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PALAESTRA LI.
UNTERSUCHUNGEN UND TEXTE
AUS DER DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN PHILOLOGIE,
heransgegeben von Alois Brandl, Gustav Boethe nnd Erich Schmidt
Qrimmelshausens Simplicissimus
und seine Vorgänger.
Beiträge zur Romantedinik des siebzehnten lahrhunderts.
Von
Carl August v. Bloedau.
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BERLIN.
MAYER & MÜLLER.
1908.
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Weimar. — Dnick von R. Wagner Sohn.
Vorwort.
Was ich hiermit vorlege, sind, wie Lessing sagte, mehr
Kollektaneen zu einem Buche als ein Buch selbst. Auf
ein erschöpfendes theoretisches und historisches Werk über
den deutschen Koman und seine Technik wartet die deutsche
Literaturgeschichte immer noch. Wenn in meinen Unter-
suchungen dem künftigen Verfasser dieses wünschenswerten
Werkes einige Anregungen gegeben und Zusammenhänge
gezeigt sind, so glaube ich, daß meine Arbeit ihren Lohn
empfangen hat. Was freilich die Zusammenhänge angeht, so
bin ich mir wohl bewußt, an manchen Stellen mit einiger
Kühnheit vorgegangen zu sein. Insbesondere verhehle ich
mir nicht, daß die Kombination dreier verschiedener Pläne
des Simplicissimus, die sich immer wieder aus dem Gewebe
der Tatsachen und Untersuchungen abhebt, auf Widerspruch
stoßen wird.
Die Anregung zu dieser Arbeit danke ich meinem
verehrten Lehrer Erich Schmidt.
Die ersten vier Kapitel haben im Jahre 1906 der
philosophischen Fakultät der Berliner Universität als Doktor-
dissertation vorgelegen. Den Rest habe ich seitdem unter
mancherlei Unterbrechungen gründlich umgearbeitet und
den Abschnitt über die Nebenpersonen hinzugefügt.
Erst während der Drucklegung meines Buches kam mir
R. M. Werners Aufsatz über die Chronologie bei Grimmeis-
hausen (in Schicks Literarhist. Studien Bd. 8, Heft 1) zu
Gesichte, dessen Inhalt sich wesentlich mit dem Schlüsse
meines vierten Abschnittes deckt.
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PALAESTRA LI.
UNTERSUCHUNGEN UND TEXTE
AUS DER DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN PHILOLOGIE,
heransgegeben von Alois Brandl, Gustav Boethe und Erich Schmidt
Qrimmelshausens Simplicissimus
und seine Vorgänger.
Beiträge zur Romantechnik des siebzehnten lahrhunöerts.
Von
Carl August v. Bloedau.
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UNTERSUCHUNGEN UND TEXTE
AUS DER DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN PHILOLOGIE,
heransgegeben von Alois Brandl, Gustav Roethe und Erich Schmidt
Qrimmelshausens Simplicissimus
und seine Vorgänger.
Beiträge zur Romantertinik des siebzehnten lahrhunderts.
Von
Carl August v. ßloedau.
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MAYER & MÜLLER.
1908.
— 6 —
Lebensauffassung, nicht mehr um eine einzelne interessante
Begebenheit wie die tragische Liebe Calistos und Melibeas,
Also in Stoff und Stil verließ der pikarische Roman die Bahn
des Vorgängers. Mehr noch, er suchte zugleich eine eigene
Form: der Held erzählt seine Schicksale selbst.
Wenn nun auch hie und da die Dialogform der „Celestina^^
im pikarischen Roman wieder zum Vorschein kam, wie
im „Alon90, mo90 de muchos amos", oder wenn z. B. Solor-
zanos „Garduna de Sevilla" in der „Er"-Form erzählt wurde, so
nahm die Entwicklung der neuen Gattung im ganzen doch
ihren eigenen Weg, und die autobiographische Form ward
typisch. Von ihr gingen die formalen Anregungen aus, die
der pikarische Roman anderen Literaturen gab.
Am selbständigsten hat sich der Anfang der novela
picaresca ausgebildet. Der PIcaro eröffnet die Erzählung
mit der Geschichte seiner Eltern. Dieser der Autobiographie
natürliche Einsatz übertrug sich sogar auf die in dritter
Person erzählte „Garduna", womit ein schon in der Icherzählung
nicht ganz vermiedener übelstand noch mehr zutage trat:
die allzu große Selbständigkeit der Vorgeschichte. Als
„Lazarillo de Tormes" 1553 die Gattung schuf, hatte er sich
in diesem Punkte noch kurz gefaßt; allein in den späteren
Werken, in Alemans „Guzman de Alfarache" (1599), in
übedas„Plcara Justina" (1605), im „Pablos deSegovia" Quevedos
(1 626), im „Soldado Pindaro" von Cespedes y Meneses (1626) u.
a. m. erzählte der PIcaro so ausführlich von seinen Eltern
und besonders von ihrer Jugend, daß man ihn selbst nur
gar zu leicht vergaß, trotzdem er sich dem Leser durch das
yo und mi seiner Erzählung immer wieder aufdrängte. Blieb
nun gar das yo und mi weg, so verschwand die Person des
Helden völlig aus der Vorgeschichte.
Dennoch bestand ein innerer Zusammenhang zwischen
Vorgeschichte und Gesamtinhalt: aus der Herkunft ließ
sich bequem das Vagabundentum des PIcaro ableiten. Der
Vater des PIcaro hat durchweg einen bürgerlichen Beruf,
bald in sozialer Niederung wie Lazarillos Vater als Müller,
— 7 —
Buscons als Barbier, Justinas als Gastwirt, bald auf höherer
Stufe, wie im „Gregorio de Guadana*', wo der Vater Arzt ist,
oder wie die reichen und vornehmen Väter des Soldado
Pindaro und Rufinas, der Garduna de Sevilla*). Doch
die Unehrlichkeit der Plcaros ist ererbt, denn ihre Väter
haben eine bewegte und an Possen und Schwindeleien reiche
Jugend hinter sich. Galeere oder Gefängnis ist den meisten
von ihnen nicht fremd geblieben. Davon erzählen die Söhne
zwar getreu, sie bemühen sich aber doch, die väterlichen
Sünden in milderem Lichte darzustellen*).
Eine sorgsame Erziehung genießt der Plcaro nicht;
doch wächst das Maß des zu diesem Punkte Mitgeteilten im
Laufe der Zeit stark an. Wenn in früheren Werken, wie
„Lazarillo" und „Guzman", die Erziehung mehr auf pikarisches
Leben vorbereitet, so erzählen spätere Romane, wie der
„Buscon", der „Soldado Pindaro" und der „Estevanillo Gonzalez",
von den Lehrjahren des angehenden Landstreichers in Schule,
Handwerk und Studium*).
Der frühe Tod des Vaters oder auch beider Eltern
treibt den Plcaro in die Welt, sei es, daß der elterliche
Hausstand sich auflöst, wie im „Guzman" und in der „Justina",
sei es, daß die überlebende Mutter den Esser los zu werden
*) Lazarillo de Tormes ed. Foulche-Delbosc. Bibl. hisp. Bd. III
S. 3, Z. 6, Kap. 1. — Quevedo, Historia del Bascon, Qaragoga 1626
Bl. la, Bach I, Kap 1.— Ubeda, La Picara Justina Diaz Teil I, Buch I,
Kap. 3, Bd. XXX ITT S. 70 der Biblioteca de Autores Espanoles. —
Antonio Enriquez Gomez, Gregorio de Gnadaüa Bd. XXXIII S. 257 der
Bibl. de Aut. Esp. — Cespedes y Meneses, Varias Fortunas de! Sol-
dado Pmdaro § 1, Bd. XVIH S. 277 f. der Bibl. de Aut. Esp. —
Solorzano, La Garduna de Sevilla Kap. 1, Bd. XXXUI S. 169 der
Bibl. de Aut. Esp.
«) Lazarillo de Tormes, Bibl. hisp. III S. 3, Z. 13, Kap. 1. —
Guzman de Alfarache Teil I, Buch I, Kap. 1. Bd. III S. 188 der
Bibl. de Aut. Esp.
») Historia del Buscon Qar. 1626 Bl. 3, Buch I, Kap. 2. -
Estevanillo Gonzalez Kap. 1, Bd. XXXni S. 288 der Bibl. de Aut.
Esp. — Soldado Pindaro § 1, Bd. XVHI S. 278 der Bibl. de Aut. Esp.
— 8 —
sucht, wie im „LazariUo" *). Notgedrungen sieht sich der junge
Auswanderer nach Broterwerb um. Leichte Handlanger-
und Bedientenstellen fallen ihm zu, die er sogleich zu
eigener unerlaubter Bereichening nutzt
Freilich ist die erste Erfahrung gewöhnlich unglücklich.
Den arglosen Lazarillo stößt der heimtückische Blinde mit
dem Kopf gegen den Stein, und seine Lehren bleiben dem
Knaben dauernd in Erinnerung*). Guzman wird unterwegs
alsbald in Wirtshäusern betrogen*); Buscons Schulzeit ist
reich an Hunger und Prügeln*). Das unstäte Leben ergänzt
die von den Eltern vernachlässigte Erziehung, und die neuen
pädagogischen Ziele sind List und Verschlagenheit.
Damit gelangt der Picaro in seine eigentliche Bahn.
Als mo90 de muchos amos, wie der „Ä.lon9o" von Jeronimo
de Alcala geradezu im Titel sagt, schlägt er sich durch.
Eine Folge nur lose miteinander verknüpfter Schwanke
bildet den weiteren Lihalt des Komans, und schwer war es
ein so lockeres Gefüge abzurunden ^), Jmmer neue Schelmen-
streiche konnten gehäuft werden, immer wieder der Picaro
seine alte Lebensweise aufnehmen. Alle Autoren sind an
dieser Klippe gescheitert. Einige wie Aleman oder Cespedes
y Meneses versprechen eine Fortsetzung, die zuweilen gar
nicht, zuweilen aus unberufener Feder erschien"). Dies
Schicksal teilte z. B. „Guzman" mit dem „Don Quixote". Beide
rechtmäßige Autoren straften die literarischen Räuber in
^) Gnzman Teil I, Buch 1, Kap. 3, Bd. III S. 195, der Bibl. de
Aut. Esp. — Justina, Teil I, Buch I, Kap. 3, Bd. XXXIII S. 74
der Bibl. de Aut. Esp. — Lazarillo, S. 5, Z. 20, Kap. 1.
*) Lazarillo. S. 6, Z. 9, Kap. 1.
•) Guzman, Teil I, Buch I, Kap. 3ff., Bd. III S. 195ff., der
Bibl. de Aut. Esp.
*) Historia del Buscon, Buch I, Kap. 2—5.
») Payer (Öst.-Ung. Revue Bd. III, S. 292) hält eineü
zwingenden Schluß sogar für unmöglich, da ein Rückfall des
Picaro in sein früheres Leben stets eine neue Reihe von Schwänken
eröffnen könne.
«) Guzman, Teil I, Buch HI, Kap. 10, Bd. III S. 262 der Bibl.
de Aut. Esp. Soldado Pindaro, § 28, Bd. XVIII, S. 375, Nachwort.
— 9 —
gleicher Weise. Quevedo gab am Schluß des „Buscon"
wenigstens einen Ausblick'); der einzige wirklich ab-
geschlossene pikarische Roman ist der „Lazarillo de Tormes" %
Der Fahrende wird endlich seßhaft, die pikarische Unruhe
weicht bürgerlicher Bequemlichkeit, Freundschaft und Wohl-
wollen treten an die Stelle von Haß und Neid, der Leicht-
sinn des Einzelnen wandelt sich in die Pflicht, eine Familie
zu erhalten; das Ende des Picaro muß unpikarisch sein, um
zu überzeugen. Aber nur „Lazarillo*' hat diesen Schluß erreicht.
Der pikarische Roman drang bald in andere Literaturen
ein. Spanische Texte wurden in den wichtigsten Kultur-
ländern gedruckt und in sechs fremden Sprachen erschienen
zahlreiche Übersetzungen, Bearbeitungen und Nachahmungen
des Schelmenromans*).
Es genügt hier ein rascher Blick auf die Leistungen
der Franzosen und Italiener, die den Deutschen die Kenntnis
der neuen Gattung zum Teil vermittelten.
») Buscon, Bl. 101b
') Ein widriges Geschick hat auch den „Lazarillo** entstellt
überliefert, so daß man ihn wegen des Versprechens einer Fort-
setzung lange Zeit für unvollendet gehalten hat. S. Ticknor, Ge-
schichte der schönen Literatur in Spanien, dtsch. v. Julius,
Leipzig 1852. Bd. 11 S. 212, Payer, Öst.-Ung. Revue Bd. VH S. 289.
Perd. Wolf, Wiener Jahrbücher für Literatur, Bd. CXXII S. 100.
Stahr, Deutsche Jahrbücher für Politik und Literatur Bd. III S. 420.
Dunlop- Liebrecht, Gesch. d. Romans, S 336. Navarrete, Einleitung
zu Bd. XXXIII der Bibl. de Aut. Esp. S. LXIX. Erst als Wilhelm
Lauser gefunden hatte, daß das Versprechen einer Fortsetzung un-
echt sei (Der Schelmenroman von Lazarillo, Stuttgart 1889, S. 153 f.
und dazu die Neudrucke von Foulche-Delbosc Bibl, hisp. III S. 72,
Anhang 6 und von Butler Clarke, Oxford 1897) wurde es möglich,
die Abgeschlossenheit des Werkes zu erkennen.
•) Ich benutze für die folgenden Angaben die Bibliographie
am Ende von Chandlers Buch über den pikarischen Roman, der
ich nur eine niederländische Übertragung von Loubayssin de La-
marcas Enganos deste Siglo, Ware History der Bedrigeryen dezer
eeuw Nieulijx uit hat Spaensch door D. V. R. Amsterdam 1645
(Königl. Bibl. Berlin XI 3808), zufügen kann.
— 10 —
Frankreichs Anteil ist stärker und dauernder als der
der Italiener, die außer den „novelas exemplares" des Cer-
vantes, deren drittes Stück ein treffliches Bild pikarischen
Lebens bietet, nur vier Romane sich aneigneten: „Lazarillo",
„Guzman", „Justina", „Buscon". Die ziemlich treuen Über-
setzungen aus dem Zeitraum von 1615 bis 1630 entstammen
der Offizin des Mailänders Barezzo Barezzi, der selbst bei
der Arbeit mit tätig war^).
Weit mehr boten die Franzosen. Vom „Lazarillo" sind
aus den Jahren 1561 bis 1698 Bearbeitungen in sechzehn
verschiedenen Drucken bekannt. Der „Guzman" ward schon
ein Jahr nach seinem Erscheinen von Chappuis ins Französische
übertragen und zwei weitere Übersetzer, Chapelain und
Bremond, steigerten die Zahl seiner Drucke bis 1700 auf
elf^). Noch größerer Beliebtheit erfreute sich Quevedos
„Buscon", der von 1633 bis 1671 in der Übertragung des
Sieur de la Geneste vierzehn Mal gedruckt wurde.
Die drei anderen französischen Übersetzungen pikarischer
Romane, der „Justina", der„Garduna" und des „Marcos Obregon",
blieben mit nur je einer Auflage weit hinter solchen Erfolgen
zurück. Im allgemeinen übersetzen die Franzosen etwas
freier als die Italiener. Ihre Arbeiten wollen mehr dem
einheimischen Publikum gefallen und verständlich sein, als
die Vorlagen genau wiedergeben. Daher hatte schon La
Geneste den Schluß des „Buscon" nach Lazarillos Muster ge-
ändert, und d'Ouville versah die „Gardufia" mit Spitzen gegen
diePreziösen oder erklärte zu besserem Verständnis spanische
Gebräuche').
M über Barezzo Barezzi s. Adam Schneider, Spaniens Anteil
an der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. Straß-
burg 1898, S. 233.
*) über Guzman in Frankreich s. Oranges de Surgeres im
Bulletin du bibliophile 1885, S. 289. Von den Übersetzungen ins
Französische war mir vom Lazarillo gar keine, vom Guzman nur
die späte Bremondsche erreichbar.
•) Über d'Ouville und seine Übersetzung s. Körting, Geschichte
des französischen Romans im 17. Jahrhundert Bd. II S. 267.
— 11 —
Zu diesen Vermittlem gesellt sich in Deutschland selbst
zuerst der herzoglich bayrische Sekretär Aegidius Alber-
tinus ^). Im Dienste der katholischen Kirche hat er ein gut
Teil spanischer Erbauungsliteratur, besonders Guevaras Werke,
den Deutschen zugänglich gemacht, und so mag auch der
,,Guzman" durch die moralisierenden Partien ihm für seine
gegenreformatorischen Bestrebungen geeignet erschienen
sein. Er übertrug, „mehrte und besserte" ihn*).
Albertinus sprengte freilich die pikarische Form, indem er,
je weiter er in seine Vorlage eindrang, um so mehr die Hand-
lung hinter unepischen moralisierenden und lehrhaften Par-
tien sich verlieren ließ. Schon den ersten drei Kapiteln, der
gekürzten Einleitung, läßt er als weitere zwei „Diskurse"
folgen. Kapitel 6 — 16 halten sich wieder mehr an die Vor-
lage, wenn auch mit einigen Auslassungen. Die nächsten
drei füllt eine für die Geschichte ganz gleichgültige Be-
schreibung der Kirchen Roms, und fortan schrumpfen die
Abstände zwischen den Diskursen immer mehr zusammen.
Die Kapitel 21-24, 27-30 und besonders 32—44 bilden
*) Über Aegidins Albertinus s. Liliencron in der A. D. B.
Bd. I S. 217 und in Kürschners Nationalliteratur Bd. 26; femer
Keinhardstöttner im Jahrbuch für Münchner Geschichte Bd. II,
S. 32, 1888.
*) Bayer (Oest.-Ung. Revue Bd. VII S. 296) meint wohl mit Un-
recht, daß schon vor Guzman eine Lazarillo-Ubersetzung erschienen
sei. Bayer legt die erste Ausgabe des Guzman ins Jahr 1616, an-
statt 1615, 9 Jahre vorher, also 1607, sei TJlenharts Lazarillo er-
schienen. Bayer täuscht sich in den Zahlen: nicht 1607, sondern
erst 1617 erschien der Lazarillo. — Bayer ist auch sonst ungenau
in Zahlen. Nicht 1659, sondern erst 1668, wie Kögel in der Ein-
leitung seiner Ausgabe des Simplicissimus Halle 1880 S. XIX nach-
weist, erschien Grimmeishausens Hauptwerk. 1659 entstand wohl
aus der lange angenommenen Zahl 1669 als Erscheinungsjahr des
Simplicissimus. Freilich auch dann stimmt noch nicht, daß zwischen
Guzman (1616) und Simplicissimus (1659) etwa 30 Jahre vergangen
seien, wie Bayer erwähnt. — Nach Bayers Wortlaut (S. 292) müßte
man Broximus und Limpida für zwei verschiedene Romane von
Grimmeishausen halten.
— 12 —
geradezu geschJossene Diskursgruppen. In den übrigen
sechzehn ist vor lauter Reflexionen ein Fortschritt der Er-
zählung gar nicht mehr zu spüren. Wie wenig Albertinus um
die Handlung besorgt ist, erhellt z. B. daraus, daß er einmal
den Sprecher eines Diskurses abweichend vom Original un-
eingeführt läßt*).
Noch stärker als im ersten Buche tritt Albertinus' Ten-
denz im zweiten hervor, das auf jede Handlung verzichtet.
Ein Einsiedler belehrt Guzman ausführlich über Reue, Beichte,
Buße und empfiehlt ihm eine Pilgerfahrt, deren Ausrüstung
allegorisch beschrieben wird. Vielleicht hat Albertinus hier
eine katholische Analogie zur lutherischen Figur des christ-
lichen Ritters schaffen wollen ; die vielberufene Epheserstelle
und ihre Auslegung kannte der fromme Katholik natürlich,
wie ja auch das zehnte Kapitel von Lucifers Königreich
beweist.
Der buchhändlerische Erfolg seiner Bearbeitung, die von
1615 bis 1622 fünf Auflagen erlebte^), trieb einige Frankfurter
Spekulanten zu elenden Nachahmungen, einem dritten Teil
des „Gusman" und einer Übertragung der ,,Plcara Justina''.
Diese, nach einer gemeinsamen Vignette zu schließen^), wohl
in der gleichen Druckerei hergestellten Werke behielten die
Richtung des Albertinus bei, gaben auch spanische Herkunft
*) Der Landtstörzer Gusman von Alfarche oder Picaro ge-
nannt, . . . dnrch Aegidinm Albertinum . . . verteutscht theils ge-
mehrt vnd gebessert. Getruckt zu München, durch Nicolaum Hen-
ricum Anno MDCXV (Gusman 1615) Buch I Kap. 4 u. 5.
*) s. Schneider, Spaniens Anteil etc. S. 205 f. Schneider druckt,
S. 209, merkwürdigerweise ohne Quellenangabe, einen ganzen Ab-
satz aus Bobertag, Geschichte des Romans in Deutschland, Bd. II,
S. 24 f. über Aegidius Albertinus' Bearbeitung ah.
») Der Landtstörtzer Gusman von Alfarche oder Picaro ge-
nannt Dritter Teil Auß dem Spanischen Original erstmals anjetzo
verteutscht durch Martinum Prewdenhold, Franckfurt MDCXXVI
(Frewdenhold) Vorrede Bl. 2. — Die Landtstörtzerin Justina Dietzin
Picara, Franckfurt am Mayn MDCXXVI u. MDCXXVII (Land-
störtzerin Justina) S. 3.
— 13 —
vor, sind aber im Grunde nur aus fremden Bestandteilen
jämmerlich zusammengestoppelt, wozu offenbar weder Ver-
fasser noch Verleger sich öffentlich bekennen wollten.
Der Name des unfähigen Gusmanfortsetzers „Martinus Frew-
denhold" ist gewiß ein Pseudonym, und der Bearbeiter der
Justina nennt sich gar nicht.
Wenden wir uns zunächst dem dritten Teil des Gus-
man zu. Ein Recht auf diesen Titel kann man dem Buche
kaum zugestehen. Die Hauptperson führt zwar den Namen
Gusman, hat aber mit dem Gusman der Albertinusschen
Bearbeitung, geschweige denn mit dem Alemans, nichts gemein.
Der industrielle Autor zeigt in . der ersten Hälfte seinen
Helden auf einer Reise nach dem Orient, Japan und Amerika,
deren Beschreibung er ohne Skrupel wörtlich aus dem Reyß-
buch des Heyligen Landes abdruckt^). Die zweite Hälfte
enthält ein Reihe von Diskursen über Gusmans jeweiligen
Berufswechsel, und unvermittelt schließt das Buch mit einer
Bekehrung. Von eigentlich Pikarischem steht also nichts in
dem Machwerk, und selbst der marktschreierische Hinweis
des Titels auf ein spanisches Original ist falsch. Einzelne
Wortformen lassen vielmehr auf italienische Vorlage schließen,
wenn man das Ganze nicht lieber als eine Kompilation aus
deutschen Werken betrachten will. Von künstlerischer An-
ordnung ist natürlich keine Spur zu finden.
*) Frankfurt 1584. fol. Wie Frewdenhold compiliert, zeigt
folgende Vergleichnng : S. 25—65 und 69—96 stammen ans
Johann Helfferichs Bericht (EL 390a— 396a und 380a— 383b),
S. 96—131 aus des Bruders Felix Beschreibung derEeise des Johann
Werli V. Zimber und Genossen (Bl. 161a-166a). Von S. 140 bis
223 ist die Darstellung des bekannten Arztes Leonhard B^uwolf (Rauch-
wolff. S. Ratzel A. D. B. Bd. XX VIT, S. 462) benutzt. (Bl. 285 b bis
349a jedoch mit starken Auslassungen). Für die Schilderung Amerikas
und J^pan^ist die Quelle unbekannt. Bartbema (Goedeke, Grundriss
Bd. I S. 377) für Japan und Schmiedel, Federmann oder Stade
für Amerika kommen nicht in Betracht, da die bei Frewdenhold
vorkommenden Jahreszahlen 1582 (S. 271 für Japan) und 1599
(S. 256 für Amerika) nicht zu ihnen passen.
— u —
Ahnlich, wenn auch etwas besser, steht es mit der
Bearbeitung der „Justina". Ihr erster Band folgt im ganzen
Barezzos italienischer Übersetzung; der zweite dagegen ist
eine Sammlung von Novellen, für die ich auch italienische
Herkunft vermute und die sich zum großen Teil, nur anders
geordnet, in einer Boccaccioübersetzung von 1646 wieder-
finden'). Zu einem Abschluß kommt das Werk nicht Wie
der „Gusman" ist es reich an Moralisationen und lehrhaften
Partien.
Dieser unkünstlerisch auflösenden Eichtung gegenüber
vertritt ein einziger Mann das Interesse der Erzählung,
Nicolaus Ulenhart*). Er gab 1617 bei Nicolaus Heinrich
in Augsburg, wohl demselben, der 1615 als Nicolaus Henricus
in München den ,,Gusman" des Albertinus gedruckt hatte, eine
Übertragung des „Lazarillo'* und des „Rinconete y Cortadilla"
von Cervantes; beide Werkchen erfreuten sich einer Reihe
von Auflagen').
ülenhart legt mit einem gewissen Recht größeres Ge-
wicht auf die Novelle des Cervantes. Nicht nur, daß er
damit der deutschen Literatur eine wertvolle Neuheit ein-
verleibte, die bisher nur spanisch und italienisch erschienen
war, sondern, indem er diese Gaunemovelle in dem ihm
*) Ducento Novell a, Zweihundert newer Historien, Frankfurt
Schön wetter 1646. s. Bobertag Bd. I S. 89, Anm. 1.
*) Zwo kurtzweilige, lustige vnd lächerliche Historien, die
Erste, von Lazarillo de Tormes . . . Auß Spanischer Sprache ins
Teutsche gantz trewlich transferirt. Die ander, von Isaac Winckel-
f eider vnd Jobst von der Schneid, . . . Durch Niclas Vlenhart be-
schriben gedruckt zu Augspurg, durch Andream Aperger, In Ver-
legung Niclas Heinrichs MDCXVII. — Über ülenhart ist
bisher nichts bekannt geworden. Doch erlaubt sein Buch manche
Schlüsse. Die Vorrede (Bl. 4 b.) lehrt, daß er katholisch, aber
tolerant gegen die Lutheraner war. Er verstand Lateinisch (s. den
in der Vorrede zitierten Vers 343 der Horazischen Ars poetica) und
Böhmisch (S. 243). Wegen der Kenntnis Prags halte ich ihn danach
für einen Deutschböhmen und glaube nicht, daß man ihn mit Hein-
hardstöttner (A. D. B. Bd. XXXIX, S. 183) in Augsburg suchen darf.
•) S. Schneider a. a. 0. ö. 210.
— 15 —
wohlbekannten Prag ansiedelte, wurden mancherlei Um-
arbeitungen nötig, denen er sich mit Geschick unterzog.
Formal weit wichtiger aber ist die Wirkung des „Lazarillo'*
gewesen. Das unorganisch angehängte Kapitel von LazariUos
Umgang mit den deutschen Landsknechten, in Wahrheit der
mitgeschleppte Anfang einer frühen unberufenen spanischen
Fortsetzung, verschmelzt Ulenhart dadurch mit dem Ganzen,
daß er verstärkend den ersten Schluß wiederholt. Läßt das
Original Lazarillo als ruhigen Kleinbürger enden, so verall-
gemeinert Ulenhart LazariUos Ansehen bei den Landsknechten
so weit, daß der ehemalige PIcaro mit der Hoffnung abtreten
darf, dereinst noch Bürgermeister zu werden^). Man sieht,
Ulenhart komponiert bewußt.
Im ganzen also ist das Sciiicksal des pikarischen Romans
in Deutschland nicht das beste gewesen. Fremden Zwecken
unterworfen, hat er seine typische Gestalt nur zum Teil er-
halten und Realismus und Yolkstümlichkeit, die ihm in
seiner Heimat Erfolg beschert hatten, gänzlich eingebüßt.
Seine neuen Bestandteile haben zwar auch auf Grimmeis-
hausen gewirkt, der alten pikarischen Form aber blieb der
stärkere Einfluß vorbehalten. Sie zeigte sich in ülenharts
„Lazarillo" und in französichen und italienischen Übersetzungen.
Nur am Schlüsse hat des Albertinus Richtung den
pikarischen Roman formal bereichert. Der unfähige Martinus
Frewdenhold hat seinen dritten Teil des „Gusman" wirklich
zu Ende geführt, indem er, wenn auch ungeschickt, den
Helden sich bekehren läßt.
Der verlorene Realismus und die kräftige Volkstümlich-
keit in pikarischer Form erstanden neu, als Grimmeishausen
im großen Kriege ähnliche Zustände sah, wie sie die Ver-
fasser der novela picaresca nach den Maurenkämpfen in
Spanien angeregt hatten.
») Ulenhart. S. 179.
IL Die pikarische Form bei Grimmeishausen.
Die pikarische Form tritt im Simplicissimus deutlich
hervor, und besonders scheint mir „Lazarillo" fonnale Ein-
flüsse auf Grimmeishausen ausgeübt zu haben. War doch von
dem trefflichen Werk noch 1656 eine Übersetzung bei dem
bekannten Nürnberger Verleger Michael Endter erschienen *).
Nach spanischen Mustern erzählt auch Simplicius sein
Leben selbst, beginnend mit der Schilderung des Eltern-
hauses. Lazarillos Beispiel befolgt er, indem er nicht aus-
führlich die Schicksale der Eltern vor seiner Geburt berichtet,
sondern nur darstellt, was er selbst miterlebt hat. Die
listige Unehrlichkeit der spanischen Picaros wird zur un-
gebildeten Derbheit der deutschen Bauern, die in den Augen
des deutschen Publikums wohl ebensosehr einer Beschönigung
bedurfte, wie die Gaunerei in denen der Spanier. Grimmeis-
hausen verwendet hierfür die Form ironischer Lobrede und
berichtet in dieser Form auch noch über Simplicius' Er-
ziehung. Durch diese Zusammenfassung vereinfacht er die
Exposition vorteilhaft, ohne sie doch durch zu große Kürze
zu verflüchtigen. Über seine Erziehung selbst faßt sich
Simplicius kurz, wiederum gleich dem sparsamen Lazarillo,
im Gegensatze zu späteren pikarischen Romanen wie „Justina'^
„Buscon", „Estevanillo". Der Überfall des elterlichen Hofes
treibt den Knaben im zarten Alter, wie die Picaros, in die
Welt, und wie sie macht er trübe Erfahrungen in Hanau^
bevor er lernt, sich in das Leben zu schicken.
>) S. Schneider a. a. 0., S. 210.
— 17 —
Allein zwischen dem Bauemieben und der Ankunft in
Hanau steht, seltsam abstechend gegen die derbe Umgebung
von Krieg und Pagenschwänken, das friedliche Einsiedler-
idyll. Der fremden Sphäre des idealistischen Romans ent-
stammend, hat es, wie sich noch zeigen wird, seinen be-
sonderen Vorläufer in den Anfangspartien eines Romanos
von Balthasar Kindermann, der 1660 erschienenen „Unglück-
seligen Nisette"^).
Im Kontrast zu dem bisher Erzählten stellt es gleich-
sam eine Wiederholung des pikarischen Anfangs im Stil des
idealistischen Romans dar. Simplicius wächst bei dem Ein-
siedler, seinem leiblichen Vater, auf — freüich ohne ihn. als
solchen zu erkennen — bis dessen Tod und der Kriegslauf
den Knaben zum zweiten Male in die Welt stoßen. Nun
erst gelangt er nach Hanau.
Also eine Wiederholung desselben Motivs unter anderen
Gesichtspunkten.
Ahnlich steht es um den Schluß des Ganzen, nur daß
hier naturgemäß der heutige Schluß den anderen, wohl
ursprünglich geplanten verdrängt hat. Aber noch ist auch
dieser in kleinen Resten erkennbar.
Vom fünften Buche an soll Simplicius im behaglichen
Familienkreise dem Kriegsleben für immer Lebewohl gesagt
haben. Daher der Ankauf des Gütchens im Schwarzwald,
die kriegerischen Mißerfolge und die Heirat. Diesen Schluß
ändert Grimmeishausen jedoch um. Das vom berichtete
Eremitentum des Vaters wird auf den Sohn übertragen, und
mit diesen Einflüssen der „Nisette" treffen noch solche von
Erewdenholds „Gusman^', der gleichfalls in Reue und Bekehrung
endet, und von Philander von Sittewaldt zusammen, den
eine unechte Frankfurter Fortsetzung, 1644 bei Schönwetter
erschienen, Mönch werden ließ^).
^) S. unten S. 26 ff.
^) Gegen diese sowie andere Raabdrucke seiner Schriften wandte
sich Moscherosch im siebenten Gesicht des zweiten Teiles der
Straßburger Ausgabe von 1650 und besonders Schönwetter griff er
Palaestra LI. 2
— 18 —
Die Ehe stellt sich bald als unglücklich heraus; Frau
und Kind und auch der treue Hertzbruder sterben rasch
dahin, und Simplicius selbst nimmt sein leichtsinniges und
sündiges Leben wieder auf, nicht ruhebedürftig, sondern
„curiös", eine seinem Charakter bisher fremde Eigenschaft.
Er sucht nun geradezu Abenteuer, während er sie früher
nur nicht gescheut hat, und bevorzugt jetzt die wunder-
baren und ausländischen, wie die Erforschung des Mummel-
sees, die Reise nach Rußland und dem fernen Osten. Von
der Nichtigkeit des Lebens durchdrungen, zieht er sich nach
seiner Heimkehr in den Wald zurück.
Ein echt pikarischer Schluß also wird umgestaltet nicht
ohne Einfluß des idealistischen Romans, jedenfalls aber in
seinem Stil.
Die Frage drängt sich auf, ob nicht der doppelte Ein-
gang, der gleich dem Schlüsse Elemente des pikarischen
Romans mit solchen des idealistischen mischt, gleichfalls in
zwiefacher Konzeption entstanden ist. Und dem scheint
wirklich so, wenn man den Faden betrachtet, der über das
Ganze hinw^eg Anfang und Schluß besonders verknüpft:
der Knän erscheint gegen Ende des Romans wieder und
klärt Simplicius dahin auf, daß er nicht sein, sondern des
Einsiedlers Sohn sei. Spuren finden sich, daß an Stelle
dieses Motivs ursprünglich eine echte Anagnorisis durch
ein bisher verborgenes Merkmal geplant war, wie sie im
idealistischen Roman nicht selten ist, z. B. auch in der
Nisette. Der Knän berichtet von etlichen „Paternoster,
Edelgesteinen und so Geschmeiß", die Simplicius' Mutter
bei der tödlich verlaufenden Niederkunft den Bauern für
ihr Kind gegeben^), und bei dem Überfall kommen diese
schon im sechsten Gesicht des ersten Teiles dieser Aasgabe als
Hübstwetter an nnd rechnete ihn und andere Nachdrucker zn den
Höllenkindem. (Bd. I S. 377.)
>) Simplicius Simplicissimns, Buch V, Kap. 8, S. 400, Z. 34.
Ich zitiere den Simplicissimns nach der Ausgabe von Koegel,
Halle 1880, Nr. 19—25 der Neudrucke deutscher Literaturwerke
— 19 —
Pretiosen wieder ans Licht: der Schatz des Enän sei an
Gold, Perlen und Kleinodien viel reicher gewesen, als man
hinter den Bauern hätte suchen mögen ^). Ja, Simplicius er-
zählt dem Einsiedler sogar von diesen Kostbarkeiten').
Liegt da der Gedanke an eine früher geplante echte Ana-
gnorisis durch ein Schmuckstück nicht nahe? Aber Grinmiels-
hausen hat das für den pikarischen Roman unwahrschein-
liche Motiv abgeschwächt : an einer leicht sichtbaren Warze
erkennt Simplicius den Knän wieder, und zu größerer
Glaubwürdigkeit offenbart der Alte, nachdem ihm Simplicius
mit Wein die Zunge gelöst hat, das wichtige Geheimnis,
ohne zu ahnen, mit wem er spricht Der Leser freilich ist
auf diese Enthüllung schon längst vorbereitet durch die
Erzählung des Pfarrers*) und durch immer wiederkehrende
Anspielungen auf Simplicius' ihm selbst doch unbekannte
edle Abkunft*). Für uns ist es überflüssig, daß Simplicius
sich seinen Pflegeeltern gegenüber nochmals durch ein
Muttermal auf der Brust legitimiert, ein Zug, der wohl der
alten Anagnorisis entstammen kann*).
Eine ähnliche Abschwächung der Effekte zu größerem
Realismus hat aber auch die Kgur des Einsiedlers erfahren.
Während Kindermann nur die Mühseligkeit und die Welt-
flucht einsiedlerischer Lebensweise betont, beschreibt
Grimmeishausen auch noch in einem eigenen Kapitel
realistisch, wie Simplicius mit dem Eremiten den Tag ver-
bringt und wie sie ihren Lebensunterhalt gewinnen, nämlich
auch mit Feldarbeit, nicht nur mit Beten*).
des XVI. and XVII. Jahrhunderts, die übrigen simplicianischen
Schriften nach der Aasgabe von Knrz, Leipzig 1863/64, Bd. 3^6
der Deutschen Bibliothek.
>) Simpl. I. 4, S. 17, Z. 8.
«) Simpl. I. 8, S. 25, Z. 6.
•) Simpl. I. 22, S. 59 f. u. I. 23, S. 63 f.
*) So Simpl. n. 25, S. 167, Z. 8, lEI. 12, S. 239ff., m. 17,
S. 261, 25.
*) Simpl. V. 8, S. 401, Z. 22.
•) Simpl. I. 11, S. 29ff.
2*
— 20 —
Diese Anpassungen idealistischer Motive lassen zum
mindesten die Priorität eines pikarisch-realistischen Planest
erschließen, und die kleinen Reste früherer Ausgleichs-
versuche legen den Gedanken an doppelte Konzeption
sehr nahe, zumal auch die heutige Form noch verwickelt
genug ist Bei einem Vergleich mit der „Landstörtzerin
Courasche" gewinnt diese Vermutung an Wahrscheinlichkeit.
Simplicissimus trägt die Spuren der Verschmelzung. Wie
die gemeinsame Konzeption eines pikarischen Anfangs und
einer Enthüllungsgeschichte aussieht, zeigt die Einleitung
der „Courasche'', die freilich weniger sorgfältig und geschickt
als die des Simplicissimus ist Die pikarische Form bleibt
nur zum kleinen Teil erhalten: Courasche erzählt selbst, be-
ginnend mit ihrer Kindheit im Hause der Kostfrau. Von
Anfang an habe sie gewußt, daß diese nicht ihre Mutter
sei. Niemand erstaunt nun mehr, im zehnten Kapitel, ohne
alle Umschweife und ohne daß geheimnisvolle Andeutungen
vorhergegangen wären, zu erfahren, daß Courasches Eltern
ein Graf und eine ,Staads-Jungfer' seiner Gemahlin sind.
Das einzige Mittel der Spannung, Courasches Neugier auf
ihre Abkunft, versagt, da der Leser genug daran weiß, daß-
Courasche zwar fern von ihren Eltern, aber doch wie reicher
Leute Kind erzogen wird. Die im Simplicissimus so wirk-
same Enthüllung hinterläßt in der „Courasche" keinen Ein-
druck, weil sie nicht genügend ausgearbeitet ist. Die Ver-
schmelzung zwiefacher Konzeption gebot notwendig bedächtige
Arbeit; die einfache Konzeption der „Courasche" dagegen
verführte zu schnellerer Erledigung.
War am Anfang dadurch, daß alles auf die pikärische
Erzählung abgestimmt erschien, Harmonie gewonnen, so ist
am Schluß nur technische Einheit erreicht Der Bruch in
Simplicius' Charakter, der jähe Übergang vom altmodischen
Plcaro zum curiösen Reisenden blieb, und die Wandlung
erhielt sich auch in dem nachgetragenen sechsten Buch,
— 21 —
das den bindenden Schluß des fünften Buches wieder zu
nichte machte. An der Echtheit dieses Buches zweifelt
heute niemand mehr, doch geht Tüngerthal*) zu weit, wenn
er es zum ursprünglichen Plane schlägt. Setzt doch der
Schluß des sechsten Buches den des fünften technisch
geradezu als bindend voraus: Grimmeishausen hat von Ulen-
hart gelernt, ein bereits abgeschlossenes Werk nochmals zu
beenden. Wie Ulenhart verstärkt Grimmeishausen Motive
vom Finale des fünften Buches, um dadurch dem des sechsten
höhere Gültigkeit zu verleihen. Das Einsiedlerleben im
Schwarzwald war noch nicht weltfern genug gewesen;
darum führt Grimmeishausen seinen Helden auf eine ein-
same Insel und erfindet so die erste Robinsonade der
deutschen Literatur. Am Anfang seines Erstlingswerkes,
des „Fliegenden Wandersmannes nach dem Mond", dem eine
französische Übersetzung des englischen Originals von
Francis-Godwin zugrunde lag^), war das Motiv schon an-
gedeutet, sodaß Grimmeishausen nur einige Änderungen
vorzunehmen brauchte, um die echte Robinsonade zu er-
reichen; denn das war die Vorlage noch nicht. Domingo
Gonsales, der fliegende Wandersmann, wird mit einem Ge-
fährten auf St. Helena ausgesetzt. Den curiösen Reisenden
Simplicius aber konnte, abenteuerlicher und daher besser,
ein Sturm auf die einsame Insel verschlagen. Aus dem
Diener des Gonsales wird der Schiffszimmermann im Sim-
plicissimus. Die Schilderung der Insel aber konnte bis in
Kleinigkeiten hinein bestehen bleiben.
*) Programm der städtischen Realschule zu Bielefeld 1902, S. 13.
*) S. Kurz in semer Einleitung zu den simplicianischen
Schriften, Bd. I S. XXV.
IIL Vorfabel, Nachholungen und Wiederholungen.
Am Anfang und am Ende des Simplicissimus sahen
wir Elemente des pikarischen und des idealistischen Bomanes
sich mischen, aber trotz des Sieges pikarischer Form über den
fremden Inhalt blieben dem Einsiedleridyll Reste idealistischer
Komposition.
Der idealistische Roman liebt es im allgemeinen nicht,
wie der pikarische, die Vorgeschichte gleich an den Anfang
zu stellen, sondern er holt sie meist nach. Das Verfahren
ist alt. Im griechischen Roman findet es sich vereinzelt^),
in den mittelalterlichen Epen nicht selten, und die modernen
Romane bilden es fort. Huet, der erste Theoretiker der
Gattung, ein Zeitgenosse des historisch galanten und des
Schäferromans, hielt es daher für das einzig richtige ^). Dem
allerdings gewichtigen Vorteil des Zurückdrängens der Vor-
fabel bei dieser Technik stand doch die Gefahr gegenüber,
daß man Vorfabel und Haupthandlung nicht genügend
schied und diese wesentiich schädigte, indem man ihren An-
fang abschnitt und nachholte. Auch Barclais Geschick-
lichkeit hat diese Gefahr in der „Argenis" nicht überwunden.
Zu Anfang des Romans, nicht erst nachholend in seinem
Verlauf, mußte geschildert werden, wie Poliarchus und
Argenis einander kennen lernen.
*) S. Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer,
2. Aufl. 1900. S. 474.
2) Huet, Traite de POrigine des Romans, der Zayde von M^ de
Lafayette als Vorrede beigegeben.
— 23 —
Die regelmäßige Form solcher Nachholungen war die
eingeschobene ausführliche Icherzälilung, indem entweder
eine Hauptperson des Bomans eigene Schicksale berichtete,
wie in der , JSJisette'^ *), der „Eosemund" Zesens*), oder indem,
wie in der „Argenis"'), in Zesens „Assenat"*), im „Francion'' von
Charles Sorel*), in Grimm elshausens „Proximus und Lympida"®),
ein Diener, eine Freundin, die Geschichte des Herrn, der
Herrin vortrug. Das Ende der Icherzählung hebt gerne der
Anschluß an die Haupthandlung ausdrücklich hervor.
Schob man solche Nachholung weit in den Roman
hinein, wie Barclai in der „Argenis'' oder Assarini im „De-
raetrius" und in der „Stratonica", so mußte ein großes Stück
in sich selbst begründet sein, also auf die Vorgeschichte ver-
zichten. So entwickelte sich die bequemere Form, gleich
nach der ersten Szene die Vorfabel zu erzählen. Man
konnte dann den Leser in medias res führen und mit einem
kräftigen Effekt das ganze Werk eröffnen, wie es in Sorels
„Francion", in der „Arcadia" oder in der „Nisette" geschah. Der
nun folgende Bericht brachte in übersichtlicher Geschlossen-
heit die Vorfabel, ohne das auf der Schwelle eroberte
Interesse allzusehr von dem eigentlichen Boman abzulenken.
Hierbei verfiel man freilich leicht in den Fehler einer
allzuschweren Belastung des Portals. Bedurfte nur die
») Kurandors Vnglückselige Nisette o.0. 1660, Buch I, Kap. 2, S.9.
^) Phil. V. 2jesen, Die adriatische Bosemond ed. Jellinek HaUe
1899. Neudrucke No. 160-163, S. 38ff.
^) Jüan Barclai Argenis Verdeutscht durch Martin Opitzen.
Amsterdam, Bey Johan Jansson 1644, Bd. I, Buch HI, Eap. 7,
8. 328 ff., Buch IV, Kap. 9 S. 496.
«) Eilips von Zesen Assenat Nürnberg 1672, S. 23 u. S. 55.
*) „Wahrhafftige vnd lustige Histori, Von dem Leben des
Erancion . . . MDCLXII", davor ein Bildertitel, „Lustige Histori von
dem Leben des Erancions (so) Eranckfurt. In Verlegung Thomas
Mathias Götzens Anno 1663''. (Königl. Bibl. Berlin Xx 3984. In
Goedekes Grundriß nicht verzeichnet.) Buch 11, S. 138.
") Proximus und Lympida. Gesamtausgabe 1695, Bd. m, 8. 370,
Buch n, Kap. 1.
— 24 —
erste Szene einer nachträglichen Aufklärung, so war damit
ein Anlaß zur Exposition des Ganzen noch nicht gegeben,
und wie sehr man in diesem Punkte der Anlage schaden
konnte, zeigt der „Francion", der zwar gut und flott erzählt,
aber ungeschickt komponiert ist^). Den eigentlichen In-
halt bildet ein Novellenthema, Francions Liebe zu der
schönen Nais, aber dahin führt erst eine lange, überladene
Exposition, die von den zwölf Büchern sieben umfaßt Die
erste Szene, ein derber Schlager, dient ohne Zusammenhang
mit. dem Ganzen nur als Notnagel für die Vorgeschichte.
Ihr realistischer Inhalt ist dem Autor wichtiger als Francions
spätere Liebe, und nur die Tradition des galanten Romans
ließ ihn wohl noch diese idealistische Erotik anhängen, die
formal doch das Hauptthema ausmacht^).
Ein solche konventionelle und bequeme Form wurde
manchem Stoff wider seine Natur aufgezwungen, so dem
Josefstoff in Zesens „Assenat'\ Zesen führte mit der „Rose-
mund'' die Form auch in den Problemroman ein, in dem sie
durch Vorwegnähme von Resultaten leicht der spannenden
Entwicklung Abbruch tat. Assariiii, dessen „Stratonica" jenes
antike Thema von der Liebe des Königssohnes zur Stief-
mutter behandelt, hatte das Problem selbst chronologisch
angelegt und nur den damit verquickten politischen und
historischen Intrigenroman in später Nachholung exponiert').
Grimmeishausen, dem später in „Dietwald und Amelinde" die
organische Verbindung von Problem und Geschichte miß-
lang, verfuhr gleichfalls chronologisch. Zesens Streben zielte
wegen der inneren Entwicklung auf den Problemroman.
Er trat 1644 als Erzähler auf mit der Übersetzung von
*) Vgl. Lansons treffendes Urteil in seiner Histoire de la
litterature fran^aise, 5. Auflage 1898, S. 385.
*) Daß die ersten sieben Bücher, die 1622 in einer ver-
schollenen Ausgabe allein erschienen, einmal zu strengerer Einheit
gefügt gewesen seien, widerlegt Emile Roy, Etüde sur Charles
Sorel, Paris 1891, S. 62.
») Verteutschte Stratonica, Amsterdam 1666, S. 176 und 234.
— 25 —
d'Audiguiers „Lysander und Kaliste", gewiß nicht blind gegen
d^n entstellten sittlichen Konflikt. Schon ein Jahr später
erfaßte er in der „Rosemund^' ein Problem deutlicher und
vollzog den technischen Fortschritt, die übliche Form der
Nachholung der Vorgeschichte ohne Schaden für das Pro-
blem anzuwenden: wir hören sogleich von Markholds und
Rosemunds Liebe, aber erst die Vorgeschichte, die Markhold
erzählt, stellt das Hindernis der Liebe und damit das Problem
klar. Auch in Zesens reifstem Werke, der „Assenat", interessiert
ihn das Problem von Sefiras unglücklicher Liebe zu Josef am
meisten, und er widmet dieser Schilderang das ganze dritte
Buch, das beste des Romans; aber sein formaler Gewinn
von der „Rosemund^' her blieb hier verborgen, da Sefira keine
Hauptperson war.
Gern wurde die Vorgeschichte unterbrochen, nicht nur
damit der Leser die Haupterzählung festhalte, sondern auch
um einzelne Teile der Vorfabel klar voneinander abzu-
heben. Darin ist Barclais „Argenis'' musterhaft, die zwei
große Berichte dem früheren Schicksal der Hauptpersonen
widmet: von Argenis' Standpunkt aus teilt ihre Pflegerin
Seienisse dem werbenden Könige Radirobanes mit, Avas sich
seit Poliarchus' Ankunft zwischen Argenis und diesem be-
geben hat; Poliarchus' Kindheit erfährt sein getreuer Freund
Arsidas, als er ihn sucht, durch einen Schiffskapitän ^).
Selenisses Vortrag zerfällt durch Unterbrechungen wieder
in vier Abschnitte: 1. Theocrines Erlebnisse bis zur Ankunft in
Sizilien, von Seienisse derTheocrine selbst in den Mund gelegt;
Icherzählung in einer anderen Icherzählung. 2. Theocrines
Heldentaten. 3. Theocrines und Poliarchus' Identität. 4. Poli-
archus' Auftreten als Mann bis zur Abreise aus Sizilien.
Nach dem zweiten Abschnitt ist die Unterbrechung stärker,
und die Liebesszene zwischen dem plötzlich eintretenden
Poliarchus und der Argenis macht den folgenden Aufschluß,
») Argenis in. 7 ff., S. 328 nnd IV. 9 ff., S. 496.
— 26 —
Theocrine sei Poliarchus, um so wirksamer. Außerdem
werden dadurch Poliarchus' Erlebnisse in seiner Mädchenrolle
und als Mann besser geschieden.
In dem zweiten großen von Poliarchus allein handelnden
Bericht macht der Zuhörer durch Einwürfe den Leser auf
alle Ähnlichkeiten zwischen den Schicksalen des Astiorist
und denen des Poliarchus aufmerksam und bereitet so die
Entdeckung ihrer Identität vor^).
Auch die Vorgeschichte unmittelbar nach der ersten
Szene konnte in mehreren Abschnitten gegeben werden.
Sorel im „Francion'^ sucht ohne rechten Erfolg der Über-
lastung des Eingangs zu begegnen, indem er Francions lange
Erzählung durch die Geschichte Laurettes unterbricht. Der
Hauptfehler, daß Vorgeschichte und Eoman in ihren Ele-
menten nicht zusammenstimmen, blieb.
Barclais geschicktere Anordnung nach Gruppen fand
manche Nachahmer. Zesen disponierte die Vorfabel der
„Assenat", Kindermann die der „Nisette" durch Zerlegung in
zwei Abschnitte nach dem Beispiele der „Argenis"^). So
entsteht eine parallele Anordnung. Josef erfährt im ersten
Buch Assenats Leben, im zweiten deren Freundinnen die
Geschichte Josefs'). Kindermann teilt nicht nach einzelnen
Personen, sondern nach Paaren: Artafemes und Nisette,
Pasimethes und Hypsipile. Die Geschichte des ersten Paares
gibt Artafemes, die des zweiten Hypsipile; beide Vorträge
sind durch Begegnungen motiviert*). Auf die erste müssen
^) Z. B. Argenis S. 497. S. 513.
^) Die Nisette ist in Stoff und Ban abhängig von der Argenis.
Beide Romane spielen zu gleicher Zeit, nnd behandeln Aufstände
in Sizilien, wobei die Führer der Aufrührer einander stark ähneln, ganz
besonders in einer Rede, die sie vor der Entscheidungsschlacht
an ihre Truppen halten. Femer stimmen kleinere Züge überein,
wie der Abschied der Argenis von Poliarchus zu dem der Dorisophe
von ihrem Geliebten, und die E«ttung des Poliarchus von einem
Felsen im Meer zu der des Seusippus.
') Assenat S. 23 und S. 55.
*) Nisette I. 2 und 4, S. 9 und S. 31.
— 27 —
wir etwas näher eingehen, da sie das Muster für Simplicius'
Zusammentreffen mit seinem Vater geworden ist. Hier wie
dort wird ein Einsiedler von einem nahen Verwandten im
Walde aufgefunden. Beide Einsiedler erstaunen über die
Ankömmlinge, Simplicius' Vater über den Ton der Sackpfeife,
Nisander über menschliche Stimmen und das Pferd; die
beiden Verirrten fallen in Ohnmacht, Simplicius vor körper-
licher Erschöpfung, Artafemes vor Liebeskummer; in beiden
Szenen wird ohne Wissen des Sängers ein Lied belauscht
In der „Nisette" führt es das Zusammenfinden herbei; aber
weshalb weiß Grimm elshausens Einsiedler nicht, daß Simplicius
ihn hört? Man hat den Eindruck, auch im Simplicissimus habe
das Lied ursprünglich die Entdeckung bewirken sollen. Ganz
klar wird die Ähnlichkeit im Bau beider Szenen durch die nun
folgende Vorgeschichte, besonders die Exposition der Szene.
Artafemes erzählt in wohlgesetzter längerer Rede dem Bruder
sein Lehen, und damit gewinnt der Anfang der „Nisette" die
typische Form. Simplicius dagegen, das verängstete und
hilflose Kind, kann unmöglich so zusammenhängend be-
richten; deshalb löst Grimmeishausen seine Erzählung in
Dialog auf, der im ganzen Roman der Zeit seinesgleichen
nicht hat^). In der uns vorliegenden Fassung gibt dieser
Dialog nur eine Wiederholung bereits geschilderter Tatsachen,
und zwar die ausführlichste unter den wenigen, die Grimmeis-
hausens sichere Technik passieren läßt. Weiter in den
Roman hineingeschoben, würde eine so breite Wiederholung,
gliche sie auch an Reiz diesem entzückend frischen Gespräch
zu viel Raum einnehmen; und Grimmeishausen wagt sie
darum nicht zum zweiten Male. Weshalb jedoch wagt er
sie hier? Weshalb läßt er nicht den Helden, der allge-
meinen und seiner eigenen Technik gemäß, mit kurzen,
dürren Worten nur sagen, daß, nicht aber wie er dem Ein-
*) Zn vergleichen an Kiiappheit m Rede und Gegenrede ist
höchstens die grobe Scheltszene zwischen Mann nnd Weib in
Moscheroschs Gesicht „Weiberlob^*, wo gleichfalls Erzählung in
dramatischen Dialog übergeht. Bd. II, 344 ff. der Ausgabe von 1650.
— 28 —
Siedler in seiner kindlichen Art sein Unglück erzählt habe?
Die Anfangsszene der „Nisette" wird diese Wiederholung herbei-
geführt haben. Und wie es wahrscheinlich ist, daß das
Lied vom Morgenstern einst Yater und Sohn vereinigte, so
mag auch dieser wiederholende Dialog in glücklicher An-
passung an Simplicius' kindlichen Charakter aus einem ge-
schlossenen Bericht mit schon bekanntem Inhalt, wie er
im idealistischen Roman typisch war, entstanden sein. Die
pikarische Urform nach Art des „Lazarillo" wäre dann in
einer neuen von der „Nisette" abhängigen Phase überflüssig
geworden, und erst ein drittes Stadium hätte beide Formen
verschmolzen. Also auch hier eine Absch wächung idealistischer
Motive zugunsten der Wahrscheinlichkeit.
In der ,,Nisette" wie im Simplicissimus wird aber die
Vorfabel noch vervollständigt; dort durch die Geschichte
des zweiten Liebespaares, hier durch den Bericht des
PfaiTers in Hanau über den Einsiedler und seine Gemahlin^).
Beide Romane enthüllen dazu gegen Ende verwandtschaft-
liche Beziehungen, was in der Nisette als echte Anagnorisis
erscheint, im Simplicissimus als solche noch aus Spuren
älterer Entwicklungsstadien zu vermuten ist^). Die Ana-
gnorisis gehört ja zu den Hauptrequisiten des idealistischen
Romans. In der „Arcadia", der „Argenis'', der „Nisette" findet
sie sich, und es ist deshalb wahrscheinlich, daß Grimmeis-
hausen dies dem pikarischen Roman fremde Motiv, ehe er
es umarbeitete, aus jener Sphäre entlehnt hat. Wie
Grimmeishausen dem Realismus seines Werkes zu Liebe
das abenteuerliche Motiv wahrscheinlicher gestaltete, ist oben
gezeigt worden. Der Leser ahnt den Zusammenhang
zwischen dem Einsiedler und Simplicius, längst ehe die Er-
zählung des Knäns es ihm bestätigt. Die beiden Berichte des
Pfarrers über den Einsiedler und seine Gattin zusammen
mit einer Menge von Anspielungen auf Simplicius' adelige
1) Simpl. I. 22 u. 23, S. 59 u. 63.
«) S. o. S. 18.
— 29 —
Abkunft^), die Abschiedsworte des sterbenden Einsiedlers
„Mein lieber und waarer einziger Sohn (dan ich habe
sonsten keine Creatur als dich, zu Ehren unsers Schöpffers
erzeuget)'^ ^), Simplicius' Ähnlichkeit mit der Schwester des
Gouverneurs, eben der Gattin des Einsiedlers,- die ihn den
beiden Männern so lieb macht'), lassen den Leser die Ent-
deckung geradezu verlangen. Der idealistische Eoman be-
reitete nicht so sorgfältig vor. Das Kästchen der Hyanisbe
in der „Argenis"*), des Gobrias' Erzählung*) tun doch nicht
die gleiche Wirkung, denn sie stehen zu vereinzelt und
wirken zu direkt. Gerade die Mischung von Natürlichem
und Geheimnisvollem im Simplicissimus zeigt Grimmeis-
hausens Kunst. Auch in der „Nisette" war die Vorbereitung
minder berechnet. Abgesehen von der Ungeschicklichkeit,
dem Leser durch das Personenregister vom jede Spannung
des Erratens zu rauben**), ist auch hier die Vorbereitung
zu massig, und deshalb wirkt die Prophezeiung des Alten
in der Höhle nicht geheimnisvoll'). Gerade sie hat freilich
trotzdem Grimmeishausen beeinflusst. Auch Simplicius er-
hält, unter die Erdoberfläche vorgedrungen, eine plötzliche
Nachricht über seine Abkunft^), und gleich Artafemes erstaunt
er, nicht der zu sein, für den er sich hält. Bei Grimmeis-
hausen ist diese Szene nur das Glied einer Kette und verliert
dadurch an Wirkungskraft. Gleichwohl wäre für ihn eine
rasche Enthüllung unvermeidlich gewesen, wenn er nicht
gerade hier, bei der stärksten Vordeutung, sagenhafte und über-
sinnliche Elemente eingeschoben hätte. Im Augenblick der
Prophezeiung steht Simplicius auf dem Gipfel seines Lebens
als Jäger von Soest. Er verkehrt nicht mit seinen Kameraden,
>) S. o. S. 19, Anm. 4.
«) Simpl. I. 1^, S. 34, Z. 18.
») Simpl. I. 23, S. 63, Z. 31. IL 14, S. 134, Z. 2.
*) Argenis n. 11, S. 193 f. V. 18, S. 728 f.
^) S. o. S. 25, Anm. 1.
®) Nisette letztes Blatt vor S. 1.
') Nisette Buch IH, Kap. 3, S. 280.
8) Simpl. in. 12, S. 239, 13ff.
- 30 —
sondern mit seinen Vorgesetzten; sein verheißungsvolles
Streben geht auf eine Offizierstelle und auf Ruhm. Wäre
jetzt dem stolzen Jäger vornehme Herkunft glaubwürdig
nachgewiesen, er hätte den Adel aufgenommen, sich durch
eine Enthüllung nicht mehr überraschen lassen, und der
Aufklärung zum Schluß würde die Spitze abgebrochen
worden sein. Aber was achtet der tatkräftige Reiter auf
Sagen, auf Erzählungen von Bauern ? Trotz augenblicklichen
Staunens hat er sie bald vergessen, und niemand erwartet
eine baldige Hebung des Schleiers.
Hat sich also die Entdeckung von Simplicius' wahrer
Abstammung, ursprünglich eine echte Anagnorisis, bis in
Einzelheiten der Vorbereitung vom idealistischen Roman,
speziell von Kindermanns „Nisette", abhängig erwiesen, so ist
wohl anzunehmen, daß sie zugleich mit anderen Motiven
dieses Stoffkreises aufgenommen ist und dem ursprünglichen,
rein pikarischen Plane gefehlt hat. Dazu paßt auch die Ver-
mutung, daß Simplicius' Vater, der Einsiedler, wie oben ge-
zeigt*), mit allen Beziehungen erst einer zweiten Konzeption,
wieder unter Einfluß der „Nisette'', entstammt. Demnach wäre
Simplicius im ersten Plane wirklich ein Bauernsohn gewesen,
und ganz passend hätte er auch als Landmann sein Leben
beschlossen. In dem ersten Entwurf brauchte also der Knän
die Vernichtung seines Hofes nicht zu überleben Damit würde
einerseits der Anfang dem des pikarischen Romans angenähert,
anderseits der Anschluß an eine literarische Quelle des Über-
falls wahrscheinlich, nämlich an Greflingers Schicksal, das uns
die Celadonische Musa berichtet. Der spätere Eibschwan
und Ordensgenosse Kindermanns hütete als Knabe die Schafe,
als sein elterliches Gut ütyörfallen und geplündert und sein
Vater erschossen wurde.*) Der Einwand, Grimmeishausen
schreibe im„Ewig-währenden Calender" dieses Jugenderlebnis
sich selbst zu, scheitert daran, daß die Kalendemotiz nur
») S. o. S. 18 f.
*) Oettiiigen, Über Georg Greflinger von Regensburg, Straßburg
1882(Qr.6d.49) S.ö und Celadonische Musa. ColnmbmBBegleit^edicht.
— 31 —
auf Simplicius, nicht auf den Verfasser bezogen werden
darf und daß mit ihr nur die Entführung durch Kroaten,
nicht der Überfall des väterlichen Hofes gemeint sein kann^).
Auch Bestandteile der eigentlichen Fabel wurden wohl
in Icherzählungen erst nachträglich mitgeteilt, und die
Schwierigkeit lag dabei im Streben der Autoren, zwei Ich-
erzählungen in Parallele zu setzen, ohne Bekanntes zu
wiederholen. Denn da der Leser bei der beliebten Moti-
vierung durch ein Zusammentreffen fast stets den einen
Erzähler bis zur Begegnung verfolgt hat, durften dessen
Erlebnisse nur ganz kurz wiederholt werden, und die ver-
schiedene Länge beider Berichte störte den Parallelismus.
Kindermann in der „Nisette" z. B. hebt ihn gänzlich auf,
indem er die zweite ganz kurze Erzählung der Nisette-
Seusippus mit schon bekanntem Inhalt unter der Wucht
des ersten, durch die Geschichte des Albertus überladenen
Berichtes des Artafernes erdrückt*). Weit geschickter ist
der offenbar bewußte Verzicht Zesens auf Parallelismus in
der „Rosemund" ^). Durch eine Mittelsperson, den Diener,
1) Ewig -währender Calender 1670, S. 46 Kol. 2. Die Be-
ziebnng nur anf Simplicius ergibt sich ans der Überschrift, die der
„wabrbaffte Bericht vom Erfinder dieses Calenders, samt etlichen
Instigen Erzeblnngen, die er von Simplicissimo, der diesen Calender
geschrieben, gesamblet and hiemit dem cnriosen Leser wider
mittbeilef' trägt
») Nisette Buch ü, Kap. 8, S. 196-217. Der Znsammenhang
der Geschichte des Albertus mit dem ganzen Boman läßt sich nur
ahnen. Albertus wird im Personenverzeicbnis des Eomans als ein
„vermeinter deutscher von Adel" genannt. Den Namen Albertus
aber trägt auch unter den gegen Ende des Eomans von der Lao-
dicea aufgeführten Kindern des Leontes eins, das sonst nirgends,
fiicht einmal in der Anagnorisis des Schlusses, erwähnt wird.
Man kann also wohl annehmen, daß jener vermeinte Deutsche
von Adel des Personenverzeichnisses der Sohn des Leontes ist.
Dann würde Artafernes der Nisette von dem Ende ihres ihr un-
bekannten Bruders erzählen.
*) Adriatische Bosemund S. 87.
— 32 —
dem er über sein eigenes Leben keine Rechenschaft schuldig
ist, erfährt Markhold von Eosemunds Schäferleben. Zesen
zog dem wohl möglichen schriftlichen Bericht (der Diener
bringt Markhold einen Brief Rosemuuds) den traditionellen
mündlichen vor. D'Audiguier in „Lysander und Kaliste" hat
bereits früher selbst berichtet, was sich mit jedem der
beiden Freunde Lysander und Kleander vor ihrer Begegnung
im Kloster begeben hat, und kann deshalb den Parallelismus
durch zwei kurze Rekapitulationen in indirekter Rede wahren*).
Die echte Icherzählung hat als Vorbild gedient, aber der
Ersatz kommt ihr an Gewicht nicht gleich.
Am geschicktesten hilft sich Grimmeishausen, indem er
zwei verschiedene Begegnungen mit einander in Parallele
setzt^) und sich dadurch Simplicius' Antwort auf Oliviers und
Hertzbruders parallele Darstellungen erspart Beider Schick-
sale und Charaktere dienen Simplicius als Spiegelbild und
als Kontrast. Schaudernd erkennt er an Oliviers Ver-
worfenheit, wie tief er selbst gesunken ist; und Hertz-
bruders Bravheit führt ihn zur Reue. Den Olivier läßt
Grimmeishausen zur stärkeren Wirkung mit den Schand-
taten seines ganzen Lebens prahlen; Hertzbruder dagegen
erzählt bescheiden nur von dem Verluste seines Beines, wobei
seine Tapferkeit sich offenbart. Olivier erhält als erster das
Wort und berichtet ausführlicher als Hertzbruder. Dennoch
leidet der Parallelismus nicht unter dem verschiedenen Um-
fange der Erzählungen, da sie einander nicht unmittelbar
folgen. Olivier bringt das pikarische Element reiner als
irgend sonst im Roman zur Geltung; Hertzbruder bleibt bei
dem alten soldatischen Motivkreise. Oliviers Geschichte ist,
abgesehen von Unterbrechungen durch Simplicius, die an
die Situation mahnen, auch sonst geschickt in das Ganze
versponnen: der alte Bandit und Übeltäter enthüllt sich
^) Liebes-begchreibnng Lysanders und Kalisten. Amsteldam
bey Ludwig Elzevieren. 1644. Buch V, S. 139.
») Simpl. IV, 18ff., S. 345ff. und IV, 26, S. 368, Z. 39ff.
— 33 —
nicht nur zu Simplicius' Erstaunen als der siegreiche Eival
Hertzbruders vor Magdeburg und als Anstifter des Gaukel-
spiels, durch das Simplicius Freund als Dieb des goldenen
Bechers dargestellt wird, sondern ist zu des Lesers Über-
raschung auch der Jäger von Werle gewesen, dem Simpli-
cius eine derbe Lektion erteilt hat. Hertzbruders kürzere
Erzählung bedarf so effektvoller Verknüpfung nicht. Die
beiden Freunde sind sich nie unerkannt entgegengetreten,
und so kann Grimmeishausen auch durch einen Hinweis
Hertzbruders auf seine Mitteilungen beim letzten Zusammen-
treffen die Ausführlichkeit vermeiden.
Hatte Grimmeishausen nun auch glücklich den Parallelis-
mus erreicht, so blieb die bekannte Gefahr in den Antwor-
ten Simplicius', wenn auch geringer, bestehen. Es genügt
ihm aber nicht, sich mit der üblichen wohlfeilen Bemerkung
seines Helden „Auch ich erzählte nun meine Geschichte"
aus der Schlinge zu ziehen, sondern Hindernisse für Sim-
plicius' Erzählungen erwachsen aus der Situation: Simplicius
hebt gerade zur Erwiderung auf Oliviers Bericht an, da
lenkt die ei'scheinende Kutsche die volle Aufmerksamkeit
der Straßenräuber auf sich^); und zwischen Hertzbruder und
Simplicius macht das Ab- und Zugehen des Wirtes eine
vertrauliche Unterhaltung unmöglich^).
So wichtig und so eng verknüpft mit dem Ganzen ihre
Bollen auch sind, unterscheiden sich Hertzbruders und Oliviers
Erzählungen doch von denen des idealistischen Romans merk-
lich durch ihre große Selbständigkeit. Die Berichte dort
können wirklich Tatsachen der Fabel selbst bringen, aber
■die Ichform des Simplicissimus verlangt, daß diese Erzählun-
gen nur als Episoden erscheinen, deren Resultat für den
Roman bedeutsamer ist als ihre Entwickelung.
Der pikarische Roman hatte in diesem Punkte schon das
Beispiel gegeben. Die nicht gerade häufigen Icherzählungen
») Simpl. IV. 23, S. 358, Z. 32 ff.
*) Simpl. IV. 26, S. 367, Z. 32ff.
Palaestra LI.
— 34 —
darin, wie Sayavedras Lebensgeschichte im „Öuzoian"*) oder
der Bericht des Hidalgo im „Buscon"*), haben mit der
Haupterzählung kaum etwas zu tun. Der Schritt von der
Icherzählung zur eingelegten Novelle, begünstigt auch noch
durch die spanische Neigung, vollzieht sich in der novela
picaresca sehr schnell. Auf Parallelismus wurde dabei natür-
lich nicht hingearbeitet.
Im idealistischen Roman entstand durch solche Ver-
wendung nachholender Icherzählungen eine Anordnung, die
Cholevjus mit Recht episodisch nennt*). Der Roman löst
sich in eine Reihe von Einzelereignissen auf, die der Autor,
um die Darstellung abzuwandeln, nicht alle selbst erzählte^
wohl aber durch Parallelismus verbinden konnte. Die Freude
am Formenspiel ist unverkennbar, denn ein in der Fabel
enthaltener Grund zu solcher Anordnung fehlt.
Doch mangeln auch Fälle nicht, in denen zu stärkerem
Effekt die Nachholung mehr als bloße Form war. Freilich
tritt dann der Charakter der Icherzählung lange nicht so
stark hervor. Der Umfang ist geringer, und der Haupt-
akzent fällt auf den Inhalt, nicht auf die Form des Mitge-
teilten. Wenn z. B. Stratonica nach dem jähen Ende de&
Ballfestes dem Antiochus meldet, nicht sie, die Antiochus
liebt, sondern der König sei erkrankt*), so löst sich mit
dieser Erzählung eine Spannung, nicht nur für den Königs-
sohn, sondern auch für den Leser, und nur um diese Span-
nung ist es dem Autor bei seiner Anordnung zu tun. Ähn-
lich liegt es in der „Nisette", wo durch die Erzählung des-
Alten in der Höhle die Spannung erst en'egt wird*). Daß
von hier aus sich ein Faden zu Grimmeishausen spinnt, ist
^) Guzman de Alfarache, Teil II, Buch II, Kap. 4; Bd. IH.^
S. 297 ff. der Bibl. de Aut. Esp.
«) Historia del Buscon, ^aragoija 1626, Buch I, Kap. 13, Bl. 52ff.
') Cholevius, Die bedeutendsten deutschen Bomane des sieb-
zehnten Jahrhunderts, Leipzig 1866, S. 15.
*) Stratonica, Buch III, S. 204 ff.
») Nisette, Buch III, Kap. 3, S. 277.
\
— 35 —
schon gesagt worden ^). Allein Orimmelshausen drängt im
Gegensatz zu Bandermann die prophezeiende Sage vom
Soester Schatz in indirekte Rede zurück*) und legt sie, ähn-
lich wie späterhin die Mummelseesagen*), mehreren Bauern
in den Mund, nicht einem individualisierten, wie der Greis
in der „Nisette'' es ist. Leider hat Grimmeishausen in die
Ausgabe von 1671 einen verbreiternden und ganz über-
flüssigen Nachtrag eingeschoben*).
Den Inhalt des bäuerlichen Berichts schweißt Grimmeis-
hausen, aus mehreren Sammelwerken schöpfend, selbständig
zusammen. Am meisten verdankt er Goularts „Thr6sor
d'histoires admirables et mömorables", dessen Straßburger
deutsche Übersetzung von 1613 folgende zwei Geschichten
nebeneinander bot^): Ein junger Mann findet hinten im
Garten einer Höhle eine gekrönte Jungfrau mit schlangen-
haftem Unterkörper; eine Figur, die Grimmeishausen später
im „Vogelnest" verwandte*). Sie gibt sich dem Eindringling
als verzauberte Prinzessin kund, die nur durch drei Küsse
von einem reinen Manne erlöst werden könne. Zum Lohne
erhalte er den Schatz in der eisernen Truhe da. Der Jüng-
ling küßt die Prinzessin zweimal, flieht aber vor dem dritten
Kusse, da sie sich gar zu unsinnig gebärdet Die Höhle
findet er nicht wieder. „Die Jungfrau war ein teuflisches
Gespenst," fügt Goulart hinzu. Als seine Quelle nennt er
Stumpfs Schweizerchronik ').
») S. o. S. 29.
*) Simpl. in 12, S. 242, Z. 18.
») Simpl. V 10, S. 405, Z. 2 ff.
*) S. die Ausgabe von Kurz, Deutsche Bibliothek Bd. m,
S. 297, Z, 9 ff.
•) Goulart, Schatzkammer VberNatürlicher, Wunderbarer vnd
Woldenckwürdiger geschichten. Straßburg, MDCXTTT Bd. 11, S. 96 ff.
•) Vogelnest, Zweiter Teil, Kap. 3; Simplicianische Schriften
ed. Kurz, Bd. IV, S. 25, Z. 23 ff.
^) Diese Geschichte steht auch in Talitz von Liechtensees
Kurtzweiligem BeyBgespahn, von dem die Königliche Bibliothek
in Berlin eine bei G^oedeke nicht erwähnte Ausgabe von 1647 be-
3*
— 36 —
Die zweite Geschichte entstammt nach Goulart dem
zweiten Buche von Johannes Wiers De praestigiis daemonum
cap. 5: im Jahre 1530 zeigte der Teufel einem Pfaffen
bei Nürnberg einige Schätze. Der Geistliche gräbt nach
und stößt auf eine Truhe, die ein schwarzer Hund bewacht
Als er trotzdem weiter vordringt, stürzt das Erdreich über
ihm zusammen und erstickt ihn.
Obgleich diese beiden Erzählungen lauter allgemein
bekannte Züge enthalten, läßt doch der Umstand, daß drei
von Grimmeishausen übernommene Motive so dicht beiein-
ander stehen, auf Goulart als Grimmeishausens Gewährs-
mann schließen.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf Grimmeis-
hausens Technik, Icherzählungen aus Scheu vor Wieder-
holung zu unterdrücken.
Daß er sich bei Simplicius' Antworten auf Oliviers
und Hertzbruders Erzählungen geschickt zu helfen wußte,
haben wir oben gesehen i). Ähnlich, nur etwas konven-
tioneller muß sein Pfarrer den Gouverneur über Simplicius'
merkwürdiges Benehmen im Tanzsaal aufklären^).
Simplicius selbst kann einige Wiederholungen bringen,
solange er in kindlicher Unerfahrenheit sich stark gegen
den gereiften Erzähler abhebt und die Dinge in neuem
Lichte zeigt. So wird der große Dialog zwischen dem Ein-
siedler und Simplicius möglich^), und so- der etwas kürzere,
von der Erzählung minder losgelöste zwischen Simplicius
und dem Gouverneur*). Immerhin ist Grimmeishausen mit
diesem Mittel sparsam umgegangen. Simplicius' Naivetät
sitzt, als Appendix znr dreinndsiebzigsten Geschichte. Talitz nennt
als Quelle Grass „in sao Itinerario fol. 51^^, der die Geschichte
ans Stumpf und Zwinger habe.
^) S. o. S. 33.
*) Simpl. n 3, S. 98, Z. 12ff.
») Simpl. I 8, S. 23 ff.
*) Sünpl. n 3. S. 99, Z. 8.
— 37 —
zeigt sich auch bei seiner Ankunft in Hanau, aber eine
Wiederholung fällt fort^). Das so lieblich gemalte Wald-
idyll und die ehrwürdige Figur des Einsiedlers wollte
Grimmeishausens Takt wohl nicht ins Komische ziehen, und
deshalb muß der Pfarrer den Gouverneur belehren*).
Später, als Simplicius weltklug und erfahren ist, legt
ihm Grimmeishausen Rekapitulationen nicht mehr in den
Mund. In der Verhörszene ^) dient die Barschheit des
Auditors dem Autor als Ausweg; und bei der Ankunft in
Villingen*) wird Simplicius von zwei Behörden vernommen,
so daß seine ohnehin knappen Bemerkungen auch noch
zersprengt werden.
^) Simpl. I 20, S. 54, Z. 14.
«) Simpl. I 20, S. 57, Z. 7.
3) Simpl. n 26, S. 173, Z. 34 ff.
*) Simpl. IV 25, S. 365 Z. 14 ff. u. Z. 33 ff.
IV. Hauptpersonen.
Dem epischen Einheitsbedürfnis wird am einfachsten
entsprochen, wenn man den gesamten Inhalt auf eine
Person bezieht und die Wechselwirkungen zwischen ihr
und den dargestellten Ereignissen zeigt. Hebt man schon
aus dem Gewirr der dem Helden begegnenden Figuren nur
die für die Handlung wichtigen heraus, so kann noch
eine engere Wahl stattfinden. Zwei Lebensläufe können
durch Verwandtschaft, Freundschaft oder Liebe so eng ver-
kettet sein, daß ihre beiden Träger zu Hauptpersonen des
Romans werden, und diese Zahl läßt sich noch weiter er-
höhen. Wächst die Zahl der Helden zu sehr, so verlieren
die einzelnen an Bedeutung. Die künstlerische Einheit
braucht darunter nicht unbedingt zu leiden; ein durch-
gehendes Motiv, eine allen Figuren gemeinsame Bewegung,
eine Stimmung kann, die Hauptperson ersetzend, die Ein-
heit herstellen, wie es im Schildbürgerbuch, in Lenaus
„Albigensem" oder in Hauptmanns „Webern'' geschieht
Trotz des Schildbürgerbuches war das siebzehnte Jahr-
hundert weit entfernt von dieser Technik. Wickrams „Gute
und schlechte Nachbarn" im sechzehnten Jahrhundert schildern
zwar die Geschichte einer Familiengemeinschaft, enden aber
so sehr in der eines Paares, daß diese beiden Personen
zum Schluß die vorigen Generationen ganz in Vergessenheit
geraten lassen; Cervantes gab in „Rinconete j Cortadilla"
Bilder aus dem spanischen Vagabundenleben, ohne eine
wirklich handelnde Person; der Roman des siebzehnten Jahr-
hunderts aber bleibt bei der einfacheren Art
— 39 —
Der pikarische Roman, als Anfangsform des realisti-
schen Romans noch ziemlich primitiv, führte auch die Ein-
heit des Helden streng durch. Dem war die Ichform schon
günstig, die von selbst alles auf den Erzähler beziehen ließ.
Freilich hat spätere Entwickelung auch im Ichroman Er-
zähler und Hauptperson zu trennen gelernt, wie z. B. Tur-
genjew, Heyse, Storm oder gar Vischers „Auch Einer" zeigen.
Die Anfänge dieses Wandels sind wohl in Werken wie „Don
Quixote'' zu suchen, wo der Verfasser in der Fiction des
Manuskripts eigene Erlebnisse zu erzählen scheint und etwa
die Stellung eines Nacherzählers einnimmt; oder auch Ich-
erzählungen, wie die der Seienisse und des Gobrias in
Barclais „Argenis"^), des Dieners in Zesens „Rosemund ^)",
wo Zeugen der Ereignisse berichten.
Von dieser Weiterbildung der Ichform ist aber im
pikarischeri Roman kaum etwas zu spüren. Sind auch in
der Vorgeschichte des Erzählers Eltern die Hauptpersonen,
der eigentliche Mittelpunkt des Romans bleibt der erzäh-
lende plcaro, wie Lazarillo, Buscon, Guzman oder Justina,
und niemand kann neben ihnen aufkommen. Nur die
Nebenpersonen in der „Gardufia'' mögen der Rufina viel-
leicht den Rang streitig machen, da sie ihre Schicksale
durchweg teilen.
Der idealistische Roman nach älteren Traditionen war
reicher entwickelt. Auch hier noch ist eine Hauptperson
beliebt. Markhold, der Held der „Rosemund", Josef,
Francion, Poliarchus in der „Argenis" nehmen das Haupt-
interesse wesentlich für sich in Anspruch; aber wie häufig er-
scheinen nicht die Hauptpersonen paarweise, als Freunde
wie Mussidorus und Pirocles in der „Arcadia", als Liebende
wie Proximus und Lympida oder Dietwald und Amelinde*).
») Argenis in 7, S. 328ff. und IV 9, S. 496ff.
«) Rosemund S. 87.
«) S. Cholevius a. a. O. S. 7,
— 40 -
Im Simplicissimus ist pikarischem Vorbilde getreu die Ein-
heit des Helden streng gewahrt, und der idealistische Roman,
sonst von starkem Einfluß auf Grimmeishausen, brachte hier
keine Störung. Interessante Weiterbildungen aber bieten die
übrigen simplicianischen Romane, in denen neben der
eigentlichen Hauptperson Simplicius selbst, Grimmeishausens
erfolgreichste Figur, stets mitwirkt. Dadurch daß Courasche
ihre Geschichte Simplicius zum Trotz erzählt, bezieht sich
alles Erzählte auch auf ihn; und im „Springinsfeld" ist die
Erzählung des Lebenslaufes gleichsam nur ein Ereignis bei
dem Wiedersehen des lahmgeschossenen Soldaten mit dem
berühmten Simplicissimus, der durch allerlei Merkwürdig-
keiten das Interesse an sich fesselt. Die beiden „Vogel-
nester" verzichten auf Simplicius' Mitwirkung; aber im
„Rathstübel Plutonis" versammelt Simplicius alle wichtigen
Figuren der simplicianischen Schriften um sich als um den
Mittelpunkt des Kreises^).
Die Einheit der Person genügt allerdings noch nicht;
eine logisch fortschreitende Entwickelung, eine Handlung
ist vielmehr zu wahrer künstlerischer Einheit erforderlich.
Damit ist es freilich im siebzehnten Jahrhundert nicht zum
Besten bestellt. Der historisch -galante Roman strebt in
erster Linie nach bewegter Aktion und findet sie im Über-
winden äußerer Hindernisse, im Erreichen sichtbarer Ziele
durch seinen Helden. Daher die Neigung zu starken Ef-
fekten, die Vorliebe für äußerliche Verwickelung und Lösung,
daher stets ein glücklicher Ausgang und die Unmöglichkeit
tragischen Erliegens für eine Idee. Der Held kämpft nur
gegen die Hindernisse seiner Verbindung mit der Dame
seines Herzens. Eine psychologische Entwickelung und innere
Motivierung fehlt meist gänzlich.
*) Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit (Werke
Bd. XVni, S. 306) vermutet, doch wohl zu künstlich, daß die Er-
innerung an eine Gesellschaft des heiligen Bitters Simplicius, ge-
gründet 1403 in der hessischen Buchenau, Grimmeishausen „in der
Seele lag, als er seine Romangestalten zu einem Vereine gesellte".
— 41 —
Als fertige Menschen treten daher die Personen vor
uns hin, und kaum wird zu zeigen versucht, wie vorhandene
Charaktere sich gebildet haben. Der idealistische Roman
führt als Jugendgeschichte gewöhnlich nur vor, wie sich
das äußere Leben des Helden gestaltet hat, ohne Ausbeutung
für die innere Entwickelung. In den Abenteuern der
Kindheit wird wie bei den Amadisromanen ^) meist auch
die spätere Anagnorisis begründet. Poliarchus z. B. wird
im zartesten Alter vertauscht und später seinen Pflegern
entführt^); Artafernes verläßt die Heimat, um seine auf der
Jagd verirrte Geliebte wiederzufinden ^). Der Josefstoff kam,
für die Figur Josefs wenigstens, dem Autor entgegen. Die
Bevorzugung Josefs durch Jakob und der Neid der Brüder,
des schönen Jünglings Träume und seine als Hochmut auf-
gefaßte Auslegekunst ergeben in der biblischen Novelle
schon ein entwickeltes Bild. Zesen behält es bei und stellt
ihm in der Figur seiner Assenat eine glückliche Probe
eigenen Gestaltungsvermögens zur Seite. Dem feinen und
zierlichen Wesen Josefs entspricht Assenats zarte Scheu,
begründet durch klösterliche Erziehung. Ihre Einsamkeit
und ihre fast melancholische Zurückhaltung verbieten Zesen,
ihr das neugierige Interesse der Damen am ägyptischen Hofe
für Josefs Schönheit zu verleihen, von dem der vorbereitende
Autor sie durch Briefe ihrer Freundinnen unterrichten läßt.
Aber gerade weil ihr Geselligkeit stets gefehlt hat, erklärt
sich ihre Neigung für den schönen Josef, den ersten Mann,
der ihr entgegen tritt*).
„Francion'", realistisch dem Inhalt, idealistisch der Form
nach, zeigt doch in der langen derben Vorgeschichte einige
Exposition der Charaktere, und besonders wird Agathes und
Laurettes Sinken ausführlich geschildert*).
1) S. Cholevius a. a. O. S. 2.
*) Argenis Buch IV, Kap. 9 und 11.
•) Nisette Buch I, Kap. 2, S. 19.
*) S. auch Cholevius a. a. O. S. 87.
») Prancion Buch H, S. 88ff. und S. 138ff.
— 42 —
Der Realismus drängte ja zur Motivierung, und der
pikarische Roman zeigte darin zwei schon oben ^) beleuchtete
Züge: die Unehrlichkeit der Eltern und die zu Anfang der
pikarischen Laufbahn gemachte schlechte Erfahrung. Am sorg-
fältigsten wird in der Garduna Rufinas Charakter motiviert Zur
Abstammung von einem Spieler und Tagedieb kommt der
Mangel an Überwachung nach dem frühen Tode der selbst-
losen Mutter und ein starker Hang zur Eitelkeit Leicht-
sinn und Sinnlichkeit fiühren in der unglücklichen Ehe des
jungen Mädchen mit einem Greise zu Fehltritten. Nach
dem jähen Tode ihres Mannes steht die verzärtelte Frau
allein da, und an den Verkehr mit Liebhabern gewöhnt,
sucht sie reiche Männer zu kapern. Der Schritt zur pfcara
ist getan*).
Auch in der Jugend der plcaros, wie in der der Helden
des idealistischen Romans, fehlen tief einschneidende äußere
Ereignisse nicht Verwaisung treibt sie aus der Heimat
und modelt so die Lebensweise der kaum halbwüchsigen
Knaben völlig um. Im weiteren Verlauf ändert der picaro
sich innerlich so wenig, daß wir ihn am Schlüsse kaum
reifer finden als am Anfang.
Diese ewige Jugend sichert ihm die Sympathie des
Lesers. Dem erfahrenen kräftigen Manne würden die
Schwanke und Betrügereien nicht anstehen, die des picaro
körperliche und wirtschaftliche Schwäche ausgleichen müssen.
Ein humoristischer Zug kommt durch den Sieg der List
über die Gewalt in den Roman. Daher mißfallen uns bei-
nahe die elegische Stimmung des erwachsenen Andres in
der „Desordenada Codicia" von Carlos Garcia"') und be-
sonders die fast läppisch erscheinende Spitzbüberei des
Obregon von Vicente Espinel.
») S. S. 6 u. 8.
•) La Garduna de Sevilla Kap. 1-4, Bd.XXXHI, S.169ff. der
Bibl. de Aut. Esp.
') Neudruck in den Libros de Antano Bd. VII.
— 43 —
Beim echten picaro sind wir erstaunt, wenn er un-
mittelbar nach Jungenstreichen Liebesabenteuer besteht.
Plötzlich ist er herangewachsen.
Nur der „Lazarillo" macht eine Ausnahme. Diesen
Helden sehen wir wirklich werden. Der Vorzug des Buches
besteht in dem einheitlichen Grundplan. Der Tjandstörzer
geht trotz mancherlei pikarischer Abenteuer der bürger-
lichen Gesellschaft nicht verloren, sondern nach anfangs
ständig wachsenden Stürmen treibt sein Lebensschifflein
schließlich in den Hafen eines allerdings etwas hausbackenen
Spießbürgertums. Dieser Rettung wegen durfte der Verfasser
pikarisches Leben nicht zu stark auf seinen Helden wirken
lassen. Daher sucht er, freilich ohne rechten Erfolg, die
Stationen des Landstreichertums zu differenzieren. Er führt
den Knaben zuerst zu dem Blinden. Lazarillo haßt ihn
wegen seines Geizes, vor allem wegen seiner Bosheit und
verletzenden Schadenfreude, die dem armen Kinde manchen
Schabernack spielen. Den Haß überträgt er auf den Küster,
seinen zweiten Herrn, dessen noch weit größerer Geiz ihn
beinahe Hungers sterben läßt und seinen Scharfsinn in
tausend Listen hervortreibt.
Bittere Menschenverachtung und Verzweiflung aber
bleiben dem Knaben fremd infolge des Umgangs mit seinem
dritten Herrn, dem gutmütigen, armen Hidalgo, der sich
seines Dieners mitleidige Anerkennung erwirbt. Dadurch
wird ein versöhnender Abschluß des Ganzen möglich.
Diese drei Abschnitte gliedern sich nicht zu deutlicher
Entwickelung, weil der Autor, seinem neuen Stoffe zu Liebe,
die Wirkungen auf Lazarillos Charakter und dessen Wand-
lungen zurückschiebt gegen die Bilder des Hungers und
der Verschlagenheit. Das wird noch fühlbarer dadurch,
daß sich nun nicht gleich der Aufstieg anschließt, sondern
erst noch zwei unorganische Kapitel, vom Bettelmönch und
vom Ablaßkrämer, sich eindrängen.
Der ganz kurze Abschnitt vom Bettelmönche charakteri-
siert wenigstens Lazarillos Armut mit der Bemerkung, daß
— 44 —
der Schelm hier die ersten Schuhe erhält. Die lockere
Episode des buld^ro aber fällt auch stilistisch ganz aus dem
Rahmen. Während Lazarillo nämlich seine Lebensweise
meist in allgemeinen Zügen schildert und Einzelerlebnisse
nur kurz und gleichsam illustrativ einflicht, wird das Kapitel
vom Ablaßkrämer durch ein einziges Ereignis breit ausgefüllt.
In der Stellung eines Wasserträgers beginnt Lazarillos
Dasein sich dann wieder zu heben, und hier tritt der Plan
des Werkes deutlich hervor: „Este fu6 el primer escalon que
yo subi para venir a alcanzar buena vida"'). In knappster
Darstellung endet das Ganze damit, daß Lazarillo sich zu
geordneten Verhältnissen emporarbeitet. Er gelangt in eine
Vertrauensstellung bei einem Erzpriester, dessen Geliebte er
heiratet; allgemach wird aus dem unstäten plcaro ein be-
häbiger Familienvater und loyaler Staatsbürger, bei dem
ein Rückfall nicht mehr zu befürchten ist. „Pues en este
tiempo estaua en mi prosperidad, j en la cumbre de toda
buena fortuna''^) sind die letzten Worte des Romans.
Die Entwickelung führt also über eine Reihe von
Stufen, deren jede durch die Umgebung in bestimmter Art
auf Lazarillos Charakter einwirkt ; mit Ausnahme jener bei-
den Entgleisungen vollzieht sich mit jedem Milieuwechsel
ein Fortschritt der inneren Handlung. Das Einzelerlebnis
tritt zurück hinter der Gesamtcharakteristik ganzer Ent^
Wickelungsabschnitte.
Noch besser als das Original verdeutlicht ülenharts
Bearbeitung die Einheit des Planes; wenn auch das Ver-
dienst des Deutschböhmen wohl nur in der glücklichen
Erfindung des zweiten Schlusses bestand^), denn Bettel-
mönch und buld^ro fehlten wohl schon in Ülenharts Vorlage*).
*) Lazarillo de Tornes ed. Foul che Delbosc. Kap. 6, S. 63, Z. 7 f.
*) Lazarillo de Tormes ed. Foulche Delbosc. Kap. 7, S. 67, Z.8f.
Siehe dazu auch oben S. 9.
3) S. o. S. 15.
*) S. Schneider a. a. O. S. 212 und Lauser S. 171.
— 45 —
Bei der Gleichmäßigkeit der Voraussetzungen für die
pikarischen Charaktere, bei ihrem Auftreten in stets ähn-
lichen Situationen ist es natürlich, daß die einzelnen pfcaros
nur sehr wenig individualisiert sind. Kleine Züge bloß unter-
scheiden sie voneinander; Lazarillo mag gutmütiger, Guz-
man nachdenklicher. Andres melancholischer sein, im großen
und ganzen gleichen einander alle picaros. Stets bereit, sich
mit Schabernack und Schelmenstreichen unrecht Gut zu er-
werben und damit vornehm und verschwenderisch aufzutreten,
sind sie im Grunde doch ohne persönliche Würde und feig.
Immerhin sind diese Charaktere noch interessanter als
die der idealistischen Eomane, deren großes Personal fast nicht
nach Charakteren, sondern nur nach Namen zu unterscheiden
ist. Eine Figur kann deshalb sehr wohl unter verschiedenen
Namen auftreten; ja selbst ein Mann als Weib oder, was
seltener ist, umgekehrt. Auch sind die picaros wegen der
glücklichen Mischung von sympathischem Humor mit un-
moralischen Zügen wahrscheinlicher als die abstrakten, meist
einseitig guten oder schlechten Helden des historisch-galanten
oder des Schäferromans.
•Von einer konsequenten Entwickelung kann bei diesen
Figuren erst recht nicht die Rede sein. Äußerlich bestehen
sie zum Teil dank wunderbaren Rettungen alle Gefahren
und Mühsale, wie Schlachten, Schiffbrüche, Zweikämpfe, die
besonders beliebt sind; innerlich aber wandeln sie sich
nicht Tapfer und verliebt sind und bleiben sie bis zum
Ende. Selbst die liebe, die letzte Ursache so mannigfacher
Schicksale, bringt keine innere Entwickelung hervor. Wird
sie doch selbst nicht motiviert. Auf der Schwelle hat der
Held nicht selten seine Geliebte schon verloren, wie in der
„Nisette" oder in der „Argenis". Die Liebe erwacht durch
Erzählung von der Schönen oder durch Bilder, die dem Ritter zu
Gesicht kommen wie im „Francion" ^) oder in der „Arcadia"*).
») Prancion Buch III Ende S. 233.
«) Arcadia der Gräffin von Pembrnck . . . H. Philipp! Sidney
(deutsch von Opitz). Frankfurt 1630. Buch I S. 21 f.
— 46 —
Ein Fortschritt gegen dieses Haften am äußerlichen
Ereignis ist im Problemroman getan. Auch hier, wie im
historisch-galanten Roman, dreht sich die Handlung meist
um die Liebe. Aber es stehen hier nicht mehr nur äußere,
sondern sittliche Hindemisse der Vereinigung im Wege,' und
so wendet sich der Gang der Handlung nach innen. Noch
versteht man freilich nicht, das Problem zur alleinherrschenden
Hauptsache zu machen, sondern erstickt es beinahe unter
Abenteuern. Selbst Zesen in der „Rosemund" und Assarini
in der „Stratonica" legen die schwere Rüstung des üblichen
Romanapparates nicht ab. Zweikämpfe, gefahrvolle Jagden
und eine Staatsintrige erdrücken fast das doch deutlich
entwickelte Problem. Die Verschmelzung allgemeiner Cha-
rakteristik und detaillierter Darstellung einzelner Abenteuer,
die im „Lazarillo" mit dem Kapitel vom Ablaßkrämer wohl
angestrebt war, gelingt nicht. Ja nicht einmal der im
„Lazarillo" gemachte Portschritt der Charakteristik durch
allgemeine Schilderung mit raschen Schlaglichtem wird
angenommen. Der idealistische Roman war wohl zu stolz,
für seinen vornehmen Kreis von dem schmutzigen und
niedrigen pfcaro zu lernen. Zesen zeigt z. B. nicht- den
Seelenzustand der Rosemund, sondern seinen Ausdruck,
das schäferliche Kostüm; er malt nicht Sefiras Liebes-
schmerzen an sich, sondern er zeigt wiederholt deren
Symptome.
Immerhin ist trotz dieses Mangels an Technik wenigstens
eine Charakteristik versucht. Die Helden halten nicht mehr
bloße Reden über ihre Leidenschaft, über die Vortrefflichkeit
der Geliebten und den eigenen Unwert, sondern fühlen
wirklich Schmerz und Trauer. Noch wagt man zwar nicht
recht die Konsequenzen zu ziehen. Zesen vermeidet, Rose-
munds tragischen Ausgang ausführlich zu schildern, und
weist nur durch eine Parallelnovelle auf ein solches Ende hin.
Assarini vereinigt Stiefmutter und Stiefsohn, obgleich diese
antike Lösung seinem sittlichen Empfinden gewiß ebenso
entgegen war wie unserm heutigen. Noch beschränkt
— 47 —
man sich auf ein seelisches Erlebnis, gerade wie die
Novellen, die das Material zum historisch -galanten Roman
häufig lieferten, nur ein merkwürdiges Ereignis schilderten.
Aber man begnügt sich eben nicht mehr mit der bloßen
Form des Abenteuers, sondern sucht schon nach einem
persönlichen menschlichen Inhalt. Und schon sind Anläufe
des Bildungsromanes, der Entfaltung eines Charakters, eines
Menschenlebens da. In Zesens „Assenat" sind bereits alle
wichtigen Figuren individualisiert, und der bei „Rosemund"
nicht gewagte Liebestod wird hier wenigstens für Sefira
durchgeführt').
Den entscheidenden Schritt zur neuen Gattung aber
vollzieht schon zwei Jahre vor der „Assenat" Grimmeishausen
mit dem Simplicissimus. Was dem „Lazarillo" und dem
Problemroman nicht geglückt war, das organische Einfügen
starker Effekte, das Verschmelzen äußerer und innerer Hand-
lung, gelang im Simplicissimus.
Nicht mehr um die Vereinigung zweier liebenden
handelt es sich oder um die Schilderung seltsamer Abenteuer;
nicht mehr wirkt ein einzelner sittlicher Konflikt auf einen
bereits fertigen Charakter; sondern ein ganzes Leben wird
vor uns aufgerollt. Abenteuerlich genug noch immer durch
den bunten historischen Hintergrund; aber in erster Linie
steht die psychologische Entwickelung. Simplicius' Charakter
ist das Thema des Romans.
Dreifach sind die Quellen dafür. Gab der picaro seine
bekannten Eigenschaften: die Neigung zu Schelmenstreichen,
die Freude am Wechsel, die gutgelaunte Elastizität im Er-
tragen, die Großmannssucht, dazu die derbsinnliche Auf-
fassung der Liebe, so stammte vom idealistischen Roman
ein echter und starker Ehrgeiz und wahre Tapferkeit als dem
pfcaro noch fremde Eigenschaften, die sich in der kriege-
rischen Sphäre des Romans entwickeln mußten. Das Beste
>) S. auch Cholevius a. a. O. S. 77.
— 48 —
aber fügte Grimmeishausens eigene geprüfte und reife Per-
sönlichkeit hinzu.
Im „Lazarillo" war ein Charakterbild entworfen worden
ohne Rücksicht auf Gut und Böse. Dem unbekannten Ver-
fasser lag nicht daran, die Menschen zu bessern und zu
bekehren, wenn er sich auch wohl über ihre Scliwächen
lustig machte. Nicht so Giinmielshausen. Er predigt eine
Moral, er empfiehlt eine Weltweisheit. Leicht läßt sich aus
dem Gange der Handlung die Erfahrung gewinnen, daß alles
vergänglich ist und nichts dauerhaft als der Wechsel.
Daher ist Überhebung und Stolz auf irdische Größe ohne
festen Grund und verfällt der Strafe: ein Gedanke, den
auch „Dietwald und Amelinde'' zum Thema hat. Langsam
und überzeugend bilden sich diese Ansichten in dem Helden,
und dadurch erhebt sich das Individuum Simplicius über
seine spanischen Vorgänger zur höheren Warte einer Welt-
anschauung und über die Menge der Nebenfiguren zu all-
gemein menschlicher Bedeutung. Es ist die eigenste Er-
fahrung Grimmeishausens, in einer literarischen Figur nieder-
gelegt, Tendenz im besten Sinne des Wortes. Erst auf der
Höhe seines Lebens, als Jäger von Soest, kann Simplicius
diese Reife erreichen, da er sich im Besitze weltlicher
Macht sieht und doch erkennt, daß das Glück ihn ebenso
schnell stürzen kann, wie es ihn hoch erhoben hat.
Im einheitlichen Charakter des Simplicius hat Grimmeis-
hausen doch einige Widersprüche nicht vermieden. Die
Absicht, sein Werk moralisch nützlich und praktisch zu
gestalten, hat ihn verleitet, Simplicius schon als Kind mit
einer gelehrten Belesenheit auszustatten, wie sie Grimmeis-
hausen selbst nicht aus den Quellen, sondern nur aus Nach-
schlagewerken erworben hatte. Was Simplicius dem Gou-
verneur in Hanau an Beispielen aus alter und neuer
Literatur, an Argumenten aus heiliger und profaner Ge-
schichte vorbringt, kann schlechterdings keinen Platz haben
in dem Kopfe eines zwölfjährigen Knaben. Grimmeishausen
erachtet eine Motivierung dieser Weisheit freilich für nötig;
— 49 —
ein Zeichen, wieviel Wert er auf Begründung überhaupt
legte. Aber ist es glaubhaft, daß Simplicius in den zwei
Jahren seines Zusammenlebens mit dem Einsiedler, der ihn
erst lesen und schreiben lehrt, neben der Arbeit zum
Lebensunterhalt noch Gelegenheit, Zeit und Verständnis für
so umfangreiche Lektionen gehabt habe? Der grobe Bauem-
junge sollte eben einen exemplarischen Bildungsdrang zeigen,
und Grimmeishausen wußte das nicht anders als durch
Gelehrsamkeit auszudrücken.
Weit störender ist es, wenn im fünften Buche der alte
Soldat und praktisch denkende Meier plötzlich ,.curiös'^
wird, in den Mummelsee hinabsteigt, nach Rußland reist,
dort kämpft und gefangen wird und schließlich wissens- und
fast sensationslüstern den Orient durchwandert. Derartige
Züge in Simplicius' Charakter sind unnütz, und Grimmeis-
hausen hat die Wandlung auch gar nicht zu motivieren ver-
sucht. Diktiert wird dieser, wie wir schon sahen ^), nicht
ursprüngliche Schluß erst durch den Wunsch, eine positive
sittliche Norm zu geben: da alles dies nicht dem Frieden
der Seele dient, da allein die Religion dem Menschen Trost
und Stütze sein kann, wird Simplicius Einsiedler. Im
Grunde ist die hier gepredigte Weisheit vorbereitet in der
Erkenntnis von der Vergänglichkeit auf der Höhe seines
Glücks, aber wenn dort der künstlerischen Mittel wegen
die Charaktereinheit nicht gestört wurde, so merkt man hier
zu deutlich die moralische Absicht Wenn ein Satz nur
in negativer Form ausgesprochen wird, so drängt man damit
niemand positive Verhaltungsmaßregeln auf wie mit dem
durch Simplicius' Einsiedlertum gegebenen Vorbild.
Von diesen beiden Anstößen abgesehen, ist Simplicius'
Charakter konsequent entwickelt. Grimmeishausen bleibt bei
der Technik des „Lazarillo'', indem er längere Partien ganz
der Darstellung einer Phase widmet, meist ohne darin schritt-
weise abzustufen. Aber er sondert die großen Abschnitte
>) S. o. S. 17.
Palaestra LI.
— 50 —
besser voneinander als der „Lazarillo". Er wechselt zwar
nicht die Umgebung, wohl aber betont er stärker die Sinnes-
änderungen seines Helden.
Die Unselbständigkeit und Torheit des Kindes schlägt
in die List dessen um, den man zum Narren machen und
seiner Persönlichkeit berauben will. Sobald Simplicius sich
aber stark genug fühlt, um ohne solche List vorwärts zu kommen,
traut er mehr seiner Kraft und seinem Ehrgeiz. Stolz und
schlimmerer Hochmut treten in Westfalen an die Stelle
pikarischer Kniffe, durch die der schwache Troßjunge sich
seiner Haut wehren mußte. Nach dem Ende seiner Herr-
lichkeit kann der Starke aber nicht wieder zu den Mitteln
des Schwachen greifen: Gewalt und Kraft verbleiben ihm, und
er wird Betrüger, Marodeur, Straßenräuber. Hertzbruder end-
lich hebt den Verkommenen und führt ihn zu gutem Ende.
Mancherlei im pikarischen Roman nur knapp Be-
handeltes hat Grimmeishausen in rechter Schätzung seiner
Wichtigkeit weiter ausgeführt. Der pikarische Eoman ver-
zichtet, vielleicht aus Mangel an Yerständnis, fast ganz
darauf, den picaro als Kind in der Familie auch mit kind-
lichen Zügen auszustatten. Grimmeishausen widmet gerade
dieser Partie besondere Liebe. Er zeigt uns das Kind
Simplicius in seiner ganzen Unwissenheit, in aller Unkennt-
nis der Gefahren und Angst des Alleinseins. Das dialogische
Kapitel I, 8 faßt noch einmal Simplicius' ganze Kindlichkeit
zusammen; nur deshalb durfte Grimmeishausen es trotz
seines schon bekannten Inhalts stehen lassen^).
Lernen die picaros meist nur aus einem einzigen ersten
Mißerfolg ihres Lebens auf der Hut zu sein und praktisch
ihre List zu betätigen, so läßt Grimmeishausen seinen Sim-
plicius in Hanau eine Reihe von Enttäuschungen durch-
machen, von dem Erstaunen des Knaben über Fluchen,
Spielen, Saufen etc.^) samt den falschen Ratschlägen seines
^) S. o. S. 27.
'') Simpl. I 24.
— 51 —
Mitpagen ^) bis hin zur Einsicht, daß auch sein Gönner, der
Gouverneur, nicht sein Bestes will, ja daß sogar sein Freund
und Retter, der Pfarrer, sich von ihm loszusagen droht,
wenn der Knabe in Ungnade fällt^). Reicher und vielseitiger
also sind diese Erfahrungen Simplicius' als die der spanischen
Schelme; sorgsamer wird entwickelt, gründlicher exponiert.
Drei Motivkreise bedürfen genauerer Betrachtung: der
pikarische, wegen seiner geschichtlichen Wichtigkeit, der
erotische, der keinem Roman fehlen darf, und der kriege-
rische, als dem Simplicissimus besonders eigentümlich.
Trotzdem der Simplicissimus die spanische novela pi-
caresca beerbt hat, sind rein pikarische Motive doch nur
in geringem Maße vertreten. Kriegerische Elemente sind
dem Berufe des Helden gemäß eingedrungen und über-
wiegen weitaus. Und während diese sowie die erotischen
Motive durch eine sinngerechte Entwickelung zusammen-
gehalten erscheinen, sind die rein pikarischen Motive in
ihrer Spärlichkeit nicht einmal miteinander verbunden.
Siitiplicius ist eben Soldat und nicht echter plcaro.
Daraus erklärt sich leicht die Benutzung pikarischer
Elemente als Vermittlung bei starken Wechseln in Simplicius'
Lebensumständen. Dem Waldidyll folgt der Ausmarsch des
hungernden und hilflosen Knaben aus seinem zei*störten
Lager, der mehr noch an den Auszug des plcaro erinnert
als die Flucht des Bauemjungen •), und von hier leitet das
pikarische Pagen tum*), das an ähnliche Stellungen Guzmans
mahnt*), zum Narrenleben über. Selbst das Prellen und
die nächtliche Teufelszene, die Simplicius seines Verstandes
») Simpl. I 28, S. 78 ff.
«) Simpl. n 3, S. 95, Z. 29ff.
») Simpl. I 5, S. 17.
*) Simpl. I 24 ff.
») Guzman de Alfarache, Teil I, Buch III, Kap. 7 ff.; Bd. UI,
S. 250 der Bibl. de Aut. Esp.
4*
— 52 —
berauben soll, entstammen dem Guzman *). Das Vagabunden
leben im Walde verbindet Hanau und die Kroaten mit dem
Lager von Magdeburg und den beiden Hertzbrüdem. In
Köln, der ersten Stufe merklichen Absinkens, fällt der Stolz
des Jägers von Soest bis zu Schülerschwänken herab, und
die Hungerpension hat ihr Vorbild im Francion und Buscon-).
Auch Theriakskrämer — das Motiv gehört dem Guzman*) —
ist Simplicius bloß in einem Übergangsstadium.
So nehmen rein pikarische Motive als Bindeglieder
nur eine geringe Stelle ein. Wie im „Lazarillo" wird
hier die allgemeine Charakteristik bevorzugt, so der Ein-
marsch nach Hanau über Grimmeishausens Heimat Geln-
hausen, das Vagabundenleben im Walde, die Hungerpension
und die Quacksalberei. Ausnahmen sind freilich die Teufels-
szene und das Prellen, sowie der Schwank, durch den Sim-
plicius seinen geizigen Kölner Kostherrn um einen Hasen
beschwindelt.
Es ist bereits gesagt, daß ein sorgsamer Plan die Mo-
tive der zweiten Gruppe, die erotischen, miteinander ver-
kettet. Gehört auch der Liebe in Simplicius' Werdegang
kein großer Raum, tritt sie pikarischem Brauche treu erst
spät auf, so ist doch das Bestreben, ihr Wachstum in
Simplicius zu zeigen, unverkennbar.
Was Simplicius zuerst von den Beziehungen der Ge-
schlechter zueinander sieht, bleibt ihm unverständlich:
jene derbe Szene im Gänsestall, über die der Kiiabe sich
nachher vor dem Gouverneur zu aller Ergötzen so kindlich
äußert^). Das nächste Mal findet die Liebe zwar nicht mehr
solche Unkenntnis, aber doch kein Entgegenkommen bei
dem Helden: die Rittmeisterin hat mit ihren Versuchen,
den hübschen Knaben, der sie im Zofenkleid bedient, für
1) Guzman de Alfarache, Teil I, Buch in, Kap. 1 ; Bd. III,
S. 240 der Bibl. de Aut. Esp.
*) Historia del Buscon, Buch I, Kap. 3, S. 7 ff.
») Frewdenholds dritter Teü, Kap. 20, S. 320.
*) Simpl. II 1, S. 92 ff. und U 3, S. 99, Z. 21 ff.
— 53 —
sich zu gewinnen, keinen Erfolgt). Grimmeishausen ver-
wandte hier ein Motiv der „Arcadia": der alte König Basilius,
der trotz seiner zweiundachtzig Jahre die Amazoue Zelmaua
(in Wahrheit den Bewerber seiner Tochter, Pirocles) be-
stürmt, ist zum Rittmeister gewordeu, der die hübsche ver-
meinte Kammerzofe seiner Gattin mit Zudringlichkeiten ver-
folgt; die Rittmeisterin, die „kein Kind mehr"^) ist, und
dem von ihr in der Weiberkleidung erkannten hübschen
Jungen „nur allzu Teutsch zu verstehen gibt, wo sie der
Schuh am meisten drücke,"^) geht auf die Königin Gynecia
zurück, die ebensowenig von der Amazonenkleidung des
Pirocles getäuscht, mit Seufzern und Liedern um seine
Liebe wirbt.
In Westfalen beginnt die Liebe eine größere Rolle in
Simplicius' Leben zu spielen. Gern hat Grimmeishausen
hierfür Motive aus dem idealistischen Roman entlehnt und
sie einem derben pikarischen Stil angepaßt. Planmäßig be-
reitet er den Leser auf erotische Abenteuer seines Helden
vor. Den eindruckslos verlaufenden Besuchen des Dragoners
mit den Offizieren beim „Frauenzimmer"^) folgt die Mahnung
der Hexe von Soest®); und nun erwacht in Simplicius selbst
der erotische Trieb. Mit sechs jungen Schönen von L.
bändelt er summarisch an®), so daß der Pfarrer von L. ihn
„vor dem Thier, das Zöpffe hat", warnt '^), ein Bild, das viel-
leicht aus Peter de Memels „Lustiger Gesellschafft*' stammt*).
Dieser langsamen Entwdckelung widerspricht freilich die
frühere Bemerkung Simplicius': „jetzt war es an dem, daß
») Simpl. II 25, S. 168 ff.
2) Simpl. S. 168, Z. 20.
3) ebda. Z. 24 f.
*) Simpl. in 11, S. 237, Z. 17.
*) Simpl. III 17, S. 261, Z. 5 ff.
«) Simpl. III 18, S 264, Z. 7 ff.
■) Simpl. III 19, S. 266, Z. 20.
^) Wieder emeuwerte und augirte Lustige Gesellschafft
von Johanne Petro de Memel. o. 0. 1660, No. 1446. S. 508.
— 54 —
die Mägdlein selbst auß Liebe sich gegen mir vernarrten"^),
allein das ganze Kapitel wird sich als Nachtrag herausstellen.
Nach dieser Vorbereitung also führt Simplicius' erster
größerer Liebeshandel sogleich zu seiner Heirat mit der
Tochter eines reformierten Oberstleutnants. Mir scheint
diese Partie zusammengeschmolzen aus drei Motiven, deren
wichtigstes aus Zesen-d'Audiguiers „Lysander und Kaliste"
entlehnt sein könnte. Wie Kaliste dort dem Lysander, ob-
gleich sie ihn zur Nachtzeit eingelassen hat, die letzte Gunst
verweigert^), so wagt auch des Simplicius namenlose
Geliebte nicht, sich ihm, als er die Nacht an ihrer Seite
verbringt, hinzugeben. Daß der Oberstleutnant eindringt
und die Trauung des noch im keuschen Bette liegenden
Paares unter wütigem Gepolter durchsetzt, geht vielleicht auf
ähnliche Szenen in Parivals „Histoires fac6tieuses" •) zurück.
Diese Zwangsehe braucht dem überrumpelten nicht heilig
zu sein, und Grimmeishausen kann ihn in Paris schmählich
der Verführung erliegen lassen. Das hierfür verwendete Motiv
stammt von Bandello*), dessen Novellen Grimmeishausen
wohl aus einer der zahlreichen Ausgaben der Belle-Forest-
sehen Übertragung ins Französische kannte^). Es war die
Geschichte jener Witwe, die sich in einen Kavalier ver-
liebt und nach jahrelangem Zögern ihn des Nachts heimlich
zu sich führen läßt. Einige Jahre genießen beide die
Liebesfreuden, ohne daß er erfährt, wer sie ist. Kinder-
mann hatte diese Novelle als Geschichte des Albertus
ungeschickt seinem Roman eingefügt ®). Grimmeishausen,
ihm folgend, machte besser, was jener nicht gekonnt hatte;
1) Simpl. III 8, S. 223, Z. 28 f.
2) Lysander und Kaliste, Buch II, S. 57 ff.
•) Histoires facetieuses et moralles assemblees & mises au jour
par J. N. D. P. Avec quelques Histoires Tragiques Leiden 1663. S. 82,
No.57 (Die Widmung der Histoires tragiques ist Parival unterzeichnet.)
*) Parte IV, Nov. 25 der Ausgabe London 1740; s. Bobertag,
Gesch. des E-omans Bd. IIa S. 76.
») S. Bobertag Bd. IIa S. 76.
") Nisette, Buch II, Kap. 8, s. auch oben S. 31.
— 55 —
denn das Begebnis gehört wirklich zur Entwickelung als
eine Stufe auf der absteigenden Bahn des Simplicius. Des-
halb hat er, obgleich Einzelheiten teils zu Bandello (wie die
Furcht des Eitters vor Yerrat, die Maskierung der Dame
und sogar das Verlöschen des Feuers), teils zu Kindermann
(so das Bad des Ritters vor der Liebesnacht und das Motiv,
daß die Dame den Jüngling vom Bette aus zu sich ruft),
stimmen, das Ganze mit neuem Geist erfüllt. Die bei Ban-
dello geschilderte Liebe und Treue konnte Grimmeishausen
nicht verwerten und ersetzt sie durch Lüsternheit Deshalb
verstärkt er das Geheimnisvolle der Situation, indem er
Simplicius einen langen Weg mit verbundenen Augen zurück-
legen läßt und indem er andeutet, daß nicht eine, sondern
drei Damen dem Beau Aleman ihre Gunst schenken ; Motive,
die vielleicht der Novelle „Der Lustwandel des Guhts-muhts"
in Zesens „Rosemund'' entnommen sind ^). Das Unwürdige
der Situation wird durch die Schlußworte der Alten noch be-
sonders hervorgehoben, die auf den Lohn aufmerksam macht.
Erotische Motive treten dann im Simplicissimus für
längere Zeit ganz zurück. Simplicius' nächster Liebeshandel
ist die Bekanntschaft mit der Dame „mehr mobilis als
nobilis", die sich hinterdrein als Landstörtzerin Courasche an
Simplicius rächt. Jetzt dient sie nur dazu, seinen Rück-
fall ins Weltleben zu illustrieren. Dies Kapitel-) ist demnach
wohl jünger als der Plan eines Lazarilloschlusses, den ein
solches Entgleisen des Helden nur stören mußte. Denn
Simplicius sollte wie Lazarillo endlich im Familienleben
gezeigt werden'). Seine Frau aus L. wieder auftreten zu
lassen, scheint dem Zartgefühl Grimmeishausens wider-
sprochen zu haben ; ein seltener Zug bei ihm wie bei seinen
Zeitgenossen. Macht doch die Nötigung zur Heirat samt
den Pariser Abenteuern die Ehe geradezu hinfällig. Wenn
trotzdem die Wiederaufnahme der ersten Ehe ausführlich
») Rosemund, Buch IH, S. 119 ff.
«) Simpl. V. 8.
3) S. o. S. 17.
— 56 —
vorbereitet wird, so möchte man schließen, daß die Hinder-
nisse ursprünglich gefehlt haben. Mehrere Momente weisen
nun ganz deutlich auf die Wiedervereinigung des Simplicius
mit seiner ersten Gattin hin. Simplicius selbst äußert mehr-
fach den Wunsch, zu seiner Frau zurückzukehren*). Nach
Schönsteins Bemerkung bei seinem Zusammentreffen mit
Simplicius, daß die junge Frau in L. „grossen Leibes" sei -),
erwartet der Leser noch mehr von der ersten Ehe Simplicius'
und von dem Kinde zu erfahren. Diese Vermutung bestätigt
sich in der Szene, wo Simplicius den Tod seiner ersten
Frau erfährt.*) Ganz offenbar drängt hier nämlich das
sympathetische Nasenbluten des Simplicius und seines
Sohnes auf eine Erkennung geradezu hin. Man ist er-
staunt, daß es nicht dazu kommt. Aber sie würde durch
Vereinigung von Vater und Sohn der vorzubereitenden
zweiten Ehe widerstreben. Das für den Roman Wichtige
dagegen tritt ganz zurück: die Nachricht vom Tode der
Frau wird ganz knapp erzählt, ohne einer bestimmten Per-
son in den Mund gelegt zu sein. Dazu spricht gegen die
zweite Ehe selbst literarisches Herkommen. Kommt sie im
pikarischen Roman vor, wie im „Guzman''*), so steht ihre
Möglichkeit außer Zweifel. Die erste Ehe ist dann endgültig
erledigt, dem geradlinigen Verlauf des pikarischen Romans
durchaus entsprechend.
So halte ich denn für wahrscheinlich, daß in einem
früheren Plane die erste Ehe wieder aufgenommen werden
konnte, daß also ihre Hindemisse, der Zwang bei ihrem
Abschluß und Simplicius' Pariser Erlebnisse dort gefehlt haben.
Nun ist gewiß auch die zweite so mühsam herbei-
geführte Ehe einmal gültiger Schluß gewesen. Vielleicht
kommt es daher, daß Simplicius' Frau sich aus dem ein-
») Simpl.IV, 1, S. 291, Z. 34; IV, 2, S. 293, Z. 29; IV, 9, S. 318
Z. 1; IV, 14, S. 334, Z. 3; IV, 25 S. 366. Z. 35.
») Simpl. IV, 10, S. 323, Z 15.
») Simpl. V, 15.
*) Guzman de Alfarache Teil II, Buch III, Kap. 2 ff.
— 57 —
fachen Bauernmädchen ohne Arg, wie sie zuerst geschildert
wird*), plötzlich niit Beginn eines neuen Kapitels*) in einen
Ausbund aller Untugenden verwandelt*). Mit Berück-
sichtigung dieser Veränderung würden sich wie bei den
Anfangspartien drei Entwickelungsphasen scheiden lassen;
1) die erste Ehe wird durchgeführt, 2) die erste Ehe wird
den aus der „Nisette" und anderen idealistischen Romanen
übernommenen Motiven zuliebe unmöglich und die zweite
tritt am Schluß in ihre Stelle; 3) auch die zweite Ehe
wird durch den Einsiedlerschluß umgestaltet. Zwischen
Plänen 1 und 2, genau wie beim Anfang hätte ein Einfluß
der ,,Nisette" stattgefunden, dort den Einsiedler, hier den
Yenusberg herbeirufend. Also im ganzen eine Parallel-
entwickelung beider Partien.
Auch der dritte Motivkreis ist sorgfältig entwickelt und
zeigt in der Anlage einige Ähnlichkeit mit dem erotischen.
Der Baaernjunge. der nicht weiß, was ein Wolf ist, ver-
steht den Krieg so wenig wie die Liebe. Besonders grausig
sind seine ersten kriegerischen Erlebnisse, wie seine ersten
erotischen besonders derb sind. Aber der kleine Tor
weiß diese Begebenheiten nicht zu beurteilen; sie ver-
wirren ihn nur. Nach dem Überfall auf den Hof des
•
Vaters irrt er, der den Plünderern harmlos geholfen hat,
im Walde umher ^), und der Angriff der Reiter"^) raubt
») Simpl. V7, S. 394, Z. Iff.
*) Simpl. V 8, S. 396.
") Möglicherweise hat Grimmelshausen die Geschichte dieser
zweiten liederlichen Ehe im achten Kapitel des fünften Baches
nach drei Epigrammen Logaus (ed. Eitner, Bibl. d. Litt Ver. Bd. CXITE
S. 28 Erstes Tausend, Erstes Hundert No. 82, zu Simpl. V. 8 S. 396,
Z. 18 ff. — S. 253. Anderes Tausend, anderes Hundert No. 24, zu
Simpl. V, 9. S. 403, Z. 21 ff. - S. 412 Zugabe nach dem zweiten Tau-
send No. 23 zu Simpl. V 9 S. 402, Z. 17) und einer ähnlichen Stelle
in der „Seltzamen Traumgeschichte von Dir und Mir" (Gesamt-
ausgabe 1695, Bd. III, S. 565) gebildet.
*) Simpl. I, 5, S. 17 ff.
•■^) Simpl. I, 5, S. 18, Z. 10.
— 58 —
ihm den letzten Rest von IQarheit. Nach der energisch
herausgearbeiteten „seltzamen Comödie von 5 Bauern"^)
bringt eigenes bei dem Einsiedler gewecktes Nachdenken
ihn zum stärksten Ausdruck seines Unverstandes: „es müsten
ohnfehlbar zweyerley Menschen in der Welt seyn, so
nicht einerley Geschlechts von Adam her, sondern wilde
und zahme wären, wie andere unvemünfftige Thiere weil
sie einander so grausam verfolgen" 2),
Dem dumpfen Wahn folgt hier, wie bei der Erotik das
Orakel der Soester Hexe, die Prophezeiung künftiger großer
Erlebnisse in Simplicius' phantastischem Traum vom Baume
des Krieges').
Träume waren im idealistischen Koman ein beliebtes
Mittel zur Vorbereitung; zumeist Bildersymbolik, bei der
kein Wort gesprochen wurde ^). Zum Realismus des pika-
rischen Romans wollten solche übersinnliche Erscheinungen
nicht passen. Wohl aber enthielt ,,Fi'ancion", realistischer
Stoff bei idealistischer Form, einen langen phantastischen
Traum*), und von ihm stammt Simplicius' Vision her.
Beider Stellung ist: Francion, der Held künftiger Liebes-
abenteuer, hat, soeben einem solchen tollen Erlebnis ent-
ronnen, jenen Traum voll seltsam derber Liebessymbolik;
ähnlich ist Simplicius gerade Zeuge der grausigen Szene
zwischen Soldaten und Bauern gewesen, da sieht der künftige
Jäger von Soest im Traume die große Kriegsallegorie.
Francion wie Simplicius finden sich plötzlich von Bäumen
umgeben®), und auch ihr Erwachen vollzieht sich in ähn-
licher Weise: Francion träumt von Lorette und erwacht in
den Armen der alten Kupplerin Agathe ''). In Simplicius'
») öimpl. I, 14.
«) Simpl. I, 15, S. 42, Z. 7 ff.
») Simpl. I, 16, S. 42, Z. 12.
*) S. Anhang.
») Francion III, S. 159.
6) Simpl. I, 16, S. 42, Z. 14, Francion S. 161.
') Francion Buch III, S. 177.
— 59 —
Vision wandelt sich das Rauschen des Waldes in das des
Kriegsbaumes und erweckt ihn*). Indes haben doch auch
Traummotive aus dem idealistischen Roman mitgewirkt; ja
ein ganz deutlicher Vorläufer jener Sphäre ist für Simpli-
cius' Traum leicht zu finden. Wie der Kriegsbaum, zu
dem sich der Wald schließlich vereinigt, ganz Europa über-
schattet*), so breitet sich der Weinstock, den Mandane aus
ihrem Schöße wachsen sieht, über ganz Asien aus. Die
Cyrusgeschichte konnte Grimmeishausen, wenn nicht auch
anderswoher, aus der mehrfach benutzten „Acerra philologica''
von Peter Lauremberg kennen*), die auch für eine Er-
wähnung des Cyrus als eines später berühmt gewordenen
Hirten Quelle gewesen sein mag*). Die satirische Tendenz,
die Grimmeishausen dem Traum verleiht, ist vielleicht auf
Moscheroschs Einfluß zurückzuführen. Ihr dient hauptsäch-
lich das siebzehnte Kapitel, das den Eindruck eines Zusatzes
aus einem fremden Werk macht. Eine neue Person, Adel-
hold, tritt uneingeführt sogleich auf, und eine wortreiche
Unterhaltung zwischen ihr und einem alten Feldwebel
imterbricht jäh die bisherige stumme Symbolik der Vor-
gänge. Vielleicht kann man Adelheids unvermitteltes Auf-
treten aus der Sprunghaftigkeit der Träume erklären, für
die Sorel an einer anderen Stelle ein deutliches Muster
gegeben hat. Der französische Realist läßt Francion un-
vermittelt von den sprechenden Bäumen zu einem Besuch
im Himmel übergehen. ,,Nachdem weiß ich nicht wie es
geschah, daß ich mich im Himmel befände (dan ihr wisset,
daß die Träume gar nicht auffeinander folgen)", er-
zählt Francion •^). So will auch Grimmeishausen den Über-
gang vom Wald zur Einheit des Baumes als realistisch sprung-
') Simpl. I, 18, S. 50, Z. 5.
») Simpl. I, 18, S. 49, Z. 29.
*) Acerra philologica, Rostock, 1638, Erstes Hundert No 39,
S. 86 f.
♦) Simpl. I, 2, S. 11, Z. 7.
'^) Francion S. 162.
— 60 —
haft angesehen wissen und erwartet deshalb wohl auch, daß
der Leser Adelheids unerklärtes Vorhandensein als Eealis-
mus betrachten wird. Allein dieser Sprung klafft zu weit.
Noch von einer anderen Seite her ist das siebzehnte
Kapitel auffällig: es schwellt nämlich den Traum, dessen
größeren Teil es ausfüllt, gewaltig auf, und striche man es,
so würde die Vision den Rahmen des Eomans nicht so
sehr überragen. Auch Francions Traum ist sehr umfang-
reich; allein in der Umgebung ausführlicher Icherzählungen
unterbricht er den Gang der Handlung nicht so stark.
Mit diesem Traum endet der erste Abschnitt von Sim-
plicius' soldatischen Erlebnissen. Es folgt eine Pause, aus-
gefüllt durch die Hanauer Lehrzeit. Nur ein soldatisches
Ereignis unterbricht sie: der Besuch des Kommissars, wozu
Simplicius in die Tracht eines Trommlers gesteckt wird')
Für das Ganze ist dabei nur die Namengebung wichtig.
Erst als Simplicius gelernt hat, sich seiner Haut zu wehren
als der Narr die Vernünftigen zum Besten hat, beginnen
militärische Eindrücke wieder stärker auf den Knaben ein-
zuwirken. Im Gefolge von Soldaten und Offizieren schlägt
er sich durch, aber nicht mehr in einer Garnison wie Hanau,
wo eine Gewalt Ordnung hält, sondern im Lager, auf dem
Marsche und im Freien, wo die Disziplin sich lockert. In-
folgedessen findet sich hier eine Verschmelzung pikarischer
und kriegerischer Elemente, von der schon oben die Rede
war^). Simplicius wird abgehärtet, und mit allerlei Kniffen
behauptet sich der schwache Troßjunge gegen seine Herren,
gegen schlechte wie die Kroaten, gute wie den alten üMch
Hertzbruder, sorglose wie den Oberstleutnant, dessen Küraß
Simplicius trägt, und geizige wie den Dragoner. Gleich
Lazarillo, dem echtesten picaro, zählt Simplicius hier, als
der Dragoner ihn zum Troßjungen macht, seine Herren:
„Also ward er im Krieg mein sechster HeiT, weil ich sein
M Simpl. II, 4, S. 100.
'') S. o. S. 51.
— 61 —
Jung seyn muste" *). Wie im ,,LazarilIo" fehlen auch hier im
wesentlichen stark herausgearbeitete Einzelerlebnisse. Sim-
plicius charakterisiert pikarisch sein Leben mehr im all-
gemeinen, und nur wenige Erlebnisse, wie die Hexenfahrt*),
des jungen Hertzbruder Sturz'), des alten Tod*), werden
novellistisch herausgearbeitet.
Die eigentliche Vorbereitung Simplicius' zum Soldaten
findet erst am Ende dieser pikarisch-kriegerischen Epoche
statt. Im Paradies, wo Simplicius mit seinem letzten Herrn
einquartiert ist, lernt er gut fechten und schießen**), und
mit dem Tode des Dragoners wird aus dem Reiterjungen
ein wirklicher Soldat. Grimmeishausens Held muß sich
nun allerdings vor den gewöhnlichen Soldaten hervortun;
deshalb zeigt ihn der Verfasser hier in einer Reihe kriege-
rischer Einzelerlebnisse, in denen er die erste Rolle spielt.
Die allgemeine Darstellung tritt zurück. Simplicius ist auf
der Höhe in seinem Reiterleben als Jäger von Soest. Es
setzt gleich ein mit einem kräftigen Schwank, dem Speck-
diebstahl, zu dem Grimmeishausen die Anregung aus Pari-
vals „Histoires fac6tieuses" schöpfte®). Allein aus einem
Racheakt plumper Bauemburschen gegen einen filzigen
Pfarrer macht Grimmeishausen ein humorvolles Reiter-
stückchen, bei dem alle Beteiligten, Schädiger und Ge-
schädigte, sich über den vermeinten Teufel freuen. Die
Harmlosigkeit hört freilich nun in Simplicius' Taten auf.
Dem Jäger von Soest steigt sein Ruhm bald zu Kopf: er
hält auf Reputation. Den Jäger von Werle, der unter seinem
Namen allerlei ehrlose Streiche verübt, straft er hart') und
sein Stolz wächst immer mehr, bis zum Gipfel in dem fri-
volen Duell mit dem Dragoner, das mir eine Umgestaltung
1) öimpl. n, 28, S. 180, Z. 39.
«) Simpl. n, 17.
8) Simpl. n, 22.
*) Simpl. n, 24.
») Simpl. n. 29.
*) Histoires facetieuses No. 52, S. 73.
') Simpl. in, 2.
— 62 —
der im idealistischen Eoman sehr beliebten Zweikämpfe mit
gefährlichen Folgen zu sein scheint. Hier, wo nur der
Witz des Schelms den stolzen Jäger zu retten veimag^),
vollzieht sich die Peripetie. Die Gefangennahme durch die
Schweden schränkt sehr bald die Freiheit des Dragoners
ein. Ein unterschied gegen die früheren kriegerischen
Vorgänge, deren Zeuge Simplicius nur war, ist hier, wo
er selbst mittut, deutiich: die Grausigkeit der Anfangs-
partien fehlt. Kein gemeiner, sondern ein vornehmer Soldat
soll ja Simplicius sein. Daher das höfliche Schreiben an
den seines Specks beraubten Dorfpfarrer ^), und der Schutz,
den Simplicius dem schwedischen Leutnant trotz aller seiner
Schmähungen angedeihen läßt*).
Mit der Gefangennahme hört Simplicius' kriegerische
Glanzperiode auf. Erotische und pikarische Elemente treten
wieder hervor. Erst spät wird Simplicius wieder Soldat;
aber was für einer! Ein gezwungener Musketier, der sich
kümmerlich mit Betrügereien durchschwindelt*), ein bloßer
Marodeur '^). Das Pikarische mischt sich wieder stark ins
Kriegerische, und damit weicht die novellenhafte Darstellung
vor der allgemein charakterisierenden zurück, bis schließlich
das Kriegerische unter Oliviers und Hertzbruders Einfluß
gänzlich verschwindet. Der als unbedeutend dargestellte
Versuch der beiden Freunde, in Wien neue Kriegsdienste
zu nehmen®), geht ungünstig aus, obgleich Simplicius hier
zum erstenmal wirklich Offizier wird. Simplicius' kriege-
rische Laufbahn ist zu Ende und damit auch seine innere
Entwickelung. Die russischen Kriegsabenteuer stehen eben-
sowenig in organischem Zusammenhang mit dem Roman
wie das späte Einsiedlerleben oder gar die Robinsonade.
1) Simpl. ni, 10, S. 231 ff.
2) Simpl. II, 31, S. 196, Z. 7.
8) Simpl. m, 7, S. 221, Z. 27.
*) Simpl. IV, 9 ff.
^) Simpl. IV, 12.
«) Simpl. V, 3.
— 63 —
Die kriegerische Laufbahn seines Helden gewährte
Grimmeishausen für sein Werk den großen Vorteil des ge-
schichtlichen Hintergrundes, und damit wird der Simpli-
cissiraus der erste deutsche historische Roman. Freilich
darf man kaum mit Tittmann die hierfür ausschlaggebende
Anregung im historisch-galanten Roman suchen^). Gab dieser
zwar als Schlüsselroman schon Zeitgeschichte oder jüngste
Vergangenheit im Kleide weit entlegener Zeiten, so glich er
doch dem schlechten Chronisten, der über dem Berichte von
außergewöhnlichen Ereignissen ein Gesamtbild der Zeit zu
geben unterließ. So konnte es geschehen, daß solche Ro-
mane trotz ihrer Ansprüche zum Teil ganz auf einen festen
geschichtlichen Kern verzichteten und nur ein äußerliches
Kostüm anlegten. Frei schaltete man demnach auch mit
Zeitbestimmungen. Die „Arcadia" spielt zu unbestimmter Zeit
in Griechenland, die „Argenis*' und gleich ihr die „Nisette" in
Sizilien. Assarinis „Demetrius" und „Stratonica'' führen zwai*
Personen aus den Diadochenkämpfen vor, aber Zeitkolorit
zu geben, die Menschen in ihrer bestimmten Umgebung auf-
zufassen, wird gar nicht versucht. Selbst Zesen erstrebt
dies Ziel nicht. In der „Assenat" hat sein Fleiß den ge-
lehrten Wust antiquarischer Kenntnisse, in ausführlichen
Anmerkungen sorgfältig belegt, zwar einzureihen, nicht aber
einzuschmelzen gewußt. Darauf kam es dem 17. Jahrhundert
auch gar nicht an. Ein isolierter, modemer Roman, die
„Rosemund'' Zesens, rechnete wenigstens insofern mit dem
Zeitgeschmack, als die Personen schäferliches Gewand trugen
und sich nicht in Deutschland, sondern in Frankreich und
den Niederlanden aufhielten.
Im Ausland freilich hatte der pikarische Roman sichere
Kulturbilder, wenn auch erst aus der Vergangenheit, ge-
geben, und Menschen, Verhältnisse, Tendenzen waren in
feste Beziehung zu einander gesetzt. Von hier ging die
Entwickelung weiter.
*) Sünplicianische Schriften, hrsg. von Tittmann, Bd. I, Ein-
leitung S. XXXVI.
— 64 —
Aber mehr noch als „Lazarillo" oder „Guzman" ist unser
Simplicissiraus ein historischer Roman. Die ungeheuren
Umwälzungen des dreißigjährigen Krieges boten eine noch
wirksamere Folie als die pikarische Welt. Das war große
nächste Vergangenheit. Indes Grimmeishausen zeigt sie,
nach pikarischera Rezepte, von unten aus, und gerade der
Nachfolger des plcaro, der deutsche Reiterjunge, gewann
dem Werke die Gunst der Leser. Man hatte genug von den
fernen Königen und Helden mit ihren unfaßlichen Abenteuern
und Liebesgeschichten. Aber was noch in jedermanns
Gedächtnis eingeprägt war und auf allen Zuständen lastete,
das war noch nicht geschildert worden: Geschichte und
Gegenwart zugleich.
Kein großer Führer der geschilderten Zeit tritt auf,
selbst nicht volkstümliche wie Gustav Adolf und Wallenstein
oder Pappenheim und Tilly. Nur Größen wie Johann von
Werth *), ein Liebling Grimmeishausens, oder Bernhard von
Weimar^) werden erwähnt, und der Graf Götz*), der Gou-
verneur von Hanau*) und der Oberst von S.-A.^), alles
Personen von zweitem oder drittem Rang, greifen in Simpli-
cius Leben ein. Auch wird nicht der Zusammenhang
großer historischer Ereignisse dargelegt. Obgleich Grimmeis-
hausen selbst politischen Blick besitzt — er zeigte ihn spä-
ter im „Stolzen Melcher' — obgleich er den Siraplicius über
seine Umgebung erhebt, zum historischen Verständnis und
gar zu der von der Icherzählung verlangten Darstellung des
Zusammenhanges fehlte dem pikarischen Soldaten die Höhe
des Standpunktes. Natürlich durfte Grimmeishausen den
Figuren der Fortsetzungen, die dem Simplicius geistig weit
') Simpl. I, 17, S. 48, Z. 16, III, 7, S. 223, Z. 6, III, 22, S. 279,
Z. 36. S. auch Rathstübel Plutonis Kap. 3. Ewig- währender Ka-
lender S. 58, 14. März, S. 64, 24. März, S. 182, 1. September.
*) Simpl. in, 22, S. 279, Z. 38.
») Simpl. II, 30, S. 187, Z. 20, HI, 22 S. 279, Z. 30.
*) Sünpl. I, 20 ff.
») Simpl. ni, 15 S. 252, Z. 27, vgl. auch Springinsfeld Kap. 16.
— 65 —
nachstehen, solche Gaben auch nicht verleihen. Darum
zeigen „Springinsfeld" und „Courage'^ bei verhältnismäßig
größerem Reichtum an wichtigen Ereignissen ebensowenig
historische Zusammenhänge wie Simplicissimus. Das Leben
des Volkes aber wird beschrieben, vor allem der Gegensatz
zwischen Bauern und Soldaten, zwischen Soldaten und Kommis-
sarien, der Neid bürgerlicher auf adelige Soldaten, Kamerad-
schaft und Freundschaft im bunten Lagerleben . . . und solch
vollständiges in sich abgeschlossenes Zeitbild erzwingt Glauben.
Es ist Kulturgeschichte, nicht politische Geschichte,
was Grimmeishausen erzählt. Aber an der Hand der Er-
eignisse läßt sich Simplicius' Leben genau fixieren. Die
Schlachten von Höchst, Nördlingen, Wittstock, sowie die
Belagerung von Magdeburg sind bedeutungsvolle Ereignisse
auch für Simplicius.
Die Schlacht bei Höchst vom 10. Juni 1622, die in dem
beim Kampf von seiner Gattin getrennten Vater Simplicius'
den Entschluß zum Einsiedlerleben reifen läßt, ist soeben
geschlagen, als Simplicius das Licht der Welt erblickt').
Die Nördlinger Schlacht vom 6. September 1634 treibt
das zwölfjährige Kind nach des Eremiten Tod aus dem Wald-
frieden nach Hanau und damit in die weite Welt^).
Die Belagerung von Magdeburg 1636 verbindet den
unfreiwilligen Narren mit den beiden einflußreichsten Ge-
nossen seines Lebens, dem getreuen Hertzbruder und dem
falschen Olivier^j. Nicht ohne Bedacht hat Grimmeishausen
gerade diese Stadt zum Schauplatz gewählt; war die stolze
doch wenige Jahre vorher von Tilly erstürmt und verheert
worden. Das wirkte lange in allen Gemütern nach, und
auch der Leser, dem keine Jahreszahlen genannt werden,
sollte sich dieser berühmten Belagerung erinnern, auf die
man noch lange danach ein altes weissagendes Carmen des
1) Sünpl. I, 20, S. 60; V. 8, S. 399, Z. 12.
«) Sünpl. I, 13, S. 36, Z. 8, I, 22, S. 62, Z. 4.
«) Sünpl. II, 19-24.
Palaestra LI. 5
— 66 —
Petrus Lotichius gern bezog'). Grimmeishausen selbst ge-
denkt im „Ewig-währenden Calender^' der Zerstörung Magde-
burgs^). Trotzdem lassen die folgenden Ereignisse, die Ein-
nahme von Perleberg und der Werberschanze ^) und besonders
die blutige Schlacht bei Wittstock keinen Zweifel, daß wir
im Sommer 1636 stehen.
Diese Schlacht (24. September 1636), die einzige, der
Grimmeishausen ein ganzes Kapitel widmet, führt wieder
zu einer Wendung in Simplicius' Leben. Sie setzt der hoch-
notpeinlichen Untersuchung vor dem Auditor ein jähes
Ende, und aus dem behaglichen Magdeburger Lagerjungen
wird der unruhige Troßbube des schwedischen Obrist-
leutnants. *)
Die nächsterwähnten wichtigeren historischen Ereignisse,
die Belagerung von Breysach (bis zum 19. Dezember 1638)
und die Schlacht von Witten weyer (30. Juli 1638) spielen
in Simplicius' Leben keine so große Rolle mehr'*), und noch
weniger wird der Einfluß der Schlacht bei Jankau und des
westfälischen Friedens betont.**)
Somit legt Grimmeishausen seines Helden Leben durch
Ereignisse zwischen 1622 und etwa 1650 fest.
Die teilweise langen Zeiträume zwischen den erörterten
Daten füllt er aber stets durch kleine geschichtliche Bemer-
kungen und klimatische Angaben aus, so daß man alles
chronologisch fixieren kann.
Zwei Jahre lebt Siraplicius bei dem Einsiedler') und
noch ein halbes Jahr nach dessen Tode im Walde, bis ihn
die Nördlinger Reiter verjagen. Also ist er, da er damals
M Petri Lotichii Secundi Opera Omnia Lips. MÜLXXXVI
S. 44. Liber II, Elegia IV, Ad Joachimum Camerarium Paben-
bergensem. •
2) Ewig-währender Calender S. 104, 20. Mai.
3) Simpl. II, 25, S. 168, Z. 18.
*) Simpl. II, 28, S. 178.
») Simpl. IV, 13, S. 333, Z. 3.
ö) Simpl. V, 4, S. 384 u. V, 5, S. 386.
') Simpl. I, 12, S. 32, Z. 13.
— 67 —
12^/4 Jahr zählte, mit 9'/^ Jahren zu dem Einsiedler ge-
kommen, d. h. im Frühjahr 1632 und zwar da am 17. März,
S. Gertraud, sein ,,Probierjahr'' von 3 Wochen um ist, am
25. Februar 1632 (das Jahr ist ein Schaltjahr)^). Aus
dem Wald gelangt Simplicius im Herbst 1634 nach Hanau.
Dort bleibt er, wie wiederholte Erwähnungen der Winter-
kälte zeigen^), bis ihn zu Anfang des Frühjahrs 1635 die
Kroaten vom Eise weg entführen^). Ende Mai 1635, also
nach 2 — 3 Monaten, liegt außer seinen Streifzügen mit den
Kroaten auch noch ein selbständiges Vagabundenleben hinter
ihm. Denn um diese Zeit fliegt er mit den Hexen aus der
Hersfelder Gegend nach Magdeburg*). Da Grimmeishausen
im „Ewig-währenden Calender" die Walpurgisnacht richtig auf
den 30. April setzt*), so kann man die Verlegung der Sim-
plicischen Fahrt auf Ende Mai wohl als absichtlich betrachten.
Dieses seltsame Ereignis führte aber auch plötzlich aus dem
Jahre 1635 in das Jahr 1636; denn die Belagerung von
Magdeburg beginnt erst 1636. Amersbach faßt das Flug-
motiv offenbar richtig als Traum®). Grimmeishausen nutzte
es zu einem örtlichen und zeitlichen Sprung. IS ach der
Schlacht bei Wittstock am 24. September 1636 und Streif-
zügen mit verschiedenen Herren verbringt Simplicius den
Winter 1636/37 im Kloster'), wo im Frühjahr 1637 sein
sechster Herr, der Dragoner, stirbt^). Der Sommer sieht
ihn als den Jäger von Soest. In dieser Zeit besonders
fehlen alle geschichtlich großen Ereignisse, in denen Sim-
pücius doch keine Hauptrolle spielen könnte, und alle
') Simpl. I, 9, S. 26, Z. 10.
2) Simpl. 1, 22, S. 59, Z. 10. II, 7, S. 109, Z. 37.
3) Simpl. II, 14, S. 134, Z. 25.
*) Simpl. II, 17, S. 141, Z 29.
^) Ewig-währender Calender S. 90.
®) Amersbach, Aberglaube, Sage und Märchen bei Grimmeis-
hausen. Beilage zum Programm des Großherzoglichen Gymnasiums
zu Baden-Baden für das Schuljahr 1890/91, Baden-Baden 1891, S.30.
'') Simpl. II, 29, S. 185, Z. 7.
») Simpl. II, 29, S. 185, Z. 9 ff.
5*
— 68 —
historisch bedeutenden Persönlichkeiten, die das Interesse
nur von dem einfachen Reiter abziehen müßten. Am Drei-
königstag, also am 6. Januar 1638, wird der verliebte Sim-
plicius glücklich bei dem reformierten Obristleutnant, der
die schöne Tochter hat, eingeladen^). Einige Zeit schwe-
discher Gefangenschaft liegt schon hinter ihm, wie aus
kleinen Zügen erhellt. Im Herbst 1637 bereits ist Simpli-
cius in schwedische Gefangenschaft geraten. Das Holz-
geschenk des Kommandanten soll doch wohl für den heran-
nahenden Winter gelten^). Die Zeit wird dem unfreiwilligen
Müßiggänger lang^) und er gerät in Liebeshändel*). Um
Weihnachten herum führt er die Gespräche mit dem warnenden
Pfarrer **).
Das erste Vierteljahr 1638 umfaßt nunmehr schier zu
viel. Die „Löffelei'' um die Obristleutnantstochter, Reisen
nach Köln und Paris und längeren Aufenthalt an beiden
Orten, die Flucht aus dem Pariser Sinnentaumel und die
Krankheit im französischen Dorfe, Quacksalberei und noch ein
gut Teil des Musketierlebens in Philippsburg. All das soll
zwischen Weihnachten und Ostern fallen; denn Simplicius
berichtet von priesterlichen Ermahnungen um die Osterzeit
aus Philippsburg®).
Von hier an werden die Begebenheiten nicht mehr eng
zusammengezwängt. Die Schlacht von Wittenweyer (30. Juli
1638) und die Belagerung von Breysach sind die chrono-
logisch festen Punkte. Bis zu jener Schlacht ist Simplicius
„Merodebruder"'). Etwa vier Wochen vorher dient er im
Götzischen Korps ^), nachdem Hertzbruder ihn aus der
>) Simpl. III, 21, S. 271, Z. 20.
2) Simpl. in, 16, S. 257, Z. 12.
3) Simpl. III, 17, S. 262, Z. 17.
*) Simpl. III, 18, S. 263, Z. 24 u. 264, Z. 7.
») Simpl. III, 19, S. 265, Z. 30.
<^) Simpl. IV, 11, S. 324, Z. 31.
■) Simpl. IV, 13, S. 333, Z. 3.
«) Simpl. IV, 14, S. 333, Z. 15.
— 69 —
Philippsburger Klemme zu Anfang des Sommers befreit
hat^). Im Dezember, noch vor Ende der Belagerung von
Breysach, haust Simplicius mit Olivier zusammen als Bandit.
Wieder drängen sich im Frühjahr 1639 die Ereignisse
ein wenig. Oliviers Tod, Simplicius und Hertzbruders Wieder-
sehen, des letzteren Leiden und Pflege, der Freunde Wanderung
in die Schweiz, ein vierzehntägiger Aufenthalt allein in Ein-
siedeln und die Reise nach Baden sind vergangen, da er-
fährt man aus Hertzbruders Munde, daß der Winter noch
lange währe ^). Und es muß doch schon Mitte oder gar
Ende Februar sein.
Der nächste historische Anhaltspunkt wird erst nach
sechs Jahren geboten mit der Schlacht bei Jankau (1645), an
der Simplicius mit seinem getreuen Hertzbruder teilnimmt®).
Wieder vergehen mehrere Jahre ohne Erwähnung be-
deutsamer Ereignisse. Dann wird Simplicius Erkundigungs-
reise nach Westfalen, die ihn über den Tod seiner ersten
Frau aufklärt, durch die Frage des irrsinnigen Jupiter nach
dem Stand der Münsterischen Friedensverhandlungen auf
das Jahr 1648 festgelegt*).
Dazu stimmt auch, daß der Knän im Saurbrunn beim
Wiedei'sehen auf Simplicius' Frage, ob ihm die Reiter nicht
vor achtzehn Jahren Haus und Hof geplündert hätten, ant-
wortet, solange sei es noch nicht her^). Das ergäbe für
diese Begegnung etwa das Jahr 1650.
Von nun an ist alles chronologisch unbestimmt. Die
russischen Ereignisse sind unhistorisch.
Aus dieser Rechnung folgt zunächst, daß Grimmeis-
hausen seinen Helden nur von 1622 — 1650, etwa durch
28 Jahre hindurch geleitet, eine kurze Spanne Zeit für die
von Simplicius darin erlangte Reife. Ja, nach strenger
») Simpl. IV, 12, S. 326, Z. 13.
«) Simpl. V, 3, S. 378, Z. 33.
8) Simpl. V, 4, S. 384, Z. 2.
*) Simpl. V, 5, S. 386, Z. 16.
») Simpl. V, 8, S. 397, Z. 30 ff.
— 70 —
Kontrolle ist Simplicius auf der Höhe seines Lebens noch in
ganz zartem Alter. Der Fünfzehnjährige ist der berühmte
Jäger von Soest, der vornehm auftretende schwedische Ge-
fangene, sowie der Gatte der Oberstleutnantstochter und
Liebhaber geheimnisvoller vornehmer Pariserinnen. Aber
nur dem prüfenden Analytiker wird solcher Widerspruch
klar. Dem einfach genießenden Leser, an den sich das
Werk zunächst wendet, gilt Simplicius als erwachsen. Der
Eindruck ist einheitlich; die Entwicklung führt zum ge-
steckten Ziel. Nicht wie in pikarischen Romanen Spaniens
sehen wir plötzlich mit Staunen einen fertigen und reifen
Mann vor uns, der doch eben noch ein Knabe war.
Grimmeishausen kennt aber sehr wohl auch die Pflicht,
die ihm die poetische Freiheit, uns einen der genauen Be-
rechnung nach erst im Jünglingsalter Stehenden als gereiften
Mann auszugeben, auferlegt. Sorgfältig meidet er Jahres-
zahlen, und nur ganz vereinzelt gibt er Tagesdaten, ziffern-
mäßig wie beim Tode des älteren Hertzbruder ^), oder nur
durch Angabe der Heiligen — St. Gertraud -), die heiligen drei
Könige^) — oder gar nur so vage wie bei der Hexenfahrt,
die man unwillkürlich, wenn auch fälschlich, auf die Wal-
purgisnacht bezieht.
Die Entwicklung vollzieht sich also gewissermaßen zeit-
los, und selbst Betonungen der großen Jugend, so wenn der
Korporal den Jäger geradezu als Kind ansieht*), stören nicht.
Außer diesen zumeist verdeckten Widersprüchen, die
durch das Ganze laufen, finden sich noch einige chrono-
logische Nachlässigkeiten.
Zweimal sahen wir kurze Zeitspannen mit überreichen
Geschehnissen gefüllt. Indes mit Hilfe der oben angenom-
menen drei Entwicklungsphasen lassen sich selbst Dis-
krepanzen erklären.
*) Simpl. II, 24, S. 164, Z. 30.
«) Simpl. I, 29, S. 26, Z. 11.
3; Simpl. III, 21, S. 271, Z. 22.
*) Simpl. III, 14, S. 251, Z. 7 ff.
— 71 —
Die zweite Ehe ist uns als unpikarisch erschienen.
Streicht man alles, was sich auf sie bezieht und sie vor-
bereitet, als nachträglich eingefügt, so fallen die zeitlich
sehr umfangreichen Pariser Kapitel, und der überlastete
Zeitraum von Weihnachten 1637 bis Frühling 1638 wird be-
deutend erleichtert. Noch deutlicher ist das bei der zweiten
Überfüllung: die auf den Lazarilloschluß zielende pikarische
Form ist reiner gewahrt, wenn alles auf die geistige Um-
kehr Simplicius' bezügliche, insbesondere die zeitraubende
Wallfahrt mit Hertzbruder fällt.
Durch solche Streichungen werden nicht nur chrono-
logische Schwierigkeiten beseitigt, sondern es wird auch
die Annahme mehrerer Fassungen, die die Striche erst
veranlaßt hatten, aufs neue bestätigt. Die Hypothese wird
femer noch unterstützt durch des Knäns Bemerkung beim
Wiedersehen: die Höchster Schlacht habe ihm seinen
Pflegesohn gebracht, die Nördlinger ihn wieder geraubt.^)
Diese Angabe entspricht nicht den Tatsachen. Vielmehr
findet der Überfall auf den Hof des Knäns schon
2^/2 Jahre vor Nördlingen statt. Die Nachzügler aus
dieser Schlacht vertreiben Simplicius erst aus seinem Wald-
lager. Die darauf ruhende Annahme, daß Nördlingen in
einem früheren Plane dem Knän verhängnisvoll geworden
sei, stützt auch noch die oben ausgesprochene Vermu-
tung, daß die Figur des Einsiedlers ursprünglich dem
Plane des Romans gefehlt habe. Dann wäre Simplicius
also gleich vom Bauernhofe ins Weltleben nach Hanau
gekommen. Als dann später die einsiedlerische Waldein-
samkeit hinzukam, wurde das Motiv des Überfalls wieder-
holt und auch noch die Verwüstung des Pfarrdorfes ge-
schildert. Die irrtümlichen Worte des Knäns aber ließ
Grimmeishausen stehen, sei es aus Nachlässigkeit, sei es
der wirksamen antithetischen Verbindung zweier Schlacht-
daten zuliebe.
») Simpl. V, 8, S. 399, Z. 11.
— 72 —
Durch solche Striche gemäß mehreren Plänen würden
also nicht nur chronologische Schwierigkeiten behoben, son-
dern auch die pikarische Form reiner hergestellt.
Chronologisch interessant ist ferner das Datum des
25. Februar, das für das Jahr 1625 als Ankunftstag Simplicius'
beim Einsiedler berechnet wurde und im „Ewig-währenden
CaJender" für 1635 als Datum einer Entführung des Simpli-
cius' (nicht auch Grimmeishausens) nach Kassel genannt wird.
Diese Übereinstimmung gibt zu denken. Das. im Roman
nicht ausgesprochene Datum hat gewiß eine Bedeutung ge-
habt, wenn Grimmeishausen es im „Calender", wenn auch mit
einer anderen Jahreszahl, noch zu wiederholen vermag. Sollte
wirklich ein folgenschweres Februarereignis in Grimmeis-
hausens eigenem Leben — eine Entführung, wie man ge-
wöhnlich annimmt — dieses Datum geliefert haben? Dann
würden sich die Jahreszahlen kaum widersprechen. Darf
man überhaupt dies Datum, das zunächst nur für Simplicius
berichtet wird, auch noch auf Grimmeishausen beziehen?
Vielmehr wird der 25. Februar sich erklären aus dem
Zusammenhang mit dem Namen Simplicius. Leicht war
dieser in Verbindung zu bringen mit dem Tag des heiligen
Simplicius, dem 2. März, nur eine Woche nach dem 25-
Februar. Am 2. März wäre, so scheint mir, vielleicht
noch auf besondere Veranlassung, wie noch in der jetzigen
Fassung beim Eintreffen des Kommissarius in Hanau ^), dem
Knaben sein Name gegeben worden. Danach wäre also das
Datum des 25. Februar wohl mit Rücksicht auf bequemere
Namengebuüg gewählt. Dieser Plan fiel, das Datum aber
hielt sich, wenn auch unausgesprochen.
Wie aber entstand dann die abweichende Jahreszahl
1635 der Kalendernotiz? Deren Inhalt deckt sich offenbar
gar nicht mit den Tatsachen des Romans. Jene erzählt
von Entführung, dieser von Überfall und Flucht, also von
ganz verschiedenen Dingen. Nun wird aber auch Simplicius
») Simpl. II, 4, S. 102, Z. 5 ff.
— 73 —
Anfang 1635 einmal entführt, und zwar vor Hanau durcli
Kroaten, die mit ihm nach Hersfeld zu reiten^). Die Ka-
lendernotiz spricht von Entführung durch Hessen nach Kassel,
was wenigstens zu den Ortsangaben des Romans ganz gut
paßt. Ich nehme daher an: in einem früheren Plane wurde
Simplicius durch hessische Reiter vom Bauernhof entführt
und kam so in die weite Welt; echt pikarische Motive.
Später wurden die Hessen durch die fremdartig wirkungs-
volleren Kroaten ersetzt. Die Figur des Einsiedlers aus dem
idealistischen Roman trat hinzu, und erst im Anschluß an
die durch den Tag des Heiligen gebotene Namengebung
ward das Datum des 25. Februar erfunden. Beide Phasen
zusammenwirkend ergaben die Kalendemotiz mit ihrem
Datum vom 25. Februar 1635.
^) Simpl. n, 14 u. 15, S. 134f.
V. Nebenpersonen.
Wir sahen im vorigen Abschnitt, daß zunächst die Ein-
heit des Helden den Roman zu einem Ganzen zusammen-
schloß. Anfangs überwog das Interesse an Abenteuern,
später gewann das an Charakteren mehr Raum. In beiden
Fällen aber führten die Ereignisse den Helden mit anderen
Personen zusammen, für die der Leser nun natürlich mehr
oder minder interessiert werden mußte. Wieder vollzieht
sich der Schritt vom Interesse am Abenteuer zum psycho-
logischen.
Im idealistischen Roman stellen infolge der Freude an
der Handlung gemeinsame Erlebnisse meist kein inneres
Band zwischen zwei Figuren her. Damit bleibt dem Autor
die Möglichkeit, seinen Helden mit immer neuen Figuren
zusammenzuführen. Aber wohl zur Wahrung der Einheit
des Ganzen treten doch imnjer wieder dieselben Personen
auf, freilich unter allerhand Masken, jedesmal neu eingeführt
und nur durch irgend ein kräftiges äußerliches Kennzeichen
charakterisiert. Bald taucht, wie in der „Arcadia'' oder der
,,Nisette", plötzlich ein unbekannter Ritter in auffallender
Rüstung auf*), bald zeigt es sich, daß ein Mann eine Frauen-
rolle gespielt hat^), und immer steckt eine schon bekannte Figur
in der Verkleidung. Der Autor vermeidet also nicht nur eine
1) Arcadia Buch 3. S. 446 u. 449 Nisette Buch 1. Kap. S. 542.
2) Pirocles-Zelmana in der „Arcadia"; Seasippus-Nisette in
der „Nisette"; Poharchus Theocrine in der „Argenis".
- 75 —
selbst dem 17. Jahrhundert zu starke Belastung mit Figuren,
sondern er bietet auch noch die Spannung einer Enthüllung.
Fand sie nicht sogleich statt, so blieb die Aufmerksamkeit
des Lesers nur am Ereignis haften. Schon aus der Mög-
lichkeit des Rollen- und Kostümwechsels kann man er-
messen, wie wenig Wert auf Charakteristik gelegt wurde.
Der pikarische Roman bringt tatsächlich, was der ide-
alistische Roman oft nur scheinbar bot: die Nebenpersonen
treten meist nur einmal auf und verschwinden dann völlig.
Ja die Bemerkung: „was aus ihm geworden ist, weiß ich
nicht" ist charakteristisch und auch noch im Simplicissimus
zu belegen.^) Aber im pikarischen Roman wird ein inneres
Band zwischen Held und Nebenfigur hergestellt, ein per-
sönliches Verhältnis zweier Personen geschildert. Guzmans
Enttäuschungen in seiner Umgebung, Lazarillos Liebe oder
Haß zu seinem jeweiligen Herrn sind uns glaubhaft, denn
wir sehen die Wirkung auf die picaros.
So wird gegenüber der nur äußerlichen Personenver-
knüpfung im idealistischen Roman ein organisches Einfügen
der Nebenpersonen in das Gesamtwerk erreicht oder min-
destens erstrebt. Ist der pikarische Roman auch hierin
wieder moderner als sein vornehmer Vetter, so müssen
naturgemäß auch im idealistischen Roman gewisse psycho-
logische Verknüpfungen zwischen den Personen versucht
werden. Nicht mehr gemeinsame Abenteuer stehen dann
im Vordergrund, sondern Ähnlichkeit oder Gleichheit der
Interessen, der Berufe usw. Diese müßte der Autor vor
den begleitenden und selbst vor den veranlassenden Ereig-
nissen hervorheben. Oft bedarf es hierfür nur eines Wortes,
zumal bei geringerer Bedeutung der Nebenperson. So ge-
nügt es fast stets, Diener als solche einfach einzuführen.
Von der besondem Vorgeschichte und den zahlreichen ge-
mütlichen Beziehungen zwischen Herr und Diener, die
spätere Jahrhunderte namentlich in humoristischer Literatur
Ulenhart Kap. 9, S. 49. Simpl. I. 14, S. 41, Z. 21.
— 76 —
so gern und ausführlich schildern, weiß das 17. Jahr-
hundert noch nichts. Diener sind entweder treu oder un-
treu; ein drittes gibt es nicht. Zu ausführlicher Exposition
der Nebenpersonen bevorzugt der idealistische Roman durch-
aus die eingelegte Icherzählung. ^) Die spätere reifere Tech-
nik, durch gelegentlich eingestreute Bemerkungen eine erst
nachher eingeführte Figur vorzubereiten, fehlt. Wie Poliarchus
die Argenis oder den Arsidas kennen lernt, oder Assenat
die Seraesse und Nitokris, oder Pasymethes die Hjpsipile,
oder Markhold die Rosemund, wird uns in. solchen zusammen-
hängenden Darstellungen erzählt.^) Man kann in dem bloßen
Umstand, daß solche Entstehungsgeschichten persönlicher
Beziehungen überhaupt mitgeteilt werden, wohl" den Ver-
such sehen, psychologische Grundlagen anzudeuten, wenn
auch die Lust am Fabulieren nicht ohne Einfluß geblieben
ist Denn die novellistische Bearbeitung ist bei mehreren
Vorgeschichten unverkennbar, so besonders, wenn Poliarchus
als Mädchen verkleidet sich der Argenis nähert; und ge-
rade die dadurch gegebene Selbständigkeit des Teils fesselt
den Leser leicht zum Schaden für das Ganze.
Der Problemroman konnte in dieser Beziehung als ein
gutes Zuchtmittel dienen. Soll das Problem überhaupt klar
hervortreten, so muß der Hauptaccent auf die Beziehungen
des Helden zu anderen Figuren fallen, nicht so sehr auf
seine Erlebnisse. „Lysander und Kalliste", wo das versäumt
wird, zeigen die Erstickung des Problems. Auch Assarinis
^Stratonica" hat unter überwucherndem Beiwerk gelitten, und
Zesen rettet die Deutlichkeit des Problems in der „Rose-
mund" nur, indem er es am Ende eines jeden Buches nach
allerhand Abschweifungen neu betont.
Weit besser steht es um den pikarischen Roman. Hier
nötigt die Icherzählung den Helden, alles zu sich in Be-
M S. oben Abschnitt III, S. 22 ff.
2) Argenis, Buch lU, 7ff., S. 328 u. IV, 9ff., S. 496. Assenat,
Buch I, S. 29 f. Nisette, Buch I, Kap. 4, S. 31 ff. Rosemund, Buch I,
S. 38 ff.
— 77 —
Ziehung zu bringen und so wird, falls etwa auch hier Auto-
biographien als Vorgeschichten eingeschoben werden, ihr Platz
weit genauer angewiesen. Sie bleiben infolge der Darstellung
durch den Helden in weit engerem Zusammenhang mit dem
Ganzen. Der Held erzählt ja auch jedes Zusammentreffen
mit anderen Figuren selbst und exponiert so gleich in der
Handlung. Dieser Umstand legt dem Autor in der Zahl der
Personen und in ihrer Exposition eine gewisse Beschränkung
auf. Man kann den Helden nicht völlig vergessen, wenn er
selbst erzählt, mögen es auch anderer Schicksale sein. Der
Erzähler bleibt wirklich die Hauptperson. Die reiche Fülle
nur zum Schmucke dienender Nebenfiguren, die der idea-
listische Roman so sehr liebte, fällt weg. Wenige Personen
greifen entscheidender in den Gang der Handlung ein als
die vielen des idealistischen Romans.
Damit hängt noch ein weiteres zusammen. Der Held
eines Romanes, dessen Schicksale uns ausführlich geschil-
dert werden, steht zumeist in Verbindung nicht nur mit
einzelnen Personen, sondern mit einem ganzen Kreise, einer
Gruppe und ihren Anschauungen und Bestrebungen.
Gerade hierin liegt das entscheidende Merkmal des
Romans. Erst wenn ein Charakter in Beziehung tritt zu
mehreren Kreisen und Kategorien, wird ein ganzes Menschen-
dasein oder auch das Dasein einer Gruppe in seinen Ver-
hältnissen zu Welt und Leben gezeigt. Das Allgemeine im
Besondem tritt zu Tage, das Typische im Individuellen.
Mit diesem Maßstab gemessen, ist der idealistische
Roman trotz seiner Personenmasse ärmer an Weltkenntnis
und Reichhaltigkeit des Weltbildes. Ein Mann wie der
Verfasser der „Argenis" freilich sucht — auf später zu be-
sprechendem Wege — eine Reihe von ernsteren Dingen,
als Kämpfe, Verschwörungen, Entführungen es dem geistigen
Gehalte nach sind, in den Kreis seiner Darstellung zu ziehen
Aber er steht ziemlich allein. Die „Nisette'', obgleich eine
Nachahmung der „Argenis", ist in diesem Punkte nur ihr
Gegenstück.
— 78 —
Auch der denkende und wägende Zesen sucht in der
„Assenat" das Gesamtbild zu runden, ja vielleicht schon in
der „ßoseraund".^) Doch scheint ihm Gelehrsamkeit das
einzige Mittel dazu.
Zusammenfassung der Nebenfiguren zu Gruppen ist
dem pikarischen Koman fast fremd. Wenn es trotzdem ge-
lingen soll, ein ganzes Milieu zu schildern, so müssen die
wenigen Nebenpersonen zur Charakteristik der ganzen Um-
gebung weit mehr herausgearbeitet werden. Daher sehen
wir den Lazarillo so sorgfältig behandelten, gegeneinander
abgestuften Charakteren begegnen.
Ähnlich steht es in der „Gardufia", in der gleichfalls nur
wenig Personen auftreten. Das Bild des Milieus ist zwar
auch hier gelungen; aber die einzelnen Charaktere sind
nicht so liebevoll ausgearbeitet, wie es dem Anonymus des
„Lazarillo^' gelungen war. Die Nebenpersonen der „Garduna'^
allerdings lösen einander nicht ab, wie die des ,,Lazarillo",
sondern langsam schließt sich der Rufina eine Schar von
Getreuen an, für die sie teils Führerin, teils Mittel bei
Diebereien und Hochstapeleien wird.
Noch weniger treten die einzelnen Nebenpei^sonen im
.,Guzman" hervor. Höchstens sehen wir zu Anfang die
betrügerische Wirtin deutlich vor uns. Doch haftet aus
Guzmans Pagenstreichen, die eine größere Anzahl Mitspieler
bedingen, kaum eine Figur besonders im Gedächtnis.
Naturgemäß schließen sich an einer Stelle des pikari-
schen Romans die Nebenfiguren zu einer Gruppe zusammen:
am Anfang. Die Eltern erscheinen durch ein natürliches
Band gepaart, dennoch sind auch hier die einzelnen
Figuren gern ausführlich entwickelt. „Lazarillo'^ bietet uns
die köstliche Figur des Mohren, „Guzman'' die wohlgelungenen
Bilder des betrogenen Prälaten und seiner ungetreuen Ge-
^) Indes steht gerade dieser Problemroman in weit innigerem
Zusammenhange mit der Novelle als mit dem Roman. Die Novelle
aber verfolgt entgegengesetzte Ziele, nicht das Typische, sondern
das Sonderbare, den merkwürdigen Einzelfall.
— 79 —
liebten sowie den verschlagenen Kaufmann, freilich schnell
abtretende Gestalten. Wie gut steht in der „Gardufia'' der
leichtsinnige und ehrlose Yater Rufinas ihrer aufopfernden
Mutter gegenüber. Selbst die „Justina", sonst so arm an
Charakteristik, sucht die Eltern zu individualisieren. Trotz-
dem aber liegt der Schwerpunkt auf der Charakteristik der
Gruppe, wozu ja auch der ironisch die Unehrlichkeiten
beschönigende Ton ^) mitwirkt.
Beim idealistischen Roman war schon die große Zahl
der Personen der Gruppierung günstig. Bestimmte Motive
führten immer wieder zu ähnlichen Personengruppen. Das
Hof leben in der„Argenis", der„Nisette", „Assenat" und „Rose-
mund" brachte Personen des Hofhalts, kriegerische Verwick-
lung Gegner, Heerführer und Soldaten beider Parteien mit sich.
Innerhalb der Gruppen wird wohl der Versuch gemacht,
die Figuren zu differenzieren. Zesen will Interesse nicht
nur an Sefiras Schicksal, sondern auch an ihrer Person
wecken.^) Auch kann manCholevius wohl zustimmen, wenn er
in dem alten König von Ägypten einen ausgeprägten Cha-
rakter erkennt '*.): eine gewisse Bonhommie unterscheidet ihn
glücklich von seiner Umgebung. Barclai verwahrt sich zwar
mit Recht gegen die Genauigkeit seiner Porträts; aber Hein-
rich 111., der Herzog v.Guise und der spanische König Philipp II.
haben doch entscheidende Züge für die Charaktere des Mele-
ander, des Lycogenes und des Radirobanes hergeliehen. *)
Natürlich muß man hierbei berücksichtigen, daß die Kunst
der Charakteristik noch unentwickelt und stark getrübt ist
durch die von Dupond betonte, fast kindliche Freude an
interessanter Handlung.*) In der „Rosemund'' mag außer-
dem Zesen-Markholds Eitelkeit mitgespielt haben, die die
Erfolge des Helden bei Frauen behaglich schildert.
^) s. oben S.7.
*) Cholevius, S. 90.
8) Cholevius, S. 88.
*) Dupond. L'Arg^nis de Barclai, Paris 1875. S. 66—70.
») Dupond a. a. O. S. 84.
— 80 —
Für Grimmeishausen zeigte es sich schon, daß er nicht wie
Barclai alfresco historische Ereignisse und Personen in Masken,
sondern Alltagsleben und Geschichte zugleich in kleinen
Strichen, im Milieu des pikarischen Romans schildert Daher
mußte ihm nicht so sehr an Abenteuern und novellistischen
Einzelerlebnissen liegen, als an milieuschildernden Personen.
Sein Vorbild war also auch hier der pikarische Roman.
Legt man diesen Maßstab an Grimmeishausens Nebenpersonen,
so hat er zwar den besten pikarischen Roman, den „Lazarillo'*,
nicht an psychologischer Ausarbeitung erreicht, wohl aber
den Durchschnitt hinter sich gelassen. Charaktere von der
Genauigkeit und Durcharbeitung, wie der Blinde oder der
Hidalgo, suchen wir bei Grimmeishausen vergebens.
Man bemerkt mit Erstaunen, daß Grimraelshausens
Nebenfiguren im allgemeinen nicht die sonstige Lebenswahr-
heit seiner Bilder erreichen. Die wichtigeren lassen sich
in zwei Klassen scheiden: Hertzbruder und Olivier gegen
alle übrigen.
Yergleicht man Olivier und Hertzbruder mit Figuren
wie dem Gouverneur, dem Kroatenoberst, dem Knän, dem
Einsiedler, dem Pfarrer, so zeigt sich, daß diese zwar an
Wichtigkeit hinter jenen zurückstehen, sie aber an Wahr-
heit überti'effen. Das hat seinen Grund wohl darin, daß,
wie wir noch genauer sehen werden, Olivier und Hertz-
bruder dem ursprünglichen Plane fremd waren. Von Hertz-
bruder hören und sehen wir nur Gutes und Edles, von
Olivier nur Schlechtes. Menschliche Schwächen und Fehler
sind dem einen so fremd, wie dem andern etwa die Scheu
vor irgend einem Frevel. Aber gerade diese letzten Reste
des Guten und Bösen, diese kleinen Züge erst vervoll-
ständigen ein Charakterbild zur Glaubwürdigkeit. Viel-
leicht erforderten die beiden breit ausgeführten Figuren
eine grr)ßere Kunst der Charakteristik als sie dem 17. Jahr-
hundert im allgemeinen eignet. Sie begleiten Simplicius auf
dem größeren Teil des uns geschilderten Lebensweges. Figuren
dagegen, die schneller abtreten, wie der Kroatenoberst, der
Sl
Peiisionshalter in Köln oder die aiifieren Herren des Sirupli-
eina, besonders der Dragoner, genügte es mit einigen Strichen
zu unireifleo. An ilinen wird meist nur eine Eigenschaft stark
herausgearbeitet — am Kroatenoberst die nnzi vilisierte Roheit
und Rauheit, am Pensionshaiter Geiz und Habgier — und im
allgemeinen ihre freundliche, feindliche oder gleichgültige
Stellung zu Siraplicius angegeben. Da der Leser sie bald
aus den Augen verliert, interessieren ihn ihre weiteren
Fehler oder Vomüge nicht Besser steht es um den Gou-
verneur, den Einsiedler und den Pfarrer. Hier sehen wir
weiter durchgebildete Pigureu, deren einzelne Haudlimgen
Zu- oder Abneigung wecken.
Wenn wir den Gouvemeiir nicht ohne wahre Rührung
Simplicius aufnehmen seilen, so erwärmt uns Grimmeis-
hausen damit für ihn; doch scheut der Äntor sich nicht,
den alten Soldaten in den seinem Charakterbild gewiß nicht
vorteilhaften Gelageszeneu zu zeigen, oder er läßt gar Eigen-
liebe und Freude an derben Spaßen so sehr Oberhand über
die Liebe zu Siinplicius gewinnen, daß er das Kind zum
Narren macht Gewiß hat Grinimelshausen bei der Schilde-
rung der Zuneigung des Gouverneurs für den Knaben an
eine geheinniisvolle Stimme des Blutes gedaclit. Erscheint
das Motiv auch heute gewagt und iu der Behandinng nicht
genügend motiviert, so gewinnen die Tatsachen doch dem
Gouverneur aucii des heutigen Lesers Herz.
Feiner noch ist der Chiu'akter des Pfarrore behandelt. In
ihm mischen sich glücklich Frömmigkeit und andere, dem
geistlichen Stande anstehende Tugenden mit weltkluger Ver-
schlagenheit, Grimmeishausen zeigt uns, daß der Pfarrer
den Knaben liebt und ihm aus der Not hilft, aber dabei
spielen auch egoistische Motive mit. Wenn er Simplicius
in Hanau rekognosziert, so nutzt er die dabei für ihn
selbst sich ergebende günstige Lage gewandt aus. Wenn
Grimmeishausen ferner ihn als Geistlichen zur Vertrauens-
person macht, so setzt der Pfarrer den Knaben doch durch
Zurückhaltung seines trrteils über das sündige Weltleben
Piluntn LI. 6
— 82 —
in Hanau in Erstaunen. Und gar als Simplicius, schmutzig
und übelduftend dem Gänsestall entronnen, in Ungnade ge-
fallen zu sein scheint, da nimmt ihn der Pfänder zwar an-
fangs auf und steht ihm auch nachher durch Aufklärung
des Sachverhalts vor dem Gouverneur bei, aber er sagt dem
hilflosen Knaben doch : „packe Dich nur geschwind auß
dem Bette, und trolle Dich auß dem Hauß, damit ich nicht
samt Dir in Deines Herrn Ungnade komme, wan man Dich
bey mir findet." Diese glückliche Mischung wohlwollender
und egoistischer Züge ist Grimmeishausen bei keiner Figur
wieder gelungen.
Die Figur des Einsiedlers nimmt infolge ihrer bereits
erwähnten Stilisierung eine Sonderstellung in dieser Reihe
von Charakteren ein. Die Fähigkeit, seine geheime Be-
ziehung zu Simplicius zu erkennen, wobei wieder die Stimme
des Blutes mitspricht, das Vermögen, sein eigenes Ende
genau vorherzuwissen, in Verbindung mit seiner Liebe zu
Simplicius und mit seiner Milde — lauter freundliche Züge,
kontrastieren ihn als alten Soldaten, als der er sich ja später^)
herausstellt, wirksam gegen die blutigen rohen Plünderer
des Knänhofs und die derben Hanauer. Aber die Verbin-
dung dieser idealisierten Figur mit der AVirklichkeit ist
hergestellt durch seine Sorgen und Bemühungen um Simpli-
cius' leibliches und geistiges Wohl.
In den kleineren simplicianischen Romanen steht ei>
kaum anders als im „Simplicissimus". Man gewinnt von
einigen Figuren ein anschauliches Bild, ohne daß irgend
eine genauer ausgeführt wäre. In der „Courasche'^ sind die
verschiedenen Männer und Liebhaber der Marketenderin
recht wirksam kontrastiert: Typen wie der Rittmeister, der
verliebte holsteinische Edelmann prägen sich ein. Ebenso
erscheinen im „Springinsfeld" einige recht glückliche
Figuren, so der Titelheld als Typus des gewöhnlichen Sol-
daten ohne Ehrgeiz und höheres Streben, der doch nicht
>) Simpl. I. 22, S. 59.
— 83 —
der eigentliche Held des Buches ist; ferner die Episoden-
Figur des Obersten Lumpus, der freilich nicht selbst auftritt,
sondern dessen Geschichte nur von einem der alten Kame-
mden erzählt wird. Seine Rolle ist demgemäß nur klein.
Daß Grimmeishausen bei Personen ohne jede Bedeu-
tung auf Charakteristik verzichtet, ist wohl begreiflich. Über
das Wesen von Leuten wie die beiden Bauern beim Soester
Schatz ^), die zwei jungen Edelleute, die Simplicius nach
Paris bringt^), die beiden Schnapphähne ^) erfahren wir
nichts. Vielleicht ist es kein Zufall, daß es sich dabei immer
um mehrere Personen handelt. Der Leser fragt woniger
nach der Individualität des Einzelnen, wenn er sich zweien
gegenüber sieht, die sich gegenseitig das Licht nehmen.
Meist kann man die Bedeutung einer Figur schon bei
ihrer Einführung erkennen. Grimmeishausen vermittelt dem
Leser für Pei^sonen von irgendwelcher Wichtigkeit gewöhn-
lich eine sorgfältige Bekanntschaft. Er beschränkt sich nicht
auf die einfache Erwähnung, sondern gibt mit Vorliebe noch
kurze orientierende Winke, sei es durch Beschreibung, sei
es diu'ch einige rasch zusammenfassende Bemerkungen über
die Vorgeschichte der neuen Figuren.
Im allgemeinen werden pikarischem Rezept getreu die
wirklichen Beziehungen des Helden zu den Nebenfiguren
auseinandergesetzt. Zumindest wird für den Leser in diesem
Punkte nicht mit unnötiger Geheimnistuerei gearbeitet.
Olivier und Hertzbruder sind die beiden Gefährten auf
Simplicius' Lebenswege, der Reiter rechts und der Reiter
links. Nur durch Einflüsse des idealistischen Romans er-
geben sich Verwirrungen, die eine Anagnorisis möglich und
nötig machen. Daß der Einsiedler Simplicius' Vater ist, be-
merkt der Leser natürlich bald, nicht erst am Schluß des
Werkes. Auch in welcher Beziehung der Gouverneur zu
>) Simpl. III, 12, S. 242, Z. 5.
«) Simpl. IV, 1, S. 290, Z. 11.
») Sünpl. II, 16.
6*
— 84 —
seinem Pagen, der Knän zu dem Bauemjungen steht, wird
damit aufgetan. Aber erstaunlich und unvorhergesehen ist
die Identität Oliviers mit dem Jäger von Werle.
Auch im „Simplicissimus'' unterscheiden sich verschie-
dene Gruppen von Nebenpersonen. Zu Anfang, pikarischem
Vorbild gemäß, die der bäurischen Eltern, insofern mit
Motiven des idealistischen Romans umwoben, als die Anagho-
risis sie als Pflegeeltern enthüllt; der Hanauer Kreis, Gou-
verneur, Pfarrer, Page, Sekretär und die vornehme Dame;
ferner die, wie schon gezeigt, der „Arcadia" entlehnte Gruppe
des Rittmeisters und seiner Frau nebst dem Knechte, die
bald mehr soldatisch, bald mehr pikarisch gefärbte Um-
gebung Simplicius' in Köln, Paris, Philippsburg usw.
Besondere Erörterung heischt die Gruppe der beiden
Hertzbruder, des Profoß und Oliviers, denn sie trägt noch
Spuren der Entwicklung an sich, die für die Geschichte
des Romans bedeutsam sind. Diese Gruppe besteht aus vier
offenbar planvoll angeordneten Figuren : zwei für Simplicius
günstigen, den beiden Hertzbruder, und zwei minder gün-
stigen, dem Profoß und Olivier. Den beiden Begleitern
Simplicius' steht je eine Persönlichkeit reiferen Alters zur
Seite. Die Parteien bekämpfen sich natürlich. Also ein
bewHißter Parallelismus, sonst dem pikarischen Roman fremd.
Nirgends im ganzen Roman findet sich eine so wohlgeord-
nete Gruppe wieder, nirgends treffen Personen, die so oft
und stark auf Simplicius' Schicksale einwirken, wieder an
einer Stelle zusammen. Hertzbruder und Olivier treten
sich nie wieder entgegen. Die Gruppe und Stelle ist also
von größter Bedeutung für Simplicius' Leben. Was frei-
lich in der Gruppe selbst geschieht — Oliviers Intrigen gegen
den jungen Hertzbruder und die stark herausgearbeitete
seltsame Geschichte mit dem goldenen Becher des Obersten —
hat im Grunde genommen zuvörderst nur Interesse für die
Nächstbeteiligten, für Simplicius aber erst in den Folgen,
so 'daß die Ereignisse fast nur episodischen Wert für den
Roman haben. Ihr Inhalt entspricht nicht ihrer Bedeutung.
— 85 —
Aber auch der Platz der Gruppe im ganzen Roman ist
eigentümlich. Eine so wichtige Gruppe sollte man auf dem
Gipfelpunkt des Romans selbst vermuten; aber nicht ein-
mal Beziehungen zur Höhe von Simplicius' Leben sind er-
kennbar. Im ganzen dritten Buch ist Hertzbruder ver-
schwunden und Oüviers Auftreten durch das Pseudonym
des Jägers von Werle belanglos. Dagegen ist die Gruppe
in ihrer tatsächlichen Stellung an merkwürdigem Platze.
Der alte Hertzbruder, den wir zunächst kennen lernen, steht
durch Einführung, Behandlung und Bedeutung in einer
Linie mit den andern Herrn des Reiterjungen, hebt sich
aber in den Wirkungen nicht von ihnen ab. Sein Ein-
fluß ist zwar stark und heilsam, doch es gelingt ihm nicht,
des armen Narren seltsam unerfreuliche Lage dauernd zu
bessern: Nach dem Tode des Alten sinkt Simplicius doch
wieder zur Narrenstellung zurück.
Die Einführung der Gruppe ist deshalb bemerkenswert,
weil Grimmeishausens Gebrauche entgegen der alte Hertz-
bruder stärker hervorgehoben wird als der junge. Der
Alte aber steht wieder in einer Linie mit den früheren
Herren des Simplicius. Das Ende des 19. Kapitels im zweiten
Buche macht uns mit den beiden Hertzbruder bekannt.
Von dem Alten wird uns allerlei mitgeteilt: Charakter, Bil-
dung, Geschichte und jetzige Stellung^); wir kennen ihn
nun schon genau. Von dem Jungen dagegen erfahren wir
nur, was er ist.*) Der Alte erst vermittelt Simplicius'
Freundschaft mit dem Sohne, die allerdings bald eng und
herzlich wird. Vom Vater erfahren wir auch, wie er
Simplicius' wahres Wesen durchschaut. Für den Sohn
müssen wir diese Kenntnis erschließen. Auffällig ist ferner
die Art, den Familiennamen der beiden Hertzbruder mit-
zuteilen: ,,Mit diesem Musterschreiber, welcher wie sein
Vater Ulrich Hertzbruder hieß'*^), sagt Grimmeishausen.
1) Simpl. II, 19, S. 148.
2) Simpl. II, 19, S. 148, Z. 19.
3) Simpl. II, 21, S. 158, Z. 4.
— 86 —
Beide Namen werden also zugleich angegeben. Aber warum
tragen Yater und Sohn — übrigens keineswegs unglück-
lich — den gleichen Vornamen? Hat es Grimmeishausen
an Namen gefehlt? oder hat nach Abzweigung des Sohnes
sich der Name des Täters auf den Sohn übertragen oder
umgekehrt? Nach Bedeutung des Familiennamens kann
man wohl das Letztere glauben. Eine vierte Möglichkeit,
die, daß der Vater erst nach dem. Sohn erfunden sei und
auch dessen Namen erhalten habe, glaube ich ausschalten
zu können. Für diese Partie ist der Vater Hertzbruder ge-
wiß von größerer Bedeutung als der Sohn und daher wohl
als weniger entbehrlich zuerst erfunden worden. Ähnlich
wie mit der Einführung des jungen Hertzbruder steht es
mit der Oliviers. Sie geschieht zwar nicht ungenügend
oder unsorgfältig, aber nur im Vorübergehen, ohne daß ein
Accent auf diese wichtige Person fällt, wie wenn nach-
träglich mit ein paar AVorten unter möglichster Schonung
des Bestehenden noch etwas nachgeholt würde. „So gab mir
auch meines Herrn Schreiber, der ein arger Gast und durch-
triebener Schalk war, viel Materie an die Hand . . ."^);
ebenso gelegentlich der Name: „sonderlich Olivier, unser
Schreiber".^) Das vierte Glied der Gruppe, der Profoß, dient
offenbar nur dem Parallelismus wie einer Ermöglichung der
Grimmeishausen lieben Becherszene. Der Eingang eines
Kapitels nennt ihn zum ersten Mal und charakterisiert ihn
ziemlich ausführlich. Nimmt man an, daß der alte Hertz-
bruder zuerst erfunden ist, so sind die übrigen Figuren
wohl in der Reihenfolge: Olivier, der jüngere Hertzbruder,
der Profoß aufgenommen worden. Denn daß die ganze
Gruppe nicht einheitlicher Konzeption ist, dafür werden
sich noch Gründe zeigen. Olivier, von Anfang an als Ver-
treter des bösen Prinzips gedacht, sollte wohl eine Kontrast-
figur gegen den biedern alten Hertzbruder bilden. Ein
>) Simpl. II, 21, S. 156, Z. 21.
») Simpl. n, 22, S. 159, Z. 25.
— 87 —
älterer Mann aber hätte im Roman des 17. Jahrhunderts,
selbst nicht im realistischen, keine sittlich schlechte Per-
sönlichkeit sein dürfen. Der deshalb gewählte Jüngere
aber fügte sich der Symmetrie des Kontrastes nicht völlig
ein. Es lag nahe, zu Olivier, der das Böse vertritt, eine
jugendliche Parallele zu erfinden für das Gute: den Sohn
Hertzbruder. Damit aber der Parallelismus mm erhalten
bliebe, stellte Grimmeishausen dem jüngeren Olivier den
in reiferem Mannesalter stehenden Profoß als Helfer zur
Seite. So denke ich mir die Entstehung der Gruppe-
Diese vier Nebenpersonen durch den Roman weiter zu
führen, wäre zu viel Ballast gewesen und hätte die beiden
Prinzipien durch die doppelte Vertretung an Wucht ver-
lieren lassen, was sie an Breite zugenommen hätten. Darum
mußten die beiden Alten im Laufe des Romans verschwin-
den, während die Jungen blieben.
Die Frage nach der Chronologie der Figuren erhält
noch neues Licht von einer andern Seite.
Je weiter man in den Roman eindringt, um so auf-
fälliger wird das Zurücktreten von Einzelfiguren. Nur Oli-
vier und Hertzbruder spielen in der zweiten Hälfte des
Werkes noch eine Rolle. Aber sie verdrängen alle Per-
sonen von der Bedeutung und der bis zu einem gewissen
Grade ausgeführten Charakteristik, wie der Gouverneur, der
Einsiedler, der Knän, der Pfarrer es waren. Auf der Höhe
seines Glücks steht keine besonders ausgearbeitete Figur
neben Simplicius. Ganz allgemein wird mitgeteilt, daß
Offiziere sein Umgang sind, daß die Kameraden den er-
folgreichen Soldaten beneiden. Springinsfeld bleibt ganz
im Hintergrund. Bei dem leichtsinnigen Duell mit dem
Kürassier steht er zwar Simplicius' zur Seite, wird aber
sonst kaum erwähnt.^) In L. heiratet Simplicius, doch
wir erfahren kaum mehr von seiner Ehe als ihren Be-
ginn.*) Jupiter nimmt zwar einige Kapitel für sich in
1) Simpl. III, 9.
2) Simpl. III, 21.
— 88 —
Anspruch, ist aber für die Handlung ohne Belang. In
späterer Zeit spielen der geizige Kölner Pensionshalter, der
Pariser Arzt wohl noch einmal kleinere Rollen^), eine aus-
führliche Schilderung unterbleibt indes. Und doch finden
sich Anzeichen dafür, daß auch in diesem Lebensabschnitt
eine Figur als treuer Freund Simplicius beistand und ur-
sprünglich breiteren Raum einnahm: der Cornet von Schön-
stein. Ihm gelingt es, den berühmten Jäger von Soest zu
fangen-), und Grimmeishausen widmet dabei seiner Persön-
lichkeit eine für die kurze Rolle doch große Ausführlich-
keit. Er läßt zwischen Sieger und Gefangenem ein freund-
schaftliches Verhältnis sich anspinnen, und man erwartet,
daß Simplicius mehr über ihn berichten werde. Niclits da-
von. Der Cornet verschwindet wieder. Daß trotzdem enge
Freundschaft Simplicius mit ihm verbunden und sich er-
halten hat, zeigt Schönsteins späteres Auftreten, wo er als
Simplicius' „getreuster Freund" genannt wird.*) Das ist
sonst stets Hertzbruder. Ja selbst ein feierliches Gelöbnis
gegenseitiger treuer Freundschaft scheint nicht nur zwischen
Hertzbruder und Simplicius, sondern auch zwischen diesem
und Schönstein ausgetauscht worden zu sein.*) Schr)nstein
vertritt Hertzbruder auch geradezu einmal. Wenn er Sim-
plicius im Elend zu Philippsburg findet und ihm hilft*'^), so
schildert der Autor nur kürzer, was später ausführlicher dem
Hertzbruder zugeschrieben wird.®) Aber Schönstein dient so
nicht nur als vorbereitende Parallelfigur zu Hertzbruder, son-
dern er greift auch wichtig in die Handlung ein, da er dem
lange von Hause Entfernten Nachricht von den Seinen gibt,
besonders die, daß seine Frau „grossen Leibes" sei.") Dadurch
') Simpl. in 23 bis IV, 3.
») Simpl. III, 14.
») Simpl. V, 5, S. 388, Z. 16.
*) Simpl IV, 10, S. 322, Z. 36.
^) Simpl. IV, 10, S. 322.
«) Simpl. IV, 12.
7) Simpl. IV, 10, S. 323, Z. 14
— 89 —
wird die wichtige Verbiüdiing mit der Familie wiederher-
gestellt. Diese Aufgabe aber konnte nicht Hertzbruder, sondern
nur Schönstein übernehmen, da jener ja in L. und Soest gar
nicht neben Simplicius lebt. Also Hertzbruder und Schön-
stein geraten hier in Kollision. Hertzbruder ist schließlich
siegreich, wie er ja auch seinen Yater verdrängt hat; aber
woher stammt die auffallende und fast störende Figur des
schwedischen Cornets?
Betrachten wir vom gleichen Standpunkte aus eine
weitere Figur, den schwedischen Leutnant, der sich so
schwer in seine Gefangennahme durch Simplicius fügen
will.^) Auch hier sehen wir, wie schon bei dem Cornet
von Schönstein, eine Figur breit eingeführt, offenbar in
der späterhin aufgegebenen Absicht, sie nachher weiter zu
verwenden. Wie wir diese beiden Figuren heute finden,
sind sie ohne innere Daseinsberechtigung. Wozu durch
Simplicius langen Bericht erst des Lesers Interesse an dem
Leutnant wecken, wenn nachher doch nichts mehr von ihm
gesagt wird?
Setzt man aber diese beiden Figuren, Cornet und Leut-
nant, miteinander in Verbindung, so fällt auf frühere Phasen
des Romans ein Licht. Heute kann der Leutnant nur noch
als Vorbereitung auf Simplicius' eigene Gefangennahme
dienen, als abschreckendes Beispiel. Auch ein tüchtiger
und tapferer Soldat kann gefangen genommen werden,
tröstet Simplicius den Schweden und lernt daraus für sich
selbst. Früher aber haben diese beiden Gefangennahmen
offenbar in noch engerer Beziehung gestanden. Das zeigt
die in Klammem stehende kurze Mitteilung Simplicius', daß
er früher einmal einen Bruder des Cornets von Schönstein
gefangen genommen habe.^) Von diesem Bruder ist aber
bisher nichts gesagt worden. Es liegt nahe, in ihm den
Leutnant zu suchen, den Simplicius selbst so gut behandelt
1) Simpl. III, 7.
2) Simpl. III, 14, S. 250, Z. 29.
— 90 —
hat, daß ihm der Cornet nunmehr ebenfaUs freundlich be-
gegnet. Ich möchte sogar noch weiter gehend behaupten,
daß der Cornet und der Leutnant ursprünglich eine und
dieselbe Person gewesen seien. Dafür spricht besonders
das Fehlen wichtiger Nebenpei"sonen in dieser ganzen Partie,
in der gerade Olivier und Hertzbruder völlig zurück-
treten. Ferner würde durch diese Vereinigung zweier Fi-
guren die neu entstehende wirksamer gemacht und die
spätere innige Freundschaft mit einer wichtigen Person an
einer markanten Stelle ermöglicht. Damit wird es sehr
wahrecheinlich, daß die überlegene Konkurrenz Hertzbruders
damals noch nicht vorhanden gewiesen sei. Hertzbruders
Fi'eundschaftsdienste wären Schönstein zugefallen, und so
kommt es, daß wir diesen wie kurz danach Hertzbruder
heute noch dem Simplicius aus arger Not helfen sehen und
daß Schönstein in L. der einzige ist, der den durch Krank-
heit entstellten Simplicius beim Besuch erkennt. Warum
aber hat Grimmeishausen den Cornet nicht völlig gestrichen,
als er den größten und wichtigsten Teil seiner Rolle auf
Hertzbruder übertrug? Es läßt sich nur vermuten, daß er
Schönstein brauchte, um Simplicius Nachrichten von seiner
Familie zukommen zu lassen und dadurch wieder mit L.
zu verknüpfen. So zerlegte er diese Freundesfigur in zwei
von geringerer Bedeutung, die er dann in Parallelen zu
andern Ereignissen vorwendete.
Fielen also die in Bedeutung, Charakteristik und Ein-
führung merkwürdig abweichenden Figuren Oliviers und des
jüngeren Hertzbruder, so fiele mit ihnen auch der Profoß,
und die Becherszene würde unmöglich. Es bliebe nur der
alte Hertzbruder, den wir schon als anderen Nebenpersonen
entsprechend erkannt haben. Damit wäre das pikarische
Schema, das dem Roman von Anfang her gewiß eigen war,
reiner wieder hergestellt.
Überblickt man nun, was früheren Plänen, in denen
Olivier und Hertzbruder noch nicht vorhanden waren, alles
gefehlt hat, so zeigt sich, daß namentlich stark und effekt-
— 91 —
voll herausgearbeitete Szenen, Einzelerlebnisse, damals noch
nicht in dem Werk enthalten waren, so Oliviers Lebens-
geschichte, die Becherszene, die wirksame Figur des Ein-
siedlers, die Pariser Erlebnisse und die Geschichte der
ersten Ehe, w^ährend die allgemeiner gehaltene schlichte
Darstellung im wesentlichen einen alten Kern zu bilden
scheint. Auch dadurch wird jener frühere Plan dem Stile
des „Lazarillo" angenähert, in dem allgemeine Darstellung
durchaus überwiegt, und somit wird wieder die Form des
pikarischen Romans reiner gewahrt, ein Gnind mehr, Hertz-
bruders und Oliviers Fehlen anzunehmen.
VI. Einteilung.
Der pikarische Roman wird im allgemeinen in Bücher
und Kapitel eingeteilt. „Guzman'' und „Justina'' fassen mehrere
Bücher wieder in „partes'' zusammen mit selbständiger Buch-
zählung. Dem „Lazarillo" und der „Garduna'' fehlt die Tei-
lung in Bücher gänzlich. ^)
Die italienischen Übersetzer behielten die spanische Ein-
teilung am genauesten bei. Bei den Franzosen herrscht
größere Freiheit, wenn auch Bremond und d'Ouville die
Kapiteleinteilung fallen ließen, und am selbständigsten ver-
fuhren die beiden hier in Betracht kommenden Deutschen.
Ulenhart vervierfachte die sieben „tratados'', vielleicht schon
nach dem Vorgange seiner wahrscheinlichen Vorlage. Alber-
tinus drängte die Handlung, soweit er sie herübernahm, in
die große Zahl von einundsechzig Kapiteln eines einzigen
Buches zusammen und füllte ein zweites Buch mit einer
ausführlichen geistlichen Allegorie.
Diese Einteilung in kleinere Abschnitte bot dem Leser
natürliche Ruhepunkte, von denen aus er das Gelesene über-
schauen konnte, zumal wenn Überschriften den Inhalt kurz
zusammenfaßten.
Der idealistische Roman verzichtete auf solche Einteilung
fast ganz. Barclais „Argenis" und ihre Nachahmung „Nisette''
stehen ziemlich allein mit der Kapiteleinteilung. Die übrigen
^) Quevedo (oder sein Drucker) sucht im „Buscon" eine äußer-
liche Symmetrie dadurch herzustellen, daß er im Inhaltsverzeichnis
zwei Bücher mit je zehn Kapiteln aufführt, während in Wirklich-
keit das erste Buch dreizehn Kapitel umfaßt.
— 93 —
zerfallen nur in Bücher. Gewisse Ruhepiinkte boten sich
dem Auge des Lesers freilich auch hier in den häufigen
Überschriften von Iviischen Einlagen, Briefen usw. Indes
waren diese Abschnitte unorganisch, von sehr verschiedener
Ausdehnung und zufällig.
Bei dem Mangel an Charakterentwicklung ergibt sich
für den Roman des 17. Jahrhunderts die Einteilung nur
nach Gesichtspunkten der äußeren Handlung ganz natürlich.
Es gab füi* die Einteilung nach äußeren Gründen zwei
Arten. Entweder man wechselte Schauplatz und Person
ohne Übergang oder man legte einen Einschnitt in eine be-
reits begonnene Szenenfolge. Im ersten Falle entsprach die
Gliederung nur dem Sinne. Im zweiten Falle, bei dem ein
gewisser Sinnesabschnitt natürlich nicht ganz fehlen durfte,
wurde mehr die Spannung des Lesers erregt.
Die erste Art wurde für die ersten Bücher eines idea-
listischen Romans häufig verwendet, da sie bequem zur Ex-
position der einzelnen Gruppen, jedoch noch ohne Verwick-
lung diente. Typisch ist z. B. Zesens „Assenat", w^o in den
drei ersten Büchern jedesmal eine andere wichtige Figur im
Vordergründe steht, Josef, Assenat, Sefira. Auch Grimmeis-
hausen bediente sich ähnlicher Technik in den ersten sechs
Büchern von „Proximus und Lympida'', wo abwechselnd ein
Teil sich mit Lympida und ihrem Kreise, der nächste mit
Proximus und seinem Interessengebiete beschäftigt.
Der in eine begonnene Szenengruppe fallende Ein-
schnitt ist etwas seltener als der eben besprochene. Bei
seiner Verwendung handelte es sich darum, ihm auch eine
gewisse innere Begifmdüng zu geben, und man erreichte
sie, indem man mit dem neuen Einsatz sogleich einen
energischen Fortschritt der Handlung brachte. In der
„Argenis'^ liegt z. B. der Krieg gegen den aufrührerischen
Lycogenes zum größten Teil im zweiten Buch. Das dritte be-
hält Schauplatz und Personen bei, setzt aber sogleich mit einem
wichtigen Fortschritt in der Handlung, dem endgültigen
Siege Meleanders ein. Auch der Übergang vom dritten zum
— 94 —
vierten Buch der „Argenis'' ist ähnlich. Nachdem zum
Schluß des dritten Buches Radirobanes' Anschlag auf Argenis
mißglückt ist, ti'itt wieder unter Beibehaltung von Personen
und Schauplatz eine Wendung ein, indem Radirobanes aus
einem Freunde Meleanders sein offener Feind wird.
Ein solcher entscheidender Fortschritt, effektvoll aus-
gestaltet, sicherte dem neuen Buch gleich einen wirksamen
Einsatz und nahm das Interesse des Lesers gefangen, und
man strebte auch für den Schluß des alten Buches nach
einem kräftigen Schlager zum Abgang. So finden wir an
solchen sichtbaren Stellen nicht selten ausführliche und
reiche Beschreibungen von Festen, wie z. B. in der „Assenat''^)
in ,,I)ietwald und Amelinde", in „Stratonica'', oder andere
kräftige Lichter; in „Lysander und Kaliste'' z. B, einen Mord^)
mit folgenschweren Begleiterscheinungen.
Im pikarischen Roman, bei dem wir schon eine ein-
gehendere Charakteristik fanden, wäre eine Einteilung nach
Entwicklung schon eher möglich gewesen, allein zwei
Momerrte hemmten sie. Wie wenig auf eine Charakter-
entfaltung tatsächlich hingearbeitet wnirde, zeigte die oben
besprochene ewige Jugend des picaro. Zudem kam es dem
humoristischen Roman in seiner Frühzeit mehr auf eine
Häufung von Schwänken und lustigen Streichen an als auf
Entwicklung. So teilt man denn auch nach jenen, nicht
nach dieser ein. Selbst im „Lazarillo", der am ersten noch
einen Werdegang durchläuft, haftet die Einteilung an der
äußern Handlung, und wohl nur durch Ausnutzung der
günstigen Struktur der Handlung fällt die Gliederung der
psychologischen Piiasen damit zusammen. Jedesmal mit
einem Kapitelanfang wechselt das Milieu und nur die Haupt-
person bleibt, nunmehr von einer neuen Figur beeinflußt.
Diese Einteilungsart kehrt im „Guzman" und in der „Justina"
*) Buch IV, Die komische Szene stammt aus Lysander und
Kaliste Buch X S. 433ff.
*) Lysander und Kaliste Buch VL
— 95 —
wieder und hat sogar auf die französischen Bearbeitungen
bedeutsamen Einfluß geübt. Bremond behält im „Guzman'^
nur die Bucheinteilung bei, die durchaus in der Art des
„Lazarillo" ist, und d'Ouville, noch einen Schritt weiter gehend,
ersetzt die spanische Kapiteleinteiliing durch Einteilung in
Bücher. Jedes von ihnen umfaßt ein größeres Abenteuer
Rufinas, das erste natürlich auch noch die Vorgeschichte.
Ansätze zu einer Gliederung nach inneren Gründen
sind nur im Problemroman erkennbar, wobei man von
dem meist stark wuchernden Beiwerk an Abenteuern ab-
zusehen hat. Ein dreiteiliges Schema lag hier nahe: der
erste Teil bringt die Aufrollung des Problems, der zweite seine
Durcharbeitung, der dritte die Lösung. So zerlegt sich deut-
licher als andere Werke Assarinis „Stratonica'^ Das erste
Buch schließt mit der Erkenntnis der Liebe des Antiochus
zur Gattin seines Vatei*s, Stratonica; das zweite umfaßt die
inneren Kämpfe des Antioclius; das dritte schildert die Er-
möglichung der Ehe zwischen Stiefsohn und Stiefmutter.
Selbst die siebenteilige „Rosemund" Zesens zeigt das Schema
insofern, als den Kern von Buch 2 — 6, die inneren Kon-
flikte darstellend, das erste Buch mit der Exposition des
Problems vorbereitet, das siebente mit der nur angedeuteten
Lösung abschließt.
Auch Grimmeishausen hat seinen Problemroman „Diet-
wald und Amelinde" in das dreiteilige Schema gebracht^)
und es tritt in der heutigen Fassung des Werkes, wo Histo-
risches und Romanhaftes völlig frei nebeneinander hergehen,
ohne sich zu verschmelzen, nur um so deutlicher hervor.
Das erste Buch führt bis zur Heirat des Paares und Diet-
walds Ernennung zum Grafen der Allobrogerprovinz. Damit
ist das Problem der Hybris, der Uberhebung im Glück, vor-
bereitet und ermöglicht, und das zweite Buch bringt die
^) Die Verbindung „Dietwalds^' mit Assarinis „Stratonica" weist
Stilgebauer (Grimmeishausens Dietwald und Amelinde, Gera 1893,
S. 44) an dem Motiv vom kranken Königssohn und dem Kampf
mit wilden Tieren nach.
- 96 —
Konflikte des glücklichen Paares, den Sturz und die Leiden
gerade infolge sündhafter Überhebung; das dritte Buch end-
lich führt das im Unglück nunmehr geläuterte Paar zur
glücklichen Wiedervereinigung und Ehe.
Es ist schon bemerkt worden, daß dieser Grundgedanke,
Sturz und Läuterung nach Hochmut, auch der des ,,Simpli-
cissinuis'^ ist. In der Tat muß wohl ein Zusammenhang
zwischen beiden Werken auch für die Entstehung existieren.
Obgleich „Dietwald'' erst 1670 nach dem „Simplicissimus" von
1668 ei*schien, ist doch nicht anzunehmen, daß die Idee der
Hybris zuerst dem „Simplicissimus'' eigen gewesen sei und
den Problemroman Grimmeishausens angeregt hat denn wir
finden gerade das Problem der Hybris auch in der Quelle
von ,,Dietwald und Amelinde", dem Meisterliede vom Grafen
von Safoi. ^) Im Gegenteil ist es vielmehr weit wahrschoin-
lieber, daß die Idee der Uberhebung und des Pochens auf
irdische Macht und Güter ei-st aus dem weniger bekannten
Roman Grimmeishausens in sein Hauptwerk übergegangen
sei. Man müßte dann freilich die Konzeption des später
erschienenen Werkes vor den Abschluß der heutigen Form
des „Simplicissimus^' setzen, was indes erleichtert wird durch
das Datum der Widmung 3. April 1669 des 1670 erschienenen
„DietwaW. Nimmt man diese Datierung mit mir an, so
ergibt sich für die, wie wir sehen werden, erstaunliche Ein-
teilung des „Simplicissimus" eine genetische Erklärung. Der
„Simplicissimus" zeigt nämlich die umgekehrte Anordnung wie
der „Lazarillo'^, dem die Anregung zu psychologischer Entwick-
lung wohl entstammen mag. Dieser sinkt zunächst immer
weiter abwärts, um sich daim zu bürgerlicher Höhe wieder
zu erheben. Jener dagegen sinkt nach dem Aufsteigen im
ersten Teil in der zweiten Hälfte zurück. Diesem Gange des
,jSimplicissimus'* ließ sich ungezwungen der Gedanke der Über-
hebung einfügen. Nun machte Grimmeishausen im „Dietwald*'
praktische Erfahrung mit der Einteilung nach innerer Ent-
^) Stilgebauer a. a. O. S. 35.
— 97 —
Wicklung. Im „Simplicissimus** stand er wieder vor der
gleichen Aufgabe, einen Boman mit innerer Entwicklung
und ähnlichem Grundgedanken wie „Dietwald** sinngemäß ein-
zuteilen, und wieder sehen wir ihn nach inneren Gründen
gliedern. Also aus dem Problemroman und dem „Lazarillo"
ergibt sich durch das gemeinsame Band der psychologischen
Chärakterentfaltung eine für ihre Zeit im Boman ohne
Problem ganz neue Grundlage der Einteilung.
Nicht die äußere Handlung bestimmt die Einteilung
des „Simplicissimus", sondern der Werdegang des Helden.
Jedes Buch zeigt Simplicius in einer bestimmten, streng
durchgeführten Entwicklungsphase.
Das erste Buch schildert die völlige Unselbständigkeit
des Kindes. Der Knabe unternimmt keine entscheidende
Handlung aus eigenem Antriebe. Wenn er aus dem Wirr-
warr des Überfallenen väterlichen Hauses flieht, so muß
ihm die Magd erst dazu raten. Nach des Einsiedlers Tode
behält er die bisherige Lebensweise sechs Monate lang bei,
bis ein erst nunmehr gefundenes Briefchen den Knaben ver-
anlaßt, aus dem Walde zu wandern und den Pfarrer aufzu-
suchen. Zu seinen dummen Streichen in Hanau wird er
stets angestiftet, und noch die letzte Szene des ersten Buches
beruht darauf, daß man den kleinen Toren glauben gemacht
hat, die Tanzenden wollten den Fußboden eintreten.^)
Dem Einwand, daß Simplicius aus eigenem Antriebe
die Kalbsaugen verschlucke, begegnet Grimmeishausen selbst
Die Anwesenden loben die Tat des Jungen und nennen
sie eine „Vorbedeutung künfftiger Dapfferkeit und uner-
schrockenen Besolution". Simplicius selbst aber wider-
^) Daß der Eifer Tanzender den Einsturz des Bodens zur
Polge hat, berichtet auch Florian Daule im Tanztenfel (Theatrum
Diabolorum Frankfurt 1569 Bl. 271a und Frankfurt 1576 Bl. 232 b).
Grimmelshausen selbst wendet sich im „Ewig-währenden Calender''
anter dem 13. Januar mit einer ähnlichen Anekdote gegen den
Tanz, dem er auch sonst nicht wohlgesinnt war (s. „Ewig-währen-
der Calender^' unter dem 19. Januar).
Palaestra LI. 7
— 98 —
spricht dem in seiner Darstellung und führt sein plötzliches
Handeln auf Einfalt zurück.^)
Mit dem Anfange des zweiten Buches hat die Unselb-
ständigkeit aufgehört. Indem Simplicius aus der offenen
Tür des Gänsestalls flüchtet, unternimmt er zum erstenmal
einen eigenen Schritt zu seiner Rettung aus einer, freilich
eingebildeten, Gefahr. In der Schlußszene des ersten Buches
war ihm der Gedanke, sich durch persönliche Kraft zu retten,
noch nicht gekommen. Hilfesuchend hatte er sich an den
Gouverneur gewendet. Das zweite Buch schildert nun das
Erwachen der Selbständigkeit in dem Knaben und seine
Entwicklung vom abhängigen Pagen und Narren zum freien
Soldaten. Er lernt seine Geisteskräfte gebrauchen, und da-
mit feiert die alte pikarische Verschlagenheity die das Buch
wesentlich beherrscht, eine Auferstehung. Mit List und
Täuschung behandelt der vermeinte Narr seine Umgebung
und nimmt selbst den ihm wohlgesinnten Pfarrer nicht aus.
Schlauheit und Verstellung ermöglichen die Flucht von den
Kroaten, sowie die fortdauernden Diebereien und das Leben
in Frauenkleidung als Zofe der Rittmeisterin. Geschickte
Ausnutzung der Verhältnisse last den Troßjungen schließ-
lich zur Stellung eines selbständigen Dragoners gelangen.
Der Knabe ist erwachsen.
Der Fortschritt in der inneren Entwicklung im dritten
Buch ist das Hinzukommen des Stolzes und der Überhebung.
Alle pikarischen Streiche Simplicius' entbehrten nicht der
Harmlosigkeit und eines fast freundlichen Humors. Der
Geschädigte konnte immerhin mitlachen, denn sein Schaden
war entweder nur gering, . oder er merkte ihn gar nicht
Zur nochmaligen Betonung solcher Harmlosigkeit f ügte Grim-
melshausen z. B. seiner Quelle, der Erzählung Parivals, noch
den Briefwechsel bei, in dem der Pfarrherr, der den Geiz
seines holländischen Vorbildes abgelegt hat, selbst das Ko-
mische, der ganzen Situation erkennt. Dem Streich wird
die Schärfe genommen.
') Simpl. I. 29, S. 81, Z. 9.
Nunmehr tritt im dritten Buche an die Stelle der
Harmlosigkeit der Stolz des Mannes. Gleich das erste Ka-
pitel kennzeichnet die veränderte Seelenstimraimg des Helden,
Der erste Satz knüpft an das gegen Ende des vorigen Buches
»ngesehlagene Motiv des Ehrgeizes wieder an ; und von seiner
Steigerung „zur Thorheit" spricht der zweite Satz. Allerlei
wunderbare Berichte von Simplicius' soldatischer Tüchtigkeit
folgen. Wenn er erwähnt, daß er den Pferden die Eisen ver-
kehrt aufschlagen ließ, um die Verfolger über seine Wegrich-
tung zu täuschen, so lebt darin wobl die alte Sage wieder auf,
die von Wittekind das Gleiche berichtet. War doch der
Schauplatz von Simplicius' Taten gerade das Westfaleniand, in
dem die Sage den Sachsenherzog so reich geschmückt hatte.
Simplicius ist der Erfinder jenes wunderbaren Instruments,
durch das Stimmen und Geräusche auf weite Entfernungen
hörbar werden. All dieses wird in ruhmredigem Tone vor-
geti"agen und hinzugefügt, daß dem Helden sein großes
Glück Neider verschafft habe. So gibt das ei'ste Kapitel
sofort eine zusammenfassende Einleitung für das ganze
Buch. Stolz und Liberhebung begleiten Simplicius durch
diese Partie. Immer wieder erzählt er von seiner glänzen-
den Stellung, seinem Reichtum, seinen schönen Pfei"den
und Kleidern, seinem für einen gemeinen Dragoner auf-
fallenden Umgang mit Offizieren und Edelleuten, denen er
es gleichtun will, wenn er Wappen und Farben annimmt.
Nicht minder stolz erzälilt er von seinen soldatischen Er-
folgen: er ist ein ausgezeichneter Fechter und Schütze, ist
der hervorragendste Führer, und sein kriegerischer Ruf geht
soweit, daß die Schweden ihn mit dem Teufel im Bunde
glauben imd Befehl geben, ihn bei einer etwaigen Gefangen-
nahme nicht zu schonen. In der zweiten Hälfte des Buches
macht die Gefangenschaft die kriegerischen Erfolge zwar
nnmöglich, doch berichtet der alte Stolz, nunmehr in Ver-
bindung mit pikarischer Großmannssucht, noch weiter von
ßimplicius' vornehmem und prunkvollem Auftreten in L,
Das vierte Buch laßt den äußerlichen und moralischen
7»
— 100 —
Niedergang folgen. Der freie und nobel auftretende Jäger
von Soest wird zum Merodebruder und Banditen, der ehr-
liche Dragoner zum betrügerischen Quacksalber und spitz-
bübischen Philippsburger Musketier.
Im fünften Buche hat die Einheit der Charakterent-
wicklung durch den doppelten Schluß gelitten. Immerhin
bleibt sie einigermaßen gewahrt, weil alles auf die Hebung
des Tiefgesunkenen hinzielt.
Da das fünfte Buch einen Abschluß des Werkes in
Simplicius' Bekehrung bringt, so kann das sechste Buch
eine innere Fortentwicklung nicht geben, zumal bei der
moralisierenden Tendenz des Ganzen. Der Leser erhält also
nur eine verstärkte Wiederholung der Gedanken des fünften
Buches.
Die Buchschlüsse legt Grimmeishausen, dem Beispiel
der „Argenis'' folgend, stets in bereits begonnene Szenen-
gruppen. Den Fortschritt in der Erzählung bringt er durch
Entfaltung neuer Charakterzüge im neuen Buche hervor.
Am deutlichsten zeigt sich das beim ersten Buche, das
mitten in einer angefangenen Szene abbricht, sodaß das
erste Kapitel des zweiten Buches sie zu Ende führen muß.
Simplicius' erwachende Selbständigkeit bildet den Fortschritt
der Handlung. Kurz vor Schluß des zweiten Buches be-
ginnt Simplicius' Reiterleben, aber erst das folgende Buch
zeigt, wie schon bemerkt, sogleich im ersten Kapitel den
Stolz des sich überhebenden erfolgreichen Dragoners. Der
Einschnitt zwischen Buch 3 und 4 fällt in die Kölner Er-
eignisse, und sogleich mit dem ersten Kapitel des vierten
Buches beginnt im alten Milieu Simplicius* moralischer Nieder-
gang. Am Ende des vierten Buches verlassen wir Simplicius
in Hertzbruders Gesellschaft, der als neuen Zug sogleich zu
Beginn des fünften Buches Büß Übungen erwirkt.
Gern hat Grimmeishausen seine Bucheinschnitte mit
starken Effekten eingerahmt. Beim Übergang vom ersten
zum zweiten Buch könnte man fast versucht sein, den Ein-
schnitt auf Rechnung der wirksamen einschließenden Szenen
— 101 —
zu setzen. Das zweite Buch schließt mit dem köstlich ge-
schilderten Speckdiebstahl, gewiß einem Schlager. Das dritte
Buch bringt endlich den Streich, den Simplicius dem Geiz
seines Kölner Pensionshalters mit einem Hasenbraten spielt.
Die Unterteilung in Kapitel vollzieht sich bei Grimmeis-
hausen nach Gründen der äußeren Handlung. Den Ab-
schnitt betont meist eine Pointe, eine Sentenz oder eine zu-
sammenfassende Bemerkung am Schluß des Kapitels. Das
neue Kapitel setzt sogleich erzählend ein. Nicht einmal die
Anfangskapitel der einzelnen Bücher werden durch besondere
Eingänge hervorgehoben, mit Ausnahme natürlich des erst
später angehängten sechsten Buches. Im ersten Satz des
dritten Buches findet sich wenigstens eine Beziehung auf
das „vorhergehende", dessen letzter Satz ausdrücklich den
Buchschluß feststellt; und Buch 4 beginnt sogar mit zwei
Sprichwörtern parallelen Sinnes. Aber was ist das, ver-
glichen mit den üblichen Prunkänfängen der Zeit? Hatten
auch „Argenis" und „Arkadia" darauf verzichtet, so wandten
Zesen, Kindermann, ja selbst nicht erzählende Prosa sie
reichlich an. Meist wurde eine Zeitbestimmung mit alther-
gebrachtem Schwulst umschrieben, besonders wenn der
Schauplatz blieb. Wechselte er, so war der Einsatz ein-
•
fach erzählend, oder der Verfasser markierte wohl selbst
eingreifend den Übergang; eine nicht gerade besonders ge-
schickte Technik, die sich aber bis ins 18. Jahrhundert
und bis zu Goethe^), ja bei humoristischen Schriftstellern,
die mit ihrer Persönlichkeit mehr henrortreten konnten, bis
ins 19. Jahrhundert erhielt. Der Anfang mit einer Sentenz
oder einer Reflexion war selten.
Vereinzelt fängt auch Grimmeishausen seine Kapitel
mit ganz kurz gehaltenen Sprichwörtern oder allgemein
gültigen Sätzen an, namentlich seit der zweiten Hälfte des
dritten Buches. Von hier aus also würden sich die Sprich-
wörter zu Anfang von Buch 4 erklären.
^) Siehe Kiemann, Goethes Komantechnik, 8. 29 ff.
— 102 —
Sehr auffallend ist der Anfang des achten Kapitels im
dritten Buch. Hier allein im ganzen Roman steht, hinter
einem nicht anschließenden epischen Eingang, eine lange
Reflexion, über die Unbeständigkeit des Glückes. Dann
wendet sich die Erzählung einem kriegerischen Abenteuer
zu, der Gefangennahme eines Mohren durch Simplicius.
Dieser Mohr, der nur in einer durchaus entbehrlichen kurzen
Notiz des zehnten Kapitels noch einmal auftaucht, verliert
sich sofort wieder. Wir haben femer schon gesehen^), daß
die Einleitung des Kapitels in Widerspruch steht mit Sim-
plicius' wohlangelegter Entwicklung in seinen Beziehungen
zum weiblichen Geschlecht. Für diese drei auffallenden
Tatsachen: die von Grimmeishausens Gebrauch abweichende
Einleitung, das spurlose Verschwinden einer Figur, die doch
ein ganzes Kapitel hindurch des Lesers Interesse wach-
gehalten hat, und den Widerspruch zu einer sorgfältig an-
gelegten Entwicklungsreihe, läßt sich eine Erklärung nur
dann finden, wenn man das ganze Kapitel als nachgearbeitet
ansieht. Grund zu diesem Nachtrag war für Grimmeishausen
das Überwiegen einer für die Handlung so bedeutungslosen
Figur wie Jupiter. Des Verfassers uns schon bekanntes
Mittel der Verdoppelung einer Figur zur Abschwächung ihres
Eindrucks findet sich auch hier wieder. Der Mohr ist tat-
sächlich eine Parallele zu Jupiter, beides durchaus absonder-
liche Gefangene des Helden, mit denen dieser nichts Rechtes
anzufangen weiß.
^) S. oben S. 64.
VIL Unterbrechung der Erzählung durch lehr-
hafte oder moralisierende Partien.
Das Horazische „Omne tulit punctum qui miscuit utile
dulci" ist dem Komanschriftsteller des 17. Jahrhunderts ein
\\^ichtiger Satz. Ulenhart zitiert ihn ausdrücklich*), und
andere wie Zesen und Kindermann sprechen seinen Inhalt
wenigstens umschrieben aus. Bot er doch bequeme Ge-
legenheit dem Gelehrten, Früchte seiner Studien zu zeigen,
dem Eiferer, tendenziös zu wirken. Daß man mit dem utile
die künstlerische Einheit eines Werkes in Frage stellen
konnte, daran dachte niemand. Fleiß und Gelehrsamkeit
werden anerkannt, die schaffende Phantasie aber wird gering
gewertet. Vielleicht ist hier der Grund zu suchen, wes-
halb Grimmeishausen in seinem Hauptwerke, dem er ge-
wiß lange Arbeit widmete, reichliche Einschübe gelehrten
oder moralisierenden Inhaltes anbrachte. In seinen idea-
listischen Romanen fehlen sie, denn er gönnte ihnen weniger
Zeit zum Reifen. Der „Gusman'' des Ägidius Albertinus
bot ihm zudem für den „Simplicissimus" das Vorbild, zwar
nicht effektvoll, doch gewiß nicht wirkungslos.
Im „Gusman'' fanden sich als breiteste Einlagen „Dis-
kurse^', wahre Abhandlungen an Umfang über beliebige mit
dem Roman selbst in keinem oder nur zufälligem Zusammen-
hange stehende Themata, samt einer Menge von Zitaten und
Beispielen aus allerlei Autoren zusammengetragen. Francion
verrät das Rezept zur Herstellung: „wann er uns in unge-
bundener Art auffzusetzen vorgab, so behülffen wir uns mit
1) Ulenhart Vorrede Blatt 2.
— 104 —
eben solchen Bachantentröstern (vorher genannt sind Par-
nassus und Ravisius Textor) darauß wir allerhand zusammen-
flickten, ein schulfüchsisch Meisterstücklein endlich zu Wege
zu bringen : War das nicht eine feine Art, unseren Verstand
zu üben.''^) Daß eine Anhäufung solcher Diskurse, deren
Albertinus z. B. einmal dreizehn auf einander folgen läßt, den
Gang der Handlung sprengen mußte, ward schon erwähnt.^)
Grimmeishausen bringt in den ersten fünf Büchern des
„Simplicissimus'' immerhin nicht allzuviel derartige Unter-
brechungen der Erzählung: so den ganz kurzen Exkurs über
die menschliche Seele, die einer tabula rasa zu vergleichen sei,
— trotz seiner Kürze aus dem Zusammenhang herausfallend*);
so die längere Entschuldigung — denn als solche stellt sie
sich durch den Schluß heraus — der Hexenfahrt*), zu der
obenein die Quellen angegeben werden: Nicolaus Remigius,
Majolus, Olaus Magnus und Torquemadas Hexameron, das
noch im Jahre 1653 der Herzog von Hessen durch eine Über-
setzung zugänglich gemacht hatte. Weitere solche exkursartige
Ausführungen des Autors selbst treten auch geradezu als
Bestandteile der Handlung auf, so vor allem das vorzügliche
Kapitel über die Merodebrüder*), das des Helden Erlebnisse
in dieser Sphäre schildert, teils um der Erzählung Oliviers
nicht die Wirkung vorwegzunehmen, teils um eine bisher
noch nicht unternommene Darstellung des Marodeurlebens
zu bieten. Auch das Kapitel über die ungarischen Wieder-
täufer •), ähnlich wenn auch nicht gleich geschickt in die
Handlung verflochten, gehört hierher. Freilich stört in ihm
Simplicius' Angabe, er kenne das Leben dieser Gemeinschaft
aus eigener Erfahrung, während doch bisher nirgends da-
von die Rede ist.
1) Francion, B. IV, S. 236.
«) S. oben S. 11 f.
») Simpl. I 9, S. 27, Z. 10.
*) n 18, S. 144.
•) IV 13, S. 329.
«) V 19, S. 439.
— 105 —
Nachmals ändern sich Grimmeishausens Anschauungen.
Trägt er auch in späteren Auflagen zu bereits Vorhandenem
noch Einzelnes nach, so kürzt er andrerseits in vorge-
schrittenen Partien die gelehrten Exkurse so stark, daß nur
noch eine Reihe von Namen als vergleichbare Beispiele
stehen bleiben. Ja in der „Courasche'', dem „Springinsfeld"
und im „Vogelnest'' verzichtet er auf eine Anhäufung von
Moralisation und Gelehrsamkeit Doch mag Zeitmangel das
mit veranlaßt haben.
Der idealistische Roman kennt die Form des ,J)iskurses''
nicht. Seine Verfasser besaßen mehr künstlerischen Ge-
schmack und Urteil als Ägidius Albertinus, dessen Werk ja
auch nur die Gegenreformation unterstützen sollte. So fügt
der idealistische Roman fremde Bestandteile sorgfältiger ein.
Der Zusammenhang bleibt einigermaßen gewahrt.
Zwei Arten größerer Einlagen kennt der idealistische
Roman. Die erste, dem Diskurse des „Gusman" verwandter,
beschäftigt sich in ähnlicher Art mit Eragen der Moral oder
der Wissenschaft. Allein die Stoffe werden allgemein ver-
ständlich und sachlicher als im pikarischen Diskurs und ohne
Zitate und Beispiele behandelt.
Die zweite Art besteht in allzu breit ausgeführten
Schilderungen von Sälen, Bildern, Gärten, Schiffen usw., bei
denen sich Gelegenheit zur Aussprache über gelehrte Fragen
bot. Nur die Beschreibung kommt vereinzelt auch im
pikarischen Roman vor, so wenn im „Gusman" die Kirchen
Roms geschildert werden^).
Der große Vorzug des idealistischen Romans lag indessen
nicht in der Form solcher Massen fremden Gutes, sondern
in ihrer Einführung und Anpassung. Der pikarische Roman
in deutschem Gewände verfuhr dabei sehr plump, indem er
ohne innere Notwendigkeit Personen nur als Sprachrohre
des Autors für seine Ideen auftreten und, wenn sie diesen
Zweck erfüllt hatten, wieder verschwinden ließ. So steht es
») Gusman I, Kap. 18, S. 121.
— 106 —
zum Beispiel mit den dreizehn auf einander folgenden Dis-
kursen der Albertinus'schen Guzmanbearbeitung oder mit
Gusmans langen Unterweisungen im juristischen Studium
durch den Rektor der Universität Aleali. ^)
Frewdenhold handelte noch ungeschickter, indem er, die
Ichform benutzend, gar nicht eine Person einführte, sondern
eine ganze Reihe von Diskursen dem Erzähler bei dessen
wiederholten Berufswechseln in den Mund legte. Einmal
angewendet mochte das hingehen, aber die Häufung ohne
weiteren Bericht über Tätigkeit und Erlebnisse in den ver-
schiedenen Berufen erstickte jede Handlung. Freilich war
für Frewdenhold die Erzählung nur Mittel zum eigentlichen
Zweck, zur Belehrung. Im idealistischen Roman dagegen
bemühte man sich, gelehrte Elemente aus der Handlung er-
wachsen zu lassen. Ja sie traten hier geradezu an Stelle
psychologischer Entwicklung. Die „Argenis'' gibt in langen
Reden innerlich vorgehende Ideenentwicklungen wieder;
eine häufig nachgeahmte Technik.
Stimmungen und Gedanken handelnder Personen setzt
man in Monologe um. Barclais Kunst, noch einen Schritt
weitergehend, gesellt der Rede die Gegenrede bei und ver-
wandelt damit die nicht zur Handlung gehörige Partie in
Aktion, die allerdings iiur wenig bewegt ist. Um die Vor-
züge und Nachteile stehender Heere zu erörtern, läßt Barclai
den von dem zornigen Radirobanes mit Krieg bedrohten
König Meleander eine ausführliche Beratung mit Eurymedes
und Dunalbius pflegen, zu dem Ende, daß stehende Heere
mäßigen Umfangs von Nutzen seien. Für die Handlung
ergibt sich der Fortschritt, daß Meleander nunmehr ein
stehendes Heer errichtet und- den Radirobanes bekriegt.*)
Die durchaus theoretisierenden Reden des Königs und seiner
Ratgeber geben den Niederschlag der Ideen des Autors,
greifen aber durch den im König bewirkten psychischen
Umschwung deutlich in die Handlung ein.
1) Gusman I, Kap. 28, S. 209 ff.
2) Argenis, Bd. IV, Kap. 4, S. 469.
— 107 —
Natürlich war zur Einschaltung mehrerer solcher Dialoge
in ein umfangreiches Buch eine Reihe von Figuren nötig,
die Meinung und Gegenmeinung verfechten konnten. Barclai
führt derartige Personen, wie Ibburanes, Dunalbius, Eury-
medes, schon lange vor solchen Erörterungen ein.^)
Während aber Barclai nur eine Ausdrucksform für seine
Theorien sucht*) und deren Richtigkeit in den psychologischen
Wirkungen der Handlung erweist, hat für Zesen der
psychische Vorgang selbst Interesse, wie Rosemund und in
der „Assenat" Sefira zeigen.*) Aber Zesen hat Barclais Tech-
nik insofern geerbt, als er gelehrte Abhandlungen über den
•Nil nicht nur eng in die Handlung verflicht, sondern sie
auch zum Gegenstande der Unterhaltung macht.*) Hatte doch
vor Zesen auch Grimmeishausen schon im „Musai'', dem An-
hange des „Joseph", ein Gespräch zwischen dem Titelhelden
und der Asaneth ganz mit gelehrtem mythologisch-histori-
schem Inhalte ausgefüllt.'*)
Auch im Simplicissimus bemüht sich Grimmeishausen,
seine Diskurse und moralisierenden Abhandlungen mit der
Handlung zu verschmelzen, und je weiter man in das Werk
eindringt, um so besser gelingt es ihm. Auf gelehrte Be-
schreibung verzichtet er völlig. Auch kann er im Ichroman
nicht nach dem Muster des idealistischen Romanos seelische
Stimmungen und Gedankenentwicklungen von Nebenpersonen
in Selbstgesprächen wiedergeben. Diese Technik verschmäht
er sogar da, wo sie wohl möglich wäre. Im „Vogelnest"
könnte der Anderen unsichtbare Erzähler sehr wohl Monologe
belauschen; allein er ist nur Zeuge von Unterhaltung oder
Handlung. Wenn er das Mädchen im Spiegel erschreckt®)
^) Ibburanes und Dunalbius werden schon im zehnten. Eurv-
medes im dreizehnten Kapitel des ersten Buches erwähnt.
2) S. Dupond S. 48 f.
8) S. Cholevius S. 76.
*) Assenat, B. I, S. 33 ff.
») Musai, Kap. I, hrsg. v Keller; Bibl. d. Litt. Ver. Bd. 66, S. 858.
«) Vogehiest I, 10 (Kurz IH, S. 350, Z. 8).
— 108 —
— ein Zug, der vielleicht auf den noch heute in Böhmen
verbreiteten Aberglauben zurückgeht, daß wer sich viel
im Spiegel betrachte den Teufel darin sehen werde*) — so
wird kein Wort des Mädchens mitgeteilt, wohl aber werden
genau ihre Bewegungen und ihre Mimik beschrieben.
Belauscht der Unsichtbare einmal Personen, die sich allein
glauben, so vernimmt er doch nur ganz kurze Ausrufe, wie
die Klage der Schloßherrin über den ungebetenen Gast,
und dabei fügt Griramelshausen noch hinzu „sie prumelte
noch mehr dazu, welches ich alles nicht verstehen konnte".*)
Verschmäht also Grimmeishausen den Monolog als Seelen-
schilderung, so könnte er doch leicht dem Erzähler das
Wort erteilen, um die Gelehrsamkeit des Autors anzubringen.
Allein auch hiervon macht er in den ersten fünf Büchern
nur zweimal Gebrauch : bei dem Vergleich der menschlichen
Seele mit der tabula rasa und bei der Entschuldigung der
Hexenfahrt. ') Alle weiteren exkursartigen Ausführungen
des Autors sind Bestandteile der Handlung.
Weit mehr als der Erzähler dienen Nebenpersonen dem
Autor zum Sprachrohr seiner Gelehrsamkeit und seiner
Tendenz. Wie Barclai verwendet Grimmeishausen hierbei
durchgehend mit einer einzigen Ausnahme bereits vorhandene
Figuren. Wie Barclai verflicht er solche Partien eng mit
der Handlung, indem er sie gleichsam im Gespräch anbringt;
allein er löst sie doch nur selten in Dialog auf, selbst nicht
in den so wenig bewegten Barclais. In geschlossenen
Massen steht die Weisheit da. Anfangs werden Diskurse
bevorzugt, nach pikarischem Muster, wobei Grimmeishausen
die Zitate durch Beispiele ersetzt, die er außer den oben
^) Grimmelshausen hat mancherlei Beziehungen za Böhmen.
Die Kroaten läßt er böhmisch sprechen (Kurz II, 388), und Eu-
rasche stammt aus Böhmen. Auch des Deutschböhmen Ulenhart
Buch kannte er und zitiert daraus den in Prag ansässigen Zucker-
bastei. (Simpl. I. 1, S. 6, Z. 41.)
«) Vogehiest I, Kap. 2 (Kurz III, S. 299, Z. 16).
») Simpl. I 9, S. 27, Z. 10 und II 18, S. 144.
— 109 —
erwähnten Autoren ^) Werken wie Goulart, Ravisius Textor,
Laurembergs „Acerra philologica" in Menge entnehmen
konnte. Vielleicht lagen ihm auch Zwingers und Beyer-
links große enzyklopädische Werke vor, auf die Goulart
und Ravisius öfters zurückzugehen scheinen.*)
In späteren Partien schließt sich Grimmeishausen mehr
dem idealistischen Roman an: so z. B. wenn er dem alten
Hertzbruder eine lange Rede gegen das Spiel in den Mund
legt, oder wenn in der Stadt L. Siraplicius mit dem Pfarrer
über die verschiedenen Bekenntnisse sich unterhält. Einmal
wird auch im „Simplicissimus" durch eine Diskursgruppe
eine psychische Wandlung^) herbeigeführt, aber nicht wie
bei Barclai im Sprecher, sondern vielmehr im Zuhörer, dem
Gouverneur. Diesen zu der Erkenntnis zu bringen, daß Sim-
plicius kein Narr, sondern ein verständiger Mensch sei, ist
des Autors Absicht. Da er aber nach der technischen Ent-
wicklung des Ichromans damaliger Zeit einen hier unbedingt
nötigen psychischen Umschwung außerhalb des Erzählers
nicht zu schildern vermag, so muß Simplicius Beweise seiner
geistigen Gesundheit geben und der Gouverneur daraus den
wahren Sachverhalt erkennen. Grimmeishausen steigert
systematisch, indem er Simplicius zunächst seinen Witz zeigen
läßt, dann seinen naiven Verstand, der Einfaches und Natur-
gemäßes Schwierigem und Kulturellem vorzieht, und schließ-
lich im Gebet sein Gefühl. Bis auf die Gebetszene herrscht
die Diskursform.
Hier mag einiges über den Inhalt dieser Partien gesagt
1) S. oben Seite 104.
*) Ob er auch das Exiliom melancholiae d. i. Vnlust Vertreiber
aus Lnd. Oaron frantzösischem tractat, Straßburg 1655 (Egl. Bibl.
Yt 8441) benutzt hat, ist mir fraglich. Nur das seit Melanchthon
bekannte Motiv Eberhards von Württemberg, der ruhig im Schöße
jedes seiner Untertanen schlafen zu können erklärt, könnte dort
herstammen. Ex. mel., Nr. 113, S. 113, Simpl. V. 18 und auch Beise-
beschreibung nach der obwen neuen Welt, G^s. Ausg., Bd. lU,
1695, S. 611.
«) Simpl. n 9—11.
— 110 —
werden. Sie richten sich gegen die herrschende Mode.
„Das überzwerch Lob einer schönen Dame" ^) verfolgt Ideen
wie Johann Laurembergs berühmte „Schertzgedichte" *) und
greift die Mode sogar mit ähnlichen Waffen an, wenn es
sich gegen den Puder wendet, gegen den Grimmeishausen auch
schon bei der Beschreibung von Simplicius' Anzug in Hanau
geeifert hatte.*) Titelsucht war eine wiederholt bekämpfte
Mode des siebzehnten Jahrhunderts. Grimmeishausen fügt
der Reihe der von Autoren wie Logau und Lauremberg*)
ausgehenden Angriffe einen neuen hinzu, ohne sich ihnen
direkt anzuschließen. Auch der Diskurs von den Mühselig-
keiten des Regentenstandes **) hatte seine Vorgänger in
Kinderraanns „Regierendem Bürgermeister" und Moscheroschs
„Insomnis cura parentum"®), ohne daß gerade einzelne Züge
aus ihnen entlehnt sind. Solche Gedanken faßte Grimmeis-
hausen in die Form des Diskurses, während seine Vorläufer
mehr erzählt hatten. Die Beispiele des zwölften Kapitels
des zweiten Buches fand er in der „Acerra philologica"
beisammen'), änderte jedoch den Sinn, indem er alles, was
Lauremberg für erlogen und unmöglich erklärt, als wahr ansieht
Die Ausnahme von der Regel, nur bereits vorhandene
Personen in Diskursunterhaltungen auftreten zu lassen, ist
die bekannte Jupiterepisode.®) Mehrfach hat sie die Nach-
welt beschäftigt; Tieck druckte sie 1798 in seiner Novelle
1) Sünpl. II 9.
*) II 412 ed. Branne. Auch Peter Lanrenberg nnterstützt seinen
Brnder Johann, wenn er in der Acerra philologica III, Nr. 36, S. 89
gegen das Schminken zu Felde zieht. Vgl. auch Greflinger, Cela-
donische Musa, S. 1663 Blatt KK
3) Simpl. I 19.
*) Logau ed.Eitner, S. 376, II 8, 85. Lauremberg ed. Braune III.
») Simpl. n 10.
«) Hrsg. von Pariser (Braunes Neudrucke Nr. 108—109), 8. 44.
^) Ac. phil. in 89. Vgl. Grimmeishausens "Werke, hrsg. von
Bobertag, Bd. I, S. LXV.
8) Simpl. III 3-6.
— 111 —
„Das Tagebuch" ab, und im Jahre 1809 bezog ein als
Herausgeber tätiger Mann, der Verfasser der „Grauen
Mappe" C. L. Haken, alles über den zukünftigen deutschen
Helden Gesagte auf Napoleon, ein Bemühen, bei dem er
die Grenze des Lächerlichen unbewußt weit überschreitet.^)
Patriotisch war sein Beginnen gewiß nicht, noch zeugte es von
Verständnis des gut deutschgesinnten Grimmeishausen, dessen
Jupiter gerade das Deutschtum seines Helden stets betont.
Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, daß diese inter-
essante Figur dem ursprünglichen Plane des Romanes fremd
war. Die Stellung der Episode zum Ganzen ist durchaus
die eines unorganischen Beiwerks. Ohne Grund schieben
sich drei Kapitel plötzlich zwischen Simplicius' Entwicklung,
gerade als man des Helden rasches Aufsteigen zum höchsten
Gipfel erwartet. Daß Jupiter etwa wie der schwedische
Leutnant oder im vierten Buche Schönstein eine vorbe-
reitende Parallele zu Simplicius' späterer großer Stellung
sein soll, wird in keiner Weise angedeutet Dazu kommt,
daß die Episode ein Einzelerlebnis mit selbständiger Pointe,
die Gefangennahme des schwedischen Leutnants, unter-
bricht, so daß die Nähte noch deutlich erkennbar sind.^)
Das plötzliche Auftreten bisher nicht vorhandener Eiguren^
nur um Gedanken des Verfassers auszusprechen, haben
wir schon als Abweichung von Grimmeishausens eigent-
licher Technik erkannt.^) Noch verdächtiger aber wird
die Episode durch die spätere Verwendung Jupiters. Hier
finden wir die Technik, durch die die Figur des erweislich
nachgetragenen Mohren mit dem Ganzen verknüpft werden
^) ffDer Held des neunzehnten Jahrhunderts, eine Apokalypse
des siebenzehnten; oder die erfüllteste Weissagung neuerer Zeiten.**
Wenn in einem einzigen alten Drucke korsischer statt deutscher
Held stände, so hielte Haken seine Auslegung der Prophezeiung
für unwiderleglich (S. 38) und dem noch unbezwungenen England
droht er daher mit des Helden Unbesiegbarkeit (S. 62).
*) Simpl. III, 8, S. 207, Z. 6 und III, 7, 8. 219, Z. 29.
») S. o. 8. 109 f.
— 112 —
soll, wieder: mehrfache Erwähnungen ohne genügenden
Grund, dazu am Anfange des dreizehnten Kapitels des dritten
Buches eine ebenso auffällige Betrachtung wie die am An-
fange des nachgearbeiteten achten Kapitels.
Der Inhalt des dreizehnten Kapitels hätte auch anders
mitgeteilt werden können, und Spuren einer früheren Fassung
haben sich erhalten: Simplicius' Erwägungen über ein Zurück-
ziehen ins bürgerliche Leben stimmen sehr wohl zu dem ur-
sprünglich geplanten Schlüsse des Werks, und Springinsfelds
noch vorhandene Ratschläge über eine verständige Ver-
wendung der Reichtümer lassen die Jupiters entbehrlich
erscheinen. Später in Köln läßt Grimmeishausen Jupiter,
um ihn ohne Schädigung der Spannung nochmals aufführen
zu können, in geistiger Trübung Nachrichten von L. geben.*)
Leichter wäre es für den Verfasser jedenfalls gewesen, dies
entbehrliche Wiederauftreten Jupiters zu vermeiden.
Fallen somit sämtliche Äste, so wird man den Stamm
allein nicht stehen lassen können, und die Jupiterepisode
scheidet aus dem ursprünglichen Plane aus.
Es waren wohl patriotische Tendenzen, die Grimmeis-
hausen zur Aufnahme dieser Partie bewegten. Jupiters Her-
kunft ist deutlich nachzuweisen. Das letzte Jupiterkapitel
hängt inhaltlich vom zweiten Teile des Fischartischen „Flöh-
haz'' ab, der auf ein französisches Gedicht „Procös des Fem-
mes et des Pulces" zurückgeht.^) Der Fröre mineur ward
zu Fischarts Flöhkanzler, der das verdammende Urteil über
die Flöhe ausspricht. Dies Amt übertrug Grimmeishausen
seinem Narren und legte ihm den Namen Jupiter bei, in
dessen Auftrage der Kanzler Recht sprach. Die Verurteilung
der Flöhe blieb natürlich bestehen, da der von ihnen ge-
plagte Jupiter selbst Richter ist.
1) Simpl. V, 5, S. 386 ff.
^) Wendeler in Schnorrs Archiv für Literatorgeschiclite, Bd.
XII, S. 496. Das französische Gedicht steht im Becueil de po^ie
fran9oi8e des XV ^ et XVI « siecles par A. de Montaiglon et J. de
Rothschild t. X. Paris 1875, S. 61—70.
— 113 —
Wenn Gfrimmelshäusen' in diesem Kapitel die Komik
stark betont, so geschieht das, weil der Narr vorher zuviel
Dinge gesagt hat, die Grimmeishausen ernst waren. Stellt
er doch sein politisch-patriotisches Ideal hier auf: Deutsch-
land unter einem starken Herrscher in Europa voran, und
ein gesunder Friede. Rudolf Hildebrand knüpft diese Utopien
eines Narren gelehrt und geistvoll an die alte Form der
Sibyllen-Weissagung*) an^ doch mir scheint, zu Unrecht. Bei
Grimmeishausen handelt es sich nicht um Prophetie, sondern
um Mitteilung politischer Ideen. Sibyllen-Weissagung wandte
sich an jeden Einzelnen, zur Buße mahnend, ■ da das
Ende aller Dinge nahe sei, wie man aus den und den dem-
nächst eintretenden Ereignissen erkennen könne. Jupiter
dagegen wendet sich gegen die politischen Zustände. Ihm
ist das Individuum, das der Weissagung des sechzehnten
Jahrhunderts am Herzen lag, gleichgültig, das Allgemein-
wohl wichtig. Gemeinsam ist der Sibyllen- Weissagung mit
den Jupiterprophezeiungen nur der Hinweis auf die Zukunft.
Im übrigen aber ist nicht einmal die Figur des deutschen
Herrschers über Europa die gleiche in beiden Werken. An
die Stelle des mit sagenhaften Zügen geschmückten Kaisers
ist ein mit mythologischem Beiwerk ausstaffierter „teutscher
Held" getreten, sodaß man meiner Ansicht nach diese Ka-
pitel nicht einmal als Kaiserprophezeiung auffassen darf.
Sie scheinen mir vielmehr in eine Reihe zu gehören
mit den politischen Exkursen idealistischer Romane. Wie
deren Verfasser wollte auch Grimmeishausen seine politischen
Ansichten in den Roman verweben. Da ihm der realistische
Roman keine als Träger geeignete Figur bot, griff er zu
einem von Quevedo bereits im „Buscon" angewandten Mittel.
Dem Pablo begegnen auf der Reise von Alcalä nach Segovia
uach einander zwei Geisteskranke, ein Ingenieur und ein
Dichter, die ihre krausen Ideen vortragen.*) Der Ingenieur
^) Gesammelte Vorträge und Aufsätze, S. 267 ff.
•) Historja del Buscou, Buch I, Kap. 8—9.
PaUiestra LI. ^
— 114 —
•
insbesondere bringt auch die Politik streifende Pläne vor, in-
dem er Mittel zur Einnahme von Ostende erdacht zu haben
behauptet Quevedo nennt ihn geradezu einen „loco republico
y de gouiemo" was der Franzose La Geneste mit den Worten
„vn fol de Republique et de Gouvernement d'Estat" ^) wieder-
gibt. Hiemach schuf Grimmeishausen seinen Narren, dem
er eigene politische Ideen in den Mund legte. Er gewann
dadurch die Freiheit, diese Gedanken in einer Utopie gipfeln
zu lassen und ihnen die Form einer Prophezeiung zu geben,
ohne daß der Kern der Grimmelshausenschen Anschauung
Jupiters Reden verloren ginge.
Daß diese Exkurse die Handlung des Ganzen stark
unterbrechen, empfindet Grimmeishausen selbst Deshalb
erinnert er wie bei Oliviers Erzählung durch mehrfache
Unterbrechungen an die Situation und disponiert gleich-
zeitig durch dieses Mittel. Nachdem Jupiter den deutschen
Helden beschrieben hat, fragt Simplicius, wie denn der Friede
ohne Blutvergießen hergestellt werden könne, und bringt
damit das Gespräch auf die allgemeinen Reformen des Jupiter-
schen Helden. Eine unterbrechende Frage Simplicius' führt
zu dem Thema der besonderen europäischen Politik. Nach
abermaliger längerer Unterbrechung geht Jupiter von der
Politik zur Religion über, und nach einer weiteren umfang-
reichen Zwischenfrage nimmt das Gepräch mit Jupiters
Flohjagd eine komische Wendung.
^) Historia de Buscon Za 1626, Bl. 31b und L'avantorier Bos-
con par Dom Francisco de Quevedo, ensemble les lettres da Che-
valier de PEspargne. Paris 1639. S. 133.
VIIL
Briefe.
Wenn der Text der Romane im siebzehnten Jahrhundert
durch wörtlich mitgeteilte Briefe unterbrochen wurde, so
wollte man damit deren Inhalt gegen die Erzählung ab-
sondern und hervorheben, entweder weil Stil und Ton des
Briefes die Situation oder die Stimmung charakterisierten,
oder weil der mitgeteilte Inhalt für den Gang der Handlung
wichtig war, oder endlich aus beiden Gründen zusammen.
Der erste Fall ist der häufigste. Die Briefe im idealisti-
schen Roman sind zumeist nichts anderes als in Briefform
gegossene preziöse Reden, stilistisch und inhaltUch denen
gleich, worin nach einem Worte Gustav Preytags die Reden-
den sich über die Annehmlichkeit ihrer Neigung unterhalten.
Solcher Liebes- oder auch Staatsreden hat Grimmeishausen
nur einige offenbar satirisch gemeinte in der „Courasche".^)
Der Brief hat freilich abweichend von der Rede noch
einen besonderen Zweck in der Mitteilung einer für die
Handlung wichtigen Tatsache; allein dieser wurde meist
in einen einzigen Satz zusammengedrängt, der Rest den
phrasenhaften Reden gewidmet
Zweifellos sah man in dieser Technik eine besondere
Schönheit Ließ sich doch in einer Menge von Gedanken
und Gefühlen der preziöse Charakter des Schreibers oder
des Empfängers andeuten. Darum vermögen auch nur
Autoren, denen es um einheitliche Anlage zu tun ist, der
1) Courasche, Kap. 13 n. 16. Kurz III, S. 63 u. 76.
8»
— 116 —
Versuchung ausführlicher Mitteilung solcher preziöser Briefe
zu widerstehen. Barclai und Assarini z. B. geben häufig
nur ganz kurz den für die Handlung wichtigen Briefinhalt
in indirekter Rede an.^) D'Audiguier, der Übersetzer spa-
nischer realistischer Novellen und pikarischer Literatur, legte
keinen Wert auf preziöse Reden und unterdrückte in ,,Ly-
sander und Kaliste" einige Briefe, was der deutsche Bearbeiter
Zesen beibehielt^); wohl gegen seine Neigung, denn in der
Rosemund und in der Assenat neigt er zur Mitteilung von
Briefen. In der „Rosemund" sind alle Episteln nur Stimmungs-
briefe. In der „Assenat" macht die Abgeschlossenheit der
Heldin eine rege Korrespondenz nötig, die natürlich für die
Handlung nicht zu entbehren ist. Kindermann in der Nisette
teilt sogar einmal in einem Briefe nur die eine Hälfte des
zur Handlung Gehörigen mit und läßt den Überbringer die
andere Hälfte mündlich ausrichten^); ein Beweis, wie viel
mehr es ihm um schöne Reden als um straffe Komposition
zu tun war.
Wurden mehrere Briefe zu einer Gruppe vereinigt, so
konnte man darin bequem Spiel und Gegenspiel vorführen,
besser als in den für Berichte üblichen Icherzählungen, die
die Anschauungen nur der einen Partei wiedergaben. Die
einfachste Form dieser Art, das Zusammenstellen von Brief
und Antwort, ward häufig angewandt. Grimmeishausen und
Zesen haben das Verdienst, in ihren Josephromanen die Form
des Briefwechsels weiter entwickelt zu haben. In der Asse-
nat hat Zesen dadurch, daß Nitokris an Stelle der Titelheldin
handelt, deren Hineinziehung in den Roman erschwert und
eine Reihe von Briefen nötig gemacht: so schreibt Assenat
an Semesse, Nitokris an Assenat, Assenat an Toote.*) Diese
Korrespondenz scheint unter Einfluß der schon bei Grimmels-
») Argenis IV, 18, S. 554; IV, 23, S. 594. Demetrius, S. 11.
84. 126. Stratonica, S. 154. 175. 211.
*) Lysauder und Kaliste, S. 210. 290.
«) Nisette 1, 6, S. 58.
*) Assenat, S. 90. 144. 145.
— 117 —
hausen vorhandenen Brief intrigue unter den für den gefan-
genen Joseph interessierten Damen entstanden zu sein. Zesen,
um seine Selbständigkeit zu wahren, hatte auf diese Intrigue
verzichtet und sie durch den oben erwähnten Briefwechsel
ersetzt. Seine Abhängigkeit von Grimmeishausen bleibt aber
doch bestehen, wie wörtliche Übereiustimmungen beweisen.^)
Indes ersetzt Zesen, was er an Technik nicht zeigen darf,
durch Feinheit. Bei Grimmeishausen kämpft Asaneth selbst
gegen Selicha, Potiphars Gattin, um Joseph; bei Zesen da-
gegen fällt der Prinzessin Nitokris die Intrigantenrolle zu,
nicht der in klösterlicher Abgeschiedenheit lebenden Asse-
nat. Der Briefwechsel setzt also von Asaneth-Nitokris aus
mit einem Geld enthaltenden Schreiben an den Gefängnis-
meister ein, er solle Joseph gut halten. Grimmeishausen
muß Joseph sich durch eine Untersuchung von dem Ver-
dacht geplanten Ehebruchs reinigen lassen und braucht
als Entlastungsmaterial dazu vier Briefe : Potiphars Anklage-
schrift und Josephs schonende Antwort von der einen Seite,
Selichas nochmalige Werbung und Josephs erneute Ableh-
nung von der anderen Seite. Zesen kann Josephs Unschuld
durch die uninteressierte Nitokris erweisen lassen und be-
darf daher dieser Briefe nicht. Von Sefiras erneuter, episch
mitgeteilter Abweisung kann er* sofort zu ihrem Anschlag,
Joseph zu vergiften, und wie dieser Plan verraten ward,
übergehen, ohne die Aufmerksamkeit des Lesers allzusehr
auf das Gegenspiel zu lenken. Grimmeishausen motiviert
den Verrat der Kammerzofe an Selicha besser, indem er die
von Asaneth schon vorher bestochenen Mädchen Josephs
Antwort nicht, wie sie sollen, an Selicha, sondern an Asa-
neth bringen läßt und auf diese Weise das Interesse der
spielenden Partei an den Begebenheiten des Gegenspiels als
Verbindungsmittel benutzt. Dadurch bleibt Asaneth im
Vordergrunde, und die Gegenpartei Selicha wird nur in der
Auffassung der dem Leser interessanteren Partei gezeigt.
1) Keller IV, 778, Z. 14. Assenat, S. 147.
— 118 —
Grimmelsbausen hebt also durch die Briefe Selicbas und Jo-
sephs das Gegenspiel stärker hervor als Zesen, ordnet es aber
trotzdem den Hauptpersonen unter und motiviert den Verrat der
Kammermädchen besser; Zesen dagegen ist feiner durch die
Spaltung der weiblichen Hauptfigur in Asenath und Nitokris.
Während der in dritter Person erzählte Roman einen
Brief in Entstehung und Wirkung verfolgen kann, in-
dem er mit dem Brief zugleich vom Schreiber auf den
Empfänger übergeht und so Spiel und Gegenspiel ver-
knüpft, ist der Ichroman in diesem Punkte eingeschiünkt:
der Erzähler ist entweder Schreiber oder Empfänger; nur
die Entstehung oder nur die Wirkung eines Briefes kann
gezeigt werden. Diese Einseitigkeit konzentriert freilich das
Interesse des Lesers auf den Erzähler.
Der pikarische Roman zeigt denn im allgemeinen Briefe
auch nur von einer Seite. Wenn Guzman in Florenz durch
ein Blatt seiner Geliebten um ein Stelldichein zu wichtigen
Aufklärungen gebeten wird, so erkennt man von dem, was
in der Schreiberin bei der Abfassung der wenigen Zeilen
vorgegangen ist, nur die Größe der Erregung und muß aus
dem Zusammenhange auf deren besondere Beschaffenheit
schließen^). Ebenso steht es mit dem Briefe an Buscon,
worin sein Onkel ihm den Tod seines Vaters berichtet*)
Hier muß sogar der Schreiber noch mit einigen Worten
dem Leser bekannt gemacht werden, so wenig weiß man
von seiner Stimmung beim Schreiben.
Wollte ein Autor auch die andere Seite zeigen, so
mußte in den Brief selbst seine Entstehungsgeschichte ver-
flochten sein, oder man mußte zum Mittel der Korrespon-
denz greifen. Dies verwendet Grimmeishausen bei dem
Briefwechsel zwischen dem Pfarrherm imd Simplicius nach
dem Speckdiebstahl.^) Dadurch, daß mit diesen Briefen der
^) Histoire de Padmirable Don Guzman d' Alfarache Paris 1695,
Bd. 3, S. 66. (Übersetzung von Bremond.)
*) Historia del Buscon I, 7.
«) Simpl. n, 31.
— 119 —
Speckdiebstahl, wie schon erwähnt, erst seine Harmlosigkeit
und seinen Übermut erhält, dienen sie der Stimmung. In-
dem Grimmeishausen sie aber nebeneinander stellte, zeigt
der zweite Brief die Wirkung des ersten und zugleich seine
eigene Entstehung. Auf eine Schilderung der Empfindungen
Simplicius' beim Empfang des pfarrherrlichen Schreibens
verzichtet Qrimmelshausen. Die Entstehungsgeschichte des
ersten Briefes tut er mit wenigen Worten ab, sodaß die Per-
son des Erzählers nicht noch besondei'S hervortritt.
Weit schwieriger war die Gruppe in der ersten Novelle
des Vogelnestes 11 zu bearbeiten. Hier handelte es sich
darum, einen durch Zufall in falsche Hände geratenen Brief-
wechsel aus der Erzählung in dritter Person in die Ichform
überzuführen, und dazu kam noch die ünsichtbarkeit des
einen Schreibers als erschwerend.
Stilistisch schließen sich diese Briefe im Vogelnest H
an die Art der damaligen Zeit an.^)
Auch Grimmeishausen liebt es, wenn irgend Grund da-
zu vorhanden ist, seine Briefe zu stilisieren. Gibt er doch
damit bereits eine Charakteristik und bereitet die Situation
vor. Solche Briefe sind stets im offiziellen Stil der Be-
hörden für den Verkehr untereinander verfaßt^), der dem
ehemaligen Sekretär aus eigener Übung bekannt sein mußte.
Im allgemeinen sind die Briefe und ihre wörtliche Mit-
teilung wohlmotiviert, nur der Brief vom Kommandanten
des „vesten Rattennestes" an den Grafen von der Wahl
macht eine Ausnahme.*) Simplicius kann diesen Brief nicht
kennen, da er weder Schreiber noch Empfänger ist, und
sein ganz unwichtiger Inhalt hätte sich wohl in einen
Satz zusammenfassen lassen. Es bleibt nur die Annahme,
daß Grimmeishausen aus Freude an einem wohlstilisierten
Schreiben und in Erinnerung an tatsächliche Ereignisse den
Brief nicht habe unterdrücken wollen.
^) Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefs II, 1891, S. 55 f.
«) Steinhausen II, 67.
•) Simpl. ni, 10.
— 120 —
Alle Briefe im Simplicissimus wie in den Romanen
der Zeit überhaupt werden textlich eingeführt. Manchmal
geht im idealistischen Roman dem Wortlaut eines Briefes
eine vorbereitende Überlegung des Schreibers voran, die in
einigen Fällen sogar den Wortlaut überflüssig macht ^)
Wieder einmal bleibt nur die Freude am Brief und an der
Stilisierung als Grund der Ausführung. Im Gegensatz hier-
zu unterdrückt Barclai Briefe, deren Inhalt schon aus der
mitgeteilten Entstehungsgeschichte ersichtiich war.^)
Ein einziges Mal wird ein Brief ohne textliche Ein-
führung eingefügt: der Bericht des Schiffskapitäns Jan Cor-
nelissen über Simplicius* Insel.^) Bloß die Überschrift dient
hier zur Einführung. Der Fortschritt hierin ist gewaltig;
zum Briefroman bleibt nur noch ein Schritt. Historisch er-
klärt sich diese Einführung wohl aus den Briefüberschriften
im idealistischen Roman, die meist nur Schreiber und
Empfänger, in der „Rosemund*' jedoch einmal auch den In-
halt des Briefes angeben: „Des Eiferichs Aus-forterungs-
brief.*)
Dies briefliche Eingreifen des Autors selbst in den
Roman zeigt zugleich, wie sehr der Dichter meinte, die
Fiktion der Wahrheit seiner Erzählung aufrecht erhalten
zu müssen. Grimmeishausen muß der Robinsonade wegen
die Icherzählung aufgeben und den ganzen Roman einführen.
Durch die nachholende Technik des idealistischen Romans
kann er sehr wohl die Einführung an den Schluß stellen.
Aber er scheut sich, selbst vor den Leser zu treten und zu
berichten: ich habe diese Papiere gefunden, wie es Cer-
vantes mit dem Don Quixote getan hatte. Vielmehr teilt
er den aufklärenden Bericht einer bisher ungenannten Per-
son zu. Erzählte diese mündlich, so würde sich die kom-
^) Lysander und Ealiste, S. 46 nnd 53. Assenat, S. 50.
2) Argenis I, 19, S. 111.
») Simpl. VI, 24.
*) Rosemund ed. Jellinek, S. 69.
— 121 —
plizierte Situation ergeben, daß eine größere Icherzählimg,
der Boman, in eine kleinere, den einführenden Bericht,
eingelegt wäre, und das Bild würde noch unwahrschein-
licher werden, wenn Olivier sein Leben erzählt. Zur Ver-
meidung solcher Mißstände muß Jan Comelissen als Finder
des Komans einen Brief schreiben, wohl den einzigen im
ganzen Eoman, in dem auschließlich zur Handlung Gehöriges,
die letzten Nachrichten über Simplicius' Leben, nicht durch
Icherzählung, sondern brieflich berichtet wird.
IX.
in gebundener Rede.
Man kann in den Bomanen des siebzehnten Jahrhunderts
die Stücke in gebundener Rede scheiden nach reiner Lyrik
und nach kurzen, spruchartigen Versen. Eine dritte Art,
die Reiraprosa, findet sich nur ganz vereinzelt, in Zesens
Assenat an Stellen lebhaftester Darstellung, gleichsam um
dieser Schwingen zu verleihen.^)
Rein lyrische Einlagen dienen meist zur Erregung oder
Verstärkung der Stimmung, sie können aber auch in die
Handlung eingreifen. Sehr häufig hätte man die Verse
nicht ausführlich wiederzugeben brauchen, allein die Freude
an lyrischem Schmuck veranlaßt doch die Mitteilung. Von
wesentlichem Einfluß hierauf ist die lyrische Begabung der
Autoren. Opitz, sich fühlend als Lyriker und Verskünstler,
fand in seinen Übersetzungen der „Arcadia" und der „Ar-
genis" genug Gelegenheit seine Stärke zu zeigen. Zesen
unterdrückt Lieder und Verse nur in „Lysander und Kaliste*'
und wohl unter dem Einfluß der Vorlage. Der „Bosemund"
gibt er außer vielen Einlagen auch einen langen poetischen
Anhang bei, und auch in der „Assenat" bringt er zahlreiche
Verse an. Auch Kindermann, der gleichfalls als Lyriker
tätig gewesen ist, schmückt die „Nisette" mit lyrischen
Gedichten.
Der pikarische Boman ist seiner realistischen Natur
entsprechend ärmer an Verseinlagen als der idealistische,
obgleich die spanische erzählende Prosa zur Verwendung
1) Assenat, S. 23. 44. 58. 96.
— 123 —
von Lyrik neigte. Die Bearbeiter strichen häufig noch die
vorhandenen Lieder oder kürzten sie, wie z, B. D'Ouville,
der in der „Gardufia" nur ein stark gekürztes Lied stehen
ließ.^) Stimmungslyrik ist selten im pikarischen Roman;
meist sind die Verse satirischen Inhalts oder beziehen sich
auf die Handlung. Auch dann wird nur das unbedingt
Notwendige mitgeteilt. So gibt Quevedo im „Buscon" von
einem Liede, das eine komische Verwirrung veranlaßt und
deswegen für das Verständnis der Szene unentbehrlich ist,
nur drei Verse.*)
Unter den idealistischen Romanen sind die pastoralen
am reichsten an lyrischen Einlagen. Aus der Vorstellung,
der Tageslauf der Schäfer bestehe wesentlich in Naturgenuß
und Gesang, folgt, daß die meisten Lieder der Stimmung
dienen, während nur selten auch die Handlung durch Lieder
wirklich einen Fortschritt erfährt. Das Überhandnehmen
solcher Stimmungsmalerei führte leicht zur Eintönigkeit, da
sich Elegisches oder Idyllisches vag wiederholte, und man
sieht deshalb in einzelnen Romanen, wie „Argenis" und „Stra-
tonica", auch Gedichte unterdrückt und ihren Inhalt nur an-
gedeutet.^) Wohl nach dem Vorgange der „Arcadia", die reich
an Liedern und Gedichten war, ja am Ende des ersten
Buches sogar lyrisch -dialogische Eklogen brachte, fügte
Zesen auch seinem Schäferroman „Rosemund" mancherlei
Lyrik ein. Hier konnte er seiner lyrischen Neigung freien
Lauf lassen. Für seinen Erstlingsroman, die Bearbeitung
von D'Audiguier's „Lysander und Kaliste", fand er wenig
Lyrik im Original vor. Aber mit der „Assenat" schritt er
auf der in der ,,Rosemund" betretenen Bahn fort. Die dort
ausführlich wiedergegebene Lyrik, wie das Chorlied zur Feier
von Josephs Ernennung zum Schalikönig — Zesen teilt sogar
die Noten mit*) — dient lediglich als Schmuckstück. Ähn-
1) La Fouyne de Seville, Paris 1661, 8. 263.
*) Historia del Bascon, II, 9.
«) Stratonica, S. 68. Francion, 8. 146. 329.
*) Assenat, S. 178, auch S. 245.
— 124 —
lieh verfuhr Kindermann in der Nisette mit dem Gesang der
Studenten von Panormus. Nicht immer ist solche derStimmung
dienende Lyrik genügend motiviert. Man hat besonders im
Schäferroman manchmal den Eindruck, als teilten die Ver-
fasser einer Figur nur deshalb ein Lied zu, v^eil sie als
Schäfer doch auch einmal singen müßte; so in der „Arcadia"
am Ende des dritten Buches oder in der „Rosemund'' das
Lied des erzählenden Dieners '). Anstatt diese Texte aus-
führlich wiederzugeben, hätte die Bemerkung genügt, daß
ein Lied von einer gewissen Stimmung gesungen wurde.
Näher lag es schon, Lieder mitzuteilen, die in den
Gang der Handlung eingriffen. Hierbei wiederholt sich
mehrfach ein Motiv : das Lied dient zum Wiederfinden und
Wiedererkennen zweier Personen. Lysander und Kaliste
finden und erkennen einander durch ihren Gesang^). In
der „Nisette" trifft Artafernes einmal mit seinem Bruder Ni-
sander und ein anderes Mal mit seiner Geliebten, Nisette,
durch den Gesang zusammen.*) Assarini, der im ,.IJ)emetrius"
den Silander „öfftermals von der Wollust seiner vergangenen
Buhlschaft"*) singen läßt, ohne diese Lieder wiederzugeben,
unterdrückt doch eines nicht, das zur Erkennung zwischen
Silander und Lerilla führt.*)
Der Zweck der kürzeren, spruchartigen Verse im idea-
listischen Komane ist meist, den Inhalt gegen die Prosa ab-
zuheben und eindrucksvoller zu gestalten. Deshalb werden
Inschriften, Orakel und Ähnliches gewöhnlich in Versen mit-
geteilt. In der „Nisette" unterbricht Kindermann die Prosa
sogar durch einen zweizeiligen gereimten Ausruf des Arta-
fernes, lediglich zur wirksamen Hervorhebung des Namens
^) E,08emnnd ed. Jellinek, S. 90.
*) Lysander und Kaliste, S. 412.
») Nisette I, 1, S. 4-6, I, 9, S. 101—103.
*) Demetrius, S. 112.
») Demetrius, S. 116.
— 125 —
Nisette^), und auch die ermutigenden Worte des Gespenstes
sind in Versen abgefaßt.*) Eine Ausartung dieser bei
Kindermann schon weitgehenden Technik ist es, wenn er
gar Pasimethes den widrigen Wind in einem fünfstrophigen
Gedicht beschwören läßt.*) Zesen überträgt die Bilder-
gedichte in den Roman. An den Gemälden in dem weit-
läufig beschriebenen Saal der Ludwihche sind umfangreiche
Gedichte als Inschriften angebracht.*) Offenbar sind sie für
Zesen die Hauptsache, und nicht nur die Beschreibung des
Saales, sondern weit mehr noch der Gang der Erzählung
tritt völlig zurück.
Grimmeishausens praktischer Natur entspricht die Ver-
wendung von Lyrik nur wenig. Mit selbständigen Vers-
dichtungen ist er gar nicht hervorgetreten. Auch da, wo
seine Romane Gelegenheit zur Entfaltung lyrischen Natur-
gefühls geben, verzichtet er auf Verse. So schildert er in
den Einsiedlerszenen des „Simplicissimus" kräftig und einfach
das schlichte, naturgemäße Leben des Eremiten und seines
Zöglings. Dabei versteht er jedoch von . stimmungsvollen
Naturbildem geschickt Gebrauch zu machen. Wenn den
Simplicius die ländliche Schönheit seiner Frau entzückt,
sieht er sie zuerst im Rahmen einer freundlichen Land-
schaft*) Die Bekehrung des unsichtbaren im ersten Teil
des „Vogelnestes'' findet gleichfalls unter dem Eindruck der
Naturbeobachtung statt*); und wenn Simplicius am Anfange
des sechsten Buches sein Einsiedlerleben beschreibt, so
schildert er den Blick von seiner Waldhöhe, der ihn zu-
erst wieder an die Welt und ihre Lust gemahnt habe.')
') Nisette I, 1, S. 6.
») Nisette III, 1, S. 242.
») Nisette III, 4, S. 296.
*) Rosemnnd ed. Jellinek, Bnch 3, S. 112.
») Sünpl. V, 7.
•) Vogehiest I, 20, Kurz III, S. 422 f.
T) Simpl. VI, I.
— 126 —
Mit Versen dagegen ist Grimmeishausen in seinen
Werken nicht verschwenderisch. Als sicher von ihm her-
rührend darf man wohl nur die Verse ansehen, die er seit
1671 als Kapitelüberschriften im Simplicissimus und als
Bilderunterschriften anwendet, sowie die Verse zu den
Bildern der „Gaukeltasche". Von den in den Gesamtaus-
gaben als Kapitelschlüsse hinter die angehängten Moralin
sationen gesetzten derben Versen weichen die obenerwähnten
so sehr ab, daß man für jene wohl auf einen anderen Ver-
fasser schließen darf. Grimmeishausens Verse sind hart
und scheinen, wie schon Gervinus bemerkt^), den Einfluß
Opitzischer Reform nicht erfahren zu haben. Selbst im
sechzehnten Jahrhundert würden wohl Verse wie:
Simplex vom Mann, der Geld giebet, berichtet,
Was er dem Schweden vor Kriegsdienst verrichtet*)
übel aufgefallen sein. Die Verse der Gaukeltasche sind
etwas ausgeglichener und besser gefeilt als die Kapitel-
überschriften, aber immer noch reich an Härten. Diese
Proben zeigen wohl, daß Grimmeishausen zum lyrischen
Dichter die Beherrschung der Verskunst fehlte.
Dem entspricht vollständig, daß Grimmeishausen in
seine Schriften weit mehr fremde als eigene Verse ein-
streut. Nur zwei wirkliche Lieder teilt er im Simplicissi-
mus ausführlich mit; von einigen anderen zitiert er Bruch-
stücke. Die beiden Lieder sind im ersten Buche das von
Simplicius beim Schafhüten gesungene Lied über den
Bauernstand*) und das seit Tieck und Brentano berühmte,
auf die Melodie des „Morgensterns" gedichtete „Komm Trost
der Nacht, o Nachtigall".*) Dieses hat, wie schon Keller er-
mittelte, Nicolai zum Verfasser.*) Das andere teUt mit den
drastischen erst 1671 aufgenommenen Strophen, die Sim-
1) Geschichte der deutschen Dichtung, 5. Aufl. 1872, III, 492.
*) Sünpl. II, 4.
») Simpl. I, 3, S. 12, Z. 17.
*) Simpl. I, 7, S. 21, Z. 20.
») Keller IV, 930.
— 127 —
plicius beim Kampf gegen die Läuse siagt^), das Schicksal,
von den Herausgebern der Gesamtausgabe durch weitere
Strophen ergänzt zu sein. Diese Zusätze stimmen in Stil
und Ton so gut zu den von Orimmelshausen gegebenen
Versen, daß man ihm wohl auch diese beiden Lieder nicht
zuschreiben darf. Die Vollständigkeit und Reihenfolge der
Strophen bleibt bei dem zweiten Liede freilich noch fraglich.
Grimmeishausen ist ferner so sparsam wie möglich in
der Mitteilung. Nicht ganze Lieder, sondern nur einzelne
Strophen bietet er. Er charakterisiert die Stimmung nicht
mehr, als die Handlung verlangt. Die beiden Lieder im
ersten Buch stehen in der idyllischen Partie des Werkes,
und ihre Stellung kann wohl auf den Schäferroman zurück-
gehen. Singt doch Simplicius das Lied vom Bauernstand
geradezu in seiner Eigenschaft als Hirt „Komm Trost der
Nacht, Nachtigall" ist an einer Stelle eingeschoben, die
die Wekflucht und die Rückkehr zur Natur darstellt, wie
sie auch der SchäfeiToman zeigen möchte. Zwischen Grim-
melshausen und Nicolai steht freilich als Bindeglied noch
Kindermanns „Nisette", der ja die Figur des Einsiedlers ent-
stammt. Auch der verirrte Ritter zu Anfang der „Nisette"
singt ein längeres Lied, und vielleicht sollte gar ursprüng-
lich auch das „Komm Trost der Nacht^' wie das Lied in
der „Nisette" zu einer Entdeckung führen: Simplicius und
der Einsiedler würden sich durch diesen Gesang gefunden
haben. Das Lied wäre dann weit enger als heute mit der
Handlung verknüpft
Das Lied vom Bauernstand greift dadurch in die Hand-
lung ein, daß der Gesang des Knaben die Reiter herbei-
lockt und damit den Überfall auf den Hof de&-Knän ver-
anlaßt Die Krieger unterbrechen Simplicius' Gesang gerade
bei einer Strophe über den „bösen Brauch der Soldaten".
Die Herausgeber haben also mit ihrer Ergänzung - in den
Gesamtausgaben Grimm elshausens Absichten verkannt
>) Simpl. n, 28. Kurz S. 220.
— 128 —
2wei andere Lieder erwähnt Grimmeishausen, ohne sie
mitzuteilen.^)
Die beiden wiedergegebenen Lieder sind sorgfältig ein-
geführt. Ausdrücklich wird erwähnt, daß Simplicius sie
auswendig weiß. Das Lied vom Bauernstand hat ihn seine
Mutter gelehrt, das geistliche Lied des Einsiedlers hat der
Knabe, wie er sagt, später ebenfalls gelernt.
Wie der idealistische Roman hat auch Grimmeishausen
Orakel und Inschriften durch die Versform vor der Prosa
ausgezeichnet. Meist sind es nur kurze Zweizeiler in der
Art der Kapitelübei'schriften, bei denen man, da sie ganz
für den Zweck des Romanos zugeschnitten sind, eher als
bei den Liedern auf Grimmeishausens Verfasserschaf t schließen
darf. Im Joseph und im Musai finden sich zwei Prophe-
zeiungen.^) Sonst hat Grimmeishausen eine Vorliebe für
Grabschriften. Ob er diese Neigung von Moscherosch über-
nommen hat, der in „Hans hinüber, Gans herüber'' eine Reihe
von Grabschriften mitteilt'), muß dahingestellt bleiben. Jeden-
falls veranlaßt ihn die auffallende Vorliebe sogar zu Weite-
rungen. Er teilt z. B. im Vogelnest IE die Geschichte eines
tapferenHolländers mit, nur um seine Grabschrift anzubringen,
von der er öagt, sie klinge niederdeutsch weit schöner.*) Femer
findet sich im Druckfehlerverzeichnis von F., der Ausgabe des
sechsten Buches von 1669, eine Grabschrift auf M. Canard, die
Grimmeishausen nicht zu unterdrücken vermochte.*) Auch ist
weder für den Gang der Handlung noch für die Charakteristik
erforderlich, daß Simplicius dem geizigen Dragoner und dem
Schiffszimmermann Grabschriften verfaßt.®) Sie sind wie die
anderen wohl nur aus Freude an dieser Art Poesie mitgeteilt,
zumal da sie alle in humoristischem Tone verfaßt sind.
») Simpl. IV, 1, S. 290, Z. 4 und VI, 6, S. 493, Z. 37.
*) Joseph, Kap. 10, Keller IV, 777, Z. 30 u. Musai, Kap. 5, S. 899.
») Bd. n, S. 238ff.
*) Vogelnest 11, 24. Kurz IV, 181, Z. 10.
«) Kurz II, 363.
•) Simpl. II, 29, S. 185, Z. 15; VI, 22, S. 566, Z. 18.
o
Anhang.
Träume.
Außer den besprochenen moralisierenden und belehren-
den Partien hat Grim nielshausen um seine Ideen zusammen-
hängend mitzuteilen noch eine dem pikarischen Roman bis-
her fremde Form verwendet, die des Traumes. Wir haben
oben^) schon einen inhaltsreichen Traum kennen gelernt
und seine Stellung im Simplicissimus sowie seine Herkunft
untersucht. Hier soll nun weiter dargetan werden, welche
Stellung Grimmeishausen sowohl zur bisherigen Art der Ver-
wendung von Träumen im Roman überhaupt wie auch zur
umfangreichen selbständigen Visionsliteratur des 17. Jahr-
hunderts einnimmt.
Wir müssen scheiden zwischen symbolistischen Träumen,
Erscheinungen, die einen auf die Handlung bezüglichen Auf-
trag übermitteln, und Gesichten, die ohne bestimmten Einzel-
zweck moralische oder belehrende Tendenzen verfolgen.
Die ersten beiden Arten sind namentlich im idealistischen
Roman vertreten, die dritte war bisher nur selbständig auf-
getreten und höchstens zu Gruppen zusammengefaßt worden.
Die symbolistischen Träume des idealistischen Romans
dienten im wesentlichen zur Andeutung ganz bestimmter
späterer Einzelereignisse. Charakteristisch für sie ist, daß
in ihnen Handlungen unter allerlei Bildern dargestellt w^erden,
ohne daß dazu gesprochen wird. Da die angedeuteten Er-
eignisse des Romans gewöhnlich dem Traume bald folgten.
1) S. o. S. 58-60.
Palaestra LI.
— 130 —
so beraubte man den Leser meist nicht durch eine Aus-
legung der Freude des Herausfindens symbolischer Zusammen-
hänge. Im Josephstoff, den Grimmeishausen und Zesen
romanhaft behandeln, paßten die zahlreichen Träume der
biblischen Überlieferung sehr gut zum Stil des idealistischen
Romans. Beide Bearbeiter beschränkten sich indes darauf
nicht, sondern fügten noch Träume hinzu, Grimmeishausen
einen Traum Rubens'^), Zesen eine Traumgruppe der Nito-
kris, Semesse und Assenat*), sowie zwei Träume Josephs.^)
Zesen hatte die Paarung von Träumen in der biblischen
Darstellung wohl erkannt: die beiden Träume Josephs stehen
in Parallele, ebenso die Träume des Bäckers und des Mund-
schenken und die beiden Träume Pharaos. Deshalb faßte
auch Zesen mehrere Träume zusammen, band sich aber
nicht an die Zweizahl, sondern ließ drei interessierte Per-
sonen träumen: Nitokris, Semesse und Assenat, inhaltlich
vei*schieden, der Bedeutung nach verwandt.
Die sonst nicht häufigen Auslegungen brachte im Joseph
die biblische Überlieferung mit sich, und gerade sie spielen
eine wichtige Rolle in dem Stoffe. Kommt doch Joseph
durch seine Traumdeutung zu hohen Ehren. Die beiden
deutschen Bearbeiter verfahren hier nicht gleich. Während
Zesen sich für die Auslegung der beiden Träume Josephs
an die Bibel anschließt, läßt Grinimelshausen sie durch
Jakob, im Gegensatz zur Deutimg durch die Brüder, auch
noch wohlwollend auslegen, natürlich ohne in Widerspruch
mit dem weiteren Verlauf der Erzählung zu geraten.*) Zesen
neigt überhaupt nicht zu vielen Auslegungen, und deshalb
bleiben Josephs spätere für jeden mit der Bibel bekannten
Leser verständlichen Träume ungedeutet. Nur der nach
biblischem Vorbild hinzu erfundenen Traumgruppe gibt Zesen
1) Keuscher Joseph ed. Keller IV, ö. 719.
>) Assenat, S. 82 n. 92.
3) Assenat, S. 184 u. 329.
♦) Keuscher Joseph ed. Keller IV, S. 718 u. 720. Vgl. Bober-
tag, Geschichte des Romans IIa, S. 16.
— 131 —
eine Deutung. Die beiden ersten Träume deuten Semesse
und Nitokris sich zum Teil sofort, und Joseph gibt die Be-
stätigung; den Traum Assenats deutet Joseph selbständig.
Dadurch erreicht Zesen, daß zwar Nitokris und Semesse die
Beziehung der Träume auf Joseph und Assenat erfahren,
diese beiden selbst aber nicht.
Traum und Erfüllung brauchen in den Bearbeitungen
des Josephstoffes nicht so nahe zusammengerückt zu werden,
da der Gegenstand allgemein bekannt war.
Die etwas seltenere Art der Erscheinungen bedurfte
keiner Auslegung. In ihnen wurde mit Worten gesagt, was
die symbolischen Träume nur andeuten konnten. Auch von
dieser Art finden sich Beispiele im Josephstoff. Die bibli-
sche Geschichte überlieferte den von beiden Bearbeitern
übernommenen Traum 'Jakobs auf seinem Zuge nach Egypten.^)
Zesen fügte noch ein Gesicht der Assenat auf ihre Bekehrung
hinzielend hinzu; streng genommen kein Traum, da Assenat
nicht schläft. Joseph erscheint ihr als „ein Fürst des Hauses
Gottes und ein Herzog der Heerschaaren des Herrn" und
nimmt die zu seinem Glauben Bekehrte als Braut an.^)
Grimm eishausen, der ja die symbolistische Auslegung der
beiden Träume Josephs so geschickt zu behandeln wußte,
bevorzugt doch die Erscheinungen, vielleicht weil sie seinem
klaren Sinne durch unzweideutige Verständlichkeit mehr zu-
sagen. Immerhin geht er auch mit ihnen sparsam um. Die
Quelle von Dietwald und Amelinde, das Meisterlied vom
Grafen von Safoi, legt es mindestens nah, dem Liebespaare
den Auftrag zur Bußfahrt durch eine Erscheinung mitteilen
zu lassen. Wenn dort der Graf und die Gräfin auf dem
Nachtlager im Gespräch über ihr unvergleichliches Glück
durch eine Stimme unterbrochen werden, die sie auf zehn
*) Assenat, Buch VI, S. 283 und Keuscher Joseph, Kap. 16,
Keller IV, S. 845.
2) Assenat, Buch V, S. 211. Bobertag (Geschichte d. Rom. II,
S. 87) weist mit Recht daraufhin, daß sich dieser Traum durch
den Parallelismus der Glieder stilistisch eng an die Bibel anschließt.
9*
- 132 —
Jahre ins Elend schickt, so verzichtet Grimmeishausen auf
alles Traumhafte. Bei ihm verkündet dem im Gartea lust-
wandelnden Paar ein plötzlich erscheinender Bettler den
Befehl Gottes. Diesem schenkt Dietwald einen später zur
Wiedererkennung dienenden Ring, was natürlich bei einem
im Traume erscheinenden Engel unmöglich gewesen wäre.
Grimmeishausen opfert also der Anagnorisis einen Traum. ^)
In Proximus und Lympida verzichtet er auf einen Traum,
um Wiederholung zu vermeiden. Nur Proximus wird durcli
einen nächtlichen Traum zum frühen Kirchgang veranlaßt,
nicht aber Lympidas Eltern, die vielmehr im Gespräcli
während einer schlaflosen Nacht den Kirchgang beschließen.*)
Die ganz kurze Darstellung der Geschichte von Proximus
und Lympida im Ratstübel Plutonis streicht auch noch den
Traum des Proximus.^)
In der Messiasgeschichte des Vogeluests II boten die
Quellen*) bereits einen fingierten Traum. Je nachdem der
Verführer sich im Einverständnis mit dem jüdischen Mäd-
chen befindet oder nicht, wird die Verkündigung des Messias
entweder ihr selbst oder ihrem Vater zuteil. Grimmeishausen
verfährt hier ganz selbständig: obgleich Esther nicht im Ein-
verständnis mit dem Unsichtbaren ist, wird nicht sie auf
den Messias vorbereitet, sondern ihr Vater, der ihr dann
seinen vermeintlichen Traum erzählt.*) Ein zur weiteren
Vorbereitung Esthers bequemer Traum des Mädchens findet
sich nicht. Vielmehr läßt Grimmeishausen den trotz seiner
sorgfältigen Vorarbeiten noch mißtrauischen Unsichtbaren
am Tag vor der Verfülirung in Eliezers Behausung umher-
schleichen, um sich von der gefahrlosen Lage zu überzeugen.**)
*) Siehe Stilgebauer, S. 47, dazu Dietwald und Amelinde,
B. II, Kap. 2.
*) Proximus und Lympida, B. VII, Kap. 1.
3) Ratstübel Phitonis Kap. (j.
*) Siehe Kurz IV, S. 431 und Tittmann II. S. XXI. -
»} Vogelnest II, Kap. 15, Kurz IV, S. 111 ff.
•) Vogelnest II, Kap. 16, Kurz IV, S. 116, Z. 23.
— 133 ^—
Der vermeintliche Traum Eliezers ist durchaus in der
hergebrachten Form gehalten, nur sehr breit ausgeführt.
Zur besseren Beglaubigung fügt der Unsichtbare noch eine
Reihe politischer Prophezeiungen an.
Neben diesen in dem idealistischen Roman vorkommen-
den Träumen steht eine selbständige reiche Traum literatur
realistischer Färbung. Sie geht von den „Suenos" des Spaniers
Quevedo aus, die in La Genestes französischer Übertragung
die Vorlage für Moscheroschs berühmte Gesichte Philan-
ders von Sittewaldt wurden.') Diese Traumliteratur ver-
folgte satirische Zwecke und schon daraus ergab sich ihre
größere Selbständigkeit. Die Satire schilderte das Leben
in ausführlichen Darstellungen, die sich sciion ihres Um-
fanges wegen einem anderen Werke nicht einfügen ließen.
Wollte man Gesichte im größeren Verbände zeigen, so blieb
nur übrig, sie, wie Quevedo-Moscherosch tat, zu bestimmten
Gruppen zu vereinigen.
Die Zusammenfassung der sieben Gesichte des ersten
Teils von Moscheroschs Werk erfolgt durch eine Reise nach
Frankreich, auf welcher Philander nacheinander die sieben
Gesichte hat. Das erste Gesicht spielt in Nancy, wohin
Philander „vber den blowen Berg'' reist, wohl ein absicht-
lich dunkel gewählter Ausdruck für die Vogesen, bei dem
man auch an Ti'äume denken soll.^) Die folgenden Gesichte
geschehen nacheinander in Paris, Moulins und Lyon.^) Im
fünften Gesicht ist Philander schon zurückgekehrt „von
St. Claude auß Burgund''.'^) Nähere Ortsangabe fehlt, doch
geht aus dem sechsten Gesicht hervor, daß Philander das
^} Wirth, Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewalt,
Erlanger Diss. 1887, S. 24.
2) Ich benutze das Exemplar der Königl. Bibliothek in Berlin
der Ausgabe Straßburg 1650, Bd. I. S. lOf. Zu „blowen Berg", vgl.
(irimms Wörterbuch, Bd 2, Sp. 82 unter blau.
3) Bd. I, S. 46 f., 107 u. 165.
*) Bd. I, S. 286
— . 134 —
„Letzte Gericht" in Genf sieht*). Das sechste und siebente
Gesicht erfolgt in Philanders Heimat Sittewaldt*).
Gesicht 1 bis 3, sowie 6 und 7 weisen ^noch engeren
Zusammenschluß auf.
Für die Zusammengehörigkeit der ersten spricht eine
undatierte Einzelausgabe, die nur diese drei Gesichte um-
faßt *). Ferner bezieht sich der Anfang des zweiten und
dritten Gesichts nochmals auf das vorhergehende und bringt
dann erst die Fortführung der Reise, während die Gesichte
4 und 5 ohne Beziehung auf das jedes Mal vorhergehende
Gesicht beginnen, das „Toten-Heer'' sogleich mit der Fort-
führung der Reise, das „Letzte Gericht" mit einer be-
sonderen Einleitung.
Das sechste und siebente Gesicht sind durch eine Ein-
kleidung noch enger verbunden: beide sind als in Sittewaldt
aufgezeichnet zu denken. Das sechste Gesicht „hält" Phi-
lander eben dort*). Am Ende des siebenten Gesichtes ver-
schwindet plötzlich alles in einem „Nun", und „als ich mich
umsähe, befände ich mich an dem Ort, da ich noch bin",
d. h. in Sitte waldt"*). Das siebente Gesicht bezieht sich zu-
dem zu Anfang noch auf das sechste.
Die Einkleidung der einzelnen Gesichte ist verschieden.
Nur im dritten schläft Philander tatsächlich ein®); beim
ersten ist ein Entschlummern nur angedeutet'); das zweite
geschieht in tiefem Nachsinnen, „daß ich meines Kopffs fast
nicht mehr meister, darob gleichsam in einer Entzückung
lange zeit gelegen"**). Vor den übrigen vier Gesichten fehlt
die ausdrückliche Angabe einer Entrückung über die Welt.
1) Bd. I, S. 338.
2) Bd. I, S. 340.
^) Wirth, S. 3. Auf der Königl. Bibliothek zu Berlin vor-
handen. Goedeke verzeichnet diesen Druck nicht.
*) Bd. I, S. 340.
») Bd. I, S. 675.
•) Bd. I, S. 110.
') Bd. I, S. 11.
«) Bd. I, S. 49.
— 135 —
Ein Wiedererwachen wird ausdrücklich angegeben nach den
Gesichten zwei bis fünf*). Einschlafen und Erwachen ent-
sprechen sich also nicht immer.
Weitaus am einheitlichsten in der ganzen Gesicht-
literatur ist der zweite Teil der Moscheroschischen Gesichte
gearbeitet. Die nicht wie im ersten Teil allgemein mensch-
liche, sondern speziell patriotische Tendenz dieses Teiles
hat die Erfindung einer ziemlich straff durchgeführten Hand-
lung veranlaßt. Philander soll sich wegen seines Alamode-
Wesens vor einem aus germanischen Helden gebildeten Ge-
richtshof auf der lothringischen Burg Geroltzeck verant-
worten. Deshalb läßt ihn der Autor sich im Walde verirren
und durch Pegasus auf die Burg tragen. Diese einmalige
Entrückung in die Traumwelt genügt dem Autor für den
ganzen zweiten Teil. Auf der Burg wird Anklage gegen
Philander im „Alamodekehraus" erhoben und Philander
durch Urteilsspruch dort festgehalten. Da Expertus Robertus
für ihn einsteht, erhält Philander die Möglichkeit, alle Vor-
gänge auf der Burg mit anzusehen. Dadurch können die
Personen des ersten Gesichts auch in den folgenden weiter
verwendet werden. Das zweite Gesicht bringt die Figur
des Mutius Jungfisch, der im fünften Gesicht mit zwei in-
zwischen hinzugekommenen Personen Don Thraso Barbaviso
und Don Unfalo wegen der Gesichte des ersten Teils Klage
gegen Philander erhebt. Sie wird abgewiesen, da die Klag-
schrift stark mit Fremdworten „beschmitzt" ist. Im sechsten
Gesicht erfährt Philander durch Expertus Robertus, daß die
Klagschrift nunmehr „ins Teutsch vbergebracht" sei. Auch
diese Klage wird im siebenten Gesicht von dem Reformations-
rat abgewiesen.
Ferner hat Moscherosch für zeitlichen Zusammenschluß
gesorgt. An einem Sonntagabend kommt Philander nach
Geroltzeck, und jedes Gesicht spielt an einem Tage der fol-
genden Woche, dessen Name jedesmal in der Einleitung
1) Bd. I S. 106, 158, 277, 329.
— 136 —
genannt wird. Nach dem sechsten Gesicht ,,Soldatenleben",
am Sonnabend wird Philander verwundet in einen Turm
geworfen, wo er acht Tage bleibt. Dann bringt man ihn
zu besserer Pflege in ein Stübchen, wo ihn Expertus Ro-
bertus nach vierzehn Tagen, also drei Wochen nach dem
Alamodekehraus besucht. Nach abermals zwei Tagen bringt
Thurnmeyer die Nachricht, daß in einer Woche der Refor-
mationsrat über Philanders Schriften entscheiden werde.
„Als die acht Tage auch vorbey", beginnt das letzte Gesicht
„Reformation'\
Wie Moscherosch fassen auch Kindermann und Yeridor
von Stackdorn ^) Gesichte zusammen. Kindermann vereinigt
in dem 1661 erschienenen ,,Schoristenteufel" zwei Gesichte
und gibt aucli 1673 noch einmal einen ganzen Band „neuer
Gesichter''. Eine dritte Schrift in Traumform „Warhafftiger
Traum und Träumende Warheit", wie der Alamodekehr-
aus gegen die Nachahmung französischer Kultur eifernd,
aber auch nicht ohne politische Seite, erschien selbständig.
Die sechs Stücke der „Neuen Gesichter" sind freilich ebenso
selbständig, werden aber doch noch durch Zählung zusammen-
gehalten. Nur drei davon sind wirkliche Träume, die anderen
drei bloße Gespräche. Die beiden Gesichte des Schoristen-
teufels werden durch eine gemeinsame, wenn auch nur karge
Einkleidung verbunden. Kurandor, wie Kindermanns Pseu-
donym lautet, und sein Begleiter Mundano finden sich plötz-
lich vor einem großen elfenbeinernen Tor; „ich weiß nicht
aus was für Anführung", fügt der Verfasser hinzu, worin
wohl eine Homerische Reminiszenz zu erkennen ist. Also
kein Einschlafen, kein tiefes Nachsinnen, kein Verirren, wo-
durch Kurandor zu seinen Gesichten kommt. Dementsprechend
kehrt er auch am Schluß des zweiten Gesichts nicht ins all-
tägliche Leben zurück. Bei beiden Gesichten ist die Dis-
position als Überschrift vorgedruckt. Im Text wird jede
von Kurandor neu besuchte Gruppe von Höllenbewohnern
*) Siehe AlJgemeine Deutsche Biographie, ßd. 35, S. 777.
— 137 —
durch ein in die Luft gerufenes Alexandrinerpaar ange-
kündigt. Der Übergang, vom ersten zum zweiten Gesicht
vollzieht sich nicht anders als der von einer Gruppe zur
anderen: die Höllenbesucher schreiten weiter.
Veridor von Stackdorn wahrt die Traumform weit besser
in seinen 1664 in Leipzig erschienenen drei Gesichten:
„Barbatos, das ist der Teuffei der Uneinigkeit", „Eligor und
Perraalfar, das ist der Soldaten und Verzweiflungs-Teuffel"
und „Belfry^), das ist der Goldmacher Teuf fei". Er faßt die
drei Gesichte zusammen. Im ersten entschläft er, ähnlich
wie Philander im sechsten Gesicht des ersten Buches, in
einer schönen Landschaft. Nun folgt ein merkwürdiger
Zug. In nicht ganz klarem Deutsch erzählt Veridor, daß
sein Leib, nachdem die Seele im Traum sich aus ihm ent-
fernt, verschwunden sei, und da man ihn ertrunken ge-
glaubt, habe man eine im Wasser gefundene Leiche an
seiner Stelle begraben. Mit der zu dieser Leiche gehörigen
Seele trifft Yeridor im Traum zusammen, und sie weist ihn
an Barbatos, den sie erwartet. Dies auffallende Hineinziehen
des Todes geht vielleicht auf ein den Gesichten ähnliches
Werk des sechzehnten Jahrhimderts zurück. Auch der „Ge-
treue Eckart'' von Bartholomäus Ringwalt wird begraben,
aber nur scheintot, und während der Starre führt ein Engel
seine Seele durch Himmel und HöUe.
Veridor durchwandert im Träum die Gebiete der auf
den Titeln genannten Teufel. Beim Übergang von dem
Reich eines Teufels zum andern, d. h. am Ende des ersten
und zweiten Gesichtes, verläßt die Seele zwar die Hölle,
bleibt aber ina Traum befangen.
Grimmeishausen beteiligt sich an der Gesichtsliteratur
mit drei Schriften, der „Traum Geschieht von Dir und Mir'*
der ,,Reise in die Neue Oberwelt des Monds", beide 1660
>) Diese sowie andere bei Stackdorn vorkommende Teufels-
namen entstammen der Liste, die Moscherosch nach Jakob Ayrers
Processus juris in der „Hof schule" gibt (Bd. I, S. 657 ff.), auffallender-
weise nur den Anfang dieser Liste.
— 138 —
erschienen und mit der „Verkehrten Weit". Er bringt in
die Traumliteratur den Humor als einen neuen Zug. Schon
vorher hatte eine 1647 o.O. erschienene Broschüre „Philander
von Sittewald Holländische Sybille Jetzigen Zustand des
Reichs und dessen Friedens Handlungen betreffend aus der
Holländischen in Hoch Teutsche Sprache versetzet"^), eine
Verschmelzung der Sibyllen -Weissagung mit der Mode-
form des Gesichts, in der Einleitung eine humoristische
Szene angebracht. Allein ihr weiterer Inhalt war ebenso
ernst wie die Gesichte Moscheroschs und seiner Nachfolger.
Auch bei Moscherosch finden sich wohl vereinzelte komische
Partien, wie das Examen des Mutius Jungfisch in „Hans
Hinüber, Gans Herüber", aber die starke patriotische Ten-
denz der „Straffschrifften", wie Moscherosch die Gesichte
seit 1650 nannte, läßt den behäbigen Humor harmloser Art
nicht aufkommen.
Grimmeishausen dagegen faßte den gesamten Inhalt
seiner in Traumform gekleideten Werke humoristisch und
ist sich dieser Neuerung durchaus bewußt; denn er ver-
teidigt sie in einem Anhange zur ,,Traum Geschieht von
Dir und mir".*)
Die beiden 1660 erschienenen Gesichte Grimmeishausens
sind zwar in einem Bande vereinigt, werden aber nicht
enger zusammengeschlossen. Im Gegenteil differenziert
Grimmeishausen die Einkleidung. In der „Traum Geschieht"
^) In einem Sammelband der Königl. Bibliothek zu Berlin
(Fi. 2901) Bei Goedeke nicht erwähnt. Der Stil dieses Werk-
chens ist in der Einleitung und am Schluß kräftig und bilderreich,
dem Moscheroschs und besonders dem Grimmeishausens vergleich-
bar, ja man könnte nach der Einleitung fast den Übersetzer der
Broschüre in Grimme! shausen vermuten, der die Form der Sibyllen-
weissagung durch Hinzufügen von Einleitung und Schluß, sowie
durch das merkwürdige Umkleiden des Höllenführers Morpheus
in Sibylle zu einem Gesicht umgewandelt hätte.
») Gesamtausgabe 1695, Bd. III, S. 592. Ich benutze für die
Grimmelshausenschen Gesichte den dritten Band der Gesamtaus-
gabe von 1695.
— 139 —
spricht er gleich zu Anfang davon, daß er gern schlafe, und
fährt dann fort, er sei vor drei Tagen schlafen gegangen^).
Die nächsten Worte schon leiten in den Traum selbst über.
Das Erwachen wird durch das beginnende Geräusch von
Kutschen und Pferden nach zwölfstündigem Schlaf verr
anlaßt^) Die Beschreibung der Keise in die „Neue Ober
weit des Monds" dagegen erzählt nichts vom Einschlafen:
„Ich begäbe mich demnach auf die Keise nach dem Mon-
land zu, ob ich gefahren, geritten, gesegelt oder gangen,
dessen kan ich mich nicht wohl mehr erinnern. Ist mir
auch nicht gelegen, einem jeden zu sagen, wie ichs ge-
macht."^) Durch diese humoristisch polternde Einleitung
spart Grimmeishausen für den Leser als Überraschung die
Mitteilung auf, daß das Ganze ein Traum gewesen sei. Auch
das Erwachen wird humoristisch behandelt und motiviert.*)
Das Gesicht „die verkehrte Welt" ist ganz selbständig.
In der Einkleidung nähert es sich dem dritten der „Neuen
Gesichter" Kindermanns: beidemale versinkt der Träumer
in die Erde. Da aber Grimmeishausens Schrift ohne Jahres-
zahl erschienen ist, kann man nicht sagen, ob er Kinder-
mann benutzt hat oder nicht, dessen „Neue Gesichter" 1666
entstanden, aber erst 1673 erschienen sind.**) Die „Ver-
kehrte Welt" ist jedenfalls nicht vor 1672 gedruckt, denn
der Träumer kehrt durch die erst in diesem Jahr entdeckte
Baumannshöhle an die Oberfläche zurück. Man darf also
nur sagen: Kindermann kann das Motiv des Versinkens
nicht von Griramelshausen haben, wohl aber ist der umge-
kehrte Fall möglich.
Ein umfangreiches Gesicht nimmt Grimmeishausen in
das sechste Buch seines Simplicissimus auf®). Es ist eine
1) Ges. Ausg., Bd. in, S. 563 ff.
*) Ges. Ausg., Bd. lU, S. 592 u. 565.
3) Ges. Ausg., Bd. III, S. 601.
*) Ges. Ausg., Bd. III, S. 624.
••*) S.Kawerau in Geschichtsblätter f. Magdeb., Bd. 27, 1892,8.217.
«j Simpl., Bd. IV, Kap. 2—8.
— 140 —
vollständige Höllen- und Teiifelsvision, was uns da in Sim-
plicius' Traum vorgeführt wird. Simplicius' Betrachtungen
über Geiz und Verschwendung sind der Ausgangspunkt
Der allzu umfangreiche Traum unterbricht die Erzäh-
lung durch sieben Kapitel; allein bei dem lockeren Bau
des ganzen sechsten Buches macht sich die Unterbrechung
weniger fühlbar. Auch liegt gerade in diesem scheinbar
fremden Zug ein Fortschritt der Handlung. Grimmelshauseii
greift hier zu demselben Mittel, wie bei der Diskursgruppe
des zweiten Buches, indem er eine psychologische Wand-
lung nicht in einzelnen kleinen Zügen zeigt, sondern so-
gleich in einem gewaltigen Angriff das ganze überzeugende
Material heranführt. Trotzdem hat der Verfasser die zu
große Länge des Traums wohl empfunden; denn im fünften
Kapitel wendet er sich plötzlich an den Leser und sagt,
er würde kürzer sein, wenn es sich um eine einfache
Historie handelte: „Aber dieses, was ich vortrage, ist eine
Vision oder Traum, und also weit ein anders." Der Grund
für die im Traum geforderte größere Breite ist in der
moralischen Absicht zu suchen, also eine deutliche An-
lehnung an die Gesichte, die Moscherosch später .,Straff-
schrifften" nennt und in denen Kindermann über lauter
moralisierendem Predigen häufig gar nicht zur Erzählung
wirksamer Handlung gelangt.
Dieser Traum zerfällt in zwei selbständige Hälften: die
Teufelsversammlung und die Novelle von Julus und Avarus.
Die Teiifelsversammlung führt Lucifer als Höllenfürsten vor,
wie er auf seinem Throne den Geiz und die Verschwen-
dung empfängt. Amersbach macht darauf aufmerksam, daß
die Hofhaltung Lucifers ganz analog der göttlichen sei, wie
sie im fünften Buche des Simplicissimus geschildert wird.^)
Meiner Ansicht nach hat auf diese Szene, der die szenischen
Prologe der Faustspiele verwandt sind, auch die Einleitung
des Buches Hieb eingewirkt. Wie dort der Teufel auf Hieb
M Progr. d. Großh. Gymn. in Baden-Baden 1891, S. 14.
— 141 —
losgelassen wird, so entsendet hier Lucifer zwei teuflische
Wesen, die Julus und Avarus verderben sollen. Hier wie
dort bringt die Kunde von den zu Versuchenden erst den
Auftrag der Versuchung mit sich; hier wie dort wird der
Eifer noch durch einen Wettstreit angefacht Freilich ist
es hier nicht ein Wettstreit zwischen Herrn und Unter-
gebenen wie im Hieb, sondern zwischen zwei Gleich-
gestellten, den Personifikationen des Geizes und der Ver-
schwendung.
Teufelsversammlung und Personifikationen von Eigen-
schaften sind durchaus Mittel des Gesichtes. Bei Veridor
von Stackdorn findet sich z. B. im ersten Gesicht eine
Teufelsversammlung. Auch in dieser Versammlung klagt
der Herr der Hölle, bei Veridor ßarbatos genannt, über
den Eückgang seiner Macht und teilt dann die Erdteile
einzelnen Teufeln zu, gerade wie in Simplicius' Höllen-
vision Lucifer über- den westfälischen Friedensschluß klagt,
durch den lerna malorum aus Europa verschwunden sei,
und alsdann seine Teufel zu neuer Arbeit antreibt.
Personifikationen finden sich nirgends so herausge-
arbeitet, wie in diesem Traume Simplicius', in dem durch
ihren Dialog Geiz und Verschwendung die Situation voll-
ständig beherrschen. Bei Moscherosch treten Personifika-
tionen nur vorübergehend auf, wie im Schergenteufel Justitia
und Veritas oder im „Letzten Gericht" Ungnade, Unglück,
Eachgier, Zorn, Unwillen, Trauer, Fluch und Pestilenz, die
gegen die Ärzte die schwersten Beschuldigungen erheben.
Die Personifikationen von Geiz und Verschwendung
spielen auch noch in den zweiten Teil des Traumes, die
Novelle von Julus imd Avarus, hinein. Für den Einschub
von Novellen in die Gesichte finden sich Beispiele bei
Moscherosch und Veridor. Im ,, Weiberlob" erzählt Hans
Thurnmeyer die Geschichte der Matrone von Ephesus, für
die Moscherosch als Quelle die Sieben weisen Meister und
Petronius angibt. Ihm entgegnet Weibhold mit der Ge-
schichte der Sanctia, und Thurnmeyer widerspricht ihm, in-
— 142 —
dem er die Geschichte von Faustus und Jocondus erzählt.
Die zweite Geschichte wird sogar durch die Randbemerkung
.,Historia'^ besonders kenntlich gemacht.
Auch Veridor läßt im zweiten Gesichte einige Ver-
rlammte ihre durchaus novellistisch gehaltenen Geschichten
erzählen. Während aber Moscherosch Novellen wesentlich
als Argumente braucht, verbindet Yeridor die Geschichten
mit dem Traumbild, indem in ihr die Verdammten zeigen,
wie sie zur Hölle gekommen sind. Damit motiviert er die
Novellen und gibt ihnen gleichzeitig einen Abschluß.
Grimmeishausen schließt seine Novelle dadurch enger
mit der Teufelsversammlung zusammen, daß er die Teufel
in ihr stets wieder auftreten läßt. Die Teufel bestimmen
das Seelenleben von Julus und Avarus vollständig. Weil
dazu Geiz und Verschwendung nicht ausreichen, treten
noch andere Eigenschaften in ihre Dienste, Hoffart, Vor-
witz, ünkeuschheit. Unvermittelt bricht die Erzählung mit
Julus' und Avarus' Hinrichtung ab. Ob die Wette vom
Geiz oder von der Verschwendung gewonnen wird, bleibt
unentschieden.
Register.
Albertinas, Aegidius, Bearb. des
Guzman 11. 12. 13. 15. 92. 103.
104. 105. 106. Lucifers König-
reich 12.
Alcalä, Jeronimo de: Alon^omo^o
de muchos amos 6. 8.
Aleman: Gu2man de Alfarache
6. 7. 8. 10. 11 12. 13. 14. 34.
39. 45. 51. 52. 56. 64. 75. 78.
92. 94. 95.
Amadis 1. 41.
Amersbach 67. 140.
Assarini 116.
Demetrius 23. 63. 116. 124.
Stratonica 23. 24. 34. 46. 63.
76 94 95. 116 123.
d'Audiguier 115.
Lysander und Kaliste 25. 32.
54. 76. 94. 116. 120.
Ayrer, Jacob 137.
Bandello 54. 55.
Barclai 22. 26. 79. 80. 106. 107.
108. 109. 116.
Argenis 22. 23. 25. 26. 28. 29.
39. 41. 45. 63. 74. 76. 77. 79.
92. 93 94. 100. 101. 106. 107.
116. 120. 123.
Barezzi, Barezzo 10. 14.
Barthema 13.
Belle- Forest 54.
Beyerlink 109.
Bobertag 12. 14. 54. 110. 131.
Boccaccio 14.
Bremond, Übers, d. Guzman 10.
92. 95. 118.
Brentano 126.
Butler-Clarke 9.
Oaron, Louis: Exilium melan-
choliae 109.
Oelestina 56. .
Cervantes: DonQuixote8.39.120.
novelas exemplares 10.
Rinconete y Cortadilla 14. 38.
CespedesyMeneses: SoldadoPin-
daro 6. 7. 8.
Chandler 5. 9.
Chapelain, Übs. d. Guzman 10.
Chappuis, Übs. d. Guzman 10.
Cholevius 34. 39. 41. 47. 79. 107.
Daule, Florian 97.
Dunlop 9.
Dupond 79. 107.
Eitner 57
Eibschwanorden 3.
Endter, Michael 16.
Espinel, Vicente: Marcos Obre-
gon 10. 42.
Federmann 13.
Felix, Bruder 13.
Fischart 112.
Foulche-Delbosc 5. 7. 9. 44.
Francis-Godwin 21.
Frewdenhold: Guzman 3. Teil
12. 13. 14. 15. 17. 52. 106.
Frey tag 40. 115.
Qarcia, Carlos: Desordenada Co-
dicia 42. 45.
GervinuB 126. -
Goethe 101.
Gomez, Gregorio de Guadana 7.
Gonzales, Estevaniüo 7. 16.
Goulart 35. 36. 109.
— 144 —
Oranges de Surgeres 10.
Grass 36.
Greflinger 3. 30. Celadonische
Musa 30. 110.
Grimm 133.
Grimmelshausen 1. 2. 15. 16. 19.
21. 24. 27. 28. 29. 30. 32. 33.
34. 35. 36. 37. 40. 48. 49. 50.
52. 53. 54. 55. 57. 59. 61. 63.
64. 65. 66. 67. 71. 72. 80. 81.
82. 83. 85. 86. 87. 88 90. 95.
96. 97. 100. 101. 102. 103. 104.
107. 108. 109. 111 112. 113.
114. 115. 116. 117. 118. 120.
125. 126 127. 128. 129. 130.
132. 137. 138. 142.
Ewig-währeuder Calender 30.
31. 66. 67. 72 73. 97.
Courasche 20. 40. 55. 65. 82.
87. 105. 115.
Dietwald und Amelinde 24. 39.
48. 94. 95. 96. 97. 131. 132.
Gaukeltasche 126.
Josef 2. 107. 115. 117. 128. 130.
Musai 107. 128.
Melcher, Stolzer 64.
Proximus und Lympida 11.
23. 39. 93. 132.
Rätst übel Plutonis 40. 64.
Reisebeschreibung nach der
oberen neuen Welt 109. 137.
139
SimplicissimuB 2. 11. 16. 18. 19.
20. 22. 27. 28. 29. 31. 32. 33.
35. 36. 37. 40. 47. 50. 51. 52.
53. 54. 57. 58. 60. 61. 62. 63.
64. 65. 66. 67. 68 69. 70. 71.
72. 74 82 83. 84. 85. 86 87.
88 89. 96. 97. 98. 103. 104.
108. 109 111. 118. 119. 120.
121. 125. 126. 127. 129. 139.
140.
Springinsfeld 40. 64. 65. 82. 105.
Seltsame Traumgeschicht von
Dir und Mir 57. 137. 138.
VogelnestI40.105 107.108.125.
Vogelnest II 35. 40. 105. 119.
128. 132.
Fliegender Wandersmann 21.
Verkehrte Welt 138. 139.
Guevara 11.
Haken 111.
Hauptmann 38.
Heinrich, Nicolaus 12. 14.
Helfferich, Johann 13.
Heyse 39.
Hildebrand, Rudolf 113.
Hövel 3.
Hübßtwetter s. Schönwetter.
Huet 22.
Jellinek 23.
Kawerau 139.
Keller 107. 126.
Kindermann 3. 19. 36. 55. 101.
103. 140.
Regierender Bürgermeister 1 10.
Neue Gesichter 136. 139.
Unglückselige Nisette 17. 18.
23. 26. 27. 28. 29. 30. 31 . 34.
35. 41. 45. 54 57. 74 76. 77.
79.92. 116. 122.124.125. 127.
Schoristenteufel 136.
Wahrhafftiger Traum und
träumende Wahrheit 136.
Kögel 11. 18.
Körting 10
Kurandor s. Kindermann.
Kurz 19. 21. 107. 108. 115. 132.
Iiafayette 22.
La Geneste, Übs. von Quevedo
10. 114. 133.
Lanson 24.
Lauremberg, Johann 110.
Lauremberg, Peter 59. 109. 110.
Lauser 9. 44.
Lazarillo de Tormes 6. 7. 8. 9.
10. 14. 15. 16. 28. 39. 43. 44.
45. 46. 47. 48. 49. 50. 52. 55.
61. 64. 71. 75. 78. 80. 91. 92.
94. 95. 96. 97.
Leu au 38.
Liliencron 11.
Logau 57. 110.
Loubayssin de Lamarca 9.
Lotichius 66.
Majolus 104.
Memel, Peter de, Lustige Gesell-
schaft 53.
Moscherosch 59. 138. 140. 142.
Philander von Sittewald 17.
133. 134. 135. 137.
Weiberlob 27. 141.
Hans hinüber, Gans herüber
128. 138.
145 —
Toten-Heer 134.
Letztes Gericht 134.
Alamode Kehraus 135. 136.
Soldatenleben 136.
Reformation 136.
Hof schule 137.
Insomnis cura 110.
Nicolai 126.
Oettingen 30.
Olaus Magnus 104.
Opitz, Martin 23. 45. 122.
D^Ouville Übs. d. Garduna
126.
10. 92.
95. 123.
Pariser 110.
Parival 54. 61. 98.
Payer 8. 9. 11.
Philander von Sittewalts hol-
landische Sibylle 138.
Qnevedo, Pablos de Segovia 6. 7.
8. 9. 10. 16. 34. 39. 52. 92. 113.
114. 118. 123.
Suenos (s. auch Moscherosch)
133.
Ratzel 13.
Rauwolf 13.
Reinhardstöttner 11. 14.
Reysbuch des Heiligen Landes 13.
Hemigius, Nicolaus 104.
Riemann 101.
Ringwalt, Barthol. 137.
Rohde 22.
Roy 24.
Schildbürgerbuch 38.
Schmiedel 13.
Schneider, Adam 10. 12. 14. 16.
44.
Schön Wetter 14. 17.
Sibyllen- Weissagung 113. 138.
Simplicius, Ritter 40.
Simplicius, Kalenderheiliger 72.
73.
Solorzano
Garduna 6. 7. 10. 39. 42. 78.
79. 92. 95. 123.
Sorel, Charles 24.
Francion 23. 24. 26. 39. 41. 45.
52. 58. 59. 60. 103. 104. 123.
Stackdorn, Veridor von 137. 141.
142.
Stade 13.
Stahr, Adolf 9.
Steinhausen 119.
Stilgebauer 95. 96. 132.
Storm 39.
Stumpf 35. 36.
Sydney, Arcadia 23. 28. 39. 45.
53. 63. 74. 84. 101. 122. 123. 124.
Talitz von Liechtensee 35. 36.
Theatrum diaboloru'm 97.
Ticknor 9.
Tieck 111. 126.
Tittmann 63. 132.
Torquemada 104.
Tüngertal 21.
Turgenjew 39.
Ubedar Picara Justina 6. 7. 8. 10.
12. 14. 16. 17. 39. 79. 92. 94.
95.
ülenhart 2. 11. 14. 15. 21. 44. 92.
103. 108.
Vischer 39.
Wendeler 112.
Wickram 1. 38.
Wier 36.
Wirth 133. 134.
Wolf, Ferd. 9.
Zesen 1. 2. 24. 46. 63. 79. 101.
103 107. 116. 117. 118. 130.
Assenat. 23. 24. 25. 26. 39. 41.
47. 63. 76. 78. 79. 93. 94. 107.
116. 117. 122. 123. 130. 131.
Lysander und Kaliste (s. auch
d'Audiguier) 25. 54. 94. 116.
122. 123.
Rosemund 2. 23 24. 25. 31.
32. 39. 46 47. 55. 63. 76. 78.
79. 95. 107. 116. 120. 122.
123. 124. 125.
Zoozmann 5.
Zwinger 36. 109.
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PALAESTRA LI.
OSTERSUCHntTGEN OND TBXTE \ %,, 'i"-.'» ;
iüS DER DEUTSCHEN DND ENOLISCHEN PlIILOLOi
herausgegeben von JUola Brandl, Onstav Roetlie ond Erioli 8i
Qrimmelshausens Simplicissimus
und seine Vorgänger.
Beiträge zur Ramantechnik des siebzehnten laiirhunderts.
Carl August v. Bloedau.
IVIAYER &. MÜLLER.
Tsiea Folge Ton BillidaD eine Summlimg blldin,
der Harren Profi. Drr. AI Diu Brsn dl, GdbMT
.uuh anditre vissensuhAfcUobe Arbeiten ans den
D Philologie aufgenoiDinoQ werden, die TOn den
aaflliehen Bedeutung- wegen hieran empCohlM
I enüliifhe UtctitnnK des lt. JehrtinndciU Bebet ilirer
ia hernoiiintretion von G. Snhlelob. s.
trag zat Entwickloiigstietichlchte dM doutBihim I.netsjiio^
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S. Immeinunnt Merlin von Kort jHbn. iL 3.~.
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Dia Sago von MaEtteIh bis lu Sbahipert. Von Einat KrBs
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■WtilfEnn)! Kollor. M. 13,-.
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Von Htct.. Ilauw^iiilil.
I KnufOtl
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iichtit4<p»^i.<. r ii-ia.j«h«i.. v»itJ»tiJrutfm«Mi. M'lfiM .
Verlag von Mayer & Müller in Berlin.
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Die Volsun^asaga. Nach Bugges Text mit Einleitung nnd Olosenr
beratiagegehen von Wilhelm Ranisoh. 3. unveränderte AatlHge.
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WffliDir. — Dnici von E. Wiignft Bohn.
NON-CTPqil/li.
STANFORD UNIVERSITY UBRARYl
Stanford, California