 
Gaſſe geitohlen — und das ohne Hut, damit die Dienft- 
leute glauben follten, ich fuchte nur nad etwas im 
Haufe — fo oft ich aber in die Nähe des Griesler: 
ladens kam, überfiel mich ein jo heftiges Zittern, daß 
ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. 
Endlich aber — mie gefagt — konnte ich’3 nicht mehr 
aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging eines 
Abende — auch dießmal ohne Hut — aus meinem 
Zimmer die Treppe hinab und feften Schritte durch 
die Gafje bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor ber 
Hand ftehen blieb und überlegte, was weiter zu thun 
fei. Der Laden war erleuchtet, und ich hörte Stimmen 
darin. Nach einigem Zögern beugte ih mich vor und 
Iugte von der Seite hinein. Ich ſah das Mädchen 





Der arme Spielmann. 71 


hart vor dem Labentifche am Lichte figen und in einer 
hölzernen Mulde Erbfen oder Bohnen leſen. Bor ihr 
ftand ein derber, rüftiger Mann, die ade über die 
Schulter gehängt, eine Art Knittel in der Hand, un: 
gefähr wie ein Fleiſchhauer. Die Beiden fprachen, 


— 


·— 


ru 


offenbar in guter Stimmung, denn das Mädchen lachte ' 


einigemale laut auf, ohne ſich aber in ihrer Arbeit zu 
unterbrechen ober auch nur aufzujehen. War e3 meine 
gezivungene vorgebeugte Stellung oder fonjt was immer, 
mein Zittern begann wieder zu fommen; als ich mid) 
plöglich von rückwärts mit derber Hand angefaßt und 
nach vorwärts gejchleppt fühlte. In einem Nu ftand 
ich im Gewölbe, und als ich, losgelaſſen, mich um- 
Ihaute, ſah ih, daß es ber Eigenthümer ſelbſt war, 
der, von auswärts nach Haufe kehrend, mich auf ber 
Lauer überrajht und als verbächtig angehalten hatte. 
Element! fchrie er, da fieht man, wo die Pflaumen 
hinkommen und die Handvoll Erben und Nollgerite, 
die im Dunkeln aus den Auslagkörben gemaust werben. 
Da ſoll ja gleich das Donnerwetter dreinfchlagen! Und 
damit ging er auf mich los, als ob er wirklich brein 
Ichlagen wollte. 

Ich war wie vernichtet, wurbe aber durch den Ge- 
danken, daß man an meiner Ehrlichkeit zweifle, bald 
wieder zu mir felbjt gebracht. ch verbeugte mich 
daher ganz kurz und fagte dem Unhöflichen, daß mein 


Beſuch nicht feinen Pflaumen oder feiner Rolgerite, - 


fondern feiner Tochter gelte. Da lachte der in ber 
Mitte des Ladens ſtehende Fleifcher laut auf und wen⸗ 
bete fich, zu geben, nachdem er vorher dem Mädchen 
ein Baar Worte leife zugeflüftert hatte, bie fie,. gleich 
falls lachend, durch einen fchallenden Schlag mit ber 
flachen Hand auf feinen Rüden beantwortete. Der 


Griesler gab dem Weggehenden das Geleit zur Thüre 


72 Der arme Spielmann. 


hinaus. Ich hatte derweil fchon wieder all meinen 
Muth verloren und ftand dem Mädchen gegenüber, 
die gleichgültig ihre Erbfen und Bohnen las, als ob 
das - Ganze fie nicht? anginge. Da polterte der Bater 
wieder zur Thüre herein. Mordtaufendelement noch 
einmal, fagte er, Herr, was ſoll's mit meiner Tochter? — 
ch verfuchte, ihm den Zufammenhang und den Grund 
meines Bejuches zu erklären. Was Lied? jagte er, ich 
will euch Lieder fingen! mobei er den rechten Arm 
jehr verdächtig auf und ab bewegte. — Dort liegt es, 
ſprach das Mädchen, indem fie, ohne die Mulde mit 
Hülfenfrüchten wegzufegen, fich fammt dem Seſſel feit- 
wärts überbeugte und mit der Hand auf den Laben- 
tiſch hinwies. Ich eilte bin und ſah ein Notenblatt 
liegen. Es war das Lied. Der Alte war mir aber 
zuvorgekommen. - Er hielt das fchöne Papier zerfnit- 
ternd in der Hand. ch frage, fagte er, was das 
abgiebt? Wer ift der Menſch? Es ift ein Herr aus der 
Kanzlei, ermwiderte fie, indem fie eine wurmftichige 
Erbfe etwas weiter als die andern von ſich warf. Ein 
Herr aus der Kanzlei?riefer, im Dunfeln, ohne Hut? — 
Den Mangel des Hutes erflärte ich durch den Umſtand, 
daß ich ganz in der Nähe wohnte, wobei ich das Haus 
bezeichnete. Das Haus weiß ich, rief er. Da mohnt 
Niemand drinnen als der Hofrath — bier nannte er 
den Namen meines Vaters — und die Bedienten Tenne 
ih alle. Ich bin der Sohn des Hofraths, ſagte ich, 
leife, ala 0b’3 eine Lüge wäre. — Mir find im Leben 
viele Veränderungen vorgefommen, aber noch feine ſo 
plögliche, als bei diefen Worten in dem ganzen Weſen 
bes Mannes vorging. Der zum Schmähen geöffnete 
Mund blieb offen ftehen, die Augen drohten noch 
immer, aber um den untern Theil des Gefichtes fing 
an, eine Art Lächeln zu fpielen, das fich immer mehr 


Der arme Spielmann. 73 


Platz madte. Das Mädchen blieb in ihrer Gleichgül: 
tigkeit und gebüdten Stellung, nur daß fie fich die 
losgegangenen Haare, fortarbeitend, hinter die Ohren 
zurüdftrih. Der Sohn des Herrn Hofraths? fchrie 


endlich der Alte, in deſſen Gefichte die Aufbeiterung | 


x. 


7, 


volfommen geworden war. Wollen Euer Gnaden ſich's "".- 


vielleicht bequem machen? Barbara, einen Stuhl! Das 
Mädchen bewegte fich widerwillig auf dem ihren. Nu, 
wart, Tudmaufer! fagte er, indem er ſelbſt einen 
Korb von feinem Blate hob und den darunter geftellten 
Seſſel mit dem Bortuhe vom Staube reinigte. Hohe 
Ehre, fuhr er fort.. Der Herr Hofratb — der Herr 
Sohn, wollt’ ich jagen, practiciren alfo auch die Mufif? 
Singen vielleiht, wie meine Tochter, oder vielmehr 
ganz anders, nach Noten, nach der Kunft? Ich erklärte 
ibm, daß ih von Natur Feine Stimme hätte. Oder 
Ichlagen Klavierzimbel, wie die vornehmen Leute zu 
thbun pflegen? ch fagte, daß ich die Geige fpiele. 
Habe auch in meiner Jugend gefratt auf der Geige, 
rief er. Bei dem Worte Kragen blidte ih unmillfür: 
lich auf das Mädchen bin und ſah, daß fie ganz 
ſpöttiſch lächelte, was mich fehr verdroß. 

Sollten fi des Mädels annehmen, heißt das in 
Mufit, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat 
auch fonft ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, 
wo fol’3 berfommen? wobei er Daumen und Zeigefinger 
der rechten Hand wiederholt übereinander fchob. ch 
war ganz befhämt, daß man mir unverbienter Weile 
fo bedeutende mufifalifhe Kenntniſſe zutraute, und 
wollte eben den wahren Stand der Sache auseinander 
fegen, als ein außen Vorübergehenver in den Laden 
hereinrief: Guten Abend alle miteinander! Ich erſchrak, 
denn es war die Stimme eines der Bedienten unferes 
Haufes.. Auch der Griesler hattd fie erfannt. Die 


74 Der amme Spielmann. 


Spibe der Zunge vorjchiebend und die Schulter empor: 
gehoben, flüfterte er: Waren einer der Bedienten bez 
gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht erkennen, 
Itanden mit dem Rüden gegen die Thüre. Lebtereö ver- 
hielt fich wirklich fo. Aber das Gefühl des Heimlichen, ' 
Unrechten ergriff mich qualvoll. Ach ftammelte nur ein 
paar Worte zum Abfchieb und ging. Sa jelbit mein Lieb 
hätte ich vergeſſen, wäre mir nicht der Alte auf die 
Straße nachgefprungen, mo er mir's in die Hand ſteckte. 

Sp gelangte ich nah Haufe, auf mein ‚Zimmer, 
und wartete der Dinge, die da fommen follten. Und 
fie blieben nicht aus. Der Bebiente hatte mich dennoch 
erfannt. Ein paar Tage darauf trat der Sefretär 
meines Vaters zu mir auf die Stube und fünbigte 
miran, daß ich das elterliche Haus zu verlaflen hätte. 
Alle meine Gegenreden waren fruchtlos. Man hatte 
mir in einer entfernten Vorftabt ein Kämmerchen ge 
miethet, und jo war ich denn ganz aus der Nähe ber 
Angehörigen verbannt. Auch meine Sängerin bekam 
ich nicht mehr zu fehen. Man hatte ibr den Kucen- 
bandel auf der Kanzlei eingeftellt, und ihres Waters 
Laden zu betreten, konnte ich mich nicht entichließen, 
da ich mußte, daß e3 dem meinigen mißfiel. Sa, als 
ih dem alten Griesler zufällig auf der Straße begeg- 
nete, wandte er fi mit einem grimmigen .Gefichte 
don mir ab, und ich war wie niebergedonnert. Da 
holte ich denn, halbe Tage lang allein, meine Geige 
hervor und fpielte und übte. 

Es follte aber noch fchlimmer kommen. Das Glüd 
unſeres Haufes ging abwärts. Mein jüngfter Bruder, 
ein eigentoilliger, ungeftümer Menſch, Offizier bei ven 
Dragonern, mußte eine unbefonnene Wette, in Folge 
der er, vom Ritt erbist, mit Pferd und Rüftung durch: 
die Donau Schwamm — es war tief in Ungarn — mit 








Der arme Spieimann. 75 


dem Leben bezahlen. Der ältere, geliebtefte, war in 
einer Provinz am Rathstiſch angeftellt. In immer: 
währender Widerjetlichleit gegen feinen Landesvorge⸗ 
festen und, wie fie fagten, heimlich dazu von unferem 
Vater aufgemuntert, erlaubte er ſich fogar unrichtige 
Angaben, um feinem Gegner zu ſchaden. Es fam zur 
Unterfuhung, und mein Bruder ging heimlich aus 
dem Lande. Die Feinde unferes Vaters, deren viele 
waren, benüsten den Anlaß, ihn zu ftürzen. Von 
allen Seiten angegriffen und ohnehin ingrimmig über 
die Abnahme feines Einflufles, hielt er täglich vie 
angreifendften Neben in der Rathöfigung Mitten in 
einer bderfelben traf ihn ein Schlagfluß. Er mwurbe 
ſprachlos nad) Haufe gebracht. Ich ſelbſt erfuhr nichts 
davon. Des andern Tages auf ver Kanzlei bemerfte 
ich wohl, daß fie heimlich flüfterten und mit den Fin- 
gern nach mir wiefen. Sch aber war derlei ſchon ge: 
wohnt und hatte Tein Arges. Freitags darauf — es 
war Mittwochs geweſen — wurde mir plößlich ein 
Ihwarzer Anzug mit Flor auf die Stube gebradt. 
Sch erftaunte und fragte und erfuhr. Mein Körper 
ift ſonſt ſtark und mwiderhältig, aber da fiel's mich an 
mit Macht. Ach ſank befinnungslos zu Boden. Sie 
trugen mich ind Bette, wo ich fieberte und irre ſprach 
den Tag hindurch und die ganze Nacht. Des andern 
Morgens batte die Natur die Oberhand gewonnen, 
aber mein Vater war todt und begraben. 

Ich hatte ihn nicht mehr fprechen können; ihn nicht 
um Verzeihung bitten wegen all bes Kummers, den 
ih ihm gemacht; nicht mehr danken für die unver: 
dienten Gnaden — ja Gnaden! denn feine Meinung 
war gut, und ich hoffe ihn einft mwieberzufinden, imo 
wir nach unfern Abfichten gerichtet werben und nicht 
nach unſern Werken. 


v6 Der arme Spielmann. 


Sch blieb mehrere Tage auf meinem Zimmer, faum 


daß ich Nahrung zu mir nahm. Endlich ging ich doch 
hervor, aber gleich nach Tifche wieder nad) Haufe, und 
nur des Abends irrte ich in den bunfeln Straßen 
umher, wie Kain, der Brudermörber. Die väterliche” 
Wohnung war mir dabei ein Schredbild, dem ich ſorg⸗ 
fältigft aus dem Wege ging. Einmal aber, gedankenlos 
bor mich binftarrend, fand ich mich: plößlich in der 
Nähe des gefürchteten Haufes. Meine Kniee zitterten, 
daß ich mich anhalten mußte. Hinter mir an die 
Wand greifend, erkenne ih die Thüre des Griesler- 
ladens und darin fibend Barbara, einen Brief in ber 
Hand, neben ihr das Licht auf dem Ladentifche und 
hart dabei in aufrechter Stellung ihr Vater, ver ihr 
zuzufprechen fchien. Und wenn e8 mein Leben gegolten 
hätte, ich mußte eintreten. Niemanden zu haben, bem 
man fein Leid Hagen kann, Niemanden, der Mitleid 
‚ fühlt! Der Alte, wußte ich wohl, war auf mid) er- 
zürnt, aber dad Mädchen jollte mir ein gutes Wort 
: geben. Doch kam e3 ganz entgegengefegt. Barbara ftand 
auf, als ich eintrat, warf mir einen hochmüthigen Blid 
zu und ging in die Nebenfammer, deren Thüre fie ab- 
ſchloß. Der Alte aber faßte mich bei der Hand, bieß mich 
nieberfiten, tröftete mich, meinte aber auch, ich fei 
nun ein reiher Mann und hätte mid) um Niemanden 
mehr zu kümmern. Er fragte, wie viel ich geerbt 
hätte, Sch mußte das nicht. Er forderte mich auf, 
zu den Gerichten zu geben, mas ich verfpradh. In den 
Kanzleien, meinte er, fei nichts zu maden. ch follte 
meine Erbfehaft im Handel anlegen. Knoppern und 
Früchte würfen guten Profit ab; ein Compagnon, der 
fih darauf verftände, könnte Grofchen in Gulden ver: 
wandeln. Er jelbit habe fich einmal viel damit abge: 
geben. Dabei rief er wiederholt nad dem Mädchen, 


‘ 
) 





Der arme Spielmann. , 77 


die aber Fein Lebenszeichen von fih gab. Doch fchien 
mir, ala ob ich an der Thüre zumeilen rafcheln hörte, 
Da fie aber immer nicht fam und der Alte nur vom 
Gelbe redete, empfahl ich mich enblich und ging, mobei 
der Mann bedauerte, mich nicht begleiten zu können, 
da er allein im Laden fei. ch war traurig über meine 
verfehlte Hoffnung und doc wunderbar getröftet. Als 
ich auf der Straße ftehen blieb und nad) dem Haufe 
meines Vaters hinüberblicte, hörte ich plößlich hinter 
mir eine Stimme, die gevämpft und im Tone des . 


Unwillens ſprach: Trauen Sie nicht gleich Jedermann, ' 


man meint e8 nicht gut mit. Ihnen. So ſchnell ih 
mich umkehrte, ſah ich doch Niemand; nur das Klirren | 
eines Fenſters im Erdgefchoffe, das zu des Grieslers 
Wohnung gehörte, belehrte mich, wenn ich auch die 
Stimme nicht erfannt hätte, daß Barbara die geheime 
Warnerin war. Sie hatte alfo doch gehört, was im 
Laden gefprochen worden. Wollte fie mich vor ihrem 
Bater warnen? oder war ihr zu Ohren gefommen, daß 
gleich nach meines Baterd Tode theild Kollegen aus 
“der Kanzlei, theils andere, ganz unbefannte Leute, 
mid mit Bitten um Unterftügung und Nothhilfe an- 
gegangen, ich auch zugefagt, wenn ich erjt zu Gelb 
fommen würde. Was einmal verfprocdhen, mußte ich 
balten, in Zufunft aber befchloß ich, vorfichtiger zu 
fein. Ich meldete mich wegen meiner Erbichaft. Es 
war weniger, als man geglaubt hatte, aber doch fehr 
viel, nabe an eilftaufend Gulden. Mein Zimmer 
wurde den ganzen Tag von Bittenden und Hilfefuchen- 
den nicht leer. Ach war aber beinahe hart geworben 
und gab nur, mo die Noth am größten war. Auch 
Barbara's Vater kam. Er ſchmähte, daß ich fie ſchon 
drei Tage nicht befucht, worauf ih der Wahrheit 
gemäß erwiberte, daß ich fürchte, feiner Tochter zur 


Laſt zu fein. Er aber fagte, das folle mich nicht 
fümmern, er habe ihr ſchon den Kopf zurecht geſetzt, 
wobei er auf eine boshafte Art lachte, jo daß ich er- 
ſchrak. Daburd an Barbara’ Warnung rüderinnert, 
verhehlte ich, ala wir bald im Geſpräche darauf kamen, 
den Betrag meiner Erbſchaft; auch feinen Handelsvor⸗ 
ſchlägen wich ich geſchickt aus. 

Wirklich Iagen mir bereits andere Ausfichten im 
Kopfe. In der Kanzlei, wo man mid nur meines 
Vaters wegen gebulbet hatte, war mein Platz bereits 
durch einen Andern befegt, mas mich, da Tein Gehalt 
damit verbunden war, wenig Tümmerte. Aber der 
Serretär meines Vater, der durch die lebten Ereig- 
nifle broblo8 geworben, theilte mir den Plan zur Er- 
richtung eines Ausfunfts-, Copir- und Ueberſetzungs⸗ 
Comptoird mit, wozu ich die erſten Einrichtungskoften 
vorſchießen follte, indeß er felbft die Direction Zu 
übernehmen bereit war. Auf mein Andringen wurden 
die Copirarbeiten auch auf Mufilalien ausgedehnt, und 
nun war id) in meinem Glüde. Ich gab das erfor: 
derliche Geld, ließ mir aber, jchon vorfichtig geivorben, 
eine Handfchrift darüber ausftellen. Die Caution für 
die Anftalt, die ich gleichfalls vorſchoß, ſchien, obgleich 
beträchtlich, kaum der Rede werth, da fie bei ven Ges 
richten hinterlegt werden mußte und dort mein blieb, 
als hätte ich fie in meinem Schrante. 

Die Sache war abgethan, und ich fühlte mich er: 
leichtert, erhoben, zum erften Male in meinem Leben 
felbftitändig, ein Mann. Kaum baß ich meines Vaters 
noch gedachte: Ich bezog eine befiere Wohnung , änderte 
Einige3 in meiner Kleidung und ging, als es Abend 
geworden, durch wohlbefannte Straßen nad) dem Gries: 
lerladen, wobei ich mit den Füßen fchlenferte und 
mein Lied zwiſchen den Zähnen fummte, obwohl nicht 


78 Der arme Spielmann. 


Der arme Epielmann. | 79 


ganz richtig. Das B in der zweiten Hälfte babe ich 
mit der Stimme nie treffen Tönnen. roh und guter 
Dinge langte ich an, aber ein eisfalter Blick Barbara’s. 
warf mich ſogleich in meine frühere Zaghaftigfeit zurüd. 
Der Vater empfing mich aufs Beſte, fie aber that, als 
ob Niemand zugegen wäre, fuhr fort, Papierbüten zu 
wideln, und milchte fi mit feinem Worte in unfer 
Geſpräch. Nur als die Rede auf meine Erbichaft kam, 
fuhr fie mit halbem Leibe empor und ſagte faft drohend: 
Bater! worauf der Alte fogleich den Gegenftand änderte. 
Sonft ſprach fie den ganzen Abend nichts, gab mir 
feinen zweiten Blid, und ala ich mich enbligh empfahl, 
Hang ihr: Guten Abend! beinahe wie ein Gott fei 
Danfl 

Aber ich Fam wieder und wieder, und fie gab all- 
mählig nad. Nicht ala ob ich ihr irgend etwas zu 
Dante gemadht hätte. Sie fhalt und tabelte mid, un- 
aufbörlih. Alles war ungeſchickt; Gott hatte mir zwei 
linke Hände erſchaffen; mein Rod ſaß wie an einer 
Vogelfcheuche; ich ging wie die Enten, mit einer An- 
mahnung an den Haushahn. Beſonders zumider war 
ihr meine Höflichleit gegen die Kunden. Da ich näm⸗ 
li bi8 zur Eröffnung der Copiranftalt ohne Beſchäf— 
tigung war und überlegte, daß ich dort mit dem Bu- 
blikum zu thun haben würbe, fo nahm ich, ala Bor- 
übung, an dem Kleinverfauf im Grieslergewölbe thätt- 
gen Antbeil, was mich oft halbe Tage lang fefthielt. 
Ich wog Gewürz ab, zählte den Knaben Nüffe und 
Welkpflaumen zu, gab klein Gelb heraus; letzteres 
nicht ohne häufige Jrrungen, wo denn immer Barbara 
dazwifchen fuhr, gemwaltthätig wegnahm, was ich eben 
in den Händen bielt, und mid) vor den Kunden ver: 
lachte und verfpottete. Machte ich einem ber Käufer 
einen Büdling oder empfahl mich ihnen, To fagte fie 


80 Der arme Spielmann. 


barſch, ehe die Leute noch zur Thüre hinaus waren: 
Die Waare empfiehlt! und Tehrte mir den Rüden. 
Manchmal aber wieder war fie ganz Güte. Sie hörte 
mir zu, wenn tch erzählte, mas in der Stadt vorging; 
aus meinen Kinderjahren; von dem Beamtenweſen in 
der Kanzlei, mo wir uns zuerft kennen gelernt. Dabei 
ließ fie mich aber immer allein fprechen und gab nur 
durch einzelne Worte ihre Billigung ober — was öfter 
der Fall war — ihre Mißbilligung zu erfennen. 

Bon Muſik oder Gefang war nie die Rebe. Erſtlich 
meinte fie, man müfje entweder fingen oder das Maul 
halten, zu reden fei da nichts. Das Singen felbit 
aber ging nicht an. Im Laden war es unzienlid), 
und die Hinterftube, die fie und ihr Vater gemein: 
Ichaftlich bewohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal 
aber, als ich unbemerkt zur Thüre hereintrat, ſtand 
fie, auf den Zehenfpigen emporgerichtet, den Rüden 
mir zugelehrt und mit ven erhobenen Händen, wie man 
nach etwas fucht, auf einem der höheren Stellbretter 
berumtaftend. Und dabei fang fie leife in fich hinein. — 
Es war das Lied, mein Lied! — Sie aber zwitjcherte 
wie eine Grasmüde, die am Bache das Hälslein wäſcht 
und das Köpfchen herummwirft und die Federn fträubt 
und wieder glättet mit dem Schnäblein. Mir mar, 
als ginge ich auf grünen Wiefen. Ach jchlich näher 
und näher und war ſchon fo nahe, daß das Lied nicht 
mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen ſchien, 
ein Gefang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr 


halten, und faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte: 


nad vorn jtrebenden und mit den Schultern gegen 
mich gejenften Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte 
wie ein Kreifel um fich felbft. Glutroth vor Zorn im 
Gefichte, jtand fie vor mir da; ihre Hand zudte, und 
ehe ich mich entjchuldigen fonnte — 








Der arme Spielmann. 81 


Sie hatten, wie ich ſchon früher berichtet, auf der 
Kanzlei öfter von einer Ohrfeige erzählt, die Barbara, 
noch als Kuchenhändlerin, einem Zudringlichen gegeben. 
Was fie da fagten von der Stärke des eher Klein zu 
nennenden Mädchens und der Schwungfraft ihrer Hand, 
ſchien höchlih und zum Scherze übertrieben. Es ver: 
hielt fih aber wirklich fo und ging ins Rieſenhafte. 


Ich fland mie vom Donner getroffen. Die Lichter 


tanzten mir vor den Augen. — Aber e8 waren Him- 
melslichter. Wie Sonne, Mond und Sterne; wie die 
Engelein, die Verſteckens fpielen und dazu fingen. Ich 
hatte Erfcheinungen, ich war verzüdt. Sie aber, faum 
minder erfchroden ala ih, fuhr mit ihrer Hand mie 
begütigend über die gejchlagene Stelle. Es mag wohl 
zu Start ausgefallen fein, fagte fie, und — wie ein 
zweiter Blitzſtrahl — fühlte ich plößlich ihren warmen 
Athem auf meiner Wange und ihre zwei Lippen, und 
fie füßte mich; nur leicht, leicht; aber es war ein Kuß 


auf biefe meine Wange, bier! Dabei Hlatjchte der alte 
Mann auf feinen Baden, und die Thränen traten ihm 
aus den Augen. Was nun weiter geſchah, weiß ich 


nicht, fuhr er fort. Nur daß ich auf fie losſtürzte und 
fie in die Wohnftube lief und die Glasthüre zubielt, 
mährend ich von der andern Seite nachbrängte. Wie 
fie nun, zufammengerümmt und mit aller Macht ſich 
entgegenftemmend, gleihfam an dem Thürfenfter Tlebte, 
nahm ich mir ein Herz, verehrteſter Herr, und gab ihr 
ihren Kuß heftig zurüd, durch das Glas, 

Oho, bier geht’3 Iuftig her! hörte ich Hinter mir 
rufen. Es war der Griesler, der eben nad) Haufe 
fam. Nu, was fi nedt — fagte er. Komm nur 
heraus, Bärbe, und mad)’ feine Dummbeiten! Einen 
Kup in Ehren fann Niemand wehren. — Sie aber 
kam nicht. Ich felbft entfernte mich nach einigen halb 

Grillparger, Berfe, Vlı. 6 


— 


82 Der arme Spielmann. 


bewußtlos geftotterten Worten, wobei ich ben Hut bes 
Grieslers ftatt de3 meinigen nahm, den er lachend mir 
in der Hand austaufchte. Das war, wie ich ihn Schon 
früher nannte, der Glüdstag meines Lebens. Faft 
hätte ich gejagt: ber einzige, was aber nicht wahr 
wäre, denn ber Menſch hat viele Gnaden von Gott. 

ch wußte nicht recht, wie ich im Sinne des Mädchens 
ftand, Sollte ich fie mir mehr erzürnt ober mehr be- 
gütigt denfen? Der nächte Beſuch koſtete einen ſchweren 
Entihluß. Aber fie war gut. Demüthig und ftill, 
nicht auffahrend wie fonft, faß fie da bei einer Arbeit. 
Sie winkte mit dem Kopfe auf einen nebenftehenben 
Schemel, daß ich mich feßen und ihr helfen follte. So 
faßen wir denn und arbeiteten. Der Alte wollte hinaus: 
gehen. Bleibt doch da, Vater, fagte fie; was Ihr 
beforgen wollt, ift ſchon abgethan. Er trat mit dem 
Fuße hart auf den Boden und blieb. Ab: und zu: 
gehend ſprach er von diefem und jenem, ohne daß ich 
mid in das Gefpräcd zu mifchen wagte. Da ftieß das 
Mädchen plöglich einen Kleinen Schrei aus, Sie hatte 
fih beim Arbeiten einen Finger geritzt, und obgleich 
fonft gar nicht weichlich, fchlenferte fie mit der Hand 
bin und ber. Ich wollte zufehen, aber fie bebeutete 
mich, fortzufahren. Alfanzerei und fein Ende! brummte 
der Alte, und vor das Mädchen bintretend, fagte er 
mit ftarler Stimme: Was zu beforgen war, ift noch 
gar nicht gethan! und fo ging er fchallenden Trittes 
zur Thüre hinaus. Ich wollte nun anfangen, mid 
von geftern her zu entjchuldigen; fie aber unterbrach 
mich und fagte: Laſſen wir das und fprechen wir jeßt 
von gejcheidtern Dingen. 

Sie hob den Kopf empor, maß mich vom Scheitel 
bis zur Zehe und fuhr in rubigem Tone fort: Ich 
weiß kaum ſelbſt mehr den Anfang unferer Belannt- 





Der arme Spielmann. 83 


ſchaft, aber Sie fommen feit einiger Zeit öfter und 
öfter, und wir haben uns an Sie gewöhnt. Ein ehr- 
liches Gemüth wird Ihnen Niemand abjtreiten, aber 
Sie find Schwach, immer auf Nebendinge gerichtet, fo 
daß Sie Taum im Stande wären, Ihren eigenen 
Sachen jelbit vorzuftehen. Da wird es denn Pflicht 
und Schuldigkeit von Freunden und Belannten, ein 
Einfehen zu haben, damit Sie nicht zu Schaden kom⸗ 
men. Sie verfigen bier halbe Tage im Laden, zählen 
und wägen, meſſen und marlten; aber dabei fommt 
nichts heraus. Was gedenken Sie in Zukunft zu thun, 
um Ihr Fortlommen zu haben? Ich erwähnte ver Erb: 
Schaft meines Vaters. Die mag recht groß fein, fagte 
fie. Ich nannte den Betrag. Das ift viel und wenig, 
erwiberte fie. Biel, um etwas bamit anzufangen; 
wenig, um vom Breiten zu zehren. Mein Vater hat 
Ihnen zwar einen Vorſchlag gethan, ich rieth Ihnen 
aber ab. Denn einmal bat er ſchon ſelbſt Geld bei berlei 
Dingen verloren, dann, feste fie mit geſenkter Stimme 
hinzu, ift ex jo gewohnt, von Fremden Gewinn zu ziehen, 
daß er es Freunden vielleicht auch nicht beſſer machen 
würde. Sie müflen Jemand an der Seite haben, ber 
e3 ehrlich meint. — Ich wies auf fie. — Ehrlich bin 
ih, jagte fie. Dabei legte fie die Hand auf die Bruft, 
und ihre Augen, die fonft in? Graulichte Tpielten, 
glänzten hellblau, bimmelblau. Aber mit mir hat's 
eigene Wege. Unfer Gejchäft wirft menig ab, und 
mein Bater geht mit dem Gedanken um, einen Schent: 
Inden aufzurichten. Da iſt denn fein Platz für mid. 
Mir bliebe nur Handarbeit, denn bienen mag ich nicht. 
Und dabei ſah fie aus wie eine Königin. Man bat 
mir zwar einen andern Antrag gemacht, fuhr fie fort, 
indem fie einen Brief aus ihrer Schürze zog und halb 
widerwillig auf ben Labdentifh warf; aber ba müßte 


84 Der arme Spielmann. 


ich fort von bier. — Und weit? fragte ih. — Warum? 
was Tümmert Sie das? — Ich erklärte, daß ih an 
denjelben Drt binziehen wollte. — Sind Sie ein Kind! 
fagte fie. Das ginge nicht an und wären ganz andere 
Dinge. Aber wenn Sie Vertrauen zu mir haben und 
gerne. in meiner Näbe find, jo bringen Sie den Putz⸗ 
laden an fich, der hier nebenan zu Verkauf Steht. Ich 
verftehe dag Werk, und um den bürgerlichen Gewinn 
aus Ihrem Gelde bürften Sie nicht verlegen jein. 
Auch fänden Sie ſelbſt mit Rechnen und Schreiben 
eine ordentlide Beſchäftigung. Was ſich etwa noch 
weiter ergäbe, davon wollen mir jet nicht reden. 
Aber ändern müßten Sie ſich! Sch haſſe die meibifchen 
Männer. 

Ich war aufgefprungen und griff nach meinem 
Hute. Was it? wo wollen Sie bin? fragte fie. Alles 
abbeitellen, jagte ich mit kurzem Athen. — Was 
denn? — Ich erzählte ihr nun meinen Plan zur Ex 
richtung eines Schreib: und Auskunfts⸗Comptoirs. Da 
fommt nicht viel heraus, meinte fie. Auskunft ein- 
ziehen kann ein Jeder jelbft, und jchreiben bat auch 
ein Jeder gelernt in der Schule. Ach bemerkte, daß 
auch Mufilalien copirt werden follten, was nicht Jeder⸗ 
manns Sache fei. Kommen Sie jchon wieder mit folchen 
Albernheiten? fuhr fie mich an. Laſſen Sie das Mu: 
fieiren und denken Sie auf die Nothwendigkeit! Auch 
wären Sie nicht im Stande, einem Geſchäfte felbft 
vorzuftehen. Ich erflärte, daß ich einen Compagnon 
gefunden hätte, Einen Compagnon? rief fie aus, Da 
will man Sie gewiß beirügen! Sie haben doch noch 
fein Geld hergegeben? — Ich zitterte, ohne zu wiſſen, 
warum. — Haben Sie Geld gegeben? fragte fie noch 
einmal. Ich geſtand die breitaufend Gulden zur erften 
Einrichtung. — Dreitaufend Gulden? rief fie, fo vieles 





Der arme Spielmenn. 85 


‚Geld! — Das Mebrige, fuhr ich fort, ift bei ben Ge 
richten "hinterlegt und jedenfalls ficher. — Alfo noch 
mehr? fihrie fie auf. — Ich gab ven Betrag ber 
Saution an. — Und haben Sie die felbft bei ben Ge- 
richten angelegt? — Es war durd) meinen Gompagnon 
geihehen. — Sie haben doch einen Schein barüber? — 
Ich hatte Feinen Schein. — Und wie beißt Ihr ſau—⸗ 
berer Compagnon? fragte fie weiter. Ich war einiger: 
maßen beruhigt, ihr den Secretär meines Vaters nen- 
nen zu fönnen. 

Gott der Gerechte! rief fie auffpringend und bie 
Hände zufammenichlagend. Bater! Bater! — Der Alte 
trat herein. — Was habt Ihr heute aus den Beitun- 
gen gelejen? — Bon dem Secretarius? ſprach er. — 
Mohl, wohl! — Nun, der ift durchgegangen, hat 
Schulden über Schulden hinterlaflen und: die Leute 
betrogen. Sie verfolgen ihn mit Stedbriefen! — Bater, 
rief fie, ex bat ihm auch fein Geld anvertraut. Er 
ift zu Grunde gerichtet. — Pos Dummköpfe und Fein 
Ende! fehrie der Alte. Hab’ ich's nicht immer gejagt? 
Aber das war ein Entfchuldigen. Einmal lachte fie 
über ihn, dann war er wieder ein rebliches Gemüth. 
Aber ich will dazwiſchen fahren! ch will zeigen, wer 
Herr im Haufe if. Du, Barbara, marſch hinein in 
die Kammer! Sie aber, Herr, machen Sie, daß Sie 
fortfommen, und verfchonen uns fünftig mit Ihren 
Bejuchen. Hier wird fein Almojen gereicht. — Bater, 
fagte das Mädchen, feid nicht hart gegen ihn, er ift 
ja doch unglüdlich genug. — Eben darum, rief der 
Alte, will ich's nicht auch werden. Das, Herr, fuhr 
er fort, indem er auf den Brief zeigte, den Barbara 
vorher auf den Tifch geworfen hatte, das ift, ein Mann! 
Hat Grüß’ im Kopfe und Geld im Sad. Betrügt 
Niemanden, läßt fich aber auch nicht betrügen; und 





86 Der arme Spielmann. 


das ift die Hauptjache bei der Ehrlichkeit. — Ich ftot- 
terte, daß der Verluft der Caution noch nicht gewiß 
fei. — a, rief er, wird ein Narr geweſen fein, ber 
Gecretarius! Ein Schelm ift er, aber pfiffig. Und nun 
geben Sie nur rafch, vielleicht holen Sie ihn noch ein! 
Dabei hatte er mir die flahe Hand auf die Schulter 
gelegt und ſchob mich gegen die Thüre. Ach wich dem 
Drude ſeitwärts aus und wendete mid) gegen das 
Mädchen, die, auf den Labentifch geftübt, da ftand, 
die Augen auf den Boden gerichtet, mobei die Bruft 
heftig auf- und nieberging. Ich wollte mich ihr nähern, 
aber fie ftieß zornig mit dem Fuße auf den Boden, 
und als ich meine Hand außftredte, zudte fie mit der 
‘ihren halb empor, als ob fie mich wieder fchlagen 
wollte. Da ging ich, und der Alte ſchloß die Thüre 
binter mir zu. 

sch wankte durch die Straßen zum Thor hinaus, 
ins Feld, Manchmal fiel mich die Verzweiflung an, 
dann Tam aber wieder Hoffnung. ch erinnerte mid), 
bei Anlegung der Caution den Secretär zum Handels: 
gerichte begleitet zu haben. Dort hatte ich unter dem 
Thorwege gewartet, und er war allein hinaufgegangen. 
Als er berablam, fagte er, alles fei berichtigt, ber 
Empfangsfchein werde mir ins Haus gefchict werden. 
Letzteres war freilich nicht gefcheben, aber Möglichkeit 
blieb noch immer. Mit anbredhendem Tage kam ich 
zur Stabt zurüd, Mein erfter Gang war in die Woh: 
nung des Secretärs. Aber die Leute lachten und 
fragten, ob ich die Zeitungen nicht gelefen hätte? Das 
Handelögericht lag nur wenige Häufer davon ab. Ich 
ließ in den Büchern nachſchlagen, aber weder fein 
Name noch meiner famen darin vor. Bon einer Ein- 
zahlung feine Spur. So war denn mein Unglüd gewiß. 
Ja beinahe wäre e8 noch Schlimmer gelommen. Denn 








Der arme Spielmann. 87 


da ein Gefellichaftscontract beftand, wollten mehrere 
feiner Gläubiger auf meine Berfon greifen. Aber die 
Gerichte gaben es nicht zu. Lob und Dank fei ihnen 
dafür gejagt! Obwohl es auf Eines herausgelom- 
men wäre. 

In all diefen Widermärtigfeiten war mir, geftehe 
ich's nur, ber Griesler und feine Tochter ganz in ben 
Hintergrund getreten. Nun da es ruhiger wurde, und 
ih anfing, zu überlegen, was etwa weiter gefchehen 
follte, fam mir die Erinnerung an ben leßten Abend 
lebhaft zurück. Den Alten, eigennüßig, wie er ar, 
begriff ich ganz mohl, aber das Mädchen! Manchmal 
fam mir in den Sinn, daß, wenn id) das Meinige 
zu Rathe gehalten und ihr eine Verſorgung bätte an- 
bieten können, fie wohl gar — aber fie hätte mid) 
nicht gemocht. — Dabei beſah er mit auseinander 
fallenden Händen feine ganze dürftige Geftalt. — Auch 
mar ihr mein höfliches Benehmen gegen Jedermann 
immer zuwider. 

Sp verbrachte ich ganze Tage, jann und überlegte. 
Eines Abends im Zmieliht — es war die Zeit, die 
ich gewöhnlich im Laden zuzubringen pflegte — ſaß ich 
wieder und verfehte mich in Gedanken an die gewohnte 
Stelle. Ich hörte fie ſprechen, auf mich ſchmähen, ja 
es fchien, fie verlachten mich. Da rafchelte es plötzlich 
an ber Thüre, fie ging auf, und ein Frauenzimmer 
trat herein. — Es war Barbara. — Ich ſaß auf 
meinem Stuhl angenagelt, ala ob ich ein Geipenft 
fähe. Sie war blaß und trug ein Bündel unter dem 

e. In die Mitte des Zimmers gelommen, blieb 
fie ſtehen, ſah rings an ven kahlen Wänden umber, 
dann nad abwärts auf das ärmlicdhe Geräthe und 
feufzte tief. Dann ging fie an den Schrank, der zur 
Seite an der Mauer ftand, widelte ihr Packet augein- 


88 Der arme Spielmenn. 


ander, das einige Hemden und Tücher enthielt — fie 
hatte in ber legten Zeit meine Wäfche beforgt — 308 
die Schublade heraus, fchlug die Hände zufammen, als 
fie den ſpärlichen Inhalt ſah, fing aber gleich barauf 


an, die Wäſche in Drbnung zu bringen und die mit: - 


gebrachten Stüde einzureihen. Darauf trat fie ein 
paar Schritte vom Schranke hinweg, und die Augen 
auf mich gerichtet, wobei fie mit dem Finger auf bie 
offene Schublade zeigte, fagte fie: Fünf Hemden und 
drei Tücher. Sp viel habe ich gehabt, fo viel bringe 
ih zurüd, Dann brüdte fie langſam die Schublade 
zu, ftügte jich mit der Hand auf den Schrank und fing 
laut an zu weinen. Es ſchien faft, als ob ihr ſchlimm 
würde, denn fie fette fi) auf einen Stuhl neben dem 


Schranke, verbarg das Geſicht in ihr Tuch, und ich. 


hörte aus den ſtoßweiſe geholten Athemzügen, daß fie 
noch immer fortweinte. Ich war. leife in ihre Nähe 
getreten und faßte ihre Hand, bie fie mir gutwillig 
ließ. Als ich aber, um ihre Blicke auf mich zu ziehen, 
an dem jchlaff hängenden Arme bis zum Ellenbogen 
emporrüdte, jtand fie raſch auf, machte ihre Hand Ios 
und fagte in gefaßtem Tone: Was nützt das alles? 
Es ift nun einmal fo. Sie haben es felbft gewollt, 
fih und ung haben Sie unglüdlich gemacht; aber frei: 
lich fich jelbft am meiften, Eigentlich verdienen Sie 
fein Mitleid — bier wurde fie immer heftiger — wenn 
man fo Schwach ift, jeine eigenen Sachen nicht in Drb- 
nung halten zu Tönnen; fo leichtgläubig, daß man 
Jedem traut, gleichviel, ob es ein Epigbube ift oder 
ein ehrlicher Mann. Und doch thut’s mir leid um Hk. 
Ich bin gelommen, um Abjchieb zu nehmen. Ya, er: 
Ichreden Sie nur. Iſt's doch Ihr Werl. Ich muß 
nun hinaus unter die groben Leute, wogegen ich mid) 
ſo lange gefträubt habe. Aber da ift Fein Mittel. Die 


Der arme Spielmann. 89 


Hand habe ich Ihnen ſchon gegeben, und fo leben Sie 
wohl — für immer. Ich ſah, daß ihr die Thränen 
wieder ins Auge traten, aber fie jchüttelte unmillig 
mit dem Kopfe und ging. Mir war, als hätte ich 
Blei in den Glievern. Gegen die Thüre gekommen, pr Fu 
wendete fie fi) noch einmal um und fagte: Die Wäfhe” “nr 
ift jeßt in Drbnung. Seben Sie zu, daß nichts ab- vw 
geht. Es werben harte Zeiten fommen. Und nun hob 
fie die Hand auf, machte wie ein Kreuzeszeichen in 
die Luft und rief: Gott mit dir, Jakob! — In alle 
Ewigkeit, Amen! fette fie Ieifer hinzu und ging. 

Nun erft kam mir ber Gebraud meiner Glieder 
zurüd. Ich eilte ihr nach, und auf dem Treppenab- 
ſatze ftehend, rief ih ihr nah: Barbara! Ich hörte, 
dag fie auf der Stiege ftehen blieb. Wie ich aber die 
erite Stufe hinabftieg, ſprach fie von unten herauf: 
Bleiben Sie! und ging die Treppe vollends hinab und 
zum Thore hinaus, | 

Ich habe ſeitdem harte Tage erlebt, Teinen aber 
wie dieſen; felbft der darauf folgende war es minder. 
Ich mußte nämlich doch nicht fo recht, mie ich daran 
war, und fchlih daher am kommenden Morgen in der - 
Nähe des Grieslerlabens herum, ob mir vielleicht einige 
Aufklärung würde. Da fich aber nichts zeigte, blidte 
ich endlich feitwärts in den Laden hinein und ſah eine 
frembe Frau, die abwog und Geld herausgab und zu: 
zählte. Ich wagte mich hinein und fragte, ob fie den 
Laden an ſich gelauft hätte? Zur Zeit noch nicht, 
fagte fie. — Und mo die Eigenthümer wären? — Die 
find heute früh Morgens nad) Zangenlebarn gereist. — 
Die Tochter auch? ftammelte ih. — Nun freilich auch, 
fagte fie, fie macht ja Hochzeit dort. 

Die Frau mochte mir nun Alles erzählt haben, 
was ich in der Folge von andern Leuten erfuhr. Der 


90 Der arme Spielmann. 


Fleifcher des genannten Drtes nämlich — derſelbe, den 
ih zur Zeit meines erften Beſuchs im Laden antraf 
— hatte dem Mädchen feit lange Heirathsanträge ge⸗ 
macht, denen fie immer auswich, bis fie endlich in den 
legten Tagen, von ihrem Vater gebrängt und an allem 


Nebrigen verzweifelnd, einwilligte. Defielben Morgens 


waren Vater und Tochter dahin abgereiöt, und in dem 
Augenblid, da wir fprachen, war Barbara des lei: 
ſchers Frau. 

Die Berläuferin mochte mir, wie gefagt, das Alles 
erzählt haben, aber ich hörte nicht und ftand regungs⸗ 
los, bis endlich Kunden kamen, die mich zur Seite 
ichoben, und die Frau mich anfuhr, ob ich noch font 
etwas wollte, worauf ich mich entfernte. 

Sie werben glauben, verehrtefter Herr, fuhr er 
fort, daß ih mid nun als den unglüdlichiten aller 
Menfchen fühlte. Und fo war es auch im erften Augen: 
blide. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, 
mich ummwenvend, auf die Kleinen Fenfter zurüdblidte, 
an denen Barbara gewiß oft geitanden und herausge⸗ 
jehen hatte, da kam eine felige Empfindung über mid). 
Das fie nun alles Kummers los war, Frau im eige 
nen Haufe, und nicht nöthig hatte, wie wenn fie ihre 
Tage an einen Herd: und Heimathlojen gefnüpft hätte, 
Kummer und Elend zu tragen, das legte fih wie ein 
Iindernder Balfam auf meine Bruft, und ich fegnete 
fie und ihre Wege. 

Wie e3 nun mit mir immer mehr berabfam, bes 
Ihloß ich, durch Muſik mein Fortkommen zu fuchen; 
und fo lange der Reft meines Geldes währte, übte 
und ftudirte ih mir die Werke großer Meifter, vor: 
züglich der alten, ein, melche ich abjchrieb; und als 
nun der lebte Grofchen ausgegeben war, ſchickte ich 
mid an, von meinen Kenntniſſen Vortheil zu ziehen, 





Der arme Spielmann. 9] 


und zwar anfangs in geichlofienen Gefellichaften, wozu 

ein Gaftgebot im Haufe meiner Miethfrau den eriten 

Anlaß gab. Als aber die von mir vorgetragenen 
Compofitionen dort feinen Anklang fanden, ftellte ich 

mid) in die Höfe der Häufer, da unter fo vielen Be 

mohnern doch Einige fein mochten, die das Exnfte zu 

ſchätzen wußten — ja endlich auf die öffentlichen Spa- ung a 
ziergänge, mo ich denn wirklich die Befriedigung hatte, 

daß Einzelne ftehen blieben, zubörten, mich befragten 

und nicht ohne Antheil weiter gingen. Daß fie mir '‘i... .. 
dabei Geld binlegten, beſchämte mich nicht. Denn h- ” 
einmal mar gerade das mein Zweck, dann fah ih au, ' "ra, : 
daß berühmte Virtuoſen, welche erreicht zu haben ich %=., _ 
mir nicht ſchmeicheln Tonnte, fih für ihre Leiftungen, 
und mitunter fehr hoch, honoriven ließen. So babe "u. 
ich mich, obzwar ärmlich, aber redlich fortgebracht bis 

diefen Tag. 

Nah Jahren follte mir noch ein Glück zu Theil 
werben. Barbara fam zurüd. Ihr Mann hatte Geld 
verdient und ein Fleifchhauergewerbe in einer der Vor: 
ftädte an ſich gebradt. Sie war Mutter von zwei 
Kindern, von denen das ältefte Jakob heißt, mie ich. 

Meine Berufsgefchäfte und die Erinnerung an alte 
Zeiten erlaubten mir nicht, zudringlich zu fein, end» 
lich ward ich aber felbft ins Haus bejtellt, um bem 
älteften Knaben Unterricht auf der Violine zu geben. 
Er bat zwar nur wenig Talent, fann auch nur an 
Sonntagen fpielen, da ihn in der Woche der Vater 
beim Gefchäft verwendet, aber Barbara’3 Lied, das ich 
ihn gelehrt, gebt doch fchon vecht gut; und wenn mir 
fo üben und handtieren, fingt manchmal die Mutter 
mit darein. Sie hat fi zwar ſehr verändert in den 
vielen Jahren, ift ſtark geworben und kümmert ſich 
wenig mehr um Muftl, aber e3 klingt noch immer Io 


99 Der arme Spielmann. 


hubſch, wie damals. Und damit ergriff der Alte feine 
Geige und fing an, das Lied zu fpielen, und fpielte 
‚ fort und fort, ohne fich weiter um mich zu fümmern. 
Enndlich hatte ich's fatt, ftand auf, legte ein paar Silk 
berftüde auf den nebenftehenden Tiſch und ging, wäh⸗ 
rend ber Alte eifrig immer fortgeigte. 

Bald darauf trat ich eine Reife an, von ber ich 
erſt mit einbrechendem Winter zurüdfam. Die neuen 
Bilder hatten die alten verdrängt, und mein Spiels 
mann var jo ziemlich vergeffen. Erft bei Gelegenheit 
des furchtbaren Eisganges im nächſten Frühjahre und 
der damit in Verbindung ftehenden Ueberſchwemmung 
der niedrig gelegenen Borftäbte erinnerte ich mich wieber 
an ihn. Die Umgegend det Gärtnergafle war zum 
See geworben. Für des alten Mannes Leben jchien 
nichts zu beforgen, wohnte er doch hoch oben am 
Dache, indeß unter den Bewohnern der Erdgefchoße 
fih der Tod feine nur zu häufigen Opfer auserjehen 
hatte. Aber entblößt von aller Hilfe, wie groß mochte 
feine Noth fein! So lange die Ueberſchwemmung 
währte, war nicht? zu thun, auch hatten die Behörden 
nach Möglichkeit auf Schiffen Nahrung und Beiftand 
den Abgefchnittenen gefpenvet. Als aber die Wafler 
verlaufen und die Straßen gangbar geworden waren, 
beichloß ich, meinen Antheil an der in Gang gebrachten, 
zu unglaubliben Summen angemwachjenen Gollecte 
perjönlich an die mich zunächſt angehende Adreſſe zu 
beförbern. 

Der Anblid der Leopoldftadt war grauenhaft. In 
den Straßen zerbrochene Schiffe und Gerätbichaften, 
in den Erdgefchoßen zum Theil noch ftehendes Waſſer 
und ſchwimmende Habe. Als ich, dem Gebränge aus: 
weichend, an ein zugelehntes Hofthor hintrat, gab 
biefes nach und zeigte im Thormege eine Reihe von 


Der arme Spielmann. ' ‚93 


Leichen, offenbar behufs der amtlichen. Inſpection zu- 
fammengebradit und hingelegt; ja, im Innern der 
Gemächer waren noch hie und da, aufrechtitehend und 
an bie Gitterfenfter angekrallt, verunglüdte Bewohner 
zu jeben, die — es fehlte eben an Zeit und Beamten, 
die gerichtliche Gonftatirung jo vieler Todesfälle nor: 
zunehmen. 

So fchritt ich weiter und weiter. Bon allen Seiten 
Weinen und Trauergeläute, juchende Mütter und irre- 
gehende Kinder. Endlich kam ich an die Gärtnergaffe. 
Auch dort hatten ſich die fchwarzen Begleiter eines 
Leichenzuges aufgeftellt, doch, wie es fchien, entfernt 
von dem Haufe, das ich ſuchte. Als ich aber näher 
trat, bemerkte ich wohl eine Verbindung von Anftalten 
und Hin und Hergehenden zwilchen dem Trauergeleite 
und der Gärtnerswohnung. Am Hausthor ftand ein 
wader ausjehender, ältliher, aber noch Träftiger 
Mann. In hohen Stiefeln, gelben Leverhofen und 
langherabgehendem Leibrode ſah er einem Zandfleifcher 
ähnlid. Er gab Aufträge, ſprach aber dazwiſchen 
ziemlich gleichgültig mit den Nebenftehenden. ch ging 
an ihm vorbei und trat in den Hofraum. Die alte 
Gärtnerin fam mir entgegen, erfannte mich auf ber 
Stelle wieder und begrüßte mich unter Thränen. Geben 
Sie und auch die Ehre? fagte fie. Ya, unjer armer 
"Alter! der muficirt jeßt mit ben lieben Engeln, die 


auch ‚nicht viel beſſer fein Fönnen, als er es war. Die |. .- 
ehrliche Seele jaß da oben ficher in feiner Kammer. ': 


Als aber das Wafler Fam und er die Kinder fchreien : 
börte, da fprang er herunter und rettete und fchleppte 
und trug und brachte in Sicherheit, daß ihm der 
Athem ging, wie ein Schmiebegebläs. Ja — wie 
man denn nicht überall feine Augen haben kann — 
als ſich ganz zulegt zeigte, daß mein Mann feine 


94 Der arme Spielmann. 


Steuerbüder und die paar Gulden Papiergeld im 
Wandſchrank vergellen hatte, nahm der Alte ein Beil, 
ging ind Waſſer, das ihm fchon an die Bruft reichte, 
erbrach den Schrank und bradite Alles treulid. Da 
hatte er fich wohl verfältet, und tie im erften Augen: 
blide denn feine Hilfe zu haben war, griff er in die 
Vhantafie und wurde immer jchlechter, ob wir ihm 
gleich beiftanden nad Möglichkeit, und mehr babei 
litten, ala er felbft. Denn er muficirte in einem fort, 
mit der Stimme nämlich, und flug den Tact und 
gab Lectionen. Als fih das Wafler ein menig ver: 
laufen hatte und wir den Bader bolen fonnten und 
den Geiftlichen, richtete er fich plöglich im Bette auf, 
wendete Kopf und Ohr feitwärts, als ob er in ber 
Entfernung etwas gar Schönes hörte, lächelte, ſank 
zurüd und war tobt. Geben Sie nur hinauf, er hat 
oft von Ihnen geiprochen. Die Madame ift auch oben. 
Mir haben ihn auf unjere Koften begraben laſſen 
wollen, die Frau Fleifchermeifterin gab es aber 
nicht zu. 

Sie drängte mich die fteile Treppe hinauf big zur 
Dachſtube, die offen ftand und ganz ausgeräumt war 
bi3 auf den Sarg in der Mitte, der, bereits gefchlofien, 
nur der Träger wartete. An dem Kopfende faß eine 
ziemlich ftarke Frau, über die Hälfte des Lebens hinaus, 
im bunt gedruckten Kattunüberrode, aber mit ſchwarzem 
Halstuch und Schwarzen Band auf der Haube. Es 
ſchien faft, als ob fie nie ſchön geweſen fein konnte. 
Bor ihr ftanden zwei ziemlich erwachſene Kinder, ein 
Burfche und ein Mädchen, denen fie offenbar Unter: 
richt gab, mie fie fich beim Leichenzuge zu benehmen 
hätten. Eben, als ich eintrat, ftieß fie dem Knaben, 
der fich ziemlich tölpifch auf den Sarg gelehnt hatte, 
den Arm herunter und glättete forgfältig die beraus- 


Der arme Spielmann. 05 


ftehbenden Kanten bes Leichentuches wieder zurecht. Die 
Gärtnersfrau führte mich vor; da fingen aber unten 
die Bofaunen an zu blajen, und zugleich erſcholl die 
Stimme des Fleifchers von der Straße herauf: Bar- 
bara, es ift Zeit! Die Träger erjchienen, ich 309 
‚mic zurüd, um Plab zu machen. Der Sarg ward 
erhoben, hinabgebradht, und der Zug fette fich in Be: 
wegung. Boraus die Schuljugend mit Kreuz und 
" Fahne, der Geiftliche mit dem Kirchendiener. Unmit- 
telbar nach dem Sarge die beiven Kinder des Flei- 


Icherö und hinter ihnen ba8 Ehepaar. Der Mann be. 


wegte unausgefegt, als in Andacht, die Lippen, fah 
" aber dabei links und rechts um fih. Die Frau las 
eifrig in ihrem Gebetbuche, nur machten ihr die beiden 
Kinder zu fchaffen, die fie einmal vorſchob, dann wieder 
zurüdhielt, wie ihr denn überhaupt die Ordnung bes 
Leichenzuges jehr am Herzen zu liegen fchien. immer 
aber kehrte fie wieber zu ihrem Buche zurüd. So kam 
das Geleite zum Friedhof. Das Grab war geöffnet. 
Die Kinder warfen die erfte Handvoll Erbe hinab. 
Der Mann that ftehend daſſelbe. Die Frau kniete 
und bielt ihr Buch nahe an die Augen. Die Todten- 


gräber vollendeten ihr Geſchäft, und der Zug, balb . 


aufgelöst, fehrte zurüd. An der Thüre gab e3 noch 
einen kleinen Wortwechſel, da die Frau eine Forde⸗ 
rung des Leichenbeforger3 offenbar zu hoch fand. Die 
Begleiter zerftveuten fich nach allen Richtungen. Der 
alte Spielmann war begraben. 

Ein paar Tage darauf — e3 war ein Sonntag — 
ging ich, von meiner pfychologifchen Neugierbe getrieben, 
in die Wohnung des Fleifchers und nahm zum Bor: 
wande, daß ich die Geige des Alten ala Andenken zu 
befigen wünſchte. Ich fand die Familie beifammen 
ohne Spur eines zurücigebliebenen beſondern Eindrucks. 


— 


— — 


96 Der arme Spielmann. 


Do hing die Geige mit einer Art Symmetrie ge 
ordnet neben dem Spiegel einem Krucifig gegenüber 
an der Wand. Als ich mein Anliegen erklärte und 
einen verhältnigmäßig hohen Preis anbot, fchien der 
Mann nicht abgeneigt, ein vortheilhaftes Geſchäft zu 
machen. Die Frau aber fuhr vom Stuhle empor und 
fagte: Warum nicht gar! Die Geige gehört unferem 
Jakob, und auf ein paar Gulden mehr oder weniger 
fommt ed uns nicht an! Dabei nahm fie das In— 
ftrument von der Wand, beſah es von allen Seiten, 
blieg den Staub herab und legte es in die Schublade, 
die fie, wie einen Raub befürchtend, heftig zuſtieß und 
abſchloß. Ahr Gefiht war dabei von mir abgewandt, 
fo daß ich nicht fehen fonnte, was etwa barauf vor: 
ging. Da nun zu gleicher Zeit die Magb mit der 
Suppe eintrat und der Fleifcher, ohne fich durch den 
Beſuch ftören zu lafjen, mit lauter Stimme fein Tiſch⸗ 
gebet anhob, in das die Kinder gellend einjtimmten, 
wünfchte ich gefegnete Mahlzeit und ging zur Thüre 
hinaus. Mein letter Bli traf die Frau. Sie hatte 
fi) umgewendet, und die Thränen liefen ihr ftrom- 
weile über die Baden. 


— — . 





Ein Erlebniß, 


1822. 


Grillparzer, Werke. VI. 


1822. 5. Mai. Geftern begegnete mir einer der 
fonderbarften Vorfälle in meinem Leben. Frau v. P., 
deren Tochter, die ich gefannt, vor einiger Zeit ge- 
ftorben ift, läßt mich bitten fie zu bejuchen. Beinahe - 
ein volles Jahr vor dem Tode ihrer Tochter war ich 
aus ihrem Haufe weggeblieben, theila weil ich in dem 
dort herrſchenden Tone etwas Gefuchtes zu bemerken 
glaubte, theila weil ich fürchtete, es könne durch Zeit, 
Gewohnheit und Gerede der Leute ein näheres Ber- 
hältniß zwiſchen mir und der Tochter vom Haufe, 
einem übrigens höchſt geiftreichen, gebildeten, guten 
Mädchen entitehen, das, wenn auch nicht gerade ſchön, 
doch beſonders duch ihren über allen Ausbrud Schönen 
Wuchs, auch äußerliche Vorzüge genug beſaß, ‚um 
eine foldhe Furcht nicht ungegründet zu machen. Zu 
al dem gejellte ſich noch meine alte Menfchen- oder 
vielmehr Geſellſchafts-Scheu, und kurz, ich blieb weg. 
Nah einigen nur ſchwachen und bald ganz aufge 
gebenen Berjuchen, mich wieder in ihren Kreis zu 
ziehen, ſtellte fi) auch die P.ſche Familie darüber 
zufrieden, und ich hatte alle Urfache, zu glauben, daß 
fie, mutatis mutandis, eben jo wenig mehr an mich 
dächten, als ih an fie. Verfloſſenen Winter höre ich 
plöglih, Marie P. ſei ſchwer krank. Sie war mit 
ihrem Bruder bei meinem Onkel S. auf dem Balle 
geweſen, hatte ſtark getanzt, während ihr Bruder, der 
ſich unwohl befand, unmäßig Thee trank, um ſich von 


100 Ein Erlebniß. 


dem ftarfen Grimmen, das ihn plagte, zu befreien, 
dadurch aber nur das Uebel ſtärker machte und vor 
Schluß des Balles mit feiner Schwefter nach Haufe 
fahren mußte. Zu Haufe angelommen, nimmt der 
Schmerz zu, das Mädchen in ihrer Gutmüthigfeit will 
Niemand weden, läuft ſelbſt, noch vom Tanzen erhißt, 
in die Küche, macht Thee, wärmt Tücher, bejorgt den 
Bruder. Des andern Morgen? findet man fie in 
heftigem Fieber, fie bat fich erfältet und ift nun jelbft 
jehr frank. Die Krankheit nimmt zu, greift beſonders 
auf die Nerven, weicht aber doch endlich der vereinten 
Bemühung geſchickter Aerzte, und das Mädchen naht 
der Genefung. 

Beinahe erſt in diefem letzten Zeitraume erfahre 
ich etwas von der ganzen Sade. In Zweifel, ob ich 
hingehen foll, oder nicht, entjcheidet fi) meine Träg⸗ 
heit, wie gewöhnlich, für das lehtere, und ich ging 
nicht. Kurz darauf höre ich, das Mädchen fei von 
Neuem in die Krankheit zurüdgefallen, die nun ganz 
einen nervöſen Charakter angenommen babe, und als 
ih eben bei meiner Tante ©. bin, fragt mich diefe, 
wie um etwas ganz Belanntes: Du weißt ja doch, 
daß Marie P. geftorben ift? Ich war heftig erjchüttert, 
obgleich mehr über das Unerwartete, als über die 
Sade jelbit, obſchon ich das Mädchen wahrhaft ge- 
Ihäßt hatte und ihren Umgang gewiß gejucht haben 
würde, wenn ich überhaupt Umgang ſuchte und der 
etwas gezierte Ton ihrer Verwandten nicht ein unan- 
genehmes Licht auf fie ſelbſt geworfen hätte. 

In ein paar Tagen darauf mar das Leichen 
begängniß. Ich ging an der Stephanskirche vorüber, 
ale man eben die Anftalten dazu machte und ward 
innerlich ergrimmt über mich, daß mich der traurige 
Tall fo gleichgiltig laſſe. Ach nahm es als einen 








Ein Erlebniß. 101 


neuen Beweis einer feit einiger Zeit nur zu beutlich 
empfundenen allmähligen Verhärtung des Herzen, 
das mich zulegt noch zu einem Ideen⸗Egoiſten machen 
wird, wie es Egoiften des Vortheils gibt. Wie gejagt, 
ich ärgerte mich tiber meine Gefühllofigfeit und ging 
in die Kirche, um mich auf die Probe zu jtellen, mie 
weit das ginge. Der Leichenzug kam, die Bahre, mit 
dem Jungfrauenkranz geziert, hinterher der alte, 
grämliche Bediente, der mir oft, wenn ich neben dem 
Mädchen ſaß, die Teller gewechjelt, ſonſt barſch, faft 
grob, jegt in Thränen zerfließend, fat wankend bei 
all feiner derben Beleibtheit. Alle Anweſenden meinten 
„über das brave, fchöne Fräulein, das fo wohl aus: 
gejeben, und fo früh fterben müflen.” Da kam mid 
denn doch auch eine Art Rührung an, aber mehr eine 
allgemeine, auf die Hinfälligfeit des ganzen Menfchen- 
gefchlechtes gehende; nur menn ich mir in der Phantafie 
das Mädchen, im Sarge liegend, mit gefchlofienen 
Augen, mit gefalteten Händen, ausmalte, mifchte ſich 
ein perjönliches Bedauern mit ein, das aber bald 
wieder verichwand. 

Ich babe dieſe Veritodtheit, dieſe Gefühllofigkeit 
zur Zeit, wenn mich frembartige Ideen bejchäftigen, 
oft mit innerlidem Grauen an mir bemerft. Kurz, 
dag Mädchen ward eingejegnet, ich lehnte während 
der Grabgeſänge, in Dumpfheit verſunken, an der 
Wand und ging eben ſo wieder nach Hauſe. Am 
vorhergehenden Tage des Morgens hatte ich Vater 
und Bruder der Verſtorbenen bei einem Spaziergange 
begegnet, ich wollte fie nicht anſprechen und grüßte 
nur im VBorübergehen. Der Bruder ſah zur Erbe. 
Der Bater aber warf mir einen halb troftlofen, halb 
grimmigen Blick zu. 

Die Sache war für mich abgethan, ich dachte auf 


103 | En Etledniß. 


nichts weiter. Nur Eins muß ich erwähnen, jo lächerlich 
es Klingen mag. Bon Jugend auf war ich nicht frei von 
Geſpenſterfurcht, die aber von Zeit zu Zeit bei eingel- 
nen Anläfien bis zum Thörichten fich vermehrte. Zum 
Beifpiel als ich die Ahnfrau fchrieb; dann nicht bei 
meines Vaters, wohl aber fehr bei meiner Mutter 
Tpde. Seit einer längern Periode war ich frei davon 
geblieben. Nach diefem Begräbniß Lehrte fie auf einmal 
ſehr heftig wieder. Alle Abende glaubte ich, Marie 
PB. müſſe mir erfcheinen und — fonderbar genug! — 
müfle mir Vorwürfe machen, daß ich mit Urſache an 
ihrem Tode fei; fie habe mich heimlich geliebt. Zu 
legterer Bermuthung hatte ih um fo weniger einen 
Grund, da mit das Mädchen nie ein Zeichen von 
tieferer Neigung gegeben hatte und ſelbſt, wenn wir 
beifammen waren, ’fie fi) immer mehr um meine 
Arbeiten ald um mich zu interefjiren fchien. Genug, 
jo war's. Auch diefe Abendmahnungen gingen vorüber, 
und ich dachte nicht mehr un die Sache. 

Borgeftern, beinahe ſechs Wochen nach dem Todes: 
falle, kömmt der junge PB. zu mir, in Thränen au& 
brechend, bittet er mich im Namen feiner Mutter, fie 
nächſten Tags zu bejuchen. Er ging bald und ſagte 
nichts Näheres. Ich dachte: fie wollen dem Mädchen 
einen Grabſtein ſetzen und verlangen von mir eine 
Inſchrift. Manchmal kam mir der Gedanke, fie habe 
mir ein Andenken, einen Ring oder vergleichen Binter- 
laſſen, wie man wohl Belannten zu geben pflegt, 
immer aber verwarf ich dieſe Idee wieder, als Ein- 
gebung der Eitelkeit, 

Des andern Tages gehe ich Hin. Die Mutter, in 
Trauer gelleivet, empfängt mich feierlich, ohne Thränen. 
Sie führt mich in ein entferntes Zimmer, ſchließt bie 
Thüre ab, ſetzt ſich aufs Nuhebett, winkt mir, neben 





Ein Erlebniß. 103 


ihr Platz zu nehmen. Es geſchieht. Nun zieht fie 
aus ihrem Arbeitsbeutel ein gejchriebenes Heft heraus, 
e3 iſt das Teſtament ihrer Tochter. Darin blätternb 
und den gebörtgen Artilel aufluchend, ſagte fie: Es 
war der Wunſch meiner Tochter, daß Sie als An- 
denken hr (mein) eigenes Borträt annehmen möchten, 
das fte ſelbſt heimlich gezeichnet und fehr werth ge: 
balten hat. Daß es doch lieber Ihrer Tochter eigenes 
wäre! rief ich aus. Ya? verjebt die Frau, auch das 
beftimmte Ihnen meine Tochter, wenn Sie es jelber 
begehren würden. Und nun bricht fie in Thränen 
aus und Tann nicht länger mehr zurüdbalten. Sie 
erzählt alles. Das Mädchen hatte zu mir eine beftige 
Neigung gefaßt, diefelbe aber mit jo ungeheurer Selbft- 
beherrſchung verborgen, daß meber ich, noch ihre 
Eltern etwas davon bemerften, erft das Teitament 
gab darüber Aufihluß. Wohl war den Eltern ein 
gewiſſes Intereſſe für mich nicht verborgen geblieben, 
das fie aber, wie ich und Sjebermann, auf meine 
poetiichen Arbeiten bezogen. Auch ſchien in der legten 
Zeit ein Kummer an ihr zu nagen, aber man ahnte 
die Urſache nicht. 

Das Teitament machte alles klar. Mein Weg: 
bleiben aus dem Haufe ihrer Eltern hatte einen tiefen 
Eindrud gemadt. Sie fuchte den Grund davon in 
meinem bald darauf belannt gewordenen Verhältnig 
mit Ratty 9° und ſchwieg gegen jedermann. Sogar 
“an den Bemühungen ihrer Eltern, mich mwieber für 
ibr Haus zu gewinnen, nahm fie Teinen Antbeil. 
Um fo weniger konnten jene die Urfache des Trüb⸗ 
finns erfahren, der fie nunmehr befiel, und bie 
fie in körperlichen Zuſtänden ſuchten. Bald darauf 
hatte das Mädchen einen Traum (meichen? habe ich 
noch nicht erfahren), ber ihr ihren baldigen Tod 


104 Ein Erlebniß. 


anfünbigte. Sie ſagte Niemanden etwas davon, jebte 
ſich aber hin und ſchrieb auf zwei Bogen ihr Tejtament, 
in dem fie auch ihre tiefe Neigung mit den beitimm: 
teften Zügen ausdrüdt. So verlebte fie den Sommer 
ftill und ruhig. Bei Anfang des Herbites wiederholte 
fih ihr der vorige todverfündende Traum, und nun 
erzählte fie ihn ihren Eltern, indem fie ihre Weber: 
zeugung ausfpradh, daß fie gewiß jehr bald werde 
fterben müfjen. Aber noch Fein Wort über ihre Leiben- 
ſchaft. Die Eltern fuchen fie von dem Albernen ihrer 
Beforgniß zu überzeugen. Aerzte verlachen die Furcht 
ber fcheinbar von Geſundheit Strogenden. Im Winter 
erkrankt fie, wie oben erwähnt ift, wird beſſer, ſchlimmer, 
ftirbt. Kurz vor ihrem Tode verließ fie jene früher 
auf ihr gelaftete Melancholie; fie ward heiter, fröhlich, 
geſprächig und erklärte, daß fie nie glüdlicher geweſen 
fei. Aber auch bier fein Wort von ihrer Neigung. 
So ftarb fie. Bis and Ende ihrer Sinne mädtig, 
geduldig wie immer. Das erzählte mir nun bie alte 
Mutter; Tlagte mich bald an, umarmte mich dann 
wieder, nannte mi Sohn. Die Tochter hatte in 
ihrem letzten Willen die Eltern gebeten, daß fie für 
mich forgen, mich in ihr Haus nehmen, Verwandten: 
ftele an mir vertreten follten; das alles warb mir 
angeboten — und ich? Talt, zerftreut hörte ich das 
alles an, ſchlug aus, lehnte ab, fpielte ein menig 


Komödie, ward aber Feiner Thräne Meifter und war 


froh, als ich wieder geben konnte. 

Angegriffen hat es mid) wohl, aber, weil ich ſonſt 
die Frau etwas geziert und outrirt in ihren Empfin- 
dungen gelannt habe, jo konnte ich doch eines unan⸗ 
genehmen Gefühles nicht los werden, obgleich bittre 
Thränen die Wahrheit ihrer Reden nur zu fehr bes 
urkundeten. 


Ein Erlebniß. 105 


Berftändige Männer haben es nicht für fchlechthin 
unmöglich gehalten, daß Abgeſchiedene nad ihrem 
Tode den Rüdgebliebenen erjcheinen fönnen. Sch babe 
an dem Gegentheile wohl nie im Ernfte gezmeifelt, 
balte e8 aber jebt für apodiltiih unmöglid. Denn 
wäre es möglih, Marie B. würde mir gewiß erjchienen 
fein. | 


Unter Grillparzer's Papieren fand fi folgende, für jenes 
Mädchen Marie B., entworfene Grabſchrift: „Jung ging fle auß der 
Welt, zwar ohne Genuß, dafür aud ohne Reue.“ 


Erinnerungen an Beeihoven. 


Ich leſe einen Aufſatz von Hrn. 2. Rellftab: „Beet 
hoven“ überjchrieben, und finde darin meines Verhält- 
nifjes zu dem genannten großen Meifter, namentlich 
aber des Dperntertes, den ich für ihn gefchrieben, in 
einer Art erwähnt, die nicht ganz richtig ift. Diele 
Anſchuldigung gilt nicht Hrn. Rellftab, der ohne 
Zweifel alles, was ihm Beethoven fagte, bis auf bie 
Worte getreu niederfchrieb. Die Urfache dürfte viel 
mebr in dem traurigen Zuftande des Meifters während 
feiner letten Jahre liegen, der ihn wirklich Geſchehenes 
und bloß Gedachtes, nicht immer deutlich unterfcheiden 
ließ. Was einen großen Mann betrifft, ift immer 
intereflant, ich will daher unfer Zufammentreffen und 
was daraus erfolgte, nad Möglichkeit treu erzählen. 
Oder vielmehr es macht mir Vergnügen, meine Er: 
- innerungen an ihn. bei diefer Gelegenheit wieder vor 
die Seele zu führen und fie hier aufzuzeichnen.‘ 

Das eritemal jah ich Beethoven in meinen Kinaben- 
jahren — es mochte 1804 oder 1805 geweſen fein — 
und zwar bei einer mufilaliihen Abenbunterhaltung 
im Haufe meines Onkels, Joſeph Sonnleithner, da- 
maligen Gefellfchafters einer Kunft: und Mufifalien- 
handlung in Wien. Außer Beethoven befanden fich 
noch Cherubini und Abbe Vogler unter den Anivefen- 
den. Er war damals noch mager, ſchwarz. und zwar, 
gegen feine fpätere Gewohnheit, höchſt elegant gefleivet 
und trug Brillen, was ich mir darum jo gut merkte, 





— 


weil er in ſpäterer Zeit, ſich dieſer Hilfsmittel eines 
kurzen Geſichtes, nicht mehr bediente. Ob er ſelbſt 
und ob Cherubini Muſik ſpielte, weiß ich mich nicht 
mehr zu erinnern, nur daß, als der Bediente bereits 
das Souper ankündigte, ſich Abbe Vogler noch ang 
Klavier ſetzte und über ein afrikaniſches Thema, das 
er ſelbſt aus dem Mutterlande herübergeholt, endloſe 
Variationen zu ſpielen anfing. Die Geſellſchaft verlor 
ſich nach und nach während ſeiner muſikaliſchen Durch⸗ 
führungen in den Speiſeſaal. Es blieben nur Beet—⸗ 
hoven und Cherubini zurück. Endlich ging auch dieſer, 
und Beethoven ſtand allein neben dem hart arbeitenden 
Manne. Zuletzt verlor auch er die Geduld, ohne daß 
Abbé Vogler, nunmehr ganz allein gelaſſen, aufhörte, 
ſein Thema in allen möglichen Formen zu liebkoſen. 
Ich Jelbſt war im dumpfen Staunen über das Unge 
heuerliche der Sache zurückgeblieben. Was von dieſem 
Augenblicke an weiter geſchah, darüber verläßt mich, 
wie es bei Jugenderinnerungen zu gehen pflegt, mein 
Gedächtniß völlig. Neben wem Beethoven bei Tiſche 
ſaß, ob er ſich mit Cherubini unterhielt, ob ſich ſpäter 
Abbé Vogler zu ihnen geſellte — es iſt, als ob ein 
dunkler Vorhang ſich mir über alles das hingezogen hätte. 

Ein oder zwei Jahre darauf wohnte ich mit meinen 
Eltern während des Sommers in dem Dorfe Heiligen— 
ſtadt bei Wien. Unſere Wohnung ging gegen den 
Garten, die Zimmer nach der Straße hatte Beethoven 
gemiethet. Beide Abtheilungen waren durch einen ges 
meinschaftlichen Gang verbunden, der zur Treppe führte. 
Meine Brüder und ich machten ung menig aus dem 
wunderlichen Mann, er mar unterbeflen ftärfer ge 
worden und ging höchſt nachläſſig, ja unreinlich ges 
kleidet — wenn er brummend an uns vorüberjchoß. 
Meine Mutter aber, eine leidenſchaftliche Freundin 


110 Grinnerungen an Beethoven. 





Erinnerungen an Beethoven. 111 


der Muſik, ließ fich Hinreißen, je und dann, wenn fe 
ihn Klavier fpielen hörte, auf den gemeinfchaftlichen 
Gang, und zwar nicht an feiner, fondern unmittelbar 
neben unferer Thüre hinzutreten und andächtig zu 
laufen. Das mochte ein panrmal gefchehen fein, als 
plöglich Beethovens Thür aufgeht, er felbit heraus: 
tritt, meine Mutter erblidt, zurüdeilt und unmittelbar 
darauf, den Hut auf dem Kopfe, die Treppe hinab 
ing Freie ftürmt. Bon diefem Augenblide an berührte 
er fein Klavier nicht mehr. Umſonſt ließ ihn meine 
Mutter, da ihr alle andern Gelegenheiten abgefchnitten 
waren, durch feinen Bedienten verfichern, daß nicht 
allein Niemand ihn mehr belaufchen werde, ſondern 
unfere Thüre nach dem Gange verjchlofien bleiben und 
alle ihre Hausgenoſſen jtatt der gemeinfchaftlichen 
Treppe fih nur im weiten Umwege des Ausganges 
durch den Garten bedienen mürden; Beethoven blieb 
unermweicht und ließ fein Klavier unberührt, bis uns 
endlich der Spätherbft in die Stadt zurüdführte. 

Sn einem der darauf folgenden Sommer bejuchte 
ich Öfter8 meine Großmutter, die in dem nahe gelegenen 
Döbling eine Landwohnung inne hatte. Auch Beets 
hoven wohnte damals in Döbling. Den Fenitern 
meiner Großmutter gegenüber lag das baufällige Haus 
eines wegen feiner Lüberlichfeit berüchtigten Bauers, 
Flohberger hieß er. Diefer Flohberger beſaß außer 
feinem garftigen Haufe auch eine zwar ſehr hübfche, 
aber vom Rufe eben auch nicht fehr begünftigte Tochter 
Life. Beethoven fchien an dem Mädchen vieles In⸗ 
terefje zu nehmen. Noch fehe ich ihn, wie er bie 
Hirichengafle herauffam, das meiße Schnupftub, am 
Boden nachſchleppend, in der rechten Hand, und nun 
an Flohbergers Hofthore ftehen blieb, innerhalb deſſen 
die leichtfinnige Schöne, auf einem Heu⸗ oder Mift- 


wagen jtehend, unter immerwährendem Gelächter mit 
der Gabel rüftig herumarbeitete. Ich habe nie bemerft, 
daß Beethoven fie anrebete, fondern er Stand ſchweigend 
und blidte hinein, bis endlich das Mädchen, deſſen 
Geſchmack mehr auf Bauernburfche gerichtet war, ihn, 
fei es durch ein Spottwort oder durch bartnädiges 
Ignoriren, in Zorn bradte, dann fehnurrte er mit 
einer raſchen Wendung plöglich fort, unterließ aber 
doch nicht, das nächſtemal wieder am Hofthore fteben 
zu bleiben. Ja fein Antheil ging fo weit, daß, als 
des Mädchens Vater wegen eines Raufhandels beim 
Trunk in das Dorfgefängnig (Kotter genannt) geſetzt 
wurde, Beethoven fich perjönlich bei der verfammelten 
Dorfgemeinde für defien Freilaffung verwendete, mobei 
er aber nach feiner Art die geftrengen Rathsherrn fo 
ftürmifch behandelte, daß wenig fehlte, und er hätte 
feinem gefangenen Schüßling unfreiwillige Geſellſchaft 
leiften müſſen. 

Später ſah ich ihn höchſtens auf der Straße und 
ein paarmal im Kaffeehaufe, wo er fich viel mit einem 
jebt feit lange verftorbenen und vergefjenen Dichter 
aus ber Novalis:Schlegel’fchen Gilde, Ludwig Stoll, 
zu Schaffen machte. Man fagte, fie projektirten zu: 
ſammen eine Oper. Es bleibt unbegreiflich, wie Beet: 
boven von diefem haltlofen Schwebler etwas Zweck— 
dienliches, ja überhaupt etwas anderes als — allenfall? 
gut verfifizirte — Phantaftereien erwarten konnte. 

Unterbefien hatte ich ſelbſt den Weg der Deffent- 
lichfeit betreten. Die Ahnfrau, Sappho, Medea, 
Dttofar waren erjchienen, als mir plöglich von dem 
damaligen Oberleiter der beiden Hoftheater, Grafen 
Moriz Dietrichftein, die Kunde Fam, Beethoven babe 
jih an ihn gewendet, ob er nicht vermögen könne, für 
ihn, Beethoven, ein Opernbuch zu fchreiben. 


112 Grinnerungen an Beethoven. 








Erinnerungen an Beethoven. 113 


Diefe Anfrage, geftehe ich es nur, febte mich in 
nicht geringe Berlegenheit. Einmal lag mir der Ge 
danke, je ein Opernbuch zu fchreiben, an ſich ſchon 
fern genug, dann zweifelte ich, ob Beethoven, der 
unterbeflen völlig gehörlos geworden war und deſſen 
legte Kompofitionen, unbejchabet ihres hohen Werthes, 
einen Charakter von SHerbigfeit angenommen batten, 
der mir mit der Behandlung der Singftimmen im 
Widerſpruche zu ſtehen fchien; ich zweifelte, ſage ich, 
ob Beethoven noch im Stande fei, eine Oper zu fom: 
poniren. Der Gedanke aber, einem großen Manne 
vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeven Fall höchſt 
intereffanten Werke zu geben, überwog alle Rüdfichten, 
und ich willigte ein. 

Unter den dramatifchen Stoffen, die ich mir zu 
fünftiger Bearbeitung aufgezeichnet Batte, befanden ' 
fich zwei, die allenfall® eine opernmäßige Behandlung 
zuzulaflen ſchienen. Der eine bewegte fich im Gebiete 
der gejteigertiten LZeidenfchaft. Aber nebſtdem, daß ich 
feine Sängerin wußte, die der Hauptrolle gewachlen 
wäre, wollte ich auch nicht Beethoven Anlaß geben, 
den äußerften Grängen der Mufil, die ohnehin fchon 
wie Abftürze drobend da lagen, durch einen halb dia- 
bolifhen Stoff verleitet, noch näher zu treten. 

Ich mählte daher die Fabel der Melufine, ſchied 
die refleftirenden Elemente nach Möglichkeit aus und 
fuchte durch Vorherrfchen der Chöre, gewaltige Finales, 
und indem ich den dritten Aft beinahe melodramatiſch 
hielt, mic den Eigenthümlichfeiten von Beethonens 
letzter Richtung möglichit anzupaflen. Mit dem Kom: 
pofiteur früher über den Stoff zu Tonferiren, unterließ 
ich, weil ich mir die Freiheit meiner Anficht erhalten 
wollte, auch ſpäter Einzelnes geändert werden konnte 
und endlich ihm ja freiftand, das Buch zu fomponiren 

Grillparzer, Werte. VII. 8 


114 Erinnerungen an Beethoven. 


oder nicht. Ja, um ihm in lehterer Beziehung gar 
feine Gewalt anzutbun, fandte ich ihm das Buch auf 
demfelben Wege zu, auf dem die Anforberung gefchehen 
war. Er follte durch Teine perfönliche Rüdficht irgend 
einer Art beftimmt oder in Verlegenheit gefegt werben. 

Ein paar Tage darauf kam Schindler, der da— 
malige Geſchäftsmann Beethovens, berfelbe, der ſpäter 
feine Biographie gejchrieben hat, zu mir und lub mid 
im Namen feine® Herrn und Meifters, der unwohl 
fet, ein, ihn zu befuchen. Ich kleidete mich an, und 
wir gingen auf der Stelle zu Beethoven, ver damals 
in der Vorſtadt Landſtraße wohnte. Ich fand ihn, in 
ſchmutzigen Nachtkleidern auf einem zerftörten Bette 
liegend, ein Bud in der Hand. Zu Häupten des 
Bette befand fich eine kleine Thüre, die, wie ich 
fpäter ſah, zur Speifelfammer führte und bie Beethoven 
gewillermaßen bewachte. Denn als in ver Folge eine 
Magd mit Butter und Eiern heraustrat, Tonnte er 
fih, mitten im eifrigen Geſpräche, doch nicht enthalten, 
einen prüfenden Blick auf die herausgetragenen Duan- 
titäten zu werfen, mas ein trauriges Bilb von ven 
Störungen feines häuslichen Lebens gab. 

Mie wir eintraten, ftand Beethoven vom Lager 
auf, reichte mir die Hand, ergoß fih in Ausbrüden 
des Wohlwollens und der Achtung und Tam fogleich 
auf die Dper zu fprechen. Ihr Werk lebt hier, fagte 
ex, indem er auf die Bruft zeigte, in ein paar Tagen 
ziehe ich aufs Land, und da will ich fogleich anfangen, 
es zu komponiren. Nur mit dem Jägerchor, ber den 
Eingang macht, meiß ich nichts anzufangen. Weber 
hat vier Hörner gebraudt; Sie fehen, daß ich da 
ihrer acht nehmen müßte; wo ſoll das hinführen? Ob: 
wohl ich die Nothwendigkeit diefer Schlußfolge nicht? 
weniger als einfab, erklärte ich ihm boch, der Jägerchor 








Erinnerungen an Beethoven. 115 


könne, unbejchadet des Ganzen, geradezu mwegbleiben, 
mit welchem Zugeſtändniß er fehr zufrieden jchien, und 
weder damals noch ſpäter hat er irgend fonft eine Ein- 
wendung gegen den Tert gemacht, noch eine Aenderung 
verlangt. Ya, er beitand darauf, gleich jebt einen 
Kontraft mit mir zu fchließen. Die Vortheile aus 
der Oper follten gleich zwifchen ung getheilt werben 
u. ſ. w. Ich erflärte ihm der Wahrheit gemäß, daß 
ich bei meinen Arbeiten nie auf ein Honorar ober 
vergleichen gedacht hätte (wodurch es auch kam, dab 
mir biefelben, die.ich, Uhland ausgenommen, für dag 
Beite halte, was Deutichland jeit dem Tode feiner 
großen Dichter hervorgebracht, allefammt kaum fo 
viel eingetragen, als einem Berftorbenen, oder Leben: 
digen, oder Halbtodten ein einziger Band ihrer Reife: 
novellen und Phantaſiebilder). Am menigften jolle 
zwiſchen uns davon die Rede fein. Er möge mit dem 
Buche machen, was er wolle, ich würde nie einen 
Kontratt mit ihm ſchließen. Nach vielem Hin: und 
Herreden oder vielmehr Schreiben, da Beethoven Ge: 
ſprochenes nicht mehr hörte, entfernte ich mich, indem 
ich verſprach, ihn in Hetzendorf zu befuchen, wenn er 
einmal dort eingerichtet fein würde. 

Ich hoffte, er hätte das Gejchäftliche feiner Idee 
aufgegeben. Schon nad ein paar Tagen aber kam 
mein Berleger, Wallishaufer, zu mir und ſagte, 
Beethoven bejtünde auf der Abjchließung eines Kon- 
traktes. Wenn ich mich nun nicht dazu entichließen 
könnte, jollte ich mein Eigenthbumsrecht auf dag Buch 
ibm, Wallishaufer, abtreten, er mürbe dann das Wei- 
tere mit Beethoven abmachen, der davon ſchon prä: 
venirt jei. Ich war froh, der Sache los zu werden, 
ließ mir von Wallishaufer eine mäßige Summe aus: 
zahlen, cebirte ihm alle Rechte der Autorfchaft und 


116 Erinnerungen an Beethoven. 


. dachte nicht weiter daran. Ob fie nun wirklich einen 
Kontraft abgefchloffen haben, weiß ich nicht; muß es 
aber glauben, weil jonft Waltshaufer nicht unterlaflen 
haben würde, mir über fein aufs Epiel gejeßte Geld 
nad) Gewohnheit den Kopf voll zu jammern. Ich er: 
wähne alles dieß nur, um zu widerlegen, was Beet: 
hoven zu Herrn Rellſtab fagte: „er habe anders gewollt, 
als ich.” Er war damals vielmehr jo feit entichloffen, 
bie Oper zu fomponiren, daß er fchon auf die Anorb- 
nung von Verhältniſſen Dachte, die erft nach der Vollen- 
dung eintreten Fonnten. | 

Im Zaufe des Sommers bejuchte ich mit Herrn 
Schindler Beethoven auf feine Einladung in Heben- 
dorf. Ach weiß nicht, ſagte mir Schindler auf dem 
Mege, oder hatte mir Jemand fchon früher gejagt, 
Beethoven ſei Durch dringende beftellte Arbeiten bisher 
verhindert worden, an die Kompofition der Dper zu 
gehen. Ich vermieb daher, das Geſpräch barauf zu 
bringen. Wir gingen fpazieren und unterhielten ung 
fo gut, als es halb fprechend, halb ſchreibend, be- 
ſonders im Gehen möglich ift. Noch erinnere ich mich 
mit Rührung, daß Beethoven, ald wir ung zu Tiſche 
legten, ins Nebenzimmer ging und felbjt fünf Flaſchen 
herausbrachte. Eine feßte er vor Schindlers Teller, 
eine vor das feine, und drei ftellte er in Reihe vor 
mich bin, wahricheinlidh um mir in feiner wilbsnaiven, 
gutmüthigen Art auszudrüden, daß ich Herr fei, zu 
trinten, wie wiel mir beliebte, Als ich, ohne Schindler, 
der in Hebendorf blieb, nad ver Stadt zurüdfubr, 
beitand Beethoven darauf, mich zu begleiten. Er febte 
fih zu mir in den offenen Wagen, ftatt aber nur 
bi8 an die Grenze feined Umfreifes, fuhr er mit mir 
bis zur Stadt zurück, an deren Thoren er ausftieg 
und nad einem herzlichen Händedruck, den anderthalb 








Erinnerungen an Beethoven. 117 


Stunden langen Heimweg, allein antrat. Indem 
er aus dem Wagen jtieg, fah ich ein Bapier auf ber 
Stelle liegen, wo er gejeflen hatte. Sch glaubte, er 
hätte e8 vergejlen, und winkte ihm, zurüdzulommen. 
Er aber fchüttelte mit dem Kopfe und mit lautem 
Laden, wie nach einer gelungenen Hinterlift, lief er 
nur um fo jchneller in ber entgegengefegten Richtung. 
Sch entwidelte das Papier, und es enthielt genau ben 
Betrag des Fuhrlohns, den ich mit meinem Kutſcher 
bebungen. hatte. So entfremdet hatte ihn feine Leben: 
weiſe allen Gewohnheiten und Gebräuden der Welt, 
daß ihm gar nicht einfiel, welche Beleidigung unter allen 
andern Umftänden in einem ſolchen Borgange gelegen 
hätte. Ich nahm übrigens die Sache, wie fie gemeint 
war, und bezahlte lachend meinen Kuticher mit dem 
gejchentten Gelbe. 

Später ſah ich ihn, ich weiß nicht mehr, wo, nur 
noch einmal mwieber. Er fagte mir damals: Ihre Oper 
ift fertig. Ob er damit meinte: fertig im Kopfe, oder 
ob die unzähligen Notatenbücher, in die er einzelne 
Gedanken und Figuren zu Fünftiger Verarbeitung, nur 
ihm allein verftändlich, aufzuzeichnen pflegte, wielleicht 
auch die Elemente jener Oper bruchitädweife enthielten, 
Tann ich nicht fagen. 

Gewiß ift, daß nad feinem Tode fick nicht eine 
einzige Note vorfand, die man unzweifelhaft auf jenes 
gemeinihaftlide Werk hätte beziehen können. Ich 
blieb übrigens meinem Vorſatze getreu, ihn, aud) 
nicht aufs Leifefte, daran zu erinnern, und Tam, da 
mir auch die Unterhaltung auf ſchriftlichem Wege läftig 
war, nicht mehr in feine Nähe, bis ich, im ſchwarzen 
Anzuge und eine brennende Fadel in ver Hand, hinter 
feinem Sarge berging. 

Zwei Tage vorher kam Schindler des Abends zu 


118 Erinnerungen an Beethoven. 


mir mit der Nachricht, daß Beethoven im Sterben 
liege und feine Freunde von mir eine Rebe verlangten, 
die der Schaufpieler Anfchüb an feinem Grabe halten 
ſollte. Ih war um fo mehr erfchüttert, als ich kaum 
etwas von der Krankheit wußte, fuchte jedoch meine 
Gedanken zu ordnen, und des andern Morgens fing 
ih an, bie Rede niederzufchreiben. Ich war in bie 
zweite Hälfte gefommen, als Schindler wieber eintrat, 
um das Beftellte abzuholen, denn Beethoven fei eben 
geſtorben. Da that es einen ftarfen Fall in meinem 
Innern, die Thränen ftürzten mir aus den Augen, 
und wie es mir auch bei fonftigen Arbeiten ging, 
wenn wirkliche Rührung mic übermannte, ich habe 
bie Rede nicht in ver Prägnanz vollenden fünnen, in 
der fie begonnen war. Sie wurde übrigens gehalten, 
die Zeichengäfte entfernten fich in andächtiger Rührung, 
und — — Beethoven war nicht mehr unter und! — 


Rede am Grabe Weethovpens. 


Indem wir bier am Grabe diefes VBerblichenen 
ftehen, find wir gleichſam bie Repräfentanten einer 
ganzen Nation, des deutſchen gefammten Volkes, 
trauernd über den Fall der einen hochgefeierten Hälfte 
deſſen, was uns übrig blieb von dem dahingeſchwunde⸗ 
nen Glan; heimifcher Kunft, vaterlänbifcher Geiftes- 
blüthe. Noch lebt zwar — und möge er lange leben! 
— der Held des Sanges in deutſcher Sprache und 
Bunge; aber ver legte Meifter des tönenden Liebes, 
der Tonkunſt holder Mund, der Erbe und Ermeiterer 
von Händel und Bach's, von Haydn und Mozart's 
unfterblihdem Ruhme bat ausgelebt, und wir ftehen 











Erinnerungen an Beethoven. 119 


weinend an ben zerriffenen Saiten des verflungenen 
Spielß. 

Des verklungenen Spiels! Laßt mich ihn fo nennen ! 
Denn ein Künftler war er, und was er war, war er 
nur dur die Kunft. Des Lebens Stacheln hatten 
tief ihn verwundet, und wie der Schiffbrüdige das 
Ufer umflammert, fo floh er in deinen Arm, o bu 
des Guten und Wahren gleich herrliche Schweiter, 
des Leides Tröfterin, von oben ſtammende Kunft. 
Felt hielt er an dir, und ſelbſt als die Pforte ge 
ſchloſſen mar, durch die du eingetreten bei ihm und 
ſprachſt zu ihm, als er blind geworden war für beine 
Züge, durch fein taubes Ohr, trug er noch immer 
dein Bild im Herzen, und als er ftarb, lag's noch auf 
feiner Bruft. | 

Ein Künftler war er, und wer fteht auf neben ihm? 

Wie der Behemoth die Meere durchftürmt, fo 
Durchflog er die Grenzen feiner Kunſt. Vom Girren 
der Taube bis zum Rollen des Donners, von der 
Tpigfindigften Verwebung eigenfinniger Runftmittel bis 
zu dem furdtbaren Punkt, wo das Gebildete über: 
geht in die regellofe Willkür ftreitender Natur: 
. gewalten, alles hatte er durchmeſſen, alles erfaßt. Der 
nad) ihm kommt, wird nicht fortjeben, er wird anfangen 
müflen, denn fein Borgänger hörte nur auf, wo bie 
Kunſt aufhört. 

Adelaide und Leonore! Feier der Helden von 
Vittoria und des Meßopfers wemüthiges Lied! — 
Kinder ihr der drei- und viergetheilten Stimmen! 
braufende Symphonie: „Freude jchöner Götterfunken,“ 
du Schwanengefang! Mufe des Lied3 und bes Gaiten- 
ipiels: ftellt euch rings um fein Grab und beftreut's 
mit Lorbeeren! 

Ein Künftler war er, aber auch ein Menſch, Menich 


120 Erinnerungen an Beethoven. 


in jedem, im höchſten Sinn. Weil er von der Welt 
fih abſchloß, nannten fie ihn feindfelig, und meil er 
der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ad, 
wer fi) hart mweiß, der flieht nicht! Die feinften 
Spigen find es, die am leichteften ſich abftumpfen und 
biegen oder brechen. Das Uebermaß der Empfindung 
weicht der Empfindung aus! Er floh die Welt, weil 
er in dem ganzen Bereich feines Liebenden Gemüths 
feine Waffe fand, fih ihr zu widerſetzen. Er entzog 
fih den Menſchen, nachdem er ihnen alles gegeben 
und nicht3 dafür empfangen hatte. Er blieb einjam, 
weil er fein zweites Ich fand. Aber bi an fein 
Grab bemahrte er ein menſchliches Herz allen Men- 
chen, ein väterliches den Seinen, Gut unb Blut der 
ganzen Welt. 

Sp war er, jo ftarb er, fo wird er leben für alle 
Zeiten. 

Ihr aber, die ihr unferem Geleite gefolgt big 
hierher, gebietet eurem Schmerz! Nicht verloren habt 
ihr ihn, ihre habt ihn gewonnen. Sein Lebendiger 
tritt in die Hallen der Unjterblichkeit ein. Der Leib 
muß fallen, dann erft öffnen fi) ihre Pforten. Den 
ihr betrauert, er fteht von nun an unter den Großen 
aller Zeiten, unantaftbar für immer. Drum kehrt nad 
Haufe, betrübt, aber gefaßt! Und wenn euch je im 
Leben, wie der fommende Sturm, die Gewalt feiner 
Schöpfungen übermannt, wenn euer Entzüden dahin: 
ftrömt in der Mitte eines jebt noch ungebornen Ge: 
ſchlechts, jo erinnert euch diefer Stunde und denkt: 

„ wir waren dabei, als fie ihn begruben, und als er 
ftarb, haben mir geweint. 








Grinnerungen an Beethoven. 121 


Ich habe Beethoven eigentlich geliebt. Wenn ich 
von feinen Aeußerungen nur wenig twieber zu erzählen 
weiß, fo fommt es vorzüglidd daher, weil mich an 
einem Künftler nicht daS intereflirt, was er ſpricht, 
fondern was er macht. Wenn Spreden einen Maßftab 
für Künſtlerwerth abgäbe, fo wäre Deutichland gegen: 
mwärtig ebenfo voll von Künftlern, als e3 in der That 
leer if. Ja, der eigentlichen Schöpfungsfraft kommt 
nur jenes, bereit3 im Talent gegebene, gleichſam 
gebundene Denkvermögen zu gute, das fich inftinkt- 
mäßig äußert und die Quelle von Leben und inbi- 
vidueller Wahrheit ift. Je weiter ber Kreis, um jo 
fchwerer feine Erfüllung. Je größer die Mafje, um 
fo fchwieriger ihre Belebung. Als Goethe noch wenig 
wußte, fehrieb er den eriten Theil des Fauft; als das 
ganze Reich des Wiffenswürbigen ihm geläufig war, 
- den zweiten. Bon Einzelnem, was Beethoven fagte, 
fällt mir nadhträglih nur noch ein, daß er Schiller 
ſehr hoch hielt, daß er das Loos der Dichter, gegen: 
über den Mufifern, als das beglücktere pries, weil fie 
ein weiteres Gebiet hätten; endlich daß Webers 
Euryanthe, die damals neu war und mir mißfiel, ihm 
gleich wenig zu gefallen ſchien. Im Ganzen dürften 
es doch Webers Erfolge geweſen fein, bie in ihm 
den Gedanken herborriefen, felbft wieder eine Oper 
zu fchreiben. Er hatte ſich aber fo fehr an einen un- 
gebundenen Flug der Phantafie gewöhnt, daß fein 
Opernbuch der Welt im Stande geweſen wäre, feine 
Ergüffe in gegebenen Schranten feitzubalten. Ex juchte 
und ſuchte und fand Feines, weil e3 für ihn Feines 
gab. Es hätte ihn doch fonft Einer der vielen Stoffe, 
die ihm Herr Rellitab vorfchlug, beſonders ehe ihn 
noch Mängel der Ausführung zurüdichreden Tonnten, 
wenigſtens in der Idee anziehen müſſen. 


122 Erinnerungen an Beethoven. 


Mein Opernbuch, als deſſen Eigentbümer ich mich 
nicht mehr betrachten Tonnte, Tam fpäter durch bie 
Buchhandlung MWallishaufer in die Hände Konrabin 
Kreuzers. Wenn feiner der jebt lebenden Muſiker der 
Mühe mwerth findet, es zu komponiren, jo Tann ich 
mich darüber nur freuen. Die Muſik liegt ebenfo im 
Argen als die Poefie, und zwar aus dem nämlichen 
Grunde: dem Mißkennen bes Gebietes ber verſchiedenen 
Künfte. Die Muſik ftrebt, um fich zu erweitern, in 
die Poeſie hinüber, wie die Poefie ihrerjeit3 in die 
Proſa. Dieß weiter auseinanberzufegen feheint nicht 
an der Zeit, fo lange Kunftphilofophen, Kunſthiſtoriker 
— ich denfe hier an Gervinus und ähnliche Halb: 
wifler, bie bie Unfähigkeit für ihr eigenes Fach, als 
eine Befähigung für jedes fremde anfehen, — fo lange 
derlei ſachunkundige Schwäter den beutfchen Kunft- 
boden inne haben. Bon dem gefunden Sinne der 
Nation ift Übrigens zu erwarten, daß fie fich der 
Herrſchaft der Worte baldmöglichft entziehen und wieder 
auf Sachen und Thaten zurückkommen werde. 





Stndien zum ſpaniſchen Chenter. 


Acher Kope de Vega im Allgemeinen. 


Das Thal von Carriedo in Afturien. Darin das 
Dorf la Vega, der alte Solar, Lehenfit der Vorfahren 
Lope de Vega's. Er erwähnt in mehreren feiner Stüde 
mit Vorliebe des Thals von Carriedo. Der Vater 
Lope's, Felix de Vega, vertaufchte diefen Wohnſitz mit 
Madrid, wohin er einer Dame nachgefolgt fein fol, 
in bie, obwohl verbeirathet, er fich verliebt hatte. 
Geine Gattin fam ihm aber dahin nad, und fie ver: 
föhnten fi wieder. In Madrid alfo, nahe bei dem 
Thore von Guadalajara, am 25. November 1562 
wurde Lope geboren. Traditionen über die frühe 
Reife feiner Fähigkeiten. Uebrigens fol er ſpäter 
Sprechen, als benfen, gelernt und Anfangs feine Lek— 
tionen durch Geberden und Beichen wiedergegeben 
haben. Mit fünf Jahren läßt man ihn, außer der 
ſpaniſchen, auch noch der lateinifchen Sprache mächtig 
fein. Als er noch nicht Schreiben Tonnte, foll er bereits 
Verſe gemacht und feinen Kameraden diktirt haben. 
Sa, wie Lope von fich ſelbſt fagt,. fehrieb er bereits 
Verſe, ehe er zu fprechen vermochte, was ſich aber 
leichter erflärt, wenn ſich die Sprachorgane bei ihm 
erit ſpät entwickelten. 

Mit zehn Jahren wurde er nach Alcala de Henares 





126 Studien zum fpanifhen Theater. 


geſchickt. Er lernte dort, wie er ſelbſt fagt, das La- 
teiniſche vollfommen, vom Griehifchen aber nur bie 
Anfangsgründe. Später fol er auch des Stalienifchen 
und einigermaßen des Franzöfiichen mächtig geworben 
fein. Portugiefiih konnte er wohl wie alle gebildeten 
Spanier feiner Beit. 

Als er dreizehn oder vierzehn Jahre alt mar, 
ftarben. ihm jchnell hinter einander Vater und Mutter. 
Um ihren Nachlaß fol ihn und feine beiden ältern 
Geſchwiſter, einen Bruder und eine Schweiter, ein 
Betrüger gebracht haben, der damit nad Amerifa 
entflob. Sein Bruder diente in der jpanifchen Armee 
und war außer Stande, ihn zu unterftüben. Bon 
entfernten Verwandten joll er einige Hilfe erhalten 
baben. 

Da Fam ihm plöglic mit feinem Mitfchüler Her: 
nando Muñoz die Luft, die Welt zu fehen. Sie nahmen, 
was fie an Geld und Gefchmeide zufammenbringen 
fonnten, und reisten zu Fuße ab. In Segovia kaufen 
fie einen Gaul, um ihr Gepäde und fie felbit zu 
tragen, und famen bis Aſtorga. Dort aber jchon be: 
merken fie, daß ihr Geld fchneller zu Ende geht, als 
fie geglaubt hatten, und befchließen daher, umzukehren. 
Nah Segovia zurüdgelommen, werben fie von einem 
Goldſchmied, dem fie eine goldene Kette verkaufen 
wollen, ala verbäctig angehalten. Der Alfalde aber 
Ichidt fie ihren Verwandten nad) Madrid zu. 

Dort findet fi Zope, kaum fünfzehn Jahre alt, 
der größten Noth preisgegeben. Er wird Solbat und 
dient in Portugal, verläßt den Dienft aber nad) einem 
Jahre wieder. 

Bald darauf findet er fich als Sekretär des Biſchofs 
von Avila, Geronimo Manrique de Bara, General: 
inquifitoren und päpftlichen Legats der Flotte gegen 











Ueber Zope de Vega im Allgemeinen. 197 


bie Türken. Lope fpricht von ihm mit der höchſten 
Berehrung, und feiner Aufmunterung follen die erften 
fchriftitelerifchen Arbeiten des Jünglings ihre Ent: 
ftehung zu verdanken haben. Diefes waren einige 
Eklogen und das Schäferfpiel Jacinta, um das Jahr 
1578 gefchrieben, als Lope nur erft ſechzehn Jahre 
alt war. 

Siebzehn Jahre alt, verließ Lope des Bischofs 
Dienite, ohne daß man weiß, warum, mwahrfcheinlich 
aber in Folge der erwachenden Leidenfchaften, die ihn 
von nun an durch eine Reihe von Jahren befaßen 
und umbertrieben. 


Nicht leicht hat ein Schriftiteller fo widerſprechende 
Schickſale erlebt, als Zope de Bega in feinen drama: 
tifhen Werten. Ih fage: in feinen dramatifchen 
Werken, da feine übrigen, die obras sueltas, 1 im 
Laufe des vorigen Jahrhunderts mit eigentlich jpa- 
nifcher Pracht in Quart gebrudt und herausgegeben 
worden find, was auf eine fortwährende Anerkennung 
derſelben von Seite der Nation fchließen läßt. Die 
bramatifchen dagegen wurden feiner Zeit ala ein 
Wunder angeftaunt und find im Laufe von zwei Jahr: 
hunderten jo rein vergejlen worden, daß ein vollitän- 
diges Exemplar ihrer auf 27 Duartbände angewachjenen 
Sammlung gegenwärtig unter die größten bibliogra- 
phiſchen Seltenheiten gehört. 

Diefe Erfcheinung ift zum Theile erklärlich. Er 
lebte zur Zeit der Kindheit des ſpaniſchen Theaters, 
ober hat vielmehr vafjelbe aus feiner Kindheit heraus: 
und herangezogen. Sein Publikum beftand nicht, mie 
das ber bald darauf folgenden franzöſiſchen, joge: 


1 Vermiſchte Schriften. 


nannten klaſſiſchen Bühne, aus den Gebilveten der 
Nation, jondern wie denn überhaupt in allen ſüdlichen 
Ländern die Abjonderung der Stände nie fo ſchneidend 
war, gab fih Hoch und Niebrig, mit einem ftarfen 
Mebergewidhte der Lebtern, dem leidenjchaftlich be: 
gehrten Theatergenuß bin, und er mußte auf alle 
Theile feines Publikums Rüdficht nehmen, wenn man 
auch vorausfegen wollte, daß die Vornehmen, bei aller 
Weberbildung von Einer Seite, nit doch auch an 
Plattheiten und mitunter ziemlich groben Späßen, 
Wohlgefallen gefunden haben follten. 

Allen gemein war übrigens das Streben nadı 
Neuem und, bei der Starfgläubigfeit der Zeit, nad) 
Unerhörtem. Mit der wahren Innerlichkeit nahm man 
es nicht fo genau, um jo mehr, als die Spanier bas 
Bewußtſein, daß fie doch nur ein Spiel vor fidh 
hätten, nie ganz außer Augen fegen, wie denn jelbit 
bei den tragifchen Stüden am Schluß eine der han- 
delnden Perſonen aus ihrer Rolle beraustritt und in 
der wirklichen Eigenfchaft ala Schauspieler das Bublifum 
anfpricht, es um Verzeihung wegen ber’ vielen Fehler 
bittend, und jo die Illuſion gerade da zerftört, mo 
die Dichter aller andern Nationen und Beiten fie aufs 
Höchfte zu fteigern pflegen. 

Diefen Anforderungen nun trat Zope de Vega mit 
einer Leichtigkeit der Produktion gegenüber, die in 
der literarifchen Welt ihres Gleichen nicht hat. Einer 
feiner gleichzeitigen Freunde fchreibt ihm 3000 Komö⸗ 
dien zu, er,felbft geiteht über 700, von denen gegen 
vierthbalbhundert gebrudt find. 1 Daß bei dieſer groß: 


128 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


1 In der Borrede zum 20. Bande feiner Komödien bekennt 
Zope de Vega, 1070 Komödien gefchrieben Zu haben. In der arte 
nueva gibt er nur 488 zu. Das Wahre ift wohl, daß er ihre 
Zahl felbft nicht wußte. 








Ueber Zope de Vega im Allgemeinen, 199 


artigen Vielfchreiberei an Vorbereitungen, ja ſelbſt an 
die gewöhnliche Weberlegung kaum zu denken ar, 
verfteht fich von ſelbſt.“ Das Bublilum begehrte 
immerfort, und er fehrieb in einem fort. 

Später, als der Heißhunger der Nation geftillt, 
und fie, namentlich durch franzöfiiche Heirathen, mit 
dem übrigen Europa in Verbindung getreten ar, 
fing fie an, fi) des Kindifchen ihrer Vorzeit zu ſchämen, 
und in der dadurch entftandenen Reaktion geriethen 
diejelben Schriftfteller in Vergefjenheit, die früher ihr 
Hochgenuß geweſen waren. 

Ueberhaupt wird jede Nation, die ſich europäiſch 
zu bilden beginnt, anfänglich immer nad) der fran- 
zöfifchen Literatur greifen. Das Korrefte und Ber: 
jtändig-Rlare, wenn auch Abgeſchwächte verjelben, jagt 
dem Geiſte zu, der, ebe er neue Erwerbungen maden 
fann, vorerft alte Fefleln abmwerfen wil. War es 
doch in Deutichland, ja felbft in England nicht anders. 
Nur brauchte Deutjchland nichts zu vergeflen, da es 
nicht3 hatte, 

Auf diefe Art ift Zope de Vega der neuern Welt 
ziemlich unbefannt geworben. Ein paar deutiche Leber: 
jegungen einzelner Stüde (von denen ich Halm's Be— 
arbeitung von: „König und Bauer“ ausbrüdlicdh aus: 
nehmen will) wollen nicht viel bedeuten, da man 
Dichter überhaupt nicht überfeben Tann, am wenigjten 
die Spanier, bei denen der Zauber des Ausdrucks 
. die Hälfte des Werthes ausmadıt. 

Auch die Kritifer find unfäuberli mit ihm ver: 
fahren. A. W. Schlegel, ver den Calderon jo ziemlich, 
Lope de Vega aber wahrſcheinlich gar nicht Tannte, 


I A. Royer in feiner histoire du theatre nennt die zahllojen 
Hervorbringungen Zope de Vega's fehr gut: une improvisation, 
qui dura toute sa vie. 


Brillparzer, Werke. VII. 9 


130 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


wirft ihm Pebanterie vor, indeß Zope das reine Ge: 
gentheil eines Pebanten war. Lord Holland hat ein 
eigenes Buch über ihn und Cervantes gejchrieben, in 
dem Lebterer fo hoch geftellt wird, als er verbient, 
indeß feinem ſpaniſchen Landesgenoſſen geradezu der 
geſunde Menſchenverſtand abgeſprochen wird. 

Schacks lobenswerthe Geſchichte des ſpaniſchen 
Theaters habe ich geleſen, aber bei einem ſchlechten 
Gedächtniſſe die Einzelnheiten wieder vergeſſen; nur 
erinnere ich mich, daß bei allen Vorzügen des Werkes 
der Verfaſſer ſich von der Schooßſünde bed neuern 
Deutſchlands: der Uebertreibung, nicht frei hält und 
geneigt iſt, manches zu loben, was einen beſtimmten 
Tadel verdient. | 

So ift der Vorwurf des freilich ganz unberufenen 
Lord Holland, daß der gefunde Menfchenverftand mit: 
unter in den Stüden Zope de Vega's zu kurz komme, 
völlig gegründet, nur hat er Unrecht, wenn er meint: 
was den Stüden fehlt, fehle dem BVerfafler. Zope de 
Vega hat in den befiern feiner Dramen eine fo ſcharfe 
Urtheilsfraft, eine jo alles berechnende Weberlegung 
gezeigt, daß das Abſurde in manchen feiner Stüde 
irgend anderswo, als in der Abfurbität des Verfaflers, 
gejucht werben muß. 

Um alſo gleich in die Sache einzugreifen, Tann Zope 
de Vega nicht jenes Abjurde zur Laft gelegt werben, 
was in dem Charakter und der Richtung feiner Zeit 
und feines Volles lag. Die bis zum Lächerlihen ge: - 
henden Webertreibungen ver fchönen Empfindungen: 
Ehre, Liebe und Glaube (ald Aberglaube nämlich) 
gehen fo jehr durch alle Schriftfteller. jener Zeit und 
find namentlih von Calderon jo fehr auf die Spibe 
geftellt worden, daß unferem Autor daraus Fein Vor⸗ 
wurf gemacht werben kann, und zwar um fo weniger, 





— 3 
.- 


Ueber Zope de Vega im Allgemeinen. 131 


als aus vielen Stellen hervorgeht, daß er über biefe 
Erbjünden des Mittelalter viel richtiger gejehen hat 
ald die meiften feiner Zeitgenoſſen. Lope de Vega 
war ein profaifch heller Kopf, und nur als Dichter 
gab er fich, abgerechnet davon, daß die Muttermilch 
doch auch "fein inneres tingirt hatte, jenen Schwär⸗ 
mereien bin, die fein Publikum verlangte und die dem 
Dichter, als Farbe und Geftalt gebend, willkommen 
waren und immer willlommen fein werben, da das 
Geiftige als folches Feine Geftalt hat und das Licht 
feine Farbe. 


Zope de Vega ift ein vortrefflicher Charaktermaler. 
Sn feinen ernithaft gemeinten Stüden iſt nicht? con- 
fequenter und wahrer, als die Haltung feiner Perfonen. 
Wie es aber einmal zum Spaß fommt, hört alles Recht 
der Folgerichtigkeit auf. Der Zweck ift nur, den Zu- 
feber zu unterhalten, und je toller, je beſſer. Mit 
Würde und Empfindung angelegte Charaktere ftürzen 
fih mit einem Sprung in den tollen Sabbath und ge: 
berben fi fo närrifh, als der Narr. Die fünlichen 
Nationen haben alle diefe Neigung zur Poſſenhaftigkeit, 
und die opera buffa ver Staliener ift deſſen das legte 
Zeugniß. Aber felbft bei Shakeſpeare muß die Perfon, 
die mit dem Clown ſich unterredet, in feine Späſſe 
eingeben unb gibt, wenn auch vorübergebend, ihren 
Charakter auf, jo lange das Ballipiel des Scherzes 
währt. So Desvemona, fo jenes fpäter ala Aerztin 
erfcheinenbe Frauenzimmer in einem feiner Luſtſpiele, 
„Ende gut, Alles gut.” 





132 Studien zum jpanifhen Theater. 


Liebe und Ehe waren zu Lope's Zeiten keineswegs 
Fortſetzung und Ausbildung eines und deſſelben Bu- 
ftandes, jondern Eingehen in einen neuen. Erftere frei 
und mehr Sache der Sinnlichleit und der Phantafie, 
als des Gefühle, lebtere das Werk des Beritandes 
und der Convenienz. Väter und Brüder find froh, bie 
Sorge für den Ruf (opinion) ihrer Pflegebefohlenen 
auf einen Gatten zu übertragen, und ber Gegenſtand 
der Sorgfalt freut fich gleichermaßen, nad dem vollen 
Genuß einer kurzen Freiheit, den nur allzuſehr gefühlten 
Gefahren verfelben zu entrinnen. Liebesverhältnifie 
mit Verheiratheten (Weibern nämlich) Tommen bei Zope 
jelten vor, indeß die Männer auch nad) der Ehe fidh 
wenig Gewalt anthun. Die Leichtfertigfeit der Sitten 
fcheint groß geweſen zu fein, die Ehe aber warb burch 
Dolch und Rache bewacht. Nichts geht über die Schnel- Ä 
ligfeit, mit der man ſich verheiratbet, es ift ein Ge: 
ſchäft und wird als folches abgemacht. Am Schlufje | 
des Stüdes befommt jeder der Männer ein Weib, es | 
mag hergenommen werben, woher es wolle. Die Aus: 
ftattung als ultima ratio fehlt nie. 


Zope de Vega hatte es eben mit einem Publikum 
zu thbun, das durch feine Nomanzen, Ritterromane und 
Novellen an das Bizarre, Wunderbare, ja Wunber- 
lihe gewöhnt war und e3 vom Dichter forderte. Was 
uns bei ihm abſurd erfcheint, ift e8 nur dadurch, daß 
die Mittelgliever der Entwicklung überfprungen werben 
und das Factum, der Gemüthszuftand fchroff und ab: 
geichnitten hingeftellt wird, ohne verbindende Fäden 
des Pragmatismus. Was glaubten die Leute damals 
nicht alles dem Pfaffen, dem Reifenden, dem Dichter. 





Ueber Zope de Vega im Allgemeinen. 133 


Die Einführung der Wahrfcheinlichleit in die Poefie 
ift eine fpätere Erfindung. 





— 


Zope de Vega tft natürlih, was aber das Ueber: 
natürlihe, ja das Unmdgliche nicht ausfchließt, Cal- 
deron ift Tünftlih, ohne darum auf das Unmöglidye 
und Uebernatürlihe Verzicht zu leiften. Lope de Vega 
geht aber von der natürlichen Empfindungsmeife des 
Spanier3 zu jeder Zeit aus; Galderon nimmt die 
fünftliche Verbildung feiner Zeit zum Ausgangspunkte. 


Nicht in Erfindung der Hauptverwidlungen ober 
Entwillungen ift Zope de Vega jo vortrefflich, da iſt 
er oft ſchreiend unwahrſcheinlich, wiederholt ſich auch 
häufig, wohl aber in Erfindung kleiner Nebenmotive, 
die machen, daß ſelbſt die Ausfüllungsſcenen ein leben- 
diges Intereſſe haben und das entfernteit Scheinende 
nicht müßig daſteht. Darin tft er unnachahmlich und 
gibt, nebſt der Bortrefflichleit des Dialogs, feinen 
Stüden eine Lebendigkeit, die anzieht, felbit wo man 
das Ganze nicht billigt. Zugleich hat er die wahre 
und die fagenhafte Gefchichte feines Landes, ja jeder 
Provinz, jeder Stat fo vor Augen, daß man ihn 
einen Chroniften nennen Tann (was er ja immer werden 
wollte), jede Beſonderheit, jede Sitte, jede Gewohn⸗ 
heit des Landes findet Platz in feinen Stüden; man 
fönnte jagen, er ift ganz Spanier, wenn er nidt 
großentheild frei von ihren Vorurtheilen wäre, bie er 
benüßt, wo er fie brauchen fann, über denen er aber 
als geſunder Kopf hoch fteht. 


134 Etudien zum fpanifhen Theater. 


Ich erichrede manchmal über den Gedanfenreid): 
thbum in Zope de Vega. Indem er immer im Beſon— 
verften zu bleiben fcheint, ftreift er jeden Augenblid 
ins Allgemeine hinüber, unb fein Dichter ift jo reich 
als er an Beobachtungen und praftifchen Bemerkungen. 
Man Tann wohl jagen, dab Fein Lebensverhältniß 
it, das er in dem Kreife feiner Hervorbringungen 
nicht berührte. Und das alles gejchieht jo nebenbei, 
wie e3 ihm in die Feder kommt, jcheinbar rein im 
Dienfte der Fabel und der Wirkung. Deßhalb ift es 
auch feinen bisherigen Beurtheilern entgangen, die 
feine Lehre kennen, al3 in ber Form der Abftraftion. 


Daß Lope de Vega feine unfchuldig Berfolgten fo 
gerne bei Bauern einfehren und fi) dort verbergen 
läßt, bei welcher Gelegenheit er die ländlichen Ber: 
hältnifje diefer Letztern mit fo viel Vorliebe ausmalt, 
rührt wohl von dem noch nicht ganz erlojchenen Ge: 
ihmade feines Publiftums für die früher fo beliebte 
Schäferpoefie ber. | 


Am öfteſten fpielt Zope de Bega auf feinen Wunſch 
an, Chronift von Spanien zu werben. Deutlich mie 
nirgends im triunfo de la humildad 1 10. Bd. feiner 
Dramen in der Perſon des ſpaniſchen Bedienten Lope, 
wo er auf die Frage des Königs: was er zu werben 
wünſche? antwortet: 


1 Triumph der Demuth. 





Ueber Zope de Vega im Allgemeinen. 135 


Selior ser tu coronista, 

para escrivir tus mercedes. 

Que si va & decir verdades, 

no querria que la muerte 

me hallase agradando & muchos, 
pues nadie en el mundo puede. 
Unos son tristes, sehor, 

y quieren cosas alegres; 

otros alegres tambien 

y las tristes apetecen 

unos las ciencias ignoran, 

otros las ciencias aprenden, 
unos miran Con pasion, 

y otros con pasiones vienen. 
Sacame deste trabajo 

ansi Dios tu vida aumente, 

y hare un libro en tu alabanza 
que digo un libro, y aun siete, 
que te llame el gran Filipe, 

rey de Albania, y rey de reyes. 1 


Einige Entjhuldigung für Zope de Vega ift, daß 
ihm zu feinen allerunfinnigiten Stüden ber Stoff (wie 


1 Herr, dein Gejhichtfcpreiber fein, um deine Gnaden gu be= 
ſchreiben. Denn wenn die Wahrheit gefagt fein muß, ich wünſchte 
nit, daß mid der Tod fände, Vielen zu gefallen lebend, denn 
die ift Niemand in der Welt im Stande. Die Einen find traurig, 
Her, und wollen fuftige Sahen, Andere find heiter und wollen 
Traurig. Die Einen wifjen nichts von Wiſſenſchaften, Andere 
lernen diejelben , die Einen ſehen mit Leidenfchaft zu, und die Andern 
tommen voll von Leidenschaften. Nimm mir diefe Lafl, Gott 
ſchenke dir langes Leben, und ic) werde ein Buch fchreiben zu deinem 
Lobe, was jage ih ein Buch, wohl fieben, und werde did den 
großen Philipp, König von Albanien und König der Könige, nennen. 


1 36 Studien zum jpanifhen Theater. 


er jelbit in den Vorreden fagt) von Damen des Hofes 
aufgegeben wurde. Er wollte überhaupt in allem dem 
Hofe gefällig fein, aber es gelang nicht. Calderon 
war darin glüdlicher. 


Ich erinnere mich nicht, in den Lebensbeſchreibun⸗ 
gen Zope de Vega’3 den Umftand erwähnt gefunden 
zu haben, daß er Philipp IL. auf einer Neife nad 
Frankreich (2) begleitet babe, und doch fpricht Lope 
davon felbft in der Yueignung des mejor Mozo de 
Espana 1 an Pedro Vergel (Comedias parte 20), ſo 
wie von einem Seefturm, ben fie damals zwischen Yrun 
und Fuenterabia ausgeftanden, der beinahe Allen das 
Leben gefoftet. Eben daſelbſt führt er auch den Licen⸗ 
tiaten Juan Perez de Montalvan, als feinen vertrauten 
Freund und Landsmann auf. Daß Lope und Mon: 
talvan in der Autorfchaft mehrerer Stüde verwechjelt 
worden feien, erhellt aus den Anmerkungen, die meh: 
teren Komödien beigejebt find, mo ausbrüdlich bemerkt 
wird: dieſes Stüd ift von Lope de Vega und nicht 
von Juan Perez de Montalvan. 


Sn einer ber Komödien: El desprecio agradecido, ? 
die lange nad) Lope's Tode in den obras sueltas Tom. X 
gedrudt worden, kommt folgende Stelle vor. Das Kam⸗ 
mermäbchen gibt dem Galan, der die Nacht verſteckt 
zubringen jo, ein Buch zur Unterhaltung. 


1 Beten Jünglings von Spanien. 
2 Die willlommene Verſchmähung. 


Ueber Zope de Vega im Allgemeinen. 137 


Ines. Pues ten libro y esta vela 
os seral de gran provecho, 1 
Bern. ;Quien es? ? 
Ines. Parte veinte y seis 
de Lope., 3 
Bern. Libros supuestos 
que con su nombre se imprimen. ! 


Das follte ung faft ein Mißtrauen gegen die 27 Bände 
von Lope's Komödien einflößen. Wenn es nicht etwa 
nur fagen foll, daß damals nod) nicht 26 Bände recht⸗ 
mäßig erſchienen waren. 


1 Da nehmt ein Buch und dieſe Kerze, fie werden euch von 
großem Nutzen fein. 

2 Mas ift es? 

3 Der 26. Theil von Lope. 


4 Untergefhobene Bücher, die unter feinem Namen gedrudt 
werden. 


Ueber Kope de Bega’s denmatıldie Dichtungen. 


San Nicolas de Tolentino. Ein ‘wenig in 
ber gewöhnlichen Form biejer Heiligengefchichten. Sankt 
Nicolas als Student mit mehreren Mitftudenten, mo 
denn fein frommer Ernſt gegen den 2eichtfinn der 
Debrigen, wie natürlich, jehr abfticht. Einer aus ihnen 
wird von einer Maske zu einem Rendezvous verführt, 
aber da er die Leiter zum Ballon emporfteigt, fällt 
er fih zu Tode, und es zeigt fih nun, daß die Maske 
der Teufel ift, der um die Seele, mit dem in Lüften 
in Begleitung von Gerechtigkeit und Gnabe erfcheinen: 
ben göttlichen Richter, einen Streit beginnt, der aber 
durch die Dazufunft der Jungfrau gegen ihn entſchieden 
wird, die, höchſt römiſch-katholiſch, als einen Haupt: 


grund für den zu verurtheilenden Sünder anführt, daß . 


er ein Better des frommen Nicolas fei. Lebterer hat 
inzwifchen eine Dombherrnpräbenbe erhalten. Aber von 
ber Predigt eines Auguftiner Barfüßers gerührt, gibt 
er mit Einwilligung feiner Eltern fein Kanonikat auf 
und tritt in den Drben, in ben ihm fein Begleiter 
der gorron ! Rupert nadfolgt. 

Los peligros de la ausencia.? Der erfte Akt, 


1 Liederlihe Student. 
2 Die Gefahren der Abweſenheit. 








Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 139 


nad) Lope'ſcher Art, etwas loſe mit dem Webrigen ver: 
Inüpft. Ein Beinticuatro 1 von Sevilla liebt ein Mäd⸗ 
hen, wobei er zwei Nebenbuhler hat. Ein Einheimi- 
fcher, D. Bernardo, etwas bornirt und langweilig, und 
ein Höfling, D. Felix, etwas gedenhaft, der eben im 
Begriffe ift, fich zur Wiederherſtellung feiner Umftände 
nad Amerika einzufchiffen. In der Angſt über ein 
Duell zwifchen den beiden erftern erklärt fi) die Ge: 
liebte dem Vater, der den Handel vermittelt und das 
liebende Baar vereinigt. D. Felix reist ab. 

Im zweiten Alt finden wir das Paar verheirathet 
und höchſt glüdlih. Die Beichreibung dieſes Glüdes 
gleih in der eriten Scene wunderihön. Nun aber 
trübt fich der Himmel. D. Pedro, der BVeinticuatro, 
wird zu den Cortes nach Hof berufen. Sein Vermögen 
erlaubt ihm nicht, die Gattin mitzunehmen, er reist 
allein, und bier zeigt ſich eine Art geiftiges Band, 
das den zweiten Alt an den erften Tnüpft. Beibe 
Gatten jchärfen den beiberfeitigen Dienern, die ihnen 
bei ihrer Liebesintrigue behilflich geweſen, ein, ſich 
während ber Trennung ja nichts Aehnliches zu Schul: 
den fommen zu laflen, jo mie ber Abreiſende auch 
ſpäter die Untreue feiner Gattin nicht fo leicht geglaubt 
haben würbe, wenn ſie nicht als Mädchen ihren Vater 
mit Lift hintergangen hätte. 

Die Gefahren der Abmwefenheit zeigen fi. Der 
Indianer kommt zurüd, veich geworden, aber noch nicht 
von feiner Liebe geheilt. Eine Verwandte Blanka's, 
Da. Ines, bat fih ſchon früher in ihn verliebt und 
benüßt feine Leivenfchaft, um ihn mit Hilfe der ver: 
ſchmitzten Zofe Leonora ind Haus einzuführen, wo er 
fih im Dunkeln mit ihr vergnügt, in der Meinung, 


1 Nathöherr. 


140 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Da. Blanka zu genießen. Höchſt komiſch wird er im 
Herausgehen von dem andern unglüdlichen Liebhaber 
D. Bernardo überfallen, der fomit den Ehrenhüter der 
Frau feines Nebenbuhler8 macht. Er muß verjprechen, 
fih fogleih von Sevilla zu entfernen. Don Bernardo 
glaubt nun aber auch, etwas wagen zu dürfen. Cr 
wird aber von Da. Blanka auf3 Ichmählichfte abgeführt, 
worüber es fogar zum Duell mit ihrem Vater Tommt. 
D. Felix begegnet auf feinem Wege dem rückkehrenden 
Beinticuatro, den er nicht kennt und dem er. fein 
gutes Glüd zugleich und fein Unglüd erzählt. D. Pedro 
bewegt ihn zur Umkehr, verfpricht ihm Beiftand u. ſ. w. 
Eben im Begriff, feine fchulbige Frau zu töbten, klärt 
id das. Mißverſtändniß auf, und alles nimmt ein 
gute Ende. An dem Stoffe ift gerade nicht gar zu 
viel, die Ausführung aber ift fo vortrefflih, daß, 
wenn die gefährlichen Vorgänge bei Nadıt und der 
Zivifchenraum von drei Jahren zwiſchen dem erften 
und zweiten Akte nicht wäre, eine Bearbeitung für 
die deutſche Bühne fehr lohnend fein müßte. 

Porfiar hasta morir.1 Die Gejchichte jenes 
Ipanifchen Dichters, Mazias, den ber Gatte feiner 
Geliebten durh einen Speerwurf töbtet, meil er, 
außen am Thurme ftehend, ihn inwenbig ein Liebes: 
gebicht fingen hört. Das Ganze vortrefflich gehalten, 
bis auf den Schluß, der mir etwas übereilt fcheint 
und dadurd an Wirkung verliert. Sehr gut die 
Charaktere der Geliebten und Gattin Klara und des 
Gropmeifterd von Santiago. Mazias und fein Neben: 
buhler Tello nach Lope's Art nicht befonbers jcharf, 
aber darum nicht minder gut gehalten. 

La envidia de la Nobleza.? Der Untergang 


1 Bekändig bis zum Tode. 
2 Der Neid des Adels. 


Ueber Lope de Vega’3 dramatiihe Dichtungen. 141 


der Abencerragen. War, glaube ich, feiner Zeit eines 
der berühmtejten Stüde Lope's, und ift auch wirklich 
vortrefflih. Niemand bat, wie er, die Chronik und 
die Romanze geltend zu machen gewußt. In biefem 
Stüde geht es fo weit, daß bei der Zuſammenkunft 
der Königin mit dem geliebten Abencerragen, beibe 
offenbar wörtli Stellen aus einer Romanze herjagen, 
wobei fie von ihrem Verhältnig, wie von einem frem- 
den erzählend, ſprechen. Demungeachtet verfehlt es 
jeine Wirkung nit. Der Schluß, wie bei Lope häufig, 
matter als das Uebrige. 

El robo de Dina.! Der Eingang. eigentlich 
bibliſch-patriarchaliſchh. In der Folge tritt e8 zum 
Theil aus diefer Haltung heraus und wird allgemeiner, 
nur Jakob und feine Söhne beharren. Dina, eine 
eigentliche Spanierin. Etwas ftar! die Scene, wenn 
fie, unmittelbar nach ihrer Schänbung, mit zerrauften 
Haaren und maltratada? aufs Theater fommt, fo mie, 
wenn fie, fpäter den Vorgang ihrem Bater erzählt. 
Uebrigens alles das fehr gut. Ebenſo das Verhalten 
Jakobs, der fich mit einer VBermählung begnügt. Da: 
gegen bie hebräiſche Nachjucht feiner Söhne, in die 
Dina felbft, ächt ſpaniſch, einftimmt. Glüdliche Dichter, 
die ein jo wenig verbildetes Publikum vor ſich haben, 
dag fie Umftände, wie die Beichneivung des ganzen 
Volles von Sichem, erwähnen fünnen, ohne einem 
Grinjen zu begegnen. Das von Lope oft gebrauchte 
Kunftmittel, einem dem Geſchicke Berfallenen, feinen 
eigenen Schatten erjcheinen zu laflen, bier vor dem 
Tode Sichems nicht fehr glüdlich angebracht.. Dagegen 
der Schluß wieder vortrefflich. Die Hirten ziehen nad) 
vollbracdhter That mit ihren Heerden weiter. Sogar 


1 Die Entführung der Dina. 
2 Mißhandelt. 


142 Etudien zum jpanifhen Theater. 


die fcherzbafte Perfon kommt noch einmal vor, und 
‚die Sorge für die Heerden nimmt die lebten Verſe 
des GStüdes ein. Gewiß: an Naturempfindung und 
Einwohnen in den Kern der Begebenheit bat Niemand 
Lopen übertroffen. 

El saber puede daüar.1 In zwei Gattungen 
des Drama ift Zope Schwach (als Gegenfüßler Calde: 
rons, der gerade darin feine Stärke hat): in folchen, 
die einen philofophifchen oder moralifhen Sat an die 
Spitze ftelen und lehrhaft die Idee in der Handlung 
ausführen; dann in den eigentlihen Verwicklungs⸗ 
Komödien. Das gegenwärtige Stück foll eines ber 
legtern Gattung fein, bie Intrigue ift aber weder neu, 
noch durchgeführt, und überhaupt außer einigen glüd: 
Iihen Scenen und guten Charakteren (Celia) nicht 
viel Befonberes an dem Ganzen, 

Los pleitos de Ingalaterra.? Soll ich denn 
immer fortfahren, dieſe höchſt wunderlichen Probuf: 
tionen als vortrefflich anzufpredhen? Und doc Tann 
ich nicht anders. Es ift ein Reiz der Natürlichkeit, 
eine Atmofphäre von Poeſie, und bei den baroditen 
Anläflen eine Wahrheit der Ausführung, der man 
nicht widerstehen Tann. 3.3. daß König und Königin 
nach einer Trennung von freilich zwanzig Jahren fich 
nicht wieber erfennen, wenigſtens er fie auch ſpäter 
nicht, und fih von Neuem in einander verlieben. Wie 
feine Neigung nah und nach geradezu finnlich wird, 
die beiden fih auf dem Wege nad London in bie 
Gebüfche verlieren. Was fie ſich da jagen, und mie 
bie beiven begleitenben Bauern, um die Tugend ihrer 
bis dahin mufterbaften Herrin, anfangen bejorgt zu 
werden. Die Doppelfcene, die daraus entiteht. Ich 


I Das Wiffen kann ſchaden. 
2 Die englifgen Händel. 


Ucher Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 143 


weiß damit nichts zu vergleichen. Die Liebesſcene 
in Romeo und Julie erjcheint dagegen beinahe wie 
gemadt. 

Los palacios de Galiana.! Wahrſcheinlich 
beſtehen oder beſtanden zu Lope's Zeiten in Cordova 
Ruinen, die im Munde des Volkes palacios de 
Galiana biegen. Dadurch gewann das Stück für den 
Spanier ein örtliche antiquarifches Intereſſe, das 
gegenwärtig wegfällt. Einige gut ausgeführte Scenen 
find nicht abzuleugnen, ebenfo einige geſchickt geführte, 
3. B. wo ber Graf Arnaldo den Wachen die Gefchichte 
einer Befreiung in feinem Baterlande erzählt, und 
dadurch, der vom Balkon zuhörenden Prinzefjin die 
Mittel zu ihrer eigenen Flucht andeutet. Ebenſo mußte 
eine gute Wirkung machen, jene frühere Scene mit‘ 
der Unterrebung bes Liebespaares, in Gegenwart des 
Baterd und feiner Geliebten, indem Carlos ftatt des 
Erfteren zur Lebteren fpricht, dabei aber den Sinn ber 
Worte auf Saltana richtet, indeß dieſe, Hinter der 
Freundin verborgen, ihr die Antworten foufflirt, die 
der König auf fich bezieht. Das Prototyp aller ſpa⸗ 
nifchen Liebesheldinnen ift übrigens die im Stüde vor: 
fommende Armelinda, die, troß ihrer wüthenden Liebe 
zu Einem, doch aus einer Hand in die andere geht, 
vier- oder fünfmal im Begriffe ift, gefchänbet zu mer: 
den, alle Abfcheulichkeiten aus Eiferfucht begeht, und 
am Ende doch rein dafteht, wie friſch gefallener Schnee. 
Mit dem Haupthelden Carlos fcheint übrigens nichts 
mehr und weniger al3 Karl der Große gemeint. - 

El saber por no saber, y vida de 8. Ju- 
lian. ? Schade, daß in dem Exemplar der Hofbiblio: . 
thek, das ich benübe, der Schluß fehlt. Der Charalter 


1 Der Palaſt der Galiana. 
2 Wiſſen, um nicht zu wiſſen, und das Leben des h. Julian. 





144 Etudien zum jpanifhen Theater. 


ber Hauptperjon, menſchlich genommen, etwas outrirt 
bis zur Annäherung an Heuchelei und Unmwahrbhaftig: 
feit, aber im damalig katholiſchen, d. i. möndiid: 
pfäffiihen Sinne nicht zu tadeln; für jeden Fall aber 
höchft wirkſam. Die Geſchichte des Studenten Claudio 
und der Schanfwirthstochter Iſabella eigentlich Tunft: 
mäßig als Mittelpunft der übrigen ifolirten Ereignifje 
hingeftellt, fo daß felbjt der den Heiligen allerivege 
begleitende alberne Laienbruder Tome, anfänglidy als 
eine Art Diener und Begleiter Don Claudio's ericheint. 
Ebenſo mußte er die jchelmifche Ines und den Mohren 
Ali, indem er fie an mehreren Orten einflodt, aus 
dem rein Epiſodiſchen herauszuziehen. 

Guardar y guardarse.! Don $eliz und 
Chakon fommen. Sie fliehen aus Kaftilien und haben 
den Weg verloren. Dazu Dona Elvira und Hippolyta 
als Landmäbchen gekleidet. Wir erfahren, daß Elvira 
vom Könige von Arragonien geliebt und deßhalb von 
ihrem Bruder, dem Almirante, in einem einjfamen 
Landhauſe abgejondert gehalten wird. Die Reiſenden 
wenden fih an fie. Felix erinnert fich des Ovid und 
jeiner Nymphen, unb wir find eines Schlages auf dem 
Gebiete der Phantafie. Redensarten der ausgejuchteiten 
Qualität werben mit vornehmer Sicherheit abgelehnt 
und in Schranfen gehalten. Für jeden Fall aber das 
nahe gelegene Landhaus ala Ausruheplag angeboten, 
wobei man jedoch Sorge trägt, dab Name und Stand 
der Wirtbinnen verborgen bleibe. 

Warum Don Felir aus Kaftilien entfloben, erfahren 
wir in ber zweiten Scene, wo König Alonjo die Ber 
leidigungen auszugleichen fucht, die einem Don Sancho 
von Felix zugefügt morben find. Seine Bemühungen 


1 Hüten und fi hüten. 





\ 


Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 145 


bleiben übrigens fruchtlos, und er ift genöthigt, den 
Racheſchnaubenden gefangen ſetzen zu laflen, ba er broht, 
den Gegner zu tödten. 

Auf dem einfamen Schlofje finden wir Felix und 
Elvira wieder. Sie verhehlt den Eindrud nicht, den 
er auf fie gemadt, erklärt aber jedes nähere Ver— 
hältniß für unmöglid und gibt ihm, indem fie ihn 
fortjendet, einen Empfehlungsbrief an den König von 
Arragonien mit. 

Indem nun Don %elig jeine bella labradora, mas 
que de campos, de almas, y de enojos, 1 hödjft 
verliebt mit der Sonne vergleicht, kommt Hippolyta 
und beſchenkt ihn mit Juwelen als Zeichen ihrer Gunft. 

Der König von Arragonien und der Admiral. 
Der König, der feine Liebe zu Elviren dem Zuſeher 
deutlich genug macht, eröffnet ihrem Bruder den Plan, 
fie zu vermählen, ohne zu jagen mit wem. Es Tünnte 
wohl der König jelbit diefer Gemahl fein, meint der 
Almirante, beichließt aber doch, worfichtig zu fein. Don 
Felix bringt feine Empfehlungsbriefe. Wir erfahren 
jegt al3 den Grund feiner Flut aus Kaftilien, daß 
er aus Eiferfuht wegen einer Doña Blanca feinen 
Nebenbuhler Don Sancho beim Ballipiel mißhandelt: 


y levantando la pala 

le doy lo que parecia 

el nombre si es mas afrenta 
que con mujer los reciba. ? 


1 Schöne Arbeiterin, nicht ſowohl des Feldes, als der Seelen 
und de3 Unwillens. 

2 Und die Rakete (zum Ballfpiel) erhebend , gebe ih ihm, was 
dem Namen (nämlih palo, der Schlag, um die Aehnlichkeit der 
Worte pala und palo dreht fih das Wortjpiel) ähnelt, und mas 
eine um fo größere Beleidigung if, wenn man es in Gegenwart 
einer Frau erhält. 


Grillparzer, Berte VII. 10 


146 Studien zum fpanifhen Theater. 


Es liegt hier wohl das Mortipiel von pala und 
palos (Prügel) zu Grunde. Der König verfpricht ihm 
Schutz und übergibt ihn dem Almirante zu hüten. 

Indeſſen find Elvira und SHippolyta vom Lande 
angefommen und in ihrem Haufe abgeltiegen. Der 
Almirante ftelt Don Felix als ſeinen Schutzbefoh⸗ 
lenen vor. 

Der Almirante bleibt mit ſeinem Diener, der ihm 
ein Schreiben übergibt, das ein durcheilender Kurier 
gebracht. Es wird erbrochen und enthält die Nachricht, 
daß die Familie der Mendoza, einen vom Almirante 
durch Verweigerung einer Heirath ihnen angethanen 
Schimpf zu rächen, Don Felix abgeſendet habe, den 
Beleidiger zu tödten. Und nun beginnt die Situation, 
die ber Titel enthält: Hüten und ſich hüten. Sie er- 
fordert einen ausgezeichneten Schaufpieler, denn bie 
Furcht des Almirante darf nie eigentlich burlesk werden, 
wie denn auch jeine Worte und Ausbrüde immer 
würdig bleiben und nur Geberde und Benehmen die 
fomifche Beimifchung geben. Der Gang der Handlung 


hat weiter eben nichts Ausgezeichnete. Merkwürdig . 


aber iſt der Charakter Elvirens, eine eigentliche Ver: 
finnlihung der fogenannten sal espanola. 1 Wenn 
das Porträt von Felix früherer Geliebten gefunden 
wird, und fie anfängt, eiferfüchtig zu werden. Die 
burlesfen Berje, mit denen fie die Unterſchrift des 
Bildes ergänzt: 

Dona Blanca es esta dama 

„asi su galan lo quiere 

„por si acaso se perdiere 

„que sepan como se llama, ? 


1 Des fpanifhen Witzes. 
2 Donna Blanca ift dieſe Dame, ſo will es ihr Verehrer, damit, 
wenn fie efwa verloren gienge, man wiſſe, wie ſie heiße. 





mm Ten — — _ 


Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 147 


Das alles ift unmwahrfcheinlid und zwar um fo 
mehr, als es nur ein geiftiger Hauch ift, der jeder 
Berglieverung Tpottet. 

Uebrigens wiederholen biefe Dichter in einzelnen 
Zügen und Sägen nicht nur ſich felbft, ſondern borgen 
auch bon einander, wo man bann nicht weiß, welcher 
das Driginal und melder die Copie if. Einmal 
fommt vielleicht jogar ein Hieb auf Calderon vor: 

.. primero que veas 
que . 2 2200. 
me caso contra mi gusto 
avrä estrellas en la mar 
y flores en las estrellas. 1 
Wenigſtens gehören Vermengungen wie leßtere 


. unter Calderons Lieblingzfiguren. 


La hermosa fea.? Eins von ber Art Stüden, 
in der Zope nicht glüdlich ift, und um berentmwillen 
ihm Lord Holland Mangel an Urtheilsfraft Schuld 
gegeben bat. Der Stolz, mit dem die Prinzeflin von 
Lothringen, Eſtela, ale Bewerbungen zurüdieist, 
bringt Ricardo den Herzog von Polen auf die Idee, 
fie dadurch zu reizen, daß er ihr zu Obren kommen 
läßt, ex habe fie häßlich gefunden. Zugleich aber weiß 
er fi) unter falfhem Namen in ihr Haus einzuführen 
und fie in fich verliebt zu machen u. f. wm. Obwohl 
man nun nicht jagen kann, daß die beiden Theile 
diejes Doppelplans in feiner Verbindung mit einander 
ftehen, jo wirkt doc; die Hauptivee bei weitem nicht 
genug aus, und wenn der’ verfleivete Herzog nur 

1 Zuerfi damit du jeheft, daß... ih mid gegen meinen 
Willen vermähle. Sterne wird ed im Meere geben und Blumen in 


den Sternen. 
2 Die ſchöne Häßliche. 


148 Etudien zum fpanifhen Theater, 


liebenswürbig genug tft, um ala Mann zu intereffiren, 
jo hätte es bes Neizmitteld ber beleidigten Eitelkeit 
gar nicht beburft, um auch jo zum Biele zu gelangen. 
Was aber Mangel an Urtheilstraft ſcheint, tft eigentlich 
nichts, als bie Webereilung ber Bielfchreiberei und 
eine gewiſſe epifche Gleichgiltigfeit, die die Falten fo 
binrollen läßt und fie theilmeife ausbildet, ohne fich 
um ihren Zujfammenhang fonberlih zu kümmern. 
Liebevolles Haften am Beſondern ift der Fehler, aber 
auch der unermehliche Vorzug Lope de Vega's. 

Elcaballero de Olmedo.! Da ift nun gleich 
wieder im erften Aft ein jo abgerifjenes Ereigniß, das 
mit allen Vorbereitungen einer Intrigue angelnüpft 
wird und, wenn es eintritt, nicht die geringfte Wir- 
fung auf den Gang der Handlung ausübt. Ines, 
um ihren verborgenen Liebhaber an einem Zeichen zu 
erfennen, fchreibt ihm, fie werde eines ihrer grünen 
Schuhbänder ans Fenftergitter binden, das er nehmen 
und am Hute tragen fol. Nun fommt ihm aber ber 
vom Vater begünjtigte Bräutigam zuvor, eignet fich 
das Band zu, ja theilt es jogar mit feinem Freunde, 
dem Bewerber der zweiten Schwefter, und fie erfcheinen 
nun beide mit bem grünen Bande. Aber es erfolgt 
nichts daraus, und kaum geichehen, iſt e8 auch fchon 
wieder vergeſſen. Uebrigens ift das Stüd offenbar 
nad) einer alten Romanze bearbeitet, und er führt 
eben die Umftände noch einmal auf, wie fie dort vor: 
fommen. 

Aber wie vortrefflic die Scene, wo er den Brief 
feiner Geliebten erhält und ihn nur ftellenweije liest, 
weil man fo viel Süßes auf einmal nicht vertragen 
könne. Das Liebesgejpräh an der reja, ? und wie fie 


1 Der Ritter von Olmedo. 
2 Gitterfenfter. 











Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 149 


jo natürlich findet, daß er abreife, um feine Eltern 
nicht die Nacht über in Sorge zu laflen. Es ift ein 
Zauber der Natürlichleit über all diefen Scenen, der 
fih nur empfinden läßt. 

El bastardo Mudarra.i Die Geſchichte jener 
fieben Infanten von Lara, in all ihrer Chronifen- oder 
vielmehr romanzenartigen Urjprünglichfeit dargeftellt, 
bis auf die fieben Steine, die bie rachfüchtige Dona 
Lambra dem alten Bater täglich ind Bimmer werfen 
läßt, um ihn an den Mord feiner Söhne zu erinnern. 
Der Schluß übereilt, wie bei Zope häufig. 

La ilustre fregona.? Nah der befannten 
Novelle des Cervantes, aber, wenn ich mich recht er: 
innere, mit wejentlichen Berbefierungen, als Luſtſpiel⸗ 
bandlung betrachtet. Namentlich der den Herrn vor: 
‚tellenbe Diener als Liebhaber nach ber Mode, ber fich 
im Original nicht vorfindet. Weberhaupt das Ganze 
Tonfequenter und zufammenhängender, als es ſonſt bei 
den komiſchen Stüden Lope's der Fall ift, ein eigent- 
liches Luſtſpiel, jo daß es ohne Abänderungen auf 
der heutigen Bühne unfehlbares Glüd machen müßte, 
Höchſtens die Art, wie der Tomas zum Befite bes 
Bildniffes fommt, und bie Gewaltthätigfeitsgefchichte 
im legten At müßte etwas anders angedeutet werben. 

El nacimiento de Christo.? Ein wunder: 
liches Stüd, das mit dem Sündenfalle anfängt. König 
Adam und Königin Eva, von Unihuld und Gnade 
begleitet, werden durch die Schlange, Schönheit und 
Neid, verführt. Gott Bater tritt als Kaifer des 
Himmels auf und Gott Sohn als göttlicher Prinz. 

Uebrigens iſt mir bei biefer Gelegenheit aufgefallen, 


1 Der Baftard Mudarra. 
2 Die vornehme Kühenmagd. 
3 Die Geburt Chriſti. 


150 Studien zum ſpaniſchen Thenter. 


daß meines Willens noch nit darauf hingedeutet 
worden ift, welcher Akt der auch äußerlichen, ſym⸗ 
boliſchen Genugthuung darin liegt, daß die durch ben 
verbotenen Genuß des Apfels verlorene Reigheit, durch 
den Genuß des göttlichen Leibes wieder bergeftellt 
wird. Das Heilmittel ift wunderlich, aber großartig 
kombinirt. Gewiß, der Witz ift in das Chriftentbum 
nicht erit durch die Scholaitifer hineingelommen. 

Iſt der erite Akt metaphyſiſch und wunderlich, fo 
fteigt der zweite dafür ins Menjchenleben herab und 
iſt um fo beſſer. Driginell die Art, wie Joſeph und 
Maria aufgefaßt find. In aller traditionellen Noth 
und Entblößung, und doch der Föniglichen Abſtammung 
fi bewußt und als Könige ſich fühlenn.. Man wird 
an die alten Gemälde erinnert, mo Maria im Stroh 
des Stalles, aber zugleich in golbverzierten Kleibern, 
ihr Kind beforgt. Dann die Hütte der Hirten, viel: 
leicht zu fehr ausgefponnen, aber Zope liebt, ſich in 
die Einzelnheiten des Schäfer und Landlebend zu 
vertiefen. Gibt es etwas Anmuthigere® als dieſe 
Hirtin Delia, die den Kopf in die Kapuze und bie 
Hände in bie Aermel verftedt, vor Kälte trippelt, wie 
denn überhaupt die ganze Scene, den Froſt der Jahres: 
zeit und die Noth der obbachlojen Gehärerin, aufs 
Lebhafteſte verfinnlicht. Den größten Theil des britten 
Altes nimmt ein Gejellfchaftsfpiel der Hirten ein, nad) 
Art unjeres Schenkens und Logirens. Wohl etwas zu 
fehr ausgefponnen. Hierbei Erfcheinung des Engels. 
Joſeph und Maria fommen mit dem Kinde, offenbar 
von der Beichneivung, mas munderlich genug tft, aber 
ganz dem Taufen ber Kinder, gleich nach der Geburt 
entipricht. Ankunft der drei Könige mit Tänzen und 
Geſängen, wo ſich beſonders das Kauderwälſch der 
Mohren ſehr gut ausnimmt. Sie meinen, ihre Schwärze 





Ueber Lope de Bega’3 dramatiihe Dichtungen. 151 


zühre vom Sünbenfalle ber, und boffen nun alles von 
dem weißen Lamme. Schluß. 

Los Ramirez de Arreliano.! Zerfällt für 
und, troß ber Einheit der Hauptperfon und einigen 
fehr geſchickkt durch das Ganze mitlaufenden Neben- 
perſonen, ziemlich undramatifch in drei abgejonderte 
Begebenheiten, nad) Anzahl der Alte, für den Spanier 
aber, dem es die Verberrlichung eines feiner großen 
Gejchlechter und, was die Einheit gibt, die Gefchichte 
der Ueberſiedelung dieſes Gejchlechtes von Navarra 
nach Kaftilien war, mußte wohl ein Ganzes, aus den 
ſonſt auch ziemlich gejchicdt bie und da mit einander 
durchflochtenen Theilen, werden. Die Einzelnbeiten 
fo gut, ala es bei Zope fait immer der Fall ift. Der 
Schluß ein wenig gar zu objektiv, wo Enrique von 
Traftamara den König Pedro gegen fein gegebened 
Wort anfällt und fo gut, als meudelmorbet, der 
rebliche Arrelano aber, ohne ein Arges daran zu 
nehmen, in feiner Ergebenheit und Liebe gegen den 
Mörder beharrt. Im Dialog felbit einmal merfwürdig 
der Unterſchied zwiſchen honra und honor, ungefähr 
wie wir Ehren und Ehre unterjcheiben. 

Don Gonzalo de Cordova. Gleich der Anfang, 
die Liebesgefchichte des Spanischen Fähnrichs, Juan 
Ramirez, mit der neapolitanischen Dame Lifarda: mie 
er. in den Krieg zieht, Verzweiflung von beiden Seiten; 
doch kaum ift er fort, jo werden die Bewerbungen 
eined Nebenbuhler8 angenommen, und zurüdgelehrt, 
fie noch einmal zu fehen, findet er fie ſchon auf einer 
Luftpartie mit dem neuen Geliebten, das alles jo vor- 
trefflih, daß es dem Beiten an die Seite zu ſetzen it, 
was im Luſtſpiele je geleiftet worden ift. 


1 Die Ramirez von Arreliano. 


152 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Die darauf folgenden biftorifchen Perfonen, ber 
Baltard von Mannzfeld, der Biſchof von Dfta (2) ! 
und der Herzog von Bouillon von einer und Gonzalo 
von Cordova (natürlich nicht der gran Capitan), ? 
Baron Tilly und Franzisco Ibarra von der anderen 
Seite, treten nicht mit der Prägnanz auf, die Lope 
fonft in ähnlichen Fällen zeigt. Die komiſchen Aus- 
fünfte des Bebienten Barnabe über feine Berjon gegen 
den Feldherrn find übrigens jehr gut. 

Im zweiten Alt tritt eine flamändifche Dame, bie 
Geliebte des Mannsfeld, auf, der Barnabe, auf gut 
ftraßenräuberifch, eine Kette mit dem Bilde ihres Lieb- 
habers abnimmt. Aber auch Liſarda erjcheint wieder 
in Mannsfleivern, dem Fähnrih Juan Ramirez nad: 
reifend. Sie wird von ihm aus dem brennenden 
Dorfe gerettet, daS bie Lutheraner aus Rache ange: 
zündet. Kriegsrath der fpanifchen Feldherrn. Nun 
gewinnt auf einmal die Figur Cordova's für den Lefer 
die Haltung, die fie für den Zufeher gleich von vorn⸗ 
herein haben mußte. Wir erfahren nämlich, daß er 
ein noch junger Menjch, mancebo, ift, gegen melde 
Jugend die Ruhe und der Ernſt, die er bisher gezeigt, 
charakteriftifch genug abfticht. ‚Auch Mannsfeld kommt 
mit feiner Madama Lauretta, die von ihm drei Gaben: 
den Kopf Gorbova’3, die Hauptfahne der ſpaniſchen 
Armee und die Kette mit feinem Bildniſſe begehrt, bie 
ihr ein Spanier abgenommen, den fie nach deflen eigener 
Angabe als Barnabe, Marquez de los Arneros und 
Conde de la Sebada ? aus dem Haufe Lacaya ? bezeichnet. 

Im dritten Alt geht nun das Strafgericht über 


1 Oftad, Halterflad. 

2 Große Feldherr. 

3 Markgraf von den Sieben und Graf von der Gerfie. 
4 Haufe der Lafaien. 








Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 153 


die Lutheraner los. Sie werben gefchlagen. “Der 
Baftard und der ketzeriſche Biſchof bleiben. Aber auch 
der Fähnrich Namirez wird zur Raifon gebracht. Troß 
der Neue feiner Geliebten fchien ihm denn doch ihr 
Vergeben zu ftarl. Noch immer verliebt verweigert 
er doch die Berföhnung. Da befchließt fie, zu fterben. 
Sie ftürzt in die Schladht, erobert eine Fahne und 
fommt auf den Tod verwundet zurüd. Nun ift die 
Erbitterung befiegt, die Liebe behauptet ihre Rechte, 
und glüdlicherweife kommt die Sinnesänderung nicht 
zu ſpät, denn die Verwundung war nur erdichtet, und 
das Paar iſt vereinigt. Meberhaupt dieje ganze Liebes- 
gefhichte ein Feiner Diamant. Das Ganze jchliegt 
mit einer militärifchen Revue, die die Infantin Klara 
Eugenia über die fiegreichen Truppen hält. Eine gute 
Nebenfigur ift die Wirthin Sabina mit ihrem Kauber- 
wälſch, in dem das franzöfiihe bu (vous) und dag 
deutfche niti fieton (nicht verftebe) höchſt wunberlich 
abwechſelt. Und wenn man bevenkt, daß das gleid;: 
zeitige Begebenheiten waren, die den Beitgenofien in 
einem jo poetiſchen Kolorit vorgeführt werden konnten. 

La Liave de la honra.! Da ift nun wieder 
mein alter Zope de Vega, ohne feine fonft häufigen 
Widerfinnigfeiten, aber auch beinahe ohne Verwicklung, 
ober die vorhandene fo Tunftlos, daß fie faum fo ge 
nannt werden fann. Aber die Charaktere vol Wahr⸗ 
heit, die Tugend der Frau ohne Webertreibung, die 
Liebe des Mannes zu feiner Frau, ohne daß fie ihn 
unzugänglich madte für die Lodungen des Chrgeizes. 
Der Bebiente voll gefunden Humors und enblich die 
Rede, die Verſifikation von einem Fluß, von einem 
Wohllaut, daß fie fait zur Muſik wird, indeß fie ſich 


I Der Schlüffel der Ehre. 


154 Studien zum fpanifhen Theater. 


faum über die Profa erhebt. Wenn der Plan, die 
dramatifchen Werke Lope’3 herauszugeben, zu Stande 
fommt, nicht die Deutſchen werben ihn zuerit erkennen, 
fie find heutzutage zu natürlich; nicht die Engländer, 
fie find zu einfeitig in ihren Shakeſpeare verrannt; 
die Franzoſen werden zuerft feine Naturwahrheit heraus: 
finden, denn Seit ihnen ihre klaſſiſche Form verleidet 
worden ift, find ihre Beflern zugänglich für Alles, 

Mas pueden zelos que amor. ! Wenn da— 
mals die Verwidlung neu war, daß eine verlafiene 
Geliebte, oder vielmehr eine, bie erſt dadurch verliebt 
wird, daß ihr Geliebter eine Andere heirathen will, 
ihm nachreist und in Männerkleidern die neue Braut 
in fich verliebt macht, jo daß viele fie heiratben mill, 
jo mag das Stüd intereffirt haben. Sonſt ift nicht 
viel Gutes daran, als die Liebe, die erſt durch die 
Eiferfucht entjteht, und wie gleich anfangs ihre Ent- 
ftehung geſchildert wird. Nicht viel Natur, Feine guten 
Späße, fonft Hauptvorzüge Lope de Vega's. Scheint 
aud) in ſpäterer Zeit gejchrieben, wo fehon Calderon 
die Iangen Reden und ihre blumigen Ausſchmückungen 
in Mode gebracht hatte. 

El juez en su causa.? Ein ungemein leben 
diges Stüd, Die Begebenheit novellenartig übereilt, 
aber reich und gut gegliedert. Die Situationen 
mannigfaltig und eindringlich, die Figuren ſcharf von 
einander gefchieden und einen weiten Raum von Eri- 
ftenzen umfaflend. Das Ganze auf ein Publifum be 
rechnet, das interefjirt fein und empfinden, aber ſich 
diefer Empfindung nicht in dem Zwang einer nad): 
geäfften Wirklichkeit, fondern im freien Spiel des 
Märhens und ber Fabel bemußt werben will. Es 


1 Die Eiferfuht vermag mehr als die Liebe. 
2 Der Richter in eigener Sache. 





x 


Ueber Lope de Vega's dramatiiche Dichtungen. 155 


fehlt nicht an Momenten, die jeder Tragödie Ehre 
machen würden. Der Seelenzuftand Albano’3, wenn 
er fein Weib tödten laſſen will, und Rofarbo’3, wenn 
er die That vollführt und vollführt hat. Die meifter: 
hafte Scene, in ber Erfterer dem Lebtern den Mord: 
befehl gibt. 

Sn den embustes de Fabio! (Alt 2) macht 
er ſich felbft über die Freiheiten Iuftig, die er fich mit 
der Theatereinrihtung und Wahrfcheinlichkeit erlaubt. 
Aurelio, an der Thüre des Senators abgemiefen, 
befindet fih, ohne die Bühne zu verlaflen, mit einem 
Male vor dem Palaſte des. Kaiſers, da fagt er denn: 

cerca llegu& por aqui. 

Este es palacio, acä sale 
Neron nuestro emperador., 
que lo permite el autor, 
que desta industria se vale. 
Porque si acä no saliera 
fuera aqui la relacion 

tan mala y tan sin razon 
que ninguno la entendiera. ? 


Das ganze Stüd von einer ungeheuren Natur: 
auffaflung. Die großartige Sinnlichkeit dieſer Fabia, 
die alles bezaubert, was in ihre Nähe Tommt, fo daß 
felbft die verfchmähten, die hintergangenen Liebhaber, 
in der Mitte ihres Haffes fich gleich wieder von ihr 
angezogen fühlen, dabei die Stärke ihres Charakters, 
die mit dem Tode und allem Gräßlichen fpielt, und 


1 Betrügereien (Qügen) Fabio's. 

2 Hierher bin id von ungefähr gefommen, dieß ift der Palaft, 
hier geht Nero, unfer Kaifer, hinaus, denn fo geftattet e8 unjer 
Berfafler, der ſich dieſes Kunftgriffes bedient; denn wenn er bier 
nit hinausgehen würde, wäre gerade hier die Erzählung fo ſchlecht 
und fo unverfländig, daß Niemand fie verftehen würde. 


156 Studien zum fpanifhen Theater. 


am Ende fih gegen das Gute zu menden fcheint. 
Man muß jagen: Scheint, denn gegen das Ende find 
offenbar mehrere Scenen verloren gegangen, die der 
Herausgeber durch Wiedereinfchaltung früherer, nad 
einer anderen Lesart, ausgefüllt hat. Diefer Umftand 
zeigt, wie man mit dem Drud diefer Komödien über: 
haupt verfahren ift, und daß wir faum berechtigt find, 
aus dem, was wir haben, ein Urtheil über Zope zu 
fällen. Daneben bie Figur bes kindiſch verliebten 
alten Senators, die nichtänugige Zofe mit ihrem 
ſcharfen Verſtand bei aller Unverjchämtheit, und bie 
boch wieder zur Närrin des Burſchen Fabricio wird, 
in den ſie verliebt ift. 

Contra valor no ay desdicha.! Die Ge: 
Ichichte der Jugend des Cyrus. Von vorn herein recht 
gut und natürlih. Ein wenig ſonderbar, daß Aſtyages, 
da man ihm von dem Scherzlönige der Hirten erzählt, 
jogleih auf die Idee geräth, daß es fein Enkel fein 
dürfte, ben er getöbtet glauben muß. Das Webrige 
ordentlich und ganz in der milden Art bes Lope, daß 
das Gräuelmahl des Harpagus nur erzählt und zwar 
fo ſchonend als möglich erzählt wird. Gegen den 
Schluß geftaltet ſich das Ganze etwas fonderbarer, um 
den abftraften Titel zu rechtfertigen. Derlei Ideolo⸗ 
gien mögen dem fchlichten Zope durch das Beifpiel 
feines jüngern Mitwerber8 Calderon aufgedrungen 
worden fein, in feiner Anlage fommt derlei nicht vor. 
Die Viſion im dritten Alte fieht auf dem Papiere 
jonderbar aus, durch das Spiel und Haltung Fonnte 
fie aber wirtfam genug werben. Wenn babei ein Komet 
über das Theater gebt, fo muß man den Dichter um 
fein anfprucharmes Publikum beneiben. 


1 Gegen die Tüchtigleit fämpft daB Unglück vergebens. 








Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 157 


Sn der Vifion eine ſchöne Stelle, wo von einem 
Geefturm bie Rede ift: 


Con remolinos pretende 

el mar, que la nave suba 

& la que argentan estrellas 

por escalas de agua turbia. ! 


In einem andern Stüde vergleicht er noch viel 
vortrefflicher die See, die ein Schiff herumfchleudert, 
mit einem Stiere, der einen Menfchen auf den Hörnern 
ſpießt. (Es ift in juez en su causa). ? 

Las Batallas del duque de Alva.3 Ein 
ſehr artiges Stüd, auf die Sage gegründet, daß zur 
Zeit der Belagerung von Granada, in den Gebirgen 
der Peña de Francia, ein wilder Stamm gefunden 
worden fei, der noch von flüchtigen Gothen aus der 
Beit der maurifchen Eroberung herrührte. Das Ganze 
beinahe aus nichts gemadt. Die Wilden fehr gut ge: 
halten. Die übrigen Charaktere nach Lope's Art durd): 
aus nicht Scharf umriffen, und doch fo individualiſirt, 
daß fie Niemand gleichen, als fich ſelbſt. Dieſer völlig 
vornehme Herzog von Alba, diejer Liebhaber in feiner 
Hauspfficiantenhaltung, dieſe Geliebte, an der eben 
auch nichts Befonderes ift, und die durch die Lage zu 
einer Art Heldin wird. Wie klug er einlenft, wenn 
der Spaß aufs Höchfte geftiegen ift, und die ald Mann 
verkleivete Brianza, die Mutter geworben ift, ihrer 
wilden Geliebten weiß macht, daß in Spanien die 
Männer ſchwanger werden und gebären. 


1 Mit Wirbeln fordert das Meer, daß das Schiff auf Treppen 
von trübem Waſſer dorthin emporfleige, wo die Sterne filbern 
leuchten. 

2 Richter im eigener Sache. 
3 Schlachten des Herzogs von Alba. 


158 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


Las cuentas delgran Capitan.?! Vortrefflidh. 
Einmal der gran Capitan, das deal eines Spaniers 
aus der guten Zeit der Nation. Vor allem aber König 
Fernando. Ganz wie er war. Mißtrauiſch, arg: 
wöhniſch, ohne daß es dem Eintrag thut, was jein 
Zeitalter an ihm verehrte. Die beiden Hauptmomente, 
das Duell, das der Kapitän ftatt feines für feig ge- 
baltenen Neffen übernimmt, in dem er ihn felbjt durch 
Anbohrung des Nachens in Gefahr fett, zu ertrinten, 
ja ihn wohl gar ertränfen will; dann die Ablegung 
der Rechnung, von der das Stüd den Titel führt, 
wohl zu leicht angedeutet, ja im Augenblide der Dar: 
jtelung faum ganz auffaßbar und daher unklar. 

Es wird aber mit Recht vorausgefegt, daß Haltung 
und Spiel des Schauspielers das Fehlende ergänzten. 
Die Schlußfcene, wo der gran Capitan an der Tafel 
der Könige jpeist, wohl allerdings die Funftgemäße 
höchite Berklärung des Helven, aber daß deßhalb eigens 
die Berfonen, die wir zwei Minuten vorher in Neapel 
verlaffen haben, nach Frankreich verjebt merben, eine 
der dramatiſchen Wildheiten, die der Zeit angehören, 
Zope aber jo jchreiend fich dennoch felten erlaubte, 

El piadoso Veneciano.? Anfang und Ende 
jehr gut, die Mitte ſchwach. Anfangs befonders der 
Charakter ber tugendhaften Gattin und die Art, wie 
fie die Beiverbungen des vornehmen Verführers von 
fih weist. Am Schluß vortrefflich, wie der mittler 
weile berangewachfene Sohn des lebteren, in ver 
Abfiht, den Tod feines Vaters zu rächen, das Haus 
der verarmten und vereinjamten Lucinda aufitört und 
ihm nun ihre Tochter entgegentritt, das Abbild ihrer 
Mutter, Wie er, von ihrer Perfönlichkeit getroffen, 


1 Die Rechnung des gran Capitan. 
2 Der barmherzige Benetianer. 


Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 159 


das Vergehen feines Vaters und die Rache des be 
leidigten Gatten begreiflich findet. In der Perſon der 
Kinder fich das Verhältnig der Eltern wieberholt, aber 
gegenfeitig und rechtlich. In der Vereinigung ber 
beiden finden die vorhergegangenen Unthaten Abſchluß 
und Berföhnung. 

° La santa liga 1 von Zope de Bega. Die See: 
Ihlacht von Lepanto mit den ihr voraußgehenden und 
fie begleitenden Begebenheiten, dramatiſch behanbelt. 
Der Kaifer Solim mit feinen Liebſchaften, feiner Weich): 
lichfeit und ber durch alles dieß verurfachten Uneinigfeit 
unter feinen Feldherrn, ift gewiflermaßen der Träger 
der Handlung. Die Epifode von der in Sklaverei 
gerathenen Conftancia nicht bedeutend, ja bort, wo 
die beiden türfifchen Feldherrn aus Liebe zu ihr in 
Zwiſt gerathen, als gar zu ſpaniſch-komödienhaft, wohl 
gar ftörend. Dagegen ihr Kind, das alle Zumuthung, 
Mohamedaner zu werben, und das cortar cierta cosa ? 
ſtandhaft zurüdiweist, gewiß ungeheuer wirkſam für 
Spanier und jene Zeit. Die Scene, wo Solim. den 
Schatten feines Vaters fieht, großartig. Sehr gut 
wird man in fehnell wechfelnden Scenen durch Geſpräche 
einmal von Türken, dann von Chriften in der Kenntniß 
vom Gang der politifchen und kriegeriſchen Begeben- 
heiten gehalten. 

Bortrefflih endlich die Art, mie der Beitverlauf 
der Schlacht jelbft durch ein Geſpräch der perjonifi- 
cirten drei chriftlihen Nationen, Espana, Venecia, 
Roma, auögefüllt wird, indeß man im Hintergrunde 
den Bapft knieend für das Glüd der chriftlichen Waffen 
beten fiebt. Den Schluß machen zwei Spaßmacher, 


1 Die Heilige Liga. 
. 2 Ein gewiffes Ding beſchneiden. 


160 Etudien zum fpanifhen Theater. 


truhanes, die den Sieger mit wahrſcheinlich damals 
gangbaren Volksliedern empfangen: 

Muera el perro Soliman 

Vivan Felipe y don Juan. 1 


Udali, wenn er aus der Schlacht entflieht, ruft am 
Schluß einer längeren $ammerrede: 

Llevadme & Argel, reniego de Mahoma 

O & Meca, porque alli sus huessos coma!? 


Da mußte wohl dag Publikum vor Freude außer ich 
fommen ! 
In der Beichreibung. ver Schlacht eine vorzüglich 

lebendige Stelle: 

Ya paran el son horrendo 

Culebrinas y bombardas. 

A cuja musica fiera 

Cuerpos por el ayre danzan. 3 


El favor agradecido.? Sehr gut der Zug 
in der Nachticene, wo der furdtfame Graciofo, der 
beim erſten Zufammentreffen der beiden Nebenbubler, 
deren Einer fein Herr ift, die Flucht genommen hatte, 
das zweite Mal, nachdem er ſich gewaltfam in Zorn 
geiegt bat, kaum zurüdzubalten ift, brein zu ſchlagen, 
obgleih ihm fein Herr begreiflicdh macht, daß es gar 


nicht mehr Noth thue. Derlei Meifterzüge bei Zope ' 


jehr häufig. 
Webrigens die Gefchichte jener Königin (aus der 


168 fterbe der Hund Selim, hoch leben Philipp und Don 
Juan! 

2 Führt mih nah Algier, ih fluhe Mohammed und Melka 
und will feine Knochen verzehren. 

3 Schon ſchweigt der gräßlide Schall der Feldſchlangen und 
Donnerbüdfen, bei deren wilder Muſik die Körper durch die Quft 
tanzen. 

4 Die dankbar empfangene Gunfl. 


Ueber Zope de Vega's dramatische Dichtungen. 161 


Hecatomiti glaub’ ich), deren Liebhaber von einem 
Nebenbuhler getöbtet wird und die ihre Hand Jenem 
verfpricht, der ihr den Mörder liefere. Da ftellt fich 
diefer felbft und fordert den Breis, der ihm auch zu 
Theil wird. 

Sch habe das Stüd beim Leſen fo mit eigenen 
Gedanken vermifcht, daß ich nicht weiß, ob es gut ift, 
oder nicht. 

La hermosa Ester. 1 Grüne Augen offenbar 
damals eine Schönheit in Spanien, denn Ahasverus 
vergleicht die Augen der Königin Bafti mit Smaragden 
(Esmeraldas). (Auch bei Calveron tft oft die Rebe 
von grünen Augen.) 

Diefe hermosa Ester jcheint dem Anfange nad) 
zu urtbeilen ein vortreffliches Stüd zu fein. Wie das 
orientaliich Defpotifche in dem Berfahren Ahasverus 
dadurch gemilvert wird, daß eigentlich feine Hofleute 
. 3 find, die ihn bereden, die Königin Vaſti zu ver- 
ftoßen, daß fie es find, die Befehl geben, alle Jung- 
frauen von Schönheit und Verſtand follten der Wahl 
des Königs geftellt werden, indeß er felbit, in dem 
Andenken an die verftoßene und dennoch geliebte Vafti, 
fih unglüdlih fühlt. Einem neuern Dichter wären 
diefe Milderungen nahe gelegen, Zope de Vega aber 
müflen fie hoc) angerechnet werben. 

Welche ruhige Schönheit in dem Geſpräche zwischen 
Efther und Mardochai. Wie herrlich das Gebet der 
Either und wie glüdlih der Entſchluß Eſthers, fich 
por den König zu ftellen, aus dem Wunfche abgeleitet, 
ihrem leidenden Volke nüblich zu fein. 

Im Uebrigen aud ſehr gut. PVortrefflich der Ge: 
genſatz Hamans und Mardochai's. Wie der eitle Saman 

1 Die jhöne Eſther. 

Grillparzer, Werke. VIII. 11 


162 Studien zum fpanifchen Theater. 


fih beinahe Törperlich Frank fühlt über den Gebanten, 
daß ein Mann im Lande fei, der ihm die ſchuldige 
Achtung verfage. Die Scene, die wirkli auf dem 
Theater vorgeht, wo Haman das Pferd am Zaume 
führt, auf dem Marbohäus im Triumphe einherzieht 
und beibe fich über ihre Lage in funtraftirenden, länger 
fortgefegten Reden äußern, voll von jener naiven Sinn 
bildlichkeit, die im Dramatifchen von fo großer Wirkung 
ift, wenn das Publikum fich einmal aus jener engen 
franzöſiſchen Wahrfcheinlichkeit hinausgedacht hat, die 
der Berftörer alles Großartigen if. Der Gang des 
ganzen Stüdes überhaupt unſchuldig und fimpel, mie 
die Duelle, aus der es genommen. 

Diefer Zope de Vega bemeiftert ſich meiner mehr, 
als einem Dichter neuerer Zeit gut if. Er ift die 
Natur felbit, nur die Worte gibt die Kunft. Wir 
aber willen mit der gefunden Natur nicht? mehr zu 
maden, höchſtens ihre Extreme ſetzen und in Span- 
nung. 

El leal criado.1 Der erjte At fehr gut, die 
zwei folgenden ebenfo matt. Weberhaupt der erjte Alt 
unverhältnifmäßig ausgebilbet, ein hors d'œuvre, 
ein Stüd für ſich. Es ift ein Fehler, dem Lope in 
der Eruberanz feines Genies häufig ausgeſetzt ift, daß 
er die feiner Fabel vworausliegenden Begebenheiten, 
die etwa in einer einzelnen Scene hinlänglich exponirt 
wären, gern zu einem ganzen Alte anjchwellt, der fich 
dann zu dem Ganzen mehr wie ein Borftüd zum Nach 
ſtücke, als wie ein erfter Alt zu den übrigen Alten 
verhält. Mangel an Einheit der Handlung ift daher 
fein häufigfter Fehler. 

Im cavallero del sacramento ? wirft ſich Zope de 


1 Der treue Diener. 
2 Ritter des Salramentes. 








Ueber Lope te Vega's dramatiihe Dichtungen. 163 


Vega auf einmal in den hochtrabendſten Bombaft 
(1. Alt: Scene zwifchen D. Luis und D. Gracia), er, 
der ſonſt, vergleihungsmweife, jo einfach und natürlich 
iſt. Vielleicht ift das Stüd eines feiner fpätern, und 
er wollte feinen Zandsleuten zeigen, daß er aud jo 
hochpoetiſch fein Tünne, als Calderon und Andere. 

Luis de Moncaba tft eben im Begriff, feine Ge- 
liebte zu entführen, al3 er erfährt, daß eine nahe 
ftehende Kirche in Brand gerathen fei. Er verläßt 
das Mädchen, ftürzt in das brennende Gebäude und 
ift glüllih genug, „den Herrn des Himmels und der 
Erde” (die konſekrirte Hoftie) aus der Famme zu retten. 
(Er nennt fich daher aud in der Folge: ven Aeneas 
feines Gottes.) Ja feine Eufebie geht jo weit, daß, 
nachdem jenes Rettungswerk vollbradht, er doch An⸗ 
ftand nimmt, zur Geliebten zurüdzulehren, um nicht 
die Hand, die das Berühren feines Gottes geheiligt, 
unmittelbar darauf durch irbifches Thun zu entmweihen. 
Dona Gracia fühlt fich beleidigt und heirathet ven 
König von Sieilien. | 

Die Königin gibt ihrer Muhme, die gleichfalls in 
D. Luis verliebt tft, eine Ohrfeige, und diefe, aus 
Rache, verräth dem Könige die Anweſenheit des ehe: 
maligen Liebhaber feiner Frau. Der König ift im 
Begriff, den Nebenbuhler verbrennen zu laflen. Da 
ruft eine Stimme: fo rette ich den, der mich gerettet, 
und D. Luis und Criſpin verſchwinden durch die Luft. 
Sie fommen gerade zu rechter Zeit nad) Barcelona, 
um die Franzoſen zu fchlagen, die eingefallen find. 
Der Kronprinz bleibt, der regierende Graf ftirbt aus 
Gram. D. Luis folgt ihm nad u. |. m. 

Al senado le enfadan cumplimentos: 1 da3 Pu: 


1 Woͤrtlich: Den Senat langweilen Complimente. 


164 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


blikum liebt feine Weitläufigfeiten, am Schluß des 
verdadero amante 1 von Lope de Vega, könnte man 
als Motto über alle feine Komödien jegen. Sein 
Publikum wollte feine weitläufigen Motivirungen und 
Herbeiführungen; die Situation und ihre interefjante 
Durchführung war alles, mas fie verlangten, und das 
bat Zope geleiftet mie Keiner. 

Er beflagt fich ſelbſt (in der Vorrede zum 15. Bande), 
wie es ihm gar nicht mehr möglich ſei, feine Stüde 
auf ihre urfprüngliche Geftalt zurüdzubringen, fo ſeien 
fie von Andern geändert und verunftaltet tworben. 

Als ob er für heutige Deutfche gejchrieben hätte, 
jagt er bei diefer Gelegenheit: caso notable, que tengan 
muchos por bueno aquello solo, que no entienden: 
ereo que tienen razon: porque desconfiando de sus 
juycios les paresca cosa de poco ingenio, la que con 
facilidad alcanza el suyo. ? 

Es ſchwebt ein eigenes Unglüd über Zope de Vega. 
Da ift diefe mal casada. 3 Die erften beiven Alte fo 
ſchön, der Dialog fo vortrefflih, die Empfindungen fo 
wahr, als je irgend etwas gejchrieben worden ift, und 
der dritte Alt ein fo vollkommener Unfinn, daß ber 
legte Schmierer fich deflen ſchämen würbe. Alles Folge 
feiner Bielfchreiberet und Uebereilung. Aber unbejchreib: 
Ich ift der Zauber diefer beiden erften Akte, den ich 
mit nichts vergleichen Tann. 


1 Wahrhafte Geliebte. 

2 Merkivürbigerweife halten Biele nur das für gut, was fie 
nicht verftehen, ich glaube, daß fie Recht haben, denn, ihrem eigenen 
Uriheile mißtrauend, ſcheint ihnen das nicht geiftreih zu fein, mas 
ihr eigener Geift leicht verfteht. 

3 Uebel Vermählte. 








Weber Zope de Bega’3 dramatiihe Dichtungen. 165 


Sn dem 3. Bande der Obras de Lope de Vega, ! 
der eigentlich eine Sammlung von Stüden verſchiedener 
Autoren ift, kommt ein Entremes de los Romanos ? 
vor, ohne Namen des Verfaflers, aber offenbar von- 
Lope, nicht wegen des übrigen Inhaltes, der eine 
ziemlich Schlechte Nachahmung de3 Don Quixote ift, 
fondern wegen einer Scene zwilchen einem unmünbdigen 
Buben und einem eben ſolchen Mädel erwähnenswert, 
die, indem fie nur von Flinderfpielereien reden, doch 
eine folche Züfternheit kundgeben, daß fie denn endlich 
auch auf dem Söller des Haufes in jo unzmeibeutiger 
Lage gefunden werben, daß man fich genöthigt ſieht, 
fie jchlieglich mit einander zu verheirathen. : Das ift 
ehr unanftändig, ja unfittlih, aber mit einer ſolchen 
Naturwahrheit und — ich habe Fein anderes Wort — 
mit einer ſolchen Süßigfeit gefchrieben, daß nur Zope 
de Vega und nur in ſpaniſcher Sprache ſo etwas 
fchreiben Tonnte. Ueberhaupt find derlei etwas Jchlüpfrige 
Stellen eine der Hauptftärfen Lope’d. 

Wenn Semand in Lope de Vega's exemplo de 
casadas 3 für die Wahrheitstreue des Stüdes auftreten 
wollte, fo fünnte man ihn fehr gut auslachen. Eine 
Mutter, die, da ihr Gemahl und Landezfürjt befiehlt, 
ihre Kinder auszuliefern, um fie zu tödten, ohne viel 
Bedenken die Kinder wirklich ausliefert, ſcheint denn 
doch gegen alle Natur zu fein. Lope ift aber dem 
Geifte der allgemein verbreiteten Erzählung und der 
Meinung treu geblieben, die ganz Spanien von diefer 
Frau (Grifeldis) hatte, und fo entfteht eine eigene 
Wahrheit, die eine poetifche und daher wieder Natur: 


1 Werte von Lope de Bega. 
2 Zwiſchenſpiel von den Römern. 
3 Borbild der VBermählten. 


166 Studien zum fpanifhen Theater. 


wahrheit ift. Eine Wahrheit nicht in der Sache, fon- 
dern in den Gemüthern. 


Dios hace reyes. 1 Herzog Dtto von Polen und 
fein Vertrauter Floriberto treten auf. Man erfährt, 
daß Otto ein Gegner des eben erwählten Kaiſers Konrad 
ift, und Floriberto gibt ihm den Rath, ſich, da die 
Partie nun fo ungleich ftehe, zu unterwerfen und 
Berzeihbung anzufuchen. 

Ein Diener meldet einen fremben Ritter an. Er 
trifft ein. Es ift Graf Leopoldo mit feinem Weibe 
Citela auf der Flucht vor ven fiegreichen Waffen des 
Kaifers, nur eben jebt befiegt. Der Muth beider ift 
aber noch nicht gebrochen, fie finnen neuen Widerſtand, 
ja Leopoldo hofft mit Otto's Unterftüßung wohl noch 
einmal den Kaifer vom Throne herabzuftürzen. Otto 
zeigt fich von gleichen Gefinnungen belebt. Als aber 
das flüchtige Paar ſich entfernt hat, findet Floriberto's 
Einflüfterung, daß durch ihre Auslieferung an den 
Kaifer die Verfühnung mit diefem am vortheilhafteſten 
eingeleitet werben könnte, nur zu fchnellen Eingang, 
und die Einwürfe der Ehre werden durch bie razon 
de estado ? fiegreich befämpft. Hierauf werden wir 
unter die Feniter Fauftina’3 verſetzt, der ber fiegreiche 
Kaifer auf gut fpanisch den Hof macht. Nach einem 
kurzen Geſpräch mit ihr erfcheint Otto's Vertrauter 
Floriberto und bietet ihm die Auslieferung des flüch⸗ 
tigen Rebellen an. Scheinbar einwilligend, fendet doch 
der Kaifer, ſobald Jener fich entfernt hat, feinen 
Diener Leonivo, um den Grafen Leopold von dem 
Verrath zu unterrichten. 


1 Gott maht die Könige. 
2 Staaisklugheit. 








Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 167 


In einem Gefpräce Dito’3 mit einem andern feiner 
Vertrauten, Albano, erfahren wir, daß der wetterwen⸗ 
diſche Herzog von der Schönheit Eftela’3, ver Gattin 
Zeopoldo’3, bezaubert morden if. Dazu kommt da3 
verfolgte Ehepaar und ſetzt durch feinen lebhaften Danf 
für. den gewährten Schub das Schändliche in Otto's 
Benehmen in noch grelleres Licht. Yloriberto, zurüd: 
gelommen, feßt durch ein Aparte in Gegenwart der 
BVerratbenen den Herzog vom Erfolg feiner Plane in 
Kenntniß. Man bejchließt, Leopoldo noch in derſelben 
Nacht gefangen zu nehmen. Sie gehen, und mährenb 
Leopoldo noch einmal feinen Dank ihm nachſpricht, 
fommt bes Kaiſers Diener Leonido mit der blutigen 
Enttäufhung. Leopoldo beichließt, zu fliehen, und 
fühlt den Grol gegen feinen großmüthigen Feind mit 
einem Male verjchwinden. 

Der Kaifer und Fauftina, Liebesgefpräh. Wir 
erfahren, daß die Kaiſerin ſchwanger iſt. Fauftina 
wünſcht ihm einen Sohn und Erben. Da meldet ein 
Diener, daß die Kaiferin, von Eiferfucht gekränkt, mit 
einem tobten Prinzen nievergefommen fei. Der Kaifer, 
außer fi, verwünſcht Liebe und Eiferjucht. Eine Art 
Zerftörungsluft bemächtigt fich feiner. Er gebt auf die 
Jagd, die Leidenfchaften mit wilden Thieren verglei: 
chend und vermwechjelnd. 

Amarilis und Laura, ein Liebespaar, treten auf. 
Dazu die Köchin Silvia und der Rüpel Bato, ber eben 
wegen Näfcheret aus der Küche gejagt worden ift. 
Komiſche Erzählung des Vorgangs. Hierauf Leonido, 
der eine Unterkunft für den Grafen Leopoldo und 
Eftela ſucht. Bato fieht durch diefe Ankömmlinge feinen 
Antheil am Abendmahle verfürzt, und da er hört, daß 
die Frau Schwanger und nächſt am Gebären jei, wird 
auch das Ungeborne unter die Gäfte gezählt. Leopoldo 


168 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


und Eftela fommen und werden ind Haus geführt. 
Zu Bato, der allein bleibt, kommt Laura mit ber 
Nachricht, die Gräfin habe einen Knaben geboren. 
Der Kaifer mit Jagdgefolge. Neue Verzweiflung 
Bato’3. Silvia und Amarilis bringen das neugeborne 
Kind. Sie beiprechen e8, wie nur Lope es Tann: 


Amarilis. Bendigalo el cielo, amen! 
‚Que cara? 
Silva. Es un angel bello. 
Amarilis. ;Que oyos? y ‚que cabello? 
vida los cielos te den. 
Silva. Es hecho de mil pinceles 
de mil oros, de mil platas. 
Amarilis. Parece, que sobre natas 
han deshojado claveles 
‚que dezis? riendo estä. 
;Ay tal gracia? 1 


Der Kaifer befieblt, das Kind ihm zu bringen, bas 
ihm fo viel Neid erregt. Indem er es bewundert 
und liebfost, ruft eine Stimme von innen: Diefer 
wird dein Nachfolger fein. Der Kaifer entſetzt ſich, 
hofft aber doch, es könne eine Täufchung geweſen fein. 
Da wiederholt diefelbe Stimme: Er wird nad dir 
regieren! Nun befchließt der Kaifer, das Kind zu töbten, 
und übergibt e3 Leonido zu diefem Ende. Die Andern 


I Amar. Der Himmel fegne es, Amen! 

Was für ein Antlig! 

Silv. 68 ift ein ſchöner Engel. 

Amar. Welche Augen? und weldes Haar? 
Der Himmel fchente dir das Leben. 

Silv. Es ift mit taufend Pinfeln von tauſendfachem 
Gold und Eilber gemadit. 

Amar. Als hätten Nelken ihre Blätter 
auf Milh fallen laſſen. Was jagft du? 
Es lacht, gibt es ſolche Anmuth? 





Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 169 


aber macht er glauben, er habe es zu einer Wärterin 
gefendet, welche unter feinem Gefolge fich befinde. 
Graf Leopoldo kommt und ftattet dem Kaifer den 
Dank für feine Verzeihbung ab. Da der Kaifer fi 
entfernt bat, fragt Xeopoldo um fein Kind, und nun 
glaubt diefer zu erfennen, der Tyrann habe an dem 
unfchuldigen Sprößling die Vergeben des Vaters rächen 
wollen. Bortreffliche Scene. Er eilt fort, den Mörder 
zu tödten oder fich jelbjt dem Tode anzubieten. Die 
Zurüdgebliebenen ſprechen ihre Bejorgniß aus, das 
Ereigniß werde der Gräfin den Verftand oder das Leben 
foften. Bato fchließt den Akt mit ber Hoffnung, bei 
der allgemeinen Verwirrung alleiniger Verzehrer des 
Abendeſſens zu bleiben. 

Den zweiten Alt eröffnet Leopoldo, jetzt ſchon alt, 
in Felle gekleidet, von Enrique verfolgt, der ihn für 
ein wildes Thier bielt. Wir erfahren, daß Leopoldo's 
Gattin, Eitela, deſſelben Tages geftorben ſei, und 
Enrique, allein geblieben, öffnet vie Thüre einer Höhle, 
in der man die Berftorbene, in Felle gefleivet und ein 
Buch in der Hand, in ſitzender Stellung erblidt. Enrique 
fühlt fi) von dem Anblide wunderſam ergriffen, und 
er nimmt das Buch aus den Händen der Leiche, um 
etwas Näheres von den Schidfalen des merkwürdigen 
Paares zu erfahren. 

Dorifta und Luzela. Lebtere Spricht in einer wun- 
derhübfchen Stelle ihre Liebe zu Enrique und ihre 
Hoffnungslofigleit aus. Man merkt bald, dag Dorifta, 
Enrique’3 vermeintliche Schwefter, was die Liebe be- 
trifft, in einem gleichen alle ift. Enrique Tommt, er 
hat in dem Buche die Gefchichte feiner Eltern gelefen, 
‚von denen er aber noch nicht weiß, daß fie es find, 
fo wie er in Doriften bald feine Schwefter fieht, bald 
die Wünjche des Liebhabers gegen fie empfindet. Gr 


170 Studien zum [panifhen Theater. 


hat einige Ahnung, daß er ber ausgeſetzte Sohn Leo⸗ 
poldo’3 fein könne. Sowohl um dem Wiberftreit feiner 
Empfindungen zu entgehen, ala Gewißheit über fich 
ſelbſt zu erhalten, bejchließt er, in die Welt und zwar 
an den Hof zu geben. 

Der Kaiſer mit dem Pfalzgrafen Roland und Gefolge 
tritt auf. Der Herzog von Polen, Otto, hat neuerdings 
Unruhen erregt. Der Kaiſer beſchließt, ein Heer gegen 
ihn zu ſenden, und der Pfalzgraf erhält das Kommando. 
Aus den Aeußerungen des Kaiſers, namentlich aber aus 
einem Monologe Rolands geht hervor, daß dieſer die 
Hand von des Kaiſers einziger Tochter Teoſinda und 
mit ihr die römiſche Königskrone zu erhalten hofft. 

Enrique, angelangt, trifft mit einem Diener des 
Pfalzgrafen Rufino zuſammen und wird nach einigen 
recht guten Wechſelreden über Hof und Welt, von 
jenem unter dieſelbe Dienerſchaft aufgenommen. Sie 
gehen, und Doriſta tritt in Männertracht auf. Sie 
hat aus Liebe zu Enrique ihren Vater verlaſſen und 
beſchließt, erſteren aufzuſuchen. Einige Hofherren kom⸗ 
men, von einer Verſammlung ſich unterhaltend, die 
der Kaiſer angeſagt und in der, wie ſie vermuthen, 
er den Gemahl ſeiner Tochter und ſeinen Nachfolger 
bezeichnen werde. Doriſta wendet ſich fruchtlos an ſie 
um Auskünfte über ihren Bruder. Rufino, der zurück⸗ 
bleibt und dem der junge Menſch gefällt, nimmt ihn 
in Dienſt als Page für Enrique. Einige nicht gar 
ſaubere, aber ſehr komiſche Andeutungen über das 
Pagenleben. Er fragt ſie: 

Teneis sarna? 

Dor. No. 

Ruf. Pues bien 
luego no estais graduado 


de page. 








Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 171 


Dor. 


Ruf. 


Dor. 


Ruf. 


Dor. 


No, que he estudiado 
limpieza. 

;Hermoso desden! 
iSin sabanas muchas noches 
avreis dormido? 

Callad 
que es mucha riguridad. 
Poyos y caxas de coches 
ya os deben de conocer. 
Camisa, una, y ninguna 
mientras se lava, si alguna 
08 haze tanto placer. 
;Alcahuete? ya avreis sido 
deste oficio. 

Bien supiere u. }. w. ! 


Berfammlung der Großen des Reichs, der Kaifer 
erklärt feinen Entſchluß, einen Nachfolger zu ernennen. 
Die Brätendenten prahlen jeder, fo gut er fann. Der 
Kaifer läßt einen Xorbeer bringen (laurel, wohl Kranz 
oder gar Krone). Die Aeußerungen der Bewerber 
haben ihn mißtrauifch gemacht. Indem er mwählend. 
herumblidt und endlich fich beftimmt, fällt ihm ver 
Kranz aus der Hand, Enrique, der dienend daneben 


1 Ruf. Habt Ihr die Kräße? 

Dor. Nein. 

- Ruf. Nun wohl, dann feid Ihr als Page nit graduirt. 

Dor. Ih babe mich der Reinlichkeit befleißigt. 

Ruf. Zu was fo zimperlih! Ihr werdet viele Nächte ohne 
Betttuch geſchlafen haben. 

Dor. Schweigt, das iſt zuviel. 

Ruf. Steinbänke und Kutſchenkaſten werdet Ihr ſchon noch 
kennen lernen. Gin Hemd, und während man ſich 
wäfht keines, wenn Euch an diefem eiwas daran 
liegt, und habt Ihr Euh im Kupplergefhäft ſchon 
umgethan? 

Dor. Ich werde wiflen u. f. w. 


172 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ftebt, hebt ihn auf. Der Kaifer, wahrfcheinlich darin 
eine Vorbedeutung fehend, frägt ihn, wer er fei. 
Enrique erzählt mit kurzen Worten fein Schidfal, und 
daß er weder Vater noch Mutter Tenne. Der Kaifer 
hebt die Verſammlung auf, verfügt aber zugleich, daß 
die Grenzen feines Reiches Fünftig Jedem unterfagt 
fein follen, der feine Eltern nicht anzugeben vermag. 
Ja er verbannt Enriquen, wenn er binnen brei Tagen 
diefer Forderung nicht genüge. Enrique antwortet 
ganz ruhig: Gran Sehor, Dios haze reyes, y los 
hombres leyes. 1 

Es wird ihm fein junger Page vorgeftellt. Beide 
erfennen fi), verheimlichen e8 aber. Auf die Ermab- 
nung Rufino's nicht traurig zu fein, erwidert Jener: 


Bien dices 
Dios haze reyes, que temo 
los leyes, que hazen los hombres 
a su voluntad sujetos. ? 


Im dritten Akt ſehen wir dag gegen Herzog Dito 
gefendete Heer unter Rolands Anführung, fiegreich 
zurückkehren. Enrique hat fich ausgezeichnet, aud) Do: 
‚rifta als Page Celio wird rühmlich erwähnt. Der 
Kaiſer aber, aufgefordert, Enrique zu belohnen, be: 
harrt darauf, erſt wiſſen zu wollen, mer fein Bater 
geweſen jei. 

Rufino, mit Enrique zurüdgeblieben, gibt dem 
Süngling den Rath, irgend Jemanden zu fuchen, ber 
fih für feinen Vater ausgeben wolle. Graf Leopold, 
der in jtandesgemäßen Kleidern eben dazufommt, wird 


1 Hoher Herr! Gott lenkt und der Menſch dentt. 

2 Wohl fagft du, Gott mat die Könige, denn ih fürdte die 
Gefege, welche die Menſchen, den ihrem Willen Unterworfenen, vor⸗ 
ſchreiben. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 173 


um den Liebesbierft angegangen, und er iſt bereit 
dazu, um fo mehr, als die beiben fi von ihrem 
Sagbabenteuer her wieder erkennen und ber Graf eine 
Ahnung hat, daß Jener wirklich fein Sohn fein könnte. 
- Auch) Dorifta jol wieder weibliche Kleider nehmen und 
für Enrique’3 Schweſter gelten. 

Zu Rufino Tommt der Pfalzgraf Roland, und da 
er Doriſta's Umwandlung erfährt, zeigt fih, daß er 
Neigung gegen fie fühle, vie Rufino auf Kupplerart 
ans Ziel zu bringen verfpricht. 

Zum Raifer, der trübfinnig eintritt, fommt ber 
Pfalzgraf Roland und macht ihm die beftigften Vor—⸗ 
mwürfe über feine Undankbarkeit, und daß er ihn nicht 
zum Nachfolger beſtimmt, wie bejchloffen war. Er geht, 
und ber Kaifer, höchſt erzürnt, äußert, er molle jene 
Wahl fo fehr von feinem eigenen Gefallen abhängig 
madjen, daß: fie den erften Soldaten treffen folle, der 
eintreten werde. Kaum ausgeſprochen, tritt Enrique 
ein, was denn der Raifer al3 eine neue Vorbeveutung 
aufnimmt. 

Enrique ift eigentlich gefommen, um dem Raifer 
feinen improviſirten Vater Leopolbo vorzuftelen. Da 
diefer auf die Fragen des Kaiſers über feine eigene 
Abkunft ſich ausweichend erflärt, erwacht in Jenem 
von Neuem die bee, daß er in Enrique doch vielleicht 
den ihm Gefahr drohenden Sohn feines alten Feindes 
vor fich babe. 

Die Gunſt, die ver Pfalzgraf Roland verfcherzt hat, 
wendet der Kaifer dem Herzog Celio zu. Er befiehlt 
feinem Sekretär, eine Ausfertigung zu deſſen Gunſten 
berbeizubolen, vie in feinem Kabinette liegt, wo ſich 
auch eine zweite für Enrique befinde. SHerbeigebradt, 
händigt der Kaiſer die beiden Gnadenbriefe aus und 
geht. Dabei gefchah aber eine Verwechslung, denn 


174 Studien zum fpanifhen Theater. 


als Herzog Celiv den feinen liest, findet er darin eine 
Schenfung von zehntaufend Dulaten, worüber er in 
Wuth geräth und Aufruhr und Verderben droht, indeß 
Enrique fih zum Grafen von Schwaben ernannt fieht, 
dem eriten Fürftentbum Deutjchlands. 

Rufino macht Doriften in des Pfalzgrafen Namen 
Anträge, die diefe zurüdweist. Sie geht. Der Pfal;- 
graf kommt und erfährt von Rufino ſowohl die Ab: 
weifung feiner Bewerbungen, ala Enrique's Standes: 
erböhung. Indeß Rufino auf etwas Gemalttbätiges 
gegen Doriften zu finnen fcheint, hat dagegen die ver: 
änderte Lage der Berfonen offenbar günftigen Einfluß 
auf die Gefinnungen des Pfalzgrafen gehabt. 

Nach einer kurzen Scene zwiſchen dem Kaifer und 
Rufino, in welcher legterer endlich auch zu einer Be: 
lohnung von zweitaufend Dukaten kommt, überlegt 
Konrad, mem er feine Tochter zur Ehe geben fol, und 
beichließt envlich, fie dem Grafen (mahrjcheinlich meint 
er den Pfalzgrafen) zu geben. 

Da tritt Enrique plöglich ein und dankt ihm für 
diefe neue Gnade. Da du deine Tochter dem Grafen 
geben willſt und mich eben zum Grafen gemacht haft. — 
Zum Grafen? Das Mißverftändnig durch die ver- 
wechſelte Schrift erklärt fih. Der Kaiſer begreift, 
daß gegen fo viele Schidfalsnäthigungen Tein Mittel 
bleibt, als die Tödtung des Trägers fo vieler Anzeichen. 

Er befiehlt ihm, einen Brief der Kaiferin zu über: 
bringen, und gebt bin, diefen zu jchreiben. 

Mährend einer Scene in Leopolds Haufe, da ber 
Pfalzgraf ihm und Doriften feinen Glüdwunfch über 
Enrique’3 Standeserhöhung barbringt, dringt Rufino 
mit drei Dienern, jämmtlich verlarut, ein und rauben 
Doriften. 

Enrique, auf dem Wege zur Kaiferin, kehrt bei 





Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 175 


einem Schüler ein. Während er auf die Poſtpferde 
wartet und feinem Wirth auf die gutmüthigfte Art 
Protection am Hofe veripricht, ſchläft er ermüdet ein. 
Der Schüler betrachtet das Taiferliche Schreiben, das 
Jener auf den Tiſch gelegt hat, und da er fieht, daß 
man es eröffnen Tann, ohne das Siegel zu verlegen, 
fo thut er eg. Er liest nun den Auftrag an die Kat: 
ferin, den Weberbringer des Briefes augenblidlich töbten 
zu laflen. Der gutmüthige Schüler radirt das Schrei- 
ben und ändert es dahin, daß die Kaiferin den Ueber: 
bringer auf der Stelle mit ihrer Tochter zu vermäh— 
len babe. 

Die Kaiferin mit ihrer Tochter Teofinda. Enrique 
langt an. Die Kaiferin liest den Brief, verwundert 
fih, ift aber bereit, zu gehorchen. Die Tochter vep- 
gleichen, wenigſtens freut es fie, daß ber Bräutigam 
gut ausfieht. Der Bilchof von Trier wird gerufen zur 
Bermählung. 

Leopoldo und Dorifta; fie fühlt, daß durch die ihr 
geichehene Schmach Enrique für fie verloren ift. 

Dazu der Kaifer und der Pfalzgraf. Der Kaifer 
hat bereits erfahren, daß jenes Kind, das er vor Jah⸗ 
ren zu töbten befohlen, nicht getöbtet, jondern nur 
ausgeſetzt worden fei. 

Die Kaiſerin kommt und berichtet, daß fie den er: 
haltenen Befehl ausgerichtet. — Alſo ift er todt? — 
Todt? Verheirathet. Nur vor Kurzem gingen fie zu 
Bette. Er liest den corrigirten Brief, erfennt bie 
Hand des Himmels und befchließt, einzumilligen, da 
er nichts ändern kann. Leopoldo gibt fich als ber, 
der er tft, und Enrique’3 Bater zu erfennen. Die 
Borbedeutungen find erfüllt. Das neue Ehepaar er: 
Icheint, und ein zweites macht fi im Pfalzgrafen und 
Doriften. ' 


176 Etudien zum Spanischen Theater. 


La discreta enamorada.! Der feltene Fall 
einer durchgeführten oder wenigftens durch den Verlauf 
immer genährten Intrigue. In der That nit von 
der feinften Art, und troß der Heftigfeit ber Leiden— 
Schaften in jener Zeit fo ftoßmeife geführt, daß eben 
nur ein damaliges Publifum es für baar annehmen 
fonnte. Der Anfang in der beiten Lope'ſchen Manier, 
bald wird aber auch bie discreta enamorada in den 
wirbelnden Herentanz bineingezogen. 

Sehr witzig die Erzählung der Gerarda, wie ſie, 
der ſchlechten Geſellſchaft (Compagnie) ihres Gatten 
überdrüſſig, ſich einen Fähndrich wählte, mit dem fie 
in Wort und Werk ſechzehn Monate marſchirte, bis 
der Neid die Trommel ſchlug und der Gatte, um die 
Geſchützſalven auf ſeine Ehre zu hintertreiben u. ſ. w. 

La Portuguesa.? Mag ſeiner Zeit ſehr gefallen 
haben, wenn die Heldin des Stückes eine vortreffliche 
Schauſpielerin war, die das Radbrechen des Portugie: 
fiſchen graziös vorbrachte. Sonft lauter oft dageweſene 
Verwicklungen. Celia ſogar ohne jene Kunſt oder Natur 
(was auf eins herausfommt), mit der ſonſt Zope derlei 
Figuren auszuftatten weiß. Ob die Liederlichleit jener 
Zeit fo groß war, daß eine muger principal 3 ver: 
mummt zu einem Fremden aufs Zimmer fommt, um 
feine Bekanntſchaft zu machen, und ob daher das Er: 
eigniß nur einen Schatten von Wahrjcheinlichkeit bat, 
fann man jetzt nicht beurtheilen. Zuletzt regnet e3 
die improvifirten Heiratben, die Taufende von Dulaten 
und die allgemeine Zufriedenheit. 

El maestro de danzar. ? Ein armer Edelmann, 


1 Die Huge Verliebte. 
2 Die Portugiefin. 
3 Bornehme Frau. 
4 Der Zanzmeifter. 





Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 177 


der fich in eine der beiden Töchter eines reichen Hibalgo 
verliebt und, ohne Ausfiht, fie zu erhalten, fich im 
Haufe als Tanzmeifter aufnehmen läßt. Wer erwartet 
da nicht, daß er während der Lection ſich das Mädchen 
nach und nach geneigt machen wird? Aber beim erſten 
Zufammentreffen hat fie fich jchon in ihn verliebt und 
die Tanzlectionen dienen nur dazu, um verdächtiges 
Beifammenfein zu masliren. Daneben läuft eine In— 
trigue der ältern, bereits verlobten Schweſter, die einen 
andern Liebhaber der jüngern auf Rechnung dieſer 
legten „genießen“ mwil. Der Tanzmeiſter trägt die 
Briefe bin und ber, verwirrt die Sache und erzeugt 
ſehr mohlfeile und abgefchmadte Verwidlungen. Die 
Tanzlectionen machten wohl, als Neuheit, den Haupt: 
ſpaß aus. 

Lo que estä determinado. I Ich fchäme mid 
faft, niederzufchreiben, daß dag Stüd mit Ausnahme 
des dritten Altes mich fehr unterhalten bat. Sch ſchäme 
mid, denn es fommen barin fo unerhörte Grauſam⸗ 
feiten vor. — Ein Großvater, der feinen Enfel ermor: 
den läßt wegen eines Traumes, der ihm Gefahr durd) 
Senen droht und der dann wieber auf die Vermuthung, 
daß jein mit dem Mord Beauftragter den Auftrag 
nicht vollzogen babe, dieſem fein eigenes Kind zum 
Eſſen vorfegt — alſo diefe unerhörten Graufamleiten 
haben mich nicht geftört, weil die Sache dadurch in 
die Reihe der Kindermärchen Tommt, die alle unerhört 
graufam find. Zugleich find die ländlichen Scenen und 
der erjte Akt, wie bei Zope alle eriten Alte, fo gut, 
daß es mir Vergnügen gemacht bat. Lope bat nicht 
einmal allen Vortheil aus der allbefannten Fabel ge: 
zogen, ſondern begnügte fich mit feiner bequemen 


1 Was befchlofjen ift. 
Grillparzer, Werke. VII. 12 


178 Studien zum Spanischen Theater. 


Schleuberhaftigfeit, fich mit beliebten Knalleffecten ab- 
zufinden. 

San Diego de Alcalä.! Da ift denn doch bes 
Abfurden gar zu viel und nicht einmal das eingemifchte 
Halblomifche, fowie die vorfommenden Wunder fchla- 
gend genug. Da wir übrigens nicht den ächten Glau- 
ben haben, fo können wir auch nicht begreifen, mie 
bie damaligen Leute in derlei Stüden tie in einem 
Spiegel ſich ſelbſt und ihre Heberzeugungen wieder: 
fanden. Wahrfcheinlich zum Behuf irgend eines kirch⸗ 
lichen Feſtes gefchrieben. 

Los donayres de Matico.? Eines ber ſchwäch⸗ 
jten Stüde von Lope de Vega. Nicht ald ob nicht 
andere eben jo abgefchmadt wären, aber Taum ift eines 
fo leer. Außer der Scene, wo Rugero im Lateiniſchen 
unterrichtet wirb und ihm die Rebetheile und Bara- 
digmen Gelegenheit zu einigen Doppelfinnigfeiten und 
Wortfpielen geben, ift kaum eine zweite, die irgend 
des Beachtens werth wäre. Daß zulegt Prinz und 
Prinzeflin, die aus Liebe von Hofe entfloben find 
und ſechs Sabre in der Wildniß gelebt haben, 
jedes mit einem Fremden fich verheirathet, doch gar 
zu ſpaniſch. 

El perseguido. 3 Das ift nun eines von Lope 
de Vega's guten Stüden. Die Charaltere bis auf das 
Ungemefjene der Leivenfchaften und das Abenteuerliche, 
das nun einmal in ber Nation, dem Gejchmade der 
Zeit und in Lope de Vega felbit liegt, vortrefflich ge: 
halten. Namentlich diefer Herzog Arnaldo. Auf dieſe 
Art die Mitte zwiſchen Güte, Schwachheit und Ehren: 

haftigfeit zu halten, ift nur dem wahren Dichter 
1 Der beil. Jakob von Alcala. 


2 Die Witzworte des Matico. 
3 Der BVerfolgte. 





4 


Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 179 


gegeben. Jede einzelne Aeußerung hängt durch innere 
Anſchauung mit den gegebenen der Figur zujammen. 
Die Herzogin kann von vorneherein mit der Phädra in 
die Schranlen treten, ſpäter wird fie uns zum Scheufal; 
war es aber nicht in einer Zeit, wo die Rachſucht 
noch als in ihrem vollen Rechte galt? Der fchmächite 
Theil, Leonora da, wo fie von der äußerften Heftig- 
feit über das verrathene Geheimniß ihrer Liebe, fo 
daß jie jogar ihr Kind zu töbten droht, um ihrem 
Gatten wehe zu thun, ein paar Scenen darauf, ohne 
erklärenden Zwifchenfall, ganz gefaßt und manierlich 
- wieder erfcheint. 

El cerco de santa Fé.! Dieſes Stüd, eine 
Reihenfolge von Heldenthaten bei der Belagerung von 
Granada, gewinnt erjt gegen das Ende Conſiſtenz 
durh die Befiegung Tarfe's durch Garcilaſo de Ia 
Bega. Der frühere Kryftallifationspunft, das Liebes- 
verhältnig des maurifchen Vorkämpfers mit der ihn 
verſchmähenden Alifa, fehr gut mit Nüdficht auf Tarfe, 
verliert aber durch die matte Haltung des ihm vorge- 
zogenen Gelimo. Die eigentliche Einheit lag aber außer 
dem Stüde, in der vaterländifchen Begeifterung ber 
Zuhörer. 

Rey Bamba. ? Großartig der Monolog Ervicio's, 
wo er den Himmel anklagt, daß er ihn als Neidifchen 
ſchuf, und doch gleich darauf feine habgierigen Pläne 
ing Werk zu jegen beichließt. (L) Unmittelbar darauf 
Mamba mit feiner Gattin, Zufriedenheit und Wohl: 
wollen in jevem Worte. Derlei Gegenſätze, ungeſucht 
und aus der Nothwendigkeit der Sache fließend, er: 
friihen das Gemüth und gliedern den Stoff. Die Ver: 
ſammlung ber gothiſchen Großen, wo Jeder, nicht 

1 Die Belagerung von Granada. 

2 König Wamba. 


180 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


um zu fechten, ſondern ald Sinnbild des Haders, mit 
gezogenem Schwerte auftritt. Die Scene, mo Wamba 
die Vorbedeutung der königlichen Würbe erhält und 
wo, ebe die Hand mit der goldenen Krone erjcheint, 
ihm vorher einleitend und vorbereitend aus den Zivei- 
gen beflelben Baumes, Blumenkränze zufliegen, das 
Niſt alles von einer Schönheit und Einfalt, die nur in 
jenen Zeiten der reinen Gemüthsauffaſſung möglich 
war. Zugleich find er und feine Frau, ohne Schaben 
ihrer Würde, durch ihre bäuerliche Unfchuld, halb und 
halb, die Luftigmacher des Stüdes: Mitten unter 
diefen phantaftifchen Vorgängen: die überliefert hiſto— 
riihen Umftände, daß Wamba der Erfinder von Maß 
und Gewicht, wohl auch der Frühefte war, von dem 
fih Münzen in fpäterer Zeit erhalten hatten. Ein 
wenig Radicaligmus, da die gothifchen Großen den 
König wegen feiner niedern Geburt verachten, wogegen 
er fich durch heroifche Thaten rechtfertigt. Schon be: 
ginnt dag Stüd durch den Kronenftreit mit dem Grie 
hen Paulus matter zu werden, ala e3 auf einmal 
einen unerwarteten Aufſchwung erhält. Die Sage, 
daß ber lebte König der Gothen, Roderich, als er 
eine verichloffene Höhle frevelhaft eröffnen ließ, dort 
auf einem Gemälde, das Niemand deuten Tonnte, den 
Ipätern Einfall der Mauren bildlich dargeftellt fand, 
wird hier auf eine wahrhaft virtuoſe Weiſe, ala aus 
ihrem Ausgangspunfte, eingemoben. Dem PVerräther 
Ervicio, dur den Wamba am Ende des Stüdes 
ftirbt, wird von dem Mauren Mujarabe die Krone, 
aber auch vorhergejagt, daß der dritte feines Gefchlechtes 
Spanien an die Mauren verlieren werde. Er läßt 
jenes Bild malen und in jener Höhle einjchließen. 
Das Geſchlecht des Verräthers follte jenes Unglüd 
über Spanien herbeiführen. Da die Sage von dem 











Ueber Zope de Bega’3 dramatiihe Dichtungen. 181 


Bilde und der Höhle in jeves Spanierd Munde mar, 
fo Tann man ſich die Grofartigfeit der Wirfung denken, 
die das im Publikum herborbringen mußte. Lope be 
Vega erinnert bier an Euripides, der es gleichfalls 
verftand, durch ſolche unerwartete Wendungen noch 
gegen das Ende der Fabel, neue Ausfichten zu eröff- 
nen und das Gemüth emporzuheben. Diefer König 
Mamba ift ein vortreffliches Stüd. 

Es gilt von Zope de Vega etwas, was Goethe in 
einem etwas baroden Bilde von Euripibes jagt, wo 
er ihn mit einer Stüdfugel vergleicht, die auf Queck— 
filber, ſchwimmt. Die Wunder des Katholicismus und 
die Großthaten des Spanischen Alterthums, das Sagen: 
hafte ihrer Gefchichte war feinem Publikum fo geläufig, 
daß er anklingen fonnte, wo er wollte, und ficher war, 
in jeder Bruft Verſtändniß und MWieberhall zu finden. 
Er ift die vollkommenſte Proteftation gegen bie Be: 
grifföpoefie. Calveron iſt es Schon nicht mehr, obſchon 
feine ungeheure belebende Kraft das abfichtlihe Mo- 
ment meiftens glüdlich, ja glorreich überwindet. Darum 
wäre eine größere Verbreitung Zope de Vega's dur 
eine neue Auflage ein eigentliches Glück für unfere 
heutige, in Klügeleien und Abftractionen verſunkene 
Welt. Aber freilih, unſere Deutjchen würden ihn 
nachahmen, tie die Kinder mit Allem zum Maule 
fahren; und nachzuahmen ift an ihm nichts. Aber fich 
mit ihm erfüllen, die Phantafie, das Vorhandene und 
die Beichauung mwieber in ihre Rechte einfehen, es aber 
der äußern Form, ja dem Inhalte nad ganz anders. 
maden, als Xope de Vega, das wäre die Aufgabe. 

La traycion bien acertada. ! Man begreift 
faum, tie berfelbe Autor einen König Wamba und 


1 Der gelungene Verrath. 


182 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


dieſes Stüd fchreiben konnte. Dort alles weile ange: 
legt und auf eine beftimmte Abficht bezogen, bier alles 
willfürlich, Iofe, unzufammenhängend, kaum eine Com: 
pofition zu nennen, felbft über das, der Novelle Er- 
laubte binausgehend, Fäden angefnüpft, die gleich 
wieder zerreißen; das fcheinbar von vornher Beabfich- 
tigte in den Hintergrund gedrängt und neuen Bezügen 
Pla machend, die ſich ebenfo in Nichts auflöfen. 
Der erſt gegen das Ende fich fchürzende Knoten, daß 
Polyrena’3 Vater die verloren gegangene Tochter dem 
zur Ehe verfpricht, der fie ihm mieder bringt, fteht 
mit den Begebenheiten der beiben erften Afte, bejon- 
ders mit ber Feinbfchaft und den Nachſtellungen Ge: 
rardo’3, in gar feinem Zuſammenhange. Es ſcheint 
faft, ala ob Zope de Vega mit feinem größen Natur- 
finne, in berlei Stüden das Willfürliche und Zufällige 
des wirklichen Lebens habe nachbilden wollen. Es find 
in Scene gefeßte Novellen. Und da jein Publikum 
das Drama doch immer mejentlich ala Spiel betrach— 
tete — wie denn ſelbſt in planvollen Stüden, die an 
das Publifum gerichteten Schlußmworte, die Illuſion 
und fcheinbare Wahrheit aufheben — fo hatte es nicht? 
dagegen, einem jolchen poetiſchen Spaziergange zu fol- 
gen, wenn man babei nur auf Parthien und Gegen 
ftände ftieß, die die Mühe des Gehens verlohnten. 
In dem Ganzen ift mir nichts Ingenioſes aufgefallen, 
als wenn Gerardo, der den Don Antonio herausge: 
fordert und nicht überflüffigen Muth hat, bei feinem 
Serundanten, dem ſpaniſchen Hauptmann, vorläufig 
Lectionen im Fechten nimmt. Ein fo einfaches und 
aus der Sache genommenes Mittel, Mannigfaltigfeit 
in bie Ereignifje zu bringen, daß es der Beachtung 
und Nachahmung zu empfehlen wäre, wenn das Wal: 
ten des Talentes überhaupt nachzuahmen ftünde. 








- Ueber Lope de Vega’3 dramatiſche Dichtungen. 183 


Ein Gedanke fommt vor, der an einen Ausſpruch 
Leflings erinnert, oder vielmehr ganz und gar berjelbe 
ift. Als Polyrena verloren ift, jagt Don Antonio in 
feinem Schmerz: 


no es posible que este cuerdo, 
pues que no me he vuelto loco. 1 


El hijo de Reduan.? Das tft nun ein wildes 
Zeug. Zei Alte, die fich jugendlich verlieben, ohne, 
wie e3 fcheint, darum lächerlich zu werden. Ein König, 
ſonſt ehrenbaft, der feine Gattin zu ermorden bejchliept, 
um fich andermweits zu verheiratben. Die Königin, die 
ihm bafjelbe zurüdgeben will, unmittelbar nachdem er 
ihr, fie mit feiner Geliebten verwechjelnd, Törperlich 
beigewohnt hat. Gomez, ber Held des Stüdes, gleich 
bereit, den König zu ermorden, fobalb er erfahren, daß 
diefer ihm nachſtellen laſſe. Seine ‚Tapferkeit ohne 
Gleichen, die ſogar einen wirklichen Löwen zur Aner: 
fennung zwingt, ber ſich auch leibhaft vor den Augen 
der Zufeher zu feinen Füßen niederlegt, welches Er: 
eigniß das Volk von Granada bewegt, den Mörber 
feines Vaters zum Könige zu machen. Wenn das Ganze 
irgend einen Anfpruch hatte, zu feiner Zeit zu gefallen, 
fo war ed, außer der Luſt am Bunten, wohl nur der 
Gedanke: Das ift nun die gerühmte Tapferkeit der 
Mauren! Derlei Gräuel mifchen ſich in ihre großar- 
tigſten Thaten! Das Beſte noch die derben Protefta: 
tionen des Helden gegen die mauriſch-ſpaniſche Galan- 
terie von Lope's Zeitalter. Es fehlt übrigens nicht 
an guten Stellen. Eine davon, wenn der alte Reduan 
von fich felbft fagt: 


1 Es ift nit möglih, daß ich bei Berftande bin, da id nidt 
närrifch geworden bin. 
2 Der Sohn Reduans. 


184 Studien zum jpanifchen Theater. 


Que soy mozo quando viejo, 
porque mozo y viejo fui; 1 


Urson y Valentin.? Wenn man einmal für 
einen Dichter eine Vorliebe hat, ift man in Gefahr, 
fih von ihm Alles gefallen zu laffen. Ludwig Tied 
müßte dieſes Stück vortrefflich finden, mwenigitens hat 
er ſelbſt Aehnliches gemacht, und ich habe auch nicht? 
dagegen einzumenben. Die Fabel beſitzt alle Fehler 
eined® Drama ber damaligen Zeit. Bor Erfindung 
der Wahrfcheinlichfeit muß man es mit Unmwahrfchein- 
lichfeit nicht genau nehmen. Was aber daran, mie 
an allen Lope'ſchen Stüden, bewunderungswürdig er: 
cheint, ift der Reichthum, mit dem er feine Perfonen, 
und gerabe die Nebenperfonen am meiften, zu indivi⸗ 
bualifiren und den Ausfüllfcenen Inhalt zu geben 
weiß. Diefe wiederholten Schäferfcenen, wo einmal 
die Spröbigfeit der Weiber, das andere Mal die Nach: 
theile der Blödigfeit, den Stoff des Gefpräches ber: 
gibt. Der humoriftifche Belardo mit einem Beifchmad 
von Fourberie. Der Milchbruder Valenting, der, nad 
dem fie fih im Zank erhist, durch brüberliche Nach: 
giebigfeit rührt und gewinnt. Die bis zum Revoltan- 
ten unwahrjcheinliche Scene, mo ber König auf die 
bloße Anklage Wberto’3 fein geliebtes Weib, ohne daß 
fie eine Einwendung dagegen macht, töbten will, durch 
das Benehmen Iſabela's zu einem kleinen Meifterftüde 
erhoben und fo in einen Wintel des Stüdes hinge- 
worfen, mas ein ärmerer Dichter fich als einen Effelt- _ 
moment für eine Hauptfituation aufgeipart hätte. Ein 
paar Deutiche von der Leibwache weiß er burch nichts 
Beſſeres zu charalterifiren, ald durch Trunfenbeit, wo. 


1 Daß ih, obſchon alt, jung bin, denn jung war id alt. 
2 Urfon und Valentin. 


Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 185 


denn unter angeblich beutichen Ausprüden, als nite 
fitton (nicht verftehn), brindis, auch bon ami mit 
figuritt. | 
El.casamiento en la muerte. ! Der Charal: 

ter des Bernardo bel Carpio unübertrefflih, ganz in 
der Haltung jener herben, beroifchen Zeit. Die Be: 
freiung feines Vaters und die Rehabilitation feiner 
unehelichen Geburt, tauchen wie eine fire Idee aus 
al’ feinen Großthaten empor, in denen er für eine 
Zeit fich jelbft über dem Vaterlande vergißt. Sein 
Auftreten am Hofe Karla des Großen (toma silla 
con estruendo y sientase ?), Wie biejes: fich ſetzen 
mit Geräufch durch die Wirkung auf die Sinne, den 
Eindruck verftärkt, den feine trogigen Worte auf den 
Beritand machen. Die ganze Poeſie ift nichts als 
eine Verbindung diejer beiden Factoren. Immer in 
feinen Hoffnungen durd die Wortbrüchigfeit des Königs 
getäufcht, kommt er doch immer wieder auf denfelben 
Wunſch zurück. Ja endlich entſteht ſogar der Gedanke 
in ihm, ſich an dem Könige zu rächen, wo er aber 
nach einer Rede voll Heftigkeit ſich ſelbſt zurechte weist. 

perdonad Rey y senor 

que ladra agora qual perro 

que castiga su senor. 3 

Endlich befieblt der König die Befreiung feines 

Vaters. Er eilt ins Gefängniß und findet ben 
Gefangenen — todt. Wie nun der Schmerz über den 
Verluft, die Liebe zu feiner Mutter, letteres bis zur 
Härte, alles dem Gedanken Bla macht, die Ehrlichkeit 
feiner Geburt herzuftellen. Wie er Doña Kimena, bie 


1 Die Bermählung im Tode. 

2 Er nimmt einen Stuhl mit Geräufh und jest fid. 

3 Verzeiht, König und Herr, denn der Hund, den fein Herr 
züchtigt, beit gleich. 


186 Etudien zum ſpaniſchen Thenter. 


Mutter, dem Klofter entreißt, fie dem todten Vater 
gegenüberftellt und beide vwermählt, wo er denn die 
Einwilligung des Todten dadurch jupplirt, daß er deſſen 
Kopf mit der Hand faßt und ihn niden macht. Das 
iſt von einer Großartigfeit, auf die ein Dichter in 
unferer Berftandeszeit freilich Verzicht leiften muß. 

In feiner Art nicht minder gut, ber König, der 
troß feiner Frömmigkeit immer wieder fein gegebenes 
Wort bricht. 

Die Franzofen fommen, obwohl fie ala Feinde auf: 
treten, noch ziemlich glimpflic davon, mwahrfcheinlich 
wegen der Ehrfurcht für Karla des Großen zwölf Pairs 
und ihren Plat in den Romanen und Romanzen der 
Zeit. Nichtsdeitoweniger find fie, wo fie unter ſich 
auftreten, mit Ausnahme Rolands, ziemlich matt ge- 
halten. Erſt im Unglüd erheben fie fi durch ihre 
Frömmigkeit, wo denn dem Dichter wieder ächt Euri- 
ptdeifch ein Umftand entgegen fommt, der dem Stücke 
neuen Schwung gibt. Sie verbergen ein Muttergottes⸗ 
bild in der mwahrjcheinlich noch heute fo genannten 
peũa de Francia,! und dieſes jpäter mwieber aufgefun- 
dene Muttergottesbild, war wahrjcheinlich noch zu Zope 
de Vega's Zeiten ein Gegenftand der Andacht und 
Wallfahrt zur pena de Francia. So fommt alles dem 
Genie entgegen, vornehmlih in einer fagenreichen, 
poetilchen Zeit. 

Was nun aber das Künitliche des Ausdruds, die 
Gleichniſſe, die Wortfpiele in den leidenfchaftlichiten 
Situationen, überhaupt da3 Lyrifche im Dialog, por: 
nehmlich im Monolog betrifft, jo hielt jene Zeit ben 
Begriff ver Poefie auh im Drama feit, und aus der 
Poeſie die Poeſie mwegzulafjen, hätte ihnen höchſt wun- 


1 Felſen Frankreichs. 





Veber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 187 


derlich gefchienen. Es bietet ſich bier der ähnliche Vor- 
gang der italienischen großen DOpern-Compofiteure und 
Sänger dar, die in den leivenfchaftlichiten Situationen 
Teiler und Paflagen nicht verfchmähen, ohne daß 
daraus für die Wahrheit des Ausbruds nur der ge 
ringfte Nachtheil entftünbe. 

La escolastica celosa. 1 Diefe Intriguenftüde 
find die Schwache Eeite Zope de Vega's. An Intriguen 
fehlt e3 zwar nicht, fie find aber jo fchlecht mit ein- 
ander verbunden, jeder Alt knüpft eine neue an, fo 
daß man am Ende kaum weiß, wie man ben Titel des 
Stüdes rechtfertigen fol. So find hier zwei eiferflichtige 
Studentinnen. Der erfte Akt Tcheint Julien als den 
Mittelpuntt des Stüdes anzufündigen, ja im britten 
Alt macht fie Miene, ſich von Neuem bazu zu erheben. 
Das verſchwindet aber wieder, und Celia, durch das 
größere Maß ihrer Thorheiten und ihr überwiegendes 
Verhältniß zum Helden des Stüdes, gibt den Abſchluß 
und den Namen her. Die Behandlung übrigens mit 
Lope's gewöhnlichen Leben und Schwung der Rebe, 
warm und überreich, Jo daß, wie fehr auch feine Ber: 
gleiche und Spitzfindigkeiten mitunter hinten mögen, 
man doch bei der Schnelligkeit, mit der Zope jchrieb, 
faum begreift, wie ihm das Alles im Lauf der Feder 
einfallen konnte. 

La amistad pagada.? Bon dieſem Stüde ift 
wenig Gutes zu jagen. Eine bis zur Caricatur getrie: 
bene Dankbarkeit, die im Römer Furio felbft die näch— 
jten Pflichten über dem phantaftifchen Wettftreit ber 
Freundſchaftsbeweiſe vergißt. Dazu die Perfonen alle 
in einer neblichten Allgemeinheit gehalten, die außer 
der augenblidlihen Empfindung nit? Wefenhaftes 


1 Die eiferfühtige Studentin. 
2 Die (erwiederte) vergoltene Freundſchaft. 


188 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


in ihnen zurüdläßt. Ich weiß nicht, ob dieſer Leoneſe 
Curieno in Geſchichte oder Sage als eine wirkliche 
Perſon vorfommt. 1 Im Bejahungsfalle wäre Manches 
zu entfchuldigen. Das Gefchichtliche hat einen geringen 
Merth für die Voefie; begründet aber doch den Unter: 
ſchied, daß ber Dichter bei hiftorifchen Perſonen es 
ſich mit der Objectivirung etwas leichter machen Tann, 
da die Wirklichkeit für ihn einfteht. Sollten es aber 
erfundene Berfonen fein, jo muß, man denken, daß 
das Stüd etwa für das Theater von Leon gefchrieben 
war, wo ein Lokalintereſſe dem Allgemein Menfchlichen 
zu Hilfe kam. Daß Lope außer dem Helden bes 
Stüdes auch die Gefangene Claudia zu einer Yeone- 
ferin madt, ift ein Beweis von feinem glüdlichen 
Takt, und rundet den Kern der Handlung nothdürftig ab. 

Die beiden Konfuln mit ihrer knabenhaften Liebe, 
mitten in den Gefahren und Pflichten bes. Krieges, 
eigentliche abgeihmadte Perfonen, und doch in den 
Mitteln, die fie anwenden, und in ber Art, wie fie 
fich nad) dem Scheitern ihrer Blane benehmen, einiger: 
maßen indivibualifirt. 

Uebrigens iſt das Stüd ein Beleg von der Ber: 
jtreutheit, in der Zope de Vega jchrieb. Er, der in 
feiner Jugend doch gewiß mit ber klaſſiſchen Literatur 
genug geplagt worden war, milcht die Epochen und 
die Heldennamen der römischen Welt fo wunderlich 
untereinander, daß kaum das Jahrhundert zu beftim- 
men wäre, in dem feine Handlung möglichermweife hätte 
vorgehen fünnen. Ebenſo vergißt er, daß Furio ſich 
bei der Flucht Curieno's die feine Mitwiffenfchaft ver⸗ 
bergenven Wunden jelbit beigebracht hat, und läßt ihn 
mit dem ganzen Gefühle ver Wahrheit dieſelben 


1 Er kommt vor, 2.9. 








Ueber Lope de Vega’3 dramatiihe Dichtungen. 189 


Wunden ald einen Beweis feiner Unſchuld in Anſpruch 
nehmen. 

Weberhaupt herricht in allen fpanifchen Stüden der 
damaligen Zeit bie traurige Anfiht vor, daß das 
Glänzende der Handlungen und die Stärfe der Leiben- 
ſchaft von allen Ansprüchen der bürgerliben Moral 
völlig entſchuldigen. 

La comedia delmolino.1 Damwären nun wieder 
Intriguen über Intriguen, aber bie Fugen find loder, und 
e3 Tlappt nichts. Der Hauptſpaß, wie fchon der Titel 
anzeigt, daß die Verkleidungen in der Mühle vorgehen 
und die mit Mehl beitäubten Gefichter die Perſonen 
unfenntlihb machen. Die zweite Attrape, daß man 
einen als den Liebhaber Verkleideten zum Schein ge: 
fangen nimmt, um die Ziebhaberin burch die Beſorg— 
niß für deſſen Schickſal zur Nachgiebigkeit zu beivegen, 
wogegen fie, von dem wahren Sachverhalt unterrichtet, 
denſelben Umſtand benügt, um die Freigebung ihres 
Geliebten, eine fohin unmöglihe Sade, als Preis 
ihrer Gunftbezeigung von dem verliebten alten Könige 
zu begehren. — Dieje zweite Verwidlung jo loſe hin: 
geftellt, daß daraus Feine rechte Wirkung hervorgehen 
will. Die Berjonen matt und allgemein gehalten. Daß 
der alte König fih Knall und Fall verliebt, ſchadet 
feiner Würde nichts. Ich bin ein Feind jener meit: 
hergebolten beutjchen Deutelei, die dag Gras wachſen 
hört, demungeadtet fiel mir aber bei dem Prinzen 
von vornherein Don Karlos ein, nicht der fchillerifch 
idealifirte, ſondern der wirkliche, brutal gewaltthätige, 
um fo mehr, als von einer franzdfifchen Heirath die 
Rede ift. Dem Zufchauer mochte vielleicht Aehnliches 
vorſchweben. Selbſt dag der Anlage nach komiſche Ver: 


1 Die Komödie der Mühle. 


190 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


hältniß der Müllerstochter, die von Liebhaber an Lieb: 
baber abgetreten wird, nicht bis zum eigentlich Schla- 
genden ausgebildet. Demungeachtet kommen aber alle 
Ingredienzien vor, um mit Hilfe guter Darftellung 
einem Publikum, das die Planmäßigfeit wohl vom 
Ernfte, aber noch nit vom Spiele verlangte, Hin: 
länglich zu gefallen. 

El testimonio vengado. ! Wenn die Fabel 
dieſes Stüdes von Lope erfunden wäre, ſö ließe fi 
nicht viel Gutes davon fagen. Es kam ihm aber fchon 
wieder eine Sage oder Romanze entgegen, und er ſetzte 
fie in Handlung, ohne viel hinzu ober weg zu thun. 
Daß die Söhne ihre eigene Mutter des Ehebruchs 
mit dem Stallmeifter anklagen, weil fie dem älteften 
von ihnen das weiße Lieblingsroß des Vaters vermei: 
gert hatte, ift ein derbes Stüd alter Natur, das Xope, 
als einmal vorhanden, fich gar nicht viel Mühe gibt, 
mweitläufig pſychologiſch zu begründen. Nicht allein, 
daß Lope's Zeit berlei-glaubte, derlei geſchah wirklich 
in einer noch ältern Zeit. Herodots Gefchichte, bie 
Gejchichte der römifchen Könige, die ſkandinaviſchen 
und orientalifchen Weberlieferungen find, das Weber: 
„ Natürliche abgerechnet, durchaus nicht fo fabelbaft, als 
man glaubt. Uns fcheinen fie freilich fo unitatthaft, 
als es und unbegreiflich ift, wie man je einen Gott 
verehrten Tonnte, der feine Kinder frefien will und dem 
man einen Stein unterfchob. Die Erfindungen einer 
Zeit find nur ein Abbild ihrer Handlungen. Glüdlich 
übrigens der Dichter, der noch fo ganze Ereignifle, 
ohne Zerſetzung und Abſchwächung, vorführen kann. 
Die Poefie ift im Bilde und nicht im Räfonnement. 
Wie poetiich Hingegeben mußte ein Publikum fein, das 


1 Das geräte Zeugniß. 

















Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 191 


nicht3 Lächerliches darin fand, wenn eine Frau, wie 
bier die Königin, ihren mannbaren Stieffohn, allen 
anfichtig, unter den Mantel nimmt und die leibliche 
Geburt nachahmend, ihn als ihren eigenen Sohn an⸗ 
erfennt. 

In der Behandlung nichts eigentlid) Hervortretendes. 

Die dem erſten Bande beigegebenen zwölf Entre- 
meses, 1 mit Ausnahme der langweiligen Melifenbra, 
ergöglich genug, das Komifche aber von einer fo derben 
Art, daß es im fchreiendften Gegenfage mit dem über: 
bildeten Liebesgeſchwätze ver eigentlichen Luftipiele fteht. 
Weberhaupt find fie in dem Tone einer viel frühern 
Zeit gefchrieben und zeigen, daß das Volf an feinen 
alten Erinnerungen und Genüflen feithielt und die 
feinere Welt eine wunderlide Miſchung von galanter 
Meberbildung und unausgetilgter Rohheit war. 

Die Erfindung diefer Poſſen ſcheint mohlfeil; mer 
aber Aehnliches und zwar in folder Menge verfuchen 
wollte, . würde ſich leicht von ber Schwierigfeit über: 
zeugen. Merkwürdig der Abſtich zwiſchen dem rohen 
Tone dieſer Entremeses und den zu denjelben Bor: 
jtelungen gehörigen Loas, ? die vortrefflich verfifizirt 
und mitunter von eigentlich poetifchem Werthe find. 

La fuerza lastimosa.3 Dieſes Stüd genoß 
jeiner Zeit des höchſten Anſehens in Spanien, und 
wenn ich mich vecht erinnere, jo war es das erfte von 
Zope de Vega, auf welches vor dreißig oder vierzig 
Jahren die deutſchen Romantiker verfielen, mobei e3 
denn hin und her beiprochen wurde. Was die Be 
handlung betrifft, jo kann man auch, namentlich von 
den beiden erften Alten, nicht zu viel Gutes jagen; 


1 Zwiſchenſpiele. 
2 Borfpiel. 
3 Die bedauernswürdige Stärke. 


192 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


der Stoff dagegen, die Handlungen und ihre Motive 
find jo grell, ja zurüditoßend, daß alles, was man 
mit Nüdfiht auf die Zeit, den Geſchmack unb den 
Geift der Nation zur Entfchulbigung anführen Tann, 
nicht ausreicht, des Widermwillend Herr zu werben, den 
diefe eigentlich türkifchen Vorgänge nothivendig erregen. 
Daß ein Mann fein geliebtes Weib ermorbet auf Be: 
fehl des Königs, zur Sühne eines Verbrechens, das 
er gar nicht begangen, ohne auch nur einen Berfuch zu 
maden, die falſche Anſchuldigung von fich abzulehnen. 
Aber alle diefe Motivirungen hätten Zeit und Raum 
weggenommen, die der Dichter brauchte für die Er: 
eigniffe und Situationen, um die es ihm vor allem 
zu thun war. Abgeſehen von ber Geringſchätzung bes 
Menfchenlebens, der Häufigkeit der Morbthaten in 
jener Seit, der übertriebenen Ehrfurcht vor dem Willen 
der Könige, bleibt bier, wie in allen ähnlichen Stüden 
Lope's, der Hauptpunft, daß er das Ereigniß in ben 
Romanzen fo veritand, die Zufchauer damit befannt 
waren und er ſich daher Feine Mühe gab, erft zu be 
gründen, was man ohne Grund hinnahm. Die Mo: 
tipirung bes Kindermords der Medea wird fehr dadurch 
abgefürzt, daß der Zufeher bei ihrem Namen fchon 
weiß, daß fie ihre Kinder ermorden wird. Das Grelle, 
das uns zurüditößt, mar eben, mas jene Zeit liebte, 
und ſelbſt Shafejpeare häuft gern die Mordthaten nad . 
Möglichkeit. Den Stoff zugegeben aber, iſt die Bes 
handlung der zwei erjten Akte von unſchätzbarem 
Werthe. Dieſes Durchfühlen der Situation big in bie 
Icheinbaren Zufälligfeiten, dieſe Belebung felbjt ver 
Nebenfiguren, die gefteigertfte Lyrik des Ausdrucks 
Hand in Hand mit "der prägnanteften bramatifchen 
Geltung. Es ift, ald ob man eine Landichaft im 
Ihmwarzen Spiegel fähe. Die Färbung befümmt etwas 








Ueber Zope de Vega's Dramatifhe Dichtungen. 193 


Srembartiges, aber der Eindrud gewinnt an mohl- 
thuender Harmonie. Wie pſychologiſch wahr die Scene, 
mo Enrique fich gebrängt fühlt, fein Glüd den beiden 
Dienern mitzutheilen. und er nun einen um den andern 
ruft und wegweist, je nachdem er Theilnahme in 
ihnen vorausſetzt. Die ſchwierige Figur der Prinzeflin 
übervortreffli, oder vielmehr, e3 gab feine Schwierig: 
feit für Zope. Er fühlt fih in die Perfonen hinein 
und findet, wo es ihm um Wahrheit zu thun ift, bie 
richtige Haltung immer und unfehlbar. 

Mo es ihm um Wahrheit zu thun ift! Denn 
häufig ift ihm feine Schriftftellerei nur ein äußerliches 
Treiben, für das Publikum beftimmt, ihn felbit nur 
durch die Buntbeit der Bilder und einzelne poetifche 
Stellen intereflirend. 

Der dritte Alt etwas verſchwommen. Der vier: 
jährige D. Yuan ala General der Armee madt einen 
recht artigen Einbrud, nebitvem, daß etwas darin 
liegt, daß, nachdem alle Erwachſenen fih an Schuld 
und Gräueln überboten, ein Kind die Rettung und 
ein glüdliches Ende berbeiführt. Das Komiſche, das 
der Erſcheinung diejes Findifchen Heerführers anflebt, 
entwidelt fi) gegen das Ende mit jteigendem Bewußt⸗ 
fein. Sa als, nad Ipanischem Komödiengebrauch, am 
Schluß ale Männer mit Weibern und alle Weiber 
mit Männern verjehen werben, wird auch der Tleine 
D. Juan mit der eben gebornen Tochter der Prinzeflin 
verlobt, was denn feine Wirkung auf die allgemeine 
Heiterkeit nicht verfehlen konnte. 

Als vortrefflihe Scenen find noch nachzutragen 
die beiben, wo die Prinzeſſin, ftatt ihrem Vater ihre 
Entebrung mündlih zu geftehen, fortgeht und un: 
mittelbar darauf in einem Briefe ihre Schuld befennt, 
jowie die damit im Zuſammenhange ftebende, wenn 

Grillparzer, Werke. VII. 13 


. 


Enrique, nachdem er, über einen erdichteten Fall zu 
Rathe gezogen, fein eigenes Urtheil unbewußt aus 
geiprochen, Durch denfelben Brief erfährt, daß der 
gräßliche Spruch ihm felber gelte. Sowie eine frühere 
andere Scene, in der die Mufiter zur Erheiterung ber 
Prinzefiin eine Romanze von einer durch Liebe hinter: 
gangenen Herzogin fingen, und nun jene, ſich in die 
Perfon des Liedes vermengend, ihre eigene Verzweif—⸗ 
lung im Namen der betrogenen Herzogin ausſpricht. 
Man würde nicht fertig, wenn man alle vortrefflichen 
Einzelnheiten aufzählen wollte. Denn das Große in 
Lope de Vega ift feine, bei aller Künftelei ver Form, 
tiefe und innige Naturempfindung. 

La ocasion perdida. 1 Das ift nun einmal ein 
Stüd mit einer vollfommen burchgeführten Intrigue. 
Für uns dürfte es freilich eine höchft wunderliche fein; | 
die Spanier waren, zum Behuf ihres Vergnügeng, | 
bereit, alles das anzunehmen, was dieſes Stüd voraus: | 
jebt. Wie ja auch heut zu Tage ein Beifeite ber 
Scaufpieler, das man in der vierten Gallerie ver: 
nimmt, von den Mitipielenden auf dem Theater nicht | 
gehört wird, oder in einer Nacht: Dekoration die Schau: 
jpieler auf dem Theater fich nicht zu fehen angenommen 
werben, indeß man im Barterre jede ihrer Bewegungen 
wahrnimmt. Man nimmt alfo bei Zope de Vega Einen 
für den Andern, trotz der Verfchiedenheit in Geftalt 
und Stimme. Der förperliche Genuß der verwechlelten 
Liebespaare geht hinter der Scene vor, ohne daß die 
Sittſamkeit es übel nimmt. Das Nergfte dürfte fein, 
daß bie Prinzeflin, um ohne Gefahr für ihren Auf 
des von ihr geliebten Spanischen Flüchtlinge „zu ger 
nießen," ihr Fräulein Doriclea vorfchiebt, jo daß 


194 Studien zum fpanifhen Theater. 








1 Die verfäumte Gelegenbeit. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 195 


D. Juan fi in leßtere verliebt,. und unwiſſend fo 
das Berhältnig mit der Brinzefiin unterhält. Als 
enblich der al fein eigner Botfchafter verfappte König 
von Leon, der durch ein Verſehen die für Don Juan 
beitimmte Einladung der Prinzeflin erhält, den Bor- 
ſchmack der Ehe mit ihr genießt und fomit benn ihr 
Gatte ift, Löfen ſich alle Verwicklungen. Doriclea, vie 
dem Spanier ein gleiches Stellbichein zugedacht, geräth 
in die Arme ihres verſchmähten Liebhabers; es werben 
nach Gewohnheit noch mehrere Eben für alle Mit- 
ſpielenden gefchloffen, und Jedermann gibt fih mit 
dem zufrieden, was der Zufall ihm zuführte. Nur 
der edle Don Yuan hat die Gelegenheit verjäumt. 
Es ift etwas jehr Hübjches in dieſer Figur, die ge- 
täufcht wird, ohne lächerlich zu werben. Auch daß 
die Prinzeffin, die bereit war, eine gefährliche Un⸗ 
befonnenbeit zu begehen, durch Verwechslung einem 
föniglichen Freier in die Arme geführt wirb, hat etwas 
providenziell Ausgleichendes. 

El gallardo Catalan.! Da ift denn die Ro 
mantik mit ihrem ganzen NRüftzeuge. Eine alles bint- 
anſetzende Liebe. Seefahrt, Seeräuber, eine verjchmähte 
Geliebte, die als Wann verkleidet ihren Ungetreuen 
rettet, aber auch fein neues Verhältniß ftört und zer- 
ftört. Von vornherein will dad Ganze nicht viel jagen, 
aber mit der Ankunft in England folgt eine Reihe 
fehr guter Scenen. Die Deutichen, zu denen das Stüd 
fih drauf hinſpielt, kommen als Nation nicht ſehr 
gut weg. Gegen das Ende fchleicht ſich das Abſurde 
wieder ein, und bie als Mann verfleidete Clavela 
befiegt im Gottesgericht : Zweilampfe einen ritterlichen 
Gegner, wofür ihr auch als Lohn der ungetreue Ge- 
liebte zu Theil wird. 


1 Der tapfere Eatalonier. 


196 Studien zum fpanifhen Theater. 


Die Grundlage von Lope's Poefie ift das Märchen, 
und dad Vehikel der Glaube. Wo die Handlung 
Sprünge macht, fpringt nothwendig die Empfindung 
mit. Aber von einem Haltpunkte bis zum andern 
entfaltet ſich fein großer Naturfinn; das Einzelne ift 
von der größten Wahrheit, das Ganze mag fo bunt 
fein, als es will. Sein Reichthum zeigt fih auch 
darin, daß er feine Nebenperfonen nicht gerade indis 
vibualifirt, ihnen aber befondere Intereſſen und Zwecke 
gibt, wodurch felbit die Ausfüllfcenen Leben und Be 
wegung befommen. Lebendigkeit und Fülle ift ber 
Charakter feiner Poeſie. 

El mayorazgo dudoso. 1 Fängt ganz vortreff⸗ 
lih an. Die Perfonen und Berhältniffe inbivibualifiren 
fih. Ein eiferfüchtiges Weib in der erften Scene, die 
Moliere auch nicht befier hätte ſchreiben können. Die 
Berlegenheit des geplagten Chemannes, als ihm das 
Kind der Prinzeflin, die auf offener Straße unter 
feinem Beiftande gebiert, in ben Händen bleibt. Von 
da an aber wird das Ganze allgemein und unbedeutend, 
Ein König, der, wie Lope’3 Fabel-Könige überhaupt, 
alles einferfert und umbringen will. Das im erften 
Alte geborne Kind erjcheint im zmweiten Akte als 
zwanzigjähriger Jüngling, als Maure Luzman, fommt 
nah Dalmatien zurüd, findet den Vater im Kerker 
und die Mutter im Kloſter. Erwirbt unerkannt die 
Liebe feines tyranniſchen Großvaters, erwirkt die 
Freiheit feiner Eltern, heirathet die Tochter feines 
Nährvaters u. |. w. Außer dem erwähnten Eingange 
und der unmittelbar darauf folgenden Scene, wo 
Luzmans Vater, noch jung und als Gärtner verfleibet, 
die Hoffnungen feiner Liebe in einem hübfchen Diono: 


1 Das zweifelhafte Erbrecht. 











Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 197 


loge ausfpricht, nur noch eine Scene im zweiten Aft 
herauszuheben, in der Luzmans Milchſchweſter und 
nachmalige Braut Clavela, über ihre erwachende Neis 
gung von der Mutter zur Rede geftellt, den Fragen 
ausweicht und die Antwort verſchiebt. Das wieder⸗ 
holte: mire, se lo dire 1 macht eine hochſt unſchuldige 
Wirkung. 

Warum übrigens das Stück el mayorazgo dudoso 
heißt, begreift man nicht recht. Denn ob Luzman 
der Enkel des Königs ſei, mag allerdings zweifelhaft 

ſein, ob aber, wenn er es iſt, ihm das Erbrecht, das 
mayorazgo gebühre, liegt außer allem Zweifel, da 
fein anderer Bewerber fich vorfindet. Wahricheinlich 
bat Zope von vornherein die Handlung ganz anders 
führen und das dem Pflegevater Luzmans gleichzeitig 
geborne Kind, das jebt ein Mädchen ift, einen Knaben 
fein laſſen wollen, wo denn allerdings Verwechslungen 
hätten ftattfinden können. Die Unbefümmertbeit und 
der XLeichtfinn, mit dem Lope fchrieb, geben einer 
ſolchen Deutung bier und an hundert andern Orten 
nur zu ſehr Raum. 

La resistenceia honrada. ?2 Das ift nun wieder 
ein jo artiges Frag: und Antwortipiel. Der ganze 
erſte Akt mit der tollföpfigen Madama Floris könnte 
allenfalls mwegbleiben, die Handlung fängt erft mit 
dem zweiten an. Die beiven Weiber ſehr gut gehalten, 
befonders bie tugendhafte Matilve, in welchen Figuren 
Zope eine befondere Stärke beſitzt. Floris fcheint von 
vornherein beftimmt, einen Hauptantheil an ver Hand: 
lung zu nehmen, verſchwindet aber fpäter beinahe 
gänzlid. Sie überläßt fi) dem ganzen Webermuthe 
der Schönheit und des Angebetetfeind, Wenn fie als 


1 Schau, ob ich es jagen werde. 
2 Der ehrbare Widerftand. 


198 Etudien zum fpanifchen Theater. 


Page verkleidet den Feſtſaal betritt, meint fie, darüber 
möge fih Niemand wundern: 

que por ser maravillosas 

se suelen contar las cosas 

que siendo faciles no. 1 


Diefe Worte könnte man als Motto und Entihul- 
digung allen Komödien Lope's voranjeben. 

Der Prinz eine Mifhung von Begehrlichkeit und 
Heldenmuth. Er und feine geliebte Floris, beſonders 
im Lügen ftarfer Worte, einander würdig. Daß doc 
eine Nation, bei der das famofe: mentis ? der größte 
Schimpf war, in Liebe und Eiferfudht jede Unwahrheit 
für erlaubt bielt. 

Ich weiß nicht, tft es meine mangelhafte Kenntnif 
der fpanifchen Sprache, oder find es bie vielen Drud: 
fehler, over das Schwanfende in ber übereilten Aus: 
drucksweiſe Lope's, oder fchien die Dunfelheit damals 
eine Schönheit; ich habe Mühe, den genauen Sinn 
aus manchen diefer Wechjelreven herauszufinden. Aber 
wie fließend und mit dem vollen Reize ver Zufälligfeit 
die ganze Behandlung! Mich bezaubert dieſer Schrift- 
jteller, ohne mich blind gegen bag Heer feiner Fehler 
zu machen. 

Los Benavides.3 Hat von vornherein ganz 
jene alterthümliche Größe, welche Lope de Vega berlei 
Chronikftoffen zu geben weiß. Das Ganze hanpelt 
ih um eine Ohrfeige, welche der alte Mendo von Payo 
de Vivar erhalten hat und als hochbetagter Mann 
jelbjt nicht rächen kann; auch fehlen ihm Söhne, die 
es an feiner Statt könnten. Höchſt munberlich des 

1 Man erzählt ſolche Dinge, weil fie wunderbar find, nicht aber, 
weil fie leicht geſchehen können. 


2 Du lügft. 
3 Die Benavides. 














Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 199 


Alten Freude, als er erfährt, daß feine Tochter von 
dem verftorbenen König Bermudo zwei unebeliche 
Kinder habe. Die königliche Würde des Verführers, 
und daß fie unter dem Berfprechen ver Ehe erzeugt 
mwurben, fcheint die Baftarbichaft von ihnen abzumälzen. 
Der Enkel Sanyo wird zum Rächer auserjehen, töbtet 
aber aus Mißverftändniß einen Unrechten. Durch die 
Chrbegriffe der Zeit gerechtfertigt, aber für ung ab- 
fcheulich, ift die Art, wie nun Mendo ſelbſt den Be: 
leidiger im Angeficht des Gotteögerichtes durch einen 
Dolchſtoß meuchelmörberifch aus der Welt Schafft. Gut 
gehalten Bayo de Vivar, auf den nicht als bäte noire 
alle Mängel und Schänblichfeiten zufammengehäuft 
werben, jondern ber zwar gewaltthätig und eigennüßig, 
aber tapfer, gerade und in feiner Art ehrenhaft iſt. 

Ebenſo König Alfons als Kind, befonvers meil er 
nicht fo altklug ift, ala Lope's Kinder zu fein pflegen. 
Er jagt einmal bei einer Staatshandlung gerade heraus, 
daß ihm die Zeit lang werde. Als ihn die Mohren 
gefangen nehmen, wundert er fich, daß fie wie Menjchen 
ausſehen und doch nit an Gott glauben. 

Los comendadores de Cordova.! Das 
Stüd ift ganz gut. Der Charakter des Veinticuatro ? 
ehrenhaft, verftändig, ja in feinen Bemerkungen über 
die Ehre zeigt der Verfaſſer ihn und fich, über bie 
Vorurtheile der Zeit erhbaben. Aber Vorurtbeile, die 
das Weſen der Zeit ausmachen, müfjen geachtet werden, 
und fo rächt denn ber beleidigte Gatte, den noch bazu 
die Schlechtigfeit der beiden Comthure und feiner Frau 
erbittert, die Ehre feines Bettes auf eine um fo furdhts 
barere Art, als derjenige immer dad Map überfchreitet, 
der nicht die volle Meberzeugung von feinem leitenden 


1 Die Comthure von Cordova. 
2 Rathsherrn. 





200 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Grundſatze hat. Nicht nur die Schuldigen, auch alle 
Diener, ja die Meerkatze und der Papagei werben 
getödtet. Der Todtfchlag, jcheint es, erzeugt erſt bie 
Wuth, ftatt von ihr erzeugt zu werben. Der König 
billigt am Schluſſe das gräßliche Ehrengericht und 
gibt dem Wittwer ein anderes Weib, womit dieſer 
ih ganz zufrieben bezeigt. Die Mordfcene, vielleicht 
nur wegen Unbeutlichfeit der ſpaniſchen Einrichtung, 
nicht wirkſam genug. 

Der Berlauf des Stüdes untadelhaft bis auf den 
Umftand, daß die ſündhafte Frau den Ring des Königs, 
den ihr ihr Gatte gab, wieder an Don Sorge vers 
fchenft, was früher ober fpäter notbiwendig an ben 
Tag kommen mußte. Auch ift es wirklich der König 
jelbft, der auf die Spur des Frevels Tommt, da er 
feinen Ring an der Hand des Comthurs erblidt. 

Sehr ſchön die Scene, wo ber Veinticuntro, in 
jeine vier Wände zurüdgefommen, das Glüd der Ehe 
preist, während der Zufchauer fchon weiß, daß ber 
Madere betrogen ift. Don Sorge, einmal ganz roh, 
dann wieber in feinen Redeblumen und Bergleichungen 
böchft ſpitzfindig. Namentlich da, mo er das Wort 
prima, das ſowohl Muhme, als die erfte Stufe ver 
Tonleiter in der Muſik bedeuten Tann, in diefer lebten 
Bedeutung queticht und auspreßt. Ich muß bier 
wieder unentjchieben laſſen, ob es meine mangelhafte 
Kenntniß der Sprache ift, die mir das Gleichniß fo 
geihraubt, ja grammatilalifch unzufammenhängend er: 
ſcheinen läßt, oder begnügte fich Zope und das Bus 
blikum, bei der Nafchheit des Schreibens und der 
Dellamation, mit nur allgemeinen Anklängen und 
Andeutungen des Gedankens, ohne die genaue Auss 
führung und Durchbildung zu begehren und zu vers 
millen. Der gerügte Mangel fommt jo oft vor, daß 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 201 


die letztere Erklärung wohl die richtige fein dürfte. 
In den Ausfülfcenen bilden die Verhandlungen zur 
Heirath der Infantin Johanna mit dem Erzherzog 
Philipp ein ſehr dankbares Thema. 

La bella malmaridada.! Das ift nun ein 
wildes und ziemlich langmeiliges Zeug. Von den 
Charakteren höchftens der italienische Graf gut zu 
nennen mit feiner romantifchen Liebe, worüber ihn 
feine eigenen Diener auslachen. Die übelverheirathete 
Schöne hat doch, befonders gegen das Ende zu, etwas 
von dem Zangenartigen der tugendhaften Weiber, wo⸗ 
durch fie ihren Ehemännern zur Laft werben. Als ihr 
Gatte Hand an fie legt, ruft fie Vater, Vetter und 
Bruder zu Hilfe. Freilich, als leßterer herbeieilt, gibt 
fie vor, geftrauchelt zu fein und ſich den Fuß verrentt 
zu haben. Der Gatte ein gewöhnlicher Lümmel, 
Teodoro der Unbeftändige ift feinem Charakter fo treu, 
daß er jeden Augenblid feine Neigung ändert und bei 
dem bloßen Namen eines Frauenzimmers ſchon in fie 
verliebt ift. Nachdem die zwei erften Afte unter nicht: 
fagenden, fchattenspielartigen Ereigniffen bingegangen 
find, überftürzt fih die Handlung im dritten jo, daß 
faum klar wird, wie fich der Gatte von der Unschuld 
feiner rau überzeugt bat und daher Hoffnung zur 
Beſſerung gibt. Die alte Kupplerin Marcela ganz 
gut. Daß der Graf ihr im Finftern, fie für Lisballa 
baltend, fleifchlich beimohnt, muß man eben hinnehmen. 

Los tres diamantes. ? Diefe drei Diamanten 
Ipielen nur auf dem Titel eine Rolle, aus dem Stüde 
Tünnten fie eben jo gut wegbleiben. Zur Verwicklung 
tragen ſie wenig bei, zur Entwidlung gar nichts. Die 
Fabel eine gewöhnliche, märchenhaft bunte. Die 


1 Die übelverheirathete Schöne. 
2 Die drei Diamanten. 


202 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Charaktere ohne Bebeutung, man müßte denn den Ent- 
Schluß der entführten Prinzeſſin, ein Hofpital zu grün- 
den und dort Pilger und Kranke jelbit zu pflegen, für 
einen Ausflug ihres Charakters ausgeben, was aber, 
da es mit ihrem frühern nicht zufammenhängt, mehr 
eine und zwar wunderichöne Wendung der Erzählung 
it, als daß fie aus irgend einer innern Nothwendigkeit 
hervorginge. Eine Scene aber bält für das ganze 
Stüd ſchadlos. Es iſt die, wo der Held des Stüdes 
auf der Flucht feiner wegemüden Geliebten feine Ab: 
ftammung und frühern Schickſale erzählt und diefe troß 
aller Aufmerkfamfeit dabei einjchläft. Ich zweifle, ob 
das ganze Gebiet der Poeſie etwas jo Naturwahres 
und unausſprechlich Süßes aufzumeifen hat. Shake⸗ 
ſpeare's Miranda hält dagegen Teine Vergleichung 
aus, höchſtens die Liebesfcene in Romeo und Julie, 
nur freilich mit dem Unterfchiede, daß leßteres Stüd 
ein tiefgedachtes und Fünftlerifch abgefchloffenes Ganzes 
it, indeß Lope de Vega feinen Reichthum mie ein 
fpielendes Kind mitten unter die Albernheiten eines 
armjeligen Stoffes hineinwirft. 

La quinta de Horencia.1 Der erfte Aft ganz 
bortrefflih. Meifterhaft gejchrieben. Der Herzog ein 
Fürft in der ebeliten Bedeutung. Wie wohlwollend 
jeine Neigung zu Don Gäfar, wie zart im Ausdruck 
und ber Vorforge für ihn. Andrerjeits die Melancholie 
Cäſars mit ihrer unbefannten Urfache, liebenswürbig 
und gewinnend. Der Herzog will ihm ſogar die eigene 
Geliebte abtreten, da er eine Neigung für fie bei ihm 
vorausſetzt. Ebenſo gut gehalten die fchöne Müllers: 
tochter, Cäſars eigentliche Leidenſchaft. Der Scherz 
mit den unmöglichen Bedingungen, die letztere ihren 


1 Das Landhaus von Horencia. 


Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 203 


ländlichen Liebhabern ſetzt, wohl zu meit getrieben. 
Der zweite Alt erhält fih noch bis auf Cäſars Ent⸗ 
ſchluß, fie aus dem Baterhaufe zu rauben und, nad) 
dem er fie genofien, mit feinem Hausverwalter zu 
vermählen. Es fehlt und an einem Anhaltspunfte, 
um die Gefinnung jener Zeit zu beurtbeilen, die bie 
Heirath eines Adeligen mit einer Bäuerin für etivas 
balb Undenkbares hielt. 

Laura wird geraubt, geſchändet. Der Bater wendet 
fi) an den Herzog, der in die Mühle und von da in 
Cäfars Landhaus kommt. Diefer, mit dem Tode be- 
droht, heirathet nach mandyer Weigerung das arıne 
Mädchen, mo e8 denn ziemlich kindiſch ift, dag unter 
die Gründe feiner Einwilligung auch der gehört, daß 
ber alte Müller mit dem Herzoge an einem Tifche ge- 
fpeist habe und alfo dadurch gewiſſermaßen geadelt fei. 

El padrino desposado. 1 Das ift nun wieder. 
ein Stüd, welches feine Bebeutung erft durch einen 
in der Mitte auftauchenden, inbaltreihen Umſtand 
erhält. Dort nämlich tritt hervor, daß der Mauren: 
könig Argolan, eine prächtige Figur voll Tapferkeit 
und halb barbarifchem Stolz, fih um des Herzogs 
von Medina Tochter Dofa Maria nur bewirbt, meil 
ihm geweiſſagt mworben, daß, menn fie fih einem 
Könige vermähle, ihr Sohn die Mauren aus Spanien 
vertreiben werde. Er gönnt fie daher feinem Freunde, 
dem Grafen Don Pedro, eben deßhalb, weil er fein 
König ift und daher die Prophezeiung durch ihn nicht 
in Erfüllung gehen fünne. Da erfcheint aber im lebten 
Alte der König von Arragonien, nachmals Bater 
Ferdinands des Katholifchen, wird als Beiftand zur 
Hochzeit gebeten, verliebt fi) aber in die Braut und 


1 Der Beiftand als Bräutigam. 


204 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


heirathet fie ſelbſt, daher der Titel: el padrino des- 
posado: der Beiftand als Bräutigam. 

Der erfte Alt macht fih ganz vortrefflih. Im 
zweiten Akte tritt eine ziemlich unwahrſcheinliche Ver⸗ 
wicklung mit einem an bie faljche Adreſſe gelangten 
Briefe und Ning auf, der an die von Don Pedro 
ausgefchlagene Schweiter D. Ines gelangt, indeß er 
ber geliebten D. Maria beitimmt war. Es wird nicht 
recht Kar, ob D. Maria den Grafen nur ihrer in ihn 
verliebten Schweiter zu Gefallen ausſchlägt, oder ob 
ihr ber abgefchmadte D. Luis am Herzen liegt, dem 
fie die leidenfchaftlichiten Vorwürfe macht, als er ven 
Ring, den fie ihm gab, an den Grafen im Spiele 
verlor. 

Der Schluß wird für unfere Empfindung widerlich, 
theils meil fi der König jo Knall und Fall in 
D. Maria verliebt und troß feiner Verpflichtung als 
Beiſtand feinen Augenblid anfteht, fie dem Grafen 
mwegzunehmen, theil3 wegen des bei den Spaniern jo 
häufig vorkommenden Umtaufches der Geliebten. Daß 
der Graf D. Petro feine Braut feinem Könige abtritt, 
mag angehn; daß er aber die verfchmähte D. Ines 
jo ohne Umſtände heirathet, ift nur in einer Zeit und 
bei einem Volle erflärlich, wo die Liebe nur Sache 
ber Sinnlichleit und der Vhantafie war, die Ehe aber 
wie ein Gefchäft nach Nuten und Vortheil abgeſchlofſen 
wurde, D. nes, die geringſchätzig genug behandelt 
wurde, iſt gleichermaßen froh, den Gegenftand ihrer 
unweiblichen Bebarrlichkeit denn doch zu befommen. 

Las ferias de Madrid. 1 Eine lebendige und 
höchſt ergögliche Zufammenftellung von Volksſcenen, 
die ihren Anlaß in dem Jahrmarkt von Madrid haben. 


1 Der Jahrmarkt von Madrid, 





Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 205 


Die Unverfchämtheit der Damaligen roués, bie Habgier 
ber Weiber und die Gelpverlegenheit der Stußer einer 
gewifien Klaſſe, vereinigen fich zu einem Ballipiel von 
Wit und Leichtfertigkeit. Aus dieſem bewegten Ele: 
ment taucht eine einzelne Berwidlung empor, die auch 
von Shafefpeare und Moliere benützte Geichichte eines 
Liebhaber, ber fein Abenteuer und feine Erfolge dem 
Gattenzjeiner Geliebten anvertraut, den er nicht Fennt. 
Daß Shakeſpeare's Weiber von Windfor eines feiner 
ſchwächſten Stücke ei, gibt Jedermann zu. Bei Moliere 
macht diefe falfche Vertraulichkeit den einzigen Inhalt 
des Stüdes aus, wodurch das Ganze etwas einfürmig 
wird. Hier aber, nur als Stiderei auf dem bunten 
Stoffe der Volksbeluſtigung, ift es von äußerſt an- 
genehmer Wirkung. Eine Zuthat, die den Werth 
einer Hauptſache hat; das Abfurbe übrigens, das Zope 
de Dega immer auf dem Fuße folgt, gebt auch bier 
nicht leer. aus. Der beteogene Gatte ruft enblich den 
Bater feiner Frau als Zeugen ihrer Verirrungen 
herbei. Diejer, obwohl höchſt erzürnt, findet denn 
doch zu ſtark, daß der Geprellte feine gekränkte Ehre 
durchaus durch den Tod ber Schulvigen rächen will, 
und ftredt ben armen Teufel durch einen herzhaften 
Degenftoß maufetodt zur Erbe. Diefe blutige Ent- 
widlung einer komiſchen Geſchichte macht eine höchſt 
wunderlihe Wirkung. Die junge Wittwe, die unjeres 
Wiſſens von ihrem Gatten nur ein paar verdiente 
Maulfchellen zu leiden hatte, tröftet ſich augenblidlich 
über die „verlorne Geſellſchaft“ und verfpricht dem 
Liebhaber nach überftandenem Trauerjahr ihre Hand. 

El santo negro Rozambuco. Die Geſchichte 
eines Negers, der, als Korſarenkapitän gefangen, 


1 Der heilige Neger Rozambuco. 


206 Studien zum jpanifhen Theater. 


durch den Anblid eines Wunderd zum Chriftenthbum 
befehrt wird und als ein Heiliger ftirbt. Der erite 
Alt, wie es bei Zope de Bega öfter der Fall ift, weit 
forgfältiger ausgearbeitet als die übrigen. Der Herr, 
dem ber gefangene Korfar als Sklave gefchenkt wird, 
faßt einen entfernten Verdacht gegen die Treue feiner 
Frau und will fie, ächt Spanisch, kurzweg umbringen, 
jelbft die Wohlthat der Beichte verweigert er ihr. 
Endlich geftattet er ihr do, fih an die Statue des 
heiligen Benebilt in ihrem Oratorium zu wenden. Sie 
wirft ſich auf die Kniee, und ihre Unſchuld betheuernd, 
bittet fie um feinen Segen. Und fiehbe da! Der Heilige 
hebt die Hand auf und gibt ihr die Abfolution. 
Während der Gatte nun fein Unrecht einfieht, wird 
auch der Neger, der als Gehilfe beigezogen ward, 
zum Chriftenthbume beiehrt, das er früher entſchieden 
zurüdgemwiejen bat. In das Ganze hinein fpielt eine 
im Haufe dienende Negerin, ein lieverliches Weibsſtück, 
das durch ihre Geſchwätzigkeit und ihr ſpaniſch⸗mohri⸗ 
ſches Kauderwälſch eine höchſt Fomifche Wirkung madıt. 
Sie hat Abfichten auf den ſchwarzen Landsmann; von 
ihm zurüdgemiefen, begnügt fie ſich aber mit einem 
alten fchlottrigen Bebienten, mit dem fie überrafcht 
und Rüden gegen Rüden zufammengebunven wird, in 
welcher Stellung fich die Beiden (mie vorgefchrieben 
ſteht) mit dem Hintern einander Stöße geben und jo 
mit Prügeln vom Theater gejagt werben; einer der 
wenigen fichtlich objeönen Späfle, die fi Lope de 
Bega erlaubt. Der befehrte Neger wird nun Franzis⸗ 
faner, in der Folge Guardian, zeichnet fich beſonders 
durch die erniedrigenpite Demuth aus, Tommt in den 
Geruchtder Heiligkeit, wirkt Wunder, indem er Kranke 
heilt, Todte erwedt, wobei als prägnant nur die Auge 
treibung des Teufeld aus dem Kinde des Vicekönigs 








Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 207 


anzuführen ift. Die diabolifhen Reben, der Spott, 
der Hohn aus dem Munde des unfchuldigen Kindes; 
und enblich, als der Teufel wirklich ausführt, weiß 
e3 Lope durch nichts anzudeuten, als daß er hinter 
der Scene einen Flintenſchuß abfeuern läßt. Das 
klingt beinahe läppifh, wenn man fi aber in bie 
Situation hineinverfegt, begreift man die Wirkung, 
die diefer Schlag machen mußte, der zugleich die Vor: 
ftelung von Feuer, Raub und Schwefelgeruh mit 
fih führte. Ein fchurkifcher Mönch, ver erbittertfte 
Feind bes Heiligen, in dem diefer aber doch gleich von 
vorneherein gleichfall3 einen präbeftinirten Heiligen 
ertennt, bildet den Hebel der darauffolgenden ziemlich 
Fahlen Greigniffe. Er will fchon früher, um das 
Anfehn feines Guardians berabzufeten, deſſen Perſon 
beim Vicefönig vorftellen und fich deßhalb das Geftcht 
ſchwärzen. Statt nah Ruß zu greifen, kommt ihm 
aber — ungemwiß ob durch Wunder oder Verfehen — 
Mehl in bie Hand, mit dem er fih das Geſicht ganz 
weiß einitäubt, was denn die fomifhe Wirkung nicht 
verfehlt haben wird. Zuletzt will er ven Guardian 
vergiften, bdiefer aber fegnet das Glas, worauf es 
zerbricht, was feine Wirkung auf den Sünder nicht 
verfehlt, der plötzlich auch befehrt wird. Dieſe letzten 
Sachen und Überhaupt bie ſpätern Alte, mit Aus 
nahme der Teufelsbeſchwörung, find übereilt und nicht 
mit Lope de Vega's gewöhnlicher Empfindung der 
Situation ausgeführt. 

Laura perseguida. 1 Ein Prinz, der mit einem 
adeligen, aber nicht ebenbürtigen Frauenzimmer außer 
der Ehe zwei Kinder erzeugt. Der König, fein Vater, 
will ihn von ihr trennen und menbet jenes Mittel 


1 Die verfolgte Laura. 





208 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


an, das feit Arioft Jo oft angewendet worden ift und 
in der Entfernung der Erzählung ſich ganz gut macht, 
in der, Nähe des Drama aber noch immer verunglüdt 
it, daß eine Dienerin in den Kleidern ihrer Herrin 
Nachts einen ins Fenſter Steigenden mit Lieblofungen 
empfängt und jo weiter. Auch bier glaubt der Prinz 
dem plumpen Spiel, mißhandelt die unfchuldige Ger 
liebte, verftößt fie, kann fie aber doch nicht vergeſſen. 
Unterdeſſen hat jein Vater eine Prinzeſſin Braut her- 
beigejchafft, ex ift eben im Begriff, ſich zu vermählen, 
als das Gefchehene ſich aufflärt, der Prinz mit feiner 
Geliebten entflieht und fie nun wirklih zum Weibe 
nimmt. Der Bater bietet ein Fleines Heer auf und 
will eben dag Schloß Laura’3, wohin fi) die Beiben 
geflüchtet, belagern, als jene mit ihren beiden Kindern 
fich ihm zu Füßen werfen, der Alte verzeiht und, da 
die verjchriebene Prinzeſſin einmal da ift, fie felber 
beirathet. 

Die Ausführung ift nicht viel bedeutender als der 
Stoff. Ein paarmal nimmt es den Anlauf, als ob 
etwas daraus werben follte, verſchwindet aber gleich 
wieder. Einmal im erjten Alt, wo ber Prinz, erzürnt, 
daß fein Vater an der MWürbigfeit, ja an der Schön- 
heit feiner Geliebten gezweifelt, diefe, die jener nicht 
kennt, zu ihm ſchickt, wo fie auch unter Erzählung 
einer erbichteten Gefchichte den alten Herrn beinahe 
verliebt madt. Ganz gut auch die Scene, mo der 
Prinz, zwifchen Abſcheu und Liebe kämpfend, einmal 
die Faljche zu rufen befieblt und dann den Befehl 
zurüdnimmt, 


que & Laura me han quitado, que no tengo 
& Laura, ni la hablo, ni la toco; 
que no me puedo regalar con Laura. 


Ueber Lope de Bega's dramatifhe Dichtungen. 209 


que sus dolces palabras ya no escucho, 
que no la he de ver mas. Llama a essa puerta. 1 


Zum Schluß befommt fogar der Böfewicht des 
Stüdes ein Weib, jene Zofe nämlich, die fih als 
Werkzeug feiner Schurferei hergegeben. Man weiß 
nicht, ob diefe Heirath eine Belohnung oder eine Strafe 
it, da er vorher in Laura verliebt war. Uebrigens 


zeigen fich beide Theile als vollfommen zufrieden. 


Nuevo mundo descubierto por Christoval 
Colon. ? Da ift nun ein meltgroßer Stoff, den Zope 
de Vega in feiner etwas kindiſchen Manier und doch, 
was den Grund der Sachen betrifft, mit reifer Urtheils⸗ 
kraft und, für feine Zeit, mit völliger Prägnanz dar: 
geftellt bat. ch ſage: mit veifer Urtheilsfraft, troß 
dem vielen Abjurden, das in dem Stüde vorfommt, 
denn es zeigt fih, daß er die jchänbliche, ja für 
Spanien ſchädliche Kehrſeite diefer Entvedung einer 
neuen Welt volllommen eingefeben bat. Durch diefe 
Einfiht in die Vorurtheile feiner Zeit unterfcheivet er 
fich wefentlih von Calderon, der ihm an Verftänbig: 


keit der Anordnung und Feithalten einer Grundidee 


himmelmweit überlegen, dagegen aber von jenen Vor⸗ 
urtheilen jo befangen ift, daß ihm auch nicht der 
geringfte Zweifel dagegen einfällt. So wie Lope in 
früheren Stüden die Galanterie, den abjurden Ehr⸗ 
begriff und die blinde Unterthänigfeit feiner Zeit leiſe 
verfpottet hat, fo entgeben ihm auch, bier die üblen 
Folgen der Goldvermehrung für Spanien nicht: Das 
Vaterland wird fich entuölfern (3. Alt 1. Scene), 


1 Sie haben Laura mir genommen, ich habe Laura nicht mehr, 
fann nicht mit ihr reden, fie nicht mehr berühren, kann nicht mit 
ihr mich ergößen, höre ihre füßen Worte nicht mehr, foll fie nidt 
mehr ſehen. Klopfe an jener Thüre. 

2 Die neue von Ghriftophoro Columbo entdedte Welt. 


Grillparzer, Werte. VIII. 14 


a 


210 Studien zum fpanifhen Theater, 





böfe Kriege werden entftehen, das Gold, troß feiner 
Vermehrung, wird .fich veriteden und enblich fehlen. 
Despoblaränse las tierras 
por ver los nuevos que encierras 
Nuevo mundo en tu Orizonte. 1 


und fpäter: 
Tarrazas: ‚Vendr& el oro a ser mejor? 
Arana: Mas & esconderse y faltar. ? 


Nachdem er mit diefen hingeworfenen Bemerkungen 
dem Berftande genug gethan hat, kommt nun die Bes 
trachtung, die Alles überwiegt und die er daher zum 
Mittelpuntte des Ganzen gemacht hat: die Ausbreitung 
des Chriftenthums. Ganz feinem Zwecke gemäß läßt 
er daher die Indianer fchon bei ihrem erften Auftreten 
im Unredt fein. Ein Kazike hat den andern über: 
fallen und ihm feine Braut geraubt. In der Folge 
gibt fich diefelbe Braut, die ihren Bräutigam bejammert, 
ohne viel Umftände einem Spanier bin. Diefe feine 
Landsleute kommen ſelbſt nicht befier weg. Sie find 
mit Ausnahme der Hauptperfonen fo ziemlich Lumpen⸗ 
gefindel. Nur das Kreuz, Columbus ſelbſt und ber 
Geiftlihe der Expedition, bleiben bei Ehren. Die 
Indianer Übrigens werden durch theild naive, theils 
fomische Züge auch zu Gegenftänben des Wohlgefallens 
gemacht. Der erite Spiegel, Tlingende Schellen geben 
Anlaß zu ergöglichen Scenen. Ein Brief, den ein 
Indianer zu überbringen erhält, und der feine Mauferet 
enthüllt, wird von biefem für ein lebendiges, mit 

Sprache begabtes Weſen gehalten. 


1 Die Bänder werden fi entuöllern, die Seltfamleiten zu ſchauen, 
Land, deines neuen Horizontes. 
2 Tarrazas: Denkſt du, daß das Gold von nun am reiner 
werde? 
Arana: Es wird fih mehr verſtecken und wieder fehlen. 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 211 


Columbus felbit ift fehr gut gehalten. Wir fehen 
ihn anfangs in Portugal, um dem Könige feine Ent 
deckung anzubieten. Er ſpricht mit feinem Bruder 
und gefteht felbft das Abenteuerliche, ja Unwahrſchein⸗ 
Liche feiner Projecte, beruft ſich aber auf eine innere 
Stimme, ber er nicht mißtrauen Tünne. Der König 
von Bortugal verladht fein Anerbieten. Er beichliegt, 
nad Spanien zu gehen, und ſchickt feinen Bruber nad 
England. In der dritten Scene finden wir ihn in 
Spanien angelangt und feinen Bruder mit einer ab- 
Ichlägigen Antwort aus England zurüdgelangt. Die 
fatholifche Königin erwartend, bat nun Columbus 
eine Bifion. Eine Geftalt, in bunten Farben gefleibet, 
ericheint ihm und fünbigt fich als feine eigene Imagi⸗ 
nation an. Sie führt ihn durch die Luft zum Throne 
der Providenz, der die chriftliche Religion und die 
Abgötterei zur Seite ſtehen. Letztere widerſetzt ſich 
der Entdeckung von Amerika und wird von dem hin⸗ 
zugekommenen Teufel unterſtützt, aber wie natürlich 
vergebens, und Columbus ſieht ſich in feinem Vor⸗ 
haben beſtärkt. Die katholiſchen Könige nehmen den 
Antrag an und jo weiter bis zum Schluſſe, wo des 
Undanks derſelben Könige nicht gedacht wird, fondern 
der aus der neuen Welt zurüdgefehrte Entdeder, zum 
Herzoge von Beraguas ernannt, den Königen bie 
Fahne vorträgt und das Ganze mit der Taufe der 
mitgebrachten Indianer ſchließt. 

Halb widerſinnig, und doch wieder durch eine Art 
Nothwendigkeit gerechtfertigt und daher nicht ohne 
Wirkung ift, daß die Wilden, die, wie natürlich, von 
vorneherein fpanifch fprechen, doch bei ihrem erften 
Bufammentreffen mit den Spaniern, fie nicht recht zu 
verftehen angenommen werben, durch Zeichen Antwort 
geben, barbarifche Namen von Dertlichfeiten mit Wieder: 


212 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


bolung berausftoßen, und im britten Alte die Rebe 
ift, daß fie nach und nach fchon fpanifch werftehen und 
ſprechen. Ebenfo wirkſam die Scene, wo fie das aufe 
gepflanzte Kreuz nieberreißen wollen, und hinter der 
Scene einige Schüfe fallen, mas fie auf die wunder: 
thätige Natur bes räthjelhaften Holzftammes beziehen 
und fo vorahnend fi zum Chriſtenthum neigen, ehe 
fie noch wiſſen, was Chriftenthum fei. Noch einmal: 
Zope de Vega ift nicht der größte Dichter, aber bie 
poetifchefte Natur der neuern Zeit. 

El asalto de Mastrique. 1 Da ift nun Zope 
in feinem Elemente, und er ſchwimmt barin wie ein 
Fiſch im Wafler, wenigftens in ber erften Hälfte des 
Stüdes. Eine lieberlihe Lagerwirthſchaft. Spanifche 
Soldaten, die über Hunger lagen, den Krieg ver 
wünſchen und doch gleich darauf zu jeder Unternehmung 
bereit find, beſonders fobald ihnen die Plünderung 
verſprochen wird, ja ber ärgfte Krafehler ift zum Schluß 
der Tapferfte der Tapfern. Sie murren über Mangel 
an Solb, und geben doch fpäter Börfen und goldene 
Retten her, da ber Feldherr Geld braucht. Eine Spa 
nierin, Marcela, ift ihrem Geliebten in Männerkleis 
dern gefolgt. In diefer Verkleidung fticht fie einem 
dien, flamänbifchen Weibsbilde, Aynora, in bie 
Augen, die ein plumper Deutfcher, Bifanzon, aus ber 
Beute von Anttverpen mit fi genommen bat. Mare 
cela, die auf die Dide eiferſüchtig ift, kommt ihrer 
Liebesbewerbung entgegen und fagt ihr in einer Scene 
die unglaublichſten Schweinigeleien, wogegen die Fla- 
mänberin immer in ben Grenzen des Anftanbes bleibt, 
ja empfinbfam wird, nur daß fie in Bezug auf das 
Körperliche die Schwachheit hat, mit Jedem zu gehen, 
er gerabe Luft zu ihr trägt. Prügel und, Ohrfeigen 

1 Der Sturm don Maeſtricht. 


Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 213 


werben auch zu den Liebesbezeugungen gerechnet. Bes 
fonders freigebig mit leßteren ift Don Zope be Figuerra, 
einer der Anführer, der, troß feiner fchlechten Beine, 
an der Flamänderin Gefallen findet und fie auch wirt: 
lich davonträgt, Schon früher als Beltgenoflin, aber 
ſpäter mit ganzer Willfährigfeit, da ſie erfahren hat, 
daß ihr geliebter Marcela ein Weib, wie fie fei. Sogar 
Flamändiſch oder Deutih wird in dem Stüde ge 
ſprochen, in der lebten Scene des erften Altes näm- 
lich, wo Marcela, nachdem fie Aynora an Don Lope 
verhandelt, ihrem Geliebten fagt, fie wolle feine Fla⸗ 
mänberin fein. Da ich eimen Theil diefer Ausprüde, 
wahrjheinlih in Folge von Drudfehlen, nicht ver- 
ftehe, fo will ich den Schluß der Scene herfeßen, viel- 
leicht daß fich in der Folge das Verſtändniß eröffnet. 
Alonso: ;Quieres me dar un abrazo 
mis 0j08? | 
Marcela: Tu velfterthine (vielleicht well 
| verdiene?). 
Alonso: Tantos dizes que conviene 
alargarte luego el brazo. 
iQuieresme quanto te quiere 
esta alma? 
Mar.c.: Dat vuilghimeil. 
Alonso: Yo lo soy, y te soy fiel. 
jseräslo tu? 
Marc.: Yit minhere. 
Alonso: xOlvidaräs mi aficion? 
Marc.: Liuerte sterven, mi bien. 
Alonso: ;Y querräs alguno bien 


Marcela? 
Mare.: Ni ti fiston.! 


I Alonfo: Winf du mid umarmen, mein Augenlidt? 
| Marcela: Tu velfterthine. 








914 Studien zum fpanifhen Theater. 


Das Schalfhafte dieſes letzten Ausbrudes befam 
dadurch feine ganze Wirkfamfeit, daß das ni ti fiston 
(nicht veriteben), wahrjcheinlich aus dem Munde der 
walonifchen Gardeſoldaten, jedem Spanier belannt 
. genug war. 

Wie nachläſſig Zope feine Stüde fchrieb und bei 
ihrer Revifion zum Drude verfuhr, geht auch daraus 
hervor, daß, als das erftemal von ver Flamänderin 
Aynora geiprochen wird, dieß unter dem Namen Se 
rafina -gefchieht. 

Das Stüd erhält fih in Bezug auf die Berfonen 
gleich gut biß zum Ende, nur fommt fo viel Gefecht 
und Sturmlaufen vor, daß e3 für uns etwas Puppen- 
fpielmäßiges erhält. Zur Zeit der Aufführung mochte 
das anders beurtheilt werben. Bei Einnahme der 
Stadt heißt es fogar: aqui no ay representacion, 
sino cuchilladas. 1 

Peribaüez y el Comendador de Ocaüa.?., 
Hier haben wir eines der Lieblingsthemen Lope de 
Bega’d. Das Glück und die Zufriedenheit des ein: 
fachen Landlebens. Ein Bauer Beribanez vermählt 
fih zu Anfang des Etüdes mit Caſilda, einem Land: 
mädchen, und fie erfhöpfen ſich in ziemlih unbehol- 
fenen, aber wahren Berficherungen mechfelfeitiger Nei- 

Alonfo: Du fpriäft fo gut, daß ich dir gleich den Arm 

reihen muß. Liebſt du mid, wie dich meine 
Seele liebt? 

Marc. Dat vuilghinuil. 

Alonfo: Ih bin e8 und werde dir treu fein. Wirft du 

e8 fein? 

Marc. Yit Minhere. 

Alonfo: Wirft du meine Liebe vergeſſen? 


Marc.: Liverte sterven, mein Schaf. 
Alonfo: Und wirft du irgend Jemanden lieben, Marcela? 
Marc Ni ti verston. 








Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 0215 


gung; felbft der anweſende Pfarrer wird fo ziemlich 
zur komiſchen Perfon. Da wird plößlich der Ordens⸗ 
comthur und Gutsherr, den ein zum Feſte vorbereiteter 
Stier fammt dem Pferde zu Boden geworfen hat, ohne 
Befinnung herbeigetragen. Man leiftet ihm jeden Bei⸗ 
ftand, er erholt ſich und verliebt fi in die Neuver⸗ 
mählte. Dieje hat unterdeflen ihrem Mann das Ver: 
langen ausgebrüdt, nach Toledo zum Feſt der virgen 
del Sagrario 1 zu geben, und defien Einwilligung er: 
halten, was dem Comthur Gelegenheit gibt, als Zeichen 
feines Dankes dem Bauer koſtbare Pferbeveden, ja 
fogar zwei Maulthiere für deſſen Wagen zu ſchenken. 
Den Comthur muß fi Zope fehr jung und diefe Liebe 
als feine erfte gevacht haben, denn in diefer roman: 
tiſchen Exaltation pflegt ſich ſonſt die Liebe eines Guts⸗ 
herrn zu einer Bäuerin nicht zu äußern. Das Paar 
geht nach Toledo, der Comthur folgt verkleidet zu 
Pferde und läßt dort von einem Maler verſtohlen das 
Bild feines geliebten Gegenſtandes anfertigen. 

Im zweiten Akte hat Peribañez, der bei ſeiner 
Gemeinde in großem Anſehen ſteht, den Auftrag über⸗ 
nommen, einen heiligen Rochus, der durch Alter un⸗ 
fcheinbar geworben, nach Toledo zu bringen, um ihn 
durch einen Maler auffrichen zu lafjen. Ebenfo fanden 
der Bediente und ein Freund des Comthurs inzwifchen 
Gelegenheit, der erjtere fih als Schnitter im Haufe 
des Bauers aufnehmen zu laffen, indeſſen der anbere 
einer im Haufe befindlichen Muhme Ines den Hof: 
macht, beide um dem Somthur die Gelegenheit anzu- 
bahnen. Der verkleivete Bediente läßt wirklich feinen 
Herrn ind Innere des Gehöftes fein, mo diefer, als 
Caſilda das Fenſter öffnet, um die Leute zur Arbeit 


1 Yungfrau des Altares. 


916 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


zu rufen, anfangs unter der Maske eines Schnitters 
ihr die Liebe des Comthurs anrühmt, worauf fie, auf 
die Maske eingehend, ihre Liebe zu ihrem Gatten er- 
klärt und den Comthur an Frauen feines Gleichen 
verweist und, ald der Ritter ſich als Comthur zu er: 
fennen gibt, ohne weiter von ihm Notiz zu nehmen, 
fortfährt, die Schnitter zur Arbeit aufzufordern. Diefe 
"Scene, obwohl, mit Ausnahme des dharakteriftifchen 
Schluffes, mehr lyriſch als dramatiſch gehalten, ift 
von ergreifenrer Schönheit. Peribanez, in Xolebo 
angelommen, geräth mit feinem heiligen Rochus auf 
den nämlichen Maler, ver Gafilda’3 Bild ind Große 
zu bringen übernommen bat, Er erfährt, daß ber 
Comthur es beftellt hat, ja, nach Ocana zurückgekom⸗ 
men, hört er feine Schnitter, bie etwas gemerkt haben, 
ein Lied auf jenen nächtlichen Beſuch fingen. Er weiß 
nun, was gejcheben ift, doch vertraut er feiner Frau. 
Der Comthur ergreift nun ein anderes Mittel, ihn 
zu entfernen. Er macht ihn zum Hauptmann über 
eine Schaar Zandleute, die dem Könige gegen Granaba 
zu Hülfe ziehen ſollen. Peribanez nimmt die Sendung 
an und läßt fih vom Comthur felbit das Schwert 
umgürten, mas einer Art Ritterichlag gleichkommt, 
offenbar, um das Recht zu erwerben, ibn in ber Folge 
umbringen zu fönnen. Er reist ab, kommt Nachts 
heimlich zurüd, tritt bei feinem Nachbar ein, durch 
deſſen Hof in feinen eigenen, findet den Comthur eben 
im Begriffe, feiner Gattin Gewalt anzuthun, töbtet 
ihn und zur Gefellichaft auch die verliebte Gelegenbeits- 
madherin, Muhme nes, ftellt ſich jelbft dem Könige, 
der einen Preis auf feinen Kopf gejegt bat, und mit 
einer hübichen Wendung bittet er, jeine Frau als bies 
jenige zu betrachten, die ihn gejtellt bat, und das 
Blutgeld der Verlaffenen als Unterftügung zukommen 





Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 217. 


zu lafien. Das wahre Verhältnig wird aufgellärt und 
Peribañez belobt und belohnt. 

Sn diefem lehten Alte ift Zope de Bega etwas be: 
gegnet, das ihm fonft nicht leicht zu gefcheben pflegt: 
er ift abfichtlich geworden. Nachdem fein Held ſchon 
mit Gedanken von Ehre und Rache umgeht, gibt Zope 
ſich fichtlihe Mühe, ihn noch als fchlichten Landmann 
zu halten. Er läßt ihn ausprüdlich mit komiſcher Gra⸗ 
pität hinter feiner Compagnte hermarſchiren, ihn, als 
er fi ſchon zur blutigen That anjdidt, noch von 
Schweinen, Gänſen und Hühnern fprechen, mogegen 
nicht3 zu jagen wäre, aber es hat etwas Gemadhtes, 
was, noch einmal gejagt, bei dieſem Dichter äußerſt 
felten vorfommt. Auch habe ich jchon die Bermuthung 
ausgeiprochen, daß unter der oft vorkommenden Yigur 
eines Belarbo, Zope de Vega fich felbft gemeint habe. 
Hier wird es deutlicher als je, da Belardo einmal fich 
gegen die Tadler auflehnt, die ihm Mangel an Kennt: 
nifien vorwerfen, und meint, er fei der Erfte, ber 
Schreiben könne, ohne lefen gelernt zu haben. 

El Genoves liberal.! Ein theils unbebeu: 
tendes, theils abjurdes Stück. Ottavio Grimalvdo wird 
vom genuefiichen Senate nad Paris geihidt, um die 
Herrihaft über Genua dem Könige von Frankreich an: 
zutzagen. Er bat eine Geliebte, Alerandra, zurüd- 
gelafien, die während feiner Abweſenheit einen Edlen, 
Camillo, heiratbet. Auch bat fi) in Paris eine vor- 
nehme Dame, Marcela, gefunden, die fich in ihn ver- 
liebt und, bei feiner Abreife, ihm, ald Mann verfleidet, 
in Pagenweiſe folgt. Seine Verzweiflung bei der 
Rückkehr ift groß, man merkt aber bald, daß es ihm 
hauptfählih um ben „Genuß“ zu thun war. Als 


1 Der großmüthige Genuefer. 





J 
1 


218 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Gelegenheitsmacher wird die als Page verkleidete Mar⸗ 
cela dem Gatten Alexandra's ins Haus überlaſſen, die 
den Plan darauf baut, ſich bei Gelegenheit der Ge⸗ 
liebten unterzuſchieben und durch eine Verwechslung 
der Perſon ihres, gleichfalls ſinnlichen, Wunſches theil⸗ 
haft zu werden. Das vergißt aber Lope de Vega 
ſpäter, oder es gereute ihn, eine bei ihm ſo oft vor⸗ 
kommende Verwicklung auch hier anzuwenden. Wenig⸗ 
ſtens wird im Laufe des Stückes nichts mehr daran 
angeknüpft. Mittlerweile aber hat das Volk von 
Genua etwas von den Unterwerfungsplanen des Se 
nates gemerkt; fie empören fih und vertreiben ben 
Adel. Darunter auch den Gatten Alerandra’s, der 
aber Gelegenheit findet, von Zeit zu Zeit heimlich 
zurüdzufehren und feiner Grau im Lauf des Gtüdes 
drei Kinder zu verfertigen. Nur Ottavio weiß fich 


durch Achjelträgerei dem allgemeinen Verbannungss 


urtheile zu entziehen, ja als fpäter ber König von 
Frankreich die Stabt belagert und auszubungern be 
fchliegt, ift Dttawio der Einzige, der fein Haus zum 
Kastell umgeftaltet und, als der Hunger ſchon in der 
Stadt wüthet, allein mit allem Nöthigen im Veberfluß 
verjehen ift. Auch im Haufe Alexandra’, bie inzwiſchen 
alle Bewerbungen Ottavio's zurückgewieſen hat, fteigt 
die Noth auf's Höchfte. Sie felbft wäre bereit, Hungers 
zu fterben, auch an ihrem Vater, meint fie, läge nicht 
gar jo viel, mweil er denn doch ſchon alt und hinfällig 
fei, aber ihre Kinder will fie retten. Sie nimmt daher 
den Rath der Ihrigen, in den auch die durch Hunger 
gebändigte Marcela einftimmt, obwohl mit Wider: 
willen, an, bei Ottavio um Nahrung zu bitten. Ihr 
Vater gibt ihr einen Dolch auf den Weg, den fie fich, 
wenn Ottavio den Sünbenpreis für feine Hülfeleiftung 
begehre, nur friſchweg ins Herz ftoßen möge. Sie 


Weber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 219 


tommt an, Dttavio wird von ihrer Lage gerührt, er 
hält mit‘ allen feinen Seelen-Falultäten einen Rath, 
was er thun folle, und beichließt enblich, feinen Ge- 
lüften Zaum anzulegen, ihr mit allen feinen Borräthen 
im übertriebenften Maße beizufpringen (morunter auch 
hunderttaufend Dukaten vorlommen) und dabei ihrer 
Ehre zu fchonen. Das ift denn nun die Großmuth 
dieſes Genuefers. 

Die Stadt wird eingenommen. Der vom Boll 
zum Herzog gewählte Färber, ber die vernünftigfte 
Perſon im Stüde ift, hingerichtet. Alexandra erhält 
ihren Gatten, Marcela gibt fich zu erfennen und wird 
mit dem großmüthigen Genuefer vermählt. 

Es bat wohl noch feinen Dichter in der Welt ge 
geben, bei dem die höchfte poetifche Begabung mit ber 
leichtfinnigften Schleuberei jo Hand in Hand gieng. 

Das Handwerk trug wahrfcheinlich wenig ein; das 
Verſemachen war ihm zum Bebürfnig geworben, ber 
Begehr nad) neuen Stüden war groß, und fo über: 
ließ er denn der Stimmung und dem Zufall, ob bie 
in Gang geſetzte Scheibe eine Vaſe oder einen Krug, 
herborbrachte. 

Los torneos de Aragon. 1 Wo möglich noch 
unbebeutender ala das vorige. Eine Eftela, Schweſter 
des Grafen Balduyno, wird von Herzog Arnaldo auf 
der Reife überfallen, geichändet und gefangen gehalten, 
findet aber Gelegenheit, zu entlommen. Dem Herzog 
Arnaldo wird die Hand Marcela’s, der Tochter des 
Königs von Frankreich, Clodoveo, angeboten, bie er 
auch mit Freuden annimmt. Sie ift aber fchon in 
den Grafen Balduyno verliebt, ver fie mit Hülfe eines 
Carlos, verfprochenen Bräutigamd der gefchänbeten 
Eitela, entführt, bei welcher Gelegenheit aber Carlos 


1 Die Turniere von Aragon. 


220 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


gefangen wird. Sämmtlihe Flüchtlinge ‚nehmen ihren 
Weg nad Spanien, wo Eftela in Männerkleidern 
und zwar, man weiß nit, warum, als Narr am 
Hofe von Aragon auftritt. Inzwiſchen bat Balduyno 
erfahren, daß Carlos’ Leben in Gefahr ſchwebt und 
er nur durch einen Gerichtöfampf gerettet werben Tann. 
Er verläßt daher heimlich feine Marcela und reist 
nad) Paris, befreit feinen Freund, wirb dabei felbft 
gefangen und feinerjeit® wieder von Carlos befreit. 
Das Ende davon ift, daß beide Freunde nad Arrar 
gonien gehen, wo der König ein Turnier ausgefchrieben 
hat, in dem ber höchite Preis der Schönheit für feine 
Gattin von dem Platzhalter in Anfpruh genommen 
wird. Dahin hat ſich auch Marcela gewendet, die ſich 
von ihrem Geliebten verrathen wähnt und in Männer: 
kleidern Nachricht von ihm einzuziehen gedenkt. Die 
als Narr bei Hofe in Gunft ftehende Eftela verliebt 
fich hier in den mäbchenhaften Jüngling, wobei fie meint, 
da fie doch ſchon einmal geſchändet fei, fo molle fie 
doch ihre Luft an ihrem neuen Liebling büßen. Hier⸗ 
aus entfteht bie befte Scene im ganzen Stüde, wo 
die beiden Weiber, ſich wechſelſeitig für Männer hal: 
tend, die Eine für ihre Keufchheit beforgt ift und bie 
Andere die ihrige an Mann bringen will, wobei es 
denn nicht an argen Zweideutigkeiten fehlt. Eftela er» 
klärt ſich zuerft und trägt ſich an. 


Marcela: . . . . . no podre. 
Estela: ;con que causa? 
Marcela: Esse con que 


es porque sin el estoy. 
Estela: ;Como? 
Marcela: Porque soy muger.' 


1 Mareela:. . 0... id fann nicht. 
Efela: Aus welchem Grunde? 


Ueber Zope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 991 


Der König. bon Frankreich und der Herzog „non- 


Arnaldo find unterdeflen in Verfolgung ber Flüchtigen 
auch nach Arragonien gefommen. Das Turnier findet 
ftatt. Allffeitige Erfennungen. Balduyno erhält feine 
Marcela, Carlos eine Verwandte des Königs, bie 
er noch gar nicht kennt; und die begehrlihe Eitela 
ift noch immer gut genug für ihren Ehrenjchänder 
Arnaldo. 

La boda entre dos maridos.! Pie auf 
opfernde Freundichaft zweie⸗ jungen Leute, des Spa⸗ 
niers Lauro und eines Franzoſen Febo. Die wechſel⸗ 
ſeitige Empfindung, bis auf eine gar zu große Spitz⸗ 
findigfeitt mit dem: Sneinanderleben und eins im 
andern fein und zu häufiger Wortfpiele mit dem Namen 
Phöbus ald Sonne, ganz gut gehalten. Lauro ift in 
eine Fabia verliebt. Theil® um dem Freunde feine 
Geliebte jehen zu machen, und wohl aud, weil er ihm 
ihre jlingere Schweiter Celia zudenkt, nimmt er ihn 
bei einer feiner heimlichen Zufammenfünfte mit, wobei 
aber Febo das Unglüd hat, fi heftig in Fabia zu 
verlieben, ohne jedoch feinem Freunde etwas davon 
merken zu laflen. Die Zufammentünfte werden ruchbar 
und führen eine Verlobung Lauro's mit Yabia herbei. 
Nun erkrankt Febo plößlich mit allen Zeichen ver 
Geiſtesverwirrung. Lauro wendet vergebens alle Mittel 
an, um die Urſache diefer Schwermuth zu ergründen. 
Erſt als er ſich felbjt den Dolch auf die Bruſt ſetzt 
und ſich zu ermorden droht, gefteht Febo feine Liebe. 
So ſehr er nun ſelbſt verliebt ift, befchließt er Doch 
ohne Zaubern, die Braut dem Freunde abzutreten, 


Marcela: Weil ih daB, was Ihr habt, nicht habe. 
Efela: Vie? 
Marcela: Weil ih ein Weib bin. 

1 Die Heirath zwifchen zwei Ehegatten. 


222 Studien zum fpanifhen Thenter. | 


„been Leidenſchaft. ſtärkr ‚sein. muß, ba,fe ihn krank 
gemacht hat: 


Febo tu estas & la muerte 
de amores desta donzella, 
y yo no me muero agora. 
Amor noB puso esta mesa 
quien fiond “abs hambre coma. 1 


Er ſchützt eine nothwendige Reife vor und gibt 
feinem Freunde eine falfhe Vollmacht (?) (un fingido 
poder), fih in feinem Namen mit Fabia trauen zu 
laſſen, und als die Nacht kommt, ſchwärzt er ihn in 
das Brautgemad) ein. 

Aus Furcht vor den Verwandten der Neuvermäbhlten 
entflieht Febo mit Yabia und ihrer Schmweiter nad) 
Frankreich. Dagegen fällt Lauro in ihre Hände. Er 
verliert Hab und Gut und muß als Bettler gleichfallg 
nad Frankreich fliehen. Auf dem Wege fällt er Räu⸗ 
bern in die Hände und kommt, von Mangel und 
Hunger erichöpft, in Baris an, mo er auf öffentlicher 
Straße feinen Freund Febo um Almofen anfpricht, ber 
ihn mit einem Gott belfl abfertigt. Nun glaubte er 
fih von ihm verrathen, nimmt jelbft einen im Walde 
begangenen Todtſchlag auf ſich, um zu fterben. Febo 
bat ihn aber nicht erkannt, als er ihn abiwies, und 
da Lauro nun ald Mörber vor den Brevot von Paris 
gebracht wird, nimmt er den Todtſchlag auf fi, und 
fo ftreiten fie an Großmuth, bis endlich ein anderer 
Spanier Anbroniv, ein früherer Liebhaber Fabia's, 
geitebt, den Verblichenen im Zweikampfe getübtet zu 
baben, Alles fih aufflärt und bei der Schlußver: 


1 Phobus, du bift auß Liebe zu diefem Fräulein dem Tode 
nahe, und id bin noch nicht in Gefahr, zu flerben. Amor dedte 
uns dieſe Tafel, wer mehr Hunger hat, der efle. 











Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 2923 


heirathung ſämmtlicher Weiber, Lauro die jüngere 
Schweſter Fabia’, die bis dahin unbeachtete Celia, 
erhält. Gegen das Ende hebt fih das Stück etwas, 
das ſonſt ziemlich unbedeutend verläuft. 

El amigo por fuerza.1 Ein Prinz Turbino 
von Ungarn, der einen Grafen Aitolfo haßt, weil er 
der begünftigte Liebhaber der Schweiter bes Prinzen 
ift und doch mwieber fein Beichüger und Freund ift, 
weil er felbft die Schweiter vefielben liebt. Da mwäre 
nun Stoff, ſollte man meinen,. zu artigen Verwick⸗ 
lungen, intereflanten Gegenfägen und unerwarteten 
Ereigniflen jeder Art. Aber nichts von dem Allem. 
Das Ganze verläuft fich jo ungefchlacht und verb, daß 
der Gedanke, ftatt den Bau daraus organijch zu ent- 
wickeln, beinahe nur zum Aushängjchild wird, um 
die Kneipe von andern ihres Gleichen dadurch zu 
unterfcheiden. Die Prinzeflin wird von ihrem Vater 
in Folge eines Frievenstractates dem Könige bon 
Böhmen zur Gemahlin beitimmt und zugleich ver Graf 
Aitolfo, der einen Verwandten des Lebtern getöbtet, 
demfelben zur Hinrichtung ausgeliefert. Der Prinz 
befreit feine Schwefter, indem er fie auf dem Wege 
zur gezwungenen Hochzeit rauben läßt. Er will auch 
feinen aufgenöthigten Freund Aftolfo befreien, morin 
ihm aber die beiden Weiber zuborgelommen find, bie, 
als Sklave und Sklavin verkleidet, mit einem alten 
Luſtigmacher Hortenfio als Sklavenhändler Eingang 
in den Thurm gefunden haben, wo der Alkalde des 
Gefängniſſes ſich in die Sklavin verliebt, und nun 
beide Damen mit eigenen zarten Händen die Dolche 
brauchen, und dem verliebten Hüter den Garaus machen. 
Aſtolfo iſt nun zwar befreit, dafür aber wird der 


1 Der aufgendthigte Freund. 


224 Studien zum fpanifhen Theater. 


Prinz Turbino, der in der Verkleidung eines Brief: 
trägers einen abgelonderten Blan verfolgte, fchlafend 
gefunden und jeinerfeit? gefangen genommen. Ein 
neuer Fund muß aushelfen. Der Luftigmader Hor- 
tenfio wird zum griechiſchen Arzt, den die beiden 
Weiber als Pagen und der befreite Aftolfo ala Diener 
begleiten. Der Prinz ftellt fi), nach Verabrebung, 
krank, die Griechen werben eingelafien, Inebeln den 
Aufficht führenden Herzog Mauricio und entfliehen 
mit dem Gefangenen. Der König von Ungarn, in 
der Freude, feine Kinder wieder zu haben, erfüllt die 
Wünſche ihrer Herzen. 

ch bin zu wenig. befannt mit der Vorgeſchichte 
des fpanifchen Theaters, um zu miflen, ob Lope de 
Bega der Erſte war, der diefen Reichthum von Er: 
eignifien und das Melodramatiiche der Handlung auf 
die Bühne brachte. Am Bejahungsfalle bleibt ihm 
immer da3 BVerbienft als Erfinder, das Tein Fleines 
wäre, da das Bunte doch immer beſſer tft, als das 
Leere, und er dadurch einem fünftigen, gehaltuolleren 
Intereſſe den Weg gebahnt hätte. Wenn nidt, fo 
bliebe es halb unbegreiflih, mie ein Dichter in 
vollem Sinne des Wortes, dem Publifum zu Liebe, 
fih bis zu derlei Hervorbringungen herablaflen Tonnte. 
Denn felbit in der Ausführung find kaum ein paar 
Berfe, die fih über die Jahrmarktsbude erheben. 

El galan Castrucho.! Eines jener lieverlichen 
Stüde, in denen fonjt Lope de Vega's Hauptftärke 
beiteht, das übrigens auch nicht3 weniger als leer au$- 
gebt. Eine alte Kupplerin, Teodora, die noch viel 
preistivürbiger wäre, menn nicht bie berühmte Geleftina 
als Mufter vorgeſchwebt hätte. Dazu ihr Mündel 


I Der galante Caſtrucho. 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 295 


Fortuna, die, obgleich bereit, fih auf Befehl, ja aus 
Furt vor ihrer fie vergötternden Schüberin, Jedem 
preigzugeben, der den Preis bezahlt, doch wieder fo 
gehorſam, eingefchüchtert, natürlich, ja unſchuldig ift, 
daß fie unter die beiten Figuren gehört, die in dieſer 
Art je geichaffen worden find. Sie geht durch alle 
Hände. Der Hauptmann, der Fähnrich, der Ser: 
geant find in fie verliebt. Der commandirende General 
genießt ihre Gunft und bezahlt fie auch richtig, wozu 
ihr die Alte auch eigens einen leeren Geldbeutel ums 
gehängt hat; der General-Quartiermeifter ift eben mit 
ihr handelseins geworden, als ihn die Lärmtrommel 
abruft. Sie hat für Alle nur Eine Antwort: fie möchten 
vorher mit ihrer Mutter Sprechen. Eine wirkliche Nei- 
gung zeigt fie nur für die als Page gekleidete Lucretia, 
welches Liebesverſtändniß fie denn freilich gleich mit 
der Entwidlung anfangen möchte; dazu nun ber Galan 
Gaftrucho, ein Zump, Spieler, Lügner, Prahler, Kupp- 
ler, ber die beiden Weiber, nöthigenfalla felbjt durch 
die Gewalt der Fäujte, in Unterwürfigfeit hält. Er 
jagt bie fchöne Fortuna, die er felbjt unter dem Bers 
Iprechen ber Ehe verführt hat, jedem der brei in fie 
verliebten Offiziere ab, indem er einen gegen den an- 
dern aufhetzt und im allgemeinen Handgemenge als 
wirklicher Befiter übrig bleibt; ja jpäter, von den drei 
Martisfühnen gedrängt und vom Prahler zum Feigen 
geworben, veripricht er Jedem ihren Befig, wo er denn 
dem Fähnrich und Sergeanten ihre eigenen verlaflenen 
Geliebten, dem Hauptmann gar die alte Teobora 
unterfchiebt; diefe beiden verlaffenen Solvatenfreun- 
dinnen find der Armee nachgereist und befinden fich, 
beide als Pagen verkleidet, im Haufe Teodora's. Es 
ift vielleicht die unfittlichite Scene des ſpaniſchen Thea- 
terö, daß, nachdem die Offiziere ſich mit dem gehabten 
Grillparzer, ®erte. VII. | 15 


226 Studien zum fpanifchen Theater. 


Genufje zufrieden erklärt haben, Caſtrucho vorausſetzt, 
fie hätten Knaben Gewalt gethan, und fie gar darüber 
gerichtlich zu belangen droht. Den Schluß macht der 
General, der den treulojen Liebhabern befiehlt, ihre 
verlafienen Geliebten zu heirathen, wobei benn bie 
feine Fortuna dem lumpigen Caſtrucho zu Theil wird, 
ein Befitz, um welchen er freilich nicht fehr zu beneiben 
ift, die arme Willenlofe aber noch viel weniger. Die 
Attrapen des Stüds find nicht weniger als gefchickt 
ins Werk gejebt, was denn überhaupt nicht Zope be 
Vega's glänzende Seite ift. 

Es ift merkwürdig, daß ein Stüd von fo nichts⸗ 
würdigem Inhalte ung nichts defto weniger Vergnügen 
macht. Es ift eben die Naturwahrheit der Darftellung 
und das Intereſſe an ber menſchlichen Natur, felbit 
in ihren Ausartungen, wenn fie nur nicht geradezu 
verberbliher Art find. Na, es freut uns, jenen 
Energien der Urfprünglichleit, die wir in ber Wirk 
lichkeit möglichft einzufchränfen ſuchen, auf dem 
Boden ber Filtion einmal freien Spielraum zu geben. 
Ein Spaziergang gegenüber dem Geſchäftsgang. 
Nicht anders fprechen ung auf Reifen jene Völker 
am meiften an, unter denen wir am menigiten leben 
möchten. 

Los embustes de Zelauro.! Da ift ein Lu⸗ 
percio, der ſich gegen den Willen feines Vaters heim- 
lich verheirathet hat. Gleich beim Eingange des Stüdes 
iit der Alte darüber ber, den Sohn mit dem Stocke 
zur Vernunft zu bringen; Lupercio leugnet, verjpricht 
Alles, gebt aber gleich darauf zum heimlichen Liebchen. 
In diefe Lebtere hat fich indeſſen ein Zelauro verliebt, 
der das gute Verhältniß zwifchen den Gatten zu ftören 


1 Die Betrügereien des Zelauro. 





ww 
’ 
.‘ 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 997 


fi) vornimmt. Er führt zuvörderſt feinen Freund Lupercio 
in3 Spielhaus, wo dieſer alles Gelb verliert, das ihm 
der Bater in der Freude feines Herzens gegeben hat, 
ohne daß diefer Leichtfinn für Zope de Vega nur den 
geringften Schatten auf defien Charakter wirft. Dar- 
auf macht Zelauro die Gattin Fulgencia eiferfüchtig. 
Er nimmt den arglofen Lupercio als Rüdhalt zu einem 
vergeblichen Stelldichein mit, in dem Zelauro's eigene 
Schweſter die Rolle der Angebeteten fpielt und vom 
Fenfter aus mit den beiven Abenteurern Spricht. Bes 
lauro bat die eiferfüchtig gemachte Fulgencia in Männer: 
Tleivern als Zeugin hinbeſtellt, wo fie denn zum 
Schluſſe, ihrer jelbft nicht mehr mädtig, vom Leber 
zieht und als Unbelannter ihren Gatten im Zmeilampfe 
anfällt, was die befte, ja die einzige gute Scene im 
Stüde bildet. Im zweiten Alte wird der Mann auf 
die indeß verfühnte Frau eiferſüchtig gemacht. Er ver: 
ſtößt fie und nimmt ihr ihre zwei Kinder. Im britten 
Alte kommt fie auf das Gut des Vaters, der fie nicht 
fennt und der fie ala Magb in feine Dienfte nimmt, 
ia endlich gar heirathen will. Zelauro, der ihren Weg 
verfolgt, ift indeß Bauern in die Hände gefallen, bie 
ihn als vermeintlichen Räuber ſchwer verwunden. In 
der Tobesangft geitebt er dem dazu gekommenen Lu: 
percio feine Nieverträchtigleiten. Die Gatten finden 
fih, der Alte gibt, wie natürlich, feine Anfprüche auf, 
und ſelbſt dem Schurken Lupercio wird verziehen. Aud) 
in dieſem Stüde fommt ein Belarbo vor, unter welcher 
Figur ich vermuthete, daß Lope de Vega fich felbit 
gemeint habe. Hier tft nichts, was dieje Vorausſetzung 
beitätigte. 

La fe rompida.1 Ein König von Arkadien 


1 Die gebrohene Treue. 





nn 


228 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


wird auf der Jagd von Meuchelmörbern überfallen, 
als plößlich eine Jägerin Lucinda, die Tochter eines 
reichen Landmannes, erfcheint und die Verſchworenen 
in die Flucht treibt. Sie führt den König in das 
Haus ihres Vaters, wo er, unter dem Verſprechen 
der Ehe, ihre Liebe genießt, aber, was fchon bon 
vornherein feine Abjicht war, fie am andern Morgen 
heimlich verläßt. Xucinda, bie ihn, feinem Vorgeben 
gemäß, für den Sekretär des Königs hält, hüllt ſich 
in Männerkleiver und folgt ihm, von einem Diener 
ihres Vaters begleitet, an den Hof, dort erfennt fie 
in ihrem treulofen Liebhaber den König, findet ihn 
aber zugleich in einem Liebesverjtändnifje mit ber 
Schweſter des Herzogs Floriberto, der, aus gefränktem 
Ehrgefühl, ſchon im erften Alte die Meuchelmörber 
gegen den König beftellt hat und ihn auch jetzt unter 
den Fenſtern feiner Schweiter neuerdings überfallen 
läßt. Lucinda befreit ihn mit Hilfe einiger Landleute 
auch diefesmal, wirft ihm feinen Undank vor und gibt 
ſich endlih zu erkennen, mas aber auf den König 
wenig Eindrud macht, der meint, daß, da fie fich 
einem Sefretär ergeben babe, fie auch nur Anspruch 
auf die Hand eines Sefretärd habe. Es Tommt fo 
weit, daß Lucinda die Hand an den Dolch legt, und 
fie trennen fi in Unfrieden. Im dritten Akt fammelt 
fie ein Heer und bringt das Land in Aufruhr. Sie 
bält einen engen Paß befebt, wo fie jeden Wanderer 
zwingt, eine Erflärung zu unterjchreiben, baß ber 
König ein Treulofer und ein Schurke fei. Der König, 
der mit feiner Flotte gegen die Rebellen ausgezogen 
it, leidet Schiffbruh und geräth, an die Küfte aus: 
geworfen, in denjelben Engpaß. Lucinda zwingt auch 
ihn, jene ſchmähliche Erklärung zu unterfchreiben, mas 
er, da er fie mittlerweile erkennt, denn auch, obwohl 





Ueber Zope de Vega's dramatijche Dichtungen. 299 


nicht ohne Zaubern, endlich thut. Bei biefer Gelegen- 
beit zeigt fich aber, mitten durch die Erbitterung, 
Lucinda's Liebe jo übermächtig, daß der König fidh 
befiegt fühlt, wo denn das Webrige fih von felbft 
verſteht. Dieſe legte Scene iſt wunderfchön und ganz 
gemacht, ein leivenfchaftliches Spiel zur vollen Geltung 
zu bringen. Einmal, da der König eine Gering- 
ſchätzung feines Lebens zu erkennen gegeben, ſagt 
Zucinda unter anderm: 


Sin bravatas mi sefor, 

que en rendidos es locura. 

El que vida no procura 

no tiene mucho valor 

que quien la vida no estima 
es sefial que no es honrado, 
pues que no la tiene en nada 
ni el perdella le lastima. 

Es muy de los afrentados 
querer la vida perder, 

y el saberla defender 

muy de los que son honrados. 1 


Auch der ganze erfte Alt ift gut umd nur in der 
Mitte wird die Behandlung durch das Abgefchmadte 
der Begebenheiten aus dem Gleichgewichte gebracht. 

El tirano castigado.? Ein Herzog von Sar- 
dinien, glaub’ ih, hat zwei Söhne, einen ächten, 
Florifeo, und einen Baftarb, Teoboro. Floriſeo wird 


1 Die Drohungen, mein Herr, find bei Gefangenen Narrheit. 
Der, der fih um fein Leben nicht müht, befigt geringen Werth, 
denn wer fein Leben nicht achtet, der gibt damit zu erkennen, daß 
es ihm an Ehre gebricht, weil er es geringe ſchätzt und den Berluft 
deflelben nicht bedauert. Nur Entehrte wünjchen das Leben zu ver- 
lieren, und die Ehrenhaften wiffen jehr wohl, es zu vertheidigen. 

2 Der beftrafte Tyrann. 


230 Studien zum fpanifchen Theater. 


gleich in ben erften Scenen des Stüdes bei einem 
verliebten Abenteuer von feinem Nebenbuhler mit 
Gebilfen überfallen, gefnebelt und in einem leden 
Nahen ind Meer hinausgeftoßen. Unter Voraus: 
ſetzung feines Todes fieht fih nun der Baftard als 
Erben des Throne an und beichließt, feinen Vater 
zu entjeben, um fo mehr, als er zugleich in feine 
Stiefmutter Zaubemia verliebt ift, der er auch feine 
Leidenſchaft erflärt, aber von ihr zurückgewieſen wird. 
Slorijen ift von Seeräubern aufgefangen worden, und 
wir treffen ihn im zweiten Alte in Biferta, wo er 
dem Könige das Leben gerettet hat und dafür feine 
Sreiheit erhält. Seine Geliebte, Arminda, die in 
Männerkleivern feiner Spur gefolgt, wurde gleichfalls 
gefangen und nad) Biferta gebracht, wo denn gleich 
eine Eiferfuchtsfcene Statt findet, da Florifen nicht 
übel Luft bat, die Liebe der mauriſchen Königstochter 
zu erwiedern. Unterbeflen langen Gefandte des Ba- 
ſtarden Teodoro an, der die Hilfe der Heiden gegen 
feinen Vater in Anspruch nimmt, melde Hilfe der 
König, in der Abficht, das Land fpäter für fich ſelbſt 
zu behalten, ihm zufagt und ein Heer fammelt, dem 
Floriſeo und die verfleivete Arminda fi) ala Haupt 
leute anjchließen. Mittlerweile bat der tyrannifche 
Baſtard feinen Vater ind Gefängniß geworfen; die 
Stiefmutter ift entflohben. Die Mauren langen an; 
auf dem Marktplatze wird ein Gerüft aufgerichtet, auf 
dem der alte Herzog die Krone an feinen unädhten 
Sohn abtreten foll, deſſen er fich weigert und wieder 
ins Gefängniß zurüdgebradht wird. Dieß Gefängniß, 
das Kaſtell der Stadt, haben indeß die Mauren be 
feßt, und ihr König erklärt nun, daß er gelommen, 
um fich felbjt zum Herrn des Landes zu machen, mas 
er als den erften Schritt zur Fünftigen Eroberung 








Ueber Lope de Vega's dramatifche Dichtungen. 231 


Spaniens betrachtet. Aber der Hauptmann Slorifen, 
der ihm zur Seite fteht, droht ihm, ihn von den 
Mauern herabzuftürzen, wenn er nicht ihm, dem recht- 
mäßigen Erben, das Land frei gibt. Es gefchieht, 
der Baſtard Teodoro ift im Gefechte fchwer verwundet 
worden, wo ihn denn fein Vater auf die Schultern 
nimmt, ihm verzeiht, was zu rührenden Scenen Anlaß 
gibt. Jedermann erhält Verzeihung, und das Stück 
endet aufs Beite. 

Der Inhalt it eben jo bunt, aber nicht fo abfurd 
als bei ähnlichen Stüden Lope de Vega’s. Die Be: 
handlung flüchtig und ohne berbortretende Stellen. 

Wenn ich übrigens von berlei Hervorbringungen 
Lope de Vega's abſchätzig zu fprechen Scheine, jo möchte 
ich mich nur vor der deutſchen Erbſünde bewahren, 
an einem Lieblingzfchriftfteller alles gut zu finden. Lope 
fteht in feinen guten Stüden ben beiten Schriftftellern 
aller Zeiten gleich, ja an Anlage den meijten voraus, 
Das Uebrige ift Fabrilsarbeit, und wenn feine Zu— 
börer daran Gefallen fanden, fo möchte ich nicht mit 
ihm rechten, fih die Sache leicht gemacht und das 
Schreiben, mie die Befriedigung eines natürlichen 
Bebürfniffes, was es ihm mar, fo fchnell abgethan zu 
haben, als ihm eben beliebte. 

El exemplo de la paciencia 1 behandelt vie 
Geſchichte der Grifelbis, die bier Laurencia heißt. Die 
Darftellung ihres erften ländlichen Zuftandes fo vor- 
trefflich, als derlei Schilderungen einfacher Glüdfelig- 
fett bei Zope de Vega immer find. Ihre Güte, Milde, 
Berftändigfeit, verbunden mit großer Schönheit, machen 
begreiflih, daß der Graf von Rouflillon, der fih als 
einen Feind ber Ehe aus Mißtrauen gezeigt hat, fich 


1 Das Muſter der Geduld. 





ve 


232 Studien zum fpanifihen Theater. 


in fie verliebt und fie am Schluffe des erften Altes 
heivathet. Im Anfange bes ziveiten Altes, wo eben 
ihr zweites Kind zur Taufe getragen wird, kehrt, man 
weiß nicht recht warum, der Biweifelfinn des Grafen 
zurüd, und er beſchließt, feine Gattin zu prüfen. Er 
fängt auf gut fpanifch gleich mit dem Aeußerſten an 
und begehrt, daß Laurencia ihr eben nur gebornes 
Kind, mit ber ausgefprochenen Abficht, es zu töbten, 
ausliefere. Sie fügt fi in Gebuld und wünſcht nur, 
daß man es nicht ben wilden Thieren ausſetzen möge. 
Auch ihr älteres, ein Knabe, wirb begehrt, weil die 
edlen Vaſallen nicht einem Herrn von fo nieberer Abs 
Zunft bereinft unterthänig fein tollen. Gleiche Will: 
fährigkeit. Offenbar hilft bier, nebftvem, daß das 
Unglaubliche einmal ein Hauptingrebiend der Dramen 
jener Zeit ausmacht, auch die Vorftellung von der 
Würde bes Adels und der Gottähnlichkeit der Herrfchere 
gewalt mit, um derlei felbft einem bamaligen Publikum 
zuläßig erfcheinen zu maden. Enbli trifft er fie 
mit ein paar Landleuten ihrer frühern Bekanntſchaft, 
die zum Beſuch gefommen find, wirft ihr ihre Niedrige 
feit vor, mifcht einen fehr gut erzählten Apolog von 
ver Kae ein, die in ein Mädchen verwandelt wurbe 
und fih aud fehr gut menſchlich betrug, bis fie zus 
fällig einer Maus anſichtig wurbe, wo bie alte Natur 
hervorbrach und fie dem Thierchen nachlief, um es zu 
haſchen. Sie antwortet ihm mit einer andern Fabel, 
deren Inhalt ich vergeſſen habe, obwohl die Seite, 
die Spalte und der Drt, wo fie fteht, mir vor ben 
Augen ſchwebt, und er ſchickt die Arme ihrem Vater 
zurück. 

Ueberhaupt iſt der beinahe gänzliche Verluſt meines 
Gebächtnifes der Grund, warum ich diefe Hauptzüge 
Lopifcher Schaufpiele hier nieberfchreibe, damit beim 








Ueber Lope de Vega’8 dramatiſche Dichtungen. 933 


Wiederanblick der Umriffe ich mich der Ausfüllungen 
zum Theile wenigſtens wieder erinnere. Zugleich ber 
immer zunehmende Wiberwillen gegen das Schreiben, 
fo daß ich mich wenigſtens zwinge, die Feder in bie 
Tinte zu tauchen und zufammenhängende Sätze auf? 
Papier zu werfen. 

Laurencia fommt alfo zu ihrem Vater zurüd, der 
Graf zieht ins heilige Land, eine Reihe von Jahren 
vergeht. Unterdeſſen hört ein Graf von Bearn von 
Laurencia’3 Bortrefflichleit und Schönheit, und er 
trägt ihr durch einen Abgejandten feine Hand an. 
Zugleih aber ift der Graf von Rouſſillon zurückge⸗ 
fommen und begehrt jie als Magb in fein Haus, da 
er gefonnen fei, zu einer neuen Ehe zu fchreiten. 
Zaurencia zieht vor, Magd im Haufe ihres frühern 
Gatten zu fein, und meist den vornehmen Heiraths⸗ 
antrag zurüd, Wir finden fie mit dem Beſen in ber 
Hand in den Zimmern, die fie einft als Gebieterin 
bewohnt. Die neue Braut langt an, von ihrem 
Brautführer begleitet. Die vorgebliche Braut ift aber 
Niemand anders als Laurencia’3 Tochter, ihr Begleiter 
Laurencia's Sohn. Das Ende ergibt ſich von felbit. 

Auch in diefem Stüde kommt ein Belardo vor, 
der dieſesmal fich fogar mit Versmachen abgibt und 
gewiß Lope de Vega jelbit ift. 

A. W. Schlegel, der über Zope de Vega abge: 
urtheilt hat, offenbar, ohne ihn zu Tennen, hebt als 
einen Hauptzug Lope's Neigung zu ſcholaſtiſchen Spitz⸗ 
findigfeiten heraus. Nicht? Tann im Allgemeinen 
falicher fein. Das gegenwärtige Stüd trägt übrigens 
mehrere Spuren davon und an Stellen, wo fie nicht 
bingehören. 

La batalla delhonor. 1! Ein König von Frank⸗ 


1 Der Kampf für die Ehre. 


234 Studien zum fpanifhen Theater. 


veich (offenbar Franz I.) ift in die Frau feines Vetters, 
des Almirante Carlos (der Konnetable Karl von Bour⸗ 
bon) verliebt und bedient ſich aller Mittel, um zu 
feinem Zmede zu gelangen, welche Angriffe und feine 
eigene Vertheidigung dem Almirante unter dem Bilde 
einer Schlacht oder vielmehr eines Krieges vorſchweben, 
von woher ber Titel des Stüdes rührt. Den Anfang 
machen jene Nachticenen unter den Fenftern der Ge 
liebten, die bei Zope nie fehlen, aber bießmal ge 
Tchiefter angelegt find, jo daß mir bier entweder bie 
Anfänge des SIntriguenftüdes jehen, das Calderon 
ipäter fo beiwunberungsmwürbig ausgebildet hat, wenn 
nicht Calderon inzwifchen bereit3 erfchienen war, und 
Lope de Vega keinen Anftand nahm, feinen glüdlichen 
Nebenbuhler feinerfeit3 nachzuahmen.. 

Der Almirante führt alfo den Bertheidigungsfrieg 
feiner Ehre, Er ftattet die Dienerinnen feiner Frau 
aus und verheirathet fie, da er fie als Spione bed 
Feindes betrachtet. Der König läßt die Mauer eines 
Nachbarhauſes einbredhen, um in ben Garten feiner 
Geliebten zu gelangen. Da ift denn eine Belagerung 
in befter Form. Später will er fogar einen Gang 
unter der Erde graben laſſen; aljo ein Minentrieg. 
Blanka ſchläft im Garten, der König überrajcht fie, 
aber der Almirante bat fich feinerfeit3 auch hingelegt, 
und Scheinbar im Schlafe fprechend, jagt er einzelne 
Warnungsworte, die den König vertreiben, ja, als 
Blanfa ſpäter aufmacht, jet er dieſes Spiel fort, was 
er eine glüdliche Kriegslift nennt. Da er übrigens 
gegen feine Frau geäußert, daß die Foftbaren Kleider 
der Frauen nur Mittel feien, Liebhaber anzureizen, 
jo legt diefe ihren Schmud ab und erjcheint ganz 
einfach gefleibet, ja fie meint, ihr Gatte möge jene 
abgelegten Kleider auf die niedergerifiene Mauer, als 


Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 235 


einer Brejche, fahnenartig aufpflangen, zum Zeichen, 
daß an eine Uebergabe nicht zu denken ſei. Untervefjen 
fommt aber der König, findet, daß Blanfa, feine 
Muhme, da er fie fo einfach gekleidet fieht, nicht 
ftandesmäßig behandelt werde, und gibt feine Abficht 
zu eriennen, die Ehe auflöfen zu laffen. Darüber 
wird der Almirante Knall und Fall närriſch, und die 
fire Idee eines Krieges verfolgend, läßt er ſich Sporen 
anjchnallen, eine Lanze geben, glaubt, zu Pferde zu 
figen, und treibt folche Albernheiten, daß man faum 
begreift, wie irgend ein Publikum fich derlei gefallen 
laſſen konnte. Die Nachricht von dieſem Wahnfinn 
wirft aber andererjeit3 auf den König ſo mohlthätig, 
daß er von feiner Liebe abftehbt und, theils zur Ges 
nugthuung, theil® um bie frühern Vorgänge umzu⸗ 
deuten, die Schweiter bes Almirante heiratbet, mo 
denn dieſer augenblidlich wieder zu Verſtande kommt. 
La obediencia laureada y primer Carlos 
de Ungria.! Ein alter Edelmann in Neapel bat 
zwei Söhne und eine Tochter. Der Vater ift in den 
Jüngern vernarrt, einen lieberliden Burfchen, einen 
Spieler und Schläger, der das Vermögen des Haufes 
nad und nad durchbringt, die Tochter hat einen nicht 
Heinen Beifchmad von ähnlichem Leichtfinn. Der 
ältere Sohn Carlos, von der Univerfität zurüdkehrend, 
findet das Haus in diefer Verwirrung. Seine Schweiter 
zurechtmweifend, gibt er ihr eine Ohrfeige, mas ber 
alte Bater fo übel nimmt, daß er ihn mit dem Stode 
verfolgt und, als er ihn einholt, wirklich prügelt, 
wobei er aber aus Altersſchwäche zu Boden fällt. 
Der fromme Sohn aber hebt den Vater auf, küßt 
den Stod, mit dem er ihn geichlagen, und da ber 


1 Der belohnte Gehorſam und Karl I. von Ungarn. 


236 - Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Alte ihn aus dem Haufe weist, nimmt er den Stod 
als Beichen des Gehorfams mit auf die Reiſe. Er 
fommt ind Lager des Königs von Böhmen, der eben 
mit der Königin Maria von Ungarn Krieg führt, 
weil dieſe feine Hand ausgefchlagen. Er tritt in® 
Heer des Königs, erwirbt fich deſſen Gnade und bietet 
ſich an, als Kundſchafter den Fluß zu durchſchwimmen, 
ber beide Heere trennt. Am andern Ufer angelommen, 
findet er fih im Garten der Königin von Ungarn, 
die mit einer einzigen Begleiterin dort fpazieren ging 
und, von der lauen Sommernacht angelodt, ſich ent- 
fernt, um im Fluffe die Füße zu baden. Carlos fieht 
die Halbentblößte, ergießt ſich in Vergleihungen ihrer 
Füße mit Marmorfäulen, Jasmin, Schnee, Monb: 
ftrablen, und wird augenblidlich verliebt. Die Frauen 
hören Geräuſch und entfliehen über's Theater, wobei 
fie Schuhe und Strümpfe in den Händen tragen. Sie 
'erfcheinen darauf auf dem Ballon, und Carlos weiß 
feinen Charakter fo glüdlich geltend zu maden, daß 
die Königin, die der Meinung ift, daß der Dann, 
der fie, wenn auch nur zum Theile, nadt gefehen, 
fterben oder ihr Gemahl werben müfle, ihn für bie 
nächſte Nacht beitellt, mo ihn ein Nachen abholen 
werde. Er ericbeint, begleitet von dem verfleideten 
König, mo denn die ſchnell entitandene Neigung fich 
befeitigt, und da fich zeigt, daß Carlos von fehr alter 
und guter Abkunft fei, die Königin ihm ihre Hand 
reicht. Sein väterliches Haus ift unterbeflen fo herab⸗ 
gefommen, daß der Alte mit beiden Kindern auss 
wandert und am Drte der Handlung anlangt, wo fie 
denn, da fich der König von Böhmen, wie natürlich, 
in die Schweiter Marcela verliebt hat, von biefem 
zu Carlos Hodjzeitäfefte mitgenommen werden, bei 
welcher Gelegenheit der liederlihe Bruder ihm das 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 937 


MWafchbeden hält, ver alte Vater das Waller aufgießt 
und die Schweiter das Handtuch reicht. Bei all dieſen 
Mechjelfällen bat den gehorfamen Sohn der Stod be 
gleitet, mit dem fein Vater ihn geichlagen. Zum 
Hauptmann ernannt, befeftigt er die eiferne Spibe 
des Spontons (gineta) an ebendemjelben Stode. Da 
er General wird, läßt er den Stod abjchneiben und - 
gebraucht ihn ala Kommandoftab. Noch einmal muß 
er abgejchnitten werden, ba er als König von Ungarn 
feinen andern Scepter will, ala biefen Stod. 

Das wäre nun alles recht gut und Stoff zu einem 
vortrefflihen Stüde. Leider aber ift die Hauptpartie: 
die Liebe der Königin von Ungarn und ihr Entfchluß, 
den Abenteurer zu heirathen, fo übereilt, daß das 
Stüd von diefem Mangel fich nicht erholen kann. Die 
Ausführung übrigens vorzüglich, beſonders die Haltung 
der Perfonen im erften Alte und die Sartenfcene im 
zweiten. Auch der Schluß, mit Ausnahme der im: 
provifirten Heirathen, macht fich jehr gut und rundet 
den Gedanken ab. 

El hombre de bien. 1 Da ift denn endlich ein 
Stüd, in dem es fo ziemlich vernünftig zugeht und 
das ein Intriguenſtück vorftellen fann, ohne daß die 
Ereignifje gerade jehr fchlagend oder beſonders ſpannend 
wären. Der König von Dalmatien verliebt fi) auf 
der Jagd in die Tochter eines Landebelmannes, Lu: 
cinda, bie in einem heimlichen Einverftändniffe mit 
einem feiner Hofleute, Yacinto, ftehbt. Das Mädchen, 
um ſich dem Könige zu entziehen, entflieht mit ihrem 
Bruder, aber freilih, fonderbarerweife, nach ber 
Hauptitadt des Landes. Der König bat fie dort bald 
ausgelundichaftet und ftellt fich des Nachts unter ihrem 


1 Ein ehrliher Mann. 


238 Studien zum jpanifhen Theater. 


Fenſter ein, wohin ein gleiches Verlangen auch ben 
begünftigten Jacinto führt, der, von den föniglichen 
Begleitern angefallen, fich durch alle durchfchlägt und 
auf die Frage nad feinem Namen antwortet: un 
hombre de bien. Die Aufgabe ift nun, herauszu—⸗ 
bringen, wer ver Unbefannte fei, der auch ein zweites⸗ 
mal, da der König, auf Anftiften einer verlaffenen 
Geliebten Clavela, von Wegelagerern angefallen wird, 
ihn befreit und auch bier wieder Feine andere Au3- 
funft von fich gibt, als daß er ein ehrlicher Mann 
ſei. Es erfolgen ein paar Eiferfuchtsfcenen, die auf 
den Gang des Stüdes wenig Einfluß nehmen. .Ein- 
mal ift es Glavela, die, um herauszubringen, ob 
Zueinda in den König verliebt fei, zu ihr geht und 
ihr verftellte Vorwürfe macht, daß fie ihren Liebhaber 
zu verloden ſuche, als den fie auf gut Glück Jacinto 
bezeichnet. Lucinda bat nichts eiliger zu thun, als 
fih, vermummt, aufs Ballhaus zu begeben, wo Sa: 
cinto mit andern Hofherrn im Spiel begriffen ift, ihn 
berausrufen zu laſſen, ihm die beftigften Vorwürfe zu 
machen, wo e3 fih dann prächtig ausnimmt, wie die 
bigige Spanierin ihm geradezu erflärt, daß fie bereit 
fei, fih dem Könige zu ergeben, was fie in biejem 
Augenblide gewiß auch meint. Ein anderesmal fpricht 
Clavela, die mit Lucinden Freundfchaft geſchloſſen bat, 
aus den Fenftern derſelben Nachts mit dem Könige, 
wird von Jacinto für Lucinden gehalten, was einen 
neuen Sturm erregt, der fich aber wie ber erite legt 
und zwar ohne meitere Folgen. Endlich Tommt der 
König doch auf die Vermuthung, daß der verfappte 
„ehrliche Mann” Yacinto fei, und um fich zu über: 
zeugen, ſendet er ihn zugleich mit dem Bruber Lu⸗ 
cindens feiner fürftlichen Braut entgegen, die eben in 
einem entfernten Hafen angefommen ift. Jacinto aber 


— 2 — — —7 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichungen. 289 


reiſst in einer verhängten Kutſche fort, ſteigt außer 
den Thoren der Stadt aus, und als der König zu 
Nacht vor den Fenſtern Lucindens erſcheint, findet er 
den hombre de bien wieder. Nun iſt jeder Gedanke 
an eine mögliche Identität verſchwunden, und da der 
König, zum Behuf künftiger Pläne, vor feiner eigenen 
Verheirathung Lucinden mit einem Manne vermählen 
will, der ihr gleichgiltig ift, gibt er die beiden heimlich) 
Liebenden zufammen, wo ‚venn, da der König eine 
neue Eiferfucht ftiften will, herauskommt, dab Jacinto 
der räthſelhafte Unbefannte fei. 

Das Stüd mochte, bei der Vorliebe des ſpaniſchen 
Publitums für Nacht: und Eiferfuchtöfeenen, einer 
günftigen Wirkung nicht entbehren. 

Servir con male estrella.1 Ein Franzofe, 
Roger von Valois, kommt an den Hof König Alfonfo's 
von Gaftilien, deſſelben, ver auch Schattenfaifer von 
Deutfchland war. Er nimmt Dienfte und zeichnet ſich 
gegen die Mauren bei allen Gelegenheiten aus. Der 
König würdigt ihn feiner Freundſchaft, gibt ihm aber 
nie etwas. Alle Andern werben belohnt, Rugero aber 
immer vergeſſen. Das wird ihm benn endlich doch 
zu viel, und er begehrt feinen Abſchied. Der König, 
der bie Urſache davon einfieht und fich feines eigenen 
Undanks ſchämt, tröftet ſich damit, daß es nicht feine 
Schuld, fondern der böſe Stern des Fremden fein 
müffe, was ihn unbelohnt gelaflen, da, wo alle Andern 
mit Gnaben überjchüttet wurden. Er befchließt, bie 
Probe zu machen, und gibt dem Abreifenden einen 
Begleiter mit, mit dem Auftrage, ihn an Hof zurüd- 
zubringen, wenn Nugero ſich über den Undank des 
Königs beflagen würde, ſonſt aber feines Weges ziehen 


1 Unter einem böfen Eterne bienen. 








a7 


240 Studien zum Spanischen Theater. 


zu lafien. Der Begleiter bringt immer das Geſpräch 
auf den König, um Rugero’n zu Klagen zu verleiten. 
Diefer aber weicht aus, und als er nicht mehr Fann, 
läßt er das Bild des Königs, das ihm dieſer gefchentt, 
berbeibringen, indem er fagt: in Gegenwart der Könige 
beflagt man fih nicht. Da gibt ihm jener den Zurüd: 
berufungsbrief des Königs, und fie reifen zurüd. Der 
König hat indefjen das reiche Löſegeld eines gefangenen 
maurifchen Fürften in einer Foftbaren Kifte empfangen. 
Er läßt eine Ähnliche anfertigen, die aber leer bleibt. 
Bei der Rückkunft Rugero's bietet ihm der König die 
Mahl zwilchen beiden Kiftchen an, und Rugero greift 
wirflich nach der leeren. Da ift nun der böfe Stern 
außer Zweifel gejtellt, den der König aber außer 
Wirkſamkeit jebt, indem er ihm die volle, und dazu 
die Hand einer in Spanien erworbenen Geliebten gibt. 

Diefe Idee wäre nun ganz gut, wenn nur dem 
immer ſich wiederholenden Bergeflen bes Königs be 
greiflichmachenvne Umſtände beigefügt wären. Die An- 
nahme eines böſen Sterns over eines Unglüdlich-Ge- 
borenſeins ift nicht jo in der menschlichen Natur be⸗ 
gründet, als die Idee eines Schidjals, einer Nemeſis, 
einer ausgleichenden Gerechtigkeit, daß man darauf 
wie auf ein feites Haus Wechfel ziehen könnte. Lope's 
Aufgabe war, ung zu feiner Idee hinzuführen, nicht 
von ihr auszugehen. Ohnehin wird die Wirkfamteit 
des böfen Sterns durch die Großmuth des Königs am 
Schluß wieder aufgehoben, 

Durch das Ganze zieht fich ein Liebesverftändnig 
des Königs zu einer Dona Sancha, das im Gegenſatz 
des Phantaftifchen krudhiſtoriſch oder jagenhaft be 
handelt ift. Die Gute nimmt feinen Anjtand, ihren 
eigenen Bruder zu vergiften, dafür wird aber auch 
ihre und des Königs Tochter von einer wahrfagenden 


Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 941 


maurifhen Zofe im Voraus ald die „unglüdliche” 
Eftefania bezeichnet, als welche fie ohne Zweifel fpäter 
in der Tradition eine Rolle jpieli. So fommt dem 
Spanier überall ein hiſtoriſcher Anfnüpfungspunft 
‚entgegen. 

Die bei den ältern ſpaniſchen Dichtern öfter vor: 
fommende Situation, daß der König, bei feiner Ge: 
liebten "überrafcht, ſich nicht verbergen will, jondern 
bleibt und fi durch Unbemeglichkeit und Schweigen 
für nicht anmwefend gibt, erfcheint auch in dieſem Stücke. 
Nur ſchadet die Großartigkeit hier, daß der eintretende 
Bruber ber Geliebten zwar feine Abficht reſpektirt, 
aber von ihm doch, als von einem Bilde des Königs, 
ſpricht. Worauf diefer ihm den Rüden menbet und 
fortgeht. 

El cuerdo en su casa, 1 Einer der Lieblings 
jtoffe Zope de Vega's. Ein Schlichter Landmann, der, 
ohne Bildung, aber mit viel natürlichem Berftand, 
fih um alles Fremde wenig befümmert, fondern glüdlich 
und zufrieden in feinem Haufe lebt. Er bat ſogar 
feinen nächften Nachbar, einen Edelmann und Gelehrten, 
bis jeßt nicht fennen gelernt, mit dem er zu Anfang 
des Stüdes, als mit einem auf der Jagd Berirrten, 
auf einer entfernten Schäferei zufammentrifft, wo fie 
die Nacht zubringen und für die Zukunft Freundſchaft 
zu machen befchließen. Der Gelehrte und feine Frau 
willen ihren Antheil auf Feine befiere Art zu bezeigen, 
als daß fie fich alle Mühe geben, das Haus bes reichen 
Bauers auf einen vornehmern Fuß einzurichten, was 
diefer aber entſchieden zurüdmeist. Es haben fich 
unterdeilen auch zwei Neffen des Biſchofs gefunden, 
die jih in die beiven Weiber des Edelmanns und 


1 Der Kluge in feinem Hauje. 
Grillparzer, Werke VII. 16 





242 Studien zum jpanifhen Theater. 


Bauers verlieben. Die Edelfrau ift nicht unempfindlich 
gegen dieſe Bewerbungen, die Frau des Bauers meist 
aber die auf. fie gerichteten entfchieben zurüd. In ber 
Mitte des Stüdes kommt lebtere mit einem gefunden 
Knaben nieder, der Bauer nimmt feinen eigenen Knecht 
und eine Magb zu Gevattern, obwohl der Neffe des 
Biſchofs und die adeligen Nachbarn ſich zu diefem 
Liebesdienfte anbieten. Früher hat ſchon derſelbe Neffe 
des Biſchofs Gelegenheit gefunden, ind Haus des Bauers 


einzubringen und feine Bewerbungen anzubringen. 


Die Frau gibt ihm fein Gehör, ift aber kindiſch genug, 
den jungen Menſchen, da ihr Mann zurückkommt, 
binter einem Vorhang zu verfteden. Mendo entbedt 
ihn, zweifelt aber darum feinen Augenblif an ber 
Treue feiner Frau, ſondern begleitet den Ertappten 
jelbjt aus dem Haufe, damit nicht gerade fein heim- 
liches Entjchlüpfen Verdacht errege. Minder unfchuldig 
ift die Frau des Gelehrten, und minder Flug und be- 
fonnen der Gelehrte ſelbſt. Der zweite Neffe des 
Biſchofs findet bis auf einen höchſt bedenklichen Grad 
Gehör bei der Edelfrau; der Gatte, den man durch 
feine Lieblingsleivenichaft, die Jagd, aus dem Haufe 
gelodt, kommt unvermuthet zurüf und der Liebhaber 
wird unters Bette verſteckt. Der Gatte, der ihn dort 
entdeckt, bewaffnet ſich mit Schild und Schwert, nur 
daß ihn feine hohe Bildung hindert, fogleich ein Un- 
glück anzurichten, wie er felbit jagt: 


Bien dizen, que hay pocos hombres 
valientes con muchas letras 

porque en abriendo discursos 

no se vengan las ofensas. 1 


1 Man fagt mit Recht, daß es wenig tapfere Gelehrte gibt, 
wenn man immerfort überlegt, rädt man keine Beleidigung. 


Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 243 


Er fperrt vielmehr feine Hausthüre zu und ruft 
den Nachbar Bauer zu Hilfe. Diefer. erfcheint mit 
zwei Knechten und nimmt die Sache auf fi. Er ver⸗ 
mechfelt den verftedten Liebhaber mit deflen im Haufe 
befindlichen Bebienten und fchiebt das ganze Ereigniß 
auf diefen legtern, ver ein Liebesverhältnig mit ber 
Magd babe. Der Gatte ift froh, dieſes zu glauben. 
Die Gattin fieht ſich kaum außer Gefahr, als fie die 
unſchuldig Gekränkte fpielt und nur mit Mühe ſich 
begütigen läßt. Alles kehrt in feine Ordnung zurüd, 
und der Bauer ift Hug in feinem Haufe geweſen, 
indeß bie Andern, die Flug im fremden fein wollen, 
Narren im eigenen find. 

Es fehlt nicht an Stellen von eigentlicher Lebens⸗ 
weisheit. So als Mendo den Literaten auf die Un- 
“ gleichheit ihres Standes aufmerkſam macht, ſagt ihm 
dieſer: 

La vida, Mendo, contiene 

un mismo fin, que es vivir 

en que el savio hasta morir 

con el mas rudo conviene. 1 
Ebenſo einfah und natürlich iſt der Charakter von 
Mendo’3 Gattin Antona. Als ihr eben Mendo ver- 
boten hat, eine reihe Mantille anzunehmen, bie ihre 
bornehmen Freunde ihr in? Haus gejchickt haben, und 
er fie fragt: 

;Estas enojada?? 
antwortet fie ganz unſchuldig: 


70? 
;porque he de estar enojada? 8: 


1 Das Leben, Mendo, enthält das gleiche Ziel, nämlich zu 
feben, daB bis zum Tode den Weifen mit dem Roheſten verbindet. 

2 Bift du ärgerlich ? 

3 3ch? Warum follte ih argerlich ſein? 


TE 


244 Studien zum fpanifchen Theater. 


Solche Meifterzüge kommen in allen Werfen Lope de 
Bega’3 vor, mitunter in den abjurbeiten. 

La reyna Juana de Napoles.1 Eines von 
den Stüden Zope de Vega's, mo, mie mir fcheint, 
ſchon der Einfluß Calderons fich fichtbar macht, mo 
nämlich das Märchenhafte nicht mehr als das geträumt 
Natürliche, jondern als das abfichtlich Gefteigerte vor⸗ 
kommt. Bon dieſer Art mwenigftens ift die Scene, wo 
Ludovico im Garten einichläft und ihm die Königin, 
die in ihn verliebt ift, die Krone auf? Haupt jet. 
Nur ftelt es Lope de Vega nicht jo geſchickt an, als 
fein Nebenbuhler, meil ihm das Begriffsmäßige fehlt, 
das bei Jenem derlei Bhantagmagorien erſt ihre Bes 
deutung gibt. Der Inhalt des Stücks abjonderlich 
genug. Die Königin ift eben in jenen Ludovico ber: 
liebt, ven eine Prinzeflin Eftela, eine Verwandte der 
Königin, gleich lebhaft in Anfpruh nimmt. Nun tft 
aber der ungariſche Prinz Andreas, begleitet von feinem 
Vater Mathias, mit einem Heere ins Land gelommen, 
um das Königreich und die Königin fich anzueignen. 
Letztere widerſteht aufs Aeußerfte, wird aber von ihren 
Unterthanen verlaflen und muß fi) der verabjcheuten 
Verbindung fügen. Ludovico wird dadurch wieder ein 
berrenlojes Gut und den Bewerbungen Eftela’3 zu- 
gänglih. Er will eben bei ihr den Brautwerber für 
feinen Freund Mathias machen und nöthigt ihr bas 
Beriprechen ab, ihm feine noch zurüdgebaltene Bitte 
nit abzufchlagen, als Eftela von ihm und Ma 
thias ſich das gleiche Verfprechen geben läßt und nun 
von Mathias verlangt, feinen Freund zu vermögen, 
daß er ihr felbft feine Hand gebe. Beide nehmen keinen 
Anftand, ihr Wort zu halten, und Ludovico ift nun 


1 Die Königin Johanna von Neapel. 


Ueber Lope de Vega’3 dramatifhe Dichtungen. 245 


Eitela’3 Verlobter. Darüber wird er verrüdt, zündet 
den Bauern die Ernte an und treibt allerlei Unfinn. 

Mittlerweile entwidelt Prinz Andreas den bru- 
talften Charafter. Er bat feine Gattin fatt und ftellt 
Eftelen nad. Sa, feine Abficht, ihr Gewalt anzuthun 
und fie dann von einem feiner Helfershelfer ermorben 
zu lafjen, wird von dem Gerücht ala wirklich ausge⸗ 
führt verbreitet. Diefe Nachricht jteigert den Haß ber 
Königin gegen ihren Gemahl aufs Weußerfte, bejon- 
ders da nun auch die Hoffnung dazu fommt, den durch 
Eſtela's Tod freigemordenen Ludovico jelbft zu beſitzen. 
Ohnehin hat der König beſchloſſen, feine Gattin durch 
Gift aus dem Wege zu räumen. Als er in bdiefer 
böſen Abficht zu ihr ing Zimmer tritt, lockt fie ihn in 
ein Nebengemach, mo fie ihn (hinter der Scene nämlich) 
mit Hilfe ihrer Frauen erdroffelt ober vielmehr auf: 
henkt. Sie reicht hierauf, nicht ohne ſich den Verlauf 
bed Trauerjahres vorzubehalten, ihre Hand dem Ge- 
liebten Ludovico, und auch die mittlerweile zum Bor: 
fchein gefommene Eftela hat nichts mehr einzumenben, 
des Prinzen Mathias Frau zu werben. 

Wie loſe und puppenfpielartig das Ganze ift, leuchtet 
ein. Nichts deftomeniger fehlt e8 dem’ Charakter ber 
Königin keineswegs an einer Art wilder Großartigkeit. 
Schon das erfte Zufammentreffen mit dem Prinzen 
Andreas, als fie ihm ihren Abfcheu in den ftärkften 
Ausbrüden zu erfennen gibt, dabei aber nicht vergißt, 
ihn immer mit dem Titel „Eure Hoheit” anzureden, 
macht den Eindrud verhaltener Wuth und einer großen 
Gewalt über fich jelbft. Als der König feinen ſchlechten 
Charakter gezeigt hat, behandelt fie ihn geradezu als 
einen Ungezogenen, der fich zu ändern habe, wibrigen- 
falls man ihn zurecht bringen werde, welche Mühe 
fie auf fih nehmen mwolle; wo denn die Ausbrüde: 


246 Stwdien zum fpanifhen Theater. 


enmendaros,1 ja castigaros? horfommen. Das Ge- 
waltigſte aber zulegt, wo bie Königin bei ihrer Arbeit 
figt, die in Verfertigung einer Schnur beſteht, 
während ihre Dienerinnen fie mit einem Liebe unter- 
halten, deſſen Refrain Iautet: 
Si te quiere matar 
algun enemigo fiero 
madruga y mata primero,3 
welches madruga? ihre Vertraute Margarita ihr 
während ber folgenden Scenen wieberholt zuruft. 
Hierzu kommt ber König, der ſchon den Entſchluß 
gefaßt bat, fie mit Gift zu töbten. Das Geſpräch ver- 
dient, ganz hergefeßt zu werben, wobei man ſich aber 
die Königin ganz ruhig denken muß: 
Principe. Que estais haziendo? 
Reina, Un cordon 
para ahorcaros con el. 
Prince. Para ahorcarme? 
Reina, Para ahorcaros. 
Prince. Digo, que de buena gana. 
Margarita. Como es San Andres maflana 
quiere la Reina colgaros. 
Prine. (&parte). Que mal que nos ha entendido! 
De otra suerte me ahorcara, 
si el veneno adevinare. 
Un cordon aveis Tegido, 
no sabremos para que? 
Reina. Para ahorcaros. 


1 end) beffern. 

2 zachtigen. 

3 Wenn dich irgend ein Feind töbten will, komme zuvor und 
tödte ihn zuerſt. 

4 Komme zuvor. 





Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 247 


Princ. No es bueno 
que os pienso yo dar veneno. 
Reina. ;Veneno a mi? Ya lo se. 
Prince. Conde ;que os parece desto? 
Elia se burla conmigo 
yo en burlas, veras le digo. 
Reina. Yo os he de ahorcar bien presto. 
Princ. Yo el veneno os he de dar. 
Reina. Uno ser&ä de los dos 
‚el burlado. 
Princ. Sereis vos. 
Margarita. ‚Oyes? 
Reina. Si. 
Marg. Pues madruga! 
Reina. Oy fama a mi nombre doy. 
Fingire& que tengo sed. 
Dai me agua! 
Princ. Conde® traed 
un vaso & la Reina. 
Conde. Voy. 
Princ. EI veneno. 
Conde. Ya lo entiendo.! 


1 König: Was macht ihr? 

Königin. Eine Schnur, euch an derfelben zu hängen. 

König Mich aufhängen? 

Königin. Ja, euch aufhängen! 

König. I fage mit gutem Willen. 

Margarita. Da morgen der Tag des heiligen Andreas ift, 
will euch die Königin dieß Angebinde maden. 

König (bei Seite). Wie unangenehm, daß fie und gehört 
hat! Auf eine andere Art wäre ihr Angebinde, wenn fie 
die Vergiftung ahnen würde. Eine Schnur habt ihr ge= 
woben, darf man wiffen für wen? 

Königin Euch aufzuhängen. 

König. IM es nicht gut, daß ich daran denke, euch Gift 
zu geben? 

Königin. Mir Gift, ih weiß es fon. \ 


248 Stuten zum ſpaniſchen Theier. 


Nun folgt die Scene bes Erwürgens oder Aufhenkens 
im Nebengemach, mit derfelben Schnur, die die Kö— 
nigin, wie es nun ſcheint, ſchon bon vorneherein zu 
dieſem Zwecke verfertigt. 

El duque de Viseo,1 Dieſes Stück ſcheint in 
Spanien einen großen Ruf zu haben und wohl auch 
bei den Literaten außer Spanien, denn mir hat neulich 
ein hiefiger namhafter Dichter — ber es wohl nicht 
gejagt, wenn er es nicht irgenbivo gelefen hätte — 
gerabeheraus erflärt, daß er dieſen Duque de Viseo 
für das befte Stüd Lope de Vega's halte. Dazu fehlt 
nun freilich viel, aber merfwürbig bleibt es immer. 
Es ift von vorneherein hiſtoriſch gehalten, heißt bas: 
in ber Art, wie Zope de Vega die Gefchichte zu nehmen 
pflegt. In den erften zwei Akten find eigentlich ber 
‚Herzog von Guimarains und feine brei Brüber bie 
Träger ber Handlung. Einer von ihnen, ber Conde— 
itable? von Portugal, kommt eben fiegreich aus dem 
afrikaniſchen Feldzuge zurüd, wird aber, troß feiner 
Anfprüce auf Belohnung, von dem Könige Don Juan 
el Bravo (ber Graufame) höchſt widerwärtig empfangen. 

Rönig (gu feinem Begleiter). Wie gefält eut das? — Sie 
ſchern mit mir, und id fage ihe im Giherz die wurvi 
Königin. Ihr werdet bald gehängt werden, 
Rönig. Und ihr bald Gift befommen. 
Königin. Einer von und Zweien wird der Gefoppte fein. 
König. Ihr werdet es fein. 
Marg. Hört ihr? 
Adnigin. 9a. 
Marg. Nun denn, tomme zuvor! 
Königin. Heute mache ic meinen Namen berühmt. Ich 
‚gebe vor, daß ich Durft habe. Gebt mic Waſſer. 
König. Graf! — Gebt der Königin ein Glas. 
Graf. IH gehe. 
König. Das Gift. 
Graf. IA babe verflanden, 
1 Der Herzog von Bifeo. 
2 Gonnetoble, 





Ueber Lope de Bega’3 dramatiihe Dichtungen. 249 


Die Brüder nehmen das, wie natürlich, fehr übel und 
äußern fi) demgemäß über den König, mit Ausnahme 
des Herzogs von Guimarains, den feine Ehrfurcht vor 
der Krone den Träger berjelben refpeftiren beißt. Un- 
glüdlichermeife findet fi) eine Doña Ines, wie es 
Scheint, eine ehemalige Geliebte des Gondeftable, die 
eben im Begriffe ſteht, fi mit dem Günitlinge des 
Königs, Don Egas, zu vermählen, und die den Conde⸗ 
ftable um Auskunft über die Berfon ihres Bräutigams 
angeht. Diejer verhehlt ihr nicht, dat Don Egas von 
weiblicher Seite aus maurifhem Blute herſtamme, 
wobei er fih aber ausbebingt, daß fein Name, als 
des Ausfunftgebers, in der Sache nicht erwähnt werde. 
Nichts defto weniger aber läßt fi Dofia Ines in dem 
darauf folgenden Streite mit dem nunmehr verjchmähten 
Bräutigam binreißen, den Condeſtable ala Bürgen für 
die Wahrheit der Aufflärung zu nennen. Bon diefem 
AHugenblide ift Don Egas der Feind der Brüder, und 
er erklärt diefes dem Gonbeftable rund heraus. Der 
Herzog von Guimaraind nimmt es auffich, die Sache 
auszugleichen, was nur dadurch gefchehen Fünne, daß 
Dona Ines den Föniglichen Günftling dennoch heirathe. 
Als er fie dazu überreden will, gerathen fie in einen 
Wortwechſel, der jo weit geht, daß Dona Ines ihn 
einen Dummkopf nennt, mas er ihr mit einer Obrfeige 
beantwortet. Auf ihr Gefchrei fommt der König her- 
bei, der den Herzog von Guimarains ind Gefängniß 
ſchickt und feinen drei Brüdern Berhaft in ihren Häu⸗ 
fern gibt. 

Der König ift mit der Schweſter des Herzogs von 
Viſeo vermählt, demungeachtet aber fcheint er an einer 
Doña Elvira Gefallen zu finden, die die Geliebte feines 
Schwagers ift. Diejer menbet fich daher an Dona 
Elvira, damit fie bei dem Könige für den Herzog von 








250 Studien zum fpanifhen Theater. 


Guimarains vorbitte. Der König läßt fih aud be 
wegen auf die Bedingung, daß Guimaraind die bes 
leidigte Dona Ines heirathe. Diefer weist die Be 
dingung als ſchmählich zurüd. Nun läßt ihn ber 
König in Ketten legen und verweist feine Brüder aus 
Portugal. Auch, der Herzog von Viſeo, deſſen Beliebt: 
heit beim Bolfe der König jeit lange fürchtet und 
gegen ben ihn Don Egas neuerlich eingenommen, wird 
von Liffabon verbannt. Kaum an feinem Verbannungs: 
orte angefommen, wird er zurüdgerufen. In Liſſa⸗ 
bon angelommen, führt ihn der König ins Gefängniß 
des Herzogd don Guimaraind. Ein Vorhang wird 
Wweggezogen, und an einem fchwarzbehangenen Tifche 
zeigt fich der Gefangene mit abgefchlagenem Haupte. 
Der König heißt ihn, das Beifpiel als Warnung für 
fih hinzunehmen, was Jener Taum zu bebürfen fcheint, 
da er noch jebt den König nicht zu tabeln wagt und 
vol Ehrfurdt und Ergebenbeit ift, wie früber. 

Im dritten befchließt er, heimlich nad Lifjabon zu 
geben, um feine geliebte Elvira zu ſprechen. Er findet 
einen bettelnden Studenten, den er beſchenkt und ber 
ihm dafür fchriftlich fein Horoffop ftelt. In Liſſabon 
unter den Fenftern D. Elvirens taufcht er Briefe mit 
ihr aus, wobei er aus Verſehen, ftatt des feinigen, 
das Horoffop des Studenten an die berabgelafiene 
Schnur bindet. Diejes, das die Prophezeiung enthält, 
daß er König fein werde, fällt unglüdlicherweife dem 
lauernden wirklichen König in die Hände, der feines 
Schwagers Tod beſchließt. Nun kommt die ſchönſte 
Scene des Stückes. Der Herzog von Viſeo hat ſich, 
um Elvira's Brief zu leſen, an eine Lampe geftellt, 
die bei einem Kruzifixe brennt. Indem er ſich bemüht, 
die Worte zu entziffern, ertönt ein Getöſe von Ketten 
und gedämpften Trompeten, dem bald darauf eine 








Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 951 


einzelne Weiberitimme folgt, die den ganzen Verlauf 
von Viſeo's Schickſal fingt und zulett die Warnung 
binzufügt, auf feiner Hut zu fein. Wie Zope de Vega 
überhaupt das Wunderbare gern nad und nah ein: 
führt, meint der Herzog: das werbe wohl ein Frauen 
zimmer fein, das bei ihrer Arbeit wacht. Da erjcheint 
aber der Geift des ermorbeten Guimaraind im weißen 
Mantel und an ihm vorüberfchreitend, mahnt er ihn, 
fich vor dem Könige zu hüten. Er verfucht, zu ent- 
fliehen, wird aber aufgefangen, und nachdem der 
König vergebend alle feine Höflinge aufgefordert hat, 
den Herzog zu töbten, erfticht er ihn endlich ſelbſt. 
Zuletzt fommt die Nachricht, daß des Herzogs Knappe 
den Berräther Don Egas auf der Straße getöbtet 
babe. 

Ich babe das Stück hiftorifch genannt, injofern es 
mehr eine Begebenbeit als eine Handlung enthält. Der 
Herzog von Viſeo thut eigentlich nichts, um fein Schickſal 
berbeizuziehen oder abzuhalten. Die Graufamfeit des 
Königs, das Schickſal der vier Brüder, Viſeo's Un: 
glüd ftehen vereinzelt da und werden nur durch das 
Ereignig zufammengehalten. Sa man Tann fih wun⸗ 
dern, daß Guimarains Geiſt e3 der Mühe merth findet, 
denjenigen zu warnen, bem jener erſte Mord nicht, 
einmal ein Wort der Mißbilligung entlodte. Aber 
wie ed nun immer fei, der Herzog von Viſeo lebte 
einmal als unſchuldig Ermordeter im Munde des Volfeg, 
und als jolchen, der fich nicht, felbit mit einem Worte 
gegen den König vergieng, bat ihn Lope ve Vega ge: 
nommen. Dichter feiner Art haben immer Recht, auch 
wo fie irren. ch komme noch einmal auf den duque 
de Viseo zurüd, weil ich Zope de Vega nicht gerne 
Unrecht thun möchte. Ihm fehlt das Wbfichtliche, 
welches aber gerade das tft, was die Hanblung von 


252 Studien zum fpanifhen Theater, 


der Begebenheit unterjcheivet. Diefe Abfiht Tann aber 
entweder in den handelnden Perfonen liegen oder in 
dem Dichter oder in den Begebenheiten jelbft, in 
welchem letztern Falle man es das Schickſal nennt. 
Tritt diefe Abfiht nun zu fehr in den Borgrund, 
jo wird das Begriffsmäßige daraus ein geſchworener 
Feind des Natürlichen, und in dieſer Geftalt erjcheint 
es bei Salderon, wo es denn deſſen ganze belebende 
Kraft braucht, um das fremde Element dem warmen 
Organismus zu aflimiliren. Bei Zope de Bega fteigen 
die Anſchauungen aus dem tiefen Brunnen der Em 
pfindung empor, und fie fordern nicht mehr zum Denken 
auf, als die Natur ſelbſt den Betrachter dazu auf: 
fordert, denn auch das Wunderbare ift bei Zope de 
Vega ein Theil des Natürliden. So ift bier die 
Warnung des Herzogs von Guimarains überflüflig 
und ohne Wirkung. Daß er ſich vor dem Könige zu 
hüten babe, mußte Viſeo ohnehin. Er fchlägt die 
Warnung nicht aus irgend einem beftimmenven Grunde 
in den Wind. Er thut zu feiner Rettung nicht etivag, 
das ihn, durch eine Schiefalsartige Verkettung in das 
Gegentheil überjchlagend, gerade feinen Feinden in bie 
Hände führte. Er benimmt ſich jo, wie er ſich ohne 
die Warnung benommen hätte. Er entflieht und wird 
ganz einfach gefangen. Anbererfeit3 Tommen aber 
wieder aus der Anschauung bergenommene Intentionen 
vor, die viel zu flüchtig find, um mit der Anſchauung 
aufgefaßt zu werben. So, als der Herzog von Bifeo, 
blutig und todt, Krone und Scepter zur Seite, fi 
dem Zufchauer darjtellt, Liegt ihm gegenüber, gleich: 
falls todt, Dona Elvira, und zwar, wie ausbrüdlich 
angegeben wird, eine Hand auf die Wange gelegt. 
Das jol ohne Zweifel auf die Ohrfeige anfpielen, bie, 
von Dona Inez empfangen, Anlaß des ganzen trau- 


Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 953 


rigen Herganges war, und zugleich auf eine zweite, 
die D. Egas im Begriffe war, Elviren zu geben und 
nur durch die Anweſenheit des Königs davon abge 
halten wurde. Wer Henfer fol fich aber derlei denken 
beim bloßen Anblid der auf die Wange gelegten Hand 
der Tobten. | 

Während bei Calveron alles, jelbit der tieffte Ge 
Dante, auf die Oberfläche herausgeworfen wird, bat 
Lope de Vega, dieſer oberflächlich ſcheinende Dichter, 
eine Innigkeit, die häufig bis zum Fehlerhaften geht. 
So wei ih nit, ob jene über alle Beichreibung 
Schöne Scene, wo der Herzog von Viſeo durch eine 
verborgene Weiberjtimme vor dem Könige gewarnt 
wird, möglicherweife auf dem Theater nur die Hälfte 
des Eindrucks machen wird, zu der fie im Lefen un- 
widerſtehlich hinreißt. 

El Secretario de si mismo.1 Ein Herzog 
von Mailand, der in Tinderlojer Ehe lebt, hat einen 
natürlichen Sohn, Feduardo, den er, um ihn den 
möglichen Nachftellungen feiner Gemahlin zu entziehen, 
einem Edelmann Uberto übergibt, der ihn mit feinem 
eigenen Sohn Ceſarino erzieht. Ins höhere Alter ge- 
fommen und nod immer Tinderlos, verabrevet der 
Herzog eine Heirath dieſes feines natürlichen Sohnes 
mit der Tochter des Herzogs von Mantua, Diavia. 
Der Wunſch, die Nachfolge zugleich in Mailand und 
Mantua feinem eigenen Gejchlechte zuzueignen, verleitet 
den Pflegevater Uberto, feinen eigenen Sohn Ceſarino 
für den des Herzogs auszugeben, was um fo leichter 
angeht, da ber Herzog fein Kind durch eine Reihe von 
Sahren nicht gejehen hat. Mittlerweilen hat des Alten 
zweite Frau, Cafandra, fi) in den jungen Yebuarbo 


1 Sein eigener Geheimfchreiber. 


254 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


verliebt, und biefer, um ſich ihren Zubringlichkeiten 
zu entziehen, beſchließt, eine Reife zu maden, was 
fein Pflegevater nur zu gerne zugibt. Cr kommt zuerft 
nah Rom, madjt fi) dort durch die richtige Erklärung 
einer eben aufgefunbenen alten Statue (freilich etwas 
twunberlich) befannt, und da bald darauf der Herzog 
von Mantua dort um einen Lehrer für feine Tochter 
anfragt, wird ihm Febuarbo empfohlen, und er geht 
nah Mantua. Wie natürlich verlieben ſich die beiden 
jungen Leute unmittelbar in einander und es kommt 
bald dahin, daß ihm bie Prinzeflin einen Brief an 
ihren Liebhaber dictirt, den fie ihm abzugeben befiehlt, 
und als er fragt, wer ber Gemeinte fei, jagt fie ihm 
ganz einfach: Er ſelbſt; wobei fie ſich entfernt. Auf 
dieſe Art nun ift er ber Sectetär feiner felbft. Sie haben 
bald darauf eine nächtliche Zufammenfunft, bei der 
fie überrafcht werben. Febuarbo entflieht, ohne erfannt 
zu werben, und obwohl bieß ber Prinzeflin Gelegenheit 
gibt, die Schuld auf einen unbegünftigten Liebhaber, 
den Prinzen von Vifignano, zu ſchieben, ber deßhalb 
auch gefangen genommen wird, fo bleibt doch ver Makel 
auf ihrer Ehre, und als bald darauf ber unterſchobene 
herzogliche Sohn Cefarino zur Hochzeit anlangt, erflärt 
man ihm, bie Heirath könne unter den obmwaltenden 
Umftänden nicht ftattfinden. Diefer fammt feinem vers 
meintlichen Vater halten dieß nur für eine Ausflucht, 
um das gegebene Wort zurüdzunehmen, und fangen 
Krieg an. Sowohl der alte Uberto als der mittler⸗ 
teile nach Haufe gefehrte Feduardo fammt ber vers 
liebten Cafandra in Männerkleivern nehmen Theil an 
dem Feldzuge. Gafandra hat inzwiſchen von dem alten 
Uberto herausgebracht, daß eigentlich Feduardo der 
wahre Sohn des Herzogs von Mailand fei, und als 
die. Sachen aufs Aeußerfte gelommen find, tritt fie 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dihtungen. 955 


mit dem Geheimnifle hervor, mo denn der Schluß fich 
bon jelbit ergibt. 

. Die Erzählung ift zugleich eine Darlegung der 
Mängel des Stüdes. Uebrigens ift e8 einer poetiſch 
unſchuldigen Zeit nicht zu mißgönnen, wenn fie an 
derlei Ereignifjen Gefallen findet. Im Einzelnen tritt 
nicht befonders hervor. Höchſtens die Stelle, wo der 
alte Uberto Feduardo das Glück feines Bruders ges 
meldet bat, und daß er nun Thronfolger von Mailand 
fei, und ihn nun fragt: ;pesate de tanto bien?! 
antwortet diefer mit dem rührenbften Edelmuth: Pe- 
same de que no sea mi hermano. ? 

Llegar en occasion.? Eines jener Stüde von 
ziemlich lascivem Anhalt, in denen fich Zope de Vega 
gewöhnlich con amore ergeht. Ein Marcheje von Fer: 
rara iſt in eine junge Wittwe Laura verliebt, ber er 
ſchon früher nachgeftellt, zu der ihm aber jet der Tod 
ihres Mannes den Zugang frei gemadt. Theils die 
Furcht vor dem Lehensherrn, theils doch eine Art Neis 
gung, bringt fie zur Einwilligung, und es wird ver: 
abrebet, daß er zu Nacht die Thüre offen finden foll. 
Da kommt ihm aber plöglich die Nachricht, daß ein 
Federico, deſſen Schweiter er verführt, einen Aufſtand 
gegen ihn erregt, was ihn nöthigt, fi) von Laura's 
Landſitz nach Ferrara zurüdzubegeben, wo er den Auf- 
ftand dämpft und feinen Gegner Federico gefangen 
nimmt. Während Laura ihn erwartet, wird ein Ebel: 
mann Dtavio in der Nähe ihres Sites von Räubern 
überfallen, die ihm Alles nehmen, namentlich die Hofen, 
jo daß er, und zwar zur Winterözeit, im Hemde vor 
Zaura’3 Haufe anlommt, wo ihm anfangs, da Laura 

1 Schmerzt dich fo großes Glück? 


2 68 kränkt mid, daß er nicht mein Bruder iſt. 
3 Zur gelegenen Zeit eintreffen. 


256 Studien zum ſpaniſchen fester, 


allen Männern zürnt, fogar ber Eintritt verweigert 
wird, Endlich läßt fie ſich doch erweichen; ber fremde 
wird aufgenommen, in ein wohlriechendes Bad gejegt, 
das für den Marchefe beftimmt war, in ein Gewand 
des verftorbenen Gatten gekleidet, Laura läßt ihn fogar 
vor fi, ihre Phantafie ift von dem beabfichtigten 
Rendezvous mit dem Marchefe aufgeregt, llega en 
oecasion, 1 er gefällt ihr, und am Schluſſe des erften 
Aftes merkt man, daß er fchon etwas wagen bürfe. 
Er wagt e3 au. Im zweiten Alte e:zählt Laura 
ihren Vertrauten, daß, als fie von ſchweren Träumen 
geplagt in ihrem Bette lag, ber Fremde in ihr Zimmer 
gefommen fei. Sie habe ihn anfangs für eine Er— 
ſcheinung gehalten, wo er ihr dann fagte: 
No soy vision, ni tal pienses; 
tientame, Ay triste! tentele, 
J y vi que estava en camisa. 
atreviöse hasta abrazarme. 
Di un grito, mas no muy fuerte. 
El, porque no diesse mas 
y & socorrerme viniesses, 
Tap6me toda la boca, 
y assi me quex& entre dientes. 
Fenisa: ‚Con la mano? 
Laura: Ay no, Fenisa 
necia estäs, que no lo entiendes. ? 


1 Er kommt zur gelegenen Zeit an. 

2 Denke nicht, daß ich eine Erſcheinung fei, rühre mid an. 
Ach, zu meinem Schaden Zn 16 ihn, und fand, daß er im 
Hemde wa ee 
Gr erfüßnte fi, mid zu umormen, id fieß einen Sihrei auß, 
aber mit allzu laut. Cr flopfte mir, weil id nicht Iaut genug 
geſchrieen hatte, daß du mir zu Hilfe gelommen wärft, den Mund 
gar zu, und fo verhalten meine Klagen zwiſchen den Zähnen. 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 257 


Otavio ift als begünftigter Liebhaber im Haufe in- 
ftallirt. Der Marchefe wirb unter verfchievenen Bor: 
wänden abgehalten, das frühere Verfprechen einzulöjen 
und fein Hervenrecht auszuüben. Einmal führt man 
ihm Diavio als einen Better des Haufes vor, ein 
andermal ſoll Lauren ihr verftorbener Gatte erſchienen 
fein, ja, als fie ſich nicht anders zu helfen willen, 
ſtellt ſich Otavio an, von einem mwüthenden Hunde ge: 
bifien zu fein und auch Lauren jeinerjeit3 gebiffen zu 
haben, und was denn des Unſinns mehr ift, was aber 
nicht hindert, daß der Dialog und die ganze Behand: 
lung fih in Acht Lope'ſcher Lebendigkeit und Natür- 
Iichteit erhält. Zulegt heirathet Dtavio Lauren, der 
Marcheſe jeine verlaſſene Geliebte und der Rebell Fede⸗ 
rico des Marchejen Schweiter. 

El testigo contra si.1 Das ift nun einmal 
ein Luſtſpiel mit einer Verwicklung im eigentlichen 
Sinne des Wortes, wenn gleich etwas derber Natur. 
Ein Edelmann, Lifarbo, durch einen aufgefangenen 
Brief eiferfüchtig gemacht, verläßt feine Geliebte Eitela 
und Madrid. Er Tommt nad Sevilla, wo er nichts 
Angelegentlicheres zu thun bat, als fih auf einem 
Öffentlichen Spaziergange in eine Dame Dtavia zu 
verlieben, die auch geneigt fcheint, ihm Gehör zu geben, 
als der Bruder feiner verlafienen Geliebten mit einem 
Gerichtödiener dazu fommt und ihn Fraft feines ge: 
brochenen Eheverſprechens gefangen feten läßt. Bu: 
fällig aber ift der Auffeher der Gefängnifje ein Be: 
kannter Liſardo's. Diefer läßt ihn auf fein Wort frei. 
Dieſe Freiheit benüßt er, um fein Abenteuer zu Ende 


Tenifa: Mit der Hand? 

Laura? Ach nein, Yenifa, du bift nit Hug, wenn du mich 
nicht verſtehſt. 

1 Der Zeuge gegen ſich ſelbſt. 

Grillparzer, Werke. VIII. | 17 





958 Studien zum fpanifhen Thenter. 


zu führen, und er ift eben im galanten Geſpräch mit 
Otavia, als ihr eigener Bruder und der Madrider 
Bruder dazu kommen, zwischen Letzterem und Lifardo 
eine Ausforderung ftattfindet und in dem darauf ent 
ftandenen Zweikampfe Liſardo, wie Alle glauben, tobt 
zu Boden fällt. 

Zunächſt hat fi) der rachende Bruder in dieſelbe 
Otavia verliebt, und um ihren Bruder zur Einwilli⸗ 
gung geneigt zu machen, verſpricht er ihm ſeine eigene 
Schweſter, die Braut des getödteten Liſardo. Die 
Sevillianer kommen nach Madrid, und aus Liebe zu 
ihrem Bruder, und da ihr Geliebter denn doch todt 
iſt, entſchließt ſich Eſtela, der Doppelheirath ſich zum 
Opfer zu bringen. 

Liſardo, der noch immer für todt gilt, iſt aber ge⸗ 
beilt worden. Er fommt nad) Madrid und bejchliegt, 
jene Doppelbeirath zu ftören. Da Dtavia in früherer 
Zeit ein Verhältnig mit einem Feliciano gehabt hat, 
der nad Lima gegangen tft, jo verkleidet er jeinen 
Bedienten Morato in einen Hauptmann Alvarado, der 
von Lima mit einer Vollmacht Feliciano’3 fomme, um 
füh in feinem Namen mit Diavia trauen zu laflen. 
Otavia, als fie von den reichen Gefchenfen bört, die 
der Indianer mit ſich bringt, ift gleich bereit, ihren 
Madriver Bräutigam aufzugeben. Kaum aber mwieber 
zurecht gebracht, findet fich ein neues Hinderniß. Ein 
Ricardo, gegen den eiferfüchtig Lifarbo zu Anfang des 
Stüdes Madrid verlajlen hat, gibt vor, ein Ehever: 
Iprechen von Eitela zu haben. Er leitet einen Prozeß 
ein, und da er fi) nach Zeugen, natürlich faljchen, 
umfieht, macht ihn fein Diener auf Lifarbo aufmerkjam, 
der, den vorgeblidhen Indianer Morato als Bedienter 
begleitend, zu einem falſchen Zeugniß wohl zu bringen 
fein werde. Lifarbo, halb der Intrigue willen, balb 


Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 259 


weil er von emem frühern Verſtändniß zwiſchen Ri—⸗ 
cardo und Ejtela fich überzeugt hält, ift bereit, Zeugen⸗ 
Ihaft abzulegen. Und fo ift er denn der testigo contra 
ei, der Zeuge gegen fich jelbit. Die Sade verwirrt 
fih aber noch mehr, indem der wirkliche Indianer 
Feliciano anlangt, der Diavien längft vergefien hat, 
und da er nun hört, daß Jemand da fei, der fich in 
feinem Namen mit ihr vermählen wolle, voll Schred 
bineilt, um die Sache zu hintertreiben. Diabia ift 
gleich wieder bereit, ihrem vergeflenen Liebhaber in die 
Arme zu fallen, der fih gegen fie aus allen Kräften 
wehrt, ja fie verfolgt ihn endlich bis in fein Gafthaus, 
nachdem vorher die beiden Weiber, die fich mechfeljeitig 
die Schuld der Verwirrung zufchreiben, bis zum mate- 
riellen Handgemenge gelommen find, jo daß man fie 
faum auseinander bringen Tann. In demfelben Gaft- 
hofe langt auch Eitela an, die mit Lifardo entflohen 
it, da man fie in Folge von Ricardo’3 gerichtlicher 
Klage und Liſardo's Zeugenjchaft verbaften will. Hier 
Härt fich endlich die Sache auf, Liſardo befommt feine 
Eitela, und Otavia, da Feliciano durchaus nichts von 
ihr willen will, wird denn doch Eſtela's Bruder zu 
Theile. Das Stüd ift forgfältig und ſehr gut ge 
fchvieben, der Dialog nad) Art Zope de Vega's mit 
allem Anfchein der Zufälligfeit und des Geſchwätzes 
Doch jo, daß er immer die Situntion und die Hand» 
lung weiter bringt. Bon den Chaxafteren der etwas 
derbe Indianer Feliciano jehr gut. Ebenſo Otavia, deren 
unbefangener Eigennub bei allen Gelegenheiten durch 
den. gemachten jentimentalen Modeton durchbricht. 

El marmol de Felisardo.? Hier wird nun 
wieder die Glaubensfertigkeit eines guten Katholiken 


1 Die Statue des Feliſardo. 


260 Studien zum ſpaniſchen Theeter. 


ſehr in Anſpruch genommen. Ein junger Student 
Felifarbo befindet fi auf dem Dorfe, wo er fih in 
die Toter des Alkalden, Elifa, verliebt. Er gilt 
als der Sohn eines vornehmen Mannes und für hohe 
kirchliche Würden beftimmt. Als man fie aber bei 
einer verliebten Zufammenkunft überrafcht, was das 
Mädchen in üblen Ruf bringen müßte, und Feliſardo 
verſpricht, fie zu heivathen, gibt der Vater denn doch 
feine Einwilligung. Feliſardo ift aber ein natürlicher 
Sohn des Königs (von Gelanda. Ich weiß nicht, 
wo das liegt). Da diefer König im Laufe des erften 
Aftes durch den Tod feines rechtmäßigen Thronfolgers 
erblos wird, muß er fi notbgebrungen an den natürs 
lihen Sohn wenden, und er ſchickt den Almirante 
ab, der ihm auch wirklih an den Hof bringt, Nun 
fängt ber Unfinn an. Elifa hat einen Zwillingsbruder, 
Gelio, der ihr fo ähnlich ift, daß, als ihr Vater dieſen 
Celio als Pagen nach Hof bringen will, er ſich ver- 
greift und feine Tochter in Bagenkleivern dem Prinzen 
als Diener ftellt. Feliſardo ift felbft im Zweifel über 
das Geſchlecht dieſes Zwitterweſens, wo ihm denn 
der luſtige Diener Triſtan den Rath ertheilt, dem 
Pagen einen Schilling geben zu lafien, wo fi) denn 
herausftellen müfle, ob er ein Mann ober ein Weib 
fei. Unterdeſſen will man den Prinzen mit der Tochter 
des Almirante verheirathen. Triftan gibt wieder ben 
Rath, fein Herr möge fih mahnfinnig. und in eine 
Statue im Garten verliebt ‚ftellen (el marmol de 
Felisardo). Nachdem alle Mittel der Heilung fruchtlos 
verſucht worden find, gibt ber König, wieder auf ben 
Rath) Triftans, endlich feine Einwilligung zu der Ver: 
mählung mit ber Statue. Es verfteht fi, daß Elifa 
in die Statue verkleidet worden ift und ber König, 
durch fein Wort gebunden, nun aud die Ehe mit ber 





Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 961 


lebendigen Stellvertreterin zugeben muß, was er um 
fo lieber thut, da fich zeigt, daß der Allalde, ihr 
Bater, eigentlih von hohen Verwandten abftamme. 
Zuletzt bat fogar der Zwillingsbruder Gelio, der in 
dem Perjonenverzeichniffe gar nicht vorkommt, einen 
einzigen Vers zu jagen, ald man ihn nämlich mit der 
für Feliſardo beftimmten Tochter des Almirante vers 
heirathet. 

El mejor maestro el tiempo. 1 Das ift nun 
ein ganz vernünftiges Stüd, höchſtens jollte es ftatt: 
der befte Lehrer die Zeit, beißen: der befte Meifter 
das Unglüd. Doch Tann man die Zeit auch für den 
Inbegriff alles deſſen nehmen, was die Zeit mit fich 
bringt. Ein König von Iberien hat zwei Kinder, 
einen Sohn und eine Tochter, beide in Anmaßung 
und Ungeftüm fi ähnlich, was eine gute Wirkung 
macht, da das Profaifche des Gegenfabes dadurch weg⸗ 
fällt, Die Prinzeſſin Euphrofia prügelt ihre Muhme 
(hinter der Scene nämlich) mit einem Gartenpfahl, 
was der Bruder der Geprügelten übel nimmt, dafür 
aber von dem Bruder ber Prinzeflin, Otto, verwundet 
wird. Diefe Gewaltthat bringt das Mißvergnügen 
des Volkes über die beiden Königsfinder zum Aus: 
bruch. Es entfteht ein Aufruhr, in dem der König 
mit den Seinigen vertrieben wird. Er flüchtet über's 
Meer und fieht fich genöthigt, mit feinen Kindern au 
betteln, jo daß er froh fein muß, von dem fremden 
Herzog eine Gärtneräftelle zu erhalten. Die Kinder 
find übrigens jetzt ſchon von ihrem Uebermuthe völlig 
geheilt. | 

Der Fürft des fremben Landes befigt ebenfalls 
einen Sohn und eine Tochter, natürlich verlieben fich 


1 Der befte Lehrmeifler die Zeit. 


262 Stubien zum ſpaniſchen Theater. 


Die Paare mwechfelfeitig in einander. Dito benimmt 
fih wie ale Liebhaber in der Welt. Sehr gut ift 
fein alter Vater, der, inbeß er fi völlig in feine 
neue Lage fügt, doch überall die Würde des Königs 
durchſchimmern läßt. Auch Euphrofia hat von ihrem 
hohen Sinne fo viel bewahrt, als gut ift. Sehr hübſch 
macht fi) die Scene, wo der vertriebene König, von 
der Dorfgemeinde zum Richter erwählt, dem Herzoge 
die Hand zu küſſen naht und unterbefjen feinen Stab 
der Tochter zu halten gibt. Da fie mittlerweile vom 
Sohne des Herzogs angefproden wird, antwortet fie 
ganz im Sinne eines Richters, deſſen Stab fie in ben 
Händen trägt. Lope ift unübertrefflih in ſolchem 
Geltendmachen von fcheinbaren Zufälligkeiten. 

Der Sohn des Herzogs, der den Bruder feiner 
Geliebten ſcheut, läßt ihm Geld in ven Weg werfen, 
das biefer findet und fi dafür als Ritter kleidet und 
ausrüftet, fo daß er nun bald als Prinz, balb als 
Gärtner ber Hergogstochter in den Weg kommt, mas 
einige nicht ſehr ſchlagende Verwidlungen gibt, bis 
endlich die Unterthanen des vertriebenen Königs des 
eingebrungenen Gewaltherrſchers überdrüſſig erden, 
ihn verjagen und den früheren Herrn aufſuchen. Der 
entvedte Töniglihe Stand des vermeinten Bettlers 
macht allen Schwierigkeiten ein Ende, und eine Doppel: 
heirath führt zum Schluß. 

El villano en su rincon.? Das Stück ift 
durch die Bearbeitung Friedrich Halms für die deutſche 
Bühne befannt genug, fo daß ich nicht fürchten darf, 
den Inhalt je aus dem Gebächtniffe zu verlieren, weß⸗ 
balb ih ihn auch gar nicht näher berühren will. 
Anders ift e8 aber mit den Charakteren, die Halm, 
den Bebürfniffen ber Zeit und bes heutigen Theaters 

1 Der Bauer in feinem Winkel (Rdnig und Bauer). 





Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 263 


nah, nothwendig modificiren und zum Theil ab- 
Tchmächen mußte. Die Hauptfigur des Yuan Labrador 
ſteht für fich und gediegen da. Diefe mit Stolz ge: 
mifchte Zufriedenheit, diefe Gediegenheit in Allem, 
was er jagt und thut, madt ihn zu einer der vor: 
trefflichften Theaterperfonen. Der Grund, warum er 
den König nicht ſehen will, obgleich er in feiner lebten 
Verwirrung einen anbern läppifchen angibt, ift, außer 
dem Stolze, die Furt, daß er weniger zufrieden fein 
werde, wenn er einen Höhern als fich felbft gejeben, 
was er im Lauf bed Stüdes einmal deutlich fagt. 
Zope de Vega ift bei all’ feiner Natürlichkeit doch ein 
Frondeur, er fieht das Nichtige aller Vorurtheile feiner 
Zeit ein. Hier hat er’ö nun mit der königlichen Macht 
zu thun. Der König ift durch feine Unbehilflichkeit 
und Rathloſigkeit, ala er fich in der Hütte des Bauers 
befindet, wo, nach erlofehenem Schimmer des König: 
thums, Niemand von feiner Berfon Notiz nimmt, 
gebemüthigt genug; es muß nun, den Begriffen ber 
Zeit gemäß, auch dem Königthume fein Recht gefchehen, 
und der Bauer wird für das Zuviel feines GSelbit- 
gefühls betraf. Trotz feiner Demüthigung bleibt er 
aber doch der Mittelpunkt des Ganzen, und Niemand 
möchte lieber der König als er fein. Bewunderung? 
würdig aber ift die Mannigfaltigfeit, die er in die 
Charaktere und in den, gegen Lope's Gewohnheit, 
etwas boctrinären Stoff hineinzubringen mußte. Schon 
daß die Kinder dem Vater jo unähnlic, find, iſt, obgleich 
begriffewibrig, da fie feine Weisheit in der Erziehung 
in Zmeifel festen, doch fo ganz natürlih. Der Sohn 
Feliciano ift in feiner unbeftimmten Eitelfeit ziemlich 
unbedeutend. Dagegen die Tochter Liſarda mit der 
eigentlihen sal espafiola ? prächtig und troß aller 


1 Spanifgem Witze. 


964 Studien zum fpanifhen Theater. 


Berjchiedenheit die wahre Tochter ihres Vaters. Mit 
ihr im Gegenſatze die bejonnene und weile Coſtanza, 
die der Alte troß ihrer Armuth feinem Sohne zur 
Frau beftimmt. Der Kämmerling Dton, der, um in 
feine Liebesbewerbung Intereſſe und Bewegung zu 
bringen, gegen den Schluß zu auf den König eifer 
jüchtig werden muß. Die Art, wie der König auf 
ben ftolgen Bauer, indem er beffen anticipixte Grab» 
Schrift auf dem Kicchhofe Liest, zuerft aufmerkſam 
wird, mo unter dem berzugedrängten Volk auch die 
romanbafte Lifarba fich befindet. Wie die Mädchen 
und Burfchen mit Stangen und Stäben ausziehen, 
um Dliven abzufehlagen, welde Bewaffnung die 
Mädchen fehr gut Eleiven mußte. Was dabei vorfällt, 
der Gefang, der Tanz, die gejellichaftlichen Spiele, 
das Alles ift jo mannigfaltig und wahr, daß man 
feiner Bewunderung Fein Ende findet. Ich wollte, 
Leiling hätte Calderon und Lope de Vega gelannt, er 
hätte vielleicht gefunven, daß ein Mittelweg zwiſchen 
Beiden dem deutfchen Geifte näher ftehe, als der gar 
zu viefenhafte Shakeſpeare. 

El castigo del discereto.1 Der Befonnene 
ift anfangs ziemlich unbeſonnen. Riccardo, die Titel: 
rolle, obgleich mit einer Cafandra verheiratbet, macht 
doch der Schweſter Alberto’3, Hippolyta, den Hof. 
Auf feinen nächtlichen Liebesftreifereien mwirb er von 
einem andern Bewerber Hippolyta's, Leonelo, in Be 
gleitung zweier Diener überfallen, und es ſtünde 
Ihlimm um ihn, wenn nicht zufällig ein Sevillaner, 
Feliſardo, der eben in Mabrid angelommen und in 
Alberto’3 Haufe abgeftiegen ift, dazu käme und fidh 
auf Riccardo's Seite ftellte, mit deflen Hilfe die An- 


1 Die Strafe des Beſonnenen. 





Ueber Lope de Vega’3 dramatifhe Dichtungen. 265 


greifer zurüdgeichlagen und Einer von ihnen fchwer 
verwundet wird, Riccardo nöthigt feinen Retter zu 
fh nach Haufe, wo er ihn feiner Gattin Cafandra 
vorftellt, die ihn denn auch wirklich liebenswürdig 
findet, ohne aber bei ihrer großen Tugend meiter ein 
Arg zu haben. Bon ba ab aber ift Riccardo fo voll 
von dem Lobe feines Retters, er ſchildert deſſen Eigen: 
Ichaften Caſandra'n in fo bezauberndem Lichte, daß 
dieſe fih endlih in Felifarbo verliebt fühlt und be 
Tchliegt, ihm einen. Brief zu fchreiben. Während fie 
damit befchäftigt ift, kommt ein Diener Leonelo's, bes 
Beranlafjers jenes nächtlichen Weberfalls, mit einer 
Ausforderung an Riccardo. Der Bediente des Haufes 
Pinabel übernimmt ben Zettel und bald darauf auch 
den Brief Caſandra's an Feliſardo, und da er beibe 
in diefelbe Tafche tet, vermwechfelt er fie, und gibt 
Riccardo'n den Liebesbrief feiner Frau, die Ausfor: 
derung aber dem Feliſardo. Riccardo ift wie aus ben 
Wolfen gefallen. Das Einfachfte ſchien ihm, feine 
Frau umzubringen, als Bejonnener aber bejchließt er 
doch, fie auf eine minder gefährliche Art zu beftrafen. 
Er beantwortet daher im Namen Felifardo’3 den Liebes- 
brief und verfpricht, fich bei der angebotenen Zufammens 
funft einzufinden. Ebenfo hat ſich Feliſardo der Aus: 
forderung geftellt. Leonelo ift zwar über die Ber: 
wechslung ver Berfon überrafcht, da aber doch Yelifarbo 
auch fein Feind noch von jenem nächtlichen Weberfall 
her und zugleich fein Nebenbuhler in der Liebe zu 
Hippolyta ift, To fchiden fie fih zum Kampfe an, 
des nur durch die Dazwiſchenkunft des Gajtfreundes 
Alberto gehindert wird. 

Nun kommt die Reihe an die Strafe des Be . 
fonnenen. Riccardo gibt eine Reife vor, um feiner 
Gattin Raum für die verabrebete Zufammenfunft zu 


rar 
266 Stubien zum ſpaniſchen Theater. | 


geben. Nachts zurüdgekehrt, kommt er in der Perſon 
Feliſardo's in fein eigenes Haus, wo er bie liebes 
dürftende Gattin, immer im fremben Namen, aufs 
Aeußerfte durchprügelt, während fein Diener, Pinabel, 
diefelbe Operation mit der Zofe Theodora vornimmt. 
Ja, er läbt fpäter Feliſardo felber in fein Haus, wo 
denn bie geprügelte Geliebte Feuer und Flamme gegen 
ihn fpeit, inbeß er Felifarbo, der fi in alles dieß 
nicht zu finden weiß, glauben macht, feine Frau habe 
Anfälle von Wahnfinn, mwoburd denn auch jeber 
künftigen Annäherung vorgebeugt wurde. Das eigentlich 
Künſtleriſche an der Sache aber ift, daß auch Riccardo 
aus Beforgnig für fein häusliches Verhältnig, von 
feiner Neigung zu Hippolyta geheilt wird und alles 
Mögliche thut, um fie Felifardo zum Weihe zu ver- 
ſchaffen. Ja, derſelbe Fall ift mit Leonelo, der ebenfo 
für eine Schwefter fürchtet, die er bei fih im Haufe 
bat, und von der er glauben muß, daß Felifardo ihr 
den Hof made. Die Heirath kommt denn endlich auch 
zu Stande und entwirrt bie Fäben. 

Las probrezas de Reynaldos. ! Mit diefem 
Stücke hatte Zope de Vega wahrſcheinlich fein Public 
tum im Kernſchuſſe getroffen. Es ift eine jener Ritter- 
geihichten, bie Cervantes mit feinem Don Duigote 
wohl lächerlich machen, aber nicht töbten Tonnte. 
Höchftens find die Unmöglichkeiten abgeftreift, die Abe 
geſchmacktheiten aber find geblieben. Reynaldos, bei 
Karl dem Großen verleumbet, wird aller feiner Güter 
beraubt, verbannt und in eine ſolche Armuth gebracht, 
daß er mit Frau und Kind Brod bei den Hirten 
betteln muß. Ein Einfall ber Mauren von Maroffo 
wird feinen Aufreizungen zugeichrieben. Auf fein 





1 Die Armuth des Reynaldos. 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 267 


Schloß Montalvan zurüdgezogen, erhält er aber kaum 
Kunde von diefem Einfalle, als er fich zur Hilfe auf- 
macht, die Tochter und den Eidam des Königs von 
Marokko, ja endlich diefen felbft gefangen nimmt, bie 
Reichsfahnen, die der Mainzer Florante auf der Flucht 
auf die Seite Schafft, rettet und überhaupt den ſchon 
verlormen Sieg wieder den Franzoſen zumenbet. Die 
Mainzer willen aber alles das, ala von ihnen bewirkt, 
dem Kaiſer darzuftellen. Endlich wird er fogar buch 
Verrätherei gefangen, mo fein Bruder Malgefi jeime 
Schwarzfunft zu Hilfe nimmt, ihn befreit und an 
feiner Etelle einen Spirits familiaris zurüdläßt, der, 
als man ihn zum Tode führen will, wahrfcheinlich zum 
großen Jubel des Publikums, die verhaßten Mainzer 
Brüder mit Prügeln traftirt. Eben fo ficher des Bei- 
falle war wohl die Scene, mo in Abweſenheit des 
Burgherrn, das Schloß Montalvan lediglich von feiner 
Frau und feinem Kinde unter den großſprecheriſchſten 
Redensarten gegen die fturmlaufenden Soldaten Ga: 
lalons vertheidigt wird. Wer übrigen? das Wohlge: 
fallen an derlei Dingen nicht theilt, findet faum eine 
einzige erträgliche Scene in dem ganzen Stück. 

El gran Duque de Moscovia.1 Gegen dieſes, 
jo Gott will, hiſtoriſche Schaufpiel läßt ſich nichts 
einwenden. Es behandelt die Gefchichte jenes falfchen 
Demetrius, den Zope de Vega für einen Ächten nimmt, 
was ihm, mie natürlich, freifteht. Er fängt nad) feiner 
Gewohnheit mit den Kinderjahren feines Helden an. 
Seinem Vater Teodoro iſt mit Gift vergeben worden, 
das ihn aber, ftatt zu tödten, blödfinnig gemacht hat. 
Der Großvater Baſilius will daher die Nachfolge auf 
feinen jüngern Sohn Johann übertragen. In einem 


1 Der Großherzog von Moskau. 





268 Studien zum fpanifhen Theater. 


entitandenen Wortwechfel töbtet ex .aber dieſen durch 
einen Schlag mit dem Stode, der bei ven Ruſſen die 
Stelle des Scepters vertritt, und ftirbt jelbit bald darauf 
aus Gram über diefen Todtſchlag. Nun fol Deme⸗ 
trius’ Mutter ftatt ihres blöbfinnigen Gatten regieren, 
fie begeht aber die Unvorfichtigfeit, die Gewalt ihrem 
Bruder Boris zu überlafien, der fi) nun des Reiches 
bemächtigt und vor allem feinen Neffen Demetrius aus 
ver Welt zu fchaffen trachtet. Diefen bat die beforgte 
Mutter zu einem alten Ritter Lamberto in Sicherheit 
gebracht, der, ald die Mörder anlangen, mit einem, 
damals wohl großen Effekt machenden Heroismus der 
Treue, wiſſentlich feinen eigenen zmölfjährigen Sohn 
unterfchiebt, nach deſſen Ermordung Demetrius für 
tobt gilt. Diefer hat nun verjchiebene Schickſale. Zuerft 
begibt er fih in ein Mönchskloſter, aus dem er aber 
wieder entfliehen muß, da der Tyrann Boris auf einer 
Rundreiſe durch feine Staaten im Klofter anlangt und 
gegen Demetriuß aus der Aehnlichkeit mit feinem Vater 
Verdacht zu ſchöpfen beginnt. Er fommt darauf als 
Küchenjunge ins Haus eines polnischen Balatins (aus 
dem Lope, wahrjcheinlich wegen der geläufigen Bes 
nennung ‚eines Pfalggrafen am Rhein, ein Conde Pa- 
latino madt). Dort macht deſſen Tochter Margarita 
einen bleibenden Eindrud auf ihn, die aber, wie na= 
türlih, feine Annäherung höchſt lächerlich findet. Glück— 
licher ift er bei dem Vater felbft, dem er fich entdeckt 
und der ihn ohne viel Umſtände für den ächten De 
metrius nimmt, fowie fpäter der König von Polen 
jelbit. Sie geben ihm eine Armee. Er befiegt den 
Tyrannen Boris und erhält die Krone des moskowiti⸗ 
Then Reiches, ſowie die Hand feiner Geliebten, Mar: 
garita, die anfangs in höchſt Tomifcher Verlegenheit 
ift, ob er fein ala Küchenjunge ihr gegebenes Ehever- 








Ueber Zope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 269 


fprechen, das fie damals verlacht, nun als Großherzog 
auch halten werde. Das Stüd ift mit Ausnahme des 
annehmbaren Verlaufs der Begebenheiten höchſt unbe- 
dentend. Allenfalls könnte der Vater des Demetrius, 
aus deſſen Blödfinn Spuren eines unterbrüdten Ber 
ſtandes binburchbligen, für etwas gelten. Sehr gut 
tft auch die Scene, wo der Tyrann Boris .mit feiner 
Frau und mit feinem Vertrauten die auftauchenden 
Gerüchte beipricht, daß Demetrius noch lebe. Wie der 
Bertraute verfichert, er habe jelbit die Leiche des Knaben 
in den Händen gehalten, ebe fie das Feuer verzehrt, 
welches das ganze Schloß dem Erdboden gleich gemadht, 
fo daß jet mannshohes Gras ‘an der Stelle wachſe. 
Das alles nimmt man für gewiß, und doch taucht bie 
Beſorgniß immer wieder auf. Beſonders bei der Frau, 
die allen Gründen ihres Mannes mit einem: fo ift es, 
ich glaube es, antwortet und zulebt doch wieder darauf 
zurüdfommt: ich möchte wohl das Schloß fehen. Eben 
ſo die Anficht des Tyrannen in derjelben Scene über 
den Vorſchlag, er folle verbieten, Tod und Leben bes 
Demetrius zu beſprechen. Er meint nämlich: ein 
Verbot, zu Sprechen, habe nothwendig die Wirkung, 
daß man das Verbot beipreche und fomit ftillfehweigend 
die Sache. 

Las pazes de los Reyes y la Judia de To- 
ledo.1 Eines der beften Stüde von Lope de Vega. 
Leider bat er ſich hinreißen laſſen, auch die Jugend⸗ 
gefchichte König Alfonſo's mit aufzunehmen. Ich fage: 
leider, weil, ungerechnet die Unzukömmlichkeit, dieſelbe 
Perſon ald Mann auftreten zu fehen, die im erften 
Afte als Kind erfchien, diefe Ausdehnung der Fabel 
ihm den Raum genommen bat, die Haupthanblung: 


., 1 Der Sriede der Könige und die Jüdin von Toledo. 


270 Studien zum fpanifhen Theater. 


das Liebesverhältniß zur Judin von Toledo, mit ge 
bührender Ausführlichkeit zu behandeln. Der erſte 
Akt, der die Einführung König Alfonfo'3 als Kind in 
die von ben Truppen feines Oheims beſetzte Stabt 
und die Gewinnung bon Toledo für ihn zum Gegen: 
ftand hat, bewegt ſich faft ganz in patriotifhen Er- 
innerungen. Doc ift Bineingeftreut eine vortreffliche 
Scene ehelicher Zärtlichkeit zwiſchen dem Befehlshaber 
bes befeftigten Schloffes Zope de Arena, einer voll: 
fommenen Nebenfigur, und feiner Gattin. Lope de 
Bega wirft häufig feine Perlen jo am Wege hin. Im 
zweiten Alte, bereit? Mann geworben und mit ber 
engliſchen Prinzeſſin Leonore vermählt, verliebt er fich 
in die Jübin von Toledo, die er beim Baben im 
Fluſſe überraſcht. Es ift dafür geforgt, daß biefes 
Vergehen, das unmittelbar nach ber Vermählung ein- 
teitt, bem Könige nicht gar zu hoch angerechnet werbe, 
denn bie Jüdin fpricht ſchon bei ihrem erften Auftreten 
bon ber Kälte des englifchen Blutes ver Königin, und 
den Beitgenofien. Lope's mochte eine ſpaniſche Jübin 
für jeden Fall angiehenber vorkommen, als eine Königin 
aus bem Stamme ber verhaßten englifhen Elifabeth. 
Nichts deſto weniger vertritt ihm aber doch ein Engel 
den Weg, als er ſich Nachts zu feiner geliebten Jübin 
begeben will, die er in dem Palaſt Galiana einge 
ſchloſſen hält, fowie fpäter ihm ein zweiter Engel er- 
icheint, als er nach der Ermorbung der Jüdin Wuth 
und Rache gegen feine Großen und bie Königin ſchnaubt. 
Auf Aufforderung diefer Letztern nämlih wird bie 
Judin Rahel überfallen und getötet. 

Nun kommt ber überbortrefflihe Schluß des Gan- 
zen, fo vortrefflich, daß ich ihm an Innigfeit beinahe 
nichts im ganzen Bereiche ber Poefie an die Seite zu 
fegen wüßte. Der König, der an ben Hof zurüd will, 


Ueber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 971 


und die Königin, die ihrem Gatten entgegenreist, 
treffen, ohne von einander zu willen, in einer Kapelle 
zuſammen, in ber ein wwunderthätiges Bild der Mutter: 
gottes zur Verehrung aufgeftellt ift. Sie Tnieen, von 
einander entfernt, nieder und fangen an, in lauten, 
fich durchkreuzenden Worten ihr Herz vor der Gnaben- 
mutter auszufchütten. Der König, der fi dadurch 
in feiner Andacht geftört findet, ſchickt feinen Kämmer⸗ 
ling, die fremde Dame um Mäßigung ihres lauten 
Gebetes zu erfuchen. Die Königin lehnt die Botichaft 
ab. Ste habe ihren Gatten verloren, und fei in ihrem 
Rechte zu lagen. Indeß ift ihr Kammerfräulein zu 
den Kammerheren bed Königs bingefniet, die Cr: 
Tennungen taufchen fih aus, und das fürftliche Ehe: 
paar feiert feine VBerjöhnung vor dem Altare der Ge⸗ 
benebeiten. ‘ 
Merkwürdig ift übrigens, daß Lope de Vega fid 
fo ziemlich auf die Seite der Jüdin ſtellt. Sie ift 
durchaus edel gehalten, und felbit den Makel des 
Judenthums nimmt er für den Bufeher dadurch Bin: 
weg, daß fie vor ihrem gewaltſamen Tode begehrt, 
eine Chriftin zu werden. Wieder ein Beweis von 
feiner Borurtheilöfreibeit. Ja, felbit in dem Titel: 
las pazes de los Reyes, ! liegt vielleicht eine veritedte 
Sronie. Im erften Alte wird der Friebe des König: 
reichs durch die verrätheriſche Ermordung Lope de 
Arena’3 gejchloffen; im dritten ift das Pfand des 
Friedens der Tod ber vor Allen am wenigſten fchul- 
digen Jüdin. 
Zope de Bega kommt in der Maske des Gärtners 
Belardo dießmal völlig deutlich vor. 
Los Porceles de Mureia.? Diejes Stüd wurbe 


1 Der Friede der Könige. 
2 Die Porceled von Murcia. 


272% Etudien zum fpanifhen Theater. 


wahrjcheinlich für das Theater der Stadt Murcia ge: 
ſchrieben. Lope fand dafelbft ein edles Gefchlecht los 
Porceles (die Junker Schweinichen), und die auch 
anderwärts verbreitete Cage, daß eine Bettlerin, mit 
Zwillingen auf den Armen, von einer Edeldame als 
unenthaltfam und unkeuſch gefcholten, diefer im Zorn 
angewünſcht habe, fie möge fo viel Junge gebären als 
ein Schwein. Diefen unbildfamen und eigentlih un- 
dramatifchen Stoff hat er nun zum Gegenftande feiner 
Fabel gemadt. Man möchte fagen: er babe ihn mit 
Erfindungen bereichert, wenn es eigentlich Erfindungen 
wären. Er nimmt nur alles, mas ihm im Wege Iiegt, 
auf, weiß alle Ereignifle fo aus fich felbit zu gliedern, 
gibt allen Nebenperfonen ein, wenn gleich Iojes, doch 
beftimmtes Verhältniß zum Ganzen, jo daß man am 
Ende erftaunt ift, wie aus dem Fleinen Samenkorn, 
ein wenig Erde und ein Bischen Regen eine Pflanze 
geworben if. Er knüpft das Intereſſe ganz paſſend 
an die Bettlerin. Dieje ift ein edles Fräulein, Das 
fih in der Liebe vergeflen und, nachdem ihr Liebhaber, 
der feinen Nebenbuhler auf den Tob verwundet, ſich 
zur Flucht genöthigt ſah, gleichfall3 die Flucht ergriff 
und, von Mutterwehen überrafcht, auf freiem Felde 
Zwillinge zur Welt bringt, die von gutmüthigen Land: 
leuten zufammt der Mutter aufgenommen werben. In 
der Nähe ift eine Kapelle mit einem munberthätigen 
Bilde, zu dem eben ein vornehmes Ehepaar aus Murcia 
feine Zuflucht genommen bat, um Segen für ihre 
kinderloſe Ehe zu erbeten. Hier fällt nun ganz paflend 
die Scene der Verunglimpfung und Verwünſchung vor. 
Aber Schon im erften Alte ift das Eiferfuchtsverhältnig 
der beiden Bewerber dadurch dem Gewöhnlichen und 
Allgemeinen entzogen, daß der begünitigte Liebhaber, 
ein wackerer, aber blutarmer junger Mann, von dem 








Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 973 


bie Geliebte, nad damaliger Art, ein Beiperbrod in 
einem öffentlihen Garten verlangt, das Geld dazu 
von feinem Nebenbuhler borgt, was die Erbitterung 
des Lebtern, als er fie dabei überrafcht, wie natürlich 
verdoppelt. Im zweiten Akte geht der Fluch der Bett- 
lerin in Erfüllung. Die Edelfrau ift ſchwanger ge- 
worden und gebiert in Abmefenheit ihres Mannes 
gleich einem Mutterfchwein fieben Kinder auf einmal. 
Die Dame, die fich gegen ihren Gatten vermeſſen hatte, 
daß, wenn fie je mehr als Ein Kind zur Welt brächte, 
er fie als eine überwiefene Unkeuſche auf der Stelle 
tödten möge, wählt in ihrem Schred das jchönfte der 
Kinder aus und gibt die andern Sechs einer Sklavin, 
fie heimlich ing Waſſer zu werfen. Die Sklavin fällt dem 
nad) Haufe fehrenven Gatten in die Hände, ber durch 
Drohungen die Wahrheit erpreßt und als befonnener 
Hausvater die ſechs Kinder bei Zandleuten unterbringt, 
den Vorfall aber gegen Jedermann verichweigt. 

Unterbeffen iſt der entflobene Liebhaber der ver: 
meinten Bettlerin zurüdgelommen und hat fi, jo 
wie fie, bei denſelben Bauern als Knecht verdingt; 
der todtgeglaubte Nebenbuhler bat fih in die im 
Stüde nicht vorkommende Schweiter feines Gegners 
verliebt, alles ift zur Verſöhnung und Entwidlung 
reif, ala auch der nachkommenreiche Vater Don Lope 
unter dem Vorwande, das Geburtäfeit feines Majorats- 
erben zu feiern, ein Gaſtmahl anftellt, zu dem aud 
die ausgejehten ſechs übrigen Kinder mit ihren Pflege: 
eltern beigezogen werben, mo denn alles ſich aufflärt 
und,. ohne daß viel dabei herauskäme, fich abichliegt. 
Es ift bier auch nicht die Rede von einem guten 
Stüde, fondern nur von dem Reichthum dieſer wunder: 
baren Natur, die aus allem Vortheil zu ziehen weiß 
und alles ſpecificirt. 

Grillparzer, Werke. VII. 18 


274 Studien zum fpanifhen Theater. - 





Die Natur der Fabel macht viele Nebenperjonen 
nothiwendig. Was diefe jagen und thun, fteht Feines: 
wegs immer mit ber Haupthandlung in Verbindung, 
bezieht fich aber immer auf die Lage und Berbältnifie 
der Stadt Murcia. Einmal treffen wir die Zandleute 
mit den Bienen beichäftigt, wo der Tölpel mit der 
Beibellappe auf dem Kopfe erfcheint, ein zweitesmal 
wird von der wunderbaren Natur bed Seidenwurms 
geiprochen, und nun war gerade Murcia wegen feiner 
Seibenfultur berühmt, und es iſt wahrfcheinlih, daß 
fie eben fo gute Bienenzüchter waren. Ja, die Wächter, 
welche die Sklavin mit dem Korbe, in dem fie die 
ſechs Kinder trägt, anhalten, find Gefällsauffeher bes 
Seidenzolles. Es iſt ein Einleben in die Sade, die 
nur bedauern läßt, daß diefe Sache Feine befiere ift. 

La hermosura aborreecida. 1 Der Stoff bat 
einige Wehnlichfeit mit einem Stüde von Shafefpeare: 
Ende gut, Alles gut. Ein Frauenzimmer, das von 
dem verfchmäht wird, den fie liebt, erwirbt ihn endlich 
dadurch, daß fie den König von einer ſchweren Krank: 
beit heilt und nun, balb auf Töniglichen Befehl, halb 
durch Inſichgehen des geliebten Gegenftandes, in deſſen 
ungeftörten Beſitz kommt. Wie mir denn überhaupt 
Shafejpeare mit der ſpaniſchen Dramatik feiner Zeit, 
wenn auh nur aus zweiter Hand, nicht ganz unbe: 
fannt geweſen zu fein fcheint, Die Fabel des vor: 
liegenden Stüdes ift albern genug. Don Sando be 
Guevara verabfcheut, aus einem vorherrichenden Hange 
zur Lieberlichkeit, feine ſchöne und tugenbhafte Frau. 
Bon ihm verftoßen, fommt fie mit der Königin ‚Ya 
bella zufammen, die fie gütig aufnimmt, bald aber 
bemerkt, daß ihr eigener Gatte, König Fernando, 


1 Die verfhmähte Schöne. 








Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 275 


Wohlgefallen an der neuen Kammerfrau findet, weßhalb 
die Königin, „wie ſie in ähnlichen Fällen immer zu 
thun pflegte,“ den Gegenſtand ihrer Eiferſucht zu 
entfernen ſucht und daher den brutalen Don Sancho 
als Vicekönig nach Navarra ſchickt. Dieſer iſt aber 
noch nicht geheilt. Er geht ſogar damit um, ſeine 
ihm läſtige Gefährtin zu ermorden, bis dieſe ſich bereit 
erklärt, Pamplona heimlich zu verlaſſen und vor der 
Welt für todt zu gelten. Sie kommt bei Landleuten 
an und wird dort von dem Barbier des Dorfes auf— 
genommen, wo wir denn annehmen müſſen, daß ſie 
von der Heilkunde ihres Meiſters möglichſt profitirt 
habe. Wenigſtens wird ſie als angehender Heilkünſtler 
zu einem Bauernmädchen Coſtanza gerufen, die ſich 
in den hübſchen Barbierjungen verliebt hat, zu deren 
Heilung aber weder ihre wiſſenſchaftliche, noch phyſiſche 
Begabung ausreicht, was eine gute Scene gibt. Unter: 
deilen ift König Fernando, der Katholifche, bei ober 
nad) der Eroberung von Granada durch einen jungen 
Mauren ſchwer verwundet worden. Bet ihm ift ber 
junge Arzt glüdlicher. Er jtellt den König ber und 
wird dafür mit Ehren und Belohnungen überhäuft. 
Eben jet trifft die Nachricht von den Gewaltthätig- 
feiten und Augfchweifungen des Bicefünigs von Navarra 
bei Hof ein. Der junge Arzt bittet als einzigen Lohn 
aus, daß man ihn als Kommillär zur Unterfuhung 
nach Navarra jende, wie alle Welt glauben muß, um 
fih an dem treulojen Gatten zu rächen. Es kommt 
aber ganz anders. In Pamplona angelangt, fucht 
fie auf alle Art die Anjchuldigungen gegen den Vice 
könig zu entkräften. Sie läßt die Hauptankläger jeden 
mit hundert BVeitjchenftreichen abfertigen, und fegt fich 
dadurch bei dem Angefchulbigten, wie natürlich, in 
höchfte Gunft, fo daß, als zulegt die Identität des 


276 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


Töniglichen Kommiſſärs mit der verftoßenen Gattin an 
den Tag kommt, der Chetyrann zu Kreuz kriecht und 
froh ift, wieder mit ihr vereinigt zu werben. Die 
befte Wendung kommt am Schluß vor, als die Könige 
felbft nad) Pamplona gelommen find und vor ihnen 
zwei Ankläger auftreten, von denen ber eine ben Vice 
Tönig beſchuldigt, feine eigene Frau getöbtet zu haben, 
der andere, dad Landmädchen Coftanza, vorgibt, von 
dem Töniglihen Kommiflär, als ehemaligen Barbier- 
gejelen, entehrt worden zu fein, melde beiden An— 
Hagen letzterer durch die einfache Angabe entfräftet, 
daß er ein Weib und zwar bes Vicefönigs Weib fei, 
fo daß er weder ein Mäbchen verführen, noch von 
dem Bicelönig getöbtet worden fein Tonnte. 

El primer Faxardo. 1 Hier muß dem Dichter 
ein höchſt ſpezieller Zweck vorgeſchwebt haben, ohne 
Zweifel die Abſicht, dem Geſchlechte der Faxardo ſeine 
Verehrung zu bezeigen, denn es will ſich hier gar 
nichts zuſammenbauen, nicht einmal ein Liebesver⸗ 
hältniß. Letzteres iſt auf ben Abencerragen Abin⸗ 
darraez und die Maurin Tarifa übertragen, ohne daß 
es aber auch hier durch die Eiferſucht des Königs von 
Granada zu mehr als den ganz gewöhnlichen Verwick⸗ 
Tungen und Berfolgungen käme. Der Helb bes Stüdes 
jelbft, Juan Gallego, befiegt den übermüthigen Mauren 
Abenal-Farar und erhält daher den Namen Fagarbo, 
zeichnet ſich als Parteigänger durch glüdlihe Schar 
müßel und Ueberfälle aus, verliert im Spiele vier 
Mauren, die er dann einfängt und unter benen fih 
auch der verfolgte Liebhaber Abindarraez befindet, den 
ex fpäter wieber freigibt, und der bafür ihn felber 
wieder befreit, als ihn der König von Kaftilien 


1 Der erfle darardo. 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 2977 


gefangen nehmen läßt. Das Spiel um die vier Mauren 
mit einem Fähnrich gibt Anlaß zur beiten Scene im 
Stüde. Der Fähnrich nimmt e3 nämlich fehr übel, 
daß Faxardo um etwas Spiele, das er noch gar nicht 
habe. Als nun fpäter Faxardo die Mauren fängt und 
als Spielverluft übergibt, wird er gar nicht fertig, zu 
verfichern, daß er gar nicht gewohnt fei, im Spiele 
oder fonft zu täufchen, daß fein Wort fo gut fei als 
die That felbft, er mieberholt immer das Nämliche, 
und man merkt, daß ihm bie Gelegenheit erwünjcht 
wäre, loszubrechen, welche Gelegenheit ihm aber der 
Fähnrich durch feine Nachgiebigfeit benimmt. Sa er 
fordert zwei der Gefangenen zurüd, in mas aber ber 
andere wieder ohne Streit einwilligt, jo daß er ſich 
endlich zur Ruhe geben muß. Eine jener vortrefflichen, 
naturwahren Nebenfcenen, wie fie in Lope's ſchwachen 
Stüden häufig vorfommen. 

Faxardo wird bei dem Könige verleumdet, wird 
gefangen genommen, von dem dankbaren Mauren 
Abindarraez befreit, muß zu den Mauren nad) Granada 
fliehen, tritt da eine Maurin Fatima, bie ſich in ihn 
verliebt, an ihren maurischen Liebhaber ab, Tehrt 
gerechtfertigt an den Hof von Kaftilien zurüd und ift 
zum Schluß im Beſitz feiner verdienten Ehren. 

Viuda, casada y donzella1 Da find nun 
einmal wieder alle Novellen-Elemente vereinigt, welche 
Novellen vor dem Märchen menigften? das voraus 
haben, daß das völlig Abfurde darin nicht vorkommt. 
Clavela, Tochter eines Alberto, heirathet gegen den 
Willen ihres Vaters einen armen Edelmann Feliciano. 
Nach geichlofiener, aber noch nicht vollzogener Ehe 
findet fi der verichmähte Nebenbuhler Liberio mit 


1 MWittwe, Frau und Mädchen. 


278 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Begleitern vor dem Haufe ein, um menigitend durch 
Lärmmachen zu ftören. Yeliciano geht mit gezogenem 
Degen hinaus und hat das Unglüd, den Bruder 
feines Nebenbuhlers zu tödten. Er flüchtet und ſchließt 
fih einem nach Stalien gehenden fpanifchen Regimente 
an. Ein Sturm zerftreut die Schiffs-Abtheilung, und 
Feliciano, der fich mit feinem Diener Celio auf eine 
‚ wüßte Inſel rettet, wird dort von Barbaresken See- 
räubern gefangen. Um nicht ala Edelmann eine höhere 
Ranzion zahlen zu müſſen, gibt ex fich für einen Arzt 
aus, wo denn bei der Ankunft in Tremecen feine 
Kunſt fogleich für eine Favorit-Sklavin Yatima in 
Anspruch genommen wird, bie aber nichts Schnelleres 
zu thun bat, als fih in den jchmuden Spanier zu 
verlieben. Sie verabreden bie Flucht; der Maure 
Haquelme wird auf die berbite Art von der Welt 
betrogen, welche Derbheit mahrjcheinlich dem Publikum 
das größte Vergnügen verſchaffte. Die Maurin hat 
einen bebeutenden Schag an Gold und Ebelfteinen 
mit fich genommen, und fo langen fie glüdlih in 
Spanien an. Dort erklärt nad einigen Bedenken 
Feliciano feiner Maurin (die ihm denn doch nur für 
eine galga, Betze, gilt), ganz troden, daß er ſchon 
verheirathet fei. Die Heidin begehrt wenigſtens ihre 
Kleinodien zurück, mas er ihr eben fo troden ver- 
weigert, fich aber doch endlich zu einer Theilung ber: 
beiläßt und fie mit ver Hälfte als Mitgift feinem 
Diener, dem Spaßmacher Celiv, zum Weibe gibt, 
womit fie fi zur Noth zufrieden ftellt. Unterdeſſen 
bat feine Wittwe Clavela, die ihn für tobt hält, fich 
halb gezwungen die Werbungen Liberio's gefallen 
laflen, und fie feiert eben ihre Hochzeit mit ihm, als 
Feliciano erfcheint; die Heirath geht zurüd, und Clavela, 
Wittwe, Gattin und Jungfrau zugleih, wird mit 





Ueber Lode de Vega's dramatifche Diehtungen. 279 


dem Gegenftande ihrer erften Liebe vereinigt. Liberio 
erhält eine Schwefter Feliciano's, die er früher ver: 
ſchmäht und die im Laufe bes Stüdes aus Liebe zu 
ihm alle möglichen Albernheiten gemacht hat. 

El prineipe despefado1 (Despeüado im 
eigentlihen Wortfinne: vom Felſen herabgeftürzt, ge- 
nommen). Ein in feinen Hauptpartieen vortreffliches 
Stüd, nur daß die Nebenereigniffe, für ung wenigſtens, 
ſehr am Fehler des Läppifchen leiden. Nach dem Tode 
des Königs D. Sancho von Navarra theilen fih die 
Großen über die Nachfolge in zwei Parteien: für ven 
im zeifen Mannesalter befinblichen nächſten Agnaten 
D. Sando und für das Kind des Verftorbenen, das 
die Königin Wittwe D. Elvira noch ungeboren im 
Schoße trägt. An der Spitze ber beiden Parteien 
ftehen die zwei Brüber Guevara, der ältere D. Martin 
für D. Sanyo, inbeß der jüngere D. Ramon an den 
Kinde feines Königs fefthält. Die Partei D. Martins 
fiegt, die Königin und D. Ramon müffen fliehen, und 
Erftere gebiert mitten in den unwirthbaren Pyrenäen, 
von einem zufällig hinzugefommenen Landmann unter- 
ftügt, einen Knaben, den ber Bauer, ohne Mutter 
ober Kind zu kennen, nad dem Landhauſe feines 
Gutäheren, D. Martins von Guevara bringt, wo— 
ex von ber Gattin deſſelben, Dora Blanka, eben jo 
unbefannter Weife aufgenommen wird. Bis hieher 
ift alles tabellos, ja die Königin Witte erinnert in 
der Großartigfeit ihres Schmerzes an ähnliche Figuren 
in Shafefpeare, inbeß die Uebrigen ganz in ben herben 
Umriſſen der Vollsſage gehalten find. 

Aus dieſer Faſſung fällt das Stück jedoch im 
zweiten Ute, wo bie Königin und D. Ramon, als 


4 Der geſurzte Fürfl. 


280 Studien zum jpanifhen Theater. 


Wilde, in elle gekleidet, in den Bergen herumirren 
und auf fie als auf Thiere Yagb gemacht wird, indeß 
die ländlichen Nebenfiguren mit nichtsfagenden Liebes- 
und Eiferfuchtzfcenen den Raum nicht fehr intereflant 
ausfüllen. 

Das Stüd erholt ſich jedoch von dem Augenblide, 
wo der König fich in die Gattin D. Martins verliebt 
und zulest dem Drang, fie zu genießen, nicht wider: 
ſtehen fann, was ihm denn auch mit Hilfe eines treu: 
loſen Thürſtehers gewaltſamerweiſe gelingt. 

Im dritten Alte kommt D. Martin. von einem 
ihm zum Schein aufgetragenen Kriegäzuge in fein 
Haus zurüd. Er findet es verödet und ſämmtliche 
Bewohner, die ihm ausweichen, in Trauer gefleibet. 
Er weicht ihnen im Vorgefühl eines Unglüds eben 
fo aus, wie fie ihm, ja hält den Diener zurüd, al? 
diefer eine vorübergehende Kammerfrau um die Urfache 
diefer Trauer fragen will. 

porque quando el mal se acerca 
el llegar& sin llamarle. 1 


Endlich tritt eine Dame gleichfalld in Trauer auf 
ihn zu. Er meint: 
La Reyna deve de ser 
del estado de la muerte. ? 
Es ift D. Elvira, feine Gattin. Auf feine Frage: 
jquien es muerto?3 
antwortet fie ihm 
tu honor. 4 


1 Denn wenn das Unglüd beranlommt, dann tritt es unge: 
rufen ein. 

2 Sie muß die Königin des Todtenreiches fein. 

3 Wer ift geftorben? 

4 Deine Ehre. 











Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 281 


Wunderſchön ift nun, wie er, der den Bufammen: 
bang abnet, fich bie Wahrheit und feiner Frau das 
Geſtändniß hinauszuſchieben fucht. Als fie ihm erzählt: 


D. Mar. 
D. Bl. 
D. Mar. 


El Rey don Sancho ... . 1 
La noche .......... ? 
vino & tu casa, Sefior. 3 
Como? 4 

El Rey vino & tu casa. 0 
Mira Blanca lo que dices. 8 
Mira lo que dices Blanca. 
Mira que el Rey no seria. 
Mira Blanca que te engafias. 


Sie aber auch zögert auf alle Art. Sie erzählt ihm 
ihre weiſſagenden Träume in jener Nadıt, die Vor⸗ 
ahnungen und Borbedeutungen, die 'er ihr ſämmtlich 
widerlegt und natürlich erklärt. Wo fie denn endlich 


fagt: 


No te cuento aquestas Cosas 
porque las creas, ni hagas 
conjetura en tus desdichas 
mas solo por dilatarlas 

que tardandose las nuevas 
parece, que el mal se tarda. ' 


1 Dr König Don Sande. 
2 Zu Nacht. 
3 Rom et, Herr, in dein Haus. 


4 Wie} 


5 Der Anig kam in dein Haus. 
6 Bedenke Blanca, was du jagft. 
Bedenke, was du ſagſt, Blanca 
Bedenke, baes der König fein konnte. 
Bedenke Binca, ob du dich nicht täuſcheſt. 

7 Ich erzähle\ir diefe Dinge nicht, damit du fie glaubeft, noch 
Bermuthungen über dein Mißgefhid aufflelft, ſondern nur es zu 
verzögern. Denn dg Uebel felbft fcheint zu zögern, wenn die 
Kunde von demſelben zgert. 


282 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Endlich erfährt er den gräßlihen Zufammenbang. 
D. Elvira will ſich tödten, er hält fie zurüd und 
befchließt dann, wie natürlih, Rache gegen den König. 
Er fordert ihn zur Jagd gegen die beiven Wilden 
oder milden Thiere im Gebirge auf, findet und er: 
fennt dort feinen Bruder D. Ramon, und beibe vereint 
jtürzen den König von einem Feljen herab (el principe 
despefiado). Natürlich wird nun die königliche Wittwe 
zurüdgebradht, ihr Kind als König anerfannt und 
D. Martin, nachdem der Schänber feiner Ehre getödtet 
it, nimmt feine Gattin als unſchuldig wieder auf. 

La serrana de la Vera.1 Auch bier hatte 
Zope de Vega, wie aus mehreren Stellen deutlich 
wird, eine Romanze vor fi) von einem Weihe, das 
an der Spige einer Räuberbande fih in der ganzen 
Vera⸗Gegend furchtbar machte. Nach fpanifcher Art, 
bie bie äfthetifche Abſchätzung von der moralifchen 
beinabe völlig trennte, werben nun die Gräuel biefer 


Räuberin aufs Aeußerſte übertrieben. Haufen von. 


Ermordeten, Wegelagerung aller Art, Haß gegen das 
Männergefchlecht, der fih im Tode jedes Vorkommen: 
den fättigte, das alles kommt theils in Erzählusg, 
theils in wirklicher Handlung fo mafjenweife vor, Daß 
man gar nicht begreift, wie ein folches Ungeheser je 
wieder in die bürgerliche Gejellichaft als Web und 
Gattin zurüdgeführt werden konnte, mas zulst denn 
doch wirklich gefchieht. Ein Umftand erimert an 
Calderons devocion de la cruz, ? der näalich, daß 
die Räuberin, als einziger Zufammenharg mit dem 
Guten, zu jedem Ermordeten ein Kreu ſetzen läßt, 
fo daß Calderon die Idee zu feinem den genannten 
Stüde vielleicht aus dieſer Serrana geihöpft haben 


1 Die Gebirgsbäuerin von La Bera. 
2 Andacht zum Kreuze. 








Weber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 983 


lönnte, nur daß Letzterer, abgefehen von dem Inter: 
ſchiede zwiſchen Mann und Weib, auch den Verlauf 
der Handlung unendlich gefchidter .anlegt, da fein 
Eufebio erſt durch die Verfettung der grauenhafteiten 
Ereignifje zu dem Räuberhandwerke und all jenen 
Gräueln getrieben wird, indeß bei Lope bie erften 
zwei Alte eine volllommen heitere Luſtſpielverwicklung 
- enthalten, und Leonarda’3 Eiferſucht am Schlufle des 
zweiten, höchſtens ihre Flucht aus dem Haufe ihres 
Bruders rechtfertigt, keineswegs aber das kannibaliſche 
MWüthen im Refte des Stüdes erflärlich macht. 

Leonarba’3 Charakter ift von vorn herein komiſch 
ganz gut gebalten. Ihre Luft am Neiten, Fechten 
und Sagen. hr männliches Weſen, da3 fie beſonders 
zeigt, als fie einmal die Thüre zu fchließen befieblt, 
um ihre beiden vermeinten Nebenbublerinnen durch: 
zuprügeln. Aber zulegt überftürzt fich alles. 

Ein Bild von dem erbärmliden Hofmwelen jener 
Zeit gibt übrigens die Entwidlung des Stüdes, wo 
eine von Leonarda verjehonte Nebenfigur des Stüdes, 
D. Juan, durch eine Verwandte, die als Kammerfrau 
bei Hofe dient, kurzweg eine königliche Begnadigung 
für die Räuberin und Mörberin erwirkt, morauf fie 
denn ohne Umftände ihren gerechtfertigten Liebhaber 
heirathet: eine allerhöchite Clemenz, an der Niemand 
Anftand genommen zu haben fcheint. Die Idee des 
Spiels iſt in allen diefen Stüden vorherrichend. 

S. Isidro, labrador de Madrid. ! Eine Ber: 
berrlihung des Madrider Lolal:Heiligen, Iſidor. Auf 
eine ungezwungene und der Dürftigleit des Inhalts 
zu Hilfe kommende Weife läßt er das Stüd mit Rück—⸗ 
kehr des Madrider Adels von einem fiegreichen Feldzuge 


1 Der h. Iſidor, der Ackersmann von Madrid. 


284 Studien zum fpanifhen Theater. 


gegen die Mauren beginnen, defjen Trophäen fie in 
der Kapelle der Mutter Gottes von Almubena auf 
hängen, in melder Kapelle Iſidor gewöhnlich feine 
Andacht zu verrichten pflegt. Den Reſt des erften 
Altes füllt die Verheirathung Iſidors mit einem Land⸗ 
mädchen, Maria. Die ſchlichte Frömmigkeit des Bräuti- 
gams und bie jungfräuliche Eingezogenheit der Braut 
find fehr hübſch gehalten. Letztere ift fo groß, daß, 
weil fie mit niebergefchlagenen Augen bafteht, und 
man ihr fagt, fie folle doch ihren Verlobten anfehen, 
fie erwiedert, fie werbe ihn fehon fehen, wenn er 
einmal ihr Mann fei. Unter den Hochzeitsfeierlich⸗ 
Teiten ift beſonders eine Tanzweiſe überaus ſchön, 
deren Worte alle Arbeiten des Landmannes vom Adern 
bis zum Einernten ſchildern, mozu der Tanz bas 
Darzuftellende mit Geberden ausdrückt. 

So viele Frömmigkeit erweckt den Zorn der Hölle, 
Der Neid erfheint und regt die übrigen Arbeiter auf, 
Iſidoren bei feinem Heren zu verklagen, daß er über 
dem Gebet die Arbeit verſäume. Don Yvan de Bargas, 
ber Gutsherr, bewahrt feine charaltervolle Mäßigung, 
beſchließt aber doch, ſich Weberzeugung zu verſchaffen. 
Er findet wirklich Iſidoren, der, ftatt zu arbeiten, 
betet, dagegen fieht er aber auch die Engel, die an 
feiner Statt das Feld beftellen. Zum Neid gefellt ſich 
fpäter auch der Teufel und endlich die Lüge, melde 
letztere Iſidoren die Tugend feiner Frau verdächtig 
macht. Iſidor ift Spanier genug, um eiferflchtig zu 
werben. Da er fi) aber nad ber Ermita 1 verfügt, 
wo Maria dem Gebete obliegt, und biefe, da ein 
Flüßchen fie trennt, ihren Mantel auf das Waſſer 
breitet und barüber, wie über eine Brüde, in feine 


1 Einfiedelei. 





Meber Lope de Vega's dramatiihe Dichtungen. 985 


Arme eilt, erfennt er an diefem Wunder ihre Unſchuld, 
wo denn wieder jehr hübſch ift, daß er bei diefer Aus: 
jühnung, feines Verdachtes nicht mit einem Worte 
erwähnt. 

Nachdem das heilige Baar fich entfernt, ericheinen 
den verjammelten Landleuten die Flußgötter, Manza- 
nares und Karama, aus ihren Flußbeeten empor: 
fteigend, und indem fie das Lob von Madrid anftimmen, 
lagen fie die Fünftigen Wunder Iſidors voraus, ſowie, 
daß er nad) fünfhundert Jahren werde heilig geſprochen 
werden. Endlich erfcheinen der Teufel und der Neid, 
die uns fagen, daß Iſidor inzwifchen geftorben fei, 
und die vierzig Sabre vorübergehen machen, fo daß 
man die Handlung um eben fo viel fpäter in die Zeit 
König Heinrich DL. verjest findet. Ein Vorhang: wird 
mweggezogen, und man fieht den Heiligen auf einem 
Prachtbette ausgeſetzt. Wunder gefchehen. Namentlich 
an einem Domberen, der dem Heiligen Haare ab: 
fchneibet, und an der Königin, die gar einen Finger 
deſſelben als Reliquie mitnehmen will, und bie fidh 
Beide nicht von der Stelle bewegen können, biz fie 
den frommen Raub zurüdgsftelt. Weberhaupt find 
Wunder durch das ganze Stüd verftreut. 

Despertar & quien duerme. 1 ®Der Grund» 
gedanke des Stüdes fehr gut. Graf Anfelmo von 
Barcelona befitt das Land, nachdem bie rechtmäßigen 
Heren aus der Familie Moncada von feinen Vorfahren 
vertrieben worden find. Obgleich Rugero, ver lette 
Sprößling der abgefehten Herricherfamilie, rubig auf 
ein paar Hufen Landes lebt, die ihm geblieben, läßt 
dem Grafen Anfelmo der Gedanke feine Ruhe, daß 
jener denn. doch Abfichten zur Wiebergewinnung des 


1 Den Schläfer wecken. 


286 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Landes hegen lönne, und er zieht daher jo viele Er- 
fundigungen ein, fenbet fo oft Spione, ihn auszu— 
forschen, daß in dieſem endlich wirklich Pläne wach 
werben, auf die er früher nicht gedacht. Ya als er 
ihn endlich gefangen jegen läßt, fpridt er wieder 
feiner Tochter fo viel von dem Prätendenten vor, ver- 
größert die Gefahr fo fehr durch das Anpreifen feiner 
guten Eigenfhaften, daß endlich dieſe neugierig wirb, 
ihn zu fehen, und fi zuletzt gar in ihn verliebt. 
Despierta & quien duerme. 1 Die Ausführung bleibt 
aber hinter dem Gedanken weit zurüd, indem fie nichts 
als ein Abfpinnen längft dageweſener und unbebeuten- 
der Ereigniſſe ift. Die Tochter des Grafen befreit 
den Gefangenen. Dieſer findet eine Königin bon 
Sicilien, die eben auf einem anberweitigen Kriegszuge 
begriffen ift. Sie fegt ihn auch wirklich mit Gewalt 
der Waffen in das Reich feiner Väter ein, und ob- 
wohl der Preis bes Beiftandes bie Hand bes neuen 
Grafen fein fol, fo findet ſich doch dieſe Heirath zuleßt 
unmöglid. Rugero hat nämlih die Hilfe als fein 
eigener Geſandter angeſprochen, indeß die Prinzeffin 
Ejtela in Männerkleivern feine Rolle als wirklicher 
Thronbeiverber fpielt. Zwei Weiber können ſich nicht 
beivathen, Die Königin von Sieilien ift daher mit 
einem gleihfals zum Beiftande gelommenen Herzog 
von Urgel zufrieden, indep Rugero die Grafihaft 
und die Hand Eſtela's erhält. 

Eine einzige Scene erhebt fih über das Mittel: 
mäßige. Als Eſtela Rugero aus dem Gefängnifie 
befreit, bringt fie ihn als Diener verkleidet felbit ins 
Gebirge. Mit einer Umarmung von ihr Abfchieb 
nehmend, fühlt er, daß fie ein Weib fei. Sie gibt 


1 Er wedt den Schlafenden. 


Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 287 


ſich auch als ſolche, ja endlich als feine Muhme Eſtela 
au erfennen, begehrt aber Achtung für ihr Geſchlecht 
und bie Einfamfeit des Ortes, worauf er ſich denn 
auch beſcheiden zurüdzieht. Nun wird fie aber gar 
nicht fertig, Abichied von ihm zu nehmen, woraus 
man merkt, daß ber Mißbrauch, den fie fi) verbeten, 
ihr eigentlich nicht gar fo unangenehm geweſen wäre. 
Als er endlich Anftalt macht, ihr zu folgen, meint 
fie, die Gelegenheit fei verfäumt, und entfernt ſich 
vollends. Auch hier ift ein despertar & quien duerme: 
das Sinnliche der Leidenſchaft. 

El anzuelo de Fenisa.! Man muß annehmen, 
ober vielmehr es geht aus allen Luftfpielen Lope de 
Vega's hervor, daß Gewinnfuht in ben roheften 
Sormen, das Charakteriftiiche der Weiber feiner Zeit 
war, nicht bloß der abfolut liederlichen; diefer letztern 
alfo um fo mehr. Hier ift nun eine ſolche Buhlerin 
Feniſa, die in Palermo ihre Angel auswirft und ſich 
ſchon ein hübſches Sümmchen erangelt hat. Ein 
junger Kaufmann aus Valencia, Namens Lucindo, 
begleitet von feinem Diener Triftan, ift mit einem 
reichbeladenen Schiffe angelommen und ftößt im Hafen 
auf bie dort nad Beute ausgehende Sirene. Trotz 
der Warnungen feines Dieners beißt er fogleih an 
den Köber, und es ift recht hübſch, wie er, zufolge 
biefer Warnungen, Geld, Kette, alles, was er Werth: 
volles hat, an den Diener abgibt und nun glaubt, 
ohne Gefahr ihr in ihre Wohnung folgen zu können. 
Feniſa, die das bemerkt, richtet: jogleich barnad bie 
Lodipeife. Statt Geld zu fordern, gibt fie ihm eine 
Beträge, befcenkt ihn mit Hemden, und Lucindo 
findet fih glücklich, nur um feiner felbft geliebt zu 


1 Der Mdder Genifa's. 


288 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


werben und aller Gefahr entronnen zu fein. Es foll 
aber bald anders Tommen. Feniſa erhält einen Brief 
mit der Nachricht, daß ihr Bruder wegen 2000 Dufaten 
in Gefahr des Tobes fei. Sie ift in Verzweiflung, 
Tein baares Geld zu haben, erklärt fich aber bereit, 
Schmud und Gefchmeide für ein Darlehen zu ver 
pfänden. Lucindo hat aber ſchon fo angebifjen und 
hält fih feiner Sache für fo ficher, daß er das Gelb 
ohne Pfand und Schrift hergibt. Kaum aber hat er 
das Geld gegeben, als er verfpottet und abgewieſen 
wird, ja man ftellt fogar den Empfang des Darlehens 
in Abrebe. Mit Verwünſchungen kehrt er nad) Valencia 
zurüd. Neben dieſen Ereignifjen fpinnt fi aber eine 
zweite Intrigue fort. Unter den Anbetern Fenija’s 
befinbet ſich aud ein Sevillaner Albano, der eine 
Geliebte, Dinarda, zu Haufe zurüdgelafien hat. Diefe 
folgt ihm in Männerkleivern, und Fenifa hat das 
Unglüd, fi in diefen weiblihen Mann zu verlieben, 
der, um fi vor den Zubringlichkeiten feiner Reife 
gefährten zu retten, bie in ihm das Weib ahnen, ihr 
entgegenfommt und fogar die Ausficht auf eine Heirath 
als Köver braucht. Der Balencianer Tann indeß ben 
Verluſt feines Geldes nicht verfchmerzen. Er kehrt 
nad Palermo zurüd, deponirt im Zollamte unter ber 
Scheinangabe als weiche Waaren, mit unbebeutenven 
Gegenftänden gefüllte Kiften und begibt fih, mie ein 
von ber alten Liebe noch Gefeflelter zu Feniſa, die 
von feiner Ankunft und ber reichen Ladung bereits 
Nachricht erhalten hat. Sie empfängt ihn auch mit 
der alten Zärtlichkeit, und ba ſich findet, daß feine 
Waaren mit doppeltem Gewinn in fpäterer Zeit ver⸗ 
Tauft werben können, erbietet fie fih, Jemand zu 
finden, ber ihm gegen zwanzig Procent 3000 Dulaten 
vorftreden wolle. Sie gibt aber das Geld aus ihrem 


ueber Lope de Vega's dramatiſche Ditungen. 289 


Eigenen und empfängt dafür als Pfand die Schlüſſel 
des zollamtlichen Verſchluſſes. Der Valencianer hat 
kaum das Geld empfangen, das er als ſein eigenes 
ſammt Zinſen betrachtet, als er wieder nach Hauſe 
ſegelt. Da ſich nun auch Dinarda als Weib zu er— 
kennen gibt, fo iſt die Buhlerin vielfach betrogen: 
um ihr Geld, um den Bräutigam und um die Ge— 
ſchenke, die ſie in der Freude ihres Herzens aus Anlaß 
der Heirath an Mehrere gegeben hat. 

Die Unbefangenheit von Lope de Vega's Geiſte 
gibt ſich auch in dieſem Stücke kund. Ein ſpaniſcher 
Hauptmann Oſorio und mehrere ſpaniſche Soldaten 
laſſen ſich geradezu als Schreckmittel im Dienſte der 
Buhlerin gebrauchen. Unter den Eigenſchaften der 
Spanier wird geradezu die Prahlerei als charakteriſtiſch 
aufgeführt. Ja einmal werben fie ala albern bezeichnet, 
da das Gold ihrer neuen Welt mehr den übrigen 
Nationen, als ihnen jelbit, zu Gute komme. Uebrigens 
das Ganze roh und wenig bebeutend, 

, Los locos por el eielo.1 Offenbar eines ver 
langteiligften Stüde, das Zope de Vega, ober jonft 
irgend ein Menfch jemals gefchrieben. Der Titel 
ſchreibt ſich von einer einzigen Scene her, in ber die 
beiden zum Chriftentbum befehrten Geliebten ſich als 
mahnfinnig ftelen, um den Berfolgungen ber He 
zu entgehen, wenn nicht überhaupt ihre Gelbitv 
leugnung und Leiden um des Glaubens millen, 
ein Wahnfinn im Sinne der Welt bezeichnet werden 
fol. Die Handlung felbft bilden die Begebenheiten 
einer heibnifchen Priefterin Dona, bie auf Befehl des 
Kaiſers Marimionus das Orakel des Apollo befragt 
und bon einer unfichtbaren Stimme die Antwort erhält: 





en 





1 Die BWahnfinnigen um des Himmels willen. 
Grillparger, Verke. VIII. 19 


TOR 


290 Stubien zum ſpaniſchen Theater. 


Christe vive. Sie verfällt darauf in einen Schlaf, 
in bem ihr ein Engel erfcheint, der ein Buch neben 
fie Hinlegt. Es find die Briefe des Apoftels Paulus 
mit der aufgefchlagenen Stelle: Mortui enim estis et 
vita nostra abscondita est cum Christo in Deo. Sie 
vefleftivt darüber, anfangs allein, dann mit ihrem 
Bräutigam Indes. Eine hriftliche Dame Agaftes Hilft 
ihr auf die vehte Spur, und fie und ihr Geliebter 
laſſen fi taufen. Nun fangen die Verfolgungen an, 
die mit dem gewaltfamen Tode aller im Stüde vor- 
Iommenben chriftlichen Lehrer und Schüler enbigen. 
Am beiten die Scene, wo die Ehriften in ihrer heim: 
lichen Verfammlung ein Weihnachtsſchauſpiel aufführen 
und, als nun die Heiden hereinbrechen, die Perfonen 
des Joſeph und der Maria, wie in einer Fortfegung 
ihrer Rolle, die beftürzten Zuſeher zur Stanbhaftigteit 
und Todesverachtung auffordern. Gleichſam eine No: 
bilitirung des Schaufpield und der Schaufpieler im 
Allgemeinen. Das Stüd ift übrigens am Rande mit 
Gitationen aus ber heiligen Schrift bebedt und enthält 
am Schlufje die Klaufel: Si quid dietum contra fidem 
et bonos mores, tanquam non dietum, et omnia 
sub correctione Sanctae matris Ecclesiae. 

El mas galan Portugues, duque de Ver- 
ganza.! Das jedenfalls nicht große Verdienſt dieſes 
Stüdes befteht mehr in ber Haltung ber Perfonen, 
als in der Ausbildung und Bebeutfamkeit der Hand- 
lung. Der erfte At hängt nad) Lope be Vega's übler 
Gewohnheit mehr in Weife einer Vorbegebenheit mit 
dem Refte des Stüdes zufammen, als daß barin ber 
Keim und bie Bedingung des Späteren enthalten 
wäre, Der GroßPrior von San Yuan, auf einer 


4 Der gafantefte Portugiefe, Herzog von Vergama. 





Ueber Sope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 991 


Gefchäftzreife in Portugal und von dem Herzoge von 
Verganza gaſtfreundlich aufgenommen, läßt, nicht ohne 
Abſicht, unter dem Kopflifien feines Bettes das Porträt 
feiner Schweſter Mayor zurück. Der Herzog verlicht 
ſich auch nach Wunſch in das Bildniß und ſucht den 
Gegenſtand ſelbſt in Kaſtilien auf. Nun haben zwar 
die zwei andern Brüder Mayors ihre Schweſter dem 
Almirante! von Arragonien zur Ehe verſprochen, die 
Sade wird aber rüdgängig gemacht, und ber Herzog 
von Verganza (Braganza?) erhält die Hand feiner 
phantaftifch Geliebten. Man könnte nun allenfalls 
annehmen, daß die Unglüdsfälle des eigentlichen 
Stüdes eine Art Strafe biefes Wortbruches in ſich 
ſchlößen. Aber einerfeits fällt es Niemanden im Stüde 
ein, fih jenes Wortbruches nur nod zu erinnern, 
andererſeits träfe die Strafe gerade diejenigen, die ſich 
keines Treubruches ſchuldig gemacht haben, das Che- 
paar nämlich; auch wäre die Strafe weder durch die 
Gleichheit des Uebels, noch als Fortwirkung eines 
ſchuldbaren Charakterzuges mit der Verſchuldung in 
einen kauſalen Zuſammenhang gebracht. Ueberhaupt 
muß man derlei weit hergeholte Deutungen bei Lope 
de Vega nicht ſuchen, und ich ſchäme mich, bei ſeinen 
leichtblütigen Hervorbringungen auf derlei deutſche 
Grübeleien auch nur zu denken. Uebrigens iſt es da 
und mag für die Spekulanten ven erſten Akt mit dem 
folgenden verbinden. 

Das Glück der Ehe wird durch eine Lifarda gejtört, 
die, von ihrem nieberträchtigen Geliebten verlafien, ja 
mit dem Tobe bebroht, in Männerlleivern als Page 
in bes Herzogs Dienfte tritt. Man muß annehmen, 
daß die Herzogin durch den ſpezifiſchen Geruch, den 


1 Amiral. 





293 Studien zum ſpaniſchen Thenter. 


Lope de Vega bei einer andern Gelegenheit, ben beiden 
Gefchlechtern zufchreibt, eine bunfle Vorftellung von 

ber weiblichen Natur ihres Bagen erhalten habe, denn 

ihre Vertraulichkeit geht fo weit, daß die Eiferſucht 

des Herzogs halb und halb als gerechtfertigt erjcheint. 

Die verhaltene Wuth kommt endlich zum Ausbruch, und 
während ber Herzog mit gezogenem Schwerte fruchtlos f 
den Pagen verfolgt, entflieht die Herzogin an ben Hof 

bes Königs von Portugal. Ein Gericht wird ange 
ordnet, die Verwandten der Herzogin Tommen aus 
Kajtilien herbei, es erfolgt eine Ausforderung, aber 

die Enthüllung von Liſarda's meiblichem Geſchlecht | 
bringt alles ins Gleiche und das Stüd zu Ende. Die | 
Spanier nämlich, fo baarfpaltennd in Bezug auf die | 
männliche Ehre, kannten für bie weibliche Feine andere 
Verletzung, als die höchſt körperliche. Sogar Liſarda | 
heirathet zuletzt, mahrfcheinlich auch zur Heritellung | 
ihrer Ehre, ihren niederträchtigen Geliebten. 

Wenn die Handlung nicht viel fagen will, jo find 
boch mehrere der Figuren bes Stüdes recht gut. Wie 
der Herzog von PVerganza zu den Beinamen el mas 
galan Portugues fommt, begreift man nicht mohl. 
Darin eine fatyrifche Anfpielung zu fuchen, verbietet | 
die allem Berftedten fremde Natur Lope de Vega’s. | 

| 
| 
| 





Beiler bie Brüder Doña Mayors. Die innige Liebe 
bes Groß: Priord zu feiner Schweiter zeigt fi auf 
eine einfache finnliche Art, inbem er in dem Geſpräch mit 
ihr, immer ihren Vornamen Mayor im Munde führt, 
obgleich der wunderliche Namen Mayor etwa Zope be 
Bega jelber gefallen haben mag. Manor ift ein voll- 
fommenes Weib im fpanifchen Sinn. Gehorfam ihren 
Brüdern, wirb fie durch das Lob, das der Groß⸗Prior 
dem Herzog von Berganza ſpendet, aufmerkffam gemacht 
und erkundigt fi um feinen Wuchs und feine fonftigen 








Ueber Sope de Veta's dramatifihe Dichtungen. 203 


Eigenſchaften, wo ſie denn, obgleich die Braut eines 
Andern, bis zur Aeußerung geht: Glücklich, die ihn 
befommt! In ber Eiferſuchtsſeene mit dem Herzoge wird 
ihre Geſtalt auf einmal wirklich und lebendig, indem 
fie ſich, mit dem Tode bedroht, trotz ihrer Furcht, doch 
nicht enthalten kann, ihrem Gatten zu ſagen: ihre 
Brüber ſeien mehr werth, als er. Ebenſo der König 
von Portugal, wenn er gegen ben Schluß bie Zeugen 
verhört und, obwohl ihm um die Wahrheit zu thun 
ift und er von ber Unſchuld ber Herzogin überzeugt 
ift, er doch bie Diener bes Herzogs, die zu ihren 
Gunften zeugen, hart anläßt und barſch behandelt, 
weil ihm zugleich leid thut, den Herzog verurtheilen zu 
möüffen, und er wohl auch einen Wibertoillen empfindet, 
verlei nieberes Volk gegenüber feinem Freund und U 
wandten zu Wort kommen zu Iaflen. In ſolchen Natur- 
zügen ift Lope de Vega unerreicht. 

NB. Am Ende mag doch das gebrochene Wort den 
verftedten Bufammenhang bed Ganzen ausmachen. 
Durchaus fehlerhaft. Denn, obgleich das Begriffsmäßige 
der Tod der Poeſie ift, fo muß doch ber geiftige Zu- 
fammenhang ſchon im Einbrud liegen, und nicht exit 
hinterher herausgeflügelt werben. 

Argel fingido y Renegado de amor.! Tas 
Stüd fängt mit einem Dialog in jenen Klappberion 
an, bie Zope be Vega fo meifterhaft zu gebrauchen 
weiß, wo jeber einzelne Vers, Rebe und Gegenrede 
enthält und Schlag auf Schlag fich alles auf bie Spitze 
getrieben findet. Es ift nämlich ein Roſardo in cine 
Florida verliebt, die ihn aber, troß feines Reichthums, ver⸗ 
ſchmäht und ihre Neigung feinem Nebenbuhler Leonido 
zugewendet bat. Das Liebespaar überwindet endlich 











1 Das angebliche Mlgier und der Menegat aus Liebe. 


294 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


den Einfpruch von Florida's Bruder, Aureliano, welcher 
Einfprucd zum Theile auch daher rührt, daß Leonido's 
Bruder, Manfrebo, der begünftigte Liebhaber Flavia's 
ift, des Gegenftandes von Aureliano’3 eigener Be 
werbung. Mit einer, leider nur zu natürlichen Rück— 
ſichtsloſigkeit opfert auch Leonido das Antereffe feines 
Bruders feinem eigenen auf, entfernt leßteren unter 
einem Vorwand, und Aureliano, der nun Platz für 
feine Beiverbung hat, gibt die Einwilligung zur Hei- 
rath feiner Schweſter. Der verſchmähte Liebhaber Ro— 
farbo geräth darüber außer fih und erklärt feinen 
Entſchluß, nad Algier zu gehen und als Renegat feine 
Feinde grimmig zu verfolgen. Er ift aber zu guter 
Chrift, um berlei in Wirklichkeit zu thun. Wohl aber 
nimmt er mit feinen Leuten maurifche Tracht an, zieht 
ſich auf eine benadhbarte wüfte Inſel zurüd, und als 
erſte Seeräuberthat nimmt er bie beiden Weiber: ſammt 
dem Bruber Aureliano auf einer Spazierfahrt im Meere 
gefangen. Er bebroht feine abtrünnige Geliebte mit 
den fürdterlichften Dingen, melde feine Drohungen 
mit ebenfo übertriebenen Betheuerungen zurückweist, 
mo denn Zope den richtigen Sinn hat, daß, obwohl 
Florida alles für Ernft hält, fie doc) gerade durch die 
Uebertreibung unillfürli in den Spaß mit eingeht. 
Leonido und fein inzwiſchen zurüdgefommener Bruder 
Manfrebo verkleiden ſich ala Mönde von dem Orden 
zur Auslöfung der Gefangenen und begeben fih nad 
der Inſel, werben aber gleichfalls erkannt und ger 
fangen. Es leitet ſich nun eine wohlfeile Intrigue ein, 
daß nämlich Roſardo ſich anftellt, als ob er feine Liebe 
von Florida auf Flavia gewendet, und von Leonibo 
verlangt, daß er ihm einen Liebesbrief an Flavia 
fchreibe. Diefen zeigt er Florida und macht fie glauben, 
Leonido habe ihn im eigenen Namen an Flavia 





Bu 0 ed 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 295 


geicgrieben. Ein guter Zug ift, daß, fo lange Leonibo 
und Florida an bie Liebe Roſardo's zu Flavia glauben, 
fie legterer auf alle Art zureben, den Korfaren zu er 
hören, und fo bereit find, Flavia eben fo ihrem eigenen 
Nugen aufzuopfern, als früher Leonibo mit feinen 
Bruder gethan bat. Sobald aber Florida die Witterung 
erhält, daß ihr Leonibo Flavien den Hof made, jo * 
iſt ſie in aufbrauſender Eiferſucht auf der Stelle bereit, 
ihren Glauben abzuſchwören, den Korſaren zu hei— 
rathen u. ſ. w. Zuletzt klären ſich die Dinge auf. Die 
Gefangenen nehmen den Korſaren, den ſie abſeits 
treffen, ihrerſeits gefangen, und alles erreicht ſein 
natürliches Ende, ohne daß beſonders viel Spaß oder 
Ernſt herauskäme. 

In jener Zeit, wo man täglich von Seeräubern 
und Sklaverei in trauriger Wirklichkeit hörte, mochte 
eine Art Parodie ſolcher Zuſtände einen angenehmen 

Eindruck machen. 

El postrer Godo de Espauia. Das iſt nun 
ein Stüd, von dem man, wenn man ihm auf neus 
deutſche Weife nachhelfen, oder vielmehr es als einen 
Kanevas für ein erft zu ſchreibendes Stüd betrachten 
will, recht viel Gutes jagen könnte. Der hiſtoriſche 
Gang ift eingehalten. Der Kaufalnerus ber Ereignifje 
rundet fi zur Handlung. Dem poetifchen Gerechtig⸗ 
Teitögefühl gefchieht Genüge. Nur ift aber alles, was 
einer Ausbreitung und pſychologiſchen Vermittlung be: 
darf, fo Inapp und roh an einander gefügt, dab das 
Ganze doch mehr eine enumeratio partium, ober viel: 
mehr eine Zufammenfafjung ohne vorhergegangene Ent- 
wiclung ift. Es ift nämlid) bie Geſchichte der Grobe: 
zung Spaniens dur die Mauren. Die Tochter des 


4 Der lehie Gothe Spaniens. 





296 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


Königs von Algier wird auf einer Spazierfahrt im 
Meere von ben Spaniern gefangen. König Roderich 
verliebt fih in fie. Sie nimmt den hriftlichen Glauben 
an und wird fein Weib. Während der Tauf- und 
Trauungsfeierlichleit fommt Graf Julian mit feiner 
Tochter an den Hof. Bon ber Trauung zurüdfehrenn, 
fieht König Roderich dieſe Tochter und verliebt fi 
eben fo augenblidlich in fie. Im zweiten Akte finden 
wir Florinden (die Cava), ſchon ſich über Gewalt ber 
klagend, die ihr ber König angethan. Graf Julian, 
ala Gefandter bei den Mauren, reizt biefe auf die 
Nachricht von jener Schanbthat zum Einfalle in Spanien 
an. Sie finden das Land unvertheibigt und waffenlos. 
König Roderich fällt im Treffen. Den Grafen Julian 
befällt die Reue über feinen Verrath. Er macht feiner 
Verzweiflung gegen die Mauren Luft und wirb von 
ihnen getöbtet. Die Cava ftürzt fich vom Thurme herab. 

Der legte Akt befaßt fi mit ben Helbenthaten 
Pelayo's, jo daß dieſes Stüd, deſſen Gegenftand bie 
Niederlage Spaniens ift, mit dem Siegeögefchrei der 
Spanier endet, wodurch denn auch dem Nationalgefühl 
Genüge geichieht. 

Alles dieß, wobei ich noch zu berühren wergefien 
habe, baf das Stüd eigentlich mit der Thronbefteigung 
und Krönung König Roderichs anfängt, alles diek in 
einen Topf geworfen, würde dem Geſchmacke jedes Volles 
unerträglich fein, wenn nicht biefe Ereigniffe ben 
Spaniern fo geläufig gewefen wären, daß es für fie 
einer Ausbreitung und meitläufigen Vermittlung gar 
nicht bedurfte. Daburd wird aber das Stüd als dra⸗ 
matifches Kunſtwerk nicht befler. 

La prision sin culpa.! Wenn man ben Inhalt 


1 Das Gefangniß ohne Schuld. 





” 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 297 


biefes Stüdes aufzeichnen wollte, müßte man eigentlich 
das ganze Stüd abſchreiben. Da ift ein Hin- und 
Hergehen und Kommen, und die Berfonen werben zus 
letzt mehr an demſelben Drte vereinigt, als daß fie 
derſelben Abfiht dienten. Ein D. Felix aus Tolebo reist 
nad Amerika. Er ift zu Haufe in eine Lucinda ver: 
liebt, am beren voller Gegenliebe er zivar zweifelt, 
denn, meint er, hätte fie ihn mahrhaft geliebt, fo 
würde fie ihm auch Förperlich zu Willen geweſen fein. 
Bor der Einfhiffung in Sevilla übergibt er die Briefe 
und das Bild feiner Geliebten einem dortigen Freunde 
D. Carlos, um fih das Marternde der Erinnerung 
zu erfparen. Diefer hat nichts Schnelleres zu thun, 
als ſich in das Bild zu verlieben. Er reist nad) Toledo, 
macht der zurüdgebliebenen Geliebten jeines Freundes 
glauben, biefer fei auf der See verunglüdt, und bie 
Geliebte verliebt ſich eben fo fehnell in ihn. Da ihr 
aber eine gezwungene Heirath droht, beichliefen fie, 
zu entfliehen. In der Dunkelheit der Nacht nimmt 
fie einen Bebienten ihres Bräutigams für den Diener 
ihres Geliebten, vertraut ihm ihr Schmudfäftchen und 
entflieht, von ihm begleitet. Diefer beraubt und ver 
läßt fie, fo baß fie faum fo viel behält, um ſich Ana: 
benlkleider anzufchaffen, in denen fie ſich nach Sevilla 
begibt und als Page in die Dienfte von Carlos’ Schwefter 
tritt, bie eben auch werheirathet werben joll; indeß 
Carlos jelbft, die verlorne Geliebte überall ſuchend, 
noch immer abweſend ift. Endlich kommt D. Felix 
aus Amerika zurüd und heirathet Carlos’ Schwefter, 
indeß Carlos felbft feine und feines Schwagers Lueinde 
zur Frau bekommt. Der Titel des Stüdes rührt von 
einem gegen ba3 Ende vorfommenden Incidenzfalle 
ber, wo ber fpigbübifche Bediente, der Lucinden auf 
ihrer Flut beraubt hat, eine von jenem Naube her: 





298 Stubien zum ſpaniſchen Theater. 


rührende Kette verfaufen will, die D. Carlos als das 
Eigenthum feiner Geliebten erfennt, wo denn ber Reihe 
nad) D. Carlos, D. Felig und felbft die als Page 
verfleidete Lucinde in den Verbacht bes Diebftahls 
Tommen und ins Gefängniß gebracht werben. Der 
Spaf hat aber eigentlich gar Feinen Einfluß auf den 
Gang bes Stüdes. Der erfte Alt und der Anfang 
des zweiten übrigens fehr gut gefchrieben. 

El eselavo de Roma.! Die Geſchichte jenes 
Androfles, der einem Löwen den Dorn (hier eine Pfeil 
ſpitze) aus der Tatze zieht und dafür von demſelben 
verfhont wird, als er in der Arena ihm zum Zerreißen 
vorgeivorfen wird; verbunden mit einer ganz abfurben 
Liebesgeſchichte. Das Beſte der erfte Akt; dann aber 
folgen Ereigniffe, denen man noch zu viel Ehre anthut, 
wenn man fie als unwahrſcheinlich bezeichnet. 

La imperial de Oton.2 Da ift nun bie Ge 
ſchichte Ottoklars von Böhmen und fein Kronenftreit 
mit Rudolf von Habsburg. Leider waren Lopen be 
Vega die Nebenumftänbe -diefes in ſich reichen Stoffes 
zu wenig befannt, weßhalb er fi zur Ausfüllung 
eigener Erfindungen bebient, bie nicht von ber beiten 
Art find. Da ift nun vor allem ein Gefandter des 
ſpaniſchen Bewerbers um die Kaiſerkrone, D. Juan 
de Toledo, und fein Liebesverhältnig zu einer Mare 
garita, bie im Perfonenverzeichniffe als eine Dama 
Alemana3 vorkommt, aber im Stücke fih als eine 
Spanierin zeigt. Diefes Verhältniß wird übrigens 
nad) dem erften Afte nicht mehr berührt. Lope's Ein- 
fit in die Fehler feiner Nation zeigt fi übrigens 
auch hier. Diefer D. Yuan ift ein lächerlicher Groß⸗ 

1 Der Slave Roms. 


2 Die Raiferkrone Otto's. 
3 Deutfche Dame, 





Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 299 


fprecher, der übrigens durch perfönliche Tapferkeit 
feinen Fehler zum Theile wieder gut macht. Die Haupt: 
perfonen find ganz hiftorifch treu gehalten. Das Haupt- 
verbienft Rudolfs von Habsburg ift, von Nechtens 
wegen, daß von ihm das Haus Deftreih ſtammt, 
dem die damaligen Könige von Spanien ihren Ur— 
ſprung verdankten. Eine Art Zauberer Merlin jagt 
ihm auch dieſe Fünftigen Dinge voraus. Seine Tapfer: 
keit ift außer Zmeifel, mit Treu und Glauben 
ſieht es aber nicht gar gut aus, da jenes fagenhafte 
Bufammenftürzen bes Zeltes während Ditofars Huldi— 
‚gung bier auf fein Geheiß gefchieht, über welche Doppel⸗ 
züngigfeit er fih in ber Folge damit rechtfertigt, daß 
er Ditofarn Teinen Eid geſchworen und ihm nichts 
Shhriftliches gegeben habe. Weberhaupt ift etivas Fa— 
venfcheiniges in der ganzen Figur, welches die Mei- 
nung ausbrüden dürfte, welche die damaligen Spanier 
überhaupt von den Deutichen hatten. Die Majeftät 
des Kaiſerthums, ala der Gipfel aller menſchlichen 
Größe, wird übrigens aufs Lebhaftefte urgirt. 
Ditofar fteht im Nachtheile gegen feine ftolze und 
heldenmüthige Gattin, melde hier Etelfrida heißt, 
ohne gegenüber allen Anbern dadurch an perſönlichem 
Werth zu verlieren. Seine erfte Unterwerfung am 
Vorabende ver Schlacht wird hier auf ſpaniſch-phan⸗ 
taſtiſche Art dadurch motivirt, daß ihm eine ſchwarze 
Schattengeſtalt erfcheint (man follte faſt meinen, feine 
eigenen Umriſſe und Geberben nachahmend), die das 
Schwert gegen ihn züdt, ala er mit feinem auf fie 
losgeht. Er fieht darin ein Vorzeichen feines Todes 
und eine Beftätigung von bem bereits früher in ihm 
wach gewordenen Gedanken über die Ungerechtigkeit 
feiner Sache. Er unterwirft fih. Da folgt die Scene 
mit bem zufämmenbrechenben Belte. . Als ex nad Haufe 


300 Studien zum jpamifhen Theater, 


kommt, verwehrt ihm Etelfriva den Eingang in feine 
Königsburg. Anfangs auf der Zinne erfcheinend, dann 
mit einem Wurfſpieß ins Thor tretend, überhäuft fie 
ihn mit Vorwürfen und Schmähungen, bie fih in 
bildernden Antithefen überbieten. Er tritt ihr mit 
männlihem Zorn entgegen, bejchließt aber doch im 
eigenen Gefühle der Schmach, einen folhen Zuftand 
nicht zu ertragen. Er erneuert den Krieg. Als die 
Entſcheidungsſchlacht ſchon verloren ift, erſcheint er 
allein auf der Bühne und ergeht fi, wie in jenem 
deutſchen Stüde,! in allgemeinen menfchlichen Betrad: 
tungen, in benen aber doch der Gebanfe an feine Frau 
mit Vorwurf und Liebe vorherrſcht. Hier finden und 
töbten ihn gemeine Krieger, wobei bie Schattengeftalt 
aus dem zweiten Alte wieder erjcheint und ihm von 
rückwärts die Arme hält, 

Auch in der übrigen Haltung finden ſich Aehnlich— 

feiten. Von vorn herein die ftolze Zuverſicht auf den 
> Ausfhlag der Kaiferwahl, die Verachtung Nubolfs, 
als Grafen, gegenüber einem Könige, wogegen bie 
bangen Ahnungen der hochmüthigen Königin über den 
Ausgang ſchon des erjten Feldzuges recht glüdlich und 
ächt Fünftlerifch abftechen. 

El vaquero de Morana.? Ein Graf von Sal- 
daña wird von dem Könige von Leon eingelerfert, ja 
bei Gelegenheit fogar zur Hinrichtung beftimmt, wegen 
eines Liebeöverhältnifjes mit der Infantin Marina, 
das ber König nicht billigt, Das Stüd beginnt damit, 
daß der Graf von einem Freunde D. Juan aus dem 
Kerker befreit wird, indem dieſer die Wachen durch 
einen betäubenben Trank vorübergehend verrückt macht. 


Grillbarzers Ottofar. 2.9. 
2 Der Kuhhirt von Morana. 








Meder Loe de Vehals bramatifße Dichtungen. 301 


Die Infantin, bie in ein Klofter eingejperrt ift, findet 
gleichzeitig Mittel, zu entlommen. Sie erreichen bas 
Gebiet der Grafen von Kaftilien, und finden ſich auf 
dem Landgute eines D. Fernando zufammen, und 
treten unerkannt in die Dienfte deffelben, fie als Magd 
und er als Kuhhirt (vaquero). Daß ſich die beiden 
Sprößlinge de3 Edelmanns, der Sohn in die Infantin, 
und bie Tochter in den Grafen verlieben, verfteht ſich 
von felbft. Die Infantin ift überhaupt der Gegenftand 
der allfeitigen Bewerbung, fogar der alte Edelmann 
ftelt ihr nach, und bedient fi fogar feiner Tochter 
als Gelegenheitsmacerin, was bieje ganz natürlich 
findet. Enbli will er fie zu feinen Sieden mit dem 
Tolpel Tirreno verheirathen, wozu dieſer, obwohl er 
eine anbere Geliebte hat, doch auch bereit wäre. Die 
Prinzeſſin felbft findet fih, nad Lope's Gewohnheit, 
in ihre Verkleidung fo gut, daß fie Zweideutigkeiten 
anhört und Anftößigkeiten felber ſpricht, wofür jie ſich 
freilich durch hochtrabende Dftaven entſchädigt, wenn 
fie mit ihrem geliebten Grafen allein ift. So fpinnt 
ſich das Stüd gut und ſchlimm durch Bewerbungs— 
und Eiferſuchtsſeenen fort. Endlich kommt der König 
von Leon auf die Vermuthung, daß feine Verwandte 
und ihr Geliebter fi zu den Mauren nad Toledo 
geflüchtet haben, und er fünbigt den letztern Krieg an, 
wobei er den Grafen von Kaftilien als Bundesgenofjen 
gewinnt. Im Sande deſſelben, zu Morana, angelom- 
men, findet er die Infantin Marina, die er in ihrer 
Verkleidung nicht erfennt (und fi gleichfalls in fie 
verliebt). ALS zulegt die Erfennungen erfolgen, erwacht 
die Verfolgungsmwuth des Königs aufs Neue. Der 
Graf von Kaftilien tritt aber als Schützer und Vers 
mittler ein, fo daß alle nur irgend zu vereinigenden 
Paare vereinigt werben. 





J 
\ 


302 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Angeliea en el Catay.! Dieß ift das einzige 
aus allen Stüden Zope de Vega's, bei dem ihn fein 
dramatiſcher Takt verlafien hat. Alle übrigen, bie 
Begebenheiten und Motive mögen noch jo wunderlich, 
ja mitunter abjurb fein, fehlingen ſich doch zuletzt in 
Einen alles verbindenden und abſchließenden Knoten 
azufammen, bier ift aber bon einem ſolchen dramatischen 
Bufammenfafjen feine Spur, und er hat lediglich Ari— 
oſts Abenteuer in Scene gefegt; Angelica kommt zu= 
let in ihr Königreich Catay, und macht Meboro zu 
ihrem Gemahl und zum Könige des Landes, jo daß 
ihre Begebenheiten allerdings als abgeſchloſſen erſchei— 
nen; aber ihre Perſon ift zu oberflächlich gehalten, als 
daß eine Charafterentwidlung von ihrer Seite ſich 
als der Mittelpuntt des Ganzen darftellte, fo wie Mer 
doro's Unbebeutenbheit fi nicht einmal, felbft als 
ſolche, in einen hervortretenden Contraft gegen die 
übrigen Bewerber ſetzte. Zugleich ſchweben alle an 
dern Figuren beim Schluffe in der Luft. Reynaldos 
ift abhanden gefommen. Roldan ift wahnfinnig ge 
worden, und wird bei feinem legten Erſcheinen eben 
als Wahnfinniger eingefangen. Nicht einmal die von 
Allen Umworbene ift Angelicn, denn Rodamonte und 
Mandricardo ftreiten eben fo heftig um eine Doralize. 
Die Begebenheiten Zerbins und Iſabellens ftehen kaum 
in einer oberflächlichen Verbindung mit den Uebrigen. 
Das alles ift in einem wenig bebeutenden Stüdfe ziem- 
lich gleichgültig, und nur darum zu bemerken, weil 
Lope de Vega einmal feinem glüdlihen Naturell un- 
treu geworden if. Das fin de la Comedia? am 
Schluſſe des Stüdes überraſcht, ala ob man im Traume 
einen Fall gethan hätte, 


1 ngelica in Gatay. 
2 Ende des Stüdes. 








Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 303 


Die abenteuerliche Haltung, bie Großſprechereien 
ber Helden, in benen manchmal fogar ein Bewußtſein 
des Lächerlichen durchſchimmert, und die Liebesjcene 
zwiſchen Angelica und Medoro übrigens recht gut. 

El nifo inocente.de la Guardia. i Ein 
gentlich abſcheuliches Stüd, da, wenn auch nicht 
rade fein Zweck, doch bie nothiwenbige Folge eine Stei- 
gerung bes Haſſes gegen die Juden fein mußte. In 
diefer Abfcheulichkeit erreicht übrigens Lope de Vega 
lange nicht feinen Zeitgenoſſen Galberon, bei dem 
Aberglaube und Vorurtheil meiftens den Anſtoß zur 
Begeifterung barbieten. Der Inhalt, des vorliegenden 
Stüdes ift ber Martertob eines Kindes, das die Juden, 
um fi an den Chriften zu rächen, in ſcheußlicher Nach⸗ 
ahmung die ganze Leidensgeſchichte Chrifti durchgehen 
laſſen. Den Anfang machen die riftlihen Könige 
Ferdinand und Iſabella, die, nach Anpreifung der In— 
quifition, ihr frommes Werk dur die Vertreibung 
der Juden zu krönen beſchließen. Letztere beſchicken 
einen Magier in Frankreich, der ihnen auch ein Zau— 
bermittel anräth, das in einer geweihten Hoftie und 
dem Herzen eines unſchuldigen Kindes befteht, welche, 
beibe vereinigt und in einen Fluß verſenkt, alle dar- 
aus Trinkenden vergiften werde. Die Abgejandten, 
um das Mittel zu prüfen, handeln einem franzöfiichen 
Vater jein Kind ab, der fie täufcht und ihnen das 
Herz eines Schweines überantwortet, fo daß bei ver 
Probe, ftatt aller Chriften, alle Schweine fterben. Nach 
Spanien zurüdgefommen, beſchließen fie dab’ , ſich auf 
Niemand Fremden zu verlaffen, ſondern frehlen jelbit 
ein Chriftenfind, das fie unter fortwährenden Mißhand⸗ 
lungen bis zum Ofterfefte aufbewahren. Nun fügen 








1 Dos unfhuldige Kind von La Guardia. 





304 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


fie ihm, — wobei die Blasphemie eigentlich auf den 
Autor- und die Zufeher fällt — alle Unbilden und 
Qualen zu, die die Leidensgeſchichte Chrifti ausmachen. 
Sie theilen fi in die biblifhen Perfonen. Einer ift 
Kaiphas, der andere Pilatus; nur Judas fommt mit 
feiner Rolle zu furz, da er ftatt der dreißig Silber 
linge, bie er verlangt, nur drei erhält. Das Kind 
benimmt fich ganz wie Chriftus, fpricht auch in ben 
entjcheidenden Momenten biefelben Worte wie diefer. 
Zur Rechtfertigung dieſes, bei einem Kinde Unglaub- 
lichen, mwirb etwas Unmögliches herbeigebradt. Es 
erſcheinen nämlich der Verftand (offenbar ber des Kindes) 
und die Vernunft. Der Verftand wundert fich ſelbſt, 
mit Aufzählung aller ſcholaſtiſchen Erforderniſſe des 
Verfteheng, über feine frühzeitige Ausbildung in dem 
unmündigen Rinde, wird aber von ber Vernunft be 
lehrt, daß durch die Liebe Gottes die Vernunft der 
Zeit vorauseile, und durch den dem Heilande nachge— 
ahmten Tod der Verſtand jene Reife erhalte, die dem 
Alter Chrifti zur Beit feines Todes entfpricht, nämlich 
die von breiundbreißig Jahren. So wird das Kind 
endlich gekreuzigt und ftirbt. Die Vernunft jagt die 
Strafe der Juden voraus, und damit aud die Auf 
erftehung nicht fehle, fliegt das Kind zulegt in einer 
Maſchine in die Luft. 

Der Umftand, daß Zope das nino de la Guardia 
in der Zahl der Heiligen und Märtyrer vorfand, und 
alfo mit dem Ganzen vor allem die Verherrlihung 
eines Schutzpatrones gemeint war, milbert etwas bie 
Atroctität der Unternehmung. 

La prueva de los ingenios.! Ein Herzog 
Alexandro (von Mantua, glaube ih) hat ein Liebes 


1 Die Probe des Geiſies. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 305 


verhaͤltniß mit Florela, einem durch Körper und Geiſt 
ausgezeichneten Frauenzimmer, von, wenn nicht nied⸗ 
riger, doch keineswegs ausgezeichneter Herkunft. Er 
aber, der nach einer ſtandesmäßigen und politiſch vor= 
theilhaften Heirath ftrebt, fett fich in Bewerbung um 
die Tochter und Erbin des Herzogs von Ferrara, um 
die aus gleichem Grunde ein Infant von Arragonien 
und ein Prinz von Urbino in bie Schranken treten, 
Florela beſchließt, die Heirath zu ftören, und begibt 
fi unter dem Namen Diana in die Dienfte der viel- 
umtoorbenen Prinzeflin Laura. Sie weiß ſich in ihre 
Gunft zu fegen, und biefer einmal fiher, gibt fie ſich, 
mwunberlicher Weife, für einen Mann aus und jpielt 
die Rolle eines begünftigten Liebhabers. Aus diefer, 
mie gejagt, höchſt wunderlichen Situation ift nicht eins 
mal aller Vortheil gezogen, ber fih im Intereſſe der 
Romantik daraus ziehen ließ. Die Zweifel, die ver 
Prinzeſſin über das Geſchlecht ihrer Sekretärin auf 
fteigen, haben nun zur Folge, daß fie dieſelbe von 
einer ihrer Damen im Sclafe überrafhen läßt, wo 
aber dieſe in ihrer Unterfuhung nicht weiter Tommt, 
als auf die Füße, deren blendende Weiße aber eben 
fo gut einem Weibe, als einem Manne, angehören 
Tann. Florela erreicht aber wenigftens fo viel, daß 
Laura gegen die Vorzüge Alerandros und ihrer übri- 
gen Bewerber unempfinblich bleibt, ja wünfcht, ihren 
Bewerbungen enthoben zu fein. Es merden daher, 
unter dem Vorwanbe, feinen ber Freier zurückſetzen 
zu wollen, Proben bes Geiftes feftgefegt, denen fich 
jeber unterziehen, und demnach mit der Gefretärin 
über eine philofophifche Frage diſputiren, und zuleht 
noch ben Weg in einem eigens zu biefem Bivede er- 
bauten Labyrinthe bis zum Mittelpunkt finden foll, 
wo die Prinzeſſin als Preis des Sieges ſich befinden 
Griltparzer, Berte, VII. 20 


306 Studien zum fpanifeen Theater. 


werde. Die Difputation ift über die Vollfommenheit 
des Meibes, und wird in allen Feinheiten der dama- 
ligen Hegel’ihen Philofophie, mit nego majorem, 
minorem eoncedo, distinguo, von Florela und ven 
Freiern durchgeführt. Der Unfinn ift von beiden Seiten 
gleich groß, und man merkt nur aus dem Verftummen 
der Freier, daß Florela den Sieg davon getragen hat, 
ſowie der ganze Verlauf ben Beweis gibt, daß Zope 
mit Nutzen die unnützen Wiſſenſchaften ftubirt hat. 
Um den Weg ins Labyrinth zu finden, hat der Infant 
von Spanien fein Vertrauen auf einen Anäuel Faden 
gejeßt, der ihm aber zerreißt. Alerandro hat auf ben 
Rath feines Dieners Kiften mit angeblichen Geſchenken 
ins Labyrinth bringen laffen, in denen aber Zunder 
und Schwefel nebft Lebensmitteln ſich befinden, um 
ven Weg zu erhellen und, wenn die Probe zu lange 
dauern follte, nicht zu verhungern. Diefe Kiften werben 
aber auf Florela's Rath geöffnet, die Lift entbedt und 
die Kiften befeitigt. Nur der Prinz von Urbino hat 
Feuerzeug in dem Griff feines Schmwertes verborgen. 
Er erreicht den Mittelpunkt und erhält die Prinzeſſin. 
Alerandro merkt, daß Florela alles aus Liebe zu ihm 
gethan, und, die vornehme Braut verloren, heirathet 
er die Verlaffene. Auch die Pringeffin gibt fich zus 
frieden, nachdem fie das wahre Geſchlecht ihrer Sekre— 
tärin erfahren, 

La donzella Teodor.! Die Begebenheiten eines 
gelehrten Mädchens, Tochter des Maeftro Leonardo, 
der Schule hält, wobei er ſich feiner Tochter als Unter: 
lehrers bedient. Sie docirt und bifputirt auch gleid) 
Anfangs nad) allen Formen der Dialektif und Scho— 
laſtik. Einer der Schüler, D. Felix, verliebt ſich in 


4 Die Jungfrau Theodora. 


Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dihtungen. 307 


fie. Der Vater hat fie aber feinem freunde, dem 
alten Catedratico1 Floresto, zum Meibe beftimmt, 
der auch fie abzuholen fommt, und davonführt, dabei 
aber von D. Felix mit feinem Diener Padilla und 
einem Freunde Seonelo überfallen werden, welche 
die Braut als Beute mit fi führen. Es hat aber 
der König von Dran, von ber Vortrefflichkeit der 
Chriftennatur überzeugt, beſchloſſen, jeinen Neffen und 
Thronfolger Celindo mit einer Spanierin zu vermählen, 
und befhalb Schiffe auf den Mädchenraub ausgejendet. 
Diefen fallen die Flüchtlinge in bie Hände und werden 
als Sklaven nad) Dran geführt. Theils weil Teodor 
ſich taub und blöbfinnig ftellt, theils weil eine feiner 
Nichten dem Könige Verdacht gegen feinen Neffen Ger 
lindo einzuflößen verfteht, ändert ber König jeinen 
Plan und befhließt, um doch Chriftenblut in fein 
Haus zu bekommen, jene Nichte mit D. Felix zu ver- 
mählen. Diefer willigt aud zum Schein ein, begehrt 
aber als erſte Gunſt, daß Teodor nad) Spanien zurüd 
geſendet werde, in der Abficht, ihr balbmöglichft ſelbſt 
au folgen. Auch dieſen Plan wittert die maurifche 
Pringeffin, und Teodor wird, ftatt nad) Spanien, nad) 
Konftantinopel geführt und dort als Sklavin ausge 
boten. Dort findet fie der mauriſche Prinz Celindo, 
den man in verrätherifcher Abſicht gleichfalls nad) Konz 
ftantinopel gefenbet hat, und kauft fie los. Teodor, 
die das Ganze einem Wortbruch ihres Liebhabers D. 
Selig zuſchreibt, begibt fih in den Schuß eines Grie- 
hen, Finardo, um mit ihm nad) Haufe zu kehren. Sie 
leiden aber Schiffbruch, wobei der Grieche fein ganzes 
Vermögen verliert. Zum Erſatz fordert fie ihn auf, 
fie für 10,000 Dufaten an ben Hof des Schachs von 


1 Profefior. 





308 Studien zum fpanifhen Theater. 


Perſien zu verlaufen, ber ein großer Freund von Ge 
lehrten iſt. Unterbeflen hat ber türfiiche Kaifer ben 
Spanier D. Felix vom Könige von Dran ala Feld 
bern gegen bie Perſer begehrt. Diefer beſchließt viel 
mehr, die Friegführenden Parteien zu verfühnen, und 
begibt fi) deßhalb an den Hof des Schachs von Per: 
fien, wo er eben zurecht kommt, um einer gelehrten 
Difputation beizumohnen, die der Schach angeftellt 
hat, um fi von dem Wiflen feiner theuer erfauften 
Stlavin zu überzeugen. Eben bafelbft haben fih auch 
Teodors Vater und ihr verabfcheuter Bräutigam Flo— 
reſto, ihre Spur verfolgend, eingefunden. Die Diſpu⸗ 
tation geht gerabezu in ber Form eines Räthjelipieles 
vor ſich. Teodor befiegt alle Gegner und erhält zum 
Schluß ihren gerechtfertigten D. Felig, wobei auch beffen 
Begleiter mit Heirathen nicht überfehen werben. 

Das Stüd hat nichts von dem ſchreienden Non- 
ſens anderer Probuftionen Zope de Vega’, dafür aber 
auch nichts von feinen fonftigen einzelnen Schönheiten. 
Es mochte ſich anfehen, wie man ein Märchen erzählen 
hört, Die Perſonen find nicht übel gehalten, und 
die gelehrte Teodor nimmt ſich ganz gut aus. 

El Amete de Toledo. 1 Ein abſcheuliches und, 
in feiner Art, wieder vortreffliches Stück. Dem Ganzen 
ift zu Grunde gelegt, daß bie Mauren den Johann 
ven Täufer der Chriften eben fo hoch halten, als diefe. 
Der Anfang fpielt daher auch in der Johannisnacht. 
Nachdem D. Juan Caftelvi, ein Malthefer (deren 
Schutzpatron Johann der Täufer ift), von feiner Ge 
liebten in Valencia Abſchied genommen, weil er zu 
einem Kreugzuge einberufen worden ift, werden mir 
nad) Dran verfeßt, wo eine Gejelfchaft von Mauren 


! Der Kamete von Toledo. 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dihtungen. 309 


diefelbe Nacht feiert. Eine Art Wahrfagerin läßt 
Jedem in einem geheimnißvollen Buche fein Fünftiges 
Schickſal in Zeichen ausgedrückt leſen. Hamet, ver 
fi mit feiner Geliebten Argelina unter ihnen befindet, 
fieht auf feinem Blatte einen Galgen, Feuer, Ketten 
und eine Menge Johanniskreuge, die gegen Himmel 
fteigen. Die Wahrfagerin macht ihm glauben, er 
werde viele Sklaven von den Malthefern erbeuten. 
Zugleich fommt die Meldung, daß ein reiches Ehriften- 
ſchiff im Angeficht der Küfte fei, und er macht ſich, 
von feiner Geliebten begleitet, auf, um es zu Fapern. 
Statt deſſen ftößt er auf Malthefer Galeeren und 
wird jelbft gefangen. D. Yuan de Caftelvi jenvet 
durch feinen Diener Beltran das mauriſche Liebespaar 
nach Valencia, der Gebieterin ſeines Herzens zum 
Geſchenke. Dieſe, Unordnung im Hauſe beſorgend, 
behält die Maurin, läßt aber den Mauren weiter ver- 
Taufen. Erſte Verzweiflung, von feiner Geliebten ge: 
trennt zu fein. Er wird von einem D. Martin er- 
handelt, dem er ſich aber bald furdtbar macht durch 
feine ungeheure Körperftärke, indem er im Ningen 
jeden Gegner befiegt, einen entlommenen Stier bei 
den Hörnern fefthält. Endlich, als er, mährend fein 
Herr ſchläft, defien Schwert aus ber Scheibe zieht, 
vor ber Hand noch ohne böfe Abficht, fühlt fich diefer 
veranlagt, ihn auch feinerfeit3 zu verlaufen. So 
Tommt er nad Toledo ind Haus eines D. Gafpar 
de Suarez, ber nur kurz erft feine Muhme geheirathet 
und mit ihr in einer wahren Taubenehe lebt. Nichts 
ift lieblicher, als die Art, wie fie ihre Empfindungen 
austaufchen, und ihr Verhältniß erhält einen eigenthüms 
lichen Anſtrich dadurch, daß in das Eheband auch 
das Band der Verwandtſchaft mit hineinfpielt. Auch 
hier macht der Sflave feinen guten Eindruck auf die 


310 Studien zum fpanifhen Theater. 


Frau, indeß der Mann fich der ungeheuren Körper: 
Traft und Tüchtigfeit Hamets erfreut. Auch Beltran, 
der Diener des Malthefer8 D. Juan, nimmt Dienite 
in demfelben Haufe, ba er das für den Sflaven ge 
löste Geld verfpielt hat und ſich daher nicht mehr zu 
feinem Herrn zurüdgetraut. Hamets eble Natur hae 
ſich durch fo viele Unglüdsfälle auf die wildeſtt 
Art verhärtet. Er mißhandelt eine Magd des Haufes 
und nimmt ihr ihr Efjen weg. Der Hausherr, dar 
über erzürnt, ftraft ihn mit Stodfchlägen. Nun ift 
das Map vol. Ein edler Maure auf bie verächtlichfte 
Art behandelt. Er finnt Rache. Während D. Gafpar 
nad) Wade geht, um ben Sklaven zu binden, ſchließt 
diefer das Hausthor. Während man das Thor ein- 
brechen will, hört man von innen bie Stimme ber 
zurüdgebliebenen Hausfrau und ihre Magd, um Hilfe 
rufend. Das Thor wird gefprengt, und Dofia Leonor 
liegt in ihrem Blute. Hamet entlommt, nachdem er 
vorher ben jpigbübifchen Beltran ſchwer verwundet 
hat. Er durchſchwimmt den Tajo und entgeht dadurch 
der Verfolgung. Auf dem Wege töbtet er einen Müller, 
der ihn erkennt. Er kommt zu ganz fremden Land- 
leuten, hält aber ihre ganz unbefangenen Reben für 
Anfpielungen auf ihn und feine That, und töbtet 
und vertvundet auch hier, wer ihm vorkommt, fo daß 
des Guten doch eigentlich zu viel wird, bis endlich 
ein Alkalde mit Begleitung, worunter ein Fechtmeifter, 
feiner Herr wird unb ihn, ſchwer verwundet, ein- 
fängt. Seine Strafe fol nun natürlich eine außeror- 
bentliche fein. Mit Zangen gezwidt, gebrannt, bie 
Hände und Füße abgehauen und fo an den Galgen 
geheftet. Das alles geſchieht nicht anfichtlih, aber 
man fieht ihm noch lebend, in biefem entfeglichen Zus 
ftande. Ein Mönch verfucht alles Mögliche, ihn zum 


Ueber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 811 


Chriſtenglauben zu bewegen, er verharrt aber im ber- 
ſtockten Stillſchweigen. Nachdem die Borftellung von 
Gott, Chriftus, den Apofteln fruchtlos geweſen, forbert 
er ihn endlich im Namen Johann des Täufers auf. 
Da bricht der Maure fein Schweigen, begehrt bie 
Taufe und will Johannes geheißen werben. Cr wird 
getauft und ftirbt, indem er Jefus, Maria und Johann 
den Täufer anruft. 

Diefes, wie gejagt, gräuliche Zeug, wird durch die 
lebensvolle Individualiſirung aller, jelbft der Neben- 
perfonen, zu einer Art künſtleriſchen Geltung gebracht. 
Das fromme Ehepaar, der leichtfertige Beltran, ja 
felbft die Bäuerinnen, die in ihrem Sonntagsſtaat 
zur Hinrichtung, wie zu einem Feſte gehen, das alles 
lebt und bewegt fih. Ja felbit eine Art Nergeltung 
geht buch das ganze Stück: Hamet, der ver Wahr: 
fagerin zu feinem Schaden glaubte. Der untreue Bel: 
tran, ber ſchwer verwundet wirb und bei ber Hin: 
richtung mit verbundenem Kopfe erſcheint. Ja jelbjt 
über D. Gafpar und feiner Gattin dürfte vielleicht 
ein. leifer Tadel ſchweben, daß fie als Nahvertvandte 
eine Ehe eingegangen haben. Lope de Bega erwähnt 
berlei nicht, aber die Dinge find da und erweiſen ſich 
ſelbſt. Warum denn fonft hätte er fie zu Vetter und 
Muhme gemacht? 

D. Yuan Caftelvi, der dns Stüd eröffnet, ver: 
ſchwindet im Verfolge, indeß es doch leicht war, ihn, 
allenfalls bei ver Zuftanbebringung des Mörbers, nod) 
einmal vor die Augen zu bringen. 

NB. Was das Verhältnig von Vetter und Muhme 
betrifft, fo könnte ja fein, daß ſie's wirklich waren, 
da das Stüd offenbar auf einer wahren Begebenheit 
beruft. Dan muß mit Deutungen nicht zu freis 
gebig fein. 


3123 Studien zum fpanifhen Theater, 


El ausente en el lugar.1 Dieß Stüd ift ein 
feiner Evelftein. Nicht als wäre es als Luftipiel gar 
jo vortrefflih, dazu ift der Inhalt denn doch zu uns 
beveutend; aber daß diejer Inhalt, aus Schaum und 
Nichts gebildet, mit der gewandteſten Kunft, ober viel: 
mehr der glüdlichiten Natur, ſich in wolle drei Alte 
auseinander legt, jo daß die Zufeher, wenigſtens die 
damaligen, keinen Augenblid aus dem Zug ber Be: 
gebenheiten herauskamen, das ıft das wahrhaft Meifter- 
liche an biefem artigen Fleinen Dinge. Zwei Frauen- 
zimmer, mit ihren Bofen und Ehrendienern (von denen 
der Eine Dichter aus Hunger ift, welche Qualifikation 
er bi and Ende bewahrt), machen Belanntichaft auf 
dem Wege aus der Kirche. Sie plaudern von allem: 
von Schönheitsmitteln, von ihren Xiebhabern, und 
die eine, Laurencia, verjpricht der andern, Elifa, ihr 
ihren Xiebhaber Feliciano zum. Scheine mit einem 
Briefehen zuzufenden, damit fie deſſen Belanntfchaft 
made. Feliciano ftellt fich ein, findet Wohlgefallen 
an der Freundin feiner Geliebten, wird aber von 
Eliſa's Vater und Bruder überrafcht, die durch den 
Beſuch die Ehre ihrer Tochter und Schwefter bloßs 
geftellt finden und zur Genugthuung auf eine Heirath 
dringen. Feliciano, der nicht überflüfigen Muth und 
eine Beimifhung von Eigennuß bat, fügt fi dem 
Unvermeibliden und ift nun Eliſa's Bräutigam. Lau: 
vencia, von dem Treulofen jelbit in Kenntniß geſetzt, 
befchließt, echt Spanisch fich zu rächen, und läßt Eliſa's 
Liebhaber Carlos zu fich bitten, unter dem Vorwande, 
daß fie ihn, als einen Erfahrenen in der Aſtrologie, 
rühmen gehört und fi von ihm mahrfagen laſſen 
wolle. Er erfcheint, macht das Kreuz über ihre Hand, 


1 Der Abwefende im Orte, 








Ueber Lobe de Bega’s dramatifche Dichtungen. 313 


Tüßt dieſes Kreuz und fomit die Hand, und Mohl- 
gefallen und Rachbegier fpielen auch bei ihm ihr natür- 
liches Spiel. Carlos ftellt fih an, nad Flandern in 
den Krieg gehen zu wollen, und begibt ſich zu Eliſa's 
Vater, um von ihm Wechſel dahin einzuhandeln. Er 
findet die ganze Familie mit dem Bräutigam Feliciano 
beifammen. Der Vater muß ihm geftehen, daß feine 
Vermögenszuftänbe herabgefommen jeien, und er feine 
Verbindungen mit Flandern mehr babe. Unter dem 
Bilde eines treulos gewordenen Freundes erzählt er das 
Unglüd feiner Liebe, und Elifa ift außer fih. Unter: 
deſſen hat aber auch Feliciano feine Treulofigkeit bereut. 
Da die Kontrakte fchon geſchloſſen find, nimmt er die 
Geringfügigfeit der Mitgift zum Vorwande, und be 
gehrt ftatt der verfprochenen 6000 Dufaten 10,000. Er 
glaubt ſich nunmehr ſchon frei, aber Eliſa's Bruder 
Diavio, ber bie Heirath um fo mehr wünſcht, als er 
felbft in Laurencia verliebt ift, erflärt, auf feinen 
Theil der Erbichaft Verzicht zu leiften, ja Elifa dringt 
ſelbſt auf die Heirath, da fie ihre Ehre für gefährbet 
hält, wenn ihr Bräutigam etwa gar in der Meinung 
der Welt wegen eines entbedten Fehlers felbft zurüd- 
träte. Unterbefien hatte Carlos, der für abweſend 
gilt, worgeblich als fein eigener Bebienter, mit Eliſa 
Nachts am Fenfter eine Zweiſprache gehalten, an beren 
Schluß er aus ber Verftellung herausfällt und Elija’s 
Bild fammt ihren Briefen vor ihrem Angefiht zer: 
veißt, was aber nur Spielkarten find, die ihm fein 
Bebienter heimlich zugeftedt. Eine ſehr komiſche Scene 
ift, wie Elifa, des Skandals wegen, Zofe und Diener 
herabſchickt, um bie zerriffenen Trümmer aufzulefen, 
und fie nun nichts ala Spielkarten findet. 
Feliciano ift in feinem eigenen Nee gefangen, bie 
Bedingung ber vermehrten Ausfteuer ift erfüllt, und 





bo 2 


314 Studien zum fpanifhen Theater. 


es kommt zur Verlobung, zu ber ſich unter ben übrigen 
Gäften auch Carlos und Laurencia vermummt ein- 
finden. Hier tritt nun Eliſa's eigentliche Abſicht her 
vor. Sie wollte nicht von ihrem Bräutigam auf: 
gegeben fein, aber feierlih um ihr Ja befragt, fpricht 
fie ein feftes und beftimmtes Nein aus. Daß nun 
Carlos in feine alten Rechte tritt, verfteht fih von 
felbft, Laurencia aber, ftatt zu Feliciano zurüdzu: 
Tehren, wählt Eliſa's Bruder Otavio, wodurch denn 
natürlich alle Einwendungen gegen ſeiner Schweſter 
Heirath hinwegfallen. 

Das alles iſt nicht viel, aber die Ausführung iſt 
im höchſten Grade lebendig und anziehend. 

La nifa de plate. Ein bis auf eine einzige 
Scene fehr gutes Stüd, nur leider ift diefe einzige 
ſchwache die Hauptfcene der Handlung. Doroten, ein 
mwunberjchönes, aber armes Mädchen in Sevilla, wegen 
ihrer Körper: und Geiſtesvorzüge das Silbermädchen 
genannt. D. Juan, ber Sohn eines BVeinticuatro ? 
von Sevilla, liebt fie gegen den Willen feines Vaters, 
ber ihn zu einer veichen Heivath zwingen will. Da 
fommt der König Don Pedro (fpäter der Graufame) 
mit feinen beiden Brüdern Enrique und dem Meifter 
Santiago in bie Stabt. Enrique wird von der Schön: 
heit des Mädchens getroffen, die von ihrem Balkon 
dem Einzuge zuſchaut. Er ficht fie wieder in Alcazar, 
wohin fie gleich andern Einwohnern von Sevilla als 
Zufeherin ber Feſte kommt; ihr Geift bezaubert ihn 
nicht weniger, als ihre Geftalt, und er beichließt, fie 
zu befigen. Unter dem Vorwande eines Pferdehandels, 
läßt er ihren Bruder Don Felix fommen, und nimmt 
diefen in feine Dienfte. Als erfter Verſuch einer 

1 Das Silbermadchen. 

2 Rathsherrn. 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dihtungen. 315 


Annäherung tritt er bei einem Gange durch die Stabt 
mit dem Könige und dem Ordensmeiſter bei Doroten 
ein, um ein Glas Wafler zu begehren. D. Juan, 
der eben gegenwärtig war, und ſich bei der Ankunft 
der königlichen Perſonen verftedt hat, iſt Zeuge ver 
Unterrebung und bricht nun in eiferfüchtige Wuth 
aus, die Doroteen fo unbegründet vorkommt, daß fie 
es als Scherz aufnimmt und in gleichem Tone er- 
miebert, was ihn bis zum Bruch des Verhältnifies 
aufſtachelt, um jo mehr, als die brei Föniglichen Brüder 
Doroteen Geſchenke von Werth zurüdgelafien haben. 
Im ziveiten Akte finden wir den Bruder Doroteens, 
D. Selig, mit feiner Geliebten Marcela, einer Art 
Courtifane, die eben eine Wohnung ſucht. D. Felix 
bietet ihr feine eigene an, die Dorotea verlaffen will, 
um fi) den Beſuchen des Infanten zu entziehen. Der 
Antrag wird angenommen, und es tritt ein Wohnungs: 
tauf ein, welcher die Verwicklung bes Stüdes bildet. 
D. Juan, noch ganz aufgebracht, erhält einen Brief 
von Doroten, begleitet von einem Käftchen, von dem er 
glaubt, daß fie ihm feine früheren Geſchenke zurückſende, 
in dem ſich aber bei der Eröffnung die Gaben ber 
drei Prinzen befinden, mit einem Sonett, das Liebe 
und Unterwürfigfeit zugleih ausbrüdt. Schon ift er 
überwunden, als fein Diener ihm anzeigt, daß in 
Doroten’3 Wohnung foftbares Hausgeräthe geichafft 
werde, was er, der von dem Wohnungstauſche nichts 
weiß, für Geſchenke des Infanten nimmt, indeß es 
nicht3 als die Einrichtung der neuen Mietherin Marcela 
ift. Aber auch der König, der fieht, daf die Leiden: 
ſchaft an der Gefunbheit, ja dem Leben feines Bruders 
zehrt, fhidt einen Kämmerer in das Haus Dorotea's, 
um fie durch Gold zu bewegen, dem Infanten zu 
Willen zu fein, welche Botfhaft natürlich an die neue 





316 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


Bewohnerin Marcela gelangt, der es auf eine ſolche 
Willfährigkeit nicht fehr anfommt. Zugleich aber ſendet 
er einen maurifchen Arzt und Sternbeuter, ber eben 
angekommen ift, zu feinem Bruber, um ihm auch ärzte 
lich beiquftehen. Don Juan ift mittlerweile Zeuge, 
wie Marcela, die er, als aus deren Haufe kommend, 
für Dorotea halten muß, dem Abgefandten des Königs 
Folge leiftet. Er beſchließt, ſich zu rächen und feine 
Liebe Marcela zuzuwenden. Er tritt unter ihren 
Balkon, und fpricht, ftatt ihrer, Doroteen an, ber er 
auch mittelft eines herabgelafjenen Bandes die an ihn 
gelangten Gaben des Infanten als Liebespfand zufenbet. 
Nun kommt eine der Grofartigkeiten Zope de Vega's. 
Der maurifhe Arzt bat fi nicht auf Arzneien bes 
ſchränkt, fondern er gibt dem Infanten auch ein Papier, 
das eine Prophezeiung feiner ganzen Zukunft in aſtro⸗ 
Iogifcher Beftimmung enthält. Zuerft jagt er ihm, er 
werbe feiner Liebe nicht theilhaftig werben, dann aber 
aud: ber König werde des Infanten Mutter und 
Bruber töbten, ſelbſt aber von Enrique getöbtet werben, 
und darauf biefer ald König in Spanien regieren, 
was alles dem Infanten unglaublid vorkommt, um 
fo mehr, als eben Dorotea angefagt wird, und bie 
Falſchheit des erften Punktes der Prophezeiung bie 
Richtigkeit der Übrigen nur zu fehr in Zweifel ftellt. 
Als aber die vorgeblihe Doroten eingeführt wird, 
ift es Marcela, die der Brinz mit Verachtung von ſich 
weist. Da der Prinz nun feine Liebe nicht genießt, 
fo ſchwebt die wahr gewordene Prophezeiung wie ein 
großartiger Hintergrund über dem Reſt bes Stüdes, 
und fnüpft die Gegenwart an eine Ferne, bie in der 
Bruft jedes Spaniers vaterländiſche Empfindungen 
anregen mußte. 
Hierauf gewinnt ber Prinz die Tante Dorotea's 





Ueber Sope de Bege’s dramatiſche Dichtungen. 317 


mit Gelb, die ihm bie Schlüffel des Haufes einhändigt. 
Er begibt ih zu Naht in Dorotea's Schlafzimmer, 
wo wir fie halb entkleidet im Nachtgewande mit ihm 
finden. Sie beſchwört ihn jeboch, fie zu ſchonen, erzählt 
ihm ihre Liebe zu D. Juan, ſowie bie Hindernifje dieſer 
Liebe durch den Geiz des Vaterd, und ber Prinz — 
verschont fie. Diefe Scene ift ſchwach, nicht allein 
dem Ausbrude nach, fondern auch, weil der Prinz 
nichts erfährt, als was er ohnehin ſchon mußte: daß 
Dorotea tugendhaft ift und daß fie. — was er ſich 
wohl denken konnte — ſchon einen andern Liebhaber 
bat, Nichtöbeftoweniger liegt darin die Entwidlung 
bes Stüdes, Der Prinz beſchließt, das tugendhafte 
Mädchen glüdlich zu machen. Er gibt ihr eine Aus: 
fteuer, verfihert dem PVeinticuatro ein Ordenskreuz 
von Santiago, und biefer ift bereit, bie Heirath 
Dorotea's mit feinem Sohne zuzugeben. D. Juan 
aber, der von dem nächtlichen Beſuch des Prinzen 
Kunde befommen bat, fieht darin nur feine Schande 
und ſchlägt Dorotea's Hand aus. Das Chrenwort 
des Prinzen, daß er fie nicht berührt, gleicht zu- 
legt Alles aus, und das Paar wirb vereinigt. Auch 
Don Selig erhält die Hand feiner mehr als zweideu⸗ 
tigen Geliebten Marcela. Aber fo will e3 bie fpanifche 
Thenterfitte: auf jedem Topf ein Dedel. 

In dieſem Stüde kommt auch das berükmt ge: 
wordene Sonett vor, das der Bebiente Chacon vor: 
bringt: Un soneto me manda hacer Violante, 1 deſſen 
ganzer Inhalt nichts ift, als der Verſuch, ein Sonett 
zu maden, und das Gelingen von Vers zu Bers. 

El animal de Ungria. 2? In biefem Stüde 
wird eben auch wieder ber Einfluß Calberons fühl- 


1 Ein Gonett befiehlt mir Violante zu maden. 
2 Daß ungarifge Thier. 


318 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


bar. Ohne Zweifel find die in Zelle gelleiveten Wil- 
den eine Erfindung dieſes Letztern. Wenn nun bei 
Calderon häufig Ein folder Wilder vorkommt, fo find 
bier zwei und noch dazu Weiber. Auch polemifirt 
Lope in einer Nebenfcene, wo er ſich als poetifchen 
Barbier Pablo einführt, gegen bie neue, ſpekulative 
BVoefie. “ Er erklärt, Feine Autos! machen zu wollen, 
überhaupt habe er fi immer nur mit menſchlichen 
Dingen auf menſchliche Art befaßt, und wenn jeber 
Tropf ihn table,. wolle er lieber die ganze Poefie an 
den Nagel hängen. Er läßt fich bereit finden, auf 
der Stelle 1000 Sonette auf den König zu berfer- 
tigen, indeß die Andern, wenn man von ihnen ein 
Sonett für Weihnachten begehrt, damit erft auf Johannis 
fertig werben. 

Faltales el natural 

que da cielo, & quien el quiere, ? 


Armer Zope! Deine allerdings zu natürliche Natur: 
gabe fank im Werth, als einmal das Ueberkünſtliche 
ſich Pla gemacht hatte. 

Das Stüd felbft mochte feinen Zeitgenofjen wohl 
behagen. Eine Königin, bie, von ihrer Schweſter ver- 
drängt, unter wilden Thieren lebt und jelbft für ein 
ſolches gilt. Sie findet dieſe ihre Schwefter und Nach— 
folgerin auf dem Thron und in der Che, mie fie bei 
Gelegenheit einer Jagd von Geburtswehen überfallen 
wird, und raubt das neugeborne Mädchen, das fie 
nun in der Wildniß gleich wild erzieht. Aber auch 
ein Anabe, ber illegitime Sohn einer Gräfin von 
Barcelona, ift in derfelben Wildniß usgejegt und 


1 Opferdarftellungen, 
2 68 fehlt ihnen die natürlige Begabung, die der Himmel nad) 
Belieben ertheilt. d 


Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 319 


von mitleidigen Bauern aufgenommen morben. Im 
zweiten Afte find bie beiden Kinder erwachſen und 
verlieben fi in einander, wo denn bie verworrenen 
Begriffe des jungen Mädchens von Liebe, von Mann 
und Weib, von Erzeugung und Fortpflanzung dem 
ebenfo naiven und noch unabgenügten Publikum viel 
Spaß geben mochten, beſonders wo fie, um zu prüfen, 
ob der Gegenpart ein Engel over Teufel fei, wieder⸗ 
holt das Kreuz über ihn macht und jebesmal dazu 
ausruft: cata la cruz! ihn für einen Engel nehmend, 
da ihm das Kreugzeichen feinen Schaben thut. ALS der 
Geliebte, in ihrer Vertheidigung, gefangen wird, begibt 
fie fi freimillig zu ihm ins Gefängniß. Ihre wilde 
Ernäbhrerin folgt ihr, ala Bauer verkleivet. Die Falſch⸗ 
heit ber verrätheriſchen Schwefter, die ihren Gemahl 
bei berannahender Enthüllung vergiften will, kommt 
an den Tag, und die fromme Königin wird mit ihrem 
Gemahl vereinigt, indeß man bie Schweſter in ein 
Klofter einfperrt. Auch die beiden, Finblinge erhalten 
als ebenbürtig eines das andere. 

Del mal lo menos.? Ein völlig plaufibles 
Stüd. Die erften beiden Alte als gut an fih, und 
der britte, io eigentlich der Hauptfnoten ſchon gelöst 
ift, durch die wunderbare Gabe Zope de Vega's, die 
Handlung zu entwideln und zu gliebern, überall na- 
türliche Motive zu finden und fo felbft Neben- und Aus: 
füllſeenen ein Interefje zu geben. Ein fpanifcher Ritter 
Don Juan de Mendoza hat fi einer Chrenfache 
megen nad) Neapel geflüchtet und ift bort, feines per- 
fünlichen Werthes wegen und als der natürliche Sohn 
eines vornehmen Mannes, gut aufgenommen worden. 
Er verliebt fih dort in die Muhme bes Königs, 


1 Schaue daß Areuz. 
2 Bon Uebeln daS geringfie. 


320 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Caſſandra, die bereit? an ben König von Dänemark 
verſprochen ift, und findet Erwiederung. Seine Lage 
macht ihn einer Unterftüßung bebürftig; Caflandra 
befchließt, fie ihm zu verfchaffen, und wendet fich deß— 
halb an die Königin um ihre Vorſprache. Vortrefflich 
ift die Scene, in ber fie dieß thut. Die Königin fagt 
“ihr beim erften Worte ſchon Gewährung zu, fie fährt 
aber demungeachtet immer fort, Gründe anzuführen, 
und nachdem ihr die Königin fehon zehnmal Ja ge: 
jagt, iſt fie noch immer nicht müde, fie zu beftürmen. 
Jeder Andere würde ber Königin anfangs Weigerun- 
gen in den Mund gelegt haben, um der Scene Mannig- 
faltigfeit zu geben, aber diefe Mannigfaltigfeit in der 
Wiederholung zu finden, in dem Immerwiederaus-⸗ 
ſprechen des einzigen Gedankens, der die Bittwerbende 
beherrſcht, beurkundet den Meifter. Die Königin bringt 
die Bitte an ihren Gemahl, der auch dem’Spanier 
auf der Stelle einen Onabengehalt bewilligt, obwohl 
ihm ber Eifer feiner Gemahlin bei biefer Fürſprache 
unangenehm aufgefallen if. Die aufquellende Eifer 
ſucht wird verftärkt, als D. Juan bei einem Turnier 
durd Sinnbild und Sinnſpruch auf feinem Schilde zu 
erfennen gibt, daß er eine hohe Dame liebe, deren 
Beſitz er nie hoffen Tönne. Don Yuan, ber das ver 
änderte Betragen bes Königs merkt und feine Ahnung 
von feinem eigentlichen Verdacht hat, muß glauben, 
daß der König in Caſſandra verliebt fei. Unterbefien 
verbreiten die Neider, morunter ein Nebenbuhler Don 
Juans, ein Cartel feines in Spanien zurüdgelafjenen 
Gegners, in bem er ihn zum Zweikampf nad Paris 
fordert. Caſſandra, um ihn von der Reife abzuhalten, 
wendet fi) wieder an die Königin, damit deren Gatte 
die Ehrenfahe am fpanifchen Hofe vermittle. Die 
Königin läßt fich wieder bereit finben, und nun ift 





— 2 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 321 


für den König fein Zweifel mehr. Er beſchließt, Don 
Yuan aus der Welt zu fchaffen. 

Unterbefien kommt der Connetable des Königs von 
Dänemark an, um bie Braut feines Herrn abzuholen. 
Caſſandra weiß fein Mittel, als eine Krankheit‘ vorzu⸗ 
geben, wobei ber Lakai des Spaniers Moncon als 
verkleibeter Chirurg ihr zur Ader läßt und es an 
Späffen nicht mangeli. Der König hat ſich auf die 
Jagd begeben, und mit D. Juan von feinem Gefolge 
entfernt, will er biefen töbten. Da kommt endlich das 
Geheimnif ber Liebe zu Caffandra an den Tag, und 
fo peinlich dieß Verhältnig dem Könige ift, Tann er 
ſich doch vor Freude über das Unbegründete jeines 
Verdachtes gegen die Königin kaum faflen. Da übrigens 
das Verhältniß der Liebenden bei einem nächtlichen 
Beſuche ſehr verwidelt geworben ift, fo meint er: von 
Uebeln das Hleinfte, und befehlieft, das Paar zu ver: 
einigen, zu welchem Ende er D. Juan zum Almivante, 
zum Oberftlämmerer und mehr bergleichen ernennt. 

Aber auch der König von Dänemark, ber inzwiſchen 
angelommen ift, hat einen Brief von Caſſandra er: 
halten, in. bem fie ihm ihre Liebe zu einem Anbern 
erflärt. Auch er meint: del mal lo menos, und zur 
Schonung feiner Ehre macht er fi zum Freiwerber 
für Don Yuan, der nun Caſſandra's Gatte wird. 

Diefer Auszug ift, wie alle übrigen, ſehr licverlich, 
da ich die Stilde nicht in Einem Zuge leſe und am 
Schluſſe viele Nebendinge wieder vergefien habe. Mir 
ift aber auch nur um die Hauptfache zu thun. 

Lahermosa.Alfreda. 1 Jene ſchon mehrfältig 
bearbeitete Gefhichte, wo ein König von England 
einem feiner Vertrauten den Auftrag gibt, ein wegen 


1 Die ſchone Alfteda. 
Griltparzer, Werte. VII. 21 


322 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ihrer Schönheit berühmtes Frauenzimmer in Augen- 
fein zu nehmen, um, wenn bas Gerücht ſich ber 
ftätigt, in des Königs Namen um fie zu werben, ber 
Abgefandte ich aber felbjt in die Schöne verliebt, den 
König mit falſchem Bericht über die Mißgeftalt des 
Mädchens täufcht, ſich aber felbft mit ihr vermählt. 
Als nun der Betrug an den Tag Tommt, töbtet der 
erzürnte König den entlarvten Günftling und heirathet 
die ſchöne Wittwe. Ein ganz guter Stoff, nur daß 
ſchwer ein Schluß zu finden ift. Zope de Vega, der 
die Handlung nad Deutfchland verlegt, hat einen 
Schluß gefunden, aber welchen? Wie er denn über 
haupt fein Talent zur Vermannigfaltung bier auf eine 
ſehr unglüdliche Weife in Anwendung gebracht hat. 
Die ſchöne Alfreda hat ſchon einen amante non corris- 
posto, Selandio, der durch das ganze Stüd mit feinen 
Liebesklagen hindurchgeht. Der Günftling Godofre, 
dem der König einen Begleiter auf die Geſandtſchaft 
mitgegeben hat, tötet diefen, ba er ihn von dem 
Verrath an feinem Herrn zurüdhalten will, ſchiebt 
aber die Schuld auf den meuchelmörberifhen Anfall 
eines Unbefannten, jo daß diefe auf den unglüdlichen 
Selandio fällt, der eben im Zimmer hinter den Ta- 
‚peten verborgen ivar. Den König täufcht er mit einem 
fo übertriebenen Bericht von Alfreda's Häßlichkeit, 
daß das Gerücht ihrer Schönheit ſchon bon vorn herein 
unter die Unmöglichteiten gehört. Demungeachtet erklärt 
ex aber, die Häßliche heirathen zu wollen, um feine 
Vermögenszuftände zu verbeflern. Zugleich tritt er dem 
Könige, der nun einmal im Liebesfieber ift, feine 
eigene frühere Geliebte, Liſandra, ab, fo daß feine 
Vermählung zugleich den Anfchein einer eiferfüchtigen 
Rache befommt. Die [höne Alfreda hat nichts weniger 
als eine befondere Neigung zu Gobofre, entſchließt 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dihtungen. 323 


ſich aber doch zur Heirath, da fie bei einem falten 
Temperamente eben nicht anderweitig verliebt it. 
Godofre bringt feine junge Frau, um fie den Augen 
des Königs zu entziehen, auf eines feiner Güter, wo 
er fie in ländlichen Kleidern unter Lanbleuten ver- 
birgt, was bie Stolge und Eitle ziemlich übel nimmt. 

Lope be Vega, ber eine große Vorliebe für Länd— 
lichkeit und Lanbleute hat und beinahe in feinem 
feiner Stüde verfäumt, ſolche Naturkinber anzubringen, 
findet hier eine gute Nebenfcene, wo ein Bauernburſche 
Abſchied von feinem Vater nimmt, um unter bie 
Solvaten zu gehen, und fi) ſchon im Voraus in allen 
Schwüren, Flüchen und Impertinenzen des damaligen 
Solvatenftandes an feinem eigenen Vater einübt. 

Im Verfolg kommt der König bei Gelegenheit 
einer Jagd auf das Gut Godofre's, fieht dort die 
ſchöne Alfreda in ihren Bauernkleidern und will 
durchaus ihrer habhaft werben. Es nübt nichts, daß 
Godofre fie für feine Schweſter ausgibt, die Begierden 
des Königs werben dadurch nicht geſchwächt. Er muß 
enblich erklären, daß fie feine Frau fei, diefelbe Alfreda, 
die er dem König als fo häßlich geſchildert. Der 
König geräth in den beftigften Zorn, und bie ſchöne 
Alfreda, die nun erft erfährt, um welche Hoheit und 
Größe fie von Gobofre betrogen worden, ift, ihrem 
Charakter getreu, auf ber Stelle bereit, dem Könige 
zu folgen, ber ihr feine Hand anträgt. Gobofre hat 
nichts Beſſeres zu thun, als auf der Stelle wahnfinnig 
zu werben. Dafjelbe thut Lifandra über bie Untreue 
des Königs und hat bereits früher der amante non 
eorrisposto Selandio gethan, fo daß wir nun drei 
Wahnfinnige haben und das Stüd dazu als vierten. 
Der Vermählung des Königs mit Alfreda fteht das 
Leben ihres bisherigen Gatten im Wege. Der König 


324 Studien zum fpanifhen Theater. 


will es kurz abthun und ihn hinrichten lafjen, was 
aber dem Zartgefühle Alfreda's widerſtrebt. Wie ſoll 
nun alles das enden? Auf die natürlichfte oder viel- 
mehr unnatürlichfte Art von der Welt. Der toll: 
gewordene Gatte kommt mit feinen und Alfreva’s 
beiben Kindern auf dem Arme ins Königsihlog und 
beſchwört feine Gattin, ihn nicht zu verlafjen. Alfreda 
wird auch wirklich gerührt und will zu ihm zurüd: 
Tehren. Als man aber den Hingefunfenen aufheben 
will, findet fih, daß er tobt iſt. Das Hinderniß ift 
nun gehoben, und Alfreda heirathet den König. 

Das Uebelfte bei der Sache aber ift, daß dieſes 
Stüd im neunten Bande von Lope's dramatifchen 
Werken vorkommt, dem erften, deſſen Herausgabe ber 
Verfaſſer ſelbſt beforgte, welcher Band, fo meit ich 
ihn bis jegt gelefen habe, wirklich nur vergleihungs- 
weiſe gute Stüde enthält, fo daß es fcheint, daß dieſe 
hermosa Alfreda dem Dichter felbft gefallen babe. 
Das wäre denn freilih, mie gejagt, ein boppeltes 
Unglüd, Es mag wohl viel Beifall gehabt haben; 
bunt genug menigftens ift es. 

Los Ponces de Barcelona. ! Der erfte At 
läßt fi) recht gut an. Don Pedro Ponce, der Sohn 
eines reihen, aber geigigen und harten Vaters, 
heirathet eine arme Malerstochter. Nach dem Tobe 
ihres Vaters, ber das junge Paar von dem Ertrage 
feiner Kunft erhalten hat, führt Don Pedro, von 
Noth getrieben, fein ſchwangeres Weib feinem Vater 
zu, ber über bie Heirath außer fi ift und gerabezu 
verlangt, daß die Ehe getrennt werbe. Zulegt kommt 
er gar, mit einer Flinte beiwaffnet, auf das Landgut, 
wohin ber Sohn feine dem Gebären nahe Gattin 


1 Die Ponces von Barcelona. 





Ueber Sope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 325 


gebracht hat, in ber ausgefprochenen Abſicht, ven Uns 
gehorfamen zu töbten. Dieſer, der fürchtet, ſich gegen 
feinen Vater zu vergefien, entfernt fi, wobei er 
freilich nicht in Anſchlag bringt, daß nun ber ganze 
Born ſich auf feine Gattin und ihr Kind entladen 
werde. So weit ift Alles gut, ja die Perforen find 
vortrefflich gehalten. Mit welcher Empfindung mochte 
wohl Lope de Vega das Lob des verftorbenen Malers 
nieberfchreiben, wenn Zucania fagt: 


Quedaronnos por hacienda 
elgunas pintadas tablas 
bien hechas por detenidas 
pocas por bien estudiadas. 1 


Es liegt in diefen Verfen ein Verdammungsurtheil 
über feine eigenen Stüde, bie er Augenblids in bie 
Welt ſchickte, und deren viele waren, weil ohne Leber- 
legung geichrieben. 

Mit dem zweiten Alte fängt eine ganz neue Ge: 
ſchichte an, die mit dem erften eigentlich in gar Feiner 
Verbindung fteht: die Begebenheiten bes Sohnes, ven 
die verfolgte Lucrecia zur Welt gebracht hat und der 
mittlerweile ſchon zum Jüngling herangewachſen ift. 
Er ift Gärtner und dient mit feiner Mutter, unerfannt, 
in dem Haufe eines Gutsherrn, deſſen Bater bie Hilf: 
Infen aufgenommen bat. Eine wechfelfeitige Liebe 
zwifchen ihm und ber Tochter feines Heren findet ein 
unüberſteigliches Hinderniß in der Ungleichheit des 
Standes. Eine Reihe wenig beveutender Liebes: und 
Eiferfuchtsfcenen, wobei felbft die noch immer ſchöne 
Mutter Lucrecia ihre ländlichen Bewerber findet, enbet 

1 68 blieben uns alß Habe einige Gemälde, und zwar gut 


ausgefüßtte, weil fie zurüdbehalten wurden. Wenige, aber gut aus- 
geführte. 


396 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


mit der Zurückkunft bes vermißten Vaters. Diefer 
ift bis Konftantinopel gefommen, hat dort den berüdh- 
tigten Barbarofla von einer Waflerfucht geheilt, was 
höchft rühmend erwähnt wird, obwohl dieſer dadurch 
in den Stand gejett wurde, Karl dem Fünften als 
Gegner in den Weg zu treten. Die Ankunft. des 
Vaters löst den Knoten. Der Sohn iſt dadurch eben: 
bürtig geworden, und die Heirath geht vor fich. 

La Varona Castellana! Der erfte Akt 
prächtig, ganz in der beiten chronitaliihen Manier 
Lope de Vega's. Der dritte mag hingehen. Der 
zweite ift dem Teufel. Die Geſchichte der Thronbe- 
fteigung Alfons VII, merkwürdiger Weife in einer 
andern Verſion, als fie in einem andern Stüde Zope 
de Vega’3 vorkommt. Damit ift die Liebesgejchichte 
der Varona Castellana, Dora Maria Berez, verflochten, 
die eigentlich das Schlimme an ber Sade ift. Sie 
erjcheint als ein heldenmüthiges Mädchen, die von 
ihren zwei Brübern aus Beſorgniß für ihre Ehre von 
allen männlichen Bejuchern entfernt gehalten wird. 
Der Infant von Navarra, Don Bela, der gefommen 
ift, um die Brüder zur Hilfe für den jungen Alfons 
aufzufordern, dem von jeinem Stiefpater, dem Könige 
von Arragonien, fein Reich vorenthalten wird, gelangt 
duch Beſtechung eines Dieners dazu, fie als Bote 
verkleidet zu fehben, wo denn eine mechjelfeitige Nei- 
gung entiteht. 

Die Brüder, als fie in den Krieg ziehen, nehmen 
die Schweiter, um fie nicht allein zurüdzulafien, als 
Page verkleidet mit fich. Unterbeflen haben die Großen 
von Kaftilien beim Papſte e8 dahin gebracht, daß die 
Che des Königs von Arragonien mit Alfons Mutter 


1 Die tapfere Gaftilianerin. 





Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 327 


wegen naher Verwandtſchaft aufgelöst wird, jo daß 
Jener, feines Scheinanfpruches beraubt, Kaftilien auf: 
geben muß. Sehr ſchön die Scene, als bie Großen 
Kaftiliens ihren jungen König im Gebirge aufſuchen, 
wo er, mit Herrſchergedanken befhäftigt, die Bäume 
des Waldes, den Einen als feinen Kanzler, den Andern 
als einen fonftigen Beamten anſpricht, und ihre furcht⸗ 
ſamen Meinungen mit feinem eigenen Muthe zum 
Schweigen bringt. 

Um bie veriwittivete Königin wirbt übrigens D. Pedro 
de Lara, nicht unerhört. D. Bela von Navarra glaubt 
inbeflen in dem verfleiveten Bagen Doña Maria Bere; 
zu erfennen. Sie läugnet geradezu, und um ihn 
völlig zu besorientiren, begehrt fie von ihm jeinen 
Diener, um fie auf einem verliebten Abenteuer mit 
einer Dame zu begleiten. D. Bela, der fi auf dieſe 
Art feiner Liebe entrückt findet, bewirbt ſich gleichfalls 
um bie Hand der Königin. 

Nun lommen die Großthaten der Barona Eaitellana, 
von denen bie erfte fehr Hart an ben Unfinn jtreift, 
ober ihn vielmehr völlig erreicht. Es ift ein Löwe 
feinem Käfig entiprungen, vor dem alles flieht, den 
aber Doña Maria einfängt und an eine Säule im 
Palaſte feftbindet. Ueber benfelben Löwen kommen 
D. Pedro de Laura und Don Bela in Streit, zufolge 
deſſen fie fi fordern. Doña Maria, unter dem Ded: 
mantel der Nacht, nimmt die Stelle Don Vela's ein 
und befiegt den Gegner defjelben im Zweikampfe. Ta 
inbeffen ber König von Arragonien ins Land gefallen 
ift, fiht fie die Schlacht mit, trifft einzeln auf ven 
König, befiegt ihn und bringt ihn gefangen ins 
Lager. Da fih nun alles aufllärt, kehrt auch D. 
Bela zu feiner Liebe zurüd und wird Doña Maria's 
Gatte. 








*— Fi EEE 
. ⸗— ee . 
ur it ' 


3238 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Los melindres de Belisa. ! Ein verzogenes 
Mädchen, dem die Albernheiten ald Kind fo wohl 
angeitanden haben, daß fie fich ſpäter nicht entfchließen 
fonnte, als Erwachſene diefe beivunderten Naivetäten 
abzulegen und die nun, halb ein plappernbes Kind 
und halb eine eigenfinnige Närrin ift. Ihre Mutter, 
früh vermwittwet, hat eine Schulbforberung an einen 
Edelmann, der fih wohl felbjt um die Hand ber 
Tochter beworben bat. Die Gläubigerin läßt ben 
Schuldner auspfänden. Als die Gerichtsperionen in 
dem Haufe des Letztern ankommen, bat ſich eben ein 
iunger Mann, Felifarbo, zu ihm geflüchtet, ver, 
feine Geliebte, Celia, vor den Zubringlichleiten eines 
Navarreſen vertheidigend, diefen im Zweikampfe ſchwer 
verwundet hat. Die and Haus pochenden Gerichts: 
perjonen werden für die verfolgende Kriminal-Auftiz 
. gehalten, und Feliſardo und Celia, um unerlannt zu 
bleiben, ziehen die Kleider der eben abweſenden beiden 
Sklaven ihres Gaftfreundes an. Das hat aber zur 
Folge, daß fie als Eigenthum des Schuldners in bie 
Pfändung einbezogen und in das Haus von Belifa’s 
Mutter gebracht werden. E3 verfteht fich von felbit,. 
daß Belifa ſich in Felifarbo, und ihr Bruder D. Juan, 
eben fo verzogen wie fie, ‚aber in einer derbern Manier, 
fih in die vermeinte Sklavin Celia verliebt. Das 
gibt denn Anlaß zu mehreren ganz guten Scenen, bei 
denen bie BZimperlichfeit (melindres) des großgeivad) 
jenen Kindes die Hauptunterhaltung ausmacht. Lebtere 
bat fogar ein paar hinreißend fchöne Stellen in Art 
eines muſikaliſchen Solo's oder der Opern⸗Arie, in 
denen fie jich über ihren Charakter und Seelenzuftand 
ausſpricht. Da die Mutter fih auch in den Sklaven 


1 Die Zimperlichfeiten Veliſa's. 














Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 329 


Feliſardo verliebt und ihn durchaus heiraten will, 
wobei ber trodene Hausverſtand des väterlichen Freundes 
und Vormundes, Tiberio, ſich fehr gut ausnimmt, 
wird. die Cache immer verwidelter. Der Knoten löst 
ſich duch die Nachricht, daß der von Felifardo Ver- 
wundete fi) außer Lebensgefahr befindet. Feliſardo 
und Gelia werben vereinigt, die Mutter muß ſich tröjten, 
und für die zimperliche Belifa findet ſich jener früher 
ausgepfänbete Schuloner, der es fein ‚Seht hat, daß 
ex hauptſächlich ihr Gold im Auge habe." 

El galan de la Membrilla.1 Der Hauptreiz 
dieſes Stüdes für das Publitum von Mabrib heftand 
mohl darin, daß die Handlung in zwei nahe von ber 
Hauptftabt liegenden Dörfern, Membrilla und Man— 
zanares, vorgeht. Mit der Erfindung der Fabel hat 
ſich's Lope nicht ſchwer gemacht. D. Felir, der Sohn 
eines armen Edelmanns aus Membrilla, liebt die 
Tochter eines reichen Landmannes aus [a ne 
um bie fi) zugleich ein reicher Bauernfohn letzterem 
Orte, Ramiro, bewirbt. Der Vater des Mädchens 
fügt ſich endlich und gibt dem armen Edelmann eine 
Summe Geldes, um fih damit an den Hof zu vers 
fügen und vom Könige eine Belohnung für geleitete 
Kriegsbienfte zu erbitten. D. Selig ift nicht glücklich 
in feinen wieberholten Geſuchen, und ba zugleich) jein 
Geld und die ihm von dem Vater der Geliebten gejegte 
Friſt zu Ende gehen, Tehrt er heimlich nad; Manzanares 
zurüd und bewegt das Mädchen, mit ihm zu entfliehen. 
Sie begeben fid) zum Heere vor Granada und zivar 
Leonor in Männerkleidern, denen fie burd Tapferkeit 
jo viel Ehre macht, daß der König fie zum Haupt: 
mann ernennt, eine Würde, bie fie als zu groß von 


1 Der Liebhaber von La Membrilla. 


330 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


fih ablehnt und auf ihren eben abwejenden Brrber 
(©. Felig) überträgt, indeß fie ſich felbft, mit, Ne 
Fähnrichzftelle begnügt. In Manzanares het " 
inbeh Spottgebiöite auf Seonor's Flucht geme, "gr, 
der unglüdlice Nebenbuhler Ramiro vor di ,. 
des Vaters abfingen läßt. Bon diefen Unwür ‚gleiten 
bat D. Selig gehört, ift von der Armee heimlich nach 
Manzanares abgegangen und hat bort den plumpen 
Ramiro bei einer folden Katzenmuſik überrafht und 
aufs gefähr fte verwundet. Unterdeſſen ift aber auch 
gegen ihn.« Verhaftbefehl im Lager ausgetrommelt 
morben, . ver König durch ben beleibigten Vater 
von ber Entführung in Kenntniß gejegt worden ift, 
und bie verfleivete Leonor hat den Auftrag zur Voll- 
ziehung ber Haft erhalten. Die Wirkung biefes Befehls 
wird dadurch, binausgefchoben, daß das Heer von 
Granade ap eht. Auf dem Rückmarſch werben D. 
Felix tiehen verkleidete Leonor in dem Haufe ihres 
Vaters ‚ugozrtiert, mo denn das Mädchen als Mann 
mit der . .aben Fahne fi vecht gut ausgenommen 
haben mag. U : eö kurz zu machen: Die Erkennungen 
erfolgen, der König verzeiht, der Vater aud, und 
die Sache hat ein Ende. 

La vergauza venturosa.1 Diejes Stüd hat 
vor vielen andern Lope's ben Vorzug, daß die Ber 
gebenheiten im Kreiſe bes Möglichen ober, wenn man 
will: bes, Wahrfcheinlichen, bleiben, die ſpaniſchen 
Ehrbegriffe und die laxe Moral jener Zeit vorausge⸗ 
ſetzt. Ein Herzog von Lufignan trägt Verlangen zu 
Felipa, der Tochter eines armen Edelmanns Feliciano. 
Um zu feinem Zweck zu gelangen, gibt er ihr ein 
ſchriftliches Cheverfprechen, in der ausgeſprochenen 


1 Die glüdtie Race. 


[5 
’ 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 331 


Abit, es in ber Folge nicht zu halten. Bei dem 
% licher Stelldichein wird er vor vollzogener That 
de DS Vater überrafht und muß die Flucht er— 
fen. Als letzterer am nächften Tage den Herzog 
u Wohnung an die Erfüllung des Ehever— 
ſprechens mahnt,’ behandelt er ihn mit ber größten 
Geringihäßung und gibt ihm endlich eine Ohrfeige, 
worüber ber Alte, als über eine Verachtung jeiner 
Ehre, außer fih kommt. Er fehreibt "inem Sohne 
Liſardo, der fich in Portugal bei der 9 nee befindet, 
und beauftragt ihn mit der Rache. *eſer nimmt 
einen Freund Geliv und einen gemehi.... Solbaten 
Trebario mit und begibt fi nad) Madrid. Dort 
findet er durch fingirte Empfehlungsbriefe Mittel, in 
die Dienfte des Marques als Gefretäs einzutreten, 
und wartet auf Gelegenheit, ihn meuchelmürderiſch 
aus der Welt zu fhaffen, was man dala; As Rache 
für beleidigte Ehre, einem Mächtigen Man; ver, für 
nicht unerlaubt gehalten haben mag. Cru! mt aber 
anders, als er glaubte. Der Marqusi.- dem er 
ihm einmal, um ihn ſicher zu made”, ſcheinbar das 
Leben gerettet hat, überhäuft ihn Mit Wohlthaten, 
fo daß ein Gefühl ber Dankbarket ihr bei jeder 
günftigen Gelegenheit zurüdhält. Einmal will ex ihn 
eben vergiften, als aber ber Marques den Becher er⸗ 
greift, macht er ihn, von plöglicher Reue überfallen, 
glauben, es fei eben eine Spinne in das Gefäß ge: 
sallen, und gießt den Inhalt weg, was denn bei dem 
damaligen Glauben an die giftige Eigenſchaft ber 
Spinnen wieder für eine Lebensrettung gilt, und bie 
Wohlthaten des Marquez fteigert. Der Soldat Tre- 
bacio, der ald Diener Liſardo's figurirt, Hat indeſſen 
der Schwefter des Marques, Flora, glauben gemacht, 
fein Herr fei ein Sohn des portugiefifchen Herzogs 





3393 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


von Aveiro, der, in fie verliebt, fih al3 Sekretär 
ins Haus eingefchlichen. Der Dame bat der hübſche 
junge Mann jchon früher gefallen, und der ing Ber- 
trauen gezogene Marques glaubt noch ein gutes Ge- 
ſchäft zu machen, wenn er feine Schweiter mit dem 
reichen Herzogsfohne vermählt. Die Verlobung ge- 
ſchieht, und das ift denn die glüdlihe Rache. Als 
der Marques den Betrug erfährt, meint er: das haben 
nicht die liftigen Erfindungen eines Bebienten, da? 
hat Gott felber getban, als Strafe für meinen Hoch⸗ 
muth und mein Vergehen, und um die glüdliche Rache 
vollſtändig zu machen, gibt er feine Hand ber früher 
verachteten Felipa. Man fieht, der Schluß ift recht 
ſchön, auch fehlt es fonft nicht an mehreren guten 
Scenen und Spiel:Intentionen. Der Dialog, bei 
Lope faft immer vortrefflih, ift es in diefem Stüde 
noch mehr als gewöhnlich. 

Sonderbar ift, daß Feliſardo's Waffengefährte 
Celio fih in der Mitte des Stüdes in die Schweiter 
Felipa verliebt, am Schluß aber zurüdtreten und fich 
mit einer andern Heirath abfinden lafjen muß. Man 
weiß nicht, ob der Verfaſſer die fonjt kahle Figur 
dadurch lebendig machen wollte, ober aber von born- 
herein noch gar nicht mit ſich einig war, auf melche 
Art er das Stüd fchließen werde. Da wäre denn 
Celio Felipa's Tröfter geworden, und die dee ber- 
Doppelbeirath kam ihm vielleicht erſt zulebt. 

Wer diefem Zweifel widerſtrebt, hat von ber Ueber: 
eilung und Schleuderhaftigfeit dieſes, darum nicht 
weniger außerorbentlichen Dichters, noch Feine eigene 
Erfahrung. 

Don Lope de Cordona. Da find denn die 
wunderlichſten Begebenheiten zufammengemwürfelt. Ich 
habe eben eine Gefchichte des ſpaniſchen Theaters von 





di 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dihtungen. 333 


Schaf gelefen. Der preist an Zope de Vega vor 
allem den Reichthum feiner Erfindungen. Nun bin 
ich ein großer Verehrer der Erfindungsgabe und Lope 
de Vega's. Wo diefe Gabe ſich aber im Zufammen- 
ftellen des Abfurbeften ober im bloßen Umftellen vielfach 
fi) wiederholender Beftandtheile zeigt, da Tann ich 
feine große Achtung dafür Haben. Lope's Verbienft 
Tiegt nicht im Herbeiführen der Situationen und Er— 
eigniffe, fondern in der naturwahren und poetifchen 
Behandlung ber unberechtigt und ungerechtfertigt her- 
beigeführten. Aber auch letzteres findet in dem vor⸗ 
liegenden Stüde nicht Platz. Die Ereigniffe wären 
kaum für ein Melodram gut genug, und bie Aus- 
führung ift oberflählih und gemacht. Höchftens wird 
er ein wenig warm in der Scene, wo D. Lope de 
Corbona feine tobtgeglaubte Frau in Soldatenkleivern 
wieder findet und ihm bie Wehnlichkeit zu Liebesäuße- 
rungen binreißt, die ber vermeinte Kriegamann wie 
natürlich fehr unſchicklich findet, was denn mitten in 
der Verzweiflung einen Halb komiſchen Effekt macht, 
auf den wahrſcheinlich auch gerechnet war. Der Stoff 
ift offenbar aus einer Romanze genommen, in bie ſich 
der Dichter auch an einer Stelle verirrt, im zweiten 
Akte nämlih, wo ber König befohlen bat, auf ven 
Helden des Stückes zu ſchießen, wenn er ſich der 
Stabt nähere. Da fagt denn der Königsfohn D. Pedro: 
„Der König befahl, daß man auf ihn fhieße, er aber 
ſprach in folgender Weife,“ und nun fängt D. Lope 
an, zu fpreden, tie jener angibt, daß er bereits ger 
ſprochen habe, in ber Romanze nämlich. Der Inhalt 
ift ein buntes Gemenge von Unterthanentreue und 
Undank der Könige. Der Kronprinz verliebt fi, un 
erhört, in D. Lope's Gattin. ALS Iehterer den Krieg 
zwiſchen Gicilien und Arragonien buch einen Zwei— 


334 Studien zum fpanifchen Theater. 


fampf entjcheiden will, ftellt man ihm, in der Rüftung 
des Kronpringen, feinen eigenen Vater entgegen, den 
man zu dieſem Ende aus dem Gefängniß geholt hat. 
Damit es auch an Eiferfucht nicht fehle, fällt D. Zope 
ein Brief feiner erprobten Gattin in die Hände, den 
diefe im Namen der verliebten Prinzeſſin von Sicilien 
an den Kronprinzen von Arragonien gefchrieben bat, 
‚wo denn D. Lope nicht einen Augenblid anfteht, fte 
für untreu zu halten, und was denn ber eigentlichen 
Albernheiten mehr find. Man hat eine geringe Mei: 
nung bon den PVorzügen eines Schriftftellerd, wenn 
man aud feine Fehler für Vorzüge ausgeben will. 

Der Berfafier jener Geſchichte des ſpaniſchen 
Theaters ift ein übriggebliebener Romantifer. Die 
Romantik nit im Sinne der heutigen Kunjtrichter 
genommen, mo fie eines und baflelbe mit ber Poefie 
ift, die fie verbannen wollen, ſondern im Sinne jener 
Nebler und Schwebler zu Ende des vorigen und An- 
fang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Diefen Leuten 
ift der Unverftand ein nothiwendiges Ingrediens jeder 
Poefte, weil ihnen der Verſtand proſaiſch fcheint. Sie 
befinden fich mit einem Liehlingsautor aus alter Zeit 
in der Lage eines Erwachfenen gegenüber einem reich⸗ 
begabten Kinde, das fie bewundern und dem fie fich 
zugleich überlegen fühlen, was denn ein Feſt für bie 
Kunſtliebe und für die Eitelkeit zugleich iſt. Ja ſelbſt 
für die Bewunderer Shalefpeare’3 liegt der Haupt 
genug darin, daß fie Dinge aus ihrem Eigenen hinein- 
legen können, von denen fi die übrigen Menfchen 
nicht3 träumen laffen. 

D: Beltran de Aragon. ! Hat mir nicht den 
Eindrud der übrigen Lope'ſchen Schaufpiele gemadht. 


1 Don Bertram von Arragonien, 








Ueber Lope de Vega's dramatifce Dihtungen. 335 


Im erften Alt eine Intrigue mit einem verfchenkten, 
durch vier Hände gehenden Ring, bie gar feinen 
Einfluß aufs Ganze nimmt. Im Uebrigen D. Beltran, 
der einen armen Edelmann, D. Juan Abarca, in 
Schu nimmt und in den Dienjt bes Kronprinzen, 
nachmaligen Königs, bringt, in befjen Gunft er immer 
fteigt, während der Günftling D. Beltran, durch 
Neider verleumdet (denen der König, wie alle Lope'ichen 
Könige, ohne Umftände glaubt), deſſen Vertrauen 
verliert und, endlich verbannt, aller feiner Güter 
beraubt wird. Selbft D. Juan, der treu an dem 
Berbannten gehalten, fällt enblih von ihm ab, da 
er glauben muß, daß er feine, D. Juans Schweiter, 
die, vom Hbrenſagen in ihn verliebt, ihm in Pagen: 
Heibern unerfannt bient, verführt und entehrt habe. 
Don Beltran, von D. Juan aufgeforbert, kehrt an 
den Hof zurüd, wird gefangen, zum Tobe verurtheilt. 
Don Juan, obgleich fih von ihm versathen glaubend, 
erbietet fih, für ihn im Zweikampf zu ftreiten. Die 
allfeitige Unſchuld wird entdeckt, bie nothwendigen 
Heirathen werden geſchloſſen u. ſ. w. 

Das Beſte der dritte At, nebſt dem Schluß des 
zweiten, wo D. Beltran im großartigen Sichgehen- 
Iafjen des Unglüd3 feine beiven Begleiter, den mädchen⸗ 
haften Pagen und ben tölpifchen Bedienten, als Rath: 
geber befragt, ob er an ven Hof zurüdgehen foll oder 
nicht, und ihrer Meinung wie einer Vorbeftimmung 
folgt. 

La noche Toledana. ! Lifena, von ihrem 
Liebhaber aus Eiferſucht verlafien, verbingt fih, in 
der Hoffnung, ihm auf die Spur zu kommen, als 
Kellnerin in einem Wirthshauſe in Toledo. Der Un- 


1 Die Nacht von Toledo. 


336 . Studien zum ſpaniſchen Theater, 


getreue kommt wirklich, verliebt fi aber, in eine zum 
felben Wirthshaus gelangte Fremde, Gherarda, der 
bald aud ihr Bräutigam, Fimo, nadjfolgt. Zwei 
tolebanifche Nitter, ein abgefhmadter Hauptmann mit 
feinem nichtänugigen Fähnrich, vermehren die Gejell: 
ſchaft und machen theils jener Gherarda, theils ihrer 
Freundin Lucrezia, die meiften aber ber verihmigten 
Kellnerin den Hof. Letztere verfpricht den Einen Ges 
legenheit zu machen, ben Andern ihren eigenen Beſuch 
für die Nacht und weiß bie Verliebten fo in die Zimmer 
zu vertheilen, daß Gherarda mit ihrem Bräutigam, 
der Hauptmann mit dem Fähnrich, ebenfo die Tole 
daner mit einander, fie jelbft aber mit ihrem Flücht⸗ 
ling Slorencio zufammenfommt, wo denn, ba ber 
Vollzug der Ehen im Dunkeln vorangegangen, dem 
förmlichen Abſchluß derſelben nichts meiter im Wege 
fteht. Gute Figuren der Hauptmann und Florencio's 
Freund Beltran, ein Iuftiger Genußmenſch. Die 
Atrappen im letzten Alt etwas unbeholfen, aber er- 
götzlich. Beſonders die Flucht Florencio's und Beltrans 
über die Dächer, da fie ſich von Gerichtsdienern ver- 
folgt glauben, dafür aber ihnen gerade in die Hände 
fallen. Ebenſo der Schluß, wo aus allen Zimmer 
thüren des Wirthshauſes wie aus einer Arche die un. 
reinen Thiere, heraußgenöthigt werben. Uebrigens 
muß das Schamgefühl der Schaufpielerinnen nicht groß 
geweſen fein, wenn fie über ſich gewinnen fonnten, 
auf die Scene zu treten, nachdem dem Publifum be 
Tannt geworben, daß fie eben nur „genofjen“ worden 
ſeien. 

El triumfo de la humildad y sobervia 
abatida.1 Die Geſchichte von zwei Brüdern, 


1 Der Triumph der Demuth und der erniedrigte Stolz. 





Ueber Lope de Vege's dramatiſche Dihtungen. 337 


Herzogen und fpäter Königen von Albanien. Der ältere 
hochmüthig, der jüngere bemüthig. Der ältere miß— 
handelt den anbern auf jede Art, nimmt ihm jogar 
feine Braut weg, was biefer ſich ergebenjt gefallen 
läßt. Da kömmt Isbella, die Tochter des gefangenen 
und gleihfals mißhandelten Königs von Macevonien, 
mit einem Heere ind Land. Der ftolge Trebacio ſieht 
fi) nothgedrungen, dem jüngeren Bruber Filipo bie 
Führung bes Heeres anzuvertrauen. Isbella wird von 
Filipo perſönlich gefangen, mobei fi die Beiden in 
einander verlieben. Trebacio aber begehrt, daß ihm 
Filipo auch diefe neue Geliebte abtrete. Da wird es 
aber den Großen und dem bemüthigen Filipo zu viel, 
und fie verjagen in einem Aufftand den Thrannen. 
Diefer flüchtet fich zu Kohlenbrennern, kommt in ber 
Folge mit einem Kohlentransport nad Hof, wo ihn 
Niemand kennt, und muß, ba bei der Krönung des 
jüngern Bruders die Stufen des Throns ſich zu hoch 
vom Boden finden, feinen Rüden als Fußichemel 
hergeben. Das ift denn die Erniebrigung bes Stolzen 
und die Erhöhung des Demüthigen. Es fehlt nicht 
an einzelnen guten Scenen, 3. B. eine räthſelhafte 
Hirtin Lifena, die in prägnanten Momenten vorüber: 
geht und, fih auf einem Inftrumente begleitend, das 
Lob der Demuth und die Verwerflichkeit des Hoch— 
muths fingt. So wie, wenn ber gewaltthätige Tre: 
bacio mit ber feinem Bruder geraubten Braut in bie 
Kirche eintreten will, dort eben das Magnificnt an- 
geftimmt wird, wo denn bie Schlußverfe: Deposuit 
potentes de sede et exaltabit humiles, ihren Eindruck 
nit verfehlen. Die Haltung der Perfonen aber und 
die Führung der Fabel ift im höchſten Grade roh und 
willkürlich. Trebacio ift eben nichts ala hochmüthig, 
und Filipo die Demuth felbft. Die Scene, wo ſich 
Grillparzger, Bere. VIIL 22 





338 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Filipo und die ftolze Isbella auf dem Kampfplate 
verlieben, äußerft oberflächlid und ohne überzeugende 
Motive abgemacht, höchſtens jagt die Prinzeſſin gleich 
zum Eingang: buen talle tienes. 1 Zope befitt durch⸗ 
aus nicht die Gabe Calderons, den abftraften Gedanken 
mit Fleiſch und Blut zu befleiden, bei ihm ift nur 
das Ereigniß lebendig. Uebrigens die Haltung der 
frübern Geliebten, Feliſarda, deren Wiedererfcheinen 
nach der Vertreibung des Tyrannen jeden Dichter in 
Verlegenheit gejegt hätte, ganz mit Lope's ficherm 
Naturgefühle behandelt. Unter den Perſonen ift auch 
eine Art Graciofo, ein Spanier Zope, ber feinem 
Herrn Fılipo den Wunfch zu erfennen gibt, fein Chronift 
zu werden, da ed gar zu ſchwer fei, immer der Menge 
zu gefallen. Lope de Vega's eigener Wunfch, auf den 
er in mehreren feiner Komödien anfpielt. (Bei Ge: 
legenheit von Schacks Geſchichte des ſpaniſchen Theaters 
und der Verbreitung befjelben im übrigen Europa, be- 
merfe ich auch, daß zur Zeit Holbergs in Kopenhagen 
ein deutfcher Schaufpieldireftor war, ber, wie es ſcheint, 
Stüde aus oder nach dem Spanischen bafelbft darftellte. 
Siehe Holbergs: Zauberei oder blinder Lärm.) 

El amante agradecido.? Die Dankbarkeit 
diefes Liebhaber D. Yuan rührt daher, daß Dona 
Zueinda, die er in Toledo auf der Straße Tennen 
gelernt, ihm mit Geld aushilft, als er fich in feinem 
Wirthshauſe beftohlen findet. Er kann auf diefe Art 
in feine Heimath Sevilla zurücdreifen. Aber aud 
Lucinda ift von ihrem Oheim eben bahin gebracht 
worden, da um ihretwillen in Toledo ein Duell vor: 
gefallen und in demjelben Einer ihrer Bewerber 
getöbtet worden ift, fo daß der Oheim, den ohnehin 


1 Du befigeft einen guten Wuchs. 
2 Der dantbare Liebhaber. 





Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 339 


Gefchäfte nad) auswärts rufen, fie zugleich vor den 
Nachforſchungen der Gerichte ſicher ftellen will. Er 
bringt fie dort, ohne es zu ahnen, in ein höchſt ver: 
dächtiges Haus, zu einem alten Weib, die nicht viel 
befier als eine Kupplerin ift. D. Juan, der als Ber 
gleiter eines Freundes auf die Spur des frifchange- 
Tommenen Wildes geht, erfennt feine Geliebte aus 
Toledo, und ba alle Umftände gegen ihre Chrbarfeit 
ſprechen, befchließt er, fie auf eine höchſt wunderliche 
Probe zu ftellen. Er verfleibet feinen Diener als 
veichen Indianer, ber ihr auf die plumpfte Art Anträge 
macht, und ba fie dem Poſſenreißer widerſteht, ift er 
völlig von ihrer Unſchuld überzeugt. Er trägt ihr 
troß ihrer Armuth feine Hand an, und nun wäre bie 
Komödie eigentlich zu Ende. Da ber dritte Alt aber 
noch nicht bie erforderliche Länge Hat, werden noch 
eine Menge Creigniffe angereiht, worunter auch ge 
hört, daß D. Juan feine Braut in das Haus feiner 
Mutter, fein eigenes, bringt, wo fie aber von feinem 
Oheim D. Pedro auf's Schmählichfte ausgewieſen wird. 
Bei dieſer Gelegenheit kommt ein Zug vor, ber allein 
ein ganzes Stüd von gewöhnlicher Mache iverth ift. 
Nachdem ber Oheim D. Juan ihr alles Erniedrigende 
geſagt und fie eigentlich zur Thüre hinausgeworfen hat, 
verfegt fie, fih auf ihr reines Verhältniß berufend: 

pero por el respeto, que se deve 

& una muger no mas, no porque sea, 

ni aya de su jamas lo que decia, 

embiadme acompaüada de algun hombre 

que soy muger de bien y forastera. 1 


1 Aber um der Mhtung millen, die man einer Frau, bloß 
darum, weil fie eine ift, ſchuldig it, und damit ihr nie das geſchehe, 
was ihr fagt, fhidt mi in Begleitung irgend eines Mannes fort, 
denn id bin eine rechtſchaffene Grau und eine Fremde. 





340 Stubien zum ſpaniſchen Theater. 


worauf D. Pedro einen Diener ruft und ohne Reue 
ober weitere Reflexion ihm befiehlt: 
Llevad aquesta dama, 
adonde ella os dixere. 1 
Man kann die Chrenhaftigfeit des Spanier und die 
Achtung gegen das Geſchlecht nicht prägnanter zeichnen. 

Darum wieberhole ih: wenn man Lope de Vega 
wieder auflegt, muß man feines feiner Stüde mweg- 
laſſen, es ift faum Eines, welches berlei herrliche 
‚Züge, oft mo man e3 am menigften fucht, nicht auf 
zumeifen hätte. 

Zuletzt kommt Lucindens Oheim zurüd, und es 
findet fi, daß von ihrem Vater, was weiß ich, wie 
viel taufend Dufaten aus ber neuen Welt für fie an- 
gefommen find, was benn bie wolle Belohnung des 
Liebhabers ausmacht. 

Ueberhaupt iſt das Stück gar nicht uneben, der 
erſte Akt ſogar vortrefflich und auch die übrigen mit 
Rückſicht auf den höchſt einfachen Stoff ſehr gut mit 
allerlei Scenen und Geſpräch ausgefüllt. 

Los Guanches de Tenerife. ?2 Die beiben 
erften Akte ziemlich alltäglih. Die Gefchichte der Er- 
oberung von Teneriffa durch bie Spanier. Letztere 
ganz gut als Helden mit einiger Verfchiebenheit in 
den Individualitäten charakteriſirt. Die Eingebornen 
fo einfach und unſchuldig dargeftellt, daß man manch⸗ 
mal zu dem Glauben verführt wird, ber Verfaſſer 
nehme Partei für fi. Das Zufammentreffen des 
Kapitän Caftilo mit der Tochter des Königs von 
Teneriffa hat einige gute naive Pointen. Der Spaß, 
daß drei Spanier an eben fo viele Mädchen von Te 
neriffa ihre Seelen im galanten Verftande ſchenken 

1 Führt jene Dame, wohin fie e8 Euch befehlen wird. 

2 Die Guanches von Teneriffa, 





Ueber Sope de Vega's dramatifhe Dihtungen. 841 


und dieſe im wörtlichen Sinne nehmen, ift, wenigftens 
für uns, ziemlich froftig. Die Spanier werben buch 
die Uebermacht vertrieben und ber Kapitän Caftillo 
bleibt als Gefangener bei der Konigstochter zurück. 
Der dritte At enblich eröffnet die Hauptintention bes 
Stüdes: die Verherrlihung einer Sefiora de la Can- 
dela, 1 eine8 Muttergottesbilves, das, ich weiß nicht 
mie, in einer Grotte auf der Inſel zurüdgeblichen, 
ober allenfalls dur ein Wunder dahin gelommen ift. 
Die Spanier find zurüdgefehrt, und einige Hirten, 
die ihre Heerben in Sicherheit bringen wollen, ent- 
decken bie Grotte, in ber das Wunderbild verborgen 
ft. Als ſolches zeigt es ſich fogleih, da ein Einge— 
borner, ber einen Stein nad ihr werfen will, mit 
fteif geworbenem Arme ftehen bleibt, und ein Andrer, 
der es mit dem Mefler beſchädigen will, fi in bie 
eigene Hand verlegt, fobald fie aber fih mit Bitten 
an bie Ueberirdiſche wenden, eben fo ſchnell fid wieder 
geheilt finden. Die Dankbarkeit diefer Leute und bie 
Art, wie fie einfache Geſchenke darbringen, hat etivas 
Poetiſches. Bon da am ift diefe Muttergottes ber 
Mittelpunkt des Ganzen. In derfelben Grotte er 
Scheint dem Könige von Teneriffa der Erzengel Michael 
und ermahnt ihn, fein Land den Spaniern zu tiber 
geben und felbft fatholifch zu werben, was er denn 
auch thut. Ja, der Kapitän Caftillo, der der Königs: 
tochtes im ‚Angefiht der damals noch unenthüllten 
Grotte und, dieſe zur Zeugenſchaft, die Ehe ver 
ſprochen, fpäter aber wenig Luft hat, fein Wort zu 
halten, geht in fi, als die Grotte ihren Schatz ent: 
hüllt, und wird ber Gatte feiner Geliebten. 

La octeva marevilla.? Tomar, König von 


? Unferer lieben Frau von der Rerze. 
2 Das achte Wunder der Welt. 


u lan 
342 Studien zum ſpaniſchen Theater, 


Bengalen, will zum Gedächtniß eines erfochtenen Sieges 
dem Mahomet den größten Tempel erbauen, ven es 

in der Welt gebe. Er läßt ſich daher von verſchie— 
denen Architekten Pläne vorlegen, worunter ein Spanier 
ihm den Abriß des Eskurials zeigt, den ber König 
ſofort für das achte Wunder der Welt erflärt. Aber 
auch fonft begeiftert er fi aus den Erzählungen des 
Baumeifters für Spanien und deſſen König Philipp 
und befehließt, jelbft mit einer Flotte dahin zu reifen. 
Diefe Reife beſchließt der Vezier und des Königs 
Schweiter, deſſen Geliebte, zu benüßen, um fi des 
Thrones zu bemächtigen. Der König leidet Schiff: 
bruch und wird, auf einer Planke ſchwimmend, auf 
den kanariſchen Infeln von dem Kapitän Don Baltafar 
aufgefangen und als Sklave zu feinen Verwandten 
nad) Sevilla mitgenommen. 

Einer biefer Verwandten, Don Juan, hat feine 
Schweſter D. Anna einem reichen Indianer zur Che ver⸗ 
ſprochen, obwohl diefe einen Andern liebt. Eben als der 
Sklave Tomar in Sevilla anlangt, hat jener Indianer, 
Gerardo, in Erfahrung gebracht, daß feine Braut D. 
Anna ein uneheliches Kind fei, und fein Wort zurüd- 
gezogen. In den Streitigkeiten, die darüber entftehen, 
zeigt Tomar feine Tapferkeit und Niefenftärke, ja er 
verliebt ſich bei biefer Gelegenheit in D. Anna, bie 
ſich ihm gleichfalls geneigt erzeigt, um fo mehr, als 
auch ihr früherer Liebhaber, Don Pedro, ſich zurüd- 
zieht, da er aufer der Baſtardſchaft auch erfährt, daß 
die Mutter feiner Geliebten noch dazu eine Maurin 
geweſen fei. Der Bruder D. Juan töbtet den Indianer 
Gerarbo im Zweikampf, und bie Familie muß nun 
fliehen. Sie gehen nad Madrid. Der Anblid der 
Stadt und des Königs Philipp fteigert die Begeifter 
rung Tomars für Spanien. Ebelfteine, die Tomar 


Neber Zope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 343 


aus feinem Lande mitbrachte und bie er jeßt verlaufen 
will, bringen ihn, ja felbft feinen Herrn, in den Ver— 
dacht des Diebftahls, und Tomar wird eingelerfert, wo 
ihn denn bie übrigen Gefangenen, ba er ſich mit einer 
Dublone freigebig zeigt, zum König des Geſängniſſes 
ausrufen. Der etwas dunkle Schlußvers des zweiten 
Altes läßt zweifelhaft, ob er dieſes Ereigniß, ober 
die Stadt Madrid für das achte Wunder ber Welt 
erklärt, 

Die Geſellſchaft kommt wieder nah Sevilla zurüd, 
und bier eröffnet endlich Tomar feinen wahren Stand 
und wirbt um D. Anna's Hand. Die Verwandten haben 
nicht? Beſſeres zu thun, als fie ihm zu verſprechen 
und mit ihm nad) Bengalen zurüdzufehren. Dort hat 
indeß bes Königs Schweſter und ber treulofe Vezier 
den Thron an ſich geriffen, ja auf die Nachricht von 
Tomars Wiederkehr ſchicken fie Leute, ihn zu fangen 
und zu töbten. Durch die alte Liebe feines Volkes 
und die Würde, mit ber er den Mörbern entgegen 
tritt, bringt er jedoch das Land auf feine Seite und 
befteigt wieber den Thron, den er mit D. Anna theilt. 
Er bat mittlerweile die Taufe und in ihr den Namen 
Philipp erhalten, fo daß bei feiner fortgefegten Ber 
geifterung für Spanien alle ihm ausgebrachten Viva 
Felipe ? vom Publikum fehr leicht auf ihren eigenen 
König Philipp (III) bezogen werben konnten, welcher 
ſonach das achte Wunder der Welt vorftellt. 

Don Juan de Dios y Martin.? Die Stif- 
tung eines Ordens der Hofpitäler, beſonders für ge- 
heime Kranke gegründet. Da kommen denn Männer 
und Weiber, mit biefem Uebel behaftet, und geriven 
fih ohne Scheu, wo nur zu wundern ift, daß ſich 


Es lebe Philipp. 
2 Don Juan de Dios (von Gott) und Martin. 





3 Studien zum ſpaniſchen Theater. 

Schaufpieler und Schaufpielerinnen für verlei Rollen 
gefunden haben. Das Ganze übrigens nad) dem 
Schnitte dieſer Heiligengeſchichten, aber mit voller 
Wirffamkeit. Sogar der gewöhnliche Heilige Epap- 
macher fehlt! nicht, ein früherer Dieb, Spieler und 
Lump, deſſen Erbaulichkeit mitunter ſpaßhafte Rück— 

fälle hat. Man muß die Spanier glücklich preifen, 
ſo aus der Mitte ihrer eigentlichſten Natur ergößt 
und erhoben worden zu fein. j 

El poder vencido yelamor agradeeido, 1 
ober wie ber Titel heißt (demm ich habe das Bud 
bereits zurüdgegeben). Wenn die Erfindung, daß ein 
zur Heivath Gezwungener, um feiner Braut einen Ab: 
ſcheu zu erregen, feinen Bebienten bie Stelle feiner 
einnehmen läßt und dafür felbft als beffen Bebienter 
figurirt — von Lope de Vega als erftem Urheber — 
ſo iſt das Stüd wegen Neuheit der Situation nicht 
ganz ohne Verdienft, follte aber das Verhältnig ſchon 
früher einmal da geweſen und fomit nur Nachahmung 
fein, fo ift von dem Ganzen wenig Gutes zu fagen. 
El anemal de Ungria.2 In biefem Stide 
führt ſich Lope de Vega felbft als der poetifche Barbier 
Pablos auf, als welcher er fi gegen bie autos und 
überhaupt gegen die ganze (Calderon’fje) Spefulationg- 
Poeſie erllärt. Cr habe immer nur menſchliche Dinge 
gemacht, und da jeder Tropf ihn table, wolle er bie 
ganze Poeſie aufgeben. Als die Bauern von ihm taufenb 
Sonette auf den König verlangen, ift er bereit, fie auf 
der Stelle zu machen. Und da Einer glaubt, das fei 
unmöglich, indem jo viele Andere, wenn man von ihnen 
ein Gedicht für Weihnachten verlangt, damit erft auf 
Johannis fertig werden, meint dagegen ber Barbier: 


1 Die defigte Macht und die dankbare Liebe. 
2 Das Thier von Ungarn. 


1 


ik 





Ueber Zope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 345 


feltales el natural 
que da cielo a quien el quiere. ! 

Wunderlich allerdings, daß, indeß alle Rerfonen bes 
Stüdes, wie natürlich, ſpaniſch reden, Lauro, als er 
den Zleinen Neffen des Grafen von Barcelona in ber 
Einöbe findet, erflären muß, daß er ſpaniſch ver: 
ſtehe und alſo mit dem Kinde reden könne. Vielleicht 
iſt ein Spaß damit gemeint. Die Sache kommt übri— 
gens bei Zope öfters vor. 

Calderon und Lope de Vega ſprechen in Bildern. 
Aber Calderon iſt bilderreich und Lope de Vega iſt 
bildlich. — Calderon ſchmückt feinen Dialog mit aus: 
geſponnenen und prächtigen Vergleichungen. Lope de 
Vega vergleicht nichts, ſondern beinahe jeder ſeiner 
Ausdrücke hat eine ſinnliche Gewalt, und das Bild 
iſt nicht eine Ausſchmückung, ſondern die Sache ſelbſt. 

Sehr gut die kurze Scene, wo Kaſſandra die Königin 
um ihre Interceſſion beim Könige für D. Juan bittet. 
Die Königin ift ſchon bei der erften Erwähnung bereit, 
alles für den Spanier zu thun, Kaſſandra aber un: 
erjhöpflih in neuen Gründen für die Gewährung 
ihrer Bitte, worauf die Königin ihr immer wieder von 
neuem Gewährung zufagt, ohne daß Kaflandra auf 
hört, die bereit erhaltene Zufage ſich noch einmal ver- 
ſprechen zu laſſen. 

Wohl wunderlich, daß D. Pedro dem Zorne ſeines 
Vaters entflieht aus Furcht, ſich gegen ihn zu vergeſſen, 
feine Gattin aber zurüdläßt, die von dieſem Zorne 
mehr zu fürchten hat, als er. 

El verdadero amante.? In der Zueignung 
an feinen eigenen Sohn bezeichnet es Zope als das 

1 68 fehlt ihnen die natürliche Begabung, die der Himmel dem 


verleiht, den er will. 
2 Der wahre Liebhaber. 











346 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


frühefte feiner Stüde, das er gefchrieben, als er das 
Alter diefes feines Sohnes hatte. Zugleid wird von 
biefem gejagt, daß er eben bei ben Anfangsgründen 
der lateiniſchen Sprache fei; Zope konnte alfo, da er 
jenes Stüd ſchrieb, nicht älter als vierzehn ober höch- 
ftens fünfzehn Jahre alt geweſen fein. Für bas ift 
es allerdings eine Art Wunderwerk. Es theilt bie 
Vorzüge, aber freilich auch die Fehler feiner fpäteren 
Stücke, namentlich den Hauptfehler: die Unwahrſchein— 
lichkeit und Willfürlichfeit der Fabel. Man darf aber 
nicht vergeffen, daß Lope's Zeit durch die Chroniken, 
Nittergefchichten, Romanzen, Volkstraditionen, ja No— 
vellen an das Wunderliche, Kindiſch-Märchenhafte ge— 
wöhnt war, und dieſe Auswüchſe nicht allein duldete, 
ſondern wahrſcheinlich ſogar forderte. Das pragmatiſch 
Begründete hätte ihm vielleicht langweilig geſchienen, 
und ein Volk, das in Glauben und Wundergeſchichten 
aufgewachſen war, fand ſich bereit, auch im Theater 
zu glauben und ſich über nichts zu verwundern. 

In derſelben Vorrede bekennt ſich Lope de Vega 
auch zu 900 Schauſpielen, ſo wie auch ſonſt ſo viel 
geſchrieben zu haben, daß der Druck nie das erreichen 
werde, was noch zu drucken da wäre, und doch habe 
er damit kaum den nöthigen Unterhalt erworben. 

Merkwürdig iſt, daß er ſeinem Sohn von dem 
Studium der griechiſchen Sprache abräth. Ein deut 
licher Beweis, daß er ſelbſt die Meiſterwerke Griechen⸗ 
lands nicht kannte. Seine Vorbilder waren alſo die 
Italiener und die römiſchen Autoren. Ein Umſtand, 
der vieles erklärt. Plautus und Terenz haben reichlich 
gefruchtet, und Seneca konnte ihm Feine Luft zum 
Trauerfpiele geben. 


Studien 


aur 


Philofophie und Religion. 


Ich möchte die Philofophie eine Brille für das 
geiftige Auge nennen. Perfonen von ſchwachem Ge 
fichte können ſich ihrer mit gutem Erfolg bevienen. Für 
ganz Gefunde und für ganz Blinde ift fie ganz über— 
flüffig. Man bat fogar Fälle, daß bei Erfteren durch 
unvorſichtigen Gebrauch biefer Brille das Augenlicht 
etwas geſchwächt wurde. 


Braucht keine Worte, möchte ich den Philoſophen 
zurufen, die in einer andern Bedeutung, als in der 
ihr fie braucht, ſchon gang und gäbe geworden find! 
Es ift der erfte Schritt zur Begriffs-Erfehleihung. 
Was haben die Worte: Glaube, Heilig, Gott für 
Verwirrungen angerichtet in unferen Tagen! 


Man Tann jebes Ding biefer Welt entiveder einzeln 
für fi, oder in Verbindung mit den übrigen Dingen 
betrachten. Im erften Falle nimmt man bie zu Grunde 
liegende Idee zum Maßſtabe und [hätt das Ding nad 
dem Grabe feiner Uebereinftimmung mit diefer, d. 5. 
mit fih felbft, und fpricht ihm ſonach eine Würde zu 
ober ab; im zweiten betrachtet man es als Zweck für 
anbere Mittel ober als Mittel zu andern Zwecken, 


350 Studien zur Philofophie und Religion. 


in ftufenteifer Unterorbnung und Fortbildung bis zu 
einem letzten Menſchheitszwed. Man ertheilt dadurch 
dem Dinge einen Werth und die Individualität finft 
herab zum Träger jener neuen, einer allgemeinen 
Geltung. 


Ich begreife nicht, wie die Idee vom moralifhen 
Uebel jemals den Weltweifen eine Schwierigfeit machen 
konnte. Wenn wir nicht eine individuelle und fpecielle 
Vorſehung wollen, fo mußte die Natur, um die Eri- 
ftenz des Geſchlechtes zu fichern, doch jedem Indivi— 
duum einen ins Unbeftimmte fortwirkenden Erhaltungs⸗ 
und Vervollfommnungstrieb mitgeben. Wenn nun zwei 
ſolche unabgegrängte Beftrebungen zufammentreffen, 
müffen fie fid) nothwendig faflen, und das Uebel iſt 
da. Mißgunſt, Neid, Lift, Gewalt, was weiß ich? 
Eine genau abgegränzte Sphäre aber, wie wäre die 
— um in ber Sprade jener Leute zu reden — mit 
der Freiheit wereinbarlich? ober um vernünftiger zu 
reden — mit der Perfektibilität? 





Die dee fängt beim oberften Kettenglieve an und 
läßt ſich zum unterften herab, ber Begriff beginnt beim 
unterſten Gliebe und fteigt zum oberften hinauf: fo gut 
es nämlich gehen will bei Beiden. In der Mitte der 
Kette pflegen gewöhnlich einige Glieber unficher und 
mangelhaft zu fein, bei dem Begriff mehr gegen oben zu, 
bei der bee, wenn es näher gegen die Erbe kommt. 





Wenn Jemand glaubt, eine neue Idee (mein 
phyſiſche, moraliſche, anthropologifche) gefunden zu 


Studien zur Philofopfie und Religion. 351 


haben, fo Tann er 99 unter hundertmal darauf zählen, 
daß fie falfch fei; denn e8 haben bis jetzt jo viel 
geſcheidte, ja ausgezeichnete Menfchen gelebt, daß die 
wahren (bei vielen falfchen) ſchon wieberholt gebacht, 
geſagt und gefchrieben worden find. Hievon machen 
nur die naturtwifjenshaftlihen eine Ausnahme, da ihr 
Feld unbegrängt ift und bafjelbe erft feit etwa brei Jahr: 
hunderten zweckmäßig bebaut wird. 





Die Vernunft ift nur ber durch bie Phantafie er: 
weiterte Verftand. 


Erinnerung ruft den Eindruck auf das Subjekt 
zurück, Einbildungskraft ftellt zugleich das Objekt dar, 
von dem ber Eindruck ausging. Ich erinnere mic) 
eines gelefenen Satzes; ich ftelle mir bie Seite, bie 
Zeile vor, auf denen er ftand. 





Der erfte Schritt vom Wahrnehmen zum Denfen 
ift nämlich, daß von den unter Einer Gattung zu 
fubfumirenden Gegenftänden fih ein Typus bildet, 
deſſen Vorhanbenfein und Zugrunbeliegen bei jedem 
Begriffe man, auch nod in der höchſten Ausbildung 
der geiftigen Kräfte, mit größerer ober geringerer 
Deutlichkeit gewahr wird. Diefer Typus vertritt An: 
fangs die Stelle des Begriffes, und fein Ausdruck ift 
die Sprache, bie eigentlich erft den Begriff möglich 
macht. Durch öfteres Wiederkommen auf denjelben 
Gegenſtand und öfteres Hervorrufen feines Typus wird 
die Bildlichkeit diefes letztern immer ſchwächer, und es 
bleibt endlich nur noch feine Form, der Eindruck, den 





E a sur Phitofoppie und Religion. 

er gemacht, gleichfam die Grinnerung, daß er ba ge: 
foefen: fo geht er in den Begriff über, den ich in 
feinem Entjtehen die Erinnerung einer Erinnerung 
nennen möchte, 


Der Geift ift nicht ein Ruhendes, fonbern vielmehr 
das abjolut Unruhige, die reine Thätigkeit, das Negiren 
ober bie Idealität aller feſten Verftanbesbeftimmungen 
— nicht abftraft einfach, ſondern in feiner Einfachheit 
zugleich ein Sich -won-fich-jelbftsunterfheien — nicht 
ein vor feinem Erſcheinen ſchon fertiges, mit ſich felber 
hinter dem Berge der Erſcheinungen haltendes Weſen, 
fondern nur durch die beftimmten Formen feines 
nothtvendigen Sichoffenbarens in Wahrheit wirklich, 
und nicht (wie jene Pſychologie meinte) ein nur in 
außerlicher Beziehung zum Körper ftehendes Seelen: 
ding, fondern mit dem Körper durch bie Einheit des 
Begriffes innerlich verbunden. 


Was wir Gefühlsvermögen nennen, ift vieleicht 
eines und bafjelbe mit dem Denkvermögen. Dann 
wäre der Gedanke eine Have Vorftelung, das Gefühl 
eine dunkle. Jeder Gedanke wirkt ſchon als Bejahung 
oder Verneinung, als Steigerung oder Herabftimmung 
der Perfönlichteit auf das Bewußtfein (Phyſiſche). 
Diefe Wirkung ift natürlich um fo ftärfer, je mehr 
Gedanken auf einen und benfelben Punkt coincidiren. 
Klare Vorftellungen können aber ihrer ſcharf gezogenen 
Gränzen wegen nur weniger Aflociationsberührungen 
haben; bei dunfeln Vorftellungen aber laufen, eben 
des Unbegränzten wegen, die Berührungen wie an 
einer eleftrifchen Kette ins Unermeßliche fort, und jeve 


Studien zur Philofophie und Religion. 353 


der nad und mitklingenden trägt ihren Theil zur 
Nervenwirkung bei; es fann daher, wenn fie auf ein 
meitaußgreifendes Feld gerathen, wohl eine Dscillation 
des ganzen Weſens entftehen, bie jo mächtig ift, daß 
fie fi nicht dem Grabe, fondern der Gattung nad) 
von der Wirkung des Gedankens zu unterjcheiden 
und als Gefühl abgefondert dazuftehen ſcheint. Wie 
der Gedanke auf das fogenannte Phyſiſche wirte, muß 
man freilich nicht fragen, jondern er wirft, und das 
ift genug. 








Man bat. von dem Gewiſſen auf die wunder: 
lichſte Art geſprochen, ja es geradezu für eine gött- 
liche Stimme erklärt. Nun bat aber z.B. das point 
d’honneur, die lächerlichſte Empfindung, die je in 
eines Menſchen Bruft Pla genommen, ein eben jo 
lebhaftes Gewiſſen, als das Moralgefeg, und ber 
Offizier, ber in einem Streithanbel eine Dhrf: 
Tommen, bietet alle innern Erſcheinungen 
ſchlägers ober Betrüger und drgl. Das G 
ift eine angebilbete Empfindung, heißt das: im beiten 
Sinne des Wortes; und fteht in genauer Verbindung 
mit dem Grade der Einfiht in die Natur ver Hand— 
lung und ihrer Folgen. Wo e3 nicht zuſammenfällt 
mit der Furt dor Entbedung und Strafe und 
halb thieriſch erſcheint, iſt es die Mißbilligung ver 
That, verbunden mit dem entſetzlichen Gefühl der ver- 
Ionen Selbſtachtung. 















Wenn das Schreiben den Seelenzuftand erleichtert, 
fo folte man das Mittel auch nicht fo felten in An- 
wendung bringen. Das Schreiben ift für das Denken 

Sritiparzer, Berte. VII. 23 


354 Studien zur Philofoppie und Religion. 


das Nämliche, was ber Gegenftand für die Vorftellung 
ift, nur dort von innen heraus, wie hier von außen 
binein. Es firirt die Kraft und orbnet, indem es be 
ſtimmt. Wir glauben oft von etwas überzeugt zu 
jein, weil uns das Refultat anzieht und wir uns ber 
Mittelgliever nicht völlig bewußt find. Indem mir 
uns bie Gebanfenverbindung einzeln vor die Augen 
legen, bemerken wir erſt den Abgang ober ben Fehler, 
das Schreiben ift daher zur Verbeutlihung nüßlicher, 
als das Neben, weil das Wort entjchwinbet, die 
Schrift aber bleibt. 


Die übertriebene Religiofität kann in ihrer Wurzel 
ganz verſchieden fein. Einmal entfteht fie bei Per— 
fonen von heißem Gefühl und glühenber Einbildungs— 
Traft, die die Ueberſpannung biefer Grundkräfte wie auf 
alles, fo auch auf die Religion übertragen. Dann 
findet fie aber auch ftatt bei Perfonen von bürftigem 
Gefühl und ohne alle Einbildungskraft, welche, va es 
der Menſch in einer folgen Wüfte nicht aushalten 
Tann, gerade bie bereitö fertigen Geftalten ver Religion 
mit hartnädigem Eifer ergreifen. Diefer Enthufiad 
mus ift bei al feiner anſcheinenden Erhitzung doch 
feinem Wefen nach Zalt, weil er nicht aus Wärme 
entjteht, fonbern nad) Wärme trachtet. 


Unſterblichkeit der Seele. 


Nehmt ihr einen frühern Buftand der Seele an 
vor ihrer Vereinigung mit dem Körper? — Nein? 
Alfo ift fie bei der Geburt des Menſchen entftanden; 


Studien zur Philofophie und Religion. 355 


und warum fol fie nicht vergehen können, wenn fie 
entftanden ift? 

Von dieſem frühern Zuſtande hat fie Feine Erinne: 
rung, es ift alfo folgerecht zu ſchließen, daß fie nad) 
dem Tode auch von ihrem dermaligen feine haben 
merbe. ft das aber noch meine Seele, was feine 
Erinnerung, mithin fein Bewußtfein der Spentität, 
feine Perjönlichkeit hat? 








Könnte es denn nicht eine Unfterblichkeit geben für 
Diejenigen, die den höhern Theil ihres Weſens aus- 
gebilvet haben bis zur Geiftigkeit, indeß die andern 
rohen Körper fterblid) wären, wie das Thier, das auch 
einen geiftigen Theil bat, aber untergeordnet und 
ſchwach, jo daß mit dem Tobe des Körpers auch dieſer 
feinere Anflug zerftäubt und vergeht? Das Vorherr- 
ſchende überwöge und die Unfterblichfeit wäre her Lohn, 
die eigentliche Seligfeit der Auserwählten. 


Wenn man einmal die Sterblichkeit der Seele und 
das Nichtdaſein Gottes glaubte, dann wäre es aller- 
dings traurig und um alles Heil und Glüd, um Tu: 
gend und Kunft geichehen; fo lang man aber nur die 
Unfterblichleit der erftern und das Dafein des Ichtern 
nicht glaubt, hat es nicht viel zu bebeuten, und es 
geht alles feinen gehörigen Gang. 





Der Grunbfehler des deutſchen Denkens und Stre- 
bens liegt in einer ſchwachen Perſönlichkeit, 





Zu. 

Age 

- BR 2 
‘se 


356 Studien zur Philofophie und Religion. 


zufolge defien das Wirkliche, das Beftehende nur einen 
geringen Eindruck auf den Deutichen madt. Diele 
Eigenfchaft äußert fih in verschiedenen Perioden auf 
eine ganz entgegengefehte Weife. Einmal läßt fie ibn, 
wenn nicht ein gewaltiger Anftoß dazu kommt, Jahr⸗ 
hunderte lang in dumpfem SHinbrüten fortvegetiren ; 
ift der Anftoß aber einmal gegeben, fo wirkt er bei- 
nahe mechanisch fort, unaufgehalten, endlos, mie bie 
Wurffraft ohne Reibung thun würde, meil er in nichts 
einen Widerſtand findet. Wie Scheidewaſſer greift der 
deutiche Geift alles an: Gott, Willenzfreiheit, Moral, 
Materie. Er bleibt bei feinem lebten ftehen, weil 
nichts einen fo ftarfen Eindruck auf ihn macht, daß 
e3 eine Meberzeugung für ihn in fich jelbit führte. So 
ift Die deutſche Philoſophie mwefentlich atheiftifch, und 
wenn in neuerer Zeit viel von Gott die Rede ift, jo 
it das nur eine willfürlich-gefegte Gedanten-Barriere, 
um nicht ganz in die bodenloſe Kluft bineinzufallen, 
die dahinter unausweichlich gähnt. Sie nehmen einen 
Gott an, ftatt von ihm überzeugt zu fein; er hat feine 
Wirklichkeit für fie, fie achten ihn als ihr Werk, nicht 
fih als feines. 

Man hat die Franzöfifche Literatur unmoralifch ge: 
nannt, die deutfche ift es viel mehr. In Frankreich 
tritt die Unfittlichfeit mit Frechheit auf, und ber con- 
geniale Theil des Publikums genießt fie mit Weber: 
muth. In Deutſchland macht ſich das Unmoralifche 
als höhere Weltanficht geltend, mitunter wie eine Art 
Gottespienft, und das Publikum nimmt es hin als 
etwas, das fich von ſelbſt verfteht und wogegen nichts 
einzumenden ift. Lebteres tft bei weitem das Gefähr- 
lichere, denn gegen Spisbuben gibt es Kerker und 
Galgen, gegen die Grundfaglofigfeit aber findet fich 
feine Schranfe und Fein Geſetz. Nichts deſto weniger 


Studien zur Philoſophie und Religion. 357 


ift der Deutfche moraliſch im gewöhnlichen Leben, aber 
ohne Energie, weil ohne Weberzeugung. 

So find die Idealiſten, weil fih bie Materie nicht 
beweifen läßt, und zwar aus bemfelben Grunde, 
warum man bas Licht nicht hören und den Schall nicht 
fehen Tann. 





Und wenn die Menfchen einen Gott denken lönnen, 
fo ift diefer Gebanfe ſchon ein Gott; vieleicht aber auch 
Tein anderer Gott ald dieſer Gedanke. 

Es ift höchſt wahrſcheinlich ein Mittelpunlt und 
Compler des Göttlihen, wohl gar ein Anordnendes, 
Schaffenbes, dem wir aber vielleicht näher kommen, 
wenn wir fagen: es ift Fein Gott, als wenn wir nad) 
unfern Begriffen außfprechen: es ift ein Gott. 





Könnte nicht ein Atheift jagen: bie Idee / der Gott: 
beit fei eine vein formale? Ohne Inhalt, bloß durch 
die Technik in der Einrichtung des menfchlichen Ver: 
ftanbes bedingt? Wenn der menfchliche Geift fo ein- 
gerichtet ift, daß er feiner Natur nad von Wirkung 
auf Urfache fohließen, von der Mannigfaltigkeit zur 
Einheit dringen muß, fo wäre ja wohl möglich, daß 
er noch fortfchließt und fortfubfumirt, wenn er, ihm 
unbewußt, in eine Sphäre geräth, wo andere Grund: 
Ingen ganz andere Refultate bedingen, wo ihm ganz 
eigentlich der Stoff ausgeht, und feine mechaniſch fort: 
gehenden Funktionen gleich find denen eines leeren Ma: 
gens, ober einer Mühle, die, einmal in Gang gejebt, 
fortmahlt, wenn auch alles Getreide bereits verſchroten 
und fein neues aufgeſchüttet worden ift. 





358 Studien zur Philofopfie und Religion. 


Der Satz: die Dinge müßten urfprünglich gedacht 
gein, weil ich fie fonft nicht denken könnte, ift gerabe 
jo, als wenn ich fagte: fie müßten urfprünglic gemalt 
fein, weil fie fonft der Maler nicht malen könnte. 





Die Nothwendigkeit eined vernünftigen Urhebers 
aller Dinge wird gewöhnlich von ihrer Zweckmäßigkeit 
abgeleitet; da aber, was nicht zwedmäßig ift, gar 
nicht exiftiren Tann, fo folte man fih wundern, daß 
überhaupt etwas ift; fih wundern, daß man ſich ver⸗ 
wundert, und fo weiter, ober umgekehrt verſuchen, ſich 
das Nichts zu denken, was auch wieder kaum gelingen 
wird. Die Gedanken fpielen überhaupt da bie Haupt: 
tolle. Weil man etwas Nichtübereinſtimmendes denken 
Tann, glaubt man, es könne auch fein. Das ift aber 
nicht wahr. Sein und Zweckmäßigkeit find eins und 
daſſelbe. Die ärgfte Mifgeburt, die nur Eine Stunde 
Lebt, ift in Bezug auf das Leben biefer Stunde zweck- 
mäßig. 





Die Syſteme ber Philofophen find wie bie Stern- 
bilver am Himmel und die Benennungen, bie man 
ihnen gibt. Die Grund-Fakten des Bewußtſeins find 
die Firfterne, nad) denen, ald ben gegebenen Punkten, 
jeder die Linien zu einer beliebigen Figur zieht, bie 
er dann benennt nad) dem, was ihm individuell das 
Bedeutendſte fheint, und leicht feine Buchdruckerwerk 
ftätte, feine Friebrich®: Ehre, feinen poniatowskiſchen 
Stier u. |. w. am Himmel wieberfindet. Da nun aber 
doch Alle biefelben Sterne gelten laſſen müſſen, fo 
liegt eigentlich an ber Verſchiedenheit der Bilder fo 
viel eben nicht. 


Studien zur Philofophie und Religion. 359 


Wenn die Menſchen von Gott reven, fo kommen 
fie mir vor, wie Lichtenbergs Kahlenberger Bauern, 
die, wenn ein Meffer fehlt, dafür ein Stüd Holz in 
die Scheide fteden, damit diefe nicht leer fei. 





Es ift falſch, daß die Vor-Kantiſche Philoſophie 
das Ding-an-ſich nicht gekannt habe. Wenn Spi— 
noza an bie Spitze feines Syſtems den Satz jtellt: 
Gott ift die Subftanz, beftehend aus unendlichen Attri- 
buten, von benen und aber nur zwei, das Denen 
und die Ausbehnung, befannt find, fo gibt er ja till: 
ſchweigend zu, daß eine unenblihe Menge Modifika— 
tionen biefer unenblihen, uns unbefannten Attribute 
gar nicht in unfere menſchliche Vorftellung fallen, ja 
es hindert nichts, daß felbft in jenem Kreis, den wir 
vorftellen, Beitanbtheile jener uns unfaßbaren, gött: 
lichen Wejenheiten enthalten find, die eben daher von 
uns unerfannt bleiben, und fo das eigentlihe Ding- 
an⸗ſich bilden, nicht allein unferm Vorftellen, fondern 
felbft unferm Denken unerreicht. 








Spinoza mag fi) wenden, wie er will: er hat jich 
feinen Gott doch geiftig gedacht. Seine Schöpfung 
hängt immer vom Berftande Gottes ab, und menn er 
alles auf motus und quies rebueirt, fo find Ruhe und 
Bewegung Eigenfchaften, die aus dem Begriffe jelbit 
nur bem Denfen, der Materie aber nur aus ber Gr: 
fahrung, ober aus einer Abhängigkeit vom Denken 
zukommen können. Seine Materie ift daher fein Attri- 
but, fondern nur ein, wen auch nothivendig mit ver 
Subftanz verbundener Modus, allenfalls ein Außer⸗ 
einander des Hegel. 





360 Studien zur Philoſophie und Religion. 


Kant fehifanirt den Ariftoteles offenbar mit feinem 
Tadel gegen deſſen Aufftelung und Begründung ber 
Kategorieen. Ariftoteles ftellte aber feine Kategorien 
durchaus zu feinem transcenbentalen, fonbern zu einem 
rein logifchen Zwecke auf. Sie fprechen ihm die Form 
der Prädikate in allen möglichen Urtheilen aus, ohne 
daß er fih um ihre Herftammung gerabe beſonders bes 
kümmerte. Sa, felbft die Genauigkeit der Eintheilung 
liegt ihm nicht gar fo fehr am Herzen. Er will lieber 
ein Eintheilungsglied zweimal in zwei Gattungen aufs 
führen, als daß es der Schüler vermiſſen follte, wie 
er es felbft bei Erwähnung jener Grenzlinien ausſpricht, 
wo die 008 re und die nos zufammenlaufen. 


Gerade für Menfchen, bei denen das Gemüth vor— 
herrfcht, find Kants Schriften höchſt nüglid. Da fie 
von dem Ihrigen da anzuftüden vermögen, wo Kant 
aufhört, indeß er ihnen Drbnung machen hilft in der 
Sphäre, die in feinem Bereich liegt. Trodene Ver— 
itandesmenjchen müflen durch Kants Philofophie noth: 
wendig ganz austrodnen. 


Trendelenburg glaubt Kant widerlegt zu haben, 
wenn er das Princip der Bewegung aufftellt. Wie 
aber, wenn die Bewegung allerdings die primitive, 
weſenhafte Eigenfehaft der Dinge wäre, den Geiſt gleich» 
falls als Ding (ens) genommen, könnte dann nicht 
Zeit und Naum noch immer die Form fein, in ber 
fie der Vorſtellung erſcheinen? Weberhaupt wenn Kant 
gemeint hätte, daß Zeit und Raum nur Formen ber 


_— — — 


— — nn 


Studien zur Philoſophie und Religion. 361 


Anſchauung feien, fo hätte er dadurch inbireft er- 
Härt, daß er das Ding an ſich kenne, was er immer 
geläugnet. 


Scelling fängt feine Philofophie der Mythologie 
gleih von vornherein mit einem Unfinn an. Er meint, 
wenn die gewöhnliche philofophifche Anficht der Mytho⸗ 
Iogie unzureichend fei, jo müfje man immer höher jtei- 
gen, bis man endlich auf bie letzte und daher (?) notb- 
wendige Anfiht gelange. Wenn aber Mythologie nichts 
märe, als ein Mangel an Philofophie, jo würde im 
Höherfteigen der Abftand immer größer, und es wäre 
vielmehr ein Herabfteigen inbieirt. Auf diefelbe 7 
haben fich die Deutſchen ihre Anſicht über die P 
verborben, die mit der Mythologie Geſchwiſterkind iſt. 








Wenn Einer ein neues Land entbedt, fo macht 
nicht das entbedte Land, fondern der entbedte Weg 
den Werth der Entdeckung aus. Schelling wäre nod) 
immer fein Philofoph, wenn fein legtes Reſultat zu: 
fällig auch wahr wäre. 


Wenn die neueften Vertheibiger Hegels jagen: das 
menſchliche Denken fei nur ein Nach denken vefien, 
mas in ber Welt, den Dingen vorgebadt ift, jo muß 
man bagegen eriwidern: Ihr nehmt ja auf die Dinge 
Teine Rüdficht, fondern bewegt euh nur im reinen 
Denken. Euer Denken ift daher Eins mit dem 
göttlichen. 


362 Studien zur Philofophie und Religion. 


Die Nachtheile der Hegel’ichen Bhilofophie für Die 
deutiche Bildung concentriren fich vielleicht in folgen: 
den Punkten. Erftens hat er durch ihre, das Geſetz 
des Widerſpruchs verſchmähende Spekulation, das na⸗ 
türliche Denken, was man den geſunden Menfchen- 
verſtand nennt, beeinträchtigt. Zweitens dürch ihre 
Schwerverſtändlichkeit, ja Unverſtändlichkeit ans Nach⸗ 
beten gewöhnt, das ſich in alle Fächer eingeſchlichen. 
Endlich durch ihre Verſicherung, daß von nun an die 
Welt durchſichtig geworden und das Räthſel des Uni— 
verſums gelöst ſei, einen Eigendünkel erzeugt, der in 
diefer Schroffheit früher noch nie dageweſen. 


nn nn 


Mir Tommt die Hegel'ſche Philoſophie vor, wie das 
Chriftentbum. Aus dem Gefafel der Theologen follte 
man fchließen, daß nad) der Genugthuung Chriſti und 
der Tilgung der Erbſünde, die Menfchen‘ nothmwendig 
hätten beſſer werden müflen; fie find aber fo jchlecht, 
als fie früher waren. Ebenſo mwäre natürlich, daß, 
nachdem Hegel die letzten Gründe und den nothmen: 
digen Zufammenhang alles Willens und Seins gelehrt, 
die Wirkungen davon fih in den fpeciellen Doktrinen 
zeigen müßten. Sie find aber ſämmtlich auf der Stufe 
geblieben, auf der fie vor Hegel waren. Die Noth— 
wendigfeit hat auf die Zufälligkeiten feinen Einfluß 
geübt, und um die Zufälligkeiten eben wäre es und 
zu thun. 


— — — 


Die Hegel'ſche Philoſophie, die monſtroſeſte Aus— 
geburt des menſchlichen Eigendünkels, ſcheint als Phi⸗ 
loſophie endlich abgethan, ſie ſpukt aber noch immer 
als alma en penas in den meiſten Zweigen des menſch⸗ 





Studien zur Philoſobhie und Religion. 363 


lichen Wiſſens fort; namentlih in der Geſchichte und 
in ber Xefthetif. Die erftere Inüpft noch immer alles 
an ben fich felbft entwickelnden Begriff, an die nad 
meisbare Notwendigkeit, an ben immerwährenben Fort: 
ſchritt, indeß bie Aeſthetik mit ihren bürftigen Begriffs: 
beftimmungen, ſich den unerflärten Wunbern bes menſch 
lichen Innern nicht etwa zu nähern — was erlaubt, 
ja wünſchenswerth wäre — fonbern fie vollſtändig zu 
erreichen meint. Ich nenne bie Erfeheinungen des Ge— 
müthes wunderbar und unerflärlih wegen ihrer Zu 
fammenfegung ind Unenblige, oder, wenn man lieber 
will, wegen bes Zuſammenwirkens unberechenbarer und 
unzählbarer Faktoren. Es ift mit der Kunft in ber 
moralifchen Welt nicht anders, als mit dem, was wir 
in der phufifchen: Leben, nennen, beflen Abbild und 
Gegenbild im Geiftigen fie ift. Durch diefes Verfahren 
verliert die Geſchichte ihren praftifchen Werth, indem 
fie den Zufammenhang der Begebenheiten von ber 
fihern Erde weg in ein höchſt unficheres und zweifel 
haftes Mittelveich verlegt und das Streben in ein 
Zufchauen verwandelt. Die Aeſthetik wird hemmend, 
da fie das Zufammenfpiel aller menfchlichen Kräfte ber 
Geſetzgebung einer einzelnen, ber Denkkraft, unter: 
werfen will, bie zwar ale andern überwachen foll, 
aber nur da entſcheidende Macht hat, wo aud bie 
Gründe und Fälle der Entfeheibung auf ihrem eigenen 
Gebiete vorlommen. Daß, nachdem man die Methode 
Hegels verworfen hat, man noch immer feine Reful- 
tate beibehält, liegt einerſeits darin, daß Die gegen- 
wärtige Generation unter dem Einfluß feines Syſtems 
herangewachſen ift, anderſeits aber darin, daß bieje 
Refultate der menſchlichen Eitelkeit fchmeicheln. 


364 Studien zur Philofophie und Religion. 


Alle Bildung geht ſchrittweiſe. Jeder Sprung, 
wenn er ein wirkliches Vorwärtskommen fein fol, muß 
zurüdgemacht und das Vorwärts ſchrittweiſe noch einmal 
durchgemacht werden. Siehe z. B. die Revolution 
der neunziger Jahre. Selbſt das Chriftentbum, ſchein⸗ 
bar der grellſte Abſchnitt, der unfere ganze Geſchichte 
in ein Dieſſeits und Jenfeits theilt, ift keineswegs fo 
verbindungslos, als man glauben will. 

Freilich, wenn man bie Chriftuslehre mit dem Sa— 
turn zufammenhält, der feine Kinder frißt, und dem 
Jupiter, der aus Liebe zum Stier wird, ift ber Ab- 
ftand bedeutend genug, aber Sofrates und Plato, Con 
fucius und Soroafter, das Judenthum abgerechnet, 
liegen als Mittelgliever dazwischen. Oder glaubt man, 
daß, ehe biefe Vermittlung eintrat, etiva zur Zeit des 
Miltiades oder Tullus Hoftilius, des Feridun, und, 
wie die Leute alle heißen, eine Ausbreitung des Chriften- 
thums möglich geivefen wäre? 


Abendländifche rohe Kraft in Verbindung gebracht 
mit einer morgenlänbifchen ſpitzfindig-⸗aſcetiſchen Reli- 
gion; Brutalität moberirt durch Abfurdität; aus dieſem 
Geſichtspunkte erklärt ſich das ganze Mittelalter fo bis 
aufs Kleinfte, daß alle weitwendigen Forfchungen ber 
neuejten Zeit als ein reiner Luxus erfcheinen. Damit 
find dieſer Webergangsperiobe nit alle guten Seiten 
abgefproden. Der Menſch ift immer von Gott, aber 
die Zeit war bes Teufels. 





Religion ift die Poefte der unpoetiſchen Menſchen. 





Studien zur Philoſophie und Religion. 365 


Der Ausſpruch jenes Kirchenvaters: eredo quia 
absurdum, bat eine richtige Bebeutung. Der letzte 
Zuſammenhang der Dinge mußte allerbirigs dem Men⸗ 
ſchen, als weit über feine Vernunft reichend, abſurd 
vorfommen. Warum man aber von ben vielen mög: 
lichen Abfurbitäten gerade bie eine mehr als eine 
andere glauben foll, wird dadurch freilich nicht ent- 
ſchieden. 


Religioſität iſt die Weingährung bes ſich bil: 
denden, und die faule Gährung des ſich zerſetzenden 
Geiſtes. 


Der Thierdienſt mancher alten Völker (ſelbſt man⸗ 
cher gebildeteren, wie der Egyptier) iſt ſo unbegreiflich 
nicht, als es beim erſten Anblide ſcheint. In ganz 
rohem Zuftande wird nämlich der Menfch durch feine 
noch unentwidelte Vernunft in Manchem offenbar un- 
fiherer geleitet, ala das Thier durch feinen unfehl- 
baren, ohne Ausbilbung vollfommenen Inſtinkt. Wob: 
nungen bauen, Wurzeln ausgraben, fiſchen, jagen 
u. ſ. w. hat wohl der Menfch eher von den Thieren, 
als diefe von jenem lernen können. Dadurch muß 
der ganz rohe Wilde die Thiere wohl in Vielem als 
feines-Gleihen, in manchem fogar als feine Beflern 
erkennen. Worin fie unter ihm find, kann er Faum 
früher bemerken, als bis einige von ihnen ihm Nadı- 
barn und Hausgenoſſen geworben find. So entiteht 
Ehrfurcht für die Thiere, Verehrung. Wenn bie Völker 
in der Folge ſich mehr bilden, fo verſchwinden die 
mythiſchen und religiöfen Vorſtellungen ihrer Urzeit 
darum nicht, fie mobifieiren fi nur und erhalten den 


366 Studien zur Philofophie und Religion. 


Neiz des Geheimnißvollen durch das Vergeſſen des 
Grundes ihrer Entſtehung. Was vorher im buchſtäb⸗ 
lichen Sinne für wahr galt, gilt nun im Symboliſchen, 
und bleibt nun brauchbar für alle Zeiten. Auf die: 
jelbe Art erklärt ſich das Lächerliche alles alten Götter: 
dienſtes. Es find Weberbleibfel unvorbenklicher Zeit, 
an benen die Nachwelt gebilvet, geftaltet, zugeſchnitten 
bat, immer aber den Kern ſchonen mußte, der eben 
das Göttliche enthielt. Das Welt-Ei, der Stein des 
Saturn und die Sichel des Zeus, galten gewiß ein: 
mal buchſtäblich, erſt in ber Folgezeit wurden fie Sym- 
bole, und am Ende lächerlich, weil jedes Sinnbild es 
ift, dem man den Sinn nimmt, 





Der Grundfehler bei allen dieſen Mythenerklä— 
rungen ift, daß man fie von vornherein als ein Ganzes 
betrachtet, was grundfalſch ift. Ein Geift, der, im 
Mittelpunkt ftehend, die Mythen nur als Verſinn⸗ 
lichung der einzelnen Lehrſätze gebraucht und betrachtet, 
hätte bald biefe Mythen felbjt weggeworfen und bie 
Wahrheit offen und deutlich ausgefprochen ohne Furcht, 
dadurch beim Volke anzuftoßen, das leichter eine nadte 
Wahrheit begreift, als fih aus freier Fauft ein Fat 
tum aufheften läßt. Diefe Mythen find einzeln erfun- 
den, ftehen urfprünglich miteinander in feinem Zu 
fammenhang, haben mitunter fo viel Iehrhafte Be 
deutung, als eine mäßige äfopifhe Fabel, wirken als 
Faltum und nicht als Theorem, und erben erft beim 
Fortfchreiten ber Bildung in Verbindung gebracht und 
aus ber gegenftändlichen Geltung in bie ſinnbildliche 
übertragen. Thor ift ſchon als rüftiger Kämpfer gött: 
lich genug für eine Zeit, bie nichts Höheres Iennt, als 
Kampf und Rüftigkeit. 


Studien zur Philoſophie und Religion. 367 


Der Hauptirrthum bei Beurtheilung ber alten Re 
ligionen befteht darin, daß man fie ſchon bornherein 
für ein Ganzes nimmt, inbeß fie doch, einige allge 
meine Nationalübereinftimmungen vorausgeſetzt, ato 
miftifch aus einzelnen Sagen, Buthaten, Tempelwun- 
dern und Priefterlügen fi heranbilden. Dann, daß 
man bie fpätere Bedeutung und Symbolif der Kultus: 
objekte ſchon auf ihr erſtes Vorkommen in den Anfängen 
der Religion überträgt, indeß fie bier do nur in 
ihrer roheften Geltung zu nehmen find, ſo daß die 
Bedeutſamkeit wie die Gliederung erft als die Frucht 
jahrhundertlangen Beſtehens angefehen werben müflen. 


Es ift nicht wahr, daß dieſen uralten Religionen 
pantheiftifche, kosmologiſche, aſtronomiſch phyſikaliſche 
Andeutungen zu Grunde liegen. Sie ſind von vornherein 
roher Unſinn von und für Barbaren; erſt die vor— 
geſchrittene Bildung der Nachkommen hat in das er— 
erbt Heilige, bilblihen Bufammenhang hineinzubeuten 
geſucht. 

Es iſt das ſchreiendſte Mißverſtändniß, wenn wir 
die Götter der Alten mit unſerm Gott vergleichen. Die 
Götter waren nicht das Höchſte; über ihnen ſtand das 
ewige Recht. Das haben wir perſonificirt und nennen 
es: Gott. Die Götter ſollten nie als Muſter des 
Wandels dienen, ſie waren nur die Natur mit ihren 
Gewalten. Das Recht war als gewiß erkannt in des 
Menſchen Bruſt, ſein Zuſammenhang mit einer höhern 
Quelle ward geahnet und dunkel angedeutet, aber man 
beſchied ſich, daß eine Erkenntniß davon nicht möglich. 


368 Stubien zur Philoſophie und Religion. 


Strenge Vollieher des Rechtes waren bie unter- 
irdiſchen, bie alten Götter. Sie hatten fein Mitleid, 
aber auch einen Haß. Den neuen Göttern war 
beides. Sie hatten die Rolle des Gefühle. Eie waren 
die Verföhner und Verſucher der Chriften in Einer 
Berfon, 


Iſt denn die heidniſche Weltanſicht nicht wahr? 
Das Leben gibt dir nichts! Falſche Götter herrſchen 
drin! Nichts bleibt dir treu, als bein Selbſt, wenn 
du ſelbſt ihm treu bleibſt. 





Als ob der jüdiſche Monotheismus minder eine 
Abgötterei geweſen wäre, als ber griechiſche Poly: 
theismus, und Jehova minder ein anthropomorphi- 
thiſcher National:Abgott, als Zeus, Pallas, Aphrodite2c.? 
Vergißt man denn immer, daß die griechiſchen Gott: 
heiten eigentlih gar Feine Götter (Gott nad unfern 
Begriffen genommen) waren, ſondern Dämonen, Clohim, 
die wohl über die Menſchen gefeßt waren und bie 
Erſcheinungen be Luftfreifes regierten, aber ſelbſt unter 
einem höheren Gejege ſtanden, und, ftatt das AU her: 
vorgebracht zu haben, vielmehr felbft von ihm und 
feinen Stellvertretern hervorgebracht worden waren. 
Wenn wir ſie Götter nennen, haben wir ihr Weſen 
ſchon mißverſtanden, wir ſollten fie eigentlich Natur: 
geiſter nennen. Das Unausgeſprochene, Unerklärte, 
Vorausbeſtimmende, das, als über dieſen Dämonen 
Waltende Homers Zeus ſo häufig bekennt, das können 
wir unſerm Gott parallel ſetzen, und das war 
offenbar etwas Höheres und Würdigeres, als der 
bornirte jüdiſche Winkel-⸗Gott. 


Studien zur Philofophie und Religion. 369 


Tas indifhe Brahm Tann für einen Gott (für 
Gott) gelten, ebenſo vieleicht das Zeruane Akerene 
der Parfen, aber die Heol der Griechen würde man 
vielleicht fahrichtiger mit: die Göttlihen, überfegen, 
als: die Götter. 


Der gerühmte Monotheismus der Juden rührt 
vielleicht nur daher, daß fie urſprünglich ein verein: 
zelter, verachteter Stamm waren, ber fi gar nicht 
getraute, anzunehmen, daß mehr al3 Ein himmliſches 
Weſen fich Speziell um fie belümmern follte. Es ift 
derſelbe Separatismus, ber fie das ganze Menfchen- 
geichleht von einem einzigen Menſchenpaare herleiten 
ließ. In feiner Urſprünglichkeit kommt biefer Glaube 
etwa noch bei Jakob und feinen Söhnen vor. Die 
mofaifche Anficht ift ſchon eine erweiterte, als fie ein 
Volk unter Völkern geworden waren. Aber auch da— 
mals bezweifelten fie die fremden Götter nicht, fie 
hielten nur ihren Gott für den mächtigſten und höchſten. 
Sie waren übrigens eiferfüchtig auf feinen Alleinbeſitz, 
und e3 fiel ihnen nie ein, fremde Völker an ihm Theil 
nehmen zu laſſen. Der Monotheismus als verebelter 
Fetiſchismus war in den urälteften Seiten wahrſcheinlich 
häufiger, ala man zu glauben geneigt ift, 


Das Chriftenthum ift feiner früheften Befchaffenheit 
nad) offenbar nur ala Sekte berechnet. Es hat all 
das Abgefchlofiene, ſich Ausſchließende, Weberfpannte, 
aber auch Liebenswürbige, das von jeher den „Stillen 
im Lande“ eigen war. Das Papſtthum mußte aus 
dem einfachen Grundftoffe allerdings etwas zu machen, 

Griltparzer, Werte, VII. 24 


370 Studien zur Philoſophie und Religion. 


wodurch biefe Lehre, obgleich mit Aufopferung feines. 
beften Theiles, eine Weltreligion für liebende und 
hafiende, hoffende und fürchtende Menjchen werden 
Tonnte, Der Proteftantismus hingegen hat das Chriften- 
thum als Religion von Grund aus und unwieber- 
bringlich zerftört. 


Das Evangelium Johannis hat einen Punkt der 
Sonderbarfeit, der mir bisher nicht genug herborge- 
hoben erfcheint. Die Hinneigung zum philoſophiſch- 
möftifchen Geſchwätz in feinem Lieblingsjünger mußte 
Chriftus doch befannt fein, und da ift denn zu ver 
wundern, daß er ihm micht gefagt: Freund, laß biefe 
Thorheiten und halte dich gleich mir an die Sache, 
um fo mehr als fie eine göttliche ift und deine Phrafen 
nur menſchliche Spigfindigfeiten. Hat er ihn aber 
davon nicht abgemahnt, fo dürfte er wohl felbjt nicht 
ohne Zufammenhang mit der Philofophie feiner und 
der vorhergegangenen Beiten geweſen fein, fo daß das 
Urfprüngliche feiner Lehre und Haltung in eine etwas 
ſchiefe Stellung geriethe. 


Man bat die KHriftlihe Religion jo oft als die 
Haupturſache der neuern Bildung, als ihre legte und 
weſentliche Bebingung bezeichnet. Sie ift es aud, 
aber nur negativ. Die driftliche Religion hindert 
nämlich feine Axt der Bildung, und das zwar darum, 
weil fie außer dem bortrefflihen Sage: liebe Gott 
über Alles und den Näcjiten, wie dich ſelbſt, durchaus 
nichts Feftes in ihren Anordnungen hat. Gie bereitet 
daher allerdings durch ihren Charakter einer allgemeinen 


Studien zur Philofophie und Religion. 371 


Humanität der Bildung den Weg, dann aber geht fie 
ihr nach, ftatt ihr vorzugehen, und wird felbft gebilvet, 
ftatt andere zu bilden. Daher war das Chriftenthun 
in feinen Anfängen quietiftifch und ſeparatiſtiſch, jpäter 
ſektireriſch, im Mittelalter roh und abgöttifh, dann 
graufam und fanatiſch, und erft in der neueften Zeit 
bat es mit der Bildung Frieden geſchloſſen, aber jehr 
auf eigene Koften. 





Die Kriftlihe Religion hat das vor allen andern 
voraus, daß fie ſich jo leicht allen Kulturftufen, ge— 
wiſſermaßen fogar den höchſten anpaßt. Dieß rührt 
von dem Unbeſtimmten ihrer Lehrſätze und Vorſchriften 
her, das wieder in dem Fragmentariſchen ihrer heiligen 
Schriften ſeinen Grund hat. Ihre Moral iſt, wenn 
auch überſpannt, doch gut und löblich, ihre Mythen 
kann man ſymboliſch nehmen, wenn ſie Einem krud 
nicht anſtehen, und der ſchrankenloſe Geiſt iſt endlich 
froh, ſich durch etwas Poſitives zu beſchränken, befon- 
ders wenn bie Schranke nicht gar zu unverrücklich ift. 
So fünnte man wohl fagen, die chriſtliche Religion 
werde dauern bis ans Ende der Welt. Wenigitens 
wird fie nicht leicht von einer andern hberbräi 
werben. 





Das Chriftenthum ift die Religion der Melancho— 
liker und Hypochondriſten. Wenn dagegen der Islam 
das Phlegma begünftigt und ber Judäismus feinen 
Anhängern eine gewiſſe choleriſche Heftigfeit mittheilt, 
fo Tann man den griechiſchen Heiden wohl recht aut 
den glücklichen Sanguiniker nennen. 


372 Studien zur Philoſophie und Religion. 


Wenn man die praftifche Seite des Heidenthums 
mit der des Chriftenthums in zwei Worten vergleichen 
wollte, Tönnte man fagen: das Heidenthum hielt den 
am höchſten, der die meiften Vorzüge, das Chriſtenthum 
den, der die wenigſten Fehler hat. J 


Das Gräßlichſte in der neueſten Religioſität oder 
der Religioſität der Gelehrten iſt, daß ſie von einem 
theoretiſchen Bedürfniß ausgeht. Sie wollen das Ge— 
heimniß des Werdens, das Weſen der Subſtanz, das 
Verhältniß der Nothwendigkeit zum Willen einſehen, 
indeß der Kern des Chriſtenthums kein theoretiſcher, 
ſondern ein praktiſcher iſt. Zwar nicht die Moral, 
wie die Aufklärung meinte, wohl aber die Heiligung, 
die Rehabilitirung des Menſchengeſchlechtes, die Aus— 
tilgung der böſen Anlage, die durch die Erbſünde in 
unſer Thun und Wollen gekommen ſein ſoll. Wenn 
der Zweck Jeſu die Erleuchtung des Verſtandes geweſen 
wäre, jo läge ber Haupteinwurf gegen bie Göttlich— 
feit feiner Sendung in dem Unzureichenben feiner Er- 
klärungen. 





Es iſt in neueſter Zeit ein großes Gejammer über 
die an verſchiedenen Orten auftauchenden Verſuche, an 
tiquirte Confeffions: und Aberglaubens-Elemente wieder 
ins Leben zu rufen. Die Sache iſt für den Augenblick 
wohl unangenehm genug. Manches und mancher Ver: 
nünftige bürfte ſich dadurch in der Gegenwart auf eine 
betrübenbe Art geftört und gehemmt finden. Für bie 
entferntere, ja für die nächſte Zukunft ift daraus aber 
durchaus Fein Schaden zu beforgen. 


Studien zur Philoſophie und Religion. 373 


Barum für die fittliche Verbefferung des gegen: 
märtigen Zeitalters auf dem Wege der pofitiven Neli 
gion durchaus nichts zu hoffen ift, liegt in dem Apho— 
riftifchen und rein Gelegenheitlichen ber heiligen Schriften 
des Chriſtenthums. Diefe Religion bat feinen abge: 
ſchloſſenen Coder ihrer Lehren, wie der Koran ober 
die moſaiſchen Bücher find. Erſt die Zufammenfafiung 
und Auslegung einer Kirche bringt Ganzheit und Zu 
fammenhang in die Maſſe von Andeutungen, Para 
bein, ſcheinbaren Widerfprüchen und Uebertreibungen. 
Nun wird aber feine Macht des Himmels und der 
Erde unfere pragmatifhe, auf Unterfuhung, 
nerung, Luxus, Gewinn, nicht bloß geftellte, ſondern 
bafirte neue Zeit auf jenen Standpunkt ber Unſchuld 
zurüdbringen, um fi fremde Auslegungen in irgend 
etwas blind gefallen zu laffen. Die atomiftiichen Lehren 
und Sagen der Schriften des alten und neuen Bunde: 
aber in ein unruhiges, zerriflenes, eigenmill Ge— 
müth gegoſſen, müſſen darin nothwendig eine ſolche 
Gährung, ein ſolches Hexengebräu hervorbringen, daß 
der unſelige Experimentator bald ſehen würde cr hätte 
beſſer gethan, die gefährliche Miſchung ihrer eigenen 
Abklärung zu überlaſſen. Wenn die franzöſiſchen Libe— 
talen, wie es wohl theilmeife fommen möchte, ſich aud) 
noch auf die Religion werfen, dann erft ift des Unheils 
fein Ende und feine Hilfe. In Deutſchland iſt das 
Amalgam ſchon halb vor ſich gegangen, da macht es 
aber der Mangel an Thatkraft unſchädlich. 


















Der Charakter der neuen Zeit ift ber Geijt ber 
Unterfuhung. Theil die vorgefchrittene Verſtan 
bildung (Naturwiſſenſchaft), theils das durch Ueber- 





— 


374 Studien zur Philoſophie und Religion. 


völferung gefteigerte materielle Bebürfniß, treibt unab- 
tweislich zur Analgfe, um durch Kenntnif ber Gründe 
und Beftandtheile hier zu neuen Entbedungen, dort 
zu neuen Erfindungen und Befriebigungsmitteln fort: 
zuſchreiten. 

Wenn nun einmal der Geiſt der Unterſuchung all⸗ 
gemein getvorben ift, fo ſetzt er ſich nicht leicht Schran⸗ 
Ten, am allerwenigften aber läßt er ſich folde von 
außen und willkürlich fegen. Der Verſtand gibt gern 
zu, daß es etwas für ihn Unlögliches gibt, und erfennt 
daher als eine Wohlthat, wenn ver für ihn unüber- 
ſchreitbare Abgrund durch ein Ehrfurchtgebietendes aus- 
gefüllt wird, das feinem eigenen Weſen nicht gerabezu 
wiberfpricht, aber ein Webergreifen dieſes Trabitionellen 
in die von ihm erkannten Gefege ber Natur und in 
die Grundlagen der moraliſchen Werthbeftimmung läßt 
er fih nun und nimmermehr gefallen. Bon einer 
Schöpfung aus Nichts, von einer Geftaltverwandlung, 
einer Erbfünde und Erlöfung durch frembes Verdienft 
wird wohl ernfthaft nicht mehr die Rebe fein. Aber 
in einer gewiſſen magiſchen Ununterfcheibbarkeit Tann 
das fort und fort beftehen, fo daß, den moralifhen 
Werth des Chriftenthums dazu genommen, dieſe Ne: 
ligion das Menſchengeſchlecht Hoffentlich bis an fein 
Ende begleiten wird. Die confefjionellen Unterfchiede 
aber wieder zu beleben, dazu reicht feine Macht der 
Erde hin. Dazu müßte man fie erft lebhaft ins 
Bewußtſein rufen, wo fie fih dann in Nichts auf: 
löſen. 


Die Religion iſt endlich dahin gekommen, wo ſie 
eine eigentliche Wohlthat für die Menſchen wird. Daß 
die peinigende Lehre des Unbegreiflichen eine gegen: 


Studien zur Philoſophie und Religion. 375 


ſtändliche Ausfüllung, daß das Gute und Wahre eine 
objective Geltung erhält, deren fupernaturaliftiiche Ge 
bilde zugleich aber nicht mehr ftark genug find, um 
im Widerfprud mit dem Guten und Wahren eine be: 
ftimmende Macht auszuüben, das wäre vor der Hand 
der Gipfelpunkt ber ſchwer erfauften Fortfchritte. Man 
follte fih hüten, dieſes glückliche Verhältniß durch ge: 
waltſame Verſtärkung des einen der beiden Factoren 
zu ſtören. Und wenn ja, eher durch cin minus des 
Poſitiven, als durch ein plus.