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Full text of "Grundlagen der Ästhetik: Aus dem Nachlass hrsg. von Siegfried Behn."

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OSWALD KULPi 

GRUNDLAGEN DER 
ÄSTHETIK 



Aus dem 
Nachlaß herausgegeben von 

SFEGFRIED BEHN 

■ Privatdozent der Philosophie ui der Universität Bonn 




Verlag von S. Hirzel in Leipzig / 1 

Digimed bvGoOgIC 



Copyright by S. HIrzel Leipzig 1921 



Alle Rechte vorbehalten 



DigilizedbvGoOgIC 

I 



Vorwort 

Oswald Külpeshinteiiassene Aufzeichnungen zur Ästhetik 
sind von mir nach denselben Gnmdsätzen herausgegdien wor- 
den, die sdion Bühler bei seinerVeröflentlidnmg der Vorlesung 
über Psychologie ausgesprochen hat. I^e Blätter zur Ästhetik 
fanden sich nicht m einem Zustande, der es erlaubt hätte, 
einfadi emen zusammenhängenden, in sich geschlossenen, 
und gleichmäßig durchgearbeiteten Text (natüiiich mit Sorg- 
falt durchgesehen) dem Druck zu übeiliefem. Manche Teäe 
des ästiietischen Werkes, insonderheit die Kunstästhetik, 
waren kaum über die Anlage hinaus und so ungleichmäBig 
ausgeführt, daß es keinesfalls im Sinne Külpischer Sorgsam- 
keit gehandelt wäre, sie der wissensdiaftlichen Welt vor- 
zulegen. Zweifellos waren all diese Niedersdiriften, auch 
die verschiedenen Schichten von Vorlesungsimterlagen, als 
Vorarbeiten zu einan Budi gedacht. Die von Külpe durdige- 
arbeiteten Blätter sind im StH des geschnebenen, nicht des ge- 
sprochenen Wortes gehalten. Audi galt es, so viel an Brudi- 
stücken in Aufsatzform einzupassen, daß es gezwungen wirken 
würde, alles, was an Gedanken wertvoll ist, in „Voriesungen" 
gegliedert darzubieten. Hierin unterscheidet sich der Nachlaß 
zur AsÜietik von den Aufzeichnungen zur Psydtologie. 
Wiederum aber habe ich Bedenken getragen, die von mir 
behutsam zum Buch zusammengefaßten Seiten emfach mit 
„Ästhetik" zu überschreien. Das hätte zu leicht denEindrudc 
erweckt, als ob Külpe wenigstens den allgemetnen Teil 
seines äsdietischen Lebenswerks schon abgesdilossen nieder- 
gelegt hinterlassen hätte. Und in Wahrheit kann es dodi 
keinem, der sidi aus genauerer Kenntnis des verehrten 
Mannes heraus um die Papiere zur Ästhetik müht, verborgen 



sdbvGoogIc 



Vorwort. 

1, wie sehr da noch alles auf durchgreifende Weiteiv 
hin angfelegt war. Daß nur Külpe uns diese hätte 
:en können, ist selbstverständlich. Gerade die Entwürfe 
r allerletzten, der Münchner Zeit (durchlnhaitundSchrift- 
g schon als soldie mit Sicherheit kenntlich), weisen 
»eginnende Wandlung und Bereicherung der Ansidit 
>esha]b habe ich die Buchüberschrift „Gnindlagen der 
ik" vorgezogen. ' Oberhaupt sieht teilnehmendes Ver- 
is den E>enker und Forscher Külpe von der ersten bis 
:zten Niederschrift in unbefangener, stet rdfender Ent- 
ng. Ich habe es nicht für meine Aufgabe gehalten, 
u ebnen, den feine» E>uft des Wachstums und der 
tung auszutreiben, den als intimen Reiz diese Lebais- 
ausatmet Das schließt nicht aus, daß ich wie Bühler 
Unstimmigkeiten ausglich, gelegentlich Stichworte zu 
formte. Viele IDarlegungen fanden sich in ipehreren 
Igen (bis zu fünf) ausgeführt; dann habe idi die 
:e und reifte gewählt, (ue meist, aber nicht immer, 
ätere ist. Gelegentlich hat sich nämHch Külpe früher 
führtes nochmals skizzenhaft angemerkt, manchmal 
Ol Einzelantässen, die jetzt nicht mehr zu erraten sind, 
ders wertvolle Gedanken oder Formungen früherer 
lg sind immer gerettet worden. Stilistisch hat Külpe 
iedene Schichten und verschiedene Kapitel mit sehr 
ch verteilter Liebe durchgearbeitet. Hier konnte mit 
ht ein gewisser Ausgleich geschaffen werden, weil 
breite Teile seiner Ästhetik in einem sorgfältigen 
gsentwurf (in einer Paralleldarstellung) zusammen- 
hat. Maßgebend waren mir hier jene wohlausgebauten 
chnungen aus dem jähre 1Q14, die im Nachlaß als 
oner Vortrag" vorkommen. Aus sehr begreiflichen 
:en ist dieser Vortrag (zu dem schon englische Notizen 
ingoi waren) niemals g^alten worden. Ihn entfach 
:h abzudrucken, ging nicht an, weH der Sinnzusammen- 
der übrigen Darstellung doch reicher ist Es wären 
neben dieser Fassung unlesbare Bruchstücke in zer- 



sdbvGooglc 



spiitterter Menge übriggeblieben. Slilvorbild aber ist diese 
späteste durchgeführte Niederschnff geblieben. Sie gilt dem 
Thema, das Külpe mit am meisten beschäftigt hat: Ästhetik 
und Psychologie. Seit Külpe dieser Frage Antwort gesucht 
hat, ist er von einseitiger Auffassung zu immer umspannen- 
derem Weitblick fortgesdiritten. Wo die spätere und weit- 
herzigere Darstellung in unlösbarem Widerspruch zu den 
allerfruhesten Niedersdiriften steht, habe ich nur der reiferen 
Meinung Raum gegebtn. Ebenso haben manche Schärfen 
absprechender Kritik weichen müssen, die nur von dem auf- 
gegebenen Standpunkt aus gerechtfertigt «rschemen. Außer 
dem sog. Londoner Vortrag enthält der Nachlaß die Hand- 
schrift zu einem Aufsatz über die Anfänge psychologi- 
scher Ästhetik bei den Griechen. Er ist gedruckt in der 
Festschrift: Philosophische Abhandlungen, Max Hdnze zum 
70. Geburtstage gewidmet. S. 101—127. Beriin 1906. Baeum- 
kers bibliographische Übersicht (vgl. S. 190) nennt diesen 
Aufsatz nicht. Es folgen außer sonstigen veröffentlichten 
Handschriften Stöße von Auszügen aus namhaften Ästhe- 
tikern der Gegenwart mit kritisdien Bemerkungen, die 
insgesamt zum Handwerkszeug zu rechnen sind. Sie legen 
Zeugnis ab von Kiilpes rastlosem und gewissenhaftem 
Heiß. Auch Briefe, z. B. von Lange und Bullough, hat 
Külpe unter seinen Aufzeichnungen verwahrt, selbst die 
Notizen zu SeminarGbungen. All dies Material konnte 
dazu helfen, mir das Verständnis von Külpes Entwick- 
lungsgang zu vertiefen. Als eigentlicher Onutdtext zur 
Herausgabe -dienten die Vorlesungsunterlagen und Nieder- 
schriften zur Geschichte der Ästhetik und zur systematischen 
Ästhetik selbst Die Aufzeichnungen zur Geschichte ver- 
lieren nach Darstellung der englischen Ästhetik rasch an Aus- 
führlichkeit und Eindringlichkeit; sie verlieren mit Külpes 
innerer Anteilnahme und sinken bald bis zu bloßen Ver- 
zeichnissen von Denkern und Werken herab. Diese Absdinitte 
^rften um so getroster von der Veröffentlichung ausge- 
schlossen werden, als Külpe selbst mit ausdrüdklichen 



criz^d^vCooglc 



n die Engländer einerseits und an Fediner ander- 
littelbar anknüpft. Die Literaturaxigaben zu den 
Abschnitten Hennen Werke, die auf Külpe von Ein- 
sen eind, mit denen er sidi angehend auseinander' 
at oder die unter semer Einwirkung entstanden 
ßer den nachgelassenen Papieren habe idi noch 
indiges Kollegheft, das in Külpes Bonner Zeit fleißig 
sam nadigeschneben worden ist, durdiweg ver- 
Es hat der Arbeit vielleicht hie und da genützt, 
ir vergönnt war, in vertrautem Gespräch mit dem 
mne etwas v(m dem Tonfall zu erlauschen, in dem 
ingen der Ästhetik zu reden liebte. 

ember 1921. 

Der Herausgeber. 



sdbvGoogIc 



Inhalt. 

Seita 

Einkituiig 1—5 

I. Kapitel: Vom Begriff der Ästhetik fr-I2 

II. Kapitel: Aus der Oeschidite der Ästhetik .... 13 — 46 

III. Kapitel: Die Ästhetik im System der Wissenschaften 47—53 

IV. Kapitel: Ue Methodoi der Ästhetik ...... 54—66 

V. Kapitel: Hieorie des ästiietiscben Gegenstandes . . 67—82 

VI. Kapitel: Theorie des äsüietischen Zustandes . . . 83—127 

1. Absdmltt: Ästhetische EinsteUung .... 85-89 

2. Abschnitt: Ästhetische Konteniplati<»i . . . 8Q— 93 

3. Abschoitt: EinfühluDg ' . 94—110 

4. Abschnitt: Gefallen und Mißfallen .... 110—116 

5. Abschnitt: Prüfung und Wertung .... 116—122 

6. Abschnitt: Empfänglichkeit 122—123 

7. Abschnitt: Erfindung und DarsteUuog . . . 123—127 
VII. Kapitel: Ästhetische Prinzipien 128—179 

1. Abschnitt: Elementare ästhetische Wirkung . 128—151 
Exkurs : Ober elementare ästhetische Wirinmgen 

in der Musik 132—149 

2. Abschnitt: Einheit und Abstufung des Interesses 151—154 

3. Abschnitt: Das Prinzip der Zusammengehörigkeit 154—156 

4. Abschnitt: Das Prinzip der Klarheit . . . 156—158 

5. Abschnitt: Das Prinzip der Fülle und Tiefe . 158—160 

6. Abschnitt: Das Prinzip der Einfachheit und 

Natiirlichkeit 160-162 

7. Abschnitt: Das Prinzip der Wertausgleichmig . 162—163 

8. Abschnitt: Die ästhetischen ModifikathHien . 163-179 

a) Anmut 166—168 

b) Erhabenheit 168—172 

e) Tragik 172—175 

d) Komik Ire— 178 



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DipilizsdbyGtlO^le 



Einleitung. 

Ein merkwürdiges Geschick ruht auf der Ästhetik. Ihr 
Gegenstand ist so bekannt und geschätzt, wie kaum ein 
zweiter. Sie selbst aber ist so unbeliebt, wie kaum eine 
andere W^senschaft. 

Die hingebende Betrachtung eines Kunstwerkes gehört 
zu den deutlichsten, tieften und selbständigsten Erlebnissen, 
die wir kennen. Das ästhetische Verhalten ergreift den gan- 
zen Menschen, ist kdne Teilerschdnung neben anderen. Es 
duldet, währaid es uns erfaßt, kan Nebenintcresse, keine 
Nebenbeschäftigung. Technik und Veibreitung von Repro- 
duktionen erlauben heute weiten Kreisen, ästhetische Er- 
fahrung zu sammeln, aber auch die Kunst unserer Tage ist 
nicht unproduktiv; vielldcht mdir als zuvor wird die Natur 
von uns gesucht, die erhabene und liebliche, groteske und 
anmutige Eindrücke spendet Gewiß gibt es dabei Grade der 
ästhetischen Empfänglichkeit, und manchem erscheint Freude 
an schönen Dingen ais kaum erlaubter Müßiggang. Andern 
Personen wiederunr steht eine Versenkung in Kunstgenuß 
und ästhetische Freuden im Vordergrund des Interesses. 

Aber solche praktische Betätigung des Geschmackes und 
die wissenschaftliche Beschäftigung damit sind grundver- 
schieden. Dort ein genießendes Betrachten, das durch Zer- 
gliederung lind Begründung nicht gestört sein will, in dem 
Unbeschreibliches Ereignis wird; hier der Versuch, genau 
und vollständig Rechenschaft zu geben über den Tatbestand 
des ästhetischen Verhaltens und seine Bedingungen, also 
eine wissenschaftliche Betätigung. Rechenschaft über den 
Geschmack wird freilich auch sonst zuweilen gefordert. Man 

Külpe, ÄBthetili. ] 



sdbvGoOgIc 



2 Einleitung. 

streitet darüber, was gefalle, die Meinungen stoßen wohl ein- 
mal aufeinander. Das Ergebnis der üblichen Anstdit ist bei 
alledem: de gustibus non est disputandum. jeder ist sein 
eigener Maßstab und erkennt keine Norm d£r ästhetischen 
Würdigung an, die über seinem Ceschmack stünde. Dieser 
Subjektivismus löst alle Wissenschaft auf. Hätte er recht, so 
könnte es eine wissenschaftliche Ästhetik überhaupt nicht 
geben. Diese muß danach streben, Allgemeingültiges zu er- 
mitteln, Begriffe und Regeln aufzustellen, die nicht für diesen 
oder jenen, sondern überhaupt gelten. Da behaupten nun 
die Gegner der Ästhetik nicht ohne Grund,, die Ästhetik sei 
von der Erfüllung ihrer Aufgabe noch weit entfernt. Es wird 
in der Tat heute gekämpft um Prinzipien und um Anwen- 
dungen, und diese Diskussion wird lebhaft genug geführt 

Ein zweiter Grund zur Ablehnung besteht darin, daß 
man sich gerade in ästhetischen Dingen die volle- Freiheit 
des Urteils und des Entwurfs wahren will und befürchtet, 
von wissenschaftlicher Ästhetik darin beeinträchtigt zu wer- 
den. Dies Mißverständnis berührt um so seltsamer, als wir 
seit Kant wissen, daß die Ästhetik dem ästhetischen Verhalten 
und der Kunst ihre Regeln entnimmt und sie ihnen nicht 
a priori vorschreibt. Dann aber bestreitet man den Nutzen 
der Ästhetik. Was soll sie dem Kunstfreund und dem Künst- 
ler, dem Kunsthistoriker und dem Kunsttheoretiker leisten? 
Sie bedürfen ihrer nicht, so sagt man wohl. Ja, man scheut 
sich bei dem Ernst und der Not der Gegenwart, von Ästhetik 
zu reden. Gewiß stehen die Notwendigkeiten des Lebens 
dem Schmuck und den Zieraten voran, mit denen es unseren 
Geschmack erfreut und befriedigt Das alte Wort primum 
vivere, deinde philosophari (oder wie wir hier sagen müßten: 
deinde placere), behält seine Richtigkeit Und es verletzt uns 
in schweren Zeiten besonders tief, wenn Kleidung und Be- 
nehmen die Schlichtheit und Zurückhaltung vermissen lassen, 
die während eines Kampfes um unser Dasein uns einzig an- 
gemessen erscheinen. Jeder hat unter solchen Umständen 
die selbstverständliche Pflicht, seine eigene Person nicht in 



sdbvGoOgIc 



Emleitung. 3 

auffälliger Weise hervortreten zu lassen, sondern sich der 
Sache dienstwillig unterzuordnen. Der Sache unserer gei- 
stigen Kultur aber tut es not, daß wir Deutsche den Anspruch 
auf eine führende Stellung im Reich des.. Geistes, auf die vor- 
derste Linie im Wettkarapf um die höchsten Güter nicht preis- 
geben. Dann dürfeji wir auch heute nicht darauf verzichten, 
Ästhetik zu treiben; denn das ästhetische und wissenschaft- 
liche Verhalten gehören zu den Orundbedürfnissen eines 
Kulturmenschen, wie Arbeit und Erholung. Darum bricht 
sich der künstlerische Genius und die wissenschaftliche Be- 
gabung mit demselben Drang ihre Bahn, wie Hunger und 
Durst. Die Versenkung in ihre Werke wirkt läuternd und 
reinigend, sie erhebt uns über kleinliche Verwicklungen 
des Lebens, entzieht uns durch ihre sanfte Beansprudiung 
der ganzen Persönlichkeit den rohen Begierden und löst 
die seelischen Kräfte aus dem Banne einseitiger Arbeit und 
der Starre rücksichtsloser Pflichterfüllung. 

Die Wissenschaft vom ästhetischen Verhalten braucht 
nun freilich nicht alle kultivierten Personen gleichermaßen 
zu interessieren. Es gibt viele Künstler, die sich mit ihrer 
Kunst nicht zugleich wissenschaftlich oder überlegsara be- 
schäftigen. Wie sich ein Liebhaber der Natur nicht auch als 
Naturiorscher zu betätigen braucht, so kann auch jemand 
starken Sinn für ästhetische Erlebnisse haben, ohne sich theo- 
retisch' ihre Bedeutung und ihre Bedingungen klarmachen zu 
müssen, ja ohne die geringste Neigung dazu zu zeigen. Wir 
finden darum auch, daß nicht die Künstler, sondern die Philo- 
sophen die wichtigsten Beiträge zur Ästhetik geliefert haben. 
Ähnlich steht es ja auch auf anderen Gebieten: die besten 
Menschenkenner sind nicht auch die hervorragendsten Psy- 
chologen. 

Das beglückende ästhetische Verhalten ist sich selbst 
genug und schließt eine gleichzeitige wissenschaftliche Unter- 
suchung aus. Darum darf, wer Ästhetik vorträgt, nicht ein- 
fach an das ästhetische Verhalten eines jeden appellieren. Er 
muß auch einen Trieb zur Erkenntnis dieses Verhaltens vor- 



sdbvGoOgIc 



4 Emleitung. 

aussetzen. Solcher Trieb ist nicht ebenso ursprünglich, vfie 
die Neigung zu ästhetischem Verhalten, aber immerhin ein 
starkes und verbreitetes Orundbedürfnis aller derer, die im 
Streit über den Wert dnes Kunstwerkes etwa ihren Ge- 
sdhmack als berechtigt und kultiviert dartun wollen. Damit 
sind dann Maßstäbe ästhetischen Wertes vorausgesetzt, die 
auch für andere, bestenfalls für alle gelten sollen. Die Mög- 
lichkeit einer wissenschaftlrchen Ästhetik beruht auf der all- 
gemeinen Gültigkeit von Feststellungen über das kunst- 
lempfäogliche, schönheitgenieBende Verhalten. So tritt un- 
willkürlich zu der allgemeinen menschlichen Neigung, ästhe- 
tisch zu genießen und zu schaffen, die Tendenz, zwischen 
Werfen und Unwerten zu unterscheiden, die Anerkennung 
der Werte zu rechtfertigen. Alle Bildung und Erziehung in 
ästhetischen Dingen ist nur denkbar, wenn der Geschmack 
verfeinert und vertieft, das Geschmacksurteil. berichtigt und 
vervollkommnet werden kann. Das aber führt unmittelbar 
zu einer theoretischen Einsicht in Eigenart und Bedingungen 
des ästhetischen Verhaltens. 

Wenn sich die Künstler vielfach gleichgültig oder ab- 
lehnend gegen die Ästhetik äußern, so hat das seinen Grund 
in der Selbstgewißheit ihres Geschmacks und ihrer Schaf- 
fenskraft. Nietnand wird sie dessen berauben, niemand sie 
mit Regeln meistern wollen. Es ist auch nur ein Vorurteil, 
wenn sie mdnen, daß die Ästhetik ihre Schaffenskraft be- 
einträchtige und hemme. Unsere Auffassung drängt uns, 
wissenschaftlich das ästhetische Verhalten zu untersuchen. 
Dieses also setzen wir als Gegenstand der Forschung voraus. 
Es wird dadurch ebensowenig eingeschränkt, so wenig in 
Fesseln gelegt, wie das Sprechen durch Philologie und das 
Wandern durch Muskelphysiologie. Nicht die Wissenschaft 
ist das Prius, sondern ihr Gegenstand. Dieser wird von ihr 
nicht erzeugt, sondern vorgefunden. Lange bevor es eine 
Ästhetik der Dichtkunst gab, sind die fiomerischen Gesänge 
entstanden, zu schweigen von einer Ästhetik der Malerei bei 
den vorgescht(;hllichen Menschen, die ihre Höhle mit Zeich- 



D,pil,zsdbyG0(>t^lC 



Einleitung. 5 

nungen schmückten. Darum ist die Ästhetik auch genötigt, 
den Änderungen Rechnung zu tragen, die am kunstempfäng- 
Itchen, schönheitsdurstigen Verhalten im Laufe der Zeiten 
hervortreten. 

Indem wir uns also wissenschaftlich in das ästhetische 
Verhalten vertiefen wollen, dürfen wir auch hoffen, wesent- 
lichen und starken Bedürfnissen der Kulturmenschheit zu 
entsprechen und an unserem Teil dazu beizutragen, Sdiön- 
heit und Wissenschaft m einer unseren großen Überliefe- 
rungen würdigen Form zu pflegen. Deutschland hat im acht- 
zehnten Jahrhundeti der Ästhetik den Namen g^eben, den 
sie jetzt überall trägt. Wir hatten im neunzehnten Jahr- 
hundert die unbestreitbare Führung in der ästhetischen For- 
sdiung. Deutschland wirkte entedieidend und bahnbrechend 
auf den Entwicklungsgang der Ästhetik ein. Wir haben aucii 
in der Qtgenwart die vriditigsten systematischen Darstel- 
lungen geformt. 



sdbvGoOgIc 



Vom Begriff der Ästhetik. 

Die Aufgabe der Ästhetik (und damit ihr Begriff) wml 
meist anders bestimmt, als ich es getan habe. Dem Altertum 
war sie die Wissenschaft vom Schönen, dann auch vom Er- 
habenen; so definierte man auch noch bis in die neueste Zeit 
Ästhetik als die Wissenschaft von der Schönheit, wenn man 
sie auch gelegentlid) Philosophie der Kunst benannt hat. 
Unter dem Schönen, dem Erhabenen, der Kunst versteht 
man dabei gewisse Objekte: Landschaften, Symphonien, Per- 
sonen, Oeimälde, Bauwerke, E>ramen. Wenn wir aber näher 
zusehen, was die Ästhetik eigentlich über solche Naturdinge 
und Kunstobjekte lehrt, so merkt man alsbald, daß sie nicht 
nach ihrer realen Wesenheit behandelt werden, die vom 
auffassenden, betrachtenden, erkennenden und würdigenden 
Subjekt unabhängig ist. Sondern sie werden erforscht gerade 
nur in ihrer Beziehung auf ein solches Subjekt. Di« Ästhetik 
sagt uns nichts über das Wesen der Farben und Töne, über 
die Gesetze des Raumes und der Zeit, über die eigentliche 
Beschaffenheit der schönen IMnge und Werke; sie sagt nur, 
wie solche Objekte auf uns wirken, wenn wir uns in aner 
gewissen Empfänglichkeit mit ihnen beschäftigen. Schön und 
häßlich sind keine Eigenschaften der Dinge in Natur und 
Kunst, die auch dann ihnen zukämen, wenn kein ästhetisch 
gerichteter Sinn sie erfaßte. Wenn es daher heißt, daß sich 
die Ästhetik mit dem Schönen und Erhabenen oder mit der 
Kunst abgäbe, so bedeutet das nur, daß sie gewisse Wir- 
kungen von Objekten untersucht, daß sie bestimmte Erschei- 
nungen daran erforscht, die eintreten, wo die Objekte mit 
ästhetischer Empfänglichkeit aufgefaßt werden. Ein und der- 



sdbvGoOglc 



Schönheit und Häßlichkeit. 7 

selbe Gegenstand kann gänzlich unwirksam bleiben, wenn 
mein Interesse ihm in anderer Weise zugewendet wird. Die 
schönste Landschaft übt keinen ästhetischen Zauber auf mich 
aus, sobald ich sie unter geographischen oder wirtschaftlichen 
Gesichtspunkten betrachte. Die erhabensten Kunstwerke 
können dem Händler, der damit sein Geschäft mathen will, 
und dem Kunsthistoriker, der ihre Entstehung ergründet, 
ästhetisch recht gleichgültig sein. 

Daraus geht hervor, daß die Grundbedingung, für das, 
was wir schön und häßlich nennen, nicht ein ii^endwie ge- 
artetes Objekt, sondern ein bestimmtes Verhalten unserer- 
seits ist. Dieses Resultat ergibt sich auch daraus, daß die 
Gegenstände des empfänglichen Verhaltens den verschie- 
densten Reichen entnommen werden. Es gibt keine Objekte 
in Natur und Kunst, die ein Ästhet nicht werten könnte. 
Aber kein Gegenstand in Natur und Kunst muß ästhetisch 
aufgefaßt oder gewürdigt werden; der amusische Mensch 
geht ungerührt vorüber und gewinnt ihnen nichts ab. Folg- 
lich darf man die Ästhetik nicht nach dner bestimmten Art 
von Objekten abgrenzen wollen. Nichts ist an sich weder 
schön noch häßlich, erst das empfängliche Verhalten macht 
es dazu. Es entspricht nur der allgemeinen Tendenz zur 
Objektivierung, wenn man in den Objekten die spezifischen 
Grundlagen der ästhetischen Urteile erblickt. Aber auch 
deren Vergegenwärtigung im Bewußtsan ist für das ästhe- 
tische Verhalten nicht charakteristisch. Die bloßen Sinnes- 
eindrücke und ihre Wahrnehmung, die bloßen Vorstellungs- 
bilder machen noch nichts zum ästhetischen Gegenstand. 
Ebensowenig hängt die ästhetische Qualität an der Anschau- 
lichkeit als solcher, wie oft behauptet worden ist. Man kann 
Kunstwerke wahrnehmen oder sidi nur an sie erinnern, man 
denkt an ein Gemälde, das man gesehen hat, ohne ästhetisch' 
ei^riffen zu werden; man kann andererseits im Genuß einer 
iDichtung manches wissend vergegenwärtigen, was nie zu 
anschaulidien Vorstellungen entfaltet wird. Nicht also die 
Sonderart der Objekte und auch nicht jedwede Auffassung 



sdbvGoogIc 



8 Vom Begriff der Ästhetik. 

davon, sondern nur ein speafisch empfängliches Verhalten 
unsererseite macht erst ästhetische Gegenstände. E)amit soll 
nicht gesagt sein, daß es auf die Beschaffenheit der Objekte 
Überhaupt nicht ankomme. Ein anmutiger Faltenwurf wird 
auch den Anästheten noch nicht plump anmuten. Besondere 
Untersuchung wird vielmehr darauf ausgehen, die ästhe- 
tischen Wirkungen auch durch gegenständliche Eigentüm- 
lichkeiten zu erklären. Aber diese Bgentümlichkeiten haben 
eine ästhetisciie Bedeutung überhaupt nur unter der Voraus- 
setzung eines empfänglichen Verhaltens besonders erreg- 
barer Personen. Wenn ich daher die Ästhetik eine Wissen- 
schaft von derart empfangUchem Verhalten «nenne, so will 
ich dessen Objekte in diese Bestimmung miteing^chlossen 
wissen. 

Was kennzeichnet nun dies empf änglidie Verhalten ? 
Darauf wäre zunächst zu sagen: eine m^eteilte Beschäfti: 
gurig mit seinen Gegenständen. Aber ungeteilt beschäftigen 
wir uns audi, wenn wir etwa einen wissenschaftlichen Ver- 
such anstellen. Die besondere Natur des ästhetischen Ver- 
haltens bestimmt sich durdi den Gesichtspunkt, unter dem 
wir uns mit dem Gegenstände beschäftigen. Einer Landschaft 
gegenüber verhalten wir uns ästhetisch, wenn wir sie im Zu- 
stande der Kontemplation betrachten, wenn wir uns an ihre 
Formen und Farben hingeben, ohne Interesse für ihre Wälder 
und Wiesen in ihrer qualitativen Tatsächlichkeii Überall im 
Natur- und Kunstgenuß fesselt uns nur die merkUche Be- 
schaffenheit der Objekte, die für das Bewußtsein irgendwie 
unmittelbar und gegenwärtig voriianiden sind, Dabdi schei» 
den wir nicht etwa zwischen emer objektiv und einer sub- 
jektiv bedingten Beschaff enheit i darin verhalten wir uns viel- 
mehr ganz naiv. Ebensowenig scheiden wir zwischen dem 
Ideal eines Objekts und seiner verwirklichten Gegebenheit. 
Nicht, wie es sein könnte oder sollte, sondCTn wie es uns 
wirklich erscheint, so wirkt es ästhetisch auf uns. Diese 
Wirkung besteht namentlidi ia Gemütsreaktionen des Ge- 
fallens und des Mißfallens, Immer kommt es dabei nur auf 



sdbvGoOgIc 



Ideales ästhetisches Veriialten. 9 

dtje merkliche Besdiaffenheif an. One Verzeidinung, die wir 
nicht merken, stört unsere Freude an einem Bilde keines- 
wegs. Ein Maler, der mit peinücher Sorgfalt genaue Maß- 
verhältnisse einhält, erreicht eher weniger als ein anderer, 
der sich begnügt, mit sdnem Augenmaß die wirksame Er- 
scheinung zu formen. Keineswegs umfaßt das Merklidie nur 
das Wahrnehmbare. Man weiß, daß phantastische Vorstel- 
lung den Eindruck eines Gegenstandes verwandelt, wie uns 
denn ein Baumstumpf in der Dämmerung als Gespenst be- 
gegnen kann. Auf die merkliche Beschaffenheit des Gegen- 
standes in diesem weiten Sinne kommt es' also für das ästhe- 
tische Verhalten an. Doch beschreibt die Ästhetik nicht etwa 
jedwedes empfängliche Verhalten, das sich beobachten läßt, 
sondern sie idealisiert. Sie abstrahiert, wie sich versteht, 
von allem, was nur zufällig mit dem ästhetischen Verhalten 
verknüpft ist. Wenn mich im Konzert das Husten meines 
Nachbars stört, so ist das für die Ästhetik gleichgültig. Viel- 
mehr setzt sie ein konzentriertes Verhalten voraus, eine ernst- 
liche Einstellung, eine hingebende Würdigung des Kunst- 
werkes. Sie schöpft ihre Einsiditen nicht aus kümmerlicher 
und oberflächlicher Betrachtung und Beurteilung, sondern 
aus einem vollausgebildeten empfänglichen Verhalten. 

In seiner Reinheit ist em solches Verhalten nur selten 
verwirklicht. Die Umstände erlauben vielfach keine unge- 
störte völlige Hingabe an einen seiner bloßen Beschaffen- 
heit nach fesselnden Gegenstand. Bei der Wanderung durch 
eine fremde Stadt, deren architektonische Werke uns wert 
sind, werden wir durch mancherlei Ablenkung daran ge- 
hindert Noch mehr unterliegen wir den Zufälligkeiten un- 
seres eigenen Seelenlebens. Da ziehen uns während des 
Lesens einer Dichtung unsere Erinnerungen in ihren eigenen 
Bannkreis und verscheuchen mit einem Schlage den poeti- 
schen Zauber, in dem wir befangen waren. Es wird uns nicht 
immer leicht, in die ästhetische Stimmung zu geraten, wir 
bleiben zuweilen ungerührt selbst bei mächtigen Eindrücken. 
In allen solchen Fällen zeigt sich die ästhetische Hingabe als 



sdbvGoOgIc 



10 Vom Begriff der Asthdib. 

ein Ausschnitt aus dem wirklichen Seelenleben, den man 
nur künstlich isolieren kann. Besondere Bedingungen hat dies 
Verhalten und seinen eigentümlichen Verlauf; es bedarf der 
Pflege und des Schutzes, des guten Willens und der gün- 
stigen Disposition, um sich entfalten und von uns Besitz 
nehmen zu können. Es gibt stärkere Interessen, robustere 
Bedürfnisse, dringendere Au^aben. So ist der empfängliche 
Zustand jederzeit bedroht, einem Pflänzchöi vergleichbar, 
das nur dann zur Blüte gelangen kann, wenn man ihm sorg- 
sam alle äußeren und inneren Entwicklungshemmungen fern- 
hält und die rechte Nahrung gewährt. So erwächst die theo- 
retische Ästhetik als Wissenschaft von einem Ideal, so ent- 
' steht das praktische Problem einer ästhetischen Erziehung. 
Daneben kann man von einer psychologischen Ästhetik reden, 
die allen Spuren ästhetischer Erlebnisse und ihrem Zusam- 
menhange mit anderen Akten oder Inhalten nachforscht, so- 
fern dafür psychologische oder psychophysische Tatsachen 
in Frage kommen. Grundsätzlich jedenfalls zählt die Ästhetik 
zu den Idealwissenschaften. 

Darin liegt auch ihre normative Bedeutung begründet. 
Ist das ästhetische Verhalten ein eigentümliches, das m seiner 
Reinheit nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit darstellt, 
so müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, ohne die man 
sich nicht in ästhetische Betrachtung versenken kann. Wer- 
den diese Bedingungen als Vorschriften ausgesprochen, denen 
sich fügt, wer ästhetisch schaffen oder genießen will, so er- 
halten sie den Charakter von Normen. Solche Nonnen kön- 
nen nicht a priori aufgestellt und abgeleitet werden, sondern 
sie beruhen auf der Beobachtung von Tatsachen des ästhe- 
tischen Verhaltens. Wenn irgendwo, so hat im änne der 
Ästhetik Geltung der Satz: Erlaubt ist, was gefällt. .Eine ab- 
solute Zumutung: Dies sollst du schön finden, oder: so hast 
du zu schaffen, wäre einfach lächerlich. Ästhetische Normen 
haben daher nur hypothetische Bedeutung. Sie setzen den 
Willen zu einem bestimmten Ziel der ästhetischen Befriedi- 
gung voraus. Das Schreckgespenst von normativer Ästhetik, 



sdbvGoQ^lc 



Norm und Ideal. 11 

daß den Künstlern die Freiheit des Schaffens, den Schauen- 
den die Unbefangenheit des Genusses verkümmerte, existiert 
nur in der Phantasie von Leuten, die nicht mit der Ästhetik 
vertraut sind. Bei der eben ang^ebenen Auffassung der 
Nonnen aber versteht es sich von selbst, daß sie entwick- 
lungsfähig sind, weil neue Tatsachen neue Bedingungen 
ästhetischer Wirkung kennen lehren können. Solche Normen 
gelten zunächst nur für das Subjekt. Aber es ist leicht ein- 
zusehen, daß sie auch für das Objekt als Maßstäbe der Be- 
urteilung in Betracht kommen. Ist ein vollständiges, rdnes 
und intensives ästhetisches Verhalten vorhanden, so muß sein 
Objekt positiv oder negativ gewertet werden können. Je 
mehr es dann den subjektiven Bedingungen entspricht, um 
90 höher wird es gewertet. Dabei spielen noch individuelle 
Unterschiede mit. Jedes Ideal drängt zu Beurteilung und 
Verwirklichung. So führt uns eine vom ästhetischen Ver- 
halten ausgehende Untersuchung zur Unterscheidung seines 
idealen Objektes und des idealen Zustandes der Empfänglich- 
keit. Die Prädikate der ästhetischen Urteile betonen bald 
mehr die gegenständliche, bald mehr die zuständliche Seite, 
bald urteilt man: dies Bild ist schön, dagegen ein andermal: 
es gefällt mir. Immer wirken aber zu solchem Urteil Gegen- 
stand und Verhalten zusammen. Die genauere Untersuchung 
des ästhetischen Verhaltens wird G^enstand und Zustand 
gleich eingehend erforschen. Auf der Zustandsseite wird sie 
hauptsächlich produktive und reproduktive Prozesse unter- 
scheiden, je nachdem, ob dem schaffenden Künstler, ob dem 
genießenden Kunstfreund nachgefragt wird. Dabei ist Re- 
zeptivität nicht als stumpf passive Hinnahme zu deuten. Erst 
durch ein regsames ästhetisches Verhalten, durch Beteiligung 
eigener Erfahrung, eigenen Geistes und Gemütes wird das 
tote Buch lebendig, spricht uns der kalte Marmor an. Aber 
dem schöpferischen Künstler wächst der ästhetische Gegen- 
stand erst unter den Händen in die Welt der Objekte hinein. 
Die Technik, deren er sich dabei bedient, fällt nicht mehr in 
das Gebiet der allgemeinen Ästhetik. Sie lehren besondere 



D,pil,zsdbyG00t^lC 



12 Vom Begriff der Ästhetik. 

Kunsttheorien, technische Disziplinen, wie Poetik, Metrik, 
Tektonik, Perspektivenanalyse, Kontraputiktik. 

So kommen wir denn zu dem Ergebnis, daß die Ästhetik 
nicht einfach ein Teil der Psychologie ist oder eine ihrer 
Anwendungen. Sie geht vielmehr in doppelter Richtung über 
sie hinaus. Einmal tut sie das im Sinne einer Idealwissen- 
schaft, insofern sie das ästhetische Verhalten in seiner Rein- 
heit, Vollständigkeit und Intensität behandelt; dann aber auch 
als Wertwissenschaft, die nicht jedes ästhetische Urteil, nicht 
jedes Kunstwerk hinnimmt. Die Wertästhetik billigt nur 
Schöpfungen und Urteile, die dem reinen, vollständigen und 
intensiven ästhetischen Verhalten entspringen. Aus dem 
idealen empfänglichen Verhalten erwachsen Prinzipien, Werte 
und Normen. Dieses ästhetische Verhalten ist so umfassend 
wie möglich ; nichts in der Welt ist ungeeignet, es zu fesseln. 
Darum ist ästhetische Bildung wahriiaft allgemeine Bildung. 
Wenn die Gegenwart so sehr auf Veredlung des Geschmackes 
hinwirken will, so ist das ein natürlicher Rückschlag gegen 
die einseitige Kndung des Berufslebens. So brauchen unsere 
Gaben nicht zu verkümmern, so bildet ästhetische Kultur 
vielleicht einmal mit an neuer Gemeinsamkeit des Fühlens 
und Urteüens. Dennoch werden wir das umfassende ästhe- 
tische Verhalten, das sich der bunten Erscheinung freut, 
nicht für das wertvollste Menschentum erklären; denn Ästhe- 
ten wollen wir nicht werden aus lauter Liebe zu schönen 
Dmgen. ' 



sdbvGoogIc 



Aus der Geschichte der Ästhetik. 

Im Anfange der antiken Ästhetik bildeten die Pytha- 
.goräer den metaphysischen Begriff der Harmonie aus. Har- 
monie ist ihnen Einung des Mannigfaltigen und Zusammen- 
stimmung des Zwiespältigen. Dieser metaphysische Har- 
moniebegriff diente hauptsächlich der Erforschung des ästhe- 
tischen Gegenstandes. Die Pythagoräer begmnen auch mit 
musiktheoretischer Einzelforschung. Pythagoras Mitdeckte 
die Abhängigkeit der Tonhöhe von der Länge der schwingen- 
den Saite. Die Harmonie gilt seiner Schule als Vollkommen- 
heit. Von den ästhetischen Abhandlungen des Demokritos 
sind uns leider nur spärliche Bruchstücke erhalten. Ihn scheint 
die Technik der Künste vor allem gefesselt zu haben; auf 
deren empirische Erforschung deuten Titel wie „über Rhyth- 
men und Harmonie", „über den Wohllaut und MiBklang von 
Buchstaben". Zur Schönheit bedarf es auch für diesen Griechen 
des gleichgewichtigen Ebenmaßes. Dyroff in seinen Demo- 
kritstudien denkt an einen Einfluß des polyktetischen Kanons. 
Überschwang und Mangel mißfallen dem Denker von Abdera. 
Darüber hinaus kennt er den Ausdruck durchseelten Le- 
bens. Leibesschönheit ist nur lebenhaltig und weiter nichts, 
wenn sie nicht von Geist getragen wird. Demokrit weiß 
von Bildwerken, die schönformig und vollendet zur an- 
schauenden Betrachtung bereitet, dennoch aber herzensleer 
sind; er zeugt von den hohen Freuden, die aus der Betrach- 
tung der schönen Werke entspringen. Auch über die ge- 
schichtliche Entfaltung der Kunstarten muß er sich seine Ge- 
danken gemacht haben; er hält die Musik für eine späte 
Kulturblüte, für jünger als die Baukunst, weil sie kein dringen- 



sdbvGoOglc 



14 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

des Bedürfnis der Not befriedigen hilft, sondern nur im Ober- 
flufi gedeiht. In der Psycliologie des schaffenden Künstlers 
braucht er den Begriff der Inspiration, des Enthusiasmus, 
eines heiligen Feuers der Begeisterung. Sokrates nennt 
einen goldenen Schild hä6lich, weil er zum Si;bilde nicht taugt 
und prägt so den Begriff der Materialechtheit. Die Ansicht, 
die Schönheit einfach mit Brauchbarkeit zusammenwirft, wird 
von ihm in Xenophons Gastmahl persifliert: der große Mund 
sei am schönsten, weil er ein größeres Stück abbeißen könne. 
Von der bildenden Kunst verlangtSokrates, daß sie die Eigenart 
der Seele durch die sichtbare Qestalt durchschimmern lasse. 
[He höheren Sinne, Auge und Ohr sind es, die schöne Ein- 
drücke vermitteln. 

Die Wissenschaft der allgemeinen Ästhetik begründet 
Piaton. Die Schönheit scheidet er scharf von bloßer Zweck- 
mäßigkeit; Schönheit ist nicht zu etwas schön. Dieses Schöne 
weckt eine ihm eigentümliche trauliche Lust, die nichts mit 
sinnenreizender Annehmlichkeit gemein hat, sondern frei ist 
von der unauslöschlichen Unbefriedigtheit, die aller Sinnen- 
lust zugemischt ist. Maßvoll ist die Freude an der Schönheit 
im Gegensatz zu der ungemessenen Heftigkeit sinnlicher 
Gefühle; sie dient nicht der leidenschaftlichen Begierde zur 
Befriedigung. Sie ist die Freude, welche dem Schauenden 
über der Betrachtung entsteht. Ebenmaß, Symmetrie und 
Proportion sind die wesentlichen Eigenschaften schöner 
Werke. Die schlichtesten der schönen Dinge sind Farben, 
Töne und Gestalten; minder edel ist die Lust an Düften. 
Farben sind schön durch Reinheit und Glanz, unter den 
Tönen die hellen und sanften. Über der gestalteten Schön- 
heit aber steht die geistige Schönheit einer weisen und 
gütigen Seele, die ihr inneres Ebenmaß gefunden hat. Auch 
die Gebilde der Wahrheit können der vertieften Betrach- 
tung als geistig schön erscheinen. Für den Menschen ver- 
langt Piaton die Herrschaft der inneren Schönheit über die 
äußere Wohlgestalt Von allen Ideen ist die Schönheit die 
einzige, die unmittelbar zu unseren höheren Sinnen spricht; 



sdbvGoogIc 



Aristoteles. 15 

sie ist darum deren offenkundigste und liebenswerteste. Gott, 
die beste Ursache, hat aus Güte die Welt schön erschaffen. 
Doch ist die geistige Schöne in Natur und Kunst nicht 
adäquat verkörpert; alle schönen Dinge sind nur teilweise 
schön, teilweise aber unschön. E>ie Kunst müht sich zwar, 
durch Nachahmung schönheitsvolle Scheinbilder zu schaffen; 
es gelingt ihr aber nicht, die geistige Schönheit rein zu bilden; 
ja, sie verliert sich in den Schein einer Scheinwelt. Unter 
allen Spielen ist sie das sinnigste und anmutigste Spiel. Aber 
nur zu sehr sucht sie der Menge zu gefallen und schadet 
oft durch Verherrlichung des Verwerflichen. Werke und 
Künstler dieser Art sind aus dem Idealstaate zu verbannen. 
Selbst was der Dichter an edlen Werken' schafft, erringt er 
nur im Rausche, in musischem Wahnsinn, in einem durch 
die Götter gewirkten auBei^ewöhnlichen Bewußtseins- 
zustand Da jedoch der Dichter, von der Raserei ergriffen, 
selbst nicht weiB, warum er so und nicht anders dichtet, 
steht er tief unter dem Philosophen, der von der Einsicht in 
sein Tun getragen wird. Den Dichter trifft nur aus einem ein- 
gewurzelten Instinkt die Idee. Die Schönheit findet erst ihren 
echten Wert im Dienst des Guten. Trotz eigener dichterischer 
Hoctibegabtheit, bei allem feinen Verständnis für das be- 
geisterte Schaffen der Künstler urteilt Piaton kühl mit herbem 
ethischeil Rigorismus über das schönheittrunkene Athen des 
Perikles. 

Der Ausbau der antiken Kunstästhetik ist ein Werk des 
Aristoteles. Schön ist nach seiner Rhetorik, was um seiner 
selbst willen gesucht wohlgefällt, oder was uns als wert- 
voll süS ist. In der Metaphysik sagt er, daB man nur Taten 
gut nennen kann, Schönheit aber auch am Unbewegten findet. 
Als Eigenschaften des Schönen hebt er hervor die Wohl- 
geordnetheit, die Symmetrie und (weise) Beschränkung. Ein 
winzig kleines Geschöpf kann nicht schön sein, weil sich die 
Anschauung ihm gegenüber verwirrt, ebensowenig ein un- 
geheuer großes, weil hier die Einheit und Ganzheit verloren 
gehe; in beiden Fällen fehlt die Übersichtlichkeit, die Zu- 



sdbvGoOgIc 



16 Aus der Oesdiichte der Ästhetik. 

sammenfaBbarkeit. Was solche übersichtliche Einhtit hat, so 
heißt es anderswo, ist klarer, und das Klarere beachten wir 
mehr und nehmen es li^er wahr. Von den einzelnen Teilen 
des schönen Werkes wird gefordert, sie müßten derart zu- 
sammenhängen, daß man keinen TeJl wegnehmen oder ver- 
rücken könne, ohne dadurch das Ganze aus den Fugen zu 
brechen. Aus dem Prozeß des künstlerischen Schaffens hebt 
Aristoteles die Nachahmung, die Nachbildung hervor, die in 
allen Künsten am Werk ist Die Vorwürfe der Kunst werden 
durch Farben, Formen und dufch Stimmen dargestellt, Stim- 
mungen und Affekte durch Tanz und Melodie ausgedrückt. 
Nachahmer, Verähnlichen ist also hier in einem weiten Sinne 
gefaßt, der ausdrucksvolle Darstellung, Formung einschließt. 
Der Trieb zur Mimesis ist mit dem Menschen verwachsen; 
allgemein ist die menschliche Freude daran. Dinge, die uns 
in der natürlichen Wirklichkeit peinlich anmuten, erfreuen 
durch die Kunst der Nachbildung. In diesem Grundtriebe liegt 
der Ursprung der Kunst. Nach drei Einteilungsgründen ^ 
scheidet Aristoteles die Kunstarten: nach Darstellungsgegen- 
ständen, Darstellungsmitteln und Darstellungsarten. Die Tra- 
gödie unterscheidet sich von der Komödie dem Darstellungs- 
gegenstande nach so, daß sie edle Gestalten darstellt, deren 
Charakter das Durchschnittsmaß überragt, während das Lust- 
spiel gemeinere Menschen handein läßt. Nach Darstellungs- 
mitteln trennt Aristoteles Künste der Form und der Farbe 
von Künsten der Stimme tmd des Rhythmus. So gilt der 
Tanz als rhythmische Kunst, Dichtung als Kunst rhythmischer 
Rede; die Kunst der rhythmischen Rede und des Tonsatzes 
ist das dithyrambische Chorlied mit Flötenbeg^eitung. Nach 
der Darstellungsart scheiden sich z. B. epische und drama- 
tische Poesie. Wie sehr man sich hüten muß, Mimesis als 
sklavisches 'Abgießen von Naturformen zu deuten, zeigt die 
aristoteHsche Lehre von der Musik, deren Melodien ein. un- 
mittelbares Ethos in sich enthalten, wirkliche Oemütsstim- 
mungen „nachahmen". Die hörbaren Rhythmen und die 
melische Bewegung in der Folge verschieden tiefer und 



sdbvGoOgIc 



Aristoteles. 17 

hoher Töne haben die meiste „Ähnlichkeit" mit den Gemüts- 
bewegungen. Danach würde also gerade die Musik am voll- 
endetsten nachahmen; Form und Farbe eines gemalten Ant- 
litzes vermitteln damit verglichen nur flüchtige Andeutung 
des Gemütszustandes. In der Poetik stellt Aristoteles den 
hohen Stil, der bildet, was sein sollte, dem naturalistischen, 
der schildert, was wirklich ist, gegenüber und gibt der Dich- 
tung hohen Stils den Vorzug, was einer platten Nachahmungs- 
fheorie nicht möglich wäre. Hier wird das Werk einem Ideal 
nachgeformt, das der Künstler sich kraft seines Tempera- 
mentes und seiner einfühlenden Einbildung so lebhaft wie 
möglich ausmalt. Aristoteles schätzt die Kunst wesentlich 
höher lein als Platon. Neben die theoretischen und prak- 
tischen Wissenschaften tritt gleichberechtigt die Kunstlehre. 
Freilich letzter oder höchster Zweck ist auch ihm die Kunst 
niemals. Ihr Wert ist dem der reinen Erkenntnis und der 
sittlichen Tat untergeordnet. Es ist aber ein erheblicher 
Unterschied, ob man das ästhetische Verhalten als Ganzes 
höheren Gesichtspunkten unterordnet, oder ob man einzelne 
ästhetische Objekte daraufhin prüft, 'ob sie sittlich oder un- 
sittlich wirken. Aristoteles hütet sich vor einer Vermischung 
ethischer und ästhetischer Werturteile und spricht nur dem 
ästhetischen Verhalten den höchsten Wert ab. Die Dicht- 
kunst, die von den wesentlich«! Sdiicksalen und Leiden- 
schaften des Menschen ein Bild entwirft, ist ein tieferes 
und edleres, ein ernsteres und philosophischeres Tun als die 
herodotische Geschichtsschreibung, die schildert, was sich 
zufällig begeben hat. Auf die vielen feinen Einzelheiten der 
aristotelischen Tragödienlehre sei hier nicht näher einge- 
gangen. Von der oft berufenen Katharsis nur soviel, daB sie 
nicht die einzige und nicht die höchste Wirkung der Tra- 
gödie ist, daß aber diese Wirkung psychologisch richtig be- 
obachtet ist Von der kleinen und rührseligen Besorgtheit 
um unser Einzelschicksal werden wir durch den Anblick des 
wesentlichen Menschenleides geläutert. Aus der Entladung 
des bitteren und peinlichen Kummers entspringt eine edle 
XBlpe, Ästhetik. 2 



sdbvGoogIc 



1 8 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

Heiterkeit. Die herbe platonische Geringsdiätzung einer Welt 
voll Schein des Scheins, seine Verachtung der erfinderischen 
Instinkte ist dem Aristoteles fremd. Aristoteles hat die spe- 
zielle Ästhetik wissenschaftlich begrünSet. Durch seine E*oetik 
und Rhetorik ist er der mit beispielloser Autorität ausge- 
rüstete Lehrer vieler späterer Geschlechter geworden. Das 
Mittelalter konnte seine Ästhetik nicht mehr bewundern, als 
es im achtzehnten Jahrhimdert durdi Lessing geschah. 

Die poetische Philosophie des Aristoteles will alle kunst- 
technischen Lehren umfassen; seine Poetik und Rhetorik 
sind spezielle Kimsttheorien. Das vorwiegend praktische 
Interesse der späteren, der hellenistischen Philosophie, gilt 
den technischen Anweisungen für die einzelnen Künste, 
die zum Teil in den allgemeinen Schulunterricht eingingen. 
Die allgemeineren ästhetischen Betrachtungen treten zurück. 
Mittel gegen die optischen Täuschungen zu ersinnen, ist 
damals wichtiger, als die Gründe der architektonischen Schön- 
heit zu erforschen. Unter diesen Kunsttheorien seien folgende 
hervorgehoben. Von der vortrefflichen empirischen Muak- 
theorie des Aristoxenos von Tarent ist uns die Harmonie- 
lehre vollständig erhalten und ein Bruchstück ihrer Rhythmik. 
Aristides Quintilianus (1—2 Jahrh. n. Chr.) unterscheidet 
eine weiche (weibliche) Stilgebung in der Musik, die Lust 
erweckt und beruhigt, von einer herben (mäniilichen), die 
Denken und Tatkraft erregt. Ihm ist die Musik mit dem 
Tanze verbunden die ausdrucksfähi^te und wirksamste 
Kunst, die alle Sinne gefangen nimmt. Cicero feiert in 
seiner Schrift de, oratore die Verbindung von Schönheit und 
Zweckmäßigkeit in der Natur und in der Kunst, ohne darum 
die Schönheit aus der Zweckmäßigkeit zu erklären. Er 
scheidet zwei Modifikationen der Schönheit, Anmut (ve- 
nusfas) und Würde (dignitas), jene als weibliche, diese als 
männliche Schönheit benennend. Diotiysios von Halrkar- 
nass (31 v. Chr. m Rom) stellt der Annehmlichkeit (dem 
^i^hv) das Schöne (xaXöv) gegenüber. Besonderen Wert legt 
er auf das Verhältnis von Form und Oehalt der Rede. Kunst- 



criz^d^vCoOglc 



Hellenismus. 19 

technisch untersucht er die einfachsten Elemente des Sprach- 
ausdrucks. A ist ihm der wohlklingendste, L der süßeste, 
R der edelste, S der häßlichste Laut. Überwiegen die Längen 
im Versmaß, so wird es würdiger, überwiegen die Kürzen» 
so mutet es weiblicher an. Quintilian (geb. 35 n. Chr.) hat 
in seiner institutio oratorja das einflußreichste rhetorische 
Werk des späteren Altertums geschaffen. Das wichtigste 
Hilfsmittel des Redners, die Fülle der Dinge und Worte, 
wird an guten Vorbildern geschult. Als Stilarten kennzeichnet 
er einen kraftvoll erhabenen, einen blühenden und einen 
schlichten Stil. Der erste reißt zur Leidenschaft hin, der 
zweite gewinnt, der letzte belehrt. Dem Horaz haben Jahr- 
hunderte das Schlagwort ut pictura poesis nachgesprochen. 
In seiner ars poetica hebt er die bewußt kritische Arbeit 
der Feilung hervor, ohne die hohes Talent und glühende 
Inspiration kein vollendetes Dichtwerk schaffen würden. Da 
Dichtkunst das Leben harmonisch versdiönen soll und kein 
dringendes Bedürfnis unter der Verurteilung von Stümper- 
werken leidet, so muß die gerechte Kritik streng geübt 
werden. Der römische Architekt Vitruv aus Verona schrieb 
16 — 13 V. Chr. sein Werk de architectura. Mit der Baukunst 
müssen die übrigen bildenden Künste Hand in Hand gehen. 
Die Schönheit des Gebäudes beruht auf dem gefälligen Ver- 
hältnis der Formen, dem maßvollen Zusammenstimmen der 
einzelnen Glieder, der Anpassung an die äußeren Umstände. 
Die Zahlenwerte der schönen Proportionen werden genau 
bestimmt. Ein Bauwerk muß'fest, nützlich, formschön aus- 
fallen. Eurhylhmisch sei der Innenausbau, eine Maßekiheit 
liege den Baugliedem zugrunde, symmetrisch sei die Flächen- 
gliederung, harmonisch das Verhältnis der Räume zuein- 
ander. Flavius Philostratus (Anf. d. dritten Jahrh. v. Chr.) 
gibt ästhetische Exkurse in seiner Vita des Apollonios' von 
Tyana und in seinen Imagines aus einer vorgeblich neapoli- 
tanischen Sammlung. Philostratus preist die Phantasie als 
schöpferisches Vermögen, sie stelle dar, was sie nie zuvor 
gesehen. Der Geist des Künstlers muß sich der Idee des 



sdbvGoogIc 



20 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

darzustellenden Gegenstandes bemächtigen und ihn dar- 
stellen, wie sie es fordert Um den Genuß des Zuschauers 
verständlich zu machen, arbeitet Philostratus mit dem Be- 
griff einer inneren geist^en Nachahmung. An seltsam zer- 
rissenen Wolkenfetzen, in die wir Kentauren, Wölfe oder 
Pferde hineindeuten, wird die Kraft der Phantasie erläutert. 
Ebenso gestaltet sich der Kunstfreund schattenhaft ver- 
schwommene Zeichnungen innerlich nachbildend, mit dem 
Verstände gleichsam schauend. So gehört es überhaupt zum 
wahren Genuß des Kunstwerks, ihm über der Betrachtung 
ein inneres Leben zu schenken. Die antike Ästhetik klingt 
aus in die allgemeine Theorie der Schönheit, die uns der 
Neoplatonismus geschenkt hat. 

Plotinos (204—269 n. Chr.), der Meister des Neoplato- 
nismus, weihte das 6. Buch seiner ersten Enneade der Be- 
trachtung der Schönheit und das 8. Buch der fünften Enneade 
seinem Begiff der geistigen Schönheit Zumeist spürt man 
Schönheit (so beginnt die erste Betrachtung) in den Wahr- 
nehmungra des Auges und des Gehörs. Schön sind Gebilde 
aus Worten, musische Melodien und Rhythmen. Aber wer 
edleren Gnstes ist, erschaut Schönheit auch in Taten, Cha- 
rakterzügen, in Weisheit und Tugend. Wodurch wird all 
dies schön? Fast alle sagen, es sei schön wegen der Sym- 
metrie der Teile und des Ebenmaßes im ganzen Werk, auch 
mache leuchtende Färbung schön, was sichtbar ist Hiernach 
wäre nur ein Zusammengesetztes schön zu nennen, nicht 
aber Einfaches. Aber wenn doch das Ganze schön sein soll, 
so müssen auch seine Teile schön sein; ein schönes Werk 
kann nicht aus lauter Häßlichem bestehen. Auch müßten 
dann die schönen Farben, die lauter sind wie das Sonnen- 
licht, aus dem Reich der Schönheit verbannt sein; des- 
gleichen die einzelnen Töne einer schönen Musik. Wie wäre 
dann möglich, was doch zweifellos wirklich ist, daß ein 
Menschenantlitz bei gleicher Symmetrie bald schön, bald 
häßlich anmutet? Wo ist gar die Symmetrie schöner Sitten, 
weiser Gesetze? Auch aus der Zusammenstimmung können 



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Plotinos. 21 

wir die Schönheit nicht erklären; denn ste besteht auch zwi- 
schen Häßlichem. Welche Zusammensetzung und Mischung 
würde wohl eine Seele schön machen, und worauf würde die 
reine Schönheit des Geistes beruhen? 

Einen plotinischen Gedanken hat Goethe in seiner 
Sprache geformt. 

War* nicht das Auge sonnenhaft, 
Die Sonne könnt' es nie erblicken; 
Lag* nicht in uns des Gottes eigne Kraft, 
Wie könnt' uns Göttliches entzücken? 

(Zahme Xenien, III, 36.) 

Nirgends würde die Seele Schönes schauen, wenn sie 
nicht selbst schön geworden wäre. Wenn wir Schönheit 
wahrnehmen, so begrüßen wir darin ein tief Verwandtes. 
Was häßlich ist, befremdet und stößt uns ab. Die Seele 
freut sich, wenn sie ein ihr Verwandtes auch nur in Spuren 
wahrnimmt; sie staunt, nimmt es in sich auf und erinnert 
sich ihrer selbst. Unablässig formt und gestaltet die Seele; 
in der gestalteten Wahrnehmung erkennt sie das ihre. Häß- 
lich ist alles Gestaltlose, alles Amorphe. Die gestaltende 
Seele findet im schöngestalteten Werke dessen Idee wieder, 
an der sie innig Anteil nimmt Die Idee macht das aus 
vielen Teilen Bestehende zu einem Ganzen, sei es in der 
Natur, sei es in der Kunst Vom Materiellen hängt also 
die Schönheit nicht ab, auch nidit von dessen Größe; die 
Schönheit zeigt sich im Kleinen so gut wie im Großen, wenn 
nur die Idee daraus hervorleuchtet Die Schönheit der Farben 
beruht auf der Gegenwart des unkörperlichen Lichts. Darum 
ist auch das Feuer vor Anderem in der Körperwelt schön, 
weil es dem Unkörperlichen, der Idee, am nächsten steht 
In der Harmonie der Töne findet die Seele sich selbst wieder, 
entdeckt sie ihre eigene verborgene Harmonie. Die Sinnen- 
schönheit der Körper haftet an der Gestalt, die sie durch- 
formt. Die Lust an dieser Schönheit in der die Seele das 
Abbild höherer Schönheit erkennt ist vorbereitende Stufe 



sdbvGoogIc 



22 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

für die Betrachtung der übersinnlichen Schönhat und darum 
wertzuschätzen. Wer von Schönheit nie etwas wahrgenom- 
men hat, der könnte auch nicht von ihr reden. Ebenso 
sollte über die geistige Schönheit der Seele nur urteilen, 
wer von ihrem milden Schauer «nmal ergriffen worden ist. 
I^e Schönheit von Tugend und Weisheit tut sich denen am 
meisten kund, die von herzlicher Liebe zur Schönheit er- 
füllt sind. Solche ei^eift ehrfürchtiges Staunen, süBe Ver- 
wirrung, liebevolle Sehnsucht und freudige Bestürzung. 
Warum nun erscheinen uns die fleckenlose Sede und ihre 
Tugenden auch schön? Weil sie so wahrhaft seiend sind 
und nicht an der Materie teilhaben. Alle Häßlichkeit der 
Seele stammt aus ihrer Mischung mit den Regungen des 
Leibes und aus ihrer Hinneigung zur Materie. Alle Tugend 
und lautere Erkenntnis reinigt und befreit von der mate- 
Ttellen Begier. Damit wendet die Seele ihr Schauen der 
geistigen Welt zu, dem I^eiche der Gottheit; denn alles 
wahrhaftige Sein in seiner SchÖoie ist aus Cjottes Güte über- 
quillender Reichtum. Der Geist ist schön durch Gott, durch 
den Geist die Seele, und durch die Sede erst der Leib. 
Die Schönheit des Geistes kann nur von der geläuterten 
Sede innerlich und wesentlich erschaut werden. Die Seele 
kann die höchste Schönheit nur erkennen, wenn sie selbst 
wesentlich schön geworden ist. Im Geiste findet sie die 
eigentliche Schönheit der Ideen. Ursprung der geistigen 
Ideen ist der gute Urgrund, aller Schönhdt Quelle, Gott. 
Nur auf dem beseelten Antlitz ruht der Schimmer der Schön- 
heit, mit der Seele weicht er von den Zügen, auch wenn 
diese noch unverzerrt sind. Die Ideen im endlichen Geiste 
des schaffenden Künstlers sind schöner, als alles Gelingen 
i im Werk, das nach ihnen gebildet wird. Wenn sich der 
Künstler zu den Urbildern der Natur erhebt, und diesen 
nachzuschaffen sucht, statt sein Vorbild in den Körpern zu 
suchen, dann kann er die Schönheit der gottentstammfen 
Natur erreichen. Diese verfeinerte Auffassung von der Nach- 
ahmung hebt besonders deuüich der Systematisator des Neo- 



sdbvGoOglc 



Neoplatontsmus. 2 3 

platonismus, Proklos (412—485 n. Chr.) hervor: Wer nur 
die äußere Natur nachahmt, kann niemals das vollkommen 
Schöne erreichen ; denn sie ist voll von Ungestaltem und ent- 
fernt sich vom wahren Ideal der Schönheit. Wie später bei 
Schelling und Hegel, so fügt sich auch bei Plotinos die 
Ästhetik in ein großes metaphysis,ches Weltbild. Der ästhe- 
tischen Modifikation des Erhabenen wMmet Longin (213 bis 
273 n. Chr.) sein Werk icspt ö'l'ouf. Sein eigentliches Thema 
ist der erliabene Vortragsstil des Redners; wer ihn gewinnt, 
hat den Gipfel dieser Kunst erreicht. Es ist Bestimmung 
des Menschen, nach Erhabenheit zu streben; mit solchem 
Drange streben wir nach Freude in der Betrachtung des 
Grenzenlosen und des Allgewaltigen. Die hinreißende er- 
habene Rede bezwingt und schließt alle Meinung, die nicht 
des Redners ist, aus ; sie wird glaubhaft überzeugend. Trag- 
weite der Gedanken und Leidenschaftlichkeit des Vortrags 
dienen dieser Wirkung, die wie ein Natureindruck über- 
wältigt. Mangeln wirksame Gedanken, mangelt der geistige 
Gehalt der Rede, so wird ihr Pathos zu frostigem Schwulst. 
Die vollendete Rede überwältigt nicht nur bis zu staunen- 
der Bewunderung, sie erhebt auch große Seelen, die er- 
habener Gedanken fähig sind und beeinflußt so nachhaltig. 
Die belebte Darstellung erfüllt die lauschende Masse mit 
stolzer Weihe und freudiger Selbstachtung, als hätte ihre 
Seele erzeugt, was sie vernahm. Sache der rednerischen 
Kunst ist die Wahl des treffenden, anschaulichen und be- 
deutenden Inhalts; doch muß sie steh hüten, daß die Kunst 
ja unbemerkt bleibe. Spielarten des Erhabenen sind für den 
Rhetor leidenschaftliche Erregung, ruhige Fülle und Würde, 
lapidare Kraft, großartige Bilder, schwungvolle Breite, die 
ins Prächtige geht. An unermeßlicher Größe überbietet der 
Ozean den Nil, um soviel erhabener ist seine ungegliederte, 
einfach unübersehbare Flut. Als Beispiel der großartigen 
Erhabenheit erinnert Longin an das Bibelwort: Und Gott 
sprach: Es werde Licht; und es ward Licht. 



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24 Aus der Oesdiichte der Ästhetik. 

Literatur: 
Ed. Malier, aeschiclite der Theorie der Kunst bei den Alten. 2 Bde. 

Breslau 1834-37. 
J. Walter, Die Geschichte der Ästhetik im Altertum. Leipzig 1693. 

(Sehr platonisierend.) 
Brunn, Geschichte der griechischen Künstler. Braunschweig 1859. 
Overbeck, Die antiken Schriftquellen zur Oeschichte der bildenden 

Künste bei den Griechen. Leipzig 1868. 
A. Rüge, Die platonische Ästhetik. Halle 1832. 
Döring, Die Kunstlehre des Aristoteles. Jena 1876. 
Teichmüller, Aristotelische Philosophie der Kunst. Halle 1869. 
Reinhens, Aristoteles über Kunst Wien 1870. 
Brenning, Die Lehre vom Schönen bei Plotin. Oöttingen 1864. 

Mit der großartigen Unbekümraertheit geistigen Reich- 
tums berichtet Augustinus im vierten Buch seiner Kon- 
fessionen von zwei oder drei verlorenen Büchern de apto et 
pulchro: „Ich besitze sie nicht mehr, sondern sie sind mir, 
ich weiß nicht wie, abhanden gekommeii." Die allgemeine 
Ästhetik des Kirchenvaters ist uns also verloren. Mit Platon 
unterscheidet er freit Schönheit, die um ihrer selbst willen 
' betrachtet und bewundert wird, von schmückender Schön- 
heit, die sich äußerlich anheftet. Gottes Schönheit ist ihm 
größer, als die des Universums. Gott ist der Grund der sinn- 
lichen Schönheit, die er aller Kreatur anerschaffen. Höher 
als die Leibesschönheit steht ihm die Sdiönheit der weis^ 
und gerechten Seele. Der Leib ist schön durch den Ein- 
klang seiner Teile und die süße Milde seiner Farben, Ord- 
nung, Ebenmaß und edle Verhältnisse sind sinnlich schön. 
Es gibt Anordnungen von Einzelteilen schöner Dinge, die 
den Gesamteindruck zu einem anschaulich Ganzen zu- 
sammenschließen. Zwei Fenster von ungleicher Größe miß- 
fallen leicht nebeneinander; übereinander aber gefallen sie, 
wenn das kleinere oben angebracht wird. Werden ihrer drei 
nebeneinander angeordnet, so dürfen sie entweder gleich 
groß sein, oder zwei kleinere müssen rechts und links ein 
mittleres großes Fenster umgeben. Schöner aber als alles 
Ebenmaß in den geschaffenen ENngen ist die übersinnliche 



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Augustinus und Thomas von Aquin. 25 

und unveränderliche Wahrheit. Aller Schönheit Form ist 
Einheit. Im Gegensatz zu Plotin, mit dessen Denkmitteln 
er sonst vielfach arbeitet, sieht Augustinus ein, daß Einzel- 
teile, die für sich betrachtet häftlich wirken können, sich 
zur Gesamtschönheit verbinden können. Zur Schönheit der 
Welt gehören auch ihre Schatten, Häßliches und Böses. Was 
immer man häßlich findet, es erscheint nur so im Vergleich 
mit dem Vollkommenen. Jedes Wesen, auch das niedrigste, 
ist noch schön im Vergleich zu der Häßlichkeit des Nichts. 
Das gilt aber nur für die sinnliche Welt. In der Welt des 
Geistes ist jeder Teil wie auch das Ganze schön und voll* 
kommen. Alle unsere Stimmungen und Affekte sind auf tief- 
verborgene Weise mit Stimme und Melodie verwandt und 
sie werden durch sie erregt. Diesen in sdnen zahlreichen 
Schriften verstreuten Bruchstücken gegenüber können wir 
nur tief bedauern, daß uns die ästhetischen Hauptwerke 
des Augustinus verloren gegangen sind. 

Thomas von Aquino hat sich auf Einzelbemerkungen 
zu ästhetischen Fragen beschränkt. Schönheit rührt nach 
ihm das Seelenvermögen der betrachtenden Erkenntnis, nicht 
das Vermögen der handelnden Begehrung. Schöne Dinge 
werden mit Auge und Ohr wahrgenommen; schön heißt, 
was angeschaut wohlgefällt Der Schönheit eignet eine eigen- 
tümlich leuchtende Klarheit, die an Dingen mit schimmern- 
den Farben am ehesten auffällt. Bei der Betrachtung schöner 
Werke leuchtet uns ihre wohlgebildete Gestalt ein, die ge- 
trübt wird, wenn die einst unverletzte Vollkommenheit Ab- 
bruch leidet. Die Eigenart der Schönheit ist ein Wider- 
schein der gestaltenden Form, ergossen über die wohl- 
gegliederten Teile der Materie, über verschiedene wirksame 
Kräfte. Die Schönheit der erschaffenen Dinge ist ein Ab- 
glanz der Schönheit Gottes, an der alle Geschöpfe teilhaben, 
aus der seine Güte unmittelbar hervorleuchtet. 

Literatur. 
M. de Wulf, Etudes historiques surl'Esthetique de St Thomas d'Aquin, 
-Löwen 1896. 



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26 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

F. Vallet, L'idJedu Beau dans la Philosophie de Saint Thomas. 2. Aufl. 

Paris 1887. 
Taparelli, Delle r^oni del hello secondo la dottrina di S. Tommaso 

d'Aquinö. 1859J60. 
H. Janitschek, Die Kunstlehre Dantes.' Leipzig 1892. 

Schon dieser flüchtige Überblick über die Lösungsver- 
suche der antiken und der mit ihren Denkmitteln aufbauen- 
den mittelalterlichen Ästhetik muß den Eindruck erwecken, 
daß die Hauptprobleme der heutigen Ästhetik in diesen ver- 
gangenen Zeiten wissenschaftlich durchforscht worden sind; 
mehr, daß auch die Art, wie Erfahrungen verwertet, Be- 
obachtungen aufgezeichnet, Erklärungen erprobt werden, 
überraschenden Scharfblick und sicheren Instinkt verrät. Ich 
brauche nur darauf hinzuweisen, wie absolut und relativ 
Schönes gesondert ward, wie die Begriffe naturgetreuer 
Nachbildung und freier Erfindung herausgearbeitet worden 
sind. l\1an denke daran, wie einfühlende Nachahmung den 
Kunstgenuß erklären half, wie Beseelung und ergänzende 
Auffassung entdeckt wurden. Man vergesse nicht die Forde- 
rnis inneren Zusammenhangs für alle Teile eines sdiönen 
Werks, Immer wieder wird hier die Überzeugung fest- 
gehalten, daß im ästhetischen Eindruck objektive und sub- 
jektive Faktoren innig zusammenwirken. Man hat bald diese, 
bald jene eingehender gewürdigt, aber man ist niemals einem 
einseitigen Formalismus und auch niemals einer einseitigen 
Einfühlungstheorie verfallen. Wenn nicht nur das Mittel- 
alter sondern auch die Neuzeit bis in das achtzehnte Jahr- 
hundert hinein in eine literarische Abhängigkeit von der an- 
tiken Ästhetik geraten sind, so haben sie wahrlich keine 
schlechte Autorität auf diesem Qebiet zur Führerin erkoren. 
Der beginnenden Neuzeit erwächst zunächst die Aufgabe, 
ästhetisches Wahrnehmen, Fühlen und Urteilen dner gründ- 
lichen psychologischen Analyse zu unterwerfen; daraus ent- 
springt allmählich auch eine Lehre vom Genie. An Allgemein- 
begriffen war auf lange hinaus genug vorhanden; erst die 
Leibnizische Philosophie gibt neue systematische Anregfung, 



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. Leone Battista Alb^i. 27 

Hatte die antike Ästhetik mit metaphysischen Betrach- 
tungen und Allgemeinbegriffen begonnen, so Semüht sich 
die Renaissance um die Ausbildung von Kunsftheorien, die 
in lebendiger Wechselwirkung mit der Kunstübung stehen 
und teils deren Praxis darstellen, teils auf ihren Fortschrrtt 
bestimmenden £influ6 zu gewinnen suchen. Da sich der 
Humanismus als eine Wiederbelebung des Altertums fühlte, 
so knüpfte man an 'dessen Lehren an und dachte darauf, sie 
zu ergänzen. Das gründlichere philologische Studium unter- 
baute nur noch stärker die Herrschaft des Aristotelismus auf 
katholischen und protestantischen Universitäten. Während 
man in den Werken des Staglriten die allgemeinen ästhe- 
tischen Ansichten und Grundbegriffe genügend entwickelt 
fand, richtete sich die Forscherarbeit vornehmlich auf Er- 
gänzung der kunsttheoretischen Schriften unter Berücksich- 
tigung neuerer Kunstleistungen. Die Poetik des Aristotdes 
war nur als Fragment überkommen. In der Musik waren 
wesentliche Fortschritte gemacht worden; man denke nur 
an den mittelalterlichen Kirch engesang. Das drängte zur theo- 
retischen Verarbeitung. Vollends die bildende Kunst be- 
durfte einer erweiterten Theorie. Verhältnismäßig am besten 
gesorgt war für die Rhetorik, wo neben Aristoteles und 
Cicero Quintilian in kanonischer Geltung stand, und für die 
Baukunst, wo ein gleiches von Vitruv zu sagen ist. Neben 
der Poetik des Aristoteles erfreute sich die ars poetica des 
Horaz überragenden Ansehens. 1498 erscheint die erste 
lateinische Übersetzung der aristotelischen Poetik, 1503 wird 
der Text zum ersten Male herausgegeben. Rein technische 
Bedeutung hat der trattato della pictura des Cennino Cen- 
nini (geb. 1372). Leone Battista Alberfi (1404—1472), 
ein Universalgenie von ästhetischem Feinsinn und scharfer 
Begriffsbildung schrieb 1435 seinen trattato della pit' — 
sein Buch de re aedificatoria 1452. Ihm ist die Schöi 
kunstgerechte Fügung der gesamten Teile, der nichts hi 
gesetzt werden kann, ohne dem Ganzen Abbruch zu tun 
nichts vermindert, nichts verändert werden darf, ohne 



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28 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

alles vernichtet wäre. Diese Schönheit ist das höchste Ge- 
setz des Kunstwerks, dessen Einheit gefordert wird. Natur- 
wahrheit und Schönheit müssen in einer Harmonie zu- 
sammenklingen. Lionardo da Vinci hat sich eng an Alberti 
angeschlossen. 

Lionardos trattato della pittura gibt eine ausführliche 
Darlegung der Perspektive und der Schattenkonstruktion, 
woran sich eine förmliche Theorie der Landschaftsmalerei 
anschließt. Es folgen Untersuchungen über das Auge als 
optisches Instrument. Er erkennt die Notwendigkeit ana- 
tomischer Untersuchung«! und entwirft dazu ebie große An- 
zahl von Zeichnungen, Mit allen Argumenten seiner Wissen- 
schaft greift Lionardo in den Streit der Renaissance um die 
Rangordnung der Künste ein; dabei kann es nicht verwun- 
dem, daß er der Malerei den Vorzug gibt. Ist die Technik 
in der Kunst bis zu einem gewissen Grade lehrbar, so doch 
niemals die individuelle Werkbetätigung der Phantasie, die 
in Fülle das Neue schafft, die Aufmerksamkeit weckt und 
das Auge erfreut, der eine frtschverputzte Mauer genügt, 
um darauf Landschaften, Schluchten, Akte in annäherndem 
Abbilde angelegt zu sehen. Aus dem Verworrenen gewinnt 
der erfinderische Geist den Einfall, der zur harmonisch auf- 
bauenden Schönheit die ausdrucksvolle Anmut (bei Alberti 
gratia) hinzufügt, die erst den Reiz des Gebildes vollendet. 

Aus Lodovico Dolces dialogo della pittura, der gleich- 
falls über die Vorzüge der Malerei und der Dichtung dispu- 
tiert, hat Lessing Anregung geschöpft. Vasari gibt in seinen 
Lebensbeschreibungen der ausgezeichneten Künstler die land- 
. läufigen Wendungen über Naturnachahmung und Erfindung 
wieder. 

Dürer hat in vier Büchern von menschlicher Proportion 
mit dem Problem des Kanon gerungen. Wie alle Renaissance- 
theoretiker sucht er in unermüdlicher Tätigkeit den Schlüssel 
für das Rätsel der Schönheit in den unabänderlichen Ge- 
setzen der Raumgesfaltung. 

In diese Zeit fallen zwei berühmte Darstellungen der 



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Kunsttheorien der Renaissance. 29 

Poetik. Der Bischof Marcus Hieronymus Vida (1480—1566) 
veröffentlichte Pqeticorum llbri HI zuerst 1520, Der Philologe 
und Kritiker Julius Cäsar Scaliger (1484—1558) schrieb 
Poetices libri VII, die erst nach seinem Tode herausgegeben 
wurden. Vtda hatte nach allgemeiner Ansicht das geleistet, 
was Horaz nur angedeutet hatte; seine Poetik war ein ele- 
gantes Büchlein in Versen, die denen Vergils an die Seite 
gestellt wurden. Scaliger rechtfertigt mit Klagen über den 
fragmentarischen und ungeordneten Zustand der aristo- 
telischen Poetik sein eigenes Unternehmen. Trotzdem kam 
er in der Systematik nur wenig, in der Ergänzung nur äußer- 
lich über sie hinaus. Vida und Scatiger rühmen das Epos 
des Vergil als Gipfel der Dichtkunst und beschränken sich 
im übrigen auf detaillierte Anweisungen. Die Betrachtung 
neigt zum Morahsieren, die Dichtung wird nach didaktischen 
Gesichtspunkten gewertet. Die aristotelische Mimesis und 
das Horazische Wort ut pictura poesis werden unermüdlich 
zitiert. Diese Art von Poetik war für neulateinische Dichter 
gedacht. Den Deutschen erwuchs eine analoge Schrift in 
dem „Büchlein von der deutschen Poeterey", das Martin 
Opitz unter ausgiebiger Benutzung Scaligers verfaßte. 

Literatur znr Kunsttheorie der Renaissance: 

Borinski, Die Poetik der Renaissance und die Anfälle der literarischen 
Kritik in I>eutsch1and. Berlin 1886. 

J. Wolff, Lionardo da Vinci als Ästhetiker. Jena. Dlss. 1901. 

J. Krause, Leone Battlsta Alberti als Kunstphilosoph. Heidelberg. Diss. 
Straßbut^ 1911. 

Prantl, Lionardo da Vinci in philosophischer Beziehung. Sitzungs- 
berichte der Akademie der Wissenschaften zu München. 1885. 

V. Zahn, Dürers Kunstlehre und sein Verhältnis zur Renaissance. 1866. 

V. Obernitz, Vasaris allgemeine Kunstanschauungen auf dem Gebiet 
der Malerei. Shaßbui^ 1897. 

VoBsler, Poetische Theorien der Frührenaissance. Berlin'1900. 

Ltntilhac, Jules Cesar Scaltger. Nonvelle Revue. Bd. 64. 1890. 

Auch die klassische französische Ästhetik baut nur ein- 
zelne Thesen der antiken Schönheitslehren aus. So lehnt 
sich Boileau besonders an Longin an und lehrt neben Wahr- 



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30 Aus dCT- Oeschichle der Ästhetik. 

heit und Klarheit die Einfachheit des Erhabenen. Dagegen 
stützen sich Dubos und Batteux auf Piaton und Aristoteles 
und führen die Theorie über die Freude am Schönen und 
über sein Wesen aus. Boileau woHte seine -art po^tique 
(1674) am liebsten mit einigen Werken antiker Autoren zu- 
sammengestellt wissen. Die ars poetica des Horaz war sein 
Vorbild. Unter dem Einfluß des Decartes tadelt er Dunkel- 
heit und Schwulst. Wer das klar Gedachte wahr darzustellen 
vermag, ist ein Dichter; nur im Feuer der Begeisterung wird 
sein Werk gelingen. Rien est beau, que le vrai. Wahrheit 
ist damals soviel wie Vernunft und soviel wie Natur. Die 
Darstellungsmittel seien einfach, weil das Einfache erhaben 
wirkt tmd natürlich zugleich. Organ der weisen Beschränkung 
ist die Vernunft. Anschaulicher Reichtum an sinnlichen 
Einzelzügen ist nach Descartes verworren und wird so vom 
Klassizismus verworfen. Malherbe reinigt die Sprache, 1629 
wird die acad^mie fran^ise gegründet. Charakteristisch ist 
der Titel des ästhetischen Werkes von Bouhours: la ma- 
nifere de bien penser dans les ouvrages de l'esprit (1687). 
Die künstlerische Darstellung muß nicht nur wahr, sondern 
auch ungewöhnlich sein; dann erst reden wir von Deli- 
katesse. Auch was nur undeutlich angedeutet ist, kann nach 
ihm ästhetisch wirken. Damit wird bereits dem jugement 
confus, nämlich dem Gefühl, Einlaß gewährt. 1719 erscheinen 
die reflexions critiques sur la poesi« et la peinture von Du- 
bos. Natürliches Vergnügen entsteht aus der Befriedigung 
realer Bedürfnisse. Am stärksten befriedigt uns, was unsere 
Leidenschaft erregt. Wir leiden mehr, wenn wir ohne Leiden- 
schafteli leben, als wir durch sie leiden. . EMe Kunst stellt 
dar, was wirkliche Leidenschaften erregt hätte. Ihren Nadi- 
ahmungen gegenüber erleben wir Phantome dieser Affekte. 
Da solche Nachklänge der Leidenschaft schwächer sind, als 
die wirklichen Affekte, so bleiben sie ohne deren üble Folgen 
und erwecken nur das Vergnügen an geistiger Tätigkeit. Je 
bewegter der Gegenstand der künstlerischen Darstellung, 
um so größer ist sein ästhetischer Reiz. Da die Gemüts- 



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Französischer Klassizismus. 31 

regungen in der Musik unmittelbar Laut werden, so ist sie 
die natürlichste Kunst. Demnach ^zeichnet sich das Genie 
durch klares Urteil und geweckte Einbildungskraft aus; es 
vermag in der Erregung des Gemüts frei über diese Geistes- 
gaben zu verfügen. Künstlerische Begabungen erscheinen 
abhängig von der Gunst der Zeiten, der politischen Lage, 
dem Klima. Hier antizipiert Dubos Gedanken von Taine. 
Während die Nachahmungstheorie von Batteux zienjlich ver- 
flacht wird, ordnet Dubos die aristotelische Lehre von der 
Freude an der Kunst allgemeineren psychologischen Zu- 
sammenhängen in feiner und geistreicher Form ein. Sehr 
groß war der Einfluß jenes Cours de belles lettres, den der 
Abb£ Batteux 1747— 1750 in fünf Bänden veröffentlichte. 
Flüssig geschrieben, macht das Buch auf Oberflächliche deo 
Eindruck vollerSachbeherrschung; doch werden dieBegriffc 
. der Nachahmung und der Natur so weit gefaßt, daß sie alle 
Prägnanz einbüßen. Unter Natur wird alles verstanden, was 
man sich leicht vorstellen kann. Die Nachahmung soll wähle- 
risch sein; sie muß also schon voraussetzen, was eigentlich' 
schön ist in der Natur. Von Batteux, aber auch schon von 
der englischen Ästhetik beeinflußt und darum nicht mehr 
ohne weiteres dem reinen französischen Klassizismus zuzu- 
rechnen sind die ästhetischen Meinungen Diderots, deren 
Quelle sein Artikel Beau im Dictionnaire encyclop^dique ist. 
Diderot weist darauf hin, daß man zwischen den Formen in den 
Dingen und den Gestalten unserer Vorstellung unterscheiden 
müsse. Nicht unser Verstand legt die Formbeziehungen in 
die Dinge, sondern er bemerkt nur die Rapports zwischtti 
beiderlei Gestalten. Die Formen in der Architektur werden 
nicht von unserer Betrachtung gestaltet, sondern nur am 
Bauwerk wahrgenommen und bemerkt. Freilich schaffen 
auch Denken und Einbildung Gestalten und der Künstler 
kann die selbsterschaffene dem rohen Steinblock aufzwingen. 
Der äußere Körper ist nicht schön ohne die ihm aufgeprägte 
Gestalt. Niemals aber ist ein Ding schön vermöge unver- 
wirklichter Gestalten der Einbildung. Erst wenn sie im Werke 



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32 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

von den Sinnen und dem Verstände des Betrachtenden be- 
merkt werden, entsteht der ästhetische Eindrack. 

Im Gegensatz zum französischen Klassizismus geht die 
engUsche Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts nicht von 
den antiken Lehren, sondern von den Tatsachen selbst aus. 
Sie ist originell und wird darum auch führend. Die psycho- 
logische Analyse, die Locke in die Betrachtung des Wissens 
und der Erkenntnis eingeführt hatte, wird auch auf ästhe- 
tischem Gebiet erfolgreich angewandt. Lockes und Humes 
allgemeinere Untersuchungen werden dabei oft verwertet. 
Schon Addison (1672—1719) hegt eine deuthche Ein- 
sicht in die ergänzende, umwandelnde Tätigkeit der Ein- 
. bildungskraft angesichts von Naturdingen oder Kunstwerken. 
Ein Mann von angeregter Phantasie kann sich mit einem 
Gemälde oder mit einer Statue unterhalten und empfindet 
oft eine größere Freude bei der Anschauung von Feldern 
und Wiesen als ein anderer ihrem Besitz verdankt. Er sieht 
die Welt gleichsam in einem anderen Lichte und entdeckt 
in ihr Reize, die anderen Menschen entgehen. E^e Schönheit 
ist ihm keine objektive Eigenschaft der Dinge selbst. An 
den Farben, an den Abschattungen der Helligkeit hängt die 
größte Schönheit; aber der von Locke Belehrte weiß, daß 
'. diese nur sekundäre Qualitäten sind. So entdecken wir ein- 
\ gebildete Pracht am Himmel und auf Erden und sehen ver- 
\ meintliche Schönheiten über die ganze Welt ausgebreitet 
'Wie verzauberte Romanhelden gehen wir umher und ver- 
armen, sobald , die Quelle der inneren Phantasie versiegt 
Zu den Sinneseindrücken aber gesellen sich weiterhin die 
Bilder, die wir reproduzieren, indessen wir etwas wahr- ' 
nfihmen. Zudem hat' die Einbildungskraft die Fähigkeit, die 
voh Erfahrungen herrührenden Ideen zu erweitern, zu ver- 
binden und zu verändern. 

Shaftesbury (1670—1713), der mit der Antike tief- 
vertraute, in ihrem Geiste erzogene englische Staatsmann, 
der Verherrlicher des enthusiastischen Temperaments, ver- 
zichtet auf Lockes Begriffssystem und sucht in weltmänni- 



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Shaltesbury. 33 

scher Men^chenbeobachtung Erkenntnis der menschlichen 
Natur, eine Selbsterkenntnis schließlich, di« als Selbstgestal- 
tung der Persönlichkeit und ihres reizvollen wohlgeratenen 
Eigenlebens Frucht bringt. Die harmonisch gebildete Per- 
sönlichkeit faßt den Reichtum der äußeren Mannigfaltigkeit 
kräftig zur Einheit zusammen, getrieben von dnem ursprüng- 
lidien, in einem edlen Leben voltentfalteten Instinkt, ge- 
leitet von dem vornehmen Geschmack ihres inneren Sinnes, 
der geistreich und natürlich urteilt. Unser ebenes Wesen 
wird sich der äußeren Ordnung und Zweckmäßigkeit, dem 
wohlproportionierten und regelmäßigen Zustand, dem wahr- 
haft glücklichen und natürlichen eines jeden Geschöpfes, 
nur erschließen, wenn es innerlich harmonisch geworden 
ist iind den Wechsel flüchtiger Zustände beherrscht Es 
gibt drei Stufen der Schönheit. Auf der untersten st^en 
die toten Formen, die ihre Bildung dem iWenschen oder der 
Natur verdanken, wie Paläste, wilde Gärten. Höher schon 
stehen bildende Formen, die sdbst andere bilden; Geist 
und Erfindungskraft. Was schön macht und nicht was schön 
gemacht ist, dem eignet die Fülle der Schönheit Über dem 
edlen formwirkenden Menschengetst, auf «der höchsten Stufe 
steht die Urschönheit die bildende Formen erschafft, Gott 
Häßlich an sich ist die träge, ordnungs- und gestaltungslose 
Materie. Der edelste Gegenstand der irdischen Kunst ist 
der Mensch in seinem Kampf und Sieg, die lebendige Dar- 
stellung seines vollkommenen Charakters. So preist Shaftes- 
bury mit den Denkmitteln Plotins eine shakespearische Schön- 
heit Sein Einfluß auch auf die Heroen der deutschen [Ach- 
tung ist groß ; seit seinen Schriften verbreitet sich die Formel 
von der harmonischen Einheit des Mannigfaltigen mehr und 
mehr. 

Die psychologisch-analytische ' Betrachtungsweise be- 
herrscht den 1725 veröffentlichten inquiry into the original 
of our ideas of beauty and virtue des Olasgower Professors 
Francis Hutcheson. Seine Vorrede erklärt, daß er die erste 
Anleitung den großen Schriftstelleni des Altertums verdanke 

KQlpe, ÄBtIietik. 3 



Digimed byCoO^^IC 



34 Aus der Geschidite der Ästhetik. 

und memt, es sei fast überflüssig, die Sdiriften des Lord 
Shaftesbury ausdrücklidi zu empfehlen. Seine Einleitung be- 
ginnt mit psychologischen Bestimmungen, die offenkundig 
von Locke stammen. Viele von den „einfachen Ideen" sind 
unmittelbar angenehm, viele unmittelbar unangenehm. Wenn 
hier individuell verschieden geuileilt wird, so liegt das an 
zufälligen Assoziationen, die sich mit ihnen verknüpfen. Man- 
chen Personen .erscheinen z. B. helle und glänzende Farben 
in der Kleidung unangenehm, weil sie die Neigung dazu 
für den Beweis einer leichtfertigen Gesinnung halten. Außer- 
dem ist die Empfänglichkeit der Sinne verschieden. Größeres 
Vergnügen als die dnfachen Ideen gewähren die zusammen- 
gesetzten Ideen schöner Gegenstände. Ein schönes Gemälde 
ergötzt mehr als eine einzige Farbe. Das Vermögen, Schön- 
heit und Übereinstimmung wahrzunehmen, wird in An- 
lehnung an Shaftesbury inneres Gefühl genannt. Feine Sinne 
genügen dazu nicht; es bedarf des edlen Geschmacks, des 
schönen Geistes. Gleichheit, Ebenmaß, Proportion zu ent- 
decken ist Einsicht des Verstandes, nicht der Augen. Nicht 
notwendig ist das Vergnügen mit der Vorstellung des Eben- 
maßes verbunden; es kann auch empfunden werden, wo wir 
kein Ebenmaß erkennen. Darum spricht man von innerem 
Gefühl, weil Erkenntnis von Verhältnissen nicht Ursprung 
des ästhetischen Genusses ist. Mit der Voraussicht von 
Nutzen oder Nachteil hat die Freude an der Schönheit nichts 
gemein; schöne Ideen sind notwendig und unmittelbar an- 
genehm. Das Verlangen danach ist nicht Begierde nach dem 
Besitz des schönen Gegenstandes. Solche Begierde könnte - 
durch Lohn oder Drohung unterdrückt werden, niemals aber 
das innere Gefühl, Hätten wir nichts von diesem Gefühl, 
so würden uns Häuser, Garten, Kleidung zwar schiddich, 
nützlich, bequem erscheinen, nie aber schön. ÜUe Sdiönheit 
ist entweder absolut oder relativ. Der Ausdruck absolute 
Schönheit will nicht besagen, daß sie unabhängig vom emp- 
findenden Geiste weiterbestünde. Absolute Schönheit wird 
an Gegenständen wahrgenommen, die ohne Vergleich mit 



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Hutcheson. 35 

anderen langen durch sich selbst wirken; relative Schön- 
heit ist der Schönheit anderer Gegenstände ähnlich oder 
nachgebildet. Bei einfachen Figuren beruht die absolute 
Schönheit auf der Verbindung von Einförmigkeit und Mannig- 
faltigkeit. Bei gleicher Einförmigkeit wächst die Schönheit 
mit der Mannigfaltigkeit; bei gleicher Mannigfaltigkeit aber 
entsprechend der Einförmigkeit. So übertrifft die Schönheit 
des r^ulären Fünfecks die des Quadrates. Doch geht das 
nicht ins Unübersichtliche fort. Umgekehrt übertrifft das 
Quadrat das Rechteck. Die Kinder wählen gern reguläre 
Figuren in ihren Spielen. Ebenso verhält es sich mit der 
Schönheit in der Natur. Die Gestalten der Weltkörper sind 
meist sphärisch und ihre Bahnen elliptisch. Der regelmäßige 
Wechsel von Tag und Nacht und Jahreszeiten, sowie die 
Raumverhältnisse der Himmelskörper zueinander rühren die 
Sternkundigen und erleichtem ihnen ihre verdrießlichen Rech- 
nungen. Lehrsätze, die in ihrer einfachen Formel unendlich 
viele besondere Wahrheiten enthalten, sind nach diesen Prin- 
zipien schön. Das gilt besonders von Newtons Gravitations- 
lehre. In der Wissenschaft kann die Liebe zur Einheit großen 
Schaden stiften, besonders in der Philosophie. Die relative 
Schönheit blüht vor allem in der Dichtung; sie schafft die 
im Regen niedergebeugte Pflanze zu einem Abbild der Trauer 
um, die verzehrende Flamme zum Sinnbild des Krieges. Ver- 
schiedene Spielarten der Schönheit können entstehen, je nach- 
dem der ursprüngliche oder der relative Faktor überwiegt. 
Häßlichkeit ist nach hlutcheson nur ein Mangel an Schönheit, 
die' wir an einem Gegenstande erwartet haben. Aber uns 
erscheint etwas auch auf Grund von Assoziationen unschön, 
wenn wir z. B. in einem wohlgeformten Gesicht schlechte - 
Eigenschaften zu erkennen glauben. Das Gefühl der Sdiön- 
heit ist bei allen Menschen gleich. Di« Gescbmacksurteile 
weichen voneinander ab, soweit individuelle Assoziationen 
den ästhetischen Eindruck verwirren. Hier smd die eng- 
lischen Metboden der Beobachtung und Vergleichung zur 
Herrschaft gelangt Ein glücklicher Anfang mit der empi- 



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36 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

fischen Untersuchung ästhetischer Tatbestände ist getnadit. 
Eine Begründung der Formen und Gesetze der Schönheit 
wird noch nicht versucht; die Methode ist deskriptiv. 

Eine objektiv nachweisbare Form als schöne Gestalt 
schlechthin anzugeben, unternimmt der berühmte Maler und 
Kupferatecher William Hogarth in seiner Analysis of Beauty 
(1753), der er Illustrationen zum Belege seiner Theorie bei- 
fügt. Als Bedingungen der sichtbaren Schönheit gibt Ho- 
garth an: 1. Zweckmäßigkeit der Teile, die geeignet sein 
müssen, die Absicht des Ganzen mitzuerfüllen. Geschlängelte 
Säulen mißfallen, weil sie zu wenig trägem erscheinen. 
2. Mannigfaltigkeit, die als geordnet zu denken ist. Sie ist 
nach Hogarth die wichtigste Bedingung. 3. Äußere Gleich- 
-förmigkeit — gefällt als solche nur, wenn sie der Zweck- 
mäßigkeit dient. 4. Einfachheit — gefällt nur in Verbindung 
mit der Mannigfaltigkeit. Darum haben ungerade Zahlen 
einen Vorzug vor den geraden, das Dreieck vor dem Viereck. 
(Hier widerspricht er Hutcheson.) 5. Größe — macht das 
Reizende prächtig. Sie muß Übertreibung meiden; sonst 
wirkt sie plump, schwerfällig, lächerlich. Schon fast experr- 
mentell stellt Hogarth Figuren zur Wahl, die er methodisch 
aus den einfachsten Geraden, Kreisen und Wellenlinien auf- 
baut. In seinem Geschmack ist Hogarth, in der Wahl seiner 
Formen von Michelangelo beeinflußt. 

Die psychologische Lehre der englischen Philosophen, 
namentlich Humes, beginnt ihre Früchte zu tragen in des auf- 
rechten Staatsmannes Edmund Burke philosophical inqutry 
tnto the origin of our ideas of the sublime and beautifui (1757). 
In der Einleitung, dem Versuch über den Geschmack, sucht 
Burke zu zeigen, daß es allgemeine, für jedermann geltende 
Grundsätze dafür geben müsse, da die natürlichen Fähig- 
keiten des Menschen, Sinne, Phantasie und Urteilskraft große 
Übereinstimmung aufweisen. Scheinbare Abweichungen lassen 
sich oft leicht erklären. Wenn die Türken Opium lieben, 
während wir es verabscheuen, so geschieht jenes dort wegen 
der angenehmen Rauschwirkung, hier dieses wegen des 



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Burice. 37 

bitteren Geschmadcs. Die Begabung mit Phantasie ist gra- 
duell verschieden stark, Sensibilität und Aufmerksamkeit sind 
ungleich erregbar. Obung und Verstand sind sehr verschieden 
stark entwickelt. Um die Bedingungen unserer ästhetischen 
Erlebnisse auszumachen, entwickelt Burke eine physiologisch 
unterbaute psychologische Theorie. Die von der Wirklich- 
keit erregten Gemütsbewegungen sind den künstlerisch an- 
geregten weit überlegen. Aber das Kunstwerk kann diese 
Eindrücke durch Wiederholung steigern. Lust und Schmerz 
sind beide positive Empfindungen, die aus Befriedigung oder 
Nichtbefriedigung von Trieben hervorgehen. Zwei Gnind- 
triebe sind der Selbsterhaltungstrieb und der Geselügkelts- 
trieb. Was dem ersten widerstrebt, erregt vornehmlich 
Schmerz. Trotzdem können Schrecken und Tod uns in ge- 
wissen Entfernungen und mit gewissen Einschränkungen 
entzücken. Aufhebung von Schmerz und Gefahr bewirkt ein 
anderes Gefühl als positive Lust, nämlich Beruhigung. Auf- 
hebung von Vergnügen bereitet nicht geradezu Schmerz, 
sondern Gleichgültigkeit oder Betrübnis. Dem Ungeheuren 
und Gewaltigen wohnt ein ästhetischer Reiz inne, den wir 
als Erhabenheit bezeichnen, sobald wir nur die Vorstellung 
von Gefahr und Schmerz haben, ohne von solchen Zu- 
ständen bedroht zu sein. Das Gefühl des Erhabenen ist 
staunende Bewunderung und Ehrfurcht. Das Erhabene weckt 
also Lust durch Erregung des Selbsterhaltungstriebes ohne 
ernstliche Gefahr für die Selbsterhaltung. Dagegen sind 
alle Eigenschaften der Dinge, die uns lusterfüllte Gesinnung 
des Wohlwollens, der Zärtlichkeit und ähnlicher Neigung 
des Geselligkeitstriebes einflößen, schön. Nicht die ego- 
istischen sondern die sympathischen Triebe werden hier 
anger^t, jene Triebe, die an Freundschaft, Umgang und 
Unterhaltung Befriedigung und Vergnügen finden, die sich 
an den sanften Retzungen aller Sinne entflammen. Darum 
erscheint auch dem erregten Fortpflanzungstriebe das andere 
Geschlecht schön. Was klein, zart, glatt, weich, rund, rein, 
glänzend, farbensatt ist, wirkt schön, eben weil es in uns 



sdbvGoogIc 



38 Aus der Geschiclite der Ästhetik. 

jene sanfte Bewe^heit der Sinne und der Sympathie hervor- 
ruft. Zwischen Erhabaiheit und Schönheit gibt es noch eine 
Mittelgattung: Schönheit an Gegenständen gröSerer Aus- 
dehnung, die Pracht ist. An diese Analyse schließt sich ein 
Versuch, die psychologischen Begleiterscheinungen zu be- 
schreiben. Die Erschütterung, in die uns Erhabenheit ver- 
setzt, reinigt die Gefäße von beschwerlichen Verstopfungen 
und erregt dadurch eine Art wohlgefälligen Schauers. Schön- 
heit bewirkt ein Nachlassen aller gespannten Teile, eine 
Empfindung von süBer Ermattung. Lessing und Kant haben 
diesen Versuch Burkes warm anerkannt. Lessing trug sich 
mit der Absteht, Burkes Schrift ins Deutsche zu übersetzen 
und mit eigenen Zusätzen zu versehen. 

Das ästhetische Werk Henry Homes hat Dilthey mit 
Recht als die reifste und vollständigste Untersuchung des 
18. Jahrhunderts über das Schöne bezeichnet. Seine Elements 
of criticism veröffentlichte dieser Freund David Humes 1762. 
Das Werk beginnt mit einer Unterscheidung höherer und 
niederei* Sinne. Gesichts- und Gehörseindrücke sind feiner, 
seelischer als Geruchs-, Geschmacks- und Tastempfindungen. 
Ihre Ergötzungen stehen zwischen denen des Verstandes 
und denen der niederen Sinne — maßvoll und sanft anregend 
üben sie heilsamen Einfluß. Die schönen Künste schaffen 
ihnen besondere Reize. Die Empfänglichkeit dafür, der Ge- 
schmack ist der Pflege und Vervollkommnung Fähig und be- 
dürftig. Die Wissenschaft einer rationalen Kritik ist nur 
dazu da, die Grundsätze zu entwickeln, nach denen wir 
Oeschmacksurteile fällen und damit die Grundursachen der 
schönen Künste zu entdecken. Diese Regeln müssen der 
menschlichen Natur entnommen werden. Hierbei muB man 
von Erfahrungen stufenweise zu den Grundsätzen aufsteigen. 
— Die Seele hat eine Tendenz, Vorstellungen in natürlicher 
Ordnung zu verfolgen. Sie fällt mit dem schweren Körper, 
fließt mit dem Flusse, steigt auf mit Feuer und Rauch. An 
solcher Ordnung, solchem Zusammenhang finden wir Ver- 
gnügen. Sobald wir gegen die Ordnung den Vorstellungs- 



sdbvGoOglc 



verlauf herstellen wollen, empfinden wir eine unangenehme 
Art von rückläufiger Bewegung. Jedes Werk der Kunst, 
das sich dem natürlichen Verlauf unserer Vorstellungen ge- 
mäß verhält, ist insofern angenehm. Darum müssen seine 
einzelnen Teile untereinander und mit dem Ganzen in ge- 
höriger Verbindung stehen. Wesentliche Teile müssen mit 
dem Ganzen in innrere Verbindung gesetzt werden als 
imwesentliche Episoden; was besonders für den epischen 
Dichter gilt — Nach den Gesetzen der Assoziation macht 
ein Gegenstand, der uns angenehm ist, auch jedes CNng, 
das innig mit ihm verbunden werden kann, angenehm. Darum 
übertragen wir die Wertschätzung, die wir ausgezeichneten 
Männern widmen, so leicht auf ihre zufälligen Eigensdiaften 
und Handlungen und suchen sie nachzuahmen. Der Wert 
kann aber nur vom Wesentlichen auf. das Zufällige und nicht 
umgekehrt übertragen werden. Ein schöner Handschuh 
macht die Person, die ihn trägt, noch nicht schön. Die Ge- 
mütserregungen knüpfen sich nicht nur an die wahmehm- 
bare Gegenwart eines Vorganges oder G^enstandes, son- 
dern auch an deren ideale Gegenwart. Kese ist eine wirk- 
liche Vergegenwärttgung früherer Erlebnisse, mehr als eine 
flüchtige Erinnerung; sie ist gewissermaßen ein Traum im 
Wachzustande, in dieser idealen Vergegenwärtigung gibt 
es viele Grade der Lebhaftigkeit, durch die sie sich teils 
der Wahrnehmung, teils der reflektierenden Erinnerung an- 
nähern kann. Diese Grade der Lebhaftigkeit hängen mit 
von der Intensität der erregten Emotionen ab. Die Leb- 
haftigkeit der idealen Gegenwart hängt nicht von dem Nach- 
denken über Wahrheit oder Ecdichtung ab, weil die ideale 
Gegenwart selbst nicht davon abhängig ist, sobald sie einmal 
zustande, gekommen ist. Eine Theateraufführung kann uns 
am stärksten den Eindruck idealer Gegenwart hervorzaubern; 
ihr zunächst steht das Gemälde, am schwächsten wirkt die 
Lektüre. Dafür ist die Malerei auf die Darstellung eines 
Augenblicks eingeschränkt, während die Dichtung Handlung, 
Begebenheit und Entwiddung in der Zeit glaubhaft ver- 



ivGoogIc 



40 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

gegenwärtigt. Dieser Gedankengang steht einem bekannten 
Lessingischen sehr nahe. Lebhafte ideale G^enwart wird 
vor allem da entstehen, wo ein organischer Zusammenhang 
alle Einzelheiten sorgfältig verknüpft; ein unglaubhaftes In- 
grediens reißt uns aus der Verzauberung, die uns gefangen 
hielt. — Treffen Emotionen aus verschiedenen Ursachen 
zugleich in der Seele zusammen, so verstäricen sich die gleich- 
artigen, während etwa Fröhlichkeit und Trauer sich nicht 
vereinigen. Gleichzeitige Erregung verschiedener Sinne durch 
eine Landschaft voll Blumenduft und Vogelgesang ver- 
stärkt den Gesamteindruck über die Wirkung jeder Einzel- 
heit hinaus. Eine Harmonie der Emotionen zeigt sidi vor- 
nehmlich da, wo Ursachen von größerer Verschiedenheit 
gleichartige Emotionen erregen. Viele Emotionen haben eine 
eigentümliche Ähnlichkeit mit ihren Ursachen ; eine träge Be- 
wegung stimmt uns selbst matt und unlustig. — In dem 
Streif der Qeschmacksurteile kann wissenschaftlich nur ent- 
scheiden wollen, wer von der gleichartigen und gemein- 
schaftUchen Veranlagung der menschlichen Gattung über- 
zeugt ist. Jeder hält zunächst sein Geschmacksurteil für 
übereinstimmend mit den allgemeinen menschlichen Urteils- 
grundlagen; und tatsächlich spürt auch eine rohere Natur 
etwas von reinerem, mensdilicheren Verhalfen. Selbst wenn 
sie eigentlich nur an niederen Vergnügungen Geschmack 
findet, gesteht sie doch oft, der künstlerische Geschmack 
sei der. edlere. Wir werden also die wahren Regeln des Ge- 
schmacks nicht bei den Wilden suchen, sondern bei den ver- 
feinertenNationen,:Undauch dort werden wir uns an erfahrene 
und nachdenkliche Menschen von gereifter Erziehung wen- 
den. — Bei Gegenständen des Gesichts und des Gehörs 
unterscheiden wir deutlich deren angenehme oder unan- 
genehme Beschaffenheit von den Gefühlen der Lust oder 
Unlust, die sie in uns erregen. Bei den anderen Sinnen 
verwischt sich dieser Unterschied. Eine angenehme Erschei- 
nung des Gegenstandes nennen wir Schönheit, eine un- 
angenehme Häßlichkeit. Ist nun die Schönheit, die wir den 



sdbvGoogIc 



Home. 41 

Dingen zuschreiben, eine primäre oder eine sekundäre Eigen- 
schaft? Schönheit ohne jemanden, der sich ihrer freut, kön- 
nen wir uns gar nicht vorstellen. Auch kann, was einem 
schön erscheint, einem anderen häßlich vorkommen. Sie 
ist demnach eine sekundäre Qualität, aber wie alle sekun- 
dären Qualitäten auch vom Gegenstände abhängig. Aus der 
Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt entsteht die 
Lust an der Schönheit, die als liebliche Heiterkeit gekenn- 
zeichnet wird. — Schön erscheinen uns schon gewisse Ele- 
mente, die in ihrer Zusammensetzung gesteigerten Eindruck 
machen. Die lebhafte und glänzende Farbe von Silber und 
Gold trägt zu dem hohen Werte bei, den wir diesen Me- 
tallen beilegen. Schönheit der Gestalt entspringt aus Ein- 
förmigkeit, Verhältnismäßigkeit und Ordnung. Diese Mo- 
mente erleichtem die Vorstellung von Gegenständen. Im 
Gegensatz zu Hutcheson findet Home ein Quadrat schöner 
als ein reguläres Sechseck, weil sich bei letzterem die Auf- 
merksamkeit mehr zersplittere, die Auffassung erschwere. 
Eines Rechtecks Schönheit beruht auf dem Verhältnis der 
Seiten; sind diese voneinander zu wenig verschieden, so 
sieht das Rechteck wie ein mißratenes Quadrat aus. Zu 
Kunst. Doch taugt das Prinzip der Einheit in der Mannigfaltig- 
verwirrt und verhindert einen nachhaltigen Eindruck. Auf 
einem Gemälde, wo ein Gegenstand den Beschauer besonders 
stark einnimmt, stören allzu mannigfache Zierate. In der 
Natur vertragen wir größere Mannigfaltigkeit als in der 
Kunst. Doch taugt das Prinzip der Einheit in der Mannigfaltige 
keit nicht allein zum ästhetischen Grundprinzip, es müssen 
die Förderungen, die oben aufgestellt wurden, mitberück- 
sichtigt werden. Einheit in der Mannigfaltigkeit gibt es audi 
an häßlichen LMngen, — Größe allein macht auch noch keine 
Erhabenheit. Dazu gehört Regelmäßigkeit, Ordnung oder 
sonst Merkmale der Schönheit. Ein erhabener Gegenstand 
beschäftigt die ganze Aufmerksamkeit und erfüllt die Seele 
mit starken Stimmungen, die mehr ernsthaft als fröhlich 
sind. Die Merkmale der Schönheit bauen zwar den Eindruck 



^dbvGooglc 



^2 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

der Erhabenheit mit auf, finden aber keine große Sonder- 
beachtung und treten im Eindruck nicht so deutüdi erkain- 
bar hervor. Oegenstände, die ähnliche Emotionen hervor- 
rufen wie erhabene Gegenstände, Edelmut etwa, nennen 
wir nach dem Prinzip der Wertübertragung gleichfalls er- 
haben. Ein Kunstwerk wird nicht erhaben wirken, wenn 
die Darstellung sich in Einzelheiten verliert. Demut und 
Ehrfurcht sind mittelbare Wirkungen des Erhabenen. — 
Anmut und Würde nimmt Home als ausschließliche ästhe- 
tische Attribute des Menschen in Anspruch. Anmut ist der 
Ausdruck einer schönen Seele, Würde Ausdruck einer er- 
habenen Gesinnung. Home unterscheidet verschönernde 
Künste, wie Gartenbaukunst, nachahmende wie Plastik und 
Malerei, schöpferische wie Architektur, Dichtung und Musik. 
Der größte Teil des zweiten Bandes enthält eine Poetik. 
Ein eigenartiger Vertreter der assoziationspsycholog^- 
sdien Ästhetik ist Arch. Alison mit seinen Essays on the 
nature and prindples of taste (1790). Ästhetischer Genuß ist 
nach Him nur da möglich, wo die erregte Phantasie in freiem 
Spiel den ursprünglichen Eindruck bereichert, und zwar 
müssen die so durch einen assoziativen Faktor bereicherten 
Vorstellungen Stimmungen des Gemüts erwecken. Die her- 
beiströmenden Emotionsideen müssen sich alle einer be- 
herrschenden Grundstimraung einfügen. Mit seiner konse- 
quenten £>urchführung dieser Ansicht hat sich Alison einen 
Platz in der Geschichte des Begriffs vom „assoziativen Fak- 
tor" gesichert. Er ist der Vorläufer der zahlreichen Ästhe- 
tiker geworden, die nur in der spielenden, denkenden, er- 
gänzenden Phantasietätigkeit den Grund für die dgentüm- 
iich ästhetischen Wirkungen eines Gegenstandes erblicken. 
Daneben ist er bemüht gewesen, besondere Merkmale aus- 
findig zu machen; die Reproduktionen als ästhetisch charakte- 
risieren. Gerade dieses Bestreben, das auch Home teilt, 
zeichnet diese englischen Ästhetiker vcfr ihren Vorgängern 
in bemerkenswerter Weise aus und bedeutet grundsätzlich 
den Abschluß für die Lehre vom assoziativen Faktor. Beide, 



sdbvGoogIc 



Alisoo. 43 

Home sowohl wie Alison, sehen den ästhetischen Wert des 
letzteren in einem gewissen Zusammenhang der reprodu- 
zierten VoreteHungen. Das Verdienst dieser Versuche kann 
unsere historische Skizze nicht besser ans Licht stellen als 
durch die Erklärung, daß selbst Fechner in dieser Hinsicht 
hinter ihnen zurückgeblieben ist. 

Literatur. 
V. Stein, Die Entstehung der neueren Ästhetik. Stuttgart 1886. 
V. Dankelmann, Charles Batteux. Ijostock 1902. 
Wohlgemutli, Homes Ästhetik. Rostock 1894. 
Neumann, EHe Bedeutung Homes für die Ästhetik. Halle (Diss.) 

1894. 
Fowler, Shaftesbuty and Hutdieson. London 1882. 
Scott, Francis Hutdieson. Cambridge 1900. 
Lotze, Geschichte der Ästhetik in Deutschland. München 186& 
Sommer, Orundzüge einer Oeschidite der deutschen Psychologie und 

Ästhetik. Würzburg 1892. 
V. Hartmann, Die deutsche Ästhetik seit Kant. Berlin 1886. 

Diese Uatersuchungen können unmittelbar zur modernen 
empirischen Ästhetik hinüberleiten, für die sie einen weit 
fruchtbareren Ausgangspunkt bilden als Kant und die nach- 
kantische deutsche Ästhetik. Schon Kants Interesse ist vor- 
wiegend auf die Frage nach Prinzipien a priori gerichtet. 
Bei Schiller, Schelling, Hegel und Schopenhauer treten speku- 
lativ-metaphysische Gesichtspunkte immer mehr in den 
Vordergrund. Wie im Neopiatonismus fällt die Ästhetik hier 
ganz in den Bann der Metaphysik zurück; von einer selb- 
ständigen Wertung der ästhetischen Objekte ist daher nicht 
m^hr die Rede. In der romantischen Ästhetik kehrt die 
spätantike Lehre von der Beseelung, vom inneren Leben, 
vom unmittelbaren Ausdruck der Idee wieder, deren Prin- 
üpien wir dort begegnet sind. Schließlich ist die Fülle des 
Stoffes dieser metaphysischen Ästhetik zu reich; in unserem 
einleitenden Überblick müßte dne Auseinandersetzung mit 
all diesen Systemen allzu fragmentarisch ausfallen. Mit 
Fechner bricht ein neuer Strom empirischen Forschens herein. 



sdbvGoogIc 



44 Alis der Geschichte der Ästhetik. 

Fechner, der Begründer der experimentellen Psycho- 
logie ist auch zum Begründer der experimentellen Ästhetik 
geworden. Er stellt einander gegenüber eine Ästhetik vdo 
oben und dne Ästhetik von unten und betrachtet letztere, 
die empirische Ästhetik, als notwendige Vorstufe zur ersteren, 
der phik>sophischen Ästhetik. Im weitesten Sinne hetBt ihm 
schön alles, was unmittelbar gefällt, im engeren (ästhetischen) 
Sinne nur, sofern es höhere als bloß sinnliche Lust unmittel- 
bar aus Sinnlichem schöpfen läßt, im engsten ^nne schließ- 
lich, wenn es zugleich sittlich wertvolle Lust weckt. Mit 
einem ' Prinzip erklärt Fechner in der Ästhetik nicht aus- 
reichen zu können. Er stellt zwei quantitative Prinzipien 
auf, erstens das der ästhetischen Schwelle, zweitens das 
der ästhetischen Hilfe. Oberster Formalprinzipien kennt er 
drei, deren erstes ist das Prinap der einheitlichen Ver- 
knüpfung des Mannigfaltigen, ihr zweites das Prinzip der 
Klarheit, ein letztes das Prinzip der Wahrheit. I^ese sind 
zugleich primäre qualitative Funktionszusammenhänge^ Ge- 
setze. Endlich dient ihm als sekundäres Prinzip das Asso- 
ziationsprinzip. 

Das Prinzip der ästhetischen Schwelle besagt, daß die 
Lust- und Unlustbedingungen ein gewisses Quantum er- 
reichen müssen, um die Lust- und Unlustschwelle zu über- 
schreiten. 

Das Prinzip der ästhetischen Hilfe besagt, daß aus dem 
widerspruchslosen Zusammentreffen von Lustbedingungen, 
die für sich wenig leisten, an größeres Lustresultat hervor- 
geht, als dem Lustwerte der einzelnen Bedingungen für sich 
entspricht. 

Das Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mann^- 
faltigen muß erfüllt sein, wenn der Mensch an der rezeptiven 
Besciiäftigung mit dem Gegenstände soll Gefallen finden 
können. 

Nach dem Prinzip der Widerspruchslos^keit, Einstim- 
migkeit oder Wahrheit gefällt es uns, wenn versdiiedene An- 
lässe, dieselbe Sache vorzustellen, auf eine übereinstimmende 



D.cil,zsdbyG0(>t^lC 



Fechnw. 45 

Vorstellung führen. Engelflügel müssen so gemalt werden, 
daß wir sie uns als wirkliche Mi'ttel zum Fliegen vorstellen. 

Nach dem ästhetischen Assoziationsprinzip trägt die beim 
Ansdiauen einer Sache geweckte Erinnerung an Gefallen- 
des oder Mißfallendes zum ästhetischen Eindruck der Sache 
bei. Darauf gründet sich die Unterscheidung des direkten 
und des assoziativen Faktors im ästhetischen Eindruck. 

Niemand bezweifelt, daß Farben, Formen und Töne 
und selbst deren Verhältnisse uns unabhängig von Sinn, 
Bedeutung, Zweck, Erinnerung auf Grund direkter Ein- 
wirkung mehr oder weniger gefallen können. Diese direkte 
Wirkung beruht auf anschaulicher Einh^t des Mannigfaltigen, 
auf Fülle und Reinheit der Töne, Olanz, Reinheit und Sätti- 
gung der Farben. Der assoziative Faktor kann die' Gefällig- 
keit des direkten je nachdem steigern oder stören. In ver- 
schiedenen Künsten wirken die beiden Faktoren verschieden 
stark. Nach dem Prinzip der ästhetischen Hilfe steigern 
sich Wohlgefälligkeiten beider Faktoren. Vielfach läßt der 
assoziative Faktor einen Spielraum, innerhalb dessen der 
gefälligere direkte Faktor dem mißfälligeren vorgezogen wird. 
Zuweilen wird auch dem direkten Faktor ein Opfer gebracht. 
Es ist falsch, auf die Bedeutungslosigkeit des direkten Faktors 
zu schließen, weil er zumeist dem assoziativen untergeordnet 
wird. 

Weiter hat Fechner noch eine Rdhe anderer Prinzipien 
aufgeführt, wie Kontrast, Übung, Gewöhnung. 

Fechners Verdienst liegt nicht in der Systembildung, 
er hat empirisch wissenschaftliches Verfahren in der Ästhetik 
gefördert. Das führt einmal zur Anwendung des Experi- 
ments, dann zur Abstraktion einzelner Gesetze aus der Be- 
obachtung des ästhetischen Verhaltens. Damit hat er die Be- 
strebungen der Engländer aus dem 18. Jahrhundert, nament- 
lich Homes wieder aufgenommen, die sehr zum Schaden 
der wissenschaftlichen Erkenntnis so ganz vernachlässigt ge- 
blieben waren. Die Ästhetik der Gegenwart hat die Auf- 
gabe, den systematischen Gesichtspunkt mit dem einzel- 



sdbvGoOglc 



46 Aus der Geschichte der Ästhetik. 

wissenschaftlidien zu verbinden. Fechner war ^'ch wohl 
bewußt, erst die Anfangsgründe gelegt zu haben. Er hat 
einen Nachfolger auf diesem schwier^en Gebkt erwartet. 

Literatur 
Zimmermann, Oeachidite der Ästhetik. Wien 1858. 
Schasler, Kritische Geschichte der Ästhetik, ßeriin 1872. 
Knight, The Philosophie of BeautifuL London 1895. 
Saintsbury, A histoiy of criticism and literary taste in Europe. Edio- 

bou^ und London 1900. 
L£vSque, La science du Beau. Paris 1862. 
Croce, Estetica. Bari 1908. 



Digimed bvGoOgIC 



Die Ästhetik im System der Wissenschaften. 

Die Ästhetik als Wissenschaft vom schönheitsempfäng- 
liehen Verhalten und seinen Gegenständen, von deren Wert 
und Wirkung ist eine primäre, eine Einzelwissensdiaft Daß 
man sie heute noch zur Philosophie zahlt, ändert daran nichts 
und steht damit nicht im Widerspruch. Sie befindet sich in 
der Loslösung von der Vormundschaft der Mutter Philo- 
sophie, wie die Psychologie und die Soziologie auch, wie 
■ früher einmal die Naturforschung. Die Normen der Ästhetik 
machen diese Wissenschaft nodi nicht zu einer philosophi- 
schen Wissenschaft; mit ihren Idealen und Prinzipien ragt 
freilich die Ästhetik schließlich in die Metaphysik hinein, 
aber das teilt sie mit so ausgesprochenen Einzelwissen- 
schaften, wie Mechanik oder Staatsrecht. 

Fragt man, ob die Ästhetik ausschließlich zu den phäno- 
menok^chen Wissenschaften, zu den Real- oder zu den 
Idealwissenschaften zu rechnen sei, so wäre zu antworten, 
daß sie an allen diesen Gesichtspunkten teilnehmen kann. 
Ihr Gegenstand läßt sich als bloßes Phänomen fassen, als 
eine Gegebenheit, der gegenüber Kriterien körperlicher oder 
geistiger Realität gar nicht angewandt zu werden brauchen. 
Wer m ein Kunstwerk versunken ist, scheidet nicht zwischen 
sich und dem Objekt. Wo aber dann das Ich und sein Gegen- 
stand einander gegenübertreten, da geschieht das in naiv- 
vergegenständlichender Weise. C^es Erlebnis, so wie es 
wirklich ist, wird dann zum Gegenstand der ästhetischen 
Analyse. Eine Methode, die das Wesen des ästhetischen 
Erlebnisses vergegenwärtigen will, ohne auf die Einzelfälle 
seines psychischen Vollzugs zu achten, ist mit besonderem 



sdbvGoogIc 



48 Die Ästhetik im System der Wissenschaften. 

Feinsinn von der Husserlschen Schule als phänomenologische 
ausgebildet worden. 

Aber auch der realwissenschaftliche Gesichtspunkt kann 
angewandt werden. Eine Ästhetik, die sich seiner bedient, 
wird sich nicht zu den Naturwissenschaften zählen sondern 
zur Psychologie, also zu den Geisteswissenschaften. Das 
ästhetische Verhalten beruht zum großen Teil auf psychischen 
Faktoren, wie Vorstellungen, Gefühlen, Urteilen, Phantasie 
und unterliegt insofern der psychologischen Realisierung. 
Aber auch leibliche Erregung spielt herein; man denke nur 
an den Einfluß der Körperhaltung in manchem rezeptiven 
Verhalten. Hier erhält die Psycboph)rsyc das Wort 

Schließlich kann man auch die idealwissenschaftliche 
Betrachtungsart in der Ästhetik zur Geltung bringen. Dann 
wird ihr Gegenstand, wie wir sahen, ein kleales, vollent< 
faltetes ästhetisches Verhalten, wie es nur in seltenen Fällen 
verwirklicht wird.' Zum Unterschiede von der Mathematik, 
die lediglich formale Bestimmungen vergegenständlichf, 
idealisiert solche Ästhetik materiale Bestimmungen. Dabei 
ist sie aber nicht wertindifferent, wie etwa die theoretische 
Physik. Blicken wir von hier zurück, so ergibt sich, daß 
alle einzelnen wissenschaftlichen Betrachtungswosen in der 
Ästhetik anwendbar sind. Der Streit der Ansprüche erwdst 
sich hiemach als Versuch, eine erazige von ihnen als aus- 
schließlich verwertbare darzutun. Die Ästhetik ist nicht nur 
Phänomenologie, aber sie kann phänomenologisch behandelt 
werden. Sie ist nicht nur Psychologie, aber diese ist be- 
sonders mit ihren Methoden stark an ihrem Ausbau betaligt. 
Sie ist nicht nur Wert- und Normwissenschaft, aber sie 
muß auch in dieser Richtung ausgebaut werden. Der psycho- 
logische Ästhetiker hat durchaus recht, wenn er die Be- 
rechtigung seiner Forschungsarf verficht, auch der phäno- 
menologische Ästhetiker kann dies beanspruchen. Um aber 
einen methodisch glücklichen Ausgangspunkt zu gewinnen 
und soviel systematische Geschlossenheit, wie zwanglos tun- 
lich, zu erreichen, müssen wir aus der Analyse des ästhe- 



sdbvGoOglc 



Ästhetik und PsyclwA^e. 49 

tischen Verhaltens die drei dargetanen Gesichtspunkte ab- 
leiten. 

Wenn wir die in der Literatur hervorgetretenen Be- 
trachtungen über die Aufgaben der Ästhetik und ihre Stel- 
lung im System der Wissenschaften untersuchen, so finden 
wir folgendes geltend gemacht: 

Die Ästhetik sei eine psychologfeche Wissenschaft; da- 
hin gehörten ihre Gegenstände und Methoden. Das Schöne 
ist nach Segal in erster Linie ein Erlebnis und als solches 
Gegenstand der Psychologie. Die Eigentümlichkeit des ästhe- 
tischen Zustandes kann darum nur durch psychologische 
Analyse und einen Vergleich mit außerästhetischen Zuständen 
gefunden werden. Auch die Ursachen des ästhetischen Zu- 
Standes können nur psychologisch bestimmt werden. Die 
sogenannten ästhetischen Werte sind ihm nur Schätzungen 
subjektiver Art, aus psychologisch feststellbaren Wertungen, 
unserem Arierkennen und Verwerfen, unserem Gefallen und 
Mißfallen hervorgegangen. Allgemeingültige Normen, nach 
denen wir uns zu richten hätten, objektive Werte, die wir 
trotz unseres Mißfallens anzuerkennen hätten, gibt es nicht 
auf ästhetischem Gebiet. Schön ist, was gefällt, schöner, 
was vorgezogen wird. Normen sind bestenfalls psychische 
Naturgesetze, für das, was gesetzmäßig (Verschiedenen Ver- 
schiedenes) gefällt. 

Alles, was hier hervorgehoben wird, zeigt doch nur, daß 
die Psychologie an der Ästhetik nicht unbeteiligt ist, aber 
nicht, daß sie schlechthin in Psychologie aufgeht. Sobald 
wir zwischen gutem und schlechtem Geschmack, zwischen 
grober und feiner Empfänglichkeit, zwischen richtigem und 
unrichtigem ästhetischen Urteil scheiden, überschreiten wir 
die Grenzen der Psychologie. Das Werten fällt gewiß hinein, 
aber nicht die Beurteilung des Ergebnisses einer solchen 
Wertung als eines richtigen oder unrichtigen. Nun kann 
man freilich dadurch einen Ausweg zu finden suchen, daß 
man von vornherein nur den Geschmack einer ästhetisch 
gebildeten Minderheit zum Ausgangspunkt für die psycho- 

Külpe, ÄBthetik. 4 



sdbvGoOgIc 



so EHe Ästhetik im System der Wissensdiaften. 

logisch-ästhetischen Untersuchungen macht. Aber damit wird 
das Problem nur zurückgeschoben. Um zu bestimmen, wer 
zu einer solchen Minderheit gehört, muß man doch schon 
eine Norm oder Wertskala zur Verfügung haben. Außerdem 
kann die Minderheit auch irren. So wichtig es ist, die wirk- 
lichen Wertungen kennen zu lernen, damit ist doch die ganze 
Aufgabe der Ästhetik noch nicht bezeichnet. 

Daß die psychologische Ästhetik noch in anderer Rich- 
tung ihre Grenzen hat, ist namentlich von Meumann be- 
hauptet worden. Er weist auf die objektive Ästhetik hin, 
die von den Werken der Kunst und der schönen Natur aus- 
geht und sie im Sinne Sempers vergleichend-genetisch be- 
trachtet. Zu dieser Richtung sind auch Cornelius, Volkmann, 
Waetzold, Voll zu rechnen. Einer vergleichend-ethnologi- 
schen Methode huldigen E. Grosse und Wundt. Schließlich 
ist Raum genug für eine kultDrhistorische Würdigung. Unter 
ästhetischer Kultur versteht Meumann die geschmackvolle 
Durchbildung unserer gesamten Daseinsform; so erfaßt die 
ästhetische Kultur Körper und Kleidung, Haus und Garten, 
samt allem Werkzeug. Danach unterscheidet Meumann vier 
Aufgaben der Ästhetik: Einmal eine Psychologie des ästhe- 
tischen Genießens, sodann eine Psychologie des künstle- 
rischen Schaffens, femer die Theorie der Künste, schließlich 
eine Lehre von ästhetischer Kultur. 

Zusammengefaßt werden diese Aufgaben in eine Lehre 
vom ästhetischen Verhalten, als eines eigenartigen Verhaltens 
von Menschen zur Welt, in eine Wissenschaft auch von den 
Produkten dieses Verhaltens. Wie man sieht, wird dadurch 
die Ästhetik als Geisteswissenschaft bestimmt, der die Psy- 
chologie eine Fülle von Tatsachen und Forschungsmitteln 
erschließt. 

Aus den oben erwähnten Gründen gilt anderen Denkern 
die Ästhetik geradezu als Werfwissenschaft, die Normen auf- 
stellt. Maßgebend wären diese Normen für das ästhetische 
Urteil (eben für eine besondere Art von Werturteilen), rich- 
tunggebend auch für das künstlerische Schaffen, das wert- 



sdbvGooglc 



Ästljetik und Wertwissenschaft. 51 

volle Werke wirken will. Sie machen geltend, daß eine 
streng psychologische Ästhetik ein Unding sei, da sie alle 
ästhetischen Urteile und Erzeugnisse als gleichwertig be- 
handeln müßte. Sie weisen darauf hin, daß die ästhetischen 
Urteile selbst noch wieder bewertet werden müssen und- 
nicht einfach als letzte Data hinzunehmen sind. Ebenso 
betonen sie, wie Naturschönheit und Kunstwerke von sehr 
verschiedenem ästhetischen Wert sind. Mögen diese Werte 
auch dem entwicklungsfähigen Kulturmenschen erst mit der 
Zeit aufgehen, so ändert das nichts an der Aufgabe, die 
üblichen Schätzungen auf letzte Normen zurückzuführen. 
Einen solchen Wertmaßslab sucht Volkelt in den Grund* 
bedürfnissen der menschlichen Natur. Er glaubt davon fol- 
gende ausmachen zu können: wir verlangen nach gefühl- 
erfülltem Anschauen, nach Ausweitung unseres fühlenden 
Vorstellens, nach Herabsetzung des Wirklichkeitsgefühls. 
Freilich scheint mir damit nicht viel gewonnen zu sein. 
Diese Angaben sind zu unbestimmt und lassen ganz ver- 
schiedene Urteile über denselben Eindruck als gleichberech- 
tigt erscheinen. Was dem Einen gefühlerfüllte Anschauung 
vermittelt, läßt den Anderen ganz kalt. Mit solchen Normen 
haben wir kein Mittel gewonnen, um die verschiedenen 
Urteile über dieselben Werke selbst wieder bewerten zu 
können. 

Ein anderer Weg, um Normen zu begründen, ist die 
Analyse der tatsächlichen Werturteile, die über Kunstwerke 
gefällt werden. Dabei wählt man zweckmäßig vielfach an- 
erkannte, sorgfältig begründete, auf genauer Beobachtung 
beruhende Werturteile, wie sie in den Kritiken von Be- 
rufenen vorliegen. Damit ist noch nichts über die Richtigkeit 
ihrer Urteile ausgemacht; aber es entspricht einer verstän- 
digen Gewohnheit, sich mehr an die Urteile geübter Sach- 
verständiger zu halten,* als an die beliebige Meniung un- 
erfahrener Laien. Die vergleichende Analyse solcher Kritiken 
ist leider noch fast gar nicht in Angriff genommen worden. 
Man wird an Schillers Besprechung des Egmont denken und 



D,s,i,z.db>.CoOglc 



52 Die Ästhetik im System der Wissenschaften. 

sich fragen, ob in anderen Kritiken großer Rezensenten 
gleiche Prinzipien vorausgesetzt werden. 

Auch ein anderes Verfahren der Normergründung, die 
Analyse hervorragender Kunstwerke, ist noch wenig an- 
gewandt worden. Hier müßte es gleichfalls möglich s«n, 
durph vergleichende Analyse gewisse letzte Prinzipien auf- 
zufinden und Werte, die von den KÜnsflem realisiert wor- 
den sind. 

Die ästhetischen Objekte sind uns um ihrer selbst willen . 
wert. Ihr Eigenwert wird im ästhetischen Veiiialten auf sie 
gelegt, wo empfängliches' Interesse und Gefallen sich ihrer 
merklichen Beschaffenheit zuwendet Sicher hat solche Wer- 
tung sich einmal entwickelt. Was uns anfangs Fremdwert 
war, ist schließlich Eigenwert für uns geworden. Dem ästhe- 
tisch Unerzogenen ist heute noch die Nebenwirkung der 
schönen Dinge wert; er sucht im Roman Unterhaltung, Be- 
lehrung, im Theater die Ausspannung. Wir aber messen 
den ästhetischen Gegenständen unbedingten Wert zu. Das' 
bedeutet; wir bezeichnen einen solchen Gegenstand als ab- 
solut wertvoll, sofern er das ideale ästhetische Verhalten 
befriedigt. Alle anderen Verhaltungsweisen sind dann un- 
maßgeblich. Die Frage freilich ist, ob es ein einziges ideales 
Verhalten gibt, oder ob nicht vielmehr individuelle Verwirk- 
lichungen verschiedener Spielart anerkannt werden müssen. 

Andere Denker neigen hingegen zu der Meinung: Weil 
die Schönheit ein Wert ist, darum wird sie erstrebt; sie ha.i 
nicht dadurch einen Wert, daß sie erstrebt wird. Weil das 
Kunstwerk schön ist, gefällt es; es ist nicht schön, weil es 
gefällt. Der Wert ginge so der subjektiven Anerkennung 
voraus. Ein solcher Wert kann aber nur metaphysisch er- 
klärt werden. EHe bloße Tatsache, daß solche Werte an- 
erkannt und verehrt werden, reicht nicht aus, um ihre Ob- 
jektivität sicher zu stellen. Metaphysische Zurückführung 
auf ein absolutes Subjekt sollte aber nur da versucht werden, 
wo alle anderen Deutungsversuche versagen. Auf dem Ge- 
biete der Ästhetik ist es mißlich, daß es kaum einen G^en- 



sdbyGooglc 



Ästhetik und Metaphysik. 53 

stand geben dürfte, der nicht dem mißfallen, jenem gefallen 
kann, ohne daS man die Urteilsabweichung immer auf Va- 
achtsamkeit, Verständnislosigkeit und Stumpfheit zurück- 
führen kann. Nur die Erfahrung kann zeigen, wieweit prin- 
zipiell konstante Gegenstandsbeschaffenheiten bestehen, 
denen positive oder negative Wertungen stets entsprechen. 
Denn wenn Objekte überhaupt als Bedingungen der Wer- 
tung gelten sollen, dann müssen gleiche Bedingungen gleichen 
Einfluß üben. Dann aber reicht unsere Erklärung des voll- 
kommenen und reinen idealen Verhaltens als Wertquelle aus. 
Wir können uns dazu verstehen, der Schönheit einen objek- 
tiven Wert zuzuschreiben. Wir tMnden ihn an objektive Korre- 
late idealer positiver Wertungen, deren potenäeller Wert 
nicht verloren geht, wenn sie einmal ohne empfängliche Be- 
trachter sind. 

Wenn so in der Ästhetik die Gesichtspunkte der Wert- 
wissenschaft an ihrem Orte mit Sinn angewandt werden, so 
braucht die Ästhetik doch nicht von vornherein absolute 
Werte und allgemeingültige Wertungen vorauszusetzen. 
Es genügen hypothetische Bestimmungen über den ästhe- 
tischen Wert und das wertende Verhalten. Innerhalb dieser 
Grenzen ist Allgemeingültigkeit möglich. Die Voraussetzung 
eines idealen ästhetischen Verhaltens ist dazu wichtigste Be- 
dingung. 

Literatur. 
Sega), Über die Wohlgefälljgkelt einfacher räumlicher Formen. Archiv 

für die gesamte Psychologie, Bd. 7, S. 53 ff. 
Semper, Der Stil in den technischen und tektonisdien Künsten. Zwei 

Bände. Frankfuri 1860/63. 
Cornelius, Elementargesetze der bildenden Kunst. Leipzig 1908. 
Volkmann, Die Enn'ehung zum Sehen und andere Zeitgedanken zur 

Kunst. Leipzig 1912. 
Waetzold, Einführung in die bildenden Künste. Leipzig 1912. 
Voll, Entwicklungsgeschichte der Malerei. 2 Bde. München 1913/14. 
Grosse, Kunstwissenschaftliche Studien. Tübingen 1900. 
Volkelt, Die entwicklungsgeschichtliche Betrachtungsweise in der 

Ästhetik. Zeitschrift für Psychologie. Bd. 29, S. I ff. 
Wundt, Über Wege und Ziele der Völkerpsydhologie. Leipzig 1886. 



criz^d^vCoOglc 



Die Methoden der Ästhetik. 

Erfahrungen und Beobachtungen zur unmittelbaren Fest- 
stellung des ästhetischen Verhaltens führen dessen Unter- 
suchung zunächst zu den subjektiven Methoden der Psycho- 
logie. Diese Wissenschaft hat sich erst erfolgreicher ent- 
faltet, seit sie empirisch, d. h. mit induktiven Verfahren auf- 
baut. Die Ästhetik beginnt in ihrem psychologischen Teil 
mit Beobachtungen, Die Beobachtungen richten sich auf 
das determinierte ästhetische Verhalten. Dessen Störungen 
oder Herabsetzungen bleiben für die Ästhetik au&er Be- 
tracht. Die qualitative Aufgabe ist dabei Beschreibung der 
im ästhetischen Verhalten gegebenen Erscheinungen, eine 
quantitative Aufgabe die Untersuchung des Einflusses, der 
den einzelnen Elementarerscheinungen für die Gesamtver- 
fassung und für die ästhetische Wirkung zukommt. Nun 
wäre unsere Forschung sehr beschränkt, wenn sie lediglich 
auf zufällige und gelegentliche Beobachtungen gegründet 
wäre, wenn sie sich gar mit den Erlebnissen des untersuchen- 
den Ästhetikers begnügte. Wir dürfen es nicht einfach dem 
Lauf der Dinge überlassen, ob er uns Gegenstände der Be- 
obachtung über den Weg führen wird. Über Zufälligkeit 
und Individualität der Ergebnisse kann man zunächst da- 
durch hinauskommen, daß man Beobachtungen sammelt. 
Als die Dresdner und die Darmstädter Madonna von Hol- 
bein zusammen ausgestellt waren und die Echtheitsfrage 
aufgeworfen wurde, legte Fechner ein Buch aus und heß 
die Besucher über beide Werke ihr Urteil einzeichnen. So 
sammelte er vergleichbare Beobachtungen. Mary Calkins 
legte 450 Versuchspersonen verschiedenen Alters drei Bilder 



sdbvGoogIc 



Beobachtung und Experiment. 55 

vor, die gewisse charakteristische Unterschiede zeigten. Das 
eine war durch Färbung ausgezeichnet, das zweite durch 
zeichnerische Form und Umriß, das dritte durch seinen Aus- 
druck. Sie sammelte die Vorzugsurteile und berechnete sie 
statistisch. Dabei ergab sich 2. B., daß Kinder von sechs 
Jahren in S80/0 aller Fälle dem farbigen. Erwachsene in 6O0/0 
der Fälle dem formschönen Bilde den Vorzug gaben. 

Über das Sammeln von Beobachtungen erhebt sich die 
experimentelle Methode dadurch, daß sie das Material von 
seiner zufälligen Beschaffenheit unabhängig macht und darum 
schon bei der Beobachtung selbst viel zuverlässiger und kri^ 
tischer vorgeht. Das Material wird nach verschiedenen Ge- 
sichtspunkten variiert und gesichtet, die Versuchspersonen 
werden gewählt, geschult und kontrolliert. Dabei gibt es 
zwei Formen des Experiments, ein inneres und ein äußeres. 
Willkürlich hergestellt und variiert werden können ästhe- 
tische Eindrücke zunächst in der Phantasie. Man kann sich 
beliebige Raumformen, Konfigurationen und Elemente davon 
vorstellen, sie als mehr oder minder gefällig und wertvoll 
beurteilen. Dies innere Experiment übt wohl gelegentlich 
einmal ein Künstler, der Einfälle prüfend vergleicht. Auch 
der Ästhetiker kann der Phantasie nicht entraten; er muß 
sich, so gut es gehen will, in die Seele empfänglicher Men- 
schen, wohl auch schaffender Künstler hineinversetzen. Das 
äußere Experiment hat den Vorteil, von der Vorstellüngs- 
fähigkeit unabhängig zu machen, die ja individuell sehr ver- 
schieden ausgeprägt ist. Nach einigen Anfängen in der eng* 
tischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts hat es Fechner zuerst 
mit vollem Bewußtsein der Tragweite durchgeführt. 

Alle bisher bewährten experimentellen Methoden ar- 
beiten mit der relativen Bevorzugung oder Zurücksetzung von 
Eindrücken, die zur Wahl stehen. Eindrucksmethoden zur Un- 
tersuchung des empfänglichen Verhaltens verwenden teils kon- 
stante teils variable Eindrücke. Konstante Eindrücke erlauben 
Methoden der einfachen und mehrfachen Wahl, die Reihen- 
methode, die Methode der paarweisen Vergleichung. DieVaria- 



sdbyGooglc 



56 Die Methoden der Ästhetik. 

fion der Eindrücke kann kontinuierlich oder diskret ändern ; sie 
kann endlich Zeitvariation sein. Die von ferne auf das ak- 
tive ästhetische Verhalten gerichteten Herstellungsmetboden 
lassen unter bestimmten ästhetischen Gesichtspunkten Ein- 
drücke aus gegebenen Elementen frei erzeugen. Die Aus- 
drucksmethoden registrieren die unter dem Einfluß des ästhe- 
tischen Verhaltens auftretenden ßeweguAgserscheinungen, 
Puls und Atmung. Fechner hat drei Methoden votgeschlagen: 
Wahl, Herstellung und Verwendung; eigentlich experimen- 
telle Methoden sind aber nur die ersten beiden, weil sie eine 
willkürliche Variation zulassen. Die Methode der Wahl hat 
Witmer vervollkommnet, von mir ist die Reihenmethode 
hinzugesellt worden. Cohn hat, wie vor ihm schon Witmer, 
paarweise vergleichen lassen. Martin hat die Methode der 
kontinuierlichen Änderung eingeführt, ich die Zeitvariation. 
Alle diese Methoden haben in relativer Wertordnung das 
Gefälligere dem weniger Gefälligen gegenübergestellt; im- 
bestimmt bleibt es, inwiefern sJth absolutes Wohlgefallen 
oder Mißfallen daran knüpft. In neuester Zeit hat man sogar 
eine absolute Wertskala einzuführen versucht (Major, Martin, 
Segal, Baker). Man empfahl den Versuchspersonen die Wert- 
urteile: sehr, mäßig, eben gefällig; iudifferenl; eben, mäßig, 
sehr mißfällig. Diese scheinbar atisolute Wertbestimmimg 
ist tatsächlich auch nur relativ; si« hat nur Geltung für die 
augenblickliche Stimmung, für ^e gegebenen Objekte. Streng 
durchgeführt reißt sie die Objekte aus dem Zusammenhang 
und macht dadurch gerade die Vergleichbarkeit aller Glieder 
einer Reihe, den Vorteil der Methode illusorisch. 

Die Methoden der Herstellung und der einfachen Wahl 
sind insofern am einfachsten, als sie nur einen Wert crgeiiea. 
Dieser wird entweder aus gegebenen Elementen willkürlich 
hervorgebracht, oder aus einer Anzahl ähnlicher Objekte 
ausgesucht. Man kann z. B. den gefälligsten Rhythmus, die 
gefälligste Form eines Kreuzes, eines Rechtecks, die ge- 
fälligste Farbenkombination, das gefälligste Tonintervall her- 
stellen ; wenn man nur einen geeigneten Apparat zur stetigen 



söbyGoo-^le 



Herstellung, Wahl und Zeit Variation. 51 

Veränderung der gebrauchten Elemente zur Verfügung hat 
Andere Werte auBer dem gefälligsten lassen sich nach diesen 
Methoden schwerlich gewinnen. Sobald man, wie Fechner, 
viele Versuchspersonen an derselben Reihe wählen läßt, 
erhält man durch Verteilung der Werte eine Art von Maß 
für die durchschnittliche Gefälligkeift. Dabei bleibt es aber 
fraglich, wie die Nebenwerte zu qualifizieren sind. CMe Me- 
thode der Wahl ist jedenfalls auf die Fälle beschränkt, wo 
die ganze Reihe auf einmal dargeboten werden kann, wie beim 
Gesichtssinn. Ein Versuch zu besserer Ausnützung der Wahl- 
methode ist die Reihenmethode. War die Reihe der Wahl- 
objekte anfangs nach irgend weldien objektiven Gesichts- 
punkten geordnet, so verlangt die Versuchsaufgabe, sie nun 
in eine Wertreihe umzuwandeln. Diese hat dann lediglich 
relative Bedeutung. Trotz des Wechsels der absoluten Qe- 
mütslage kann die relative Stellung der einzelnen Glieder 
m der Wertreihe erhalten bleiben. Die Reihenmethode ist 
am besten als eine sukzessive, die ganze Reihe hindurch 
fortgesetzte Methode der Wahl zu behandeln. Auf Grund 
ihrer Ergebnisse lassen sich Kurven konstruieren, die alle 
Werturteile nach willkürlicher Skala den GrÖBenverhältnissen 
zuordnen. Die Methode, paarweise zu veigleichen, beruht auf 
der Gegenüberstellung von nur zwei miteinander gefühls- 
wertig vergleichbaren Objekten* Insbesondere die ästhe- 
tische Prüfung von Farbenkombinationen drängte zu diesem 
Verfahren, weil in einer umfassenderen Reihe die einzelnen 
GUeder einander mannigfach beeinflussen würden. Jedes 
Glied muß mit jedem anderen verglichen werden, was eine 
übergroße Anzahl von Kombinationen erheischt. Ersichtlich 
ist diese Methode umständlicher als die Rethenmethode und 
bei einer größeren Anzahl von Elementen nicht mehr durch- 
führbar. 

Meine Methode der zeitlichen Variation versucht, ästhe- 
tische Eindrücke von zeitlich begrenzter Dauer einwirken 
zu lassen. Mit einem Projektionsapparat werden Bilder auf 
einem Schirm entworfen. Die Versuchsperson sitzt im 



sdbvGoogIc 



58 EMe Metboden der Astheiik. 

Dunkelzimmer. Die begrenzte Dauer der Exposition wird 
durch einen photographischen MotnentverschluB hergestellt 
Der Gedanke, von dem diese Methode ausgeht, ist die Tat- 
sache, daß ästhetisches Verhalfen Zeit braucht, um sich in 
seinen einzelnen Phasen entwickeln zu können. Man kann 
daher diese Stadien isolieren, wenn man den Eindruck 1, 2, 
mehrere Sekunden lang enthüllt. Hier lassen sich komplexe 
Kunstwerke verwenden; man kommt dadurch dem wirk- 
lichen ästhetischen Verhalten näher. Voraussetzung für die 
Benutzbarkeit dieser Methode ist die Erlesenheit der Ver- 
suchspersonen, ihre Fähigkeit zu treuen, zuverlässigen und 
reichen Angaben über ihre Erlebnisse und Beobachtungen. 
Man kann so eine unmittelbare ästhetische Wirkung von 
einer mittelbaren scheiden und ausmachen, welchem ästhe- 
tischen Typus die Versuchspersonen angehören. 

Welche Methode die beste ist, läßt sich a priori nicht 
sagen; das läßt sich nur in Vorversuchen erfahren. Die 
Schwierigkeit bei all diesen Experimenten Hegt im Hinein- 
spielen des assoziativen Faktors. Bei Rechtecken reprodu- 
ziert man die Vorstellung von Visitenkarten oder Bücher- 
formaten. Das Gefallen und Mißfallen an solchen Vorstel- 
lungen bestimmt aber das Urteil mit. Eine besondere Me- 
thode zur exakten Untersuchung der mittelbaren ästhetischen 
Wirkung gibt es noch nicht; es fehlt hier sehr an genaueren 
■ Bestimmungen. Um so mehr ist die Differenzierung der Auf- 
gaben vonnöten; dazu aber verfeinerte Selbstbeobachtung, 
damit festgestellt werden kann, welche Gesichtspunkte für 
das Urteil maßgebend waren. Es muß aufgezeichnet werden, 
ob eine Erinnerung an bekannte Gegenstände oder ein Wissen 
von solchen mitgewirkt hat, ob einem der Gegenstand wert 
war, dessen man sich erinnert hat. Man muß erfahren, ob das 
Gefallen etwa an einer Farbe einen Umweg über eine Stim- 
mung gemacht hat. Trompetenschall kann einem Soldaten 
gefallen. Zeichen, Farben und Formen können als Symbole 
gewirkt haben. Auch über die Einwirkung sympathischer 
Einfühlung auf das Urfeil kann nur die Selbstbeobachtung 



sdbvGoOgIc 



Vergleichende Methode. 59 

Auskunft geben. Große Aussichten hat vielleicht eine Me- 
thode, die einfache Gegenstände experimentell mit kom- 
plexen Werken vergleicht. 

Die vergleichende Methode ergänzt die experimentelle 
da, wo es sich um komplexe Gegenstände handelt, die sich 
nicht mit experimentellen Mitteln variieren lassen. Man ver- 
gleicht etwa die musikalischen Vertonungen desselben Ge- 
dichts, man legt nebeneinander Zelters, Schuberts und Lowes 
Komposition des Erlkönigs. Ludwig Volkmann hat Kunst- 
werk und Naturobjekt miteinander verglichen. Diese ver- 
gleichende Methode kann nicht so sehr über Gefallen oder 
MiBfallen Aufschluß geben, als vielmehr über das Verhältnis 
der einzelnen Faktoren des ästhetischen Eindrucks zuein- 
ander, über die Zusammenhänge von Form und 'Gehalt, von 
Ausdruck und Darstellungsmittel. Aber nicht nur die Gegen- 
stände können dieser vergleichenden Methode unterworfen 
werden sondern auch Urteile. Man läßt über dasselbe Ob- 
jekt zu verschiedenen Zeiten urteilen und prüft, worauf der 
Unterschied im Verhalten beruht. Einmal wird der Zustand 
als konstant vorausgesetzt, einmal das Objekt. EHe syste- 
matische Durchführung dieser objektiven Methode verspricht 
sehr wichtige Ergänzungen zu den subjektiven Methoden. 
Sie faßt die Urteile und Gegenstände als Äußerungen des 
ästhetischen Verhaltens auf, um von ihnen auf ihren Ursprung 
im Erlebnis zu schließen und so die gesetzmäßigen Zu- 
sammenhänge nachzuweisen, die zwischen den Bestandteilen 
der Objekte und den Zuständen obwalten, zwischen Ab- 
sicht und Ausführung, Material und Gestaltung. 

Aber wir können uns nicht auf diese objektive Methode 
allein verlassen. Sie kann nicht, wie die experimentellen 
Verfahren, Reihen veigleichbar«r Gegenstände willkürlich 
herstellen. Sie kann nicht einzelne Momente eliminieren, 
gewisse Linien aus vergleichbaren Gestalten künstlich strei- 
chen. Sie kann nicht variable Momente stufenweise ändern, 
nicht verzerren und verzeichnen, wo es erwünscht ist, nicht 
Klänge verfärben, wo das Aufschluß verspricht. 



sdbvGoOgIc 



60 Die Methoden der Ästhetik. 

Von einer historischen Methode hat Dilthey geredet; 
doch kann das oicht im eigentlichen Sinne verstanden werden, 
da die historische Untersuchung an sich nichts über die ästhe- 
tische Bedeutung eines Tatbestandes entscheidet. Gewiß 
hilft sie zur Ergänzung des Materials, sonst aber hat die 
Kunstgeschichte Aufgaben und Methoden außerhalb der 
Ästhetik, die ihrerseits Hilfsdienste der Nachbarwissenschaft 
nicht versagt. Die Richtung, die Taine und Grosse einge- 
sclilagen haben, um durch eme vergleichende Betrachtung 
der Kunstentwicklung über Wesen und Bedingungen der 
Kunst ins Klare zu kommen, ist nicht historische Methode, 
sondern eben vergleichendes Verfahren in unserem Sinne, 
ermöglicht durch die Ergebnisse der Kunstgeschichte. Aus- 
sagen der Künstler vergangener Zeiten über ihr Schaffen, 
die so wertvoll sind, überliefert der Geschichtsforscher treu- 
lich, der Ästhetiker aber erschließt sie dem Verständnis mit 
psydiologischer Methodik. 

Auch eine genetische Methode, die eine Entwicklungs- 
geschichte des ästhetischen Verhaltens schreiben will, kann 
nur ausgebaut werden, wenn mit den anderen Methoden der 
Ästhetik vorgearbeitet worden ist. Ob bei den Tieren Spuren 
ästhetischen Verhaltens vorliegen, und wie es sich bei Natur- 
menschen und Kindern damit verhält, werden wir erst dann 
erkennen und würdigen können, wenn wir bereits das voll 
ausgebildete ästhetische Verhalten bei uns selbst nach seinen 
Möglichkeiten und Formen kennen gelernt haben. Man kann 
nicht einfach die Metboden der physiologischen Entwick- 
lungsgeschichte nadiahmen. 

Ein deduktives Verfahren ist keine Methode der For- 
schung, sondern eine Methode der Darstellung gesicherter 
Eigebnisse. Ihr strebt jede Wissenschaft zu, weil nur so eine 
logisch befriedigende und überzeugende Kette von Voraus- 
setzungen und Beweisen geschaffen werden könnte. 

Unter den Mitteln, mit denen sich Erfahrungen sammeln 
lassen, sei schließlich noch des Fragebogens gedacht. So 
leicht er anzuwenden scheint, so bald ist er auch mißbraucht. 



.,Cooglc 



Die phänomenologische Methode. 61 

Es ist nur Spielerei, alle namhaften Künstler mit der Frage 
anzufallen, welches sie für die schönste Oper halten. Der 
Fragebogen enthält Fragen in größerer Anzahl; seine wissen* 
schaftlich brauchbare Beantwortung kann nur von gewissen- 
haften, sachkundigen, gleichwertigen Personen vorausgesetzt 
werden. Darum ist Aufstellung und Versendung eines Frage- 
bogens eine schwierige Aufgabe. Man darf nur fragen, was 
sich ohne eingehende Untersuchung beantworten läßt Fragen 
müssen so gefaßt sein, daß sich eine klare und bestimmte 
Antwort geben läßt. Femer müssen die Personen, die zur 
Beantwortung ausersehen werden, nicht wild und zufällig 
gewählt sein. Nur ihre Gleichwertigkeit ermöglicht eine 
statistische Auswerfung der Antworten. Andererseits dürfen 
sie nicht allzu gleichartig sein, damit die Antworten kein 
einseiliges Bild entwerfen. Auch muß die Anzahl der Per- 
sonen groß sein; sonst lassen sich keine Wahrscheinlich- 
keitsschlüsse ziehen. Alle Bedingungen werden sich prak- 
tisch selten erfüllen lassen, so daß Vorsicht und Mißtrauen 
hier zur Pflicht werden. 

In neuester Zeit hat die phänomenologische Methode 
wachsenden Einfluß gewonnen, ein Kreis von Forschem hat 
sich zu ihrer Ausbildung verbunden. Die phänomenologische 
Methode ist ursprünglich eine Analyse der Bedeutungen, 
dessen, was in Begriffen gedacht und in Urteilen behauptet 
wird. Das Ziel der Analyse liegt in der vollständigen Klärung 
der Bedeutung; d, h. in der adäquaten Erfüllung der Inten* 
tionen, in der Zurückführung auf letzte, einfache Tatbestände, 
die als Anschauungen gelten und mit der Anschauungsgewiß- 
heit, mit Evidenz erlebt werden. Solche Phänomenologie ist 
nicht einfach Beschreibung, deskriptives Verfahren, das sich 
mit ungeklärten Ergebnissen begnügt. Die Bedeutungsana- 
lyse leistete der Logik und der Psychologie treffliche Dienste, 
soweit beide mit Bedeutungen zu tun haben. 

Neuerdings wurde dann die phänomenologische Methode 
ausgedehnt auch auf andere Gegenstände. Im Prinzip kann 
ja jedem Gegenstand gegenüber die Frage aufgeworfen wer- 



sdbvGooglc 



62 Die Methoden der Ästhetik. 

den, was wir mit ihm mei«ien. Nicht nur die Bedeutung 
seiner Bezeichnung, sondern er selbst als Gegenstand der 
Wahrnehmung, der Erinnerung, der Phantasie kann analy- 
siert werden. Auch hier haben wir es mit dem gedachten 
und insofern idealen Objekt zu tun. Das Naturobjekt, das 
Kunstwerk, das Erlebnis des Gefühls oder WiDensaktes — 
all das kann in gleicher Weise geklärt und auf letzte Evi- 
denzen zurückgeführt werden. In diesem Sinne hat Conrad 
die Phänomenologie des ästhetischen Gegenstandes ent- 
wickelt, d. h. des musikalischen, poetischen, bildnerischen - 
Gegenstandes. 

Die Mängel der phänomenologischen Methode bestehen 
in der individuellen Natur ihrer Ergebnisse. Ob jeder andere 
dieselbe Intention und adäquate Anschauung hat, steht nicht 
fest. Zweifellos ist die Meinung bei solchen Gegenständen, 
zumal wenn sie allgemein sind, durch Mitteilung und gleich- 
artige Erfahrung ein stark sozial gefärbtes Produkt. Aber 
individuelle Differenzen lassen sich nicht prinzipiell aus- 
schließen, wo es sich um eine individualpsychologische Tat- 
sache handelt und Eigenbeobachtung über ihren Gehalt ent- 
scheiden soll. Beengt ist die phänomenologische Methode 
durch die rein deskriptive Natur ihrer Ergebnisse. Indem 
eine Meinung geklärt wird, ist über deren Richtigkeit oder 
Unrichtigkeit, Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit nicht ent- 
schieden. Ebensowenig ist die Klärung eine Erklärung; sie 
bringt keinen Aufschluß über Entstehung und Bedingungen 
einer Meinung. 

Der ästhetische Gegenstand ist nur ein besonderer 
Gegenstand unier Voraussetzung eines ästhetischen Ver- 
haltens. Jeder Gegenstand kann darum auch ästhetischer 
Gegenstand werden, keiner braucht es zu sein. Es ist des- 
halb unerläßlich, auf das ästhetische Verhalten einzugehen, 
sonst ist man in der Analyse des ästhetischen Gegenstandes 
führerlos. Das zeigt sich auch bei Conrad. Die genaue Auf- 
zählung aller Einzelheiten einer Melodie, eines Verses, eines 
Ornaments kann für den ästhetischen Gegenstand ganz irre- 



nd bvGoogIc 



Induktkm, Eteduktion, Intoition. 63 

levatit sein. Andererseits fragt es sich, ob die einzelnen 
Phasen des ästhetischen Verhaltens, die Kontemplation, die 
Einfühlung, die VCertung nicht vielleicht verschiedene Gegen- 
stände haben. So bietet Conrad einerseits zu viel, anderer- 
seits zu wenig. 

Man kann den ästhetischen Gegenstand auch definieren 
als den Gegenstand, der eine ästhetische Wirkung ausübt 
oder auszuüben geeignet ist. Dabei darf man nicht über- 
sehen, daS der Gegenstand nicht allein für die ästhetische 
Wirkung in Betracht kommt, sondern muß bedenken, daß 
auch der Zustand dafür wesentlich ist. Die Abgrenzung 
zwischen beiden kann nur so erfolgen, daß man zum Gegen- 
stande alles rechnet, was vom Erlebenden getrennt, ihm 
gegenübergestellt werden kann. 

Man unterscheidet zwischen selbständigen und unselb- 
ständigen Gegenständen. Jene bedürfen für ihr Dasein keines 
anderen Gegenstandes, diese dagegen bedürfen eines solchen. 
Jene sind Dinge, Objekte, diese deren Eigenschaften, Vor- 
gänge, Zustände, Beziehungen. Dabei kann es unselbständige 
Gegenstände erster und zweiter Ordnung geben, insofern 
auch die Eigenschaften untereinander wieder in Beziehungen 
stehen. Im ästhetischen Verhalten können nun alle Formen 
des Gegenstandsbewußtseins beteiligt sein: Wahrnehmung, 
Erinnerung, Phantasie, Denken. Am wenigsten sichergestellt 
ist die ästhetische Wirkung der Denkgegenstände als selb- 
ständiger Gegenstände. Darin liegt die relative Berechtigung 
der Behauptung, daß die ästhetischen Gegenstände anschau- 
lich sein müßten. Jedenfalls brauchen wir einem solchen 
Reichtum gegenüber außer der phänomenologischen Methode 
^ile oben dargetanen Verfahren. 

Moritz Geiger legt im Jahrbuch für Philosophie und 
phänomenologische Forschung dar, daß die Gegenüber- 
stellung „Induktiv" und „Deduktiv" keine vollständige Dis- 
junktion sei. Die Induktion ist ihm nur eine Methode, auf 
Grund von Tatsachen zu Erkenntnissen zu kommen. Der 
Satz „Orange liegt in der Farbenreihe zwischen Rot und 



sdbvGoogIc 



64 Die Methoden der Ästhetik. 

Gelb" ist nicht durch Induktion, durch Verallgemeinerung 
gewonnen; einmaliges Anschauen überzeugt, daß diese Be- 
ziehung ein für allemal gilt, daÖ sie gelten muß, daß es sich 
hier um Wesensgesetzlichkeit handelt, daß es gar nicht anders 
sein kann. Durch Einsicht in das allgemeine Wesen solcher 
Beziehungen an Hand des einzelnen Falles ist hier Erkenntnis 
möglich. Intuition, nicht Induktion hat dazu geführt. Auch 
hier kann das Experiment unterstützend eingreifen, aber 
nicht das induktive, bei dem aus den Aussagen der Ver- 
suchspersonen das Resultat gewonnen wird, sondern das 
intuitive, bd dem das Experiment nur die Aufgabe hat, 
die Tatbestände herzustellen, an denen die allgemeine Ge- 
setzlichkeit einsichtig wird (ähnlich wie bei der Zachnung 
in der Mathematik). Hier interessiert nicht die Fülle zufälliger 
individueller Erlebnisse sondern die Wesensbestimmtheit der 
Phänomene. 

Unleugbar besteht soldie Intuition, wie Geiger sie scharf- 
bjMcend hervorhebt. Man darf nicht vergessen, daß Induktion 
-^nnd Deduktion Schlußweisen sind, und daß sie die Sicher- 
heit dessen, woraus geschlossen wird, voraussetzen. EHe 
Axiome, die Träger eines deduktiven Lehrgebäudes, können 
nicht selbst wieder deduziert werden, und eine Gewinnung 
durch Induktion würde ihnen die Gewißheit rauben, die sie 
besitzen müssen. Für diese Axiome tst darum sehr früh 
eine unmittelbare Einsicht, eine Intuition geltend gemacht 
worden. Aber auch die Voraussetzungen der Induktion sind 
Wahrheiten, Tatsachenwahrheiten. Die phänomenologische 
Methode wendet nun die Intuition auf solche Tatsachen- 
wahrbeiten an, indem sie den quahtativen Bestand einer 
Erscheinung genau festzustellen sucht und sich dabei auf ihr 
Wesen beschränkt. So abstrahiert sie von den individuellen 
Besonderheiten des zu erfassenden Zustandes und Gegen- 
standes bei ästhetischem Verhalten und sucht nur deren 
große bleibende Züge zu bestimmen. Sie unterschddet etwa 
einen ästhetischen vom außerästhetischen Genuß, die Lust 
vom Wert, den Genuß vom Gefallen, und sucht überall die 



sdbvGoOgIc 



Phänomenologie und Psychologie. 65 

Merkmale anzugeben, die einen solchen Tatbestand charakte- 
risieren. Wiederholte Versenkung in dasselbe Phänomen, 
Wechsel in seiner Vergegenwärtigung (Wahrnehmung — Vor- 
stellung — innere Konstruktion), Einstellung auf das Wesen 
gehören zur regelrechten Anwendung der Methode, die an 
geschauten Tatsachen ihre natürliche Kontrolle findet. Von 
der psychologischen Untersuchung unterscheidet sich die 
phänomenologische nur dort streng, wo jene induktiv ver- 
fährt, wie bei Durchschnittsberechnungen, Aufstellung von 
Tabellen, von quantitativen Gesetzmäßigkeiten. Dagegen ist 
die psychologische Einzelbeobachtung, die doch die Grund- 
läge zu solchen Induktionen bildet, ihrem Wesen nach nidit 
von der phänomenologischen Forschung verschieden, nur 
daß diese sich auf die notwendigen Züge beschränkt und 
eine viel eindrjngendere Beobachtung vornimmt. Die phäno- 
menologische Forschung nähert sich dem inneren Experi- 
ment, sofern sie die Phänomene, die sie beobachten will, durch 
phantasiemäßige Konstruktion herstellt, und dem äußeren 
Experiment, sofern sie es 'durdi Reize erzeugt. Sie findet 
ihre natürlichen Grenzen an den s<^enannten Zufälligkeiten, 
an den individuellen Unterschieden von Zustand und Gegen- 
stand, an den quantitativen Beziehungen, an nur induktiv 
erkennbaren Gesetzmäßigkeiten, und an den feinsten Diffe- 
renzen, die sich der Schauung nicht mit Sicherheit enthüllen. 
So bildet die phänomenologische Methode eine Ergänzung 
der empirischen Methoden zur Erforschung des ästhetischen 
Verhaltens. 

Literatur. 
Calkins, An attenipted Experiment in psychological Aesthetics. Psy- 

chol<%ical Review, 1900, Bd. 7. 
Cohn, Experimentelle Untersuchungen über die Oefühlsbetonung der 
Farben, Helligkeiten und ihrer KombinaÜoiien. Wundts Philoso- 
phische Studien, 1894/1900, Bd. 10 und 15. 
Witmer, Zur experimentellen Ästhetik einfacher räumlicher Formver- 

hältnisse. Philosophische Studien, 1894, Bd. 9. 
Major, On the affective tone of simple sense Impressions. American 
Journal of Psychology, 1895, Bd. 7. 
Kfilpe, Ästhetik. 5 



r..i;.d.vC00glc 



66 Die Methoden der Ästhetik. 

Martin, An experimental study of Fechners prindples of Aesthetics. 
Psychological Review, 1906, Bd. 13, S. 142ff. 

Koffka, Experimentaluntersuchungen zur Lehre vom Rhythmus. Leip- 
zig 19D8. 

Volkmann, Die Grenzen der Künste. Leipzig 1903, , 

Dilthey, Das Erlebnis und die EKchtung. 3. Aufl. Leipzig 1910. 

Taine, Philosophie de I'art. 4. Aufl. Pans ISSS. 

Grosse, Die Anfänge der Kunst. Freiburg i. B. 1894. 

Conrad, Der ästhetisdie Gegenstand. Zeltschrift für Ästhetik, Bd. 3, 
S. 71 ff., vgl. auch ebenda, Bd. 4. 



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Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

Ein empfängliches Verhalten wird nicht ohne einen ästhe- 
tischen Gegenstand wach; diesen können wir aber nicht wür- 
digen, ohne den Zustand zu erforschen, in den der empfäng- 
liche Betrachter gerät. Wir zweifeln nicht an dem Kunst- 
wert einer peigamenischen Athena Parthenos; aber wir be- 
reichern die ästhetische Einsicht wenig, wenn wir den Gegen- 
stand als marmornes Bild 'beschreiben, aussagen, das sei 
eine Athena, auch nicht, wenn wir den Faltenwurf des Ge- 
wandes anschauhch schildern. Es ist für die Ästhetik nietet 
viel gewonnen, wenn wir mit geschichtlichen Methoden uns 
die Größe der damaligen Umgebung wiederaufbauen und 
dartun, was die Erinnerung der Menschheit an Wissen über 
das Kunstwerk überliefert. In den ruhigen Marmor fühlen 
wir eine Seele voll hoher Gaben ein; — aber nur, wenn ver- 
ständnisvolle Betrachtung uns hilft, mit dem beseelten Werk 
zu fühlen und es unbefangen zu würdigen. Erst dann werden 
wir uns darüber klar, daß Hoheit und Würde der Göttin und 
nicht dem Steinbiock zugesfhrieben werden. Das ästhetische 
Objekt als Teilursache der ästhetischen Wirkung enthält 
mehr als das Objekt der Realwissenschaften. Es zählt auch 
dazu, was an gegenständlicher Bestimmung der Auffassung 
und dem Verständnis entstammt. Zum Objekt rechne ich 
die Beschaffenheiten, die als g^enständlich und nicht als 
zuständlich beurteilt werden. Sofern diese Beschaffenhdten 
als Bedingungen des ästhetischen Ausdrucks wirken, ist das 
ästhetische Objekt das naive Objekt. • 

Vom ästhetischen Gegenstand hat man lange gelehrt, 
er müsse unter allen Umständen anschaulich sein. Die Be- 



3dbvGoO*^lc 



68 Theorie des ästhetisdien Qesrenstandes. 

hauptung, daß auch Unanschauliches, Qedachtes ästhetisches 
Objekt sein kann, wird meist bestritten. Die neueren Philo- 
sophen hatten das Sdiöne auf die Anschauung beschränkt, 
und die Psychologen, die überhaupt Gedanken als besondere 
Erlebnisse nicht anerkennen, waren natürlich damit einver- 
standen. So ist es fast zum Dogma der Ästhetik geworden, 
daß die ästhetischen Gegenstände sämtlich anschaulicher 
Natur seien. Kant hat sich für diese Meinung eingesetzt 
und J. Cohn folgt ihm darin. Und doch besteht, wenn auch 
meist übersehen, das wichtige Problem, ob nicht auch nur 
gewußte Gegenstände ästhetisch wirken können. CWe Frage 
ist durchaus noch nicht entscheidend beantwortet. Man wird 
dazu auseinanderhalten müssen, ob es sich um gewußte er< 
innerte Gegenstände handelt oder um gewußte neue Gegen- 
stände. Daß ein Erinnerungswissen um schöne Dinge eine 
eigene Wirkung ausüben kann, wird man vielleicht zugeben. 
Wenn ich etwa ein Bild vom Innern der ravennatischen Oalla- 
Placidiakapelle betrachte, so bieten sich meiner Anschauung 
Wölbung, Grab, Mosaikgestalten und Fenster. Ein Erinne- 
rungswissen von der Umgebung wird meine Stimmung' 
wesentlich mitbestimmen, auch wenn die Phantasie mir nichts 
davon vorspiegelt,. Auch, was ich vom hohen Alter, von 
der ehrwürdigen Symbolik des Raumes, von den mensch- 
lichen Werten der Schöpferin des Gebäudes weiß, bereichert 
den ästhetischen Eindruck. Was so die Stimmung des 
Raumes färbt, ist natürlich nicht. die kalte Befriedigung des 
gelehrten Ehrgeizes. Wo sie vorhanden ist, hat sie so wenig 
echte ästhetische Wirkung, wie das Wissen davon, daß 
solche Bauwerke den Geschmack zu befriedigen pflegen. 
Nur ein ungerufen neu auftretendes Wissen könnte ästhe- 
tisches Verhalten auslösen. 

Zur Prüfung dieser Frage wird man in erster Linie 
poetische Werke heranziehen müssen. . Th. Meyer hat ip 
seinem „Stilgesetz in der Poesie" (1901) darauf hmgewiesen, 
daß nicht nur Anschauungen, sondern auch Wissen Grund- 
lage einer ästhetischen Wirkung sein kann. Aber auch in 



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Anschauliche und unanschauliche Gegenstände. 69 

anderen Künsten kann Unans,chauliches eine Rolle spielen. 
Wir denken uns in Ideen und Stimmungen hinein. E)ie Sphinx 
wirkt großartig, bannend, weise, im Besitz des Weltgeheim- 
nisses. Ein Gebäude erscheint uns stolz, trotzig, tot; so 
etwas kann rein unanschaulich gegeben sein. Ebenso ver- 
hält es sich mit der vom empfänglichen Menschen belebten 
und beseelten Natur, mit ihrer Hoheit, Lieblichkeit und 
Nachdenksamkeit. Noch kürzlich hat Cohn behauptet, nur 
Anschauliches sei von ästhetischem Wert. Aber er hat selbst 
zugegeben, daß Übergänge zum Abstrakten vorkommen. In 
der Poesie spielen Anschauungen eine weit geringere Rolle, 
als man gewöhnlich glaubt. Vielmehr sind es da vielfach 
Gedanken, die den Gegenstand des ästhetischen Verhaltens 
bilden. Flüchtig, unvollständig, wie eine leise und ffagmen- 
tarisch erklingende Begleitung ziehen Bilder durch die Seele. 
Gewiß gibt es da größere, individuelle Unterschiede. !Ge- 
danken von ästhetischer Bedeutung (Edel sei der Mensch, 
hilfreich und gut) kann man mit Volkelt als Bedeutungs- 
vorstellung bezeichnen, aber man muß sich gegenwärtig 
halten, daß diese dann zumeist nicht anschauliche Vorstel- 
lungen sind. Gewiß brauchen die Gedanken vielfach an- 
schauliche Träger, Symbole, Zentren der ästhetischen Kon- 
templation; aber der eigentliche Gegenstand der Bewertung 
sind nicht nur diese Symbole, sondern ist vor allem, was sie 
bedeuten. Die Unmittelbarkeit der ästhetischen Auffassung 
geht damit nicht verloren, weil auch Gedanken unmittelbar 
gegeben sein können. Unmittelbarkeit ist nicht mit Anschau- 
lichkeit zu verwechseln. Nicht nur m der Poesie, auch in 
der Malerei, in der Musik und in anderen Künsten kann 
Unanschauliches im ästhetischen Gegenstande mitgegeben 
sein, freilich meist als unselbständiger, anschauliche Bestand- 
teile ergänzender Faktor. Wie sehr im gesamten Kunstgenuß 
sonst Anschauungen vorherrschen, ist zu bekannt, als daß 
man es auszuführen brauchte. 

Zu ästhetisch wirksamer Verschmelzung mit dem Wahr- 
nehmungsgegenstande sind außer den Vorstellungen auch 



sdbvGoOgIc 



70 Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

Gedanken, Bewußtheiten und Bewußtseinslagen geeigfnet. 
Eine Landschaft atmet Wachstum und Gedeihen, weckt den 
Gedanken an fördernd freie Entfaltung. Hier ist der Zu- 
sammenschluß der anschaulichen und der unanschaulichen 
Elemente ganz innig und störungslos. Was gesehen und 
vorgestellt ist, bedeutet, was an Gedanken angeregt worden 
ist. Diese Bedeutung ist von ihrem Symbol getragen, 
haftet ihm an, wie die Bewegung an der Masse, die 
Farbe am Tisch, die Klangfart)e am Ton. Das Ausgedruckte 
ist mitgemeint. Dabei kann in der Ästhetik zunächst 
davon abgesehen werden, ob die Vergegenständlichung 
selbst schon eine gedankliche Beziehung einschließt. Be- 
wußtheit nennt Ach das Gegenwärtigsein eines unanschau- 
lich gegebenen Wissens; andere sprecfien dann sdihchler 
von Gedanken, Den Ausdruck Bewußtseinslagen hat Marbe 
eingeführt, um zu bezeichnen, daß man wissen kann, was 
man meint oder erlebt, ohne im Augenblick schon einzelne 
Inhalte genau aufzeigen zu können. Gewißhdt und Zweifel, 
die man früher unklar mit den Gefühlen zusammenwarf, 
solche Bewußtseinslagen sind als ästhetische Objektsreprä- 
sentanten in der Poesie häufig genug. Vielfach bilden wir 
uns keine anschaulichen Vorstellungen und doch folgen wir 
dem CMchter leicht. „Mir ist, als wenn ich längst gestorben 
bin," dieser Vers läßt eine Bewußtseinslage anklingen, 
während der Anfang des Gedichts anschauliche Vorstellungen 
wachruft: „Ich liege still im hohen grünen Gras." 

Gerade erst durch ihren Verzicht auf einzelne anschau- 
liche Vorstellungen wird die Sprache der Dichtung zu einer 
wunderbar stoffentrückten Abbreviatur der plumperen Wirk- 
lichkeit. Erst so gewinnt sie ihre vereinfachende Kraft. Die 
ißewußfseinslagen und Bewußtheiten, die dem Sprachver- 
ständnis dienen, sie konzentrieren weitschichtiges und ver- 
streutes Material. Auf diese Weise wird es möglich, zeitlich 
und räumlich weit auseinanderliegende Zusammenhänge eng 
aneinanderzurücken. Verwirrendes wegzulassen, Wirtcsames 
auszuwählen, zu stilisieren. Deshalb kann schon gelesene 



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Selbständ^e und unselbständige Gegenstände. 71 

Poesie einen starken, erschütternden Eindruck hervorrufen, 
obwohl die anschaulichen Einzelinhalte selbst der Form leiser 
mitschwingen. Keipe Stilregel ist wohl- einseitiger gewesen, 
als die Horazische ut pictura poesis. Man darf nicht'ver- 
gessen, daß es auch Gedanken gibt, die sich anschaulich gar 
nicht oder nur ganz andeutend wiedergeben lassen. Wie 
Unsterblichkeit und Zeit, Fruchtbarkei't oder Jugend anders 
als derb dlegorisch (also mindestens gezwungen) veranschau- 
licht werden könnten, ist schwer zu sagen. Hier wird es 
sinnlos, Anschaulichkeit um jeden Preis zu fordern. Nur in 
der Tatsache, daß Gedanken ganz ohne Symbole nicht als 
ästhetische Gegenstände vorkommen und daß diese Symbole 
stets ai^chaulich gegeben sind, liegt die Wahrheit der Be- 
hauptung, alle ästhetischen Gegenstände seien ansdiauUcher 
Natur. Man muß ihr nur eine andere Form geben, indem 
man sagt: Gedanken und Bewußtseinslagen sind fast nie 
selbständige ästhetische Gegenstände; als unselbständige da- 
gegen spielen sie eine große Rolle. £Me Bedeutungen an- 
schaulicher Gegenstände werden mit ihnen zu ausdrucks- 
voller gegenständlicher Einheit verbunden. Jaspers hat neuer- 
dings zur Erklärung gewisser Tatsachen halluzmatorischer 
Art von leibhaftigen Bewußtheiten gesprochen. Eine solche 
liegt vor, wenn ein Kranker sich nicht von dem Gedanken 
losmachen kann, es sei ein Wesen hinter ihm tm Zimmer, 
ohne daß er sich dies Wesen irgendwie vorstellen kann. 
Solche leibhaftigen Bewußtheiten sind wohl auch im ästhe- 
tischen Verhalten zu beobachten. Man denke nur an Er- 
lebnisse bei der Lesung von Dramen und Romanen, wo 
die anschauliche Phantasietätigkeit zurücktreten kann, ob- 
schon die Ereignisse lebendig miterlebt werden. Eine ein- 
dringendere Untersuchung würde hier wohl noch viele Be- 
sonderheiten aufdecken und genug an mitbewußten, un- 
anschaulichvi ästhetischen Sachverhalten. 

Die merkliche Beschaffenheit eines ästhetischen Objekts, 
die für ein ideales ästhetisches Verhatten wirksam gedacht 
wird, kann anschaulich und unanschaulich vergegenwärtigt 



DipilizsdbyGoO^^IC 



72 Theorie des ästhetischen Oegeaslandes. 

werden. Das selbständige Objekt (der Träger von Eigen- 
schaften, Vorgängen, Zuständen, Beziehungen, Bedeutungen) 
ist in der Regel anschaulich und gehört in diesem Falle 
denr optischen oder akustisdien Gebiet an. Das ästhetische 
Objekt ist eine Wirklichkeit des OegenstandsbewuBtsans 
und damit unabhängig von der Realität oder Irreahtät in 
theoretischer und praktischer Hinsicht. Daraus ergibt sich 
die prinzipielle Gleichwertigkeit der ästhetischen Wahr- 
nehmungs-, ErinnerungS', Phantasie- und Denkgegenstände. 
Künstlerische Stoffwahl und Komposition ist nicht auf die 
Welt der äußeren Erfahrung zu beschränken. 

Solche Überlegungen brachten Fechner zu seiner Unter- 
Scheidung zwischen dem direkten und dem relativen (asso- 
ziativen) Faktor des ästhetischen Gegenstandes. Wir rechnen 
zum direkten Faktor alles, was unmittelbar gegeben ist, sei 
es primär anschaulich, sei es sekundär vorstellbar oder auch 
denkbar. Wenn Leibl die E>orfpohtiker malt, so zählen zum 
direkten Faktor für den Kunstliebhaber: die fünf Gestalten, 
das Zimmer, die Fenster, aber auch Gruppierung, Farben, 
Helligkeitswerte. Zum relativen Faktor gehören: 

1. Der assoziative Faktor, die Erinnerung an ähnliche 
Szenen etwa oder an politische Ereignisse, die dem Bilde 
eine besondere Färbung geben, an andere Bilder des Malers, 
an seine Lebensgesditchte vielleicht. 

2. Der emotionale Faktor. Hier meinen wir die Stim- 
mung lebhaften Interesses, die alle die Gestalten beseelt, 
nach der Individualität abgestimmt und etwas gehalten, wie 
es dem Stand und dem Alter entspricht. 

3. Der aktive Faktor. Der Gegenstand erscheint an- 
regend, tief und reich. 

4. Der symbolische Faktor. Die Szene bedeutet etwas; 
sie malt einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, aber sie 
drückt etwas Allgemeines aus, einen wesentlichen Vot^ang, 
typisch für das Menschenleben. 

5. Der teleologische Faktor. Der Gegenstand verwirk- 
licht den sinnreichen Vorsatz des Künstlers, entspridit seiner 



sdbvGoOgIc 



Die Faktoren des ästhetischen Ge^ienstandes. 73 

Norm. Es sind dies echte Bauern in ihrem besonderen Dunst- 
kreis. 

Hter erbebt sich die Frage, wieweit der relative Faktor 
dem G^enstande und seiner ästhetischen Wirkung zuge- 
rechnet werden muß, welche Grenzen und Kriterien dafür 
aufzufinden sind. Damit würde sich erst eine Lösung des 
Problems erwarten lassen, ob nur die sogenannten höheren 
Sinne (Auge und Ohr) am ästhetischen Genuß beteiligt sind, 
oder ob auch die niederen Sinne mitwirken. Angesichts stoff- 
licher Malerei drängt sich dk Frage geradezu auf; man 
denke niu- an die Tuchstoffe der alten Kölner Meister, an 
Böcklins kühles und feuchtes Wasser. 

" Unter den Anschauungen sind die akustischen und op- 
tischen stark bevorzugt. Den niederen Sinnen schreibt man 
in der Regel gar keinen oder nur geringen Wert für das 
ästhetische Objekt zu. Hegel, v. Hartmann, Liebmann haben 
sie einfach ausgeschlossen ; neuerdings auch Bray. Seine 
Gründe sind folgende: 

Die niederen Sinne sind Kontaktsinne, die höheren Fem- 
sinne. Daher rührt der mehr persönliche egoistische Cha- 
rakter der Genüsse, die wir den niederen Sinnen verdanken. 
[>as trifft besonders beim Geschmacksinn zu, der nur bei 
Zerstörung der genossenen Dinge wirksam wird. Ähnlich 
äußert sichVolkelt (Zettschrift für Psychologie, Bd. 29, S.208ff.). 
Bei Gesicht und Gehör geht das Empfinden ohne Spuren 
der Stofflichkeit vor steh, bei Getast, Geschmack, Temperatur- 
sinn dagegen ist das Empfinden 'zugleich Stoffgegebenheit 
Der Geruch steht in der Mitte, darum kann sich dort jene 
eigentümlich freie, schwebende, begierdelose Stimmung ästhe- 
tischer Art entfalten. 

Die Eindrücke der höheren Sinne ze^en eine Analysier- 
barkeit und eine Gesetzmäßigkeit der Elementarbeziehungen 
(Rhythmus, goldener Schnitt), die den niederen Sinnen fehlen. 
Hierzu vergleiche man auch Ch. Lalo (Revue philosophique, 
1908, Bd. 33, S. 451). 

Die Empfindungen der höheren Sinne befreien sich 



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74 Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

fast völlig von den Gegensätzen sinnlicher Lust und Unlust. 
Ihre gegensätzlichen OefühlstÖne sind von anderer Art. Auch 
hier stimmt Volkelt bei (a. a. O., S. 210f.): Die Empfindungen 
der niederen Sinne haben eine viel größere sinnliche An- 
nehmlichkeit und Unannehmlichkeit. Lust und Unlust dieser 
Art lassen sich von den Gesichts- und Oehörsempfinduiigen 
leicht abtrennen, während bei den niederen Sinnen Empfin- 
dung und Gefühlston unaufhörlich miteinander verschmelzen. 

Nach Wundt und Ribot sind die Erinnerungsbilder der 
niederen Sinne schwach, und die Assoziation zwischen ihnen 
fehlt fast ganz. Dadurch sind sie unfähig, in einen Aufbau 
einzugehen. Nach Volkelt liefern Gesicht und Gehör be- 
stimmte und deutlich einprägbare Wahmehmungsverknüpfun- 
gen als in sich zusammengehörige und bedeutsame Gebilde. 
Nach Groos vermitteln allein die höheren Sinne gdstigen 
Gehalt. 

Die niederen Sinne tun Wohl und Webe des Leibes 
kund, sie sind Verteidigungssinne. Auge und Ohr dagegen 
sind Erkenntnissinne. Eine Mittelstellung nimmt nach Bray 
aer Tastsinn ein; doch zählt auch er zu den niederen Sinnen. 
Eine Bestätigung seiner Ansicht findet Bray in der Tatsache, 
daß es keine Kunst für die niederen Sinne gibt. Schon das 
primitive ästhetische Empfinden der Naturvölker ist auf die 
höheren Sinne eingeschränkt. 

Das alles beweist und zeigt doch nur (was niemand 
bestreitet), daß die niederen Sinne in weit geringerem Maße 
als die höheren für das ästhetische Objekt in Betracht kom- 
men. Sie sind, für sich genommen, nicht geeignet, durch 
ihren qualitativen Bestand dauernd zu fesseln und zu befrie- 
digen. Darum können sie doch gelegentlich eine ästhetische 
Wirkung ausüben. Wundt hat mit Recht darauf hingewiesen, 
daß der ästhetische Genuß der Natur wesentlich eine Be- 
teiligung von Geruch und anderen niederen Smnen einschließt. 
„Zu dem Genuß einer Winterlandschaft gehört wirklich die 
Kälte" (Phys. Psych., Bd. 3, H. 5, S. 128). Keiner der an- 
geführten Gründe schließt aus, daß sich die Empfmdungen 



sdbyGoogle 



Höhere und niedere Sinne. 75 

der niederen Sinne mit sSTchen der höheren Sinne zu einer 
ästhetischen Gesamtwirkung verbinden. Der Anbhck einer 
Blume gewinnt durch ihren Duft. Dasselbe ist bei Oe- 
schmacks- und Temperaturempfindungen möglich, vielleicht 
auch bei Tastempfindungen. Deren Vorstellungsresiduen 
wirken bei dem Anblick so vieler gemalter Fruchtstücke mit. 
So erhallen die gesehenen und gehörten Gegenstände durch 
die Mitwirkung der niederen Sinne eine eigenartige Färbung. 
Diesen Tatbestand hat L. J. Martin zum Gegenstand einer 
besonderen experimentellen Untersuchung gemacht (Zeitschr. 
f. Psychologie, Bd. 53). Sie nennt ihn ästhetische Synästhesie 
und stellt fest, daß nicht nur akustische Mitempfindungen bei 
optischen Wahrnehmungen einen ästhetischen Einfluß ge- 
winnen (inneres Hören eines Wasserfalls gegenüber dessra 
bildlicher Darstellung), sondern audi Pseudoempfindungen 
der niederen Sinnk. Besonders' stark waren darunter die kin- ' 
ästhetischen, die Tast-, Temperatur- und Organempfindungen 
vertreten, während Geschmacks- und Schmerzempfindungen 
zurücktraten. Sie konnte zugleich wahrscheinlich machen, 
daß die ästhetische Beurteilung von der Lebhaftigkeit der 
Pseudoempfindungen abhängig war. Diese steigerten sowohl 
den miBfälligen wie auch den gefälligen Eindruck von Bildern. 
Es wäre wünsdienswert, eine ähnliche Untersuchung bei Ein- 
drücken niederer Sinne als selbständigen Gegenständen aus- 
zuführen. Eine selbständige ästhetische Bedeutung kommt 
den niederen Sinnen vielleicht nur selten zu, wie schon der 
Mangel einer eigentlichen Kunst für sie beweist. Einen Bei- 
trag zum ästhetischen Gegenstand liefern sie gewiß; ihre 
Inhalte werden als unselbständige ästhetische Gegenstände 
wirksam. Darum kann man sie auch nicht prinzipiell von der 
Analyse des ästhetischen Verhaltens ausschUeßen. Allerdings 
sind ihre außerästhelischen Eigenschaften relativ stark, ihre 
ästhetischen relativ schwach entwickelt. 

Femer werden sich Elemente, die der Wahrndimung 
entstammen, mit solchen aus der Erinnerungs- und Phantasie- 
fätigkeit zu einem ästhetischen Gegenstände verbinden. E>ie 



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76 Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

sonnenbeglänzte Wiese mit ihren Frühlingsblumen, der frisdi- 
grüne Wald, die rauchende Hütte und der würzige Duft, all 
das weckt auch mannigfache Vorstellungen. Davon ist aber 
nicht jede geeignet, den Empfindungsgegenstand zu umspielen 
und mit ihm zu verschmelzen, ohne von ihm abzuführen. 
Wenn ich mir etwa das Haus vorsteile, das ich mir in solcher 
Gegend erbauen möchte, so wird damit die Aufmericsamkeit 
von dem ursprünglichen Gegenstande abgelenkt; seine Ein- 
heit droht verloren zu gehen. Nicht um diesen Preis dürfen 
Vorstellungen der Erinnerung oder der Phantasie zu dem 
Wahmehmungsgegenstande hinzutreten. Doch bleibt eine 
reiche Fülle von Vorstellungen, die den ästhetischen Gegen- 
stand zu seiner duftigen und gelösten Eigenart ausgestaltet. 

Vorstellungen sind stets wichtige Bausteine des ästhe- 
tischen Gegenstandes. Der Künstler bedarf ihrer beim pro- 
duktiven ästhetischen Verhalten; seine Phantasiebilder re- 
präsentieren ihm das Werk vor dessen Vollendung. Viele 
Kunstfreunde können ein Musikwerk oder ein Gemälde auch 
in der Erinnerung geniefien. Wahrnehmung ist also nur eine 
ausgezeichnete, vielleicht die häufigste und ästhetisch wirk- 
samste anschauliche Repräsentation ästhetischer Objekte. 
Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung 
ist im ästhetischen Verhalten nicht so einschneidend wie 
in wissenschaftlicher Beobachtung. Die individuellen An- 
lagen aber bedeuten hier viel; denn von ihnen hängen tref- 
eingreifende Änderungen im qualitativen Bestände der Vor- 
stellungen ab. Es gibt Musiker, die eine Partitur genießen, 
wie andere ein gelesenes Gedicht. Aber das wiricliche An- 
hören der Aufführung vertieft den Eindruck und rundet ihn. 
Schon darum drängt es den Komponisten, sein Werk zu 
dirigieren. 

Jedenfalls ist das ästhetische Objekt nicht als Reiz hin- 
reichend zu beschreiben, ebensowenig nur als Empfindung, 
oder nur als reales Objekt, wiederum auch nicht als realer 
psychischer Vorgang und keinesfalls als ideale Konstruktion 
allein. Vielmehr ist das ästhetische Objekt ein Gegenstand 



sdbvGoOgIc 



Ober Schein und Selbsttäuschung. 77 

für Wahrnehmung, Erinnerung, Fühlen und Rissen. Um es 
gebührend aus der platten Wirklichkeit herauszuheben, hat 
bian daher zu der Auskunft gegriffen, die ästhetische Welt 
als Schein, Illusion und Selbsttäuschung zu bezeichnen. Zu 
solcher Auffassung neigen Lange und Groos. E. v. Hartmann 
begründet die Lehre vom ästhetischen Schein erkenntnis- 
theoretisch, indem er zeigt, wie nicht die gedachten Dinge 
an sich, sondern nur die subjektiven Erscheinungen ästhetisch- 
wirken. Die natv-realistische Übertragung des Prädikats 
„Schön" auf die Dinge an sich, ist ihm nur statthaft, sofern 
man sich der Uneigentlichkeit dieser Ausdrudesweise bewußt 
bleibt. Nur dort, wo eine Ablösung des Scheins von der 
Realität gelingt, wie bei den Eindrücken der höheren Sinne, 
kommt es zum ästhetbchen Verhalten. Bei dramatischen Auf- 
führungen abstrahieren wir vom. wirklichen Schauspieler, 
bei musikalischen Darbietungen von den Spielern. Beim 
naiven Reahsmus und beim subjektiven Idealismus wäre 
solche Ablösung des Scheins und damit ein ästhetisches Ver- 
halten unmöglich. Nur der transzendentale Realismus, der 
subjektive Erscheinung und die Realität unterscheidet, macht 
das ästhetische Verhalten verständlich. Der ästhetische Schein 
ist nach Hartmann keine Illusion, sondern ideale Realität als 
wirklich vorhandener Bewußtseinsinhalt. Er ist aufrichtig 
und rein, will niemand täuschen und beanspnichf nicht, ob- 
jektive Realität zu sein. Der Sitz des Schönen ist nicht in 
einer übersinnlichen Idee zu suchen, deren bloßer Abglanz 
die Erscheinung wäre; vielmehr gehört der übersinnliche 
ideale Gehalt unmittelbar zur Erscheinung und wird in ihr 
gefunden. Der Schein ist auch von der subjektiven Realität 
des Beschauers und seiner Seelentätigkeit losgelöst. Sobald 
die Reflexion eintritt, ist es mit dem reinen ästhetischen Ver- 
halten vorüber. Im Selbstvergessen liegt noch keine Illusion. 
Sie beginnt nach Hartmann erst beim H meinversetzen des 
ich in den Schein und kann nur aus den ästhetischen Schein- 
gefühlen und der realen ästhetischen Lust erklärt werden. 
Für diese Scheingefühle wird das Gesetz aufgestellt: 



sdbvGoogic 



78 Theorie des ästhetisdien Oegenstandes. 

Oberall, wo eine Realität geeignet ist, reale Gefühlswirkungen 
in einem mit ihr in reale Beziehungen tretenden Subjekt aus- 
zulösen, ist auch der von dieser Realität abgelöste oder ihr 
künstlerisch entsprechende' Schein geeignet, die nämlichen 
Gefühle als ideale ästhetische Scheingefühle in dem ihn 
ästhetisch auffassenden Subjekt auszulösen. Man kann nach 
Hartmann reaktive imd sympathisdie Scheingefühle unter- 
scheiden. Die realen Gefühle besitzen ein viel größeres Be- 
harrungsvermögen als die Scheingefühle, weil sie viel inten- 
siver sind. Dagegen sind die Scheingefühle ungleich wandel- 
barer und modulationsfähiger. Werden diese in den Schein 
projiziert, so wird der Schein bedeutend und beseelt. 

Wenn wir diese Ausführungen Haffmanns überblicken, 
so drängen sich uns folgende Gegenbemerkungen auf: Die 
Anwendung erkenntnistheoretischer Kategorien auf das ästhe- 
tische Gebiet ist bedenklich, ebenso wie das auch bei logischen 
Kategorien bedenklich ist. Jedes selbständige Gebiet mensch- 
lichen Geisteslebens ist zunächst nach eigenen Kategorien zu 
beurteilen. Insonderheit läßt sich der ästhetische Gegenstand 
nicht einfach unter erkenntnistheoretische Kategorien sub- 
sumieren. Er kann ein realer sein, wie ihn die Natur, die 
Skulptur oder das Kunstgewerbe bieten, er kann ein Dar- 
stellungsobjekt sein, wie in der Poesie oder in der Schau- 
spielkunst, er kann aber auch ein unmittelbar erlebter Gegen- 
stand sein, wie eine ferne Melodie. Wie will man unter 
solchen Umständen ausschließlich von ihm, als von einer 
subjektiven Erscheinung reden! Die angeführten Tatsachen 
erklären sich ungezwungen aus anderen Gründen. Daß man 
der Natur gegenüber verhältnismäßig spät und selten ein 
ästhetisches Verhalten annimmt, hängt damit zusammen, daß 
sie in erster Linie ein anderes, das praktische und daneben 
das wissenschaftliche, anregt. Daß die Dinge an sich nicht 
ästhetisch wirken, sondern nur die Erscheinungen für unsere 
Wahrnehmung, darf nicht in jedem Betracht behauptet wer- 
den. Bei der ästhetischen Betrachtung realer Objekte wirken 
doch auch^ deren reale Beschaffenheiten mit ein. Nicht auf 



3dbvG»Oglc 



Die DMcaisweise des ästhetischen Oegenstandes. 79 

den Ausschluß der IMnge an sich kommt es an, sondern auf 
die Art ihrer Vergegenwärtigung. Wie es mit der gedank- 
lichen, unanschaulichen Vergegenwärtigung steht, ist noch 
nicht entschieden. Ihre Beschaffenheit freilich muß uns 
irgendwie repräsentiert sein. Das gilt selbst für die Er- 
scheinungen. Eine Verzeichnung, die nicht als solche wiritt, 
stört uns ästhetisch nicht, obwohl sie nachweisbar gesehen 
wird. Daraus muß man schließen, daß die objekitv realen 
Beschaffenheiten, sofern sie vergegenwärtigt werden, auch 
ästhetisch wirken können. 

Auch die „Scheingefühle" sind keine glückliche Neue- 
rung. Gemeint sind durchaus reale Gefühle, die wegen des 
Ausscheidens der praktischen Gesichtspunkte von anderer 
Wirkung sind als außerästhetische Stimmungen. Alles, was 
Hartmann über ihre größere Wandlungsfähigkeit und Pro- 
jektion sagt, läßt sich aus dem ästhetischen Verhalten er- 
klären, ohne daß man einen „Schein" dafür in Anspruch 
nehmen müßte. Wir kommen so zu dem Ergebnis, daß der 
ästhetische Gegenstand erkenntnistheoretisch nicht eindeutig 
bestimmbar ist. Alle Gegenstände vielmehr, so werden wir 
sagen müssen, die eine ästhetische Wirkung ausüben können, 
erregen ein empfängliches Verhalten durch ihre merkliche 
Beschaffenheit. Ihre Daseinsweise dagegen hat keine un- 
mittelbare Bedeutung, sei sie nun reale Existenz oder ideales 
Dasein, bloße Bewußtseinsgegebenheit oder ein darüber- 
hinausgehendes Bestehen. Nur wenn sich mit der Dasems- 
weise die Beschaffenheit des Gegenstandes ändert, kommt 
auch sie für die ästhetische Wirkung mittelbar in Betracht. 

Scheinbar steht dem entgegen, daß wir geneigt sind, 
die Beziehung zur Wirklichkeit besonders zu schätzen. Wir 
sagen: wie aus dem Leben gegriffen! wie wahr! der Natur 
abgelauscht! Aber hier handelt es sich nicht um die Existenz- 
weise. Wir wollen die Marmorstatue nicht in Fleisch und 
Bein umwandeln. Auch wirkliche Dinge bezeichnen wir als 
unnatürlich und unmöglich. 

Wenn man den ästhetischen Gegenstand aus dem direk- 



DipilizsäbyGoO^^IC 



80 Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

ten und relativen Faktor zusammensetzt, so gelangt man 
anfangs leicht zu der Meinung Fechners, da6 alles was den 
relativen Faktor austpacht, durch Assoziation herbeiströme. 
Man nannte ihn deshalb geradezu den assoziativen Faktor 
in einem weiteren Sinne. Es fragt sich aber, ob damit alle 
Bestandteile des ästhetischen Gegenstandes bezeichnet sind. 
Neben der Assoziation gilt noch die Einfühlung als ein Pro- 
zeß, der den Gegenständen Beschaffenheiten zuführt. Ob 
Einfühlung ganz oder teilweise auf Assoziation beruht, ist 
in der heutigen Ästhetik noch nicht entschieden. Es fr:^ 
sich weiter, welche ästhetische Bedeutung der Unterschied 
zwischen dem direkten und dem „assoziativen" Faktor hat, 
d. h. ob dieser Unterschied für die Ästhetik relevant ist. 
Darauf kann durchaus nicht allgemein bejahend geantwortet 
^werden; man müßte zuvor den Einfluß eines jeden einzelnen 
Bestandteiles für sich untersuchen. Ferner fragt sich, ob Jede 
Assoziation für den ästhetischen Gegenstand in Frage kommt. 
Darauf suchen ich^) und Allesch zu antworten. Endlich wäre 
zu sagen, ob es ein ästhetisches Assoziationsprinzip gibt. 
Darauf habe ich in meiner Rezension über Groos zu ant- 
worten versucht^). 

Um die möglichen Assoziationen zu sichten, fordert 
V. Allesch die adäquate Anschauung^). Adäquat ist sie, wenn 
sie sowohl der Intention des Künstlers Rechnung trägt, 
soweit sie im Kunstwerk erfüllt wird, als auch der eigenen 
Intention des Kunstfreundes, die sich ihm bei der Betrach- 
tung aufdrängt. Was nicht mehr unmittelbar mit den Er- 
scheinungen im Zusammenhang steht, wie persönliche Er- 
innerungen, über die Deutung hinausgehendes kunstge- 
schichthches oder technisches Wissen, sind daher auszu- 
scheiden. Nur soweit eine Auffassung oder Ei^änzung das 
Gefallen beeinflussen kann, gehört sie zur ästhetischen An- 



') Vierteljahrschrift für wiss. Philos., 1899, Bd. 23. 
^) Oötting. gelehrte Anzeigen, 164. Jahrgang, Nr. 11. 
') Z. f. Ps., Bd. 54, S. 517. 



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Naturalismus. 31 

schauung. Wenig fruchtbar für eine unbefangene Ästhetik 
sind die modernen Theorien des, Symbolismus, Impres^onis- 
mus und Futurismus oder wie die Schlagworte sonst alle 
heißen mögen. Als Ausdruck für eine Technik unter anderen, 
als Versuch eine eigene Kunstsprache auszubilden, als Zei- 
chen für wechselnde Zeitbedürinisse und künstlerische Ten- 
denzen mag jedes von ihnen bedeutungsvoll sein. Aber eine 
Theorie der Kunstübung, die über soldie Besondertieiten 
hinwegsehen muß, ist damit nicht bezeichnet. Vielmehr gibt 
es nifhts in der Welt, was nicht ästhetischer Gegenstand 
sein könnte. 

Es schien uns von besonderer Wichtigkeit, auf die Ein- 
seitigkeit so mancher Theorien über den ästhetischen Gegen- 
stand hinzuweisen und alle Begriffe aus der Ästhetik zu ver- 
bannen, die aus fremden Wissensgebieten unbesehen ein- 
geführt werden, wie besonders solche vom Schein ,und Scheio- 
gefühl. Ebenso haben wir durchgängige Beziehung auf Wirk- 
liches als eine ästhetisch nicht zu begründende Forderung 
erkannt. Vielmehr mußten wir dem Naturalismus die An- 
erkennung als grundlegendes Prinzip der Ästhetik versagen. 
Er hat seinerzeit für technische Verfeinerung viel bedeutet; 
auch den Schattenseiten des wirklichen Daseins hat er die 
Teilnahme ästhetischer Kontemplation zugewendet und hat 
so unseren Gesichtskreis erweitert und bereichert. Aber 
deshalb darf er die ästhetischen Gegenstände nicht auf die 
anschauliche Wirklichkeit und deren temperamentvolle Auf- 
fassung beschränken. Phantasmen und Gedanken stehen 
gleichwertig neben Wahrnehmung und Erinnerung, der gol- 
dene Berg neben der landschaftlichen Impression. 

Es gibt vieles, was nicht Objekt ethischer Beurteilung 
sein kann, nämlich alles Außermenschliche. Ebenso gibt 
es vieles, was nicht Gegenstand, logischer Beurteilung wer- 
den kann, nämlich alles Unbegriffliche. Aber kein Gegen- 
stand ist als solcher unfähig, einen ästhetischen Eindruck zu 
machen oder dazu beizutragen, keiner ist unfähig, ästhetisch 
gewertet zu werden. In dieser Universalität der ästhetischen 

Efilpe, latheUk. ' 6 



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82 Theorie des ästhetischen Gegenstandes. 

Gegenstände liegt es begründet, daß der Künstler unter allen 
Schaffenden die freieste Produktivität aufweist. 

Soviel über die Theorien vom ästhetischen Q^enstand. 

Literatur. 

Th. Meyer, Das Stilgesetz in der Poesie. Leipzig 1901. 

Volkelt, E>er ästhetisdie Wert der niederen Sinne. Zeitschrift für 
Psychologie, 1902, Bd. 29, S.204fl. 

Lalo, Inh^oduction ä festh^que. Paris 1913. 

Bray, Du beau. Paris 1902. 

Martin, Ober ästhetische Synästheste. Zeitschrift für Psydiologie, 
190», Bd. 53. 

Lange, Die bewußte Selbsttäuschung als Kem des kOnstlerisdien Oe- 
nuBses. 1895. 

Oroos, Das ästhetische Miterleben. Zeitschrift fGr Ästhetik, Bd. 4, 
S. 161 ff. 

Külpe, Ein Beitrag zur experimentellen Ästhetik. American Journal 
, of Psycholt^, Bd. 14. 

— Über den assoziativen Faktor des ästhetisdien Eindrucks. Viertel- 
jahrsschrift fär wissenschaftlidie PhiloBophie, 1899, Bd. 23. 

V. Allesch, Über das Veriiältnis der Äsüietik zur Psychologie. Zeit- 
schrift für Psydiologie, 1910, Bd. 54. 



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Theorie des ästhetischen Zustandes. 

Wenn auch (wie wir sahen) alle Formen des Gegen- 
standsbewußtseins am Aufbau des ästhetischen Objekts mit- 
wirken können, und wenn dieses hierdurch einen eigentüm- 
licheo inneren Reichtum, eine wirksame Fülle gewinnt, so 
darf man die gesteigerte Teilnahme, die wir ihm schenken, 
doch am allerwenigsten mit einem Interesse an seiner Realität 
im Sinne der Naturwissenschaft verwechseln. Von wissen- 
schaftlicher Beobachtung ist der ästhetische Zustand denk- 
bar weit entfernt. Ob etwas dem ästhetisdien Obj'eltt Ver- 
gleichbares im natürlichen Dasein wiederzufinden, ist für die 
ästhetische Wirkung höchst gleichgültig. Zwar wird bei histo- 
rischen Dramen der künstlerische Takt allzu grobe Abwei- 
chungen von allgemein bekannten Ereignissen vermeiden; 
aber doch nur, weil solche Abweichungen indirekt stören, 
indem sie das Interesse des Zuschauers spalten und dadurch 
die ästhetische Stimmung beeinträchtigen und so die Einheit 
des ästhetischen Gegenstandes gefährden. Mythische Ereig- 
nisse können steh in mannigfacher historischer Gewandung 
abspielen, ohne den Kunstwert zu mindern. Ästhetisch moti- 
vierte Abweichungen stören weit weniger, als historisdie 
Treue in formbrechenden Szenen. Darum ist die Definition 
der Kunst als einer Nachahmung der Natur völlig schief; 
stellt sie doch zwischen beiden eine Beziehung her, die für 
die Wirkung des schönen Werkes ganz irrelevant ist. Tiefste 
ästhetische Konzentration hebt im Gegenteil den Objekt- 
charakter des Kunstwerkes auf. Freilich legt die Ästhetik 
nicht gerade diesen Zustand versunkener Betrachtung als 
Norm des empfänglichen Verhaltens zugrunde. Die Inten- 

6* 



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84 Theorie des ästhetischen Zustandes. 

sität des ästhetischen Verhaltens braucht nicht bis zum Ver- 
schwinden aller Oegenstandsbeziehung zu gehen. Früher 
schon ist nicht diese, sondern das Bewußtsein eigenen Ver- 
haltens, eigener Spontaneität erloschen. Aber auch, wenn sich 
Gegenstand und Zustand unterscheiden lassen, ist das reine, 
vollständige und intensive ästhetische Verhalten bei weitem 
noch nicht gebrochen. Wer aber ein Kunstwerk inimer gleich 
daraufhin untersucht, ob und inwiefern es reale Verhältnisse 
richtig und unrichtig schildert, tut der Ästhetik keinen Dienst. 
Er neigt zu erkenntnistheoretischen Erörterungen über den 
ästhetischen Schein (wie K. Lange), weil ihm die Fähigkeit 
reiner Kontemplation durch Reflexion erdrückt worden ist. 

Was wir bisher vom ästhetischen Gegenstände gesagt 
hatten, gilt nur von einer Seite seines Inhalts und Reichtums, 
charakterisiert nur die Beschaffenheit, die ihm als aufgefaßtem, 
wahrgenommenen, apperzipierten Gegenstand zukommt. Er 
ist dadurch noch nicht schön und häßlich, nicht anmutig und 
erhaben, aber auch noch nicht beseelt und vermenschlicht, 
noch nicht Träger eingefühlter Bestimmungen. Es war bis- 
her nur vom Gegenstande vor dem spezifisch ästhetischen 
Zustande die Rede, vor dem Zusammentreffen damit. Schön- 
heit, Anmut, Beseelung zeigt sich erst nach diesem Zusam- 
menwirken. Sie entspringt einer Wechselwirkung zwischen 
Objekt und Zustand. Dann erst macht der bereicherte Gegen- 
stand ästhetischen Eindruck. Er ist nicht nur an uns heran- 
getreten, sondern er hat dann auf uns gewirkt und in uns 
lebhafte, tiefergreifende Reaktionen ausgelöst. Er ist uns 
wert geworden und zu einem gehaltvollen Wesen. Über die 
Formen solchen Eindrucks wird später zu handeln sein ; doch 
haben wir im allgemeinen bei der Untersuchung des ästhe- 
tischen Zustandes Gelegenheit, auf ' die Prädikate hinzu- 
weisen, die ihm entstammen. 

Wenden wir uns zu den Theorien des ästhetischen Zu- 
standes, so werden wir vor allem auf verschiedene Behand- 
lungen des Einfühlungsprobiems stoßen. Jedes Kunstwerk, 
jeder ästhetisdi wirkende Naturgegenstand wendet uns nur 



sdbvGoOgIc 



Bereitschaft. 35 

seine Außenseite, seine sinnliche Qualität zu. Wir begnügen 
uns aber nicht mit deren Auffassung, sondern wir verleben- 
digen das tote Objekt, wir beseelen die yngeistige Form. 
Wir le^en Gefühle hinein; wir vollziehen die Einfühlung. 
Um diesen Begriff sind eine Fülle von Theorien entstanden, 
die teils alles ästhetische Genießen auf Einfühlung gründen, 
teils nur gewisse Faktoren seiner Entstehung damit bezeich- 
nen wollen. Ehe wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen, 
tun wir gut, noch die ästhetische Einstellung und die Kon- 
temptation zu untersuchen. 

Ästbetische Einstellung. 

E>er ästhetische Zustand ist nur einer unter vielen an- 
deren; da er nicht zu den praktisdien Notwendigkeiten ge- 
hört, ist er stets in Gefahr, von diesen erdrückt oder gehemmt 
zu werden. Darum bedarf es besonders günstiger Umstände, 
um ihn aufkommen und sich entfallen zu lassen. Die Auf- 
gabe eines idealen ästhetischen Verhaltens ist nicht etwa 
leicht zu erfüllen. Zu diesen günstigen Umständen zahlen 
wir in erster Linie eine Richtung auf ästhetisches Verhalten, 
eine subjektive Prädisposition dafür. Wir bezeichnen sie 
mit dem Namen „ästhetische Einstellung". Das Wort Ein- 
steilung wird auch sonst viel in der Psychologie gebraucht. 
Man redet von einer sensorischen und motorischen Einstel- 
lung (auf Sinneseindrücke oder auf Bewegungen), wenn man 
disponiert ist, sie in einer eingeübten Form zu wiederholen; 
aber man spricht audi von einer Einstellung der Aufmerksam- 
keit und nennt Einstellung jede Art von Vorbereitung auf 
eine Leistung. So kann man auf Arbeit und Genuß, auf Brief- 
schreiben und Spaziergang eingestellt sein. In diesem wei- 
teren Sinne wollen wir auch von ästhetischer Einstellung 
9I5 einer Bereitschaft zum ästhetischen Verhalten sprechen. 
Darin kann in nuce der ästhetische Zustand selbst gefunden 
werden. Im Bereitsein ist alles implictte angelegt und vir- 
tuell gegeben, was zum ästhetischen Verhalten gehört. Dies 
Bereitsein ist die erste Stufe des ästhetischen Zustandes. 



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86 Ästhetische Emstetlung. 

I^e von uns schon dai^etane Universalität der ästhe- 
tischen Gegenstände ist nicht zum mindesten in der Weite 
der ästhetischen Einstellung gegründet, die niemals aus- 
schließlich auf Wirklichkeit oder Unwirklichkeit, Mensch- 
lichkeit oder Begreiflichkeit allein gerichtet ist, sondern an 
jedweder merklichen Beschaffenheit aller erdenklichen Ob- 
jekte Gefallen um ihrer selbst willen finden kann. CMe Weit- 
herzigkeit ist Voraussetzung des ästhetischen Verhaltens. 
E)aher fragt denn auch der Kunstliebhaber nicht so sehr 
nach dem Was als vielmehr nach dem Wie der künstlerischen 
Behandlung eines Stoffes. Von hier aus gewinnen wir ein 
neues Verständnis für die Frage nach der Bedeutung der Ge- 
danken für die ästhetische Wirkung. Die Gedanken sind 
abstrakt und sofern von ärmerer Beschaffenheit als die 
anschaulichen Inhalte. Sie sind schematischer und begnügen 
sich vielfach mit vielen Gegenständen gemeinsamen Zügen; 
damit lassen sie individuelle Merkmale außer Betracht. 
Wegen dieser Armut treten sie als selbständige Objekte für 
das ästhetische Verhalten zurück. 

Die Wirkung der Einstellung ist eine Einengung des 
Bewußtseins und der Aufmerksamkeit auf die dem ästhe- 
tischen Verhalten entsprechenden Gegenstände. Was mit 
diesem Verhalten und seinen Gesichtspunkten nichts zu tun 
hat, wird femgehalten und bleibt deshalb unwirksam. So 
scheiden im ästhetischen Genuß beim historischen Drama 
die Fragen nach seiner äußeren Richtigkeit aus, bei der 
Büste das Interesse für den Rumpf, bei dem Gemälde die 
Neugier nach der Herkunft seiner Leinwand. Beim Anhören 
absoluter Musik fragt kein ästhetisch eingestellter Kunst- 
freund nach den Vorstellungen, die dem Künstler etwa bei 
der Komposition vorgeschwebt haben mögen. Alle solche 
Fragen können im Sinne anderer Verhaltungsweiseti auf- 
geworfen werden, in der reinen ästhetischen Einstellung 
sind sie nicht angelegt. 

Positiv besteht die Wirkung der Einstellung in einem 
. Entgegenschicken aller Prozesse, die ein Objekt im Sinne 



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Spielarten der Einstellung. 87 

des ästhetischen Verhaltens ausgestalten: aufmerksame Wahr- 
nehmung und ergänzungsbererte Vorstellung, affektive und 
motorische Faktoren, zusammenfassende Funktionen, die 
einen Oesamteindruck bilden. Es versteht sich, da6 ver- 
schiedene Objekte nicht alle diese Prozesse in gleichem 
Maße entfesseln. Darum kann die ästhetische Einstellung 
nicht immer die gleiche sein, sie muß vielmehr eine wech- 
selnde Gestalt annehmen, die durch Erfahrung, subjektive 
Anlage und die Objekte erst im einzelnen determiniert wird. 
Als ersten Unterschied der Einstellungsart bezeichnen wir 
die willkürliche und die unwillkürliche Einstellung. Bisher 
hat man angenommen, daß die ästhetische Einstellung nur 
dann eintritt, wenn eine vorherige Absicht, sich ästhetisch 
zu verhalten, besteht oder geweckt wird. Wer ein Konzert, 
eine Theateraufführung, ein Museum besucht, wer in eine 
schöne Gegend reist, wird sich ästhetisch einstellen. Aber 
es gibt auch eine latente Einstellung, eine Bereitschaft zu 
ästhetischem Verhalten, die keiner besonderen Absicht ihre 
Entstehung verdankt. Sie ist entweder immer vorhanden oder 
^wird durch geeignete Reize ungesäumt herbeigeführt. Es 
liegt dann an einer besonderen Begabung, wenn sich ein 
Mensch so leidit ästhetisch einstellt. Ferner kann man 
zwischen einer allgemeinen und eine^r speziellen Bereitschaft 
unterscheiden. In allgemeiner Einstellung befindet sich der 
Ästhet, der alle Gegenstände nach den Gesichtspunkten auf- 
zufassen liebt, die wir für das ästhetische Verhalten charakte- 
ristisch fanden. Meist wird eine spezielle Bereitschaft vor- 
liegen, die übrigens viele Abstufungen hat je nach dem ge- 
suchten Genuß: Hier ist noch ein reiches Feld för genauere 
Feststellungen offen. Die Einstellung kann sich audi da- 
durch spezialisieren, daß eine .Bereitschaft für bestimmte 
Phasen des ästhetischen Zustandes entsteht. In diesem Sinne 
kann man von einer einfühlenden, kritischen, emotionalen, 
teilnehmenden Einstellung reden. Diese Unterscheidungen 
führen bereits in eine Individualpsychologie des ästhetischen 
Verhaltens hinein. Sie hat erst in neuerer Zeit begonnen. 



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88 Ästhetische Einstellung. 

das Interesse des psydiologischen Ästhetikers zu wecken. 
Untersuchungen an Farben und Tönen haben eine über- 
raschende Mannigfaltigkeit der Verhaltungsweisen feststellen 
lassen. 

Es ist klar, daß die Einstellung von großem Einfluß 
auf das ästhetische Verhalten und seine Wirkung ist. Die 
wohlgelungene Einstellung wird die Wirkung stdgefn, das 
Eintreten eines idealen ästhetischen Verhaltens begünstigen. 
Die falsche Einstellung wird hindern, aufheben, verzögern. 
Die spezielle Einstellung ist dabei besonders wirksam. Pro- 
grammatische Mitteilungen über Werk und Künstler fördern 
große und rasche ästhetische Wirkungen. Vorbereitung am 
Klavier vertieft den Genuß eines symphonischen Abends, 
auf den sie einstellt. Wovon ist der Eintritt einer solchen 
Einstellung abhängig? Die Willensabsicht genügt nicht, wenn 
man nicht zugleich weiß, was man erstreben soll; Ziel- 
bewußtheit ist eine wesentliche Bedingung. Das setzt 
wiederum Erfahrung voraus, vergangene Erlebnisse ästhe- 
tischen Verhaltens, die sich eingeprägt haben, Bekanntschaft 
mit ästhetischen Objekten und ihrer Wirkung. Die Erfahrung 
befestigt sich durch eindringliche Wiederholung. Eine ge- 
eignete Unterweisung kann dabei hilfreiche Dienste leisten, 
indem sie das wildwachsende Interesse beschneidet, das 
Verhalten diszipliniert, während sie auf die wesentlichen 
Gesichtspunkte hinweist, die das ästhetische Verhalten be- 
stimmen. Wie entscheidend die persönliche Veranlagung 
ist, braucht hier kaum besonders gesagt zu werden. Wir 
setzen ja immer voraus, daß die Anlage und äußere Mög- 
lidikeit zu ästhetischem Verhalten besteht. Daher denken 
wir uns den Genuß als ungestört von Mitmenschen und 
ungünstiger Umgebung, wir nehmen für optische Eindrüdce 
günstige Beleuchtung, für akustisdie sonstige Stille an. 

Über Dauer und Kraft der ästhetischen Eii^stellung und 
ihre zusammensetzenden Faktoren sind wir bisher unge- 
nügend unterrichtet, äie unterliegt wie alle Einstellungen 
der Ermüdung und Abstumpfung. Beim idealen ästhetischen 



sdbvGoogIc 



Faktoren der Einstellung. 89 

Verhalten kann man davon ebenso absehen, wie von der 
Festigkeit gegen Störung und Ablenkung. Ober die einzelnen 
Faktoren der Einstellung kann uns erst zukunftige Forsdiung 
Auskunft geben. Es erheben sich die Fragen nach der Tiefe 
der Konzentration, nach der Stärke der Determination, nach 
der Erwartungsspannung, nach der Intention und Präoer- 
zeption. Außer dem volittonalen müßte man noch einen 
emotionalen und intellektuellen Faktor hervorheben. CHe 
Vorstimmung besonders ist schwer zu beschreiben und zu 
analysieren. Auch innerhalb der ästhetischen Einstellung 
kann dieser emotionale Faktor verschieden gerichtet sein; 
er kann sich auf Tragisches, auf Komisches, auf Anmutiges 
oder Erhabenes wenden. Die Erwartungsspannung vor der 
Lektüre eines Romans, die eigentümhche Behaglichkeit in 
der Bereitschaft zum ästhetischen Genuß, die innerhche Frei- 
lieit von Lebenssorgen, praktischen Aufgaben, wissenschaft- 
lichen Problemen, der gute Wille zur Hingabe an das Objekt 
gehören allgemein dazu. Dem intellektuellen Faktor verwandt 
ist ein gewisses Verhalten der Aufmerksamkeit, eine geistige 
Bereitschaft zur Aufnahme ästhetischer Eindrücke, Bewußt- 
heit stofflicher Kenntnisse, technischer Überlegungen. Die 
mannigfaltige Wirksamkeit dieser Faktoren ist voriaufig 
kaum zu übersehen. Man hat dies Eingangstor bisher meist 
wie' einen selbstverständlichen Rahmen betrachtet, in dem 
sich das ästhetische Verhalten abspielt. 

Ästhetjsclie Kontemplation. 

Im ästhetischen Zustande ist die Kontemplation (ein 
Bemerken und Erfassen des Gegenstandes unter dem Ge- 
sichtspunkte des ästhetischen Verhaltens) das erste nach der 
Einstellung erreichte Stadium, das dann alle weiteren trägt: 
Deutliche Gesamtauffassung und deutliche Einsicht in die 
Qualität und Bedeutung der Teile ist das Ziel solcher Kon- 
templation, die nicht nur die Wahrnehmung des äußeren 
Gegenstandes, sondern auch das Verständnis seines Aus- 
drucks umfaßt. Die Kontemplation ist eme Bedingung der 



Digimed byCtlO-^le 



90 Ästhetische Kontemplation. 

ästhetischen Wirkung; aber die Befriedigung, die das Inter- 
esse am Gegenstande gewährt, darf nicht mit dem Gefallen 
an ihm verwechselt werden. Unter günstigen Umständen 
kann sich die Kontemplation zu völliger Hingabe und Ver- 
senkung in den Gegenstand steigern, die Ort und Zeit, das 
Ich und seine sonstigen Au^aben völlig vergessen läßt. 
„Man ist ganz weg" oder „ganz Auge". Man erwacht wie aus 
einem schönen Traume, wenn Störung oder Abstumpfung 
die Kontemplation aufheben. Dies Auffassen und Beachten 
ist nicht, wie bei der wissenschaftlichen Beobachtung auf 
das Ansich des Gegenstandes gerichtet, sondern nur auf 
das deutliche Erleben seiner Beschaffenheit. Die Erfassung 
der Empfindungsinhalte (Töne und Farben), sowie der Vor- 
stellungselemente gehört ebenso zur Kontemplation, wie die 
Erfassung von Formen und Gestalten (Melodie, Rhythmus, 
Raumform). Die Kontemplation unterwirft diese Elemente 
einer Synthese, deren Aufbau die Elemente nicht aufhebt; 
sie werden so zueinander geordnet, daß ein neues Ganzes 
sich bildet, mehr als die Summe der Elemente. Analytische 
Naturen zerlegen den Gesamteindruck wieder zur vollstän- 
digeren Erfassung des Gegenstandes. Von kontemplativem 
Verständnis reden wir angesichts von Eigenschaften, die 
gegenständlich gefaßt als Ausdruck der Objektsbeschaffen- 
heit zu bezeichnen wären. Für jeden, der sich ästhetisch 
verhält, kann der Ausdruck genau ebenso im Objekt liegen, 
zu ihm gehören, wie Farben und Töne auch. Die Menschen 
im Roman hassen und heben, sie sind auf Bildern andächtig, 
die Madonna schaut gütig und hoheitsvoll. Man könnte statt 
von Kontemplation auch von Apperzeption sprechen; nur 
müßte man dann ästhetische Apperzeption sagen, weil sonst 
der Ausdruck nicht zur Apperzeption gehört. Der gemalte 
Apfel enthält nach gewöhnlicher Apperzeption nicht alle die 
Eigenschaften, die ihm nach der ästhetischen eignen: reif, 
saftig, gesund zu sein. Je fremder ein Objekt der Betrach- 
tung ist, um so mehr bedarf es der Aneignung von Einzel- 
heiten. Die Dauer der ausbauenden Kontemplation ist äußer- 



nd bvGoOgIc 



stufen der Gegenstandsdurchbildung. 91 

dem von der Fülle der Einzelheiten, der Verwickeltheit einer 
Komposition, der Eindeutigkeit des Ausdrucks mit abhängig. 
Auch hier müBte weitere Untersuchung anknüpfen. Mit alle- 
dem ist nicht gesagt, daß die Kontemplation überhaupt auf- 
hört, wenn Erfassen und Verständnis vollendet sind. Man 
verharrt über die Anfangsstadien hinaus in der Kontemplation. 
Die einzelnen Stadien des ästhetischen Verhaltens sind Fäden 
zu vergleichen, die zu verschiedenen Zeiten in das Gewebe 
eintreten, die alsdann darin bleiben und einander mannig- 
fach durchschüngen. Die Kontemplation schreitet vom Un- 
bestimmten zum Bestimmten fort, nicht ohne daß dabei 
Illusionen eine Rolle spielen, Farben gesehen werden, wo 
keine sind. (Martin, Ritook. Zeitschr. f. Ästh., Bd. 5, S. 365, 
Pseudochromästhesie.) 

Die Kontemplation erhebt sich in natürlichem Stufen- 
gang vom Wahrnehmungsgegenstande zu seinem Ausdruck. 
Aber es gibt nicht nur zwei solcher Stufen, es können sich 
deren mehrere superponieren. Wenn ich Noten lese, muß 
ich sie erst in Töne umdeuten, ehe ich deren Ausdruck ver- 
stehe. Darum genügt es nicht, einen primären und einen 
sekundären Gegenstand zu unterscheiden. Auch die Gegen- 
sätze zwischen Erscheinung und Idee, Gestalt und Ausdruck, 
direktem und assoziativem Faktor erschöpfen die vorkom- 
mende Mannigfaltigkeit nicht. An verschiedenen Prädika- 
tionen erkennt man leicht, welche Gegenstandsdurchbildung 
jeweils gemeint ist. Wenn man Rethels Bild „Gerechtigkeit" 
mittels einer Kamera auf einem Schirm aufleuchten läßt und 
spricht dann von ungünstiger Stellung des Gegenstandes, so 
gilt das vom Projektionsbild. Gute Komposition lobt man an 
dem Bilde des Meisters, eherne Zöge werden der Frauen- 
gestalt zugeschrieben, die Unerbittlichkeit aber wird von der 
Qerecitligkeit ausgesagt, die des Werkes allegorische Idee 
ist. Dadurch braucht die Einheit des Kunstwerkes nicht zu 
leiden, wenn nur alle diese Gegenstände zu einem Indi- 
viduum zusammenschmelzen, an einen anschauhchen Träger 
gebunden sind. 



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92 Ästhetische Kootemplatic«. 

Die Kontemplation ist Voraussetzung aller ästhetischen 
Wirkung; denn damit die Beschaffenheit eines Gegenstandes 
uns gefallen oder mißfallen kann, muB sie erst erfaßt sein. 
Nun kann freilich schon die bloße intellektuelle Beschäftigung 
mit dem Gegenstände eine gewisse Befriedigung gewähren. 
Es ist die Lust des Interesses, die wir meinen. Da die ästhe- 
tische Einstellung, die Richtung auf die ästhetische Qualität 
eines Gegenstandes, ein Interesse an seiner merklichen Be- 
schaffenheit in Kraft treten läßt, so ist die Lust des Interesses 
die aus der Erfüllung einer Intention, einer determinierenden 
Tendenz, einer Bereitschaft hervorgehende Befriedigung. 
Aber man darf die ästhetische Wirkung nicht schon in solcher 
Befriedigung suchen. Man muß sich davor hüten, das Ge- 
fällige mit dem Interessanten zu verwechseln, wie es in der 
modernen Kunst häufig genug geschieht. Das fiihrt zu Selt- 
samkeiten, aber nicht zu ästhetischen Werten. Andererseits 
ist das Interesse Voraussetzung für alle ästhetische Reaktion. 
Das zeigte sich regelmäßig bei Versuchen, in denen ein Bild 
nicht interessierte und demgemäß auch weder Gefallen noch 
Mißfallen auslöste (Ritook). Das Ideal der Kontemplation 
ist erreicht, wenn alle zur merklichen Beschaffenheit des 
Gegenstandes gehörenden Momente erfaßt sind. Erst dann 
wird die Bewerfung abschließend und gerecht sein. In ein- 
seitigem Interesse Hegt eine launische Auslese; sie läßt Teile 
außer Betracht, die gerade nicht anziehen und macht die 
ästhetische Wirkung voreilig von willkürlich bevorzugten, 
Momenten abhängig. Die Ästhetik als Idealwissenschaft setzt 
voraus, daß ein allseitiges Interesse dem Gegenstande ent- 
gegenkommt, wobei Abstufung nach Haupt- und Neben- 
sachen natürlich nicht ausgeschlossen wird. Adäquate Kon- 
templation weckt richtiges Verständnis. Der Ausdruck ist hier 
als der dem Objekt wirklich zukommende gemeint, soweit 
nämlich die bloße Erscheinung' ihn mit Sicherheit ablesen 
läßt. Es ist höchst gleichgültig, ob ein Schauspieler zornig 
ist, wenn er nur den zornigen Menschen überzeugend darstellt 

Lichtwark hat mit seinen Übungen in der Betrachtung 



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Verständnis von Kunstwericen. 93 

von Kunstwerken (2. Aufl. 1898) das ästhetische Verhalten 
namentlich in seinem kontemplativen Stadium sehr geschickt 
anzuregen verstanden. Er führt 2. B. vor ein Bild von Menzel, 
das Rüstungen in verschiedener Stellung darbietet. Er fragt 
zunächst nach dem Maler, nadi der Technik des Bildes, 
warum die Rüstungen so hingestellt sind, als ob Menschen 
darin steckten. Er prüft die einzelnen Gestalten und ihr Ver- 
hältnis zueinander. Er beachtet Lichter und deren Reflexe 
auf den Mefallteilen' und hebt hervor, wie gerade diese 
, malerische Behandlung den Künstler am meisten fesselt und 
den künstlerisch gebildeten Beschauer zur Bewunderung hin- 
reiße. Das Beispiel ist auch in anderer Hinsicht lehrreich. 
Es zeigt nämlich, wie Kunstwerke eine eigentümliche Inter- 
pretation herausfordern. Stets wird das Interesse an den 
Intentionen des Meisters fragen, wieweit es ihm gelungen 
sie zu verwirklichen. So werden wir erzogen uns zu hüten, 
daß wir von einem Kunstwerk nicht Wirkungen verlangen, 
die seinen Schöpfer empört haben würden. So erwächst aus 
der Ergründung künstlerischer Absicht ein tiefes mensch- 
liches Interesse an dem Werk, das uns zu dauernder und 
hingebender Beschäftigung damit überredet, das vor allem 
für das Verständnis des anschaulichen Tatbestandes unent- 
behrhch ist. Wir suchen in dem Aufbau einer dramatischen 
Komposition den Zusammenhang aller Teile, indem wir vor- 
aussetzen, daß in einem aus Menschengeist und Menschen- 
hand hervorgegangenen Werke alles irgendwie planvollen 
Mitteln seine Entstehung verdankt. I>er Natur gegenüber 
tritt diese' Betrachtungsweise zurück, wir fassen sie als ein 
unergründlich geheimnisvolles Werk und raten nicht eilfertig 
nach seinem verborgenen Sinn. In Dingen der Kunst aber 
sehen wir auf die technische Ausgestaltung und beschäftigen 
uns mit der Frage, wieweil ein Künstler seine Ausdrucks- 
möglichkeiten dem Material, den Farben, den Tönen, dem 
Marmor abgerungen hat, wieweit er sich auf die Reize und 
Sprödigkeiten eben des Materials besonnen hat, wieweit 
er ihm seine Sonderart unzerstört gelassen hat. 



Digimed bvGoOgIC 



EiDffihtims. 

In den kühlen Marmor der Hera Farnesc vermögen wir 
Ruhe, Größe, Macht, Strenge, Ernst einzufühlen; so beseelen 
wir den Stein. Van Dycks VCÜhelm von Oranien wird als 
vornehm, entschlossen und klug verstanden. Solange wir 
die Einzelheiten einer Holzfüllung aus Versailles kontem- 
plativ erfassen, bietet sich 2ur Einfühlung wenig Gelegen- 
heit Der Blick fällt auf Guitarren, Notenpult und Notenheft. 
Gleiche Motive wiederholen sich, Symmetrie und dekorative 
Gruppierung bereiten starke ästhetische Wirkungen vor. Ein 
fester Rahmen grenzt ein eigenes Reich, in dem sich allerlei 
phantastische Einfälle tummeln, gegen die übrige Welt ab. 
Die Symbole der Tonkunst lassen eine musikahsche Stim- 
mung miterleben, ohne daß es zu konkreter Einfühlung 
kommt. Anders wird das, wenn unten im Medaillon eme 
sitzende, lesende Frauengestalt auffällt, die nach einem Hörne 
faßt. Sie wird als ein Wesen für sich beseelt. Alles übrige 
erscheint nun ihr Untertan. Hier herrscht Frau Musika im 
Reiche der Töne, Instrumente und Noten. Kinästhetischs 
Vorstellungen sind hier zum Verständnis nicht notwendig. 
Der Stimmungseinfühlung erscheint das Ornament festlich 
und belebt die Bewußtseinsiage gegenüber historischer 
Größe, schöner Vergangenheit. Ein dorischer Tempel regt 
die Einfühlung erhabener Strenge an. Die einzelne Säule 
kann dagegen wohl kaum (wie Lipps will) zum Gegenstands 
der Einfühlung werden. 

Unter der Einfühlung versteht man also die Phase des 
ästhetischen Zustandes, die das ästhetische Objekt (auch 
wenn es leblos und vielleicht untermenschlich ist) zum aus- 
drucksvollen Träger von Leben und Seele, von menschlichen 
Fähigkeiten und Eigensthaften, Zuständen und Tätigkeiten 
gestaltet. Wir unterscheiden zwischen einfacher und sym- 
pathischer Einfühlung; jene projiziert nur gewußte oder 
vorgestellte seelische Bestimmungen in den G^enstand, 
diese läBt uns Zustände oder Ereignisse mehr oder weniger 



sdbvGoOgIc 



' Ästhetische Apperzeption. 95 

. vollständig und intensiv aktuell miterleben. Für die Ent- 
stehung der einfachen Einfühlung gelten im allgemeinen die 
Reproduktionsgesetze, insbesondere die der Reproduktion 
auf Grund der Ähnlichkeit des Gegenstandes mit eigenem 
Verhalten des einfühlenden Subjekts. Für die Entstehung 
des Miferlebens ist maßgebend, daß lebhaften Gedanken 
und Vorstellungen die Tendenz zur Aktualisierung der ge- 
dachten oder vorgestellten Zustände innewohnt, und daß. 
(wie Lipps gezeigt hat) eine Tendenz zur Nachahmung 
gegenständlicher Erscheinung besteht. Die Grundrichtung 

. auf den Gegenstand ermöglicht es in beiden Fällen, das 
eingefühlte Verhalten als dessen Verhalten zu betrachten. 
Die Kontemplation ist, wie es zunächst sdieint, nichts 
anderes als die Apperzeption oder Assimilation eines Gegen- 
standes, die wir auch außerhalb des ästhetischen Zustapdes 
üben. Das Gras als Oras, den Menschen als Menschen auf- 
fassen, ohne daß man sich über die realwissenschaftliche 
Natur dieser Gegenstände dabei klar zu werden braucht, 
das ist ein im täghchen Leben allenthalben vorkommender 
Auffassungsvorgang. Die ästhetisdie Apperzeption unter- 
scheidet sich (wie wir gesehen haben) nur dadurch von der 
gewöhnlichen, daß sie auch ersonnenen, vorgestellten und 
gedachten Gegenständen zufeil wird, daß wir keinen Unter- 
schied machen zwischen dem gemalten und dem realen 
Gegenstände, dem Kunstwerk und dem Naturobjekt, daß 
der Ausdruck, der sich in den unmittelbaren Beschaffenheiten 
entdecken läßt, beiden in gleicher Weise beigelegt wird. 
Die Wirklichkeitsapperzeption bemüht sich zwischen Leb- 
losem und Lebendem, zwischen Unbeseeltem und Beseeltem 
zu scheiden. Vielfach gelingt ihr das nicht. Es besteht eine 
schwer zu überwindende animistisch-anthropomorphistische 
Tendenz; aber jene strebt danach und wird darin von der 
Wissenschaft auf das Wirksamste unterstützt. Die ästhetische 
Apperzeption dagegen, die gar kein Interesse daran hat, 
wirklich Lebendiges und scheinbar Lebendiges, Menschliches 
und Untermenschliches sorgfältig voneinander zu trennen. 



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96 Einfühlung. 

kann dem natürlichen Zuge zur Belebung und Beseelung 
unbedenklich folgen. Dieser eigentümliche Prozeß ist eben 
die Einfühlung. Wir trennen ihn von der Kontemplation der 
klareren Analyse willen. Es besteht ein Unterschied zwischen 
dem Ausdruck, den wir aus menschlichen Zügen verständnis- 
voll ablesen, und demjenigen, den wir in unbelebte Gebilde 
einfühlen. Das volle Miterleben führt den Kunstfreund erst 
recht über die Phase der Kontemplation hinaus. Knfache 
Einfühlung und volles Miterleben sind miteinander so ver- 
wandt, daß wir sie zweckmäßig zu einer besonderen Phase 
des ästhetischen Zustandes zusammenfassen. Das kontem- 
plative Verständnis des Ausdrucks ist ein Akt des Hin- 
netimens. Der 'Begriff Einfühlung betont die Selbsttätigkeit des 
Genießenden, seine Mitwirkung beim Ausgestalten des Gegen- 
standes. Einfühlung ist (nach Lipps) ein instinktives Sichhinein- 
versetzen in das Objekt, mehr als ein bloßes Verständnis. 
Der erste Einfühlungsäsfhetiker ist wohl Ptotinos. Den 
Romantikern liegt dieser Begriff; Novalis, A. W. Schiegel, 
Jean Paul theoretisieren in seinem Sinne, schon Herder kann 
in diesem Zusammenhang genannt werden. Lotze und Fr. 
Th. Vischer haben die durch Einfühlung bedingte symbolische 
Natur des ästhetischen Gegenstandes betont. Das Objekt 
wird so zum Träger Inneren Lebens, das sich in seiner Er- 
scheinung ausdrückt. Den Terminus Einfühlung brachte Ro- 
bert Vischer in seiner Schrift über das optische Formgefühl 
(1873) auf. Sie ist ihm ein inneres Nacherleben, ein not- 
wendiges Ergebnis jedes sich ungestört vertiefenden Sinnes* 
eindrucks. Dabei wird der ganze Leibmensch mitergriffen 
und das Objekt als etwas menschlich Beseeltes aufgefaßt. 
Als innere Nachahmung ist dies Nacherleben später von 
Qroos bestimmt worden. Lipps hat zwischen zwei Akten 
der Einfühlung unterschieden, indem er (wie wir oben) von 
einfacher und sympathischer Einfühlung spricht. Jene ist vor- 
handen, wenn wir dem Objekt die eingefühlten Eigenschaften 
beilegen, diese, wenn wir auch selbst in ihrem Sinne er- 
griffen sind. Man kann die Gebärde eines anderen als Zorn 



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Phänomenologie d« Einfühtung. 97 

oder Sehnsucht deuten, ohne selbst derlei zu erleben; man 
kann aber mitschwingen. Neuerdings hat Opps noch zwi- 
schen positiver und negativer Einfühlung unterschieden, um 
den Gegensatz des Schönen und des Häßlichen zu erklären; 
widerstrebend, nicht miterlebend fühlt man im letzteren Falle 
ein. Volkelt unterscheidet zwischen eigentlicher Einfühlung, 
die Menschen gegenüber stattfindet und einer symbolischen 
Einfühlung gegenüber untermenschlichen Objekten. Diese 
Unterscheidung hat für die Ästhetik wenig Gewicht. Für 
die Theorie der Einfühlung hat Lipps am meisten geleistet. 
Ein ausgezeichnetes Sammelreferat über die Einfühlung hat 
Geiger im Bericht über den IV. Kongreß für experimentelle 
Psychologie zu Innsbrudc (1910) veröffentlicht Mit feiner 
begrifflicher Scheidung spridit er von Ausdrucksverständnis 
und objektiver Einfühlung, Anthropomorphismus und Mit- 
erleben bis zur Einsfühlung. Nicht sehr glücklich ist es, in 
diesen Zusammenhängen den Ausdruck Projektion zu brau- 
chen, weil er einen besonderen Akt der Verlegung von Ge- 
fühlen nach außen voraussetzt. Ein solcher Akt wird niemals 
bewußt vollzogen. Wir erfassen unmittelbar das Objekt als 
beseelt, belebt, menschenähnhch, und finden darin Gefühle 
und Fähigkeiten vor. Übrigens ist eine Beschränkung auf 
Gefühle im strengen Sinne nicht zu rechtfertigen. Es werdoi 
auch andere psychische Elemente, Willensrichtungen, Pläne, 
Bewußtseinslagen eingefühlt. 

Die einfache Einfühlung ist ein an lebenden Wesen, 
insbesondere an unseren Nebenmensdien aligemein ge^ 
übtes, unvermeidliches und unbedenkliches Verfahren, wenn 
auch die wissenschaftliche Erfahrung Tieren und Pflanzen 
gegenüber zur Behutsamkeit mahnt. Jedenfalls aber über- 
schreitet bei allem Leblosen die ästhetische Einfühlung die 
Grenzen, die uns sonst gezt^en sind, in anthropomorphisti- 
scher Richtung. Idi nenne das Veilchen bescheiden, weil 
sein Blühen im Verborgenen den Eindruck absichtlicher Zu- 
rückhaltung machen kann, was beim Menschen als Be- 
scheidenheit erscheint. 

KOtp«, Ästhetik. 7 



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98 Einfühlung. 

Solche Einfühlung würde niemals so lebhaft deuten, so 
innig verstehen, was das schöne Ding bewegt, wenn uns 
nicht der instinktive Nachahmungstrieb hülfe, uns die Gebärde 
der Umwelt nahezubringen. Es ist dabei nicht nötig, daß 
die unwillkürlich intendierte Nachahmung auch noch, wie 
beim Kinde, ausgeführt wird. Sieht uns jemand freundlich 
oder frostig an, so sind wir^feneigt, ihm mit gleicher Miene 
zu begegnen, obwohl wir uns diesem Triebe gegenüber auch 
beherrschen können. Das Kfnd ahmt Tiere und Puppen in 
Haltung und Bewegung nach und erregt so in sich Gefühle, 
Stimmungen, Vorstellungen, die doch nicht als eigene erlebt, 
sondern als fremde im äußeren Gegenstände nur miterlebt 
werden. So wird es möglich, auch die scheinbar femsthegen- 
den Gebärden der Erscheinung zu enträtseln. Vorwiegend 
wird die Nachahmungstendenz optischen Gegenständen 
gegenüber wirksam. Töne können wiederum Gemüts- 
zustände erregen, die dann vergegenständlicht «(erden und 
in die Kunstform der Musik einströmen. In diesem Falle 
führt der Wtg nicht von der Gebärde zur Erregung sondern 
von der Erregung zur Ausdrucksform. Auch hier verleben- 
digt eine Tendenz, Rhythmen und Laute nachzubilden, die 
Stimmung der Tonwelt. Bestimmte Erfahrungen mit den 
Dingen vertiefen die Einfühlung. Wer schlimme Gewitter 
erfahren hat, spürt empfindlicher, wie drohend eine Wolken- 
wand sein kann. Auch hier wäre eine gründliche Unter- 
suchung all solcher animistisch-anthropomorphistischer Prä- 
dikationen sehr wünschenswert. 

Je vertiefter die ästhetische Konzentration, desto leb- 
hafter wird die Einfühlung sein, um so unmerklicher wird 
'aus der einfachen Einfühlung die sympathisch miterlebende. 
Ich selbst bin dann ergriffen von der Stimmung, die erst 
für mich nur im ästhetischen Gegenstande waltete. Auf mir 
lastet dann die Beklemmung, mich erfassen Furcht und Ehr- 
furcht. In tiefer Kontemplation scheide ich nicht mehr zwi- 
schen mir und dem Objekt, sondern ich gehe in ihm auf. 
Die Grundrichtung meines Geistes gehört ihm; es lenkt 



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Sympathische Einfühiung. 99 

meine Aufmerksamkeit und mein Interesse allein auf sich, 
meine Zustände werden die seinen. Sie werden so vergegen- 
ständlicht. Ich kann dem ästhetischen Objekt diese Zustände 
zuschreiben, weil seine Erscheinung dazu paßt, weil sie ihr 
Träger sein kann. Solche Innigkeit der Einfühlung wird be- 
sonders bei dramatischen Szenen lebhaft. Das ästhetische 
Verständnis wird tiefer und lebhafter bei solch sympathischer 
Einfühlung, die schließlich bis zu völliger Einsfühlung wach- 
sen kann. 

Man hat sich in letzter Zeit viel darum gestritten, wie 
Einfühlung entsteht, ob der Prozeß der Einfühlung schließ- 
lich auf Assoziationen zurückgeführt werden kann, oder ob 
Einfühlung nicht aus Assoziationen erklärt werden kann, 
wie namenthch Lipps mit beachtenswerten Gründen be- 
hauptet. Die Entscheidung darüber ist nicht leicht zu geben. 
Wir müssen es vorläufig dahingestellt sein lassen, ob Nach- 
ahmungstendenz und Vergegenständlichung unter den Be- 
griff der assoziativen Reproduktion fallen oder nicht. Es ist 
darum zur Zeit sicherlich richtiger, die Prozesse vollständig 
zu beschreiben, als sie voreilig auf einen Grundprozeß, auf 
ein Grundgesetz zu reduzieren. Vielleicht ist doch da, wo 
eine Nachahmungstendenz nicht rege wird, schon eine Art 
vererbter Anlage mit Lipps zu vermuten, eine Anlage für das 
Verständnis wahrgenommener Formen und Haltungen wirk- 
sam. Zu diesen Fragen einer psychologischen Ästhetik vgl. 
man auch Meumanns Ästhetik der Gegenwart und Stern 
über Einfühlung und Assoziation. 

Die sympathische Einfühlung, das aktuelle Miterleben 
tritt im allgemeinen später in das ästhetische Verhalten ein 
als die einfache Einfühlung. Versuche nach der Methode der 
Zeitvariation an Projektionsbildem haben das dargetan. Be- 
kanntschaft mit dem Kunstwerk kürzt die Dauer dieses Pro- 
zesses ab. Ob es sich auch bei der Musik so verhält, kann 
zweifelhaft sein. Beide Einfühlungsarten können abweichende 
Beschaffenheit und Richtung haben. Ich kann eine Musik 
traurig nennen, ohne daß sie mich traurig stimmt. 



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100 Einfühlung. 

Sodann besteht zwischen einfacher und sympathischer 
Einfühlung der wichtige Unterschied, daß diese viel enger 
und begrenzter ist als jene. Man kann nicht mit mehreren 
dramatischen Gestalten zugleich innerlich mitleben, dagegen 
kann man leicht verschiedene seelische Inhalte in sie pro- 
jizieren. Man itann Maria Stuarts echte königliche Vornehm- 
heit und die Herrschsucht, Eitelkeit und Rachgier Elisabeths 
in die Darsteller einfühlen. Femer hat das Miterleben seine 
Grenze an dem Inhalt der mitzuerlebenden Zustände. Es 
gibt vieles, was ich vermöge meiner seelischen Struktur 
nicht miterleben kann, ohne daß mein Verständnis und da- 
mit die einfache Einfühlung zu versagen brauchte. Endlich 
bleibt der Grad des Miterlebens häufig hinter dem Einge- 
fühlten zurück; Verzweiflung, Zorn, Haß, Entzücken, Be- 
geisterung und Liebe werden nicht bis zu Rausch und Taumel 
mi^elebt Gedankliches Mitmachen und Miterleben sind zu 
unterscheiden. Aus diesen Gründen darf man die ästhetische 
Wirkung nicht einfach von der sympathischen Einfühlung 
abhängen lassen. 

Nicht nur zwischen einfacher und sympathischer Ein- 
fühlung tun wir gut zu trennen, auch abstrakte und konkrete 
Einfühlung rücken wir zweckmäßig einander gegenüber. Die 
Einfühlung ergänzt den uns bis dahin äußerlichen Gegen- 
stand, über das Verständnis des Ausdrucks hinaus beseelend 
und belebend. Dabei wird unwillkürlich die Erscheinung 
nach dieser ihrer Bereicherung mit seelischen Zuständen, 
Vorgängen und Fähigkeiten zu einem persönlichen Wesen. 
Dann wird die Einfühlung zur Personifikation oder zur kon- 
kreten Einfühlung. Am einfachsten ist das bei optischen 
Gegenständen zu erkennen, besonders bei menschlichen Er- 
scheinungen. Hier sind die anschaulich gegebenen Haltungen 
und Gebärden der einfachen und der sympathischen Ein- 
fühlung in der angedeuteten Weise zugänglich. Bei unter- 
menschlichen Gegenständen ist die Ähnlichkeit mit eigenen 
Stellungen und Bewegungen, mit eigenen Mienen und Lauten 
die wirksame Grundlage für die persönliche Einfühlung. 



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Abstrakte und konkrete Einfühlung. 101 

Je unmittelbarer und anschaulicher, greifbarer und deutlicher 
diese Ähnlichkeit ist, um so leichter und vollständiger wird 
sich auch die konkrete Einfühlung entwickeln. Dabei ist es 
irrelevant, ob die Objekte wirkliche Dinge oder nur dar- 
gestellt sind. Die bildende Kunst hat es in der Hand, die 
Ähnlichkeit herauszustreichen und damit dem Einfuhlungs- 
prozeß einen kräftigen Impuls zu geben, anders die deko- 
rative Kunst und die Architektur. Hier kann die Ähnlichkeit 
mit einem mir gleichenden persönlichen Wesen verschwin- 
dend gering sein; aber dafür wird ein einzelnes Motiv zum 
Symbol von menschlichen Zuständen. Es ist, als ob eine 
Persönlichkeit durch solche Zeichen ihre Zustände kundgebe, 
ohne doch selbst in der Erscheinung gegeben zu sein. Wenn 
ich ein ornamentales IVtotiv betrachte, so kann ich mich darein 
abstrakt einfühlen. Seine Stimmung verspüre ich, aber ich 
personifiziere es nicht In diesem Sinne hat ein Rokoko- 
Ornament Anmut, ein gotisches Feierhchkeit, ein barockes 
ungebundene Kraft, ein Renaissance-Ornament hohe Fest- 
lichkeit. Hier noch von konkreter Einfühlung zu sprechen 
(wozu Lipps neigt) scheint mir nicht berechtigt. 

Diese abstrakte Einfühlung wird vorzugsweise in der 
absoluten Musik geübt. Es wäre absurd, die eingefühlten 
Stimmungen auf die Orchestermitgheder übertragen zu wollen 
oder sie dem fernen Komponisten anzusinnen. Keinesfalls 
werden die Töne personifiziert. Man braucht sich auch keines- 
falls Wesen vorzustellen, denen man jene Stimmungen 
beilegen könnte. Zuweilen weist uns ja der Komponist in 
diese Richtung (Beethovens Eroica). Aber man braucht keine 
Phantasien dergestalt auszuspinnen. Die abstrakte Einfühlung 
genügt. Wir fassen die mnige Vereinigung von Melodien, 
Rhythmen und Harmonien geradezu als Erscheinungen in- 
nerer Zustände, als Sehnsucht und Erfüllung, Jubel oder Ver- 
zweiflung, Trauer und Erhebung. Man braucht nur Berichte 
über musikalische Eindrücke zu lesen. Überall begegnen 
einem Angaben solcher Stimmungen und Oefühlsverläufe, 
die an keinerlei persönhches Substrat gebunden sind, son- 



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102 Einfühlung. 

dem die lediglich in die Erscheinung, die sie ausdrückt, ver- 
legt, in ihr vergegenständlicht werden. Damit ist der Ideali- 
sierung weitester Spielraum eröffnet. Je mehr wir uns von 
der konkreten Wirklichkeit bestimmter Wesen mit bestimmt 
gearteten Zuständen entfernen, um so weniger sind wir ge- 
zwungen, dem wirklich Erlebten Rechnung zu tragen. Natür- 
lich ist die Grenze zwischen konkreter und abstrakter Ein- 
fühlung nicht so scharf zu ziehen, daß wir etwa jene als voll- 
ständig, diese als unvollständig zu bezeichnen hätten. Die 
konkrete ästhetische Einfühlung ist immer noch abstrakt im 
Vergleich mit der beseelenden Apperzeption, die wir im 
Leben üben. Auch die bildende Kunst, die zu konkreter Ein- 
fühlung mit am meisten herausfordert, gibt dem Gesichts- 
sinn von Fall zu Fall nur eine Ansicht. Die gesteigertste 
konkrete Einfühlung ertaubt die dramatische Aufführung, 
Aber selbst bei dem Musikdrama, dem Gesamtkunstwerk, 
wird durch die Beschränkungen auf die höheren Sinne, auf 
Handlungsausschnitte und erlesene Hauptpersonen dafür ge- 
sorgt, daß die volle Wirklichkeit außer Betracht bleibt, 
während die Stoffwahl erst recht die Distanz wahrt, die der 
ästhetischen Kontemplation förderlich ist. 

Wie steht es bei alledem um die psychische Vergegen- 
wärtigung der eingefühlten Modi? Wissen und Vorstellen 
bringen uns die eingefühlten Zustände in der einfachen Ein- 
fühlung nahe. Wir können uns die an Haltungen und Be- 
wegungen, an Formen und Rhythmen gebundenen inneren 
Zustände als Komplexionen von Organempfindungen sehr 
gut vorstellen, und wir können ein mehr oder weniger deut- 
liches Wissen von den Gefühlen haben, die sich daran 
knüpfen. Ob es auch eine vorstellungsmäßige Vergegen- 
wärtigung von Gefühlen gibt, ist eine noch nicht entschiedene 
Frage. Manche Psychologen und Ästhetiker nehmen es un- 
bedenkhch an. Ich bin geneigt, es in Abrede zu stellen. Aber 
zweifellos kann man sich alles vorstellen, was irgend in 
Empfindungen aktuell gegeben war, wie namentlich auch, 
was in Organempfindungen aktuell einmal erlebt wurde. 



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Anthropomorpbismus. 103 

Und da diese Organempfindungen in Affekten und Stim- 
mungen mit vorwiegen, so ist auch eine vermittelte Vor- 
stellung von ihnen möglich. Insoweit kann man sich Span- 
nung und Erregung, Unwillen und Verdruß, Heiterkeit und 
Bewunderung, Ehrfurcht, Angst und vieles andere vorstellen. 
Das Miterleben, die innere Nachahmung solcher Zustände 
wäre meist zu schwach, um eine adäquate Vergegenwärtigung 
zu bilden. Es muß die Bewußtheit um ihre Bedeutung hinzu- 
kommen, und es kann die bildliche Vorstellung mitwirken. 
Wie diese verschiedenen Faktoren zusammenfließen, um eine 
lebhafte Einfühlung, einen wirklichen Anteil am ästhetisdien 
Gegenstande hervorzubringen, ist noch nicht genügend ge- 
prüft. Hier bleibt der experimentellen Analyse noch ein 
weites Feld offen. 

Wie wir sahen, entspricht die Einfühlung einer ursprüng- 
lichen animistischen Tendenz, einem naiven Anthropomor: 
phismus, wie er sich bei Kindern und Wilden deutlich aus- 
geprägt findet. Wir sind geneigt, alles nach Maßgabe seiner 
Verwandtschaft mit uns und unserer Erfahrung aufzufassen, 
alles was wir bei solcher Lage, Form, Bewegung empfinden 
würden, dem Gegenstände beizulegen. Aber es fehlt dem 
ästhetisch Genießenden die praktische Bedeutung 'animisti- 
scher Vorstellungen. Wohl wird ein inneres Leben ein- 
gefühlt, aber keine praktische Beziehung wird dazu einge- 
nommen, es bleibt alles beim kontemplativen Erlebnis. 
Andererseits kann sich darum die Belebung und Beseelung 
weit freier und vollständiger entfalten, weil die praktische 
Rücksicht auf Nutzen und Schaden, weil Furcht und Hoffnung 
und andere dem Animismus innewohnende Hemmungen zu- 
rücktreten. E)urch den Einfühlungsprozeß wird die qualitative 
Fülle des Gegenstandes sehr bereichert, wird auch das In- 
teresse an ihm und seiner Beschaffenheit, die spezifisch 
ästhetische Einstellung und Richtung auf ihn verstärkt. So 
bildet sich ein enger Zusammenhang aus zwischen den ein- 
zelnen Stadien des ästhetischen Verhaltens. 

Die Innigkeit der Verbindung des Eingefühlten mit dem 



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t04 Einfühlung. 

Gegenstande ist häufig betont worden. Man hat dies ins 
Feld geführt für die Annahme, daß es sich hier um Asso- 
ziationen handele. Di€se Innigkeit beruht zunächst darauf, 
daß die eingefühlten Kräfte, Eigenschaften und Zustände 
sämtlich unselbständige Gegenstände sind. Wir können sie 
zwar in faktischer Abstraktion auffassen, wie in der deko- 
rativen Kunst oder in der Musik; aber dann bedürfen sie 
doch der Stütze eines Symbols, wir gießen sie in das Gefäß 
des Tones. Sie müssen somit auf irgend welche selbständigen 
Gegenstände oder Symbole bezogen werden. Ich kann nicht 
Bescheidenheit, Heiterkeit, Spannung, Furcht als solche für 
sich vorstellen, sondern immer nur als Ausdruck oder Zu- 
stand von etwas. Ich erlebe alle diese seelischen Vorgänge 
oder Fähigkeiten als meine Vorgänge oder Fähigkeiten, wenn 
ich sie nicht auf Objekte beziehen oder sie als Fähigkeiten 
anderer auffassen kann. Sonst bleibt nur noch, sie als in- 
neres Sein eines Äußeren, einer wahrnehmbaren Erscheinung 
zu verspüren. Niemals gelingt eine faktische Loslösung von 
solchen Grundlagen; daß ich logisch von diesen abseh«i 
kann, versteht sich, erklärt hier aber gar nichts. IMe Munter- 
keit eines plätschernden Baches, die widerstrebende Kraft 
einer lastentragenden Säule, das Schluchzen und Jauchzen 
der Nachtigall, das alles sind unselbständ^e Gegenstände. 
Eingefühlt werden sie in zu ihnen passende selbständige 
Gegenstände. Es besteht damit der denkbar engste Zu- 
sammenhang zwischen dem Gegenstand und den eingefühlten 
Eigenschaften; es sind eben die seinigen. Im Verein bilden 
sie erst den eigentlichen reichen, erfüllten Gegenstand. Die 
eingefühlten Stimmungen sind nicht zufälliges Beiwerk, son- 
dern um so notwendiger dem beseelten Dinge verschmolzen, 
je tiefer der Zustand der ästhetischen Kontemplation ist. 
Versenken wir uns in die Betrachtung eines meisterhaften 
Porträts Und wählen etwa Raffaels Bild des zweiten Julius, 
so fordert jeder einzelne Zug zur Einfühlung heraus. Keine 
Erscheinung, die nicht beseelt wäre, nichts Seelisches, das 
nicht auch erschiene. Hier waltet ein psychophysischer Pa- 



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Fülle der Einfühlung. , |05 

rallelismus — fast möchte man sagen ein ästhetischer Monis- 
mus — ; denn nicht nur Haupt und Haltung, die Linien von 
Antlitz und Händen zwingen zur Belebung, auch die Ringe 
an den Fingern sprechen noch mit von Gerechtigkeit und 
Strenge, verständnisvoller Würdigung des Menschen und der 
Welt, Innerlichkeit und Beschaulichkeit. 

All diese Gedankengänge zwingen uns zu der Über- 
zeugung, daß in der Einfühlung nicht nur Gefühle im weiteren 
Sinne, sondern überhaupt seelische Vorgänge, Täti^eiten 
und Fähigkeiten vergegenständlicht werden. Man kann je- 
manden phantasievoll, tiefdenkend, energisch, vornehm, sinn- 
lich finden, ohne damit nur Gefühle auszusagen. Einzelne 
Vorstellungen und Gedanken wird man nur aus einer poeti- 
schen, nicht aus einer malerischen Situation heraus erkennen. 
Aber audi die bildende Kunst verrät psychische Gesamt- 
qualitäten, Bewüßtseinsiagen, intellektuelle und volitionale 
Gaben mit Sicherheit durch die bloße Erscheinung ihrer 
Werke. Besonders deutlich tritt das eben bei Bildnissen 
hervor. Die Offiziere der Adriansgilde auf dem Bilde von 
Frans Hals rufen nicht eben einen Sturm von Gefühlen her- 
vor; die Charakteristik von Persönlichkeiten erschöpft sich 
nun einmal nicht in emotionalen Eigenschaften und Fähig- 
keiten. Auch ihr Beruf, ihre Erfahrung, ihr Talent prägt sich 
schon in ihrer Erscheinung aus. Was wesentlich und dauernd 
zur Persönlichkeit gehört und nicht zufällig einen Augenblick 
lang durch ihr Bewußtsein zieht, kann so hervortreten. 
Wesentlich ist die Feststellung, daß Charakter kein Gefühl 
sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes ist. Von 
Charakter in diesem Sinne spricht Geiger in seinen Unter- 
suchungen zum Problem der Stimmungseinfühlung (Zeitschr. 
f. Ästh., Bd. 6). Schon an der Heiterkeit und Schwermut 
einer Farbe unterscheidet er das subjektive Stimmungserleb- 
nis, den objektiven Gefühlsbestandteil, der die Gegenstände 
umfließt, und schließlich den Gefühlscharakter, der ihnen 
zukommt. Auch Schnitze (Arch. f. d. ges. Psych., 1906, Bd. 8, 
S. 339ff.) hat mit seinem Begriff des Wirkungsakzents ver- 



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106 Einfühlufifi:. 

sucht, gleichartige Tatsachen zu beschreiben. Vgl. auch Bul- 
lough (Brit. Journ. of Psychol., Bd'. 2 u. 3). 

Wenn man den Reichtum, den die Einfühlung aus- 
schüttet, auch über die Schätze des Gefühls hinaus un- 
erschöpft findet, so ist damit nicht behauptet, daß ästhetische 
Kontemplation uns einzelne Gedanken und Vorstellungen 
kunsterschaffener Menschengebilde verraten kann, wenn sie 
nicht ein Dichter ausplaudert. Niemand wird ■behaupten, 
in den Gedanken des Pensieroso lesen zu können, obwohl 
ihm der Charakter der Nachdenklichkeit an die Stime ge- 
schrieben ist. Was sich nicht eindeutig einfühlen laßt, hat 
auch nichts mit dem ästhetischen Gegenstand gemein. Was 
ich mir assoziativ als Gedanken des Pensieroso einfallen 
lasse, verschönt nicht das Werk des Michelangelo. Wem 
ein Satz einer Beethovenschen Sonate den Zug der troja- 
nischen Frauen zum Tempel der Athen^ (Ilias, Gs. 9) dar- 
stellt, der hängt nur seinen vagen Träumereien nach und 
vertieft das Verständnis Beethovens nicht. Der Ausdruck 
der Musik ist unabhängig von solchen Untersuchungen. 

Die von Geiger hervorgehobene Einsfühlung darf also 
nicht dahin verstanden werden, daß nun jeder Kunstfreund 
in den ästhetischen Gegenstand hinein sein übervolles Herz 
ergießen solle. Die Einheit zwischen Gegenstand und Zu- 
stand des ästhetischen Verhaltens, zwischen genießendem 
Ich und genossenem Objekt, diese Einsfühlung darf nicht 
zu sehr überspannt werden. Sie darf nicht die Gegenständ- 
lichkeit des Kunstwerks oder des ästhetischen Objekts preis- 
geben. Sie ist darum mehr ein negatives als ein positives 
Merkmal. Es fehlt im ästhetischen Verhalten an der ge- 
läufigen Scheidung zwischen Ich und Nicht-Ich, zwischen 
WirkUchkeit und Schein, zwischen bewußtem Sein und der 
Reahtät selbständig existierender Objekte, Man darf auch 
wiederum nicht auf die Übertreibung verfallen, es seien alle 
Einfühlungsprozesse auf die Grenzen des eigenen Erlebens 
beschränkt. So wenig das Ausdrucksverständnis davon allein 
abhängt, daß ich den Zusammenhang von Erscheinung und 



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Grenzen der Einfühhing. 107 

Ausdruck an mir selbst erfahren habe, so wenig braucht die 
Einfühlung vorauszusetzen, daß die eingefühlten Zustände, 
Akte und Fähigkeiten in dem einfühlenden Subjekt selbst 
ihren Sitz haben. Sonst müßte die Individualität des Ein- 
fühlenden entweder die Einfühlung außerordentlich ein- 
schränken oder mit unabsehbaren individuellen Koeffizienten 
belasten. In einfacher Einfühlung kann man durchaus über 
die Grenzen der eigenen Individualität hinausgehen. Der 
Schwächliche kann auch Energie, der Pedant auch Unge- 
bundenheit des Lebens, der ruhig Empfindende das wilde 
Auf und Ab leidenschaftlicher Gemüter einfühlen und anderen 
Persönlichkeiten beilegen. Aber auch beim Nacherleben, bei 
sympathischer Einfühlung ist das mögüch, da wir im ästhe- 
tischen Verhalten von der Gewohnheit und Geschlossen- 
heit unseres Lebens frei und unabhängig werden und die 
Fähigkeit haben, einen viel weiteren Bereich von seelischen 
Zügen und Tendenzen in uns zu verwirklichen, als sie unter 
den realen Bedingungen der Selbsterziehung und Fremd- 
erziehung, der Aufgaben und Richtungen unseres Daseins 
in uns wirksam großgeworden sind. Unsere Anlagen reichen 
weiter als unsere Leistungen, unsere Bestimmbarkeit ist um- 
fassender als unsere Bestimmtheit, unser Gemüt ist tiefer 
als unsere täglichen Gefühle, unser Geist weiter als die uns 
vergönnten Gedanken, unser Wille edler als die vollbrachte 
Handlung, unsere Fassungskraft umspannt nicht nur die 
Welt der nüchternen Wirkhchkeit. So lassen sich noch solche 
Personen, Zustände und Vorgänge miterleben, die von unse- 
rem Charakter mehr oder weniger stark abweichen. Darin 
hegt die Ausweitung begründet, die wir dem ästhetischen 
Verhalten verdanken, zugleich aber auch die Gefahr, die es 
für schwache Naturen in sich schheßt, daß sie sich verlieren, 
um Romanphantasien nachzujagen. Die reproduzierende 
Kunst des ausübendeii Musikers, des Rezitators, des Schau- 
spielers wäre ohne die hier gekennzeichnete Ausdehnung 
-4Jes Ausdrucksverständnisses gar nicht möglich. Man braucht 
nicht Wallenstein oder König Lear zu sein oder zu werden, 



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108 Einfühlung. 

um sie darstellen zu können. A^n braucht nicht emotional 
erregt zu sein von dem Gedanken, den ein Gedicht aus- 
drückt, um es gut vortragen zu können. Man wird die emo- 
tionalen Erregungen eines Musikwerks auch dann vermitteln 
können, wenn man sie selbst nicht miterlebt. Darum unter- 
scheidet man zwischen Ernst- und Phantasiegefuhlen ; aber 
man darf dabei nicht vergessen, daß die Phantasiegefühle 
keine vollständigen Gemütserregungen sind. Für Zuschauer 
und Zuhörer genügt durchaus die Haltung des Als-Ob (Vai- 
hinger). Der Künstler spricht, spielt oder singt, als ob er alles 
das wirklich fühlte, was in seiner Darstellung enthalten ist. 
Die Analyse der Einfühlung macht es wiederum ver- 
ständlich, daß es nichts in der Welt und auf Erden gibt, was 
nicht ein ästhetisches Verhalten ermöghchen könnte. Jedes 
Erlebnis kann ästhetischer Gegenstand werden, Einfühlung 
in jeden Gegenstand ist möglich. Der Mensch erweist sich 
gerade darin als der Mikrokosmos, daß er alles aus seiner Er- 
fahrung zu deuten vermag und so zum Maß aller Dinge wird. 
Der Wert, der an den eingefühlten Zuständen hängt, geht 
damit auch in das ästhetische Verhalten ein. So lassen sich 
jederzeit außerästhetische Werte in ästhetische umwandeln, 
und diese Umwandlung ist von außerordentlicher Bedeutung 
für die Wirksamkeit der Kunst. Zur Wirklichkeit kann ich 
mich auch anders verhalten als ästhetisch, ich kann sie 
wissenschaftlich, technisch, praktisch behandeln; aber der 
Kunst gegenüber ist das ästhetische Verhalten adäquat, der 
ästhetische Gesichtspunkt wird vorherrsdiend, die anderen 
Werte ordnen sich ihm unter. Sie brauchen dabei ihren 
spezifischen Wertcharakter nicht zu verlieren; nur anhaf- 
tende Unwerte werden gemildert und gemäßigt. Das Häß- 
liche, Schlechte, Unscheinbare, Traurige in der Wirklichkeit 
kann dadurch kontemplativ genossen werden. Dem ethischen 
Verhalten, das in der realen Welt durch Unglück, Armut, 
niedrige Gesinnung, Mord empört wird, steht in der Kunst 
das ästhetische gegenüber, das uns alle diese Dinge, zumal 
in dramatischer Form, betrachten und genießen läßt. So 



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Ästhetiscbe Go^ditigkeit. 109 

versetzen wir uns in die Seele des Verbrechers und nehmen 
kontemplativ Anteil an seinen Schicksalen. Freilich gelingt 
es nicht immer, das sittliche Urteil zurückzuhalten. Der 
naive Mensch wird mit dem Guten, Heldenhaften, Harmlosen 
so lebhaft mitempfinden, daß sein Abscheu gegen das 
Schlechte, Schädliche, Gemeine über die Grenzen der ästhe- 
tischen Kontemplation hinausgehen kann. Er wird verlangen, 
daß es dem Outen schließlich gut, dem Schlechten schließ- 
lich schlecht ergehen soll; er wird nicht zwischen ethischer 
und ästhetischer Motivierung zu unterscheiden wissen. 
Gewisse Romane und Dramen rechnen denn auch ge- 
radezu auf die mangelhafte Bildung des großen Publikums. 
Vollends sind die sogenannten Volksstücke erfüllt von einer 
ästhetisch nicht gerechtfertigten sog. „sittlichen Weltord- 
nung". Da tut es Not darauf hinzuweisen, daß ästhetisches 
und ethisches Verhalten' ganz verschieden sind, und daß 
Kunstwerke nicht dazu bestimmt sind ethisch, sondern ästhe- 
tisch zu befriedigen. Das ästhetische Verhalten verleiht seinen 
Gegenständen einen eigentümlichen Wert, der in der Wirk- 
lichkeit ihnen nicht anhaftet. Wenn Madame de Stael gesagt 
hat „tout comprendre, c'est tout pardonner", so ist das kein 
ethischer, sondern recht eigentlich ein ästhetischer Satz, 
ein Spruch ästhetischer Gerechtigkeit. Indem wir einfühlen 
und miterleben, geht uns die Möglichkeit eines solchen Ver- 
haltens auf, und so wird das Verstehen zum Erklären und 
damit zum ästhetischen Rechtfertigen aus den Bedingungen 
und Voraussetzungen heraus. So mildert die ästhetische 
Gerechtigkeit die Härten und Schärfen der ethischen und 
reditlichen. Daraus begreift sich zugleich die große Be- 
deutung der Kunst für die Entwicklung der menschlichen 
Anschauungen. — Wir lachen über menschliche Fehler und 
Schwächen bei komischer Darstellung, gewinnen eindringen- 
deres Verständnis in ernsthafterer Darstellung. Zugleich wird 
unser sittliches Urteil maßvoller und zurückhaltender. Die 
große Wandlung in unseren sozialen Anschauungen, in un- 
seren Urteilen über Vergehen und Strafe ist sicherlich nicht 



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110 Gefallen und Mißfallen. 

nur auf wirtschaftliche Veränderungen und politische Revo- 
lutionen zurückzuführen. Die innere seelische Stellungnahme 
kann daraus allein nicht abgeleitet werden. Vielmehr haben 
dazu ganz wesentlich künstlerische Darstellungen beigetragen. 
Solche Linderung und Vertiefung wirkt die Einfühlung; vom 
Einfühlenden gilt das W^ort des Terenz: homo sum, nil hu- 
mani a me aUenum puto. 

Qefallea und Mififallea. 

Die Wertgefühle des Gefallens und Mißfallens bilden 
die ästhetische Wirkung im tngeren Sinne, sie hängen von 
Gegenstand und Zustand in gesetzmäßiger Weise ab. Außer 
diesen Gefühlen herrschen im ästhetischen Zustande noch 
teiliiehmende Oemütserregungen, Die teilnehmenden Ge- 
fühle treten nur bei menschüdien Gegenständen und ge- 
nauerem Einblick in deren Schicksal hervor. Allgemeine 
Bedingung für Auftreten und Lebhaftigkeit dieser beiden 
. Arten von Reaktionsgefühlen ist, daß ein Gegenstand durch 
Eigenart, Fülle und geistige Anregung eine intensive Be- 
schäftigung des ganzen Subjekts einleitet und unterhält. 

Die am ästhetischen Verhalten beteiligten Gefühle kann 
man in zwei große Klassen teilen : in die vei^egenständhchten 
und die zuständlichen (die Volkelt als „persönhche" be- 
zeichnet). Die letzteren haben wir deshalb Reaktionsgefühle 
genannt, weil sie eine Reaktion des in Kontemplation be- 
findlichen Subjekts auf den Gegenstand bilden. Unter diesen 
zuständlichen Gefühlen, die man als ästhetischen Genuß 
zusammenfaßt, hatten wir wiederum zwei Gruppen vorge- 
merkt: die teilnehmenden und die Wertgefühle. Unser teil- 
nehmendes Gefühl fürchtet für Egmont, bemitleidet Medea, 
verabscheut Richard IIL, trauert über den Untergang Gret- 
chens. Alle derartigen Gemütszustände werden nicht ver- 
gegenständlicht sondern im ästhetischen Zustande eriebt. 
Sie werden als Wirkung des eindrucksvollen Gegenstandes 
auf uns, die Betrachtenden, aufgefaßt. Von den eingefühlten 
Stimmungen Tassen sie sich leicht unterscheiden, wenn wir 



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Teilnahme- und Wertgefuhlo. 1 1 1 

uns fragen, ob wir sie auf das Objekt selbst übertragen 
könnten. Das Mitleid, das wir für Medea fühlen, wird ihr 
selbst nicht zugeschrieben. Die teilnehmenden Gefühle sind 
von Wichtigkeit für die ästhetischen Modifikationen (für das 
Tragische, Erhabene, Komische usw.), sofern sie allgemein 
entfesselte Wirkungen des Gegenstandes sind und nicht bloß 
auf zufälliger Veranlagung oder Disposition beruhen. Auch 
die Rührung gehört zu diesen teilnehmenden Zustands- 
gefühlen. Sie ist namentlich in der Ästhetik des 18. Jahr- 
hunderts stark berücksichtigt worden. Das Gefühl des In- 
teresses, das man wohl auch als Reiz bezeichnet hat, ist 
gleichfalls hierher zu rechnen. Volkelt hat mit Recht bemerkt, 
daß die teilnehmenden Gefühle bei menschhchen Gegen- 
ständen ain stärksten ankhngen, während sie bei unter- 
menschlichen abnehmen. Man kann hinzufügen, daß sie um 
so stärker sind, je mehr wir von diesen Menschen, ihrem 
Charakter und Schicksal erfahren. Dramen und Romane sind 
die Haupterreger teilnehmender Gefühle. Ihnen kommt für 
die Ästhetik keine so große Bedeutung zu wie den Werf- 
gefühlen. Sie sind keine spezifisch ästhetischen Zustände, 
sondern natürliche Reaktionen eines für Lust und Leid, Größe 
und Niedrigkeit, Güte und Roheit empfänglichen Gemüts. 
Das ästhetische Verhalten löst sie los von dem Boden egoisti- 
scher Rücksicht und befreit sie von allen Willensfolgen. Sie 
werden zu bloßen Zuständen eines Unbeteiligten, Unpar- 
teiischen und damit ästhetisch verwertbar. Im übrigen können 
sie recht intensiv und mannigfaltig sein; ja vielen mögen sie 
als der eigentliche Maßstab tiefgehender ästhetischer- Wir- 
kung erscheinen. Keinesfalls ist es richtig, daß sie für den 
ästhetischen Wert entscheidend sind. 

Die zweite Gruppe der Zustandsgefühle bilden die Wert- 
gefühlfe des Gefallens und Mißfallens, vermöge deren wir 
etwas schön oder häßlich nennen. Sie knüpfen sich an den 
ästhetischen Gegenstand, an die Kontemplation, an die Ein- 
fühlung, sowie an die Teilnahmegefühle; nur in abstracto 
sind sie davon ablösbar. Auch ist ihre Entfaltung wesentlich 



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112 Gefallen und MiBfaUen. 

davon abhängig, daß man sich nicht ausdrücklich mit ihnen 
abgibt. Richtet man die Aufmerksamkeit auf die Gefühle 
selbst, so schwächen sie sich ab und entschwinden. Sie ge- 
hören zu jenen Geistern, die nur ungerufen kommen und nur 
unbeobachtet wirken. Die Wertgefühle sind Zustände der 
Lust und der Unlust. Wir sind im Gegensatz zu der Ansicht 
mancher Psychologen der Überzeugung, daß sich diese ästhe- 
tische Lust und Unlust qualitativ von anderer Lust und Un- 
lust nicht unterscheidet und daß man ihr daher nicht ohne 
weiteres ansehen kann, ob sie ästhetisch ist oder nidit. Ihre 
Besonderheit liegt darin begründet, daß sie als Totalreaktion 
den ganzen Menschen erfüllen, also kein einfacher Teilinhalt 
des Bewußtseins sind, außerdem in ihrer Entstehung. Daß 
sie den ganzen Menschen erfüllen, stimmt zum Begriff des 
ästhetischen Verhaltens. So unterscheidet sich das ästhetisdie 
Gefallen insbesondere von den gewöhnlichen sinnlichen Ge< 
fühlen, die aber sehr wohl mit darin eingehen können. Für 
die sinnlichen Gefühle ist die Abhängigkeit von der Intensität 
der Reize kennzeichnend, das ästhetische Gefühl ist eben 
nicht vom Reize, sondern vom ästhetischen Eindruck ab- 
hängig, von dem nämlich, was durch verständnisvolle und 
empfängliche Auffassung aus dem Reize geworden ist. Diese 
Abhängigkeit von der Kontemplation ist zugleich geeignet, 
die ästhetischen Wertgefühle gegenüber den sittlichen und 
intellektuellen Gefühlen abzugrenzen. Eine Handlung erregt 
unser sittliches Wohlgefallen, wenn sie aus einer von uns 
gebilligten Gesinnung hervorgeht; ob sie gefällig aussieht, 
ist dabei gleichgültig. Unser intellektuelles Wohlgefallen wird 
durch richtige und wahre Behauptungen belebt, durch konse- 
quente Schlüsse und zutreffende Theorien. Ob die Gedanken 
dabei schwerfällig ausgedrückt sind, das ist irrelevant. Aber 
die intellektuellen und sittlichen Gefühle können sich dem 
ästhetischen Verhalten einordnen. Dann tragen sie den Cha- 
rakter teilnehmender Zustandsgefühle, wie Anerkennung und 
Verwerfung und färtien die ästhetische Auffassung. Wenn 
Aristoteles die Freude an dem Kunstwerk auf eine g'elungene 



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Teilnahme umi reine Empfänglichkeit. 113 

Erkenntnis glaubte zurückführen zu dürfen, so hat er über- 
sehen, daß eine solche nur im Dienste des ästhetischen Ver- 
haltens zu ihm etwas beiträgt. Es fördert das Verständnis 
des Kunstwerks, wenn wir wissen, was es darstellt, aber 
die Zurückführung des Nachbilds auf ein Urbild isi nicht 
Selbstzweck, sondern bestenfalls Hilfsmittel. 

Gefallen und Mißfallen sind also geknüpft an die Be- 
schaffenheit des ästhetischen Gegenstandes und an die Ein- 
fühlung. Welche Beschaffenheiten unmittelbar gefallen, 
welche mißfallen, wird erst später zu untersuchen sein, wenn 
wir von Symmetrie, Proportion, Farbenreinheit, Harmonie 
reden. Hier muß die Analyse besondere virtuelle Wirkungen 
feststellen. Die Gesetze der ästhetischen Wirkung werden 
nur aus genauen Einzeluntersuchungen einleuchten. Außer- 
dem wird die Einfühlung zum Ursprung von Wertgefühlen, 
je mehr sie den Gegenstand bereichert. Auch das Miterleben 
ist noch eine Quelle ästhetischer Gefühle. Es kann gefallen 
oder mißfallen. Nach Lipps ist es angenehm, wenn ein be- 
glückendes Sympathiegefühl aufstrahlt, wenn wir ungehemmt 
einfühlen. Nach Oroo^ gefällt uns das Spiel der inneren Nach- 
ahmung ganz unabhängig, scheint's, von der Beschaffenheit 
^es Nachgeahmten. Auf das Miterleben geht zu einem Teil 
die Katharsis des Aristoteles zurück, auch das freie Spiel 
der Erkenntniskräfte nach Kant. Die Teilnahme am Gegen- 
stände ist ebenfalls von Bedeutung für die Wertgefühle. 
Sie kann diese geradezu nach sich bestimmen. Liebe und 
Haß, Bewunderung und Verachtung drücken den Wert- 
gefühlen nur zu leicht ihren Stempel auf. Da sie aber keine 
spezifisdi ästhetische Bedeutung haben, so gefährden sie die 
Reinheit des ästhetischen Verhaltens. Der Wert eines Dramas 
ist davon unabhängig, ob seine handelnden Personen uns sym- 
pathisch sind oder nicht. Eine Vermischung des ethischen 
und des ästhetischen Urteils fruchtet in keiner Weise. Des- 
halb ist es doch nicht geraten, etwa alle Teilnahme auszu- 
schalten oder gegen ihre Stellungnahme schroff aufzutreten. 
Hier liegt vielmehr ein schwerwiegendes Problem vor, das 

Külpe, ÄBUietik. 8 



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]14 Gefallen und Mißfallen. 

nicht einfach umgangen werden darf. Inwieweit, so fragt es 
sich, soll mit der Teilnahme gerechnet werden, wie eng darf 
das ästhetische Urteil sich ihr anschheßen? Hier beschränken 
wir uns darauf zu sagen, daß. der ästhetische Wert eines 
Kunstwerks nicht von dem Inhalt der feilnehmenden Ge- 
fühleL, wohl aber von ihrem Verlauf und ihrem Zusammen- 
hang mit dem übrigen ästhetkchen Verhalten abhängt. Tiefe, 
starke Teilnahme ist gewiß zu wünschen; aber die Empörung 
über unsitUiche Taten bestimmt ebensowenig wie Freude am 
Gpten den Wert eines Dramas. Tränen des Mitleids und der 
Ergriffenheit sind kein Kriterium einer guten Tragödie und 
zwerchfellerschütterndes Lachen kein Kriterium der wert- 
vollen Komödie. Nur sofern beide ästhetisch motiviert sind, 
können sie über die ästhetische Wirkung etwas verraten. 
Hebbel nimmt auf die positive Gestalt der Teilnahmegefühle 
keine besondere Rücksicht. Darum wird er herb und ab- 
stoßend genannt. Um so reineres ästhetisches Wertgefühl 
entzündet sich an seinen Werken. 

Grundbedingung für das Zustandekommen einer ästhe- 
tischen Wirkung ist die aufmerksame Versenkung in den 
Gegenstand. Was unsere Aufmerksamkeit nicht zu fesseln 
vermag, kann uns auch nicht ästhetisch berühren. Von den 
mannigfachen inneren und äußeren Bedingungen der Auf- 
merksamkeit kommen nur solche in Betracht, die geeignet 
sinc^ sie einem Gegenstande dauernd treu zu erhalten. Die 
äußeren Bedingungen (wie Intensität des Reizes, Adaptation 
des Sinnesorgans) reichen nicht aus, um dem qualitativen 
Bestand des ästhetischen Gegenstandes die Eindringlichkeit 
zu sichern. Von den inneren Bedingungen ist die wichtigste 
bewußte oder unbewußte Prädisposition. Die Absicht kann 
die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt lenken, wie 
es z. B. bei Versuchen mit einfachen Figuren unerläßlich ist, 
da sie sonst nur geringes Interesse gewähren würden. Sonst 
fesselt uns, was eine Beziehung zu unserem Geistesleben 
hat. Eigenart und Mannigfaltigkeit, eine gewisse Neuheit 
muß dem Gegenstande zukommen, wenn er unsere Auf- 



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Klassizität. 115 

merksamkeit dauernd für sich gewinnen soll. Eigenartige 
Technik (wie etwa die Segantinis), ein neues Prinzip der 
musikalischen Entwicklung (wie bei Richard Wagner), die 
reichgegliederte Fassade ernes Renaissancebauwerks, eine 
Fülle von Charakteren und Situationen (wie bei Shakespeare), 
sie erregen eindringliche Stimmungen und Gedanken, einen 
unvergeßlichen Aufruhr der Seele. Klassisch nennen wir das 
Kunstwerk, das in diesem Shine allerorten und allerzeit 
fesselt. Hier enthüllt sich anregender Reichtum, unentdeckte 
Tiefe, Hier werden die Gegenstände geformt, die uns immer 
wieder zu Herzen sprechen, weil sie wie Glück, Liebe, Kampf 
unser Menschenschicksal stets bestimmen. Goethes Faust, 
Beethovens neunte Symphonie, Michelangelos Jüngstes Ge- 
richt, — ihre Schöpfer besaßen das Geheimnis des ewig 
Jungen und Wirksamen. 

Gefallen und Mißfallen sind echte Gefühle der Lust und 
Unlust. Daß sie sich innerhalb engerer Grenzen der Intensität 
bewegen, daß sie zu den praktischen Aufgaben des Lebens 
keine Beziehung haben, daß sie Erkenntnis weder fördern 
noch voraussetzen, daß sie weder aus Trieben entspringen 
noch Begierden entfesseln, all das rechtfertigt doch nicht» 
sie als scheinhafte Gefühle aufzufassen. 

Mit dem Worte vom ästhetischen Genuß hat man wie 
Groos das ganze rezeptive Verhalten überhaupt bezeichnet. 
Man kann aber auch damit nur die Gemütserregungen im 
ästhetischen Zustand, insbesondere die Lust am Objekt be- 
zeichnen. In diesem Sinne hat M. Geiger in Husserls Jahr- 
buch für Philosophie (1913, Bd. 1) die Phänomene genauer 
analysiert. Alle seine Bestimmungen fügen sich unserer Auf- 
fassung gut ein und ergänzen sie. Geiger rechnet den Ge- 
nuß zu den Lusteriebnissen, sucht jedoch die spezifische 
Qualität festzustellen, durch die er sich von anderen unter- 
scheidet. Der Genuß ist motivlos, ohne Zweck und Absicht 
sich selbst genug. Sein Objekt muß vergegenwärtigt, für 
das Bewußtsein gegeben sein, es muß eine gewisse Fülle 
haben und in diesem Sinne anschaulich sein. Kein Willens- 



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116 Prüfung und Wertung. 

moment spielt in die ästhetische Freude hinein, kein Urteil 
einer Anerkennung oder Verwerfung. Der Genuß ist ein 
Erlebnis mit Ichbeteiligung und Hingabe; Aufnahme, Ich- 
zentrierung liegen darin. Er ist tief, sofern er auf das zentrale 
Ich bezogen ist, das Ich vollkommen erfüllt; es g^bt Grade 
seiner Tiefe, so kann er ernst oder leicht sein.. Ästhetischer 
Genuß und ästhetischer Wert fallen nicht zusammen, jener 
kann auch dort stattfinden, wo keine Werte vorliegen, wie 
bei eigenen Stimmungen. Aller ästhetische Genuß ist Be- 
trachtungsgenuÖ. Die Konzentration nach außen ist für ihn 
wesentlich, eine gewisse Fernhaltung von Ich und Oenuß- 
objekt. Begierdeloses Betrachten ist ein Wahrzeichen für 
den ästhetischen Genuß. 

Prühias uad Wertung. 

Nicht jeder, der ästhetisch genießt, braucht das Resultat 
seiner Auffassung in bewertenden Urteilen auszudrücken. 
Aber jedes von der eigenen Meinung abweichende Urteil 
veranlaßt meist eine, wenn auch noch so unvollkommene 
Prüfung, und das Mitteilungsbedürfnis pflegt, ebenso wie der 
Wunsch, sich selbst abschließende Rechenschaft zu geben, 
zur ästhetischen Beurteilung zu treiben. Zum voU|tändigen 
ästhetischen Verhalten gehört also Prüfung und wertende 
Beurteilung. Man darf nicht meinen, daß Prüfung und Be- 
urteilung notwendig zuletzt sich einstellen müßten, nach- 
dem die anderen Stadien des ästhetischen Verhaltens bereits 
durchtaufen wären. Alle Stadien durchdringen sich; dennodi 
setzen Prüfung und Beurteilung die verständnisvolle Ein- 
fühlung ebenso voraus wie das emotionale Erlebnis des Ge- 
fallens oder Mißfallens. 

Die ästhetische Prüfung sucht das Geschmacksurteil zu 
begründen; eine solche Prüfung setzt Wertmaßstäbe voraus, 
wenn sie nicht willkürlich oder zufällig bleiben soll. A priori 
finden wir solche nicht, und wir können sie auch nicht durch 
einfache Analyse ableiten. Cohn stellt durch Analyse des 
Geschmacksurteils fest, daß sein Gegenstand anschaulicher 



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Das Ideal ästhetischen Verhaltens. 117 

Eigenwert sei und daß der behauptete Wert Forderungs- 
charakter habe. Aber daraus ergeben sich keine Maßstäbe 
für bestimmte Wertungen. Derartige Maßstäbe sind in der 
aktuellen und potenziellen ästhetischen Wirkung gegeben. 
Ich kann mich bei der Prüfung darauf berufen, daß etwas 
tatsächhch gefällt oder mißfällt. Oder ich kann mich darauf 
berufen, daß ästhetische Wertungen früher in emem gewissen 
Sinne stattgefunden haben: Bilder solcher Art haben mir 
immer gefallen. Endlich aber kann ich bestimmte Gesetz- 
mäßigkeiten und Prin^pien anerkennen und wissen, daß sie 
in diesem Falle anwendbar sind. Die Kenntnis solcher Ge- 
setze kann eine rein empirisch zufällige oder eine wissen- 
schaftlich erworbene sein. Von Normen aber, die schlechthin 
vorschreiben „das soll und muß gefallen" ist dabei keine 
Rede. Letzte Quelle aller Maßstäbe auf diesem Gebiet ist 
und bleibt vielmehr das wirkliche Gefallen und Mißfallen, 
wenn es nur aus dem reinen ästhetischen Verhalten ent- 
springt. 

I^e ästhetische Prüfung kann mehr oder weniger voll- 
ständig sein. Dem Ideal ästhetischen Verhaltens entspricht 
eindringende Bewertung des Gegenstands, der Fülle dessen, 
was sich verständnisvoller Auffassung erschließt, des Ein- 
drucks, der Teilnahme, die er weckt, der Freude, die er 
spendet. Eine absolute Berechtigung, so und nicht anders 
zu urteileji, kann niemals das Ergebnis solcher Prüfung sein. 
Doch kann das ästhetische Urteil soweit begründet werden, 
daß es sich als berechtigt würdigen läßt. Daß eine auf diese 
Weise ausgeführte Prüfung immer nur relativ und hypo- 
thetisch gültige Urteile erlaubt, ist zweifellos. Man kann 
daher nur sagen, daß, nach unserer Kenntnis ästhetischer 
Wirkungen, für unser ästhetisches Verhalten dieser Gegen- 
stand einen gewissen Wert hat. M^r kann man weder ver- 
langen noch erreichen. Damit ist immerhin die Möglichkeit 
einer Verständigung in Sachen des Geschmacks, einer Mit- 
teilung der eignen Auffassung, einer Verteidigung von künstle- 
rischen Absichten und Werken gewährleistet. Wertungs- 



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US Prüfung und Wertung. 

unterschiede sind ja tatsädilich immer in Fülle gegeben, 
aber wir brauchen nicht jedes Geschmacksurteil zu recht- 
fertigen, sondern' nur diejenigen, die unter der Herrschaft 
des ästhetischen Verhaltens zustandegekommen sind. Inner- 
halb dieses Gebietes aber haben wir kein Recht, das eine 
Urteil für beachtenswerter zu halten als das andere. Des- 
halb ist Spielraum für individuelle Neigungen reichlich frei. 
Die einzelnen Wertbeziehungen können verschieden stark 
betont werden, damit ändert sich auch das Ergebnis der 
ästhetischen Prüfung. Auf verschiedene gleichwertige Stil- 
arlen werden sich die Neigungen der Kunstfreunde verteilen. 
Der eine zieht die Böcklinscheo Farbenharmonien vor, der 
andere Lionardos sfumato, ein dritter Feuerbachs große 
Linie, ohne daß er seine Lid)haberei einem Bewunderer Rem- 
brandtschen Helldunkels aufdringen will. Diese Einsicht wird 
eher der Verständigung als weiterem Zwiespalt dienen. 

Dazu kann ferner eine Einteilung der ästhetischen Urteile 
helfen, welche deren Hauptarten hervorhebt, ohne erschöpfen 
zu wollen. Es empfiehlt sich vier Klassen zu unterscheiden: 
Verständnisurteile, Eindrucksurteile,- Oeschmacksurteile und 
Werturteile. Jeder kompliziertere ästhetische Eindruck setzt 
für die Entfaltung seiner vollen und ungehemmten Wirkung 
ein Eindringen in seinen sinnvoll zusammenhängenden Auf- 
bau voraus. Man denke an die Kommentare zum Faust, zum 
Hamlet, zur Divina Commedia, die solches Suchen nach 
tieferem Verständnis entfesselt hat. Es sind die Verständnis- 
urteile, welche die Bedeutung des ästhetischen Gegenstandes 
klären. Freilich ist das Verständnis noch kein vollentfaltetes 
ästhetisches Verhalten, sondern nur Vorbedingung der ästhe- 
tischea Wirkung. Ohne Verständnis gibt es nur unzureichende 
Teilnahme, keine Geschlossenheit des Eindrucks, keine Ein- 
ordnung von Einzelheiten in Geist und Leben des Kunst- 
werks. Solche Urteile des Verständnisses brauchen nicht 
immer durch förmliche Sätze repräsentiert zu sein. Nicht nur 
die Kontemplation, auch die einfache Einfühlung findet ihren 
Ausdruck in Verständnisurteilen. 



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Das Oeschmacksurteil. 119 

Die Eindrucksurtetle geben die Wirkung wieder, die das 
ästhetisclie Objekt in seinem Zusammentreffen mit unserem 
ästhetischen Zustande in uns hervorruft; sie verlautbaren 
das Miterleben und die Teilnahme. Dies rührt mich, stößt 
mich ab, wirkt furchtbar, erhebt midi. Während die Ver- 
ständnisurieile ein objektives Gepräge tragen, bezeichnen 
die Eindrucksurteile die ausgelösten subjektiven Zustände. 
Es ist vor allem der ästhetische Genuß, der sich in Eindrucks- 
urteilen mitteilen läßt. 

Das ästhetische Urteil im engeren Sinne nennt man Oe> 
schmacksurteil. Es sagt Gefallen oder Mißfallen aus. Ver- 
möge der naiv-realistischen Prädizierung der Geschmacks- 
qualitäten wird dabei der ästhetische Gegenstand selbst 
schön, anmutig, komisch genannt, wie man auch sagt; ein 
schmerzhafter Stich, eine drückende Last. Man kann hier 
zum Unterschiede von Lockes sekundären Qualitäten versucht 
sein, von tertiären Qualitäten zu sprechen. Die Prädizierungen 
des Geschmacksurteils können ästhetische Wrrkungsaktualttät 
ausdrücken, wirkliches Gefallen; dann ist das ästhetische 
Urteil assertorisch. Man kann sich auch mit der Aussage 
über ein mögliches Gefallen, über ästhetische Wirkungs- 
potenzialität begnügen; dann ist das Geschmacksurteil proble- 
matisch. Apodiktisch kann das Gesdtmacksurteil als solches 
nie werden. Wer im Überschwang der Begeisterung für eine 
ihm unerhörte Schönheit Empfän^ichkeit erzwingen will, 
wird, durch trübe Erfahrungen auch an höchst feinsinnigen 
Kunstfreunden enttäuscht, seine Hoffnungen dämpfen müssen. 
Das Geschmacksurteil Ist also Aussage von wirklichen oder 
möglichen Wertgefühlen. Seine Geltung ist offenbar sehr 
verschieden, je nachdem man urteilt „dies Werk gefällt" 
oder nur „es kann gefallen". Unter diesen Voraussetzungen 
sind auch gegensätzliche Geschmacksurteile über den gleichen 
Gegenstand möglich. Was dem einen gefällt, mißfällt dem 
anderen; und der eine kann mit Recht behaupten, daß dem 
Objekt die Fähigkeit zu gefallen zukomme, während der an- 
dere mit gleichem Rechte aussagt, daß es mißfallen könne. 



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120 Prüfung und Werfung. 

Darin liegt nur für den eine Schwierigkeit, der in jedem posi- 
tiven Geschmacksurteil bereits ein ästhetisches Gesetz wittert. 
Alle Gefühlsurteile, die schlechthin eine wirkliche oder mög- 
liche Regung aussagen, sind mit solchen individuellen Ver- 
schiedenheiten behaftet. Ist ästhetisches Gefallen möglich, 
so hängt sein Eintreten offensichtlich von besonderen Um- 
ständen und Bedingungen ab; fällen zvyei Personen über 
denselben Gegenstand verschiedene Geschmacksurteile, so 
können die besonderen Bedingungen nur im urteilenden Sub- 
jekt gesucht werden. Sucht man diese Untertchiede aus 
dem Verhalten und Befinden der Subjekte zu erklären, so 
erledigt sich jede Schwierigkeit. Es hängt von notwendigen 
und von zufälligen Eigentümlichkeiten eines Jeden ab, wie 
sein Geschmacksurteil im einzelnen Falle lautet. EMe zu- 
fälligen Besonderheiten lassen sich gar nicht erschöpfen, 
man denke nur an Stimmung, Erwartung und Frische. Die 
notwendigen Eigentümlichkeiten machen sein ästhetisches 
Verhalten aus. Selbstverständlich ist mit der Hervorhebung 
dieser subjektiven Unterschiede nicht gesagt, nur das ästhe- 
tische Objekt trage überall in gleicher Weise zum Gefallen 
oder Mißfallen bei. Es findet sich ja auch genug Überein- 
stimmung in Geschmacksurteilen, und es gibt Hilfsmittel, 
sich von den zufälligen Eigentümlichkeiten freizumachen. 
Ja, es ist gerade .eine Hauptaufgabe der Ästhetik, die Be- 
schaffenheit gefallender und mißfallender Gegenstände unter 
Voraussetzung eines idealen ästhetischen Verhaltens zu cha- 
rakterisieren. Um die Oeschmacksunterschiede zu erklären, 
bleibt immer die Mannigfaltigkeit einzelner subjektiver Be- 
dingungen und die komplexe Zusammenfügung des ästhe- 
tischen Objekts. Der Satz de gustibus non est disputandum 
ist richtig, soweit er auf die verschiedenen Voraussetzungen 
der Urteilenden hinweist, welche die Verschiedenheit ihrer 
Urteile bedingen und jedes Urteil als gültig erscheinen lassen 
können. Er ist unrichtig, wenn er den Gedanken nahelegt, 
als Hefte sich über diese Voraussetzungen durchaus nichts 
bestimmen und als wäre demnach eine Verständigung über 



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Das Werturteil. 121 

die Gründe der Abweichung unmöglich. Eine vollendete 
Ästhetik könnte allgemeingültig sein, ohne daß die Qe- 
schmacksurteile es wären. Das ist die wahre Auflösung 
von Kants ästhetischer Antinomie. 

Die letzte Klasse der ästhetischen Urteile umfaßt die 
eigentlichen, im engsten Sinne sogenannten Werturteile; sie 
prädizieren den ästhetischen Wert oder Unwert eines Ob- 
jekts auf Grund der für seine Wirkung ' maßgebenden Ab- 
hängigkeiten. Sie erheben Anspruch auf objektive und all- 
gemeine Geltung, weil sie auf einer umfassenden kritischen 
Prüfung aller im ästhetischen Objekt enthaltenen Wert- 
bedingungen beruhen. Hier wird von individuellen Unter- 
schieden abgesehen und lediglich der ästhetische Eindruck 
gewürdigt, wobei ein gleichartiges ideales zuständliches Ver- 
halten vorausgesetzt wird. Darüber, ob diese Bedingung 
überallzutrifft, wird nichts ausgesagt; es wird nur behauptet, 
daß wenn sie erfüllt ist, das Werturteil auf einer notwendigen 
ästhetischen Wirkung beruht. An unausgleichbarm indivi- 
duellen Differenzen scheitert schließhch immer wieder der 
Anspruch auf Allgemeinverbindhchkeit auch für alle prak- 
tisch vollzogenen Werturteile, Dennoch müssen sie von den 
Geschmacksurteilen, in denen ungeprüft die schlichte Reak- 
tion auf den ästhetischen Oegenstand'zum Ausdruck kommt, 
wohl unterschieden werden. Das Werturteil sucht die Wert- 
eigenschaften des ästhetischen Objekts zu erschöpfen und 
nutzt dazu alle verfügbaren Maßstäbe: den eigenen gegen- 
wärtigen Eindruck, die Erfahrung über Urteile der Kultur- 
menschheit; vor allem aber beruft es sich auf die Gesetze 
und Prinzipien der ästhetischen Wirkung. Da diese nach 
unserer Ansicht nicht a priori zu begründen sind, da sie 
keiner metaphysischen, biologischen oder ethischen Normie- 
rung entnommen werden können, so bleiben die Oeschmacks- 
urteile aus idealästhetischem Verhalten die letzte Grundlage. 
Die ihnen anhaftenden, auf abweichender ästhetischer Emp- 
fänglichkeit beruhenden individuellen Unterschiede können 
daher auch aus den Werturteilen nicht eliminiert werden. Man 



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122 Empfänglichkeit. 

kann also immer nur von deren relativer Wahrheit und 
Richtigkeit sprechen. In Übereinstimmung damit zeigt die 
Geschichte ein beständiges Schwanken der ästhetischen Urteile. 

Empfänglichkeit 

E)ie unausgleichbaren individuellen Unterschiede in der 
ästhetischen Empfänglichkeil prägen sidi in allen Phasen des 
ästhetisdien Verhaltens aus. Unausgleichbar sind die Unter- 
schiede in der Kontemplation, in der geistigen Aneignung 
des ästhetischen Objekts. Oifferenzen in der sinnlichen Dispo- 
sition wiegen hier ebenso schwer, wie Abweichungen in der 
intellektuellen Gestaltung des sinnlichen Materials. Farben- 
tüchtige Personen genießen leicht ganze Stilarten der Malerei, 
für die Farbenuntüchtigen fast jede Voraussetzung mangelt; 
die Fähigkeit der Gestaltwahrnehmung disponiert für die Auf- 
fassung zeichnerischer Formgebung, wie das feine Gehör 
für edlere Musik. Ob Vorstellungsbildei" lebhaft oder matt 
sind, ist ausschlaggebend für die Freude an dichterischer 
Landschaftsschilderung. Zu den Unterschieden zwischen an- 
schaulicher und unanschaulicher Repräsentation des Gegen- 
standes treten solche in der Leichtigkeit des Verständnisses. 
Auch bestehen tiefgreifende Differenzen in der Fähigkeit 
zu einfühlender Bereicherung. Nüchterne, kühle, mdlfferente 
Naturen werden weniger leicht, sicher und lebhaft einfühlen, 
als phantasievolle, erregbare und romantische Menschen. 
Man kann zur einfachen Einfühlung anders prädisponiert sein 
als zum sympathischen Miterleben. Die weite Einfühlungs- 
gabe der Künstler wird auch durch ethische Mißbilligung 
nicht gelähmt werden. Ebenso zahlreiche individuelle Diffe- 
renzen bestehen zwischen den zuständlichen Gemütsbewe- 
gungen. Die Teilnahme hat ihre Grade, Wertgefühle des 
Gefallens und Mißfallens werden mit sehr abgestufter Leb- 
haftigkeit erregt. Auch die Fähigkeit zur Prüfung kann gering 
oder groß sein. Es gibt ästhetische Kritiker ohne inneren 
Beruf zu dieser Leistung. Disposition zu Wertgefühlen und 
ästhetischer Beurteilung pflegt man als Geschmack zu be- 



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Asthdische Erregbarkeit, 123 

zeichnen. Grob nennen wir einen Geschmack, wenn das 
.Wertgefühl nur von starken Reizen der Sensation erregt wird, 
der stoffliche Inhalt als solcher fesselt. Der ungebildete Ge- 
schmack verlangt spannende Szenen. Der Vorliebe für un- 
mittelbare ästhetische Wirkung, satte Farben, symmetrische 
Raumwirkung, wohllautende Tonfolgen steht eine besondere 
Schätzung von Ideen und mittelbaren ästhetischen Wirkungen 
g^enüber, eine Neigung zu läuternder und ergreifender Dar- 
stellung tiefsinniger Werke. Es gibt Menschen, die überall 
den ästhetischen Gesichtspunkt herausfinden, denen kaum 
ein Ding ästhetisch gleichgültig (st; Ästheten sind es, die 
ihr ganzes Leben nach ästhetischen Gesichtspunkten regeln. 
Die Künstler sind meist nicht Ästheten. Im Gegensatz dazu 
bleiben andere ästhetisch träge, stumpf und ungerührt bei 
den erhabensten und schönsten Eindrucken. Es sind An- 
ästheten, amusische Menschen. Zwischen diesen Extremen 
gibt ks alle Abstufungen der ästhetischen Err^barkeit. Das 
ästhetische Verhalten kann nicht erzwungen werden. Gewiß 
gibt es ästhetische E)urchbildung, aber nur sanfte Fiände 
können sie leiten. Das ästhetische Verhalten gehört zu den 
stolzen Vorzügen menschlicher Freiheit; dafür ist es auch 
allem Mißbrauch der Freiheit ausgesetzt; es kann verküm- 
mern, bizarr werden, entarten. Aber mit der Entfaltung der 
Persönlichkeit kann auch das Interesse reger, die Kontem- 
plation versunkener, die Einfühlung lebendiger und viel- 
seitiger werden. Jedenfalls gedeihen Kunst und Kunstgenuß 
nur in der individuellen Freiheit; sie spotten aller Bindung 
durch Vorschriften und aller Preisrichter. Es gibt keinen 
ästhetischen Areopag, und keine normative Fessel schnürt 
den großen Künstler wirksam ein. Wie schon Kant es aus- 
spricht, geben nur die genialen Vorbilder aller Kunst Maß 
imd Richtung. 

Erfindung uod DarsteUung. 

Phantasie und Gestaltungskraft regen sich ursprünglich 
triebartig in der schöpferischen Produktion ästhetischer Ob- 



sdbvGoOglc 



124 Erfindung und Darstellung. 

jekte. Die Werke des Genies verdanken seinen Talent«i 
Eigenart und Reichtum der Erfindung, Vollkommenheit der 
Darstellung, originalen ästhetischen Wert. Was wir bisher 
als Einstellung, Einfühlung, Empfänglichkeif, Prüfen und 
Werten, Gefallen und Mißfallen dargetan haben, ist auch 
im produktiven ästhetischen Verhalten wiederzufinden. In 
allen Schilderungen genialen Schaffens kehren diese Züge 
zweifellos wieder. Der große Künstler ist ein Mensch ge- 
steigerter Empfänglichkeit, von feinen Sinnen, außergewöhn- 
lichem Gedächtnis, voll Lebhaftigkeit und Treue der Er- 
innerungsbilder. Seine Phantasiegestalten sind wunderbar 
gegenständlich, seine Neigung zur Kontemplation Ist leben- 
bestimmend, groß ist die Gewalt seiner Einfühlung, außer- 
ordentlich seine Sorgfalt, unermüdlich seine Geduld. Nur 
die umfassendsten Genien vereinen mehrere Talente; es sind 
dann Universalgenies. Am einseitigsten pflegt sich die musi- 
kalische Begabung auszuprägen. Zum genialen Werke wirken 
ineinander ein inneres Wactisen und die äußere (technische) 
Darstellung. Die schaffende Phantasie waltet mit den Dar- 
stellungsmitteln (Farben, Marmor) nicht ungebunden. Als Lei- 
stung der Phantasie bezeichnet die Gewohnheit die Erfindung 
neuer Einfälle. Doch bewährt sich die Phantasie nicht etwa 
eigenwertig in der Ersinnung wunderlicher Seltsamkeiten. 
Die künstlerische Eigenart wird durch Vorbilder aus Natur 
und Menschenwelt nicht geschmälert. Auch die natura- 
listische Formel vom Stück Natur, gesehen durch ein Tem- 
perament, läßt genialer Auffassung und Aneignung Spielraum 
genug. 

Nach Ribot gehören zum Erfinden aus schöpferischer 
Phantasie drei Faktoren, ein intellektueller, ein affektiver und 
ein unbewußter. Der intellektuelle Faktor umfaßt die Ein- 
fälle an Bildern, an Gedanken und deren Verbindungen, der 
affektive drängt als Verlangen nach Darstellung, Einfühlung, 
Miterleben. Den unbewußten Faktor nennt man Inspiration. 
Man weiß nicht, woher sie kömmt. Plötzlich, ungerufen und 
ungezwungen steht ein Motiv, ein Bild vor der Seele. Fremd, 



:dbvCoot^le 



Inspiration. 125 

zugerufen, nicht selbstgeschaffen wirkt ein solches Gebilde. 
Ähnliches widerfährt auch dem wissenschaftlichen, tech- 
nischen, politischen Erfinder. Dem ästhetischen Wollen 
mangelt Zweck und. Ziel zum Unterschied vom sittlichen 
Wollen. Dieser Spieltrieb entwickelt sich bei Künstlern früh 
mit selbstverständlicher Kraft und Fülle, oft angeregt durch 
geringfügigen Anlaß, ein unscheinbares Landschaftsbild, 
einen seltenen Naturlaut. AH dies gewaltige Aufgebot an 
Jcünstlerischer Phantasie bleibt ohnmächtig ohne künstlerische 
Hand und Handwerk; aber auch die unentbehrliche Hand-' 
fertigkeit ist zum besten Teil ' Wiegengeschenk der Natur. 
Der Künstler komponiert und phantasiert noch in seinem 
Stoffe. Die Schöpfung vollendet sich in Entwürfen und über 
der Ausführung. Je nach der Begabung und dem Sondertalent 
sind Erfindung und Darstellung an der Entstehung des Kunst- 
werks beteiligt. Von Virtuosität spricht man bei Mangel an 
erfinderischen Einfällen, bei bloßer Beherrschung der tech- 
nischen Mittel, von fehlender Gestalfungsgabe, wo die Aus- 
führung versagt, ohne daß der Strom der Erfindung versiegte. 
Der Anlaß zu beginnender Darstellung und zur Inspiration 
erscheint bei alledem nur bedeutungslos und zufällig, wenn 
man vergißt, wie lange Zeit vorher die Einfälle bereits vor- 
bereitet sein können. Häufig entstammt die Inspiration einer 
Anregung, deren Wirkung nicht unmittelbar bewußt ge- 
worden ist. Wiederum liegt einer Sfoffwahl, für die ein 
Meister sich prüfend und wohlüberlegt entscheidet, eine Vor- 
geschichte zugrunde, die sich nicht selten ins Dunkel des 
Künstlerlebens verliert. Aus tiefeehenden Konflikten, über- 
raschenden Erlebnissen, erschütternden Szenen erwächst in 
schöpferischem Prozeß schließlich die Gelegenheit zur Dich- 
tung, von der Goethe sagt 

Wichtig ist Ribots Hinweis auf die Dissoziationen im 
produktiven ästhetischen Verhalten, auf jenes Zerf^len sonst 
festgeketteter Assoziafionsbindung, auf die Fülle neuer In- 
haltskonstellationen unter dem Einfluß des ästhetischen Zu- 
standes. Darüber darf die strenge und bewußte Kontrolle 



D,s,l,z.db>C0(>glC 



126 Erfindung und Darstellung. 

nicht vergessen werden, die unter der übergroßen Menge 
der neugestalteten Einfälle wählt, behält, verwirft. Hier wir- 
ken technische Kenntnisse, Übungen und trübe Erfahrungen 
mit, leitende und beschränkende konstante Tendenzen, die 
den Bildutigsprozeß in allen Phasen nicht immer bewußt 
begleiten, aber stets unmerklich beeinflussen. Darum ar- 
beiten die bedeutenden Künstler mit so unerbittlicher Sorg- 
falt, bessern und feilen, sichten und suchen, bis ihnen das 
Werk ein niemals völliges Genüge tut. Das Werk drangt 
immer zur vollendeten Darstellung. Den Maler befriedigt 
die Skizze so wenig, wie den Architekten die Risse zu 
seinem Bauwerk. Der Komponist verlangt die beste Auf- 
führung, der dramatische E>ichter Bühnenauswirkung seiner 
Schöpfung. 

Man hat in letzter Vergangenheit skh viel Mühe gegeben, 
das Genie als pathologisch hinzustellen, es mit Wahnsinn 
und Verbrechen in einem Atem zu nennen. Man setzt dazu 
voraus, daß alles, was vom Durchschnitt abweicht, deshalb 
schon krankhaft ist. Man überspannt den Vergleich zwisdien 
psychophysischen Organisationen, die einige ähnliche Züge 
aufweisen, wie übrigens Wahnbilder und Traumbilder auch 
tun, ohne daß der Träumer darum irrsinnig ist. Zur Krankheit 
gehört eine Schädigung des Organismus. Mit dem rohen 
Nachweis einiger Degenerationsmerkmaie ist noch nichts 
geleistet. Die lebhafte Einbildungskraft teilt freilich das Genie 
mit dem Wahnsinnigen, aber eben auch mit Träumern und 
Hypnotisierten. Durch die gesunde Urteilskraft unterschddet 
sich das Genie vom Irrsinn auf das Bestimmteste. Wenn das 
Genie in seinen Bildern lebt wie in der Wirklichkeit, so ist 
das für jede ästhetische Versunkenheit bezeichnend. Ein 
Kind in voller Bühnen Illusion ist nicht krank. Niemand zwei- 
felt daran, daß die reiche Seele des genialen Menschen in 
einem verfeinerten Leibe wohnt; wer sich in diesen Ge- 
danken vertieft, wird bald darauf verzichten, die somatischen 
Grundlagen seiner Begabung in Schädelformen und Ohr- 
muschelbildungen aufzuspüren. 



sdbvGoOgIc 



Theorie des ästhetischen Zustandes. 



Literatur. 
Vaihinger, Die Philosophie des Als-Ob. Berlin 1911. 
Lichtwarlc, Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken. 7. Autl. 

Beriin 1909. 
R. Vischer, Über das optische Formgefühl, Leipzig 1873. 
Oroos, Der ästhetische QenuS. OieBen 1902. 
Volkelt, Der Symbotbegriff in der neuesten Ästhetik. Jena 1876. 
Stern, Einfühlung und Assoziation in der neuesten Ästhetik. Lipps' 

und Wemers Beiträge zur Ästhetik, Hamburg 1898. 
Geiger, Zum Problem der Stimmujigseinfühlung. Zeitschrift für 

Ästhetik, 1911, Bd. 6. 

— Beiträge zur Phänomenologie des ästhetischen Genusses. Jahrbuch 
für Philosophie und phänomenologisdie Forschung, 1913, Bd. 1, 

— Bericht über den IV. Kongreß für experimentelle Psychologie. Inns- 
bruck 1910. 

Th. Meyer, Kritik der Emfühlungstheorie. Zeitsdirift für Ästhetalc, 
Bd. 7, S. 529. 

Schnitze, Wirkungsakzente . . . Archiv für die ges. Psychologie, 1906, 
Bd. 8, S. 339. 

Ritook, Zur Analyse der ästhetischen Wirkung. Zeitschrift für Ästhe- 
tik, Bd. 5, S. 365. 

Bullough, The „perceptive problem" In the aesthetic appreciation of 
Single colours. British Journal of Psychology, 1908, Bd. 2. 

Landmann-Kalischer, Analyse der ästhetischen Kontemplation. Zeit- 
schrift für Psychologie, 1902, Bd. 28. 

— Über den Erkenntniswert ästhetischer Urteile. Archiv für die ges. 
Psychol<^e, 1903, Bd. 5. 

Siebeck, Das Wesen der ästhetischen Anschauung. Berlin 18T5. 
Dilthey, Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn. Rede. 1886. 

— Das Erlebnis und die Dichtung. 3. Aufl. Leipzig 1910. 
Brentano, Das Genie. Vortrag. 1892. 

Türck, Der geniale Mensch. 6. Aufl. Beriin 1903. 

S^aillcs, Essai sur le g^nie dans l'art. 2. 6d. Paris 1897. 

Ribot, L'ün^nation cr^atrice. Deutsche Ausgabe. Bonn 1902. (Die 

Schöpferkraft der Phantasie.) 
Löwenfeld, Über die geniale Geistestätigkeit. Wiesbaden 1903. 
Popp, Maler-Ästhetik. Straßburg 1902. 
Müller-Freienfels,Zur Analyse der schöpferischen Phantasie. Viertel- 

Jahrsschrift für Wissenschaft!. Philosophie, 1909. 
Dohrn, Die künstlerische Darstellung als Problem der Ästhetik. Lipps' 

und Wemers Beiträge zur Ästhetik, 1908, Bd. 10. 



sdbvGoOgIc 



Ästhetische Prinzipien, 
Elementare ästhetische Wirkung. 

Innerhalb der Grenzen sinnlicher Gleichwertigkeiten 
scheinen Einzelqualitäten keinen allgemeingültigen Vorzug 
voreinander zu haben. Bei Kombinationen materialcr Ele- 
mente ist der anschauliche Zusammenhang trotz größerer 
Verschiedenheit wesentliche Bedingung einer positiven ästhe- 
tisdien Wirkung. Keine einzige* Emptindungsquaiität als 
solche ist von der ästhetischen Wirkung ausgeschlossen. 
Wo die einzelnen Qualitäten in ihrer Eigenart die Aufmerk- 
samkeit fesseln, wirken auch Farben, Töne, Gerüche als 
solche schon ästhetisch. Nach Preyers Forschungen über die 
Seele des Kindes (1895, 4. Aufl.) erregen mäßig helle Licht- 
eindrücke, langsam vor den Augen bewegte Objekte, allerlei 
Klänge, süße Düfte schon im ersten Vierteljahr des Lebens 
eine vielleicht nicht lediglich sinnliche Lust. Welche Quali- 
täter^sthetische Lust, welche Unlust erregen, ist noch nicht 
allgemeingültig anzugeben. Hier gibt es schon größere indi- 
viduelle Unterschiede. Bei den Farben ziehen einige Per- 
sonen die warmen Faiiien (rot — gelb) vor, andere die, kalten 
(blau — violett). Alle Versuchspersonen Cohns hatten eine 
Abneigung gegen Gelb, die bei Major und Baker durchaus 
nicht hervortrat. Bei Cohn wurden meist die gesättigten 
Farben vorgezogen, bei Major nicht allgemein. Auch mit der 
Helligkeitsreihe verhält es sich ähnlich. Einige ziehen die 
hellen, andere die dunkeln Farben vor. Bei Tönen ist es 
ebenso. Geräusche als solche pflegen gleichgültig zu lassen 
oder zu mißfallen. Auf dem Gebiet der niederen Sinne sind 
die individuellen Unterschiede geringer. Bei Tasteindrücken 



sdbyGbo^^lc 



Farbencharakter. 129 

wird mit großer Konstanz das Glatte, Weiche und Stumpfe 
dem Rauhen, Harten und Spitzen vorgezogen. Einzelne 
Stimmgabelklänge konnten nach Kaestner meist nicht als an- 
genehmer oder unangenehmer bezeichnet werden. Man kann 
also überhaupt zweifelhaft sein, ob einer einzelnen Qualität 
als solcher unmittelbare ästhetische Wirkung zukommt, die 
zu individuellen Differenzen weiterführt. Wie stark dagegen 
mittelbare Wirkungen scbqn bei einzelnen Qualität«! ein- 
greifen können, sieht man aus der Untersuchung von Geiger 
(Zeitschr. f. Ästh., Bd. 6). Dort heißen Farben: dünn, arm, 
l gemein, dumm, feurig, fröhlich, reizend, lieblich, kalt. Der 
Charakter der Farbe erscheint als die höchste Form ihrer 
ästhetischen Wirkung, als objektive und beständige .Ver- 
gegenständlichung einer Stimmung. Davon verschieden sind 
die losen und verschmolzenen assoziativen Einschläge, wie 
die Erinnerung an ein Gemälde oder Eindrücke wie gcAd- 
braun, silberhell, kupferrot. 

Über die Verbindungen von Qualitäten li^en wenig ge- 
sicherte Erfahrungen vor. Bei Farbenkombinationen fand 
Cohn, daß die Komplementärfarben anderen Zusammen- 
stellungen voi^ezogen werden. Baker hat die Untersuchungen 
von Cohn durchgeprüft und bei einer größeren Zahl von 
Elementen gefunden, daß die wohlgefälligsten Kombinationen 
nicht zwischen den Komplementärfarben, sondern zwischen 
Farben geringeren Qualitätsunterschieds bestehen, wenn 
gleiche Sättigung für alle Farben gewählt wird. Absolut ge- 
fäüige Farbenkombinationen gibt es überhaupt nicht, sondern 
nur gefällige Zusammenstellungen für Farben bestimmter 
Qualität, Helligkeit, Sättigung und Raumbeschaffenheit. Bei 
genauerer Prüfung der Bakerschen Tabellen kann Cohn nicht 
als widerlegt gelten. Warum Komplementärfarben bei binärer 
Zusammenstellung bevorzugt werden, hat die Ästhetiker 
schon oft beschäftigt und zu sehr verschiedenen Ansichten 
geführt. Es liegt nahe, auch des Einflusses zu gedenken, den 
Zusammenstellungen kontrastierender Farben auf die Er- 
fassung der Objekte ausüben. Die Umrisse der O^enstände 

KSlps, ÄBtlietlk. 9 



criz^d^vCoOglc 



130 Elementare ästhetische Wirining. 

im Räume heben ' sich schärfer voneinander ab, wenn ihre 
Fattien kontrastieren. Überdies heben sich komplementäre 
Farben. Bei Kombinationen von mehr als zwei Elementen 
werden die komplementären aufeinanderbezogen, zusammen- 
gefaßt. Wenn wir auch von der Einfühlung und sonstiger 
mittelbarer ästhetischer Wirkung absehen, so finden wir für 
Farbenkombinationen als Bedingung ästhetischen Eindrucks , 
mannigfaltige Fülle, übersichtUche Einheit des Oesamtein- 
drucks. Die raumbeherrschende, motivisch wiederkehrende, 
alle anderen ihrer Umgebung hebende Farbe getönter Flächen 
heiBt deren Grundton. Der Eindruck der Farbenkombinatiön 
übertäubt fast völlig das individuelle Gefallen oder Mißfallen 
an der Einzelfarbe. Eine Ausnahme bilden nur Farben, die 
sich nicht mit anderen verbinden, aus einem Gemälde heraus- 
fallen. Den vollen Stimmungsgehalt verdanken aber auch 
Farbenkombinationen erst der Einfühlung. Der Reichtum 
an Stimmung schenkt der FarbenmannigfalHgkeit ihre 
Fülle, der Stimmungszusammenklang herrscht mit im an- 
schaulichen Zusammenhang. 

Bei einfachen Raumverhältnissen wird scheinbare Olach- 
heit der Strecken bevorzugt, dann einfache Verhältnisse, be- 
sonders der goldene Schnitt, darüber hinaus merkliche Regel- 
mäßigkeit der übersichtlichen Anordnung. Zu geringe Größe 
erschwert die Auffassung der Einzelheiten, zu gewaltige Aus- 
dehnung stört den Aufbau eines Gesamteindrucks. Wdt ent- 
sclieidender für die ästhetische Raum-, Flächen- und Linien- 
wirkung sind die Verhältnisse der Entfernungen. Nach den 
Versuchen von Witmer weicht das gefälligste Verhältnis 
zweier Linien vom goldenen Schnitt ein wenig ab (1:1,706 
statt 1:1,618), bei Rechtecken war die Annäherung an den 
goldenen Schnitt am größten, bei Ellipsen wich das Ver- 
hältnis der Achsen etwas nach 2:3 hin ab (1:1,527). Bei mehr 
als zwei Vergleichsgrößen treten die einfachen Verhältnisse 
(1:2:3:4) als wohlgefällig hervor. 

Über elementare ästhetische Wirkungen der Zeitverhält- 
nisse sind wir fast ganz ohne exakte Kunde. Bolton (Americ. 



Digimed bvGoO^^IC 



Intervallcharakter. 131 

Journ. of Psych., Bd. 6) fand, daß elementare Rhythmen bei 
einer Oesamtdauer von etwa 1,25 Sekunden für ein Gebilde 
am wohlgefälligsten wirken. Je nach der Anzahl der Glieder 
ist demnach die Geschwindigkeit kleiner oder größer. Ein 
viergliedriger Rhythmus mit der Dauer von 1,2" Sekunden 
scheint am meisten den Beding;ungen der ästhetischen Auf- 
fassung zu genügen, soweit der direkte Faktor allein iti Frage 
kommt. 

Weit mehr wissen wir von den elementaren ästhetischen 
Wirkungen in der Musik; weshalb wir auf sie auch breiter 
eingehen. Kaestner (Wundts Psychol. Stod., Bd. 4) fand ein 
Annehmlichkeitsmaximum bei der großen Terz. Schwe- 
bungen bedingen Unannehmlichkeit. Die kleine Sekunde 
erschien als das unangenehmste Intervall. Das Intervall 
256:284, von Stumpf und Krueger als Unlustmaximum be- 
zeichnet, wird in den wenigen Reihen, in denen es bei 
Kaestner vorkommt, nicht einheitlich als unangenehmstes ge- 
wertet. Der erregende Charakter wird hier wje bei der 
kleinen Sekunde mehrfach betont. Das Intervall 6:7, an- 
genehmer als Sekund und Septime, erscheint weicher, voller, 
harmonischer. 13:16 gehört zu den angenehmsten Zwei- 
klängen, erscheint als Terz. Die große Terz wird voll, klar, 
weich, beruhigend, sympathisch, feierlich genannt. Die Quarte 
wirkt unangenehmer als die Terz, die Quinte heißt rein, leer, 
hohl, mild. Die Sexten werden beim Tonmesser günstiger 
beurteilt als bei Sthnmgabeln. Die große und kleine Septime 
stehen der Sekund nahe, während die natürliche Septime 4:7 
ebenso wie 9:16 angenehmer erscheint. Bei den Septimen 
wird einhellig das Scharfe und Erregende hervorgehoben. 
Die Oktave steht der Prim ziemlich nahe. Zwischen Gefühls- 
wirkung und Schwebung besteht kein eindeutiges Abhängig- 
keitsverhältnis. Der Einfluß der momentanen Stimmung ver- 
ändert das Urteil, indem Intervalle, die zu ihr nicht passen, 
unangenehm genannt werden. Sie heißen dann zu pathetisch, 
zu sentimental. Sonst unangenehme Intervalle wirken an- 
genehmer, wenn sie temperamentvoll, leidenschaftlich er- 



ääbyCoo-^le 



132 Elemente der Musik Wirkung. 

scheinen. Versuchspersonen, die der modernsten Musik zu- 
neigen, vernachlässigen die Terzen und bevorzugen die Sep* 
timen. Soweit Kaestner. 

Ober elementare Asthetisdie Wirkungen in der Musik. 

An jedem einfachen Gehörseindruck unterscheiden wir 
seine Qualität, Intensität und Dauer; Ausdehnung Itann ihm 
nicht zugeschrieben werden. Die Qualität nennen wir Ton- 
höhe, wonach wir den relativen Unterschied der Tiefe und 
Höhe bestimmen. EKe Intensität bezeichnet die Musik als 
dynamische Bestimmung, die Dauer als „Geltung" der Töne. 
In der Notenschrift wird durch Schlüssel, Vorzeichnung und 
Notenlage die Tonhöhe bestimmt, durch Angaben wk f., p., 
< und dergleichen die dynamische Intensität, durch Noten- 
form, Striche, Punkte und dergleichen die relative Geltung, 
die durch Angabe eines Tempo nebst Metronombezeichnung 
zur absoluten werden kann. 

Keine von diesen Eigenschaften hat für die Musik eine 
absolute Bedeutung, weder eine bestimmte Tonhöhe, noch 
eine bestimmte IntensHät oder Dauer. Die musikalische Be- 
deutung der Töne wird lediglich durch ihre Umgebung, nidit 
durch sie selbst fixiert. Dadurch eridärt sich zunächst, daß 
auf die absolute Bedeutung der Tonhöhe kein Gewicht gelegt 
wird. Man transponiert Musikwerke; es haben nicht alle 
Instrumente gleiche Stimmung, die nur erforderlich wird, wenn 
sie zusammenwirken sollen. (Normal-a=435 und 440 Schwin- 
gungen.) Außerdem hängt damit die Tatsache zusammen, 
daß die Musik eine Auswahl unter den vorhandenen (oder 
von uns unterscheidbaren) Tönen trifft. Denn nur, wenn 
die relativen Tonhöhen von Wichtigkeit sind, kann eine 
solche Auswahl mit Bestimmtheit getroffen werden. Wir 
können nämlich etwa 11000 Töne bei einigermaßen geübtem 
Gehör unterscheiden, und innerhalb der von der Musik bevor- 
zugten Grenzen, wo sie nur etwa 85 Töne zur Verfügung 
hat, können wir tatsächlich etwa 9180 Töne (also mehr als 
das hundertfache) unterscheiden. Wie kommt es, daß die 



sdbvGoogIc 



Auswahl der Töne. 133 

Musik nur so wenige davon benutzt? Erstens läßt sich ein 
allgemeingültiges Tonsystem nur dann aufbauen, wenn 
gleiche Verhältnisse hergestellt werden, wenn also die musi- 
kaiischen Intervalle auf allen Stufen die gleiche Bedeutung 
haben. Dazu muß eben eine Auswahl getroffen werden; denn 
die Töne in der Tiefe lassen sich nicht über eine gewisse 
Grenze hinaus aneinanderrücken, wenn sie noch bequem 
unterschieden werden sollen. Für die kleine Sekunde C — Gs 
128 

- — 512 

"C — cis-ßjT- lautet. Beträgt der absolute Unterschied in den 

beiden letzten Fällen etwa das 24— 36fache des eben Merk- 
lichen, so macht er im ersten Falle kaum das Doppelte und 
auf der nächsten Stufe nur das Vierfache davon aus. Zweitens 
mangelt weitaus den meisten Menschen das absolute Ttm- 
gedächtnis, auch wenn viele von ihnen sonst hochmusikalisdi 
sind; die Mustk muß sich daher auf feste Intervallpropor- 
tionen gründen, für die der musikalische Mensch eben Gehör 
hat. Drittens ist die menschliche Stimme nicht fähig, feinere 
Unterschiede als die in der Musik gebräuchlidien mit einiger 
Sicherheit hervorzubringen. (Es ist nicht ausgeschlossen, 
daß hier ein Sonderfall des Weberschen Gesetzes vorliegt.) 
Viertens nimmt jenseits der von der Musik innegehaltenen 
Grenzen die Unterschiedsempfindlichkeit des Ohres rasch 
ab. Fünftens würde unter einer Vermehrung der Zahl der 
Töne der übersichtliche Aufbau der Musikwerke leiden. 

Die Einteilung in Oktaven erscheint uns insofern als 
die natürlichste, als Töne des Verhältnisses 1:2 einander 
am meisten ähneln, der höhere wie eine Wiederholung des 
tieferen klingt. Dann aber ist die Einrichtung einer Oktave 
für alle anderen maßgebend. Schon im Altertum ist daher 
die Oktave als Zusammenklang (als Konsonanz) geduldet 
worden. Übrigens ist die Tonleiter mit Unterscheidung von 
Hatbton- und Ganztonstufen schon im Altertum (Pythagoras) 
ausgebildet und auf die Tetrachorde verteilt worden. 



criz^d^vCoOglc 



134 Elemente der Musik Wirkung. 

Gleiche Verhältnisse sind nun aber keineswegs gleich 
erscheinende Unterschiede, was man früher (E. H. Weber, 
Fechncr) allgemein vermutet hat. Denn da innerhalb weiter 
Grenzen die absolute und nicht die relative Unterschieds- 
empfindlichkeit konstant ist, so können gleiche Verhältnisse 
nicht als gleiche Unterschiede erscheinen. Nicht als gleiche 
Unterschiede für das Gehör (vielleicht für die Stimme!) 
dürfen die Sekunden, Terzen usw. auf verschiedeneii Stufen 
der Skala betrachtet werden, sondern als gleiche Ver- 
schmelzungsstufen (Konsonanzen — Dissonanzen). Da- 
mit gelangen wir bereits zu den Verhältnissen. 

A. Verschmelzungen sind simultane Verbindungen von 
Tönen: Intervalle oder Akkorde. Die Musik redet von kon- 
sonierenden und dissonierenden Intervallen. Jene sind voll- 
kommene: Oktave, Quinte, Quarte; unvollkommene: Terz 
undSext (3:5, 5:8). Dissonanzen sind Sekunden (8:9, 15:16) 
Utid Septimen (8:15, 4:7). Diese Unterscheidung hat mit 
dem Gefühlston nichts zu tun, ebensowenig mit den Schwe- 
bungen, sondern nur mit der größeren oder geringeren Ein- 
heitlichkeit des Gesamteindrucks. Oktave, Quinte und Quarte 
klingen etwas leer, einfach; voller die Terz und Sext; zu zwie- 
spältig die Dissonanzen. Das sind bereits wichtige Elemente 
des ästhetischen Eindrucks der Musik. Daher werden wir 
sie sogleich hier würdigen. Zuvor sei nur noch bemerkt, 
daß einer Messung der Verschmelzungsgrade sehr große 
Schwierigkeiten im Wege stehen. 

a) Die Verschmelzung hängt ab von der Qualität der 
Komponenten. Die erwähnte Ordnung der Intervalle inner- 
halb der Oktave gilt allgemein ; also ist der Verschmelzungs- 
grad derselbe, wenn die Schwingungsverhältnisse dieselben 
sind. Wichtig für den Aufbau einer musikalischen Skala sind 
nicht gleiche Unterschiede, sondern gleiche Verschmelzungs- 
stufen. Femer ist die Abweichung von der Versdimelzungs- 
stufe um so merklicher, je höher sie von vornherein ist Wir 
sind also um so empfindlicher für die Reinheit des Inter- 
valls, je konsonanter es ist. Das ist wichtig und auch prak- 



sdbvGoogle 



Verechmelzung, 135 

tisch für den Stimmer. Verstimmungen wirken wie Disso- 
nanzen. Geht man über die Oktave hinaus, so erhalt man 
eine ähnliche ReHie mit der Doppdoktave (1 : 4), der Duode- 
zime (1:3), der Undezime (3:8) usw.; aber alle diese Stufen 
bleiben nach meiner Beobachtung hinter den entsprechenden 
Stufen innerhalb der Oktave etwas zurück in der Innigkeit 
der Verschmelzung. 

b) Die Verschmelzung hängt ferner ab von der Inten- 
sität der Töne des Intervalls. Dabei ist eine Änderung der 
absoluten Intensität bis auf eine obere und eine untere Grenze 
ohne Einfluß; hier erklingen beide Töne gleich laut. Dagegen 
übt die relative Intensität eine große Wirkung. Beim Ver- 
hältnis 1 : 1 werden beide Töne in ihrer Selbständigkeit durch 
die Verschmelzung gleidiermaßen beeinträchtigt. Bei un- 
gleicher Intensität verschiebt sich der Schwerpunkt des Ge- 
samteindnicks nach dem stärkeren Ton zu und der schwä- 
chere beginnt diesen zu färben, wobä er als selbständiger 
Faktor aufhört. (Die Gesamtsumme der wechselseit^en 
Hemmung bleibt vielleicht dieselbe.) Dies wird in doppelter 
Weise für die Musik wichtig. Nur so wird eine Hervor- 
hebung führender Töne, der Melodie, und ein Zurücktreten 
der harmonischen Begleitung möglich. Nur so lassen sich 
Tonkomplexe als gefärbte Einzeltöne oder Klänge verwen- 
den. Die Klangfarbe ist keine Eigenschaft der einfach«! Töne, 
sondern eine Resultante aus mehreren einfachen. Dabei sind 
es die sogenannten ObertÖne, deren relativ schwächeres 
Ertönen eine Färbung des Grundtones bewirkt. Hier ist eine 
große Mannigfaltigkeit nach Zahl, Qualität und Stärke der 
Obertöne möglich; daherden verschiedenen Instrumenten eine 
ausgeprägte Individualität eignet. Daß hier die Verschmelzung 
so vollkommen ist, ist aber nicht nur eüie Folge der geringeren 
Intensität der Obertöne, sondern auch eine Folge der hohen 
Verschmelzungsstufen, die in dem Verhältnis von Grundton 
und Obertönen hervortreten (1:2:3:4:5). Es kommt 
vor, daß nicht der Grundton, sondern der erste Oberton der 
deutlichste oder führende Ton ist, namentlich in tiefer Lage, 



sdbvGoO^lc 



136 Elemenfe der Musücwiriamg. 

weil die tiefen Töne geringe Empfindungsstärke aufweisen. 
Die Obertöne lassen sich bei relativer Verstärkung durch 
Resonatoren oder mit eigens auf si« gerichteter Aufmerk- 
samkeit heraushören. Das ist Kompensation der Reizverhält- 
nisse. Die Tatsache der Klangfarbe ist von größter Wichtig- 
keit für die Musik. Durch die Verschiedenheil der Klang- 
farben treten eigentümliche Wirkungen auf, die von Wert 
sind für die ästhetische Leistungsfähigkeit der Musik. Man 
denke nur an die verschiedene Klangfarbe von Trompete, 
Oeige und Klarinette. Die menschliche Stimme hat eine ver- 
schiedene Klangfarbe bei verschiedenen Vokalen und ver- 
schiedenen Stimmungen; gepreßt und tonlos klingt sie 
in der Verzweiflung und im Trübsinn, klangvoll bei mutiger 
und freudiger Gemütsverfassung, scharf, schneidend bei bos- 
hafter Regung. Nun ist überhaupt bei musikalischen Wir- 
kungen von großer Bedeutung der assoziative Faktor: die 
Erinnerung an den Tonfall, den rhythmischen Wechsel, kurz 
den Ausdruck des Sprechenden. Durch die Verschiedenheit 
der Klangfarbe wird dazu ein Beitrag geliefert. Eine Melodie, 
die zuerst von den Streichern, dann von den Bläsern gebracht 
wird, macht in beiden Fällen einen sehr verschiedenen Ein- 
druck, was Variationen ungemein beleben kann. 

c) Die Verschmelzung hängt von der Anzahl der Töne 

ab, die zugleich erklingen. In Akkorden wie c — g — c' oder 

f— g— d' bilden sich mittlere Verschmelzungsgrade. Dies ist 
auch für die Musik von großer Bedeutung, weil nämlich die 
dissonanten Intervalle dadurch eine Milderung eriahren ; vgl. 
d— f— g— h. Ebensolches geschieht, wenn auch die Orenzai 
der Oktave überschritten werden. Bei größerer Vermehrung 
der simultanen Klänge spielt noch die Enge des Bewußtseins 
mit. Die Verschmelzung bei Klängen ist nicht notwendig die- 
selbe wie bei Tönen. Bei gleichem Orundton und verschie- 
dener Klangfarbe (unisono) sieht man das besonders deut- 
lich. Die Oktave hat bei Klängen stärkere Verschmelzung 



sdbvGoOgIc 



Dur und MolT. 137 

als bei Tönen. Darum können Akkorde auf verschiedenen 
Instrumenten verschieden klingen. 

Der wichtigste Unterschied der Akkorde liegt im Dur- 
und Mollakkord vor. Der Gesamteindruck ist sehr verschie- 
den. Der Durakkord klingt einheitlicher, Helmholtz nannte 
ihn deshalb auch die vollkommenere Konsonanz. Bei Klängen 
ist das insofern natürlich, als beim Molldreiklang (cesg) 
herbere Dissonanzen in den Obertönen eintreten müßten als 
beim Durdreiklang. Aber da bei einfachen Tönen der Qe- 
samteindruck eine ähnliche Verschiedenheit aufweist, ge- 
nügt diese Erklärung nicht. V. Ottniger und nach ihm Rie- 
mann haben daher Dur- und Molldreiktang als Gegensätze 
aufgefaßt, indem sie e und g als Obertöne, as und f als 
Untertöne zu c deuteten. Das ist aber, solange die Hörbar- 
keit von Untertönen nicht bewiesen ist, rein theoretisches 
Räsonnement. Das gleiche gilt für die Klangverwandtschaft, 
die Wundt zur Erklärung heranzieht. Nach ihm besteht eine 
direkte Klangverwandtschaft bei gemeinsamen Obertönen; je 
geringer deren Ordnungszahl und je zahlreicher sie sind, um 
so größer wäre die Klangverwandtschaft. Eine indirekte 
Klangverwandtschaft bestünde bei gemeinsamem Grundton; 
je näher er hegt, um so größer wäre die Verwandtschaft. 
Nun liegt beim Durakkord der erste gemeinsame Oberton 
3 Oktaven und 1 Terz hoch, beim Mollakkord nur 1 Doppel- 
oktave hoch. Umgekehrt verhält es sich mit dem gemein- 
samen Grundton. Da nun aber die direkte Klangverwandt- 
schaft das stärkere Prinzip ist, so würde hieraus folgen, daß 
der Mollakkord der konsonantere sei, was den Tatsachen 
evident widerspricht. Auch sonst ist dies Prinzip unvermögend, 
etwas zu erklären. Denn nach ihm müßte z. B. ein gewaltiger 
Unterschied zwischen Klängen und Tönen bestehen, ferner 
zwischen Klängen verschiedener Klangfarbe. Sodann hätte 
nach diesem Prinzip die Duodezime (1 : 3) größere Konso- 
nanz als die Doppeloktave (1 : 4), und es bestünde kein Unter- 
schied der Konsonanz zwischen der kleinen Terz (5:6) und 
der kleinen Septime (4:7). Endlich ist nicht einzusehen. 



sdbvGoOgIc 



138 Elemente der Musikwirkimg. 

wie eine so schwache Beziehung (die individuelle Klang- 
verwandtschaft), die noch dazu bei tieferen Tönen ganz zum 
Verschwinden gebradit werden kann, überhaupt so tief- 
greifende und konstante Unterschiede soll erklären können. 
£Me Erklärung für E)ur und M<dl kann wohl nur darin ge- 
sucht werden, daß es einen wesenthchen Unterschied für 
den Gesamteindruck macht, wie die Verschmelzungsgrade. 
geordnet sind: die große Terz über oder unter der kleinen. 
So klingen auch cdg und cf g wesentlich verschieden. Doch ist 
auch das noch genauer zu prüfen. Für unser Gehör sind 
Dur und Moll die einzigen Akkorde, die einen Abschluß ge- 
währen, und auf ihnen ist daher das gesamte polyphone 
Material autgebaut. In bezug auf den Stimmungsgehalt der 
Akkorde kann man sie in bestimmte und unbestimmte ein- 
teilen. Zu jenen gehören die Dur- und Mollakkorde in allen 
Lagen, zu diesen die Septimen- und Nonenakkorde. Während 
jene entweder Trost, Beruhigung, Freude, Stol^ Mut oder 
Verzweiflung, Wehmut, Trauer, Kleinmut, Bescheidung aus- 
drücken, wird durch diese dem Zweifel, der Unsidierheit, 
dem Schwanken, der Unruhe Stimme verliehen. Große Wir- 
kungen können dadurch erzielt werden, wie z. B. von Beet- 
hoven vor dem Finale in der 5. Symphonie die lange Span- 
nung durch Septimenakkorde angedeutet worden ist, oder 
von Brahms im 3, Satz des Requiems die Stimmung der Fiage 
und des Zweifels. Je schärfer die Dissonanz, um so stärker 
der Ausdruck. 

d) Die Verschmelzung hängt ab von der Tondifferenz, 
Die Unterscheidbarkeit ist bei simultanem Erküngen nahe 
■ beieinanderliegender Töne wesentlich abgestumpft. Während 
\bei sukzessiver Darbietung die Schwelle ^Va^ ist, betr^ 
sie bei simultaner 16 S, also 50mal soviel. Das ist wichtig 
für die Größe der Stufen in der Musik. Dies Moment ist es, 
welches uns die etwas geringere Verschmelzung bei den 
anj^logen Intervallen über die Oktave hinaus erklären hilft. 
De^n zwei Töne lassen sich um so leichter unterscheiden, 
je wißiter sie voneinander entfernt sind. Es durchkreuzt diese 



.vGoogIc 



Rhythmen. " 139 

Bedingung die andere der Qualitätsstufen. In der Musik madit 
man gern von diesem Umstand Gebrauch, indem man sonst 
gut verschmelzende Intervalle durch eine oder mehrere Ok- 
taven voneinander trennt, sog., weite Lage einführt, um da- 
durch den Verschmelzungsgrad etWas zu ermäßigen. Auch 
ist dies Moment bei der Schätzung der Verschmelzungsstufen 
der einzelnen Intervalle zu berücksichtigen. Warum macht 
wohl die große Terz den angenehmsten Eindruck? Weil 
hier Einheitlichkeit und Zwiespältigkeit sich ungefähr die 
Wage halten. Bei der kleinen Terz überwiegt bereits die 
Zwiespältigkeit und kleine Abweichungen mißfallen beson- 
ders (stimmen traurig). 

Bedeutungsvoll ist auch die Größe des Schrittes hinauf 
oder hinunter. Die Stimmung steigert sich mit der Weite 
des Schrittes und bleibt gleichmäßiger bei kleinen Schritten. 
Nicht unerwähnt mag bleiben, daß auch assoziative Wir- 
kungen anderer Art sich an den Fortschritt nach oben oder 
unten knüpfen können; nämlich Vorstellungen räumlichö- 
Art, des H<Aen und des Tiefen usw. 

B. Das bisher Gesagte bezog sich auf die Simultaneität 
von Tönen oder Klängen. Wie verhält es sich nun mit der 
Ton- und Klangfolge? 

a) Eine Folge gleicher Töne oder Klänge vermag uns 
rhythmisch zu interessieren. Wir gliedern sie nach der rela- 
tiven Intensität und bilden uns so einen Rhythmus durch 
subjektive Betonung. Unter Umständen kann auch die dyna- 
mische Veränderung als solche (cresc. oder decresc.) einen 
ästhetischen Eindruck hervorrufen. Sodann können die be- 
gleitenden Harmonien wechseln (wie bei Beethoven in der 
Appassionata). Auch das wirkt dann nicht als Folge gleicher 
Töne. Endlich kann diese letztere durch sich selbst als Wieder- 
holung einen gewissen Eindruck machen, und zwar den des 
Gleichförmigen oder Einförmigen, und es kann dies durch 
Assoziationen eine Fülle von Gedanken herbeirufen (an 
gleichförmig niederrausdienden Regen etwa, an den gleich- 
förmigen Ablauf des Lebens, an das Einerlei des Tages) und 



sdbvGoOgIc 



140 Elemente der Musikwirkung. 

dadurch wieder mannigfaltige Stimmungen, die sldt mit 
diesen Gedanken verknüpfen. Auch zur nachdrücklichen Be- 
tonung oder Hervorhebung kann die Wiederholung dienen. 
Je nach der Oeschwindigkeit, mit der die gleichen Klänge 
einander folgen, wird zugleich die Stimmung eine wesent- 
lich andere; ruhiger wird sie bei langsamerer, aufgeregter 
bei rascherer Folge. 

b) Eine Folge verschiedener Töne, soweit sie den Min- 
destanforderungen genügen, die Musiktheorie für die schlich- 
teste melische Bindung verlangt, nennt man gewöhnlich 
Motiv. Oft bringt Aufwärtsbewegung in das Motiv ein Mo- 
ment der Spannung, der Erwartung, der Freude oder des 
Mutes; ebenso kann die Abwärtsbewegung eine Tönung von 
Beruhigung, Erfüllung, Trauer oder der Resignation hervor- 
rufen. Der Gesamtausdruck eines Motivs hängt aber noch 
von vielen anderen Komponenten ab. Mollfolge bewirkt im 
allgemeinen eine traurigere Stimmung, Durfolge eine frohere. 
Sehr entscheidend sind dynamische und rhythmische Gliede- 
rung. Hierin folgt der Ausdruck ganz dem bei Gebraudi 
unserer Stimme herrschenden. Doch braucht jene Wirkung 
keineswegs bloß diese assoziative Bedingung vorauszusetzen, 
weil es nicht notwendig erscheint, daß die entsprechenden 
Wirkungen der Rede anderer bk>ß assoziativ begründet sind. 

Nicht zu vergessen ist bei alledem, daß ein Auf- und 
Niederschritt auch die Harmonie oder Disharmonie bedingt, 
c— g macht in der G-dur-Tonart einen anderen Eindruck 
als in C-dur. Dort führt er zum Abschluß, zur Tonika, hier 
entfernt er sich von ihr. Ferner sinkt gegen den Schluß eines 
Gedankens unsere Rede in der Regel (falls sie nicht eine 
Frage enthält), auch wenn er frohen Inhalts ist; und so 
schließt auch eine Melodie vielfach herabsteigend, ohne da- 
mit jene oben angedeuteten Stimmungen hervorrufen zu 
müssen. Nur in der Entfernung von der Tonika kann das 
Entscheidende hegen, die spätere Rückkehr ist nicht ent- 
scheidend. Dafür finden sich zahlreiche Beispiele in Volks- 
und Kunstliedern ; man vgl. „Wohlauf noch getrunken", „Der 



sdbvGoOgIc 



Klangfarbe der Tonarten. 141 

Sang ist verschollen", „Immer leiser wird mein Schlummer" 
(Brahms). 

Motive sind die Grundgedanken der musikalischen Kom- 
position, die Sukzessionseinheiten derselben. Wie in der 
Architektur ein bestimmtes Ornament, eine Linienführung 
das Hauptglied bildet, so in dem Musikwerk das Motiv, das 
bald in der führenden Melodie, bald in der B^leitung, in ver- 
schiedenen Tonarten, mit klemen Veränderungen des Rhyth- 
mus und der Tonfolge erscheinend, den immer wiederkehren- 
den Grundstock eines ganzen Satzes auszumachen pflegt. 
In das Motiv pflegt man daher auch vorzugsweise die Cha- 
rakteristik des Tonstücks zu verlegen. Mit ganz besonderer 
Kunst hat Wagner seiner Ausbildung obgelegen. 

Durch die Tonleiter erhalten Dur und Moll eine neue 
Charakteristik. Die größere Unregelmäßigkeit im Aufbau, 
die größere Dissonanz ist zweifellos der Molltonleiter zu 
eigen. Auf allen Stufen, in allen Tonarten bleibt der Aufbau 
der Tonleitern derselbe. Trotzdem gibt man in den Kreisen 
der Komponisten und der Genießenden einen deutlichen 
Unterschied zwischen den einzelnen Tonarten an, und zwar 
keineswegs aus dem Grunde nur, weil die Grenzen der 
musikahsch verwendbaren Töne für die verschiedenen Ton- 
arten verschieden lägen und ebenso für die verschiedenen 
Instrumente berücksichtigt werden müßten. Es liegen auch 
bestimmte Charakteristiken der Tonarten vor: das helle, 
freundliche D-dur, das majestätisch feierliche C-dur. Näheres 
kann man hierüber nur durch Versuche zu erfahren hoffen, 
die dasselbe Motiv in verschiedenen Tonarten zu bringen 
hätten. Das Studium von Liedern und besonders von Wagner- 
schen Opern wäre auch hierfür sehr instruktiv. An solchen 
vergleichenden Studien fehlt es überhaupt in der Ästhetik sehr. 

C. Die dynamischen Verhältnisse. 

a) Gleiche Stärke kann den Eindruck des Beständigen, 
Einförmigen, Gleichmäßigen hervorrufen. Je größer die ab- 
solute Stärke, um so eindringlicher oder erschütternder kann 
sie wirken. Gleiche objektive Stärke bedeutet jedoch keines- 



sdbvGooglc 



142 ' Elemente der Musik Wirkung. 

wegs gleiche scheinbare Stärke. Durch die rhythmische 
Gliederung bilden sich hier vielmehr alsbald scheinbare Inten- 
sitätsunterschiede aus. Es i$t nun ein allgemeines psycho- 
logisches Gesetz, daß Bevorzugung durch die Aufmerksam- 
keit so wirkt wie Verstärkung, Zurücksetzung wie Abschwä- 
chung. Doch läßt sich nicht schlechthin mit Engel sagen: 
Das Starke entspricht dem Festen, Entschiedenen, das 
Schwache dem Spielenden, Leichten; die assoziativen Fak- 
toren sind weit mannigfaltiger. Es kann auch das Starke 
Plumpheit oder Furchtbarkeit, das Schwache Anmut oder 
Zartheit bedeuten. Auf alles, was der Gradabstufungen fähig 
ist (und das sind alle Gemütsbewegungen), läBt sich der 
Unterschied von Stark und Schwach anwenden. 

b) Verschiedene Stärke. Der Übergang zu stärtceren 
Tönen bedeutet eine Steigerung vom Geringeren zum Grö- 
ßeren, vom Bedeutungsloseren zum Bedeutungsvolleren, da- 
gegen nicht (wie Engel behauptet) vom Leichteren zum 
Erregteren; denn das würde ein qualitativer Umschlag in 
der Stimmung sein, während zunächst nur eine quantitative 
Änderung der gleichen Qualität von Stimmung und Affekt 
dadurch begründet sein kann. Der Obergang zu schwächeren 
Klängen bedeutet entsprechend eine Herabminderung. 
Diskrete Verstärkung oder Abschwächung wirkt anders 
als " kontinuieriiche. Es ist der Vorzug der Streidi- 
und Blasinstrumente "vor den Tastinstrumenten, daß sie 
diese beim gleichen Ton mit Leichtigkeit vermögen. Da- 
durch sind gewisse Effekte dem Klavier unzugänglich, so 
z. B. das beliebte cresc. und decresc. des Schlußakkords, 
das dann nur durch ein Tremolieren ersetzt werden kann. 
[^e kontinuierliche Steigerung oder Schwächung wirkt sanfter 
überleitend als die diskrete. Der Stärkeunterschied bringt 
ein Moment der Kontrastwirkung hmzu. Em schwacher Klang 
erscheint im allgemeinen um so schwädier, je stärker der 
Klang war, der ihm vorausging, und umgekehrt. Der Affekt 
der Überraschung kann hervorgerufen werden, wo plötzlich 
dynamische Änderungen eintreten. Vgl. in Haydns Schöp- 



DigilizedbvGoOglC 



„Gelhmg." 143 

fung: „Und es ward Licht," wo sich zugleich • c-moll nach 
c-dur wandelt Verbindet sich wie hier mit der quantitativen 
die qualitative Änderung, so kann der Effekt gewaltig sein. 
Bei kontinuierlicher Steigerung oder Schwächung ist auch 
die Geschwindigkeit von Einfluß, mit der sie sich vollzieht. 
Die Affekte werden entweder allmählich geändert oder mit 
Schnelligkeit. Im letzteren Falle nähert sich die Wirkung 
dem diskreten Obergang. Der assoziative Faktor der Stimm- 
stärke ist auch hier von Wichtigkeit. Wir betonen das Wichtige 
und lassen das Unwichtige dynamisch zurücktreten. Anderer- 
seits liebt sich die Freude (nicht das wortlose Glück) laut, 
die Trauer in .gewissen Graden leise zu~ äußern. Der Zorn 
bricht aus, Verzweiflung und Wut ebenfalls; die Hoffnungs- 
losigkeit tritt in schwacher, klangloser Rede hervor. Doch 
darf man das natürlich nicht ohne weiteres umkehren, schon 
deshalb, weil mannigfache Stimmungen die gleiche Aus- 
drucksstärke verwenden. Gern paart sich melischer Auf- 
schritt mit dem Crescendo, Niederschritt mit dem Decre- 
scendo. Das liegt an der Verwandtschaft beider Stimmungs- 
mittel. Doch ist die Verknüpfung natürlich nicht notwendig. 
D. Zeitliche Verhältnisse. E>er Ton erfüllt eine Zeit- 
spanne; er hat Geltung. Durch längere Dauer kann ein ahn- 
lieber Eindruck hervorgwufen werden wie durch größere 
Intensität. Das Größere, Wichtigere, Nachhaltigere, aber 
auch das Bleibende, Beständige, Ruhende kann dadurch aus- 
gedrückt werden. Töne mit langer Geltung sind deshalb die 
natürlichen Ruhepunkte. Vielfadi wird mit ihnen begonnen, 
ehe die lebhaftere Bewegung anhebt (vgl. Wagners Rhein- 
gold-Vorspiel), häufig auch damit geschlossen. Ferner wird 
durch den Gegensatz des staccato und legato mancher Effekt 
hervorgebracht. Im staccato liegt etwas Aufgeregtes, Un- 
ruhiges, Wildes, avch wohl einmal Zaghaftes, im legato 
Ruhe, Trost, Gleichmaß. Außerdem können dadurch Vor- 
gänge von entsprechender zeitlicher Erstreckung angedeutet 
werden: ein Springen oder Hüpfen durch staccato, ruhiges 
Schreiten durch legato. 



sdbvGoogIc 



144 Elemente der Musikwiriiimg. 

Von Pausen spricht man in der Musik schon, wenn eine 
Stimme aussetzt, während die anderen des polyphonen Satzes 
weitertönen, sodann wenn die ganze Tonbew^ung für eine 
kurze Spanne unterbrochen wird. Infolge der durch die schon 
verflossene Musik eingeübten rhythmischen Gliederung ver- 
liert man auch während einer völligen Pause, audi wenn sie 
länger dauert, niemals den Faden; man weiß sehr genau, 
ob zu früh oder zu spat wieder eingesetzt wird. So gibt es 
keine absoluten Pausen. Schon zur Abwechslung und Er- 
holung sind Pausen erforderlich; darin besteht ihre negative 
Bedeutung. Fugen machen uns vielleicht auch deshalb einen 
so künstlichen Emdruck, weil ohne Käst die Stimmenbewegut^ 
weitergeht. Eine positive Bedeutung erhält die Pause nur, 
wenn sie länger ist als gewöhnlich. Sie kann sehr über- 
raschend, fast beängstigend und sehr spannend wirken, wenn 
nach lebhafter Bewegung eine längere Pause eintritt. So z. B. 
QÖtterdämmening (Klavierauszug, S. 130): Brünnhilde fragt 
bei lautlosem Schweigen des Orchesters „Wer bist du. 
Schrecklicher?" Eine Fermate über der Pause deutet eine 
unheimlich lange Stille an. Ebenda (S. 321) : Gutrune lauscht 
an Brünnhildens Tür und ruft bei völligem Schweigen des 
Orchesters „Brünnhild, bist du wach?" Es antwortet em 
mit Fermate versehener pausierter Takt. So kann die Pause 
eine Stille, aber auch alle Stimmungen der Stille ausdrücken. 
Vielfach wird eine grö8ere Pause angewandt, um etwas 
Neues vorzubereiten, wie in der Ouvertüre zum Freischütz 
vor dem Eintritt des C-dur-Schlusses. Man kann sich so 
einen kontinuieriichen harmonischen und melodischen Über- 
gang ersparen. Doch kommt für die Wirkung sehr viel auf 
die aktuelle Länge an. Wird die Pause zu lang, so wirkt sie 
ermüdend; ist sie zu kurz, so trifft uns das Neue unvorbereitet. 
Hier hat der Takt des ausübenden Musikers einen weiten 
Spielraum. Von besonderer Wichtigkeit ist es, daß die Auf- 
merksamkeit des Hörenden normalerweise nie auf die leere 
Zeit als solche, sondern auf den Zeitintialt gerichtet sei. 
Nun erscheint uns aber eine erlebte Zeit um so kürzer, je 



sdbvGoogIc 



Wiederholung. 145 

weniger dem zeitlichen Moment selbst die Aufmerksamkeit 
zugewandt gewesen ist. Damit also Pausen als solche ein- 
drucksvoll werden, dürfen sie schon ein bißchen lang sdn. 
Ober die iniimeren Verhältnisse, die zwischen der Beurteilung 
erfüllter und der leerer Zeiten bestehen, f^lt es noch an ge- 
nügenden Aufschlüssen. Intervalle, durch stärkere Eindrücke 
abgegrenzt, erscheinen kürzer, als gleich lange, durch schwä- 
chere abgegrenzt (Irradiation). 

c) Die Wiederholung ist ein äußerst wichtiger Faktor 
in der Musik. Sie ist hier von ganz anderer objektiver Be- 
deutung als bei den übrigen Künsten, weil das Behalten von 
Motiven, Harmonien und Themen viel schwieriger ist, als das 
Behalten von im Gedicht niedergelegten Gedanken oder 
Stimmungen, während bei der bildenden Kunst vollends das 
Nebeneinander die Vergleichung sehr erleichtert. Wie könnte 
eine Übersicht über den Inhalt und die Gliederung des musi- 
kalischen Kunstwerks gewonnen werden, wenn nicht eine 
Wiederholung stattfände. Sie ist aber außerdem als ästheti- 
scher Faktor von großer Bedeutung; denn durch die Wieder- 
holung vor allem kommt das füi' die ästhetische Beurteilung 
so wichtige Verhältnis zwischen den Einzeleindrücken und 
dem Gesamteindruck zustande. Auf die Wiederholung der 
Harmonien kommt es hierbei nicht an, sondern nur auf die 
Wiederholung der Motive des führenden melodischen 
Elements. 

d) Das Tempo, die Geschwindigkeit der Tonfolge, muß 
schon deshalb von großem Einfluß sein, weil die Geltung 
uhd die Pause dadurch bestimmt wird; und in der Tat tritt 
ein großer Umschwung im Charakter eines Musikwerkes ein, 
wenn man es wesentlichen Tempoänderungen unterzieht. 
Es kann dadurch ganz unkenntlich werden. Langsam und 
rasch, diese relativen Bestimmungen werden durdi zahlreiche 
Abstufungen in Verbindung mit der Geltung der Noten ge- 
nauer fes^elegt: Adagk), andante, allegretto, allegro, presto. 
Dazu ist seit Anfang des IQ. Jahrhunderts das Metronom 
getreten ; wodurch in annähernd absolutem Maße das Tempo 

Kflipe, AstheUb. 10 



sdbvGoogIc 



146 Elemente der Musikwirkung. 

angegeben werden kann. In den tiefen Lagen wirkt die Ge- 
sdiwindigkeit anders als in den hohen, weil die Nachwirkung 
bei tiefen Tönen länger dauert als bei hohen. Ruhe, Be- 
dächtigkeit, Behäbigkeit, Feierlichkeit spricKt aus der lang- 
samen Bewegung der Töne zu uns. Alles, was sich mit den 
Vorstellungen der Ruhe assoziiert, tritt auch hier hervor. 
Näheres und Entlegeneres. Auch die großartige Erhabenheit 
kleidet sich in ruhige Bewegung. Unruhe, Aufregung, Leb- 
haftigkeit, Leichtigkeit spricht aus der raschen Bewegung 
der Töne. Alles, was sich mit der Vorstellung der Lebhaftig- 
keit assoziiert, kann gleichfalls dadurch erweck werden und 
seinen Stimmungscharakter hinzufügen. Das Anmutige und 
Zierliche wird in schnellerer Folge geboten. An sich heiter 
dagegen ist das Schnelle keineswegs; ebensowenig wie an 
sich traurig das Langsame. Trauermärsdie gehen langsam, 
aber auch stets in Moll. Es gibt erae heitere Ruhe, wie eine 
traurige Aufregung. Wiederum bezieht sich das Schnelle und 
das Langsame hauptsächlich auf das Motiv, den melodischen 
Fortschritt. Daher läßt sich auch bei unbekannter Geltung 
der Noten wohl angeben, ob etwas langsam oder schnell 
gemeint ist, was Wallaschek zu schroff bestreitet. Es stört 
den Eindruck der Ruhe nicht, wie rasche Figuren die führende 
Stimme umspielen. Von besonderer Wirkung ist das tempo 
rubato und das Rezitativ, wo die Geschwindigkeit ganz von 
dem Charakter der Töne und ihrer Verbindung, sowie von 
den begleitenden Worten abhängig gemacht wird. 

Beschleunigung und Verlangsamung (accelerando-ritar- 
dando) bedeuten zunächst nichts anderes, als den Übergang 
zu größerer Erregung oder größerer Ruhe. Doch braucht 
auch ein solcher Übergang nicht kontinuierlich zu sein, er 
ist vielfach diskret. Aber die Wirkung ist gerade bei dem 
kontinuierlichen Übergang auch eine eigentümlich^ weil hier 
eine empfindliche Hemmung des eingeübten Flusses statt- 
findet und damit zugleich zu etwa's Neuem übergeleitet wer- 
den kann. So wird vielfach die Reprise in der Symphonie 
mit einem ritardando eingeleitet, was eben die Aufmerksam- 



sdbvGooglc 



Rhytinnische Formen. 147 

keit auf etwas Neues richtet. Umgekehrt wird das accele- 
rando zu einer Steigerung benutzt; indem derselbe Gedanke 
in größerer Hast erklingt, wirkt er fortreißender. So wird 
vielfach gegen das Ende hin die Bewegung schnelleir. Natür- 
lich kanitauch das Zaudern durch ein ritardando, das Drängen 
durch ein accelerando ausgedrückt werden; ebenso eine Fülle 
assoziativer Beziehungen. Je rascher sich ein accelerando 
oder ritardando vollzieht, um so überraschender ist die 
Änderung. 

e) Die Rhythmenbildung vollzieht sich in der Weise, 
daß ein akusto-motorischer Eindruck gegenüber einem oder 
zwei anderen betont wird. Diese Auszeichnung eines Ele- 
ments ist an keine ausschheßliche Bestimmung gebunden. 
In der Tat wird man finden, daß alle Besonderheit, welche 
unsere Aufmericsamkeit zu fesseln vermag, daß ein Qualitäts- 
untersciiied ebensogut wie ein Intensitätsunterschied und 
ebenso wie ein Dauerunterschied zur Rhythmenbildung ver- 
anlaßt. Das ist nun für die Musik von großer Bedeutung. 
Hiernach kann sich der Charakter eines Motivs durch Inten- 
sitätsverteilung und durch die Zeitverhältnisse bestimmen. 
Darum ist es falsch, wenn man alles auf ein Schema, etwa 
die Intensität reduzieren will und sogar meint, daß stärkere 
Angabe einzelner Töne immer den Rhythmus beeinflusse, 
während es sich oft nur um Phrasierung handelt. Hat sich 
einmal ein Rhythmus gebildet (wozu nur wenige Wieder- 
holungen der Grundfigur erforderlich sind), und hat er sich 
befestigt (was auch recht bald eintritt), so wird dem Hören- 
den sehr leicht, ihn fortzusetzen; auch wenn die ursprünglich 
ihn bildenden Bedingungen aufgehört haben. Das ist in dop- 
pelter Hinsicht von Wichtigkeit: erstens, weil der Komponist 
nach eingeübtem Rhythmus frei schalten und walten kann mit 
Pausen und indifferenten Figuren; zweitens, weil der Über- 
gang zu einem neuen Rhythmus mit der eingeübten Bindung 
zu kämpfen hat und daher besonders scharf zu markieren ist. 
Wir brauchen manchmal mehrere Takte, bis wir den subjek- 
tiven Zwang überwunden haben, in der alten Weise zu be- 

10* 



sdbvGoOgIc 



148 Elemente der Musik wirkling. 

tonen. Zu außerordentlich reizvollen Wirkungen führt auch 
ein doppelter Rhythmus, der sowohl um seiner selbst willen 
verwendet wird, wie auch, um einen eingeübten Rhythmus, 
zu dem man zurückkehren will, nicht ganz aufhören zu lassen. 
Die Formen, in denen Rhythmusbildungen sich vollziehen, 
sind ziemlich mannigfaltig. [>ie Musik drückt sie im Takt aus. 
Dieser wird so gewählt, daß er den herrschenden, oder wenig- 
stens anfänglichen Rhythmus andeutet. Man unterscheidet 
einfache und zusammengesetzte Takte. EMe ersteren sind 

Die zu- 



4 
sammengesetzten sind zweiteilig (gerade): -^ ; dreitalig 



4' 2' 4' 

4" 



(ungerade): -j-, -^ ; gemisdit: -^, -q- ; doppelt zusammen- 

12 5 
gesetzt -=-. -j--Takt kommt selten vor. Der Unterschied 

von Vierteln, Achteln usw. ist nur für die Geltung und das 
Tempo von Bedeutung, nicht aber für die rhythmische Form. 

Man hat geglaubt, nur den zweiteiligen und den drei- 
teiligen Rhythmus als selbständige Formen ansehen zu 
müssen und alle mehrgliedrigen als Kombinationen jener ein- 
fachen auffassen zu sollen. E)as ist gewiß richtig; dann muß 
man aber hinzufügen, daß die mehrgliedrigen Rhythmen einen 
ganz selbständigen Eindruck hervorrufen, als eigentümliche 
Ganze aufgefaßt werden. 

E)ie ästhetisdie Bedeutung des Rhythmus ist zunächst 
durch einen Unterschied bedingt, der zwischen einer selb- 
ständigen und einer bloß dienenden Stellung desselben be- 
steht In der Regel ist ihm die letztere angewiesen. Die Auf- 
merksamkdt richtet sich daher nicht auf ihn, sondern auf den 
in dieser Form erschein«iden Inhalt. Die Motive haben ihre 
eigenen Betonungsgesetze, die Themen führen zu besonderen 
Höhepunkten, die durch längere Geltung, besonderen An- 
schlag und dgl. ausgezeichnet werden. Der Rhythmus hat 
sich hier überall dem stärkeren Interesse unterzuordnen, 



sdbvGoOgIc 



Einheit in der Mannigfaltigkeit. )49 

und umzuschlagen, wenn es eine bestimmte Tonfo^e verlangt. 
So wirkt nichts unangenehmer, als wenn er dem melodischen 
oder harmonischen Zusammenhang Gewalt antut. Nicht zu 
stören ist hier seine Au^fabe. Selbständig ist der Rhythmus 
vor allem in einer Gattung Musik, die zur Markierung des 
Rhythmus mithelfen, soll, also bei Tänzen und Märschen; 
aber auch sonst zuweilen, wie z. B. in Beethovens C-Moll- 
Symphonie vor dem Finale, wo 15 Takte hindurch die Streich- 
instrumente emen Akkord pp aushalten, während die Pauke 
rhythmisch wirkt. Ober die ästhetische Bedeutung der ein- 
zelnen Rhythmen läßt sich nichts Bestimmtes sagen. Be- 
sonders wirksam ist der Wechsel von Rhythmen oder die 
Kombination von steigenden und fallenden Rhythmen. Da- 
durch kommt ein gewisses Schwanken in die Stimmung des 
Hörers; ein gewisser Übermut kann sich dadurch ausdrücken. 
Nähere Aufklärung ist aber erst von besonderen Experi- 
menten zu erwarten. Mannigfaltigkeit der Rhythmen und 
überhaupt der Zeitverhältnisse ist ein Hauptmoment bei der 
ästhetischen Wirkung der Musik. 

Literatur: 

Zeising, Ästiietische Forschungen. Frankfurt am Main 1855. 

flanslick. Vom Musikalisch-Schönen. 7. Aufl. Leipzig 1885. 

Wagner, Oper und Drama. 1S51. 

Helmhollz, Die Lehre von den TonempFindungen. 4. Aufl. Braun- 
schweig 1877. 

Krueger, Das Bewußtsein der Konsonanz. Leipzig 1903. 

Riemann, Die Elemente der musikalischen Ästhetik. Berlin und Stutt- 
gart 1900. 

Wallaschek, Anfänge der Tonkunst Leipzig 1903. 

Stumpf, Die Anfänge der Musik. Leipzig 1911. 



Wenn wir die verschiedenen experimentellen Ergebnisse 
über die elementare ästhetische Wirkung übersehen, so findet 
sich, da8 die einzelnen Teile der gefallenden Form ein an- 
schauliches Ganzes bilden. Es ist dies die Einheit in der 
Mannigfaltigkeit, die alte Forderung, die so oft in der Ästhetik 



sdbvGoOgIc 



150 Elementare ästhetische Wirkung. 

erhoben worden ist. Die einzelnen Teile müssen sich einer 
übersichtlichen Ordnung einfügen; nicht zufällig dürfen sie 
nebeneinanderstehen, sie müssen sich gesetzmäßig aufbaum. 
Das ist dje alte Forderung der Symmetrie und des Eben- 
maßes. Da8 ein unmittelbarer Proportionsvergleich mit 
großer Genauigkeit durchfährbar ist, hat Bühler in seinem 
ausgezeichneten Buch über die Oestaltwahmehmung dar- 
getan. W.enn Zusammenhang und Aufbau nicht allzu leicht 
durchschaut werden können, so ertiöht sich das Wohlgefallen, 
zu schwierige Auffassung mißfällt wiederum. 

Der direkte Faktor übt somit, auch für sich genommen, 
eine ästhetische Wirkung aus, er verdankt also nicht alle 
ästhetische Wirkung dem relativen Faktor. Der so ent- 
stehende Dualismus der ästhetischen Wirkungen schreckt 
uns nicht. Wir fühlen uns durch die Tatsachen gesichert 

Literatur: 
Lalo, L'esthetique exp^rimentale contemporaine. Paris 1008. 
Larguier des Bancels, Les m^thodes de l'esthetique experi mentale. 

L'ann^e psychologique, 1900, Bd. 6, S. 144—190. 
Külpe, Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik. Bericht 

über den II. Kongreß i$r experimentelle Psychologie, Leipzig 1907. 

Vgl. Th. Ziehen. Zeitschr. f. Ästhetik, Bd. 9, S. 16—46. 
Fechner.Zur experimentellen Ästhetik. 1871. 
Abhdign. d. math.-phys. Klasse der Kgl. sächs. Oesellschaft der Wiss., 

Bd. 9, S. 555ff. 
Preyer, Seele des Kindes. Leipzig 1895, 4. Aufl. 
' Biihler, Die Qestaltwahmehmungen. Shittgart 1913, ßd. 1. 
Pierce, Aesthetics of simple Fonns. Psydiological Review, 1894, 

Bd. I, S. 483ff.; 1896, Bd. 3, ,S. 270ff. 
Kaestner, Untersuchungen über den Oefühlseindmck unanalysierter 

Zweiklänge. Wundts Psychol. Studien, 1909, Bd. 4. 
Meumann, Untersuchungen zur Psychologie und Ästhetik des Rhyth- 
mus. Phllos. Stud., Bd. 10 und 15. 
Bolton, Rhythm. Americ. Journal of Psych., 1893, Bd. 6, S. I46ff. 
Külpe, Über den assoziativen Faktor des ästhetischen Eindrucks. 

Vierteljahrschrift f. wiss. Philos., 1898, H. 23. 
Lipps, Ästhetische Einfühlung. Zeitschr. f. Psychol., 1900, Bd. 22. 
Witasek, Zur psychol. Analyse der ästhetischen Einfühlung. Zeitschr. 

für Psychol., 1901, Bd, 25. 



3dbv Google 



Ästhetische Prinzipien. 151 

Tutnarkin, Das Assoziabonsprinzip in der Geschichte der Ästhetik. 

Ardi. f. Ocsch. d. Philos., 1898, Bd. 12. 
Oordon, Esthetics of simple color aTrangemeiits. Psychol. Review, 

1912, Bd. 19, S. 35Z 
Haines und Davies, The psychology of aesthetic reaction to redan- 

gülar forms. Psychol. Review, 1904, Bd. 11. 

McDougall, j studies in aesthetic processes. Psycholog. Review. 

Stetson, I j^onogjaph Supplements, 1903, Bd. 4. (Harvard Psych. 

;"".*■■• Studies, Bd. 1.) 

Angler, ' 

Rowland, Aestheticsofrepeated Space forms. Harvard Psych. Studies, 

Bd. 2. 
Kirschmann, Conceptions and Laws in Aesthetics. Toronto Studies, 

Psychol. Series, Bd. 1 und 2. 
Baker, Experiments on the Aesthetic of light and colour. Toronto 

Studies, Psychol. Series, Bd. 1 und 2. 
Dobbie, Experiments with School Chüdren on colours combinaüons. 

Toronto Studies, Psychol. Series, Bd. i und 2. 
Seyferl, Über die Auffassung einfachster Raumformen. Wundts Philos. 

Studien, 1903, Bd. 18, S. 189. 
Legowski, Beiträge zur experimentellen Ästhetik. Archiv für d. ges. 

Psychologie, Bd. 12, S. 236. 



Einbeif und Abstufung des Interesses. 

Prinzipien der ästhetischen Wirkung nennen wir die 
letzten umfassenden, für alle komplexen ästhetischen Ein- 
drucke unter der Voraussetzung eines idealen ästhetischen 
Veitialtens geltenden Bestimmungen. Sie müssen für das 
Interesse an der merklichen Beschaffenheit) und für das Ge- 
fallen und Mißfallen daran aufgestellt werden. Sie resultieren 
aus den Einzelgesetzen, die wir für den direkten Faktor, seine 
maferialen und formalen Bestandteile finden, ebenso wie aus 
denen, welche die verschiedenen Formen des relativen Fak- 
tors und den Zustand bei ästhetischem Verhalten beherrschen. 
Sie sind Verallgemeinerungen, letzte Zusammenfassungen 
und bilden zugleich die Maßstäbe unserer ästhetischen Be- 
urteilung, die Grundlagen utiserer Wertung. Sie müssen so 
weit gespannt werden, daß die berechtigten Unterschiede 
der ästhetischen Empfänglichkeit darin zur Geltung kommen 



Digimed bvGoOgIC 



152 Einheit und Abstufung des Interesses. 

können. Berechtigt sind sie aber, sofern sie mit dem idealen 
ästhetischen Verhalten verträglich sind. Hatten wir uns schon 
beim relativen Faktor, sowie beim ästhetischen Zustand auf 
die Kunst berufen, um ihre Wirkungen angeben zu können, 
so müssen wir dies künftig erst recht tun. Doch werden wir 
gelegentlich auch auf die Natur hinweisen, um nidit in die 
Fehler einseitiger Kunstästhetik zu verfallen. 

Ästhetische Gemütserregungen erwachen nur, wo der 
Eindruck uns fesselt, uns interessiert. Wir haben nun ge- 
funden, daß die ästhetischen Objekte ein einheitlidies Ganzes 
bilden müssen, wenn sie uns fesseln und gefallen sollen. 
Das gilt für den direkten wie für den relativen Faktor. 
Folglich muß jedem ästhetischen Eindruck gegenüber prin- 
zipiell die Forderung erhoben werden, daß das Interesse, 
das wir an ihm nehmen, selbst einheitlicher Natur sei und 
daß die einzelnen besonderen Interessen, die sich an dem 
komplexen Ganzen unterscheiden lassen, in geordneter Ab- 
stufung zueinanderstehen. Die Einheit des Interesses ist nidit 
nur da möglich, wo em Eindruck allein vorhanden ist, wie 
bei einer einfachen räumlichen Form, sondern auch da, wo 
eine Mehrheit von Eindrücken im Neben- oder Nacheinander 
einen Oesamteindruck bildet, wie bei einer Landschaft oder 
einem Gedicht. Das alte Prinzip der Einheit des Mannig- 
faltigen bringt diesen zweiten Fall zum Ausdruck; wir finden 
eine Wurzel dieser Einheit im Interesse. Damit Einheit des 
Interesses möglich sei, muß der Eindruck ein in sich ge- 
schlossenes Ganzes sein, er muß sich von seiner Umgebung 
abheben und die einzelnen Teile müssen inniger mitemander 
als mit der Umgebung zusammenhängen. So hat jedes Kunst- 
werk seinen Rahmen, das Bildwerk seinen Sockel, das Schau- 
spiel die Bühne, das Konzert die atemlose Stille. So wird der 
Gegenstand im Raum und in der Zeit isoliert, zur gesonderten 
Auffassung vorbereitet. Aber freilich, bei der Begrenztheit 
unseres Bewußtseins, unserer Aufmerksamkeit, würde die 
Einheit des Interesses niemals zustande kommen, wenn nicht 
Unterordnung und Überordnung die aufmerksame Erfassung 



sdbvGoOgIc 



Ordnung und Zusammenliang. 153 

des Ganzen ermöglichte. Wären die Bestandteile des Kom- 
plexes ganz unabhängig voneinander, so würde sich das In- 
teresse zersplittern und dadurch abschwächen. Darum muß 
die Abstufung des Interesses als die ästhetisch wirksame 
Form aufmerksamen Verhaltens angesehen werden. Die Ab- 
stufung macht die Unterordnung aller Nebeninteressen unter 
ein Hauptmteresse notwendig. Fehlt es am Zusammenhang 
der verschiedenen Interessen, so haben wir es mit einem 
bloßen Nebeneinander oder Nacheinander zu tun. Innerhalb 
des ästhetischen Gegenstandes muß also ein durch die Auf- 
merksamkeit isolierbarer Bestandteil das meistbetonte Zen- 
trum des Interesses sdn. Denn nur so läßt sich ein ge- 
gliederter Gesamteindruc^E gewinnen. Nur in verminderter 
Betonung können sich anÜere Interessen darum gruppieren. 
Das Wichtigere steht in engerer, das Unwichtigere in ent- 
fernter Beziehung zum Zentrum des Interesses. 

Also nur durch die Unterordnung der Interessen, nicht 
durch die Nebenordnung erhält sich die Einheit eines in sich 
geschlossenen Ganzen. Um unsere Aufmerksamkeit zwanglos 
auf die abgestuften interesseweckenden Eindrücke zu ver- 
teilen, sind viele Hilfsmittel der Kunst erfunden worden. So 
pflegt die Maleret dem wichtigsten Bestandfeil im Gemälde 
eine ausgezeichnete Stellung einzuräumen. Franda gibt seiner 
Madonna die Mitte des Raumes, Gozzoli stellt die drei 
Könige an die Spitze des Zuges, Tizian rückt das Wunder 
des heiligen Antonius in den Vordergrund, Correggio wirkt 
durch helle Beleuchtung, Botticellis Frühling durch gesättigte 
Farben die Betonung des Hauptinteresses. Lenbachs Manier 
hebt das Gesicht durch sorgfältige technische Ausführung 
hervor, Murillo wendet die Aufmerksamkeit von Nd>en- 
personen auf den entscheidenden Ort. Alle solche Faktoren 
können zusammenwirken, ihre Abstufung bringt die Ab- 
stufung des Interesses hervor. In anderen Künsten dienen 
andere technische Mittel diesem Zweck. Das Hauptthema 
des musikalischen Satzes wird vorbereitet, wiederholt, dyna- 
misch verstärkt, verwoben, variiert. Die Hauptgestalt des 



sdbvGoOgIc 



154 Zusammengehörigkeit. 

Epos handelt am meisten, um ihr Geschick drdit sidi das 
interesse der Nebengestalten, ihre Entwicklung läßt sich voll- 
ständig übersehen. Die französische Lehre von der Einheit 
der Handlung, des Raumes und der Zdt war einseitig, weil 
die Einheit des Interesses auch mit anderen Mitteln als den 
bwden letzten zu errdchen ist. Hauptmanns Weber haben 
keinen eigentlichöi Helden und doch Einheit des Schicksals, 
der Stimmung, der Handlung, der Umgebung. Wie die Forde- 
rung der Einheit des Interesses verwirklicht wird, darüber 
lassen sich allgemeine Bestimmungen nicht geben. Erfüllung 
des Prinzips ist eine notwendige Vorbedingung der ästhe- 
tischen Wirkung. Nur wo Einheit und Abstufung herrschen, 
kommt es zum ästhetischen Totaleindruck, zu mannigfacher 
Gliederung, zu übersichtlichem Aufbau. 

Das Prinzip der Zusammengehöriskeii 

Die innere Beziehung, die das Ganze eines' ästhetischen 
Eindrucks beherrscht, ist eine Zusammengehörigkeit seiner 
Teile untereinander und mit dem Ganzen. Innerhalb des 
direkten Faktors hat diese Zusammengehörigkeit den Cha- 
rakter einer Ähnlichkeit, Nachbarschaft und Regelmäßigkeit, 
sie ist äußerer Zusammenhang. Innerhalb des relativen Fak- 
tors ist sie inneres Bezogensein der Vorstellungen und Ge- 
danken, der Absichten und Handlungen, der emgefühlten 
Zustände und Fähigkeiten aufeinander, ein innerer Zusam- 
menhang. Innerhalb des Miterlebens und der Teilnahme ist 
sie selbstverständliche Gesetzmäßigkeit und Abgeschlossen- 
heit des Ablaufs, ein zuständlicher Zusammenhang. Inner- 
halb des Ganzen ist sie wechselseitige Bedingthdt und Er- 
gänzung aller Faktoren durch einander, ein totaler Zusammen- 
hang. Merkhche Verletzungen dieses Prinzips sind mißfällig, 
besonders wenn sie das Hauptinteresse betreffen, doch 
werden nicht selten (namentlich bei der Kombination ver- 
schiedener Formen der Wirkung) Kompromisse nötig. Beim 
Mangel an solcher Zusammengehörigkeit spricht die Kritik 
gern von ästhetischen Widersprüchen. 



sdbvGoOgIc 



Innere und äuBere Wahrheit. 155 

Regelmäßigkeit und Symmetrie, diese Formen der äuße- 
ren Zusammengehörigkeit, herrschen in der Architektur, der 
Musik und den dekorativen Künsten vor, wo die mittelbare 
Wirkung zurücktritt. Stimmungszusammenhange, innere Über- 
gänge meistert etwa Raffaels Kreuztragung, wo die Nächst- 
stehenden am lebhaftesten bewegt erscheinen. Die Abge- 
schlossenheit des Miterlebens fehlt in Hauptmanns Kollege 
Crampton, wo die Zuschauer gelegentlich sitzen bleiben und 
nicht begreifen, daß nun die Aufführung zu Ende ist. Sehen 
wir einen kraftk>sen Körper sdiwere Lasieil heben, wird 
ein schlichtes Märchen mit Nibelungen-Musik untermalt, so 
ist der totale Zusammenhang gestört. Die einzelnen Zu- 
sammenhänge müssen aufeinander abgestimmt sein. Unserem 
Verständnis müssen sie sich erschließen; sonst ist der innere 
Zusammenhang eines Werkes oft unerfaßbar. Wer nie die 
Sage von Danae vernommen hat, würde Correggios Gemälde 
unverständSch finden. Die gesamte Erfahrung unseres geisti- 
gen Lebens' bestimmt die ästhetische Wirkung mit. Was sich 
ihrem Zusammenhang nicht fügt, nennen wir leicht unnatür- 
lich; wir vermissen am Kunstwerk dann die äußere oder 
innere Wahrheit. Die Tat^ eines dramatischen Helden 
müssen uns bei einem solchen Charakter verständlich, unter 
den gegebenen Umständen als notwendig erscheinen. Gegen 
die äußere Wahrheit versündigen sich Bilder von Gebhardt, 
auf denen biblische Gestalten in Renaissance-Gewändern er-' 
scheinen. Shakespeares Anachronismen laufen ihr zuwider. 
Die Formen der Zusammengehörigkeit können auch zu lang- 
weiligen Manierismen übertrieben werden. Wie steif wirkt 
ein Gemälde von allzupeinlicher Symmetrie, vom Metronom 
beherrschte Musik. Verbinden sich Kunstarten zu einem 
Gesamtkunstwerk, so sind Kompromisse unvermeidlich. Die 
dramatische Handlung schreitet beschwingter fort als die 
Oper, weil die Musik ihres Stils mehr Zeit gebraucht, um 
ihren Stimmungsreichtum zu entfalten. Wer unmusikalisch 
ist und sich den Tristan Wagners als Drama ansieht, wird 
das Tempo des Werkes endlos schleppend finden. Der aus- 



sdbvGoOglc 



156 Klarheit. 

dnicksvolle Stil Michelangelos wird dem relativen Faktor 
zuliebe manche äußere R^elmäßigkeit opfern, Raffael 
mäßigt die Fülle des Ausdrucks um der äußeren Formschön- 
heit willen gelegentlich. Immer aber veriangi das über- 
wiegende Hauptinteresse vor allem Berücksichtigung, sei es 
durch äußere Bindung, sei es durch überzeugende innere 
Wahrheit. 

Das Prinzip der Klarheit 

Das Prinzip der Klarheit besagt, da6 die ästhetisdie 
Wirkung belebt wird, wenn die hervorbringenden Faktoren 
in voller Klarheit gegeben sind. Um die Klarheit zu steigern, 
dienen der Kunst die Mittel des Kontrasis und der (moti- 
vischen) Wiederholung. Da die ästhetische Anordnung der 
Teile in der Natur nur als ein verhältnismäßig seltener 
Sonderfall enthalten ist, so entsteht für die Kunst die Not- 
wendigkeif, durch steigernde Mittel den Aufbau des ganzen 
Werfces, seine Interessenabstufung und seinen Zusammen- 
hang klarer herauszuarbeiten. Der Kontrast vergrößert hier- 
bei die Unterscheidbarkeit der Faktoren und hebt sie deut- 
lich voneinander ab, während die Wiederholung das Haupt- 
interesse eindringlich und einpräglich unterstreicht. Geheim- 
nisse undurchdringlicher Art schädigen die Wirkung des 
Kunstwerks, weil dann Deutung und Auffassung schwanken. 
Unübersichtliche Anordnung von Formen und Farben er- 
reichen keine unmittelbare ästhetische Wirkung. Was hilft 
es, wenn eine Berechnung erst die Formel der Anordnung 
entdeckt. Beim ästhetischen Genuß an der Natur muß Aus- 
wahl, Ausschnitt, Aufmerksamkeit hervorheben und betonen, 
was der Künstler technisch mit sanftem Zwang uns aufdringt. 
Farbige Naturphotogramme ze^en erst, wie sehr die Aus- 
lese eines künstlerisch geschulten Blicks der Wirklichkeit 
eine ungewöhnliche Geschlossenheit, befriedigenden Aufbau 
schenkt und so unsere Teilnahme steigert. Wieviel geschlos- 
sener und eindringlicher wirkt dennoch im Vergleich zum 
feinsinnigsten Lichtbild ein großes Naturgemälde Ruysdaels. 



sdbvGoOgIc 



Naturschönheit. 157 

Damit ist der eigentümliche y^ert des ästhetischen Natur- 
ausdnicks nicht bestritten. Er haftet an Emdriicken, die etwa 
der Malerei nicht zu Gebote stehen. Man denke nur an die 
überwältigende Lichtfülle, die satten Farben, die Zartheit 
des lebendigen Wesens, die Miterregung durch die niederen 
Sinne. („Die Erde dampft erquickenden Geruch.") Man 
würde das Prinzip der Klarheit völlifr verkennen, wenn man 
es im Sinne harter Umrisse, trockener Eindeutigkeit, mikro- 
skopischer Bildschärfe deuten wollte. Es verbannt nicht das 
sfumato Lionardos, noch die Dämmerung des Helldunkels, 
weder unentschiedene Lebenslagen, noch fragwürdige Na- 
turen. Die seltsame Lebhaftigkeit der Phantasie in dämmern- 
der Nacht, die eine traumhafte Umgebung aus der Land- 
schaft webt, würde erlöschen, wollten wir die Tagesklarheit 
hineinleuchten lassen. Nein, die Unklarheit des Gegenstandes 
ist nicht die Unerfaßbarkeit eines entscheidenden ästhetischen 
Eindrucks; nur diese Ungreifbarkeit muß befremden, ver- 
wirren und enttäuschen. Die verschwommene Form übt ihren 
ästhetischen Zauber, wenn nur der Zusammenhang der In- 
teressenabstufung sich auswn-kt. Da nun Klarheit des Auf- 
baus in der natürlichen Ordnung der Dinge nur zufällig ge- 
geben ist, so bedarf auch die naturalistische Kunst einer 
Auswahl und einer Ausscheidung. Zeichne« ist auch nach 
Liebennann eine Kunst fortzulassen. Alle Kunst, auch der 
Naturalismus, stilisiert. 

Der Kontrast ist ein HaUptmittel, die Eigenart eines 
bestimmten Eindrucks zu steigern. In heiterer Umgebung 
fällt uns ein Trauriger erst recht auf, in gleichmäßiger Hellig- 
keit ein tiefer Schatten, starre Ruhe in aufgeregter Bewegung, 
Es steigert der Musiker die versöhnende Harmonie des Ab- 
schlusses durch Dissonanzen vor der Auflösung, der Mal^ 
die tiefen und satten Farben des Vordergrundes durch die 
blassen und verschwimmenden im Hintergründe. Potter legt 
seinen sehnsüchtig mit schweifendem Blick die Weite suchen- 
den Wolfshund an die kurze Kette. Im Drama steht die 
Hauptgestalt verschiedenen Nebenpersonen g^enüber, die 



sdbvGoOgIc 



158 Fülle und Tiefe. 

durch ihr kontrastierendes Gebaren das Schicksal des Helden 
um so klarer beleuchten (Maria Stuart — Elisabeth von Eng- 
land). 

Ein weiteres Mittel der Steigerung ist die Wiederholung. 
Man denke an Wagners Leitmotiv, die Wiederkehr ornamen- 
taler Verschlingungen, den Parallelismus der hebräischen 
Dichtung. BÖckIm vertieft den Eindruck seiner Landsdiafts- 
stimmung durch sagenhafte Märdienwesen, die von ' ihrer 
Atmosphäre befangen sind. Die Malerei lä6t vielfach die 
Landschaft mit den Fröhlichen lachai, mit der Büßerin 
trauern. 

Fechner hat ' das Prinzip der Klarheit als eines seiner 
drei obersten Formalprinzipien beznchnet Es kann nach ihm 
vorkommen, daß wir Gefallen an der Klarheit finden, während 
zugleich Mißfälligkeit aus anderen Prinzipien spürbar wird. 
Hier wird ästhetische Klarheit mit logischer oder auch mit 
objektiver verwechselt. Das ist Freude an der Erieichterung 
der Auffassung, an gelingender Kontemplation, also nur Ak- 
ttonslust. Das ästhetische Gefallen wird durch Klarheit nur 
gesteigert, wenn es sonst schon durch Art und Aufbau des 
Gegenstandes gefördert wird. Was Fechner meint, ist zu- 
nächst gar keine ästhetische, sondern eine intellektuelle 
Freude, die freilich auch in das ästhetische Verhalten ein- 
gehen kann und damit zu ästhetischer Freude wird. Auch 
vom Prinzip der Steigerung redet Fechner in ganz anderem 
Sinne, nämlich mit Rücksicht auf die" Steigerung des ästhe- 
tischen Gefühls. Dagegen hat er ein besonderes Prinzip des 
Kontrastes. Dieser ist jedoch nur ein Mittel zur Steigerung 
der ästhetischen Klarheit 

Das Prinzip der FGUe uad Tiefe. 

Von einer Fülle des ästhetischen Eindrucks redet man 
zunächst im Sinne der Vollständigkeit und Abgeschlossenheit, 
welche die gefällte Wirkung der Zusammengehörigkdt 
steigert, sodann im Sinne mannigfalt^en Reichtums, wodurch 
das Interesse extensiv stärker gefesselt wird. Tiefe spricht 



sdbvGoogIc 



Steigerang der ästtietiscdien Wirkung. 159 

man dem Gegenstande zu, wenn er geeignet ist, ein inten- 
sives und nachhaltiges, in Einfühlung und Teilnahme voll- 
entfaltetes ästhetisches Verhalten anzuregen. Die Erfüllung 
auch dieses Prinzips steigert den Orad der ästhetischen Wir- 
kung. Formale Fülle weisen Gemälde, die nicht auf eine 
ärmliche Farbensicala beschränkt sMd, Ornamente, die den 
verfügbaren Raum ohne tote Stellen in reicher Durchbildung 
schmücken. Die musikalische Harmonie füllt die Leere von 
Oktaven- und Quintengängen, die uns hohl und einförmig 
anmuten. Duette a capella erscheinen uns besonders bei 
enger Stimmführung unvollständig, ergänzungsbedürftig. Im 
inneren Zusammentiange bedeutet das Verlangen nach Fülle, 
daß nichts Wesentliches im Gedanken- und Vorstellungs- 
verlauf übergangen werde. Vom Träger des Hauptinteresses 
im Epos wünschen wir zu erfahren, was sein Tun ent- 
scheidend motiviert. 

Zu dieser Extensität der ästhetischen Wirkung gesellt 
das Prinzip die Intensität, zur Fülle die Tiefe. Das Interesse 
soll hiernach nicht nur einheitlich, sondern auch tiefgehend 
sein. Die Tiefe der ästhetischen Wirkung ermessen wir 
namentlich an der Einfühlung und Teilnahme. Je stärker 
wir am ästhetischen Verhalten beteiligt sind, um so tiefer 
ist die ästhetische Wirkung. Besonders wird sympathische 
Einfühlung steh nur da entfalten, wo eine tiefe ästhetische 
Wirkung stattfindet. ÜKese Tiefe ist auch an lebhafte Fesse^» 
lung des Interesses gebunden. Dazu sind nidit etwa nur neue 
und unerhörte Eindrücke nötig, gerade die vertrauten immer 
wiederkehrenden, nie ganz gelösten Fragen des Herzens, 
die ewig menschlichen Schicksale rühren uhs in der Tiefe 
und versagen nicht: Macht, Lieb^ Ehrfurcht, Gewalt der 
Eltern, die heiligen Dinge sind Namen, die unser Denken 
und Fühlen ergreifen und erschüttern. Kein Kunstwerk ver- 
altet leichter als Werke, <üe auf das Tagesinteresse au£- 
gebaut sind. Satire und Tendenz können augenbltcks kräftig 
wirken. Flugs sind sie gegenstandslos geworden, und sie 
büßen ihre tiefe ästhetische Wirkung völlig ein, wenn ihr 



sdbvGoogIc 



160 Einfadiheit und NatuHichkeit. 

Wert nicht auf anderen Qualitäten beruht; wie etwa in Ka- 
bale und Liebe, Nora, und in Hebbels Maria Magdalena. 
A priori lassen sich die Gegenstände, die tiefe Wirkung üben, 
nicht angeben. CHe Fülle ist groß. Man hat oft von klassi- 
schen Kunstwerken gesagt, sie seien unerschöpflich, da sie 
eine Tiefe des Gehalts aufweisen, die sie allerorten und allzeit 
ergreifend macht. Wenn irgendwo gilt hier Kants Wort, daß 
der Künstler das Gesetz und nicht das Gesetz den Künstler 
macht. Es gibt keine Vorschrift, wie man tiefe Kunstwerke 
herstellt. Man versteht es, wenn vom Künstler gesagt wer- 
den kann, er müsse ganz Mensch sein. So wird das Werk 
zur Ausströmung des ganzen Menschen und damit fähig, den 
ganzen Menschen zu eigreifen. An sich gibt es ja kaum 
einen, dem allgemeinen Verständnis zugänglichen Gegen- 
stand, der sich nicht in fesselnder Form darstellen ließe und 
so tiefgehend zu wirken vermöchte. Man denke nur an 
Vischers „Auch Einer". Das Problem von der Tücke des 
Objekts, dem Widerstand des Schicksab gerade in den klan- 
lichen Alltäglichkeiten des Lebens, hat Vischer zum ersten 
Male geistreich behandelt; er hat verstanden, dem Stoff ein 
tragisches Motiv abzugewinnen und ihm tiefe Wirkung zu 
sichern. 

Das Prinzip der Einfachhdt und Natfirlichkeit 

Nach dem Prinzip der Einfachheit und Natürlichkeit 
wird die schlichte Formgebung der verkünstelten vorgezogen. 
Was mit wenigen Mitteln tiefe Wirkung sichert, erscheint 
wertvoller als ein mit tausend Mittelchen herausgeputzter 
Aufbau. Zwanglos gewachsenes und gewordenes Werk steht 
uns über der absichtlich gemachten, unter Regelzwang er- 
quälten Arbeit. Einfachheit ist darum noch nicht Dürftig- 
keit, Die ältere Naturphilosophie kannte eine lex parsimo- 
niae; sie war der Ansicht, daß die Natur alle Wirkungen 
mit den einfachsten Mitteln erreiche. Mindestens erscheint 
uns die ästhetische Wirkung der Natur da überwältigend, 
wo sie sich diesem Gesetz zu beugen scheint. Nicht gerade 



sdbvGoogIc 



Programm-Musik. (61 

einfach kann man es nennen, wenn die Programmusilc ver- 
sucht, die Wirkung der Musilc durch einen fortlaufenden 
Kommentar zu steigern. Man darf dies Programm nicht mit 
Erläuterungen vergleichen, die einer Einführung in die bil- 
dende Kunst dienen. Solche Erläuterungen geben nur ein 
Wissen von Namen, ersonnenen oder geschichtlichen Er- 
eignissen. Man erinnert angesichts der Laokoongruppe an 
Vergils epische Schilderung, man weiß nun, ob Laokoon 
Priamide war. Das ästhetische Verständnis erschheSt uns 
auch ohne Erläuterung die dämonische Gewalt der Schlangen, 
die unheilvolle Verschlingung. Der Musik aber quält das 
Programm künstlich eine Bestimmtheit des Ausdrucks an, 
die ihr wesentlich mangelt und lenkt von der Hingabe an die 
musikalische Leistung ab. Das Versfändnisurteil, eine Vor- 
bedingung der ästhetischen Wirkung, wird zur Hauptsache 
gemacht. Die Musik ist nun einmal nicht dazu berufen, Ge- 
schichten zu erzählen. Deshalb ist Programmusik unnatür- 
hch. Lessing sah sich im 18. Jahrhundert noch genötigt, dem 
unnatOrlichen Unfug der Lehre ut pictura poesis ein Ende 
zu bereiten. Heute wäre es dringend not, daß ein neuer 
Lessing zwischen Dichtung und Tonkunst die Grenzen be- 
tone. Unnatürlich und keineswegs einfach sind Romane, wo 
die gangbaren Wege psychologischer Motivierung verlassen 
werden zugunsten erkünstelter überhitzter Konflikte. 

Schon in dem Ausdruck Natürlichkeit liegt ein Hinweis 
auf die Natur als Vorbild. Damit ist nicht die graue Alltags* 
Wirklichkeit 2U sklavischer Nachahmung empfohlen. Viel- 
mehr soll uns der ästhetische Eindruck, auch der phantasie- 
entstammte, erscheinen, als ob er blühende reiche Wirklich- 
keit wäre, keine Fiktion, kein wüster Einfall. Gerade die 
Stilisierung macht aus ihrem Werk eine kleine in sich lebende 
Welt. Solcher Art ist die Wirklichkeit und Wahrscheinlich- 
keit, die uns an einer Dichtung erfreut. Der Naturalismus 
stützt sich einseitig auf das Prinzip der Natürlichkert, die 
Bedürfnisse seiner Stilgebung für die einzig erfüllenswerten 
ausgebend. Dabei erweiterte er aber den Kreis der dem 

KQIpe, Ästhetik. 11 



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162 Wertausgleichung. 

Künstler erschließbareo Erfahrung. So gewintit der Impres- 
sionismus, das plein-air seine ästhetische Legitimation. Aber 
deswegen sind Mythos, Phantasma, Gespenster, Kentauren 
und Kobolde, JMagier und Hexen nicht unnatürlich im Sinne 
der Ästhetik. Das Ungewöhnliche wirkt natürlich, wenn es 
vollauf motiviert ist. 

Unnatürlich wirkt auch ein schöner Mensch, der be- 
wußt gefallen will. Ebenso stößt eine merkliche Absicht im 
Kunstwerk ab. Merklich aber wird die Absicht durch Über- 
treibung des Kontrastes, der Wiederholung und sonstiger 
Kunstmittel. Die Tendenz läßt einen ästhetischen Gesamt- 
eindnick nicht aufkommen, lenkt auf außerästhetische In- 
teressen ab, will uns belehren, unsere Teilnahme beein- 
flussen, unser Urteil leiten. Der Künstler soll uns nicht das 
selbständige Urteil vorwegnehmen und soll uns nicht be- 
lehren; das Werk soll durch sein E)asein, nicht durch seines 
Meisters Absicht gefallen. 

Das Pridzip der Wertaus^eichung. 

Das Prinzip der Wertausgleichung erinnert daran, daß 
aus den Einzelbewertungen der Form, des Gehalts, der Ein- 
heit, des Zusammenhangs^ der Geschlossenheit, der Fülle, 
der Tiefe und der Natürlichkeit, eine Oesamtbewertung resul- 
tiert, die jede stilistisch begründete Wertminderung eines 
Faktors zugunsten eines anderen ausgleicht, und nimmt das 
Gesetz der Wertübertragung in sich auf, laut dem alle den 
ästhetischen Gegenständen anhaftenden logischen, ethischen, 
vitalen und metaphysischen Werte in die ästhetische Wir- 
kung mit eingehen. Auf diese Weise kann auch ein Ganzes 
gefällig werden, obwohl nur ein Teil ausgeprägte Wirkungen 
dieser Art übt. Wenn man den Vorwurf erhebt, das Kind 
sei mit dem Bade ausgeschüttet worden, so meint man eine 
Mißachtung des Prinzips der Wertausgleichung. An eine 
Nebensache heftet sich das Mißfallen, eine Auflösung der 
kleinen Disharmonie wird gar nicht versucht. 

Fechner hat versucht, die Wertausgleichuhg genauer 



sdbvGoOgIc 



Wertübertragung . ] 63 

zu fonnulieren, indem er ein Prinzip des Kontrastes aufstellt, 
wonach der angenehme Eindruck den unang;enehmen stetgero 
soll und umgekehrt. Doch läBt sich das in dieser Allgemein- 
heit nicht bestätigen. Welche Werte hier mitwirken und mit 
welcher Kraft sie einwirken, läßt sich altgemein nicht be- 
stimmen. Es gibt keinen Wert, der nicht ins ästhetische Ver- 
halten eingehen könnte. 

Die Anwendung des Prinzips der Wertübertragung auf 
die anderen ästhetischen Prinzipien ist verstandlich. Die Prin- 
zipien der Fülle und der Tiefe, der Einheit und der Mannig- 
faltigkeit, der äußere und der innere Zusammenhang, sie 
beschränken sich wechselseitig. Kein einziges ästhetisches 
Prinzip kommt für sich allein zur vollen Geltung. CMe ver- 
schieden einflußreiche Wirkung der ästhetischen Kompo- 
nenten gleicht sich in der Gesamtwirkung des schönen 
Werkes aller Stilarten immer wieder aus. Der Freiheit des 
Künstlers wie des Kunstfreundes in der Wahl seiner Aus- 
drucksmittel, Stoffe und Formen geschieht also durch die 
Prinzipien der Ästhetik kein Eintrag. EMe ästhetische Be- 
urteilung kann sich nur auf Kriterien stützen, die den gesetz- 
mäßigen Wirkungen eines reinen, intensiven und vollstän- 
digen ästhetischen Verhaltens entspringen. 

Die ästhetischen Modifikationen. 

Als besondere Modifikationen des ästhetischen Eindrucks 
nennen wir, was schön, erhaben, anmutig, tragisch oder 
komisch wirkt. Gefallen und Mißfallen werden hier durch die 
besondere Beschaffenheit der ästhetischen Gegenstände und 
der an sie geknüpften Objektsgefühle eigenartige Färbung 
g'ewinnen. Schönheit und Häßlichkeit sind die primären 
ästhetischen Modifikationen aller Träger der bisher geschil- 
derten ästhetischen Wirkungen (abgesehen von Besonder- 
heiten gegenständlicher Art und einer ihnen entsprechenden 
Oemütswirkung) unter der Vorherrschaft eines kontempla- 
tiven Zustandes und eines ästhetisch gerichteten Interesses. 
Zu den sekundären Formen des ästhetischen Eindrucks rech- 

11' 



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164 Die ästhetischen Modifikationen. . 

nen wir die Modifikationen, bei denen Objektsgefühle sich 
an umfassende und zugleich eindringliche Beschaffenheiten 
des ästhetischen O^enstandes knüpfen. Die ästhetischen 
Modifikationen sind nicht auf einzelne Kunstarten beschränkt ; 
Malerei, Musik, Epos, Lyrik, Drama gehören also nicht hier- 
her. In den Modifikationen erfährt der ästhetische Eindruck 
selbst, erfahren Gefallen und Mißfallen eine eigentümliche 
Färbung. Diese kann niemals durch qualitativ charakteristische 
Eigenschatten des ästhetischen Gegenstandes allein, sondern 
nur durch Gemütsbewegungen, Stimmungen und Affekte ent- 
stehen, die an jene Eigenschaften gleichförmig gebunden sind. 
Die Objektsgefühle sind allein geeignet, so tiefgreifende und 
allgemein wirksame Unterschiede zu begründen. So wenig 
wie wir mit der Formalästhetik den stofflichen Gehalt des 
Kunstwerks aus der Betrachtung ausschalten können, so wenig 
können wir bei der genaueren Erforschung des ästhetischen 
Eindrucks von den Objektgefühlen absehen. Wenn man nun 
bedenkt, daß Interesse eine conditio sine qua non des ästhe- 
tischen Eindrucks und insbesondere der Objektgefühle ist, 
so wird es naheliegen, die sekundären ästhetischen Modi- 
fikationen einzuteilen nach dem, was allgemein am ästhe- 
tischen Objekt interessiert. Die Quantität fesselt das Inter- 
esse, wenn sie ungewöhnlich ist, extensiv oder intensiv. 
Ferner lenkt die Veränderung überall die Aufmerksamkeit 
auf sich; schließlich wird die Gefühlsrichtung auf Trauer oder 
Heiterkeit allgemein wichtig. Modifikationen der Quantität 
sind Erhabenheit und NiedUchkeit, Modifikationen der Ver- 
änderung Anmut und Plumpheit, Modifikationen der Trauer 
und Heiterkeit sind Tragik und Komik. Die von den ästhe- 
tischen Modifikationen geweckten Objektgefühle der Er- 
hebung, Rührung, Trauer stören die kontemplative Versen- 
kung nirgends, im Gegenteil, sie vertiefen und läutern sie. 
Nicht gemeint ist das kindische Gebaren lauten Klagens 
über das Los der Romanhelden, oder der Versuch, den tra- 
gischen Gestalten der. Bühne hilfreich beizuspringen. Solche 
Manifestation der Ergriffenheit zerstört das ästhetische Ver- 



sdbvGoOglc 



„Gleichsinnig" und „Gegensinn ig". 165 

halten, derartige ungehemmte Qefühlsreaktionen sind nicht 
Forschungsgegenstand der Ästhetik. Damit wird nicht die 
Theorie aufgesteUt, daß die von den ästhetischen Modifika- 
tionen ausgelösten Stimmungen schwächer oder scheinhafter 
seien, als das echte hemmungslos sich entladende Gefühl. 
Wenn die Aktion ausgeschaltet wird, kann das miterlebende 
Gefühl um so inniger gekostet werden. Die Objektsgefühle 
also sind imstande, den ästhetischen Eindrücken eine «gene 
Sttmmungsfärbung aufzuprägen. Das Gefallen am Erhabenen, 
am Tragischen, am Komischen ist immer auf den Grundton 
der vollen unbefangenen ästhetischen Lust abgestimmt, aber 
dieser Qrundton wird (wie ein Klang möchte man fast sagen) 
verfärbt durch die Stimmungslage der Objektgefühle. Darum 
redet man ganz treffend vom Gefühl für das Schöne, aber 
von tragischer oder erhabener Stimmung. 

Nun darf man nicht vergessen, daß unser Werlgefühl 
auf die von Objektgefühlen verfärbten ästhetischen Modi- 
fikationen immer zwiefach, nämlich mit Gefallen und Miß- 
fallen reagieren kann. Auf erfreulicht Objektsgefühle kann 
gleichsinnig ästhetisches Gefallen antworten, auf unerfreu- 
liche Objektsgefühle gleichsinnig Mißfallen; aber ein Tugend- 
bold kann auch gegensinnig ästhetisches Mißfallen wach- 
rufen, wo ein Heiliger derselben Tugend rdnes Gefallen 
fände. Die Satire des Wertlosen kann gegensinnig ästhetisch 
erfreuen. Wir unterscheiden also gleichsinnig und gegen- 
sinnig wirkende ästhetische Modifikationen. Was ungeheuer 
und wertvoll Gefallen weckt, ist von einer feierlichen Er- 
habenheit Bizarr wird diese werte Größe, wenn sie ästhe- 
tisch mißfällt (der alte Bayard). Mißfällt was ungeheuer ist 
und unwert, so wirkt es abscheulich, erzwingt es aber ästhe- 
tische Freude, dann wirkt es furchtbar. Was winzig und doch 
wert ist, gefällt als zierlich, mißfällt als kleinliche Spielerei. 
Unwertes und winziges Werk mißfällt als Nichtigkeit, als 
niedlich, launig gefällt es (chinoiserie). Eine anmutige Ge- 
bärde gefällt als hold, als kokett mißfällt sie. Als steif und 
würdig kann sie doch noch Anmut heißen und gefallen (an 



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166 Anmut. 

alten Damen aus edelm Blut etwa). Die äußere Plumpheit, 
ein Widerspiel der Anmut, mißfällt als linkisch und gefällt als 
grottesk. Wert im Leiden erwirbt tragisches Gefallen, miß- 
fällt sein Leiden, dann ist es empörend. Der traurige Untergang 
des Unwerten schafft Grausen, gräßlich aber ist solches 
Leiden, wenn es nicht mehr das leiseste ästhetische Ge- 
fallen für sich hat. Schafft die Komik heitere Werte, so ist 
sie humoristisch, lacht sie über den Unwert, so wird sie 
satirisch; .Und gefällt beide Male. Geißelt sie mißfallenden 
Unwert, so wird sie gar sarkastisch bis zynisch; mangelt ihr 
das ästhetische Gelingen, so ist sie sofort auch läppisch, 
abgeschmackt, salzlos. 

Auf Mischformen hier einzugehen, würde zu weif führen; 
<laß individuelle Unterschiede in der Empfänglichkeit für die 
ästhetischen Modifikationen mitwalten, braucht gleichfalls 
nicht mehr ausgeführt zu werden. Die ästhetisdie Modi- 
fikation entfaltet sich nach alledem unbesdiadet der indi- 
viduellen Differenzen im vollen ästhetischen Eindruck an 
schöner Natur und an schöner Kunst trotz mannigfacher 
Häßlichkeitsdissonanz. MerkHch hervorbrechende Objekt- 
gefühle werden dabei' durch eindringliche und fesselnde Be- 
schaffenheiten des ästhetischen Gegenstandes erregt. Die 
ästhetische Wirkung feiert ihren größten Triumph, wenn 
ästhetisches Gefallen über sonstigen Unwert siegt. Groß 
ist ein geborener Tragiker, der schließlich auch ein Leuchten 
des Humors in seltenem Lächeln einfängt. 

Anmut 

Anmut ist als Schönheit maßvoll bewegter Form die 
Gebärde liebenswürdiger Leichtigkeit und erfreulich be- 
herrschter sympathischer Kraft. Plump ist ruckhaft bewegte 
Mißform als Ausdruck gezwungener Unbeholfenheit und ab- 
stoßend gesetzloser Kraft. Seelenlose Anmut, die leere Maske 
der liebenswürdigen Herzlichkeit, kann auch ästhetisch nicht 
gefallen, anders als herbe Anmut, die, verhalten, sich nur 
nicht freigemut ausströmt. Schiller und v. Hartmann fassen 



sdbvGöogle 



Spielarten der Anmut. 167 

Anmut als Gegensatz des Erhabenen. Home nimmt si« als 
ausschließliches Attribut des Menschen, als Ausdruck der 
schönen Seele. Lessing definiert sie als Schönheit der Be- 
wegung. Schiller findet Anmut in sympathetischen Be- 
wegungen, welche die willkürlichen als Ausdruck der un- 
bewußt mitanklingenden Empfindung unwillkürlich begleiten. 
Indem diese Bewegungen endlich habituell werden, bilden 
sie feste Züge. Volkelt findet im Anmutigen ein vollendetes 
Oleichgewicht zwischen Natur und Geist, wie nirgend sonst. 
Zu eng ist die Auffassung, wonach nur der Mensch und seine 
Bewegungen anmutig heißen dürfen. Auch das Tier (ein Reh) 
kann anmutig sein, aber auch Pflanzen (Kletterrose), die 
Linien einer HügeUandschaft, die Windungen eines Fluß- 
tales, ein Allegretto grazioso. Anmut wird sich bei Menschen 
nur da entfalten, wo Intention und Ausführung, Kraft und 
Aktion mühelos zusammenstimmen. So erscheint die frde, 
leichte und ungezwungen verlaufende Gebärde als freund- 
liche Naturgabe. Nur Animismus, nicht Anthropomorphis- 
mus ist Voraussetzung, um die Heiterkeit aller Anmut auch 
bei Tier und Pflanze zu finden, ja fast überall da, wo wir 
Bewegung im übertragenen Sinne meinen. Wir zollen der 
Anmut deshalb nicht jene intensive Bewunderung, die uns 
zur Demut stimmt wie die Erhabenheit, sie erfreut dafür 
fast unvermerkt und herzlich. Das milde und sanfte Leuchten 
der liebli'chen Gebärde reizt zu vertrauter Teilnahme, der 
fernen Unerreichbarkeit des Erhabenen beugen wir uns. Das 
sinnliche, nicht das sittliche Ideal ist uns Anmut. Ihr zartes, 
heiteres, sinniges Wesen, von Feierlichkeit und würdigem 
Ernst ebenso wie von ausgelassenem Übermut und Zügel- 
losigkeit gleichweit entfernt, entfacht die echte Stimmung der 
Geselligkeit im edeln Sinne des Wortes. 

Anmut erschdnt m mannigfachen Spielarten ausgeprägt. 
Eine ihrer Formen ist die hohe Anmut; hier zeugt ihre edle 
Gebärde von echtem Gehalt vornehmen Wertes. Volkelt 
glaubt zu spüren, wie sich darin der Geist leise zum Natür- 
lichen hinabneigt. Botticelli, Raffael, Correggio sind Maler 



säbyGooglc 



168 Eriiabenhdt. 

der hohen Anmut. Die holde Anmut schwebt nach Volkelt 
im Oleichgewicht zwischen Geist und Natur, ihr eignet volle 
Harmonie. Die hebliche Anmut ist vielleicht an Gehalt etwas 
ärmer; ihre Dichter sind Theokrit, Eichendorff. Ke derbe 
Anmut spielt aus' Unwert des Gehalts ins Bäurische, das 
Plumpe im Gebaren ist da noch eben gebändigt. Wir be- 
gegnen ihr auch bei Rubens und Dürer. Volkelt unterscheidet 
noch weiche und herbe Anmut. Die weiche Anmut hat Züge 
der Kraftlosigkeit und Hingebung. Guido Reni ist ihr Maler. 
Über die E^enart herber Anmut sprachen wir schon, Wenn 
wir mit Volkelt von zierlidier Anmut reden, machen wir 
schon den Übergang zu einer anderen ästhetischen Modi- 
fikation. Auch der Frohsinn der Anmut hat seine Abschat- 
tungen von der ernsten bis zur lachenden Anmut. Nicht nur 
in der Spielart derber Anmut kann Plumpheit ästhetisch wert- 
voll werden, wo sie als Nebenmoment von der anmutigen 
Form überwältigt wird, — im belustigenden Gegensatz, als 
Burleske, kann plumper Mangel der Anmut mit komischer 
Wirkung packen. 

Menschen von heiterer, liebenswürdiger, geselliger Ge- 
mütsart zeigen individuelle Vorliebe für das Anmutige und 
seine Göttinnen, die Grazien, Nymphen und Elfen. Maler der 
Anmut sind Andrea del Sarto, Watteau; Musiker der Anmut 
Mozart, Rossini. Der anmutige Tanz ist das Menuett; seine 
Gesellschaft des Rokoko lebt im Zeitalter der Anmut. 

Erhabenheit 

Was im ursprünglichen und im übertragenen Sinne un- 
gemein groß und kraftvoll wirkt, erregt in uns die Stimmung 
der Achtung, Verehrung und Bewunderung, wenn Größe 
und Kraft von einem Wert ausstrahlöi, Grauen und Furcht 
aber, wenn sie einen Unwert umkleiden. Was aber ungemein 
schwach und klein oder winzig ist, stimmt zu freundlich 
wohlwollender Teilnahme oder spielender Herablassung, 
wenn es noch Wert hat, zu mißachtender Geringschätzung, 
wenn Wert ihm mangelt. Gefallende Größe ist erhaben, miß- 



D.oiiizsdbvCoo'^le 



Größe schlechthin. 169 

fallende abscheulich. Gefällt Größe am Unwert ästhetisch, 
so ergreift uns Grauen; ja es kann etwas grauenhaft oder 
furchtbar schön sein, wie die nächtliche Feuersbninst. Winzig- 
keit mit Schönheit gepaart wirkt niedlich fein, Anmut und 
Kleinheit zierlich, häßliche Winzigkeit aber ist reizlos nichtig. 
Kant läßt die Erhabenheit vorwalten, wo ehrfurchtgebietende 
Vernunftgröße die gefallende Sinnenschönheit überwältigt. 
Schopenhauer hat in der Erhebung des Intellekts über den 
Willen den eigentlichen Grund der Erhabenheit gefunden. 
Hegel erschaut darin ein Oberwiegen der Idee über die Er- 
scheinung. Köstlin faßt das Erhabene als das unermeßlich 
Bedeutende und stellt ihm das Winzige und Nichtige gegen- 
über. Gemeinsam ist allen Bestimmungen über das Erhabene, 
daß man es im ungemein Großen, im bedeutenden Überragen 
sucht Unendlich, gewaltig, übermächtig wird genannt, was 
aus der Stimmung ehrfürchtiger Bewunderung mittelbar oder 
unmittelbar die Objektgefühle weckt, die wir im ästhetischen 
Eindruck als Modifikation der Erhabenheit wiederfinden. 
Dem, der von Größe und Kraft im objektiven Sinne redet, 
wendet Voikelt ein, daß es darauf ankomme, ob man sie ein- 
fühle. Daran ist richtig, daß die Begriffe von Kraft und 
Größe relativ sind. Wenn wir vom ungemein Großen spre- 
chen, so messen wir nicht mehr an einem objektiven Maß- 
stabe, sondern meinen, was schlechthin gewaltig erscheint; 
von Eindrücken ist die Rede, die einfühlenden Menschen 
außer der Massen ungewöhnlich sind. Aber darüber darf 
man nicht vergessen, daß die objektive Beschaffenheit ge- 
eignet sein muß, derartige Eigenschaften zu tragen. Ein 
schweigender und düsterer Hochwald wird nur auf eine füh- , 
lende Seele erhaben wirken; aber es ist doch Hochwald, in 
seiner Art von ungemeiner Größe. Es ist femer zwischen dem 
erhabenen Eindruck einer Erscheinung und der Wirkung ihres 
innerlichen Wesens zu scheiden. Ein Zwerg kann auf Grund 
seines Charakters erhaben sein, niemals in seiner äußeren 
Erscheinung. Um den Eindruck ungewöhnlicher Quantität 
oder Inteiisität hervorzurufen, können alle Auffassungsein- 



DigilizedbvGoO^^IC 



170 Erhabenheit. 

flüsse mitwirken: Empfänglichkeit, Kontrast mit dem Kleinen, 
Undeutltchkeit verschwimmender Grenzen. Die Stimmung, 
in die wir angesichts des Ungeheuren geraten, ist zunächst 
Staunen. Wir fühlen uns getroffen von einem ungewöhnlichen 
Eindruck, sind überrascht, verwundert und gefesselt, ganz 
Auge und Ohr. Das Staunen aber differenziert sich, je nach- 
dem Wert oder Unwert so ungeheuer wirkt. Auch sinnlichen 
Vorzögen, überwältigender Leibeskraft zollen wir eine ge- 
wisse Achtung und Bewunderung. Man denke an das Ideal 
der nordischen Riesen oder des Herakles. Das eigentliche 
Gebiet solcher sinnlichen Größe tmd Kraft ist die Natur mit 
dem weiten Meer, dem stürmischen Alpengewitter. Zum 
Unwert wird die zerstörende Natur in Lawinen, Orkanen, 
im Erdbeben, und weckt die Stimmung des Grauens und der 
Furcht. Achtung und Bevmnderang, Furcht und Grauen 
sind nicht Gefühle des Miterlebens, sondern Teilnahme- 
gefühle. Sympathische Einfühlung steigert unser Selbst- 
gefühl nur da zur Erhebung, wo uns der erhabene Wert als 
Ideal erscheint. Zur Achtung, zur Bewundenmg gehört 
keinesfalls, daß man sich selbst klein fühlt. Achtung ist eine 
Stimmung, in der das Lustgefühl mehr oder weniger durch 
Ernst gedämpft ist Ein Vergleich der Sache, in die man sich 
in ästhetischer Kontemplation versenkt, mit uns selbst oder 
mit anderen, schädigt höchstens das empfängliche Verhalten. 
Eben deshalb sagt man mit Recht von erhabenen Werken, sie 
seien unvergleichlich groß,ohne allen Vergleich bedeutend. Beim 
Anblick des Unwertes dagegen ist die Beziehung auf leidende 
Wesen kaum auszuschalten. Über dem Grauen vor der 
wütenden Feuersbrunst wird das Menschenleid nicht ver- 
gessen. Im übertragenen Sinn kann Charakterstärke, Bos- 
heit, Leichtsinn, Edelmut, Schwärmerei ungeheuer genannt 
werden. Auch hier sind intellektuelle, sitthche, religiöse Werte 
und Unwerte zu unterscheiden. Hier können wir die ganze 
Reihe der Stimmungen von der Verehrung bis zur Verachtung 
durchlaufen. Bei deren großer Verschiedenheit entstehen 
mannigfache Färbungen des ästhetischen Eindrucks. Sittliche 



sdbvGoogle 



Natüilicbe und überiragene Erhabenheit. 171 

Größe, Opferwilligkeit, Reinheit, Wahrhaftigkeit erhebt, 
Naturgewalten erschüttern, räumliche und zeitliche Unermeß- 
hchkeit, der Anblick des gestirnten Himmels weitet und be- 
ruhigt. Breitet sich über die schwdgende Gebirgswelt 
wolkenloser Tageshimmel, so erfüllt sich unser Gemüt mit 
jener verklärten Freudigkeit, die von Sorgen und Hast eines 
kleinen Daseins nichts mehr weiß. Darum reden wir von er- 
habener Größe, erhabener Stimmung, erhabenem Frieden. 
Alle diese Stimmungen enthalten nichts von Grauen in sich. 
Dies tritt erst bei Unwerten ein. Es ist darum einseitig, 
wenn Burke das Grauenerregende für erhaben erklärt unter 
äer Bedingung, daß wir in Sicherheit seien. 

Eindrücke der Erhabenheit werden durch bunte Mannig- 
faltigkeit gestört. Einfache Gleichförmigkeit ist ihnen wesent> 
lieh. Das unabsehbar einförmige Meer, die lebenentrückten 
Gletscher, das unermeßliche Blau des Hnnmelsgewölbes, 
ihnen mangelt die Fülle der anmutigen Schönheit. Darum 
gewinnen gewaltige Berge und Bauten an Erhabenheit, je 
mehr Einzelheiten sich in, Dämmerung verlieren. Ctoch ist 
wesentlich wichtig, daß die großen und strengen Züge die 
Kleingliederung sicher beherrschen; sie braucht dann nicht 
zu fdilen, sie kann sogar reich sein, wenn sie nur maßvoll 
ist, wie Volkelt mit Recht betont Die erhabene Gestalt als 
Ganzes kann schöngeformt sein und dadurch an ästhetischem 
Wert gewinnen. Das A^tterhom wirkt erhaben, die Jung- 
frau im Bemer Oberland ist von erhabener Schönheit. Häß- 
liche Formen mit Erhabenheit gepaart, gehen ins Barocke 
über. Sofern Sprache und Musik mit der erhabenen Stim- 
mung gesättigt sind, kann ihre Darstellung erhaben heißen, 
nicht aber, Wenn sie versuchen, einen erhabenen Gegenstand 
zu umschreiben, zu schildern. Das gäbe bestenfalls eine 
Darstellung des Erhabenen. Nicht nur von erhabener Schön- 
heit zu reden, hat seinen guten Sinn; auch grauenhafte Schön- 
heit verwirklicht sich in Natur und Kunst und entfesselt 
einen wahren Wettstreit des Gefühls. Grauenhaft sind Shake- 
speares dritter Richard und Holofernes bei Hebbel, weil hier 



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172 Tragik. 

das Ungeheure als eine zerstörende und drohende Macht auf- 
tritt, grauenhaft ist die Schönheit eines Kraterausbnichs, 
grauenhaft schön ist die Medusa, ist die rächerische Medea. 
Scheußlich wird was grauenhaft und häßlich ist, scheußlich 
ist Hefabels Golo, ist die Wunde Philokteis als Ursache ge- 
gewaltigen Sdimerzes. Es ist verständlich, wie sehr es einen 
Künstler reizen mu6, auch Unwerte ästhetisch zu bewältigen. 
Dann aber darf erst recht nichts bloß geschilderter Inhalt 
bleiben, der Unwert muß verformt, bezwungen sein; sonst 
widert er an. Reicher Schmuck differenziert den erhabenen 
Eindruck der Größe zu Prunk und Pracht ; überwiegt 
der schlichte Charakter der Erhabenheit den Aufwand ah 
schmückender Schönheit, so vertärbt sich die Erhabenheit 
zur Feierlichkeit. Ist diese mehr als äußeres Gebaren, so 
läßt sie die würdevolle Gesinnung durchschimmern. Wagners 
König Marke ist würdevoll erhaben; majestätisch der Zeus 
von Otricoli. Religiös durchglutete Erhabenheit ist weihevoll. 
Während wir gestimmt sind, uns vor der Erhabenheit 
zu beugen, flößt uns das Kleine und Winzige herablassendes 
Wohlwollen ein. Selten ist diese Stimmung ohne einen 
Beigeschmack natürlicher Überlegenheit an Kraft der Selbst- 
erhaltung. Goliath verachtet den kleinen David; diese phy- 
sisch-instinktive Wertschätzung wird sich dem Zierlichen 
gegenüber, ethischen Bedenken entgegen, immer wieder als 
Gefühlsgrundlage durchsetzen. Es ist immer nur ein Schritt 
von den zierlichsten Gestalten und Gebärden, von der idyl- 
lischen Situation hinüber ins komisch Drollige. Und audi 
vom Meister der gefälligen Kleinkunst wird immer gelten, 
was man von der Sängerin Catalani gesagt hat: Elle est 
grande dans son genre, mais son genre n'est pas grand. 

Tragik. 

Traurige Ereignisse, wie körperliches und seelisches 
Leiden, schmerzreicher Kampf und Tod, die lebhafte Objekt- 
gefühle und tiefgehende Teilnahme erregen, Ereignisse, in 
denen Wertvolles untergeht, während sein Wert obsiegt, 



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Tragisches Leiden. 173 

wirken für die ästhetische Betrachtung tragisch, weqn sie 
den Eindruck eines unabwendbaren, mit innerer Notwendig- 
keit sich entfaltenden Vorganges machen. Wesentlich ver- 
tieft wird diese Wirkung durch die (nicht unbedingt erforder- 
liche) Verbindung mit dem Erhabenen, das sowohl in dem 
ungemeinen Werte der über alles Leid triumphierenden Idee, 
wie auch in der menschlichen Größe des Dulders (Oidipus, 
Lear) liegen kann. Den extremen Gegensatz zum Tragischen 
bildet das. Gräßliche, wo traurige Ereignisse blind zufällig 
Wertvolles vernichten. Empörend föt ein notwendiges Ver- 
hängnis, das ohne den reinen Triumph des Wertes zerstört, 
was wertvoll ist. 

Nach Aristoteles waltet Tragik in ernsten großen Ereig- 
nissen, die Furcht und Mitleid erregen und von der ursprüng- 
lichen Kleinherzigfceit solch leidenschaftlicher Wirrung reini- 
gen. Für Schelling beginnt Tragik, wo höchstes Leid in hödiste 
Leidüberwindung umschlägt, wo die Not des Schicksals vom 
Willen erhabener Gesinnung überwältigt wird. Nach v. Hart- 
mann steigert sich einseitig leidenschaftliche Begierde zum 
tragischen Konflikt, der, hdisch unlösbar, durch transzendente 
■Lösung erhabenen Ausgang findet. Lipps betont, wie die 
tragische Situation den Persönlichkeitswert der tragischen 
Gestalt fühlend mitzuerleben taugt. 

Nur durch ästhetische Kontemplation wird das Traurige 
tragisch. Deshalb ist Tragik doch nicht auf die Dichtung be- 
schränkt; auch schweres erhabenes Leid in Natur und Ge- 
schichte wirkt tragisch, wenn es Wertvolles trifft und den 
Wert nicht mit in den Untergang reißt. Der Tod des Sokrates, 
das Leiden Christi und aller Märtyrer kann als tragisch be- 
trachtet werden. Das Leiden der tragischen Gestalt braucht 
nicht immer Todesnot zu sein; auch seelische Schmerzen, 
wie sie z. B. über Lear hereinbrechen, können als solche 
schon tragisches Leid sein. Entscheidend für die tragische 
Wirkung ist der Eindruck der Unabwendbarkeit. Glauben 
wir nicht an die Notwendigkeit des tragischen Untergangs, 
so stößt er uns als entsetzlich ab. Daher entstammen tra- 



sdbvGooglc 



174 -Tragik. 

gische Wirkungen eher der hoheii Kunst als der natürlichen 
Wirklichkeit, im Gegensatz zum Eindruck der Erhabenheit 
In der Kunst muß Tragik nach Hebbel wie der Tod als mit 
dem Leben selbst gesetzt, als unumgänglich auftreten. Diese 
Motivierung kann ethisch sein, aber sie braucht es nicht zu 
sein. Die Theorie, als ob Tragik nar möglich ist, wo Schuld 
ihre Sühne findet, ist einseitig. Die Unumgänglichkeit des tra- 
tschen Ausgangs braucht nicht ethische Vergeltung, nicht 
logische Notwendigkeit zu sein, als psychologisch notwendig 
mu6 sie wirken nach einer ungeschriebenen Psychologie der 
Menschenkenntnis. Schuld ist nur eine Art von Vergangen- 
heitsbelastung, die Leid motivieren kann. Nicht Splitter- 
richterei darf über die Schuld des tragischen Helden zu Ge- 
richt sitzen. Spiel und Gegenspiel müssen von fester Über- 
zeugung eigenen Rechtes getragen sein, und der Zuschauer 
muß es mit beiden so fühlen. In den Makkabäern lebt Judah 
in seinem Recht, wenn er sein Volk frei und groß machen 
will, seinem Volke lebt das Recht heiligen Brauches im Blut; 
so durchkreuzt dessen Wille wahrhaft tragisch die Pläne 
seines Heros. So hängt die tragische Kontemplation mit der 
Welt- und Lebensanschauung, mit Ethik und Metaphysik zu- 
sammen. In der Tragik entfaltet die ästhetische Kontem- 
plation ihre höchste Kraft, feiert sie ihren höchsten Triumph. 
Sie wandelt die tiefe Trauer in ernstes Wohlgefallen. Damit 
es möglich sei', das Widerspiel zwischen traurigem Objekts- 
gefühl und dem lauteren Reaktionsgefühl zu überwinden, 
muß die ästhetische Qualität des Kunstwerks überragen. 
Innerhalb der Tragödie wird sogar das Entsetzliche erträg- 
lich, wenn Unwert als^ Quelle des Elends erscheint, wenn 
die gräßlich endende Gestalt gerechte Empörung heraus- 
fordert. Dagegen läßt die blind zerstörende Macht vernichten- 
der Naturgewalt die versöhnende Vergeltung vermissen, die 
den entsetzlichen Untergang Cesare Borgias ästhetisch er- 
träglich macht. Ohne den versöhnenden Sieg des Wertes, 
dessen Held fragisch untergeht, ohne die lösende Vergeltung, 
die den entsetzlichen Menschen zerbricht, wirkt auch eine 



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Tragische Schuld. 175 

Meistertragödie niederdrückend, so die Kunst des Euripides 
oder etwa Ibsens Wildente. Sie verbannen uns aus jedem 
Reich der siegenden Gnade, aus dem Hain des Oidipus 
von Kotonos, in den Bannkreis willkürlicher und bösartiger 
Dämonen.' 

Unter Schaffenden und Kunstfreunden gibt es manche, 
die von der Mitempfindung des Traurigen so sehr über- 
wältigt werden, daß sie der Tragik entsagen und sich gegen 
ihre ästhetisdie Wirkung sträuben. Wiederum gibt es unter 
den großen Meistern ausgeprägte Tragiker, wie Aischylos, 
Hebbel, Michelangelo, Beethoven. 

Komik. 

Harmlose Lösung eines gespannten Interesses durch 
dessen herabstimmenden Umschlag in entgegengesetzte 
Richtung wirkt heiter komisch, wenn beide Glieder des 
Gegensatzes gleich selbständig sind. Der Gegensatz erscheint 
alsdann zufällig, aber doch nicht unmotiviert, als Zusammen- 
treffen unvereinbarer Faktoren. Selbst wiederholter Betrach- 
tung hält er stand, wenn die ursprüngliche Spannung einem 
wirklichen Werte galt. Sind dagegen die ästhetischen An- 
forderungen an den Zusammenhang der Gegensatzglieder 
und an das Interesse dafür nicht erfüllt und tritt an Stelle 
des vermeinten Wertes ein bloßer Unwert» so wirkt die ent- 
springende Heiterkeit nicht einmal mehr witzig sondern 
nur noch läppisch oder abgeschmackt. Ereignet sich aber die 
komische Wirkung an einem sonst erhabenen oder gar tra- 
gisch anmutenden Gegenstand, so entsteht der edle Humor 
oder die Tragikomik. Ästhetisch wohlgefallender Kampf 
gegen Unwerte, geführt mit den Kunstmitteln der Komik, 
siegt durch Karikatur und Satire; ist seine Grundstimmung 
wohlverständliche Empörung, so kann sich die Satire bis 
zum Sarkasmus verschärfen. 

Kant sah das Vergnügen an der Komik als animalische 
Heiterkeit an; ihm ist das Lachen ein Affekt, entspringend 
aus plötzlicher Verwandlung hochgespannter Erwartung in 



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176 Komik. 

Nichts. Hier ist eine Begleiterscheinung der ästhetischen 
HeiterkeiJ auf deren Kosten überschätzt. Schopenhauer führt 
das Lächerhche auf die paradoxe und daher unerwartete 
Subsumtion eines Gegenstandes unter einen ihm übrigens 
heterogenen Begriff zurück, auf die plötzliche Wahrnehmung 
also der Inkongruenz zwischen dem Abstrakten und der An- 
schauung. Seine Erklärung ist viel zu weit. Paradoxa brau- 
chen an sich gar nicht komisch zu wirken. Höchste Feinheit 
der Schmeichelei kann sich als größte Grobheit enthüllen. 
Nadi KÖstlin ist Komik überall, wo Ungereimtheit sich auf- 
löst; ihm ist der heitere harmlosfe Widerspruch komisch, im 
Gegensatz zum ernsten zerstörenden, der ihn tragisch dünkt 
Diese Auffassung ist viel zu logisierend, ebenso wie jene 
Kraepehns, der erklärt, komisch wirke ein unerwarteter in- 
tellektueller Kontrast, der in uns einen Widerstreit ästhe- 
tischer, ethischer und logischer Gefühle zu unserer Lust er- 
wecke. Nach V. Hartmann ist fahrlässig verschuldete Unlogik 
komisch, die, uns zur Lust, ästhetische Genugtuung gewährt 
Hier wird zu einseitig die Komik von Personen betont ähn- 
lich wie bei Groos, der die Grundlage der Komik in der Ver- 
kehrtheit sieht, die wir mit dem Gefühl innerer Überlegen- 
heit betrachten. All diesen Überlegungen liegt zu ausschließ- 
lich das Problem der heiteren Komik, besonders des Witzes 
zugrunde. Der hohe Humor und die fast tragische Komik 
bei Aristophanes oder Molifere bleibt unberücksichtigt. Auf 
diese Fragen hat Hegel eine metaphysische Antwort zu geben 
gesucht Überhorst verwechselt eine Art von Schadenfreude 
mit Komik, wenn er meint i^^ß schlechte Eigenschaften an 
einer Person uns belustigen, wenn wir uns dergleichen nicht 
bewußt sind und keine heftige moralische Unlust in uns auf- 
. steigt. Volkelt betont auch das Überlegenheitsgefühl dessen, 
der sich an Komik freut; es ist dies aber nicht unbedingt er- 
forderiich; auch sind es nicht nur Scheinwerte, die sich in 
Lachen auflösen. Humor vernichtet keinen Wert wenn er 
auch über wertvolle Menschen lächelt Zudem ist Volkelts Be- 
schränkung auf die menschliche Sphäre eine zu enge Fassung. 



sdbvGoOgIc 



Komik und Wert. 177 

I>ie Komik in der Natur läßt sich auf sie nidit einfach zurück- 
führen. 

Wenn wir das Wesen der komischen Modifikation be- 
stimmen wollen, müssen wir von den gegenständlichen 
Grundlagen ausgehen, von der Besonderheit der herrschen- 
den Objekfgefühte. Sie sind allgemein als akute Heiterkeit 
zu umschreiben. So wirken Gegenstände, die zuerst lebhaftes 
Interesse spannen und bald lösen. Das ist auch bei heiteren 
Spielen und Neckereien nicht anders. Der Gegenstand ist 
eindringlich, aber die von ihm ausgehende Spannung erhält 
sidi nicht, sondern sie spaltet sich und wird so entlastet. 
Die heitere Stimmung entzündet sich leicht an harmlosen 
Kontrasten; wenn tiefe, einschneidende, ernsthafte Interessen 
, verletzt werden, entspringt keine leichte Heiterkeit. CMe 
Spaltung und Entspannung des Interesses ist näher Herab- 
stimmung. Einheit des Gegenstandes, gegensätzliche Ridi- 
tung gespaltenen Interesses, Auflösung des Interesses ohne 
tiefe Verletzung, Werterniedrigung des Gegenstandes müssen 
zu komischer Wirkung zusammenstimmen. Wer sich mit 
Recht verletzt fühlt, versteht keinen Spaß. Wenn iJJe erhei- 
ternde Wirkung in Komik übergehen soll, so muß nicht nur 
ästhetisches Verhalten vorausgesetzt werden, sondern auch 
eine ästhetisch befriedigende Qualität des Gegenstandes. Der 
ursprüngliche fesselnde Wert darf sich nur in der niederen 
Komik als ein Scheinwert enthüllen; in der edleren Komik 
muß er trotz einiger Herabstimmung unzerstört standhalten. 
Ein Knabe, der mit Vaters Zylinder stolziert, bringt uns zum 
Lachen, wird aber durch das angemaßte Zeichen der Würde 
nicht moralisch entwertet und verliert auch unsere Sympathie 
nicht. Wäre das Kind aber blödsinnig, so würde nur der ge- 
meine Mensch über das sonst so heitere Bild lachen. 

Daß uns Komik gefällt, hat seinen Grund nicht im 
Lachen. Das Lachen drückt nur aus, daß uns etwas erheitert. 
Es ist offenbar falsch, die tragische , Stimmung mit Weiner- 
lidikeit, das Komische mit dem Lächerlichen zu identifizieren. 
Hegel hat das mit Recht bekämpft. Es lacht auch, wer ge- 

EQIpe, JUthstik. 12 



sdbvGoogIc 



178 Komik. 

kitzelt wird, wer bitter und veräditlich gestimmt ist. Oft 
fühlen wir uns komisch berührt und lachen doch nicht. Humor 
und edle Komik verführen nicht zu schallendem Geprust, 
sondern höchstens zu leisem Lächeln. Laut gelacht wird nur 
bei drastischer Komik. Wie die Tragik so hat auch die 
Komik noch mancherlei Spielarten. Mit Volkelt unterscheidet 
man objektive und subjektive, freiwillige und unfreiwillige 
Komik; femer spricht man von Situationskomik und Cha- 
rakterkomik. Objektive Komik wird vorgefunden, die sub- 
jektive wird gemacht. Man macht Witze. Ausgezeichnet ist 
vor allem das Gdiiet des Humors. Humor kann Komik auch 
an erhabenem Gegenstand finden. Große Humoristen wie 
Dickens erheitern nicht nur, sie erheben auch. Der Träger 
humoristischer Mängel ist oft zugleich bedeutend; sittliche 
Größe in komischer Hülle rührt uns. Ist der komisch belastete 
Mensch zugleich tragische Gestalt, so erschüttert uns sein 
Zwiespalt trotz leisen Lächelns. Cyrano de Bergerac ist tragi- 
komisch. Großen Dichtern wie Hebbel erschien die Trägi- 
komik als höchste ästhetische Modifikation. Nirgend so wie 
im Lachen verrät sich, wie fein und durchgebildet eines Men- 
schen ästhetisches Verhalten ist. I^e Meisterschaft des Hu- 
mors erwirbt nur, wer zur Selbstironie überlegen genug ist 

Wer sich nicht seltisf zum besten haben kann, 

der ist gewiß nicht von den Besten. 

Goethe. 

Literatur; 

Volkelt, Ästhetik des Tragischen. München 1897. 

Lipps, Komik und Humor. Hamburg 1S98. 

Heymans, Ästhetische Untersuchungen. Zeitschrift für Psj'chologie, 
1896, Bd. 11. 

Überhorst, Das Komische. 1896, Bd. 1, 1900, Bd. 2. 

Seidl, Zur Geschichte des Erhabenheitsbegriffes seit Kant 1889. 

Jahn, Das Problem des Komischen in seiner geschiditlichen Entwick- 
lung. Potsdam 1904. 

Hollingworth, Experim. Siudies in Jugdment; Jugdments of the 
Comic Psycho!. Review, Bd. 18, S. 132 ff. 



sdbvGoOgIc 



Ästhetische PrinziiHeii. 179 

Martin, Psychology of Aestbetics, Bd. 1. American Journal of Psydto- 

1(^, Bd. 16. 
Bergson, Le rire. Paris 1900. 
Fecliner, Vorschule der Ästhetik. Leipzig vi 876. 
Köstlin, Ästhetik. Tübingen 1869. 
V. Hartmann, Ästhetik. 2 Bde. Leipzig 18S7. 
Marshatl, Aesthetic princtples. 1895. 

Ouyau, Les probl^mes de I'estb^que oontemporaine. 4. Aufl. 1897. 
Oroos, Einleitung in die Ästhetik. Gießen 1892. 
Lange, Das Wesen der Kunst. 2 Bde. Berlin 1901. 
Cohn, Allgemeine Ästhetik. Leipzig 1901. 
Lipps, Ästhetik. 2 Bde. Hambui^ 1903/06. 
witasek, Crundzfige einer allgemeinen Ästhetik. Leipzig 1904. 
Volkelt, System der Ästhetik. 3 Bde. München 1905/10/14. 
Dessoir, Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Stuttgart 1906. 

— Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft (Bibliographie) seit 
1906. 

Christiansen, Philosophie der Kunst Hanau 1909. 
Croce, Estetica. 3. Aufl. Bari 1909. 
Cohen, Ästhetik des reinen Gefühls. 2 Bde. Berhn 1912. 
Müller-Freientels, P^chologie der Kunst 2 Bde. Leipzig 1912. 
Meumann, Einführung in die Ästhetik der Gegenwart 2. Aufl. 
Leipz^ 1912. 

— System der Ästhetik. Leipzig 1914. 

Utitz, Grundlegung der allgemeinen Kunstwissensctiaft Stuttgart 1914. 



D,s,i,z.dt,C^OOglc 



Sachregister. 



Ablenkung 9. 

Abschluß 140. 

Absicht, kfinstlerische 92. 162. 

Abstufung des Interesses 1^, 156. 

Acadfmie fran^aise 30. 

Achtung 168. 170. 

Adäquate Anschauung 80. 

Adäquate Erfülhmg 61. 

Ähnlichkeit 40. 

Akkord 134. 137. 

Aktiver Fakt« 72. 

Allgemeine Ästhetik 14. 

Amusisch 7. 

Anachronismus 155. 

Analyse der Bedeutungen 61. 

Angenehm, Annehmlichkeit 14. 18. 

Animismus 167. 

Anmut 18. 28. 42. 166ff. 

Anschaulich, Anschaulichkeit 7. 

Ö8ff. 
Anthropomorphismus 97. 103. 167. 
Apodiktisch 1J9. 
Apperzeption, ästhetische 90. 95. 
Apperzeption, beseelende 102. 
Aristotetismus 27. 
Ars poetica 19. 27. 30. 
Assoziation 34f. 39. 44f. 99. 
Assoziativer Faktor 42. 45. 58. 72. 

80. 91. 143. 
Ästhet 7. 12. 87. 
Aufbau 156. 
Auffassung 117. 
Ausdruck 13. 90. 96. 107. 157. 
Ausdrucksmethode 56. 
Ausgang, tragischer 173. 



Auslese 92. 
Ausschnitt 156. 
Auswahl 156. 

Barock 171. 
Baulnuist 19. 
Beobachtung 54 f. 
Bereitschaft 85. 87.' 
Beschaffenheit, merklidie 8. 71. 151. 
Beschleimigung 146 f. 
Beschränkung 15. 30. 
Beseelung u. ä. 84. lOZ 
Betrachtung, ästhetische 14. 
BetrachtungsgenuB 116. 
Beurteilung 116. 
Bewunderung 168. 
Bewufltheit 70f. 
BewuStseinslage 70. 
Bewußtseinszustand 15. 
Bildschärfe 157. 
Brauchbarkeit 14. 
Bflhnenaus Wirkung 126. 
Burleske 168. 

Charakter 105. 129. 
Charakterkomik 178. 
Crescendo 143. 

Decrescendo 143. 

Dedukti<Mi, deduktiv 63. 

Deduktive Methode 60. 

Degenerationsmerkmal 126. 

De gustibus non est disputandum 

2. 120. 
Direkter Fakte» 45. 72. 91. 150. 

151. 154. 



sdbvGoOgIc 



134. 

Dissoziation 125. 
Distanz 102. 
Drollig 172. 
Duit 14. 
Dur 138. 141. 
Durakkord 137. 

Ebenmaß 13. 14. 20. 24. 34. 
Eigoiwert 52. 117. 
Eindruck 55. 84. 112. 
Eindrucksmetiiode 55. , 
Eindrucksurteil 119. 
Einengung 86. 
Einfachheit 36. 160ff. 
Einfall 125. 
Einfärmigkeit 35. 41. 
Einfühlung 80. 85. 94ff. 

— abstrakte 100. 

— einfache 94. 

— konkrete 100. 

— n^ative 97, 

— positive 97. 

— symtmlische 97. 

— sympathische 94. 99. 107. 170. 
Einfühlungstheorie 26. 

Einheit 16. 33. 152. 154. 

— in der Mannigfaltigkeit u. ä. 
33. 41. 44. 45. 140. 

Einseitigkeit 81. 

Einsfühhing 97. 99. 106. 

Einstellung, ästhetische 85ff. 

Einzelwissenschaft 47. 

Element 41. 

Emotionaler Faktor 12. 89. 

Empfänglidikeit 1. 6. 34. 38. 122f. 

124. 
Empfindungsqualität 128. 
Empörend 173. 
Entsetzlich 173f. 
Erhaben, Erhabenheit 6. 23. 30. 37. 

41. 168 ff. 
Erinnerungswissen 68. 



Erkenntnistheoretisch 79. 

Emstgefühl 108. 

Ernsthaftes Interesse 177. 

Erwartung 175. 

Erziehung, ästhetische u. ä. 4. 10. 

123. 
Ethnologische Methode 50. 
Experiment 55. 
Experimentelle Ästhetik 44. 

— Methoden 55. 

— Psychologie 44. 

Farbe 128. 
Farbencharakter 129. 
Farbenharmonie 118. 
FarbenkcHubination 129 f. 
Farbenreinheit 113. 
Feieriichkeit 172. 
Feile. Feitung 19. 126. 
Femsinne 73. 
Forderungscharakter 117. 
Form 25. 

Formalästhetik 164. 
Formalismus 26. 
Fragelx^en 60 f. 
Freiheit des Küns^rs 163. 
Fremdwert 52. 
Fuge (a) 144. 
Fülle 158 ff. 
Futurismus 81. 

Ganzes 16. 

Gebäide 166ff. 

Gedanken 60. 71. 86. 

Gefallen 6. llOff. 163. 

Gefühl 30. 34. 51. 74. 115. 

Oefühlscharaktcr 105. 

Oegensinnig 165. 

Gegenspiel 174. 

G^enstand, ästhetischer 7. 11. 63. 

67ff. 104, 
Oegenstandsbewufltsem 63. 72. 63. 
Gegenstandsdurchbikhmg 91. 



sdbvGoOgIc 



182 Sadir 

Gegenwart, ideale 39. 
Oehalt 18. 23. 74. 
„Oeltung" der Töne 132, 143. 
Gemütsbewegung 37. 
Genetische Methode 60. 
Genie 26. 31. 124ff. 
Genugtuung, ästhetische 176. 
Genuß, ästhetischer 20. 115. 
Gerechtigkeit, ästhetisdie 109. 
Genich 73 (vgl. Duft). 
Geschmack 1. 33. 36. 
Geschmacksurteil 4. 38. 40. 116. 

110. 
Geselligkeit 167. 
Oeselligkeitstrieb 37. 
Gestalt 25. 31. 
Gestaltlos 21. 
Gestaltwahmehraung 150. 
Gewöhnung 45. 

Glanz, glänzend 14. 34. 37. 41. 45. 
Gleichheit 34. 
Gleidisinnig 165. 
Goldener Schnitt 130. 
Grade der Empfänglichkeit 1. 
Grauen 170ff. 
Grenzen der Individualität u. ä. 

106f. 
Größe 23. 41. 168ff. 173. 
Gnutdbedürfnis 51. 
Orundton (Farbe) 130. 

Hannonie (ästhetische), harmo- 
nisch 19. 33. 40. 113. 

— metaphysische 13. 21. 

— (musikalische), hamionisch 21. 
Harmonielehre 18. 
Häßlichkeit 163. 166. 
Hauptthema 153. 
Heiteriteit 175. 177. 
Held, tragischer 174. 
Helldunkel 118, 157. 
Herabstimmimg 177. 
Herstellungsmettiode 56. 



Hilfe, ästhetische 44. 
Historische Methode 60. 

Treue 83. 
Humor 175. 

Ideal u. ä. 9. 17. 102. 167. 170. 
Ideales Objekt 62. 
Idealwissenschaft 10. 12. 47. 
Idee (antik) 14. 19. 21. 22. 77. 
173. 
- (engtisch) 32. 34. 
Illusion 91. 
Imagines 19. 

Lmpressicmismus 81. 162. 
Individualität 106f. 
Individualpsydtologie 87^ 
Individuelle Unterschiede 112. 
Induktioa, induldiv 54. 63. 
Innigkeit 104. 
Inspiration 14. 19. 124. 
Institutio oratoria 19. 
Intellektueller Faktor 89. 124. ' 
Interesse 7. 92. 151«. 177. 
Interessenabstufung 153. 156. 
Interpretation 93. 
Intervall 131. 134f. 
Intuition 64. 
Irrealität 72. 

Kanon, kancMiisch 13. 28. 
Karikatur 175. 
Katharsis 17. 113. 
Klangfarbe 135f. 141. 
Klangverwandtsdiaft 137. 
lOarheit 25. 30. 44. 156ff. 
Klassisdi 115, 
K]asslzi»nus 30. 
Kleinkunst 172. 
K<»nik, komisdi 175ff. 
Kommentar 118. 
Komödie 16. , 
Komplementärfarben 129 f. 
Konsonanz 133f. 



sdbvGoOgIc 



Kontaktsinne 73. 

Kontemplation, ästhetisches. 81. 84. 

89ff. 104. ITO. 
Kontrast 45. 156. 157. 163. 177. 
K<Hizentration, ästhetische 98. 
Kritik 19- 38. 51. 
Kultur, ästhetisdie 50. 
Kunst 6. 
Kunstart 13. 16. 
Kunstgeschichte 60. 
Kunstlehre 17. 
Kunsttheorie 12. 18. 27. 
Kunstweric 52. 56. 

Lachen 175. 177. 

Laokoon 161. 

Läppisch 175. 

Legato 143. 

Leibhaftige Bewu6theit 71. 

Linie, groBe 118. 

Lösung 173. 

Lust, ästhetische 112. 

Haimigfaltigkeit 36 (vgl. Einheit in 

der M.). 
Manierismus 1^. 
Maßeinheit 19. 
Materie 22. 25. 
Material 93. 
Materialechtheit 14. 
Menuett 163. 
Merkliche Beschaffenheit 8. 71. 

I5L 
Metaphysik, metaphysisch 43. 47. 

52. 
Mimesis 16. 29. 
Mißfalten 8. llOff. 163. 
Miterieben 96. 99. 113. 154. 
Modifikationen, ästhetische 111. 

163ff. 
Moll 138. 141. 
Mollakkord 137. 
Motiv 141. 



lister. 183 

Motivierung 174. 
Musik 132ff. 
Musiktheorie 18. 

Nachahmung 15. 20. 96. 98. 161. 
— der Natur 30. 31. 83. 
Nachbildung 16. 
Natur 30. 41. 79. 157. 
Naturalismus 81. 157. 161. 
Naturgemälde 156. 
NatOriichkeit I60ff. 
Naturphotogramm 156. 
Neben werte 57, 
Norm 2. 10. 50. 51. 
Normative Ästhetik 10. 
Normwissenschaft 48. 
Notwendigkeit 173f. 

Oberton 135. 
Objektive Ästhetik 50. 
Objekts^efiUile 164ff. 177. 
Oktave 133. 
Ordnung 24. 41. 
Organempfindungen 102. 

Paradox 176. 

Pathos 23. 

Pause 144. ^ 

Pensieroeo 106. 

PeFSonifikati<»i 100. 

Persönlichkeit 33. 

Perspektive 28. 

Phänom enologie, phänom enotogisch 

47. 48. 
Phänom energische Methode 61 ff. 
Phantasie 19. 28. 32. 42. 124. 
Phantasiegefühl 108. 
Phasen 58. 
Philosophie 47. 
Phrasierung 147. 
Plein-air 162. 
Plumpheit 168. 
Poetik 17. 27. 29. 



sdbvGoOgIc 



184 Sadir 

Pracht 172. 

Prinzipien % 44f. 52. 121. 128ff. 

151 ff. 
Prodiiktioa, produktiv 76. 123ff. 
Programmusik 161. 
Projektion 97. 
Proportion, Proportionalität 14. 19. 

28. 34. 113. 
Prüfung 116H. 
Prunk 172. 

Pseudodiromästhesie Qt. 
Psychologie 12. 47. 48. 40. 
Psychologische Analyse 26. 32. 49. 
— Ästhetik 50. 



Rahmen 152. 

Rangordnung der Künste 28. 

Rapport (nach Diderot) 31. 

Raum Verhältnisse 130. 

Reaktionsgefühl 110. 

Realisierung, psychologische 48. 

Realismus, transzendentaler 77. 

Realität 72. 

Rede 32. 

Regelmäßigkeit 155. 

Reihemnetbode 55 ff. 

Reiz 76. 

Relativer Faktor 72. 80. 150. 154. 

Renaissance 27. 

Reprise 146. 

Reproduktion, reproduzieren 32. 

42. 95. 
Rezitativ 146. 
Rhythmik 18. 

Rhythmus 131. 139. 147. 149. 
Rigorismus 15. 
Rubato 146. 
Rührung 111. 

Sammebi von Beobachtungen 55. 
Sarkasmus ITO. 
SaHre 175. 



Schaffenskraft 4. 

Schein 15. 77. 8t. 84. 

Scheingefühl 77ff. 81. 

Schnitt, goldener 130. 

SchluBakkoid 14X 

Schönheit 6. 24.: 34. 52f. 163. 169. 

— geistige 14. 15. 20. 22. ' 

Sdiuld, tragische 174. 

Schwebung 131. 

Schwelle, ästhetische 44. 

Schwulst 23. 

Seele 22. 

Sekundäre Qualitäten 32. 41. 119. 

Selbstbeobachtung 58. 

Selbsterhaltungstrieb 37. 

Selbstgefühl 170. 

Selbstironie 178. 

Sfumato 118. 157. 

Sieg des Wertes 174. 

Sinne 14. 38. 73. 75. 157. 

Sinnliche GröBe 170. 

Smniiches Heal 167. 

Situationskomik 178. 

Spezielle Ästhetik 18. 

Spiel 15. 125. 174. 

Spielraum für individuelle Neigun- 
gen 118. 

Staccato 143. 

Stärke 141 f. 

Stil 17. 

Stilart 118. 

Stirn mungseinfühlung 94. 105. 

Stimmungsfärbung 165. 

Stimmungsgehalt 138. 

Stoffwahl 125. 

Subjektivismus 2. 

Sühne 174. 

Symbol 69. 10t. 104. 

Symbolischer Faktor 72. 

Symbolismus 81. 

Symmetrie, symmetrisdi 14. 15. 
19. 20. 113. 145. 

Synästhesie, ästhetische 75. 



sdbvGoOgIc 



Sadm^ister. 



Takt 148. 

Tasteindnick 128. 

Technik 1, 11. 13. 28. 81. 115. 

Thema (musikalisches) 145. 

Teilnahme 81. 113. 154. 

Teitnahmegefßhl HÖH. 

Tempo 145 tt. 155. 

Teleologischer Faktor 72. 

Tertiäre Qualitäten 119. 

Tiefe 158 ff. 

Ton 128. 

Tonhöhe 13. 132. 

Tonika 140. 

Tooleiter 133. 141. 

Torsystem 133. 

Totalreaktioa 112. 

Tragik, tragisch 172ff. 

Tragikomik, tragik<Hntsch 175. 178. 

Tragödie 16. 

Transponieren 132. 

Triumphierende Idee 173. 

Tücke des Objekts IfiO. 



Dberlegenheit 176. 
Übersichtlichkeit 15. 16. 
Dbung 45. 
Unanschaulich 63ff. 
UnbewuBter Faktor 124. 
Unfreiwillige Komik 178. 
Ungeheuer (groß) 15. 170. 172. 
Ungeteilte Beschäftigung 8. 
Ungemein (groß) 169. 
Ungereimtheit 176. 
UniversalHät 81. 86. 
Universalgenie 124. 
Unlust, ästhetische 112. 
Unmittelbarkeit 69. 
Unterhaltung 52. 
Unterschiedsempfindlichkeit 133. 
Unwert 169 H. 

Urteil, ästhetisches 7. 11. 116. Il7. 
Ut iMctura pocsis 19. 29. 71. 161. 



Variation, variabel 55f. 59. 
Verachtung 170. 
Verehrung 168. 170. 
Verg^enwärtigung (psydiisdie) 

102. 
Vergeltung 174. 
Vet^gleichung 55. 
Vergleidieude Methoden 57. 59. 
Veiiialten, ästhetisdies 4. 9. 11. 48. 

50. 52: 53. 71. 113. 
Verhaltnisse, edle 24 <vgl. Ptopot- 

tion). 
VerfaähnismäBigkeit 41. 
Veriangsamung 146. 
Vernunft 30. 
Verschmelzung 134 ff. 
Versöhnend 174. 
Verständigung 117. 
Verständnis 90. 93. 96. 113. 
Verständnisnrteil 118. 
Verstimmung 135. 
Versuch^}erson 55. 
Verzeichnung 79. 
Virtuosität lÄ. 
V<Aale 136. 

VoUkcHnmenheit 13. 'S. 
Vorbild 123. 
Vorstellung 76. 103. 

Wahl 36. 55. 57. 

Wahnsinn 126. 

Wahrheit 30. 44. 155. 

Weihevoll 172. 

Wert, ästhetischer 4. 52f. 103. 

114. 116. 168ff. 
— auSerästhetischer 108. 
Wertisthetik 12. 
Wertausgleichung 162 f. 
Wertemiedrigung 177. 
Werlgefiajl llOf. 165. 
Wertmaßstab 116f. 
Wertschätzung 39. 
WertQbertragung 42. I62f. 



sdbvGoOgIc 



Wertung 116ff. 
Werturteil 17. 51. 121. 
Wertwissenschaft 50. 53. 
Wesensgesetzlidikeit 64. 
Wesentliches Sdiicksal 17. 
WiedertwliHig 37. 145. 156. 158. 
Widetschein 25. 
Widerspruch {ästhetischer) 154- 

176. 
Winzig, \nnzigkeit 15. 169. 172. 
mrfcung, isthetische 54. 58. 73. 79. 

92. 100. 113. in. 121. I28ff. 
WJrfcungsakzent 105. 



nassen 68. 
Witz 175 ff. 
Wohlgeordnetheit 15. 
Würde, würdevoll 13. 42. 172. 

Z^tvariatlon 56f. 99. 
2^ttvertiältnisse 130. 
ZierUdt 172. 

Zusammengehörigkeit 154ff. 
Zusammoihaiig 26. 
Zusammenstimmuiig 20. 
Zustand, ästhetisdier 11. 83 ff. 
ZweckmSeigkeit 14. 18. 36. 



sdbvGoOgIc 



Namenregister. 



Ach 70. 

Addis«! 32. 

Aischylos 175. 

Alberti 27. 

Alistm 42f. 

V. AUesch 80. 

Andrea del Sarto 168. 

Apollooios von Tyana 19. 

Aristides Quintilianus 18. 

Aristophanes 176. 

Aristoteles 15ff. 27. 30. 112. 113. 

173. 
Aristoxenofi 18. 
Augustinus 24. 

Baker 56. 128 f. 

Batteux 31. 

Beethoven 101. 106. ifS. 138. 13Q. 

149. 175. 
Böcklin 118. 158. 
Boiteau 29. 30. 
BoH<» 130. 
Bouhours 30. 
BotticelU 153. 167. 
Brahms 138. 141. 
Bray 73 f. 
Bühler 150. 
BuHough 106. 
Burke 36f. 171. 

Calkins, Mary 54f. 

Catalani 172. 

Cennini 27. 

Cicero 18. 27. 

Cohn 56. 68f. 116. 1281. 



Conrad 62f. 

Coireggio 153. 155. 167. 

Coraelius 50. 

Demokritos 13. 

I>escartes 30. 

[Hckens 178. 

Diderot 31. 

aithey 38. 60. 

Dimiysios von Halikamass 18. 

Dolce, Lodovico 28. 

Dubos 30. 

Dürer 28. 166. 

Dyroff 13. 

Eidiendorff 168. 
Euripides 175. 

Fechner 43 ff. 54ff. 72. 

16Z 
Feuerbach 118. 
Flavius Pbilostratus 19. 
Franda 153. 

Oebhardt 155. 
Geiger 63f. 97. 105. 10 
Goethe 21. US, 125. 1' 
Oroos 74. 77. 80. 96. 113 
Grosse 50. 60. 
GozzoU 153. 

Hals, Frans 105. ' 

V. Hartmann 73. 77 ff. 

176. 
Hauptmann 154. 155. 



sdbvGoOgIc 



Haydit 142. 

Hebbel 114. 160. 171. 172. 174f, 

178. 
Hegel 23. 43. 73. 169. 176. 177, 
Herder 96. 
Hogarth 36. 
Home 3SH. 45. 167. 
Horai 19. 27. 29. 30. 71. , 
Hume 32. 36. 38. 
Husserl 48. 
Hutcheson 33 f. 41. 

Ibsen 175. 

Jaspers 71. 

Jean Paul (Itiditer) 96. 

Kästner 129. 1311. 

Kant 38. 43. 68. 113. 160. 169. 175. 

Knieger 131. 

Köstlin 169. 176. 

Kraepelin 176. 

Lalo 73. 

Lange 77. '84. 

Leibniz 26. 

Lenbach 153. 

Lessing 28. 38. 40. 16t. 167. 

Liditwark 92. 

Liebmann 73. 

Lionardo (da Vind) 28. 118. 157. 

Lipps 94ff. 113. 173. 

Locke 32. 119. 

Longin 23. 29. 

Löwe 59. 

Lotze 96. 

Hajor 56. 128. 

Malherbe 30. 

Marbe 70. 

Martin, LiUien 56. 75. 91. 

Meumann 50. 99. 

Meyer 68. 



Midielangek) (Buonarotti) 106. 115. 

156. 175. 
NlolihK 176. 
Mozart 168. 
Murillo 15?. 

Novalis 96. 

Opitz 29. 

Piaton 14f. 30. 
Plotinos 20f{. 33. 
Potter 157. 
Preyer 128. 
Proklos 23. 
Pythagoras 13. 

<luintjlian Id. 27. 

Baffael (Sanzio) 104. 155. 156. 167. 

Rembrandf 118. 

Reni, Ouido 168. 

Ribot 74. 1241. 

Ritook 91. 92. 

Roesint 168. 

Rubens 168. 

Ruysdael 156. 

Scaliger 29. 

SchelUng 23. 43. 173. 

Schiller 43. 5t. 166. 167. 

Schlegel, August Wilhelm 96. 

Schopenhauer 43. 169. 176. , 

Sdnibert 59. 

Sdiultze 105. 

Segal 49, 56. 

Scgantini 115. 

Shaftesbury 32f. 

Shake^Kare 33. 115. 155. 171. 

Sokrates 14. 173. 

Stern 99. 

Stumpf 131. 



sdbvGoOgIc 



Namenregister. 



Taine 31. 60. 
Terenz 110. 

Thomas von Aquino 25. 
Tizian (Vecellio) 153. 

Oberhorst 176. 

Taihinger 108. 

Vasari 28. 

Ve^il 29. 161. 

Vida 29. 

Visdier, Friedridi Theodor 96. 160. 

— Robert 96. 

Vitrav 19. 27. 

Voll 5ft 



Volkelt 51. 69. 74. 97. llOf. ift'ff 

176. 178. 
Volkmann 50. 59. 

Waetzold 50. 

Wapier 115. 141. 143. IS 

172. ^ 
Wallaschek 146. 
Watteau 168. 
Witmer 56. 
Wimdt 50. 74. 137. 

Xenophon 14. 

Zelter 59. 



sdbvGoOgIc 



Oswald Külpes 
veröffentlichte Schriften zur Ästhetik. 

(Auszi^ aus der bibliographischen Zusammenstellung von.Oemens 

Baeumher imd Karl ßübler im Jahrbuch der Bayerischen Akademie 

der Wissenschaften zu München, 1916.) 

1. Ober Richard Wagners Kunsttheorie. Beilage zur Allgemeinen 
Zeitung, 1896, Nr. 4, 5. 

2. Ober den assoziativen Faktor des ästhetischen Eindrucks. Viertel- 
jahrsschrift fiir wissenschaftliche Philost^hiej 1899, Bd. 23, 
S. 145-183. 

3. Die ästhetische Gerechtigkeit. Preußische Jahrbflcher, 1899, Bd. 98, 
S. 264—293. 

4. Rezenskn von K. Groos: Der ästhetische GenuB. Göttingische 
gelehrte Anzeigen, 1902, S. 896—919. 

5. The Conception and Classification of Art from a Psychological 
Standpoint University of Torwito Studies. Psychological Scries, 
1902, Bd. 2. 

6. Ein Beitrag zur experimentellen Ästhetik. American Journal of 
Psydrology, 1903, Bd. 14, S. 215—231 (479-495. 

7. Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik. Bericht 
über den II. KCHigreB für experimentelle Psychologie in WQrzburg 
1906 (Leipzig 1907), S. 1—57. 

8. Ober ästhetische Erziehung. Baltisdie Frauenzeitung, Dezember 
1907. 

9. Die experimentelle Ästhetik. Die Grenzbotea, 1912, Bd. 71, S. 456 
bis 466. 

10. Ernst Meumann und die Ästhetik. Zeitschrift fOr pädagogische ' 
Psychokigie und experimentelle Pädagogik, 1915, Bd. 16, S. 232 
bis 238; 

vgl.: Antwort. Ebenda, 1916, Bd. 17, S. 169—170. 
und: Zur Richtigstellung. Archiv für die gesamte Psydiologie, 
1916, Bd. 35, S. 155. 

Außerdem ist zu nennen die Schrift: 
Anfinge psychologischer Ästhetik bei den Griechen. Philosophische 
Abhandlungen, Max Heinze zum 70. Geburtstage gewidmet. Berlin 



Drnck von CiimiDe & TrSnet In Lelpll£. 



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