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Full text of "Grundriss der allgemeinen chemie"

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HARVARD   COLLEGE 
LIBRARY 


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FARRAR  FUND 

The  («gtiMt  oj  Mrs,  Eliza  Farrar  in 
menwry  ofher  husband^  John  Fafrar, 
HoUit  Pnfeswr  cf  Mfähematiei, 
ÄHronomy  and  Natural  Pküotophy, 
1807"18Se 


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GRUNDRISS 

DER 


ALLGEMEINEN  CHEMIE 


VON 


W.  OSTWALD 


MIT  57  TEXTFIGUREN 


i  DRITTE,  UMGEARBEITETE  AUFLAGE 


LEIPZIG 

YERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN 


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1899. 


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Alle  Rechte,  besonders  das  der  Übersetzung  vorbehalten. 


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DER  ERINNERUNG 


AN 


LOTHAR  MEYER 

(t  1895) 


GEWIDMET. 


Vorbericht 


«na 


Die  erste  Auflage  dieses  Buches  wurde  zu  einer  Zeit  (1889)  her- 
ormmhAn — alfiL  die  firefireuwärtiffe  grosse  und  mannigfaltige  Entwickelung 


Berlchtigangen. 

S.  3,  Z.  4  V.  u.  lies  das  Doppelte  der  Energie  statt  die  Hälfte  der 
Energie. 

S.  217,  Z.  18  y.  o.  ist  das  ;  durch  ,  zu  ersetzen. 

S.  244,  Z.  12  u.  13  V.  o.  lies  Laar  statt  van  Laar. 

S.  260,  Z.  6  V.  0.  lies  V«  Min.  statt  V»  Sek. 

S.  324,  Z.  20  V.  u.  lies  Phasengesetz  statt  Phasenregel. 


ordentlich  mannigtaltige  Autgaoe  enisianaen,  uie  gewuuiieutju  rLiusiuitu;!  m  ou 
den  Gebieten  zur  Anwendung  zu  bringen,  auf  deren  Gestaltung  die  Chemie 
einen  Einfluss  hat.  Nicht  nur  etwa  die  chemische  Technik  und  die  analy- 
tische Chemie  erfahren  oder  erwarten  eine  Umwandlung  durch  die  neuen 
Gedanken,  sondern  auch  weiter  abliegende  Gebiete,  vor  allen  das  der 
Physiologie,  stehen  am  Anfange  einer  folgenreichen  Entwickelung  und 
Umgestaltung  durch  die  Anwendung  der  Fortschritte  der  allgemeinen 
oder  rationellen  Chemie. 

Die  fortdauernde  Nachfrage  nach  dem  „Grundriss'*,  auch  nachdem 
die  zweite  Auflage  längst  vergriffen  war,  hat  mich  überzeugt,  dass  das 
in  anderer  Absicht  geschriebene  Buch  auch  dem  neuen  Bedürfnis  in  einem 
gewissen  Sinne  genügen  könnte,  und  ich  habe  deshalb  die  Aufgabe  einer 


VI  Vorbericht. 

vollständigen  Umarbeitung  des  Buches  nicht  gescheut,  um  es  der  in- 
zwischen erfolgten  Entwickelung  der  allgemeinen  Chemie  entsprechend  zu 
gestalten.  Es  erwies  sich,  dass  zwar  die  Anordnung  des  StojQfes  im 
wesentlichen  beibehalten  werden  durfte,  dass  aber  der  Inhalt  nicht  nur 
zu  bearbeiten,  sondern  vielfach  ganz  neu  zu  gestalten  war.  Es  ist  also 
zum  grössten  Teil  ein  neues  Buch,  das  sich  in  dem  alten  Gewände  dar- 
stellt. Unverändert  ist  sein  Zweck  geblieben,  Anfängern,  die  sich  durch 
ernsthaftes  Studium  mit  den  Gesetzen  der  allgemeinen  Chemie  vertraut 
machen  wollen,  ein  möglichst  zuverlässiger  und  klarer  Führer  zu  sein. 
Durch  die  Herausarbeitung  der  Hauptsachen,  unter  Fortlassung  allen 
entbehrlichen  Beiwerkes  hoffe  ich  den  Weg  gefunden  zu  haben,  auch 
denen  behilflich  zu  smn,  welche  sich  mit  diesen  Gesetzen  zum  Zwecke 
der  Anwendung  in  besonderen  Gebieten  bekannt  machen  wollen. 

Als  entbehrliches  Beiwerk  habe  ich  insbesondere  auch  die  hypothe- 
tischen Bilder  angesehen,  von  denen  unsere  Wissenschaft  noch  immer 
einen  viel  zu  ausgedehnten  und  vertrauensvollen  Gebrauch  macht.  Hier 
war  an  vielen  Stellen  Arbeit  zu  thun.  Die  Absonderung  der  stöchio- 
metrischen  Grundgesetze  von  der  Schale  der  Atomhypothese  war  nicht 
schwer;  sie  ist  ja  auch  schon  fiüher  ausgeführt  worden.  Schwieriger 
war  bereits  die  gleiche  Operation  an  der  Molekularhypothese;  durch  die 
in  diesem  Buche  gegebene  Ableitung  des  entsprechenden  Begriffes  des 
^Normalgewichtes"  aus  den  experimentellen  Grundlagen  allein  hoffe  ich 
der  Lehre  der  Wissenschaft,  wie  ich  sie  verstehe,  einen  kleinen  Dienst 
erwiesen  zu  haben.  Das  gleiche  Bestreben  wird  man  an  manchen  anderen 
Teilen  dieses  Buches  wahrnehmen.  Wenn  auch  zugegeben  werden  muss,  dasa 
in  dieser  Richtung  noch  bei  weitem  nicht  alles  geschehen  ist,  was  hätte 
geschehen  können,  so  war  doch  andererseits  in  Rücksicht  auf  die  not- 
wendige Stetigk.it  der  geschichtlichen  Entwickelung  eine  gewisse  Zurück- 
haltung geboten. 

Ein  anderer  Schritt,  dessen  Ausfuhrung  nur  eine  Frage  der  Zeit 
war,  ist  die  Durchführung  des  einheitlichen  Masssystems  in  allen  Gebieten^ 
insbesondere  auch  in  der  Wärmelehre.  Man  wird  sich  hier  überzeugen, 
können,  wie  sehr  die  Rechnungen,  in  denen  Zahlen  aus  verschiedenen 
Gebieten  benutzt  werden,  durch  die  ausschliessliche  Anwendung  der 
cm-g-sec-Einheiten  erleichtert  werden.  Auch  hoffe  ich,  dass  sich  die  ge- 
troffene Wahl  des  Joule  und  Kilojoule  als  praktischer  Wärmeeinheiten 
durch  die  Handlichkdt  der  Zahlen  rechtfertigen  und  dass  demnach  die 
allgemeine  Verwendung  dieser  Einheiten  sich  bald  einbürgern  wird. 


Vorbericht.  VII 

Eliner  Eigentümlichkeit  des  Buches,  die  mir  zuweilen  von  Freunden 
tadelnd  bezeichnet  worden  ist,  habe  ich  nicht  abzuhelfen  gewusst.  Es 
ist  der  Umstand,  dass  oft  wichtige  Dinge  in  wenigen  Zeilen  hingestellt 
und  erledigt  werden.  Der  Tadel  bezog  sich  auf  ein  Zuviel  des  Inhaltes 
in  einem  Zuwenig  von  Worten  und  nahm  gelegentlich  die  anschauliche 
Form  an:  „Von  Fleischextrakt  kann  man  nicht  leben!'*  Ich  habe  dar- 
auf nur  erwidern  können,  dass  man  allerdings  von  Fleischextrakt  nicht 
lebt,  dass  aber  die  tägliche  Suppe  durch  eine  angemessene  Dosis  davon 
sehr  verbessert  werden  kann.  Wenn  mein  Buch  in  solchem  Sinne 
wirken  könnte,  dass  es  die  wissenschaftliche  Assimilation  der  alltägliclien 
Chemie  befördert,  die  Auihahmefähigkeit  des  Organismus  steigert  und  den 
Nutzungskoeffizienten  der  aufgewendeten  Energie  vergrössert,  so  würde 
ich  die  Zeit,  welche  ich  für  seine  Herstellung  der  experimentellen 
Forschung  entziehen  musste,  nicht  als  einen  Verlust,  sondern  als  einen 
grossen  Gewinn  ansehen. 

Schliesslich  soll  nicht  unterlassen  werden,  den  Herren  Luther, 
Böttcher  und  Brauer,  welche  mir  beim  Lesen  der  Korrekturen  auf 
das  gewissenhafteste  geholfen  und  mir  zahlreiche  nützliche  Bemerkungen 
gemacht  haben,  warmen  Dank  zu  sagen. 

Leipzig,  31.  Juli  1899. 

W.  Ostwald. 


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Inhalt. 


Erster  Teil.     Stöchiometrie. 

Erstes  Bueh.    Massen  Verhältnisse  chemischer  Yerbindung-en. 

Erstes  Kapitel.    Die  Grundgesetze  S.  1 — 12. 

Stoffe  und  ihre  Eigenschaften  1.  Erfahrung  und  Induktion  2.  Che- 
mische Vorgänge  2.  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse  3.  Definition 
der  Masse  3.  Bewegungsenergie;  ihre  Einheit  ist  das  Erg  4.  Erhaltung 
des  Gewichts  4.  Proportionalität  von  Masse  und  Gewicht  5.  Kraft  5.  Er- 
haltung der  Energie  6.  Gesetz  der  konstanten  Verbindungsverhältnisse  6. 
Elemente  7.  Gesetz  der  multiplen  Verbindungsverhältnisse  8,  der  Ver- 
bindungsgewichte 9.    Atomhypothese  10. 

Zweites  Kapitel.    Die  Elemente  12 — 14. 

Begriff  eines  Elementes  12.  Verzeichnis  der  bekannten  Elemente; 
Symbole  ffir  diese  13.     Chemische  Formeln  14. 

Drittes  Kapitel.    Die  Verbindungsgewichte  14 — 40. 

Geschichtliches  14;  Bezugselement  16.  Verbindungsgewicht  von  Wasserstoff 
17;  Chlor,  Kalium  und  Silber  19;  Schwefel  20;  Stickstoff  21;  Aluminium  21; 
Antimon,  Argon  22;  Arsen,  Baryum,  Beryllium,  Blei,  Bor  23;  Brom,  Cäsium, 
Kadmium,  Calcium  24;  Cerium,  Chlor,  Chrom  25;  Didym  (Praseodym  und 
Neodym),  Eisen  26 ;  Erbium,  Fluor,  Gadolinium,  Gallium,  Germanium,  Gold  27; 
Helium,  Indium,  Iridium,  Jod,  Kalium  28;  Kohlenstoff,  Kypton,  Kupfer  29 
Lanthan,  Lithium,  Magnesium  30;  Mangan,  Molybdän,  Natrium  31;  Neon, 
Nickel,  Niobium,  Osmium,  Palladium,  Phosphor  32;  Platin,  Quecksilber 
Rhodium,  Rubidium,  Ruthenium  33;  Samarium,  Scandium,  Schwefel,  Selen, 
Silber  34;  Silicium,  Stickstoff  35;  Strontium,  Tantal,  Tellur  36;  Thallium, 
Thorium,  Thulium,  Titan,  Uran  37;  Vanadium,  Wismut,  Wolfram,  Xenon, 
Ytterbium  38;  Yttrium,  Zink,  Zinn,  Zirkonium  39.  Zusammenstellung  der 
Verbindungsgewichte  40. 

Viertes  Kapitel.    Beziehungen  zwischen   den  Zahlenwerten  der 
Verbindungsgewichte  41—47. 

Prouts  Hypothese  41.  Widerlegung  durch  Stas  42.  Reihen  der  Ver- 
bindungsgewichte 42.  Das  periodische  System  43;  Tabelle  45.  Additive 
Eigenschaften  47. 


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Alle  Rechte,  besonders  das  der  Übersetzung  vorbehalten. 


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DER  ERINNERUNG 


AN 


LOTHAR  MEYER 

(t  1895) 


GEWIDMET. 


XII  Inhalt. 

Gesetze  der  Umwandlung  polymorpher  Formen  183.   Monotrope  und  enantio- 
trope  Formen  184.    Geschwindigkeit  der  Umwandlung  185. 
Sechstes  Kapitel.    Volume  fester  Stoffe  185 — 187. 

Molekularvolum  186.  Vergleichbare  Formen  186.  Parallelosterismus  187. 
Siebentes  Kapitel.    Spezifische  Wärme  188 — 189. 

Die  Gesetze  von  Dulong-Petit  und  Neumann  188.    Abweichungen  189. 

Fttnftes  Buch.    Die  TerdUnnten  LQsungen« 

Erstes  Kapitel.    Allgemeines  189—191. 

Zustand  gelöster  Stoffe  190.     Osmotischer  Druck  190. 
Zweites  Kapitel.    Der  osmotische  Druck  191 — 194. 

Halbdurchlässige  Wände  191.     Gesetze   des   osmotischen  Druckes  192. 
Ausnahmen  194. 
Drittes  Kapitel.    Diffusion  194—200. 

Diffusionskonstante  195.   Abhängigkeit  von  den  Stoffen  und  der  Tem- 
peratur 196.    Kolloidstoffe  196.    Freie  Diffusion  197.    Diffusion  der  Elektro- 
lyte  198.    Konvektion  199.    Allgemeines  über  das  Diffusionsgesetz  199. 
Viertes  Kapitel.    Dampfdrucke  von  Lösungen  200—207. 

Spezifische   Dampfdruckverminderung   200.    Einfluss    der   Temperatur 
200.  Molekulare  Dampfdruckverminderung  201.  Theorie  202,  Methoden  204. 
Beziehung  zum  osmotischen  Druck  205. 
Fünftes  Kapitel.    Gefrierpunkte  von  Lösungen  207 — 211. 

Spezifische  und  molekulare  Gefrierpunktsemiedrigung  207.    Verfahren 
208.    Theorie  209. 
Sechstes  Kapitel.    Übersicht  211—213. 

Allgemeine  Charakteristik  der  Lösungsgesetze  211.  Beziehung  zur  os- 
motischen Arbeit  212. 
Siebentes  Kapitel.    Salzlösungen  214—218. 

Abweichung   der  Molekulargewichte   214.      Gesetz   der   Moduln   215. 
Ionen  217. 

Sechstes  Bueh.    Systematik« 

Erstes  Kapitel.    Die  Wahl  der  Verbindungsgewichte  218 — 224. 

Die  Unbestimmtheit  der  rationalen  Faktoren  218.    Grundlagen  für  die 
Wahl:    Einfachheit   und   Ähnlichkeit   219.    Anwendung   der   Gesetze    der 
Atomwärmen  220,  der  Isomorphie  220,  der  Molekulargewichte  220.    Über- 
blick 221.    Argon,  Helium  und  Verwandte  224. 
Zweites  Kapitel.    Das  periodische  Gesetz  224 — 228. 

Atomvolum  225.     Schmelzpunkt  225.    Typische  Elemente  227. 
Drittes  Kapitel.     Die  Molekulartheorie  228—232. 

Die  drei  Arten  der  Eigenschaften  228.     Anwendung  der   kolligativen 

zur  Definition  des  Molekulargewichts  228.    Allgemeine  Methoden  zu  seiner 

Bestimmung  229.    Lösungen  230,  Flüssigkeiten  231,  Feste  Stoffe  231. 

Viertes  Kapitel.    Theorie  der  chemischen  Verbindungen  232 — 244. 

Genetische   Systematik   232.     Atomhypothese   233.     Elektrochemische 

Theorie  233.     Isomerie  234.     Radikaltheorie  236.     Substitution  236.     Che- 


Inhalt.  Xni 

mische  Typen  237.  Valenzlehre  und  Strukturformeln  237.  Ungesättigte 
Verbindungen  241.  Molekularverbindungen  241.  Stereochemie  243.  Tau- 
tomerie  244. 

Zweiter  Teil.   Verwandtschaftslehre. 

Einleitung.    Allgemeine  Energetik  245 — 251. 

Allgemeinheit  des  Energiebegriffes  245.  Definition  der  Energie  246. 
Energetik  246.  Arten  der  Energie  247.  Faktoren  der  Energie  247.  In- 
tensität 248  und  Kapazität  248.  Faktoren  der  verschiedenen  Energiearten 
249.    Beziehungen  zur  chemischen  Energie  250. 

Siebentes  Bueh.    Thermochemie. 

Erstes  Kapitel.    Allgemeines  251 — 253. 

Chemische  Energie  251.    Begründung  der  Thermochemie  252.    Gesetz 
der  konstanten  Wärmesummen  252. 
Zweites  Kapitel.    Thermochemische  Methoden  253 — 262. 

Kalorie  und  Kilojoule  253.    Thermochemische  Gleichungen  254.    Bil- 
dungswärme 256.    Methoden  257.    Berechnung  260.    Einfluss  der  Tempe- 
ratur 261. 
Drittes  Kapitel.    Thermochemie  der  Nichtmetalle  261 — 268. 

Sauerstoff,  Wasserstoff,  Chlor   263,   Brom,   Jod,  Fluor  264,    Schwefel, 
Selen,  Tellur  265,  Stickstoff,  Phosphor  266,  Arsen,  Antimon,  Bor,  Kohlen- 
stoff 267,  Silicium  268. 
Viertes  Kapitel.    Thermochemie  der  Metalle  268—274. 

Kalium,  Natrium  268,  Ammonium,  Lithium,  Baryum  269,  Strontium, 
Calcium,  Magnesium,  Aluminium,  Mangan  270,  Eisen,  Kobalt,  Nickel,  Zink, 
Cadmium  271,  Kupfer,  Quecksilber  272,  Silber,  Thallium,  Blei,  Wismut, 
Zinn,  Gold  273,  Platin,  Palladium  274. 
Fünftes  Kapitel.  Thermochemie  der  Salzbildung  und  der  Ionen 
274—282. 

Thermoneutralität  275.  Neutralisationswärmen  276.  Starke  und  schwache 
Basen  und  Säuren  277.     Lösungswärme  von  Niederschlägen  277.    Disso- 
ciationswärmen  278.    Bildungswärme  der  Ionen  280. 
Sechstes  Kapitel.    Organische  Verbindungen  282 — 289. 

Verbrennungswärme  283.  Homologe  Reihen  284.  Kohlenwasserstoffe 
285.  Alkohole  286,  Säuren  287,  Äther  und  Ester  287.  Stickstoffverbin- 
dungen 288.    Aromatische  Stoffe  288. 

Achtes  Buch«     Chemische  Mechanik« 

Erstes  Kapitel.    Allgemeines  289—291. 

Das  Affinitätsproblem  289.   Entgegengesetzte  Vorgänge  290.   Geschicht- 
liches 290.    Kinetik  und  Statik  291. 
Zweites  Kapitel.     Chemische  Kinetik  291 — 304. 

Chemische  Geschwindigkeit  291.  Gesetz  der  Massenwirkung  292  und 
des  Ablaufes  eines  chemischen  Vorganges  293.  Einheit  der  Konzentration 
295.   Inversion  des  Rohrzuckers  296.    Allgemeine  Bedeutung  der  Formel  297. 


XrV  Inhalt 

Vorgänge  zweiter  Ordnung  298,  Beispiel  299.  Vorgänge  höherer  Ord- 
nung 299.  Vorgänge  mit  Gegenreaktion  300.  Das  Koexistenzprinzip  301. 
Heterogene  Gebilde  301.  Die  Geschwindigkeitskonstanten  302.  Katalysa- 
toren 303. 
Drittes  Kapitel.  Allgemeines  über  das  chemische  Gleichgewicht. 
Das  Phasengesetz  304—307. 

Chemisches   Gleichgewicht  304.    Wirkliche  und  scheinbare  Gleichge-. 
Wichte  305.    Verschiedene  Ordnungen  306.    Das  Phasengesetz  307. 

Viertes  Kapitel.    Gleichgewichte  erster  Ordnung  307—313. 

Stickstoff hyperoxyd  308;  allgemeine  Formel  309.  Einfluss  der  Tem- 
peratur 310.  Mehrere  Phasen  311.  Überschreitungen  312.  Allgemeines 
Gesetz  für  das  Auftreten  neuer  Formen  313. 

Fünftes   Kapitel.    Chemische   Gleichgewichte   zweiter   Ordnung. 
Lösungen  313—340. 

Definition  313.  Lösungen  in  Gasen;  Daltons  Gesetz  314.  Lösungen 
von  Gasen  in  Flüssigkeiten;  Löslichkeit  und  Absorptionskoeffizient  315. 
Einfluss  chemischer  Vorgänge  317.  Übersättigung  317.  Vertretbarkeit  der 
Phasen  319.  Lösungen  von  Flüssigkeiten  in  Flüssigkeiten  320.  Der  Dampf 
als  Mass  der  wirksamen  Menge  320.  Molenbruch  321.  Dampfdrucke  von 
Lösungen  322.  Konstant  siedende  Gemenge  323.  Begrenzte  Löslichkeit  324. 
Kritischer  Lösungspunkt  325.  Lösungen  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten  327. 
Grenze  der  Löslichkeit  327.  Übersättigung  328.  Einfluss  der  Temperatur 
auf  die  Löslichkeit  329.  Stetigkeit  der  Lösungslinien  330;  ihre  Durch- 
schnitte 381.  Einfluss  des  Druckes  auf  die  Löslichkeit  332.  Zwei  feste 
Stoffe  332.  Eutektische  Lösungen  und  Kryohydrate  333.  Schmelzen  unter 
der  Lösung  335.    Feste  Lösungen  336.    Absorption  338.     Kolloidstoffe  339. 

Sechstes    Kapitel.    Weitere    chemische    Gleichgewichte    zweiter 
Ordnung  340—359. 

Der  allgemeinste  Fall  340.  Jodwasserstoff  341.  Einfluss  der  Tem- 
peratur 343.  Gleichgewichte  in  Lösungen  344.  Die  wirksame  Menge  346. 
Zwei  Phasen.  Ammoniumsulfhydrid  347,  Ammoniumkarbamat  348.  Zwei 
feste  Phasen  349.  Dissociation  des  Calciumkarbonats,  der  krystallwasser- 
haltigen  Salze  350.  Einfluss  der  Temperatur  351.  Flüssigkeiten  und  Gase 
352.  Flüssigkeiten  und  feste  Stoffe  354.  Kondensierte  Gleichgewichte  356. 
Vierfache  Punkte  359. 

Siebentes  Kapitel.    Gleichgewichte  höherer  Ordnung  360—374. 

Allgemeine  Formel  360.  Zahl  der  Bestandteile  361.  Einzelne  Fälle: 
Wassergas  363;  Esterbildung  365.  Dreifache  eutektische  Gemische  366. 
Lösungen  367.  Anwesenheit  einer  festen  Phase  368;  zweier  369.  Zwei 
flüssige  Phasen.  Teilungskoeffizient  371.  Kritische  Erscheinungen  372. 
Definition  eines  chemischen  Individuums  374. 

Neuntes  Buch.    Elektrochemie« 

Erstes  Kapitel.    Allgemeines  375—378. 

Chemische  Ursache  elektrischer  Ströme  375.   Voltasche  Kette  376.  Die 


Inhalt.  XV 

Faktoren  der  elektrischen  Energie  376.    Die  Gesetze  von  Ohm  und  Joule 
377.   Die  elektrischen  Einheiten:  Volt,  Coulomb,  Ohm,  Ampere,  Joule 378. 

Zweites  Kapitel.    Das  Gesetz  von  Faxaday  378—381. 

Leiter  erster  und  zweiter  Klasse  378.  Ionen  379.  Das  elektrochemische 
Äquivalent  und  die  Faradaysche  Konstante  380. 

Drittes  Kapitel.     Die  elektrolytische  Leitung  381 — 391. 

Leitung  durch  Ionen  381.  Widerstand  382,  äquivalente  und  mole- 
kulare Leitfähigkeit  3SB.  Methoden  383.  Tabellen  385.  Das  additive  Ge- 
setz der  Leitfähigkeit  386.  Die  Wanderung  der  Ionen  387.  Berechnung 
des  Dissociationsgrades  der  Elektrolyte  390. 

Viertes  Kapitel.    Die  Eigenschaften  der  Ionen  391 — 400. 

Salze  391.  Zusammensetzung  der  Ionen  393;  ein-  und  mehrwertige 
Ionen  393.  Wasserstoff  und  Hydroxyl  395.  Eigenschaften  der  Ionen  396; 
ihre  Wanderungsgeschwindigkeit  397.  lonenisomerie  398.  Unterschiede  gegen 
isomere  neutrale  Stoffe  399. 

Fünftes  Kapitel.    Elektrolytische  Gleichgewichte  400-430. 

Abänderung  des  Phasengesetzes  400.  Gleichgewichte  erster  Ordnung; 
Konzentration  der  Ionen  des  Wassers  401.  Binäre  Elektrolyte;  das  Ver- 
dünnungsgesetz 403.  Abweichungen  406.  Regel  für  mehrwertige  Salze  406. 
Bestimmung  der  Löslichkeit  schwerlöslicher  Salze  407.  Mehrwertige  Elektro- 
lyte 408.  Drei  Ionen  410.  Isohydrische  Lösungen  412.  Säuren  und  ihre 
Neutralsalze  413.  Löslichkeit  von  Salzen  bei  Überschuss  eines  Ions  414. 
Zwei  feste  Phasen  415.  Doppelsalze  417.  Vier  Ionen  418.  Teilung  einer 
Base  zwischen  zwei  Säuren  420.  Hydrolyse  422.  Die  Indikatoren  425. 
Die  Fällungsreaktionen  und  das  Löslichkeitsprodukt  426.  Analytische  An- 
wendungen 428. 

Sechstes  Kapitel.    Voltasche  Ketten  430 — 437. 

Quelle  der  elektrischen  Energie  430.  Messung  von  Spannungen  431. 
Berechnung  der  Spannung  in  der  Daniellschen  Kette  aus  der  Reaktions- 
wärme 433.  Der  Irrtum  hierbei  433  und  die  richtige  Formel  485.  Kon- 
stante und  umkehrbare  Ketten  486. 

Siebentes  Kapitel.    Die  chemischen  Vorgänge   in    der  Kette   und 
die  lonenreaktionen  437—442. 

Anode  und  Kathode  437.  Vorgänge  an  ihnen  438.  Oxydation  und 
Reduktion  439.  Allgemeine  Formulierung  der  Oxydations-  und  Reduktions- 
vorgänge  439.    Elektrische  Messung  der  chemischen  freien  Energie  442. 

Achtes  Kapitel.     Konzentrationsketten  442 — 454. 

Der  einfachste  Fall  442;  Formel  448.  Der  elektrolytische  Lösungs- 
druck 446.  Allgemeine  Formel  der  Kette  447.  Schwerlösliche  Salze  450. 
Komplexe  Verbindungen  452.    Beziehung  zu  analytischen  Reaktionen  454. 

Neuntes  Kapitel.    Gasketten.    Oxydations-  und  Reduktionsketten 
455—463. 

Bedingung  der  elektromotorischen  Wirkung  455.  Wasserstoffkette  456. 
Gasketten  458.  Säure- Alkalikette  459.  Knallgaskette  461.  Oxydations-  und 
Reduktionsketten  461.    Elektrische  Energie  aus  Kohle  463. 


XVI  Inhalt 

Zehntes  Kapitel.  Einzelspannungen  und  Spannungsreihen463 — 170. 
Die  Yoltasche  Theorie  463  und  die  chemische  464.    Das  galvanische 
Verhalten  des  Quecksilbers  465.   Messung  einer  Einzelspannung  467.   Nor- 
malelektrode  468.    Die  Spannungsreihe  der  Metalle  468,   der   Oxydations- 
und Reduktionsmittel  469. 

Elftes  Kapitel.    Elektrolyse  und  Polarisation  470 — 480. 

Elektrolyse  470.  Abscheidung  der  Metalle  471;  Einfluss  komplexer 
Verbindungen  471.  Umwandlung  der  Ionen  bei  der  Ausscheidung  473. 
Primäre  und  sekundäre  Vorgänge  475.  Polarisation  476.  ünpolarisierbare 
Elektroden  477.    Der  Akkumulator  478. 

Zehntes  Bueh.    Pbotochemie. 

Erstes  Kapitel.    Die  strahlende  Energie  480 — 484. 

Verhältnis    zum    Energiegesetz   480.     Periodizität,   Wellenlänge   und 
Schwingungsdauer  481.  Umwandlung  in  chemische  Energie  482.  Geschichte  483. 
Zweites  Kapitel.    Emission  und  Absorption  484—493. 

Strahlungsgleichgewicht  484.  Der  Kirchhoffsche  Satz  485.  Strahlung  eines 
schwarzen  Körpers  485.   Emissionsspektra  486.    Gesetze  derselben  488.  Ab- 
sorptionsspektra 489.    Elektromagnetische  Strahlung  491. 
Drittes  Kapitel.    Die  chemische  Wirkung  des  Lichtes  493—498. 
Lichtempfindlichkeit  und  Absorption  493.     Chlorknallgas  494.    Gesetze 
der  photochemischen  Wirkung  495.    Bruchteil  der  umgewandelten  Energie 
497.    Verschiedene  Arten  photochemischer  Vorgänge  497. 
Viertes  Kapitel.    Die  Photographie  498 — 502. 

Daguerreotypie  498.  Kollodiumverfahren  499.  Bromsilberverfahren  500. 
Positivverfahren  501.    Orthochromatisches  Verfahren  502. 

Elftes  Bueh.    Die  chemische  Verwandtschaft. 

Erstes  Kapitel.    Methoden  502—514. 

Die  Aufgabe:  Koeffizienten  des  Gleichgewichtsund  der  Geschwindigkeit 
503.  Unmittelbare  Analyse  des  Zustandes  504.  Fixierverfahren  505.  Physi- 
kalische Methoden  der  Analyse  506.  Allgemeine  Theorie  507,  Beispiele  508. 
Besondere  Eigenschaften  511.     Quantit&tsbestimmungen  an  Ionen  513. 

Zweites  Kapitel.  Reaktionsgeschwindigkeit  und  Katalyse  514 — 521. 
Geschwindigkeit  und  Gleichgewicht  514.    Katalysatoren  515,  Beispiele 
516.    Kritik   der   älteren    Anschauungen   517.    Gesetze   der  katal3rtischen 
Vorgänge  518. 

Drittes  Kapitel.    Stöchiometrische  Beziehungen  521 — 535. 

Geschichte  .521.  Verwandtschaftsreihen  522.  Esterbildung  523.  Gesetz 
der  Massenwirkung  523.  Spezifische  Affinitätskoeffizienten  523.  Disso- 
ciationskonstanten  organischer  Säuren  524.  Vergleichende  Affinit&tslehre 
der  Elemente  und  ihrer  Verbindungen  533.    Schluss  535. 

Namen-Register  536—538. 

Sach-Register  539—549. 


Erster  Teil.     Stöchiometrie. 


Erstes  Buch. 

MassenverMltnisse  chemisclier  Verbindungen. 

Erstes  Kapitel. 
Die  Omndgesetze. 

Die  Chemie  ist  die  Lehre  von  den  Stoffen,  ihren  Eigenschaften 
und  Umwandlungen.  Wir  erkennen  und  unterscheiden  die  Gegenstände 
der  Aussenwelt  überhaupt  durch  ihre  Eigenschaften,  d.  h.  durch  ihre 
immittelbaren  und  mittelbaren  Einwirkungen  auf  unsere  Sinnesorgane. 
Betrachten  wir  die  Gegenstände  ohne  Rücksicht  auf  Ort,  Form  und 
Masse^  also  in  Bezug  auf  Eigenschaften,  die  von  diesen  unabhängig  sind, 
so  nennen  wir  sie  Stoffe. 

Die  verschiedenen  Stoffe  sind  also  durch  die  Verschiedenheit  ihrer 
Eigenschaften  gekennzeichnet.  Nun  ist  die  Zahl  der  möglichen  Eigen- 
schaften unbegrenzt,  und  man  kann  sicher  sein,  dass,  wenn  man  auch 
alle  bekannten  Eigenschaften  untersucht  hat,  der  Fortschritt  der  Wissen- 
schaft neue  aufdecken  wird,  die  gleichfalls  bestimmte  Werte  an  einem 
gegebenen  Stoffe  haben  werden.  Es  sieht  daher  so  aus,  als  wäre  die 
Aufgabe,  zwei  Stoffe  daraufhin  zu  piiifen,  ob  sie  gleiche  Eigenschaften 
haben,  unlösbar,  und  als  wäre  es  wissenschaftlich  unzulässig,  von  zwei 
verschiedenen  Körpern  zu  behaupten,  dass  sie  aus  gleichem  Stoffe  be- 
ständen. Denn  wenn  man  auch  alle  bekannten  Eigenschaften  gleich  ge- 
funden hat,  so  weiss  man  noch  nicht,  ob  es  nicht  andere  unbekannte 
Eigenschaften  giebt,  welche  verschieden  sein  könnten. 

Dieser  Einwand  wu*d  durch  ein  sehr  aUgemeines  Naturgesetz  be- 
seitigt, das  dahin  lautet:  Wenn  zwei  Stoffe  bezüglich  einiger 
Eigenschaften  übereinstimmen,  so  thun  sie  es  auch  bezüglich 
aller  anderen  Eigenschaften. 

Durch  dies  Gesetz  wird  sonach  die  Existenz  bestimmter  Stoffarten 
mit  bestimmten,  sich  immer  wiederfindenden  Eigenschaften  ausgesprochen. 
Man  nennt  diese  so  gekennzeichneten  Arten  oder  chemischen  Individuen 
kurzweg  Stoffe  im  chemischen  Sinne. 

Ostwald,  Grondriss.  3.  Aufl.  1 


2  I.  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Dieses  Gesetz  lässt  sich  aus  den  eben  angegebenen  Gründen  nie- 
mals erschöpfend  beweisen.  Ti'otedeiP.  sehen  wir  es  als  so  sicher  an, 
dass  es  nicht  einmal  besonders  ausgesprodien  zu  werden  pflegt,  sondern 
stillschweigend  als  „selbstverständlich"  angenommen  wird.  Zu  der  Über- 
zeugung von  der  allgemeinen  Gültigkeit  dieses  Gesetzes  veranlasst 
uns  die  Thatsache,  dass  es  in  allen  FäUen  eingetroffen  ist,  die  wir  bis- 
her der  Prüfung  unterzogen  haben.  Da  die  Zahl  solcher  Prüflingen 
ausserordentlich  gross  ist,  und  sie  in  allen  möglichen  Gebieten  der 
Chemie  stattgefunden  haben,  so  darf  man  einen  Zufall  als  ausgeschlossen 
ansehen,  und  das  Gesetz  für  aUgemeingültig  halten.  Indessen  mnss 
man  diesem  Naturgesetz,  wie  allen  übrigen,  gegenüber  stets  dessen  ein- 
gedenk sein,  dass  es  das  Ergebnis  der  Erfahrung  ist,  und  durch  gegen- 
teilige Erfahrungen  in  seiner  Geltung  eingeschränkt  werden  kann. 

Man  nennt  dieses  Verfahren,  aus  der  Übereinstimmung  sehr  vieler 
FäUe  auf  die  Allgemeingültigkeit  der  vorhandenen  Beziehung  (unter  Vor- 
behalt einer  Korrektur  durch  etwaige  spätere  Erfahrungen)  zu  schliessen, 
Induktion.  Man  muss  die  Ergebnisse  des  Induktionsverfahrens  wegen 
des  bescheidenen  Masses  an  Gewissheit,  das  ihnen  nach  ihrer  Herkunft 
zukommt,  nicht  gering  schätzen;  denn  ein  höherer  Grad  der  Ge- 
wissheit lässt  sich  in  wissenschaftlichen  Dingen  überhaupt 
nicht  erreichen. 

Man  kann  noch  die  Frage  stellen,  wie  viele  Eigenschaften  übereinstimmen 
müssen,  damit  das  Gesetz  Anwendung  findet.  Eine  bestimmte  Antwort  lässt 
sich  hierauf  nicht  geben,  da  es  auf  die  Art  der  Eigenschaft  ankommt.  Es 
giebt  einige,  die  bei  den  vielen  verschiedenen  Stoffen  so  nahe  gleich  sind, 
dass  man  vorhandene  Unterschiede  nur  durch  sehr  feine  Messungen  ermitteln 
kann.  Andere  Eigenschaften  sind  wieder  von  Stoff  zu  Stoff  in  grossen  Ab- 
ständen verschieden.  Es  hängt  also  von  der  Art  der  Eigenschaft' ab,  mit 
welcher  Sicherheit  man  sie  zur  Unterscheidung  der  Stoffe  verwenden  kann. 
Doch  kann  man  allgemein  aussprechen,  dass  bereits  die  Bestimmung  von  drei 
oder  vier  verschiedenen  Eigenschaften  zu  genügen  pflegt,  um  einen  Stoff  zu 
kennzeichnen ;  zum  Schutz  gegen  zufällige  Übereinstimmungen  ist  es  indessen 
zweckmässig,  diese  Anzahl  noch  um  einige  zu  vermehren. 

Die  hier  berührte  Frage  nach  einer  allgemeinen  Definition  des  chemischen 
Individuums  kann  an  dieser  Stelle  noch  nicht  eingehend  behandelt  werden, 
da  hierzu  Kenntnisse  erforderlich  sind,  die  erst  im  Verlaufe  dieses  Buches 
vermittelt  werden  sollen.  Die  eben  gegebenen  Bestimmungen  sind  ausreichend 
zu  einer  Entscheidung  in  der  weitaus  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  und  als 
Grundlage  für  die  zunächst  anzustellenden  Betrachtungen. 

Nun  können  wir  häufig  beobachten,  dass  sich  gegebene  Stoffe  in 
andere  umwandehi,  z.  B.  Eisen  in  Rost,  Wein  in  Essig,  wobei  statt 
der  ursprünglichen  Stoffe  andere  mit  anderen  Eigenschaften  erscheinen: 
das  sind  chemische  Vorgänge. 

Solche  chemische  Umwandlungen  sind  bestimmten  Gesetzen  unter- 
worfen, deren  genaue  Erkenntnis,  nachdem  sie  die  Vorarbeit  vieler  Jahr- 


Die  Grundgesetze.  3 

hunderte  beansprucht  hatte,  erst  seit  etwa  hundert  Jahren  gewonnen 
worden  ist.  Das  allgemeinste  dieser  Gesetze  püegt  man  das  von  der 
Beständigkeit  der  Materie  zu  nennen;  es  kann  folgendermassen 
ausgesprochen  werden: 

Bei  allen  chemischen  Vorgängen  bleibt  die  Summe  der 
Massen  der  beteiligten  Stoffe  unverändert. 

Die  Masse  eines  Körpers  ist  eine  Eigenschaft,  welche  sich  bethätigt, 
wenn  man  ihn  in  Bewegung  zu  setzen  oder  seine  vorhandene  Bewegung  zu 
ändern  versucht.  Dann  verhalten  sich  die  verschiedenen  Körper  verschieden, 
indem  sie  infolge  gleicher  Impulse  (z.  B.  durch  gleiche  Entspannung  derselben 
Feder)  verschiedene  Geschwindigkeiten  annehmen.  Man  schreibt  einem  Körper, 
welcher  im  Vergleich  zu  einem  anderen  eine  kleinere  Geschwindigkeit  annimmt, 
eine  grössere  Masse  zu,  und  zwar  lehrt  die  Mechanik,  dass  die  Massen  um- 
gekehrt proportional  den  Quadraten  der  auftretenden  Geschwindigkeiten 
zu  setzen  sind.  Verliert  ein  Körper  seine  Geschwindigkeit,  indem  seine  Be- 
wegung vollständig  auf  einen  anderen  Körper  übertragen  wird,  so  verhalten 
sich  demgemäss  die  Quadrate  der  Geschwindigkeiten  umgekehrt  wie  die  Massen; 
bezeichnet  man  erstere  mit  c^  und  c,,  letztere  mit  m^  und  m,,  so  gilt 
c^ :  c^  =  m,  :  m^  oder  m^c^  <»  m,  c^ .  Es  bleiben  also  bei  der  gegenseitigen 
Mitteilung  von  Bewegungen  zwischen  Massen  die  Produkte  mc*  unverändert. 
Man  nennt  die  halben  Werte  dieser  Produkte,  die  Grössen  Va  nic*>  die  lebendige 
Kraft  oder  besser  die  Bewegungsenergie  der  betreffenden  Körper,  und  das 
eben  ausgesprochene  Gesetz  von  der  Unveränderlichkeit  dieser  Werte  bei  der 
Wechselwirkung  bewegter  Massen  heisst  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der 
lebendigen  Kraft  oder  von  der  Erhaltung  der  Bewegungsenergie.  Es 
wird  sich  später  zeigen,  dass  dies  Gesetz  nur  ein  besonderer  Fall  eines  all- 
gemeineren Gesetzes  ist;  dasselbe  gilt  übrigens  auch  von  dem  oben  mitge- 
teilten Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse. 

Man  bezeichnet  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse  häufig  als  das 
von  der  Erhaltung  des  Stoffes  oder  der  Materie.  Indessen  gerät  man  in 
Schwierigkeiten,  wenn  man  diese  beiden  Ausdrücke  definieren  soll,  und  es 
empfiehlt  sich  daher  hier  wie  in  aller  Wissenschaft,  die  gesetzmässigen  Be- 
ziehungen nur  für  solche  Grössen  auszusprechen,  die  man  thatsächlich  auf- 
weisen und  messen  kann. 

Als  Einheit  der  Masse  dient  das  Gramm,  welches  als  der  tausendste  Teil 
eines  in  Paris  aufbewahrten  Platinstückes,  des  Normalkilogramms,  definiert  ist. 
Diese  Masse  eines  Grammes  ist  sehr  nahe  gleich  der  Masse  von  einem  Kubik- 
centimeter  reinen  Wassers  bei  4°,  im  Zustande  seiner  grössten  Dichte. 

Die  Einheit  der  Bewegungsenergie  ergiebt  sich  aus  dem  Ausdrucke 
E  =  Yj  m  c*  für  dieselbe,  wenn  die  Masse  und  die  Geschwindigkeit  gleich 
Eins  gesetzt  werden.  Dann  wird  E  =*  Va  >  d-  h.  die  Einheit  der  Bewegungs- 
energie ist  die  Hälfte  der  Energie,  die  in  einem  Gramm  Masse  enthalten  ist, 
wenn  deren  Geschwindigkeit  Eins  beträgt. 

Die  Einheit  der  Geschwindigkeit  ist  durch  die  Einheiten  der  Länge 
und  der   Zeit   festgesetzt,    da   di«   Geschwindigkeit   gleich    Länge /Zeit    ist. 

1* 


4  I.  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Als  Längeneinheit  dient  das  Centimeter,  der  hundertste  Teil  der  Länge  eines 
gleichfalls  in  Paris  auf  bewahrten  Massstabes.  Die  Einheit  der  Zeit  ist  durch 
die  Sekunde  bestimmt,  von  der  60.60.24=« 86400  auf  einen  mittleren 
Sonnentag  gehen. 

Die  auf  solche  Weise  festgestellte  Einheit  der  Bewegungsenergie  hat 
eine  allgemeinere  Bedeutung.  Wenn  Bewegungsenergie  bei  irgend  welchen 
Vorgängen  verschwindet,  so  treten  an  ihrer  Stelle  andere  Grössen  auf,  die 
man  gleichfalls  Energie  nennt,  und  deren  Betrag  man  durch  die  verschwundene 
Bewegungsenergie  misst.  Ebenso  verschwinden  entsprechende  Beträge  dieser 
anderen  Energiearten,  wenn  Bewegungsenergie  sich  einstellt,  ohne  als  solche 
anderen  Körpern  entnommen  zu  sein.  Dadurch  wird  die  Einheit  der  letzteren 
zur  allgemeinen  Einheit  der  Energie,  und  erhält  deshalb  den  Namen  Erg. 
Da  diese  Einheit  sehr  klein  im  Verhältnis  zu  den  gewöhnlich  gehandhabten 
Mengen  ist,  so  benutzt  man  häufig  Vielfache  dieser  Einheit.  Am  meisten 
werden  die  Grössen  10'  Erg  und  10*®  Erg  benutzt. 

Das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse  ist  nicht  die  erste  Form, 
in  welcher  die  hier  vorhandene  Beziehung  ausgedrückt  worden. ist.  Viel- 
mehr lautet  es  ursprünglich  dahin,  dass  bei  allen  chemischen  Vorgängen 
die  Summe  der  Gewichte  der  beteiligten  Stoffe  unverändert  bleibt. 
Dieser  Satz  ist  von  Lavoisier  bewiesen  worden  (1785). 

Durch  den  Umstand,  dass  an  einem  gegebenen  Orte  Masse  und 
Gewicht  der  verachiedenen  Körper  einander  genau  proportional  sind,  kann 
man  von  der  Geltung  des  einen  Gesetzes  auf  die  des  anderen  sdüiessen. 
Man  zieht  gegenwärtig  vor,  das  Gesetz  in  der  auf  die  Masse  bezüglichen 
Form  auszusprechen,  weil  die  Masse  eine  unter  allen  Umständen  unver- 
änderliche Grösse  ist,  während  das  Gewicht  mit  dem  Orte  wechselt. 
Experimentell  aber  hat  man  das  Gesetz  immer  in  Bezug  auf  das  Ge- 
wicht gepiüft,  denn  die  genaue  Bestimmung  beliebiger  Massen  ist  sehr 
schwierig,  während  Gewichte  sich  sehr  viel  leichter  genau  bestimmen 
lassen. 

Solche  Prüfungen  lassen  sich  ausführen,  indem  man  Stoffe,  die  auf 
einander  chemisch  einwirken  können,  so  in  Glasgefässe  einschliesst,  dass 
sie  anfangs  getrennt  sind  und  später  nach  Beheben  mit  einander  in  Be- 
rührung gebracht  werden  können.  Die  Gewichte  vor  und  nach  dem 
chemischen  Vorgange  erweisen  sich  dann  immer  als  gleich. 

In  viel  gi'ossartigerer  Weise  liefert  das  Sonnensystem  denselben  Be- 
weis. Denn  die  ümlaufegeschwindigkeit  der  Planeten  um  die  Sonne 
hängt  von  ihren  Massen  ab;  da  seit  absehbarer  Zeit  die  Lange  des  Jahres 
nicht  die  mindeste  merkbare  Veränderung  erfahren  hat,  so  muss  ge- 
schlossen werden,  dass  trotz  der  mannigfaltigen  chemischen  Vorgänge  auf 
der  Erde  wie  auf  der  Sonne  ihre  Massen  keine  Veränderung  er- 
fahren haben. 

Die  genauesten  Versuche  dieser  Art  sind  von  Landolt  (1893)  an- 
gestellt worden,  und  es  hat  sich  ergeben,  dass,  wenn  Gewichtsänderungen 
bei  chemischen  Vorgängen  eintreten,  sie  weniger  als  ein  MilHontel   des 


Die  Grundgesetze.  5 

Gesamtgewichtes  ausmachen.  Bis  zu  dieser  Genanigkeit  kann  man  also 
das  Gesetz  von  der  Erhaltung  des  Gewichtes  als  bewiesen  ansehen. 

Da  die  Proportionalität  zwischen  Masse  und  Gewicht  noch  genauer 
erwiesen  ist,  so  gilt  für  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse  die 
gleiche  Grenze  des  Nachweises. 

Das  Gesetz,  dass  Masse  und  Gewicht  einander  proportional  sind,  ist 
von  Galilei  und  Newton  aufgestellt,  und  am  genauesten  von  Bessel  (1826) 
geprüft  und  bestätigt  worden. 

Das  Gewicht  ist  die  Grösse  der  Kraft,  mit  welcher  sich  ein  gegebener 
Körper  der  Erde  zu  nähern  strebt.  Eine  solche  Kraft  wird  bei  allen  Objekten 
gefunden,  welche  Masse  besitzen,  und  das  eben  ausgesprochene  Gesetz  besagt, 
dass  beide  nicht  nur  gleichzeitig  vorhanden  sind,  sondern  auch  in  einem 
unveränderlichen  Verhältnis  zu  einander  stehen.  Um  die  Bedeutung  des 
Satzes  einzusehen,  muss  man  erst  wissen,  wie  Kräfte  gemessen  werden. 

Eine  Kraft  nehmen  wir  dort  an,  wo  wir  sehen  ,  dass  Körper  Bewegung 
erlangen.  Ein  sich  bewegender  Körper  besitzt  eine  Geschwindigkeit,  und  da 
er  auch  Masse  besitzt,  so  enthält  er  eine  bestimmte  Menge  Bewegungsenergie, 
die  durch  ^/^  mc^  dargestellt  und  gemessen  wird.  Unter  dem  Einflüsse  einer 
Kraft  erlangt  ein  Körper  also  Bewegungsenergie.  Die  Erfahrung  gestattet 
den  Zusammenhang  dieser  Grössen  durch  die  Formel  Va™c*  =  fs  darzu- 
stellen, in  welcher  f  die  Kraft  und  s  die  Strecke  bedeutet,  die  der  Körper 
unter  dem  Einflüsse  der  Kraft  zurückgelegt  hat. 

Die  Einheit  der  Kraft  ergiebt  sich  aus  der  Formel,  wenn  man  bedenkt, 
dass  der  Faktor  s  in  dem  Ausdruck  fs  als  Strecke  bereits  seine  Einheit,  das 
Centimeter,  hat.  Die  Kraft  Eins,  auch  Dyne  genannt,  ist  also  die  Kraft, 
welche,  über  ein  Centimeter  wirkend,  ein  Erg  Bewegungsenergie  erzeugt 
Erzeugt  sie  x  Erg,  so  ist  ihr  Betrag  x  Dynen. 

Lässt  man  ein  Gramm  unter  dem  Einflüsse  seines  Gewichtes  sich 
bewegen,  so  erlangt  es  beim  Fall  durch  1  cm  die  .Geschwindigkeit  von 
44-3  cm  /  sec.  Seine  Energie  beträgt  daher  Va .  44-3*  =«  980  Erg,  und  das 
Gewicht  von  einem  Gramm  hat  den  Wert  von  980  Krafteinheiten  oder  Dynen. 

Nun  fallen  nach  der  Entdeckung  von  Galilei  (1638)  alle  Körper  gleich 
schnell;  d.  h.  sie  nehmen  nach  dem  Falle  durch  gleiche  Strecken  gleiche 
Geschwindigkeit  an.  Betrachten  wir  zwei  Körper,  die  wir  durch  die  Ziffern 
1  und  2  unterscheiden,  so  gelten  für  sie  die  Gleichungen  */j  m^  cj  =»  f^  Sj 
und  Vä^aC^^^Sg.  Sind  sie  durch  gleiche  Strecken  gefallen,  Si  =  S2,  so  ist 
nach  dem  Gesetz  von  Galilei  auch  c^  =  c^,  und  daraus  folgt  m^ :  m^  =  fj :  fg, 
d.h.  die  Kräfte  beim  Fall  oder  die  Gewichte  verhalten  sich  wie  die  Massen. 

In  der  Gleichung  72°ic*  =  fs  stellt  die  linke  Seite  die  Bewegungs- 
energie dar.  Die  rechte  Seite  muss  deshalb  auch  eine  Grösse  gleicher  Art, 
eine  Energie,  darstellen.  Diese  Art  der  Energie  wird  bethätigt,  wenn  Körper 
unter  dem  Einflüsse  von  Kräften  ihren  Ort  ändern,  und  man  nennt  sie  dem 
Sprachgebrauch  des  gewöhnlichen  Lebens  gemäss  Arbeit.  Da  andererseits 
Kräfte  sich  zwischen  verschiedenen  Körpern  in  solchem  Sinne  bethätigen, 
dass    die   gegenseitige  Entfernung   sich   ändert,    so  kann   die  entsprechende 


6  I.  Massen  Verhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Energie  auch  passend  Distanzenergie  genannt  werden.  Die  letztere  Be- 
zeichnung ist  sogar  die  bestimmtere,  da  es  in  Gebrauch  gekommen  ist,  noch 
andere  Formen  der  Energie,  ja  die  Energie  allgemein  Arbeit  zu  nennen. 

Der  Sinn  der  Gleichung  ist,  dass  Bewegungsenergie  und  Distanz energie 
sich  gegenseitig  in  einander  überführen  lassen,  so  dass,  wenn  ein  bestimmter 
Betrag  der  einen  verschwindet,  der  durch  die  Gleichung  gegebene  Betrag 
der  anderen  entsteht.  Bezeichnet  man  entstehende  Energiemengen  mit  dem 
positiven,  verschwindende  mit  dem  negativen  Zeichen,  so  kann  man  auch 
sagen,  dass  bei  solchen  Umsetzungen  der  Gesamtbetrag  der  Energie  unver- 
ändert bleibt.  Dies  ist  ein  Beispiel  für  ein  allgemeines  Naturgesetz  von 
allergrösster  Wichtigkeit,  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Energie. 

Das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Masse  ist  nicht  das  einzige, 
dessen  Geltung  bei  chemischen  Vorgängen  erkannt  worden  ist.  Vielmehr 
giebt  es  innerhalb  seines  Rahmens  noch  mehrere  besondere  Gesetze,  die 
nunmehr  ausgesprochen  werden  sollen. 

Wandelt  sich  ein  Stoff  in  einen  anderen  um,  so  stehen 
die  Massen  beider  in  einem  unveränderlichen  Verhältnis. 

So  geben  100  Teile  Zink  beim  Verbrennen  stets  genau  124-5  Teile 
eines  weissen  Pulvers,  Zinkoxyd,  gleichgültig,  ob  man  viel  oder  wenig  Zink 
nimmt,  oder  wie  man  die  Verbrennung  ausführt.  Ja,  man  kann  das  Zink- 
oxyd mit  ganz  gleichen  Eigenschaften  auch  auf  Wegen  gewinnen,  die  von 
dem  gewöhnlichen  Verbrennen  weit  verschieden  sind;  immer  erhält  man 
aus  einer  gegebenen  Menge  Zink  die  proportionale  Menge  des  Oxyds. 

Eine  derartige  Umwandlung  eines  Stoffes  in  einen  anderen  von 
anderer  Masse  kann  nach  dem  ersten  Gesetz  nur  dann  eintreten,  wenn 
sich  ein  zweiter  Stoff  dabei  beteiligt,  dessen  Masse  zu  der  des  ersten 
hinzutritt.  Mit  dem  vorigen  Gesetz  steht  daher  das  folgende  im  engsten 
Zusammenhange : 

Entstehen  durch  Wechselwirkung  mehrerer  Stoffe  neue, 
so  stehen  die  Massen  sowohl  der  verschwindenden,  wie  der 
erzeugten  Stoffe  in  unveränderlichen  Verhältnissen. 

Hierbei  ist  besonders  zu  bemerken,  dass  die  Änderung  der  Eigen- 
schaften der  Stoffe  bei  chemischen  Umwandlungen  stets  sprungweise 
erfolgt.  Wenn  man  Zink  zu  Zinkoxyd  verbrennt,  so  kann  man  nicht 
Zwischenstufen  des  Stoffes  zwischen  beiden  Zuständen  erkennen,  indem 
die  ganze  Menge  des  Zinks  allmählich  ihre  Eigenschaften  ändert,  bis 
die  des  Oxyds  eingetreten  sind,  sondern  das  Zink  verwandelt  sich  Teil 
für  Teil.  Unterbricht  man  den  Vorgang,  so  ist  derjenige  Teil  des  Zinks, 
welcher  sich  in  Oxyd  hat  verwandeln  können,  in  dieses  vollkommen 
übergegangen,  und  der  Teil,  welcher  dies  Ziel  noch  nicht  erreicht  hat, 
ist  völlig  unverändertes  Zink.  Daraus  muss  eben  mit  Notwendigkeit  ge- 
schlossen werden,  dass  zur  Bildung  eines  Stoffes  die  zugehörigen  Aus- 
gangsstoffe in  einem  ganz  bestimmten  Verhältnis  zusammenwirken  müssen. 

Die  mit  Massenverändemng  verbundene  Umwandlung  der  Stoffe  in 
andere  kann  nach   dem  ersten  Gesetze  offenbar  nur  so  stattfinden,  dass 


Die  Grundgesetze.  7 

entweder  mehrere  Stoffe  sich  zu  einem  vereinigen  oder  dass  ein  Stoff 
in  mehrere  zerfällt;  auch  können  wohl  Vorgänge  von  beiderlei  Art 
gleichzeitig  stattfinden.  Die  Stoffe,  in  welche  ein  gegebener  Stoff  zer- 
fällt (so  dass  die  Summe  ihrer  Massen  der  des  ursprünglichen  Stoffes 
gleich  ist),  nennt  man  die  Bestandteile  des  letzteren.  Setzt  man  diese 
neuen  zersetzenden  Einflüssen  aus,  so  gelingt  es  häufig,  sie  wieder  zu 
spalten,  und  so  fort;  zuletzt  gelangt  man  aber  zu  Stoffen,  welche  allen 
Versuchen,  sie  zu  zerlegen,  mit  Erfolg  widerstehen. 

Solche  Stoffe  nennt  man  Elemente.  Sie  sind  dadurch  gekenn- 
zeichnet, dass  sie  bei  chemischen  Umwandlungen  nur  in  solche  Stoffe 
übergehen  können,  die  ein  gi'össeres  Gewicht  haben  (oder  allenfalls  in 
Stoffe  von  gleichem  Gewicht,  aber  anderen  Eigenschaften,  welcher  Fall 
auch  möglich  ist). 

Alle  Stoffe  sind  sonach  entweder  Elemente,  oder  Verbindungen  dieser 
unter  einander. 

Man  stellt  sich  die  Verbindungen  gewöhnlich  in  der  Weise  vor, 
dass  die  Elemente  in  den  Verbindungen  noch  fortbestehen,  und  nur 
darch  das  Zusammentreten  mit  anderen  Elementen  andere  Eigenschaften 
angenommen  haben.  Diese  Voratellung  trifft  auf  die  prinzipielle  Schwierig- 
keit, dass  man  die  Elemente  wie  alle  anderen  Stoffe  nur  durch  ilu*e 
Eigenschaften  kennt,  und  daher  nicht  angeben  kann,  was  von  ihnen 
übrig  bleibt,  wenn  Urnen  ihre  Eigenschaften  genommen  werden.  Indessen 
darf  man  formal  immerhin  diese  Vorstellung  festhalten,  zumal  sie  auch 
eine  VeranschauHchung  eines  anderen  Gesetzes  bietet,  das  man  das  Ge- 
setz von  der  Erhaltung  der  chemischen  Ali;  nennen  könnte. 

Kein  Element  kann  in  ein  anderes  umgewandelt  werden. 

Die  Erkenntnis  dieses  Gesetzes  ist  die  Frucht  der  jahrhundertelangen 
vergeblichen  Arbeit  der  Alchemisten,  welche  sich  bemühten,  eine  solche 
Umwandlung  unter  der  Erzeugung  der  Elemente  Gold  oder  Silber  her- 
vorzurufen. An  sich  waren  jene  Versuche  keineswegs  unvernünftig,  und 
erat  die  Erkenntnis  des  eben  ausgesprochenen  Gesetzes  hat  gezeigt,  dass 
die  beim  Gold  und  Silber  geftindene  Unmöglichkeit  nur  eine  von  vielen 
ähnlichen  Unmöglichkeiten  ist. 

An  dies  Gesetz  schliesst  sich  ein  anderes,  das  sich  auf  die  Verbindungen 
bezieht;  es  besagt,  dass  die  Verbindungen  eines  Elements  nur  mit  Hülfe  dieses 
Elements  oder  anderer  Verbindungen  des  Elements  gewonnen  werden  können, 
dagegen  auf  keine  Weise  aus  anderen  Stoffen,  die  ihrerseits  sich  nicht 
in  jenes  Element  überführen  lassen.  Es  bildet  mit  anderen  Worten  jedes 
Element  eine  Familie  von  Abkömmlingen,  von  denen  mindestens  einer  vor- 
lianden  sein  muss,  um  zu  einem  anderen  zu  gelangen.  Unter  der  Voraus- 
setzung, dass  man  von  dem  Element  zu  seinem  Abkömmling  und  umgekehrt 
die  chemischen  Umwandlungen  in  jeder  Richtung  ausführen  kann,  lässt  sich 
indessen  dieses  Gesetz  auf  das  zuerst  ausgesprochene  zurückführen,  und  be- 
darf daher  keiner  besonderen  Aufstellung. 


8  I.  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Die  eben  ausgesprochene  Voraussetzung,  dass  man  aus  jeder  Verbindung 
ihre  Elemente,  und  aus  ihren  Elementen  jede  Verbindung  herstellen  kann, 
ist  experimentell  noch  keineswegs  in  jedem  einzelnen  Falle  bewiesen.  Zwar 
bezüglich  des  ersten  Teiles  der  Voraussetzung  besteht  kein  Zweifel:  man 
kann  gegenwärtig  in  der  That  jede  Verbindung  in  ihre  Elemente  verwandeln. 
Aber  der  zweite  Teil  hat  von  jeher  viel  grössere  Schwierigkeiten  bereitet; 
und  wenn  auch  jetzt  schon  viele,  früher  für  unmöglich  gehaltene  Zusammen- 
setzungen oder  Synthesen  gelungen  sind,  so  giebt  es  auch  jet:rt  noch  zahl- 
reiche Stoffe,  insbesondere  Produkte  des  lebenden  Organismus,  deren  Darstellung 
aus  den  Elementen  oder  aus  einfacheren  Verbindungen  noch  nicht  ausge- 
führt worden  ist.  Vermöge  eines  Induktionsschlusses  von  ähnlicher  Natur, 
wenn  auch  viel  geringerer  Sicherheit,  wie  der  S.  2  angeführte,  nimmt  man 
an,  dass  die  Synthese  der  noch  ausstehenden  Stoffe  gelingen  wird,  weil 
die  Synthese  vieler  verwickelt  zusammengesetzter  Stoffe  bereits  gelungen  ist, 
wobei  sich  keine  Eigentümlichkeiten  gezeigt  haben,  welche  in  bestimmten 
Fällen  die  Möglichkeit  einer  Synthese  ausschlössen.  Die  hier  zu  über- 
windenden Schwierigkeiten  liegen  namentlich  in  der  Unbestimmtheit  der  Auf- 
gabe, denn  mit  der  Kenntnis  der  elementaren  Zusammensetzung  eines  Stoffes 
ist  dieser  noch  durchaus  nicht  eindeutig  bestimmt;  es  giebt  zahlreiche  Stoffe, 
die  bei  gleicher  eleraentai'er  Zusammensetzung  doch  verschiedene  Eigenschaften 
haben,  also  verschieden  sind. 

Zwischen  denselben  Elementen  können  Verbindungen  in  verschiedenen 
Verhältnissen  stattfinden.  Von  diesen  Verhältnissen  ist  nicht  nur  Jedes 
nach  dem  dritten  Gesetze  konstant,  sondern  ihre  gegenseitige  Beziehung 
wird  durch  ein  weiteres  Gesetz  geregelt,  dessen  Entdeckung  man  Dalton 
(1808)  verdankt. 

Verbindet  sich  ein  Stoff  A  mit  einem  anderen  B  in 
mehreren  Verhältnissen,  so  stehen  die  Massen  von  B,  die  sich 
mit  gleichen  Massen  von  A  vereinigen,  in  rationalen  Ver- 
hältnissen. 

So  können  sich  z.  B.  Sauerstoff  und  Stickstoff,  die  Bestandteile  der 
atmosphärischen  Luft,  zu  mehreren  verschiedenen  Stoffen  verbinden. 
Diese  enthalten  auf  100  Teile  Stickstoff  57-1,  114-3,  171-4,  228-6 
und  285-7  Teile  Sauerstoff,  d.  h.  Mengen,  die  sich  wie  1:2:3:4:5 
verhalten. 

Dalton  entdeckte  sein  Gesetz  nicht  auf  Grund  entsprechender  Analysen, 
sondern  er  war  durch  eine  gewisse  hypothetische  Anschauung,  die  wir  bald 
erörtern  wollen,  zu  der  Vermutung  geführt  worden,  dass  ein  solches  Gesetz 
bestehen  müsse,  und  hat  es  dann  bei  dem  Vergleich  mit  eigenen  und  fremden 
Analysen  bestätigt  gefunden.  Doch  hat  er  im  Vertrauen  auf  die  Richtigkeit 
seiner  Hypothese  sich  nicht  darum  bemüht,  den  Genauigkeitsgrad  festzustellen, 
der  diesem  Gesetze  zukommt.  Diese  Untersuchung  und  damit  die  eigentliche 
wissenschaftliche  Sicherung  des  Gesetzes  ist  erst  von  Berzelius  (1811)  vorge- 
nommen, wobei  sich  ergeben  hat,  dass  es  so  genau  gilt,  als  sich  Analysen 
überhaupt  ausführen  lassen. 


Die  Grundgesetze.  9 

Die  bisher  ausgesprochenen  einzelnen  Gesetze  der  Massen-  oder 
Gewichtsverhältnisse  chemischer  Verbindungen  ergeben  sich  schliesslich  als 
Einzelfalle  eines  Hauptgesetzes,  das  alle  Verbindungen  der  verechiedenen 
Elemente  unter  einander  beherrscht.  Es  besteht  darin,  dass  man  jedem 
Elemente  ein  bestimmtes  (relatives)  Gewicht  zuschreiben  kann,  mit  welchem 
es  in  Verbindungen  eintritt.  Setzt  man  den  Begriif  dieses  individuellen 
„Verbindungsgewichtes -^  als  gegeben  voraus,  so  kann  man  das  Gesetz 
folgendermassen  aussprechen : 

Die  Elemente  verbinden  sich  nur  im  Verhältnis  ihrer 
Verbindungsgewichte  oder  rationaler  Vielfacher  derselben. 

Die  Entdeckung  dieses  Gesetzes  ist  nicht  auf  einmal  erfolgt,  sondern 
es  and  einzelne  Teile  desselben  bekannt  gewesen,  bevor  es  über  alle 
Verbindungen  ausgedehnt  worden  ist.  So  hat  insbesondere  Richter  (1792) 
das  Bestehen  eines  solchen  Gesetzes  bei  den  Verbindungen  zwischen  Säuren 
und  Basen  erkannt.  Aus  der  Thatsache,  dass  zwei  neutrale  Salze  neutrale 
Produkte  liefern,  wenn  sie  sich  unter  Wechselzersetzung  in  zwei  neue 
Salze  verwandeln,  schloss  Richter,  dass  die  bei  der  Zersetzung  des  einen 
Salzes  frei  werdende  Säure  gerade  ausreicht,  um  die  bei  der  Zersetzung 
des  zweiten  freiwerdende  Base  zu  sättigen.  Daraus  folgt,  dass,  wenn 
man  in  Bezug  auf  eine  konstante  Menge  einer  Base  die  Mengen  ver- 
schiedener Säuren  ermittelt,  welche  sich  mit  dieser  zu  einem  neutralen 
Salze  verbinden,  oder  sie  sättigen,  diese  Säuremengen  auch  von  jeder 
anderen  Base  konstante  Mengen  sättigen  werden.  Die  Erfahrung  hat 
ihm  diesen  Schluss  bestätigt. 

Dass  es  sich  aber  hier  um  ein  allgemeines  Gesetz  handelt,  welches 
noch  in  Bezug  auf  das  Vorkommen  von  Verbindungen  in  mehreren  Ver- 
hältnissen gemäss  dem  Gesetz  der  rationalen  Verhältnisse  zu  ergänzen 
war,  ist  erst  von  Dalton  (1808)  ausgesprochen  worden.  Dalton  gelangte 
auch  zu  diesem  Gesetz  von  seiner  Hypothese  aus,  und  hat  es  nicht 
sorgfältig  auf  seine  Genauigkeit  geprüft.  Auch  war  es  wieder  Berzelius, 
dem  man  die  wissenschaftliche  Sicherung  des  Gesetzes  verdankt,  während 
Dalton  im  Vertrauen  auf  seine  Hypothese  diese  Arbeit  für  neben- 
sächlich hielt. 

"Wasserstoff  verbindet  sich  z.  B.  mit  Sauerstoff  im  Verhältnis  1  -008 : 8, 
mit  Schwefel  im  Verhältnis  1-008 :  16.  Wir  müssen  demnach  verlangen,  dass 
alle  Verbindungen  von  Schwefel  mit  Sauerstoff  durch  die  Zahlen  m8:nl6 
ausdrückbar  seien,  wo  m  und  n  ganze  Zahlen  sind.  In  der  That  kennt 
man  Verbindungen  von  Sauerstoff  mit  Schwefel,  in  welchen  die  Gewichte  der 
beiden  Elemente  in  den  Verhältnissen  2x8:16  und  3x8:16  stehen,  und 
keine  anderen. 

lieber  die  Genauigkeit,  die  den  stöchiometrischen  Grundgesetzen  oder 
den  Gesetzen  über  die  Gewichts-  und  Massenverhältnisse  chemischer  Ver- 
bindungen zukommt,  ist  bereits  in  einzelnen  Fällen  bemerkt  worden,  dass 
sie  sich  soweit  bewährt  haben,  als  die  MögUchkeit  ihrer  Prüfung  bisher 
überhaupt  gereicht  hat.  Man  muss  angesichts  der  Thatsache,  dass  alle  unsere 


10  I-  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Messungen  mit  Fehlem  behaftet  sind,  die  zwai'  immer  kleiner  gemacht, 
nie  aber  zum  Verschwinden  gebracht  werden  können,  allerdings  darauf 
verzichten,  für  irgend  ein  Gesetz  absolute  Geltung  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Vielmehr  besteht  die  wissenschaftliche  Aufgabe  darin,  die  Grenze 
der  Genauigkeit  festzustellen,  bis  zu  welcher  das  Gesetz  Anwendung 
findet,  oder  wenn  eine  solche  Grenze  nicht  gefunden  worden  ist,  anzu- 
geben, bis  zu  welchem  Grade  das  Gesetz  geprüft  worden  ist.  In  dieser 
Beziehung  ist  nun  zu  sagen,  dass  die  stöchiometrischen  Grundgesetze  zu 
den  wenigen  gehören,  deren  Grenze  noch  nicht  gefunden  worden  ist.  Man 
hat  mit  anderen  Vierten  keine  grösseren  Abweichungen  von  den  Gesetzen 
beim  Versuche  beobachtet,  als  sie  durch  die  unvermeidlichen  Fehler  be- 
dingt waren.  Diese  Fehler  sind  auf  ziemlich  geringe  Beträge  einge- 
schränkt worden,  denn  die  stöchiometrischen  Grundgesetze  sind  auf  ein 
Hunderttausendstel  bis  zu  einem  Milliontel  geprüft  und  stichhaltig  be- 
funden worden. 

Während  die  stöchiometrischen  Gesetze,  wie  sie  bisher  ausgesprochen 
worden  sind,  den  reinen  Ausdruck  der  Erfahrung  darstellen,  und  weiter 
keine  Unsicherheit  enthalten,  als  sie  allen  induktiv  gefundenen  Gesetzen 
anhaftet,  so  hat  man  zur  besseren  Veranschauiichung  dieser  Verhältnisse 
und  zur  Erleichterung  weiterer  Schlussfolgerungen  aus  ihnen  eine  Vor- 
stellung erdacht,  aus  der  sie  abzuleiten  sind.  Diese  Vorstellung  ist  flu* 
sich  der  Prüfung  nicht  zugänglich,  sondern  nur  in  ihren  Consequenzen. 
Da  man  niemals  beweisen  kann,  dass  nicht  auch  andere  Vorstellungen 
zu  den  gleichen  Consequenzen  führen,  so  kann  man  auch  die  Richtigkeit 
einer  solchen  Vorstellung  nie  beweisen.  Wohl  aber  kommt  ihr  die 
Eigenschaft  der  Zweckmässigkeit  zu,  wenn  sie  gestattet,  die  fraglichen 
Consequenzen  leicht  und  anschaulich  zu  entwickeln,  und  so  die  Erlernung 
und  Anwendung  der  Gesetze  zu  erleichtem. 

Derartige  Vorstellungen  nennt  man  Hypothesen.  Solche  bestehen 
immer  in  der  Übertragung  bekannter  gesetzmässiger  Verhältnisse  auf  Gebiete, 
die  weniger  bekannt  sind,  und  in  denen  ähnliche  Gesetzmässigkeiten  beobachtet 
werden.  Da  von  allen  Gebieten  das  der  Mechanik  am  besten  theoretisch  bekannt 
ist,  so  werden  seit  jeher  die  Materialien  für  Hypothesen  meist  der  Mechanik 
entnommen.  Auch  die  hier  zu  besprechende  Hypothese  macht  hiervon  keine 
Ausnahme,  indem  sie  gleichfalls  die  chemischen  Gesetzmässigkeiten  durch  die 
Annahme  gewisser  mechanischer  Beschaffenheiten  der  beteiligten  Stoffe  darstellt. 

Diese  Annahme  ist,  dass  die  Stoffe  nicht  stetig  den  Kaum  erfüllen, 
sondern  aus  kleinen  Teilchen  bestehen,  welche  zu  dem  zusammentreten, 
was  uns  als  Stoff  erscheint.  Diese  kleinsten  Teilchen  werden  Atome 
genannt.  Die  Atomhypothese  ist  bereits  von  den  griechischen  Philosophen 
aufgestellt  worden,  und  hat  während  der  ganzen  Entwicklungsgeschichte 
der  Wissenschaft  immer  wieder  ihre  Rolle  gespielt.  Doch  war  ihre  Ver- 
wendung bis  zum  Anfange  dieses  Jahrhunderts  nur  eine  qualitative  und 
daher  ziemlich  unbestimmte;  erst  Dalton  hat  (1803)  die  Hypothese  auch 


r 


Die  Grundgesetze.  11 

zu  quantitativen  Schlüssen  anzuwenden  versucht,  und  dabei  sehr  günstige 
Ergebnisse  erlangt. 

Die  erste  Frage,  welche  er  sich  in  solcher  Richtung  stellte,  war 
die,  ob  die  Atome  eines  gegebenen  Stoffes  untereinander  in  aller  Strenge 
gleich,  oder  nur  ähnlich  anzunehmen  seien,  wie  etwa  die  Kömer  des 
Sandes. 

Wäre  das  letztere  der  Fall,  so  müsste  es  möglich  sein,  von  einem  be- 
stimmten Stoffe,  z.  B.  Wasser  zwei  Proben  herzustellen,  die  etwas  ver- 
schiedene Eigenschaften  haben,  wie  man  Sand  in  einen  gröberen  und 
einen  feineren  Anteil  sondern  kann.  Die  Erfahrung  scheint  im  ersten 
Augenblicke  dafür  zu  sprechen,  denn  Flusswasser,  Quellwasser  und  Meer- 
wasser sind  zwar  ähnlich,  aber  nicht  ganz  gleich.  Eine  eingehende 
Untersuchung  zeigt  aber  das  Gegenteil.  Diese  Arten  von  Wasser  sind 
nur  deshalb  verschieden,  weil  sie  nicht  rein,  d.  h.  nicht  Wasser  allein 
sind.  Befreit  man  sie  durch  zweckentsprechende  Massnahmen  von  allen 
fremden  Stoffen,  so  erhält  man  Wasserarten,  die  in  allen  Beziehungen 
und  so  vollkommen  Übereinstimmen,  dass  in  keiner  ihrer  Eigenschaften 
Unterschiede  nachweisbar  sind. 

Dalton  schloss  also,  dass  die  Atome  jedes  reinen  Stoffes  unterein- 
ander vollkommen  gleich  sind.  Er  nahm  weiter  an,  dass  die  chemischen 
Verbindungen  dadurch  entstehen,  dass  sich  die  Atome  der  Bestandteile 
oder  Elemente  in  bestimmter  Zahl  und  auf  bestimmte  Weise  aneinander 
lagern;  jeder  zusammengesetzte  Stoff  enthält  also  die  Atome  seiner  Ele- 
mente auf  bestimmte  Weise  geordnet. 

Aus  dieser  Annahme  lassen  sich  die  stöchiometrischen  Gesetze  un- 
mittelbar ableiten.  Da  die  elementaren  Atome  jedes  Elements  unterein- 
ander in  allen  Beziehungen  gleich  sind,  so  ist  auch  das  Gewicht  gleich- 
namiger Atome  vollkommen  gleich.  Da  femer  sich  die  Atome  nur  in 
ganzer  Anzahl  aneinander  zu  Verbindungen  lagern  können,  so  müssen 
die  Gewichtsverhältnisse  der  Elemente  in  den  Verbindungen  durch  die 
Produkte  aus  der  Anzahl  der  vorhandenen  Atome  jedes  Elements  in  das 
Gewicht  eines  einzebien  Atomes  darstellbar  sein.  Dies  ist  aber  das  Ge- 
setz von  den  Verbindungsgewichten,  welches  wie  bemerkt  alle  übrigen 
stöchiometrischen  Gesetze  umfasst.  Das  Verbindungsgewicht  erhält 
dadurch  die  Bedeutung  des  (relativen)  Atomgewichts. 

Die  grosse  Einfachheit  dieser  Daretellungsweise  hat  es  mit  sich  ge- 
bracht, dass  die  Daltonsche  Atomhypothese  nicht  nur  zur  Einführung 
des  Anftingers  in  das  Thatsachengebiet  der  Chemie  benutzt  wird,  sondern 
auch  in  wissenschaftlichen  Darstellungen  die  Ausdrucksweise  behen-scht. 
Auch  ist  es  nur  bUlig,  zu  betonen,  dass  bisher  es  noch  immer  möglich 
gewesen  ist,  die  Atomhypothese  so  auszugestalten,  dass  auch  die  anderen 
chemischen  Verhältnisse  sich  in  ihrem  Sinne  haben  darstellen  lassen. 
Doch  scheint  gegenwärtig  die  Grenze  ihrer  Anpassungsfähigkeit  nahezu 
erreicht  zu  sein,  und  die  Stimmen  mehren  sich,  welche  auf  ihre  Unzu- 
länglichkeit in  manchen  Gebieten  hinweisen. 


12  I.  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Wenn  sich  auch  die  in  diesem  Buche  zu  behandelnden  Gegenstände 
zu  einem  grossen  Teil  ohne  Benutzung  der  Atomhypothese  erörtern  lassen, 
und  daher  ein  wesentlicher  Gebrauch  von  ihr  nur  ausnahmsweise  zu  ma<;hen 
sein  wird,  so  ist  doch  noch  gegenwärtig  fast  die  ganze  Nomenklatur  der  Chemie 
auf  Grund  der  Hypothese  entwickelt,  und  ein  Versuch  der  Darstellung  ohne 
sie  würde  die  Schaffung  einer  Anzahl  neuer  Bezeichnungen  nötig  machen. 
Deshalb  soll  femer  mit  dem  Gebrauch  dieser  alten  Namen  die  Hypothese 
formell  beibehalten  werden;  doch  geht  die  Tendenz  des  Werkes  dahin, 
möglichst  die  Thatsachen  und  die  aus  ihnen  abgeleiteten  Gesetze  für  sich 
selbst  darzustellen,  um  ihre  Tragweite  besser  zum  Bewusstsein  zu  bringen 
und  die  Beurteilung  der  Erscheinungen  nicht  durch  entbehrliche  Zuthaten 
unsicherer  zu  gestalten. 


Zweites  Kapitel. 

Die  Elemente. 

Das  einzige  Verfahren,  um  zu  erkennen,  ob  ein  gegebener  Stoff 
einfach  oder  zusammengesetzt,  ein  Element  oder  eine  Verbindung  sei, 
besteht  darin,  dass  man  voraussetzt,  er  sei  zusammengesetzt,  und  alle 
Hilfsmittel  der  Zerlegung,  welche  man  besitzt,  auf  ihn  anwendet.  Er- 
hält man  bei  allen  Umwandlungen,  denen  man  den  Stoff  unterwii-fl, 
immer  nur  Produkte,  welche  ebensoviel  oder  mehr  wiegen,  als  er  selbst 
gewogen  hat,  und  niemals  (vollständige  Umwandlung  und  Vermeidung 
jedes  Verlustes  vorausgesetzt)  solche,  welche  ein  geringeres  Gewicht  be- 
sitzen, so  bleibt  nichts  übrig,  als  ihn  für  ein  Element  zu  halten. 

Der  Begriff  eines  Elements  im  chemischen  Sinn«  ist  also  der  eines 
unzerlegten,  nicht  der  eines  unzerlegbaren  Stoffes;  derselbe  wird 
demnach  einigermassen  veränderlich,  insbesondere  von  den  Hilfsmittehi 
der  chemischen  Analyse  abhängig  sein,  und  man  muss  es  zunächst  für 
ganz  ungewiss  halten,  ob  den  Elemente  genannten  Stoffen  die  im 
Namen  vorausgesetzte  Einfachheit  wirklich  zukommt. 

Allerdings  kann  man  niemals  entscheiden,  ob  unsere  gegenwärtigen 
„Elemente"  wirklich  unzerlegbar  sind.  Wohl  aber  kann  man  entscheiden, 
ob  sie  Stoffe  gleicher  oder  verschiedener  Ordnung  sind.  Nun  sprechen  die! 
Thatsachen  fast  ausnahmslos  zu  gunsten  des  Satzes,  dass,  wenn  die  Elemente 
wirklich  zusammengesetzt  sind,  sie  jedenfalls  Verbindungen  von  gleichem I 
Grade  der  Zusammengesetztheit  sein  müssen.  Wenn  also  die  Zerlegung  eine» 
der  gegenwärtigen  Elemente,  z.  B.  des  Kupfers,  in  einfachere  Bestandteile 
gelänge,  so  wäre  damit  fast  gewiss  gemacht,  dass  auch  alle  anderen  Elemente 
in  gleicher  Weise  sich  müssen  zerlegen  lassen.  Die  Gründe  für  diesen 
Schluss  können  freilich  erst  weiter  unten,  bei  der  Besprechung  der  Eigen- 
schaften der  Elemente  und  der  Beziehungen  zwischen  ihren  Zahlenwerteft 
vollständig  angeführt  werden. 


Die  Elemente. 


13 


Die  Zahl  der  bisher  bekannten  Elemente  beträgt  über  70;  genau 
lässt  sie  sieh  nicht  angeben,  weil  über  einige  von  den  als  Elemente 
angesehenen  Stoffen  die  Akten  noch  nicht  geschlossen  und  ihre  An- 
rechte daher  zweifelhaft  sind;  die  Namen  der  unzweifelhaften  Elemente 
sind  folgende: 


Alnminium  AI 
Antimon  Sb 
Argon  Ar 
Arsen  As 
Baryum  Ba 
Beryllium  Be 
Blei  Pb 
Bor  B 
Brom  Br 
Cäsium  Cs 
Cadmium  Cd 
Calcium  Ca 
Cerium  Ce 
Chlor  Cl 
Chrom  Cr 
Eisen  Fe 
Erbium  Er 
Ruor  Fl 


Gallium  Ga 
Germanium  Ge 
Gold  Au 
Helium  He 
Indium  In 
Iridium  Ir 
Jod  J 
Kalium  K 
Kiesel  Si 
Kobalt  Co 
Kohle  C 
Kupfer  Cu 
Lanthan  La 
Lithium  Li 
Magnesium  Mg 
Mangan  Mn 
Molybdän  Mo 
Natrium  Na 


Neodym  Nd 
Nickel  Ni 
Niobium  Nb 
Osmium  Os 
Palladium  Pd 
Phosphor  P 
Platin  Pt 
Praseodym  Pr 
Quecksilber  Hg 
Rhodium  Rh 
Rubidium  Rb 
Rutlienium  Ru 
Samarium  Sa 
Sauerstoff  0 
Scandium  Sc 
Schwefel  S 
Selen  Se 
Silber  Ag 


Stickstoff  N 
Strontium   Sr 
Tantal  Ta 
TeUur  Te 
Thallium  Tl 
Tliorium  Th 
Utan  Ti 
Uran  ü 
Vanadium  V 
Wasserstoff  H 
Wismuth  Bi 
Wolfram  W 
Ytterbium  Yb 
Yttrium  Y 
Zmk  Zn 
Zinn  Sn 
Zirconium   Zr 


Die  allgemeine  Kenntnis  der  Beschaffenheit  der  chemischen  Ele- 
mente wird  aus  der  beschreibenden  Chemie  vorausgesetzt,  so  dass  auf 
sie  hier  nicht  einzugehen  ist.  Nur  soll  bemerkt  werden,  dass  die 
tiberwiegende  Mehrzahl  den  Metallen  angehört,  deren  selir  ähnliche 
Eigenschaften  eines  der  Argumente  sind,  welche  zu  gunsten  der  An- 
nahme sprechen,  dass  die  Elemente  Stoffe  gleicher  Ordnung  darstellen. 

Den  Namen  der  Elemente  sind  ihre  abgekürzten  Symbole 
beigeschrieben.  Derartige  symbohsche  Stoffbezeichnungen  sind  seit  den 
ältesten  Zeiten  der  Chemie  üblich  gewesen,  wo  insbesondere  die  Me- 
talle mit  den  Zeichen  der  Planeten  belegt  wurden.  Sie  hatten  zunächst 
qualitative  Bedeutung  und  standen  einfach  für  den  Namen  des  be- 
treffenden Stoffes.  Mit  der  Entdeckung  des  Gesetzes  der  Verbindungs- 
gewichte erhielten  die  Symbole  der  Elemente  eine  erweiterte,  nämlich 
quantitative  Bedeutung,  indem  sie  ein  Verbindungsgewicht  des  betreffenden 
Elementes  darzustellen  hatten.  So  ist  insbesondere  von  Dalton  alsbald 
nach  Aufetellung  der  Atomhypothese  eine  derartige  Symbolik  ausgearbeitet 
worden,  die  indessen  aus  willkürlichen  Zeichen  bestand,  und  daher  grosse 
Anforderungen  an  das  Gedächtnis  stellte.  Eine  praktische  Form  erhielt 
sie  erst  durch  Berzelius,  welcher  den  Anfangsbuchstaben  des  lateinischen 
Namens  des  Elementes,  erforderlichenfalls  unter  Zufligung  eines  weiteren 


14  I.  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Buchstabens,  zur  Bezeichnung  eines  Verbindungsgewichtes  des  fraglichen 
Elementes  benutzte,  wodurch  sich  die  Zeichen  sehr  leicht  dem  Gedächt- 
nis einprägen. 

Chemische  Verbindungen  werden  bezeichnet,  indem  die  Zeichen 
ihrer  Elemente  nebeneinander  geschrieben  werden.  Sind  mehrere  Ver- 
bindungsgewichte eines  Elementes  in  der  Verbindung  vorhanden,  &% 
schreibt  man  sie  meist  nicht  einzeln  hin,  sondern  setzt  ihre  Anzahl  als 
Faktor  zum  Zeichen.  Es  ist  üblich  geworden,  diesen  Faktor  nicht,  wie 
in  der  Mathematik,  vor  das  Zeichen  zu  setzen,  sondern  an  die  Stelle 
des  Index  oder  des  Exponenten.  Ein  Irrtum  kann  dadurch  nicht  veran- 
lasst werden,  und  für  zusammengesetztere  Formeln  wird  in  erwünschter 
Weise  Raum  gewonnen. 

Der  Inhalt  der  chemischen  Formeln  ist  durch  die  Bezeichnung  der 
Art  und  Anzahl  der  Atome  nicht  erschöpft.  Zunächst  geben  sie,  da  die 
Kenntnis  der  relativen  Verbindungsgewichte  vorausgesetzt  wird,  gleichzeitig 
vollständige  Auskunft  über  die  Massenverhältnisse  der  Elemente  in  der  Ver- 
bindung. Ferner  aber  sucht  man  durch  sie  eine  hypothetische  Vorstellung 
von  den  engeren  oder  weiteren  Beziehungen  zu  geben,  in  welchen  die  Atome 
innerhalb  der  zusammenhängenden  Atomgruppe  oder  Molekel  zu  einander 
stehen.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Absicht  schreibt  man  Eonstitutions- 
formeln,  in  welchen  diese  Beziehungen  durch  die  räumliche  Anordnung 
der  einzelnen  Zeichen  zur  Darstellung  gebracht  werden. 


Drittes  Kapitel. 

Die  Verbindungsgewlchte. 

Nach  den  am  Schlüsse  des  ersten  Kapitels  gegebenen  Auseinander- 
setzungen existiert  für  jedes  Element  eine  bestimmte  Zahl,  welche  für 
sich,  oder  nach  Multiplikation  mit  einer  ganzen  Zahl  die  Masse  und  das 
Gewicht  bestimmt,  mit  welchem  das  Element  Verbindungen  eingeht.  Diese 
Zahl,  die  Verbindungsmasse  oder  das  Verbindungsgewicht  lässt  sich  zu- 
nächst nur  relativ  bestimmen,  d.  h.  man  muss  sie  für  irgend  ein  Element 
willkürHch  festsetzen,  und  die  Verbindungsgewichte  der  anderen  Elemente 
auf  diesen  VTert  beziehen. 

Im  Sinne  der  Atomhypothese  sind  diese  Zahlen  nichts  als  die  rela- 
tiven Massen  oder  Gewichte  der  Atome  und  man  pflegt  sie  daher  kurz- 
weg die  Atomgevdchte  zu  nennen.  Wk  können  in  der  Folge  den 
hypothetischen  Namen  Atomgewiclit,  der  in  der  chemischen  litteratur 
allgemein  gebräuchlich  ist,  benutzen,  wo  kein  Irrtum  von  Belang  durch 
seinen  Gebrauch  zu  befurchten  steht. 

Die  Bestimmung  der  relativen  Verbindungs-  oder  Atomgewichte 
war  die  wichtigste  Aufgabe,  welche  nach  Entdeckung  der  stöchiometrisehen 
Grundgesetze    der   Experimentalchemie    entgegentrat.     Denn    waren   ein- 


Die  Verbindungsgewichte.  15 

mal  diese  Konstanten  bestimmt,  so  waren  dadurch  die  Gewicbtsverhältnisse 
in  allen  chemischen  Verbindungen  mit  demselben  Grade  der  Genauigkeit 
berechenbar,  nachdem  in  ihnen  die  verhältnismässige  Anzahl  der  ver- 
schiedenen Atome  durch  eine  Analyse  von  annähernder  Genauigkeit  be- 
stimmt war. 

Zunächst  widmete  sich  dieser  Aufgabe  fast  allein  Berzelius,  und  führte 
sie  mit  einer  für  jene  Zeit  ganz  ausserordentlichen  Sicherheit  und  Genauig- 
keit in  weitem  Umfange  durch.  Seine  Zahlen  genossen  daher  das  grösste 
Vertrauen,  zunächst  auf  dem  Kontinent.  In  England  waren  in  Folge  einer 
später  zu  besprechenden  Hypothese  etwas  abweichende  Zahlen  in  Gebrauch. 
Als  aber  bei  einer  Prüfung  ihrer  Richtigkeit  durch  Turner  die  Werte 
von  Berzelius  eine  glänzende  Bestätigung  erhielten,  erreichte  das  Vertrauen 
in  deren  Genauigkeit  den  Höhepunkt. 

Inzwischen  waren  bei  Analysen  organischer  Verbindungen,  welche  nur 
Wasserstoff  und  Kohlenstoff  enthielten,  von  den  sorgfältigsten  Beobachtern 
Zahlen  gefunden  worden,  welche  als  Summe  der  Bestandteile  ein  grösseres 
Gewicht  ergaben,  als  zur  Analyse  genommen  war.  Da  bei  der  Analyse 
Kohlenstoff  als  Kohlensäure,  Wasserstoff  als  Wasser  gewogen  wird,  so  blieb 
nur  der  Schluss  übrig,  dass  der  Gehalt  des  einen  oder  andern  an  dem  fraglichen 
Elemente  falsch  in  Rechnung  gebracht  war.  Untersuchungen  von  Liebig 
und  Redtenbacher,  Dumas  und  Stas,  Erdmann  und  Marchand,  welche  in 
diesem  Sinne  Yorgenommen  wurden,  ergaben,  dass  Berzelius  bei  der  Be- 
stimmung des  Atomgewichtes  des  Kohlenstoffs  allerdings  einen  ziemlich  groben 
Fehler,  von  zwei  Prozent  etwa,  begangen  hatte. 

Diese  gänzlich  unerwartete  Entdeckung  (1841)  brachte  eine  förmliche 
Panik  unter  den  Chemikern  hervor.  Je  höher  man  die  Zahlen  von  Berzelius 
gestellt  hatte,  um  so  tiefer  wurde  das  Misstrauen  gegen  sie.  Es  begann  eine 
rührige  Revision  der  von  Berzelius  gegebenen  Zahlen.  Als  Resultat  ergab 
sich,  dass  jener  Fehler  von  Berzelius  bei  weitem  der  grösste,  ja  fast  der 
einzige  war;  die  zahlreichen  Neubestimmungen  erwiesen  fast  nur  die  Richtig- 
keit der  übrigen  Werte  dieses  gewissenhaften  Experimentators. 

In  der  Folge  sind  die  Revisionen  und  Neubestimmungen  der  Verbindungs- 
gewichte stetig  fortgeführt  worden.  Dreimal  haben  sie  indessen  noch  be- 
sondere Impulse  empfangen.  Zuerat  war  es  eine  von  Prout  und  Meinecke 
aufgestellte  Hypothese,  nach  welcher  alle  Verbindungsgewichte  Multipla  von 
dem  des  Wasserstoffs  sein  sollten,  die  eine  Anzahl  äusserst  genauer  Arbeiten, 
insbesondere  die  in  dieser  Hinsicht  unübertroffenen  von  Stas,  anregte. 
Zweitens  aber  veranlasste  eine  vonMendelejew  und  L.Meyer  entdeckte  Beziehung 
zwischen  den  Verbindungsgewichten  und  den  anderen  Eigenschaften  der  Elemente 
viele  Arbeiten,  weil  in  einzelnen  Fällen  Widersprüche  gegen  die  allgemeinen 
Beziehungen  vorhanden  waren,  deren  mögliche  Veranlassung  durch  ungenaue 
Bestimmungen  der  Atomgewichte  eine  erneute  Prüfung  solcher  Werte  not- 
wendig machte.  Endlich  hat  der  Umstand,  dass  vor  etwa  15  Jahren  von 
verschiedenen  Seiten  die  vorhandenen  Bestimmungen  der  Verbindungsgewichte 
in  systematischer  Weise  neu  berechnet  worden  sind,  auf  die  Unvollkommenheit 


16  I«  Massenverhältnisse  chemischer  Verhindungen. 

-        vieler  dieser  Bestimmungen  aufmerksam  gemacht,  und  erneute  Untersuchungen 
lA/VU^L  .    angeregt.     In  diesen  Arbeiten  hat  sich   insbesondere  Th.  W.  Richards  grosse 
Verdienste  erworben. 

Da  man  die  Werte  der  Verbindungsgewichte  zur  Zeit  nur  relativ  be- 
stimmen kann,  so  ist  zunächst  die  Einheit  festzustellen,  welche  ihnen  zu 
Grunde  gelegt  werden  soll,  d.  h.  das  Verbindungsgewicht  eines  der  Elemente 
ist  willkürlich  gleich  einem  bestimmten  Zahlenwert  zu  setzen.  Dal  ton 
hatte  als  Ausgangspunkt  den  Wasserstoff  gewählt,  dessen  Wert  von  allen 
der  kleinste  ist.  Berzelius  verliess  in  der  Folge  diese  Einheit  aus 
praktischen  Gründen.  Es  giebt  nämlich  sehr  wenig  Wasserstoffver- 
bindungen, welche  sich  zu  genauer  Analyse  eignen,  so  dass  man  das  Ver- 
hältnis zwischen  dem  Verbindungsgewicht  des  Wasserstofis  und  dem  anderer 
Elemente  meist  nur  auf  Umwegen  festsetzen  kann.  Der  Sauerstoff  bildet 
dagegen  mit  fast  allen  Elementen  sehr  geeignete  Verbindungen,  und 
Berzelius  wählte  ihn  als  Ausgangsstoff,  wobei  er  seinen  Wert  nicht  gleich 
Eins,  sondern,  um  die  übrigen  Verbindungsgewichte  von  bequemer 
Grösse  zu  haben,  gleich  Hundert  setzte.  In  späterer  Zeit  ist  man 
wieder  zur  Daltonschen  Wasserstoffeinheit  zurückgekehrt,  weil  Wasser- 
stoff auch  in  anderen  Beziehungen  für  die  Chemie  ein  Normalstoff  ge- 
worden war.  Daraus  hat  sich  aber  die  praktische  Schwierigkeit  ergeben,  dass 
alle  Zahlenwerte  der  Verbindungsgewichte,  welche  in  Bezug  auf  Sauerstoff 
bestimmt  sind  —  und  dies  ist  die  überwiegende  Mehrzahl  —  mit  Hilfe 
des  Verhältnisses  Wasserstoff :  Saueratoff  berechnet  werden  müssen.  Dieses 
war  aber  bis  vor  kurzer  Zeit  keineswegs  mit  der  wünschenswerten  Ge- 
nauigkeit bekannt;  der  mögUche  Fehler,  den  es  enthielt,  betrug  viel  mehr, 
als  die  Felder  einer  ganzen  Anzahl  von  Verbindungsgewichten  anderer 
Elemente  in  Bezug  auf  Sauerstoff,  so  dass  man  durch  diese  Rechnungs- 
weise sie  unnötigerweise  mit  einer  Unsicherheit  behaftet. 

Daher  ist  es  am  zvveckmässigsten,  zwar  die  Daltonsche  Einheit 
formell  beizubehalten,  praktisch  aber  zu  der  von  Berzelius  zurückzu- 
kehren, indem  man  das  Verbindungsgewicht  des  Sauerstoffs,  welches  sehr 
annähernd  16  mal  so  gross  als  das  des  Wasserstoffs  ist,  willkürlich  genau 
gleich  16  setzt. 

Gegenwärtig  ist  allerdings  durch  eine  ganze  Anzahl  ausgezeichneter 
Untersuchungen  das  Verhältnis  zwischen  Sauerstoff  und  Wasserstoff'  mit 
einer  sehr  befriedigenden  Genauigkeit  bekannt.  Doch  ist  die  Bestimmung 
dieses  Verhältnisses  so  schwierig,  dass  mit  einem  gleichen  Aufwände  von 
Arbeit  und  Geschick  viele  andere  Verbindungsgewichte  mit  einem  erheblich 
kleineren  Fehler  bestimmt  werden  könnten.  Der  Übelstand  ist  also  nur 
zurückgeschoben  worden,  bleibt  aber  sachlich  bestehen,  und  wird  alsbald 
wieder  zur  Geltung  kommen,  wenn  die  Arbeiten  an  den  anderen  Ele- 
menten entsprechend  vorgescliritten  sind. 

Es  ist  deshalb  durchaus  sachgemäss,  dass  die  deutsche  chemische 
Gesellschaft  (1898)  den  Beschluss  gefassthat,  die  Rechnung  mit  0  =  16-000 
ihren  Mitgliedern  zu  empfehlen;  auch  ist  begiündete  Aussicht  vorhanden, 


Die  Verbindungsgewichte.  17 

das8  die  massgebenden  Institutionen  anderer  Völker  sich  diesem  Vor- 
sehlage anschliessen  werden.  Dadurch  wird  dem  unerträglichen  Zustande 
ein  Ende  gemacht,  dass  die  Verbindungsgewichte  von  verschiedenen 
Autoren  auf  drei  verschiedene  Einheiten,  nämlich  0=  15«96,  15'87  und 
16-00  bezogen  werden. 

Es  ist  hier  dasselbe  Verfahren  angewandt  worden,  welches  sich  als  das 
einzig  praktische  für  die  Bestimmung  der  Längeneinheit  erwiesen  hat.  Das 
Meter  sollte  ursprünglich  der  zehnmillionste  Teil  des  Erdquadranten  sein ;  da 
aber  die  Bestimmung  dieses  Wertes  mittelst  geodätischer  Messungen  viel 
weniger  genau  ist,  als  man  Kopieen  eines  gegebenen  Massstabes  herstellen 
kann,  so  läuft  man  Gefahr,  bei  jeder  neuen  Gradmessung  ein  merklich  anderes 
Meter  zu  erhalten.  Man  ist  daher  übereingekommen,  das  in  Paris  bei  der 
ersten,  zum  Zwecke  der  Bestimmung  des  Meters  ausgeführten  Gradmessung 
hergestellte  und  seitdem  aufbewahrte  Längenmass  als  wirkliches  Meter  anzu- 
sehen und  die  Bezidbung  auf  den  Erdquadranten  ganz  aufzugeben. 

Von  den  zahlreichen  Arbeiten,  welche  zur  Bestimmung  der  relativen 
Verbindungsgewichte  der  verschiedenen  Elemente  unternommen  worden 
sind,  können  hier  nur  wenige  besprochen  werden.  Doch  sollen  die  wich- 
tigsten der  benutzten  Methoden  an  Beispielen  erläutert  werden. 

Das  Verbindungsgewicht  des  Wasserstoffs  beträgt,  wenn  das  des 
Sauerstoffs  gleich  16  gesetzt  wird,  annähernd  1.  Die  erste  etwas  genauere 
Bestimmung  wurde  1819  von  Berzelius  und  Dulong  nach  einer  Me- 
thode ausgeführt,  welche  seitdem  von  fast  allen  übrigen  Forschern  bei- 
bdialten  wurde.  Sie  besteht  darin,  dass  man  möglichst  reines  imd 
trockenes  Wassei-stoffgas  über  glühendes  Kupferoxyd  leitet.  Der  Wasser- 
stoff entzieht  dem  Kupferoxyd  Sauerstoff,  um  sich  damit  zu  Wasser 
zu  vereinigen;  letzteres  wird  in  geeigneten  Gefässen  aufgefangen; 
die  letzten  dampfförmigen  Anteile  müssen  mit  Hilfe  von  wasseranziehen- 
den Stoffen,  Schwefelsäure  oder  Phosphorpentoxyd,  festgehalten  werden. 
In  den  drei  Versuchen  der  Genannten  wurden  30'519g  Wasser  er- 
halten. Das  Kupferoxyd,  welches  vor  und  nach  den  Versuchen  gewogen 
wurde,  hatte  27-1 29  g  an  Gewicht  verloren.  Dieses  stellt  den 
im  Wasser  enthaltenen  Sauerstoff  dar,  der  Wasserstoff  beträgt  somit 
30-519 — 27'1 29=  3-390  g.  Im  Wasser  nimmt  man  nun  auf  ein 
Verbindungsgewicht  Sauerstoff  zwei  Verbindungsgewichte  Wasserstoff  an; 
ist  die  Masse  des  ersten  gleich  16,  so  gilt  folgende  Proportion,  in  der 
[fl]  das  Verbindungsgewicht  des  Wasserstoffs  bedeutet: 

16:2[H]  =  27.129:3.390 

«der  [H]  =  i^>i|^  =  0.9997. 

^   ^        2X27129 

Ähnlidie  Versuche  mit  ähnlichen  Ergebnissen  sind  später  von  Dumas, 
sowie  von  Erdmann  und  Marchand  ausgeführt  worden.  Alle  diese 
Forscher  schlössen  aus  ihren  Messungen,  dass  das  Verhältnis  H:0  gleich 
1:1600  sei. 

Ostwald,  Orandriss.  8.  Aufl.  2 


18  I-    Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Als  aber  später  Stas  (1860)  angab,  dass  er  diesen  Wert  auf  Grund 
unveröffentlichter  Messungen  für  zu  gross  halten  müsse,  wurden  von  L 
Meyer  die  alten  Zahlen  neu  berechnet,  und  es  ergab  sich  der  Wert 
15-9G  für  den  SauerstoflF,  wenn  Wasserstoff  gleich  Eins  gesetzt  wurde. 
Dieser  Wert  erhielt  eine  weitere  Bestätigung  durch  Regnaults  (fehlerhafte) 
Bestimmung  der  Dichten  beider  Gase,  aus  denen  sich  nach  einem  bald 
anzugebenden  Gesetze  die  Verbindungsgewichte  bestimmen  lassen. 

Infolge  dieses  Ergebnisses  verbreitete   sich    der  Gebrauch  der  auf 
0=15-96  bezogenen  Verbindungsgewichte,  während  von  anderer  Seite 
die  Unsicherheit  dieser  Zahl  betont  und  die  Beziehung  auf  den  willkürlich 
angenommenen  Wert  0  =  1600  empfohlen  wurde.     Um  den  Zwiespalt 
zu  schlichten    und   die  wichtige  Konstante   endgültig  festzustellen,  sind 
dann  seit  1887  zahlreiche  Neubestimmungen  unternommen  worden,  die  nach 
sehr  verschiedenen  Methoden  durchgeführt  wurden.   Cooke  und  Richards 
änderten  das  Verfahren  von  Berzelius  dahin  ab,  dass  sie  den  Wasserstoff 
und   das  Wasser  wogen.     ÄhnHch  verfuhr  Keiser  (1888   und    1899), 
der  den, Wasserstoff  in  Gestalt  von  Palladiumwasserstoff  wog.    Rayleigh 
(1889)  wog  beide  Gase  als  solche,  und  bestimmte  ihr  Verhältnis,  indem 
er    sie    portionenweise    in    einem    Eudiometer    mit    einander   sich    ver- 
binden   liess.     Auch    benutzte  er    zur  Berechnung    das   von    Scott  ge- 
messene Volum  Verhältnis,  nach  welchem  sie  sich  verbinden.    Noyes  (1888) 
liess  Wasserstoff  in  eine  ausgepumpte  Kugel  treten,  die  Kupferoxyd  ent- 
hielt, und  bestimmte  die  Gewichtszunahme,  die  gleich  dem  Gewicht  des 
Wasserstoffs  ist,  dann  trieb  er  das  gebildete  Wasser  aus,  und  bestimmte 
so  dessen  Gewicht.    Dittmar  und  Henderson  (1890)  wiederholten  die 
Versuche  von  Berzelius  unter  Berücksichtigung  der  inzwischen  entdeckten 
Fehlerquellen,  ebenso  Leduc  (1892).     Morley  wog  die  beiden   Gase 
getrennt  (den  Wasserstoff  in  Palladium),  und  dann  das  gebildete  Wasser 
(1895).     Auch  bestimmte  er  in  einer  meisterhaften  Arbeit  die  Dichten 
und  das  Volum  Verhältnis.  Thomsen  ermittelte  das  Verhältnis,  in  weldiem 
sich  Ammoniak    und   Chlorwasserstoff  verbinden,    und  berechnete  unter 
Benutzung  der  von  Stas  in  Bezug  auf  Sauerstoff  bestimmten  Verbindungs- 
gewichte des  Chlors  und  Stickstoffs  das  des  Wasserstoffs  (1894).  In  emer 
anderen  Versuchsreihe  bestimmte  er  einerseits  das  Gewicht  des  Wasser- 
stoffs, der  bei  der  Einwirkung  von  Aluminium   auf  Kalilauge  entwickelt 
wurde,  andererseits  verbrannte  er  diesen  Wasserstoff  und  wog  das  ent- 
standene Wasser  (1895).     Bezogen  auf  0  =  16  sind  folgende  Gewichte 
für    den   Wasserstoff  gefunden    worden:    Cooke    und    Richards   1-0069, 
Keiser  1-0031,  später  1-0076,  Rayleigh  10072,  Noyes  10065,  Dittmar 
und  Hendereon    10087,  Leduc   10059,  Thomsen  1000  und  1.0082. 
Als  die  zuverlässigste  aller  neueren  Untersuchungen  ist  die  von  Morley 
anzusehen,  ans  welcher  H=  100762  folgt.    Diesen  letzteren  Wert  wer- 
den   wir   in  Zukunft    benutzen;    für    die    meisten  Zwecke    kann    er  auf 
H  =  l-01  abgerundet  werden. 

Ein  gutes  Beispiel  für  ein  etwas  verwickelteres  Verfahren   zur  Be- 


Die  Verbindungsgewichte.  19 

Stimmung  von  Verbindungsgewichten  bildet  die  gleichfalls  von  Berzehus 
angegebene  Methode  für  Chlor,  Kalium  und  Silber,  wie  es  hernach 
von  mehreren  Anderen,  insbesondere  von  Marignac  und  Stas  benutzt 
worden  ist. 

Es  wird  zunächst  Kaliumchlorat,  KCIO*,  durch  Glühen  nach  der 
Formel  KC10^  =  KCl  +  30  zersetzt.  Bei  einem  derartigen  Versuch  hatte 
z.B.  Stas  127-2125  g  Chlorat  genommen  und  774023  g  Chlorkalium 
im  Rückstand  behalten;  es  waren  folglidi  49*8102  g  Sauerstoff  ent- 
wichen. Da  in  dem  Kaliumchlorat  drei  Atome  Sauerstoff  angenommen 
werden,  so  kann  man  die  Proportion  ansetzen,  wo  [KCl]  das  Verbindungs- 
gewicht von  Chlorkalium,  KCl,  ist: 

3X16:  [KCl]  =  49-8102:774023 
[KCl]  =  74-59. 

Daß  Verbindungsgewicht  des  Chlorkaliums  ist  somit  74-59,  d.  h.  die 
Smnme  der  Verbindungsgewichte  von  Kalium  und  Chlor  beträgt  eben- 
soviel. 

Um  die  einzelnen  Werte  daraus  zu  erhalten  wurde  zunächst  mit 
Hilfe  des  bekannten  Verbindungsgewichtes  des  Chlorkaliums  das  des  Chlor- 
silbers ermittelt.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  eine  gewogene  Menge  Chlor- 
kalium mit  überschüssiger  Silberlösung  gefallt,  und  das  entstandene  Chlor- 
sflber  ausgewaschen  und  gewogen.  Auf  diese  Weise  erhielt  Marignac  (1846) 
aus  14-427  g  Chlorkalium  27-733  g  Chlorsilber,  und  das  Verbindungs- 
gewicht des  letzteren  ergiebt  sich  nach  der  Proportion 

74590 :  [AgCl]  =  14427 :  27-732 
[AgCl]  =  143-37 

zu  143-37. 

Endlich  wurde  das  Verhältnis  von  Chlor  und  Silber  im  Chlorsilber 
dadurch  festgestellt,  dass  eine  gewogene  Menge  Silber  in  Chlorsilber 
übergeführt  wurde,  dessen  Gewicht  man  gleichfalls  feststellte.  Die  Um- 
wandlung kann  auf  verschiedene  Weise  geschehen;  man  kann  das 
Silber  im  Chlorstrome  erhitzen,  wobei  es  zu  Chlorsilber  verbrennt,  oder 
man  löst  es  erst  in  Salpetersäure  zu  Silbemitrat  und  führt  dieses  durch 
Salzsäure,  Chlorammonium  oder  irgend  eine  andere  passende  Chlorver- 
bindung in  Chlorsilber  über.  Immer  erhält  man,  unabhängig  vom  Ver- 
fahren, das  gleiche  Verhältnis  zwischen  Silber  und  Chlorsilber.  Von 
den  vorhandenen  Versuchen  führe  ich  einen  von  Stas  an,  bei  welchem 
101-519  g  Silber  in  Chlor  verbrannt  134-861  g  Chlorsilber  gaben. 
Da  das  Verbindungsgewicht  des  letzteren  oben  gleich  143-37  geftinden 
war,  so  erfährt  man  das  Verbindungsgewicht  des  Silbers  [Ag]  nach  der 
Proportion 

143-37  :[Ag]  =  134.861:101.519 
[Ag]  =  107-93. 


20  !•  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Daß  Verbindungsgewidit  des  Silbers  ist  somit  [Ag]  =  107-93.  Daraas  folgt 
weiter,  da  [AgCl]  =  143-37  ist,  dass  das  Verbindungsgewicht  des  Chlors 
143»37  — 107-93  =  35  44  betragen  muss:  Zieht  man  endlich  diesen 
Wert  [Cl]  =  35-44  von  der  in  der  ersten  Reihe  bestimmten  Zahl  [KCl]  = 
74*59  ab,  so  folgt  das  Verbindungsgewicht  des  Kaliums  [K]  =39-15. 

Die  genauesten  und  zuverlässigsten  derartigen  Versuche  sind  von 
J.  S.  Stas  (1860 — 65)  ausgeführt  worden,  und  umfassen  die  Elemente 
Silber,  Chlor,  Brom,  Jod,  Kalium,  Natrium,  Lithium,  Schwefel,  Stickstoff 
und  Blei.  Bei  den  vier  erstgenannten  Stoffen  änderte  er  die  Methode 
von  Berzelius  dahin  ab,  dass  er  z.  B.  statt  Kaliumchlorat  Silberchlorat^ 
AgClO^,  zersetzte.  Er  gelangte  so  unmittelbar  zu  dem  Verbindungsgewidit 
des  Chlorsilbers,  und  durch  Bestimmung  des  Verhältnisses  zwischen  Chlor 
und  Silber  zu  den  Verbindungsgewichten  der  beiden  Elemente.  Ähnliche 
Versuche  mit  Silberbromat  und  Silber)  odat  ergaben  unter  Zufügung  von 
Bestimmungen  des  Verhältnisses  der  Elemente  im  Bromsilber  und  Jod- 
silber die  Werte  für  Brom  und  Jod,  und  ebenso  zwei  neue,  völlig  un- 
abhängige Werte  für  Silber.  Es  ist  in  hohem  Grade  bemerkenswert, 
dass  diese  völlig  unabhängig  voneinander  und  an  ganz  verschiedenen 
Stoffen  bestimmten  Verbindungsgewichte  des  Silbers  auf  das  allerbeste 
miteinander  überemstimmen.  Es  ist  dies  eine  der  strengsten 
Prüfungen  des  Gesetzes  der  Verbindungsgewichte. 

Beim  Schwefel  verfuhr  Stas  dergestalt,  dass  er  einerseits  Silber- 
sulfat, Ag^SO*,  mittelst  Wasserstoff  zu  Silber  reduzierte,  andererseits 
Silber  durch  Schwefel  in  Schwefelsilber,  Ag^S,  umwandelte.  Die  Be- 
rechnung der  Ergebnisse  geschieht  wie  folgt. 

Es  gaben  150000  g  Silber,  im  Schwefeldampf  erhitzt,  172-2765  g 
Schwefelsilber;  es  verbinden  sich  somit  mit  100  Silber  14-851  Schwefel. 
Andererseits  wurden  aus  81023  g  Silbersulfat  56-071  g  Silber  erhalten. 
Da  im  Silbersulfat  das  Verhältnis  zwischen  Silber  und  Schwefel  genau 
dasselbe  ist,  wie  im  Schwefelsilber,  so  folgt,  dass  neben  5 7  071  g  Silber 
in  den  81-023  g  Sulfat  noch  8-3275  g  Schwefel  vorhanden.  Der  Rest 
von  16-6247  g  ist  Sauerstoff.  Nun  muss  sich  das  Gewicht  von  vier 
Verbindungsgewichten  Sauerstoff  zu  dem  von  einem  Verbindungsgewicht 
Schwefel,  die  im  Silbersulfat  enthalten  sind,  wie  16-6247:8-3275  ver- 
halten, und  es  folgt  daher  nach  der  Proportion 

4X 16:  [S]  =  16-6247 : 8-3275 
[S]  =  32.06 

das  Verbindungsgewicht  des  Schwefels  zu  [S]  =  32-06. 

Für  die  drei  Alkali-Elemente  bediente  sich  Stas  der  von  Gay-Lussac 
ursprünglich  zu  ganz  anderem  Zwecke  ausgearbeiteten  Methode  der  Silber- 
titrierung,  welche  von  Pelouze  (1845)  zuerst  zur  Bestimmung  von  Ver- 
bindungsgewichten benutzt  wurde.  Setzt  man  zu  der  Lösung  irgend  eines 
Chlorids  in  kleinen  Anteilen  eine  Silberlösung  von  bekanntem  Gehalt, 
so    kann    man    den  Augenblick,    wo    alles  Chlor   in  Chlorsilber   tiberge- 


Die  Yerbindungsgewicbte.  21 

gangen  ist,  leicht  daran  erkennen^  dass  in  der  durch  Schütteln  und  Ab- 
setzen geklärten  Flüssigkeit  ein  weiterer  Tropfen  der  Silberlösung  keine 
Trübung  mehr  hervorbringt.  So  wurden  z.  B.  10-5249  g  Chlomatrium 
abgewogen;  sie  verbrauchten  eine  Menge  Silberlösung,  in  welcher  1 94160  g 
Silber  (durch  Salpetersäure  gelöst)  enthalten  waren.  Ist  [NaCl]  das 
Yerbindungsgewicht  des  Ghlomatriums,  so  folgt,  da  107-94  das  des 
Silbers  ist, 

[NaCl]:  107.94=  10.5249:19460 

[Na  Gl]  =  58-50. 

Man  erhält  auf  diese  Weise  zunächst  den  Wert  für  das  benutzte  Chlorid; 
zieht  man  hiervon  das  Yerbmdungsgewicht  des  Chlors,  3544,  ab,  so 
folgt  das  des  Natriums  zu  Na  =  2306.  Auf  ähnliche  Weise  ist  Ii  = 
7-03  gefunden  worden. 

Für  den  Stickstoff  benutzte  Stas  eme  zuerst  von  Penny  (1839) 
angegebene  Methode.  Eine  gewogene  Menge  von  Chlorkalium  wurde 
durch  wiederholtes  Eindampfen  mit  Salpetersäure  in  Kaliumnitrat  über- 
geführt. Es  wurden  z.  B.  in  einem  Versuche  aus  48-9274  g  Chlor- 
kalium 66-3675  Ealiumnitrat  erhalten.  Ist  [ENO^]  das  Verbindungs- 
gewicht des  letzteren,  und  wird  das  des  Chlorkaüums  (S.  19)  gleich  74-59 
gesetzt,  so  folgt 

[KNO»J :  74.59  =  66.3675 :  48-9274 

[KNO^]  =  101.175. 

Da  das  Kaliumnitrat  die  Formel  KNO*  hat,  so  muss  von  der  er- 
haltenen Zahl  K=3915  und  30  =  48  00  subtrahiert  werden,  woraus 
N=  14.03  folgt.  Ähnliche  Versuche  mit  gleichen  Ergebnissen  stellte 
Stas  mit  Chlomatrium  und  Chlorlithium  an. 

Ein  anderes  einfacheres  Verfahren  bestand  darin,  dass  Silber  in 
Silbemitrat  übergeführt  wurde.  In  einem  derartigen  Versuche  gaben 
77.2684  g  Silber  121-6749  g  Nitrat,  woraus  nach  der  Proportion 

[AgNO^] :  10793  =  121-6749 :  77-2684 
[AgNO»]  =  169.95 

das  Verbindungsgewicht  des  Silbemitrats  AgNO^  gleich  169.95  und 
daraus  nach  Abzug  von  Ag=  107-94  und  30  =  48.00  das  des  Stick- 
stoffe N=:  14-02  gefunden  wird. 

Die  vorstehend  beschriebenen  Versuche  geben  Beispiele  für  die  ver- 
schiedenen allgemeinen  Methoden,  nach  denen  Verbindungsgewichte  bestimmt 
Verden.  In  den  folgenden  Zeilen  sollen  für  alle  Elemente  kurze  Angaben 
über  die  Wege,  auf  welchen  in  den  einzelnen  Fällen  die  Verbindungsgewichte 
beetimmt  wurden  und  die  genauesten  der  dabei  erhaltenen  Zahlen  mitgeteilt 
werden. 

1.  Aluminium.  Berzelius  hatte  (1812)  durch  Glühen  von  Aluminium - 
siilfat   die  Zahl  AI  »=  27*32  erhalten.     Mit   diesem   ganz   am  Anfange   der- 


22  I-   Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

artiger  Arbeiten  aus  einem  einzigen  Versuche  bestimmten  Werte  begnügte 
sich  die  chemische  Welt  jüber  30  Jahre  lang,  bis  Tissier  (1858)  und  nach 
ihm  zahlreiche  andere  die  Eonstante  neu  bestimmten.  Die  gegenwärtig  als 
richtig  anerkannte  Zahl  wurde  von  Mallet  (1880)  bestimmt,  welcher  durch 
Glühen  von  krystallisiertem  Ammoniakalaun  (2NH*AlS«On2H*0 :  A1*0») 
AI«« 27-12,  durch  Titriren  von  Aluminiumbromid  mit  Silberlösung  AI =27«  11, 
durch  Verbrennen  des  Wasserstoffes,  welchen  gewogene  Mengen  Aluminium 
aus  Kalilauge  entwickelten,  (2A1:3H*0)  AI«  27-05,  und  durch  Messen  des 
Wasserstoffs  bei  der  gleichen  Reaktion  AI  a=  27-04  erhielt.  Als  wahrschein- 
lichstes Verbindungsgewicht  ist  AI  =  27-08  anzunehmen. 

2.  Antimon.  Auch  dieser  Wert  war  bis  1856  nur  ungenau  bekannt. 
Durch  Reduktion  von  natürlichem  Antimonglanz  von  Arnsberg  mittelst 
Wasserstoff  (Sb«S8:2Sb)  erhielt  Schneider  (1856)  Sb  =  120-6.  Zwar  erhielt 
gleichzeitig  Dexter  durch  Oxydation  von  Antimon  zu  Tetroxyd  mittelst 
Salpetersäure  (2Sb:Sb*0*)  höhere  Zahlen,  die  durch  die  von  Dumas  (1859) 
mitgeteilten  Titrierversuche  mit  Antimonchlorid  und  Silberlösung  eine  schein- 
bare Bestätigung  erhielten,  doch  ergab  sich  durch  eine  eingehende  Unter- 
suchung von  Cooke  (1880),  dass  die  Zahl  von  Schneider  richtig  war.  Der 
Fehler  bei  den  Bestimmungen  von  Dumas  liegt  darin,  dass  so  leicht  zer- 
setzliche  Chloride,  wie  fAntimonchlorid,  kaum  jemals  in  reinem  Zustande 
erhalten  werden  können.  Die  geringste  Spur  Wasserdampf  bildet  Oxychlorid, 
während  Chlorwasserstoff  entweicht^  und  ersteres  lässt  sich  nicht  mehr  durch 
Destillation  völlig  vom  Chlorid  trennen.  Dadurch  enthält  das  Präparat  zu 
wenig  Chlor  und  das  Verbindungsgewicht  wird  zu  gross  gefunden. 

Die  Versuche  von  Cooke  bestanden  in  Synthesen  des  Schwefelantimona 
(2Sb:Sb^S'),  Brombestimmungen  im  Antimonbromid  (SbBr':3AgBr),  Titrie- 
rungen von  Antimonbromid  mittelst  Silberlösung  (SbBr*:3Ag)  und  Jodbe- 
stimmungen im  Antimonjodid  (SbJ*:3AgJ).     Das  Mittel  ist  Sb  =  120-2. 

Die  Zahl  ist  in  der  Folge  wiederholt  bestätigt  worden.  Versuche  nach 
einem  neuen  Prinzip  sind  von  Pfeifer  (1881)  und  von  Popper  (1887)  ausgeführt 
worden.  Nach  dem  elektrolytischen  Gesetz  von  Faraday  (s.  w.  u.)  werden 
nämlich  aus  verschiedenen  Elektrolyten  durch  denselben  Strom  äquivalente 
Mengen  der  Stoffe  abgetrennt.  Wenn  man  also  denselben  Strom  hintereinander 
eine  Silber-  und  eine  Antimonlösung  durchwandern  lässt,  müssen  die  aus- 
geschiedenen Metallmengen  im  Verhältnis  der  „Äquivalente",  d.  h.  im  Ver- 
hältnis Sb :  3  Ag  stehen.  Auf  diese  Weise  wurde  Sb  =  120-7  gefunden.  Eine 
Versuchsreihe  von  Bongartz  (1883),  bei  der  der  Schwefel  des  Schwefelanti- 
mons in  Baryumsulfat  übergeführt  wurde  (2  Sb :  3BaS0*),  ergab  Sb=«120'l, 
Als  wahrscheinlichstes  Mittel  ist  Sb=  120-3  anzusehen. 

3.  Argon,  Dies  merkwürdige,  in  der  Luft  vorkommende  Element  bildet 
keine  bekannten  Verbindungen;  sein  wahrscheinliches  Verbindungsgewicht 
musste  daher  aus  der  Gasdichte  abgeleitet  werden.  Die  von  seinen  Entdeckern 
Ramsay  und  Rayleigh  (1895)  angegebenen  Werte  führen  auf  Ar  =a  39-88 ; 
spätere  genauere  Messungen  mit  sorgfältig  gereinigtem  Material  ergaben  den 
endgültigen  Wert  Ar  =  39-91. 


Die  Verbindungsgewichte.  23 

4.  Arsen.  Über  dies  Element  sind  nicht  viel  Untersuchungen  gemacht 
worden.  Eine  interessante  Methode  benutzte  Berzelius  (1818),  indem  er 
Arsentrioxyd  mit  überschüssigem  Schwefel  erhitzte.  Der  nach  der  Gleichung 
2As«0^  +  9S  =  2As*S*  +  3S0«  entstehende  Gewichtsverlust  durch  das  ent- 
weichende Schwefeldioxyd  liefert  hier  die  nötigen  Beziehungen.  Die  gegen- 
wärtig angenommene  Zahl  ist  von  Pelouze  (1845)  und  Dumas  (1859)  durch 
Titrieren  von  Chlorarsen  in  wässeriger  Lösung  mit  Silber  ermittelt  worden 
und  beträgt  As  ==»  750. 

5.  Baryutn.  Das  Verbindungsgewicht  des  Baryums  wurde  zuerst  von  Ber- 
zelius (1811)  durch  Umwandlung  des  Carbonats  in  das  Sulfat  (BaSO*:CO*), 
später  von  ihm  und  vielen  anderen  (Turner  1829,  Pelouze  1845,  Marignac 
1848  und  1858,  Dumas  1859)  an  dem  Chlorbaryum  durch  Fällung  mit  Silber 
bestimmt.  Neben  diesem  Verfahren  kommen  einige  andere,  weniger  gute 
Methoden  kaum  in  Betracht.  Die  älteren  Arbeiten  werden  indessen  durch 
neue  Untersuchungen  von  Richards  (1893)  in  den  Schatten  gestellt,  der  mit 
grosser  Genauigkeit  das  Verhältnis  von  Baryumchlorid  und  Baryumbromid  zu 
Silber  bestimmte.    Aus  diesen  Arbeiten  folgt  Ba=a  137-43. 

6.  Beryllium.  Es  wurde  fast  nur  das  Berylliumsulfat  analysiert.  Neben 
älteren,  weniger  genauen  Versuchen  von  Berzelius  (1815  und  1826),  Awde- 
jew  (1842),  Weeren  (1854),  Debray  (1855),  Klatzo  (1869)  besitzen  wir  sehr 
gute  Versuche  von  Nilson  und  Pettersson  (1880),  welche  die  Analyse  des 
Sulfats  BeSO*,  4H*0  in  denkbar  einfachster  Form  ausführten,  nämlich  nur 
dwch  heftiges  Glühen,  wobei  Beryllerde,  BeO,  zurückbleibt.  Diese  Be- 
stimmungen wurden  (1891)  durch  Krüss  und  Morath  wiederholt  und  ergaben 
Be  =  9-08. 

7.  Blei.  In  der  Geschichte  der  Verbindungsgewichte  nimmt  das  Blei  in- 
sofern einen  hervorragenden  Platz  ein,  als  es  das  erste  Element  war,  an  welchem 
Berzelius  (1811)  seine  Kunst  bethätigte.  Seine  Methode  bestand  in  der  Be- 
handlung metallischen  Bleis  mit  Salpetersäure  und  Glühen  des  Nitrats,  wo- 
bei Bleioxyd  zurückblieb.  Später  (1818)  analysierte  er  Bleichlorid,  dann  (1830) 
reduzierte  er  Bleioxyd  mittelst  Wasserstoff.  Von  Turner  (1833)  wurde  Blei, 
sowie  auch  Bleioxyd  in  das  Sulfat  übergeführt,  Marignac  (1858)  und  Dumas 
(1859)  titrierten  Chlorblei  mit  Silberlösung  von  bekanntem  Gehalt.  Die 
gegenwärtig  benutzte  Zahl  verdanken  wir  Stas,  welcher  in  zwei  Versuchs- 
reihen metallisches  Blei  in  Bleinitrat,  und  Blei  in  Bleisulfat  überführte.  Das 
Mittel  seiner  Versuche  giebt  Pb  =  206«91. 

8.  Bor.  Zur  Bestimmung  dieses  Verbindungsgewichtes  stellte  Berzelius 
(1824)  den  Wassergehalt  des  krystallisierten  Borax  fest,  woraus  B  =  1101  folgt. 
Mit  dieser  Zahl  musste  man  sich  bis  1892  begnügen,  da  einige  inzwischen  von 
Deville  (1859)  mitgeteilte  Analysen  des  Borbromids  zu  wenig  übereinstimmende 
Werte  ergaben.  Dann  wurde  in  kurzer  Zeit  eine  Anzahl  neuer  Bestimm- 
ungen mitgeteilt.  Abrahall  (1892)  analysierte  Borbromid,  Ramsay  und  Aston 
(1893)  bestimmten  den  Wassergehalt  im  Borax,  und  führten  ihn  in  Natrium- 
sulfat über,  Rimbach  (1893)  titrierte  Borax  alkalimetrisch  mit  Methylorange 
als  Indikator.     Als  Mittelwert  kann  man  B  =«  110  annehmen. 


24:  I-   Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

9.  Brom,  Die  Älteren  Bestimmungen  des  Verbindungsgewichtes  des  Broms 
von  Baiard  (1826)  und  Liebig  (1826)  geben  zu  niedrige  Werte,  weil  das  Ma- 
terial noch  chlorhaltig  war.  Berzelius  erhielt  einen  besseren  Wert,  indem 
er  Bromsilber  durch  Erhitzen  im  Chlorstrome  in  Chlorsilber  überführte. 
Marignac  führte  mit  Brom  statt  Chlor  eine  Versuchsreihe  KBrO* :  KBr, 
KBr:AgBr,  AgiBr^AgBr  durch,  welche  der  oben  (S.  20)  mit  Chlor 
an  Stelle  des  Broms  geschilderten  ganz  ähnlich  war.  Es  ergab  sich 
Br  =  7996. 

Stas  hat  endlich  Silberbromat  zu  Bromid  reduziert,  und  im  Bromsilber 
das  Verhältnis  Ag :  Br  festgestellt.  Seine  Versuche  sind  in  weit  grösserem 
Massstabe  und  unter  Anwendung  viel  mannigfaltigerer  Hilfsmittel  ausge- 
führt worden,  als  die  von  Marignac;  dennoch  haben  beide  Versuchsreihen 
ganz  gleiche  Resultate.  Die  als  endgültig  zu  betrachtende  Zahl  von  Stas  ist 
Br  =  79.963. 

10.  Cäsium.  Die  Zahl  für  dieses  Element  ist  ausschliesslich  durch  Über- 
führung des  Chlorcäsiums  in  Chlorsilber  gewichtsanalytisch  bestimmt  wor- 
den. Die  genauesten  Versuche  rühren  von  Godeffroy  (1876)  her  und  geben 
Cs  « 132-9. 

11.  Cadmium.  Bis  zum  Jahre  1857  wurde  als  Verbindungsgewicht  des 
Cadmiums  eine  aus  einer  einzigen  Angabe  des  Entdeckers  Stromeyer  (1818) 
berechnete  Zahl  benutzt,  die  sich  übrigens  in  der  Folge  als  ziemlich  richtig 
erwies.  Von  den  späteren  Forschern  führte  v.  Hauer  (1857)  Cadmiumsulfat 
durch  Glühen  in  Schwefelwasserstoff  in  Cadmiumsulfid  über;  Dumas  (1859) 
titrierte  Chlorcadmium  mit  Silber;  Lenssen  analysierte  (1860)  Cadmium- 
oxalat,  Huntington  (1881)  analysierte  Cadmiumbromid  sowohl  gewichts- 
wie  massanalytisch  durch  Überführung  in  Bromsilber.  Eine  spätere  Arbeit 
von  Partridge  (1890)  stellt  keinen  Fortschritt  dar,  und  auch  die  Be- 
stimmung des  Verhältnisses  zwischen  Metall  und  Oxyd  über  das  Nitrat  durch 
Morse  und  Jones  (1892)  sind  dem  Bedenken  ausgesetzt,  dass  die  Zersetzung 
des  Nitrats  in  der  Hitze  schwer  vollständig  zu  erreichen  ist.  Dieselben 
analysierten  ausserdem  das  Oxalat.  Lorimer  und  Smith  reduzierten  das  Oxyd 
elektrolytisch,  und  auch  Härdin  (1896)  benutzte  elektrolytische  Methoden. 
Das  Gesamtergebnis  ist  Cd  =  112*1. 

12.  Calcium.  Obwohl  das  Calcium  von  allen  metallischen  Elementen 
auf  der  Erdoberfläche  in  den  grössten  Mengen  vorkommt,  so  ist  doch  sein  Ver- 
bindungsgewicht keineswegs  mit  einer  Sicherheit  bekannt,  welche  der  Bedeu- 
tung dieser  Konstanten  entspricht.  Berzelius  hat  ganz  am  Anfange  seiner 
Arbeiten  (1811)  eine  einzige  Analyse  des  Chlorcalciums  gemacht  und  mit 
der  daraus  berechneten  Zahl,  die  noch  dazu  durch  einen  Schreibfehler  ent- 
stellt war,  begnügten  sich  die  Chemiker  30  Jahre.  Erst  1842  machte  Dumas 
durch  Weissglühen  von  isländischem  Kalkspat  (CaCO*:CaO)  einige  Be- 
stimmungen, worauf  Erdmann  und  Marchand  eine  lange  Untersuchung  (1842 
bis  1850)  nach  verschiedenartigen  Methoden  durchführten,  als  deren  Schluss- 
ergebnis sich  ein  einziger  fehlerfreier  Versuch  über  den  Gewichtsverlust 
des  Calciumcarbonats   beim   Glühen   herausstellte.     Er  führt  zu  Ca  =*  40-0. 


Die  Verbindungsgewichte,  25 

Die  Unsicherheit,  welche  über  diesen  Wert  besteht,  wird  durch  eine  Ver- 
suchsreihe von  Dumas  (1859),  in  welcher  Chlorcalcium  mit  Silber  titriert 
wurde,  nicht  vermindert,  da  die  Herstellung  von  oxydfreiem  Chlorcalcium 
grosse  Schwierigkeiten  macht,  von  denen  Dumas  nicht  erwiesen  hat,  dass  er  sie  zu 
fiberwinden  wusste.    Einstweilen  muss  die  Zahl  Ca  =»  40-0  beibehalten  werden. 

13.  Cerium,  Die  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  dieses  Elementes 
hat  ungemein  grosse  Schwierigkeiten  gemacht.  Diese  lagen  nicht  etwa  in  den 
analytischen  Methoden,  sondern  darin,  dass  es  äusserst  schwierig  ist,  die 
Cerverbindungen  von  denen  der  begleitenden  Erden  rein  abzuscheiden. 
Auf  diesen  Umstand  ist  es  zurückzuführen,  dass  verschiedene  Arbeiter  bei 
gleich  sorgsamen  Bestimmungen  ziemlich  abweichende  Werte  erlangt  haben. 

Die  ältesten  Bestimmungen  von  Hisinger  (1816)  wurden  zu  einer  Zeit 
ausgeführt,  wo  die  Begleiter  des  Cers,  Lanthan  und  die  Didyme,  noch  nicht 
entdeckt  waren.  Mit  einigermassen  reinen  Cerverbindungen  arbeitete  zuerst 
Beringer  (1842),  der  das  Chlorid  und  das  Sulfat  analysierte.  Spätere  Ver- 
Buche  von  Hermann,  Hammelsberg,  Marignac,  Jegel,  Wolf,  Bührig  bewiesen, 
dass  man  je  nach  dem  Ursprung  und  der  Reinigungsmethode  der  benutzten 
Cerpräparate  sehr  verschiedene  Atomgewichte,  zwischen  130  und  140,  erhält. 
Erst  in  neuester  Zeit  haben  Robinson  (1884)  und  Brauner  (1885)  mit  sorg- 
ftltig  gereinigtem  Material  in  ganz  unabhängigen  Untersuchungen  überein- 
stimmende Werte  erhalten.  Die  Methode  bestand  darin,  dass  das  Sulfat 
durch  Weissglühen  in  das  Oxyd  übergeführt  wurde,  und  das  Ergebnis  war 
Ce  ^  140-2.  Indessen  scheint  auch  diese  Übereinstimmung  nur  zufällig  zu 
«ein,  denn  Schützenberger  (1895)  zeigte,  dass  die  Cersalze  sich  durch  geteilte 
Krystallisation  in  Anteile  von  verschiedener  Farbe  und  verschiedenem  Atom- 
gewicht spalten  lassen.  Dies  wurde  von  Brauner  bestätigt,  und  dieser  teilte 
Atomgewichtsbestimmungen  verschiedener  Fraktionen  mit.  Die  Angelegenheit 
harrt  noch  der  Erledigung,  und  einstweilen  kann  kaum  der  runden  Zahl 
Ce  =^  140  eine  Bedeutung  zugeschrieben  werden. 

14.  Chlor.  Bereits  oben  (S.  19)  wurde  die  von  Berzelius  zuerst  ange- 
wendete Methode  mitgeteilt,  nach  welcher  sowohl  zuerst,  wie  auch  endgültig 
das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  ermittelt  worden  ist.  Die  Zahl  der 
Forscher,  welche  ihre  Kräfte  von  Berzelius  bis  Stas  an  dieser  Aufgabe  ver- 
sucht haben,  ist  sehr  gross,  die  genauesten  Ergebnisse  haben  ausser  den 
genannten  Penny  (1839)  und  Marignac  (1832 — 46)  erhalten.  Abweichende 
Methoden  wurden  zwar  versucht,  doch  ohne  Erfolg.  So  erhielt  Marignac 
i(1842)  sehr  falsche  Zahlen,  als  er  Kupferoxyd  im  Chlorwasserstoifetrome  er- 
pdtzte  (CüO  +  2HC1 «  CuCl«  +  H^O)  und  ebensowenig  verdienen  die  Ergeb- 
pisse  der  Analyse  einer  kompliziert  zusammengesetzten  organischen  Ver- 
bindung, durch  welche  Laurent  (1842)  die  Frage  zu  lösen  suchte,  irgend 
[welches  Vertrauen.  Die  gegenwärtig  als  richtig  angesehene  Zahl  ist  die 
fron  Stas  gefundene,  von  der  die  älteren  Bestimmungen  von  Marignac,  Penny 
hmd  Berzelius  nur  um  geringe  Grössen  abweichen.     Sie  beträgt  Cl  =  35-453. 

15.  Chrom.  Das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  gehört  zu  denen, 
deren  Wert  noch  nicht  durch  eine  eingehende] Arbeit  ganz  unzweifelhaft  festge- 


26  I«    Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

stellt  ist.  Berzelius  hatte  (1818)  einige  Analysen  des  Bleichromats  und  des  Ba- 
ryumchromats  mitgeteilt,  deren  Ergebnisse  sich  aber  viel  weiter  von  der  Wahr- 
heit entfernten,  als  sonst  bei  den  Arbeiten  dieses  genauen  Forschers  der  Fall 
ist.  Mit  ziemlich  guter  Annäherung  wurde  dann  der  gesuchte  Wert  von  Berlin 
(1846)  gefunden,  welcher  Silberchromat  in  Chlorsilber  und  Chromoxyd  über- 
führte. Spätere  Arbeiten  von  Morberg  (1848),  Lefort  (1850),  Wildenstein 
(1853)  und  Kessler  (1861),  in  denen  verschiedene,  meist  ungeeignete  Metho- 
den benutzt  wurden,  stehen  hinter  der  älteren  Arbeit  von  Berlin  zurück. 
Siewert  (1861)  gab  eine  Fehlerquelle  in  der  letzten  Arbeit  an,  die  durch 
die  Löslichkeit  des  Chlorsilbers  in  der  sauren,  chromoxydhaltigen  Flüssig- 
keit, aus  der  es  gefällt  wird,  liegen  soll;  indem  er  sie  vermied,  erhielt  er 
statt  Berlins  Zahl  52-5  die  niedrigere  ,02-1.  Einen  mittleren  Wert  endlich 
fand  Baubigny  (1884)  bei  der  Überführung  von  Chromsulfat  in  Chromoxyd 
durch  starkes  Glühen.  Rawson  (1889)  zersetzte  Ammoniumdichromat  durch 
Erhitzen,  Meinecke  (1891)  verwandelte  Silberchromat  und  Ammoniumsilber- 
chromat  in  Chlorsilber,  und  Ammoniumchromat  durch  Fällen  mit  Mercuro- 
nitrat  und  Erhitzen  in  Chromoxyd.  Diese  neueren  Bestimmungen  ergeben 
etwas  kleinere  Werte  als  die  früheren,  und  führen  zu  dem  Mittel  Cr  =  52-1. 

16.  Didym,  Praseodym  und  Neodym.  Für  dieses  Element  gelten  dieselben 
Bemerkungen,  welche  über  das  Cer  (S.  25)  gemacht  worden  sind.  Die  älteren  An- 
gaben von  Marignac  (1849  und  1853),  Hermann  (1861),  Zschiesche  (1869)  und 
Erck  (1870)  schwanken  alle  sehr.  Sie  wurden  meist  durch  die  Fällung  der 
Schwefelsäure  des  Didymsulfats  mit  Chlorbaryum  erhalten  und  wurden  dadurch 
fehlerhaft,  dass  das  Baryumsulfat  unter  diesen  Umständen  erhebliche  Mengen 
von  Didymoxyd  durch  Adsorption  mitreisst.  Indessen  gaben  auch  ver- 
schiedene Versuche  von  Cleve,  Nilson  und  Pettersson,  und  Brauner,  welche 
alle  Didymsulfat  durch  heftiges  Glühen  in  Oxyd  überführten,  trotz  der 
gleichen  Methode  abweichende  Zahlen.  Im  Jahre  1885  berichtete  Auer 
V.  Welsbach,  dass  er  das  bisher  Didym  genannte  Element  als  ein  Gemenge 
von  zwei  anderen ,  die  er  Praseodym  und  Neodym  nannte ,  erkannt  habe. 
Die  Verbindungsgewichte  sind  nach  vorläufigen  Angaben,  die  inzwischen  nicht 
ergänzt  wurden,  Pr  =  143-6  und  Nd  =  140-8. 

Die  Angaben  von  Welsbach  blieben  lange  ohne  Kontrolle;  erst  in 
neuester  Zeit  ist,  veranlasst  durch  die  Verwendung  der  seltenen  Erden  in 
der  Industrie  des  Gasglühlichtes,  die  Arbeit  wieder  aufgenommen  worden. 
Dabei  stellte  sich  heraus,  dass,  während  die  Existenz  der  beiden  Bestand- 
teile desDidyms  bestätigt  wurde,  dieVerbindungsgewichte  gerade  die  umgekehrten 
Werte  haben.  Da  die  Untersuchungen  von  Scheele,  Braunerund  Jones  (sämt- 
lich 1898)  unabhängig  das  gleiche  Resultat  ergaben,  so  kann  man  gegenwärtig 
die  Zahlen  Pr  =  140-4  und  Nd  =*  148-6  als  ziemlich  sicher  bekannt  ansehen. 

17.^  Eisen.  Auch  für  das  Eisen  hatte  Berzelius  anfänglich  (1811)  einen 
erheblich  falschen  Wert  angenommen;  auf  den  Fehler  machten  Stromeyer 
(1826)  und  Wackenroder  (1844)  aufmerksam,  worauf  Berzelius  eine  erneute 
Untersuchung  durch  Svanberg  und  Norlin  (1846)  veranlasste,  der  er  einige 
eigene    Bestimmungen   hinzufügte.     Diese,    sowie    die   Untersuchungen    von 


r 


Die  Verbindungsgewichte.  27 

Erdmann  und  Marchand  (1844),  von  Maumen^  (1850)  und  Rivot  (1850)  wur- 
den angestellt,  indem  einerseits  reines  Eisen  durch  Behandlung  mit  Salpeter- 
säure, Abdampfen  und  Glühen  in  das  Oxyd,  andererseits  reines  Oxyd  durch 
Erhitzen  im  Wasserstoffstrome  in  Metall  übergeführt  wurde  und  ergaben  mit 
grosser  Übereinstimmung  Fe  ^^  56'00. 

18.  Erbium,  Auch  für  dies  seltene  Element  gelten  die  beim  Cer  und 
Didym  gemachten  Bemerkungen.  Man  hat  in  dem  Masse,  als  man  sich  ein- 
gehender mit  diesem  Stoffe  beschäftigte,  andere  Elemente  von  sehr  ähnlichen 
Eigenschaften  abscheiden  gelernt,  und  hat  gegenwärtig  auch  keine  Sicherheit, 
dass  das,  was  man  Erbium  nennt,  wirklich  ein  einheitlicher  Stoff  ist.  Die 
letzten  Bestimmungen  von  Cleve  (1880)  gaben  Er  =  166. 

19.  Fluor.  Das  Verbindungsgewicht  des  Fluors  war  lange  bestimmt 
worden,  bevor  man  das  Element  in  freiem  Zustande  kennen  lernte,  was  erst  vor 
kurzer  Zeit  geschehen  ist.  Man  kannte  es  nur  als  Bestandteil  verschiedener 
Verbindungen  und  schloss  auf  das  Dasein  des  Elementes  aus  der  Thatsache, 
dass  diese  Verbindungen  von  allen  Verbindungen  bekannter  Elemente  ver- 
schieden sind.  Zur  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  ist  fast  nur  eine  Me- 
thode benutzt  worden:  die  Umwandlung  von  Fluorcalcium  in  Calciumsulfat 
durch  Abdampfen  mit  Schwefelsäure :  Ca  Fl*  +  H*  S  0*  —  Ca  S  0*  +  2  H  Fl.  Der- 
artige Versuche  stellten  Berzelius  (1818  und  1824),  Louyet  (1849),  Dumas  (1859\ 
de  Luca  (1862)  mit  etwas  wechselnden  Ergebnissen  an,  da  das  Fluorcalcium 
äusserst  schwer  vollständig  durch  Schwefelsäure  zersetzbar  ist.  Deshalb  wur- 
den von  Einigen  noch  andere  Verbindungen,  Fluomatrium  und  Fluorblei,  an- 
gewendet. Das  Mittel  der  guten  Versuche  ist  Fl  =  19-00.  Diese  Zahl  wurde 
neuerdings  auf  einem  ganz  anderen  Wege  bestätigt.  Christensen  (1886)  zer- 
setzte die  Verbindung  (NH*)*MnFl*,  welche  schön  krystallisiert,  mit  Jodwasser- 
stoff: (NH*)«MnF15  H-  HJ  =  2NH*F1  H-  MnFl*  -+-  HFl  +  J  und  bestimmte  das 
ausgeschiedene  Jod  massanalytisch  mittelst  Natriumthiosulfat.  Das  Ergebnis 
war  dasselbe,  Fl  «  1900. 

20.  Gadolinium,  Das  Element  ist  von  Marignac  charakterisiert  worden, 
der  ihm  das  Verbindungsgewicht  156«8  zuschreibt.  Lecocq  de  Boisbaudran 
giebt  156-3,  Cleve  154-8.    Alle  diese  Zahlen  erscheinen  noch  sehr  unsicher. 

21.  Gallium.  Lecoq  de  Boisbaudran,  der  Entdecker  des  Galliums,  hat  (1878) 
das  Verbindungsgewicht  desselben  durch  Glühen  von  Ammoniumgalliumalaun, 
KH*GaS«0«-f  12H«0,  wobei  Galliumoxyd,  Ga'O»,  hinterbleibt,  bestimmt. 
Femer  hat  er  Metall  in  Oxyd  verwandelt.     Das  Ergebnis  ist  Ga  =«  69-9. 

22.  Germanium.  Der  Entdecker  des  Germaniums,  Cl.  Winkler,  analy- 
sierte Germaniumchlorid,  GeCl*,  durch  Zersetzen  mit  Natriumcarbonat  und 
massanalytische  Bestimmung  des  Chlors  mittelst  Silberlösung.  Aus  seinen 
Angaben  berechnet  sich  Ge  ==  72-3. 

23.  Gold.  An  diesem  Element  sind  sehr  mannigfaltige  Methoden  in 
Anwendung  gebracht  worden.  Zuerst  fällte  Berzelius  (1813)  eine  Goldlösung 
mit  Quecksilber  und  bestimmte  so  das  Verhältnis  der  Verbindungsgewichte  der 
beiden  Metalle.  Später  erhielt  Javal  (1821)  durch  Analysen  von  Goldoxyd  ganz 
andere  Zahlen,  worauf  Berzelius  (1845)  in  einer  neutralen  Chlorgoldlösung 


28  I-    Masseiiverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

das  Verhältnis  zwischen  Chlor  und  Gold  ermittelte,  und  andererseits  Kalium- 
goldchlorid,  KAuCl**,  durch  Glühen  im  Wasserstoffstrome  zersetzte  und  das 
Verhältnis  zwischen  Gold  und  Chlorkalium  bestimmte.  Levol  (1850)  arbei- 
tete nach  einer  vollkommen  abweichenden  Methode:  er  reduzierte  eine 
Goldchloridlösung  durch  Schwefeldioxyd,  2AuC18  +  3S0*+ 6H«0  =-2Au 
-j- 3H*SO*-t-6HCl,  und  bestimmte  das  Verhältnis  zwischen  dem  Golde  und 
dem  aus  der  Lösung  durch  Chlorbaryum  gefällten  Baryumsulfat.  In  neuester 
Zeit  endlich  haben  G.  Krüss  (1887)  und  Thorpe  und  Laurie  (1887)  nach  der 
letzten  Methode  von  Berzelius,  Zerlegung  von  Golddoppelsalzen,  eine  Neu- 
bestimmung vorgenommen,  und  Au  =  197-2  im  Mittel  erhalten.  Diese  Zahl 
wird  auch  durch  die  nach  acht  verschiedenen  Methoden  durchgeführte  Unter- 
suchung von  Mallet  (1889)  nicht  verändert. 

24.  Helium.  Dies  gasförmige  Element  verhält  sich  ganz  wie  das  Argon. 
Sein  Entdecker  Ramsay  hat  seine  Dichte  wiederholt  bestimmt;  die  letzte,  wohl 
auf  einen  Bruchteil  eines  Prozents  sichere  Bestimmung  ergiebt  He  =  3*96. 

25.  Indium.    Dieses  von  Reich  und  Richter  entdeckte  Element  ist  von ' 
seinen  Entdeckern  (1864),  von  Winkler  (1867)  und  von  Bunsen  (1870)  aufsein 
Verbindungsgewicht  untersucht  worden.     Die  hauptsächlich  benutzte  Methode 
bestand  in  der  Oxydation  des  Metalls  zu  Oxyd.     Der  Wert  ist  In  =  113-7. 

26.  Iridium.  Vom  Jahre  1828--1878,  also  50  volle  Jahre,  begnügte 
sich  die  Wissenschaft  mit  einer  einzigen  Analyse  von  Kaliumiridiumchlorid, 
welche  Berzelius  ausgeführt  hatte.  In  dem  letzterwähnten  Jahre  führte  Seubert 
eine  sehr  sorgfältige  Arbeit  nach  derselben  Methode  aus,  deren  Ergebnis 
Ir  =  193-2  ist.    Joly  fand  (1890)  den  gleichen  Wert. 

27.  Jod.  Gay-Lussac  (1814),  dem  wir  die  genaue  Kenntnis  dieses  Ele- 
mentes verdanken,  bestimmte  das  Verhältnis,  in  welchem  Jod  und  Zink  sich 
verbinden.  Berzelius  (1828)  zerlegte  gewogene  Mengen  von  Jodsilber  durcli 
Erhitzen  im  Chlorstrome,  wobei  es  völlig  in  Chlorsilber  übergeht;  später  sind 
diese  Versuche  von  Dumas  (1859)  mit  ganz  übereinstimmendem  Ergebnis 
wiederholt  worden.  Eine  der  von  Berzelius  für  Chlor  eingeführten  (S.  19) 
Methode  ähnliche  benutzte  Millon  (1843),  indem  er  Kaliumjodat  durch  Glühen 
in  Jodkalium  überführte.  Marignac  (1843)  stellte  das  Verhältnis  zwischen 
Jodkalium  und  Silber,  sowie  das  zwischen  Silber  und  Jodsilber  fest. 

Stas  endlich  analysierte  Silberjodat,  indem  er  es  durch  Erhitzen  zer- 
setzte und  den  entweichenden  Sauerstoff  durch  glühendes  Kupfer  aufnahm. 
Andererseits  bestimmte  er  das  Verhältnis  zwischen  Jod  bez.  Silber  und  Jod- 
Silber.  Aus  seinen  Versuchen,  mit  denen  die  von  Marignac  völlig  überein- 
stimmen, ergiebt  sich  J  »«  126-86. 

28.  Kalium.  Mit  Ausnahme  der  allerältesten  Bestimmungen  von  Ber- 
zelius (1811),  bei  denen  metallisches  Kalium  (als  Amalgam  gewogen)  in  Chlor- 
kalium verwandelt  wurde,  hat  man  später  das  Verbindungsgewicht  des  Kaliums 
stets  im  Zusammenhange  mit  dem  des  Chlors  durch  die  Analyse  des  Kalium - 
chlorats  bestimmt;  die  verschiedenen  Forscher,  welche  sich  an  der  Arbeit 
beteiligt  haben,  sind  dort  (S.  19)  genannt  worden.  Die  gegenwärtig  benutzte 
Zahl  ist  die  von  Stas,  K  «-  39.14. 


Die  Yerbindungsgewichte.  29 

29.  Kobalt.  Über  dieses  Element  ist  eine  Unzahl  von  Arbeiten  aus- 
geführt worden,  besonders  zu  dem  Zwecke,  um  zu  entscheiden,  ob  Kobalt 
und  Nickel  gleiche  oder  verschiedene  Atomgewichte  haben,  und  bei  keinem 
Element  sind  von  verschiedenen,  gleich  zuverlässigen  Forschern  so  abweichende 
Ergebnisse  gefunden  worden.  Die  Namen  der  Beteiligten  sind  Rothoff  (1818), 
Schneider  (1857),  Marignac  (1857),  Gibbs  (1858),  Dumas  (1859),  Rüssel  (1863 

:    und  1869),  Sommaruga  (1866),  Winkler  (1867),  Weselski  (1868),  Lee  (1871), 

Zimmermann  (1886),  Remmler  (1891),  Winkler  (1893  und  1894),  Hempel  und 

Thiele  (1895),  Richards  und  Baxter  (1898).   Die  angewandten  Methoden  waren 

sehr  verschieden,    und   die   Ergebnisse   schwanken    zwischen  58*8  und  60*6. 

;   Noch  mehr  yrurde  die  Frage  durch  die  von  Krüss  (1889)  behauptete  Existenz 

I   eines  dritten  Metalls  neben  Kobalt  und  Nickel  verwickelt,  die  sich  indessen 

'   als  ein  Irrtum  herausgestellt  hat.    Als  wahrscheinlichster  Wert  ist  der  von 

r  Richards    und    Baxter    durch    die    Analyse    des   Kobaltbromids    gefundene, 

Qp»59-0,  anzusehen. 

30.  Kohlenstoff.  Die  Bestimmung  des  Verbindungsgewichts  des  Kohlen- 
stoffs wurde  von  Berzelius  anfänglich  auf  die  Beobachtung  gegründet,  dass  der 
Sauerstoff  sein  Volum  nicht  vermehrt,  wenn  er  in  Kohlendioxyd  übergeht;  es 
verhält  sich  somit  das  Yerbindungsgewicht  des  Sauerstoffs  zu  dem  des  Kohlen- 
dioxyds wie  die  spezifischen  Gewichte  beider  Gase.  Indessen  ist  dies  nicht 
streng  richtig;  das  Volum  des  Kohlendioxyds  ist  etwas  kleiner,  als  das  des 
Sauerstoffe,  und  so  entstand  der  falsche  Wert,  welcher  erst  spät  (1841)  durch 
Liebig  und  Redtenbacher,  Dumas  und  Stas,  sowie  Erdmann  und  Marchand 
richtig  gestellt  wurde  (S.  15).  Die  von  diesen  Forschem  übereinstimmend 
gefundene  Zahl  C  «=  12-00  ist  in  der  Folge  noch  mehrfach  bestätigt  worden. 
So  von  Stas  (1849)  durch  Verbrennung  von  Kohlenoxyd,  von  Roscoe  (1882) 
durch  Verbrennung  von  Diamanten  (vom  Kap),  auf  gleiche  Weise  von  Friedel 
(1885)  und  endlich  von  van  der  Plaats  (1885)  durch  Verbrennung  von  Zucker- 
kohle, Graphit  und  Papierkohle.  Es  ist  somit  mit  grosser  Sicherheit  zu  setzen 
€«1200. 

31.  Krypton.  Dies  Gas  von  dem  Typus  des  Argons  wurde  von  Ramsay 
(1898)  gleichfalls  in  der  atmosphärischen  Luft  aufgefunden.  Über  sein  Ver- 
bindungsgewicht  lässt  sich  noch  nicht  bestimmtes  angeben. 

32.  Kupfer.  Die  meisten  Versuche  zur  Bestimmung  des  Verbindungsge- 
wichts dieses  Metalls  sind  durch  Reduktion  gewogener  Mengen  von  Kupferoxyd 
in  erhitztem  Wasserstoff  ausgeführt  worden.  So  einfach  der  Versuch  aussieht, 
so  haftet  ihm  doch  eine  Fehlerquelle  an,  welche  darin  liegt,  dass  das  schwamm - 
fönnige  reduzierte  Kupfer  merkliche  Mengen  Wasserstoff  auf  sich  verdichtet 
nnd  dadurch  sein  Gewicht  vermehrt.  Nach  diesem  Verfahren  arbeiteten  Ber- 
zelius (1820),  Erdmann  und  Marchand  (1844\  Milien  und  Commaille  (1864) 
und  Hampe  (1874).  Letzterer  bestimmte  ferner  den  Kupfergehalt  des  wasser- 
freien Kupfersulfats  durch  elektrolytische  Ausscheidung.  Endlich  verwandelte 
Banbigny  (1883)  Kupfersulfat  durch  Glühen  in  Oxyd. 

Auf  einem  ganz  anderen  Wege,  welcher  dem  beim  Antimon  angewen- 
deten (S.  22)  gleich  ist,  bestimmte  W.  N.  Shaw  (1887)  den  gesuchten  Wert 


30  I-    Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Er  leitete  denselben  galvanischen  Strom  durch  zwei  Zersetzungszellen,  wo 
derselbe  einerseits  Kupfer,  andererseits  Silber  ausscheiden  musste,  und  be- 
stimmte nach  dem  Faradayschen  Gesetz  daraus  das  Äquivalent-  oder  Ver- 
bindungsgewicht des  Kupfers.  Die  Zahl  stimmt  mit  den  auf  chemischem 
Wege  gefundenen  sehr  nahe  tiberein. 

Sehr  eingehende  und  sorgfältige  Bestimmungen  rühren  von  Th.  W. 
Richards,  her  (1886 — 1891),  der  nach  verschiedenen  Methoden  arbeitete.  Er 
führte  Silbernitrat  in  kalter  Lösung  durch  metallisches  Kupfer  in  Silber  über, 
analysierte  trockenes  Kupfersulfat,  bestimmte  das  Verhältnis  zwischen  Kupfer 
und  Silber,  bez.  Silberbromid  und  Kupferbromid.  Seine  Zahlen  können  als 
die  zuverlässigsten  angesehen  werden  und  ergeben  Cu  «=  63-60. 

33.  Lanthan.  Auch  das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  leidet  unter 
derselben  Unsicherheit,  wie  das  der  anderen  seltenen  Erden.  Es  sollen  daher 
nicht  die  sehr  zahlreichen  Forscher  genannt  werden,  welche  sich  mit  ihrer 
Bestimmung  beschäftigt  haben,  zumal  die  benutzten  Methoden  die  gleichen 
waren.  Als  wahrscheinlichsten  Wert  kann  man  einen  von  Cleve  (1883)  an- 
gegebenen ansehen;  beträgt  La  =138-5. 

34.  Lithium.  Das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  ist  ausserordentlich 
verschieden  von  verschiedenen  Chemikern  bestimmt  worden.  Der  Entdecker 
Arfvedson  (1818)  fand  Li  =  10-3.  Darauf  fand  Vauquelin  (1818)  Li  ==  9-2, 
Gmelin  (1818)  10-8,  Kralowanszky  (1827)  10-6,  dagegen  Hermann  (1829)  6-1, 
Berzelius  (1830)  6-6,  Hagen  (1839)  6-5,  Mallet  (1857)  6-95.  Erst  Troost 
(1862),  der  anfänglich  auch  falsche  Zahlen  gefunden  hatte,  erhielt  später 
annähernd  richtige.  Die  genaue  Zahl  wurde  dann  von  Diehl  (1862)  be- 
stimmt, indem  er  gewogene  Mengen  Lithiumcarbonat  mit  Schwefelsäure 
zersetzte  und  durch  den  Gewichtsverlust  des  Apparates  das  Kohlendioxyd 
ermittelte.  Stas  endlich  stellte  durch  Titration  die  Beziehung  zwischen 
Chlorlithium  und  Silber  fest,  und  bestimmte  so  die  gegenwärtig  gültige  Zahl 
Li «  7-03. 

35.  Magnesium.  Die  meisten  älteren  Bestimmungen  sind  durch  Analyse 
oder  Synthese  des  Sulfats  gemacht  worden,  so  von  Berzelius  (1812),  Gay- 
Lussac  (1819),  Scheerer  (1846),  Svanberg  und  Nordenfeldt  (1848),  Jacquelain 
(1850),  Bahr  (1852).  Die  letztere  Bestimmung  ist  dadurch  besonders  in- 
teressant, dass  sie  an  einer  Probe  Magnesia  gemacht  wurde,  die  aus  dem 
Olivin  eines  sibirischen  Meteoriten  stammte.  Wie  in  allen  anderen  Eigen- 
schaften, erwies  sich  diese  himmlische  Magnesia  auch  in  Bezug  auf  das 
Verbindungsgewicht  von  der  irdischen  nicht  verschieden. 

Eine  ausgedehnte  Untersuchung  von  Marchand  und  Scheerer  (1850)  über 
den  Kohlensäuregehalt  von  natürlichem  Magnesiumcarbonat  (Frankensteiner 
Magnesit)  ist  wertlos  geworden,  als  Scheerer  neun  Jahre  später  in  dem  be- 
nutzten Materiale  einen  Kalkgehalt  entdeckte.  Auch  die  Versuche  von 
Dumas  (1859)  über  das  Verhältnis  zwischen  Chlormagnesium  und  Silber  zeigten 
nur  die  Unbrauchbarkeit  der  Methode,  da  es  trotz  Erhitzens  im  Chlorwasaer- 
stoffstrome  nicht  gelang,  ein  sauerstofffreies  Magnesiumchlorid  herzustellen. 
Erst  in  neuerer  Zeit  hat  Marignac  (1883)  durch  die  alte  Methode,  Synthese 


Die  Verbindiingsgewichte.  31 

und  Analyse  des  Sulfats,   Bestimmungen  geliefert,  welche  den  berechtigten 

Ansprüchen  an  eine  so  häufig  gebrauchte  Konstante  genügen.  Sie  ergaben 
;  Werte,  die  etwa  1  Va  Prozent  höher  ausfielen,  als  die  bis  dahin  (und  sogar  noch 
;  zuweilen  jetzt)  benutzte  runde  Zahl  240.  Die  Bestimmungen  von  Burton  und 

Vorce  (1890)  sind  durch  eine  inzwischen  entdeckte  Fehlerquelle  zweifelhaft 
1  geworden ;  dagegen  besitzen  wir  gute  Messungen  von  Richards  und  Parker 
!  (1896),  die  auf  der  Bestimmung  der  Beziehung  zwischen  Magnesiumchlorid 
!  und  Silber  beruhen.    Das  Ergebnis  stimmt  ausgezeichnet  mit  dem  von  Marignac, 

und  die  Zahl  =  24-36  kann  bis  auf  eine  Einheit  der  letzten  Stelle  als  richtig 

angesehen  worden. 

36.  Mangan.  Die  älteren  Werte  für  das  Verbindungsgewicht  des  Mangans 
waren  ziemlich  unsicher;  genaueren  Zahlen  begegnen  wir  erst  bei  Hauer 
ll857),  welcher  Mangansulfat  durch  Glühen  im  Schwefelwasserstoffstrome  in 
Mangansulfür  überführte.  Die  Methode  ist  viel  besser,  als  das  von  Dumas 
wieder  angewandte  Titrierverfahren  mit  Silber,  wobei  sich  wieder  die  Un- 
möglichkeit herausstellte,  reines  Manganchlorür  zu  gewinnen.  Auch  eine 
Versuchsreihe  von  Schneider  (1859)  durch  Verbrennung  von  Manganoxalat 
lässt  zu  wünschen  übrig.  Dewar  und  Scott  (1883)  analysierten  Silber- 
permanganat,  AgMnO*,  und  Marignac  (1883)  und  Weeren  (1890)  führten 
Manganoxj'^dul  in  das  Sulfat  über;  letzterer  wiederholte  auch  die  Versuche 
von  Hauer.  Beide  Versuchsreihen  gaben  Zahlen,  die  unter  sich  und  mit 
denen  Hauers  stimmten,  so  dass  gesetzt  werden  kann  M  =  55*0. 

37.  Molybdän.  Die  ältesten  Versuche  von  Berzelius  (1818)  beziehen 
sich  auf  die  Umwandlung  von  Bleinitrat  in  Bleimolybdat,  und  gaben  viel 
riehtigere  Zahlen,  als  die  Versuche  von  Svanberg  und  Struve  (1848),  bei 
denen  Molybdänsulfid,  MoS*,  durch  Rösten  in  Trioxyd,  MoO',  übergeführt 
wurde.  Es  findet  dabei  nur  ein  Gewichtsverlust  von  etwa  10  Prozent  statt, 
und  die  begangenen  Versuchsfehler  haben  einen  sehr  grossen  Einfluss  auf 
das  Ergebnis.  Gute  Zahlen,  Mo  =  96,  erhielt  dagegen  Dumas  (1859),  welcher  das 
Trioxyd  durch  starkes  Erhitzen  im  Wasserstoffstrome  in  Metall  überführte. 
Auch  die  Analysen  der  Molybdänchloride  von  Liechti  und  Kämpe  (1873) 
ergaben  gleiches  und  in  neuerer  Zeit  ist  von  0.  v.  d.  Pfordten  (1884) 
durch  die  Analyse  des  Ammoniummolybdats  ein  gleicher  Wert  gefunden 
worden.  Smith  und  Maas  (1893^  erhitzten  Natriummolybdat  in  einem  Strome 
von  Chlorwasserstoff,  wobei  Natriumchlorid  nachbleibt.  Seubert  und  Pollard 
lösten  Molybdäntrioxyd  in  Natronlauge  auf,  und  bestimmten  das  Äquivalent 
durch  alkalimetrische  Titration ;  ferner  reduzierten  sie  das  Trioxyd  im  Wasser- 
stoffstrome zu  Metall.     Das  Mittel  der  Werte  führt  auf  Mo  ==  96*0. 

38.  Natrium.  Berzelius  (1811)  bestimmte  das  Verbindungsgewicht  dieses 
Elementes  wie  das  des  Kaliums  (S.28)  durch  Überführung  des  Metalls  im  Amal- 
gam in  Chlomatrium.  Einen  fast  absolut  richtigen  Wert  fand  Penny  (1839) 
durch  Reduktion  des  Natriumchlorats  zu  Chlornatrium.  Pelouze  (1845), 
Dumas  (1859)  und  Stas  bestimmten  das  Verhältnis  zwischen  Chlornatrium  und 
Silber;  die  Versuche  des  letzteren  gaben  die  gegenwärtig  sicherste  Zahl 
Na  =  23.06. 


32  I-    Massenverhftltnisse  chemischer  Verbindungen. 

39.  Neon  ist  ein  von  Ramsay  (1889)  entdecktes  Gas  von  den  allgemeinen 
Eigenschaften  des  Argons.  Aus  seiner  Dichte  ergiebt  sich  angenähert  das 
Verbindungsgewicht  Ne  ■«  20. 

40.  Nickel.  Fast  alle  Forscher,  welche  das  Verbindungsgewicht  des  Kobalts 
festzustellen  gesucht  haben,  haben  sich  auch  mit  dem  des  Nickels  beschäftigt 
und  ebenfalls  sehr  wechselnde  Werte,  von  58-0  bis  69«4,  erhalten.  Durch 
die  Entdeckung  des  leicht  flüchtigen  Nickelcarbonyls,  dem  keine  entsprechende 
Kobaltverbindung  zur  Seite  steht,  ist  es  (1890)  möglich  geworden,  kobaltfreie 
Nickelpräparate  mit  Leichtigkeit  herzustellen,  und  seitdem  hat  sich  auch  das 
Verbindungsgewicht  des  Nickels  mit  grösserer  Sicherheit  bestimmen  lassen.  Die 
besten  Zahlen  sind  voraussichtlich  die  von  Blchards  und  Cushmann  (1898) 
bei  der  Ermittelung  der  Beziehung  zwischen  Nickel bromid  und  Silber  erhaltenen, 
die  Ni  =  58'7  ergeben. 

41.  Niobium.  Die  Erforschung  der  Natur  dieses  Elementes  hat  sehr 
bedeutende  Schwierigkeiten  gemacht,  die  von  Rose,  welcher  sich  viele  Jahre 
mit  demselben  beschäftigt  hat,  nicht  tiberwunden  worden  sind.  Erst  Blom- 
strand  fand  die  richtige  Auffassung  der  Verhältnisse,  und  demselben  ver- 
danken wir  auch  die  Bestimmungen,  welche  als  die  richtigsten  anzusehen 
sind.     Die  Analysen  des  Pentachlorids  gaben  Nb  =  94*2 . 

42.  Osmium.  Auch  für  dieses  Element  musste  bis  in  die  neueste  Zeit 
eine  einzige  Analyse  des  Kaliumosmiumchlorids  von  Berzelius  (1828)  dienen, 
welche  Os  =  200  ergeben  hatte.  Erst  1888  hat  K.  Seubert  eine  genaue  Neu- 
bestimmung ausgeführt,  welche  durch  Analyse  des  Ammonium-  und  des 
Kaliumosmiumchlorids  zu  einer  weit  kleineren  Zahl  führte,  welche  als  richtig 
anzusehen  ist:  Oss«191. 

43.  Palladium.  Bis  zum  Jahre  1889  beruhte  unsere  Kenntnis  von  dem 
Atomgewicht  dieses  Elementes  allein  auf  den  alten  Bestimmungen  von  Ber- 
zelius. In  dem  genannten  Jahre  teilte  Keiser  die  ersten  Ergebnisse  seiner 
Arbeiten  darüber  mit,  die  er  1894  weiter  führte.  Inzwischen  waren  andere 
Forscher  an  der  gleichen  Frage  thätig  gewesen,  so  Bailey  und  Lamb  (1892), 
Keller  und  Smith  (1892),  Joly  und  Leidie  (1893).  Der  Mittelwert  ist  noch 
ziemlich  unsicher,  und  es  muss  die  runde  Zahl  Pd  =«  106  genügen. 

44.  Phosphor,  Zur  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  dieses  Ele- 
mentes hat  Berzelius  viele  Methoden  versucht,  ohne  ein  genügendes  Ergebnis 
zu  erhalten.  Noch  mannigfaltiger  sind  die  Methoden,  aber  auch  die  Zahlen, 
welche  Jacquelain  (1852)  erhielt.  Zuverlässige  Zahlen,  die  bis  jetzt  auch 
die  besten  geblieben  sind,  erhielt  Schröter  (1852),  der  Entdecker  des  roten 
Phosphors,  indem  er  gewogene  Mengen  desselben  in  einem  geeigneten  Appa- 
rate mit  Sauerstoff  zu  Pentoxyd  verbrannte.  Gleiche  Versuche  sind  auch  in 
neuerer  Zeit  von  van  der  Plaats  (1885)  angestellt  worden  und  haben  die 
gleichen  Zahlen  ergeben. 

Von  Pelouze  (1845)  und  Dumas  (1859)  ist  die  Methode  der  Silber- 
titrierung  unter  Benutzung  von  Phosphortrichlorid  angewendet  worden;  in- 
dessen macht  sich  auch  hier  die  gewöhnliche  Schwierigkeit  geltend,  ein  reines, 


Die  Verbindungsgewichte.  33 

hier  insbesondere    von   Oxychlorid    freies   Trichlorid   zu  erhalten,   und   die 
Zahlen  sind  daher  fast  immer  etwas  zu  hoch  ausgefallen. 

Das  Ergebnis  der  Versuche  von  Schrötter  führt  zu  P  — 31«03. 

45.  Platin.  Das  Missgeschick,  welches  Berzelius,  entgegen  der  grossen 
Zuverlässigkeit  seiner  übrigen  Bestimmungen,  bei  der  Ermittelung  der  Ver- 
bindnngsgewichte  der  Metalle  der  Platingruppe  hatte,  machte  sich  auch  bei 
der  des  Platins  selbst  geltend.  Seine  älteren  Zahlen  (1813  und  1826),  welche 
er  durch  Fällung  einer  Platinlösung  mit  Quecksilber,  und  durch  die  Analyse 
des  Platinchlorürs  erhalten  hatte,  kommen  der  Wahrheit  viel  näher,  als  die 
von  ihm  bevorzugte  Zahl,  welche  auf  der  Analyse  des  Kaliumplatinchlorids 
(1828)  beruhte  und  Pt  =  197-2  ergab.  Im  Jahre  1881  wies  Seubert  einen 
ziemlich  beträchtlichen  Fehler  in  dieser  Bestimmung  nach,  und  stellte  durch 
Analyse  des  Kalium-  wie  des  Ammoniumplatinchlorids  den  Wert  Pt  =  1 94-8 
fest  Die  Zahl  wurde  bald  darauf  von  Halberstadt  (1884)  bestätigt.  Diese 
Verhältnisse  zu  kennen,  hat  eine  gewisse  Bedeutung,  da  bei  den  Analysen 
stickstoffhaltiger  Stoffe  sehr  häufig  der  Stickstoff  in  Form  von  Platinsalmiak 
abgeschieden  und  aus  der  Wägung  des  aus  Platin  bestehenden  Glührückstandes 
berechnet  wird;  bis  zum  Jahre  1881  sind  daher  die  nach  dieser  Methode 
ausgeführten  Analysen  mit  einem  Rechenfehler  behaftet,  welcher  den  ge- 
fundenen Stickstoffgehalt  kleiner  erscheinen  lässt,  als  er  in  Wirklichkeit  ist. 

46.  Quecksilber.  Über  das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  hat  nie- 
mals eine  erhebliche  Unsicherheit  geherrscht,  da  bereits  die  ältesten  Analysen 
des  Quecksilberoxyds  von  Sefström  eine  der  richtigen  sehr  nahekommende 
Zahl  gaben.  Spätere  Bestimmungen  wurden  nach  verschiedenen  Methoden 
ausgeführt.  Turner  (1883)  analysierte  ausser  Quecksilberoxyd  noch  Queck- 
silberchlorid und  Kalomel  durch  Glühen  mit  Kalk,  Erdmann  und  Marchand 
(1844)  reduzierten  Quecksilberoxyd  mit  Kohle  und  Quecksilbersulfid  mit 
metallischem  Kupfer,  Millon  (1846)  und  Svanberg  (1848)  zerlegten  wiederum 
Quecksilberchlorid  durch  Glühen  mit  Kalk.  Hardin  (1896)  benutzte  elektro- 
lytische Methoden.   Der  Mittelwert  aller  Bestimmungen  führt  auf  Hg  =  200-3. 

47.  Bhodium.  Die  Zahl,  welche  Berzelius  (1828)  durch  die  Analyse 
des  Natriumrhodiumchlorids  erhielt,  scheint  etwas  richtiger  zu  sein,  als  die 
för  die  anderen  Platinmetalle  gefundenen.  Denn  sie  wird  durch  spätere  Be- 
stimmungen von  Jörgensen  (1883),  die  allerdings  nur  vorläufigen  Charakter 
tragen,  nur  um  eine  Einheit  verändert;  nach  letzterem  ist  zu  setzen  Rh  =  103. 
Den  gleichen  Wert  fanden  Seubert  und  Kobbe  (1890). 

48.  Bubidium.  Als  erste  Frucht  der  neuentdeckten  Spektralanalyse  fand 
R.  Bunsen  die  neuen  Alkalimetalle  Rubidium  und  Cäsium  auf.  Während 
die  völlige  Reindarstellung  des  letzteren  nicht  alsbald  gelang,  wurde  Rubidium 
sogleich  frei  von  Beimengungen  erhalten,  und  die  für  dasselbe  aus  der  Ana- 
lyse des  Chlorids  (1861)  erhaltene  Zahl  ist  durch  spätere  gleichartige  Be- 
stimmungen von  Piccard  (1862)  und  Godeffroy  (1875)  bestätigt  worden.  Das 
Mittel  ist  Rb  «  85-4. 

49.  Buthenium.  Der  Entdecker  dieses  Metalls,  Claus,  dessen  Arbeiten 
wir  üst  unsere  ganze  Kenntnis  darüber  verdanken ,  hat  auch  das  Verbindungs- 

Ostwald,  Grandriss.  3. Aufl.  3 


34  I-  Massenverhältnisöe  chemischer  Verbindungen. 

gewicht  durch  Analyse  des  Ealiumrutheniumchlorids,  K*RuCl*,  bestimmt. 
Es  fand  sich  Ru  ^  103-8.  Neuere  Untersuchungen  von  Joly  (1889)  ergeben 
den  erheblich  kleineren  Wert  Ru  «=  lOl«?. 

50.  Samarium,  Dieses  Element  ist  noch  weniger  sicher  als  einheitlich 
erwiesen,  wie  die  anderen  seltenen  Erdmetalle.  Cleve  (1884),  der  das  Oxyd 
in  Sulfat  überführte,  giebt  den  Wert  Sm  « 150. 

51.  Scandium.  Auch  dieses  Element  gehört  zu  den  „seltenen  Erden", 
doch  ist  seine  Einheitlichkeit  viel  wahrscheinlicher,  als  die  der  anderen,  von 
denen  es  durch  sein  kleines  Verbindungsgewicht  sehr  bedeutend  abweicht. 
Nilson  (1880),  der  es  gleichzeitig  mit  Cleve  entdeckt  hat,  giebt  den  Wert 
Sc  =  441 ;  die  Zahl  wurde  durch  Überführung  des  Oxyds  in  das  Sulfat 
bestimmt. 

52.  Schwefel.  Das  Verfahren,  nach  welchem  Berzelius  (1811)  zum  ersten 
Male  das  Verbindungsgewicht  des  Schwefels  feststellte,  bestand  darin,  dass  er 
gleiche  Mengen  Blei  einerseits  mit  Sauerstoff,  andererseits  mit  Schwefel  ver- 
band; die  erhaltene  Zahl  war  allerdings  noch  nicht  genau.  Später  (1818) 
führte  er  Blei  in  Bleisulfat  über,  welche  Versuche  Turner  (1833)  wiederholte. 
Erdmann  und  Marchand  (1844)  analysierten  Quecksilbersulfid,  nachdem  sie  das 
Verbindungsgewicht  des  Quecksilbers  durch  Analyse  des  Oxyds  (S.  33)  fest- 
gestellt hatten.  Berzelius,  welcher  ihre  Ergebnisse  in  Zweifel  zog,  führte 
(1845)  Chlorsilber  durch  Erhitzen  in  Schwefelwasserstoff  in  Schwefelsilber 
über.  Struve  (1851)  zersetzte  Silbersulfat  durch  Erhitzen  im  Wasserstoff- 
strome, wobei  reines  Silber  hinterbleibt,  und  Dumas  (1859)  endlich  führte 
Silber  durch  Erhitzen  im  Schwefeldampf  in  Schwefelsilber  über. 

Die  Ergebnisse  der  meisten  Versuche  führten  zu  Werten,  welche  nahe 
an  S  =»  32-0  liegen.  Doch  folgt  aus  den  genauen  Versuchen  von  Stas  (S.  20\ 
dass  der  wahre  Wert  etwas  höher  liegt;  er  beträgt  S  =  32»06. 

53.  Selen.  Die  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  hat  beim  Selen 
erhebliche  Schwierigkeiten  gemacht.  Berzelius  (1818)  benutzte  ein  ganz  un- 
gewöhnliches Verfahren:  die  Überführung  gewogener  Mengen  von  Selen  in 
das  Tetrachlorid,  SeCl*,  und  schenkte  der  hieraus  gewonnenen  Zahl  ein 
grösseres  Zutrauen,  als  der,  welche  sich  aus  der  Analyse  des  Selensilbers  und 
der  des  selenigsauren  Baryts  ergab.  Eine  Arbeit  von  Sacc  (1847)  enthält 
eigentlich  nur  ein  Verzeichnis  von  Versuchen,  welche  nicht  zum  Ziele  führten. 
Von  Erdmann  und  Marchand  (1852)  rührt  nur  eine  kurze  Angabe  über  die 
Analyse  des  Selenquecksilbers  her,  Dumas  (1859)  endlich  wiederholte  die  Ver- 
suche von  Berzelius  über  die  Bildung  des  Tetrachlorids. 

Die  gegenwärtig  benutzte  Zahl  stützt  sich  auf  eine  Untersuchung  von 
Ekmann  und  Pettersson  (1876),  in  welcher  einerseits  Selen  in  das  Dioxyd 
verwandelt,  andererseits  selenigsaures  Silber  in  Chlorsilber  übergeführt  wurde. 
Das  Mittel  ist  Se  =  79-1. 

54.  Süher.  Das  Verbindungsgewicht  des  Silbers  ist  stets  gleichzeitig  mit  dem 
des  Chlors  und  des  Kaliums  bestimmt  worden  (S.  19),  so  dass  auf  die  dort 

.  gemachten  Angaben  verwiesen  werden  kann.     Die  gegenwärtig  angenommene 


Die  Verbindungsgewichte.  35 

Zahl,  die  von  allen  Verbindungsgewichten  überhaupt  als  die  bestbekannte  an- 
zusehen ist,  wurde  von  Stas  nach  fünf  unabhängigen  Methoden  ermittelt, 
deren  Ergebnisse  nachstehend  zusammengestellt  sind. 

a)  Analyse    des  Kaliumchlorats  und  Ermittelung  des  Verhält- 
nisses KCl:  Ag 107-940 

b)  Analyse  des  Silberchlorats  und  Synthese  des  Ghlorsilbers     .     107-941 

c)  Analyse  des  Silberbromats  und  Synthese  des  Bromsilbers     .     107-923 

d)  Analyse  des  Silberjodats  und  Synthese  des  Jodsilbers      .     .     107-937 

e)  Analyse  des  Silbersulfats  und   Synthese  des  Schwefelsilbers     107-927 

Der  Mittelwert  ist  Ag  =  107-938,  und  sein  wahrscheinlicher  Fehler  be- 
trägt weniger  als  vier  Einheiten  der  letzten  Stelle.  Es  ist  das  eine  Genauig- 
keit, welche  in  den  exakten  Wissenschaften  sonst  schwerlich  erreicht,  geschweige 
denn  übertroffen  wird. 

55.  Silicium.  Das  Verbindungsgewicht  dieses  Elementes  war'^bekannt,  bevor 
noch  dieses  selbst  bekannt  war.  Berzelius  (1810)  und  mit  besserem  Erfolge 
Stromeyer  (1811)  stellten  nämlich  siliciumreiches  Eisen  her,  von  dem  sie  ge- 
wogene Mengen  oxydierten.  Das  Oxydationsprodukt  wurde  analysiert,  und 
nach  Abzug  des  Eisens  im  Ausgangsstoffe  und  des  Eisenoxyds  im  Oxydations- 
produkte war  das  Verhältnis  des  Siliciums  zu  dem  Dioxyd  gegeben.  Später 
untersuchte  Berzelius  verschiedene  Silicate,  natürliche,  wie  künstliche,  sowie 
Kieselfluorbaryum,  jedoch  ohne  genügendes  Ergebnis. 

Erst  die  Anwendung  der  Silbertitriermethode  hat  zu  guten  Erfolgen 
geführt.  Nach  den  ersten  Versuchen  von  Pelouze  (1845)  haben  Dumas  (1859) 
und  Schiel  (1861)  das  Verfahren  mit  gleichen  Ergebnissen  angewendet.  In 
letzter  Zeit  haben  Thorpe  und  Young  (1887)  gewogene  Mengen  Silicium- 
tetrabromid  mit  Wasser  zersetzt  und  die  entstehende  Kieselsäure  gewogen. 
Das  Ergebnis  ist  Si  =  28-4. 

56.  Stickstoff.  Für  dieses  Element  ist  eine  sehr  grosse  Zahl  verschie- 
dener Methoden  benutzt  worden.  Berzelius  stellte  zuerst  (1811)  das  Ver- 
hältnis zwischen  Chlorammonium  und  Chlorsilber  fest.  Später  benutzte  er 
den  Satz,  dass  die  spezifischen  Gewichte  der  gasförmigen  Elemente  im  Ver- 
hältnis ihrer  Verbindungsgewichte  stehen  (s.  w.  u.),  und  gründete  die  von  ihm 
für  richtig  gehaltene  Zahl  auf  Wägungen  von  Sauerstoff-  und  Stickstoffgas,  die 
er  gemeinsam  mit  Dulong  (1820)  ausführte.  Turner  (1833)  ermittelte  das 
Verhältnis  zwischen  Silbemitrat  und  Chlorsilber,  zwischen  Baryumnitrat  und 
-Sulfat,  sowie  zwischen  Bleinitrat  und  -sulfat.  Penny  (183U),  der  seine  be- 
wunderungswürdig genauen  Bestimmungen  mit  den  denkbar  einfachsten 
Mitteln  ausführte,  führte  Kaliumchlorat  durch  Eindampfen  mit  Salpetersäure 
in  Kaliumnitrat  über,  ebenso  Kaliumchlorid  in  Kaliumnitrat  und  umgekehrt. 
Femer  leitete  er  das  Verbindungsgewicht  des  Stickstoffs  aus  dem  Verhältnis 
zwischen  Silber  und  Silbernitrat,  wie  zwischen  Silbernitrat  und  Chlorsilber  her. 
Seine  Ergebnisse  stimmten  fast  absolut  mit  den  viel  späteren  von  Stas,  den 
genauesten,  welche  wir  besitzen,  überein. 

Trotz  ihrer  Vorzüglichkeit  sind  Pennys  Resultate  wenig  beachtet  wor- 
den, und  ein  viel  weniger  genauer  Wert  von  Berzelius  blieb  in  Gebraudi, 

a* 


36  I.  MaBsenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

bis  eine  Wägung  von  Sauerstoff-  und  Stickstoffgas  durch  Dumas  und  Boussin- 
guult  seine  Fehlerhaftigkeit  aufwies.  Berzelius  veranlasste  eine  neue,  auf 
der  Überführung  von  Blei  in  Beinitrat  beruhende  Bestimmung  durch  Svan- 
berg  (1842),  welche  indessen  auch  nicht  sehr  genau  ausfiel.  Gute  Zahlen 
gaben  dagegen  die  Silbertitrierversuche  von  Pelouze  (1843)  mit  Salmiak,  die 
Überfuhrungen  von  Silber  in  Silbemitrat  von  Marignac  U842),  und  die  Gas- 
wägungen  von  Regnault  (1846).  Unsere  gegenwärtige  genaue  Kenntnis  ver- 
danken wir  den  Arbeiten  von  Stas,  über  welche  schon  oben  (S.  21)  berichtet 
worden  ist;  sie  ergaben  als  Mittelwert  N  =  14-041. 

57.  Strontium.  Die  erste  Kenntnis  des  Verbindungsgewichtes  dieses  Ele- 
mentes verdanken  wir  Stromeyer  (1816),  welcher  das  Carbonat  und  das  Chlo- 
rid analysierte.  Pelouze  (1845),  Marignac  (1858)  und  Dumas  (1859)  titrierten 
den  Chlorgehalt  des  Chlorstrontiums  mit  Silber.  Richards  bestimmte  (1894) 
das  Verhältnis  zwischen  Strontiumbromid  und  Silber,  bez.  Silberbromid,  und 
erhielt  die  als  richtig  anzusehende  Zahl  Sr=^  87-61. 

58.  Tantal.  Das  Verbindungsgewicht  dieses  seltenen  Elementes  ist  gegen- 
wärtig noch  nicht  sehr  sicher  bekannt.  Die  älteren  Versuche  von  Rose,  Berzelius 
und  Hermann  haben  ganz  unzuverlässige  Resultate  gegeben.  Die  besten 
Zahlen  lassen  sich  aus  den  Analysen  des  Kaliumtantalfluorids  von  Marignac 
(1865)  ableiten  und  geben  Ta  =  183. 

59.  Tellur.  Berzelius  (1812  und  1833)  oxydierte  Tellur  zu  Dioxyd. 
Seine  Zahlen  wurden  von  Hauer  (1857)  nahezu  bestätigt,  welcher  Kalium- 
tellurbromid  analysierte.  Nach  beiden  Methoden  wiederholte  Wills  (1879) 
die  Bestimmungen  und  erhielt  gleiche  Resultate. 

Trotz  dieser  Übereinstimmung  hat  man  doch  die  erhaltene  Zahl  128  als 
unwahrscheinlich  angesehen.     Denn  vergleicht  man  folgende  Reihen: 

P  =  310  As  =.  75.0  Sb  ==  1203 

S  «  32-1  Se  =  79-1  Te  «=  128 

Cl=- 30-45  Br«  79-96  J    =126-86 

so  findet  man  in  den  drei  Gruppen  P,  As,  Sb ;  S,  Se,  Te  und  Cl,  Br,  J,  welche 
je  drei  einander  sehr  ähnliche  Elemente  umfassen,  zwar  Schwefel  zwischen 
Phosphor  und  Chlor,  sowie  Selen  zwischen  Arsen  und  Brom;  Tellur  aber 
würde  sich  mit  der  Zahl  128  nicht  einordnen.  Demgemäss  glaubte  denn  auch 
B.  Brauner  (1883)  eine  Fehlerquelle  in  den  ältesten  Messungen  gefunden  zu 
haben,  und  bestimmte  durch  die  Oxydation  des  Tellurs  zu  Dioxyd,  sowie 
durch  die  Bildung  des  Sulfats  Te*0*SO^  das  Verbindungsgewicht  auf  Te  =  125, 
entsprechend  den  Analogieen.  Doch  bestätigten  spätere  Untersuchungen  dieses 
Ergebnis  keineswegs.  Gooch  und  Howland  (1894)  oxydierten  eine  alkalische 
Lösung  von  Tellurdioxyd  mit  Permanganat  und  erhielten  127-0,  Staudenmayer 
reduzierte  krystallisierte  Tellursäure  zu  Dioxyd  und  erhielt  127*2  bis  127-6. 
Chikagishe  (1896)  zersetzte  Tellurbromid  durch  Erhitzen  mit  Silber  und  fand 
127-6.  Man  muss  also  das  Verbindungsgewicht  des  Tellurs  sicher  als  das 
höhere  gegenüber  dem  Jod  ansehen,  und  kann  es  im  Mittel  auf  Te  a>  127-3 
setzen. 


Die  Verbindungsgewichte.  37 

60.  ThcUlium.  Die  älteren  Bestimmungen  des  einen  Entdeckers  des 
Thalliums,  Lamy  (1862),  durch  Analyse  des  Chlorids  und  Sulfats,  gaben  das 
Verbindungsgewicht  des  Metalls  noch  nicht  sehr  genau.  Wenig  bessere  Er- 
gebnisse erhielt  Werther  (1864)  durch  die  Analyse  des  Jodthalliums,  und 
Hebberling  (1865)  durch  die  Wiederholung  der  Versuche  von  Lamy.  Mit 
allen  irgend  erdenkbaren  Vorsichtsmassregeln,  leider  aber  nur  nach  einer 
Methode  (Überführung  des  Metalls  in  das  Nitrat),  ist  eine  Arbeit  von  dem 
anderen  Entdecker,  W.  Crookes  (1873)  ausgeführt.  Sie  ergiebt  Tl« 204-1. 
Durch  eine  neuere  Untersuchung,  die  Lepierre  (1894)  nach  drei  verschiedenen 
Methoden  durchführte,  wurde  der  von  Crookes  bestimmte  Wert  bestätigt,  so 
dass  er  beibehalten  werden  kann. 

61.  Thorium.  Berzelius,  der  das  Thorium  entdeckt  hat,  bestimmte 
dessen  Verbindungsggwicjht  (1829)  durch  die  Analyse  des  Sulfats.  Die  Ver- 
suche wurden  in  der  Folge  von  Chydenius  (,1863\  Delafontaine  (1863),  Her- 
mann (1864)  und  Cleve  (1874)  wiederholt,  indem  die  späteren  Forscher  die 
Analyse  meist  durch  heftiges  Glühen,  wobei  Thorerde  zurückbleibt,  aus- 
führten. Cleve  analysierte  ausserdem  das  Oxalat.  Mit  besonders  gereinigtem 
Material  führte  dann  Nilson  zuerst  (1882)  allein,  später  zusammen  mit  Krüss 
(1887)  die  Analyse  des  Thoriumsulfats  aus;  beide  Versuchsreihen  führen 
übereinstimmend  zu  einer  Zahl,  die  etwas  niedriger  liegt,  als  die  der  älteren 
Forscher;  sie  beträgt  Th  «  232-4. 

62.  Thulium.  Ein  noch  zweifelhaftes  Element,  dem  Cleve  (1880)  das 
aus  der  Analyse  des  Sulfats  abgeleitete  Verbindungsgewicht  Tu  =  171  giebt. 

63.  Titan,  Die  ältesten  Bestimmungen  rühren  von  G.  Rose  (1823  und 
1829)  her  und  sind  durch  Rösten  des  Schwefeltitans  zu  Dioxyd,  sowie  durch 
Analyse  des  Titanchlorids  erhalten  worden.  Letztere  Methode  ist  später  noch 
von  Pierre  (1847),  Demoly  (1849)  und  Thorpe  (1883  und  1885)  benutzt 
worden;  aus  den  genauen  Versuchen  des  letzteren,  die  auch  noch  auf  Titan- 
bromid  ausgedehnt  wurden,  ergiebt  sich  Ti  =  48'l. 

64.  Uran.  Bis  zum  Jahre  1840  wurde  das  Verbindungsgewicht  des 
Urans  aus  den  Versuchen  von  Arfvedson  (1825)  und  Berzelius  (1825)  ganz 
falsch  berechnet,  weil  man  das  bei  der  Reduktion  der  höheren  Oxyde  mit 
Wasserstoff  entstehende  schwarze  Produkt  UO*  für  metallisches  Uran  ansah, 
bis  Peligot  zeigte,  dass  es  sauerstoffhaltig  ,ist.  Gleichzeitig  bestimmte  der- 
selbe aus  der  Analyse  des  Uranylacetats  das  Verbindungsgewicht  ziemlich 
richtig.  Spätere  Versuche  von  Ebelmen  (1882)  und  Wertheim  (1843)  kommen 
nicht  besonders  in  Betracht,  wohl  aber  die  sorgfältigen  Arbeiten  von  Cl. 
Zimmermann  (1882  und  1886).  Die  angewandten  Methoden  waren  an  sich 
nicht  sehr  günstig,  doch  wurden  durch  besondere  Sorgfalt  in  der  Ausführung 
gute  Zahlen  erhalten.  Eine  Versuchsreihe  bestand  in  der  Reduktion  des 
Üranyloxyds  Ü^O^  zu  ürandioxyd  UO*  durch  Erhitzen  im  Wasserstoffstrome, 
die  andere  in  der  Umwandlung  von  Natriumuranylacetat  üO^Na(C*H^O*)' 
in  Natriumdiuranat  Na*ü*0'  durch  oxydierendes  Rösten.  Der  Mittelwert  ist 
U  =  239-5.  Es  ist  zu  erwähnen,  dass  Uran  von  allen  Elementen  das  höchste 
Verbindungsgewicht  besitzt. 


38  I-  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

65.  Vanadium.  Mit  diesem  Metall  hat  sich  ein  ähnlicher  Irrtum  zuge- 
tragen, wie  mit  dem  Uran,  der  indessen  erst  1868  durch  Roscoe  entdeckt 
worden  ist;  der  früher  für  Metall  gehaltene  Stoff  ist  ein  Oxyd  VdO.  Be- 
rechnet man  mit  Rücksicht  darauf  die  älteren  Analysen  der  Vanadinsäure 
und  des  Vanadylchlorids  von  Berzelius  (1821\  so  erhält  man  ziemlich  richtige 
Zahlen.  Unsere  gegenwärtige  genaue  Kenntnis  des  Verbindungsgewichtes  dieses 
Elementes  verdanken  wir  einer  ungemein  sorgfältigen  Untersuchung  von  Roscoe 
(1868),  welcher  sowohl  Vanadinsäure  zu  Oxyd  im  Wasserstoffstrome  reduzierte, 
wie  auch  Vanadylchlorid  mit  Silber  titrierte.  Das  Mittel  beider  Versuchs- 
reihen ist  Vd  =  51-2. 

66.  Wismuth,  Für  das  Verbindungsgewicht  dieses  Metalls  ist  fast  immer 
ein  falscher  Wert  benutzt  worden.  Schon  die  älteren  Versuche  von  Lager- 
hjelm  (1816)  hatten  zu  hohe  Werte  gegeben,  und  obwohl  Schneider  (1851) 
durch  Oxydation  des  Metalls  die  richtige  Zahl  208  festgestellt  hatte,  wurde 
doch  auf  Dumas'  Autorität  hin  (1859),  der.  auch  in  diesem  Falle  nach  der 
Silbermethode  einen  zu  hohen  Wert  erhalten  hatte,  dieser  fast  ausschliesslich 
benutzt.  Erst  in  neuerer  Zeit  hat  man  diesen  falschen  Wert  aufgegeben, 
als  sowohl  Löwe  (1883)  durch  Oxydation  des  Metalls,  wie  Marignac  (188ä) 
durch  Überführung  des  Oxyds  in  das  Sulfat  und  durch  Reduktion  des  Oxyds 
zu  Metall  im  Wasserstoffstrome  übereinstimmend  mit  Schneiders  Versuchen 
eine  kleinere  Zahl  fanden.  Zuletzt  ist  dann  wieder  diese  durch  eine 
Arbeit  von  Classen  (1890)  in  Frage  gestellt  worden,  welche  bei  der  Um- 
wandlung von  Metall  in  Oxyd  durch  Erhitzen  des  Nitrats  Bi  ==  209  ergab. 
Schneider  wiederholte  seine  Bestimmungen,  und  erhielt  wieder  2U8.  Bis  auf 
weiteres,  und  obwohl  dem  niedrigeren  Wert  als  dem  wahrscheinlicheren  mehr 
Zutrauen  zu  schenken  ist,  mag  das  Mittel  Bi  ===  208'5  dienen. 

67.  Wolfram,  Das  Verbindungsgewicht  des  Wolframs  ist  grösstenteils 
durch  Reduktion  des  Trioxyds  zu  Metall,  sowie  durch  Oxydation  des  Metalls 
zu  Trioxyd  bestimmt  worden.  Solche  Versuche  liegen  von  Berzelius  (1825), 
Schneider  (1850),  Borch  und  Dumas  (1859)  vor.  Zu  gleichen  Ergebnissen 
führte  eine  von  Roscoe  (1872)  ausgeführte  Analyse  des  Wolframhexachlorids. 
Andere  Bestimmungen,  wie  die  Analyse  des  metawolframsauren  Baryts  von 
Scheibler  (1861)  und  die  des  Ferrowolframates  von  Zettnow  (1867),  kommen 
weniger  in  Betracht.  Neuere  Messungen  von  Waddell  (1886),  Pennington  und 
Smith  (1894)  über  die  Reduktion  des  Trioxyds  haben  zu  etwas  widersprechen- 
den Werten  geführt,  so  dass  neue  Untersuchungen  wünschenswert  sind;  bis 
dahin  kann  als  Mittelwert  benutzt  werden  W  =  184. 

68.  Xenon.  Dieses  Element  gehört  gleichfalls  zu  den  chemisch  indiffe- 
renten Gasen  vom  Typus  des  Argons,  und  wurde  1898  von  Ramsay  und 
Travers  entdeckt.     Sein  Verbindungsgewicht  ist  noch  nicht  bekannt 

69.  Ytterhium.  Marignac  entdeckte  in  der  bisher  für  Erbinerde  ge- 
haltenen Substanz  1872  eine  vollkommen  farblose  Erde  ohne  Absorptions- 
spektrum, welcher  er  den  Namen  Ytterbinerde  gab.  Unmittelbar  darauf  fand 
Delafontaine  denselben   Stoff  im  Allanit  von  Amherst  und  auch  Nilson  be- 


Die  Verbindungsgewichte.  39 

stätigte  bald  die  Existenz  der  neuen  Erde.    Das  Verbindungsgewicht  des  Me- 
talls wurde  ziemlich  übereinstimmend  gleich  Yb  =»  173«2  gefunden. 

70.  Yttrium.  Auch  dieses  Element  ist  erst  allmählich  von  seinen  Be- 
gleitern, mit  denen  es  gemengt  vorkommt,  unterschieden  und  getrennt  wor- 
den und  es  lässt  sich  selbst  jetzt  noch  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  dass 
der  Yttrium  genannte  Stoff  wirklich  einheitlich  ist.  Mit  einigermassen  rei- 
nem Material  hat  wohl  zuerst  Delafontaine  (1865)  gearbeitet.  Die  Methode, 
welche  er  sowohl  wie  Bahr  und  Bunsen  (1866),  Cleve  und  Höglund  (1873\ 
Cleve  (1873)  und  Jones  (1895)  benutzte,  war  die  Überführung  der  Erde  in 
das  Sulfat.     Das  Mittel  der  besseren  Versuche  ist  Y  =  88-7. 

71.  Zink.  Schon  die  ältesten  Versuche  von  Berzelius  (1811)  gaben  ein 
der  Wahrheit  sehr  nahekommendes  Resultat.  Seine  Methode  war  die  der 
Überführung  des  Metalls  in  das  Oxyd.  Im  Jahre  1842  wurde  die  Zahl  auf 
Grund  ganz  ungenügender  Versuche  von  Jacquelain  angezweifelt  und  bald 
darauf  suchte  Favre  durch  die  Analyse  des  Zinkoxalats  sowie  durch  Auf- 
lösen von  Zink  in  verdünnter  Schwefelsäure  und  Verbrennen  des  gebildeten 
Wasserstoffs  zu  W^asser  die  Richtigkeit  eines  höheren  Wertes  zu  erweisen. 
Berzelius  Hess  durch  A.  Erdmann  (1843)  neue  Oxydationsversuche  vornehmen, 
welche  seine  früheren  Zahlen  nahezu  bestätigten.  Noch  näher  kommen  dem 
Wert  von  Berzelius  die  neuerdings  Von  Marignac  durch  Analyse  des  Kalium - 
Zinkchlorids  gefundenen  Werte.  Ferner  haben  Baubigny  (1883)  durch  Ana- 
lyse des  Sulfats,  van  der  Plaats  (1885)  durch  Auflösen  von  Zink  in  Schwefel- 
säure und  Messen  des  entwickelten  Wasserstoffs,  und  Ramsay  und  Reynolds 
auf  gleiche  Weise  (1887)  gleiche  Werte  gefunden.  Morse  und  Burton  (1888) 
bestimmten  gleichfalls  das  Verhältnis  Zn:ZnO,  doch  wurde  die  Thatsache 
übersehen,  dass  auch  stark  geglühte  Oxyde,  die  aus  Nitraten  durch  Erhitzen 
gewonnen  worden  sind,  einen  Rückstand  von  Sauerstoff  und  Stickstoff  behalten. 
Gladstone  und  Hibbert  (1889)  bestimmen  das  Verbindungsgewicht  auf  elektro- 
lytischem Wege.  Rirjiflrds  und  Rogers  endlich  (1895)  bestimmten  die  Be- 
ziehung zwischen  Zinkbromid  und  Silber.  Diese  Arbeit  ist  die  zuverlässigste 
und  ergiebt  Zn  =  65'40. 

72.  Zinn.  Beim  Zinn  ist  fast  ausschliesslich  die  Oxydation  des  Me- 
talls zu  Dioxyd  zur  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  angewandt  worden. 
Es  liegen  hierüber  Versuche  von  Berzelius  (1812),  Mulder  und  Vlandeeren 
(1849),  Vlandeeren  (1858)  Dumas  (1858)  und  van  der  Plaats  (1885)  vor.  In 
Übereinstimmung  mit  ihnen  stehen  zwei  Analysen  des  Tetrachlorids  von 
Dumas.  Wälirend  diese  Bestimmungen  alle  zu  dem  Wert  118  führen,  haben 
Bongartz  und  Classen  (1888)  nach  verschiedenen  Methoden  einen  um  eine 
Einheit  höheren  Wert  gefunden.  Da  die  älteren  Ergebnisse  durch  die  letzt- 
genannte Arbeit  nicht  unbedingt  überholt  erscheinen,  so  mag  einstweilen 
der  Mittelwert  Sn=«  118-5  benutzt  werden;  doch  ist  eine  neue  Bestimmung 
sehr  zu  wünschen. 

73.  Zirkonium.  Dieser  W^ert  ist  nur  selten  bestimmt  worden:  einmal 
von  Berzelius  (1825)  durch  Analyse  des  Sulfats,  sodann  von  Marignac  (1860) 
durch    Analyse    des  Kaliumzirkoniumfluorids.     WeibuU    (1881)    wiederholte 


40 


I.  Massenverbältnisse  chemischer  Verbindungen. 


die  Versuche  von  Berzelius,  Bailey  (1889)  ebenso.     Die  Bestimmungen  des 
letzteren  ergeben  Zr  =  90-6,  wenig  abweichend  von  dem  Wert  von  Marignac. 

In  der  nachstehenden  Tabelle  sind  die  Verbindungsgewichte  der 
bis  jetzt  bekannten  Elemente  zusammengestellt,  wobei  wie  immer  0=16 
gesetzt  worden  ist. 


1. 

Aluminium 

Al  = 

27-1 

39. 

Neon 

Ne-^ 

20 

2. 

Antimon 

Sb  — 

120-3 

40. 

Nickel 

Ni  — 

58-7 

3. 

Argon 

A   — 

39-91 

41. 

Niobhim 

Nb  — 

94-2 

4. 

Arsen 

As  — 

750 

42. 

Osmium 

Os  — 

192 

0. 

Baryum 

Ba  — 

13743 

43. 

Palladium 

Pd  — 

106 

6. 

Beryllium 

Be  = 

9-08 

44. 

Phosphor 

P    — 

31-03 

7. 

Blei 

Pb  — 

206-91 

45. 

Platin 

Pt  — 

194-8 

8. 

Bor 

B   — 

11-0 

46. 

Praseodym 

Pr  — 

140-4 

9. 

Brom 

Br  — 

79-963 

47. 

Quecksilber 

Hg- 

200-3 

10. 

Cadmium 

Cd  — 

112-1 

48. 

Rhodium 

Rh  — 

103 

11. 

Galciuiii 

Ca  — 

40-0 

49. 

Rubidium 

Rb  — 

85-4 

12. 

Cäsium 

Cs  — 

132-9 

50. 

Ruthenium 

Ru  — 

101-7 

13. 

Cerium 

Ce  — 

140 

51. 

Samarium 

Sa  — 

150 

14. 

Chlor 

Cl  — 

35-453 

52. 

Sauerstoff 

0  — 

16-00 

15. 

Chrom 

Cr — 

52-1 

53. 

Scandium 

Sc  — 

44-1 

16. 

Eisen 

Fe  — 

560 

54. 

Schwefel 

s  — 

3206 

17. 

Erbium 

Er  — 

166 

55. 

Selen 

Se  — 

79-1 

18. 

iluor 

Fl  — 

19-00 

56. 

Silber 

Ag  — 

107-938 

19. 

Gadoh'nium 

Gd  — 

156 

57. 

Silicium 

Si  — 

k8-4 

20. 

Gallium 

Ga  — 

69-9 

58. 

Stickstoff 

N  — 

14041 

21. 

Germanium 

Ge  — 

72-3 

59. 

Sti-ontium 

Sr  — 

8761 

22. 

Gold 

Au  — 

197-2 

60. 

Tantal 

Ta  — 

183 

23. 

Helium 

He- 

396 

Gl. 

Tellur 

Te  — 

127-3 

24. 

Indium 

in  — 

113-7 

62. 

ThaUium 

Tl  — 

204-1 

25. 

Lidium 

Ir  — 

193-2 

63. 

Tliorium 

Th  — 

232.4 

26. 

Jod 

J     — 

126-86 

64. 

ThuUum 

Tu  — 

171 

27. 

Kalium 

K   — 

3914 

65. 

Titan 

Ti  — 

48-1 

28. 

Kobalt 

Co  — 

59 

66. 

Uran 

u  — 

239.4 

29. 

Kohlenstoff 

c  — 

12-00 

67. 

Vanadin 

Vd  — 

51.3 

30. 

Krypton 

Kr> 

45 

()8. 

Wasserstoff 

H  — 

1-007 

31. 

Kupfer 

Cu  — 

63-6 

69. 

Wismuth 

Bi  — 

208-5 

32. 

Lanthan 

La  — 

138-5 

'70. 

Wolfram 

VV  — 

184 

33. 

Lithium 

Li  — 

703 

71. 

Xenon 

X  > 

65 

34. 

Magnesium 

Mg 

:    24-36 

72. 

Ytterbium 

Yb  — 

173-2 

35. 

Mangan 

Mn  — 

550 

73. 

Yttrium 

Y    — 

88-7 

36. 

Molybdän 

Mo  — 

96-0 

74. 

Zink 

Zn  — 

65-4 

37. 

Natrium 

Na  — 

2306 

75. 

Zinn 

Sn  — 

118-5 

38. 

Neodym 

Nd  — 

143-6 

76. 

Zirkonium 

Zr  — 

90-6 

Beziehungen  zwischen  den  Zahlenwerten  der  Yerbindungsgewichte.     41 

Viertes  Kapitel. 

Beziehnzigen  srwisohendenZahlenwerten  derVerbmdungsgewiohte. 

Nach  zwei  Richtungen  hat  man  aus  dem  Zahlenmaterial  ^  welches 
durch  die  Bestimmungen  der  Verbindungsgewichte  der  Elemente  darge- 
boten war,  allgemeine  Schlüsse  zu  ziehen  sich  bemüht.  Eine  durch  Prout 
(1815)  und  bald  darauf  durch  Meinecke  (1817)  angeregte  Gedanken- 
reihe geht  von  der  hypothetischen  Annahme  eines  allgemeinen  Grand- 
stoffes  oder  einer  Urmaterie  aus.  In  dem  Wasserstoff  glaubte  man 
diese  gefunden  zu  haben,  und  musste  nun  den  Schluss  ziehen,  dass, 
wenn  alle  anderen  Elemente  aus  Wasserstoff  bestehen,  ihre  Verbindungs- 
gewichte auch  Multipla  von  dem  des  Wasserstoffs  sein  müssen. 

Diese  Hypothese  wurde  in  England  namentlich  durch  Th.  Thomson, 
den  Verfasser  eines  vielbenutzten  Lehrbuches,  verbreitet  und  mit  Hilfe 
allerdings  recht  ungenügender  Versuche  zu  stützen  gesucht.  Aul*  dem 
Kontinent  hatte  die  Hypothese  keinen  Erfolg,  weil  Berzelius  auf  Grund 
seiner  Bestimmungen  sie  für  unrichtig  erklärte,  und  bei  der  schon  er- 
wähnten, von  der  British  Association  veranlassten  Prüfung  der  Frage 
durch   Turner    sich    die   Richtigkeit  von  Berzelius'  Zahlen    herausstellte. 

Als  aber  1841  der  Fehler  im  Verbindungsgewicht  des  Kohlenstoffs  ent- 
deckt wurde,  und  letzteres  sich  nach  den  Versuchen  von  Dumas  und 
Stas  80  genau  als  möglich  im  Verhältnis  1:12  zu  dem  des  Wasser- 
stoffs ergab,  als  femer  Dumas  auch  das  Verbindungsgewicht  des  Saueratoffs 
gleich  dem  16  fachen  des  Wasserstoffs  und  das  des  Stickstoffs  gleich  dem 
14£sichen  des  Wasserstofis  fand,  da  sprach  er  alsbald  die  Überzeugung 
ans,  dass  es  sich  hier  doch  um  ein  allgemeines  Gesetz  handeln  müsse. 
Er  gab  sich  in  der  Folge  der  Prüfung  desselben  hin  und  kam  zu  dem 
Ergebnis,  dass  zwar  nicht  alle  Verbindungsgewichte  Multiple  von  dem  ganzen 
VOTbindungsgewicht  des  Wasserstoffs  seien,  dass  aber  doch  die  Hälfte  dieses 
Wertes  allen  anderen  zu  Grunde  hege.  Auch  diese  Einheit  musste  er 
indessen  in  der  Folge  auf  ihren  halben  Wert  verkleinern,  so  dass  nach 
semer  schliesslichen  Ansicht  alle  Verbindungsgewichte  sich  dui'ch  ein  Viertel 
von  dem  des  Wasserstoffs  darstellen  lassen. 

Durch  diese  Einschränkung  hatte  die  ganze  Angelegenheit  den 
gi'össten  Teil  ihres  Interesses  verloren,  weil  bei  vielen  Elementen  die 
Genauigkeit  der  Bestimmung  die  von  Dumas  angegebene  Einheit  nicht 
erreicht,    und  somit   eine  Prüftmg   der  Hypothese  ausgeschlossen  wird. 

Dieselbe  Frage  wurde  gleichzeitig  durch  J.  S.  Stas  aufgenommen. 
Dieser  Forscher  beschränkte  sich  im  Vergleich  zu  Dumas,  was  die  Zahl 
der  zu  untersuchenden  Elemente  anlangt,  übertraf  aber  seinen  Lehrer 
und  früheren  Arbdtsgenossen  bei  weitem  in  der  Genauigkeit  seiner  Be- 
stimmungen, welche  hernach  kaum  wieder  von  anderen  Forschem  erreicht 
worden  ist.  Als  Ergebnis  seiner  auf  diesen  Punkt  gerichteten  Unter- 
suchungen erklart  Stas  die  Proutsche  Hypothese  für  vollkommen  unzu- 


42  !•  Massenverhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

lässig;  sie  stellt  nichts  als  eine  ungefähre  Annäherung  an  die  Wahrheit 
dar,  thatsächlich  aber  weichen  fast  alle  von  ihm  bestimmten  Verbindungs- 
gewichte weit  mehr  von  den  durch  die  Hypothese  geforderten  ab,  als 
die  möglichen  Versuchsfehler  irgend  gestatten. 

Trotzdem  durch  diese  unübertroffenen  Arbeiten  die  Frage  endgültig 
erledigt  schien,  ist  sie  doch  inzwischen  immer  wieder  aufgeworfen  worden. 
Der  Grund  dazu  ist  die  erwähnte,  thatsächlich  vorhandene  Annäherung 
der  gemessenen  Zahlenwerte  an  Multipla  des  Wasserstoffatoms.  Ein  Blick 
auf  die  Tabelle  S.  40  zeigt  diese  Annäherung  deutlich.  Es  hat  daher  immer 
Männer  gegeben,  welche  die  ganzzahligen  Werte  als  die  eigentlich  richtigen 
ansahen.  Für  die  Ursache  der  thatsächlichen  Abweichungen  ist  allerdings 
bisher  keinerlei  wahrscheinliche  Ansicht  aufgestellt  worden,  vor  allen  Dingen 
deshalb  nicht,  weil  kein  Vorgang  bekannt  ist,  durch  welchen  die  Massen 
gegebener  Stoffe  irgend  eine  Änderung  erleiden.  Es  bleibt  also  zur  Zeit 
nichts  übrig,  als  die  Zahlen  so  zu  nehmen,  wie  sie  die  Versuche  geben,  und 
die  Frage,  welche  Ursache  die  auffällige-  Annäherung  derselben  an  Multipla 
des  Wasserstoffs  bedingen  könnte,  unbeantwortet  zu  lassen. 

Neben  diesen,  bisher  resultatlos  gebliebenen  Betrachtungen  sind 
andere,  nach  anderer  Seite  gerichtete,  über  denselben  Gegenstand  seit 
der  ersten  Kenntnis  stöchiometiischer  Gesetzmässigkeiten  verfolgt  worden. 
Diese  haben  im  Gegensatz  zu  den  vorerwähnten  sehr  umfassende  Regel- 
mässigkeiten ergeben,  und  sollen  im  folgenden  dargelegt  werden. 

Bei  seinen  ersten  Entdeckungen  über  die  Massenverhältnisse  bei 
der  NeutraUsation  einer  Säure  durch  verschiedene  Basen,  mit  welchen 
Arbeiten  die  wissenschaftliche  Erforschung  der  Stödiiometrie  chemi- 
scher Verbindungen  ihren  Anfang  nimmt,  kam  J.  B.  Eichter  (1798)  alfr 
bald  auf  den  Gedanken,  dass  diese  Konstanten,  abgesehen  von  ihrer 
allgemeinen  Beziehung,  noch  besonderen  Gesetzen  unterworfen  seien. 
Ordnet  man  sie  ihrer  Grösse  nach  an,  so  folgen  die  Zahlenwerte  nach 
seinen  Anschauungen  einem  bestimmten  Gesetze,  für  welches  er  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  verschiedene  Formen  annalim.  Es  hat  der  aUgemeinen 
Annahme  des  von  Richter  entdeckten  Gnindgesetzes  der  Verbindungs- 
zahlen sehr  geschadet,  dass  der  Entdecker  jene  eben  erwähnte  Idee  mit 
einer  so  grossen  BeharrUchkeit  verfolgte,  dass  er  die  Hauptsache  fast 
ausser  Augen  liess.  Doch  hat  die  Nachwelt  ihm  auch  insofern  Recht 
gegeben,  als  die  von  Richter  vermuteten  Gesetzmässigkeiten  thatsächhch 
bestehen,  wenn  auch  nicht  in  der  von  ihm  angegebenen.  Gestalt 

Zunächst  erhielten  die  von  Richter  nur  für  Säuren  und  Basen, 
und  später  für  Metalle  entdeckten  konstanten  Verbindungszahlen  die  oben 
geschilderte  Verallgemeineining,  die  zu  dem  Gesetz  der  Verbindungs- 
gewichte führte.  Der  erste,  welcher  sehr  bald  nach  Aufstdlung  des 
letzteren  auf  eine  Gesetzmässigkeit  hinwies,  war  Döbereiner  (1817), 
welcher  zeigte,  dass  das  Verbindungsgewicht  des  Strontiums  (87-6)  das 
arithmetische    Mittel  von    denen    des  Calciums  (400)    und  des   Baryums 


Beziehungen  zwischen  den  Zahlenwerten  der  Verbind ungsgewichte.     43 

(137*4)  sei.  Nach  unseren  genaueren  Zahlen,  die  ich  in  Klammem  bei- 
I  gefügt  habe,  findet  das  allerdings  nicht  streng  statt,  denn  die  berechnete 
I  Zahl  ist  88-7  statt  8 7 '6,  doch  ist  die  Annäherung  immerhin  bemerkens- 
wert, zumal  solche  Beziehungen  sich  mehrfach  wiederholen.  Derartige 
Triaden  wurden  mehrere  aufgefunden,  und  später  hat  Lenssen  (1875) 
die  sämtlichen  Elemente  in  dieser  Weise  in  lYiaden  einzuteilen  gesucht. 

Näher  den  ursprüngUchen  Ideen  Richters  kommt  die  Anschauung 
von  Pettenkofer  (1850),  dass  die  Verbindungsgewichte  ähnHcher  Elemente 
die  Glieder  arithmetischer  Reihen  bilden.  Diese  Ideen  wurden  dann  von 
Kremers,  Gladstone  und  namentUch  Dumas  in  mannigfaltiger  Weise 
weiter  entwickelt 

Diejenige  Idee  endhch,  welche  sich  am  fruchtbarsten  erwies,  ist  zu- 
erst wenn  auch  noch  in  unzulänglicher  Form  von  Newlands  (1864)  ent- 
wickelt worden,  dem  es  allerdings  nicht  gelang,  mit  seinen  Darlegungen 
Anerkennung  zu  finden.  Newlands  ordnete  nicht  allein  die  durch  Ähn- 
lichkeit zusammengehörigen  Elemente  in  Reihen,  sondern  sämtlichö 
Elemente  nach  der  Grösse  ihrer  Verbindungsgewichte.  Es  ergab  sich 
dabei,  dass  in  annähernd  gleichen  Abständen  in  dieser  Reihe  die  ähn- 
lichen Elemente  auftraten:  so  war,  von  u'gend  einem  Elemente  ab  ge- 
zahlt, im  allgemeinen  jedes  achte  dem  ersten  ähnlicher  als  allen  anderen. 
Er  bezeichnete  diese  Beziehung  als  das  Gesetz  der  Oktaven,  vermochte 
sie  aber  nicht  vollständig  durchzuführen. 

Letzteres  wurde  gleichzeitig  (1869)  von  zwei  Forschern,  L.  Meyer 
und  D.  Mendelejew  erreicht,  deren  Ergebnisse  sich  durch  den  Satz  aus- 
drücken lassen:  Die  Eigenschaften  der  Elemente  sind  periodische 
Funktionen  ihrer Verbrindungsgewichte,  Ordnet  man  also  samt* 
Kehe  Elemente  nach  der  Grösse  der  Verbindungsgewichte  in  eine  Reihe, 
flo  ändern  sich  die  Eigenschaften  der  Elemente  von  GUed  zu  Güed,  so 
dass  nach  einer  bestimmten  Anzahl  von  Gliedern  sich  die  früheren  Eigen- 
schaften oder  ihnen  naheliegende  wiederholen. 

Anfangs  stiess  die  Durchführung  dieses  Gedankens  auf  grosse  Schwierig- 
keiten. Diese  lagen  einerseits  darin,  dass  man  zu  jener  Zeit  noch  nicht  auf 
systematische  Weise  die  Auswahl  der  angemessensten  aus  den  möglichen  Verbin- 
dangsgewichten  durchgeführt  hatte.  Wenn  man  z.  B.  bestimmt  hat,  dass  Kohlen- 
stoff mit  Sauerstoff  in  den  Verhältnissen  12 :  16  und  12 :  32  zusammentritt, 
80  ist  es  zunächst  willkürlich,  wenn  man  in  der  ersten  Verbindung  ein  Ver- 
bindungsgewicht Kohlenstoff  auf  eines  Sauerstoff,  in  der  zweiten  ein  Kohlen- 
stoff auf  zwei  Sauerstoff  annimmt.  Man  könnte  ebenso  das  Verbindungsgewicht 
des  Kohlenstoffs  gleich  6  setzen,  und  die  Verbindungen  C*0  und  CO  schrei- 
ben, oder  die  Annahme  C  =*  24  machen,  wodurch  die  Formeln  C  0*  und  C  0* 
vürden.  Die  Anhaltspunkte,  welche  man  im  Laufe  der  Zeit  für  die  richtige 
Wahl  gefunden  hat,  sind  mannigfaltig,  und  werden  weiter  unten  einzeln  dar- 
gelegt werden.  Hier  nur  soviel,  dass  zur  Zeit,  wo  Meyer  und  Mendelejew 
ihre  Anschauungen  entwickelten,  diese  Anhaltspunkte  zwar  zum  grössten  Teil 
bereits  gefunden   waren,  aber   keineswegs   in    übereinstimmender  Weise   zur 


44  I*  Massenyerhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

Anwendung  gelangten.  Es  musste  umgekehrt  vielfach  die  oben  mitgeteilte 
Gesetzmässigkeit  dazu  benutzt  werden ,  um  zwischen  den  möglichen  Werten 
zu  entscheiden. 

Neben  dieser  Schwierigkeit  musste  eine  andere  überwunden  werden, 
welche  in  der  thatsächlich  falschen  Feststellung  mancher  Zahlenwerte  lag. 
Hier  handelte  es  sich  indessen  meist  darum,  Umstellungen  zweier  neben- 
einanderliegender Elemente  vorzunehmen,  und  es  ist  früher  schon  auf  ein- 
zelne Fälle  hingewiesen  worden,  bei  welchen  durch  diesen  Umstand  eine 
richtigere  Ermittelung  der  Werte  veranlasst  worden  ist.  Am  energischsten 
und  gleichzeitig  am  glücklichsten  ging  Mendelejew  nach  dieser  Seite  vor. 

Die  Anordnung  der  Elemente  nach  der  Grösse  der  Verbindungsgewichte 
ist  beistehend,  wesentlich  nach  dem  Plane  von  L.  Meyer,  doch  ent- 
sprechend den  neueren  Entdeckungen  ergänzt,  dargestellt  Die  ganze 
Reihe  ist  in  Stücke  von  je  acht  Gliedern  geteilt,  welche  versetzt  so 
unter  einander  geordnet  sind,  dass  die  einzelnen  Glieder  der  ersten^ 
dritten,  fünften,  siebenten,  neunten  und  elften  Reihe  zu  einander  in 
näheren  Beziehungen  stehen,  als  zn  den  Gliedern  der  paaren  Reihen, 
und  ebenso  diese  von  den  unpaaren  getrennt  sind. 

Dadurch  stehen  untereinander  die  ähnlichen  Elemente,  deren  Zu» 
sammengehörigkeit  vielfach  (wenn  auch  nicht  immer)  schon  früher  er- 
kannt und  durch  die  Bildung  ^natürlicher"  Familien  zum  Ausdrucke 
gebracht  worden  ist.  Und  zwar  bilden  die  Glieder  der  paaren  Reihen 
einerseits,  der  unpaaren  andererseits  die  nächstverwandten  Elemente;  die 
paaren  und  unpaaren  sind  etwas  entfernter  in  ihrer  Verwandtschaft. 

In  den  allgemeinen  chemischen  Verhältnissen,  insbesondere  in  der 
Fähigkeit,  Basen  oder  Säuren  zu  bilden,  zeigen  sich  zunächst  die  ^n- 
lichkeiten  am  deutlichsten.  Nimmt  man  die  Tabelle  zur  Hand,  so  haben 
wir  zunächst  in  der  ersten  vertikalen  Doppelreihe  die  ganz  indifferenten 
Gase  des  Argontypus;  dann  folgen  die  sehr  stark  basischen  Alkali-,  so- 
dann in  der  nächsten  Reihe  die  gleichfalls  stark  basischen  Elrdalkalimetalle. 
Dann  folgen  die  Erdmetalle,  deren  Oxyde  schwach  basische  Eigen- 
schaften haben,  alsdann  die  Elemente  der  Kohlenstoffgruppe,  deren  Oxyd© 
schon  zum  Teil  schwache  Säuren  sind;  die  sauren  Eigenschaftien  nehmen 
dabei  mit  steigendem  Verbindungsgewicht  ab.  Die  Glieder  der  nächsten  Reihe 
sind  schon  entschieden  säurebildend  und  die  der  8.  Reihe  zeigen  diese 
Eigenschaft  in  ausgeprägtester  Weise. 

Eine  sehr  bemerkenswerte  Regelmässigkeit  zeigt  sich  in  der  Valenz 
der  Elemente,  wie  sie  in  der  Tabelle  dmxh  die  römischen  Ziffern  ange- 
deutet ist.  Dieselbe  nimmt  zunächst  von  1  bis  4  zu,  von  da  ab  ver- 
mögen sich  die  Elemente  meist  mit  verschiedener  Valenz  zu  bethätigen^ 
gegen  Chlor,  Sauerstoff  u.  s.  w.  mit  einer  um  je  eine  Einheit  zunehmen- 
den, gegen  Wasserstoff  aber  mit  einer  ebenso  regelmässig  abnehmenden. 

Weitere  Regehnässigkeiten,  welche  die  physikalischen  Eigenschaftea 
der  Elemente,  sowie  auch  ihrer  Verbindungen  in  den  voretehenden  An- 
ordnungen zeigen,  werden  später  ihre  Besprechung  finden. 


Beziehungen  zwischen  den  Zahlenwerten  der  Yerhindungsgewichte.     45 


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46  !•  Massen  Verhältnisse  chemischer  Verbindungen. 

In  der  Tabelle  sind  zahlreiche  nicht  ausgefüllte  Plätze  vorhanden. 
Sie  gehören  Elementen  zu,  die  man  noch  nicht  entdeckt  hat  Mendelejew 
hat  die  erwähnten  Gesetzmässigkeiten  dazu  benutzt,  um  die  Eigenschaften 
unbekannter  Elemente  aus  denen  der  im  Schema  benachbarten  ver- 
mutungsweise vorauszusagen.  So  hat  er  insbesondere  eine  ziemlich  ein- 
gehende Beschreibung  des  Scandiums,  Galliums  und  Germaniums,  welche 
zur  Zeit  der  Abfassung  seiner  Abhandlung  nicht  bekannt  waren,  und 
ihrer  Verbindungen  gegeben,  und  er  sowie  die  Wissenschaft  haben  den 
Triumph  erfahren,  dass  diese  Voraussagungen  zum  grössten  Teil  bei  der 
späteren  Entdeckung  dieser  Elemente  bestätigt  worden  sind. 

Einigermassen  ausserhalb  der  Tabelle  stehen  ganz  rechts  die  Ele- 
mente der  Eisen-  und  Platingruppe.  Sie  zeigen  unter  sich  eine  grosse 
Regelmässigkeit,  indem  sie  in  je  drei  Gruppen  mit  naheliegenden  Verbin- 
dungsgewichten zerfallen;  bei  den  Platinmetallen  entsprechen  sich  ausserdem 
die  einzelnen  Elemente  in  den  Formeln  der  Verbindungen,  die  sie  bilden 
können,  ganz  genau.  Ebenso  ordnen  sich  die  am  linken  Bande  be- 
findlichen Elemente  des  Argontjrpus  den  anderen  nicht  wohl  zu  und 
bilden  eine  Gruppe  für  sich,  die  zu  den  anderen  viel  geringere  Be- 
ziehungen zeigt,  als  sonst  benachbarte  Reihen  es  thun. 

Einige  Worte  verdient  auch  die  Stellung  des  Tellurs.  Wie  schon  erwähnt, 
ist  sein  Verbindungsgewicht  grösser  gefunden  worden,  als  es  nach  der  Stellung 
im  periodischen  System  zu  erwarten  war,  und  die  Wiederholung  der  Be- 
stimmungen durch  verschiedene  Forscher  (S.  36)  hat  dieses  Ergebnis  nur  be- 
stätigt. Da  man  nicht  daran  denken  kann,  die  Stellen  des  Tellurs  und  Jods 
in  den  natürlichen  Verwandtschaften  mit  einander  zu  vertauschen,  so  liegt 
hier  ein  thatsächlicher  Widerspruch  zwischen  der  Anordnung  nach  der  Grösse 
der  Verbindungsgewichte  und  der  nach  der  natürlichen  Verwandtschaft  vor. 

Eine  Art  Erklärung  hierfür  findet  man,  wenn  man  beachtet,  dass  die 
Unterschiede  der  Verbindungsgewichte  bei  entsprechenden  Gliedern  der  Tabelle 
keineswegs  konstant  sind,  sondern  anscheinend  unregelmässig  zwischen  ziem- 
lieh  weiten  Grenzen  schwanken.  Wenn  es  sich  hier  um  eine  ungetrübte  Gesetz- 
mässigkeit handelte,  so  müssten  die  Verbindungsgewichte  nicht  nur  dem  Zahlen- 
werte nach  ungefähr  die  Reihenfolge  ergeben,  sondern  ihre  Zahlenwerte 
müssten  gesetzmässige  Abstände  haben.  Man  wird  also  vermuten  können,  dass 
die  Verhältnisse,  die  in  dem  periodischen  System  zum  Ausdruck  kommen, 
das  Ergebnis  mehrerer  unabhängiger  Umstände  sind,  deren  Einfluss  auf  das 
Ergebnis  wechselt. 

Nun  können  dieselben  Umstände,  welche  die  entsprechenden  Unterschiede 
bald  grösser  und  bald  kleiner  machen,  auch  in  einem  bestimmten  Falle  so 
wirken,  dass  ein  Unterschied  ein  umgekehrtes  Zeichen  annimmt,  d.  h.  dass  die 
Reihenfolge  zweier  Elemente  sich  umkehrt.  Ein  solcher  Fall  könnte  bei  Jod 
und  Tellur  vorliegen;  auch  die  notwendige  Einordnung  des  Argons  zwischen 
Chlor  und  Kalium  erfordert  die  Annahme  einer  solchen  Umkehrung  des 
Zeichens  der  Differenz. 


IL  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe.— Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  47 

Dem  Zeichen  des  Lanthans  in  der  Reihe  III  ist  ein  etc.  beigefügt,  um 

anzudeuten,    dass  auch    die   anderen    „seltenen   Erden",    Cer,    Neodym    und 

Praseodym  hier  anzuschliessen  sind. 

[  Da  die  Tabelle  dort  nur  einen  einzigen  Platz  hat,  liegt  wieder  eine 

Störung  des   Systems  vor.     Die  fraglichen  Elemente  sind  einander  in  noch 

höherem  Masse  ähnlich,  als  die  Elemente  der  Eisengruppe,  und  es  sieht  so 

aus,  als  wenn  die  Umstände,  die  sonst  nur  zu  der  Bildung  eines  einzigen  Ele- 

I  mentes  Anlass  gaben,  hier  die  Entstehung  einer  Anzahl  sehr  ähnlicher  be- 

I  wirkt  hätten,  ähnlich  der  Bildung  der  Planeten  der  Asteroidengruppe. 

Somit  ist  das  „periodische  System"  der  Elemente  noch  keineswegs 
vollkommen.  Es  werden  in  der  vorstehenden  Tabelle  häufig  Elemente  von- 
einander entfernt,  die  ein  unbefangener  Beobachter  für  ähnlich  in  ihren  Ver- 
bindungsverhältnissen halten  würde  (z.  B.  Kupfer  und  Quecksilber),  und  an- 
dere zusammengestellt,  welche  als  durchaus  unähnlich  erscheinen,  wie  Natrium 
mit  Kupfer,  Silber  und  Gold.  In  Bezug  auf  solche  Schwierigkeiten  ist  zu 
hoffen,  dass  sie  durch  spätere  Überlegungen  und  Thatsachen  gehoben  werden. 
Das  „periodische  System"  ist  daher  nicht  als  der  Abschluss,  sondern  vielmehr 
als  der  Anfang  einer  fruchtbaren  Ideenreihe  anzusehen. 

Zum  Schluss  dieses  Teiles  möge  noch  eine  allgemeine  Bemerkung 
Platz  finden.  Aus  der  Thatsache,  dass  durch  den  chemischen  Vorgang 
die  Masse  der  beteiligten  Stoffe  sich  nicht  ändert^  geht  hervor,  dass  die 
Masse  einer  chemischen  Verbindung  gleich  der  Summe  der  Massen  ihrer 
Bestandteile  ist.  Derartige  Eigenschaften,  die  unabhängig  vom  chemischen 
Verbindungszustande  sind,  und  deren  Zahlenwert  in  den  Verbindungen 
daher  als  die  Summe  der  den  Bestandteilen  zukommenden  Zahlenwerte 
erscheint,  sollen  in  Zukunft  additive  genannt  werden.  Aus  dem  Vor- 
handensein solcher  Eigenschaften  hat  man  darauf  geschlossen,  dass  die 
chemischen  Verbindungen  ihre  Bestandteile  der  Substanz  nach  noch  ent- 
halten, indem  nur  deren  Anordnung  eine  andere  gew^orden  ist;  die  ad- 
ditiven Eigenschaften  bilden  daher  die  Grundlage  der  Atomhypothese, 
doch  bestehen  sie  natürlich  unabhängig  von  jeder  Hypothese. 


Zweites  Buch. 

Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Erstes  Kapitel. 

Die  aUgemeinen  Eigenschaften  der  Gase. 

Im  gasförmigen  Zustande  sind  die  Stoffe  durch  die  Fähigkeit 
ausgezeichnet,  jeden  gegebenen  Raum  gleichförmig  zu  erfüllen,  und  be- 
sitzen daher  keine  eigene  Form.  Sie  nehmen  in  dieser  Gestalt  den 
grössten  Raum  ein,  und  gehorchen  einfacheren  Gesetzen,  als  in  den 
anderen  Zuständen. 


48  ^^*  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Einer  gegebenen  Gasmasse  kommt  ein  bestimmter  Kaum  v  nur 
zu,  wenn  sie  eine  bestimmte  Temperatur  t  hat,  und  unter  einem  be- 
stimmten Drucke  p  steht  Wir  können  also  allgemein  setzen  v  =  f(p,t), 
wo  f  (p,  t)  eine  Funktion  von  p  und  t  bedeutet,  deren  Form  zu  be- 
stimmen ist. 

Der  Einfluss  des  Druckes  äussert  sich  in  dem  Sinne,  dass  mit 
wadisendem  Dnick  der  Raum  abnimmt,  und  zwar  im  umgekehrten 
Verhältnis  des  Drucks.  Dies  Gesetz  ist  von  R.  Boyle  (1662)  entdeckt 
worden  und  wird  gegenwärtig  meist  wieder  nach  ihm  benannt.  Früher 
hiess  es  gewöhnlich  das  Gesetz  von  Mariotte,  indessen  hat  dieser  es 
erst  1679  mitgeteilt.  Der  algebraische  Ausdruck  des  Gesetzes  lautet^ 
wenn  v  und  p,  v'  und  p'  zwei  zusammengehörige  Paare  von  Druck 
und  Volum  darstellen,  die  einer  und  derselben  Gasmasse  bei  derselben 
Temperatur  zukommen: 

V :  v'  =  p' :  p 

oder  V  p  =  v'  p' 

d.  h.  bei  gegebener  Temperatur  ist   bei    einer  Gasmasse    das  Produkt 
von  Druck  und  Raum  stets  gleich  gross. 

Dies  Gesetz  gilt  für  alle  Gase,  unabhängig  von  ihrer  chemischen 
Natur,  und  wir  können  daraus  schliessen,  dass  die  Ursache  des  Ge- 
setzes gleichfalls  in  einem  Umstände  liegt,  der  von  der  chemischen 
Natur  des  Gases  nicht  abhängt. 

Eine  gleiche  Unabhängigkeit  von  der  chemischen  Beschaffenheit 
zeigt  sich  beim  Einfluss  der  Temperatur  auf  das  Volum  der  Gase. 
Das  bierfiir  gültige  Gesetz  ist  von  Gay-Lussac  und  Dalton  gleich- 
zeitig (1802)  aufgefunden  worden  und  wird  meist  nach  ersterem  be- 
nannt Nach  demselben  dehnen  sich  alle  Gase  bei  gleichen  Temperatur- 
änderungen in  gleichen  Verbältnissen  aus. 

Setzt  man  den  von  einem  Gase  bei  einem  bestimmten  Drucke 
und  bei  der  Temperatur  des  schmelzenden  Eises  angenommenen  Raum 
gleich  Eins,  so  wächst  bis  zur  Temperatur  des  siedenden  Wassers 
dieser  Raum  auf  den  Wert  1-367.  Man  teilt  diesen  Temperaturunter- 
schied in  1 00  Teile,  welche  man  so  bestimmt,  dass  auf  jeden  Teil  eine 
gleiche  Zunahme  (nämlich  0  00 3 67  des  Raumes  bei  0®)  erfolgt,  und  nennt 
die  80  erhaltenen  Temperaturstufen  Gentesimalgrade.  Sie  werden  von 
der  Temperatur  des  schmelzenden  Eises  als  dem  Nullpunkte  aufwärts 
mit  positivem,  abwärts  mit  negativem  Zeichen  gezählt  Der  Bruchteil 
der  Volumzunahme  ist  nach  der  Definition  bei  Gasen  tur  jeden  Tempe- 
ratiu'grad  gleich;  er  beträgt  0*00367  oder  y+^  des  Raumes. bei  0" 
und  wird  der  Ausdehnungskoeffizient  genannt 

Der  algebraische  Ausdruck  för  diese  Beziehung  stellt  sich  in  der 
Formel  dar 

v  =  Vo(l  +  «t), 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  49 

wo  V  der  Raum  bei  der  Temperatur  t^,  Vq   derselbe  bei  0®  ist;    a  ist 
der  Ausdehnungskoeffizient. 

Erwärmt  man  das  Gas^  ohne  ihm  die  Ausdehnung  zu  gestatten^ 
so  nimmt  der  Druck  zu.  Man  kann  diesen  berechnen,  wenn  man 
das  Boylesche  Gesetz  anwendet.  Denken  wir  uns  zuerst  das  Gas  durch 
die  Erwärmung  von  Vq  auf  v  ausgedehnt  und  dann  bei  der  Temperatur 
t  wieder  auf  v^  zusammengedrückt,  so  muss  nach  dem  Boyleschen 
Gesetz  sich  der  Druck  p^  bei  0®  zu  dem  bei  t®,  p,  umgekehrt  wie 
die  entsprechenden  Räume  verhalten,  d.  h.  es  ist 

Po  •  P  =  ^0  :  V  oder  p  v^  =  PoV. 

Wird  diese  Gleichung  mit  der  vorigen  verbunden,  so  folgt 

P  =  Po  (1  +  «*)• 
Es  nimmt  also  bei  konstantem  Volum  der  Druck  durch  Temperatur- 
steigerung in  demselben  Masse  zu,  wie  bei  konstantem  Druck  das 
Volum.  Die  für  einen  Grad  berechnete,  auf  den  Druck  bei  0®  be- 
zogene Druckzunahme  oder  der  Druckkoeffizient  ist  gleich  dem 
Ausdehnungskoeffizienten. 

Lässt  man  endlich  sowohl  den  Druck  wie  das  Volum  sich  beliebig 
ändern,  so  nimmt  das  Produkt  beider,  welches  bei  konstanter  Tempe- 
ratur konstant  ist,  bei  wechselnder  Temperatur  in  demselben  Masse  zu 
oder  ab,  wie  einer  der  Faktoren,  wenn  der  andere  konstant  gehalten 
wird.     Für  diesen  allgemeinen  Fall  gilt  daher  die  Beziehung 

pv  =  PoVo(l -f  at). 

Diese  Verhältnisse  lassen  sich  durch  ein  Verfahren  anschaulicher 
machen,  dessen  wir  uns  in  der  Folge  vielfach  mit  Vorteil  bedienen 
werden,  so  dass  es  hier  in  seinen  Grundlagen  beschrieben  werden  soll. 
Es  beraht  darauf,  dass  man  irgend  welche  Grössen,  die  einen  Zahlen- 
wert besitzen,  durch  gerade  Linien  von  entsprechender  Länge  darstellen 
kann.  Sind  nun  Grössen  gegeben,  die  in  gegenseitiger  Abhängigkeit 
stehen,  oder  Funktionen  von  einander  sind,  so  gelangt  man  zu  einer 
Darstellung  dieser  Abhängigkeit  unter  Benutzung  des  Verfahrens  durch 
folgende  Methode. 

Man  trägt  einen  Wert  der  einen  Grösse  auf  einer  horizontalen  Ge- 
raden von  einem  bestimmten  Punkte  0  (Fig.  1)  aus  ab,  und  erhält  so  einen 
Punkt  auf  dieser,  etwa  20.  Li  diesem  Punkte  errichtet  man  eine 
Senkrechte  20  d ,  die  man  zum  Masse  des  zugehörigen  Wertes  der 
anderen  Grösse  macht.  In  unserem  Falle  würde  0  20  z.  B.  ein  Volum 
einer  bestimmten  Gasmenge,  und  20  d  den  zugehörigen  Druck  darstellen. 
Dann  stellt  der  Punkt  d  diesen  bestimmten  Zustand  des  Gases  dar, 
tmd  jeder  andere  Punkt  der  Zeichenebene  bedeutet  einen  anderen  Zu- 
stand des  Gases,  für  den  man  den  Druck  und  das  Volum  auf  die  ent- 
sprechende Weise  ablesen  kann.  So  ist  z.  B.  der  Druck  des  Zustandes  c 
4urch  die  Länge  10  c,  das  Volum  durch  0  10  dargestellt 

Ostwaldy  Grundriss.    3.  Aufl.  4 


50 


II.  StOchiometrie  gaefürmiger  Stoffe. 


Haben  wir  nun  beispielsweise  eine  (lasmenge,  welches  bd  0°  unter 
einem  Drucke  von  20  cm  Quecksilber  das  Volnm  5  ccm  hat,  so  nimmt 
die  Konstante  des  Boyleseben  Gesetzes  den  Wert  100  an,  so  das» 
pv^lUO  g^h.  Für  eine  Anzahl  anderer,  villkilrhch  gewühlter  Volume 
haben  wü-  folgende  Drucke: 

Volnm  a  5  10         20         50  ccm 

Druck  50         20  10  5  2  cm 

Zeichnen  wir  diese  Wertpaare  in  der  beschriebenen  Weise  aui,  so 
erhalten  wir  die  Punkte  abcde.  Die  gleichen  Punkte  erhSlt  man 
nattirlich,  wenn  man  zuerst  die  Drucke  auf  OP  abträgt,  und  die  zuge- 
hörigen Volume  horizontal  nach  redits  misst. 


Fig.  1. 

Denken  wir  uns  jetzt  beliebig  viele  weitere  Wertepaare  eingetragen, 
80  wei-den  die  entsprechenden  Punkte  zwischen  die  angegebenen  jalleo, 
und  alle  möglichen  Wertepaare  werden  eine  Pnnktreihe  bilden,  welche  in 
der  Öeatalt  einer  durch  die  Punkte  abcde  gelegten  stetigen  gekrümmten 
IJnie  verläuft.  Die  besondere  Form,  welche  unter  der  Anwendung  d€8 
Boyleschen  Gesetzes  entsteht,  heisst  die  rechtwinklige  Hyperbel.  Sie  ist 
ebenso  eine  Darstellung  des  Boylesclien  Gesetzes,  wie  die  Formel 
p  V  ^  const.,  und  hat  vor  dieser  den  Vorzug  der  Anschanliebkeit. 

Man  nennt  die  Linie  abcde,  da  sie  das  Verhalten  des  Gases  bä 
konstanter  Temperatur  darstellt,  eine  Isotherme  des  Gases.  Die 
Isothermen  der  Gase  odei*  die  Linien  konstanter  Temperatur  sind  somit 
i-eiditwinklige  Hyperbeln. 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  51 

Ein  derartiges  System  von  Masslinien  nennt  man  ein  Koordinatensystem. 
Die  Linien  OP  und  OV,  die  sich  im  Anfangs-  oder  Nullpunkte  0  schneiden, 
sind  die  Axen,  die  abgetragenen  Strecken  die  Koordinaten.  Und  zwar 
heissen  die  Uprizontalen  Strecken  die  Abscissen,  die  Senkrechten  die  Ordi- 
naten.  Jeder  Punkt  hat  eine  Ordinate  und  eine  Abscisse,  die  seine  Ent- 
fernung von  der  entsprechenden  Axe  darstellt,  und  ist  durch  die  Angabe 
ihrer  Werte  eindeutig  bestimmt. 

Handelt  es  sich  um  die  Darstellung  negativer  Zahlen  neben  positiven, 
so  verlängert  man  die  Axe  über  den  Punkt  0  hinaus  und  trifft  die  Fest- 
setzung, dass  positive  Werte  nach  rechts  und  oben,  negative  nach  links  und 
unten  gerechnet  werden  sollen.  Man  überzeugt  sich  leicht,  dass  dadurch  die 
Rechenregeln  mit  negativen  Grössen  befriedigt  werden. 

Die  Produkte  pv  stellen  in  der  Zeichnung  die  Flächeninhalte  der 
Rechtecke  dar,  welche  von  den  beiden  Axen  und  den  Koordinaten  be- 
gi'enzt  sind,  und  deren  Ecken  in  der  Kurve  liegen.  Letztere  hat  somit 
die  Eigenschaft,  dass  alle  derai-tigen  Rechtecke  wie  0  2a  50',  05b  20', 
0  10  c  10',  0  20  d  5',  0  50  e  2'  flächengleich  sind. 

Für  eine  andere  Temperatur,  z.  B.  200®,  erhält  man  die  Isotherme, 
wenn  man  dem  Gesetz  von  Gay-Lussac  gemäss  alle  Volume  für  die 
ausgeworfenen  Drucke  im  Verhältnis  l:(l+at),  also  1:1-784  in  dem 
gewählten  Beispiele  vermehrt.  Dai-aus  ergiebt  sich  die  der  vorigen  ent- 
sprechende Tabelle 

Druck  2  5  10  20  50        cm 

Volum        86-70     3468     17-34     8-670     3-468   com 

Die  zugehörige  Kurve  ist  in  der  Zeichnung  eingetragen;  sie  ist 
natürlich  auch  eine  rechtwinklige  Hyperbel,  da  sie  einer  ähnlichen 
Gleichung,  nämlich  pv  =  173-4  genügt,  derzufolge  die  von  den  Axen 
und  den  Koordinaten  eingesdilossenen  Rechtecke  flächengleich  sind. 

Hieraus  folgt,  dass  jedes  beliebige  Rechteck  der  eraten  Kurve  zu 
jedem  beliebigen  der  zweiten  bezüglich  des  Flächeninhaltes  im  Verhältnis 
l:(l-|-«t)  steht,  woraus  die  gewöhnhche  Form  der  Gasgleichung 
p  V  =  Pq  Vq  (1  -|-  «t)  sich  alsbald  ergiebt. 

Diese  Gleichung  gestattet,  durch  Rechnung  aus  dem  bei  irgend 
einer  Temperatur  t  und  h-gend  einem  Drucke  p  beobachteten  Volum 
eines  Gases  das  Volum  zu  berechnen,  welches  es  bei  normalem  Druck 
und  normaler  Temperatur  haben  würde.  Letztere  beiden  Werte  sind 
durch  Übereinkunft  festgestellt  worden,  und  zwar  so,  dass  als  Normal- 
temperatur die  des  schmelzenden  Eises  oder  Null  Grad,  als  Normaldruck 
der  einer  Quecksilbersäule  von  76  cm  Höhe,  gleich  einem  Gewicht  von 
1033  g  pro  Quadratcentimeter^),  festgesetzt  worden  ist.  Man  schreibt 
zu  dem  Zwecke  die  Gleichung  in  der  Gestalt 

*)  Das  Quecksilber  ist  13-595  mal  schwerer  als  Wasser;  eine  Säule 
von  1  qcm  Querschnitt  und  76  cm  Höhe  enthält  also  76  ccm  Quecksilber  und 
hat  ein  Gewicht  von  76  >c  13-595=  1033  g. 

4* 


52 


U.  StÖchiometrie  gasfSnniger  Stoffe. 


pv 


100' 


'7iy 


"        Po  (1  +  «t) ' 
in  welcher  sie  vielfach  benutzt  wird. 

Man  kann  der  allgemeinen  Gasgleichung  pv  =p^Vq(1  +  ß^)  ^^^^ 
einfachere  Gestalt  geben,  wenn  man  sich  folgender  Überlegung  bedient. 
SteUt   man    die    Volume,    die    ein    Gas    unter    konstantem    Drucke    bei 

wechselnder  Temperatur  annehmen  kann, 
durch  entsprechende  Linien  Oa,  lOOb,  dar, 
die  von  der  durch  eine  senkrechte  Gerade 
dargestellten  Thennometerskala  entsprechend 
der  Grösse  des  Volums  nach  rechts  abge- 
tragen werden,  so  erhält  man  eine  gerade 
Linie  a  b,  welche  för  jede  andere  Tempe- 
ratur das  zugehörige  Volum  in  gleicher 
Weise  angiebt.  Verlängert  man  diese  Ge- 
rade nach  unten,  so  gelangt  sie  schliess- 
lich mit  der  Thermometerskala  zum  Durch- 
schnitt, d.h.  es  giebt  eine  Temperatur,  bei 
welcher  das  Volum  eines  Gases  gleich  Null 
sein  würde,  wenn  das  Ausdehnungsgesetz 
noch  bis  daliin  in  Geltung  bliebe.  Nun 
kann  man  offenbar  auch  olme  dies  die 
Temperatur  von  diesem  Durchschnittspunkte 
aus  zählen,  und  würde  dadurch  den  Vorteil 
haben,  dass  das  Volum  des  Gases  dieser  neuen  Temperatur  unmittelbar 
proportional  wäre,  so  dass  der  Ausdruck  der  Gasgesetze  eine  einfachere 
Gestalt  annähme. 

Ausser  diesem  Vorteile  eines  kürzeren  Ausdruckes  erlangt  man  hierbei 
noch  einen  wichtigen  weiteren  Vorteil,  da  die  so  gezählte  Temperatur  mit 
einer  theoretischen  Temperaturskala  wesentlich  zusammenfällt,  welche  sich 
auf  Grund  allgemeiner  Betrachtungen  über  die  Eigenschaften  der  Wärme 
ableiten  lässt.  Diese  theoretische  Skala  ist  von  der  besonderen  Natur  der 
thermometrischen  Substanz  unabhängig,  was  man  von  keiner  anderen  Skala, 
auch  nicht  von  der  auf  der  Ausdehnung  der  Gase  beruhenden  sagen  kann; 
sie  fällt  aber  thatsächlich  fast  vollkommen  mit  der  wie  oben  definierten 
Skala  zusammen. 

Um  den  Punkt  zu  finden,  in  welchem  der  Durchschnitt  der  beiden 
Linien  einti'itt,  erinnern  wir  uns,  dass  das  Volum  für  jeden  Grad  um 
0-00367  oder  1/273  des  Volums  beim  Schmelzpunkt  des  Eises  abnimmt. 
Daher  muss  273  Grad  unter  diesem  Punkte  (unter  der  oben  gemachten; 
Voraussetzung)  das  Volum   verschwinden.     Die  neue  Zählung  würde  an 


Fig.  2. 


dem  Punkte  — 273^0  anfangen,  und  jeder  wie  gewöhnlich  gezählte 
Celsiusgrad  ist  um  273  zu  vermelu'en,  um  die  neue  Temperatm*  zu 
ergeben. 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  53 

Man  nennt  diese  so  gezählten  Temperaturen  absolute  und  be- 
zeichnet sie  mit  T,  im  Gegensatz  zu  der  mit  t  bezeichneten,  vom  Ei»- 
ponkte  ab  gezählten  Centesimaltemperatur.  Handelt  es  sich  um  die  Kenn- 
zeichnung von  Zahlenangaben,  so  wird  den  Centesimalgraden  ein  C,  den 
absoluten  Graden  ein  A  zugefügt. 

Rechnerisch  ergiebt  sich  diese  Zählung  aus  den  folgenden  Gleichungen 

P^  =  PoVo  (1+  «t)  =  PoVo  (1  +  t/273)  =  PoVo  (273  +  t)/273  =  ^T 

wo  T  =  273  +  t  gesetzt  worden  ist.  Wird  ausserdem  die  Konstante 
PoVo/273  mit  r  bezeichnet,  so  erhalten  wir  die  einfache  und  allgemeine 
Form  der  Gasgleichung, 

pv  =  rT. 

Die  Konstante  r  ist  gemäss  ihrer  Definition  rs«p„Vo/27o  proportional 
der  betrachteten  Gasmenge.  Auf  Gnind  späterer  Erörterungen  wird  es  sich 
als  vorteilhaft  erweisen,  solche  Mengen  verschiedener  Gase  zu  betrachten,  für 
welche  die  Konstante  r  gleichen  Wert  hat.  Die  alsdann  auftretende  absolute 
Konstante,  die  seinerzeit  definirt  werden  soll,  wird  mit  R  bezeichnet.   - 

Das  in  der  Gasgleichung  auffretende  Produkt  pv  hat  den  Charakter 
einer  Energie  oder  Arbeitsgrösse.  Denn  um  unter  gegebenen  Verhält- 
nissen, z.  B.  unter  dem  Druck  der  Atmosphäre  eine  gewisse  Gasmasse 
entstehen  zu  lassen,  muss  der  Druck  p  über  den  Raum  v  zurückge- 
schoben oder  überwunden  werden,  und  diese  Arbeit  ist  proportional 
einerseits  dem  Drucke  p,  andererseits  dem  vom  Gase  eingenommenen 
Raum  V.  Um  diese  Art  Energie  von  anderen  zu  unterscheiden,  kann 
man  sie  Volumenergie  nennen.  Sie  gehört  zu  den  mechanischen 
Energieen  und  ist  fast  die  einzige  Art  mechanischer  Energie,  die  für  die 
späteren  Betrachtungen  in  Frage  kommt. 

Die  Gestalt  des  Gasgesetzes  pv  =  rT  lehrt  nun  eine  wichtige  Eigen- 
tümlichkeit der  Volumenergie  der  Gase  kennen,  Sie  zeigt,  dass  bei  ge- 
gebener Temperatur  T  der  Druck,  unter  dem  ein  Gas  entsteht,  keinen 
Einfluss  auf  die  dafür  verbraudite  Volumenergie  hat.  Denn  in  dem 
Masse,  wie  der  Dnick  kleiner  wird,  nimmt  das  Volum  zu,  und  das 
Produkt  beider,  welches  eben  diese  Volumenergie  misst,  bleibt  konstant 
Wir  können  daher  die  Gasgesetze  auch  in  der  folgenden  Gestalt  aus- 
sprechen, die  das  Verständnis  gewisser  Eigentümlichkeiten  in  dem  Ver- 
halten der  Gase  erleichtert:  Die  für  die  Entstehung  einer  bestimmten 
Gasmenge  erforderliche  Volumenergie  ist  unabhängig  vom  Druck  und 
proportional  der  absoluten  Temperatur. 

Aus  dem  Umstände,  dass  auf  der  linken  Seite  der  Gasgleichung  pv  =  rT 
eine  Energiegrösse  steht,  folgt,  dass  auch  die  rechte  Seite  rT  eine  solche  sein 
mu88.  In  der  That  bedeutet  diese  Grösse  eine  neue  Art  Energie,  die  Wärme. 
Auf  diese  Bemerkung  wird  später  Bezug  genommen  werden. 

Da  py  eine  Energiegrösse  ist,  so  hat  sie  auch  gemäss  S.  5  ein  abso- 
lutes Mass  in  Erg.    Daraus  folgt  weiter,  dass  es  auch  für  den  Druck  eine 


54  II-  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

absolute  Einheit  giebt:  der  Druck  Eins  ist  der  Druck,  der  über  ein  Kubik- 
zentimeter wirkend,  ein  Erg  Arbeit  leistet. 

Um  diesen  Betrag  mit  den  gewöhnlichen  Arten  der  Druckmessung  in 
Beziehung  zu  bringen,  erinnern  wir  uns,  dass  der  Druck  einer  Atmosphäre 
durch  eine  Quecksilbersäule  von  76  cm  Höhe  ausgeübt  wird.  Die  Arbeit 
für  die  Überwindung  dieses  Druckes  bei  der  Vermehrung  des  Volums  um  ein 
Kubikcentimeter  ist  gleich  der  für  die  Erhebung  einer  Quecksilbersäule  von 
1  cm*  Querschnitt  und  76  cm  Höhe  um  1  cm.  Da  nun  die  Schwere  eines 
Gramms  gleich  980  (genauer  980'53)  absoluten  Einheiten  ist  (S.  5),  und  1  ccm 
Quecksilber  13-5953  g  wiegt,  so  enthält  eine  Atmosphäre  76  x  980-53  x  13-5953 
=«1013130,  etwas  über  eine  Million  absolute  Druckeinheiten. 

Hierbei  ist  Rücksicht  darauf  genommen  worden,  dass  die  Kraft  der 
Schwere  mit  dem  Orte  wechselt,  indem  als  Normalort  ein  solcher  unter  Meeres- 
höhe und  45°  Breite  gewählt  worden  ist,  für  den  die  Schwere  980-53  Ein- 
heiten beträgt. 

Will  man  den  Druck  einer  Atmosphäre  in  Gewichtseinheiten  auf  die 
Einheit  der  Druckfläche,  ein  Quadratcentimeter,  darstellen,  so  hat  man  zu 
überlegen,  dass  dieser  Druck  gleich  dem  Gewicht  einer  Quecksilbersäule  von 
1  cm*  Querschnitt  und  76  cm  Höhe  ist,  welches  1033  g  beträgt.  Wegen  der 
Annäherung  dieses  Wertes  an  1000  g  oder  ein  Kilogramm  wird  für  technische 
Zwecke  die  Atmosphäre  auch  als  der  Druck  von  einem  Kilogramm  auf  ein 
Quadratcentimeter  definiert;  doch  ist  für  wissenschaftliche  Zwecke  die  oben 
gegebene  absolute  Definition  unbedingt  vorzuziehen.  Will  man  abrunden, 
so  geschieht  dies  viel  besser  dahin,  dass  man  75  statt  76  cm  Quecksilbersäule 
als  Druckeinheit  einführt,  da  dieser  Betrag  sehr  nahe  gleich  einer  Million 
absoluter  Einheiten  unter  mittleren  Verhältnissen  ist. 

Das  Gasgesetz  pv=rrT  ist  als  Naturgesetz  von  ganz  anderer  Be- 
sehaflTenheit;  als  die  früher  besprochenen  stöchiometrischen  Gesetze.  Wäli- 
rend  von  jenen  keine  Ausnahme  bekannt  ist,  kennt  man  umgekehrt  kein 
Gas,  dessen  Verhalten  durch  die  Formel  genau  dargestellt  wird.  Es 
liegt  dies  an  dem  verschiedenen  Verhalten  der  Grössen,  die  in  den  beiden 
Oesetzen  auftreten.  Während  wir  keinen  Vorgang  kennen,  der  auf  die 
Masse  der  beteiligten  Stoflfe  den  geringsten  Einfluss  ausübte,  sind  umge- 
kehrt Druck  und  Temperatur  nicht  die  einzigen  Bedingungen,  von  denen 
die  Raumerflillung  eines  Gases  abhängt.  Vielmehr  übt  die  chemische 
Natur  des  Gases  gleichfalls  einen  Einfluss  aus,  der  zwar  unter  den  ge- 
wöhnlichen Verhältnissen  gering  ist,  dagegen  um  so  mehr  hervortritt  je 
kleiner  der  Raum  ist,  der  dem  Gase  zur  Verfügung  steht. 

Daher  ist  die  Formel  pv:^rT  nur  ein  Grenzgesetz,  d.  h.  eine 
Formel,  die  das  wirkliche  Verhalten  zwar  in  grossen  Zügen  darsteUt, 
aber  doch  immer  gegen  die  Wirklichkeit  einen  Rest  lässt.  Dieser  Rest 
wird  um  so  kleiner,  je  geringer  der  Druck  und  je  höher  die  Temperar 
tur  wird;  doch  erreicht  nie  das  Verhalten  eines  wirklichen  Gases  genau 
die  Formel.  Man  nennt  daher  ein  gedachtes  Gas,  das  genau  dieser 
Formel   (und  einigen  anderen,   die  hier  nicht  erwähnt  werden  können) 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  55 

gehorchen  würde,  ein  ideales  Gas,  und  sagt,  dass  sich  das  Verhalten 
der  wirklichen  Gase  dem  eines  idealen  um  so  mehr  nähert,  je  höher  die 
Temperatur  und  je  kleiner  der  Druck  wird. 

Die  ersten  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand  machte  Despretz 
1825,  nachdem  schon  früher  van  Marum  und~0er8ted  einzelne  hierhergehörige 
Beobachtungen  mitgeteilt  hatten.  Er  kam  zu  der  Ansicht,  dass  solche  Gase, 
welche  dem  Punkte,  ^o  sie  in  Flüssigkeiten  übergehen,  nahe  sind,  sich  im 
allgemeinen  stärker  zusammendrücken  lassen,  als  dem  Boyleschen  Gesetze 
entspricht 

An  der  Luft  konnten  Arago  und  Dulong,  welche  1829  mit  grösseren 
Mitteln  die  Versuche  aufnahmen,  bis  27  Atmosphären  keine  Abweichung  ent- 
decken. Andere  Gase  wurden  nicht  untersucht.  Pouillet  verglich  Kohlen - 
dioxyd,  Stickstoffoxydul,  Methan  und  Äthylen  mit  Luft,  und  fand  bei  allen 
eine  Abweichung  in  demselben  Sinne,  d.  h.  die  Gase  Hessen  sich  stärker 
zusammendrücken,  als  dem  Boyleschen  Gesetze  entsprach.  Die  letzten  bei- 
den Gase  waren  noch  nicht  in  flüssigem  Zustande  bekannt.  Sehr  umfassende 
Versuche  rühren  von  Regnault  her.  Aus  ihnen  ergab  sich,  dass  überhaupt 
kein  Gas  dem  Boyleschen  Gesetze  genau  folgt.  Ausser  der  bereits  bekannten 
Abweichung  der  zu  grossen  Zusammendrückbarkeit  zeigte  sich  beim  Wasser- 
stoffe das  entgegengesetzte  Verhalten,  es  ist  nach  Hegnaults  Ausdruck  ein 
„gaz  plus  que  parfait^^ 

Indessen  erwies  es  sich  bald,  dass  dieses  Verhalten,  so  unerwartet  es 
anfangs  war,  sämtlichen  Gasen  zukommt,  wenn  sie  sehr  starken  Drucken 
ausgesetzt  werden,  vorausgesetzt,  dass  sie  sich  bei  diesen  Drucken  nicht  ver- 
flüssigen. Natterer  (1850)  fand  diese  Thatsache  bei  seinen  vergeblichen  Versuchen, 
die  sogenannten  permanenten  Gase,  Sauerstoff,  Wasserstoff  und  Luft,  zu 
verflüssigen,  auf. 

Die  von  Regnault  beobachtete  Abweichung  beim  Wasserstoff  ist  also 
keine  besondere  Eigentümlichkeit  dieses  Gases,  sondern  kommt  allen  Gasen, 
nur  bei  verschiedenen  Drucken  zu. 

So  interessant  auch  Natterers  Ergebnisse  waren,  und  so  sehr  sie  zu 
weiteren  Forschungen  einluden,  dauerte  es  doch  fast  zwanzig  Jahre,  bis  ein- 
gehendere Versuche  über  diesen  Gegenstand  begonnen  wurden.  Erst  1870 
nahm  Cailletet  und  gleichzeitig  Amagat  derartige  Untersuchungen  auf.  Insbe- 
sondere der  letztere  hat  die  Frage  ungemein  gefördert. 

Die  nachstehenden  Figuren  (S.  56  und  58)  geben  das  Verhalten 
einiger  Gase  unter  starkem  Druck  anschaulich  wieder.  Nach  oben 
sind  die  Werte  der  Produkte  pv  eingetragen,  nach  rechts  die  Drucke  p. 
Wenn  die  Gase  genau  dem  Boyleschen  Gesetze  folgten,  so  wäre  das 
Produkt  pv  konstant  und  die  zugehörige  Kurve  wäre  eine  Gerade,  die 
parallel  der  horizontalen  Axe  verliefe.  Wie  man  sieht,  entspricht  kein 
Gas  diesem  einfachen  Fall.  Die  meisten  Gase  zeigen  bei  geringeren 
Drucken  eine  Abnahme  des  Produkts,  sie  lassen  sich  also  stärker  zu- 
sammendrücken. Bei  höheren  Drucken  dagegen  wird  das  Produkt  pv 
ausnahmslos  grösser,  und  alle  Gase  verhalten  sich  wie  der  Wasserstoff. 


56 


II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 


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Fig.  3.    Wasserstoff. 


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20       kO        60        80      100     120      HO     ISO      180     ZOO      220      2kO    260     280     300    *W 

Fig.  4.    Stickstoff. 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Gase.  57 

Eine  wichtige  Eigentümlichkeit,  die  sich  bei  allen  Gasen  wieder- 
findet, die  nnter  hohen  Drucken  untersucht  worden  sind,  ist  die,  dass 
über  einen  bestimmten  Dnick  hinaus  die  pv- Linien  wieder  gerade 
werden.  Das  Verhalten,  welches  der  Wasserstoff  bereits  bei  niedrigen 
Drucken  zeigt,  tritt  also  bei  allen  Gasen  ein,  wenn  man  den  Druck  nur 
hoch  genug  nimmt.     Dies  führt  zu  dem  folgenden  Schlüsse. 

Der  geradlinige  Verlauf  der  p  v-Iinie  bei  veränderlichem  Drucke  p,  wie  er 
in  flg.  2  bis  4  an  der  rechten  Seite  aUer  Linien  erscheint,  bedeutet, 
dass  dort  der  Wert  pv  proportional  dem  Drucke  zunimmt,  also  einer 
Formel  von  der  Gestalt  pv=a  +  bp  folgt.  Formt  man  die  Gleichung 
etwas  um,  so  ergiebt  sich  p  (v  —  b)  =  a. 

Vergleicht  man  dies  mit  der  gewöhnlichen  Gasgleichung,  die  für 
konstante  Temperatur  die  Form  pv  =  a  hat,  so  sieht  man,  dass  stark  zu- 
sammengedrückte Gase  sich  von  denen  unter  schwachem  Drucke  nur  in- 
sofern verschieden  verhalten,  als  bei  ihnen  nicht  das  ganze  Volum  dem 
Drucke  umgekehrt  proportional  ist,  sondern  das  Volum  nach  Abzug 
einer  vom  Druck  unabhängigen  Grösse  b.  Es  verhalten  sich  mit 
anderen  Worten  die  Gase  so,  als  beständen  sie  aus  einem  Teil  b,  der 
nicht  znsammendrückbar  ist,  und  einem  anderen  Teil  v — b,  der  dem 
einfachen  Gasgesetze  bis  in  die  höchsten  Drucke  folgt 

Es  ist  dadurch  kein  Gegensatz  zu  den  Gasen  unter  geringem 
Drucke  in  dem  Sinne  gegeben,  als  wäre  bei  diesen  das  „incompressible 
Volum"  nicht  vorhanden.  Es  beträgt  in  diesem  Falle  nur  einen  so 
kleinen  Anteil  des  ganzen  Volums,  dass  er  für  die  Messung  nicht  in  Be- 
tracht kommt.  Im  FaUe  des  Wasserstoffs  z.  B.  ist  der  incompressible 
Anteil  in  dem  bei  0®  und  unter  Atmosphärendruck  befindlichen  Gase 
nur  0-0006,  erreicht  also  erst  bei  16  Atmesphären  Druck  ein  hundert- 
stel  von  dem  Volum  des  Gases.  Bei  anderen  Gasen  ist  dieser  AnteU 
etwas  grosser,  bleibt  aber  immer  von  derselben  Ordnung. 

Die  Thatsache,  dass  die  Gase  bei  mittleren  Drucken  sich  anders  ver- 
halten, als  bei  hohen,  legt  die  Vermutung  nahe,  dass  ausser  dem  eben  ge- 
schilderten Einflüsse'  noch  ein  anderer  vorhanden  ist,  welcher  seine  Wirkung 
auf  das  Volum  äussert.  Diesen  zweiten  umstand  hat  man  mit  Erfolg  in  der 
Dichte  gesucht,  vermöge  deren  Wirkungen  eintreten,  die  bei  stärkerer  Ent- 
wickelung  zu  der  Entstehung  einer  Flüssigkeit  aus  dem  Gase  führen.  Die 
genauere  Betrachtung  dieser  Verhältnisse  wird  an  späterer  Stelle  vorgenommen 
werden. 

Über  das  Verhalten  der  Gase  bei  sehr  kleinen  Drucken  haben  die  da- 
hin gerichteten  Experimentaluntersuchungen  keine  übereinstimmenden  Ergeb- 
nisse geliefert.  Doch  scheint  es  wahrscheinlich,  dass  die  gewöhnliche  An- 
schauung, nach  welcher  sich  alle  Gase  bei  abnehmenden  Drucken  zunächst 
mehr  und  mehr  dem  idealen  Gaszustande,  d.  h.  der  strengen  Gültigkeit  des 
Boyleecben  Gesetzes  nähern,  zwar  richtig  ist,  dass  aber  bei  sehr  kleinen  Drucken 
neue  Verhältnisse  eintreten,  die  wieder  eine  Abweichung  von  den  einfachen 
Gesetzen  bedingen. 


IL  Stöchiometrie  gsBronniger  Stoffe. 

Die  Abweichungen  der  Gase  von  den  ein&cben  Gesetzen  finden  nicht 
bei  den  wechselnden  Drucken,  Bondem  auch  bei  wechselnden  Tempera- 
1  statt.    Zunächst  vax  allerdings  schon  der  Ausdehnungskoeffizieat  aelbst 


Fig.  5.     Kohlendiosyd. 

sowohl  von  Gay  -  Lussac  wie  von  Dalton  nicht  unerheblich  zu  gro»s  b« 
stintnit  worden.  Nach  der  Zurechtsteliung  dea  Wertes  durch  Hudberg  unter- 
suchte Magnus  mehrere  Gase  und  fand  merkliche  Verschiedenheiten.  Wie 
anderen  Falle  sind  die  Abweichungen  am  grOsaten  bei  den  dichtesten  Gase) 
i  sich  die  Koeffizienten  solcher  Gase  grösser,  als   die   dm 


Dichte  und  Volum  der  Gase.  59 

nonnalen  Gase.    Diese  Abweichungen  wirken  gleichzeitig  in  solchem  Sinne, 
dass  die  Abweichungen  vom  Boyleschen  Gesetze  um  so   geringer  werden,  je 
höher  die  Temperatur  steigt. 
\  Gestattet  man  dem  Gase  nicht,  sich  auszudehnen,  so  nimmt  sein  Druck 

I  zu.    Das  Mass  dieser  Druckzunahme,  der  Druckkoeffizient,  ist  gleichfalls  nur 
I  im  idealen  Grenzfalle  konstant,  und  zeigt  bei  verschiedenen  Gasen  Abweich- 
ungen von  der  Grössenordnung  derjenigen,  welche  bei  Ausdehnungskoeffizienten 
I  vorkommen.     Doch  gelten  diese  Regeln  nur  für  massige  Drucke;  bei  hohen 
I  drucken  können  die  Ausdehnungs-,  wie  die  Druckkoeffizienten  sowohl  grösser 
wie  auch  kleiner  sein,  als  die  normalen  Werte.    Die  hier  eintretenden  Ver- 
hältnisse lassen  sich  aus  den  Figuren  3 — 5  durch  naheliegende  Betrachtungen 
und  Konstruktionen  ableiten,  doch  muss  diese  Hindeutung  genügen. 
\  Es  wurde  schon  hervorgehoben,  dass  die  Abweichungen  von  den  Gas- 

^gesetzen  am  grössten  bei  solchen  Gasen  sind,  welche  ihrem  Verflüssigungs- 
punkt  am  nächsten  stehen.  Ganz  verschieden  von  diesen  Abweichungen,  die 
von  der  Dichte  des  Gases  abhängen  und  sich  bei  nicht  allzu  hohen  Drucken 
innerhalb  massiger  Grenzen  bewegen,  sind  die  Abweichungen,  die  sich  bei 
gewissen  Gasen,  von  denen  Stickstoffhyperoxyd  das  beste  Beispiel  ist,  zeigen. 
Diese  sind  viel  grösser,  und  haben  das  Besondere,  dass  sie  auf  bestimmte 
mittlere  Druck-  und  Temperaturgebiete  eingeschränkt  sind.  Die  Erklärung 
dieser  Erscheinungen  wird  in  der  Veränderlichkeit  der  Konstante  r  gesucht, 
die  mit  dem  Umstände  verbunden  ist,  dass  auch  die  anderen  Eigenschaften 
des  Gases  (z.  B.  seine  Farbe)  erhebliche  Änderungen  erfahren.  Es  sind  mit 
anderen  Worten  Gase,  die  umkehrbare  chemische  Änderungen  erleiden. 
Deshalb  kann  ihr  Verhalten  erst  an  späterer  Stelle  eingehender  betrachtet 
!  werden. 


Zweites  Kapitel. 
Dichte  und  Volum  der  Gase. 

Die  Dichte  eines  Stoffes  ist  das  Verhältnis  seiner  Masse  zu  dem 
Baume,  den  er  einnimmt.  Da  die  Masse  zahlenmässig  durch  das  Ge- 
widit  des  Körpera  in  Grammen  dargestellt  wird,  und  die  Kaumeinheit 
Wasser,  ein  Kubikcentimeter,  1  g  wiegt,  so  kann  die  Dichte  auch  durch 
das  Verhältnis  der  Gewichte  gleicher  Käume  des  Stoffes  und  reinen 
•Wassers  von  4^  gemessen  werden. 

Für  Gase  ffthrt  diese  Bestimmung  zu  einiger  Unbequemlichkeit. 
Einmal  erhält  man  sehr  kleine  Zahlen,  da  die  Gase  einige  hundert-  bis 
tausendmal  leichter  sind,  als  gleiche  Räume  Wasser,  andererseits  aber 
fct  das  Gewicht  der  Raumeinheit  eines  Gases  im  höchsten  Masse  von 
Temperatur  und  Dinick  abhängig.  Man  pflegt  daher  die  Dichte  in  diesem 
Sinne  nur  für  den  „Normalzustand"  der  Gase  bei  0^  und  einer  Atmo- 
sphäre Druck  zu  bestimmen. 


60  n.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Für  diesen  Zustand  ist  die  Dichte  der  atmosphärischen  Luft  von 
mittlerer  Zusammensetzung  gleich  0-010293.  Es  wiegt  also  ein  Liter 
Luft  nur  etwas  mehr  als  ^j^^  g. 

Für  wissenschaftliche  Zwecke  ist  der  Begriff  „Luft"  zu  unbestimml^ 
da  dies  Gemisch  keine  konstante  Zusammensetzung  hat.  Hier  dient  als 
Norm  am  besten  der  Sauerstoff,  der  ja  auch  als  Norm  der  Verbindungsge- 
wichte dient.     Die  Dichte  des  Sauerstoffs  ist  00014290. 

Der  reziproke  Wert  der  Dichte  ist  das  spezifische  Volum,  oder  das 
Volum  eines  Gramms.  Es  beträgt  beim  Sauerstoff  699«80  ccm,  also  fast 
genau  700  ccm. 

Bei  anderen  Temperaturen  und  Drucken  (in  cm  Quecksilber)  beträgt 
das  Gewicht  von  einem  Cubikcentimeter  Sauerstoff: 

G  =  00014290 p/76  (1  +  at) 

und  das  Volum  von  einem  Gramm  Sauerstoff: 

V  =  699-80X76  (1  +  at)/p. 

Um  nun  die  UnbequemUchkeit,  die  in  der  Veränderlichkeit  der 
Dichte  der  Gase  liegt,  zu  umgehen,  ist  es  Gewohnheit  geworden,  statt 
der  absoluten  Dichte  das  Verhältnis  anzugeben,  in  weldiem  das  Gewicht 
des  fraglichen  Gases  zu  dem  eines  Normalgases  steht,  wenn  beide 
gleichen  Druck  und  gleiche  Temperatur  haben.  Denn  da  diese  beiden 
Faktoren  auf  alle  Gase  einen  gleichen  Einfluss  ausüben,  so  ist  eine  solche 
VerhäJtniszahl  von  dem  Werte  des  Druckes  und  der  Temperatur  unab- 
hängig. 

Als  solches  Normalgas  hat  früher  die  Luft  gedient,  doch  ist  sie  aus 
den  bereits  angegebenen  Gründen  hierfür  nicht  geeignet.  Auch  hier  hat 
der  Sauerstoff  einzutreten,  und  demgemäss  ist  die  relative  Dichte  eines 
Gases  das  Verhältnfs,  in  welchem  sein  Gewicht  zu  dem  eines  gleidhen 
Volums  Sauerstoff  unter  gleichem  Drucke  und  bei  gleicher  Tempera- 
tur steht. 

Aus  Gründen,  die  alsbald  zur  Besprechung  gelangen  sollen,  wird 
als  Normalgas  in  diesem  Sinne  nicht  der  Sauerstoff  unmittelbar  benutzt, 
sondern  man  denkt  sich  ein  Gas,  dessen  Dichte  32  mal  so  klein  ist,  als 
die  des  Sauerstoffs.  Das  Gewicht  von  einem  Kubikcentimeter  des 
Normalgases  ist  demnach  32  mal  so  klein,  als  des  Sauerstoffs,  und  be- 
trägt 0-00004463  p/ 76  (1  +  at).  Dadurch  wird  die  relative  Dichte  des 
Sauerstoffe  selbst  gleich  32,  und  die  der  anderen  Gase  werden  32  mal 
so  gross,  als  die  auf  Sauerstoff  als  Einheit  bezogenen  relativen  Diditea. 
Da  die  Dichten  von  Luft  und  Sauerstoff  im  Verhältnis  0001293/0001429 
stehen,  so  sind  die  auf  jenes  Normalgas  bezogenen  Dichten  um  32  X 
0.001293/0-001429  =  28-98  mal  so  gross  als  die  auf  Luft  als  Einheit 
bezogenen  relativen  Dichten.  Da  die  Zahlen  der  letzteren  Art  noch. 
häufig  in  d^  Litteratur  vorkommen,  so  ist  es  wichtig,  diesen  Faktar 
28-98  zu  kennen. 

Die  auf  jenes  Normalgas  bezogenen  Dichten  nennt  man  auf  Grund 


Dichte  und  Volum  der  Gase.  5X 

einer  bestimmten  hypothetischen  Anschauung  die  Molekulargewichte 
der  betreffenden  Gase  Wegen  des  Nachteiles^  der  immer  damit  ver- 
bunden isty  dass  man  eine  von  allen  Hypothesen  unabhängige  empirisdie 
Grösse  mit  einem  der  Hypothese  entnommenen  Namen  bezeichnet^  soll 
dieser  wenigstens  vorläufig  nicht  benutzt  werden;  wir  wollen  vielmehr 
die  auf  unser  gedachtes  Normalgas  bezogenen  Dichten  oder  Volumge- 
widite  Nor  mal  gewichte  nennen.  Später,  nachdem  die  vorliegenden 
Verhältnisse  unabhängig  von  entbehrlichen  Zuthaten  dargelegt  sein  werden, 
kann  mit  der  Mitteilung  der  hypothetischen  Veranschaulichung  auch  der 
entsprechende  Name  Molekulargewicht  in  Gebrauch   genommen   werden. 

Die  Kenntnis  der  Molekular-  oder  Normalgewichte  verschiedener  Gase 
hat  für  den  Chemiker  ein  besonderes  Interesse,  und  es  sind  daher  ver- 
schiedene Methoden  ersonnen  worden,  um  sie  zu  erlangen.  Die  Methoden 
kommen  immer  darauf  hinaus,  dass  man  für  eine  gegebene  Gasmasse 
sowohl  das  Gewicht,  wie  das  Volum  bei  bestimmter  Temperatur  und  be- 
stimmtem Druck  ermittelt  Berechnet  man  dann,  wieviel  ein  gleiches 
Volum  des  Normalgases  unter  gleichen  Umständen  wiegt,  so  ist  das  Ver- 
hältnis beider  Gewichte  das  gesuchte  Normalgewicht.  Ist  W  das  Gewicht 
des  zu  untersuchenden  Gases  bei  dem  Volum  V,  dem  Druck  P  und  der 
Temperatur  t,  so  ist  das  Gewicht  g  des  gleichen  Volums  des  Normal- 
gases: 

PV 

g  =  0-00004463 : r 

^      -  76(1  + 000367t) 

W 

und   das    gesuchte  Normalgewicht  m  = —  erhält  den  Wert 

W.76  (1+ 000367t)  ^WT 

000004463  PV  PV  ' 

wo  T=273  +  t  ist. 

Diese  Gleichung  gilt  fär  sämtliche  Methoden  der  Gasdichtebestimmungen; 
ihre  Anwendung  setzt  voraus,  dass  man  die  Drucke  in  Centimetem 
Quecksilber,  die  Volume  in  Kubikcentimetem,  die  Gewichte  in  Grammen 
und  die  Temperaturen  in  Celsiusgraden  +273  misst.  Die  verschiedenen 
Bestimniungsmethoden  gehen  nur  insofern  auseinander,  als  man  ver- 
sdiiedene  Wege  einschlägt,  um  zur  Kenntnis  dieser  vier  erforderlichen 
Zahlen  zu  gelangen. 

Handelt  es  sidi  um  möglichst  genaue  Bestimmungen  an  Gasen,  die 
man  bei  niederen  Temperaturen  untersuchen  kann,  so  benutzt  man  zwei 
möglichst  gleiche  Glaskolben  von  passender  Grösse,  die  durch  Hähne 
versehliessbar  sind,  und  die  man  durch  Zusätze  so  abgleicht,  dass  sowohl 
ihr  Gewicht,  wie  ihr  äusseres  Volum  gleich  werden.  Der  eine  von 
beiden  Kolben  wird  verschlossen  (am  besten  in  leerem  Zustande)  und 
dient  als  Gegengewicht  fiir  den  andern,  den  man  abwechselnd  in  leerem 
Zustande  und  mit  den  zu  unterauehenden  Gasen  gefüllt,  wägt.  Die  Not- 
wendigkeit eines. an  äusserem  Umfange  gleichen  Gegengewichtes  wird  da- 


62  II-  StÖchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

durch  bedingt,  dass  der  Auftrieb,  welchen  die  Gasbehälter  durch  die 
Luft,  in  welcher  sie  gewogen  werden,  erfahren,  ungefähr  ebensoviel  be- 
ti'ägt,  als  im  allgemeinen  das  Gasgewicht  selbst,  und  dass  dieser  Auftrieb 
mit  dem  Zustande  der  Luft  veränderlich  ist  Treffen  aber,  wie  bei  der 
beschriebenenen  Anordnung,  diese  Veränderungen  beide  Seiten  der  Wage 
gleichförmig,  so  haben  sie  auf  das  Ergebnis  der  Wägung  keinen  Ein- 
fluss  mehr.  Bei  den  Wägungen  des  Versuchskolbens  in  luftleerem  und 
gaserfülltem  Zustande  ist  infolge  der  im  ersten  Falle  auftretenden  Zu- 
sammendrückung durch  den  äusseren  Luftdruck  das  Volum  und  daher 
auch  der  Auftrieb  etwas  kleiner,  ein  Umstand,  auf  welchen  bei  sehr  ge- 
nauen Messungen  Rücksicht  genommen  werden  muss. 

Die  bei  solchen  Versuchen  auftretenden  Schwierigkeiten  liegen  in  der 
Notwendigkeit,  den  grossen  Luftbehälter  überaus  genau  zu  wägen;  die  Be- 
stimmungen von  Druck,  Volum  und  Temperatur  lassen  sich  viel  leichter  ge- 
nau ausführen.  Deshalb  kann  man  häufig  bequemer  und  daher  genauer  zum 
Ziele  kommen,  wenn  man  das  Gas  nicht  als  solches  wägt,  sondern  in  festem 
oder  flüssigem  Zustande.  Dies  setzt  keineswegs  voraus,  dass  das  Gas  als 
solches  in  diesen  Zustand  bequem  übergeführt  werden  kann,  sondern  man 
kann  das  Verfahren  überall  anwenden,  wo  man  das  Gas  aus  festen  oder 
flüssigen  chemischen  Verbindungen  erzeugen  oder  es  in  solche  überführen 
kann,  um  z.  B.  die  Dichte  des  Sauerstoffs  zu  finden,  wog  Buff  eine  mit 
Kaliurachlorat  gefüllte  Retorte,  entwickelte  aus  derselben  Sauerstoff,  dessen 
Volum,  Druck  und  Temperatur  er  mass,  und  wog  die  Retorte  zurück.  Der 
unterschied  beider  Gewichte  ist  das  Gewicht  des  gemessenen  Sauerstoffs, 
umgekehrt  leitete  Marchand  die  noch  unbekannte  Menge  Sauerstoff,  deren 
Volum,  Druck  und  Temperatur  er  gemessen  hatte,  mit  Hülfe  eines  indifferen- 
ten Gases  (Kohlendioxyd)  übergewogenes  glühendes  Kupfer,  welches  sich  mit 
dem  Sauerstoff  vollständig  zu  Kupferoxyd  verband,  und  erhielt  durch  dessen 
Gewichtszunahme  das  gesuchte  Gewicht  des  Sauerstoffs.  Man  sieht  leicht 
ein,  wie  man  diese  Methoden  auf  andere  Fälle  anwenden  kann. 

In  Fällen,  wo  es  auf  geringere  Genauigkeit  ankommt,  oder  wo  nur 
geringe  Gasmengen  zu  Gebote  stehen,  wird  der  Massstab  der  Versuche 
erheblich  verkleinert.  Besonders  häufig  kommt  der  Chemiker  in  die 
Lage,  das  Normalgewicht  von  solchen  Gasen,  welche  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  feste  oder  flüssige  Köi-per  sind,  oder  von  Dämpfen  zu  be- 
stimmen. Hierzu  dienen  kleinere  Kolben  von  200  bis  500  ccm  Inhalt, 
in  welche  man  etwas  von  dem  Körper  hineinbringt.  Indem  man  als- 
dann den  Kolben  einer  Temperatur  aussetzt,  welche  erheblich  (mindestens 
80"  bis  50®)  über  dem  Siedepunkt  des  Stoffes  liegt,  und  dadurch  eine 
schnelle  Dampfentwickelung  hervorbringt,  treibt  man  die  im  Kolben  ent- 
haltene Luft  durch  den  Dampf  aus.  Hat  das  Ausströmen  aus  dem 
(möghchst  schmalen)  Kolbenhalse  aufgehört,  so  schmilzt  man  ihn  zu  und 
bemerkt  die  Temperatur  und  den  Barometeratand.  Das  Gewicht  wu'd 
durch  den  Unterschied  bei  der  Wägung  des  leeren  und  des  dampfer- 
füllten Kolbens  gefunden  (wobei  auf  den  Aufhieb  Rücksicht  zu  nehmen 


Dichte  und  Volum  der  Gase.  6^ 

ist),  und  das  Volum  ermittelt  man,  indem  man  den  Kolben  leer  und  mit 
Wasser  von  4"  geMt  wägt;  der  Gewichtsunterschied  in  Grammen  ist 
gleich  dem  Inhalt  in  Kubikcentimetem.  Doch  darf  nicht  vergessen 
werden,  dass  bei  der  Beobachtungstemperatur  der  Kolben  ein  etwas 
grosseres  Volum  hatte,  weil  er  durch  die  Wärme  ausgedehnt  war;  die 
Zunahme  beträgt  bei  Glas  etwa  0-00003  fiir  jeden  Grad,  ist  also  nicht 
erheblich.     (Dumas.) 

Man  kann  die  Wägung  des  Kolbens  vor  und  nach  dem  Versuche 
sich  ersparen,  wenn  man  das  Gewicht  des  Dampfinhaltes  auf  irgend  einem 
anderen  Wege  bestimmt.  Handelt  es  sich  z.  B.  um  die  Dichte  des 
Joddampfes,  so  braucht  man  nur  nach  dem  Versuche  den  Kolben  mit 
Jodkaliumlösung  auszuspülen  und  die  Lösung  mit  Natriumthiosulfat  zu 
titrieren,  um  zu  sehr  genauen  Bestimmungen  zu  gelangen.  Derartige 
Hilfsmittel  sind  indessen  bisher  fast  gai*  nicht  benutzt  worden. 

Bei   sehr  hohen  Temperaturen,  wo   Glas   nicht  mehr  ausreicht,  dienen 

Kolben  von  Porzellan,  die  mittelst  des  Knallgasgebläses  verschlossen  werden. 

Da  unter  solchen  umständen  die  Bestimmung  der  Temperatur  schwierig  ist, 
1 80  erspart  man  sie  sich,  indem  man  einen  Parallelversuch  unter  gleichen  üm- 
I  ständen  mit  Luft  macht,  und  deren  Gewicht  bestimmt,  was  allerdings  zweck- 
i  massiger  durch  Messung  als  durch  Wägung  geschieht.    Zieht  man  eine  Wägung 

Tor,  so  benutzt  man  statt  der  Luft  ein  schweres  Gas,  dessen  Dichte  bekannt 
[  ist,  um    die  Wägungsfehler    unschädlicher   zu  machen  (Deville  und  Troost). 

Der  früher  hierzu  benutzte  Joddampf  ist  nicht  geeignet,  weil  seine  Dichte 

bei  höherer  Temperatur  nicht  konstant  ist. 

Gewissermassen  die  Umkehrung  des  von  Dumas  herrührenden  Ver- 
fahrens bildet  die  Methode  von  Gay-Lussac,  bei  welcher  nicht  die  Menge 
des  Dampfes  bestimmt  wird,  welcher  ein  gegebenes  Volum   erfüllt,  son- 
dern das  Volum,  welches  von  einer  gegebenen  Menge  des  Dampfes  ein- 
I  genommen  wird.     Die  Ausführung  der  Methode  setzt  voraus,  dass  man 
j  den  fraglichen  Stoff  als  festen  oder  flüssigen  Körper  wägen  kann. 

'  Bei  der  Ausführung  wird  eine  derart  gewogene  Menge  in  eine  oben 
geschlossene  und  in  Kubikcentimeter  geteilte  Röhre  von  Glas  gebracht, 
welche   mit  Quecksilber  gefüllt  ist  und  in  einer  Quecksilberwanne  steht. 

'  Die  Röhre  muss  von  einer  Vorrichtung  umgeben  sein,  welche  gestattet, 

lihr  eine  gleichförmige  und  genau  bestimmbare  Temperatur  zu  geben. 
Der  hineingebrachte  Stoff  verwandelt  sich  in  Dampf,  welcher  Quecksilber 

i  verdrängt  und  dessen  Volmn  man  an  der  Teilung  ablesen  kann.  Bei 
diesem  Verfahren  ist  zu  berücksichtigen,  dass  der  Druck,  unter  dem  das 
Gas  steht,  gleich  dem  Barometerstand  minus  der  in  der  Röhre  verbleiben- 
den Queckffllbersäule  ist;  auch  muss  die  Höhe  der  letzteren  nach  dem 
Ausdehnungskoeffizienten  des  QuecksUbers  (0-000182)  auf  0®  reduziert 
werden. 

Eine  Abänderung  dieser  Methode  unter  Anwendung  längerer  Röhren 

\  und   eines  Dampfmantels   zur  Erwärmung,   welche  von  Hofmajin  ange- 


g4  II.  Stdchiometrie  gasfSnniger  Stoffe. 

^ben   worden    ist,  ist   eine  ganz   wesentliche  Verbeeserung  der  in  ihrer 
ursprünglichen  Form  etwas  unbequemen  Methode. 

Der  gleichen  Gruppe  angehörig  ist  ein  glei<^fallB   sehr  bequemes 
Verfahren,  welches  von  V.  Meyer  herrührt  (Fig.  6).     Es  besteht  darin, 
dasa  man  zunächst  ein    cylindriaches  Gefäas  mit  langem  Halse  auf  eine 
passende  gleichförmige  Tem- 
*  peratur   erhitzt.     Der   obere 

Td]  des  Gelasses  wird  mit 
einem  in  Kubilicentinieter  ge- 
teilten Messrohre  in  Verbin- 
dung gesetzt  und  alsdann 
lässt  man  in  den  unteren 
Teil  eine  gewogene  Menge 
des  KU  vergasenden  Stoffes 
feilen  Indem  er  Gasgestalt 
annimmt,  verdrängt  er  ein 
gleiches  Volum  der  Luft,  wel- 
die  das  Geftisa  erfüllte;  diese 
tritt  in  die  Messröhre  über, 
und  aus  den  Ablesungen  an 
dieser  kann  das  entsprechende 
Gewicht  des  Normalgases  in 
bekannter  Weise  bestimmt 
werden.  Das  Verfahren  hat 
den  grossen  Vorteil,  dass  es 
*  bei  allen  Temperaturen,  für 
Fig.  6.  welche  man  hfütbare  G«fasse 

hersteilen  kann,  Anwendung 
findet,  und  dass  man  die  Temperatur  des  Dampfraumes  nicht 
zu  kennen  braucht;  letztere  muss  nur  während  des  Versuches  kon- 
stant sein. 

Um,  was  für  bestimmte  Fragen  von  Wichtigkeit  ist,  die  Temperatur  des 
Dampfraumes  kennen  zu  lernen,  verdrängt  V.  Meyer  die  Luft  daraus  durch 
Clilorwasaerstoffgaa,  und  fangt  Kie  über  Wasser  auf,  welches  das  Chlorwasser- 
Btoffgas  aufnimmt.  Ist  v'  das  Volum  der  ausgetriebenen  Lufl  bei  der  Zimmer- 
temperatur T',  und  T  das  Volum  des  DampiraHmes,  so  ergiebt  sich  seine  Tem- 
peratur T  nach  dem  Gesetz  von  Gay-Lussac  aus  der  Proportion 
v' :  V  —  T'  :  T 


Andere  Verfahren,  welche  in  besonderen  Fällen  zu  benutzen  sind,  hat  mau 
mannigfach  erftinden  und  beschrieben,  doch  sind  sie  nicht  in  allgemeineren 
Gebrauch  gekommen  und  künnen  daher  hier  übergangen  werden. 


Das  Gesetz  von  Gay-Lussac  und  die  Hypothese  von  Ayogadro.         65 

Drittes  Kapitel. 
Dm  Gresets  von  Qay-Iiussao  und  die  Hypothese  von  Avogadro. 

Bd  Versuchen  über  das  Raumverhältnis,  in  welchem  sich  Sauerstoff 
und  Wasserstoff  zu  Wasser  verbinden,  hat  man  schon  am  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  erkannt,  dass  es  ungefähr  1:2  ist.  Dass  es,  soweit 
die  damaligen  Hilfsmittel  es  zu  bestimmen  gestatteten,  genau  diesen 
einfachen  Wert  hat,  ist  indessen  erst  1805  von  Gay-Lussac  und  Hum- 
boldt ausgesprochen  worden.  Drei  Jahre  später  stellte  Gay-Lussac  in 
einer  sehr  berühmt  gewordenen  Abhandlung  fest,  dass  diesem  Verhalten 
ein  für  alle  Gase  gültiges  Gesetz  zu  Grunde  liegt,  welches  lautet:  Wenn 
gasförmige  Stoffe  sich  chemisch  verbinden,  so  stehen  ihre 
Volume  in  einfachen  rationalen  Verhältnissen;  entsteht  dabei 
wieder  ein  gasförmiger  Stoff,  so  steht  auch  sein  Volum  in 
rationalem  Verhältnis  zu  dem  Volum  der  ursprünglichen  Gase. 
Vorausgesetzt  ist  dabei  natürlich,  dass  alle  Volumbestimmungen  bei 
gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur  erfolgen. 

Dies  Gesetz  gestattet  offenbar,  die  Dichten  gasförmiger  Verbindungen 
aus  denen  der  Elemente  zu  berechnen,  wenn  man  die  Volumverhältnisse  bei 
ihrer  Bildung  kennt.  So  geben  2  Volume  Wasserstoff  und  1  Volum  Sauer- 
stoff 2  Volume  Wasserdampf.  Nun  ist  die  Dichte  des  Wasserstoffs  in  der 
S.  61  angegebenen  Einheit  2*02,  die  des  Sauerstoffs  ist  32-00.  Wir  haben  nun 
folgende  Rechnung: 

2  Vol.  Wasserstoff  wiegen  2  x  2-02  «  4-04 

1  Vol.  Sauerstoff  wiegt  32-00 

Die  entstehenden  2  Vol.  Wasserdampf  wiegen  36*04 

folglich:  1  Vol.  Wasserdampf  wiegt  18-02 

Die  Beobachtung  giebt  18-05,  fast  also  eine  identische  Zahl. 

Überlegt  man  nun,  dass  die  Gase  sich  dem  Gewichte  nach  im 
Verhältnis  ihrer  Verbindungsgewichte  oder  deren  Multiplen,  dem  Volum 
nach  aber  zu  gleichen  oder  multiplen  Volumen  verbinden,  so  folgt,  dass 
die  Gewichte  gleicher  Volume  der  Gase  sich  wie  ihre  Ver- 
bindungsgewichte oder  der  Multiplen  verhalten  müssen. 

Es  liegt  daher  der  Gedanke  nahe,  die  Verbindungsgewichte  so  zu 
wählen,  dass  die  rationalen  Faktoren  derselben  mit  denen  der  Volume 
bei  chemischen  Verbindungen  übereinstimmend  werden.  Dann  verhalten 
fiidi  die  Dichten  der  verschiedenen  Gase  wie  ihre  Verbindungsgewichte. 

Indessen  zeigt  sich  dieser  einfachen  Annahme  gegenüber  eine 
Schwierigkeit,  welche  sie  undurchführbar  macht.  Wenn  Chlor  und  Wasser- 
stoff sich  zu  Chlorwasserstoff  verbinden,  so  bleibt  das  Volum  unver- 
ändert, d.  h.  ein  Liter  Chlor  und  ein  Liter  Wasserstoff  geben  zwei  Liter 
Chlorwasserstoff.  Nehmen  wir  solche  Volume  der  beiden  gasförmigen 
Elemente,  dass  jedes  ein  Verbindungsgewicht  enthält,  so  wäre  in  den 
entstandenen  zwei  Volumen   Chlorwasseratoff  doch    auch   nur   ein   Ver- 

Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl.  5 


66  .     .II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

bindungsgewicht  Chlorwass^^toff  enthalten,  d.  h.  in  dem  gleichen  Volum 
nur  ein  halbes  Verbindungsgewicht.  Dies  widerspricht  aber  der  Begrifis- 
bestimmung,  xlass  das  V^rbindungsgewicht  eines  zusammengesetzten  Stoffes 
gleich  der  Summe    der  Verbindungsgewichte  seiner  Elemente  sein  soU. 

Bei  Wasser  ist  eine  ähnliche  Schwierigkeit  vorhanden.  Es  treten 
zwei  Volume  Wasserstoff  mit  einem  Volum  Sauerstoff  zu  zwei  Volumen. 
Wasserdampf  zusammen.  Dies  wäre  im  Sinne  der  versuchten  Auffassung 
so  zu  deuten,  dass  ein  Verbindungsgewicht  Sauerstoff  mit  zwei. Wasser- 
stoff Wasser  bildet;  da  dies  aber  den  doppelten  Raum  des  Sauerstoffs 
einnimmt,  so  wäre  in  dem  einfachen  Räume  nur  ein  halbes  Verbindungs- 
gewicht Wasser  enthalten,  wieder  im  Widerspruch  mit  dem  allgemeinen 
Satze  über  das  Verbindungsgewicht  der  zusammengesetzten  Stoffe. 

Noch  schlimmmer  ist  der  Fall  des  Phosphomvasserstofis.  Hier  ver- 
bindet sich  ein  Volum  Phosphordampf  mit  sechs  Volumen  Wasserstoff, 
und  es  entstehen  vier  Volume  Phosphorwasseratoff.  Hier  mtisste  also 
das  Verbindungsgewicht  des  Phosphorwasseratoffs  nur  ein  Viertel  von 
der  Summe  der  Bestandteile  sein. 

Wir  kommen  somit  zu  dem  Schlüsse,  dass  eine  einfache  Proportio- 
nalität zwischen  Gasdidite  und  Verbindungsgewicht  nicht  durchführbar 
ist;  man  musa  vielmehr  zwischen  beiden  noch  Faktoren  annehmen,  die 
von  Fall  zu  Fall  verschieden  sein  können,  und  von  denen  man  nm*  auf 
Grund  des  Gesetzes  von  Gay-Lussac  sagen  kann,  dass  sie  rationale 
Zahlen  sein  müssen. 

Man  kann  nun  sich  die  Aufgabe  stellen,  die  kleinsten  Werte 
ganzer  rationaler  Faktoren  aufzusuchen,  welche  eine  widerspruchsfreie  Dar- 
stellung des  Zusammenhanges  gestatten.  Benutzen  wir  den  Namen 
N  0  r  m  a  1  g  e  w  i  c  h  t  f  ür  die  auf  das  hypothetische  Normalgas  bezogene  Dichte 
(S  6),  so  lautet  die  Frage:  wieviel  Verbindungsgewichte  sind  in  eineni 
Normalgewicht  anzunehmen,  damit  immer  das  Normalgewicht  der  Ver- 
bindung mindestens  gleich  der  Summe  der  Verbindungsge^ichte  der 
Elemente  ist? 

Im  Falle  des  Chlorwasserstoffs  genügt  offenbar  die  Annahme,  dass 
ein  Normalgewicht  Chlor  und  Wasserstoff  je  zwei  Verbindungsgewichte 
enthält,  und  dass  beim  Chlorwasserstoff  Normal-  und  Verbindungsgewicht 
gleich  sind.  Eine  ähnliche  Annahme  führt  beim  Wasser  zum  Ziel.  Beim 
Phosphorwassei^stoff  muss  dagegen  die  Annahme  gemacht  werden,  dass 
der  Phosphordampf  vier  Verbindungsgewichte  in  einem  Normalgewicht 
enthält,  damit  in  jedem  der  entstehenden  vier  Volume  Phosphorwaaser- 
stoff  ein  Verbindungsgewicht  Phosphor  enthalten  ist.  Allgemein  wii*d 
man,  wenn  aus  einem  Volum  eines  Bestandteils  n  Volume  der  Ver- 
bindung entstehen,  in  einem  Normalgewicht  des  ersteren  n  Verbindungs- 
gewichte anzunehmen  haben. 

Schreibt  man  die  chemischen  Formeln  so,  dass  sie  je  ein  Normal- 
gewicht darstellen,  oder  dass  die  durch  die  Formel  ausgedrückten  Mengen 


Das  Gesetz  von  Gay-Lussac  und  die  Hypothese  von  Avogadro.         $7 

den  Gafidichten  proportional  sind,  so  werden  die  eben  geschilderten  Ver- 
hältnisse sehr  übersichtlich.     Wir  haben  die  Reaktionen: 

H«  +  Cl«  =2  HCl 
2H«  +  0«    =2H«0 
P*  +  6H«  =  4PH». 

Betrachtet  man  im  Lichte  dieser  Gleichungen  alle  chemischen  Re* 
aktionen,  bei  denen  sich  Stoffe  beteiligen,  die  in  Gas-  oder  Dampfform 
bekannt  sind,  so  ergiebt  sich,  dass  bei  den  Elementen  Sauerstoff,  Stick- 
stoff, Wasserstoff,  Chlor,  Brom,  Jod  die  Annahme  ausreicht,  es  seien  in 
einem  Normalge  wicht  je  zwei  Verbindungsgewichte  enthalten;  es 
ist  keine  Verbindung  bekannt,  die  in  einem  Normalgewicht  weniger  als 
ein  halbes  Normalgewicht  dieser  Elemente  enthielte.  Dies  ist  der 
Grund,  aus  welchem  die  Normalgewichte  auf  eine  Einheit 
bezogen  worden  sind,  welche  für  den  Sauerstoff  die  Zahl  .*52, 
entsprechend  dem  doppelten  Verbindungsgewicht,  ergiebt. 

Bei  den  nicht  zahlreichen  metallischen  Elementen,  die  in  Dampf- 
gestalt bekannt  sind,  genügt  sogar  die  Annahme,  dass  die  Normal-  und 
Verbindungsgewichte  identisch  sind.  Phosphor  und  Arsen  ver- 
langen dagegen  die  Annahme  von  vier  Verbindungsgewichten  in  einem 
Normalgewicht.  Schwefel  und  Selen  schliessen  sich  den  erstgenannten 
Elementen  an,  zeigen  aber  etwas  verwickeitere  Verhältnisse,  die  alsbald 
erörtert  werden  sollen. 

Die  nachstehende  Tabelle  lässt  diese  Verhältnisse  übersehen. 


■ 

Verbindungs 

Normal- 

VArhSli 

gewicht 

gewicht 

T  ciUali 

1. 

Säuerstoff 

16 

32 

2 

2. 

Wasserstoff 

1-01 

2-02 

2-00 

3. 

Stickstoff 

14-04 

28-11 

2-01 

4. 

Chlor 

35.45 

70-9 

200 

5. 

Brom 

7996 

159-9 

2-00 

6. 

Jod 

12686 

253-0 

2-00 

7. 

Schwefel 

32-06 

65 

206 

8. 

Selen 

791 

160 

2-03 

9. 

TeUur 

1273 

254 

2-00 

10. 

Phosphor 

310 

129 

402 

11. 

Arsen 

750 

304 

4-05 

12. 

Quecksilber 

200 

202 

1-01 

13. 

Cadmium 

112 

114 

102 

14. 

Zink 

654 

68 

1-04 

15. 

Kalium 

39.1 

37.7 

0-97 

16. 

Natrium 

231 

255 

111 

Die  Tabelle  ergiebt  zunächst  eine  Bestätigung  des  Gesetzes  von 
Gay-Lussac,  nach  welchem  Gasdichte  und  Verbindungsgewicht  in  ein- 
fachen Verhältnissen  stehen.     Die  vorhandenen  Abweichungen  von  den 

5* 


68 


II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 


ganzen  Zahlen  rühren  daher^  dafis  die  untersuditen  Dämpfe  nicht  immer 
den  einfachen  Gasgesetzen  gehorchen;  auch  spielen  namentlich  bei  den 
letztgenannten    die    sehr   erheblichen  Versuchsschwierigkeiten  eine  Rolle. 

Während  nun  die  Einführung  der  Normal-  oder  Molekulargewichte 
für  die  elementaren  Stoffe  keinen  erheblichen  Fortschritt  bedeutet^  so 
tritt  ein  solcher  alsbald  hervor,  wenn  man  die  Verbindungen  aus  diesen 
Elementen  untersucht  Dann  zeigt  es  sich  nämlich,  dass  in  Hast  allen 
Fällen  das  Yerbindnngs-  oder  Formelgewicht  mit  dem  Normalgewicht 
übereinstimmt  Diese  Überdnstimmung  tritt  in  der  nachstehenden  Tabelle 
hervor. 


Verbindungs- 
gewicht 

Normalgewicht 
beobachtet 

Waaser  H«0 

18^2 

18-05 

Ammoniak  NH' 

17-07 

17-10 

Stickoxydul  N«0 
Chlorwasserstoff  HCl 

44-08 
36-46 

44-25 
36*52 

Chlordioxyd  CIO« 
Nitrosylchlorid  NOCl 
Jodwasserstoff  HJ 

67-5 

65-5 

127-9 

68-68 
67-53 
128-6 

Schwefelwasserstoff  H*S 

34-0 

34-48 

Schwefeldioxyd  SO* 
Schwefelchlorür  S«CP 

64-0 
134-9 

65-21 
136-2 

Selen  Wasserstoff  SeH* 

81-1 

81-16 

Phosphorwaaserstoff  PH*"^ 
Phosphortrichlorid  PCI« 
Phosphoroxychlorid  POCl* 
Phosphorsulfochlorid  PSCl« 
Phosphorpentasulfid  P*S* 
Arsen  Wasserstoff  AsH* 

34.0 
137-4 
153-4 
169-4 
222-3 

78-0 

33-90 
141-5 
154-5 
171-0 
222-3 

78-25 

Arsentrioxyd  As*0^ 
Arsentrichlorid  AsCl* 

396-0 
181-4 

399-4 
182-6 

Quecksilberchlorid  HgCl* 
Queeksilberbromid  H^Br* 
Quecksilberjodid  HgJ^ 
Cadmiumbromid  CdBr* 

271-2 
360-2 
454-0 
272-0 

284-0 
352-4 
452-1 
296-6 

Die  beiden  Spalten  unter  Verbindungsgewicht  und  Normalgewicht 
stimmen  wieder  innerhalb  der  Fehlergrenzen  überein,  und  zwar  so,  dass 
die  Formeln  die  kleinste  Zahl  von  Verbindungsgewichten  der  Elemente 
enthalten,  die  bei  der  gegebenen  Zusammensetzung  nur  möglich  ist*). 
Dies  ist  ab^  durch  eine  solche  Wahl  der  Verbindungsgewichte  erreicht 
worden,  wie  sie  in  der  vorigen  Tabelle  zum  Ausdrucke  gebracht  worden 
ist  Die  Beziehung  auf  die  Gasdichten  hat  zu  einer  Wahl  der  Verbindungs- 


*)  Ausnahmen  sind  nur  Arsentrioxyd  und  Schwefelchlorür. 


Das  Oesetz  von  Gay-Lussac  und  die  Hypothese  von  Avogadro.         69 

gewichte  gefiihrt^  weldie  eine  sehr  einfache  und  daher  zweckmässige  Dar- 
stellung der  Toihandenen  Verhältnisse  ermöglicht. 

Die  bisher  durchgeführten  Betrachtungen  lassen  sich  noch  weiter 
ausdehnen.  Offenbar  kann  die  Gültigkeit  des  Gesetzes  von  Gay-Lussac 
nicht  davon  abhängen,  ob  unsere  Experimentierkimst  weit  genug  ent- 
wickelt ist,  dass  alle  Elemente  auf  ihre  Dampfdichte  untersucht  sind. 
Es  giebt  nun  eine  grosse  Anzahl  zusammengesetzter  Stoffe^  die  flüchtig 
sind^  deren  Gasdichte  und  Normalgewicht  man  daher  kennt,  während  sie 
Elemente  enthalten,  fär  welche  diese  Grössen  nicht  bekannt  sind.  Auch 
auf  solche  Stoffe  muss  das  Gesetz  Anwendung  finden,  und  es  nimmt  hier 
die  Gestalt  an,  dass  allgemein  die  Normalgewichte  flüchtiger  Verbindungen 
in  emfachen  rationalen  Verhältnissen  zu  ihren  Verbindungsgewiditen 
stehen  müssen. 

Nun  hat  es  sich  als  ausführbar  erwiesen,  alle  Yerbindungsgewichte  der 
Elemente  so  zu  wählen,  dass  einerseits  die  durch  die  Normalgewichte 
bestimmten  Mengen  der  Verbindungen  mit  deren  Verbmdungsgewichten 
identisch  werden,  und  dass  andererseits  die  so  bestimmten  Verbindungs- 
gewidite  sich  zur  Darstellung  der  chemischen  Umwandlungen  und  der 
systematisdien  Beziehungen  als  die  einfachsten  und  zweckmässigsten  er* 
wiesen  haben.  Die  entsprechenden  chemischen  Formeln  sind  entweder 
die  einfachst  möglichen,  oder  wenn  sie  es  nicht  sind,  so  liegen  meist  er- 
hebliche Gründe  vor,  welche  die  durch  das  Normalgewidit  geforderten 
Formehl  als  die  angemesseneren  erscheinen  lassen. 

Die  nachstehende  Tabelle  giebt  einen  Überblick  über  gas-  und 
dampfförmige  Verbindungen  von  Elementen,  die  für  eich  in  solchem  Zn- 
stande nicht  bekannt  sind. 


Verbindungs- 

Normalgewicht 

gewicht 

beobachtet 

Metiian  GH* 

16-0 

16-1 

Kohlendioxyd  CO« 

44-0 

44-3 

Chlorsilicium  SiCl* 

170.2 

172-2 

Bortrichlorid  BCF 

117.4 

117-5 

Chloraluininium  AlCl^ 

133.5 

1391 

Galliumchlorid  GaCl^ 

1763 

177-6 

Indiumdiehlorid  InCP 

184-6 

1866 

Ghromoxychlorid  GrO«Cl* 

1550 

160-8 

Eisenchlorür  FeCl« 

126-9 

125-2 

Zinkchlorid  ZnCl» 

136-3 

1336 

Kupferchlorür  Cu«Cl« 

198-1 

200-8 

Bleichlorid  PbCl" 

277.8 

2783 

Wismuthchiorid  BiCP 

314-9 

330-4 

Thalliumchlorür  HCl 

239-6 

255-1 

Antimonchlorür  SbCl^ 

226-7 

226-0 

Niobchlorid  NbCl^ 

2715 

278-3 

Vanadinchlorid  VdCl* 

1931 

1938 

70  11.  StÖchiometrie  gasförmiger  Stoflfe. 


Verbindungs- 
gewicht 

Normalgewicht 
beobachtet 

360-3 

373-9 

2733 

2742 

3611 

3681 

381-3 

385-5 

1894 

1933 

260-:3 

266-7 

190 

198-3 

232-4 

2362 

1043 

102.6 

214-1 

2156 

579-7 

5941 

166-0 

169*5 

374-2 

359-9 

Tantalchlorid  TaCl^ 

Molybdänchlorid  MoCF 

Wolframchlorid  WOl« 

Uranchlorür  UCl* 

Zinnchlortir  SnCl« 

Zinnchlorid  SnCl* 
.  Titanchlorid  TiCl* 

Zirkonchlorid  ZrCl* 

Germaniumsulflir  GreS 

Germaniumchlorid  GeCl* 

Germaniumjodid  GeJ* 

Kaliumjodid  EJ 

Thoriumchlorid  ThOl* 
Die  Übereinstimmung  der  beobachteten  und  berechneten  Zahlen  ist 
nach  Beschafiißnheit  der  in  jedem  einzelnen  Falle  vorhandenen  Versuchs- 
Schwierigkeiten  genügend,  und  gleichzeitig  sieht  man,  dass  die  Formeln 
der  Verbindungen  unter  der  Voraussetzung  der  Gleichheit  von  Nonnal- 
und  Verbindungsgewicht  wieder  die  einfachste  Gestalt  angenonunen 
haben,  die  möglich  ist. 

Verwickelte  Formeln,  bei  denen  aber  die  chemischen  Verhältnisse  die 
Abweichungen  von  der  Einfachheit  vollauf  rechtfertigen,  treten  namentlich 
bei  den  organischen  Verbindungen  auf.  In  diesem  Gebiete  macht  sich  auch 
der  systematische  Wert  diese;-  Ausdrucksweise  am  meisten  geltend,  und  so 
ist  es  gekommen,  dass  die  Entwickelung  der  hier  geschilderten  Beziehungen 
in  der  organischen  Chemie  zuerst  stattgefunden  hat.  Als  der  Forscher,  welcher 
am  nachdrücklichsten  darauf  hingewiesen  hat,  dass  die  Formulierung  der  che- 
mischen Verbindungen  am  zweckmässigsten  nach  Ableitung  ihrer  Gasdichten 
zu  geschehen  hat,  muss  Gh.  Gerhardt  (1844)  genannt  werden.  Dass  die  ent- 
sprechende Wahl  der  Verbindungsgewichte  der  Elemente  auch  in  den  übrigen  Ge- 
bieten der  Chemie  zu  einfachen  und  angemessenen  systematischen  Formen 
führt,  hat  am  überzeugendsten  Cannizzaro  (1858)  nachgewiesen. 

Wenn  wir  die  Normal-  oder  Molekulargewichte  der  verschiedenen 
Stoffe  bei  chemischen  Vorgängen  in  Rechnung  bringen,  so  sind  wir  meist 
veranlasst,  mit  bestimmten  Quantitäten  zu  arbeiten,  und  beziehen  dem- 
gemäss  diese  ursprünglich  relativ  ermittelten  Zahlen  auf  eine  bestimmte 
Masseneinheit  Da  als  solche  das  Gramm  dient,  so  betragen  diese 
Mengen  demgemäss  soviel  Gramm,  als  das  Normalgewicht  E^inheiten 
hat  Man  nennt  diese  Mengen,  welche  die  eigentiich  messbaren  Quanti- 
täten bei  chemischen  Betrachtungen  darstellen,  Mole;  ein  Mol  Sauer- 
stoff ist  demnach  die  Menge  von  32  g  Sauerstoff,  und  ein  Mol  Chlor- 
wasserstoff wird  durch  36-45  g  dargestellt.  Auf  diese  Grössen  werden 
fast  alle  Eigenschaften  der  Stoffe  bezogen,  mit  denen  wir  uns  später  zu 
beschäftigen  haben  werden. 


Das  Gesetz  von  6ay-Lussac  und  die  Hypothese  von  Avogadro.         71 

Aus  der  Angabe  (S.  60)  ^  dass  1  g  Sauerstoff  im  Normalzustände 
den  Raum  von  699-80  com  einnimmt,  folgt,  dass  32  g  Sauerstoff  bei  0" 
und  76  cm  Druck  den  Kaum  von  22394  ccm  haben.  Den  gleichen 
Raum  nimmt  vermöge  der  Definition  ein  Mol  jedes  anderen  Gases  ein, 
das  unter  den  gleichen  Umständen  gemessen  wird.  Bei  dem  Drucke  p 
und  der  Temperatur  t®  ist  der  Raum,  den  ein  Mol  irgend  eines  Gases 
oder  Dampfes  einnimmt,  durch  den  Ausdruck  22394X76X(l  +  «t)/p 
gegeben.  Beziehen  wir  daher  die  allgemeine  Gasgleichung  auf  je  ein 
Mol  der  verschiedenen  Gase,  so  wird  in  pv  =  rT  der  Faktor  eine  all- 
gemeine Konstante,  die  unabhängig  von  der  Natur  des  Gases  oder 
Dampfes  ist.  Der  Wert  dieser  Konstanten  ergiebt  sich  aus  dem  Aus- 
drucke dafar:  r  =  PoVo/273  gleich  76X22394/273,  wenn  man  den 
Druck  in  Centimetem  Quecksilber  misst.  Misst  man  ihn  in  absolutem 
Masse,  so  ist  statt  des  Faktors  76  der  Wert  1013130  einzuführen, 
weldier  in  absolutem  Masse  den  Druck  einer  Atmosphäre  darstellt 
(S.  54),  und  damit  wird  die  Konstante  gleich  8-31  X  10^  im  Masse  Erg/Tem- 
peraturgrad. Man  pflegt  diesen  Wert  mit  dem  Buchstaben  R  zu  bezeichnen, 
und  die  Gasgleichung  erlangt  dadurch  die  Gestalt,  in  welcher  sie  später  immer 
verwendet  werden  wird.  Sie  bezieht  sich  in  dieser  Form  stets  auf  ein 
Mol  des  betrachteten  Stoffes,  und  R  ist  demgemäss  immer  8-31  X  10'. 

Mit  Bezugnahme  auf  die  frühere  Bemerkung,  dass  pv  eine  Energie- 
grösse  ist,  folgt,  dass  die  bei  der  Entstehung  von  einem  Mol  irgend  eines 
Gases  austretende  Volumenergie  gleich  8-31  X  10'' XT  Erg  ist,  unab- 
hängig von  der  Natur  des  Gases,  solange  es  nur  den  Gasgesetzen  folgt. 

Eö  ist  für  mancherlei  Rechnungen  bequem,  den  Wert  von  R  auch  in 
anderen  Einheiten  zu  kennen.  Von  diesen  wird  am  häufigsten  der  Wert  in 
Gravitationseinheiten  benutzt,  wo  als  Einheit  des  Druckes  ein  Grammgewicht 
pro  cm*  dient.  In  dieser  Einheit  beträgt  eine  Atmosphäre  1033,  und  da- 
durch wird  R«  22394x1033/273  =  84736.  Wird  andererseits  das  Volum  in 
Litern,  der  Druck  in  Atmosphären  gemessen,  so  ist  R  =- 22-394 x  1/273  = 
008203. 

Auch  erleichtert  es  die  Anschauung,  wenn  man  bemerkt,  dass  im  Sinne 
der  massanalytischen  Einheiten,  wo  eine  Lösung  normal  genannt  wird,  die  ein 
Gramm-Formelgewicht  im  Liter  enthält,  die  Gase  bei  einer  Atmosphäre  Druck 
und  bei  0®  eine  1/224 -normale,  bei  Zimmertemperatur  eine  V24" normale 
Konzentration  haben. 

Die  geschichtliche  Entwickelung  der  eben  behandelten  Gesetzmässig- 
keiten hat  nicht  in  der  unmittelbaren  Weise  stattgefunden,  wie  sie  dar- 
gestellt worden  ist,  sondern  unter  Vermittelung  einer  hypothetischen  An- 
schauung, welche  sich  an  die  Atomhypothese  angeschlossen  hat.  Der 
erste  Schluss,  der  in  dieser  Hinsicht  aus  dem  Volumgesetz  von  Gay-Lussac 
gezogen  wurde,  war,  dass  in  gleichen  Volumen  der  verschiedenen  Gase 
gleich  viel  Atome  enthalten  seien.  Die  Durchftlhrung  dieser  Annahme 
seheiterte  an  denselben  Thatsachen,  welche  die  Gleichsetzung  der  Nor- 
malgewichte  mit  den  Verbindungsgewichten  unmögUch  machen. 


72  n.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Zur  Hebung  der  Schwierigkeit  wurde  von  Avogadro  (1811)  und 
Ampere  (1812)  eine  Erweiterung  der  Atomhypothese  yorgenommen^ 
durdi  weldie  zwischen  den  kleinsten  bei  chemischen  Vorgängen  in  Be- 
tracht kommenden  Teilchen  der  Materie,  den  Atomen,  und  den  klein- 
sten ftir  sich  bestehenden  Teilchen,  den  Molekeln,  untersdüeden  wurde. 
Beide  sollten  nichts  wie  anfangs  stillschweigend  angenommen  worden  war, 
identisch  sein,  sondern  die  Molekeln  können  auch  aus  einer  grösseren 
Zahl  von  Atomen  bestehen.  Ampere  setzte  diese  Zahl  aus  krystallogra- 
phischen  Gründen  auf  mindestens  vier;  Avogadro  dagegen,  der  nur  che- 
mische Gründe  in  Betradit  zog,  zeigte,  dass  man  bei  dein  bekannten 
elementaren  Gasen  mit  der  Annahme  von  Molekehi,  die  nur  aus  zwei 
Atomen  bestehen,  ausreidit 

Indem  Avogadro  nun  die  Forderung  aufstellte,  dass  in  gleichen 
Räumen  der  verschiedenen  Gase  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Tem- 
peratur eine  gleiche  Anzahl  von  Molekeln  anwesend  sei,  kam  er  zu 
dem  Schlüsse,  dass  die  relativen  Gewichte  der  Molekeln  den  Gasdichten 
proportional  sein  müssten,  und  dass  daher  umgekehrt  in  der  Bestimmung 
der  Gasdichte  ein  Verfahren  zur  Messung  des  relativen  Molekulargewichtes 
gegeben  ist^  wie  in  der  Bestimmung  des  Verbindungsgewichtes  eines  zur 
Messung  der  relativen  Gewichte  der  Atome.  Der  Begriff  des  Normalge- 
wichtes,  der  oben  rein  erfahrungsmässig  eingeführt  worden -war,  erlangt 
durch  diese  Betrachtung  die  hypothetische  Bedeutung  des  Molekular- 
gewichtes, und  der  Nachweis,  dass  sich  mit  seiner  Hilfe  das  Postulat 
durchMiren  lässt^  das  Verbindungsgewicht  eines  zusammengesetzten  Stoffes 
als  die  Summe  der  Verbindungsgewichte  seiner  Bestandteile  darzustellen, 
geht  im  Lichte  dieser  Betrachtung  in  den  Nachweis  über,  dass  die 
Molekeln  der  Verbindungen  sich  alsdann  so  darstellen  lassen,  dass  sie 
immer  je  eine  ganze  Anzahl  der  vorhandenen  Atome  enthalten. 

Beim  Rückblick  auf  den  Charakter  der  Beziehungen,  welche  zwischen 
der  Raumerfällung  und  der  diemischen  Zusammensetzung  gasförmiger 
Verbindungen  bestehen,  sehen  wir,  dass .  dieselben  ganz  anderer  Nator 
sind  als  die,  welche  sich  bei  den  Massenverhältnissen  chemischer  Ver- 
bindungen gezeigt  haben.  Die  letzteren  sind,  wie  schon  (S.  47)  er- 
wähnt wurde,  rein  additiv,  d.  h.  die  Masse  einer  Verbindung  ist  die 
Summe  der  Massen  ihrer  Elemente.  Bei  der  Raumerfüllung  der  Gase  ist 
aber  diese  Eigenschaft  in  gewissem  Sinne  ganz  unabhängig  von  der 
diemischen  Zusammensetzung.  Wenn  ich  z.  B.  ein  bestimmtes  Volum 
Wasserstoff  nehme,  und  ich  verwandle  diesen  in  Wasser,  so  ändert  sich 
das  Volum  dabei  nicht.  Das  Wasser,  H*0,  kann  idi  mir  durch  Ver- 
bindung mit  Äthylen,  C*H*,  in  Alkohol,  G*H^O,  verwandelt  denken: 
das  Volum  bleibt  unverändert.  Ich  kann  mir  noch  einmal  Äthylen  hin- 
zuaddieii;  denken,  so  dass  sich  Butylalkohol,  C^H^^O,  bildet:  das  Volum 
bleibt  wiederum  dasselbe  u.  s.  w.  Derartige  Eigenschaften,  welche  für 
bestimmte  Stoffgruppen,  unabhängig  von  deren  chemischer  Natur  und 
unabhängig  von  der  Anzahl  der  Elemente  in  diesen  Komplexen,  stets 


] 


Abnorme  Dampfdichten.  73 

denselben  Wert  behalten^  will  ich  fernerhin  koUigative  nennen^).    Das 
Volum  der  gasförmigen  Stoffe  ist  eine  derartige  koUigative  Eigenschaft. 

Ebenso ;  wie  wir  uns  das  Yorhandensdn  additiver  Eigenschaften 
mittelst  der  Atomhypothese  durch  die  Annahme  erklärt  hatten^  dass 
in  den  Verbindungen  die  Bestandteile  ihrer  Natur  nach  bestehen  bleiben 
(S.  47),  so  erklären  yhx  uns  das  Vorhandensein  koUigativer  Eigenschaften 
durch,  die  Annahme  von  Molekeln,  d.  h.  selbständigen  Atomgruppen, 
welche  gewisse  Beziehungen  nur  durch  ihre  Anzahl,  nicht  aber  durch 
ihre  Natur  und  chemische  Zusammensetzung  bestimmen. 

Ist  man  darüber  ins  Klare  gekommen,  dass  die  der  Molekularhypothese 
zu  Grunde  liegenden  Gesetzmässigkeiten  und  methodischen  Vorteile  sich  rein 
erfahrungsmässig  entwickeln  lassen,  so  wird  man  sich  der  eingebürgerten  Be- 
zeichnung Molekulargewicht  femer  bedienen  können,  ohne  an  die  Hypothese 
gebunden  zu  sein.  Für  wissenschaftliche  Zwecke  bedeutet  ein  Molekularge- 
wicht eines  Stoffes  immer  nur  eine  Menge,  für  die  die  Konstante  B  in  der  Gas- 
gleichung einen  bestimmten,  von  der  Natur  des  Gases  unabhängigen  Wert  hat. 
Von  einem  Molekulargewicht  darf  daher  zunächst  nur  gesprochen  werden, 
wenn  der  betreffende  Stoff  im  gas-  und  dampfförmigen  Zustande  vorliegt.  An 
späterer  Stelle  wird  gezeigt  werden,  dass  es  möglich  ist,  die  Definition  auch 
auf  gelöste  Stoffe  auszudehnen.  Wenn  aber  versucht  wird,  auch  die  Mole- 
kulargrosse flüssiger  oder  fester  Stoffe,  die  keine  Lösungen  sind,  anzugeben, 
80  ist  immer  erst  ein  Nachweis  erforderlich,  ob  und  wie  sich  die  Begriffsbe- 
stimmung auf  die  neuen  Fälle  übertragen  lässt  Das  Vorhandensein  koUi- 
gativer Eigenschaften  lässt  sich  im  allgemeinen  als  ein  solches  Kriterium 
ansehen,  wie  denn  auch  das  Auftreten  solcher  Eigenschaften  bei  Gasen  auf 
die  Schaffung  dieses  Begriffes  geführt  hat. 


Viertes  Kapitel. 

Abnorme  Dampfdichten. 

In  den  vorstehenden  Auseinandersetzttngen  ist  nur  von  solchen  Mes- 
sungen die  Eede  gewesen,  welche  sich  dem  durch  den  Begriff  des  Nor- 
mal- oder  Molekulargewichtes  gegebenen  System  einordnen  lassen.  Es  ist 
indessen  eine^  fireilich  nicht  grosse  Anzahl  von  Stoffen  entdeckt  worden^ 
weldie  Ausnahmen  zu  bilden  schienen.  Doch  hat  sich  überall  nach- 
weisen lassen^  dass  diese  Ausnahmen  nur  scheinbar  waren^  so  dass  jene 
FSäey  statt  der  Theorie  zu  widersprechen  ^  sie  schliesslich  nur  unterstützt 
haben. 


*)  Ich  verdanke  den  Vorschlag   zu    dieser  Bezeichnungsweise   meinem 
verehrten  Kollegen  W.  Wundt. 


74  11-  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Eines  der  bekanntesten  Beispiele  tiefert  das  Chlorammoninm.  Ge- 
mäss der  Formel  NH^Cl  hat  es  das  Formelgewicht  53-5  und  sein 
Normalgewicht  mfisste  ebensoviel  betragen;  dies  ist  aber  nur  etwas  mehr 
als  halb  so  gross^  nämlich  gleidi  29  gefunden  worden.  Die  Erklärung 
dafür  liegt  darin,  dass  der  Dampf  des  Salmiaks  gar  nicht  aus  dem  Stoffe 
NH*C1  besteht,  sondern  zum  grössten  Teil  in  NH^  und  HCl  zerfallen 
ist.  Dadurch  ist  das  Volum  verdoppelt,  die  Dichte  aber  auf  die  Hälfte 
herabgesetzt  worden. 

Der  Nachweis,  dass  thatsächlich  der  Salmiakdampf  em  Gemenge 
von  Ammoniak  und  Chlorwasserstoff  ist,  wurde  zuerat  von  PebaJ  (1862) 
geföhrt.  Dieser  zeigte,  dass  bei  der  Diffusion  dieses  Dampfes  das 
leichtere  Ammoniak  viel  schneller  fortgeht,  als  der  schwerere  Clilorwasser- 
stoff,  und  dass  man  beide  durch  ihre  Wirkung  auf  Lackmuspapier  nach- 
weisen kann.  Einzelne  Einwände,  welche  gegen  die  Beweiskraft  des 
Versuches  eriioben  wurden,  sind  alle  in  der  Folge  widerlegt  worden. 
Auf  dieselbe  Weise,  nämlich  mittelst  der  Trennung  durch  Diffiision,  ist 
späterhin  fBr  sehr  viele  andere  Stoffe,  welche  „abnorme  Dampfdichten" 
zeigten,  die  Anwesenheit  der  Zerfallprodukte  nachgewiesen  worden,  so 
dass  jeder  Zweifel,  dass  derartige  Spaltungen  die  zu  kleinen  Dampfdiditen 
überall  bedingen,  wo  sie  vorkommen,  gehoben  ist 

In  neuerer  Zeit  hat  Baker  (1894)  auf  anderem  Wege  eine  Be- 
stätigung dieser  Auffassung  am  Sahniakdampf  erbracht,  indem  es  ihm  ge- 
lang, die  Dichte  des  unzersetzten  Dampfes  zu  bestimmen.  Beim  sorg- 
fältigen Ausschluss  der  Feuchtigkeit  wird  nämlich  die  Reaktion  zwischen 
Ammoniak  und  Chlorwasserstoff  (und  zwar  sowohl  die  Verbindung,  wie 
die  Trennung)  so  langsam,  dass  fester  Salmiak  vergast  werden  kann, 
ohne  zu  zer^len.  Für  solchen  Dampf  aus  trockenem  Salmiak  wurde 
der  normale  Wert  des  Molekulargewichtes,  53 «5,  in  wiederholten  Ver- 
suchen gefunden. 

In  einzelnen  Fällen  ist  der  Nachweis  noch  auf  anderem  Wege  ge- 
lungen. Phosphorpentachlorid  müsste  wegen  seiner  Zusammensetzung 
das  Molekulargewicht  208-3  zeigen;  es  zeigt  aber  nur  kleinere  Werte, 
die  stark  mit  dem  Druck  und  der  Temperatur  wechseln  und  bis  104 
heruntergehen.  Dass  dieses  von  emer  Spaltung  in  PCI*  und  Cl*  her- 
rührt, kann  an  der  Farbe  des  Dampfes  erkannt  werden.  Der  unzer- 
Betzte  Dampf  des  Pentachlorids  ist  wenig  oder  gar  nicht  gefärbt,  wäh- 
rend Chlorgas  grün  ist.  Es  erwies  sich,  dass  der  Pentachloriddampf 
gleichfalls  grünlich  war,  und  zwar  um  so  stärker  gefärbt,  je  geringer 
Beine  Dichte  gefunden  wurde,  entsprechend  einer  zunehmenden  Abspal- 
tung freien  Chlors. 

Ebenso,  wie  an  Verbindungen  die  Abweichungen  vom  gewöhnlichen 
Verhalten  sich  durch  eine  eintretende  Spaltung  in  einfachere  Bestand- 
teile unter  entsprechender  Vermehrung  des  Gasvolums  haben— ^kl&?en 
lassen,  können  auch  einige  an  den  elementaren  Stoffen  beobaditete  auf- 
fällige Erscheinungen  gedeutet  werden. 


Abnorme  Dampfdichten.  75 

Von  Dumas  war  die  Dampfdichte  des  Schwefels  bei  etwa  500® 
gleich  384  gefunden  worden,  während  nach  den  Analogien  ftlr  Schwefel- 
dampf die  Dichte  64,  der  Formel  S^  mit  dem  Molekulargewicht  64  ent- 
^rechend,  erwartet  werden  musste.  Als  aber  später  die  Vereuche  von 
Bineau  und  namentlich  von  Deville  und  Troost  bei  hohen  Temperaturen 
wiederholt  wurden,  ergab  sich,  dass  bei  etwa  800®  der  normale  Wert 
Ton  64  erreicht  wurde,  welcher  weiterhin  konstant  bleibt  Wh-  haben 
^r  Ei'klärung  dieser  Erscheinung  anzunehmen,  dass  der  Schwefeldampf 
)bei  600®  nach  einer  Formel  S"  zusammengesetzt  ist  (n>6),  und  dass 
äiese  Form  des  Schwefeldampfes  bei  höherer  Temperatur  in  die  ein- 
fachere Form  S*  übergeht. 

Bestimmungen  des  Molekulargewichtes  von  Schwefel,  der  in  verschiedenen 
Losungsmitteln  gelöst  war,  haben  das  grössere  Molekulargewicht  S®  ergeben. 
Mdererseits  zeigt  sich  die  Dampf  dichte  des  Schwefels  schon  unmittelbar  über 
inem  Siedepunkte  stark  mit  der  Temperatur  veränderlich,  so  dass  sich  der 
ampf  in  diesem  Gebiete  bereits  wie  ein  teilweise  zersetzter  Stoff  verhält. 
s  ist  daher  die  Annahme  am  wahrscheinlichsten,  dass  im  Schwefeldampfe  bei 
lederen  Temperaturen  ein  Gemenge  der  Verbindungen  S®  und  S*  in  w^echseln- 
en  Verhältnissen  vorliegt.  Dass  es  überhaupt  eine  Verbindung  von  der 
brmel  S*  giebt,  wie  auf  Grund  der  Versuche  von  Dumas  angenommen  wird, 
ht  aus  den  bisherigen  Versuchen  nicht  hervor,  und  es  sprechen  keine  Be- 
eise  für  ihr  Vorhandensein. 

Nodi  auffälliger  sind  die  von  V.  Meyer  (1880)  beobachteten  Dichte- 
derungen  am  Joddampf.  Bis  etwa  500®  hinauf  hat  die  Dichte  den 
ert  254  der  Formel  J*  entsprechend.  Steigert  man  aber  die  Tempe- 
^tur,  so  nimmt  der  Wert  mehr  und  mehi'  ab,  und  man  gelangt  bei 
aehr  hohen  Temperaturen  (bis  1500®)  und  vermindertem  Druck  bis  zu 
iTerten  um  140,  welche  annähernd  der  Formel  J  entsprechen  (Grafts 
und  Meier,  1881). 

Ähnliche  Erscheinungen  wie  am  Jod  sind  auch  am  Brom  und  Chlor 
beobachtet  worden,  jedoch  in  geringerem  Umfange. 

Alle  diese  Thatsachen  zeigen  die  Zweckmässigkeit  der  Bildung  des 
Begriffes  des  Normal-  oder  Molekulargewichtes  und  seine  Durchführbai'- 
keit  auch  verwickeiteren  Erscheinungen  gegenüber.  Ebenso  hat  er  sich 
ym  der  Thatsache  erprobt,  dass  solche  Dämpfe,  bei  denen  Normal-  und 
Terbindungsgewicht  zusammenfallen,  wie  z.  B.  Quecksilber,,  auch  bis  in 
LÄe  höchfiten  erreichbaren  Temperaturen  keine  Änderung  der  Dampfdichte 
aufwiesen.  Im  Sinne  der  Molekularhypothese  ist  dies  so  aufzufassen, 
dass  Molekeln,  die  nur  je  ein  einzelnes  Atom  enüialten,  nicht  weiter 
zerfaUen  können. 


76  n.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Fünftes  Kapitel. 
Die  kineüsohe  Theorie  der  Gase. 

Die  ungemein  einfachen  mechanischen  Eigenschaften  der  6aM 
weldie  in  ihrem  übereinstimmenden  Verhalten  gegen  Änderungen  de 
Druckes  und  der  Temperatur  zu  Tage  treten,  laden  sehr  zu  Versudiei 
ein,  sie  durch  eine  anschauliche  Konstruktion  abzuleiten.  Solche  Vei 
suche  lassen  sich  weit  zurückverfolgen;  sdion  D.  Bemoulli  hat  1731 
eine  mit  der  gegenwärtig  gebräuchlichen  übereinstimmende  Yorstelluiij 
ausgearbeitet.  Doch  ist  erst  in  neuerer  Zeit,  insbesondere  durch  die  Ai 
beiten  von  Clausius  und  MaxweU  der  hierher  gehörige  Anschauungskrei 
weiter  entwickelt  und  auf  verschiedenartige  Erscheinungen  angewende 
worden. 

Die  grundlegende  Thatsache  ist  das  Ausdehnungsbestreben  der  Gase 
vermöge  dessen  sie  jeden  dargebotenen  Raum  gleichförmig  erfüllen.  Za 
erst  nahm  man  in  Analogie  mit  der  durch  den  Raum  wirkenden  aa 
ziehenden  Schwerkraft  eine  abstossende  Kraft  zwischen  den  Grasmolekeb 
an,  doch  gelangte  man  auf  diesem  Wege  zu  keinen  anschaulichen  Bil 
gebnissen.  Erst  als  man  die  fragliche  Eigenschaft  als  eine  reine  Be 
wegungserscheinung  auffasste,  glückte  die  Aufetellung  einer  konstnoai 
baren  Hypothese. 

Nadi  dieser  besteht  ein  Gas  aus  einer  grossen  Anzahl  kläiii 
Teilchen,  welche  aber  nicht  in  Ruhe,  jedes  an  seinem  Orte,  verharr«! 
sondern  mit  grossen  Geschwindigkeiten  sich  durcheinander  bewegen.  La 
folgedessen  findet,  sowie  einem  Gase  ein  freier  Raum  dargeboten  wiW 
alsbald  eine  Einwanderung  der  nach  der  entsprechenden  Seite  dch  bc 
wegenden  Molekeln  statt,  und  die  Erfüllung  des  Raumes  mit  Gas  ei 
folgt  äusserst  schnell.  Vermöge  der  beständigen  Bewegungen  finden  iii 
Durchschnitt  überall  in  dem  vom  Gase  eingenommenen  Räume  sich  gieici 
viel  Molekeln  vor,  die  Dichte  ist  überall  dieselbe. 

Bei  ihren  allseitigen  Bewegungen  müssen  auch  an  die  Wände  de 
Gefäfises,  weiches  das  Gas  einschhesst,  beständig  lebhaft  bewegte  Mc 
lekeln  gelangen,  welche  von  diesen  wieder  abprallen  und  in  das  Inner 
zurückeilen.  Durch  diese  ununterbrochenen  Stösse  übt  das  Gas  auf  di 
Wände  einen  Druck  aus,  der  offenbar  sowohl  mit  der  Anzahl  der  Mc 
lekeln,  wie  mit  der  Masse  und  Geschwindigkeit  jeder  einzelnen  zt 
nehmen  muss. 

Um  diesen  Druck  zu  berechnen,  denken  wir  uns  einen  würfd 
förmigen  Raum,  dessen  Seitenlänge  1  betrage.  Die  Anzahl  der  ihn  ei 
fUlenden  Molekeln  sei  n,  und  sie  seien  alle  von  gleicher  Art;  jedes  voi 
der  Masse  m  und  mit  der  Geschwindigkeit  c  ausgestattet  Die  B<i 
wegungen  finden  nach  allen  Richtungen  in  gleicher  Weise  statt 

Wir  betrachten  nun  eine  Molekel,  welche  mit  der  Geschwindigkei 
c  nach  irgend  einer  Richtung  fliegt.     Nach  den  Gesetzen  der  Medianü 


Die  kinetische  Theorie  der  Gase..  77 

looenten^   u^  y  und  w^  zerlegen^  welche  zu  c  in  der  Beziehung  stehen 

Ibftüssen:  u*  +  v^  +  w*  =  ®** 

1^      Die  drei  Komponenten  seien  parallel  den  Würfelkanien  angenommen. 

pie  Wirkung,  welche  die  Molekel,  die  mit  der  Geschwindigkeit  c  in  der 

Jütsprechenden  schrägen  Richtung  auf  eine  Würfelseite  prallt,  dort  aus- 
htj  ist  gleich  der,  welche  sie  ausüben  würde,  wenn  sie  mit  der  zu  der 
and  senkrechten  Komponente  dort  anlangte.     Betrachten  wir  zunächst 
ie  Komponente  u,  so  ist  diese  Wirkung  gleich  2mu,  indem  zunächst 
Aufprall  die  ßewegungsgrösse  mu  abgegeben,  sodann  beim  elastischen 
ickgang  die  gleiche  entgegengesetzte  aufgenommen  wird. 

i       Diese  Wirkung  eines  einmaligen  Stosses  erfolgt  nun  in  der  Zeit* 

^Hnheit  auf  die  beiden  parallelen  Wtirfelseiten  -r-mal,   d.  h.  soviel  mal, 

die  in  der  Zeiteinhdt  zurückgelegte  Strecke  u  durch  die  Entfernung  1 
Würfelseiten  teilbar  ist.     Die  Gesamtwirkung  einer  Molekel  in  der 

ätdnheit  beirägt  also  ^  • 

Für    die   beiden   anderen    Komponenten   der   Bewegung   gilt   eine 

jpeiche  Entwickelung;   die  gesamte  Wirkung  einer  Molekel  in  der  Zeit- 

2ra 
eit  auf  sämtliche  6  Würfelseiten  beträgt  somit  -r-  (u*-f~^*  +  w^? 

2mc* 
er,  nach  der  oben  gegebenen  Gleichung,  — - — ;  sämtliche  n  Molekeln 

2mnc* 
en  die  Wirkung  — Um  hieraus  sdiüesslich  den  Druck  p  auf 

e  Flächeneinheit  zu  beredinen,   muss  der  eben  gefundene  Wert  durch 
ie    gesamte    gedrückte    Oberfläche,    welche    beim  Würfel  61*  beträgt, 

2  mnc 
vidiert  werden;  es  folgt  p  =  — ^-r-^ — ,  oder,  da  l*  das  Volum  V  des 

ürfels  ist,  ^^ 

1  , 

pv  =  -— -mnc% 

I  3 

'  Dies  ist  die  auf  Grund  der  oben  dargelegten  Hypothese  über  die 
mechanische  Konstitution  der  Gase  entwickelte  Beziehung.  Da  rechts 
p  der  Gleichung  lauter  für  eine  gegebene  Gasmasse  konstante  Werte 
iehen,  so  folgt,  dass  das  Produkt  von  Druck  und  Volum  bei  einem 
flolehen  mechanischen  Gebilde  konstant  sein  muss:  das  Boylesche  Gesetz. 
Die  Erweiterung  dieses  für  einen  Würfel  geführten  Beweises  auf  be- 
liebig geformte  Gefässe  macht  keine  Schwierigkeit,  weil  man  solche  mit 
1>eliebiger  Annäherung  als  aus  lauter  kleinen  Würfeln  bestehend  ansehen 
^im.  Die  Zwischenwände  erfahren  beiderseits  gleichen  Druck  und  können 
»mit  ohne  Veränderung  des  Gebildes  fortgedacht  werden. 

LDie    Grösse   mn    in    der   letzten    Gleichung    ist   als    Produkt    der 
)  je  emer  Molekel  in  der  Anzahl  der  Molekeln  gleich  der  gesamten 


78  n..  Stochiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Masise  des  Gases.     Das  Produkt   einer  bewegten  Masse   in    das  halb« 

Quadrat  ihrer  Geschwindigkeit,   m — ,  nennt  man  ihre  lebendige  Kraft 

Da  wir  die  obenstehende  Gleichung  auch  in  der  Gestalt  schreiben  konnex 

2  c« 

so  können  wir  das  Ergebnis  aussprechen:  Das  Produkt  von  Druck  unc 
Volum  eines  Gases  ist  gleich  zwei  Dritteln  von  der  lebendigen  Krafi 
seiner  Molekeln.  Haben  yfa  also  verschiedene  Gase,  so  muss,  weni 
wir  sie  bei  gleichen  Volumen  und  Drucken  betrachten,  die  gesamte 
lebendige  Ki'aft  ihrer  Molekeln  gleich  sein. 

Dies  gilt  offenbar  für  jeden  beliebigen  Wert  der  lebendigen  Kraft. 
Ändern  wir  nun  die  Temperatur  eines  Gases,  so  wird  dadurch  dei 
Druck  oder  das  Volum,  allgemein  das  Produkt  beider,  verändert.  Da 
von  den  beiden  Faktoren  der  lebendigen  Kraft,  der  Masse  und  der  Ge- 
schwindigkeit, die  erstere  keine  Änderungen  erfahren  kann,  so  muss  di€ 
Änderung  der  Temperatur  eines  Gases  die  Geschwindigkeit  seiner  Mo- 
lekeln ändern,  und  die  letztere,  oder  vielmehr  das  Quadrat  derselben,  isi 
proportional  der  absoluten  Temperatur. 

Zwei  Gase  stehen  dann  im  Temperaturgleidigewicht,  wenn  sie  sich 
gegenseitig  bei  der  Beiührung  nicht  in  Bezug  auf  Druck  und  Volum 
beeinflussen.  Fragt  man  nun,  unter  welchen  Umständen  zwei  mecha- 
nische Gebilde  von  der  Art,  wie  wir  uns  die  Gase  denken,  bei  denen 
die  Massen  der  bewegten  Teildien  verschieden  sind,  sich  unbeeinflusst 
lassen,  so  lehrt  die  Rechnung  (die  hier  ihrer  verwickelten  Besdiaffenheit 
wegen  nicht  wiedergegeben  werden  kann),  dass  dies  geschieht,  wenn  die 
lebendige  Kraft  der  bewegten  Massen  gleich  gross  ist  So  ent- 
sprechen bei  verschiedenen  Gasen  gleichen  Änderungen  der  Temperatur 
gleiche  Änderungen  der  lebendigen  Kraft  der  Molekeln.  Da  nun  anderer- 
seits jedesmal  das  Produkt  pv  der  lebendigen  Kraft  proportional  ist, 
so  folgt,  dass  bei  verschiedenen  Gasen  gleiche  Änderungen  der  Tempe- 
ratur proportionale  Änderungen  der  Produkte  pv  bedingen.  Dies  ist 
aber  das  Äusdehnungsgesetz  der  Gase  in  seiner  allgemeinsten  Form,  und 
auch  dieses  stellt  sich  somit  als  eine  Folge  der  mechanischen  Voraus- 
setzungen dar. 

Auch  der  Satz  von  Avogadro  endlich,  dass  in  gleichen  Eäumen 
verschiedener  Gase  unter  gleichen  Umständen  gleich  viel  Atome  ent- 
halten seien,  lässt  sich  aus  unseren  Voraussetzungen  ableiten.  Alsdann 
sind  nämlich,  wenn  pj  und  v^  Druck  und  Volum  des  ersten,  pj  und 
Vj  dieselben  Grössen  bei  einem  zweiten  Gase  smd,  nach  der  Voraus- 
setzung pj=p^,  Vi=V2  und  somit  PiVi=p3V2.     Nun  wurde  oben 

2        c*  2       . 

pv  =  — mn—  gefunden;  wir  haben  also,  wenn  wir  den  Faktor  — -  bei- 


3        2 


c, «  c  * 


derseits  fortlassen,  m,n,-^^^  =m9n,— ^ 

7  ^-2  *  '    2 


.   Die  kinetische  Theorie  der  Gase.  7^ 

i 

I  Nach  dem  oben  (S.  78)  ei'wähnten  Satze  haben  aber  zwei  Gase 
I  dann  gleiche  Temperatur,  wenn  die  lebendige  Kraft  ihrer  einzelnen 
^  Molekeln  gleich  ist,  d.  h.  wenn 

i  Ci«  c,» 

m,— ^=m9— =— • 

[Wird  diese  Gleichung  in  die  obere  dividiert,  so  folgt 

d.  h.  sind  Druck  und  Temperatur  bei  gleichen  Volumen  zweier  Gase 
gleich,  so  ist  es  auch  die  Anzahl  der  Molekeln  beiderseits.  Wir  gelangen 
hier  auf  einem  ganz  unabhängigen,  wenn  auch  h5T)othetischen  Wege  zu 
derselben  Schlussfolgerung,  welche  wir  als  wahrscheinlichsten  Ausdruck 
für  die  ehemische  Molekularhypothese  früher  aufgestellt  hatten. 

Die  eben  entwickelten  Beziehungen  lassen  sich  endlich  benutzen,  um 
Ldie  Geschwindigkeiten  zu  berechnen,  mit  welcher  die  Molekeln  der  verschie- 
denen Gase  den  Raum  durchmessen  müssen,  um  die  Druckwerte  zu  geben, 

'  .  1 

welche  man  thatsächlich  beobachtet.    Die  Gleichung  pv  =«— -mnc*giebtnach 


c  aufgelöst  den  Ausdruck  c=|/     ^^ 

f  '    mn 


3 


Betrachten  wir  1  g  Sauerstoff  bei  0*  und  76  cm  Druck,  so  ist  zunächst 
die  Masse  mn=sl  zu  setzen;  ferner  ist  das  Volum  von  lg  Sauerstoff  unter 
diesen  Umständen  v  =  6994  (S.  60).  Der  Druck  einer  Atmosphäre  ist  in  ab- 
solutem Masse  gleich  1013130.    Führt  man  die  Rechnung  aus,  so  ergiebt  sich 

c  =  46103. 
Eine  Sauerstoffmolekel  bewegt  sich  somit  unter  den  angegebenen  Umständen 
mit  einer  Geschwindigkeit  von  46103  cm/sec,  also  fast  einem  halben  Kilometer 
in  der  Sekunde  durch  den  Raum. 

K3pv            mn 
hat eine  einfache  Bedeutung.   Es  ist 

die  Masse,  dividiert  durch  das  Volum,  d.  h.  das  auf  Wasser  gleich  Eins  be- 
zogene spezifische  Gewicht.    Setzen  wir  dasselbe  gleich  s,  so  wird  die  Formel 

3p" 

— — ,  die  molekularen  Geschwindigkeiten  der  Gase  verhalten  sich  um- 
s 

gekehrt  wie  die  Quadratwurzeln  aus  ihren  spezifischen  Gewichten. 

Eine  unmittelbare  Beobachtung  dieser  Geschwindigkeiten  ist  nicht  wohl 
ausführbar.  Lässt  man  verschiedene  Gase  durch  enge  Öffnungen  in  dünner 
Wand  ausströmen,  so  lehrt  eine  allgemeine  mechanische  Betrachtung,  dass  als- 
dann ohne  irgendwelche  Annahmen  über  die  Konstitution  der  Gase  die  Aus- 
strömungsgeschwindigkeit im  umgekehrten  Verhältnis  der  Quadratwurzel  ^lus 
dem  spezifischen  Gewicht  stehen  muss.  Dass  ein  solches  Verhältnis  auch 
thatsächlich  beobachtet  worden  ist,  ist  somit  die  Bestätigung  eines  allgemeinen 
mechanischen  Satzes.    Doch  ist  es   immerhin  beachtenswert,    dass   auch   die 


V 


30  U*  Stöehiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

kinetische  Gastheorie,  insofern  man  unter  den  angegebenen  Verhältnissen  die 
Ausströmungsgeschwindigkeit  als  bedingt  durch  die  Geschwindigkeit  der 
Molekeln  ansieht,  zu  der  gleichen  Beziehung  führt. 

Man  kann  nun  angesichts  dieser  ungeheuren  Geschwindigkeiten  fragen, 
wie  es  kommt,  dass  in  ruhiger  Luft  z.  B.  riechende  Gase,  die  in  einer  £cke 
eines  massig  grossen  Zimmers  entwickelt  werden,  sich  nicht  augenblicklich 
durch  dasselbe  verbreiten,  sondern  dazu  merkliche  Zeit  brauchen.  In  der 
That  ist  diese  Frage  als  entscheidender  Einwand  gegen  die  Zulässigkeit  der 
kinetischen  Theorie  der  Gase  geltend  gemacht  worden. 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  hat  Clausius  gegeben,  indem  er  betonte, 
dass  zwar  die  Molekeln  in  ihrer  Bahn  diese  Geschwindigkeit  besitzen,  dass 
aber  die  Bahnen,  welche  sie  ungehindert,  ohne  auf  andere  Molekeln  zu  stossen, 
zurücklegen,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sehr  kurz  sind.  Der  wirkliche 
Weg  einer  Molekel  ist  also  nicht  eine  lange  gerade  Linie,  sondern  eine  aus 
lauter  kurzen  Geraden  zusammengesetzte,  durchaus  unregelmässige  Zickzack- 
linie, auf  welcher  sich  die  Molekel  trotz  ihrer  grossen  Geschwindigkeit  im 
allgemeinen  nur  wenig  Ton  ihrem  Ausgangspunkte  entfernt 

Eine  zweite  Frage  ist  die,  ob  es  denn  zulässig  ist,  für  alle  Molekeln  in 
einem  Gase  die  gleiche  Geschwindigkeit  anzunehmen.  Durch  derartige  unauf- 
hörliche Zusammenstösse  müssen  einzelne  Molekeln  offenbar  gelegentlich  eine 
grössere,  andere  eine  kleinere  Geschwindigkeit  annehmen,  und  im  allgemeinen 
werden  in  einem  Gase  in  einem  gegebenen  Augenblicke  alle  möglichen  Ge- 
schwindigkeiten vorhanden  sein. 

Dieser  Einwand  ist  zuzugeben.  Doch  gelten  die  oben  geführten  Ablei- 
tungen immer  noch,  wenn  man  die  Geschwindigkeit  c  so  bestimmt,  dass  die 
lebendige  Kraft  aller  Molekeln,  wenn  sie  die  gleiche  Geschwindigkeit  c  hätten, 
der  gesamten  lebendigen  Kraft  gleich  ist,  welche  die  Molekeln  thatsächlich 
haben.  Statt  des  Ausdrucks  „lebendige  Kraft^^  ist  also  in  sämtlichen  vor- 
stehenden Ableitungen  streng  genommen  der  Ausdruck  „mittlere  lebendige 
Kraft"  zu  setzen.  Doch  wird  offenbar  an  den  allgemeinen  Ergebnissen  da- 
durch nichts  geändert. 

Von  Cl.  Maxwell  ist  die  Verteilung  berechnet  worden,  welche  die  Ge- 
schwindigkeiten in  einem  mechanischen  System  von  der  angenommenen  Be- 
schaffenheit erlangen,  wenn  ein  ständiger  Zustand  sich  hergestellt  hat.  Der 
Ausdruck  kann  nur  durch  sehr  verwickelte  Rechnung  abgeleitet  werden  und 
hat  die  Form 

wo  y  die  Wahrscheinlichkeit  darstellt,  dass  eine  Molekel  die  Geschwindig- 
keit X  hat,  wenn  die  wahrscheinlichste  Geschwindigkeit  gleich  Eins  gesetzt 
wird;  n  ist  die  bekannte  Kreiszahl,  und  e  die  Basis  der  natürlichen  Loga- 
rithmen. 

Durch  diese  Betrachtungen  kann  man  sich  somit  schon  ein  etwas 
genaueres  Bild  von   der  Beschaffenheit    machen,    welche   ein   Gas   nach 


Die  kinetische  Theorie  der  Gase.  gl 

der  kinetisdieii  H3^othese  zeigt  Die  Molekeln  werden  darnach  nach 
allen  Seiten  und  mit  sehr  verschiedenen  Geschwindigkeiten  sich  be- 
wegeU;  und  dabei  beständig  znsammenstossen.  Man  wird  ffai  gegebene 
Verhältnisse  offenbar  eine  mittlere  Wegiänge  annehmen  können^  durch 
welche  jede  Molekel  ungestört  gehen  kann,  bevor  sie  mit  einer  anderen 
zusammentrifft.  Eine  Molekel  wu*d  auf  die  andere  um  so  seltener  stossen^  je 
welter  durchschnittlich  die  Molekehi  von  einander  entfernt  sind,  und  um 
80  häufiger,  je  grösser  ihr  Querschnitt  und  der  der  anderen  Molekeln  ist 
Die  mittlere  Weglänge  L  ist  also  direkt  proportional  der  Grösse  des  auf 
Je  eine  Molekel  entfallenden  Raumes,  also  umgekehrt  proportional  n, 
wenn  wir  mit  n  die  Anzahl  der  Molekeln  in  der  Raumeinheit  bezeichnen. 
Sie  ist  femer  umgekehrt  proportional  dem  Querschnitt  ^^  der  Molekeln, 
wenn  wir  unter  $  diejenige  Entfernung  verstehen,  bis  zu  welcher  höchstens 
die  Schwerpunkte  zweier  Molekeln  sich  nähern  können.  Der  genaue  Aus- 
druck wird  von  0.  E.  Meyer  in  der  Gestalt  gegeben 

jrV'2.n£2 

Nun  ist  freilich  sowohl  n  wie  g  zunächst  unbekannt.  Doch  kann  man 
aus  der  Erscheinung,  welche  uns  oben  zu  der  Frage  der  Weglänge  überhaupt 
geführt  hatte,  aus  der  Geschwindigkeit,  mit  welcher  sich  ein  Gas  in  einem 
anderen  yerbreitet,  oder  der  Diffusionsgeschwindigkeit,  Schlüsse  auf 
den  Wert  dieser  Grösse  ziehen.  Die  Theorie  dieser  Vorgänge,  sowie  der 
verwandten  Reibung  und  Wärmeleitung  in  Gasen  ist  freilich  trotz  vieler 
dahin  gerichteter  Anstrengungen  noch  keineswegs  vollständig  ausgearbeitet, 
doch  ist  man  schon  so  weit  gelangt,  dass  man  die  nach  den  verschiedenen 
Methoden  ermittelten  Weglängen  ziemlich  übereinstimmend  gefunden  hat. 
Sie  sind  sehr  klein,  und  betragen  z.  B.  bei  Luft  unter  gewöhnlichen  Umständen 
rund  O'OOOOl  cm,  fallen  also  auch  unter  die  Grenze  des  mikroskopisch  Sichtbaren. 

Hat  man  L  bestimmt,  so  lässt  sich,  wie  man  aus  der  obigen 
Gleichung  ersieht,  auch  ng*,  die  Summe  der  Querschnitte  aller  in  der 
Hanmeinheit  enthaltenen  Molekeln,  berechnen.  Es  ergiebt  sich  dabei, 
dass  z.  B.  in  einem  Kubikcentimeter  Luft  diese  Querschnitte  mehr  als 
1-5  Quadratmeter  ausmachen.  Dies  liihrt  von  der  ungeheuren  Anzahl 
und  EJeinheit  der  Molekeln  her,  denn  je  feiner  eine  Masse  von  gegebener 
Didite  zerteilt  ist,  um  so  grösser  wird  ihr  Gesamtquerschnitt. 

Die  Aufgabe,  die  Grösse  der  Molekeln  selbst  zu  bestimmen,  erfordert 
noch  ein  weiteres  Datum.  Dieses  wird  durch  eine  Bestimmung  des  Ge- 
samt räum  es  der  Molekeln  gefunden. 

Wenn  die  Molekeln  in  einer  gegebenen  Gasmasse  einen  messbaren 
Raum  einnehmen,  so  muss  dieser  Umstand  einen  Einfluss  auf  die  Gültig- 
keit des  Boyleschen  Gesetzes  haben.  Sei  z.  B.  der  Durchmesser  einer 
Molekel,  die  gi  einem  würfelförmigen  Räume  senkrecht  zu  zwei  Wänden 
aeh  bewegt,  ein  Hundertstel  von  der  Entfernung  dieser  Wände,  so  wird 
offenbar  die  Zahl  der  Stösse  eine  grössere,  als  wenn  die  Molekel  über* 

Ostwald,  Grnndriss.  3.  Aufl.  6 


32  n.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

hanpt  keine  Ausdehnung  besässe,  da  jedesmal  die  Molekel  nidit  die 
ganze  Entfernung  zwischen  den  Wänden,  sondern  eine  um  ihren  eigenen 
Durchmesser  kleinere  zurückzulegen  hat  Der  Druck  wird  durch  diesen 
Umstand  bei  abnehmendem  Volum  schneller  wachsen  mfissen,  als  das 
Boylesche  Gesetz  erfordert  Es  lässt  sich  leicht  eine  entsprechende  Kor- 
rektur an  dem  Boyleschen  Gesetz  anbringen.  Nennt  man  b  den  von 
den  Molekeln  eingenommenen  Raum^  so  ist  das  Boylesche  Gesetz 
nicht  auf  den  gesamten  Raum  des  Gases^  sondern  auf  den  nicht  von 
der  Substanz  der  Molekeln  erföllten  Zwischenraum  v  —  b  zu  beziehen^ 
(vergl.  8.  57)  und  wir  erhalten  statt  der  Gleichung  pv=^RT  vielmehr 
die  Gleichung  p(v-b)=rRT. 

Dieses  Korrektionsglied  b  fallt  um  so  mehr  ins  Gewicht,  je  kleiner 
der  Raum  ist,  in  dem  das  Gas  sich  befindet,  und  kann  daher  nur  genau 
bei  grossen  Drucken  beobachtet  werden.  Ea  erklärt  die  Abweichungen, 
welche  Regnault  beim  Wasserstoff  beobachtet  hatte,  und  welche  nach  den 
Arbeiten  von  Natterer  und  Amagat  bei  sämtlichen  stark  zusammenge- 
druckten Gasen  auftreten  (S.  57).  Auf  diese  Weise  hat  Bndde  (1874) 
berechnet,  dass  z.  B.  im  Wasserstoff  bei  76  cm  Quecksilberdruck  b  = 
0*00062  ist  Von  van  der  Waals  ist  dann  gezeigt  worden,  dass,  wenn 
man  die  kinetische  Hypothese  annimmt,  wegen  der  Bewegung  der 
Molekebi  b  nicht  als  das  Molekularvolum  selbst,  sondern  als  dessen  vier- 
facher Wert  aufzufassen  ist. 

Nun  betragen  nach  den  oben  (S.  81)  dargelegten  Rechnungen  die 
Summen  aller  Querschnitte  der  Wasserstoffmolekeln  in  einem  Kubik- 
centimeter  bei  76  cm  Druck  9500  qcm.  Nennt  man  x  den  Durchmesser 
einer  würfelförmig  gedachten  Molekel,  so  muss  x  X  9500  gleich  dem 
Gesamtvolum  der  Molekeln,  also  gleich  */^  X 000062 ccm  sein,  woraus^ 
x  =  1.6X10-8  cm  folgt 

Für  die  anderen  Gase  ergeben  sich  ähnliche  Zahlen,  die  meist  etwas 
hoher  liegen,  und  deren  Betrag  im  allgemeinen  mit  wachsendem  Atomgewicht 
und  wachsender  Zusammengesetztheit  der  Stoffe  zunimmt.  Bei  der  grossen 
Unsicherheit,  die  diesen  Werten  noch  anhaftet,  kann  von  ihrer  Mitteilung  ab- 
gesehen werden.  Dagegen  hat  sich  die  gefundene  Grösse  für  die  „Dimensionen 
der  Molekeln"  als  eine  Zahl  erwiesen,  der  auch  unabhängig  von  der  kineti- 
schen Hypothese  eine  physische  Bedeutung  zukommt.  Sie  erweist  sich  als 
die  Dimension,  unterhalb  deren  die  Stoffe  andere  Eigenschaften  annehmen, 
als  sie  in  grösseren  Mengen,  die  wir  zu  betrachten  gewohnt  sind,  aufweisen, 
und  wir  werden  unter  diesem  Gesichtspunkte  später  wiederholt  ähnlichen 
Werten  begegnen. 

Ausser  der  bei  hohen  Drucken  hervortretenden  Abweichung  vom  Boyle- 
schen Gesetz,  nach  welcher  die  wirklichen  Volume  grösser  sind,  als  die  be- 
rechneten, zeigen  die  Gase  alle  ausser  Wasserstoff  noch  eii*  andere,  die 
namentlich  bei  mittleren  Drucken  deutlich  ist,  und  das  umgekehrte  Zeichen 
hat:  die  beobachteten  Volume  sind  zu  klein.    Zur  Erklärung  derselben  wird 


Die  Wänneerscheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.        33 

angenommen,  dass  die  Wechselwirkung  der  Molekeln,  welche  in  flüssigen 
und  festen  Körpern  ein  Zusammenhalten  derselben  bedingt,  sich  auch  bei 
Gasen  bethätigt,  und  einen  Teil  des  Druckes,  welcher  durch  die  Molekular- 
bewegung bewirkt  wird,  aufhebt.  Van  der  Waals  hat  (1879)  eine  Theorie 
entwickelt,  nach  welcher  diese  Wechselwirkung  dem  Quadrat  der  Dichte  direkt 
oder  dem  des  Volums  umgekehrt   proportional   gesetzt   wird;    zum   äusseren 

Druck  ist  demgemäss  eine  Grösse  —   hinzuzufügen   und   die   in   Bezug   auf 

beide  Störungen  korrigierte  Gasgleichung  heisst  darnach 

Die  Gleichung  findet  ihre  Anwendung  hauptsächlich  beim  Übergang  aus  dem 
gasförmigen  in  den  flüssigen  Zustand  und  wird  weiter  unten  eingehender 
untersucht  werden. 


Sechstes  Kapitel. 

Die  Wärmeersoheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz 

der  Wärmetheorie. 

Bei  den  ersten  Versuchen,  die  Erscheinungen  der  Wärme  messend 
zu  verfolgen,  hatte  sich  ein  Erhaltungsgesetz  für  sie  herausgestellt,  der- 
gestalt, dass  die  Wanne  wohl  ihren  Ort,  nicht  aber  ihren  Betrag  ändert, 
wenn  man  verschieden  warme  Körper  mit  einander  in  Berührung  bringt. 
Wffd  die  in  einem  Körper  enthaltene  Wärme  seinem  Gewicht  und  seiner 
Temperatur  proportional  gesetzt,  so  ergiebt  sich  auf  Grund  dieses  Ge- 
setzes eine  mit  der  Erfahrung  übereinstimmende  Berechnungsweise  der 
Temperaturen,  die  bei  der  Vermischung  beliebiger  Mengen  eines  Stoffes 
auftreten,  wenn  diese  verschiedene  Temperatur  haben.  Ist  m,  das  Ge- 
wicht des  einen  Anteils,  und  tj  seine  Temperatur,  und  gelten  m^  und  t^ 
för  den  anderen  Anteil,  so  wird  die  mittlere  Temperatur  t  nach  der 
Vermischung  gefunden,  wenn  man  den  Wärmegewinn  des  einen  Teils 
mj(t  —  tj)  dem  Wärmeverlust  des  anderen,  m,  (tg  —  t)  gleich  setzt. 
Diese  Gleichsetzung,  d.  h.  die  Forderung,  dass  die  Gesamtmenge  der 
Wärme  erhalten   bleibt,  ergiebt  die  Gleichung  m^  (t  —  tj )  =  m^  {t^  —  t) 

und  daraus  t  =  (m,t,  +  '^2^)/(^i  "1"  ^t)- 

Werden  Körper  von  verschiedener  Beschaffenheit  mit  einander  ver- 
mischt, so  ergiebt  die  Erfahrung,  dass  diese  Gleichung  nicht  mehr  gültig 
ist.  Doch  gelingt  wieder  ein  Anschluss  an  die  Wirklichkeit,  wenn  man 
jedem  Stoffe  eine  spezifische  Wärmekapazität  zuschreibt,  d.  h.  annimmt, 
dass  die  Wärmemengen,  welche  von  gleichen  Gewichten  verschiedener 
Stoffe  bei  gleicher  Temperaturänderung  aufgenommen  werden,  nicht  durch 
ilire  Masse  allein  bestimmt  werden,  sondern  ausserdem  von  ihrer  be- 
sonderen Natur  abhängen.     Nennt  man  die  entsprechenden  Faktoren  c^ 

6* 


84  H.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

und  c^,  so  geht  die  Gleichung  über  in  m,  c^  (t  —  t,)  =  m2C2(tj  — t).  Hierin 
kann  einer  der  c -Werte  behebig  angenommen  werden,  und  man  kann 
die  thatsächhchen  Verhältnisse  daratellen,  wenn  man  den  anderen  Wert 
von  c  passend  bestimmt. 

Diese  c-Werte  nennt  man  die  spezifischen  Wärmen  der  betreffenden 
Stoffe.  Die  spezifische  Wärme  des  Wassers  wird  willkürhch  gleich  Eins 
gesetzt,  und  damit  geht  die  Gleichung  über  in  m,Ci(t — ti)  =  m,j(to — t) 
oder  c  =  mo(tQ  —  t)/mi(t  —  tj),  wenn  einer  der  Stoffe,  dessen  Werte 
mit  dem  Index  0  bezeichnet  sind,  Wasser  ist.  Diese  Gleichung  dient 
zur  Bestimmung  der  spezifischen  Wärme  der  Stoffe. 

Es  ist  bei  diesen  Betrachtungen  die  Voraussetzung  gemaclit,  dass 
eine  absolute,  d.  h.  von  der  Beschaffenheit  eines  bestimmten  Stoffes  unab- 
hängige Temperaturskala  bekannt  ist,  und  dass  die  spezifische  Wärme  der 
Stoffe  sich  nicht  mit  der  Temperatur  ändert.  Bezüglich  des  ersten  Punktes 
ist  zu  sagen,  dass  die  Skala  des  Quecksilberthermometers  mit  dieser  absoluten 
Skala  ziemlich  nahe  übereinstimmt,  so  dass  wir  einstweilen  die  eine  für  die 
andere  setzen  können.  Ferner  ist  die  spezifische  Wärme  allerdings  im  all- 
gemeinen mit  der  Temperatur  veränderlich,  doch  meist  nicht  in  so  hohem 
Grade,    dass    das    oben  gegebene   Bild   dadurch   wesentlich  falsch    erschiene. 

Durch  die  Annahme,  dass  die  spezifische  Wärme  des  Wassers  gleich 
Eins  sein  soll,  wird  gleichzeitig  die  Einheit  der  Wärmemenge  defi- 
niert: es  ist  die  Wärmemenge,  die  man  einem  Gramm  Wasser  zufuhren 
muss,  damit  seine  Temperatur  um  einen  Grad  steigt.  Man  nennt  diese 
Wärmemenge  eine  (kleine)  Kalorie  und  bezeichnet  sie  mit  c  oder  cal. 
Hierdurch  gelangt  man  zu  einer  anderen  Form  für  die  Definition  der 
spezifischen  Wärme:  sie  ist  die  Wärmemenge  in  Kalorieen,  die  man  einem 
Gramm  des  Körpers  zufahren  muss,  um  seine  Temperatur  um  einen 
Grad  zu  erhöhen.  Oder  allgemeiner:  die  spezifische  Wärme  ist  das 
Verhältnis  zwischen  der  zugefuhrten  Wärmemenge  und  der  dadurch  be- 
wirkten Temperaturerhöhung,  bezogen  auf  die  Gewichtseinheit.  Nennt 
man  erstere  dW,  letztere  dt,  und  m  das  Gewicht  des  Körpers*),  so  ist 
seine  spezifische  Wärme  c  =  dW/mdt. 

Bei  unseren  künftigen  Betrachtungen  werden  wir  die  zugefährt:en 
Wärmemengen  nicht  auf  die  Gewichtseinheit,  sondern  auf  anderweit  gegebene 
Mengen  (meist  Verbindungsgewichte)  der  Stoffe  zu  beziehen  haben.  Für 
die  dann  auftretenden  Produkte  aus  spezifischer  Wärme  und  Gewicht 
soll  der  Name  Wärmekapazität  gebraucht  werdeij.  Die  Definition 
dieser  Grösse  ist  einfach  das  Verhältnis  der  zugeführten  Wärme  zu  der 
dadurch  bewirkten  Temperaturerhöhung,  k  =  dW/dt;  sie  verlangt  also 
immer  eine  Angabe  darüber,  welche  Menge  des  Stoffes  gemeint  ist. 


^)  Es  ist  in  der  höheren  Mathematik  üblich.  Ändern ngea  vorhandener 
Grössen  durch  das  Vorsetzen  des  Buchstabens  d  zu  kennzeichnen,  und  wir 
werden  uns  in  der  Folge  oft  dieser  Schreibweise  bedienen. 


Die  WärmeersQheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.        g5 

Diese  Begriffsbestimmungen  und  Anschauungen  haben  sich  als  ziem- 
lich brauchbar  erwiesen,  solange  man  die  Wärmevorgänge  bei  festen 
oder  flüssigen  Körpern  allein  in  Betracht  zog.  Bei  dem  Versuche  aber, 
sie  auch  auf  Gase  anzuwenden,  traten  neue  Erscheinungen  auf,  welche 
das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Wärme  in  dieser  einfachen  Gestalt 
undurchführbar  machten.  Durch  die  Überwindung  dieser  Schwierigkeiten 
ist  dann  schh'esslich  wieder  ein  Erhaltungsgesetz  zu  Tage  getreten, 
welches  viel  allgemeiner  ist,  als  das  ältere.  Es  stellt  das  allgemeinste 
Naturgesetz  dar,  das  zur  Zeit  bekannt  ist,  und  seine  Entdeckung  hat 
eine  tiefgreifende  Umgestaltung  der  ganzen  Physik  und  Chemie  bewirkt 

Wir  wenden  uns  nun  zu  den  Wärmeerscheinungen  bei  Gasen. 

Die  spezifische  Wärme  der  Luft  ergiebt  sich  gleich  0-2375,  wenn 
man  den  Versuch  so  anordnet,  dass  in  einem  System  von  Röhren  Luft 
auf  irgend  eine  höhere  Temperatur  vorgewärmt  wird,  und  dann  in  einem 
Kalorimeter  die  aufgenommene  Wärme  an  die  Kalorimetei'flüssigkeit  ab- 
gebt, während  sie  fortwährend  unter  gleichem  Drucke  steht. 

Nun  ist  aber  folgende  Thatsache  bekannt.  Drückt  man  eine  abge- 
schlossene Luftmenge  zusammen,  so  erwärmt  sie  sich.  Die  zugefuhrte  Wärme 
dW  ist  Null,  die  Temperaturänderung  dt  aber  hat  einen  endlichen  Wert; 

dW 
der  Quotient  — --  wird  Null,    und  somit    auch    die  spezifische  Wärme. 

Wenn  wir  eine  Luftmenge  ausdehnen,  so  wird  sie  kälter.  Führen  wir 
soviel  Wärme  zu,  dass  die  Temperatur  konstant  bleibt,  so  hat  dW  einen 
endlichen  Wert,  dt  ist  Null,  die  spezifische  Wärme  ist  unendlich.  Lassen 
wir  also  das  Gas  sein  Volum  ändern,  so  wird  der  Wert  der  spezifi- 
schen Wärme  unbestimmt;    sie  kann  jeden  bfeliebigen  Wert  annehmen. 

Andererseits  ist  von  Gay-Lussac  (1807)  folgender  Versuch  gemacht 
worden.  Es  wurde  in  einer  hohlen  Kugel  Luft  zusammengepresst, 
während  aus  einer  anderen  Luft  entfernt  war.  Wurden  die  beiden 
Kugeln,  nachdem  sie  in  das  Wasser  eines  Kalorimeters  gebracht  waren, 
miteinander  in  Verbindung  gesetzt,  so  dass  die  zusammengepresste  Luft 
sich  ausdehnen  konnte,  so  fand  doch  keine  Temperaturänderung  des 
Kalorimeters  statt.  Die  Voluraänderung  allein  bedingt  somit  nicht  die 
Temperaturähderung. 

In  diese  scheinbar  sich  widersprechenden  Thatsachen  hat  zuerst 
J.  R.  Mayer  (1842)  Klarheit  gebracht.  Auf  die  Frage:  woher  rührt 
die  Wärme,  welche  beim  Zusammenpressen  eines  Gases  erzeugt  wird, 
und  was  wird  aus  der  Wärme,  welche  bei  der  Ausdehnung  verschwin- 
det? gab  er  die  Antwort:  die  Arbeit,  welche  zum  Zusammenpressen 
verbraucht  wird,  wird  in  Wärme  verwandelt,  und  die  Arbeit,  welche  das 
Gas  beim  Ausdehnen  im  Zurückschieben  der  äusseren  drückenden  Luft 
leistet,  kann  nicht  aus  Nichts  entstehen,  sondern  entsteht  aus  der  Wärme, 
die  im  Gase  verschwindet.  Ist  bei  der  Ausdehnung  kein  äusserer  Druck 
zu  überwinden,  so  ist  insgesamt  keine  Arbeit  zu  leisten,  und  es  wird 
auch  (im  Versuch  von  Gay-Lussac)  keine  Wärme  verbraucht. 


86  II-  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

Die  Arbeit  und  die  Wärme  erscheinen  hier  als  zwei  verschiedene 
Ponnen  desselben  Dinges,  wie  gelber  und  roter  Phosphor  oder  Diamant 
und  amorphe  Kohle.  Dies  Ding  selbst  ist  von  Mayer  als  unerschaffbar 
und  unvemichtbar,  als  unter  allen  Umständen  beständig  aufgefasst  worden; 
es  kann  nur  Änderungen  der  Erscheinungsform,  keine  aber  in  der  Menge 
erleiden. 

Mayer  hatte  dies  Beständige  „Kraft"  genannt.  Da  indessen  dieser 
Name  in  der  Mechanik  eine  andere  Bedeutung  besitzt,  als  di^enige, 
welche  Mayer  im  Sinne  hatte,  so  ist  dadurch  einige  Verwirrung  hervor- 
gerufen worden.  Deshalb  ist  gegenwärtig  dafür  der  Name  Energie 
allgemein  angenommen  worden  und  das  von  Mayer  ausgesprochene 
Prinzip  ist  das  von  der  Erhaltung  der  Energie. 

Dieser  Satz  ist  ein  Erfahrungssatz  von  allgemeinster  Bedeutung,  ebenso 
wie  der  von  der  Erhaltung  des  [Stoffes.  Ebenso  wie  nur  durch  Unkenntnis  des 
letzteren  Satzes  die  vergeblichen  Anstrengungen  der  Alchemisten  veranlasst 
wurden,  viel  Gold  aus  geringen  Mengen  Silber  oder  Blei  zu  machen,  so  hat 
die  Unkenntnis  des  ersteren  zu  dem  gleich  unausführbar  sich  erweisenden 
Problem  des  perpetuum  mobile  geführt.  Die  Thatsache,  dass  überhaupt  die 
Aufgabe,  Arbeit  aus  nichts  zu  schaffen,  für  ausführbar  gehalten  wurde,  beweist, 
dass  der  Energiesatz  keineswegs,  wie  gelegentlich  behauptet  wird,  eine  Denk- 
notwendigkeit ist.  Wohl  aber  ist  er  neben  dem  Satze  von  der  Erhaltung  des 
Stoffes  die  grösste  und  umfassendste  Verallgemeinerung,  unter  welche  die 
Naturwissenschaften  die  erfahrungsmässigen  Thatsachen  zusammenzufassen  ge- 
wusst  haben. 

Um  nun  diesen  Gedanken  auf  die  Wärmeerscheinung  bei  Gasen 
anzuwenden,  machte  Mayer  folgende  Überlegung.  Die  spezifische  Wärme 
der  Luft  ist  bei  konstantem  Drucke,  also  indem  sie  sich  unter  Arbeits- 
leistung beim  Erwärmen  ausdehnen  kann,  gleich  0-2375  gefunden  worden. 
Es  wird  also  mit  anderen  Worten  ein  Gramm  Luft  durch  Zuführung 
von  0-2375  cal  um  einen  Grad  wärmer,  indem  sie  gleichzeitig  sich  aus- 
dehnt und  eine  Arbeit  nach  aussen  abgiebt,  deren  Betrag  sich  wie  folgt 
berechnet.  Ein  Gramm  Luft  hat  bei  0^  den  Raum  von  773-3  ocm 
unter  dem  Drucke  einer  Atmosphäi^e.  Bei  der  Erwärmung  um  einen 
Grad  wird  dies  Volum  um  1/273  grösser,  d.  h.  um  2-830  com,  und 
das  Produkt  dieser  Zahl  in  den  Druck  ist  gleich  der  geleisteten  Ai'beit 
Der  Druck  einer  Atmosphäi'e  ist  gleich  dem  Gewicht  von  1033  g/cm*, 
die  Arbeit  ist  also  gleich  2-830  X  1033  gcm  =  2923  gcm,  d.  h.  gleich 
der  Hebung  von  2923  g  um  ein  cm. 

Andererseits  ist  die  spezifische  Wärme  der  Luft  bei  konstantem 
Volum,  also  ohne  äussere  Arbeitsleistung,  gleich  0-1683  gefunden  worden. 
Durch  Zuführung  von  0-1683  cal  wird  also  ein  Gramm  Luft  um  einen 
Grad  wärmer.  Den  Unterschied  dieses  Wertes  gegen  den  vorigen  wird 
man  als  das  Aequivalent  der  eben  berechneten  Arbeit  auffassen  können, 
wenn   man  behaupten  darf,   dass  ausserdem   keine  Wärme   oder   Arbeit 


Die  Wänneerscheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.        gj 

entwickelt  oder  verbraucht  worden  ist.  Nun  besteht  aber  noch  der 
Unterschied,  dass  beim  ersten  Versuche,  abgesehen  von  der  Leistung  der 
äusseren  Arbeit,  sich  das  Volum  der  Luft  vergi'össert  hat,  während 
es  beim  zweiten  konstant  geblieben  ist.  Welchen  Einfluss  hat  dieser 
Umstand? 

Die  Antwort  ist:  keinen.  Denn  von  Gay-Lussac  (S.  85)  ist  ge- 
zeigt worden,  dass  die  blosse  Volum vergrösserung  der  Luft  ohne  Ar- 
beitsleistung die  Temperatur  der  Luft  nicht  ändert  Wenn  wir  uns  also 
die  Erwärmung  unter  konstantem  Druck  von  einer  Volumvergrösserung 
um  2-830  ccm  ohne  Arbeitsleistung  gefolgt  denken,  so  genügen  noch 
immer  0-1683  cal  für  diese  Änderung,  und  damit  ist  der  ganze  Unter- 
schied der  beiden  Fälle  auf  die  Arbeiteleistung  und  den  entsprechenden 
Wärmeverbrauch  im  ersten  reduziert. 

Man  darf  somit  den  Unterschied  der  beiden  Wärmemengen, 
0-2375  —  0-1683  =  0-0692  cal  äquivalent  der  Arbeitsleistung  von 
2923  gcm  setzen.  Das  macht  42240  gcm  für  eine  Kalorie,  und  diesen 
Wert  nennt  man  das  mechanische  Wärmeäquivalent,  oder  den 
Arbeitswert  einer  Kalorie. 

Mayer  betonte  alsbald,  dass  man  nicht  nur  die  durch  die  Volum- 
äaderung  der  Gase  geleistete  Arbeit  proportional  der  erzeugten  Wärme 
setzen  kann,  sondern  dass  noch  viele  andere  Arten  von  Arbeit  oder 
Energie  vorhanden  sind,  für  welche  eine  gleiche  Beziehung  anzunehmen 
ist.  Doch  hat  er  keine  weiteren  Versuche  darüber  angestellt;  solche 
verdankt  man  besonders  den  durch  viele  Jahre  fortgesetzten  Bemühungen 
von  Joule  (1843),  der  den  gleichen  Nachweis  zunächst  für  die  Arbeit 
&Uender  Gewichte,  die  Distanzenergie  in  Beziehung  zur  Wärme  erbrachte. 
Die  hier  geleistete  Arbeit  ist  durch  das  Pi'odukt  des  Gewichtes  mit  der 
Höhe  des  Falles  gegeben,  wenn  man  nicht,  wie  beim  freien  Falle,  diese 
Arbeit  sich  in  Bewegungsenergie  umwandeln  lässt  (S.  5),  sondern  sie 
durch  Keibung  in  Wärme  überführt,  so  dass  der  faUende  Körper  mit 
der  Geschwindigkeit  Null  unten  ankommt.  Joule  benutzte  nun  die 
Arbeit  solcher  Gewichte,  um  in  einem  mit  Wasser  gefüllten  Gefäss  zwei 
eiserne  Platten  gegeneinander  zu  reiben.  Da  diese  hierbei  keine  datfem- 
den  Veränderungen  erfahren,  so  geht  die  aufgewendete  Arbeit  ausschhess- 
lieh  in  Wärme  über,  und  deren  Menge  kann  aus  der  Temperaturer- 
höhung des  Wassers  und  seinem  Gewicht  berechnet  werden.  Setzt  man 
nun  die  gefundene  Wärmemenge  gleich  der  verbrauchten  Arbeitemenge, 
80  erhält  man,  wie  Joule  fand,  ein  ganz  unveränderliches  Verhältnis 
zwisdien  beiden,  welches  weder  von  der  Art,  wie  die  Wärme  in  Arbeit 
verwandelt  wird,  noch  von  den  sonstigen  Versuchsumständen  abhängt. 
Der  Mittelwert  der  später  vielfach  wiederholten  Bestimmungen  dieses 
Verhältnisses  ist  42660  gcm  =  1  cal,  d.  h.  wenn  das  Pi*odukt  von  Fall- 
höhe und  Gewicht  42660  beträgt,  so  wird  durch  diese  Arbeit  1  g 
Wasser  um  1®  C  erwärmt.     Die  Zahl  stimmt  mit  der  oben  berechneten 


88  II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

so  gut  überein,  als  es  die  Genauigkeit  zulässt,  mit  welcher  die  benutzten 
Werte  bestimmt  sind. 

Um  hiervon  auf  absolute  Werte  tiberzugehen,  hat  man  nur  zu  be- 
denken, dass  die  Schwerkraft .  rund  980-5  absolute  Einheiten  beträgt, 
da  ein  Gramm  unter  ihrem  Emflusse  die  Beschleunigung  von  980-5  cm 
in  einer  Sekunde  erfährt.  Somit  beträgt  eine  Kalorie  in  absolutem 
Masse  4-183  X  10'^  Erg. 

Da  die  spezifische  Wärme  des  Wassers  mit  der  Temperatur  etwas  ver- 
änderlich ist,  so  ist  auch  die  Erwärmung  einer  bestimmten  Wassermenge 
durch  den  gleichen  Betrag  von  Arbeit  mit  der  Temperatur  veränderlich.  Diese 
kleinen  Verschiedenheiten  sind  von  Rowland  (1879)  durch  den  Versuch  im- 
mittelbar  nachgewiesen  worden,  und  der  oben  angegebene  Zahlenwert  bezieht 
sich  auf  die  mittlere  Temperatur  von  18°. 

Hierdurch  wird  es  klar,  dass  die  oben  eingeführte  Wärmeeinheit, 
die  Kalorie,  willkürlich  und  unsystematisch  vom  Standpunkte  der  Energie- 
lehre genannt  werden  muss.  Denn  ebenso,  wie  man  die  mechanischen 
Energieformen  und  ihre  Faktoren  alle  so  bestimmt,  dass  ihre  Einheit 
tibereinstimmend  die  gleiche,  das  Erg,  wird,  so  entsteht  mit  der  Erkenntnis, 
dass  die  Wärme  auch  eine  Form  der  Energie  ist,  das  Bedürfiiis,  sie 
gleichfalls  in  den  gleichen  Einheiten,  in  Erg,  zu  messen.  Dieser  not- 
wendige Schritt  ist  bisher  in  der  wissenschaftlichen  Litteratur  noch  nicht 
durchgeftihrt;  um  seine  Durchfühning  zu  erleichtem,  sollen  in  diesem 
Werke  künftig  alle  Wärmeangaben  in  Erg  gemacht  werden. 

Hierbei  ist  noch  über  die  Einheit  zu  sagen,  dass  sie  für  die  meisten 
Messungen  und  Rechnungen  viel  zu  klein  ist.  Das  Megerg  wäre  eine 
passende  Einheit;  indessen  ist  in  der  Elektrik  als  praktische  Einheit  der 
Betrag  von  10000000  Erg  unter  dem  Namen  Joule,  abgekürzt  j,  ge- 
bräuchlich geworden,  und  deshalb  soll  auch  für  praktische  Zwecke  diese 
Einheit  in  diesem  Buche  angenommen  werden.  Eine  kleine  Kalorie  hat 
demnach  den  Wert  von   4-183  Joule,   und  wir  haben  die  Gleichungen 

lcal  =  4-183 j  und  Ij  =  0-2391  cal. 

Ausser  diesem  mit  einem  kleinen  j  bezeichneten  Werte  wird  künftig 
auch  der  tausendfache  Wert  benutzt  werden,  der  mit  einem  grossen  J 
bezeichnet  werden  wird.     Demnach  ist 

1  cal  =  0-004183  J  und  1  J  =  239-1  cal=  10 ^^ Erg. 

Es  ist  ftir  viele  Aufgaben  wichtig,  die  Arbeit  zu  kennen,  welche 
ein  Gas  leisten  kann,  wenn  es  sich  bei  konstanter  Temperatur  ausdehnt 
Im  allgemeinen  wird  eine  solche  Arbeit  durch  das  Produkt  des  Druckes 
mit  der  Volumänderung,  pdv  (wo  dv  die  Änderung  des  Volums  ist),  dar- 
gestellt; die  Rechnung  macht  aber  etwas  Schwierigkeiten,  wenn  der 
Druck  nicht  konstant  ist. 

Zu  diesem  Zweck  soll  die  Beziehung  zwischen  Druck  und  Volum 
bei  Gasen  graphisch  dargestellt  werden,  indem  die  Drucke  und  Volume 
als  Entfernungen  von  zwei  zu  einander  senkrechten  Axen  gerechnet  werden 


ÜCCC' 


Fig.  7. 


Die  Wärmeerscheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.        89 

(S.  50).  Entsprechend  der  Gasgleiehung  pv=RT  hat  die  zugehörige 
Kurve  bb  die  Eigenschaft,  dass  an  jeder  Stelle  das  Pi'odukt  zweier  solcher 
Abmessungen  oder  Koordinaten  denselben  Wert  hat.  Die  analytische 
Geometrie  lehrt,  dass  die  Gestalt  der  entsprechenden  Kurve  die  der 
rechtwinkligen  Hyperbel  ist  % 

Die  Arbeit,  welche  bei  der  Volumänderung  dv  geleistet  wird,  oder 
das  Produkt  pdv,  erscheint  in  der  Darstellung  Fig.  7  als  eine  vierseitige 
schmale  Figur  aaß'ß.  Die  ge- 
samte Arbeit,  welche  zwischen 
zwei  Zuständen  des  Gases,  ß  und 
7,  bei  der  Ausdehnung  geleistet 
wird,  ist  somit  die  Summe  aller 
schmalen  Vierseite  pdv,  und  auch 
gleich  dem  Vierseit  aßyö.  Die 
Berechnimg  der  Arbeit  kommt 
somit  auf  die  sogenannte  Qua- 
.dratur  der  Hyperbel  hinaus. 
Diese  Aufgabe  lässt  sich 
auf  elementarem  Wege  nicht 
lösen;  es  muss  daher  genügen, 
wenn  hier  allgemein  das  Resul- 
tat angegeben  wird.    Dehnt  sich 

ein  Gas  bei  der  Temperatur  T  vom  Volum  v^  auf  das  Volum  v,  aus, 
indem  es  dabei  stets  den  durch  die  Gleichung  pv  =  RT  gegebenen  Druck 
ausübt,  so  hat  die  zugehörige  Arbeit  A  den  Wert  (davg/vi  =Pi/p2) 

A  =  RThi^=RThi^. 
Vi  Pa 

Hier  bedeutet  In  den  natürlichen  Logarithmus,  d.  h.  einen  Logarith- 
mus mit  der  Basis  e=  2-71828.  Man  kann  die  natürlichen  Loga- 
rithmen aus  den  gewöhnlichen  oder  dekadischen  Logarithmen  erhalten, 
wenn  man  die  letzteren  mit  2-30259  multipliziert. 

Kehren  wir  hiemach  wieder  zm*  Frage  nach  den  spezifischen 
Wärmen  der  Gase  zmiick,  so  ergiebt  sich,  dass  wir  von  solchen  nur 
reden  können,  wenn  wir  genau  bestimmen,  ob  bei  der  Erwärmung 
äussere  Arbeit  stattfindet,  und  welche.  Der  einfachste  Fall  ist  oflenbar 
der,  dass  man  äussere  Arbeit  ganz  vermeidet,  also  das  Gas  in  eine  feste 
Hülle  einschUesst,  und  unter  diesen  Umständen  die  spezifische  Wärme 
bestimmt.  Doch  ist  dieser  theoretisch  einfachste  Fall  experimentell  bisher 
sehr  schwer  ausführbar  gewesen.  Die  Hülle  nämlich,  in  welche  die 
Gase  eingeschlossen  werden  müssen,  und  welche  an  den  Erwärmungen 
und  Abkühlungen  notwendig  teilnimmt,  beansprucht  einen  so  beträcht- 
lichen Teü  des  gesamten  Wärmeaustausches  für  sich,  da  sie  genügend 
widerstandsfähig  angefertigt  werden  muss,  um  die  Druckänderungen  durch 
die  Änderungen  der  Temperatur  zu  ertragen,  dass  der  auf  das  Gas  ent- 


90 


II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 


fallende  Anteil  nur  einen  kleinen  Teil  der  gesamten  Wärmemenge  ans- 
macht.  Doch  ißt  es  in  neuerer  Zeit  Joly  (1890)  gelungen,  durch  ein 
sinnreich  ausgedachtes  Differentialverfahren  diese  Schwierigkeit  zu  über- 
winden, wobei  sich  Werte  ergaben,  die  mit  denen  gut  übereinstimmten, 
die  tfaf  dem  gleich  anzugebenden  Umwege  erhalten  worden  waren. 

Man  führt  derartige  Bestimmungen  daher  meist  so  aus,  dass  man 
unter  konstantem  äusseren  Druck  die  Temperaturveränderungen  vor  sich 
gehen  lässt.  Es  ergiebt  sich  auf  diese  Weise  die  spezifische  Wärme  bei 
konstantem  Druck,  die  wir  mit  Cp  bezeichnen  wollen.  Versuche  zur 
Bestimmung  dieser  Zahl  sind  in  weitem  Umfange  von  Regnault  ausge- 
führt worden,  und  ihre  Ergebnisse  werden  weiter  unten  mitgeteilt  wer- 
den; später  hat  E.  Wiedemann  einige  der  Versuche  wiederholt  und  die 
Änderungen  untersucht,  welche  die  spezifische  Wärme  vieler,  namentlich 
kohlenstofilialtiger  Gase  mit  der  Temperatur  erfährt. 

Um  aus  diesen  Zahlen  die  von  der  äusseren  Arbeit  befreite  spezifische 
Wärme  bei  konstantem  Volum,  Cy,  zu  ermitteln,  hat  man  nur  den 
Wärmewert  der  äusseren  Arbeit  abzuziehen.  Am  einfachsten  gestaltet 
sich  die  Rechnung,  wenn  man  je  ein  Mol  der  verschiedenen  Gase  be- 
trachtet. Alsdann  nehmen  sämtliche  Gase  dasselbe  Volum,  näm- 
Uch  22394ccm  bei  0®  und  76  cm  Barometerstand  ein  und  dehnen  sich 
bei  der  Erwärmung  von  1®  um  -y4T  dieses  Volums  aus.  Die  äussere 
Arbeit  pro  Grad  dabei  ist  gleich  Po  Vo/273,  d.h.  sie  hat  den  Wert  der  Kon- 
stanten R  in  der  allgemeinen  Gasgleichung  (S.  7 1),  nämlich  8-31X10^  Erg/T 
oder  8*31  j/T.  Ist  also  die  auf  ein  Mol  bezogene  Wärmekapazität  eines 
Gases  bei  konstantem  Druck,  oder  die  Molekularwärme  bei  konstantem 
Druck  in  Joule  bekannt,  so  braucht  man  von  ihr  nur  den  Wert  8-21 
abzuziehen,  um  die  Molekularwärme  bei  konstantem  Volum  zu  erhalten. 
In  Formeln:  c   =  c    R. 

Gewöhnlich  werden  die  Molekularwärmen  noch  in  Kalorieen  pro  Grad  an- 
gegeben. Dann  ist  der  Wert  von  R,  durch  den  Betrag  einer  Kalorie  in  Joule,  näm- 
lich 4-183  zu  dividieren,  wodurch  sich  R««  1'99  ergiebt.  Die  Molekularwärme 
bei  konstantem  Druck  ist  also  um  1*99  grösser,  als  die  bei  konstantem  Volum. 

In  der  nachstehenden  Tabelle  sind  die  von  Regnault  bestimmten 
Werte  zusammengestellt 

Molekular- 
gewicht 

32 
28 
5 
71 
160 
30 
28 
365 


Namen 


Formel 


Molekularwärme  in  j 
bei  konst.  bei  konst. 


Sauerstoff 

0> 

Stickstoff 

N« 

Wasserstoff 

H« 

Chlor 

Cl> 

Brom 

Br« 

Stickoxyd 

NO 

Kohlenoxyd 

CO 

Chlorwasserstoff 

HCl 

Druck 

Volnm 

29-12 

20-81 

2853 

2022 

2853 

2022 

3593 

2762 

37-10 

28-79 

29-07 

2076 

28-69 

20-38 

28-28 

19-97 

Die  Wärmeerscheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.      91 


Namen 

^«-«'  ''Är 

Molekularwärme  in  j 
bei  konst.                 b«i  konst 

v^ 

Druck 

Volum 

Kohlendioxyd 

co* 

44 

39-99 

31-68 

Stickoxydul 

N*0 

44 

41-71 

3340 

Walser 

H«0 

18 

36-22 

27-91 

Schwefeldioxyd 

SO* 

64 

41-08 

3277 

Schwefelwasserstoff 

H«S 

34 

34-30 

25-99 

Schwefelkohlenstoff 

CS» 

76 

49-71 

41-40 

Methan 

CH* 

16 

39-41 

3110 

Chloroform 

CHCl» 

1195 

77-61 

69-30 

Äthylen 

C*H* 

28 

49-99 

41-68 

Ammoniak 

NH* 

17 

35-97 

2766 

Benzol 

C«H« 

78 

1215 

113.2 

Terpentinöl 

QiOQlt 

136 

285-7 

277-4 

Methylalkohol 

CH*0 

32 

60-87 

5256 

Äthylalkohol 

C»H«0 

46 

86-60 

78-29 

Äther 

C*H'«0 

74 

147-2 

138-9 

Äthylsnlfid 

C*H'<»S 

90 

149-7 

141-4 

Chloräthyl 

C«H*C1 

645 

7340 

6509 

Bromäthyl 

C»H«Br 

109 

84-50 

76-19 

Äthylenchlorid 

C»H*C1« 

99 

9412 

85-81 

Aceton 

C«H«0 

58 

82-30 

73-99 

Äthylacetat 

C*H«0* 

88 

146-4 

138-1 

Silicinm  Chlorid 

SiCl* 

169 

93-30 

84-99 

Phosphorchlorür 

PCI* 

137-5 

76-78 

68-47 

Arsenchlorür 

AsCl» 

181-5 

84-50 

76-19 

Titanchlorid 

TiCl* 

190 

1029 

94-6 

Zinnchlorid 

SnCl* 

260 

101-0 

92-7 

Bei  der  Betrachtung  der  vorstehenden  Tabelle  zeigen  sich  einige  Regel- 
mässigkeiten. So  sind  die  Molekularwärmen  der  Gase  0^  N*,  H*,  NO,  CO 
und  HCl,  die  aus  je  zwei  Atomen  bestehen,  annähernd  gleich  gross.  Doch 
zeigen  Cl*  und  Br*,  obwohl  gleichfalls  zweiatomig,  bedeutend  höhere  Werte. 
Ebenso  stimmen  die  aus  je  drei  Atomen  bestehenden  Gase  zum  Teil 
tiberein,  doch  auch  mit  Ausnahmen.  Eine  durchgreifende  Regelmässigkeit 
lässt  sich  übrigens  kaum  erwarten,  da  die  meisten  der  untersuchten  Dämpfe 
ihre  Wärmekapazität  stark  und  in  verschiedener  Weise  mit  der  Temperatur 
ändern,  und  daher  je  nach  der  Versuchstemperatur  ganz  verschiedene  Bilder 
gewähren. 

Die  Molekularwärmen  bei  konstantem  Volum  sind,  wie  erwähnt, 
durch  Abzug  der  äussern  Arbeit  berechnet  worden.  Man  kann  sie  in- 
dessen auch  experimentell  auf  einem  Umwege  finden,  welcher  das  Ver- 
hältnis beider  spezifischen  Wärmen  zu  messen  gestattet. 

Die  hierher  gehörigen  Untersuchungen  nahmen  ihren  Ausgang  von 
einem    rätselhaften    Mangel    an    Übereinstimmung    zwischen    einem    un- 


92  II.  Stöchiometrie  gasförmiger  Stoffe. 

zweifelhaft  scheinenden  Ergebnis  der  Rechnung  und  der  Erfahrung. 
Die   Theorie    der    Schwingungsbewegung    in    elastischen    Mitteln     fuhrt 

nämlich,  wie  Newton  gezeigt  hat,  zu  der  Formel  u  ='J^p/d  für  die  Ge- 
schwindigkeit des  Schalles  in  einem  Gase,  wo  u  die  Geschwindigkeit,  p 
der  Druck  und  d  die  Dichte  ist;  die  Schallgeschwindigkeit  ist  gleich  der 
Quadratwurzel  aus  dem  Verhältnis  zwischen  Druck  und  Dichte.  Für  Luft 
unter  normalen  Umständen  ist  p=  1013130  in  absolutem  Mass,  und 
d=^  0-001293.  Führt  man  die  Rechnung  aus,  so  erhält  man  rund 
28000cm/sec.,  während  die  Beobachtung  äSlOOcm/sec.  ergiebt. 

Ein  solcher  Mangel  an  Übereinstimmung  zwischen  den  Ergebnissen 
der  Analyse  und  der  Erfahrung  beweist  immer  einen  Fehler  im  Ansatz. 
Laplace  fand  diesen  auf.  Newton  hatte,  um  das  VerhäUnis  zwischen 
Druck  und  Dichte  einzuführen,  das  Boylesche  Gesetz,  dass  beide  pro- 
portional seien,  benutzt.  Laplace  aber  wies  darauf  hin,  dass  dies  unbe- 
rechtigt sei.  Bei  den  schnellen  Zusammendrtickungen  und  Ausdehnungen, 
welche  die  Luft  bei  der  Schallbewegung  erfährt,  machen  sich  dieselben 
Erwärmungen  und  Abkühlungen  geltend,  welche  oben  (S.  85)  erwähnt 
worden  sind;  dadurch  steigt  aber  der  Druck  schneller,  als  die  Dichte 
zunimmt,  und  nimmt  auch  schneller  ab,  als  sie  abnimmt.  Das  Verhält- 
nis zwischen  Druck  und  Dichte  muss  also  durch  einen  anderen  Aus- 
druck dargestellt  werden,  welche  diesen  Einfluss  zur  Geltung  bringt. 

Da  die  elementare  Ableitung  der  Formel  fiirdie  gleichzeitigen  Ändeningen 
des  Drucks  und  des  Volums  ohne  Abführung  der  Wärme,  also  unter 
entsprechenden  Temperaturänderungen,  sich  unübersichtlich  gestaltet,  so 
sei  hier  nur  das  Ergebnis  mitgeteilt:  es  lautet,  wenn  p,  und  Vj,  bez. 
Pj{  und  Vg  zusammengehörige  Drucke  und  Volume  sind,  und  das  Ver- 
hältnis der  beiden  spezifischen  Wärmen  Cp/Cv=k  gesetzt  wird, 

Vorgänge,  wie  der  betrachtete,  bei  denen  Wärme  weder  aus-  noch 
eintritt,  heissen  adiabatische  oder  isentropische.  Die  durch  die  Formel 
zum  Ausdruck  gebrachte  grössere  Drucksteigerung,  als  sie  dem  Boyle- 
schen  Gesetz  entsprechen  würde,  rührt  daher,  dass  sich  durch  die  an 
dem  Gas  geleistete  Arbeit  seine  Temperatur  und  damit  sein  Druck  über 
den  durch  das  Boylesche  Gesetz  geforderten  Betrag  hinaus  steigert,  und 
es  ist  einleuchtend,  dass  der  Betrag  dieser  Temperaturerhöhung  sich  von 
der  spezifischen  Wärme  abhängig  zeigt,  indem  eine  und  dieselbe  in 
Wärme  sich  verwandelnde  Arbeit  eine  um  so  geringere  Temperaturer- 
höhung bewirken  muss,  je  grösser  die  spezifische  Wärme  des  zu  erhitzen- 
den Gases  ist. 

Die  Temperaturerhöhung  wird  durch  eine  ähnliche  Formel  darge- 
stellt, die  auch  ohne  Ableitung  gegeben  werden  muss.  Je  nachdem 
man  als  zweite  Veränderliche  Druck  oder  Volum  benutzt,  erhält  man 

(P./P»)''-^  =  (TxiT,)k  und  (vg/v,)>=-i  =T,/T,. 


Die  Wärmeerscheinungen  der  Gase  und  der  erste  Hauptsatz  etc.      93 

Da  in  allen  diesen  Gleichungen  das  Verhältnis  k  der  spezifischen 
Wärmen  auftritt,  so  kann  k  experimentell  mit  ihrer  Hilfe  gemessen 
werden,  wenn  man  die  anderen  Grössen  bestimmt.  Für  diesen  Zweck 
dient  hauptsächlich  die  erste  Gleichung,  während  die  anderen  zur  Be- 
rechnung der  Temperaturänderungen  Verwendung  finden,  welche  bei 
plötzlicher  Entspannung  oder  Kompression  von  Gasen  eintreten. 

Die  Verwendung  der  ersten  Gleichung  ftir  die  Bestimmung  des  Ver- 
hältnisses der  spezifischen  Wärmen  hängt  von  der  Art  des  adiabatischen 
Vorganges  ab,  welcher  ausgeführt  wird. 

Als  solcher  dienen  zunächst  die  bei  der  Schallbewegung  erfolgenden 
Dichteäiiderungen  der  Luft,  und  die  Grösse  k  ist  die  oben  (S.  92)  als 
notwendig  erkannte  Korrektion  des  Verhältnisses  zwischen  Druck  und 
Dichte,  sodass  für  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles  nicht  die 

Formel  v  =  Vp/d,    sondern  v  =  ykp/d  zu    benutzen  ist.     Somit  ist 

das  Quadrat  des  Verhältnisses  zwischen  der  nach  der  alten  Formel  be- 

redmeten    Schallgeschwindigkeit  und  der  wahren   gleich  dem  Verhältnis 

der   spezifischen    Wärmen.     Aus    den   oben  mitgeteilten  Zahlen    ergiebt 

1 8idi  für  Luft  k  =  140.     Mit  Hilfe  dieser  Zahl  ist  oben  die  spezifische 

I  Wärme  der  Luft  bei  konstantem  Volum  berechnet  worden,  wo  auch  die 

j  Übereinstimmung  des  hiermit  berechneten  mechanischen  Wärmeäquivalents 

jmit  dem  durch  unmittelbare  Versuche  gefundenen  nachgewiesen  ist. 

Um  die  Methode  der  Schallgeschwindigkeit  auf  andere  Gase  anwendbar 
ni  machen,  ist  von  Kundt  (1866)  ein  Verfahren  angegeben  worden,  mittelst 
dessen  in  Röhren  die  Wellenlänge  bestimmter  Töne  durch  die  Figuren,  in 
welchen  sich  hineingebrachte  leichte  Pulver  anordnen,  messbar  gemacht  werden. 
Ist  1  die  Wellenlänge  und  n  die  Schwingungszahl  des  betreffenden  Tones,  so 
ist  nl  die  Schallgeschwindigkeit.  Die  Schwingungszahl  braucht  nicht  einmal 
besonders  bestimmt  zu  werden,  denn  erzeugt  man  mit  dem  Apparat  Wellen 
in  Luft,  so  braucht  man  nur  ihre  Länge  in  die  bekannte  Schallgeschwindig- 
keit der  Luft  zu  dividieren,  um  die  Schwingungszahl  zu  finden. 

Eine  andere  Methode,  welche  zuerst  von  Gay-Lussac  und  Welter  ange- 
I  wendet  worden  ist,  besteht  darin,  dass  man  in  einem  grossen  Glasgefäss  die 
Luft  schwach  verdichtet,  und  ihren  Überdruck  genau  misst.  Dann  wird  plötz- 
lich ein  grosser  nach  aussen  führender  Hahn  geöffnet  und  alsbald  wieder  ge- 
schlossen.    Die  Sperrflüssigkeit  im  Manometer,   welche  sich  beim  Öffnen  des 
[Hahnes  auf  gleiche  Höhe  gestellt  hatte,  beginnt  dann  nach  einigen  Augen- 
bÜcken  wieder  zu  steigen  und  bleibt  bei  einem  Drucke  stehen,  welcher  kleiner 
ist,  als   der  frühere.     Die  Erscheinung  rührt  daher,  dass  bei  der  plötzlichen 
Ausdehnung    die    Luft    sich    der    Ausdehnungsarbeit    entsprechend    abkühlt. 
\  Nimmt  sie  nach  dem  Abschliessen  des  Hahnes  wieder  ihre  frühere  Temperatur 
aus  der  Umgebung  an,  so  steigt  der  Druck  im  entsprechenden  Verhältnis. 
Die  Berechnung    derartiger    Versuche   geschieht  nach    der    S.  92  gegebenen 
Formel,  welcher  man  die  Gestalt 

i  k  = 


logPi  — logpa 


logvg  — logvj 


.    I 


94  U.  Stöchlometrie  gasförmiger  Stoffe. 

giebt.  Doch  sind  die  Versuche  nach  dieser  Methode  schwieriger  oder  weniger 
genau,  als  die  nach  der  Methode  der  Schallgeschwindigkeit,  weil  es  sehr 
schwer  hält,  den  Vorgang  streng  adiabatisch  auszuführen. 

Berechnet  man  nach  den  Werten  von  k,  die  man  auf  solche  Weise 
bestimmt  hat,  aus  den  Molekularwärmen  bei  konstantem  Druck  die  bei 
konstantem  Volum,  so  erhält  man  im  allgemeinen  Zahlen,  welche  etwas 
kleiner  ausfallen,  als  die  auf  S.  90  aus  der  äusseren  Arbeit  berechneten. 
Dies  rührt  daher,  dass  bei  zusammengesetzteren  Gasen  die  dort  gemadite 
Voraussetzung  nicht  zutri£ft;  auch  bei  der  Ausdehnung  ohne  äussere 
Arbeit  findet  bei  solchen  Gasen  ein  allerdings  nicht  grosser  Wärmever- 
brauch statt,  welcher  daher  rührt,  dass  noch  eine  merküche  Wechsel- 
wirkung des  Stoffes  vorhanden  ist,  die  bei  der  Ausdehnung  teilwase 
aufgehoben  wird. 

Schliesslich  sei  noch  das  Verhältnis  der  kinetischen  Hypothese  zu 
den  experimentellen  Bestimmungen  der  spezifischen  Wärme  erörtert.  Nadi 
dieser  Auffassung  ist  die  in  einem  Gase  enthaltene  Energie  in  erster 
Linie  kinetische  und  zwar  ergab  sich  der  Betrag  derselben,  der  in  dem 
Gase  anwesend  sein  muss,  um  einen  Druck  entsprechend  den  Gasge- 
setzen hervorzubringen,  gleich  '/g  pv,  oder  gleich  ^/g  KT.  Die  Zu- 
nahme dieser  Energie  für  jeden  Grad  hat  also  den  Wert  ^/g  R,  und 
somit  ist  auch  ^/^  R  der  Wert  der  Molekularwärme  des  Gases,  d.  h. 
die  Vermehrung  von  dessen  Wärmeinhalt  oder  kinetischer  Energie  für 
jeden  Grad.  Da  R  =  8-3 1  j/T  ist,  so  folgt  für  die  Molekularwärme  die 
Zahl  1247J/T  oder  2.y8cal./T. 

Vergleicht  man  dies  Ergebnis  mit  der  S.  90  gegebenen  Tabelle,  so 
findet  sich  keine  Übereinstimmung;  die  Molekularwärmen  sind  alle  viel 
grösser.  Der  Vergleich  ist  mit  den  Molekularwäi'men  bei  konstantem 
Volum,  also  ohne  äussere  Arbeit  zu  ziehen  5  doch  auch  diese  Zahlen  sind 
alle  grösser,  zum  Teil  sehr  erheblich. 

Es  ist  deshalb  nötig,  die  kinetische  Hypotiiese  in  der  Richtung  zu 
erweitern,  dass  man  noch  eine  andere  Art  der  Energie  in  den  Molekehi 
der  Gase  annimmt.     Eine  solche  bietet  die  folgende  Betrachtung. 

Im  Sinne  der  Hypotiiese  besteht  eine  Molekel  auch  der  elementaren 
Gase  aus  mehreren  Atomen,  die  durch  irgend  welche  Kräfte  zusammen- 
gehalten werden,  und  sich  in  einer  gewissen  Entfernung  von  einander  be- 
finden. Dadurch  wird  bei  den  gegenseitigen  Stössen  nicht  nur  die  ge- 
radlinige Fortschreitung  der  Molekeln  beeinflusst,  sondern  es  treten  auch 
drehende  Bewegungen  der  Bestandteile  dieser  Molekeln  gegen  einander 
ein,  welche  einen  Teil  der  Energie  aufiiehmen,  ohne  dass  dieser  an  dem 
Betrage  des  Druckes  zur  Geltung  kommt.  Die  eben  berechnete  Wärme- 
kapazität ist  daher  nur  als  ein  kleinster  Wert  aufzufassen,  der  eintreten 
würde,  wenn  die  Molekeln  sich  wie  ausdehnungslose  Punkte  verhielten 
und  keine  Energie  der  drehenden  Bewegungen  enthalten  könnten;  anders 
beschaffene  Molekeln  müssen  eine  grössere  Wärmekapazität  zeigen,  und 


Die  Wärmeerscheinungen  der  Gase  und  der.  erste  Hauptsatz  etc.      95 

r«rax  eine  um  so  grössere,  je  zusammengesetzter  sie  sind.    Hiermit  stehen 
die  Zahlen  der  Tabelle  in  der  That  im  Einklänge. 

Ein  noch  weitergehender  Schluss  ist  von  Kundt  und  Warburg  (1876) 
gezogen  worden.  Bei  den  in  Dampfgestalt  bekannten  MetaUen  bestehen  die 
Molekeln  nach  der  Hypothese  von  Avogadro  (S.  67  und  72)  aus  einzelnen 
Atomen  und  bei  ihnen  ist  daher  der  Minimalwert  der  Wärmekapazität  zu 
erwarten.  Nun  ist  es  zwar  schwierig,  die  spezifische  Wärme  eines  Metall- 
dampfes unmittelbar  zu  messen,  da  schon  der  Siedepunkt  des  niedrigst 
siedenden  Metalles,  des  Quecksilbers,  bei  360^  liegt;  doch  genügt  es,  daa 
Verhältnis  der  beiden  spezifischen  Wärmen  zu  bestimmen.  Denn  da  der 
Unterschied  beider  Werte  gleich  R  ist,  so  lässt  sich  jeder  einzelne  Wert 
berechnen,  wenn  das  Verhältnis  der  beiden  gegeben  ist.  Zur  Bestimmung 
des  Verhältnisses  aber  kann  das  Verfahren  der  Schallgeschwindigkeit 
ohne  aUzugrosse  Mühe  benutzt  werden. 

Ist  nun  die  Molekularwärme  eines  solchen  Gases  bei  konstantem 
Volum  gleich  ^/^  R,  so  ist  die  bei  konstantem  Druck  um  R  grösser, 
also  VjK?  ^d  das  Verhältnis  beider  ^j^  =1.667,  Ein  solcher  Wert 
der  Verhältniszahl  k  ist  also  für  Quecksilberdampf  zu  erwarten. 

Der  Versuch  ergab  k=l-66,  entsprechend  den  Ei-wartungen. 

Durch  diesen  glänzenden  Erfolg  gelangte  die  kinetische  Hypothese  zu 
grossem  Ansehen,  so  dass  sie  auch  noch  heute  vielfach  als  eine  wissenschaft- 
liche Wahrheit,  und  nicht  als  das,  was  sie  ist,  eine  bildliche  Veranschau- 
lichung, angesehen  wird.  Es  ist  natürlich,  dass  ein  solches  Bild,  das  man 
den  erfahrungsmässigen  Thatsachen  entsprechend  gewählt  hat,  sich  zur  Dar- 
stellung dieser  Thatsachen  und  verwandter  als  brauchbar  erweist.  In  solchem 
Sinne  ist  ein  solches  Bild  sogar  ein  wertvolles  Hilfsmittel  der  Forschung,  in- 
dem es  auf  die  Möglichkeit  und  die  mutmassliche  Gestalt  weiterer  Beziehungen 
hinweist.  Aber  ebenso  natürlich  muss  es  einen  Punkt  geben,  von  dem  ab 
Bild  und  Wirklichkeit  auseinanderzugehen  beginnen,  und  dann  ist  es  meist 
eine  vergebliche  Verschwendung  von  Arbeit,  das  Bild  noch  weiter  benutzen 
zu  wollen  und  durch  willkürliche  Annahmen  ad  hoc  den  Schein  einer  weiteren 
Übereinstimmung  herzustellen.  Solche  Schwierigkeiten  sind  auch  in  diesem 
Falle  aufgetreten. 

Theoretische  Untersuchungen,  um  bei  zusammengesetzteren  Molekeln  die 
zur  intramolekularen  Arbeit  erforderliche  Energiemenge  zu  bestimmen,  sind 
Tielfach  angestellt  worden,  doch  ohne  erheblichen  Erfolg.  Auf  die  hier  ob- 
waltenden Verhältnisse  hat  nicht  nur  die  Zahl  der  Atome,  sondern  auch  ihre 
Beschaffenheit  einen  entscheidenden  Einfluss,  wie  daraus  hervorgeht,  dass  die 
Molekularwärmen  solcher  Gase,  welche  gleichviel  Atome  in  der  Molekel  ent- 
halten, verschieden  gefunden  worden  sind.  Diese  besondere  Beschaffenheit 
aber  hat  man  noch  nicht  zahlenmässig  auszudrücken  gewusst. 


96  m«  StöcMometrie  der  Flüssigkeiten r 

Drittes  Bnch. 

StöcMometrie  der  Flüssigkeiten. 

Erstes  Kapitel. 

Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Flüssigkeiten. 

Im  flüssigen  Aggregatzustande  haben  die  Stoffe  die  Fähigkeit  ver- 
loren, jeden  dargebotenen  Raum  gleichmässig  auszuitlllen.  Flüssigkeiten 
besitzen  im  Gegensatz  zu  den  Gasen  ein  bestimmtes  Volum,  das  zwar 
wie  dort  sich  durch  Druckänderungen  vergrössem  oder  verkleinem  lässt, 
jedoch  nur  in  verhältnismässig  sehr  geringem  Grade.  Mit  den  Gasen 
übereinstimmend  besitzen  die  Flüssigkeiten  keine  eigene  Gestalt,  sondern 
nehmen  jederzeit  eine  solche  an,  welche  der  Gesamtheit  der  auf  sie 
einwirkenden  Drucke  entspricht. 

In  Bezug  auf  den  Einfluss  des  Druckes  auf  das  Volum  zeigen  die  Flüssig- 
keiten nichts  mehr  von  der  Übereinstimmung,  welcher  wir  bei  Gasen  begegnet 
sind.  Die  Zusammendrückbarkeit,  gemessen  durch  die  Volumändening, 
welche  die  Einheit  des  Volums  durch  die  Einheit  der  Druckänderung 
erfährt,  ist  sehr  klein;  sie  beschränkt  sich  beim  Wasser  z.  B.  auf  etwa 
48  Milliontel  für  eine  Atmosphäre.  Bei  anderen  Flüssigkeiten  ist  sie 
meist  grösser  und  bei  allen  von  der  Temperatur  abhängig. 

Die  absolute  Bestimmung  dieser  Grösse  ist  schwierig  auszuführen, 
da  die  Volumänderung  der  Geiasse  schwer  in  Rechnung  zu  ziehen  ist. 
Leichter  gelingt  eine  relative  Bestimmung;  und  ist  von  einer  Flüssigkeit 
die  absolute  Kompressibilität  bekannt,  so  kann  durch  eine  Vergleichsbe- 
stimmung dieser  und  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  die  relative  Mes- 
sung leicht  in  eine  absolute  tibergefährt  werden.  Für  diesen  Zweck 
kann  die  Angabe  dienen,  dass  das  Quecksilber  sich  bei  0^  durch  den 
Druck  einer  Atmosphäre  um  0-000003198,  also  sehr  nahe  um  0-0000032 
seines  Volums  zusammendrücken  lässt.  Bestimmt  man  also  die  schein- 
bare Volumverminderung  des  Quecksilbers  in  einem  beliebigen  Gefäss 
durch  einen  bekannten  Druck,  so  ist  der  Unterschied  zwischen  dieser 
und  der  aus  der  wahren  Zusammendrückbarkeit  zu  berechnenden  gleich 
der  Volumänderung  des  Gefässes  für  diesen  Druck.  Ist  diese  bekannt, 
so  lässt  sich  aus  der  scheinbaren  Zusammendrückung  einer  anderen  Flüssig- 
keit in  demselben  Gefässe  ihre  wirkliche  und  damit  ihre  Zusammendrück- 
barkeit oder  ihr  Kompressionskoeffizient  ableiten. 

Auch  die  Ausdehnung  der  Flüssigkeiten  durch  die  Wärme  ist  von 
ihrer  Natur  in  hohem  Masse  abhängig,  und  hat  sich  noch  nicht  unter 
allgemeine  Gesichtspunkte  bringen  lassen.  Gewöhnlich  wird  der  Einfluss 
der  Temperatur  auf  das  Volum  durch  eine  Fonnel  von  der  Grestalt 
V= Vo  (1  +  at  +  bt*  -|-  <^*^  +  •  •  •)  klargestellt,  wo  V  das  Volum  bei  der 
Temperatur  t,  Vq  dasselbe  bei    0",    und    a,  b,  c, ...  Konstanten    sind. 


Die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Flüssigkeiten.  97 

Solche  Formeln  haben  keinerlei  theoretische  Bedeutung  und  dienen  nur 
dazu 7  die  Volume  für  zwischenliegende  Temperaturen  zu  berechnen,  ftir 
welche  kerne  unmittelbaren  Beobachtungen  vorliegen.  Dieselben  Dienste 
leisten  Kurven,  deren  Abscissen  Temperaturen  und  deren  Ordiuaten  die 
Volume  (oder  zweckmäBsiger  nur  die  Volumzunahme)  darstellen. 

Von  Mendelejew  ist  (1884)  eine  Formel  vorgeschlagen  worden,  welche  die 

Wärmeausdehnung  der  Flüssigkeiten  mit  ziemlicher  Genauigkeit  durch  eine 

Y 

einzige  Konstante  zu  kennzeichnen  gestattet.    Sie  hat  die  Gestalt  V  =»  ^j — ^ 

und  schliesst  sich  recht  gut  den  gemachten  Beobachtungen  an.  Indessen  sind 
Abweichungen  von  denselben  doch  meist  grösser,  als  die  Versuchsfehler  ge- 
statten, und  Mendelejew  will  seine  Formel  deshalb  als  ein  Grenzgesetz,  ähn- 
lich wie  die  Gasgesetze,  betrachtet  wissen,  dem  eine  ideale  Flüssigkeit 
genau  folgen  würde,  von  dem  aber  die  wirklichen  Flüssigkeiten  je  nach  Um- 
ständen mehr  oder  weniger  abweichen.  Untersuchungen  über  den  etwaigen 
Zusammenhang  der  Grösse  k,  des  „Ausdehnungsmodulus"  mit  der  Zusammen- 
setzung der  Flüssigkeiten  sind  noch  nicht  angestellt  worden. 

Eine  ganz  besondere  Stellung  in  Bezug  auf  die  Wärmeausdehnung 
nimmt  das  Wasser  ein,  welches,  wi6  Rumford  (1802)  zuerst  gezeigt  hat, 
bei  der  Erwärmung  von  0*^  aufwärts  sich  zuerst  zusammenzieht,  bis  es 
bei  4**  sein  kleinstes  Volum  erreicht  hat;  darüber  hinaus  dehnt  es  sich 
wie  alle  Flüssigkeiten  aus,  und  zwar  für  gleiche  Temperaturerhöhungen 
um  so  mehr,  je  wärmer  es  bereits  ist.  Bis  100'^  beti-ägt  die  Ausdeh- 
nung etwa  4  Pi'ozent  des  Volums  bei  0®,  wovon  1  Prozent  bis  50'* 
und  die  übrigen  3  Prozent  zwischen  50®  und  100^  zu  stände  kommen. 

Da  die  Flüssigkeiten  gegen  äusseren  Druck  und  Wärme  sich  unter- 
emander  verschieden  verhalten,  so  ist  zu  schliessen,  dass  ihr  Volum  nicht 
durch  allgemeine,  von  ihrer  chemischen  Natur  unabhängige  Verhältnisse 
bedingt  ist,  wie  bei  Gasen,  sondern  durch  ihre  besondere  Beschaffenlieit. 
Das  Volum  der  Flüssigkeiten  ist  keine  kolligative  Eigenschaft,  wie  bei 
Gasen.  Wir  werden  später  sehen,  dass  es  wesentlich  additiven  Cha- 
rakters ist. 

Eine  den  Flüssigkeiten  eigentümliche  Erscheinung,  die  bei  Gasen 
nicht  vorhanden  ist,  besteht  in  der  Ent Wickelung  einer  Oberfläche  bei 
ihnen.  Mit  solch  einer  Oberfläche  grenzt  sich  eine  Flüssigkeit  selbstthätig 
ab,  wenn  ilir  ein  Kaum  dargeboten  wird,  der  grösser  ist  als  der,  den  sie 
unter  den  vorhandenen  Umständen  für  sich  einnimmt. 

Die  Gestalt  dieser  Oberfläche  erscheint  gewöhnlich  als  eine  Ebene; 
indessen  ist  dies  nur  die  Folge  der  Wirkung  der  Schwere,  unter  der 
die  Flüssigkeiten  gewöhnlich  stehen.  Schliesst  man  diesen  Einfluss  aus, 
80  macht  sich  eine  Wirkung  geltend,  vermöge  deren  sich  die  Oberfläche 
möglichst  zu  verkleinem  strebt.  Es  ist  somit  Arbeit  erforderlich,  die 
Oberfläche  zu  erzeugen  oder  zu  vergrössem;  durch  ihre  Verkleinerung 
kann    umgekehrt   Arbeit    gewonnen    werden.      Daraus   folgt,    dass    die 

Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl.  7 


98  III«  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Oberfläche  der  Flüssigkeiten  der  Sitz  einer  Energie  ist,  deren  Vorhanden- 
sein durch  sie  bedingt  ist,  nnd  deren  Betrag  sich  mit  ihi'er  Grösse  ändert 
Man  nennt  diese  Energieart  Oberflächenenergie.  Sie  lässt  sich  als 
eine  für  den  Fltissigkeitszustand  charakteristische  Energieart  ansehen,  wie 
die  Volnmenergie  flir  die  Gase  sich  als  die  wichtigste  Form  herausge- 
stellt hat.  Auch  bestehen  hier,  wie  später  gezeigt  werden  wird,  beztig- 
Uch  allgemeiner  Gesetze  ganz  bestimmte  Analogien. 


Zweites  Kapitel. 

Verdampfting  und  VerfLüssigong. 

Die  Existenz  einer  Flüssigkeit  ist,  allgemein  gesprochen,  daran  ge- 
bunden, dass  sie  mindestens  unter  einem  bestimmten  Drucke  steht,  der 
von  der  Temperatur  und  von  ihrer  Beschaffenheit  abhängt.  Steht  sie 
unter  einem  höheren  Druck,  so  verhält  sie  sich,  wie  eben  beschrieben, 
d.  h.  sie  ändert  ihr  Volum  nur  wenig,  wenn  man  den  Druck  auch  er- 
heblich steigert. 

Vermindert  man  den  Druck,  so  giebt  es  einen  Punkt,  wo  eine  neue 
Erscheinung  auftritt.  Die  Flüssi^eit  scheidet  einen  Stoff  aus,  der  die 
Eigenschaften  eines  Gases  hat,  und  versucht  man  weiter  durch  Ver- 
grösserung  des  Volums  den  Druck  zu  vermindern,  so  erweist  sich  dies 
als  nicht  möglich.  So  lange  die  Temperatur  dieselbe  bleibt,  bleibt  nun- 
mehr auch  der  Druck  unverändert,  und  die  ganze  Wirkung  besteht  da- 
rin, dass  sich  zunehmend  mehr  von  dem  gasförmigen  Stoffe  bildet,  und 
dass  die  Menge  der  Flüssigkeit  sich  in  gleichem  Masse  verringert.  Die 
Flüssigkeit  verwandelt  sich  also  in  diesen  gasförmigen  Stoff;  man  nennt 
ihn  den  Dampf  der  Flüssigkeit. 

Setzt  man  die  Volumvergrösserung  bei  konstanter  Temperatur  fort, 
so  geht  schliesslich  alle  Flüssigkeit  in  Dampf  über.  Ist  dies  geschehen, 
so  tritt  wieder  eine  gegenseitige  Abhängigkeit  von  Druck  und  Volum 
ein,  und  zwar  besteht  nun  zwischen  beiden  die  Beziehung  pv  =  const., 
wie  wir  sie  von  den  Gasen  her  kennen. 

Vermindert  man  umgekehrt  das  Volum  des  Dampfes,  so  nimmt 
erst  der  Druck  gemäss  dem  Boyleschen  Gesetz  (meist  unter  einiger  Ab- 
weichung, vergl.  S.  55)  zu;  dann  tritt  bei  einem  bestimmten  Drucke 
Verflüssigung  ein,  und  nun  bewirkt  eine  Verminderung  des  Volums  nur 
eine  fortschreitende  Umwandlung  von  Dampf  in  Flüssigkeit,  ohne  dass 
sich  der  Druck  dabei  ändert;  erst  nachdem  aller  Dampf  verflüssigt  worden 
ist,  treten  die  gewöhnlichen  Eigenschaften  der  Flüssigkeit  wieder  ein. 

Dieser  Druck,  welcher  unabhängig  von  der  Menge  Dampf  und 
Flüssigkeit  ist,   die   nebeneinander  bestehen,  ist  indessen  mit  der  Tem- 


! 

\  Verdampfung  und  Verflüssigung.  99 

! 

i 

peratur  in  hohem  Masse  veränderlich,  und  zwar  besteht  ohne  Ausnahme 
das  Gesetz,  dass  dieser  Druck,  den  wir  den  Dampfdruck  der  Flüssig- 
keit nennen  wollen,  mit  steigender  Temperatur  zunimmt. 

Man  wird  also  im  allgemeinen  zu  erwarten  haben,  dass  jedes  Gaa 
durch  geeignete  Erhöhung  des  Druckes  und  Erniedrigung  der  Tempe- 
ratur in  eine  Flüssigkeit  verwandelt  werden  kann.  Diese  Erwartung 
darf  heute  als  allseitig  bestätigt  angesehen  werden,  nachdem  in  der 
neuesten  Zeit  durch  Dewar  (1898)  auch  die  bis  dahin  widerstandsfähigsten 
Gase  WasserstoflF  und  Heüum  im  Zustande  statischer  Flüssigkeiten  er- 
halten worden  sind. 

Der  erste  Forscher,  welcher  in  umfänglicher  Weise  sich  mit  der  Aufgabe 
beschäftigte,  die  als  Gase  bekannten  Stoffe  in  den  flüssigen  Zustand  überzu- 
führen, war  Faraday  (1823).  Er  verflüssigte  Kohlendioxyd,  Schwefelwasser- 
stoff, Chlorwasserstoff,  Schwefeldioxyd,  Cyan,  Ammoniak  und  Chlor,  indem  er 
sie  unter  starkem  Druck  niedrigen  Temperaturen  aussetzte.  Später  lehrte 
Thilorier  (1835)  das  Kohlendioxyd  in  grossem  Massstabe  verflüssigen,  so  dass 
man  sich  des  flüssigen,  oder  noch  bequemer  des  festen,  mit  Äther  vermischten 
Kohlendioxyd  zur  Erzeugung  sehr  niedriger -Temperaturen,  bis  — 100",  bedienen 
konnte.  Faraday  benutzte  später  (1845)  dies  Mittel,  und  erhielt  Jodwasser- 
stoff, Brom  Wasserstoff,  Schwefeldioxyd,  Schwefelwasserstoff,  Stickstoffoxydul, 
Cyan  und  Ammoniak  sowohl  flüssig  wie  fest,  während  Chlorwasserstoff,  Arsen- 
wasserstoff, Äthylen,  Siliciumfluorid,  Borfluorid  und  Chlor  nur  als  Flüssigkeiten 
auftraten.  Wasserstoff,  Sauerstoff,  Stickstoff,  Stickoxyd,  Kohlenoxyd  und 
Leuchtgas  gaben  hingegen  kein  Anzeichen  von  Verflüssigung  zu  erkennen. 

Nachdem  inzwischen  entdeckt  w^orden  war  (s.  w.  u.),  dass  möglichst 
niedrige  Temperaturen  für  die  Verflüssigung  wesentlich  sind,  war  auch  der 
Weg  gezeigt,  die  noch  widerstehenden  Gase  zu  verflüssigen.  Pictet  (1877)  er- 
zeugte sehr  niedrige  Temperaturen,  indem  er  flüssiges  Kohlendioxyd  durch 
flüssiges  Schwefeldioxyd,  welches  im  leeren  Räume  siedete,  stark  vorkühlte, 
und  dann  seinerseits  im  Vakuum  zum  Verdampfen  brachte.  Sauerstoff,  welcher 
in  einer  dickwandigen  schmiedeeisernen  Retorte  durch  Erhitzung  von  Kalium- 
chlorat  erzeugt  und  durch  eigenen  Druck  auf  einige  hundert  Atmosphären 
zusammengepresst  wurde,  ging  bei  der  so  erhaltenen  Temperatur  ( — 140°)  in 
den  flüssigen  Zustand  über. 

Cailletet  verflüssigte  gleichzeitig  (1877)  die  „permanenten"  Gase,  indem 

er  zur  Abkühlung  derselben  den  Arbeitsverbrauch  benutzte,  welchen  sie  bei 

plötzlicher  Ausdehnung  beanspruchen.     Um  die  entsprechenden  Temperatur- 

j  änderungen  zu  berechnen,  gehen  wir  von  der  oben  (S.  92)  mitgeteilten  Gleichung 

für  die  adiabatische  Zustands&nderung 

k~i  k-i 
Pi ^±x 

k-i  k-i 

P2  Ta 

aus.  Setzt  man  für  Luft  k=l'41,  so  folgt  für  verschiedene  Anfangsdrucke 
folgende  Tabelle,  wenn  man  voraussetzt,  dass  die  Anfangstemperatur  0°  und 
der  schliessliche  Druck  1  Atmosphäre  ist. 

7* 


715 

201.5« 

58-5 

—  214.5« 

520 

221-0  <> 

47-9 

—  2251 « 

44-8 

—  228.2  ° 

100  III.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Temperatur 
Druck  in  Atmosphären  ^^^^^^^  Centesimalgrade 

100 

200 

300 

400 

500 

Es  sind  also  sehr  tiefe  Temperaturen,  welche  sich  bei  etwas  stärkeren  An- 
fangsdrucken  berechnen  Allerdings  werden  dieselben  nie  ganz  erreicht,  da 
alsbald  die  Gasmenge,  die  wegen  der  hohen  Drucke  nur  klein  genommen 
werden  kann,  durch  die  Wände  erwärmt  wird.  Die  Verflüssigung  macht  sich 
unter  diesen  Umständen  nur  als  Nebel  geltend,  welcher  im  Augenblick  der 
Druckaufhebung  entsteht,  und  in  wenigen  Augenblicken  verschwindet. 

In  neuerer  Zeit  ist  durch  Linde  (1Ö95)  ein  Verfahren  erfunden  worden, 
um  atmosphärische  Luft  durch  einen  stetigen  Vorgang  in  den  flüssigen  Zu- 
stand zu  versetztti  und  beliebige  Mengen  davon  herzustellen.  Es  beruht  auf 
der  Erscheinung,  dass  vermöge  des  unvollkommenen  Gaszustandes  bei  der  Aus- 
dehnung der  Luft  auch  ohne  Arbeitsleistung  (z.  B.  durch  ein  Drosselventil) 
eine  Abkühlung  erfolgt.  Diese  ist  zwar  zunächst  klein;  ^lan  benutzt  sie  aber, 
um  die  weiter  hinzutretenden  Luftmengen  vorzukühlen,  wodurch  deren  Tem- 
peratur beim  Durchgang  durch  das  Ventil  noch  tiefer  sinkt.  Die  Abkühlung 
steigert  sich  auf  diese  Weise  mit  jedem  weiteren  Durchgange  der  Luft  und 
wird  nach  einiger  Zeit  so  bedeutend,  dass  sich  die  Luft  verflüssigt.  Eine  Be- 
förderung erfährt  der  Vorgang  dadurch,  dass  die  Abweichung  von  den  Gas- 
gesetzen, und  damit  die  Abkühlung  beim  Durchgang  durch  das  Ventil  um  so 
grösser  wird,  je  niedriger  die  Temperatur  geworden  ist. 

Die  Temperatur  der  unter  Luftdruck  siedenden  flüssigen  Luft  ist  je 
nach  dem  Gehalt  an  Sauerstoff  etwas  verschieden,  um  — 180®.  Durch 
Siedenlassen  unter  der  Luftpumpe  kann  man  sie  weiter  erniedrigen.  Bei 
diesen  Temperaturen  werden  fast  alle  Gase  flüssig  oder  fest,  und  fast  alle 
Flüssigkeiten  gehen  in  feste,  krystallinische  oder  amorphe  Körper  über. 

Vergleichen  wir  das  Verhalten  eines  Gases  oder  einer  Flüssigkeit  allein 
mit  dem  des  Gebildes  aus  Dampf  und  Flüssigkeit,  so  finden  wir  einen 
wesentlichen  Unterachied.  Wenn  eine  gegebene  Gasmenge  eine  bestimmte 
Temperatur  hatte,  so  war  dadurch  ihr  Druck  noch  keineswegs  bestimmt; 
er  konnte  vielmehr  jeden  beliebigen  Wert  haben,  wenn  man  das  Volum 
passend  wählte.  War  aber  noch  eine  dieser  beiden  Grössen  bestimmt, 
so  war  die  dritte  gegeben;  ein  vorgeschriebener  Druck  konnte  bei  vor- 
geschriebener Temperatur  nm^  bei  einem  ganz  bestimmten  Volum  er- 
reicht werden,  oder  umgekehrt.  Der  Zustand  eines  Gases  ist  daher  durch 
zwei  Veränderliche  vollständig  bestimmt  oder,  wie  man  sich  auch  aus- 
drücken kann:  eine  gegebene  Gasmenge  hat  zwei  Freiheitsgrade.  Ein 
Gebilde  aus  Flüssigkeit  und  Dampf  hat  dagegen  nur  einen  Freiheitsgi*ad: 
ist  die  Temperatur  frei  gewählt,  so  ist  dadurch  der  Dnick  bestimmt, 
und  umgekehrt. 


Verdampfung  und  Verflüssigung.  101 

Dies  rührt  daher,  dass  ein  solches  Gebilde  aus  zwei  verschiedenen 
Anteilen  besteht,  in  denen  zwar  gleicher  Druck  und  gleiche  Temperatur 
herrscht,  deren  Dichten  und  sonstige  Eigenschaften  aber  verschieden  sind. 
Solche  verschiedene,  durch  physische  Trennungsflächen  gegeneinander 
abgegrenzte  Teile  eines  Gebildes  nennt  man  seine  Phasen.  Innerhalb 
jeder  Phase  suid  alle  Eigenschaften  konstant,  und  ein  jeder  Teil  einer 
Phase  ist  von  jedem  anderen  nur  durch  seine  Menge  verschieden;  von 
einer  Phase  zur  anderen,  wenn  sie  auch  nebeneinander  bestehen  können, 
haben  die  Eigenschaften  andere  Werte. 

Es  besteht  nun  das  allgemeine  Gesetz,  dass  ein  Gebilde  um  so 
weniger  Freiheiten  hat,  je  mehr  Phasen  in  ihm  auftreten,  und  zwar  geht 
für  jede  neue  Phase  ein  Freiheitsgrad  verloren.  Die  Gebilde  aus  ein- 
heitlichen Stoßen,  die  zunächst  betrachtet  werden  sollen,  ergeben  als 
konstante  Summe  der  Phasen  und  der  Freiheiten  drei.  In  einem  Gase 
oder  in  einer  Flüssigkeit  allein  ist  nur  eine  Phase  vorhanden:  folglich 
sind  noch  zwei  Freiheitsgrade  gegeben,  entsprechend  dem  eben  gesagten. 
Tritt  aber  eine  zweite  Phase  auf,  wie  in  dem  Gebilde  aus  Flüssigkeit 
und  Dampf,  so  geht  ein  Freiheitsgrad  verloren,  und  es  bleibt  nur  einer 
erhalten. 

Diese  Betrachtungsweise  erscheint  zunächst  nur  wie  eine  etwas  umständ- 
lichere Umschreibung  wohlbekannter  Thatsachen.  Dies  ist  ganz  richtig;  doch 
ergiebt  sie  für  die  Untersuchung  verwickelterer  Gebilde  so  erhebliche  Vor- 
teile, dass  es  zweckmässig  erscheint,  sie  schon  auf  diese  einfachen  Fälle  anzu- 
wenden, um  eine  genügende  Vertrautheit  mit  diesen  Begriffen  für  die  Be- 
handlung schwierigerer  zu  erreichen.  Alsdann  wird  auch  der  allgemeine  Aus- 
spruch des  Gesetzes  mitgeteilt  werden,  dessen  Formulierung  von  W.  Gibbs 
;1876)  herrührt. 

Aus  dem  bekannten  Verhalten  der  in  Berührung  mit  der  Flüssigkeit 
stehenden,  oder  wie  man  sie  auch  nennt,  der  gesättigten  Dämpfe  er- 
giebt sich  als  notwendig,  dass  weder  die  absoluten,  noch  die  relativen 
Mengen,  in  denen  die  beiden  Phasen  anw'esend  sind,  einen  Einfluss  auf 
den  Druck  haben.  Dies  ist  gleichfalls  ein  besonderer  Fall  eines  allge- 
meinen Gesetzes:  Auf  das  Gleichgewicht  zwischen  zwei  belie- 
bigen Phasen  haben  die  Mengen,  in  denen  sie  anwesend  sind, 
keinen  Einfluss.  Auch  von  diesem  Gesetz  wird  in  der  Folge  sehr 
häufig  Anwendung  zu  machen  sein. 

Sind  die  Mengen  einer  Phase  sehr  klein,  so  tritt  allerdings  ein  Einfluss 
auf,  der  unterhalb  einer  gewissen  Grenze  merklich  wird.  Dies  rührt  daher, 
dass  alsdann  die  Oberflächenenergie  beginnt  für  den  Zustand  mitbestimmend 
zu  werden.  Bei  Gelegenheit  des  entsprechenden  Kapitels  wird  hierauf  einge- 
gangen werden. 

Das  Gleichgewicht  zwischen  Flüssigkeit  und  Dampf  wird  also  im 
allgemeinen  durch  eine  Formel  von  der  Gestalt  p  =  f(T)  dargestellt,  wo 
f(T)  eine  vorläufig  unbekannte  Funktion  der  Temperatur  ist,  von  der  man 


102  ni.  Stöchiometrie  der  Flüasigkeiten. 

dem  oben  ausgesprochenen  Gesetz  gemäss  weiss,  dass  sie  gleichzdtig 
mit  der  Temperatur  zunimmt.  Im  übrigen  wird  sie  sowohl  von  der  Be- 
schaffenheit des  Dampfes  wie  von  der  der  Flüssigkeit  abhängen ,  und 
die  Eigenschaften  beider  zum  Ausdruck  bringen. 

Die  Beziehung  zwischen  Druck  und  Temperatur  beim  Gleichgewicht 
zwischen  Flüssigkeit  und  Dampf  wird  experimentell  auf  zwei  Wegen  be- 
stimmt. Entweder  sucht  man  die  Drucke,  welche  sich  herstellen,  wenn 
man  einen  mit  Flüssigkeit  und  Dampf  erfüllten  Raum  auf  die  gewünschte 
Temperatur  bringt,  oder  man  bestimmt  die  Temperatur,  bei  welcher 
unter  dem  eingehaltenen  Dinicke  sich  Dampf  neben  der  Flüssigkeit 
bilden  kann.  Das  erste  Verfahren  wird  das  statische  genannt  ^  es  ist 
früher  fast  ausschliesslich  benutzt  worden,  hat  sich  aber  als  das  weniger 
genaue  erwiesen.  Das  zweite  wud  gewöhnlich  so  ausgeführt,  dass  man 
die  Flüssigkeit  unter  dem  fraghchen  Drucke  sieden,  d.  h.  Dampfblasen 
entwickeln  lässt,  indem  man  gleichzeitig  von  aussen  die  erforderliche 
Wärme  zuführt;  es  heisst  das  dynamische  und  wird  gegenwärtig  fast 
allein  zu  genauen  Messungen  benutzt.  Die  zu  einem  bestimmten 
Drucke  gehörige  Temperatur  heisst  der  Siedepunkt  der  Flüssigkeit  für 
den  bestimmten  Dnick;  der  Druck,  der  sich  bei  einer  bestimmten  Tempe- 
ratur einstellt,  heisst  der  Dampfdruck  der  Flüssigkeit  bei  jener  Temperatur. 

Man  findet  statt  des  Namens  Dampfdruck  häufig  Dampfspannung  oder 
gar  Dampftension  im  Gebrauch.  Es  ist  sehr  zu  wünschen,  dass  hier  eine 
grössere  Bestimmtheit  Platz  greift.  In  diesem  Buche  werden  Spannungen  nur 
die  Wirkungen  genannt  werden,  welche  in  Oberflächen  auftreten,  und  die 
Kapillarerscheinungen  verursachen ;  ihre  Dimension  ist  Energie/Fläche.  Drucke 
haben  dagegen  die  Dimension  Energie /Volum,  während  die  Dimension  der 
Kräfte  Energie /Strecke  ist. 

Was  nun  den  Ausdruck  der  Beziehungen  zwischen  Dampfdnick 
und  Siedetemperatur  anlangt,  so  liegen  hier  zwei  verschiedene  Aufgaben 
vor.  Man  kann  erstens  nach  einem  allgemeinen  Gesetz  fragen,  dm*cli 
welches  an  die  Stelle  der  unbekannten  Funktion  f(T)  ein  bestimmter 
Ausdruck  tritt.  Zweitens  wäre  es  denkbai-,  dass,  wenn  ein  solcher  all- 
gemeiner Ausdruck  nicht  gefunden  werden  sollte,  doch  zwischen  den  zu 
zwei  verschiedenen  Flüssigkeiten  gehörigen  Funktionen  f,  (T)  und  fj  (T) 
eine  einfache  Beziehung  gefunden  werden  könnte,  welche  gestattete,  aus 
der  empirischen  Kenntnis  der  einen  die  andere  zahlenmässig  abzuleiten. 
Es  soll  schon  hier  hervorgehoben  werden,  dass  weder  die  eine,  noch  die 
andere  Aufgabe  bisher  als  allgemein  gelöst  bezeichnet  werden  kann. 

Was  die  Frage  nach  einer  allgemeinen  Dampfdruckformel  anlangt, 
durch  welche  der  Verlauf  der  Funktion  f(T)  angegeben  wüi'de,  so  ist 
bekannt,  dass  diese  in  grossen  Zügen  einer  Exponentialfunktion  ähnlich 
ist,  so  dass  der  Logarithmus  des  Druckes  der  Temperatur  annähernd  pro- 
portional wächst.  Doch  gilt  dies  nur  in  gi^ober  Annäherung,  denn  ftlr 
gleichbleibende  Unterschiede  der  Temperaturen  sind  die  Differenzen  dieser 


Verdampfung  und  Verflüssigung.  103 

Logaiithmen  nicht  konstant,  sondern  nehmen  langsam  mit  steigender 
Temperatur  ab.  Das  Gesetz  dieser  Abnahme  hat  sich  noch  nicht  in 
eine  einfache  Gestalt  bringen  lassen. 

Eine  für  rechnerische  Zwecke  brauchbare  Interpolationsformel  ist  von 

Bertrand  (1887)  angegeben  worden.  Sie  hat  die  Gestalt  p  =«  G  I — = — 1  ,wo 
G  und  A  zwei  Konstanten  sind. 

Die  Frage,  warum  eine  so  allgemeine  Erscheinung,  wie  die  Dampf- 
bildung, nicht  auf  eine  einfache  Formel  hat  gebracht  werden  können,  da  doch 
z.  B.  die  Eigenschaften  der  Gase  eine  solche  Formulierung  gestattet  haben, 
ist  dahin  zu  beantworten,  dass  beim  Dampfdruck  es  sich  um  das  Gleichge- 
wicht zwischen  Flüssigkeit  und  Dampf  handelt.  Wenn  auch  für  den  letzteren, 
wenigstens  solange  seine  Dichte  noch  nicht  bedeutend  ist,  einfache  Verhältnisse 
bekannt  sind,  so  wissen  wir  doch  umgekehrt,  dass  sich  die  Flüssigkeiten  indi- 
viduell verhalten.  Im  Dampfdrucke  kommen  die  Eigenschaften  beider  Phasen 
zur  Geltung,  und  daher  ist  zwar  wegen  der  Verhältnisse  der  Dämpfe  eine  An- 
näherung an  einfache  Beziehungen  vorhanden,  diese  wird  aber  durch  den 
individuellen  Einfluss  der  Flüssigkeitsphase  verwischt.  Aus  diesem  Grunde  ist 
denn  auch  gerade  der  Dampfdruck  ein  gutes  Mittel,  um  über  den  Einfluss 
der  Temperatur  auf  die  Eigenschaften  einer  Flüssigkeit  Auskunft  zu  erhalten, 
und  den  Weg  zu  ihrer  allgemeineren  Behandlung  zu  bahnen. 

Etwas  erfolgreicher  sind  die  Versuche  gewesen,  unter  Verzicht  auf 
eine  allgemeine  Formel  die  Dampfdrucke  der  Flüssigkeiten  aufeinander 
zu  beziehen,  so  dass  man  aus  der  Kenntnis  des  Verlaufes  der  Dampf- 
druckfiinktion  einer  Flüssigkeit  die  Dampfdrücke  anderer  ableiten 
kann,  nachdem  man  einen  oder  einige  Dampfdrucke  an  letzteren  be- 
stimmt hat. 

Der  erste  Versuch  rührt  von  Dalton  (1801)  her;  Dalton  stellte  die 
Regel  auf,  dass  Flüssigkeiten  von  verschiedenen  Siedepunkten  bei  solchen 
Temperaturen  gleichen  Dampfdruck  zeigen,  welche  um  gleich  viel  Grade  von 
ihren  Siedepunkten  abliegen.  So  siedet  Wasser  bei  100®,  Äther  bei  35", 
d.  h.  sie  haben  bei  diesen  Temperaturen  beide  einen  Dampfdruck  von  76  cm. 
Bei  80*^,  also  20°  unter  dem  Siedepunkt,  hat  Wasser  den  Druck  von  35-5  cm; 
Äther  hat  bei  der  entsprechenden  Temperatur  von  15°  den  Druck  354  cm. 
Die  Zahlen  stimmen  vortrefflich,  und  Dalton  hatte  sein  „Gesetz"  in  der 
That  auch  aus  dem  Vergleich  von  Äther  und  Wasser  abgeleitet.  Alkohol 
dagegen,  der  bei  78°  siedet,  hat  bei  58°  einen  Druck  von  33  cm,  also 
einen  erheblich  zu  kleinen,  und  das  gleiche  trifft  für  die  meisten  anderen 
Stoffe  zu. 

Viel  besser  stimmt  mit  der  Erfahrung  eine  dem  Daltonschen  „Gesetz" 
nachgebildete  Kegel  von  Dühring.  Sie  kommt  darauf  hinaus,  dass  zu  der 
Daltonschen  Formel  noch  ein  von  der  Natur  der  Flüssigkeit  abhängiger  Faktor 
kommt.  Wenn  man  von  Temperaturen  gleichen  Druckes  zu  anderen  Tempe- 
raturen gleichen  Druckes  übergeht,  sind  nicht  (nach  Dalton)  die  Temperatur- 


104  ni.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

unterschiede  gleich,  wohl  aber  untereinander  proportional.  Das  Daltonsche 
„Gesetz"  würde,  mit  anderen  Worten,  gültig  sein,  wenn  man  für  jede  Flüssig- 
keit eine  besondere  Temperaturskala  benutzte,  die  der  Centesimalskala  pro- 
portional wäre.  Die  Formel  von  Dühring  lautet,  wenn  man  als  Vergleichs- 
flüssigkeit Wasser  einführt: 

t'  =  ö-  +  q  (t  —  100). 

Hier  ist  100    die    Siedetemperatur   des  Wassers    und  d-  die    des    Stoffes   bei 

Kormaldruck  (76  cm),  t  und  t'  sind  die  Siedepunkte  beider  bei  irgend  einem 

anderen  Drucke;  q  endlich  ist   ein  Faktor,  welcher  je  nach  der  Natur  der 

Flüssigkeit  zwischen  0-5  bis  2'3   schwankt.     Um  q  zu  berechnen,  hat  man 

t'  —  ^ 
einfach    q  =  — — — r— ,  d.  h.  man  dividiert  die  Unterschiede  der  zu  zwei  ver- 

schiedenen  Drucken  gehörigen  beiderseitigen  Siedetemperaturen. 

Eine  andere  Formel,  die  gleichfalls  eine  gute  Annäherung  gewährt^ 
die  um  so  grösser  ist,  je  näher  die  verglichenen  Stoffe  miteinander  ver- 
wandt sind,  besteht  in  der  Annahme,  dass  die  in  absoluter  Zählung  ge- 
rechneten Siedetemperaturen  für  gleichen  Druck  einander  proportional 
sind.  Es  ist  also  T^  /T^  =  const.,  wenn  man  mit  T^  und  T^  die  Siede- 
punkte zweier  Stoffe  bei  gleichem  Druck  bezeichnet.  Ramsay  und 
Young  (1886)  haben  u.  a.  gezeigt,  dass  sich  diese  Beziehung  an  den 
Halogenabkömmlingen  des  Benzols  sowie  an  einer  gi'össeren  Anzahl  ver- 
schiedener Fettsäureester  bewährt.  In  solchen  Fällen,  wo  sie  nicht  gilt, 
kann  man  sie  durch  die  etwas  verwiekeltere  Formel 

t;/t',=tjt,  +  c(t\-Ti) 

eraetzen,  welche  in  die  erstgenannte  einfache  übergeht,  wenn  c  =  0 
wird.  Hier  bezeichnen  die  gestrichelten  Temperaturen  die  Siedepunkte 
bei  einem  anderen  Druck,  der  wieder  für  beide  Stoffe  gleich  ist. 

Durch  den  Mangel  allgemeiner  Gesetze  auf  diesem  Gebiete  ist  da- 
her die  Chemie  auf  die  Zusammenstellung  begrenzter  Zahlenbeziehungen 
angewiesen.  Solche  sind  zuerst  von  H.  Kopp  (1842)  ausgesprochen 
worden,  in  der  Form,  dass  bei  analogen  Stoffen  gleichen  Unter- 
schieden der  chemischen  Zusammensetzung  organischer  Ver- 
bindungen gleiche  Unterschiede  der  Siedepunkte  entsprechen 
So  siedet  z.  B.  jeder  Äthylester  einer  Säure  um  durchschnittlich  19^ 
höher,  als  ihr  Methylester,  und  die  Säure  selbst  um  45"  höher,  als  ihr 
Äthylester,  etc. 

Diese  Bemerkung  hatte  alsbald  grosses  Interesse  erregt  und  eine  er- 
hebliche Anzahl  von  Versuchen  veranlasst,  statt  der  von  Kopp  mit  sach- 
gemässer  Zurückhaltung  aufgestellten  engeren  Beziehungen  allgemeine  Gesetze 
aufzustellen.  Diese  Versuche  sind  sämtlich  gescheitert,  und  haben  scheitern 
müssen,  weil  die  Autoren  derselben  die  Siedepunkte  als  an  und  für  sich  ver- 
gleichbare Grössen  betrachteten,  ohne  sich  zu  fragen,  ob  nicht  statt  der  Tem- 
peraturen gleicher  Dampf  drucke  nicht  etwa  die  Temperaturen  verschiedener. 


Verdampfung  und  Verflüssigung.  105 

von  der  Natur  der  untersuchten  Stoffe  abhängiger  Dampfdrucke  zu  vergleichen 
seien.  Denn  es  verschiebt  sich  das  Bild  der  für  einen  bestimmten  Druck  he- 
obachteten  Siedepunkte  alsbald,  so  wie  man  auf  irgend  einen  anderen  Druck 
übergeht. 

So  ist  denn  auch  die  spätere  Forschung  nicht  erheblich  über  den 
von  Kopp  aufgestellten  allgemeinen  Satz  hinausgekommen;  vielmehr  hat 
seine  Geltung  erhebhch  eingeschränkt  werden  müssen.  Nach  dem  Satze 
ßiüssten  metamere  Stoffe  gleichen  Siedepunkt  haben;  dies  trifft  nicht 
genau  zu.  Insbesondere  hat  sich  ergeben,  dass  die  zur  Zeit,  wo  Kopp 
seinen  Satz  aufstellte,  noch  nicht  bekannten  Konstitutionsverschieden- 
heiten isomerer  Stoffe  von  gleicher  chemischer  Funktion,  wie  sie  bei 
primären,  sekundären  und  tertiären  Alkoholen  und  Säuren,  den  soge- 
nannten Stellungsisomeren  unter  den  Benzolabkömmlingen  u.  s.  w.  sich 
zeigen,  jedesmal  Verschiedenheiten  der  Siedepunkte  bedingen.  Zwar 
sind  auch  hier  die  Verschiedenheiten  gesetzmässiger  Natur,  indem  im 
allgemeinen  primäre  Alkohole  höher  sieden,  als  sekundäre,  und  diese 
höher,  als  die  tertiären,  oder  in  der  anderen  Gruppe  die  Paraver- 
bindungen  höher  zu  sieden  pflegen,  als  die  Ortho-  und  Meta Verbin- 
dungen. Doch  sind  derartige  Regelmässigkeiten  noch  zu  beschränkten 
Charakters  und  nicht  frei  von  Ausnahmen,  so  dass  ihre  Andeutung  hier 
gentigen  muss. 

Wären  die  von  Kopp  an  einem  beschränkten  Gebiete  ähnhcher  Ver- 
bmdungen  beobachteten  Beziehungen  allgemein  gültig,  so  wäre  der  Siede- 
punkt der  chemischen  Verbindungen  eine  additive  Eigenschaft  (S.  47); 
denn  wenn  gleichen  Unterschieden  der  Zusammensetzung  gleiche  Unter- 
schiede des  Siedepunkts  entsprechen,  so  lässt  sich  dieser  als  die  Summe 
von  Zahlen  darstellen,  welche  nur  von  der  Art  und  dem  Verhältnis  der 
Elemente  dieser  Verbindungen  abhängen.  So  verhalten  sich  die  Siede- 
I  punkte  nun  nicht;  vielmehr  sind  weder  ihre  Unterschiede  fiir  gleiche 
Unterschiede  der  Zusammensetzung  genau  gleich,  noch  haben  gleich  zu- 
sammengesetzte Stoffe  gleiche  Siedepunkte.  Es  macht  sich  somit  noch  ein 
anderer  Einfluss  geltend,  der  auch  bei  gleich  zusammengesetzten  Stoffen 
verschieden  ist. 

Die  Chemie  besitzt  fiir  die  Thatsache,  dass  es  Stoffe  von  gleicher 
Zusammensetzung  aber  verschiedenen  Eigenschaften  giebt,  den  Ausdruck, 
dass  deren  Konstitution  verschieden  sei.  Gewöhnlich  veranschaulicht 
man  sich  diese  Verschiedenheit  durch  verschiedene  Anordnung  der  Atome, 
'  aus  denen  sich  der  Stoff  aufbaut.  Da  aber  diese  Vorstellung  hypothe- 
tisch ist,  so  muss  man  nach  einem  hypothesenfreien  Begriff  fragen,  der 
die  Thatsache  ausdrückt.  Diesen  findet  man  in  dem  Umstände,  dass 
olme  Ausnahme  solche  gleich  zusammengesetzten  Stoffe  von  verschiedenen 
Eigenschaften  einen  nach  Art  und  Menge  verschiedenen  Energieinhalt 
besitzen,  und  sich  deshalb  in  verschiedener  Weise  verhalten,  wenn  sie 
(mit  oder  ohne  Mitwirkung  anderer  Stoffe)  irgend  welche  Umwandlungen 
erfahren.     Man  verbindet  daher  am   besten  mit  dem  Begriffe  der  Kon- 


106  I^I-  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

8titution  den  des  Energieinhaltes;  daneben  kann  man  zur  kurzen  Dar- 
stellung der  chemischen  Beziehungen  noch  von  der  sehr  ausgebildeten 
Formelsprache  Gebrauch  machen,  in  der  die  heutige  Chemie  diese  ver- 
sinnlicht;  denn  die  Bedeutung  der  Struktur-  und  räumlichen  Formehi 
ist  keine  andere,  als  dass  sie  zur  übersichtlichen  Darstellung  chemischer 
Umwandlungen  und  Reaktionen  dienen. 

Benutzt  man  in  diesem  Sinne  das  Wort  Konstitution,  so  wird  man 
solche  Eigenschaften,  die  von  dieser  abhängen,  also  bei  gleich  zusammen- 
gesetzten Stoffen  verschieden  sein  können,  konstitutive  Eigenschaften 
nennen.  Wie  an  dem  vorliegenden  Falle  ersichtlich  ist,  verbinden  sich 
additive  und  konstitutive  Eigenschaften  miteinander,  so  dass  bei  sich 
chemisch  ähnlich  verhaltenden  Stoffen  die  Werte  der  Eigenschaft;  additive 
Beschaffenheit  annehmen,  welche  verschwindet,  wenn  man  femer  stehende 
Stoffe  vergleicht.  Ein  besonderer  Fall  dieses  Gesetzes  ist,  dass  die 
Eigenschaften  gleich  zusammengesetzter  oder  isomerer  Stoffe  sich  um 
80  näher  stehen,  je  ähnlicher  ihre  Konstitution  ist.  Es  gehen  mit  anderen 
Worten  die  Zahlenwerte  der  physikalischen  Eigenschaften  der  Stoffe  mit 
ihren  chemischen  Beziehungen  parallel. 

Wiewohl  für  solche  chemische  Ähnlichkeit  noch  kein  zahlenmässiger 
Ausdruck  gefunden  ist,  so  hat  doch  dieser  Satz  trotz  seiner  unbestimmten  Fas- 
sung viele  und  nützliche  Anwendung  gefunden.  Insbesondere  liefert  er  in 
zweifelhaften  Fällen  ein  Hilfsmittel  für  die  Ermittelung  der  chemischen  Ähn- 
lichkeit, und  nach  dieser  Seite  ist  die  Stöchiometrie  der  konstitutiven  Eigen- 
schaften (deren  es  eine  grosse  Anzahl  giebt)  besonders  wichtig  geworden. 

Um  aus  dem  vorliegenden  Gebiete  einige  Beispiele  zu  geben,  so 
sind  die  Siedepunkte  der  isomeren  Fettsäureester  nicht  gleich:  sie  stehen 
sich  aber  nahe,  und  um  so  näher,  je  weniger  die  Zusammensetzung  der 
vorhandenen  Säm'en,  bez.  Alkyle  verschieden  ist.  Die  mit  diesen  Estern 
isomeren  fi*eien  Fettsäuren  sieden  viel  höher,  doch  bestehen  zwischen 
ihren  Siedepunkten  wieder  ähnüche  Verwandtsdiaflsbeziehungen.  Aus  der 
nachstehenden  Tabelle  gehen  diese  Verhältnisse  hervor. 

Isomere  Ester  G^Hi^^O«  Isomere  Säuren  C^H^OO'* 

n-Buttersäure-Metiiylester  102-3®        n-Valeriansäure                 186-4® 

i-Buttersäure-Metiiylester  92-3®        i-Valeriausäure                   176-3® 

Propionsäure-Äthylester  98-8®         Trimethylessigsäure           163-8® 

Essigsäure-n-Propylester  lOO-S®        Äthylmethylessigsäure       177-0® 

Essigsäure-i-Propylester  91-0® 

Ameisensäure-n-Butylester  106-9® 

Ameisensäure-i-Butylester  97-9® 


Die  kritischen  Erscheinungen.  107 

Drittes  Kapitel. 

Die  kritischen  Erscheinungen. 

Der  mit  einer  Flüssigkeit  im  Gleichgewicht  stehende  Dampf  erfahrt 
einen  doppelten  Einfluss,  wenn  man  die  Temperatur  erhöht  Einmal 
würde  er,  wenn  sein  Druck  unverändert  bliebe,  durch  die  höhere  Tem- 
peratur ausgedehnt  werden.  Andererseits  nimmt  aber  der  Druck  zu, 
und  der  Dampf  wird  dichter.  Erfahrungsmässig  tiberwiegt  der  zweite 
Einfluss  immer  bedeutend  den  ersten,  so  dass  die  Zunahme  der  Dichte 
des  gesättigten  Dampfes  mit  steigender  Temperatur  eine  regelmässige 
Erscheinung  ist,  von  der  keine  Ausnalime  je  beobachtet  wurde. 

Denkt  man  sich  nun  die  Temperatur  mehr  und  mehr  gesteigert,  so 
muss  die  Dichte  des  Dampfes  der  der  Rüssigkeit  immer  näher  kommen, 
und  sie  schliesslich  erreichen.  Es  zeigt  sich,  dass  mit  dem  Gleichwerden 
der  Dichte  auch  das  Gleichwerden  aller  anderen  Eigenschaften  verbunden 
ist,  so  dass  an  dieser  Stelle  Dampf  und  Flüssigkeit  identisch  werden. 
Eine  Flüssigkeit,  die  in  einem  gegebenen  Räume  bis  zu  diesem  Punkte 
neben  ihrem  Dampfe  unterscheidbar  und  durch  eine  Fläche  getrennt  be- 
stand, wird  von  diesem  Punkte  ab  den  Raum  gleichförmig  ausfüllen  und 
keine  Trennungsfläche  mehr  erkennen  lassen.  Diese  Erscheinung  ist  von 
Cagniard-Latour  (1822)  zuerat  beobachtet  worden. 

Umgekehrt  müsste  man  schliessen,  dass  man  ein  Gas  nur  genügend 
zusammenzudrücken  brauchte,  um  es  in  eine  Flüssigkeit  zu  verwandeln. 
Doch  konnte  Natterer  (1848)  trotz  sehr  grosser  Drucke  die  Verflüssigung 
von  Sauerstofl^,  Stickstoff  und  Wasserstoff"  nicht  erreichen,  wenn  auch 
eine  Anzahl  anderer  Gase  durch  die  Anwendung  hohen  Druckes  und 
starker  Kälte  von  Faraday  (1823   und   1845)  verflüssigt  worden  war. 

Diesen  Widerspruch  klärte  erst  Andrews  (1869)  auf,  indem  er 
nachwies,  dass  die  Verflüssigung  eines  Gases  nicht  Sache  des  Druckes 
allein  ist,  sondern  in  entscheidender  Weise  von  der  Temperatur  mit  ab- 
längt. Er  machte  seine  Beobachtungen  am  Kohlendioxyd,  und  sie  sollen 
daher  auch  an  diesem  Beispiele  geschildert  werden. 

Wird  dies  Gas  bei  Zimmertemperatur,  also  etwa  18*^,  einem  steigen- 
den Drucke  unterworfen,  so  vermindert  sich  sein  Volum  anfangs  dem 
Boyleschen  Gesetze  gemäss,  und  dann  schneller.  Bei  60  Atmosphären 
scheidet  sich  Flüssigkeit  aus,  und  die  weitere  Volumverminderung  erfolgt 
ohne  Druckzunahme,  bis  alles  Gas  flüssig  geworden  ist.  Dies  ist  das 
gewöhnliche  Verhalten  eines  Dampfes. 

Wiederholt  man  aber  den  Versuch  oberhalb  31®,  so  kann  man 
keine  Verflüssigung  erzielen,  so  hoch  man  den  Druck  auch  steigert.  Der 
Inhalt  der  Röhre,  in  der  man  den  Versuch  anstellt,  bleibt  immer  gleich- 
förmig. Bei  eingehenderer  Untersuchung  erweist  sich  die  Temperatur 
von  31«1®  als  die  Grenze  zwischen  diesen  beiden  Möglichkeiten:   unter- 


108 


III.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 


halb  31-1®  kann  man  Kohlendioxyd  durch  Druck  zu  einer  Flüssigkeh 
verdichten,  oberhalb  31.1®  nicht.  Man  könnte  also  diese  Temperatur 
als  die  Grenze  des  flüssigen  Zustandes  bei  diesem  Gase  ansehen. 

Indessen  sind  die  Verhältnisse  doch  etwas  verwickelter.  Der  höchste 
Druck,  durch  den  Kohlendioxyd  verflüssigt  wird,  tritt  bei  31»  1®  ein  und 
beträgt  75  Atmosphären.  Wir  unterwerfen  das  Gas  bei  einer  über  31^ 
liegenden  Temperatur  einem  grösseren  Drucke,  z.  B.  von  80  Atmosphären, 
und  kühlen   es   dann   ab,    indem   wir  den  Druck  unverändert  erhalten. 

Ist  die  Temperatur  untei 
31®  gesunken,  so  heben  wii 
den  Druck  auf:  es  zeigt 
sich,  dass  wir  Flüssigkeil 
vor  uns  haben,  denn  dei 
Inhalt  des  Rohres  siedet  aui 
und  verwandelt  sich  teilweise 
in  Dampf. 

Es  ist  also  möglich,  von 
einem  Gase  auszugehen,  und 
etf  in  eine  Flüssigkeit  zu  ver- 
wandeln, ohne  dass  jemals 
Heterogenität  eintritt 

Ebenso  ist  der  umge- 
kehi-te  Vorgang  möglich.  Wii 
nehmen  Kohlendioxyd  untei 
31**  und  verflüssigen  es 
durch  Druck.  Die  Flüssigkeil 
drücken  wir  weiter,  bis  über 
80  Atmosphären,  und  erwär- 
men sie,  indem  der  Druck 
unverändert  gehalten  wii-d. 
Dann  lässt  sich  in  keinem 
Augenblicke,  insbesondere 
auch  nicht  beim  Durch- 
schreiten der  Temperatur 
3 1  **  ein  Verdampfen  beobach- 
ten; der  Inhalt  der  Röhre  bleibt  immer  gleichförmig.  Wird  nun  bei 
4u^  z.  B.  der  Druck  wieder  vermindert,  so  erweist  sich  der  Inhalt  als 
gasförmig,  denn  man  kann  bis  auf  Atmosphärendruck  herabgehen,  ohne 
dass  man   irgend  eine  Siedeerscheinung  wahrnimmt. 

Die  Zustände  des  Gases  und  der  Flüssigkeit  hängen  also  auf  stetige 
Weise  zusammen,  und  die  gewöhnlich  beobachtete  Unstetigkeit  dieses 
Überganges  ist  nur  eine  Folge  des  Weges,  auf  dem  er  gewöhnlich  vor- 
genommen wird. 

Die  Gesamtheit  der  Verhältnisse  lässt  sich  übersehen,  wenn  man  die 
zusammengehörigen  Dinicke  und  Volume  bei   konstanter  Temperatur  in 


Fig.  8. 


Die  kritischen  Erscheinungen.  109 

einem  Koordinatensystem  darstellt,  Fig.  8,  wo  die  Drucke  in  Atmo- 
sphären nach  oben,  die  Volume  in  willkürlicher  Elinheit  nach  rechts 
eingetragen  sind. 

Die  Linien  konstanter  Temperatur  oder  Isothermen  eines  vollkommenen 
Gases  sind  unter  diesen  Umständen  durch  Hyperbeln,  entsprechend 
der  Formel  pv  =  const.  dargestellt.  Die  flir  die  Luft  geltenden 
Unien  weichen  nicht  viel  von  diesen  ab,  und  sind  rechts  oben  für  eine 
Anzahl  Temperaturen  verzeichnet.  Für  Kohlendioxyd  haben  wir  zu 
Oberst  die  Isotherme  für  48'1",  die  sich  in  ihrem  Verlaufe  diesen  Linien 
anschliesst;  nur  ist  wegen  der  Abweichung  von  den  Gasgesetzen  das 
Produkt  pv  kleiner,  als  bei  Luft,  und  deshalb  liegt  die  Linie  niedriger. 
Die  Isotherjne  ftir  35-5°  liegt  noch  niedriger,  und  zeigt  eine  auftällige 
Ausbiegung  bei  85  Atmosphären,  d.  h.  die  Zusammendrückbarkeit  ist 
bei  höheren  Drucken  gering,  und  nimmt  dort  plötzlich  grosse  Werte  an. 
Noch  auftauender  ist  diese  Ausweichung  bei  der  Isotherme  für  32*5^; 
bei  der  für  31-1®  endlich  ist  sie  so  gross,  dass  die  Linie  einen  Augen- 
blick bei  75  Atmosphären  horizontal  läuft,  und  dort  die  Zusammendrück- 
barkeit ausserordentlich  gross  ist,  indem  einer  geringen  Dnickverminderung 
eine  sehr  bedeutende  Volumzunahme  entspricht. 

Ein  wesentlich  anderes  Bild  zeigt  die  Isotherme  ftir  21-1^.  Hier 
ist  die  Linie  nicht  mehr  stetig,  sondern  setzt  sich  aus  drei  Stücken  zu- 
sammen, die  unter  Winkeln  aneinander  stossen.  Beginnt  man  bei 
grossen  Volumen  und  kleinen  Drucken  rechts  unten,  so  haben  wir  zu- 
erst einen  Teil,  der  dem  gasförmigen  Kohlendioxyd  angehört.  Bei 
emem  Drucke  von  etwas  über  60  Atmosphären  entsteht  ein  Winkel, 
und  die  Linie  verläutt  als  horizontale  Gerade.  Es  ist  dies  der  Punkt, 
wo  sich  die  Flüssigkeit  auszuscheiden  beginnt;  der  Druck  ist  dort  von 
dem  Volum  unabhängig.  Dies  dauert  so  lange,  bis  alles  Gas  flüssig 
geworden  ist;  dann  üitt  ein  neuer  Knick  auf,  und  der  Druck  nimmt 
sehr  schnell  zu,  wenn  sich  das  Volum  nur  um  ein  Geringes  vermin- 
dern soll. 

Die  Isotherme  für  13-1®  zeigt  ganz  ähnliche  Erscheinungen,  nur 
dass  die  Flüssigkeit  bei  grösserem  Volum  und  kleinerem  Druck  zu  er- 
scheinen beginnt  und  der  Dampf  bei  kleinerem  Volum  verschwindet. 

Verbindet  man  die  Knickpunkte  durch  eine  Linie,  die  in  der  Fig.  8 
punktiert  gezeichnet  ist,  so  liegen  alle  Zustände,  in  denen  Flüssigkeit 
neben  Dampf  vorhanden  ist,  oder  alle  Zustände  mit  zwei  Phasen  innerhalb 
dieser  punktierten  Linie;  die  einphasigen  Zustände  dagegen  ausserhalb. 
Jede  ununterbrochene  Linie,  die  wir  in  der  Zeichenebene  ziehen,  stellt  eine 
zusammenhängende  Reihe  von  Zuständen  dar,  deren  Volume  und  Drucke  aus 
den  Koordinaten  unmittelbai*  abgelesen  werden  können;  die  Temperaturen 
ergeben  sich  aus  den  Isothermen,  welche  geschnitten  werden.  Jede  Linie 
nun,  die  so  gezogen  wird,  dass  das  zweiphasige  Gebiet  vermieden  wird, 
stellt  eine  Reihe  von  Zuständen  dar,  bei  denen  der  Stoff  homogen  bleibt. 


110  ni.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Nun  sind  die  Zustände  am  rechten  unteren  Rande  der  Zeichnung  jeden- 
falls gasförmige;  solche  am  unteren  linken  Rande  jedenfalls  flüssige.  Man 
kann  also  vom  Gase  zur  Flüssigkeit  und  umgekehrt  gelangen^  ohne  dass 
der  Zustand  jemals  unstetig  wird,  oder  dass  zwei  Phasen  auftreten,  wenn 
man  nur  die  Drucke  und  Volume  vermeidet,  die  durch  die  punktierte 
Linie  eingeschlossen  sind.  Dies  ist  der  Sinn  des  Satzes  von  dem  stetigen 
Zusammenhange  des  flüssigen  Aggregatzustandes  mit  dem   gasförmigen. 

In  dem  mit  K  bezeichneten  Punkte  liegt  der  höchste  Druck  und 
die  höchste  Temperatur  vor,  bei  welchem  eine  Flüssigkeit  unterscheidbar 
neben  ihrem  Dampfe  bestehen  kann.  Der  Punkt  heisst  der  kritische, 
und  demgemäÄsdie  zugehörigen  Werte  die  kritische  Temperatur  und  der 
kritische  Druck.  Durch  den  Punkt  ist  ferner  ein  Volum  gekennzeichnet, 
dem  eine  bestimmte  Dichte  entspricht.  Diese  heisst  die  kritische  Dichte, 
und  das  zugehörige  Volum  das  kritische  Volum.  Man  kann  das  letztere 
entweder  wie  gewöhnlich  auf  ein  Gramm  des  StoflFes  beziehen,  oder 
man  bezieht  es  rationeller  auf  ein  Mol  5  der  letztere  Wert  mag  daa 
kritische  Molekularvolum  heissen. 

Die  experimentelle  Bestimmung  der  kritischen  Grössen  ist  gegenwärtig 
an  sich  keine  schwierige  A.rbeit,  soweit  nicht  durch  die  Zersetzlichkeit  der 
Stoffe  bei  den  meist  hohen  Temperaturen  besondere  Schwierigkeiten  entstehen. 
Am  leichtesten  lässt  sich  die  kritische  Temperatur  bestimmen.  Man  schliesst 
zu  diesem  Zweck  den  Stoff  in  eine  Glasröhre  ein,  die  er  etwas  mehr  als  zur 
Hälfte  ausfüllt.  Das  Rohr  wird  zugeschmolzen  und  langsam  erhitzt,  bis  man 
an  einer  charakteristischen  Nebelerscheinung  das  Eintreten  des  kritischen 
Zustandes  erkennt;  noch  leichter  lässt  sich  dieser  beim  Abkühlen  erkennen, 
und  durch  Wiederholung  des  Versuches  gelangt  man  bald  zu  guten  Werten. 

Man  könnte  gegen  dies  Verfahren  den  Einwand  erheben,  dass  die  kritische 
Temperatur  genau  erst  eintritt,  wenn  man  gerade  das  kritische  Volum  ge- 
troffen hat.  Doch  sieht  man  aus  der  Fig.  8,  dass  eine  grosse  Änderung  des 
Volums  nur  einen  kleinen  Einfluss  auf  den  kritischen  Punkt  hat,  da  gerade 
an  dieser  Stelle  die  Isothermen  alle  fast  parallel  der  Volumachse  verlaufen. 

Um  den  kritischen  Druck  zu  bestimmen,  schliesst  man  die  Flüssigkeit 
in  eine  längere  Röhre,  die  mit  einem  Kompressionsapparat  und  einem  Mano- 
meter verbunden  ist,  und  erwärmt  die  Röhre  an  ihrem  oberen  Ende  über  die 
kritische  Temperatur,  während  man  den  Druck  unter  dem  kritischen  hält. 
Dann  bildet  sich  eine  Trennungsfläche  zwischen  Flüssigkeit  und  Dampf  aus. 
Man  steigert  den  Druck,  bis  diese  eben  verschwindet;  das  Manometer  zeigt 
dann  den  kritischen  Druck  an. 

Das  kritische  Volum  ist  am  schwierigsten  zu  bestimmen.  Man  benutzt 
dazu  ein  von  Mathias  (1892)  gefundenes  Gesetz.  Zeichnet  man  in  ein 
Koordinatensystem  die  Temperaturen  und  die  Dichten  des  Stoffes  im  flüssigen 
und  gasförmigen  Zustande,  so  erhält  man  für  jede  Temperatur  zwei  Punkte, 
die  sich  um  so  näher  rücken,  je  höher  die  Temperatur  wird,  und  die  im 
kritischen  Punkte  zusammenfallen.    Die  Gesamtheit  dieser  Punkte  erscheint 


Die  kritischen  Erscheinungen. 


111 


wie  in  Fig.  9  als  eine  parabelartige  Kurve.  Diese  hat  die  Eigenschaft,  dass 
die  Mitten  zwischen  den  beiden  Dichtewerten  für  die  verschiedenen  Tempe- 
raturen alle  in  einer  Geraden  mimjing  liegen.  Man  hat  also  nur  für  einige 
Temperaturen  die  beiden  Dichten  zu  bestimmen,  um  die  Richtung  der  Ge- 
raden festzulegen,  und  dann  ihren  Durchschnitt  mit  der  Ordinate  der  kritischen 
Temperatur  zu  bestimmen. 

Die  Werte  der  kritischen  Grössen  sind  nicht  flii-  sehr  viele  Stoffe 
bekannt  Allgemein  lässt  sich  angeben,  dass  die  kritischen  Temperaturen 
sich  über  das  ganze  Gebiet  verbreiten,  in  welchem  Temperaturen  über- 
haupt gemessen  werden  können.  Sie  liegen  rund  um  die  Hälfte  höher 
als  die  Siedetemperaturen  unter  Atmosphärendruck  nach  absoluter  Zählung, 
doch  gilt  die  Regel  nur 
als  Annäherung.  Über  ihren 
Zusammenhang    mit    der 

chemischen  Zusammen- 
setzung lässt  sich  sagen, 
dass  die  im  Anschluss  an 
den  Satz  von,  Kopp  ent- 
wickelten Beziehungen  der 
gewöhnlichen  Siedepunkte  ^ 
sich  annähernd  auch  bei 
den  kritischen  Tempera- 
turen wiederfinden.  Die 
früher  gehegte  Hoffnung, 
dass  die  letzteren  genauer 

den  additiven  Gesetzen 
folgen  würden,  hat  sich 
nicht  bestätigt;  vielmehr 
scheinen  die  kritischen  Temperaturen,  die  in  viel  höherem  Masse  als  ver- 
gleichbare Grössen  angesehen  werden  können  als  die  gewöhnlichen  Siede- 
punkte, den  Einfluss  der  Konstitutionsverschiedenheiten  deutücher  zu 
zeigen  als  diese. 

Die  kritischen  Drucke  sind  viel  weniger  untereinander  verschieden, 
als  die  Temperaturen,  denn  sie  bewegen  sich  meist  zwischen  den  Grenzen 
von  30  bis  80  Atmosphären.  Bei  nahe  verwandten  Stoffen  sind  sie  fast 
gleich,  was  im  Hinblick  auf  spätere  Betrachtungen  besonders  hervorge- 
hoben sei. 

Die  kritischen  Volume  endlich  sind  den  Volumen  bei  den  Siede- 
temperaturen der  betreffenden  Stoffe  angenähert  proportional.  Auch  diese 
Bemerkung  ftihrt  zu  weiterer  Verwendung. 

Einige  Angaben  über  die  kritischen  Grössen  wichtiger  Stoffe  finden 
sich  in  der  nachstehenden  Tabelle. 


Fig.  9. 


112 


III.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 


Kritische  Grösse 

n. 

^ 

n 

<P 

(in  Centesimal- 

(in  Atmo- 

(in com  für 

graden) 

sphären] 

1  Mol) 

Aceton 

2375 

60-0 

— 

Acetylen 

371 

680 

Äthan 

350 

45-2 

— 

Äthylalkohol 

2436 

628 

160 

Äthyläther 

1944 

356 

301 

Äthylen 

101 

51-0 

127 

Aldehyd 

182.0 

Ammoniak 

130-0 

1150 

Benzol 

288-5 

479 

220 

Brom 

302-2 

— 

135 

Chlor 

141-0 

83-9 

— 

Chlorkohlenstoff 

283-2 

450 

— 

Chloroform 

2600 

550 

Chlorwasserstoff 

523 

86-0 

— 

Essigsäure 

3215 

570 

147 

Kohlenoxyd 

1395 

35-5 

Kohlensäure 

311 

73-0 

147 

Methylalkohol 

2400 

78-5 

— 

Methan 

95-5 

500 

— 

Pentan 

197-2 

330 

Sauerstoff 

—  1 18-0 

50-0 

— 

Schwefelkohlenstoff 

2777 

78-1 

215 

Schwefelwasserstoff 

1002 

92-0 

— 

Schwefelige  Säure 

155-4 

78-9 

116 

Stickoxyd 

—    935 

712 

— 

Stickoxydul 

36-4 

731 

107 

Stickstoff 

146-0 

33-0 

Wasser 

3650 

2000 

420 

Wasserstoff 

2345 

20-0 

Viertes  Kapitel. 

Überschreitungserscheinungen  und  die  Theorie  von 

van  der  Waals. 

Wenn  man  einen  Dampf  zusammendrückt^  bis  er  auf  den  Sättigungs- 
punkt gekommen  ist,  so  tritt  Verflüssigung  nicht  mit  Notwendigkeit  ein. 
Vielmehr  kann  man  Zustände  herstellen,  in  denen  der  Dampf  untei 
höherem  Drucke,  als  dem  der  Sättigung  steht,  und  doch  die  Eigenschaften 
seines  Zustandes  beibehält. 


Überschreitungserscheinungen  und  die  Theorie  von  van  der  Waals.   113 


d. 


Das  gleiche  gilt  ftlr  die  Flüssigkeit  Es  ist  möglich,  eine  Flüssig- 
keit unter  einem  Druck  zu  erhalten,  welcher  unterhalb  ihres  Dampf- 
druckes bei  der  herrschenden  Temperatur  liegt. 

Beide  Möglichkeiten  hören  auf,  wenn  man  die  andere  Phase  zu- 
gegen sein  lässt;  ein  Dampf  lässt  sich  bei  Gegenwart  von  Flüssigkeit 
nicht  unter  einen  höheren  Druck  versetzen,  als  dem  Gleichgewicht  ent- 
spricht, und  ebenso  verwandelt  sich  eine  unter  geringerem  als  dem 
Dampfdrucke  stehende  Flüssigkeit  sofort  teilweise  in  Dampf,  so  wie  ein 
kleines  Dampfbläschen  mit  ihr  in  Berührung  kommt. 

Um  die  erste  Erscheinung  zu  beobachten,  verdünnt  man  in  einer  etwas 
Wasser  enthaltenden  grossen  Flasche  die  Luft  plötzlich  durch  Saugen.  Ist 
die  Flasche  kurz  vorher  offen  gewesen,  so  zeigt  sich  dabei  sofort  ein  Nebel, 
indem  durch  die  Ausdehnung  der  Luft 
deren  Temperatur  sinkt,  wodurch  der  Sät- 
tigungsdruck des  vorhandenen  Wasser- 
dampfes  unterschritten  wird  und  Ver- 
flüssigung erfolgt.  Als  „Keime**  dienen 
j  die  in  der  Luft  schwebenden  Stäubchen, 
die  mit   Feuchtigkeit   gesättigt  sind,  und  M-^ 

deshalb  wie  Flüssigkeitstropfen  wirken.  Hat 
man  aber  die  Flasche  über  Nacht  ruhig 
stehen  gelassen,  so  erscheint  bei  nicht  über- 
mässiger Ausdehnung  der  Luft  kein  Nebel, 
obwohl  die  Abkühlung  die  gleiche  ist;  der 
Wasserdampf  kann  also  unter  Umständen 
bestehen,  wo  seine  Dichte  grösser  ist,  als 
dem  Gleichgewicht  mit  flüssigem  Wasser 
entspricht.     Dies  rührt  daher,   dass  in  der  ^^S-  1^« 

Ruhe  sich  die  Nebelkeime  gesenkt  oder  an 

den  nassen  Wänden  der  Flasche  gefangen  haben.  An  den  letzteren,  sowie 
an  der  freien  Wasserfläche  findet  natürlich  Verflüssigung  statt;  wegen  der  lang- 
samen Diffusion  in  Gasen  bleibt  aber  die  Hauptmenge  lange  „übersättigt^^ 

Bei  verhältnismässig  starker  Abkühlung  erscheint  auch  in  staubfreier 
Luft  Nebel. 

Dass  Flüssigkeiten  unter  Drucken  nicht  verdampfen,  die  weit  unter  ihren 
Dampfdrucken  liegen,  zeigt  sich  in  den  Erscheinungen  der  „Überhitzung". 
In  sorgfältig  gereinigten  Gefässen  kann  man  Wasser  um  viele  Grade  über  den 
Siedepunkt  erwärmen,  und  in  einem  gut  ausgekochten  Barometer  sinkt  das 
Quecksilber  nicht  auf  seinen  normalen  Stand,  sondern  füllt  die  ganze 
Röhre  aus,  wenn  diese  auch  ein  Meter  oder  mehr  zu  hoch  ist.  Ist  aber  erst 
einmal  das  Quecksilber  gesunken,  wobei  eine  sehr  kleine  Menge  Gas  abge- 
schieden ist,  so  gelingt  der  Versuch  nicht  mehr,  wenn  das  Bläschen  nicht  durch 
erneutes  Auskochen  beseitigt  wird. 

Es  ist  also  durch  die  Knickstellen  in  den  Isothermen  der  Fig.  8 
kein    Ende  des   flüssigen^    bez.    gasförmigen   Zustandes    gegeben;    diese 

Ostwald,  Grundriss.  3. Aufl.  3 


O 


114  in.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

können  vielmehr  über  diese  Punkte  hinaus  fortbestehen,  und  zwar,  wie 
die  Beobachtung  gelehrt  hat,  in  stetiger  Fortsetzung  der  Isotherme. 

Die  Isothermen  werden  somit  die  Gestalt  haben,  wie  sie  in  Fig.  10 
angedeutet  ist.  Gehen  wir  vom  Gaszustande  a  aus,  so  endet  dieser 
nicht  an  dem  Punkte  b,  wo  die  Dampfdrucklinie  bd  beginnt,  sondern 
sie  lässt  sich  über  b  hinaus  stetig,  etwa  nach  ß  fortsetzen.  Ebenso 
endet  die  Flüssigkeitsisotherme  nicht  in  d,  bei  dem  Dampfdrucke  der 
Flüssigkeit,  sondern  man  kann  sie  ein  Stück  in  der  Richtung  d/  in  das 
Gebiet  kleinerer  Drucke  beobachten.  Es  ist  deshalb  von  J.  Thomson 
(1872)  die  Vermutung  ausgesprochen  worden,  dass  die  Isothermen  nicht 
nur  oberhalb,  sondern  auch  unterhalb  des  kritischen  Punktes  stetig  zu- 
sammenhängen, und  daher  die  Form  abj^c/de  haben. 

Von  dieser  stetigen  Isotherme  lassen  sich  die  Teile  hß  und  ^y 
wenigstens  teilweise  beobachten;  von  dem  hypothetischen  Teile  ßcy  wird 
man  aber  sagen  müssen,  dass  er  sich  nie  als  dauernde  Erscheinung  wird 
erhalten  lassen.  Denn  während  in  den  Teilen  Siß  und  ey  ein  wirklicher 
Ruhezustand  möglich  ist,  indem  bei  zunehmendem  Druck  sich  das  Volum 
verkleinert,  also  sich  so  ändert,  dass  der  Druck  verringert  wird,  so 
müsste  im  Teil  ßcy  das  Gegenteil  stattfinden:  mit  steigendem  Druck 
würde  das  Volum  w^achsen  und  die  Drucksteigerung  unbegrenzt  weiter 
vermehren,  und  ebenso  würde  mit  abnehmendem  Druck  audi  das  Volum 
abnehmen  und  die  Druckverminderung  nicht  begrenzen,  sondern  steigern. 
Die  durch  den  Teil  ßcy  gekennzeichneten  Zustände  würden  daher,  wenn 
sie  auch  herstellbar  wären,  sich  labil  im  Sinne  der  Mechanik  verhalten, 
d.  h.  sie  würden  bei  der  geringsten  Zustandsänderung  ihr  Gleichgewicht 
verlieren,  und  unaufhaltsam  in  einen  entfernten  Zustand  übergehen. 

Im  Gegensatz  dazu  sind  die  Zustände  ab  und  de  stabil  und  haben 
die  Eigenschaft,  sich  selbstthätig  wieder  mehr  oder  weniger  vollständig 
herzustellen,  wenn  sie  gestört  werden. 

Die  Zustände  hß  und  äy  sind  zwar  stabil  gegen  Änderungen  des 
DiTickes  und  Volums,  solange  diese  sie  nicht  in  das  labile  Gebiet  hinüber 
führen.  Sie  sind  aber  nicht  stabil  gegen  die  Berühnmg  mit  der  anderen 
Phase,  sondern  erleiden  dadurch  gleichfalls  endliche  Zustandsänderungen, 
die  sie  nach  der  Linie  dcb  führen.  Wegen  dieser  Mittelstellung  sollen 
solche  Zustände  metastabil  genannt  werden. 

Die  hier  geschilderten  Erscheinungen  sind  nicht  auf  die  Zustandsänderung^ 
Flüssigkeit:  Dampf  beschränkt,  sondern  treten  allgemein  auf,  wo  es  sich  um 
die  Übergänge  zwischen  zwei  Phasen  und  die  Gleichgewichte  dabei  handelt. 
Es  wird  daher  auch  später  oft  von  labilen,  stabilen  und  metastabilen  Zu- 
ständen die  Rede  sein,  wobei  der  Übergang  aus  dem  stabilen  Gebiete  in  das 
metastabile  durch  die  charakteristische  Eigenschaft  der  Überschreitungser- 
scheinungen, die  Empfindlichkeit  gegen  Spuren  der  anderen  Phase,  gekenn- 
zeichnet ist. 


Überschreitungserscheinungen  und  die  Theorie  von  van  der  Waals.   I15 

Eine  Theorie,  welche  diese  und  andere  Thatsachen  in  einen  be- 
merkenswerten Zusammenhang  bringt,  ist  von  van  der  Waals  im  An- 
schluss  an  die  früher  (S.  57)  angedeuteten  Betrachtungen  entwickelt 
worden  (1881).  Es  wurde  erwähnt,  dass  ausser  dem  ^inkompressiblen 
Volum '^  noch  ein  anderer  Umstand  das  Volum  der  Gase  so  beeinflusst, 
dass  bei  mittleren  Drucken  das  Volum  kleiner  wird,  als  es  nach  dem 
Boyleschen  Gesetze  sein  sollte.  Aus  der  Betrachtung  der  Fig.  5,  S.  58 
ergiebt  sich,  dass  dort,  wo  diese  Beeinflussung  am  deutlichsten  hervor- 
tritt, auch  das  Gas  in  den  flüssigen  Zustand  übergeht.  Van  der  WaaJs 
hat  dies  als  eine  Wirkung  einer  gegenseitigen  Anziehung  der  Molekeln 
aufgefasst,  welche  unter  geeigneten  Verhältnissen  bis  zur  Verflüssigung 
führt.  Man  kann  das  Thatsächliche  beibehalteu,  ohne  sich  der  hypo- 
thetischen Sprache  zu  bedienen,  indem  man  die  innere  ^Energie  des  Gases, 
die  bei  einem  vollkommenen  Gas  vom  Volum  unabhängig  ist,  bei  dem 
unvollkommenen  als  vom  Volum  abhängig  ansetzt.  Diese  Abhängigkeit 
zeigt  sich  darin,  dass  das  Volum  nicht  mehr  allein  durch  den  von  aussen 
bewirkten  Druck  bestimmt  vdrd,  sondern  dass  sich  diesem  ein  „innerer 
Druck"  hinzufugt,  der  mit  abnehmendem  Volum  zunimmt.  Die  Funktion 
;  dieses  Einflusses  ist  von  van  der  Waals  auf  Grund  schwieriger  und  nicht 
i  unbestrittener  Betrachtungen  abgeleitet  worden.  Wir  können  uns  mit 
der  Thatsache  begnügen,  dass  die  auf  diese  Weise  geftindene  Funktion 
jdie  wirklichen  Verhältnisse  mit  bemerkenswerter  Annäherung  darzustellen 
vermag,  ohne  uns  auf  diese  Ableitung  einzulassen. 

Van  der  Waals  setzt  den  inneren  Druck  umgekehrt  proportional  dem 
Quadrate  des  Volums,  so  dass  der  Druck,  welcher  das  Volum  des  Gases  that- 
sächlich  bestimmt,  die  Summe  des  äusseren  Druckes  p  und  des  inneren  a/v* 
ist.  Unter  gleichzeitiger  Berücksichtigung  des  „inkompressiblen  Volums"  er- 
giebt sich  dann  die  Formel 

(p  +  :^)  (v-b)  =  RT. 
Wird  die  Gleichung  ausmultipliziert  und  nach  v  geordnet,  so  folgt 

o  A     I   ^T\           a        ab 
V*  —  V*  [h  A 1  +  V r  =  0. 

V    '    p  y  '     p       p 

l)ie  Gleichung  ist  also  in  Bezug  auf  v  vom  dritten  Grade  und  hat  daher,  je 
nach  dem  Werte  der  Konstanten,  entweder  drei  reelle,  oder  eine  reelle  und 
zwei  imaginäre  Wurzeln.  Das  heisst:  es  giebt  für  jeden  Wert  von  p  und  T 
entweder  ein  oder  drei  zugehörige  Volume.  Ersteres  gilt  offenbar  für  den 
gasförmigen  Zustand  unter  geringem  und  für  den  flüssigen  Zustand  unter 
jbohem  Druck,  wo  zu  jedem  Werte  von  Druck  und  Temperatur  ein  bestimmtes 
Volum  vorhanden  ist.  Für  Temperaturen,  wo  der  Stoff  sowohl  als  Flüssigkeit 
wie  als  Gas  bestehen  kann,  giebt  es  offenbar  zwei  Volume,  das  im  flüssigen 
und  das  im  dampfförmigen  Zustande;  ein  drittes  Volum  ist  aber  nicht  bekannt. 

Wenn  man  nun  die  durch  diese  Gleichung  ausgedrückten  Isothermen 
mit  passenden  Werten  der  Konstanten  a  und  b   in   den  Koordinaten  p. 

8* 


116  in.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

und  V  zeichnet,  so  erhält  man  Kurven  von  der  Gestalt  der  in  Mg.  10 
dargestellten  hypothetischen  stetigen  Linie  nach  J.  Thomson.  Das  dritte 
Volum  ist  dann  durch  den  Punkt  c  gegeben,  und  es  wird  klar,  warum 
es  unbekannt  ist:  es  liegt  im  labilen  Gebiete  und  kann  deshalb  nidit 
beobachtet  werden^ 

Die  bemerkenswerteste  Anwendung  der  Formel  ergiebt  sich,  wenn 
man  den  Wert  von  p  und  T  aufsucht,  bei  welchen  die  drei  verschie- 
denen Volume  in  eines  zusammenfallen.  Das  Gleichwerden  des  flüssigen 
und  gasförmigen  Volums  findet  im  kritischen  Punkte  statt;  da  das  dritte 
Volum  zwischen  diesen  beiden  liegt,  so  muss  es  gleichfalls  am  gleichen 
Punkte  mit  den  anderen  zusammenfallen. 

Es  sind  also  die  drei  Wurzeln  der  Gleichung  gleich  geworden.  In 
solchem  Falle  ist  in  einer  Gleichung  von  der  Gestalt  v*  —  qv'  +  rv  —  s  =  0 
der  Wert  tp,  bei  welchem  die  drei  Wurzeln  gleich  werden,  gegeben  durch 

^  =  y»  ^'«-g-  und  ^•*=s. 

RT  a  ab 

Wir  haben  also  3  o)  =  b  H ;  3cp'  ==  —  und  w^  =  — ,  und  wenn  wir 

P  P  P 

die  speziellen  Werte,  welche  p  und  T  in  diesem  Falle  annehmen,  mit  n  und  ^ 

bezeichnen,  so  folgt 

das  kritische  Volum  ^=a3b, 

a 


der  kritische  Druck  n  =^ 


27  b** 


die  kritische  Temperatur  d  ==  — - . 


27    Rb 

Diese  Gleichungen  sind  sehr  merkwürdig.  Die  Grössen  a  und  b,  welche  als 
Korrektionsglieder  in  die  Gasgleichung  eingeführt  wurden,  lassen  sich  z.  B. 
aus  den  S.  56  bis  58  gegebenen  Kurven  berechnen,  so  dass  sie  die  Ab^ 
weichungen  von  den  Gasgesetzen  mit  genügender  Annäherung  darstellen.  Hat 
man  sie  berechnet,  so  kann  man  aus  ihnen  die  kritischen  Konstanten:  Druck, 
Volum  und  Temperatur  bestimmen,  ohne  nur  einen  einzigen  unmittelbaren 
Versuch  zu  machen. 

Eine  weitere  ^merkwürdige  Schlussfolgerung  ist  gleichfalls  von  van  der 
Waals  gezogen  worden.     Ersetzt  man  in  der  Gleichung 

(p  +  :^)(^-b)-RT 

die  in  gewöhnlichen  Einheiten  gemessenen  Veränderlichen  durch  Bruchteile 
ihrer  kritischen  Werte,  d.  h.  setzt  man  p  =  r7r,  v=«n^  und  T  ==  m^,  so  folgt 

(r+l)(3n-l)  =  8m 

In  dieser  Gleichung  ist  alles  verschwunden,  was  von  der  besonderen 
Natur  des  Stoffes  abhängt,  und  sie  beansprucht  daher  wie  die  Gleichung  der 
vollkommenen  Gase  allgemeine  Geltung.  Die  Zustandsgieichung  aller  Stoffe 
müsste  gleich  werden,  wenn  man  Druck,  Temperatur  und  Volum  als  Bruch- 
teile ihrer  kritischen  Werte  ausdrückt. 


V. 


Überschreitungserscheinungen  und  die  Theorie  von  van  der  Waals.   117 

Die  Prüfung  dieser  sehr  folgenreichen  Beziehung  hat  ergeben,  dass  es 
sich  um  ein  Grenzgesetz  handelt,  das  von  ähnlicher,  aber  noch  eingeschränkterer 
Bedeutung  ist,  wie  die  Gleichung  der  idealen  Gase.  Während  es  sich  nicht 
verkennen  lässt,  dass  in  der  THat  das  Verhalten  vieler  Stoffe  durch  die  Formel 
annähernd  dargestellt  wird,  hat  es  sich  andererseits  erwiesen,  dass  die  that- 
sächlichen  Verhältnisse  fast  immer  Abweichungen  erkennen  lassen,  die  zu 
gross  sind,  als  dass  sie  den  Versuchsfehlern  zugeschrieben  werden  können. 
Man  kann  daher  dieses  „Gesetz  der  übereinstimmenden  Zustände"  zwar  als 
einen  brauchbaren  Führer  zur  allgemeinen  Übersicht,  nicht  aber  als  ein 
strenges  Naturgesetz  betrachten. 

Die  Anwendungen  dieser  Betrachtungsweise  sind  sehr  mannigfaltig,  denn 
man  muss  danach  erwarten,  dass  jede  Eigentümlichkeit  des  Zustandes  eines 
flüssig -gasförmigen  Stoffes  sich  bei  den  entsprechenden  Werten  eines  anderen 
wiederfindet.  So  müssten  z.  B.  alle  Dampfdrucklinien  übereinstimmen,  wenn 
man  die  Drucke  und  Temperaturen  als  Bruchteile  der  kritischen  Werte  dar- 
stellte. Dies  wäre  eine  Lösung  des  S.  102  gestellten  Problems  der  gegenseitigen 
Beziehungen  der  Dampfdrucklinien  verschiedener  Stoffe. 

Betrachtet  man  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  Formeln  von  Dühring 
und  von  Ramsay  und  Young,  so  sieht  man,  dass  sie  den  Ansprüchen  der 
Theorie  von  van  der  Waals  nicht  genügen.  Am  ehesten  thut  dies  die  ein- 
fachste Formel,  nach  welcher  die  Temperaturen  gleicher  Dampfdrucke  ver- 
schiedener Stoffe  einander  proportional  sind.  Die  Theorie  verlangt,  dass 
gleichen  Bruchteilen  des  kritischen  Druckes  gleiche  Bruchteile  der  kritischen 
Temperatur  entsprechen ;  sie  geht  also  in  jene  Formel  über,  wenn  die  kritischen 
Drucke  der  verglichenen  Stoffe  gleich  sind.  Da  die  kritischen  Drucke  ein- 
ander im  allgemeinen  nahe  stehen,  so  ist  auch  einzusehen,  weshalb  jene 
einfache  Formel  oft  eine  Annäherung  an  die  Wirklichkeit  giebt. 

Die  Rechnungen  von  van  der  Waals  zeigen,  dass  in  der  That  eine 
gegenseitige  Beziehung  der  Dampf drucklinien  verschiedener  Stoffe  im  Sinne 
der  Formel  vorhanden  ist.  Doch  haben  die  späteren  Messungen  verschiedener 
Forscher  erwiesen,  dass  von  einer  genauen  Übereinstimmung  zwischen  Ver- 
such und  Theorie  nicht  die  Rede  sein  kann,  wie  denn  auch  die  Ausgangs- 
formel zwar  eine  gute  erste  Annäherung,  nicht  aber  eine  exakte  Darstellung 
der  Thatsachen  enthält. 

An  späterer  Stelle  wird  sich  wiederholt  Gelegenheit  finden,  die  Theorie 
der  übereinstimmenden  Zustände  als  Führer  in  entsprechenden  Fragen  anzu- 
wenden. Rückblickend  lässt  sich  bereits  sagen,  dass  die  zu  vergleichenden 
Siedetemperaturen  im  Sinne  der  Betrachtungen  Kopps  (S.  104)  nicht  die  bei 
gleichem  Drucke  wären,  sondern  die  bei  gleichen  Bruchteilen  des  kritischen 
l>ruckes.  Bei  den  geringen  Verschiedenheiten  zwischen  den  kritischen  Drucken, 
die  ohnedies  mit  der  Konstitution  der  Stoffe  unzweifelhaft  gesetzmässig 
zusammenhängen,  lässt  sich  indessen  übersehen,  dass  das  aus  den  Betrachtungen 
der  gewöhnlichen  Siedetemperaturen  gewonnene  Bild  sich  durch  den  Über- 
gang auf  die  vergleichbaren  Temperaturen  nicht  wesentlich  ändern  wird. 


118  in.  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Fünftes  Kapitel. 

Die  Verdampfüngswärme  und  der  zweite  Hauptsatz. 

Ausser  der  Änderung  des  Volums  bei  dem  Übergange  einer  Flüssig- 
keit in  den  Dampf  findet  eine  Änderung  des  Wärmezustandes  in  dem 
Sinne  statt,  dass  dabei  eine  gewisse  Wärmemenge  verschwindet,  die  der 
Flüssigkeitsmenge  proportional  ist,  und  im  übrigen  von  deren  Natur  und 
der  Temperatur  abhängt.  Weil  eine  gleichgrosse  Wärmemenge  zum 
Vorschein  kommt,  wenn  man  den  Dampf  umgekehrt  wieder  in  Flüssig- 
keit verwandelt,  nahm  die  ältere  Wärmetlieorie  an,  dass  bei  dem  ersten 
Vorgange  die  aufgenommene  Wärme  in  dem  Stoffe  noch  enthalten  sei, 
nur  für  das  Thermometer  nicht  nachweisbar  oder  „latent".  Gegenwärtig 
wird  eine  solche  unbewiesene  Annahme  nicht  gemacht,  *  vielmehr  sieht 
man  die  Aufiiahme  von  Energie  als  eine  Bedingung  für  die  Änderung 
des  Zustandes  an,  indem  jeder  Zustand  eben  durch  die  Energiemenge 
gekennzeichnet  ist,  die  der  Körper  aufnehmen  oder  abgeben  muss,  um 
von  einem  willkürlich  gewählten  Anfangszustande  in  diesen  zu  gelangen. 

Man  bestimmt  die  Verdampfungswärme  gewöhnlich,  indem  man  den 
Dampf  von  gemessener  Temperatur  in  einem  Gefäss  verdichtet,  das  in  einem 
Kalorimeter,  d.  h.  einem  mit  einer  gewogenen  Wassermenge  beschickten  Ge- 
fäss liegt,  und  die  Temperaturerhöhung  mittelst  eines  empfindlichen  Thermo- 
meters feststellt.  Das  Produkt  aus  der  Wassermenge  in  die  Temperatur- 
erhöhung giebt  (nach  Anbringung  der  erforderlichen  Korrekturen)  die  Zahl 
der  abgegebenen  Kalorieen.  Von  diesen  ist  noch  die  Wärmemenge  abzu- 
ziehen, welche  die  verdichtete  Flüssigkeit  abgiebt,  indem  sie  sich  von  der 
Temperatur  der  Verflüssigung  (d.  h.  ihrer  Siedetemperatur  unter  dem  vor- 
handenen Drucke)  auf  die  des  Kalorimeters  abkühlt;  man  erfährt  diese  durch 
einen  entsprechenden  Versuch  mit  der  erwärmten  Flüssigkeit. 

Die  Verdampftmgswärme  wird  gewöhnlich  auf  1  g  des  Stoffes  be- 
zogen; für  unsere  Betrachtungen  ist  die  Rechnung  auf  ein  Mol  die 
rationelle.  Man  unterscheidet  jene  als  die  spezifische  Verdampfungswärme 
oder  Verdampfungswärme  schlechtweg  von  der  molekularen,  die  aus  der 
ersten  durch  Multiplikation  mit  dem  Molekulargewicht  entsteht.  In  diesem 
Werke  wird  nur  mit  der  molekularen  Verdampfungswärme  gerechnet  wer- 
den, und  es  soll  auch  ohne  weitere  Bezeichnung  stets  diese  gemeint  sein. 

Die  Verdampfungswärme  nimmt  bei  demselben  Stoffe  mit  steigen- 
der Temperatur  ab,  und  wird  im  kritischen  Punkte  gleich  Null.  Denn 
da  in  diesem  Punkte  der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Zuständen 
verschwindet,  so  kann  auch  der  Übergang  von  dem  einen  zum  anderen 
keine  Änderung  der  Energie  mehr  bedingen.  Durch  unmittelbare  Messungen 
ist  übrigens  auch  von  Mathias  (1897)  festgestellt  worden,  dass  mit  der 
Annäherung  an  den  kritischen  Punkt  der  Wert  in  solcher  Weise  kleiner 
wird,  dass  sein  Verschwinden  an  diesem  Punkte  sich  durch  eine  kleine 
Extrapolation  mit  Sicherheit  ergiebt. 


Die  Verdampfungswärme  und  der  zweite  Hauptsatz.  119 

Das  Gesetz  der  Abnahme  ist  in  allgemeiner  Form  nicht  bekannt; 
auch  sind  nur  wenig  Stoffe  in  einigem  Umfange  daraufhin  untersucht 
worden. 

Der  Betrag  der  molekularen  Verdampfungswärme  W  ist  bei  den 
verschiedenen  Stoffen  durch  ein  angenähert  gültiges  Gesetz  von  ziemlich 
weiter  Anwendbarkeit  gegeben.  Ist  T  die  absolute  Temperatur  des  Siede- 
punktes der  betreffenden  Flüssigkeit,  so  gilt  W  =  AT,  wo  A  eine  von 
der  Natur  der  Stoffe  unabhängige  Konstante  ist.  Ihr  Wert  beträgt  für 
Atmosphärendruck  in  runder  Zahl  20  cal  oder  83-7  j,  die  man  auf 
84  j  abrunden  kann,  so  dass  die  Formel  lautet:  W=84Tj. 

Die  Gleichung  gilt  nur  für  den  Vergleich  der  Verdampfungswärmen  bei 
Atmosphärendruck,  und  man  muss  sich  hüten,  sie  als  eine  allgemeine  Formel 
anzusehen.  Ihre  Ungültigkeit  für  alle  Temperaturen  geht  schon  daraus  her- 
vor, dass  sie  nicht  bei  der  kritischen  Temperatur  W  =  0  giebt,  wie  sie  müsste. 
Es  ist  also  der  Koeffizient  84  seinerseits  eine  Funktion  des  Druckes,  deren 
Gang  einstweilen  unbekannt  ist. 

Mit  Hilfe  der  Eigenschaften  des  Dampfes  wird  bekanntlich  die 
durch  Verbrennung  von  Steinkohle  erhaltene  Wärmeenergie  in  mechanische 
umgewandelt,  und  die  hierfür  betrachteten  Verhältnisse  geben  die  allge- 
meine Grundlage  dafür.  Für  das  Verständnis  sind  einige  Erörterungen 
über  die  Umwandlung  der  Energie  vorauszuschicken. 

Während  der  erste  Hauptsatz  oder  der  Satz  von  der  Erhaltung 
der  Energie  die  Bilanz  bei  jeder  möghchen  Umwandlung  ziehen  lässt, 
giebt  er  keine  Auskunft  darüber,  ob  und  zu  welchem  Betrage  in  einem 
:  gegebenen  Falle  diese  Umwandlung  stattfinden  kann.  Diese  Frage  beant- 
i  wortet  der  zweite  Hauptsatz.  Ehe  dieser  indessen  in  seiner  aUge- 
raeinsten  Fassung  vorgelegt  wird,  sollen  einzelne  wichtige  Fälle  gesondert 
studiert  werden. 

Vorhandene  Wärmemengen  lassen  sich  in  mechanische  Arbeit  nicht 
unter  allen  Umständen  verwandeln;  so  ist  es  insbesondere  nicht  möglich, 
in  einem  Räume,  dessen  Temperatur  überall  dieselbe  ist,  eine  solche 
Ändening  auszufiihren,  dass  schliesslich  eine  gewisse  Wärmemenge  ver- 
schwunden und  eine  äquivalente  Menge  irgend  einer  anderen  Energie 
daftir  entstanden  ist.  Für  eine  solche  Umwandlung  ist  vielmehr  ein 
Temperaturunterschied  erforderlich  (Carnot  1824),  und  man  kann 
alsbald  hinzufiigen,  dass  der  Betrag  der  umwandelbaren  Wärme  mit  der 
Grösse  dieses  Unterschiedes  zunehmen  wird,  und  dass  immer  nur  ein 
Bruchteil  x  der  Wärme  in  Arbeit  verwandelt  werden  kann. 

Femer  kann  man  aber  beweisen,  dass  der  Maximalwert  dieses 
Bruchteils,  der  sich  in  eine  andere  Form  (z.  B.  mechanische  Arbeit,  von 
der  zunächst  ausschliesslich  die  Rede  sein  wird)  umwandeln  lässt,  nur 
von  der  Temperatur  abhängig  sein  kann. 

Um  dieses  einzusehen,  denken  wir  uns  irgend  eine  Maschine,  durch 
welche  Wärme  in  Arbeit  verwandelt  wird,  in  möglichster  Vollkommenheit 


120  III«  Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

ausgeführt,  so  dass  die  auf  Reibung  und  dergl.  verbrauchten  Energie- 
mengen verschwindend  klein  sind.  Eine  solche  Maschine  würde  umkehr- 
bar sein,  d.  h.  wenn  man  sie  umgekehrt  laufen  Hesse,  so  würde  sie 
Arbeit  verbrauchen,  und  die  Wärmemengen,  die  sie  beim  direkten  Laufe 
aufnimmt  und  abgiebt,  umgekehrt  bei  den  beti-effenden  Temperaturen 
abgeben  und  aufnehmen. 

Bei  der  Bethätigung  dieser  idealen  Maschine  müssen  wir  noch  einen 
Vorbehalt  machen.  Da  nämlich  die  in  der  Maschine  verwendeten  Stoffe 
durch  die  Änderung  der  Temperatur  und  des  Druckes  Änderungen  ihrer 
inneren  Energie  erfaliren,  von  denen  möglicherweise  ein  Teil  der  Wärme 
oder  Arbeit  herrühren  könnte,  so  muss  man,  um  dieses  auszuschliessen, 
die  weitere  Bedingung  stellen,  dass  nur  solche  Vorgänge  beti-achtet  wer- 
den, bei  denen  schliesslich  die  Stoffe  wieder  in  ihren  ursprünglichen  Zu- 
stand zurückgeflihrt  werden,  so  dass  auch  ihr  Energieinhalt  wieder  der- 
selbe ist.  Solche  Vorgänge  nennt  man  Kreisprozesse,  und  es  muss 
betont  und  festgehalten  werden,  dass  die  zunächst  zu  entwickehiden  Ge- 
setze nur  für  umkehrbare  Kreisprozesse  Geltung  haben.  Wenn  sie  an- 
gewendet werden  sollen,  muss  man  daher  den  zu  untersuchenden  Vor- 
gang als  einen  Teil  eines  umkehrbaren  Kreisprozesses  darstellen. 

Nimmt  also  diese  Maschine  die  Wärmemenge  Q^  bei  der  Temperatur 
Ti  auf,  und  verwandelt  sie  den  Betrag  Q  davon  in  Arbeit,  so  wird  sie 
den  Rest  Q^  ::=  Qj  —  Q  bei  der  niedrigeren  Temperatur  Tg  abgeben. 
Lässt  man  sie  umgekehrt  laufen,  so  wird  sie  die  Arbeitsmenge  Q  ver- 
brauchen, um  die  Wärme  Q3  bei  der  Temperatur  Tg  aufzunehmen,  und 
diese  nebst  der  in  Wärme  umgewandelten  Arbeit  Q,  also  die  Wärme 
Q2  -|-  Q  =  Qj   bei  der  höheren  Temperatur  T^  abgeben. 

Ausser  dieser  Maschine  sei  noch  eine  andere  vollkommene  oder 
umkehrbare  gegeben,  welche  zwischen  denselben  Temperaturen  arbeitet, 
im  übrigen  aber  beliebig  von  der  ei-sten  verschieden  sein  mag.  Die  in 
ihr  bethätigten  Wärmemengen  seien  mit  einem  Strich  bezeichnet.  Dann 
lautet  der  zu  beweisende  Satz  Q/Qj=Q'/Q/,  d.h.  das  Verhältnis  der 
umgewandelten  Wärme  zur  aufgenommenen  ist  unabhängig  von  der  Art 
der  Maschine. 

Wären  die  beiden  Verhältnisse  nicht  gleich,  so  könnte  man  die 
Maschine,  welche  einen  grösseren  Bruchteil  der  Wärme  in  Arbeit  um- 
wandelt, vorwärts,  und  die  andere  mit  Hilfe  der  aus  der  ersten  erhaltenen 
Arbeit  rückwärts  laufen  lassen.  Das  Ergebnis  würde  sein,  dass  wir 
nicht  alle  von  der  eraten  Maschine  gelieferte  Arbeit  brauchen  würden,  um 
die  von  ihr  entnommene  Wärme  Qj  wieder  auf  die  Temperatur  T^  zu 
schaffen,  sondern  einen  Überschuss  Q  —  Q'  behielten.  Durch  Wieder- 
holung  des  Vorganges  könnte  man  diesen  überschuss  beliebig  gross  machen. 

Wäre  das  Umwandlungsverhältnis  in  der  zweiten  Maschine  das 
gi'össere,  so  würde  man  diese  vorwärts,  die  andere  umgekehrt  laufen  lassen, 
und  damit  das  gleiche  Ergebnis  haben. 


Die  Verdampfungswärme  und  der  zweite  Hauptsatz.  121 

Da  wir  nach  der  Voraussetzung  immer  die  von  der  einen  Maschine 
bei  der  höheren  Temperatur  aufgenommene  Wärme  durch  die  andere  in 
gleichem  Betrage  zurückbefördem  lassen,  ist  zunächst  Q^  =  Q^',  und 
fiomit  Qj — Q=Qjj'  —  Q'.  Da  ferner  die  zum  Betriebe  der  zweiten 
Maschine  verbrauchte  Arbeit  kleiner  sein  soll,  als  die  von  der  ersten 
geUeferte,  so  ist  Q'<CQ  und  daher  Qi'<CQ2.  Es  wird  mit  anderen 
Worten  beliebig  viel  Wärme  bei  der  unteren  Temperatur  der  Maschinen 
in   Arbeit  verwandelt. 

Erfahrungsmässig  ist  eine  derartige  Umwandlung  unmöglich.  Dann 
Bind  aber  auch  die  Ungleichungen  unmöglich,  und  es  muss  das  Ver- 
hältnis Q/Qj  =Q'/Qi'  bestehen. 

Die  eben  ausgesprochene  Erfahrung  ist  von  ähnlicher  allgemeiner 
Art,  wie  der  Satz  von  der  Erhaltung  der  Energie,  und  wird  deshalb  als 
der  zweite  Hauptsatz  bezeichnet.  Man  kann  diesen  in  sehr  verschiedenen 
Formen  aussprechen;  im  Sinne  der  hier  durchgeführten  Betrachtungen 
wird  man  sagen,  dass  ruhende  Energie  sich  nicht  freiwillig  in  Bewegung 
setzt  oder  in  andere  Formen  umwandelt. 

Die  Unmöglichkeit  eines  Perpetuum  mobile  in  Gestalt   einer  Maschine, 
■  durch  welche  Energie  ohne  anderen  Aufwand  geschaffen  würde,  ist  eine  an- 
schauliche Form  des  ersten  Hauptsatzes.    Um  aber  den  Gedanken  eines  Per- 
petuum mobile,  d.h.  die  Arbeitsleistung  ohne  Aufwand,  zu  verwirklichen,  bedarf  es 
keiner  Verletzung  dieses  Satzes.    Die  Arbeit,  welche  die  Riesenmaschine  eines 
Oceandampfers  leistet,  wird  vollständig  wieder  in  Wärme  verwandelt,  denn 
selbst  die  Bewegungsenergie  des  Schiffes  während  der  Fahrt  ist  nach  der  An- 
I  kunft  gleich  Null  geworden  und  in  Wärme  übergegangen.    Könnte  man  diese, 
dem  Wasser  des  Meeres  mitgeteilte  Wärme  wieder  in  Bewegungsenergie  ver- 
wandeln, so  könnte  der  Dampfer  seine  Rückfahrt  ohne  Kohlenverbrauch  aus- 
führen, was  nicht  möglich  ist.     Allgemein  würde  ein  geringer  Bruchteil  der 
im  Ocean  als  Wärme  enthaltenen  Energie  ausreichen,  um  alle  Maschinen  der 
Welt  zu  treiben.    Eine  solche  Leistung  wäre  einem  Perpetuum  mobile  gleich- 
wertig,   wenn  auch  dabei  keine  Energie  aus  nichts  erschaffen  würde;    wenn 
I  man  nur  eine  und  dieselbe  Energiemenge  immer  wieder  für  die  gleiche  Um- 
!  Wandlung  in  Anspruch  nehmen  könnte,  dürfte  man  gleichfalls  die  technische 
Aufgabe  unentgeltlichen  Arbeitsgewinnes  als  gelöst  ansehen.     Dass  es  einen 
solchen  nicht  giebt,  lässt  sich  in  der  Gestalt  aussprechen:  Ein  Perpetuum  mo- 
bile zweiter  Art  ist  unmöglich.  Dabei  ist  unter  einem  Perpetuum  mobile 
zweiter  Art  eine  Maschine  verstanden,  welche  ruhende  Energie  in  Bewegung 
setzen    oder   in   andere  Formen    verwandeln    kann.     Ein  Perpetuum  mobile 
erster  Art  wäre  dagegen  eine  Einrichtung  zur  Schaffung  von  Energie  über- 
haupt. 

Der  hier  benutzte  Begriff  der  ruhenden  Energie  bedarf  noch  eingehen- 
derer Untersuchungen.  Diese  sollen  nicht  an  dieser  Stelle  vorgenommen 
werden,  sondern  später  im  Zusammenhange  mit  den  Eigentümlichkeiten 
anderer  Energiearten.    Einstweilen  soll  als  Kennzeichen  der  Zustände  ruhen- 


122 


III.  Stochiometrie  der  Flüssigkeiten. 


der  Energie  die   Thatsache  dienen,  dass   dies  Zustände   sind,    die  sich  aus 
anderen  selbstthätig  oder  freiwillig  ausbilden. 

Der  zwischen  den  beiden  Temperaturen  T,  und  T^  durch 
einen  umkehrbaren  Kreisprozess  in  Arbeit  verwandelbare  Bruchteil  der 
Wärme  ist  also  nur  eine  Funktion  dieser  Temperaturen,  hängt  dagegen 
nicht  von  der  Beschaffenheit  der  Maschine  ab.  Hierin  liegt  die  ungemein 
ausgedehnte  Anwendbarkeit  des  auf  die  Wärmeumwandlungen  bezogenen 
zweiten  Hauptsatzes,  die  sich  noch  dadurch  ungeheuer  erweitert,  dass 
ähnliche  Gesetze  für  die  anderen  Umwandlungen  der  Energie  gelten, 
bei  denen  die  Wärme  nicht  beteiligt  ist.  Denn  man  kann  mit  Hilfe  dieses 
Satzes  flir  jede  derartige  Umwandlung  alsbald  eine  bestimmte  Beziehung 
zwischen  den  dafür  in  Betracht  kommenden  Grössen  aufstellen,  und  er- 
langt somit  je  ein  besonderes  Naturgesetz  für  jede  derartige  Aufgabe. 
Die  Funktion  der  Temperatur,  welche  die  Umw^andlung  der  Wärme 
in  mechanische  Arbeit  regelt,  ergiebt  sich,  wenn  man  einen  beliebigen 
umkehrbaren  Kreisprozess  berechnet,   und  man   darf  dazu  den   wählen, 

dessen  Grundlagen  am  besten  bekannt 
sind.  Hierzu  dient  ein  von  Camot  (1824) 
angegebener  Kreisprozess  an  einem  voll- 
kommenen Gase. 

Wir  lassen  ein  Mol  eines  Gases  (z.  B. 
32  g  Sauerstoff)  folgenden  Kreisprozess 
durchmachen,  den  wir  gleichzeitig  graphisdi 
darstellen  (Fig.  11). 

Das  Gas  habe  zunächst  einen  Druck  Pi 
und  ein  Volum  v^  bei  der  Temperatur  T, . 
Es  soll  sich  etwas  ausdehnen,  während  die 
Temperatur  konstant  bleibt;  dazu  ist  erforderlich,  dass  ihm  die  der  Arbeit 
entsprechende  Wärmemenge  Q,  zugeführt  werde.  Druck  und  Volum  be- 
tragen alsdann  Pjj  und  Vg .  Alsdann  entfernen  wir  die  Wärmequelle  und 
lassen  das  Gas  sich  weiter  ausdehnen.  Es  leistet  dabei  gleichfalls  Arbeit; 
da  es  aber  keine  Wärme  von  aussen  empfängt,  so  muss  es  dieselbe  ans 
seinem  eigenen  Wärmeinhalt  nehmen  und  sich  daher  abkühlen.  Die 
Temperatur,  welche  es  erreicht,  sei  Tg;  Druck  und  Volum  p^  und  v^. 
Jetzt  drücken  wir  das  Gas  wieder  zusammen.  Hierzu  wird  Arbeit  ver- 
braucht; die  erzeugte  Wärme  fähren  wir  ab,  so  dass  die  Temperatur 
Tg  erhalten  bleibt  (p4,  V4).  Schliesshch  isolieren  wir  das  Gas  von  neuem 
und  drücken  es  weiter  zusammen.  Die  erzeugte  Wärme  bleibt  im  Gase 
und  erhöht  dessen  Temperatur.  Der  Punkt  4  wird  so  gewählt,  dass 
wenn  das  Gas  die  Temperatur  Tj  wieder  erreicht  hat,  es  auch  den 
früheren  Druck  und  das  frühere  Volum  p^  und  Vj  wieder  besitzt,  was 
immer  möglich  ist. 

Die  Arbeit,  welche  das  Gas  bei  diesem  Kreisprozess  geleistet  hat, 
wird  durch  das  kinimmlinige  Viereck  12  3  4  ausgedrückt.  Denn  diese 
Arbeit  ist  stets  das  Pi'odukt  von  Druck  und  Volumänderung  des  Gases. 


Vi 


cc 


7 


■r 


Fig.  11. 


Die  Verdampfungswärme  und  der  zweite  Hauptsatz.  123 

Für  den  Weg  1  2  des  Gases  stellt  die  Fläche  a  1  2  ß  diese  Arbeit  dar, 
da  die  Höhe  der  zahllosen  kleinen  Streifen,  in  die  man  sie  durch  Parallelen 
nach  p  zerlegen  kann,  gleich  dem  Drucke  p  und  ihre  Breite  gleich  der 
zugehörigen  Volumänderung  ist.     In  gleicher  Weise  ist   die  zum  Wege 

2  3  gehörige  Arbeit  numerisch  gleich  der  Fläche  j9  2  3  /.    Zum  Wege 

3  4  gehört  die  Arbeit  d  4  3  /,   zu   4  1  endlich   a  1  4  d     Zieht  man 
[die  Summe  der  beiden  letzteren  von  der  Summe  der  beiden  ersten  ab, 
80  bleibt  das  Viereck  12  3  4  als  Mass  der  beim  ganzen  Ereisprozess 
geleisteten  Arbeit. 

Nun  ist  die  Arbeit,  welche  ein  Gas  leisten  kann,  wenn  es  sich 
vom  Volum  v,  auf  das  Volum  v^  ausdehnt,  indem  die  Temperatur  T, 
konstant  bleibt^  gegeben  durch  RTj  In(vjvjj),  wo  R  die  Gaskonstante  und 
in  der  natürliche  Logarithmus  ist  (S.  89).  Es  wird  daher  auch  die  auf 
diesem  Wege  zuzuführende  Wärme  Qi  gleich  RT,  ln(v, /v,)  sein,  denn  zur 
blossen  Volumänderung  braucht  das  Gas  keine  Wärme.  Auf  dem  Wege 
von  2  bis  3  wird  nach  der  Voraussetzung  keine  Wärme  aufgenommen. 
Indem  nun  das  Gas  von  3  bis  4  zusammengedrückt  wird,  entbindet  es 
eine  Wärmemenge Qj,  welche  durch  eine  gleiche  Formel,  Qj  =  RTg  In  (v^/Vg) 
gegeben  ist;  zwischen  4  und  1  tritt  wiederum  Wärme  weder  aus  noch  ein. 

Somit  ist  die  während  des  Kreisprozesses  aufgenommene  Wärme  Q, 
die  abgegebene  Wärme  Qg  und  das  Verhältnis  beider 

Q,  ^T^ln(vWv,) 
Q,        T,ln(vjv3)* 

Es  läfist  sich  beweisen,  dass  Vj  /v,  =  v^/vj  ist.  Für  die  Vorgänge  2  3 
und  4,  1  gilt  nämlich  die  Formel,  welche  S.  92  unter  der  Voraussetzung 
entwickelt  wurde,  dass  keine  Wäi-me  aus-  und  eintritt 

'=P^und(^)'=P^. 

Nun  ist  pv  =  RT,  speziell  p2Vj  =  RTi  und  p3V3=RT2.    Daraus  folgt 

5?-  =  ^.^  und  ähnlich  ^=  --•^*-  Setzt  man  diese  Werte  in  die 
P«         V3  Tj  Pi        V4   Ti 

Gleichungen,  so  folgt  nach  einer  kleinen  Umformung 

also  Vj/v3=Vi/v4   oder  yJy^=yJ\Q. 

Damit   gestaltet  sich   aber  das  Verhältnis  der  beiden  Wärmemengen   zu 

Die  bei  diesem  Kreisprozess  ein-  und  austretenden  Wärmemengen  ver- 
halten sich  wie  die  absoluten  Temperaturen,  bei  welchen  der  Aus-  und 
Eintritt  stattfindet. 


124  ni.   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Durch  einfache  Umformungen  läBst  sich  diese  Gleichung  in  folgende 
Gestalt  bringen 

Q,^Q,^T, -T,  Q|-Q2^T,-T, 

Qt  T,  Q,  T, 

Nun  ist  Q  =  Qi  —  Qg  die  in  Arbeit  tibergefiihrte  Wärme.  Es  verhäH 
sich  somit  die  in  Arbeit  übergefahrte  Wärme  zur  gesamten  eintretenden 
Wärme  wie  der  Unterschied  der  Temperatm*en,  zwischen  denen  da 
Kreisprozess  sich  vollzieht,  zur  Temperatur  des  Eintritts.  Ebenso  ver- 
hält sich  die  in  Arbeit  übergeführte  Wärme  zur  austretenden^  wie  der 
Temperaturunterschied  -zur  Temperatur  des  Austrittes. 

Zieht  man  nur  kleine  Temperaturunterschiede  in  Betracht,  so  ist 
die  Arbeit,  welche  die  Wärme  bei  umkehrbaren  Kreisprozessen  infolge 
gleichgrosser  Temperaturunterschiede  leisten  kann,  umgekehrt  proportional 
der  absoluten  Temperatur,  bei  welcher  die  Arbeitsleistung  stattfindet. 

Wäre  es  möglich,   den  absoluten  Nullpunkt  der  Wärme  zu  erreichen, 

Q   Q  X  T 

so  würde  in  der  Gleichung      ^        -—  «*  — ^= — -  der  Wert  Tj  «*  0  und  scHnit 

^ti  ■*-i 

die  rechte  Seite  gleich  eins  werden.  Daraus  folgt  dann  notwendig  Q,  =  0, 
d.  h.  wenn  die  untere  Temperatur  dem  absoluten  Nullpunkt  gleich  gemacht 
werden  könnte,  so  würde  die  gesamte  zugeführte  Wärme  sich  in  Arbeit  ver- 
wandeln lassen. 

Die  Grösse  —  kann  der  ökonomische  Koeffizient  genannt    wer- 

den.  Da  der  oben  beschriebene  Kreisprozess  der  denkbar  günstigste  ist,  so 
folgt,    dass    der    ökonomische    Koeffizient    einer   Maschine    nie    grösser    als 

T  T 

— Sp — —  werden  kann.    Eine  Dampfmaschine  z.  B.,  welche  mit  Dampf  von 

150*^  C.  und  einem   Kondensator  von   17**  C.  betrieben  wird,  kann  höchstens 

^  ==  0-31,  also  noch  nicht  ein  Drittel    der  zugeführten   Wärme  in 

Jlo  -f-  JOÜ 

Arbeit  verwandeln.  Thatsächlich  ist  das  Ergebnis  noch  viel  ungünstiger. 

Bei  einer  gleichen  Schlusstemperatur  ergiebt  sich  der  Koeffizient  um  so 
günstiger,  je  höher  die  Anfangstemperatur  ist.  Zwischen  1000°  C.  und  0®  C. 
würde  eine  Maschine  schon  0-785,  also  beinahe  vier  Fünftel  der  Wärme  in 
Arbeit  verwandeln  können. 

Der  Satz,  dass  die  in  Arbeit  um  wandelbare  Wärme  der  absoluten 
Temperatur  umgekehrt  proportional  ist,  gestattet  eine  grosse  Reihe 
folgenreicher  Anwendungen. 

So  gelangen  wir  z.  B.  mit  Hilfe  des  Satzes  zu  einer  sehr  wichtigen 
Beziehung  in  Betreff  der  Verdampfung  der  Flüssigkeiten.  Wir  denken 
uns  ein  Mol  einer  solchen,  deren  Volum  v^  sei  und  die  unter  einem 
Drucke  p,  stehe,  welcher  gleich  dem  ihres  Dampfes  ist;  die  Temperatur 
sei  T.     Jetzt  erhöhen   wir  die  Temperatur  um  ein  sehr  Geringes;    die- 


Die  Verdampfungswärme  und  der  zweite  Hauptsatz. 


125 


selbe  steigt  von  T  auf  T  +  dT.  Dabei  wächst  der  Druck  um  dp.  Nun 
lassen  wir  die  Flüssigkeit  sich  vollständig  in  Dampf  verwandeln.  Zu 
diesem  Zwecke  muss  ihr  die  Wärmemenge  W  zugei))hrt  werden,  wo 
W  die  molekulare  Dampi'wärme  darstellt.  Der  Druck  bleibt  dabei  kon- 
stant, und  das  Volum  nimmt  sehr  bedeutend  zu;  diese  Zunahme,  oder 
das  Volum  des  Dampfes  minus  dem  der  Flüssigkeit  heisse  u.  Alsdann 
soll  der  Dampf  wieder  um  dT  abgekühlt  werden,  und  bei  der  Tem- 
peratur T  und  dem  entsprechenden  Drucke  p  soll  er  zur  Flüssigkeit  ver- 
dichtet werden,  bis  er  schliesslich  wieder  in  den  Anfangszustand  zurück- 
kehrt. Die  graphische  Darstellung  des  Kreisprozesses  ist  in  Fig.  12 
gegeben  und  die  dabei  erhaltene  Arbeit  wurd  durch  das  Viereck  12  3  4 
dargestellt. 


i: 


^ 


V 


Fig  12. 


Nun  gilt  der  erwähnte  Satz 

Qi  -Qa^T,  — T, 

Qi  T, 

Qi  —  Q«  ^s*  ^^®  '^  Arbeit  übergeführte  Wärme;  dieselbe  ist  gleich  der 
Arbeit,  die  durch  das  Viereck  12  3  4  dargestellt  ist.  Der  Inhalt  des- 
selben ist  gleich  dem  Produkt  der  Grundlinie  1,  4,  welche  die  Volum- 
i  zunähme  u  bei  der  Verdampfung  darstellt,  mit  der  Höhe,  der  Druckzu- 
;  nähme  dp;  es  ist  also  Q^  — Qjj  =udp.  Die  zugeführte  Wärme  Q  ist 
die  latente  Dampfwärme  W.  Für  T^  —  T^  ist  der  Temperaturunter- 
schied dT  der  beiden  Teile  des  Kreisprozesses  zu  setzen,  und  wir  er- 
halten demnach 

udp        dr 


W 


T 


Die  Gleichung  kann  in  einer  der  folgenden  Formen  geschrieben  werden 
W  =  Tu  dp/dT  oder  dp/dT  =  W/Tu, 

I  ihre  Bedeutung  ist  die  folgende. 

I  Ändert  man  die  Temperatur  um  den  kleinen  Betrag  dT,  so  ändert 

ffldi  gleichzeitig  der  Dampfdruck  p  um  einen  Betrag  dp.  Stellt  dd  in 
iig.  13  die  DampfdruckUnie  dar,  so  ergiebt  sich,  wenn  man  eine  bestimmte 


126  III-   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Temperaturzunahme  dT  =  ab  betrachtet,  die  dazu  gehörige  Dmckzu^ 
nähme,  dp  =  fe.  Diesem  Verhältnis  fe/cf  =  dp/dT  ist  nach  der  Gleichung 
die  Yerdampfungswärme  direkt  und  das  Dampfvolnm  umgekehrt  propor- 
tional, und  man  kann,  wenn  zwei  von  diesen  Grössen  bekannt  sind,  die 
dritte  berechnen.  So  braucht  man  z.  B.  die  Yerdampfungswärme  nicht 
zu  messen,  wenn  man  den  Verlauf  der  Dampfdrucklinie  mit  der  Tempe- 
ratur und  die  Dichte  des  gesättigten  Dampfes  kennt 

Eine  besonders  brauchbare  Gestalt  erlangt  die  Gleichung,  wenn  man 
fiir  den  Dampf  die  Gasgesetze  als  gültig  annehmen  darf.  Dann  kann 
man  für  u  das  Volum  von  einem  Mol  des  Dampfes  einföhren,  wie  es 
sich   aus  der  Formel  pv  =  RT   ergiebt  und    erhält  u  =  RT/p,  womit 

dp/dT  =  pW/RT2 

folgt,  in  welcher  Gestalt  die  Gleichung,  deren  Geltung  weit  über  den 
einfachen  Fall  des  Dampfdruckes  einer  Flüssigkeit  hinausgeht,  sehr  viet 
angewendet  wird.     Mit  dieser  ist  identisch  die  Gleichung 

dlnp/dT  =  W/RT2, 

welche  sich  aus  der  ersten  mittels  höherer  Mathematik  alsbald  ergiebig 
Um  die  Anwendung  kennen  zu  lernen,  wollen  wir  sie  auf  die  Be-i 
rechnung  der  Verdampftmgswärme  des  Wassers  bei  20^0  anwenden, 
wo  für  den  Wasserdampf  die  Gasgesetze  noch  genügend  genau  sind. 
InW=rRTMp/pdT  haben  wir  R  =  84lX  10',  T=273  +  20.  Dein 
Dampfdruck*)  des  Wassers  ist  16-319  cm  Quecksilber  bei  19*^,  17-363i 
bei  20®,  18.466  cm  bei  21«;  der  Unterschied  dp  =  2447  gUt  für  den 
Temperaturunterschied  von  19®  bis  21®,  oder  dT=2,  der  Druck 
p  =  17'363  ist  für  die  mittlere  Temperatur  20®  zu  rechnen.  Die 
Gleichung  wird: 

W=8.41  X 10'  X  293«X 2.147/17-363  X  2  =  44-7  X 10*®  =  44-71. 

Die  unmittelbaren  Messungen  haben  44-4  bis  45-0  J  ergeben. 

Während  die  Gleichung  zwar  die  Berechnung  der  Verdampfungs- 
wärme aus  dem  Ansteigen  des  Druckes  mit  der  Temperatur  gestattet, 
giebt  sie  umgekehrt  die  MögUchkeit  nicht,  den  Druck  selbst  aus  der 
Verdampfungswärme  zu  berechnen,  sondern  nur  sein  verhältnismässiges 
Ansteigen  mit   der  Temperatur. 

Zum  Schlüsse  dieses  Kapitels  soll  noch  erwähnt  werden,  dass  durdi 
die  Gleichung  Qi/Q3=T, /T^  ein  experimentelles  Mittel  gegeben  ist, 
eine  wirklich  absolute,  d.  h.  von  den  besonderen  Eigenschaften  eines 
einzelnen  Stoffes  unabhängige  Temperaturskala  herzustellen.  Die 
Ableitung  der  Gleichung  erfolgte  auf  Grund  der  Annahme,  dass  es  ein  ideales 
Gas  gebe,  das  dem  Gesetz  pv  =  RT  genau  gehorcht.  Durch  die  Be- 
stimmung des  Betrages  der  Abweichifngen  eines   wirklichen  Gases  von 


^}  Die  Drucke  sind  nicht  auf  absolutes  Mass  bezogen  worden,  weil  so- 
wohl im  Zähler  wie  im  Nenner  eine  DruckgrÖsse  steht,  wodurch  sich  der 
Faktor  heraushebt  und  die  Formel  unabhängig  von  der  Druckeinheit  wird. 


Volumverhältnisse  flüssiger  Stoffe.  127 

dem  idealen  kann  man  ermitteln,  wie  gi'oss  die  Abweichungen  zwischen 
den  nach  der  Ausdehnung  dieses  Gases  gemessenen  Temperaturen  und 
denen  sind,  die  ein  ideales  Gas  ergeben  würde.  Hierfür  aber  dient  die 
obige  Gleichung  und  es  hat  sich  ergeben,  dass  die  Temperatur  eines 
Gas-,  z.  B.  des  Wasserstofftliermometere,  von  der  absoluten  nur  sehr 
venig  abweicht. 


Sechstes  Kapitel. 
Volumverhältnisse  flüssiger  Stoffe. 

Die  Beziehung  zwischen  Kaum  und  Masse  wird  gewöhnlich  durch  die 
Dichte  oder  die  Masse  der  Raumeinheit  dargestellt.  Bereits  bei  den  Gasen 
hat  es  sich  erwiesen,  dass  diese  Grösse  für  die  Darstellung  chemischer  Ge- 
setzmässigkeiten nicht  geeignet  ist,  und  dass  sich  einfache  und  übersicht- 
Bche  Verhältnisse  ergeben,  wenn  man  statt  der  Dichte  die  Volume  der 
änreh  die  Molekulargewichte  dargestellten  Mengen,  oder  kurz  die  Molekular- 
volume, miteinander  vergleicht. 

Auch  für  Flüssigkeiten  hat  sich  diese  Art  des  Vergleiches  als  die 
angemessenste  erwiesen,  und  in  der  Folge  wurd  ausschliesslich  diese  Grösse 
benutzt  werden. 

Unter  Molekularvolum  verstehen  wir  daher  das  in  Kubikcenti- 
metem  gemessene  Volum  von  einem  Mol,  d.  h.  dem  in  Grammen  ge- 
messenen Molekulargewicht  des  Stolfes.  Da  z.  B.  das  Volum  von  einem 
Gramm  Wasser  bei  4^  1  ccm  beträgt,  während  das  Molekulargewicht 
1802  ist,  so  ist  das  Molekularvolum  des  Wassers  bei  4®  gleich  18-02, 

Ist  von  einer  Flüssigkeit  die  Dichte  oder  das  spezifische  Gewicht,  d.  h. 
das  Gewicht  von  1  ccm,  gleich  d,  so  ist  das  Volum  von  1  g  der  Flüssig- 
keit gleich  1/d,  und  wenn  m  das  Molekulargewicht  ist,  so  ist  das 
Molekularvolum  gleich  m/d. 

Die  ersten  Regelmässigkeiten  zwischen  den  Molekularvolumen  wurden 
von  H.  Kopp  (1842)  zu  dereelben  Zeit  entdeckt,  als  er  die  Beziehungen 
zwischen  den  Siedepunkten  auffand;  auch  Hessen  sie  sich  in  derselben 
Form  ausdrücken:  dass  gleichen  Unterschieden  in  der  Zusam- 
mensetzung gleiche  Unterschiede  im  Molekularvolum  ent- 
Bprechen.  Nun  sind  allerdings  die  Molekularvolume  der  hier  hauptsächlich 
betrachteten  organischen  Verbindungen  in  hohem  Masse  von  der  Tem- 
peratur abhängig,  und  bevor  irgend  ein  Vergleich  angestellt  werden 
konnte,  musste  entschieden  werden,  bei  welchen  Temperaturen  der  Ver- 
gleich anzustellen  sei.  Kopp  fand  bald,  dass  viel  aUgememere  Regel- 
mässigkeiten, als  bei  gleichen  Temperaturen  (z.B.  0^)  sich  herausstellen, 
renn  man  die  Flüssigkeiten  bei  ihren  Siedepunkten  unter  gleichem 
Druck  vergleicht. 


128  ^11«    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Der  ersten  Entdeckung  der  vorhandenen  Beziehungen  liess  Kop] 
eine  lange  Reilie  überaus  sorgsamer  Experimentaluntersuchungen  folgen 
welche  jene  ereten  Beobachtungen  teils  bestätigen,  teils  en^^eitem  ode: 
wohl  auch  beschränken.  In  der  Hauptsache  ergab  sich  das  Molekular 
volum  beim  Siedepunkt  als  eine  additive  Eigenschaft:  das  Molekulai 
volum  einer  Verbindung  ist  die  Summe  der  Molekulai*volume  ihrer  Be 
standteile.  Bei  anderen  Temperaturen  treten  vorhandene  Beziehongei 
nicht  so  klar  hervor. 

Bei  analogen  Verbindungen  ändert  sich  das  Molekular 
volum  für  je  CH*  um  22  Einheiten  im  Durchschnitt  Die  Bezid» 
ung  wurde  in  Kohlenwasserstoffen,  Alkoholen,  Estern,  Säuren,  Aldehydei 
und  Ketonen  nachgewiesen. 

Isomere  Flüssigkeiten  haben  gleiche  Molekularvolume, 
wie  namentlich  durch  den  Vergleidi  von  isomeren  Estern  und  Säurei 
gezeigt  wird. 

Wenn  zwei  Atome  Wasserstoff  durch  ein  Atom  Saaerstof 
ersetzt  werden,  so  ändert  sich  das  Volum  nicht  wesentlich. 
Dies  gilt  namentlich  für  den  Übergang  von  Alkoholen  in  Säuren,  dodi 
auch  für  andere  Fälle. 

Ein  Atom  Kohlenstoff  und  zwei  Atome  Wasserstoff  könnei 
sich  ohne  Volumänderung  ersetzen.  Diese  Beziehung  wurde  au» 
schliesslich  durch  den  Vergleich  zwischen  Fettkörpem  und  aromatischeB 
Verbindungen  erhärtet. 

Die  eben  angegebenen  Gesetzmässigkeiten  legen  den  Gedanken 
nahe,  den  Elementen  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  aus  welchen 
die  bisher  behandelten  Verbindungen  bestehen,  bestimmte  Atomvolum€ 
zuzuschreiben,  als  deren  Summe  das  Molekularvolum  der  Verbindung 
erscheint.  Doch  erweist  sich  dies  nicht  als  völlig  möglich,  indem  die  Ab- 
weichungen zu  gross  werden.  Die  fi-agliche  Eigenschaft  ist  also  keine 
rein  additive.  Kopp  zeigte  nun,  wie  die  verschiedene  Bindung  des 
Sauerstoffs  mit  den  Abweichungen  in  Beziehung  steht:  wenn  der  Sauer- 
stoff zweiwertig  an  dasselbe  Kohlenstoffatom  gebunden  ist  (Carbonyl- 
Sauerstoff),  so  ist  das  Molekularvolum  gi*össer,  als  wenn  der  Sauerstofl 
nur  durch  eme  Valenz  mit  dem  Kohlenstoff  in  Beziehung  steht  (Hydroxyl- 
bez.  Äthersauerstoff).  Erteilt  man  dem  Sauerstoff  je  nach  seiner  chemischen 
Funktion  verschiedene  Volume,  so  lassen  sich  die  Molekularvolume  der  Ver- 
bindungen mit  Abweichungen  von  höchstens  4  Prozent  als  Summen  der 
Atomvolume  ihrer  Verbindungen  darstellen. 

Die  Zahlenwerte  dieser  Volume  sind 

Kohlenstoff  1 1 

Wasserstoff  5  »5 

Carbonyl- Sauerstoff  12-2 

Hydroxyl-  Sauerstoff  7  •  8 


Volum  Verhältnisse  flüssiger  Stoffe.  129 

Haben    wir   z.  B.    Essigsäure,    CH*CO(OH),    so   giebt   die   Rechnung 

folgendes 

2C  =-22 

4H  «22 

0  (Carbonyl)        =  1l^'2 

0  ^Hydroxyl^      =    7s 

ül-u 

Der  beobachtete  Wert  ist  63*7. 

Auch  für  andere  Elemente  hat  Kopp  Atomvolume  festgestellt,  die  sich 

wie  folgt  ergeben  haben: 

Schwefel        22- (5 

Chlor  22-8 

Brom  278 

Jod  37-r) 


Phosphor 

254 

Silicium 

32 

Arsen 

26 

Antimon 

33 

Zinn 

40 

Titan 

35 

^  Die  letzten  Zahlen  sind  ziemlich  unsicher,  da  sie  nur  aus  wenig  Verbindungen 

'  abgeleitet  wurden. 

!  Am  Stickstoff  wurden,  je  nach  der  Natur  der  untersuchten  Stoffe,   sehr 

i  verschiedene  Zahlen    erhalten,    die    sich    nicht   einheitlich    erklären   Hessen; 

[  ebenso  gaben  einige  Schwefelverbindungen  Abweichungen  zu  erkennen.  Diese 
Umstände  führten  zu  der  Überzeugung,  dass  der  Einfluss,  welchen  die  che- 

!  mische  Funktion  des  Elements  auf  das  Atomvolum  hat,  nicht  nur  beim  Sauer- 

I  Stoff  vorhanden  ist,  sondern  tiberall  dort,  wo  die  Elemente    in  verschieden- 

,  artiger  Bindung  auftreten. 

I  So  hat  Buff  (1865)  gezeigt,   dass  die  ungesättigten  V^erbindungen  stets 

I  ein  etwas  grösseres  Molekularvolum  aufweisen,  als  es  sich  aus  Kopps  Zahlen- 
werten der  Atomvolume  berechnet.  Das  gleiche  Ergebnis  ist  später  von 
Schiff  und  Horstmann  erhalten  worden;  letzterer  hat  gleichzeitig  den  grossen 
Einfluss  nachgewiesen,  welchen  die  chemische  Konstitution  noch  in  anderer 
Richtung,  durch  die  sogenannte  Ringschliessung  ausübt. 

Die  spätere  Entwickelung    der  Lehre    von    den    Molekularvolumen 
wurde  lange  Zeit  dadurch  gehemmt,  dass  die  Forscher  Versuche  machten, 

j  die  additive  Form  der  Gesetzmässigkeiten  festzuhalten,  und  durch  die 
Annahme  besonderer  Reihenkonstanten,  verschiedener  Werte  der  Atom- 
volume in  verschiedenen  Gruppen  u.  s.  w.  die  thatsächlichen  Abweichungen 
von  den  einfachen  Summenwerten  der  Koppschen  Formel  in  einen  Aus- 
druck von  dem  gleichen  Typus  aufzunehmen.  Alle  diese  Versuche  sind 
schliesslich  missglückt. 

Erst  in  neuerer  Zeit  ist  die  andere  Betrachtungsweise  angenommen 
worden,  dass  daß  Molekularvolum   nicht  eine  rein   additive  Eigenschaft 

Ostwald,  Grimdriss.  3.  Aufl.  9 


130  IIL   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

ist,  sondern  konstitutive  Einflüsse  enthält,  wenn  auch  in  viel  ge- 
ringerem Betrage,  als  der  Siedepunkt.  Nun  muss  man  sich  aber  sagen, 
dass  es  nie  zwei  Fälle  geben  kann,  wo  formell  übereinstimmende  chemisdie 
Änderungen  zweier  Stoffe  als  völlig  gleichwertig  angesehen  werden  können. 
Nehmen  wir  die  Substitution,  welche  den  geringsten  bez.  regelmässigsten 
Einfluss  auf  die  chemischen  Eigenschaften  ausübt,  den  Ersatz  von  Wasser- 
stoff durch  Methyl.  Die  dabei  entstehenden  Stoffe  nennt  man  gerade 
wegen  der  Geringfügigkeit  dieses  Einflusses  homolog. 

Während  nun  z.  B.  der  Übergang  von  einem  Alkohol  zu  dem 
nächst  höheren  homologen  bei  Verbindungen  mit  20  und  mehr  Kohlen- 
stoffatomen einen  so  geringen  Einfluss  übt,  dass  man  beide  an  ihren 
chemischen  Eigenschaften  kaum  unterscheiden  kann,  so  ist  die  ent- 
sprechende Änderung  um  so  grösser,  je  weniger  Kohlenstoffatome  vor- 
handen sind,  und  wird  zwischen  Äthyl-  und  Methylalkohol  am  grössten. 
Ähnliches  gut  für  alle  entsprechenden  li^lle.  Man  muss  allgemein  sagen, 
dass  übereinstimmende  Substitutionen  oder  sonstige  chemische  Änderungen 
in  verschiedenen  Stoffen  nicht  gleichwertig  sind,  ja  streng  genommen  nie 
gleichwertig  sein  können.  Deshalb  giebt  es  auch  nie  zwei  ganz  gleich- 
wertige Konstitutionsverschiedenheiten,  und  deshalb  kann  auch  der  kon- 
stitutive Einfluss  analoger  chemischer  Verschiedenheiten  nie  vollkommen 
der  gleiche  sein. 

Die  Aufgabe  der  Forschung  auf  diesem  Gebiete  kann  daher  nicht 
die  Aufstellung  irgend  welcher  starrer  Formeln  sein,  sondern  es  ist  der 
Parallelismus  zwischen  der  Mannigfaltigkeit  der  Konstitutionsverschieden- 
heiten und  den  entsprechenden  Abweichungen  des  Molekularvolums  vom 
einfachen  Schema  festzustellen.  Doch  ist  mit  Bewusstsein  in  dieser 
Richtung  bisher  kaum  gearbeitet  worden. 

Die  bisherigen  Betrachtungen  bezogen  sich  auf  die  Molekularvoluine, 
wie  sie  bei  den  Siedepunkten  der  Stoffe  unter  Atmosphärendruck  gemessen 
wurden.  Man  kann  sich  fragen,  ob  die  Wahl  dieser  Temperaturen  als  ver- 
gleichbarer berechtigt  ist.  Die  einzige  einigermassen  begründete  Kritik, 
welche  hier  geübt  werden  kann,  beruht  auf  dem  Theorem  der  vergleichbaren 
Zustände  von  van  derWaals  (S.  116).  Hiernach  müssten  es  nicht  die  Siedepunkte 
unter  gleichem  Drucke,  sondern  unter  gleichen  Bruchteilen  der  kritischen 
Drucke  sein,  bei  denen  die  Volume  vergleichbar  werden.  Dass  mau  auch  bei 
den  gewöhnlichen  Siedepunkten  Regelmässigkeiten  gefunden  hat,  wäre  auf  den 
Umstand  zurückzuführen,  dass  die  kritischen  Drucke  voneinander  nicht  sehr 
verschieden  sind,  und  dass  daher  die  Siedepunkte  bei  gleichem  Druck  sich 
nicht  sehr  weit  von  vergleichbaren  Zustanden  unterscheiden. 

In  der  That  haben  auch  Untersuchungen  über  die  Molekularvolume  bei 
anderen  Temperaturen  gleichen  Dampfdruckes  ergeben,  dass  sich  die  dort 
gefundenen  Gesetzmässigkeiten  in  gleicher  Form,  nur  mit  etwas  anderen 
Zahlenwerten  wiederholen.  Andererseits  sind  in  den  verhältnismässig  wenigen 
Fällen,  wo  man  vergleichbare  Molekularvolume  im  Sinne  von  van  der  Waals 


Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten.  131 

der  Rechnung  zu  Grunde  legte,  vorhandene  konstitutive  Abweichungen  vom 
additiven  Schema  keineswegs  zum  Verschwinden  gebracht  worden.  Wenn 
also  auch  eine  Untersuchung  der  Frage  in  diesem  Sinne  unzweifelhaft  manche 
wertvolle  Auskunft  geben  wird,  so  wird  sich  doch  das  allgemeine  Bild  zwar 
schärfer,  aber  kaum  wesentlich  anders  ausweisen.  Auch  darf  nicht  vergessen 
werden,  dass  der  Satz  von  den  übereinstimmenden  Zuständen  sich  bisher  nicht 
als  ein  strenges  Gesetz,  sondern  als  eine  angenäherte  Regel  gezeigt  hat. 
Dadurch  wird  auch  die  Sicherheit  seiner  Anwendung  auf  den  vorliegenden 
Fall  vermindert. 


Siebentes  Kapitel. 

Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten. 

Das  Licht  pflanzt  sich  in  verschiedenen  durchsichtigen  Stoffen  mit 
sehr  verschiedener  Geschwindigkeit  fort.  Man  kann  die  relativen  Werte 
derselben  ermitteln,  wenn  man  den  Weg  eines  Lichtstrahls  verfolgt, 
welcher  unter  irgend  einem  Winkel  zum  Einfallslot  aus  einem  Mittel  in 
ein  anderes  tritt.  Dann  heiTscht  das  Gesetz,  dass  der  Sinus  des  Ein- 
fallswinkels zum  Sinus  des  Brechungswinkels  in  einem  beständigen  Ver- 
hältnis steht,  welches  gleich  dem  Verhältnis  der  Lichtgeschwindigkeiten 
in  beiden  Mitteln  ist  und  der  Brechungskoeffizient  genannt  wird. 

Zur  Bestimmung  des  Brechungskoeffizienten  von  Flüssigkeiten  bedient 
man  sich  hohler  Prismen,  die  mit  planparallelen  Glasplatten  verschlossen  sind 
und  mit  der  fraglichen  Flüssigkeit  gefüllt  werden.  Schickt  man  durch  einen 
Spalt  und  eine  um  ihre  Brennweite  von  demselben  entfernte  Linse  ein  paralleles 
Lichtbündel  durch  das  Prisma  und  sucht  mit  einem  auf  Unendlich  eingestell- 
ten Fernrohr  das  abgelenkte  Bild  des  Spaltes  auf,  während  man  das  Prisma 
80  dreht,  dass  die  Ablenkung  möglichst  klein  ist,  so  steht  der  Ablenkungs- 
winkel d  zum  brechenden  Winkel  des  Prismas  w  und  dem  Brechungskoeffi- 
zienten n  in  der  einfachen  Beziehung: 

^  ^  sin  Va  (w  -f  d) 
sin  7a  w 

Dies  ist  die  gewöhnlichste  Methode  der  Bestimmung  des  Brechungs- 
koeffizienten. Ein  anderes,  viel  bequemeres,  und  ebenso  genaues  Verfahren  be- 
ruht auf  der  Erscheinung  der  totalen  Reflexion. 

Ist  i  der  Einfalls-  und  r  der  Brechungswinkel,  so  gilt,  wie  erwähnt, 

-; —  =  n  oder  sin  i  =  n  sin  r.  Bewegt  sich  das  Licht  aus  einem  optisch  dün- 
neren in  ein  dichteres  Mittel,  so  ist  n  grösser  als  Eins,  und  daher  i  grösser 
als  r.  Es  giebt  also  für  jeden  Wert  von  i  immer  einen  reellen  Wert  von  r. 
Geht  aber  das  Licht  aus  einem  dichteren  in  ein  dünneres  Mittel  über,  so 
i8t  n  kleiner  als  Eins,  und  daher  r  grösser  als  i.    Dann  aber  kann  nicht  zu 

9* 


132  in.   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

jedem  Wert  von  i  ein  reeller  Wert  von  r  gehören.  Ist  z.  B.  n  =  0-8,  so 
ist  zwar  für  Einfallswinkel,  deren  Sinus  kleiner  als  0-8  ist,  ein  Brechungs- 
winkel möglich;  für  sin  i  =  0*8  aber  wird  sin  r=l,  und  daher  r  =  90', 
d.  h.  der  Strahl  tritt  nicht  mehr  in  das  zweite  Mittel,  sondern  bewegt  sich 
parallel  der  Einfallsebene  fort.  Für  Einfallswinkel,  welche  grösser  sind, 
ist  sin  i>0-8,  und  sin  r  müsste  grösser  als  Eins  sein,  was  unmöglich  ist 
Es  hört  dann  die  Brechung  überhaupt  auf,  und  statt  ihrer  tritt  totale  Re- 
flexion ein. 

Der  Grenz  Winkel,  bei  welchem  die  totale  Reflexion  beginnt,  folgt  aus 
dem  Gesagten ;  er  entspricht  der  Bedingung  sin  r  «*  1 ,  woraus  sin  i  =  n  folgt. 
Bestimmt  man  diesen  Grenzwinkel,  so  lässt  sich  aus  ihm  der  Brechungs- 
koeffizient berechnen. 

Die  Apparate,  welche  zu  diesem  Zwecke  dienen,  heissen  gewöhnlich 
Refraktometer.  Das  erste  Instrument  dieser  Art  ist  von  Wollaston  (1801)  an- 
gegeben worden,  neuerdings  sind  bequeme  Apparate  von  Abbe  und  von 
Pulfrich  konstruiert  worden. 

Beobachtet  man  die  Ablenkung  eines  weissen  Lichtstrahls  durch 
ein  Flüssigkeitsprisma,  so  erhält  man  ein  Spektrum,  indem  die  ver- 
schiedenen Farben  verschieden  stark  gebrochen  werden.  Man  muss  da- 
her die  Brechungskoeffizienten  für  bestimmte  Lichtstrahlen  messen.  Die 
für  diesen  Zweck  zumeist  angewendeten  Lichtarten  sind  in  der  nach- 
stehenden Tabelle  mit  ihren  Wellenlängen  in  Milliontel-Millimetern  ver- 
zeichnet. 

Lithium  (rot)  670-6 

Wasserstoff  (rot)  656-2 

Natrium  (gelb)  085-5  und  588-9 

ThaUium  (grün)  534-5 

Wasserstoff  (grün)         486-0 

Wasserstofl'  (violett)       434-0 

Der  Brechungskoeffizient  einer  gegebenen  Flüssigkeit  ist  ausser  von 
der  Natur  des  Lichtes  noch  von  der  Temperatur  abhängig,  und  zwar 
nimmt  er  im  allgemeinen  mit  steigender  Temperatur  ab.  Ebenso  ändert 
er  sich,  wenn  man  durch  Änderung  des  äusseren  Dinickes  das  spezifische 
Volum  der  Flüssigkeit  ändert.  Es  muss  daher  gefragt  werden,  ob  es 
nicht  eine  Funktion  des  Brechungskoeffizienten  giebt,  welche  den  Ein- 
fluss  des  Stoffes  auf  die  Lichtgeschwindigkeit,  unabhängig  von  dem 
Räume,  auf  welchen  der  Stoff  verteilt  ist,  zur  Darstellung  bringt. 

Solcher  Formeln  sind  im  Laufe  der  Zeit  mehrere  vorgeschlagen 
worden.  Zuerst  hatte  Newton  auf  Grund  seiner  Emissionstheorie  des 
Lichtes  den  Ausdruck  (n* —  l)/d,  wo  d  die  Dichte  ist,  entwickelt.  Durch 
die  Undulationstheorie  wurde  dieser  Formel  der  theoretische  Boden  ent- 
zogen; dass  sie  auch  empirisch  sich  nicht  halten  Uess,  wurde  durch 
Gladstone  und  Dale  erwiesen.  Die  letzteren  zeigten  gleichzeitig  (1858), 
dass  die  ähnlich  gebildete,   aber  einfachere  Funktion  (n —  l)/d  in   viel 


Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten.  133 

höherem  Masse  bei  wechselnden  Temperataren  konstant  bleibe,  und 
schlössen  daher^  dass  sie  als  das  eigentliche  Mass  des  Brechungsver- 
mögens  anzusehen  sei. 

Bei  der  Prüfung  dieser  Formel^  die  bald  darauf  durch  Landoit  und 
andere  erfolgte,  erwies  sieh,  dass  sie  zwar  mit  ziemlich  guter  Annäherung, 
nicht  aber  vollständig  konstante  Werte  gab.  Eine  theoretische  Be- 
gründung für  sie  wurde  nicht  aufgestellt. 

Bei  dem  Versuche  eine  theoretisch  begründete  Formel,  wenn  auch  auf 
teilweise  hypothetischem  Boden  zu  finden,  gelangten  zwei  Forscher,  L.  Lorenz 
und  H.  Lorentz  (1880),  zu  dem  gleichen  Ausdrucke  (n* —  l)/(n*+2)d 
==con8t.,  welcher  somit  das  gesuchte  absolute  Mass  der  Brechung  dar- 
stellen sollte.  Da  die  eine  Ableitung  auf  den  Voraussetzungen  der 
elastischen  Äthertheorie  des  Lichtes,  die  andere  auf  der  elektromagnetischen 
Lichttheorie  beruhte,  so  war  durch  diese  Übereinstimmung  ganz  ver- 
schiedenartiger Entwickelungen  eine  Wahrscheinlichkeit  dafür  gegeben,  dass 
das  Ergebnis  allgemeinere  Bedeutung  habe,  als  sie  ihm  vermöge  der  be- 
nutzten einzelnen  Grundlagen  zukam. 

Die  Bedeutung  solcher  Formeln  ist,  dass  die  entsprechenden  Aus- 
drücke ein  Mass  des  Einflusses  der  Stoffe  auf  die  Lichtgeschwindigkeit 
darstellen  sollen,  das  nur  von  der  Beschaffenheit  des  Stoffes,  nicht  aber 
von  seinen  willkürlich  veränderlichen  Zuständen  abhängen  soll.  Die 
Prüfung  der  Formeln  besteht  daher  darin,  dass  man  einen  und  denselben 
Stoff  in  möglichst  verschiedene  Zustände  bringt,  und  zusieht,  ob  der  Aus- 
druck seinen  Wert  beibehält  oder  änderte 

Solche  verschiedene  Zustände  kann  man  auf  mehreren  Wegen  er- 
reichen. Man  kann  die  Temperatur  oder  den  Druck  ändern  und  dadurch 
die  Dichte  beeinflussen,  oder  man  kann  den  Stoff  mit  einem  anderen 
von  bekannten  Brechungsverhältnissen  vermischen,  und  zusehen,  ob  sich 
der  Wert  des  Ausdruckes  additiv  aus  den  Werten  der  Bestandteile 
zusammensetzt. 

Nach  den  beiden  ersten  Methoden  hat  man  nur  die  mit  der  Tempe- 
ratur oder  dem  Drucke  veränderUchen  Werte  der  Dichte  d  gleichzeitig 
mit  dem  entsprechenden  gemessenen  Brechungskoeffizienten  in  die  Formel 
zu  setzen,  und  die  erhaltenen  Werte  zu  vergleichen. 

Das  Mischungsverfahren  beruht  auf  folgendem  Ansatz.  Ist  r^  und 
rg  der  Wert  der  Funktion  an  den  Bestandteilen  des  Gemisches,  und  r 
derselbe  am  Gemische  selbst,  das  aus  den  Mengen  x  und  1  —  x  der 
beiden  Anteile  zusammengesetzt  sei,  so  muss  bei  additivem  Verhalten  die 
Beziehung  gelten  r  =  xri  +  (1  — x)r2. 

Die  Prüfung  der  drei  vorgeschlagenen  Ausdrücke  (n^ — l)/d, 
(n — l)/d  und  (n* — l)/(n*4~2)d  hat  nun  ergeben,  dass  keiner  von 
ihnen  die  Forderung  der  Unabhängigkeit  von  den  äusseren  Umständen 
vollständig  erfüllt.  Am  wenigsten  thut  dies  der  erste  Ausdruck,  der  des- 
halb allgemein  verworfen  worden  ist.  Die  beiden  anderen  Ausdrücke 
sind  annähernd  gleichwertig,  indem  bald  der  eine^  bald  der  andere  einen 


134  m*    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

besseren  Anschluss  an  die  Erfahrung  liefert.  Es  würde  dalier  der  erste 
als  der  einfachere  vorzuziehen  sein,  wenn  nicht  abgesehen  von  der  (aller- 
dings nicht  zwingenden)  theoretischen  Ableitung  sich  in  einem  besonderen 
Falle  die  letzte  Formel  als  überlegen  erwiesen  hätte.  Während  nämlidi 
sich  die  zweite  Formel  beim  Vergleich  der  Brechung  flüchtiger  Stoffe 
im  gasförmigen  und  im  flüssigen  Zustande  als  ungenau  erwiesen 
hatte,  zeigte  Lorenz  durch  eine  experimentelle  Untersuchung  an  einer 
Anzahl  verschiedener  Stoffe,  dass  die  letzte  Formel  auch  dieser  sehr 
grossen  Änderung  der  Dichte  zu  folgen  vermag.  Die  nachstehende 
Tabelle  giebt  die  Werte  des  Ausdruckes  (n*  —  l)/(n*-|-2)  d  in  beiden 
Zuständen  an,  und  man  sieht,  dass  die  Wert«  gut  übereinstimmen. 

flüssig  (20«)  gasförmig 

Äthyläther  0-3029  0-3068 

Äthylalkohol  0-2807  0-2825 

WaÄser  0-2061  0-2068 

Chloroform  0.1791  0-1796 

Aus  diesem  Grunde  ist  gegenwärtig  die  dritte  Formel  fast  aus- 
schliesslich im  Gebrauch.  Für  die  alsbald  zu  besprechenden  stöchio- 
metrischen  Zwecke  ist  übrigens  die  Anwendung  der  einen  oder  der  an- 
deren Formel  ohne  gi'ossen  Belang,  da  die  gefundenen  Beziehungen  sich 
ganz  übereinstimmend  nach  beiden  gestalten;  die  Zahlenwerte  sind  zwar 
verschieden,  die  allgemeinen  Gesetzmässigkeiten  dagegen  bleiben  bestehen. 

Ehe  indessen  hierauf  eingegangen  werden  kann,  muss  bedacht 
werden,  dass  der  Zahlenwert  der  Brechungskonstanten  noch  von  der 
Wellenlänge  des  Lichtes  abhängt,  fiir  welches  die  Brechung  bestimmt 
worden  ist.  Denn  der  Brechungskoeffizient  wird  meist  um  so  grösser, 
je  kleiner  die  Wellenlänge  ist,  und  zwar  in  verschiedenem  Masse  bei 
verschiedenen  Stoffen;  es  ist  mit  anderen  Worten  die  Dispersion  fiir  ver- 
schiedene Stofle  verschieden.  Wäre  sie  dem  Brechungskoeffizienten  pro- 
portional, wie  Newton  angenommen  hatte,  so  könnte  dieser  Einfluss  da- 
durch eliminiert  werden,  dass  man  alle  Werte  auf  irgend  einen  be- 
stimmten Brechungskoeffizienten  bezöge,  da  der  Übergang  auf  irgend 
einen  anderen  durch  einen  konstanten  Faktor  zu  bewirken  wäre.  Doch 
ist  eine  solche  einfache  Beziehung  keineswegs  vorhanden,  und  es  ist  da- 
her die  Frage  vielfach  erörtert  worden,  wie  die  hierin  liegende  Mannig- 
faltigkeit zu  bewältigen  ist. 

Zuerst  hatte  Schrauf  (1862)  vorgeschlagen,  statt  irgend  einer  be- 
stimmten Wellenlänge  die  Konstante  A  der  Dispersionsfoimel  von  Cauchy 

n  =  A4- ^  + -^4^  +  ••  zu  benutzen,  wo  A  die  Wellenlänge  ist,  und 

in  welcher  für  2  =  oo  der  Brechungskoeffizient  n  =  A  wird,  und  der 
Vorschlag  war  auch  vielfach  befolgt  worden.  Es  schien  in  der  That 
rationell,  statt  mit  dem  Brechungskoeffizienten  fiir  irgend  eine  Wellen- 
länge mit  d^m  für  uaeudlich  lange  Wellen  ?u   rechnen,     Doch   ergab 


Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten.  135 

sich^  dass  die  erwälmte  Formel  die  Dispersion  gar  nicht  genügend  dar- 
stellt; je  nach  den  benatzten  Beobachtungen  erhielt  man  verschiedene 
Werte  fiir  A,  und  wie  insbesondere  durch  Messungen  im  ultraroten 
Spektrum  wahrscheinlich  gemacht  wurde,  strebt  der  Grenzwert  des 
Brechungskoeffizienten  keinem  bestimmten  Werte  zu. 

Man  ist  daher  zu  der  Benutzung  eines  bestimmten  Strahles  zurück- 
gekehrt, und  bezieht  die  Werte  meist  auf  die  rote  Wasserstofflinie  mit 
der  Wellenlänge  von  656-2  Milliontel-Millimeter,  oder  die  Natriumlinie, 
die  mit  der  D-Iinie  des  Sonnenspektrums  zusammenfällt 

Der  Übergang  auf  stöchiometrische  Berechnungen  wird  erzielt,  wenn 
man  die  auf  die  Masseneinheit  (durch  die  Dichte)  bezogene  Brechungs- 
konstante mittelst  Multiplikation  mit  dem  Molekulargewicht  auf  chemisch 
vergleichbare  Mengen  bezieht.  Man  erhält  dadurch  die  Molekular- 
refraktion R  =  m(n—  l)/d  und  R«  =  m  (n«  —  l)/(n«  + 2)d,  und  die 
erste  Frage,  die  sich  erheben  lässt,  ist  die  nach  den  Beziehungen  der 
Molekularrefraktionen  chemisch  vergleichbarer  Stoffe,  insbesondere  nach 
der  Beziehung  zwischen  den  entsprechenden  Werten  der  Verbindungen 
und  ihrer  Elemente. 

Solche  Fragen  and  zuerst  (1856)  von  Berthelot  unter  Benutzung 
der  unzulänglichen  Newtonschen  Formel  aufgeworfen  worden,  und  es 
hatte  sich  dort  bereits  ergeben,  dass  es  sich  um  eine  im  wesentlichen 
additive  Eigenschaft  handelt.  Mit  Benutzung  der  Gladstoneschen  Formel 
hat  dann  Landolt  (1864)  an  einem  sehr  umfassenden  und  sorgfältig  be- 
stimmten Material  gezeigt,  dass  sich  in  der  That  ein  additives  Schema 
in  gutem  Anschlüsse  an  die  Erfahrung  durdiföhren  lässt 

Der  Weg,  den  die  Forschung  hier  genommen  hat,  ist  völlig  über- 
einstimmend mit  dem,  den  Kopp  bei  der  Erforschung  der  Molekular- 
volume gegangen  ist  Es  wurde  zuerst  nachgewiesen,  dass  gleichen 
Unterschieden  der  chemischen  Zusammensetzung  gleiche  Unterschiede  der 
Molekularrefraktion  entsprechen,  und  daran  schloss  sich  der  Versuch,  flir 
die  Elemente  Atomrefraitionen  zu  bestimmen,  durch  deren  Summierung 
unter  Multiplikation  mit  den  Atomzahlen  sich  die  Molekularrefraktion  er- 
gab. Ist  R  die  Molekularrefraktion  einer  Verbindung,  deren  Elemente 
die  Atomrefraktionen  R],  R^,  R3, .  . . .  haben  und  mit  den  Zahlen 
Hj,  ng,  Ug,....  in  der  Verbindung  enthalten  sind,  so  gilt  die  allgemeine 
Formel  R  =  n,  R,  +  n,  R^  +  Ug  R3  + 

Auf  diese  Weise  sind  besonders  von  Landolt  viele  organische  Ver- 
bindungen der  Fettreihe  untersucht  worden,  wobei  es  sich  ergab,  dass 
die  Formel  sich  den  Thatsachen  zwar  nicht  absolut,  doch  mit  ziemlich 
guter  Annäherung  anschliesst.  Einflüsse  von  der  Art,  wie  sie  Kopp  bei 
der  verschiedenen  Bindung  des  Sauerstoffe  beobachtet  hatte,  Hessen  sich 
hier  gleichfalls  erkennen,  wurden  aber  zunächst  nicht  eingehender  verfolgt. 

Aus  seinen  Messungen  hatte  Landolt  unter  Benutzung  der  Formel  von 
Gladstone  die  Atomrefraktioneu  C  =  50Ö,  H  =  1-30,  0  =  3-00  berechnet.    Die 


136  HI.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Anwendung  ergiebt  sich  aus  einem  Beispiel.  Für  Äthylalkohol,  C^  H^  0, 
wurde  d  =  0-8011,  n  =  1-361  gefunden.  Da  m  =  46  ist,  so  ergiebt  sich 
m(n  —  l)/d  =  20-70,  während  die  Summe  der  Atomrefraktionen  20-80  be- 
trägt.    Die  Übereinstimmung  liegt  innerhalb  VaVo- 

Während  bei  diesen  ersten  Arbdten  der  Nachweis  der  additiven 
Gesetzmässigkeiten  im  Vordergrunde  stand  ^  stellte  sich  doch  trotzdem 
herauS;  dass  diese  nicht  allein  thätig  sind.  Nachdem  bereits  Grladstone 
und  Landolt  einzelne  abweichende  Fälle  nachgewiesen  hatten,  zeigte 
Binihl  (1880),  daas  insbesondere  eine  konstitutive  Eigentümlichkeit,  die 
sogenannte  doppelte  Bindung  des  Kohlenstofls,  grosse  und  regelmässige 
Abweichungen  von  dem  ursprünglichen  Schema  bewirkt.  Derartige 
Stoffe  zeigen  stets  eine  grössere  Molekularrefraktion,  als  sich  aus  den 
Einzelwerten  berechnet,  und  man  muss  daher  den  Satz  von  Landolt  in 
ähnlicher  Weise  erweitem,  wie  das  Koppsche  Gesetz  von  den  Molekular- 
Volumen.  Neben  der  additiven  Sumraierung  machen  sich  konstitutive 
Einflüsse  geltend,  und  die  Elemente  tragen  je  nach  der  Art,  wie  sie  sich 
bethätigen,  verechieden  viel  zur  Molekularrefi'aktion  bei. 

Dies  ist  zunächst  beim  Kohlenstoff*  genauer  untersucht  worden, 
gilt  aber,  wie  die  vorhandenen  Messungen  ersehen  lassen,  auch  für 
andere  Elemente,  und  zwar  nicht  nur  für  solche,  die  wie  Sauerstoff, 
Schwefel,  Stickstoff  u.  s.  w.  sich  mit  verschiedener  Valens  und  in  ver- 
schiedener Bindungsweise  bethätigen,  sondern  auch  für  einwertige.  So 
wird  von  Brühl  folgende  Zusammenstellung  gegeben: 

Kohlenstoff  2-48 

Wasserstoff  1 04 

Hydroxy  Isanerstoff  1-58 

Carbonylsauerstoff  2-34 

Chlor  602 

Brom  8-95 

Jod  13-99 

Stickstoff  (einfach  gebunden)  3-02 

Doppelbindung  am  Kohlenstoff  1-78 
Dreifache  Bindung  am  Kohlenstoff    2-18 

Die  beiden  letzten  Werte  bedeuten,  dass  zwei  doppelt  gebundene 
Kohlenstoffatome  nicht  die  Atomrefraktion  2x2-48  =  4-96,  sondern 
die  um  1-78  gi'össere  6-74  besitzen;  ebenso  haben  zwei  dreiwertig 
gebundene  Kohlenstoffatome    den   Refraktionswert  4-96 -|- 2-18  =  7-14. 

Mit  Hilfe  dieser  Konstanten,  welche  sich  auf  die  Formel  — ^^ 

n^-l-  2    d 

und  den  a-Strahl  des  Wasserstoffs  beziehen,  ergeben  sich  nun  Werte 
für  die  Molekularrefraktion  von  Verbindungen,  welche  mit  den  beobach- 
teten meist  recht  gut  übereinstimmen.  Der  ziemlich  erhebliche  und  sehr 
konstante  Einfluss  der  doppelten  Bindung  hat  sich  insbesondere  mehr- 
fach von  Nutzen  bei  der  Erörterung  von  Konstitutionsfragen   erwiesen. 


Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten.  137 

Man  darf  indessen  nicht  annehmen,  dass  die  noch  vorhandenen  Unter- 
schiede zwischen  Messung  und  Rechnung  nur  Beobachtungsfehler  sind.  Es 
geht  vielmehr  aus  dem  sehr  vermehrten  Beobachtungsmaterial  mit  Sicherheit 
hervor,  dass  die  Unterschiede  wirklich  bestehen.  Man  hat  sie  darauf  zu- 
rückzuführen versucht,  dass  die  Dispersion  sich  noch  nicht  berücksichtigen 
lasst,  wie  denn  Stoffe  mit  starker  Dispersion  regelmässig  eine  grössere  Mole- 
nilarrefraktion  aufweisen,  als  sich  aus  den  vorstehenden  Konstanten  be- 
Tßchnen  lässt.  Aber  auch  bei  anderen  Stoffen  ohne  starke  Dispersion  haben 
ich  solche  Abweichungen  gezeigt,  so  dass  der  oben  gezogene  Schluss,  dass 
her  das  additive  Schema  der  Refraktionskonstanten  sich  konstitutive  Ein- 
üsse  von  geringerem  Betrage  lagern,  sich  überall  geltend  macht.     Die  Fest- 

Uung  der  Art  und  des  Betrages  dieser  Einflüsse   steht  noch  der  Zukunft 

heim. 

Die  oben  mitgeteilten  Konstanten  lassen  sich  zum  Teil  in  der  Weise 

rufen,  dass  man  die  Atomrefraktionen  der  freien  Elemente  aus  ihren 

echungskoeffizienten  und  Dichten  berechnet.    So  ergaben  sich  aus  den 

Herten  für  die  gasförmigen  Stoffe  Wasserstoff  und  Chlor  die  Refraktionen 

=  105,  CI  =  5-78,  welche  mit  den  aus  den  Verbindungen  abgeleiteten 

igermassen  stimmen. 

Andere  Fälle  zeigen  indessen  wieder  grosse  Abweichungen.  Ebenso 
ndet  man  bei  dem  Versuche,  die  Molekularrefraktion  insbesondere  der  ein- 
ichsten  Verbindungen  additiv  zu  berechnen,  mannigfaltige  Widersprüche. 
Is  sind  hier  die  gleichen  Erwägungen  anzustellen,  die  bezüglich  der 
Lolekularvolume  (S.  130)  angestellt  worden  sind.  Gerade  bei  den  ersten 
rüedem  der  verschiedenen  Reihen  vergleichbarer  Stoffe  machen  sich  die 
esonderen  konstitutiven  Eigentümlichkeiten  am  meisten  geltend,  und  man 
It  daher  nicht  berechtigt,  aus  Verhältnissen,  die  sich  an  zusammenge- 
ßtzteren  Stoffen  ergeben  haben,  Schlüsse  auf  Konstitutionseigenschaften 
[>lcher  einfacher  Verbindungen  zu  ziehen.  Vielmehr  sind  diese  durch- 
ns  als  individuell  zu  behandeln. 

Dies  gilt  insbesondere  auch  fiir  die  Refraktionskonstanten  gasförmiger 
toffe.     Wiewohl  sich  diese  in  den  vergleichbarsten  Zuständen  befinden, 
e   wir    überhaupt    kennen,    sind    doch    ihre    Brechungsverhältnisse    in 
ossem  Widerspruch  mit  dem  additiven  Schema.    Dies  rührt  daher,  dass 
sich    hier   meist   um    ganz    einfach  zusammengesetzte  Stoffe  handelt, 
ren   individuelle  Beschaffenheit  entscheidend  in  den  Vordergrund  tritt, 
ie  Refraktionsverhältnisse  der  Dämpfe  zusammengesetzterer  Stoffe  zeigen 
egen    wieder    dieselben    Regelmässigkeiten,    die    an    den    Stoffen    im 
igen  Zustande  zu  beobachten  sind. 

Viel  weniger  eingehend  untersucht,  als  die  organischen  Verbin- 
gen, sind  die  der  anorganischen  Chemie.  Hier  verdanken  wir  fast 
es,  was  wir  wissen,  den  Arbeiten  Gladstones.  Auch  hier  hat  sich  im 
gemeinen  ein  additives  Gesetz  gültig  gezeigt,  jedoch  mit  deutlicher 
itwirkung  konstitutiver  Umstände.  So  ist  z.  B.  die  Molekularrefraktion 
ier  Säuren  von  denen  ihrer  Kalisalze  um  eJn^ß  Wert  verschieden,  der 


138  ni.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten.  ! 

für  alle  starken  Säuren  nahezu  gleich  ist^  und  ebenso  für  alle  schwache^ 

Säuren;  fiir  beide  Gruppen  ist  der  Unterschied  aber  nicht  gleich.    Ebeal 

so  stellte  sich  heraus,  dass  wenn  ein  Metall  mehrere  Salzreihen  zu  bildel 

vermag,  es  in  jeder  dieser  Reihen  eine  besondere  Atomrefraktion  besitz! 

Die    Bestimmungen    der    Molekularrefraktionen     der    hierhergehörigfl^ 

Stoffe  ist  meist  an  ihren  wässerigen  Lösungen   ausgeführt  worden.     Bestel 

dieselbe  aus  p  Molen  Wasser  auf  ein  Mol  des  Stoffes,  so  gilt  die  Beziehun 

(vgl.  S.  135)  ^  ^ 

^  ^  (18.01  p  +  m)  r  «  18-01  p  r«  +  m  R, 

wo  18'01  das  Molekulargewicht  des  Wassers,  m  das  des  gelösten  Stoffes  b« 

deutet,  und  r,  Tq  und  R  die  Brechungskonstanten   ((n  —  l)/d  oder  — ^— — ^-d 

der  Lösung,  des  Wassers  und  des  Stoffes  sind.  Daraus  folgt  die  Moleküls^ 
refraktion  des  letzteren  ' 

m  R  =  (18-01  p  +  m)r— 18-01  pr^.  ' 

Durch  besondere  Versuche  glaubte  Gladstone  sich  überzeugt  zu  haben,  dal 
man  übereinstimmende  Werte  für  die  Molekularrefraktion  erhält,  ob  man  ^ 
an  dem  festen  Stoff  (er  benutzte  Prismen  von  Steinsalz)  oder  an  der  Lösu^ 
bestimmt,  doch  haben  neuere  Untersuchungen  erwiesen,  dass  auch  diese  Be 
Ziehung  nicht  genau  ist. 


Achtes  Kapitel. 

I 
Drehung  der  Folarisationsebene.  ^ 

Die  Fähigkeit  gewisser  flüssiger  Stoffe,  die  Polarisationsebene  dl 
Lichtes  zu  drehen,  ist  völlig  konstitutiver  Natur.  Sie  ist  eine  Egel 
Schaft,  welche  relativ  nur  wenigen  Stoffen  zukommt,  die,  soweit  die  \m 
herigen  Kenntnisse  reichen,  ausschliesslich  Kohlenstoffverbindungen  sini 
und  ist  bei  diesen,  wie  weiter  unten  gezeigt  werden  soll,  an  ganz  \a 
stimmte  Verhältnisse  gebunden. 

Der  Winkel,  um  welchen  die  Ebene  des  geradlinig  polaiisierte 
lichtes  durch  Flüssigkeiten  gedreht  wird,  ist  abhängig  von  dere 
Natur,  sowie  von  der  Wellenlänge  des  Lichtes.  Er  ist  proportiom 
der  Länge  der  durchstrahlten  Schicht  und  ändert  sich  mit  der  Ten 
peratur. 

Man  nennt  den  Winkel,  um  welchen  polarisiertes  Licht  von  b< 
stimmter  Wellenlänge  gedreht  wird,  wenn  es  durch  eine  Schicht  gegange 
ist,  deren  Dicke  ihrem  spezifischen  Gewichte  umgekehrt  proportional  is 
das  spezifische  Drehvermögen.  Dasselbe  wird  mit  [a]  bezeichne 
und  es  gilt  dann  die  Beziehung 

r  1         « 


Drehung  der  Polarisationsebene.  139 

^0  a  der  abgelesene  Winkel,  1  die  Länge  der  Schidit  und  d  das  spezi- 
Bsche  Gewicht  der  Flüssigkeit  ist.  Als  Längeneinheit  dient  gewöhnlich 
lias  Decimeter. 

Multipliziert    man    diesen  Wert    mit    dem  Molekulargewicht  m,  so 

lUt  m[a]  das  molekulare  Dreh  vermögen  dar.    Gewöhnlich  wird,  da 

ie  Zahlen  meist  sehr   gross  werden,   der  hundertste  Teil  dieses  Wertes 

enutzt^),  und  man  hat  das  molekulare  Drehvermögen  [m]  =    ^^ ,  ,  • 

Handelt  es  sich  um  Lösungen  oder  Gemenge,  so  kann  man  unter  der 

Voraussetzung   (die    übrigens    meist   nicht   zutrifft),    dass    das  Lösungsmittel 

^inen  Einfluss  auf  das  Drehvermögen  habe,  gleichfalls  ein  spezifisches  und 

pnolekulares  Drehvermögen  des  gelösten  Stoffes  bestimmen.     Sind  p  Gramme 

Ides  Stoffes  zu  v  Cubikcentimetem  gelöst,  so  ist  die  spezifische  und  mole- 

Kulare  Drehung 

r  ^  r  T        av     r   T         ™       av 


\  '  '        Ip'  ^'"J-100      Ip 

Ist  der  Gehalt  der  Lösung  dem  Gewichte  nach  gegeben,  so  dass  in  100  g 
ier  Lösung  k  Gramm  des  Stoffes  enthalten  seien,  und  ist  d  das  spezifische 

(jewicht   der  Lösung,  so  ist  ihr  Volum  — =—,  und  die  Ausdrücke  nehmen  die 

restalt  an  .  _       100      a         ,  r    -.        m .  a 

t«^=kd--T   «nd  [m]  - -j^  j- . 

)ie  Länge  1  pflegt  wiederum  in  Decimetem  gemessen  zu  werden. 

Die    Bestimmung    des    Drehvermögens    wird    meist    fiir    eine    be- 
itimmmte  Lichtart,  fast  ausnahmslos  für  das  gelbe  licht  der  Natrium- 
lamme ausgeführt;  man  bezeichnet  die   entsprechenden  Werte  mit  fß]^ 
md   [m]D,  weil  die  Natriumlinie  der  Linie   D  im   Sonnenspektrum   ent- 
geht 

Die  Apparate,  welche  zu  derartigen  Messungen  dienen,  können  hier  nicht 
nsführiich  beschrieben  werden.    Sie  bestehen  sämtlich  aus  zwei  Polarisatoren, 
ischen   welche    die    zu    untersuchende  Flüssigkeit,    eingeschlossen    in   eine 
[Glasröhre,  die  an  den  Enden  durch  planparallele  Glasplatten  verschlossen  ist, 
bracht  wird.     Waren  die  Polarisatoren  vorher  in  eine  bestimmte  Beziehung 
einander  gebracht,  z.  B.  senkrecht  gestellt,  so  dass  sie  kein  Licht  durch- 
essen, so  muss  man  nach  dem  Zwischenbringen  der  Röhre  nunmehr  den  einen 
olarisator  drehen,  um  den  gleichen  Zustand  zu  erzeugen.    Die  verschiedenen 
Apparate  unterscheiden  sich  nur  durch  die  Hilfsmittel,  vermöge  deren   die 
egenseitige  Stellung  der  Polarisatoren  erkannt  und  wieder  hergestellt  wird, 
er  Winkel,  um  den  der  Polarisator  gedreht  werden  muss,  ist  der  oben  mit 
bezeichnete   Drehungswinkel.     Man  nennt  Stoffe  rechtsdrehend,  wenn  man 
en  am  Auge    befindlichen  Polarisator   bei    eingeschalteter  Flüssigkeit   nach 


')  Besser   wäre    es,  1    in  cm  zu   messen;   dann    würde    das  molekulare 
Prehvermögen  ohne  den  Faktor  100  bequeme  Zahlen  geben. 


140  m*    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

rechts    drehen    muss,    um    den    früheren    Zustand    wieder   herzustellen,    xuA 
umgekehrt. 

Während  bei  flüssigen  Stoffen  die  Messung  sich  unzweideutig  ausföhrei 
lässt,  machen  sich  bei  Stoffen,  welche  erst  in  einer  geeigneten  Flüssigkeil 
aufgelöst  werden  müssen,  ganz  erhebliche  Schwierigkeiten  geltend.  Die  Fähig« 
keit  der  Drehung  der  Polarisationsebene  ist  eine  Eigenschaft,  die  gegen  di| 
mindesten  Einflüsse  sich  äusserst  empfindlich  zeigt,  und  so  findet  man  den^ 
oft,  wenn  man  an  Ijösungen  desselben  Stoffes  in  verschiedenen  Lösungsmittelii 
oder  auch  nur  solchen  von  verschiedenem  Gehalt  nach  den  oben  gegebenei 
Formeln  das  spezifische  Drehvermögen  bestimmt,  ganz   verschiedene  Zahlen 

Was  nun  die  Gesetze  dieser  Erscheinung  anlangt,  so  sind  die  erstei 
allgemeinen  Verhältnisse  von  Pasteur  (1848)  an  den  verschiedenen  Wein 
säuren  nachgewiesen  worden.  Ausser  der  gewöhnlichen  rechtsdrehendei 
Weinsäure  war  bereits  seit  längerer  Zeit  die  lYaubensäure  bekann^ 
welche  mit  dieser  gleich  zusammengesetzt  ist,  aber  andere  Eigenschaftei 
hat  und  die  Polarisationsebene  des  Lichtes  nicht  dreht.  Pasteur  ent 
deckte  nun,  dass  man  die  Traubensäure  in  zwei  verschiedene  Säurei 
spalten  kann,  von  denen  die  eine  mit  der  gewöhnlichen  rechten  Wein 
säure  identisch  ist,  während  die  andere  in  jeder  Beziehung  dieser  gleicht 
insbesondere  auch  genau  dieselben  chemischen  und  physikalischen  Eigen 
Schäften  zeigt,  mit  der  Ausnahme,  dass  sie  linksdrehend  ist^).  Durd 
Zusammenbringen  gleicher  Mengen  von  gelöster  rechter  und  linker  Säuii 
erhält  man  eine  Lösung,  die  alle  Eigenschaften  einer  Traubensäure 
lösung  hat. 

Es  giebt  also  zu  der  gewöhnlichen  rechten  Weinsäure  eine  „optisd 
symmetrische"  isomere  Form  mit  ganz  gleichen  Eigenschaften,  ausser  den 
entgegengesetzten  Zeichen  der  Drehung,  die  sich  mit  jener  zu  einer  \ei 
bindung  vereinigen  kann,  welche  andere  Eigenschaften  hat  und  inaktiv 
ist.  Aus  der  letzteren  Thatsache  folgt,  dass  die  beiden  aktiven  Säurei 
in  ihren  optischen  Eigenschaften  vollkommen  symmetrisch  sein  müssei 
da  sich  diese  sonst  nicht  vollständig  kompensieren  könnten.  Die  unmittel 
bare  Messung  hat  das  Gleiche  ergeben. 

Die  weiteren  Arbeiten  von  Pasteur  und  seinen  Nachfolgern  an  vei 
schiedenen  -anderen  Stoffen  zeigten  dies  Verhalten  als  ganz  allgemein 
alle  optisch  aktiven  Stoffe  treten  paarweise  auf,  so  dass  immer  ein  rechte 
und  ein  hnker  sich  entsprechen;  diese  können  sich  zu  inaktiven  Ver 
bindungen  vereinigen,  welche  man  in  Erinnerung  an  den  ersten  Fall  d« 
Traubensäure  racemische  zu  nennen  pflegt. 

Hieraus  ist  nun  zu  schliessen,  dass  die  chemische  EigenschaJ 
welche  die  optische  Drehung  zur  Folge  hat,  mit  der  Eigentümlicbkd 
der  Symmetrie  ausgestattet  sein  muss,  so  dass  sie  sich  in  zwei  entgegen 
gesetzt  gleichen  Weisen  bethätigen  kann. 


^)  Auch  an  ihren  Kry stallen  zeigen  beide  Säuren  „rechte"  und  ^^link^^ 
Formen. 


Drehung  der  Polarisationsebene.  141 

Weiter  wurde  von  Pasteur  festgestellt,  dass  die  unmittelbaren  Ab- 
kömmlinge eines  optisch  aktiven  Stoffes  (wie  z.B.  die  Salze  der  Säuren) 
gleichfalls  aktiv  sind.  Auch  die  ferneren  Abkömmlinge  sind  es  oft;  doch 
giebt  es  Änderungen,  welche  die  Aktivität  vernichten.  Es  ist  daraus  zu 
schliessen,  dass  das  Drehveimögen  an  einem  bestimmten  Komplex  in 
fiesen  Verbindungen  haftet,  und  ein  Hil&mittel  zur  Erkennung  eines 
solchen  Komplexes  liegt  in  dem  Auftreten,  bez.  Verschwinden  des  Dreh- 
vermögens. 

Als  allgemeines  Kennzeichen  aktiver  Komplexe  wiesen  gleichzeitig 
(1874)  van't  Hoff  und  Le  Bei  das  Vorhandensein  eines  „asymmetrischen 
Kohlenstoffatoms '^j  d.  h,  eines  mit  vier  verschiedenen  Elementen  oder 
Etadikalen  verbundenen  Kohlenstoffatoms  nach. 

Zur  Durchfuhrung  des  Sätzeä,  dass  optisches  Drehvermögen  und 
asymmetrischer  Kohlenstoff  miteinander  in  kausalem  Verhältnis  stehen, 
war  ein  zweifacher  Beweis  zu  fuhren. 

Ist  nämlich  das  asymmetrische  Kohlenstoffatom  die  Ursache  der 
optischen  Drehung,  so  muss  einerseits  jeder  drehende  Stoff  ein  solches 
besitzen,  anderei-seits  jede  ein  asymmeüisches  Kohlenstoffatom  besitzende 
Verbindung  sich  als  optisch  aktiv  erweisen. 

,  Von  diesen  beiden  Schlüssen  liess  sich  der  erste  verhältnismässig 
^cht  bewahrheiten.  Bis  auf  wenige  zweifelhafte  Fälle,  die  bald  zu 
jGunsten  der  Theorie  Erledigung  fanden,  waren  in  allen  als  aktiv  be- 
kannten Stoffen  entweder  aus  rein  chemischen  Gründen  bereits  solche 
Konstitutionsverhältnisse  angenommen  worden,  oder  sie  konnten  ohne 
Widerspnich  mit  anderen  Thatsachen  angenommen  werden.  Nach  dieser 
^ite  konnte  also  die  Theorie  als  zutreffend  bezeichnet  werden. 

Nach  der  anderen  Seite  sah  es  scheinbar  weniger  günstig  aus,  denn 
waren  sehr  viele   Stoffe  bekannt,  in   denen    nach    ihren    chemischen 
erhältnissen  asymmetrische  Kohlenstoffatome  angenommen  werden  mussten, 
ährend  sie  kein  Drehvermögen  aufwiesen. 

Hier  tritt  nun  die  von  Pasteur  entdeckte  Symmetriebeziehung  als 
lEi'klärungsgmnd  und  gleichzeitig  als  neues  Postulat  ein.  Man  muss  in 
lallen  diesen  Fällen  annehmen,  dass  eine  inaktive  Verbindung  mit  asym- 
metrischem Kohlenstoff  die  racemische  Form  ist,  und  steht  daher  in 
}edem  solchen  Falle  vor  der  Aufgabe,  eine  derartige  Verbindung  in  ihre 
aktiven  Bestandteile  zu  spalten.  Die  daliin  gerichtete  Forschung  hat 
ergeben,  dass  in  der  That  in  sehr  vielen  Fällen  die  Spaltung  ausfuhrbar 
ist,  und  dass  somit  auch  nach  dieser  Richtung  die  Theorie  Bestätigung 
findet. 

Die  Methoden  der  Spaltung  beruhen  auf  zwei  verschiedenen  Thatsachen. 
Zwar  sind  alle  Verbindungen  symmetrischer  aktiver  Stoffe  mit  inaktiven  Be- 
standteilen in  ihren  Eigenschaften  völlig  tibereinstimmend,  nicht  aber  solche 
mit  zweitem  aktivem  Bestandteil.  Übereinstimmend  sind  demgeraäss  zwar  alle 
Salze  der  rechten  und  der  linken  Weinsäure,  die  Metalle  an  Stelle  des  Wasser- 


142  in.    Stochiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Stoffs  enthalten;  stellt  man  aber  Salze  optisch  aktiver  Alkaloide  her,  so  sinl 
die  Eigenschaften  des  rechten  Salzes  von  denen  des  linken  nicht  nur  optisch^ 
sondern  auch  bezüglich  der  Löslichkeit,  des  Wassergehaltes  u.  s.  w.  verschiedea 
Solche  Salze  lassen  sich  nach  dem  gewöhnlichen  Verfahren  der  getrenntei| 
teilweisen  Krystallisation  scheiden,  und  damit  sind  auch  die  Säuren  trennbai^ 

Das  zweite  Verfahren  beruht  darauf,  dass  unter  gewissen  Bedingungen 
der  Temperatur,  die  allerdings  von  Fall  zu  Fall  besonders  zu  ermitteln  sin^ 
aus  Lösungen  der  racemischen  Verbindungen  die  aktiven  Bestandteile  de^ 
selben  getrennt  auskrystallisieren.  Während  nun  zwar  alle  physikalisch^ 
Eigenschaften  der  Kry stalle,  wie  Farbe,  Dichte,  Habitus,  ganz  übereinstimmeni^ 
sind ,  erweisen  sich  meist  die  Kry  stallformen  als .  symmetrisch  verschiedea 
Es  erscheint  nämlich,  wälirend  alle  Krystallwinkel  übereinstimmen,  die  Axh 
Ordnung  gewisser  Flächen  symmetrisch  entgegengesetzt,  so  dass  sich  dil 
Krystalle  wie  Gegenstand  und  Spiegelbild,  oder  wie  rechte  und  linke  HanI 
verhalten.  Ist  eine  solche  Krystallisation  erfolgt,  so  kann  man  durch  Aus- 
lesen der  rechten  und  linken  Krystalle  die  beiden  Formen  trennen. 

Ein  drittes  Verfahren,  nach  welchem  durch  die  Lebensthätigkeit  voi 
Pilzen  oder  Bakterien  die  eine  von  den  beiden  Formen  schneller  oder  aus- 
schliesslich verzehrt  wird,  kommt  wahrscheinlich  auf  das  erste  hinaus,  da  da 
Protoplasma  der  lebenden  Wesen  optisch  aktiv  ist,  und  sich  somit  bei  da 
Assimilation  den  beiden  Formen  gegenüber  verschieden  verhalten  muss. 

Zur  Veranschaulichung  des  Zusammenhanges  zwischen  Drehvef- 
mögen  und  dem  asymmetrischen  Kohlenstoff  haben  van't  Hoff  und  Le  Bd 
in  ziemlich  übereinstimmender  Form  eine  Hypothese  aufgestellt,  welche 
eine  sehr  zweckmässige  und  anschauliche  Darstellung  gestattet.  Sk 
nehmen  an,  dass  die  vier  verechiedenen  mit  einem  Kohlenstoffatom  ver- 
bundenen liadikale  an  diesem  geordnet  sind,  wie  an  den  Ecken  eine« 
Tetraeders.  So  lange  mindestens  zwei  gleiche  Radikale  vorlianden  sind, 
lassen  sich  die  vier  nur  auf  eine  Weise  am  Tetraeder  ordnen,  d.  h.  wie 
man  sie  auch  ordnen  mag,  immer  lassen  sich  zwei  derartige  Tetraedet 
durch  einfache  Drehung  miteinander  zur  Deckung  bringen.  Erst  wenn 
alle  vier  Radikale  verschieden  sind,  giebt  es  zwei,  und  nur  zwei  Anord- 
nungen, die  sich  nicht  zur  Deckung  bringen  lassen,  sondern  sich  zu 
einander  verhalten,  wie  Gegenstand  und  Spiegelbild.  Werden  diese 
vier  Radikale  mit  a,  b,  c,  d  bezeichnet,  und  denkt  man  sich  die  Tetraedei 
mit  einer  Fläche  auf  die  Ebene  des  Papiers  gestellt,  so  hat  man  folgende 
nicht  kongruente,  wohl  aber  symmetrische  Formen  (Fig.  14  u.   15). 

Stellt  man  beide  Tetraeder  so,  dass  das  Radikal  d  im  Scheitel  sidb 
befindet,  so  ist  die  Reihenfolge  abc  bei  dem  einen  im  Sinne  der  Uhr- 
zeigerbewegung, bei  dem  anderen  entgegengesetzt. 

Durch  dies  Bild  sind  also  gleichzeitig  die  beiden  wesentlichsten 
Eigentümlichkeiten  dargestellt,  die  erfalirungsmässig  an  den  optisch  aktiven 
Stoffen  auftreten:  der  Zusammenhang  mit  dem  asymmetrischen  Kohlen- 
stoffatom  und    das    paarweise  Auftreten  der    drehenden   Stoffe    in    zwa 


Drehung  der  Polarisationsebene. 


143 


symmetrischen  Formen.     Dadurch  hat  sich  die  Hypothese  als   eine  sehr 
zweckmässige  und  brauchbare  erwiesen. 

Auch  verwickeitere  Verhältnisse,  die  teils  bereits  bekannt  waren, 
teils  erst  infolge  der  Anwendung  der  H5^othese  aufgesucht  und  gefunden 
wurden,  fanden  ihre  ungezwungene  und  anschauliche  Darstellung,  so  dass 
ne  als  ein  wichtiges  Hilfsmittel  der  Forschung  in  diesem  Gebiete  ge- 
dient hat. 

Ein  Beispiel  bietet  die  vierte  Weinsäure.  Neben  den  beiden  aktiven 
Weinsäuren  und  der  Traubensäure  giebt  es  nämlich  noch  eine  Weinsäure, 
welche  gleichfalls  optisch  inaktiv  ist,  wie  die  Traubensäure,  nicht  aber  wie 
diese  in  rechte  und  linke  Säure  sich  spalten  lässt.  Sie  zeigt  auch  andere 
chemische  Eigenschaften,  als  jene. 


Um  diese  Thatsache  vom  Standpunkt  der  Theorie  aus  zu  begreifen,  muss 
»an  sich  erinnern,  dass  die  Weinsäure,  der  Formel 

COOK 


H-C< 


OH 


OH 
^~^<COOH 

entsprechend,  zwei  asymmetrische  Kohlenstoffatome  von  ganz  gleicher  Be- 
schaffenheit besitzt.  Diese  beiden  Kohlenstoffatome  können  von  der  Art 
sein,  dass  durch  beide  der  Lichtstrahl  in  gleichem  Sinne,  also  entweder 
rechts  oder  links,  gedreht  wird :  dies  wäre  die  Konstitution  der  rechten  oder 
linken  Weinsäure.  Es  können  aber  auch  zwei  asymmetrische  Kohlenstoff- 
itome  verbunden  sein,  welche  entgegengesetzte  Wirkungen  auf  den  Lichtstrahl 
lusüben.  Dann  findet,  da  die  Konstitution  der  beiden  im  vorliegenden  Falle 
eine  symmetrische  ist,  eine  Kompensation  innerhalb  der  Molekel  selbst  statt: 
Äer  Stoff  muss  optisch  inaktiv  sein,  und  kann  auch  nicht  in  aktive  Anteile 
gespalten  werden. 

Durch  die  ausgeprägt  konstitutive  Beschaffenheit  des  optischen  Dreh- 
vennögens  ist  das  Vorhandensein  ausgedehnter  additiver  Beziehungen  von 
Tomherein  ausgeschlossen.  Doch  liegt  immerhin  die  Möglichkeit  vor, 
fess  innerhalb  engerer  Gruppen  vergleichbarer  Stoffe  additive  Eigentüm- 
lichkeiten auftreten,  wie  dies   sich    bei   den  Siedepunkten  gezeigt  hatte. 


144  in.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Die  Untersuchung  solcher  Fälle  hat  indessen  auch  hier  anderes  ep 

geben.     Das  Ansteigen  in  der  homologen   Reihe  bedingt  nicht   gidche 

Änderungen  des  Drehvermögens,   sondern  dieses  geht  einen  besondere! 

Gang,   wenn  man    hinreichend  viele   Glieder   der  Reihe  untersucht:   a 

steigt  erst  in  einer  Richtung  ^  en-eicht  einen  höchsten  Wert  und    nimmj 

dann  wieder  langsam  ab.    Als  Beispiel  seien  Messungen  von  FranklanI 

über  die  Ester  der  Glyceiinsäure  angeführt: 

Molekulare  Drehung 

Methylester  der  Glycerinsäure     —    5-76 
Äthylester      „  ,,  —12.31 

Propylester    „  „  —  19- IG 

n-Butylester  „  „  —  17-85 

Wenn  nur  kleinere  Teile  solcher  Gruppen  vorliegen,  so  scheint  ol 
die  Änderung  der  Drehung  einsinnig  zu  verlaufen;  ob  es  sich  um  dl 
allgemeines  Gesetz  handelt  (Guye  1893)  bleibt  noch  zu  entscheiden. 

Viel  einfachere  Verhältnisse  zeigen  die  Salze  in  verdünnter  wässerige 
Lösung.  Bei  diesen  wird  die  konstitutive  Eigenschaft  der  molekulare! 
Drehung  rein  additiv,  so  dass  z.  B.  die  Salze  mit  einer  aktiven  Saun 
und  beliebigen  inaktiven  Basen  alle  das  gleiche  Drehvermögen  habes 
Die  Erklärung  dieses  besonderen  Verhaltens  wird  später  gegeben  werden 
Eine  Gruppe  von  Erscheinungen,  welche  mit  den  vorbeschriebenei 
in  einiger  Beziehung  stehen,  ist  die  von  Faraday  (1846)  entdeckte  mag 
netische  Drehung  der  Polarisationsebene.  Sie  besteht  darii 
dass  durchsichtige  Körper,  welche  in  ein  magnetisches  Feld,  z.  B.  I 
das  Innere  einer  von  einem  galvanischen  Strome  durchflossenen  Drabl 
spule  gebracht  werden,  vorübergehend,  nämlich  solange  die  magnetisciii 
Einwirkung  dauert,  die  Fähigkeit  zm*  Drehung  der  PolarisationsebeB< 
des  Lichtes  erhalten.  Der  Drehungswinkel  ist  proportional  der  Intensiti 
des  magnetischen  Feldes,  proportional  der  Länge  der  dem  E^nfluss  ausge 
setzten  Schicht,  und  im  übrigen  von  der  Natur  des  Stoffes  und  d« 
Temperatur  abhängig. 

Die  Untersuchung  dieser  Erscheinung  wurde  zunächst  vom  physi 
kaiischen  Standpunkte  ausgeführt.  Chemische  Gesichtspunkte  bradit 
zuerst  Perkin  (1882)  zu  Geltung,  dem  wir  fast  alles  verdanken,  wa 
nach  dieser  Richtung  über  den  Gegenstand  bekannt  ist. 

Perkin  nennt  spezifische  Rotation  das  Verhältnis  der  Drehungen 
welche  der  fragliche  Stoff  einerseits  und  eine  Wassersäule  andererseil 
in  demselben  Magnetfelde  bewirken,  wenn  die  Längen  beider  Säulen  sid 
umgekehrt  wie  ihre  spezifischen  Gewichte  verhalten.  Ist  co  der  Dreh 
ungswinkel,  welchen  eine  Säule  von  der  Länge  1  des  Stoffes,  dessei 
spezifisches  Gewicht  d  ist,  zeigt,  und  sind  cOq,  lo  und  d^  die  ent 
sprechenden    Zahlen    für  Wasser   von    gleicher  Temperatur,    so    ist   di( 

spezifische  Rotation  r  =  — \~-  •     Die  molekulare  Rotation  ist  das  Ver 

cöj^ld 

hältnis  der  Drehungen  molekularer  Mengen,  und  hat  zum  Wert 


Oberflächenspannung.  145 


oder  Tj 


"^        ISco^id  18.01 

wo  M  das  Molekulargewicht  des  Stoffes,  18  01   das  des  Wassers  ist.    Die 
molekulare  Rotation  des  Wassers  ist  somit  gleich  Eins. 

Bei  einer  Vergleichung  der  magnetischen  Molekularrotationen  verschie- 
dener Stoffe  ergab  sich  ein  additiver  Charakter  dieser  Eigenschaft  nur  beim 
Aufsteigen  in  den  homologen  Reihen;  in  denselben  bedingt  jedes  CH*  eine 
Zunahme  von  1-023  Einheiten.  Dieser  Wert  ist  f^r  alle  Verbindungs- 
reihen der  gleiche.  Es  kann  also  die  Molekularrotation  dargestellt  wer- 
den durch  C4-1023n,  wo  n  die  Zahl  der  CH^-Gruppen  und  C  eine 
Konstante  ist,  die  für  jede  Reihe  homologer  Verbindungen  ihren  eigenen 
Wert  hat.  Die  Konstanten  C  sind  gänzlich  konstitutiven  Charakters;  sie 
sind  z.  B.  verschieden  für  normale  und  Isoparaffine,  normale  und  Isoalkohole 
oder  dergleichen  Säuren.  Auch  gelten  die  Formeln  nur  für  solche  Ver- 
bindungen, welche  mindestens  einmal  Methylen,  CH^,  enthalten;  so  gilt 
z.  B.  die  Konstante  0-393  der  normalen  Fettsäuren  nicht  für  Ameisen- 
säure, HCOOH,  und  Essigsäure,  CH8.C00H,  in  welchen  CB^  nicht 
in  der  Kette  enthalten  ist. 

Dadurch  hat  sich  das  magnetische  Drehvermögen  schon  wiederholt 
als  nützlich  erwiesen,  um  die  Zugehörigkeit  neuer  Stoffe  zu  bestimmten 
Verbindungsgruppen  zu  ermitteln. 

Viel  verwickelter  als  bei  den  einfachen  Stoffen  der  Fettreihe  zeigen 
sich  die  Verhältnisse  bei  den  zusammengesetzteren  Stoffen,  den  Verbindungen 
der  aromatischen  Reihe  und  allgemein  den  cyklischen  Verbindungen. 
Hier  treten  die  konstitutiven  Einfltlsse  derartig  in  den  Vordergrund,  dass 
von  der  additiven  Grundlage  nicht  viel  übrig  bleibt  Dadurch  erweist 
ach  die  magnetische  Drehung  als  etwa  zwischen  den  Molekularvolumen 
und  Molekularrefraktionen  einerseits,  den  Siedepunkten  andererseits  in 
der  Mitte  stehend.  Sie  ist  stärker  durch  konstitutive  Verschiedenheiten 
beeinflusst,  als  jene  Eigenschaften,  und  weniger  als  diese.  Ein  vergleichen- 
des Studium  der  Stoffe  unter  diesem  Gesichtspunkt  ist  systematisch  noch 
nicht  durchgeflihrt  worden;  in  den  neueren  Arbeiten  von  Perkin  (1896) 
-finden  sich  bemerkenswerte  Ansätze  dazu. 


Neuntes  Kapitel. 

OberfläohenspannuDg. 

Die  Oberfläche,  mit  welcher  Flüssigkeiten  gegen  den  „freien",  d.  h. 
mit  ihren  eigenen  Dämpfen  erfällten  Raum  grenzen,  ist  von  anderer  Be- 
ßdiaffenheit,  als  das  Innere.  Während  im  Inneren  jedes  Teilchen  frei 
beweglich  ist,  kann  ein  in  der  Oberfläche  liegender  Teil  sich  nur  nach 

Ostwald,  GruDdrisB.  3.  Aufl.  10 


146  ni.   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

der  Seite  der  Flüssigkeit  hin  frei  bewegen;  einer  Bewegung  aus  der 
Flüssigkeit  hinaus  iaber  setzen  sich  erhebliche  Kräfte  entgegen.  Denn 
im  Innern  der  Flüssigkeit  befindet  sich  jedes  Teilchen  nach  allen  Seiten 
unter  gleichen  Einflüssen  und  kann  sich  daher  bewegen,  als  wenn  es 
überhaupt  keiner  Wirkung  unterworfen  wäre.  Liegt  es  dagegen  in  der 
Oberfläche,  so  ergiebt  die  Wirkung  der  angrenzenden  Teilchen  eine 
Resultierende  senkrecht  zur  Oberfläche. 

Die  Kraft,  welche  auf  diese  Weise  zustandekommt,  ist  sehr  be- 
deutend. Man  kann  sie  in  einer  von  Stefan  (1886)  angegebenen 
Weise  berechnen.  Denken  wir  uns  aus  dem  Inneren  einer  Flüssigkeit 
ein  Teilchen  gegen  die  Oberfläche  bewegt,  so  muss,  damit  es  in  diese 
gelangt,  die  Hälfte  aller  Wechselwirkungen  überwunden  werden,  wie  aus 
dem  Anblick  der  Fig.  11  unmittelbar  erhellt  Wird  dann  weiter  das 
Teilchen  ganz  in  den  oberen  Raum  hinübergebracht,  so  gelangt  es  aus 

dem    Wirkungsgebiet  der 
„^'-  — --.^  Flüssigkeit  überhaupt  hin- 

\^  aus,  und  wird  ein  Dam pf- 

\  teilchen.     Um    also    ein 

\  Teilchen  in  die  Ober- 

fläche zu  bringen,  ist 
halb  soviel  Arbeit  er- 
forderlich, als  um  es 
in  Dampf  zu  verwan- 
deln. 

Die    letztere    Arbeit 


1 — 

—^ 1— 



1 

- \ 

»1 

/ 

\   ■ 

"     ■'/  - 

\ 

/ 

\ 

-v,^ 

,^'' 

~Z.    ~  aber  ist  bekannt;    es    ist 

die  Verdampfungs- 
wärme der  Flüssigkeit 
Um  zu  einer  Vorstellung  von  der  Grösse  der  hier  wirksamen  Kräfte 
zu  gelangen,  soll  eine  angenäherte  Rechnung  durchgeführt  werden.  Ist  v  das 
Volum  von  einem  Mol  der  Flüssigkeit,  W  seine  Verdampfungswärme,  p^  der 
(unbekannte)  Oberflächendruck  innerhalb  der  Flüssigkeit  und  p^  der  Dampf- 
druck, so  ist  die  Arbeit,  welche  die  Teilchen  erfahren  müssen,  um  in  die 
Oberfläche  gebracht  zu  werden,  gleich  (p,  —  p,)  v,  wenn  v  in  erster  An- 
näherung als  konstant  angenommen  wird.     Somit  ist  nach  dem  Obigen 

(Pa  — Pi)v-=yW. 

Für  ein  Mol  Äther  bei  seinem  Siedepunkte  beispielsweise  istv  =  1074,  p,  =  1  Atm, 
und  W  =  26.6  J  =  26.6x10^°;  dividieren  wir  gleichzeitig  mit  I-OIS  x  10«. 
um  den  Druck  in  Atmosphären  zu  haben,  so  folgt,  da  pj  =  1,  der  Ober- 
flächendruck Pa  =  1284  Atm. 

Wie  man  sieht,  handelt  es  sich  um  sehr  bedeutende  Druckwerte,  mit 
welchen  das  Innere  der  Flüssigkeit  gegen  die  Oberfläche  presst.  Natürlich 
machen  sich  dieselben  auf  eingetauchte  Körper  nicht  geltend,  weil  sich  an 


Oberflächenspannung. 


147 


solchen  auch   eine  Flüssigkeitsoberfläche   ausbildet,    an   welcher   der   Druck 
vom  eingetauchten  Körper  weg  ins  Innere  der  Flüssigkeit  gerichtet  ist. 

Von  diesem  starken  Drucke  wirkt  nur  ein  geringer  Anteil  auch 
in  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  Denn  denken  wir  uns,  dass  wir 
die  Flüssigkeit  vergrössem,  so  müssen  wir  eine  Anzahl  innerer  Teilchen 
in  die  Oberfläche  versetzen,  und  somit  Arbeit  leisten.  Umgekehrt  wird 
in  einer  Flüssigkeit  stets  das  Bestreben  vorhanden  sein,  nach  welchem 
möglichst  viel  Teilchen  dem  Drucke  folgend  in  das  Innere  treten,  wobei 
die  Oberfläche  verkleinert  wird.  Die  Oberflächen  der  Flüssigkeiten  ver- 
halten sich  demnach  so,  als  wenn  in  ihnen  zusammenziehende  Kräfte 
Üiätig  wären,  welche  sie  auf  die  möglichst  geringe  Ausdehnung  zu 
bringen  streben. 

Diese  Auffassung  einer  Oberflächenspannung  der  Flüssigkeiten 
rührt  von  Young  (1804)  her  und  hat  sich  als  ungemein  förderlich  er- 
wiesen. Man  kann  aus  dem  Prinzip,  dass  die  Flüssigkeiten  die  kleinste 
Oberfläche  zu  bilden  suchen,  die  mit  den  übrigen  vorhandenen  Be- 
dingungen verträglich  ist,  sämtliche  entsprechenden  Erscheinungen,  die 
man  Kapillarerscheinungen  zu  nennen  pflegt,  theoretisch  ableiten, 
und  hat  dabei  keinerlei  Schwierigkeiten,  ausser  den  mathematischen, 
zu  überwinden.  Letztere  sind  freilich  schon  in  äusserlich  einfachen  F^len 
meist  sehr  erheblich. 

Die  för  die  Betrachtung  dieser  Erscheinungen  erforderlichen  Begrifle 
erlangen  wir  von  der  Thatsache  aus,  dass  zur  Bildung  einer  Oberfläche 
von  bestimmter  Grösse  Arbeit  d.  h.  Energie  aufzuwenden  ist.  Diese 
Arbeit  ist  proportional  der  Flädie,  und  dividiert  man  die  Arbeit  durch 
die  Fläche,  so  erhält  man  den  Wert  der  Oberflächenspannung  oder 
Mrz  Spannung. 

Um  eine  Anschauung  für  den  Betrag 
er  vorkommenden  Spannungen  zu  haben, 
kann  man  sidi  merken,  dass  der  Wert 
für  Wasser  bei  0^,  der  einer  der  grössten 
ist,  77  in  absoluten  Einheiten  beträgt, 
id.  h.  es  sind  77  Erg  aufzuwenden,  um 
eme  Wasserfläche  von  1  cm*  zu  erzeugen. 

Um  die  Grösse  der  Oberflächenspan- 
iinng  zn  messen,  bedient  man  sich  fast 
immer  starrer  Wände,  welche  von  der 
Flüssigkeit  benetzt  werden,  d.  h.  auf 
denen  sich  eine  Schicht  der  Flüssigkeit  aus- 
breitet. Sei  (Fig.  17)  eine  solche  senk- 
recht  stehende,  benetzte  Wand   in    eine 

Blussigkeit  getaucht,  so  wird  die  Oberfläche  abc  sich  zu  verkleinem 
streben  und  wird  die  Form  ajSc  annehmen.  Gleichgewicht  wird  ein- 
treten, wenn  das  längs  der  Wand  gehobene  Flüssigkeiisgewicht  P  dem  Produkt 

10* 


L 


a 


Fig.  17. 


148  ro.    Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

aus  der  Oberflächenspannung  s^  und  der  Länge  der  Berühnmgslinie  1 
gleich  geworden  ist.  Aus  P  =  sl  folgt  s=P/l,  oder  in  absolutem 
Masse^  wenn  g  die  auf  1  g  wirkende  Schwerkraft  (rund  980  Dynen)  ist, 

sg  =  7=:Pg/l. 

Hat  die  Wand  cylindrische  Gestalt,  d.  h.  haben  wir  es  mit  einer 
Röhre  zu  thun,  so  ist,  wenn  diese  einen  kreisförmigen  Querschnitt 
mit  dem  Radius  r  hat,  die  Berührungslinie  l=2jrr,  und  die  hebende 
Kraft  2  jrr/.  Das  gehobene  Gewicht  ist  andererseits  Pg^jrr^hsg,  wo 
h  die  Höhe,  jtr^  der  Querschnitt  der  gehobenen  Flüssigkeitssaule, 
:7rr*h  somit  ihr  Volum  und  s  ihr  spezifisches  Gewicht  ist.  Es  ist  somit 
2:7rr/  =  jrr^hsg  oder  /  =  |hrsg  und  h  =  2//rsg.  Die  Steighöhe  h  ist 
somit  umgekehrt  proportional  dem  Röhrenradius  r,  und  die  Oberflächen- 
spannung ist  gleich  dem  halben  Produkt  von  Steighöhe,  Röhrenradius, 
spezifischem  Gewicht  und  Schwerekonstante. 

Eine  andere  Methode,  die  Oberflächenspannung  zu  messen,  besteht 
in  der  Bestimmung  des  Gewichts  der  Tropfen,  welche  von  einem  gegebenen 
Umfang  getragen  werden.  Ist  P  das  Gewicht  des  grössten  Tropfens,  der  an 
einer    ebenen   horizontalen  Kreisfläche    vom   Radius  r  hängen   kann,   so   ist 

P 
P  =  27rry  und  daher  y  =  7T — •     Die  Schwierigkeit  der  Methode  liegt  darin, 

ZTIT 

dass  der  Tropfen  beim  Abfallen  sich  nicht  vollständig  von  der  Kreisfläche 
trennt,  sondern  einen  mehr  oder  weniger  erheblichen  Teil  zurücklässt.  Man 
müsste  also  die  Wägung  nicht  des  abgefallenen,  sondern  des  hängenden 
Tropfens  ausführen. 

Prinzipiell  von  dieser  Methode  nicht  verschieden  ist  das  Verfahren, 
eine  Scheibe  von  bekanntem  Umfange  mit  der  Flüssigkeit  in  Berührung  zu 
bringen  und  das  Gewicht  zu  bestimmen,  welches  zum  Abreissen  derselben  er- 
forderlich ist.  Auch  hier  gilt  die  Gleichung  P  =  27rry,  wo  27rr  der  Um- 
fang der  (kreisförmig  gedachten)  Scheibe  ist. 

Bei  allen  diesen  Rechnungen  ist  vorausgesetzt,  dass  man  den  festen 
Körper  als  einen  Teil  der  Flüssigkeit  insofern  betrachten  kann,  als  er  in  der 
Nähe  der  Berührungslinie  vollständig  mit  Flüssigkeit  überzogen  ist,  und  die 
letztere  sich  ihm  in  stetiger  Krümmung  anschliesst.  Von  Gauss  wurde  zu- 
erst darauf  hingewiesen,  dass  die  Flüssigkeit  auch  an  den  festen  Körper 
unter  irgend  einem  Winkel  a  anschliessen  könne.  Die  Kraft,  welche  dann 
von  der  Oberflächenspannung  ausgeübt  wird,  ist  kleiner  und  beträgt,  wie 
eine  leichte  geometrische  Überlegung  zeigt,  y  cos  a,  wo  a  der  Winkel  zwi- 
schen der  Normalen  des  festen  Körpers  und  der  des  letzten  Flüssigkeits- 
teilchens an  der  Grenzlinie  ist.  Bei  gut  benetzenden  Flüssigkeiten  scheint 
dieser  Winkel  stets  Null  zu  sein,  doch  sind  Messungen  über  seinen  genauen 
Wert  schwierig  auszuführen. 

Die  Oberflächenspannung  y  ist  von  der  Natur  der  Flüssigkeit  und 
von  der  Temperatur  abhängig.  Die  Wirkung  der  letzteren,  bedingt  eine 
nahezu  proportionale  Abnahme,  so  dass  im  allgemeinen  die  Oberflächen- 


OberflächenHpannung.  149 

Spannung  y^  bei  der  Temperatur  t  durch  einen  Ausdruck  von  der  Form 

7^  =  /q    (1  —  at)  dargestellt  werden  kann.     Dementsprechend   muss  es 

eine  Temperatur  geben,  bei  welcher  7^  =  0  wird.     Schon  Frankenheira 

(1841)  hat  darauf  hingewiesen,  dass  diese  Temperatur  wahrscheinlich 
mit  der  kritischen  übereinkomme;  da  in  der  Tliat  bei  der  kritischen 
Temperatur  Flüssigkeit  und  Dampf  identisch  werden,  so  kann  zwischen 
ihnen  auch  keine  Oberflächenspannung  mehr  vorhanden  sein. 

Untersuchungen  über  den  Zusammenhang  zwischen  der  Oberflächen- 
spannung und  der  chemischen  Konstitution  sind  zuerst  von  Mendelejew 
(1866)  ausgeführt  worden,  hatten  aber  noch  kein  allgemeines  Ergebnis 
geliefert.  In  späterer  Zeit  hatte  B.  Schiff  (1884)  die  Frage  wieder 
aufgenommen.  Diese  älteren  Versuche  scheiterten  alle  daran,  dass  die 
Aufstellung  einer  auf  chemisch  vergleichbare  Mengen  bezogenen  Grösse 
nicht  gelungen  war.  Um  eine  solche  zu  erhalten,  machen  wir  folgende 
Überlegung. 

Nehmen  wu*  je  ein  Mol  jeder  Flüssigkeit  und  überlassen  sie  in 
einem  von  der  Schwere  befreiten  Räume  sich  selbst,  so  wird  infolge  der 
Oberflächenspannung  die  Gestalt  jeder  dieser  Massen  eine  Kugel  sein. 
Die  Oberflächen  dieser  Kugeln  sind  dann  als  molekulare  Oberflächen 
aufzufassen,  und  die  zu  ihrer  Bildung  erforderliche  Energie  ist  die  mole- 
kulare Oberflächenenergie. 

Im  Sinne  der  Molekularhypothese  kann  man  sagen,  dass  in  diesen  Ober- 
flächen je  eine  gleiche  Zahl  von  Molekeln  enthalten  sind,  denn  die  Gesamt- 
zahl der  Molekeln  ist  in  den  verschiedenen  Kugeln  nach  der  Voraussetzung 
gleich,  und  die  Kugeln  sind  einander  geometrisch  ähnlich,  so  dass  auch  auf 
jede  Oberfläche  die  gleiche  Molekelzahl  kommt. 

Nun  verhalten  sich  die  Volume  verschiedener  Kugeln  wie  die  Kuben, 
und  ihre  Oberflächen  wie  die  Quadrate  der  Radien.  Da  die  Volume 
gleich  den  Molekularvolumen  genommen  sind,  so  verhalten  sich  die 
Oberflächen  wie  die  2/3-ten  Potenzen  der  Molekularvolume.  Multiphziert 
man  also  diese  letzteren  mit  der  Oberflächenspannung,  so  ergiebt  sich 
die  molekulare  Oberflächenenergie,  eine  Grösse,  die  der  Volumenergie 
der  Gase  pv  ganz  vergleichbar  ist. 

Ist  also  V  das  Molekularvolum  und  /  die  Oberflächenspannung, 
so    ist  V*/»/    die   molekulare    Oberflächenenergie,   wobei   der    allgemeine 

Zahlenfaktor  ySBjr  weggelassen  ist. 

Für  die  so  definierte  molekulare  Oberflächenenergie  sind  nun  von 
Eötvös  (1886)  und  Ramsay  und  Shields  (1893)  folgende  Gesetze  ge- 
ftmden  worden. 

Die  molekulare  Oberflächenenergie  nimmt  proportional  der  Tempe- 
ratur ab,  um  beim  kritischen  Punkt  gleich  Null  zu  werden.  Der 
Temperaturkoeffizient  dieser  Abnahme  ist  für  alle  homogenen 
Flüssigkeiten  der  gleiche.     Ist  also  w^,  die  molekulare  Oberfläeben 


150  UI*   StOchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

energie  bei  der  Temperatur  t  und  Wq  dieselbe  hd  0^,  so  gilt  die  Gleichung 

wt  =  Wo  —  Bt, 

wo  der  Koeffizient  B  unabhängig  von  der  Natur  der  Flüssigkeit  ist 

Man  kann  die  ÄhnUchkeit  dieser  Gleichung  mit  der  Gasgleidiung 
noch  mehr  hervortreten  lassen^  wenn  man  die  Temperatur  abwärts  von 
dem  kritischen  Punkte  oder  dem  Werte  Null  der  molekularen  Oberflächen- 
energie  rechnet.  Nennt  man  die  so  gezählten  Temperaturen  D,  die 
molekulare  Oberfläche  co  und  die  Spannung  /,  so  nimmt  die  Gleidiung 
die  Gestalt  an  y(»  =  BD, 

die  der  Gasgleichung  pv  =  RT  ganz  entspridii 

Die  Konstante  B  beträgt^  wenn  man  die  Spannung  in  absolutem 
Masse  ausdrückt^  2*121. 

Es  ist  alsbald  hervorzuheben,  dass  diese  Gleichung  die  Thatsachen  nicht 
vollständig  genau  darstellt.  Die  molekulare  Oberflächenenergie  verläuft  in 
der  Nähe  des  kritischen  Punktes  nicht  ganz  linear,  so  dass  man  die  Tempe- 
ratur nicht  von  diesem  ab  rechnen  darf,  sondern  von  einem  etwas  um  einige 
Grade  unter  der  kritischen  Temperatur  gelegenen  Punkte. 

Hieraus  ergiebt  sich  die  bemerkenswerte  Thatsache,  dass  die  mole- 
kulare Oberflächenenergie  eine  kolligative  Eigenschaft  ist;  wie  die 
Dampfdichte  (S.  73).  Die  durch  sie  bestimmten  Stoffinengen  stehen 
mit  den  chemisch  vergleichbaren  Mengen  in  einem  ähnlich  einfachen 
Zusammenhange,  wie  die  durch  die  Dampfdichte  bestimmten,  und  man 
kann  mittelst  dieser  Eigenschaft  daher  ebenso  ^Normalgewichte^  fest- 
stellen (S.  66),  wie  mittelst  der  Dampfdichten.  Die  aus  der  Oberflädien- 
energie  bestimmten  Normalgewichte  sind  in  vielen  Fällen  den  aus  der 
Dampfdichte  bestimmten  proportional,  oder  bei  geeigneter  Wahl  dei 
Konstanten  gleich.  Im  Sinne  der  Molekularhypothese  hegt  also  in 
der  Bestimmung  der  Oberflächenspannung  ein  Mittel  vor,  um  das  Mole- 
kulargewicht homogener  Flüssigkeiten  zu  bestimmen,  wie  die  Dampf- 
dichte die  Bestimmung  des  Molekulargewichts  von  Dämpfen  gestattet 

Da  indessen  beide  Methoden  auf  Grundlagen  beruhen,  die  von  em- 
ander  unabhängig  sind,  so  war  von  vornherein  nicht  zu  erwarten,  dass 
sie  übereinstimmende  Ergebnisse  Uefem  müssen.  Dass  sie  es  dennoch 
thun,  ist  als  ein  sehr  bemerkenswertes  Naturgesetz  anzusehen. 

Bei  eingehender  Untersuchung  zeigt  sich,  dass  nicht  alle  Stoffe  diesem 
einfachen  Gesetze  gehorchen;  die  vorhandenen  Abweichungen  liegen  so,  dass 
der  Faktor  B  kleiner  als  21 21  ausfällt.  Man  kann  den  normalen  Wert  des 
Faktors  durch  dasselbe  Verfahren  erzielen,  welches  zur  „Erklärung"  d.  h. 
Einbeziehung  der  abnormen  Dampfdichten  gedient  hat.  In  dem  Ausdrucke 
für  die  molekulare  Oberflächenenergie  sind  alle  Werte  experimentell  gegeben 
ausser  dem  des  Molekulargewichts;  man  kann  daher,  wenn  sich  eine  Ab- 
weichung des  Faktors  B  von  den  gewöhnlichen  Werten  herausstellt,  das 
Molekulargewicht  so  wählen,  dass  wieder  der  normale  Wert  herauskommt 
Wenn  der  Faktor  B  zu  klein  gefunden  wird,  so  muss  das  Mo)e]^ulargewiclit 


Oberflächenspannung.  151 

erhöht  werden,  damit  er  seinen  gewöhnlichen  Wert  erhftlt.  Im  Sinne  der 
Molekularhypothese  heisst  dies,  dass  die  betreffenden  Stoffe  im  flüssigen  Zu- 
stande an  Stelle  der  einfachen  Molekeln,  die  sie  im  Dampfe  bilden,  zusammen- 
gesetzte oder  associierte  enthalten.  Hierbei  ist  die  noch  nicht  bewiesene 
Voraussetzung  gemacht,  dass  in  den  normalen  Flüssigkeiten  die  aus  der 
Oberflächenspannung  bestimmten  Molekulargrössen  mit  denen  aus  der  Dampf- 
dichte gleich  gesetzt  werden  können. 

Die  Zweckmässigkeit  dieser  Auffassung  erhellt  daraus,  dass  viele  von 
den  Stoffen,  die  sich  in  dieser  Weise  als  associiert  ausweisen,  auch  im  Dampf- 
zustande Anzeichen  von  der  Bildung  vielfacher  Molekeln  geben.  Dies  trifft 
insbesondere  für  die  Essigsäure  zu,  deren  Molekularzustand  als  Flüssigkeit 
durch  die  Formel  (C*  H*  0*)°  dargestellt  wird,  wo  n  je  nach  der  Temperatur 
von  1-3  bis  2-1  geht.  Femer  geben  andere  Methoden  der  Molekulargewichts- 
bestimmung aus  den  Eigenschaften  verdünnter  Lösungen,  die  später  erwähnt 
werden  sollen,  auch  gerade  für  solche  Stoffe  Neigung  zur  Bildung  vielfacher 
Molekeln  zu  erkennen,  die  aus  der  Oberflächenspannung  zu  dem  gleichen 
Schlüsse  führen. 

Zu  solchen  sich  im  flüssigen  Zustande  polymerisierenden  Stoffen  ge- 
hören die  Alkohole,  deren  n- Werte  bis  2-6  gehen,  die  Fettsäuren,  einige 
Eetone^  Nitrile,  Nitroparaffine,  insbesondere  auch  das  Wasser,  dessen  n  von  1>7 
bei  0«  bis  13  bei  140«  geht 

Dagegen  sind  Kohlenwasserstoffe  und  ihre  Halogenabkömmlinge,  Äther 
und  Ester  normal,  ebenso  die  meisten  anorganischen  Flüssigkeiten,  Säure- 
chloride und  -anhydride,  Schwefelverbindungen,  Anilin,  Pyridin,  Chinolin  u.s.  w. 

Für  die  allgemeine  Theorie  der  Flüssigkeiten  ergiebt  femer  Be- 
trachtung der  Oberflächenspannung  folgenden  Schluss.  Die  Arbeit  zur 
Erzeugung  von  einem  cm^  Oberfläche  beträgt  beim  Wasser  (S.  147) 
77  Erg.  Mit  einer  gegebenen  Wassermenge  kann  man  nun  nicht  eine 
unbegrenzt  grosse  Oberflädie  herstellen ^  da  sonst  dne  unbegrenzte 
Energiemenge  mit  einer  endlidien  Stofimenge  verbunden  wäre,  was  ein 
Widerspruch  ist  Im  Sinne  der  S.  146  gegebenen  Betrachtungen  ist  viel- 
mehr das  Maximum  der  Energie,  die  man  der  Flüssigkeit  als  Ober- 
flächenenergie zuführen  kann,  durch  die  halbe  Verdampfiingswärme  ge- 
geben. Diese  beträgt  flir  1  g  Wasser  rund  25  J  oder  25  X  10*^  Erg. 
Daraus  folgt,  dass  man  mit  1  g  Wasser  höchstens  eine  Fläche  von 
16  X  10'  cm*  bedecken  kann.  Die  Dicke  dieser  Schicht  ist  0-6  X  10~®  cm. 

Die  Molekulaiiiypothese  giebt  flir  diese  Dicke  die  Auffassung,  dass 
sie  eine  einfache  Sehidit  von  Molekeln  darstelle,  und  danach  wäre  sie 
aadi  als  der  Durchmesser  der  Molekeln  anzusehen.  Diese  Zahl  stimmt  der 
(rrössenordnung  nach  gut  mit  der  überein,  die  aus  den  Annahmen  der 
kinetischen  Hypothese  berechnet  wurde  (S.  82).  Hieraus  ist  abgesehen 
von  allen  Hypothesen  zu  schliessen,  dass  die  Eigenschaften  der  Stofle 
andere  werden,  als  wir  sie  gewöhnlich  kennen  lernen,  wenn  ihre  Ab- 
messunpep  npter  den  Wert  vpi^  ^und  }0~*cw  hei^bgehen, 


152  ni.   Stöchiometrie  der  Flüssigkeiten. 

Man  kann  sich  schliesslich  fragen,  ob  die  bisher  stillschweigend  festge- 
haltene Annahme,  dass  die  Oberflächenspannung  auf  die  Verkleinerung 
der  Oberfläche  hinwirke,  immer  zutrifft,  und  ob  es  nicht  auch  Spannungen 
umgekehrten  Zeichens  giebt.  Eine  solche  Spannung  müsste  die  Oberfläche 
zu  vergrössern  streben.  In  der  That  sind  solche  Wirkungen  bekannt:  sie 
liegen  bei  den  Escheinungen  der  Benetzung  und  der  gegenseitigen  Auflösung 
der  Flüssigkeiten  vor.  Wenn  man  eine  Fläche  von  reinem  Glase  mit  Wasser 
oder  Alkohol  in  Berührung  bringt,  so  tritt  eine  Bewegung  der  Flüssigkeit  in 
solchem  Sinne  ein,  dass  sich  die  Berührungsfläche  zwischen  beiden  vergrössert. 
Da  hierdurch  u.  a.  Wasser  gehoben  werden  kann,  so  kann  der  Vorgang  Arbeit 
leisten,  und  es  liegt  also  hier  eine  Oberflächenenergie  zwischen  der  festen 
Fläche  und  der  Flüssigkeit  vor,  deren  Zeichen  das  umgekehrte  von  dem  der 
gewöhnlichen,  flächenverkleinernden  ist. 

Femer  besteht  an  der  Berührungsfläche  zweier  nicht  mischbarer  Flüssig- 
keiten, wie  Wasser  und  Phenol,  bei  niedrigen  Temperaturen  eine  Oberflächen- 
spannung von  der  gewöhnlichen  Art,  die  die  Oberfläche  zu  verkleinem  strebt 
Erhöht  man  die  Temperatur,  so  wird  diese  Spannung  (während  sich,  gleich- 
zeitig die  Flüssigkeiten  mehr  und  mehr  ineinander  lösen)  immer  kleiner, 
schliesslich  gleich  Null.  Gleichzeitig  werden  die  beiden  Flüssigkeiten  in  allen 
Verhältnissen  ineinander  löslich.  Daraus  kann  man  schliessen,  dass  bei 
Flüssigkeitspaaren,  die  sich  in  allen  Verhältnissen  vermischen  lassen,  eine 
Oberflächenspannung  umgekehrten  Zeichens  besteht.  Bringt  man  solche 
Flüssigkeiten  miteinander  in  Berührung,  so  sucht  ihre  gemeinsame  Oberfläche 
den  grössten  Wert  anzunehmen,  und  dies  geschieht,  wenn  sich  beide  Flüssig- 
keiten vollkommen  miteinander  vermischen.  Hierdurch  werden  die  Erschei- 
nungen der  Lösung  mit  denen  der  Oberflächenspannung  in  Zusammenhang 
gebracht. 

Die  Oberflächenspannung  hat  einen  Einflnss  auf  den  Dampfdruck 
der  Flüssigkeiten,  der  indessen  wegen  des  kleinen  Betrages  der  Ober- 
flächenenergie nur  in  Fällen  zur  Geltung  kommt,  wo  das  Verhältnis  der 
Oberfläche  zur  Stoflftnenge  gross  ist,  wie  z.  B.  bei  kleinen  Tröpfchen. 
Dieser  Einfluss  erhöht  an  konvexen  Flächen,  z.  B.  Tropfen,  den  Dampf- 
druck, so  dass  dieser  bei  derselben  Flüssigkeit  und  derselben  Temperatur 
um  so  grösser  wird,  je  kiemer  das  Tröpfchen  ist.  An  konkaven  Flächen 
wird  der  Druck  umgekehrt  kleiner. 

Man  kann  sich  von  der  Notwendigkeit  eines  solchen  Einflusses  leicht 
überzeugen,  wenn  man  überlegt,  dass  die  Gesamtoberfläche  zweier  Kugehi 
grösser  ist,  als  die  Oberfläche  der  einen  Kugel,  die  man  aus  der  gleichen 
Stoffmenge  bilden  kann,  und  die  daher  das  gleiche  Volum  hat  Da 
die  Oberflächenspannung  die  Gesamtoberfläche  so  klein  als  möglich  zu 
machen  strebt,  so  muss  sie  auch  in  solchem  Sinne  wirken,  dass  zwei 
nebeneinander  beflndliche  Tropfen  sich  zu  einem  vereinigen.  Durch 
die  Betrachtung  der  verhältnismässigen  Änderungen  der  Oberflächen  bei 
der  Übertragung  der  Flüssigkeit  aus  dem  einen  Tropfen  in  den  anderen  ; 
ergiebt  sich  alsbald,   dass  sich   ein  grösserer  Tropfen  auf  Kosten  eines 


Innere  Reibung.  153 

kleineren  vergr(>s8ern  muss;  da  die  Tropfen  auch  durch  Destillation  ihr 
Grössenverhältnis  verändern  können,  so  muss  in  solchen  Fällen  Destillation 
eintreten,  und  zwar  vom  kleineren  Tropfen  zum  grösseren.  Daraus  er- 
giebt  sich  die  Notwendigkeit  einer  Verschiedenheit  der  Dampfdrucke  mit 
der  Tropfengrösse  in  dem  angegebenen  Sinne. 

Man  kann  sich  von  dem  Vorhandensein  solcher  Unterschiede  überzeugen, 
wenn  man  eine  (nicht  zu  leicht)  flüchtige  Flüssigkeit  in  eine  Röhre  ein- 
schliesst,  diese  luftleer  macht,  und  in  ihr  an  einer  vorher  trockenen  Wand 
einen  Beschlag  von  Tröpfchen  erzeugt.  Überlässt  man  dann  den  Versuch  sich 
selbst,  so  findet  man  nach  einiger  Zeit,  dass  die  Tröpfchen,  die  durch  Zufall 
grösser  geworden  waren,  als  die  anderen,  sich  mit  einem  trockenen  Hof  um- 
geben haben,  zum  Zeichen,  dass  die  angrenzenden  kleineren  Tröpfchen  auf 
ihren  grösseren  Nachbar  überdestilliert  sind.  Ein  geeignetes  Material  für 
diesen  Versuch  ist  Schwefel,  der  sich  aus  dem  Dampfe  in  flüssiger  Form  ab- 
zusetzen pflegt. 

Um  den  Betrag  der  Änderung  zu  berechnen,  denke  man  sich  in  ein  Gefäss 
mit  der  Flüssigkeit  eine  Kapillarröhre  gestellt.  Dann  wird  sich  die  Flüssig- 
keit bis  zu  einer  bestimmten  Höhe  erheben,  die  durch  die  Formel  h«=  2y/rs 
(S.  148)  gegeben  ist.  Da  das  Gebilde  im  Gleichgewicht  ist,  so  muss  der  Dampf- 
druck am  Meniskus,  der  die  Flüssigkeit  oben  begrenzt,  gleich  dem  Drucke 
des  von  der  unteren  ebenen  Fläche  ausgesendeten  Dampfes,  vermindert  um 
den  hydrostatischen  Druck  des  zwischen  beiden  Flächen  befindlichen  Dampfes 
sein.  Dieser  aber  ist  gleich  dem  Produkte  der  (absoluten)  Dichte  des  Dampfes  D 
in  die  Steighöhe  h.  Nennt  man  die  Dampfdruckverminderung  im  Meniskus  dp, 
so  ist  dp  =^  Dh  oder  nach  Einsetzen  des  Wertes  für  h,  dp  =  2Dy/rs.  Sie 
ist  also  proportional  der  Oberflächenspannung  y,  dem  Verhältnis  D/d  der 
Dichten  des  Dampfes  und  der  Flüssigkeit,  und  umgekehrt  proportional  dem 
Radius  der  Röhre,  und  somit  dem  Radius  der  begrenzenden  Kugelfläche. 

In  diesem  Falle  besteht  der  Einfluss  der  kapillaren  Fläche  in  einer 
Verminderung  des  Druckes,  weil  die  Fläche  konkav  ist.  Bei  Tropfen  ist  sie 
konvex  und  da  tritt  demgemäss  eine  Vergrösserung  des  Druckes  ein.  Man 
erhält  eine  entsprechende  Versuchsanordnung,  wenn  man  eine  nicht  benetzende 
Flüssigkeit  in  einem  zweischenkligen  Rohre  mit  einem  kurzen  engen  und 
einem  hohen  weiten  Schenkel  betrachtet. 


Zehntes  Kapitel. 

Innere  Reibung. 

Die  Flüssigkeiten  sind  bisher  als  Körper  behandelt  worden,  welche 
jede  Form  annehmen.  Dies  ist  zwar  der  Fall,  doch  bedingt  die  Form- 
änderung der  Flüssigkeiten  eine  Arbeit,  welche  durch  ihre  innere 
Reibung  gemessen  wird.     Diese  ist  allerdings  meist  selir  gering,  doch 


154  in.   StöcMometrie  der  Flüssigkeiten. 

giebt  es  auch  Flüssigkeiten  mit  grossen  Werten  der  inneren  Reibung. 
Je  grösser  diese  Werte  werden,  um  so  mehr  nähern  sich  die  Flüsag- 
keiten  den  festen  Körpern,  und  es  findet  auf  diesem  Gebiet  ein  zu- 
sammenhängender Übergang  statt  zwischen  Stoffen  von  der  BesdiaflTen- 
heit  des  warmen  Äthers,  welcher  überaus  flüssig  ist,  bis  zu  der  des 
Pechs  und  Glases,  welches  sich  in  den  meisten  Beziehungen  wie  ein  fester 
Körper  verhält. 

Die  innere  Reibung  der  Flüssigkeiten  macht  sich  bei  allen  Be- 
wegungen geltend,  wenn  sie  audi  ohne  Formänderung  stattfinden,  felis 
nur  die  Teilchen  der  Flüssigkeit  sich  aneinander  versdiieben.  Der 
Koeffizient  der  inneren  Reibung  tj  ist  gleich  der  Arbeit  zu  setzen,  welche 
erforderlich  ist,  um  zwei  Flächen  von  1  qcm  Grösse  in  1  Sekunde  ein- 
ander parallel  um  ebensoviel  zu  verschieben,  als  ihre  Entfernung  beträgt 
Er  hat  für  die  gewöhnlichen  Flüssigkeiten  recht  kleine  Werte;  für  Wasser 
von  mittlerer  Temperatur  z.  B.  beträgt  er  nicht  mehr  als  0  011  in  ab- 
soluten Einheiten. 

Am  zweckmässigsten  bestimmt  man  die  innere  Reibung  von  Flüssig- 
keiten mittelst  Ausflusses  aus  cylindrischen  Röhren.    Für  diesen  Fall  gilt 

p:7rr* 
die  Formel  ?/=•  ^ — ,   wo  p   der  Druck,  r  der  Röhrenradius,  1  ihre 

olv 

Länge  und  v  das  in  der  Zeiteinheit  ausfliessende  Flüssigkeitsvolum  be- 
deutet; üt  ist  die  bekannte  Zahl  3-1415..  Die  Ableitung  der  Formel 
erfordert  höhere  Mathematik  und  wird  daher  nicht  gegeben. 

p:7rr* 
Die  in  der  Formel  w  =  -— - —  enthaltenen  Beziehungen,  dass  das 

81v 

ausfliessende  Flüssigkeitsvolum  proportional  dem  Drucke  und  der  vierten 
Potenz  des  Radius  und  umgekehrt  proportional  der  Länge  der  Röhre 
ist,  sind  auf  empirischem  Wege  von  Hagen  (1839)  und  Poiseuille  (1843) 
gefunden  worden.  Diese  Übereinstimmung  zwischen  Theorie  und  Er- 
fahrung bestätigt  die  Voraussetzung,  unter  welcher  erstere  entwickelt 
worden  ist:  dass  nämlich  die  innere  Reibung  proportional  der  Grösse 
der  reibenden  Flächen,  sowie  der  relativen  Geschwindigkeit  ihrer  Be- 
wegung sei. 

Die  oben  gegebene  Formel  gilt  streng  genommen  nur  für  den  Fall,  dass 
alle  Arbeit,  welche  durch  den  Druck  geleistet  wird,  nur  zur  Überwindung 
der  Reibung  dient.  Thatsächlich  ist  dies  nie  erfüllt,  da  die  Flüssigkeit  immer 
mit  einer  endlichen  Geschwindigkeit,  also  mit  einem  Vorrat  von  lebendiger 
Kraft  die  Röhre  verlässt.  Nennt  man  R  den  durch  die  Reibung  verbrauchten 
Anteil  der  Arbeit,  so  muss  diese  plus  der  lebendigen  Kraft,  mit  welcher  die 
Flüssigkeit  austritt,  gleich  der  gesamten  Arbeit  sein.  Für  das  Volum  V  der 
Flüssigkeit,  welche  unter  dem  Drucke  P  in  die  Röhre  tritt,  hat  die  Arbeit  den 
Wert  PV,  und  somit  ist  PV  =  R  +  L,  wo  L  die  lebendige  Kraft  darstellt 
Diese  ist  gleich  dem  halben  Produkt  der  Masse  Vs  (s  =  spezifischem  Gewicht) 


Innere  Reibung. 


155 


mit  dem  Quadrat  der  Geschwindigkeit    Letztere  ist  aber  gleich  — - ,  wo  t  die 

tq 

Zeit  und  q  den  Querschnitt  bedeutet.     Wir  haben  demnach 

PV«R4.    ^*^ 


und 


R=:PV       1 


(. 


2t«q« 

V«s 


.)■ 


2Pt«q« 

An  dem  Zahlenfaktor  dieser  Formel  muss  indessen  noch  eine  Korrektion 
angebracht  werden.  Er  ist  unter  der  Voraussetzung  berechnet  worden,  dass 
alle  Teile  der  strömenden  Flüssigkeit  dieselbe  Geschwindigkeit  haben.  Dies 
ist  nun  nicht  richtig;  die  mittleren  Teile  gehen  am  schnellsten,  die  äusseren 
langsamer.  Die  Berücksichtigung  dieser  Verschiedenheiten,  die  nur  mit  höherer 
Mathematik  behandelt  werden  können,  führt  dazu,  den  Faktor  2  im  Nenner 

durch  y  2  =  1-260  zu  ersetzen;  im  Übrigen  bleibt  die  Formel  unverändert 
und  hat  sonach,  da  R  dem  Koeffizienten  tj  proportional  ist,  die  Gestalt 

/  V^s      \ 

'/"=•'/  (beob.)  \^  —  l^ePt^qV  * 

Im  Verhältnis  des  zweiten  Gliedes  in  der  Klammer  muss  also  der  aus  den 
Dimensionen  der  Röhre  abgeleitete  Wert  des  Reibungskoeffizienten  vermindert 
werden.  Da  dies  Glied  dem  Quadrat  der  Geschwindigkeit  proportional  ist, 
so  wird  es  am  zweckmässigsten  sein,  die  Geschwindigkeit  des  Ausflusses  mög- 
lichst zu  vermindern,  indem  man  lange  Röhren  und  geringe  Drucke  verwendet. 

Da  die  Bestimmungen  der  absoluten  Werte  der  inneren  Reibung 
insbesondere  wegen  der  BeschaflFiing  und  Ausmessung  vollkommen 
cylindrischer  Kapillaren  ziemlich  beschwerlich  ist,  begnügt  man  sich 
häufig  mit  relativen  Werten,  indem  man  die  innere  Reibung 
des  Wassers  bei  0**  (oder  auch  bei  der  Versuchstemperatur) 
als  Norm  benutzt;  gewöhnlich  setzt  man  sie  gleich  1 
I  oder  100.  Dies  Verfahren  hat  den  grossen  Vorteil,  dass 
i  man  dann  die  Konstante  des  Apparates  mit  ungeMr  der- 
selben Genauigkeit  bestimmen  kann,  welche  den  Messungen 
selbst  zukommt,  während  einzelne  der  erforderlichen  ab- 
soluten Messungen  einen  weit  grösseren  Fehler  bedingen. 
Dem  Fortschritt  der  Wissenschaft  ist  es  zu  überlassen, 
die  gewählte  Einheit  mit  entsprechender  Genauigkeit  in 
absolutem  Werte  zu  ermitteln. 

Am  zweckmässigsten  hat  sich  für  die  Ausführung 
von  relativen  Reibungsbestimmungen  der  beistehend  ab- 
gebildete Apparat  bewährt.  Er  besteht  wesentlich  aus 
einer  Röhre  db,  welche  in  ihrem  obersten  Teile  einige 
Millimeter  breit  ist,  sieh  bei  c  verjüngt,  um  in  eine 
Kugel  k  überzugehen,  an  welche  sich  die  Kapillare 
db  schliesst,  die  ihrerseits  wieder  in  die  weitere  Röhre 
be  übergeht.  Man  füllt  den  Apparat  von  f  aus  mit  einem  gemessenen 
ypl^m  der  Flüssigkeit^  und  ermittelt  die  Zeit,  in  welcher  die  Oberfläche. 


/ 


156  IV.    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

der  Flüssigkeit  durch  eine  oberhalb  und  eine  unterhalb  der  Kugel  ange- 
brachte Marke  tritt.  Ist  t  diese  Zeit  fiir  eine  Flüssigkeit,  deren  Dichte 
s  ist,  und  r  die  Zeit  fiir  Wasser  mit  der  Dichte  ö,  so  ist  die   relative 

st 
innere  Reibung   q  =  — ,  da  die  Drucke  sich  in  beiden  Fällen  wie  s:ö 

verhalten. 

Was  nun  die  stöchiometiischen  Ergebnisse  der  Bestimmungen  von 
Reibungskonstanten  flüssiger  Stoffe  anlangt,  so  sind  dieselben,  obwohl 
von  einzelnen  Forschern  viel  Mühe  auf  ihre  Messung  gewendet  worden 
ist,  bisher  noch  nicht  in  eine  irgendwie  allgemeinere  Beziehung  zu  der 
chemischen  Zusammensetzung  und  Konstitution  gebracht  worden.  Die 
ersten  Versuche  hierüber  liegen  von  Graham  (1861)  vor,  später  stellten 
Rellstab  (1868),  Pribram  und  Handl  (1878)  und  besonders  umfassend 
Thorpe  und  Rodger  (1896)  entsprechende  Untersuchungen  an.  Die  er- 
haltenen Ergebnisse  beschränken  sich  auf  einige  innerhalb  enger  Gebiete 
geltende  Regeln,  deren  Anfiihrung  unterbleiben  kann. 

Insbesondere  hat  sich  kein  Anhaltspunkt  zur  Entscheidung  der  Frage 
gefunden,  bei  welchen  Temperaturen  die  Reibungskoeffizienten  vergleidi- 
bar  seien.  Die  Werte  derselben  nehmen  mit  steigender  Temperatur  sehr 
schnell  ab;  ein  Gesetz,  welches  diese  Änderung  darstellt,  ist  von  Graetz 
(1888)  angegeben  worden,  doch  hat  seine  Anwendung  gleichfalls  nidit 
zu  stöchiometaischen  Ergebnissen  gefuhrt. 

Etwas  ergiebiger  haben  sich  die  Lösungen  gezeigt,  über  deren  Ver- 
halten aber  hier  nicht  berichtet  werden  kann. 


Viertes  Buch. 

Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

Erstes  Kapitel. 

Allgemeines. 

Flüssige  und  gasförmige  Körper  sind  im  stände,  mechanische 
Energie  ausser  in  Gestalt  von  Bewegungsenergie  auch  dadurch  aufzu- 
nehmen, dass  sie  ihr  Volum  ändern.  Durch  die  Wiederannahme  des 
früheren  Volums  wird  die  aufgenommene  Energie  wieder  ausgegeben,  und 
die  beiden  Zustände  unterscheiden  sich  durch  den  Umstand,  dass  den 
Gasen  diese  Fähigkeit  bei  jedem  Volum  zukommt,  während  die  Flüssig- 
keiten ein  bestimmtes  grösstes  Volum  für  jede  Temperatur  haben,  das 
durch  Druckänderungen  nur  verkleinert,  nicht  vergrössert  werden  kann. 


Allgemeines.  157 

Feste  Körper  verhalten  sich  in  Bezug  auf  die  Volumenergie  zu- 
nächst den  Flüssigkeiten  ähnlich:  sie  lassen  sich  zusammendrücken^ 
nehmen  aber  durch  Druckverminderung  nicht  ein  beliebig  grosses,  sondern 
ein  endliches  eigenes  Volum  an.  Ausser  dieser  Eigenschaft  haben  sie 
aber  noch  eine  andere,  die  ihren  Charakter  als  feste  Körper  bedingt. 
Auch  zu  blossen  Änderungen  ihrer  Form,  ohne  gleichzeitige  Volum- 
änderung ist  Arbeit  erforderlich,  und  auch  diese  Arbeit  wird  wieder- 
gewonnen, wenn  man  den  Körper  seine  frühere  Form  wieder  an- 
nehmen lässt. 

Diese  Formenergie  nennt  man  auch  Elastizität.  Sie  bedingt,  dass 
ein  fester  Körper  seine  Gestalt  beibehält,  solange  nicht  sie  durch  ent- 
sprechende Arbeit  geändert  wird,  und  dass  nach  dem  Aufhören  eines 
solchen  Zwanges  sich  seine  frühere  Gestalt  wieder  herstellt.  Sie  bildet 
das  wesentliche  Kennzeichen  des  festen  Zustandes. 

Über  diese  Eigenschaft  lagert  sich  eine  andere ,  welche  sie  zum  Teil  ver- 
decken kann.  Auch  festen  Körpern  kommt  flüssige  BeschaiFenheit,  d.  h.  die 
Eigenschaft  zu,  ihre  Teilchen  dauernd  gegeneinander  zu  verschieben.  Hierfür 
ist  auch  Arbeit  erforderlich ;  diese  wird  aber  nicht  wiedergewonnen,  wenn  man  den 
Körper  aus  dem  Zwang  entlässt,  sondern  ist  verbraucht,  d.  h.  in  Wärme  ver- 
wandelt. Man  bezeichnet  dieses  Fliessen  fester  Körper  als  unvollkommene 
Elastizität,  doch  ist  es  besser,  von  dieser  Bezeichnung  keinen  Gebrauch  zu 
machen,  da  es  sich  um  eine  Eigenschaft  handelt,  die  in  der  Hauptsache  ge- 
rade das  Gegenteil  von  Elastizität  ist. 

Von  dem  Zustande  einer  gewöhnlichen  Flüssigkeit  zu  dem  eines 
festen  Körpers  giebt  es  also  einen  stetigen  Übergang,  wenigstens  bei 
gewissen  Stoffen.  So  verhält  sich  beispielsweise  geschmolzenes  Glas  bei 
höherer  Temperatur  ganz  wie  eine  Flüssigkeit.  Lässt  man  es  abkühlen, 
so  nimmt  seine  innere  Reibung  zu;  gleichzeitig  tritt  die  Eigenschaft  der 
Formelastizität,  die  bei  gewöhnlichen  Flüssigkeiten  kaum  nachweisbar  ist, 
mehr  und  mehr  auf,  und  wird  schliesslich  bestimmend  für  das  Verhalten. 
Dass  aber  auch  bei  gewöhnlicher  Temperatur  das  Glas  noch  etwas 
flüssig  ist,  geht  aus  der  den  Glasbläsern  bekannten  Thatsache  hervor, 
dass  Glasröhren,  die  nur  an  den  Enden  unterstützt  lagern,  sich  allmäh- 
lich im  Sinne  der  Schwerewirkung  durchbiegen  und  krumm  werden. 
Die  gleiche  Eigenschaft  zeigt  sich  darin,  dass  frischgefertigte  Quecksilber- 
tiiermometer,  in  denen  sich  ein  leerer  Raum  befindet,  und  die  deshalb 
den  äusseren  Luftdruck  erfahren,  ein  langsames  Ansteigen  des  Null- 
punktes, entsprechend  einem  langsamen  Zusammenfliessen  des  Queck- 
ffllberge^lsses,  zeigen. 

Die  festen  Körper  lassen  sich  femer  in  zwei  grosse  Gruppen  teilen, 
welche  voneinander  scharf  getrennt  sind:  in  amorphe  und  krystal- 
linische.  Beide  haben  die  eben  geschUderte  Eigenschaft,  die  Form- 
elastizität, aber  mit  folgendem  Unterschiede.  Amorphe  feste  Körper  haben 
nur    einen    Koeffizienten    der    Formelastizität;    ein    Kreiscylinder    aus 


158  rV«    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

amorphem  Material  erleidet  durch  gleichen  Druck  nach  allen  Sdten  die 
gleiche  Durchbiegung  und  es  ist  gleichgültig,  nach  welcher  Richtung  der 
Cylinder  etwa  aus  einem  grösseren  Stück  geschnitten  ist.  Ein  krystal- 
linischer  Körper  dagegen  hat  mehrere  Elastizitätskoeffizienten.  Schneidet 
man  einen  Kreiscyhnder  aus  einem  solchen,  so  ist  dessen  Durchbiegung 
verschieden  je  nach  der  Ebene,  in  welcher  man  den  Druck  wirken  lässt, 
und  es  giebt  nur  eine  endliche  Zahl  von  Ebenen,  nach  denen  sich  der 
Cylinder  gleich  verhält.  Ebenso  hat  der  Cylinder  verschiedene  elastische 
Eigenschaften,  je  nach  der  Lage,  in  der  man  ihn  aus  einem  Stück  ge- 
schnitten hat.  Nur  Cylinder,  die  einander  parallel  geschnitten  sind,  ver- 
halten sich  übereinstimmend,  und  ausser  dieser  gegenseitigen  Lage  giebt 
es  wieder  nur  eine  endliche  Anzahl  anderer,  welche  übereinstimmende 
Cylinder  ergeben. 

Bei  den  krystallinischen  Körpern  ist  die  Formelastizität  also  noch 
an  demselben  Stück  räumlichen  Verschiedenheiten  unterworfen,  während 
sie  bei  amorphen  Körpern  nur  von  der  Natur  des  Stoffes  und  seiner 
Temperatur  abhängt. 

Hierbei  ist  immer  vorausgesetzt,  dass  wir  es  mit  einheitlichen  Körpern 
zu  thun  haben,  in  denen  übereinstimmend  gelagerte  Stücke  in  allen  Be- 
ziehungen gleiche  Eigenschaften  haben.  Ungleichförmigkeiten  der  chemischen 
Zusammensetzung  und  der  physikalischen  Eigenschaften  von  Ort  zu  Ort  sind 
nach  der  am  Anfange  dieses  Werkes  stehenden  Bestimmung  überhaupt  von 
der  Betrachtung  ausgeschlossen. 


Zweites  KapiteL 
Exystalle. 

Es  wurde  bereits  hervorgehoben,  dass  die  festen  Körper  oft  die 
Eigenschaft  gesetzmässiger  Richtungsverschiedenheiten  in  ihrer  Beschaffen- 
heit besitzen.  Diese  Gesetzmässigkeit  macht  sich  bei  allen  Beziehungen 
geltend,  bei  welchen  die  Richtung  in  Frage  kommt,  also  bei  der  äusseren 
Begrenzung,  der  Elastizität,  den  optischen  Eigenschaften,  der  Wärme- 
leitung u.  s.  w.  Während  in  einem  amorphen  Körper,  wie  Glas,  diese 
Eigenschaften  nach  allen  Richtungen  gleiche  Werte  haben,  sind  bei 
Krystallen,  wie  man  derartige  Körper  nennt,  die  Eigenschaften  nur  nach 
parallelen  Richtungen  gleich;  nach  den  anderen  dagegen  im  allgemeinen 
verschieden. 

Von  den  Eigenschaften,  welche  hier  in  Frage  kommen,  ist  die 
äussere  Begrenzung  firüher  als  jede  andere  beachtet  und  in  ihren  Gesetz- 
mässigkeiten erforscht  worden.  Das  erste  Gesetz  rührt  von  N.  Steno 
(1669)  her,  und  lautet,  dass  bei  den  verschiedenen  Eaystallen  desselben 


Krystalle.  159 

Stoffes  zwar  die  Form  und  Grösse  der  Flächen  beliebig  wechselnd  sein 
können,  dass  aber  die  Winkel,  unter  denen  die  Flächen  zusammenstossen, 
stets  dieselben  bleiben. 

Von  Hauy  ist  dann  (1781)  zwischen  den  verschiedenen  Flächen 
eines  Krystalls  eine  weitere  Gesetzmässigkeit  aufgefunden  worden,  die 
von  ihm  folgendermassen  dargestellt  worden  ist  Denkt  man  sich,  was 
immer  möglicli  ist,  die  einfachsten  Formen  eines  Krystalls  aus  prisma- 
tischen Elementen  von  bestimmten  Winkeln  und  Seitenverhältnissen  auf- 
gebaut, so  ist  es  möglich,  mit  Hilfe  gleicher  prismatischer  Elemente  auch 
alle  anderen  am  Krystall  vorkommenden  Formen  aufzubauen,  so  dass 
die  durch  die  entsprechenden  Ecken  der  Elementarprismen  gelegten 
Flächen  die  Krystallfläclien  darstellen. 

Eine  lange  benutzte  Gestalt  hat  die  Krystallographie  durch  Weiss 
(1809)  erlangt,  welcher  die  Beziehung  der  Krystallgestalten  auf  be- 
stimmte Achsensysteme  einfiihrte.  Die  beiden  eben  erwähnten  Gesetze 
eriialten  in  dieser  Darstellungsweise  die  Form,  dass  erstens  jedem  Stoff 
ein  Achsensystem,  dessen  Winkel  und  relative  Längen  bestimmte  Werte 
haben,  zukommt,  und  dass  zweitens  die  verschiedenen  an  einem  Krystall 
vorkommenden  Flächen,  wenn  sie  parallel  sich  selbst  durch  einen  Punkt 
einer  Achse  gelegt  werden,  die  anderen  Achsen  in  einfachen  rationalen 
Veihältnissen  schneiden. 

Zu  diesen  beiden  Gesetzen  tiitt  noch  als  drittes  das  Symmetrie- 
gesetz, dessen  Erkenntnis  zum  Teil  gleichfalls  auf  Hauy  zurückzu- 
führen ist.  In  vollständiger  Weise  ist  es  von  Hessel  (1830)  ausge- 
sprochen worden,  dessen  Entdeckung  aber  lange  Zeit  völlig  unbeachtet 
blieb.  Erst  in  neuerer  Zeit,  als  die  gleichen  Ergebnisse  von  verschiedenen 
anderen  Forschem  auf  unabhängigen  Wegen  gefdnden  wurden,  kam  diese 
Betrachtungsweise  zur  allgemeinen  Geltung. 

Das  Symmetriegesetz  besagt,  dass  die  in  den  Krystallen  vorhandenen 
Richtungen  übereinstimmender  Eigenschaften  gesetzmässig  derart  zu  ein- 
ander geordnet  sind,  dass  sie  miteinander  auf  n  verschiedene  Weisen 
znr  Deckung  gebracht  werden  können,  wo  n  eine  endliche  Zahl  ist. 
We  Operationen,  durch  welche  diese  Deckbewegungen  ausgefiihrt  werden, 
sind  Drehungen  und  Spiegelungen. 

Ein  Rad  mit  6  Speichen  kann  beispielsweise  durch  Drehungen  um 
seine  Achse  sechs  Mal  mit  sich  selbst  zur  Deckung  gebracht  werden.  Ist  es 
aasserdem  auf  beiden  Seiten  gleich  geformt,  so  ist  auch  eine  Drehung  von 
180°  um  jeden  Durchmesser  eine  Deckbewegung.  Dagegen  kann  die  rechte 
und  die  linke  Hand  nur  durch  eine  Spiegelung  zur  Deckung  gebracht  werden. 

Stellt  man  sich  die  Aufgabe,  im  Rahmen  der  oben  angegebenen 
allgemeinen  Eigenschaften  der  Krystalle  alle  möglichen  Arten  derselben 
anzufinden,  so  wird  man  folgende  Aufgabe  zu  lösen  haben:  Auf 
wieviel  wesentlich  verschiedene  Arten  kann  man  Richtungen  im  Räume 
symmetrisch  anordnen? 


160  rV-    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

Untersucht  man  alle  möglichen  Arten,  durch  welche  Deckbewegxmgen 
bewirkt  werden  können,  so  findet  man  drei:  Spiegelung  in  einer  Ebene, 
Drehung  um  eine  Achse,  und  Drehspiegelung,  d.  h.  eine  Bewegung,  die 
aus  einer  Drehung  um  eine  Achse  und  einer  darauf  folgenden  Spiegelung 
in  einer  senkrecht  zu  dieser  Achse  stehenden  Ebene  besteht.  Alle  anderen 
denkbaren  Zusammenstellungen  von  Drehungen  und  Spiegelungen  lassen 
sich  auf  eine  einzige  der  genannten  Operationen  zurückfahren. 

Die  einfachste  Symmetrieart  ist  die  Spiegelung.  Sie  liegt  vor,  wenn 
jedem  Punkte  der  ersten  Lage  ein  Punkt  der  zweiten  so  entspricht,  dass 
er  auf  der  Normalen  einer  bestimmten  Ebene  ebenso  weit  hinter  dieser 
liegt,  als  jener  vom  gelegen  ist.  Diese  Ebene  heisst  die  Symm  etrieeb  ene. 

Die  Drehung  erfordert  eine  Symmetrieachse,  d.h.  eine  Gerade,  um 
die  man  das  Gebilde  so  drehen  kann,  dass  es  mit  sich  selbst  zur 
Deckung  kommt.  Soll,  wie  bei  Krystallen,  die  Bedmgung  erfüllt  sein, 
dass  die  Zahl  dieser  Drehungen  endlich  ist,  so  muss  der  Winkel  jeder 
Drehung  ein  rationaler  Bruchteil  von  360®  sein.  Es  lässt  sich  beweisen, 
dass  diese  Brüche  nur  */g,  '/j,  ^/^  und  ^6  ^^^^  können;  andere  Ein- 
teilungen würden  mit  dem  Gesetz  der  rationalen  Achsenschnitte  in  Wider- 
spruch geraten.  Demgemäss  wird  die  Symmetrieachse  eine  zwei-,  drei-, 
vier-  oder  sechszählige  sein,  d.  h.  das  Gebilde  wird  bei  einer  voll- 
ständigen Drehung  um  diese  Achse  2,  3,  4  oder  6  Mal  mit  sich  selbst 
zur  Deckung  gelangen. 

Nachdem  sich  die  Symmetrieebene  und  -achse  als  Eigentümlichkeiten 
der  beiden  ersten  Symmetriearten  ausgewiesen  haben,  könnte  man 
versucht  sein,  das  Symmetriezentrum  als  die  der  dritten,  der  Dreb- 
spiegelung  anzusehen.  Doch  erweist  sich  der  letztere  Begriff  weiter,  als 
der  erste,  so  dass  zwai*  alle  durch  ein  Symmetriezentrum  gegebenen  Be- 
ziehungen durch  Drehspiegelung  erreicht  werden  können,  nicht  aber 
umgekehrt. 

Die  Drehspiegelung  kann  nur  bei  2,  4  und  6-zähhger  Drehachse  zn 
Stande  kommen;  versu(*.ht  man  sie  mit  einer  dreizahligen  auszuführen, 
so  gelangt  man  nicht  mit  einer  ganzen  Drehung  zur  Ausgangslage  zu- 
rück, sondern  erst  mit  zweien,  und  das  Ergebnis  ist  dann  mit  dem  einer 
sechszähligen  Achse  identisch. 

Aus  diesen  acht  Symmetrieelementen:  der  Spiegelung,  der  zweh, 
drei-,  vier-  und  sechszähligen  Symmetrieachse  und  der  zwei-,  vier-  und 
sechszähligen  Drehspiegelung  setzen  sich  nun  die  Symmetrieeigenschaften 
aller  Krystalle  zusammen.  Bei  dem  Versuche,  alle  möglichen  Zusammen- 
stellungen dieser  Elemente  zu  erschöpfen,  überzeugt  man  sich  bald,  daas 
ihre  Zahl  nicht  besonders  gross  ist,  denn  man  kann  nicht  willkürlich 
jedes  Element  mit  jedem  anderen  verbinden,  sondern  gewisse  schliessen 
sich  gegenseitig  aus,  und  andere  Zusammenstellungen  fiihren  zu  berdfs 
vorhandenen  Formen.  Die  Gesamtzahl  aller  möglichen  Krystallarten 
ergiebt  sich  zu  31,  und  wenn  man  den  Fall,  dass  gar  keine  Symmetrie 
vorhanden  ist,  dazunimmt,  32. 


Krystaüe.  161 

Die  Ableitung  dieser  32  Arten  soll  hier  nicht  gegeben  werden, 
wohl  aber  eine  kurze  Zusammenstellung  der  Ergebnisse^). 

Zur  besseren  Übersicht  ordnet  man  die  32  Klassen  in  7  Krystall- 
systeme,  die  aus  der  auf  Achsenkreuze  bezogenen  Systematik  von  Weiss 
übernommen  sind. 

I.  Triklines  System.  Die  Formen  sind  die  wenigst  symmetrischen. 
Das  System  enthält  zwei  Klassen:  1.  die  asymmetrische  Klasse  ohne 
jedes  Symmetrieelement;  2.  die  pinakoidale  Klasse  mit  einer  zwei- 
zähligen  Drehspiegelung.  Dadurch  entsteht  ein  Symmetriezentrum,  d.  h.  jeder 
Fläche  entspricht  eine  parallele  Gegenfläche,  und  die  Verbindungsgeraden 
entsprechender  Punkte  schneiden  sich  alle  in  einem  Punkte  unter  gegen- 
seitiger Halbierung. 

II.  Monoklines  System.  3.  Sphenoidische  Klasse:  eine  zwei- 
zählige  Symmetrieachse.  4.  Domatische  Klasse:  eine  Symmetrie- 
ebene. 5.  Prismatische  Klasse:  eine  S3anmetrieebene  und  eine  dazu 
senkrechte  zweizählige  Symmetrieachse.  —  Die  Krystalle  dieses  Systems 
zeigen  einen  höheren  Grad  von  Symmetrie,  indem  durch  die  Symmetrie- 
ebene bez.  -achse  nach  einer  Richtung  eine  rechtwinklige  Ausbildung 
bedingt  wird. 

in.  Rhombisches  System.  6.  Bisphenoidische  Klasse:  drei 
zu  einander  senkrechte  zweizählige  Symmetrieachsen.  7.  Pyramidale 
Klasse:  eine  zweizählige  Achse  und  zwei  ihr  parallele,  einander  recht- 
winklig schneidende  Symmetrieebenen.  8.  Bipyramidale  Klasse:  drei 
zu  einander  senkrechte  Symmetrieebenen  und  drei  zu  einander  senkrechte 
zweizählige  Achsen.  —  Die  Krystalle  dieses  Systems  sind  durch  drei 
aufeinander  senkrechte  Ausbildungsrichtungen  oder  Achsen  gekennzeichnet, 
die  durch  ihre  Symmetrieelemente  bedingt  werden. 

lY.  Tetragonales  System.  9.  Bisphenoidische  Klasse:  eine 
vierzäblige  Drehspiegelung.  10.  Pyramidale  Klasse:  eine  vierzählige 
Symmetrieachse.  11.  Skalenoedrische  Klasse:  eine  vierzählige  Dreh- 
spiegelung; senkrecht  zu  deren  Achse  zwei  zweizählige,  senkrecht  zu 
einander  stehende  Symmetrieachsen;  in  der  Achse  zwei  Symmetrieebenen, 
welche  die  Winkel  der  zweizähligen  Achsen  halbieren.  12.  Trapezo- 
edrische  Klasse:  eine  vierzählige  Achse;  in  der  dazu  senkrechten 
Ebene  vier  zweizählige.  13.  Bipyramidale  Klasse:  eine  vierzählige 
Adise  und  senkrecht  dazu  eine  Symmetrieebene.  14.  Ditetragonal- 
pyramidaleKlasse:  eine  vierzählige  Achse  und  vier  sich  in  ihr  schnei- 
dende Symmetrieebenen.  15.  Ditetragonal-bipyramidale  Klasse: 
wie  14,  dazu  senkrecht  zur  vierzähligen  Achse  eine  Symmetrieebene  und 
vier  zweizählige  Symmetrieachsen.  —  Die  Krystalle  dieses  Systems  sind 
aUe  durch  eine  vierzählige  Symmetrie  um  eine  Hauptachse,  d.  h.  eine 
gegen  alle  übrigen  Richtungen  ausgezeichnete  Richtung  gekennzeichnet. 


*)  Groth,  Physikalische  Krystallographie.   .3.  Aufl.  Leipzig  1895. 

OBtwftld,  Gnindrisa.    3.  Aufl.  11 


162  rV-    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

V.  Trigonales  System.  16.  Pyramidale  Klasse:  eine  drei- 
zalilige  Symmetrieachse.  17.  RhomboSdrische  Klasse:  eine  dreizählige 
Achse  7  welche  zugleich  die  Achse  einer  sechszähligen  Drehspiegdimg 
ist  18.  Trapezoedrische  Klasse:  eine  dreizählige  Symmetrieachse 
und  drei  zweizählige  senkrecht  dazu.  19.  Bipyramidale  Klasse:  eine 
dreizählige  Achse  und  senkrecht  dazu  eine  Symmetrieebene.  20.  Ditri- 
gonal-pyramidale  Klasse:  eine  dreizählige  Achse^  in  der  sich  drei 
Symmetrieebenen  schneiden.  21.  Ditrigonal-skaleno^drische  Klasse: 
ausser  den  Elementen  der  20.  Klasse  drei  zweizählige  Achsen  senkrecht 
zu  der  dreizähligen.  22.  Ditrigonal-bipyramidale  Klasse:  ausser 
den  Elementen  der  20.  Klasse  eine  Symmetrieebene  und  sechs  zwei- 
zählige Achsen  senkrecht  zur  dreizähligen.  —  Die  Krystalle  des  trigo- 
nalen  Systems  sind  durch  eine  dreizählige  Symmetrie  um  eine  Haupt- 
achse ausgezeichnet 

VI.  Hexagonales  System.  23.  Pyramidale  Klasse:  eine 
sechszählige  Achse.  24.  Trapezoedrische  Klasse:  eine  sechsr 
zähhge  Achse  und  senkrecht  dazu  sechs  zweizählige.  25.  Bi pyra- 
midale Klasse:  eine  sechszähhge  Achse  und  senkrecht  dazu  eine 
S3nnmetrieebene.  26.  Dihexagonal-pyramidale  Klasse:  eine  sechs- 
zählige Achse  und  darin  sechs  Symmeüieebenen.  27.  Dihexagonal- 
bipyramidale  Klasse:  ausser  den  Elementen  von  26  eine  Symmetrie- 
ebene und  sechs  zweizählige  Achsen  senkrecht  zur  sechszähUgen.  —  Die 
hexagonalen  Krystalle  besitzen  gleichfalls  eine  ausgezeichnete  Richtung 
oder  Hauptachse  und  sind  in  sechszähliger  Symmetrie  um  diese  ausgebildet 

YII.  Kubisches  System.  28.  TetraSdrisch-pentagondode- 
kaädrische  Klasse:  drei  gleichwertige  zwdzählige  Achsen^  die  zu  ein- 
ander senkrecht  stehen;  unter  gleichen  Neigungen  zu  diesen  vier  drei- 
zählige Achsen.  29.  Pentagon-ikositetraedrische  Klasse:  drei 
gleichwertige,  gegeneinander  senkrechte  vierzähUge  Achsen,  vier  drei- 
zählige und  sechs  zweizählige,  welche  die  Winkel  der  vierzähligen  hal- 
bieren. .30.  Dyakisdodekaedrische  Klasse:  die  Elemente  der  Klasse 
28  und  drei  Symmetrieebenen  senkrecht  zu  den  zweizähligen  Achsen. 
31.  Hexakistetraädrische  Klasse:  die  Elemente  der  Klasse  28  und 
sechs  Symmetrieebenen.  32.  HexakisoktaSdrische  Klasse:  drei 
vierzählige  gleichwertige  Symmetrieachsen  senkrecht  zu  einander^  vier 
dreizählige  und  sechs  zweizählige,  femer  sämtliche  Symmetrieebenen  der 
Klassen  30  und  31.  —  Die  Krystalle  des  kubischen  Systems  haben 
drei  gleichwertige,  senkrecht  zu  einander  stehende  Symmetrieachsen,  zu 
denen  die  weiteren  Elemente  kommen.  Sie  stellen  die  am  regelmässigsten 
ausgebildeten  Krystalle  dar,  insbesondere  ist  die  Klasse  32  der  Ausdruck 
der  höchsten  Symmetrie,  die  innerhalb  der  krystallographischen  Grund- 
gesetze möglich  ist. 

Die  Entwickelung  der  möglichen  Krystallklassen  aus  den  Symmetrie- 
verhältnissen  ist  unabhängig  von  der  Frage    der    äusseren   Begrenzung 


Krygtalle.  Iß3 

der  Eiystalle.  Da  sich  die  Krystallform  als  erste  und  aufUllligste  Eigen- 
sdiaft  der  Krystalle  bemerkbar  macht^  ist  man  lange  geneigt  gewesen^ 
sie  als  die  Grundlage  der  Systematik  anzusehen.  Doch  ist  die  Form 
nur  eine  von  den  vielen  Eigenschaften  der  Krystalle,  die  räumliche  Gesetz- 
mässigkeiten aufvf eisen,  und  eine  angemessene  Systematik  muss  alle 
diese  Eigenschaften  umfassen. 

Es  entsteht  nun  die  weitere  Frage,  ob  die  verschiedenen  Eigen- 
schaften alle  dieselbe  Mannigfaltigkeit  zeigen,  welche  in  den  32  Klassen 
zum  Ausdruck  gekommen  ist.  Die  Antwort  ist,  dass  dies  durchaus  nicht 
der  Fall  ist  Die  32  Klassen  stellen  die  grösste  Mannigfaltigkeit  der 
Symmetriebeziehungen  dar,  die  überhaupt  möglich  ist.  Nun  sind  ver- 
schiedene Eigenschaften  von  solcher  Beschaffenheit,  dass  sie  gewisse 
Symmetrieelemente  bereits  in  sich  enthalten;  in  Bezug  auf  solche  gehen 
daher  die  Klassen,  welche  diese  Elemente  nicht  enthalten,  in  solclie  über, 
welche  durch  die  Zufügung  dieser  Symmetrie  entstehen.  Dadurch  wird 
immer  die  Anzahl  der  möglichen  Verschiedenheiten  vermindert  und  die 
32  Klassen  treten  zu  Gruppen  zusammen,  von  denen  jede  eine  gewisse 
Zahl  von  Klassen  umfasst 

Je  nach  der  hinzugetretenen  Symmetrieart  können  diese  Gnippen 
verschieden  sein,  doch  müssen  Eigenschaften,  welche  gleiche  Symmetn'e- 
bedingungen  enthalten,  auch  gleiche  Gruppen  ergeben.  Die  Erfahrung 
hat  dies  allgemein  bestätigt. 

Die  wichtigste  Gruppe  wird  durch  solche  Eigenschaften  gebildet, 
deren  Symmetrie  im  allgemeinsten  Falle  durch  ein  dreiachsiges  Ellipsoid 
dargestellt  wird.  Wenn  man  z.  B.  im  Inneren  eines  Krystalls,  der 
ursprünglich  überall  gleiche  Temperatur  besass,  in  einem  Punkte  eine 
Wärmequelle  sich  bethätigen  lässt,  so  hegen  die  Punkte  gleicher  Tempe- 
ratur in  der  Fläche  eines  dreiachsigen  Ellipsoids.  Dies  tritt  bei  Krystallen 
des  triklinen,  des  monoklinen  und  des  rhombischen  Systems  ein.  Dabei 
ist  das  Elhpsoid  im  ersten  Falle  ohne  irgend  welche  geometrische  Be- 
ziehung zur  Krystallform  gelagert.  Bei  den  monoklinen  Krystallen  muss 
die  vorhandene  Symmetrieachse  bez.  -ebene  mit  einer  solchen  des  Ellip- 
soids zusammenfallen,  und  bei  den  rhombischen  muss  dies  mit  den  drei 
aufeinander  senkrechten  Achsen  bez.  Ebenen  geschehen. 

Die  Krystalle  des  trigonaleu,  tetragonalen  und  liexagonalen  Systems 
besitzen  eine  Achse  mit  drei-  oder  mehrzähliger  Symmetrie.  Eine  solche 
ist  in  einem  dreiachsigen  Ellipsoid  nicht  vorhanden,  dieses  muss  dalier  in 
ein  emachsiges  oder  RotationselUpsoid  übergehen.  Hierdurch  wird  die 
Gruppe  der  einachsigen  oder  der  mit  einer  Hauptachse  veraehenen 
Krystalle  gebildet. 

Die  Krystalle  des  kubischen  Systems  haben  di'ei  zu  einander  senk- 
rechte gleichwertige  Achsen.  Durch  diese  Bedingung  geht  das  Ellipsoid 
in  eine  Kugel  über. 

Für  Eigenschaften  der  geschilderten  Art  bilden  die  Krystalle  dem- 
nach drei  (bez.  unter  Berücksichtigung  der  bei  den  drdachsigen  Krystallen 

11* 


164  IV.    StOchiometrie  fester  Stoffe. 

erwähnten  Vei-schiedenheiten  fünf)  Gruppen,  und  durch  die  Messung  der 
Symmetrie  einer  derartigen  Eigenschaft  kann  man  die  Zugehörigkeit  des 
Erystalis  zu  dem  entsprechenden  System  feststellen,  auch  wenn  er  eine 
wiUküriiche  oder  zufällige  Form  hat 

Die  meistuntersuchte  von  den  Eigenschaften  dieser  Art  ist  die  Fort- 
pflanzung des  Lichtes,  und  die  davon  abhängigen  Brechungs-  und  Zer- 
streuungsverhältnisse.  Sie  sind  wegen  ihrer  Wichtigkeit  in  einem  eigenen 
Kapitel  behandelt. 

Den  gleichen  Charakter  haben  alle  anderen  Eigenschaften,  die  auf  eine 
Ausbreitung  von  Punkt  zu  Punkt  sich  zurückführen  lassen,  wie  die  Leitung 
der  Wärme,  der  Elektrizität,  des  Schalls  u.  s.  w.  Femer  gehören  hierher 
die  Form-  und  Volumänderungen  durch  Temperatur  und  allseitigen  Druck, 
ebenso  die  Verwitterungserscheinungen  und  überhaupt  die  chemischen  Ände- 
rungen an  Krystallen,  die  ihn  nur  teilweise  ergreifen. 

Eine  andere  Art  von  Zusammenfassung  wird  durch  solche  Eigenschaften 
bewirkt,  welche  zwar  nach  der  Richtung  verschiedene  Werte  haben,  bei  denen 
es  aber  keinen  Unterschied  zwischen  vor-  und  rückwärts  giebt.  Solcher  Art 
sind  die  elastischen  Kräfte,  denn  ein  gespannter  Stab  strebt  sich  zu  verkürzen, 
aber  die  Kraft  treibt  ihn  nicht  ausschliesslich  nach  der  einen  oder  der  an- 
deren Seite.  Durch  eine  solche  Eigentümlichkeit  erhält  die  Eigenschaft  ein 
Symmetriezentrum,  und  in  Bezug  auf  sie  giebt  es  nur  so  viele  Klassen,  als 
aus  den  32  werden,  wenn  man  zu  jeder  noch  diese  Bedingung  hinzufugt,  und 
die  dann  gleich  werdenden  zusammenfasst.   Es  bleiben  dann  elf  Klassen  übrig ^). 

Eine  Eigenschaft  polaren  Charakters  dagegen,  d.  h.  eine  solche,  welche 
immer  und  notwendig  mit  zwei  entgegengesetzten  Werten  auftritt,  wie  z.  B. 
die  elektrische  Ladung,  kann  sich  nur  an  solchen  Achsen  ausbilden,  die  an 
ihren  Enden  verschieden  sind,  die  z.  B.  nicht  mit  einer  senkrecht  dazu 
stehenden  Symmetrieebene  verbunden  sind.  Ebenso  sind  alle  Krystalie  aus- 
geschlossen, welche  ein  Symmetriezentrum  haben. 

Durch  diese  Betrachtungen  wird  der  enge  Zusammenhang  klar,  welcher 
zwischen  der  Symmetrie  der  Krystalie  und  der  Weise  besteht,  in  welcher 
sich  die  verschiedenen  Eigenschaften  an  ihnen  bethätigen.  Die  weitere  Ver- 
folgung des  Gegenstandes  gehört  der  Krystallphysik  an. 

Die  vorstehenden  Entwickelungen  enthalten  nur  die  Voraussetzung,  dass 
die  Krystalie  symmetrische  Gebilde  seien,  deren  Mannigfaltigkeit  nur  durch 
die  anderen  krystallographischen  Grundgesetze  eingeschränkt  ist.  Sie  sind 
daher  frei  von  hypothetischen  Annahmen  bezüglich  der  inneren  Struktur 
der  Krystalie  und  eines  etwaigen  Aufbaues  derselben  aus  gesetzmässig  ge- 
ordneten Teilchen.  Doch  haben  bereits  seit  dem  Beginn  der  wissenschaft- 
lichen Krystallographie  Bestrebungen  sich  gezeigt,  auf  Grund  der  beobachteten 
Gesetzmässigkeiten  Vorstellungen  der  letzteren  Art  zu  entwickeln,  und  solche 

^)  Im  Falle  der  Elastizität  tritt  noch  eine  weitere  Bedingungsgleichung 
hinzu,  durch  welche  noch  zwei  von  diesen  Klassen  verschwinden. 


Krystalle.  165 

sind  bis  auf  unsere  Zeit  verfolg  worden.  Dabei  hat  sich  allerdings  heraus- 
gestellt, dass  zwar  die  erste  Ausbildung  der  Kenntnisse  und  Anschauungen 
in  der  Krystallographie  durch  diese  Hilfsvorstellungen  erleichtert  und  be- 
fördert worden  ist;  für  die  vollstftndige  Erledigung  der  Aufgabe  sind  sie  aber 
nicht  geeignet  gewesen,  sondern  dies  ist  auf  rein  geometrischem  Wege,  also 
ohne  jede  derartige  Annahme  erfolgt,  und  auch  in  ihrer  weiteren  Entwickelung 
hat  die  molekularhypothetische  Betrachtung  an  Vollständigkeit  und  Einfach- 
heit die  geometrische  nicht  erreichen  können. 

Ein  solches  Verhältnis  ist  zu  erwarten  gewesen.  Durch  jede  hypothe- 
tische Veranschaulichung  werden  ausser  den  für  die  Erscheinung  wesentlichen 
Elementen  noch  zufällige  in  die  Darstellung  hineingebracht,  die  von  der  Be- 
schaffenheit des  angewendeten  Bildes  herrühren.  Andererseits  enthält  die 
geometrisch-mathematische  Theorie  nur  die  nötigen 'Elemente;  sie  muss  daher 
notwendig  eine  angemessenere  Darstellung  liefern,  als  die  mit  zufälligen  Be- 
standteilen beschwerte  „anschauliche^*  Hypothese.  Indessen  hat  diese  doch  auch 
im  vorliegenden  Falle  eine  so  bedeutende  Rolle  gespielt,  dass  wenigstens 
die  Hauptpunkte  erörtert  werden  müssen. 

Schon  Hauy,  einer  der  ersten  wissenschaftlichen  Bearbeiter  der  Krystallo- 
graphie, hatte  seine  Darstellung  auf  die  Annahme  gegründet,  dass  die  Kry- 
stalle aus  kleinsten  Teilchen  von  gleicher  Form  und  paralleler  Lage  zusammen- 
gesetzt seien,  wie  ein  Mauerwerk  aus  Ziegeln.  Das  Gesetz  der  rationalen 
Achsenschnitte  ergab  sich  alsbald  anschaulich  aus  dieser  Annahme.  Denkt 
man  sich  z.  B.  parallelepipedische  Stücke  so  übereinander  gelagert,  dass 
jede  höhere  Schicht  nach  Länge  und  Breite  um  einen  Stein  kleiner  wird,  so 
entstehen  die  Seiten  einer  Pyramide.  Indem  man  die  Abnahme  erst  bei 
jeder  zweiten,  dritten  u.  s.  w.  Schicht  eintreten  lässt,  oder  jede  folgende 
Schicht  um  mehr  als  einen  Stein  kleiner  macht,  erhält  man  andere  Pyramiden, 
deren  Lage  zu  der  ersten  dem  Gesetz  der  rationalen  Achsenschnitte  (das 
Hauy  auf  Grund  dieser  Betrachtung  als  das  Gesetz  der  Decrescenzen  be- 
zeichnet) entspricht. 

Während  Hauy  aber  es  noch  als  nötig  angesehen  hatte,  seine  Bausteine 
von  solcher  Form  anzunehmen,  dass  der  Raum  durch  ihre  Zusammensetzung 
vollständig  gefüllt  wurde,  gab  man  später  diese  Annahme  als  unnötig  auf, 
und  bearbeitete  die  allgemeinere  Aufgabe,  die  Molekeln  oder  Massenpunkte 
ohne  Rücksicht  auf  ihre  etwaige  Form  in  gesetzmässiger  Weise  anzuordnen, 
und  zuzusehen,  wie  sich  diese  Anordnung  mit  den  krystallographischen  That- 
Sachen  in  Übereinstimmung  bringen  lässt. 

Solche  Vorstellungen  sind  mehrfach  ausgebildet  worden  von  Franken - 
heim  (1832—56),  Bravais  (1849),  Möbius  (1849)  und  Sohncke  (seit  1867),  und 
haben  zu  dem  gesuchten  Ergebnis  geführt. 

Man  denke  sich  ein  System  von  Punkten  im  Räume,  welches  der  Be- 
dingung entspricht,  dass  die  Anordnung  desselben  um  jeden  beliebigen  Punkt 
die  gleiche  ist,  wie  um  jeden  anderen.  Verbindet  man  einen  Punkt  mit 
einem  benachbarten,  so  wird  diese  Gerade,  beiderseits  verlängert,  in  gleichen 
Entfernungen  immer  wieder  einen  Punkt  treffen,  da  nach  der  Voraussetzung 


166  r^-    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

der  dritte  Punkt  zum  zweiten  ebenso  liegen  muss,  wie  der  zweite  zum 
ersten;  die  Gerade  wird  also  eine  unendliche  Reihe  äquidistanter  Punkte  ver- 
binden. Zieht  man  von  demselben  ersten  Punkte  zu  einem  anderen  benach- 
barten wieder  eine  Gerade,  so  gilt  für  diese  das  Gleiche.  Ebendasselbe  gilt 
aber  auch  für  jede  Parallele  zur  ersten  Geraden,  die  man  durch  einen  Punkt 
der  zweiten  zieht  und  umgekehrt.  Die  beiden  Scharen  von  Parallelen,  die 
man  durch  diese  Konstruktion  erhalt,  liegen  in  einer  Ebene  und  ihre  Durch- 
schnitte enthalten  alle  Punkte,  welche  zum  System  gehören.  Die  für  Krystalle 
charakteristische  Anordnung  führt  also  in  der  Ebene  zunächst  auf  zwei 
Scharen  äquidistanter  Parallelen,  die  unter  irgend  einem  Winkel  sich  schneiden. 
Fügt  man  die  Bedingung  hinzu,  dass  die  beiden  bestimmenden  Geraden  von 
dem  Ausgangspunkte  zu  den  beiden  zu  nach  st  liegenden  Punkten  gezogen 
werden,  so  lässt  sich  beweisen,  dass  der  Winkel  zwischen  60®  und  90* 
liegen  muss. 

Ziehen  wir  weiter  eine  dritte  Gerade  zu  einem  nicht  in  der  Ebene 
Hegenden  nächstbenachbarten  Punkte,  so  gilt  für  diese  und  für  jede  durch 
einen  Punkt  in  der  Ebene  gezogene  Parallele  wiederum  das  oben  Gefundene. 
Die  Gesamtheit  der  gesetzmässig  möglichen  Punkte  ordnet  sich  somit  in  den 
Durchschnittspunkten  von  drei  Scharen  paralleler  äquidistanter  Ebenen  an, 
für  deren  Winkel  das  oben  Gesagte  gleichfalls  gilt.  Wird  keine  weitere  Be- 
stimmung getroffen,  so  haben  wir  den  Fall  geringster  Symmetrie,  das  asym- 
metrische System. 

Wenn  wir  nun  die  weitere  Bedingung  hinzufügen,  dass  eine  Sym- 
metrieebene vorhanden  sein  soll,  so  muss  diese  jedenfalls  senkrecht  zu 
einer  von  zwei  Punktreihen  bestimmten  Ebene  stehen  und  den  Winkel  der 
Reihen  halbieren,  da  anders  nicht  die  Bedingung  der  Symmetrie,  d.  h.  die 
Bedingung,  dass  jenseits  der  Symmetrieebene  die  Anordnung  das  Spiegel- 
bild der  diesseits  befindlichen  darstellt,  zu  erfüllen  ist.  Ferner  müssen  die 
beiden  Parallelenscharen  in  der  Ebene  auch  in  Bezug  auf  Entfernung  über- 
einstimmen. Denn  denkt  man  sich  die  eine  Schar  in  der  Ebene  bis  zu 
ihrem  Durchschnitte  mit  der  Symmetrieebene  gezogen,  so  erfordert  die 
Schar  ihr  Spiegelbild  auf  der  anderen  Seite,  und  verlängert  man  die  Paral- 
lelen beiderseits  unbegrenzt,  so  ist  das  Netz  in  der  Ebene  endgültig  fest- 
gestellt. Wir  kommen  also  zum  Schluss,  dass  eine  Symmetrieebene  in  einer 
dazu  senkrechten  Ebene  ein  Punktnetz  mit  rhombischer  Masche  bedingt, 
die  Symmetrieebene  geht  durch  eine  Diagonale.  Was  nun  die  Punkte  ausser- 
halb der  Ebene  betrifft,  so  soll  zunächst  in  Erinnerung  gebracht  werden, 
dass  jede  Ebene,  die  parallel  der  eben  betrachteten  durch  einen  solchen 
Punkt  gelegt  wird,  genau  dieselbe  Punktanordnung  enthalten  muss,  wie 
diese.  Wir  können  dies  zweite  Punktsystem  also  erhalten,  wenn  wir  das 
erste  parallel  sich  selbst  um  irgend  eine  Grösse  verschieben.  Dabei  muss 
aber  dem  Gesetz  der  Symmetrie  Genüge  geschehen.  Da  nun  durch  die 
Spiegelung  die  Zahl  der  Punkte  sich  verdoppeln  würde,  wenn  die  Ver- 
schiebung willkürlich  geschähe,  so  muss  diese  so  ausgeführt  werden,  dass  die 
ftrsprünglicten  Punkte   und   ijire  Spiegelbilder   zusampaenfallen ,    d,  Iji.   wan 


Kry  stalle.  167 

muss  das  System  so  verschieben,  dass  jeder  Punkt  sich  in  einer  zur  Symmetrie- 
ebene  parallelen  Geraden  bewegt.  Die  Projektion  der  Punkte  ausserhalb  der 
Ebene  muss  also  in  die  Diagonale  der  Rhomben  fallen,  durch  welche  die 
Symmetrieebenen  gehen.  Man  erlangt  so  als  Grundform  des  Raumgitters 
eine  Parallelepipedon  mit  rhombischer  Basis,  von  dem  je  zwei  angrenzende 
Seitenflächen  gleiche  Neigung  zur  Basis  haben.  Zieht  man  die  Diagonalen 
der  Basis  und  verbindet  ihren  Durchschnittspunkt  mit  dem  entsprechenden 
Punkte  der  Gegenfläche,  so  hat  man  ein  Achsensystem,  in  welchem  sich  die 
Achsen  zweimal  unter  rechten,  einmal  unter  schiefen  Winkeln  schneiden. 
Damit  ist  aber  das  monokline  System  charakterisiert. 

Wir  wollen  nur  annehmen,  es  existiere  noch  eine  zweite  Symmetrie- 
ebene. Dann  muss  dieselbe  eine  dritte  hervorrufen,  welche  ihr  Spiegelbild 
in  der  ersten  ist;  das  Spiegelbild  der  ersten  Symmetrieebene  in  der  zweiten 
bedingt  eine  vierte.  Jede  der  neuen  Symmetrieebenen  bedingt  wiederum 
drei  weitere  und  so  fort.  Eine  willkürliche  Lage  zweier  Symmetrieebenen 
ruft  also  unendlich  viele  neue  hervor,  die  alle  durch  dieselbe  Gerade  gehen, 
führt  also  auf  eine  Unmöglichkeit.  Wir  müssen  daher  spezielle  Lagen  auf- 
suchen, in  welchen  die  Zahl  der  Symmetrieebenen  endlich  bleibt;  dies  findet 

180° 
statt,  wenn  der  Winkel  beträgt,  wo  n  eine  ganze  Zahl  ist. 

Wir  nehmen  zunächst  n  =»  2 ;  dann  schneiden  sich  beide  Ebenen  unter 
rechten  Winkeln.  Beide  müssen  aus  den  oben  ausgesprochenen  Gründen 
senkrecht  auf  einem  ebenen  Punktnetz  stehen.  Die  Punktreihen  dieses 
Netzes  müssen  gegen  beide  senkrechte  Ebenen  symmetrisch  sein;  diese 
Bedingung  aber  lässt  sich  erfüllen,  indem  entweder  die  Punkte  Rhomben 
bilden,  durch  deren  beide  Diagonalen  die  Symmetrieebenen  gehen,  oder  in- 
dem die  Punktreihen  senkrecht  zu  einander  und  parallel  den  Symmetrie- 
ebenen angeordnet  sind.  Die  Masche  des  Netzes  ist  also  rhombisch  oder 
rechteckig.  Die  Punkte  des  parallelen  Netzes  können  ebenfalls  zwei  Lagen 
haben:  entweder  liegen  sie  gleichzeitig  in  beiden  Symmetrieebenen,  d.  h. 
senkrecht  über  den  unteren  Punkten,  oder  senkrecht  über  den  Diagonal - 
durchschnitten.  In  beiden  Fällen  findet  dies  ebenso  über  wie  unter  der  be- 
trachteten Ebene  statt,  und  diese  erweist  sich  demgemäss  gleichfalls  als  eine 
Symmetrieebene.  Diese  Darlegung  gilt  ebenso  für  jedes  System  von  mehr 
als  zwei  Symmetrieebenen,  welche  gleichzeitig  durch  dieselbe  Gerade  gehen,  und 
wir  können  daher  allgemein  aussprechen:  Zwei  oder  mehrere  Symmetrie- 
ebenen, die  sich  in  einer  Geraden  schneiden,  bedingen  eine 
neue  Symmetrieebene  senkrecht  dazu. 

Kehren  wir  nun  zu  den  gefundenen  Netzen  und  Raumgittern  zurück. 
Im  Falle  die  Punkte  in  der  Parallelebene  senkrecht  über  den  Mitten  der 
Diagonalen  liegen,  liegen  die  Punkte  der  dritten  Ebene  wieder  senkrecht 
über  den  Punkten  der  ersten,  wir  können  daher  solche  Systeme  als  Kom- 
bination zweier  ineinander  gestellter  senkrechter  Raumgitter  betrachten. 
In  allen  Fällen  gelangen  wir  zu  drei  aufeinander  senkrechten  Achsen,  welche 
ungleichwertig  sind;  es  ist  dies  die  Charakteristik  des  rhombischen  Systems. 


168  IV.    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

Die  zweite  Symmetrieebene  mag  nun  durch  n  «« 3  bestimmt  werden, 
der  Winkel  wird  60^.  Es  tritt  alsbald  eine  dritte  zur  ersten  und  zweiten 
gleichfalls  unter  60®  stehende  dazu,  die  alle  senkrecht  auf  der  ursprünglichen 
Punktenebene  stehen  und  gleichwertig  sind.  Die  einzig  mögliche  Anordnung 
der  Punkte  in  der  Grundebene  ist  die  in  drei  Scharen  von  Punktreihen,  die 
je  einer  der  Symmetrieebenen  parallel  sind ;  die  Punkte  bilden  Rhomben  yon 
60®  und  120®.  Die  Parallelebene  kann  ihre  Punkte  wieder  entweder  senk- 
recht über  denen  der  ersten  Ebene  oder  senkrecht  über  der  Mitte  der 
Rhomben  haben;  im  letzteren  Falle  befinden  sich  die  Punkte  der  dritten 
Parallelebene  senkrecht  über  denen  der  ersten.  Aus  den  gleichen  Gründen, 
wie  beim  vorigen  Systeme,  ist  auch  hier  die  ursprüngliche  Ebene  eine  Sym- 
metrieebene, 80  dass  das  System  deren  vier  hat,  drei  unter  60®,  durch  eine 
Gerade  gehend,  und  die  vierte  senkrecht  zu  dieser  Geraden.  Die  Achsen 
werden  durch  die  Durchschnitte  der  vier  Symmetrieebenen  bestinmit,  und  wir 
haben  das  hexagonale  System  mit  drei  gleichwertigen  Achsen  in  einer 
Ebene  unter  60®  und  einer  dazu  senkrechten  vierten. 

Für  n  BS  4  tritt  eine  zweite  Symmetrieebene  unter  45®  gegen  die  erste 
auf.  Beide  rufen  zwei  weitere  Symmetrieebenen  hervor,  welche  senkrecht 
zu  beiden  vorhandenen  stehen  und  ihnen  gleichwertig  sind;  wir  haben  also 
vier,  die  alle  durch  dieselbe  Gerade  gehen,  und  von  denen  je  zwei  senkrecht 
stehende  gleichwertig  sind,  die  benachbarten  unter  45®  stehenden  sind  es  je- 
doch nicht.  Die  Anordnung  der  Punkte  in  der  Ebene  kann  nur  quadratisch 
sein,  auch  ist  natürlich  die  Grundebene,  zu  welcher  die  vier  Symmetrieebenen 
senkrecht  stehen,  gleichfalls  eine  Symmetrieebene.  Die  Lage  der  Punkte  in 
den  parallelen  Ebenen  wird  durch  dieselben  Überlegungen  bestimmt  wie 
früher.  Das  System  hat  fünf  Achsen,  von  denen  vier  in  einer  Ebene  liegen 
und  abwechselnd  gleichwertig  sind,  während  die  fünfte  dazu  senkrecht  steht 
Gewöhnlich  beachtet  man  von  den  vier  ersten  nur  zwei  senkrecht  stehende 
und  gleichwertige  und  betrachtet  die  beiden  anderen  als  sekundäre.  Das 
System  heisst  das  quadratische. 

Setzt  man  n »»  5  oder  grösser,  so  findet  man,  dass  eine  solche  Zahl  von 
Symmetrieebenen  sich  nicht  verwirklichen  lässt.  Oben  wurde  erwähnt,  dass 
der  Winkel,  welchen  die  von  einem  Punkt  zu  den  beiden  nächsten  gezogenen 
Geraden  einschliessen,  nicht  unter  60®  herabgehen  kann,  während  fünf  oder 
mehr  Symmetrieebenen  dies  bedingen  würden,  sie  sind  also  nicht  mdglicL 
Es  bleibt  nur  noch  ein  einziger  Schritt  zu  thun  übrig,  um  den  äussersten  Grad 
von  Regelmässigkeit  zu  erreichen.  Dazu  muss  man  die  fünfte  Symmetrie- 
ebene des  quadratischen  Systems  mit  zwei  anderen  gleichwertig  machen;  man 
hat  dann  drei  gleichwertige,  unter  sich  senkrechte  Hauptsymmetrieebenen, 
wozu  noch  sechs  weitere  treten.     Wir  haben  das  kubische  System. 

Die  vorstehende  Entwickelung  macht  keinen  Anspruch  auf  Strenge  und 
Vollständigkeit,  sondern  soll  nur  ein  Bild  von  dem  Wege  geben,  auf  dem 
solche  Betrachtungen  angestellt  werden  können.  Eine  systematische  Unter- 
suchung des  Problems  ist  insbesondere  von  Sohncke  durchgeführt  worden,  und 
hat  ergeben,  dass  die  mögliche  Mannigfaltigkeit  auf  die  angedeutete  Weise 


Die  optischen  Eigenschaften  der  festen  Körper.  169 

nicht  erschöpft  werden  kann.  Die  vollständige  Lösung  des  Problems  fordert, 
dass  ausser  den  durch  diese  Betrachtungen  entwickelten  einfachen  Raum- 
gittern noch  zusammengesetzte  angenommen  werden,  die  aus  mehreren  inein- 
ander gestellten  kongruenten  Raumgittern  bestehen. 

Femer  aber  hat  der  Vergleich  der  auf  solchem  Wege  gewonnenen  Ergeb- 
nisse mit  denen  der  rein  geometrischen  Betrachtung  gezeigt,  dass  die  letzteren 
gleichzeitig  vollständiger  und  einfacher  sind,  so  dass  die  voraussetzungslose 
Ableitung  nicht  nur  die  prinzipiell  bessere,  sondern  auch  die  praktisch  zweck- 
entsprechendere ist. 

Die  Krjstallographie  hat  damit  eine  Entwickelung  durchgemacht,  die  der 
Chemie  bezüglich  der  stöchiometrischen  Grundgesetze  noch  grösstenteils  be- 
vorsteht. 


Drittes  Kapitel. 
Die  optischen  Eigenschaften  der  festen  Körper. 

Die  amorphen  festen  Körper  unterscheiden  sich  in  ihren  optischen 
Eigenschaften  nicht  von  den  Flüssigkeiten,  denn  auch  in  ihnen  pflanzt 
sich  die  Lichtbewegung  nach  allen  Richtungen  in  gleicher  Weise  und  ins- 
besondere mit  gleicher  Geschwindigkeit  fort. 

Bei  den  Krystallen  machen  sidi  dagegen  die  Verschiedenheiten  der 
Richtung  auf  die  entsprechenden  Lichtbewegungen  in  ausgeprägtester 
Weise  geltend.  Wegen  ihrer  auffallenden  Beschaffenheit  und  wegen 
ihrer  praktischen  Wichtigkeit  zur  Kennzeichnung  der  Krystallbeschaffen- 
hdt  sind  sie  eingehender,  als  irgend  eine  andere  Eigenschaft  ausser  der 
Krystalfform  untersucht  worden,  und  bieten  ein  besonder  gutes  Beispiel 
für  den  Zusammenhang  der  allgemeinen  Symmetrieeigenschaften  dar. 

Kubische  Krystalle  verhalten  sidi  in  optischer  Beziehung  ganz  wie 
amorphe  Stoffe  oder  Flüssigkeiten.  Ein  einfallender  Lichtstrahl  wird  so 
gebrodien,  dass  er  in  der  Ebene  bleibt,  die  durch  die  Richtung  des 
Strahls  und  die  Einfallsnormale  bestimmt  ist,  und  dass  der  Sinus  des 
Emfallswinkels  sich  zu  dem  des  Brechungswinkels  verhält,  wie  die  Licht- 
geschwindigkeit im  ersten  Mittel  zu  der  im  zweiten. 

Bei  den  Krystallen  aller  anderen  Systeme  erfolgen  dagegen  andere 
Bewegungen  des  Lichtes.  Durch  Fresnel  (1831)  und  Neumann  (1832) 
wurde  gezeigt,  dass  in  solchen  Krystallen  die  Bedingungen,  unter  denen 
die  Liditschwingungen  erfolgen,  nicht  nach  allen  Richtungen  gleich  sind, 
sondern  gesetzmässig  im  Zusammenhange  mit  der  Krystallform  sich  ändern. 
In  einem  solchen  Mittel  zerfällt  jede  Schwingungsbewegung  in  zwei  unab- 
hängig voneinander  verlaufende,  die  in  zwei  senkrecht  aufeinander  stehenden 
Ebenen  polarisiert  sind.  Im  allgemeinsten  Falle  löst  sich  jeder  eintretende 
Lichtstrahl  in  zwei  auf,  die  dem  gewöhnhchen  Brechungsgesetz  nicht  folgen. 
Die  mathematische   Untersuchung   der   Schwingungsvorgänge   in    einem 


170  IV.    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

solchen  Mittel  hat  theoretisch  eine  grosse  Zahl  von  mei^wiirdigen  optischen 
Erscheinungen  an  Krystallen  zu  erklären^  ja  sogar  neue^  bis  dahin  nicht 
beobachtete  vorauszusagen  gestattet.    Die  Hauptergebnisse  sind  folgende: 

Legt  man  durch  die  Achsen  grösster  und  kleinster  Elastizität,  welche 
stets  zu  einander  senkrecht  stehen,  eine  Ebene,  so  finden  sich  in  dieser 
zwei  Richtungen,  in  welchen  sich  die  Strahlen  mit  gleicher  Geschwindig- 
keit bewegen.  Nach  diesen  Richtungen  findet  also  keine  Zerlegung  in 
zwei  Strahlen  statt.  Die  Lage  dieser  Richtungen,  welche  die  optischen 
Achsen  genannt  werden,  hängt  von  dem  Verhältnis  der  Elastizitäten 
nach  den  Achsen  ab;  sie  schneiden  sich  unter  beliebigen  Winkeln,  sind 
aber  immer  symmetrisch  zu  den  Elastizitätsachsen,  so  dass  diese  die 
Winkel  halbieren,  welche  von  den  optischen  Achsen  gebildet  werden. 
Halbiert  die  Achse  der  grössten  Elastizität  den  spitzen  Winkel  der 
optischen  Achsen,  so  heisst  der  Krystall  positiv,  im  entgegengesetzten 
Falle  negativ. 

Senkrecht  zu  den  beiden  Richtungen  grösster  und  kleinster  Elasti- 
zität liegt  eine  Achse  mittlerer  Elastizität,  deren  Wert  die  optischen 
Eigenschaften  des  E^rystalls  erst  vollständig  definiert.  Diese  mittlere 
Elastizität  kann  je  nach  der  Natur  des  Erystalls  alle  Werte  zwischen 
denen  der  grössten  und  kleinsten  Elastizität  annehmen.  Im  Grenz- 
falle aber,  wo  sie  der  einen  von  beiden  gleich  wird,  treten  neue  Eigen- 
schaften ein. 

In  diesem  Falle  gehen  nämlich  die  beiden  optischen  Achsen  in  eine 
zusammen,  deren  Richtung  mit  der  der  ungleichen  Elastizitätsachse  zu- 
sammenfällt. Statt  der  zwei  optischen  Achsen  giebt  es  jetzt  nur  eine. 
Gleichzeitig  sind  aber  im  Krystall  alle  Ebenen,  welche  man  durch 
die  optische  Achse  legen  kann,  gleichwertig  geworden.  Während  in  dem 
vorher  besprochenen  allgemeinen  Falle  der  einfallende  Lichtstrahl  nidit 
in  der  Einfallsebene  blieb,  sondern  sie  verliess,  ist  in  dem  Falle  der 
optisch  einachsigen  Krystalle  nur  noch  ein  Strahl  mit  dieser  Eigenschaft 
behaftet;  der  andere  folgt  dagegen  dem  gewöhnlichen  Brechungsgesetz. 
Man  nennt  ersteren  den  ausserordentlichen,  letzteren  den  ordentlidien  Strahl 

Wird  auch  die  Elastizität  nach  der  dritten  Achse  der  nach  den 
beiden  anderen  gleich,  so  finden  die  Schwingungsbewegungen  nach  allen 
Seiten  unter  gleichen  Verhältnissen  statt,  und  es  tritt  keine  Doppelbrechung 
ein;  der  Krystall  ist  isotrop  und  verhält  sich  wie  ein  amorpher  Körper. 

Die  drei  Gruppen  der  isotropen,  optisch  einachsigen  und  optisch 
zweiachsigen  Krystalle  fallen  mit  den  drei  krystallographischen  Gruppen 
der  kubischen,  der  mit  einer  Hauptachse  versehenen  (tri-,  tetra-  und  hexa- 
gonalen)  und  der  keine  Hauptachse  besitzenden  (rhombischen,  monoklinen 
und  triklinen)  Formen  zusammen.  Erstere  sind  optisch  isotrop,  die 
zweiten  einachsig  und  die  dritten  zweiadisig.  Bei  letzteren  fallen  im 
rhombischen  System  die  Elastizitätsachsen  mit  den  krystallographischen 
Achsen  zusammen,  und  die  optischen  Achsen  liegen  symmetrisch  zu 
ihnen.     Beim  monoklinen  System  liegen  zwei  Elastizitätsachsen   in  der 


Die  optischen  Eigenschaften  der  feaUn  Korper.  171 

Symmetrieebene  bez.  in  der  zur  Symmetrieachse  Benkrechten  Ebene,  die 
dritte  senkrecht  dazu.  Die  beiden  optischen  Adisen  liegen  daher  gleich- 
falls entweder  in  raner  jener  Ebenen  oder  in  einer  zu  ihr  senkrechten, 
welche  die  dritte  Elastizitätsachse  enthält  Beim  triklinen  System  endlicli 
besteht  gar  keine  bestimmte  Beziehung  zwischen  optischen  und  kryslaüo- 
graphisehen  Eigenschaften. 

Auf  Grund  dieser  VerliSltiüsse  kann  man  ans  den  optischen  Eigen- 
sdiaften  von  Krystallplatten  SdilUsse  auf  ihre  krystallographische  Natur 
ziehen.    Das  Lacht  wird  beim  Durchgang  durch  doppelb  redien  de  Platten 
gleichzeitig  polarisiert;  betrachtet  man  daher  eine  Kry stallplatte  zwischen 
zwei  Polarisationsapparaten,  z.  B.    zwei  Turmalin platten   oder  Nicoischen 
IVismen,  so  kann  man  zunächst  entscheiden,  ob  es  sich  nm  einen  regu- 
lären Krystall  handelt  oder  nicht.     Wenn  die  Polarisationsebenen  beider 
Apparat«   gekreuzt  sind,  so  geht  kein  Licht   durch    das   System,   aucli 
nicht,  wenn   eine  Platte  aus  einem  regulären  Krystall  dazwischen  ange- 
bracht wird.    Ist  aber  die  Platte  doppelbrechend,  so  zerlegt  sie  das  aus 
dem  ersten  Apparat  kommende  poluisierle  Liclit  in  zwrä  andere  Strahlen, 
welche  durch  den  zwei- 
ten    Polariaationsappa-  ^ 
rat  im  allgemeinen  so 
zur  Interferenz  gebracht 
werden,  dasa  gefärbte 
licht  durch  das  System 
g^L  Erscheint  also  eine 

Platte  zwischen  ge- 
kreuzten Nicola  oder 
Tnrmalinen  hell,  so  ist 
sie  doppeibrechend,  ^  ^ 

Um  die  verschie- 
denen Arten  doppel- 
brechender  Erystalle  zd 
unterscheiden,  benutzt 
man  am  besten  Platten, 

welche  senkrecht  zu 
einer      Elaatizit&tsBchse 

geschnitten  sind,  und  he-  d 

trachtet  sie  im  konver-  Fig.  19. 

genten  Licht  Dann  ent- 
stehen gefärbte  Figuren,  deren  Theorie  vollständig  bekannt  Ist;  sie  kann  hier  frei- 
lich nicht  entwidfelt  werden.  Optisch  einachsige Krystalle  zeigen, wenn  diePlatteii 
senkrecht  zur  Hauptachse  geschnitten  sind,  die  Fig.  19,  welche  aus  farbigen 
Kngen,  durchsetzt  von  einem  schwarzen  Kreuz,  besteht.  Optisch  zweiachsige 
Erystalle  geben  die  Gestalten  Fig.  20  und  21,  welche  durch  zwei  senkrechte 
Durchmesser  in  vier  kongruente  Quadranten  zerlegt  werden  kennen.  Bei 
rbombisdien  Kristallen  sind  die  Hinge  in  den  vier  Quadranten  völlig  über- 


172 


IV.    StOchionetrie  fester  Stoffe. 


einstimmend  gefärbt;  bei  moiioklinen  bestellt  aber  noch  eine  Symmetrie  der 
Farben  in  Bezug  auf  einen  der  DurchmesBer.  Bei  Platten  aus  triklinen 
Krystalten  sind  endlich  die  Färbungen  weder  nach  dem  einen,  noch  nach 
dem  anderen  Durchmesser  symmetriBch. 

Von  diesen  allgemeinen  Gesetzen  existieren  einzelne  AusDahmen, 
indem  sich  namentlich  reguläre  Krystalle  häufig  doppelbrechend  zdgen. 
Die  Erklärung  dafUr  ist  nach  zwei  Richtungen  gesucht  worden.  Einmal 
hat  man  nachweisen  können,  dass  in  vielen  I^^len  innere  Spannnngen 
in  den  Erystallen  vorhanden  sind,  darcli  welche  dieselhen  doppelbrechend 
werden,  ebenso  wie  di« 
an  einseitig  gedehnten 
oder  gespannten  amor- 
phen    Stoffen     eintritt 

In  anderen  F^len 
scheint  dagegen  die  re- 
guläre Eryställform  nur 
eine  scheinbare  zu  sein, 
die  Erystalle  sind  that- 
^Ichlich  ans  zweiachsi- 
gen ErystalleD  durch 
Zwillingsbtlduug  so  zu- 
sammengesetzt, dasB  die 
äussere  GestaJt  ein«fl 
regulären  Erystalls  ent- 
steht 

Eine  besonders  in- 


Fig,  21. 


von  Herschel  (1835) 
zwischen  der  Krystall- 
form  uudderFäbigk^ 
die  PolarisationsebeDe 
des  Lichtes  zu  drehen,  gefunden  worden.  Der  Quarz  krystallisiert  in  hexa- 
gonalen  Sänlen  mit  sechsflächiger  pyramidaler  Zuspitzung.  An  den 
Ecken  befinden  sich  häufig  einseitig  gelagerte  Flächen,  welche  entweder 
rechts  oder  links  anl^reten.  Vollkommen  parallel  mit  diesem  Auftreten 
der  rechten  oder  linken  Nebenfläohen  geht  die  Fähigkeit  des  Quarzes, 
Hnen  in  der  Richtung  der  optischen  Achse  durchgesdiickten  Liditstrabl 
nach  rechts  oder  nacli  links  zu  drehen,  so  daaa  man  einem  Quarzkrystalf 
seine  optischen  Eigenschaften  äusserlich  ansehen  kann. 

Beim  Quarz  ist  diese  Eigenscliaft  an  die  Itrystallinische  Form  ge- 
bunden; geschmolzener  Quarz  dreht  nicht  mehr  die  Polarisationsebene. 
Auch  haben  alle  anderen  Erystalle,  weldie  die  Polarisationsebene  dr^en, 
gleichfalls  derartige  unsymmetrische  Nebenflädien.  Sind  m  am  Krystall 
nicht  sichtbar  auagebildet,  so  kann  man  sich  von  der  emseitigen  Natur 
solcher    Krystalle   durch    oberflächliches   Anätzen    überzeugen.     Es   ent- 


Die  optischen  Eigenschaften  der  festen  Körper.  173 

stehen  dadurch  scharfbegrenzte  mikroskopische  Figuren,  welche  bei  ge- 
wöhnlichen Krystallen  symmetrisch  ausgebildet  sind,  w^end  die  erwähnten 
Gebilde  entsprechend  ihren  optischen  Eigenschaften  einseitig  rechts  oder 
links  ausgebildete  Ätzfiguren  aufweisen. 

In  den  erwähnten  Krystallen  liegt  die  Ursache  der  Drehung  der 
Polarisationsebene  in  der  Symmetrie  der  festen  Form,  weil  mit  der  Zer- 
störung der  krystallinischen  Beschaffenheit  durch  Schmelzen  oder  Auf- 
lösen die  Fähigkeit  verschwindet  Frülier  haben  wir  Stoffe  kennen  gelernt, 
die  im  amorphen  Zustande  drehen.  Wenn  solche  Stoffe  krystallisieren, 
so  zeigen  sie  sich  gleichfalls  ausnalimslos  einseitig  ausgebildet,  was 
nötigenfalls  gleichfalls  durch  Ätzfiguren  nachgewiesen  werden  kann.  Ver- 
schwindet die  optische  Aktivität,  wie  beim  Übergange  der  Weinsäure  in 
Traubensäure,  so  verschwindet  gleichzeitig  an  den  Krystallen  des  Stoffes 
die  einseitige  Ausbildung. 

Mit  Bezug  auf  das  Gesetz  vom  Zusammenhange  der  Eigenschaften 
mit  der  allgemeinen  Symmetrie  kann  man  die  Fi'age  aufwerfen,  welche 
Symmetrieeigentümlichkeit  vorliegen  muss,  damit  die  optische  Drehung 
auftritt.  Nun  beruht  die  Erscheinung  darauf,  dass  sich  in  der  Richtung 
des  Strahls  zwei  Ldchtschwingungen  fortpflanzen,  welche  entgegengesetzt 
kreisförmig  polarisiert  sind;  die  eine  pflanzt  sich  jedoch  schneller  fort, 
als  die  andere.  Die  Symmetrie  dieses  Vorganges  wird  also  durch  die 
einer  Schraube  dargestellt,  die  entweder  nach  rechts  oder  nach  links  ge- 
dreht ist.  Ein  solches  Gebilde  hat  weder  ein  Symmetriezentrum,  noch 
eine  Symmetrieebene,  wohl  aber  eine  Symmetrieachse."  Die  Erscheinung 
kann  also  nur  bei  Krystallen  eintreten,  welche  diesen  Bedingungen  ent- 
"sprechen.  In  ihrer  äusseren  Gestalt  lassen  sich  derartige  Krystalle  daran 
erkennen,  dass  sie  enanliomorph  sind,  d.  h.  dass  es  zwei  verschiedene 
LFormen  aus  den  gleichen  Elementen  giebt,  die  miteinander  dm*ch  Ver- 
I  Schiebung  und  Drehung  nicht  zur  Deckung  gebracht  werden  können, 
sondern  nur  durch  Spiegelung.  Die  rechte  und  linke  Hand  sind  ein 
Beispiel  eines  solchen  enantiomorphen  Formenpaares. 

Untersucht  man  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  die  32  Klassen,  so 
ergeben  die  Klassen  10,  12,  16,  18,  23,  24,  28  die  Möglichkeit  solcher 
enantiomorpher  Bildungen  bei  den  kubischen  und  den  einadisigen  Kry- 
stallen. Bei  den  dreiachsigen  ist  noch  eine  weitere  Anzahl  vorhanden, 
indessen  werden  dort  die  Verhältnisse  durch  die  nach  allen  Richtungen 
vorhandene  Doppelbrechung  so  verwickelt,  dass  sich  einfache  Drehungs- 
erscheinungen nicht  mehr  beobachten  lassen. 

Die  Theorie  stimmt  insofern  mit  der  Erfahrung  überein,  als  die 
Krystalle,  an  denen  Drehung  beobachtet  worden  ist,  alle  einer  der  ange- 
gebenen Klassen  angehören.  Doch  sind  umgekehrt  noch  nicht  für  alle 
Klassen,  in  denen  Drehung  zu  erwarten  ist,  entsprechende  Beispiele  ge- 
funden worden. 


174  IV.    Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

Viertes  Kapitel. 

Schmelzen  und  Erstarren. 

Früher  wurde  erwähnt,  daas  der  amorphe  feste  Zustand  die  regel- 
mässige Fortsetzung  des  flüssigen  Zustandes  ist.  Ein  plötzlicher  Sprung 
findet  nirgend  statt,  und  insbesondere  haben  die  amorphen  Körper  keinen 
eigentlichen  Schmelzpunkt.  Insofern  ist  dieser  Übergang  dem  der  Gase 
in  Flüssigkeiten  unter  einem  grösseren  als  dem  kritischen  Drucke  zu 
vergleichen.  Der  Übergang  des  flüssigen  Zustandes  in  den  krystallinischen 
ist  dagegen  ein  plötzlicher;  er  erfolgt  bei  einer  bestimmten  Temperatur, 
bei  welcher  beide  Zustande  nebeneinander  existieren  können,  während 
ausserhalb  nur  der  eine  oder  andere  beständig  ist.  Dieser  Übergang  ist 
mit  dem  eines  Dampfes  in  den  flüssigen  Zustand  unterhalb  des  kritischen 
Druckes  vergleichbar,  und  in  der  That  ist  die  Ähnlichkeit  beider  Über- 
gänge sehr  weitgehend. 

Diese  Ähnlichkeit  hat  ihren  Grund  darin,  daas  es  sich  auch  in 
diesem  Falle  um  das  Gleichgewicht  zweier  Phasen  handelt  (S.  101), 
welches  nach  dem  allgemeinen  Gesetz  nicht  von  deren  Menge  abhängig 
ist.  Vielmehr  besteht  für  jeden  Druck  eine  bestimmte  Temperatur,  bei 
welcher  beide  Phafien  nebeneinander  bestehen  können;  bei  jeder  anderen 
Temperatur  verschwindet  die  eine  oder  die  andere. 

Die  Umwandlung  der  einen  Phase  in  die  andere  ist  wie  immer  mit 
einer  Energieändening  verbunden.  Ähnlich  wie  bei  der  Verdampfung 
besteht  bei  der  Verflüssigung  das  erfahrungsmässige  Gesetz,  dass  der 
Übergang  aus  dem  festen  Zustande  in  den  flüssigen  immer  mit  Auf- 
nahme von  Wärme  oder  aUgemein  Energie  verbunden  ist.  Der  Betrag 
dieser  Wärmemenge,  der  Schmelzwärme,  ist  von  der  Natur  des  Stoßes 
abhängig.  Umfassendere  Gesetze  stöchiometrischer  Art  sind  für  diese 
Grösse  noch  nicht  gefunden  worden. 

Gleichzeitig  mit  der  Wärmeaufnahme  erfolgt  bei  der  Schmelzung 
eine  Änderung  des  Volums.  Auch  hierüber  lässt  sich  allgemeines  nicht 
sagen,  denn  es  ist  nicht  nur  der  Betrag,  sondern  sogar  das  Zeichen 
dieser  Änderung  von  Stofl"  zu  Stofl"  verschieden.  Während  die  meisten 
Stofle  ihr  Volum  beim  Schmelzen  vergrössem,  giebt  es  einige  wenige, 
bei  denen  das  Umgekehrte  eintritt.  Das  bekannteste  und  wichtigste 
Beispiel  für  diesen  zweiten  Fall  bietet  das  Wasser  dar,  welches  beim 
Schmelzen  sein  Volum  um  etwa  den  zehnten  Teil  vermindert. 

Von  der  Verdampfung  unterscheidet  sich  die  Verflüssigung  dadurch, 
dass  der  Druck  einen  sehr  geringen  Einfluss  auf  die  Temperatur  des 
Gleichgewichts  hat.  Dieser  Einfluss  ist  so  gering,  dass  er  anfangs  ganz 
übersehen  wurde;  er  wurde  theoretisch  durch  J.  Thomson  (1849)  und 
experimentell  unabhängig  von  Bunsen  (1850)  aufgefunden. 

Die  Theorie  dieses  Einflusses  ist  völlig  analog  der  S.  125  entwiekdten 
Theorie  des  Zusammenhanges   zwischen  Druck,   Temperatur  und   Um- 


Schmelzen  und  Erstanden.  I75 

Wandlungswärme  bei  der  Verdampfung,  und  man  kann  die  dort  gegebenen 
Betrachtungen  vollständig  wiederholen,  wenn  man  an  die  Stelle  der 
Flüssigkeit  den  festen  Stoff,  und  an  die  Stelle  des  Dampfes  die  Flüssig- 
keit setzt.  In  der  sich  ergebenden  Gleichung  dp/dT  =  W/Tu  bedeutet 
T  wie  früher  die  absolute  Temperatur,  p  den  Druck,  dT  und  dp  die 
gleichzeitigen  Änderungen  beider  Grössen  bei  einer  Verschiebung  des 
Gleichgewichts.  Dagegen  nimmt  W  die  Bedeutung  der  Schmelzwärme 
an,  und  u  ist  die  Volumänderung  bei  der  Schmelzung. 

Hieraus  ergiebt  sich  zunächst,  dass  in  der  That  der  Einfluss  des 
Dnickes  auf  die  Schmelztemperatur  sehr  klein  sein  muss,  denn  im  Ver- 
gleich mit  der  sehr  bedeutenden  Volumzunahme  bei  der  Verdampfung 
ändert  sich  das  Volum  bei  der  Schmelzung  nur  sehr  wenig,  während 
die  Schmelzwärme  W  zwar  auch  kleiner  ist,  als  die  Verdampfungswärme, 
aber  bei  weitem  nicht  in  gleichem  Verhältnisse.  Femer  aber  ist  ein 
wesentlicher  Unterschied  daiin  vorhanden,  dass  bei  der  Verdampfung  nur 
eine  Vergrösserung  des  Volums  vorkommt,  während  bei  der  Schmelzung 
ausser  Vergrösserungen  auch  Verkleinerungen  auftreten.  Die  Folge  da- 
von ist,  dass  der  Einfluss  einer  Zunahme  des  Druckes  auf  den  Schmelz- 
ipunkt  nicht  immer  in  einer  Erhöhung  besteht,  sondern  dass  der  Schmelz- 
punkt auch  durch  Druck  sinken  kann.  Und  zwar  hängt  dies  nur  von 
jdem  Zeichen  der  Volumänderung  u  ab,  denn  die  beiden  anderen  Grössen 
auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  W  und  T  sind  immer  positiv. 

Demgemäss  ist  beim  Eise,  welches  unter  Verminderung  des  Volums 
ischmilzt,  auch  eine  Erniedrigung  des  Schmelzpunktes  durch  den  Druck 
beobachtet  worden,  während  die  anderen  Stoffe,  deren  Volum  sich  beim 
Schmelzen  vergrössert,  ihren  Schmelzpunkt  durch  Druck  erhöhen. 

Eine  zahlenmässige  Prüfung  der  Theorie  ergiebt  sich,  wenn  man  in 
|die  Formel  die  entsprechenden  Werte  einsetzt.  Das  Molekularvolum  des 
Wassers  bei  0°  ist  1802,  das  des  Eises  19-66,  woraus  u  =  — 1-66  folgt.  Die 
Schmelzwärme  ist  80  cal  für  1  g,  also  603  J  =  603  x  W  Erg  für  ein  Mol,  T  ist 
273.  Wird  dT  =  —  1  gesetzt,  d.  h.  fragt  man,  welcher  Druck  erforderlich 
ist,  um  den  Schmelzpunkt  des  Wassers  um  einen  Grad  herabzusetzen,  so  er- 
giebt sich  dp  =*  138x10',  oder  wenn  man  durch  Division  mit  1-013  x  10® 
auf  Atmosphären  umrechnet,  136  Atm.  Umgekehrt  wird  durch  eine  Atmo- 
Bphäre  Druck  der  Schmelzpunkt  des  Eises  um  0-0074®  erniedrigt. 

Wird  zu  den  beiden  Phasen  fest-flüssig  noch  eine  dritte  genommen, 
Bo  geht  auch  die  eine  noch  vorhandene  Freiheit  fort,  und  man  hat  ein 
Gebilde,  welches  nur  bei  einer  bestimmten  Temperatur  und  einem  be- 
stimmten Druck  bestehen  kann.  Einen  solchen  Zustand  erhält  man, 
wenn  man  neben  Eis  und  Wasser  noch  Dampf  zugegen  sein  lässt. 

Der  Dampfdruck  des  Wassers  bei  0®  beträgt  4-57  mm  Quecksilber. 
Bei  diesem  Druck  ist  der  Schmelzpunkt  nicht  mehr  genau  0®,  sondern 
+  0-0074®;  die  entsprechende  Erhöhung  des  Dampfdruckes  kommt  in 
der   zweiten    Dezimaie    nicht    mehr    zum    Ausdruck.      Nur    bei    diesen 


176  IV-    Stöchiometrie  fester  Stofife. 

Werten  von  Druck  und  Temperatur  können  also  Eis^  Wasser  und  Dampf 
nebeneinander  bestehen. 

Solcher  dreifacher  Punkte  giebt  es  einen  für  jeden  StoflF,  der  in  den 
drei  Aggregatzuständen  bestehen  kann.  Doch  ist  dies  nicht  die  einzige  der- 
artige Möglichkeit;  auch  das  Zusammenbestehen  zweier  allotroper  Formen 
neben  Flüssigkeit  oder  Dampf  ergiebt  einen  solchen  Punkt  von  der  gleichen 
Eigenschaft  der  Unveränderlichkeit. 

Man  kann  sich  die  Frage  stellen^  ob  der  Dampfdruck  des  Eises 
und  der  des  Wassere  denn  bei  dieser  Temperatur  notwendig  derselbe 
sein  muss.  Die  Antwort  lautet  bejahend.  Wäre  dies  nicht  der  Fall, 
so  könnte  man  ein  Perpetuum  mobile  zweiter  Art  (S.  121)  heratellen,  und 
da  ein  solches  erfahrungsmässig  unmöglich  ist,  so  können  beide  Dampf- 
drucke nicht  verechieden  sein.  Wäre  nämlich  der  Dampfdruck  des  Eises 
bei  derselben  Temperatur,  bei  welcher  Eis  und  Wasser  sich  im  Gleich- 
gewicht befinden,  etwa  kleiner,  als  der  des  Wassere,  so  könnte  man  mit 
dem  Druckunterechiede  eine  Maschine  treiben,  in  der  Wasser  verdampft 
und  Eis  von  gleicher  Temperatur  gebildet  wird.  Bei  dereelben  Tempe- 
ratur könnte  man  aber  das  iBis  wieder  schmelzen  und  so  einen  KreiB- 
prozess  durchfiihren,  durch  den  bei  konstanter  Temperatur  Wärme  in 
Arbeit  verwandelt  wird.  Eine  solche  Maschine  wäre  das  Peipetuum 
mobile  zweiter  Art.  Ähnlich  kann  man  für  den  umgekehrten  FaO 
schliessen,  und  daher  ist  nur  die  Gleichheit  der  beiden  Drucke  möglich. 

Man  kann  diese  Schlussweise  in  die  kurze  Form  fassen:  was  au  feine 
Weise  im  Gleichgewicht  ist,  muss  auf  alle  Weise  im  Gleichgewicht 
sein.  Sind  Eis  und  Wasser  bei  unmittelbarer  Berührung  im  Gleichgewicht,  so 
sind  sie  auch  für  jeden  anderen  Vorgang,  durch  den  unter  gleichen  Umständen 
Eis  in  Wasser  oder  umgekehrt  übergeführt  werden  könnte,  im  Gleichgewicht,  ins- 
besondere auch  für  die  Überführung  durch  Vermittelung  des  Dampfzustandes. 
In  dieser  Möglichkeit,  aus  dem  Verhalten  des  Gebildes  in  gewisser  Hinsicht 
Schlüsse  auf  sein  Verhalten  in  anderer  Hinsicht  zu  ziehen,  liegt  die  grosse 
Bedeutung  des  zweiten  Hauptsatzes. 

Es  kann  nun  weiter  die  Frage  gestellt  werden,  ob  diese  Gleichh«t 
des  Dampfdruckes  auch  bei  anderen  Temperaturen  besteht.  Diese  Frage 
hat  eret  dann  einen  Sinn,  wenn  man  Eis  und  Wasser  bei  anderen 
Temperaturen  gleichzeitig  haben  kann.  Nun  lehrt  die  Erfahining,  dass 
es  allerdings  möglich  ist,  Wasser  bei  Temperaturen  unter  0**,  im  söge» 
nannten  überkalteten  Zustande,  zu  beobachten.  Eis  oberhalb  0^  ist  bis- 
her noch  nicht  beobachtet  worden,  doch  scheint  nach  der  Analogie  sdne 
Existenz  möglich.  Es  erhebt  sich  also  die  weitere*  Frage  nach  der 
Beschaffenheit  solcher  Zustände. 

Nachdem  schon  im  vorigen  Jahrhundert  von  Fahrenheit  (1724) 
beobachtet  worden  war,  dass  sich  Wasser,  das  in  eine  Glaskugel  ein- 
geschlossen ist,  unter  den  Gefrierpunkt  abkühlen  lässt,  ist  ein  solches 
Verhalten  als  eine  allgemeine  Eigenschait  flüssiger  Stoffe  erkannt  worden. 


Sdimelzen  und  Erstarren.  177 

Jede  Flüssigkeit  lässt  sich  unter  ihren  Schmelzpunkt  abkühlen ,  wenn 
sie  gegen  die  Berührung  mit  der  festen  Phase  geschützt  ist^  und  so  be- 
liebig lange  flüssig  erhalten.  Erniedrigt  man  die  Temperatur  mehr  und 
mehr,  so  tritt  schliesslich  ein  Zustand  ein,  in  welchem  auch  ohne  die 
Mitwirkung  der  festen  Phase  die  Erstarrung  erfolgt. 

Es  liegt  also  eine  vollständige  Ähnlichkeit  mit  dem  Verhalten  des 
überkalteten  Dampfes  (S.  114)  vor,  und  man  kann  die  Thatsache  ange- 
messen darstellen,  wenn  man  auch  für  diese  Überschreitungserscheinnng 
zunächst  ein  metastabiles  Gebiet  annimmt,  in  welchem  die  Umwandlung 
in  die  andere  Form  nur  unter  Mitwirkung  eines  „Keimes"  derselben 
stattfindet,  während  nach  weiterer  Überschreitung  das  labile  Gebiet  be- 
ginnt, in  welchem  die  Umwandlung  freiwillig,  d.  h.  ohne  Keim  statt- 
findet Die  Grenze  zwischen  beiden  Gebieten  ist  sehr  schwer  zu  be- 
obachten, da  nicht  nur  kleine  Verschiedenheiten  des  Druckes  und  der 
Temperatur,  die  sich  an  den  Messmstrumenten  nicht  erkennen  lassen, 
die  Grenze  einseitig  beeinflussen,  sondern  auch  die  Beschaffenheit  anderer 
fester  Körper,  die  mit  der  Flüssigkeit  in  Berührung  sind,  einen  gleichen 
Einfluss  übt. 

Die  Erstarrung  einer  überkalteten  Flüssigkeit  bei  der  Berührung 
mit  einem  Krystall  desselben  Stoffes  ist  eine  ausschliessliche  Wirkung 
des  letzteren.  Taucht  man  z.  B.  in  geschmolzenes  und  auf  Zimmer- 
temperatur erkaltetes  Natriumthiosulfat  einen  mit  demselben  Salze  über- 
zogenen Glasstab,  so  beginnt  alsdann  eine  Krystalldruse  sich  um  diese 
zu  entwickehi.  Hebt  man  ihn  aus  der  Flüssigkeit,  so  dass  kein  Kry- 
stallteilchen  in  ihr  zurückbleibt,  so  erstarrt  sie  nicht  weiter,  sondern  be- 
halt ihren  flüssigen  Zustand  bei.  Der  Zustand  überkalteter  Flüssigkeiten 
ist  somit  kein  an  sich  labiler,  wie  er  häufig  genannt  wird,  sondern 
er  ist  dies  nur,  wenn  etwas  von  dem  festen  Körper  zugegen  ist. 

Was  nun  die  Eigenschaften  der  Flüssigkeit  im  Überkaltungsgebiet 
anlangt,  so  sind  sie  eine  stetige  Fortsetzung  von  denen  im  gewöhnlichen 
Flüssigkeitsgebiete.  Keine  von  ihnen  erleidet  eine  sprungweise  Änderung, 
und  der  Überkaltungszustand  erweist  sich  daher  nicht  als  eine  Besonder- 
heit der  Flüssigkeit,  sondern  nur  als  ein  Ausdruck  der  Beziehung  zwischen 
flüssiger  und  fester  Form. 

So  wü'd  insbesondere  der  Dampfdruck  der  Flüssigkeit  als  Funktion 
der  Temperatur  durch  eine  vollkommen  stetig  verlaufende  Linie  darge- 
steUt,  deren  Gang  am  Erstarrungspunkte  keinerlei  Änderung  erfährt.  Eine 
gleiche  Stetigkeit  ist  ftir  die  Dampfdrucklinie  des  festen  Stoffes  zu  er- 
warten. Da  femer  beide  Linien  am  Schmelzpunkt  einen  Punkt  gemeinsam 
haben,  so  sind  nur  die  beiden  Möglichkeiten  vorhanden,  dass  sie  in 
ihrem  ganzen  Verlaufe  zusammenfallen,  oder  dass  zwei  verschieden  ver- 
laufende Linien  sich  in  diesem  Punkte  schneiden. 

Die  erste  Auffassung  war  früher  auf  Grund  iniger  Versuche  an- 
genommen worden;  die  zweite  dagegen  hat  sich  theoretisch  wie  experi- 

Ostwald,  Grandriss.  3.  Aufl.  12 


178 


IV.  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 


mentell  als  die  richtige  erwiesen.  Dies  ergiebt  sich  aus  der  Betrachtung 
der  Formel  für  den  Dampfdruck  dp/dT  =  W/Tu.  FOr  die  Verdampfung 
des  Wassers  bedeutet  W  die  Wärme,  die  beim  Übergang  von  Wassei 
in  Dampf  aufzuwenden  ist.  Soll  Eis  bei  der  gleichen  Temperatur  ver- 
dampft werden,  so  kann  man  sich  den  Vorgang  so  vorstellen,  dass  znersl 
Eis  zu  Wasser  geschmolzen,  und  dann  dieses  in  Dampf  verwandelt  wird. 
Die  dafür  aufzuwendende  Wärme  muss  dieselbe  sein,  wie  bei  der  un- 
mittelbaren Umwandlung  des  Eises  in  Dampf,  da  sonst  Energie  aufl 
Nichts  geschaffen  oder  der  erste  Hauptsatz  verletzt  werden  könnte.  Da 
femer  bei  der  Schmelztemperatur  die  beiden  Dampfdrucke  und  Tempe- 
raturen gleich  sind,  so  ist  nicht»  verschieden,  als  die  Verdampfungswärme 
W,  welche  die  Neigung  der  Dampfdrucklinie  bestimmt  (S.  25).  Und 
zwar  muss,  da  die  Verdampftmgswärme  des  Eises  (um  etwa  ein  Sechst^ 
grösser  ist,  als  die  des  Wassers,  auch  dp/dT  um  ebensoviel  grosse  sein, 


d.  h.  die  Dampfdrucklinie  des  Eises  muss  steiler  verlaufen,  als  die  dei 
flüssigen  Wassers  (Fig.  22). 

Um  diesen  Einfluss  zahlenmässig  zu  berechnen,  sind  in  die  Formel  die 
Werte  einzusetzen.  Bei  0*  ist  der  Dampfdruck  des  Wassers  oder  Eises  nur 
4*57  mm,  man  kann  daher  die  Gasgesetze  für  den  Dampf  als  gültig  ansehen,  und 
die  Gleichung  in  der  Form  dp/dT  =  pW/RT'  anwenden.  Sie  hat  für  Wasser 
und  Eis  die  gleiche  Gestalt,  nur  dass  im  zweiten  Falle  statt  W  zu  setzen  ist 
W  +  S,  wo  S  die  Schmelzwärme  bedeutet.  Zieht  man  die  beiden  Gleichungen 
dp/dT  «pW/RT»  und  dp'/dT  «  p  (W+ S)/RT«  voneinander  ab,  so  erhüt 
man  links  den  Unterschied  der  Dampfdrucke  von  Wasser  und  Eis,  und  zwar 
für  die  gleiche  Temperatur,  wenn  man  T  und  dT  gleich  nimmt.  Wir  setzen 
d  T  =  —  1,  berechnen  also  den  Dampfdruckunterschied  für  einen  Grad  unter 
Null.  Dann  ist  dp  —  dp' =«  pS/RT*.  Hier  ist  p  =  4.57  mm,  T«=273, 
S  =  6-07  X  10^^  R  «  831  x  10'  und  daraus  folgt  dp  —  dp'  «0.044  mm. 
Der  Unterschied  ist  klein  genug,  um  auch  einem  geschickten  Experimentator 
zu  entgehen.  Doch  hat  der  Versuch  hier  und  in  einigen  weiteren  Fällen 
diesen  zuerst  von  der  Theorie  vorausgesehenen  Unterschied  bestätigt,  und  auch 
eine  sehr  befriedigende  Übereinstimmung  der  Zahlenwerte  ergeben. 


Isomorpbie  und  Polymorphie. 


179 


Stellt  man  die  Gleichgewichtszustände  des  Wassers  in  den  drei 
Formen  als  Eis,  Wasser  und  Dampf  durch  eme  Zeichnung  dar,  deren 
Abmessungen  durch  Druck  und  Temperatur  gegeben  sind,  so  hat  man 
zunächst  die  Dampfdrucklinie  des  Wassers  II;  I  Ist  die  Dampfdrucklinie 
des  Eises,  die  sich  mit  der  vorigen  immer  bei  0®  (genauer  bei  -j-  0-0075®) 
schneidet  Da  in  diesem  Punkte  Eis,  Wasser  und  Dampf  nebenein- 
ander bestehen  können,  so  muss  auch  die  Dnie,  die  die  Änderung  des 
Schmelzpunktes  mit  dem  Druck,  d.  h. 
das  Gleichgewicht  Wasser-Eis  darstellt, 
durch  dies^en  Punkt  gehen.  Da  femer 
die  Temperatur  sich  hierbei  mit  dem 
Druck  nur  äusserst  wenig  ändert,  so 
wird  diese  Linie  fast  senkrecht  nach 
oben  gehen,  wie  das  in  III  angedeutet 
ist  Beim  Wasser,  das  sich  durch 
das  Erstarren  ausdehnt,  liegt  diese  Linie 
etwas  nach  rechts  über,  bei  den  anderen 
Stoffen  nach  links.  Die  drei  Linien 
teilen  das  Feld  in  drei  Gebiete,  welche 
je  einer  der  Formen  Dampf,  Wasser 
oder  E^s  zukommt;  die  Linien  selbst 
kennzeichnen    die  Werte    von   Druck 

und  Temperatur,  bei  denen  die  beiden  angrenzenden  Phasen  zusammen 
vorkommen  können,  und  der  Durchschnittspunkt  stellt  die  einzige  Möglichkeit 
für  das  Zusammenbestehen  der  drei  Phasen  dar. 

Diese  Erläuterungen  gelten  nur  filr  die  vollkommen  stabilen  Zu- 
stande; die  metastabilen  reichen  allerseits  über  die  Grenzen  in  das  be- 
nachbarte Gebiet  hinein. 


Fig.  23. 


Fünftes  Kapitel. 
Isomorphie  und  Polymorphie. 

Von  Hauy  wurden  am  Anfange  des  neunzehnten  Jahrhunderts  als 
Axiome  die  beiden  Sätze  aufgestellt,  dass  jedem  bestimmten  Stoff  nur 
eine  bestimmte  Krystallform  zukomme,  und  dass  verschiedene  Stoffe  not- 
wendig verschiedene  Formen  (ausser  im  regulären  System,  wo  solche 
nicht  möglich  sind)  besitzen. 

Gegen  beide  Sätze  machten  sich  bald  Erfahrungen  geltend.  Elap- 
roth  hatte  (1798)  gefunden,  dass  Kalkspat  und  Aragonit  bei  gleicher 
Znsammensetzung  verschiedene  Formen  haben,  und  eine  spätere  Prüfung 
dieser  Angabe  konnte  sie  nur  bestätigen.  Andererseits  fand  man  gleich- 
SeBtaltete  Stoffe,  wie  die  Alaune,  die  Rotgültigerze,  die  gemischten  Vitriole 

12* 


180  ^*  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

von  ganz  verschiedener  ZusammenBetzung.  Die  zur  Erklärung  ver* 
suchte  Annahme,  dass  die  fraglichen  Ejystalie  die  fremden  Stoffe  nur 
eingemengt  enthalten,  wurde  durch  die  vollkommene  Gleichförmigkei 
und  Durchsichtigkeit  vieler  derselben  widerlegt 

Durch  Mitscherlich  (1820)  wurden  diese  Widersprüche  aufgeklärt 
Er  fand  bei  seinen  Untersuchungen  der  phosphorsauren  und  arsensauret 
Salze^  dass  diesen  gleiche  Krystaliform  zukommt,  wenn  sie  in  ähnlicher 
Weise  zusammengesetzt  sind,  d.  h.  wenn  ihre  Bestandteile  gleich  sini^ 
ausser  dass  das  eine  Salz  Phosphor,  das  andere  Arsen  enthält  EinI 
ähnliche  Beziehung  fand  sich  bald  bei  vielen  anderen  Stoffen,  so  dafl 
man  allgemein  sagen  konnte:  auch  chemisch  ähnlich  zusammengesetztem 
Stoffen  kommt  gleiche  Krystaliform  zu. 

In  einem  Falle  indessen,  bei  den  Salzen  NaH*PO*-|-H*0  unl 
NaH*AsO*  + H*0,  war  keine  Übereinstimmung  der  Formen  nadizu- 
weisen.  Doch  wurde  gelegentlich  das  Phosphat  in  Formen  erhalten, 
welche  von  den  gewöhnlich  auftretenden  abwichen  und  mit  denen  dei 
Arseniats  übereinstimmend  waren. 

Somit  war  wiederum  nachgewiesen,  dass  gleiche  Stoffe  verschi» 
dene  Formen  annehmen  können,  und  Mitscherlich  sprach  aus,  dass  dia 
allgemein  möglich  sei. 

Die  Thatsache,  dass  chemisch  ähnliche  Stoffe  in  gleichen  Formel 
krystallisieren,  ist  von  Mitscherlich  mit  dem  Namen  Isomorphismufl 
bezeichnet  worden.  Isomorph  heissen  zunächst  die  gleichgestalteten  Stoffe, 
also  z.  B.  die  Salze  Na«HPO* -f  12H«0  und  Na2HAsO*+ 12H«0. 
Da  aber  sehr  viele  analoge  Verbindungen  des  Phosphors  und  des  ArseM 
isomorph  sind,  so  hat  man  sich  gewöhnt,  auch  diese  Elemente  selb6l 
isomorph  zu  nennen^  so  dass  dieser  Name  nicht  nur  für  Stoffe  gilt 
welche  gleiche  Gestalt  haben,  sondern  auch  för  solche,  welche  mit  den- 
selben anderen  Stoffen  gleichgestaltete  Verbindungen  bilden  können. 

Die  Übereinstimmung  der  Winkel  ißomorpher  Stoffe  ist  (ausser  iin 
regulären  System)  keine  vollkommene;  streng  genommen  müsste  daher  dei 
Name  Isomorphie  gegen  Homöomorphie  vertauscht  werden.  Die  Abweichangen 
sind  bald  grösser,  bald  kleiner,  und  können  bis  zu  mehreren  Graden  ansteigen. 

Ein  sichereres  Kriterium,  als  die  Übereinstimmung  der  Winkelj 
ist  für  das  Stattfinden  der  Isomorphie  die  Fähigkeit  isomorpher  Stoffe 
Mischkrystalle  zu  bilden.  In  solchen  Krystallen  sind  die  isomorpli 
sich  vertretenden  Bestandteile  nicht  in  stöchiometrischen  Verhältnissen 
vorhanden,  sondern  in  ganz  veränderlichen,  welche  von  den  Bildungsbedin 
gungen  abhängig  sind.  Nur  die  Summe  der  isomorphen  Elemente  isi 
genau  äquivalent  der  der  Formel  der  einfachen  Verbindungen  ent 
sprechenden  Menge,  oder  die  isomorphen  Elemente  vertreten  sich  im 
Verhältnis  ihrer  Äquivalentgewichte. 

Die  Eigenschailen  solcher  Mischkrystalle  sind  im  allgemeinen  difi^ 
welche  sich  aus  denen    der  Gemengteile    nach  der  Mischungsregel  be- 


Isomorphie  und  Polymorphie.  181 

vedmen  lassen.  Nachgewiesen  ist  dies  von  den  Brechungskoeffizienten; 
den  spezifischen  Gewichten  und  den  Winkeln.  In  einigen  Fällen  er- 
gaben sich  indessen  Abweichungen,  welche  noch  der  Aufldärung  bedürfen. 

Der  Isomorphismus  hat  zu  vielen  theoretisclien  Spekulationen  in 
Bezug  auf  die  Gestalt  der  kleinsten  Teilchen  u.  s.  w.  Anlass  gegeben, 
die  indessen  zu  belangreichen  Ergebnissen  nicht  geführt  haben.  Nach 
einer  anderen  Seite  indessen,  zur  Auffindung  und  Nachweisung  chemischer 
Analogieverhäitnisse,  ist  er  ungemein  nützlich  gewesen,  worauf  später 
eingegangen  werden  wird.  Allerdings  sind  in  früheren  Zeiten  die  Kriterien 
des  Isomorphismus  nidit  immer  streng  beobachtet  worden,  so  dass  viele 
St(^e  miteinander  isomorph  genannt  worden  rnnd,  bei  denen  nur  eine 
Winkelähnlichkeit  vorhanden  war,  wie  sie  sehr  leicht  zufällig  eintreten  kann. 

Die  Elemente,  die  entweder  für  sich  isomorph  sind,  oder  isomorphe 
Verbindungen  bilden  können,  sind  die  chemisch  ähnlichen  Gruppen,  wie 
äe  grösstenteils  durch  das  periodische  S3n9tem  (S.  45)  zusammengefasst 
werden.  In  der  That  fallen  die  früher  emph^sch  zusammengestellten  der- 
artigen Gruppen  fast  immer  mit  diesen  Reihen  zusammen,  und  ein  Blick 
auf  die  Tabelle  S.  45  ergiebt  auch  die  isomorphen  Gruppen. 

Dabei  ist  indessen  auf  folgende  Punkte  Acht  zu  geben.  Die  Ele- 
mente mit  dem  niedrigsten  Atomgewicht  schliessen  sich  im  allgemeinen 
kdner  isomorphen  Gruppe  an;  so  stehen  die  ersten  Elemente  bis  etwa 
zum  Fluor  isoliert  da.  Vom  Natrium  ab  beginnen  die  isomorphen 
Gruppen,  aber  in  der  Art,  dass  vorwiegend  die  paaren  und  die  unpaaren 
Gruppen  unter  edch  isomorph  sind. 

Neben  diesen  einfadien  Beziehungen  sind  noch  weitere  vorhanden,  deren 
Unregelmässigkeit  vielleicht  nur  in  der  Unvollkommenheit  des  periodischen 
Systems  liegt  So  ist  Blei  mit  der  Gruppe  Ca,  Sr,  Ba  isomorph,  während 
Cadmium  viel  lockerere  Beziehungen  zu  Zink  und  Magnesium  zeigt.  Die 
ausserhalb  des  Systems  befindlichen  Metalle  der  Eisengruppe  nebst  Kupfer 
schliessen  sich  in  ihren  zweiwertigen  Verbindungen  dem  Magnesium  und 
Zink,  in  den  dreiwertigen,  soweit  sie  solche  bilden,  dem  Aluminium  an, 
u.  s.  w.  Überhaupt  wird  durch  die  verschiedene  Wertigkeit,  die  viele 
Elemente  annehmen  können,  deren  Zugehörigkeit  zu  mehreren  Gruppen 
bedingt,  und  so  eine  einfache  Systematik  vereitelt.  So  ist  das  Mangan 
in  seinen  zweiwertigen  Verbindungen  dem  Magnesium,  in  seinen  drei- 
wertigen dem  Aluminium  isomorph.  Die  Salze  der  Mangansäure  schliessen 
sich  denen  der  Schwefel-  und  Selensäure,  die  der  Übermangansaure  denen 
der  Überchlorsäure  an,  während  das  Hyperoxyd  mit  den  nach  gleicher 
Formel  zusammengesetzten  Verbindungen  des  Titans,  Zircons,  Zinns 
XL  s.  w.  isomorph  ist  Dies  Element  gehört  demnach  mindestens  fönf  ver- 
schiedenen isomorphen  Gruppen  an. 

An  das  Verhältnis  der  Isomorphie  schliesst  sich  das  von  Groth  (1870) 
zuerst  in  Betracht  gezogene  der  Morphotropie.  Es  sind  namentlich  in 
der  organischen  Chemie  zahlreiche  Stoffe  bekannt,  welche  sich  voneinander 


182  IV.  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

durch  den  Ersatz  eines  oder  einiger  Wasserstoffatome  mittelst  anderer  Ele- 
mente oder  Radikale  ableiten  lassen.  Zwischen  solchen  Verbindungen  sind 
schon  oft  Beziehungen  der  Gestalt  vermutet  worden.  Groth  zeigte  nun,  dass 
diese  Beziehungen  sich  vielfach  so  darstellen,  dass  die  Achsenverhältnisse  sich 
nur  nach  einer  Seite  ändern.  So  ist  das  Benzol,  seine  Oxy-  und  Kitroderivate 
rhombisch;  in  diesen  Verbindungen  bleibt  das  Verhältnis  zweier  Achsen  ziem- 
lich konstant,  während  die  dritte  Achse  starke  Veränderungen  erleidet.  Ähn- 
liche Beziehungen  sind  später  mehrfach  an  anderen  Stoffreihen  nachgewiesen 
worden.  Häufig  bedingt  eine  Substitution  den  Übergang  in  ein  anderes  Kry- 
stallsystem,  z.  B.  des  rhombischen  in  das  monosymmetrische.  Aber  auch  dann 
bleibt  oft  eine  allgemeine  Übereinstimmung  des  Habitus  und  eine  nahe  Gleich- 
heit der  analogen  Winkel  erhalten. 

Die  klare  Erfassang  der  Isomorphiebeziehungen  wird  vielfach  er- 
schwert durch  die  schon  oben  erwähnte  Fähigkeit  vieler  Stoffe,  in  ver- 
schiedenen Krystallformen  auftreten  zu  können.  Man  hat  dieselbe  mit 
dem  Namen  Polymorphie  oder  auch  AUotropie  bezeichnet.  Die 
Polymorphie  ist  eine  viel  allgemeinere  Erscheinung,  als  man  früher  an- 
nahm; namentlich  hat  die  krystallographische  Untersuchung  organischer 
Stoffe,  besonders  mit  Hilfe  des  Mikroskops  erwiesen,  dass  fast  jeder  Stoff, 
wenn  man  nur  die  Versuchsbedingungen  gehörig  ändert^  in  zwei  oder 
mehreren  verschiedenen  Formen  erhalten  werden  kann. 

Diese  Thatsache  lässt  sich  zu  der  Schlussfolgerung  verwenden,  dass 
zwischen  der  Zusammensetzung  der  Stoffe  aus  den  Elementen  und  der 
Krystallform  nicht  jener  vielfach  vermutete  Zusammenhang  besteht,  nadi 
welchem  sich  diese  aus  jener  gewissermassen  aufbauen  lassen  soll. 

Die  Frage  nach  den  Gesetzen,  denen  die  Umwandlungen  polymorpher 
Stoffe  unterliegen,  lässt  sich  am  besten  durch  den  Hinweis  beantworten, 
dass  sich  der  Übergang  aus  einer  Form  in  die  andere  ebenso  verhält,  wie 
der  Übergang  aus  einem  Aggregatzustand  in  den  anderen.  Danach  ist  es 
wesentlich  die  Temperatur,  welche  hierfiir  bestimmend  ist  Schon 
Mitscherlich,  der  am  Schwefel  zuerst  diese  Beziehung  entdeckt  hatte, 
stellte  fest,  dass  von  den  beiden  Formen  dieses  Elements,  der  rhom- 
bischen und  der  monoklinen,  die  erste  bei  Temperaturen  unter  100^, 
die  andere  bei  höheren  Temperaturen  beständig  ist.  Ebenso  wie  Eis 
über  0®  schmilzt,  so  geht  rhombischer  Schwefel  über  100^  in  monoklinen 
über,  und  ebenso,  wie  Wasser  unter  0*^  erstarrt,  vei'wandelt  sich  mono- 
kliner  Schwefel  unter  100®  in  rhombischen.  Es  giebt  also  für  jeden  dieser 
Zustände  ein  Gebiet  der  Beständigkeit,  und  beide  Gebiete  sind  durch 
eine  Übergangstemperatur  voneinander  getrennt,  bei  der  beide  Formen 
nebeneinander  (und  neben  Dampf)  bestehen  .können. 

So  lassen  sich  denn  auch  die  anderen  Eigentümlichkeiten  der  ge- 
wöhnlichen Änderungen  des  Aggregatzustandes  hier  wiederfinden.  Zu- 
nächst die  Überschreitungserscheinungen,  die  hier  noch  viel  leichter  und 
nach  beiden  Richtungen  stattfinden.  Wenn  man  rhombischen  Schwefel 
über  100®  erwärmt  hat,  so  verwandelt  er  sich  keineswegs  augenbCcküeb 


Isomorphie  und  Polymorphie.  ^33 

In  monoklinen,  sondern  bleibt  je  nach  dem  Betrage  der  Überschreitung 
kürzere  oder  längere  Zeit  in  dem  alten  Zustande.  Dies  geht  so  weit^  dass 
man  bei  schneller  Arbeit  den  Schmelzpunkt  des  rhombischen  Schwefels 
bestimmen  kann^  ehe  er  in  monoklinen  übergegangen  ist;  er  liegt  bei 
115®,  während  der  des  monoklinen  bei  120®  liegt.  Die  hierin  zum  Aus- 
drucke kommende  Beziehung,  dass  die  unbeständigere  Form  den  nied- 
rigeren Schmelzpunkt  hat,  ist  allgemein. 

Ebenso  ist  der  monokline  Schwefel  bei  niedriger  Temperatur  ziem- 
lieh lange  beständig.  Seine  Umwandlung  in  rhombischen,  die  man  an 
dem  Trübewerden  der  bis  dahin  durchscheinenden  Masse  erkennen  kann, 
breitet  sich  von  bestimmten  Punkten  aus,  zum  Beweis  dafür,  dass  sie 
durch  die  Berührung  mit  der  beständigen  Form  bewirkt  wird.  Ob  man 
auch  hier  ein  metastabUes  Gebiet  von  einem  labüen  unterscheiden  kann, 
wie  dies  nach  der  Analogie  zu  erwarten  ist,  ist  noch  nidit  eingehend 
untersucht  worden,  aber  sehr  wahrscheinlich. 

Auch  die  Verschiedenheit  der  Dampfdrucke,  welche  für  die  feste 
und  flüssige  Form  eines  Stoffes  ausserhalb  des  Schmelzpunktes  nachge- 
wiesen ist,  findet  sich  hier  in  der  Gestalt  wieder,  dass  der  Dampfdruck 
der  beständigen  Form  kleiner  ist,  als  der  der  unbeständigeren.  Im  Über- 
gangspunkte werden  beide  Drucke  gleich,  indem  sich  die  Dampfdrucklinien 
hier  schneiden. 

Die  Umwandlung  der  Formen  im  Übergangspunkte  unterliegt  dem 
Gesetz,  dass  eine  bei  steigender  Temperatur  erfolgende  Umwandlung 
immer  unter  Wärmeaufiiahme  stattfindet,  ebenso  wie  dies  bei  den 
Änderungen  des  Aggregatzustandes  der  Fall  ist.  Es  üegt  hier  ein  Fall 
emes  aUgemeineren  Gesetzes  vor,  dass  bei  der  Überschreitung  eines 
Gleichgewichtspunktes  durch  eine  äussere  Einwirkung  oder  einen  Zwang 
immer  der  Vorgang  eintritt,  der  sich  diesem  Zwang  widersetzt.  So  be- 
wirkt die  Erwärmung  immer  Reaktionen,  die  mit  Wärmebindung  ver- 
knüpft sind,  und  ebenso  wird  durch  eine  Vermehrung  des  Druckes  die 
Reaktion  bewirkt,  durch  welche  sich  das  Volum  vermindert,  also  d&t 
Druck  gleichfaUs  verkleinert  wird.  Viele  der  früher  erörterten  Verhält- 
nisse bieten  weitere  Beispiele  fOr  diesen  Satz. 

Daher  besteht  auch  für  die  polymorphe  Umwandlung  die  Beziehung, 
dass  die  Übergangstemperatur  durdi  den  Druck  verschoben  wu'd.  Die 
för  die  Schmelzpunktsänderung  entwickelte  Gleichung  (S.  175)  behält  auch 
för  diesen  Fall  unverändert  ihre  Geltung;  insbesondere  bestimmt  das 
Zeichen  der  Volumänderung  fiir  die  mit  Wärmeaufiiahme  verbundene, 
also  durch  Temperatursteigerung  bewirkte  Umwandlung,  ob  sie  durch 
Druck  erhöht  oder  erniedrigt  wird. 

Ebenso  wie  der  Schwefel  verhalten  sich  sehr  viele  andere  Stoffe, 
aber  nicht  alle.  Es  giebt  auch  polymorphe  Stoffe,  die  gar  keinen  Über- 
gangspunkt erkennen  lassen,  und  bei  denen  nur  eine  beständige  und 
^e  (oder  einige)  unbeständige  Form  vorkommt.  Dies  wird  dadurch 
bewirkt,  dass  die  Temperatur  des  Umwandlungspunktes  höher  lie^,  al? 


184 


IV.  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 


der  Schmelzpunkt  der  weniger  bestilndigen  Form.  Da  Übersehreitongea 
des  Schmelzpunktes  unter  gewöhnlichen  Umständen  nicht  eintreten  (S.  176), 
so  ist  ein  so  gelegener  Umwandlungspunkt  unzugänglich.  Die  Ver- 
schiedenheit dieses  Falles  von  Pol3rmorphie  von  dem  gewöhnlichen  ist 
von  Lehmann  zuerst  henrorgdioben  worden,  der  die  Stoffe  der  ersten 
Art  enantiotrope  nannte,  während  die  der  zwdten  Art  monotrope 
heissen. 

Gremäss  dem  Satze,  dass  der  Dampfdruck  der  unbeständigeren  Form 
immer  höher  liegt,  als  der  der  beständigeren,  und  dass  im  Schmelzpunkte 
sich  die  Dampfdrucklinien  der  flüssigen  und  der  festen  Form  schneiden, 
hat  man  fwc  die  beiden  fUlle  die  in  Figm*  24  und  25  angegebene  Lage 
der  Dampfdrucklinien,  wo  sich  I  ünmer  auf  die  FlQssigkeit,  II  und  in 
auf  die  festen  Formen  bezieht  Die  Durchschnitte  von  I  mit  II  und  IQ 
sind  daher  Schmelzpunkte,  während  der  von  II  mit  III  den  Umwandlungs- 


M 

p 

/> 

z- 

1                  CT 

^ 

jr^ 

^i  y^ 

M^ 

1 
1 

Fig.  24. 


Fig.  25. 


punkt  darstellt.  Die  Linie  der  Flüssigkeit  schneidet  die  beiden  anderen 
entweder  oberhalb  des  Umwandlungspunktes,  Figur  25,  und  dann  haben 
beide  Formen  ein  beständiges  Gebiet.  Oder  der  Durchschnitt  von  I  mit 
II  und  III  hegt  unterhalb  des  Umwandlungspunktes,  Figur  24;  dann  ist 
die  Form  II  in  ihrem  ganzen  Existenzgebiete  bis  zum  Schmelzpunkt 
unbeständig,  und  III  ist  beständig.  Der  erste  Fall  stellt  somit  die  enantio- 
tropen,  der  zweite  die  monotropen  Stoffe  dar. 

Es  ist  denkbar,  dass  bei  tiefen  Temperaturen  die  Linien  wieder 
zum  Schnitt  kommen,  und  die  Verhältnisse  sich  demgemäss  ändern. 
Doch  ist  ein  derartiger  Fall  noch  nicht  bekannt. 

Man  muss  fragen,  wie  man  überhaupt  zu  der  Beobachtung  der 
unbeständigen  Formen  monotroper  Stoffe  gelangt,  da  es  doch  gar 
kein  Gebiet  ^ebt,  in  welchem  sie  beständig  sind.  Darauf  ist  zu  ant- 
worten, dass  vermöge  eines  allgemeinen  Gesetzes  die  unbeständigen 
Formen  aus  den  flüssigen,  bez.  dampfförmigen  eher  entstehen,  als  die 
beständigen.     Als  erste  Produkte  der  freiwilligen  Erstarrung  einer  über- 


Volume  fester  Stoffe.  185 

kälteten  FlfiBsi^eit  pflegen  gerade  die  nnbeständigen  Formen  znent  auf- 
zutreten ^  wenn  man  die  Wirknng  von  Keimen  der  beständigeren  ver- 
meidet. Liegt  dann  diese  Form  noch  im  metastabilen  Gebiete^  so  kann 
sie  sich  beliebig  lange  ertialten. 

Die  Umwandlung  der  unbestftndigen  Formen  in  die  beständigen  ist 
wie  die  der  überkalteten  Flüssigkeiten  im  metastabilen  Gebiet  von  der 
Gegenwart  eines  Keims  der  beständigen  Form  abhängig;  in  dieser  Be- 
aehung  ist  zwischen  monotropen  und  enantiotropen  Formen  kein  Unter- 
schied vorhanden. 

Nach  den  yorstehenden  Erörterungen  ist  unter  gegebenen  Umständen 
immer  nur  eine  von  den  verschiedenen  Formen^  in  die  sich  ein  Stoff  um- 
wandeln kann,  im  strengen  Sinne  beständig,  und  in  der  Natur  müsste  sich 
daher  (ausser  in  Fällen,  wo  der  Zutritt  von  Keimen  der  beständigsten 
Form  ausgeschlossen  ist)  nur  diese  eine  Form  vorfinden.  Die  Erfahrung 
bestätigt  diesen  Schluss  nicht;  vielmehr  sind  gerade  unter  den  Mineralien 
viele  polymorphe  Formen  bekannt»  deren  Individuen  sicher  oft  genug  Gelegen- 
heit zur  Berührung  mit  Keimen  der  anderen  Formen  gehabt  haben.  Eines 
der  bekanntesten  Beispiele  bietet  Calciumcarbonat  in  der  Gestalt  von  Kalk- 
spat und  Aragonit.  ^Yährend  bei  beginnender  Rotglut  sich  der  letztere  frei- 
willig in  Kalkspat  verwandelt,  können  beide  Formen  bei  den  in  der  Natur 
gewöhnlich  auftretenden  Temperaturen  sich  anscheinend  beliebig  lange  neben- 
einander erhalten. 

Über  die  Ursache  solchen  Verhaltens  besitzen  wir  noch  keine  ein- 
gehende wissenschaftliche  Untersuchung.  Doch  kann  man  vermuten,  dass  es 
sich  hier  um  den  Umstand  handelt,  dass  die  Geschwindigkeit  der  Umwand- 
lung einer  Form  in  die  andere  von  mehreren  Faktoren  abhängt  Einmal  ist  sie 
nm  so  geringer,  je  näher  die  Temperatur  an  der  Übergangstemperatur  selbst 
liegt;  in  unmittelbarer  Nähe  an  derselben  ist  sie  unendlich  klein.  Dann  aber 
kann  auch  die  Umwandlungsgeschwindigkeit  in  grösserer  Entfemng  unterhalb 
der  Übergangstemperatur  unmerklich  klein  werden,  da  alle  chemischen  Vor- 
gänge durch  Temperaturemiedrigung  sehr  schnell  ihre  Geschwindigkeit  ver- 
mindern. Beide  Umstände  können  also  eine  scheinbare  Beständigkeit  von 
Formen  ergeben,  die  sich  nach  den  vorhandenen  Verhältnissen  eigentlich  um- 
wandeln müssten.  Sie  wandeln  sich  thatsächlich  um,  aber  so  langsam,  dass 
man  es  nicht  merkt. 


Sechstes  Kapitel. 

Volume  fester  Stoffe. 

Die  wenigen  Andeutungen  gesetzmässiger  Beziehungen,  welche  man 
bisher  an  den  Volumverhältnissen  fester  Stoffe  entdeckt  hat,  liegen  ganz 
auf  demselben  Gebiete,  wie  die  bei  Flüssigkeiten.  Wenn  auch  bei  festen 
Stoffen    die  Schwierigkeit   in  Bezug   auf   die   Vei^eichsteraperatur   fast 


186  IV.  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

völlig  weg&llt^  weil  die  Ausdehnung  meist  eine  sehr  geringe  ist,  so  tritt 
doch  eine  neue  Schwierigkeit  damit  auf,  dass  viele  feste  Körper  in 
mehreren  verschiedenen  Krystallformen,  welchen  immer  verschiedene  Mole- 
kularvolume entsprechen,  auftreten  können.  Man  ist  in  solchen  Faulen 
nur  dann  in  der  Lage,  einen  einwurfefreien  Vergleich  durchführen  zu 
können,  wenn  die  zu  vergleichenden  Stoffe  isomorph  sind;  sind  sie  es 
nicht,  so  lässt  sich  von  vornherein  nicht  absehen,  welche  der  verschiedenen 
vorhandenen  Formen  man  zum  Vergleich  heranziehen  darf. 

Zu  dieser  prinzipiellen  Schwierigkeit  gesellt  sich  eine  praktische.  Die 
Bestimmung  der  spezifischen  Gewichte  fester  Stoffe  ist  zwar  an  und  für  sich 
meist  keine  sehr  schwere  Aufgabe,  und  die  vorhandenen  Methoden  gestatten 
leicht,  die  Zahlen  auf  Viooo  ihres  Wertes  genau  zu  erlangen.  Wohl  aber  ist 
es  äusserst  schwierig,  die  zu  bestimmenden  Krystalle  in  einem  Zustande  zu 
erlangen,  welcher  eine  genaue  Bestimmung  gestattet.  Wenn  Stoffe  aus 
Lösungen  krystallisieren,  so  schliessen  die  gebildeten  Krystalle  äusserst  häufig 
mit  Mutterlauge  gefüllte  Bläschen  ein,  durch  welche  das  spezifische  Gewicht 
um  so  mehr  vermindert  wird,  je  grösser  es  ist.  Dadurch  erklären  sich 
die  zum  Teil  enormen  Unterschiede  zwischen  den  Zahlen,  welche  verschiedene 
gewissenhafte  Forscher  an  demselben  Stoff  beobachtet  haben;  im  allgemeinen 
hat  man  den  grössten  Werten  der  spezifischen  Gewichte  oder  den  kleinsten 
der  spezifischen  Volume  das  meiste  Vertrauen  zu  schenken,  und  muss  sich 
dabei  doch  die  Möglichkeit  von  Fehlem,  die  mehrere  Prozente  betragen, 
gegenwärtig  halten. 

Über  die  älteren  Arbeiten  von  Le  Royer  und  Dumas  (1821), 
Herapath  (1823),  Karsten  (1824)  und  BouUay  (1830)  ist  nicht  viel  mehr 
zu  berichten,  als  dass  insbesondere  durch  die  beiden  letzteren  festgestellt 
wurde,  dass  das  Volum  einer  chemischen  Verbindung  aus  festen  Ele- 
menten nicht  gleich  der  Summe  der  Volume  der  Bestandteile  ist;  meist 
tritt  eine  Volumverminderung,  in  einigen  Fällen  aber  auch  eine  Aus- 
dehnung ein.  Die  erste  Gesetzmässigkeit  auf  diesem  Gebiete  fand 
Ammermüller  (1840)  durch  die  Beobachtung,  dass  Kupferoxydul,  Cu*0, 
und  Kupferoxyd,  CuO,  dasselbe  Molekularvolum  haben,  wenn  man 
Cu^O  mit  Cu*0*  vergleicht;  die  Verhältnisse  sind  so,  als  wenn  das 
eine  Atom  Sauerstoff  im  Oxydul  denselben  Raum  einnähme,  wie  die 
beiden  Atome  im  Oxyd.  Eüm'ge  andere  Beispiele  entsprachen  gleichfalls 
einer  ähnlichen  Gesetzmässigkeit,  doch  zeigten  sich  alsbald  auch  zahl- 
reiche Abweichungen. 

Die  Frage,  ob  das  Molekularvolum  bei  festen  Körpern  sich  ähnlich 
wie  bei  Flüssigkeiten  als  eine  additive  Eigenschaft  auffassen  lasse,  ist 
dann  von  Kopp  (1841)  eingehend  untersucht  und  im  ganzen  bejahend 
beantwortet  worden.  Die  Molekularvolume  sind  in  der  That  annähernd 
Summen  von  Gliedern,  die  von  der  Natur  der  zusammensetzenden  Atome 
oder  Atomgruppen  abhängig  sind.  Doch  sind  erstens  diese  Tdlvolume 
nicht  immer  gleich  den  Atomvolumen  der  freien  Elemente,  und  zweiten? 


Volume  fester  Stofife.  187 

erweisen  sich  die  Addenden  nur  innerhalb  engerer  Gruppen  konstant 
Letztere  werden,  was  im  Anschluss  an  eine  oben  gemachte  Bemerkung 
betont  werden  soll,  meist  von  isomorphen  Verbindungen  gebildet 

Mit  dieser  Beziehung  im  engsten  Zusammenhange  steht  der  von 
Schröder  (1859)  betonte  „Parallel oster ismus"  solcher  isomorpher 
Gruppen.  Ordnet  man  nämlich  salzartige  analoge  Verbindungen  (z.  B. 
die  Chloride,  Bromide  und  Jodide  der  Alkalimetalle  und  des  Silbers) 
tabellarisch  so  an,  dass  Verbindungen  desselben  Elements  in  eine  Reihe 
kommen,  so  sind  die  Unterschiede  der  Molekularvolume  der  Glieder 
paralleler  Eeihen  konstant.     So  wurde  gefunden: 

KCl       374  Na  Gl       27-1  AgCl      256 

KBr      443  NaBr      338  AgBr     31-8 

KJ        54-0  NaJ        435  AgJ        42  0 

Die  daneben  geschriebenen  Molekularvolume  zeigen  in  der  That  die 
erwähnte  Beziehung,  indem  z.  B.  alle  Jodide  ein  um  etwa  sechzehn 
Einheiten  grösseres  Moiekularvolum  haben,  als  die  entsprechenden  Chlo- 
ride, oder  die  Natrium-  und  Silberverbindungen  nur  um  eine  bis  zwei 
Emheiten  verschieden  sind,  unabhängig  von  dem  anderen  Bestandteil. 

Eine  ähnliche  Gruppe  bilden  die  Sulfate,  Carbonate  und  Nitrate 
des  Baryums,  Bleis  und  Strontiums,  doch  ist,  wie  erwähnt,  die  Beziehung 
auf  isomorphe  Gruppen  beschränkt. 

Auch  die  Frage,  in  welcher  Beziehung  die  Atomvolume  der  Ele- 
mente im  freien  Zustande  zu  denen  in  den  Verbindungen  stehen,  ist 
erst  in  sehr  unvollständiger  Weise  beantwortet  Aus  der  Thatsache, 
dass  z.  B.  Chlorkalium  ein  kleineres  Volum  (37-4)  einnimmt,  als  das 
in  demselben  enthaltene  Kalium  (45«2),  geht  schon  hervor,  dass  einige 
der  freien  Elemente  ihr  Volum  sehr  verkleinem,  wenn  sie  sich  ver- 
binden. Von  Schröder  ist  die  Annahme  gemacht  worden,  dass  das  in 
den  Verbindungen  eingenommene  Volum  ein  rationeller  Bruchteil  des 
Atomvolums  sei,  wenn  eine  Kondensation  stattfindet  In  der  That 
lassen  sich  durch  eine  solche  Annahme  einige  Thatsachen  gut  dar- 
stellen. Doch  ist  mit  dem  Ausdruck,  dass  ein  Bestandteil  eines  festen 
Stoffes  innerhalb  desselben  einen  bestimmten  Raum  einnehme,  dne  klare 
Vorstellung  kaum  zu  verbinden. 

Nimmt  man  an,  dass  im  Chlorsilber  das  Silber  mit  dem  Volum  ent- 
halten sei,  welches  es  in  metallischem  Zustande  annimmt,  nämlich  10-3,  so 
bleibt  für  das  des  Chlors  15-3  übrig;  zieht  man  diese  Zahl  von  den  Volumen 
von  Chlorkalium  und  -natrium  ab,  so  bleiben  die  Zahlen  22-1  und  11*8. 
Nun  sind  die  Volume  von  Kalium  und  Natrium  im  freien  Zustande  45-2  und 
23*8,  welche  Werte  nahezu  doppelt  so  gross  sind,  wie  die  unter  den  er- 
wähnten Annahmen  berechneten  Volume  der  gebundenen  Metalle. 

Eine  weitere  Ausdehnung  solcher  Beziehungen  hat  sich  indessen  nicht 
ohne  Zwang  durchführen  lassen. 


188  IV.  Stöchiometrie  fester  Stoffe. 

Siebentes  Kapitel. 
Spezifische  Wärme. 

Bei  Gelegenheit  einer  ausgedehnten  Arbeit  über  die  Gesetze  der 
Wärme  entdeckten  Dulong  und  Petit  (1818)  ein  Gesetz  von  merk- 
würdiger Einfachheit,  welches  sie  selbst  in  den  Satz  znsammen&ssten: 
Die  Atome  aller  einfachen  Körper  haben  genau  dieselbe 
Wärmekapazität 

Es  ist  mit  anderen  Worten  das  Produkt  aus  der  spezifisdien  Wärme 
und  dem  Verbindungsgewicht  eine  konstante  Grösse.  Oder:  Mengen  ver- 
schiedener Elemente,  welche  im  Verhältnis  ihrer  Verbindungsgewichte 
stehen,  erfahren  durdi  die  gleiche  Wärmemenge  eine  gleiche  Temperatur- 
erhöhung. 

Die  Wichtigkeit  der  Entdeckung  wurde  sofort  anerkannt,  doch 
erhoben  sich  alsbald  Zweifel  gegen  die  aUgemeine  Anwendbarkeit  des 
Gesetzes,  insbesondere  da  durch  die  erhaltenen  Zahlen  die  unzweifelhaft 
vorhandene  Analogie  zwischen  Kobalt  und  Nickel  in  Frage  gesteUt 
wurde.  Die  Arbeit  wurde  nicht  fortgesetzt,  da  Petit  bald  starb  und 
Dulong  sie  nicht  wieder  aufiiahm. 

Eine  Erweiterung  erfiihr  das  Gesetz  von  Dulong  und  Petit  durch 
F.  Neumann  (1831),  welcher  einen  ähnlichen  Satz  i^r  zusammengesetzte 
Stoffe  au&tellte:  ^Es  verhalten  sich  bei  chemisch  ähnlich  zu- 
sammengesetzten Stoffen  die  spezifischen  Wärmen  umge- 
kehrt wie  die  stöchiometrischen  Quantitäten,  oder,  was  das- 
selbe ist,  die  stöchiometrischen  Quantitäten  bei  chemisch 
ähnlich  zusammengesetzten  Stoffen  besitzen  gleiche  spezi- 
fische Wärmequantität." 

Die  zahlreichsten  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand  sind 
dann  von  Regnault  (1840)  und  H.  Kopp  (1864)  ausge^ihrt  worden. 
Sie  haben  zunächst  die  Gesetze  von  Dulong  und  Petit  und  Neumann 
in  ziemlich  weitem  Umfange  bestätigt,  dabei  aber  gleichzdtig  gezeigt^  dass 
beide  Gesetze  nur  angenäherten  Charakter  haben.  Die  Produkte  von 
spezifischer  Wärme  und  Verbindungsgewicht  sind  zwar  bei  sehr  vielen, 
aber  doch  nicht  bei  allen  Elementen  gleich,  sondern  die  Zahlen  weichen 
mehr  voneinander  ab,  als  die  Versuchsfehler  betragen. 

Was  die  Beziehungen  zwischen  den  Atomwärmen  der  Elemente 
und  denen  ihrer  Verbindungen  betrifft,  so  ist,  nachdem  frühere  An- 
nahmen von  Avogadro,  Hermann  und  Schröder  sich  als  &lsch  erwiesen 
hatten,  von  Joule  (1844)  der  Satz  ausgesprochen  worden,  dass  die 
Wärmekapazität  einer  Verbindung  die  Summe  derer  ihrer  Bestandteile 
sei.  Das  Verdienst,  diesen  Satz  als  in  hohem  Grade  allgemeingültig 
erwiesen  zu  haben,  kommt  H.  Kopp  zu. 

Nach  letzterem  Forscher  haben  folgende  Elemente  eine  ^normale" 
Atom  wärme,  d.  h.  das  Produkt  ihrer  auf  Wasser  =  1  bezogenen  spezifischen 


i 


y.  Die  verdünnten  Losungen.  —  Allgemeines.  189 

Wäime  mit  dem  Verbindungsgewicht  giebt  nahezu  die  Zahl  6*4:  Ag,  AI, 
As,  Au,  Ba,  Bi,  Br,  Ca,  Cd,  Cl,  Co,  Cr,  Cu,  Fe,  Hg,  J,  Ir,  K,  Li,  Mg, 
Mn,  Mo,  N,  Na,  Ni,  Os,  Pb,  Pd,  Pt,  Rb,  Rh,  8b,  Se,  8n,  Sr,  Te,  Ti, 
Tl,  W,  Zn,  Zr. 

Eine  kldnere  Atomwärme  haben:  8  =  5*4,  P=5*4,  Fl  =  50, 
0  =  4*0,  Si  =  3*8,  B  =  2.7,  H  =  2*3,  C=1.8.  Hieran  schlieflst  sich 
noch  Beryllium. 

Wie  man  sieht,  gehören  zu  der  letzteren  Gruppe  nur  Elemente 
mit  kleinem  Atomgewicht  Sowie  das  letztere  über  30  hinausgeht,  ge- 
horchen die  Elemente  dem  Gesetz  von  Dulong  und  Petit. 

Für  mehrere  der  in  zweiter  Reihe  genannten  Stoffe  ist  berdts 
nachgewiesen,  dass  ihre  Atomwärme  mit  stdgender  Temperatur  schnell 
zunimmt,  bis  sie  den  ^ normalen^  Wert  von  etwa  6  erreicht  haben,  so 
von  Weber  &lt  Kohlenstoff,  Silidum  und  Bor,  von  Nilson  und  Pettersson 
für  Beryllium.  Auch  sind  mehrere  der  oben  angeföhrten  Zahlen  nicht 
unmittelbar  beobachtet,  sondern  aus  den  Molekularwärmen  von  Ver- 
bindungen durdi  Abzug  der  auf  die  anderen  Elemente  Menden  Anteile 
berechnet  worden. 

Bei  der  noch  vorhandenen  Unklarheit  über  den  eigentlichen  Inhalt 
der  von  Dulong  und  Petit  gefundenen  Regel  ist  es  auch  noch  nicht 
möglich,  über  die  Bedeutung  der  Abweichungen  von  ihr  etwas  auszu- 
sagen. Man  kann  sich  nur  empirisch  merken,  dass  sie  für  Stoffe  mit 
höherem  Atomgewicht  als  30  zutrifft  und  auf  diese  daher  angewendet 
werden  kann.  Die  Regel  ist  indessen  von  grosser  praktischer  Bedeutung 
gewesen,  da  sie  lange  Zeit  neben  der  Dampfdichtebestimmung  und  den 
Beziehungen  im  periodischen  System  der  Elemente  fast  das  einzige  Mittel 
war,  um  bei  neuentdeckten  Elementen  aus  den  verschiedenen  möglichen 
Verbindungsgewichten  das  richtige  zu  wählen. 


Fünftes  Buch. 

Die  verdünnten  Losnngen, 

Erstes  Kapitel. 

Allgemeines. 

Streng  genommen  gehört  die  Lehre  von  den  Losungen  in  den 
zweiten  Teil  dieses  Werkes,  der  von  den  Beziehungen  zwischen  zweien 
und  mehreren  Stoffen  handelt,  während  der  erste  der  Betrachtung  der  Stoffe 
als  einzelner  Individuen  gewidmet  ist.  Indessen  erscheint  es  angemessen, 
die  verdünnten  Lösungen  an  dieser  Stelle  zu  behandeln.      Durch  den 


190  V.  Die  yerdünnten  Lösungen. 

Zustand  einer  verdünnten  Lösung  gewinnen  die  Stoffe  gewisse  gemdn> 
same  Eigentümlichkdten,  wddie  gestatten,  in  gewissem  Sinne  den  Lö- 
sungszustand wie  einen  besonderen  Aggregatzustand  zu  betrachten,  und 
ihn  den  drei  gewöhnlichen  Aggregatzuständen  anzuschliessen.  Zwar  er- 
geben sich  die  hier  zu  entwickehiden  Beziehungen  auch  als  einfachste 
GrenzMe  der  allgemeineren  Gesetze,  welche  das  Verhalten  der  Gleich- 
gewichtszustände aus  zwei  oder  mehr  Stoffen  regeln;  aber  die  Va^- 
fachung,  die  aus  dem  Übergange  auf  die  verdünnten  Lösungen  entsteht, 
ist  so  bedeutend,  und  die  Wichtigkeit  der  entsprechenden  Gesetze  ist  so 
gross,  dass  die  vorgängige  Kenntnis  dieser  Grenzfälle  auch  das  beste 
Mittel  ist,  die  aUgemeinere  Beziehung  zu  übersehen  und  zu  beherrschen. 

Der  Zustand,  welchen  die  gelösten  Stoffe  innerhalb  der  Lösung  an- 
nehmen, ist  schon  früher  oft  als  ein  vergleichbarer  angesehen  worden, 
und  verschiedene  Forscher  haben  gerade  von  der  Untersuchung  der  ver- 
dünnten Lösungen  die  einfachsten  Resultate  erwartet  Zu  ihrer  gegen- 
wärtigen Bedeutung  sind  diese  Betrachtungen  indessen  erst  durch  die 
Arbeiten  van't  Hofls  (1886)  gelangt,  weldie  die  frühere  ungefähre 
Analogie  in  eine  festgefügte  und  zu  zahlenmässiger  Anwendung  bereite 
Theorie  verwandelt  haben.  Der  Grundgedanke  dieser  Theorie  ist,  dass 
die  gelösten  Stoffe  innerhalb  ihrer  Lösungen  ähnlichen  Gesetzen  gehorchen, 
wie  die  Gase.  Überlegt  man  die  ausgezeichnete  Rolle,  welche  die  Gase 
vermöge  ihrer  einfachen  und  allgemeinen  Eigenschaiften  fOr  die  En^ 
Wickelung  unserer  Wissenschaft  gespielt  haben,  wo  sie  einerseits  die  Ge- 
staltung des  Molekularbegriffs,  andererseits  die  der  Thermodynamik  er- 
möglicht haben,  so  ist  ersichtlich,  welche  Bedeutung  die  Ausdehnung  ihrer 
Gesetze  auf  eine  weitere  Klasse  von  Stoffen  haben  muss.  Gelten  in  der 
That  die  Gasgesetze  in  irgend  einem  Sinne  ftlr  die  gelösten  Stoffe,  so 
bedeutet  dies,  dass  an  Stelle  der  wenigen  Stoffe,  die  man  im  Gaszu- 
stande untersuchen  kann,  die  zahllosen  Stoffe,  die  sich  in  irgend  einem 
Lösungsmittel  auflösen,  der  theoretischen  Forschung  und  damit  der  Yor- 
ausbestimmung  ihres  Verhaltens  in  einem  mehr  oder  weniger  weitgehen- 
den Grade  zugänglich  werden. 

In  der  That  hat  die  allgemeine  Chemie  in  der  wenig  länger,  als 
ein  Jahrzehnt  dauernden  Zeit,  die  seit  der  Aufteilung  der  Theorie  von 
van't  Hoff  verflossen  ist,  gerade  durch  diese  eine  ungemein  besdileunigte 
Fortbildung  er&hren,  und  die  gesamte  Chemie  hat  durch  sie  einen  so 
bedeutenden  Schritt  in  ihrer  Entwickelung  zu  einer  von  allgemeinen 
Prinzipien  beherrschten  Wissenschaft  gemacht,  wie  vielleicht  nie  vorher 
durch  einen  derartigen  Gedanken.  Dadurch,  und  durch  die  verhältnis- 
mässige Neuheit  dieses  Fortschrittes  rechtfertigt  sich  die  hervortretende 
Stellung,  die  hiermit  der  Theorie  der  verdünnten  Lösungen  angewiesen  wird. 

Der  wichtigste  Begriff,  von  dessen.  Erfassung  die  Theorie  der  Lö- 
sungen entscheidend  bestimmt  worden  ist|,  ist  der  des  osmotischen 
Druckes.  Denn  es  ist  kaum  je  ein  rein  erMirungsmässig  definierbarer 
und  aufweisbarer  Begriff  so  vielfach  missverstanden  worden,  wie  dieser. 


Der  osmotische  Dradü  191 

Verfolgt  man  diese  Missverständnisse  auf  ihren  Ursprung  zurück,  so  findet 
man  sie  meist  durch  hypothetische  Zuthaten  verursacht,  durch  die  man 
diesen  Begriff  hat  ^erklllren^  oder  gar  rechtfertigen  wollen.  Es  sei  da- 
her gleich  von  vornherein  betont,  dass  es  sich  hier  um  nichts,  als  die 
Zusammenfassung  gewisser  Er&hrungsthatsachen  handelt,  die  durch  keine 
hypothetische  Erklärung  sicherer  gemacht  werden  können,  als  sie  es  ver- 
möge der  Erfahrung  sind.  Die  ganze  Theorie  der  Lösungen  lässt  sich 
vollständig  und  geschlossen  ohne  diese  Zuthaten  entwickehi,  welche  wirk- 
fich  auch  in  diesem  Gebiete  bisher  viel  mehr  verwirrend,  als  aufklärend 
gewirkt  haben.  In  den  nachstehenden  Kapiteln  ist  versudit  worden, 
eine  hypothesenfreie,  rein  thatsächliche  Darstellung  der  Theorie  zu  geben. 


Zweites  Kapitel. 
Der  osmotisohe  Druok. 

Wenn  man  über  irgend  dne  Lösung,  z.  B.  von  Zucker  in  Wasser, 
vorsichtig  eine  Schicht  reinen  Wassers  bringt,  so  bleibt  das  Grebilde  nidit 
in  diesem  Zustande.  Ähnüch  wie  bei  einem  Gase,  dessen  Dichte  in 
mem  Räume  nicht  überall  dieselbe  ist,  beginnt  alsbald  der  Zucker  sich 
zu  erheben  und  in  dem  Wasser  zu  verbreiten,  und  die  Bewegung  hört 
earst  auf,  wenn  sich  der  Stoff  in  der  gesamten  Wassermenge  gleichförmig 
verteilt  hat 

Man  kann  diese  Bewegung  hemmen,  indem  man  zwischen  die  Lö- 
Bong  und  das  reine  Lösungsmittel  eine  Wand  bringt^  welche  zwar  das 
letztere,  nicht  aber  den  gelösten  Stoff  durchtreten  lässt.  Solche  ^halb- 
dorchläfisige^  Wände  lassen  sich  darstellen,  wenn  man  z.  B.  eine  poröse 
Thonzelle  zuerst  mit  einer  Lösung  von  Eupfersulfat  tränkt,  sie  sorgfältig 
ausspült  und  alsdann  mit  einer  Lösung  von  Kaliumferrocyanid  anfüUt. 
Es  bildet  sich  alsbald  auf  und  in  der  Thonwand  eine  zusammenhängende 
Decke  von  Kupferferrocyanid,  durch  welche  man  Wasser  filtrieren  kann; 
filtriert  man  aber  eine  Zuckerlösung,  so  erfordert  dies  zunächst  einen 
viel  stärkeren  Druck,  und  was  schliesslich  durchtritt,  ist  nicht  Zucker- 
lösung, sondern  reines  Wasser. 

Statt  des  Niederschlages  von  Kupferferrocyanid  kann  man  mit  gleichem 
Erfolge  Niederschläge  von  anderen  amorphen  Stoffen,  wie  Eisenoxyd,  gerb- 
saurem  Leim,  Kieselsäure  u.  s.  w.  anwenden.  Das  Protoplasma  der  organi- 
schen Zellen  pflegt  gleichfalls  mit  einem  Häutchen  umkleidet  zu  sein,  welches 
vielen  gelösten  Stoffen  gegenüber  dieselbe  Eigenschaft  hat. 

Wenn  man  in  eine  derartig  vorbereitete  Zelle  Zuckerlösung  fiillt 
und  sie  alsdann  durch  einen  Pfropfen  verschliesst,  welcher  ihren  Inhalt 
mit  einem  Manometer  in  Verbindung  zu  bringen  gestattet,  so  bemerkt 
man,  wenn  man  die  Zelle  in  reines  Wasser  setzt,  eine  Zunalime  des 


192  ^'  ^io  verdünnten  Lösungen. 

Druckes  im  Inneren  der  Zelie^  welehe  bis  zu  einem  bestimmten  Btaximal- 
wert  geht.  Letzterer  ist  von  der  Konzentration  der  Zudserlösung  und 
der  Temperatur  abhängig. 

Ist  zunächst  die  Temperatur  konstant ,  so  ist  der  Druek,  wie 
Pfeffer  (1877)  gefunden  hat^  proportional  dem  Gehalt  der  Lösung.  Die 
schliesslichen  Druckwerte  sind  sehr  bedeutend ;  einprozentige  Zuekerlösungen 
geben  Drucke  von  mehr  als  50  cm  Quecksilber;  eine  einprozentige  Sal- 
peiterlösung  lässt  sogar  den  Druck  auf  mehr  als  drei  Atmosphären 
steigen. 

Die  Proportionalität  zwischen  Konzentration  und  Druck  ergiebt  sidi 
aus  nachstehenden  Messungen  Pfeffers  an  Zuckerlösungen: 

Konzentration  Druck  Verhältnis 

1  Prozent  53«5  cm  53-5 

2  „  101.6  „  50-8 
274  „  1518  „  554 
4  „  208-2  „  521 
6  „  307-5  „  51-3 

Das  Gesetz,  welches  den  osmotischen  Druck  regelt,  hat  ganz  die- 
selbe Gestalt,  wie  das  Boylesche  Gesetz  bei  Gasen,  denn  auch  bei  diesen 
ist  der  Druck,  weichen  sie  ausüben,  proportional  ihrer  Dichte  oder  Kon- 
zentration. Dass  das  Gesetz  des  osmotischen  Druckes  f&r  alle  gelösten 
Stoffe  unabhängig  von  ihrer  Natur  gültig  ist,  hat  sich  durch  eine  Reihe 
von  sowohl  direkten  wie  mittelbaren  Messungen  in  vielen  anderen  Fällen 
feststellen  lassen. 

Der  Einfluss  der  Temperatur  auf  den  osmotischen  Druck  macht 
sich  in  derselben  Weise  geltend,  wie  bei  Gasen:  der  Druck  nimmt 
proportional  der  Temperatur,  und  bei  allen  gelösten  Stoffen 
in  gleichem  Verhältnis  zu.  Die  Verhältniszahl  selbst  oder  der 
Druck-Temperaturkoeffizient  hat  denselben  Wert  wie  bei  Gasen. 

Hat  man  somit  den  osmotischen  Druck  Fq  bei  0^  bestimmt,  so 
ist  derselbe  bei  t©  gleich  P^  (1  +  0-003 6 7  t).  Man  kann  die  Beziehung 
wie  bei  den  Gasen  daher  auch  folgendermassen  ausdrücken:  der  osmotische 
Druck  ist  proportional  der  absoluten  Temperatur.  Zum  Beweise  dieses 
wichtigen  Gesetzes  gebe  ich  nachstehende  Messungen  von  Pfeffer  nach 
den  Berechnungen  von  van't  Hoff  wieder. 

bei 
32-0^ 

366«» 
37.0® 

Die  unter  ber.  stehenden  Zahlen  sind  unter  der  Voraussetzung,  daas 
der  Koeffizient  0-00367  richtig  sei,  berechnet  worden.  Die  Unter- 
schiede überschreiten  nicht  die  Versuchsfehler. 


Kohrzucker 

Druck 
544 

7) 

56-7 

Natriumtartrat 

1564 

« 

98-3 

bei 

beob. 

her. 

14.15» 

510 

512 

15.5<> 

521 

529 

13.3«^ 

1432 

144.3 

13.3« 

90-8 

907 

Der  osmotische  Druck.  193 

Durch  Versuche  mit  lebenden  Zellen  ist  auch  noch  von  anderer  Seite 
der  Beweis  erbracht  worden,  dass  solche  Lösungen,  welche  mit  dem  Zell- 
inhalt bei  0^  im  osmotischen  Gleichgewicht  standen,  dasselbe  auch  bei  34® 
zeigten;  die  Zunahme  des  Druckes  war  also  stets  dieselbe,  so  verschieden 
auch  die  angewendeten  Lösungen  waren,  und  so  zusammengesetzt  auch  der 
Zellinhalt  selbst  war. 

Man  kann  somit  den  osmotischen  Druck  der  gelösten  Stoffe  durch 
ganz  dieselbe  Formel  darstellen,  welche  den  Druck  der  Gase  zum  Aus- 
druck bringt,  nämlich  pv  =  RT.  Es  fragt  sich  nur  noch,  welchen  Wert 
die  Eonstante  K,  welche  für  molekulare  Mengen  der  verschiedenen  Gase 
gleich  gross  ist,  im  Falle  der  Lösungen  hat  Die  Konstante  R  ist  schon 
früher  (S.  71)  berechnet  worden  und  hat  sich  fiirGase  gleich  8-31  X  10' 
in  absolutem  Masse  ergeben. 

Pfeffer  hatte  nun  Mr  eine  einprozentige  Zuckerlösung  bei  0®  den 
Druck  von  49  3  cm  Quecksilber  gefunden.  Das  Molekulargewicht  des 
Zuckers,  C'«H"O^S  ist  342;  das  Volum,  in  welchem  342  g  Zucker 
enthalten  sind,  beträgt  somit  34200  ccm.  Der  Druck  von  49-3  g 
Queckaüber  ist  gleidi  49-3  X  13-59  X  980  =  656  X  10^  Die  Tem- 
peratur 0^  G.  ist  273  A.     Für   Zucker  ist  somit  die   Konstante  R  = 

— —  =  8-22X10''.     Wie  man    sieht,  stimmt   der 

273 

Wert  innerhalb  der  Versuchsfehler  mit  der  Gaskonstante  überein. 

Der  osmotische  Druck  einer  Zuckerlösung  hat  somit  den- 
selben Wert,  wie  der  Druck,  welchen  der  Zucker  ausüben 
würde,  wenn  er  sich  gasförmig  in  demselben  Räume  befände, 
den  die  Lösung  einnimmt  Die  Gasgleichung  pv  =  RT  gilt  un- 
verändert mit  denselben  Konstanten  für  die  Lösung,  nur  dass  p  den 
osmotischen  Druck  bedeutet  Diesen  überaus  wichtigen  Satz  verdanken 
wir  J.  H.  van't  Hoff  (1886). 

Die  Frage,  ob  dies  bei  anderen  Konzentrationen  und  Temperaturen 
ebenso  ist,  muss  sofort  bejaht  werden,  da  schon  oben  die  Gültigkeit  des 
Boyleschen  und  Gay-Lussacschen  Gesetzes  fiir  die  Ijösungen  nachgewiesen 
wurde.  Es  bleibt  also  nur  noch  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  auch  noch 
das  Avogadrosche  Gesetz  lUr  Lösungen  gilt,  d.  h.  ob  auch  alle  anderen 
Stoffe  ausser  Zucker  fiir  R  den  Wert  der  Gaskonstante  zeigen,  wenn 
man  molekulare  Mengen  in  Betracht  zieht  Auch  diese  Frage  hat  sich 
bejahend  beantworten  lassen.  Zwar  hegen  nur  w^ge  unmittelbare 
Messungen  des  osmotischen  Druckes  vor,  doch  ist  nach  der  früher  schon 
angedeuteten  Methode  mit  organischen  Zellen  festgestellt  worden,  dass 
solche  Lösungen  der  verschiedensten  Stoffe  gleichen  Einfluss  auf  dieselben 
ausüben,  welche  die  Stoffe  im  Verhältnis  ihrer  Molekulargewichte  ent- 
halten. 

Alle    die   umfassenden   Beziehungen,    welche  früher  über  den  Zu- 

Ostwald,  QrnndriBs.    3.  Aafl.  13 


194  V.  Die  verdünnten  Lösungen. 

sammenhang  der  Gasdichten  and  Molekulargewichte  entwickelt  wurd^, 
finden  auf  Lösungen  somit  ihre  Anwendung,  und  man  kann  allgemein 
sagen ;  dass  der  Zustand  gelöster  Stoffe  mit  dem  der  Gase  in  ausge- 
dehntester Weise  vergleichbar  ist. 

Einzelne  Gruppen  von  Stoffen,  insbesondere  die  Salze,  daneben  audi 
viele  Säuren  und  Basen,  zeigen  indessen  Abweichungen  von  diesen  einfachen 
Beziehungen.  Der  osmotische  Druck,  welchen  sie  ausüben,  ist  weit  grösser, 
als  er  nach  der  Molekulargrösse  sein  sollte;  bei  Ghlorkalium  z.  B.  ist  er 
fast  doppelt  so  gross. 

Bei  den  Gasdichten  war  eine  ganz  ähnliche  Unregelmässigkeit  in  be- 
stimmten Fällen,  z.  B.  bei  den  Ammoniaksalzen,  aufgetreten,  indem  die  Dichte 
viel  kleiner,  oder,  was  dasselbe  ist,  der  Druck  viel  grösser  gefunden  wurde, 
als  ihr  Wert  nach  der  Theorie  sein  sollte.  Dort  wurden  die  Abweichungen 
dadurch  erklärt,  dass  man  die  fraglichen  Stoffe  als  dissociiert,  d.  h.  in  einfachere 
Stoffe  zerfallen  erkannte ;  an  Stelle  der  durch  die  Formel  ausgedrückten  Ver- 
bindung waren  mehrere  Mole  der  Zerfallprodukte  vorhanden  und  dahei^  war 
der  Druck  in  demselben  Verhältnis  grösser. 

Es  liegt  nahe,  hier  eine  ähnliche  Erklärung  anzunehmen,  d.  h.  die 
fraglichen  Stoffe,  welche  eine  derartige  Abweichung  zeigen,  gleichfalls  in 
ihren  Lösungen  als  dissociiert  anzusehen.  Es  wird  später  gezeigt  werden,  dass 
diese  Annahme  in  der  That  wohlbegründet  ist,  und  nicht  nur  diese,  sondern 
eine  grosse  Anzahl  anderer  Erscheinungen  befriedigend  erklärt. 


Drittes  Kapitel. 

Difitision. 

Die  Erkenntnis  der  Thatsache,  dass  zwischen  zwei  verschieden  kon- 
zentrierten Lösungen  desselben  Stoffes  ein  Druck,  der  osmotische ,  herr- 
schen muss,  war  zunächst  daraus  abgeleitet  worden,  dass  sich  der  gelöste 
Stoff  freiwillig  aus  dem  Gebiete  grösserer  Konzentration  in  das  der 
geringeren  begiebt.  Durch  die  Verhinderung  dieser  Bewegung  kam  die 
Möglichkeit  ein^  unmittelbaren  Messung  des  osmotischen  Druckes  zu 
stände.  Umgekehrt  lässt  sich  eine  Theorie  dieser  Bewegungen  auf  Grund 
des  Begriffes  des  osmotischen  Druckes  entwickeln,  und  bietet  durch  den 
Vergleich  mit  der  Erfahrung  eine  weitere  Prüfung  fiir  die  Brauchbarkeit 
jenes  Begriffes  (Nernst  1888). 

Denken  wir  uns  zwei  Lösungen  aneinander  grenzend,  in  denen  die 
osmotischen  Drucke  p^  und  p^  herrschen.  Dann  wird  der  gelöste  Stoff 
mit  dem  Drucke  p  =  Pi  —  Pg  aus  der  konzentrierteren  Lösung  in  die  ver- 


Diffusion.  195 

dfinntere  getrieben.  Die  Geschwindigkeit  dieser  Bewegung  ist  proportional 
dem  Dmckunterschiede  p  und  einem  Koeffizienten^  der  eine  Art  Reibung; 
d.  h.  einen  Energieverbrauch  darstellt.  Denn  die  Geschwindigkdt  der 
Bewegung  ist  so  gering,  dass  die  Bewegungsenergie  stets  verschwindend 
klein  bleibt,  und  die  ganze  Arbeit  in  Wärme  verwandelt  wird. 

Man  erhält  ein  Mass  dieser  Eigenschaft,  der  Diffusionskonstan- 
ten ^  wenn  man  sich  an  den  Enden  eines  Cylinders  von  1  cm^  Quer- 
-schnitt  und  1  cm  Länge  den  Konzentrationsunterschied  Eins  hergestellt 
und  erhalten  denkt,  und  nun  die  Stoffinenge  misst,  welche  in  der  Zeit- 
einheit, einer  Sekunde,  durch  den  Oylinder  tritt  Und  zwar  gilt  diese 
Definition ;  nachdem  sich  ein  dauernder  Zustand  im  Oylinder  herausge- 
bildet hat  Alsdann  nimmt  die  Konzentration  proportional  der  Länge, 
von  dem  Ende  der  höheren  Konzentration  gerechnet,  ab,  und  die  durdi- 
tretende  Menge  stellt  einen  konstant  fliessenden  Strom  dar. 

Man  kann  eine  derartige  Yersuchsanordnung  praktisch  herstellen^  wenn 
man  einen  entsprechenden  Hohlcylinder,  z.  B.  ein  Stück  einer  Glasröhre,  mit 
Leim-  oder  Eieselsäuregallerte  ausfüllt,  und  an  dem  einen  Ende  eine  Lösung 
vom  Gehalte  Eins,  am  anderen  reines  Wasser  langsam  vorbeiströmen  lässt'). 
Bestimmt  man  dann  nach  längerer  Zeit  die  durchgetretene  Stoffmenge,  so  ist 
sie  dieser  Zeit  und  dem  Diffusionskoeffizienten  proportional.  Hat  der  Oylin- 
der nicht  die  vorgeschriebenen  Einheitsdimensionen,  so  berücksichtigt  man, 
dass  die  durchgetretene  Stoffmenge  dem  Querschnitt  direkt  und  der  Länge 
umgekehrt  proportional  ist,  und  man  daher  die  für  die  Zeiteinheit  ermittelte 
Menge  durch  den  Querschnitt  dividieren  und  mit  der  Länge  multipli- 
zieren muss. 

Da  die  Zahlen  auf  diese  Einheiten  bezogen  sehr  klein  ausfallen,  hat 
man  gewöhnlich  zur  Zeiteinheit  den  Tag  an  Stelle  der  Sekunde  gewählt,  und 
so  86400  mal  grössere  Werte  für  den  Koeffizienten  erhalten.  Man  gewinnt 
eine  Anschauung  von  den  hier  vorkommenden  Grössen  aus  der  Angabe,  dass 
aus  einer  einprozentigen  Lösung  von  Zucker  in  einem  Tage  0*312  g  durch  den 
Einheitscylinder  diffundieren. 

Angesichts  der  grossen  osmotischen  Drucke,  die  durch  verhältnismässig 
kleine  Konzentrationen  bewirkt  werden,  muss  man  die  erreichten  Geschwindig- 
keiten auffallend  klein  finden.  Vom  Standpunkte  der  Molekularhypothese 
kann  man  sich  dies  indessen  erklären,  da  eine  gegebene  Stoffmenge  in  einem 
widerstehenden  Mittel  einen  um  so  grösseren  Widerstand  erfährt,  je  feiner 
sie  zerteilt  ist  Eine  Kugel  von  2  cm  Radius  hat  einen  Querschnitt  von 
4 TT  cm*.  Zerlegt  man  sie  in  8  Kugeln  von  1cm  Radius,  so  ist  die  Summe 
von  deren  Querschnitten  8;rcm*,  also  doppelt  so  gross,  und  so  fort.  Der  Ge- 
samtquerschnitt ist  umgekehrt  proportional  der  Anzahl  qi :  q^  =  r, :  r^  der  ge- 


*)  Die  meisten  Stoffe  diffundieren  in  Gallerten  ebenso  schnell,   wie  in 
reinem  Wasser. 

13* 


196  V.  Die  verdünnten  Lösungen. 

i 

bildeten  (geometrisch  ähnlichen)  Teile'),  und  wächst  daher  mit  steigender 
Teilung  schnell  an.  Dem  Gesamtquerschnitte  aber  ist  die  Reibung  für  die 
Bewegung  derselben  Stoffmenge  proportional. 

Die  DifFasionskonstanten  der  verschiedenen  Stoffe  sind  meist  nicht 
sehr  voneinander  verschieden;  im  allgemeinen  sind  sie  um  so  kleiner, 
je  grösser  das  Molekulargewicht  der  Stoffe  wird.  Bezieht  man  wie 
gewöhnlich  die  Konstante  auf  Konzentrationen,  die  durch  Gewichts- 
prozente gemessen  werden,  so  liegt  ein  doppelter  Grund  für  diese  Ah- 
nahme vor.  Einmal  wird  der  Unterschied  der  osmotischen  Drucke  för 
den  gleichen  Unterschied  des  GewichtsgehaJtes  um  so  kleiner,  je  grbsset 
das  Molekulargewicht  ist;  andererseits  wandern  auch  die  hochmolekularen 
Stoffe  bei  gleichen  Unterschieden  des  osmotischen  Druckes  viel  langsamer, 
sie  erfahren  also  grössere  Reibung,  was  wieder  vom  Standpunkte  der 
Molekularhypothese  angemessen  auf  einen  grösseren  Querschnitt  der 
wandernden  Molekeln  zurückgeführt  wird. 

Der  Einfluss  der  Temperatur  ist  bei  den  wässerigen  Lösungen  ver- 
schiedener Stoffe  auffallend  wenig  verschieden;  die  Diffiisionskonstante 
wächst  etwas  schneller,  als  proportional  der  Temperatur;  die  Zunahme 
ist  zwischen  0^  und  20^  rund  0-023  des  Wertes  bei  20**  für  jeden  Grad. 

Es  giebt  nun  eine  Anzahl  Stoffe,  deren  Lösungen  durch  ihr  Vor- 
handensein kaum  messbare  Änderungen  im  Gefrierpunkte  oder  Siede- 
punkte gegen  das  reine  Lösungsmittel  zeigen,  deren  Molekulargewicht 
also  sehr  gross  ist.  Solche  Stoffe  diffundieren  auch  äusserst  langsam, 
und  werden  als  Kolloidstoffe  von  den  gewöhnlichen  oder  Krystalloid- 
st offen  unterschieden.  Lösungen  dieser  Art  kennt  man  nur  an  Stoffen, 
die  sehr  schwer  lösUch  sind;  auch  scheint  sich  ihr  Vorkommen  fast  völlig 
auf  wässerige  Lösungen  zu  beschränken*).  Kieselsäure,  Eisenoxyd,  viele 
Schwefelverbindungen  der  Schwermetalle  und  auch  manche  Metalle  lassen 
sich  in  solchem  Zustande  erhalten.  Ferner  treten  sehr  viele  Stoffe  der 
tierischen  und  pflanzlichen  Organismen  in  kolloidalem  Zustande  auf,  wie 
insbesondere  die  verschiedenen  Eiweissarten,  Leim  (der  der  Gruppe  den 
Namen  gegeben  hat)  und  viele  andere. 

Oben  wurde  erwähnt,  dass    die    meisten    Stoffe,    insbesondere    die 


*)  Nennt  man  n^  und  n^  die  Zahl,  r^  und  r^  die  Radien  oder  allgemein 
eine  homologe  Dimension  der  Teile,  q^  und  q,  die  Gesamtquerschnitte,  so 
gelten  die  Proportionen  nJi\^  =  r^^/T^^  und  (ij(i%  =  T^ir^yn^r^* ,  woraus   q,/q, 

*)  Die  Gläser  scheinen  im  stände  zu  sein  Stoffe,  wie  Gold,  Silber, 
Kupfer,  Kohlenstoff  u.  s.  w.  im  kolloidalen  Zustande  zu  lösen,  doch  liegen  unter 
diesem  Gesichtspunkte  zu  wenig  Untersuchungen  vor,  als  dass  man  über  die 
Ähnlichkeiten  und  Unterschiede  dieser  Gebilde  den  wässerigen  Lösungen  der 
Kolloidstoffe  gegenüber  bestimmtes  angeben  könnte. 


Diffusion.  197 

eigentlichen  Krystallolde  ungestört  durch  Gallerten^  d.  h.  durch  kolloide 
Massen^  wandern,  ohne  ihre  Diffusionsgeschwindigkeit  merklich  zu  ändern. 
Dies  gilt  nicht  mehr  Rlr  diffundierende  Kolloide;  diese  werden  durch  Wände 
aus  anderen  Kolloiden  zurückgehalten ,  und  man  kann  aus  Gemengen 
beider  Arten  Stoffe  die  Anteile  trennen ,  indem  man  sie  der  Diffusion 
durch  kolloide  Wände  unterwirft.  Als  solche  dienen  tierisdie  Häute, 
wie  Harnblase,  Herzbeutel,  ferner  Pergamentpapier,  Leimschichten  u.s.w. 
(Graham   1862)., 

Ebenso,  wie  zwischen  den  Krystalloid-  und  den  Kolloidstoffen 
stufenweise  Übergänge  bestehen,  die  keine  scharfe  Grenze  zu  ziehen  ge- 
statten, so  ist  auch  die  Fähigkeit  solcher  Scheidewände,  erstere  durchzu- 
lassen und  letztere  zurückzuhalten,  nur  gradweise  verschieden.  Manche 
von  den  genannten  Wänden  beschränken  auch  die  Diffusionsgeschwindig- 
keit einiger  Krystalloide  sehr  bedeutend.  Sie  erfahren  dann  auch  als 
Scheidewände  zwischen  verschieden  konzentrierten  Lösungen  solcher  StoffiB 
einen  osmotischen  Druck,  der  indessen  nur  ein  Bruchteil  von  dem 
ganzen  ist,  ebenso  wie  eine  nicht  vollständig  luftdichte  Wand  nicht  den 
ganzen  Druck  eines  eingeschlossenen  Gases  erfahrt  Von  solcher  Be- 
schaffenheit, die  nur  gradweise  verschieden  ist,  müssen  wir  alle  praktisch 
herstellbaren  halbdurchlässigen  Scheidewände  ansehen;  sie  werden  nie 
vollkommen  dicht  ftir  einen  gegebenen  Stoff  sein,  sondern  ihn  durch- 
treten lassen,  wenn  auch  oft  mit  so  stark  verminderter  Geschwindigkeit, 
dass  die  Abweichung  des  beobachteten  Druckes  vom  theoretischen  Grenz- 
wert sich  der  Messung  entzieht. 

Dadurd),  dass  solche  teilweise  durchlässige  Wände  fiiiher  vorwiegend 
untersucht  worden  sind,  erklärt  sidi  die  geringe  Übereinstimmung  und  die 
verwickelte  Beschaffenheit  der  entsprechenden  Erschanungen,  die  unter 
dem  Namen  Diosmose,  Dialyse  u.  s.  w.  im  Interesse  physiologischer 
Fragen  vielfach  untersucht  worden  sind.  Erst  die  Rückkehr  zu  den 
schon  von  Parrot  (1815)  untersuchten  Vorgängen  der  freien  Diffusion 
hat  Graham  (1851)  in  den  Stand  gesetzt,  wenigstens  die  Hauptzüge 
der  Erscheinungen  zu  erkennen.  Durch  die  Herstellung  nahezu  idealer 
halbdurchlässiger  Scheidewände  hat  dann  Pfeffer  (1877)  die  experimentellen 
Grundlagen  beschafft,  auf  denen  van^t  Hoff  (1886)  das  Gebäude  seiner 
Theorie  errichten  konnte. 

Die  Versuchsanordnung  von  Graham  bestand  darin,  dass  er  auf  den 
Boden  eines  cylindrischen  Gefässes  eine  konzentrierte  Lösung  des  zu  unter- 
suchenden Stoffes  brachte  und  sie  vorsichtig  mit  reinem  Wasser  überschichtete. 
Nach  längerer  Zeit  wurden  die  oberen  Schichten,  in  die  inzwischen  der  Stoff 
difihndiert  war,  mit  einem  Heber  abgezogen  und  auf  ihren  Gehalt  untersucht. 
Dieser  ist  unter  gleichen  Umständen  um  so  grösser,  je  grösser  der  Diffusions- 
koeffizient  ist,  doch  diesem  nicht  proportional.  Die  verwickelte  Formel,  die 
ihn  zu  berechnen  gestattet,  soll  hier  nicht  angeführt  werden. 

In  allen  Fällen  werden  messende  Bestimmungen  der  Diffusion  sehr  da- 


198  ^'   ^^  verdünnten  Lösungen. 

durch  erschwert,  dass  durch  kleine  Änderungen  der  Temperatur  leicht 
Strömungen  eintreten,  durch  welche  die  Schichten  mechanisch  miteinander 
vermischt  werden,  so  dass  das  Ergebnis  der  reinen  Diffusionswirkung  gefälscht 
wird.  Die  Störung  liegt  immer  in  dem  Sinne,  dass  die  Vermischung  weiter 
gegangen  ist,  als  durch  die  Diffusion  allein  geschehen  wäre,  und  dass  daher 
der  scheinbare  Koeffizient  zu  gross  ausfällt. 

Die  einfachsten  Verhältnisse  solcher  Versuche  liegen  vor,  wenn  man  an 
einem  Ende  einer  langen  Säule  des  Lösungsmittels  eine  konstante  Eonzentration 
der  Lösung  (etwa  durch  die  Gegenwart  festen  Stoffes,  der  die  Lösung  ge- 
sättigt erhält)  bestehen  lässt.  Die  Strecke,  bis  zu  der  eine  bestimmte  (durch 
ein  Reagens  bemerkbare)  Konzentration  vorgedrungen  ist,  erweist  sich  dami 
als  proportional  der  Diffusionskonstanten,  der  Quadratwurzel  aus  der  Zeit 
und  der  konstanten  Konzentration  am  Ende  der  Säule.  Das  Gleiche  gilt 
von  der  eingedrungenen  Stoffmenge. 

Ein  besonders  verwickelter  Fall  tritt  bei  der  Diffusion  der  Lösung 
eines  Elektrolyts  ein.  Da  dessen  Ionen  unabhängig  voneinander  sind, 
so  diffundiert  jedes  mit  seiner  eigenen  Geschwindigkeit;  und  es  erfolgt 
eine  Trennung  in  dem  Sinne^  dass  das  geschwindere  Ion  vorangeht 
Da  aber  sich  mit  den  Ionen  gleidizeitig  elektrische  Ladungen  bewegen, 
so  ist  hiermit  eine  Trennung  derselben  verbunden^  und  die  baden 
Flüssigkeitsgebiete  nehmen  entgegengesetzte  Ladungen  an:  das  ver- 
dünntere  die  des  schnelleren  Ions,  das  dort  vorherrscht^  und  die  ursprOng- 
liche  Lösung  die  des  langsameren.  Hierdurch  entstehen  aber  elektro- 
statische Kräfte;  die  das  vorangegangene  Ion  zurückhalten  und  das 
zurückgebliebene  beschleunigen.  Da  beide  Ionen  wegen  ihrer  elektrischen 
Verhältnisse  nur  in  verschwindend  geringem  Masse  getrennt  werden 
können/  so  stellt  sich  schliesslidi  eine  mittlere  Diffusionsgeschwindigkeit 
heraus,  die  thatsächlich  zur  Beobachtung  kommt. 

Diese  Betrachtungen  (Nemst  1888)  haben  zur  Erklärung  der  zwischen 
verschiedenen  Lösungen  auftretenden  elektromotorischen  Kräfte  geführt,  die 
hier  nicht  behandelt  werden  können.  Sie  haben  aber  noch  eine  andere 
Folgerung  ergeben.  Da  man  durch  die  Anwendung  elektrischer  Kräfte,  wie 
sie  beim  Durchleiten  eines  elektrischen  Stromes  entstehen,  die  auf  die  Ionen 
wirkenden  Kräfte  messbar  verändern  kann,  während  die  Bewegungshindemisse 
unter  gegebenen  Verhältnissen  dieselben  bleiben,  so  wird  man  zu  bestimmten 
Beziehungen  zwischen  dem  Diffusionskoeffizienten  und  dem  Koeffizienten  der 
elektrischen  Leitfähigkeit  geführt:  die  Diffusionskoeffizienten  der  Ionen 
müssen  ihren  Koeffizienten  der  elektrischen  Leitfähigkeit  proportional  sein. 
Die  entsprechenden  Rechnungen  haben  gezeigt,  dass  auf  solche  Weise  in 
der  That  das  Wesentliche  der  beiden  Erscheinungsreihen  dargestellt  wer- 
den kann. 

Die  Difiusionserscheinungen  sind  in  der  Natur  ausserordentlich  ver- 
breitet und  üben  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Gestaltung  der  Natur- 
yorgän^e  aus.     Sie  treten   iusbeaondere  im   tieriacheu    und  pflanzlichen 


Diffusion.  199 

.Organismus  auf,  und  besorgen  in  diesem  zum  Teil  den  Transport  der 
ani&unehmenden  und  auszuscheidenden  Stoffe.  Da  sie  dahin  streben, 
alle  Unterschiede  der  Konzentration  der  einzelnen  Stoffe,  somit  also 
ebemische  Unterschiede  auszugleichen,  so  müssen  Einrichtungen  vor- 
banden sein,  um  solche  Unterschiede  dort  aufrecht  zu  erhalten,  wo  sie 
nötig  sind.  Dies  geschieht  entweder  durch  schwerlösliche  Formen  der 
beirrenden  chemischen  Verbindungen  (z.  B.  Stärke),  wodurch  diese  ans 
der  Lösung  heraustreten  und  daher  nicht  mehr  diffundieren  köimen,  oder 
durch  Bildung  von  Eolloidstoffen,  die  der  Diffusion  gleichfalls  kaum  unter- 
worfen sind  (wie  die  meisten  Bestandteile  des  Protoplasmas),  oder  endlieh 
durch  die  Abschliessung  der  zu  schützenden  Zellen  mittelst  halbdurch- 
lässiger Membranen,  die  die  betreffenden  Stoffe  nicht  durchtreten  lassen. 

Indessen  ist  zu  beachten,  dass  in  kürzeren  Zeiträumen,  wie  sie  hier 
in  Frage  kommen,  die  durch  Diffusion  zurücklegbaren  Entfernungen  nur 
sehr  klein  sind.  Überall  dort,  wo  es  sich  um  erheblichere  Strecken 
handelt,  muss  daher  eine  andere  Art  der  Beförderung,  die  der  gesamten 
Massen,  eintreten,  und  so  sehen  wir  die  Konvektion  oder  Fort- 
führung stets  dort  verwendet,  wo  die  Stoffe  auf  erheblichere  Distanzen 
zu  transportieren  sind.  Beispiele  sind  die  Blutbewegungen  in  den  Tieren, 
die  Saftbewegungen  in  den  Pflanzen,  die  Sammlung  des  im  Wasser  ge- 
lösten Sauerstoffs  durch  die  Kiemen  der  Fische  und  vieles  mehr.  In 
solchen  Fällen  vereinigt  sich  die  Diffusion  mit  der  mechanischen  Fort- 
führung, indem  die  schliessliche  Auffiahme  der  mechanisch  herangeführten 
Stoffe  durch  die  Diffusion  erfolgt.  Ja  man  überzeugt  sich  leicht,  dass 
selbst  ein  so  einfacher  Versuch,  wie  die  Herstellung  einer  überall  gleich 
konzentrierten  Flüssigkeit  durch  Umrühren  des  rohen  Gemenges,  keines- 
wegs ausschliesslich  auf  der  mechanischen  Vermischung  beruht.  Ohne 
die  Diffusion  zwischen  den  durch  das  Rühren  einander  nahe  gebrachten 
Teilen  verschiedener  Konzentration  würde  die  gleichförmige  Verteilung 
sehr  viel  längere  Zeit  erfordern  und  sehr  unvollkommen  bleiben,  wie 
man  dies  an  Gemengen  verschiedener  Pulver  leicht  beobachten  kann. 

Schliesslich  soll  erwähnt  werden,  dass  die  Diffusionserscheinungen 
zu  einem  allgemeinen  Typus  gehören,  dem  sich  die  Leitung  der  Wärme 
und  der  Elektrizität,  die  innere  Reibung  und  noch  manche  andere  Vorgänge 
anschliessen.  Man  kann  sie  allgemein  als  räumliche  Vernutzungser- 
scheinungen  der  Energie  kennzeichnen,  denn  sie  bestehen  darin,  dass 
eine  vorhandene  arbeitsßlhige  oder  freie  Energie  sich  ausgleicht,  ohne 
entsprechende  Arbeit  zu  leisten;  sie  geht  vielmehr  in  letzter  Instanz  in 
Wärme  über.  Damit  eine  Energie  verwandelbar  ist,  muss  ein  Unter- 
schied ihrer  Intensitätsgrösse  vorhanden  sein;  zwischen  zwei  Orten,  wo 
solch  ein  Unterschied  besteht,  tritt  eine  „Leitung"  der  Energie  ein,  welche 
diesen  Unterschied  auszugleichen  strebt.  Dieser  Vorgang  erfolgt  pro- 
portional dem  Intensitätsunterschiede  oder  GefUlle,  und  ist  im  übrigen 
in.  seinem  Zeitverlaufe  von  bestimmten  Konstanten  abhängig,  die  teil- 
weise  eine  Funktion   der  Natur  des  Materials  sind,  in  dem  der  Vor- 


200  ^'   ^i^  verdünnten  Lösungen. 

gang  erfolgt,  teilweise  durch  die  geometrische  Gestalt  des  Leiters  bedingt 
werden. 

Man  stellt  sich  daher  diese  analogen  Vorgänge  unter  dem  Bilde 
eines  besonderen  Falles  vor,  und  benutzt  dazu  gewöhnlich  den  einer 
strömenden  Flüssigkeit  Doch  hat  man  bei  der  Benutzung  dieses  Bildes 
darauf  Acht  zu  geben,  dass  die  strömenden  Dinge  in  den  anderen  Fällen 
nicht  etwas  der  Bewegungsenergie  ähnliches  besitzen,  und  dass  daher 
das  Bild  nur  zutrifit,  wenn  man  den  Widerstand,  den  die  strömende 
Flüssigkeit  erfährt,  so  gross  annimmt,  dass  die  Geschwindigkeit  relativ 
klein,  und  die  Bewegungsenergie  verschwindend  ist. 

Die  Theorie  dieser  Erscheinungen  ist  im  Falle  der  Wärmeleitung 
durch  Fourier  (1822)  in  sehr  vollkommener  Weise  entwickelt  worden. 
Hemadi  ist  es  dann  nur  nötig  gewesen,  die  der  Temperatur,  Wärmemenge 
und  Wärmeleittähigkeit  entsprechenden  Grössen  in  den  anderen  Gebieten 
aufzusuchen  und  in  die  Gleichungen  sachgemäss  einzusetzen,  um  die  ent- 
sprechenden anderen  Theorien  zu  haben.  Dies  ist  durch  Ohm  (1827) 
für  die  Elektrizitätsleitung  und  durch  Fick  (1855)  für  die  Diffusion  ge- 
schehen. 


Viertes  Kapitel. 
Dampfdraoke  von  Lösungen. 

Es  ist  eine  allgemeine  Er&hrung,  dass  der  Dampfdruck  von  Flüssig- 
keiten, welche  andere  Stoffe  gelöst  enthalten,  kleiner  ist,  als  der  der  reinen 
Flüssigkeit.  Die  Gesetze  dieser  Erscheinung  sind,  zunächst  für  die 
Lösungen  nichtflüchtiger  Stoffe,  von  Babo  (1848)  und  WüUner  (1856) 
ermittelt  worden.  Sie  besagen,  dass  die  Verminderung  des  Dampf- 
druckes proportional  der  zugesetzten  Mengedes  gelösten  Stoffes 
ist,  und  dass  bei  einer  und  derselben  Lösung  die  Verminderung 
bei  jeder  Temperatur  denselben  Bruchteil  des  Dampfdruckes 
der  reinen  Flüssigkeit  beträgt. 

Bezeichnet  man  mit  f  den  Dampfdruck  des  Lösungsmittels,  mit  { 
den  der  Lösung,  und  mit  g  den  Gehalt  der  Lösung  an  gelöstem  Stoffe, 
so  gilt  die  Beziehung 

f— r 

f— f 
wo  r  eine  Konstante  bedeutet,  welche  das  Verhältnis  — - —  oder  die 

relative  Dampfdrucksverminderung  für  den  Gehalt  Eins  darstellt 

Das  Gesetz  ist  indessen,  wie  viele  derartige  Beziehungen,  nur  ein 
GrenzgesetZy  welchem  sich  die  thatsächlichen  Verhältnisse   um   so   mehr 


D&mpfdmcke  von  Lösungen.  201 

nähern,  je  verdünnter  die  Lösungen  sind.  In  konzentrierteren  Lösungen 
machen  sich  Abweichungen  geltend,  die  ähnlich  den  Abweichungen  der  Gase 
von  den  einfachen  Gesetzen  bei  höherem  Druck  sind,  und  zunächst  ausser  Be- 
tracht bleiben  sollen. 

Es  liegt  nahe  7  die  Eonstante  r^  oder  die  relative  Dampfdmcksver- 
minderang  nicht  auf  gleiche  Gewichte  zn  beziehen,  sondern  auf  Mole. 
Alsdann  ergiebt  sich  ein  weiteres  allgemeines  Gesetz  ^  indem  sich  die 
Produkte  aus  der  relativen  Dampfdrucksverminderung  und  dem  Molekular- 
gewicht bei  Anwendung  desselben  Lösungsmittels  gleich  gross  ergeben. 
Löst  man  also  in  gleichen  Mengen  eines  Lösungsmittels  soldie  Mengen 
verschiedener  Stoffe  auf,  welche  im  Verhältnis  ihrer  Molekulargewichte 
stehen ,  so  erhält  man  Flüssigkeiten  von  gleichem  Dampfdruck.  Man 
kann  den  Satz  auch  so  aussprechen:  die  molekulare  Dampfdrucks- 
verminderung, welche  beliebige  Stoffe  in  demselben  Lösungs- 
mittel hervorbringen,  ist  konstant. 

Vergleidit  man  schliesslich  die  relative  Dampfdrucksvermindemng, 
welche  verschiedene  Lösungsmittel  erfahren,  so  sind  dieselben  wiederum 
gleidi^  wenn  man  gleiche  Mengen  eines  Stoffes  in  solchen  Mengen  ver- 
schiedener Lösungsmittel  auflöst,  welche  im  Verhältnis  der  Molekular- 
gewichte stehen.  Dabei  verhält  sidi  der  Dampfdruck  der  Lösung  zu 
dem  des  reinen  Lösungsmittels,  wie  die  Zahl  der  Mole  des  Lösungsmittels 
zur  Gesamtzahl  der  in  der  Lösung  vorhandenen  Mole. 

Ist  daher  G  das  Gewicht  des  Lösungsmittels,  g  das  des  gelösten 
Stoffes,  und  süid  M  und  m  die  entsprechenden  Molekulargewichte,  so 
and  G/M  =  N  und  g/m  =  n  die  relativen  Molenmengen.  Stellen  ferner, 
wie  oben,  f  und  f'  den  Dampfdruck  des  reinen  Lösungsmittels  und  den 
der  Lösung  dar,  so  gilt  nach  allem  die  Beziehung 

f^__N 

T~  N-f  n' 
welche  man  umformen  kann  in 

f— r_     n 

f  ""N+r* 

Die  relative  Dampfdrucksverminderung  jeder  Lösung  ist 
gleich  dem  Verhältnis  zwischen  der  Zahl  der  Mole  des 
gelösten  Stoffes  und  der  Gesamtzahl  der  in  der  Flüssigkeit 
enthaltenen  Mole. 

Mit  Benutzung  der  Beziehungen  G/M  =  N  und  g/m  =  n  haben 
wir  8chUe88Üch  (f_f)/f=gM/(gM  + Gm). 

Die  vorstehenden  Sätze  sind  meist  von  F.  M.  Raoult  (1887)  entdeckt  worden. 

In  der  letzten  Gleichung  treten  neben  den  Molekulargewichten  des 
Lösungsmittels    und    des   gelösten    Stoffes    lauter   unmittelbar   messbare 


202  ^-  I^ie  yerddnnten  Lösungen. 

Grössen- auf.  Ist  daher  das  Molekulargewicht  des  LösnngBirnttete  be- 
kannt, 80  kann  man  durch  die  Messung  der  relativen  Dampfdrucksyer- 
minderung,  weiche  eine  gewogene  Menge  eines  unbekannten  Stoffes  in 
einer  gleichfalls  gewogenen  Menge  des  Lösungsmittels  hervomif^  dessen 
Molekulargewidit  bestimmen. 

Angesichts  der  grossen  Bedeutung,  welche  die  Messung  des  Molekular- 
gewichts neuer  Stoffe  fOr  die  Ermittelung  ihrer  Konstitution  und  dadurch 
ihrer  allgemeinen  chemischen  Verhältnisse  hat,  lässt  sich  die  praktisdie 
Wichtigkeit  dieser  Formel  begreifen.  Dehnt  sie  dodi  die  Möglichkeit, 
Molekulargewichte  zu  bestimmen  ^  von  den  flüchtigen  Stoffen  auf  alle 
löslichen  aus.  Wenn  auch  vor  einem  halben  Jahrhundert,  wo  die  organische 
Chemie  wesentiich  mit  der  Erforschung  der  meist  leichtflüchtigen  Ver- 
bindungen der  Fettreihe  zu  thun  hatte,  ein  derartiges  Hilfsmittel  von 
geringerer  Bedeutung  gewesen  sein  mochte,  so  war  es  doch  zu  der  Zeit 
seiner  Entdeckung,  wo  die  Forschung  vorwiegend  auf  die  im  Dampf- 
zustande vielfach  unzugänglichen  hochmolekularen  aromatischen  und 
cyklischen  Verbindungen  übergegangen  war,  um  so  willkommener. 

Formt  man  die  oben  gegebene  Gleichung  so  um,  dass  sie  unmittel- 
bar das  Molekulargewicht  des  gelösten  Stoffes  ersehen  lässt,  so  hat  man, 
wenn  man  zur  Abkürzung  die  relative  Dampfdrucksemiedrigung  (f — f')/{ 

=  9)  setzt,  m  =  gM(1^9))/9)G. 

Bei  verdünnten  Lösungen  ist  der  Wert  von  q)  sehr  klein  gegen- 
über 1;  man  kann  ihn  daher  im  Zähler  vernachlässigen  und  erhält  die 
einfachere  Gleichung  m  =  gM/9)G, 

welche  zur  Bestimmung  von  Molekulargewichten  aus  der  Dampförueks- 
vermmderung  allgemein  angewendet  wird. 

Das  experimentelle  Verfahren  zur  Bestimmung  von  q>  bestand  an- 
fangs in  der  Ermittelung  der  'beiden  Drucke  f  und  f'  nadi  ^^r  statischen 
Methode.  Wegen  der  Schwierigkeit  und  Unsicherheit  solcher  Bestimmujigen 
(S.  102)  ist  diese  durch  die  dynamische  ersetzt  worden,  dereti  Anwendung 
allerdings  dadurch  erschwert  war,  dass  die  Bestimmung  der  Siedetempe- 
ratur einer  Lösung  ganz  besondere  Vorsichtsmassregeln  zu  erfordern 
schien.  Die  hier  vorhandenen  Schwierigkeiten  sind  indessen,  namentlidi 
durch  die  Arbeiten  von  Beckmann  (1889),  überwunden  worden  und 
gegenwärtig  macht  eine  Molekulargewichtsbestimmung  nach  dieser  Methode 
weit  weniger  Arbeit,  als  die  Dampfdichtebestimmung  eines  niedrig 
siedenden  Stoffes. 

Man  bestimmt  nach  diesem  Verfahren  nicht  die  Drucke,  unter  denen 
das  Lösungsmittel  und  die  Lösung  den  gleichen  Siedepunkt  haben,  sondern 
die  Siedetemperaturen,  die  sie  unter  gleichem  Drucke,  dem  der  Atmo- 
sphäre, zeigen.  Kennt  man  die  Beziehung  zwischen  Druck  und  Tempe- 
ratur bei  dem  reinen  Lösungsmittel,  so  kann  man.  den  Druck  erfahren, 
den  es  bei  der  Siedetemperatur  der  Lösung   haben  würde,  und  damÜ 


Dampfdrücke  von  IjöBungen. 


203 


hat  man  die  zur  Ermittelung  der  relativen  Dampfdracksverminderung  er- 
forderlichen Daten. 

Es  sei  Fig.  26  11  die  Dampfdrucklinie  des  reinen  Lösungsmittels, 
SS  die  der  Lösung,  so  ist  f=ac  und  f'  =  ab;  die  relative  Dampfdruck- 
Verminderung  ist  daher  gp  =  bc/ac.  Die  Temperatur,  bei  weldier  die 
Lösung  unter  demselben  Druck  siedet,  wie  das  Lösungsmittel,  findet  man, 
wenn  man  die  Linie  konstanten  Druckes  cd  zieht  Die  Siedetemperatur 
der  Lösung  ist  notwendig  höher,  als  die  des  Lösungsmittels,  wenn  der 
Dampfdruck  durch  die  Auflösung  des  fremden  Stoffes  vermindert  wird, 
und  diese  Erhöhung  ist  durch  cd  dargestellt. 

Kennt  man  nun  das  Verhältnis  bG:cd,  welches  gleich  dem  Ver- 
hältnis der  Dampfdrucksverminderung  zur  Siedepunktserhöhung  in  der- 
selben Lösung  ist»  so  kann  man  auch 
die  Bestimmung  der  letzteren  zur  Ermit- 
telung des  Molekulargewichts  verwerten. 
Sei  s  die  Siedepunktserhöhung  und  d 
die  (absolute,  nicht  die  relative)  Dampf- 
drucksverminderung und  das  Verhältnis 
zwischen  beiden  d/s  =  r,  so  ist  die  rela- 
tive Dampfdrucksverminderung  9)  =3  rs/f, 
und  damit  geht  die  Gleichung  m = gM/gpG 
über  in  m  =  gMf/rsG,  oder  wenn  man 
die  Konstanten  f&i  dasselbe  Lösungsmittel 
in  K  =  Mf/r  vereinigt,  in 

m  =  Kg/sG. 

Die  Verhältniszahl  r  =  bc/cd  (Fi- 
gur 26)  ergiebt  sich  aus  der  Kenntnis 

der  Dampfdrucklinie  des  reinen  Lösungsmittels.  Denn  man  kann  für 
kleine  Unterschiede  die  Linien  11  und  ss  als  parallele  Gerade  ansehen; 
dann  ist  bc/cd  =  ed/cd,  und  das  letztere  Verhältnis  ist  das  der  gleich- 
zeitigen Änderungen  des  Druckes  mit  der  Temperatur  am  reinen  Lösungs- 
mittel, dp/dT.  Nun  ergiebt  sich  dies  Verfiältnis  einerseits  aus  der  Ver- 
dampfnngs wärme  (S.  125),  andererseits  aus  der  experimentellen  Bestimmung 
der  Dampfdrucklinie  in  der  Nähe  des  Siedepunktes. 

Um  an  einem  Beispiele  die  angenäherte  Berechnung  der  Konstanten  E 
kennen  zu  lernen,  ermitteln  wir  sie  für  Äther.  Nach  Kegnault  ist  der  Dampf- 
druck des  Äthers  bei  35<>  gleich 76-33 cm,  bei  40®  gleich  9096 cm  Quecksilber»); 
das  Verhältnis  zwischen  der  Zunahme  des  Druckes  und  der  Tempei^itur  ist 
also  r  =  2-926..  In  dem  Ausdrucke  für  die  Konstante  K  =  Mf/r  ist  femer 
M,  das  Molekulargewicht  des  Äthers,  gleich  74-1,  der  Druck  f  im  Mittel  von 

')  Da  in  der  Gleichung  für  das  Molekulargewicht  die  Drucke  nur  als 
Verhältniszahl  eingehen,  braucht  man  sie  nicht  in-  absoluten  Werten  auszu- 
drucken, indem  der  Faktor  sich  heraushebt. 


204  y-  Die  Terdünnten  Lösungen. 

76-33  und  90-96  gleich  83-e.    Daraus  folgt  K  — 2117;  die  strengere  Rechnung 
ergiebt  2110. 

Die  Ausbildung  des  praktjaclien  Verfahrens  der  Siedemethode  ist  wesent- 
lich durch  Beckmann  (1869)  erfolgt,  dem  sich  viele  andere  Forscher  durch 
mehr  oder  weniger  abgeänderte  Methoden  angeschlcwsen  haben.  Der  am 
meisten  verbreitete  imd  für  fast  alle  Zwecke  verwendbare  Apparat  ist  in 
Fig.  27  abgebildet  Er  besteht  aus  einem  Siedegefäsee  Ä  in  Gestalt  eines 
grossen  Probierglases  mit  einem  seit- 
lichen Stutzen.  In  dem  Siedegef^ksse 
ist  das  Thermometer  angebracht,  das 
an  seinem  oberen  Ende  eine  mehriach 
anf-  und  abgebogene  Erweiterung  trSgt; 
diese  ermöglicht, durchÄbtrennen  eine« 
Teils  der  Quecksilberfüllung  das  nur 
einige  Grade  umfassende,  in  O-Ol"  ge- 
teilte Thermometer  für  alle  vorkom- 
menden Temperaturen  anwendbar  zo 
machen.  Um  das  Sieden  regelmassiger 
zu  machen,  ist  das  GefBss  A  znm 
Teil  mit  Granaten  oder  Platin  schnitzeln 
gefüllt.  K,  ist  ein  Kühler  beliebiger 
Form,  der  den  Dampf  des  Lösungs- 
mittels verflüssigt  und  der  Haiiptmei^ 
wieder  zuführt. 

Um  die  Temperatureinstellung  \<m 
der  Umgebung  unabhSngig  zu  machen, 
ist  das  Siedegeftss  in  den  Siedemantel 
B  gestellt,  in  dessen  Innerem  sich 
etwas  von  dem  Lüsungsmittel  befindet 
Durch  den  aus  Asbestpappe  gefertigten 
Heizkasten  C  wird  die  Wärme  so  zu- 
geleitet, dass  in  beiden  B&umen  ruhiges 
Sieden  stattfindet. 

Man  beschickt  zuerst  das  Siede- 
gei&ss  mit  einer  gewogenen  Menge  dee 
pj-   a-j  Lösungsmittels  und  beobachtet  an  dem 

zusammengestellten  Apparat«  den  Sie- 
depunkt, bis  er  konstant  ist.  Dann  wird  durch  den  Kühler  K,  (nötigen&lls 
durch  den  Stutzen  selbst)  der  Stoff  hineingebracht,  worauf  man  bald  die  ein- 
getretene Erhöhung  des  Siedepunktes  beobachten  kann.  Durch  Einbringen 
weiterer  Mengen  kann  man  die  Bestimmung  auf  höhere  Konzentrationen 
ausdehnen. 

In  manchen  Fällen  kann  man  von  dem  Satz  Gebrauch  machen,  daas  in 
Gasen  der  Dampfdruck  ebenso  gross,  wie  im  leeren  Räume  ist  Leitet  man 
z.  B.  einen  Luftatrom  durch  die  Lösung,  und  sodann  durch  das  reine  Lösungs- 


Dampfdrucke  von  Lösungen. 


205 


mittel,  80  wird  der  Gewichtsverlust  der  ersteren  zu  dem  des  zweiten  sich 
Terhalten«  wie  f  :  f  —  f ,  indem  die  Luft  sich  beim  Durchstreichen  durch  die 
Lösung  mit  dem  Dampfe  bis  zum  Druck  f  sättigt,  und  diese  teilweise 
gesättigte  Luft  aus  dem  reinen  Lösungsmittel  noch  soviel  desselben  auf- 
nimmt, bis  sie  zu  dem  Drucke  f  gesättigt  ist.  Bestimmt  man  noch  die  Ge- 
samtmenge des  mitgefiihrten  Dampfes,  so  ist  derselbe  proportional  dem 
Dampfdruck  f  des  Lösungsmittels. 

Handelt  es  sich  um  wässerige  Lösungen,  so  kann  man  auch  die  Methoden 

f 
der    Hygrometrie   zur   Bestimmung    der   verhältnismässigen   Feuchtigkeit  -tt 

anwenden. 

Was  die  Allgemeingültigkeit  des  oben  (S.  201)  aus- 
gesprochenen Gesetzes  anlangt,  so  machen  sich  hier  ganz 
dieselben  Ausnahmen  geltend,  deren  Vorhandensein  bei 
dem  Gesetze  für  den  osmotischen  Druck  hervorgehoben 
wurde.  Alle  Stoffe,  welche  letzteren  zu  gross  ergaben, 
und  für  welche  daher  ein  Dissociationszustand,  ein  Zer- 
fallen in  einfachere  Molekeln  angenommen  werden  musste, 
zeigen  ganz  die  gleiche  Abweichung  in  Bezug  auf  die 
Dampfdrucksverminderung.  Das  Verhältnis  zwischen  dem 
thatsächlichen  osmotischen  Drucke  und  dem  theoretischen 
ist  gleich  dem  Verhältnis  zwischen  der  thatsächlichen 
Dampfdrucksverminderung  und  der  theoretischen.  Dieser 
Umstand  ist  eine  kräftige  Stütze  für  die  Richtigkeit  der 
Annahme,  dass  die  Ursache  der  Abweichungen  dem  ge- 
lösten Stoffe  und  nicht  etwa  dem  Lösungsmittel  zu- 
zuschreiben ist. 

Angesichts  des  vollkommenen  Parallelismus  beider  Erscheinungsreihen, 
der  osmotischen  Drucke  und  der  Dampfdrucksverminderungen,  muss  man 
sich  fi*agen,  ob  zwischen  beiden  nicht  ein  theoretischer  Zusammenhang 
besteht.  Ein  solcher  ist  in  der  That  vorhanden,  so  dass  man,  wenn 
die  Gesetze  des  osmotischen  Druckes  gegeben  sind,  die  der  Dampfdrucks- 
venninderung  daraus  ableiten  kann,  und  umgekehrt. 

Wir  denken  uns  ein  Gefass  in  der  Form  eines  langen  Cylinders 
(flg.  28),  welches  oben  mittelst  einer  halbdurchlässigen  Wand  geschlossen 
ist  Es  sei  mit  dem  Lösungsmittel  gefüllt  und  stehe  in  einem  Gefass  F, 
welches  gleichfalls  das  reine  Lösungsmittel  enthält.  Darüber  sei  etwas 
von  der  Lösung  nach  L  gebracht.  Das  Ganze  sei  mit  einer  Glocke 
überdeckt,  unter  welcher  ein  luftleerer  Raum  hergestellt  worden  ist. 

Alsdann  wird  die  Lösung  mit  dem  Lösungsmittel  im  Gleichgewicht 
Sern,  wenn  der  Dnickunterschied,  welcher  der  Säule  FL  entspricht,  gleich 
dem  osmotischen  Druck  ist.  Nun  verdampft  sowohl  die  Flüssigkeit  bei 
F,  sowie  die  Lösung  bei  L;  es  muss  auch  bei  L  der  Dampfdruck  der 
Lösung  gleich  dem  Druck  sein,  welchen  der  Dampf  der  Flüssigkeit  an 
dei-selben  Stelle  besitzt.     Denn  wäre  er  grösser  oder  kleiner,  so  müsste 


A 


\ 


Fig.  28. 


206  V.  Die  yerdünnten  Lösungen. 

in  h  entweder  Flüssigkeit  verdampfen  oder  sich  niederschlagen;  in  bdden 
Fällen  würde  sich  der  Drack  auf  die  halbdurchlässige  Wand  äqd^ni  und 
Flüssigkeit  würde  aus-  oder  eintreten.  Dieser  Vorgang  könnte  zum  Be- 
trieb einer  Maschine  bei  konstanter  Temperatur  benutzt  werden;  man 
hätte  em  perpetuum  mobile  zweiter  Art,  was  unmöglich  ist 

Der  Dmck^  welchen  die  Dämpfe  der  Flüssigkeit  F  bei  L  ausübe 
ist  also  gleich  dem  Dampfdruck  des  Lösungsmittels^  vermindert  um  das 
Gewicht  einer  Damp&äule  von  der  Höhe  FL.  Diesem  Drud^e  muss 
der  Dampfdruck  der  Lösung  gleich  sein. 

Wir  wollen  nun  die  Gesetze  des  osmotischen  Druckes  als  gegeben 

ansehen.    Die  Lösung  enthalte  n  Mole  des  gelösten  Stoffes  und  N  Mole 

des  Lösungsmittels.     Dann  ist  da*  osmotische  Druck^   welcher  (S.  193) 

gleich  dem  Drucke  ist,  den  der  gelöste  Stoff  ausüben  würde,  wenn  er 

sich  in  dem  gegebenen  Räume  in  Gasform  befände,  durch  die  Gleichnng 

nRT 
pv  =  nRT  gegeben;  es  ist  also  p  = •    Um  v  zu  finden,  beachten 

wir,  dass  die  N  Mole  des  Lösungsmittels  da«  Gewicht  MN  haben,    wo 

MN 
M  das  Molekulargewicht  ist,  und  das  Volum  einnehmen,  wo  s   das 

spezifische  Gewicht  des  Lösungsmittels  ist  Wir  erhalten  also  p  =  -,>  ,rf-  • 

Die  Höhe  h  des  Lösungsmittels,  welche  diesem  Druck  entspricht,  ist  durch 

nRT 
die  Gleichung  p  =  hs  gegeben,  wir  finden  h=  -    Da  MN  gleidi 

MN 

dem  Gewicht  des  Lösungsmittels  ist,  in  welchem  n  Mole  des  gelösten 
Stoffes  enthalten  sind,  so  lässt  sich  der  Satz  aussprechen:  Die  osmotische 
Steighöhe  ist  bei  Lösungen  desselben  Stoffes  von  gleichem  Gewichts- 
gehalt unabhängig  von  der  Natur  des  Lösungsmittels. 

Um  den  Druck,  welchen  eine  Dampfsäule  von  der  Höhe  h   aus- 

übty  ist  nun,  wie  oben  bewiesen  wurde,  der  Dampfdruck  f  der  Lösung 

kleiner,  als  der  des  Lösungsmittels.     Sei  letzterer  f,  so  ist  r  =  f — hd, 

wo  d  die  Dichte  des  Dampfes  bedeutet.     Diese  ergiebt  sich  gleichfialis 

aus  der  Formel  pv  =  RT;  p,  der  Druck  des  Dampfes,  ist  gleich  f,  und 

d  ist,  da  die  Formel  sich  auf  je  ein  Mol  Dampf  bezieht,  gleich    dem 

M 
Gewicht  M,  dividiert  durch  das  Volum  v,  also  d  =  —  Dadurch  erhalten 

.     ^        fM  ^ 

Wir  d  =  — — • 
RT 

Setzen  wir  nun  schliesslich  in  die  Gleichung  f'  =  f — hd  die  Wertei{ 
,         nRT      _        fM     .  ..      .,       ./  n\     .      f- f '        n 

^=  "MN  ^^^^  =  RT  ^^«^«^^«^g*  ^  =V  -n)  ^^^'  -r=  n' 
Als  Ergebnis  der  Versuche  von  Raoult  war  oben  (S.  201)  die  Formal 

f— f  n 

— «-  =|j~r~~  gefunden  worden.     Der  Unterschied  rührt  daher ^  dass 


Gefrierpunkte  von  Lösungen.  207 

jene  Versuche  an  Lösungen  von  endficher  Konzentration  ausgeführt 
worden  sind^  während  die  Redinnngen  für  unbegrenzt  kleine  Konzen- 
tration gelten;  wird  n  sehr  klein  gegen  N;  so  geben  beide  Formeln 
gleiche  Resultate. 


Fünftes  Kapitel. 
Gefrierpunkte  von  Lösnngen. 

In  einer  für  jene  Zeit  ungewöhnlich  genauen  Arbeit  hatte  bereits 
im  vorigen  Jahrhundert  J.  Blagden  (1788)  zwischen  den  Temperaturen, 
bei  welchen  Salzlösungen  erstarren,  und  dem  Gehalt  dieser  Lösungen  die 
ein£ädie  Beziehung  gelinden,  dass  beide  einander  proportional  sind. 
Die  Arbeit  ist  indessen  Yöllig  in  Vergessenheit  geraten;  1861  entdeckte 
Rüdorff  dieselbe  Thatsache  noch  einmal,  und  1871  fügte  de  Coppet^ 
weldier  dieses  Ergebnis  bestätigte,  nodi  den  Satz  hinzu,  dass  versdue- 
dene  Stoffe  von  ähnlicher  Natur  den  Gefrierpunkt  um  gleich  viel  er- 
niedrigen,  wenn  sie  im  Verhältnis  ihrer  Molekulargewichte  in  Wasser  ge- 
löst werden. 

Die  wdtere  Entwickelung  unserer  Kenntnisse  über  diesen  Gegen- 
stand wurde  lange  Zeit  dadurch  aufgehalten,  dass  man  ^e  Untersuch- 
ungen ausschliesslich  auf  Wasser  als  Lösungsmittel  und  auf  Salze  als 
Versuchsstoffe  beschränkte.  Erst  als  durch  F.  M.  Raoult  zunächst  (1882) 
wäss^ge  Lösungen  indifferenter  organischer  Stoffe  studiert  wurden,  er- 
gab sich  das  dnfache  Gesetz,  dass  äquimolekulare  Lösungen,  d.  h. 
solche,  deren  Gehalte  ün  Verhältnis  der  Molekulargewichte  der  gelösten 
Stoffe  stehen,  gleiche  Erstarrungspunkte  haben.  Als  dapn  auch  andere 
Stoffe  als  Lösungsmittel  verwendet  wurden,  fand  sich  das  gleiche  Ergeb- 
nis, nur  mit  einem  anderen  Koeffizienten,  so  dass  man  allgemein  folgende 
Formel  au&tellen  kann. 

Ist  J  die  Erniedrigung,  welche  der  Erstarrungspunkt  des  Lösungs- 
mittels erfahrt,  wenn  n  Mole  des  Stoffes  in  G  Gramm  des  Lösungsmittels 
gelöst  sind,  so  gilt  ^ 

wo  r  eine  Konstante  ist;  welche  von  der  Natur  des  Lösungsmittels  allein 

abhängig.      Ist  das  Molekulargewicht   m   des  Stoffes  nicht  bekannt,  so 

kann  man  es  somit  ableiten,  wenn  man  den  Gefrierpunkt  einer  Lösung 

bestimmt,  welche  g  Gramme  des  Stoffes  in   G  Grammen  Lösungsmittel 

g  rg 

enthält     Es  ist  nämlidi  dann  n  =  — :    die  Gleichung  wird  A  =  —  z^ 

m  m(j 

oder  rg 

m  = 


wodturch  man  das  Molekulargewicht  erhält. 


206  ^-  Die  Terdttnnten  LSrangen. 

Die  Eonat&nta  r,  welche,  wie  erwBhnt,  von  der  Ifatur  der  FlOegigk^ 
abhftngt,  lAsBt  sich  bestimmen,  wenn  man  Stoffe  Ton  bekanntem  Molekular- 
gewicht in  der  Flüssigkeit  auflöst  und  die  Erniedrigung  des  Gefrierpunktes 
bestimmt    Setzt  man  die  so  erhaltenen  Werte  in  die  erste  Formel  ein,  so  Ifiatt 


JG 


berechnen. 


ÄQch  dies  Gesetz  gilt  zunAcbst  nur  fDr  in- 
differente Stoffe;  Salze,  starke  SBuren  und  Basen 
bilden  Ausnahmen.  Aber  diese  Ausnahmen  stehen 
wiederum  in  engster  Beziehung  zu  den  ent- 
sprechenden Ausnahmen  in  Bezng  auf  den 
osmotischen  Druck  und  die  Dampfdrucksvermin- 
derung; die  tbateächlich  beobachteten  Gefrier- 
punktaemiedrigungen  ergeben  sich  grSsBer  sla 
die  berechneten,  und  die  Verbal  tri  szahlen  zwi- 
schen Messung  und  Rechnung  sind  bei  den  ver- 
schiedenen Stoffen  dieselben,  welche  bei  d« 
anderen  Methoden  gefunden  wurden. 

Zur  praktischen  Ausführung  derartiger  Be- 
stimmungen dient  am  besten  nach  Beckmann 
(1888)  der  beistehend  abgebildete  Apparat  Das 
Glas  A  enthalt  ein  in  0-01  Grade  geteiltes  Ther- 
mometer D  nnd  einen  aus  Flatindraht  geboge- 
nen Rubrer.  Es  wird  mit  einer  gewogenen  Menge 
des  Lösungsmittels  beschickt,  in  ein  etwas  wei- 
teres Glas  B  gesetzt,  welches  als  Luftmantsl 
dient,  und  dann  in  den  Deckel  eines  starken 
Glases  C  gesetzt,  welches  Wasser  oder  ein« 
K&ltemischung  enthält,  deren  Temperatur 2* bi« 
5*  unter  dem  Erstarrungspunkte  der  Flflssigköt 
liegt  Man  beobachtet  nun  unter  stetem  Rfihm 
(dessen  Wirkung  noch  durch  einige  in  Ä  hinein- 
gebrachte Schnitzel  von  Flaünblech  unterstfiU 
wird)  das  Thermometer.  Es  sinkt  anttuigs  in- 
folge von  Überkaltung  unter  den  GeftieipunU 
um  alsdann  plötzlich,  indem  sich  feste  Substaol 
ausscheidet,  auf  denselben  sich  zu  erheben.  Hd 
man  auf  diese  Weise  zuerst  genan  den  Erstar- 
rungspunkt des  Lösungsmittels  bestjmmt,  H 
bringt  (man  aus  einem  gewogenen  Glase)  eine  b»" 
kannte  Menge  des  zu  untersuchenden  Stoffes  in  A  durch  den  Stutzen  hineiM 
vermischt,  und  wiederholt  den  Versuch.  Die  Erstarrung  tritt  jetzt  bei  niedrigr"" 
Temperatur  ein,  und  der  Unterschied  beider  Temperaturen  ist  der 
Gleichungen  aui^retende  Wert  J. 

Bei  vielen  Lösungen  erfolgt  leicht  eine  sehr  starke  Überkaltung, 


Gefrierpimkte  von  Lösungen. 


209 


beim  Erstarren  sich  eine  grosse  Menge  von  Eis  ausscheidet.  Dadurch  wird 
die  nachhleihende  Lösung  aber  konzentriert,  und  die  beobachtete  Temperatur 
ist  zu  niedrig.  Dann  lässt  man  das  meiste  Eis  durch  Erwärmen  wieder  zer- 
gehen, und  bringt,  wenn  nur  noch  eine  sehr  kleine  Menge  vorhanden  ist, 
den  Apparat  in  das  Eühlgefäss. 

Es  liegt  nahe^  zwischen  der  oben  be£^rochenen  Erscheinung  der 
DampfdiTicksverminderung  und  der  Gefrierpunktsemiedrigong  einen  ähn- 
lichen theoretischen  Zusammenhang  zu  vermuten,  wie  er  zwischen  jener 
und  dem  osmotischen  Druck  besteht.  Ein  solcher  ist  in  der  That  vor- 
handen und  zuerst  von  C.  M.  Guldberg  (1870)  nachgewiesen  worden. 
Später  (1886)  hat  van't  Hoflf  die  Theorie  dieses  Zusammenhanges  in 
wesentlichen  Stücken  vervollständigt  und  die  Konstante  r  aus  anderen 
Grössen  abzuleiten  gelehrt 

Zunächst  ist  die  Frage  zu  beantworten,  ob  sich  aus  Lösungen 
reines  Eis^)  ausscheidet,  oder  ob  die  Lösung  als  Ganzes  gefriert  Aus 
den  hierüber  angestellten  Untersuchungen  und  gepflogenen  Diskussionen 
hat  sich  ergeben,  dass  in  den  meisten  Fällen  das  erstere  stattfindet  Es 
scheidet  sich  (abgesehen  von  bestimmten  Ausnahmen),  so  lange  die  Lö- 
sung nicht  so  konzentriert  ist,  dass  der  gelöste  Stoff  schon  durch  die 
Temperaturemiedrigung  auskrystallisiert,  nur  reines  Eis  aus. 

Nun  lässt  sich  durch  eine  Schlussweise,  die  der  auf  S.  176  ange- 
wendeten ganz  ähnlich  ist,  beweisen,  dass  die  Temperatur,  bei  welcher 
sich  £^  aus  einer  Lösung  ausscheiden  kann,  diejenige  ist,  bei  welcher 
Eis  und  Lösung  gleichen  Dampfdruck  haben.  Da  mit  anderen  Worten 
Eis  und  Lösung  unmittelbar  im  Gleichgewicht  sind,  so  müssen  sie  es 
auch  unter  Yermittelung  des 
Dampfes  sein,  und  dieser  muss  P 

daher  beiderseits  gleichen 
Druck  haben.  Auch  könnte 
man  sich,  wenn  die  Drucke 
verschieden  wären,  eine  Ma- 
schine konstruieren,  durch  wel- 
che Wärme  bei  konstanter 
Temperatur  dauernd  in  Arbeit 
fibergefuhrt  werden  könnte, 
im  Widerspruch  mit  dem  zwei- 
ten Hauptsatz. 

Daraus  folgt  also,  dass 
Gesetze,  welche  wir  oben  für  ^^* 

den    Dampfdruck  äquimolekularer  Lösungen    gefunden  haben,  auch  für 
ihre  Gefrierpunktsemiedrigungen  gelten  müssen. 

Um  die  hier  obwaltenden  Verhältnisse  anschaulich  zu  machen, 
stelle  in  der  beistehenden  flg.  30  ww  die  Dampfdruckkurve  des  Wassers 

*)  Es  soll  hier  mit  „Eis"  ganz  allgemein  das  erstarrte  Lösungsmittel,  sei 
es  Wasser,  Benzol  oder  etwas  anderes,  bezeichnet  werden. 


Ostwald,  Griindrlss.  3. Aufl. 


14 


210  ^'  I^iö  verdünnten  Lösungen. 

dar,  indem  die  Temperaturen  als  Abscissen,  die  Dampfdrucke  als  Ordi- 
naten  eingetragen  sind.  Die  Dampfdruckkurve  e  des  Eises  hat  bei  0* 
einen  Punkt  mit  der  des  Wassers  gemein  (S.  176).  Unter  0^  verläuft 
aber  die  Dampfdruckkurve  des  Eises  unterhalb  der  des  (überkalteten) 
Wassers.  Die  Dampfdruckkurve  einer  Lösung  11  endlich  verläuft  unter- 
halb der  des  Wassers  so,  dass  ihre  Abscissen  stets  denselben  Bruchteil 
von  denen  des  Wassers  darstellen. 

Dann  ist  der  Gefrierpunkt  der  Lösung  die  Abscisse  desjenigen 
Punktes,  in  welchem  sich  die  Dampfdruckkui-ven  des  Eises  e  und  der 
Lösung  1  schneiden,  weil  beide,  wie  eben  bewiesen  wurde,  gleichen 
Dampfdruck  haben  müssen. 

Bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  kleinen  Temperaturunterschieden 
kann  man  die  entsprechenden  Teile  der  Dampfdrückkurven  als  gerade  Lmien 
betrachten.  Es  ist  dann  klar,  dass  der  Schnittpunkt  von  e  und  1  in 
demselben  Verhältnis  nach  links  rücken  muss,  in  welchem  1  sich  unter 
w  senkt.  Nun  ist  diese  Senkung,  oder  die  relative  Dampfdrucksvermin- 
derung  früher  experimentell  wie  theoretisch  proportional  dem  Gehalt  der 
Lösung  an  aufgelöster  Substanz  gefunden  worden,  und  es  muss  dem- 
nach auch  die  Gefrierpunktsemiedrigung  dem  Gehalt  proportional  sein, 
wie  es  die  Versuche  ergeben  hatten. 

Die  Konstante  r  lässt  sich  auf  folgende  Weise  ableiten.  Wir  denken 
uns  eine  grosse  Menge  der  Lösung,  welche  aus  n  Molen  des  gelösten  Stoffes 
auf  G  Gramm  des  Lösungsmittels  besteht,  in  einen  Cy linder  mit  halbdurch- 
lässiger  Wand  eingeschlossen.  Durch  einen  auf  einen  Kolben  ausgeübten 
Druck,  welcher  den  osmotischen  Druck  um  ein  sehr  geringes  übertrifft,  wird 
von  dem  Lösungsmittel  so  viel  hinausgepresst,  als  dem  Volum  entspricht,  in 
welchem  ein  Mol  des  gelösten  Stoffes  enthalten  ist.  Die  zugehörige  Arbeit 
ist,  wenn  p  der  osmotische  Druck  und  v  das  eben  definierte  Volum  ist, 
gleich  pv,  welche  Grösse  ihrerseits  gleich  RT  ist.  Dieser  Vorgang  werde  bei 
der  Schmelztemperatur  T  des  Lösungsmittels  ausgeführt.     Die  dabei  heraus- 

gepresste  Menge  des  Lösungsmittels  ist  —  Gramm. 

Jetzt   lassen   wir    diese    Menge    des    Lösungsmittels    gefrieren,    wobei 
w  Wärmeeinheiten  frei  werden,  wenn  w  die  Schmelzwärme  von  1  g  des  Lö- 


n 
sungsmittels  ist.    Dann  kühlt  man  alles  um  J  ab,  bis  man  den  Gefrierpunkt  der 

Lösung  erreicht  hat,  bringt  das  Eis  mit  der  Lösung  in  Berührung  und  lässt 

P 

es  schmelzen.     Dabei  werden    die  —  w  Einheiten  wieder  verbraucht,  aber  bei 

n 

der  niedrigeren  Temperatur  T  —  J.    Zum  Schluss  erwärmen  wir   das  Ganze 
wieder  auf  T  und  es  ist  alles  wieder  im  früheren  Zustande. 

Dieser  Vorgang  stellt  einen  umkehrbaren  Kreisprozess  dar  (S.  125).    Es 
muss  daher  die  durch  die  Wärme  hierbei  geleistete  Arbeit  gleich  dem  Bruchteil 

-=-  der  gesamten,  von  höherer  zu  niederer  Temperatur  übergehenden  Wärme 

sein,  wo  z/  der  Temperaturunterschied  und  T  die  absolute  Temperatur  des 


Übersicht.  211 

Überganges    ist.     Im   vorliegenden   Falle   beträgt    die   übergehende   Wärme 

G  JGw 

—  w,  und  der  Teil  -=, —  derselben  ist  somit  in  Arbeit  verwandelt  worden. 

n  Tn 

Letztere  aber  wurde  oben  gleich  pv   oder  RT  gefunden,  und  daraus    folgt 

~tS ^^- 

RT*     n 

Wir  haben  demnach  J  = •  -^  •  Vergleicht   man    diesen   Wert   mit 

w       G 

RT* 

dem  S.  207  gegebenen  für  J,  so  folgt  r  = •  Die  Konstante  r  ist  somit 

w 

durch   die  latente  Schmelzwärme  w  und  die  absolute  Schmelztemperatur  T 
bestimmt 

Um  die  Anwendung  der  Formel  zu  zeigen,  soll  die  Konstante  für  Wasser 

RT* 

berechnet  werden.    In  r  = ist  R  —  8-31  x  10^  T  =-  273,  w  =«  80  cal  == 

w 

335  X  10'.    Daraus  folgt  r  =  1850.  Zur  Prüfung  dieses  auf  theoretischem  Wege 

RT* 
abgelei teten Ergebnisses  r«=5 hatte  van' t  Hoff  (1887),  dem  wir  diese  Ab- 
leitung verdanken,  eine   Anzahl  Konstanten  aus  den  Werten   der  latenten 
Schmelzwärme  w  und  der  absoluten  Schmelztemperatur  T  abgeleitet  und  mit 
den  von  Raoult  empirisch  gefundenen  Konstanten  verglichen.  Die  Zahlen  sind: 

RT* 


Wasser 

T 

273 

w 
79 

w 
1850 

r 
1890 

Essigsäure 

290 

432 

3880 

3860 

Ameisensäure 

2815 

55-6 

2840 

2770 

Benzol 

277-9 

291 

5300 

5000 

Nitrobenzol 

2783 

223 

6950 

7070 

Die  Übereinstimmung  ist  in  Anbetracht  der  geringen  Genauigkeit,  mit  welcher 
mehrere  Schmelzwärmen  bekannt  sind,  genügend.  Eine  spätere  eingehende 
Prüfung  durch  Eykman  und  andere  hat  die  Formel  allseitig  bestätigt. 


Sechstes  Kapitel. 
Übersicht. 

Die  Gesetze  der  Einflüsse^  welche  gelöste  Stoffe  auf  den  Siedepunkt 
imd  den  Gefrierpunkt  des  Lösungsmittels  ausüben,  sind  in  so  hohem 
Grade  übereinstimmend,  dass  man  zu  der  Frage  gedrängt  wird,  welcher 
gemeinsame  Bestandteil  diese  Gleichheit  bewirkt.  Prüft  man  unter  diesem 
Geäehtspunkte  die  theoretischen  Ableitungen  der  beiden  Formeln,  so  er- 
giebt  sich  folgendes. 

Das  Molekulargewicht  der  Gase  ist  durch  die  Arbeit  pv  bestimmt, 

welche  geleistet  werden  muss,  damit  ein  Gas  in  einem  Räume,  wo  irgend 

ein  Druck  p  herrscht,  sich  bilden  kann.     Diese  Arbeit  ist  unabhängig 
!  14* 


212  V.  Die  verdünnten  Lösungen. 

von  dem  Druck  p^  proportional  der  absoluten  Temperatur  und  der  Gas- 
menge.  Bestimmt  man  letztere  so,  dass  die  Arbeiten  bei  allen  Gasen 
für  dieselbe  Temperatur  denselben  Wert  erhalten ,  so  hat  man  Mengen, 
die  im  Verhältnisse  der  Molekulargewichte  stehen. 

Da  filr  die  zu  verdünnter  Lösung  gelösten  Stoffe  dieselben  Gesetze 
gelten,  wie  für  Gase,  so  gilt  auch  dieselbe  Definition  des  Molekular- 
gewichtes, und  da  die  beiderseitigen  Arbeitsgrössen  unmittelbar  vergleich- 
bar sind,  so  besteht  auch  kein  prinzipieller  Unterschied  zwischen  den 
nach  den  beiden  Methoden  bestimmten  Molekulargewichten.  Wenn  Ver- 
schiedenheiten des  letzteren  bei  Lösungen  gefunden  werden,  so  haben 
sie  denselben  Grund,  wie  die  Verschiedenheiten  der  aus  den  Dampf- 
dichten bestimmten  Molekulargewichte  eines  und  desselben  Stoffes:  sie 
liegen  in  Änderungen  des  chemischen  Zustandes,  Polymerisierungen  und 
Zersetzungen,  Die  verschiedenen  Lösungsmittel  wirken  auf  den  gelösten 
Stoff,  wie  verschiedene  Temperatur  und  verschiedener  Druck  auf  Dämpfe. 

Wenn  wir  also  an  dem  gelösten  Stoffe  auf  irgend  eine  Weise  die 
Grösse  pv  bei  einer  bekannten  Temperatur  bestimmen,  so  können  wir 
daraus  die  Stoffbaenge  berechnen,  welche  in  der  Gleichung  pv=:RT  die 
Konstante  R  auf  den  festgesetzten  Wert  von  8-31  X  10'  (S.  71)  bringt 
Darin  liegt  eine  Molekulargewichtsbestimmung  von  ganz  derselben  Ar^ 
wie  wenn  wir  bei  einem  Dampfe  die  für  die  Ausfiillung  der  Gleichung 
pv  =  RT  erforderüchen  Werte  des  Druckes,  des  Volums  und  d^ 
Temperatur  bestimmen.  ' 

Prüfen  wir  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  drei  Methoden  dtf 
Molekulargewichtsbestimmnng,  so  überzeugen  wir  uns,  dass  es  sich  in 
der  That  um  die  Ermittelung  derselben  drei  Grössen  auf  einem  meW 
oder  weniger  direkten  Wege  handelt.  Am  unmittelbarsten  ist  dies  bei 
der  Bestimmung  aus  dem  osmotischen  Druck  ersichtüch.  Der  Gehalt 
der  Lösung  am  gelösten  Stoffe  giebt  das  Volum,  der  Druck  und  die  Tem- 
peratur werden  unmittelbar  gemessen. 

Bei  den  beiden  anderen  Methoden  wird  die  Temperatur  unmittel*^ 
bar  gemessen,  das  Volum  aus  dem  Gehalt  berechnet.  Der  Druck  da- 
gegen wird  mittelbar  dadurch  bestimmt,  dass  man  die  (osmotische; 
Arbeit  berechnet,  welche  durch  eine  kleine  Konzentrationsänderung  der 
Lösung  hervorgebracht  wird,  und  die  angewandten  Formeln  ergeben  sidu 
wenn  man  diese  Arbeit  durch  die  anderen  in  Betracht  kommend^ 
Grössen,  insbesondere  die  Schmelz-  bez.  Verdampfongswärme  ausdrückli| 

Thatsächlich  ist  jeder  Druckmesser  oder  jedes  Manometer  ein  Apparal)| 
der  den  Druck  auf  solche  Weise  zu  bestimmen  gestattet.  Nehmen  wir  als  BeH 
spiel  ein  gewöhnUches  Quecksilbermanometer,  in  welchem  der  Druck  dm*ch  M 
Höhe  der  Quecksilbersäule  gemessen  wh-d.  Dass  diese  Höhe  dem  Drada^ 
proportional  ist,  liegt  daran,  dass  die  Arbeit  zur  Hebung  des  Quecksilber^ 
bei  einem  kleinen  Steigen  des  Manometers  gleich  ist  der  entsprechenden; 
Arbeit,  die  der  Druck  bei  der  gleichzeitigen  Änderung  des  Volums  im 
Manometer    leistet.     Es    kann   überhaupt    kein    Manometer    geben,    bei 


Übersicht.  213 

weldiem  nicht  durch  den  zu  messenden  Druck  eine  Volumänderung  be- 
wirkt und  daher. eine  Volumarbeit  geleistet  wird,  und  die  Theorie  jedes 
Manometers  beruht  auf  der  Gleichsetzung  dieser  Arbeit  mit  irgend  einer 
anderen,  durch  deren  Leistung  es  bethätigt  wird. 

Durch  die  Berechnung  der  Arbeit  bei  einer  Eonzentrationsänderung 
der  Lösung  erfahren  wir  also  den  Druck,  der  in  ihr  herrscht,  und  können 
die  dritte  Grösse  in  der  Gafigleichung  feststellen.  Daraus  folgt,  dass  jeder 
beliebige  Vorgang,  durch  welchen  eine  Änderung  im  Gehalte  einer 
Lösung  bewu*kt  wird,  die  Berechnung  des  osmotischen  Druckes  gestattet, 
vemi  man  nur  den  Vorgang  wenigstens  theoretisch  so  leiten  kann,  dass 
er  umkehrbar  ist,  und  man  also  den  Höchstwert  der  entsprechenden 
Arbeit  berechnen  kann.  Ein  jeder  derartiger  Vorgang  kann  also  auch 
als  Grundlage  einer  Methode  der  Molekulargewichtsbestimmung  dienen. 

Andererseits  kann  bei  bekanntem  Molekulargewicht  für  jeden  Vorgang, 
[weldier  die  Konzentration  einer  Lösung  ändert,  auf  Grund  der  osmo- 
tischen Gesetze  die  zugehörige  Arbeit  berechnet  werden.  Da  nach  dem 
«weiten  Hauptsatze  dieser  Arbeitsbetrag  unabhängig  von  dem  Wege  ist, 
auf  welchem  er  gewonnen  wird,  wenn  dieser  nur  umkehrbar  ist,  so  ist 
durch  die  Berechnung  der  osmotischen  Arbeit  auch  gleichzeitig  der  Be- 
trag irgend  einer  anderen  Energie  festgelegt,  die  in  Gestalt  von  Arbeit 
ans  dem  Gebilde  gewonnen  werden  kann,  wenn  die  Lösung  eine  be- 
kannte Änderung  der  Konzentration  (eines  oder  mehrerer  Stoffe)  erleidet. 
Daraus  ergeben  sich  dann  die  Gesetze  für  die  Umwandlung  der  chemischen 
Energie  in  die  anderen  Formen,  denn  die  chemischen  Vorgänge  lassen 
sieh  meist  darauf  zurückführen,  dass  in  einem  gegebenen  Räume  die  Menge, 
imd  damit  die  Konzentration  vorhandener  Stoffe  eine  Änderung  erleidet. 
Selbst  in  den  Fällen,  wo  unmittelbar  keine  Änderung  der  Konzentration 
fvorliegt,  wie  beim  Entstehen  und  Verschwinden  eines  festen  Stoffes,  ist 
es  möglich,  von  den  gleichen  Gesichtspunkten  aus  Gesetze  für  das  Ver- 
halten unter  solchen  Umständen  aufzustellen,  so  dass  die  Lehre  vom 
osmotischen  Druck  in  der  That  eine  fast  unübersehbare  Anwendung 
finden  kann. 

Diesem  weiten  Umfange  ihrer  Bedeutung  gegenüber  darf  nicht  ver- 
gessen werden,  dass  die  oben  abgeleiteten  Gesetze  nur  für  verdünnte 
Lösungen  gelten,  und  im  Falle  konzentrierterer  durch  verwickeitere  Ge- 
setze ersetzt  werden  müssen,  deren  Kenntnis  nur  in  geringem  Grade 
Torgeschritten  ist.  Thatsächlich  haben  wir  in  den  unmittelbaren  und 
mittelbaren  Beziehungen  aus  den  einfachen  Formeln  nur  Grenzgesetze, 
Äe  in  jedem  vorliegenden  Fall  eine  Untersuchung  darüber  verlangen, 
innerhalb  welcher  Gebiete  ihre  zahlenmässige  Anwendbarkeit  gesichert  ist. 


214  V.  Die  verdünnten  Lösungen. 

Siebentes  Kapitel. 
Salzlösiingen. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  weicht  eine  grosse  Gruppe  von  Stoffen, 
nämlich  die  Säuren,  Basen  und  Salze,  in  wässerigen  Lösungen  von  den 
einfachen  Gesetzen  ab.  Es  ist  dies  keine  Eigenschaft,  die  diesen  Stoffen 
als  solchen  immer  anhaftet,  denn  in  den  meisten  anderen  Lösungsmitteln 
verhalten  sie  sich  ganz  normal  und  lassen  genau  die  aus  den  Molekular- 
gewichten berechneten  Einflüsse  erkennen.  Ebenso  zeigt  das  Wass« 
anderen  Lösungsmitteln  gegenüber  keinerlei  Ausnahmestellung,  wenn  man 
indifferente  Stoffe  darin  löst.  Die  Ausnahme  tritt  nur  ein,  wenn  die 
erwähnten  Stoffe  in  Wasser  gelöst  werden,  und  ist  eiu  Ergebnis  der 
Wechselwirkung  beider  Faktoren^). 

Das  Molekulargewicht  der  genannten  Stoffe  ergiebt  sich,  wenn  man 
es  nach  einer  der  vorerwähnten  Methoden  an  ihren  wässerigen  Lösungen 
bestimmt,  stets  kleiner,  als  es  nach  der  chemischen  Formel  sein  sollte. 
Ist  M  das  der  Formel  entsprechende  Molekulargewicht,  und  M^  das  in 
wässeriger  Lösung  gefundene,  so  kann  man  M  =  iMw  setzen,  wo  i  eine 
Zahl  darstellt,  die  stets  grösser  als  Eins  ist  und  bis  4  oder  5  wachsen 
kann.  Dabei  ist  zu  beachten,  dass  die  verschiedenen  Methoden  an  ein 
und  derselben  Lösung  den  gleichen  Wert  für  i  geben  ^  eine  Lösung  von 
Ohlorkalium,  für  welche  i  nahezu  gleich  2  ist,  zeigt  nicht  nur  eine 
doppelt  so  grosse  Erniedrigung  des  Gefrierpunktes,  als  der  Formel 
entspricht,  sondern  auch  die  Verminderung  des  Dampfdruckes,  sowie  der 
osmotische  Druck  sind  in  ganz  demselben  Verhältnis  2:1  zu  gross. 
Die  Zahl  i  ist  daher  nicht  von  der  benutzten  Methode  abhängig,  sondern 
nur  von  der  Natur  des  gelösten  Stoffes,  und  einigermassen  von  der 
Konzentration  sowie  von  der  Temperatur. 

Es  ist  schon  oben  auf  die  Erklärung  dieser  Erscheinung  hingewiesen 
worden.  Man  muss  annehmen,  dass  die  fraglichen  Stoffe  in  ihren 
Lösungen  dissodiert,  d.  h.  in  Verbindungen  von  einfacherer  Zusammen- 
setzung gespalten  sind,  ähnlich  wie  Chlorammonium  in  Dampfgestalt 
dissociiert  ist.  Fi'eilich  handelt  es  sich  hier  um  eine  Dissociation  besonderer 
Art,  die  im  engsten  Verhältnis  zu  den  elektrischen  Eigenschaften  dieser 
Lösungen  steht,  und  die  weiter  unten  in  dem  Buch  über  Elektrochemie 
eingehender  erklärt  werden  wird.  Hier  soll  nur  betont  werden,  dass 
unter  Rücksichtnahme  auf  den  Faktor  i  auch  die  Lösungen  der  Salze, 


*)  Es  soll  schon  hier  erwähnt  werden,  was  später  sich  für  die  Theorie 
dieser  Erscheinung  als  von  entscheidender  Wichtigkeit  erweisen  wird:  dass 
nämlich  die  Lösungen,  welche  diese  Ausnahmestellung  ein- 
nehmen, und  nur  diese,  Elektrolyte  sind.  Beide  Eigenschaften  sind 
ausnahmslos  miteinander  verbunden.  Ausser  Wasser  haben  einige  andere 
Lösungsmittel,  wie  Aceton,  flüssiges  Ammoniak,  reine  Salpetersäure  die  gleiche 
Eigenschaft^  doch  meist  in  geringerem  Grade, 


Salzlösungen. 


215 


Säuren  und  Basen  sich  den  allgemeinen  Gesetzen  der  Lösungen  unter- 
ordnen. 

Mit  dieser  Thatsache  stimmt  auf  das  beste  das  gesamte  Verhalten 
der  Salzlösungen  überein.  Während  es  ein  charakteristisches  Kennzeichen 
der  chemischen  Verbindungen  ist;  dass  die  Eigenschaften  der  Bestandteile, 
ans  denen  sie  sich  bilden,  in  der  Verbindung  verschwunden,  oder  doch 
mehr  oder  weniger  verändert  sind,  zeigen  die  verdünnten  Lösungen  der 
Salze  im  Gegenteil  eine  auffällige  Unabhängigkeit  der  Eigenschaften  ihrer 
einzelnen  Bestandteile  von  der  Natur  der  anderen.  So  haben  alle  verdünnten 
Ijösungen  von  Nickelsalzen  dieselbe  grüne  Farbe;  eine  genauere  Unter- 
snchung  der  Farbstärke  zeigt  sogar,  dass  diese  gleich  ist,  wenn  gleiche 
Mengen  Nickel  vorhanden  sind,  unabhängig  davon,  mit  welcher  Säure 
das  Nickel  verbunden  ist.  Ebenso  kann  man  an  allen  löslichen  Bichromaten 
oder  Permanganaten  dieselbe  Färbung  beobachten,  und  die  Natur  des 
Metalles  hat  darauf  nicht  den  geringsten  Einfluss^). 

Was  hier  für  die  Farbe  gesagt  worden  ist,  findet  auf  alle  anderen 
Eigenschaften  der  Salzlösungen  Anwendung.  In  einer  noch  etwas  un- 
vollkommenen Gestalt  ist  diese  Thatsache  von  Valson  (1874)  an  den 
spezifischen  Gewichten  äquivalenter  Salzlösungen  beobachtet  und  in  das 
sogenannte  Gesetz  der  „Moduln"  gefasst  worden. 

Ordnet  man  die  spezifischen  Gewichte  verschiedener  Lösungen, 
welche  auf  gleich  viel  Wasser  äquivalente  Mengen  verschiedener  Salze 
enthalten,  in  eine  Tabelle  so  ein,  dass  alle  Salze  mit  gleicher  Basis  in 
je  eine  senkrechte,  alle  Salze  mit  gleicher  Säure  in  je  eine  wagerechte 
Keihe  kommen,  so  zeigen  sich  die  Unterschiede  entsprechender  Glieder 
der  Reihen  nach  beiden  Richtungen  konstant.  Daraus  geht  hervor,  dass 
das  spezifische  Gewicht  äquivalenter  Salzlösungen  sich  aus  zwei  Gliedern 
additiv  zusammensetzt,  von  denen  das  eine  nur  von  der  Säure,  das 
andere   nur  von  der  Basis  abhängt. 

Valson  wählte  eine  normale  Ghlorammoniumlösung  (53-5  g  im 
Liter),  deren  spezifisches  Gewicht  1«015  ist,  als  Ausgangspunkt,  und 
bestimmte  dazu  folgende  Addenden  (in  Einlieiten  der  dritten  Stelle) 
zur  Berechnung  der  spezifischen  Gewichte  der  anderen  Lösungen: 


Kalium 

30 

Eisen 

37 

Brom 

34 

Natrium 

25 

Zink 

41 

Jod 

64 

Calcium 

27 

Kupfer 

42 

Sulfate 

20 

Magnesium 

20 

Cadmium 

61 

Nitrate 

15 

Strontium 

55 

Blei 

103 

Carbonate 

14 

Baryum 

73 

SUber 

105 

BicArbonate 

16 

Mangan 

37 

Chlor 

0 

Um  z.  B.  die  Dichte    einer 

normalen 

Calciumnitratlösung    zu 

erhalten. 

hat  man  zu  1-015 

die 

Konstante  27 

ftir  Calcium  und  15  für 

Salpeter- 

')  Einige  scheinbare  Ausnahmen  werden  später  ihre  Erklärung  finden. 


216  ^-    ^i®  verdünnten  Lösungen. 

säure  zu  addieren,    woraus  sich    1*057  ergiefot,   nahe    übereinstimmend 
mit  dem  Versuche. 

Ausser  den  eben  erwähnten  Eigenschaften  haben  sich  bisher  auch 
alle  anderen,  die  man  daraufhin  untersucht  hat,  dem  gleichen  Gesetz 
unterworfen  gezeigt:  die  Eigenschaften  der  Salzlösungen  setzen  sich  ans 
zwei  Summanden  zusammen,  von  denen  der  eine  nur  von  dem  Metall 
(oder  dem  metallähnlichen  Radikal,  wie  Ammonium)  und  der  andere  nur 
Yon  dem  Halogen  oder  dem  entsprechenden  Radikal  abhängt 

Salze  verhalten  sich  mit  anderen  Worten  in  ihren  verdünnten  Lo- 
sungen so,  als  wären  ihre  Bestandteile  gar  nicht  verbunden;  denn  die 
Ändenmg  der  Eigenschaften,  die  ftlr  die  Thatsache  der  Verbindung 
charakteristisch  ist,  bleibt  hier  aus.  Nimmt  man  hierzu  die  andere  That- 
sache, dass  die  Salzlösungen ,  und  nur  diese,  nach  ihren  osmotischen 
Eigenschaften  auf  mehr  Molekeln  schliessen  lassen,  als  sich  aus  ihrer 
Formel  ergeben,  so  wird  man  zu  der  Annahme  geftihrt,  dass  dies  letztere 
thatsächlich  der  Fall  ist,  und  dass  in  den  verdünnten  wässerigen  Lö- 
sungen die  Salze  nicht  als  Verbindungen  enthalten  sind,  sondern  nur  in 
ihren  Bruchstücken. 

Welches  sind  nun  diese  Bruchstücke? .  Die  Antwort  ist  unzweifel- 
haft in  solchen  Fällen,  wo  die  Salze  nur  aus  zwei  Elementen  bestehen. 
Die  Bruchstücke  des  Chlomatriums  können  nur  Chlor  und  Natrium,  oder 
Verbindungen  dieser  Elemente  mit  dem  Lösungswasser  sein^).  Nun 
zeigen  die  Lösungen  des  Chlomatriums  allerdings  keine  von  den  Eigen- 
schaften des  elementaren  Chlora;  doch  sind  wir  auch  gar  nicht  berechtigt, 
dies  in  der  Lösung  anzunehmen.  Denn  dies  Chlor  hat  das  durdi  die 
Formel  Cl*  bezeichnete  Molekulargewicht  von  71,  während  das  Molekular- 
gewicht des  in  Chlomatriumlösung  anzunehmenden  Chlors  nicht  anders, 
als  durch  die  Formel  Cl  dargestellt  werden  kann,  da  sein  Zahlenwert 
35*5  ist  Wenn  also  wirklich  elementares  Chlor  in  der  Chlomatrium- 
lösung enthalten  ist,  so  muss  es  eine  allotrope  Form  des  gewöhnlichen 
Chlors  sein. 

Ähnliche  Überlegungen  sind  ftir  den  anderen  Bestandteil  des  Chlor- 
natriums anzustellen;  das  in  den  Lösungen  enthaltene  Natrium  hat  nicht 
die  Eigenschaften  des  gewöhnlichen  metallischen  Natriums,  und  wir  be- 
trachten es  gleichfalls  als  eine  allotrope  Form  desselben. 


^)  Man  hat  gelegentlich  angenommen,  dass  die  Bruchstücke  sich  mit 
dem  Wasser  so  umsetzen,  dass  statt  des  Chlors  und  Natriums  beispielsweise 
Chlorwasserstoff  und  Natriumhydroxyd  vorhanden  sind.  Eine  solche  Annahme 
widerspricht  den  Thatsachen,  denn  wenn  man  Lösungen  dieser  beiden  Stoffe 
mit  einander  yermischt,  so  erfolgt  eine  bedeutende  Wärmeentwickelnng,  eine 
Yolumänderung  und  eine  Reihe  anderer  Erscheinungen,  welche  beweisen,  dass 
beide  Stoffe  nicht  unverändert  nebeneinander  bestehen  können,  sondern  auf- 
einander' chemisch  einwirken. 


Salzlösungen.  217 

Hieraus  ergeben  sich  die  Formeln  der  Bestandteile  zusammenge- 
setzterer Salze  durch  Analogie.  Natriumverbindungen  irgend  welcher 
Art  können  als  einen  Bestandteil  nur  dies  allotrope  Natrium  enthalten^ 
und  der  andere  Bestandteil  ist  demnach  das^  was  ausser  dem  Natrium 
im  Salze  enthalten  ist.  Das  gleiche  gilt  für  die  Chloride.  Es  schliessen 
sich  also  dem  allotropen  Chlor  die  Atomgruppen  NO^  der  Nitrate, 
SO*  der  Sulfate,  ClO^  der  Chlorate,  CIO*  der  Perchlorate  an,  während 
andererseits  das  Ammonium  NH*  und  die  analogen  metallähnlichen 
Radikale  dieselbe  Rolle  spielen,  wie  das  Natrium.  Um  einen  kurzen 
Namen  für  diese  Stoffe  zu  haben,  nennen  wn»  sie  Ionen  ^),  und  zwar 
die  dem  Natrium  analogen  Ionen  Kationen,  die  dem  Chlor  analogen 
Anionen. 

Gegen  die  Annahme  dieser  Bestandteile  kann  man  das  Bedenken 
geltend  machen,  dass  sie  nie  för  sich  dargestellt  worden  sind,  und  ihre 
Existenz  daher  ganz  hypothetisch  ist  Die  Antwort  ist  einerseits,  dass 
die  elektrischen  Eigenschaften,  welche  diese  Bestandteile  oder  Ionen  er- 
fahrungsmässig  zeigen,  mit  Notwendigkeit  die  Unmöglichkeit  ergeben, 
sie  emzeln  in  solcher  Menge  anzuhäufen;  dass  sie  flir  sich  untersucht 
werden  können;  vielmehr  können  sie  wegen  dieser  Eigenschaften  immer 
nur  so  beobachtet  werden,  dass  chemisch  äquivalente  Mengen  Anionen 
und  Kationen,  gleichgültig  in  welcher  Zusammenstellung,  in  einer  ge- 
gebenen Lösung  gleichzeitig  anwesend  sind. 

Andererseits  aber  kann  man  antworten,  dass  die  Existenz  dieser 
Ionen  dadurch  gesichert  ist,  dass  sie  besondere  Eigenschaflien  aufweisen, 
als  deren  Summe  die  Eigenschaften  der  Salzlösungen  erscheinen.  Am 
deutlichsten  werden  diese  Verhältnisse  aus  den  Thatsachen,  die  der  ana- 
lytischen Chemie  zu  Grunde  liegen.  Hier  giebt  es  kaum  Reaktionen  auf 
einzelne  Salze,  sondern  fast  nur  solche  auf  Ionen.  Baryumchlorid  ist  z.  B. 
kein  Reagens  auf  Natriumsulfat  oder  Schwefelsäure,  sondern  eines  auf 
das  Ion  SO*,  denn  alle  beliebigen  Salze,  in  denen  dieses  vorkommt,  geben 
mit  Baryumchlorid  einen  Niederschlag.  Ebenso  ist  Schwefelsäure,  oder 
vielmehr  irgend  ein  das  Ion  SO*  enthaltendes  Salz  ein  Reagens  auf 
das  Ion  Ba,  denn  jedes  Baryumsalz  giebt  mit  Schwefelsäure  oder  einem 
beliebigen  anderen  Sulfat  den  Niederschlag.  Diese  Beispiele  Hessen  sich 
ins  Unbegrenzte  vermehren*). 

Wir  werden  daher  in  der  Folge  die  Salzlösungen  als  binäre  Ge- 
mische ihrer  Ionen  betrachten.  Eine  grosse  Zahl  späterer  Erörterungen 
wird  zeigen,  dass  ausser  den  Thatsachen,  die  sich  um  den  osmotischen 
Druck   und    die   daraus    bestimmten  Molekulargewichte,   um    die  physi- 


*)  Die  Bezeichnung  rührt  von  ihren  elektrischen  Eigenschaften  her,  die 
weiter  unten  erläutert  werden  sollen. 

*)  Ausführliches  hierüber  findet  sich  in  des  Verfassers  Wissenschaftlichen 
Grundlagen  der  analytischen  Chemie,  2.  Aufl.  Leipzig  1897. 


218  ^-    Systematik. 

kaiischen  Eigenschaften  und  um  die  analytischen  Reaktionen  gruppieren 
lassen^  auch  die  elektrochemischen  Verhältnisse  und  die  chemisehen 
Gleichgewichte  der  Salzlösungen  nicht  nur  die  gleiche  Auffassung  ge- 
statten, sondern  sie  als  die  einzig  durdifuhrbare  fordern. 


Sechstes  Buch. 

Systematik. 

Erstes  Kapitel. 
Die  Wahl  der  Verbindungsgewichte. 

Durch  die  Analyse  geeigneter  Verbindungen  der  Elemente  ergeben 
sich  deren  Verbindungsgewichte  nicht  eindeutig.  Denn  es  werden  da- 
durch zwar  die  Zahlen  festgestellt,  nach  welchen  sich  die  Elemente 
vereinigen  können;  aber  ausser  diesen  Zahlen  treten  noch  die  durch 
das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  bedingten  rationalen  Faktoren 
auf,  und  über  deren  Festsetzung  ergeben  die  stöchiometrischen  Grund- 
gesetze keine  Auskunft. 

Es  ist  mit  anderen  Worten  durch  den  Nachweis,  dass  mit  16  Teilen 
Sauerstoff  sich  einerseits  1008  Wasserstoff,  andererseits  12-00  Kohlen- 
stoff verbinden  können,  zwar  auch  festgestellt  worden,  dass  sich  Wasser- 
stoff und  Kohlenstoff  nur  in  dem  Verhältnis  mX  1-008  zu  nX  12-00 
verbinden  können,  wo  m  und  n  ganze  Zahlen  sind;  aber  diese  Forderung 
kann  auch  erfüllt  werden,  wenn  statt  der  Zahlen  1-008  und  1200 
irgend  ein  rationales  Vielfaches  oder  ein  rationaler  Bruchteil  davon  der 
Rechnung  zu  Grunde  gelegt  wird. 

Wenn  alle  Elemente  sich  untereinander  nur  in  einem  Verhältnis 
vereinigten,  so  könnte  man  diesen  Zweifel  dadurch  vermeiden,  dass  man 
als  Verbindungsgewichte  eben  die  Werte  wählte,  die  diese  Verhältnisse 
ausdrücken;  dann  würde  jede  Verbindung  immer  je  ein  Verbindungsge- 
wicht der  darin  vorhandenen  Elemente  enthalten.  Dies  ist  aber  nicht 
der  Fall;  vielmehr  besagt  das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen,  dass 
diese  Verhältnisse  verschieden  sein  können,  und  die  Erfiahrung  lehrt,  dass 
sie  es  in  der  tiberwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  auch  sind. 

Es  liegt  hier  somit  noch  eine  Unbestimmtheit  vor,  und  die  Lehre 
von  den  Verbindungsgewichten  ist  in  der  Lage,  noch  weitere  Beziehungen 
suchen  zu  müssen,  um  die  hier  vorhandene  unerwünschte  Freiheit  so 
einzuschränken,  dass  eine  eindeutige  Bestimmung  der  „richtigen",  d.  h. 
der  zweckmässigsten  Verbindungsgewichte  möglich  wird. 

Die  mit  dem  Gesetz  der  Verbindungsgewichte  in  unmittelbarer  Be- 
ziehung stehende  Atomhypothese  hat  dieses  weitere  Bestimmungsstück  nicht 


Die  Wahl  der  Verbindangsgewichte.  219 

liefern  können.  Zwar  verlangt  sie  auch,  dass  unter  den  möglichen  Verbindungs- 
gewichten nur  eines  das  Atomgewicht  sein  könne;  sie  giebt  aber  kein  unab- 
hängiges Kriterium  för  die  Bestimmung  dieses  Wertes  an  die  Hand. 

Ein  erster  Versuch  zur  Gewinnung  der  Entscheidung  wurde  von 
Berzelius  auf  Grund  des  Gesetzes  von  Gay-Lussac  über  die  Beziehungen 
zwischen  Gasdichte  und  Verbindungsgewicht  gemacht.  Sind  die  Dichten 
der  gasförmigen  Elemente  den  Verbindungsgewichten  oder  einfachen 
rationalen  Multiplen  derselben  proportional,  so  hat  man  die  Möglichkeit, 
beide  unmittelbar  proportional  zu  setzen,  und  so  eine  eindeutige  Wahl 
zu  treffen.     In  der  That  stellte  Berzelius  zuerst  dies  Prinzip  auf. 

Er  musste  es  indessen  bald  aufgeben.  Denn  wenn  auch  die 
Elemente  sich  auf  diese  Weise  betrachten  Hessen,  so  war  es  bei  ihren 
Verbindungen  nicht  mehr  möglich,  ausser  man  verletzte  den  Grund- 
satz, dass  das  Verbindungsgewicht  des  zusammengesetzten  Stoffes  gleich 
der  Summe  der  Verbindungsgewichte  der  Elemente  sein  müsse.  Die  hier 
auftretenden  Schwierigkeiten  sind  bereits  (S.  65)  dargelegt  worden. 
Sie  haben  sich  durch  die  Entwickelung  eines  diesen  Verhältnissen  ange- 
passten  neuen  Begrifis,  des  Molekulargewichts,  heben  lassen,  doch  ge- 
hört diese  Entwickelimg  erst  einer  späteren  Zeit  an. 

Berzelius,  der  um  jene  Zeit  der  fiihrende  Forscher  auf  diesem  Ge- 
biete war,  musste  sich  daher  mit  weniger  unzweideutigen  Grundlagen  be- 
gnügen. Er  fand  sie  in  den  Prinzipien  der  Einfachheit  und  Ähnlich- 
keit, die  er  für  die  Formulierung  der  chemischen  Verbindungen  anstrebte. 

Es  wurden  demgemäss  die  Verbindungsgewichte  so  bestimmt,  dass 
die  bekanntesten  und  wichtigsten  Verbindungen  möglichst  einfache  Formeln 
erhielten.  Alsdann  wurde  dafür  gesorgt,  dass  die  Formeln  solcher  Stoffe, 
welche  sich  chemisch  ähnlich  verhalten,  übereinstimmende  Gestalt  er- 
hielten. So  giebt  das  Eisen  zwei  Sauerstoffv^erbindungen,  welche  auf 
56  g  Eisen  16  und  24  g  Sauerstoff  enthalten.  Die  einfachste  Annahme 
ist,  dass  in  dem  ersten  Oxyd  gleiche  Atome  Eisen  und  Sauerstoff  ent- 
halten seien,  im  zweiten  auf  zwei  Atome  Eisen  drei  Atome  Sauerstoff. 
Nähme  man  nämlich  für  das  zweite  Oxyd  das  Atomverhältnis  1:1  an, 
so  müssten  im  ersten  auf  drei  Atome  Eisen  zwei  Atome  Sauerstoff  ent- 
halten sein,  was  Berzelius  weniger  einfach  erschien.  Denn  wenn  auch 
die  Formebi  der  Eisenverbindungen  selbst  durch  die  getroffene  Wahl 
nicht  einfacher  wurden,  so  giebt  es  doch  eine  grosse  Anzahl  von  anderen 
Oxyden,  welche  dem  niederen  Oxyd  des  Eisens  ähnlich  sich  verhalten, 
und  in  denen  nach  dem  zweiten  Grundsatze  somit  auch  überall  drei 
Atome  Metall  und  zwei  Atome  Sauerstoff  angenommen  werden  müssten. 
Andererseits  erteilte  Berzelius  dem  Aluminiumoxyd  die  Formel  Al^O^, 
welche  zwar  weniger  ein&ch  ist,  als  die  Formel  AlO,  und  auch  durch 
keine  andere  Verbindung  von  Aluminium  und  Sauerstoff  notwendig  ge- 
macht wird,  nur  aus  dem  Grunde,  weil  das  Aluminiumoxyd  in  seinen 
Yerbindungsverhältnissen  die  grösste  Ähnlichkeit  mit  dem  Eisenoxyd  hat. 


220  ^-   Systematik. 

Trotz  der  Unbestimmtheit  dieser  Gnmdlagen  hat  Berzelins  mit  ihrer 
Hilfe  ein  System  der  Verbindungsgewichte  geschaffen ;  welches  in  der 
Zukunft  nur  eine  wesentliche  Änderung  erfahren  hat:  die  Halbienmg  der 
Verbindungsgewichte  der  Alkalimetalle^  welche  Berzelius  denen  der  Erd- 
alkalimetalle  äquivalent  angenommen  hatte. 

Ein  unabhängiges  Mittel  f^  die  Wahl  schien  sich  dann  durdi  die 
Entdeckung  von  Dulong  und  Petit  über  die  Wärmekapazität  der  ele- 
mentaren Stoffe  (S.  188)  zu  ergeben.  Aber  ein  besonderes  Missgeschiek 
vereitelte  zunächst  diese  Hilfe.  Unter  den  mitgeteilten  Messungen  be- 
fanden sich  auf  Kobalt  und  Tellur  bezügliche,  nach  denen  die  unzweifel- 
haft vorhandene  chemische  Ähnlichkeit  des  ersteren  mit  dem  Nickel  und 
des  anderen  mit  dem  Schwefel  nicht  hätte  in  der  Formel  zum  Ausdruck 
kommen  können.  Es  lag  dies  daran,  dass  die  Messungen  an  unreinen 
Stoffen  ausgeführt  worden  waren;  da  sie  indessen  einstweilen  nidit 
wiederholt  wurden,  war  Berzelius  ganz  im  Eecht^  wenn  er  die  Annahme 
der  aus  diesem  Prinzip  sich  ergebenden  Schlüsse  für  unzulässig  vom 
chemischen  Standpunkte  aus  erklärte. 

Die  Entdeckung  der  Isomorphie  gewährte  (S.  180)  ein  weiteres 
wertvolles,  weil  objektives  Kennzeichen  der  chemischen  Ähnlichkeit  Die 
Verbindungsgewichte  waren  so  zu  wählen,  dass  die  Formeln  isomorpher 
chemischer  Verbindungen  die  gleiche  Gestalt  erhielten. 

Dies  Mittel  bestätigte  überall  die  von  Berzelius  getroffenen  Ent- 
scheidungen, war  aber  zunächst  nur  innerhalb  engerer  Grenzen  anwend- 
bar und  wurde  bei  seiner  weiteren  Anwendung  dadurch  vielfach  behindert, 
dass  die  Methoden  zum  Nachweis  des  wirklichen  Isomorphismus  und  zu 
seiner  Unterscheidung  von  zufölügen  Übereinstimmungen  der  Winkel 
sich  nur  langsam  entwickelten. 

Durch  das  weit  verbreitete  Handbuch  von  Gmelin  kam  dann  eine 
Auswahl  von  Verbindungsgewichten  in  ausgedehnte  Annahme,  welche 
zwar  mit  dem  Ansprüche  aufgestellt  waren,  dass  sie  blosse  Äquivalent- 
gewichte darstellten;  doch  sind  sie  thatsächlich  nur  eine  recht  zweck- 
mässige Wahl  aus  den  verschiedenen  durch  das  Gesetz  der  multiplen 
Proportionen  gegebenen  Äquivalenten,  da  ja  eine  eindeutige  Bestimmung 
derselben  nicht  möglich  ist. 

Durch  die  in  den  vierziger  Jahren  erfolgende'  Entwickelung  der 
organischen  Chemie  erfolgte  gleichzeitig  eine  Ausgestaltung  des  Molekular- 
begriffes, durch  weldien  ein  unabhängiges  Mittel  gefanden  wurde,  zwar 
nicht  die  Verbindungsgewidite  der  Elemente,  wohl  aber  die  Molekular- 
grösse  der  Verbindungen  festzustellen.  Die  Verbindungsgewichte  der 
Elemente  mussten  dann  so  bemessen  werden,  dass  keine*  Bruchteile  in  den 
Formeln  auftraten.  Dadurdi  war  wenigstens  eine  obere  Grenze  für  sie 
festgelegt.  Eine  untere  Grenze  ergab  sich  daraus,  dass  man  die  Ver- 
bindungsgewichte  so  gross  nahm,  als  es  nur  ohne  Verletzung  jener 
Forderung  mögUch  war.     Die  hieraus  sich    ergebenden  Verbindungsge- 


Die  Wahl  der  Yerbindungsgewichte.  221 

widbte  der  Elemente  wurden  insbesondere  von  Gerhardt  und  seiner 
Schule  angewendet. 

In  diese  Verwirrung  hinein  kam  eine  Abhandlung  von  Canizzaro 
(1858)^  in  welcher  gezeigt  wurde,  dass  alle  die  bisher  benutzten  Grund- 
lagen für  die  Wahl  der  Yerbindungsgewichte  bei  angemessener  An- 
wendung zu  gleichen  Ergebnissen  führen.  Das  Gesetz  von  Dulong  und 
Petit  war  durch  die  inzwischen  mitgeteilten  genaueren  Bestimmungen 
von  Regnault  durchführbar  geworden  (ausser  fQr  die  Elemente  mit 
kleinem  Yerbindungsgewicht),  und  die  Grundsätze  der  Einfachheit  und 
Ähnlichkeit  Hessen  sich  unter  gleichzeitiger  Befriedigung  der  Forderungen 
der  Molekulartheorie  wahren. 

So  wurde  es  möglich  gemacht,  eine  einwurfsfreie  Wahl  zwischen 
den  möglichen  Yerbindungsgewichten  zu  treffen,  welche  von  der  Wissenschaft 
jetzt  ausnahmslos  angenommen  worden  ist.  Auch  die  inzwischen  ent- 
deckten neueren  Hil&mittel  haben  nur  zur  Bestätigung  dieses  Systems 
gedient 

In  der  nadistehenden  Tabelle  sind  die  Gründe  kurz  zusammenge- 
stellt, welche  zu  den  gegenwärtig  gebräuchlichen  Annahmen  bei  den 
emzelnen  Elementen  geführt  haben. 

Wasserstoff,  H=1008,  dient  als  Ausgangspunkt. 

Sauerstoff,  0=16,  aus  dem  Yolum Verhältnis  zum  Wasserstoff 
1:2  bei  der  Wasserbildung;  aus  der  Gleichheit  der  Atomwärme  mit 
Wasserstoff  im  Gaszustande. 

Stickstoff,  N=  14*04,  aus  dem  Yolumverhaltnis  zum  Wasserstoff 
1:3  bei  der  Yerbindung  zu  Ammoniak,  und  zum  Sauerstoff  bei  den 
entsprechenden  Yerbindungen;  aus  der  Gleichheit  der  Atomwärmen  mit 
gasförmigem  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Kohlenstoff,  G  =  12.  Aus  den  Dampfdichten  organischer  wie 
anorganischer  Yerbindungen  hat  sich  nie  ein  kleineres  Molekulargewicht 
derselben,  als  dem  Atomgewicht  0=12  entspricht,  ergeben.  Die  spe- 
zifische Wärme  giebt  nur  unsichere  Anhaltspunkte. 

Chlor,  01  =  35-45.  Aus  dem  Yolumverhaltnis  1:1  bei  der  Yer- 
bindung mit  Wasserstoff;  aus  den  Yolumverhältnissen  der  Sauerstoffver- 
bindungen. 

Brom,  Br=  79-96,  und  Jod,  J  =  126-86,  sind  in  ihren  Yer- 
bindungen dem  Chlor  vollkommen  analog,  auch  isomorph. 

Fluor,  F=190,  ist,  einigermassen  unsicher,  aus  der  Analogie 
mit  den  Chlorverbindungen  bestimmt  worden.  In  neuerer  Zeit  ist  der 
Wert  durch  die  Gasdichte  des  Fluors  bestätigt  worden. 

Schwefel,  S=3206,  aus  der  Dampfdichte,  den  Yolumverhält- 
nissen des  Schwefelwasserstoffs,  sowie  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Selen,  Se  =  79-1,  ist  isomorph  und  analog  mit  Schwefel. 

Tellur,  Te  =  127-3,  ist  isomorph  und  analog  mit  Schwefel  und  Selen. 

Phosphor,  P  =  31-0,  aus  der  spezifischen  Wärme  (etwas  unsicher). 
Aus  der  Dampfdichte  des  Elementes  selbst  wäre  zunächst  ein  doppelt  so 


222  VI.    Systematik. 

grosser  Wert  zu  folgern  gewesen,  doch  widerspricht  dem  die  Gasdichte 
des  Phosphorwasserstofls,  aus  welcher  P  =  31  folgt.  . 

Arsen,  As  =  75,  aus  der  spezifischen  Warme,  der  Gasdichte  des 
Trichlorids  und  dem  Isomorphismus  mit  Phosphor. 

Silicium,  Si  =  28-4.  Die  spezifische  Wärme  giebt  nur  unsichere 
Auskunft.  Dagegen  wird  die  Zahl  durch  die  Dampfdichte  des  Tetra- 
chlorids, sowie  durch  den  Isomorphismus  mit  Titan  und  Zirconium  sicher 
gestellt. 

Bor,  B  =  110,  aus  den  flüchtigen  Borverbindungen. 

Lithium,  Li  =  7-03,  aus  der  spezifischen  Wärme,  die  ausnahms- 
weise trotz  des  kleinen  Atomgewichtes  normal  ist. 

Natrium,  Na  =  23*06,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Kalium,  K  =  39-14,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Rubidium,  Rh  =  85-4,  ist  isomorph  mit  Kalium. 

Cäsium,  Gs=132'9,  ist  isomoiph  mit  Kalium  und  Rubidium. 

Beryllium,  Be  =  90-8.  Dies  Element  hat  grosse  Schwierigkeiten 
gemacht.  Die  spezifische  Wärme  ist,  entsprechend  dem  kleinen  Atom- 
gewicht, sehr  klein,  und  ein  imzweifelhafter  Isomorphismus  ist  auch  nicht 
nachgewiesen.  Schliesslich  hat  eine  Bestimmung  der  Dampfdichte  des 
Berylliumchlorids  die  Entscheidung  gebracht. 

Magnesium,  Mg  =  24.36,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Calcium,  Ca  =  40,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Strontium,  Sr=87-6,  ist  isomorph  mit  Calcium  und  Blei. 

Baryum,  Ba=1374,  isomorph  mit  Calcium,  Strontium  und  Blei. 

Aluminium,  AI  =  27.  Aus  der  Dampfdichte  des  Chlorids ,  wie 
aus  der  spezifischen  Wärme. 

Gallium,  Ga=69'9.  Dampfdichte  flüchtiger  Verbindungen,  spezi- 
fische Wärme  und  Isomorphismus  mit  Aluminium  fuhren  zu  gleichen  Werten. 

Scandium,  Sc  =  44-1,   aus  dem  Isomorphismus  mit  Aluminium. 

Cer,  Ce=140,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Lanthan,  La  =138-5,  auf  gleiche  Weise. 

Praseodym,  Pr  =  140-4  und  Neodym,  Nd  =  143-6  sind  im 
reinen  Zustande  nicht  auf  ihre  spezifische  Wärme  untersucht  worden. 
Doch  gehen  aus  der  entsprechenden  Messung  an  dem  früher  Didym 
genannten  Gemisch  die  angegebenen  Atomgewichte  sicher  hervor. 

Yttrium,  Ytterbium  und  die  anderen  Erdmetalle  aus  der  Analogie, 
resp.  dem  Isomorphismus  mit  Cer,  Lanthan  und  den  Didymen. 

Eisen,  Fe  =56-0,  aus  der  Dampfdichte  der  Chlorverbindung,  der 
spezifischen  Wärme  und  dem  Isomorphismus  mit  Calcium. 

Kobalt,  Co  =  59,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  dem  Isomor- 
phismus mit  Eisen  u.  s.  w. 

Nickel,  Ni  =  58-7,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  dem  Isomor- 
phismus mit  Eisen  u.  s.  w. 

Zink,  Zn  =  65-4,  aus  der  spezifischen  Wärme,  dem  Isomorphismus 
mit  Magnesium  und  der  Dampfdichte  des  Metalls  wie  der  Chlorverbindung. 


Die  Wahl  der  Verbindungsgewichte.  223 

Cadmium,  Cd  =  112-1;  aus  der  spezifischen  Wärme  und  der 
Dampfdichte. 

Kupfer,  Cu  =  63-6,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  dem  Iso- 
morphismus mit  Eisen  u.  s.  w. 

Silber,  Ag=  107*9,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  dem  Iso- 
morphismus mit  Natrium. 

Quecksilber,  Hg  =  200-3,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  der 
Dampfdichte  des  Metalls  sowie  seiner  Halogenverbindungen. 

Blei,  Pb  =  206-9,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  der  Dampf- 
dichte des  Chlorids.     Isomorph  mit  Calcium  u.  s.  w. 

Thallium,  Tl  =  204-1,  aus  der  spezifischen  Wärme,  dem  Iso- 
morphismus mit  Kalium,  Cäsium,  Rubidium,  sowie  der  Dampfdichte  des 
Chlortirs. 

Titan,  Ti=48-1,  aus  der  Dampfdichte  des  Chlorids  und  dem 
Isomorphismus  mit  Silicium  und  Zinn. 

Zirconium,  Zr  =  90-6,  aus  der  Dampfdichte  des  Chlorids  und 
dem  Isomorphismus  mit  Silicium,  Titan  und  Zinn. 

Zinn,  Sn  =  118-5,  aus  der  spezifischen  Wärme,  der  Dampfdichte 
des  Chlorids  und  dem  Isomorphismus  mit  Silicum,  Titan  und  Zirconium. 

Thorium,  Th  =  232-4,  aus  der  spezifischen  Wärme  und  dem  Iso- 
morphismus mit  Zirconium. 

Vanadium,  Vd  =  51-3,  aus  der  Dampfdichte  des  Chlorids  und 
Oxychlorids  und  dem  Isomorphismus  mit  Phosphor  und  Arsen. 

Niobium,  Nb=94-2,  aus  der  Dampfdichte  von  Chloriden  und 
Oxychloriden. 

Tantal,  Ta=183,  aus  der  Dampfdichte  flüchtiger  Chlorverbin- 
dungen. 

Antimon,  Sb=  120-3,  aus  der  spezifischen  Wärme,  der  Dampf- 
dichte des  Chlorids  u.  s.  w.  und  der  Analogie  mit  Arsen. 

Wismut,  Bi  =  208-5,  aus  der  spezifischen  Wärme,  der  Dampf- 
dichte der  Chlorverbindung  und  der  Analogie  mit  Arsen  und  Antimon. 

Chrom,  Cr=52-1,  aus  der  spezifischen  Wärme,  der  Dampfdichte 
flüchtiger  Verbindungen  und  dem  Isomorphismus  mit  Eisen,  Schwefel  u.a. 

Molybdän,  Mo  =  96-0,  aus  der  spezifischen  Wärme  (zweifelhaft), 
der  Dampfdichte  flüditiger  Verbindungen  und  dem  Isomorphismus  mit 
Chrom. 

Wolfram,  W=184,  aus  der  spezifischen  Wärme,  der  Dampf- 
dichte der  Chlorverbindungen  und  der  Analogie  mit  Chrom  und  Molybdän. 

Gold,  Au  =197-2,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Platin,  Pt=  194-8,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Iridium,  Ir=  193-2,  aus  der  spezifischen  Wärme. 

Osmium,  Os  =  192 

Palladium,      Pd  =  106      ^  desgleichen. 
Rhodium,        Rh  =  103      '        ^ 
Ruthenium,    Ru  =  101-7 


224  VI.   Systematik. 

Zu  mancherlei  Erörterungen  haben  die  in  den  letzten  Jahren  ent- 
deckten seltenen  Gase  Argon,  Helium  und  ihre  Verwandten  Anlass  ge- 
geben. Da  keine  definierten  chemischen  Verbindungen  von  ihnen  be- 
kannt sind,  ist  man  auf  die  Gasdichte  angewiesen,  welche  nur  einen 
höchsten  V7ert  geben  kann,  da  die  Molekulargewichte  dieser  Elemente 
ja  Vielfache  ihrer  Atomgewichte  sein  können.  Das  einzige  ausserdeni 
vorhandene  Hilfsmittel  ist  das  Verhältnis  der  spezifischen  Wärmen, 
welches  beim  Quecksilberdampf  eine  mit  den  Forderungen  der  kinetischen 
Hypothese  übereinstimmende  Entscheidung  über  die  Beschaffenheit  des 
Dampfes  gegeben  hatte  (S.  95).  Bei  diesen  Gasen  zeigt  sidi  das  Ver 
hältnis  der  spezifischen  V^ärmen  gleich  dem  beim  Quecksilberdampf  zu 
1-667.  Wenn  man  auch  der  kinetischen  Hypothese  keine  entsdieidende 
Stimme  wird  zuschreiben  wollen,  so  liegt  doch  in  diesem  Ergebnis  mt 
nicht  zu  übersehende,  von  allen  Hypothesen  unabhängige  Analogie  mit 
dem  Quecksilberdampf  vor,  dass  eine  entsprechende  Formulierung  ge- 
rechtfertigt erscheint,  wenn  andere  Anhaltspunkte  fehlen.  Nun  hat  sLdi 
durch  die  Entdeckung  des  Neons  in  der  That  ein  solcher  weiterer  An- 
haltspunkt auf  Grund  des  periodischen  Gesetzes  gefunden  (s.w.u.),  und 
die  Wahl  He  =  4,  Ar  =  40  u.  s.  w.  erscheint  gerechtfertigt 

In  der  vorstehenden  Tafel  sind  nur  die  wesentlichsten  Momente 
zusammengestellt;  eine  grosse  Anzahl  weiterer  bestätigender  Beziehungen 
hat  keine  Erwähnung  finden  können. 


Zweites  Kapitel. 
Das  periodisohe  Gesetz. 

Die  umfassendste  Bestätigung,  welche  die  Angemessenheit  der  vor- 
stehend bestimmten  Verbindungsgewichte  gefunden  hat,  bilden  die  gesetz- 
mässigen  Beziehungen,  welche  sich  herausstellen,  wenn  man  die  Elemente 
nach  der  Grösse  dieser  Verbmdungsgewichte  ordnet  Dieselben  sind  kurz 
schon  oben  (S.  48)  angedeutet  worden.  Sie  bilden  gegenwärtig  neben 
den  fiiiher  erwähnten  Mitteln  ein  weiteres  von  grösster  Bedeutung,  nm 
aus  den  möglichen  Verbindungsgewichten  das  angemessenste  zu  bestimmen, 
und  haben  in  vielen  Fällen,  wo  die  anderen  Methoden  versagt  oder  nicht 
deutiich  genug  gesprochen  hatten,  die  Entscheidung  gegeben. 

Es  sollen  hier  zur  Ergänzung  des  fiHher  Gesagten  noch  einige 
Zusammenstellungen  von  Eigenschaften  der  Elemente,  sowie  ihrer  Ver- 
bindungen in  Bezug  auf  das  periodische  Gesetz  mitgeteilt  werden. 
Derartige  Forschungen  sind  ausser  von  den  Entdeckern  L.  Meyer  nnd 
D.  Mendelejew  noch  insbesondere  von  Th.  Camelley  angestellt  worden, 
und  man  kann  in  der  That  jetzt  sagen,  dass  fast  jede  gut  definierte 
und  vergleichbare  Eigenschaft  eine  periodische  Funktion  der  Verbin- 
dungsgewichte  ist 


Das  periodische  Gesetz.  225 

Über  die  chemischen  Eigenschaften  ist  bereits  früher  das  Nötige 
gesagt  worden.  Von  den  physikalischen  Eigenschaften,  zunächst  der 
freien  Elemente,  zeigt  die  periodische  Änderung  am  deutlichsten  das 
Atomvolum,  worauf  zuerst  L.  Meyer  hingewiesen  hat.  In  der  um- 
stehenden Fig.  31  sind  die  Verbindungsgewichte  in  horizontaler  Linie  als 
Absdssen,  die  Atomvolume  vertikal  als  Ordinaten  eingetragen,  und  die 
Endpunkte  sind  durch  die  starke  Linie  verbunden.  Wie  man  sieht,  er- 
scheint diese  Linie  als  eine  Reihe  von  immer  grösser  werdenden  Wellen 
und  bringt  die  Periodizität  auf  das  Deutlichste  zur  Geltung.  Die 
Elemente  von  ähnlichen  chemischen  Eigenschaften  befinden  sich  stets  an 
ähnlichen  Orten  der  Wellenlinien;  so  nehmen  die  stark  basischen  Alkali- 
metalle überall  den  Gipfel  ein,  während  unmittelbar  vor  ihnen  die  stark 
saurebildenden  Halogene  ihren  Platz  gefunden  haben.  Nach  ihnen,  in 
den  nach  rechts  absteigenden  Teilen  der  Wellen  liegen  die  Erdalkali- 
metalle, die  Erdmetalle  u. s.w.  mit  abnehmenden  basischen  Eigenschaften, 
während  die  aufsteigenden  Seiten  die  mehr  und  mehr  säurebildenden 
Elemente  beherbergen. 

Eine  zweite  Eigenschaft  von  ebenso  ausgeprägt  periodischem  Cha- 
rakter ist  der  Schmelzpunkt.  Die  entsprechende  Kurve  ist  in  der 
Fig.  31  mit  schwachen  Zügen  angegeben,  sie  liegt  etwa  in  der  Mitte 
zwischen  den  Wellen  der  Atomvolume,  und  zeigt  einen  ausgesprochen 
doppelperiodischen  Gang,  indem  sich  je  eine  kleine  und  eine  grosse 
Welle  folgen. 

Weitere  Regelmftssigkeiten  periodischer  Natur  haben  sich  bei  folgenden 
Eigenschaften  erkennen  lassen:  Molekularvolume  analoger  Verbindungen, 
Refraktionsäquivalente,  Bildungswärme  entsprechender  Verbindungen,  Leit- 
fähigkeit für  Wärme  und  Elektrizität,  Farbe,  innere  Reibung. 

Doch  mußs  hervorgehoben  werden,  dass  die  Regelmässigkeiten,  so- 
weit sie  bis  jetzt  bekannt  sind,  noch  sehr  der  wünschenswerten  Schärfe 
und  Bestimmtheit  entbehren.  Sie  sind  nicht  von  der  Beschaffenheit, 
dass  man  aus  den  Eigenschaften  der  Nachbarglieder  die  der  zwischen- 
liegenden Elemente  berechnen  kann;  man  kann  sie  nur  annähernd 
sehätzen.  Dies  vermindert  natürlich  nicht  den  Wert  der  allgemeinen 
Erkenntnis,  es  macht  nur  deutlich,  dass  in  der  Angelegenheit  noch 
wichtige  Probleme  ihrer  Lösung  harren. 

Ein  solches  Problem  ist  die  offenbare  Zugehörigkeit  einzelner  Elemente 
zu  verschiedenen  Gruppen.  So  gehört  Chrom  durch  sein  ausgeprägt  basisches 
Monoxyd  zum  Magnesium,  und  Zink,  durch  sein  alaunbildendes  Sesquioxyd,  zu 
Aluminium  und  Gallium,  während  es  durch  seine  Säure  mit  Molybdän  und 
Wolfram  vereinigt  wird;  nur  die  letzte  Beziehung  hat  in  der  Tafel  (S.  45) 
ihren  Ausdruck  gefunden.  Kupfer  gehört  durch  sein  Oxydul  und  unlösliches 
Ghlorür  allerdings  zum  Silber;  beiden  aber  schliesst  sich  das  Quecksilber  aus 
der  nächsten  und  das  Thallium  aus  der  dritten  Reihe  viel  mehr  an,  als  Natrium 
und  Gold;  andererseits  verweist  das  Kupferoxyd  dies  Metall  unzweideutig  zu 

Ostwald/'Grundriss.  8.  Aufl.  15 


Das  periodische  Gesetz.  227 

Magnesium  und  Zink.  Mangan  könnte  seinen  Verbindungen  MnO,  Mn'O*, 
MnO*,  MnO*  und  Mn*0'  entsprechend  in  fünf  verschiedenen  Reihen  unter- 
gebracht werden.  Für  alle  diese  und  noch  zahlreiche  andere  Beziehungen 
ist  im  periodischen  System  noch  kein  Ausdruck  vorhanden. 

Femer  ist  der  eigentümlichen  Verhältnisse  zu  gedenken,  welche  die 
Elemente  mit  dem  niedersten  Verbindungsgewicht  zeigen.  Mendelejew  hat 
dieselben  typische  genannt,  eine  Bezeichnung,  die  das  Gegenteil  von 
dem  aussagt,  was  der  Wirklichkeit  entspricht.  Denn  diese  Elemente 
sind  keineswegs  Typen  für  die  Reihen,  an  deren  Eingang  sie  stehen, 
sondern  sie  zeigen  eine  ausgesprochene  Neigung,  mit  ihren  Eigenschaften 
in  die  nächste  Reihe  hinüberzugreifen.  Das  Lithium  bildet  ein 
schwerlösliches  Carbonat  und  ein  leichtlösliches  Bicarbonat,  wie  die  zwei- 
wertigen Erdalkalimetalle  und  entgegen  dem  Verhalten  der  Alkalimetalle. 
Das  Beryllium  ist  in  seinem  Verhalten  dem  Aluminium  so  ähnlich,  dass 
es  bis  zur  Bestimmung  der  Dampfdichte  seines  Chlorids  von  vielen 
Chemikern  für  dreiwertig  gehalten  wurde.  Das  dreiwertige  Bor  ist 
keinem  Elemente  in  seinen  Eigenschaften  im  freien  Zustande  sowie  in 
seinen  Verbindungen  ähnlicher,  als  dem  vierwertigen  Silicium.  Fluor 
bildet  mit  Vorliebe  Verbindungen,  in  denen  es  sidi  wie  ein  zweiwertiges 
Element  verhält  Auch  für  diese  Eigentümlichkeiten  hat  das  periodische 
System  noch  keinen  rationellen  Ausdruck  gefanden. 

Auch  sind  die  Unterschiede  der  Zahlenwerte  der  Verbindungsgewichte  beim 
Fortschreiten  in  der  Reihe  keineswegs  konstant,  sondern  schwanken  vom  ein- 
fachen bis  zum  doppelten.  Und  zwar  findet  sich  dies  bei  Verbindungsgewichten, 
die  so  genau  bekannt  sind,  dass  die  Hoffnung,  ihre  Zahlenwerte  durch  spätere 
genauere  Bestimmung  in  regelmässige  Abstände  zu  bringen,  in  keiner  Weise 
gehegt  werden  darf.  Vielleicht  wird  es  aber  möglich  sein,  späterhin  diese 
Unregelmässigkeiten  mit  den  anderen  vorhandenen  Unregelmässigkeiten  in 
ein  gegenseitiges  Abhängigkeitsverhältnis  zu  bringen  und  so  ein  Gesetz  in 
ihnen  zu  entdecken.  Das  periodische  System  macht  gegenwärtig  den  Eindruck, 
als  seien  über  ein  an  sich  regelmässiges  Schema  die  Elemente  einigermassen 
willkürlich  hingestreut,  so  dass  nicht  jedes  genau  an  den  ihm  zukommenden 
Ort  gelangt  ist. 

Trotz  alledem  darf  man  nicht  anstehen,  die  Erkenntnis,  dass  die 
;  Eigenschaften  der  Elemente  und  ihrer  vergleichbaren  Verbindungen  perio- 
dische Funktionen  der  Verbindungsgewichte  sind,  als  einen  der  wichtigsten 
Fortschritte  anzuerkennen,  welchen  die  wissenschaftliche  Chemie  in  neuerer 
Zeit  gemacht  hat.  Die  Betrachtungsweise  hat  ihre  Feuerprobe  bereits 
mehrfach  bestanden,  sowohl  in  der  Voraussagung  der  Eigenschaften 
noch  unbekannter  Elemente,  wie  durch  die  Fingerzeige  zur  Korrektur 
felsch  bestimmter  Verbindungsgewichte.  Auch  sei  hier  nochmals  der  innige 
Zusammenhang  betont,  welcher  zwischen  dem  periodischen  System  und  den 
anderen  Grundlagen  für  die  Auswahl  der  richtigen  Verbindungsgewichte  be- 
■>  steht  Jeder  Versuch,  an  einem  anderen  System  von  Verbindungsgewichten, 

15* 


228  VI.   Systematik. 

etwa  an  den  Gmelinschen  ^ Äquivalenten ^^  ähnliche  umfassende  Beg^l* 
mässigkeiten  zu  finden,  schlägt  fehl,  so  dass  das  periodische  Gesetz  nebffl 
dem  Isomorphismus,  dem  Dulong-Petitschen  Gesetz  und  dem  Avogadro- 
schen  Prinzip  eine  gleichwertige  Stellung  zur  Bestimmung  der  wahres 
Verbindungsgewichte  einnimmt. 


Drittes  Kapitel. 

Die  Molekulartheorie. 

Es  ist  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  der  einzelnen  EigensehafteB 
der  Stoffe  auf  den  dreifachen  Charakter  derselben  schon  wiederholt  hm- 
gewiesen  worden.  Einzelne  Eigenschaften  erleiden  durch  den  Vorgang 
der  chemischen  Bindung  überhaupt  keine  Änderung;  sie  sind  unabhängig 
von  dem  Zustande  des  Elements  und  ihre  Werte  finden  sich  daher  in 
den  Verbindungen  als  Summen  der  entsprechenden  Werte  der  einzehien 
Elemente  wieder.  Es  sind  dies  die  additiven  Eigenschaften,  deren 
reiner  Typus  die  Masse  ist,  welche  bei  allen  chemischen  Vorgängen 
vollkommen  unverändert  bleibt  Wesentüch  additiv  erwies  sich  femer 
noch  die  Wäraiekapazität.  Das  Molekularvolum  und  die  Molekular- 
refraktion haben  in  der  Hauptsache  auch  noch  additiven  Charakter;  die 
Eigenschaften  der  Elemente  gehen  aber  nicht  immer  mit  demselben 
Wert  in  die  den  Verbindungen  entsprechenden  Summen  ein,  sondern 
weisen  je  nach  der  Art,  wie  sich  die  Elemente  chemisch  bethätigen,  dne 
grosse  Mannigfaltigkeit  auf 

Hierdurch  gehen  die  additiven  Eigenschaften  in  die  konstitutiven 
über,  welche  abgesehen  von  den  Eigenschaften  der  zusammensetzenden 
Elemente  noch  von  weiteren  chemischen  Eigentümlichkeiten  der  entstandenen 
Verbindungen  abhängen.  Ausser  der  Masse,  welche  rein  additiv  istf 
sind  alle  annähernd  additiven  Eigenschaften  mit  konstitutiven  Anteilen 
behaftet,  und  sie  unterscheiden  sich  wesentlich  durch  den  verhältnis- 
mässigen Betrag  der  letzteren.  Aber  auch  bei  den  am  meisten  kon- 
stitutiven Eigenschaften,  wie  die  Farbe  oder  die  optische  Drehung,  macht 
sich  doch  innerhalb  engerer  Grenzen  ein  annähernd  additiver  Gharakttf 
geltend,  der  die  Grundlage  für  die  Schematisierung  solcher  Grössen  liefert 

Ganz  verschieden  von  diesen  Eigenschaften  sind  die,  welche  fmh&t 
(S.  73)  bereits  kolligative  genannt  worden  sind.  Sie  zeigen  sich 
ganz  unabhängig  von  der  Art  und  Zahl  der  zusammensetzenden  Ele- 
mente, so  dass  sie  filr  gewisse  Mengen  der  verschiedenartigsten  Stoffe 
gleiche  Werte  annehmen. 

Man  kann  also  die  Formehi  der  Stoffe  so  wälilen,  dass  sie  Stoff- 
mengen dai'stellen,  fui*  welche  die  koUigativen  Eigenschaften  gleiche 
Werte  annehmen.     Die  so  gewonnenen  Formeln  ergeben  wichtige  Vor- 


Die  Molekulartheorie.  229 

teile  f&r   die  chemische  Systematik,  und  die  auf  diese  Weise  erhaltenen 
Zahlen  sind  als  die  Molekulargewichte  bekannt. 

Es  ist  bereits  (S.  7*2)  dargelegt  worden,  dass  dieser  BegriflF  zwar  ent- 
wickelungsgeschichtlich  mit  besonderen  Hypothesen  über  die  Beschaffenheit 
der  Materie  und  ihre  Zusammensetzung  aus  sich  frei  durch  einander  bewegen- 
den kleinsten  Teilchen  zusammenhängt,  in  seiner  chemischen  Bedeutung  aber 
unabhängig  von  solchen  Annahmen  ist.  In  gleicher  Weise  ist  das  Gesetz  von 
der  Erhaltung  der  Masse  bei  chemischen  Vorgängen  unabhängig  von  der 
Atomhypgthese  und  von  der  Annahme,  dass  die  Elemente  noch  in  ihren  Ver- 
bindungen fortbestehen,  wenn  auch  die  Entdeckung  und  Entwickelung  dieses 
Gesetzes  unter  ihrem  Einflüsse  stattgefunden  hat. 

Besonders  nutzbringend  hat  sich  der  Molekularbegriff  bei  der 
Systematik  der  organischen  Verbindungen  erwiesen.  Bei  diesen,  aus 
wenigen  Elementen  in  den  mannigfaltigsten  Verhältnissen  zusammenge- 
setzten Verbindungen  ist  er  für  das  Verständnis  der  gegenseitigen  Be- 
ziehungen von  entscheidender  Bedeutung  geworden.  Ebenso,  wie  bei 
der  Wahl  der  Verbindungsgewichte  zunächst  das  Äquivalenzprinzip  durchzu- 
fahren gesucht  wurde-,  und  erst  langsam,  nachdem  sich  das  Gesetz  der 
multiplen  Proportionen  immer  wieder  als  unüberwindliches  Hindernis 
solchen  Versuchen  entgegengestellt  hatte,  das  gegenwärtige  System  sich 
Bahn  gebrochen  hatte,  so  versuchte  man  auch  zunächst  in  der  organischen 
Chemie  mit  den  einfachsten  Formeln  auszukommen.  Erst  Grahams  und 
namentlich  Liebigs  Untersuchungen  über  die  mehrbasischen  Säuren, 
Williamsons  klassischer  Nachweis,  dass  in  den  Äthem  zwei  Alkohol- 
radikale enthalten  seien,  und  die  Darlegungen  von  Laurent  und  Gerhardt, 
dass  durch  die  Beziehung  der  Formeln  auf  gleiche  Dampfvolume  eine 
umfassende  Systematik  der  organischen  Verbindungen  von  einer  bis  dahin 
nicht  erreichten  inneren  Konsequenz  möglich  sei,  brachen  der  Molekular- 
theorie  in  der  Chemie  endgültig  ihre  Babn. 

Die  gegenwärtige  Aufgabe  der  speziellen  Chemie  ist,  wie  im  nächsten 
Kapitel  dargelegt  werden  wird,  die  Konstitution  der  chemischen  Ver- 
bindungen zu  bestimmen.  Die  erste  Grundlage  zur  Lösung  dieser  Auf- 
gabe ist  nach  der  Bestimmung  der  chemischen  Zusammensetzung  und 
der  Aufstellung  der  empirischen  Formel,  d.  h.  des  einfachsten  Atom  Ver- 
hältnisses, welches  die  gefundenen  Zahlen  darstellt,  die  Ermittelung  der 
Molekulargrösse  oder  des  Molekulargewichts.  Früher  gab  es 
nur  ein  Mittel  für  diesen  Zweck:  die  Bestimmung  der  Dampfdichte.  Das 
Mittel  konnte  natürlich  nur  für  flüchtige  Stoffe  Anwendung  finden,  und 
versagte  somit  ausserordentiich  oft. 

Man  sieht  alsbald  ein,  dass  man  die  Aufgabe  durch  die  Messung 
jeder  kolligativen  Eigenschaft  lösen  kann.  Denn  kolligative  Eigenschaften 
sind  definitionsgemäss  solche,  welche  fiir  äquimolekulare  Mengen  der  ver- 
schiedenen Stoffe  gleiche  Werte  annehmen.  Bestimmt  man  also,  wieviel 
von  dem  Stoffe  mit  unbekanntem  Molekulargewicht  dazu  gehört,  um 
den  gleichen  Zahlenwert  irgend  einer  kolligativen  Eigenschaft  zu  ergeben, 


230  VI.    Systematik. 

welchen  eine  bekannte  Menge  eines  Stoffes  von  bekanntem  Molekular- 
gewicht ergiebt,  so  müssen  diese  Mengen  im  Verhältnis  der  Molekular- 
gewichte stehen. 

Kolligative  Eigenschaften  sind  ausser  bei  Gasen  bei  Lösungen  beobachtet 
worden,  und  zur  Bestimmung  von  Molekulargewichten  gelöster  Stoffe  kann 
jede  der  S.  193  bis  211  erörterten  kolligativen  Eigenschaften  dienen, 
also  der  osmotische  Druck,  die  Erniedrigung  des  Dampfdruckes  und  die 
des  Erstarrungspunktes.  Von  diesen  Methoden  sind  die  beiden  letzten 
am  besten  entwickelt;  eine  Molekulargewichtsbestimmung  durch  Siede- 
punktserhöhung oder  Gefrierpunktsemiedrigung  ist  weit  leichter  und 
schneller  auszuflihren,  als  eine  Dampfdichtebestimmung. 

Es  erhebt  sich  hier  die  Frage,  in  welchem  Verhältnis  die  nach  den 
verschiedenen  Methoden  bestimmten  Molekulargewichte  stehen,  insbesondere 
ob  sie  übereinstimmend  ausfallen.  Eine  ziemlich  umfassende  Prüfung,  welche 
seit  Beckmann  (1888)  in  dieser  Richtung  durchgeführt  worden  ist,  er- 
gab eine  sehr  weitgehende  Übereinstimmung  der  Ergebnisse  dieses  Ver- 
fahrens mit  den  durch  die  Dampf  dichten  gewonnenen.  In  einzelnen  Fällen, 
wo  auch  durch  die  Dampfdichte  eine  Neigung  zur  Bildung  von  Doppelmole- 
keln nachweisbar  ist,  z.  B.  bei  der  Essigsäure,  ergab  sich,  dass  verschiedene 
Lösungsmittel  verschieden  wirken.  In  Wasser  gelöst  zerfällt  die  Essigsänre 
in  normale  Molekeln  G'H^O^  in  Benzol  gelöst  hat  sie  dagegen  die  doppelte 
Formel.  I^as  erste  Lösungsmittel  wirkt  danach  so  auf  die  Essigsäure,  wie  eine 
hohe  Temperatur  oder  ein  kleiner  Druck,  das  zweite  umgekehrt.  Auch  für 
nicht  flüchtige  Sto^e,  deren  Molekulargrösse  bisher  nur  aus  ihren  chemischen 
Reaktionen  abgeleitet  werden  konnte,  ergaben  sich  die  aus  den  GeMerpunkts- 
erniedrigungen  bestimmten  Werte  fast  ausnahmslos  übereinstimmend  mit  den 
aus  chemischen  Gründen  abgeleiteten,  so  dass  sich  das  Verfahren  allseitig  be- 
währte. Zu  bemerken  ist  noch,  dass,  wenn  eine  Neigung  zur  Bildung  von 
Doppelmolekeln  vorliegt,  wie  sie  sich  bei  vielen  Hydroxyl  enthaltenden  Ver- 
bindungen findet,  dieselbe  in  Benzollösung  viel  leichter  und  ausgiebiger  zur 
Geltung  kommt,  als  wenn  der  Stoff  in  Wasser,  Essigsäure  oder  Phenol 
aufgelöst  wird. 

Die  S.  212  gegebenen  theoretischen  Betrachtungen  führen  überein- 
stimmend mit  der  Erfahrung  zu  dem  Schlüsse  von  der  Gleichartigkeit  der  an 
Gasen  und  Lösungen  bestimmten  Molekulargewichte. 

Durch  die  Entdeckung  des  kolligativen  Charakters  der  erwähnten 
Eigenschaften  von  Lösungen  hat  die  Möglichkeit  der  Molekulargewichts- 
bestimmung,  welche  früher  auf  flüchtige  Stoffe  beschränkt  war,  eine 
enorme  Erweiterung  erfahren,  mdem  sie  gegenwärtig  auf  alle  lös- 
lichen Stoffe  sich  ausdehnen  läfist,  d.  h.  auf  fast  alle  Stoffe,  die  dem 
Chemiker  überhaupt  unter  die  Hand  kommen.  Es  ist  einleuchtend, 
wie  sehr  durch  diese  Möglichkeit  die  Erforschung  unbekannter  Stoffe 
gefordert  wird;  ist  von  einem  neuen  Körper  das  Molekulargewicht  be- 
kannt, so  wird  das  Gebiet  der  Möglichkeiten  ftir  seine  rationelle  Kon- 


Die  Molekulartheorie.  231 

stitution  sofort  ausserordentlich  eingeschränkt  und  eine  Entscheidung 
wesentlich  erleichtert 

Mit  der  Dampfdruck-  und  der  Gefrierpunktsmethode  sind  die  Möglich- 
keiten der  Molekuiargewichtsbestimmungen  an  Lösungen  keineswegs  er- 
sdiöpft,  da  sich  ausserdem  noch  eine  grosse  Anzahl  verschiedener  Wege 
erdenken  und  praktisch  ausföhren  iässt^  um  die  Konzentration  einer 
Lösung  umkehrbar  zu  ändern  (S.  212).  Indessen  liegt  ein  praktisches 
Bedürfiiis  nach  der  Ausarbeitung  weiterer  Methoden  kaum  vor,  und  die 
erwähnten  Beziehungen  dienen  vielmehr  dazu,  mit  Hilfe  der  als  bekannt 
vorausgesetzten  Molekulargewichte  andere  Gesetzmässigkeiten  zahlenmässig 
zu  berechnen. 

Was  die  kolligativen  Eigenschaften  bei  reinen  flüssigen  Stoffen 
anlangt^  so  ist  eine  solche  in  dem  Temperaturkoeffizienten  der  moleku- 
laren Oberflächenenergie  gefunden  worden  (S.  160).  Die  Ergebnisse 
dieses  Verfahrens  stimmen  im  wesentiichen  mit  den  an  Dämpfen  und  Lösungen 
gefdndenen  iiberem.  Man  darf  darauf  die  Vermutung  gründen,  dass 
zwischen  beiden  Methoden  ein  prinzipieller  Zusammenhang  besteht. 

Eine  zweite  koUigative  Eigenschaft  ist  durch  die  sogenannte  Troutonsche 
Regel  für  die  Verdampfungswärme  gegeben,  nach  welcher  der  Quotient  Ver- 
dampfiingswärme/Siedetemperatur  (abs.)  für  äquimolekulare  Mengen  verschie- 
dener Stoffe  nahezu  gleich  ist;  Abweichungen  von  ihr  deuten  auf  Abweich- 
ungen der  Molekulargrosse. 

Weitere  Kriterien  beziehen  sich  auf  die  kritischen  Eonstanten  und  das 
Theorem  der  übereinstimmenden  Zustände.  Sie  sind  von  Guye  (1894)  und 
Bamsay  (1894)  erörtert  worden,  und  haben  im  allgemeinen  Resultate  ergeben, 
die  mit  den  aus  der  Methode  der  Oberflächenspannungen  erhaltenen  überein- 
stimmen. Doch  sind  sie  weniger  bestimmt  als  diese,  und  es  wird  daher  diese 
Andeutung  genügen. 

Über  das  Molekulargewicht  fester  Stoffe  hat  man  auf  folgende  Weise 
Auskunft  zu  gewinnen  versucht.  Es  giebt  feste  Stoffe  von  veränder- 
licher Zusammensetzung,  auf  welche  man  den  Begriff  der  Lösung  anzu- 
wenden versuchen  kann.  Solche  Stoffe  sind  die  isomorphen  Gemische, 
femer  Palladiumwasserstoff  und  ähnliche  Dinge,  endlich  solche  gleichförmige 
Gemische,  die  durch  Zusammenkrystallisieren  nicht  isomorpher  Stoffe 
entstehen,  und  von  denen  eine  grosse  Zahl  nachgewiesen  worden  ist. 
Durch  die  Anwendung  ähnlicher  Überlegungen,  wie  sie  zu  den  vern, 
schiedenen  Methoden  der  Molekuiargewichtsbestimmungen  an  flüssigen 
Lösungen  führen,  hat  man  aus  den  Eigenschaften  dieser  Gemische  Schlüsse 
auf  die  Molekulargrösse  der  beteiligten  Stoffe  gezogen,  indem  man  sie 
nach  dem  Vorgange  van't  Hoffs  als  feste  Lösungen  auffasste. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuche,  die  indessen  noch  einigermassen 
zweifelhaft  erscheinen,  gehen  dahin,  dass  im  allgemeinen  auch  die  festen 
Stoffe  keine  besonders  zusammengesetzten  Molekeln  enthalten;  die  Mole- 
kulargewichte, die  ftir  sie  berechnet  worden  sind,  stimmen  mit  denen  an 
Flüssigkeiten  meist  überein.     Dies  schliesst  nicht  aus,  dass  auch  ftir  ge- 


232  VI.  Systematik. 

wisse  feste  Stoffe  eine  grössere  ZusammengesetzÜieit  anzunehmen  ist; 
so  kommt  dem  festen  Schwefel  schwerlich  eine  kleinere  Formel  zu,  ate 
dem  gelösten:  im  letzteren  Falle  aber  kann  sie  bis  Sg  ansteigen. 

Aus  der  Erscheinung  der  Polymorphie  fester  Stoffe  ist  firüher  vielfach 
der  Schluss  gezogen  worden,  dass  die  festen  Stoffe  aus  sehr  zusammengesetzten 
Molekeln  bestehen  müssten,  da  die  verschiedenen  Formen  nur  durch  die  ver- 
schiedene Zusammenlagerung  der  chemischen  Molekeln  zu  erklären  sei. 

Führt  man  die  allotropen  festen  Stoffe  in  den  flüssigen  oder  gasförmigen 
Zustand  über,  so  bleibt  gewöhnlich  von  ihren  Verschiedenheiten  nichts  übrig. 
Der  Dampf  des  roten  Phosphors  ist  identisch  mit  dem  des  gelben,  und  eine 
Lösung  von  rhombischem  Schwefel  in  Schwefelkohlenstoff  unterscheidet  sich 
in  keinem  Punkte  von  einer  gleich  zusammengesetzten  Lösung,  zu  welcher 
monosymmetrischer  Schwefel  verwendet  wurde.  Umgekehrt  kann  aus  derselben 
Lösung  z.  B.  von  Nickelsulfat,  die  man  durch  Abkühlen  übersättigt  hat,  durch 
Einbringen  eines  entsprechenden  Erystallfragments  jede  der  mehreren  Formen 
des  Salzes  erzeugt  werden.  Das  Auftreten  der  sogenannten  physikalischen 
Isomerie  ist  sonach  ausschliesslich  an  den  festen  Zustand  der  Stoffe  ge- 
bunden, und  diese  verschwindet,  sowie  dieselben  in  einen  anderen  Aggregat- 
zustand übergehen. 

Während  diese  Erscheinungen  sich  ganz  wohl  im  Sinne  einer  grossen 
Zusammengesetztheit  der  Erystallpartikeln  im  Verhältnis  zu  den  chemischen 
Molekeln  der  Flüssigkeiten  oder  Dämpfe  deuten  lassen,  stehen  die  oben  er- 
wähnten Ergebnisse  an  festen  liösungen  im  Widerspruch  damit. 


Viertes  Kapitel. 
Theorie  der  chemischen  Verbindungen. 

Die  chemischen  Verbindungen  stellen  eine  Mannigfeltigkeit  besonderer 
Art  dar^  deren  Glieder  sich  teilweise  und  nach  bestimmten  Gesetzen  in- 
einaader  umwandeln  lassen.  Man  könnte  die  Gesetzmässigkeit  dieser 
Umwandlungen  in  all  den  mannigfaltigen  Beziehungen,  die  dabei  zu  Tage 
treten,  unabhängig  von  irgend  welcher  hypothetischen  Vorstellung  über 
hie  Natur  dieser  Verbindungen  entwickeln,  und  würde  dadurch  zu  einer 
genetischen  Systematik  der  chemischen  Individuen  gelangen,  welche 
der  gegenwärtig  benutzten  in  vielen  Stücken  ähnlich,  von  ihr  aber  da- 
durch verschieden  wäi*e,  dass  sie  keine  hypothetischen  Elemente  enthielte. 

Indessen  liegt  zu  einer  solchen  Darstellung  nodi  nicht  einmal  ein 
Versuch  vor,  und  wenn  ein  solcher  hier  gemacht  würde,  so  würde  der 
Leser  eine  Sprache  lernen,  von  der  zwar  gesagt  werden  darf,  dass 
künftig  jeder  Chemiker  sie  sprechen  wird,  von  der  aber  auch  gesagt 
werden  muss,  dass  sie  heute  noch  nirgend  gesprochen  wird. 


Theorie  der  chemischen  Verbindungen.  233 

Vielmehr  ist  bisher  die  gesamte  Systematik  der  chemischen  Um- 
wandiungsbeziehangen  nur  unter  dem  Bilde  der  Atomhypothese  ent- 
wickelt worden.  Dieses  hätte  nicht  stattfinden  können^  wenn  nicht  das 
Bild  thatsächlich  ein  ausserordentlich  glückliches  wäre  und  eine  nach  vielen 
Seiten  zutreffende  Vorstellung  von  den  wirklichen  Verhältnissen  vermittelte. 
Auch  hat  es  bisher  in  den  wichtigsten  Punkten  eine  genügende  Mannig- 
Mtigkeit  gezeigt,  um  einen  naturgemässen  Ausdruck  auch  für  solche 
neue  Thatsachen  zu  ermöglichen,  welche  bei  dem  ursprünglichen  Ent- 
wurf nicht  vorgesehen  waren.  Aber  es  scheint,  als  ob  diese  Anpassungs- 
fähigkeit der  Erschöpfung  nahe  sei,  und  man  thut  wohl,  sich  klar  zu 
machen,  dass  nach  der  immer  wiederholten  Lehre,  die  die  Geschichte 
der  Wissenschaft  uns  giebt,  an  solches  Ende  früher  oder  später  unver- 
mddlich  ist. 

Unter  diesem  Vorbehalt  sollen  die  Hauptergebnisse  der  bisherigen 
Untersuchungen  über  die  Eonstitutionsverhältnisse  der  chemischen  Ver- 
bindungen in  der  üblichen  Form  der  Atom-  und  Molekularhypothese 
entwickelt  werden. 

Von  den  zahlreichen  Fragen  über  die  Natur  der  chemischen  Ver- 
bindungen hatte  die  Daltonsche  Atomhypothese  nur  die  eine  beant- 
wortet, ob  in  diesen  noch  die  Elemente  als  solche  anzunehmen  seien 
oder  nicht,  und  zwar  im  bejahenden  Sinne.  Die  chemische  Verbindung 
war  ein  durch  Aneinanderlagerung  der  Elementaratome  entstandener 
Komplex.  Über  die  relative  Masse  der  Elementaratome  gaben  die  in 
den  beiden  ersten  Kapiteln  des  ftinften  Buches  dargelegten  Thatsachen 
nnd  Theorien  Auskunft,  über  die  Anzahl  der  Atome  in  solchen  Komplexen 
konnte  in  bestimmten  Fällen  durch  die  Molekulartheorie  und  die  derselben 
zu  Grunde  liegenden  Beobachtungen  Auskunft  gewonnen  werden.  Im 
gegenwärtigen  Kapitel  soll  uns  die  Frage  nach  den  gegenseitigen  Be- 
ziehungen der  Atome  innerhalb  der  Molekel  beschäftigen. 

In  der  That  ist  die  Frage  auch  ebenso  alt,  wie  die  Atomtheorie 
selbst;  seitdem  man  chemische  Verbindungen  sich  aus  Atomen  zusam- 
mengesetzt vorstellte,  suchte  man  sich  auch  über  das  Verhältnis  der  zu- 
sammensetzenden Atome  klar  zu  werden. 

Wie  bekannt,  rührt  die  erste  durchgeführte  Theorie  der  chemischen 
Verbindungen  von  Berzelius  her,  der  dieselbe  auf  die  von  ihm  studierten 
Erscheinungen  bei  der  Elektrolyse  von  Salzen  begründete.  Er  beobach- 
tete, dass  am  Kupferpole  sich  die  Säuren,  am  Zinkpole  die  Basen,  der 
von  ihm  hauptsächlich  untersuchten  Alkalisalze  ansammelten,  und  nach 
dem  alten  Grundsatze  Stahls:  woraus  etwas  zusammengefuget  ist  und 
darein  es  wieder  zerlegt  werden  kann,  daraus  besteht  es,  setzte  er  vor- 
aas, dass  Säuren  und  Basen  die  Bestandteile  der  Salze  sein  müssten. 
Zwar  gaben  die  bekannten  Säuren  und  Basen  bei  ihrer  Verbindung  auch 
stets  Wasser  aus;  dieses  aber  wurde  in  ihnen  vorgebüdet  angesehen  und 
spielte  in   den  Säuren  die  Rolle   einer  Basis,   in   den  Basen   die   Rolle 


234  VI.  Systematik. 

einer  Saure;   die  eigentlich^i  Säuren  und  Basen  waren  die  bekannte 

Verbindungen  ohne  das  Wasser. 

Gleichzeitig  wurde  die  gewonnene  Erkenntnis  auf  alle  übrigen 
Stoffgruppen  ausgedehnt.  Auch  Oxyde  liessen  sich  elektrolytisch  zer- 
setzen und  gaben  einerseits  Sauerstoff,  andererseits  Metall;  Berzelius  sah 
daher  ganz  allgemein  alle  Verbindungen  als  aus  zwei  Anteilen  gebildet 
an,  welche  durch  elektrische  Anziehungskräfte  zusammengehalten  and, 
wie  sie  durch  solche  getrennt  werden  können.  Es  entstand  so  das 
elektrochemische  System,  nach  welchem  die  binäre  Gliederung  sich  stufen- 
weise auch  in  den  verwickeltsten  Verbindungen  geltend  macht.  Alaun 
z.  B.  bestand  zunächst  aus  schwefelsaurem  Thonerdekali  und  Wasser; 
letzteres  war  eine  binäre  Verbindung  von  Wasseratoff  und  Saaerstofi^ 
ersteres  eine  ebensolche  von  schwefelsaurer  Thonerde  und  schwefelsaurem 
KaU.  Jedes  dieser  Salze  bestand  wieder  aus  Schwefelsäure  (SO3)  dner- 
seits,  und  Metalloxyd  andererseits,  und  diese  beiden  Bestandteile  waren 
wiederum  jedes  fiir  sich  in  Metall,  resp.  Schwefel  und  Sauerstoff  ge- 
gliedert. 

Diese  Betrachtungsweise,  deren  Prinzip  so  einfach  und  anschaulich 
wai',  hat  ausserordentlichen  Nutzen  gebracht,  obwohl  die  Grundlage,  von 
welcher  aus  sie  entwickelt  wurde,  falsch  war.  Das  schwefelsaure  Kali 
zerfällt  thatsächlich,  wie  jetzt  bekannt  ist,  bei  der  Elektrolyse  nicht  nach 
dem  Schema  K^O  +  SO3,  sondern  nach  dem  Schema  K^  -j-  SO4,  und 
der  Grundsatz  der  dualistischen  Theorie  von  Berzelius,  dass  nur  Verbin- 
dungen gleicher  Ordnung  zu  höheren  Verbindungen  zusammentreten,  steht 
im  Widerspruch  mit  der  Fundamentalerscheinung,  aus  welcher  es  ab- 
geleitet wurde. 

Trotz  dieses  Grundirrtums  ist  die  elektrochemische  Theorie  für  die  Ent- 
wickelung  der  Chemie  von  allergrösster  Bedeutung  gewesen.  Durch  die  Auf- 
stellung der  elektrochemischen  Spannungsreihe  wurde  von  Berzelius  die 
Grundlage  der  vergleichenden  Affinitätslehre  gelegt,  und  die  leicht  verständ- 
liche und  scharfe  Systematik,  welche  die  Theorie  ermöglichte,  hat  das  Stu- 
dium der  Chemie  ausserordentlich  gefördert.  Sie  ist  auch  nicht  durch  Aufdeckung 
des  Irrtums  über  den  elektrolytischen  Vorgang  zu  Falle  gebracht  worden, 
sondern  dadurch,  dass  ihre  Nichtanwendbarkeit  für  ein  Gebiet  von  Verbin- 
dungen zu  Tage  trat,  welche  zur  Zeit  ihrer  Entwicklung  noch  unbekannt 
waren.    Es  sind  das  die  nicht  elektrolysierbaren  organischen  Verbindungen. 

Eine  Bezugnahme  auf  die  gegenseitige  Stellung  der  Atome  in  der 
Molekel  wurde  erforderlich,  als  Thatsachen  bekannt  wurden,  welche  sich 
auf  dem  Boden  der  Atomtheorie  nicht  anders  erklären  liessen,  als  durch 
verschiedene  Atomlagerung.    Es  sind  das  die  Verhältnisse  der  Isomerie. 

AlsWöhler  1823  die  Cyansäure,  und  liebig  1824  die  Knallsäure 
analysierte,  ergab  sich,  dass  beide  Forscher  flir  ihre  unzweifelhaft  ver- 
sdiiedenen  Stoffe  die  gleiche  Zusammensetzung  gefunden  hatten.  Ber- 
zeUus,  welcher  in  seinen  Jahresberichten  diese  Arbeiten  zusammenstellte, 
erwog  verschiedene  Vermutungen,  auf  welche  Weise  der  eine  oder  der 


Theorie  der  chemischen  Verbindungen.  235 

andere  Forscher  in  einen  Irrtum  gefallen  sdn  könne,  denn  dass  zwei 
derart  verschiedene  Stoffe  eine  gleiche  Zusammensetzung  haben  könnten, 
erschien  so  unwahrscheinlich,  dass  die  Möglichkeit  gar  nicht  in  Frage  kam. 

Indessen  fand  schon  im  folgenden  Jahre  Faraday  bei  Gelegenheit 
der  Untersuchung  von  Kohlenwasserstoffen,  welche  sich  in  Cylindem  an- 
gesammelt hatten,  in  denen  Leuchtgas  komprimiert  wurde,  neben  dem 
Benzol  ein  Gas  (das  Butylen),  welchem  die  gleiche  elementare  Zusam- 
mensetzung, wenn  auch  doppelt  so  grosse  Dichte  im  Dampfzustande  zu- 
kam wie  dem  längstbekannten  ölbildenden  Gase  (Äthylen).  Berzelius 
befreundete  sich  allmählich  mit  der  Vorstellung,  dass  in  der  That  gleich 
zusammengesetzte  Stoffe  verschiedene  Eigenschaften  haben  könnten,  und 
erinnerte  seinerseits  an  die  beiden  verschieden  sich  verhaltenden  Zinn- 
oxyde. Fast  jedes  Jahr  brachte  nun  neue  Stoffe  von  ungleichen  Eigene 
Schäften  bei  gleicher  Zusammensetzung,  bis  schliesslich  1830  die  von 
Kestner  in  Than  (Eisaas)  aufgeftmdene  Traubensäure  sich  mit  der  gewöhn- 
lichen Weinsäure  in  jeder  Beziehung  gleich  zusammengesetzt  erwies, 
während  sie  doch  in  ihren  Löslichkeitsverhältnissen,  in  der  Kiystall- 
form  ihrer  Salze,  ihren  Reaktionen  von  dieser  unzweideutig  verschie- 
den war. 

Berzelius  führte  daher  die  Erkenntnis,  dass  gleich  zusammengesetzte 
Stoffe  verschiedene  Eigenschaften  haben  können,  in  den  Besitzstand  der 
Wissenschaft  über,  indem  er  der  Erscheinung  den  Namen  Isomerie  gab. 
Hierbei  unterschied  er  bald  verschiedene  Fälle;  flir  solche  Verbindungen, 
wie  Faradays  Kohlenwasserstoffe,  die  dieselben  Elemente  in  denselben 
Verhältnissen,  aber  nach  einer  verschiedenen  (multiplen)  Anzahl  Atome 
enthalten,  führte  er  den  Namen  polymer  ein,  während  er  solche 
gleich  zusammengesetzte  Stoffe,  in  denen  auch  die  Anzahl  der  Atome 
gleich,  nur  ihre  „Anordnung"  verschieden  ist,  metamer  nannte.  Diese 
sehr  zweckmässigen  Bezeichnungen  sind  bis  heute  im  Gebrauch  ge- 
blieben. 

Die  Thatsache  der  Isomerie  ist  von  aJlergrösster  Bedeutung  flir 
die  theoretische  Gestaltung  der  Chemie  geworden,  denn  aus  ihr  ging 
hervor,  dass  auf  die  Eigenschaften  eines  zusammengesetzten  Stoffes  nicht 
nur  die  Natur  und  'Zabl  der  zusammensetzenden  Elementaratome  von 
entscheidendem  Einfluss  sind,  sondern  ausserdem  etwas  anderes,  was 
Berzelius  zunächst  hypothetisch  darauf  zurückfiihrte,  dass  die  Atome  „auf 
verschiedene  Weise  zusammengelegt"  seien.  Dieser  Gesichtspunkt  wurde 
in  der  ganzen  kommenden  Entwickelung  des  Isomeriebegriffs  festgehalten 
und  gelangte  zunächst  durch  die  Annahme  verschiedener  „Radikale"  in 
den  Verbindungen  zur  Geltung.  Allerdings  geschah  die  Annahme  der- 
selben nicht  zur  Erklärung  der  Isomerieerscheinungen,  sondern  ganz 
andere  Thatsachen  veranlassten  diese  Entwickelung  der  elektrochemischen 
Lehre;  wohl  aber  konnten  manche  Isomeriefölle  durch  die  Verschieden- 
heit der  Radikale  erklärt  werden. 


236  VI.   Systematik. 

Durch  die  grossartige  Arbeit  von  Liebig  und  Wöhler  über  das  Ben- 
zoyl  (1832)  war  eine  Anzahl  yon  Stoffen  bekannt  geworden,  welche  alle 
denselben  Atomkomplex  (G^H^O)  enthielten  und  aus  demselben  Ausgangsstoff 
entstanden  waren.  Dem  unverftnderlichen  Anteil  wurde  eine  besondere  Rolle 
innerhalb  der  Verbindungen  zugeschrieben;  man  dachte  sich  seine  Atome 
durch  stärkere  Kräfte  zusammengehalten,  als  die  waren,  welche  die  wechseln- 
den Bestandteile  fesselten.  Das  war  die  Radikaltheorie;  jene  beständigeren 
Gruppen  spielten  in  den  zusammengesetzteren  Stoffen  dieselbe  Rolle,  wie  die 
Elemente  in  den  einfacheren,  ja  Liebig  sprach  wiederholt  aus,  die  Radikale 
seien  die  wahren  Elemente  der  organischen  Chemie.  Durch  die  helden- 
mütigen Forschungen  Bunsens  über  das  Eakodyl  und  Franklands  vermeinte 
Isolierung  des  Äthyls  wurden  so  yiel  Momente  zu  Gunsten  der  Radikaltheorie 
herbeigeschafft,  dass  sie  allgemein  als  einzig  richtige  Form  der  Auffassung 
und  Darstellung  der  Natur  chemischer  Verbindungen  angesehen  werden  durfte. 

Die  Unklarheit  in  der  Radikal theorie  darüber,  welcher  Art  die  engere 
oder  stärkere  Bindung  der  Atome  innerhalb  des  Radikals  sei,  und  inwiefern 
sich  diese  yon  der  Art  der  Verbindung  der  Radikale  unter  sich  oder  mit 
anderen  Atomen  unterscheidet,  wurde  nicht  empfunden,  weil  zu  jener  Zeit 
die  Probleme  der  chemischen  Verwandtschaft  überhaupt  nicht  in  Frage  kamen. 
Ja,  späterhin  nahmen  einzelne  Forscher  nach  dem  Vorgange  yon  Berzelius 
sogar  ausdrücklich  eine  besondere  Art  der  Bindung,  yerschieden  von  der  ge- 
wöhnlichen, an,  welche  als  „Paarung"  von  dieser  unterschieden  wurde. 

Während  die  Radikaltheorie  aus  der  elektrochemischen  erwachsen 
war,  und  die  Grundvorstellungen  derselben  in  unveränderter  Weise  auf 
ihre  neuen  Einheiten  anwandte,  trat  seit  1839,  unterstützt  durch  immer 
zahlreichere  Thatsachen,  eine  Betrachtungsweise  in  den  Vordergrund, 
welche  von  Laurent  begründet,  von  Dumas  abwechselnd  abgelehnt  und 
verteidigt,  von  Berzelius  auf  das  schärfete  angegriffen,  doch  schliesslich 
sich  als  vollkommen  berechtigt  und  von  grösster  Fruchtbarkeit  erwies. 
Es  ist  dies  die  Idee  der  Substitution,  die  Vorstellung,  dass  einzelne 
Atome  einer  Verbindung  durch  andere  ersetzt  werden  können,  so  dass 
der  neu  entstehende  Stoff  dem  Mheren  analog  verbleibt  Zuerst  wurden 
derartige  Beobachtungen  \m  der  Einwirkung  des  Chlors  auf  wasserstoff- 
haltige  organische  Verbindungen  gemacht;  ein  besonders  prägnantes  Bei- 
spiel bildete  die  von  Dumas  entdeckte  Trichloressigsäure,  in  welcher 
drei  Wasserstoffatome  der  Essigsäure  durch  ebensoviel  Chloratome  ersetzt 
waren.  Die  enge  Beziehung  der  neuen  Säure  zur  Essigsäure  wurde 
besonders  deutlich  an  ihrer  Rückwandlung  in  Essigsäure,  welche  Melsens 
entdeckte. 

Mit  der  elektrochemischen  Theorie  trat  die  neue  Betrachtungsweise 
auf  zwei  Hauptpunkten  in  Widerspruch.  Berzelius  konnte  nicht  zugeben, 
dass  der  „elektropositve"  Wasserstoff  durch  das  „elektronegative"  Chlor  so 
ersetzt  werden  könne,  dass  die  Ähnlichkeit  der  beiden  Verbindungen  gewahrt 
blieb.  Andererseits  widersprach  die  Annahme  einer  Substitution,  des  Ein- 
tritts eines  Atoms  an  die  Stelle  eines  anderen,  dem  elektrochemischen  Grund- 


Theorie  der  chemischen  Verbindungen.  237 

satz  der  binären  Gliederung.  Beide  Widersprüche  wurden  von  den  Vertretern 
der  Substitutionstheorie  energisch  betont.  Der  erste  führte  zu  dem  Satz, 
dass  nur  die  „Stellung"  eines  Atoms  in  der  Verbindung,  nicht  seine  Natur 
auf  die  Eigenschaften  der  Verbindung  von  Einfluss  sei.  In  dieser  Form  ist 
der  Satz  sicher  falsch  und  fand  alsbald  Widerspruch;  auch  konnte  A.W.  Hof- 
mann an  den  Bromsubstitutionsprodukten  des  Anilins  bald  zeigen,  dass  zwar 
je  nach  der  Stellung  die  Eigenschaften  der  substituierenden  Elemente  häufig 
in  erheblich  geschwächtem  Masse  sich  geltend  machten,  verschwunden  waren 
sie  jedoch  nicht 

Während  hier  ein  Kompromiss  zwischen  den  alten  und  den  neuen 
Anschauungen  hergestellt  werden  konnte,  siegte  die  zweite  Idee  der  uni- 
tären  Konstitution  der  chemischen  Verbindungen  vollständig  über  die  der 
binären  Konstitution.  Diese  Reform  traf  zusammen  mit  der  oben  geschilder- 
ten Entwickelung  des  Begriffs  der  Molekel  und  führte  zur  Aufstellung  der 
molekularen  Schemata,  der  chemischen  Typen,  auf  die  alsbald  näher  ein- 
gegangen werden  soll. 

Das  Substitutionsgesetz  wurde  inzwischen  mehr  und  mehr  erweitert. 
Man  erkannte,  dass  nicht  nur  Chlor,  Brom  oder  Jod  den  Wasserstoff 
organischer  Verbindungen  substituieren  konnten,  sondern  auch  zusammen- 
gesetzte Komplexe.  Hier  stellten  sich  die  Radikale  der  älteren  Theorie 
als  die  wahren  Substituenten  dar,  wie  dies  namentlich  von  Hoftnaim 
und  Würtz  an  den  substituierten  Ammoniaken  erkannt  wurde.  Gleich- 
zeitig wurde  die  Unterscheidung  zwischen  Atom  und  Äquivalent  vor- 
bereitet, ein  Atom  Sauerstoff  vertritt  bei  der  Substitution  nicht  ein, 
sondern  zwei  Atome  Wasserstoff  und  hat  daher  diesem  gegenüber  den 
doppelten  Substitutionswert 

Dumas  hatte  bei  der  Erfassung  der  Substitutionsidee  dieselbe  seiner 
Gewohnheit  gemä^is  alsbald  einseitig  in  ihre  äussersten  Konsequenzen 
verfolgt,  indem  er  nur  die  Anordnung  der  Atome,  nicht  ihre  Natur  als 
bestimmend  für  die  Eigenschaften  der  Verbindungen  ansah.  Für  ihn 
lag  daher  unmittelbar  die  Aufgabe  vor,  diese  wesentlichen  Formen  zu 
erkennen.  Ein  Versuch,  den  er  in  der  Aufstellung  seiner  Theorie  der 
chemischen  Typen  machte,  schlug  indessen  fehl. 

Erst  spätere  Forschungen,  wie  die  Williamsons  über  die  Äther,  Hof- 
manns und  Würtz'  über  die  organischen  Ammoniake  beföhigten  Ger- 
hardt und  Laurent,  dieselbe  Idee  in  brauchbarer  Gestalt  zur  Geltung  zu 
bringen.  Nach  ihnen  leiten  sidh  sämtliche  Verbindungen  von  den  Typen 

Wasserstoff  TT  >,  Chlorwasserstoff  pj,  Wasser  tt>0  und  Ammoniak  H>N  ab, 

indem  der  Wasserstoff  derselben  durch  andere  Elemente  oder  Radikale 
ersetzt  wird.  Zu  diesem  Schema  fügte  später  Williamson  das  der  ver- 
doppelten oder  verdreifachten  „kondensierten'^  Typen  und  Kekul6  fiihrte 
die  zusammengesetzten  Typen  ein,  indem  er  zwei  oder  mehr  verechiedene 


238  ^-   Systematik. 

Typen  vereinigte.  Bei  diesen  letzteren  Versuchen,  die  Schemata  mit 
den  Thatsachen  in  Einklang  zu  bringen,  kam  bereits  ein  später  wiehlig 
gewordenes  Moment  zur  Geltung.  Damit  in  den  kondensierten  und 
gemisditen  Typen  die  beiden  Gruppen  zusammengehalten  wurden,  musste 
ein  Atom  oder  Badikal  vorhanden  sein,  welches  zwei  Wasserstoffatome 
ersetzen  konnte,  und  welches  das  Bindeglied  abgab,  indem  es  in  jeder 
Gruppe  ein  Wasserstoffatom  vertrat  Hier  trat  der  Begriff  des  mehr- 
atomigen Radikals  oder  Elements  als  Bedingung  für  den  Zusammen- 
hang der  Molekel  zuerst  auf. 

Die  Klassifizierung  der  chemischen  Verbindungen  nach  Typen  war  ton 
grossem  Nutzen  für  die  Wissenschaft,  denn  sie  gestattete  eine  bequeme  Über- 
sicht einer  grossen  Zahl  von  Stoffen  und  gab  Anhaltspunkte  zur  Darstellung 
neuer.  Eine  umfassende  Theorie  der  chemischen  Verbindungen  war  sie  da- 
gegen infolge  ihres  formalen  Charakters  nicht.  Gerhardt,  ihr  eigentlicher 
Begründer,  war  sich  auch  ganz  klar  darüber;  er  betonte  immer  wieder,  dass 
seine  Formeln  nur  als  Reaktions-,  nicht  als  Eonstitutionsformeln  aufzufassen 
seien.  Auch  erwies  sich  die  Typenlehre  bald  als  unzulänglich,  dem  Fort- 
schritt der  Wissenschaft  zu  folgen. 

Das  typische  System  war  keineswegs  allgemein  angenommen,  da  sich  die 
wichtigsten  Vertreter  der  Radikal theorie,  welche  das  Substitutionsgesetz  an- 
erkannten und  mit  seiner  Hilfe  die  älteren  Anschauungen  erweiterten,  von 
demselben  fern  hielten.  Insbesondere  Frankland  und  Eolbe  suchten  zu  einem 
Verständnis  der  chemischen  Verbindungen  auf  einem  anderen  Wege  zu  ge- 
langen, welcher  der  Natur  der  Elemente  und  den  Analogieen  mit  anorganischen 
Verbindungen  besser  Rechnung  trug.  So  war  Eolbe  im  stände,  die  Existenz 
von  Isomerieen  da  vorauszusagen,  wo  im  typischen  System  nur  für  einen 
Stoff  Platz  war,  bei  den  Alkoholen.  Und  nicht  nur  die  Existenz,  auch  das 
Verhalten  dieser  Stoffe  wurde  von  Eolbe  prognostiziert;  wenige  Jahre  darauf 
entdeckte  Friedel  den  sekundären  Propylalkohol  und  bestätigte  Eolbes 
Prognose. 

So  hatte  wiederum  ein  Isomeriefall  die  Notwendigkeit  tieferen  Eingehens 
in  das  Eonstitutionsproblem  erwiesen.   Die  leitende  Idee  dazu  fand  Frankland.; 

Bei  Gelegenheit  seiner  Untersuchungen  über  die  organischen  Metall- 
Verbindungen  machte  Frankland  1852  die  Bemerkung,  dass  ein  Atom' 
Zink,  Arsen,  Antimon  u.  s.  w.  stets  durch  eine  bestimmte  Anzahl  em-^ 
wertiger  Elemente  oder  Radikale  in  seinem  Verbindungsbestreben  be- 
friedigt werde,  welcher  Art  auch  diese  letzteren  sein  mögen.  Dadurch 
wurde  der  Grund  zur  Lehre  von  der  Sättigungskapazität  oder  Vaiemt' 
der  Atome  gelegt.  i 

Die  Anwendungen  auf  Kohlenstoffverbindungen  machte  Frankland^ 
nicht.  Dieser  wichtige  Schritt  wurde  fast  gleichzeitig  (1858)  von  Couper' 
und  Kekule  getiian,  welche  den  Kohlenstoff  als  vierwertig  erkannten 
und  zeigten,  dass  die  Zusammensetzung  zahlreicher  Kohlenstoffver-' 
bindungen  sich  dadurch  darstellen  liess.    Jedes  Kohlenstoffatom  kann  sich' 


Theorie  der  chemisclien  Verbindungen.  239 

mit  vier  anderen  einwertigen  Atomen  oder  Radikalen  (d.  h.  solchen,  die 
ein  Atom  Wasserstoff  substituieren)  vereinigen,  nicht  aber  mit  mehreren. 
Die  Durchflihrung  dieser  Idee  verdanken  wir  hauptsächlich  Kekuie. 

In  der  Valenzlehre,  welche  die  gegenwärtig  herrschende  Voratellung 
ist,  wird  also  angenommen,  dass  jedem  Atom  eine  bestimmte  und  be- 
grenzte Flüiigkeit,  sich  mit  anderen  Atomen  zu  vereinigen,  zukomme. 
Man  nennt  diese  Fähigkeit  Valenz  oder  Wertigkeit,  und  nennt  solche 
Atome  ein-,  zwei-,  drei-,  vierwertig  u.  s.  w.,  die  sich  je  mit  einem,  zwei, 
drei  oder  vier  Wasserstoffatomen,  oder  äquivalenten  Atomen  resp.  Radi- 
kaien vereinigen  können.  Kohlenstoff  ist  vierwertig  wegen  der  Ver- 
bindung CH4,  Sauerstoff  zweiwertig  wegen  OH^.  Im  allgemeinen  sind 
nun  die  chemischen  Verbindungen  derart  beschaffen,  dass  die  Valenzen 
der  verschiedenen  Atome  einer  Verbindung  sich  gerade  ausgleichen. 
In  der  Essigsäure,  deren  rationelle  Formel  HOCO-CHa  ist,  bindet  zu- 
nächst das  eine  Kohlenstoffatom  mit  zwei  Valenzen  ein  zweiweiüges 
Sauerstoffatom.  Die  dritte  Valenz  ist  mit  einer  Valenz  eines  zweiten 
Sauerstoffatoms  vereinigt,  dessen'  zweite  durch  ein  Wasserstoffatom  ge- 
sättigt ist.  Mit  der  vierten  Valenz  des  Kohlenstoffatoms  steht  endlich 
die  eines  zweiten  Kohlenstoffatoms  in  Verbindung,  dessen  drei  andere 
Valenzen  durch  drei  Wasserstoffatome  gesättigt  sind. 

Diese  Verhältnisse  können  nach  dem  Vorgang  Coupers  veranschau- 
licht werden,  wenn  man  den  Atomzeichen  soviel  SMche  anhängt,  als  Va- 
lenzen thätig  sind,  und  diese  dann  von  Atom  zu  Atom  vereinigt.  Die 
Essigsäure  würde  folgende   graphische  oder  Strukturformel  erhalten: 

0      H 


H  — 0  — C-^C  — H. 

I 
H 

£ine  derartige  Formel  ist  in  der  That  im  stände,  sehr  mannigfaltige 
Beziehungen  zu  veranschaulichen.  Sie  zeigt,  dass  ein  Viertel  des 
vorhandenen  Wasserstoffe  oder  ein  Atom  Wasserstoff  sidi  anders  verhält, 
als  die  drei  anderen,  weil  es  mit  Sauerstoff  zu  Hydroxyl  verbunden 
ist,  während  die  übrigen  mit  Kohlenstoff  vereinigt  sind.  Femer  verhalten 
aidi  die  beiden  Sauerstoffatome  versdiieden,  indem  das  des  Hydroxyls 
leichter  angegriffen  und  entfernt  wird.  EndUch  haben  auch  die  beiden 
Kohlenstoffatome  verschiedene  Funktionen;  das  eine,  mit  zwei  Sauerstoff- 
atomen verbundene,  wird  leicht  in  Kohlensäure  übergehen,  das  andere 
wird  sieh  dagegen  als  Methyl,  CH3  abspalten.  AUe  diese  Beziehungen, 
die  ehen  aus  der  Formel  abgeleitet  wurden,  sind  thatsächliche;  die 
Strukturformeln  erfüllen  also  in  hohem  Grade  den  Anspruch,  Reaktions- 
und  Konstitutionsformeln  zu  sein. 

Was  nun  die  Beurteilung  der  Bedeutung  solcher  Formeln  anlangt,  so 
ist  zweierlei  zu  trennen:  einerseits  die  Lehre  von  der  chemischen  Va- 
lenz,   und  andererseits    ihre   Darstellung  durch    sogenannte   Strukturformeln. 


240  VI.   Systematik. 

Die  erste  hat  einen  materialen  Inhalt,  sie  ist  auf  die  Beobachtung  begründet, 
dass  die  Elementaratome  in  ihrem  Yerbindungsbestreben  durch  eine  gleiche 
Anzahl  von  Äquivalenten  anderer  Atome  oder  Radikale  befriedigt  werden 
können,  unabhängig  von  der  Natur  der  letzteren.  Die  Darstellung  durch 
Strukturformeln,  welche  diese  Thatsache  gefunden  hat,  ist  zunächst  eine  rein 
formale,  sie  dient  nur  als  Gedächtnis-  und  Anschauungshilfsmittel,  um  zu 
zeigen,  ob  die  Postulate  der  Valenzlehre  erfüllt  sind. 

Als  Einheit  der  Valenz  nimmt  man  die  des  Wasserstoffes  an^  weil 
nach  der  bisherigen  Erfahrung  ein  einzelnes  Atom  irgend  eines  Elenients 
sich  nur  mit  einer  bestimmten  Anzahl  Wasserstoffatome  vereinigen  kann 
und  das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  auf  die  Wasserstoffver- 
bindungen ^  welche  nur  je  ein  Atom  anderer  Elemente  enthalten,  keine 
Anwendung  findet.  Leider  bilden  nur  wenige  Elemente  Waaserstoffver- 
bindungen^  so  dass  die  Feststellung  der  Valenz  werte  mit  deren  Hilfe 
eine  beschränkte  ist.  Mit  Hilfe  anderer  durch  Vermittelung  des  Wasser- 
stoffs als  einwertig  erkannter  Elemente  (oder  Radikale)  ist  man  zu  einer 
Erkenntnis  der  Valenz  solcher  Elemente  gelangt^  welche  keine  Wasserstoff- 
verbindungen bilden.  Doch  haben  sich  dabei  erhebliche  Schwierigkeiten 
gezeigt^    welche    gegenwärtig   noch   nicht  vollständig  überwunden    sind. 

Die  bemerkenswerteste  Beziehung  der  Valenzwerte,  soweit  solche 
bekannt  sind,  hat  sich  zum  periodischen  System  der  Elemente  ergeben, 
indem  jene  sich  gleichfalls  als  periodische  Funktion  der  Elementaratome 
darstellen  lassen.  Die  Valenz  ist  in  der  Tabelle  S.  45  in  jeder  Ver- 
tikahreihe  konstant  und  nimmt  von  Reihe  zu  Reihe  um  je  eine  Ein- 
heit zu.  Von  der  fünften  Reihe  ab  nimmt  sie  eben  so  regelmässig  ab, 
wenn  man  die  Wasserstoffverbindungen  als  entscheidend  ansieht;  die 
Chlor-  und  Sauerstoffverbindungen  zeigen  dagegen  eine  fortlaufende 
Steigerung  der  Valenz.  Daneben  macht  sich  allerdings  die  früher  er- 
wähnte Zugehörigkeit  einzelner  Elemente  zu  verschiedenen  Rdhen  geltend. 
Mendelejew  hat,  wie  erwähnt,  zuerst  diese  Beziehungen  hervorgehoben. 

Der  vollständigen  Durchführung  der  Valenztheorie  haben  sich,  trotz  der 
grossen  Übereinstimmung  zahlreicher  Thatsachen ,  namentlich  in  der  organischen 
Chemie,  doch  einige  namhafte  Schwierigkeiten  in  den  Weg  gestellt.  Vor 
allen  Dingen  ist  der  an  die  Spitze  gestellte  Satz,  dass  das  Verbindungsbe- 
streben der  Elementaratome  stets  durch  die  gleiche  Zahl  von  Äquivalenten 
befriedigt  wird,  nicht  allgemein.  Es  giebt  zahlreiche  Verbindungen,  welche 
auf  gleiche  Mengen  eines  Elementes  eine  verschiedene  Zahl  von  Äquivalen- 
ten anderer  Elemente  aufweisen,  wie  z.  B.  Kohlenoxyd  CO  und  Kohlen- 
säure CO3;  Stickstoffoxydul  NjO,  Stickstoffoxyd  NO,  Salpetrigsäureanhydrid 
NjOj  und  Stickstoffhyperoxyd  NO,.  Es  ist  hervorzuheben,  dass  dies  Körper 
sind,  deren  Gasdichte  man  kennt,  und  über  deren  Molekulargrösse  daher  kein 
Zweifel  besteht. 

Mit  dieser  Thatsache  hat  man  sich  auf  zweierlei  Weise  abzufinden 
gesucht.  Man  nahm  trotz  derselben  die  Lehre  von  der  konstanten  Valenz 
als  richtig  an  und   nannte  die  Verbindungen  eines  Elementes,  in    welchen 


Theorie  der  chemischen  Verbindungen.  241 

die  aus  der  Mehrzahl  der  überhaupt  bekannten  Verbindungen  gefolgerte 
Anzahl  von  Valenzen  nicht  befriedigt  erschien,  ungesättigte,  unter  der 
Voraussetzung,  dass  es  eben  unter  Umständen  Verbindungen  geben  kann, 
m  welchen  einzelne  Valenzen  unthätig  bleiben.  Die  Ursache,  warum  das 
In  einzelnen  Fällen  geschieht,  und  warum  die  Atome  nicht  die  prinzipiell 
^ts  mögliche  Anordnung,  dass  alle  Valenzen  befriedigt  sind,  einnehmen, 
blieb  dabei  unerledigt. 

Andere  Forscher  nahmen  wiederum  an,  dass  die  Valenz  der  Atome 
wechseln  könne,  dass  z.  B.  im  Stickstoffoxyd  NO  der  Stickstoff  ebenso  wie 
der  Sauerstoff  zweiwertig  sei.  Auch  diese  Art  und  Weise,  die  thatsächlichen 
Verhältnisse  auszudrücken,  ist  ebensowenig  eine  Erklärung  derselben,  wie 
die  Annahme  von  ungesättigten  Valenzen.  Trotzdem  hat  der  Streit  zwischen  den 
Anhängern  der  konstanten  und  der  wechselnden  Valenz  erbittert  genug  gewogt. 

Es  ist  indessen  noch  eine  Möglichkeit  vorhanden,  die  thatsächliche  Ver- 
schiedenheit der  Valenzwirkungen  im  Sinne  der  Atomhypothese  zu  erklären. 
Wenn  wir  die  Valenz  als  Folge  einer  Eigenschaft  der  Atome  auffassen,  deren 
Wirkung  durch  die  Verschiedenheit  der  Zustände  des  Atoms,  insbesondere 
4er  Bewegungszustände,  modifiziert  werden  kann,  so  ist  es  denkbar,  dass,  ob- 
wohl die  Ursache  der  Valenz  unveränderlich  ist,  die  Wirkungen  dieser  Ur- 
sache, eben  die  Valenz  selbst,  von  Fall  zu  Fall  verschieden  erscheint. 

Eine  Hypothese  der  erwähnten  Art  ist  in  der  That  von  van't  Hoff 
(1878)  aufgestellt  worden.  Indem  er  annahm,  dass  die  chemische  Anziehung 
zwischen  den  Atomen  eine  Folge  der  Gravitation  sei,  zeigte  er,  dass,  wenn 
ein  Atom  eine  von  der  Kugelgestalt  abweichende  Form  besitzt,  die  Intensität 
der  Anziehung  auf  seiner  Oberfläche  eine  bestimmte  Anzahl  Maxima  besitzen 
Jttüsse,  welche  von  der  Form  abhängt.  Die  Maxima  können  von  verschiedenem 
Werte  sein.  Ist  die  Wärmebewegung  des  Atoms  eine  lebhafte,  so  werden 
nur  die  grössten  Maxima  ihre  Atome  festhalten  können,  und  die  Valenz 
zeigt  sich  entsprechend  der  Erfahrung  bei  höherer  Temperatur  kleiner,  als 
bei  niederer. 

Das  Bedürfiiis,  für  eine  grosse  Anzahl  meist  nur  in  fester,  selten 
flüssiger  Form  bekannter  Verbindungen,  deren  Konstitution  aus  den 
igewöhnüchen  Annahmen  über  die  Valenz  der  Elementaratome  nicht  zu 
erklaren  ist,  eine  Erklärung  zu  finden,  hat  die  Vertreter  der  Lehre  von 
4er  konstanten  Valenz  auf  den  Ausweg  geführt,  soldie  Verbindungen 
als  verschieden  von  denen  anzusehen,  welche  der  erwähnten  Form  der 
Valenzlehre  entsprechen.  Man  unterschied  solche  Verbindungen  als 
Molekularverbindungen  von  den  anderen,  als  Atomverbindungen. 
lErstere,  zu  denen  Salze  mit  Krystallwasser,  Doppelsalze,  von  einigen 
laber  auch  Chlorammonium  und  alle  anderen  Ammoniaksalze  gerechnet 
werden,  sollen  den  Zusammenhang  ihrer  Atome  nicht  den  zwischen 
Atom  und  Atom  wirkenden  Kräften,  welche  die  Valenz  bedingen,  ver- 
«danken,  sondern  die  Molekeln,  aus  welchen  diese  Verbindungen  ent- 
stehen, sollen  als  Ganzes  wechselseitige  Kräfte  aufeinander  ausüben,  durch 
welche  der  fi-aglidhe  Zusammenhang  bewirkt  wird. 

Ofltwald,  Grtmdriss.  8.  Aufl.  16 


242  VI.   Systematik. 

Man  hat  die  Molekularverbindungen  erst  der  Lehre  von  der  kon- 
stanten Valenz  zuliebe  von  den  Atomverbindungen  untersdiieden.  Schon 
dies  kann  gegen  sie  misstrauisch  machen.  Dazu  kommt  aber,  dass 
trotz  aller  Mühe  ein  anderer  Unterschied  zwischen  beiden  Klassen  nicht 
hat  gefunden  werden  können,  als  dass  die  eine  bestimmten  Annahmen 
über  konstante  Valenz  entspridit,  die  andere  dagegen  nicht.  Im  übrigen 
gehen  die  Eigenschaften  der  einen  vollkommen  stetig  in  die  der  andere 
über,  indem  man  überall  einen  stufenweisen  Abstieg  geringster  Zersetzlich- 
'    keit  zu  grösster  an  entsprechenden  Verbindungen  nachweisen  kann. 

Die  vorstehenden  Betrachtungen  zeigen,  wie  entfernt  die  Valenz- 
lehre davon  ist,  den  Namen  einer  vollständigen  Theorie  der  chemiscfaea 
Verbindungen  zu  verdienen.  Ihr  hängt  von  ihrer  Mutter,  der  Typen- 
theorie, das  bloss  formale  Element  noch  in  so  hohem  Masse  an,  da« 
der  Versuch,  die  thatsächlichen  Verhältnisse  der  gegenseitigen  Umwandlungen 
quantitativ  gemäss  der  grösseren  oder  geringeren  Beständigkeit  der  Produkte 
darzustellen,  nur  eben  erst  unternommen  worden  ist.  Man  lasst  sich 
meist  daran  genügen,  dass  durch  die  Strukturformeln  Schemata  gegeben 
sind,  welche  die  vorhandenen  Isomerieen  und  möglichen  Reaktionen  darstellen. 

Eis  soll  damit  nicht  ein  ungünstiges  Urteil  über  die  Bedeutung  der 
Strukturformeln  ausgesprochen  sein.  Diese  stehen  zu  den  durch  sie 
repräsentierten  Stoffen  ungefähr  in  der  Beziehung,  wie  die  Formehi  der 
analytischen  Geometrie  zu  den  repräsentierten  räumlidien  Gebilden,  nnr 
erreichen  sie  letztere  freilich  nicht  entfernt  in  Bezug  auf  die  Sicherheit 
und  Vollständigkeit  der  Darstellung,  wie  dies  ja  dem  Unterschiede  der 
beiden  Wissensgebiete  entspridit.  Sie  gestatten  daher  dem  Kundigen 
eine  grosse  Zahl  von  Schlüssen,  und  gewähren  die  Möglichkeit,  eine 
grosse  Summe  von  Thatsachen  in  einen  kurzen  Ausdruck  zu  fassen. 

Die  in  der  vorbeschriebenen  Weise  entwickelten  Strukturformeln 
haben  sich  doch  nicht  dauernd  als  ausreichend  gezeigt,  alle  neuentdeckten 
Isomerieverhältnisse  darzustellen,  und  sind  daher  in  einem  Sinne  erweitert 
worden,  der  als  eine  sachgemässe  Weiterentwickelung  des  Prinzips  be- 
zeichnet werden  muss.  Nachdem  schon  früher  Wislicenus  darauf  hinge- 
wiesen hatte,  dass  gewisse  Isomerieerscheinungen  bei  den  Milchsäuren  nicht 
mehr  ausreichend  durch  die  in  der  Ebene  des  Papiers  geschriebenen 
StiTikturformeln  dargestellt  werden  können,  hat  van't  Hoff  (1877)  den 
ersten  Versuch  durchgeführt,  eine  Ausgestaltung  der  Strukturtheorie  auf 
den  Raum  zu  bewerkstelligen.  Er  nahm  insbesondere  an,  dass  die  vier 
Valenzen  des  Kohlenstoffs  in  den  vier  Ecken  eines  regulären  Tfetra^dere 
angeordnet  seien,  und  entwickelte  die  daraus  entspringenden  Konsequenzen. 
Eine  der  wichtigsten  davon  haben  wir  bereits  kennen  gelernt  (S.  143): 
es  ist  die,  dass  ein  mit  vier  verschiedenen  Radikalen  verbundenes 
Kohlenstoffatom  asymmetrisch  sein  muss,  d.  h.  dass  es  in  zwei  ver- 
schiedenen Formen  auftreten  kann,  die  nicht  überdeckbar,  sondern  spiegel- 
bildlich symmeti'isch  sind.  Die  gute  Ü^bereinstimmung  dieses  Schlnsses 
mit  den  thatsächlichen  Verhältnissen  ist  bereits  dargelegt  worden. 


Theorie  der  chemischen  Verbindungen.  243 

Ein  zweiter  Schluss,  der  insbesondere  von  WisKcenus  in  mannig- 
faltigster Weise  zu  der  Erklärung  und  auch  Auffindung  neuer  Isomerie- 
verhältnisse  benutzt  worden  ist;  bestand  in  der  Erkenntnis^  da^s  ein 
doppelt  gebundenes  Paar  von  Kohlenstoffatomen,  das  mit  irgend  welchen 
anderen  Gruppen  verbunden  ist,  vermöge  der  räumlichen  Anordnung 
je  zwei  Isomere  von  gleicher  Struktur  geben  muss.  Der  Gedanke  wird 
am  einfachsten  aus  der  beistehenden  Figur  klar,  welche  die  Isomerie  von 
Maleinsäure  (Fig.  32)  und  Fumarsäure  (Fig.  33)  darstellt. 

Auch  dieser  Gedanke  hat  sich  als  ungemein  fruchtbar  erwiesen, 
indem  er  nicht  nur  den  Chemikern,  die  bis  dahin  diesen  mit  der 
Struktortheorie  nicht  vereinbar  gewesenen  Isomerieiällen  mit  einer  ge- 
wissen Scheu  aus  dem  Wege  gegangen  waren,  den  Mut  gab,  sie  ge- 
nauer zu  erforschen,  sondern  audi  sich  als  ein  zweckmässiger  Führer 
in  verwickeiteren  Verhältnissen  erwies.  Für  die  weitere  Ausgestaltung 
der  Grundgedanken  sind  insbesondere  die  Forschungen  E.  Fischers  über 
die  Zuckersurten  zu  nennen,  wo  die  sehr  verwickelten  und  mannigfaltigen 


com  Ewz TfCom 


ieoos  woc^ 

Fig.  32.  Fig.  33. 

Verhältnisse    durch   die  Theorie    eine   zur  Zeit   noch    vollkommen    aus- 
reichende Darstellung  gefanden  haben. 

Auch  in  der  Chemie  der  Stickstoffverbindungen  haben  sich  solche 
räumliche  Betrachtungen  als  ein  gutes  systematisches  Hilfsmittel  erwiesen, 
wie  dies  namentlich  durch  Hantzsch  gezeigt  worden  ist. 

Es  lässt  sich  vermuten,  dass  es  mit  der  auf  den  Kaum  ausgedehnten 
Strukturchemie  oder  der  Stereo  eh  emie  ebenso  gehen  wird,  wie  es  seiner- 
zeit mit  der  ebenen  Strukturchemie  gegangen  war.  Wenn  eine  solche  glückliche 
Veranschaulichung  gefunden  worden  ist,  so  treten  der  Forschung  zunächst 
eine  Menge  Thatsachen  entgegen,  die  sich  mit  ihr  in  bester  Übereinstimmung 
befinden.  Dies  ist  wegen  der  von  allen  besonderen  Theorieen  unabhängigen 
Analogieerscheinungen  in  dem  Verhalten  der  Stoffe  notwendig.  Auch  erweist 
sich  ein  gutes  Bild  darin  erfolgreich,  dass  es  noch  nicht  bekannte  Erscheinungen 
voraussehen  lässt.  Es  verhält  sich  ungefähr  so,  wie  eine  empirische  Formel, 
welche  irgend  eine  Naturerscheinung  darstellt,  sich  bei  der  Extrapolation  ver- 
hält. Solange  diese  nicht  bedeutend  ist,  findet  Übereinstimmung  zwischen 
der  Voraussicht  und  den  nachträglich  beobachteten  Thatsachen  statt.  Wird 
aber  die  Extrapolation  bedeutender,  oder  sind  die  nächsten  Analogieen  er- 

16* 


244  VI.    Systematik. 

schöpft,  so  werden  die  Unterschiede  grösser,  und  schliesslich  erweist  sich  die 
Formel  nicht  mehr  als  anwendbar,  und  muss  durch  eine  mit  mehr  Eonstanten 
ersetzt  werden,  welche  nicht  nur  die  früheren  Thatsachen  darstellt,  sondern 
auch  die  inzwischen  aufgefundenen  neuen. 

Bisher  hat  sich  die  Möglichkeit  der  Erweiterung  immer  noch  innerhalb 
der  Hypothese  beschaffen  lassen,  doch  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  dies 
immer  so  sein  wird.  Sind  doch  schon  aus  dem  Lager  der  „Organiker"  in 
letzter  Zeit  Stimmen  laut  geworden,  die  auf  die  bevorstehende  Erschöpfung 
der  Hilfsmittel  der  Strukturchemie  hinweisen. 

Eine  andere  notwendige  Entwickelung  der  Strukturchemie  hat  sidi 
ohne  wesentiiche  Änderung  durch  die  angemessene  Verwendung  der  auf 
anderen  Gebieten  gewonnenen  Erkenntnisse  bewerkstelligen  lassen.  Von  van 
Laar  (1885)  ist  auf  eine  Anzahl  von  Fällen  hingewiesen  worden,  wo  Stoffe  sich 
so  verhielten,  als  wären  sie  nach  verschiedenen  Strokturformeln  konstituiert 
Er  nannte  solche  Stoffe  tautomer,  und  in  neuerer  Zeit  ist  eine  grosse 
Anzahl  zugehöriger  Erscheinungen  beschrieben  worden.  Dabei  hat  sich 
herausgestellt,  dass  es  sich  um  Stoffe  handelt,  welche  sich  sehr  leidit 
und  schnell  in  Isomere  von  anderer  Konstitution  umlagern.  Im  festen 
Zustande  kann  von  diesen  Formen  immer  nur  eine  vorhanden  sein  (ausser 
wenn  die  beiden  Formen  Mischkrystalle  bilden,  was  zwar  nicht  beobachtet, 
aber  auch  nicht  ausgeschlossen  ist);  im  flüssigen  Zustande  werden  aber^ 
wie  dies  die  Theorie  der  chemischen  Gleichgewichte  verlangt,  immer  Ge- 
mische der  mehreren  möglichen  Formen  vorliegen.  Da  nun  die  Stoffe, 
wenn  sie  reagieren,  immer  flüssig  (gelöst  oder  geschmolzen)  sind,  so  sind 
auch  die  verschiedenen  Formen  vorhanden,  und  der  Stoff  reagiert  je  nadi 
den  Umsiänden  mit  der  einen  oder  der  anderen  Form,  die  sich  in  dem 
Masse  nachbilden  kann,  als  sie  durch  die  Reaktion  verbraudit  wird. 
Aus  diesen  einfachen  Gesichtspunkten  lassen  sich  die  vorkommenden  Ver- 
hältnisse verstehen,  doch  können  sie  im  Einzelnen  hier  nicht  erörtert 
werden,  da  sie  die  Kenntnis  der  chemischen  Dynamik  voraussetzen. 


Zweiter  Teil.     Verwandtschaftslehre. 


Einleitung.     Allgemeine  Energetik. 

Wenn  wir  nach  den  allgemeinsten  Kennzeichen  der  natürlichen 
Vorgänge  fragen,  so  ergiebt  sich,  dass  alle  mit  zeltlichen  und  räumlichen 
Änderungen  der  Energie  verbunden  sind.  Ohne  eine  solche  Änderung 
verläuft  kein  Vorgang;  wenn  keine  Änderung  des  Energiezustandes  statt- 
findet^ so  sind  wir  nicht  im  stände,  überhaupt  eine  Änderung  des  vor- 
handenen Zustandes  zu  behaupten. 

Man  wird  also  alle  physikalisch-chemischen  Vorgänge  dadurch  defi- 
nieren können,  dass  man  die  dabei  stattfindenden  Energieänderungen 
ihrer  Art  und  ihrem  Betrage  nach  angiebt.  Und  zwar  wird  eine  solche 
Angabe  nicht  nur  immer  möglich,  sondern  sie  wird  auch  erschöpfend 
sein.  Denn  alle  Kennzeichen,  die  wir  fiir  die  versdiiedenen  Dinge  der 
Aussenwelt  besitzen,  lassen  sich  gleichfalls  auf  deren  Energieverhältnisse 
zurückföhren,  da  solche  Kennzeichen  notwendig  in  Vorgängen  bestehen, 
welche  diese  Dinge  unmittelbar  oder  mittelbar  in  unseren  Sinneswerk- 
zeugen hervorrufen  und  letztere  ausschliesslich  auf  Zu-  oder  Abfuhr  von 
Energie  reagieren.  Somit  sind  die  Energieverhältnisse  thatsächlich  das 
Einzige,  was  wir  von  der  Aussenwelt  wissen,  und  diese  lässt  sich  voll- 
ständig als  ein  Gebilde  beschreiben,  in  welchem  verschiedene  Energieen 
auf  bestimmte  Art  im  Räume  und  in  der  Zeit  geordnet  sind. 

Unter  den  gleichen  Gesichtspunkt  fallen  notwendig  auch  die  Er- 
scheinungen, mit  denen  sich  die  Chemie  speziell  beschäftigt.  Es  kann 
kein  chemischer  Vorgang  stattfinden,  ohne  dass  dabei  Energiezustände 
geändert  werden,  und  ein  chemischer  Vorgang  ist  definiert,  wenn  die 
beteiligten  Energieen  nach  Mass  und  Art  angegeben  sind. 

Die  Energieverhältnisse  sind  aber  nidit  nur  die  Kennzeichen  der 
Zustände  und  ihrer  Änderungen,  sondern  sie  enthalten  auch  die  Be- 
dingungen fiir  die  Möglichkeit  und  die  Art  der  Vorgänge,  welche  statt- 
finden können,  wenn  bestimmte  Zustände  gegeben  sind.  Es  lassen  sich 
mit  anderen  Worten  die  in  der  Physik  und  der  Chemie  bekannten  all- 
gemeinen und  besonderen  Gesetze  alle  auf  eine  Form  bringen,  welche 
die  durch  diese  Gesetze  geregelten  Vorgänge  als  Umwandlungen  oder 
allgemeiner  Beziehungen  der  vorhandenen  Energieen  erscheinen  lässt  Die 
Gesamtheit  dieser  Wissenschaften  lässt  sich  daher  als  Energielehre  oder 


I 


246  Verwandtschaftslehre. 


Energetik  bezeichnen,  und  die  Reduktion  auf  diese  Form  ist  die  all- 
gemeinste und  exakteste  Gestalt,  die  man  zur  Zeit  unseren  Kenntnissen 
geben  kann. 

Diese  bevorzugte  Stellung  verdankt  die  Energie  dem  Umstände, 
dass  sie  derjenige  Begriff  ist,  der  vermöge  des  allgemeinen  Umwandlung»- 
gesetzes  einerseits  in  allen  Einzelgebieten  Anwendung  findet,  andererseils 
zwischen  allen  Gebieten  einen  Zusammenhang  herstellt 

Man  hat  oft  der  Energie  die  Materie  voran,  oder  wenigstens  zur 
Seite  gestellt,  und  beide  als  die  Grundbestandteile  der  physischen  Dinge  be- 
zeichnet. Indessen  ist  der  Begriff  der  Materie  zu  unbestimmt,  als  dass  man 
ihm  eine  solche  Stellung  einräumen  könnte.  Die  Materie  ist  besten- 
falls nur  durch  die  Arten  der  Energie  bestimmbar,  die  zusammen  in  einem 
begrenzten  Baume  vorkommen.  Einen  Stein  nennen  wir  materiell,  weil  er 
einerseits  Gewicht  und  Masse,  d.  h.  Gravitationsenergie  und  die  Aufnahme- 
fähigkeit für  kinetische  Energie  besitzt;  seine  weiteren  Eigenschaften,  wie 
Temperatur,  Farbe,  chemische  Zusammensetzung  beschreiben  seine  Verhältnisse 
bezüglich  der  Wärme,  der  strahlenden,  der  chemischen  Energie.  Das  Gesetz  von 
der  Erhaltung  der  Materie,  das  dem  von  der  Erhaltung  der  Energie  an  die 
Seite  gesetzt  zu  werden  pflegt,  bezieht  sich  nicht  auf  alle  diese  Eigenschaften, 
sondern  wesentlich  auf  seine  Masse,  und  daneben  noch  auf  das  von  der  Er- 
haltung der  chemischen  Art  (S.  7)  und  wird  sich  als  ein  besonderer  Fall 
eines  allgemeineren  Energiegesetzes  ausweisen.  Als  besonders  bleibt  nur  der 
Umstand  übrig,  dass  alle  die  genannten  Energieen  in  dem  gleichen  Baume 
nebeneinander  bestehen  und  gleichzeitig  miteinander  fortbewegt  werden 
können.  Diese  Thatsache  des  Zusammenbleibens  der  Energieen  ist  die  einzige, 
welche  als  eine  Eigentümlichkeit  eines  Dinges,  das  wir  Materie  nennen,  in 
Anspruch  genommen  werden  könnte;  es  kann  nicht  behauptet  werden,  dass 
darin  etwas  von  dem  Energiebegriff  Unabhängiges  enthalten  ist. 

Es  ist  oft  gefi*agt  worden,  was  denn  die  Energie  sei.  Eine 
vollständige  Definition  giebt  natürlich  nur  die  Besdireibung  ihres  Ver- 
haltens, welche  der  Inhalt  der  exakten  Naturwissenschaften  ist  Unter 
Bezugnahme  auf  die  oben  gegebenen  Darlegungen  kann  man  aber  kurz 
sagen:  die  Energie  ist  das  Unterschiedliche  in  Raum  und  Zeit 

Die  Bedeutung  des  Energiebegriffes  für  die  Zusammenfassung  der 
Erfahrungsthatsachen  liegt,  abgesehen  von  seiner  allgemeinen  Anwendbar- 
keit in  sämtlichen  Gebieten  physischer  Erscheinungen,  darin,  dass  für  die 
Energie  selbst  sich  eine  Anzahl  allgemeiner  Gesetze  au&teUen  lassen,  die 
auf  jedes  einzelne  Gebiet  in  gleicher  Weise  Anwendung  finden  und  da- 
her bekannte  Verhältnisse  übersichtlich  zusammenfassen,  unbekannte  er- 
schliessen  lassen.  Der  Betrachtung  der  Beziehungen  zwischen  chemischer 
Energie  und  den  anderen  Formen  wird  also  eine  allgemeine  Erörterung 
über  die  Gesetze  der  Energie  im  allgemeinen,  oder  die  Energetik  vor- 
auszugehen haben. 

Die  gegenwärtig  bekannten  Energiearten  zerfallen  in  mechanische 
und  nichtmechanische.     Es  sind  folgende: 


Einleitung.   Allgemeine  Energetik.  247 

A.  Mechanische  Energiearten. 

1.  Volumenei^e, 

2.  Flächenenergie. 

3.  Distanzenergie. 

4.  Bewegungsenergie. 

B.  Nichtmechanische  Energiearten. 

5.  Wärme. 

6.  Elektrische  und  magnetische  Energie. 

7.  Strahlende  Energie. 

8.  Chemische  Energie. 

Die  Frage,  oh  die  genannten  Energiearten  die  einzig  möglichen  sind, 
ist  bisher  noch  nicht  erörtert  worden.  Durch  eine  Zusammenstellung  aller 
denkbaren  Mannigfaltigkeiten,  die  bei  einer  Grösse  von  dem  allgemeinen 
Charakter  der  Energie  möglich  sind,  kann  man  sich  eine  Vorstellung  von  den 
Eigenschaften  anderer  Energieformen  schaffen,  die  zwar  denkbar,  aber  noch 
nicht  bekannt  sind.  Nach  den  Ergebnissen  einer  vorläufigen  Untersuchung, 
die  ich  über  diese  Frage  angestellt  habe,  sollte  es  noch  ziemlich  viele  unbe- 
kannte Energiearten  geben. 

Die  Volumenergie  ist  bereits  bei  der  Erörterung  der  Gasgesetze 
(S.  53)  erwähnt  worden,  welche  ein  Ausdruck  für  das  Verhalten  dieser 
Energieform  in  dem  wichtigsten  Falle  smd,  der  uns  vorkommt.  Es  hatte 
sich  ergeben,  dass  der  Betrag  dieser  Energie  durch  das  Produkt  zweier 
Grössen  gemessen  wu-d,  des  Druckes  und  des  Volums.  Eine  solche  Zu- 
sammensetzung des  Energiewertes  aus  zwei  Faktoren  ist  eine  allgemeine 
Erscheinung;  alle  Energiearten  lassen  sich  in  zwei  Faktoren  zerlegen, 
deren  Produkt  den  Zahlenwert  der  Energie  selbst  ergiebt. 

Von  diesen  Faktoren  hat  jeder  besondere  Eigenschaften.  Der  eine  ist 
ein  Ausdruck  für  das  Bestehen  oder  die  Abwesenheit  eines  dauernden 
Zustandes  oder  Gleichgewichts  zwischen  zwei  benachbarten  Räumen,  in 
denen  diese  Energieart  vorhanden  ist.  Diese  Rolle  spielt  im  vorliegen- 
den Falle  der  Druck:  zwei  Gase,  deren  Druck  gleich  ist,  beeinflussen 
sidi  gegenseitig  nicht  in  Bezug  auf  ihr  Volum,  d.  h.  sie  sind  bezüglich 
der  Volumenergie  im  Gleichgewicht.  Die  Gleichheit  des  Druckes  stellen 
wir  fest,  indem  wir  einen  Apparat,  an  welchem  wir  das  Vorhandensein 
und  die  Verschiedenheit  von  Drucken  durch  irgend  ein  Kennzeichen 
wahrnehmen  können,  ein  Manometer,  mit  beiden  Gasen  einzeln  in  Be- 
ziehung setzen.  Zeigt  das  Manometer  mit  beiden  einzeln  gleiche  Ein- 
stellung, so  finden  wir,  dass  auch  bei  der  unmittelbaren  Berührung  der 
beiden  Gase  die  Drucke  sich  als  gleich  erweisen.  Folglich  sind  zwei 
Drucke,  die  einzeln  einem  dritten  gleich  sind,  auch  untereinander  gleich: 
ein  Satz,  der  in  entsprechender  Anwendung  für  alle  Grössen  dieser  Art 
gilt,  und  dem  trotz  seiner  anscheinenden  „Selbstverständlichkeit"  eine  er- 
hebliche Bedeutung  zukommt. 

Grössen  solcher  Art,  die  das  Gleichgewicht  einer  bestimmten  Energie- 


248  y  erwandtschaf tslehre. 

art  definieren^  sollen  Intensitätsgrössen  genannt  werden  (Helm  1887); 
jede  Energieart  hat  ihre  Intensitätsgrösse,  und  die  Kenntnis  dies^  ist 
für  die  Beurteilung  ihres  Verhaltens  unter  gegebenen  Bedingungen  ent- 
scheidend. 

Einige  Worte  verdienen  die  Instrumente  zur  MeBSung  der  Intensitftts- 
grössen;  hierbei  wird  das,  was  in  Bezug  auf  die  Druckmesser  oder  Mano- 
meter gesagt  wird,  in  entsprechender  Weise  auf  alle  Intensitätsmesser  anwend- 
bar sein.  Ein  Manometer  ist  ein  Apparat,  welcher  Yolumenergie  aufzunehmen 
vermag  und  den  aufgenommenen  Betrag  auf  irgend  eine  Weise  sichtbar 
macht.  So  bestehen  die  gewöhnlich  an  Dampfkesseln  angebrachten  Mano- 
meter aus  Büchsen  von  elastischem  Metall,  die  durch  den  Druck,  der  auf 
ihr  Inneres  wirkt,  erweitert  werden  bis  der  elastische  Gegendruck  dem  znge- 
fuhrten  Druck  das  Gleichgewicht  hält.  Diese  Yolumänderung  wird  durch  ein 
Hebelwerk,  das  die  kleinen  Bewegungen  der  Büchsenwand  mechanisch  ver- 
grössert,  leicht  ablesbar  gemacht.  Das  Manometer  kann  nur  wirken,  wenn 
sein  Volum  durch  den  Druck  thatsächlich  verändert  wird;  eine  starre  Büchse 
wäre  unbrauchbar.  Doch  ist  der  Betrag  dieser  Volumänderung  willkürlich 
und  kann  um  so  kleiner  gemacht  werden,  je  grösser  die  Übersetzung  des 
Zeigerwerkes  ist;  diese  kann  um  so  erheblicher  sein,  je  leichter  und  beweg- 
licher es  gebaut  ist  Allgemein  wird  also  ein  derartiges  Messinstrument  dem 
Gebilde  immer  einen  gewissen  Betrag  der  Energie  entziehen  müssen,  deren 
Intensität  gemessen  werden  soll;  doch  kann  dieser  Betrag  um  so  kleiner  ge- 
macht werden,  je  weniger  Energie  das  „Zeigerwerk^^  (im  allgemeinsten  Sinne) 
verbraucht,  um  bethätigt  zu  werden.  Niemals  aber  kann  dieser  Betrag  gleich 
Null  gemacht  werden. 

In  diesen  Darlegungen  ist  eine  allgemeine  Theorie  der  Messinstrumente 
für  Intensitätsgrössen  angedeutet,  deren  Entwickelung  hier  aber  nicht  durch- 
geführt werden  kann. 

Der  andere  Faktor  der  Volumenergie  ist  das  Volum  oder  der 
Raum.  Ihm  kommt  ersichtlicher  Weise  die  Eigenschaft^  das  Gleichge- 
wicht zu  bestimmen^  nicht  zu,  denn  es  können  beliebige  Gasvolume  mit- 
einander im  Gleichgewicht  sein.  Dagegen  ist  die  Umwandlung  der 
Volumenergie  in  andere  Formen  von  dieser  Grösse  abhängig:  eine  solche 
Umwandlung  kann  nicht  ohne  Änderungen  des  Volums  erfolgen.  Wir 
nennen  Grössen  dieser  Art  Kapazitätsgrössen. 

Eine  wichtige  Eigenschaft  der  Kapazitätsgrössen  ist  das  Erhaltungs- 
gesetz^  das  sie  alle  (mit  einer  Ausnahme)  befolgen.  Im  Falle  des 
Volums  erscheint  es  wegen  unserer  Vertrautheit  mit  diesen  Thatsachen 
so  selbstverständlich^  dass  man  sich  auf  sein  Vorhandensein  erst  besinnen 
muss,  und  sich  ein  gegenteiliges  Verhalten  der  Erscheinungen  nicht  vor- 
stellen kann.  Doch  giebt  es  andere  Kapazitätsgrössen^  die  uns  weniger 
geläußg  sind;  und  bei  denen  die  Entdeckung  des  entsprechenden  speziellen 
Gesetzes  ein  wichtiger  Fortschritt  war. 

Das  Gesetz  besagt,  dass  in  einem  gegebenen  Gebilde  bei  allen 
möglichen    Änderungen    die    Summe    der    Kapazitätsgrössen 


Einleitung.   Allgemeine  Energetik.  249 

konstant  bleibt.  In  seiner  Anwendung  auf  die  Volumenergie  heisst 
dies,  dass  das  Gesamtvolum  sich  nicht  ändern  kann,  oder  dass,  wenn 
irgend  ein  Körper  sein  Volum  vermehrt,  daf^  ein  anderer  (oder  mehrere) 
sein  Volum  um  gleich  viel  vermindern  muss.  Dass  es  sich  hier  nicht 
um  etwas  ^Selbstverständlidies"  handelt,  sieht  man,  wenn  man  etwa 
versueht,  einen  gleichen  Satz  fQr  den  Druck  auszuspredien,  und  sich 
überzeugt,  dass  er  unzutreffend  ist.  Vielmehr  ist  diese  Eigenschaft  ein 
wichtiges  Stück  für  die  Beschreibung  des  Raümbegriffes. 

Die  beiden  nächsten  Formen  der  mechanischen  Energie,  die  Ober- 
flächen- und  die  Distanzenergie,  geben  zu  ganz  ähnlichen  Betrachtungen 
Anlass.  Bei  der  ersteren  ist  die  Intensitätsgrösse  die  Spannung,  die 
Eapazitätsgrösse  die  Fläche;  bei  der  anderen  sind  es  Strecke  und  Kraft. 
Da  sie  ftir  die  Umwandlung  in  chemische  Energie  so  gut  wie  gar  nicht 
in  Frage  kommen,  muss  hier  von  der  eingehenderen  Erörterung  ihrer 
Eigenschaften  abgesehen  werden. 

Die  vierte  mechanische  Energieform  hat  eine  mehrfache  Wichtig- 
keit. Ihre  Faktoren  sind  Masse  und  Geschwindigkeitsquadrat,  entsprechend 
der  Formel  ^/^mv^  (S.  5).  Die  Masse  haben  wir  als  Kapazitätsgrösse 
anzusehen;  die  Greschwindigkeit  ist  die  Intensität.  Denn  zwei  Massen 
sind  nur  dann  gegen  die  wechselseitige  Änderung  ihrer  Bewegungsenergie 
geschützt,  wenn  sie  (an  Wert  und  Richtung)  gleiche  Geschwindigkeiten 
haben,  da  sie  nur  dann  in  unveränderlicher  gegenseitiger  Entfernung  bleiben. 

Für  die  Masse  haben  wir  das  Erhaltungsgesetz  der  Kapazitäts- 
grössen  auszusprechen,  und  finden  das  wichtige  Gesetz  von  der  Er- 
haltung der  Masse,  das  uns  bereits  am  Anfange  unserer  Betrachtungen 
entgegentrat,  hier  als  einen  besonderen  Fall  des  allgemeineren  Ge- 
setzes wieder. 

Ausser  dieser  Zerlegung  der  Bewegungsenergie  in  zwei  Faktoren  kann 
man  noch  eine  andere  in  Vi^  und  mv  vornehmen.  Hier  tritt  mv  als  Kapa- 
zitätsgrösse auf,  und  auch  für  diesen  Ausdruck,  der  in  der  Mechanik  als  Be- 
wegungsgrösse  bekannt  ist,  gilt  das  Erhaltungsgesetz.  Es  nimmt  je  nach 
Umständen  verschiedene  Formen  an;  am  bekanntesten  ist  es  als  das  Gesetz 
Yon  der  Erhaltung  des  Schwerpunktes.  Doch  ist  wegen  mangelnder  chemischer 
Beziehungen  hierauf  nicht  näher  einzugehen. 

In^em  wegen  der  Beschreibung  der  Eigenschaften  der  anderen 
Energieformen  auf  die  späteren  TeUe  dieses  Buches  verwiesen  wird, 
seien  hier  noch  einige  Worte  über  die  chemische  Energie  voraus- 
geschickt. Bei  der  Umwandlung  irgend  welcher  Stoffe  in  andere  finden 
allgemein  Änderungen  der  Gesamtenergie  statt,  welche  wir  einem  ver- 
änderten Gehalt  des  Gebildes  an  chemischer  Energie  zuschreiben,  soweit 
nicht  andere  Energiearten  dabei  aus-  oder  eingetreten  sind.  Auch  ftir 
diese  Energieform  ist  die  Intensitäts-  und  Kapazitätsgrösse  aufzusuchen. 

Als  Kapazitätsgrösse  kennzeichnet  sich  die  Stoff  menge,  welcher 
die  ehemische  Energie  proportional  ist,  und  deren  Betrag  keinen  Ein- 
flnss  auf  ein  gegebenes  chemisches  Gleichgewicht  hat.    Man  muss  diesen 


250  Yerwandtschaftslehre. 

Begriff  durchaus  nicht  mit  der  Masse  oder  dem  Gewidit  verwechseln;' 
er  ist  beiden  Grössen  proportional,  aber  mit  keiner  von  ihnen  identisch. 
Dies  ergiebt  sich  schon  daraus,  dass  zwei  Körper  an  Masse  und  Gewidit 
gleich  sein  können,  und  dabei  in  Bezug  auf  chemische  Energie  wät' 
verschieden.  Das  Erhaltungsgesetz  für  diese  chemische  EapazitätsgrosBe 
ist  dalier  auch  nicht  auf  die  Erhaltung  der  Masse  und  des  Gewichtes 
bei  beliebigen  (Gemischen  Umwandlungen  beschränkt,  sondern  das  früher 
ausgesprochene  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Art  bei  chemischen 
Vorgängen  (S.  5)  tritt  noch  als  weitere  Spezialisierung  dazu. 

Gegenüber  den  anderen  chemischen  Kapazitätsgrössen  zeigt  die  chemische 
einen  wesentlichen  Unterschied,  der  auch  ein  entsprechendes  Verhalten  der 
chemischen  Intensitätsgrösse  bedingt.  Zwei  Massen  oder  Volume  sind  nur 
durch  ihren  Zahlenwert  verschieden  und  können  nur  positiv  sein.  Zwei  Stoff- 
mengen sind  ausser  durch  ihren  Zahlenwert  im  allgemeinen  noch  durch  ihre 
Art  verschieden.  Eine  Folge  davon  ist,  dass  man  Massen  oder  Volume  unbe- 
schränkt addieren  oder  zusammensetzen  kann,  während  man  chemische 
Mengen  nur  dann  addieren  kann,  wenn  sie  gleicher  Art  sind.  Ausserdem 
bestehen  zwischen  den  chemischen  Kapazitätsgrössen  noch  die  Beziehungen, 
die  durch  die  chemischen  Gleichungen  auf  Grundlage  der  stöchiometrischen 
Gesetze  ausgedrückt  werden  können.  Diese  viel  grössere  Mannigfaltigkeit 
der  chemischen  Energie  bedingt  eine  entsprechende  Verwickelung  der 
chemischen  Energetik  und  ist  eine  Erklärung  für  die  Verspätung,  die  ihre 
wissenschaftliche  Gestaltung  erfahren  hat. 

Hierdurch  fällt  auch  ein  neues  Licht  auf  die  Frage  nach  einer  etwaigen 
gegenseitigen  Umwandlung  der  Elemente.  Man  kann  nicht  sagen,  dass  sie 
absolut  unmöglich  sei,  aber  man  kann  sagen,  dass  sie  eben  so  wahrscheinlich, 
bez.  unwahrscheinlich  ist,  wie  eine  Verletzung  des  Gesetzes  von  der  Er- 
haltung der  Masse. 

Der  Intensitätsfaktor  der  chemischen  Energie  ist  das  chemische 
Potential  in  Analogie  mit  dem  mechanisdien  und  dem  elektrischen 
Potential  genannt  worden.  Der  Begriff  fällt  nahezu  zusammen  mit  dem, 
was  man  unbestimmter  die  chemische  Verwandtschaft  genannt  hat  Es 
wird  sich  später  Gelegenheit  finden,  ihn  schärfer  zu  bestimmen.  Für 
jetzt  sei  nur  erwähnt,  dass  die  Gleichheit  des  chemischen  Potentials  der 
vorhandenen  Stoffe  fUr  das  chemische  Gleichgewicht  ebenso  wesentlich 
ist,  wie  etwa  Gleichheit  des  Druckes  für  das  Gleichgewicht  der  Volumenergie. 

Die  Lehre  von  der  chemischen  Verwandtschaft  ist  nun  die  Lehre 
von  der  Umwandlung  der  chemischen  Energie  in  die  anderen  Formen, 
und  es  wird  demgemäss  soviele  Teile  dieser  Lehre  geben,  als  es  andere 
Energieformen  giebt.  Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  unseres  Wissens 
ist  allerdings  dieses  Programm  nicht  ganz  auszufüllen,  und  die  Kenntnis 
der  verschiedenen  Umwandlungsbeziehungen  ist  sehr  verschieden  entwickelt. 

Von  diesen  sind  Thermochemie  und  Elektrochemie  längst 
anerkannte  Gebiete;  auch  die  Beziehung  zwischen  strahlender  Energie 
in    der   Form    des   Lichtes   und    chemischer    Energie   sind    als  Photo- 


VII.    Thennochemie.  —  Allgemeines.  251 

ehemie  ein  besonderes  Kapitel  der  Wissenschaft.  Bezüglich  der  vier 
Energieformen^  die  in  ihrer  Beziehung  zur  chemischen  Energie  eine 
Mechano Chemie  geben  sollten^  ist  eine  derartige  Zusammenfassung  zwar 
Ihatsachlich  vorhanden  ^  aber  dodi  in  diesem  Sinne  kaum  ausgesprochen 
worden.  Beachtet  man  aber,  dass  bei  allen  chemischen  Vorgängen 
Änderungen  der  Konzentration  der  beteiligten  Stoffe  vorkommen  und 
fflch  als  wesentlich  für  den  Verlauf  der  Erscheinungen  erweisen,  so  wird 
man  als  die  zugehörige  Energieform  die  Volumenergie  erkennen,  die 
(teilweise  in  der  Form  osmotischer  Volumenergie,  S.  211)  sich  mit  der 
chemischen  umsetzt  und  die  Ercheinungen  bedingt.  Was  man  also  in 
übertragener  Bedeutung  chemische  Mechanik  genannt  hat,  verdient  in 
der  That  diesen  Namen  im  eigentlichen  Sinne,  da  die  Lehre  vom 
chemischen  Gleichgewicht  thatsächlich  die  Lehre  von  den  gegenseitigen 
Beziehungen  zwidien  chemischer  und  mechanischer,  speziell  Volum- 
energie  ist. 

Es  erhebt  sich  alsbald  die  Frage  nach  etwaigen  Beziehungen  der 
diemischen  Erscheinungen  zu  den  drei  anderen  mechanischen  Energieformen. 
Hierüber  ist  zu  sagen,  dass  sie  noch  sehr  wenig  entwickelt  sind.  Es  ist 
bekannt,  dass  manche  Lösungen  an  ihrer  Oberfläche  eine  andere  Zu- 
sammensetzung haben,  als  im  Inneren:  hier  haben  wir  es  also  mit  einer  Be- 
ziehung zwischen  chemischer  und  Oberflächenenergie  zu  thun.  Femer 
sind  einige  wenige  Fälle  bekannt,  in  denen  chemische  Vorgänge  durch  Be- 
wegungsenergie beeinflusst  werden  (Einflussder  Centrifiigalkraft  auf  che- 
mische Gleichgewichte,  Bredig  1895),  und  ein  gleicher  Einfluss  durch  die 
Schwere,  eine  Form  der  Distanz  energie  ist  gleichfalls  theoretisch  wie 
experimentell  nachgewiesen  worden.  Indessen  sind  alle  diese  Beziehungen 
sehr  wenig  entwickelt  und  spielen  auch  in  den  Erscheinungen  der  Natur 
und  den  technischen  Vorgängen  keine  erhebUche  Rolle,  so  dass  sich  die 
Mechanochemie  praktisch  auf  die  erstgenannte  Beziehung  zur  Volum- 
energie beschränkt. 

Siebentes  Buch. 

Thermochemie. 

Erstes  Kapitel. 
Allgemeines. 

Von  allen  Umwandlungen  der  chemischen  Energie  in  andere  Formen 
erfolgt  die  in  Wärme  am  leichtesten  und  vollständigsten.  Die  Thermo- 
chemie oder  die  Lehre  von  den  Beziehungen  .zwischen  Wärme  und 
chemischer  Energie  gehört  daher  zu  den  ältesten  Gebieten  der  Ver- 
wandtschaftslehre und  kann  auch  zur  Zeit  noch  als  das  experimenteil 
am  vollständigsten  bearbeitete  bezeichnet  werden. 

Die  Wichtigkeit  einer  genauen  Kenntnis  der  Beträge  chemischer 
Energie  ergiebt  sich,  wenn  man  sich   die  Frage  nach  den  Quellen  und 


252  Vn.   Thennochemie. 

Vorräten  der  Energie  stellt,  welche  für  die  technisdi  und  physiologüdi 
wichtigen  Vorgänge  verwendet  werden.  Es  zeigt  sidi  dann,  dass  zu- 
nächst alle  in  der  Technik  verwerteten  Energiequellen  chemischen  Ur- 
sprungs sind,  indem  sie  auf  die  Verbindung  der  Elemente  der  Brenn- 
materialien mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  zurückgehen.  Dazu  kommt 
aber  noch,  dass  auch  die  gesamte  Lebensthätigkeit  aller  Organismen  sieh 
ausschliesslich  auf  chemische  Vorgänge  und  die  bei  denselben  ireiwerdende 
Energie  gründet.  Die  chemische  Energie  ist  somit  diejenige  Form,  weldie 
von  allen  am  meisten  und  häufigsten  in  Frage  kommt,  und  weldier  im 
Haushalte  der  Natur  der  erste  und  umfassendste  Platz  eingeräumt  ist 

Die  Geschichte  der  Thermochemie  beginnt  demgemäss  mit  technisdien 
und  physiologischen  Problemen,  welche  von  Lavoisier  und  Laplace,  Rumford, 
Dulong,  Despretz  u.  a.  gestellt  und  zu  lösen  versucht  wurden.  Eine  prinzipielle 
Grundlegung  nach  einer  Seite  rührt  von  den  erstgenannten  her,  welche  den 
Satz  aufstellten,  dass  zur  Zerlegung  einer  Verbindung  ebensoviel  Wärme  er- 
forderlich sei,  wieviel  bei  ihrer  Bildung  aus  den  Elementen  frei  wird.  Es 
ist  dies  ein  einzelner,  und  zwar  besonders  einfacher  Fall  des  allgemeinen 
Energiesatzes. 

Durch  6.  H.  Hess  wurde  (1840)  für  thermochemische  Vorgänge 
der  erste  Energiesatz  zuerst  in  seinem  ganzen  Umfange  als  das  Gesetz 
der  konstanten  Wärmesummen  ausgesprochen.  Dasselbe  besagt, 
dass  für  die  Wärmeentwickelung  bei  chemischen  Vorgängen  nur  der 
Anfangs-  und  der  Endzustand  massgebend  ist;  sind  diese  gegeben,  so 
ist  damit  auch  die  Wärmeentwickelung  gegeben,  welches  auch  die 
Zwischenzustände  seien. 

Entsprechend  unseren  gegenwärtigen  Vorstellungen  ist  mit  jedem  Zu- 
stande eines  Gebildes  ein  bestimmter  Wert  seiner  Energie  verknüpft, 
indem  daß,  was  wir  den  „Zustand"  nennen,  eben  durch  die  Art  und 
Menge  der  vorhandenen  Energie  gegeben  ist.  Zwei  verschiedenen  Zu- 
ständen entsprechen  daher  zwei  verschiedene  Energiegrössen,  und  die 
Differenz  der  beiden  muss  ab-  oder  zugeführt  werden,  wenn  das  Gebilde 
aus  dem  einen  Zustande  in  den  anderen  übergehen  soll.  In  welchen 
Anteilen  diese  Ab-  oder  Zufuhr  geschieht,  ist  flir  den  schlieöshchen  Wert 
offenbar  gleichgültig. 

Hess  hat  seinen  Satz  als  eine  Folgerung  aus  der  Erfahrung,  mit  vollem 
Bewusstsein  indes  seiner  Tragweite  aufgestellt.  Er  prüfte  ihn  auf  ver- 
schiedene Weise,  indem  er  einen  und  denselben  chemischen  Vorgang  auf  ver- 
schiedene Weise  in  Teilvorgänge  zerlegte  und  deren  Wärmeentwickelung 
einzeln  mass.  Die  Summe  erwies  sich  dann  immer  gleich  gross,  wie  auch 
die  Zerlegung  vorgenonftnen  war.    Aus  seinen  Zahlen  sei  die  folgende  Tabelle 


angeführt: 

Summe 

H«SO* 

— 

+  2NH«    ^gelöst)    595-8 

595-8 

H«SO*  +  H*0 

77-8 

518-9 

596-7 

H«S0*  +  2H«0 

116-7 

480.5 

597.2 

H«S0*  +  5H*0 

155-6 

446.5 

6018 

Thermochemische  Methoden.  253 

He  erste  Zahlenreihe  stellt  die  Wärmemengen  dar,  welche  bei  der  Ein- 
wirkung von  Schwefelsäure  auf  1,  2  und  5  Mole  Wasser  frei  werden,  die 
iweite  die  Wärmemengen,  welche  die  so  verdünnten  Schwefelsäuren  beim 
^^eutralisieren  mit  Ammoniak  geben.  Die  Summe  beider  ist  sehr  annähernd 
constant. 

Die  Bedeutung  dieses  Satzes  für  die  Methodik  der  Thermochemie 
st  sehr  gross  und  von  Hess  vollständig  erkannt  worden.  Er  gestattet^ 
lie  Wärmemengen  solcher  Vorgänge  zu  berechnen,  welche  direkt  nicht 
nessbar  sind,  indem  man  sie  als  Glieder  einer  Summe  darstellt ,  deren 
mdere  Glieder  und  Gesamtwert  bekannt  sind.  So  kann  man  z.  B. 
licht  die  Wärmemengen  messen,  welche  bei  der  Verbrennung  d^  Kohle 
Bu  Kohlenoxyd  firei  wird.  Misst  man  aber  die  Wärmemenge,  welche 
nan  erhält,  wenn  man  Kohle  zu  Dioxyd  verbrennt,  so  muss  sie  gleich 
}ein  der  Verbrennungswärme  von  Kolile  zu  Kohlenoxyd  plus  der  von 
Kohlenoxyd  zu  Dioxyd.  Letztere  kann  man  gleichfalls  messen;  zieht 
man  die  Zahl  von  der  ersteren  ab,  so  erhält  man  die  gesuchte  Ver- 
brennungswärme der  Kohle  zu  Kohlenoxyd. 

Neben  und  nach  Hess,  welcher  als  der  eigentliche  Begründer  der 
Thermochemie  anzusehen  ist,  wirkten  andere  Forscher,  so  Andrews,  Graham 
und  namentlich  Favre  und  Silbermann,  welch  letztere  ein  sehr  reichliches 
Beobachtungsmaterial  sammelten.  An  Klarheit  der  Anschauungen  stehen 
sie  alle  hinter  Hess  zurück. 

Die  Ergebnisse  der  inzwischen  entwickelten  mechanischen  Wärme- 
theorie wurden  von  J.  Thomsen  zuerst  (1853)  auf  die  Thermochemie  ange- 
wendet; dieser  Forscher  hat  bis  in  die  neueste  Zeit  eine  überaus  grosse 
Zahl  von  Messungen  auf  diesem  Gebiete,  grossenteils  von  erheblicher  Ge- 
nauigkeit, ausgeführt.  Später  (1865)  begann  Berthelot  sich  mit  ähnlichen 
Problemen,  besonders  auch  im  Gebiete  der  organischen  Chemie  zu  beschäftigen. 
Beide  Forscher  sind  diejenigen,  welchen  wir  den  grössten  Teil  unserer  Kennt- 
nisse auf  dem  Gebiet  der  Thermochemie  verdanken.  Eine  grosse  Zahl  von 
sehr  genauen  Bestimmungen  über  Verbrennungswärmen  organischer  Stoffe 
verdanken  wir  F.  Stohmann. 


Zweites  Kapitel. 
Thermochemische  Methoden. 

In  der  Thermochemie  hat  man  bisher  als  Wärmeeinheit  die  Kalorie 
benutzt,  d.  h.  die  Wärmemenge,  welche  zur  Erwärmung  von  1  g  Wasser 
um  einen  Grad  erforderlich  ist.  Es  ist  bereits  (S.  88)  dargelegt  worden, 
dass  diese  Einheit  nicht  rationell  ist,  und  durch  das  Erg  oder  ein  Viel- 
feches  davon  ersetzt  werden  muss.  Für  die  Zwecke  der  Thermochemie 
ist  der  Wert  von  10^®  Erg  gleich  1000  Joule,,  oder  das  Kilojoule  =  J 
^e  zweckmässige  Einheit.  Sie  soll  in  der  Folge  benutzt  werden.  Der 
Umrechnung  aus  den  gewöhnlichen  Angaben  ist  die  bei  18"  gemessene 


254  VII.   Thermochemie. 

Kalorie  nach  Rowland,  1  cal  =  41830000  Erg  zu  Grande  gelegt  wordeiu] 
Dies  ist  dadurch  gerechtfertigt,  dass  die  meisten  thermochemischen  B^j 
Stimmungen  auf  diesen  Wert  bezogen  sind. 

Um  also  eine  in  Eilojoule  =  J  gegebene  Zahl  auf  gewöhnlichi 
Kalorieen  umzurechnen ,  ist  sie  mit  0*004183  zu  dividieren  oder  mil 
2391  zu  multiplizieren.  Will  man  mittiere  Kalorieen  K=100  cal  ei 
halten,  so  ist  der  Faktor  2-391. 

Die  thermochemischen  Thatsachen  lassen  sich  kurz  und  zur  Rechnun( 

geeignet  darstellen,   wenn  die  Bedeutung  der  gewöhnlichen   chemischen] 

Gleichungen  dahin  erweitert  wird,  dass  sie  nicht  nur  die  Massen-  sondei 

auch  die  Energieverhältnisse  zur  Darstellung  bringen.     Wenn  wir  z.  B. 

die  Gleichung  schreiben 

Pb  +  2J  =  PbJ^ 

so  besagt  sie,  dass  sich  aus  Blei  und  Jod  Jodbld  bildet,  und  zwar  ans 
206-9  g  Blei  und  253-8  g  Jod  460-7  g  Jodblei.  Sollen  die  Zeichen  aber 
nicht  die  Gewichtsmengen  der  Stoffe,  sondern  auch  die  Energiemengen, 
welche  sie  kennzeichnen,  darstellen,  so  ist  die  Gleichung  unvollständig. 
Denn  bei  der  Bildung  des  Jodbleis  wird  Wärme  frei,  und  zwar  167  J*), 
um  soviel  ist  die  Energie  des  Jodbleis  kleiner,  als  die  der  Bestandteile. 
Die  entsprechende  Energiegldchung  lautet  demnach 

Pb-f-2J  =  PbJ»+167J, 

und  bedeutet:  206-9  g  Blei  und  253-8  g  Jod  enthalten  ebensoviel  Energie, 
wie  460-7  g  Jodbiei  plus  167  J. 

Die  Gleichung  gestattet  beliebige  algebraische  Umformungen,  und 
muss  dann  entsprechend  verschieden  gelesen  werden.     So  bedeutet 

Pb  +  2J  —  PbJ»=167J, 

der  Unterschied  der  Energie  von  Blei  plus  Jod  und  Jodblei  beträgt  167J. 

Oder  PbJ2  =  Pb  +  2J  —  167  J, 

wenn  Jodblei  in  Blei  und  Jod  zerlegt  wird,  so  müssen  dabei  167J  auf 
genommen  werden. 

Die  Gleichungen  sind  sämtlich  so  zu  verstehen,  dass  die  Energie 
der  Stoffe  f&r  eine  und  dieselbe  Temperatur  gelten  soll.  Als  solche 
dient  gewöhnlich  die  mittlere  Zimmertemperatur  von  18®. 

Der  Energieinhalt  der  Stoffe  ist  femer  davon  abhängig,  in  welchem 
Aggregatzustande  sie  sich  befinden.  Es  ist  am  einfachsten,  diesen  durcli 
Klammem  anzudeuten  *).  Ohne  E^lammern  erschdnen  Flüssigkeiten,  die 
am  meisten  in  Betracht  kommen.  Gase  sollen  mit  randen,  feste  Körper 
mit  eckigen  Klammem  (an  Krystalle  erinnemd)  bezeichnet  werden. 
Dann  bedeuten  die  Gleichungen 

*)  Eine  Verwechslung  der  gleichen  Zeichen  J  (Jod)  und  J  (Kilojoule) 
wird  durch  den  ZusammeiUiang  als  ausgeschlossen  angesehen. 

*)  Ich  verdanke  diese  Form  der  Bezeichnung  einem  Fachgenossen, 
dessen  Namen  ich  nicht  mehr  weiss. 


Thermochemische  Methoden.  255 

H,0  —  [H8  0]=    60  J 

(H,0)—  H«0  =40.5J 

dass  beim  Übergange  des  flüssigen  in  festes  Wasser  6-OJ,  beim  Über- 
gange des  gasförmigen  in  flüssiges  40-5  J  abgegeben  werden. 

I         Es  soll  noch  bemerkt  werden,   was  bisher  stillschweigend  voraus- 
i  gesetzt   wurde,   dass  die  angegebenen  Energie-  und  Wärmemengen  sich 
lauf  Mole,   d.  h.  auf  solche  Mengen  der  verschiedenen  Stoffe  beziehen, 
als  deren  Formelgewicht  in  Grammen  beträgt. 

Häufig  sind  die  reagierenden  Stofle  in  sehr  viel  Wasser  aufgelöst. 
Man  bezeichnet  dies,  indem  man  hinter  das  chemische  Zeichen  die  Buch- 
staben Aq  (aqua)  setzt.  Solche  Lösungen  geben  keine  Wärmeändening, 
wenn  sie  mit  weiteren  Wassermengen  versetzt  werden.  Deshalb  gelten 
die  Gleichungen 

M.Aq  +  nH«0=rM.Aq, 

M.Aq  — nH«0  =  M.Aq, 

wo  M  den  gelösten  Stoff  darstellt.  Man  kann  also  in  thermochemischen 
i  Gleichungen  begrenzte  Wassermengen  neben  Aq  verschwinden  lassen, 
\  oder  davon  abtrennen,  ohne  einen  Fehler  zu  begehen. 

So  haben  wir  z.  B.  bei  der  Bildung  des  Ghlorkaliums  in  wässeriger 
;  Lösung 

KOHAq  +  HClAq  =  K01(Aq  +  Aq  +  H  «Q)  +  573  J. 

Statt  dieser  Gleichung  schreiben  wir  stets 

KOHAq  +  HClAq  =  KOlAq  +  573  J, 

;  da  die  Vermischung  der  fireiwerdenden   Wassermengen    mit  der   Clilor- 
kaliumlösung  keine  Wärmeänderung  bedingt. 

Die  vorstehend  eingeführten  Energiegleichungen  sind  besonders  nützlich, 

um  mit  ihrer  Hilfe  auf  indirektem  Wege  thermochemische  Daten  berechnen 

zu  können,  welche  man  unmittelbar  nicht  beobachten  kann.    Kehren  wir  zu 

dem  oben  (S.  253)  von  Hess  gegebenen  Beispiel  zurück,  so  haben  wir  durch 

unmittelbare  Messung 

[C]  +  2(0)  =  (CO«)+'394J 

(C0)+    (0) « (CO«)  +  284  J. 

Zieht  man  die  untere  Gleichung  von  der  oberen  ab,  so  kommt 

[C]  +  2(0)  —  (CO)  —  0  =  llOJ 
oder  [C]  +  (0)  =  (C  0)  -f  110  J 

d.  h.   die  Verbindungswärme  von  Kohlenstoff  mit  Sauerstoff  zu  Kohlenoxyd 
beträgt  llOJ. 

Ein  zweites,  etwas  verwickelteres  Beispiel  ist  die  von  Hess  bestimmte 
Bildungswärme  des  Schwefeltrioxyds.  Das  Verfahren  bestand  darin,  dass  ein 
Gemenge  von  Bleioxyd  mit  Schwefel  im  Sauerstoff  verbrannt  wurde.  Es 
bildet  sich  dabei  Bleisulfat  unter  Entwickelung  von  692  J ;  wir  haben  demnach 
die  Gleichung         [Pb  0]  +  [S]  +  3  (0)  =  [Pb  SO*]  +  692  J. 


256  ^n.   Thermochemie. 

Um  die  Glieder  Pb  0  und  Pb  SO^  aus  der  Gleichung  zu  eliminieren,  wurde 
Bleioxyd  mit  verdünnter  Schwefelsäure  zu  Bleisulfat  verbunden;  es  ergab  sieb 

[Pb  0]  +  H«SO*  Aq  « [PbSO*]  +  Aq  +  97  J. 
Subtrahiert  man  diese  Gleichung  von  der  oberen,  so  folgt 

[S]  +  3  (0)  +  Aq  ==  H«SO*  Aq  +  595  J, 
d.  h.  die  Bildung  der  wässerigen  Schwefelsäure  aus  Schwefel,  Sauerstoff  und 
Wasser  entwickelt  595  J. 

Schliesslich  löste  Hess  Schwefeltrioxyd  in  Wasser: 

[SO»]  +  Aq  =  H^SO*  Aq  +  172  J. 
Durch  Abziehen  dieser  Gleichung  von  der  vorigen  folgt 

[S]  +  3[0]  — [SO»]  +  423J, 
wodurch  der  gesuchte  Wert  erhalten  wird. 

Auf  ähnliche  Weise  können  zahllose  Aufgaben  gelöst  werden.  Die 
Methode  besteht  im  allgemeinen  darin^  dass  man  irgend  zwei  Reaktionen 
misst,  bei  welchen  die  iraglichen  Stoffe,  welche  den  Ausgang  und  das 
Endprodukt  der  gesuchten  Reaktion  bilden,  vorkommen,  und  die  Hil^ 
Stoffe,  welche  bei  diesen  Reaktionen  gedient  haben,  durch  passende 
Gleichungen  zwischen  denselben  eliminiert.  Von  der  Geschicklichkeit 
des  Experimentators  hängt  es  ab,  die  Reaktionen  so  zu  wählen,  dass 
sie  sich  möglichst  genau  messen  lassen,  und  dass  sie  das  Ziel  mit 
möglichst  wenig  Umständen  zu  erreichen  gestatten. 

Eine  besonders  häufig  berechnete  Reaktionswärme  ist  die  Bildungs- 
wärme.  Man  bezeichnet  mit  diesem  Namen  den  Unterschied  zwisdien 
der  Energie  einer  chemischen  Verbindung  und  der  ihrer  Elemente.  Man 
erhält  diese  Zahlen  aus  den  entsprechenden  Reaktionsgleichungen,  in 
denen  nur  die  Elemente  und  die  Verbindung  vorkommen.     Aus 

[Pb]  +  2  [J]  =  [Pb Ja]  4- 167  J 

folgt,  dass  die  Bildungswärme  des  Jodbleis  167  J  ist 

Die  Bildungswärme  ist  somit  der  Energieverlust,  weldien  die 
Elemente  erfahren,  wenn  sie  sich  zu  der  betreffenden  Verbindung  ver- 
einigen. Zählt  man  die  Energiemengen  (die  ihrer  absoluten  Grösse  nach 
vollkommen  unbekannt  sind),  indem  man  die  der  freien  Elemente  gleich 
Null  setzt,  so  erhält  die  Gleichung  die  Form 

0  +  0  =  PbJ«+167  J, 

indem  [Pb]  =  0  und  [2  J]  ==  0  gesetzt  wnrd.  Man  kann  dies  auch  schreiben 

[PbJ2]=— 167  J. 

In  den  Energiegleichungen  lässt  sich  somit  die  Formel  der  Verbindungen 
durch  ihre  Bildungswärme  unter  Umkehrung  des  Zeichens  ersetzen. 

Diese  Regel  gestattet,  mit  Hilfe  der  Bildungswärmen  Reaktions- 
wärmen sehr  leicht  zu  berechnen.  Es  sei  z.  B.  die  bei  der  Darstellung 
des  Magnesiums  auftretende  Wärmemenge  zu    berechnen.     Wir    haben 

[Mg  Gl*]  +  2  [Na]  =  2  [Na  Gl]  +  [Mg]  +  x. 

Nun  ist  die  Bildungswärme  von  Ghlormagnesium  632  J,  die  von  Chor- 


Thermochemische  Methoden.  257 

natrimn  408  J.  Machen  wir  die  Snbstitation;  so  kommt;  indem  man 
die  Bildungswärme  der  freien  Elemente  gleich  Null  setzt, 

—  632  +  2X0  =  —  2X408  +  0  +  X 

x  =  184  J. 

Wegen  dieser  einfachen  Gestalt  der  Rechnung  pflegt  man  für  die  ver- 
schiedenen chemischen  Verbindungen  die  Bildungswärme  zu  ermitteln, 
um  sie  weiteren  Rechnungen  zu  Grunde  zu  legen.  Auch  in  den  weiter 
unten  folgenden  Zusammenstellungen  sind  die  Bildungswärmen  vorzugs- 
weise angegeben. 

Was  nun  die  Ausführung  thermochemischer  Versuche  anlangt,  so 
lassen  sich,  trotz  der  Mannigfaltigkeit  der  von  verschiedenen  Forschem 
benutzten  Methoden  und  Apparate,  doch  einige  allgemeine  Angaben 
aufstellen.  Denn  von  den  zahlreichen  Reaktionen  der  Experimental- 
diemie  eignet  sich  nur  eine  relativ  geringe  Anahl  zu  thermochemischen 
Messungen,  nämlich  fast  nur  solche,  welche  m  der  kurzen  Zeit  einiger 
Minuten  bei  gewöhnlicher  Temperatur  verlaufen.  Dahin  gehören  vor 
allem  die  verschiedenen  Vorgänge  der  Sabsbildung  in  wässerigen  Lösungen, 
sowie  alle  Lösungs-  und  Verdtinnungsvorgänge. 

Eine  zweite  Klasse  von  thermochemischen  Vorgängen  sind  die  leb- 
haften Verbrennungen,  welche  dadurch,  dass  man  sie  in  einem  allseitig 
geschlossenen,  von  Wasser  umgebenen  Räume  stattfinden  lässt,  gleich- 
falls der  Messung  bequem  zugänglich  werden.  Auf  diese  beiden  Formen 
lässt  sich  die  grösste  Zahl  der  thermochemischen  Experimente  zurückführen. 

Für  thermochemische  Messungen  in  wässeriger  Lösung  bedient  man 
sich  gläserner  oder  metallener  Kalorimeter,  am  besten  solcher  von  Platin. 

Handelt  es  sich  um  die  Auflösung  eines  festen,  flüssigen  oder  gas- 
formigen Stoffes  in  der  Flüssigkeit  des  Kalorimeters,  so  besteht  der  Versuch 
darin,  dass  man  den  Stoff  möglichst  auf  die  Temperatur  des  Kalorimeters 
bringt  und  dann  den  Vorgang  einleitet.  Durch  einen  Rührer  wird  für  gleich - 
formige  Verteilung  der  Stoffe  wie  der  Wärme  gesorgt.  Dieser  hat  gewöhnlich 
die  Form  einer  horizontalen  Platte,  die  für  den  Durchgang  des  Thermometers 
u.  8.  w.  passend  durchbrochen  ist,  und  wird  senkrecht  auf  und  ab  bewegt. 

Wenn  die  Reaktion  zwichen  zwei  annähernd  gleichen  Flüssigkeitsmengen 
stattfinden  soll,  so  muss  die  Temperatur  jeder  im  Augenblicke  der  Ver- 
mischung genau  gemessen  sein.  Thomson  ordnet  in  diesem  Falle  über  dem 
Kalorimeter  ein  kleineres  Gefäss  an,  welches  mit  Rührer  und  Thermometer 
ausgestattet  wird,  wie  das  Kalorimeter,  und  lässt,  nachdem  die  Temperatur 
beiderseits  abgelesen  ist,  durch  ein  Ventil  im  Boden  des  oberen  Gefässes  die 
Flüssigkeit  in  das  untere  strömen.  Berthelot  bringt  die  eine  Flüssigkeit  wie 
Thomsen  in  das  Kalorimeter,  die  andere  dagegen  in  einen  dünnwandigen, 
breithalsigen  Kolben,  welcher  innerhalb  eines  Schutzcylinders  von  innen  ver- 
silbertem und  poliertem  Kupferblech  steht.  Nachdem  die  Temperatur  fest- 
gestellt ist,  wobei  das  Thermometer  als  Rührer  dient,  wird  der  Kolben  mit 
einer   hölzernen  Zange   erfasst   und  in  das  Kalorimeter  entleert.     Die  An- 

Ostwald,  GrundriBB.  8.  Aufl.  17 


258 


VII.   Thermochemie. 


Ordnung  Thomsons  verwirft  er,  weil  die  Flüssigkeit  des  oberen  Gefässes  beim 
Durchgang  durch  das  Ventil  ihre  Temperatur  ändern  könnte.  Dieser  Einwand 
ist  indessen  unbegründet,  da  nach  der  Art,  wie  Thomsen  seine  Thermometer 
vergleichbar  macht,  ein  derartiger  Fehler  eliminiert  wird.  Im  Gegenteil  er- 
weist sich  Thomsons  Anordnung  als  genauer,  was  wohl  wesentlich  dadurch 
bedingt  wird,  dass  dieser  die  Thermometer  mit  einem  Femrohr  abliest, 
BerÜielot  dagegen  mit  blossem  Auge. 

Das  Kalorimeter  zu  Verbrennungen  fester,  flüssiger  oder  gasförmige 
Körper  in  Gasen  hat  eine  allmähliche  Ausbildung  von  der  unvoll- 
kommenen Gestalt;  die  es  bei  Dalton,  Davy  und  Rnmford  besass,  durdi 
Dulong;  Despretz  und  namentlich  Favre  und  Silbermann  erhalten.  Es 
besteht  aus  einem  mit  Wasser  gefüllten  Cylinder,  in  welchem  die  Ver- 
brennungskammer eingesenkt  ist;  eine  Anzahl  Röhren, 
die  zur  Zuftlhinmg  der  erforderliehen  Gase  bestimmt 
sind,  münden  in  dieselbe,  und  die  Verbrennungs- 
produkte werden  durch  ein  langes,  schraubenför- 
mig aufgewickeltes  Metallrohr  abgeleitet,  um  all 
die  Wärme  an  das  Calorimeterwasser  abzugeben. 
Der  Apparat  hat  im  Laufe  der  Zeit  nicht  vid 
Änderung  er&hren.  Thomsen  nimmt  die  Metallteüe 
aus  Platin,  und  Berthelot  hat  gläserne  Verbren- 
nungskammem  eingeführt,  die  ein  bequemes  Be- 
obachten  des  Vorganges  gestatten. 

An  Stelle  der  Verbrennung  in  Sauerstoff  von 
gewöhnlichem  Druck  ist  in  neuerer  Zeit  die  in  ver- 
dichtetem Sauerstoff  getreten,  welche  das  ältere 
Verfahren  so  gut  wie  vollständig  verdrängt  hat 
Der  Apparat  ist  von  Berthelot  und  Vieille  ausge- 
bildet worden  (1881);  er  besteht  aus  einem  stark- 
wandigen  Gefäss  von  Stahl,  Fig.  34,  das  im 
Inneren  mit  einem  Überzuge  von  Platin  (bei  wohl- 
feileren Apparaten  von  Email)  ausgekleidet  ist 
Ein  durch  eine  Schraube  verschliessbares  Ventil  gestattet,  den  Sauerstoff 
unter  Druck  hineinzubringen;  gewöhnlich  genügen  25  Atm.  Der  zu 
verbrennende  Stoff  befindet  sidi  in  einem  Platinschälchen,  das  in  äex  Mitte 
der  „Bombe"  aufgehängt  ist  Die  Entzündung  wird  dadurch  bewirkt, 
dass  sich  dicht  über  dem  Schälchen  ein  dünner  Eisendraht  befinde^ 
durch  welchen  von  aussen  ein  elektrischer  Strom  geleitet  werden  kann; 
es  verbrennt  zunächst  der  Draht,  und  die  weissglühenden  Tröpfchen  von 
Eisenoxyd,  die  sich  dabei  bilden,  fallen  auf  den  Stoff  und  entzünden  um. 
Feste  und  nichtflüchtige  flüssige  Stoffe  kommen  unmittelbar  in  das 
Schälchen;  flüchtige  Flüssigkeiten  schliesst  man  in  Blasen  aus  Kollodium- 
haut. Einige  sauerstoffreiche  Stoffe  verbrennen  unter  diesen  Umständen 
nicht;  solche  werden  mit  einer  gewogenen  Menge  Naphthalin  vermischt  und 
das  Ergebnis  wird  für  die  Verbrennungswärme  dieses  Zusatzes  korrigiert 


Fig.  34. 


Thermochemische  Methoden.  259 

Der  Vorteil  der  Verbrennung  in  der  Bombe  liegt  einerseits  dann, 
dass  der  Vorgang  augenblicklich  erfolgt,  andererseits  in  der  Vollständig- 
keit der  Verbrennung.  Die  meisten  Stoffe  geben  in  Sauerstoff  von 
Atmosphärendruck  mehr  oder  weniger  erhebliche  Mengen  Kohlenoxyd 
neben  Kohlendioxyd,  und  die  Messungen  müssen  hierflir  korrigiert  werden, 

;  was  grosse  Schwierigkeiten,  bez.  Ungenauigkeiten  mit  sich  bringt. 

!  Durch  die  Anwendung  des  im  Handel  vorkommenden  auf  100  Atm. 

verdichteten  Sauerstoffs,  die  von  Stohmann  heiTührt,  ist  das  Arbeiten 
mit  der  Bombe  besonders  einfach  gemacht  worden. 

Ein  anderes  Verfahren  ist  die  Verbrennung  mit  gebundenem  Sauerstoff, 
speziell  mit  chlorsaurem  Kali,  welches  zuerst  von  Frankland  (1866)  benutzt, 
später  von  Stohmann  und  seinen  Schülern  entwickelt  und  angewandt  wurde. 
Dabei  wird  der  zu  untersuchende  Stoff  mit  chlorsaurem  Kali  und  indifferenten 
Verdünnungsmitteln  (Bimstein)  zu  einer  Art  von  Feuerwerkssatz  gemengt  und 
innerhalb  eines  Wasserkalorimeters  zum  Abbrennen  gebracht.  Es  wird  jetzt 
nicht  mehr  benutzt. 

,  Schliesslich  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  in  einigen  Fällen  auch  das 

Bunsensche  Eiskalorimeter  zu  thermochemischen  Versuchen  benutzt  worden 

j  ist.  Neben  dem  Vorzug  der  kleinen  Substanzmengen  ist  als  Nachteil  die 
subtile  Behandlung  zu  nennen.  Zudem  gestattet  es  nur  bei  der  Temperatur  0® 
zu  arbeiten,  was  häufig  ein  Vorteil,    in  gewissen  Fällen  aber  ein  Nachteil  ist. 

I  Der    wichtigste    und    schwierigste   Teil    einer    kalorimetrischen   Be- 

stimmung ist  die  Temperaturmessung.  Man  kann  allerdings  durch  Ver- 
wendung enger  Kapillaren  und  grosser  Gefaßse  sehr  empfindliche  Thermo- 
meter herstellen  und  verwendet  jetzt  gewöhnlich   solche,   die   direkt  in 

I  -—  Grad  geteilt  sind,  also  mit  dem  Femrohr  noch  -——-  Grad  zu  schätzen 
!  50  '  500 

gestatten.  Doch  liegt  die  Schwierigkeit  viel  weniger  im  Mangel  an 
Empfiindlichkeit  der  Thermometer  als  darin,  dass  das  Kalorimeter  in  stetem 
Wärmeaustausch  mit  seiner  Umgebung  steht,  wodurch  das  eigentliche 
tiiermische  Ergebnis  mehr  oder  weniger  gestört  wird.  Der  Fehler  ist 
um  so  grösser,  je  kleiner  das  Kalorimeter  ist,  mit  der  Grösse  von  einem 
halben  liter  ist  das  zulässige  Minimum  gegeben,  bei  welchem  die  zu- 
fälligen Störungen  noch  unterhalb  der  durch  die  Genauigkeit  der  Tempe- 
i  raturmessung  gegebenen  Grenze  bleiben. 

IJm  die  Strahlung  möglichst  zu  beschränken,  poliert  man  das  Kalori- 
meter glänzend,  und  stellt  es  in  einen  etwas  weiteren,  auf  der  Innenseite 
gleichfalls  glänzend  polierten  Cylinder.  Letzteren  umgiebt  Berthelot  mit 
einem  grossen  Doppelgefäss  aus  Weissblech,  dessen  Zwischenräume  mit  Wasser 
gefüllt  sind.  Thomsen  zieht  die  Anwendung  von  Metall-  oder  PapphtiUen, 
zinschen  denen  sich  nur  Luft  befindet,  vor. 

Die  Methode,  um  die  Temperaturmessungen  von  dem  Einflüsse  der 
Strahlung  zu  befreien,  rührt  von  Regnault  her  und  beruht  auf  folgender 
Überlegung.     Die  Temperaturänderung,  welche  das  Kalorimeter  während  des 

17* 


260  VII.    Thermochemie. 

Versuches  duch  Ausstrahlung  erfährt,  kann  innerhalb  der  geringen  Unter- 
schiede als  eine  lineare  Funktion  der  Temperatur  selbst  angesehen  werden. 
Kennt  man  sie  daher  für  die  äussersten  vorgekommenen  Temperaturen,  so 
kann  man  sie  für  alle  Zwischentemperaturen  proportional  interpolieren. 

Um  dies  auszuführen,  beobachtet  man  das  Thermometer  in  regelmässigen 
Zeitabschnitten  (z.  B.  1/3  Sek.)  vor  dem  Beginn  des  Versuches;  daraus  er- 
giebt  sich  die  Änderung  für  die  niedrigste  Temperatur,  falls  die  Reaktion 
Wärme  entwickelt.  Dann  leitet  man  die  Reaktion  bei  einem  solchen  Ab- 
schnitte ein,  und  beobachtet  in  gleicher  Weise  das  Thermometer,  bis  die 
Temperatur  sich  wieder  proportional  der  Zeit  ändert.  Dann  ist  die  Reaktion 
zu  Ende,  und  man  erfährt  die  Änderung  für  eine  Temperatur,  die  der  höchsten 
sehr  nahe  liegt.  Indem  man  nun  proportionale  Temperaturverluste  für  die 
inzwischen  abgelesenen  Temperaturen  während  der  Reaktion  ansetzt,  kann 
man  durch  deren  Zufügung  berechnen,  welches  die  Endtemperatur  gewesen 
wäre,  wenn  gar  keine  Verluste  stattgefunden  hätten. 

Dies  ist  das  Prinzip  des  Verfahrens;  die  Einzelheiten  sind  in  den 
Werken  über  Thermochemie  oder  den  ausführlicheren  Lehrbüchern  der 
Physik  nachzusehen. 

Die  Zahl  der  bei  einer  thermochemischen  Reaktion  entwickelten 
Wärmeeinheiten  erhält  man,  wenn  man  die  Wärmekapazität  des  Kalori- 
meters mit  der  (korrigierten)  Temperaturänderung  multipliziert.  Um  die 
Berechnung  auf  die  oben  (S.  253)  angegebenen  Einheiten  durchzufiihren, 
ist  noch  die  obige  Zahl  im  Verhältnis  der  wirklich  angewandten  zu  der 
durch  das  Formelgewicht  gegebenen  Gewichtsmenge  der  wirkenden  Stoffe 
zu  vergrössem  resp.  zu  verkleinem. 

Was  die  Wärmekapazität  des  Kalorimeters  anlangt,  so  hat  man 
zunächst  die  Kapazität  des  Gefässes,  Rührers,  Thermometers,  sowie 
sämtlicher  anderen  Teile,  welche  die  Temperaturändeiningen  mitmachen, 
zu  bestimmen  oder  durch  Multiplikation  der  spezifischen  Wärme  mit  dem 
Gewicht  zu  berechnen.  Femer  muss  man  die  spezifische  Wärme  der 
Flüssigkeit  kennen,  wenn  diese  nicht  Wasser  ist.  Da  man  die  spezifische 
Wärme  von  Lösungen  nicht  aus  denen  des  Losungsmittels  und  des  Ge- 
lösten ableiten  kann,  so  müsste  sie  eigentlich  in  fast  allen  FUllen  neu 
bestimmt  werden.  Die  Thermochemiker  haben  bisher  meist  von  dieser 
erheblichen  Komplikation  abgesehen  und  sich  durch  Annalimen  geholfen, 
welche  ohne  Kenntnis  der  fraglichen  Zahlen  dennoch  recht  genaue 
Rechnungen  gestatten.  Thomson  setzt  die  Wärmekapazität  seiner  Lösungen 
gleich  der  des  in  ihnen  enthaltenen  Wassers.  Die  Annahme,  weldie 
Thomson  selbst  eingehend  geprüft  hat,  ist  zwar  in  den  seltensten  Fällen 
ganz  richtig,  die  Abweichungen  sind  aber  bald  positiv,  bald  negativ,  und 
bei  den  verdünnten  Lösungen,  um  die  es  sich  hier  fast  ausschliesslich 
handelt,  stets  nur  klein. 

Ein  Urteil  über  die  Zulässigkeit  eines  solchen  Verfahrens  erhält  man, 
wenn  man  die  Werte  der  Molekularwärmen  wässeriger  Lösungen  und  ihrer 
Unterschiede  gegen   die  des    enthaltenen   Wassers   nachrechnet.     Aus    ihnen 


Thennochemische  Methoden.  261 

ist  ersichtlich,  dass  die  Unterschiede  meist  nicht  ein  Prozent  erreichen  und 
nur  in  besonderen  Fällen  grösser  sind.  Die  Genauigkeit  kalorimetrischer  Be- 
stimmungen ist  wechselnd,  häufig  aber  grösser,  so  dass  immerhin  nicht  zu 
leugnen  ist,  dass  durch  die  angegebene  Kechenweise  die  Zahlen  etwas  be- 
einträchtigt werden. 

Entsprechend  den  fUr  unsere  Rechnungen  benutzten  Einheiten  ist 
die  Wärmekapazität  von  1  g  Wasser  gleich  0*004 183  J  zu  setzen. 

Die  Berechnung  der  beobachteten  Wärmeeflfekte  Q  erfolgt  nun 
nach  der  Formel 

Q=  (tc  —  ta)a  +  (tc  -  tb)(b +  p), 

wo  ta  die  Temperatur  der  ausserhalb  des  eigentlichen  Kalorimeters 
befindlichen  Substanz,  tb  die  der  im  Kalorimeter  befindlichen  und  tc  die 
korrigierte  Endtemperatur  nach  der  Reaktion  darstellt;  a  ist  das  kalori- 
metrische Äquivalent  der  ersten,  b  das  der  zweiten  Substanz  (beim 
Mischungskalorimeter  also  der  Wassergehalt  der  benutzten  Lösungen). 
Mit  p  ist  endlich  der  Wasserwert  des  Kalorimeters  bezeichnet 

So  ist  z.  B.  die  Neutralisationswärme  der  Salzsäure  mit  Natron 
von  Thomsen  gleich  57-5  J  geftinden  worden,  indem  er  je  Vg  Formelge- 
wicht oder  ^/^  Äquivalent  einer  Lösung  von  der  Zusammensetzung 
Na«0  +  200H«0  und  H«C1«  +  200H«0  aufeinander  wirken  liess. 
Die  Lösung  im  Kalorimeter  hatte  die  Temperatur  18 "-6 10,  die  im 
oberen  Gefäss  18^-222,  nach  der  Mischung  war  die  korrigierte  End- 
temperatur 22^-169.  Die  Lösungen  hatten  somit  Temperaturerhöhungen 
von  3^-559  bez.  3**«947  erfahren.  Multipliziert  man  diese  mit  dem 
Wassergewicht  450  g  (=  VsX  200H*0)  und  dem  Faktor  0-004183, 
wobei  für  die  erste  Lösung  noch  der  Wasserwert  des  Kalorimeters,  13  g, 
hinzuzufügen  ist,  so  erhält  man  6-90  -|-  7'47  =  14-37  J  und  durch. 
Multiplikation  mit  4  (da  ^4  Äq.  benutzt  war)  57-48  J  als  Neutralisations- 
wänne  von  einem  Äquivalent  Natron  mit  einem  Äquivalent  Salzsäure, 

oder  NaOHAq  +  HClAq  =  NaClAq  +  57-5  J. 

Von  Thomsens  Weise  weicht  Berthelot  insofern  ab,  als  er  die  Wärme- 
kapazität seiner  Lösungen  nicht  nach  dem  Gewicht  des  Wassers,  sondern 
nach  dem  Gesamtvolum  bestimmt.  Er  verwendet  daher  auch  nicht,  wie 
Thomsen,  Lösungen,  die  nach  bestimmten  Verhältnissen  der  Formelgewichte 
zusammengesetzt  sind,  sondern  solche,  wie  sie  in  der  Massanalyse  gebräuchlich 
sind,  die  ein  Mol  oder  einen  Bruchteil  davon  in  einem  Liter  enthalten.  In 
einzelnen  Fällen  erreicht  man  dadurch  einen  noch  besseren  Anschluss  an  die 
Wahrheit,  in  anderen  ist  es  umgekehrt.  Doch  hat  das  Verfahren  den  Vorzug 
grösserer  Bequemlichkeit  in  der  Ausführung. 

Ein  wichtiger  Punkt  bei  thermochemischen  Messungen  ist  der  Ein- 
fluss  der  Temperatur  auf  die  erhaltenen  Zahlenwerte.  Im  allgemeinen 
ändern  sich  nämlidi  die  Energieunterschiede  mit  der  Temperatur,  und 
zwar  deshalb,  weil  die  Wärmekapazität  der  Ausgangsstoffe  nicht  gleich 
der  der  Produkte  zu  sein  pflegt.    Ist  die  erstere  grösser,  als  die  letztere, 


262  VII.    Thermochemie. 

so  wird  für  ihre  Erwärmnng  mehr  Wärme  aufgenommen,  als  ftkr  die 
der  Produkte  7  und  daher  muss  die  Wärmeentwickelung  mit  steigender 
Temperatur  zunehmen.  Umgekehrt  ist  es,  wenn  die  Produkte  eine 
höhere  Wärmekapazität  haben,  als  die  Ausgangsstoffe. 

Nun  lehrt  zwar  das  Gesetz  von  Neumann  und  Kopp  (S.  188), 
dass  die  Wärmekapazität  der  Verbindungen  unabhängig  von  ihrer  Natur 
gleich  der  Summe  der  Wärmekapazitäten  der  Bestandteile  sei,  so  daas 
hiemach  die  Ausgangsstoffe  und  die  Produkte  gleiche  Kapazität  haben 
müssten.  Danach  wäre  also  die  Wärmeentwickelung  unabhängig  von 
der  Temperatur.  Aber  dies  Gesetz  gilt  nur  für  feste  Stoffe,  und  andi 
für  diese  nur  angenähert;  so  wie  eine  Verschiedenheit  des  Aggregat- 
zustandes  eintritt,  ja  nur  eine  Flüssigkeit  bei  der  Reaktion  beteiligt  ist, 
verliert  das  Gesetz  seine  Geltung,  und  es  tritt  die  Veränderlichkeit  der 
Wärmetönung  mit  der  Temperatur  ein. 

Um  diesen  Einfluss  in  einer  Formel  auszudrücken,  sei  Q|  die 
Wärmetönung  bei  der  Temperatur  t^,  Qg  bei  t^;  die  Wärmekapazität 
der  Ausgangsstoffe  sei  K,  die  der  Produkte  K'.  Dann  muss  nach  dem 
ersten  Hauptsatze  der  Energieunterschied  derselbe  sein,  auf  welchem 
Wege  man  auch  die  Reaktion  ausführt.  Wir  lassen  sie  einerseits  bei  t^ 
stattfinden,  und  haben  die  Wärmetönung  Q^.  Dann  erwärmen  wir  die 
Ausgangsstoffe  von  t,  auf  t,  und  nehmen  dabei  die  Wärme  K  (t,  —  tj) 
auf.  Bei  t^  findet  die  Reaktion  statt,  und  ergiebt  Qg.  Die  Produkte 
werden  auf  tj  abgekühlt,  und  geben  dabei  die  Wärme  K'  (t^  —  t,^)  ab. 
Die  Summe  muss  gleich  Qj  sein,  da  beiderseits  der  Anfangs-  und  der 
Endzustand  gleich  ist.     Es  ist  also 

Q,=Q^+(K~K')(<,-t,), 

welches  die  gesuchte  Formel  ist  Sie  ist  zuerst  von  Kirchhoff  aufgestellt 
worden. 


Drittes  Kapitel. 

Thermochemie  der  Kiohtmetalle. 

Infolge  der  Wichtigkeit,  welche  die  Kenntnis  der  Energieändenmgen 
bei  chemischen  Vorgängen  für  die  verschiedensten  Aufgaben  der  Wissen- 
schaft und  der  Praxis  haben,  sind  Messungen  soldier  Grössen  in  aus* 
gedehntester  Weise  durchgefiihrt  worden,  und  es  giebt  kein  anderei 
Gebiet  der  allgemeinen  Chemie,  in  welchem  eine  so  grosse  Menge  voa 
thatsäx^hlichem  Material  angehäuft  wäre.  Doch  hat  die  Auffindung  aO^ 
gemeiner  Gesetze  an  diesem  Material  mit  seiner  Menge  nicht  Schrifl 
gehalten;  mit  Ausnahme  der  bereits  ausgesprochenen  halbquantitativei 
]3eziehung,  dass  die  Wärmeentwickelungen  bei  den  Reaktionen  entspredien- 


Thermochemie  der  Nichtmetalle.  263 

der  Stoffe  ebenso  wie  alle  anderen  Eigenschaften  periodische  Fanktionen  der 
Atomgewichte  der  beteiligten  Elemente  sind,  lässt  sich  kaum  ein  thermo- 
diemisches  Gesetz  von  einigem  Umfange  angeben. 

Die  Ursache  hiervon  ist  darin  zu  sadien,  dass  die  Energieonter- 
sehiede  för  chemische  Vorgänge  nicht  den  Charakter  von  Naturkonstanten 
haben ;  sondern  in  selir  verschiedenartiger  Weise  von  der  Temperatur 
abhängen.  Die  bei  durchschnittlich  18®  bestimmten  Wärmetönungen 
sind  daher  einigermassen  zufällige  Zahlen,  und  das  Bild  verschiebt  sich 
in  ungleichförmiger  Weise,  wenn  man  eine  andere  Beobachtungstempe- 
ratur  wählt.  Darin  liegt  gleichzeitig  ein  Hinweis  darauf,  dass  zahlen- 
mässige  Beziehungen,  wie  sie  von  verschiedenen  Forschem  angenommen 
worden  sind,  auf  strenge  Genauigkeit  keinen  Anspruch  erheben  können, 
ja  in  den  meisten  Fällen  als  zufällig  angesehen  werden  müssen,  wenigstens 
solange  nicht  der  Einfluss  der  Temperatur  auf  jeden  derartigen  Fall  ins 
klare  gestellt  worden  ist. 

Nur  in  der  organischen  Chemie,  wo  die  grosse  Ähnlichkeit  der 
homologen  Stoffe  sich  auch  in  ihren  Energieverhältnissen  geltend  macht, 
und  bei  den  Erschemungen  der  Salzbildung  sind  etwas  umfassendere 
Regelmässigkeiten  ausfindig  gemacht  worden,  die  an  entsprechender  Stelle 
Erwähnung  finden  sollen.  Im  übrigen  kann  auf  den  nachstehenden 
Seiten  nicht  viel  mehr  gegeben  werden,  als  eine  Zusammenstellung  der 
beobachteten  Bildungswärmen.  Aus  diesen  lassen  sich  in  der  S.  256 
geschilderten  Weise  die  Wärmevorgänge,  welche  den  verschiedenartigsten 
Reaktionen  entsprechen,  durch  leichte  Rechnungen  ableiten,  so  dass  die 
Tabellen  der  Bildungswärmen  so  ziemlich  den  ganzen  thatsächlichen  In- 
halt der  Thermochemie  darstellen*). 

§   1.    Sauerstoff.  Bildungswärme 

Ozon  0«  140  J  (ungefähr). 

Ozon  bildet  sich  aus  gewöhnlichem  Sauerstoff  unter  bedeutendem 
Wärme  verbrauch. 

§  2.  Wasserstoff. 

1.  Wasser  H^O  286  J  flüssig. 
Schmelzwärme  —  6*0  J,  Verdampfungswärme  bei  100®  40-5  J. 

2.  Wasserstoffsuperoxyd  H^O^  189  J. 

Die  Bildungswärme  des  Wasserstoffeuperoxyds  ist  kleiner,  als  die 
des  Wassers;  somit  geht  ersteres  in  letzteres  unter  Abgabe  von  freiem 
Sauerstoff  mit  Wärmeentwickelung  von  97  J  über. 

§  3.  Chlor. 

1.    Chlorwasserstoff  HCl  92  J 

Wasser  nimmt  das  Gas  unter  Entwickelung  von  72  J  auf,  so  dass 
die  Bildungswärme  im  gelösten  Zustande  164  J  beträgt. 


*)  Wegen  der  Einzelheiten   verweist   der  Verf.  auf  sein  ausführliches 
Lehrbuch  der  allgemeinen  Chemie^  B4.  II.    I^eipzig,  Engelmann, 


264  Vn.    Thermochemie. 

BildungBwärme 

2.  ünterchlorige  Säure  CPO  —  74J 

ClOH,Aq  126  J 

Die  Losungswärme  des  Anhydrids  in  Wasser  beträgt  39  J. 

3.  Chlorsäure  HClO^Aq       100  J 

4.  Überchlorsäure  HC10*,Aq        162  J 

Die  wasserfreie  Säure  löst  sich  unter  Entwickelung  von  85  J  m 
Wasser;  die  Bildungswärme  derselben  beträgt  somit  77  J. 

§  4.  Brom. 

1.  Brom.  Die  Schmelzwärme  beträgt  —  5 «4  J,  die  Verdampfungs- 
wärme  beim  Siedepunkt  63®  — lö-l  J. 

2.  Bromwasserstoff  HBr  50*6  J 

Das  Brom  ist  hierbei  gasförmig  angenommen.  Für  flüssiges  ist 
die  Bildungs  wärme  35-1  J.  Von  Wasser  wird  Brom  Wasserstoff  unter 
Entwickelung  von  83  J  aufgenommen. 

3.  ünterbromige  Säure  HOBr,Aq         125  J 

4.  Bromsäure  HBrO^Aq         91  J 
In  beiden  Fällen  ist  das  Brom  gasförmig  angenommen. 

§  5.  Jod. 

1.  Jod.  Die  Schmelzwärme  beträgt  —  6-3  J,  die  Verdampftingswärme 
—  12-6  J.  Für  die  Dissociationswärme  des  Jods  J*  in  einzelne  Atome 
ist  der  Wert  —  119  J  von  Boltzmann  berechnet  worden. 

2.  Jodwasserstoff  HJ  —  25-5  J 

Die  Bildung  des  Jodwasserstoffs  aus  Wasserstoff  und  festem  Jod 
verbraucht  Wärme.  Gasförmiges  Jod  würde  sich  fast  ohne  Wärme- 
effekt mit  Wasserstoff  verbinden.  In  Wasser  löst  sich  das  Gas  mit 
80  J  auf,  so  dass  die  Bildungswärme  des  Jodwasserstoffii,  HJ^Aq, 
55  J  beträgt. 

3.  -Jodsäure  flJO»  243  J 

HJ03,Aq  234  J 

In  Wasser  löst  sich  die  Säure  mit  —  9-2  J.  Für  das  Anhydrid 
^t  die  Bildungswärme  J^O^  190  J 

4.  Überjodsäure  HJO*,Aq  199  J 

Die  Lösungswärme  der  krystallisierten  Säure,  HJQ-*.  2H*0,  ist 
nur  —  6  J. 

5.  Chlorjod  JCl  24  J        Schmelzwänne  —  9-6  J. 

6. 


Chlorjod 

JCl 

24  J 

JCl» 

90  J 

Bromjod 

JBr 

10  J 

§  6.   Fluor. 

1.    Fluorwasserstoff  HFl  162  J 

Lösungswärme  49  J,  also  Bildungs wärme  der  wässerigen  Lösung  2 1 1  J. 


ThermoGhemie  der  Nichtmetalle. 


265 


§  7.  Schwefel. 

1.  Schwefel.     Schmelzwärme  —  1'26  J.     Die  verschiedenen  Formen 
zeigen  Energieonterschiede  von  2  bis  4  J.         Bildungsw&rme 

2.  Schwefelwasserstoff  fl*S  11-3  J 
Die  Lösongswärme  in  Wasser  beträgt  19  J. 

3.  Schwefelige  Säure  SO«  297  J 

Die  Zahl  bezieht  sich  auf  die  bei  gewöhnhcher  Temperatur  be- 
ständige rhombische  Modifikation  des  Schwefels.  In  Wasser  löst  sich  das 
Dioxyd  mit  32  J^  so  dass  die  Bildungswärme  der  wässerigen  Säure 
H«SO^Aq  aus  Wasserstoff^  Sauerstoff  und  Sdiwefel  615  J  beträgt. 

4.  Schwefelsäure  H«SO*  807  J 

H«SO*,Aq  882  „ 

SO»  432  „ 

SO»,Aq  596,, 

Die  Losungswärme  der  Schwefelsäure  in  Wasser  beträgt  75  J,  die 
des  Anhydrids  164  J. 


5.  Unterschweflige  Säure 

6.  Unterschwefelsäure 

7.  Tetrathionsäure 

8.  Überschwefelsäure 

9.  Schwefelchlorür 

10.  Schwefelbromür 

11.  Sulfurylchlorid 

12.  Thionylchlorid 

13.  Pyrosulfurylchlorid 

§  8.  Selen. 

1.  Selenwasserstoff 

2.  Selenige  Säure 

3.  Selensäure 

4.  Selenchlorür 

5.  Selentetrachlorid 

§  9.  Tellur. 

1.  Tellurige  Säure 


H>S«O^Aq 

S«0«,Aq 

H«S»0«,Aq 

S«OSAq 

H«S*0«  Aq 

S*O^Aq 

H«S»08,Aq 

S»CP 

S«Br« 

SO^Cl« 

SOCl« 

S^O^Cl» 


514  J 

284 
1170 

883 
1093 

807 

1073 

60 

42 

376 

208 

806 


7» 

f} 
ff 


SeH« 
SeO« 
SeO«,Aq  236 
H>SeO^Aq  521 
Se08,Aq  321 
fl«SeO*,Aq    607 

93 


—  106  J  Lösungswärme  40  J 
239 


Se«CP 
SeCl* 


193 


ff 

ff 
ff 
ff 
ff 

ff 


TeO«,Aq 
H2TeO»,Aq 
TeO^Aq 
H«TeOSAq 
3.  Tellurtetrachlorid  TeCl* 


2.  Tellursäure 


323  J  Lösungswärme  0 

609  „ 

412 

699 

324 


?? 


?» 

V 


266  VII-    Thermochemie. 

§  10.  Stickstoff.  Bildungswärme 

1.  Ammoniak  NH»  50  J 

NH«,Aq  85  „ 

2.  Stickoxydul  N^O  —75  „ 

3.  Salpetrige  Säure  HNO*,  Aq  —28  „ 

4.  Salpetersäure       HNO^Aq  205  „ 

N«O^Aq        2X  62  „ 

HNO 3  175  „  Lösungswärme  30  J 

N*0^  55  „  „  70  „ 

Die  Schmelzwärme  des  Stickstoffpentoxyds  ist  —  35  J,  die  Dampf- 
wärme —  20  J.  Die  Summe  beider  beträgt  soviel,  wie  die  Bildungs- 
wärme des  festen  Stickstoflpentoxyds,  so  dass  die  Bildungswärme  des 
gasförmigen  gleich  Null  ist. 

5.  Stickstoffhyperoxyd 

N«0*  —  11  J 

NO*  —  32  „ 

Die  Dissociation  des  Hyperxoyds  N*0*  in  2N0*  bedingt  —  54  J. 

6.  Stickoxyd  NO  —  90  J 

7.  Hydroxylamin       NH»0,Aq  102  „ 


§  11.  Phosphor. 

1. 

1 

Phosphor.     Die  Umwandlung  des  gelben  Phosphors  in  roten  ent- 

wickelt  114  J. 

2. 

Phosphorsäure       H^PO* 

1267  J 

H^POSAq 

1278  „ 

P^O^Aq 

2  X  849  „ 

3. 

Phosphorige  Säure 

H3P03 

952,, 

H'PO»,Aq 

951,, 

P«O^Aq 

2  X  523  „ 

4. 

Unterphosphorige  Säure 

H3P02 

586  „ 

H^PO^Aq 

585  „ 

P2  0,Aq 

2X156  „ 

5. 

Phosphorwasserstoff     PH* 

18  „ 

6. 

Phosphoniumjodür         PH*J 

93  „ 

7. 

Phosphorchlortir             PCI» 

316  „  Dampfwärme  —  28-9  J 

8. 

Phosphorchlorid             PCl^ 

440,, 

9. 

Phosphoroxychlorid      POOP 

611  „ 

10. 

Phosphorbromür             PBr* 

187  „ 

11. 

Phosphorbromid             PBr^ 

247  „ 

12. 

Phosphoroxybromid      POBr* 

442,, 

13. 

Phosphorjodür                ?P 

41;; 

Thermochemie  der  Nichtmetalle.  267 


§  12.  Arsen. 

Bildungswftrme 

1.  Arsensäure             As*0* 

918  J 

Lösungswärme 

As«05,Aq 

2X471  „ 

H«AsOSAq 

901  „ 

2.  Arsenige  Säure^     A8*0' 

647,, 

f) 

As^O^Aq 

2  X  307  „ 

3.  Arsenwasserstoff  AsH' 

-  185  „ 

4.  Arsenchlortir          AsCl* 

299,, 

Dampfwärme  — 

5.  Arsenbromür          AsBr' 

188,, 

6.  Arsenjodür             AsJ' 

53  „ 

§  13.  Antimon. 

1.  Antimonchlortir    SbCP 

382  J 

2.  Antimonchlorid     SbCl^ 

439,, 

3.  Antimonoxyd         Sb^O* 

700,, 

4.  Antimonpentoxyd     Sb^O*^ 

953  „ 

(Hydratisches  Oi 

§  14.  Bor. 

1.  Borchlorid              BCP 

435  J 

2.  Bortrioxvd              B«0« 

1326  „ 

B»0»,Aq 

1401  „ 

25  J 


32  J 


35  J 


Die  Zahlen  beziehen  sich  auf  amorphes  Bor  und  sind  nicht  sein*  sicher. 

§  15.  Kohlenstoff. 

Die  verschiedenen  Modifikationen  des  Kohlenstoffs,  Diamant,  Graphit 
und  amorphe  Kohle,  haben  verschiedenen  Energieinlialt.  Die  grösste 
Energiemenge  besitzt  Holzkohle,  Graphit  enthält  etwa  10  J  weniger. 
Dementsprechend  giebt  Holzkohle  beim  Verbrennen  10  J  mehr  aus,  als 
Graphit.  Für  Diamant  wurde  von  Berthelot  und  Petit  die  Verbrennungs- 
wärme 394  J  geftinden,  er  enthält  12  J  weniger  Energie  als  amorphe  Kohle. 

1.  Kohlensäure  00^  406  J   (aus  amorpher  Kohle, 

2.  Kohlenoxyd  CO  122  „    Losungswärme   25  J) 

Es  ist  aufiTällig,  dass  das  erste  Sauerstoffatom,  welches  mit  dem 
Kohlenstoff  in  Verbindung  tritt,  viel  weniger  Wärme  entwickelt,  als  das 
zweite;  die  Zahlen  sind  122  und  284.  Es  ist  deshalb  die  Vermutung 
ausgesprochen  worden,  dass  beide  Wärmemengen  eigentlich  gleich  seien 
und  der  Unterschied  von  162  J  nur  dazu  diene,  den  festen  Kohlenstoff 
in  gasförmigen  zu  verwandeln. 


3.  Methan 

CH* 

72  J 

4.  Carbonylchlorid 

COCl« 

221,, 

5.  Kohlenstofftetrachlorid 

CGI* 

197,, 

6.  Carbonylsulfid 

COS 

91  „ 

7.  Schwefelkohlenstoff 

CS« 

-  120  „ 

8.  Cyan 

C,N, 

-  275  „ 

9.  Cyanwasserstoff 

HCN 

-115„ 

268 


VII.   Thermochemie. 


Die  Bildungswärme  des  SchwefelkohlenstoÖB  ist  negativ,  d.  h.  Kohle 
verbrennt  mit  Schwefel  nicht  unter  Wärmeentwickelung,  sondern  unter 
Abkühlung.     Die  Zahlen  beziehen  sich  auf  amorphe  Kohle. 

§  16.  Sflfclum. 

Krystallinisches  SJlicium  enthält  38  J  mehr  Energie,  als  amorphes. 
Die  Bildungswärme  sämtlicher  Siliciumverbindungen  ist  noch  sehr  un- 
sicher, so  dass  die  Angabe  von  Einzelheiten  unterbleiben  mag. 


Viertes  Kapitel. 

Thermochemie  der  Metalle. 

Ähnlich,  wie  im  vorigen  Kapitel,  sind  die  Bildungswärmen  der 
wichtigsten  Verbindungen  an  den  Elementen  zusammengestellt.  Einige 
allgemeine  Gesetzmässigkeiten,  die  mit  den  hier  gegebenen  Zahlen  zu- 
sammenhängen, werden  in  dem  nächsten  Kapitel  über  die  Salzbildung 
dargelegt  werden;  im  übrigen  erklären  die  Tabellen  sich  selbst. 

§  1.    Kalium. 


1.  Kali 


*2.  Chlorkalium 

3.  Kaliumchlorat 

4.  Kaliumperchlorat 

5.  Bromkalium 

6.  Kaliumbromat 

7.  Jodkalium 

8.  Kaliumjodat 

9.  Schwefelkahum 

10.  Kaliumhydrosulfid 

11.  Kaliumsulfit 

12.  Kaliumpyrosulfit 

13.  Kaliumsulfat 

14.  Kaliumhydrosulfat 

15.  Kaliumpyrosulfat 

16.  Kaliumnitrat 

17.  Kaliumcarbonat 

18.  KaüumhydrocarbonatHKCO» 

§  2.    Natrinm. 

1.  Natron  Na  OH 

NaOH,Aq 
Na>0 


KOH 
KOH,Aq 
K*0,Aq 
KCl 
KCIO^ 
KCIO* 
KBr 
KBrO' 
KJ 
KJO» 
K«S 
[HKS 
K^SO« 
K«S«0» 
K«SO* 
KHSO* 

K2S207 

KNO» 
K«CO» 


Bildungswärme 
432  J 
487  „ 
2  X  344  „ 

436  „  Lösungs wärme  —  13  J 
402 


473 

398 

352 

335 

521 

423 

261 

1151 

1555 

1442 

1161 

1303 

500 

1165 

974 


7? 

n 
n 


n 


n 
n 
n 
n 

n. 

7) 
7) 


7) 

n 
n 
n 
n 


n 


—  51 

—  21 

—  41 

—  21 


7? 


71 


n 
n 

77 
1) 


28  „ 
25, 

47  „ 

16. 
36  „ 

27, 
22  , 


426  J 
468 


n 


419  „  Löanngswänne      230  J 


Thermochemie  der  Metalle. 


269 


2.  Chlornatrium  NaCl 

3.  Natriumliypochiorit    NaOCl,Aq 


Bildungswärme 

408  J  Tjösungswärme  — 
349 


4.  Natriumehlorat 

5.  Bromnatrium 

6.  Jodnatrium 

7.  Schwefelnatrium 

8.  Natriumhydrosulfid 

9.  Natriumhyposulfit 

10.  Natriumsulfit 

11.  Natriumsulfat 

12.  Natriumbisulfat 

13.  Natriumnitrat 

14.  Natriumphosphat 


NaClO» 

NaBr 

NaJ 

Na^S 
NaHS 


363 
359 
289 
364 
226 


77 


15.  Natriumcarbonat 

16.  NatriumhydrocarbonatNaHCO'* 

§  3.    Ammonium. 


Na2S«03.5aq.  1109 

Na^SO-'* 

Na«  SO* 

NaHSO* 

NaNO» 

Na«HPO* 

Na«CO^ 


1123 
1375 
1120 

466 
1731 
1140 

962 


77 

77 

77 

77 

77 

77 

77 

77 


77 
77 


77 


77 
77 
77 
77 
77 


77 
77 
77 
77 


77 


1.  Chlorammonium 

2.  Bromammonium 

3.  Jodammonium 

4.  Ammoniumsulfat 

5.  Ammoniumnitrat 

§  4.   Lithium. 

1.  lithiumhydroxyd 

2.  Chlorlithium 

3.  Lithiumsulfat 

4.  litliiumnitrat 


NH*C1 
NH^Br 
NH*J 

(NH*)«SO' 
NH^NO» 


317  J  Lösungswärme 
274 
206 
1181 
368 


77 
77 
77 
77 


77 
77 
77 
77 


LiOH,Aq 
Lia 
Li^SO* 
LiNO* 


491 

392 

1398 

467 


^  Lösungswärme 


77 
77 


77 
7? 


5  J 


23 

1 

5 

63 

18 

48 

46 

1 

5 

21 

23 

23 

18 

17 
18 
15 
11 
26 


77 
77 
77 


77 


77 
77 
77 


77 
77 


77 


35 
25 

1 


77 
77 


§  5.    Baryum. 

Es  ist  kein  thermochemischer  Versuch  bekannt  ^  der  von  Baryum 
ausgeht  oder  zu  demselben  fuhrt.  Indessen  hat  Thomsen  es  wahrschein- 
lich gemacht,  dass  die  Bildungswärme  des  Baryumhydroxyds  etwa  812  J 
beträgt.  Nimmt  man  diesen  Wert  vorläufig  an,  so  kann  man  die  auf 
Grundlage  desselben  berechneten  Bildungswärmen  wie  andere  Zahlen  be- 
nutzen, und  ist  sicher,  kernen  Fehler  zu  begehen ^  solange  man  nicht 
eine  Frage  behandelt,  bei  welcher  metallisches  Baryum  in  Betracht 
kommt.  Um  indessen  den  vorläufigen  Charakter  der  Zahlen  zu  kenn- 
zeichnen, sollen  dieselben  mit  einem  Sterne  bezeichnet  werden. 

1.  Baryumhydroxyd  Ba(OH)^ 

2.  Baiyumoxyd  BaO 

3.  Baryumhyperoxyd  BaO^ 

4.  Chlorbaryum  BaCP 

5.  Baryumchlorat  BaCPO« 

6.  Brom  baryum  BaBr* 


*899  J 

Lösnngswärme     51 

*519  „ 

144 

*592  „ 

*815  „ 

9 

*720„ 

„          -    28 

*71l  „ 

21 

77 


77 

77 


V 


270 


VII.    Thermochemie. 


7. 

8. 

9. 
10. 
11. 


1. 
2. 

3. 
4. 
5. 

6. 

7. 
8. 

1. 
2. 
3. 
4. 
5. 
6. 
7. 
8. 
9. 

1. 
2. 
3. 

4. 
5. 
6. 

1. 
2. 
3. 
4. 
5. 

1. 
3. 


Baryumsulfid 

Baryumsulfat 

Baryumnitrit 

Baryumnitrat 

Baryumcarbonat 


BaS 

BaSO* 

BaN«0* 

BaN^O« 

BaCO» 


§  6.    Strontium. 

Strontiumhydroxyd    Sr  (0  H)  ^ 
Strontiumoxyd 


Chlorstrontium 
Bromstrontium 
Strontiumsulfid 
Strontiumsulfat 
Strontiumnitrat 
Strontiumcarbonat 

§  7.    Calcium. 

Calciumhydroxyd 

Calciumoxyd 

Chlorcalcium 

Bromcalcium 

Jodcalcium 

Schwefelcalcium 

Galciumsulfat 

Calciumnitrat 

Calciumcarbonat 


SrO 

SrCl« 

SrBr« 

SrS 
SrSO* 
SrN^O« 
SrCO^ 

Ca  (OH)« 

CaO 

CaCP 

CaBr« 

CaJ» 

CaS 

CaSO* 

CaN>0<^ 

CaCO» 


§  8.  Magnesium. 

Magnesiumhydroxyd  Mg  (0  H)  * 

Magnesiumoxyd         MgO 

Chlormagnesium 

Magnesiumsulfid 

Magnesiumsulfat 

Magnesiumnitrat 


MgCP 

MgS 

MgSO* 

MgN»06. 


Bildungswärme 

*410  J 
*1414  „ 

*748  „  Lösungs wärme 

*946  „ 
*1186  „ 


;; 


24  J 
39 


ji 


§  9.  Aluminium. 

Aluminiumhydroxyd  AI  (0  H)  ^ 
Chloraluminium  AI  Cl  ^ 

Bromalumlnium         AlBr^ 
Jodaluminium  AIJ^ 

Alummiumsulfid         APS^ 

§  10.  Mangan. 

Manganhydroxyd       Mn  (0  H) « 
Chlormangan  MnCl* 

Mangansulfiir  Mn  S .  aq 


897  J 
537  „ 
772,, 
659  „ 
408,, 

1384  „ 
919  „ 

1176  „ 


Lösungswärme    49  J 

123,, 
46  „ 
67  „ 


V 


—  19 


r 


958  J  Lösungswärme  13  J 

611,,  Hydratationswärme  65  ,, 


760 
648 
510 
435 

1389 
908 

1192 


?; 


fj 


yy 


?> 


Lösungswärme     73  „ 

10  „ 


>7 

yy 
yy 


116 


20 
17 


r 


V 


« 


6aq 


909  J 
602  „ 
632  „ 
324,, 
1265  „ 
881  „ 


Lösungs wärme    150  J 


yy 


85  „ 
—  18„ 


1242  J 

674  „    Lösungswärme 
502  „ 

295  „  „ 


502  „ 
295  „ 
512  „ 


321J 
357,, 
372,, 


683  J 

469  „  Lösungswärme  67  J 

186  „  (Hydratisches  Sulfiir) 


Thermochemie  der  Metalle. 


271 


4. 
5. 
6. 

1. 
2. 
3. 
4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 
10. 
11. 

das 


Mangansul&t  Mn  S  0  ^ 

Mangancarbonat        MnGO^ 
Kaliumpermanganat  KMnO^ 

§  11.  Elsen. 

Ferrohydroxyd 
Ferrihydroxyd 
Eisenoxyduloxyd 
Eisenchlorüi* 


Bildungswärme 

1046  J     LöBungswärme 


58  J 


Eisenchlorid 

Eisenbromür 

Eisenbromid 

Eisenjodür 

Eisensulfür 

Ferrosulfat 

Ferrisulfat 


Fe(OH)« 

Fe(0H)8 

Fe^O* 

FeCl« 

FeCP 

FeBr^Aq 

FeBr«,Aq 

FeJ«,Aq 

FeS,aq 

FeSO^Aq 


882 
816 

571 
829 
1107 
343 
402 
338 
405 
194 
100 
986 


>j 


—  44 


fj 


w 

>? 

?? 

77 
7» 


Lösungs wärme      75  J 

133  ., 


77 


(Hydratisches  SulfÜr) 


FeVSO*)»Aq     2587 
Vom  Eisen  wird  die  Kohle   (im  Gusseisen)  unter  Wärmebindung, 
Silicium  unter  Wärmeentwickelung  aufgenommen. 

§  12.  Kobalt. 


1.  Kobalthydroxyd 

Co  (OH)« 

551  J 

2.  Kobaltchlorür 

CoCl« 

320,, 

Lösiingswärme 

77  J 

3.  Kobalteulfür 

CoS.aq 

82  „ 

4.  Kobalteulfat 

CoSOSAq 

964,, 

§  13.  Nickel. 

1.  Nickelhydroxyd 

Ni(0H)8 

540  J 

2.  Nickelchlorür 

NiCl« 

312,, 

Lösungswäruie 

80  J 

3.  Nickelsulför 

NiS.aq 

73  „ 

4.  Nickelsulfat 

NiSOSAq 

960  „ 

' 

§  14.  Zink. 

1.  Zinkoxyd 

ZnO 

359  J 

2.  Zinkhydroxyd 

Zn(OH)« 

632,, 

3.  Chlorzink 

ZnCl« 

407,, 

Lösungswärme 

65  J 

4.  Bromzink 

ZnBr« 

318,, 

77 

63  „ 

5.  Jodzink 

ZnJ« 

206  „ 

77 

47  „ 

6.  Zinksulfid 

ZnS.aq 

166,, 

7.  Zinksulfat 

ZnSO* 

962,, 

77 

77  „ 

8.  Zinknitrat 

ZnN^O^jAq 

554,, 

§  15.    Cadmlum. 

• 

1.  Cadmiurnhydroxyd 

Cd  (OH)  2 

561  J 

2.  Chlorcadmium 

CdCP 

390  „ 

Lösungswäruie 

13  J 

3.  Bromcadmium 

CdBr« 

315,, 

7» 

2„ 

4.  Jodcadmium 

CdJ« 

204,, 

,V 

-4„ 

\ 


272 


VII.    Thermochemie. 


Die  Halogenverbindungen  des  Cadmiums  folgen  nicht  dem  Gesetz 
der  Thennoneutralität;  die  Neutralisationswärmen  flir  je  2  Chlor-,  Brom- 
und  Jodwasserstoff  betragen  folge  weise  85,  90  und  101  J,  statt  wie  bei 
den  meisten  anderen  entsprechenden  Salzen  gleich  2u  sein. 


5.  Cadmiumsulfid 

6.  Gadmiumsulfat 

7.  Cadmiumnitrat 

8.  Cadmiumcarbonat 

§  16.  Kupfer. 

1.  Kupferoxyd 

2.  Kupferoxydul 

3.  Kupferchlorid 

4.  Kupferchlortir 

5.  Kupferbromid 

6.  Kupferbromür 

7.  Kupferjodtir 

8.  Kupfersulflir 

9.  Kupfersulfat 
10.  Kupfemitrat 


Bildungswärme 

CdS.Aq  136  J 

Cd  SO*  925  „    Lösungswärme  45  J 

CdN«0«,Aq  486,, 

CdCO»  761 


CuO 

Cu«0 

CuCP 

Cu^CP 

CuBr» 

Cu^Br« 

Cu^J« 

Cu«S 

CuSO* 

CuN'Qß,  Aq 


156  J 
171 
216 
275 
137 
209 
136 
77 
764 
344 


yy 
yy 


Lösungswärme  46  J 

35 


yy 


n 


yy 


66 


yj 


§  17.  Quecksilber. 

Durch  die  Wahl  einer  ungeeigneten  Methode  hatte  Thomsen  für 
die  Bildungswärme  der  Quecksilberverbindungen  erheblich  falsche  Werte 
erhalten,  welche  erst  später  (Nenist  1888)  durch  richtigere  ersetzt 
worden  sind. 

1.  Quecksilberoxydul 
*J.  Quecksilberoxyd 

3.  Quecksilberchlorür 

4.  Quecksilberchlorid      HgCF  223  „  Lösuneswärme  —  14  J 
f).  Quecksilberbromür 

6.  Quecksilberbromid 

7.  Quecksilberjodür 

8.  Quecksilberjodid 

Auch  die  Halogenverbindungen  des  Quecksilbers  folgen  nicht  dem 
Gesetz  der  Thermoneutralität. 

9.  Quecksilbersulfid        HgS  21  J 

10.  Amalgame.  Die  Alkalimetalle  verbinden  sich  unter  stai-ker  Wärme- 
entwickelung mit  Quecksilber.  Festes  Kaliumamalgam,  KHg**,  hat  eine 
Bildungswärme  von  142  J;  Natriumamalgam,  NaHg^,  88  J.  Da  das 
Kalium  bei  seiner  Verbindung  mit  Quecksilber  viel  mehr  Wärme  aus- 
giebt  als  das  Natrium,  so  kommt  es,  dass  Natriumamalgam  auf  Waaser 
oder  Säuren  mit  etwa  25  J  mehr  einwirkt  als  Kalium amalgam. 


Hg'O 

93  J 

HgO 

87  „ 

Hg«  Gl« 

262  „ 

Hg  Gl« 

223  „  Ljsnngs wärme 

Hg»Br» 

205  „ 

HgBr« 

169  „ 

Hg«J« 

119  „ 

HgJ« 

102  „ 

Thennochemie  der  Metalle. 


273 


§  18.  Silber. 

1.  Silberoxyd 

2.  ChlorsUber 

3.  Bromsilber 

4.  Jodsilber 

5.  Silbersulfid 

6.  Silbersulfat 

7.  Silbercarbonat 

8.  Silbemitrat 


Ag>0 
AgCl 
AgBr 
AgJ 

Ag«S 
Ag«SO* 
Ag«CO» 
AgNO» 


§  19.   Thallium. 

1.  TbaUiumoxydul  T1*0 

2.  Thallohydroxyd 

3.  Thalliumchlorür 

4.  Thalliumbromtir 

5.  Thalliumjodtir 

6.  Thalliumsulftir 

7.  Thalliumsulfat 

8.  Thalliumnitrat 

9.  lliallihydroxyd 
10.  Thallibromid 


TlOH 

TlCl 

TlBr 

TIJ 

TPS 

T1«S0* 

TINO« 

T1(0H)8 

TlBr»,Aq 


§  20.  Blei. 

1.  Bleioxyd 

2.  Bleichlorid 

3.  Bleibromid 

4.  Bleijodid 

5.  Bleisulfid 

6.  Bleisulfat 

7.  Bleinitrat 

8.  Bleicarbonat 

§  21.  Wismut. 

1.  Wismutchlorür 

2.  Wismutoxychlorid 

3.  Wismutoxyd 

§  22.  Zinn. 

1.  Zinnoxydul 

2.  Zinnchlorür 

3.  Zinnchlorid 


PbO 

PbOl» 

PbBr« 

PbJ» 

PbS 

PbSO* 

PbN«0« 

PbCO» 


BiCF 
Bio  Gl 
Bi(0H)8 


Sn(OH)« 

SnOl« 

SnCl* 


25  J 

123,, 

95  „ 

58  „ 

14  „ 

700,, 
514  „ 
120,, 


Lösungswärme  —  19  J 


>; 


23 


f) 


V 


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7> 


jy 


V 


yy 


7} 


177  J  Lösungswärme  —  13  J 
i^«5o  „      „       -~"  lo 
203  „      „      —  42 
173 
126 
82 
924 
243 
610,, 
236  „ 


» 


V 


-  35  „ 

—  42 


jy 


210  J 

346  „  Lösungs wärme 

270 

167 


28  J 


jj 


jy 


—  42 


yy 


?,» 


?> 


77 
904,, 
441,, 

698     ,y 


380  J 
369  „ 
718  „ 


571  J 

338 

532 


?7 


—  32 


w 


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yy 


Losungswärme   1  J 

25 


yy 


)} 


§  23.  Oold. 

Das  aus  den  Lösungen  niedergeschlagene  Gold  kann  in  verschiedenen 
Modifikationen  mit  verschiedenem  Energieinhalt  auftreten;  die  Unter- 
schiede   belaufen    sich    auf   13  bis  20  J.      Die   nachstehenden   Zahlen 


Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl. 


18 


274  VII.   Thermochemie. 

beziehen  sich  auf  die  Modifikation  mit  dem  grössten  Energieinhalt,  welche 
beim  Fällen  des  Chlorids  mit  Schwefeldioxyd  erhalten  wii-d. 

Bildungswärme 

1.  Goldhydroxyd  Au  (OH)»  402  J 

Au^O».aq  —  55„ 

2.  Goldchlorid  Au  Gl»  95  „    Lösungswärme   19  J 

3.  Chlorgoldwasserstoff  HAuCl*,Aq  298  „ 

4.  Goldbromid  AuBr»,Aq  21  ,, 

5.  Bromgoldwasserstoff  HAuBr*,Aq  172  „ 

6.  Goldchlorür  Au  Gl  24  ,, 

7.  Goldbromür  AuBr  —  0  „ 

8.  Goldjodür  Au J  —  23  „ 

§  24.  Platin. 

1.  Chlorplatinwasserstoff      H«RCl«,Aq       683  J 

2.  Bromplatinwasserstoff     H*PtBr^,Aq       515  „ 

Die  Neutraiisationswärmen  beider  Säuren  sind  gleich  der  der  Salzsäure. 

3.  Ghlorplatinowasserstoff    H2PtGl*,Aq       503  J 

4.  Bromplatmowasserstoff  H*PtBr*,Aq      370  „ 

5.  Platinoxydul  R(0H)2  361  „ 

§  25.  Palladinm. 

1.  PaUadiumoxydul  Pd(OH)«  381  J 

2.  Ghlorpalladowasserstoff  H^PdClSAq  529  „ 

3.  Palladiumjodür  PdJ*  76  , 

4.  Palladiumhydroxyd  Pd  (0  H)  ^  699,, 


Fünftes  Kapitel. 

Thermochemie  der  Salzbildung  und  der  Ionen. 

Dieselbe  Regelmässigkeit,  welche  an  aUen  früher  besprochenen  Eigen- 
schaften der  verdünnten  Salzlösungen  (S.  214)  beobachtet  worden  war, 
und  nach  welcher  ihre  Eigenschaften  als  Summen  der  Eigenschaften 
ihrer  Bestandteile  oder  Jonen  erschienen,  findet  sich  auch  bei  der 
wichtigsten,  der  Energieänderung  wieder,  nur  ist  hier  die  Form  etwas 
anders,  als  in  den  früheren  Fällen.  Der  Analogie  nach  wäre  ein 
Satz  aufzusteUen,  dass  die  Energie  einer  Salzlösung  gleich  der  Summe 
zweier  Glieder  sein  muss,  von  denen  das  eine  nur  durch  das  Kation 
oder  Metall,  das  andere  nur  durch  das  Anion  oder  Halogen  be- 
dingt ist.  Dieser  Satz  ist  auch  richtig,  da  man  aber  den  Energieinhalt 
seinem  Gesamtwerte  nach  nicht  messen  kann,  sonde]^  nur  Energie- 
unterschiede zwischen  verschiedenen  Zuständen,  so  kann  er  nicht  un- 
mittelbar, sondern  nur  in  seinen  Folgen  geprüft  werden. 


Thermochemie  der  Salzbildung  und  der  Ionen.  275 

Die  erste  Folge  ist,  dass  beim  Vermischen  zweier  verdünnter  Salz- 
lösungen keine  Energieänderong  stattfinden  darf.  Denn  da  in  der  ge- 
mischten Lösung  die  Ionen  dieselben  geblieben  sind,  die  sie  vorher 
waren,  und  durch  ihr  gleichzeitiges  Vorhandensein  kein  Vorgang  verursacht 
wird,  so  kann  auch  keine  Wärmewirkung  auftreten. 

Dies  Gesetz  ist  in  der  That  als  erstes  Ergebnis  der  systematisch  in 
Angriff  genommenen  Thermochemie  der  Salze  von  Hess  (1840)  gefanden 
und  als  das  Gesetz  der  Therm oneutrali tat  bezeichnet  worden. 

Die  spätere  Prüfung  hat  ergeben,  dass  dies  Gesetz  nicht  allgemein 
gültig  ist;  vielmehr  giebt  es  mancherlei  Ausnahmen,  wenn  auch  die  über- 
wiegende Mehrzahl  der  I^Ue  dem  Gesetz  entspricht.  Diese  Ausnahmen 
stehen  aber  in  einem  regelmässigen  Zusammenhange  mit  den  anderen 
Eigenschaften  der  Salzlösungen,  insbesondere  ihrem  osmotischen  Drucke 
und  den  davon  abhängigen  Grössen,  und  man  kann  aUgemein  aussprechen, 
dass  das  Gesetz  der  Thermoneutralität  dort  gültig  ist,  wo  durch  den 
osmotischen  Druck  die  vollständige  Unabhängigkeit  der  vorhandenen 
Ionen  voneinander  angezeigt  ist,  indem  der  Wert  i  (S.  214)  gleich  der 
Anzahl  der  in  der  Formel  des  Salzes  enthaltenen  Ionen  ist.  In  dem 
Masse,  als  i  kleiner  ist,  als  dieser  Grenzwert,  stellen  sich  auch  die  Ab- 
weichungen von  dem  Gesetz  der  Thermoneutralität  ein. 

Nun  haben  die  Beobachtungen  über  die  Gefrierpunktsemiedrigungen 
der  Salzlösungen  ergeben,  dass  die  i -Werte  dem  theoretischen  Grenzwert 
um  so  näher  kommen,  oder  mit  anderen  Worten  das  Salz  um  so  voll- 
ständiger in  seine  Ionen  zerfaUen  ist,  je  verdünnter  die  Lösung  ist. 
Demgemäss  stimmt  auch  das  Gesetz  der  Thermoneutralität  um  so  genauer, 
je  verdünnter  die  Lösungen  sind. 

Abweichungen  treten  auch  bei  verdünnten  Lösungen  in  einzelnen 
Fällen  ein;  insbesondere  die  Halogenverbindungen  des  Gadmiums  und 
des  Quecksilbers  weisen  solche  auf,  desgleichen  manche  Gyan-  und  Rhodan- 
verbindungen.  Alle  die  Salze  erweisen  sich  auch  nach  den  anderen 
Methoden  als  nur  wenig  in  ihre  Ionen  zerfallen. 

Die  besonderen  Verhältnisse  der  Säuren  und  Basen,  die  ja  auch 
den  Salzen  zuzurechnen  sind,  werden  weiter  unten  erörtert  werden;  sie 
kommen  auf  die  gleichen  Ursachen  zurück. 

Abweichungen  anderer  Art  treten  ein,  wenn  sich  ein  Salz  in  fester 
Gestalt  ansschddet.  Dann  ist  die  Wärmewirkung  die  Summe  einer 
etwaigen  Wirkung  im  gelösten  Zustande  und  der  Ausscheidungswärme 
des  gelöst  gewesenen  Salzes,  die  mit  umgekehrtem  Zeichen  gleich  der 
Lösungswärme  ist.  Folgen  die  gelösten  Salze  dem  Gesetz  der  Thermo- 
neutralität (wovon  man  sich  u.  a.  durch  die  Bestimmung  der  i -Werte 
überzeugen  kann),  so  ist  die  gesarate  beobachtete  Wärme  gleich  der 
Fällungs wärme  zu  setzen,  und  man  hat  hierin  ein  Mittel,  die  Lösungs- 
wärme auch  solcher  Salze  zu  messen,  deren  geringe  Löslichkeit  eine 
du*ekte  Bestimmung  nicht  gestattet. 

18* 


276  VII.   Thermochemie. 

Bei  der  Wechselwii*kung  von  Säuren  und  Basen  ist  das  Gesetz 
von  der  Therm  oneutralität  nie  erftült;  es  findet  vielmehr  immer  eine 
beträchtliche  Wäimeentwickelung  statt  Untersucht  man  insbesondere 
solche  Säuren  und  Basen^  deren  i -Werte  auf  einen  nahezu  vollständigen 
Zerfall  in  ihre  Ionen  schliessen  lassen,  so  findet  man  die  Wänneentwidc:elung 
sehr  hoch,  nämhch  gleich  57  J;  sie  ist  aber  konstant,  d.  h.  von  der 
Natur  der  beiden  Stoffe  unabhängig.  Dies  ergiebt  sich  aus  der  nach- 
stehenden Übei-sicht:  Tetamethyl- 

ammoniam- 
Natron     lithion        Kali  Baryt    Strontian  faydroxyd 

Chlorwasserstoff  57  J      57  J      57  J      58  J      58  J       58  J 

Brom  Wasserstoff  57  „      —  —  —  —  — 

Jodwasserstoff  57  „        -  —  —  —  — 

Salpetei*säure  57  „      —  ~  —  —  — 

Chlorsäure  58  „      —  —  58  —  — 

Bromsäure  58  „      —  —  —  —  — 

Chlorplatin wasserstoflsäure     57  „      —  —  58  —  — 

Unterschwefelsäure  56  „      —  —  —  — •  — 

Die  Erklärung  för  diesen  sdieinbaren  Widerspruch  ergiebt  sich, 
wenn  man  die  Neutralisation  einer  Säure  und  einer  Basis  vollständig 
formuliert.  Nehmen  wir  als  Beispiel  Chlorwasserstoffsäure  und  Natron, 
so  heisst  die  Gleichung 

HCl  +  NaOH  =  NaCl  +  H«0. 

Von  den  beteiligten  Stoffen  haben  Chlorwasserstoff,  Natron  und  Chlor- 
natrium i  =  2,  sie  sind  also  vollständig^)  gespalten.  Das  Wasser  da- 
gegen ist  es  nicht;  obwohl  es  auch  in  Ionen  zer£sülen  kann,  nämlieh  in 
H',  das  charakteristische  Ion  der  Säuren,  und  OH',  das  Ion  der  Basen, 
so  erweisen  doch  alle  Methoden,  die  bisher  in  Anwendung  gebracht 
worden  sind,  dass  im  Wasser  diese  Ionen  nur  in  äusserst  geringer 
Menge  vorhanden  sind,  so  dass  Wasser  für  unsere  Betrachtungen  als 
unzersetzt  angenommen  werden  darf.  Während  also  die  Ionen  Gl'  und 
Na*  während  der  Reaktion  unverändert  bleiben,  und  daher  auch  keine 
Wärmewirkung  verursachen  können,  verbinden  sich  die  Ionen  H*  und 
OH'  zu  nicht  zerfallenem  Wasser,  und  die  beobachtete  Wärmewirkung 
von  57  J  ist  daher  nichts  als  die  Bildungswärme  des  Wassers  aus  den 
Ionen  Wasserstoff  und  Hydroxyl. 

Diese  Bildungswärme  ist  durchaus  nicht  mit  der  Bildungswärme  des 
Wassers  aus  Sauerstoff-  und  Wasserstoffgas  zu  verwechseln.  Denn  abgesehen, 
dass  es  sich  hier  nicht  um  Sauerstoff,  sondern  um  Hydroxyl  handelt,  so  ist 
auch  der  Wasserstoff  im  Ionen  zustande  nicht  mit  dem  Wasserstoffgase 
gleich  zu  setzen,  sondern  beide  haben  wesentlich  verschiedene  Eigenschaften 
(S.  216)  und  daher  auch  verschiedenen  Energieinhalt. 


')  Der  Zerfall  ist  nicht  absolut  vollständig,  aber  doch  hinreichend,  dass 
der  Rest  für  die  vorliegenden  Betrachtungen  vernachlässigt  werden  kann. 


Thermochemie  der  Salzbildung  und  der  Ionen.  277 

Zwischen  dem  Wasser,  das  äusserst  wenig,  und  den  meisten  Neutral- 
salzen, die  ziemlich  vollständig  in  ihre  Ionen  zerfallen  sind,  ordnen  sich 
die  Säuren  und  Basen  ein,  bei  denen  die  versdiiedenartigsten  Stufen  des 
Zerfalls  vorkommen  können.  Dabei  besteht  immer  das  Gesetz,  dass  der 
Zerfall  mit  wachsender  Verdünnung  zunimmt;  doch  verwisdit  diese  Ver- 
änderlichkeit nicht  die  wesentlichen  Unterschiede,  welche  hier  vor- 
handen sind. 

Wenn  auch  die  genauere  Erörterung  dieser  Verhältnisse  erst  in 
dnen  späteren  Abschnitt  gehört,  so  sollen  doch  zur  Übersicht  die 
wichtigsten  Gruppen  angegeben  werden,  da  ihre  Kenntnis  das  Ver- 
ständnis der  thermochemischen  Thatsachen  sehr  erleichtert. 

Sehr  weitgehend  zerfallen  sind  von  den  Säuren  die  HaJogenwaÄser- 
stofisäuren,  mit  Ausnahme  der  Fluorwasserstoflfeäure,  femer  die  sauer- 
stofireichen  einbasischen  Säuren,  die  sich  vom  Stickstoff  und  den  Halogenen 
ableiten.  Von  den  zweibasischen  Säuren  sind  hier  nur  die  Platinchlor- 
wasserstoffsäure und  die  Polythionsäuren  zu  nennen,  die  dreibasischen 
gehören  fast  alle  der  weniger  gespaltenen  Gruppe  an.  Schwefelsäure 
ist  etwa  zur  Hälfte  in  massig  verdünnten  Lösungen  zerfallen,  die  anderen 
zweibafflschen  Säuren  sind  es  noch  weniger.  Noch  geringer  ist  der  Zerfall 
bei  der  Phosphor-  und  Arsensäure.  Die  Carbonsäuren  der  Fettreihe  sind 
wenig  zerfallen;  durch  Eintreten  von  Halogenen,  der  Nitrogruppe,  Cyan 
u.  dergl.  wird  der  Zerfall  gesteigert  und  kann  nahezu  vollständig 
werden  (Trichloressigsäure). 

Unter  den  Basen  sind  die  Hydroxyde  der  Alkali-  und  der  Erdalkali- 
metaUe  und  Thallohydroxyd  fast  vollständig  zerfallen.  Ihnen  schliessen 
sich  die  quatemären  Ammoniumbasen  und  die  entsprechenden  Abkömm- 
linge des  Phosphors,  Arsens,  Antimons  an,  ebenso  die  Sulfinbasen.  Die 
meisten  anderen  Basen,  insbesondere  die  flüchtigen  Ammoniakabkömm- 
linge sind  wenig  zerfallen. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  unter  diesen  Voraussetzungen  den  Vor- 
gang der  Salzbildung  aus  Säure  und  Basis,  so  wird  er,  im  Falle  beide 
Stoffe  zerfallen  sind,  nur  in  der  Bildung  von  Wasser  aus  den  Ionen 
Hydroxyl  und  Wasserstoff  bestehen,  und  die  entsprechende  Wärmeent- 
wickelung wird  57  J  betragen.  Dies  zeigt  der  Versuch  in  der  That, 
wenn  irgend  welche  der  oben  als  zerfallen  angegebenen  Stoffe  mitein- 
ander in  Wechselwirkung  gebracht  werden,  und  kein  Niederschlag 
sich  ausscheidet. 

Entsteht  ein  Niederschlag,  so  ist  der  Unterschied  gegen  den  Wert 
57  J  als  die  Lösungswärme  des  Stoffes  zu  dissoziierter  Lösung  mit  um- 
gekehrtem Zeichen  aufzufassen. 

Wird  eine  nur  wenig  zerfallene  Base  mit  einer  ganz  zerfallenen 
Säure  neutralisiert,  und  es  entsteht  kein  Niederschlag,  so  ist  die  Wärme 
die  Summe  zweier  Grössen:  der  Bildungswärme  des  Wassers  aus  den 
Ionen,  57  J,  und  der  zur  Zerlegung  der  Säure  in  ihre  Ionen  erforderlichen 
Wärme,     Denn  man  kann  sich  den  Vorgang  so   geteilt  denken,  dass 


278  VII.   Thermochemie. 

erst  die  Säure  in  ihre  Ionen  zerfällt,  und  dann  der  Neutralisationsvor- 
gaiig..wie  bei  einer  zerfallenen  Säure  stattfindet;  da  das  Endergebnis 
dasselbe  ist,  müssen  auch  die  beiderseitigen  Wärmetönungen  dieselben 
sein.  Der  Unterschied  zwischen  der  beobachteten  Neutralisationswärme 
und  der  Konstanten  57  J  ist  dann  die  zum  ZerM  erforderiiche  Wärme, 
oder  die  Dissoziations wärme  der  Säure. 

Ist  die  Säure  teilweise  zerfallen,  so  kommt  nur  ein  entsprechender 
Bruchteil  der  Dissoziationswärme  zur  Geltung;  die  ganze  lässt  sich  be- 
rechnen, wenn  man  diesen  Bruchteil  auf  geeignete  Weise  (z.  B.  aus  der 
Gefrierpunktsemiedrigung)  bestimmt 

Ganz  dieselben  Betrachtungen  sind  fOr  die  Neutralisation  einer  teil- 
weise zerfaUenen  Base  mit  einer  ganz  zerfallenen  Säure  anzustellen;  sie 
brauchen  daher  nicht  wiederholt  zu  werden. 

Sind  beide  Stoffe  wenig  oder  doch  nicht  ganz  zerfallen,  so  treten 
zu  der  Konstanten  57  J  die  beiden  Dissoziationswärmen  der  Säure  und 
der  Basis.  Dies  ist  der  allgemeine  Fall,  von  dem  die  bisher  besprochenen 
nur  Grenzfalle  darstellen. 

In  diesem  Falle  wird  die  Neutralisationswärme  durch  einen  Aus- 
druck von  der  Gestalt  C  +  a  -f-  b  dargestellt,  wo  C  die  Konstante  57  J, 
a  die  Dissoziationswärme  der  Säure  und  b  die  der  Base  ist  Der  Aus- 
druck hat  die  gleiche  Form,  ob  die  Säure  und  Basis  mehr  oder  weniger 
zerfallen  ist,  da  er  in  jedem  Falle  den  Betrag  an  Wärme  bedeutet,  der 
zur  Überfiüirung  der  Stoffe  aus  dem  vorliegenden  Zustande  in  den  des 
vollständigen  Zerfalls  notwendig  ist. 

Dies  ist  nun  genau  das  Ergebnis,  zu  welchem  die  Beobachtung 
lange  vor  der  Entwickelung  der  eben  mitgeteilten  Anschauungen  ge- 
Mirt  hat  Hess  hatte,  als  er  sein  Gesetz  der  Thermoneutralität  entdeckt 
hatte,  angenommen,  dass  die  Neutralisationswärme  nur  durch  die  Säure 
bestimmt  werde,  so  dass  dieselbe  Säure  mit  verschiedenen  Basen  gleiche 
Wärmemengen  entwickelt;  hieraus  würde  das  Gesetz  der  Thermoneutralität 
folgen.  Andrews,  der  sich  etwas  später  mit  ähnlichen  Fragen  beschäftigte, 
vertrat  die  umgekehrte  Meinung;  nach  ihm  sollte  die  Basis  bestimmend 
für  die  Neutralisationswärme  sein.  Favre  und  Silbermann  endlich  er- 
kannten, dass  keine  von  diesen  Ansichten  zutrifft,  dass  vielmehr  nur  die 
Unterschiede  der  Neutralisationswärmen  verschiedener  Säuren  mit  einer 
und  derselben  Basis  von  der  Natur  dieser  Basis  unabhängig  sind;  ebenso 
sind  es  die  Unterschiede  der  Neutralisationswärmen  verschiedener  Basen 
mit  einer  Säure  von  der  Natur  dieser  Säure.  Dies  Gesetz  ist  aber 
identisch  mit  dem  oben  ausgesprochenen,  dass  die  Neutralisationswärme 
durch  einen  Ausdruck  von  der  Gestalt  C  -|-  a  -f-  b  dargestellt  wird.  Denn 
da  a  nur  von  der  Natur  der  Säure,  b  nur  von  der  Basis  abhängt,  so 
sind  die  Neutralisationswärmen  flir  verschiedene  Säuren  mit  derselben 
Basis  durch  die  Grössen  C  +  a^  +  b,  C  -f-  a,,  +  b,  C  -|-  a^  +  b  u.  s.  w. 
gegeben.    Bildet  man  die  Unterschiede,  z.  B.  gegen  die  erste,  so  ergiebt 


Thermochemie  der  Salzbildung  und  der  Ionen.  279 

sich  aj  —  a^,  a^  —  a^  u.  s.  w.,  welche  von  dem  Werte  von  b  unab- 
hängig sind.     Eine  gleiche  Beweisföhrang  gilt  für  die  Basen. 

Ausser  diesen  Wärmeerscheinungen  bei  der  Neutralisation  sind  noch 
andere  bekannt^  die  insbesondere  beim  Vermischen  von  Neutralsalzen 
mit  den  dazu  gehörigen  Säuren  oder  Basen  auftreten.  Sie  zeigen  sich 
nur^  wenn  diese  Stoffe  teilweise  zerfallen  sind,  und  rühren  daher,  dass 
die  Gegenwart  der  Neutralsalze  auf  den  Betrag  dieses  Zerfalls  einen  Ein- 
fluss  ausübt.  Diesen  können  wir  indessen  erst  aus  der  Lehre  vom 
chemischen  Gleichgewicht  berechnen,  und  es  muss  einstweilen  die  Angabe 
genügen,    dass  auch  hier  Beobachtung  und  Rechnung  übereinstimmen. 

Man  kann  also  die  Dissoziationswärme  einer  teilweise  zerfallenen 
Säure  bestimmen,  wenn  man  ihre  Neutralisationswärme  mit  Natron  (oder 
irgend  einer  anderen  zerfallenen  Baas)  bestimmt,  und  von  dem  Betrage 
57  J  abzieht  Ebenso  erhält  man  die  Dissoziationswärme  einer  Basis 
durch  ein  entsprechendes  Verfahren  mit  einer  zerfallenen  Säure.  In 
heiden  f^en  muss  bekannt  sein,  in  welchem  Grade  der  weniger  zer- 
fallene Stoff  in  der  verwendeten  Lösung  gespalten  war. 

Wenn  auch  eine  systematische  experimentelle  Untersuchung  in  dieser 
Richtung  noch  nicht  vorgenommen  worden  ist,  so  liegen  doch  bereits  so 
viele  gelegentiich  gemessene  Daten  vor,  dass  sich  eine  Übersicht  ge- 
winnen lässt  Hiemach  sind  die  Dissoziationswärmen  im  allgemeinen 
unbedeutend,  und  betragen  einen  kleinen  Bruchteil  der  gesamten  Neu- 
tralisationswärme, der  über  10  J  nur  selten  hinausgeht.  Dem  Zeichen 
nach  sind  sie  bald  positiv,  bald  negativ;  in  einigen  Fällen  entwickelt 
sieh  bei  dem  Zerfall  der  Stoffe  in  ihre  Ionen  Wärme,  in  anderen  wird 
welche  aufgenommen.  Einfache  Zusammenhänge  mit  anderen  Eigen- 
schaften sind  wegen  der  geringen  Ausdehnung  des  Beobachtungsmaterials 
nicht  aufzuweisen;  nach  den  allgemeinen  Verhältnissen  lassen  sich  wesent- 
lich konstitutiv  beeinflusste  Beziehungen  erwarten. 

Die  Thatsache  der  gegenseitigen  Unabhängigkeit  der  Ionen  der 
meisten  Salze  in  ihren  verdünnten  Lösungen  gestattet  die  Thermochemie 
dieser  Stoffgruppe  auf  eine  besonders  einfache  Form  zu  bringen.  Be- 
stimmt man  nämlich  die  Bildungswärme  der  verschiedenen  Ionen  aus 
ihren  Elementen,  so  giebt  die  Summe  zweier  beliebiger  von  ilmen  die 
Bildungswärme  des  entsprechenden  Salzes  in  verdünnter  Lösung. 

Nun  ergeben  freilich  die  thermochemischen  Beobachtungen  nicht 
das  Mittel,  die  Bildungswärmen  der  einzelnen  Ionen  zu  berechnen.  Denn 
da  immer  äquivalente  Mengen  von  Anionen  und  Kationen  gleichzeitig 
nebeneinander  entstehen  müssen,  so  kann  man  immer  nur  die  Summen 
zweier  solcher  Bildungswärmen  erfahren,  und  hat  kein  Mittel,  die  Einzel- 
werte zu  ermitteln.  Würde  man  andererseits  auch  nur  von  einem  Ion 
die  Bildungswärme  kennen,  so  könnte  man  die  aller  anderen  Ionen  be- 
rechnen. Sei  z.  B.  die  Bildungswärme  der  Chlorionen  aus  dem  Chlor- 
gase bekannt,  so  brauchte  man  sie  nur  von  der  Bildungswärme  irgend 
eines  Chlorids  in  verdünnter  Lösung  abzuziehen,  um  dio  des  entsprechen- 


280  VII.   Thermochemie. 

den  Metallions  zu  haben.  Und  die  auf  solche  Weise  ermittelte  ßildungs- 
wärme  des  Natriumions  würde  die  Berechnung  aller  Anionen  gestatten, 
die  mit  dem  Natrium  lösliche  Salze  bilden,  deren  gesamte  Bildungswärme 
durch  die  gewöhnlichen  Methoden  bestimmt  worden  ist. 

Solche  Anhaltspunkte  zur  Bestimmung  einzelner  lonenbildnngs- 
wärmen  haben  sich  nun  auf  elektrochemischem  Gebiete  ergeben.  Sie 
können  hier  nicht  auseinandergesetzt  werden,  nur  das  Ergebnis  soll  ab 
Unterlage  der  Rechnung  dienen.  Sollte  sich  später  einmal  eine  Änderung 
dieses  Wertes  notwendig  machen,  so  würde  eine  solche  nur  in  der  Hin- 
zufügung einer  für  alle  Ionen  gleichen  Konstanten  bestehen,  da  nur  me 
einzige  lonenbildungswärme  der  Umrechnung  der  unmittelbaren  thermo- 
chemischen  Bestimmungen  dient. 

Die  erwähnten  elektrochemischen  Beziehungen  haben  nun  gezeigt, 
dass  zur  Umwandlung  des  gasförmigen  Wasserstoffs  in  Wasser- 
stoffionen nur  eine  sehr  geringe  Wärmemenge  erforderlich 
ist,  deren  Betrag  nach  den  vorhandenen  Daten  um  4  J  für 
Hg  liegt  Da  die  Unsicherheit  dieser  Werte  diesen  Betrag  mindestens 
erreicht,  so  ist  es  bei  dem  gegenwärtigen  Zustande  unserer  Kenntnis  am 
zweckmässigsten,  ihn  vorläuHg  gleich  Null  zu  setzen.  Die  etwa 
notwendigen  späteren  Verbesserungen  lassen  sich  dann  am  leichtesten  an- 
bringen. 

Hieraus  ergiebt  sich  alsbald,  dass  die  Bildungswärme  der  Metallionen 
gleich  der  Wärmetönung  bei  der  Zersetzung  einer  ganz  zerfallenen  Säure 
durch  das  Metall  unter  Wasserstoffentwickelung  ist  Denn  der  Vorgang 
besteht  in  der  Bildung  von  Metallionen  aus  dem  Metall  und  der  gleich- 
zeitigen Umwandlung  von  Wasserstoffionen  in  Wasserstoffgas.  Da  der 
letzte  Vorgang  nach  der  eben  gemachten  Voraussetzung  keine  Wärme- 
tönung bewirkt,  so  rührt  die  ganze  Wärme  von  der  eraten  Um- 
wandlung her. 

Hierin  Uegt  gleichzeitig,  dass  die  Auflösung  eines  Metalls  in  irgend 
einer  ganz  zerfallenen  Säure  zu  ebensolchem  Salz  die  gleiche  Wärme- 
entwickelung geben  muss,  unabhängig  von  der  Natur  der  Säure.  Dies 
ist  in  der  That  der  Fall,  und  die  Beziehung  ist  schon  früh  von  Andrews 
experimentell  gefunden  worden. 

Die  auf  dieser  Grundlage  berechneten  Bildungswärmen  der  wichtigsten 
Ionen  finden  sich  nachstehend  verzeichnet  Durch  die  Summierung  der 
den  beiden  Ionen  eines  Salzes  zukommenden  Werte  unter  Berücksichtiguttg 
der  etwaigen  (sich  aus  der  Formel  ergebenden)  Vielfachen  infolge  der 
Valenz  erhält  man  die  Bildungswärme  der  gelösten  Salze.  Um  die 
Formeln  der  Ionen  von  denen  der  anderen  Stoffe  unterscheiden  zu  können, 
sind  die  Kationen  mit  soviel  Punkten  und  die  Anionen  mit  sovid 
Strichen  bezeichnet  worden,  als  ihre  Wertigkeit  beträgt  Auf  solche  Weise 
kann  man  Ener^egleichungen  unter  Kennzeichnung  der  Ionen  ähnlich 
wie  die  bisher  benutzten  schreiben.     Die  Formeln 


Thermochemie  der  Salzbildang  und  der  Ionen.  281 

Na  =  Na+240J 

und  (Cl«)  =  2  Gl'  -f-  2  X  164  J 

bedeuten,  dass  bei  der  Umwandlung  des  metallischen  Natriums  in  Natrium- 
ionen sich  240  J  entwickeln  und  164  J  bei  dem  Übergange  von  gas- 
fönnigem  Chlor  in  Ohlorionen.  Zu  beachten  ist  noch,  dass  Ionen  nur 
in  verdünnten  Lösungen  auftreten^  so  dafls  neben  ihrem  Zeichen  stets  Aq 
stehen  müsste.  Da  hiervon  keine  Ausnahme  vorkommt,  so  kann  man, 
wo  kein  Irrtum  zu  befürchten  ist,  dieses  Zeichen  fortlassen,  da  es  sich 
von  selbst  versteht. 
Kationen 

Wasserstoff  H*  +  0  J 

Kalium  K*  +259 

Natrium  Na*  -f  240 

Lithium  Li-  +263 

Rubidium  Rb*  +  262 

Ammonium  NH4'  +137 

Hydroxylamin  NH^O*  +157 

Magnesium  Mg  •  +  456 

Calcium  Ca-  +  458  „  (?) 

Strontium  Sr*  +  501  „ 

Aluminium  AI***  +506 

Mangan  Mn**  +210 

Eisen  Fe**  +93 

Fe-**  —39 

Kobalt  Co-  +71 

Nickel  Ni**  +  67 

Zink  Zn-*  +147 

Cadmium  Cd**  +77 

Kupfer  Cu**  —66 


7? 
7» 


V 

yj 
yi 
yy 


7? 


yy 
yy 
yy 
jy 


Cu*  -  67  „  (?) 

Quecksilber  Hg*  —  83 

Silber  Ag*  — 106 

Thallium  Tl*  +  7 

Blei  Pb-  +2 

Zinn  Sn-  +14 

Anion  der 

ChlorwaBserstoffsäure  Cl'  + 164  J 

Unterchlorigen  Säure  CIO'  +109  „ 

Chlorsäure  CIO3'  +  98  „ 

Überchlorsäure  CIO4'  —  162  „ 

Bromwasserstofisäure  Br'  +118,, 

Bromsäure  BrOj'  +  47  „ 

Jodwasserstoflfeäure  J'  +  55  „ 

Jodsäure  JOj'  +234,, 


282  VII.    Thermochemie. 


Anion  der 

Überjodsäure 

JO/ 

+  195  J 

Schwefelwasserstoffsaure 

S" 

53  „ 

HS' 

+  5,, 

Thioschwefelsäure 

S.0," 

+  581  „ 

DithioTisäure 

S,Oe" 

+  1166  „ 

Tetrathionsäure 

S.Oe" 

+  1093  „ 

schwefligen  Säure 

SO3" 

+  633  „ 

SchwefeM,ure 

SO/' 

Se'^ 

+  897  „ 

Selenwasserstoffsäure 

149  „ 

selenigen  Säure 

SeOg" 

+  501  ,, 

Selensäure 

SeO/' 

+  607  , 

Tellurwasserstoffeäure 

Te" 

— 146  „ 

tellurigen  Säure 

TeOa" 

+  323  „ 

Tellursäure 

TeO^ 

+  412,, 

salpetidgen  Säure 

NO/ 

+  113  „ 

Salpetersäure 

NO3' 

+  205  „ 

Stickstoffwasserstoffsäure 

Ns' 

277  „ 

unterphosphorigen  Säure 

HPOj' 

+  603  „ 

phosphorigen  Säure 

HPO," 

+  962  „ 

Phosphorsäure 

PO4'" 

+  1246  „ 

HPO4" 

+  1277  „ 

Arsensäure 

AsO/" 

+  900  „ 

Kohlensäure 

CO3" 

+  674  „ 

HCO3' 

+  683  „ 

Hydroxyl 

OH' 

+  228  „ 

Diese  kurzen  Tabellen  gestatten,  die  Bildungswärme  von  über  7000 
Salzen  in  verdünnter  wässeriger  Lösung  zu  berechnen. 


Sechstes  Kapitel. 
Organische  Verbindungen. 

Die  Thermochemie  organischer  Verbindungen  hat  ein  besonderes 
Interesse  dadurch,  dass  die  meiste  technisch  verwertete,  sowie  aUe  in 
den  Organismen  zur  Geltung  kommende  Energie  durch  die  Oxydation 
organischer  Verbindungen  erlangt  wird;  zum  genauen  Verständnis  der 
Ökonomie  des  einen  wie  des  anderen  Betriebes  gehört  also  eine  Kenn^ 
nis  des  Energieinhaltes  der  in  Betracht  kommenden  Stoffe. 

Die  besondere  Eigentümlichkeit  der  Vorgänge  zwischen  Kohlenstoff- 
verbindungen, welche  fast  ausnahmslos  nur  langsam  oder  unter  Druck 
bei  höheren  Temperaturen  eintreten,  hat  eine  unmittelbare  thermocbemi^che 


Organische  Verbindungen.  283 

Untersuchung  solcher  Vorgänge  sehr  eingeschränkt.  Es  giebt  zur  Be- 
BÜmmung  des  Energieinhaltes  organischer  Verbindungen^  ähnlich  wie 
zu  ihrer  Analyse,  fast  nur  eine  Methode,  die  der  vollständigen  Ver- 
brennung. Die  hierbei  auftretende  Wärmemenge  ist  dieselbe,  welche 
bei  der  technischen  oder  physiologischen  Verwertung  organischer  Stoffe 
zunächst  in  Betracht  kommt,  und  so  spielt  die  Verbrennungswärme 
eine  ungemein  wichtige  Rolle. 

Zieht  man  die  Verbrennungswärme  einer  organischen  Verbindung 
von  der  ihrer  Elemente  ab,  so  erhält  man,  dem  ersten  Hauptsatz  zufolge, 
die  Bildungswärme  der  Verbindung  aus  ihren  Elementen.  Letztere  hat, 
da  kaum  je  organische  Verbindungen  sich  aus  ihren  Elementen  zu 
bilden  vermögen,  nur  eine  rechnerische  Bedeutung.  Zum  Zweck  der 
Berechnung  von  Reaktionswärmen  kann  man  sich  indessen  ebensogut 
der  Verbrennungswärmen  bedienen,  denn  der  Unterschied  der  Ver- 
brennungswärmen der  Stoffe  vor  und  nach  der  Reaktion  ist  gleich  der 
bei  der  Reaktion  selbst  entwickelten  Wärme,  wie  man  gleichfalls  leicht 
mit  Hilfe  des  ersten  Hauptsatzes  beweisen  kann. 

Nun  sind  die  bei  chemischen  Vorgängen  zwischen  organischen  Ver- 
bindungen austretenden  oder  aufgenommenen  Wärmemengen  verhältnia- 
mässig  klein.  Die  Verbrennungswärmen  sind  andererseits  beträchtlich, 
80  dass  wenn  man  Reaktionswärmen  aus  den  Unterschieden  der  Ver- 
brennungswärmen der  Stoffe  vor  und  nach  der  Reaktion  berechnen  will, 
es  sich  um  kleine  Unterschiede  grosser  Werte  handelt,  in  denen  sich  die 
Versuchsfehler  entsprechend  vervielfachen.  Um  irgend  brauchbare  Zahlen 
zu  haben,  muss  man  daher  die  Verbrennungswärmen  mit  grosser  Ge- 
nauigkeit messen. 

Während  die  älteren  Methoden  der  gewöhnlichen  Verbrennung  in 
dieser  Richtung  durch  die  Unvollständigkeit  des  Vorganges  auch  in  reinem 
Sauerstoff  mit  schwer  zu  beseitigenden  Fehlerquellen  behaftet  waren,  ist 
die  Methode  der  Verbrennung  in  verdichtetem  Sauerstoff  nach  Berthelot 
und  Vieille  namentlich  in  den  Händen  Stohmanns  bis  zu  einem  solchen 
Grade  der  Genauigkeit  ausgebildet  worden,  dass  auch  die  Reaktiona- 
wärmen  sich  mit  einiger  Zuverlässigkeit  ableiten  lassen.  Die  dabei  er- 
haltenen Resultate  haben  indessen  zu  keinen  wichtigeren  allgemeinen 
Ergebnissen  geftihrt,  und  insbesondere  besteht  zwischen  dem  Betrage 
dieser  Wärmetönungen  und  der  Möglichkeit,  bez.  Geschwindigkeit  der 
entsprechenden  Reaktionen  kein  ersichtlicher  Zusammenhang. 

Der  allgemeinste  Satz,  der  sich  bei  diesen  Untersuchungen  ergeben 
hat,  ist  die  wesentlich  additive  Beschaffenheit  der  Verbrennungswärme. 
Diese  ist  allerdings  ebensowenig  absolut  vorhanden,  wie  bei  irgend  einer 
anderen  Eigenschaft,  die  Masse  ausgenommen;  doch  sind  hier  die  kon- 
stitutiven Einflüsse  so  gering,  dass  erst  die  eben  erwähnten  genauesten 
Untersuchungen  ihr  Vorhandensein  ausser  Zweifel  gesetzt  haben.  Am 
deutlichsten  macht  sich  dies  Verhalten  in  den  homologen  Reihen  geltend. 
Für  die  Vermehrung  um  jedes  CH*  wächst  die  Verbrennungswärme  um  je 


284  ^n.   Thermochemie; 

655  J;  nnd  diese  Beziehung  ist  so  allgemein  und  dieser  Unterschied  ist 
in  den  verschiedenen  Reihen  so  nahe  derselbe,  dass  er  fast  als  eine 
allgemeine  Eonstante  angesehen  werden  kann. 

Eine  Folge  dieser  Beziehung  ist,  dass  die  Beaktions wärme  für 
irgend  einen  Vorgang  bei  den  verschiedenen  GHedem  einer  homologen 
Reihe  stets  fast  genau  denselben  Wert  hat.  Schreiben  wir  einen  der- 
artigen Vorgang  (z.  B.  die  Umwandlung  eines  Alkohols  in  eine  Säure) 
in  Gestalt  einer  Reaktionsgleichung,  und  nennen  A  die  Verbrennungs- 
wärme der  auf  der  linken  Seite  stehenden  Stoffe,  B  die  der  auf  der  rediten 
Seite  stehenden;  dann  ist  A-B  gleich  der  Reaktionswärme.  Für  einen 
um  nCH^  reicheren  Stoff,  an  dem  die  gleiche  Reaktion  vorgenommen 
wird,  sind  die  entsprechenden  Verbrennungswärmen  A  -f-  n  655  J  und 
B-f-n655J,  und  der '  Unterschied  oder  die  Reaktionswärme  beträgt 
wieder  A-B. 

Durch  diesen  Umstand  kann  man  das  thermochemische  Zahlen- 
material der  organischen  Chemie  auf  eine  sehr  einfache  Gestalt  bringen; 
sind  die  Verbrennungswärmen  je  eines  Gliedes  flir  alle  vorkommenden 
Verbindungstypen  gegeben,  so  lassen  sich  alle  Homologen  (wobei 
dieses  Wort  in  einem  ziemlich  weiten  Sinne  genommen  werden  darf) 
durch  die  Zufügung  von  n  655  J  berechnen,  wo  n  die  (positive  oder 
negative)  Zahl  der  Kohlenstoffatome  bedeutet,  welche  die  Formel  der 
fraglichen  Verbindungen  mehr  enthält,  als  die  des  typischen  Stoffes. 

Immerhin  muss  beachtet  werden,  dass  es  sich  um  eine  Annähenings- 
regel  handelt,  und  dass  konstitutive  Einflüsse  thatsächlich  vorhanden, 
wenn  auch  den  grossen  Werten  der  Verbrennungswärmen  gegenüber 
nur  unbedeutend  sind.  Man  kann  nach  diesem  Verfahren  auf  rund  ein 
Prozent  Genauigkeit  rechnen. 

Als  typische  Stoffe  sind  die  ersten  Glieder  der  homologen  Reihen 
weniger  geeignet,  als  irgend  ein  höheres  Glied.  Die  Ursache  der  all- 
gemeinen  Erscheinung,  dass  die  homologen  Regelmässigkdten  erst  bd 
den  höheren  Gliedern  genauer  werden,  ist  an  früherer  Stelle  (S*  130)  be- 
reits erörtert  worden,  und  die  dort  angestellten  Betrachtungen  lassen  sich 
in  sachgemässer  Umgestaltung  auch  hier  anwenden. 

Bevor  an  die  Mitteilung  einzelner  Versuchsergebnisse  gegangen  werden 
kann,  aus  denen  sich  die  Belege  für  die  eben  gegebenen  allgemeinen  Be- 
ziehungen entnehmen  lassen,  muss  noch  eine  Bemerkung  über  den  Einflnse 
des  äusseren  Druckes  gemacht  werden.  Wenn  die  Verbrennung  einer 
organischen  Verbindung  wie  gewöhnlich  unter  dem  konstanten  Drucke  der 
Atmosphäre  vorgenommen  wird,  so  enthält  die  gemessene  Wärmetönung  ausser 
dem  Unterschiede  der  chemischen  Energie  der  Stoffe  vor  und  nach  der  Ver- 
brennung im  allgemeinen  noch  Beträge  äusserer  mechanischer  Arbeit,  die 
daher  rühren,  dass  das  Volum  der  Verbrennungsprodukte  nicht  gleich  dem 
Volum  der  Ausgangsstoffe  ist.  Vermindert  sich  bei  der  Verbrennung  das 
Volum,  so  wird  äussere  Arbeit  in  Wärme  verwandelt,  und  die  beobachtete 


OrganiBche  Verbindungen.  285 

Wärmetönung  ist  um  so  viel  grösser,  als  der  Unterschied  der  chemischen 
Energieen ;  im  anderen  Falle  ist  sie  kleiner.  Nur  wenn  das  Volum  unverändert 
bleibt,  sind  beide  gleich. 

Man  hat  sich  daher  gewöhnt,  zwei  verschiedene  Verbrennungswärmen 
zu  unterscheiden,  nämlich  die  bei  konstantem  Volum  ohne  den  Einfiuss 
äusserer  Arbeit,  und  die  bei  konstantem  Druck,  wo  die  äussere  Arbeit 
eingerechnet  ist.  Die  älteren  Methoden  der  Verbrennung  im  offenen  Kalori- 
meter gaben  den  letzteren  Wert,  die  Verbrennung  in  der  kalorimetrischen 
Bombe  giebt  den  ersteren.  Für  physiologische  und  technische  Zwecke  kommt 
der  letztere  Wert  allein  in  Frage,  und  die  nachstehenden  Angaben  beziehen 
sich  daher  auf  konstanten  Druck. 

Der  theoretische  Einwand,  dass  die  mit  der  äusseren  Arbeit  behafteten 
Verbrennungswärmen  eine  Summe  zweier  verschiedener  Energiegrössen ,  der 
chemischen  und  der  mechanischen  sei,  während  die  Verbrennungswärme  bei  kon- 
stantem Volum  den  einen  Summanden  allein  darstellt,  ist  ganz  richtig,  ändert 
aber  nichts  an  der  Bedeutung  jener  zusammengesetzten  Zahlen.  Insbesondere 
muss  betont  werden,  dass  die  Rechnung  mit  den  Verbrennungswärmen  bei 
konstantem  Druck  ein  in  sich  vollkommen  zusammenhängendes  System  von 
Zahlen  giebt,  welches  keinen  systematischen  Fehler  enthält.  Ein  solcher 
würde  nur  auftreten,  wenn  während  der  Verbrennung  der  Druck  geändert 
würde,  was  experimentell  nicht  vorkommt.  Im  Übrigen  ist  es  für  die  Ver- 
gleichbarkeit der  Zahlen  nicht  einmal  erforderlich,  dass  die  Verbrennungen 
alle  bei  demselben  Drucke  stattfinden;  dieser  kann  vielmehr  beliebig  sein, 
wenn  er  im  Laufe  eines  Versuches  nur  konstant  bleibt. 

Der  Beweis  hierfür,  und  der  Zahlenwert  der  anzubringenden  Korrektur, 
wenn  man  von  den  einen  Werten  auf  die  anderen  übergeht,  ergiebt  sich  aus  . 
der  folgenden  Betrachtung.  Wenn  ein  Mol  eines  Gases  entsteht,  so  wird  \ 
dabei  eine  Arbeit  verbraucht,  die  von  der  Natur  des  Gases  unabhängig  ist 
und  sich  aus  der  Gasgleichung  pv-— RT  ergiebt  (S.  71).  Die  Konstante  R 
beträgt  in  absolutem  Masse  8-31  x  10';  die  Arbeit  ist  sonach  8-31  T  Joule, 
unabhängig  vom  Druck  und  proportional  der  absoluten  Temperatur.  Für  die 
mittlere  Zimmertemperatur  von  18®  C.  oder  291°  A  ist  der  Betrag  also 
2419  j  oder  242  J. 

Ist  m  die  Zahl  der  Mole  gasförmiger  Stoffe  vor  der  Verbrennung,  und  n 
diese  Zahl  nach  der  Verbrennung,   so  steht  die  Verbrennungswärme  W  bei 
konstantem  Druck  zu  der  Verbrennungswärme  (W)  bei  konstantem  Volum 
in  der  Beziehimg. 
(W) «  W — (m  —  n)  8-31 T  j  oder  bei  Zimmertemperatur  (W) «  W— (m  —  n)  242  J. 

Die  nachstehenden  Zahlenangaben  sollen  einen  Überblick  über  die 
wichtigsten  Gruppen  der  organischen  Chemie  geben;  ein  vollständiges 
Verzeichnis  der  ausgefiihrten  Arbeiten  ist  nicht  beabsichtigt. 

Für  die  gasförmigen  Kohlenwasserstoffe  der  Methanreihe  wurden 
von  Thomsen  folgende  Verbrennungswärmen  bestimmt: 

(CH4)  886  J  Unterschied 

(CsHc)  1550,,  664  J 


286  Vn.    Thermochemie. 

Unterschied 
(CäHg)  2214  J  664  J 

(C4H10)  2877,,  663,, 

(C5H,a)  3544  „  667  „ 

Das  Mittel  der  Zunahme  für  jedes  GH,  beträgt  664  J.  Bei  flüssigen 
Stoffen  ist  dieser  Wert  etwas  grösser,  da  die  Verdampfimgswärme  (um 
welche  die  Verbrennnngswärme  im  flüssigen  Zustande  die  im  gasförmigen 
übertriffl;)  mit  wachsendem  Molekulargewicht  langsam  ansteigt.  Von 
Stohmann  ist  bestimmt  worden: 

CßHi^  4146  J  Unterschied 

C7H16  4830,,  684  J 

CißH34  11030  „  9X689  „ 

Ähnlich  verhalten  sich  die  Stoffe  der  Äthylenreihe.  In  Gasform  gaben  sie 

(OgH^)  1395  J  Unterschied 

(CaHe)  2061,,  666  J 

(C4H3)  2722  „  661  „ 

(C5H10)  3378,,  656,, 

Flüssige  Verbindungen  derselbe  Reihe  gaben: 

CgH^<j  5239  J  Unterschied 

CjoH^o  6677,,  2X664 

Acetylen  hat  die  Verbrennungswärme  1321J.  Vergleicht  man  die 
drei  Verbindungen  C*H^,  C*H*,  C*H®,  so  ergeben  sich  die  Unterschiede 
74  und  155  J.  Die  Verbrennungswärme  von  H*  ist  286  J;  es  würde 
also  bei  der  Aufnahme  von  Wasserstoff  durch  Acetylen  dne  erhebliche 
Wärmeentwickelung  von  212  J  stattfinden;  ebenfalls  bedeutend,  wenn 
auch  kleiner  (131  J),  ist  sie  beim  Übergang  von  Äthylen  in  Äthan. 
Die  Verbrennungswärmen  der  einwertigen  Alkohole  sind: 
CH4O  714  J  Unterschied 

CgHeO  1362  „  648  J 

OgHgO  2009  „  647  „ 

C^HioO  2663  „-  654  „ 

CßHijO  3321  „  658  „ 

CgHigO  5280,,  8X653,, 

Propylglykol  C^HgOg  hat  1804  J,  Glycerin  CsHgOs  1662  J.  Der  Über- 
gang vom  einwertigen  Alkohol  auf  den  zweiwertigen  vermindert  die 
Verbrennungswärme  um  205  J,  von  diesem  auf  den  dreiwertigen  um  142  J. 

Isopropylalkohol  hat  2000  J,  während  der  normale  2009  J  hat 
Der  Unterschied  kennzeichnet  den  geringen  Einfluss  der  Isomerie  auf 
die  Verbrennungswärme. 

Einige  wichtigere  mehratomige  Alkohole  und  Kohlehydrate  sind; 
Erythrit,  C4H10O4,  2103  J,  Rhamnose  C^HigOg  3006  J,  Quercit  CgHijOs 
2972  J,  Mannit  CgHi^Oß  3048  J,  Glukose  GqU^^O^  2833  J,  Rohrzucker 
C12H22O,,  5668 J,  Milchzucker  CigH^Ou  5653  J,  Dextrin  CgHioOs 
279 IJ,  Stärke  C^HioOs  2865  J,  Cellulose  2846  J. 


Organische  Verbindungen.  287 

Aldehyde  der  Fetti*eihe  haben  im  flüssigen  Zustande 
C^H^O  1127  J  Unterschied 

CgHjoO  3104',,  3X659J 

Aceton,  CgHeO,  hat  1772  J,  Diäthylketon,  C^HioO,  3083  J;  der  Unter- 
schied fiir  CH,  ißt  656  J. 

Die  normalen  Fettsäuren  ergaben: 

CHjjO^  258  J  Unterschied 

CgH^O,  876  „  616  J 

CsHgO,  1537  .,  661  „ 

C^HgOa  2194  „  657  „ 

CßHi^Oj  2852  „  658  „ 

CßHigO,  3503  „  651  „ 

Hier  ist  die  Abweichung  des  ersten  Gliedes  besonders  auMlig. 

Für  die  Säuren  der  Oxalsäurereihe  wurde  gefunden: 

CjHjO^  251  J                  unterschied 

CgH^O^  867  „                    616  J 

C^HeO^  1492  „  "               625  „ 

C6H8O4  •  2154  „                     662  „ 

CßHjoO^  2798,,                    644,, 

C^HijO^  3467  „                     669  „ 

CsH.^O,  4114,,                    647,, 

Cj^HieO^  4774  „                     660  „ 

CioHigO^  5410  „ 

Auch  hier  zeigen  die  Anfangsglieder  die  grössten  Abweichungen. 
Hervorzuheben  ist  das  Oscillieren  der  Unterschiede  bei  den  höheren 
Homologen,  welches  mit  entsprechenden  Verschiedenheiten  vieler  anderer 
Eigenschaften  (z.  B.  der  Schmelzpunkte)  der  Säuren  mit  paarer  und 
mit  unpaarer  Kohlenstoffzahl  zusammenhängt 

Die  aus  den  Alkoholen  bei  ihrer  Verbindung  unter  sich  oder  mit 
Säuren  entstehenden  Stoffe,  die  Äther  und  Ester,  welche  die  Elemente 
ihrer  Bildungsbestandteile  minus  denen  des  Wassers  enthalten,  haben 
meist  eine  Verbrennungswärme,  welche  von  der  Summe  der  Verbrennungs- 
vrärmen  ihrer  Komponenten  nicht  viel  abweicht,  zum  Zeichen,  dass  diese 
Vorgänge  nur  mit  geringer  Wärmeänderung  erfolgen.  Letztere  hat 
häufig  ein  negatives  Zeichen,  d.  h.  die  Stoffe  nehmen  bei  ihrer  Ver- 
emigung  Wärme  auf. 

So  ist  die  Verbrennungswärme  des  Äthyläthers  (C*H^)^0  gleich 
2726  J,  die  von  zwei  Molen  Äthylalkohol  2724  J,  so  dass  bei  der  un- 
mittelbaren Ätherbildung  überhaupt  keine  nachweisbare  Wärmewirkung 
stattfinden  würde. 

Ähnlich  stellen  sich  die  Zahlen  beim  Vergleich  der  Verbrennungs- 
wärmen  der  Ester  mit  denen  der  Säuren  und  Alkohole.  Hier  treten 
meist  4  bis  8J   bei  der  Bildung  der  Ester  ein,  und  um  so   viel  über- 


288  VII    Thermochemie. 

treffen  die  Yerbrennungswärmen  der  letzteren  die  ihrer  Bestandteile.  So 
ist  die  Verbrennungswärme  des  Äthylacetats  2246  J;  die  von  Essigsäme 
und  Alkohol  zusammen  2238  J;  ebenso  hat  Äthylbulyrat  3561,  während 
die  Summe  3556  J  ist.  Man  kann  sieb  dieser  Reg^l  bedienen,  um  as- 
nähemd  die  Verbrennungswärmen  der  unter  Wasseraustritt  gebildeten 
organischen  Verbindungen  vorauszuberechnen. 

Über  die  organischen  Stickstoffverbindungen  lässt  sich  wenig 
Allgemeines  sagen.  Es  ist  bemerkenswert,  dass  die  Bildung  des  Cyans 
aus  Kohle  und  Stickstoff  unter  sehr  erheblichem  Wärmeverbrauch  er- 
folgt. Die  Verbrennungswärme  von  (CN)*  beträgt  108GJ,  während  die 
der  zwei  Atome  Kohlenstoff  nur  788  J  ausmacht;  es  wird  also  die  er- 
hebliche Wärmemenge  von  298  J  aufgenommen.  In  dieser  Beziehung 
schliesst  sich  das  Cyan  dem  Acetylen  an,  welches  gleichfalls  wie  jenes 
bei  hohen  Temperaturen  unter  starkem  Wärmeverbrauch  (von  247  J,  da 
die  Verbrennungswärme  1321J  geftinden  wurde)  entsteht' 

Bei  der  Verbindung  des  Cyans  mit  Wasserstoff  würden  sieh  45  J 
(fiir  ein  Atom  Wasserstoff)  entwickeln.  Die  Zahl  nähert  sich  der  för 
die  Bildung  des  Brom  Wasserstoffs.  Die  Bil^ungswärme  aus  den  Elementen 
bleibt  negativ. 

Schliesslich  seien  die  physiologisch  wichtigen  Verbrennungswärmen 
derstickstoffhaltigen  Endprodukte  des  tierischen  Stoffwechsels 
nach  Stohmann  angegeben. 

Harnstoff  CO(NH»)«  636  J 

Harnsäure  C«H*N*0»  1924  „ 

Hippursäure         CöH^NO»  4242  „ 

Eiweissstoffe  entwickehi  2«3  bis  2*5  J  bei  der  Verbrennung  von  1  g. 

Auch  die  Verbrennungswärmen  zahlreicher  aromatischer  Verbindungen 
sind  bestimmt  worden.  Die  hauptsächlichsten  Ergebnisse  haben  ganz 
dieselbe  Form,  wie  sie  bei  den  Fettkörpem  gefunden  wurde,  so  dass 
eine  kurze  Erwähnung  genügen  mag. 

Die  Verbrennungswärme  des  Benzols  ist  326  J.  Für  die  dem 
Benzol  homologen  Kohlenwasserstoffe  macht  sich  wieder  der  bekannte 
Anwuchs  von  je  655  J  fiir  jedes  CH*  geltend;  die  verschiedenen  Iso- 
meren zeigen  dabei  keine  erheblichen  Unterschiede.  Eine  Anzahl  von 
Verbrennungswärmen  anderer  aromatischer  Verbindungen  (nach  Stohmann) 
sei  zur  allgemeinen  Orientierung  hergesetzt. 

Phenol  C«H«0  3082  J 

Brenzkatechin  C^H^O^  [2865  „ 

Resorcm  C^HßO«  ^2857  „ 

Hydrochinon  C^H^O^  (2857  „ 

Pyrogallol  C^H^O»  2635  „ 

Benzogsäure  C'H«0*  3228  „ 

Benzaldehyd  C'H«0  3521  ,, 

Benzylalkohol  CH^O  3744  „ 


YIII.    Chemische  Mechanik.  —  Allgemeines.  289 

Phtalsäure  C^H^O*  3234  J 

Saücylsäure  C^H^O»  3052  „ 

Die  früher  angegebenen  Regeln  finden  sich  anch  hier  im  allge- 
meinen bestätigt.  B^nerkenswert  ist,  dass,  während  die  drei  isomeren 
Kresole,  CH^O^H^OH,  gleiche  Verbrennungswärmen  haben,  das  meta- 
mere  Anisol,  C^*H^OCH^,  merklich  abweicht.  Dass  nicht  alle  Stellungs- 
isomeren  gleiche  Verbrennungswärmen  haben,  macht  sich  endlich  beim 
Vergleich  von  Brenzkatechin  mit   den   anderen   Dioxybenzolen    geltend. 

Die  Verbrennungswärmen  der  den  oben  angeführten  Stoffen  ho- 
mologen Verbindungen  lassen  sich  alle  mit  genügender  Annäherung 
durch  Hinzufügen  von  je  655  J  für  je  GH*  berechnen. 

Eine  Regel  von  bemerkenswerter  Allgemeinheit  ist  von  Stohmann 
zwischen  der  Verbrennungswärme  der  Säuren  und  ihrer  chemischen 
„Stärke"  oder  Affinitätskonstante  (s.  w.  u.)  geftmden  worden:  beide 
nehmen  bei  isomeren  Säuren  gleichzeitig  zu  und  ab.  Da  für  die  letz- 
tere Grösse  allgemeine  Beziehungen  zur  chemischen  Zusammensetzung, 
die  später  besprochen  werden  sollen,  bekannt  sind,  so  lassen  sich  auch 
die  Unterschiede  der  wirklichen  Verbrennungswärmen  gegen  die  aus  der 
additiven  Regel  berechneten  angenäherten  Werte  im  Voraus  schätzen. 


Achtes  Buch. 

Chemische  Mechanik. 

Erstes  Kapitel. 
Allgemeines. 

Der  Inhalt  der  Thermochemie  war  wesentlich  durch  den  ersten 
Hauptsatz  der  Energetik  bestimmt:  sie  handelte  von  dem  Gesamtbetrage 
der  Energie,  welche  die  chemischen  Vorgänge  begleitet,  und  lehrte  sie  in 
Wärmemass  bestimmen.  Dabei  war  vorausgesetzt,  dass  die  dhrch  die 
Formeln  angegebenen  Vorgänge  in  dem  Sinne  und  mit  der  Vollständig- 
keit stattfinden,  welche  durch  diese  Formeln  dargestellt  sind.  Warum 
die  Vorgänge  gerade  in  solchem  Sinne  erfolgen,  und  nicht  im  entgegen- 
gesetzten, der  formell  immer  ebenso  möglich  wäre,  wurde  noch  nicht  er- 
örtert, ebensowenig,  ob  die  stillschweigend  vorausgesetzte  Vollständigkeit 
der  Reaktionen  tiiatsächlich  stattfindet. 

Früher  hat  man  geglaubt,  diese  Fragen  auf  Grund  der  thermoche- 
mischen  Daten  selbst  beantworten  zu  können,  denn  es  war  der  Satz 
aufgestellt  worden,  dass  von  den  beiden  möglichen  entgegengesetzt  ge- 
richteten chemischen  Vorgängen  derjenige  ausschliesslich  stattfindet,  welcher 
mit  Wärmeentwickelung  verbunden  ist.     Denn  da  beim  chemischen  Vor- 

Ostwald,  Grundriss.  3.  Aufl.  19 


290  VIII.    Chemische  Mechanik. 

gange  jedenfalls  eine  Energieänderung  eintritt,  so  muss  jede  chemische 
Gleichung,  in  einem  Sinne  gelesen,  einer  Wärm eent Wickelung  und  im 
anderen  Sinne  einem  Wärmeverbrauch  entsprechen. 

Diese  Ansicht,  welche  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  Vertreter  ge- 
funden hat,  ist  unrichtig.  Sie  ist  der  letzte  Rest  einer  Lehre,  die  im 
letzten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  von  T.  Bergmann  aufgestellt 
worden  ist.  Nach  dieser  verhalten  sich  die  chemischen  Stoffe  gegenein- 
ander wie  mechanische  Massen,  die  von  entgegengesetzt  gerichteten 
Kräften  angegriffen  werden;  eine  oder  die  andere  Kraft  ist  die  grössere, 
und  dieser  gemäss  erfolgt  der  Vorgang.  Da  Bergmann  diese  „chemischen 
Kräfte"  nur  durch  die  Natur  der  Stoffe  und  die  Temperatur  bestimmt 
ansah,  so  musste  er  gleichzeitig  annehmen,  dass  sie  solange  wirken,  als 
noch  etwas  von  den  umwandlungsföhigen  Stoffen  vorhanden  ist,  d.  h. 
dass  die  Vorgänge  alle  vollständig  verlaufen. 

Während  diese  Ansicht  das  Wissen  ihrer  Zeit,  in  welcher  nur  die 
(praktisch)  vollständigen  Vorgänge  gekannt  waren  oder  beachtet  wurden, 
in  genügender  Weise  darstellten,  ergab  sich  bald  bei  grösserer  Aufmerk- 
samkeit, dass  die  nach  dieser  Theorie  nicht  möglichen  unvollständigen 
Reaktionen  viel  häufiger  vorkamen,  als  angenommen  worden  war.  Um 
den  Beginn  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  entstand  daher  eine  ent- 
gegengesetzte Theorie,  die  von  C.  L.  BerthoUet  entwickelt  wurde.  Ihr 
Gnindgedanke  war,  dass  auf  den  Verlauf  eines  chemischen  Vorganges 
nicht  nur  die  Beschaffenheit  der  Stoffe  und  die  Temperatur  einen  Ein- 
fluss  hat,  sondern  auch  die  im  Reaktionsgebiet  vorhandene  Menge  eines 
jeden  beteiligten  Stoffes.  Dadurch,  dass  die  aufeinander  wirkenden  Stoffe 
infolge  dieser  Wirksamkeit  verschwinden  und  die  Produkte  sich  anhäufen, 
entsteht  eine  Ursache,  welche  eben  diesen  Vorgang  behindert  und  schliess- 
lich zum  Stillstande  bringt.  Denn  die  entstandenen  Stoffe  haben  in  dem 
Masse,  als  sie  sich  bilden,  immer  mehr  die  Tendenz,  die  Ausgangsstoffe 
wieder  zurtickzubilden,  und  es  tritt  ein  Stillstand  der  Reaktion  ein,  be- 
vor sie  sich  hat  vollenden  können. 

Dass  trotzdem  viele  Reaktionen  innerhalb  der  Messbarkeit  vollständig 
verlaufen,  lässt  sich  meist  darauf  zurückführen,  dass  die  Anhäufung  der 
Produkte  irgendwie  verhindert  wird.  Ist  z.  B.  eines  derselben  gasfönnig, 
so  wird  es  entweichen  und  keinen  Einfluss  mehr  ausüben;  ist  es  unter 
den  vorhandenen  Umständen  unlöslich,  so  wird  es  sich  ausscheiden  und 
sich  gleichfalls  der  weiteren  Wirkung  entziehen. 

Diese  Gesichtspunkte  haben  sich  in  der  Folge  als  richtig  herausge- 
stellt. Allerdings  hat  es  sehr  lange  Zeit  gedauert  (Guldberg  und  Waage, 
1867),  bis  sie  sich  zu  einer  wirklichen  Theorie  der  chemischen  Vorgänge 
und  Gleichgewichtszustände  entwickelt  haben.  Nachdem  die  Angemessen- 
heit von  BerthoUets  Anschauungen  sich  durch  die  späteren  Forschungen 
zunächst  erfahrungsmässig  in  vielen  Fällen  hat  nachweisen  lassen,  ist 
später  durch  die  Entwickelung  der  Energetik  und  ihre  Anwendung  anf 
chemische  Probleme  eine  „chemische  Dynamik"  entstanden,   welche   die 


Chemische  Kinetik.  291 

Grnindlagen  der  Bertholletschen  Affinitätslehre  trotz  der  nngemeinen  Er- 
weiterung und  Vertiefung  des  Gebietes  im  wesentlichen  beibehalten  hat. 

Die  Grundlage  dieser  Entwickelung  bildet  das  Gesetz  der  chemischen 
Massenwirkung,  nach  welchem  die  chemische  Wirkung  der  wirk- 
samen Masse,  d.  h.  der  Stoffmenge  in  der  Yolumeinheit  oder  Kon- 
zentration proportional  ist.  Die  chemische  Wirkung,  von  der  hier 
die  Kede  ist,  kann  sich  nach  zwei  Richtungen  bethätigen:  in  der  Regelung 
des  Verlaufes  der  Reaktion  einerseits,  und  in  der  Regelung  der  Gleidi- 
gewichtsverhältnisse  nach  Ablauf  derselben  andererseits.  Daraus  ergeben 
sich  die  beiden  Gebiete:  die  chemische  Kinetik  und  die  chemische 
Statik. 

In  bestimmtem  Sinne  kann  man  die  Kinetik  als  die  grundlegende 
Wissenschaft  ansehen,  da  der  Vorgang  erst  verlaufen  muss,  bevor  sich 
das  Gleichgewicht  einstellt.  Doch  hat  sie  sich  viel  weniger  entwickelt, 
als  die  Statik.  Dies  liegt  einerseits  darin,  dass  sie  durch  die  Beziehung 
auf  die  Zeit  eine  Veränderliche  mehr  enthält,  als  die  Statik,  und  dadurch 
notwendig  eine  grössere  Verwickelung  aufweist,  als  diese.  Andererseits 
ist  eB  noch  nicht  gelungen  ein  allgemeines  Prinzip  auf  energetischer 
Grundlage  aufzustellen,  welches  über  dieses  Gebiet  in  ähnlicher  Weise 
Auskunft  gäbe,  wie  die  verschiedenen,  auf  der  Verallgemeinerung  des 
zweiten  Hauptsatzes  beruhenden  Gleichgewichtsprinzipien  dies  fttr  die 
chemische  Statik  thun.  Doch  lässt  sich  eine  wachsende  Bedeutung  für 
die  Kinetik  voraussehen,  da  einerseits  der  Betrag  der  Aufschlüsse  über 
die  Beschaffenheit  der  chemischen  Gebilde  auf  ihrem  Wege  viel  grösser 
ist,  als  auf  dem  der  Statik,  und  andererseits  auch  für  jenes  noch  ge- 
suchte allgemeine  Prinzip  bereits  Andeutungen  vorhanden  sind,  die  seine 
umfassende  Aussprache  in  naher  Zeit  erwarten  lassen. 


Zweites  Kapitel. 
Chemische  Kinetik. 

Als  im  Jahre  1777  der  Chemiker  C.  F.  Wenzel  sich  die  Aufgabe 
gestellt  hatte,  die  Ursache  der  chemischen  Vorgänge,  oder  die  (jesetze 
äer  chemischen  Verwandtschaft  zu  erforschen,  musste  er  vor  allen 
Dingen  eine  Methode  haben,  diese  zu  messen.  In  Analogie  mit  der 
Methode,  nach  welcher  die  Ursachen  der  mechanischen  Vorgänge  oder 
der  Bewegungen  gemessen  werden,  wollte  er  die  chemischen  „Kräfte" 
mittels  der  Geschwindigkeiten  messen,  mit  welchen  die  verschiedenen 
Stoffe  analoge  Vorgänge  bewirken. 

Der  Begriff  der  „chemischen  Geschwindigkeit"  ist  durch  das  Ver- 
IhUltnis  zwischen  der  durch  den  betrachteten  Vorgang  umgesetzten  Stoff- 
I menge  zu  der  dazu  erforderlichen  Zeit  gegeben.     Der  Ausdruck,  dass 

19* 


i 


292  VIII.    Chemische  Mechanik. 

z.  B.  eine  Gärung  schneller  bei  höherer,  als  bei  niederer  Temperatur 
verläuft;  besagt,  dass  unter  sonst  gleichen  Umständen  bei  höherer  Tem- 
peratur mehr  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure  umgesetzt  wird,  als 
bei  niederer.  Mit  der  mechanischen  Geschwindigkeit  hat  diese  chemische 
nur  eine  ziemlich  äusserliche  Ähnlichkeit,  und  man  muss  sich  hüten,  die- 
selbe für  weitergehend  zu  halten. 

Die  Menge  der  in  der  Zeiteinheit  umgesetzten  Stoffe  oder  die  che- 
mische Geschwindigkeit  irgend  einer  Reaktion  hängt  offenbar  von  sehr 
vielen  einzelnen  Umständen  ab.  Wenzel,  welcher  die  chemische  Ver- 
wandtschaft der  Säuren  zu  den  Metallen  messen  wollte,  führte  seine  Ver- 
suche so  aus,  dass  er  die  Oberflächen  der  Metallstücke,  welche  die  Wirkung 
der  Säuren  erfahren  sollten,  gleich  machte,  denn  er  sagte  sich,  dass  die 
in  einer  gegebenen  Zeit  aufgelöste  Metallmenge  der  Oberfläche  pro- 
portional sein  müsse.  Femer  war  er  über  die  Wirkung  eines  versdiie- 
denen  Gehaltes  seiner  verdünnten  Säuren  vollkommen  im  klaren:  die 
Wirkung  muss  auch  dem  Gehalt  proportional  sein.  „Denn  wenn  ein 
Saueres  in  einer  Stunde  eine  Drachma  von  Kupfer  oder  Zink  auflöst, 
so  braucht  ein  halb  so  stai-kes  Saueres  zwei  Stunden  dazu,  wenn  näm- 
lidi  die  Flächen  und  Wärmen  in  allen  diesen  Fällen  einander  gleidi 
bleiben." 

Dieser  von  Wenzel  ausgesprochene  Grundsatz,  dass  die  Wirkung  pro- 
portional der  Konzentration  des  wirksamen  Stoffes  ist,  bildet  nun  in  der 
That  die  Grundlage  der  chemischen  Mechanik.  Er  ist  später  von 
Berthollet  von  neuem  und  unabhängig  von  Wenzel  ausgesprochen  worden, 
hat  aber  erst  in  neuerer  Zeit  die  von  letzterem  bereits  vorausgesehene 
Anwendung  zur  Messung  „chemischer  Kräfte"  erfahren. 

Zunächst  ist  es  klar,  dass  man  eine  von  den  Komplikationen  der 
Versuchsanordnung  Wenzels  beseitigen  kann,  weim  man  die  Anwendung 
fester  Körper  aufgiebt.  Chemische  Vorgänge,  bei  welchen  überhaupt 
keine  Oberflächen  in  Frage  kommen,  kann  man  in  homogenen  Flüssig- 
keiten oder  Gasen  erzeugen.  Freilich  ist  in  solchen  der  Verlauf  der 
Vorgänge  selbst  nicht  immer  leicht  zu  messen,  doch  hat  sich  das  bereits 
in  vielen  Fällen  ausfuhrbar  erwiesen. 

Die  ereten  derartigen  Messungen  sind  von  Wilhelray  (1850)  ge- 
macht worden,  welcher  auch  das  richtige  Gesetz  des  Verlaufes  einer  be- 
stimmten Klasse  chemischer  Vorgänge  zuerst  aufgestellt  hat  Wenn 
nämlich  bei  dem  Vorgange  in  einer  homogenen  Flüssigkeit  nur  ein  ein- 
ziger Stoff  betroffen  wird,  so  kann  offenbar  nach  dem  Prinzip  der 
Massenwirkung  die  Geschwindigkeit  nicht  konstant  sein,  sondern  muss 
beständig  abnehmen.  Es  werde  z.  B.  in  der  Zeiteinheit  immer  je  0-1 
des  eben  vorhandenen  Stoffes  umgewandelt  Dann  erleiden  nach  Ver- 
lauf der  Zeiten  1,  2 folgende  Mengen  die  Umwandlung: 

Zeit  vorhandene  Menge     umgewandelte  Menge 

0—1  1-000  0-100 

1  —  2  0-900  0-090 


Chemische  Kinetik.  293 

Zeit  YorhAndene  Menge    umgewandelte  Menge 


2—3 

0810 

0081 

3     4 

0729 

0073 

4—5 

0-656 

0066 

Zum  Beginn  der  Zeit  ist  die  Menge  1-000  da,  nach  Verlauf  der  Zeit 
1  ist  0-100  nach  der  Annahme  umgewandelt.  Es  ist  dann  die  Menge 
0-900  nachgeblieben,  von  der  wieder  ein  Zehntel,  d.  h.  0-090  die  Um- 
wandlung erfährt.  Alsdann  ist  die  Menge  0-900  —  0090  =  0-810  nach- 
geblieben, von  der  wieder  ein  Zehntel,  nämlich  0-081  umgewandelt 
wird,  u.  s.  f. 

Nennt  man  also  G  die  zu  irgend  einer  Zeit  d'  vorhandene  Kon- 
zentration des  sich  umwandelnden  Stoffes,  und  dC  die  Änderung^), 
welche  sie  in  der  kleinen  Zeit  äd-  erfährt,  so  wird  der  Satz,  dass  die 
Reaktionsgeschwindigkeit  der  Konzentration  proportional  ist,  durch  die 
Gleichung  ausgedrückt 

—  dC/d^  =  kC. 

Hierin  ist  — dCjäd^  die  Reaktionsgeschwindigkeit,  oder  das  Verhältnis 
der  umgewandelten  -  Menge  zu  der  entsprechenden  Zeit.  Das  negative 
Zeichen  von  dO/d^  ergiebt  sich  daraus,  dass  durch  die  Reaktion  die 
Konzentration  des  betrachteten  Stoffes  abnimmt,  während  die  Zeit  in 
positivem  Sinne  wächst.  Die  Bedeutung  von  k  ergiebt  sich,  wenn  man 
0=1  setzt:  k  ist  die  Reaktionsgeschwindigkeit  für  die  Konzentration  Eins. 

Man  kann  diese  Gleichung  nicht  genau  an  der  Erfahrung  prüfen.  Denn 
da  sich  die  Konzentration  C  während  eines  Zeitraumes  d^  beständig  ändert, 
so  ist  auf  der  rechten  Seite  in  den  Ausdruck  k  C  für  C  ein  Mittelwert  zwischen 
dem  Anfangs-  und  dem  Endwerte  in  der  Zeit  d^  zu  setzen;  wie  man  aber 
diesen  berechnet,  geht  aus  der  Gleichung  nicht  unmittelbar  hervor. 

Ofifenbar  wird  dieser  unbekannte  Mittelwert  um  so  genauer  durch  das 
arithmetische  Mittel  beider  Konzentrationen  ersetzt  werden  können,  je  näher 
sich  diese  liegen,  je  kürzer  also  der  Zeitraum  d  d-  gewählt  wird.  Ist  d  d'  sehr 
klein,  so  sind  beide  Konzentrationen  überhaupt  nicht  merklich  verschieden, 
und  die  Unsicherheit  über  den  Mittelwert  verschwindet  ganz. 

Wenn  man  also  die  Gleichung  prüfen  will,  so  muss  man  möglichst  kleine 
Konzentrationsänderungen  nebst  den  zugehörigen  Zeiten  messen.  Als  kleine 
Unterschiede  grosser  Zahlen  sind  aber  solche  kleine  Änderungen  mit  experimen- 
tellen Unsicherheiten  behaftet,  die  relativ  um  so  grösser  werden,  je  kleiner 
die  Unterschiede  sind.  Wir  haben  also  zwei  sich  widersprechende  Forderungen 
zu  erfüllen:  möglichst  kleine  Unterschiede  wegen  der  Anwendbarkeit  der 
Formel,  möglichst  grosse  wegen  der  Versuchsfehler. 

Eine  strenge  Prüfung  der  Formel  ist  also  auf  diesem  Wege  nicht  möglich. 
Wohl  aber  kann  man  durch  Rechnung  aus  der  für  sehr  kleine  Zeiten  d^ 
geltenden  Formel  die  Änderungen  bestimmen,   welche  nach  einer  endlichen 

*)  Wegen  der  Bedeutung  des  Zeichens  d  vergl.  S.  84,  Anmerkung. 


294  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Zeit  &  eingetreten  sind.  Hierzu  muss  man  die  Zeit  in  sehr  viele  kleine  Teile 
d^  zerlegen,  für  jeden  Zeitanteil  die  Änderung  — dC  berechnen  und  alle 
Beträge  summieren. 

Mit  der  Lösung  solcher  Aufgaben  beschäftigt  sich  die  Integralrechnung^ 
deren  Kenntnis  hier  nicht  vorausgesetzt  wird.  Um  eine  Vorstellung  von  dem 
Verfahren  zu  geben,  soll  eine  entsprechende  Rechnung  ausgeführt  werden, 
wobei  wir  die  S.  292  gemachte  willkürliche  Zahlenannahme  durch  einen  allge- 
meinen Ausdruck  ersetzen.  Wir  haben,  wenn  wir  den  in  der  Zeiteinheit 
umgewandelten  Anteil  gleich  k  und  die  ursprüngliche  Menge  gleich  Eins  setzen: 

Zur  Zeit  vorhandene  Menge  umgewandelte  Menge 

0  —  1  1  k 

1  —  2  1  —  k  (1  —  k)k 

2  —  3  1— k  — (1  — k)k  =  (l  — k)*  (1— k)*k 
3_4  (i_k)a— (l— k)*k  =  (l  — k;i»  (l_k)»k 
4  —  5  (1  — k)»— (1  — k)»k  =  (l  — k)*        (1— k)*k 

u.  s.  w. 

Bezeichnet  man  daher  mit  ^  die  Zahl  der  seit  dem  Anfang  des  Vor- 
ganges verflossenen  Zeiteinheiten,  so  ist  die  zur  Zeit  ^  noch  vorhandene 
Menge  (1  —  k)^.  Dies  gilt,  wenn  die  anfängliche  Konzentration  gleich  Eins 
gesetzt  wird.  Wird  sie  gleich  Cq  gesetzt,  so  ist  die  nach  der  Zeit  ^  vorhandene 
Konzentration  C  gegeben  durch  C/Cq  =  (1  —  k)^   oder  C  =  Cq  (1  —  k)^*^. 

Indessen  ist  die  Gleichung  unter  einer  ungenauen  Voraussetzung  abge- 
leitet. Wir  haben  uns  den  Vorgang  so  vorgestellt,  als  fände  in  den  aufein- 
anderfolgenden einzelnen  Zeiträumen  die  Umwandlung  immer  mit  konstanter 
Geschwindigkeit  statt,  und  ändere  sie  sich  sprungweise  beim  Anfang  des 
nächsten  Zeitraumes  der  nunmehr  verminderten  Menge  entsprechend.  Dies 
ist  nun  allerdings  nicht  der  Fall,  denn  die  Änderung  geht  oflenbar  stetig  vor 
sich;  wir  werden  uns  aber  diesem  wirklichen  Vorgang  am  besten  annähern, 
wenn  wir  die  Zeiträume  so  klein  als  möglich  nehmen. 

Führen  wir  also  statt  der  bisherigen  Zeiteinheit  eine  n-mal  kleinere 
ein,  so  ist  der  in  der  neuen  Zeiteinheit  umgewandelte  Bruchteil  der  Anfangs- 
menge nur  k/n,  während  die  Zahl  der  Zeiteinheiten  auf  n^  gestiegen  ist 
Für  denselben  Augenblick,  für  den  die  angenäherte  Gleichung  C/Gq  =  (l  —  k)* 
gilt,  gilt  auch  die  genauere  Gleichung  C/Co  =  (l  —  k/n)"^. 

Lässt  man  nun  n  immer  grösser  werden,  so  wird  die  Gleichung  immer 
genauer,  und  sie  wird  richtig,  wenn  n  unendlich  gross  wird,  n  =  Qo.  Dann 
wird  k/n  =  0  und  der  Ausdruck  erlangt  die  Form  (1 — 0)qo.  Die  Analysis 
lehrt,  dass  der  Ausdruck  (1  —  (k/n)n^  für  unendlich  werdendes  n  übergeht 
in  e  — k^,  wo  e  die  Basis  der  natürlichen  Logarithmen,  die  Zahl  2-7183   ist 

Wir  haben  demnach  C/Co  =  ek^  oder  Co/C  =  ek^.  Wird  beiderseits 
der  natürliche  Logarithmus  genommen,  der  mit  In  bezeichnet  wird,  so  folgt 

InCo  — lnC  =  k^ 

als  Ausdruck  des  gesuchten  Gesetzes,  welches  für  jede  beliebige  Zeit  ^  die 
zugehörige  Konzentration  C  angiebt. 


Chemische  Kinetik.  295 

Die  aus  der  maÜlematischen  Formulierang  des  Massenwirkungsge- 
gesetzes  sich  ergebende  Gleichung  lautet 

InCo— lnC  =  k,->, 

wo  Co  die  Konzentration  am  Anfange  der  Zeitmessung,  C  dieselbe  nach 
der  Zeit  ^  und  k  die  Geschwindigkeitskonstante  ist;  die  Definition  der 
letzteren  ergiebt  sich  aus  der  Ableitung;  sie  stellt  den  Bruchteil  der 
ursprünglichen  Menge  des  Stoffes  dar,  welcher  in  der  Zeiteinheit  umge- 
wandelt werden  würde,  wenn  die  anfangliche  Geschwindigkeit  während 
der  Zeiteinheit  konstant  bliebe^). 

Was  die  zu  benutzenden  Einheiten  anlangt,  so  ist  als  Einheit  der 
Konzentration  die  Menge  Eins  im  Volum  Eins  zu  definieren.  Die 
Mengeneinheit  im  chemischen  Sinne  ist  das  Mol,  oder  wo  dieses  nicht 
bekannt  ist,  das  Formelgewicht  in  Grammen.  Als  Einheit  des  Volums 
sollte  bei  absoluter  Messung  das  Kubikcentimeter  dienen.  Da  indessen 
alsdann  die  Konzenti'ationen  durch  sehr  kleine  Zahlen  dargestellt  werden 
würden,  so  benutzt  man  praktisch  das  Liter  als  Volumeinheit,  und  die 
Einheit  der  Konzentration  ist  ein  Mol  im  Liter. 

Die  Zeit  ^9-  sollte  gleichfalls  im  System  nach  Sekunden  gemessen 
werden.  In  der  chemischen  Kinetik  ist  die  Minute  als  Einheit  üblich 
geworden,  und  da  bisher  noch  keine  vollständige  Beziehung  der  Reaktions- 
geschwindigkeit zu  anderen,  in  absoluten  Einheiten  gemessenen  Grössen 
bekannt  geworden  ist,  kann  sie  vorläufig  beibehalten  werden. 

Schliesslich  kann  die  unbequeme  Rechnung  mit  natürlichen  Logarithmen 
durch  die  Einführung  dekadischer  vermieden  werden.  Bezeichnet  man 
letztere  mit  log,  so  besteht  die  Beziehung  log  0  =  04343  In  C,  und  wir 
^aben  log  c  —  log  C^  =  04343  k^, 

in  welcher  Gestalt  die  Formel  allgemein  zu  benutzen  ist. 

Aus  der  Form  der  Gleichung  geht  hervor,  dass  die  Einheit  der 
Konzentration  ohne  Einfluss  auf  den  Wert  der  Konstanten  k  ist,  Denn 
misst  man  jene  in  einer  n-mal  kleineren  Einheit,  so  dass  die  Zahlenwerte 
n-mal  grösser  werden,  so  erhält  die  linke  Seite  der  Gleichung  die  Form 
lognC  —  lognCß,  welche  gleich  logC  —  logC^  ist.  Man  kann  daher 
bei  der  Rechnung  jede  beliebige  Konzentrationseinheit  benutzen. 

Diese  Unabhängigkeit  der  Konstanten  von  der  Konzentrationseinheit  ist 
nur  bei  dem  eben  behandelten  einfachsten  Falle  der  Reaktionsgeschwindigkeit 
vorhanden,  in  allen  anderen  Fällen  tritt  ein  Einfluss  der  Einheit  auf  die  Ge- 
schwindigkeitskonstante zu  Tage,  wie  sich  später  ergeben  wird. 

Der  Fall,  an  welchem  Wilhelmy  zuerst  die  Richtigkeit  dieser 
Formel  zeigte,  war  die  Inversion  des  Rohrzuckes.  Dieser  Stoff  zerfällt, 
wie     bekannt,    unter   dem    Einflüsse    freier    Säuren    in    Dextrose    und 


*)  Diese  Definition  von  k  ist  von  der  S.  293  gegebenen  nur  der  Form 
nach  verschieden. 


296 


YIII.   Chemische  Mechanik. 


Läviüose,  indem  er  die  Elemente  des  Wassers  aufnimmt^  der  Formel 
C'«H"0ii4-H20  =  2C«H^»0«  gemäss.  Dabei  erleidet  die  freie 
Säure  keine  Änderung  ihrer  Menge,  und  das  Wasser  ist  bei  derartigen 
Versuchen  stets  in  so  grosser  Menge  da^  dass  die  Änderung  seiner  Menge 
unmerklich  ist.  Die  Vorbedingung  bei  der  Ableitung  der  Gleichung 
ist  somit  erfüllt.  Um  die  zu  jeder  Zeit  noch  vorhandene  Menge  des 
nicht  umgewandelten  Rohrzuckers  zu  bestimmen,  benutzte  Wilhekny 
die  Methode  mittelst  der  Drehung  der  Polarisationsebene ,  welche  eine 
Analyse  ohne  jeden  chemischen  Eingriff  gestattet  Aus  seinen  Messungen 
ergab  sich  z.  B.  folgende  Reihe: 


'Minuten' 

>       Abgelesener 
'           Winkel 

Konzentration 

logCo-logC 

0-4343  k 

0 

46.75<^ 

65-45 

15 

43.75 

62-45 

00204 

0-00136 

30 

41-00 

59.70 

0-0399 

0-00133 

45 

3825 

56.95 

00605 

0-00134 

60 

35.75 

54.45 

0-0799 

0-00133 

75 

3325 

5195 

0-1003 

0-00134 

90 

30-75 

49-45 

0-1217 

0-00135 

105 

28-25 

46-95 

0-1441 

0-00137 

120 

26-00 

4470 

0-1655 

0-00137 

* 

oo 

—18-70 

Mittel  0-4343 k  =  0-00135, k  =  000310. 

Die  Beobachtungen  sind  in  folgender  Weise  berechnet.  Die  ur- 
sprüngliche Zuckerlösung  hatte  die  Drehung  46^75;  nachdem  sie  voll- 
ständig in  Dextrose  und  Lävulose  übergegangen  war,  betrug  die  Drehung 
—  18^70.  Da  die  Drehung  der  Zuckermenge  proportional  ist,  so  ist 
der  ganze  zurückgelegte  Winkel  von  46-75  +  18-70  =  65-45  das  Mass 
der  anfänglichen  Konzentration  Gq.  Der  nach  15  Minuten  beobachtete 
Drehungswinkel  von  43^5  ergiebt  C  =  43-75  +  18-70  =  62-45. 
Nimmt  man  von  beiden  Zahlen  die  Logarithmen,  so  ist  der  Unterschied 
gleich  0-0204,  und  diese  Zahl  durch  ^=15,  die  Zahl  der  vergangenen 
Minuten  dividiert,  giebt  endlich  0-00136,  u.  s.  w. 


Die  in    der  letzten  Spalte  verzeichnete  Grösse 


log  Co- log  C   , 


^ 


ist 


nach  der  Gleichung  also  gleich  0-4343  k  und  muss  konstant  sein.  Wie 
man  an  der  Tabelle  sieht,  trifft  dies  zu.  Denn  die  vorhandenen  Ab- 
weichungen rühren  nur  von  Versuchsfehlem  her. 

Um  an  demselben  Versuchsmaterial  die  Ergebnisse  der  Rechnung 
nach  der  Formel  — dC/dd-  =  kC  zu  zeigen,  sind  die  Zeitunterschiede 
von  15  Minuten  zwischen  den  einzelnen  Ablesungen  ^eich  d^  gesetzt 
worden;  dC  sind  die  zugehörigen  Winkeländerungen  und  für  C  sind 
die  Mittelwerte  vom  Anfang  und  Ende  dieser  Zeiten  angenommen  worden. 
Dann  ergiebt  sich 


Chemische  Kinetik.  297 


dS^ 

—  dC 

C 

k 

15 

300 

63-95 

0-003 1 2 

15 

275 

6108 

0-00300 

15 

275 

58-33 

0-00315 

15 

2-50 

55-70 

0-00300 

15 

2-50 

53-20 

0-00313 

15 

2-50 

5070 

000328 

15 

250 

48-20 

0-00335 

15 

2-25 

4583 

0-00328 

Mittel  k  =  000316 

Wie  man  sieht,  schwanken  die  einzelnen  Werte  viel  mehr,  als  bei 
der  Benutzung  der  anderen  Formel;  auch  liegt  der  Mittelwert  um  fast 
zwei  Prozent  höher.  Doch  kann  man  auf  diesem  Wege  immerhin  zu 
leidlich  angenäherten  Resultaten  gelangen,  zumal  im  vorliegendem  Falle 
die  Messungen  nur  auf  Viertelgrade  haben  abgelesen  werden  können, 
und  somit  jeder  einzelne  Wert  von  dC  eine  Fehlermöglichkeit  von  +4  bis 
6  Prozent  enthält 

Gleiche  Ergebnisse,  wie  Wilhelmy  sie  bei  der  Inversion  des  Rohr- 
zuckers erhalten  hatte,  haben  sich  späterhin  bei  vielen  anderen  Vor- 
gangen  wiedergefunden.  So  verläuft  die  Reduktion  der  übermangan- 
saure durch  einen  grossen  Überschuss  von  Oxalsäure,  der  Zerfall  des 
Methylacetats  in  Methylalkohol  und  Essigsäure,  welcher  in  verdünnter 
wässeriger  Lösung  bei  Anwesenheit  von  Säuren  erfolgt,  die  Umwandlung 
von  Bibrombemsteinsäure  in  Bromwasserstoff  und  Brommale'msäure,  von 
Monochloressigsäure  in  Glycolsäure,  die  Umwandlung  des  Atropins  in 
Hyoscyamin  durch  die  Gegenwart  von  Alkalien,  u.  s.  w.  nach  dem 
gleichen  Gesetz.  Dieses  hängt  nicht  von  der  Beschaffenheit  der  an  der 
Reaktion  beteiligten  Stoffe  ab;  wo  immer  ein  chemischer  Vorgang  so 
verläuft,  dass  dabei  die  Menge  nur  eines  Stoffes  sich  ändert,  so  erfolgt 
er  nach  der  Foimel  InC^ — lnC  =  k{^.  Die  Formel  ist  wieder  nichts 
als  eine  mathematische  Folgerung  aus  dem  Satze,  dass  die  chemische 
Wirkung  der  wirkenden  Masse  oder  Konzentration  proportional  ist. 

Die  Betrachtung  der  Formel  lehrt,  dass  theoretisch  gesprochen  eine 
Reaktion  nie  zu  Ende  kommen  kann.  Denn  für  jeden  noch  so  grossen  Wert 
der  Zeit  behält  der  Ausdruck  log  C©  —  log  C  einen  endlichen  Wert,  d.  h.  es 
ist  noch  etwas  unzersetzter  Stoff  vorhanden.  Erst  für  ^  =  qo  wird  log  Co  —  log  C 
unendlich  oder  C  =  0. 

Allerdings  lässt  sich  der  Nachweis  dieses  theoretischen  Ergebnisses 
experimentell  nicht  führen,  da  alle  Messhilfsmittel  begrenzt  sind,  und  die 
Konzentration  C,  wenn  sie  unter  eine  bestimmte  Grenze  gefallen  ist,  nicht 
mehr  gemessen,  also  auch  nicht  mehr  von  Null  unterschieden  werden  kann. 
Als  durchschnittiiche  Grenze  der  gewöhnlichen  analytischen  Bestimmungen 
kann  man  */iooo  ^^^  Wertes  ansehen;  wenn  also  die  ursprüngliche  Konzen- 
tration unter  diesen  Wert  gesunken  ist,  hat  man  den  Wert  Null  praktisch 


298  VIII.    Chemische  Mechanik. 

erreicht.  Nun  lehrt  eine  leichte  Rechnung,  die  dem  Leser  anzusetzen  über- 
lassen werden  mag,  dass  in  einer  Zeit,  die  das  Zehnfache  der  für  die  halbe  Um- 
setzung erforderlichen  beträgt,  die  Konzentration  unter  Viooo  des  Anfangswertes 
gesunken  ist,  und  somit  das  Ende  des  Vorganges  experimentell  erreicht  ist 
Es  soll  schon  hier  hervorgehoben  werden,  dass  auch  die  dem  bis- 
her entwickelten  Gesetze  nicht  unterliegenden  Reaktionen  alle  theoretisch  erst 
nach  unendlich  langer  Zeit  zu  Ende  gehen.  Das  Verhältnis  zwischen  der 
Zeit  für  die  Hälfte  und  0-999  der  Reaktion  verschiebt  sich  aber  in  den 
anderen  Fällen  so,  dass  die  Regel  keine  Anwendung  mehr  findet. 

Ein  zweiter  Fall  chemischer  Vorgänge,  fiir  welchen  ein  neues  Ge- 
setz gültig  ist,  tritt  ein,  wenn  zwei  Stoffe  bei  demselben  ihre  Kon- 
zentration ändern.  Wir  müssen  wieder  voraussetzen,  dass  die  Wirkung 
der  Konzentration  jedes  einzelnen  proportional  ist.  Daraus  folgt,  dass 
die  Wirkung  dem  Produkt  beider  Konzenti*ationen  proportional  zu 
setzen  ist,  denn  dies  ist  die  einzige  Funktion,  welche  die  Bedingung  erfüllt. 

Für  die  Formuliening  eines  solchen  Vorganges  erscheint  es  auf  den 
ersten  Blick,  als  wären  zwei  Gleichungen  aufzustellen,  da  zwei  Stoffe 
gleichzeitig  ihre  Konzentration  ändern.  Doch  ist  die  Änderung  der 
Konzentration  des  ersten  Stoffes  nicht  unabhängig  von  der  des  zweiten: 
vielmehr  verlaufen  beide  einander  proportional,  und  wenn  die  chemische 
Gleichung  des  Vorganges  gegeben  ist,  so  wird  dessen  Zustand  durch 
eine   einzige  Veränderliche   vollständig  bestimmt. 

Für  die  hier  zu  beti'achtenden  Reaktionen  machen  wir  die  Vor- 
aussetzung, dass  die  auf  einander  wirkenden  Stoffe  zu  gleichen  Molen 
reagieren;  dann  ist  die  gleichzeitige  Ändening  der  Konzentrationen  beider 
Stoffe  in  dem  hier  eingehaltenen  Mass  gleich  gross,  und  kann  durch 
einen  gemeinsamen  Ausdruck  dC  dargestellt  werden.  Danach  lautet 
denn  die  Grundgleichung  für  diese  Art  Vorgänge,  die  wir  als  solche 
zweiter  Ordnung  bezeichnen, 

—  dC/dö'  =  kCC', 

wo  C  und  C'  die  Konzentrationen  der  beiden  beteiligten  Stoffe  in 
molekularem  Masse  sind.  Die  Bedeutung  von  k  ist  wieder  die  des  Ge- 
schwindigkeitskoeflSzienten ,  d.  h.  der  Geschwindigkeit,  mit  der  der  Vor- 
gang verlaufen  würde,  wenn  beständig  die  Konzenti*ation  der  bdden 
Stoffe  gleich  Eins  wäre. 

Auch  in  diesem  Falle  ist  es  iiir  eine  strenge  Prüfung  erforderlich, 
von  der  fiir  unbegrenzt  kleine  Zeiträume  geltenden  Gleichung  (der 
Differentialgleichung)  auf  einen  Ausdruck  überzugehen,  welcher  die  in  be- 
liebigen endlichen  Zeiten  erfolgten  Umsätze  dai'stellt.  Die  elementare 
Ableitung  dieser  Gleichung  (der  Integralgleichung)  würde  sehr  unüber- 
sichtlich ausfallen,  und  es  soll  daher  nur  das  Ergebnis  gegeben  werden 
(zu  welchem  die  Integralrechnung  alsbald  führt).  Je  nachdem  man  von 
gleichen  (d.  h.  reaktionsäquivalenten)  Konzentrationen  ausgeht,  oder  von 
verschiedenen,  erhält  man  verechiedene  Formeln. 


Chemische  Kinetik.  299 

Sind  die  Anfangskonzentrationen  C^  und  C'^  beider  Stoffe  gleich, 
so  bleiben  sie  es  auch  während  der  ganzen  Reaktion,  und  die  Integral- 
gleichung  lautet:  i  /C  -  1  /C«  =  C,  k*, 

wo  C  die  gemeinsame  Konzentration  nach  der  Zeit  &  ist. 

Ein  Beispiel  eines  derartigen  Vorganges  ist  die  von  R.  Warder 
(1881)  untersuchte  Verseifung  des  Äthylacetats  mit  Natronlauge. 

n                        C  "(T^C"  ^^^ 

0  16-00  —   '  — 

5  10-24  0-563  0-113 

15  6-13  1-601  -0-107 

25  4-32  2-705  0108 

35  3-41  3-69  0-106 

55  2-31  6-94  0-108 

120        1-10  13-55  0-113 

In  letzter  Reihe  steht  der  Wert  des  Ausdruckes—-!— — -)  =  Cok, 

welcher  der  Theorie  gemäss  konstant  sein  soll.  Auch  hier  lühren  die 
vorhandenen  kleinen  Schwankungen  nur  von  Versuchsfehlern  her. 

Für  die  Vorgänge  der  zweiten  Ordnung  gilt  ganz  ähnliches,  wie 
fiir  die  der  ersten  Art.  Es  wird  durch  die  Natur  der  vorhandenen 
Stoffe,  die  Temperatur  und  die  Konzentration  nur  allein  die  Konstante 
k  bestimmt;  kennt  man  deren  Wert,  so  ist  dadurch  der  ganze  Verlauf 
des  Vorganges  gegeben. 

Sind  die  beiden  Stoffe,  welche  aufeinander  wirken,  nicht  in  gleichen 
Konzentrationen  vorhanden,  so  gilt  eine  etwas  verwickeitere  Gleichung, 
deren  elementare  Ableitung  noch  weniger  anschauhch  wäre,  als  die  der 
vorigen,  und  die  daher  gleichfalls  ohne  eine  solche  mitgeteilt  werden 
soll.  Sind  beide  Anfangskonzentrationen  C^  und  C'q,  so  lautet  die  Gleichung 

ln^-^^  =  (Co-C'o)k^, 

WO  In  der  natürliche  Logarithmus  ist  und  C  und  C'  die  Konzentrationen 
der  beiden  beteiligten  Stoffe  in  einem  und  demselben  Augenblicke,  näm- 
lich nach  Verlauf  der  Zeit  ^  darstellen.  Auch  diese  Gleichung  ist  geprüft 
und  mit  der  Erfahrung  in  Übereinstimmung  gefunden  worden. 

Es  sind  nun  w^eiter  die  Fälle  ins  Auge  zu  fassen,  in  denen  mehr 
als  zwei  Stoffe  miteinander  reagieren.  Es  gelten  für  sie  ganz  älmliche 
Betrachtungen,  wie  für  die  Vorgänge  zweiter  Ordnung,  indem  die  Grund- 
gleichung  lautet  _dC/d^  =  kCC'C", 

WO  C,  C  und  C"  die  Konzentrationen  der  drei  Stoffe  darstellen. 

Auch  diese  Gleichungen  lassen  sich  für  endliche  Zeiten  umrechnen, 
und  nehmen  je  nach  den  Voraussetzungen  über  die  Gleichheit  oder  Ver- 


300  YIII.    Chemische  Mechanik. 

schiedenheit  der  Anfangskonzentrationen  verschiedene  Formen  an.  Von 
deren  Mitteilung  kann  hier  abgesehen  werden^  da  derartige  Reaktionen 
dritter  Ordnung  sehr  selten  zu  sein  scheinen ^  so  selten,  dass  es  langes 
Suchen  gekostet  hat,  bis  die  ersten  derartigen  Vorgänge  überhaupt  ge- 
funden worden  sind. 

Vorgänge  vierter  Ordnung,  bei  denen  vier  verschiedene  Stoffe 
gleichzeitig  aufeinander  reagieren,  sind  noch  nicht  nachgewiesen  oder 
untersucht  worden. 

Bei  den  eben  erwähnten  Arbeiten  über  die  Vorgänge  höherer  Ordnung 
hat  sich  herausgestellt,  dass  Reaktionen,  die  nach  der  chemischen  Gleichung 
höherer  Ordnung  sein  sollten,  doch  nach  einer  niederen  verliefen.  Die  Ur- 
sache dafür  scheint  zu  sein,  dass  diese  Vorgänge  nicht  so  verlaufen,  wie  sie 
durch  die  übliche  Formulierung  der  beteiligten  Stoife  erscheinen,  sondern  dass 
diese  thatsächlich  das  Schlussergebnis  einer  Reihe  von  nacheinander  sich  ab- 
spielenden Teilvorgängen  sind,  deren  Ordnung  eine  andere  sein  kann,  als  die 
aus  der  Gesamtgleichung  sich  ergebende.  Dadurch  werden  solche  Unter- 
suchungen umgekehrt  wieder  ein  Mittel,  über  das  Auftreten  von  Zwiscben- 
vorgängen  Aufschluss  zu  erlangen,  und  so  unsere  Einsicht  in  die  Natur  der 
Reaktionen  zu  vertiefen. 

Die  bisherigen  Betrachtungen  beruhen  auf  der  stillschweigenden 
Voraussetzung,  dass  die  Vorgänge,  deren  Verlauf  in  der  Zeit  durch  die 
Gleichungen  dargestellt  wird,  vollständig  zu  Ende  gehen,  ohne  dass  die 
Produkte  aufeinander  unter  Bildung  der  ursprünglichen  Stoffe  wieder 
reagieren.  Wie  bereits  erwähnt,  ist  diese  Voraussetzung  streng  genommen 
nie  richtig,  sondern  wir  müssen  in  jedem  einzelnen  Falle  die  Möglichkeit 
zugeben,  dass  die  entgegengesetzte  Reaktion  thatsächlich  verläuft,  dass 
also  z.  B.  eine  Lösung  von  Dextrose  und  Lävulose  mit  etwas  Säure 
versetzt,  eine  gewisse,  wenn  auch  wahrscheinlich  äusserst  kleine  Menge 
von  Rohrzucker  zurückbildet.  Dass  dennoch  die  ohne  eine  solche  An- 
nahme entwickelten  Gleichungen  die  thatsächlichen  Verhältnisse  innerhalb 
der  Fehlergrenzen  darzustellen  vermochten,  liegt  daran,  dass  eben  in  sehr 
vielen  Fällen  der  Betrag  einer  solchen  umgekehrten  Reaktion  unter  die 
Fehlergrenze  der  Messungen  fallt,  und  daher  nicht  nachweisbar  ist  Inner- 
halb dieser  Grenzen  sind  denn  auch  die  entwickelten  Gleichungen  richtig, 
wenn  auch  das  Vorhandensein  eines  gewissen  Fehlers  prinzipiell  zuzu- 
geben ist. 

Daneben  giebt  es  aber  auch  viele  Vorgänge,  bei  denen  die  umge- 
kehrte Reaktion  erhebliche  Beträge  annimmt,  so  dass  sie  nicht  veniaGfa- 
lässigt  werden  kann,  ohne  dass  bedeutende  Fehler  entstehen.  Um  solche 
Fälle  rechnerisch  darzustellen,  machen  wir  folgende  Überlegungen. 

Wandelt  sich  ein  Stoff  Aj  in  einen  anderen  Ag  um,  und  umgekehrt, 
so  wird  die  Geschwindigkeit  der  ersten  Umwandlung  proportional  der 
Konzentration  von  Aj,  die  der  zweiten  proportional  der  von  Aj  sein; 
für  jeden  dieser  Vorgänge  wird  also,  wenn  Cj   und  Cj  die  zugehörigen 


Chemische  Kinetik.  301 

Konzentrationen  sind,  eine  entsprechende  Gleichung  — dCi/d^=KiCi 
und  — dC^jäd- =K^C2  gelten. 

Für  den  gleichzeitigen  Verlauf  der  beiden  Vorgänge  stellen  wir  nun 
das  Prinzip  der  Koexistenz  auf,  d.  h.  wir  machen  die  Annahme, 
dass  die  beiden  entgegengesetzten  Teilvorgänge  nach  dem  Gesetze  der 
Massenwirkung  so  nebeneinander  verlaufen,  als  fände  jeder  allem  statt, 
ohne  einen  anderen  Einiluss  auf  den  anderen  auszuüben,  als  den  durch 
die  Veränderung  der  Konzentration  der  beteiligten  Stoffe.  Die  wirklich 
stattfindende  Änderung  der  Konzentration  dC  ergiebt  sich,  da  durch  den 
einen  Vorgang  der  Stoff  gebildet,  durch  den  anderen  aber  zerstört  wird, 
als  der  Unterschied  der  beiden  Teiländerungen,  dC  =  dCi  —  ^^s?  ^^^ 
indem  man  diese  Werte  aus  den  beiden  Einzelgleichungen  einfiihrt,  findet 

^^  dC/d^  =  kC  — k'C'. 

Die  Gleichung  lässt  sich  ebenso  behandeln,  wie  die  für  die  einfachen 
Vorgänge  erster  Ordnung  (S.  293),  und  hat  sich  gleichfalls  durch  die 
Erfahrung  bestätigen  lassen. 

In  ähnlicher  Weise  ergiebt  sich  für  zwei  entgegengesetzt  verlaufende 
Vorgänge  zweiter  Ordnung  die  Gleichung 

—  dC/d^  =  kC,  Cg  — k'Ci'C/, 

wo  die  Konzentration  Cj  und  C^  sich  auf  die  Ausgangsstoffe,  0/  und 
Cj,'  auf  die  Produkte  beziehen.  Wegen  der  chemischen  Reaktions- 
gleichung sind  diese  vier  Werte  so  voneinander  abhängig,  dass  wenn  die 
vier  Konzentrationen  in  einem  bestimmten  Augenblicke  gegeben  waren, 
die  Angabe  einer  von  ihnen  zu  jeder  anderen  Zeit  genügt,  um  den 
Wert  der  drei  anderen  zu  bestimmen.  Denn  es  ist  notwendig  dCj=:dC2, 
dCi'=dC,'  und  dCj  =  —  dO^',  und  wenn  man  die  einzelnen  Re- 
aktionsgleichungen ansetzt  und  dann  gemäss  dem  Koexistenzprinzip  addiert, 
80  erhält  man  alsbald  die  oben  gegebene  Gleichung. 

Auch  diese  verwickeitere  Gleichung  ist  in  mehreren  Fällen  geprüft 
und  mit  der  Erfahrung  in  Übereinstimmung  gefunden  worden. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  zusammengesetzten  Vorgänge  ist  durch  die 
erwähnten  Fälle  keineswegs  erschöpft.  Doch  kann  auf  die  Anführung 
weiterer  verzichtet  werden,  da  sie  sich  alle  durch  die  Anwendung  des 
Koexistenzprinzips  behandeln  und  wenigstens  prinzipiell  lösen  lassen. 

Femer  ist  noch  der  Fall  zu  betrachten,  dass  der  Vorgang  in  einem 
heterogenen  Gebilde  verläuft,  oder  dass  es  sich  mit  anderen  Worten  um 
Vorgänge  zwischen  zwei  Phasen  (S.  101)  handelt.  In  solchen  Fällen 
besteht  eine  Trennungsfläche  zwischen  den  beiden  Phasen,  und  der  Vor- 
gang findet  in  dieser  statt.  Das  Grundgesetz  für  diesen  Fall  ist  gleich- 
falls schon  von  Wenzel  aufgestellt  worden  und  lautet,  dass  die  umge- 
setzten Mengen  der  Grösse  der  Berührungsfläche  proportional  sind.  Im 
übrigen  hängt  die  Reaktionsgeschwindigkeit  gemäss  dem  Massenwirkungs- 


302  VIII.    Chemische  Mechanik. 

gesetze  von  den  Konzentrationen  der  beteiligten  Stoffe  in  der  gemein- 
samen Grenzfläche  ab.  Hierdurch  wird  im  allgemeinen  die  Verteilung 
der  Konzentrationen  in  den  einzelnen  Phasen  ungleichförmig,  und  die 
Geschwindigkeit  wird  davon  abhängig,  auf  welche  Weise  (durch  Difl'usion, 
Bewegung  u.  s.  w.)  sich  die  Konzentrationen  in  der  Grenzfläche  regeh. 

In  einigen  einfacheren  Fällen  ist  die  Eichtigkeit  des  Grundsatzes, 
dass  die  umgesetzten  Mengen  unter  sonst  gleichen  Umständen  der  Be- 
rührungsfläche propoi^tional  sind,  experimentell  erwiesen  worden.  Die 
erwälmten,  durch  den  Vorgang  selbst  verursachten  mannigfachen  Kon- 
zentrationsänderungen in  der  Berührungsfläche  lassen  indessen  derartige 
Vorgänge  leicht  so  verwickelt  werden,  dass  ihre  theoretische  Bewältigung 
auf  grosse  Schwierigkeiten  stösst. 

Zum  Schlüsse  werden  einige  Bemerkungen  über  die  bei  diesen 
Unterauchungen  auftretenden  Konstanten  k  am  Platze  sein.  Für  ge- 
gebene Bedingungen  der  Stoße  (einschliesslich  etwaiger  Lösungsmittel), 
der  Temperatur  und  des  Druckes  sind  diese  Geschwindigkeitskoeffizienten 
ebensolche  Naturkonstanten,  wie  irgend  welche  anderen  Grössen,  die 
man  messen  und  wiederherstellen  kann.  Man  kann  sich  ihrer  also  zur 
Kennzeichnung  bestimmter  Stoße  bedienen,  und  auch,  soweit  das  Massen- 
wirkungsgesetz sich  als  gültig  erweist,  zu  ihrer  quantitativen  Bestimmung. 

Was  die  genannten  Einflüsse  anlangt,  so  vermehrt  die  Steigerung 
der  Temperatur  sehr  bedeutend  die  Geschwindigkeit.  Es  giebt  wenig 
andere  Grössen,  welche  in  ähnlichem  Masse  durch  die  Temperatur  ge- 
ändert werden^). 

Der  Einfluss  ist  mit  der  Natur  der  Reaktion  einigermassen,  doch 
nicht  sehr  veränderlich;  er  beträgt  durchschnittlich  so  viel,  dass  durch 
eine  Temperaturerhöhung  von  rund  10^  die  Geschwindigkeit  verdoppelt  wird. 

Der  Einfluss  des  Druckes  ist  dagegen  sehr  gering,  so  dass  es  gi'osser 
Drucke  bedarfj  um  ihn  überhaupt  messen  zu  können. 

Ein  Einfluss  „fremder ''S  d.  h.  nicht  in  der  Reaktionsgleichung  auf- 
tretender Stoffe,  die  zugegen  sind,  lässt  sich  gleichfalls  immer  erkennen. 


*)  Die  Dampfdrucke  zeigen  eine  ähnlich  grosse  Veränderlichkeit,  welche 
sogar  einige  zahlenmässige  Annäherungen  aufweist.  Dieser  Zusammenhang 
scheint  nicht  zufällig,  denn  da  die  wirksame  Menge  der  Flüssigkeiten  durch  ihren 
Dampfdruck  gemessen  wird  (wie  sich  aus  später  anzustellenden  Betrachtungen 
ergiebt),  und  andererseits  die  Reaktionsgeschwindigkeit  der  wirksamen  Menge 
proportional  ist,  so  kann  man  einen  solchen  Zusammenhang  von  vornherein 
erwarten.  Nur  wird  sich  neben  ihm  noch  der  spezifische  Einfluss  der  Tem- 
peratur auf  die  Geschwindigkeit  geltend  machen. 

Hierzu  ist  allerdings  zu  bemerken,  dass  ähnliche  Veränderungen  der 
Reaktionsgeschwindigkeiten  mit  der  Temperatur  auch  bei  gasförmigen  Gebil- 
den beobachtet  worden  sind,  auf  welche  diese  Beziehung  nicht  angewendet 
werden  kann. 


Chemische  Kinetik.  303 

In  vielen  Fällen  ist  die  Ätdening  der  Geschwindigkeit  durch  die  Gegen- 
^w^art  solcher  Stoffe  gering,  in  anderen  wieder  sehr  bedeutend;  in  ein- 
zelnen Fällen  genügen  fast  unmessbar  kleine  Mengen  fremder  Stoffe^  um 
die  Geschwindigkeit  auf  ein  Vielfaches  ilires  Wertes  zu  erhöhen,  oder 
auf  einen  kleinen  Bruchteil  zu  vermindern.  Solche  die  Geschwindigkeit 
sehr  stark  beeinflussende  Stoffe  nennt  man  kataly tisch  wirkende  oder 
Katalysatoren.  Doch  handelt  es  sich  hier  nur  um  quantitative  Unter- 
schiede (die  allerdings  zuweilen  ungeheure  Beträge  annehmen);  im  Grunde 
-wirkt  jeder  fremde  Stoff  katalytisch,  d.  h.  die  Reaktionsgeschwindigkeit 
ändernd. 

Durch  diesen  allgemeinen  Umstand  ist  eine  Ursache  gegeben,  welcher 
die  Geltung  der  einfachen  Gesetze  der  Reaktionsgeschwindigkeiten  sehr  ein- 
schränkt. Infolge  der  Reaktion  entstehen  ja  notwendig  neue  Stoffe,  welche  in 
dem  oben  ausgesprochenen  allgemeinen  Sinne  katalytisch  wirken,  d.  h.  die 
Geschwindigkeitskonstante  «Indem.  Die  oben  gegebenen  Gesetze  sind  aber 
unter  der  Voraussetzung  entwickelt,  dass  diese  Konstante  während  der  ganzen 
Reaktion  ihren  Wert  unverändert  beibehält.  Die  einfachen  Gesetze  können 
daher  nur  in  solchen  Fällen  Geltung  haben,  wo  diese  Einflüsse  auf  die  Kon- 
stante unterhalb  der  Versuchsfehler  bleiben.  Es  muss  als  ein  besonderer 
Glücksfall  angesehen  werden,  dass  das  erste  Beispiel  einer  Reaktionsgeschwindig- 
keit, welches  Wilhelmy  untersuchte  (S.  290),  die  Zuckerinversion  war,  denn 
diese  ist  wohl  unter  allen  bisher  untersuchten  Reaktionen  am  wenigsten  von 
derartigen  Nebenwirkungen  beeinflusst. 

Im  übrigen  sind  die  Geschwindigkeitskonstanten  der  verachiedenen 
Vorgänge  untereinander  ausserordentlich  verschieden  und  umfassen  das 
ganze  Gebiet  der  mess-  und  beobachtbaren  Werte.  Am  schnellsten  ver- 
laufen Vorgänge  zwischen  Ionen  in  wässerigen  Lösungen ;  ihre  Ge- 
schwindigkeit überschreitet  die  Grenze  des  gegenwärtig  Messbaren.  Die 
Vorgänge  zwischen  organischen  Verbindungen  sind  dagegen  meist  durch 
geringe  Geschwindigkeiten  gekennzeichnet;  daher  rührt  die  so  häufige 
Anwendung  erhöhter  Temperatur  in  geschlossenen  Gefässen^).  Ebenso 
sind  die  meisten  Vorgänge  zwischen  Gasen,  soweit  sie  nicht  bei  hoher 
Temperatur  erfolgen,  von  gi'osser  Langsamkeit.  Sind  derartige  Vorgänge 
von  technischer  Wichtigkeit,  so  bedient  man  sich  geeigneter  katalytischer 
Beschleuniger,  um  eine  genügende  Geschwindigkeit  zu  erzielen.  Ebenso 
regeln  die  tierischen  und  pflanzlichen  Organismen  die  Geschwindigkeit 
ihres  Stofl'wechsels  durch  Katalysatoren  der  verschiedensten  Art.  Da- 
durch kommt  diesen  Wirkungen  eine  ausserordentliche  Wichtigkeit  zu, 
und  die  Erkenntnis  ihrer  allgemeinen  Gesetze  wird  auf  die  chemische 
Technik,  wie  auf  die  Physiologie  und  Medizin  unübersehbare  Einflüsse 


')  Die  gelegentlich  ausgesprochene  Annahme,  als  käme  dem  Druck  hier- 
bei eine  grosse  Wirkung  zu,  ist  irrtümlich ;  der  Druck  ist  nur  nötig,  um  die 
beteiligten  Stofl^e  im  flüssigen  Zustande  bei  so  hohen  Temperaturen  zu  halten, 
dass  die  Reaktionsgeschwindigkeit  einen  genügend  grossen  Wert  annimmt. 


304  VIII.    Chemische  Mechanik. 

ausüben.  Leider  ist  die  wissenschaftliche  Erforschung  der  katalytischen 
Erscheinungen  unter  den  hier  gegebenen  Gesichtspunkten  erst  in  jüngster 
Zeit  aufgenommen  worden^  und  hat  noch  nicht  zu  Ergebnissen  geführt, 
die  einen  einfachen  Ausdruck  gestatten. 


Drittes  Kapitel. 

Allgemeines  über  das  ohemisohe  Gleichgewicht.  Das  Fhasengesets. 

Das  Gesetz  der  chemischen  Massenwirkung  beherrscht,  wie  bereits 
erwähnt,  zwei  Gruppen  von  Erscheinungen:  den  zeitlichen  Ablauf  der 
chemischen  Vorgänge  einerseits,  und  andererseits  die  Gleichgewichte,  zu 
denen  dieser  führt.  Beide  Fälle  stehen  unter  dem  allgemeinen  Gesetz, 
dass  die  Tendenz,  mit  welcher  sich  ein  vorhandener  Stoff  umzuwandeln 
strebt,  mit  seiner  Konzentration  wächst.  Demgemäss  ändert  sich  die  Ten- 
denz, mit  welcher  ein  Stoff  sich  zu  bilden  strebt,  umgekehrt  mit 
seiner  Konzentration. 

Findet  daher  ein  chemischer  Vorgang  statt,  so  wird  durch  die  Ver- 
minderung der  Ausgangsstoffe  infolge  ihrer  Umwandlung  deren  Tendenz 
zur  Umwandlung  immer  geringer,  und  durch  die  Vermehrung  der  Pro- 
dukte deren  Tendenz  zur  Rückverwandlung  immer  grösser.  Schliesshch 
muss  ein  Zustand  eintreten,  in  welchem  beide  Tendenzen  sich  gegen- 
seitig aufheben,  und  die  Reaktion  stillsteht. 

Ganz  die  gleichen  Überlegungen  sind  anzustellen,  wenn  die  Reaktion 
in  umgekehrtem  Sinne  vor  sich  geht.  Wenn  in  beiden  PlUlen  die 
äusseren  Umstände,  wie  Druck,  Temperatur  und  Gesamtkonzentration 
gleich  sind,  so  muss  die  Umwandlung  bei  den  gleichen  Verhältnissen  der 
Ausgangsstoffe  und  der  Produkte  aufhören,  wie  im  ersten  Falle.  Einen 
solchen  Zustand  nennt  man  den  eines  chemischen  Gleichgewichts 
in  leicht  ersichtlicher  Analogie  mit  dem  mechanischen  Gleichgewicht 

Ein  mechanisches  Gleichgewicht  ist  im  allgemeinsten  Sinne  dadurcli 
gekennzeichnet,  dass  eine  Verschiebung  des  Zustandes  Ursachen  hervor- 
ruft, welche  sich  dieser  Verschiebung  widersetzen  und  den  früheren  Zu- 
stand wieder  herzustellen  streben.  Ganz  dieselbe  Definition  lässt  sich 
auf  das  chemische  Gleichgewicht  anwenden.  Die  Verschiebung  des  Zu- 
standes besteht  hier  zunächst  in  einer  Veränderung  des  Verhältnisses  der  be- 
^  teiligten  Stoffe.  Es  giebt  also  ein  bestimmtes  Verhältnis,  bei  welchem 
das  Gebilde  in  Ruhe  ist,  und  jede  Ändening  dieses  Verhältnisses  ruft 
einen  chemischen  Vorgang  hervor,  der  den  früheren  Wert  desselben 
wieder  herstellt. 

Zu  demselben  Ergebnis  kommt  man,  wenn  man  ein  chemisches  Gleich- 
gewicht als  einen  Zustand  auffasst,  in  welchem  die  Geschwindigkeit  der  einen 
Reaktion  gleich  der  der  entgegengesetzten  geworden  ist.   Da  die  Geschwindig- 


Allgemeines  über  das  chemische  Gleichgewicht.     Das  Phasengesetz.     305 

keiten  von  den  Konzentrationen  abhängen,  so  kann  die  Gleichheit  der  ent- 
gegengesetzten Geschwindigkeiten,  oder  die  Gesamtgeschwindigkeit  Null  nur 
bei  einem  bestimmten  Verhältnis  jener  eintreten. 

Vergleicht  man  die  Erfahrungen  an  den  meisten  chemischen  Vor- 
gängen mit  diesen  allgemeinen  Betrachtungen,  so  findet  man  nur  teil- 
weise Übereinstimmung.  Zwar  sind  viele  derartige  Oleichgewichtszu- 
stände  bekannt;  daneben  stehen  aber  noch  zalitreichere  Reaktionen,  die 
keinen  Gleichgewichtszustand  erkennen  lassen,  sondern  durchaus  den  Ein- 
druck der  Einseitigkeit  machen:  nur  die  eine  von  den  beiden  entgegenge- 
setzten Reaktionen  tritt  ein,  und  die  andere  lässt  sich  nicht  nachweisen. 

So  bildet  Salzsäure  in  wässeriger  Lösung  mit  Natron  anscheinend 
ganz  vollständig  Natrium chlorid  und  Wasser,  und  die  entgegenge- 
setzt€  Reaktion,  die  Zerlegung  des  Natriumchlorids  durch  Wasser  in 
Salzsäure  und  Natron,  scheint  unmöglich  zu  sein.  Indessen  lässt  sich 
schon  in  dem  sehr  ähnlichen  Falle,  wo  das  Natron  durch  Ammoniak, 
oder  die  Salzsäure  durch  Kohlensäure  ersetzt  ist,  die  entgegengesetzte 
Reaktion  beobachten:  die  Lösung  ist  im  ersten  Falle  etwas  sauer,  zum 
Zeichen,  dass  etwas  Salzsäure  unverbunden  vorhanden  ist,  und  im  zweiten 
Falle  ist  sie  stark  alkalisch,  zum  Zeichen,  dass  normales  Natrium- 
karbonat in  wässeriger  Lösung  so  zersetzt  wird,  dass  sich  eine  merk- 
liche Menge  Natron  bildet.  Zwischen  solchen  Salzen,  die  sicher  teil- 
weise zersetzt  sind,  und  solchen,  an  denen  sich  keine  Zersetzung  nach- 
weisen lässt,  sind  alle  Übergänge  vorhanden. 

Wir  können  dieses  Beispiel  verallgemeinern,  und  sagen,  dass  von 
den  thatsächHch  vorhandenen  Gleichgewichtszuständen  uns  nur  die  ver- 
hältnismässig kleine  Zahl  zur  Kenntnis  kommt,  wo  die  Konzentrationen, 
bei  denen  das  Gleichgewicht  eintritt,  innerhalb  der  analytisch  nachweis- 
baren Grenzen  liegen.  Da  diese  Grenzen  täglich  erweitert  werden,  so 
erweitert  sich  dadurch  auch  das  Gebiet  der  nachweisbaren  Gleichgewichte, 
und  da  sich  bisher  kein  Widerspruch  gegen  die  Verallgemeinerung  des 
Gleichgewich tsbegriifes  gezeigt  hat,  so  kann  man  ihn  als  einen  be- 
rechtigten Induktionsschluss  aus  der  Erfahrung  annehmen. 

Ein  wichtiger  Umstand  muss  indessen  hier  betont  werden.  Die 
eben  durchgeführten  Betrachtungen  gelten  für  wirkliche  Gleichgewichte, 
die  der  oben  gegebenen  Definition  entsprechen,  und  sich  bei  einge- 
tretener Störung  wieder  hersteUen.  Die  Geschwindigkeit  dieser  Her- 
stellung ist  sehr  verschieden,  und  wird  in  der  Nähe  des  Gleichgewichts 
ohnedies  immer  kleiner.  Es  kann  bei  den  ungeheueren  Verschiedenheiten 
der  Reaktionsgeschwindigkeiten  also  häufig  der  Fall  eintreten,  dass  ein 
Zustand  anscheinend  unverändert  in  der  Zeit  bestehen  bleibt,  nicht  weil 
er  ein  Gleichgewicht  ist,  sondern  weil  seine  Reaktionsgeschwindigkeit  so 
klein  ist,  dass  sich  die  Veränderung  der  Beobachtung  entzieht.  Solche 
Zustände  lassen  sich  von  denen  des  Gleichgewichts  immer  dadurch  unter- 
scheiden, dass  sie  nicht  in  absehbarer  Zeit  von  beiden  Seiten  her  erreicht 

Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl.  20 


306  VIII.    Chemische  Mechanik. 

werden,  und  sich  daher  auch  nicht  selbstthätig  wieder  herstellen,  wenn  ae 
gestört  worden  sind. 

Die  Mechanik  unterscheidet  femerstabile,  indifferente  und  labile  Gleichge- 
wichte; die  oben  gegebene  Definition  passt  nur  auf  die  ersteren.  Die  labilen 
Gleichgewichte  sind  eine  mathematische  Fiktion,  der  keine  Thatsachen 
entsprechen,  da  die  vollständige  Abwesenheit  von  Störungen,  welche  für  die 
Existenz  der  labilen  Gleichgewichte  vorausgesetzt  wird,  sich  nicht  herstellen 
lässt.  Die  Bezeichnung  von  Zuständen  der  Überkai  tung  u.  dergl.  (S.  113) 
als  labiler  ist  ungeeignet,  und  führt  zu  irrtümlichen  Vorstellungen.  Dagegen 
sing  als  labil  im  chemischen  Sinne  solche  Zustände  zu  bezeichnen,  welche  an 
sich  unbeständig  sind,  und  ohne  äusseres  Zuthun  in  andere  übergehen. 

Dagegen  ist  für  die  indifferenten  Gleichgewichte  eine  Analogie  vor- 
handen. Indifferent  hetsst  in  der  Mechanik  ein  Gebilde  gegen  solche  Zustands- 
änderungen,  welche  auf  das  stabile  Gleichgewicht  keinen  Einfluss  haben. 
Solche  Veränderungen  sind  bei  den  chemischen  Gleichgewichten  die  Menge 
verschiedener  heterogener  Phasen  (S.  101).  Ein  einfaches  Beispiel  ist  das 
Gleichgewicht  zwischen  Flüssigkeit  und  Dampf;  dieses  ist  ganz  unabhängig 
von  den  absoluten  und  relativen  Mengen  dieser  beiden  Phasen,  und  in  Be- 
zug auf  die  Veränderung  dieser  Mengen  befindet  sich  das  Gebilde  also  im 
indifferenten  Gleichgewicht. 

Man  kann  die  verschiedenen  Fälle  des  chemischen  Gleichgewichts 
in  Klassen  ordnen,  die  von  der  Zahl  der  Bestandteile  abhängen,  welche 
sich  am  Gebilde  beteiligen.  Die  Gleichgewichte  erster  Ordnung, 
bei  denen  nur  ein  Bestandteil  vorhanden  ist,  sind  zum  Teil  bereits  bei 
früherer  Gelegenheit  behandelt  worden:  es  sind  die  Änderungen  des 
Aggregatzustandes,  denen  sich  die  allotropen  und  polymorphen  Um- 
wandlungen anschliessen.  Die  ersteren  dieser  Gleichgewichte  nennt  man 
wohl  auch  physikalische,  im  Gegensatze  zu  den  chemischen.  Doch  ist  eine 
solche  Unterscheidung  nur  äusserlich  und  nicht  in  der  Natur  der  Sache 
begründet,  denn  die  Gesetze  der  chemischen  Gleichgewichte  im  engeren 
Sinne  beruhen  auf  ganz  denselben  Prinzipien,  wie  die  der  sogenannten 
physikalischen.  Insbesondere  werden  die  gegenseitigen  Umwandlungen 
polymorpher  Stoffe  von  ganz  genau  denselben  Gesetzen  geregelt,  wie 
die  Übergänge  der  verschiedenen  Aggregatzustände  in  einander,  während 
man  sie  doch  chemische  Umwandlungen  nennen  muss.  Doch  gehören 
zu  den  Gleichgewichten  erster  Ordnung  noch  andere,  wie  die  Spaltung 
des  Stickstoffhyperoxyds,  N^O^  in  2  NO*,  des  Jods,  J*=r2J,  und 
ähnhche  Fälle  mehr. 

Beim  Gleichgewicht  zweiter  Ordnung  beteiligen  sich  zwei  verschie- 
dene Stoffe  oder  Bestandteile;  hierher  gehören  einerseits  die  Lösungen, 
andererseits  aber  auch  chemische  Gleichgewichte  im  engeren  Sinne. 

Die  „Bestandteile"  eines  im  Gleichgewicht  befindlichen  Gebildes 
sind  nicht  notwendig  die  Elemente.  Vielmehr  nennt  man  Bestandteile 
die  Stoffe,  aus  denen  man  alle  am  Gleichgewicht  beteiligten  Phasen  zu- 
sammensetzen   kann.      Sind    alle    Phasen    eines    solchen    Gebildes   von 


Gleichgewichte  erster  Ordnung.  307, 

gleicher  elementarer  Zusammensetzung  (und  lassen  sie  sich  ineinander 
umwandeln),  so  liegt  ein  einziger  Bestandteil  vor;  sind  alle  Phasen  von 
der  Beschaffenheit,  dass  ihre  Zusammensetzung  sich  als  Summe  ent- 
sprechender Mengen  zweier  Stoffe  (gleichgültig,  ob  diese  im  reinen  Zu- 
stande vorliegen  oder  nicht)  darstellen  iässt,  so  ist  das  Gleichgewicht 
zweiter  Ordnung  u.  s.  f.  So  stellt  eine  Lösung  von  Magnesiurasulfat 
in  Wasser,  neben  festem  Salz  und  Wasserdampf  ein  Gleichgewicht 
zweiter  Ordnung  dar;  denn  jede  der  Phasen  Iässt  sich  durch  eine 
Formel  xMgSO^  +  yH^O  darstellen,  wo  x  und  y  irgend  welche  Werte 
(u.  a.  auch  Null)  annehmen  können. 

Ein  zweiter  Einteilungsgrund  ist  durch  das  Phasengesetz  (Gibbs 
1874)  gegeben.  Wir  haben  früher  (S.  101)  gesehen,  dass  ein  einheit- 
licher Stoff,  d.  h.  ein  Gleichgewicht  erster  Ordnung,  mit  einer  einzigen 
Phase  zwei  Freiheiten  hat,  d.  h.  dass  sein  Zustand  erst  bestimmt  ist, 
wenn  man  für  zwei  Grössen,  von  denen  er  abhängt,  bestimmte  Werte  an- 
genommen hat.  Tritt  eine  zweite  Phase  hinzu  (z.  B.  Dampf  zu  Wasser, 
BO  bleibt  nur  eine  Freiheit  übrig,  und  nur  eine  Zustandsgrösse  kann  will- 
kürlich, gewählt  werden.  Eine  dritte  Phase  hebt  alle  Freiheit  auf  (S.  175). 

Wenn  nun  mehr  als  ein  Bestandteil  vorhanden  ist,  so  wächst  die 
Zahl  der  Freiheiten  mit  der  Zahl  der  Bestandteile,  und  zwar  mit  jedem 
Bestandteil  um  Eins.  Nennt  man  die  Zahl  der  Bestandteile  B,  und  P 
die  Zahl  der  Phasen  in  einem  Gleichgewicht,  so  ist  die  Zahl  der  Frei- 
heiten F  durch  die  Formel  F  =  B  -)-  ^  —  P  gegeben. 

Trotz  ihrer  anscheinenden  Einfachheit  ist  diese  Formel  von  sehr  aus- 
gedehnter Anwendbarkeit  und  gestattet  Folgerungen  der  mannigfaltigsten  Art 
zu  ziehen,  die  allerdings  nur  qualitativer  Natur  sind.  So  kann  man  z.  B. 
mit  ihrer  Hilfe  die  früher  bestrittene  Frage  entscheiden,  ob  der  Druck  einen 
Einfluss  auf  die  Löslichkeit  der  Stoffe  ausübt.  Wir  betrachten  ein  Gebilde, 
das  aus  dem  festen  Stoffe  und  der  mit  ihm  im  Gleichgewicht  befindlichen 
Lösung  unter  irgend  einem  Drucke  besteht.  Die  Zahl  der  Bestandteile  ist 
zwei,  ebenso  die  Zahl  der  Phasen;  folglich  müssen  nach  der  Formel  zwei 
Freiheiten  vorhanden  sein.  Über  eine  von  diesen  verfügen  wir  durch  die 
Wahl  einer  bestimmten  Temperatur;  dann  ist  noch  eine  Freiheit  übrig, 
und  folglich  muss  sich  die  Zusammensetzung  der  Lösung  mit  dem  Drucke 
ändern  können,  wie  es  der  Versuch  auch  thatsiichlich  erwiesen  hat. 


Viertes  Kapitel. 

Gleichgewichte  erster  Ordnung. 

Bei  der  Besprechung  der  abnormen  Dampfdichten  wurde  bereits 
(S.  74)  einiger  Fälle  gedacht,  in  denen  Gase  durch  Veränderungen  des 
Druckes  und  der  Temperatur  ihre  Eigenschaften  ändern,  ohne  dass  sich 
üire   chemische   Gesamtzusammensetzung  ändert.     Das  am  längsten   be- 

20* 


308  VIII.    Chemische  Mechanik. 

kannte  Beispiel  ist  das  Stickstoffhyperoxyd  ^  dessen  Umwandlung  durch 
die  Gleichung  N*0*=2N0*  dargestellt  wird.  Die  erste  Urs^die  für 
die  Aufstellung  einer  solchen  Formel  war  die  Veränderlichkeit  des  Normal- 
oder Molekulargewichts^  wie  es  sich  aus  der  Messung  der  Dampfdichte 
ergab.  Doch  sind  mit  diesen  Änderungen  auch  solche  anderer  Eigen- 
schaften verbunden.  Insbesondere  zeigen  die  Dämpfe  in  solchen  Zu- 
ständen, die  durch  die  erste  Formel  ausgedrückt  werden,  nur  geringe 
Färbung,  und  diese  wird  um  so  dunkler  braunrot,  je  grösser  der  An- 
teil an  der  Form  NO'  wird. 

Man  könnte  auf  die  Messung  der  Farbe  eine  Bestimmung  des  Ver- 
hältnisses beider  Anteile  gründen,  indem  man  die  wahrscheinliche  An- 
nahme macht,  dass  sich  die  Färbung  des  Gemisches  additiv  aus  der  der 
Bestandteile  zusammensetzt.  Doch  hat  man  ein  sicheres  Mittel  in  der 
Messung  der  Dichte. 

Bestimmt  man  den  Wert  von  R  in  der  Gasgleichung  pv  =  RT 
für  ein  Mol  N*0*  oder  92  g  des  Stoffes,  so  erhält  man  je  nach  der 
Temperatur  und  dem  Drucke  Werte  zwischen  dem  normalen  und  dem 
doppelten,  entsprechend  der  oben  formulierten  Zersetzung.  Nennt  man 
X  den  Bruchteil  des  unzersetzt  gebliebenen  N*0*,  so  wird  der  an  einem 
entsprechenden  Gemisch  beobachtete  Wert  der  Konstanten,  der  r  genannt 
werden  soll,  gegeben  sein  durch  die  Summe  xR  +  2(l — x)R,  oder 
r=R(2  —  x),  woraus  sich  x  =  2  —  r/R  ergiebt.  Bestimmt  man  also 
r  =r  pv/T  für  92  g  des  teilweise  zersetzten  Gemisches,  so  ergiebt  sich 
daraus  alsbald  der  Zersetzungsgrad  x.  Da  ferner  den  Grössen  r  und  R 
die  Dichte  d  des  teilweise  zersetzten  Gemisches  und  die  Dichte  D  des 
unzersetzten  Stoffes  N'O'^  umgekehrt  proportional  ist,  so  kann  man  das 
Verhältnis  r/R  durch  D  /d  ersetzen  und  erhält  die  Gleichung  x  =  2  —  D/d. 

Die  Erfahrung  zeigt  nun,  dass  die  Dichte  d  um  so  kleiner  aus- 
fällt, je  geringer  der  Druck  wird,  dass  also  die  Zei*setzung  mit  ab- 
nehmendem Drucke  zunimmt.  Das  Gesetz  für  den  Einfluss  des  Druckes 
lässt  sich  theoretisch  ableiten. 

Der  unmittelbare  Ansatz  des  Massenwirkungsgesetzes  würde  in 
unserem  Falle  zu  folgender  Gleichung  führen.  Setzen  wir  die  Wirkung 
jeder  der  beiden  Formen  des  Hyperoxyds  auf  die  Entstehung  des  Gleich- 
gewichts proportional  ihrer  Konzentration,  so  würden  wir  die  Gleichung 
a  =  kb  erhalten,  wo  a  die  Konzentration  von  N*0*  und  b  die  von 
NO*  ist;  k  bedeutet  einen  Koeffizienten,  der  noch  von  der  Temperatur 
abhängig  sein  kann.  Indessen  ist  diese  Gleichung  im  Widerspruch  mit 
der  Erfahrung,  da  sie  zu  dem  Schlüsse  führt,  dass  das  Verhältnis  beider 
Konzentrationen  unabhängig  von  deren  absolutem  Werte  sein  soll,  während 
doch  mit  abnehmender  Konzentration  (abnehmendem  Druck)  sich  das 
Verhältnis  zu  Gunsten  der  Form  NO*  verschiebt. 

Auch  lässt  sich  allgemein  absehen,  dass  der  Druck  einen  Einfluss 
auf  den  Zersetzungsgrad  haben  muss,   denn    dieser  hat   einen   EinflnflS 


Gleichgewichte  erster  Ordnung.  309 

auf  den  Druck,  indem  der  Druck  sich  vermehrt,  wenn  NO*  auf  Kosten 
von  N*0*  zunimmt.  Es  ist  also  noch  die  eintretende  Volumänderung 
in  der  Gleichung  zur  Geltung  zu  bringen.  Die  einzige  Form,  dies  zu 
thun,  ohne  in  Widerspruch  mit  den  Voraussetzungen  zu  geraten,  und 
ohne  neue  Koeffizienten  einzuführen,  ist  die  entsprechender  Potenzen 
der   Konzentrationen.     Die  Gleichung 

a  =  kb^ 

stellt  in  der  That  das  Verhalten  des  Stickstoffhyperoxyds  bei  wechseln- 
der Konzentration  (oder  wechselndem  Dmck)  und  konstanter  Temperatur 
vollkommen  dar;  sie  ist  mehrfach  an  der  Erfahrung  geprüft  und  mit  ihr 
in  Übereinstimmung  gefunden  worden. 

Zerfällt  aUgemein  ein  Mol  eines  Gases  in  n  Mole  eines  anderen, 
und  sind  a  und  b  die  zugehörigen  Konzentrationen,  so  ist  die  Gleich- 
gewichtsgleichung bei  konstanter  Temperatur,  oder  die  Gleichgewichts- 
isotherme gegeben  durch  die  Formel  a  =  kb^. 

Die  Formel  a  =  kb°  zeigt,  dass  ein  Einfluss  der  Konzentration 
auf  das  Gleichgewicht  nur  in  dem  Falle  vorhanden  ist,  dass  n  von  Eins 
verschieden  ist.  Ist  n  =  1 ,  so  bleiben  beide  Konzentrationen  einander 
proportional;  der  Zersetzungsgrad  ändert  sich  nicht,  wenn  man  das  Gas- 
gemisch einem  veränderten  Dnicke  unterwirft,  da  hierbei  beide  Konzen- 
trationen in  gleichem  Verhältnisse  geändert  werden.  Femer  ergiebt  sich, 
dass  eine  Änderung  der  Konzentration  b  einen  grösseren  Einfluss  ausübt, 
als  eine  von  a;  in  dem  Fall  des  Stickstoff hyperoxyds,  wo  n  =  2  ist, 
muss  eine  Verdoppelung  der  ersteren  von  einer  Vervierfachung  von  a 
begleitet  sein,  wenn  das  Gleichgewicht  bestehen  soll.  Daraus  ergiebt 
sich,  dass  bei  einer  Druckvermehrung  der  Zerfall  zurückgehen  muss,  dass 
mit  anderen  Worten  der  Vorgang  einti*itt,  welcher  sich  der  Druckver- 
mehrung widersetzt. 

Die  vorstehende  Formel  lässt  sich  streng  auf  Grund  der  Definition  ab- 
leiten, dass  ein  Gleichgewichtszustand  eintritt,  wenn  für  eine  unendlich  kleine 
Verschiebung  dieses  Zustandes  die  zugehörigen  Arbeiten  in  Summa  Null  sind. 
Nun  ist  die  Arbeit,  welche  ein  Gas  bei  konstanter  Temperatur  bei  einer 
Ausdehnung  von  v,  auf  v^  leistet,  gleich  RTln(vj/v,)  (S.  89),  oder  da  bei 
konstanter  Temperatur  v^/v^  =  p,/p2  ist,  RTln(pi/Pj)  oder  RT(lnp,  —  Inp,). 
Für  eine  kleine  Änderung  des  Druckes  p  ist  die  Arbeit  nach  der  mehrfach 
benutzten  Schreibweise  (dRTlnp)  oder  RTdlnp. 

Verschieben  wir  nun  das  Gleichgewicht  in  unserem  Falle,  so  entstehen  2, 
oder  allgemein  nMole  des  Produktes  B,  wenn  ein  Mol  des  Ausgangsstoffes  A 
verschwindet.  Die  zugehörigen  Arbeiten  sind  nRTdlnpg  und  — RTdlnp^, 
und  ihre  Summe  muss  nach  dem  oben  ausgesprochenen  Prinzip  gleich  Null 
sein.  Wir  haben  also  nRTdlnpg  —  RTdlnp^  =  0  oder  ndlnpg  —  dlnp^  =  0, 
oderd(nlnpß) — dlnp^  =  0  oder  dlnpß  =  dlnp^.  Es  sollen  also  die  gleich- 
zeitigen Änderungen  des  Logarithmus  von  p^  und  von  p^  gleich  sein;  dies 
tritt   ein,    wenn  die    beiden  Zahlen    selbst   in  konstantem  Verhältnis  stehen. 


310  VIII.    Chemische  Mechanik. 

denn  dann  sind  ihre  Logarithmen  stets  um  eine  konstante  Zahl  verschieden 
und  ihre  gleichzeitigen  Änderungen  gleich.  Nennen  wir  r  dies  konstante 
Verhältnis,  so  folgt  n 

Nun  sind  aber  hier  die  Konzentrationen  der  beiden  Gase  den  Teildrucken 
Pß  und  p^  proportional,  p^  =*  ha  und  Pß  =  hb,  wo  h  der  Proportionalitäts- 
faktor ist.     Hiermit,  und  indem  wir  rhn— i=-k  setzen,  folgt 

a  =  kb°- 

lieber  den  Einfluss  der  Temperatur  auf  das  Gleichgewicht  lässt 
sich  zunächst  sagen,  dass  zufolge  des  allgemeinen  Gleichgewichtssatzes 
(S.  304)  bei  einer  Steigerung  der  Temperatur  der  Vorgang  einti^eten 
wird,  der  sich  der  Steigerung  widersetzt,  d.  h.  das  Gleichgewicht  wird 
sich  in  solchem  Sinne  verschieben,  dass  die  mit  Wärmeverbrauch  ver- 
bundene Reaktion  eintritt.  Da  dies  beim  StickstofFhyperoxyd  der  Zer- 
fall in  die  einfachere  Verbindung  ist,  so  wird  mit  steigender  Temperatur 
dieser  Zerfall  zunehmen.     Die  Erfahrung  bestätigt  diesen  Schluss. 

Man  kann  dies  sehr  leicht  anschaulich  machen,  wenn  man  dampfförmiges 
Hyperoxyd  in  eine  Glasröhre  einschmilzt.  Während  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur der  Inhalt  der  Röhre  nur  wenig  gefärbt  ist,  wird  bei  einigem  Er- 
wärmen der  Dampf  schnell  dunkler,  und  nimmt  beim  Erkalten  wieder  seine 
ursprüngliche  P'arbe  an.  Ein  nicht  erwärmtes,  ebenso  gefülltes  Rohr  dient 
zum  Vergleich. 

Eine  Formel  für  den  Einfluss  der  Temperatur  auf  das  Gleichgewicht 
lässt  sich  auf  einem  Wege  erhalten,  der  dem  S.  125  benutzten  zur  Ab- 
leitung der  Dampfdruckformel  ganz  ähnlich  ist,  und  auf  dem  Satze 
beruht,  dass  das  Verhältnis  der  in  Arbeit  umsetzbaren  Wärme  zur  Ge- 
samtmenge der  in  Bewegung  gesetzten  Wärme  sich  bei  einem  zwischen 
zwei  Temperaturen  verlaufenden  umkehrbaren  Kreisprozess  verhält  wie 
der  Temperaturunterschied  zu  der  Temperatur  in  absoluter  Zählung.  Sie 
lautet  dlnr/dT  =  L/RT^ 

Die  Arbeit,  welche  aufgenommen  wird,  wenn  sich  in  einer  grösseren  Ge- 
samtmenge ein  Mol  eines  Gases  in  n  Mole  eines  anderen  verwandelt,  ist  gleich 
RT(lnp^ — ^^Pa) — nRT(lnpß  —  Inp'^),  da  ein  Mol  verschwindet  und  n 
Mole  entstehen;  die  neuen  Teildrucke  sind  mit  einem  Strich  bezeichnet.  Die 
Änderung  dieser  Arbeit  wird  demnach  durch  RT d  In  (pA/p^)  ausgedrückt, 
und  die  Gleichung  für  die  Änderung  der  Arbeit  mit  der  Temperatur,  oder 
die  zwischen  den  Temperaturen  T  und  T-f-dT  in  einem  Kreisprozess  zu 
gewinnende  Arbeit  erlangt  die  Gestalt 

RTdln(pA/p»)/L-=dT/T, 

WO  L  die  bei  der  Umwandlung  von  einem  Mol  des  Gases  aufgenommene 
Wärmemenge  ist.  Nun  ist  das  Verhältnis  p^  /pß  die  Gleichgewichtskonstante 
(siehe  oben);  hiernach  vereinfacht  sich  die  Gleichung  zu 

dlnr/dT  =  L/RT*. 


Gleichgewichte  erster  Ordnung.  311 

Diese  Gleichung  (van't  Hoff  1885)  stimmt  in  ihrer  Form  durchaus 
mit  der  für  die  Änderung  des  Dampfdruckes  mit  der  Temperatur  (S.  126) 
abgeleiteten  überein,  nur  dass  links  unter  dem  Logarithmus  an  Stelle  des 
Druckes  der  Quotient  der  Teildrucke  (bez.  ihrer  Potenzen)  steht.  Es 
wird  sich  später  zeigen,  dass  diese  Formel  für  alle  Arten  des  Gleich- 
gewichts ihre  Geltung  behält,  indem  immer  nur  unter  dem  Logarithmus 
der  auf  die  Drucke  bezogene  Gleichgewichtskoeffizient  auftritt. 

Die  Formel  gestattet,  wenn  der  Verlauf  der  Konstanten  r,  d.  h. 
des  Gleichgewichtszustandes  mit  der  Temperatur  gegeben  ist,  die  Re- 
aktionswärme L  zu  berechnen  und  umgekehrt.  SSie  hat  durch  die  Er- 
fahrung Bestätigung  gefunden,  wenn  auch  noch  nicht  in  sehr  weitem 
Umfange,  und  hat  sich  als  nützlich  erwiesen,  um  die  Wärraetönungen 
von  Reaktionen  zu  berechnen,  die  man  nicht  unmittelbar  messen  konnte. 
So  hat  sich  z.  B.  die  beim  Zerfall  des  Jods,  J2  =  2J,  bei  sehr  hohen 
Temperaturen  (S.  15)  verbrauchte  Wärme  zu  119  J  ergeben  (Boltz- 
mann  1884). 

Ähnliche  Gleichgewichtszustände,  wie  in  einem  Gemenge  von  gegen- 
seitig umsetzbaren  Gasen,  können  auch  in  Flüssigkeiten  eintreten,  die 
sich  gegenseitig  umwandeln.  So  ist  unzweifelhaft  das  flüssige  Stickstoff- 
hyperoxyd ein  Gemenge  der  beiden  Formen,  wenn  auch  mit  vorwiegen- 
dem N*0*,  und  das  Verhältnis  beider  verschiebt  sich  mit  steigender 
Temperatur  zu  gunsten  der  einfachen.  Von  den  für  das  Gleichgewicht  der 
Gase  entwickelten  Gesetzen  bleibt  hier  aber  nur  der  allgemeine  Teil  in  Kraft, 
der  sich  auf  den  Sinn  der  Verachiebung  des  Gleichgewichts  bei  geänderten 
Verhältnissen  bezieht:  eine  Druckvermehrung  wird  immer  die  Reaktion 
begünstigen,  welche  mit  Raum  Verminderung  verbunden  ist,  und  eine 
Temperaturerhöhung  die  Reaktion  mit  Wärmeverbrauch.  Die  quantitativen 
Gesetze  dagegen,  die  auf  Grund  der  Berechnung  der  Arbeit  mittels  der 
Gasgesetze  abgeleitet  worden  sind,  treffen  nicht  mehr  zu,  wo  die  Gas- 
gesetze nicht  gültig  sind.  Für  verdünnte  Lösungen  gelten  die  Gas- 
gesetze noch  unter  Ersatz  des  Gasdruckes  durch  den  osmotischen  (S.  93); 
für  konzentriertere  Lösungen  ist  dagegen  zur  Zeit  eine  Berechnung  der 
Arbeitsgrössen  in  allgemeiner  Weise  nicht  möglich  und  die  Formeln  ver- 
lieren ihre  Anwendung. 

Weitere  Fälle  des  Gleichgewichts  erster  Ordnung  entstehen,  wenn 
mehrere  Phasen  auftreten.  Das  wesentliche  über  solche  Gleichgewichte 
ist  bereits  in  den  Kapiteln  über  die  Änderungen  der  Aggregatzustände 
gesagt  worden  (S.  98  und  174);  hier  ist  nur  zuzufügen,  dass  die  ent- 
wickelten Beziehungen  ganz  unabhängig  davon  sind,  ob.  die  beteiligten 
Stoffe  isomere  Umwandlungen  erleiden,  oder  nicht  Der  einzige  Unter- 
schied ist,  dass  bei  chemischen  Umwandlungen  das  Gleichgewicht  sich 
meist   langsamer  einstellt,  als  in  den  Fällen  ohne  Umwandlung. 

So  besitzt  z.  B.  das  Stickstoffhyperoxyd  einen  bestimmten,  nur  von  der 
Temperatur  abhängigen  Dampfdruck,  unabhängig  davon,  dass  es  in  beiden 
Zuständen,  dem  flüssigen  und  dem  als  Flüssigkeit  und  als  Dampf,  kein  ein- 


312  VIII     Chemische  Mechanik. 

heitlicher  Stoff  im  chemischen  Sinne  ist  Ebenso  besteht  zwischen  fester 
Gyanursäure,  C,  N5  O^Hs,  und  dem  aus  ihr  beim  Erhitzen  entstehenden  Cyan- 
säuredampfe  CNOH  ein  nur  von  der  Temperatur  abhängiges  Gleichgewicht,  ob- 
wohl mit  der  Verdampfung  eine  chemische  Umwandlung  verbunden  ist.  Das 
gleiche  gilt  für  gasförmiges  Cyan  und  festes  Paracyan,  das  dem  ersteren  po- 
lymer  ist. 

Für  den  Gleichgewichtszustand  fest-flüssig  sind  dieselben  Betrachtungen 
geltend  zu  machen.  Ein  fester  Stofl*  und  seine  Schmelze  befolgen  alle  die 
Gesetze,  welche  S.  174  für  den  Fall  der  einfachen  Schmelzung  entwickelt 
worden  sind,  welche  chemische  Verschiedenheit  auch  zwischen  beiden  Phasen 
bestehen  mag,  wenn  nur  beide  gleich  zusammengesetzt  sind  und  bleiben. 
Hierbei  ist  es  nicht  einmal  erforderlich,  dass  irgend  eine  der  Phasen  ein 
chemisches  Individuum  sei;  wir  werden  später  in  den  „Kryohydraten"  Ge- 
bilde kennen  lernen,  welche  im  festen,  wie  im  flüssigen  Zustande  Gemenge 
beliebig  vieler  Bestandteile  sein  können,  und  doch  genau  den  Schmelzpunkts- 
gesetzen gehorchen,  da  sie  die  Bedingung  erfüllen,  dass  die  beiden  Phasen, 
die  feste  und  die  flüssige,  gleiche  Zusammensetzung  haben  und  sich  in  ein- 
ander umwandeln.  Diese  Betrachtungen  gestatten,  die  möglichen  Fälle  der 
Gleichgewichte  erster  Ordnung  sämtlich  unter  die  vorhandenen  Gesetzmässig- 
keiten zu  bringen. 

Schliesslich  sei  noch  auf  einen  wichtigen  Punkt  hingewiesen.  Es 
kann  in  keinem  Gebilde  mehr  als  eine  Gasphase  sein,  da  alle  Gase 
sich  in  allen  Verhältnissen  miteinander  vermischen.  Flüssige  Phasen 
kommen  7  soweit  die  bisherigen  Erfahrungen  reichen  ^  höchstens  in  so 
grosser  Zahl  vor,  als  Bestandteile  vorhanden  sind;  es  sind  demnach 
Gleichgewichte  erster  Ordnung  nur  mit  einer  flüssigen  Phase  bekannt 
Flüssigkeiten  und  Gase  können  einheitliche  Stoffe  und  Gemische  sein. 
Feste  Körper  können  sich  an  Gleichgewichten  in  beliebiger  Zahl  be- 
teiligen: sie  werden  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  von  ein- 
heitlichen Stoffen  gebildet.  Feste  Lösungen  sind  zwar  möglich  und  be- 
kannt, doch  ist  ihr  Vorkommen  beschränkt,  und  sie  sollen  vorläufig 
von  den  Betraditungen  ausgeschlossen  werden. 

Bei  allen  Gleichgewichten  mit  mehreren  Phasen  ist  das  Auftreten 
einer  noch  nicht  vorhandenen  Phase,  wenn  sie  neben  der  vorhandenen 
unter  den  gegebenen  Umständen  bestehen  kann,  keine  Notwendig- 
keit. Vielmehr  darf  man  die  Überschreitungserscheinungen  (S.  112)  als 
eine  allgemeine  Eigentümlichkeit  mehrphasiger  Gebilde  ansehen,  und  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  ist  es  auch  statthaft,  die  Begriffe  stabil, 
metastabil  und  labil  auf  alle  derartigen  Fälle  anzuwenden,  und  sie 
nicht  auf  das  Gleichgewicht  zwischen  einer  Flüssigkeit  und  ihrem  Dampf 
zu  beschränken.  Die  Leichtigkeit,  Überschreitungen  experimentell  her- 
zustellen, ist  allerdings  sehr  verschieden,  und  ebenso  ist  es  die  Breite 
der  metastabilen  Gebiete, 

Wenn  man  das  metastabile  Gebiet  überschritten  hat,  und  es  ent- 
steht eine  neue  Phase  freiwillig,  so  macht  sich  das  bemerkenswerte  Ge- 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  313 

setz  geltend^  dass  die  entstehende  Form  nicht  die  unter  den 
vorhandenen  Umständen  beständigste  ist,  sondern  im  Gegen- 
teil die  wenigst  beständige,  d.  h.  die  in  Bezug  auf  ihre  Be- 
ständigkeit der  sich  umwandelnden  Form  zunächst  liegende. 
Die  Erscheinung  ist  ausserordentlich  verbreitet.  Als  Bei- 
spiel diene,  dass  Schwefel  sich  aus  seinem  Dampfe  immer  in  Gestalt 
von  Tröpfchen  abscheidet,  wenn  auch  die  Temperatur  weit  unter  dem 
Schmelzpunkte  liegt.  Quecksilberjodid  schlägt  sich  aus  dem  Dampfe 
immer  erst  in  der  unbeständigen  gelben  Form  nieder,  obwohl  deren 
Umwandlungstemperatur  bei  etwa  140®  liegt,  u.  s.  w.  Es  handelt  sich 
hier  um  eine  ganz  allgemeine  Erscheinung,  die  nicht  auf  die  Gleich- 
gewichte erster  Ordnung  beschränkt  ist,  sondern  bei  allen  Zustands- 
änderungen  chemischer  oder  physikalischer  Art  sich  zur  Geltung  bringt. 


Fünftes  Kapitel. 

Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;    Lösungen. 

Nach  Anleitung  der  Definition  eines  Gleichgewichts  erster  Ordnung 
(S.  306)  ist  eines  zweiter  Ordnung  dadurch  bestimmt,  dass  alle  vor- 
handenen Phasen  sich  ihrer  Zusammensetzung  nach  als  Summe  zweier 
Bestandteile  darstellen  lassen;  diese  Bestandteile  können  ihrerseits  chemisch 
einfache  oder  zusammengesetzte  Stoffe  sein.  Daraus  ergiebt  sich,  dass 
die  Zuordnung  eines  gegebenen  Gebildes  von  der  Art  der  Umwandlungen 
und  von  den  Existenzbedingungen  abhängig  ist,  welche  man  in  Betracht 
zieht.  Bei  Temperaturen,  die  einige  hundert  Grade  nicht  überschreiten, 
sind  z.  B.  die  möglichen  Umwandlungen  des  Wassers  erster  Ordnung; 
sowie  man  aber  in  das  Gebiet  gelangt,  wo  der  Zerfall  des  Wassers  in 
Sauerstoff  und  Wasserstoff  messbar  zu  werden  beginnt,  wird  das  Gleich- 
gewicht zweiter  Ordnung,  weil  die  nun  auftretenden  Phasen  nur  noch 
durch  unabhängige  Mengen  der  Bestandteile  Sauerstoff  und  Wasserstoff 
dargestellt  werden  können. 

Eine  der  wichtigsten  Gruppen  in  den  Gleichgewichten  zweiter 
Ordnung  sind  die  Gemenge  zweier  Bestandteile,  die  eine  homogene  Phase 
von  stetig  wechselnder  Zusammensetzung  bilden.  Wir  bezeichnen  solche 
Gemenge  aus  zwei  oder  mehreren  Bestandteilen  als  Lösungen,  und 
betrachten  deren  Eigenschaften  zunächst  für  sich.  Von  der  Theorie  der 
Lösimgen  bilden  die  S,  189  u.  ff.  mitgeteilten  Beziehungen  nur  einen 
kleinen,  wenn  auch  sehr  wichtigen  Teil,  der  aus  äusseren  Gründen  an 
der  früheren  Stelle  abgehandelt  worden  ist. 

Gemäss  den  drei  Aggregatzuständen  haben  wir  gasförmige,  flüssige 
und  feste  Lösungen  zu  unterscheiden. 


314  VIII.    Chemische  Mechanik. 

A.  Lösungen  in  Gasen. 

Gase  bilden  unter  allen  Umständen  miteinander  Lösungen,  denn 
alle  Gase  (soweit  sie  sich  nicht  gegenseitig  chemisch  verändern)  lassen 
sich  in  allen  Verhältnissen  vermischen.  Die  Eigenschaften  solcher  Ge- 
mische sind  die  sachgemäss  gebildeten  Summen  der  Eigenschaften  der 
Bestandteile;  sie  sind  mit  anderen  Worten  additiv.  Dies  wichtige  Ge- 
setz, dessen  erste  allgemeine  Aufstellung  wir  Dalton  (1805)  verdanken, 
gestattet  die  hier  auftretenden  Fragen  sämtlich  zu  beantworten. 

Es  lässt  sich  auch  in  der  anschaulichen  Form  aussprechen:  in  einem 
Gemisch  verhält  sich  jedes  einzelne  Gas  in  Bezug  auf  die  von  ihm  ab- 
hängigen Erscheinungen  so,  als  wäre  es  allein  vorhanden. 

Eine  der  häufigsten  Anw^endungen  dieses  Gesetzes  ist  die  auf  den 
Druck.  Alle  vom  Druck  des  Gases  abhängigen  Vorgänge  erfolgen  in 
einem  Gasgemenge  so,  als  übe  jeder  Bestandteil  den  Druck  aus,  den  er 
in  dem  vorhandenen  Räume  allein  ausüben  würde.  Man  nennt  diesen 
Druck  den  Teil  druck  des  betreffenden  Bestandteils,  und  nur  von  ihm 
ist  in  den  uns  beschäftigenden  Fällen  (z.  B.  bei  Erörterung  der  chemischen 
Gleichgewichte)  die  Rede  (S.  308). 

Die  Anwendung  des  Gesetzes  setzt  voraus,  dass  die  Gase  des  Gemisches 
in  diesem  gleichförmig  verteilt  sind.  Dieser  Zustand  stellt  sich  freiwillig  her, 
wenn  man  die  Bestandteile  lange  genug  miteinander  in  Berührung  lässt, 
und  ist  daher  der  einzige,  welcher  für  Gleichgewichtszustände  in  Frage  kommt. 
Ebenso,  wie  ein  Gas  in  einem  Räume  nur  in  Ruhe  sein  kann,  wenn  sein 
Druck  überall  denselben  Wert  hat,  so  ist  ein  Gasgemisch  erst  in  Ruhe,  wenn 
alle  Teildrucke  überall  gleich  geworden  sind. 

Das  Gültigkeitsgebiet  dieses  Daltonschen  Gesetzes  ist  das  der  Gas- 
gesetze überhaupt;  Abweichungen  beginnen  einzutreten  in  Zuständen 
grösserer  Dichte,  wo  die  Gasgesetze  nicht  mehr  zur  Darstellung  der 
thatsäclilichen  Erscheinungen  ausreichen. 

Über  Lösungen  von  Flüssigkeiten  und  festen  Stoffen  in 
Gasen  ist  wenig  zu  sagen.  Bringt  man  eine  verdampfbare  Flüssigkeit 
in  ein  Gas,  so  verdampft  sie,  als  wäre  sie  in  einen  leeren  Raum  ge- 
bracht, denn  gemäss  dem  Daltonschen  Gesetz  ist  ihr  Dampfdruck  unab- 
hängig davon,  ob  das  Gas  anwesend  ist  oder  nicht.  Doch  gelten  hier 
auch  die  Grenzen  des  Daltonschen  Gesetzes,  so  dass  bei  erheblicheren 
Drucken  Abweichungen  eintreten. 

Ein  anderer  Grund  ftir  Abw^eichungen  Hegt  darin,  dass  sich  das 
Gas  in  der  Flüssigkeit  löst,  und  ihren  Dampfdruck  gemäss  den  allgemeinen 
Gesetzen  (S.  'iOO)  vermindert.  Dieser  Einfluss  ist  indessen  nur  bei 
leichtlöslichen  Gasen  merkbar  und  verschwindet  in  vielen  Fällen. 

Die  gleichen  Beziehungen  gelten  ftir  die  Lösung  fester  Stoffe 
in  Gasen.  Auch  hier  kann  von  einer  solchen  nur  die  Rede  sein,  wenn 
der  feste  Stoff  flüchtig  ist,  und  sein  Dampfdruck  in  einem  Gase  ist 
gleich    dem   im  leeren   Räume.     Da   sich   Gase   in    festen  Stoffen  nicht 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  315 

lösen,  so  liegen  die  Verhältnisse  noch  einfacher,  als  bei  Flüssigkeiten,  da 
die  eben  erwähnte  Ursache  von  Abweichungen  fortfällt.  Bei  sehr  istarken 
Drucken  werden  feste  Stoffe  in  Gasen  löslicher,  als  im  leeren  Räume, 
einerseits,  weil  die  Gase  dann  wie  flüssige  Lösungsmittel  wirken,  anderer- 
seits, weil  der  Dampfdruck  eines  festen  (und  flüssigen)  Stoßes  durch  eine 
solche  Pressung  unmittelbar  vermehrt  wird.  Man  kann  letzteres  verstehen, 
wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  der  Stoff  durch  die  Pressung  dichter 
wird,  und  daher  auch  einen  dichteren  Dampf  zum  Gleichgewicht  erfordert. 

B.    Lösungen  von  Gasen  in  Flüssigkeiten. 

Viel  mannigfaltiger  sind  die  Verhältnisse  bei  flüssigen  Lösungen. 
Die  Gesetze  der  gelösten  Stoffe  in  verdünnten  Lösungen  sind  bereits 
(S.  189)  behandelt  worden;  hier  sind  die  Gleichgewichtsbeziehungen  zu 
betrachten,  welche  bei  der  Bildung  der  Lösungen  auftreten. 

Flüssige  Lösungen  lassen  sich  aus  Flüssigkeiten  mit  Gasen,  mit 
Flüssigkeiten  und  mit  festen  Stoffen  bilden,  und  wir  haben  die  Gesetze 
dieser  drei  Fälle  gesondert  zu  erörtern. 

Das  Lösungsgleichgewicht  zwischen  Gasen  und  Flüssigkeiten 
ist  durch  das  Gesetz  von  Henry  (1803)  geregelt,  nach  welchem  die  von 
einer  Flüssigkeit  gelöste  Gasmenge  dem  Drucke  proportional  und  ausser- 
dem mit  der  Temperatur  veränderlich  ist.  Von  Dalton  ist  (1805)  dies 
Gesetz  dahin  erweitert  worden,  dass  es  auch  für  die  Bestandteile  be- 
liebiger Gasgemische  gilt,  wenn  für  diese  die  Teildrucke  in  Rechnung 
gebracht  werden. 

Da  das  Volum  eines  Gases  seinem  Drucke  umgekehrt  proportional 
ist,  so  kann  man  das  Henrysche  Gesetz  auch  in  der  Gestalt  aussprechen, 
dass  das  von  einer  Flüssigkeitsmenge  absorbierte  Gasvolum  unabhängig 
vom  Drucke  ist. 

Nennt  man  die  Menge  des  Gases,  welche  in  der  Volumeinlieit  (so- 
wohl des  Gasraumes,  wie  der  Lösung)  enthalten  ist,  die  Konzentration 
desselben,  so  kann  man  dies  Gesetz  endlich  auch  so  ausdrücken,  dass  unter 
gegebenen  Verhältnissen  bei  wechselndem  Druck  die  Konzentration  im 
Gasraume  zu  der  im  Flüssigkeitsraume  in  einem  konstanten  Verhältnis 
stehen  muss.  Dies  Verhältnis  wollen  wir  den  Löslichkeitskoeffizienten 
oder  kurz  die  Löslichkeit  des  Gases  nennen. 

Eine  mit  diesem  Werte  in  nahem  Zusammenhange  stehende  Zahl 
ist  der  von  Bunsen  (1885)  definierte  Absorptionskoeffizient.  Der- 
selbe bedeutet  das  auf  0"  und  76  cm  Druck  reduzierte  Gasvolum,  wel- 
ches bei  ebendemselben  Druck  von  1  ccm  der  Flüssigkeit  aufgenommen 
wird,  und  unterscheidet  sich  von  der  oben  definierten  Löslich keit  nur 
dadurch,  dass  das  Gasvolum  auf  0®  reduziert,  also  durch  1  -{-  0-00367  t 
dividiert  worden  ist.  Es  erscheint  sachgemässer,  das  Volum  dö&  Gases 
für  die  Temperatur  zu  bestimmen,  für  welche  die  Ijöslichkeit  selbst 
bestimmt  worden  ist,  indessen  ist  die  von  Bunsen  gegebene  Definition 
noch  allgemein  verbreitet  und  muss  daher  auch  erwähnt  werden. 


316  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Die  Berechnung  eines  Absorptionsversuches,  bei  welchem  das  Volum  Y 
der  Flüssigkeit  ein  Gasvolum  v  bei  der  Temperatur  t  und  dem  Drucke  p 
aufgelöst  hat,  geschieht   nach  Bunsen,    indem    man    zunächst   das   Gasvolum 

durch   Multiplikation   mit  ,       V_ — -  auf  Normalverhältnisse  reduziert,  darauf 

durch    Multiplikation  mit  die    Gasmenge   berechnet,    welche    nach    dem 

Henryschen  Gesetz  beim  Normaldrucke  aufgelöst  würde,  und  dann  schliess- 
lich durch  Division  mit  dem  Flüssigkeitsvolum  v  die  auf  die  Volumeinheit 
der  Flüssigkeit  entfallende  Menge  berechnet.  Es  ergiebt  sich  so  der  Ab- 
sorptionskoeffizient ß= -,.  .^    . -r =  —7^—1 TT-  • 

^  ^        V     76(l  +  at)      p         v(l  +  at) 

V 

Die  Löslichkeit,  wie  sie  oben  definiert  wurde,  ist  einfach  A==  — 

V 

Bunsen  und  seine  Schüler  haben  die  Werte  der  Absorptions- 
koeffizienten  für  eine  grössere  Anzahl  Gase  gegenüber  dem  Wasser  so- 
wie dem  Alkohol  bei  Temperaturen  zwischen  0®  und  20®  bestimmt 
Die  Zahlen  sind  meist  nicht  gross  und  bewegen  sich  für  die  „perma- 
nenten" Gase,  StiekstoflT,  Wasserstoff,  Sauerstoff,  Kohlenoxyd/ Methan, 
zwischen  002  und  005.  Die  leichter  verdichtbaren  Gase,  wie  Kohlen- 
dioxyd, Stickoxydul,  Schwefelwasserstoff  haben  Koeffizienten  zwischen 
1  und  4.  Diese  Zahlen  gelten  für  Wasser;  für  Alkohol  fallen  sie  zwei- 
bis  achtmal  grösser  aus;  beide  Reihen  sind  nicht  proportional. 

Mit  steigender  Temperatur  nimmt  in  den  meisten  Fällen  die  Lös- 
lichkeit  ab.  Dies  hängt  damit  zusammen,  dass  sich  bei  der  Auflösung 
der  Gase  regelmässig  Wärme  in  verschiedenem  Betrage  entwickelt. 

Die  Genauigkeit  der  eben  besprochenen  Gesetze  ist  von  derselben  Be- 
schaffenheit, wie  die  der  Gasgesetze:  es  sind  Grenzformeln,  denen  die  that- 
sächlichen  Verhältnisse  sich  mehr  oder  weniger  annähern,  und  zwar  im  all- 
gemeinen um  so  besser,  je  kleiner  die  Löslichkeit  und  je  geringer  der  Druck 
ist.  Doch  ist  selbst  bei  einem  so  leicht  absorbierbaren  Gase,  wie  Kohlen- 
dioxyd, noch  bis  zu  Drucken  von  4  Atmosphären  das  Henrysche  Gesetz  mit 
einer  Annäherung  von  1  Prozent  gültig. 

Bei  Gasen,  von  welchen  Volume  gelöst  werden,  die  das  mebr- 
hundertfache  des  Flüssigkeitsvolums  betragen,  hört  meist  das  Henrysche 
Gesetz  auf,  gültig  zu  sein.  Indessen  haben  wir  in  solchen  Fällen  regel- 
mässig Ursache,  chemische  Vorgänge  zwischen  dem  gelösten  Gase  und  dem 
Lösungsmittel  anzunehmen,  so  dass  das  gelöste  Gas  teilweise  chemisch 
verändert  wird,  und  für  das  schliessliche  Gleichgewicht  nur  der  (meist 
unbekannte)  unveränderte  Teil  in  Frage  kommt.  In  solchen  Fallen 
wächst  die  aufgenommene  Gasmenge  in  kleinerem  Verhältnisse,  als  der 
DiTick.  Zuweilen  zeigen  sich  bei  niederen  Temperaturen  Abweichungen, 
welche  bei  höheren,  wo  die  Löslichkeit  geringer  wird,  versehwinden.  So 
folgt  Schwefeldioxyd  oberhalb  40^   dem   Henryschen  Gesetz  und  weicht 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  317 

unterhalb  dieser  Temperatur  davon  ab;  Ammoniak  wird  erst  bei  100® 
nach  dem  Henryschen  Gesetze  von  Wasser  gelöst 

Wenn  man  statt  reinen  Wassers  Lösungen  verschiedener  Stoffe  zur 
Absorption  von  Gasen  benutzt,  so  erscheint  die  Löslichkeit  meist  vermindert. 
Daher  entweichen  auch  gelöste  Gase  aus  Plüssigkeiten,  wenn  man  feste  Stoffe 
darin  auflöst.  In  einzelnen  Fällen,  so  in  dem  von  Haoult  (1874)  untersuchten, 
bei  welchem  Kali-  und  Natronlösungen  mit  Ammoniak  gesättigt  wurden,  er- 
gab sich,  dass  die  Abnahme  proportional  dem  Gehalte  am  festen  Stoffe  war. 
Ähnliche  Ergebnisse  fand  Setschenow  (1875)  für  das  Verhalten  verschiedener 
Salzlösungen  gegen  Kohlendioxyd,  doch  machte  sich  hier  neben  der  Lösungs- 
wirkung zuweilen  noch  ein  chemischer  Vorgang  zwischen  der  Kohlensäure 
und  dem  gelösten  Salze  geltend,  wodurch  die  Erscheinungen  weit  verwickelter 
wurden.  In  den  einfachsten  Fällen  setzte  sich  die  aufgelöste  Menge  aus 
einem  der  Salzmenge  proportionalen  und  vom  Druck  unabhängigen  (chemisch 
gebundenen)  Anteil  und  aus  einem  dem  Druck  proportionalen,  einfach  ge- 
lösten Anteil  zusammen.  In  anderen  Fällen  aber  erwies  sich  auch  der  erste 
Anteil  vom  Druck  abhängig,  wenn  auch  viel  weniger,  als  der  Proportionalität 
entsprach ;  alsdann  fand  auch  ein  chemischer  Vorgang  statt,  derselbe  war  aber 
unvollständig  und  mit  dem  Drucke  veränderlich. 

Bei  Lösungen  von  Gasen  in  Flüssigkeiten  treten  Überschreitungserschei- 
nungen sehr  leicht  auf,  wohl  leichter,  als  in  jedem  anderen  Falle.  Sie  zeigen 
sich  darin,  dass  eine  Lösung,  die  unter  einen  geringeren  Druck  gebracht 
wird,  als  dem  ihrer  Sättigung,  doch  keineswegs  das  Gas  entwickelt,  sondern 
homogen  bleibt.  Die  Übersättigung  muss  einen  recht  bedeutenden  Betrag  an- 
nehmen, wenn  sie  freiwillig  aufhören  soll. 

Wird  eine  Gaslösung  unter  einem  bestimmten  Drucke  gesättigt,  und 
vermindert  man  nun  den  Druck,  so  geht  keineswegs  augenblicklich  die  ent- 
sprechende Gasmenge  aus  der  Lösung  heraus.  Vielmehr  bleiben  Gaslösungen 
äusserst  leicht  „übersättigt",  und  erst,  wenn  man  die  Flüssigkeit  in  möglichst 
ausgedehnte  Berührung  mit  dem  Gase  bringt,  welches  unter  dem  geringeren 
Drucke  steht,  oder  noch  besser  mit  einem  fremden  Gase,  in  welchem  der 
Teildruck  des  gelösten  Gases  gleich  Null  ist,  entweicht  der  Überschuss.  Da- 
her sind  poröse,  viel  Luft  einschliessende  Pulver,  die  man  in  die  Gaslösung 
einführt,  sowie  heftiges  Schütteln,  welches  zahlreiche  Gasblasen  im  Inneren 
verteilt,  endlich  Sieden  des  Lösungsmittels,  wo  die  Dampfblasen  diese  Rolle 
übernehmen,  in  dieser  Beziehung  besonders  wirksam.  Sehr  lange  dagegen 
halten  sich  übersättigte  Gaslösungen  in  sorgfältig  (mit  Schwefelsäure,  Kali- 
lauge u.  s.  w.)  gereinigten  Glasgefässen. 

Dagegen  wirkt  jedes  Bläschen  eines  Gases,  sei  es  desselben  oder  eines 
fremden,  als  ein  Keim  (S.  177),  der  die  Bildung  der  neuen  Phase  auflöst. 
Diese  Keimwirkung  ist  aber  wieder  an  die  örtliche  Berührung  gebunden;  ist  das 
Bläschen  aufgestiegen,  so  bleibt  die  Flüssigkeit  übersättigt  zurück  und  ent- 
wickelt freiwillig  keine  weiteren  Blasen  mehr. 

In  dieser  ohne  Zuthun  erfolgenden  Austreibung  des  Keimes  liegt  einer 
der  wesentlichsten*  Gründe  für  die  Beständigkeit  übersättigter  Gaslösungen. 


318  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Denn  eine  feste  Ausscheidung  in  einer  überkalteten  Flüssigkeit  bleibt  darin, 
und  die  Erystallisation  hört  nicht  eher  auf,  als  bis  die  Überkaltung  beseitigt 
ist;  eine  übersättigte  Gaslösung  treibt  dagegen  einen  vorhandenen  Keim 
selbsttbätig  aus,  und  bleibt  übersättigt. 

Man  beobachtet  derartige  Erscheinungen  bequem  bei  dem  als  Gre- 
tränk  benutzten  kohlensauren  Wasser  (Selters-  und  Sodawasser),  welches  etwa 
bei  4  Atmosphären  Druck  gesättigt  in  den  Handel  gebracht  wird.  Ist  das 
erste  Brausen  nach  dem  Eingiessen  in  ein  Glas  vorüber,  so  entwickeln  sich 
gewöhnlich  von  Stellen  aus,  an  denen  das  Glas  Schrammen  hat,  in  denen 
etwas  Luft  gefangen  bleibt,  feine  Gasblasen  in  Gestalt  eines  Stromes.  Hat 
man  aber  das  Glas  vorher  sorgfältig  benetzt,  so  bleibt  die  Flüssigkeit  in  Ruhe. 
Jeder  Körper,  an  dessen  Oberfläche  Gas  haftet,  also  insbesondere  poröse  Stoffe, 
bringen  wieder  eine  Gasentwickelung  hervor.  Senkt  man  in  die  Flüssigkeit 
eine  oben  geschlossene,  mit  Luft  gefüllte  reine  Kapillare,  so  sieht  man  nur 
von  der  Grenzfläche  der  Luft  und  der  Lösung  die  Blasen  aufsteigen,  zum 
Zeichen,  dass  nur  dort  die  Auslösung  erfolgt. 

Dass  eine  Überschreitung  des  Sättigungspunktes  bei  der  Abwesenheit 
von  Gaskeimen  eintreten  muss,  ergiebt  sich  aus  der  Betrachtung  der  Ober- 
flächenenergie (S.  148).  Da  die  Oberflächenspannung  jede  Flüssigkeitsober- 
fläche zu  verkleinern  strebt,  so  muss  im  Innern  einer  kugelförmigen  Gras- 
blase  ein  grösserer  Druck  herrschen,  als  er  für  eine  ebene  Fläche  sich  aus 
den  vorhandenen  Verhältnissen  ergeben  würde,  und  die  Kapillaritätstheorie 
giebt  dafür  die  Formel  p  =  2y/r,  wo  p  der  Druck,  y  die  Oberflächenspannung 
und  r  der  Radius  der  Kugel  ist.  Wenn  also  ein  Bläschen  des  Gases  freiwillig 
entstehen  sollte,  so  müsste  es  unter  einem  weit  grösseren  Drucke  entstehen, 
als  der  Sättigung  unter  den  vorhandenen  Umständen  entspricht. 

Es  scheint  nach  dieser  Betrachtung  sogar,  dass  ein  Bläschen  freiwillig  über- 
haupt nicht  entstehen  könnte.  Denn  man  wird  sagen,  dass  im  ersten  Augenblicke 
das  Bläschen  ja  unendlich  klein,  der  Druck  der  Formel  gemäss  also  unendlich 
gross  sein  müsste.  Dass  trotzdem  freiwillige  Bläschenbildung  eintritt,  lehrt, 
dass  die  Annahme,  es  habe  die  Flüssigkeit  bis  zu  unendlich  kleinen  Dimen- 
sionen dieselben  Eigenschaften,  wie  in  endlichen  Mengen,  niclit  richtig  sein 
kann.  Der  gleiche  Schluss  hatte  sich  früher  aus  anderen  Betrachtungen  er- 
geben (S.  151).  Führt  man  die  Grenze  für  die  gewöhnlichen  Eigenschaften 
der  Flüssigkeiten  mit  10~*  cm  ein ,  so  ergiebt  die  Rechnung  für  den  Druck 
in  einem  Bläschen  von  diesem  Radius  den  Wert  von  15000  Atmosphären  in 
Wasser  bei  Zimmertemperatur.  Doch  ist  anscheinend  bei  weitem  nicht  ein 
so  grosser  Übersättigungsgrad  erforderlich,  um  freiwillige  Gasentwickelung  zu 
bewirken. 

Die  eben  angestellten  Betrachtungen  finden  auch  auf  den  Fall  der 
Übersättigung  bezüglich  fester  oder  flüssiger  Stoffe  ihre  sachgemässe  Anwen- 
dung, da  ein  Stoff  wegen  der  Mitwirkung  der  Oberflächenenergie  um  so  lös- 
licher sein  muss,  je  feiner  er  zerteilt  ist.  Man  kann  dies  aus  der  Analogie 
der  Erhöhung  des  Dampfdruckes  kleiner  Tröpfchen  (S.  152)  schliessen;  auch 
ergiebt  es  sich  aus  der  Betrachtung,  dass  die  Arbeit  bei  der  Auflösung  eines 


i 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  319 

heterogenen  Stoffes  um  so  kleiner  wird,  je  mehr  Energie  durch  die  Bildung 
einer  gemeinsamen  Oberfläche  mit  dem  Lösungsmittel  herausgenommen  wor- 
den war. 

An  dieser  Stelle  soll  noch  eine  allgemeine  Bemerkung  gemacht 
werden,  welche  sich  auf  alle  mehrphasigen  Gebilde  bezieht.  Für  solche 
besteht  das  Gesetz,  dass  alle  Phasen,  die  miteinander  im  Gleichge- 
wicht stehen,  einander  bei  beliebigen  anderen  Glefchgewichten 
ersetzen  können,  bei  denen  ein  gemeinsamer  Bestandteil 
dieser  Phasen  in  Frage  kommt.  Es  handelt  sich  hier  um  eine 
Eigenschaft  der  Intensitätsgrösse  der  chemischen  Energie  (S.  250),  des 
chemischen  Potentials.  Ebenso,  wie  zwei  Körper,  die  mit  einem 
dritten  gleiche  Temperatur  oder  gleiches  elektrisches  Potential  haben, 
auch  untereinander  in  dieser  Beziehung  gleich  sind,  so  stellt  sich  zwischen 
zw^ei  oder  mehreren  Phasen  im  Gleichgewichte  Gleichheit  des  chemischen 
Potentials  her,  durch  welche  Itir  die  chemischen  Verhältnisse  ein  gleicher 
Zustand  bewirkt  wird,  ^\\e  ihn  z.  B.  Gleichheit  der  Temperatur  für  die 
Wärme  bewirkt. 

Um  sich  dieses  wichtige  und  allgemeine  Gesetz  anschaulich  zu  machen, 
denke  man  sich  etwa  eine  Lösung  von  Wasserstoff  in  Wasser,  die  mit  Wnsser- 
stoffgas  von  Atmosphären  druck  im  Gleichgewicht  steht.  Bringt  man  in  eine 
solche  Lösung  etwas  Palladium,  so  wird  dieses  aus  der  Lösung  (falls  deren 
Konzentration  konstant  gehalten  wird)  ebensoviel  Wasserstoff  aufnehmen,  wie 
aus  gasförmigem  Wasserstoff,  obwohl  die  Konzentration  in  der  wässerigen  Lö- 
sung etwa  50  mal  geringer  ist. 

Dieser  Satz  ist  ein  besonderer  Fall  des  zweiten  Hauptsatzes  der  Energetik, 
und  sein  Beweis  liegt  darin,  dass  man  ein  Perpetuum  mobile  zweiter  Art  her- 
stellen könnte,  wenn  er  nicht  richtig  wäre.  Nehmen  wir  an,  das  Palladium 
sättige  sich  weniger  aus  der  wässerigen  Lösung,  als  aus  dem  Gase.  Dann 
würde  man  das  Metall  erst  aus  dem  Gase  sättigen  und  es  dann  mit  der  Lö- 
sung zusammenbringen.  Da  es  mehr  Wasserstoff  enthält,  als  der  Sättigung 
in  der  Lösung  entspricht,  so  wird  diese  Wasserstoff  aus  dem  Metall  auf- 
nehmen und  dadurch  dem  Gase  gegenüber  übersättigt  sein.  Der  Gasüber- 
schuss  steigert  den  Druck  des  mit  der  Lösung  in  Berührung  stehenden  Gases, 
und  man  kann  Arbeit  gewinnen,"  indem  man  dieses  sich  auf  Atmosphärendruck 
ausdehnen  lässt  Nun  kann  man  mit  diesem  Gase  wieder  das  Palladium  sättigen, 
und  den  Vorgang  wiederholen,  so  dass  man  eine  unbegrenzte  Menge  Arbeit 
bei  konstanter  Temperatur  durch  einen  Kreisprozess  gewinnen  könnte.  Dies 
ist  aber  ein  Widerspruch  gegen  den  zweiten  Hauptsatz  und  daher  nicht 
möglich.  Eine  ganz  ähnliche  Schluss weise  würde  man  anwenden  können, 
wenn  man  die  entgegengesetzte  Annahme  betreffs  der  Sättigung  machte. 

Das  Gesetz  von  der  gegenseitigen  Vertretbarkeit  solcher  Phasen, 
die  untereinander  im  Gleichgewicht  stehen,  bezieht  sich  nur  auf  gemein- 
same Bestandteile.  Haben  wir  zwei  Phasen,  die  aus  den  Bestandteilen 
A,  B,  0  und  A,  D,  E  bestehen,  und  bringen  die  erste  mit  einer  dritten 


320  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Phase  A,  E,  F  ins  Gleichgewicht,  so  sind  A,  D,  E  und  A,  E,  F  zwar 
in  Bezug  auf  A  im  Gleichgewicht,  sie  brauchen  es  aber  keineswegs  in 
Bezug  auf  E  zu  sein.  Man  muss  auf  diesen  Umstand  achten,  wenn 
man  das  Gesetz  von  der  Gleichheit  der  chemischen  Potentiale  anwenden 
will.  Diese  Eigenttimiichkeit  rührt  daher,  dass  es  soviel  verschiedene 
Arten  chemischer  Potentiale  giebt,  als  Bestandteile  vorhanden  sind,  während 
es  z.  B.  nur  eine  Art  Temperaturen  giebt. 

C.    Lösungen  von  Flüssigkeiten  in  Flüssigkeiten. 

Die  bei  Gasgemischen  vorhandenen  einfachen  Verhältnisse  finden 
sich  bei  Flüssigkeiten  nicht  wieder.  Zunächst  fehlt  bei  diesen  die  all- 
gemeine Mischbarkeit  der  Gase:  viele  Flüssigkeiten  sind  ineinander  nur 
teilweise,  löslich.  Femer  besteht  bei  Flüssigkeitslösungen  das  additive 
Gesetz  der  Eigenschaften  nicht.  Man  muss  es  vielmehr  als  einen  Grenz- 
fall ansehen,  der  nur  sehr  selten  erreicht  wird,  während  mehr  oder 
weniger  grosse  Abweichungen  die  Regel  bilden. 

Solche  Abweichungen  sind  vielfach  studiert  worden,  ohne  dass  sieh 
allgemeine  Ergebnisse  geftinden  hätten.  Beispielsweise  ist  das  Volum 
eines  Gemisches  zweier  Flüssigkeiten  nie  gleich  der  Summe  der  Teil- 
volume, sondern  es  findet  meist  eine  Zusammenziehung  statt,  in  einigen 
Fällen  indessen  auch  eine  Ausdehnung.  Durch  diesen  Umstand  ist  es 
nicht  möglich,  aus  der  Dichte  einer  Lösung  deren  Gehalt  an  dem  ge- 
lösten Stoffe  durch  eine  einfache  Proportionsrechnung  zu  bestimmen, 
sondern  es  muss  für  jedes  Flüssigkeitspaar  (und  streng  genommen  auch 
für  jede  Temperatur)  die  Beziehung  zwischen  Dichte  und  Zusammen- 
setzung empirisch  bestimmt  werden. 

Man  kann  die  Volumverminderung  beim  Vermischen  zweier  Flüssig- 
keiten anschaulich  zeigen,  wenn  man  eine  meterlange  Röhre  zur  Hälfte 
mit  Wasser  füllt,  und  darüber  Alkohol  schichtet.  Vermischt  man  beide  Stoffe 
durch  mehrmaliges  Umwenden  der  geschlossenen  Röhre,  so  zeigt  sich  hiernach 
trotz  der  erhöhten  Temperatur  ein  leerer  Raum  von  mehreren  Centimetern  Länge. 

Die  Abweichungen  von  dem  additiven  Gesetze  erweisen  sich  als 
besonders  gross  in  Fällen,  wo  Wasser  den  einen  Bestandteil  bildet,  und 
sind  am  geringsten  bei  der  Vermischung  von  gesättigten  Eohlenwasser* 
Stoffen,  oder  ihren  HalogenabkömmUngen  von  Estern  u. s.w.  Es  scheint, 
dass  allgemein  die  Flüssigkeiten,  welche  sich  nach  der  Methode  der 
Oberflächenspannungen  (S.  150)  als  polymer  gegenüber  iliren  Dämpfen 
erweisen,  die  grössten  gegenseitigen  Beeinflussungen  in  der  Lösung  zeigen, 
und  man  kann  mit  einigem  Rechte  die  Abweichungen  von  dem  additiven 
Gesetz  häufig  als  eine  Folge  der  gegenseitigen  Änderung  der  Molekular- 
grosse  der  betreffenden  Flüssigkeiten  auffassen. 

Die  bestimmteste  Auskunft  über  den  Zustand  der  Flüssigkeiten  in 
einer  Lösung  erhält  man  durch  die  Bestimmung  ihres  Dampfdruckes, 
bez.  der  Konzentration  ihres   Dampfes.     Denn   dieser  ist   ein  Mass   fiir 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  321 

die   wirksame    Menge  der  Fltißsigkeit  in  jedem   Zustande,   d.   h.  für 
den  Betrag,  mit  welchem  sie  sich  an  Gleichgewichten  aller  Art  beteiligt. 

Der  Beweis  hierfür  liegt  in  dem  allgemeinen  Satze  von  der  Ver- 
ti^etbarkeit  der  Phasen  (S.  319)  und  darin,  dass  für  Gase  und  Dämpfe 
das  einfache  Massenwirkungsgesetz  gilt. 

Der  Dampfdruck  einer  Flüssigkeit  aus  einer  ihrer  Lösungen  ist 
einfachen  Gesetzen  unterworfen,  wenn  die  Flüssigkeit  einen  sehr  grossen 
oder  einen  sehr  kleinen  Anteil  der  Lösung  bildet.  Im  ersten  Falle  wissen 
wir  (S.  201),  dass  jeder  beliebige  Stoff  den  Dampfdruck  seines  Lösungs- 
mittels um  einen  Betrag  vermindert,  der  durch  das  Verhältnis  Ng  /(N^  -|"^i) 
gegeben  ist.  Hier  ist  Nj  die  Zahl  der  Mole  des  reichlich  vorhandenen 
Stoffes  oder  Lösungsmittels,  und  Ng  die  des  in  geringer  Menge  vor- 
handenen  Stoffes  oder  des  Gelösten  ^).  Wir  nennen  zur  Abkürzung 
in  Zukunft  den  Bruch  Nj/(N, +N2)  den  Molenbruch  von  N^,  und 
^a/C^i+^a)  ^^^  Molenbruch  von  Ng. 

Tragen  wir  daher  auf  einer  horizontalen  Geraden  den  einen  Molen- 
bruch von  links  nach  rechts  ab,  und  messen  die  entsprechenden  Dampf- 
drucke des  Stoffes  nach  oben,  so  wird  die  zugehörige  linie  sich  am 
rechten  Ende  als  eine  nach  dem  Anfangspunkte  gerichtete  Gerade  dar- 
stellen, Fig.  35.  In  diesem  Gebiete  ist  der  Dampfdruck  gleich  dem  Dampf- 
drucke des  reinen  Stoffes,  multipliziert  mit  dem  Molenbruch. 

Am  Anfange,  wo  die  Flüssigkeit  nur  geringe  Mengen  des  Stoffes 
enthält,  wird  das  Verhältnis  zwischen  Teildruck  und  Molenbruch  durch 
das  Henrysche  Gesetz  gegeben  sein.  Denn  es  ist  offenbai*  fiir  dessen 
Gültigkeit  gleichgültig,  bei  welchem  Drucke  das  Gas  von  einer  Flüssigkeit 
gelöst  wird;  wenn  überhaupt  der  Stoff  eine  gasförmige  Phase  oder  einen 
Dampf  bilden  kann,  so  wird  seine  Konzentration  in  der  Lösung  zu  der 
im  Dampfe  in  einem  konstanten  Verhältnisse  stehen,  vorausgesetzt,  dass 
die  Lösung  nicht  zu  konzentriert  ist.  In  diesem  Gebiete  wird  also  der 
Dampfdruck  auch  durch  eine  Gerade  dargestellt  sein,  die  durch  den  An- 
fangspunkt geht,  weil  bei  der  gelösten  Menge  Null  auch  der  Dampfdruck 
Null  ist,  deren  Richtung  aber  nicht  notwendig  die  des  letzten  Teils  der 
Linie  ist.  Vielmehr  kann,  je  nachdem  die  Löslichkeit  des  Dampfes  in  der 
anderen  Flüssigkeit  gross  oder  klein  ist,  der  Anfang  der  Dampfdruck- 
linie flacher  oder  steiler  verlaufen. 

Nehmen  wir  schliesslich  fiir  den  mittleren  Teil  der  Linie  einen 
möglichst  einfachen  Gang  an,  so  wird  die  Linie  der  Teildrucke  des  einen 
Bestandteils    der    flüssigen   Lösung    eine  der  Formen   a,   b   oder  c  der 


*)  Die  Bezeichnung  Lösungsmittel  und  Gelöstes  sind  nicht  so  zu  ver- 
stehen, als  deuteten  sie  auf  eine  wesentliche  Verschiedenheit  im  Verhalten 
der  beiden  an  der  Lösung  beteiligten  Stoffe.  Eine  solche  ist  nicht  vorhanden, 
und  die  Worte  sollen  nur  die  im  Text  gegebenen  Mengenverhältnisse  aus- 
drücken. 

Ostwald,  Grundriss.  3. Aufl.  21 


322 


VIII.    Chemische  Mechanik. 


Fig.  85. 


Flg.  35  haben.  Die  erste  Form  erscheint  ^  wenn  die  Losliehkeit  sehr 
klein  ist;  die  Form  b  entspricht  einer  grossen  Ijöslichkeit.  Der  einfachste 
Fall  wird  durch  c  dargesteUt,  welcher  eintritt,  wenn  der  Teildruck  gleich 

dem  Dampfdruck  der  reinen  Flüs- 
sigkeit; multipliziert  mit  dem  Molen- 
bruch ist.  Dann  herrscht  an  bei- 
den Enden  der  Dampfdrucklinie  das 
gleiche  Gesetz,  und  meist  auch  in 
dem  ganzen  mittleren  Gebiete. 
Ganz  dieselben  Betrachtungen 
gelten  fttr  den  zweiten  Bestandteil; 
auch  sein  Dampfdruck  kann  eine 
der  drei  Formen  annehmen.  Die 
Theorie  zeigt,  dass  beide  Bestandteile 
eines  gegebenen  Flüssigkeitspaares 
Teildrucklinien  von  übereinstimmen- 
der Form  haben  müssen;  beide  gehören  gleichzeitig  einem  der  drei  Typen 
a,  b  oder  c  an. 

Die  nicht  sehr  zahbreichen  Untersuchungen  über  den  Gegenstand 
haben  gezeigt,  dass  bei  sehr  ähnlichen  und  nicht  polymerisierten  Flüssig- 
keiten, die  sich  in  allen  Verhältnissen  ineinander  lösen,  meist  eine  ziemlich 

grosse  Annäherung  an  den  Typus 
c  vorhanden  ist.  Die  Form  b  tritt 
bei  Flüssigkeiten  auf,  zwischen 
denen  starke  chemische  Wechsel- 
wirkungen vorhanden  sind,  wäh- 
rend a  bei  solchen  Paaren  erscheint, 
die  der  Entmischung  sich  nähern 
(s.  w.  u.). 

Die    beiden    TeUdrucklinien 
der  Dämpfe  eines  Gemenges  liegen 
einander  entgegengesetzt,  und  ihre 
Summe  giebt    die  Linie  des  ge- 
samten Dampfdruckes,  welche 
zwischen    den   Dampfdruckwerten 
OA  der   beiden   Bestandteile   verläuft. 
Je  nach  der  Form   der  Teillinien 
erhält    die    Gesamtlinie    verschie- 
denartige   Gestalten,    deren    ein- 
fachste Typen  in  Fig.  36   dargestellt  sind. 

Sind  beide  Teillinien  gerade,  so  ist  es  auch  die  Summe,  und  wir 
haben  die  Form  1.  Der  Satz  lässt  sich  auch  umkehren:  ist  die  Ge- 
samtdrucklinie gerade,  so  sind  es  auch  die  Teildrucklinien. 

Teillinien  von  der  Form  a,  Fig.  35  geben  Summen  von  der  Ge- 
stalt 2   und   3.      Solche   nach    oben  konvexe  Linien  können   entweder 


WOB 


Fig.  36. 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  323 

beständig  ansteigen,  Nr.  2,  oder  sie  gehen  durch  einen  Maximalwert, 
Nr.  3.  Den  gleichen  Unterschied  zeigen  die  aus  Teillinien  von  der 
Form   b  entstehenden  Gesamtlinien  Nr.  4  und  5. 

Diese  Linien  des  Gesamtdruckes  sind  wichtig,  weil  ihr  Verlauf  Aus- 
kunft über  das  Verhalten  der  Stoffe  beim  Verdampfen  oder  Destil- 
lieren giebt. 

Die  Zusammensetzung  des  Dampfes  ist  nämlich  von  der  der  Flüssig- 
keit im  allgemeinen  verachieden.  In  welchem  Sinne,  ergiebt  sich  aus 
der  Richtung  der  Gesamtdioicklinie  nach  der  Regel,  dass  die  Zusammen- 
setzung des  Dampfes  im  Sinne  der  aufsteigenden  Seite  liegt.  In  der 
Fig.  36  sei  der  Molenbruch  der  Flüssigkeit  durch  den  Punkt  a  dar- 
gestellt. Dann  werden  Lösungen,  deren  Gesamtdrucklinien  die  Formen  1, 
2,  3  und  4  haben.  Dämpfe  entwickeln,  deren  Zusammensetzung  durch 
einen  rechts  von  a  liegenden  Punkt  dargestellt  ist,  während  der  Dampf 
von  5  durch  einen  links  von  a  liegenden  Wert  des  Molenbruchs  ge- 
kennzeichnet ist.  Eine  Flüssigkeit  von  der  durch  b  angegebenen  Zu- 
sammensetzung bUdet  bei  1,  2,  4  und  5  Dämpfe,  deren  Zusammen- 
setzung rechts  von  b  zu  suchen  ist,  während  die  Dämpfe  von  3  nach 
links  abweichen. 

Durch  die  Entwickelung  solcher  Dämpfe  wird  die  Flüssigkeit  ihre 
Zusammensetzung  im  entgegengesetzten  Sinne  ändern,  so  dass  man  die 
allgemeine  Regel  aussprechen  kann:  bei  der  Destillation  ändert  die  Flüssig- 
keit ihre  Zusammensetzung  im  Sinne  der  absteigenden,  das  Destillat  im 
Sinne  der  aufsteigenden  Dampfdrucklinie. 

Die  Ursache  dieses  Verhaltens  ergiebt  sich  aus  der  .Bedingung,  dass  die 
betrachteten  Zustände  Gleichgewichte  sind.  Dies  erfordert,  dass  durch  die 
Verdampfung  bei  konstanter  Temperatur  sich  die  Flüssigkeit  nur  so  ändern 
kann,  dass  ihr  Dampfdruck  kleiner  wird,  da  anderenfalls  die  eingeleitete 
Änderung  sich  freiwillig  fortsetzen  müsste. 

Einen  besonderen  Fall  bilden  die  Linien  3  und  5,  welche  einen 
höchsten,  bez.  niedrigsten  Punkt  haben.  Nach  der  eben  ausgesprochenen 
Regel  kann  in  einem  solchen  Punkte  der  Dampf  weder  im  einen,  noch 
im  anderen  Sinne  von  der  Flüssigkeit  verschieden  sein,  und  daher 
müssen  beide  gleiche  Zusammensetzung  haben.  Dann  aber  wird  der 
Rückstand  durch  die  Destillation  nicht  geändert,  und  eine  solche  Lösung 
mnss  bei  konstanter  Temperatur  destillieren,  d.  h.  sie  verhält  sich  wie 
ein  einheitlicher  Stoff. 

Solche  Fälle  konstant  siedender  Gemenge  sind  vielfach  beobachtet 
worden,  und  man  hat  früher  derartige  Lösungen  für  chemische  Ver- 
bindungen gehalten;  ja  dieser  Irrtum  tritt  zuweilen  noch  heute  auf.  Dass 
es  sich  nur  um  Lösungen  handelt,  geht  erstens  daraus  hervor,  dass  die 
Zusammensetzung  keine  einfachen  stöchiometrischen  Verhältnisse  zu  zeigen 
pflegt  Femer  ergeben  Dampfdichtebestimraungen  die  Abwesenheit  che- 
misdier  Verbindung,   und  schliesslich  hat  sich  die  Zusammensetzung  der 

21* 


324  VIII.    Chemische  Mechanik. 

konstant  siedenden  Lösungen  mit  dem  Druck  als  stetig  veränderlich  er- 
wiesen. 

Hieraus  folgt,  dass  man  Geraenge  zweier  flüchtiger  Flüssigkeiten  nur 
dann  durch  Destillation  in  ihre  Bestandteile  sondern  kann,  wenn  ihre  Dampf- 
drucke in  Bezug  auf  die  Zusammensetzung  bei  konstanter  Temperatur  (oder 
was  praktisch  fast  auf  dasselbe  herauskommt,  ihre  Siedepunkte  bei  konstantem 
Druck)  kein  Maximum  oder  Minimum  zeigen.  Tritt  ein  solches  auf,  so  geht 
die  Scheidung  durch  Destillation  nur  bis  zu  einer  Trennung  des  konstant 
siedenden  Gemisches  von  dem  überschüssigen  Bestandteil. 

In  vielen  Fällen  ist  die  Löslichkeit  zweier  Flüssigkeiten  ineinander 
begrenzt.  Wenn  man  zu  der  Flüssigkeit  A  stufenweise  kleine  Mengen 
einer  anderen  B  zufügt,  so  werden  diese  anfangs  autgelöst;  ist  aber 
eine  bestimmte,  von  der  Temperatur  (und  auch  etwas  vom  Dnieke)  ab- 
hängige Konzentration  erreicht,  so  gehen  weitere  Mengen  von  B  nicht 
mehr  in  Lösung,  sondern  bleiben  unvermischt  neben  der  „gesättigten'^ 
Lösung  von  B  in  A.  Diese  zweite  Flüssigkeit  besteht  wesentlich  aus  B, 
jedoch  erweist  sie  sich  immer  etwas  von  A  enthaltend.  Setzt  man 
weiteres  B  hinzu,  so  vermehrt  sich  die  zweite  Schicht,  ohne  ihre  Zu- 
sammensetzung zu  ändern;  es  sind  mit  anderen  Worten  zwei  gesättigte 
Lösungen  entstanden:  eine  vorwiegend  aus  A  mit  etwas  B,  und  eine 
vorwiegend  aus  B  mit  etwas  A  bestehend.  Dieses  Gegenseitigkeitsver- 
hältnis ist  allgemein;  nie  kann  eine  Flüssigkeit  A  eine  begrenzte  Löse- 
fähigkeit  für  B  zeigen,  ohne  dass  auch  etwas  A  von  B  zu  einer  ge- 
sättigten Lösung  aufgenommen  würde. 

Im  Sinne  der  •  Phasenregel  ist  der  Fall  dadurch  gekennzeichnet,  dass 
durch  die  Bildung  der  beiden  Flüssigkeitsschichten  neben  Dampf  drei  Phasen 
bei  zwei  Bestandteilen  vorliegen  Es  ist  somit  eine  Freiheit  vorhanden,  und 
verfügt  man  über  diese  durch  Bestimmung  der  Temperatur,  so  darf  eine 
Änderung  der  Mengenverhältnisse  keinen  Einfiuss  mehr  auf  das  Gleichgewicht 
haben.  Dies  geschieht  dadurch,  dass  die  Mengenverhältnisse  der  Bestandteile 
nur  noch  die  Mengenverhältnisse  der  Phasen,  nicht  aber  ihre  Zusammen- 
setzung beeinflussen.  Da  erstere  keinen  Einfluss  auf  das  Gleichgewicht  haben, 
so  ist  die  Forderung  der  Phasenregel  erfüllt. 

Die  gegenseitige  Löslichkeit  der  teilweise  löslichen  Flüssigkeiten 
ändert  sich  mit  der  Temperatur  meist  in  solchem  Sinne,  dass  sie  beide 
gleichzeitig  zunehmen.  Misst  man  die  Temperaturen  nach  rechts,  und 
die  (durch  den  Molenbruch  oder  durch  Gewichtsanteile  ausgedrückte) 
Zusammensetzung  nach  oben,  so  gehören  zu  jeder  Temperatur  zwei 
Werte  der  Zusammensetzung,  für  jede  Schicht  einer.  Bei  steigender 
Temperatur  rücken  sich  diese  Werte  meist  näher,  d.  h.  die  beiden 
Lösungen  werden  einander  ähnlicher,  und  schliesslich  werden  sie  identisch. 
Dann  können  sie  aber  auch  nicht  mehr  getrennt  bleiben,  sondern  müssen 
sich  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  vermischen.  Fig.  37  giebt  eine  Dar- 
stellung dieser  Verhältnisse. 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen. 


325 


Der  eben  geschilderte  Übergang  hat  so  viele  Ähnlichkeit  mit  dem 
kritischen  Funkte  beim  Übergange  einer  Flüssigkeit  in  den  Dampf 
(S.  109);  dass  man  ihn  als  den  kritischen  Lösungspunkt  bezeichnet. 
Allgemein  nennt  man  einen  kritischen  Punkt  einen  solchen^  wo  zwei 
Phasen  nach  stetiger  Annäherung  einander  gleich  werden  ^  und  dadurch 
In  eine  zusammentreten. 

Gewöhnlich  wird  der  kritische  Lösungspunkt  bei  ansteigender  Tem- 
peratur erreicht,  doch  giebt  es  auch  Fälle,  wo  die  Löslichkeit  bei  ab- 
steigender Temperatur  grösser  wird,  und  zu  einem  „unteren"  kritischen 
Punkt  führt  Beispiele  für  den  ersten  Fall  sind  Isobuttersäure -Wasser, 
Phenol -Wasser,  für  den  zweiten  Triäthylamin -Wasser. 

Die  Zusammensetzung,  welcher  sich  die  beiden  Lösungen  bei  der 
Annäherung  an  den  kritischen  Punkt  nähern,  ist  die  kritische  Kon- 


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l»0       SO      tO      n      90      9Ot00J2ül20U0H0tiOl60J70 

Phenol  -  a,a,,  a,  d.d.d. -  Phaiolat  dtt  Pha^kuhoKtunv 

Salicyisäure  -b.b,b      e,  e,  e  -AnHüv 
Sauoesäim>  -cc.c 

Fig.  37. 

zentration,  der  kritischen  Dichte  in  dem  emfachen  Falle  (S.  110)  ent- 
sprechend. Dagegen  giebt  es  hier  keinen  kritischen  Druck,  denn  die 
kritische  Lösungstemperatur  ist  ihrerseits  eine  Funktion  des  Druckes, 
wenn  man  das  Gebilde  ohne  Dampf  nur  aus  den  beiden  flüssigen  Phasen 
bestehen  lässt.  Doch  ist  der  Einfluss  des  Druckes  so  klein,  dass  er  nur 
schwierig  überhaupt  hat  nachgewiesen  werden  können. 

Der  Dampfdruck  solcher  Lösungen  zeigt  sich  mit  der  Zusammen- 
setzung nach  den  bekannten  Gesetzen  veränderlich,  so  lange  noch  kerne 
Sättigung  eingetreten  ist.  Hat  sich  die  Lösung  in  zwei  Schichten  ge- 
trennt, so  bleibt  bei  weiterem  Zusätze  des  einen  Bestandteiles  deren  Zu- 
sammensetzung unveränderlich,  und  nur  die  Anteile  ändern  sich.  Daraus 
geht  hervor,  dass  so  lange  die  beiden  Lösungen  nebeneinander  vor- 
handen sind,  4er  Dampfdruck  sich  nicht  ändern  kann,  denn  er  hängt 
nur  von  der  Zusammensetzung,  nicht  von  der  Menge  der  Flüssigkeiten 
ab.     Femer  aber  kann  man  behaupten,  dass  die  Dampfdrucke  der  bei- 


326 


VIII.    Chemische  Mechanik. 


den  einzelnen  Lösungen  einander  gleich  sind,  und  zwar  nicht  nur  der 
Gesamtdruck,  sondern  auch  die  Teildrucke  (Konowalow  1881). 

Der  Beweis  hierfür  liegt  wieder  in  dem  Satze,  dass  was  auf  eine  Weise 
im  Gleichgewicht  ist,  dies  auf  alle  Weise  sein  muss.  Sind  die  beiden  Lö- 
sungen bei  unmittelbarer  Berührung  im  Gleichgewicht,  so  würde  die  Abwesen- 
heit des  Gleichgewichts  ihrer  Dämpfe  die  Möglichkeit  eines  Perpetuum  mobile 
zweiter  Art  ergeben,  und  daher  müssen  die  Dämpfe  einzeln  und  zusammen 
gleichen  Druck  haben. 

Für  den  Verlauf  des  gesamten  Dampfdruckes  teilweise  mischbarer 
Flüssigkeiten  mit  der  Zusammensetzung  ergiebt  sich  daher  das  Bild 
Fig.  38;  die  Verschiedenheiten  der  Fälle  sind  davon  abhängig,  ob 
der  Gesamtdruck  im  heterogenen  mittleren  Teile  zwischen  den  Drucken 
der  reinen  Bestandteile  liegt,  Linie  s,  oder  oberhalb  beider,  r.  Unter- 
halb kann  er  nicht  liegen.  Aus  der  Dampfdrucklinie  lässt  sich  das  Ver- 
halten  bei    der  Destillation 

r unmittelbar  nach  S.  328  ab- 

^  "^  ^  ^     leiten;  insbesondere  ergiebt 

sich,  dass  so  lange  zwei 
Schichten  in  der  Retorte  sind, 
die  Zusammensetzung  des 
Destillats  konstant  und  un- 
abhängig von  dem  Verhältnis 
in  der  Retorte  ist. 

Die  gegenseitige  Lös- 
Hchkeit  der  Flüssigkeiten 
kann  so  gering  werden,  dass 
sie  sich  der  Beobachtung  ent- 
zieht, und  man  bezeichnet 
dann  die  Stoffe  als  unlöslidi 


JC 


Fig.  38. 


ineinander.  Man  hat  aUen  Grund,  eine  gegenseitige  Unlöslichkeit  im 
strengen  Sinne  als  ausgeschlossen  anzusehen,  und  nur  quantitative  Ver- 
schiedenheiten anzunehmen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  die  Grenze 
zwischisn  löslichen  und  unlöshchen  Flüssigkeiten  sich  beständiger  Ver- 
schiebung, entsprechend  der  Zunahme  der  analytischen  Hilfsmittel  be- 
findet, sprechen  auch  theoretische  Bedenken  gegen  die  Annahme  einer 
absoluten  Unlöslichkeit. 

Je  geringer  die  gegenseitige  Löslichkeit  wird,  desto  geringer  wird  auch 
die  gegenseitige  Dampfdruckverminderung,  und  der  Dampfdruck  eines  Ge- 
menges beider  Flüssigkeiten  nähert  sich  der  Summe  der  Dampfdrucke  der 
Einzelbestandteile.  Der  Siedepunkt  solcher  Gemenge  liegt  viel  niedriger  als 
der  der  Bestandteile,  da  das  Sieden  eintritt,  wenn  die  Summe  der  beiden 
Dampfdrucke  den  Betrag  des  äusseren  Druckes  erreicht  hat. 

Destilliert  man  solche  nicht  mischbare  Flüssigkeiten,  so  gehen,  da  ihr 
Dampf  aus  den  Dämpfen   der  Bestandteile  im  Verhältnis  ihrer  Dampfdrucke 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  327 

besteht,  heide  in  dem  entsprechenden  unveränderlichen  Verhältnisse  über,  un- 
abhängig von  dem  Verhältnis  der  beiden  Stoffe  in  der  Retorte.  Da  die  bei- 
den Mengen  sich  verhalten,  wie  die  Produkte  von  Dampfdruck  und  Dichte, 
oder  von  Dampfdruck  und  Molekulargewicht,  so  kann  man  bei  bekanntem 
Dampfdruck  das  Molekulargewicht  finden. 

Meist  ist  indessen  auch  der  Dampfdruck  unbekannt.  Man  findet  diesen 
aber,  wenn  man  die  Beziehung  zwischen  Dampfdruck  und  Temperatur  bei 
der  anderen  Flüssigkeit  kennt,  und  die  Temperatur  des  gemeinsamen  Siedens 
misst.  Diese  liegt  natürlich  unterhalb  der  Siedetemperatur  des  niedriger 
siedenden  Stoffes,  und  bei  der  Temperatur,  bei  welcher  die  Summe  der  Teil- 
drucke  beider  Dämpfe  gleich  dem  Luftdruck  ist.  Man  braucht  daher  nur 
den  zur  gemeinsamen  Siedetemperatur  gehörigen  Teildruck  der  zweiten 
Flüssigkeit  von  dem  Luftdruck  abzuziehen,  um  als  Rest  den  Teildruck  des 
anderen  Stoffes  bei  derselben  Temperatur  zu  finden.  Freilich  ist  die  Me- 
thode nicht  sehr  genau. 

Übersättigungserscheinungen  sind  bei  Lösungen  von  Flüssig- 
keiten in  Flüssigkeiten  noch  nicht  sicher  nachgewiesen  worden. 

D.    Lösungen  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten. 

Der  bei  Gasen  stets,  und  bei  Flüssigkeiten  oft  yorkommende  Fall 
der  unbegrenzten  LösUchkeit  ist  bei  festen  Stoffen  gegenüber  flüssigen 
Lösungsmitteln  ausgeschlossen;  hier  giebt  es  nur  begrenzte  Löslichkeit, 
und  somit  einen  Sättigungszustand.  Setzt  man  daher  zu  einer  Flüssig- 
keit einen  festen  Stoff,  so  wird  dieser  zuerst  aufgelöst;  bei  einer  be- 
stimmten Konzentration,  die  von  der  Temperatur  wesentlich,  vom  Druck  nur 
in  sehr  geringem  Masse  abhängt,  tritt  Sättigung  ein,  d.  h.  weitere  Mengen 
des  festen  Stoffes  bleiben  unverändert  in  der  Flüssigkeit  liegen.  Diese 
Sättigungskonzentration  ist  nach  dem  allgemeinen  Gesetze  des  Fhasen- 
gleichgewichts  von  den  Mengen  der  Lösung  und  des  festen  Stoffes  ganz 
unabhängig. 

Es  giebt  viele  Zusammenstellungen  von  Flüssigkeiten  und  festen  Stoffen, 
bei  denen  wir  gewohnt  sind,  von  Unlöslichkeit  zu  reden.  Doch  gilt  für  solche 
Fälle  das  eben  (S.  326)  Gesagte,  und  es  ist  am  zweckmässigsten,  in  jedem 
Falle  einen,  wenn  auch  noch  so  kleinen  ßetrag  von  Löslichkeit  anzunehmen. 
Gerade  bei  Lösungen  fester  Stoffe  ist  es  in  letzter  Zeit  gelungen  (durch 
elektrische  Hilfsmittel),  das  Vorhandensein  und  den  ßetrag  der  Löslichkeit 
bei  Stoffen  (z.  B.  Brom-  und  Jodsilber  in  Wasser)  nachzuweisen  und  zu 
messen,  wo  man  früher  vollständige  ünlöslichkeit  annahm. 

Die  Bestimmung  der  Löslichkeit  erfolgt,  indem  man  den  festen  Stoff 
und  das  Lösungsmittel  zusammenbringt  und  bei  konstanter  Temperatur  auf- 
einander wirken  lässt.  Die  Sättigung  wird  je  nach  der  Art  der  Stoffe  mit 
sehr  verschiedener  Geschwindigkeit  erreicht;  es  ist  daher  gut,  durch  möglichst 
feine  Zerteilung  des  festen  Stoffes  und  beständige  Bewegung  des  Gemenges 
die  Geschwindigkeit  thunlichst  zu  erhöhen.  Man  kann  dann  entweder  die  Tem- 
peratur bestimmen,  bei  welcher  die  (vorher  gewogenen)  Bestandteile  sich  ge- 


328  VIII.    Chemische  Mechanik. 

rade  auflösen,  oder  man  nimmt  den  festen  Stoff  im  Überschuss,  und  analysiert, 
nachdem  man  die  Sättigung  bei  konstanter  Temperatur  hat  eintreten  lassen, 
die  klare  Lösung.  Das  zweite  Verfahren  ist  meist  genauer,  das  erste  ist  je- 
doch allgemeiner  in  der  Anwendung  und  gestattet  durch  die  Benutzung  zu- 
geschmolzener Gefässe  auch  bequemes  Arbeiten  mit  Flüssigkeiten,  die  der 
Luft  nicht  ausgesetzt  werden  dürfen,  oder  deren  Siedepunkt  in  der  Nähe,  bez. 
oberhalb  der  Arbeitstemperatur  liegt.  Es  setzt  jedoch  eine  genügende  Sät- 
tigungsgeschwindigkeit  voraus. 

Eine  andere  Form  des  ersten  Verfahrens  ist  die,  dass  man  zuerst  eine 
tibersättigte  Lösung  (s.  w.  u.)  herstellt,  und  diese  bei  konstanter  Tempera- 
tur  solange  mit  einem  Überschüsse  des  festen  Stoffes  in  Berührung  hält,  bis 
sich  das  Gleichgewicht  hergestellt  hat.  Durch  gleichzeitige  Anwendung  dieses 
und  des  gewöhnlichen  Verfahrens  sichert  man  sich  am  besten  gegen  Sät- 
tigungsfehler. 

Der  Sättigungszustand  beim  Gleichgewicht  zwischen  dem  festen 
Stoffe  und  seiner  Lösung  ist  durch  die  Beschaffenheit  des  ersteren  be- 
dingt und  ändert  sich  mit  dieser.  So  kommt  jeder  allotropen  Form 
eines  Stoffes,  ebenso  wie  seinen  verschiedenen  Aggregatzuständen  je  dne 
besondere  Löslichkeit  zu,  und  die  Werte  werden  nur  gleich  in  Punkten, 
wo  diese  verschiedenen  Formen  nebeneinander  und  neben  der  Lösung 
bestehen  können.  Gleiches  gilt  auch  för  die  verschiedenen  festen  Ver- 
bindungen zwischen  dem  festen  Stoffe  und  dem  Lösungsmittel,  z.  B.  die 
verschiedenen  Krystallwasserverbindungen  der  Salze.  Eine  Angabe  über 
Löslichkeit  ist  also  erst  dann  bestimmt,  wenn  die  Form  des  festen  Stoffes 
angegeben  ist,  auf  welche  sie  sich  bezieht. 

Ist  kein  fester  Stoff  zugegen,  so  ist  auch  die  Konzentration  der 
Lösung  willkürlich.  Dies  gilt  nicht  nur  für  Konzentrationen,  die  unter- 
halb der  Sättigung  liegen,  sondern  auch  für  grössere.  Lösungen,  die 
mehr  von  einem  festen  Stoffe  enthalten,  als  der  Sättigung  entspricht, 
nennt  man  übersättigt.  Dieser  Zustand  ist  ebenso  von  der  Form  des 
festen  Stoffes  abhängig,  wie  der  der  Sättigung,  und  eine  Lösung  kann 
in  Bezug  auf  eine  Form  übersättigt,  in  Bezug  auf  eine  andere  unge- 
sättigt sein.  Bringt  man  eine  übersättigte  Lösung  mit  einer  kleinen 
Menge  des  festen  Stoffes  in  Berührung,  so  vergrössert  sich  diese  so  lange, 
bis  die  niedrigere  Konzentration  der  Sättigung  eingetreten  ist. 

Die  dazu  erforderliche  Menge  des  festen  Stoffes  ist  sehr  klein, 
aber  nicht  unbegrenzt.  Die  Grenze  -  ist  ungefähr  dieselbe,  welche  für 
die  Aufhebung  der  Überkaltung  gefunden  ist,   und   liegt  bei  10~^   bis 

Übersättigte  Lösungen  werden  auf  alle  Weise  erhalten,  durch  welche 
sich  in  der  Lösung  eine  grössere  Menge  des  gelösten  Stoffes  ansammelt,  als  der 
Sättigung  entspricht.  Am  einfachsten  geschieht  dies  bei  Stoffen,  deren  Lös- 
lichkeit mit  steigender  Temperatur  zunimmt,  indem  man  eine  bei  höherer 
Temperatur  gesättigte  Lösung  herstellt  und  nach  sorgfältiger  Entfernung  aller 
festen  Teilchen  abkühlt.     Doch  kann  jedes  andere  Verfahren,   z.  B.  die  Er- 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  329 

zeiignng  des  betreffenden  Stoffes  auf  chemischem  Wege  innerhalb  der  Lösung, 
angewendet  werden,  welches  den  erforderlichen  Überschuss  ergiebt. 

Am  meisten  ist  in  Bezug  auf  Übersättigung  das  Natriumsulfat  studiert 
worden.  Versetzt  man  krystallisiertes  Glaubersalz,  das  10H*0  als  Krystall- 
wasser  enthält,  mit  etwa  der  Hälfte  seines  Gewichtes  Wasser,  erhitzt  in  einem 
mit  einem  Wattepfropf  versehenen  Kolben  bis  zum  Sieden  und  lässt  erkalten, 
so  hat  man  eine  Lösung,  die  bei  gewöhnlicher  Temperatur  in  Bezug  auf  Glau- 
bersalz übersättigt  ist,  und  beim  Hineinbringen  eines  Stäubchens  davon  als- 
bald krystallisiert.  Da  in  der  Luft  beständig  Stäubchen  dieses  Salzes  vor- 
handen sind,  so  genügt  ein  einfaches  öffnen  des  Kolbens,  um  Krystallisation 
in  kurzer  Zeit  zu  bewirken. 

Kühlt  man  den  verschlossenen  Kolben  auf  —  10^  ab,  so  scheidet  sich 
ein  Salz  mit  7  H*0  ab,  nachdem  die  Ijösung  zuerst  in  Bezug  auf  dieses  Salz 
übersättigt  gewesen  ^ar.  Die  tiberstehende  Lösung  ist  dann  in  Bezug  auf  das 
neue  Salz  gesättigt,  denn  dieses  löst  sich  bei  Erhöhung,  und  scheidet  sich 
reichlicher  aus  bei  Erniedrigung  der  Temperatur.  Dabei  ist  diese  Lösung 
aber  dauernd  für  Glaubersalz  übersättigt,  und  bildet  dieses  Salz,  sobald  ein 
„Keim"  davon  in  die  Flüssigkeit  kommt. 

Die  Fähigkeit,  übersättigte  Lösungen  zu  bilden,  ist  bei  verschie- 
denen festen  Stoffen  sehr  verschieden;  einige  gestatten  sehr  weitgehende 
Überschreitungen,  andere  nur  ganz  geringfügige.  Steigert  man  den 
Übersättigungsgrad  (z.  B.  durch  Abkühlen  der  Lösung  eines  Stoffes, 
dessen  Löslichkeit  mit  der  Temperatur  zunimmt),  so  gelangt  man  an 
einen  Punkt,  wo  die  Bildung  des  festen  Stoffes  freiwillig  eintritt.  Man 
kann  also  auch  hier,  auf  das  stabile  Gebiet  der  üntersättigung  folgend, 
zunächst  ein  metastabiles  Gebiet  unterscheiden,  und  weiter  bei  stärkerer 
Überschreitung  ein  labiles  (S.  114).  Die  experimentelle  Bestimmung 
der  Grenze  zwischen  beiden  ist  sehr  schwierig,  da  sie  nicht  nur  von  der 
Beschaffenheit  der  Stoffe  und  dem  Übersättigungsgrade,  sondern  auch 
noch  von  der  Anwesenheit  fremder  Festkörper  (Stäubchen)  in  einer  noch  ' 
nicht  näher  bekannten  Weise  sich  als  abhängig  erweist. 

Die  Temperatur  hat,  wie  bereits  erwähnt,  einen  meist  ziemlich  be- 
deutenden Einfluss  auf  die  Löslichkeit  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten.  Man 
pflegt  diesen  Zusammenhang  darzustellen,  indem  man  die  Temperaturen 
nach  rechts  und  die  Konzentration  der  gesättigten  Lösungen  nach  oben 
misst.  Die  meisten  so  erhaltenen  Löslichkeitslinien  verlaufen  aufsteigend, 
d.  h.  in  den  meisten  Fällen  nimmt  die  Löslichkeit  mit  steigender  Tem- 
peratur zu.  Rg.  39  zeigt  eine  Anzahl  derartiger  Lösungslinien,  in 
denen  die  Konzentrationen  nach  Gewichtsprozenten  festen  Stoffes  in  der 
Lösung  gerechnet  sind.  Es  sind  über  diesen  Gegenstand  sehr  zahlreiche 
Untersuchungen  angestellt  worden,  doch  beziehen  sich  diese  ganz  vor- 
wiegend auf  die  Löslichkeit  von  Salzen  in  Wasser.  Wegen  des  teil- 
weisen Überganges  gelöster  Salze  in  Ionen  ist  dieser  Fall  von  allen  ge- 
rade   der   verwickeltste ,    und   daher  mag  es  rühren,    dass  nur   wenige 


330  ^m«    Chemische  Mechanik. 

und  unscharfe  allgemeine  Beziehungen  zwischen  der  Löslichkeit  und  den 
anderen  Eigenschaften  der  Stoffe  bekannt  sind. 

In  erster  Annäherung  kann  man  sagen,  dass  Ähnlichkeit  der  chemischen 
Natur  günstig  auf  die  Löslichkeit  wirkt.  So  lösen  sich  in  Wasser  die 
Hydroxylverbindungen  unter  den  organischen  Stoffen  am  reichlichsten,  und 
zwar  um  so  reichlicher,  je  mehr  Hydroxyle  vorhanden  sind.  Die  Anb&ufimg 
von  Kohlenstoff  und  Halogenen  vermindert  dagegen  die  Löslich  keit  in  Wasser. 
Femer  steht  die  Löslichkeit  in  einem  bestimmten  Zusammenhange  mit  dem 
Schmelzpunkt;  von  isomeren  Verbindungen  ist  in  einem  und  demselben  Lö- 
sungsmittel die  am  löslichsten,  deren  Schmelzpunkt  am  niedrigsten  liegt. 

Eine  weitere  annähernde  Beziehung  ist  die,  dass  die  Löslichkeit  ver- 
gleichbarer Verbindungen  im  Sinne  dejs  periodischen  Gesetzes  mit  dem  Ver- 
bindungsgewicht zu-  oder  abnimmt.  Doch  handelt  es  sich  auch  hier  nur  um 
eine  ungefähre  Regel. 

Eine  wichtige  Eigenschaft  der  Lösungslinien  ist  ihre  Stetigkeit.  So 
lange  die  Beschaffenheit  des  festen  Stoffes  dieselbe  bleibt,  verläuft  auch 
die  Lösungslinie  ohne  Sprung  oder  Knick.  Umgekehrt  kann  man  fflcher 
sein,  dass  wo  eme  Losungslinie  unstetige  Änderungen  enthält,  die  Be- 
schaffenheit des  festen  Stoffes  unter  der  Lösung  eine  plötzliche  Änderung 
erlitten  hat.  Solche  Änderungen  können  von  Polymorphie,  Schmelzung, 
Verbindung  mit  dem  Lösungsmittel,  bez.  Änderung  eines  vorhandenen 
Verbindungszustandes  henühren;  sie  beeinflussen  jedesmal  den  stetigen 
Verlauf  der  Linie. 

Die  angemessene  Auffassung  dieser  Erscheinung  ist  die,  dass  jeder 
Form  des  festen  Stoffes  eine  eigene  Löslichkeit  zukommt.  Bei  Tempe- 
raturen ,  wo  zwei  verschiedene  Formen  des  festen  Stoffes  unter  der 
Lösung  nebeneinander  bestehen  können,  muss  auch  ihre  Löslichkeit  gleich 
sein,  da  sonst  wieder  ein  Peipetuum  mobile  zweiter  Art  möglich  wäre. 
Die  beiden  Lösungslinien  schneiden  sich  also  in  einem  solchen  Punkte. 
Da  ausserhalb  dieses  Punktes  eine  der  beiden  Formen  instabil  wird,  so 
ist  es  auch  diese  Form  neben  der  Lösung.  Doch  sind  häufig  ziemlich 
bedeutende  Überschreitungen  möglich,  so  dass  die  Thatsache  des  Be- 
stehens und  Durchschneidens  der  mehreren  Lösungslinien  vielfach  experi- 
mentell nachgewiesen  worden  ist 

Das  bekannteste  Beispiel  hierfür  ist  das  Natriumsulfat,  für  dessen  Lös- 
lichkeit schon  von  Gay-Lussac  die  in  Fig.  40  gezeichnete  Kurve  gegeben 
worden  ist.  Die  mit  10  bezeichnete  Linie  bezieht  sich  auf  das  gewöhnliche 
Glaubersalz  mit  lOH-0,  die  mit  0  bezeichnete  auf  wasserfreies  Salz.  Bei 
33°  verwandelt  sich  das  erstere  in  eine  gesättigte  Lösung  neben  wasserfreiem 
Salz,  und  man  beobachtet  von  dort  ab  nur  die  Löslichkeit  des  letzteren.  Je- 
doch kann  man,  wenn  man  Keime  von  Glaubersalz  sorgtUltig  ausschliesst,  Lö- 
sungen unter  33°  herstellen,  die  mit  wasserfreiem  Salz  im  Gleichgewicht 
sind,  und  deren  Zusammensetzung  sich  völlig  stetig  der  der  Lösungen  über 
33°  anschliesst,  wie  das  durch  die  Verlängerung  der  Linie  über  den  Durch 
Schnittspunkt  nach  links  zum  Ausdruck  gebracht  ist. 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen. 


331 


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Fig.  39.    Löslichkeit  Ton  Sulfaten. 


Unter  7  ist  schliesslich  die  Löslichkeit  des  Salzes  mit  7  H'O  dargestellt, 
von  dessen  Auftreten  S.  329  die  Rede  war. 

Bei  der  Auflösung  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten  wird  gewöhnlich 
'Wärme  aufgenommen,  doch  ist  audi  der  umgekehrte  Fall  nicht  ganz 
selten.  Allgemeine  Gesetzmässig-  ^^^  ' 
keilen  über  den  Znsammenhang 
der  Lösungswärme  mit  anderen  ^^° 
Eigenschaften  sind  kaum  bekannt  teo 

Zwischen  der  Änderung  der  ^^^ 
Löslichkeit  mit  der  Temperatur 
und  der  Lösungswärme   besteht  ^^^ 
der    Zusammenhang,    dass  eine  loo 

Zunahme  der  Löslichkeit  in 
solchen  Fällen  eintritt,  wo  für 
die  Auflösung  bei  konstanter  Tem-  ^^ 
peratur  Wärme  aufgenommen  *0 
werden  muss.  Solche  Stoffe, 
welche  Wärme  entwickeln,  ver- 
mindern umgekehrt  ihre  Löslich- 
keit mit  steigender  Temperatui*. 
Der  Zusammenhang  beider  Grös- 
sen wird  durch  eine  Formel  dargestellt,  welche  der  für  den  Zusammen- 
hang zwischen  Dampfdruck  und  Verdampfungswärme  (S.  126)  ähnlich 
ist  Dies  rührt  daher,  dass  der  Vorgang  der  Auflösung  selbst  dem 
der  Verdampfung  ähnlich  ist,  indem  es  sich  um  einen  Übergang  in  den 
dem  Gaszustande  vergleichbaren  Zustand  der  verdünnten  Lösung  handelt. 
Bedeutet  c  die  Konzentra- 
tion der  Lösung  und  L  die  ^ 
Lösnngswärme  (eintretende 
Wärmemengen  positiv  ge- 
rechnet), so  besteht  die  Be- 
ziehung 

dlnc/dT  =  L/RT«. 

Der  Unterschied  gegen 
die  Dampfdruckformel,  in  wel- 
cher statt  der  Konzentra- 
tion c  der  Druck  p  auftritt, 
rührt  daher,  dass  die  Lö- 
sungswärme der  gewöhnlichen 
Verdampfungswärme  nicht 
ganz  vergleichbar  ist,  da  bei  der  Lösung  in  einem  Lösungsmittel  keine 
äussere  Arbeit  geleistet  wird,  wie  bei  der  Verdampfung  unter  irgend  einem 
Drucke.  Die  genauere  Entwickelung  dieser  Verhältnisse  erfordert  die  Hilfs- 
mittel der  höheren  Mathematik. 

Bei  der  Benutzung  dieser  Formel  ist  zu  beachten,  dass  sie  unter 


Fig.  40. 


332  VIII.    Chemische  Mechanik. 

der  Voraussetzung  abgeleitet  ist,  dass  die  einfachen  Gesetze  des   osmoti- ' 
sehen  Druckes   auf  die  Lösung  noch   Anwendung  finden.     Sie  ist  abo 
für  konzentrierte  Lösungen  nicht  mehr  gültig. 

Im  dem  letzteren  Falle  entsteht  eine  weitere  Verwickelung  dadurch«  , 
dass  die  Lösungswärme  nicht  wie  bei  verdünnten  Lösungen  von  der  Koq- 
zentration  unabhängig  ist^  sondern  mit  dieser  wechselt.     Löst  man  z  B. 
in  einer  gegebenen  Wassermenge  folgeweise  gleiche  Mengen  Ammonium- 
nitrat, so  wird  die  aufgenommene  Wärmemenge  immer  kleiner,  je  mehr 
Salz  in  der  Lösung  bereits  vorhanden  ist.     Diese  Veränderlichkeit  ist  in  j 
einzelnen  Fällen  so  gross,  dass  sich  das  Zeichen  umkehrt;  krystallisiertes ' 
Kupferchlorid  löst  sich  z.  B.  in  reinem  Wasser  unter  Wärmeaufiiahme, 
in  einer  fast  gesättigten  Lösung  des   Salzes  dagegen   unter  Wärmeent- 
wickelung. 

Wenn  auch  die  Formel  für  konzentrierte  Lösungen  nicht  mehr  gilt 
so  bleibt  doch  der  Zusammenhang  zwischen  dem  Zeichen  der  Losungs- 
wärme und  dem  des  Temperatureinflusses  bestehen.  Nur  muss  alsdann 
als  Lösungs wärme  nicht  die  in  reinem  Wasser,  sondern  die  sogenannte 
letzte  Lösungswärme,  d.  h.  die  in  einer  nahezu  gesättigten  Losung  ge- 
rechnet werden.  Man  erfahrt  das  Zeichen  dieser  Lösungswärme,  wenn 
man  eine  etwas  übersättigte  Lösung  des  fraglichen  Stoffes  herstellt,  und 
durch  Einsäen  von  Krystallkeimen  eine  plötzliche  Ausscheidung  des  festen 
Stoffes  hervorruft. 

Der  Einfluss  des  Druckes  auf  die  Löslichkeit  wird  durdi 
die  Regel  bestimmt,  dass  durdi  Steigerung  des  Druckes  die  Eeaktion 
eintritt,  durch  welche  eine  Volumverminderung  hervorgerufen  wird,  oder 
mit  anderen  Worten  die  Reaktion,  die  sich  der  Drucksteigerung  wider- 
setzt. In  den  meisten  Fällen  wird  das  Volum  kleiner,  wenn  sich  in  der 
fast  gesättigten  Lösung  noch  etwas  Salz  auflöst;  alsdann  wird  die  Lös- 
lichkeit durch  Druckzunahme  gesteigert.  Daneben  sind  einige  wenige 
Fälle  bekannt,  wo  die  Auflösung  unter  Ausdehnung  stattfindet  (ein  Bei- 
spiel ist  Salmiak  in  Wasser);  solche  Lösungen  scheiden  Salz  aus,  wenn 
sie  im  gesättigten  Zustande  bei  konstanter  Temperatur  einem  grosseren 
Drucke  untei'worfen  werden. 

Diese  Einflüsse  sind  indessen  wegen  der  sehr  geringen  Volum- 
änderungen, die  hier  aufti^eten,  äusserst  klein,  und  es  bedarf  sehr  be- 
deutender Drucke,  um  einigermassen  messbare  Änderungen  der  Löslich- 
keit zu  erzielen.  Für  Drucke,  die  einige  Atmosphären  betragen,  kann 
man  die  Beeinflussung  der  Löslichkeit  vernachlässigen,  da  sie  weit  unter- 
halb der  analytischen  Fehlergrenzen  bleibt. 

E.  Zwei  feste  Stoffe. 

Bei  den  bisherigen  Betrachtungen  ist  von  möghchen  Zustands- 
änderungen  des  Lösungsmittels  abgesehen  worden.  Doch  wird  man  im 
allgemeinen  in  Betracht  ziehen  müssen,  dass  bei  fortgesetzter  Verfolgung 
der  Lösungslinie  nach  immer  tieferen  Temperaturen  schliesslich  auch  das 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  333 

j 

Lösungsmittel  in  den  festen  Zustand  übergehen  wird.  Denn  es  wird 
zwar  durch  die  Auflösung  eines  fremden  Stoffes  die  Erstarrungstemperatur 
der  Lösung  immer  herabgesetzt,  doch  nicht  unbegrenzt. 

Es  wird  also  je  nach  der  Löslichkeit  des  zugesetzten  Stoffes  mehr 
oder  weniger  tief  unter  dem  Schmelzpunkt  des  Lösungsmittels  ein  Zu- 
stand eintreten,  wo  das  I^sungsmittel  selbst  in  fester  Form  erscheint. 
Wir  haben  dann  neben  der  Lösung  zwei  feste  Phasen;  nehmen  wir  an, 
dass  das  Gebilde  in  einen  leeren  Raum  gebracht  worden  ist,  so  kommt 
als  vierte  Phase  Dampf  hinzu,  und  nach  der  Phasenregel  ist  nun  der 
Zustand  eindeutig  bestimmt,  da  gar  keine  Freiheit  mehr  übrig  ist^). 

Eis  wird  also  für  jedes  Paar  solcher  gegenseitig  löslicher  Stoffe  eine 
bestimmte  Temperatur  geben,  bei  welcher  die  beiden  festen  Formen  neben 
der  Lösung  bestehen  können.  Man  nennt  diesen  Punkt  den  kryo- 
hydratischen  oder  eutektischen.  Seine  Lage  ist  durch  folgende  Be- 
traditungen  gegeben. 

Wir  gehen  von  der  Schmelztemperatur  tx  des  reinen  Stoffes  A  aus. 
I  Fügen  wir  etwas  B  hinzu,  so  verflüssigen  sich  beide  gegenseitig,  und  erst 
bei  einer  niedrigeren  Temperatur,  die  mit  der  Vermehrung  von  B  immer 
mehr  sinkt,  kann  sich  wieder  ein  Gleichgewicht  ausbilden,  bei  welchem 
A  als  feste  Phase  neben  der  Lösung  besteht.  Tragen  wir  die  Mengen- 
verhältnisse nach  oben  ab,  so  erhalten  wir  eine  Linie,  die  von  tA  nach 
links  verläuft,  und  zwar  wegen  der  Proportionalität  zwischen  Kon- 
zentration und  Gefrierpunktsemiedrigung  (S.  207)  wesentlich  geradlinig. 

Gleiche  Betrachtungen  gelten  fiir 
den  Stoff  B;  tragen  wir  dessen  Gleich- 
gewichtstemperaturen mit  der  Lösung 
von  A  in  B  in  dasselbe  Koordinaten- 
system, so  erhalten  wir  eine  von 
rechts  nach  links  abwärts  verlaufende, 
annähernd  gerade  Linie. 

Beide  Lösungslinien  müssen  sich 
daher  in  einem  Punkte  K  schneiden. 
Dieser  gehört  beiden  Linien  an,  und 
steUt  daher  das  Gleichgewicht  der 
Losung  sowohl  mit   dem  einen  wie  p.     ^^ 

mit  dem  anderen  Stoffe  im  festen  Zu- 
stande, d.h.  den  eutektischen  Punkt  des  fraglichen  Stofl^aares  dar. 

Wie  sich  aus  der  Figm*  unmittelbar  ergiebt,  liegt  der  eutektische 
Punkt    um  so  weiter   unter   den  Schmelzpunkten    der   reinen    Stoffe,  je 


*)  Bei  der  gewöhnlichen  Art,  den  Versuch  anzustellen,  steht  das  Gebilde 
unter  dem  Drucke  der  Atmosphäre.  Die  Ergebnisse  sind  von  denen  im 
leeren  Räume  nicht  messbar  verschieden,  da  der  Einfluss  des  Druckes  auf 
dies  Gleichgewicht,  der  sehr  kleinen  Volumänderung  wegen  verschwindend 
klein  ist. 


334  VIII.    Chemische  Mechanik. 

näher  sich  die  beiden  Schmelzpnnkte  liegen.  Femer  ist  die  Lage  des 
Durchschnittspunktes  noch  von  der  Neigung  der  beiden  Linien  abhängig; 
diese  wu^  aber  nach  der  S.  211  gegebenen  Formel  durch  die  Groeae 
L/T-  bestimmt;  wo  L  die  Schmelzwärme  und  T  die  Schmelztemperatur  ist 
Wenn  wir  die  gebräuchliche  Bezeichnung  beibehalten,  wonach  wir  bei 
einer  gesättigten  Lösung  den  in  fester  1^'orm  anwesenden  Stoff  als  das  Ge- 
löste, und  den  anderen  als  das  Lösungsmittel  bezeichnen,  so  stellt  die  untere 
Gerade  die  Löslichkeit  des  Stoffes  A  in  B  dar,  d.  h.  der  in  grösster  Menge 
anwesende  Stoff  erscheint  als  das  Gelöste,  und  der  kleine  Zusatz  als  Lösungs- 
mittel. Der  Widerspruch,  den  wir  hier  mit  unseren  gewöhnlichen  Vorstellungen 
empfinden,  zeigt,  dass  die  Unterscheidung  der  beiden  Bestandteile  in  solchem 
Sinne  unzweckmässig  ist.  In  der  That  liegt  auch  kein  wissenschaftlicher 
Grund  für  eine  Unterscheidung  vor,  und  man  sollte  daher  immer  nur  von 
den  beiden  Bestandteilen  einer  Lösung  sprechen,  ohne  dem  einen  oder  anderen 
einen  Vorrang  einzuräumen. 

Durch  diese  Betrachtungen  wird  das  Verhalten  einer  Losung  bd 
fortdauerndem  Erkalten  vollständig  übersichtlich.  Kühlen  wir  die  Losung 
ab,  so  wird  zunächst  die  Sättigungstemperatur  in  Bezug  auf  einen  der 
Bestandteile  (welchen,  hängt  von  der  Zusammensetzung  der  Lösung  ab) 
erreicht,  und  dieser  scheidet  sich  aus^).  Dadurch  wird  die  Lösimg  koo- 
zentrierter  in  Bezug  auf  den  anderen  Bestandteil,  und  die  Temperatnr 
wird  niedriger.  Dies  setzt  sich  fort,  bis  der  eutektische  Punkt  erreicht 
ist;  alsdann  scheiden  sich  die  beiden  Bestandteile  gleichzeitig  aus.  Die  Aus- 
scheidung muss  in  demselben  Verhältnisse  erfolgen,  wie  die  Stoffe  in 
der  Lösung  vorhanden  sind,  da  anderenfalls  die  Gleichgewichtstemperatnr 
freiwillig  steigen  müsste,  was  nicht  möglich  ist.  Die  Temperatur  bleibt 
konstant,  bis  alles  erstarrt  ist. 

Hat  die  Lösung  von  vornherein  die  Zusammensetzung  des  eutektischen 
Gemisches,  so  kann  die  Erstarrung  überhaupt  erst  bei  der  eutektisdien 
Temperatur  beginnen,  und  erfolgt  von  Anfang  bis  zu  Ende  bei  derselben 
Temperatur.  Solche  Gemenge  verhalten  sich  also  ganz  wie  einheitliche 
Stoffe,  und  man  hat  auch  anfanglich  sie  mit  solchen*  verwechselt  Dies 
Verhalten  ist  dadurch  hervorgerufen,  dass  infolge  der  vorhandenen  Ver- 
hältnisse die  flüssige  Phase  die  gleiche  Zusammensetzung  hat,  wie  das 
Gemenge  der  beiden  festen,  was  sich  der  Definition  eines  Gleichgewichts 
erster  Ordnung  anschliesst.  Dass  es  sich  aber  um  ein  Gemenge  der 
festen  Stoffe  und  nicht  um  eine  chemische  Verbindung  zwischen  ihnen 
handelt,  geht  daraus  hervor,  dass  alle  Eigenschaften  des  festen  Gemenges 
sich  additiv  aus  denen  der  Bestandteile  zusammengesetzt  erweisen. 

Ein  wenig  verwickelter  werden  die  Vorgänge  bei  der  Erstarrung  der 
Gemische  dadurch,  dass  mehr  oder  weniger  leicht  Überschreitungen  eintreten. 

*)  Es  wird  hier  und  in  der  Folge  vorausgesetzt,  dass  keine  Über- 
schreitungen eintreten,  bez.  dass  solche  durch  rechtzeitige  Zuführung  von 
Keimen  vermieden  werden. 


Chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung;  Lösungen. 


335 


Um  diese  Möglichkeit  anzudeuten,  sind  in  der  Fig.  41  die  beiden  Linien  über 
ihren  Durchschnittspunkt  hinaus  verlängert.  Wenn  man  sie  nicht  ausschliesst, 
Bo  bleibt  ein  Gebilde  auch  nach  dem  Durchschreiten  des  eutektischen  Punktes 
noch  ein  Stück  auf  seiner  Linie  und  die  Temperatur  geht  unter  den  eutek- 
tischen Punkt.  Erst  wenn  die  labile  Grenze  (S.  329)  erreicht  ist,  oder  wenn 
auf  irgend  eine  Weise  Keime  in  die  Flüssigkeit  gelangen,  scheidet  sich  der 
betreffende  feste  Stoff  aus.  Dann  steigt  durch  das  Freiwerden  der  Schmelz- 
wärme die  Temperatur,  doch  nicht  höher,  als  auf  den  eutektischen  Punkt. 

Da  Überschreitungen  auf  dem  umgekehrten  Wege  beim  Schmelzen  nicht 
einzutreten  pflegen,  so  wird  sich  hier  stets  das  einfache  Bild  zeigen.  Doch 
kommt  der  Abkühlungsvorgang  praktisch  so  viel  häufiger  vor,  dass  seine 
Schilderung  nicht  zu  umgehen  war. 

Die  beschriebenen  Erscheinungen  treten  ein,  wenn  die  beiden  Stoffe 
im  flüssigen  Zustande  sich  in  allen  Verhältnissen  mischen.  Dies  ist  nun 
durchaus  nicht  notwendig,  sondern  die  teilweise  Löslichkeit  der  Flüssig- 
keiten ist  eine  mindestens  ebenso  häufige  Erscheinung.  In  diesem  Falle 
beobachtet  man  ein  Schmelzen  der  festen  Stoffe  unter  der 
Lösung,  und  die  Verhältnisse  werden  verwickelter. 

Man  kann  diese  Erscheinung  als  eine  Abänderung    des    eben  er- 
örterten einfacheren  Falles  betrachten,   der  dadurch  hervorgerufen  wird, 
dass  mit  der  durch  Fig.  41   gegebenen  Linie  der  Zustände  fest- flüssig 
eine  Lösungslinie  von  der  Art  Fig.  4 1 
für   die  gegenseitige  Lösung  zweier 
Flüssigkeiten  zum  Durchschnitt  kommt. 
In  Rg.  41  ist  ein  solcher  Fall  sche- 
matisch dargestellt. 

Der  Teil  akb  stellt  die  gewöhn- 
lichen beiden  Lösungslinien  neben 
festem  Stoffe  dar;  bei  ak  ist  der 
erste,  bei  kb  der  zweite  Stoff  im 
festen  Zustande  neben  der  Lösung 
vorhanden,  und  k  ist  der  eutektische 
Punkt.  Bei  b  wird  aber  durch  wei- 
tere Vermehrung  des  zweiten  Stoffes 

B  (was  in  der  Zeichnung  einem  Fortschreiten  nach  oben  entspricht) 
eine  zweite  flüssige  Lösung  abgeschieden,  die  vorwiegend  aus  B  besteht, 
und  wir  haben  vier  Phasen,  nämlich  zwei  Flüssigkeiten,  festes  B  und 
Dampf.  Somit  besteht  keine  Freiheit  mehr,  und  eine  Vermehrung  von 
B  kann  keinen  Einfluss  mehr  auf  die  Zusammensetzung  der  Phasen  und 
die  Temperatur  haben.  In  der  That  wird  durch  weiteres  B  nur  be- 
v^iriit,  dass  sich  die  Menge  der  zweiten  Lösung  vermehrt  und  die  der 
ersten  vermindert,  bis  schliesslich  im  Punkte  e  die  erste  Lösung  ver- 
schwunden ist.  Wird  noch  mehr  R  hinzugesetzt,  so  liegt  wieder  eine 
gewöhnliche  Lösungslinie  zwischen  festem  B  und  einer  Lösung  vor,  die 
sich  bis  f,  dem  Schmelzpunkte  von  reinem  B,  erstreckt 


Fig.  42. 


336  ^ni.   Chemische  Mechanik. 

In  dem  Gebiete  be  haben  wir  ein  Gleichgewicht  zweier  flüssiger 
Phasen.  Solange  festes  B  zugegen  sein  soll,  bleiben  wir  auf  der  Ge- 
raden be;  verzichtet  man  aber  auf  dessen  Gegenwart,  so  gewinnt  man 
wieder  eine  Freiheit,  und  kann  die  Temperatur  ändern.  Dadurch  erhält 
man  eine  Linie  bde  von  der  Gestalt  Flg.  37,  S.  325,  wie  sie  für  die 
gegenseitige  Löslichkeit  zweier  Flüssigkeiten  auftritt.  Diese  ist  nicht  not- 
wendig durch  die  Punkte  b  und  e  begrenzt,  sondern  lässt  sich  nach 
niedrigeren  Temperaturen  verfolgen,  wie  das  durch  die  punktierten  Vct- 
längerungen  bc  und  eg  angedeutet  ist.  Doch  sind  diese  Gebiete  über- 
sättigt in  Bezug  auf  die  feste  Phase  B. 

Diese  Andeutungen  erschöpfen  den  Gegenstand  keineswegs,  und 
sollen  nur  eine  Anschauung  von  den  hier  möglichen  Mannigfaltigkeiten 
geben.  Von  den  mannigfaltigen  Beziehungen,  die  hier  auftreten,  soll 
nur  noch  Erwähnung  finden,  dass  die  beiden  LösungsUnien  kb  und  bd, 
von  denen  die  erste  flir  den  festen  Stoff  B  neben  der  Lösung,  die  zweite 
för  eine  vorwiegend  aus  B  bestehende  Flüssigkeit  neben  derselben  Lö- 
sung gilt,  sich  unter  einem  Winkel  schneiden,  dessen  Grösse  von  der 
Schmelzwärme  des  festen  Stoffes  B  in  ähnlicher  Weise  abhängt,  wie  der 
Knick  in  der  Dampfdrucklinie  (S.  178)  beim  Schmelzpunkt  des  Eises 
von  der  Schmelzwärme  desselben.  Die  Auflösung  eines  festen  Stoffes 
in  einer  Flüssigkeit  hat  vielfache  Ähnlichkeiten  mit  der  Verdampftmg, 
und  man  kann  die  lur  das  eine  Gebiet  gemachten  Überlegungen  leicht 
auf  das  andere  übertragen,  und  entsprechende  neue  Ergebnisse  gewinnen. 
Doch  sind  diese  von  so  mannigfaltiger  Art,  dass  sie  hier  nicht  erörtert 
werden  können  und  ihr  Studium  den  grösseren  Lehrbüchern  überlassen 
bleiben  muss. 

F.  Feste  Lösungen. 

Ausser  den  gasförmigen  und  flüssigen  muss  es  der  Analogie  nach 
auch  feste  Lösungen  geben  können,  d.  h.  solche  Stoffe,  die  mit  dem 
festen  Aggregatzustande  die  Eigentümlichkeiten  der  Lösungen:  stetig 
veränderliche  Zusammensetzung  und  entsprechend  stetig  veränderliche 
Eigenschaften  verbinden.  Durch  van't  Hoff  ist  (1890)  in  der  That  ge- 
zeigt worden,  dass  eine  Reihe  bekannter  Erscheinungen  sich  dem  Begriffe 
der  festen  Lösungen  unterordnen  lassen. 

Zunächst  haben  stetig  veränderliche  Zusammensetzung  und  stetig 
veränderliche  Eigenschaften  die  Gemenge  isomorpher  Krystalle.  Diese 
würden  also  Beispiele  für  feste  Lösungen  bilden.  An  die  isomorphen 
Mischungen  schliessen  sich  die  nicht  ganz  seltenen  Mischungen  aus  zwei 
krystallinischen  Stoffen,  die  einzeln  in  verschiedenen  Formen  krystalli- 
sieren,  aber  doch  einheitiiche  Mischkrystalle  von  der  Form  des  vorwie- 
genden Bestandteiles  bilden  können.  Hierher  gehören  NaphthaUn  und 
Naphthol,  Benzoesäure  und  Salicyläure. 

Diesen  Fällen  schliessen  sich  ferner  die  an,  wo  flüssige  oder  gas- 
förmige Stoffe  sich  mit  festen  in  wechselnden  Verhältnissen  zu  festen 
Stoffen  vereinigen  können,    in    denen   die  Eigenschaften    stetig    mit  der 


Chemisches  Gleichgewicht  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  337 

Zusammensetzung  wechseln.  Für  die  Zusammenstellung  flüssig-fest  giebt 
es  Beispiele  unter  den  wasserhaltigen  natürlichen  Silikaten,  den  Zeolithen. 
Aus  manchen  von  ihnen  lässt  sich  das  Wasser  in  beliebigen  Mengen 
austreiben,  ohne  dass  sie  ihre  physikalisch  homogene  Beschaffenheit  ver- 
lieren ;  sie  bleiben  durchsichtig  und  ihr  Dampfdruck  in  Bezug  auf  Wasser 
wird  stetig  kleiner  in  dem  Verhältnis,  wie  der  Wassergehalt  geringer 
w^ird.  Auch  lässt  sich  das  ausgetriebene  Krystallwasser  durch  andere 
Flüssigkeiten,  wie  Alkohol,  Chloroform,  Schwefelkohlenstofl^  u.  s.  w.  er- 
setzen, ohne  dass  die  Durchsichtigkeit  und  das  homogene  Aussehen  ver- 
loren geht. 

Die  Aufnahme  gasförmiger  Stoflfe  zu  festen  Lösungen  ist  von  den 
ebengenannten  offenbar  nicht  wesentlich  verschieden,  da  es  eine  Sache 
des  zufälligen  äusseren  Druckes  ist,  ob  man  einen  Stoff,  wie  Wasser 
oder  Chloroform,  als  eine  Flüssigkeit  oder  einen  Dampf  betrachtet.  Die 
Neigung  der  schwer  zu  verflüssigenden  Gase,  feste  Lösungen  zu  bilden, 
ist  im  allgemeinen  gering;  doch  giebt  es  einige  auffallende  Ausnahmen, 
unter  denen  Palladiumwasserstoff  die  bekannteste  ist.  Ebenso  vermag 
Eisen  mit  Wasserstofl^  eine  feste  Lösung  zu  bilden,  denn  wenn  man 
einen  ausgepumpten  Raum  mit  einer  Eisenplatte  schliesst,  und  diese  zur 
Kathode  in  verdünnter  Säure  macht,  so  findet  sich  bald  im  Räume 
Wasserstoff,  der  sich  im  Eisen  gelöst  hatte  und  nach  der  anderen  Seite 
dm'chdiffundiert  ist. 

Der  wesentlichste  Unterschied  zwischen  einer  Lösung  und  einem 
Gemenge,  dass  nämlich  die  Herstellung  der  Lösung  aus  den  Bestand- 
teilen Arbeit  leisten  kann,  und  dass  demgemäss  Arbeit  erforderlich  ist, 
um  die  Lösung  wieder  in  ihre  Bestandteile  zu  scheiden,  findet  sich  auch 
bei  festen  Lösungen  wieder.  Am  einfachsten  ist  dies  bei  den  festen 
Lösungen  flüchtiger  Stoffe  nachzuweisen.  Ein  gelöster  Stofl'  muss  immer 
einen  kleineren  Dampfdruck  haben,  als  der  reine  Stoff  bei  gleicher  Tem- 
peratur,   denn  nur  dann  ist  die  ebengenannte  Arbeitsbedingung  erfüllt. 

Der  Betrag  dieser  Arbeit  ergiebt  sich  aus  folgendem  Vorgange: 

Man  verdampfe  aus  dem  reinen  Stoffe  bei  konstanter  Temperatur  ein  Mol 
unter  dem  normalen  Dampfdrucke  (Arbeit  =RT),  lasse  dann  den  Dampf 
unter  entsprechender  Arbeitsleistung  sich  ausdehnen  (Arbeit  =RTln(p/p'), 
bis  er  den  Druck  erreicht  hat,  unter  dem  er  mit  der  Lösung  im  Gleich- 
gewicht ist,  und  lasse  ihn  dann  von  der  Lösung  absorbiert  werden  (Arbeit 
=  —  RT).  Ist  p  der  Dampfdruck  der  reinen  Flüssigkeit,  p'  der  der  Lösung, 
«0  ist  die  bei  diesen  drei  Vorgängen  für  jedes  Mol  des  gelösten  Stoffes  ge- 
wonnene Arbeit  gleich  RT -f  RTln(p/p)  —  RT  =  RTlnp/p  .  Der  gleiche 
Arbeitsbetrag  ist  anzuwenden,  um  die  Lösung  wieder  in  ihre  Bestandteile  zu 
trennen. 

Hierbei  ist  die  Menge  der  Lösung  im  Verhältnis  zu  der  des  Dampfes 
80  gross  angenommen,  dass  eine  messbare  Änderung  in  der  Zusammensetzung 
<ier  gesamten  Lösung  und  damit  eine  Änderung  in  ihrem  Dampfdrucke  durch 

Ostwald,  Grundriss.  3.  Aufl.  22 


338  Ylll.    Chemische  Mechanik. 

die  Aufnahme  des  Dampfes  nicht  bewirkt  wird.  Diese  Voraussetzung  lässt 
sich  immer  erfüllt  denken. 

Eine  solche  Dampfdrucksvermindening  wird  in  der  That  bei  festen 
Lösungen  beobachtet  so  dass  auch  nach  dieser  Richtung  ihre  Lösongs- 
natur  gesichert  erscheint. 

Kann  man  diese  Arbeitsleistung,  oder  allgemein  gesprochen,  die 
Verminderung  des  chemischen  Potentials  des  gelösten  Stoffes  nicht  durch 
unmittelbare  Dampfdrucksmessungen  nachweisen,  so  ist  dies  meist  auf 
irgend  einem  anderen,  theoretisch  gleichwertigen  Wege  möglich.  Ebenso 
wie  der  Dampfdruck  muss  sich  die  Löslichkeit  in  allen  Lösungsmitteln, 
die  elektromotorische  Kraft  in  solchen  Ketten,  in  denen  der  gelöste  Stoff 
verbraucht  wird,  u.  s.  w.,  an  der  Lösung  kleiner  zeigen,  als  am  reinen 
Stoffe.  Auch  diese  Kriterien  sprechen  im  allgemeinen  für  die  Lösungs- 
natur  der  festen  Lösungen. 

Wenn  auch  eine  qualitative  Übereinstimmung  des  allgemeinen  Ver- 
haltens unverkennbar  ist,  so  haben  die  Versuche  einer  quantitativen 
Prüfung  dieser  Anschauungen  noch  nicht  zu  unzweideutigen  Ergebnissen 
geführt,  denn  einzelnen  guten  Fällen  stehen  andere  gegenüber,  die  sich 
noch  nicht  haben  bewältigen  lassen. 

Eine  grosse  Übereinstimmung  mit  den  festen  Lösungen  zeigen  in 
ihrem  Verhalten  gewisse  Gebilde,  in  denen  unzweifelhaft  sich  die  Ober- 
flächenenergie als  entscheidender  Faktor  bethätigt.  Es  ist  eine  woW- 
bekannte  Erscheinung,  dass  feste  Körper  sich  an  ihrer  Oberfläche,  wenn 
diese  mit  Luft  in  Berührung  steht,  mit  einer  Schicht  überziehen,  die  aus 
den  Bestandteilen  der  Luft:  Stickstoff,  Sauerstoff,  Wasser  und  Kohlen- 
dioxyd besteht,  die  in  wesentlich  anderen  Mengenverhältnissen  als  in  der 
Luft  anwesend  sind.  Die  Erscheinung  ist  allgemein;  die  Mengenverhält- 
nisse ändern  sich  mit  der  Natur  der  beteiligten  Stoffe.  Die  Erscheinung 
der  Benetzung  gehört  gleichfalls  hierher,  und  das  Allgemeine  liierbei  ist, 
dass  die  Bildung  einer  mit  solchen  Schichten  bedeckten  Oberfläche  frei- 
willig erfolgt,  d.  h.  Arbeit  leisten  könnte.  Wir  haben  es  also  mit  der 
Art  der  Oberflächen energie  zu  thun,  die  der  gewöhnlichen  entgegen- 
gesetzt ist;  die  Bildung  einer  benetzten  Fläche  erfordert  nicht  Arbeit, 
wie  die  Bildung  einer  freien  Flüssigkeitsfläche,  sondern  sie  leistet  welche. 

Ganz  ähnUche  Erscheinungen  zeigen  sich,  wenn  man  feste  Körper 
mit  grosser  Oberfläche  in  flüssige  Lösungen  bringt.  Auch  hier  bethätigt 
sich  eine  auswählende  Oberflächenenergie,  die  sich  meist  in  einer  rela- 
tiven Anhäufung  des  gelösten  Stoffes  an  der  Oberfläche  des  festen 
Körpers  äussert.  In  der  Anwendung  der  Knochenkohle  oder  äbnlichei* 
poröser  Stoffe  zum  Entfärben  unreiner  Flüssigkeiten,  z.  B.  der  rohen 
Zuckersäfte,  wird  von  dieser  Eigenschaft  ein  ausgiebiger  Gebrauch  ge- 
macht; dabei  hat  sich  die  früher  unerwartete,  von  dem  gegenwärtigen 
Standpunkte  aus  aber  ganz  verständhche  Thatsache  gezeigt,  dass  sich  die 
reinigende  Wirkung  nicht  nur  auf  den  Farbstoff,  sondern  auch  auf  an- 
dere beigemischte  Stoffe  erstreckt. 


Chemisches  Gleichgewicht  zweiter  Ordnung;  Lösungen.  339 

Solche  Gebilde  aus  festen  Körpern  mit  auf  der  Oberfläche  abge- 
lagerten oder  „adsorbierten"  Stoffen  zeigen  nun  ganz  ähnliches  Ver- 
halten^ wie  feste  Lösungen  und  Lösungen  überhaupt.  Die  abgelagerten 
Stoffe  haben  immer  einen  geringeren  Dampfdruck  oder  allgemein  ein 
geringeres  chemisches  Potential,  als  im  reinen  Zustande,  und  zwar  nimmt 
dessen  Wert  um  so  mehr  ab,  je  kleiner  verhältnismässig  die  Menge  de» 
adsorbierten  Stoffes  geworden  ist  Beide  sind  ganz  wie  bei  Lösungen 
eindeutige  stetige  Funktionen  voneinander.  Auch  kann  man  eine  „Sät- 
tigung'^ erzeugen,  wenn  man  das  Gleichgewicht  mit  dem  reinen  Stofle 
herstellt.  Über  die  von  der  Einheit  der  Oberfläche  hierbei  aufgenommene 
Menge  des  Stoffes  ist  nur  wenig  bekannt;  sie  scheint  sich  in  den 
Grenzen  zu  bewegen,  die  für  die  BenetzungsfUhigkeit  ü-üher  (S.  151) 
berechnet  worden  sind,  d.  h.  um  weniger  als  ein  MiUiontel  Gramm  auf 
ein  Quadratcentimeter. 

Noch  eine  dritte  Art  von  Gebilden  zeigt  die  gleichen  stetigen  Ver- 
minderungen der  Dampfdrucke  vorhandener  Stoffe;  es  sind  dies  die  leim- 
artigen oder  Kolloidstoffe.  Der  gewöhnliche  Tischlerleim  ist  ein 
gutes  Beispiel  hierfür;  er  nimmt  in  Berührung  mit  feuchter  Luft  Wasser- 
dampf auf  bis  zu  einem  bestimmten  Grade,  der  in  gleichem  Sinne,  wie 
der  Teildruck  des  Wasserdampfes,  stetig  veränderlich  ist.  Es  ist  dies  wieder 
das  Verhalten  der  Lösungen  überhaupt  und  der  festen  Lösungen  insbesondere. 

Der  Zusammenhang  aller  dieser  Erscheinungen  scheint  auf  dem 
Boden  der  Oberflächenenergie  vorhanden  zu  sein.  Während  bei  der  Ad- 
sorption eine  solche  unzweifelhaft  ist,  haben  neuere  Forschungen  auch 
für  die  Kolloidkörper  eine  gleiche  Auffassung  zu  rechtfertigen  begonnen. 
Durch  mikroskopische  Untersuchungen  ist  bei  allen  Kolloidkörpern  eine 
„wabige''  Struktur  d.  h.  eine  Zusammensetzung  aus  Hohlräumen,  die 
von  dünnen  Zellwänden  umschlossen  sind,  erwiesen  worden  (Bütschli, 
1893  —  1899).  Hierdurch  wird  eine  ungemein  grosse  Oberfläche  gebildet, 
die  der  Stoffmenge  proportional  ist,  und  so  den  Betrag  der  Adsorption  von 
der  äusseren  Gestaltung  unabhängig  macht.  Die  ungemein  starke  Ent- 
wickelung  der  Adsorptionserscheinungen,  die  von  jeher  an  den  Kolloid- 
stoffen aufgefallen  war,  wird  auf  diese  Weise  erklärlich. 

Der  Übergang  von  diesen  Stoffen  auf  die  Lösungen  ist  nun  durch 
die  Betrachtungen  von  S.  152  gegeben,  denen  zufolge  zwei  teilweise 
mischbare  Flüssigkeiten  beim  Durchgange  durch  den  kritischen  Lösungs- 
punkt das  Zeichen  ihrer  gemeinsamen  Oberflächenenergie  ändern,  indem 
die  bis  dahin  auf  Verkleinerung  der  Fläche  gerichtete  Spannung  nun- 
mehr auf  Vergrösserung  der  Fläche  gerichtet  ist.  Diese  zweite  Art  der 
Oberflächenenergie  ist  es  gerade,  welche  sich  vorher  als  die  wesentliche 
Ursache  der  Adsorptionserscheinungen  erwiesen  hatte,  und  so  ist  ein  Zu- 
sammenhang zwischen  allen  diesen  Erscheinungen  auch  in  Bezug  auf 
ihre  Ursache  hergestellt,  nachdem  sie  eine  weitgehende  Übereinstimmung 
in  der  Wirkung,  der  Beeinflussung  des  Dampfdruckes  und  allgemein  des 
chemischen  Potentials  des  gelösten  Stoffes  haben  erkennen  lassen. 

22* 


340  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Sechstes  Kapitel. 
Weitere  chemische  Gleichgewichte  asweiter  Ordnung;. 

Der  allgemeinste  Fall  eines  Gleichgewichts  zweiter  Ordnung  tritt  ein, 
wenn  sich  aus  beiden  Bestandteilen  eine  einzige  Phase  zusammensetzt, 
in  welcher  sich  diese  nebst  den  Produkten  ihrer  Wechselwirkung  im 
Zustande  eines  homogenen  Gemisches  oder  einer  Lösung  befinden.  In 
dem  Falle,  dass  alle  diese  Stoffe  gasförmig  sind,  lässt  sich  auch  die  Auf- 
gabe, den  Einfluss  der  Temperatur  und  des  Druckes  auf  das  vorhandene 
Gleichgewicht  zu  bestimmen,  allgemein  lösen.  In  flüssigen  Gebilden  ist 
dies  nur  noch  unter  der  Voraussetzung  der  Fall,  dass  wir  es  mit  ver- 
dünnten Lösungen  zu  thun  haben,  dass  also  die  emzelnen  Stoffe  ent- 
weder den  grössten  Teil,  oder  nur  einen  kleinen  Teil  der  Gesamtmenge 
bilden.  In  diesem  Falle  bestehen  drei  Freiheitsgrade;  wir  können  also 
die  Temperatur,  den  Druck  und  noch  eine  dritte  Veränderliche,  z.  B. 
die  Konzentration  eines  der  Stoffe  oder  etwa  auch  das  Verhältnis  der 
beiden  Bestandteile,  oder  sonst  eine  auf  die  Zusammensetzung  bezüg- 
liche Grösse  beliebig  (innerhalb  gewisser  Grenzen)  bestimmen,  und  erst 
dann  sind  die  anderen  Bestimmungsstticke  des  Gebildes,  also  die  Kon- 
zentrationen aller  vorhandenen  Stoffarten,  eindeutig  festgelegt. 

Diese  Mannigfaltigkeit  vennindert  sich  in  dem  Grade,  als  die  Zahl 
der  Phasen  zunimmt.  So  wird  bei  zwei  Phasen  eine  zweifache  Freiheit 
vorhanden  sein,  bei  dreien  nur  eine  Freiheit.  Diese  Gebilde  zeigen  eine 
gewisse  Ähnlichkeit  mit  den  Gleichgewichten  erster  Ordnung  vom  glei- 
chen Freiheitsgrade,  und  wir  werden  uns  der  Analogieen,  die  sich  daraus 
ergeben,  vielfach  bedienen  können,  um  die  hier  geltenden  Gesetze  auf- 
zufinden. 

Eine  Eeaktion,  die  zu  einem  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung  führt, 
wird  sich  allgemein  durch  eine  chemische  Formel  von  der  Gestalt  dar- 
stellen lassen: 

ra,  Ai  -f  m2  Ajj  =  n^  Bj  +  Ug  B2  +  Ug  B3  +  . . . . 

wo    Aj   und  Ag    die   Bestandteile,    Bj,   Bg,    B3  . .  .   die  Produkte,    und 

m^,  mg,  n, ,  n^,  Ug,   die  Molekularkoeffizienten   der  Reaktion   sind. 

Die  Zahl  der  verschiedenartigen  Produkte,  die  aus  den  Bestandteilen 
nebeneinander  entstehen  und  im  Gleichgewicht  sich  befinden  können,  ist 
theoretisch  gesprochen  unbegrenzt.  Thatsächhch  übersteigt  sie  kaum 
jemals  die  Zahl  zwei,  oft  ist  nur  ein  Produkt  vorhanden,  und  in  den 
anderen  Fällen  ist  es  immer  möglich,  die  Gleichung  in  einfachere  zu  zer- 
legen.    Es  wird  also  genügen,  diese  beiden   Fälle  allein  zu  betrachten. 

Da  in  einem  einphasigen  Gleichgewicht  zweiter  Ordnung  ausser 
Druck  und  Temperatur  nur  noch  eine  Freiheit  vorhanden  ist,  so  ist  die 
Konzentration  der  verschiedenen  Produkte,  die  nebeneinander  entstehen 
können,  nicht  fi'ei,  sondern  wenn  die  eines  dieser  Stoffe  gegeben  ist,  so 
ist  es  dadurch  auch  die  aller  anderen.     Es  bestehen  somit  Beziehungen 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  341 

zwischen  den  Konzentrationen  dieser  Stoffe,  welche  gestatten,  deren 
Werte  bis  auf  einen  aus  der  Gleichgewichtsgleichung  zu  eliminieren,  und 
sie  auf  eine  Form  zu  bringen,  als  wäre  nur  ein  Produkt  der  Reaktion 
vorhanden. 

Gehen  wir   vom   Massenwirkungsgesetz  aus,   so  wird  die  Gleichge- 
wichtsgleichung fiir  den  Fall  eines  einzigen  Produktes  die  Gestalt  haben 

a;"^a^^«  =  k.b", 

wo  a^  und  a^  die  Konzentrationen  der  Bestandteile,  b  die  des  Produktes 
und  m^,  m^  und  n  die  Molekularkoeffizienten  der  Reaktion  sind.  Es 
muss  also  das  Produkt  der  Konzentrationen  der  Bestandteile  der  Kon- 
zentration der  Produkte  proportional  sein,  nachdem  jede  Konzentration 
auf  die  Potenz  ihres  Molekularkoeffizienten  erhoben  ist. 

Die  energetische  Ableitung  dieser  Gleichung  kann  auf  ganz  dieselbe 
Weise  erfolgen,  wie  die  für  das  Gasgleichgewicht  erster  Ordnung  (S.  309),  in- 
dem man  von  dem  Prinzip  der  virtuellen  Energieänderungen  Gebrauch  macht. 
Bezeichnet  man  die  zu  den  Konzentrationen  a^,  a^  und  b  gehörigen  Drucke 
mit  Pi,  P2  und  q,  so  ist  die  virtuelle  Arbeit  gegeben  durch  m^RTd  lnpj-|- 
m^RTdlnpa  —  nRTdlnq,  und  die  Bedingung,  dass  dieser  Wert  gleich  Null 
sein  soll,  führt  zu  der  Gleichung  p"^  p'"^  .=  r-  q".  Die  Drucke  sind  den  Kon- 
zentrationen proportional,  und  somit  ist  die  Gleichung  identisch  mit  der  oben 
gegebenen  a™i  a™2«k.b°. 

Ein  Beispiel  für  diese  Art  des  chemischen  Gleichgewichts  liegt  in 
deni  Verhalten  des  Jodwasserstoffs  vor.  Dieses  Gas  zerfällt  bei  Tempe- 
raturen in  der  Nälie  der  dunklen  Rotglut  in  Wasserstoff  und  Joddampf 
und  bildet  sich  andererseits  bei  gleicher  Temperatur  aus  den  Bestand- 
teilen. Beide  Reaktionen  sind  unvollständig  und  führen  zu  einem 
chemischen  Gleichgewicht,  das  durch  die  Formel  H*-)-J^  =  2HJ  dar- 
gestellt wird.  Die  Gleichgewichtsgleichung  nimmt  demgemäss  die  Gestalt 
a^  a2=kb^  an,  welche  folgendes  Verhalten  voraussehen  lässt: 

a.  Das  Gleichgewicht  ist  unabhängig  vom  Dmck  oder  der  Kon- 
zentration. Denn  fügt  man  jedem  Konzentrationswerte  denselben  Faktor 
zu,  so  hebt  sich  dieser  aus  der  Gleichung  wieder  heraus.  Es  ist  also 
fiir  das  Gleichgewicht  nur  das  Verhältnis  der  Konzentrationen  von 
Belang,  nicht  aber  ihr  absoluter  Wert. 

Ein  solches  Verhalten  tritt  keineswegs  bei  allen  Gleichgewichten 
zweiter  Ordnung  auf,  sondern  nur  bei  solchen,  in  denen  sich  in  der 
eben  erwähnten  Weise  ein  gemeinsamer  Faktor  heraushebt.  Dies  ge- 
schieht, wenn  die  Summe  der  Molekularkoeffizienten  auf  beiden  Seiten 
der  Gleichgewichtsgleichung  dieselbe  ist,  also  wenn  m^  +  ™2  =  ^*  Diese 
Bedingung  ist  identisch  mit  der,  dass  durch  die  Reaktion  sich  der 
Druck  oder  das  Volum  des  Gasgemisches  nicht  ändert,  und  es  ist  nach 
dem  früher  erörterten  Satze  unmittelbar  einleuchtend,  dass  eine  Reaktion, 
die  den  Druck  nicht  ändert,  ihrerseits  auch  nicht  durch  den  Druck  ge- 
ändert werden  kann. 


342  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Die  Versuche  am  Jodwasserstoff  hab^a  diesen  Schluss  in  -weitem 
Umfange  bestätigt. 

b.  Die  Konzentration  keines  der  beteiligten  Stoffe  kann  Null  werden. 
Je  mehr  man  die  des  einen,  z.  B.  des  Wasserstoffs  vermehrt,  um  so 
mehr  vermindert  sich  die  des  anderen,  z.  B.  des  Jods,  doch  müssen  sich 
beide  immer  in  endlichen  Grenzen  bewegen. 

c.  Setzt  man  zu  reinem  Wasserstoff  eine  kleine  Menge  Joddampf, 
so  geht  diese  keineswegs  vollständig  in  Jodwasseratoff  über,  sondern  nur 
in  einem  bestimmten  Verhältnis,  das  von  dem  Werte  der  Konstanten  k 
abhängt;  solange  der  Zusatz  klein  ist,  sind  die  Mengen  des  Jods  und 
des  Jodwasserstoffs  proportional.  Dies  ergiebt  sich,  wenn  man  der  Vor- 
aussetzung gemäss  in  der  Gleichung  die  Konzentration  des  Wasserstoffe 
als  konstant  ansieht. 

d.  Das  Gleichgewicht  wird  nicht  geändeil,  wenn  man  die  Kon- 
zentrationen des  Jods  und  des  Wasserstoffs  gegeneinander  vertauscht, 
da  der  Wert  des  Produktes  derselbe  bleibt.  Dies  ist  gleichfalls  nicht 
immer  beim  Gleichgewicht  zweiter  Ordnung  der  Fall,  sondern  nur  dann, 
wenn  m^  =  m2   ist. 

e.  Bei  gleichem  Gesamtdruck  wird  die  Menge  des  gebildeten  Jod- 
w^asserstoflfe  am  grössten,  wenn  Jod  und  Wasseratoff  in  äquivalenten 
Mengen  zugegen  sind.  Dies  folgt  daraus,  dass  das  Produkt  zweier 
Faktoren,  deren  Summe  konstant  ist,  seinen  grössten  Wert  annimmt, 
wenn  beide  Faktoren  einander  gleich  sind. 

Alle  diese  Schlüsse  sind  durch  die  Erfahrung  bestätigt  worden. 

Einen  anderen  Fall  bietet  das  Gleichgewicht  zwischen  Phosphor- 
trichlorid,  Chlor  und  Phosphorpentachlorid  dar.  Die  Reaktionsgleichung 
ist  PCP  + Cl^^^PCl^  und  die  Gleichgewichtsgleichung  nimmt  daher 
die  Form  an  a,  a,=kb. 

In  diesem  Falle  ist  der  Druck  allerdings  von  Einfluss  auf  das 
Gleichgewicht,  denn  wenn  man  alle  Konzentrationen  mit  einem  kon- 
stanten Faktor  multipliziert,  so  hebt  sich  dieser  nicht  heraus,  und  die 
Gleichung  wird  unrichtig.  Vielmehr  sieht  man,  dass  wenn  man  etwa  a 
verdreifacht,  man  b  neunmal  so  gross  nehmen  muss,  damit  die  Gleichung 
richtig  bleibt.  Wenn  also  der  Druck  vergrössert  wird,  so  vermehrt  sidi 
die  Menge  der  Verbindung  auf  Kosten  der  Bestandteile  und  umgekehrt 
Da  die  Verbindung  aus  den  Bestandteilen  unter  Verminderung  des  Volums 
auf  die  Hälfte  entsteht,  so  sieht  man,  dass  von  den  möglichen  Reaktionen 
die  erfolgt,  welche  sich  der  Drucksteigerung  durch  die  Raum  Verminderung 
widersetzt.  Ebenso  wird  bei  der  Vergrösserung  des  Raumes  mehr  von 
den  beiden  Bestandteilen  gebildet;  auch  hierbei  wird  der  Druck  nicht  so 
stark  vermindert,  vne  er  es  werden  würde,  wenn  keine  Reaktion  stattfände. 

Die  Versuche  mit  Phosphorpentachlorid  haben  die  eben  ausgesprochenen 
Schlussfolgerungen  aus  dem  Gleichgewichtsgesetze  zwar  in  grossen  Zügen  be- 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  ä4.3 

stätlgt,  doch  fehlt  es  noch  an  einer  genaueren  zahlenmässigen  Prüfung  in 
derartigen  Fällen. 

Eine  Reaktion  zwischen  Gasen,  wobei  die  Bestandteile  unter  Vermehrung 
des  Volums  aufeinander  einwirkten,  würde  sich  umgekehrt  verhalten;  hierbei 
würde  mit  steigendem  Druck  die  Zersetzung  zunehmen,  und  Druckverminderung 
würde  die  Bildung  der  Verbindung  befördern.  Doch  ist  ein  solches  chemisches 
Gleichgewicht  nicht  bekannt. 

Über  den  Einfluss  der  Temperatur  auf  das  Gleichgewicht  erhalten 
wir  durch  dieselben  Überlegungen  Auskunft^  die  wir  in  dem  entspre- 
chenden Falle  des  Gleichgewichts  erster  Ordnung  benutzt  haben.  Die 
Arbeit  beim  Verschwinden  von  m^  und  mg  Molen  der  Bestandteile  und 
dem  Entstehen  von  n  Molen  des  Produktes  wird  durch  m,  RT(ln  p^  —  Inp^') 
H-  nijjRT  (In  pg  —  In  pg')  —  nRT  (In  q  —  In  q')  dargestellt,  und  die  Än- 
derung dieser  Arbeit  bei  einer  kleinen  Verschiebung  der  Temperatur  ist 

RTdln  (p™^P™7q")'  I^^r  unter  dem  Logarithmus  stehende  Ausdruck 
ist  die  auf  den  Druck  bezogene  Gleichgewichtskonstante,  und  wir  ge- 
langen wieder  zu  der  Formel 

dlnr/dT:;=L/RTS 

wo  L  die  Reaktionswärme  bei  der  vollständigen  Umwandlung  nach  der 
Reaktionsgleichung  m,  A  -4-  m^  A  =  nB  ist. 

Man  ersieht  aus  dieser  Ableitung  noch  deutlicher,  als  aus  der  früher 
(S.  310)  gegebenen,  dass  man  unabhängig  von  der  Anzahl  der-  be- 
teiligten Stoffe  und  daher  unabhängig  von  der  Ordnung  der  Reaktion 
immer  dieselbe  Schlussgleichung  dlnr/dT  =  L/RT^  findet.  Wir  können 
uns  daher  in  späteren  Fällen  die  ausführliche  Ableitung  ersparen. 

Die  Gleichung  besagt  wie  früher,  dass  sich  das  Gleichgewicht  bei 
steigender  Temperatur  in  solchem  Sinne  verschiebt,  dass  dabei  Wärme 
aufigenomraen  wird,  und  die  Temperaturerhöhung  also  geringer  ausfällt, 
als  wenn  gar  keine  Reaktion  stattgelunden  hätte.  Diese  Reaktion  braucht 
keineswegs  immer  eine  Spaltung  der  Verbindung  zu  sein.  Vielmehr 
kennen  wir  im  Cyan,  Acetylen  und  einigen  anderen  Gasen  Fälle,  wo 
die  Verbindung  mehr  Energie  enthält,  als  die  Bestandteile,  und  wo  da- 
her steigende  Temperatur  nicht  wie  gewöhnlich  den  Zerfall  der  Ver- 
bindung in  ihre  Bestandteile  befördert,  sondern  umgekehrt  die  Bestand- 
teile ab-  und  die  Verbindung  zunehmen  lässt.  Auch  hat  die  Beobach- 
tung ergeben,  dass  bei  den  höchsten  erreichbaren  Temperaturen,  denen 
im  elektrischen  Flammenbogen,  Kohlenstoff  (der  hier  als  gasförmig  an- 
gesehen werden  kann)  sich  mit  Stickstoff  oder  Wasserstoff  leicht  zu  Cyan, 
bez.  Acetylen  verbindet. 

Es  ist  also  weder  theoretisch,  noch  experimentell  gerechtfertigt,  wenn 
man  annimmt,  dass  bei  sehr  hohen  Temperaturen  alle  Verbindungen  in  ihre 
Elemente  zerfallen  müssten,  wie  das  noch  heute  vielfach  geschieht  Auch 
die  übliche  Folgerung  aus  der  kinetischen  Theorie,  dass  die  zusammenge- 
setzten Molekeln  bei  steigender  Temperatur  wegen  der  immer  heftiger  wer- 


944  ^^^I*    ChemiHche  Mechanik. 

denden  Zusammenstösse  schliesslich  in  Einzelatome  zersprengt  werden  mfisseD) 
steht  zwar  in  Übereinstimmung  mit  jenen  landläufigen  Irrtümern,  im  Wider- 
spruch aber  mit  der  Erfahrung  und  der  rationellen  Theorie  des  chemischen 
Gleichgewichts,  und  es  ist  auch  bisher  noch  nicht  gelungen,  diesen  Wider- 
spruch durch  eine  plausible  Entwickelung  zu  beseitigen. 

Ein  bemerkenswerter  Schluss  ergiebt  sich,  wenn  man  L  =  0  setzt 
Im  allgemeinen  ist  die  Reaktionswärme  mit  der  Temperatur  veränderlich 
(S.  361),  und  es  kann  daher  ganz  wohl  geschehen,  dass  sie  einmal  durch 
Null  geht.  Dann  wird  auch  dlnr  =  0,  d.h.  das  Gleichgewicht  wird  an 
dieser  Stelle  von  der  Temperatur  unabhängig.  Ist  die  Veränderung  der  Re- 
aktionswärme mit  der  Temperatur  von  der  gewöhnlichen  Art,  dass  sie 
von  positiven  Werten  durch  Null  in  negative  übergeht  (oder  umgekehrt), 
so  nimmt  die  Grösse  r  erst  zu,  und  dann  ab  (bez.  erst  ab  und  dann 
zu),  d.  h.  die  Gleichgewichtskonstante  geht  durch  einen  höchsten  (bez. 
kleinsten)  Wert. 

Ein  solcher  Fall  scheint  beim  Jodwasserstoff  vorzuliegen,  doch  reichen 
die  bisherigen  Messungen  nicht  aus,  um  ihn  sicher  nachzuweisen. 

Ausser  Gasen  können  noch  Flüssigkeiten  einphasige  Gleichgewichte 
zweiter  Ordnung  bilden.  Doch  bleiben  hier  von  den  quantitativen  Ge 
setzen  dieser  Gleichgewichte  nur  die  Beziehungen  nach,  welche  den 
Sinn  der  Verschiebungen  des  Gleichgewichts  mit  einer  Änderung  der 
Bedingungen  desselben  in  Zusammenhang  bringen.  Denn  die  Form  der 
Gleichgewichtsgleichungen  ergab  sich  aus  der  Berechnung  der  Arbeits- 
beträge beim  Entstehen  und  Verschwinden  der  Bestandteile  und  ihrer 
Produkte;  diese  aber  lassen  sich  nur  für  den  Fall  vollkommener  Gase 
und  verdünnter  Lösungen  genau  berechnen. 

Einen  Fall  der  letzteren  Ali;  bietet  das  Verhalten  des  Stickstoff- 
hyperoxyds dar.  Dieses  zerfällt,  wenn  es  in  einem  indifferenten  Lösungs- 
mittel wie  Chloroform,  Hexan  u.  s.  w.  aufgelöst  ist,  nach  ganz  denselben 
Gesetzen  in  die  einfachere  Verbindung  gemäss  der  Formel  N^O*  =  2N0', 
wie  wenn  er  im  Gaszustande  vorhanden  wäre  (S.  308).  Nur  ist  der 
Koeffizient  der  Gleichgewi chtsgleichung  nicht  derselbe,  wie  für  das  Gas, 
sondern  er  wechselt  mit  dem  Lösungsmittel;  im  allgemeinen  ist  der 
Grad  des  Zerfalls  in  den  verschiedenen  Lösungsmitteln  viel  kleiner,  als 
bei  gleicher  Konzentration  in  Gasgestalt. 

Liegt  dagegen  keine  verdünnte  Lösung  vor,  so  ergiebt  die  Be- 
rechnung der  experimentell  bestimmten  Gleichgewichtszustände  nach  der 
einfachen  Massenwirkungsformel  keinen  konstanten  Wert  des  Koeffi- 
zienten k.  Dies  rührt  daher,  dass  man  die  Konzentration  der  beteiligten 
Stoffe  nicht  mehr  gleich  der  vorhandenen  Menge  in  Molen,  dividiert 
durch  das  gesamte  Volum,  setzen  darf.  Die  Frage,  welche  Grösse  hier 
die  Bedeutung  der  Konzentration  zu  erhalten  hat,  muss  von  Fall  zn 
Fall  eine  verschiedene  Beantwortung  erhalten.  In  vielen  Fällen  lässt 
sich  die  Konzentration  durch  den  „Molenbruch'',  d.  h.  das  Verhältnis 
der  Zahl   der  Mole  des  betrachteten  Stoffes  zu   der  Gesamtzahl  der  im 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  345 

Gemenge  vorhandenen  Mole  eraetzen.  Doch  ist  bei  dieser  Rechnung 
vorausgesetzt,  dass  man  das  Molekulargewicht  der  Stoffe  im  flüssigen 
Zustande  kennt,  und  dieses  ist  unter  Umständen  (S.  150)  nicht  nur 
von  dem  desselben  Stoffes  im  Dampfzustande  verschieden,  sondern 
wechselt  auch  mit  der  Temperatur  und  der  Beschaffenheit  der  beige- 
mengten Stoffe. 

Eingehendere  Untersuchungen  über  chemische  Gleichgewichte  in 
Flüssigkeiten  liegen  in  einem  besonderen  Falle  sehr  zahlreich  vor;  es  ist 
der,  wo  die  gelösten  Stoffe  einen  Zerfall  in  Ionen  erfahren.  Dies  tritt, 
wie  bereits  ei*wähnt  (S.  214),  ein,  wenn  Salze  in  Wasser  gelöst  werden, 
und  es  ist  ziemlich  wahrscheinlich,  dass  die  Ionen  nicht  allein  aus  den 
Teilen  des  Salzes  bestehen,  sondern  dass  sich  das  Lösungswasser  bei 
ihrer  Bildung  in  Substanz  beteiligt,  dass  also  die  Ionen  als  Hydrate  der 
Bestandteile  der  Salze  aufzufassen  sind.  Die  eingehendere  Erörterung 
der  lonengleichgewichte  soll  an  späterer  Stelle  vorgenommen  werden; 
hier  soll  nur  im  Anschlüsse  an  das  eben  Bemerkte  betont  werden,  dass 
die  Frage,  ob  die  Ionen  Hydrate  sind  oder  nicht,  mit  Hilfe  der  Gesetze 
der  verdünnten  Lösungen  nicht  beantwortet  werden  kann.  Zwar  geht 
der  Molenbruch  n/(n4-N),  der  für  die  Dampfdrucks-  und  Gefrierpunkts- 
emiedrigung  massgebend  ist,  über  in  n/(N  +  n  —  m),  wenn  die  nMole 
des  gelösten  Stoffes  m  Mole  Wasser  aufgenommen  und  dies  dem  Lösungs- 
mittel entzogen  haben.  Bei  der  gemachten  Voraussetzung  indessen, 
dass  wir  es  mit  einer  verdünnten  Lösung  zu  thun  haben,  ist  die  Ände- 
rung des  Wertes,  den  der  Molenbruch  dadurch  erleidet,  so  klein,  dass 
er  nicht  sicher  von  den  Versuchsfehlern  unterschieden  werden  kann. 
Versucht  man,  den  Einfluss  durch  Anwendung  einer  konzentrierteren 
Lösung  zu  steigern,  so  treten  wieder  Zweifel  an  der  Gültigkeit  der  ein- 
gehen Gesetze  ein,  und  man  kann  etwa  beobachtete  Abweichungen  nicht 
mit  Sicherheit  einer  etwaigen  Hydratbildung  zuschreiben. 

Da  die  gleiche  Überlegung  für  alle  Fälle  gilt,  in  denen  zwischen 
dem  Lösung-smittel  und  dem  gelösten  Stoffe  Verbindungen  einti-eten,  so 
ißt  der  Nachweis  solcher  Verbindungen  innerhalb  der  homogenen  Lösung 
sehr  erschwert,  und  wir  haben  nur  wenig  Kenntnisse  darüber.  Der 
emzige  Hinweis,  der  indessen  nur  Andeutungen,  keine  Beweise  giebt, 
sind  die  Abweichungen,  welche  die  Eigenschaften  der  Lösungen  von 
dem  additiven  Schema  zeigen;  je  mehr  die  Eigenschaften  der  Lösung 
von  der  Summe  der  Eigenschaften  der  Bestandteile  verschieden  sind, 
um  so  eher  kann  man  auf  chemische  Vorgänge  zwischen  letzteren 
scliliessen. 

Ein  Beispiel  bilden  die  Färbungen,  welche  das  Jod  zeigt,  wenn 
man  es  in  verschiedenen  Ti)sungsmitteln  aufnimmt.  In  Schwefelkohlen- 
stoff und  Chloroform  löst  es  sich  mit  rotvioletter,  in  Äther,  Petroleum 
und  anderen  Flüssigkeiten  mit  brauner  Farbe  auf;  ausserdem  ändert  sich 
die  Färbung  der  Lösung  mit  der  Temperatur.  Molekulargewiclitsbestim- 
mungen  haben  ergeben,  dass  in  beiden  Arten  Lösungen  das  Jod  als  J^ 


346  VIII.    Chemische  Mechanik. 

enthalten  ist,  so  dass  als  wahrscheinlichste  Ursache  der  Verschiedenheit«! 
die  Bildung  von  Verbindungen  zwischen  dem  Jod  und  den  Lofiungs^ 
mittein  nachbleibt.  Eine  eingehendere  Untersuchung  der  anderen  Eigen- 
schaften solcher  Lösungen  würde  noch  mehr  Aufschluss  in  dieser  Rich- 
tung geben. 

Es  entsteht  die  Frage,  wie  man  zu  verfahren  hat,  um  in  den 
Fällen  konzentrierterer  Lösungen  die  „wirksame  Menge"  d.  h.  den  Be- 
trag zu  bestimmen  hat,  mit  welchem  der  Stoff  in  die  Gleichgewichts- 
gleichung einzusetzen  ist,  wenn  diese  ihre  Form  behalten  soll.  Ein  all- 
gemeines Verfahren,  diesen  Wert  experimentell  zu  ermitteln,  liegt  in  d« 
Bestimmung  des  Teildruckes,  welchen  der  Dampf  jedes  Stoffes  üb«r 
dem  Gemenge  hat.  Nach  dem  Gesetz  von  der  Vertretbarkeit  der  im 
Gleichgewicht  befindlichen  Phasen  oder  der  Gleichheit  der  chemischen 
Potentiale  der  beteiligten  Stoffe  in  solchen  muss  man  die  wirksame 
Menge  im  flüssigen  Zustande  gleich  der  Konzentration  im 
dampfförmigen  setzen,  und  hat  in  letzterer  ein  unzweideutiges  Mass 
der  ersteren. 

Es  ergiebt  sich  hieraus  der  Schluss,  dass  die  Stoffe  in  den  Ver- 
hältnissen der  Dampfphase,  wie  sie  sich  nach  den  Teildnieken  aus  d« 
Lösung  einstellen,  gleichzeitig  auch  untereinander  im  Gleichgewicht  sein 
müssen,  da  sonst  ein  Perpetuum  mobile  zweiter  Art  möglich  sein  würde. 
Femer  sieht  man  ein,  dass  in  verdünnten  Lösungen  dieselben  Gleicb- 
ge Wichtsgesetze  gelten  müssen,  wie  bei  Gasen.  Denn  nach  dem  Gesetze 
von  Henry  (S.  315)  sind  die  Konzentrationen  in  der  Lösung  denen  im 
Gaszustande  oder  Dampfzustande  proportional,  und  nach  dem  Gesetze 
von  Dalton  beeinflusst  die  gleichzeitige  Gegenwart  verschiedener  Gase 
diese  Beziehung  nicht. 

Für  die  verdünnten  Lösungen  muss  daher  ein  Massen  Wirkungsgesetz 
gelten,  das  sich  von  dem  für  Gase  entwickelten  nur  durch  das  Aufhreten 
konstanter  Faktoren  unterscheidet,  die  durch  die  Löslichkeitskoefüzienten 
der  beteiligten  Dämpfe  bestimmt  werden. 

Im  Lichte  dieser  Betrachtungen  lässt  sich  angeben,  in  welchen  Fällen 
die  wirksame  Menge  der  Stoffe  in  Lösungen  endlicher  Konzentration  dem 
Molenbruch  proportional  gesetzt  werden  kann.  Dies  ist  zulässig,  wenn  der 
Teildruck  des  Dampfes  gleich  dem  Druck  der  reinen  Flüssigkeit,  multipli- 
ziert mit  dem  Molenbruch  ist.  An  früherer  Stelle  ist  angegeben  worden,  in 
welchen  Fällen  die  Beobachtung  eine  Annäherung  an  dieses  Verhältnis  er- 
geben hat. 

Auch  die  Formel  für  den  Einfluss  der  Temperatur  auf  das  Gleichgewicht 
in  einem  flüssigen  Gebilde  verliert  bei  endlichen  Konzentrationen  der  be- 
teiligten Flüssigkeiten  ihre  zahlenmässige  Anwendbarkeit.  Da  man  aber  er- 
fahrungsmässig  den  Satz  aufstellen  kann,  dass  in  allen  Fällen  die  wirksame 
Menge  eines  Stoffes  mit  der  Konzentration  oder  dem  Molenbruche  gleich- 
zeitig zu-  und  abnimmt,  so  ist  wenigstens  der  Satz  noch  beweisbar, 
die   Temperatur    das    Gleichgewicht   in  solchem   Sinne  beeinflusst,    dass 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  347 

höherer  Temperatur  die  Reaktion  fortschreitet,  durch  welche  Wärme  aufge- 
nommen wird. 

Wenn  sich  zwei  Phasen  an  einem  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung 
beteiligen,  so  ergeben  sich  die  einfachsten  Verhältnisse,  wenn  eine  dieser 
Phasen  fest,  die  andere  gasförmig  ist.  Die  verhältnismässig  nicht  häufigen 
Fälle  fester  Lösungen  (s.  w.  u.)  ausgenommen  darf  man  die  festen  Stoffe 
als  von  konstanter  Zusammensetzung  ansehen.  Daraus  ergiebt  sich,  dass  ihr 
Dampf  einen  nur  von  der  Temperatur  abhängigen  Teildruck  besitzen  muss, 
und  dass  demnach  in  einer  mit  dem  festen  Stoffe  im  Gleichgewichte 
befindlichen  Dampfphase  die  Konzentration  dieses  Bestandteiles  bei  ge- 
gebener Temperatur  nur  einen  Wert  haben  kann.  In  der  isothermen 
Gleichgewichtsgleichung  wird  die  Konzentration  dieses  Stoffes  durch  eine 
Konstante  ersetzt  werden  können,  wodurch  sich  der  Ausdruck  ent- 
sprechend vereinfacht. 

Betrachten  wir  den  einfachsten  Fall  der  Reaktion  m^  A^  +  "^8^2  =  ^ß? 
80  sind  zwei  Möglichkeiten  vorhanden.  Es  kann  entweder  einer  der 
Bestandteile  Aj  oder  A^,  oder  aber  die  Verbindung  B  in  fester  Gestalt 
zugegen  sein.  Die  Gleichgewichtsgleichung  nimmt  in  beiden  Fällen  eine 
verschiedene  Form  an;  bringen  wir  die  konstante  Konzentration  in  den 
Koeffizienten  k  unter,  so  haben  wir  die  beiden  Gleichungen 

a™  =  k.b°  und  a™^a^*  =  k. 

Im  ersten  Falle  sind  die  potenzierten  Konzentrationen  der  variablen 
Stoffe  einander  direkt  proportional,  im  anderen  sind  sie  umgekehrt  pro- 
portional oder  bilden  ein  konstantes  Produkt. 

Am  eingehendsten  untersucht  ist  der  zweite  Fall,  welcher  vorliegt, 
wenn  zwei  gasförmige  Stoffe  sich  zu  einem  festen  verbinden.  Solches 
tritt  bei  den  Ammoniakverbindungen  vieler  gasförmiger  Säuren  ein,  und 
an  diesen  Stoffen  (Ammoniumsulfhydrid,  Ammoniumkarbamat  u.  s.  w.) 
sind  die  hier  auftretenden  Gesetze  am  ersten  experimentell  geprüft  und 
bestätigt  worden  (Isambeit  1881). 

Ein  Beispiel  bietet  das  Ammoniumsulfhydrid,  das  sich  aus  gleichen  Molen 
Ammoniak  und  Schwefelwasserstoff  nach  der  Forrael  NH^  +  H=^S  =NH*  HS 
bDdet.  In  der  Gleichgewichtsgleichung  sind  daher  die  beiden  Exponenten 
ra  gleich  Eins,  und  sie  nimmt  die  Form  an 

Ej  -a^  =  k. 

Unter  passender  Änderung  der  Konstanten  können  wir  die  Konzentrationen 
durch  die  diesen  proportionalen  Teildrucke  (welche  experimentell  unmittel- 
bar gemessen  wurden)  ersetzen,  und  erhalten  die  Gleichung  Pi-P2=r? 
aus  der  sich  folgende  Schlüsse  ziehen  lassen: 

Ist  im  Dampfraume  keines  der  beiden  Gase  im  Überschuss,  so  bleibt 
dauernd  p^  =^Vi*  Daraus  folgt,  dass  das  Gleichgewicht  sich  bei  einem  ganz 

bestimmten  Drucke  p  =  VpiP2=Vr  einstellen  muss,  so  dass  sich  der 
feste  Körper,  obwohl  er  ein  Gasgemenge  aussendet,  doch  wie  ein  einheit- 
licher Stoff  verhält,  der  einen  nur  von  der  Temperatur  abhängigen  Dampf- 


348  Vill.    Chemische  Mechanik. 

druck  hat.  Dies  lässt  sich  auch  von  anderer  Seite  als  notwendig  m 
sehen.  Wir  machen  ja  die  Voraussetzung,  dass  die  Gasphase  dieselbe  Zi 
sammensetzung  habe,  wie  die  feste;  dies  ist  aber  die  Definition  d 
Gleichgewichts  erster  Ordnung,  und  innerhalb  dieser  Bedingung  m 
sich  unser  Gebilde  auch  wie  ein  solches  erster  Ordnung  verhalten. 
Beobachtung  hat  diesen  Satz  in  solchem  Masse  bestätigt,  dass  es  eini 
Mühe  bedurfte,  bis  die  Erkenntnis  eines  abweichenden  Verhaltens  i 
Falle  nicht  äquivalenter  Gasmengen  gewonnen  wurde. 

Dieser  „Dissociationsdruck"  ist  im  übrigen  von  der  Temperatur 
abhängig  und  nimmt  wie  ein  Dampfdruck  immer  mit  steigender  Tempel 
ratur  zu.  Die  Abhängigkeit  wird  durch  eine  Formel  von  der  GesiM 
d  In  p/dT  =  L/RT*  dai-gestellt,  wo  L  die  Bildungswärme  des  festen  Stoii 
aus  den  beiden  Gasen  ist.  Der  Beweis  der  Formel  ergiebt  sich  a» 
der  Berechtigung,   das  Gebilde  wie  eines  erster  Ordnung  zu  behanddii.; 

Sind  beide  Gase  im  Gasraume  von  vornherein  in  verschiedenen 
Mengen  vorhanden,  so  ist  der  Gesamtdruck  nicht  mehr  dem  eines  ein- 
heitlichen Stoffes  vergleichbar,  sondern  er  ist  grösser  und  ändert  sii 
mit  dem  Volum.     Dies  ergiebt  sich  aus  folgender  Betrachtung. 

Wird  bei  konstanter  Temperatur  das  Gasvolum  vermindert,  sd 
scheiden  sich  die  Gase  teilweise  im  verbundenen  Zustande  ab.  D« 
gleiche  Volume  beider  Gase  hierbei  verschwinden,  so  wird  das  Verhältnil 
beider  um  so  ungleicher,  je  kleiner  das  Gesamtvolum  wird.  Nun  iatj 
der  Gesamtdruck  gleich  Pi  +PJ»;  nach  dem  MasseuA^arkungsgesetz  \m 
steht  zwischen  beiden  Drucken  die  Beziehung  p,  -p^  =  konst.  Di^ 
Summe  der  beiden  Faktoren  eines  konstanten  Produktes  ist  aber  m 
so  grösser,  je  verschiedener  die  beiden  Faktoren  sind;  daher  ist  der  Ge- 
samtdruck um  so  grösser,  je  kleiner  man  bei  einem  gegebenen  Über- 
schüsse des  einen  Gases  das  Gesamtvolum  macht.  Im  übrigen  verhalte» 
sich  beide  Bestandteile  symmeti-isch,  d.  h.  gleiche  Überschüsse  jedes  der 
Bestandteile  haben  gleichen  Einfluss  auf  den  Gesamtdruck. 

Wird  dagegen  das  Volum  zunehmend  vergrössert,  so  nimmt  der 
Gesamtdruck  ab;   sein  Grenzwert  ist  der  für  gleiche  Mengen  der  beiden 

Bestandteile  geltende  =:Yr. 

Das  Verhalten  des  carbaminsauren  Ammons  weicht  in  einigen  Be- 
ziehungen von  dem  des  Sulfhydrids  ab.  Es  bildet  sich  aus  Ammoniak 
und  Kohlendioxyd  im  Molekularverhältnis  2:1;  die  chemische  Gleichung 
lautet  2NH3  +  C02  =  NH*.C02NH^  und  die  Gleichgewichtsgleichung 
demgemäss  a|a2=k.  Hier  sind  die  Konzentrationen  der  beiden  Be- 
standteile nicht  symmetrisch;  vielmehr  muss  eine  Verdoppelung  des 
Ammoniaks  durch  das  Herabgehen  des  Kohlendioxyds  auf  ein  Viertel 
wett  gemacht  werden,  wenn  das  Gleichgewicht  erhalten  bleiben  soll. 

Dieses  Verhalten  war  theoretisch  erschlossen  worden,  bevor  noch 
die  Beobachtung  es  ergeben  hatte;  eine  daraufhin  angestellte  Unter- 
suchung bestätigte  die  theoretische  Voraussicht  (Horstmann  1873). 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  349 

Die  entwickelten  Beziehungen  behalten  ihre  Gültigkeit  im  wesentlichen 
unabhängig  davon,  ob  der  Dampfdruck  des  unzersetzten  festen  Stoffes  einen 
messbaren  Wert  besitzt  oder  nicht,  d.  h.  ob  im  Dampfe  neben  den  Bestand- 
teilen auch  die  Verbindung  in  messbarer  Menge  enthalten  ist.  In  den  meisten 
bisher  untersuchten  Fällen  tritt  letzteres  nicht  ein;  der  Dampf  enthält  keine 
durch  den  Einfluss  auf  die  Dichte  (die  bei  der  Verbindung  2,  bez.  1-5  mal 
80  gross  ist,  wie  für  das  Gemisch  der  Bestandteile)  nachweisbare  Menge 
der  Verbindung. 

Dass  es  trotzdem  am  rationellsten  ist,  das  Vorhandensein  der  letzteren 
im  Dampfe  anzunehmen,  geht  aus  Betrachtungen  hervor,  die  den  auf  S.  226 
angestellten  ganz  ähnlich  sind.  Zwischen  den  Fällen,  wo  man  einen  endlichen 
Dampfdruck  naxihweisen  kann,  und  denen,  wo  das  nicht  mehr  geht,  liegt  kein 
durch  irgendwelches  unabhängige  Kennzeichen  gesicherter  unterschied  vor; 
vielmehr  ist  diese  Grenze  nur  ein  Ausdruck  unserer  analytischen  Hilfsmittel, 
und  daher  beweglich.  Andererseits  hat  die  prinzipielle  Annahme,  dass  alle 
I  Stoffe  in  einem  bestimmten,  wenn  auch  häufig  äusserst  kleinen  Betrage 
flüchtig  sind,  in  ihren  Konsequenzen  noch  in  keinem  Falle  zu  irgend  welchen 
Widersprüchen  mit  der  Erfahrung  geführt,  so  dass  man  sich  ihrer  mit  Ver- 
trauen zu  weiteren  Anwendungen  bedienen  kann. 

Ein  anderes  Verhalten,  als  das  eben  geschilderte,  wird  in  dem  Falle 
eintreten,  dass  ein  Gas  auf  einen  festen  Köi'per  unter  Bildung  eines 
zweiten  Gases  einwirkt.  Ein  wohluntersuchtes  Beispiel  für  diesen  Fall 
liegt  noch  nicht  vor;  doch  kann  man  die  zu  erwartenden  Erscheinungen 
mit  Sicherheit  voraussagen.  Denken  wir  uns,  um  eine  Anschauung  zu 
haben,  ein  Metall,  das  sich  mit  Chlor  zu  einem  flüchtigen  Chlorid  ver- 
bindet, das  bei  der  Versuchstemperatur  wieder  in  messbarem  Betrage 
in  seine  Bestandteile  zerfallt,  so  wird  sich  ein  Gleichgewicht  herstellen, 
das  gemäss  der  chemischen  Formel  2Me4- iiC)l^=  2MeCl°  durch  die 
Gleichung  a°  =  k-b^  gekennzeichnet  ist.  In  diesem  Falle  bewirkt  eine 
Vermehrung  des  Druckes  des  einen  Gases  auch  eine  Vermehrung  beim 
anderen  Gase.  Ist  ii  =  2,  so  bleiben  beide  Dnicke  immer  in  konstantem 
Verhältnisse 5  ist  n  von  2  verschieden,  so  ist  das  Verhältnis  veränderlich; 
doch  bleibt  die  gleichzeitige  Ab-  und  Zunahme  bestehen. 

Noch  einfachere  Verhältnisse  ergeben  sich,  wenn  zwei  feste 
Phasen  auftreten.  Hierher  gehören  die  ersten  Fälle  des  chemischen 
Gleichgewichts  heterogener  Gebilde,  die  unter  dem  Namen  der  Dissociation 
studiert  worden  sind;  durch  ihre  genauere  Kenntnis  ist  wesentlich  be- 
wirkt worden,  dass  die  früher  verbreitete  Meinung,  die  chemischen  Re- 
aktionen seien  ihrer  Natur  nach  vollständige,  verdrängt  wurde. 

Die  Gesetze  dieses  Gleichgewichts  ergeben  sich  aus  den  allgemeinen 
Formeln,  indem  man  zwei  von  den  Konzentrationswerten  konstant  setzt. 
Es   ist    offenbar    gleichgültig,    welche    von    den    Werten    der   typischen 

Gleichung    a™*a^*  =k'b'*  es  sind;  immer  bleibt  eine  Gleichung  von  der 
Gestalt  a"*  =  K  übrig,  d.  h.  es  ist  eine   einzige  veränderliche  Konzen- 


350  VIII.    Chemische  Mechanik. 

tration  vorhanden.  Dies  ergiebt  sich  auch  aus  der  Phasenregel:  drei 
Phasen  bedingen  eine  Freiheit. 

Dadurch  verhält  sich  ein  derartiges  Gleichgewicht  wie  das  eines 
verdampfbaren  einheitlichen  Stoffes;  es  ist  fiir  jede  Temperatur  nur  ein 
Wert  der  Konzentration  oder  des  Druckes  möglich,  bei  welchem  Gleidi- 
gewicht  besteht,  und  dieses  Gleichgewicht  ist  unabhängig  von  der  Menge 
der  beteiligten  Stoffe.  Ein  wesentlicher  Unterschied  gegen  jenen  ein- 
fachen Fall  liegt  nur  darin,  dass  zur  Definition  des  Gleichgewichts 
zwei  feste  Phasen  erforderUch  sind,  und  dass,  wenn  nur  eine  vorhanden 
ist,  das  Gleichgewicht  unbestimmt  bleibt.  Dieser  wichtige  Umstand  wird 
sehr  oft  übersehen,  und  bis  auf  den  heutigen  Tag  findet  man  Arbeiten 
über  die  Zersetzungsdrucke  solcher  Gebilde,  in  denen  die  Frage,  welches 
die  beiden  festen  Phasen  sind,  nicht  gestellt  und   nicht  beantwortet  ist 

Einer  der  ensten  Fälle,  die  untei-sucht  worden  sind,  ist  die  Spaltung 
des  Calciumkarbonats  in  Kalk  und  Kohlendioxyd.  Es  sind  hier  Calcium- 
karbonat  und  Kalk  die  beiden  festen  Phasen,  Kohlendioxyd  ist  die  gas- 
förmige, und  es  ist  gezeigt  worden  (Debray  1867),  dass  die  Zersetzung  des 
ersten  durch  die  Hitze  zu  einem  bestimmten  „Dissociationsdruck"  fiihrt, 
der  fiir  jede  Temperatur  einen  bestimmten  Wert  hat.  Ist  der  Dnick 
grösser,  so  wird  das  Gas  vom  Kalk  aufgenommen,  bis  sich  der  nonnale 
Wert  hergestellt  hat;  ist  er  kleiner,  so  zerfällt  Calciumkarbonat  bis  zu 
dem  entsprechenden  Werte. 

Es  hat  sich  später  erwiesen,  dass  die  Verhältnisse  nicht  ganz  so  einfach 
liegen,  wie  Debray  sie  angesehen  hatte;  insbesondere  scheint  es  ein  Subkar- 
bonat  zu  geben,  durch  dessen  Auftreten  das  Gleichgewicht  eine  andere  Kon- 
stante erhält. 

Ein  vielstudiertes  Beispiel  solcher  Gleichgewichte  sind  die  Verwitterungs- 
erscheinungen wasserhaltiger  Salze.  Schon  Mitscherlich  (1844)  hat  den 
Dampfdruck  des  verwitternden  Glaubersalzes  gemessen,  und  aus  seiner 
Darstellung  geht  hervor,  dass  er  ihn  als  eine  reine  Temperatui*funktion 
angesehen  hat.  Ausdrücklich  ausgesprochen  wurde  ein  solcher  Satz  erst 
später  durch  Wiedemann  und  Debray  (1866  und  1868),  welche  Ver- 
suche zu  seiner  Bestätigung  mitgeteilt  haben.  Die  späteren,  ziemhch 
ausgedehnten  Erörterungen  haben  ergeben,  dass  in  der  That  die  Menge 
der  festen  Phasen  gar  keinen  Einfluss  auf  den  Druck  hat;  vielmehr  ist 
der  Dampfdruck  eines  Gemenges  aus  dem  Salze  und  seinem  Vei^witterungs- 
produkte  nur  von  der  Temperatur  abhängig. 

Dabei  ist  lange  übersehen  worden,  dass  die  Natur  des  Verwitterungs- 
produktes auf  den  Dampfdruck  ebenso  einen  Einfluss  ausübt,  wie  die 
des  wasserhaltigen  Salzes.  Insbesondere  erhält  man  verschiedene  Drucke, 
wenn  man  ein  und  dasselbe  Salz  zu  verschiedenen  Produkten  ver- 
wittern lässt. 

Ein  Beispiel  für  diesen  wichtigen  Satz  bietet  das  Chlorealdum. 
Dieses  krystallisiert  gewöhnlich  mit  6H*0;  femer  giebt  es  zwei  wasser- 
ärmere Hydrate  mit  4H*0,  die  verschieden  sind,  und  von   denen  eines 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  351 

eine  unbeständigere  Form  dem  anderen  gegenüber  darstellt.  Die  Dampf- 
drucke des  Hexahydrats  zeigen  sich  nun  verschieden,  je  nachdem  es  zu 
dem  einen  oder  dem  anderen  Teti'ahydrat  vemittert,  und  zwar  ist  der 
mit  dem  beständigeren  Hydrate  der  grössere. 

Ein  solches  Verhalten  scheint  im  Gegensatz  zu  der  allgemeinen  Er- 
fahrung zu  stehen,  dass  der  Dampfdruck  der  unbeständigeren  Verbindung 
grösser  ist,  als  der  der  beständigeren  (S.  184).  Der  Widerspruch  verschwindet, 
wenn  man  den  Vorgang  genauer  überlegt.  Denkt  man  sich  die  beiden  Ge- 
bilde, das  Hexahydrat  mit  dem  beständigen  Tetrahydrat,  und  dasselbe  mit 
dem  unbeständigen  nebeneinander  in  denselben  Raum  gebracht,  so  muss  das 
Wasser  von  dem  Gebiete  grösseren  Dampfdruckes  zu  dem  mit  kleinerem 
destillieren,  d.  h.  von  dem  beständigen  zu  dem  unbeständigen  Hydrat.  Die 
Folge  davon  ist,  dass  in  dem  ersten  Gebilde  ein  Teil  des  Hexahydrats  sich 
in  das  beständigere  wasserärmere  Salz  verwandelt,  während  in  dem  anderen 
eine  gleiche  Menge  der  unbeständigen  Form  in  das  Hexahydrat  übergeht. 
Das  Ergebnis  ist  daher,  dass  die  unbeständige  Form  verschwindet,  die  be- 
ständige sich  vermehrt,  und  die  Menge  des  Hexahydrats  unverändert  bleibt. 
Ein  solches  Verhalten  entspricht  vollkommen  dem,  was  zu  erwarten  ist,  und 
würde  insbesondere  auch  eintreten,  wenn  man  die  beiden  Gebilde  in  unmittel- 
bare Berührung  brächte. 

Andere  Fälle,  welche  unter  das  Schema  fallen,  sind  die  Ammoniak- 
verbindungen mancher  Salze  (z.  B.  der  Metallchloride)  und  welche  leicht 
in  diese  Salze  und  gasföimiges  Ammoniak  zerfallen.  Auch  hier  zeigt  sich 
ein  nur  von  der  Temperatur  abhängiges  Gleichgewicht,  welches  voll- 
kommen unabhängig  von  den  Mengen  der  beiden  festen  Phasen  ist,  da- 
gegen sich  mit  jeder  Änderung  der  Natur  einer  dieser  Phasen  ändert. 

Der  Einfluss  der  Temperatur  auf  den  Zersetzungsdruck  steht 
in  einer  unmittelbaren  Beziehung  zu  der  Bildungs-  bez.  Zersetzungs- 
wärme der  Verbindung.  Da  es  sich  hier  nur  um  einen  veränderlichen 
Bestandteil  in  der  Gasphase  handelt,  so  vereinfacht  sich  die  Formel  auf 
die  Gestalt  der  Dampfdruckformel  eines  homogenen  Stoffes.  Ist  also  L 
die  Bindungswäi-me  von  einem  Mol  Wasserdampf  durch  das  Verwitterungs- 
produkt zu  dem  Hydrat,  so  gilt  (S.  126)  dlnp/dT  =L/RT*.  Zieht 
man  die  entsprechende  Gleichung  für  Wasser,  dessen  Druck  durch  p^ 
bezeichnet  werde,  dlnp^/dT  =  W/RT^,  hiervon  ab,  wo  W  die  Ver- 
flüssigungswärme von  einem  Mol  Wasserdampf  bei  gleicher  Temperatur 
ißt,  so  folgt  dhi(p/pw)/dT=(L  — W)/RT«.  Der  Unterschied  L  —  W 
bedeutet  nun  nichts,  als  die  Verbindungs wärme  des  flüssigen  Wassers 
mit  dem  Verwitterungsprodukt,  und  da  man  experimentell  nur  diese 
Grösse  zu  bestimmen  pflegt,  so  giebt  die  letzte  Gleichung  einen  un- 
mittelbaren Vergleich  mit  der  Beobachtung. 

Durch  die  Messung  der  Dampfdrucke  einer  Anzahl  teilweise  verwitterter 
Salze  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Temperatur  einerseits,  und  durch 
thermochemische  Bestimmung  der  Hydratationswärmen  andererseits  ist  nun 
diese  Gleichung  geprüft  worden.    Während  die  früheren  Versuche  dieser 


352  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Kontrolle  wegen  der  üngenauigkeit  der  Messungen  zu  so  widersprechen- 
den Ergebnissen  geführt  hatten,  dass  aus  ihnen  eher  eine  Widerlegung, 
als  eine  Bestätigung  zu  entnehmen  war,  ergaben  spätere  Untersuchungen 
(Frowein  1887),  bei  denen  das  Messverfahren  der  Dampfdrucke  genügend 
verfeinert  worden  war,  eine  ausgezeichnete  Bestätigung. 

Die  eben  geschilderten  Verhältnisse  sind  bestimmend  für  das  Verhalten 
der  wasserhaltigen  Salze  an  der  Luft.  Bekanntlich  verwittern  einige  an  der 
Zimmerluft  (Glaubersalz),  während  andere  (Borax)  ihr  Krystallwasser  zwar 
meist  behalten,  unter  Umständen  aber  auch  verwittern.  Andere  Salze  wieder 
(Nickelsulfat)  zeigen    an    der  Zimmerluft    keine  Verwitterungserscheinungen. 

Dies  rührt  daher,  dass  die  Zimmerluft  nicht  mit  Feuchtigkeit  gesättigt 
zu  sein  pflegt,  sondern  meist  nur  0-6  bis  0-7  von  dem  Wasserdampf  enthält, 
der  bei  der  vorhandenen  Temperatur  vorhanden  sein  könnte.  Daher  müssen 
alle  Hydrate,  die  mit  ihrem  Verwitterungsprodukt  einen  relativen  Dampfdruck 
über  0'7  ergeben,  Wasser  verlieren  und  verwittern ;  solche,  deren  Dampfdruck 
an  der  Grenze  liegt,  verhalten  sich  verschieden,  und  solche,  deren  relativer 
Dampfdruck  erheblich  unter  0-6  liegt,  bleiben  unverwittert. 

Wird  ein  reiner  und  unverletzter,  wasserhaltiger  Kry stall  in  eine  Atmo- 
sphäre gebracht,  deren  Wasserdampfdruck  unter  dem  Zersetzungsdruck  liegt, 
so  tritt  die  Verwitterung  nicht  notwendig  ein;  vielmehr  kann  man  hier  ebenso 
Überschreitungserscheinungen  beobachten,  wie  sie  in  vielen  ähnlichen  Fällen 
auftreten.  Solange  nämlich  die  zweite  feste  Phase,  das  Verwitterungsprodukt, 
noch  nicht  anwesend  ist,  ist  auch  der  Dampfdruck  nicht  bestimmt,  und  es 
kann  innerhalb  gewisser  Grenzen  (denen  des  metastabilen  Gebietes,  S.  114) 
jeder  beliebige  Druck  vorhanden  sein.  So  gelingt  es  z.  B.,  ganz  unverletzte 
Glaubersalzkrystalle  an  der  Luft  von  gewöhnlicher  Trockenheit  beliebig  lange 
unverwittert  zu  erhalten,  wenn  man  den  Zutritt  von  Keimen  ausschliesst. 
Wird  an  einer  Stelle  die  Verwitterung  eingeleitet,  so  zeigt  sich  die  Abhängig- 
keit von  der  unmittelbaren  Berührung  mit  der  zweiten  Phase  darin,  dass  die 
Verwitterung  am  Orte  bleibt  und  sich  nur  regelmässig  um  den  angegriffenen 
Punkt  ausbreitet.  Das  verwitterte  Gebiet  bildet  dann  je  nach  dem  Krystall- 
system  eine  Kugel,  ein  einachsiges  oder  ein  dreiachsiges  Ellipsoid,  vollkom- 
men entsprechend  der  optischen  Wellenfläche,  wenn  auch  natürlich  mit  anderen 
Konstanten. 

Die  einfachsten  Fälle  der  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung,  die  sich 
zwischen  Flüssigkeiten  und  Gasen  einstellen,  sind  bereits  (S.  315) 
betrachtet  worden;  sie  werden  durch  das  Henrysche  Gesetz  geregelt, 
nach  welchem  die  Konzentration  in  beiden  Phasen  einander  proportional 
sind.  Jetzt  wollen  wir  die  Frage  stellen,  was  in  dem  Falle  geschieht 
wo  das  gelöste  Gas  teilweise  eine  chemische  Umwandlung  erleidet. 

Die  Umwandlung  besteht  in  einer  Wechselwirkung  mit  dem  Lfösungs- 
mittel,  und  wird  durch  eine  Gleichung  von  der  Gestalt  m,  A,  +  mg  Ag  =  nB 
dargestellt  werden  können.  Zur  Berechnung  des  Endzustandes  machen 
wir  die  Voraussetzung,  dass  das  Henrysche  Gesetz  nur  flir  den  nicht 
umgewandelten    Teil   des    gelösten  Stoffes    Geltung   hat,    und    dass    der 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  353 

umgewandelte  Teil  für  sich  keinen  Einfloss  ausübt.  Dies  Gesetz  der 
Unabhängigkeit  der  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Phasen  ver- 
änderlicher Konzentration  von  der  Gegenwart  anderer  Stoffe,  der  „Ver- 
teilungssatz", ist  in  einzelnen  Fällen  von  verschiedenen  Forschem  aus- 
gesprochen worden;  seinen  zusammenfassenden  und  allgemeinen  Ausdruck 
hat  es  von  Nemst  (1891)  erfahren. 

Ist  nun  die  Konzentration  des  unveränderten  Teiles  des  gelösten 
Gases  mit  aj,  die  des  Lösungsmittels  mit  ag,  die  des  entstandenen 
Produkts  mit  b  bezeichnet,  so  wird  die  Gleichung  des  Gleichgewichts 
in  der  Lösung  gemäss  der  oben  angenommenen  chemischen  Formel  lauten 

a^*a™*  =  k-b°.  Da  nach  der  Voraussetzung  aber  die  Lösung  verdünnt 
Ist^  so  ist  die  Konzentration  des  Lösungsmittels  konstant  zu  setzen,  und 

ersetzt  man  die  Konstante  k/a^*  durch  K,  so  lautet  die  Gleichung 
a*"  =Kb°. 

Hieraus  geht  nun  hervor,  dass  wenn  m=:n  ist,  also  aus  jedem 
Mol  des  Gases  ein  Mol  der  Verbindung  entsteht,  die  Konzentration  des 
unveränderten  Anteils  der  des  umgewandelten  immer  proportional  ist. 
Daher  bleibt  in  diesem  Falle  das  Henrysche  Gesetz  bestehen,  denn  die 
gesamte  absorbierte  Gasmenge  ist  gleichfalls  der  unverändert  bleiben- 
den proportional,  und  der  ganze  Einfluss  besteht  darin,  dass  die  Löslich- 
keit um  so  ^iel  erhöht  wird,  als  von  dem  gelösten  Gase  in  die  Verbin- 
dung übergeht 

Besteht  die  Gleichung  m  =  n  nicht,  so  besteht  auch  keine  Pro- 
portionalität zwischen  der  unveränderten  und  der  umgewandelten  Menge, 
und  das  Henrysche  Gesetz  kann  nicht  mehr  in  Geltung  bleiben.  Eine 
leichte  Rechnung,  die  dem  Leser  überlassen  werden  mag,  lehrt,  dass  im 
Falle  m^n  die  scheinbare  Löslichkeit  (d.  h.  die  gesamte  gelöste  Gas- 
menge, dividiert  durch  den  Druck)  mit  steigendem  Drucke  zunimmt, 
wäiirend  sie  im  Falle  m  <  n  mit  steigendem  Drucke  abnimmt. 

Fälle  derartiger  Beeinflussung  der  Löslichkeit  sind  vielfach  unter- 
sucht worden,  doch  hat  sich  dabei  kein  Beispiel  mit  einfachen,  berechen- 
baren Verhältnissen  ergeben. 

Am  auffallendsten  ist  der  Einfluss  chemischer  Vorgänge  auf  die 
Loslichkeit  im  Falle  der  Halogenwasserstoflsäuren.  Diese  werden  be- 
kanntlich von  Wasser  in  sehr  bedeutenden  Mengen  unter  starker  Wärme- 
entwickelung aufgenommen;  letztere  beträgt  mehr,  als  die  Verflüssigungs- 
wärme der  reinen  Gase,  oder  es  entwickelt  sich  auch  Wärme,  wenn 
man  die  Halogenwasserstoffsäuren  im  flüssigen  Zustande  in  Wasser  auf- 
löst Ferner  steigt  der  Siedepunkt  des  Wassers  durch  die  Auflösung 
des  Gases  erst  an,  erreicht  ein  Maximum  und  fällt  dann  wieder  ab; 
der  Dampfdruck  bei  konstanter  Temperatur  hat  demnach  den  umge- 
kehi-ten  Verlauf.  Gemäss  der  S.  323  gegebenen  Regel  folgt,  dass  verdünntere 
Lösungen  dieser  Säuren  sich  durch  Destillieren  konzentrieren  müssen, 
indem  vorwiegend  Wasser  übergeht;    sehr  konzentrierte  werden  umge- 

Ostwald,  Grundriss.  8.  Aufl.  23 


354  VIII.    Chemische  Mechanik. 

kehrt  Säure  verlieren  und  verdünnter  werden.  Dazwischen  giebt  es 
eine  Konzentration  (sie  liegt  für  Chlorwasserstoff  bei  20  "/q),  bei  welcher ' 
der  Dampf  dieselbe  Zusammensetzung  hat^  wie  der  Rückstand^  und  die 
unverändert  destilliert.  Dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  chemische  Ver- 
bindung handelt;  wie  irrtümlich  noch  jetzt  zuweilen  angenommen  wird, 
ist  von  Roscoe  (1860)  damit  gezeigt  worden,  dass  diese  Zusammen- 
setzung mit  dem  Drucke  wechselt,  von  18  bis  23  Prozent  bei  Drucken 
von  180  bis  5  cm  Quecksilber.  Auch  ist  die  Dampfdichte  die  eines 
Gemenges  von  Chlorwasserstoff  und  Wasserdampf. 

Der  chemische  Vorgang,  welcher  in  diesen  Fällen  stattfindet,  be- 
steht wesentlich  in  der  Bildung  der  Ionen  Wasserstoff  und  Halogen  aus 
der  Verbindung.  Da  sich  dabei  die  Molenzahl  vermehrt,  so  muss  sich 
die  scheinbare  Löslichkeit  nach  der  oben  gegebenen  Theorie  mit  steigen- 
dem Drucke  vermindern.  Dies  ist  in  ausgeprägtester  Weise  der  Fall, 
da  schon  bei  sehr  kleinen  Drucken  der  grösste  Anteil  des  Gases  aufge- 
nommen wird,  und  eine  Vermehrung  des  Druckes  nur  eine  verhältnis- 
mässig unbedeutende  Vermehrung  der  gelösten  Menge  bewirkt. 

Den  gegebenen  Erörterungen  über  das  Gleichgewicht  zwischen  einer 
festen  und  einer  flüssigen  Phase  ist  wenig  hinzuzufügen.  Die  auf 
Grund  der  Phasenregel  entwickelten  allgemeinen  Beziehungen  werden 
nur  durch  die  Zahl  der  Bestandteile  bestimmt,  nicht  durch  die  Zahl 
der  aus  ihnen  entstandenen  Verbindungen.  Der  Umstand,  dass  solche 
etwa  entstanden  sind,  ist  ganz  ohne  Einfluss  auf  die  allgemeinen  Ver- 
hältnisse, und  aus  diesen  kann  umgekehrt  nichts  über  die  Frage  etwaiger 
Verbindungen  ermittelt  werden.  Deshalb  ist  auch  noch  bis  in  unsere 
Zeit  die  Frage,  welche  Verbindungen  in  einer  gegebenen  Lösung  anzu- 
nehmen sind,   nur  in  wenigen  Fällen  befriedigend  beantwortet  worden. 

Falls  zwischen  dem  gelösten  Stoffe  und  dem  Lösungsmittel  irgend 
welche  chemischen  Vorgänge  eintreten,  so  wird  dadurch  die  Loslichkeit 
immer  vermehrt  werden.  Denn  wenn  sich  schliesshch  das  Gleich- 
gewicht hergestellt  hat,  so  besteht  es  zwischen  der  festen  Phase  und 
dem  unverändert  in  der  Lösung  vorhandenen  Teil  desselben  Stoffes. 
Es  wird  also  die  scheinbare  Löshchkeit  um  so  viel  gi'össer  als  die  wirk- 
Uche  sein,  als  der  in  andere  Verbindungen  übergegangene  Teil  des 
Stoffes  beträgt.  Der  chemisch  veränderte  Anteil  wirkt  auf  die  wahre 
Löslichkeit  nur  wie  irgend  ein  anderer  fremder  Stoff:  ist  er  in  geringer 
Konzentration  vorhanden,  so  ist  sein  Einfluss  vensch windend;  anderen- 
falls wirkt  er  durch  die  Änderung  in  der  Beschaffenheit  des  Lösungsmittels. 

Diese  Betrachtungen  finden  insbesondere  Anwendung  auf  den  meist- 
untersuchten Fall  der  wässerigen  Salzlösungen.  Bei  diesen  weiss  man 
jetzt  sicher,  dass  nur  ein  kleiner  Teil  als  unverändertes  Salz  gelöst  ist; 
der  grössere  Teil  pflegt  in  Ionen  zerfallen  zu  sein,  und  dieser  Umstand 
trägt  am  meisten  dazu  bei,  dass  die  Salze  vorwiegend  in  Wasser  lös- 
lich sind. 

Hat  man  irgend   einen  Anhaltspunkt,   der  die  Löslichkeit  des  un- 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  355 

veränderten  Stoffes  bestimmen  oder  schätzen  lässt,  so  kann  man  aus 
dem  überschuss  der  experimentell  gefundenen,  über  die  zu  erwaii;ende 
den  Betrag  der  stattgehabten  chemischen  Vorgänge  ermitteln.  Über 
deren  Natur  erfährt  man  auf  diese  Weise  nichts,  hierftlr  müssen  andere 
Verfahren  eintreten,  die  an  dieser  Stelle  noch  nicht  erörtert  werden  können. 

Man  kann  sich  die  Frage  stellen,  ob  nicht  durch  die  Bildung  der 
Verbindungen  in  der  Lösung,  vermöge  der  grösseren  Mannigfaltigkeit, 
die  Zahl  der  Freiheiten  sich  vermehrt.  Indessen  sieht  man  leicht  ein, 
dass  solches  nicht  eintreten  kann,  da  durch  die  Menge  der  unverändert 
gebliebenen  Bestandteile  die  Mengen  der  entstandenen  Verbindungen 
eindeutig  festgestellt  sind.  Sind  a^  und  a^  die  Konzenti*ationen  der 
Bestandteile,  und  ist  b  die  einer  Verbindung,  so  besteht  zwischen  diesen 

Grössen  eine  Gleichgewichtsgleichung  von  der  Gestalt  a™^  a™*  =  k  •  b°, 
und  da  a^  und  ag  bestimmt  sind,  so  muss  es  auch  b  sein.  Für  jede 
neue  Verbindung,  die  entstehen  mag,  gilt  eine  deraiüge  Gleichung  mit 
einem  neuen  Koeffizienten  k;  doch  bringt  keine  von  ihnen  eine  unab- 
hängig veränderliche  Grösse  hinein. 

Die  bisher  betrachteten  Gleichgewichte  waren  alle  dadurch  gekenn- 
zeichnet, dass  sich  in  ihnen  Phasen  veränderlicher  Konzentration  befanden. 
Wenn  ein  Gebilde  vorlag,  in  welchem  nur  eine  Freiheit  vorhanden  war, 
so  konnte  es,  wenn  man  die  Temperatur  veränderte,  durch  Änderung 
der  Konzentration  einen  neuen  Gleichgewichtszustand  aufsuchen,  und  die 
Existenz  solcher  Gebilde  liess  sich  stetig  über  ein  mehr  oder  weniger 
weites  Gebiet  verfolgen. 

Anders  werden  die  Verhältnisse,  wenn  keine  Phase  veränderlicher 
Konzentration  vorhanden  ist.  Wenn  man  in  einem  solchen  Gebilde  die 
Temperatur  ändert,  so  gelangt  man  alsbald  aus  der  Existenzmögüchkeit 
heraus,  und  es  tritt  eine  unstetige  Umwandlung  ein. 

Phasen  veränderlicher  Konzentration  sind  zunächst  die  Gase,  sodann 
die  flüssigen  Lösungen.  Unveränderliche  Konzentration  (mit  einer  kleinen 
Einschränkung)  findet  sich  bei  festen  Stoffen,  femer  bei  solchen  Flüssig- 
keiten, die  keinen  von  den  anderen  vorhandenen  Stoffen  in  merklicher 
Menge  auflösen.     Der  letzte  Fall  ist  verhältnismässig  selten. 

Die  einfachsten  Beispiele  für  diesen  Unterschied  finden  sich  bei  den 
Gleichgewichten  erster  Ordnung.  Zwischen  Dampf  und  Wasser  besteht 
ein  ausgedehntes  Gleichgewichtsgebiet,  das  sich  von  0*^  bis  etwa  400*^, 
der  kritischen  Temperatur,  erstreckt.  Dies  liegt  daran,  dass  der  Dampf 
veränderliche  Konzentration  annehmen  und  sein  Gleichgewicht  mit  Wasser 
auf  diese  Weise  den  Änderungen  der  Temperatur  folgen  kann.  Dagegen 
ist  das  Gleichgewicht  zwischen  Eis  und  Wasser  kaum  über  einige  Zelmtel- 
grade  bekannt;  beide  Stoffe  können  ihre  Konzentration  fast  nicht  ändern, 
und  deshalb  muss  bei  einer  kleinen  Verschiebung  der  Temperatur  ent- 
weder das  Eis  vollständig  in  Wasser,  oder  das  Wasser  vollständig  in 
Eis  übergehen. 

23* 


356  VIII.    Chemische  Mechanik, 

Durch  starken  Druck  kann  man  die  Dichte  und  daher  die  Kon- 
zentration von  Wasser  und  Eis  allerdings  ein  wenig  ändern.  Doch  ist 
diese  Änderung  so  überaus  klein,  dass  ein  Einflnss  nur  bei  sehr  starken 
Drucken  beobachtet  werden  kann  und  es  nur  ein  sehr  kleines  Tempera- 
turgebiet giebt,  innerhalb  dessen  das  Gebilde  bestehen  kann;  beim  Über- 
schreiten dieses  Gebietes  verschwindet  eine  oder  die  andere  Phase. 

Auch  bei  Gleichgewichten  zweiter  Ordnung  tritt  ein  ähnliches  Ver- 
halten ein. 

Die  Zahl  der  Fälle,  wo  Gleichgewichte  erster  Ordnung  solche  Ge- 
bilde ergeben,  die  man  auch  als  „kondensierte"  bezeichnet,  beschränkte 
sich  auf  zwei;  es  ist  entweder  eine  feste  und  eine  flüssige  Phase  (wie 
bei  Wasser  und  Eis)  oder  es  sind  zwei  feste  vorhanden.  Der  letzte  Fall 
tritt  bei  polymorphen  Stoffen  am  ümwandlungspunkte  ein  (S.   183). 

Kondensierte  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung  verlangen  drei  Phasen. 
Es  können  zwei  flüssige  und  eine  feste,  zwei  feste  und  eine  flüssige  und 
drei  feste  sein.  Alle  solche  Gebilde  zeigen  die  Eigenschaft,  dass  sie 
nur  bei  einem  praktisch  unveränderlichen  Temperaturpunkte  bestehen 
können,  und  beim  Verlassen  dieses  Punktes  eine  der  vorhandenen  Phasen 
verlieren. 

Der  Fall  zweier  flüssigen  Phasen  und  einer  festen  ist  uns  schon 
entgegengetreten.  Er  hegt  vor,  wenn  ein  Stofl"  unter  seinem  Lösungsmittel 
schmilzt,  wobei  es  gleichgültig  ist,  ob  der  gelöste  Teil  weitere  chemische 
Änderungen  in  der  Lösung  erleidet  oder  nicht.  In  einem  solchen  Ge- 
bilde giebt  es  nur  eine  Temperatm-,  bei  der  fester  und  flüssiger  Stoff 
neben  der  Lösung  bestehen  kann.  Erwärmt  man,  so  verschwindet  der 
feste  Stoflj  und  es  bleibt  nur  der  flüssige  neben  der  Lösung;  kühlt  man 
ab,  so  verschwindet  die  Schmelze,  und  man  hat  nur  den  festen  Stoff  neben 
der  Lösung. 

Man  kann  sich  diese  Verhältnisse  an  der  Benzoesäure  veranschaulichen, 
die  bei  -\-db^  unter  ihrer  gesättigten  Lösung  zu  einer  Flüssigkeit  schmilzt, 
welche  wesentlich  aus  Benzoesäure  besteht,  daneben  aber  Wasser  enthält. 
Nur  bei  dieser  Temperatur  können  feste  und  flüssige  Benzoesäure  neben  der 
Lösung  bestehen.  Die  Temperatur  ist  im  übrigen  ganz  unabhängig  von  den 
Mengen  der  drei  Phasen,  also  auch  von  den  Verhältnissen,  in  denen  die  bei- 
den Bestandteile  vorhanden  sind,  falls  nur  solche  Grenzen  eingehalten  sind, 
dass  alle  drei  Phasen  sich  ausbilden  können. 

Ein  anderes  Beispiel  ist  Äther  und  Wasser,  die  bei  — 3-85°  Eis  aus- 
scheiden, so  dass  dieses  neben  einer  gesättigten  Lösung  von  Wasser  in  Äther 
und  einer  von  Äther  in  Wasser  vorhanden  ist.  Auch  hier  ist  die  Tempera- 
tur unabhängig  von  den  Mengenverhältnissen  und  ändert  sich  insbesondere 
auch  nicht,  wenn  man  beliebig  viel  Eis  sich  ausscheiden  oder  verflüssigen  lässt. 

Der  zweite  FaU  einer  flüssigen  Phaseneben  zwei  festenist  in  dem 
Falle  der  „Schmelzung'^  des  Glaubersalzes  gegeben.  Bei  34®  verflüssigt 
sich  das  mit  lOH^O   krystallisierende  Natriumsulfat,  doch  erfolgt  keine 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung.  357 

wirkliche  Schmelzung,  denn  es  scheidet  sich  gleichzeitig  wasserfreies  Salz 
aus  und  die  entstehende  Flüssigkeit  hat  daher  nicht  die  Zusammensetzung 
des  Glaubersalzes ;  sondern  ist  salzärmer.  Im  übrigen  verhält  sich  das 
Gebilde  wie  ein  schmelzender  einheitlicher  Stoff,  denn  die  Temperatur 
bleibt  bei  weiterer  Wärmezufuhr  ganz  konstant,  bis  alles  Glaubersalz 
verschwunden  und  nur  noch  wasserfreies  Salz  neben  der  gesättigten 
Lösung  nachgeblieben  ist. 

Wenn  man  zu  den  drei  festen  oder  flüssigen  Phasen  eines  „kon- 
densierten" Gleichgewichts  als  vierte  noch  die  DampQ)hase  hinzutreten 
lässt,  so  erhält  man  einen  Punkt,  in  dem  keine  weitere  Freiheit  besteht. 
Die  Eigenschaften  solcher  vierfacher  Punkte  werden  alsbald  besprochen 
werden.  Lässt  man  die  vierte  Phase  fort,  so  bleibt  noch  eine  Freiheit, 
welche  durch  die  allgemeine  Gleichung  dp/dT  =  L/uT  (S.  125)  ge- 
regelt ist.  Wegen  der  Abwesenheit  der  Gasphase  sind  die  Volum- 
änderungen u,  die  in  dem  Gebilde  auftreten  können,  sehr  klein,  während 
die  Reaktionswärmen  L  die  gewöhnlichen  Werte  haben.  Dadurch  wird, 
wie  dies  schon  in  dem  einfachsten  Falle  Wasser-Eis  dargelegt  worden 
ist,  das  Verhältnis  dp/dT  sehr  gross,  d.  h.  es  sind  sehr  bedeutende 
Änderungen  des  Druckes  erforderlich,  um  geringe  Änderungen  der  Gleich- 
gewichtstemperatur herbeizufahren.  In  den  meisten  Fällen  lassen  sich 
diese  Änderungen  kaum  nachweisen,  und  wenn  nicht  besondere  Ver- 
hältnisse eintreten,  durch  welche  der  Druck  erheblich  gesteigert  werden 
kann,  erscheinen  diese  kondensierten  Gleichgewichte  an  eine  ganz  be- 
stinamte  Temperatur  gebunden.  Praktisch  liegt  schon  in  der  üblichen 
Bestimmung  des  thermometrischen  Nullpunktes  durch  schmelzendes  Eis 
ein  solcher  Fall  vor;  die  Temperatur  ist  zwar  vom  Drucke  abhängig, 
doch  in  so  geringem  Grade,  dass  die  Druckverschiedenheiten,  wie  sie 
durch  Änderungen  des  Barometerstandes  oder  den  hydrostatischen  Druck 
der  Eis- Wassermasse  bedingt  werden,  auch  bei  feinen  Messungen  nicht 
zur  Geltung  kommen.  Dalier  lassen  sich  Gleichgewichtspunkte  zweiter 
Ordnung  ahnhch  zur  Festlegung  bestimmter  Temperaturen  benutzen,  wie 
dies  bei  solchen  erster  Ordnung  längst  üblich  ist. 

Bei  einer  dahin  gerichteten  Untersuchung  am  -Glaubersalz  hat  es  sich 
gezeigt,  dass  man  auf  solche  Weise  äusserst  konstante  Temperaturen  erhalten 
kann,  die  sich  für  die  Festlegung  bestimmter  Punkte  ebensogut  eignen,  wie 
die  gewöhnlichen  Schmelzpunkte  reiner  Stoffe,  z.  B.  des  Wassers.  Die 
Temperatur  wird  allerdings  durch  die  Gegenwart  fremder  Stoffe  ebenso  be- 
einflusst,  wie  ein  gewöhnlicher  Schmelzpunkt,  doch  hat  es  sich  als  ausführbar 
erwiesen,  durch  verhältnismässig  einfache  Reinigungen  auf  einen  Tausend - 
Stelgrad  genau  schmelzendes  Glaubersalz  herzustellen.  Die  Temperatur  ist 
32-484°  der  internationalen  Skala,  oder  32-379°  des  Wasserstoffthermometers 
Lichajds  1898). 

Ein  anderes  hierhergehöriges  Beispiel  bilden  die  eutektischen  Punkte 
(S.  333),  in  denen  die  beiden  festen  Stoffe  neben  dem  aus  ihnen  entstehenden 
flüssigen  Gemisch  vorliegen,  und  welche  gleichfalls  von  den  Mengenverhält- 


358  YIII.    Chemische  Mechanik. 

nissen   unabhängige,  nur   durch  die   Natur  der  beteiligten  Stoffe  bestimmte 
Gleichgewichtstemperaturen  ergeben. 

Kondensierte  Gleichgewichte  dreier  fester  Phasen  aus  zwei  Bestand- 
teilen sind  noch  nicht  genauer  untersucht,  so  dass  sich  keine  geeigneten 
Beispiele  angeben  lassen.  Es  läfist  sich  absehen^  dass  sich  für  das  Be- 
stehen solcher  Gebilde  Verhältnisse  herausstellen  werden^  die  sich  unter 
ähnliche,  nur  mannigfaltigere  Typen  bringen  lassen  werden,  wie  sie  in 
den  enantiotropen  und  monotropen  Formen  bei  einheitlichen  Stoffen 
(S.  184)  vorliegen. 

Soll  endlich  gar  keine  Freiheit  mehr  übrig  bleiben,  so  müssen  bei 
zwei  Bestandteilen  vier  Phasen  vorhanden  sein,  und  man  hat  einen 
^vierfachen  Punkt",  der  dem  dreifachen  bei  den  Gleichgewichten 
erster  Ordnung  entspricht  (S.  179).  Ein  solcher  liegt  z.  B.  vor,  wenn 
man  dem  oben  geschilderten  Gebilde  aus  Glaubersalz,  wasserfreiem  Na- 
triumsulfat und  gesättigter  Lösung  noch  Dampf  hinzufügt.  Von  den  ^kon- 
densierten" dreifachen  Punkten  unterscheidet  sich  ein  solcher  dadurch,  dafis 
nicht  nur  seine  Temperatur,  sondern  auch  sem  Druck  vollkommen  be- 
stimmt ist,  und  dass  keines  von  diesen  auch  nur  um  das  Geringste  ver- 
schoben werden  kann,  ohne  dass  eine  Phase  verschwindet. 

Aus  den  vier  Phasen  eines  solchen  Punktes  lassen  sich  vier  Zu- 
sammenstellungen zu  dreien  machen,  nämlich  abc,  abd,  acd  und  b c d, 
wenn  a,  b,  c,  d  die  vier  Phasen  sind.  Jedes  dieser  dreiphasigen  Gebilde  hat 
eine  Freiheit,  und  ergiebt  demnach  eine  Drucktemperaturlinie.  Ist  eine 
der  vorhandenen  Phasen  Dampf,  so  haben  drei  dieser  Linien  den  Cha- 
rakter von  Dampfdruck-  oder  Dissociationslinien,  da  jede  Phase,  also  auch 
die  dampfförmige,  in  drei  Zusammenstellungen  vorkommt.  Die  vierte 
Linie  ist  dann  die  eines  kondensierten  Gebildes.  Ist  eine  Damp^hase 
nicht  vorhanden,  so  sind  alle  Linien  kondensierte,  d.  h.  sie  verlaufen 
fast  parallel  der  Druckachse. 

Es  gehören  also  zu  jedem  vierfachen  Punkte  vier  Zustandsreihen 
mit  einer  Freiheit,  die  sich  durch  vier  Drucktemperaturlinien  darstellen 
lassen.  Diese  vier  Linien  schneiden  sich  notwendig  in  einem  Punkte, 
eben  dem  vierfachen.  An  der  Stelle,  wo  sich  zwei  beliebige  dieser 
Linien  schneiden,  sind  die  beiden  Reihen  angehörigen  Phasen  alle  im 
Gleichgewicht;  da  jede  Reihe  drei  Phasen  enthält  und  beide  Gruppen 
verschieden  sein  sollen,  so  sind  im  Durchschnittspunkte  zweier  Linien 
bereits  alle  vier  Phasen  vertreten,  die  dort  im  Gleichgewicht  sind.  Da 
der  Durchschnitt  jeder  der  beiden  anderen  Linien  mit  einer  der  be- 
trachteten wieder  ein  Gleichgewicht  dieser  selben  vier  Phasen  ergiebt, 
und  nach  der  Phasenregel  zwischen  diesen  nur  ein  einziger  Gleichge- 
wichtspunkt möglich  ist,  so  müssen  alle  vier  Linien  denselben  Durch- 
schnittspunkt haben,  und  also  etwa  wie  in  Fig.  43  liegen. 

Die  Zahl  von  vier  Phasen  ist  zwar  die  grösste,  die  bei  zwei  Be- 
standteilen nebeneinander  im  Gleichgewicht  sein  können,  sie  machen  es  aber 


Weitere  chemische  Gleichgewichte  zweiter  Ordnung, 


359 


möglich,  dass  aus  zwei  Bestandteilen  mehr  als  vier  verschiedene  Verbin- 
dungen oder  Lösungen,  allgemein  mehr  als  vier  Phasen  entstehen  können. 
So  tritt  die  Frage  auf,  wie  sich  die  Verhältnisse  gestalten,  wenn  die  An- 
zahl der  möglichen  Phasen  grösser  ist. 

Die  Antwort  ist,  dass  in  solchen  Fällen  mehrere  vierfache 
Punkte  entstehen,  die  durch  die  Zustandslinien  der  drei  Phasen  ver- 
bunden sind,  welche  den  beiden  vierfachen  Punkten  gemeinsam  sind. 
Auf  diese  Weise  können  beliebig  viele  Formen  und  Verbindungen  unter- 
gebracht werden,  und  die  Beobachtungen  haben  ein  derartiges  Verhalten 
bereits  in  vielen  Fällen  erkennen  lassen. 

Als  Beispiel  diene  der  erste  Fall,  der  in  dieser  Hinsicht  genauer  unter- 
sucht wurde,  die  Verbindungen  des  Schwefeldioxyds  mit  Wasser  (Roozeboom 
1885).     Die  möglichen  Phasen  sind: 


Fig.  44. 


Fig.  43. 

a.  Festes  Hydrat  S0*.7H«0. 

b.  Lösung  von  SO*  in  Wasser. 

c.  Lösung  von  Wasser  in  SO*. 

d.  Gasförmiges  SO*  mit  etwas  Wasserdampf. 

e.  Eis. 

Im  Punkte  L  (Fig.  44)  sind  die  Phasen  a,  b,  c,  d  zusammen;  im  Punkte  B 
die  Phasen  a,  b,  d,  e.  Die  Verbindungslinie  I  stellt  somit  die  Gleichgewichte 
der  gemeinsamen  Phasen  a,  b,  d  dar.  Die  anderen  Linien  haben  die  Be- 
deutung: II  =  a,  c,  d;  III  =  b,  c,  d;  IV  =  a,  b,  c;  V  =  a,  d,  e;  VI  =«  b,  d,  e; 
VII  =  a,  b,  e. 

Die  vielfach  interessanten  Verhältnisse,  die  sich  bei  dem  eingehenden 
Studium  solcher  vollständiger  Gleichgewichtsverhältnisse  ergeben,  können  hier 
nicht  eingehend  betrachtet  werden;  für  ihr  Studium  stehen  die  Originalarbeiten 
und  die  ausführlichen  Lehrbücher  zu  Gebote. 


360  -  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Siebentes  Kapitel. 

Gleichgewichte  höherer  Ordnung. 

Die  allgemeine  Formel  für  das  isotherme  Gleichgewicht  zwischen  beliebig 
vielen  Bestandteilen  lässt  sich  auf  einem  Wege  ableiten,  der  dem  ganz 
ähnlich  ist,  auf  w^elchem  wir  die  Formeln  für  die  Gleichgewichte  erster 
und  zweiter  Ordnung  gefunden  haben.  Ist  die  Reaktionsgleichung  zwischen 
den  auftretenden  Stoffen  gegeben  durch  m^  A^  +  0^2-^2  ~l~  ^^ä-^a  "i"  ••• 
=  n,  Bj  4"  ^3  ß«  +  ^^s  ^3  +  •  •  •  so  ist  die  Arbeit  für  eine  kleine  Ver- 
schiebung des  Zustandes  —  alle  Bestandteile  als  Gase  vorausgesetzt  — 

gegeben   durch  RTdln(p"^p,"^;;'»  ...)/(qf*q,"*q"«...).    Die  Bedingung, 

dass  die  Summe  dieser  Arbeiten  gleich  Null  sem  soll,  ergiebt  p™*  p^^  p™* . . .  = 

k-  q°^  q°*  q"* . . .    als    ganz    allgemeine    Gleichung   för    den  Fall    beliebig 
vieler  Stoffe,  die  sich  bei  konstanter  Temperatur  ins  Gleichgewicht  setzen. 

Ebenso  gilt  für  den  Einfluss  der  Temperatur  die  allgemeine  Formd 
dlnk/dT  =  L/RT',  wo  L  die  bei  dem  vollständigen  Verlauf  der  durdi 
die  Gleichung  ausgedrückten  Reaktion   aufgenommene  Wärmemenge  istj 

Die  Gleichung  vereinfacht  sich  in  dem  Falle,  dass  feste  Phasen  auf- 
treten, dadurch,  dass  so  viele  der  Faktoren  p  oder  q  konstant  werden,  als 
feste  Phasen  vorhanden  sind.  Sind  insbesondere  bei  einem  solchen  Gleich- 
gewichte n-ter  Ordnung  n  feste  Phasen  zugegen,  so  besteht,  da  die 
gesamte  Zahl  der  Phasen  mit  der  gasförmigen  zusammen  n  +  1  ist,  ein 
Freiheitsgrad,  und  es  hegt  daher  ein  Gleichgewichtsdruck  von  der  Art 
eines  Dampfdruckes  vor,  der  nur  von  der  Temperatur  abhängig  ist  Ins- 
besondere ist  dann  notwendig  die  Zusammensetzung  der  Gasphase  für 
eine  gegebene  Temperatur  eine  ganz  bestimmte,  wie  mannigfaltig  auch 
das  Gasgemisch  sei;  wird  die  Temperatur  geändert,  so  wird  sich  aller- 
dings auch  die  Zusammensetzung  des  Gasgemisches  ändern. 

Ist  die  Zahl  der  festen  Phasen  n  —  1,  die  der  Freiheiten  also  2, 
so  ist  die  Zusammensetzung  des  Gasgemisches  auch  bei  konstanter 
Temperatur  veränderlich;  doch  in  solcher  Weise,  dass  durch  eine  Be- 
stimmung die  anderen  Verhältnisse  festgelegt  sind.  Es  stellen  sich  dann 
Beziehungen  heraus,  die  den  S.  340  entwickelten  ganz  ähnlich  sind. 

Ist  eine  der  vorhandenen  Phasen  flüssig,  so  verschwinden  im  all- 
gemeinen die  einfachen  Verhältnisse  und  machen  verwickeiteren  Platz, 
für  welche  eine  allgemeine  Darstellung  noch  nicht  gefunden  ist  Nur 
in  dem  allerdings  recht  häufigen  Falle,  dass  in  der  flüssigen  Phase  einer 
der  Bestandteile  ^)  seiner  Menge  nach  stark  überwiegt,  treten  wieder  dn- 
fachere  Verhältnisse  durch  die  Gültigkeit  der  Gesetze  verdünnter  Lösungen 

*)  Der  vorherrschende  Stoff  kann  auch  eine  Verbindung  aus  mehreren 
der  vorhandenen  Bestandteile  sein,  ohne  dass  dies  an  den  vorhandenen  Be- 
ziehungen formell  etwas  ändert.  Denn  man  kann  auch  jeden  aus  einfacheren 
Bestandteilen  zusammengesetzten  Stoff  als   einen  Bestandteil   im  Sinne  des 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  361 

€m,  und  die  füi  Gasgleichgewichte  entwickelten  Beziehungen  finden 
sachgemäfise  Anwendung. 

Die  Regel,  nach  der  in  solchen  Fällen  zu  verfahren  ist,  ergiebt  sich 
daraus,  dass  die  wirksame  Menge  des  vorherrschenden  Stoffes  oder  Lösungs- 
mittels konstant  gesetzt  wird,  während  auf  die  in  geringer  Menge  vor- 
handenen Stoffe  die  Gasgesetze  unter  sachgemässer  Deutung  des  Druckes 
als  des  osmotischen  Anwendung  finden.  Dabei  ist  natürlich  auch  noch 
das  Auftreten  beliebig  vieler  fester  Phasen  möglich,  die  nach  Anleitung 
der  bereits  betrachteten  Fälle  zu  behandeln  sind. 

Als  empirische  Regel  fiir  die  zusammengesetzteren  Gleichgewichte 
kann  noch  angegeben  werden,  dass  bisher  die  Zalil  der  flüssigen 
Phasen  nie  grösser,  als  die  der  Bestandteile  gefdnden  worden  ist. 

Was  die  Beurteilung  dec  Zahl  der  Bestandteile  anlangt,  die  für 
ein  gegebenes  Gleichgewicht  anzunehmen  sind,  so  gilt  die  Regel,  dass 
man  nur  soviele  annehmen  muss,  dass  man  jede  vorkommende  Phase  als 
Summe  (nötigenfalls  mit  negativem  Vorzeichen)  dieser  Bestandteile  ihrer 
Zusammensetzung  nach  darstellen  kann.  Dies  föhrt  zu  dem  Schlüsse, 
dass  in  der  Regel  so  viele  Bestandteile  für  einen  gegebenen  Vorgang 
anzunehmen  sind,  als  die  um  Eins  verminderte  Zahl  der  Glieder  in  der 
chemischen  Gleichung  beträgt,  welche  den  Vorgang  darstellt.  Denn  die 
Notwendigkeit,  dass  auf  beiden  Seiten  einer  jeden  chemischen  Gleichung 
die  Summe  der  Elemente  gleich  ist,  giebt  die  Möglichkeit,  ein  Glied 
jeder  Gleichung  durch  die  anderen  darzustellen,  und  es  sind  somit  nur 
n  —  1  Güeder  einer  aus  n  Gliedern  bestehenden  Gleichung  unabhängig 
voneinander. 

Diese  Regel  gilt  für  die  einfachste  Form  chemischer  Gleichungen. 
Daneben  kann  es  noch  Formen  geben,  denen  zufolge  aus  denselben 
Ausgangsstoffen  gleichzeitig  verschiedene  Produkte  entstehen.  Solche 
Gleichungen  lassen  sich  immer  in  einfache  Gleichungen  zerlegen,  als  deren 
Summen  sie  erscheinen,  und  für  diese  Einzelgleichungen  gilt  die  ausge- 
sprochene Regel  allgemein. 

Jede  derartige  Gleichung  fuhrt  zu  einer  Gleichgewichtsgleichung 
zwischen  den  potenzierten  Konzentrationen  oder  wirksamen  Mengen  der 
beteiligten  Stoffe,  die  einen  Koeffizienten  enthält,  der  im  allgemeinen 
noch  eine  Funktion  der  Temperatur  und  des  Druckes  ist.  Eine  zu- 
sammengesetzte Gleichung  enthält  soviele  Koeffizienten,  als  sie  einfache 
Gleichungen  enthält.  Häufig  lässt  sich  die  zusammengesetzte  Gleichung 
auf  mehrfache  Weise  in  einfache  zerlegen;  dann  gilt  als  Zahl  der  ent- 
haltenen   einfachen    Gleichungen    die    kleinste    Anzahl,    welche    durch 


vorhandenen  Gleichgewichts  betrachten,  wenn  man  sich  gestattet,  mit  negativen 
Mengen  zu  rechnen.  Zu  Irrtümern  kann  dies  nie  führen,  wenn  man  nur 
darauf  achtet,  dass  diese  negativen  Beträge  nicht  unter  die  möglichen  Werte 
fallen,  die  durch  die  gesamte  Zusammensetzung  des  betrachteten  Gebildes 
festgelegt  sind. 


362  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Summierung  die  zusammengesetzte  ergiebt,  und  zwischen  den  Koeffizienten 
der    verschiedenen     einfachen    Gleichungen    bestehen    soviele    Zahlenbe-  ' 
Ziehungen,    dass    die    dui'ch    die    Regel    gegebene    Anzahl  unabhängiger  I 
Koeffizienten  herauskommt. 

So  enthält  z.  B.  die  Gleichung  2  Ca  CO»  +  H«0  =-  Ca(0H)2+  CaO  +  2C0« 
fünf  verschiedene  Stoffe,  müsste  also  ein  Gleichgewicht  vierter  Ordnung  dar- 
stellen.     Sie    lässt    sich    aber    in    die    Einzelgleichungen    CaC0^  +  H*O=  ■ 
Ca(OH)«  +  CO-    und  CaCO«  =  CaO -]- CO«   auflösen,    von   denen    die    erste 
dritter,  die  zweite  zweiter  Ordnung  ist. 

Subtrahiert   man    die    beiden    Einzelgleichungen    voneinander,    so  folgt  i 
Ca(OH)*===  CaO  +  H*0,  welche  Gleichung  den  Zerfall  des  Calciumhydroxyds 
in  Kalk  und  Wasserdampf  darstellt.     Diese   Gleichung  ist  nicht  unabhängig 
von  den  anderen,  und  daher  muss  ihr  Gleichgewichtskoeffizient  sich  als  Funktion 
der  anderen  Koeffizienten   darstellen  lassen.      Bezeichnet   man   nämlich    die 
Teildrucke  oder  wirksamen  Mengen  der  einzelnen  Stoffe  wie  folgt  CaCO^  =  a,  ( 
H*0  =  b,    Ca(OH)*  =  c,    CO«  =  d,    CaO«e,   so    ergeben    die   Gleichungen  | 
CaCO»  +  H«0=Ca(OH)«-hCO*    und   CaCO»  +  CaO  +  CO*   die  Gleichge-  ; 
Wichtsgleichungen  ab/cd=«k,  a/de  =  r,  wo  k  und  r  dieGleicfagewichtskonstanten  j 
sind.   Durch  Division  folgt  c/be  =  r/k;  diese  Gleichung  stellt  aber  das  Gleich-  j 
gewicht  Ca  (OH)*=CaO-{-H'^0  dar,  und  der  zugehörige  Gleichgewichtskoeffizient  ^ 
ergiebt  sich  als  Quotient  der  beiden  anderen  Koeffizienten. 

Hieraus  folgt  also  das  bemerkenswerte  Resultat,  dass  man  die  Gleich- 
gewichtszustände zwischen  Calciumhydroxyd  und  Wasserdampf  berechnen 
kann,  wenn  man  die  Zersetzung  des  Calciumkarbonats  durch  Wasserdampf  ^ 
einerseits,  und  durch  seinen  Zerfall  in  Kalk  und  Kohlendioxyd  andererseits  ; 
kennt.  Diese  Möglichkeit  beruht  darauf,  dass  man  die  chemischen  Reaktions- 
gleichungen entsprechend  kombinieren  kann,  und  dies  geht  immer,  wenn 
die  verschiedenen  Gleichungen  teilweise  dieselben  Stoffe  enthalten  Denn 
jede  neue  chemische  Gleichung,  die  man  durch  die  Elimination  solcher  gemein- 
samer Glieder  erlangt,  stellt  notwendig  wenigstens  einen  denkbaren,  wenn 
auch  nicht  immer  ausführbaren  chemischen  Vorgang  dar. 

Die  Anzahl  der  Bestandteile  für  ein  gegebenes  Gleichgewicht  ist 
durch  die  Art  des  chemischen  Vorganges  bestimmt,  welcher  betrachtet 
wird,  und  ein  und  dasselbe  Gebilde  kann  bei  geändertem  Vorgange 
auch  die  Zahl  der  Bestandteile  ändern.  So  werden  die  gewöhnlichen 
Zustandsänderungen  des  Wassers  unter  die  Gleichgewichte  erster  Ordnung 
zu  rechnen  sein;  steigert  man  aber  die  Temperatur  auf  2000®,  so  zer- 
fallt das  Wasser  in  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  und  wir  haben  es  mit 
Gleichgewichten  zweiter  Ordnung  zu  thun. 

Eine  weitere  wichtige  Voraussetzung  ist,  dass  die  Gleichungen, 
welche  die  Phasen  als  Summen  der  angenommenen  Bestandteile  aus- 
drücken, unter  den  angenommenen  Bedingungen  ausführbar  sind^ 
oder  wirkliche  Umwandlungen  darstellen.  Ein  Gemenge  aus  Essig- 
säure, Äthyl-  und  Methylalkohol,  in  dem  sich  Wasser  und  die  bei- 
den   Ester    gebildet    haben,    stellt    ein   Gleichgewicht    vierter    Ordnung 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  363 

r,  obwohl  die  Zahl  der  anwesenden  Elemente  nur  drei  ist^  und  sich 
rch  diese  die  Zusammensetzung  aller  möglichen  Phasen  ausdrücken 
Bt.  Da  aber  unter  den  bekannten  Versuchsbedingungen  sich  die  ge- 
onten  Stoffe  aus  den  Elementen  nicht  bilden,  so  dürfen  diese  auch 
lit  als  Bestandteile  angenommen  werden.  Wohl  aber  kann  durch  vier 
r  genannten  Stoffe,  z.  B.  die  beiden  Alkohole,  die  Säure  und  Wasser 
I  Zusammensetzung  jeder  Phase  dargestellt  werden,  denn  die  beiden 
deren  Stoffe,  hier  die  Ester,  lassen  sich  als  Summe  von  Säure  plus 
kohol  minus  Wasser  ausdrücken,  und  diese  Beziehungen  sind  auch 
perimentell  ausführbar. 

Was  die  verschiedenen  FäUe  der  Gleichgewichte  dritter  Ordnung 
langt,  so  sind  sie  so  zahh*eich,  dass  es  nicht  ausführbar  ist,  sämtliche 
^glidien  Typen  hier  zu  kennzeichnen.  Es  muss  genügen,  eine  Anzahl 
Q  Fällen  zu  beschreiben,  die  entweder  durch  ihre  allgemeine  Be- 
laffenheit  oder  durch  die  Wichtigkeit  des  Vorganges  besondere  Auf- 
srksamkeit  beanspruchen. 

Ein  durch  seine  technische  Bedeutung  wichtiger  Fall  des  Gleichgewichts 
itter  Ordnung  ist  die  durch  die  Gleichung  H^O-f- CO  =  H«  +  CO* 
rgestellte  Wechselwirkung  zwischen  Kohlenoxyd,  Wasserdampf,  Wasser- 
>ff  und  Kohlendioxyd.  Als  Bestandteile  kann  man  die  Elemente  Kohlen- 
iff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  auffassen;  will  man  solche  Bestandteile 
Wen,  die  wirklich  vorhanden  sind,  so  können  drei  von  den  Gasen 
liebig  dazu  genommen  werden,  da  sich  die  chemische  Zusammensetzung 
B  vierten  immer  durch  Summen  (nötigenfalls  mit  negativen  Gliedern) 
r  drei  anderen  darstellen  lässt. 

Es  ergiebt  sich  hieraus  eine  Willkür  in  der  Wahl  der  Bestandteile, 
lohe  für  die  Anwendung  des  Phasengesetzes  bedenklich  zu  sein  scheint.  Doch 
erzeugt  man  sich  bald,  dass  die  Willkür  nur  in  Bezug  auf  die  Auswahl, 
jht  aber  in  Bezug  auf  die  Anzahl  der  Bestandteile  vorhanden  ist;  für  das 
flsengesetz  kommt  aber  nur  die  letztere  in  Betracht. 

Bezeichnen  wir  die  Drucke  der  vier  Bestandteile  nacheinander  mit 
,P3,q,,q8,  so  gut  fär  das  Gleichgewicht  die  Formel  pj  pg  •^=k-q|  q^. 
%  wir  drei  Bestandteile  und  eine  Phase  haben,  so  liegen  vier  Freiheiten 
T  d.  h.  es  können  neben  Gesamtdruck  und  Temperatur  noch  zwei 
Jüdrucke  beliebig  bestimmt  werden.  Der  Gesamtdruck  hat  in  diesem 
die  auf  das  Gleichgewicht  keinen  Einfluss,  da  die  Reaktion  ohne  Volum- 
tderung  vor  sich  geht  oder  da  ein  gemeinsamer  Faktor  zu  allen  Druck- 
arten sich  aus  der  Gleichgewichtsgleichung  wieder  heraushebt  (vgl.  S.  381). 

Dass  die  Ergebnisse  der  Beobachtung  wenigstens  in  grossen  Zügen 
itder  Theorie  übereinstimmen,  ist  von  Horstmann  (1877)  gezeigt  worden, 
och  mussten  sich  die  Beobachtungen  auf  das  Gleichgewicht  beschränken, 
18  bei  der  Verpuffung  von  Kohlenoxyd-Wasserstoffgemengen  mit  unzu- 
Ichendem  Sauerstoff  sich  im  Augenblicke  der  Reaktion  einstellt.  Da 
e  höchste  Temperatur  nur  sehr  kurze  Zeit  dauert,   so  ist  man  nicht 


364  VIII.    Chemische  Mechanik. 

sicher,  ob  das  Gleichgewicht  erreicht  wird;  ausserdem  wird  es  eine  V< 
Schiebung  bei  der  absinkenden  Temperatur  erleiden. 

Die  Umwandlung  von  Wasserstoff  und  Eohlendioxyd  in  Wasserd 
und  Kohlenoxyd  absorbiert  Warme;  sie  ist  somit  die  Reaktion^  d 
Betrag  sich  bei  steigender  Temperatur  steigert  Umgekehrt  wird  um 
mehr  Wasserstoff  gebildet,  je  niedriger  die  Temperatur  ist,  bei  der 
das  Gleichgewicht  herstellt.  Diese  Thatsache  ist  von  Wichtigkeit  I 
die  Beurteilung  der  Vorgänge  bei  der  Gewinnung  von  „Wassergi^ 
d.  h.  des  Einwirkungsproduktes  von  Wasserdampf  auf  Kohle  in  der  G 
hitze.  Die  Reaktion  verlauft  bei  hoher  Temperatur  vorwiegend  im  Si 
der  Gleichung  H20  +  C=CO  +  H2.  Doch  folgt  aus  den  eben 
gebenen  Verhältnissen,  dass  bei  niedriger  Temperatur  mehr  und  mcf 
die  Reaktion  2H20  +  C  =  2H«  +  CO«  vorwiegt.  Bei  der  steigend^ 
Verwendung  des  Wassergases  ist  es  von  Wichtigkeit  zu  wissen,  dass  4 
Menge  des  giftigen  Kohlenoxyds  zu  Gunsten  der  Bildung  von  W; 
Stoff  eingeschränkt  werden  kann,  wenn  man  den  Prozess  bei  mögüi 
niedriger  Temperatur  ausführt  (Mond  1897). 

Ein    Beispiel  temären   Gleichgewichts    mit  gasförmigen   und  f< 
Phasen  liegt  in  der  Reaktion  zwischen  Eisen  und  Wasserdampf  vor, 
zu  einer  teilweisen  Bildung  von  Eisenoxyduloxyd  und  Wasserstoff 
Die  chemische    Gleichung    ist  4H20  +  3Fe  =  4H2 -[- Fe^O^  und 
zwei  feste  Phasen  neben  der  gasförmigen  zugegen  sind,  so  bestehen 
Freiheiten.     Ist   also  Temperatur    und    Gesamtdruck    gewählt,    so   k 
noch  ein  Teildruck  beliebig  angenommen  werden;  der  andere  stellt 
dann  auf  einen  bestimmten  Wert  ein. 

Dies  ergiebt  sich,  wenn  man  den  Druck  des  Wasserdampfes  mit 
den    des    Wasserstoffs    mit    q  bezeichnet,    und    die    übrigen    konstant 
Faktoren   mit  der  GleicHgewichtskonstante  vereinigt;   die   Gleichgewidrf 
gleichung  wird  dann  p*  =  k-q*,  oder  p  =  Kq  d.  h.  es  muss  der  Drttl 
des  Wasserstoffs  dem  des  Wasserdampfes  proportional  sein.  ' 

Femer  folgt  aus  den  thermochemischen  Zahlen,  dass  die  ReaktÜ 
des  Wasserdampfes  auf  Eisen  Wärme  entwi6kelt,  34  J  für  ein  Mol  Bl 

Aus  den  entsprechenden  Beobachtungen  von  Deville  (1870),  d 
das  Vorhandensein  dieser  Beziehung  weder  vermutet,  noch  aus  sein! 
Beobachtungen  ersehen  hatte,  ergiebt  sich  unzweifelhaft  eine  Bestätigt 
der  Formel.  Ebenso  verschiebt  sich  das  Gleichgewicht  bei  fallenl 
Temperatur  zu  Gunsten  des  Wasserstoffe,  da  dessen  Bildung  Wanne  ei 
wickelt.  i 

Die  Verhältnisse  der  Gleichgewichte  werden  durch  das  Auftrek 
flüssiger  Phasen  verwickelter,  da  solche  im  allgemeinen  Losongl 
bilden,  in  denen  die  wirksame  Menge  der  beteiligten  Stoffe  weder  kd 
stant,  wie  bei  festen  Stoffen,  noch  der  Konzentration  proportional  w 
bei  Gasen  gesetzt  werden  darf.  Nur  im  Falle  der  verdünnten  Löaungi 
ist  letzteres  möglich,  und  dann  werden  die  Verhältnisse  wieder  4 
Rechnung  leichter  zugänglich.  { 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  365 

'  Unter  den  Reaktionen  dritter  Ordnung  in  homogener  Rtissigkeit  ist 
Ge  Wechselwirkung  zwischen  organischen  Säuren  und  Alkoholen  zu  er- 
NÜmen.  Sie  hat  eine  geschichtliche  Bedeutung  dadurch^  dass  sie  die 
feste  Beaktion  ist,  an  der  der  zeitliche  Verlauf  und  die  Gleichgewichts- 
terhältnisse  in  umfassenderer  Weise  studiert  worden  sind  (Berthelot  und 
l^ean  de  St.  Gilles  1862);  auch  die  ersten  erfolgreichen  Versuche  theo- 
fetischer  Erlassung  sind  an  diesem  Material  ausgeführt  worden  (Guld- 
berg  und  Waage  1867;  van't  Hoff  1877). 

Bezeichnet  man  die  Säure  mit  H.A,  den  Alkohol  mit  R.OH,  so 
Itet  sich  der  Vorgang  in  der  Gestalt  schreiben:  H.A-|-R.OH  = 
R.A-f-H^O.  Es  stellt  sich  bei  der  Wechselwu-kung  der  beiden  Stoffe 
im  Gleichgewichtszustand  heraus,  der  von  der  Natur  der  Säure  und  der 
Temperatur  ziemlich  unabhängig  ist,  und  der  durch  eine  Gleichung  von 
ler  Gestalt  2i^9L^=k.\h^ 

gekennzeichnet  ist    Hierin  bezeichnet  a^  die  Konzentration  des  Alkohols, 

^   die    der  Säure,  b,    die  des  Esters   und  h^    die    des  Wassers.     Die 

onstante  k  hat  meist  den  Wert  1/4.     Daraus  folgt,  dass,   wenn   man 

äure   und  Alkohol  zu   gleichen  Molen   anwendet,   sich  etwa    2/3   von 

en  zu  Ester  und  Wasser  umsetzen. 

Die  Berechnung  der  zahlreichen  Versuche  über  dies  Gleichgewicht 
laben  nur  angenäherte  Übereinstimmung  mit  der  Theorie  ergeben.  Dies 
iegt  dai'an,  dass  man  als  wirksame  Menge  den  Molenbruch  hat  einführen 
müssen  (S.  346);  da  aber  Alkohol  und  Wasser  teilweise  polymerisierte 
Stoffe  sind  (S.  151),  so  ist  gerade  in  diesem  Falle  eine  solche  Rechnung 
»weifelbaft.  Doch  ist  immerhin  die  Übereinstimmung  genügend,  um  die 
Anwendbarkeit  der  Theorie  im  Prinzip  ausser  Zweifel  zu  setzen. 

Treten  feste  Phasen  neben  flüssigen  auf,  so  kann  man  zunächst 
|iach  dem  Falle  fragen,  welcher  dem  der  gegenseitig  löslichen  Schmelzen 
nnd  dem  eutektischen  Punkte  (S.  333)  entspricht.  Um  eine  Übersidit 
^erüber  zu  gewinnen,  machen  wir  uns  mit  einem  Koordinatensystem 
|l)ekannt,   welches  gestattet,   drei  veränderliche  Bestandteile  darzustellen. 

\  Hierzu  zeichnen  wir  ein  gleichseitiges  Dreieck,  dessen  Seitenlängen 
Igleich  der  Einheit  gemacht  werden,  und  beachten,  dass  jeder  Punkt  im 
famem  dieses  Dreiecks  die  Eigenschaft  hat,  dass  die  Summe  der  drei 
)Pai'allelen  zu  den  Seiten  pa  +  pb  +  pc  gleich  der  Seitenlänge,  also 
||leich  Eins  ist.  Bezieht  man  somit  die  Berechnung  auf  ein  Mol  des  Ge- 
misches, so  kann  man  jede  beliebige  Zusammensetzung  derselben  durch 
leinen  Punkt  des  Dreiecks  angeben.  Die  Eckpunkte  stellen  dann  die 
Ireinen  Stoffe  dar,  die  Seiten  des  Dreiecks  Gemenge  aus  je  zwei  Be- 
standteilen, und  im  inneren  liegen  die  temären  Gemische. 
\  Nun  seien  die  eutektischen  Gemische  für  die  drei  Stoffpaare  AB, 
fiC  und  BC  bestimmt;  sie  mögen  bei  K3,  K^  und  K^  liegen,  Fig.  45. 
Jüan  löse  in  dem  flüssigen  Anteile  des  eutektischen  Gemisches  AB,  das 
mit  den  festen  Stoffen  A  und  B  im  Gleichgewicht  ist,  etwas  C  auf.   Dann 


366 


VIII.    Chemische  Mechanik. 


wird  die  Temperatur  sinken^  und  gleichzeitig  >^ird  sieh  im  allgemeinen 
auch  das  Verhältnis  zwischen  A  und  B  in  der  Flüssigkeit  etwas  ändern, 
bis  sie  wieder  mit  festem  A  und  B  im  Gleichgewidit  ist.  Der  Punkt, 
welcher  jetzt  die  Zusammensetzung  der  Flüssigkeit  darstellt,  liegt  inner- 
halb des  Dreiecks  in  der  Nähe  von  ab,  etwa  bei  i.  Setzt  man  mehr 
C  hinzu,  so  rückt  der  Punkt  weiter  hinein,  und  die  Gesamtheit  dieser 
Punkte,  die  die  Gleichgewichte  mit  den  beiden  festen  Phasen  A  und  B 
darstellen,  wird  eine  (nahezu  gerade)  Linie  bilden,  die  etwa  nach  K  läuft 
Schliesslich  wird  die  Lösung  auch  in  Bezug  auf  C  gesättigt  sein,  und 
wir  gelangen  zu  einem  Punkte,  bei  welchem  sie  mit  allen  drei  festen 
Stoffen  im  Gleichgewicht  ist. 

Ganz  dieselbe  Überlegung  können  wir  machen,  indem  wir  von  dem 
eutektischen  Gemisch  AC  ausgehen.     Wir  finden  eine  Linie,  die  von  K, 

nach  K  verläuft  und  sich  mit  der 


Fig.  45. 


ersten  in  K  schneidet.  Da  es 
um  dasselbe  Gleichgewicht,  näni' 
lieh  die  Lösung  neben  den  drei 
festen  Stoffen  handelt,  so  muss  dei 
Punkt  beiden  Linien  gemeinsam 
sem,  d.  h.  es  muss  deren  Durch- 
Schnittspunkt  K  sein. 

Aber  auch  fiir  das  eutekti- 
sche  Gemisch  BC  gilt  die  gleiche 
Überlegung.  Dessen  Linie  muss 
gleichfalls  durch  K  gehen,  und  so 
-ö  wu'd  die  Erscheinung  durch  Flg.  45 
dargestellt,  wo  sich  die  drei  Linien 
des  Gleichgewichts  mit  je  zwei 
festen  Stoffen  in  demselben  Punkte  K  schneiden,  der  den  temären  eutek- 
tischen Punkt  darstellt.  Er  liegt,  wie  aus  der  Entwickelung  hervor- 
geht, bei  tieferer  Temperatur,  als  jeder  der  binären  eutektischen  Punkte, 
hat  aber  im  übrigen  ganz  dieselben  Eigenschaften,  wie  diese,  insbeson- 
dere die,  dass  er  die  tiefste  Temperatur  darsteUt,  bei  welcher  eine  flüssige 
Phase  aus  den  drei  Bestandteilen  bestehen  kann,  und  dass  sich  die 
Zusammensetzung  der  Flüssigkeit  während  des  Erstarrens  nicht  ändern 
kann,  so  dass  auch  die  Temperatur  unverändert  bleibt,  solange  noch 
Flüssigkeit  zugegen  ist. 

Der  Versuch  hat  diese  Schlüsse  bestätigt. 

Die  Verschiedenheit  der  Temperaturen  ist  in  der  Zeichnung  Hg.  45 
nicht  zur  DarsteUung  gebracht.  Um  dies  zu  thun,  kann  man  senkrecht 
zur  Zeichenebene  Ordinaten  errichten,  welche  den  Temperaturen  pro- 
portional gemacht  werden.  Die  drei  Linien  liegen  dann  im  Räume  und 
bilden  die  Kanten  einer  dreiseitigen  Hohlpyramide. 

Fig.  46  veranschaulidit  die  Verhältnisse.  Die  drei  Spitzen  A,  H 
und   C  stellen    die   Schmelzpunkte  der  reinen  Stoffe  dar;    an   den  drei 


\ 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung, 


367 


Seiten  des  Prismas  erscheinen  die  eutektischen  Punkte  K^^  K^  und  K^ 
der  binären  Gemische,  und  von  diesen  aus  setzen  die  drei  Linien  der 
temären  Gemische  an^  die  sich  im  dreifachen  eutektischen  Punkte  K 
schneiden.  Auf  den  Flächen  AKjKjjK,  BK^KjK  und  CKiKgK  liegen  die 
Losungen,  welche  mit  einer  festen  Phase,  auf  den  Linien  K^K,  K^K, 
K3K  die,  welche  mit  zwei  festen  Phasen  im  Gleichgewicht  sind. 

Die  mehrfach  betonte  Ähnlichkeit  zwischen  der  Lösung  und  der 
Verdampfung  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Gleichgewichtszustände  zweiter 
Ordnung  mit  einer  Gasphase  sich 
in  ganz  ähnlicher  Weise  in  der 
dritten  Ordnung  wiederfinden,  indem 
der  leere  Raum  durch  ein  Lösungs- 
mittel ersetzt  ist  und  an  Stelle  des 
Dampfes  ein  gelöster  Stoflf  erscheint.  ^^ 
Dabei  hat  der  Umstand,  dass  etwa 
das  Lösungsmittel  sich  mit  den  an- 
deren Bestandteilen  oder  ihren  Ver- 
bindungen vereinigt,  auf  die  Gestalt 
der  Gesetze  keinen  Einfluss,  solange 
es  nur  in  so  grossem  Verhältnis 
vorhanden  ist,  dass  man  die  Lö- 
sung als  eine  verdünnte  bezeich- 
nen darf. 

Man  muss  die  Frage  stellen, 
welches  denn  die  Grenze  der  ver- 
dünnten Lösungen  sei.  Die  Antwort 
hängt  einigermassen  von  der  Natur 
der  beteiligten  Stoffe  ab;  doch  wird 
man  annehmen  können,  dass  Lösungen, 
die  weniger  als  Vs  ^^^^  ^^  Liter  ent- 
halten, unbedenklich  als  verdünnt  an- 
gesehen werden  können.  Oft  ist  dies 
noch  bei  stärkeren  Lösungen  möglich, 
doch  bedarf  es  bei  solchen  der  Vor- 
sieht,  und  man  sollte  entsprechende  °* 

Prüfungen  anzustellen  nicht  versäumen,  wenn  man  die  einfachen  Lösungs- 
gesetze auf   sie  anwenden  will. 

Der  erste  Fall  ist  der  eines  homogenen  Gleichgewichts  zwischen 
zwei  Bestandteilen  in  der  Lösung.     Für  ein  solches  wird  die  Gleichung 

von  S.  341  gelten:  a^^a™^  =  k.b°;  alle  die  dort  entwickelten  Beziehungen 
finden  sieb  hier  wieder. 

An  gut  untersuchten  Beispielen  för  diese  Art  des  Gleichgewichts 
and  mehr  bekannt,  als  för  alle  anderen  Arten  zusammengenommen,  denn 
der  Zerfall    der    binären    Elektrolyte   in    ihre    Ionen    wird    durch    diese 


368  VIII.    Chemische  Mechanik. 

Gleichung  geregelt  (Ostwald  1888).    Da  indessen  die  lonen^eichgewichte 
später  für  sich  betrachtet  werden  sollen,  so  muss  hier  der  Hinweis  genüge. 

Ist  neben  der  flüssigen  Phase  noch  eine  feste  vorhanden,  so 
gelten  die  S.  347  entwickelten  Beziehungen.  Der  feste  Stoff  kann  entweder 
eine  Verbindung  sein,  und  dann  muss  das  Produkt  der  potenzierten 
Konzentrationen  seiner  Beständteile  konstant  (d.  h.  nur  eine  Funktion 
der  Temperatur)  sein,  oder  der  feste  Stoff  ist  ein  Bestandteil,  und 
dann  müssen  die  beiden  veränderlichen  (potenzierten)  Konzentrationen 
einander  proportional  sein.  Für  den  ersten  Fall  werden  sich  bei  den 
Lösungen  der  Elektrolyte  zahlreiche  Beispiele  ergeben;  der  zweite,  fir 
den  der  einfachere  Typus  noch  nicht  beobachtet  worden  ist  (S.  349}, 
kann  durch  folgendes  Beispiel  erläutert  werden  (Noyes  und  Seiden- 
sticker  1898). 

Jod  löst  sich  in  Wasser  nur  in  sehr  geringer  Menge  auf;  wird  zu  dem 
Wasser  irgend  ein  lösliches  Jodid  gefügt,  so  nimmt  die  Löslichkeit  sehr  stark 
zu.  Die  Ursache  davon  ist,  dass  sich  zu  dem  vorhandenen  Jodion  freies  Jod 
zufügt,  und  ein  Ion  von  der  Formel  J*  bildet.  Man  hat  also  die  Reaktions- 
gleichung J'  +  J*  -«^J*'.  Es  wird  sich  soviel  Jod  lösen,  bis  die  zufolge  desi 
chemischen  Gleichgewichts  zwischen  dem  freien  Jod  und  dem  Jodion  J®'  so- 
viel von  ersteren  in  der  Lösung  vorhanden  ist,  als  der  Löslichkeit  in  reinem 
Wasser  entspricht,  wobei  die  Voraussetzung  festzuhalten  ist,  dass  das  Lösungs- 
mittel keine  erhebliche  Änderung  erleidet,  die  Lösung  also  verdünnt  bleibt 

In  der  zugehörigen  Reaktionsgleichung  a^a,  =  k.b  ist  die  auf  das  freie 
Jod  bezügliche  Konzentration  a,  konstant  zu  setzen;  es  soll  demnach  a^  und 
b  proportional  sein,  d.  h.  die  Menge  des  Trijodions  soll  zu  dem  des  Jodions 
in  konstantem  Verhältnis  stehen.  Es  wurden  deshalb  Jodkaliumlösungen  mit 
festem  Jod  bei  25"  gesättigt,  das  aufgenommene  Jod  titriert,  und  von  dieser 
Menge  der  einfach  gelöste  Teil  abgezogen.  Letzterer  beträgt  0001342  Mo! 
oder  1-342  Millimol  im  Liter  und  wurde  durch  Lösungsversuche  in  reinem 
Wasser  ermittelt. 

K  J  genommen         Jod  gelöst  (corr)  =  J^' 

106-3  53-94 

53-15  26-69 

2657  13-34 

13-29  6-66 

6643  3-325 

3322  1-710 

In  der  ersten  Spalte  stehen  die  angewandten  Konzentrationen  des  Jod- 
kaliums in  Millimolen  im  Liter  und  damit  die  der  Summe  J'  +  J'',  in  der  zweiten 
die  gelösten  Jodmengen  nach  Abzug  der  auf  das  Wasser  entfallenden  kon- 
stanten Menge  von  1»342,  welche  somit  die  Konzentration  des  entstandenen 
Trijodions  J*'  angeben;  in  der  dritten  Spalte  die  Konzentrationen  des  unver- 
ändert gebliebenen  Jodions  J',  die  sich  aus  den  beiden  ersten  durch  Sub- 
traktion ergeben.    In  der  letzten  Spalte  ist  endlich  das  Verhältnis  3*'/J'  ver- 


J' 

Verhältnis  P'/5' 

524 

1-03 

26-46 

1-01 

13623 

102 

6-6o 

l-Ol 

3-118 

100 

1-612 

106 

Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  369 

zeichnet,  welches  gemäss  der  Theorie  konstant  sein  soll.  Wie  man  sieht,  ist 
die  Übereinstimmung  vorzüglich,  und  es  ergiebt  sich,  dass  ungefähr  die  Hälfte 
der  Jodionen  sich  mit  Jod  zu  Trijodionen  verbindet,  oder  dass  die  verdünnte 
Jodkaliumlösung  ebensoviel  freies  Jod  auflöst,  als  sie  gebundenes  enthält. 

Bei  sehr  konzentrierten  Lösungen  machen  sich  Abweichungen  geltend, 
indem  sich  bedeutend  mehr  Jod  auflöst,  als  der  Proportionalität  entspricht. 
Deshalb  lässt  eine  gesättigte  konzentrierte  Lösung  von  Jod  in  Jodkalium 
festes  Jod  fallen,  wenn  man  sie  mit  Wasser  verdünnt.  Die  Ursache  hiervon 
liegt  in  der  Veränderung  des  Lösungsmittels;  vermöge  der  grösseren  chemi- 
schen Ähnlichkeit  ist  die  konzentrierte  Jodkaliumlösung  ein  besseres  Lösungs- 
mittel. 

Sind  von  den  am  Gleichgewicht  beteiligten  Stoffen  zwei  in  fester 
Grestalt  neben  der  Lösung  anwesend^  so  wird  der  Zustand  vergleich- 
bar dem  bei  zwei  festen  Stoffen  neben  Dampf.    Das  Gleichgewicht,  das 

in  der  Lösung  durch  die  Gleichung  aj"*a™*=k.b"  dargestellt  ist,  ver- 
einfacht sich  dadurch,  dass  zwei  von  den  drei  Konzentrationen  konstant 
fverden.  Dann  muss  es  auch  die  dritte  sein,  und  es  stellt  sich  somit 
me  ganz  bestimmte  Zusammensetzung  der  Lösung  ein,  die  sich  nur 
noch  mit  der  Temperatur  ändert,  von  den  Mengen  der  festen  Stoffe  und 
ier  anfänglichen  Zusammensetzung  der  Lösung  aber  ganz  unabhängig  ist. 

Beispiele  für  diesen  Fall  bieten  die  Doppelsalze  dar.  Während  z.  B. 
lie  Löslichkeit  des  Kupfersulfates  in  einer  Lösung,  die  Kaliumsulfat  ent- 
tiält,  mit  der  Konzentration  des  letzteren  sich  ändert,  so  dass  man  von 
aner  „Verdrängung^  des  einen  Salzes  durch  das  andere  gesprochen 
liatte,  so  wird  die  Konzentration  sofort  unabhängig  von  der  Menge  des 
B^aliumsulfats,  wenn  sich  neben  dem  Kupfersulfat  das  Doppelsalz  Kalium- 
kupfersulfat  in  fester  Gestalt  vorfindet.  Es  erfolgt,  wenn  das  Gleichge- 
(dcht  noch  nicht  eingetreten  war,  Auflösung  oder  Ausscheidung  der 
äalze  eines  oder  beider,  bis  die  bestimmte  Konzentration  in  Bezug  auf 
ille  Bestandteile  erreicht  ist. 

Es  giebt  ersichtlicher  Weise  in  diesem  Falle  drei  Arten  des  Gleich- 
gewichts, je  nachdem  als  feste  Phasen  die  beiden  Bestandteile,  oder  einer, 
bez.  der  andere  neben  der  Verbindung  vorhanden  ist.  In  unserem  Bei- 
spiele wären  es  die  Lösungen  mit  KaJinmsulfat  und  Kupfersulfat,  mit 
Kaliumsulfat  und  Doppelsalz  und  mit  Kupfersulfat  und  Doppelsalz.  Von 
liesen  drei  Gleichgewichten  ist  im  allgemeinen  eines  unstabil;  im  vor- 
liegenden Falle  ist  es  das  erste,  und  wenn  man  die  in  Bezug  auf  die  Bestand- 
teile gesättigte  Lösung  heimstellen  will,  tritt  nach  einiger  Zeit  das  Doppel- 
salz freiwillig  auf,  wodurch  eines  der  beiden  einßichen  Salze  zum  Ver- 
schwinden gebracht  wird,  und  das  entsprechende  neue  Gleichgewicht 
sich  einstellt. 

Zur  Prüfung  des  Massenwirkungsgesetzes  sind  solche  Gleichgewichte 
aicht  geeignet,  da  sie  durch  die  lonenbildung  mit  einer  Verwickelung  be- 
haftet sind,  deren  Bewältigung  erhebliche  Schwierigkeiten  macht. 

Ostwald,  Grondriss.  3.  Aufl.  24 


370  ^11^-    Chemische  Mechanik. 

Ein  Beispiel,  bei  welchem  die  verschiedenen  Arten  des  Lösungsgleich- 
gewichts zur  Geltung  kommen,  und  das  gleichzeitig  eine  Anwendung  des 
Massenwirkungsgesetzes  gestattet,  bietet  die  Bildung  der  aus  je  einem  Mol 
der  Bestandteile  zusammengesetzten  Verbindung  von  Anthracen  und  Pikrin- 
säure in  alkoholischer  Lösung  (Behrend  1894). 

Die  nachstehende  Tabelle  enthält  die  Ergebnisse  der  Löslichkeitsver- 
suche  bei  25^. 

Feste  Phasen. 

Anthracen     Anthracen  u.  Pikrat     Pikrat  pSrSaaiu«.^ 


.y^. 


1         2345"6         7         89        10         11  1 

Anthracen     0-176  0190  0206  0-215  0228  0-236  0-202  0180  0-162  0-151  0-149  - 

Pikrinsäure  —  1017  2-071  2-673  3-233  3-469  3-994  5-087  5-843  6-727  7-511  7-' 
Anthracen 

frei  =-  a^  —  0-176  0176  0-176  0176  0-183  0-140  0-127  0-109  0-098  0-096  - 
Pikrinsäure 

frei  «  a,     —  0-999  2-032  2-623  3466  3-401  3926  5-019  5775  6659  7-443  - 

Pikrat  =-b  —  0-032  0.069  0-089  0-119  0.121  0121  0-121  0-121  0-121  0-121  - 
a^aj/b  —    5-5      5-2      5-2      4-7      5-1      48      5-3      5-2      5-4       5-2 

Die  Zahlen  bedeuten  Gewichtsteile  der  bezeichneten  Stoffe  in  100  Teilen 
der  Lösung.  Jede  Spalte  giebt  die  Zusammensetzung  einer  bestimmten  Lö- 
sung an,  die  mit  den  darüber  angegebenen  festen  Stoffen  im  Gleichgewicht 
ist.    Die  einzelnen  Posten  haben  folgende  Bedeutung. 

Unter  Anthracen  und  Pikrinsäure  sind  die  unmittelbaren  Ergebnisse 
der  Analyse  verzeichnet,  welche  die  Summe  der  verbundenen  und  der  unver- 
bundenen  Mengen  beider  Bestandteile  angeben.  Um  zu  bestimmen,  wieviel 
die  unverbundenen  Anteile  betragen,  sind  Löslichkeitsbestimmungen  der  bei- 
den Bestandteile  in  reinem  Zustande  ausgeführt,  die  in  der  ersten  und  der 
letzten  Spalte  angegeben  sind.  Alle  Lösungen,  welche  mit  festem  Anthracen  im 
Gleichgewicht  sind,  müssen  die  Menge  0-176  davon  enthalten,  und  das  Anthracen, 
welches  sich  mehr  in  ihnen  findet,  ist  als  Pikrat  vorhanden.  Dasselbe  gilt 
für  die  mit  Pikrinsäure  gesättigte  Lösung.  Auf  diese  Weise  sind  die  freien! 
Anteile,  bez.  die  Mengen  des  Pikrats  in  den  verschiedenen  Lösungen  berech*! 
net.  Aus  der  Zusammensetzung  der  Lösung  6  im  Vergleich  mit  der  von  ll; 
muss  man  den  gleichen  Gehalt  an  Pikrat  finden,  da  beide  mit  festem  Pikral 
im  Gleichgewicht  sind.  Führt  man  die  Rechnung  aus,  so  findet  sich  Über- 
einstimmung, wenn  auch  wegen  der  ziemlich  bedeutenden  Versuchsfehler  n 
eine  massige*). 

Bildet  man  schliesslich  den  Ausdruck  a^a^/b,  wie  er  in  der  unters 
Reihe  angegeben  ist,  so  findet  er  sich  konstant,  bez.  unregelmässig  um  eine) 
Mittelwert  schwankend.    In  den  Lösungen  2  bis  6  ist  a^  konstant,  somit  am 
a^/b  =  const.;  in  den  Lösungen  6  bis  11  ist  b  konstant,  somit  a^a,  »«  const 


')  Darum  ist  in  der  Lösung  6  der  Gehalt   an   freiem  Anthracen  mil 


0183  statt  0-176  angegeben. 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  371 

Die  Lösungen  6  und  11  stellen  den  Fall  dar,  dass  zwei  feste  Phasen  vorhan- 
den sind;  für  diese  giebt  es  nur  eine  Zusammensetzung  unabhängig  von  den 
Mengen  der  anwesenden  Bestandteile.  Die  dritte  konstante  Lösung,  die  mit 
Anthracen  und  Pikrinsäure  im  Gleichgewicht  wäre,  ist  nicht  herzustellen  ver- 
sucht worden.  Sie  liegt  im  instabilen  Gebiete,  doch  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  es  noch  das  metastabile  Gebiet  ist,  und  dann  wäre  die  Herstellung  der 
entsprechenden  Lösung  möglich,  wenn  sie  auch  sich  als  übersättigt  in  Bezug 
auf  das  Pikrat  verhalten  würde. 

Ein  weiterer  interessanter  Fall  der  Lösungsgleichgewichte  ist  der 
mit  zwei  flüssigen  Phasen.  Hat  man  zwei  Flüssigkeiten,  die  inein- 
ander wenig  löslich  sind,  und  bringt  einen  Stoff  dazu,  der  sich  in  beiden 
auflösen  kann,  so  wird  er  sich  zwischen  beiden  Lösungsmitteln  verteilen, 
wie  sich  ein  Gas  zwischen  dem  Gasraume  und  einem  flüssigen  Lösungs- 
mittel verteilt.  Das  Gesetz  von  Henry,  dass  die  Konzentrationen  in  den 
Phasen  in  einem  konstanten  Verhältnis  stehen,  lässt  sich  auf  diesen  Fall 
wörtlich  anwenden.  Man  nennt  dies  Verhältnis  den  Teilungskoeffi- 
zienten. Bei  der  Lösung  der  Gase  wurde  die  Konzentration  in  der 
Flüssigkeit  naturgemäss  auf  die  im  Gasraume  bezogen;  im  Falle  zweier 
Flüssigkeiten  hat  keine  von  ihnen  einen  natürlichen  Vorzug,  und  man 
muss  bei  der  Angabe  eines  Teilungskoeffizienten  nicht  versäumen,  anzu- 
geben, welche  Flüssigkeit  als  Bezugsstoff  dienen  soll.  Giebt  man  z.  B. 
den  Teilungskoeffizenten  der  Bemsteinsäure  zwischen  Wasser  und  Äther 
zu  6*0  an,  so  ist  gemeint,  dass  die  Gleichung  erfüllt  ist: 

Konzentration  im  Wasser  

Konzentration  im  Äther 

Das  Stattfinden  dieses  Gesetzes  ist  von  Berthelot  und  Jungfleisch 
(1872)  entdeckt  und  an  einer  Anzahl  von  Beispielen  nachgewiesen  worden. 
Spätere  mannigfaltige  Anwendungen  des  Gesetzes  haben  seine  ausge- 
dehnte Gültigkeit  und  Genauigkeit  gezeigt.  Als  Beispiel  diene  die  folgende 
Beobachtungsreihe  mit  Bemsteinsäure. 

Konzentration  im  Wasser       im  Äther  Verhältnis 

424  7-1  60 

43-8  74  6-0 

47-4  7.9  60 

Untersucht  man  das  Gleichgewicht  in  weiterem  Umfange,  so  zeigt  sich 
der  Teilungskoeifizient  etwas  veränderlich.  Dies  kann  von  zwei  Gründen 
herrühren.  Einmal  ist  oft  der  Zustand  des  gelösten  Stoffes  mit  der  Ver- 
dünnung veränderlich,  indem  chemische  Wirkungen  mit  einem  oder  dem 
anderen  der  Lösungsmittel  eintritt.  Der  Einfluss  eines  derartigen  Vor- 
ganges auf  den  Teilungskoeffizienten  ergiebt  sich  aus  den  S.  353  angestellten 
Betrachtungen.  Wird  durch  den  Vorgang  die  Molenzahl  der  Verbindung 
kleiner,  als  die  des  ursprünglichen  Stoffes,  so  vermehrt  sich  die  Menge 
der  Verbindung  verhältnismässig  mit  steigender  Konzentration.     Nehmen 

24* 


372  YllL.   Chemische  Mechanik. 

wir  an,  dass  dieser  Anteil  wesentlich  in  derselben  Lösung  verbleibt  (was 
in  den  meisten  Fällen  zutreffen  wird),  so  muss  der  Teilungskoeffizient 
zu  Gunsten  dieser  Lösung  mit  steigender  Konzentration  wachsen,  und 
mit  abnehmender  abnehmen.  Umgekehrt  wird  ein  Stoff,  der  eine  Ver- 
m^irung  der  Molenzahl  durch  den  chemischen  Einfluss  des  Lösungsmittels 
erföhrt,  sich  bei  steigender  Verdünnung  mehr  und  mehr  hi  der  Losung 
ansammeln,  in  welcher  dieser  Einfluss  stattfindet.  Bleibt  endlich  die 
Molenzahl  unverändert,  so  hat  die  Verdünnung  keinen  Einfluss  auf  den 
Teilungskoeffizienten,  wenn  auch  chemisdie  Vorgänge  zwischen  dem  ge- 
lösten Stoffe  und  dem  Lösungsmittel  stattfinden. 

Ein  zweiter  Grund,  der  eine  Veränderlichkeit  des  Teilungskoeffizienten 
bewirken  kann,  sind  die  Abweichungen  von  den  einfachen  Lösungsge- 
setzen, die  bei  grösserer  Konzentration  antreten.  Dadurch  wird  nicht 
nur  das  V^halten  der  Stoffe  zu  den  einzelnen  Lösungen  geändert, 
sondern  die  gegenseitige  Löslichkeit  der  beiden  Lösungsmittel,  die  immer 
vorhanden  ist,  wenn  sie  auch  klein  sein  kann,  erfährt  durch  die  An- 
wesenheit erheblicher  Mengen  des  dritten  Stoffes  eine  Beeinflussung. 
Diese  wird  in  den  meisten  Fällen  in  einer  Vermehrung  der  gegenseitigen 
Löslichkeit  bestehen,  und  die  Teilungskoeffizienten  beziehen  sich  nicht 
mehr  auf  die  früheren  Lösungsmittel,  sondern  auf  geänderte. 

Wird  der  dritte  Stoff  erheblich  vermehrt,  so  nimmt  die  gegenseitige 
Löslichkeit  der  beiden  anderen  in  solchem  Masse  zu,  dass  endlich  eine 
homogene  Lösung  entsteht.  Wir  haben  es  wieder  mit  einer  kritischen 
Erscheinung  (S.  325)  zu  thun,  bei  welcher  zwei  Phasen  durch  stedge 
Übergänge  miteinander  identisch  werden,  doch  ist  in  diesem  Falle  eine 
grössere  Mannigfaltigkeit  vorhanden.  Denken  wu*  uns,  um  eine  An- 
schauung zu  haben,  als  ursprüngliche  Flüssigkeiten  Äther  und  Wasser, 
so  steUen  sich  diese  ins  Gleichgewicht,  indem  jede  von  der  anderen 
etwas  auflöst.  Wird  nun  Alkohol  ^zugefügt,  so  verteilt  sich  dieser 
zwischen  beiden  Phasen.  Gleichzeitig  werden  Äther  und  Wasser  lös- 
licher ineinander  und  die  beiden  Schichten  kommen  sich  in  ihrer  Zu- 
sammensetzung näher.  Bei  weiterem  Zusatz  von  Alkohol  ist  dies  mehr 
und  mehr  der  Fall,  und  schliesslich  werden  beide  Schichten  identisch, 
und  gehen  in  eine  zusammen,  gerade  wie  beim  kritischen  Punkt  einer 
einheitlichen  Flüssigkeit  diese  mit  ihrem  Dampfe  identisch  wird  und  beide 
sich  vereinigen.  Die  Zusammensetzung,  auf  welche  beide  Schichten  bis 
zum  kritischen  Punkte  zustreben,  ist  offenbar  eine  ganz  bestimmte. 

Denken  wir  uns  ähnlich  wie  in  Fig.  37,  S.  325  die  Zusammen- 
setzung der  beiden  Schichten  in  Bezug  auf  das  Veriiältnis  zwischen 
Äther  und  Wasser  nach  oben,  und  die  Zusätze  an  Alkohol  nach  redits 
aufgetragen,  so  erhalten  wir  eine  Linie,  die  ganz  ähnhch  verlaufen  wird, 
wie  die  Linie  der  gegenseitigen  Löslichkeit  zweier  Flüssigkeiten.  Nur 
tritt  als  Veränderliche  hier  nicht  die  Temperatur  auf,  sondern  die  Alko-  1 
holmenge.  Durch  die  beiden  Stücke  der  Ordinate  im  kritischen  Punkte 
wird  die  Zusammensetzung  in  Bezug  auf  Äther  und  Wasser,  durch  die 


1 


Gleichgewichte  höherer  Ordnung.  373 

Absdsse  die  in  Bezug  auf  Alkohol  angegeben;  alle  drei  Verhältnisse  sind 
somit  vollkommen  bestimmt. 

Infolge  des  Vorhandenseins  dreier  Bestandteile  ist  indessen  die  Zahl 
der  Freiheitsgrade  erhöht,  und  zwar,  wenn  man  keine  Dampiphase  zu- 
lässt,  auf  drei.  Die  Bedingung,  dass  ein  kritischer  Punkt  vorhanden  sein 
soll,  verfugt  über  einen  von  diesen;  der  kritische  Punkt  selbst  hat  daher 
noch  eine  zweifache  Veränderlichkeit  nach  Druck  und  Temperatur.  In 
Bezug  auf  den  Druck  kann  auf  das  bei  Gelegenheit  des  kritischen 
Lösungspunktes  binärer  Gemische  Gesagte  verwiesen  werden  (S.  325); 
sein  Einfluss  ist  wegen  der  kleinen  Volumänderungen  äusserst  gering, 
und  liegt  in  dem  durch  die  Regel  vom  Widerstand  gegebenen  Richtung. 
Die  Temperatur  wirkt  (S.  324)  in  den  meisten  Fällen  steigernd  auf 
die  gegenseitige  Löslichkeit;  daher  wird  bei  höherer  Temperatur  im  all- 
gemeinen ein  immer  geringerer  Zusatz  des  dritten  Stoffes  nötig  sein, 
um  den  kritischen  Punkt  hervorzubringen.  Während  also  im  Falle  der 
binären  Gemische  die  kritische  Temperatur  und  die  kritische  Zusammen- 
setzung abgesehen  von  dem  verschwindenden  E^influsse  des  Druckes  nur 
von  der  chemischen  Natur  der  Stoffe  abhing,  so  sind  hier  beide  mit- 
einander veränderlich,  und  man  kann  durch  die  Änderung  der  Zu- 
sammensetzung den  kritischen  Punkt  innerhalb  gewisser  Grenzen  auf 
jede  beliebige  Temperatur  legen. 

Hierdurch  wird,  wenn  diese  Verhältnisse  in  der  eben  geschilderten 
Weise  durch  Kurven  wiedergegeben  werden  sollen,  flir  jede  Temperatur 
eine  neue  Kurve  nötig.  Man  kann  sich  die  Temperaturen  senkrecht  zur 
Zeichenebene  auftragen,  und  die  einzelnen  Kurven  entsprechend  in 
parallelen  Ebenen  übereinander  schwebend  denken.  Dann  bildet  ihre 
Gesamtheit  eine  krumme  Fläche,  deren  Gestalt  die  vorhandenen  Gleich- 
gewichte für  alle  Temperaturen  übersehen  lässt. 

Die  bei  binären  Gemischen  beobachteten  Verschiedenheiten  in  Be- 
zug auf  den  Einfluss  der  Temperatur  finden  sich  auch  hier  wieder,  in- 
dem es  obere  wie  untere  kritische  Punkte  (S.  325)  giebt.  Erstere 
stellen  den  häufigeren  Fall  dar;  letztere  kann  man  bei  ätherhaltigen 
Gemischen  beobachten. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  hier  die  Gleichgewichte  dritter  Ordnung, 
lassen  sich  die  Fälle  behandeln,  in  denen  noch  mehr  Bestandteile  sich  ver- 
binden. Wenn  auch  die  Verhältnisse  entsprechend  verwickelter  werden, 
so  treten  doch  keine  wesentlich  neuen  Gesichtspunkte  auf,  und  die  Ge- 
winnung eines  Überblickes  über  die  vorhandenen  Beziehungen  lässt  sich 
nach  den  dargelegten  allgemeinen  Grundsätzen  bewerkstelligen.  Ein  Ein- 
gehen auf  die  Einzelheiten  würde  über  den  Rahmen  dieses  Werkes  hin- 
ausgehen. 

Die  bisherige  Behandlung  des  Gleichgewichtsproblems  geschah  in 
wesentlich  formaler  Weise,  indem  die  Gestalt  der  Beziehungen  zwischen 
den    bestimmenden    Grössen,    nicht    aber    ein    etwaiger   Zusammenhang 


374       VIII.   Chemische  Mechanik.  —  Gleichgewichte  höherer  Ordnung. 

zwischen  den  Konstanten  und  der  chemischen  Natur  der  beteiligten 
StoiFe  berücksichtigt  worden  ist.  Die  letztere  Aufgabe  gehört  ihrem 
Wesen  nach  der  beschreibenden  Chemie  an,  und  die  künftigen  Lehr- 
bücher werden  solche  Daten  ebenso  wie  etwa  Schmelz-  und  Siede- 
punkte bringen.  Einstweilen  ist  allerdings  die  Kenntnis  dieser  Grössen 
noch  viel  zu  wenig  entwickelt ,  als  dass  sie  als  allgemeines  Hilfs- 
mittel  der  Beschreibung  verwendet  werden  könnten.  Was  an  Beziehungen 
in  dieser  Richtung  bekannt  geworden  ist,  wird  an  späterer  Stelle  er- 
örtert werden. 

Schliesslich  gestattet  die  allgemeine  Auffassung  der  chemischen 
Gleichgewichte  im  Sinne  des  Phasengesetzes  eine  Beantwortung  der 
Frage  nach  der  Kennzeichnung  eines  chemischen  Individuums, 
die  uns  bereits  am  Anfange  unserer  Betrachtungen  entgegengetreten  war 
(S.  2).  Ein  chemisches  Individuum  ist  ein  Stoff,  den  wir  als 
Phase  von  konstanter  Zusammensetzung  behalten,  wenn  wir 
seine  Zustandsbedingungen  (Temperatur,  Druck,  Zusammen- 
setzung der  anderen  gegenwärtigen  Phasen)  stetig  innerhalb 
eines  gewissen  Umfanges  (des  Existenzgebietes  dieses  Stoffes) 
verändern  (Wald  1897). 

Dadurch  unterscheidet  sich  ein  chemisches  Individuum  von  einer 
Lösung,  deren  Zusammensetzung  als  Bestandteil  eines  Gebildes  aus 
mehreren  Phasen  sich  mit  den  Umständen  stetig  ändert.  Beispiele  sind 
die  Lösungen  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten,  die  Gaslösungen  u.  s.  w. 
Aber  auch  solche  Fälle,  in  denen  die  Phase  in  Bezug  auf  gewisse 
Änderungen  konstant  in  der  Zusammensetzung  bleibt,  wie  z.  B.  die  kon- 
stant siedenden  Lösungen  mit  maximalem  oder  minimalem  Dampfdrucke 
(S.  323)  lassen  sich  durch  dasselbe  Kriterium  erkennen.  Solche  Lösungen, 
die  zwei  Phasen  gleicher  Zusammensetzung  bei  bestimmter  Temperatur  und 
dem  entsprechenden  Drucke  ergeben,  ändern  die  Zusammsetzung  der  beiden 
Phasen,  wenn  man  die  Temperatur  und  den  zugehörigen  Druck  ändert 
Eben  dieses  Kennzeichen  hat  in  dem  angegebenen  Falle  dazu  gedient, 
die  konstant  siedenden  Gemische  als  Lösungen  zu  erkennen,  und  ihnen 
den  Anspruch  auf  die  chemische  Individualität  abzusprechen. 

Für  die  auf  solche  Weise  gekennzeichneten  konstanten  Phasen  gelten 
nun  die  im  ersten  Buche  entwickelten  stöchiometrischen  Gesetze.  Man 
darf  die  Überzeugung  aussprechen,  dass  letztere  sich  künftig  aus  der 
eben  gegebenen  Begriflsbestimmung  des  chemischen  Individuums  werden 
ableiten  lassen;  doch  ist  trotz  wichtiger  Vorarbeiten  in  dieser  Ricli- 
tung  (Wald,  seit  1895)  der  Zusammenhang  beider  noch  nicht  so  klar 
und  übersichtlich  hergesteUt  worden,  dass  er  sich  an  dieser  Stelle  er- 
örtern liesse. 


IX.   Elektrochemie.  —  Allgemeines.  375 

Neuntes  Buch. 

Elektrochemie. 

Erstes  Kapitel. 
Allgemeines. 

Ein  Stab  von  völlig  reinem  Zink  wird  von  verdünnter  Schwefel- 
säure nicht  angegriffen,  ebensowenig  ein  solcher  von  Platin.  Taucht 
man  aber  gleichzeitig  einen  Zink-  und  einen  Platinstab  in  die  verdünnte 
Schwefelsäure,  und  bringt  die  herausragenden  Enden  entweder  unmittel- 
bar oder  mit  Hilfe  eines  metallischen  Drahtes  in  Belehrung,  so  löst  sich 
das  Zink  auf  und  der  aus  der  Schwefelsäure  verdrängte  Wasserstoff  er- 
scheint am  Platin.  Gleichzeitig  hat  der  verbindende  Draht  besondere 
Eigenschaften  angenommen:  hält  man  ihn  einer  Magnetnadel  paraUel,  so 
wird  diese  aus  ihrer  Lage  abgelenkt;  trennt  man  ihn  an  einer  Stelle 
und  setzt  die  Enden  auf  ein  mit  einer  Salzlösung  befeuchtetes  Lackmus- 
papier, so  entsteht  an  der  Zinkseite  ein  blauer,  an  der  Platinseite  ein 
roter  Fleck;  endlich  erwärmt  sich  der  Draht.  Alle  diese  Erscheinungen 
h(Mren  auf,  sowie  man  eines  der  Metalle  aus  der  Flüssigkeit  entfernt. 

Diese  Erscheinungen  zeigen,  dass  bei  der  beschriebenen  Anordnung 
der  chemische  Vorgang  zwischen  Zink  und  Schwefelsäure  Wirkungen  an 
Orten  (nämlich  im  Draht)  hervorbringt,  wo  er  nicht  stattfindet.  Es  muss 
daher  die  chemische  Energie,  welche  an  der  Stelle,  wo  die  Schwefelsäure 
das  Zink  angreift,  hervorgebracht  wird,  in  eine  andere  Energieform  über- 
gegangen sein,  welche  fähig  ist,  sich  durch  Metalle  oder  Flüssigkeiten 
fortzubewegen,  und  welche  mechanische,  chemische  und  thermische 
Wirkungen  an  beliebigen  Orten  ihrer  Bahn  leisten  kann. 

Die  einzige  Veränderung,  welche  man  hierbei  in  den  Eigenschaften 
der  beteiligten  Stoffe  wahrnehmen  kann,  ist  die,  dass  die  Metalle  elek- 
trisch geworden  sind,  und  zwar  zeigt  das  Zink  sich  negativ,  das  Platin 
positiv  elektrisch  geladen.  Verbindet  man  beide  Metalle  durch  einen 
Leiter,  so  verschwinden  diese  Unterschiede  nicht,  denn  nach  Entfer- 
nung des  Leiters  findet  man  die  Metalle  wieder  geladen.  Anderereeits 
wissen  wir,  dass  elektrische  Ladungen  in  metallischen  Leitern  sich  aus- 
gleichen. Es  bleibt  also  nur  der  Schluss  übrig,  dass  zwar  die  Aus- 
gleichung der  Elektrizität  durch  den  verbindenden  Leiter  beständig  be- 
wirkt wird,  dass  aber  ebenso  beständig  sich  die  elektrischen  Ladungen 
in  den  Metallen  wieder  herstellen.  Durch  diesen  Vorgang  entsteht  in 
dem  Gebilde  das,  was  man  einen  elektrischen  Strom  nennt. 

Dieser  elektrische  Strom  ist  zeitlich  wie  ursächlich  mit  dem  che- 
mischen Vorgang  am  Zink  verbunden.  Zeitlich  insofern,  als  er  aufhört, 
wenn  der  chemische  Vorgang  am  Zink  auf  irgend  ein  Weise  verhindert 
wird;  ursächlich  insofern,  als  er  Arbeit  leisten  kann  und  somit  einen 
Energieinhalt  besitzt.    Die  einzige  verfiigbare  Energiequelle  aber  ist  hier 


376  IX.   Elektrochemie. 

der  chemische  Vorgang.  Man  kann  also  sagen,  dass  bei  der  beschrie- 
benen Anordnung  die  chemische  Energie  sich  in  elektrische  Energie 
verwandelt. 

Diese  Verwandlung  muss  zunächst  dem  Äquivalenzgesetz  unter- 
worfen sein.  Während  bei  der  Auflösung  des  Zinks  in  Schwefelsäure, 
wie  sie  gewöhnlich  vorgenommen  wird,  alle  chemische  Energie  sich  in 
Warme  verwandelt,  muss  hier  um  so  weniger  Wärme  an  der  Angrifis- 
stelle  erscheinen,  je  mehr  elektrische  Energie  in  den  Verbindungsdraht 
tibergeht.  Lässt  man  letztere  sich  gleichfells  in  Wärme  verwandeln,  so 
muss  die  Summe  aller  erzeugten  Wärmemengen  konstant  und  gleich  der 
Auflösungswärme  des  Zinks  sein. 

Diese  Folgerungen  des  Energieprinzipes  sind  von  Joule  und  na- 
mentlich von  Favre  (1854)  eingehend  geprüft  und  bestätigt  worden. 
Man  kann  einer  aus  Zink,  Schwefelsäure  und  Platin  bestehenden  An- 
ordnung, die  man  eine  Voltasche  Kette  zu  nennen  pflegt,  mdir 
als  die  Hälfte  der  Lösungswärme  des  Zinkes  in  Form  von  elektrisdier 
Energie  entziehen;  verwandelt  man  aber  diese  (indem  man  den  Strom 
durch  lange  dünne  Drähte  leitet)  in  Wärme,  so  erscheint  genau  die  ent- 
zogene Wärmemenge  wieder. 

Man  kann  die  elektrische  Energie,  die  man  aus  der  chemischen 
erhält,  ihrerseits  in  mechanische  Arbeit  umwandeln,  indem  man  sich  d^r 
elektromagnetischen  Kräfte  bedient.  Dann  wird  die  gesamte  Wärmeent- 
wickelung kleiner  sein,  und  zwar  um  so  viel,  als  der  Wärmewert  der 
mechanischen  Arbeit  beträgt.  Diese  Folgerung  des  Energiesatzes  ist 
gleichfalls  durch  Favre  bestätigt  worden. 

Endlich  kann  man  die  erhaltene  elektrische  Energie  zu  chemischen 
Arbeiten  verwenden.  Leitet  man  den  Strom  mehrerer  solcher  galvani- 
scher Elemente  in  zwei  Platinplatten,  welche  in  verdünnter  Schwefel- 
säure stehen,  so  wird  an  ihnen  Sauerstoff  und  Wasserstoff  frei.  Die 
gesamte  Wärmeentwickelung  ist  wieder  geringer  als  vorher,  und  zwar 
um  genau  so  viel,  als  die  Verbindungswärme  des  frei  gewordenen  Knall- 
gases beträgt.    Auch  hier  ist  das  Energiegesetz  wie  immer  streng  erfüllt 

Wie  die  anderen  Energieformen  erscheint  auch  die  elektrische 
Energie  als  Produkt  zweier  Faktoren,  von  denen  man  den  einen 
Elektrizitätsmenge,  den  anderen  Potential,  Spannung  oder  elek- 
tromotorische Kraft  nennt.  Der  erste  Faktor  ist  eine  Kapazität, 
der  zweite  eine  Intensität;  es  wird  somit  die  elektrische  Energie  in 
einem  Gebilde,  in  welchem  sie  sich  frei  bewegen  kann,  einen  dauernden 
Zustand  nur  behaupten  können,  wenn  überall  die  zweite  Grösse  glach 
ist  Ist  letzteres  nicht  der  Fall,  so  erfolgt  eine  Zustandsänderung,  ans 
welcher  man  Arbeit  gewinnen  kann,  ähnlich  wie  man  aus  entsprechen- 
den Zustandsänderungen  der  Wärme  oder  anderer  Energieformen  Arbdt 
gewinnen  kann.  v 

Den  anderen  Faktor,  die  Elektrizitätsmenge,  pflegt  man  meist  als  das 
eigentlich  Reale,  was  den  elektrischen  Erscheinungen  zu  Grunde  liegt,  anzu- 


Allgemeines.  377 

sehen  y  und  die  ganze  Nomenklatur  der  Elektrizitätslehre  ist  dieser  Vor- 
stellung entsprechend  gebildet.  So  zweckmässig  für  manche  Dinge  sich  diese 
Anschauungsweise  gezeigt  hat,  so  muss  doch  beachtet  werden,  dass  das  eigent- 
lich Reale  der  elektrischen  Erscheinungen  die  elektrische  Energie  ist,  und 
dass  der  erwähnten  Anschauungs-  und  Bezeichnungsweise  nur  der  Wert  eines 
für  manche  Fälle  anschaulichen  und  zweckmässigen  Bildes  zukommt. 

Eine  elektrische  Energie  ist  das  Produkt  einer  Elektrizitätsmenge 
und  einer  Spannung*).  Nennt  man  die  Elektrizitätsmenge,  welche  in 
einem  galvanischen  Strome  während  einer  Sekunde  durch  den  Quer- 
schnitt des  Leiters  geht,  die  Stärke  i  des  Stromes ,  und  die  Spannung 
zwischen  zwei  Stellen  des  Leiters  E,  so  ist  die  dieser  elektrischen  Be- 
wegung entsprechende  Energie  nach  der  Definition  gleich  Ei.  Wenn 
der  Strom  in  dem  betrachteten  Leiterstück  keinerlei  äussere  Arbeit 
leistet^  so  geht  seine  Energie  völlig  in  Wärme  über;  bezeichnen  wir 
diese  mit  W,  so  haben  wir 

W  =  Ei. 

Die  Art  und  Weise,  wie  sich  die  elektrische  Energie  in  Wärme  um- 
setzt, pflegt  man  sich  ebenso  vorzustellen,  wie  sidi  die  mechanische 
Arbeit  einer  strömenden  Flüssigkeit  in  Wärme  umsetzt:  durch  eine  Art 
Reibung,  welche  sich  der  Elektrizitätsbewegung  entgegenstellt,  und  deren 
Überwindung  die  Umwandlung  von  anderer  Energie  in  Wärme  bedingt. 
Die  Spannung  der  Elektrizität  entspricht  dann  dem  Drucke,  unter 
welchem  die  Flüssigkeit  sich  bewegt.  Diesen  Vorstellungen  entsprechend 
definiert  man  den  Widerstand  R  eines  Leiters  als  das  Verhältnis 
zwischen  der  Spannung  E  und  der  vermöge  derselben  in  der  Zeiteinheit 
durch  den  Leiter  gedrückten  Elektrizitätsmenge,  oder  der  Stromstärke  i. 
Wir  haben  somit 

E  E 

R  =  -7-  oder  i  =  ^=:' 
1  R 

Dies  ist  das  berühmte  Gesetz  von  Ohm,  dass  die  Intensität  oder 
Stromstärke  gleich  dem  Verhältnis  zwischen  Spannung  und  Widerstand 
ist  Die  Erfahrung  hat  es  in  weitestem  Umfange  bestätigt,  und  es  ist 
als  ein  allgemeingültiges  Naturgesetz  anzusehen,  welches  unabhängig  von 
der  erwähnten  Vorstellung  über  die  Natur  des  elektrischen  Widerstandes 
seine  Geltung  hat. 

Ersetzt  man  in  der  oben  gefundenen  Gleichung  W  =  E  i  die  Spannung 
E  durch  den  gleichbedeutenden  Wert  E  =  iR,  so  folgt 

W  =  i«R. 

Die  Wärmemenge,  welche  beim  Durchgang  der  Elektrizität  durch 
einen   Leiter  entwickelt  wird,  ist  bei  gleichem  Widerstände  proportional 


*)  Dieser  kurze  Ausdruck  soll  fortlaufend  für  die  längeren  „Potential - 
differenz"  oder  „elektromotorische  Kraft"  gebraucht  werden. 


378  I^-   Elektrochemie. 

dem  Quadrat  der  Stromstärke  (der  in  einer  Sekunde  durchgehenden 
Elektrizitätsmenge);  und  bei  gleicher  Stromstärke  proportional  dem  Wider- 
stände. Der  Satz  ist  von  Joule  (1841)  experimentell  aufgefunden  und 
vielfach  bestätigt  worden. 

Für  die  oben  definierten   Grössen   hat    man  Einheiten  emgeführt, 
welche    in    hier    nicht   darzulegender  Weise   aus   den    elektrostatisdhen,  i 
resp.  elektromagnetischen  Vorgängen   abgeleitet   sind.     Als  Einheit  des  i 
Widerstandes  dient  der  Widerstand  eines  Quecksilberfadens  von  106-23  cm  i 
Länge   und    1  qmm    Querschnitt    bei   0®;  dieser  Widerstand    wird    ein 
Ohm  genannt.     Die  Einheit  der  Spannung  ist  so  bestimmt,  dass  die  , 
Spannung   einer  Voltaschen    Kette  aus  Gadmium   und  Queckalber  mit 
den  gesättigten  Lösungen  ihrer  Sulfate   1*0186   beträgt;  sie  wird  Volt  , 

E 
genannt     Durch  diese  beiden  Einheiten  ist   gemäss  der  Formel   I  =  - 

R  I 

die  Einheit   der  Elektrizitätsmenge  bestimmt:    es   ist   diejenige    Elektri-  { 

zitätsmenge,  welche  in  einer  Sekunde  durch  den  Querschnitt  eines  Leiters 

fliesst;  zwischen  dessen  Enden  die  Spannung  von  einem  Volt  herrscht,  i 

und    dessen    Widerstand    gleich    einem    Ohm    ist.     Man   nennt    sie    em  | 

Coulomb  und  die  entsprechende  Stromstärke  ein  Ampere.  , 

Diese    Grössen    sind    so    gewählt,    dass    die    elektrische   Energie 

Volt  X  Coulomb    gleich    10''    absoluten   Einlieiten   ist      Sie   ist   bereits  ^ 

früher  (S.  88)  als  allgemeine  praktische  Einheit  der  Energie  unter  dem  | 

Namen   Joule    eingeführt   worden.     Auf  Grund  der   dort   mitgeteilten  . 

Zahlen  ergiebt  sich  daher  als   anschaulicher  Wert  des  Joule,  dass  ein 

Strom,  welcher  mit  einer  Spannung  von  1  Volt  während  einer  Sekunde 

durch  einen  Widerstand  von   1    Ohm  geht,  wobei   1   Coulomb   in  Be-  ^ 

wegung  gesetzt  ist,  so  viel  Wärme  entwickelt,  um  1  g  Wasser  von  0^  ' 

auf  0-239®  zu  erwärmen.  ' 


Zweites  Kapitel. 
Das  Gesetz  von  Faraday.  i 

Die  Elektrizitätsbewegung  erfolgt  in  den  Körpern,  welche  eine  solche  i 
überhaupt  gestatten,  nach  zwei  verschiedenen  Weisen.  Die  Leiter  i 
erster  Klasse  erfahi-en,  wenn  eine  Ausgleichung  elektrischer  Energie 
durch  sie  hindurch  erfolgt,  nur  eine  Erwärmung  nach  dem  Gesetz  von 
Joule  (S.  377)  und  sonst  keinerlei  materielle  Veränderung.  Zu  dieser 
Klasse  gehören  die  Metalle  und  ihre  Legierungen,  die  Kohle  und  einige 
andere  Stoffe.  , 

Die  Leiter  zweiter  Klasse  vermögen  eine  Elektrizitätsbewegung  , 
nur  auf  die  Weise  zu  vermitteln,  dass  gleichzeitig  eine  chemische  Ver-  j 
änderung  in  ihnen  vorgeht  Zu  ihnen  gehören  vor  allen  Dingen  die  , 
Salze  hl  gelöstem  und  geschmolzenem  Zustande,  femer  die  wässerigen  j 
Lösungen  von  Säuren  und  Basen,  lauter  zusammengesetzte  Stoffe.  . 


Das  Gesetz  von  Faraday.  379 

In  solchen  Leitern  zweiter  Erlasse  oder  Elektrolyten  erfolgt  die 
Bewegung  der  Elektrizität  so,  dass  von  der  positiven  Seite  des  Strom- 
kreises nach  der  negativen  die  Metalle  und  metallähnlichen  Radikale  der 
Salze  und  Basen,  sowie  der  Wasserstoff  der  Säuren  wandert;  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  wandern  die  Säureradikale  oder  die  entsprechen- 
den Elemente,  wie  Chlor,  Brom,  Jod,  sowie  das  Hydroxyl  der  basischen 
Körper.  Wo  die  Elektrolyte  an  andere  Leiter  grenzen,  werden  diese  Be- 
standteile oder  Ionen  entladen,  und  die  Stoffe  abgeschieden. 

Von  Faraday  (1833)  ist  das  allgemeine  Gesetz  entdeckt  worden, 
dass  gleiche  Elektrizitätsmengen,  wenn  sie  durch  verschiedene  Elektrolyte 
gehen,  äquivalente  Mengen  ihrer  Bestandteile  für  den  Transport  in  An- 
spruch nehmen.  Schaltet  man  in  einen  und  denselben  Stromkreis  (in 
welchem  sich  nach  den  Gesetzen  der  Elektrizitätslehre  in  gleichen  Zeiten 
gleiche  Elektrizitätsmengen  durch  jeden  Querschnitt  bewegen)  verschiedene 
Elektrolyte  ein,  so  stehen  sowohl  die  Mengen  der  ausgeschiedenen  Metalle 
und  des  Wasserstoffs,  wie  auch  die  Mengen  der  ausgeschiedenen  Säure- 
radikale in  äquivalenten  Verhältnissen. 

Das  Äquivalent  eines  Elements  ist,  wie  bekannt,  ein  Verbindungsgewicht, 
dividiert  durch  seine  Valenz.  Hat  man  in  demselben  Stromkreise  hinter- 
einander beispielsweise  Lösungen  von  Silbemitrat,  Kupfersulfat  und  Anti- 
monchlorid, so  stehen  die  gleichzeitig  ausgeschiedenen  Metallmengen  in  dem 
Verhältnis  108  Silber  zu  7*63-3  Kupfer  zu  Vs^^O  Antimon.  Von  den  Säure- 
radikalen wird  gleichzeitig  NO*,  Va^O*  und  VsCl*  abgeschieden. 

Die  elektrolytischen  Teilmolekeln  oder  Ionen  verhalten  sich  so,  als 
hätte  jedes  von  ihnen  einen  gleich  grossen  Behälter  oder  Fassungsraum 
für  die  Elektiizität,  so  dass  durch  eine  gleiche  Zahl  derselben,  unabhängig 
von  ihrer  Natur,  gleich  Ndel  Elektrizität  befördert  wird. 

Es  giebt  bekanntlich  einzelne  Stoffe,  namentlich  Metalle,  welche  mit 
verschiedener  Valenz  wirken  können,  so  Quecksilber  oder  Kupfer  ein- 
and  zweiwertig,  Zinn  zwei-  und  vierwertig.  Eisen  zwei-  und  dreiwertig. 
Je  nachdem  die  einen  oder  die  anderen  Verbindungen  dieser  Metalle  zur 
ßtromleitung  verwendet  werden,  befördert  jedes  Atom  so  vielmal  die 
einem  euiwertigen  Atom  entsprechende  Elektrizitätsmenge,  als  das  Metall 
in  der  vorliegenden  Verbindung  Valenzen  bethätigt. 

Nimmt  man  die  mit  1  g  Wasserstoff  wandernde  Elektrizitätsmenge 
als  Einheit  an,  so  führen  63-3  g  Kupfer  in  den  "Cuproverbindungen  eine 
Einheit,  in  den  Cupriverbindungen  deren  zwei  mit  sich.  Ebenso  fuhren 
56  g  Eisen  in  den  Ferroverbindungen  zwei,  in  den  Ferriverbindungen 
drei  Einheiten.  Die  Atomgruppe  Fe(CN)ß  transportiert  als  Bestandteil 
des  gelben  Blutiaugensalzes  vier,  als  Bestandteil  des  roten  nur  drei  Ein- 
heiten (negativer)  Elektrizität  u.  s.  w.  Entsprechend  dieser  Beschaffenheit 
werden  wir  fortiaufend  ein-,  zwei-,  dreiwertige  Ionen  u.  s.  w.  unter- 
scheiden. Wasserstoff  und  Metalle,  mit  welchen  die  positive  Elektinzität 
wandert,  nennt  man  positive  Ionen  oder  Kationen;  Hydroxyl,  Halogene 


330  IX.   Elektrochemie. 

und  andere  Säureradikale,  mit  welchen  die  negative  Elektrizität  sich  be- 
wegt^ heissen  negative  Ionen  oder  Anionen. 

Man  muss  sich,  wenn  man  das  Faradaysche  Gesetz  verstehen  will,  vor 
dem  Irrtum  hüten,  als  sei  die  Ausscheidung  der  Teilmolekeln  an  den 
Elektroden,  d.  h.  den  Stellen,  wo  die  Elektrizität  die  elektrolytische 
Flüssigkeit  verlässt,  um  in  metallische  Leiter  überzugehen,  der  einzige 
Inhalt  des  Gesetzes.  Das  ist  nicht  der  Fall ;  das  Gesetz  bezieht  sich  vielmehr 
auf  jede  Elektrizitätsbewegung  irgend  welcher  Art  im  Leiter  zweiter  Klasse. 
Wohl  aber  sind  die  Ausscheidungen  der  Ionen  an  den  Elektroden  das 
einzige  Mittel,  um  die  Genauigkeit  des  Faradayschen  Gesetzes  zu  prüfen. 
Soweit  diese  Prüfung  bis  jetzt  geführt  worden  ist,  hat  sich  das  Gesetz  als 
streng  erwiesen:  es  ist  stets  die  Elektrizitätsmenge  genau  proportional  der 
Menge  der  ausgeschiedenen  Ionen,  und  letztere  stehen  für  gleiche  Elektrizi- 
tätsmengen genau  im  Äquivalentverhältnis.  Insbesondere  ist  für  die  von  ver- 
schiedenen Forschern  als  möglich  angesehene  „metallische^^  d.  h.  von  der 
lonenbewegung  unabhängige  Elektrizitätsleitung  nicht  das  kleinste  Anzeichen 
gefunden  worden. 

Da  das  Faradaysche  Gesetz  für  alle  Elektrizitätsbew^egungen  in 
Elektrolyten  gilt,  so  mnss  auch  die  Elektrizitätsentwickelung  in  de^ 
Voltaschen  Kette  (S.  375)  dadurch  bestimmt  sein.  Wenn  in  der  ZuJ 
sammenstellung  Zink,  verdünnte  Schwefelsäure,  Platin  die  Ionen  der 
Schwefelsäure  so  wandern,  dass  die  Atomgruppe  SO*  zum  Zink  gehl^ 
und  mit  demselben  Zinksulfat  bildet,  wälu*end  H^  zum  Platin  geht  und 
dort  in  Wasserstoff  übergeht,  so  müssen  bei  der  Auflösung  von  654g 
Zink,  oder  dem  Zeiiall  von  98  g  Schwefelsäure  genau  zwei  der  oben 
definierten  Einheiten  der  Elektrizitätsmenge  in  Bewegung  gesetzt  werden. 
Man  kann  allgemein  sagen:  jedes  galvanische  Element  bethätigt  beim 
Verbrauch  von  einem  Äquivalentgewicht  des  Metalls  unabhängig  von  der 
Natur  desselben  und  von  der  Beschaffenheit  des  chemischen  Vorganges 
dieselbe  Elektrizitätsmenge. 

Es  ist  ffSLT  viele  Aufgaben  von  Interesse,  die  mehrfach  erwähnte 
Elektrizitätsmenge  zu  kennen,  welche  an  1  g  Wasserstoff  oder  der  äqui- 
valenten Menge  eines  anderen  Ions  haftet.  Nach  den  Versuchen  von 
F.  Kohlrausch  und  Lord  Rayleigh  beträgt  diese  Elektrizitätsmenge 
96540  Coulombs.  Umgekehrt  bedarf  ein  Coulomb  zu  seiner  Wande- 
rung in  einem  Elektrolyten  0-000001036  Gramm-Äquivalent  eines  be- 
liebigen Ions. 

Die  eben  erwähnte  Folgerung  aus  dem  Gesetze  von  Faraday,  dass  jedes 
galvanische  Element  beim  Verbrauch  eines  Gramm-Äquivalents  seiner  wirksamen 
Stoffe  die  konstante  Elektrizitätsmenge  von  96540  Coul.  in  Bewegung  setzt, 
ist  von  Benault  (1867)  in  weitem  Umfange  bestätigt  worden.  Insbesondere 
haben  sich  dabei  zahlreiche  Beispiele  dafür  ergeben,  dass  je  nach  der  Natui 
der  Verbindungen  ein  Metall  verschiedene,  in  rationalen  Verhältnissen  stehende 
elektrochemische  Äquivalente  haben  kann.  So  werden  96540  Coul.  bewegt 
durch  200  g  Quecksilber,  wenn  sich  dasselbe  in  verdünnter  Salpetersäure  zu 


Die  elektrolytische  Leitung.  331 

Merkuronitrat  löst,  dagegen  schon  dnrdi  100g  desselben  Metalls,  wenn  es 
von  Cyankaliumlösong  zu  Cyanid,  Hg(CN)*,  gelöst  wird.  In  verdünnter  Salz- 
säure ist  das  elektrochemische  Äquivalent  des  Kupfers  63*3,  indem  dasselbe 
in  Chlorür  übergeht,  in  verdünnter  Salpetersäure  ist  es  31*7,  wobei  sich 
Cuprinitrat  bildet.  Zinn  wirkt  meist  mit  dem  Äquivalent  Vi^l^;  ^^  Kalium - 
pentasulfid  aber,  wo  es  sich  als  SnS'  löst,  ist  sein  Äquivalent  nur  V4ll^- 
Tellur  hat  in  Salzsäure  das  Äquivalent  ^^126,  in  Kalilauge  */^12b  u.  s.  w. 
Man  hat  früher  das  Faradaysche  Gesetz  in  dieser  und  der  irüher 
erwähnten,  auf  Elektrolyse  bezüglichen  Form  dahin  missverstanden,  als 
bedmge  die  gleiche  Elektrizitätsmenge  bei  den  verschiedenen  äquivalenten 
Stoffen  den  gleichen  Aufwand,  resp.  Gewinn  an  Arbeit;  insbesondere 
hat  Berzelius  von  diesem  Missverständnis  aus  das  Gesetz  heftig  bekämpft. 
Aus  der  eingehaltenen  Darstellung  geht  hervor,  dass  es  sich  hier  gar 
nicht  um  Arbeits-  oder  Energieverhältnisse  handelt.  Das  Faradaysche 
Gesetz  bezieht  sich  nur  auf  den  einen  Faktor  der  elektrischen  Energie, 
die  Elektrizitätsmenge;  der  andere  Faktor  derselben,  die  Spannung, 
bleibt  völlig  ausser  Betracht. 


Drittes  Kapitel. 
Die  elektrolytische  Leitung. 

Es  ist  schon  früher  hervorgehoben  worden,  dass  bei  weitem  nicht 
alle  zusammengesetzten  Stoffe  die  Fähigkeit  haben,  die  Elektrizität 
elektrolytisch,  d.  h.  vermittelst  wägbarer  Massenteilchen  zu  leiten.  Die- 
selbe kommt  hauptäächUch  den  wässerigen  Lösungen  von  Salzen,  Säuren 
und  Basen,  sowie  denselben  Stoffen  im  geschmolzenen  Zustande  zu;  sie 
zeigt  sich  nur  an  solchen  Stoffen,  welche  fähig  sind,  ihre  Bestandteile 
augenblicklich  auszutauschen. 

Überlegt  man,  dass  nach  dem  Faradayschen  Gesetz  bei  der  elektro- 
lytischen Leitung  wägbare  Stoffe  mit  positiver  Elektrizität  in  einer,  solche 
mit  negativer  Elektrizität  in  der  anderen  Richtung  sich  bewegen  müssen, 
80  sieht  man,  dass  die  Fähigkeit  der  Leitung  eines  Stoffes  von  seiner 
Fähigkeit,  derartige  Vehikel  der  Elektrizität  zu  bilden,  abhängig  ist. 
Nun  ist  die  elektrische  Energie  eine  Energieform  von  binärer,  und  zwar 
polarer  Beschaffenheit,  d.  h.  es  können  nie  positive  oder  negative 
Elektrizitätsmengen  allein  entstehen,  sondern  immer  nur  beide  gleichzeitig 
nnd  in  solchen  Mengen,  dass  ihre  algebraische  Summe  gleich  Null  ist. 
Wenn  also  ein  Stoff  fähig  sein  soll,  eine  elektrolytische  Leitung  zu  be- 
wirken, so  muss  er  sich  in  äquivalente  Anteile  spalten,  welche  gleich 
grosse  Summen  positiver  Elektrizitätsmengen  einerseits,  negativer  anderer- 
seits überführen  können.  Diese  Anteile  nennt  man  die  Ionen  des  ur- 
Bprünglichen,  unelektrisehen  und  nichtleitenden  Stoffes,  und  zwar  Kationen 


382  I^*   Elektrochemie. 

die,  welche  im  Sinne  der  positiven,  und  Anionen  die,  welche  im  Sinne 
des  negativen  Stromes  wandern. 

Man  hat  daher  früher  der  Elektrizität  die  Fähigkeit  zugeschriehen^ 
beim  Eintritt  in  den  Elektrolyten  diese  Spaltung  zu  bewerkstelligen  und 
sich  dann  der  Bruchstücke  zu  ihrer  Wanderung  zu  bedienen.  Gegen 
diese  Vorstellung  sprechen  indessen  verschiedene  Thatsachen.  Zu  einer 
derartigen  Spaltung  müsste  offenbar  eine  bestimmte  Arbeit  erforderlich 
sein.  Nun  bewegt  sich  aber  die  Elektrizität  erfahrungsgemäss  in  elektro- 
lytischen Leitern  mit  derselben  Freiheit,  wie  hi  metallischen,  Ar  eine 
solche  Arbeit  bleibt  also  kein  Raum.  Glausius  hat  deshalb  (1857)  in 
unbewusster  Übereinstimmung  mit  einer  von  Williamson  (1851)  zu  ganz 
anderen  Zwecken  entwickelten  Anschauung  angenommen,  dass  die  elektro- 
lytischen Stoffe  zu  einem  kleinen  Teil  von  vornherein  in  ihre  Bestand- 
teile zerfallen  sind;  dieser  von  selbst  zerfallenen  Anteile  bediene  sich  die 
Elektrizität  zur  Bewegung,  die  somit  die  Zerlegung  nicht  erst  zu  bewerk- 
stelligen hat. 

Es  fragt  sich  nun  alsbald,  vrie  gross  der  Anteil  des  zerfallenen 
Stoffes  in  einem  bestimmten  Elektrolyt,  z.  B.  einer  normalen  Lösung 
von  Chlorkalium  (74*5  g  im  Liter)  sei.  Clausius  hatte  die  Frage  unbe- 
antwortet gelassen  und  nur  im  allgemeinen  gemeint,  der  Anteil  brauche 
nicht  gross  zu  sein.  Auf  Grund  einer  Untersuchung  über  den  Einfluss 
der  Verdünnung  auf  die  elektrolytische  Leitlähigkeit  gelangte  Arrhenius 
(1887)  zu  der  gegenteiligen  Ansicht,  dass  in  den  gewöhnlichen  verdünnten 
Lösungen  dieser  Anteil  recht  erheblich  ist.  Da  dieser  Schluss  auf  der 
Kenntnis  des  allgemeinen  Verhaltens  der  elektrolytischen  Leitfahigkdt 
beruht,  soll  dieses  zunächst  in  seinen  Grundzügen  geschildert    werden. 

Schaltet  man  einen  Leiter  irgend  welcher  Art  in  einen  Stromkreis, 
so  kommt  ihm  nach  dem  Ohmschen  Gesetz  ein  von  der  Stromstärke 
unabhängiger  Widerstand  zu,  welcher  von  seiner  chemischen  Beschaffen- 
heit, seiner  Temperatur  und  seiner  Form  abhängt.  Der  letztere  Einfluss 
folgt  dem  Gesetz,  dass  der  Widerstand  proportional  der  Länge  und  umge- 
kehrt proportional  dem  Querschnitt  des  Leiters  ist.  Man  macht  sich 
von  ihm  unabhängig,  wenn  man  den  Widerstand  auf  einen  cylindrischen 
oder  prismatischen  Körper  von  1  qcm  Querschnitt  und  1  cm  Länge  (z.  B. 
einen  Würfel  von  1  cm  Kantenlänge)  bezieht,  und  nennt  den  so  er- 
haltenen Widerstand  in  Ohm  den  spezifischen  Widerstand  des 
fraglichen  Stoffes  bei  der  vorhandenen  Temperatur. 

Bei  elektrolytischen  Leitern,  z.  B.  Salzlösungen,  zeigt  sich  der 
Widerstand  annähernd  im  umgekehrten  Verhältnis  zum  Salzgehalt  ver- 
änderlich; dass  eine  solche  Lösung  leitet,  ist  also  wesentlich  vom  vor- 
handenen Salz  abhängig.  Es  ist  deshalb  angemessener,  an  Stelle  des 
Widerstandes  W  seinen  reziproken  Wert,  die  Leitfähigkeit  L=l/W 
einzuführen,  welche  mit  dem  Salzgehalt  gleichzeitig  ab-  und  zunimmt 

Diese  Leitfähigkeit  ist  nun  noch  mit  dem  Salzgehalt  veränderlich« 


i 


Die  elektrolytische  Leitung.  333; 

Da  nun  nach  dem  Faradayschen  Gesetz  gleiche  Elektrizitätsmengen  durch 
chemisch  äquivalente  Mengen  übergeführt  werden,  so  wird  es  zweckmässig 
Bein  7  die  Leiti^igkeit  auf  elektrisch  oder  chemisch  äquivalente  Mengen 
der  in  der  Lösung  vorhandenen  Salze  zu  beziehen.  Man  gelangt  zu 
einer  entsprechenden  Definition  auf  folgende  Weise. 

Wir  denken  uns  ein  Gefäss  aus  zwei  pai*allelen  Elektrodenflächen 
von  1  cm  Abstand  und  beliebiger  Ausdehnung  nebst  den  erforderlichen 
nichtleitenden  Wänden  gebildet.  In  ein  solches  Gef^iss  denken  wir  uns 
ßo  viel  von  der  elektrolytischen  Flüssigkeit  gebracht,  dass  ein  Gramm- 
Äquivalent  des  Elektrolyts  darin  entlialten  ist.  Dieses  Gebilde  wbd  einen 
bestimmten  Widerstand  in  Ohm  und  eine  entsprechende  Leittähigkeit  be- 
sitzen; wir  nennen  diese  die  äquivalente  Leitfähigkeit. 

Femer  können  wir  uns  statt  eines  Gramm-Äquivalents  ein  Mol  des 
Elektrolyts  in  dem  Gefäss  enthalten  denken;  dann  wird  seine  Leitfähig- 
keit die  molekulare  Leitfähigkeit  sein.  Letztere  ist  bei  einwertigen 
Elektrolyten  der  äquivalenten  gleich;  bei  mehrwertigen  ist  sie  ein  ganzes 
Vielfaches  der  ersteren. 

Die  äquivalente  und  molekulare  Leitfähigkeit  eines  gegebenen  Elektrolyt» 
hängt  zunächst  von  der  Temperatm*  ab,  bei  welcher  die  Bestimmung  ge- 
macht wird,  und  zwar  steigt  sie  fast  ausnahmelos  mit  steigender  Tempera- 
tur, meist  für  jeden  Grad  um  etwa  zwei  Prozent  ihres  Wertes.  Femer 
hängt  sie  von  der  Verdünnung  ab,  und  wächst  gleichfalls  fast  ausnahme- 
los mit  steigender  Verdünnung.  Diese  Zunahme  ist  sehr  bedeutend  bei 
schlechten  Leitern,  gering  bei  guten  Leitern,  und  nähert  sich  mit  steigender 
Verdünnung  überall  einem  Grenzwert,  der  bei  guten  Leitern  praktisch 
erreicht  werden  kann,  während  bei  schlechten  Leitern,  wie  Essigsäure 
oder  Ammoniak,  auch  bei  den  äussersten  Verdünnungen,  die  der  Messung 
noch  zugänglich  sind,  die  molekulare  Leitfähigkeit  vom  Grenzwert  noch, 
weit  entfernt  ist. 

Die  Messung  der  elektrischen  Leitfähigkeit  der  Elektrolyte  ist  lange 
Zeit  hindurch  eine  schwierige  Operation  gewesen;  ein  gleichzeitig  bequemes- 
und  genaues  Verfahren  ist  erst  von  F.  Kohlrausch  (1880)  angegeben  worden. 
Weil  nämlich  solche  Messungen  an  Elektrolyten  praktisch  fast  unausweichlich 
an  die  Benutzung  von  Elektroden  gebunden  sind,  letztere  aber,  sowie  man 
den  Strom  aus  ihnen  in  die  elektrolytische  Flüssigkeit  treten  lässt,  durch  die 
„Polarisation"  der  Sitz  unbekannter  elektromotorischer  Kräfte  werden  (s.  w.  u.),. 
so  lassen  sich  die  gewöhnlich  bei  Leitern  erster  Klasse  benutzten  Methoden 
hier  nicht  anwenden.  Erst  dadurch,  dass  er  die  gewöhnlichen  Ströme  durch 
Wechselströme,  d.  h.  solche,  die  unaufhörlich  ihre  Richtung  wechseln,  ersetzte,, 
gelangte  F.  Kohlrausch  dazu,  den  Einfluss  der  Polarisation  unschädlich  zu 
machen,  und  eine  sichere  Messung  zu  ermöglichen. 

Der  Apparat  von  Kohlrausch  ist  nach  dem  System  der  Wheatstoneschen; 
Brücke  zusammengestellt  und  nachstehend  schematisch  vorgeführt.  Die 
Wechselströme  eines  kleinen  Induktionsapparates  J  werden  an  die  Enden  a 


334  I^'   Elektrochemie. 

und  b  eines  Drahtes^)  von  1  Meter  Länge,  welcher  über  eine  in  Millimeter 
geteilte  Skala  ausgespannt  ist,  geleitet.  Dort  durchlaufen  sie  einerseits  den 
Draht  adb,  andererseits  einen  Widerstandskasten  K  und  den  zu  messenden 
Flüssigkeitswiderstand  W  auf  dem  Wege  aRcWb.  Von  c  aus  geht  ein  Ver- 
bindungsdraht nach  ad  hinüber,  welcher  vermittelst  einer  Schlittenyorrichtnng 
unter  metallischer  Berührung  den  Platindraht  ab  entlang  gefuhrt  werden 
kann;  in  diese  Leitung  ist  ein  Telephon  T  eingeschaltet. 

Bekanntlich  geht  bei  einer  derartigen  Anordnung  durch  die  „Brücke" 
cd  kein  Strom,  wenn  sich  die  Widerstände  R:W  verhalten  wie'adidb. 
Dass  dieses  der  Fall  ist,  erkennt  man  an  dem  Schweigen  des  Telephons  T. 
Man   findet   demnach   die    gesuchte    Stellung,    indem   man    den    Kontakt  d 

so  lange  an  dem  Drahte  ab 
hin-  oder  herführt,  bis  man 
die  Stelle,  wo  das  Telephon 
schweigt,  gefunden  hat  Da 
R:W«»ad:db,  so  ist  der 
gesuchte  Widerstand  W^  =  B 

— j,  oder  die  gesuchte  Leit- 
fähigkeit 4r  =*  ^  ==     ^^ 


W  R.db 

Um  aus  der  so  gefun- 
denen Leitfähigkeit  der  in 
W  eingeschalteten  Flüssig- 
keitsmenge die  äquivalente,  bez.  molekulare  Leitfähigkeit  zu  berechnen, 
muss  man  sie  noch  mit  der  „Kapazität"  des  Gefässes,  sowie  mit  der  Ver- 
dünnung, der  Zahl  der  Liter,  in  welcher  ein  Gramm -Äquivalent,  bez.  ein 
Mol  des  Elektrolyts  enthalten  ist,  multiplizieren.  Erstere  findet  man,  wenn  man 
eine  elektrolytische  Flüssigkeit  von  bekannter  Leitfähigkeit  und  Zusammen- 
setzung in  das  Gefäss  giebt  und  eine  Messung  macht.  Ist  M  die  molekulare 
Leitfähigkeit  der  betreffenden  Flüssigkeit  und  V  ihre  Verdünnung,  so  ergiebt 
sich  der  Faktor  K,  welcher  die  in  dem  Gefäss  gemessene  Leitfähigkeit  in  die 
molekulare  verwandelt,  aus  der  Gleichung 

__      ^   V.ad       ,       ,.         M.R.db 
M  =  K.^=;-^rr-   oder    K 


R.db  V.ad 

Misst  man  nunmehr  eine  andere  Flüssigkeit  von  der  Verdünnung  y,   so  ist 

ihre  molekulare  Leitfähigkeit  ^ 

■^y.    V  •  a  u 

Die  Gefässe,  in  welchen  die  Leitfähigkeiten  gemessen  werden,  haben  je  nach 
dessen  Grösse  verschiedene  Formen,  die  durch  den  Umstand  bestimmt  werden, 
dass  Widerstände  unter  10  und  über  10000  Ohm  mittelst  des  Apparates  nicht 
gut  zu  messen  sind.    Bei  Flüssigkeiten,  w^elche  gut  leiten,   hat   man   daher 

')  Der  Draht  kann  aus  Platin,  aber  auch  aus  Konstantan  oder  einem 
ähnlichen  Widerstandsmetall  bestehen  und  muss  einen  möglichst  grossen 
Widerstand  haben. 


Die  elektrolytbahe  Leitung.  385 

GefSaae  zu  wählen,  in  welcben  die  Elektroden  ziemlich  entfernt,  und  die 
Plüssigkeitaschicht  zwischen  denselben  von  geringem  Querschnitt  ist;  bei 
schlechtleitenden  Flüssigkeiten  niuss  das  umgekehrte  der  Fall  sein.  Die  unten- 
stehenden Zeichnungen  Fig.  48  u.  49  geben  zwei  Formen,  mit  denen  man  fast 
immer  ausreicht.  Die  Elektroden  sind  aus  Platin,  und  müssen  mit  Platin- 
schwarz überzogen  werden,  indem  man  zwischen  denselben  eine  sehr  ver- 
dünnte, etwas  bleihaltige  Platinchloridlösung  unter  zeitweiligem  Stromwechsel 
elektrolysiert,  bis  die  Oberfläche  sammetschwarz  geworden  ist'). 

Die  auf  äquivalente  (nicht  molekulare)  Mengen  bezogene  L^t- 
fähigkeit  der  neutralen  Salze  ist  von  einigermasaen  gleicher  Orösaen- 
ordnung  und  ediwankt  in  dem  oben  (S.  b82)  definierten  Mass  etwa 
zwischen  50  und  130.  Sie  nimmt  mit  stdgender  Verdünnung  langsam 
za  und  erreicht  meist  einen  Maximalwert,  der  nicht  weiter  überschritten 
wird,    bei  Verdünnung   von    etwa  2000  I.     Die   nachstehende   Tabelle, 


Fig.  48.  Fig.  ^9. 

deren  Werte  von  Rohlransdi  beobachtet  worden  sind,  lässt  dies  erkennen; 
sie  gut  fllr  18». 

Verdünnung    KCl         KaCl  LiCl 

11       98-2         74-4         63-2 

101     111-9  92-5  82-9 

1001     122-5       102-8  93-G 

10001     127-6       107-8  98-5 

20001     128-3       108-5         99-3 

50001     129-1       109-2       100-2 

10000 1     129-5       109-7        100-7 

Die  Tabelle  lässt  gleichfalls  eine   andere  Regelmäsaigkeit  erkennen. 

Die  Zunahme,  welche  die  Leitßlhigkeit  bei  steigender  Verdünnung  erföhrt, 

^)  Die  Zusammensetzung  einer  geeigneten  Lösung  ist  30  Wasser,  1  Platin- 
chlorid, 0-008  Bleiacetat  (Lummer  und  Eurlbaum);  sie  ergiebt  eine  so  wirk- 
same Platinierung,  dass  man  mit  Elektroden  von  1  cm'  Querschnitt  ausreicht. 


V.BaCI. 

'/,K,S0, 

V,MgS0. 

70-3 

71-8 

28-9 

92-2 

95-9 

50-1 

107-7 

117-4 

76-6 

116-9 

129-0 

100-2 

118-3 

130-8 

104-8 

119-8 

132-7 

108-7 

120-5 

133-5 

110-4 

386  IX-   Elektrochemie. 

ist  verschieden,  je  nach  der  Natur  der  Salze.  Am  wenigsten  ändert  sich 
die  Leitfahigheit  der  Salze  mit  zwei  einwertigen  Ionen,  stärker  die  mit 
einem  zweiwertigen  Ion  und  zwei  einwertigen,  und  am  stärksten  die  des 
Magnesiumsulfats,  welches  zwei  zweiwertige  Ionen  besitzt.  Diese  Regel 
hat  sich  als  sehr  allgemein  erwiesen. 

Die  allgemeinste  Gesetzmässigkeit  aber,  welcher  die  Leitfahigkät 
der  neutralen  Salze  unterworfen  ist,  lässt  sich  an  der  vorstehenden  kleinen 
Tabelle  nicht  erkennen.  Sie  ist  von  F.  Kohlrausch  (1876)  entdeckt 
worden  und  lässt  sich  am  kürzesten  in  folgender  Weise  ausdrüdten: 
die  Leitfähigkeiten  der  verdünnten  Lösung  neutraler  Salze 
setzen  sich  additiv  aus  zwei  Werten  zusammen,  von  denen 
einer  nur  von  dem  Metall  oder  Kation,  der  andere  nnr  von 
der  Säure  oder  dem  Anion  abhängt. 

Die  Form  dieses  Gesetzes  stimmt  vollkommen  mit  der  überein, 
welche  man  dem  Gesetze  der  Thermoneutralität,  sowie  dem  fiir  die 
Volumverhältnisse  und  die  meisten  anderen  Eigenschaften  der  Salz- 
lösungen geben  kann,  und  fuhrt  auf  denselben  Grund  zurück:  die  Un- 
abhängigkeit der  Leitfähigkeit  der  beiden  Ionen  des  Salzes  voneinander, 
welche  in  dem  Gesetz  ausgesprochen  ist,  beweist  die  entsprechende  Un- 
abhängigkeit der  Ionen  selbst  voneinander. 

Verauchen  wir,  uns  hieraus  ein  Bild  von  den  Verhältnissen  der 
elektrolytischen  Leitung  zu  machen,  so  gelangen  wir  zu  folgender  An- 
schauung. Durch  die  elektrische  Triebkraft,  welche  infolge  des  im 
Strome  herrschenden  Spannungsgefälles  auf  die  positiven  Ionen  in  der 
Richtung  des  positiven  Stromes,  auf  die  negativen  in  entgegengesetztar 
Richtung  wirkt,  werden  beide  in  Bewegung  gesetzt  und  transportieren 
die  Elektrizitätsmengen  in  den  entsprechenden  Richtungen.  Die  Leitfähig- 
keit, oder  die  infolge  der  Einheit  der  Spannung  in  der  Zeiteinheit  trans- 
portierte Elektrizitätsmenge  hängt  nun  offenbar  von  der  Menge  der 
transportierenden  Ionen,  sowie  von  deren  Geschwindigkeit  ab.  Dabei  ist 
zu  beachten,  dass  zufolge  des  Faradayschen  Gesetzes  jedes  lonenäquivalent^ 
unabhängig  von  seiner  Zusammensetzung,  die  gleiche  Elektrizitätsmenge 
befördert;  bezieht  man  die  Rechnung  auf  den  Fall  äquivalenter  Mengen 
der  verschiedenen  Elektrolyte,  welche  somit  gleiche  Elektrizitätsmengen 
transportieren,  so  erweist  sich  die  äquivalente  Leitfähigkeit 
unmittelbar  als  ein  Mass  für  die  Wanderungsgeschwindigkeit 
der  Ionen. 

Allerdings  ist  dabei  die  Voraussetzung  gemacht,  dass  der  gesamte 
in  der  Lösung  enthaltene  Elektrolyt  sich  an  der  elektrischen  Leitung  be- 
teihgt.  Diese  Voraussetzung  ist  im  allgemeinen  nicht  erfüllt;  sehr  verdünnte 
Salzlösungen  weichen  aber  so  wenig  davon  ab,  dass  wir  einstweilen  hier- 
von absehen  können. 

Aus  der  Verschiedenheit  der  elektrischen  Leitfähigkeit  der  ver- 
dünnten Salzlösungen  geht  zunächst  hervor,  dass  die  Wanderungsge- 
schwindigkeit der  Ionen  verschieden  sein  muss.     Daraus,  dass  die  Ldt- 


Die  elektrolytische  Leitung. 


387 


äüiigkeit  des  Chlorkalioins  die  des  Ghlomatriuins  (und  ebenso  die  jeder 
Bmderen  Kaliumverbindung  die  jeder  entsprechenden  Natriumverbindung) 
am  18  bis  19  Einheiten  übertrifft,  folgt  weiter,  dass  Kalium  um  18 
bis  19  Einheiten  schneller  wandern  muss,  als  Natrium.  Ebenso  kann 
man  die  Unterschiede  zwischen  den  Geschwindigkeiten  anderer  Ionen 
bestimmen;  die.  Geschwindigkeiten  selbst  aber  lassen  sich  aus  den  Leit- 
fähigkeiten nicht  ableiten. 

Hier  tritt  nun  eine  zuerst  von  Hittorf  (1853)  richtig  verstandene 
Erscheinung  hillft^ich  ein.  Wenn  nämlich  bei  der  Elektrolyse  beide 
[onen  (wie  man  frtlher  stillschweigend  angenommen  hatte)  gleich  schnell 
«rändern,  so  muss  der  Verlust,  welchen  die  Lösung  durch  die  Elektrolyse 
An  bdden  Elektroden  erfahrt,  beiderseits  gleich  gross  sein,  und  die  Kon- 
zentration beiderseits  um  gleich  viel  geringer  wwden.  Dies  findet  nun 
im  allgemeinen  nicht  statt;   die  Konzentrationen   ändern  sich  an  beiden 


X 


o  o  o  o  o 


V 


I . , , iQ 


o  o  o 


o  o  o  o  o 


o  o  o 


o  o  o  o  o 


o  o  o 


o  o  o  o  o  o  o 


u 


y 

Fig.  50. 

Elektroden  in  ungleichem  Masse,  und  dai*aus  hat  Hittorf  geschlossen,  dass 
beide  Ionen  ungleich  schnell  wandern  müssen. 

Um  sich  die  Wirkung  der  ungleichen  Wanderungsgeschwindigkeit  klar 
zu  machen,  betrachte  man  das  obenstehende  Schema  Fig.  50.  Die  schwarzen 
und  weissen  Punkte  stellen  die  Ionen  dar.  Bei  der  Elektrolyse  wandern 
die  schwarzen  nach  links,  die  weissen  nach  rechts,  und  zwar  sollen  die 
ersten  doppelt  so  schnell  wandern,  wie  die  zweiten.  Die  obere  Reihe  a 
stellt  den  Zustand  vor  der  Elektrolyse  dar,  die  untere  b  nach  der  Ein- 
wirkung des  Stromes.  Der  senkrechte  Strich  xy  teilt  die  ursprünghche 
Anordnung  in  zwei  gleiche  Anteile. 

Am  Anfange  der  Elektrolyse  sind  beiderseits  je  acht  schwarze  und 
weisse  Ionen.  Am  Schluss  derselben,  nachdem  sechs  Äquivalente  zerlegt 
sind^  befinden  sich  links  vier  unzersetzte  Äquivalente,  rechts  dagegen 
sechs;  die  Konzentration  ist  also  beiderseits  nicht  mehi*  die  gleiche.  Von 
dem  Salz  sind  links  vier  Äquivalente  verschwunden,  rechts  zwei.  Diese 
beiden  Verluste  verhalten  sich  wie  die  Wanderungsge- 
schwindigkeiten der  fortgewanderten  Ionen. 

Bestimmt  man  also   nach   der  Elektrolyse  die  Abnahme  des  Salz- 

25* 


B88  IX.   Elektrochemie. 

gehalteB  an  den  entsprechenden  Elektroden,  so  giebt  das  Yeriiältnis  der 
Verluste  das  Verhältnis  der  Wanderongsgesdbwindigkeiten. 

Auf  Grund  dieses  Ergebnisses  ist  es  nun  leicht,  die  Antdle  zu  be- 
rechnen, welche  die  einzelnen  Ionen  an  der  Leitfähigkeit  haben.  So 
bleibt  z  B.  bei  der  Elektrolyse  einer  Lösung  von  Ohlorkalium  die  Kon- 
zentration an  beiden  Elektroden  fast  völlig  gleich;  folgüch  wandern  die 
beiden  Ionen  R  und  Gl  gleich  schnell,  und  zwar  jedes  in  den  Einheiten 
der  Tabelle  auf  S.  385,  wenn  wir  Lösungen  von  10001  in  Betradit 
ziehen,  jedes  63-8.  Daraus  folgt  alsbald,  dass  die  Wanderungsgesdiwin- 
digkeit  des  Natriums  44*0,  die  des  Lithiums  nur  34-7  ist  n.  s.  w. 

Durch  die  Bestimmung  eines  einzigen  Überführungsverhältnisses, 
z.  B.  des  GhlorkaJiums,  kann  man  sämtliche  lonengeschwindigk^ten  be- 
rechnen, wenn  die  Leitfähigkeiten  bekannt  sind.  Kennt  man  aber  diese, 
so  kann  man  alsbald  wieder  die  Überfiihrungsverhältnisse  sämtlicher  aus 
diesen  Ionen  gebildeter  Salze  berechnen.  Kohlrausch  hat  gezeigt,  dass 
die  Ergebnisse  einer  derartigen  Rechnung  auf  das  beste  mit  den  von 
Hittorf  unmittelbar  gemessenen  Überfährungszahlen  übereinstimmen. 

Ganz  ähnlich  den  Neutralsalzen,  welche  bisher  besprochen  wurden, 
verhalten  sich  die'  starken  Säuren  vom  Typus  des  Ghlorwasserstoffs  und 
der  Salpetersäure.  Ihre  Leitfähigkeiten  sind  viel  grösser  als  die  der 
Neutralsalze.  Da  die  Geschwindigkeiten  der  negativen  Ionen  bekannt 
sind,  so  kann  dies  nur  daher  rühren,  dass  dem  Wasserstofif  eine  sdir 
grosse  Geschwindigkeit  zukommt.  Es  sollen  zunächst  wieder  die  äqui- 
valenten Leitfähigkeiten  nach  Kohlrausch  für  eine  Temperatur  von  18* 
mitgeteilt  werden. 

VaHaSO^       VaHsPO^         C,H^O, 
198  22  132 

225  —  460 

308  85  14-3 

361  106  41 

Bei  einer  Verdünnung  von  10001,  wo  das  Chlor  eine  Geschwindigkdt 
von  63*8  hat,  ergiebt  sich  für  den  Wasserstoff  der  Chlorwasserstoflsäure, 
und  somit  für  den  Wasserstoff  überhaupt  313-2;  derselbe  wandert  also 
fast  flinfmal  schneller,  als  das  Chlor. 

Es  müssen  deshalb  bei  der  Elektrolyse  der  Säuren  sehr  starke 
Konzentrationsänderungen  an  den  Elektroden  auflreten.  Dieselben  sind 
gleichfalls  von  Hittorf  gemessen  worden,  und  Kohlrausch  hat  gezeigt^ 
dass  sie  vollkommen  der  Theorie  der  unabhängigen  Wanderung  der 
Ionen  entsprechen. 

Basische  Stoffe  ergaben  endlich  nach  Kohlrauschs  Messungen  bei  18*: 


Verdünnung 

HCl 

HNO3 

11 

301 

310 

101 

351 

350 

1001 

370 

368 

10001 

377 

375 

Verdünnung 

KOH 

NaOH 

NH^OH 

11 

184 

160 

0-89 

101 

213 

183 

3.3 

1001 

228 

200 

9.6 

10001 

234 

208 

28-0 

Die  elektrolytische  Leitung.  339 

Aus  der  Wanderungsgeschwindigkeit  des  Kaliums,  weiche  64*7  beträgt, 
folgt  die  des  Hydroxyls  OH  gleich  169»3;  dasselbe  wandert  also  gleich- 
£5Üls  bedentend  schneller,  als  die  anderen  negativen  Ionen,  z.  B.  etwa 
2-5  mal  so  schnell,  als  das  Chlor,  welches  sonst  zu  den  schnellsten  gehört« 

Während  nun  aber  die  starken  Säuren  und  Basen  sich  dem  Ge- 
setz voll  Eohlrausch  unterordnen,  weichen  die  schwachen  ausserordent- 
lich stark  davon  ab.  Weder  die  Phosphorsäure  und  Essigsäure,  noch  das 
Ammoniak  zeigen  Zahlen,  welche  sich  mit  dem  Gesetz  in  Einklang 
bringen  lassen,  denn  ihre  Leitfähigkeit  ist  kleiner,  als  die  Wanderungs- 
geschwindigkeit des  Wasserstoffs,  bez.  des  Hydroxyls,  so  dass  selbst  die 
Annahme,  dass  das  andere  Ion  sich  überhaupt  nidit  bewegt,  noch  viel 
grössere  Zahlen  giebt,  als  beobachtet  worden  sind. 

Die  Erklärung  fQr  diese  Abweichungen  ergiebt  sich  daraus,  dass 
bei  den  letzten  Betrachtungen  ein  Faktor  der  Leitfähigkeit  nicht  berück- 
sichtigt worden  ist,  welcher  schon  früher  Erwähnung  gefrmden  hat.  Die 
äquivalente  Leitfähigkeit  lässt  sich  nur  dann  als  Summe  der  Wanderungs- 
geschwindigkeiten der  Ionen  darstellen,  wenn  die  Menge"  der  die  Elektri- 
zität befördernden  Ionen  gleich,  bez.  äquivalent  ist.  Nun  sind  zwar 
Lösungen  miteinander  verglichen,  welche  äquivalente  Mengen  der  ver- 
schiedenen Elektrolyte  enthalten;  es  ist  aber  erst  zu  untersuchen,  ob  in 
äquivalenten  Mengen  verschiedener  Elektrolyte  auch  äquivalente 
Mengen  freier  Ionen  enthalten  sind,  denn  nur  diese  beteiligen 
sich  an  der  Leitung. 

Nun  zeigen  Bestimmungen  der  Gefrieipunkte  der  entsprechenden 
Losungen,  dass  Chlorwasserstoff  und  Kali  eine  Wirkung  ausüben,  die 
fast  doppelt  so  gross  ist,  als  ihrem  Molekulargewicht  entspricht,  sie  sind 
also  fast  völlig  in  ihre  Ionen  zerfallen.  Essigsäure  und  Ammoniak  er- 
niedrigen aber  den  Gefrierpunkt  nahezu  wie  indifferente  Stoffe,  ent- 
sprechend ihrem  Molekulargewicht;  sie  haben  also  nur  sehr  wenige  freie 
Ionen  abgespalten.  Phosphorsäure  liegt  zwischen  beiden,  aber  näher  zur 
Essigsäure,  als  zur  Salzsäure;  sie  ist  also  teilweise,  aber  bei  weitem  nicht 
vollständig  in  Ionen  zerfallen. 

Somit  ist  das  Gesetz  von  Kohlrausch  nicht  in  der  Form  zu  schrei- 
ben ^  =  u  +  V,  wo  [i  die  molekulare  Leitfähigkeit  und  u  und  v  die 
Wanderungsgeschwindigkeit  bedeuten,  sondern  es  ist  zu  schreiben 

^  =  x(u-t-v), 

wo  X  den  Bruchteil  des  Elektrolyts  darstellt,  welcher  in  seine  Ionen 
zerfallen  ist.  Erat  bei  unbegrenzt  grosser  Verdünnung  wird  der  Zerfall 
vollständig,  und  bei  der  entsprechenden  Leitfähigkeit  ^i^  wird,  da  als- 
dann X  =  1  wird. 

Das  Gesetz  von  Kohlrausch  gUt  also  streng  nur  för  unendlich  grosse 
Verdünnungen. 

Nun   ist  aber  bereits  erwähnt   worden,   dass   die  Salze,   insbeson^ 


1 


390  I^*   Elektrochemie. 

dere  die  einwertigen,  bereits  bei  praktisch  erreichbaren  YerdünnimgB- 
zoständen  (von  etwa  10001)  so  gut  wie  völlig  zerfallen  sind;  eine 
weitere  Verdünnung  ändert  an  ihrem  Zustande  nichts  mehr.  Das 
Gleiche  gilt  fär  die  starken  Säuren  und  Basen.  An  ihnen  kann  man 
also  die  Werte  (i^  mit  genügender  Annäherung  feststeilen.  Die  Salze 
schwacher  Säuren  mit  starken  Basen,  und  ebenso  die  Salze  schwadier 
Basen  mit  starken  Säuren  schliessen  sich  vöUig  denen  aus  starken  Be- 
standteilen an ;  durch  die  Untersuchung  solcher  Salze  •  kann  man  somit 
auch  die  Wanderungsgeschwindigkeiten  der  Ionen  schwacher  Säuren  und 
Basen  bestimmen,  so  dass  diese  Eigenschaft  für  sämtliche  Ionen  der 
Messung  zugänglich  wird. 

Haben  wir  nun  diese  Kenntnis  der  Werte  u  und  v  für  jedes  Ion, 
so  können  wir  gemäss  den  Gleichungen 

^=x(u  +  v) 

leicht  den  Bruchteil  x  des  in  Ionen  zerfallenen  Anteils  des  Elektrolyts 
oder  den  Grad  der  elektrolytischen  Dissociation  bestimmen;  durch 
Division  folgt  nämlich 

x  =  -^. 

Der  Dissociationsgrad  eines  gelösten  Elektrolyts  bei 
irgend  einer  Verdünnung  ist  gleich  dem  Verhältnis  der  mo- 
lekularen Leitfähigkeit  bei  dieser  Verdünnung  zu  der  bei  un- 
begrenzt grosser  Verdünnung. 

An  dieser  SteUe  entsteht  eine  neue  Frage.  Die  bisherigen  Be- 
trachtungen sind  ausschliesslich  auf  elektrischem  Boden  durchgeführt 
worden:  die  Erscheinungen  der  elektrolytischen  Leitung  ergaben  in  ihrer 
Zusammenfassung  die  Folgerung,  dass  in  den  Elektrolyten  sich  die  Stoffe, 
welche  die  Leitung  bewirken,  in  einem  besonderen  Zustande  der  Spaltung 
befinden  müssten,  welcher  von  der  Verdünnung  und  der  Temperatur, 
sowie  namentiich  von  der  Natm-  des  Stoffes  abhängig  ist;  der  Betrag 
dieser  Spaltung  bestimmte  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  den  Betrag 
der  Leitfähigkeit.  Umgekehrt  ergab  die  Messung  der  letzteren  den  Be- 
trag der  vorauszusetzenden  Spaltung. 

Nun  sind  wir  bereits  auf  einem  anderen  Wege,  nämlich  durch  die 
Abweichung  des  Verhaltens  gewisser  gelöster  Stoffe  von  den  einfachen 
Lösungsgesetzen,  zu  einer  ähnlichen  Auffassung  gefuhrt  worden.  Wenn 
beide  Betrachtungen  richtig  sind  so  muss  die  Eigenschaft  der  elektro- 
lytischen Leitung  und  die  der  Abweichungen  von  den  Lösungsgesetzen 
Hand  in  Hand  gehen;  beide  müssen  nicht  nur  ausschliesslich  bei  den- 
selben Stoffen  vorkommen,  sondern  auch  beiderseits  gleiche  verhältniss- 
mässige  Beträge  aufweisen.  Dieser  Schluss-  ist  nun  von  der  Erfahrung 
vollständig  bestätigt  worden.  Jedesmal,  wenn  ein  gelöster  Stoff 
von    den  Lösungsgesetzen    in    solchem  Sinne    abweicht,    dass 


Die  Eigenschaften  der  Ionen.  391 

sein  osmotiseher  Druck  (oder  die  diesem  proportionale  Ge- 
frierpunkts- oder  Siedepnnktsänderang)  grösser  ist,  als  seinem 
Molekulargewicht  entspricht^  so  zeigt  er  auch  elektrolytis.che 
Leitfähigkeit,  und  umgekehrt.  Dieser  Zusammenhang  besteht  ausser- 
dem nicht  nur  qualitativ,  sondern  quantitativ;  der  Grad  der  Spaltung 
in  Ionen,  welcher  durch  die  osmotischen  Methoden  angegeben  wird,  er- 
giebt  sich  auch  aus  der  elektrischen  Leitfähigkeit. 

Sowohl  die  osmotischen  Methoden,  wie  die  stöchiometrischen  und 
die  ran  chemischen  Erscheinungen  einerseits,  und  die  elektrolytischen 
andererseits  führen  somit  zu  derselben  Auffassung  des  Zustandes  der  ge- 
lösten salzartigen  Stoffe,  und  alle  diese  Gebiete  sind  dadurch  in  einen 
engen  Zusammenhang  gebracht  Dieser  Zusammenhang  bewirkt,  dass 
man  in  vielen  Fällen  aus  der  Kenntnis  des  Verhaltens  eines  bestimmten 
Stoffes  in  einem  dieser  Gebiete  sein  noch  unbekanntes  Verhalten  in  den 
anderen  Gebieten  ableiten  kann.  Solche  Schlusstblgerungen  sind  sehr 
zahlreich  gezogen  worden,  und  die  Erfahrung  hat  sie  im  weitesten  Um- 
fange bestätigt. 


Viertes  Kapitel. 
Die  Eigenschaften  der  Ionen. 

Nachdem  die  verachiedensten  Erscheinungen  an  Salzlösungen  in 
gleicher  Weise  zu  der  Annahme  geführt  haben,  dass  in  ihnen  ein  Teil 
des  Salzes  in  zwei  zwar  stets  nebeneinander  vorkommende,  in  ihren 
Eigenschaften  aber  unabhängige  Bestandteile  gespalten  ist,  welche  wir 
die  Ionen  genannt  haben,  entsteht  das  Bedürfnis,  sich  über  die  Natur 
dieser  Stoffe  Rechenschaft  zu  geben,  da  die  von  ihnen  vorauszusetzenden 
Eigenschaften  in  manchen  Stücken  von  den  Eigenschaften  der  anderen 
Stoffe  abweichen. 

Was  zunächst  die  Frage  anlangt:  welche  Stoffe  können  Ionen 
bilden?  so  kann  die  Antwort  darauf  kurz  lauten:  die  Salze  (Hittorf 
1853).  Unter  diesem  Namen  verstehen  wir  eine  Gruppe  von  binär 
zusammengesetzten'  Stoffen,  die  durch  eine  besondere  Bereitwilligkeit  zu 
chemischen  Reaktionen  und  eine  besondere  Schnelligkeit,  mit  der  diese 
an  ihnen  verlaufen,  ausgezeichnet  sind.  Diese  chemischen  Reaktionen 
erfolgen  nicht  zwischen  beliebigen  Elementen  der  Salze,  sondern  zwischen 
besonderen  Bestandteilen  oder  Spaltungsstücken,  den  Ionen. 

Während  die  grosse  Klasse  der  anorganischen  Salze  fast  gar  keine 
Schwierigkeit  der  Charakteristik  macht,  kann  man  bei  gewissen  organischen 
Verbindungen  zweifelhaft  werden,  ob  sie  den  Salzen  zuzurechnen  sind 
oder  nicht.  Insbesondere  sind  die  Verbindungen,  die  aus  Säuren  und 
Alkoholen  unter  Wasseraustritt,  also  ganz  wie  die  Salze  aus  Säuren  und 


392  IX.   Elektrochemie. 

Basen^  entstehen^  die  Ester,  welche  man  den  Salzen  zuzurechnen  ge- 
neigt sein  würde.  Fragt  man  indessen  nach  dem  anderen  Kriterium,  dem 
der  sehr  schnell  verlaufenden  chemischen  Reaktion,  so  findet  man,  dass 
es  nicht  zutrifft;  die  Ester  tauschen  ihre  Bestandteile  nicht  augenbli<^Jich 
aus,  sondern  mehr  oder  weniger  langsam,  zuweilen  gar  nicht  in  mess- 
barer Weise.  Die  Ester  werden  also  trotz  der  formalen  Analogie  da 
Bildung  nicht  zu  den  Salzen  zu  rechnen  sein. 

Hiermit  steht  ein  anderes  Kriterium  des  Salzzustandes  in  Überein- 
stimmung. Wenn  die  elektrolytische  Leitung  von  dem  YorhandenseiiL 
freier  Ionen  abhängt,  und  deren  Bildung  die  charakteristische  Eigensdiaft 
der  Salze  ist,  so  müssen  sich  die  Ester  als  Nichtleiter  erweisen,  falls  sie 
keine  Salze  sind.  Dies  entspricht  der  Erfahrung:  die  Ester  leiten  weder 
für  sich,  noch  in  Lösung  den  Strom  in  irgend  erheblichem  Masse. 

Aber  ein  kleiner  Betrag  von  Leitung  ist  doch  vorhanden,  ebenso 
wie  ein  langsamer  Austausch.  Wir  werden  also  schliessen  müssen,  dass  die 
wesentliche  Eigenschaft  der  Salze,  die  Spaltung  in  Ionen  auch  bei  den  Estern 
vorhanden  ist,  wenn  auch  nur  in  sehr  geringem  Masse.  In  der  That  wird 
dies  der  angemessenste  Ausdruck  der  Erfahrung  sein.  Die  Klasse  der  Salze 
erscheint  dadurch  nicht  fest  abgeschlossen,  sondern  ihre  Grenze  ist  einiger- 
massen  von  unseren  Hilfsmitteln  der  Beobachtung  und  Messung  abhängig. 
Dies  ist  eine  Eigentümlichkeit,  die  bei  allen  Versuchen,  die  Mannigfaltigkeit 
der  Erscheinungen  zu  klassifizieren,  auftritt.  Während  der  Haupttypus,  in 
welchem  die  wesentliche  Eigenschaft  am  stärksten  entwickelt  ist,  sich  leicht 
erkennen  und  feststellen  lässt,  finden  sich  andere  Fälle  mit  zunehmend 
weniger  ausgesprochenem  Gattungsmerkmal,  und  eine  scharfe  Grenze  ist  nicht 
vorhanden.  So  werden  wir  auch  alle  Stoffe  Salze  im  weiteren  Sinne  nennen 
können,  bei  denen  wir  Ionen  nachweisen,  d.  h.  wechselseitigen  Austausch 
entsprechender  Spaltungsstücke  und  elektrolytische  Leitung  beobachten  können. 

Der  Zusammenhang  zwischen  lonenbildung  und  elektrischer  Leitfahigkat 
zeigt,  dass  die  elektrischen  Erscheinungen  bei  ersterer  wesentlich  sind.  Die 
Salze  zerfallen  in  Bestandteile,  welche  den  Transport  positiver  und  nega- 
tiver Elektrizitätsmengen  bewirken.  Man  hat  sich  daher  diese  Bestand- 
teUe  mit  diesen  Elektrizitätsmengen  auf  irgend  eine  Weise  verbunden 
vorzustellen.  Ob  man  diese  Vorstellung  molekular  fasst,  und  sich  die 
Ionen  als  kleine  elektrisch  geladene  Körperchen  denkt,  oder  irgend  eine 
andere  Veranschaulichung  entwickelt,  ist  für  die  hier  zu  behandelnden 
Fragen  belanglos;  uns  genügt  die  Thatsache,  dass  die  Bildung  von  Ionen 
und  die  Bildung  proportionaler  positiver  und  negativer  Elektrizitätsmengen 
untrennbar  aneinander  geknüpft  sind. 

Hieraus  folgt  zunächst,  dass  sich  nur  äquivalente  Mengen  positiver 
und  negativer  Ionen  gleichzeitig  bilden  können,  denn  es  ist  ein  Grund- 
gesetz der  Elektrik,  dass  aus  einem  ursprünglich  elektrisch  neutralen 
Körper  nur  gleiche  Mengen  der  beiden  entgegengesetzten  Elektrizitäten 
entstehen  können.     Diese  Äquivalenz  der  ungleichnamigen   Ionen   mußs 


Die  EigenEchaften  der  Ionen.  393 

sieh  anch  bei  allen  mögliehen  Reaktionen  erhalten,  da  alle  reagierenden 
Lösungen  von  vornherein  die  gleiche  Bedingung  erfüllen. 

Wenn  in  elektrisch  neutralen  Lösungen  die  entgegengesetzten  Ionen  in 
gleichen  Mengen  vorl^finden  sind,  so  müssen  umgekehrt  in  elektrisch  geladenen 
Elektrolyten  die  entsprechenden  Ionen  im  Überschuss  vorhanden  sein.  Auch 
dieser  Schluss  hat  sich  bestätigen  lassen  (Ostwald  und  Nemst  1890).  Nur 
sind  die  Elektrizitätsmengen,  welche  sich  durch  elektrostatische  Ladung  in 
einem  gegebenen  elektrolytischen  Leiter  anhäufen  lassen,  überaus  gering  im 
Verhältnis  zu  den  vermöge  des  Faraday sehen  Gesetzes  mit  den  Ionen  ver- 
bundenen Elektrizitätsmengen  (S.  379),  so  dass  bedeutende  Ladungen  nur 
äusserst  kleinen  Stoffmengen  entsprechen,  und  es  besonderer  Hilfsmittel  bedarf, 
um  diese  sichtbar  zu  machen. 

Die  Zusammensetzung  der  Ionen  geht  aus  der  der  einfachsten 
Salze  unzweideutig  hervor.  Die  Ionen  des  Chlorkaliums  können  nur  Chlor 
und  Kalium  (oder  deren  Hydrate)  sein.  Demgemäss  sind  alle  Salzbe- 
standteile^  welche  das  Kalium  vertreten  können,  Kationen,  und  alle, 
welche  das  Chlor  vertreten  können,  Anionen.  Während  die  Kationen 
meist  elementarer  Natur  sind  und  von  Metallen  gebildet  werden,  ist  die 
Zahl  der  elementaren  Anionen  verhältnissmässig  klein:  es  sind  die  Halogene 
und  die  Elemente  der  Schwefelgruppe. 

Zusammengesetzte  Kationen  sind  Ammonium  NH^  und  dessen  Ab- 
kömmlinge, und  die  analogen  Verbindungen  der  übrigen  Elemente  der 
Stickstoffgruppe.  Femer  vermögen  auch  andere  mehrwertige  Elemente 
ähnliche  organische  Kationen  zu  bildeil,  wie  z.  B.  der  Schwefel  in  den 
Sulfiden  und  viele  Metalle  in  ihren  Alkylderivaten. 

Zusammengesetzte  Anionen  sind  sehr  zahlreich;  die  meisten  von 
ihnen  sind  sauerstoffhaltig.  Ihre  Zusammensetzung  ist  die  der  ent- 
sprechenden Säuren,  vermindert  um  Wasserstoff. 

Während  das  Faradaysche  Gesetz  keinen  unmittelbaren  Anlass  giebt, 
ein-  und  mehrwertige  Ionen  zu  unterscheiden,  so  ergiebt  sich  ein  solcher 
zuweilen  aus  der  Foimel  und  in  eindeutiger  Weise  aus  den  osmotischen 
Gesetzen. 

So  giebt  Chlorkalium,  KCl,  in  seinen  verdünnten  Lösungen  als 
Grenzwert  eine  Verdoppelung  der  Gefrierpunktsemiedrigung  gegen  den 
normalen  Wert;  demnach  ist  anzunehmen,  dass  ein  Mol  nichtdissoziiertes 
Chiorkalium  sich  in  zwei  Mole  der  Ionen  gespalten  hat.  Bei  Chlor- 
barjnim  ist  entsprechend  der  Formel  BaCl*  das  Verhältnis  1:3,  und 
man  muss  daher  das  Baryum  als  zweiwertiges  Ion  ansehen,  von  dem  ein 
Mol  zwei  Molen  Chlorionen  äquivalent  ist.  Wollte  man  das  Verbindungs- 
gewicht des  Baryums  auf  die  Hälfte  heruntersetzen,  um  einwertige  Ba- 
ryumionen  schreiben  zu  können,  so  mtisste  ein  derartiges  Salz  baCl 
(wo  ba  Baryum  mit  dem  Verbindungsgewicht  68-7  darstellt)  eine  doppelte, 
die  mit  BaCl*  bezeichnete  Menge  also  eine  vierfache  Gefrierpunktser- 
niedrigung zeigen.  Da  die  Erfahrung  nur  die  dreifache  Erniedrigung 
beobachten  lässt,  so  ergiebt  sich,  dass  als  Ion  Ba  =  137-4  anzunehmen 


394  IX.   Elektrochemie. 

ist.  Dieselben  Gesetzmässigkeiten^  welche  für  die  Molekulargewidite  der 
gewöhnlichen  Verbindungen  massgebend  sind,  gelten  daher  anch  für  die 
Bildung  der  lonen^  und  es  giebt  neben  den  einwertigen  auch  zwei- 
und  mehrwertige  Ionen. 

Einwertige  Kationen  bilden  zunächst  die  Alkalimetalle^  von  den 
Schwermetallen  Silber  und  Thallium,  wohl  auch  das  Kupfer  in  den 
Cuproverbindungen.  Das  Quecksilber  in  den  Me'kuroverbindungen  schdnt 
nicht  sowohl  einwertige  Ionen  zu  bilden,  sondern  zweiwertige  Doppel- 
ionen von  der  Formel  Hg^,  die  sich  in  manchen  Beziehungen  anders 
verhalten,  als  einwertige  einfache  Ionen  es  thun  würden.  Einwertige 
Ionen  werden  femer  vom  Ammonium  und  seinen,  zahllosen  Abkömmlingen 
gebildet. 

Zweiwertige  Kationen  ergeben  sich  aus  den  Erdalkalimetallen 
und  den  Metallen  der  Eisen-  und  Kupfergruppe;  auch  in  den  Stannosalzen 
sind  zweiwertige  Zinnionen  vorhanden.  Von  zusammengesetzten  zwei- 
wertigen Kationen  ist  das  bemerkenswerteste  das  üranyl,  ÜO*. 

Dreiwertige  Kationen  werden  von  den  Erdmetallen  und  deren  Ver- 
wandten, wie  Chrom  und  Eisen  (in  den  Fernverbindungen)  gebildet; 
vierwertige  von  den  entsprechenden  Metallen  der  Zinngruppe.  Doch  ist 
bereits  bei  diesen  die  Neigung  zur  Kationenbildung  sehr  gering  geworden, 
was  in  den  schwachen  basischen  Eigenschaften  der  enteprechenden 
Oxyde  zum  Ausdruck  kommt.  Kationen  von  noch  höherer  Wertigkeit 
sind  nicht  bekannt. 

Diese  mehrwertigen  Ionen  sind  dadurch  gekennzeichnet,  dass  mit  jedem 
Mol  derselben  nicht  die  einfache  durch  das  Faradaysche  Gesetz  gegebene 
Elektrizitätsmenge  von  96540  Coul  (S.  379)  sich  bewegt,  sondern  die 
zwei-,  drei-,  bez.  vierfache  Menge. 

Ebenso  giebt  es  neben  einwertigen  auch  mehrwertige  Anionen. 
Einwertige  sind  zunächst  die  Ionen  der  Halogene  Fluor,  Chlor,  Brom, 
Jod,  sowie  der  ähnlichen  (zusammengesetzten)  Stoffe  Cyan,  Rhodan; 
femer  alle  Anionen  der  anderen  einbasischen  Säuren. 

Zweiwertige  elementare  Anionen  sind  Schwefel,  Selen  und  Tellur 
in  den  entsprechenden  Metallverbindungen,  doch  besteht  bereits  bei  diesen 
geringe  Neigung  zum  lonenzustande.  Zusammengesetzte  zweiwertige 
Anionen  sind  aus  den  zweibasischen  Säuren  sehr  bekannt. 

Dreiwertige  elementare  Anionen  kennt  man  nicht  Der  Analogie 
nach  sollte  man  in  den  Nitriden  der  Metalle  Salze  des  dreiwertigen  Stick- 
stoffions sehen;  doch  zersetzen  sich  diese  in  Bertihnmg  mit  Wasser  als- 
bald in  Hydroxyd  und  Ammoniak,  so  dass  es  nicht  möglich  ist,  ent- 
sprechende Lösungen  herzustellen.  Zusammengesetzte  dreiwertige  Anionen 
sind  in  den  dreibasischen  Säuren  und  ihren  Salzen  dagegen  zahlreich 
bekannt. 

Elementare  Anionen  von  höherer  Wertigkeit  sind  gleichfalls  nidit 
bekannt;  zusammengesetzte  Anionen  dagegen  bis  zur  Sechswertigkeit 
(Mellithsäure).      Doch    besteht    die    allgemeine    Regel,    dass    sich    Ionen 


Die  Eigenschaften  der  Ionen.  395 

von  höherer  Wertigkeit  zunehmend  schwieriger  bilden,  je  höher  die 
Wertigkeit  wird. 

Eine  besondere  Rolle  spielen  die  Ionen  Wasserstoff  und  Hydr- 
oxy  1.  Beide  einwertige  Ionen  sind  die  Spaltungsstücke  des  Wassers,  welches, 
wie  aus  einer  sehr  geringen  Leitfähigkeit  hervorgeht,  nur  sehr  wenig  ge- 
spalten  ist  (rund  ein  Mol  in  iC  Litern).  Die  Verbindungen,  welche 
Wasserstoffionen  abspalten  können,  nennt  man  Säuren;  solche,  welche 
Hydroxylionen  bilden,  Basen.  Während  die  gewöhnlichen  Salze,  oder 
die  welche  weder  Wasserstoff  noch  Hydroxylionen  enthalten,  in  wässeriger 
Lösung  ziemlich  gleich  stark  gespalten  sind,  machen  sich  bei  den  Säuren 
und  Basen  die  allergrössten  Unterschiede  geltend.  Es  finden  sich  alle 
Stufen,  von  der  fast  vollständigen  Spaltung  in  massig  verdünnten  Lösungen 
bis  zu  geringen  Spuren,  ja  bis  zur  Grenze  der  Nachweisbarkeit.  Säuren 
und  Basen,  welche  in  weiterem  Masse  dissociiert  sind,  nennt  man  stark, 
die  andern  schwach;  denn  die  charakteristischen  Eigenschaften  der  Säuren 
und  Basen  rühren  von  ihrem  Gehalt  an  den  Ionen  Wasserstoff,  bez.  Hydi-oxyl 
her,  und  nehmen  proportional  der  Konzentration  an  diesen  zu  und  ab. 

Die  bekannten  Reaktionen  organischer  Farbstoffe,  wie  Lackmus,  auf 
Säuren  und  Basen  beziehen  sich  auf  diese  Ionen;  saure  Reaktion  bedeutet 
die  Anwesenheit  von  Wasserstoff ionen,  alkalische  die  von  Hydroxylionen. 

Wenn  eine  zweibasisehe  Säure  sich  zu  spalten  beginnt,  so  entsteht 
nicht  in  erster  Linie  das  zweiwertige  Anion  neben  Wasserstoff,  sondern 
die  Spaltung  beginnt  zuerst  nach  dem  Schema  RH2=RH'+H-;  und 
das  hierbei  entstandene  einwertige  Anion  RH'  erleidet  eine  weitere 
Spaltung  in  R"  und  H-,  wobei  erst  das  zweiwertige  Anion  entsteht.  In 
entsprechender  Weise  bildet  eine  dreibasische  Säure  RH3  die  Zwischen- 
stufen RH'g  und  RH",  bevor  das  dreiwertige  Ion  R'"  entsteht.  Was 
hier  der  Anschaulichkeit  wegen  fiir  die  mehrwertigen  Säuren  gesagt 
worden  ist,  ^It  ganz  allgemein  für  alle  Verbindungen  mehrwertiger 
Ionen ;  es  bilden  sich  zuerst  immer  die  Ionen,  welche  durch  den  geringsten 
Betrag  an  Spaltung,  oder  die  Bildung  der  geringsten  Mengen  getrennter 
Elektrizitäten  entstehen  können,  und  die  weitere  Spaltung  erfolgt  stufen- 
weise. Dadurch  ist  in  Verbindungen  aus  mehrwertigen  Ionen  eine  grosse 
Mannigfaltigkeit  von  verschiedenen  Spaltungsprodukten  vorhanden. 

Die  Bildung  der  Ionen  aus  den  ungespaltenen  festen  Verbindungen 
erfolgt  durch  Verflüssigung,  und  zwar  sowohl  beim  Schmelzen,  wie  beim 
Lösen.  Über  den  ersten  Vorgang  ist  trotz  seiner  prinzipiellen  Einfach- 
heit nur  wenig  allgemeines  bekannt;  ausser  der  Thatsache,  dass  die 
elektroyltische  Leitfähigkeit  mit  steigender  Temperatur  schnell  ansteigt, 
und  dass  geringe  Beträge  derselben  auch  schon  im  festen  Zustande  nach- 
weisbar sind,  ist  kaum  etwas  anzuführen. 

In  Bezug  auf  die  Bildung  leitender  Lösungen  beschränkt  sich 
unsere  Kenntnis  wesentlich  auf  wässerige  Lösungen,  die  allerdings  unge- 
mein eingehend  studiert  worden  sind;  das  Verhalten  anderer  Lösungen 
'  ißt  erst  in  jüngster  Zeit  in  etwas  weiterem  Umfange  untersucht  worden. 


396  I^*   Elektrochemie. 

Die  salzarttgen  Stoffe  im  weiteren  Sinne,  also  unter  £inschliiss  öa 
Säuren  und  Basen,  werden  durch  Auflösen  in  Wasser  elektrolytisdie 
Leiter,  zerfsdlen  also  unter  diesen  Umständen  in  Ionen.  Der  Zeiiall  ist 
nie  vollständig  und  nimmt  stets  mit  steigender  Verdfinnung  zu;  er  is^ 
wie  schon  erwähnt^  bei  den  meisten  Neutralsalzen  ziemlich  beträchtlich, 
gewöhnlieh  50  Prozent  überschreitend,  während  bei  freifin  Säuren  und 
Basen  alle  möglichen  Grade  des  Zerfalls  vorkommen.  Die  Temperatur 
hat  keinen  sehr  grossen  Einfluss  auf  den  Grad  des  Zerfalls;  sie  wirkt  in 
beiderlei  Sinn,  indem  es  Stoffe  giebt,  die  bei  steigender  Temperatur  mehr, 
und  andere,  die  weniger  zerfallen.  Da  es  sich  hier  um  Fragen  des 
chemischen  Gleichgewichts  handelt,  kann  die  genauere  Erörterung  erst 
später  vorgenommen  werden. 

In  anderen  Lösungsmitteln  zeigen  die  Salze  gleichfalls  oft  Leit- 
Miigkeit  und  somit  Spaltung,  doch  meist  in  viel  geringerem  Grade,  ak 
in  Wasser.  Am  ähnlichsten  diesem  wirken  die  Alkohole,  namentlich  die 
kohlenstoffärmeren:  femer  Aceton,  Ammoniak  und  einige  andere  Flüsäg- 
keiten.  Sehr  geringe  spaltende  Wirkung  zeigen  die  Kohlenwasserstoffe 
und  ihre  Halogenabkömmlinge;  femer  die  neutralen  Äther  und  Ester. 
Auch  die  flüssigen  organischen  Säuren  wie  Essigsäure  (die  in  reinem 
Zustande  praktisch  Nichtleiter  sind)  haben  nur  in  geringem  Grade  die 
Fähigkeit,  gelöste  Stoffe  in  Ionen  zu  spalten. 

Die  Eigenschaften  der  Ionen  sind  in  der  Hauptsache  die  ihr^ 
Ijösungen,  nach  Abzug  von  denen  des  Lösungsmittels.  So  ergiebt  sidi, 
dass  die  Ionen  der  meisten  Leichtmetalle  und  der  Halogene  farblos  sind, 
da  die  Lösungen  aller  aus  ihnen  gebildeten  Salze  es  sind.  Erst  die 
Schwermetalle  bilden  farbige  Ionen;  so  sind  die  des  Nickels  grün,  dea 
Kobalts  rot,  des  Kupfers  grünblau,  des  Mangans  schwach  rötlieh,  des 
zweiwertigen  Eisens  grünüch. 

Die  Eigenschaften,  welche  den  einzelnen  Ionen  zukommen,  lassen 
sich  nur  in  wenigen  Fällen  ermitteln.  Ein  solcher  Fall  liegt  vor,  wenn 
der  Wert  flir  das  eine  Ion  Null  ist,  wie  im  eben  erwähnten  Falle  der 
farbigen  Ionen  neben  farblosen.  In  den  Fällen  dagegen,  wo  jedes  Ige 
einen  endUchen  Beitrag  zu  der  Gesamteigenschaft  liefert,  ist  es  im  all- 
gemeinen nicht  mehr  mögUch,  die  Einzelwerte  zu  bestimmen.  Denn  da 
die  Ionen  nur  in  äquivalenten  Mengen  entgegengesetzten  Zeichens  auf- 
treten, so  erlangt  man  durch  die  Untersuchung  einer  Eigenschaft  an 
einer  gegebenen  Lösung  nur  die  Summe  der  Werte,  die  beiden  Ionen 
zukommen.  Versucht  man  durch  die  Untersuchung  anderer  Losung  mit 
einem  gemeinsamen  Ion  die  nötige  Zahl  von  Daten  zur  Einzelberechnung 
zu  erhalten,  so  findet  man,  dass  dies  nicht  geht;  stets  hat  man  eine 
Unbekannte  zu  viel  oder  eine  Gleichung  zu  wenig.  Nur  in  dem  Falle, 
dass  man  auf  irgend  einem  anderen  Wege  ein  weiteres  Datum  gewinnt, 
kann  man  die  Gleichungen  autlösen,  und  die  den  einzelnen  Ionen  zu- 
kommenden Werte  der  Eigenschaft  bestimmen.  Ein  praktisches  Bei- 
spiel hierflir  hat  bereits  bei  der  Frage  nach  den  Anteilen  vorgelegen, 


Die  Eigenschaften  der  Ionen.  397 

w^lBlche  gemäss  dem  Gesetz  von  Rohh*ausch  den  Ionen  an  der  Leitföhig- 
keit  zukommt,  wo  die  ÜberfUhningserscheinimgen  das  erforderliche 
Datum  lieferten. 

An  dieser  Stelle  sollen  die  allgemeinen  Beziehungen  Erwähnung 
finden,  welche  sich  bezüglich  der  Wanderungsgeschwindigkeiten  der 
verschiedenen  Ionen  ergeben  haben  (vgl.  S.  388). 

Von  den  einwertigen  Metallen  wandern  Kalium,  Cäsium  und  Ru- 
bidium am  schnellsten,  und  zwar  alle  drei  ziemlich  gleich;  Natrium 
wandert  bedeutend  langsamer,  noch  langsamer  Lithium.  Ammonium  hat 
dieselbe  Geschwindigkeit  wie  Kalium,  dem  sich  auch  Thallium  nahe  an- 
Bchliesst;  dem  Natrium  kommt  das  Silber  nahe. 

Von  den  zweiwertigen  Erdalkalimetallen  wandern  Calcium,  Strontium 
und  Baryum  ziemlich  übereinstimmend,  langsamer  Magnesium,  am  lang- 
samsten Beryllium.  Dem  Magnesium  schliessen  sich  Zink,  Kupfer  und 
die  übrigen  „Vitriolmetalle"  an. 

Über  die  Wanderungsgeschwindigkeit  drei-  und  mehrwertiger  Me- 
talle ist  nur  wenig  bekannt. 

Von  den  einwertigen  Anionen  gehören  Chlor,  Brom  und  Jod  zu 
den  schnellsten;  sie  sind  unter  sich  fast  völlig  gleich.  Etwas  schneller 
noch  als  sie  wandert  das  Ion  der  Überchlorsäure  CIO*,  zunehmend 
langsamer  das  der  Chlor-,  Brom-  und  Jodsäure.  Das  Ion  der  Salpeter- 
säure schliesst  sich  dem  Chlor  an.  Fluor  wandert  erheblich  langsamer, 
ein  Verhalten,  das  den  Gliedern  der  natürlidien  Familien  der  Elemente 
mit  kleinem  Atomgewicht  allgemein  zuzukommen  scheint. 

Die  Ionen  der  zusammengesetzten  organischen  Säuren  wandern  um 
so  langsamer,  je  mehr  Atome  sie  enthalten.  Bei  einfacher  zusammenge- 
setzten Ionen  übt  die  Natur  der  Elemente  einen  deutlichen  Einfluss;  so 
bedingen  die  Halogene  ein  langsameres  Wandern.  Sowie  aber  die  Zahl 
der  Atome  im  Ion  auf  zwölf  oder  mehr  gestiegen  ist,  verschwindet  dieser 
Einfluss  fast  völlig.  Die  Wanderungsgeschwindigkeit  hängt  fast  nur  noch 
von  der  Zahl  der  Atome  ab,  und  nimmt  beim  Zutritt  weiterer  Atome 
um  so  langsamer  ab,  je  mehr  Atome  schon  vorhanden  sind. 

Sie  scheint  einem  Grenzwert  zuzustreben,  der  fiir  sehr  zusammen- 
gesetzte Anionen  und  Kationen  gleich  zu  sein  scheint,  und  bei  10  bis 
12  Einheiten  liegt. 

Ein  Einfluss  der  Konstitution  hatte  sich  bei  den  isomeren  organi- 
schen Anionen  nicht  nachweisen  lassen,  indem  diese  sehr  nahe  gleich 
schnell  wandern.  Dagegen  ist  ein  derartiger  Einfluss  bei  den  Kationen 
vom  Ammoniumtypus  vorhanden  (Bredig  1892).  Bei  diesen  ist  die  Ge- 
schwindigkeit isomerer  Ionen  um  so  grösser,  je  mehr  Wasserstofle  des 
Ammoniums  substituiert  smd,  also  bei  sekundären  Aminen  grösser,  als 
bei  primären,  und  bei  den  quaternären  Ammoniumbasen  am  grössten. 
Im  allgemeinen  ist  die  Wanderungsgeschwindigkeit  um  so  grösser,  je 
„symmetrischer"  das  Ion  konstituiert  ist. 


398  I^'   Elektrochemie. 

Die  zwei-  und  mehrwertigen  Sftureradikale  sind  wenig  untersucht 
Selen-  und  Schwefelsäure  wandern  sehr  nahe  gleich  schnell,  ebenso  Phosphor- 
und  Arsensäure. 

Der  Einfluss  der  Temperatur  endlich  ist  nicht  sehr  verschieden.  Er 
beträgt  meist  für  jeden  Temperaturgrad  etwa  Vso  des  Wertes;  und  ist  um  so 
grösser,  je  kleiner  die  Wanderungsgeschwindigkeit  ist,  und  umgekehrt. 

Die  Erscheinung  der  Isomerie^  der  Verschiedenheit  der  Eigen- 
schaften bei  gleicher  Zusammensetzung  findet  sich  auch  bei  den  Ionen. 
Doch  muss  man  hier  zwei  wesentlich  verschiedene  Arten  der  Isomerie 
unterscheiden.  Einerseits  finden  sich  die  bei  den  gewöhntichen  Y^bin- 
düngen  bekannten  Verhältnisse  wieder,  indem  isomere  Sänren  oder  Basen 
auch  isomere  Ionen  zu  bilden  vermögen.  In  solchem  Sinne  sind  isomer 
die  Ionen  der  Buttersäure  und  der  Isobuttersäure,  des  Tiimethylam- 
moniums,  und  des  Propylammoniums. 

Daneben  giebl  es  aber  eine  spezifische  lonenisomerie,  die  in  der 
Verschiedenheit  des  elektrischen  Zustandes  ihren  Grund  hat.  Den  ersten 
Fall  dieser  Isomerie  bilden  die  Elemente  und  Verbindungen,  welche  so- 
wohl im  neutralen,  wie  im  lonenzustande  vorkommen;  den  anderen  die 
Ionen,  die  bei  gleicher  Zusammensetzung  mit  verschiedenen  Elektrizitäts- 
mengen  verbunden  sind,  und  dem  gemäss  verschiedene  Eigenschaften 
haben.  Der  letztere  Fall  liegt  den  älteren  Anschauungen  näher,  und 
mag  deshalb  zuerst  betrachtet  werden.  ^ 

lonenisomerie  wegen  Verachiedenheit  der  Ladungen  kommt  bei 
Kationen  wie  Anionen  vor,  doch  bei  ersteren  häufiger.*  Beispiele  sind 
alle  Metalle,  welche  mehrere  Reihen  von  Salzen  bilden,  wie  Eisen,  Chrom, 
Zinn,  Kupfer,  Thallium,  Quecksilber.  Schon  die  Thatsache,  daas  die 
analytischen  Kennzeichen  dieser  verschiedenen  Reihen  von  Salzen  ver- 
schieden sind,  zeigt,  dass  es  sich  um  Verschiedenheiten  der  loneneigen- 
schaften  handelt;  in  der  That  sind  die  Unterschiede  zwischen  Ferro-  und 
Ferrisalzen,  oder  den  Ionen  Fe**  und  Fe***  grösser,  als  die  zwischen 
Fe*'  und  Mn**  oder  Fe*"  und  Cr***.  Die  einzige  nähere  Beziehung 
zwischen  beiden  ist  ihre  gegenseitige  Umwandelbarkeit.  Um  eine  solche 
zu  bewerkstelligen,  ist  die  Zu-  oder  Abfuhr  der  elektrischen  Ladung  er- 
forderlich; da  nun  Elektrizitätsmengen  nie  entstehen  oder  verschwinden 
können,  ohne  dass  eine  gleiche  Menge  der  entgegengesetzten  Elektrizität 
mit  entsteht  oder  verschwindet,  so  erfordert  der  Übergang  eine  gleidi- 
zeitige  anderweitige  Änderung.  So  kann  man  z.  B.  Ferroionen  in  Ferri- 
ionen  durch  Einleiten  von  Chlor  in  die  Lösung  des  FeiTosalzes  über- 
führen. Hierbei  geht  gleichzeitig  Fe**  in  Fe***  und  Cl  in  Gl'  über, 
d.  h.  das  neutrale  Chlor  muss  in  das  negative  Ion  übergehen,  wenn  das 
positiv  zweiwertige  Eisen  sich  in  dreiwertiges  verwandeln  soll. 

Demnach  besteht  der  Oxydationsvorgang  im  weiteren  Sinne  (womit  man 
in  der  Chemie  längst  nicht  nur  die  Aufnahme  von  Sauerstoff  allein  bezeichnet 
hat)  bei  Ionen  und  ihren  Abkömmlingen  in  der  Aufnahme  positiver  Ladungen 
durch  den  zu  oxydierenden  Stoff;  oder  in  dem  gleichwertigen  Verlust   nega- 


Die  Eigenschaften  der  Ionen.  399 

iver  Ladungen.  Redaktion  bedeutet  umgekehrt  Verlust  positiver  oder  Auf- 
nahme negativer  Ladung.  Die  Anwendung  dieser  Sätze  auf  einzelne  Vorgänge 
nrird  später  in  der  Lehre  von  den  Voltaschen   Ketten  durchgeführt  werden. 

Elementare  Anionen  von  verschiedener  Wertigkeit  sind  nicht  bekannt, 
wohl  aber  zusammengesetzte.  Ein  besonders  lehrreiches  Beispiel  bieten 
lie  Ionen  der  Manganate  und  der  Permanganate.  Beide  haben  die  Zu- 
sammensetzung MnO*,  nur  sind  die  ersteren  zwei-,  die  letzteren  ein- 
wertig. Mit  dieser  Verschiedenheit  der  Ladung  ist  eine  grosse  Ver- 
schiedenheit der  Farbe  und  der  anderen  Eigenschaften  verbunden;  während 
das  erste  nur  in  alkalischer  Lösung  beständig  ist,  ist  es  das  zweite 
wesentlich  in  saurer;  während  die  Salze  des  ersteren  denen  der  Schwefel- 
säure isomorph  sind,  sind  es  die  des  zweiten  mit  denen  der  Überchlor- 
Bäure;  auch  wird  das  um  eine  negative  Ladung  ärmere  Ion  der  Über- 
mangansaure mit  Recht  als  das  Oxydationsprodukt  des  um  eine  negative 
Ladung  reicheren  Manganations  angesehen.  Ein  ähnliches  Verhältnis 
besteht  zwischen  den  Ionen  Fe(CN)^  der  Ferro-  und  Ferricyanide;  sie 
haben  gleiche  Zusammensetzung,  aber  verschiedene  Eigenschaften,  weil 
die  ersten  vier-,  die  zweiten  dreiwertig  sind. 

Sind  nun  je  nach  dem  Betrage  ihrer  Ladungen  die  elektrisch 
isomeren  Ionen  verschieden,  so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  dass  noch 
grössere  Verschiedenheiten  durch  den  Umstand  bewirkt  werden,  dass  in 
der  einen  Form  Lij^ngen  vorhanden  sind,  in  der  anderen  keine.  Dieses 
Verhältnis  besteht  zip^ischen  neutralen  Stoffen  und  gleich  zusammen- 
gesetzten looenL'^  Eine  solche  Isomerie  oder  AUotropie  tritt  sowohl 
bei  Elementen,  wie  bei  Verbindungen  auf.  Für  den  ersteren  Fall  bieten 
die  Metalle  und  die  Halogene  Beispiele,  ^  den  zweiten  Fall  haben 
wir  Wasijwrstoflfhyperoxyd  und  Cyan.  Bei  diesen  und  den  Halogenen 
ist  allerdings  gleichzeitig  Polymorphie  vorhanden,  da  die  neutralen  StoflPe 
die  doppCTte  Moiekularformel  gegenüber  den  Ionen  haben.  Bei  den 
Metallen  ist  dies  aber  nicht  der  Fall,  denn  bei  diesen  ist  auch  im  freien 
Zustande  das  Molekulargewicht  gleich  dem  Verbindungsgewicht  und  nicht 
ein   mehrfaches. 

In  der  That  sind  die  Eigenschaften  der  Ionen  von  denen  der 
isomeren  neutralen  Stoffe  ganz  wesentlich  versdiieden.  Man  braucht 
sich  nur  einerseits  eine  Lösung  von  Jodkaiium,  andererseits  elementares 
Jod  und  Kalium  zu  vergegenwärtigen,  um  die  ganze  Grösse  dieser 
Unterschiede  zu  erfassen.  Doch  entsprechen  diesen  grossen  Unterschieden 
'der  Eigenschaften  auch  grosse  Unterschiede  des  Energieinhaltes  (S.  281); 
alle  die  Energie,  welche  bei  der  Bildung  einer  Lösung  von  Jodkalium 
aus  Jod,  Kalium  und  Wasser  frei  wird,  stellt  die  Energieverluste  dar, 
welche  diese  Elemente  erleiden,  wenn  sie  aus  dem  gewöhnlichen  Zu- 
stande in  den  der  entsprechenden  Ionen  übergehen.  Dies  ergiebt  sich 
daraus,  dass  in  einer  hinreichend  verdünnten  Jodkaliumlösung  wieder  nur 
Jod  und  Kalium  vorhanden  ist,  nur  beide  im  lonenzustande. 

Hält  man  sich  diese  durch  die  Verhältnisse  gebotenen  Anschauungen 


400  I^-   Elektrochemie. 

gegenwärtig,  bo  madit  es  keioe  Schwierigkeit,  zu  verstehen,  dass  zwisdien 
den  Elementen  im  gewöhnlichen  Zustande  und  als  Ionen  nicht  nur  keine 
Gleichheit  vorhanden  ist,  sondern  keine  erwartet  werden  darf.  Die 
Nichtbeachtung  der  Isomeriebeziehung  hat  den  grössten  Teil  der  Schwierig- 
keiten veranlasst,  welche  viele  mit  den  neueren  Anschauungen  Unv^- 
traute  diesen  gegenüber  empfunden  haben. 

Eine  wichtige  Eigenschaft  aller  Ionen  soll  nicht  unerwähnt  bleiboL 
Da  sich  aus  den  festen  Salzen  die  Ionen  erst  in  der  Auflösung  bilden, 
so  ist  deren  Existenz  an  die  Lösung  gebunden;  verlässt  ein  Stoff  die 
Lösung,  so  verlässt  er  gleichzeitig  den  lonenzustand.  Hieraus  ergiebt 
sich,  dass  kein  Ion  in  messbarem  Betrage  flüchtig  sein  kann;  diese 
Eigenschaft  kann« nur  bei  neutralen  Stoffen  auftreten.  Ebensowenig  kann 
ein  Ion  in  ein  Lösungsmittel  übergehen,  in  welchem  die  lonenbildun^ 
Null  ist.  Aus  diesen  Eigenschaften,  die  in  der  Natur  des  lonenzustandes 
begründet  sind,  und  daher  allen  Ionen  zukommen,  ergeben  sieh  zahl- 
reiche chemische  Eigentümlichkeiten  der  Ionen  als  notwendige  Folgen; 
es  wird  sich  später  Gelegenheit  finden,  auf  einige  von  ihnen  hinzuweisen. 


Fünftes  Kapitel. 
Elektrolytische  Gleichgewichte. 

Von  den  gewöhnlichen  Gleichgewichten  unterscheiden  sich  die  elek- 
trolytischen, oder  die  zwischen  Ionen  bestehenden  durch  den  besonderen 
Umstand,  dass  in  jeder  Phase  die  gesamte  Konzentration  der  Kationen 
der  der  Anionen  gleich  sein  muss.  Die  Notwendigkeit  dieser  Thatsadie 
ergiebt  sich  aus  dem  Faradayschen  Gesetze,  dass  mit  chemisch  äquiva- 
lenten Mengen  der  verschiedenen  Ionen  gleiche  Elektrizitätsmengen  verbunden 
sind,  im  Verein  mit  dem  anderen  Gesetze,  dass  im  Inneren  eines  Leiters 
nie  fi'eie  Elektrizität  vorhanden  sein  kann,  und  dass  somit  die  Summe 
aller  vorhandenen  positiven  und  negativen  lonenladungen  gleich  Null 
sem  muss. 

Dadurch  tritt  in  allen  Fällen,  wo  Ionen  sich  am  Gleichgewicht  be- 
teiligen, eine  weitere  Bedingungsgleichung  auf,  durch  welche  die  Zahl 
der  Freiheiten  um  eine  vermindert  wird.  Für  die  Anwendung  der 
Phasenregel  ist  in  solchen  Fällen  jede  Art  Ionen  als  ein  unabhängiger 
Bestandteil  zu  rechnen,  doch  ist  die  so  erhaltene  Gesamtzahl  und  da- 
her auch  die  Zahl  der  Freiheiten  um  eine  Einheit  zu  vermindern.  Nach 
dieser  Regel  lassen  sich  auch  verwickeitere  lonengleichgewichte  sachge- 
mäss  behandeln. 

Für  den  Fall,  dass  nur  ein  Elektrolyt  anwesend  ist,  ergiebt  sich, 
dass  die  Phasenregel  überhaupt  keine  Änderung  erleidet  Denn  man  hat 
allerdings  die   beiden  Ionen  als  zwei  BestandteUe  zu  zählen;   da  aber 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  401 

Eins  abzuziehen  ist,  so  kann  der  Elektrolyt  wie  ein  anderer  Stoff  oder 
Bestandteil  behandelt  werden. 

Anders  werden  die  Verhältnisse,  wenn  zwei  Eiektrolyte  auftreten. 
Diese  können  entweder  ein  gemeinsames  Ion  enthalten,  und  dann  sind 
drei  Bestandteile  vorhanden,  die  bezüglich  der  Phasenregel  als  zweie  zu 
rechnen  sind.  Oder  die  beiden  Eiektrolyte  enthalten  lauter  verschie- 
dene Ionen;  dann  liegen  vier  Bestandteile  vor,  die  als  dreie  zu  rechnen 
sind.     Ähnhch  sind  die  weiteren  Fälle  zu  behandeln. 

Elektrolytische  Gleichgewichte  erster  Ordnung  liegen  vor,  wenn  der 
Elektrolyt  für  sich  teilweise  in  Ionen  zerfällt.  Dies  tritt  bei  geschmolzenen 
Salzen  ein;  bei  Zimmertemperatur  kennt  man  keinen  einigermassen  ge- 
spaltenen Elektrolyt.  Bezeichnet  man  ein  Kation  mit  K,  ein  Anion  mit 
A',  so  ist  die  Reaktionsformel  iiir  den  einfachsten  Fall  des  binären  Elektro- 
lyts K*  +  A'  =  K-A  und  die  Gleichgewichtsgleichung  daher  a,  -ag  =  k-b. 
Wegen  der  Notwendigkeit,  dass  Kationen  und  Anionen  in  gleicher  Kon- 
zentration vorhanden  sind,  muss  a^  =^3  gesetzt  werden;  wird  die  gleiche 
Konzentration  der  beiden  Ionen  mit  a  bezeichnet,  so  folgt  a*  =  k«b, 
wo  k  noch  eine  Funktion  der  Temperatur  und  des  Druckes  ist,  da  die 
eine  Phase  zwei  Freiheiten  bedingt. 

Das  heisst:  ein  jeder  Stoff,  der  ftu*  sich  in  Ionen  zerföllt,  nimmt 
bei  gegebener  Temperatur  und  gegebenem  Drucke  einen  bestimmten 
Gleichgewichtszustand  an,  der  nur  von  seiner  Natur  abhängt.  Der  Ein- 
fluss  des  Druckes  ist  wieder  sehr  gering,  da  keine  erheblichen  Volum- 
änderungen bei  der  Ionisierung  eintreten.  Der  Einfluss  der  Temperatur  ist 
durch  die  Regel  bestimmt,  dass  bei  steigender  Temperatur  die  mit  Wärme- 
bindung stattfindende  Reaktion  erfolgt.  Da  soviel  bekannt  alle  Stoffe, 
die  für  sich  (d.  h.  ohne  Lösungsmittel)  Ionen  bUden,  bei  steigender 
Temperatur  mehr  zerfallen,  so  ist  zu  schliessen,  dass  die  Bildung  der 
Ionen  aus  ihnen  unter  Wärmeverbrauch  erfolgt.  Doch  ist  unsere  Kenntnis 
dieser  Verhältnisse  noch  so  wenig  entwickelt,  dass  man  eine  solche  Be- 
hauptung allgemein  nicht  aufstellen  darf. 

Am  genauesten  ist  in  dieser  Beziehung  das  Wasser  bekannt.  Da 
man  die  Geschwindigkeit  seiner  Ionen  aus  den  Messungen  an  Säuren 
(Wasserstoff)  und  Basen  (Hydroxyl)  kennt,  so  braucht  man  nur  seine 
Leitfähigkeit  durch  die  Summe  der  beiden  Geschwindigkeiten  zu  dividieren, 
um  den  Dissoziationsgrad  zu  haben. 

Die  Ausführung  dieses  Gedankens  stösst  indessen  auf  die  Schwierig- 
keit, dass  die  Leitfähigkeit  auch  des  mit  grosser  Sorgfalt  hergestellten 
Wassers  ganz  vorwiegend  von  Verunreinigungen  herrührt,  die  durch  das 
Reinigungsverfahren  nicht  vollständig  entfernt  worden  sind.  Unter  be- 
sonderen Vorsichtsmassregeln  (Destillation  in  einem  zugeschmolzenen  luft- 
leeren Gefässe,  in  welchem  etwa  10  Jahre  lang  reines  Wasser  enthalten 
gewesen  war)  wurde  es  möglich,  Wasser  zu  gewinnen,  dessen  Leitfähig- 
keit nur  etwa  zu  einem  Zehntel  von  Verunreinigungen  herrührte  (Kohl- 

Ostwald,  Grundriss.  3.  Aufl.  26 


402  I^>   Elektrochemie. 

rausch  und  Heydweiller  1894)^  und  an  dem  die  Leitfähigkeit  des  ganz 
reinen  Wassers  auf  Grund  berechtigter  Annahmen  berechnet  werden  konnte. 

Bei  18^  ist  die  spezifische  Leitfähigkeit  des  reinen  Wassers  gleich 
385-10""^^  gefunden  worden,  d.  h.  ein  Würfel  von  1  cm  Seite  hat  die 
angegebene  Leitfähigkeit  in  reziproken  Ohm.  Nun  ist  die  Wanderungs- 
geschwindigkeit  des  Wasserstoffs  bei  dieser  Temperatur  318,  die  des 
Hydroxyls  174,  die  Summe  also  492.  Dividiert  man  diese  Zahl  in  die 
angegebene,  so  folgt  die  Konzentration  der  Ionen  des  Wassers  in  Mol^ 
pro  Kubikcentimeter;  um  sie  wie  gewöhnlich  in  Molen  pro  Liter  zn 
haben,  ist  der  Wert  mit  1000  zu  multiplizieren.  Es  folgt  0-078  XIO-^ 
Das  heisst,  in  einer  Million  Liter  Wasser  ist  0*078  g  Wasserstoff  und 
1-326  g  Hydroxyl  im  lonenzustande  vorhanden. 

Diese  Menge  ändert  sich  schnell  mit  der  Temperatur,  da  die  Dis- 
sociationswärme  des  Wassers  in  seine  Ionen,  die  aus  den  Erscheinungen 
bei  der  Neutralisation  zu  berechnen  war  (S.  276),  einen  bedeutenden  Wert 
besitzt.  In  der  Formel  d  In  k/dT=L/RT2  ist  L=  57-5  J,R=  8-31X10' 
und  T  =  291  zu  setzen.  Dies  ergiebt  für  dT=l  d  In  k  =  0-082,  oder 
da  dlnk  =  dk/k  ist,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Spaltung  des  Wassers  in 
seine  Ionen  um  rund  8  Prozent  für  jeden  Grad  zunimmt. 

Die    nachstehende    Tabelle    giebt    die  Konzentration    der    H*    oder 
OH'- Ionen   des  Wassere  bei  verschiedenen  Temperaturen  in  Molen   anf 
eine  Million  Liter  an 
Temp.     0^  20  10«        18<>        26«        34«        42«         50® 

Diss.        0-034    0-038     0-055     0078     0-106     0-143     0-188     0-242 

Ausser  durch  die  Leitföhigkeit  ist  die  Dissociation  des  Wassers  noch 
auf  verschiedene  andere  Weisen  bestimmt  worden.  Diese  voneinander  un- 
abhängigen Methoden  haben  tibereinstimmende  Zahlen  gegeben  und  so 
eine  ausgezeichnete  Bestätigung  für  die  Angemessenheit  der  Dissociations- 
theorie  der  Elektrolyte  geüefert. 

Während  unsere  Kenntnis  über  die  lonengleichgewichte  erster 
Ordnung  nicht  viel  weiter  gehen,  sind  die  zweiter  Ordnung  in  einem 
ausserordentlich  weiten  Umfange  studiert  worden.  Die  Messung  der 
elektrischen  Leittähigkeit  gewährt  ein  so  bequemes  und  empfindliches 
Hilfsmittel  zur  Feststellung  von  lonenkonzentrationen  und  somit  vonDisso- 
ciationsgraden,  dass  es  auf  sehr  viele  Stoffe  angewendet  worden  ist,  und 
eine  grosse  Fülle  von  einzelnen  Ergebnissen  gebracht  hat. 

Lösen  wir  einen  Elektrolyt  in  Wasser  auf  (es  sollen  zunächst  aus- 
schliesslich wässerige  Lösungen  betrachtet  werden),  so  zerföllt  er  teilweise 
in  seine  Ionen,  und  es  tritt  ein  Gleichgewicht  ein,  das  wieder  durch  die 
chemische  Formel  K  -j-  A'  =  K-A  dargestellt  ist,  wo  K*  das  Kation  und 
A'  das  Anion  bezeichnet.  Sind  a^  und  a.^  die  Konzentrationen  der  beiden 
Ionen,  b  die  des  unzersetzten  Teils,  so  ist  wieder  a^  =  a^  =  a  zu  setzen; 
während  aber  beim  Gleichgewicht  erster  Ordnung  diese  Konzentrationen 
nur  von  der  Temperatur  und  dem  Drucke  abhängen,  ist  hier  eine  Frei- 
heit mehr  vorhanden,  und  man  kann  noch  über  eine  der  Konzentrationen 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  403 

beliebig  verfligen.  Aus  experimentellen  Gründen  ist  dies  die  Gesamt- 
konzentration des  Elektrolyts  a  +  b,  denn  man  kann  die  Ionen  nicht 
einzeln  handhaben.  Die  Gleichung  lautet  demnach  a*/b  =  k  und  wird 
sehr  viel  angewendet. 

Um  die  Konzentration  a  der  Ionen  zu  bestimmen  ^  bedient  man 
sich  des  gleichen  Mittels  wie  beim  Wasser:  man  vergleicht  die  molekulare 
Leitfähigkeit  des  Elektrolyts  mit  dem  Grenzwert  ftlr  unendliche  Ver- 
dünnung. Ist  [ly  die  Leitfähigkeit  bei  der  Verdünnung  (Mol  im  Liter) 
V  und  [i^  die  bei  unendlicher  Verdünnung  oder  der  Grenzwert  der  Leit- 
fähigkeit, so  ist  fiylfi^  =  ai  (S.  390)  der  dissociierte  Bruchteil  und  a/v 
die  Konzentration  der  Ionen,  während  (1  — a)/v  die  Konzentration  des 
nichtdissociierten  Anteils  ist  Werden  diese  Werte  in  die  Gleichung  ge- 
setzt, so  folgt 


2 


a^  ^1,     .:^.^  f^ 


2 

V 


=  k   oder  —^ — -  =  k 


(1  —  a)v  fioo(li(x>—  fiv)v 

als  Ausdruck  für  den  Einfiuss  der  Verdünnung  v  auf  die  molekulare 
Leitfähigkeit  (Ostwald  1888). 

Diese  Gleichung  gestattet  folgende  Schlüsse.  Ist  a  sehr  klein,  so 
ist  1 — a  von  1  nicht  erheblich  verechieden,  und  die  Gleichung  geht 
über  in  a*==:vk,  d.  h.  der  Dissociationsgrad  und  somit  die  molekulare 
Leitfähigkeit  wächst  wie  die  Quadratwurzel  aus  der  Verdünnung.  Dies 
Gesetz  ist  für  wenig  leitende  Elektrolyte  lange  vor  Aufstellung  der 
Dissociationstheorie  erfahrungsmässig  gefunden  worden  (Kohlrausch  1878). 

Im  übrigen  wächst  a  beständig  mit  v,  aber  nicht  unbegrenzt.  Für 
sehr  grosse  v  muss  der  Ausdnick  a^/(l — a)  gleichfalls  sehr  gross 
werden,  da  k  eine  Konstante  ist.  Dies  geschieht,  indem  sich  a  der  Ein- 
heit nähert.  Das  heisst,  dass  alle  Elektrolyte  mit  steigender  Verdünnung 
immer  grössere  Werte  der  molekularen  Leitfähigkeit  annehmen  müssen; 
diese  nähert  sich  einem  Maximalwerte,  der  nicht  überschritten  werden 
kann  und  dem  vollständig  dissociiei*ten  Elektrolyt  zukommt.  Auch  diese 
Verhältnisse  sind  erkannt  worden,  bevor  die  entsprechende  Theorie  auf- 
gestellt worden  war  (S.  385). 

Aus  der  Form  der  Gleichung  ergiebt  sich  weiter  folgendes.  Da  in 
ihr  nur  die  Konstante  k  noch  von  der  Natur  des  Stoffes  abhängt,  so 
kann  man  für  zwei  beliebige  Stoffe  die  Verdünnung  Vj  und  V2  so 
wählen,  dass  die  Produkte  Vj  kj   und  Vg  kg   bei  beiden  gleich  sind.    Als- 


a^ 


dann  muss  auch  :; und  somit  auch  a  bei  beiden  gleich  sein,  d.  h. 

1  —  a 

die  auf  den  Grenzwert  bezogene  Leitfähigkeit,  oder,  was  dasselbe  ist, 
der  Bruchteil  dissociierter  Molekeln  ist  bei  beiden  derselbe.  Ändert  man 
beide  Verdünnungen  in  demselben  Verhältnis,  verdoppelt  man  sie  bei- 
spielsweise, so  bleiben  die  Produkte  v^  k^  und  Vg  kg  wiederum  gleich, 
und  ebenso  die  Werte  von  a.  Daraus  folgt,  dass  die  Verdünnungen, 
bei  welchen   zwei   Stoffe  in  gleichem   Grade  dissociiert  sind, 

26* 


404  ^^'  Elektrochemie. 

stets  in  demselben  Verhältnis  stehen^  unabhängig  von  den  Wert« 
der  Verdünnung  selbst.  Auch  dieses  Gesetz  war  (Ostwald  1885)  empirisch 
gefiinden  worden,  bevor  die  Dissociationstheorie  auf  Elektrolyte  ange- 
wandt worden  war.  2 

Schliesslich  muss  der  Ausdruck —— —  för  alle  Verdünnungen 

eines  gegebenen  Elektrolyten  eine  Konstante  sein.  Dieser  Schluss  ist 
an  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Elektrolyten,  Säuren  wie  Basen  als 
göltig  nachgewiesen  worden.  Als  Beispiel  diene  die  nachstehende  Tabelle 
für  Essigsäure  bei  25®. 

V  fX 

8  434 

16  640 

32  8-65 

64  12.09 

128  16-99 

256  2382 

512  3220 

1024  46-00 

oo  364          —           — 

Die  Dissociations-  oder  Gleichgewichtskonstante  k  ist  für  eine  grosse 
Anzahl  verschiedener  Stoffe  bestimmt  worden,  und  hat  sehr  enge  Be- 
ziehungen zu  deren  Zusammensetzung  und  Konstitution  ergeben.  Eine 
Übersicht  der  beobachteten  Verhältnisse  wird  an  späterer  Stelle  mit- 
geteilt werden. 

Mit  der  Kenntnis  der  Konstante  k  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  für  jede 
Verdünnung  die  Leitfähigkeit  einer  Säure  zu  berechnen.  Man  braucht  dazu 
nur  die  Gleichung  nach  a  aufzulösen,  wobei  man  erhält 

fiy    _     _  —  vk  +  V  v»k«  -h  4  vk 


a 

k 

001193 

00000 180 

001673 

0-0000179 

0-02380 

0-0000182 

0-0333 

0-0000179 

00468 

0-0000179 

0-0656 

0-0000180 

00914 

0-0000180 

0-1266 

0-0000178 

Ausser  von  der  Natur  der  Stoffe  ist  die  Konstante  k  noch  von 
der  Temperatur  abhängig^  und  zwar  gemäss  der  vielgebrauchten  Formel 
dlnk/dT  =  L/RT*.  Ob  also  k  mit  steigender  Temperatur  zu-  oder 
abnimmt;  hängt  vom  Zeichen  der  Dissociationswärme  L  ab.  Bei  positivem 
L,  d.  h.  wenn  fiir  die  Dissociation  Wärme  aufgenommen  wird,  wächst  k 
mit  steigender  Temperatur;  anderenfalls  nimmt  k  ab.  Nun  giebt  es  fhr 
Säuren  oder  Basen  eine  Metiiode,  das  Zeichen  und  den  Wert  von  L  zu  er- 
mitteln; sie  besteht  in  der  Messung  der  Neutralisationswärme  des  zu 
untersuchenden  Stoffes  mit  einer  möglichst  vollständig  dissodierten  Base, 
bez.  Säure  (S.  277).  Der  Unterschied,  den  man  dabei  gegen  die 
Bildungswärme  des  Wassers  aus  seinen  Ionen,  57  J,  findet;  ist  L  (1  — a), 
das  Produkt  der  Dissociationswärme  in  den  nichtdissociierten  Bruchteil 
des  Stoffes.  Ist  daher  die  Neutralisationswärme  kleiner  als  57  J,  so 
ist  die  Dissociationswärme  positiv  und  die  Dissociation  nimmt  mit  steigen- 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  405 

der  Temperatur  zu;  ist  sie  dagegen  grösser,  so  erfolgt  die  Dissociation  unter 
Wärmeentwickeiung  und  die  Dissociation  sinkt  mit  steigender  Temperatur. 

Vergleicht  man  unter  diesem  Gesichtspunkt  die  Neutralisationswärmen 
der  verschiedenen  Säuren,  so  ergiebt  sich,  dass  beide  Fälle  vorkommen: 
es  giebt  sowohl  positive,  wie  negative  Dissociationswärmen.  Der  letztere 
Fall,  dass  der  Zerfall  einer  Säure  in  ihre  Ionen  Wärme  entwickelt,  hat 
anfanglich  Aufsehen  und  Unglauben  erregt,  da  man  vom  molekularen 
Standpunkte  es  tiir  unmöglich  hielt,  dass  die  Trennung  einer  Molekel  in 
ihre  Bestandteile  noch  Wärme  entwickeln  könne.  Indessen  entwickelt 
auch  der  Zerfall  des  Acetylens  und  Cyans  in  seine  Bestandteile  Wärme, 
und  der  Widerspruch,  der  hier  gegen  die  Molekularhypothese  erscheint,  ist 
eine  Schwierigkeit  lür  diese  Hypothese,  aber  keine  für  die  Dissociationstheorie. 

Eine  Bestätigung  dieser  Schlüsse  wurde  dadurch  erbracht,  dass 
durch  Messungen  der  elektrischen  Leittähigkeit  bei  verschiedenen  Tempe- 
raturen die  Grösse  a  direkt  bestimmt  wurde.  Es  ergab  sich  der  Vor- 
ausberechnung gemäss,  dass  wirklich  die  Säuren  mit  zu  grosser  Neutrali- 
sationswärme ihre  Dissociation  mit  steigender  Temperatur  vermindern. 
Bei  Phosphorsäure  und  Dichloressigsäure  ist  dieser  Einfluss  so  stark,  dass 
er  unter  bestimmten  Bedingungen  selbst  die  Zunahme  übertrifft,  welche 
die  Leitföhigkeit  aller  Elektrolyte  durch  die  grössere  Wanderungsge- 
schwindigkeit ihrer  Ionen  bei  steigender  Temperatur  erfahren.  Diese 
Elektrolyte  zeigen  ein  Maximum  der  molekularen  Leitfähigkeit,  d.  h.  bei 
steigender  Temperatur  nimmt  diese  erst  zu,  wie  gewöhnhch,  und  dann 
wieder  ab  ^)  (Arrhenius  1888). 

Die  vorstehenden  Formeln  und  Beziehungen  sind  vorwiegend  an 
einbasischen  organischen  Säuren  geprüft  worden,  und  haben  sich  hier  in 
einem  ungewöhnlich  weiten  Umfange  bestätigt.  Ebenso  haben  zahkeiche 
Basen  vom  Typus  des  Ammoniaks  eine  vollständige  Übereinstimmung 
zwischen  Theorie  und  Erfahrung  erkennen  lassen.  Diese  Elektrolyte 
sind  meist  nicht  sehr  weitgehend  dissociiert,  doch  hat  sich  auch  bei 
solchen,  deren  Dissociation  bis  über  70  Prozent  angestiegen  ist,  die  Über- 
einstimmung nachweisen  lassen. 

Das  Verhalten  der  bisher  besprochenen  Elektrolyten  die  alle  durch 
einen  massigen  Betrag  des  Zerfalls  in  Ionen  gekennzeichnet  sind,  ist 
vollständig  durch  das  Massenwirkungsgesetz  geregelt  und  sie  bilden  aus- 
gezeichnete Beispiele  für  dessen  R'üfiing  und  Bestätigung.  Neben  ihnen 
giebt  es  indessen  eine  grosse  und  wichtige  Klasse  von  Elektrolyten,  bei 
denen  die  Geltung  des  Massenwirkungsgesetzes  vermisst  wird.    Sie  haben 


*)  Man  findet  noch  oft  in  den  Lehrbüchern  die  Angabe,  dass  sich  die 
Elektrolyte  dadurch  von  den  Leitern  erster  Klasse  unterscheiden,  dass  sie  ihre 
Leitfähigkeit  mit  steigender  Temperatur  vermehren,  während  diese  sie  ver- 
mindern. Aus  dem  im  Text  Gesagten  ergiebt  sich,  dass  ein  solcher  Satz 
keineswegs  für  die  Elektrolyte  allgemein  gültig  ist.  Er  ist  es  auch  nicht  für 
die  Leiter  erster  Klasse. 


406  IX.   Elektrochemie. 

alle  die  Eigentümlichkeit^  dass  sie  schon  in  verhältnismässig  starken 
Losungen  weitgehend  dissoziiert  sind,  und  sie  verhalten  sich  bei  steigen- 
der Verdünnung  so,  dass  ihre  Leitfähigkeit  langsamer  zunimmt,  als  nach 
dem  Massenwirkungsgesetze  zu  erwarten  wäre.  Beredinet  man  daher 
die  Konstante  k  in  gewöhnlicher  Weise^  so  erscheint  sie  nicht  konstant, 
sondern  mit  steigender  Verdünnung  abnehmend.  Zu  dieser  Gruppe  ge- 
hören die  Neutralsalze  und  die  stark  dissociierten  Säuren,  wie  Salpeter- 
säure, die  Halogenwasserstofisäuren,  die  meisten  Sauerstofi^uren  d^ 
Halogene,  die  Sulfonsäuren  der  Kohlenwasserstoffe  u.  s.  w.;  endlich  die 
stark  dissociierten  Basen,  wie  die  Hydroxyde  der  Alkali-  und  Erdalkali- 
metalle, die  quaternären  Ammoniumverbindungen  und  ähnliche  Stoffe. 

Die  Abweichungen  in  der  Leit^igkeit  dieser  Stoffe  vom  Ver- 
dünnungsgesetze sind  zwai*  nicht  gross  (einige  Prozente),  wenn  man  die 
beobachteten  und  die  berechneten  Werte  vergleicht,  sie  sind  aber  so  konstant, 
dass  man  sie  nicht  irgend  welchen  ZufäUigkeiten  zuschreiben  darf.  Wo- 
her sie  rühren,  ist  nicht  ermittelt;  einige  plausibel  erscheinende  Ver- 
mutungen sind  bisher  noch  nicht  genügend  geprüft  worden. 

Die  Abweichungen  sind  im  übrigen  so  gesetzmässig,  dass  man 
einige  empirische  Formeln  für  sie  hat  au&tellen  können,^  die  die  Berechnung 
der  anderen  Werte  aus  einer  gemessenen  Leitfähigkeit  bei  Verdünnungen 
über    51   hinaus    gestatten.      An    Stelle    des    theoretischen    Ausdruckes 

a2/(l  —  a)v  =  k  giebt  die  Formel  a V(l  —  a)l/V=k(Rudolplii  1895)oder 
a'*/(l  — a)*v  =  k  (van't  Hoff  1895)  das  Verhalten  der  stark  dissociierten 
Elektrolyte  mit  guter  Annäherung  wieder.  Eine  theoretische  Begründung 
ist  i^r  keine  dieser  Formeln  gefunden  worden.  Die  Frage,  ob  die  Ab- 
weichung daher  rührt;  dass  die  Leitfähigkeit  kein  richtiges  Mass  der 
Dissociation  in  diesem  Falle  ist,  scheint  verneinend  entschieden  zu  sein; 
die  Abweichung  liegt  also  vermutlich  daran,  dass  in  diesem  Falle  eine 
andere,  bisher  nicht  beachtete  Energie  sich  am  Zustandekommen  des 
Gleichgewichts  beteiligt. 

Dagegen  sind  einige  erfahrungsmässige  Beziehungen  aufgefunden 
worden,  welche  für  die  Chemie  eine  praktische  Bedeutung  gewonnen 
haben.  Vergleicht  man  den  Einfluss  der  Verdünnung  auf  die  äquiva- 
lente (nicht  die  molekulare)  Leitfähigkeit  von  Salzen,  deren  Ionen  ver- 
schiedene Wertigkeit  haben,  so  findet  man,  dass  för  den  gleichen  Ver- 
dünnungsbetrag diese  Änderung  gleichzeitig  mit  der  Wertigkeit  wächst, 
und  zwar  im  normalen  Falle  proportional  mit  dem  Produkte  aus  den 
Wertigkeiten  beider  Ionen.  Die  Versuche  sind  hauptsächlich  in  der  Ge- 
stalt ausgeführt  worden,  dass  die  äquivalenten  Leitfähigkeiten  bei  den 
Verdünnungen  32  und  1024 1  und  bei  25^^  gemessen  wurden;  dann  beträgt 
der  Unterschied  ftlr  ein  Salz  aus  zwei  einwertigen  Ionen  rund  10  Ein- 
heiten, und  fär  eines,  dessen  Ionen  die  Wertigkeiten  n,  und  n^  haben, 
n^Uj,  X  10. 

Es  ist  sofort  zu  betonen,  dass  diese  Regel  nicht  allgemein  ist, 
sondern  namentlich  für  die  Salze  aus  mehrbasischen  Säuren   und   mehr- 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  407 

saurlgen  Basen  Ausnahmen  erleidet,  wenn  diese  Säuren  oder  Basen  im 
freien  Zustande  wenig  dissoziiert  sind.  Salze  schwacher  Säuren  oder 
Basen  folgen  dagegen  der  Regel,  wenn  der  andere  Bestandteil  einwertig 
und  im  freien  Zustande  stark  dissociiert  ist.  Die  hauptsächlichste  An- 
wendung findet  diese  Beziehung  zur  Ermittelung  der  Basizität  einer  un- 
bekannten Säure,  bez.  der  Acidität  einer  unbekannten  Base;  in  solchen 
FUllen  kann  man  es  leicht  so  einrichten,  dass  die  genannten  günstigen 
Bedingungen  erfüllt  sind; 

Das  praktische  Verfahren  gestaltet  sich  am  einfachsten  so,  dass  man  die 
fragliche  Säure  in  Substanz  in  Vsi  -  i^ormaler  Natronlauge  (bez.  die  Base  in 
Vsa- normaler  Salzsäure)  auflöst,  ihre  Leitföhigkeit  und  die  der  32  mal  ver- 
dünnteren  Lösung  misst.  Der  Unterschied  der  beiden  auf  ein  Äquivalent  be- 
zogenen Leitfähigkeiten,  dividiert  durch  10,  ergiebt  die  Wertigkeit  der  Säure, 
bez.  Base  (Ostwald  1887). 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  die  Messung  der  elektrolytischen 
Leitfähigkeit  zu  den  bequemsten  und  empfindlichsten  Hilfsmitteln  gehört,  um 
das  Vorhandensein  eines  Salzes  m  einer  Lösung  festzustellen,  und  wenn 
seine  Natur  bekannt  ist,  auch  seine  Menge  zu  ermitteln.  Da  Wasser, 
wie  man  es  unter  der  Anwendung  einiger  Sorgfalt  im  Laboratorium  rein 
herzustellen  vermag,  etwa  die  spezifische  Leitföhigkeit  von  10~^  hat,  so 
kann  man  Lösungen,  die  etwa  ihrerseits  den  gleichen  Betrag  an  Leit- 
fähigkeit bewürken,  noch  mit  guter  Sicherheit  untersuchen.  In  so  ver- 
dünnten Lösungen  addieren  sich  die  Leitfähigkeiten  neutraler  Salze*),  so 
dass  man  die  des  Zusatzes  durch  Abziehen  des  vom  Gebrauchswasser 
herrührenden  Betrages  berechnen  kann.  Die  angegebene  spezifische  Leit- 
fähigkeit kommt  etwa  einer  Lösung  zu,  die  ein  Neutralsalz  in  10~  ^-nor- 
maler Verdünnung  enthält;  bis  dahin  lassen  sich  also  Gehaltsbestimmungen 
leicht  ausführen. 

Auf  diese  Weise  ist  z.  B.  die  Löslichkeit  folgender  „unlöslicher" 
Salze  bestimmt  worden;  die  Zahlen  bedeuten  Mole  in  einer  MiUion 
litem  (Kohlrausch  und  Rose  1893). 

Chlorailber  11-7,  Bromsilber  2,  Quecksilberchlorür  13,  Fluorcalcium  700, 
Baryumsulfat  50,  Strontiumsulfat  2320,  Bleisulfat  600,  Baryumoxalat  1320, 
Sti'ontiumoxalat  1020,  Calciumoxalat  184,  Baryumkarbonat  480,  Strontium- 
karbonat 300,  Calciumkarbonat  560. 

Die  Messungen  gelten  für  18®.  Die  Berechnung  beruht  auf  der 
Kenntnis  der  Wanderungsgeschwindigkeiten  der  Ionen  dieser  Salze;  be- 
zieht man  die  beobachtete  spezifische  Leitfähigkeit  durch  MultipUkation 


*)  Säuren  und  Basen  zeigen  grosse  Abweichungen,  die  von  eintretender 
Neutralisation  durch  die  Verunreinigungen  herrühren;  durch  das  Verschwinden 
der  Ionen  H*  und  OH',  welche  die  schnellsten  sind,  nimmt  die  Leitfähig- 
keit stark  ab,  und  man  darf  die  wahre  Leitfähigkeit  solcher  Stoffe  nicht  durch 
Abzug  des  dem  Wasser  zukommenden  Anteiles  berechnen  wollen. 


408  I^*   Elektrochemie. 

mit  1000  auf  1 1,  und  dividiert  diesen  Wert  durch  die  Summe  der  Ldt- 
fähigkeiten  der  Ionen,  so  erhält  man  den  Glehait  in  Molen  auf  ein  Dter. 
Etwas  verwickelter,  als  die  bisher  geschilderten  Verhältnisse  gestaltet 
sich  der  Zerfall  mehrwertiger  Elektrolyte  in  Ionen.  Ist  z.  B.  dn 
zweiwertiges  Anion  A"  mit  zwei  einwertigen  Kationen  K*  verbunden, 
so  könnte  man  zunächst  annehmen,  dass  der  zugehörige  Vorgang  nach 
der  Gleichung  A.K2=A"+2K'  erfolge.  Die  Erfahrung  zeigte  dass 
dies  nicht  der  Fall  ist;  vielmehr  treten  zwei  Vorgänge  ein,  die  durch 
die  Gleichungen  A  .Kj  =  AK'-j- K*  und  AK'=A"-|-K*  dargestellt 
werden.  Demgemäss  ist  die  zugehörige  Gleichgewichtsgleiehung  nicht 
a'/(l  — a)v  =  k,  wie  sie  nach  der  ersten  Annahme  sein  mtisste,  sondern 
es  bestehen  zwei  Gleichungen  nebeneinander.  Bezeichnet  man  den  An- 
teil der  Ionen  K'  mit  a,  der  Ionen  AK'  mit  b,  der  Ionen  A"  mit  e 
und  den  unzerlegten  Anteil  mit  e^  so  bestehen  zunächst  die  Beziehungen 
a  =  b  4"  2  c  und  e  =  1  —  b  —  c,  die  sich  unmittelbar  aus  den  Reaktions- 
gleichungen ergeben.  Ferner  bestehen  die  Gleichgewichtsgleichungen 
ab  =  kidv  (1)  und  ac  =  k2bv  (2).  Durch  Elimination  kann  man  zwei 
von  den  Werten  a,  b,  c,  e  herausschaffen,  so  dass  die  endliehe  Gleich- 
gewichtsgleiehung zwei  Veränderliche  und  die  beiden  Konstanten  k,  und 
kg  enthält.  Für  einen  gegebenen  Wert  des  einen  Anteils  können  daher, 
je  nach  den  Werten  beider  Konstanten,  die  von  Stoff  zu  Stoff  verschie- 
den sind,  ganz  verschiedene  Werte  der  anderen  Anteile  bestehen. 

Um  diese  Überlegungen  anschaulich  zu  machen,  denken  wir  uns 
unter  K*  das  Wasserstoff ion,  d.  h.  wir  betrachten  eine  zweibasiscfae 
Säure.  Wir  nehmen  zunächst  einen  Grenzfall  an:  kj  sei  sehr  klein 
gegenüber  k^.  Dann  ist  vermöge  der  zweiten  Gleichung  c  sehr  klan 
gegen  b  und  man  kann  a  =  b  und  e  =  1  —  a  setzen.  Führt  man  dies 
in  die  erste  Gleichung  ein,  so  erhält  sie  die  Form  der  gewöhnlichen 
Dissociationsgleichung  für  einen  binären  Elektrolyt,  a'^/(l  —  a)=kv. 
Daraus  folgt,  dass  bei  Säuren  der  angenommenen  Art  die  Dissociation 
erfolgen  muss,  als  seien  sie  einbasisch.  Erat  wenn  v  sehr  gross  wird, 
nimmt  der  zweiten  Gleichung  gemäss  auch  c  grössere  Werte  an,  die  man 
schliesslich  nicht  mehr  veniachlässigen  darf. 

Mit  diesen  Schlüssen  stimmt  die  Erfahrung  vollkommen  überein. 
Bei  schwächeren  zweibasischen  Säuren  ändert  sich  die  Leitfähigkeit  mit 
der  Verdünnung  nach  ganz  demselben  Gesetz,  wie  bei  einbasischen. 

Als  Beispiel  seien  Messungen  an  Bernsteinsäure  gegeben;  die  Be- 
zeichnungen sind  dieselben  wie  S.  404;  die  Leitföhigkeiten  beziehen  sich 
auf  ein  Mol,  nicht  ein  Äquivalent.    Als  Grenzwert  ist  356  angenommen. 

y  fji.  a         10*k 

16       11.40       0-0320       6-62 

32       16-03       0-0450       6-62 

64       22-47       00632       6-67 

128       31-28       0-0880       6-64 

256       43-50       0-1224       6-68 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  409 


V 

i" 

a 

10*  k 

512 

59-51 

0-1675 

6-59 

1024 

8164 

0-2295 

6-68 

2048 

109-5 

0-3082 

6-71 

a 

lO'^k 

0-158 

93 

0217 

94 

0-293 

95 

0-390 

97 

0-503 

99 

0-639 

110 

0-785 

140 

Wie  man  sieht,  ergiebt  sich  k  völlig  konstant  innerhalb  der  Ver- 
suchsfehler, obwohl  schliesslich  die  Verdünnung  recht  bedeutend  ist. 

Sind  die  zweibasischen  Säuren  stärker,  so  kommt  die  Dissoziation 
des  einwertigen  Anions  in  das  zweiwertige  und  Wasserstoff  viel  früher 
zur  Geltung.  Berechnet  man  dann  die  Konstante  k  wie  gewöhnlich,  so 
beginnt  sie  dort  zuzunehmen,  wo  die  zweite  Dissociation  einen  merk- 
lichen Wert  erlangt.  Die  nachstehenden  Messungen  an  Fumarsäure  lassen 
dies  Verhalten  erkennen. 

32  56-4 

64  77-4 

128  104-5 

256  139-0 

512  1795 

1024  228-0 

2048  280-2 

oo  3570        —        — 

Die  Genauigkeit,  mit  der  die  Konstanten  bestimmt  worden  sind,  beläuft 
sich  auf  etwa  2  Prozent;  die  Zunahme  ist  also  bereits  bei  v  =  256  1 
erkennbar,  und  bei  den  nächsten  Verdünnungen  wird  sie  bald  sehr  be- 
deutend. 

Zwischen  den  beiden  Konstanten  kj  und  kg  besteht  kein  notwen- 
diger Zusammenhang,  ausser  dass  k^  immer  kleiner  sein  muss,  als  k^; 
das  Verhältnis  zwischen  beiden  ist  sehr  wechselnd  und  hängt  von  kon- 
stitutiven Eigenschaften  der  Säuren  ab,  die  hier  nicht  besprochen  werden 
können. 

Ganz  dieselben  Betrachtungen  lassen  sich  auf  zweisäurige  Basen  an- 
wenden, und  auch  hier  hat  die  Erfahrung  Übereinstimmung  ergeben.  Femer 
unterliegen  die  Salze  gleichfalls  denselben  Gesetzen,  wenn  sie  aus  einem 
zweiwertigen  Ion  und  zwei  einwertigen  bestehen.  Da  aber  schon  die  ein- 
fachst beschaifenen  Salze  Abweichungen  vom  Massenwirkungsgesetz  zeigen, 
ist  dies  auch  bei  den  hier  in  Frage  kommenden  zu  erwarten,  und  die  rech- 
nerische Verwertung  der  Formel  ist  nicht  versucht  worden.  Wesentlich  ist 
nur,  dass  man  in  solchen  Salzen  die  Anwesenheit  der  teilweise  gespaltenen 
Ionen  anzunehmen  hat,  so  dass  man  nicht  aus  der  Leitfähigkeit  einen  un- 
mittelbaren Schluss  auf  den  Betrag  der  Dissociation  und  die  Konzentrationen 
der  einzelnen  Ionen  ziehen  kann. 

Noch  verwickelter  werden  die  Verhältnisse,  wenn  Ionen  von  grösserer 

Wertigkeit  zusammentreten.    Man  könnte  annehmen,  dass  im  Falle,  dass  zwei 

i    Ionen  von  gleicher  Wertigkeit  verbunden  sind  (wie  z.  B.   zwei  zweiwertige 


410  I^-   Elektrocheifiie. 

im  Ma^esiumsulfat);  wieder  die  einfache  Gleichung  Anwendung  findet.  Dod 
muss  man  die  Möglichkeit  erwägen,  dass  sich  zweiwertige  Kationen  von  der 
Zusammensetzung  A.K**,  und  zweiwertige  Anionen  K.A"2  bilden  können. 
Im  Falle  des  Magnesiumsulfats  wären  es  die  Ionen  (SOJMgj**  und  Mg(SOJ,". 
Beobachtungen  über  das  Verhältnis  zwischen  LeittUhigkeit  und  Gefrierpunkts- 
erniedrigung  sprechen  dafür,  dass  solche  Ionen  in  messbarer  Menge  yorhan- 
den  sind. 

Drei-  und  mehrbasische  Säuren  folgen,  wenn  sie  wenig  dissociiert 
sind,  noch  bei  nicht  allzu  grosser  Verdünnung  dem  einfachen  Gesetz  der 
binären  Elektrolyte,  nur  treten  die  Abweichungen  unter  sonst  gleiche 
Verhältnissen  früher  ein,  als  bei  zweibasischen. 

Hiermit  ist  das  wichtigste  für  den  Fall  zweier  lonenbestandteile 
erledigt.  Auch  die  Frage,  wie  sich  das  Gleichgewicht  gestaltet,  wenn 
eine  festePhase  dazutritt,  ist  bereits  (S.  400)  dahin  beantwortet  worden, 
dass  ein  fester  Stoff,  der  beim  Auflösen  in  Ionen  zerfallt,  genau  dieselben 
allgemeinen  Verhältnisse  zeigt,  als  wenn  er  unverändert  in  Lösung  ginge. 
Nur  besteht  natürlich  das  Gleichgewicht  ausschliesslich  mit  dem  niclit- 
dissociierten  Anteil  in  der  Lösung,  und  daher  wird  die  schembare  Lös- 
iichkeit  eines  Elektrolyts  immer  höher  sein,  als  die  wahre,  d.  h.  das 
durch  das  Gleichgewicht  zwischen  dem  festen  Stoffe  und  dem  unverändert 
in  der  Lösung  vorhandenen  Anteil  bestimmte  Verhältnis.  Jede  Änderung 
des  Gleichgewichts  zwischen  diesem  Anteil  und  den  Ionen  in  der  Losung 
muss  sich  auch  in  der  Löslichkeit  zum  Ausdruck  bringen.  Dies  giebt 
eine  Erklärung  für  die  merkwürdige  Thatsache,  dass  die  meisten  Sol&te 
vom  Typus  des  Magnesiumsulfats  bei  höheren  Temperaturen  (200  bis  300®) 
in  Wasser  fast  völlig  unlöslich  werden,  während  sonst  im  allgemeinen 
die  Löslichkeit  bei  so  hohen  Temperaturen  stark  zunimmt.  Diese 
Salze  haben  eine  positive  Dissociationswärme;  ihre  Dissodation  geht 
mit  steigender  Temperatur  zurück,  und  daher  auch  ihre  scheinbare  Lös- 
lichkeit. 

Der  zunächst  zu  untersuchende  Fall  ist  der  dreier  Ionen  in  der 
Lösung.  Da  die  Summe  der  Anionen  und  der  Kationen  jedenfalls  gleich 
sein  muss,  so  erhält  man  experimentell  diesen  Fall,  wenn  man  zwei 
Elektrolyte  miteinander  zusammenbringt,  die  ein  gemeinsames  Ion 
enthalten,  z.  B.  zwei  Säuren,  oder  zwei  Chloride.  Man  kann  dann  die 
Frage  nach  der  gegenseitigen  Beeinflussung  des  Gleichgewichtszustandes 
beider  Elektrolyte  aufwerfen. 

Einen  Fall  kann  man  allerdings  sofort  erledigen,  den  Fall  nämlich, 
dass  alle  gleichzeitig  in  der  Lösung  vorhandenen  Elektrolyte  nahezu 
völlig  dissociiert  sind.  Alsdann  werden  sie  sich  nicht  weiter  beeinflussen, 
und  man  kann  die  für  die  einzelnen  Lösungen  gültigen  Gesetze  auch 
auf  Gemenge  anwenden. 

Befindet  sich  aber  in  der  Lösung  gleichzeitig  ein  stark  und  ein 
schwach  dissociierter  Stoff,  so  wird  eine  gegenseitige  Beeinflussung  statt- 
finden,   wenn    beide    ein  gleiches    Ion    enthalten.     Es    gelten    dann    die 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  411 

Formeln  des  chemischen  Gleichgewichts  flir  nicht  äquivalente  Mengen  und 
3er  Dissodationszustand  wird  ein  anderer. 

Fragen  wir  zunächst,  wie  zwei  Lösungen  beschaffen  sein  müssen, 
damit  sich  die  gelösten,  teilweise  dissociierten  Stoffe  gegenseitig  nicht 
beeinflussen,  so  wird  zu  beanspruchen  sein,  dass  sich  die  wirk- 
Bame  Menge  der  Bestandteile  durch  die  Vermischung  nicht 
ändern  darf.  Zwei  Lösungen  desselben  Stoffes  werden  sich  demgemäss, 
was  schon  von  vornherein  klar  ist,  nur  dann  unbeeinflusst  lassen,  wenn 
ihre  Konzenti*ation  gleich  ist  Etwas  verwickelter  wird  die  Frage  für 
zwei  verschiedene  Stoffe,  welche  ein  gemeinsames  Ion  enthalten,  z.  B. 
für  zwei  Säuren.  Wir  betrachten  der  Einfachheit  wegen  zwxi  einbasische 
Säuren  HAj  und  HAg.  Für  dieselben  werden  nach  der  allgemeinen 
Formel  des  chemischen  Gleichgewichts  die  beiden  Gleichungen  gelten 


^l 

1 

«i 

«1 

«1 

Vi 

Vi 

Vi 

K, 

1 

«j 

«» 

«« 

Vj 

y» 

Vg 

wo  a  der  dissociierte  Anteil  und  v  das  Volum  bedeutet,  in  welchem  ein 
Mol  enthalten  ist. 

Vermischen  wir  beide   Lösungen,   so  geht  das  Volum  in  Vj  -|-  Vg 

1  —  «j 


über.      Die    Konzentration  der  unzersetzten  Anteile  geht   auf 


Vi  +v. 


2 


und  ; — —    zurück,     die    der    gespaltenen    Säureionen    auf — 

Vi  +  Vg                                           ^    *^  Vi  +  Vg 

cc  a     I   flf 

und  ^ — ,   die  des  Wasserstoffs  aber  auf  ~ — ; — --  Die  Gleichere- 

vi  +  Vg  Vi   -f  V, 

Wichtsgleichung  lautet  demgemäss  für  beide  Säuren 


K. 


K, 


Vi  +  Vj,  Vi  +  Vg      Vj+Vg 

1  —  «g  «2  ^1  "h  ^8 


Vi+Vg  Vj  +  Vg     Vi+Vg 

Dividiert  man  die  untere  Gleichung  in  die  obere,  so  folgt  nach  einer 
leichten  Rechnung  beiderseits 

^1  V*  j  ^1  ^2 

-1  =  ^t      oder     — ^  =  ^^ . 

«2  Vg  Vi  V2 

Damit  bei  der  Vermischung  zweier  Säuren  der  beiderseitige  Disso- 
ciationszustand  sich  nicht  ändert,  muss  die  Konzentration  des  ab- 
gespaltenen Wasserstoffs  in  beiden  Lösungen  gleich  sein. 

Haben  wir  also  z.  B.  Essigsäure,  welche  wenig  dissoeiiert  ist,  und  Salz- 
säure, welche  es  sehr  stark  ist,  so  werden  wir,  um  Lösungen  von  gleicher 
Konzentration  der  Wasserstoffionen  zu  erhalten,  sehr  stark  verdünnte  Lösungen 
von   Chlorwasserstoff  zu   massig   starken  Lösungen   von   Essigsäure    nehmen 


412  IX.   Elektrochemie. 

müssen.  Aus  der  Tabelle  auf  S.  404  sieht  man  z.  B.,  dass  Essigsäure  in  eioa 
Verdünnung  von  8  Litern  rund  0-012  Mol  Wasserstoffionen  enthält,  dass  letzten 

also  eine  Konzentration  von  —  ^ —  =  0-0015  haben.  Salzsäure  wird  die« 
Lösung  nicht  beeinflussen,  wenn  die  Konzentration  ihres  Wasserstoff  de 
Gleichung  —  =  0-0015  entspricht.  Da  sie  bei  den  erforderlichen  grossen  Ver- 
dünnungen als  völlig  dissociiert  angesehen  werden  darf,  so  ist  «  «=  1  und  so* 
mit  V  =s  667.  Die  Salzsäure  darf  somit  nicht  konzentrierter  sein,  als  ein  Md 
in  667  Litern. 

Arrhenius,  dem  wir  die  oben  angestellten  Betrachtungen  verdanka 
(1888),  nennt  solche  Lösungen,  welche  gegenseitig  ihren  Dissodations- 
zustand  nicht  ändern,  isohydrische.  Da  es  der  eben  entwickelte» 
Formel  gemäss  ftlr  diese  Beschaffenheit  nur  erforderlich  ist,  dass  die  Kon- 
zentrationen des  gleichen  Ions  gleich  sind,  während  die  absoluten 
Mengen  beider  Lösungen  oder  ihr  Verhältnis  keine  Rolle  spielt,  so  müss«i 
isohydrische  Lösungen  sich  in  allen  Verhältnissen  ungestört  lassen. 

Daraus  kann  man  folgern,  was  geschehen  wird,  wenn  man  zwei 
nicht  isohydrische  Lösungen  miteinander  vermischt:  sie  werden  sidi 
gegenseitig  in  dem  Sinne  beeinflussen,  dass  sie  isohydrisch  werden, 
Denkt  man  beide  Lösungen  zunächst  unvermischt  übereinander  ge- 
schichtet, so  kann  man  der  einen  Lösung,  in  welcher  die  Konzentratio« 
des  gemeinsamen  Ions  geringer  ist,  Wasser  entziehen  und  es  der 
anderen  zufiihren,  und  zwar  so  lange,  bis  die  Konzentration  in  beiden 
Lösungen  gleich  geworden  ist.  Alsdann  sind  die  Lösungen  isohydrisdi, 
und  sie  können  dann  vermengt  werden,  ohne  verändernd  aufeinander 
einzuwirken. 

Zwei  Lösungen,  die  mit  einer  dritten  ißohydrisch  sind, 
müssen  es  auch  untereinander  sein.  Denn  wenn  zwei  Lösungen 
mit  einer  dritten  isohydrisch  sind,  so  enthalten  sie  ein  gleiches  Ion  in 
gleicher  Konzentration  wie  die  dritte,  folglich  haben  sie  auch  unterein- 
ander gleiche  Konzentration  und  sind  isohydrisch.  Auch  dieser  Satz 
war  experimentell  gefunden,  bevor  die  Theorie  ihn  ableiten  liess. 

Diese  Gleichgewichtsverhäjtnisse  dreier  Ionen  führen  nun  zu  der 
Erklärung  gewisser  Erscheinungen,  die  seit  langem  praktisch  angewendet 
werden,  ohne  dass  man  ihr  Wesen  gekannt  hätte.  Es  zeigt  sich  nämlicli, 
dass  die  Säurewirkung  schwacher  Säuren  durch  die  Gegenwart  ihrer 
Neutralsalze  in  ganz  ausserordentlicher  Weise  vermindert  wird.  Während 
sich  dies  aus  den  älteren  Vorstellungen  nicht  absehen  liess,  ergiebt  es  sich 
mit  Notwendigkeit  aus  der  Betrachtung  der  lonenverhältnisse. 

Sei  a  die  Konzentration  der  freien  Anionen  und  Kationen  einer 
wenig  zerfallenen  Säure  und  c  der  nicht  zerfallene  Anteil,  so  gilt  fu? 
das  Gleichgewicht  die  Formel  a*  =  kc.  Fügt  man  nun  eine  gewisse  Menge 
eines  Neutralsalzes  derselben  Säure  hinzu,  deren  dissociierte  Anteile  die 
Konzentration  b  haben,  so  kann  das  frühere  Gleichgewicht  nicht  be- 
stehen bleiben,  sondern  wegen  der  starken  Vermehrung  der  Konzentration 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  413 

der  Anionen  muss  die  der  Wasserstoffionen  entsprechend  abnehmen. 
Sei  2!  die  Konzentration  der  Wasserstoffionen,  nachdem  das  neue  Gleich- 
gewicht eingetreten  ist,  so  ist  die  der  Anionen  a'  -f-  b  und  die  des  nicht- 
dissociierten  Teils  hat  sich  auf  c  +  a  —  2!  vermehrt.  Die  Gleichung 
lautet  demnach  a'  (a'  +  b)  =  k  (c  -{-  a  —  a'). 

Nun  haben  wir  angenommen,  dass  die  Säure  wenig  dissociiert  ist; 
es  ist  daher  a  und  a'  gegen  c  klein,  und  ebenso  2!  gegen  b,  falls  der 
Zusatz  des  Neutralsalzes  nicht  sehr  gering  war^  was  ausgeschlossen  sein 
soll.  Vernachlässigen  wir  die  kleinen  Grössen  gegen  die  grossen,  so 
nimmt  die  Gleichung  die  einfache  Gestalt  an 

a'b  =  kc. 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  die  Konzentration  der  Wasserstoffionen 
umgekehrt  proportional  der  Konzentration  des  zugesetzten  Neutf^salzes 
ist.  Setzt  man  z.  B.  zu  Essigsäure  in  der  Verdünnung  8  1,  wo  der  Zer- 
fall 0-012,  die  Konzentration  der  Wasserstoffionen  also  0-0015  beträgt, 
eine  äquivalente  Menge  Natriumacetat  (das  wir  als  völlig  zerfallen  an- 
sehen), so  haben  wir  b=^'/8,  c=V8  zu  setzen;  k  ist  0-000018 
(S.  404),  und  daraus  ergiebt  sich  a'  =  kc/b  =  0-000018,  also  rund 
83  mal  kleiner,  als  ohne  den  Zusatz^). 

Da  femer  bei  der  Verdünnung  der  Gesamtflüssigkeit  sich  b,  die 
Konzentration  des  Neutralsalzes,  und  c,  die  Konzentration  des  nichtzer- 
fallenen  Teils  der  Säure,  der  von  der  Gesamtkonzentration  der  Säure  nur 
sehr  wenig  verschieden  ist,  einander  proportional  ändern,  so  muss  auch 
a',  die  Konzentration  der  Wasserstoffionen,  unverändert  bleiben.  Während 
also  bei  stark  dissoziierten  Säuren  diese  Konzentration  umgekehrt  pro- 
portional dem  Volum  war,  und  bei  schwach  dissoziierten  Säuren  umge- 
kehrt proportional  der  Quadratwurzel  aus  dem  Volum,  so  haben  wir 
hier  den  Grenzfall,  dass  die  Konzentration  fast  ganz  unabhängig  vom  Volum 
wird.  Auch  dieser  Satz  ist  von  einer  gewissen  Bedeutung,  da  er  zu- 
weilen gestattet,  die  Bedingungen  chemischer  Vorgänge,  bei  denen 
Wasserstoffionen  beteiligt  sind,  zu  vereinfachen. 

Diese  Gleichgewichte  liegen  der  Anwendung  des  essigsauren  Natriums 
in  der  analytischen  Chemie  zu  Grunde.  Man  bedient  sich  dieses  Reagens 
wenn  es  sich  darum  handelt,  eine  Flüssigkeit  zwar  sauer  zu  erhalten,  die 
spezifische  Säurewirkung  aber  möglichst  klein  zu  machen.  Ein  solcher  Fall 
tritt  z.  B.  bei  der  Fällung  des  Schwefelzinks  ein,  die  durch  etwas  erheb- 
lichere Konzentration  vorhandener  Wasserstoffionen  verhindert  wird.  Setzt 
man  Natriumacetat  zu,  so  wird  deren  Konzentration  so  stark  herabgediückt, 
dass  die  Fällung  hinreichend  vollständig  erfolgt,  um  quantitativ  verwertbar 

*)    Aus    der    Rechnung    ergiebt    sich   gleichzeitig,    dass    unter   diesen 

Umständen,  nämlich  wenn  man  zu  der  Lösung  einer  schwachen  Säure  eine 

äquivalente  Menge  ihres  Neutralsalzes  setzt,  die  Konzentration  der  Wasser- 

I  ßtoffionen  gleich  der  Dissociationskonstante  wird,  unabhängig  von  der  Gesamt- 

tonzentration. 


4l4  IX.   Elektrochemie. 

zu  sein.  Auf  dem  gleichen  Umstände  beruht  die  Fällung  der  FerrisalzlösungeB 
durch  Natriumacetat  in  der  Wärme.  Die  eingehende  Behandlung  dieser  Er- 
scheinungen kann  hier  nicht  vorgenommen  werden,  da  auch  die  heterogenen 
Gleichgewichte  für  das  Verständnis  in  Frage  kommen. 

Die  gleiche  Erscheinung  wird  auch  vielfach  in  der  chemischen  Kinetik 
verwendet,  wenn  es  sich  darum  handelt,  die  Wirkung  vorhandener  Wasser- 
stoffionen in  einem  gegebenen  Augenblicke  aufzuheben,  ohne  die  Flüssigkeit 
alkalisch  machen  zu  müssen. 

Die  gleichen  Überlegungen  treten  ein,  wenn  eine  schwache,  d.  h. 
wenig  dissoziierte  Base  neben  ihrem  Neutralsalz  vorhanden  ist.  Ferner 
wird  durch  die  Gegenwart  einer  stark  dissociierten  Säure  der  Zerfafi 
einer  gleichzeitig  anwesenden  schwachen  Säure  vermindert,  so  dass  ihre 
Anionen  fast  aus  der  Flüssigkeit  verschwinden.  Gleiches  gilt  für  eine 
schwache  Base  bei  Gegenwart  einer  starken.  Auch  diese  Verhältnisse 
kommen  gelegentlich  zur  Geltung. 

Tritt  bei  dem  Gleichgewichte  dreier  Ionen  eine  feste  Phase  an^ 
so  machen  sich  Erscheinungen  geltend,  die  gleichfalls  erst  durch  die 
Theorie  der  freien  Ionen  Erklärung  und  zahlenmässige  Zusammenfassung 
gewonnen  haben  (van't  Hoflf,  Nernst).  Sie  ergeben  sich  fiir  den  einfachstei 
Fall  der  binären  Dissociation  aus  der  Gleichung  ab  =  kc,  wo  a  und  b^ 
die  Konzentrationen  der  beiden  Ionen  sind  und  c  die  des  nicht  disso- 
ciierten Teiles  ist,  vermöge  der  Forderung,  dass  zwischen  der  letzteren  und 
der  festen  Phase  Gleichgewicht  besteht.  Dadurch  wird  c  nur  nocli  eine 
Funktion  der  Temperatur  und  bei  gegebener  Temperatur  konstant.  Dem- 
gemäss  muss  auch  das  Produkt  ab  konstant,  bez.  eine  Funktion  der 
Temperatur  sein. 

In  der  reinen  Lösung  eines  Elektrolyts  ist  a=--b.  Wird  zu  dieser 
Lösung  ein  anderer  Elektrolyt  mit  einem  gemeinsamen  Ion  gesetzt,  so 
wird  eine  der  Grössen  a  oder  b  vermehrt;  es  muss  also  die  andere 
kleiner  werden,  damit  das  Gleichgewicht  bestehen  bleibt.  Dies  kann 
nur  geschehen,  indem  sich  der  Elektrolyt  zum  Teil  in  fester  Gestalt  aus- 
scheidet.    Die  Lösung  wird  also  in  Bezug  auf  diesen  übersättigt 

Dies  gilt  in  gleicher  Weise  für  das  eine  wie  fiir  das  andere  Ion; 
daraus  folgt,  dass  die  Löslichkeit  eines  Elektrolyts  in  reinem  Wasser  am 
grössten  ist,  und  durch  Zusätze  gleichioniger  anderer  Elektrolyi:e  nur 
vermindert  werden  kann. 

Diese  Verhältnisse  lassen  sich  an  der  Löslichkeit  des  Silberacetats  an- 
schaulich machen.  Eine  gesättigte  Lösung  dieses  Salzes  scheidet  Krystalle 
ab,  wenn  man  sie  mit  einer  konzentrierten  Lösung  von  Nalriumacetat  oder 
einer  von  Silbemitrat  versetzt.  Auf  Zusatz  von  Essigsäure  erfolgt  dagegen 
keine  Fällung,  weil  die  Essigsäure  nur  wenig  dissoziiert  ist,  also  die  Kon- 
zentration der  Acetionen  nur  unmerklich  vermehrt. 

Für  die  analytische  Praxis  sind  diese  Gleichgewichte  von  grösster  Be- 
deutung, da  sie  ein  allgemeines  Mittel  gewähren,  die  Löslichkeit  „unlöslicher** 
h.  d.  schwerlöslicher  Salze  fast  beliebig  herabzusetzen,  indem  man  eines  ihrer 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  415 

Ionen  in  erheblicher  Konzentration  anwesend  erhält.  Da  die  Fällungsmittel 
der  salzartigen  schwerlöslichen  Niederschläge  immer  eines  dieser  Ionen  ent- 
halten, so  ergiebt  sich  die  allgemeine  Kegel,  dass  man  von  diesem  Fällungs- 
mittel mehr  zusetzen  muss,  als  für  die  Umsetzung  erforderlich  wäre.  Hat 
man  z.  B.  Baryumsulfat  mit  Chlorbaryum  aus  der  Lösung  eines  Sulfats  ge- 
IMlt,  um  dessen  Menge  zu  bestimmen,  so  setzt  man  einen  Überschuss  von 
Chlorbaryum  zu,  damit  in  der  entstehenden  Flüssigkeit  Baryumionen  reichlich 
vorhanden  sind,  und  die  Schwefelsäureionen  auf  ein  Minimum  heruntergehen. 
Beim  Auswaschen  wird  die  Lösung  allmählich  durch  reines  Wasser  ver- 
drängt, und  damit  nimmt  die  Löslichkeit  des  Niederschlages  wieder  zu.  Ist 
sie  gering,  so  kann  der  Verlust  vernachlässigt  werden;  ist  sie  aber  einiger- 
massen  merklich,  so  muss  man  zum  Auswaschen  eine  Lösung  benutzen, 
welche  das  zweite  Ion  enthält.  Natürlich  muss  dies  in  flüchtiger  Form  an- 
gewendet werden  können,  da  sonst  der  Überschuss  nicht  beim  Trocknen  oder 
Glühen  aus  dem  Niederschlage  fortgehen  würde.  Hiervon  macht  man  z.  B. 
beim  Ammoniummagnesiumphosphat  Gebrauch,  indem  man  es  statt  mit  reinem 
Wasser  mit  verdünntem  Ammoniak  auswäscht.  Im  Sinne  der  eben  gemachten 
Darlegungen  würde  die  Lösung  eines  leichtflüchtigen  Ammoniaksalzes  wegen 
dessen  grösserer  Dissociation  ein  zweckmässiger  Zusatz  zu  der  Waschflüssig- 
keit sein*). 

Es  treten  in  einzelnen  Fällen  an  Stelle  der  erwarteten  Verminderungen 
der  Löslichkeit  Vermehrungen  auf,  doch  hat  sich  alsdann  immer  nachweisen 
lassen,  dass  ausser  den  angenommenen  Reaktionen  zwischen  den  Ionen 
noch  andere  stattfanden,  die  zur  Bildung  neuer  Stoflc  (Doppelsalze  und 
dergl.)  führten.  Da  jeder  neue  Stoff,  der  aus  den  vorhandenen  entsteht^ 
dessen  fnr  das  Lösungsgleichgewicht  massgebenden  Konzentration  ver- 
mindert, so  bringt  er  eine  entsprechende  Erhöhung  der  scheinbaren  Lös- 
lichkeit hervor. 

Sind  zwei  feste  Phasen,  d.  h.  zwei  Salze  mit  einem  gleichen 
Ion  (z.  B.  Chlorammonium  neben  Chlornatrium)  anwesend,  so  ist  bei  drei  Ionen 
das  Gleichgewicht  in  der  Lösung  eindeutig  bestimmt,  und  ein  solches  Ge- 
bilde hat  einen  bestimmten  Sättigungszustand  in  Bezug  auf  beide  Phasen. 
Das  heisst,  es  stellt  sich  immer  eine  bestimmte  Lösung  her,  welche 
Mengen  der  festen  Bestandteile  auch  zugegen  seien,  wenn  nur  beide  in 
fester  Gestalt  anwesend  bleiben.  Dies  ergiebt  sich  folgendermassen» 
Haben  sich  beide  Salze  zur  Sättigung  gelöst,  so  besteht  fiir  das  eine  ein 
Gleichgewicht  entsprechend  der  Formel  ab  =  K,  wo  die  Konstante  K  =  ke 
gesetzt  ist.  Für  das  zweite  Salz,  das  mit  dem  ersten  ein  gemeinsames 
Kation  haben  möge,  ist  die  Gleichung  ab'  =  K'.  Femer  besteht  die 
Gleichung,  dass  die  Summe  der  Konzentrationen  der  beiden  Anionen 
gleich  der  des  gemeinsamen  Kations  sein  muss,  also  a  =  b  -f-  b'.     Das- 


*)  Genaueres  über  die  Anwendung  der  Gleichgewichtslehre  in  der  analy- 
I  tischen  Chemie  findet  sich  in  des  Verfassers  „Wissenschaftlichen  Grundlagen 
der  analytischen  Chemie",  2.  Aufl.  Leipzig  1897. 


416  IX.   Elektrochemie. 

giebt  drei.  Gleicliungea  für  die  drei  Yerändeiüchen  a^  b  und  b'^  sie  sind 
also  alle  drei  eindeutig  bestimmt 

Da  die  Konstanten  K  und  K'  Funktionen  der  Temperatur  (und  in 
sehr  geringem  Grade  des  Druckes)  sind,  so  hat  ein  derartiges  Gebilde 
eine  Löslichkeitslinie,  wie  ein  einfacher  Stoff,  nur  mit  dem  Unterschiede, 
dass  die  Zusammensetzung  der  Lösung  durch  zwei  unabhängige  ana- 
lytische Daten  (zwei  von  den  Grössen  a,  b,  b')  anzugeben  ist. 

Die  experimentelle  Untersuchung  derartiger  Fälle  hat  ergeben,  da» 
die  gemeinsame  Löslichkeit  von  Salzen,  „die  sich  nicht  gegenseitig  zer- 
setzen können^^,  d.  h.  die  ein  gleiches  Ion  enthalten,  im  allgemeinen  in 
der  That  unabhängig  davon  ist,  wieviel  von  beiden  Salzen  daneben  in 
fester  Form  vorhanden  ist.  Insbesondere  findet  keine  „Verdrängung^ 
statt,  und  man  kann  in  der  gesättigten  gemeinsamen  Lösung  beliebig 
viel  von  dem  einen  oder  anderen  Salz  durch  Erwärmen  auflösen;  böm 
Abkühlen  auf  die  frühere  Temperatur  scheidet  sich  dieses  wieder  aas 
und  man  findet  in  der  Lösung  die  frühere  Zusammensetzung. 

Dagegen  giebt  es  gewisse  Salzpaare,  in  denen  früher  eine  solche 
Verdrängung  angenommen  wurde.  Die  genauere  Untersuchung  hat  ge- 
zeigt, dass  es  sich  hier  um  zwei  verschiedene  Fälle  handelt,  je  nachden 
Doppelsalze  oder  isomorphe  Gemenge  gebildet  werden.  Im  letzter» 
Falle  handelt  es  sich  um  feste  Phasen,  die  von  Fall  zu  Fall  verschiedöi 
sind;  da  in  der  vorstehenden  Betrachtung  gerade  die  Unveränderlichkeit 
der  festen  Phasen  vorausgesetzt  worden  war,  scheidet  diese  Erscheinung 
aus  der  Betrachtung  aus. 

Im  Falle  der  Doppelsalze  beruhte  der  Anschein  einer  unbestimmtett 
Verdrängung  auf  der  Unvollständigkeit  der  Beobachtungen.  Setzt  maa 
beispielsweise  zu  einer  gesättigten  Lösung  von  Ammoniumsulfat  Kupfer- 
sulfat, und  lässt  krystallisieren,  so  erhält  man  je  nach  der  zugesetzten 
Menge  verschieden  zusammengesetzte  Lösungen.  Dies  rührt  aber  nur 
daher,  dass  sich  aus  beiden  Salzen  ein  Doppelsalz  bildet,  welches  sich 
unter  den  genannten  Umständen  als  einzige  feste  Phase  ausscheidet,  so- 
lange nicht  ein  genügender  Überschuss  an  Kupfersulfat  zugegen  ist,  dass 
auch  dieser  Stofl:*  in  fester  Gestalt  auftritt.  Andererseits  wird  eine  ge- 
sättigte Lösung  von  Kupfersulfat  durch  Ammoniumsulfat  in  ähnlicher 
Weise  verändert,  bis  festes  Ammoniumsulfat  neben  festem  Doppelsak 
auftritt.  Es  giebt  also  hier  zwei  gesättigte  Lösungen:  eine  in  Bezug 
auf  Doppelsalz  neben  Kupfersulfat,  die  andere  in  Bezug  auf  Doppel- 
salz neben  Ammoniumsulfat. 

Schliesslich  lässt  sich  noch  eine  dritte  gesättigte  Lösung  in  Betracht 
ziehen:  es  ist  die,  in  der  sich  das  Doppelsalz  wie  ein  einfacher  Stolf 
verhält,  wo  also  die  Zusammensetzung  des  in  Lösung  befindlichen  Teils 
mit  der  des  Doppelsalzes  übereinstimmt.  Ob  eine  solche  Lösung  be- 
ständig oder  unbeständig  ist,  hängt  von  der  Löslichkeit  der  drei  festen 
Stoffe  ab;  im  allgemeinen  verschieben  sich  diese  Verhältnisse  mit  der 
Temperatur  so,  dass  in  gewissen  Gebieten  das  Doppelsalz  sich  unzersetzt 


Elektrolytische  Gleichgewichte. 


417 


mit  seiner  Lösung  ins  Gleichgewicht  setzt,  ohne  dass  sich  die  Einzelsalze 
ausscheiden,  während  letzteres  in  anderen  Gebieten  eintritt. 

Die  Verhältnisse  lassen  sich  in  folgender  Weise  übersehen  *).  Trägt 
man  für  eine  gegebene  Temperatur  den  Gehalt  in  der  gesättigten  Lösung 
an  dem  einen  Salze  nach  rechts,  den  am  anderen  nach  oben  ab 
(Fig.  51),  so  gehen  von  den  Punkten  A  und  B,  die  den  Gehalt  der 
gesättigten  Lösung  an  den  Einzelsalzen  angeben,  zwei  linien  AF  und 
BF  aus,  Yon  denen  die  erste  die  in  Bezug  auf  A  gesättigten  Losungen 
darstellt,  während  BF  sich  auf  die  Gleichgewichte  mit  dem  zweiten  festen 
Sabse  B  bezieht.  Wo  sich  beide  Linien  schneiden,  in  F,  ist  die  Lösung 
mit  beiden  Salzen  im  Gleichgewicht. 

Tritt  nun  ein  Doppelsalz  auf,  so  wird  dessen  Löslichkeit  gleichfalls 
veränderlich  sein,  wenn  in  der  Lösung  eines  der  Einzelsalze  enthalten 
ist,  und  zwar  wird,  je  mehr  von  dem  einen  Salze  in  der  Lösung  vor- 
handen ist,  um  so  weniger  Doppelsalz  in  Lösung  gehen  können,  da  die 


Fig.  51. 


Fig.  52. 


Konzentration  des  anderen  Salzes  entsprechend  kleiner  sein  muss.  In 
derselben  Zeichnung  wird  also  die  Löslichkeit  des  Doppelsalzes  bei  Gegen- 
wart eines  Überschusses  eines  der  Bestandteile  in  der  Lösung  durch 
eine  Linie  von  der  Gestalt  D  dargestellt  sein.  Den  Punkt,  der  der 
Sättigung  mit  reinem  Doppelsalz  entspricht,  findet  man,  wenn  man  durch 
0  eine  Gerade  unter  45**  zieht;  wo  sie  die  Linie  D  trifft,  haben  die 
beiden  Koordinaten,  welche  die  beiden  Salzanteile  darstellen,  gleichen  Wert*). 
Liegt  nun,  wie  in  Fig.  51,  die  Linie  D  ganz  oberhalb  der  Linien 
AFB,  so  ist  die  Löslichkeit  des  Doppelsalzes  immer  grösser,  als  die 
eines  der  Einzelsalze,  sowohl  für  sich,  wie  bei  Gegenwart  des  anderen 
Salzes  in  der  Lösung,  und  deshalb  ist  die  Doppelsalzlösung  in  Bezug 
auf  die  Bestandteile  übersättigt.  Falls  Keime  vorhanden  sind,  muss  eine 
solche  Lösung  das  eine  oder  andere  der  Einzelsalze  ausscheiden,  und 
wird  dies  freiwillig  thun,  wenn  die  metastabile  Grenze  überschritten  ist. 


*)  Van't  Hoff,  Bildung  und  Spaltung  von  Doppelsalzen.    Leipzig  1897. 
*)  Es  ist  Yorausgesetzt,    dass  das  Doppelsalz   aus  gleichen  Molen  det 
Bestandteile  zusammengesetzt  ist. 


Ostwald,  Grondriss.  3. Aufl. 


27 


418 


IX.   Elektrochemie. 


ZMi 


Bringt  man  also  bei  dieser  Temperatur  das  Doppelsalz  mit  Wasser  zu- 
sammen, so  wird  es  zerfallen  ^  und  es  wird  sich  das  weniger  loslidie 
Einzelsalz  ausscheiden:  das  Doppelsalz  wird  durch  Wasser  zersetzt. 

liegt  aber  die  Linie  D  wie  in  flg.  52^  so  ist  zwisdien  C  und  D 
die  Löslichkeit  des  Doppelsalzes  geringer,  und  dieses  ist  neben  der 
Lösung  beständig. 

Durch  Änderung  der  Temperatur  kann  man  nun  die  gegenseitige  Lage 
der  beiden  Linien  verschieben;  und  kann  es  insbesondere  dazu  bringai. 
dass  beide  Linien  den  Punkt  F  gemeinsam  haben.  Dann  kann  in  F 
das  Doppelsalz  neben  den  beiden  Einzelsalzen  bestehen,  und  wir  hab^ 
in  Bezug  auf  die  festen  Stoffe  ein  „kondensiertes  Gleichgewicht'*  (S.  356) 
oder  einen  Umwandlungspunkt. 

Bringt  man  bei  dieser  Temperatur  das  Doppelsalz  mit  Wasser  zu- 
sammen, so  stellt  sich  keineswegs  einfach  eine  gesättigte  Lösung  her.  Dereo 
Zusammensetzung  müsste  ja  durch  den  Punkt  P'  (Fig.  53)  gegeben  sdn, 

da  nur  auf  der  Linie  OP  die  Zusammen- 
setzung der  Lösung  mit  der  des  Doppel- 
salzes übereinstimmt  Es  wird  vielmehr  ein 
Teil  des  Doppelsalzes  zersetzt,  indem  sich 
das  Salz  absdieidet,  das  in  der  Lösung  in 
geringerer  Menge  vorhanden  ist.  Erst  wenn 
sich  auf  diese  Weise  die  dem  Punkte  ent- 
sprechende Lösung  hergestellt  hat,  kann  wei- 
teres Doppelsalz  neben  der  Lösung  unver- 
ändert bestehen  bleiben. 

Erst  bei  einer  anderen  Temperatur, 
wo  die  Lösungslinie  des  Doppelsalzes  dnrcJi 
den  Punkt  P^  geht,  welcher  Gleichheit  der  Zusammensetzung  von 
Lösung  und  Doppelsalz  darstellt,  kann  sich  dieses  in  Wasser  lösen, 
ohne  einen  Bestandteil  in  fester  Form  abzuscheiden.  Auch  sieht  man, 
dass  zwischen  P^  und  dem  Durchschnitt  der  Doppelsalzlinie  mit  BF  ein 
Gebiet  der  Gleichgewichte  des  unzersetzten  Doppelsalzes  besteht  Die 
beiden  Schnittpunkte  stellen  die  beiden  Gleichgewichte  mit  je  zwei  festen 
Stoffen:  Doppelsalz  und  je  einem  Einzelsalz  dar.  Darüber  hinaus  zer- 
setzen Lösungen,  die  mehr  von  dem  Einzelsalz  enthalten,  das  Doppelsalz 
unter  Abscheidung  des  betreffenden  Salzes  in  festem  Zustande. 

Diese  Betrachtungen  lassen  sich  nach  verschiedener  Eichtung  er- 
weitem, darüber  ist  das  oben  erwähnte  Werk  van^t  Hoffs  nachzusehen. 
Gehen  wur  nunmehr  zu  dem  Falle  über,  dass  vier  verschiedene 
Ionen  in  der  Lösung  nebeneinander  vorhanden  sind,  so  werden  wir 
den  Grundsatz  aufstellen,  dass  aUe  möglichen  Verbindungen  zu  unzer- 
legten  Salzen  sich  zwischen  ihnen  bilden  werden.  Es  werden,  wie 
schon  früh  vermutet  worden  war,  alle  möglichen  Salze  entstehen;  dies 
geschieht  aber  meist  nur  zu  einem  geringen  Anteüe,  und  der  grössere 
Anteil  der  Ionen  pflegt  unverbunden  nebeneinander  bestehen  zu  bleiben. 


Fig.  53. 


£  Z^2 


Elektrolytische  Gleichgewiclite.  419 

Insbesondere  ist  keine  Rede  davon  ^  dass  sich  vorwiegend  die  starken^ 
d.  h.  weitgehend  zerfallenen  Säuren  mit  den  starken  Basen  verbinden 
werden,  wie  man  ohne  experimentellen  Beweis  seit  jeher  behauptet  hat. 

Man  kann  zwei  Fälle  unterscheiden:  es  sind  entweder  drei  Ionen 
einer  Art  und  ein  Ion  der  anderen  (also  z.  B.  drei  verschiedene  Kationen 
und  eine  Anion)  vorhanden,  oder  je  zwei  Kationen  und  zwei  Anionen. 
Der  erste  Fall  kann  nach  Analogie  von  S.  410  behandelt  werden,  er 
bietet  kein  besonderes  Interesse.  Der  zweite  stellt  dagegen  ein  altes 
Problem  dar;  unter  ihn  fällt  die  Frage  nach  der  Zersetzung  eines  Salzes 
durch  eine  andere  Säure  und  nach  der  Wecbselzersetzung  zweier  Neutral- 
salze, mit  der  sich  die  allgemeine  Chemie  seit  Jahrhunderten  beschäftigt  hat. 

Bevor  wir  den  Gegenstand  quantitativ  behandeln,  wollen  wir  uns 
durch  eine  allgemeine  Betrachtung  über  das  Wesentliche  dieser  Erschei- 
nungen zu  orientieren  suchen,  da  die  dm'ch  die  Dissociationstheorie  ge- 
botenen Anschauungen  in  vielen  Stücken  von  denen  abweichen,  die  der 
auch  heute  noch  meist  üblichen  Darstellung  zu  Grunde  liegen. 

Wie  früher  bemerkt  worden  ist,  sind  die  Lösungen  fast  aller  Salze 
ziemlich  stark  gespalten,  ebenso  die  der  starken  Mineralsäuren.  Mischen 
wir  z.  B.  eine  verdünnte  Lösung  von  Salzsäure,  welche  fast  nur  freie 
Ionen  H*  und  Gl'  enthält,  mit  einer  ebenfalls  verdünnten  Lösung  eines 
Salzes,  das  wir  allgemein  mit  MA  bezeichnen  wollen,  wo  M  das  Metall 
und  A  das  Säureradikal  ist,  so  wird  zum  Gleichgewicht  erforderlich  sein, 
dass  alle  positiven  und  negativen  Ionen  in  Bezug  auf  die  möglichen  Ver- 
bindungen im  Dissociationsgleichgewicht  stehen.  Ist  nun  die  Säure  des 
Salzes  im  freien  Zustande  ebenfalls  stark  dissociiert,  so  wird  das  Gleich- 
gewicht zwischen  dem  Wasserstoff  der  Salzsäure  und  dem  Säureradikal  A 
gleichfalls  annähernd  vorhanden  sein.  Ist  aber  die  Säure  HA  nur  in 
sehr  geringem  Masse  dissociiert,  wie  z.  B.  Essigsäure,  so  werden  der 
Wasserstoff  der  Salzsäure  und  das  Säureradikal  aufeinander  wirken,  um 
nichtdissociierte  Molekeln  HA  zu  bilden,  bis  die  übrigbleibende  Salzsäure 
mit  der  gebildeten  Säure  HA  isohydrisch  geworden  ist.  Das  Ergebnis 
wffd  also  sein,  dass  sich  auf  Kosten  des  Salzes  MA  und  der  Säure  eine 
gewisse  Menge  der  Säure  HA  gebildet  haben  wird,  welche  um  so  grösser 
ist,  je  weniger  die  Säure  dissociiert  ist,  je  schwächer  sie  also  ist. 

Dies  ist  im  Lichte  der  Dissociationstheorie  der  Vorgang,  welchen 
man  bisher  die  Verdrängung  der  schwächeren  Säure  aus  ihrem  Salz 
durch  eine  stärkere  Säure  genannt  und  einer  besonderen  chemischen 
Verwandtschaftskraft  zwischen  dem  Metall  und  den  verschiedenen  Säure- 
radikalen zugeschrieben  hat.  Wir  sehen,  dass  die  Ursache  nur  in  der  Natur 
der  Säure  liegt;  das  Metall  des  Salzes  kommt  nicht  wesentlich  in  Be- 
tracht, denn  es  hat  nur  dazu  gedient,  durch  seine  Gegenwart  das  Ion 
der  Säure  im  dissociierten  Zustande  zu  erhalten.  Dadurch  erklärt  sich 
das  empirisch  gefundene  Gesetz  (Ostwald  1878),  dass  das  Verhältnis,  in 
welchem  eine  Säure  durch  eine  andere  aus  dem  Salze  „verdrängt"  wird, 
von  der  Natur  des  basischen  Bestandteils  nicht  abhängt.    Der  wirksame 

27* 


1 


420  I^   Elektrochemie. 


Bestandteil^  d.  h.  der  sich  durch  den  Vorgang  verändernde,  ist  aber 
nicht  die  starke  Säure^  sondern  gerade  die  schwache.  Denn  Aem 
Neigung,  in  den  nicht  dissocüerten  Znstand  überzugehen,  ist  die  einäge 
Ursadie,  dass  eine  Reaktion  eintritt. 

In  gleicher  Weise  muss  nun  auch  ein  anderer  Vorgang  aufgefasst 
werden,  die  Neutralisation  einer  Säure  durch  eine  Basis.  Sind  in  dem 
Salze  die  beiden  Ionen  dissociiert,  so  erscheint  es  im  ersten  AugenbHek 
unbegreiflich,  warum  denn  Säure  und  Basis  überhaupt  aufeinander  wir- 
ken, da  doch  ihre  wirksamen  Bestandteile,  das  Metall  und  das  Sänre- 
ion,  gar  nicht  miteinander  in  Verbindung  treten. 

Letzteres  ist  richtig;  die  Salzbildung  in  wässeriger  Lösung  bestdit 
in  der  That  nicht  in  einer  Verbindung  dieser  beiden  Bestandteile  von 
Säure  und  Basis,  sondern  in  der  Verbindung  der  beiden  anderen, 
des  Wasserstoffs  der  Säure  mit  dem  Hydroxyl  der  Basis. 
Denn  das  Wasser  ist  em  Elektrolyt  mit  ausserordentlich  kleiner  DiiKO- 
ciation  (S.  402).  Somit  können  in  derselben  Flüssigkeit  die  Ionen  des 
Wassers  nicht  unverbunden  nebeneinander  bestehen,  sondern  müssen  sieh, 
so  wie  sie  zusammenkommen,  zu  gewöhnlichem  Wasser  vereinigen.  Der 
Neutralisationsvorgang  in  wässeriger  Lösung  ist  also  nichts  als  eine 
Wasserbildung  (S.  276). 

Wir  müssen  nun  allgemein  die  Bedingungen  feststellen,  waUs 
welchen  zwischen  vier  Ionen,  zwei  Anionen  A^,  Aj  und  zwei  Kationen, 
B],  Bg,  sich  ein  chemisches  Gleichgewicht  herstellt.  Diese  Bedingung^ 
lassen  sich  in  folgenden  Satz  fassen:  Stellt  man  von  den  vier  Salzen  A^Bj 
AjBg,  A^Bj  und  A^B^  lauter  isohydrisdie  Lösungen  dar  ^dem  A|B, 
mit  AjBg,  dieses  mit  A^Bg  und  dieses  wieder  mit  A^B^  isohydrisch  ge- 
macht wird),  und  vermischt  dieselben  in  solchen  Volumen  a,   b,   c  und 

d,  dass  die  Gleichung 

ad  =  bc 

erfiillt  wird,  so  sind  und  bleiben  die  Stoffe  im  Gleichgewicht  (Arr- 
henius  1890). 

Bezeichnet  man  die  nichtdissocüerten  Mengen  der  vier  Salze  mit 
^9  ßf  7f  ^7  ^^^  achtet  darauf,  dass  sich  die  dissocüerten  Anteile  ver- 
halten wie  die  Volume  (weü  die  Lösungen  nach  der  Voraussetzung  iso- 
hydrisch sind),  also  mit  ha,  hb,  hc,  hd  bezeichnet  werden  können,  wo 
h  eine  Konstante  ist,  so  nehmen  die  Gleichgewichtsgleichungen  folgende 
Gestalt  an:  i 


ha\«    ,     ß       /hb\ 

kj  ^-  =  (  ^- )    u.  s.  w., 


8  Q  /l,K\8 

a 
oder  kja=h*a,         k2JS  =  h*b  u.  s.  w. 


b       V 


Denken  wir  uns  nun  die  vier- Volume  a,  b,  c  und  d  miteinander  ver- 
mischt, so  werden  neue  Gleichgewichtsbedingungen  eintreten,  indem  die 
Gleichungen  folgende  Gestalt  annehmen: 


k, 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  421 

a  h2(a  +  b)(a  +  c) 


a  +  b  +  c  +  d       (a-t-b  +  c  +  d)«' 


t  1 h»(b  +  a)(b  +  d)    ^^    ^    ^ 

•^a  +  b  +  c  +  d"  (a+b  +  c  +  d)«   ""'  *•  '^• 

Denn  in  dem  Gemenge  ist  von  dem  nichtdissociierten  Stoflfe  AjBj 
nach  wie  vor  die  Menge  a,  aber  im  Volum  a  +  b  +  c  +  d  vorhanden. 
Von  den  dissociierten  Anteilen  A^  und  B^  stammt  die  Menge  a  von 
Aj  ans  der  Lösung  von  A^B^  und  dazu  kommt  die  Menge  b  aus  der 
Lösung  A^B^;  von  B|  ist  die  Menge  a  aus  der  ersten  Lösung  A^B^ 
und  die  Menge  c  aus  der  dritten  Lösung  A^Bj  vorhanden;  jede  Menge 
muss  wiederum  durch  das  Gesamtvolum  a  +  b  +  c  +  d  dividiert  wer- 
den^ um  die  Konzentration  zu  geben.  Auf  gleiche  Weise  ergeben  sich 
auch  die  anderen  Gleichungen. 

Die  letzten  Gleichungen  reduzieren  sich  auf 

h«(a«  +  ab  +  ac  +  bc)    ,    ^      h«(b«  +  ab  +  bd  +  ad) 

^  a  +  b  +  e  +  d        '     ^"^  a  +  b  +  e  +  d 

Damit  nun,  wie  verlangt  wird,  der  Dissociationszustand  der  vier  Stoffe 
unverändert  bleibe,  ist  erforderlich,  dass  die  Beziehungen  zwischen  a  und 
«,  b  und  ß  u.  s.  w.  dieselben  bleiben,  wie  in  den  ursprüngh'chen  Lö- 
sungen. Aus  denselben  und  den  obenstehenden  Gleichungen  geht  durch 
Division  hervor 

a*  +  ab  +  ac  +  bc        b*  +  ab  +  bd  +  ad 

^—      a  +  b  +  c  +  d      '  ^—       a  +  b  +  c  +  d        '''^''^' 

woraus  ad  =  bc;  ad  =  bc  u.s.  w. 

'  d.  h.  damit  der  Dissociationszustand  unverändert  bleibt,  ist  nötig,  dass 
die  Bedingung 

ad  =  bc 
erfüllt  werde. 

Nun  sind  die  Volume  a,  b,  c  und  d  proportional  den  wirksamen 
oder  dissociierten  Anteilen  der  verschiedenen  Elektrolyte,  und  zwar  ge- 
hören a  und  d  den  Stoffen  AjB^  und  A^Bg  an,  welche  bei  der 
Wechselwirkung  AjBg  und  A^Bj  geben.  Die  dissociierten  Mengen  sind 
wieder  den  gesamten  Mengen,  die  P|,  pg,  qi  und  q^  heissen  sollen,  pro- 
portional, wenn  jede  mit  dem  Dissociationsfaktor  m^,  m,,  m^  und  m^ 
des  betreffenden   Stoffes  multipliziert  wird.     Dadurch   erhalten  wir   die 

Gleichgewichtsformel 

mjPj.mjP^  =m3qj.m4q,. 

Wie  man  sieht,  stellt  diese  Formel  nicht  nur  das  Guldberg- Waagesche 
Gesetz  der  Massenwirkung  (S.  309  u.  360)  dar,  in  dem  mam^/m^m^ssssK 
zu  setzen  ist,  sondern  sie  enthält  auch  die  Erweiterung  (Ostwald  1875), 
nach  welcher  die  Koeffizienten  in  je  zwei  Faktoren  zerfallen,  von  denen 
einer  nur  von  der  Säure,  der  andere  nur  von  der  Basis,  d.  h.  der  eine 
nur  vom  positiven  und  der  andere  nur  vom  negativen  Ion  abhängt 


422  IX.  Elektrochemie. 

Die  Gleichung  enthält  aber  noch  mehr,  als  jene  empirisdie  Be- 
ziehung. Denn  sie  zeigt,  dass  die  Koeffizienten  m^mg . . . .,  welche  früher  als 
Konstanten  behandelt  wurden,  dies  in  der  That  nidkt  sind.  Die  Dissociation^ 
koeffizienten  hängen  ausser  von  der  Natur  der  Stoffe  selbst  nodi  von 
der  Gegenwart  anderer  Stoffe,  welche  das  gleiche  Ion  enthalten,  ab,  und 
können  mehr  oder  weniger  erhebliche  Änderungen  dadurch  erleiden. 
Hierin  liegt  die  Erklärung  für  die  mancherlei  Ausnahmen,  welche  sieh 
bei  Elektrolyten  von  der  Form  des  Massenwirkungsgesetzes  gezeigt  haben, 
in  welcher  die  beiden  Koeffizienten  als  konstant  angesehen  wnrden. 

Wie  diese  Formel  zur  Berechnung  verschiedenartiger  Gleichgewichte 
zwischen  vier  „konjugierten"  Elektrolyten  angewendet  wird,  kann  hier  nicht 
ausführlich  gezeigt  werden.  Man  kann  zunächst  beweisen,  dass  die  Disso- 
ciation  einer  schwachen  Säure  bei  Gegenwart  beliebiger  stark  dissociierter 
Elektrolyte  so  erfolgt,  als  wären  diese  alle  das  Neutralsalz  dieser  Säure; 
ihre  Dissociation  ist  demnach  (S.  413)  der  Konzentration  dieser  Fremdstoffe 
umgekehrt  proportional.  Weiter  lässt  sich  zeigen,  dass  bei  der  „Konkur- 
renz zweier  Säuren  um  eine  Base",  d.  h.  der  gleichzeitigen  Anwesenheit 
zweier  Anionen,  eines  beliebigen  Kations  und  von  Wasserstoff ionen ,  alle  in 
äquivalenten  Mengen,  sich  die  Base  zwischen  den  Säuren  im  Verhält- 
nis ihrer  Dissociationsgrade  bei  der  angewandten  Verdünnung 
teilen.  Das  heisst,  stellt  man  Lösungen  dar,  welche  je  eine  Säure  und  ihr 
Neutralsalz  in  dem  angegebenen  Verhältnis  enthalten,  so  entsteht  bei  der  Ver- 
mischung dieser  beiden  Lösungen  keine  Reaktion. 

Diese  Beziehungen  haben  ein  Interesse  in  Bezug  auf  ältere  Versuche  zur 
Bestimmung  der  relativen  „Stärke"  der  Säuren,  und  sind  deshalb  erwähnt 
worden;  die  Einzelheiten  können  an  dieser  Stelle  nicht  erörtert  werden. 

Em  besonders  wichtiger  Fall  des  Gleichgewichts  zwischen  vier  Ionen 
tritt  in  den  Lösungen  einfacher  Salze  ein,  wenn  die  Ionen  des  Wassers 
sich  in  messbarer  Weise  am  Gleichgewicht  beteiligen.  Dies  kann  nur 
geschehen,  wenn  wenigstens  eines  der  Salzionen  mit  dem  Wasserstoff, 
bez.  dem  Hydroxyl  des  Wassers  eine  so  wenig  dissociierte  Verbindung 
bildet,  dass  deren  Dissociationsgrad  mit  dem  des  Wassers  (S.  402)  ver- 
gleichbar ist,  d.h.  wenn  es  sich  um  das  Salz  einer  sehr  schwachen  Säure 
oder  Base  handelt. 

Um  zunächst  in  grossen  Zügen  den  Erfolg  eines  derartigen  Ver- 
hältnisses kennen  zu  lernen,  denken  wir  uns  das  Natriumsalz  einer  sehr 
schwachen  Säure,  z.  B.  des  Phenols.  Das  Phenolion  bildet  mit  dem 
Wasserstoff  die  sehr  wenig  dissociierte  Verbindung  Phenol;  es  wird  also, 
wenn  durch  das  Salz  eine  grosse  Menge  dieser  Ionen  in  die  Losung 
gebracht  wird,  sich  eine  merkliche  Menge  der  Verbindung  bilden. 
Dies  kann  nicht  anders  geschehen,  als  indem  die  gleidie  Menge  von 
Hydroxylionen  aus  dem  Wasser  frei  gemacht  wird,  und  die  Lösung 
wird  daher  neben  einer  messbaren  Menge  Phenol  auch  eine  messbare 
Menge  Hydroxylionen  enthalten.  Sie  wurd  wegen  des  ersteren  Umstandes 
nach  Phenol  riechen  (da  Ionen  nicht  flüchtig  sind,   S.  400,   so  können 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  423 

sie  auch  nicht  riechen^  und  ein  etwaiger  Geruch  muss  von  freiem  Phenol 
herrühren),  wegen  der  Hydroxylionen  wird  die  Lösung  alkalisch  reagieren. 
Denn  die  alkalische  Reaktion,  die  den  Lösungen  der  Basen  eigen  ist, 
rührt  nur  von  deren  gemeinsamem  BestandteO,  den  Hydroxylionen  her^). 

Die  Lösung  wu*d  also  zeigen,  dass  ein  Teil  des  Natrons  und  des 
Phenols,  aus  denen  man  das  Phenolnatrium  zusammensetzen  kann,  unter 
diesen  Umständen  nicht  in  Verbindung  treten,  sondern  nebeneinander 
bestehen  bleiben.  Da  sie  in  festem  Phenolnatrium  jedenfalls  in  Verbin- 
dung waren,  so  sind  sie  durch  die  Wu-kung  des  Wassers  in  Säure  und 
Base  gespalten  worden.     Daher  nennt  man  den  Vorgang  Hydrolyse. 

Ganz  ähnliche  Erwägungen  treten  em,  wenn  es  sich  um  die  Ver- 
bmdung  einer  starken  Säure  mit  einer  schwachen  Base  handelt:  die  Lö- 
sung wird  sauer  reagieren,  da  eine  gewisse  Menge  von  Hydroxylionen 
zur  Bildung  undissocüerter  Base  aus  dem  Salze  verbraudit  und  die  ent- 
sprechende Menge  von  Wasserstoffionen  gebildet  worden  ist.  Die  Lö- 
sung muss  sauer  reagieren,  und  ausserdem  die  Eigenschaflien  der  nichtzer- 
legten  Base  erkennen  lassen. 

Wenn  schliesslich  beide  Bestandteile  des  Salzes  schwach  sind,  oder 
wenig  dissodierte  Elektrolyte  darstellen,  so  wh'd  nur  der  Teil  der  vor- 
stehenden Erwägungen  in  Geltung  bleiben,  der  sich  auf  die  Bildung  der 
nieht  gespaltenen  Verbindungen  aus  den  Ionen  des  Salzes  und  des 
Wassers  bezieht  Die  Ionen  des  Wassers  werden  aber  beide  verbraucht, 
und  die  Flüssigkeit  wird  daher  keine  saure  oder  alkalische  Reaktion 
zeigen.  Genau  gilt  dies  allerdings  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass 
die  Dissociationskonstanten  der  beiden  Stoffe  von  gleicher  Grösse  sind; 
sind  sie  verschieden,  so  wird  die  Lösung  sauer  reagieren,  wenn  die 
Säure  die  grössere  Konstante  bat,  und  umgekehrt. 

Die  entsprechenden  Rechnungen  gestalten  sich  wie  folgt.  Es  seien  nach- 
stehende Konzentrationen  gegeben:  Anionenasa,  Wasserstoffionen  ^p»  h, 
Kationen  =»  b,  Hydroxylionen  «=  y,  ungespaltene  Säure  =  S,  ungespaltene 
Base  =  B,  so  gelten  zunächst  die  Gleichungen  ah  ==»  k^  S;  by  =  kj  B;  hy  «=  K. 
Die  erste  Gleichung  giebt  die  Beziehungen  zwischen  den  Anionen  und  den 
Wasserstoffionen  der  Säure,  k^  ist  also  die  Dissociationskonstante  der  Säure. 
Die  zweite  Gleichung  giebt  dieselbe  Beziehung  für  die  Base.  Die  dritte  stellt 
das  Gleichgewicht  zwischen  den  Wasserstoff-  und  den  Hydroxylionen  im 
Wasser  dar;  K  ist  die  Dissociationskonstante  des  Wassers,  die  sich  nach 
der  Angabe  von  S.  402,  nach  welcher  die  Konzentration  der  beiden  Ionen 
bei  18«  gleich  0-078  x  10-6  ist,  zu  K  =  0-61  x  lO-l^  ergiebt. 

Hat  man  den  Fall  eines  Salzes,  das  aus  einer  schwachen  Säure  und 
einer  starken  Base  gebildet  ist  (z.  B.  Natriumphenolat),  so  ergiebt  sich  aus 
der  Verbindung  der  ersten  Gleichung  mit  der  dritten  yS/a^K/kj.  Nun 
ist  y  die  Konzentration  des  Hydroxyls;  wenn  man  neutrales  Salz  gelöst  hat, 
so  muss  S,  die  Konzentration  der  freigemachten  Säure  (die  so  gut  wie  gar 


»)  Die  Theorie  der  Indikatoren  wird  weiter  unten  dargelegt  werden. 


424  IX.   Elektrochemie. 

.  nicht  dissociiert  ist),  ebenfalls  gleich  y  sein ;  a,  die  Konzentration  des  Anion^ 
ist  wieder  wegen  der  fast  vollständigen  Dissociation  des  Salzes  gleich  der 
Konzentration  dieses  letzteren.  K  und  kj  sind  Konstanten,  Die  Hydrolyse 
wird  durch  den  Betrag  von  y  gemessen,  und  es  gilt  eine  Gleichung  von  der 
Form  y* "—  ka  (wo  k  =*  K/k^),  welche  der  für  die  Dissociation  einer  wenig  disso- 
ciierten  Säure  oder  Base  gleicht:  bei  geringer  Hydrolyse  schreitet  sie  un^- 
kehrt  proportional  der  Quadratwurzel  aus  der  Konzentration  yor,  bei  grosserer 
langsamer,  und  das  Verhältnis  des  Quadrats  des  hydrolysierten  Teils  zu  dem 
nicht  hydrolysierten  ist  konstant. 

Man  sieht  femer,  dass  man  in  der  ursprunglichen  Gleichung  y  S  /a  «»  K/k, 
durch  Vermehrung  von  S  den  Wert  von  y  beliebig  klein  machen  kann,  und 
zwar  genügt  schon  eine  bescheidene  Vermehrung  von  S,  d.  h.  ein  kleiner  Über- 
schuss  der  nicht  dissociierten  Säure,  um  y  entsprechend  zu  verkleinem.  So  ist 
z.  B.  Natriumphenolat  der  Verdünnung  von  101  zu  0-08  hydrolysiert;  setzt 
man  nur  einen  Überschuss  von  0>08  Phenol  dazu,  so  geht  die  Hydrolyse  auf 
0*05  herab.  Da  dieser  Überschuss  nur  unmessbar  wenig  dissociiert  ist,  so  be- 
einflusst  er  das  Leitvermögen  nicht,  und  man  kann  auf  solche  Weise  den 
wahren  Wert  der  Wanderungsgeschwindigkeit  auch  solcher  Ionen  bestimmen, 
deren  Salze  hydrolytische  Spaltung  erfahren  (Bredig  1894). 

Ganz  dieselben  Überlegungen  und  Formeln  gelten  für  Salze  aus  starken 
Säuren  und  schwachen  Basen. 

Dagegen  treten  andere  Verhältnisse  ein,  wenn  Säure  und  Base  schwach 
sind.  In  der  Gleichung  y  S/a  ==  K/k^  wird  die  Konzentration  der  Hydroxylionen 
nicht  mehr  gleich  dem  Betrage  der  Hydrolyse  gesetzt  werden  können,  sondern 
die  freigemachte  Base  ist  nur  zu  einem  sehr  kleinen  Teil  dissociiert,  da  sie 
sich  in  Gegenwart  ihres  Neutralsalzes  befindet.  Für  diesen  Fall  gilt  aber 
(S.  413)  die  Beziehung,  dass  die  Konzentration  der  Hydroxylionen  von  der 
Verdünnung  unabhängig  ist;  es  wird  also  y  konstant.  Dadurch  wird  S/a  kon- 
stant. Betrachten  wir  wieder  eine  Lösung,  die  äquivalente  Mengen  von  Säure 
und  Base  enthält,  so  ist  S  die  Konzentration  der  nicht  dissociierten  freien 
Säure,  giebt  also  den  Betrag  der  Hydrolyse^  während  a  als  Konzentration 
des  Anions  den  Betrag  des  Salzes  giebt,  der  nicht  hydrolytisch  gespalten  ist, 
da  wir  das  Salz  als  vollständig  elektrolytisch  dissociiert  voraussetzen.  Pie 
Gleichung  S/a  »=  konst  besagt  also,  dass  das  Verhältnis  des  hydrolytisch 
gespaltenen  Bruchteils  des  Salzes  zu  dem  ungespaltenen  unab- 
hängig von  der  Konzentration  ist 

Zwischen  diesem  Ergebnis  bei  der  Anwesenheit  zweier  schwadier 
Elektrolyte  und  dem  vorher  entwickelten  für  den  Fall  eines  schwachen 
Elektrolyts  besteht  dieselbe  Beziehung,  wie  zwischen  der  Dissociation  einer 
schwachen  Säure  mit  oder  ohne  Gegenwart  ihres  Neutralsalzes:  die  hydro- 
lytische, bez.  elektrolytische  Spaltung  ist  in  einem  Falle  unabhängig  von  der 
Verdünnung,  im  anderen  proportional  der  Quadratwurzel  aus  derselben. 

Es  soll  noch  ausdrücklich  bemerkt  werden,  dass  den  gemachten  An- 
sätzen entsprechend  die  Formeln  und  Gesetze  nur  für  die  Verbindungen  ein- 
wertiger Ionen  gelten.   Auch  die  mehrwertigen  sind  bereits  in  manchen  Fällen 


Elektroly tische  Gleichgewichte.  425 

bearbeitet  worden;  doch  wird  hier  auf  die  Darstellung  dieser  verwickeiteren 
Verhältnisse  yerzichtet.  Ebenso  sind  die  ausgesprochenen  Regeln  nur  An- 
näherungen, die  durch  bestimmte  Vernachlässigungen  erhalten  sind,  welche 
übrigens  jedesmal  angegeben  werden.  Die  wirklichen  Verhältnisse  werden 
also  mehr  oder  weniger  grosse  Abweichungen  zeigen;  doch  sind  die  meisten 
theoretischen  Ergebnisse  so  weit  mit  den  Thatsachen  verglichen  und  in  Über- 
einstimmung gefunden  worden,  dass  man  sie  auch  nach  der  experimentellen 
Seite  als  gesichert  ansehen  darf. 

Auf  Grund  der  vorstehend  entwickelten  Verhältnisse  lässt  sich  nun 
eine  Theorie  der  alkalimetrischen  und  acidimetrischen  Indi- 
katoren (Ostwald  1894)  entwickeln,  welche  in  der  analytischen  Chemie 
die  wohlbekannte  Anwendung  finden.  Sie  bestehen  aus  FarbstoflTen,  die 
sich  verfärben,  wenn  die  Lösung  aus  dem  sauren  Zustand  in  den  alka- 
lischen übergeht;  auch  weiss  man,  dass  die  verschiedenen  Indikatoren 
sich  verschieden  verhalten,  indem  einige  sich  för  die  Titration  gewisser 
Säuren  oder  Basen  eignen,  andere  nicht. 

Ein  alkalimetrischer  Indikator  ist  immer  einer  Säure  oder  Base, 
deren  Ion  eine  andere  f^bung  zeigt,  als  die  nichtdissociierte  Verbindung» 
Die  Indikatoren  zerfallen  demgemäss  zunächst  in  die  zwei  Klassen  der 
sauren  und  basischen.    Wir  betrachten  zunächst  die  sauren. 

Damit  eme  farbige  Säure  als  Indikator  dienen  kann,  darf  sie  keine 
ganz  starke  Säure  sein.  Eine  solche  ist  in  der  verdünnten  Lösung, 
die  hier  immer  vorhanden  ist,  bereits  in  ihre  Ionen  zerfallen  und  kann 
daher  gar  keinen  Farbwechsel  zeigen,  da  die  Ionen  bei  der  Neutrali- 
sation, d.  h.  Salzbildung  unverändert  bleiben.  Ein  Beispiel  hierfür 
bietet  daß  Ion  MnO'4  ^^^  Permanganate.  Ist  die  Säure  dagegen 
schwach,  so  wird  sie  bei  überschüssiger  Base,  also  bei  Gegenwart  von 
viel  Hydroxylionen  und  dementsprechend  verschwindend  wenig  Wasser- 
stoffionen im  lonenzustande  in  der  Lösung  sein.  Wird  mehr  und  mehr 
Säure  zugesetzt,  so  kommt  ein  Zustand,  wo  durch  die  zugefügten 
Wasserstoffionen  die  Hydroxylionen  fast  verbraucht  sind  und  ein  kleiner 
Überschuss  von  Wasserstoffionen  auftritt.  Alsbald  werden  sich  diese  mit 
dem  Anion  der  Farbsäure  oder  des  Indikators  verbinden,  und  dieser  geht 
in  die  anders  geförbte  ungespaltene  Verbindung  über. 

So  ist  das  Anion  des  Phenolphtaleins  rot,  die  ungespaltene  Ver- 
bindung &rblos.  Das  Anion  des  Lackmusfarbstoffes  ist  blau,  die  nicht 
dissodierte  Verbindung  rot,  u.  s.  w. 

Nun  kann  man  aber  bekanntlich  mit  Phenolphtalein  zwar  schwache 
Säuren  titrieren,  man  muss  sich  dazu  aber  einer  starken  Base,  z.  B. 
des  Barytwaflsers  bedienen.  Bei  Gegenwart  einer  schwachen  Base,  z.  B. 
des  Ammoniaks,  ist  Phenolphtalein  unbrauchbar,  denn  man  erhält  kernen 
bestimmten  Farbwechsel,  sondern  allmähliche  Übergänge. 

Die  Ursache  ist,  dass  dieser  Farbstoff  eine  sehr  schwache  Säure 
ist;  ihre  Salze  mit  schwachen  Basen  sind  daher  hydrolytisch  gespalten, 
und    schon  bevor  Wasserstoffionen   in    grösserer  Menge  auftreten,  wird 


426  I^-  Elektrochemie. 

ein  grösserer  und  grösserer  Teil  der  Ionen  in  die  farblose  nichtdissoeiieris 
Verbindung  übergeführt.  Ist  dagegen  die  Base  stark,  so  ist  die  Hydrolyse 
«ehr  gering;  und  der  Farbübergang  ist  bestimmt 

Will  man  schwache  Basen  mit  einem  sauren  Indikator  titrieren,  so 
muss  man  als  solchen  eine  etwas  stärkere  Säure  wählen,  die  nicht  er- 
hebliche Hydrolyse  ergiebt.  Eine  solche  ist  das  Methylorange,  die  Sulfo- 
fiäure  des  Dimethylamidoazobenzols.  Ihr  Ion  ist  gelb,  wälirend  die  nn* 
gespaltene  Verbindung  rot  ist;  dem  entsprechen  die  Farben  in  alkaüsdicr 
und  saurer  Lösung. 

Mit  Methylorange  kann  man  zwar  schwache  Basen  titrieren,  man 
muss  aber  dazu  starke  Säuren,  wie  Salzsäure  oder  Schwefelsäure  an- 
wenden. Mit  schwachen  Säuren,  wie  Essigsäure,  erhält  man  keinen  be- 
stimmten Farbumschlag,  sondern  langsame  Übergänge.  Dies  rührt  daher, 
dass  die  ersten  Spuren  Essigsäure,  die  in  Gegenwart  ihres  Neutralsalzes 
in  der  Flüssigkeit  au:ftreten,  nur  sehr  wenig  Wasserstoffionen  abspalten^ 
so  wenig,  dass  sich  diese  nicht  genügend  mit  den  Ionen  des  Farbstoffes 
vereinigen  können.  Es  entsteht  vielmehr  ein  chemisches  Gleichgewidit 
das  sich  alhnählich  mit  steigender  Menge  Essigsäure  zu  gunsten  der  un- 
gespaltenen Färbsäure  verschiebt,  aber  sich  über  ein  so  brdtes  Konzah 
trationsgebiet  erstreckt,  dass  die  genaue  Messung  vereitelt  wird. 

Daraus  ergeben  sich  die  Regehi:  schwache  Säuren  müssen  mit  einer 
starken  Base  und  einer  schwachen  Farbsäure  titriert  werden,  schwache 
Basen  mit  einer  starken  Säure  und  einem  mittelsauren  Farbstoff. 

Ganz  ähnliche  Betrachtungen  sind  für  die  Farbstoff b äsen  anzn- 
stellen,  die  man  ebenso  als  Indikatoren  brauchen  kann,  wenn  ihre  Ionen 
andere  Farbe  zeigen,  als  der  ungespaltene  Stoff.  Nur  sind  die  Eeg^ 
umzukehren:  schwache  Säuren  verlangen  einen  stärker  basischen  Farb- 
stoff, schwache  Basen  einen  möglichst  schwachen. 

Praktisch  ist  zu  bemerken,  dass  unter  den  sauren  Farbstoffen 
Phenolphtalein  einer  der  schwächsten  Säuren  ist.  Dann  kommt  Lackmus^ 
Kochenille,  Rosolsäure,  Nitrophenol,  und  zuletzt  Methylorange  als  stärkste 
Säure,  die  als  Indikator  Anwendung  findet.  Basische  Indikatoren  sind 
kaum  im  Gebrauch. 

An  die  bisher  behandelten  elektrolytischen  Gleichgewichte  in  einer 
Flüssigkeit  schliessen  sich  die,  bei  denen  mehrere  Phasen  auftreten. 
Die  wichtigsten  sind  die  mit  festen  Phasen;  die  Frage,  unter  weldhen 
Umständen  bei  der  Wechselwirkung  zweier  Salze  ein  Niederschlag  und 
somit  eine  gegenseitige  Zersetzung  eintritt,  hat  seit  den  Tagen  Stahls 
und  Bergmanns  die  Forscher  beschäftigt. 

Im  Anschluss  an  die  Darlegimgen  von  S.  414  wird  man  allgemein 
sagen  können,  dass  jedem  festen  Salze  bei  einer  bestimmten  Temperatur 
eine  bestimmte  Löslichkeit  zukommt,  welche  durch  die  Konzentration  c 
des  nicht  dissociierten  Anteils  in  der  Lösung  bestimmt  ist.  Diese  Menge 
ist  wieder  durch  die  Konzentration  der  Ionen  a  und  b  in  der  Lösung 
bestimmt.     Zwischen  den  dreien  besteht  die  Beziehung  a™  b^  =  kc,  wo 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  427 

m  und  n  die  Zahlen  der  Ionen  im  Salze  sind.  Nennt  man  die  Grösse 
^™b°  das  Löslichkeitsprodukt,  so  wird  also  jedesmal  in  einer  Lösung 
eine  Fällung  möglich  sein^  wenn  das  Löslichkeitsprodukt  überschritten  ist  ^). 

Bringt  man  also  in  einer  Lösung  solche  Ionen  zusammen^  aus  denen 
«ich  ein  Salz  mit  kleinerem  Löslichkeitsprodukt  bilden  kann,  so  ist  jedes- 
mal Übersättigung  vorhanden,  und  es  wird  Fällung  eintreten,  wenn  das 
metastabile  Gebiet  überschritten  ist,  oder  Keime  zugegen  sind.  Dieser 
«in^he  Satz  umfasst  die  ganze  Theorie  der  Fällungsreaktionen  an 
Elektrolyten. 

Einfache  Fälle,  wie  sie  bei  der  Wechselwirkung  der  Ionen  neutraler 
^alze  eintreten,  erledigen  sich  hierdurch  ohne  weiteres;  die  Fällung  von 
Calcinrnsalzen  durch  Ammoniumoxalat,  von  Sulfaten  durch  Baryum-  oder 
Bleisalzen  bedürfen  keiner  Erklärung. 

Etwas  verwickeitere  Verhältnisse  treten  ein,  wenn  der  eine  oder 
andere  der  beteiligten  Elektrolyten  nicht  wie  die  meisten  Neutralsalze 
praktisch  vollständig  dissociiert  ist.  Hier  sind  zuerst  die  f^llungen  durch 
Säuren  zu  erwähnen,  deren  theoretische  Bewältigung  früher  Schwierig- 
keiten machte.  Während  alle  Baryumsalze  auch  durch  freie  Schwefel- 
säure gefällt  werden,  ist  zwar  die  Fällung  des  Caldumacetats  durch 
freie  Oxalsäure  praktisch  vollständig,  nicht  aber  die  des  Calciumnitrats, 
und  die  Gegenwart  freier  Salpetersäure  im  letzteren  Falle  kann  sogar 
^ie  FäUung  völlig  verhindern. 

Die  Ursache  ist  die,  dass  die  Schwefelsäure  eine  starke,  d.  h.  weit- 
gehend dissociierte  Säure  ist,  während  die  Oxalsäure  zu  den  schwächeren 
gehört.  Sind  in  der  Lösung  Wasserstoflfionen  neben  denen  der  Schwefel- 
säure vorhanden,  so  verbinden  sie  sich  nur  zu  einem  geringen  Teile 
miteinander  zu  nichtdissociierter  Schwefelsäure^.  Bei  der  Oxalsäure  ist 
dagegen  diese  Verbindung  reichlich,  namentlich  wenn  überschüssige 
Wasserstoffionen  zugegen  sind;  dadurch  verschwinden  Oxalsäureionen  aus 
der  Lösung,  und  man  kommt  bald  zu  einem  Punkte,  wo  das  Löslich- 
keitsprodukt nicht  mehr  erreicht  ist 

Daraus  ergiebt  sich  das  Gesetz,  dass  Säuren  zwar  die  Fällung 
schwerlöslicher  Salze  wenig  dissociierter  Säuren  verhindern  können,  nicht 
aber  die  von  Salzen  stark  dissociierter  Säuren. 

Die  Erfahrung  bestätigt  diesen  Schluss  allgemein;  die  Halogenver- 
bindiingen  des  Silbers  sind  in  anderen  Säuren  praktisch  unlöslich,   weil 


*)  Ist  die  Überschreitung  nicht  gross,  so  braucht  eine  Fällung  nicht  not- 
"wendig  einzutreten,  wenn  die  vorhandene  Übersättigung  noch  im  metastabilen 
l^ebiete  liegt.  Hat  aber  die  Fällung  begonnen,  so  schreitet  sie  auch  bis  zum 
Gleichgewichte  vor. 

')  Von  der  Betrachtung  der  durch  teilweise  Abspaltung  des  Wasserstoffs 
entstehenden  einwertigen  Ionen  der  beiden  Säuren  ist  der  Einfachheit  wegen 
abgesehen  worden.  Die  Verhältnisse  werden  dadurch  quantitativ  etwas  ver- 
schoben, bleiben  aber  im  Wesen  die  gleichen. 


428  IX.   Elektrochemie. 

die  Halogenwasserstoffsäuren  zu  den  stärkst  dissociierten  gehören.  An- 
dererseits sind  die  Salze  der  schwachen  Phosphorsäure,  und  die  der 
noch  schwächeren  Kohlensäure  nicht  nur  in  den  starken  Miaeralsänrei 
löslich^  sondern  erstere  zum  Teil,  letztere  alle  in  Essigsäure. 

Ganz  dieselben  Erwägungen  bestimmen  also  auch  die  Frage^  weldie 
Niederschläge  in  Säuren  löslich  sind,  und  welche  nicht. 

Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  Air  die  Fällung  schwerlösHcher  saurer 
oder  basischer  Stoffe.  Erstere  kommen  wenig  vor,  letztere  dagegen  sehr 
häufig,  und  sollen  daher  betrachtet  werden. 

Wh*d  zu  einer  Lösung  eines  Kupfersalzes  Kali  gesetzt,  so  wird  die 
Konzentration  der  Hydroxylionen  in  der  Lösung  vermehrt,  und  bald  da» 
auf  Kupferhydroxyd  bezügliche  Löslichkeitsprodukt  Kupferionen  X  Hydr- 
oxylionen überschritten,  so  dass  dieses  als  Niederschlag  auställt.  Dies  ist 
die  tjrpische  Erscheinung.  Abweichungen  treten  z.  B.  ein,  wenn  man 
Magnesiumsalze  mit  Ammoniak  fällt  Dann  ist  die  Fällung  unvollständigt 
und  ist  von  vornherein  ein  Ammoniaksalz  zugegen  gewesen,  so  entstdit 
überhaupt  kein  Niederschlag. 

Die  Ursache  ist,  dass  das  Löslichkeitsprodukt  des  Magnesiumhy- 
droxyds ziemlich  gross  ist,  wie  man  auch  aus  seiner  deutlich,  wenn  andi 
schwach  alkalischen  Reaktion  erkennen  kann.  Ammoniak  Ist  seinerseits 
eme  ziemlich  schwache  Base,  die  Lösung  enthält  also  nicht  viel  Hy- 
droxylionen. Indessen  reichen  diese  aus,  um  beim  Zusatz  von  wässeriger 
Ammoniaklösung  zu  der  eines  Magnesiumsalzes  das  Löslidikeitsprodnkt 
zu  überschreiten.  Gleichzeitig  vermehren  sich  aber  die  Ammoniumionen 
der  Lösung,  indem  sie  mit  dem  Anion  des  Magnesiumsalzes  ein  stait 
dissocüertes  Salz  bilden;  dadurch  wird  die  Dissociation  des  Ammoniaks 
zurückgedrängt  (S.  413)  und  die  Konzentration  der  Hydroxylionen  nimmt 
entsprechend  ab.  Gleichzeitig  wird  die  Konzentration  der  Magnesium- 
ionen durch  die  Ausscheidung  des  Hydroxyds  geringer,  und  beide  Um- 
stände wirken  dahin,  dass  das  Löslichkeiteprodukt  auch  bei  weiterem 
Zusatz  von  Ammoniak  nicht  mehr  überschritten  wird,  also  keine  Fällung 
mehr  stattfindet.  Hat  man  aber  von  vornherein  Ammoniaksalze  zuge- 
setzt, so  wird  gleich  die  Konzentration  des  Hydroxyls  aus  dem  Am- 
moniak so  gering  gemacht,  dass  das  Löslichkeitsprodukt  des  Magnesium- 
hydroxyds  nicht  erreicht  wird. 

Allgemein  wird  jeder  Vorgang,  der  eines  der  Ionen  des  Nieder- 
schlages aus  der  Lösung  fortnimmt,  dessen  Löslichkeit  befördern.  So  ist 
bekannt,  dass  Ghlorsilber  merklich  in  Merkurinitrat  löslich  ist.  Dies 
rührt  daher,  dass  Merkurichlorid  ein  sehr  wenig  dissocüertes  Salz  ist; 
durch  die  Gegenwart  von  Merkuriionen  aus  dem  Nitrat  werden  also  vor- 
handene Chlorionen  in  nichtdissociiertes  Quecksilberchlorid  übergeführt^ 
und  es  muss  weiteres  Chlorsilber  in  Lösung  gehen,  bis  die  dadurch  an- 
getretene Vermehrung  der  Silberionen  den  Verlust  an  Chlorionen  wett- 
gemacht und  das  Löslichkeitsprodukt  wieder  hergestellt  hat. 

Ein  sehr  häufiger  Weg,  auf  dem   Ionen  verschwinden,  ist  der  Über 


J 


Elektrolytische  Gleichgewichte.  429 

gang  in  eine  zusammengesetztere  oder  ^komplexe"  Verbindung.  Mit 
diesem  Namen  bezeichnet  man  Ionen,  in  denen  Bestandteile  vorkommen, 
die  dort  nicht  Ionen  sind,  die  aber  für  sich  als  Ionen  existieren  können. 
Solche  Verbindungen  sind  (prinzipiell  immer  und)  häufig  nachweisbar 
teilweise  in  die  einfachen  Ionen  gespalten,  wenn  auch  deren  Hauptmenge 
im  Komplex  enthalten  ist. 

So  sind  z.  B.  fast  alle  Silbersalze  in  Cyankalium  löslich,  weil  die 
Silberionen  sich  mit  den  Cyanionen  zu  dem  komplexen  Anion  der 
Silbercyanwasserstofisäure  HAg(GN)*  verbinden.  Dadurch  wird  die  Kon- 
zentration der  Silberionen  in  der  Lösung  sehr  klein  gemacht,  und  es 
muss  durch  Auflösen  grösserer  Mengen  des  festen  Salzes  das  betreffenden 
Anion  in  der  Lösung  vermehrt  werden,  wenn  das  Löslichkeitsprodukt  er- 
reicht werden  soll. 

Ähnliche  Falle  sind  überaus  häufig*).  Man  bezeichnet  sie  in  der 
analytischen  Chemie  als  anomale  Reaktionen,  und  man  kann  beinahe  die 
Begriffe  anomale  Reaktion  und  Bildung  einer  komplexen  Verbindung  als 
gleichwertig  ansehen.  Jedenfalls  ist  fast  immer  die  erhöhte  Löslidhkeit 
eines  schwerlöslichen  Salzes  (dies  Wort  in  seinem  weitesten  Sinne  ge- 
nommen) auf  das  Eingehen  eines  seiner  Ionen  in  eine  Verbindung,  in 
der  es  nicht  mehr  Ion  ist,  zurückzuführen. 

Diese  Betrachtungen  geben  auch  Auskunft  auf  die  Frage,  welches 
von  den  vier  möglichen  Salzen  sich  aus  einer  je  zwei  und  zwei  Ionen  ent- 
haltenden Lösung  zuerst  ausscheiden  wird.  Es  ist  dasjenige,  dessen  Lös- 
lichkeitsprodukt zuerst  erreicht  ist,  wenn  man  die  Lösung  konzentriert. 
Auch  für  die  weiteren  möglichen  Salze  gut  das  Gleiche,  nur  werden  flir 
diese  die  Verhältnisse  dadurch  verwickelt,  dass  die  Ausscheidung  des 
ersten  Salzes  die  Konzentrationen  der  entsprechenden  Ionen  vermindert, 
so  dass  im  allgemeinen  wegen  der  Anreicherung  der  Lösung  an  den 
beiden  anderen  Ionen  das  aus  diesen  gebildete  Salz  am  ehesten  das 
Löslichkeitsprodukt  erreichen  wird. 

Ein  eindeutiges  Gleichgewicht  ist  dadurch  noch  nicht  hergestellt,  denn 
die  vier  Ionen  bedingen  drei  feste  Phasen  neben  der  flüssigen  und  gas- 
förmigen, damit  eine  Sättigungslinie,  d.  h.  eine  eindeutige  Beziehung 
zwischen  Temperatur  und  der  Zusammensetzung  der  Lösung  gesichert 
ist*).  Erst  wenn  also  drei  von  den  möglichen  Salzen  am  Boden  liegen, 
whrd  die  Lösung  den  Charakter  einer  gesättigten  haben,  und  sich  durch 
beliebige  Änderungen  der  Mengen  der  festen  Phasen  nicht  ändern.  Dar- 
aus folgt,  dass  wenn  man  zwei  Salze,  deren  Ionen  alle  verschieden  sind. 


*)  Eingehenderes  findet  sich  in  des  Verfassers  Wissenschaftlichen  Grund- 
lagen der  analytischen  Chemie,  2.  Aufl.,  Leipzig  1897. 

*)  Vier  Ionen  und  Wasser  ergeben  fünf  Bestandteile,  also  sieben  Frei- 
heiten gemäss  dem  Phasengesetz.  Von  diesen  wird  eine  durch  die  lonengleich- 
nng  (S.  400)  beansprucht;  damit  eine  Freiheit  übrig  bleibt,  müssen  fünf 
Phasen,  nämlich  drei  feste,  Lösung  und  Dampf  vorhanden  sein. 


430  IX.  Elektrochemie. 

im  Überschuss  mit  Wasser  zusammenbringt^  ein  Gleichgewicht  sich  duidi 
blosses  Auflösen  der  beiden  Salze  nicht  herstellen  kann.  Vielmehr  mn» 
gleichzeitig  eines  der  beiden  anderen  Salze,  die  sich  aus  den  genommenea 
durch  Wechselzersetzung  hersteUen  lassen,  sich  in  fester  Gestalt  aus- 
scheiden^ und  erst  nachdem  dies  geschehen  ist,  tritt  ein  bestimmtes 
Gleichgewicht  ein. 

Welches  von  den  beiden  Salzen  sich  abscheidet,  ist  von  den  m- 
zelnen  Löslichkeitsprodukten  abhängig.  Diese  können  sich  mit  der  Tem- 
peratur gegeneinander  verschieben,  so  dass  es  im  allgemmen  eine  be- 
stimmte Temperatur  geben  wird,  bei  welcher  alle  vier  möglichen  Salze 
nebeneinander  bestehen  können.  Unterhalb  dieser  Umwandlungstemperatnr 
besteht  nur  die  eine  Triade,  oberhalb  nur  die  andere. 


Sechstes  Kapitel. 

Voltasche  Ketten. 

Nachdem  Galvani  das  Zucken  präparierter  Froschschenkel  entdeckt 
hatte,  welches  bei  der  Berührung  von  Muskel  und  Nerv  mit  Metalloi 
eintritt,  und  Volta  die  Notwendigkeit  der  Anwendung  zweier  vCTsdiie- 
dener  Metalle  gezeigt,  und  die  Erscheinung  als  eine  rein  elektrische  er- 
wiesen hatte,  trat  alsbald  die  Frage  nach  der  Quelle  dieser  Elektrizi^ 
auf;  Galvani  suchte  sie  im  lebenden  Gewebe,  Volta  in  der  Berühnmg 
zweier  verschiedener  Metalle.  Es  gelang  Volta  zwar,  durch  meisterhafte 
Versuche  die  Unrichtigkeit  von  Galvanis  Ansichten  zu  erweisen;  über  seine 
eigene  Auffassung  entspann  sich  aber  ein  Kampf,  der  länger  £Üs  ein  halbes 
Jahrhundert  gedauert  hat,  und  von  dem  noch  jetzt  einige  Spuren  übrig 
geblieben  sind.  Die  Entscheidung  brachte  das  Energiegesetz,  welches  so 
viele  andere  Fragen  entschieden  hat;  es  lehrte  zunächst  die  Frage  richtig 
stellen.  Durch  den  Aufbau  seiner  Säule  hatte  Volta  gezeigt,  dass  man. 
durch  die  Schichtung  abwechselnder  Platten  von  zwei  Metallen  und  dnem 
feuchten  Leiter  einen  Apparat  herstellen  kann,  der  allerlei  thermische, 
chemische  und  mechanische  Arbeit  zu  leisten  vermag.  Diesem  gegen- 
über war  nicht  in  erster  Linie  die  Frage  zu  stellen:  woher  kommt  die 
Elektrizität?  sondern:  woher  kommt  die  elektrische  Energie?  Die 
Arbeitsleistungen  der  Säule  müssen  in  anderweitigen  EnergiequeUen 
ihren  Ausgang  haben,  und  als  solche  waren  nur  die  chemischen  Vor- 
gänge in  der  Säule  vorhanden. 

Die  Entscheidung  der  Sache  wurde  sehr  durch  das  grosse  Mi8sve^ 
hältnis  zwischen  den  Stoff-  und  den  Elektrizitätsmengen  erschwert,  die 
dem  Faradayschen  Gesetz  gemäss  sich  gleichzeitig  bewegen.  Elektrizitäls- 
mengen,  welche  grosse  Kondensatoren  bis  zu  erheblichen  Schlagwdtm 
laden  können,  sind  mit  kaum  wägbaren  Spuren  ihrer  Träger,  der  Ionen 


Voltasche  Ketten.  431 

verbunden,  und  man  kann  daher  erhebliche  elektrische  Erscheinungen 
in  fmien  beobachten,  wo  die  zugehörigen  chemischen  Vorgänge  sich  aller 
Möglichkeit  eines  Nachweises  entziehen.  Nachdem  aber  das  Faradaysche 
Gesetz  sich  als  ein  so  genaues  Naturgesetz  erwiesen  hat,  dass  bisher 
Abweichungen  davon  noch  nicht  entdeckt  worden  sind,  darf  man  mit 
Sicherheit  aussprechen,  dass  in  Gebilden  mit  Elektrolyten  kein  elektrischer 
Vorgang  ohne  entsprechenden  chemischen  Vorgang  verlaufen  kann. 

Eine  Voltaßche  Kette  ist  demgemäss  eine  Maschine,  welche  chemische 
Energie  in  elektrische  verwandelt.  Die  theoretisch  vollkommene  Form 
wurd  eine  derartige  Maschine  haben,  wenn  der  chemische  und  der  elek- 
trische Vorgang  so  miteinander  verknüpft  sind,  dass  keiner  ohne  den 
anderen  verlaufen  kann.  Eine  solche  Maschine  erfüllt  gleichzeitig  das 
Postulat  der  Umkehrbarkeit  und  gestattet  die  Anwendung  der  entsprechen- 
den Gesetze. 

Es  hat  die  Entwickelung  einer  rationellen  Theorie  der  Voltaschen  Kette 
sehr  lange  verzögert,  dass  die  früher  angewendeten  Ketten  sich  sehr  weit  von 
diesem  Ideal  entfernten,  und  insbesondere  mit  keinem  scharf  definierten 
chemischen  Vorgange  verknüpft  waren.  In  der  ursprünglichen  Voltaschen 
Kette  wurde  Zink  und  Silber  nebst  Salzwasser  verwendet.  Ritter  ersetzte 
das  Silber  durch  Kupfer,  und  Fechner  zeigte,  dass  letzteres  am  besten  wirkt, 
wenn  es  an  seiner  Oberfläche  oxydiert  ist.  Doch  hatten  alle  diese  Ketten  die 
Eigenschaft  einer  veränderlichen  Spannung,  sie  „polarisierten"  sich  durch  den 
Gebrauch.  Dies  lag  daran,  dass  anfangs  der  chemische  Vorgang  in  der  Re- 
duktion des  vorhandenen  Kupferoxyds  bestand;  war  dieses  verbraucht,  so 
wurde  statt  des  Kupfers  Wasserstoff  abgeschieden,  und  damit  verminderte  sich 
die  nutzbare  Spannung. 

Die  elektrische  Energie  wird  (S.  377)  durch  das  Produkt  von 
Elektrizitätsmenge  und  Spannung  gemessen.  Über  die  erstere  entscheidet 
das  Faradaysche  Gesetz:  unabhängig  von  der  Natur  der  Kette  geht  flir 
die  einem  Gramm  Wasserstoff  äquivalente  Menge  der  umgesetzten  Stoffe 
die  Elektrizitätsmenge  von  96540  Coul  durch  die  Kette.  Die  Ver- 
schiedenheit der  Energie  der  verschiedenen  Ketten  muss  sich  daher  aus- 
schliesslich in  der  Spannung  zum  Ausdruck  bringen,  und  deren  Messung 
ist  daher  die  Grundlage  für  ihre  Beurteilung. 

Um  eine  Spannung  zu  messen,  verföhrt  man  am  besten  so,  dass 
man  eme  bekannte  Stufenreihe  von  Spannungen  herstellt,  und  sie  der 
zu  messenden  Spannung  entgegenschaltet.  Wo  beide  sich  aufheben,  ist 
die  zu  messende  Spannung  gleich  der,  welche  zu  ihrer  Kompensierung 
benutzt  wurde.     (Poggendorf  1842.) 

Jetzt,  wo  man  in  den  Akkumulatoren  Ketten  von  grosser  Beständig- 
keit hat,  ist  die  Herstellung  eines  solchen  Apparates  leicht.  Man  schliesst 
einen  Akkumulator  E  Fig.  54  durch  einen  auf  einer  Meterskala  ausge- 
spannten Draht  ab  (die  Messbrücke  für  Widerstandsbestimmungen,  S.  384, 
ist  dazu  geeignet)  und  schaltet  die  zu  messende  Spannung  nebst  einem 
ßtrom-  oder  Spannungsprüfer  G  in  einen  Kreis,  der  an  dem  beweglichen 


432  IX.   Elektrochemie. 

Kontakt  c  endet.  Durch  Verscliieben  des  letzteren  findet  man  die  Stelle, 
wo  G  keinen  Ausschlag  giebt;  die  an  c  abgelesenen  Millimeter  geben 
dann  die  Spannung  n  in  Tausendsteln  der  Spannung  zwischen  a  und  b. 

Für  G  kann  man  entweder  ein  empfindUches  Galvanometer  oder 
ein  Elektrometer  anwenden;  das  letztere  hat  den  Vorzug,  keinen  dauern- 
den Strom  zu  gestatten,  und  dadurch  die  zu  prüfende  Kette  gegen  Be- 
anspruchung zu  schützen^).  Da  der  Akkumulator  keine  ganz  bestimmte 
Spannung  hat,  so  aicht  man  den  Spannungsmesser  dadurch^  dass  man 
ein  Normalelement  misst,  und  die  Ablesungen  auf  dessen  Spannung  reduziert. 

Als  Normalelement  dient  das  von  Weston  angegebene  aus  amal- 
gamiertem  Kadmium,  gesättigter  Lösung  von  Kadmiumsulfat  neben 
Kry stallen  des  festen  Salzes,  Merkurosulfat  und  QuecksUber.  Seine 
Spannung  ist  1-0186  V,  fast  ganz  unabhängig  von  der  Temperatur. 

Der  Typus  eines  elektrochemischen  Apparates,   der  sich  den  theo- 


Fig.  54. 

retischen  Voraussetzungen  mögUchst  nähert,  ist  die  von  Daniell  (1836) 
angegebene  Kette. 

Sie  besteht  aus  einem  Leiter  (einer  Elektrode)  aus  Zink  und  einem 
aus  Kupfer.  Das  Zink  taucht  in  eine  Lösung  von  Zinksulfat,  das  Kupfer 
in  eine  von  Kupfersulfat;  beide  Flüssigkeiten  stehen  miteinander  in  Be- 
rührung; gegen  Vermischung  werden  sie  gewöhnlich  durch  eine  Wand  aus 
porösem  Material  geschützt,  die  indessen  nicht  wesentlich  ist 

So  lange  die  beiden  Elektroden  nicht  elektrisch  leitend  verbunden 
sind,  geht  in  der  Kette  nichts  vor  sich;  stellt  man  dagegen  die  Ver- 
bindung her,  so  erfolgt  ein  elektrischer  Strom  durch  den  Leiter  und  die 
Kette,  wobei  auf  der  Kupferelektrode  metallisches  Kupfer  ausgeschieden 
wird,  während  sich  an  der  Zinkelektrode  die  äquivalente  Menge  Zink  löst. 

^)  Als  Elektrometer  dient  am  bequemsten  eines  nach  dem  Prinzip  von 
Lippmann.  Die  erforderlichen  Einzelheiten  über  die  Technik  dieser  und 
anderer  physikochemischer  Messungen  finden  sich  in  des  Verfassers  Uand- 
und  Hilfsbuch  zur  Ausführung  physikochemischer  Messungen,  Leipzig  1893. 


Voltasche  Ketten.  433 

Der  chemische  Vorgang  besteht  also  in  einer  Substitution  des  Kupfers 
in  der  Lösung  durch  Zink.  Vermöge  des  Gesetzes  von  Faraday  ist  die 
Elektrizitätsmenge,  welche  durch  die  Kette  in  Bewegung  gesetzt  wird, 
der  aufgelösten  Zink-  und  der  abgeschiedenen  Kupfermenge  proportional, 
und  zwar  beträgt  sie  fiir  jedes  Mol  Zink  oder  Kupfer  2  X  96540  Coul, 
da  die  beiden  Metalle  zweiwertig  sind. 

Die  Wärmetönung  bei  der  Substitution  des  Kupfers  durch  Zink  in 
der  Sulfatlösung  lässt  sich  unmittelbar  messen,  wenn  man  eine  Kupfer- 
sulfatlösung im  Galorimeter  durch  Zinkpulver  zersetzt.  Aus  den  oben 
gegebenen  Tabellen  findet  man  sie,  wenn  man  die  Bildungswärme  des 
gelösten  Kupfersulfats  von  der  des  Zinksulfats  abzieht^).  Sie  ergiebt 
sich  zu  1039  —  830  gleich  209  J  oder  209  000 j. 

Nehmen  wh"  nun  an,  dass  die  gesamte  Energiemenge,  die  bei  diesem 
Vorgänge  frei  wird,  sich  in  elektrische  Energie  verwandelt,  so  ist  von 
dieser  der  eine  Faktor,  die  Elektrizitätsmenge,  gegeben;  sie  beträgt 
2X96540  Coul.  Dividiert  man  diese  Zahl  in  die  Energiemenge  von 
209  000 j,  so  erhält  man  die  elektromotorische  Kraft  in  Volt,  und  da- 
nach müsste  die  Daniellsche  Kette  1-08  V  Spannung  haben.  Der  that- 
sächlich  beobachtete  Wert  beträgt  llOV,  steht  also  in  guter  Überein- 
stimmung mit  der  Rechnung. 

Dieses  Zusammentreffen  bei  der  bestbekannten  Kette  hatte  die  Vor- 
stellung hervorgerufen,  dass  es  sich  hier  um  ein  allgemeines  Gesetz 
handele.  Bei  dem  Versuche,  diesen  Gedanken  durchzuführen,  entstanden 
indessen  folgende  experimentelle  Schwierigkeiten. 

Wenn  man  eine  Kette  durch  einen  Draht  schliesst,  so  verwandelt 
sich  die  elektrische  Energie  in  Wärme,  welche  dem  Jouleschen  Gesetz 
gemäss  im  ganzen  Schliessungskreise  proportional  dem  Widerstände  an 
jeder  Stelle  erscheint.  Insbesondere  tritt  in  der  Kette  selbst  eine  Wärme- 
menge auf,  die  sich  zur  gesamtere  Stromwärme  verhält,  wie  der  innere 
Widerstand  der  Kette  zum  gesamten  Widerstände.  Erhöht  man  also 
den  äusseren  Widerstand,  so  kann  man  einen  immer  grösseren  Betrag 
der  Wärmeentwickelung  aus  der  Kette  herausnehmen,  imd  gelangt 
praktisch  leicht  so  weit,  dass  kaum  ein  Prozent  des  Widerstandes  inner- 
halb der  Kette  verbleibt. 

Die  Erfahrung  hat  nun  gezeigt  (Favre  1854),  dass  es  einen  Wärme- 
anteil giebt,  der  sich  nicht  aus  der  Kette  herausnehmen  lässt,  indem 
auch  bei  einem  sehr  grossen  Verhältnis  des  äusseren  Widerstandes  die 
in  der  Kette  verbleibende  Wärmenaenge  nicht  gegen  Null  geht,  sondern 
gegen  einen  endlichen  Grenzwert,  der  meist  positiv  ist,  aber  auch  negativ 
sein  kann.     Das  letztere  bedeutet,  dass  durch  den  Strom  mehr  Wärme 


*)  ThatBächlich  ist  die  Bildungswärme  der  Kupferverbindungen  ermittelt 
worden,  indem  man  zuerst  die  der  Zinkverbindungen  durch  Auflösen  des 
Metalls  in  Säuren  bestimmt  und  dann  die  Zersetzungswärme  der  Kupfer- 
salze  durch  metallisches  Zink  gemessen  hat. 

Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl.  28 


434  IX.   Elektrochemie. 

aus  der  Kette  entfernt  wii^d,  als  durch  den  chemischen  Vorgang  geliefert 
wird;  dieses  Mehr  wird  der  Umgebung  entnommen.  Hatte  man  auch 
die  erste  Erscheinung  durch  ,^ebenreaktionen"  zu  deuten  gesucht,  weldie 
zwar  Wärme  entwickehi,  nicht  aber  elektromotorisch  wirken  können,  so 
war  dies  im  zweiten  Falle  schwieriger  anzunehmen,  da  diese  Neben- 
reaktionen  unter  Wärmeverbrauch  erfolgen  sollten. 

Die  anfangs  allgemem  angenommene  Theorie  von  der  vollständigen 
Umwandlung  der  chemischen  Energie  in  elektrische  in  der  Yoltasdien 
Kette ')  musste  daher  fallen  gelaasen  werden.  Die  richtige  Theorie  wurde 
von  W.  Gibbs  (1878)  und  Helmholtz  (1882)  aufgestellt. 

Da  man  nicht  von  vornherein  annehmen  darf,  dass  in  jeder  Kette 
die  chemische  Energie  sich  ohne  weiteres  in  elektrische  verwandeln  kann, 
so  wird  man  die  Rechnung  so  ansetzen,  dass  auch  die  Möglichkeit  emer 
Wärmeentwickelung  in  der  Kette  angenommen  ist. 

Die  Kette  habe  bei  der  Temperatur  T  die  Spannung  n  und  ihre 
Elektroden  seien  n-wertig.  Die  Faraday^che  Konstante  96540  Coul 
heisse  F.  Wir  denken  uns  bei  T^  die  Elektrizitätsmenge  nF  durch  die 
Kette  geleitet;  dann  wird  die  elektrische  Arbeit  nF;7r  geleistet  und  zur 
Erhaltung  der  Temperatur  T  werden  gleichzeitig  W  Joule  aufgenommen 
(wo  W  positiv  oder  negativ  sein  kann).  Dann  werde  die  Temperatur 
auf  T  +  dT  erhöht;  die  Spannung  ändert  sich  auf  Ji  +  djr.  ünt^ 
diesen  Umständen  werden  die  nF  Coul  wieder  im  entgegengesetztoa 
Sinne  durch  die  Kette  geleitet,  wobei  wir  annehmen,  dass  der  chemische 
Vorgang  (wie  beim  Daniellschen  Element)  wieder  genau  im  umgekehrten 


^)  Da8S  dies  nicht  der  Fall  sein  kann,  geht  auch  aus  folgender  Über- 
legung hervor.  Man  habe  eine  Kette  von  der  Art  der  Daniellschen,  jedoch 
mit  einem  leicht  schmelzbaren  Metalle  und  zwar  bei  der  Schmelztemperatur 
desselben.  Die  elektromotorische  Kraft  sei  so,  dass  sich  die  chemische 
Energie  ohne  Rest  in  die  elektrische  verwandelt,  wenn  beide  Metalle  im 
festen  Zustande  vorliegen.  Jetzt  werde  das  eine  Metall  geschmolzen,  woza 
nach  der  Voraussetzung  keine  Temperaturveränderung  erforderlich  ist  Die 
elektromotorische  Kraft  ändere  sich  so,  dass  wieder  die  Wärmetönung  in  der 
Kette  Null  ist.  Schaltet  man  dann  beide  Ketten  gegeneinander,  so  erfolgt  wegen 
des  Unterschiedes  der  Spannung  ein  Strom,  mit  dem  man  Arbeit  leisten  kann. 
Da  in  beiden  Ketten  der  chemische  Vorgang  derselbe  ist,  so  ist  das  Resultat 
des  Stromdurchganges,  dass  einerseits  das  flüssige  Metall  gelöst,  und  anderer- 
seits das  feste  abgeschieden  wird.  Nun  kann  man  aber  bei  der  Schmelz- 
temperatur das  feste  Metall  wieder  durch  Wärmezufuhr  schmelzen,  und  so 
die  Kette  beliebig  lange  unter  Arbeitsleistung  im  Gange  erhalten,  d.  h.  man 
kann  bei  konstanter  Temperatur  beliebige  Wärmemengen  in  Arbeit  ver- 
wandeln. Dies  wäre  ein  Perpetuum  mobile  zweiter  Art  und  widerspricht  dem 
zweiten  Hauptsatz,  ist  also  unmöglich.  Vielmehr  müssen  notwendig  beide 
Spannungen  gleich  sein,  und  wenn  daher  die  eine  Kette  ohne  Wärmetönung 
arbeitet,  so  thut  es  die  andere  sicher  nicht. 


Yoltasche  Ketten.  435 

Sinne  verläuft.  Wird  schliesslich  die  Temperatur  wieder  auf  T®  ge- 
bracht, so  ist  der  Kreisprozess  geschlossen,  und  wir  können  die  Formel 
anwenden,  dass  sich  die  Arbeit  zur  bewegten  Wärme  verhält,  wie  dT 
zu  T.  Die  Arbeit  ist  der  Unterschied  der  beiden  elektrischen  Energieen, 
nämlich  nFdjr;  die  Wärme  ist  W.  Die  Gleichung  lautet  daher 
dT/T  =  nF.d;7r/W  oder  djr/dT  =  W/nFT.  Nun  ist  die  der  Kette 
für  den  Umsatz  von  einem  Mol  zuzuführende  Wärmemenge  gleich  der 
herausgenommenen  elektrischen  Energie  nFjt  vermindert  um  die  durch 
den  chemischen  Vorgang  gelieferte  Wärmemenge,  die  Reaktionswärme  R, 
also  W  =  nFjr  —  R.  Wird  dies  in  die  obige  Gleichung  eingeflihrt,  so 
folgt  djr/dT  =  jr/T  — R/nFT  oder  jr  =  R/nF  +  Tdjr/dT. 

In  dieser  Gleichung  ist  R/nF  die  chemische  Energie,  dividiert 
durch  die  Elektrizitätsmenge,  d.  h.  die  nach  der  früheren  Ansicht  be- 
rechnete Spannung.  Wie  die  Formel  lehrte  sind  beide  nicht  gleich, 
ausser  wenn  das  letzte  Glied  djr/dT,  der  Temperaturkoeffizient  der 
Spannung  gleich  Null  ist.  Dies  trifft  bei  Daniellschen  Elementen  zu, 
und  deshalb  hat  sich  jr  =  R/nF  ergeben. 

Im  übrigen  kommen  aber  Fälle  vor,  wo  die  Spannung  nicht  von 
der  Temperatur  unabhängig  ist,  sondern  sich  erheblich  mit  dieser  ändert. 
Dabei  sind  Änderungen  in  beiderlei  Sinn  beobachtet  worden;  sowohl  Zu- 
nahme der  Spannung  mit  steigender  Temperatur,  wie  auch  Abnahmen. 
Ist  d:7r/dT  negativ,  findet  also  mit  steigender  Temperatur  eine  Abnahme 
der  Spannung  statt,  so  ist  auch  W  =  nFjr  —  R  negativ,  d.  h.  es  ist 
R>nF;7r,  die  chemische  Energie  ist  grösser  als  die  elektrische.  Es 
muss  der  Kette  Wärme  entzogen  werden,  um  ihre  Temperatur  konstant 
zu  halten,  oder  sie  erwärmt  sich  durch  ihre  Bethätigung  über  den  Be- 
trag der  „Jouleschen'^  d.  h.  durch  den  Widerstand  bewirkten  Wärme- 
entwickelung hinaus. 

Der  umgekehrte  Fall,  die  Erhöhung  der  elekti'omotorischen  Kraft 
mit  der  Temperatur,  ist  mit  der  Thatsache  verbunden,  dass  die  Kette 
unter  Wärmeaufiiahme,  bez.  Abkühlung  arbeitet. 

Diese  Zusammenhänge  sind  durch  sorgfältige  Untersuchungen,  zu- 
letzt von  H.  Jahn,  experimentell  in  weitem  Umfange  bewiesen  worden. 

Ketten,  deren  Spannung  mit  steigender  Temperatur  abnimmt,  müssen 
schliesslich  durch  die  Spannung  Null  gehen,  und  dann  ihre  Pole  vertauschen. 
Dadurch  geben  sie  in  Ketten  über,  die  Wärme  aufnehmen  und  deren  Span- 
nung mit  steigender  Temperatur  wächst,  so  dass  diese  Art  als  die  typische 
für  höhere  Temperaturen  anzusehen  ist.  Gleichzeitig  wird  das  Glied  Td7r/dT 
immer  grösser  dem  Gliede  R/nF  gegenüber.  Das  hat  zur  Folge,  dass  schliess- 
lich der  chemische  Vorgang  in  der  Kette  nur  eine  sekundäre  Rolle  spielt.  Es 
muss  schliesslich  einen  idealen  Kettenzustand,  ähnlich  dem  idealen  Gaszustande 
geben,  in  welchem  die  ganze  bei  konstanter  Temperatur  zugeführte  Wärme 
sich  in  elektrische  Energie  umsetzt,  und  die  den  chemischen  Vorgang  be- 
gleitende Wärmetönung  nur  als  Abweichung  vom  idealen  Zustande  erscheint. 

28* 


436  IX.   Elektrochemie. 

Die  eben  entwickelte  Theorie  ergiebt  keine  unabhängige  Voraos- 
berechnung  der  elektromotorischen  Kraft  aus  den  Konstanten  des  die- 
mischen  Vorganges  in  der  Kette  ^  sondern  nur  einen  Zusammenhang 
zwischen  der  chemischen^  der  elektrischen  Energie  und  einem  dritten 
Gliede,  das  durch  die  Temperaturänderung  der  Spannung  bestimmt  ist 
Wenn  zwei  von  diesen  Gliedern  gegeben  sind,  so  lässt  sich  das  dritte 
berechnen. 

Es  ist  nun  zu  fragen,  welcher  Art  die  chemischen  Vorgänge  in  der 
Kette  sein  müssen,  damit  die  Theorie  Anwendung  finden  kann.  Die 
Bedingungen  sind  dahin  auszusprechen,  dass  die  Kette  konstant  und 
umkehrbar  sein  muss. 

Konstant  wird  eine  Kette  sein,  wenn  während  des  Stromdurch- 
ganges immer  derselbe  chemische  Vorgang  unter  denselben  Bedingungen 
stattfindet.  Da  durch  den  Vorgang  selbst  die  vorhandenen  Stoffe  ver- 
braucht werden,  so  müssen  sie  entweder  von  vornherein  in  genügender 
Menge  und  Konzentration  anwesend  sein,  oder  es  muss  Vorsorge  ge- 
trofien  sein,  dass  sie  nach  Massgabe  des  Verbrauches  ersetzt  werden. 
Dies  sind  indessen  mehr  praktische  Fragen;  da  für  theoretische  Zwecke 
die  Stromentnahme  auf  ein  Minimum  eingeschränkt  werden  kann,  so 
kann  in  solchem  Sinne  schliesslich  jede  Kette  als  der  theoretischen  Be- 
dingung entsprechend  angesehen  werden. 

In  der  That  liegt  die  Schwierigkeit  in  der  Beurteilung  einer  sogenann- 
ten inkonstanten  Kette  wesentlich  in  der  Entscheidung  der  Frage,  welcher 
von  den  unter  den  vorhandenen  Umständen  möglichen  chemischen  Prozessen 
wirklich  stattfindet.  So  kann  eine  Kette  aus  Zink  und  Platin  in  Schwefelsäure 
in  mehrerlei  Weise  wirken.  Solange  an  der  Kathode  Luftsauerstoff  vorhanden 
ist,  wird  sich  auf  seine  Kosten  Wasser  mittels  des  zutretenden  Wasserstoffs 
bilden.  Ist  jener  verbraucht,  so  tritt  der  Wasserstoff  als  solcher  auf,  der  zu- 
erst vom  Platin  aufgelöst  wird  und  später  in  Blasen  erscheint  Diesen  ver- 
schiedenen Vorgängen  entsprechen  ebenso  verschiedene  elektromotorische  Kräfte, 
und  erst  wenn  man  die  Bedingungen,  unter  denen  die  Kette  arbeitet,  genau 
definiert,  kann  man  mit  ihrer  Spannung  rechnen. 

Umkehi'bar  wird  eine  Kette  sein,  wenn  der  durch  den  Stromdurdi- 
gang  in  einem  Sinne  bewirkte  Vorgang  mittels  eines  entgegengesetzt  ge- 
richteten Stromes  wieder  rückgängig  gemacht  werden  kann.  Beim  Danieli- 
schen Element  ist  diese  Bedingung  offenbar  sehr  nahe  erfüllt,  und  sie  wird 
in  allen  Fällen  erfüllt  sein,  wo  diese  entgegengesetzte  Reaktion  möglich 
ist.  Auch  dies  stellt  sich  schliesslich  als  eine  wesentlich  praktische  Auf- 
gabe heraus,  denn  allgemein  gesprochen  wird  die  entgegengesetzte  Re- 
aktion immer  möglich  sein.  Nur  kann  es  in  vielen  Fallen  geschehen, 
dass  ausser  dieser  theoretischen  Reaktion  noch  andere  unter  den  gleidien 
Umständen  eintreten  können,  die  neben  jener  stattfinden,  und  sie  quan- 
titativ übertreffen  können.  Femer  geschieht  es  häufig,  dass  die  unmittel- 
baren Ergebnisse  des  elektrochemischen  Vorganges  an  der  Elektrode 
weitere  Umwandlungen  erfahren,  deren  Umkehrung  ähnlichen  Sch^^ierig- 


Die  chemischen  Vorgänge  in  der  Kette  und  die  lonenreaktionen.      437 

keiten  unterliegt.     In  allen  solchen  Fällen  werden  sich  die  Reaktionen 
nicht  vollständig,  zuweilen  anscheinend  gar  nicht  umkehren  lassen. 

Doch  ist  die  Umkehrharkeit  häufig  nur  eine  Frage  der  Zeit,  und  für 
kurze  Zeiträume  wohl  immer  vorhanden.  Dies  ergieht  sich  aus  dem  Umstände, 
dass  hei  der  Anwendung  von  Wechselströmen  zur  Messung  der  Leitfähigkeit 
der  Elektrolyte  (S.  383)  sich  auch  hei  sehr  genauen  auf  diesen  Punkt  gerich- 
teten Untersuchungen  keine  Abweichungen  von  dem  Ohmschen  Gesetze  gezeigt 
haben.  Dies  ist  ein  Beweis  dafür,  dass  die  in  der  Polarisation  der  Elektroden 
aufgetretene  Energie  des  einen  Stromes  dem  darauf  folgenden  entgegen  ge- 
richteten Strome  wieder  völlig  zu  Gute  kommt,  d.  h.,  dass  die  durch  den 
ersten  ausgeschiedenen  Stoffe  wieder  für  den  entgegengesetzten  Strom  ver- 
braucht werden.  Anderenfalls  wäre  an  den  Elektroden  ein  besonderer 
Energieverbrauch  entstanden,  als  dessen  Folge  sich  eine  Abweichung  vom 
Ohmschen  Gesetze  gezeigt  hätte. 


Siebentes  Kapitel. 

Die  chemischen  Vorgänge  in  der  Kette  und  die  lonenreaktionen. 

Wenn  eine  Voltasche  Kette  einen  Strom  entstehen  lässt,  so  geht 
dieser  nicht  nur  durch  den  äusseren  Leiter,  sondern  auch  durch  die 
Kette.  Diese  besteht  aus  einer  Zusammenstellung  von  Leitern  erster 
und  zweiter  Klasse.  Während  nun  der  Strom  die  ersteren  ohne  Än- 
derung durchtritt,  so  bedarf  er  zu  seiner  Bewegung  im  Elektrolyt  nicht 
nur  der  Ionen  als  materieller  Träger,  sondern  an  den  Stellen,  wo  der 
Elektrolyt  an  die  metallischen  Leiter^  die  Elektroden^  grenzt,  müssen  aus 
elektrisdbi  neutralen  Stoffen  Ionen  entstehen,  oder  Ionen  sich  in  neutrale 
Stoffe  verwandeln,  da  auf  keine  andere  Weise  die  Stromleitung  durch 
die  Kette  aufrecht  erhalten  werden  kann.  Welche  von  diesen  Vorgängen 
stattfinden,  ergiebt  sich  aus  folgenden  Betrachtungen. 

Nennen  wir  die  Elektrode,  durch  welche  die  positive  Elektrizität 
in  den  Elektrolyten  tritt,  die  Anode,  so  kann  die  Stromleitung  erstens 
so  erfolgen,  dass  sich  von  der  Anode  positive  Ionen  oder  Kationen  los- 
lösen, welche  die  Beförderung  des  Stromes  übernehmen.  Dies  ist  z.  B. 
mit  dem  Zink  der  Daniellschen  Kette  der  Fall.  Einem  Strome  positiver 
Elektrizität  in  einer  Richtung  ist  aber  ein  Strom  negativer  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  gleichwertig;  daher  kann  derselbe  Erfolg  erzielt  wer- 
den, wenn  an  die  Stelle  der  Bildung  von  Kationen  die  Vernichtung  von 
Anionen  tritt.  Ersetzen  wir  z.B.  das  Zink  der  DanieUschen  Kette  durch 
eine  Lösung  von  Jodwasserstoff,  so  kann  von  einem  eingetauchten  me- 
tallischen Leiter,  z.B.  einer  Platinplatte,  gleichfalls  ein  positiver  Strom  in 
die  Flüsfflgkeit  treten;  die  gleichzeitige  Erscheinung  besteht  hier  darin,  dasa 
die  in  dem  Jodwasserstoff  vorhandenen  negativen  Jodionen  entiaden  werden 


438  IX.    Elektrochemie. 

und  in  gewöhnliches  Jod  übergehen,  das  sich  in  der  überschüssigen 
Säure  löst.  Man  kann  sich  die  Erscheinung  so  deuten,  dass  die  aus 
der  Platte  tretende  positive  Elektrizität  die  negative  der  Jodionen  neu- 
tralisiert und  diese  dadurch  in  neutrales,  d.  h.  gewöhnliches  Jod  ver- 
wandelt. 

Ganz  ähnliche  Vorgänge  finden  an  der  Kathode  statt,  d.  h.  an  der 
Elektrode,  durch  welche  der  positive  Strom  den  Elektrolyten  veriässt 
oder  der  negative  in  ihn  eintritt.  Dort  müssen  entweder  Anionen  in 
der  Flüssigkeit  entstehen,  oder  Kationen  aus  ihr  verschwinden.  Bei  der 
Danielischen  Kette  ist  das  letztere  der  Fall,  indem  dort  Kupferionen  die 
Flüssigkeit  verlassen,  um  sich  als  metaUisches,  d.  h.  neutrales  Kupfer  an 
der  Elektrode  niederzuschlagen.  Aber  man  kann  das  Kuptersulfat  der 
Daniellschen  Kette  mit  vollständigem  Erfolge  durch  Brom  (das  der  Lei- 
tung wegen  in  Bromwasserstoffsäure  oder  Bromkaliumlösung  aufgelöst 
ist)  ersetzen.  Dann  kann  der  negative  Strom  in  die  Lösung  treten,  in- 
dem das  neutrale  •  Brom  durch  Aufnahme  der  elektrischen  Ladung  in 
negative  Bromionen  übergeht. 

Daraus  ergiebt  sich,  dass  die  wesentliche  Reaktion  an  der  Anode 
Vermehrung  der  Kationen  oder  Verminderung  der  Anionen  ist,  während 
an  der  Kathode  umgekehrt  eine  Verminderung  der  Stationen  oder  Ver- 
mehrung der  Anionen  erfolgt.  Damit  eine  ZusammensteUung  von  Leitern 
erster  und  zweiter  Klasse  als  Voltasche  Kette  wirkt,  muss  an  jeder 
Elektrode  eine  von  diesen  Reaktionen  mit  den  vorhandenen  Stoffen  mög- 
Hch  sein.     Daraus   folgt,   dass  es  insgesamt  vier  Typen  solcher  Ketten 

giebt,  nämlich: 

Anode  Kathode 

Bildung  von  Kationen  Bildung  von  Anionen 

Büdung  von  Kationen  Verbrauch  von  Kationen 

Verbrauch  von  Anionen  Bildung  von  Anionen 

Verbrauch  von  Anionen  Verbrauch  von  Kationen 

Gleichwertig  der  Bildung,  bez.  dem  Verbrauch  von  Ionen   ist   die 
Vermehrung,  bez.  Verminderung  der  Ladung  vorhandener  Ionen  (S.  398). 
Beispiele  dieser  Typen  sind 

J.  Zink  in  Zinksulfat,  Brom  in  Bromwasserstoff. 

2.  Zink  in  Zinksulfaf^  Kupfer  in  Kupfersulfat. 

3.  Jod  in  Jodwasserstoff,  Brom  in  Bromwasserstoff. 

4.  Jod  in  Jodwasserstoff,  Kupfer  in  Kupfersulfat  ^). 

Betrachtet  man  diese  Reaktionen  vom  chemischen  Standpunkte,  so  er- 
scheinen  die  Vorgänge  an  der  Anode  als   Oxydationserscheinungen   im 

")  Da  Elemente,  welche  Anionen  bilden,  in  metallisch  leitendem  Zu- 
stande kaum  bekannt  sind,  so  müssen  Brom  und  Jod  mit  Elektroden  aus 
irgend  einem  leitenden,  aber  nicht  chemisch  angreifbaren  Material  bethätigt 
i^rerden,  während  dies  bei  den  Metallen  nicht  nötig  ist.  Doch  entsteht  da- 
durch kein  wesentlicher  Unterschied. 


Die  chemischen  Vorgänge  in  der  Kette  und  die  lonenreaktionen.       439 

weiteren  Sinne,  denen  die  thätigen  Stoffe  unterworfen  werden,  während 
an  der  Kathode  die  vorhandenen  Stoffe  reduziert  werden.  Während 
aber  bei  gewöhnlichen  chemischen  Vorgängen  Oxydation  und  Reduktion 
räumlich  ungetrennt  verlaufen,  indem  der  oxydierende  Stoff  mit  dem 
oxydierbaren  oder  reduzierenden  in  unmittelbare  Berührung  gebracht 
werden  muss,  so  sind  beide  in  der  Voltaschen  Kette  räumlich  getrennt. 

Diese  Trennung  ist  wesentlich,  da  sonst  die  Koppelung  der  che- 
mischen und  elektrischen  Energie  nicht  ausführbar  wäre;  durch  das  ge- 
trennte Entstehen,  bez.  Verschwinden  der  Ionen  an  den  Elektroden  wird 
die  Elektrizität  gezwungen,  in  Gestalt  eines  Stromes  durch  den  Leiter- 
kreis zu  gehen. 

Man  kann  somit  den  chemischen  Schluss  ziehen,  dass  wenn  ein 
Stoff  die  Tendenz  zur  Bildung  positiver  oder  zum  Verbrauch  negativer 
Ionen  hat,  er  ein  Eeduktionsmittel  im  weiteren  Sinne  ist,  während 
Oxydationsmittel  umgekehrt  an  sich  negative  Ionen  zu  bilden  oder  posi- 
tive zu  vernichten  bestrebt  sind.  Ein  Blick  auf  die  oben  gegebenen 
Beispiele  giebt  alsbald  die  anschauliche  Überzeugung  von  der  Richtig- 
keit dieser  Definition.  Gleichzeitig  erkennt  man,  dass  das,  was  man 
bisher  etwas  unbestimmt  mit  dem  Ausdruck  Oxydation  und  Reduktion 
im  weiteren  Sinne  bezeichnet  hat,  vollständig  und  exakt  durch  die  neue 
Definition  dargestellt  wird. 

Während  bei  den  oben  gewählten  einfachen  Beispielen  diese  Ver- 
hältnisse sehr  klar  zu  Tage  treten,  erscheinen  sie  etwas  verwickelter  bei 
zusammengesetzteren  Oxydations-  und  Reduktionsmitteln.  Doch  ist  es  in 
jedem  Falle  ohne  Zwang  möglich,  die  gleiche  Auffassung  durchzuführen. 
Am  einfachsten  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  es  sich  um  die 
Vermehrung  oder  Verminderung  vorhandener  lonenladungen  handelt 
Ein  Kation  wu*kt  als  Reduktionsmittel,  wenn  es  in  ein  mehrwertiges 
übergeht,  als  Oxydationsmittel,  wenn  es  die  Zahl  seiner  Einheitsladungen 
vermindert     Umgekehrt  verhält  es  sich  mit  einem  Anion. 

Beispiele  fUr  den  ersten  Fall  bieten  Eisen  und  Zinn,  sowie  die 
anderen  Metalle,  die  Kationen  von  verschiedener  Wertigkeit  bilden.  In- 
dem Ferroionen  in  Ferriionen  übergehen,  wirken  sie  reduzierend  auf 
andere  Stoffe  und  umgekehrt.  Vermehrt  dagegen  das  dreiwertige  Anion 
Ferricyan  seine  negative  Ladung,  indem  es  in  das  vierwertige  Ferrocyanion 
übergeht,  so  muss  es  einen  anderen  Stoff  oxydieren. 

Auf  diese  Form  der  Vermehrung  oder  Verminderung  von  lonen- 
ladungen lassen  sich  nun  auch  die  verwickeiteren  Oxydations-  und  Re- 
duktionsvorgänge zurückführen.  Das  Schema  besteht  darin,  dass  man 
Oxydationsmittel  (nötigenfalls  unter  Mitrechnung  der  Elemente  des  Wassers) 
als  Hydroxylverbindungen,  Reduktionsmittel  als  Wasserstoffverbindungen 
formuliert,  und  an  den  dadurch  entstehenden  Ionen  die  entsprechenden 
Ladungsänderungen  vornimmt.  Einige  Beispiele  werden  das  Verfahren 
klar  machen. 

Salpetersäure  ist  ein  starkes  Oxydationsmittel,  welches  bei  seiner 


440  IX.   Elektrochemie. 

Betfaätigung   in  NO'  oder  NO    übergeht     Die    Oxydation   des    Silben 
dureh  Salpetersäure  wird  beispielsweise  gewöhnlich  geschrieben: 

Ag  +  2HN0s  =  AgNOs  +  H,0  +  NOj. 

Hierbei  kommt  der  wesentliche  Unterschied  in  der  Wirkung  der 
beiden  Mole  Salpetersäure,  von  denen  nur  das  eine  oxydierend  wirkt, 
nidit  zur  Darstellung.  Nach  dem  eben  angegebenen  Schema  ist  der 
Vorgang  vielmehr  zu  schreiben: 

Ag  +  N0-,/0H'  +  H-/N0'3  =  Ag-/N0',+H,0  +  NO,. 

Hierbei  sind  die  Kationen  mit  so  viel  Punkten,  die  Anionen  mit  so 
viel  Strichen  bezeichnet,  als  ihre  Wertigkeit  beträgt,  und  die  dissociierten 
Bestandteile  sind  durch  emen  Strich  getrennt.  Der  Sinn  der  Gleichung 
ist:  wenn  die  Salpetersäure  als  Oxydationsmittel  wurkt,  so  ist  sie  als 
Hydroxylverbindung  des  Kations  NO*  aufzufassen.  Wenn  auch  sicher 
diese  Spaltung  nur  in  äusserst  geringem  Betrage  erfolgt,  so  ist  es  dodi 
vollkommen  statthaft,  anzunehmen,  dass  MIb  diese  wenigen  Ionen  durch 
irgend  einen  Vorgang  verbraucht  werden,  sie  sich  mit  grosser  Geschwindig- 
keit wieder  bilden.  Die  Oxydation  besteht  dann  darin,  dass  die  Ionen 
NOg  ihre  positive  Ladung  verlieren,  indem  sie  sie  an  das  Silber  ab- 
geben, und  in  neutrales  NO,  übergehen.  Das  Hydroxyl  verbindet  sich 
mit  dem  Wasserstoffion  des  anderen  Salpetersäuremoles  zu  nichtdisso- 
ciiertem  Wasser. 

Ähnlich  ist  die  Oxydation  unter  Bildung  von  NO  aufzu&ssen. 
Unter  Zutritt  des  Wassers  kann  man  die  Reaktion  schreiben: 

3  Ag  +  N0-/(0H)'3  +  3H-/N0'8  =  SAg'/NO'j  +  3H«0  +  NO. 

Hier  ist  die  Bildung  des  dreiwertigen  Kations  NO"*  neben  dra 
Hydroxylen  angenommen,  und  die  Auflösung  des  Silbers  erfolgt,  indem 
die  drei  positiven  Ladungen  drei  Atome  metallischen  Silbers  in  Ionen 
verwandeln.  Die  drei  Hydroxyle  bilden  mit  den  Wasserstoffionen  der 
drei  anderen  Mole  Salpetersäure  Wasser,  während  deren  Anionen  mit 
den  Silberionen  Silbemitrat  darstellen. 

Um  auch  für  ein  Eeduktionsmittel  ein  Beispiel  zu  geben,  sei  die 
Einwirkung  der  schwefligen  Säure  auf  Jod  im  elektrochemischen  Sinne 
formuliert  Die  schweflige  Säure  ist,  da  sie  als  Reduktionsmittel  wirkt, 
als  eine  Wasserstoffverbindung  des  vierwertigen  Anions  SO4""  zu  schreiben, 
indem  die  Elemente  des  Wassers,  addiert  werden  und  es  folgt 

S0/"7H-^  H- J«  =  SO/'/H-,  +  2J'/H- 
Die  Reduktion  des  Jods  zu  Jodwasserstoff  erfolgt,  indem  das  vierwertige 
S04""in  das  zweiwertige,  SO^",  das  Anion  der  Schwefelsäure,  übergeht; 
die  Ladung  wird  zur  Umwandlung  zweier  Jodatome  in  Jodionen  verwendet 
Man  kann  nun  diese  Formulierung  für  eine  zwar  mögliche,  aber  doch 
entbehrliche  ansehen.  Indessen  überzeugt  man  sich  bald,  dass  sie  in  der 
That  das  wesentliche  der  Vorgänge  besser  zum  Ausdruck  bringt,  als  die  alte 
Schreibweise.   Man  sieht  dies  besonders  deutlich  am  Beispiel  der  Übermangan 


Die  chemischen  Vorgänge  in  der  Kette  and  die  lonenreaktionen.       44 1 

säure.  Schreibt  man  diese,  da  sie  ein  Oxydationsmittel  ist,  als  die  Hydroxyl- 
Verbindung  des  sieben  wertigen  Mangans,  HMnO^  +  3HjO=-Mn(OH)7,  so 
übersieht  man  mit  einem  Blick  folgende  Beziehungen. 

Geht  die  Übermangansaure  in  Mangansäure,  die  Hydroxylverbindung  de» 
sechs  wertigen  Mangans  über,  so  verliert  sie  eine  positive  Einheit,  ergiebt 
also  ein  Oxydationsäquivalent. 

Geht  sie  in  Manganhjrperoxyd  (Mangan  vi  er  wertig)  über,  so  ergiebt  sie 
drei  Oxydationsäquivalente. 

Geht  sie  in  zweiwertiges  Manganosalz  über,  so  ergiebt  sie  fünf  Oxy- 
dationsäquivalente. 

Diese  Übersicht  ist  jedenfalls  einfacher,  als  die  gewöhnliche  Darstellung 
der  Oxydationswirkung  der  Permanganate.  Sie  ergiebt  alsbald  für  die  Oxy- 
dation der  Ferrosalze  zu  Ferrisalzen,  die  so  viel  als  analytische  Methode  be- 
nutzt wird,  dass  ein  Mol  Permanganat  fünf  Ferroionen  zu  oxydieren  vermag, 
da  für  jedes  zum  Übergang  aus  dem  zweiwertigen  Zustande  in  den  drei- 
wertigen nur  je  eine  Oxydations-  oder  Ladungseinheit  erforderlich  ist. 

Es  kann  noch  die  Berechtigung  der  Annahme  jener  vielwertigen  Ionen 
in  Frage  gestellt  werden,  auf  welcher  diese  Betrachtungen  beruhen.  Nun  ist 
es  möglich,  sich  hier  ganz  auf  den  formalen  Standpunkt  zu  stellen,  und  diese 
Ionen  nur  als  bequeme  Rechenhilfsmittel  zu  betrachten.  Ergiebt  dies  schon 
eine  Rechtfertigung  aus  der  Zweckmässigkeit,  so  kann  man  doch  noch  weiter 
gehen,  und  auch  Gründe  für  die  wirkliche  Existenz  dieser  Ionen,  wenn  auch 
in  äusserst  geringen  Mengen  anführen').  Diese  liegen  in  dem  Satze,  dass 
ebenso  wie  es  prinzipiell  unmöglich  ist,  aus  einem  gegebenen  Räume  ein 
vorhandenes  Gas  vollständig  auszupumpen,  auch  unendliche  Arbeit  für  die 
vollständige  Entfernung  eines  in  einer  Lösung  vorhandenen  Stoffes  aus 
dieser  nötig  wäre.  Daraus  folgt  umgekehrt,  dass  die  ersten  Spuren  jedes 
Stoffes,  der  unter  gegebenen  Umständen  überhaupt  möglich  ist,  mit  un- 
widerstehlicher Gewalt  sich  bilden  müssen.  Alle  unter  gegebenen  Umständen 
möglichen  Stoffe  sind  demnach  auch  als  wirklich  vorhanden  anzusehen.  Da- 
mit ist  natürlich  noch  nichts  über  die  Menge  ausgesagt,  in  der  sie  vorhanden 
sind,  und  bei  der  engen  Begrenzung  unserer  analytischen  Hilfsmittel  müssen 
diese  in  den  meisten  Fällen  versagen.  Jede  Erweiterung  der  Hilfsmittel 
bringt  uns  indessen  eine  neue  Bestätigung  des  obigen  Satzes;  es  ist  in  dieser 
Beziehung  nur  an  die  Bemühungen  verschiedener  Forscher  um  die  Herstellung 
sauerstoffEreier  Räume  zu  erinnern,  welche  zu  dem  Ergebnis  geführt  haben, 
dass  jedes  empfindlichere  Reagens  diesen  Stoff  noch  dort  nachweist,  wo  die 
früheren  Reagentien  keinen  mehr  erkennen  Hessen,  und  eine  Grenze  sich 
nidit  absehen  lässt. 

Sind  auf  diese  Weise  alle  Wirkungen  der  Oxydations-  und  Re- 
duktionsmittel auf  Änderungen  von  lonenladungen  zurückgeführt,  so  muss 
umgekehrt  geschlossen    werden^   dass   alle  Oxydations-  und  Reduktions- 


^)  Bei  der  Nitrirung  aromatischer  Verbindungen  wirkt  die  Salpetersäure 
im  Sinne  der  Spaltung  NO*j/OH'. 


442  IX.  Elektrochemie. 

mittel,  wenn  sie  von  unmittelbarer  Wechselwirkung  geschützt  mit  Elek- 
troden versehen  und  zu  einer  Kette  angeordnet  werden,  einen  elektrisdien 
Strom  geben  müssen.  Die  Erfahrung  bestätigt  diesen  Schluss  durchaus; 
schon  Davy  hat  in  seinen  frühesten  elektrochemischen  Versuchen  (1801) 
solche  Ketten  hergestellt  und  wirksam  befunden,  und  später  sind  zahl- 
reiche  weitere    Zusammenstellungen  hergestellt   und  untersucht  worden. 

Daraus  geht  weiter  hervor,  dass  man  jeden  chemischen  Vorgang, 
bei  welchem  ein  Stoflf  auf  Kosten  eines  anderen  oxydiert  wird,  als  Volta- 
sche Kette  anordnen  und  auf  seine  elektromotorische  Kraft  prüfen  kann. 
Entsprechend  dem  S.  434  Gesagten  wird  die  elektromotorische  Kraft 
einer  solchen  Kette  nicht  durch  die  Wärmetönung  des  zugehörigen  che- 
mischen Vorganges  bestimmt,  sondern  es  tritt  in  ihr  der  Betrag  von 
Arbeit  zu  Tage,  den  der  Vorgang  leisten  kann;  dieser  kann  kleiner  oder 
auch  grösser  sein,  als  die  freiwerdende  Wärmeenergie.  Man  erlangt  mit 
anderen  Worten  durch  die  Messung  dieser  elektromotorischen  Kraft  an 
Mass  fllr  die  freie  Energie  des  Vorganges,  und  darin  Hegt  die  besondere 
Wichtigkeit  solcher  Messungen. 

Es  erhebt  sich  naturgemäss  die  Frage,  ob  nicht  auch  andere  che- 
mische Vorgänge  sich  zu  einer  Voltaschen  Kette  anordnen  lassen,  da- 
mit man  auf  diesem  Wege  ihre  freie  Energie  messen  kann.  Die  Ant- 
wort ist,  dass  dies  allgemein  der  Fall  ist,  soweit  Elektrolyte.in  der  Re- 
aktion vorkommen.  Es  brauchen  keineswegs  alle  beteiUgten  Stoffe  Elektro- 
lyte  im  gewöhnlichen  Sinne  zu  sein;  es  genügt,  wenn  einige  es  »nd. 
Doch  gehören  zur  Beurteilung  solcher  anderer  FäUe  noch  andere  That- 
sachen,  zu  deren  Studium  wir  jetzt  übergehen  wollen. 


Achtes    Kapitel. 
Konzentrationsketten. 

Wenn  man  zwei  Ketten  aus  Zink,  Zinkchloridlösung,  Quecksilber- 
chlorür  und  Quecksilber  aufbaut,  und  sie  gegeneinander  schaltet,  so  ist 
das  Ganze  symmetrisch,  und  es  geht  kein  Strom  hindurch.  Ändert  man 
nun  nichts  daran,  als  dass  man  die  Zinkchloridlösung  in  der  einen  Kette 
mit  Wasser  verdünnt,  so  zeigt  sich  eine  Spannung,  die  beweist,  dass  das 
Gebilde  nicht  mehr  im  Gleichgewichte  ist.  Lässt  man  den  Strom  zu 
Stande  kommen,  so  wirkt  er  in  solchem  Sinne,  dass  in  der  Kette  mit 
der  verdünnteren  Lösung  Zink  gelöst  und  QuecksUberchlorür  zersetzt, 
also  neues  Zinkchlorid  gebildet  wird,  während  in  der  anderen  Kette 
Zink  abgeschieden  und  Kalomel  gebildet  wird,  die  Lösung  also  an  Zink- 
chlorid verarmt.  Gleichgewicht  tritt  erst  ein,  wenn  die  Konzentrationen 
der  Zinkchloridlösungen  in  beiden  Ketten  gleich  geworden  sind. 

Die  Quelle  der  elektrischen  Energie  in  dieser  Kette  ist  also  die 
Verschiedenheit    der    Konzentrationen    der    Zinksalzlösungen,    und    der 


KonzentrationBketten.  443 

Betrag  der  auf  elektrischem  Wege  zu  gewinnenden  Energie  muss  dem 
gleich  sein^  den  man  auf  irgend  einem  anderen  Wege  durch  den  Aus- 
gleich der  Konzentrationsverschiedenheiten  erlangen  kann. 

Solcher  Wege  giebt  es  mehrere.  Zunächst  sind  die  Dampfdrucke 
der  beiden  Lösungen  verschieden,  und  indem  man  Wasserdampf  aus  der 
verdünnteren  Lösung  in  die  konzentriertere  überdestillieren  lässt,  kann 
man  den  vorhandenen  Druckunterschied  zu  einer  Arbeitsleistung  benutzen. 
Berechnet  man  diese  Arbeit  för  den  Fall,  dass  der  zu  einem  Mol  Zink- 
chlorid gehörige  Wassertiberschuss  der  verdünnteren  Lösung  in  die  kon- 
zentriertere tiberdestilliert  wird  (wobei  man  beide  Fltissigkeitsmengen  so 
gross  annimmt,  dass  keine  von  ihnen  eine  wesentliche  Änderung  der 
Konzentration  hierbei  erleidet),  und  dividiert  sie  durch  die  Elektrizitäts- 
menge 2F,  durch  deren  Übergang  zwischen  beiden  Ketten  das  gleiche 
Ergebnis  erhalten  wird,  so  muss  der  Quotient  die  Spannung  dieser  Kon- 
zentrationskette ergeben.  Es  ist  von  Helmholtz  (1872)  gezeigt  worden, 
dass  die  Rechnung  mit  der  Messung  vollkommen  tibereinstimmt. 

Man  kann  aber  die  Rechnung  auch  etwas  einfacher  ftihren,  wenn 
man  den  Begriff  des  osmotischen  Druckes  benutzt  (Nemst  1889).  Durch 
den  Übergang  der  Elektrizitätsmenge  2F  in  der  Doppelkette  wird  ein 
Mol  Zinkchlorid  aus  der  konzentrierten  Lösung  fortgenommen,  und  eben- 
soviel in  der  verdtinnteren  erzeugt.  Die  dazu  erforderliche  osmotische 
Arbeit  ist  identisch  mit  der,  welche  eine  entsprechende  Gasmenge  leisten 
würde,  wenn  sie  bei  konstanter  Temperatur  (die  hier  immer  vorausgesetzt 
wird)  sich  von  dem  höheren  Drucke  bis  zum  niederen  ausdehnte.  Nennt 
man  die  osmotischen  Drucke  der  beiden  Zinkchloridlösungen  p^  und  p^, 
und  bezeichnet  mit  i  die  Gesamtzahl  der  Mole,  die  durch  die  elektro- 
lytische Dissociation  aus  emem  Mol  Zinkchlorid  entstanden  sind,  so  wird 
diese  Arbeit  durch  iRTln(pJpj)  dargestellt.  Da  femer  die  gleichzeitig 
in  der  Doppelkette  tibergegangene  Elektrizitätsmenge  2F  ist,  so  ergiebt 
sich  die  elekti'omotorische  Ej*aft  :it  der  Konzentrationskette  zu 

iRT  .    p, 


2F         p, 

Im  Falle  einer  verdünnten  Lösung  ist  i  =  3,  da  ZnCP  sich  in  drei 
Ionen  spaltet. 

Die  Formel  ist  identisch  mit  der,  welche   man  auf  Grund  der  Betrach- 
tang der  Dampfdrucke  des  Wassers  aus  den  Lösungen  erhalten  kann.     Dies 
ergiebt  sich  durch  die  Benutzung  der  S.  201   entwickelten  Beziehungen  zwi- 
^  sehen    dem  Dampfdruck  und  dem  osmotischen  Druck.     Die  genauere  Ent- 
I  Wickelung  soll  dem  Leser  überlassen  bleiben. 

Man  kann  die  gegebene  Formel  offenbar   verallgemeinern,   wenn  man 

statt  der  bestimmten   Zahl  2  den  allgemeinen  Wert  n  einsetzt.     Sie  enthält 

i  nur  die  Konzentrationen  der  beiden  Salzlösungen  und  gilt  dann  für  alle  ahn- 

'  liehen  Fälle,  wo  zwei  Ketten  solcher  Art  gegeneinander  geschaltet  sind.     Man 

kann  also  das  Zink  durch  jedes  andere  Metall  ersetzen,  welches  die  Herstel- 


444  IX-   Elektrochemie. 

lung  einer  Elektrode  und  einer  elektrolytischen  Lösung  gestattet,  und  eben« 
kann  nicht  nur  das  Quecksilberchlorür  durch  andere  schwerlösliche  Salze  da 
Quecksilbers,  sondern  auch  dies  Metall  und  sein  Salz  selbst  durch  irgend  eil 
anderes  Metall  und  sein  schwerlösliches  Salz  ersetzt  werden,  ohne  dass  die 
grundlegenden  Betrachtungen  eine  Änderung  zu  erfahren  brauchen.  Da  die 
Eonstanten  R  und  F  unabhängig  von  der  Natur  der  Stoffe  sind,  so  eigebei 
sich  auch  die  elektromotorischen  Kräfte  als  unabhängig  von  der  Natur  da 
beteiligten  Stoffe,  wenn  die  Faktoren  n  und  i  dieselben  sind,  und  sie  stehea 
in  einfachen  rationalen  Verhältnissen,  wenn  sie  verschieden  sind. 

Alle  diese  Schlüsse  (Ostwald  1892)  sind  durch  die  Beobachtung  als  zu- 
treffend erwiesen  worden  (Goodwin  1893). 

Für  die  zahlenmässige  Berechnung  ist  folgendes  zu  beaditen.  Die 
Konstante  R  beträgt  in  absolutem  Masse  8*31  X  10*^;  F  ist  96540  CooL 
Dividiert  man  gleichzeitig  mit  04343  ein^  um  statt  der  natürlidien  Lo- 
garithmen dekadische  benutzen  zu  können,  und  berücksichtigt,  öa» 
1  VoltX  1  Coul=  10''  Erg  ist,  so  wird  der  Faktor  vor  der  Gleidimig 

8*31  T 

— — -— — — -  =  00001982 T,   wofür  man  mit  einem  Fehler  voa 

04343  X  96450  ' 

fast  genau  1  Prozent  0*0002  T  setzen  kann.     Für  Zimmertemperatoi^ 

18®C  =  291'>A  ergiebt  sich 

jr  =  0.0570-. log ?^  Volt, 
n        Pj 

In  dem  oben  erwähnten  Falle  der  Zinkcbloridkette  ist  ^  verdünntt 
Lösungen  i  =  3;  n  =  2 ;  nimmt  man  also  ein  YerdünnungsverfaältDi» 
1 :  10  aU;  dessen  Logarithmus  =  1  ist;  so  wird  eine  derartige  Doppd- 
kette  eine  Spannung  von  0.075  V  geben.  Man  sieht,  dass  auch  sehr 
grosse  Unterschiede  der  Konzentration  keine  besonders  hoben  Spannungen 
ergeben  werden,  da  diese  nur  mit  dem  Logarithmus  des  VerhäJtnissei 
der  osmotischen  Drucke  oder  Konzentrationen  wachsen,  also  viel  lang* 
samer,  als  die  Verbältnisse  selbst 

Man  könnte  denken,  dass  an  Stelle  der  beschriebenen  Anordnung  aus 
zwei  gegeneinander  geschalteten  Ketten  eine  einfachere  Platz  greifen  könnte^ 
die  man  aus  zwei  Zinkelektroden  zusammenstellt,  deren  jede  in  einer  Zink- 
salzlösung von  anderer  Konzentration  steht.  Solche  einfache  Konzentrations- 
ketten ergeben  allerdings  auch  eine  Spannung  in  demselben  Sinne,  wie  die 
frühere  Anordnung;  sie  ist  aber  stets  kleiner.  Dies  rührt  daher,  dass  hier 
beim  Durchgange  des  Stromes  nicht  die  ganze  dem  Faradayschen  Gesetze 
entsprechende  Änderung  der  Konzentration  eintritt,  wie  dies  bei  der  £nt- 
wickelung  der  Formel  angenommen  worden  war.  Die  KonzentrationsSn- 
derungen  sind  vielmehr  geringer,  da  ausserdem  die  Überführung  in  Frage^ 
kommt  (S.  388).  Dadurch  beträgt  nach  dem  Durchgange  von  nF  die  Kon*^ 
zentrations&nderung  nicht  ein  Mol,  sondern  nur  den  Bruch  v/(u  -f  y)  von 
einem  Mol,  wo  u  die  Wanderungsgeschwindigkeit  des  Kations,  v  die  des  An- 
ions  ist.    Um  denselben  Bruchteil  ist  die  Arbeit,  und  somit  die  elektromoto- 


Eonzentrationgketten.  445 

Tische    Kraft   kleiner,    so    dass    für   gewöhnliche    Eonzentrationsketten    die 
Formel  gilt 

n  -  -4—  •  -  •0.0002T  log ii  . 
u  +  V      n  V% 

Beachten  wir  nun^  dass  sich  ähnliche  Betrachtungen  nicht  nur  auf 
den  Ausgleich  der  Konzentration  verschiedener  Salzlösungen  anwenden 
lassen,  sondern  auf  die  Vermehrung  und  Verminderung  der  Konzentra- 
tionen der  an  dem  Zustandekommen  des  Stromes  in  der  Kette  überhaupt 
beteiligten  Stoffe,  so  sehen  wir,  dass  sich  durch  den  gleichen  Gedanken- 
gang, die  Berechnung  der  osmotischen  Arbeiten,  die  beim  Stromdurehgange 
in  der  Kette  zu  stände  kommen,  eine  Theorie  der  Voltaschen  Ketten  über- 
haupt gewinnen  lässt  Dies  ist  in  der  That  in  weitem  Umfange  möglich 
gewesen  (van't  Hoff  1885,  Nemst  1889),  und  wir  gelangen  dazu,  wenn 
wir  die  osmotischen  Arbeiten  bei  der  elektrolytischen  Auflösung  der  Me- 
talle in  Betracht  ziehen.  Ein  fester  Stoff  verhält  sich  gegenüber  einer 
Flüssigkeit,  wie  ein  flüchtiger  Stoff  gegenüber  einem  Dampfraume.  Je 
nach  der  Konzentration,  die  in  der  Lösung  herrscht,  wird  er  entweder 
in  Lösung  gehen,  oder  es  wird  aus  der  Jjösung  Substanz  sich  auf  ihm 
niederschlagen,  beides,  bis  ein  bestimmtes  Gleichgewicht  erreicht  ist  und 
eine  bestimmte  Konzentration,  die  Sättigungskonzentration,  sich  in  der 
Lösung  hergestellt  hat. 

Ist  diese  von  vornherein  nicht  vorhanden  gewesen,  so  kann  durch 
die  Herstellung  der  Sättigung  Arbeit  gewonnen  werden.  War  die  Lö- 
sung vorher  ungesättigt,  so  ist  der  Arbeitsgewinn  mit  der  Auflösung  des 
festen  Stoffes  verbunden.  War  umgekehrt  die  Lösung  übersättigt,  so 
wird  Arbeit  gewonnen,  indem  die  Konzentration  in  der  Lösung  geringer 
wird  und  sich  fester  Stoff  niederschlägt. 

Man  kann  diese  Arbeiten  berechnen,  wenn  man  es  mit  einem 
flüchtigen  Stoffe  zu  thun  hat,  dessen  Dämpfe  den  Gasgesetzen  unter- 
liegen. Ist  p«,  der  Sättigungsdruck  und  p  der  ursprünglich  vorhandene, 
80  kann  jedes  Mol  des  Dampfes  die  Arbeit  bei  konstanter  Temperatur 
T  die  Arbeit  RTln(pQ/p)  leisten,  indem  es  von  dem  Drucke  Po  zu  dem 
Drucke  p  übergeht. 

Für  Lösungen  gilt  ganz  dieselbe  Formel,  wenn  man  unter  p  den 
osmotischen  Druck  versteht. 

Nun  ist  zu  beachten,  dass  för  die  Gültigkeit  dieser  Formel  keines- 
wegs erforderlich  ist,  dass  der  Dampf  dieselbe  Zusammensetzung  habe, 
wie  die  andere  Phase.  Ein  fester  Stoff,  der  gasförmige  Zersetzungspro- 
dukte ausgiebt,  folgt  genau  demselben  Gesetze;  aUes  was  zu  verlangen 
;ißt,  ist  die  Umkehrbarkeit  der  Umwandlung.  Dasselbe  gilt  für  Lösungen; 
was  ans  dem  festen  Stoffe  wird,  wenn  er  in  Lösung  geht,  ist  gleich- 
I  gültig,  wenn  er  nur  wieder  aus  der  Lösung  zurückerhalten  werden  kann. 

Einen  derartigen  Fall  haben  wir  in  den  Metallen  vor  uns,  die 
Ionen  bilden  können.  Die  Zinkionen  in  der  Lösung  eines  Zinksalzes 
sind  von  einer  Lösung  des  Zinkmetalles  sicher  verschieden;   sie  können 


446  IX*   Elektrochemie. 

aber  ans  Zinkmetall  entstehen,  und  in  dieses  übergeführt  werden,  so  das» 
man  ihre  BUdnng  aus  Metall  in  einer  Lösung  als  mit  denselben  Arb^ts- 
beträgen  verbunden  ansehen  muss,  wie  bei  einer  gewöhnlichen  Lösung. 
Unterliegt  doch  auch  die  Auflösung  eines  Salzes  den  gleichen  Gesetzen 
(wenn  man  auf  die  vermehrte  Molenzahl  die  erforderliche  Rücksicht 
nimmt),  obwohl  wir  wissen,  dass  es  gleichfalls  zum  grössten  Teil  in  etwas 
anderes,  nämlich  in  die  Ionen  übergeht. 

Bei  dem  Übergange  eines  Metalls  in  Ionen  kommt  nun  ein  neu^ 
Umstand  in  Frage.  Aus  den  Erscheinungen  der  elektrolytischen  Ldtung 
wissen  wir,  dass  mit  den  Ionen  Mektrizitätsmengen  wandern  und  über- 
haupt dauernd  verbunden  sind.  Werden  ihnen  die  elektrischen  Ladungen 
entzogen,  so  verlieren  sie  ihre  lonennatur  und  gehen  in  indifferente  oder 
neutrale  Stoffe  über.  Bei  der  Auflösung  von  Salzen,  die  ja  auch  mit 
einer  lonenbildung  verbunden  ist,  machen  sich  keine  elektrischen  Er- 
scheinungen geltend,  da  sich  immer  die  entgegengesetzten  Ionen  in 
gleicher  Menge  bilden,  also  auch  die  entgegengesetzten  Elektrizitätsmengen 
in  gleichem  Betrage  gleichzeitig  entstehen.  Unter  solchen  Bedingungen 
sind  elektrische  Erscheinungen  nach  aussen  nicht  möglich.  Wenn  aber 
ein  Metall  in  Ionen  übergehen  soll,  so  können  sich  nur  Kationen  od^ 
positiv  geladene  Ionen  bilden:  damit  dies  möglich  ist,  muss  eine  entsprechende 
Zufuhr  von  positiver  oder  Abfuhr  von   negativer  Elektrizität  stattfinden. 

Durch  diesen  Umstand  sind  die  Auflösungserscheinungen  der  Me- 
talle besonders  zur  Bildung  elektrischer  Bewegungen  geeignet  Da  eine 
lonenbildung  nicht  ohne  solche  stattfinden  kann,  lassen  sich  elektrisdie 
und  chemisdie  Vorgänge  aneinander  knüpfen,  und  man  erlangt  Maschinen 
zur  Überführung  chemischer  Energie  in  elektrische  und  umgekehrt. 

Betrachten  wir  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  *Daniellsche  Kette, 
so  werden  wir  dem  Zink  einen  bestimmten  Lösungsdruck  zuschreiben 
können,  mit  dem  es  Ionen  zu  bilden  bestrebt  ist.  Ist  dieser  Druck 
grösser  als  der  osmotische  Druck  der  Zinkionen  in  der  Lösung,  so  wird 
der  Übergang  aus  dem  Metall  in  die  Lösung  der  Möglichkeit  einer  Arbeits 
abgäbe  nach  aussen  entsprechen.  Da  dieser  Übergang  aber  nur  unter 
gleichzeitiger  Elektrizitätsbewegung  erfolgen  kann,  so  kann  diese  Arbeit 
vollständig  in  Gestalt  elektrischer  Energie  gewonnen  werden. 

Damit  dies  aber  stattfinden  kann,  ist  es  nötig,  beständig  die  Be- 
dingung zu  erfüllen,  dass  im  Inneren  der  Leiter  sich  nie  ein  Über- 
schuss  von  Elektrizität  befinden  kann.  Ebensoviel  positive  Elektrizität 
als  durch  die  Bildung  der  Zinkionen  in  die  Flüssigkeit  tritt,  muss  durdi 
irgend  einen  entsprechenden  Vorgang  daraus  entfernt  werden.  Dies  ge- 
schieht in  der  Danielischen  Kette  dadurch,  dass  gleichzeitig  mit  d» 
Lösung  des  Zinks  ebensoviel  Kupferionen  die  Lösung  verlassen  und 
dieser  die  gleiche  Menge  positiver  Elektrizität  entziehen.  Da  dies  an 
zwei  getrennten  SteUen,  der  Zink-  und  der  Kupferelektrode  geschieht, 
so  kann  der  Vorgang  erst  beginnen,  wenn  durch  leitende  Verbindung 
der  beiden  Pole  die  Elektrizitätsbewegung  ermöglicht  wird. 


Eonzexitrationsketten.  447 

Auch  die  Entfernung  der  Kupferionen  aus  der  Lösung  wird  nicht 
ohne  positive  oder  negative  Arbeitsleistung  möglich  sein,  die  auf  ganz 
dieselbe  Weise  zu  berechnen  ist,  wie  am  Zink,  nur  dass  sie  mit  umge- 
kehrtem Zeichen  in  Rechnung  zu  bringen  ist,  da  beim  Eintritt  der  Zink- 
ionen die  Kupferionen  austreten  müssen.  Die  an  der  Kette  zu  beob- 
achtende elektromotorische  Kraft  wird  sich  daher  als  Unterschied  der 
beiden  Werte  an  den  Elektroden  erweisen. 

Bezeichnet  man  die  Lösungsdrucke  des  Zinks  und  des  Kupfers  mit 
P,  und  Pg,  und  die  osmotischen  Drucke  der  Zink-  bezw.  Kupferionen 
in  den  Lösungen,  die  die  Metalle  berühren,  mit  p^  und  p^,  so  wird  die 
Gesamtarbeit,  die  der  Kette  entnommen  werden  kann,  wenn  ein  Mol 
Zink  gelöst  und  ein  Mol  Kupfer  niedergeschlagen  wird,  ausgedrückt  sein 
durch  die  Differenz  RT  hi  (P^  /pj  —  RT  hi  (P^  /p^). 

Nun  lassen  sich  die  osmotischen  Drucke  der  Ionen  in  den  beiden 
Lösungen  zwar  leicht  berechnen,  wenn  man  die  Konzentrationen  und 
die  Dissodationszustände  bestimmt.  Für  die  Messung  der  Lösungsdi*ucke 
der  Metalle  haben  wir  aber  noch  keinen  Anhaltspunkt  gewonnen,  und 
müssen  daher  die  Grössen  Pj  und  Pj  zunächst  als  zwar  bestimmt,  aber 
mibekannt  betrachten.  Sie  hängen  in  erster  Linie  von  der  Natur  des 
Metalls  ab,  femer  von  der  Temperatur  und  schliesslich  vom  Lösungs- 
mittel. Da  wir  uns  aber  ausschliesslich  mit  wässerigen  Lösungen  be- 
schäftigen werden,  so  können  wir  diese  Veränderlichkeit  als  ausgeschlossen 
ansehen.  Arbeiten  wu*  ausserdem  bei  konstanter  Temperatur,  so  bleibt 
als  einzige  Veränderlichkeit  die  Natur  des  Metalls  übrig. 

Um  femer  die  Arbeit  bei  dem  elektrochemischen  Vorgange  in  mes»- 
baren  Grössen  zu  haben,  erinnern  wir  uns  der  Betrachtung,  dass  die 
elektrische  Energie  durch  das  Produkt  von  Elektrizitätsmenge  und  Span- 
nung gegeben  ist.  Erstere  ist  durch  das  Faradaysche  Gesetz  bestimmt 
und  beträgt  n.  96540 Coul  =  nF,  wo  n  die  Valenz  des  Ions  ist,  das 
aus  einem  Mol  des  Metalis  entsteht.  Durch  Division  der  Elektrizitäta- 
menge  in  die  Arbeit  erhalten  wir  somit  die  Spannung  an  der  Elektrode. 

Sie  ergeben  sich  zu  Jt  =  -^=r  In  — . 

nF       p 

Eine  Kette  setzt  sich  aus  zwei  Elektroden  in  ihren  Lösungen  zu- 
sammen, welche  in  entgegengesetzter  Reihenfolge  geschaltet  sind,  nämlich 
Metall /Elektrolyt  und  Elektrolyt /Metall.  Die  Spannung  der  Kette  ist 
somit  gleich  dem  Unterschiede  der  beiden  Spannungen  an  den  Elek- 
troden. Ausserdem  ist  noch  die  Spannung  zwischen  den  beiden  Elek- 
trolyten und  die  zwischen  beiden  Metallen  zu  berücksichtigen:  wir  werden 
später  sehen,  dass  die  erstere  fast  immer  sehr  klein,  und  die  letztere 
wahrscheinUch  Null  oder  nahezu  Null  ist.  Es  soll  also  vorläufig  von 
diesen  beiden  letzten  abgesehen  werden. 

In  einer  Kette  wird  demnach  die  Spannung  durch  einen  Ausdruck 

RT  /l       P        1        P  \ 

von  der  Gestalt  J€=  jt.  —  jr*.  =-z:r  ( —  ^^  — ^  ~^ )    dargestellt 

b    \nj      pi       Ug       p^/ 


448  IX*   Elektrochemie. 

sein  7    wo    sich  die    mit    1  und  2  bezeichneten  Grössen    auf  die    bdden 

zusammensetzenden  Elektroden  nebst  Lösungen  beziehen.    Die  Grosse  B;F 

ist  bereits  berechnet  und  gleich  0-000198  für  den  Fall  gefunden  worden, 

dass  gleichzeitig  statt  der  natürlichen  Logarithmen  dekadische  eingeföhrt 

/ 1         P 
werden.     Wir   schreiben  die  Gleichung  jr  =  0-000198  T    — log— ^^ — 

1         P  \ 

—  log  — ^   .    Ist  n,  ==-n«,  so  haben  wir  den  einfacheren  Ausdruck  x  = 

0-000 1 98  T,      Pi    p. 
log    '    *^' 


n  P,    pi 

Um  in  der  Folge  die  durch  Änderung  der  p- Grössen  eintretenden 
Änderungen  der  Spannung  zu  bezeichnen,  können  wir  uns  kaum  der 
Worte  positiv  und  negativ  bedienen.  Aus  den  Tagen  der  Voltaschen 
Theorie,  wo  die  an  den  Ketten  beobachteten  Spannungen  irrtümlich  an 
die  Berührungsstellen  der  Metalle  gelegt  worden  waren,  ist  die  Bezeich- 
nung des  Zinks  als  des  positiven  und  des  Kupfers  als  des  negativen 
Metalls  noch  vielfach  übrig  geblieben.  Nun  zeigt  sich  aber  in  der  Da-, 
niellschen  Kette  das  Zink  negativ,  wenn  man  das  Kupfer  (durch  Ableiten, 
zur  Erde)  auf  die  Spannung  Null  bringt,  und  das  Kupfer  ist  positiv, 
wenn  das  Zink  auf  Null  gebracht  wird.  Eine  unzweideutigere  Bezeich- 
nung gewinnt  man,  wenn  man  die  von  Faraday  eingeföhrte  Benennung 
der  Elektroden  benutzt.  Kathode  ist  danach  die  Elektrode,  an  welcher  sich 
aus  dem  Elektrolyt  Kationen  entladen,  Anode  die,  an  welche  sich 
Anionen  begeben.  Man  erweitert  diese  Definition  dahin,  dass,  ebenso  wie 
die  Abscheidung  von  Kationen  aus  dem  Elektrolyt  auch  die  Bildung  von 
Anionen  in  diesem  den  Kathodencharakter  kennzeichnet;  ebenso  ist  eine 
Elektrode  auch  Anode,  wenn  sie,  statt  Anionen  aus  der  Flüssigkeit  aof- 
zunehmen  (was  selten  geschieht),   Kationen  in  die  Flüssigkeit  entsendet 

Eine  Elektrode  wird  also  anodischer,  wenn  die  Tendenz  der  An- 
ionen, die  Flüssigkeit  zu  verlassen,  oder  die  Tendenz  der  Kationen,  in 
sie  einzutreten,  zunimmt.  Ebenso  wbd  eine  Elektrode  kathodiseher,wenn 
an  ihr  die  Tendenz  der  Kationen,  aus  der  Flüssigkeit  auf  die  Eld^trode 
überzutreten  grösser,  bezw.  die  Tendenz  der  Anionen  für  den  gleidien 
Übergang  kleiner  wird.  Eine  Kette  hat  eine  um  so  grössere  Spannung, 
je  kathodischer  die  Kathode  und  je  anodischer  die  Anode  ist 

Wird  eine  Elektrode  kathodischer,  so  wächst  die  positive  Spannung 
an  der  Elektrode,  wenn  man  sie  von  dem  Potential  der  Flüssigkeit  ab^ 
rechnet;  umgekehrt  wird  die  negative  Spannung  der  Flüssigkeit  grösser 
oder  die  positive  kleiner,  wenn  man  die  der  Elektrode  als  Ausgangs- 
punkt wählt.  Umgekehrt  verhält  sich  eine  Elektrode,  wenn  sie  anodi- 
scher wird. 

In  der  Daniellkette  ist  das  Zink  Anode,  das  Kupfer  Kathode.  Ver- 
mehrt man  die  Konzentration  der  Zinkionen,  so  vermindert  man  die| 
Tendenz  des  Zinks,   Ionen  zu  bilden,   durch  die  Erhöhung  des  osmoti- 


Konzentrationsketten.  .449 

sehen  Gegendruckes.  Dadurch  wird  die  Zinkanode  weniger  anodisch  und 
die  Gesamtspannung  der  Kette  sinkt.  Vermehrt  man  umgekehrt  die 
Konzentration  der  Kupferlösung  an  der  Kathode,  so  wird  die  Tendenz 
der  Ionen,  an  die  Elektrode  überzutreten,  gesteigert.  Die  Kathode  wird 
kathodischer  und  dadurch  wächst  die  Gesamtspannung  der  Kette.  Dies 
ist  natürlich  allgemein  und  somit  gUt  die  Regel:  Konzentrationsvermeh- 
rung  der  Ionen  des  Metalls  in  dem  Elektrolyt  (der  Kationen)  macht  das 
Metall  darin  kathodischer,  bezw.  weniger  anodisch. 

Vergleicht  man  diese  Definitionen  mit  der  Formel  für  die  Spannung 
der  Kette,  so  findet  man  sie  in  Übereinstimmung,  wenn  man,  wie  ge- 
schehen, die  Spannungen  von  der  Anode  ab  in  die  Kette  hineinzählt. 

Aus  der  Formel  für  die  Einzelspannungen,  sowie  der  tür  die  Ge- 
samtspannung lassen  sich  viele  Schlüsse  ziehen.  Da  die  Werte  der 
Lösungsdrucke  zunächst  unbekannt  sind,  so  müssen  die  Schlüsse  auf 
solche  Fälle  beschränkt  werden,  in  denen  diese  Grössen  entweder  kon- 
stant sind,  oder  sich  herausheben. 

In  der  Gleichung  für  die  Spannung  an  einer  Elektrode  jü= 

n 
P 
log —  kommt  das  Anion  nicht  vor.    Man  muss  daraus  schUessen,  dass  die 

P 
Spannung  von  diesem  unabhängig  sein  muss,  und  bei  allen  Salzen  des- 
selben  Metalls  bei  äquivalenter  Konzentration  den   gleichen  Werth   hat, 
wenn  nur  deren  Dissociation  die  gleiche  ist. 

Der  Versuch  hat  diesen  Schluss  in  weitem  Umfange  bestätigt.  Mit  21 
verschiedenen  Salzen  (1/50  —  normal)  des  Thalliums  werden  in  einer  Kette, 
deren  anderes  Glied  aus  Quecksilber  nebst  Calomel  unter  Chlorkaliumlösung 
bestand,  folgende  Spannungen  beobachtet  (Neumann  1894): 


Säure 

Spannung 

Säure 

Spannung 

Hydroxyd 

0-7040 

Bemsteinsäure 

0-7040 

l'luorwasserstoffsänre 

0-7050 

Weinsäure 

07050 

Kohlensäure 

07050 

Citronensäure 

0-7055 

Schwefelsäure 

0-7050 

Fumarsäure 

0-7040 

Salpetersäure 

07055 

Maleinsäure 

0-7060 

Ameisensäure 

0-7045 

Itakonsäure 

07050 

Essigsäure 

07055 

Citrakonsäure 

07050 

Buttersäure 

0-7046 

Benzoesäure 

0-7050 

Monochloressigsäure 

0-7050 

Salicylsäure 

0-7055 

Propionsäure 

0-7045 

Phtalsäure 

0-7055 

Malonsäure 

0-7050 

Ebenso  hat  sich  gezeigt,  dass  die  Daniellkette  die  gleiche  Spannung  hat, 
wenn  man  die  Lösungen  der  Sulfate  durch  äquivalente  Lösungen  mit  einem 
anderen  Anion  ersetzt. 

An  der  Daniellkette  ist  gleichfalls  der  Schluss  geprüft  und  bestätigt 
worden,  dass  eine  Verdünnung  des  Salzes  an  der  Anode  die  Spannung  ver- 
mehrt, an  der  Kathode  sie  vermindert.    Werden  beide  Lösungen  in  gleichem 

Ostwald,  Grundriss.  8.  Aufl.  29 


450  ^^*  Elektrochemie. 

Verhältnisse  verdünnt  oder  konzentriert,  so  ändert  sich  die  Spannung  nicht 
Dies  ist  eine  Folge  davon,  dass  beide  Metalle  zweiwertig  sind,  so  dass  in  der 
Formel  n^  «» n,  ist. 

Durch  Veränderung  der  Konzentration  kann  man  die  Spannung 
nicht  sehr  erheblich  ändern.  Denn  nimmt  man  eine  zehn£su2h  normale 
Lösung  als  konzentrierteste,  die  sich  darstellen  lässt,  so  bedingt  bei 
einem  zweiwertigen  Metall,  wie  Zink  oder  Kupfer,  die  Verdünnung  auf 
eine  1/1000  —  normale  Lösung  —  die  verdünnteste,  die  man  mit 
Sicherheit  handhaben  kann  —  nur  eine  Änderung  der  Spannung  um 
012  V.  Dagegen  giebt  es  einige  sehr  wirksame  andere  Mittel,  die 
Konzentration  der  E^ationen  auf  geringe  Beträge  herabzusetzen.  IMe 
beiden  wichtigsten  von  ihnen  sind  die  Anwendung  schwerlöslicher 
Salze  der  Metalle,  und  die  Anwendung  solcher  Elektrolyte,  in  denen 
die  Metalle  komplexe  Verbindungen  bilden. 

Den  ersten  Fall  haben  wir  bereits  in  praktischer  Anwendung  kennen 
gelernt:  in  der  Quecksilber-Calomel-Elektrode.  Wenn  man  QuecksSber 
mit  Quecksilberchlorür  überschüttet,  und  die  Lösung  irgend  eines  Chlorids 
als  Elektrolyt  zufögt,  so  erhält  man  eine  Elektrode,  die  sich  ähnlich  wie 
ein  Metall  in  der  Lösung  seines  Salzes  verhält,  nämlich  unpolarisierbar 
(fiir  schwache  Ströme)  ist  Leitet  man  den  positiven  Strom  aus  dem 
Quecksilber  in  die  Flüssigkeit,  so  bildet  sich  mehr  Calomel,  leitet 
man  ihn  umgekehrt,  so  verschwindet  Calomel  und  das  Quecksilber  ver- 
mehrt sich;  in  beiden  Fällen,  ohne  dass  sich  die  Spannung  ändert  Im 
ersten  Falle  verschwinden  Chlorionen  aus  der  Lösung,  im  zweiten  treten 
sie  hinein,  und  das  Gebilde  verhält  sich,  als  wäre  es  eine  Elektrode  von 
metallischem  Chlor,  welche  Chlorionen  aufnehmen  und  abgeben  kann. 
Ja  auch  ein  entsprechender  Einfluss  der  Konzentration  der  Chlorionen 
in  der  Lösung  macht  sich  geltend:  vermehrt  man  sie,  so  wird  die 
Elektrode  anodischer  und  umgekehrt 

Dies  Verhalten  lässt  sich  voraussehen,  wenn  wir  von  der  allgemdnen 
Anschauung  Gebrauch  machen,  dass  aUe  Stoffe  löslich  sind.  Das  Calomei 
geht  in  Lösung,  bis  sein  Löslichkeitsprodukt  erreicht  ist,  und  von  der 
alsdann  vorhandenen  Konzentration  der  Quecksilberionen  hängt  die 
Spannung  ab.  Da  eine  Vermehrung  der  Chlorionen  nach  dem  Massen- 
wirkungsgesetze die  Quecksilberionen  vermindern  muss,  so  wird  die 
Elektrode  weniger  kathodisch,  d.  h.  anodischer. 

Auch  zahlenmässig  ergiebt  sich  der  Einfluss,  als  wenn  die  Elektrode 
einwertiges  negatives  Chlor  aussendete.  Die  Gleichung  für  das  gelöste  Calomel 
lautet,  wenn  man  das  Quecksilber  einwertig  annimmt*),  a-b  ==  konst,  wo  a  die 
Konzentration  des  Chlors,  b  die  des  Quecksilbers  als  Ion  bedeutet.     Folglich 


*)  Es  sind  in  neuerer  Zeit  dafür  Gründe  geltend  gemacht  worden,  dass 
die  Merkuroionen  als  zweiwertige  Doppelionen  Hg,  •  •  aufgefasst  werden  müssen. 
Für  die  gegenwärtige  Betrachtung  hat  dies  keinen  Einfluss,  da  die  Valenz 
des  Kations  aus  der  Schlussgleichung  herausfällt. 


] 


Konzentrationsketten.  451 

sind  auch  die  osmotischen  Drucke  der  beiden  Ionen  einander  umgekehrt  pro- 
portional und  bezeichnet  man  sie  mit  p  und  p',  so  ist  log  p  —=  —  log  p'  +  c, 
wo  c  eine  Eonstante  ist.  Wird  dies  in  die  Gleichung  für  eine  Elektrode  gesetzt, 

0»000198T 
so   ergiebt  sich  ä  = logPp'  und  der  osmotische  Druck  des  Chlors 

beeinflusst  ähnlich  die  Spannung  wie  der  des  Quecksilbers,  nur  im  umge- 
kehrten Sinne. 

Die  Ketten  mit  schwerlöslichen  Salzen  gestatten^  f^Uungsreaktionen 
elektromotorisch  zu  verwerten,  und  somit  die  freie  Energie  dieser  che- 
mischen Vorgänge  elektrometrisch  zu  messen.  Denken  wir  uns  z.  B.  eine 
Kette  aus  Silber  in  Silbemitrat,  und  Silber  nebst  Chlorsilber  in  Chlor- 
kalinmlösong  zusammengestellt;  damit  die  beiden  Lösungen  sich  nicht 
unmittelbar  fällen,  sei  eine  Lösung  von  Kaliamnitrat  zwischengeschaltet. 
Eine  solche  Kette  zeigt  eine  Spannung  von  0*5 1 V  in  solchem  Sinne, 
dass  die  Chlorsilberseite  Anode  ist.  Lässt  man  den  Strom  fliessen,  so 
geht  an  der  Anode  Silber  in  Chlorsilber  über,  während  an  der  Kathode 
Silber  sich  metallisch  ausscheidet.  Gleichzeitig  wandert  das  Kalium  nach 
der  Katiiode,  und  das  Nitration  entgegen;  sie  bilden  Kaliumnitrat  in  der 
Mitte.  Das  Resultat  ist,  da  die  Menge  des  einerseits  chlorierten  Silbers 
gleich  der  des  andererseits  ausgeschiedenen  ist,  nur  die  Veiminderung 
des  Silbemitrats  und  Chlorkaliums  unter  Bildung  von  Chlorsilber  und 
Kaliumnitrat,  d.  h.  dasselbe,  als  wenn  Silbemitrat  und  Chlorkalium  un- 
mittelbar miteinander  in  Berührung  gebracht  wären. 

Auf  diese  Weise  lässt  sich  jede  F^ungsreaktion  behandeln  und  die 
Möglichkeit,  sie  zu  einer  Kette  anzuordnen,  hängt  nur  davon  ab,  dass 
man  das  Metall  des  Niederschlages  als  Elektrode  anwenden  kann^). 

Aus  der  beobachteten  elektromotorischen  Kraft  von  0-51  V  lässt  sich  ein 
weiterer  Schluss  ziehen.  Da  die  fragliche  Kette  nichts  als  eine  Konzentrations- 
kette mit  gleichem  Metall  beiderseits  ist,  so  werden  in  der  Kettengleichung  P,s=»P3, 

und  da  femer  n  =»  1  ist,  so  geht  die  Gleichung  über  in  0'51  =  0-000198 T log—- 

Pa 
In  dieser  Formel  ist  nur  noch  p^  unbekannt,  da  die  benutzte  Silbernitrat- 
lösung 1/10 — normal  war.  Setzen  wir  deren  Druck  p^  gleich  0-1  (auf  die 
Einheit  des  Druckes  kommt  es  nicht  an,  da  nur  das  Verhältnis  zweier  Drucke 
in  der  Formel  erscheint),  so  folgt,  da  0-000198  T  =  0-0576,  log  Pa  •=  —  9-85,  also 
pa  a=  1-4  X  10  — 10 ,  Dies  ist  die  Löslichkeit  des  Chlorsilbers  in  der  ange- 
wandten Normal -Chlorkaliumlösung;  um  hieraus  die  Löslichkeit  1  des  Chlor- 
silbers in  reinem  Wasser  zu  finden,  benutzen  wir  das  Gesetz  von  der  Konstanz 
des  lonenprodukts,  1»  =  1  x  1-4  x  10  - 10 ,  also  1  =  1-2  x  10  -  ö.  Thatsächlich 
ist  mittels  elektrischer  Leitfähigkeit  (S.  407)  die  Löslichkeit  des  Chlorsilbers 
gleich  1-17  X  10  —  6  Mol  im  Liter  gefunden  worden. 

Auf  solche  Weise  lässt  sich  allgemein  die  Löslichkeit  schwerlöslicher 


*)  Durch  besondere  Kunstgriffe  ist  es  möglich,  sich  von  dieser  Beschränkung 
frei  zu  machen,  indem  man  Elektroden  „dritter  Art"  (Luther  1898)  anwendet. 

29* 


1 


452  IX.   Elektrochemie. 


Stoffe  bestimmen.  Das  Yerfahren  gestattet,  kleinere  Löslichkeiten  zu  messen 
als  irgend  ein  anderes,  da  die  elektromotorische  Kraft  nur  mit  dem  Logarithmus 
der  Verdünnung  zunimmt,  und  es  giebt  thatsächlich  keine  Grenze  für  das 
Verfahren.  Man  findet  in  allen  Fällen  endliche  elektromotorische  Kräfte 
(Goodwin  1894),  und  darin  liegt  ein  Beweis,  dass  es  in  der  That  kein  unlös- 
liches Salz  giebt.  Denn  ein  solches  müsste  eine  unendlich  grosse  elektro- 
motorische Kraft  geben,  wie  man  unmittelbar  aus  der  Formel  ersieht,  wenn 
man  Ps«»0  setzt. 

Ein  zweiter  Weg,  die  Konzentration  der  Metallionen  im  Elektrolyt 
zu  verkleinem,  liegt  in  der  Anwendung  eines  Reagens,  durch  welches 
die  Metallionen  in  eine  komplexe  Verbindung  übergefiihrt  werden. 
Da  der  osmotische  Gegendruck  gegen  die  Auflösung  des  Metalls  in  der 
Kette  nur  von  dessen  Ionen  ausgeübt  wird,  nicht  aber  von  irgend  wel- 
chen anderen  Verbindungen,  in  denen  es  enthalten  ist,  so  können  Lö- 
sungen, die  beträchtliche  Mengen  des  Metalls  enthalten,  doch  Spannungen 
geben,  die  einer  äusserst  geringen  Konzentration  entsprechen. 

Am  auf^gsten  haben  sich  diese  Erscheinungen  bei  Ketten  gezeigt, 
in  denen  Cyankalium  als  Elektrolyt  dient.  Sehr  viele  Schwermetalle 
bilden  mit  Oyanalkalimetallen  komplexe  Verbindungen,  in  denen  das 
Schwermetall  ein  Bestandteil  des  Anions  ist  Als  Beispiele  mögen  nur 
Ferro-  und  Ferricyankalium ,  Silbercyankalium,  GoldcyankaJium,  die  Pla- 
tindoppelcyanüre  u.  s.  w.  genannt  werden.  Durch  die  Beobachtung  der 
ÜberMirungserscheinungen  ist  nachgewiesen  worden,  dass  in  allen  diesen 
Verbindungen  das  Schwermetall  bei  der  Elektrolyse  nicht  nach  der  Ka- 
thode, sondern  nach  der  Anode  wandert,  also  ein  Bestandteil  des  Anions 
ist  Ähnliches  gilt  von  den  komplexen  Ammoniakverbindungen  des  Ko- 
balts, Platins,  Kupfers,  Silbers.  Bei  diesen  wandert  allerdings  das  Me- 
tall auch  zur  Kathode,  weil  es  ein  Bestandteil  eines  komplexen  Kations 
ist;  doch  kann  man  seine  komplexe  Natur  daran  erkennen,  dass  es  nicht 
die  gewöhnlichen  Reaktionen  der  betreflfenden  Metallionen  zeigt. 

Ein  ziemlich  ausgiebiges  Mittel  zur  Erkennung  der  Bildung  kom- 
plexer Verbindungen  liegt  femer  in  der  anomalen  Löslichkeit  schwer 
löslicher  Salze  in  den  betreffenden  Reagentien.  Wenn  sich  ChlorsUber 
in  Ammoniak  löst,  so  kann  dies  nur  dadurch  geschehen,  dass  in  der 
entstandenen  Lösung  emes  der  Ionen  des  Chlorsilbers  verschwindet  Da 
dies  Air  das  Chlor  ausgeschlossen  ist,  muss  es  das  Silber  sein,  und  so 
führt  auch  die  Gleichgewichtslehre  zu  dem  Satze,  dass  in  ammonia- 
kalischen  Silberlösungen  Silberionen  nur  in  sehr  geringer  Menge  vo^ 
banden  sein  können. 

Durch  solche  Bildung  komplexer  Metallverbindungen  wird  die  Kon- 
zentration der  Metallionen  in  der  Lösung  immer  nur  in  einem  Sinne, 
in  dem  der  Verminderung  verschoben.  Daher  kann  durch  solche 
Stoffe  ein  Metall  immer  nur  anodischer,  nie  kathodischer  werden.  Die 
Erfahrung  hat  den  gleichen  Schluss  ergeben,  bevor  die  Theorie  ihn  auf- 
geklärt hatte. 


Eonzentrationsketten.  453 

Diese  Verschiebung  ist  häufig  sehr  gross;  so  hatte  schon  Jacobi 
(1845)  beobachtet^  dass  in  einer  Kette  aus  Silber  in  konzentrierter  Cyan< 
kaliuinlösung  und  Zink  in  Zinksulfat  die  Pole  sich  umkehren  gegen  das 
gewöhnliche  Verhältnis:  Zink  wird  Kathode  und  Silber  Anode.  Schliesst 
man  eine  solche  Kette^  so  wird  metaliisches  Zink  durch  das  sich  lösende 
Silber  ausgeschieden. 

Aus  dem  Werte  der  Spannung  ^  den  eine  solche  Elektrode  gegen 
eine  aus  dem  gleichen  Metall  in  der  Lösung  eines  gewöhnlichen  Salzes 
zeigt^  kann  man  die  Konzentrationen  der  Ionen  des  Metalls  in  der  kom- 
plexen Lösung  berechnen;  die  Kechnung  wird  genau  so  gefähii:^  wie 
die  der  Löslichkeit  eines  schwer  löslichen  Salzes  (S.  451).  Man  gelangt 
hierbei  zu  dem  Ergebnis^  dass  zwar  die  Konzentration  der  Metallionen 
ausserordentlich  klein  werden  kann^  aber  doch  niemals  gleich  Null  wird^ 
denn  es  entstehen  zwar  unter  Umständen  ziemlich  grosse  elektromoto- 
rische Kräfte,  niemals  aber  unendlich  grosse,  wie  es  der  Fall  sein  müsste^ 
wenn  wirklich  die  Konzentration  der  Metallionen  Null  würde. 

So  ergiebt  beispielsweise  eine  zehntelnormale  Gyankaliumlösung,  die 
0,01  Mol  Silber  enthält,  gegen  eine  gleich  starke  Silbemitratlösung  eine 
Spannung  von  1«14  Y,  woraus  sich  die  Konzentration  der  Silberionen  zu  2  x  10—18 
im  Liter  ergiebt  Auf  Grund  der  S.  81  mitgeteilten  Darlegungen  aus  der 
Molekularhypothese  ergiebt  sich,  dass  die  Zahl  der  Molekeln  in  einem  Mol 
rund  10^  beträgt  Daraus  würde  folgen,  dass  in  einem  Kubikzentimeter 
der  genannten  Lösung  von  Silber  in  Cyankalium  nicht  mehr  als  zwei  Atome 
enthalten  sind,  und  dass,  wenn  man  diese  Lösung  in  drei  Teile  teilt,  in  einem 
dieser  Teile  kein  Silberion  mehr  enthalten  sein  könnte.  Trotzdem  zeigt 
aucli  eine  noch  kleinere  Menge  der  Lösung  ihre  endliche  Spannung. 

Man  hat  aus  diesem  Ergebnis  Schlüsse  gegen  die  Zulässigkeit  der  Theorie 
der  Spannung  in  solchen  Ketten  gezogen,  indessen  mit  Unrecht,  denn  die 
Erscheinungen  in  diesem  Falle  sind  nicht  verschieden  von  denen,  in  denen 
grössere  Konzentrationen  der  Ionen  vorkommen,  und  beide  folgen  denselben 
quantitativen  Gesetzen.  Vielmehr  müsste  man,  wenn  man  den  eben  gemach- 
ten Schluss  in  Bezug  auf  die  Zahl  der  Atome  anerkennt,  in  dem  experimen- 
tellen Ergebnis  einen  Beweis  gegen  die  Zulässigkeit  der  Atom-  und  Mole- 
kularhypothese sehen.  Doch  ist  es  auch  nicht  nötig,  diesen  Schluss  zu  ziehen. 
Das  Gleichgewicht  zwischen  den  Ionen  des  Silbers  und  dem  Komplex  Ag(CN)j', 
nämlich  Ag(CN)3'^Ag'+ 2  CN',  welches  zur  Bildung  von  Silberionen  aus 
dem  Komplex  fuhrt,  ist  nicht  als  ein  ruhendes,  sondern  als  ein  bewegtes  auf- 
zufassen ;  das  Konzentrationsverhältnis  stellt  nicht  das  Verhältnis  der  dauernd 
bestehenden  Stoffe  dar,  sondern  das  Verhältnis,  welches  bei  der  unaufhör- 
lichen gegenseitigen  ümwaudlung  beider  Formen  im  Durchschnitte  besteht. 
Somit  ist  auch  eine  kleine  Flüssigkeitsmenge  nicht  frei  von  Silberionen,  son- 
dern die  vorhandenen  bestehen  nur  eine  10—16  mal*)  kürzere  Zeit,  als  die 
komp^xen  Ionen. 


*)    Die   benutzte  Lösung  enthielt  insgesamt  0-01  Mol  Silber  im  Liter. 


454  IX.   Elektrochemie. 

Hält  man  diese  Ergebnisse  mit  den  auf  8.  451  mitgeteilten  zu- 
sammen^ so  wird  man  zu  folgendem  Schluss  gefiihrt  Die  Bildung  eines 
schwerlöslichen  Salzes  verschiebt  die  Spannung  nach  der  anodisdien  Sdte 
entsprechend  seiner  Löslichkeit.  Ein  solches  Salz  löst  sieh  aber  unter 
Umständen  in  einem  Reagens ^  in  dem  das  Metallion  in  eine  komplexe 
Verbindung  übergeht.  Damit  letzteres  möglich  ist^  muss  die  Konzen- 
tration des  Metallions  einer  solchen  Lösung  kleiner  sein^  als  in  der  ge- 
sättigten Lösung  des  schwerlöslidien  Salzes.  'Dann  muss  aber  auch  die 
Spannung  des  Metalls  in  dem  betreffenden  Reagens  anodischer  sein,  als 
in  Gegenwart  des  schwerlöslichen  Salzes,  und  so  müssen  die  Spannungen 
mit  den  Löslichkeitsverhältnissen  in  einer  ganz  bestimmten  Beziehung 
stehen. 

Es  lösen  sich  z.  B.  alle  Silbersalze  mit  Ausnahme  des  Sulfids  in 
Cyankaliumlösung;  ihre  Lösungen  müssen  somit  alle  mehr  Silberionen 
enthalten,  als  die  silberhaltige  Cyankaliumlösung,  und  die  entsprechenden 
Zusammenstellungen  müssen  weniger  anodisch  sein. 

Femer  lösen  sich  Chlor-  und  Bromsilber  in  Natrium thiosulfat,  Jod- 
silber kaum  mehr;  Chlorsilber  löst  sich  in  Ammoniak,  Brom-  und  Jod- 
silber kaum.  Daher  muss  die  Konzentration  der  Silberionen  in  der 
nachstehenden  Reihenfolge  von  der  kleinsten  aufwärts  zunehmen:  Sulfid, 
Cyanid,  Jodid,  Thiosulfat,  Bromid,  Ammoniakverbindung,  Chlorid.  In 
gleicher  Reihenfolge  müssen  die  Spannungen  gegen  eine  Sflberelektrode 
in  Silbemitrat  abnehmen,  wie  es  auch  die  nachstehenden  Messungen  zeigen. 

Silbemitrat  (1/10)  gegen  Chlorsilber  in  Chlorkalium       0-51 V 

„  in  Ammoniak         0*54  ^ 

Bromsilber  in  Bromkalium        0-64  ^ 

„       in  Natn'umthiosulfat  0*84  ^ 

Jodsilber  in  Jodkalium  0*91  „ 

„        in  Cyankalium  1'31  7, 

Natriumsulfid  ^'^^  77 

Die  Lösungen  waren  normal  und  enthielten  etwas  Silber. 

Diese  Messungen  lassen  gleichfalls  erkennen,  wie  man  den  chemi- 
schen Vorgang  der  Bildung  komplexer  Ionen  ^ur  Erzeugung  elektrischer 
Energie  verwerten,  und  andererseits  das  chemische  Potential  dieser  Re- 
aktion elektrometrisch  messen  kann.  Nachdem  in  solchem  Sinne  beräts 
die  Konzentrationsänderungen  durch  blosse  Verdünnung  und  die  Fällungen 
von  schwerlöslichen  Salzen  behandelt  worden  waren,  bleiben  von  den 
zwischen  Ionen  möglichen  Reaktionen  nur  die  Oxydations-  und  Reduktions- 
erscheinungen übrig,  mit  deren  Einbeziehung  die  Aufgabe,  jede  beliebige 
lonenreaktion  für  die  Erzeugung  einer  elektrischen  Spannung  zu  ver- 
werten, vollständig  gelöst  wäre.  Zu  der  Behandlung  dieser  Aufgabe  gehen 
wir  nun  über.  • 


Gasketten.    Oxydations-  und  Reduktionsketten.  455 

Neuntes  Kapitel. 
Gasketten.     Ozydations-  und  Beduktionsketten. 

Auch  die  Ketten,  die  in  diesem  Kapitel  behandelt  werden  sollen, 
fallen  unter  den  Begriff  der  Konzentrationsketten.  Doch  kommen  bei 
ihnen  einige  Eigentümlichkeiten  vor,  die  eine  gesonderte  Behandlung 
rechtfertigen. 

An  früherer  Stelle  ist  gezeigt  worden,  dass  man  den  Begriff  der 
Oxydation  und  Reduktion  erweitem  muss,  indem  Vorgänge  vorkommen, 
die  man  traditionell  unter  diese  Bezeichnung  bringt,  ohne  dass  doch 
Sauerstoff  oder  Wasserstoff  unmittelbar  mit  ihnen  zu  thun  haben.  Es 
ergab  sich,  dass  die  Vermehrung  positiver  oder  Verminderung  negativer 
Ladungen  als  wesentliches  Kennzeichen  eines  Stoffes,  der  sich  oxydiert, 
und  Vermehrung  negativer  oder  Verminderung  positiver  Ladungen  als 
Kennzeichen  eines,  der  sich  reduziert,  angenommen  werden  muss.  Da 
eine  solche  Ladungsänderung  wegen  der  Unmöglichkeit  des  Auftretens 
freier  Elektrizität  im  Inneren  einer  Flüssigkeit  mit  einer  entgegengesetzten 
Änderung  an  einem  anderen  Stoffe  verbunden  sein  muss,  so  kann  es 
keine  Oxydation  ohne  gleichzeitige  Reduktion  geben  und  umgekehrt. 
Femer  wird  ein  derartiger  Vorgang  immer  in  entgegengesetztem  Sinne 
denkbar  sein.  Ein  Stoff,  der  als  Reduktionsmittel  gedient  hat,  indem  er 
sich  unter  Au&ahme  positiver  Ladungen  oxydiert  hat,  kann  nun  als 
Oxydationsmittel  dienen,  indem  er  seine  positiven  Ladungen  an  einen 
anderen  Stoff  abgiebt.  Es  wird  daher  im  allgemeinen  zwischen  den 
Stoffen,  die  ihre  Ladungen  wechseln,  und  dabei  eventuell  auch  andere 
chemische  Veränderungen  erleiden,  schliesslich  immer  ein  Gleichgewichts- 
zustand sich  herstellen,  nachdem  die  ursprünglich  vorhandenen  Stoffe  ihre 
Konzentration  soweit  vermindert,  und  die  entstandenen  die  ihre  soweit 
vermehrt  haben,  dass  die   entgegengesetzten  Reaktionen    sich    aufheben. 

Damit  ein  derartiger  Vorgang  elektromotorisch  wirksam  gemacht 
wird,  müssen  die  reagierenden  Stoffe  voneinander  getrennt  sein,  und  es 
muss  die  Möglichkeit  vorliegen,  dass  sich  die  elektrischen  Ladungen, 
welche  den  Zustand  bestimmen,  ausgleichen  können.  Bei  den  bisher  be- 
sprochenen Ketten  mit  Elektroden,  deren  Metalle  chemisch  an  dem  Vor- 
gange beteiligt  waren,  wnirden  die  beiden  Funktionen  von  diesen  Me- 
tallen erfüllt.  Das  Zink  der  Danielischen  Kette  dient  nicht  nur  zur 
Umwandlung  in  Zinkionen,  also  chemisch,  sondern  auch  zur  Zuleitung 
der  erforderlichen  positiven  Ladungen,  also  physikalisch.  Erfolgen  die 
chemischen  Vorgänge,  die  Ladung  oder  Umladung  der  Ionen  an  Stoffen, 
die  nur  in  der  Lösung  vorhanden  sind,  so  muss  eine  besondere  Elektrode 
zugeschaltet  werden,  deren  Funktion  allein  in  der  Leitung  der  Elektrizi- 
tät besteht.  Als  solche  dient  ein  Metall,  das  selbst  womöglich  keine 
(d.  h.  unmerklich  geringe)  chemische  Rieaktionen  mit  dem  Elektrolyt 
zeigt     Man  nimmt  dazu  meist  Platin,  doch  können  je  nach  der  Natur 


456  I^*   Elektrochemie. 

der  Reaktion^  die  an  der  Elektrode  stattfindet   oder  möglich  ist,   aneh 
andere  Metalle,  oder  sonstige  Leiter  erster  Klasse  dienen. 

Einen  sehr  einfachen  Fall  haben  wir  in  einer  derartigen  Kette, 
welche  aus  irgend  einer  Säure  als  Elektrolyt,  und  zwei  mit  Wasser- 
stoff beladenen  Platinplatten  besteht.  Sind  beide  Platten  gleich  stark  mit 
Wasserstoff  beladen,  so  ist  die  Anordnung  symmetrisch,  und  die  Kette 
zeigt  keine  Spannung:  wird  jedoch  der  Druck  des  Wasserstoffs  an  ba- 
den Seiten  verschieden  genommen,  so  entsteht  eine  Spannung.  Der 
Sinn  derselben  ergiebt  sich  daraus,  dass  der  Strom  die  vorhandenen 
Unterschiede  ausgleichen  muss:  er  muss  also  an  der  SteUe  stärkeren 
Druckes  das  Gas  zum  Verschwinden  bringen  und  an  der  Stelle  sdiwädieren 
Druckes  entstehen  lassen.  Es  muss  mit  anderen  Worten  der  stärker 
gedrückte  Wasserstoff  Anode  sein. 

Man  kann  eine  solche  Kette  auch  als  eine  Konzentrationskette  auf- 
fassen, welche  Elektroden  aus  metallischem  Wasserstoff  hat.  Dann  wird 
der  Lösungsdruck  dieses  Wasserstoffs  in  gleichem  Verhältnis  zu-  und  ab- 
nehmen, wie  der  Gasdruck,  während  der  osmotische  Gegendruck  der  in 
dem  Elektrolyt  enthaltenen  Wasserstoffionen  beiderseits  der  gleiche  ist 
An  der  Elektrode,  die  den  konzentrierteren  Wasserstoff  enthält,  muss 
also  die  Tendenz  dieses  Stoffes,  in  Ionen  tiberzugehen,  die  grossere 
sein,  d.h.  der  stärker  gedrückte  Wasserstoff  ist  anodisch  dem  sdiwächer 
gedrückten  gegenüber. 

Diese  Kette  ist  umgekehrt  angeordnet,  wie  die  früher  (S.  443)  be- 
sprochenen Konzentrationsketten.  Bei  jenen  war  der  Lösungsdrack  des 
ElektrodenmetaUs  immer  konstant,  und  der  osmotische  Gegendmck  ver- 
schieden. Hier  ist  umgekehrt  der  letztere  konstant,  und  der  Lösungs- 
druck verschieden.  Doch  kann  man  auch  gewöhnliche  Ketten  mit  dar 
gleichen  Eigenschaft  herstellen,  wenn  man  an  Stelle  der  reinen  Metalle 
Amalgame  verschiedenen  Gehaltes  verwendet.  Schaltet  man  zwei  derartige 
Elektroden  gegeneinander  in  demselben  Elektrolyt,  so  zeigen  sie  ^eich- 
falls  eine  Spannung  in  solchem  Sinne,  dass  das  reichere  Amalgam  Metall 
verliert^  das  ärmere  welches  aufiiimmt.  Ersteres  ist  also  Anode,  letzteres 
Kathode,  ganz  wie  in  der  Wasserstoffkette. 

Der  Betrag  der  Spannung  solcher  Ketten  lässt  sich  berechnen,  wenn 
man  die  Arbeiten  in  Betracht  zieht,  und  zwar  kann  man  die  Rechnung 
ebensogut  auf  den  gasförmigen,  wie  den  gelösten  Wasserstoff  beziehen, 
indem  man  die  Voraussetzung  macht,  dass  sich  an  den  Elektroden 
beiderseits  ein  Vorrat  von  Gas  unter  dem  entsprechenden  Drucke  be- 
findet 

Lassen  wir  einerseits  ein  Mol  Wasserstoff  unter  dem  Drucke  q^ 
verschwinden,  so  entsteht  die  gleiche  Menge  an  der  anderen  Seite  unter 
dem  kleineren  Drucke  q^,  und  die  Arbeit,  welche  durch  die  Überfuhrung 
isotherm  geleistet  werden  kann,  ist  durch  RTln(qi/q2)  gegeben.  Die 
zugehörige    Elektrizitätsmenge   ist,    da    der   gasförmige  Wasserstoff  die 


Gasketten.    Oxydations-  und  Reduktionsketten.  457 

Fonnel   H^   hat  (d.  h.  da  die  Ai-beit  RT  sich  auf  2-02  g  Wasserstoff 

bezieht),  gleich  2  F,  und  die  Spannung  daher  jt  =  — —  In  -—  • 

2F        Qji 

Wollen  wir  die  osmotische  Theorie  auf  diese  Erscheinungen  an- 
wenden, so  müssen  wir  einen  Punkt  in  Betracht  ziehen,  der  bisher  nicht 
erörtert  zu  werden  brauchte.  Wenn  eine  metallische  Elektrode  in  Ionen 
übergeht,  so  ist  die  osmotische  Arbeit,  welche  dabei  geleistet  wird,  ganz 
auf  Rechnung  der  Ionen  zu  setzen,  da  die  Yolumänderung  des  Metalls  nur 
einen  verschwindenden  Beitrag  dazu  liefert.  Dies  wird  anders,  wenn  die 
Umwandlung  Stoffe  betrifft,  welche  in  dem  Elektrolyt  gelöst  sind.  Wenn 
diese  in  Ionen  übergehen,  so  ist  die  osmotische  Arbeit  bei  ihrem  Ver- 
schwinden in  derselben  Weise  zu  berücksichtigen,  wie  die  bei  dem  Ent- 
stehen der  Ionen.  Beide  sind  im  allgemeinen  nicht  gleich,  da  sich  die 
Zahl  der  Mole  bei  dem  Übergange  ändert  So  giebt  ein  Mol  Wasser- 
stoff H^  zwei  Mole  Wasserstoff ionen;  ein  Mol  Sauerstoff  giebt  in  Ver- 
bindung mit  Wasser  gar  vier  Mole   Hydroxyl:    0*-|-2H*0  =  40H'. 

Formuliert  man  daher  den  Vorgang  in  einer  solchen  Kette,  so 
werden  an  der  Anode  m^  Mole  des  neutralen  Stoffes  verschwinden  und 
%  Mole  Ionen  entstehen;  an  der  Kathode  werden  m,  Mole  verschwin- 
den und  Ug  Mole  Ionen  entstehen.  Dabei  wird  die  Elektrizitätsmenge 
sF  durch  die  Kette  gegangen  sein,  wo  s  sich  aus  dem  Produkt  der 
Zahlen  n  mit  der  Wertigkeit  der  betreffenden  Ionen  ergiebt.  Alsdann 
wird  die  Gleichung  für  die  Spannung  einer  solchen  Kette  gegeben 
durch  den  Ausdruck 

RT 
jr  =  0  -| —  (mjln  Pj — %  In  p^  —  m^  In  P,  +  n,  In  pj) 

^  .    RT/,     Pi°»i        ,    P  "»\ 
oder  jr  =  0  +  ---{  hi  — ^^ bi— ^—  , 

wo  Pj  und  P,  die  osmotischen  Drucke  der  neutralen  Stoffe,  P|  und  P| 
die  der  Kationen^)  and;  G  ist  eine  Konstante,  die  von  der  chemischen 
Natur  der  beteiligten  Stoffe  und  von  der  Temperatur  abhängt,  von  den 
osmotisdien  Drucken  aber  unabhängig  ist 

Der  Beweis  für  diese  Formel  beruht  auf  denselben  Grundlagen,  wie  sie 
S.  447  für  die  ein£Eu;here  Formel  dargelegt  sind,  gestaltet  sich  aber  etwas 
umständlich,  so  dass  von  seiner  Durehführung  hier  abgesehen  werden  soll. 
Für  die  Ermittelung  der  Konstanten  C  wird  sich  alsbald  ein  einfacher  Gesichts- 
punkt ergeben. 

Wenden  wir  die  Fonnel  auf  den  voriiegenden  Fall  an,  so  sind  die 
osmotisdien  Drucke  der  Wasserstoffionen  badersdis  ^eidb,  also  P|  =Ps. 
Femer  sind  die  osmotischen  Drucke  des  gelösten  neutralen  WasserBtoffii 
gemäss  dem  Hoirysclien  Gesetze  proportional  dem  Dmeke  des  gasförmigen; 


^)  Ist  pi  oder  p,  auf  Anionen  za  beziehen,  so  muss  wegen  des  ninge- 
kehrten  Sinnes  der  Spannung  das  ±  Zeidien  umgekehrt  werden. 


458 


IX.   Elektrochemie. 


das  Verhältnis  Pj  /P,  der  ersteren  ist  gldch  dem  Verhältnisse  der  letzteren 
Qi  1^  ^^^  31^^  kann  für  das  andere  gesetzt  werden.  Die  Konstante 
C  ergiebt  sich,  wenn  man  die  Drucke  des  WasserstoflPes  beiderseits  gleich 
setzt;  dann  wird  die  Kette  symmetrisdi  und  die  Spannung  Null.  Da  gleidi* 
zeitig  der  Ausdruck  unter  dem  Logarithmus  gleich  £inS;  der  Logarithmiu 
also  Null  wird,  so  ergiebt  sich  auch  0  =  0,  und  da  0  nicht  von  den 
Konzentrationen  abhängt,  so  gilt  dieser  Wert  auch  für  die  Ketten  mit 
verschiedenem  Druck.  Schliesslich  ist  s  =  2,  m^  ^m,  =  1,  n^  =  n,  =2, 

und  substituiert  man  dies  alles  in  die  Gleichung,  so  folgt  jc=——\n-j 

die  frühere  Gleichung. 

Man  kommt  somit  auf  einem  etwas  weiteren  Wege  zu  demselben 
Ergebnis,   das  sich  oben  fast  ohne  Rechnung  auf  Grund  unmittelbarer 

Überlegungen  hinschreiben 
liess.  Die  vollständigere  For- 
mel ist  indessen  keineswegs 
überflüssig,  und  wir  werden 
/f^  bald  zu  IMen  kommen,  wo 
'  ^  die  unmittelbaren  Überlegun- 
gen nicht  ausreidien,  nnd  die 
allgemeine  Formel  benutzt  wer- 
den muss. 

Experimentell  liegt  noch 
keine  Prüfung  der  eben  ent- 
wickelten Beziehungen  in  die- 
ser einfachen  Gestalt  vor.  DoA 
hat  bereits  Grove,  der  Ent- 
decker der  Gasketten  (1839),  ge- 
funden, dass  eine  Kette,  die 
einerseits  Stickstoff,  anderer- 
seits Wasserstoff  enthält,  eine 
Spannung  und  einen  Strom  in 
solchem  Sinne  beobachten  lässt,  dass  der  Wasserstoff  Anode  ist.  Da  der  Stick- 
stoff sich  nachweislich  nicht  an  der  Strombildung  beteiligt,  liegt  hier  nichts 
als  eine  Wasserstoffkette  mit  verschiedenem  Drucke  vor,  indem  der  Teildrack 
des  Wasserstoffs  auf  der  Stickstoffseite  sehr  klein  war. 

Die  Anordnung  solcher  Ketten  ist  in  Fig.  55  gezeigt.  Die  Platin- 
elektroden sind  am  besten  mit  Platinschwarz  überzogen;  sie  nehmen  dann 
viel  mehr  Gas  auf,  und  die  Ketten  werden  konstanter.  Der  wirksame  Teil 
ist  das  auf  der  Elektrode  befindliche  Gas. 

Man  erhält  eine  Konzentrationskette  gewöhnlicher  Art,  wenn  man 
Wasserstoff  von  gleichem  Druck  mit  zwei  Elektrolyten  zusammenbringt 
in  denen  der  osmotische  Druck  der  Wasserstoffionen  verschieden  ist 
Dann  muss  die  Elektrode  um  so  anodischer  werden,  je  verdünnter  die 
Lösung  in  Bezug  auf  Wasserstoffionen  ist,  und  ihre  Spannung  muss  die- 


Fig.  55. 


Gasketten.     Oxydations-  und  Reduktionsketten.  459 

selbe  sein,  wenn  die  Konzentration  der  Wafiserstoffionen  gleich  ist,  un- 
abhängig von  dem  vorhandenen  Anion.  Alle  diese  Schlüsse  smd  von 
der  ErMrung  bestätigt  worden  (Smale  1894). 

Ganz  ähnliche  Betrachtungen  lassen  sich  in  Bezug  auf  eine  Sauer- 
Btoffelektrode  anstellen.  Man  sieht  eme  mit  Sauerstoffgas  gesättigte  Platin- 
elektrode am  einfachsten  als  eine  an,  welche  Hydroxylionen  zu  bilden 
vermag.  Hydroxylhaltige  Lösungen,  d.  h.  alkalische  Flüssigkeiten  sind 
die  entsprechenden  Elektrolyte.  Die  vorhandenen  Möglichkeiten  brauchen 
nicht  wieder  aufgezählt  zu  werden,  da  sie  vollkommen  denen  an  Wasser- 
stoffelektroden entsprechen.  Ein  Unterschied  ist  nur  insofern  vorhanden, 
als  ein  Mol  Sauerstoff  0^  vier  Mole  Hydroxyl  unter  Aufiiahme  von 
Wasser  und  vier  negativen  Einheiten  giebt,  so  dass  der  Faktor  n  in  der 
Oleichnng  gleich  4  und  femer  das  Zeichen  der  Spannung  umgekehrt  wird. 

Nun  giebt  es  aber  eine  besondere  Kette,  mit  der  sich  schon 
Becqnerel  vor  langer  Zeit  (1823)  beschäftigt  hat.  Man  erhält  sie,  wenn 
man  zwei  Wasserstoff-  oder  Sauerstoffelektroden  gleichen  Drucks  herstellt, 
von  denen  die  eine  in  Säure,  die  andere  in  Alkali  steht  Verbindet  man 
den  Elektrolyt  durch  eine  indifferente  Flüssigkeit,  z.  B.  das  entsprechende 
Nentralsalz,  so  ergiebt  sich  eine  bedeutende  Spannung,  die  bei  normalen 
Lösungen  auf  0-76  V  steigt  Und  zwar  erhält  man  die  gleiche  Spannung, 
ob  man  zwei  Wasserstoff-  oder  zwei  Sauerstoffelektroden  anwendet; 
die  Aikalielektrode  ist  immer  die  Anode. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Wasserstoffkette,  so  wird  die  Entstehung 
einer  Spannung  an  der  Säureelektrode  keine  Schwierigkeit  machen,  da 
sie  durch  das  Vorangegangene  vollkommen  erklärt  ist.  Wasserstoff  in 
Alkali  sollte  aber  auf  den  ersten  Blick  eine  unendlich  grosse  Spannung 
geben,  denn  da  dort  Hydroxylionen  in  grossem  Überschusse  sind,  so 
sollte  man  glauben,  dass  keine  Wasserstoffionen  anwesend  sein  könnten, 
indem  sie  sich  mit  den  Hydroxylionen  zu  Wasser  verbinden  müssten. 
Überlegt  man  aber,  dass  in  der  Lösung  durch  die  Vermehrung  der 
Hydroxylionen  nur  eine  Verminderung  der  Wasserstoffionen,  nicht 
aber  ein  vollständiges  Verschwinden  bewirkt  werden  kann,  so  wird  das 
Ergebnis  verständlich.  In  der  That  sind  beide  Konzentrationen  durch 
die  Gleichung  ho  ==  kc  miteinander  verbunden,  wo  h  und  0  die  Kon- 
zentrationen von  Wasserstoff  und  Hydroxyl,  c  die  des  Wassers  darsteUen. 
Die  letztere  ist  konstant;  folglich  muss  auch  das  Produkt  ho  in  allen 
wässerigen  Lösungen  konstant  sein'). 

Wir  haben  es  also  auch  hier  mit  einer  Konzentrationskette  zu  thun. 


\ 


')  Streng  genommen  ist  c  nicht  in  allen  Lösungen  das  Gleiche,  sondern 
nimmt  in  dem  Masse  ab,  als  man  fremde  Stoffe  in  Wasser  auflöst.  Denn 
das  Mass  für  die  wirksame  Menge  des  Wassers  ist  sein  Dampfdruck  (S.  319); 
dieser  aber  wird  durch  die  Auflösung  anderer  Stoffe  vermindert.  Indessen  be- 
trägt selbst  für  normale  Lösungen  eines  Elektrolyts  die  Verminderung  nur 
einige  Prozent,  und  kann  daher  hier  ausser  Betracht  bleiben. 


460  IX.   Elektrochemie. 

in  welcher  auf  der  Alkaliseite  die  Konzentration  der  Waaserstofl^onoi 
durch  die  Gegenwart  des  Hydroxyls  einen  selir  kleinen  Wert  behaupte!^ 
und  wo  deshalb  die  entsprechende  Spannung  einen  ziemlich  bedeatendea 

Wert  annimmt. 

Offenbar  ist  diese  Spannung  von  der  DissociationBkonstante  des  Wassers  be- 
dingt,  und  man  kann  umgekehrt  diese  aus  jener  berechnen.    Die  Rechnung 

wird  wieder  genau  wie  S.  451  geführt,  denn  die  Formel  tt*- — =  1  n  ^  *^  er- 

nt        FaPi 

giebt,  da  P^  =  Pj,  und  für  die  Wasserstoff ionen ,  deren  Konzentration  aUein 

in  Betracht  kommt,  n««l  ist,  7r=  -rrln  —  =?  0«05771og— .  Beachtet  man 

noch,  dass  für  die  Berührung  der  Säure  und  Basis  eine  Spannung  von 
0*065  V  zuzufügen  ist  (Nemst  1894),  so  folgt  für  die  Konzentration  der  Wasser- 
stoffionen in  der  normalen  Alkalilösung  0-6  x  10  —  i^ .  Bas  Produkt  ho  be- 
trägt somit  ebensoviel  und  nennt  man  a  die  Konzentration  der  Wasserstoff-  und 
Hydroxylionen  in  reinem  Wasser,  die  beide  gleich  sind,  so  ist  a*«=ho~ 
0-6x10-1^  und  a«0.8xl0-7  d.  h.  es  ist  in  100000001  Wasser  mnd 
ein  Mol  Wasserstoff-  und  Hydroxylionen  vorhanden.  Auf  diese  Weise  wurde 
die  Dissociation  des  Wassers  zuerst  ermittelt  (Ostwald  1893),  und  das  Er- 
gebnis stimmt  sehr  gut  überein  mit  den  Werten,  die  hernach  auf  andere  Weise 
{z,  B.  durch  Leitfähigkeit,  S.  402)  gefunden  wurden. 

Ftlr  die  entsprechende  Kette  mit  Sauerstoffelektroden  gelten  gani 
dieselben  Überlegungen.  Da  beiderseits  Sauerstoff  von  gleichem  Drucke 
angewendet  wird,  hebt  sich  dessen  Lösungsdmck  als  gleich  heraus,  und 
es  hat  insbesondere  der  Umstand  keinen  Einfluss,  dass  ein  Mol  Sauer- 
stoff vier  Mole  Hydroxyl  liefert 

Verfolgt  man  den  Vorgang  in  dieser  Kette  genauer,  so  erkennt 
man,  dass  er  die  elektromotorische  Anwendung  des  Neutralisationsvor- 
ganges ist.  Wir  betrachten  der  Einfachheit  halber  wieder  die  Wasserstoffkette, 
und  denken  die  Elektrizitätsmenge  2F  durchgesendet.  Dann  wird  an 
der  Anode  ein  Mol  Wasserstoff  verschwunden  sein,  und  an  der  Katiiode 
hat  sich  ebensoviel  entwickelt;  ein  Verbrauch  des  Gases  hat  also  nicht 
stattgefunden.  Gleichzeitig  hat  sich  aber  an  der  Anode  ein  Mol  Wasser 
gebildet,  da  die  entstandenen  Wasserstoffionen  sich  alsbald  mit  den  vor- 
handenen Hydroxylionen  vereinigt  haben.  An  der  Kathode  ist  die  gleidie 
Menge  Wasserstoff'ionen  verschwunden,  um  in  Gas  überzugehen;  da» 
Kation  auf  der  Basisseite  und  das  Anion  auf  der  Säureseite  sind  dabd 
gegeneinander  gewandert,  und  haben  das  Gemisch  gebildet,  weldies  wir 
das  Neutralsalz  der  beiden  Bestandteile  nennen.  Folglich  hat  der  Ge- 
halt an  Basis  und  Säure  beiderseits  um  zwei  Äquivalente  abgenommen, 
und  es  hat  sich  dafQr  ebensoviel  NeutralsaJz  gebildet,  während  das  Gas 
nur  eine  vermittehide  Rolle  gespielt  und  keine  Arbeit  geleistet  oder  auf- 
genommen hat.  Es  ist  dies  also  in  der  That  die  Neutralisations- 
oder Salzbildungskette. 

Die  früheren  Messungen  der  Säurealkalikette  sind  meist  angestellt  worden, 
ohne  dass  man  der  Notwendigkeit  der  Gase  für  die  Erhaltung  des  Zustandes 


Gasketten.    Oxydations-  und  Reduktionsketten.  461 

gewahr  geworden  wäre.  Beim  Arbeiten  mit  Platinelektroden  in  der  Luft  ist 
indessen  freier  Sauerstoff  in  genügender  Menge  vorhanden,  um  wenigstens  für 
die  ersten  Augenblicke  die  richtigen  Bedingungen  herzustellen. 

Am  längsten  bekannt  von  allen  Gasketten  ist  die  Sauerstoff- 
Wasserstoffkette,  die  aus  diesen  beiden  Gasen  besteht,  welche  in 
irgend  einen  Elektrolyten  tauchen.  Sie  giebt  eine  konstante  Spannung 
von  108  V  bei  17®  und  Atmosphärendruck,  ganz  unabhängig  von  der 
Natur  und  Konzentration  des  (verdünnten)  Elektrolyts.  Die  einzeben  Span- 
nungen an  den  Elektroden  erweisen  sich  dabei  ziemlich  verschieden, 
während  doch  die  Summe  dieselbe  bleibt. 

SchMesst  man  die  Kette,  so  verschwinden  die  beiden  Gase,  und  es 
treten  an  den  Elektroden  Wasserstoff-  bezw.  Hydroxyüonen  auf.  Ist  als 
Elektrolyt  eine  Säure  verwendet  worden,  so  nimmt  ihr  Gehalt  an  der 
Anode  zu,  an  der  Kathode  ab;  eine  basische  Flüssigkeit  verhält  sich  um- 
gekehrt. War  der  Elektrolyt  anfänglich  neutral,  so  wird  er  nach  dem 
Stromdurchgange  an  der  Anode  sauer,  an  der  Kathode  basisch. 

Diese  Thatsachen  zeigen,    dass   wir  es   hier  mit    dem    einfachsten 

Typus  der  Oxydations-  und   Reduktionskette  zu  thun  haben  (S.  455); 

da  das  Reduktionsmittel,  der  Wasserstoff,  vollkommen  in  Wasserstotfionen 

übergeht  und  das  Oxydationsmittel  vollständig  in  Hydroxyüonen. 

Das  genauere  Verhalten  der  Kette  ergiebt  sich,  wenn  man  die  allgemeine 

RT  (      P  ™i 

Gleichung  von  S.  457  auf  diesen  Fall  anwendet.  In  7t  =*  C  H =r  \  In  — 

®  '     sF  V       pjiii 

In  — ^ — j   sind  folgende  Substitutionen  zu  machen:    s  =  4,  mi=2,  ni  =  4, 

m,  =  l,  nj«=-4;  P^  und  Pj  sind  für  gegebene  Werte  von  Druck  und  Tem- 
peratur konstant;  das  Zeichen  des  zweiten  Gliedes  der  Gleichung  ist  -f  zu 
nehmen,  da  der  Sauerstoff  Anionen  bildet.  Zwischen  den  Drucken  der  beiden 
Ionen  besteht  durch  die  Dissociationsgleichung  des  Wassers  die  Beziehung 
P]P2  =  const.  Führt  man  dies  ein,  so  ergiebt  sich  der  ganze  Ausdruck  in 
der  Klammer  konstant,  und  somit  ist  es  auch  die  Spannung  der  Kette,  so 
lange  man  verdünnte  wässerige  Lösungen  als  Elektrolyte  anwendet. 

Ändert  man  den  Druck  über  den  beiden  Gasen,  so  ändert  sich  auch  die 
Spannung,  und  zwar  vermehrt  sie  sich  sowohl  durch  Druckzunahme  beim 
Sauerstoff  wie  beim  Wasserstoff.  Der  Einfluss  ist  indessen  in  beiden  Fällen 
verschieden,  und  zwar  beim  Wasserstoff  doppelt  so  gross  wie  beim  Sauerstoff. 
Alle  diese  aus  der  Formel  sich  ergebenden  Schlüsse  stimmen  mit  der  Er- 
fahrung überein  (Smale  1894). 

Diese  Betrachtungen  ergeben  auch  die  allgemeine  Theorie  der 
Oxydations-  und  Reduktionsketten,  die  aus  einem  Oxydations-  und 
emem  Reduktionsmittel  nebst  zwei  unangreifbaren  Elektroden  gebildet  sind. 
Denn  da  sich  die  Reduktionsmittel  allgemein  als  Stoffe  auffassen  lassen, 
welche  Waaserstoffionen  zu  bilden  bestrebt  sind,  und  Oxydationsmittel 
als  Stoffe  mit  der  Tendenz  zur  Bildung  von  Hydroxyüonen,  und  anderer- 
seits diese  Tendenzen  bei  den  beiden  Gasen  mit  dem  Drucke  zu-    und 


462  IX.   Elektrochemie. 

abnehmen,  so  kann  man  jedes  Oxydationsmittel  durch  Sauerstoff  ersetzt 
denken,  dem  man  den  erforderlichen  Druck  gegeben  hat.  Das  gleidie 
gilt  für  Reduktionsmittel  gegenüber  dem  Wasserstoff.  Allerdings  gehen 
diese  Drucke  bald  in  das  Gebiet  des  technisdi  Unmöglichen  hinaus,  da 
die  elektrische  Spannung  nur  mit  dem  Logarithmus  des  Druckes  wädist, 
dieser  also  in  geometrischer  Reihe  zunehmen  muss,  wenn  die  Spannung 
in  arithmetischer  zunehmen  soll.  Theoretisch  sieht  man  aber,  dass  man 
in  der  That  die  oben  gegebene  Gleichung  auf  alle  Ketten  anwenden  kann, 
deren  Elektroden  von  Reduktions-  und  Oxydationsmitteln  irgend  weldier 
Art  gebildet  wird. 

Die  Gleichung  lehrt  femer,  dass  die  elektromotorische  Wirkung 
dieser  Stoffe  bestimmt  wird  durch  den  osmotischen  Gegendruck,  d.  h.  die 
Konzentration  der  Ionen,  die  durch  die  Wirkung  entstanden  sind.  Es 
wird  also  z.  B.  die  Spannung  eines  Ferrosalzes  als  Reduktionsmittel  auch 
bestimmt  sein  durch  die  Konzentration  der  in  der  Losung  anwesenden 
F^rriionen;  deren  Zimahme  bewirkt  ein  Sinken  der  anodischen  Span- 
nung und  damit  eine  Schwächung  der  Kette.  Deshalb  wird  jedes  Mittel, 
welches  die  Konzentration  der  Ferriionen  herabsetzt,  die  Spannung  stei- 
gern. Ein  solches  Mittel  liegt  in  den  Fluorverbindungen  vor.  Die 
Fluoride  der  dreiwertigen  MetaUe  sind  sehr  wenig  dissociiert;  setzt  man 
daher  Fluorkalium  zu  einer  Eisenlösung,  so  verschwindet  der  grösste 
Teil  der  Ferriionen  und  die  anodische  Spannung  einer  entsprechenden  Elek- 
trode muss  steigen.  In  der  That  lässt  sich  eine  solche  Wirkung  auf  das 
deutlichste  erkennen;  massige  Zusätze  dieses  anscheinend  ganz  elektrisch 
indifferenten  Stoffes  steigern  die  Spannung  einer  solchen  Elektrode  bis  um 
0-7  V  nach  der  anodischen  Seite.     (Peters  1898.) 

Die  Verallgemeinerung  dieser  Überlegungen  liegt  auf  der  Hand. 
Insbesondere  wird  jedes  Reduktionsmittel  in  einer  alkalischen  Lösung, 
in  der  die  Konzentration  der  entgegenwirkenden  WasserstoflSonen  be- 
sonders klein  ist,  eine  viel  stärkere  reduzierende  Wirkung  zeigen,  als  in 
saurer  Lösung.  Umgekehrt  befördert  die  saure  Reaktion  die  Oxydations- 
wirkung eines  Oxydationsmittels.  Wäre  der  chemische  Vorgang  in  beiden 
Fällen,  bei  saurer  und  bei  alkalischer  Reaktion  für  einen  gegebenen 
Stoff  ganz  derselbe,  so  könnte  man  sogar  den  Unterschied  vorausbestim- 
men: er  müsste  m  X  0-76  sein  (S.  457),  wo  m  durch  die  aus  der  Reaktions- 
gleichung folgende  Konzentrationsänderung  der  H-Ionen  für  ein  F  bestimmt 
wird  (Luther  1899).  Die  wu*klich  beobachteten  Unterschiede  sind  kleiner, 
und  man  überzeugt  sich,  dass  die  Umwandlung  von  Wasserstoff  und  von 
Sauerstoff  in  die  entsprechenden  Ionen  die  einzigen  Reaktionen  zu 
sein  scheinen,  bei  denen  durch  den  Übergang  von  saurer  zu  alkalischer 
Reaktion  keine  wesentliche  Änderung  des  chemischen  Vorganges  be- 
wirkt wird. 

Den  Ketten  dieser  Art  kommt  ein  ^besonderes  Interesse  durch  den  Um- 
stand zu,  dass  sie  eine  bedeutend  bessere  Ausnutzung  der  chemischen  £nei]gie 
für  technische  Zwecke  versprechen,  als  sie  durch  die  Dampfmaschine  bisher 


Einzelspannungen  und  Spannungsreihen.  463 

erzielt  worden  ist.  Die  Verbrennungswärme  des  Knallgases  beträgt  286  J; 
durch  2  F  dividiert  würde  sie  in  der  Gaskette  eine  Spannung  von  148  V  er- 
geben, wenn  die  chemische  Energie  sich  vollständig  in  elektrische  verwandeln 
Hesse.  Die  wirkliche  Spannung  beträgt  1-07  V;  die  Verbrennungswärme  ist 
also  zu  0*72  ausgenutzt,  während  die  Dampfmaschine  selten  mehr  als  0*12, 
also  nur  Va  davon,  giebt.  Ähnlich  würden  die  Verhältnisse  liegen,  wenn  man 
statt  des  Wasserstoffs  andere  Brennmaterialien,  wie  Kohle  oder  das  aus  ihr 
leicht  herzustellende  Generatorgas  verwenden  könnte.  Die  technische  Aus- 
führung dieses  Gedankens  ist  bisher  an  dem  Umstände  gescheitert,  dass  die 
chemischen  Vorgänge  in  solchen  Ketten  bei  gewöhnlicher  Temperatur  zu 
langsam  erfolgen,  so  dass  man  ungeheuer  grösser  Apparate  zur  Gewinnung 
massiger  Energiemengen  bedürfen  würde.  Um  diesem  Übelstande  abzu- 
helfen, giebt  es  zwei  Wege.  Es  wäre  einerseits  denkbar,  dass  man  geeig- 
nete katalytische  Beschleuniger  ausfindig  machen  könnte,  durch  welche  der 
Vorgang  bei  gewöhnlicher  Temperatur  die  nötige  Geschwindigkeit  erhält. 
Andererseits  könnte  man  die  durch  Temperaturerhöhung  allgemein  zu  be- 
wirkende Beschleunigung  benutzen  und  hätte  also  die  Kette  so  einzurichten, 
dass  sie  bei  höherer  Temperatur  arbeitet.  Ist  diese  einmal  erreicht,  so  würde 
sie  sich  durch  die  Joulesche  Strom  wärme  in  der  Kette  erhalten,  und  zwar 
um  so  leichter,  je  grösser  die  Anlage  ist. 

Die  bisherigen  Versuche,  die  Aufgabe  zu  lösen,  sind  nach  beiden  Rich- 
tungen gegangen,  wenn  auch  nicht  immer  bewusst.  Die  zur  Zeit  erreichten 
Erfolge  lassen  noch  nicht  vermuten,  dass  eine  entwickelungsfähige  Form  be- 
reits gefunden  sei. 


Zehntes  Kapitel. 
Einzelspanntmgen  und  Spannungsreihen. 

Bereits  Voita  hatte  sich  die  Aufgabe  gestellt  ^  die  in  seiner  Kette 
an  den  Enden  aufh^tenden  Spannungen  in  ihre  Einzelwerte  zu  zerlegen^ 
und  war  durch  Versuche^  die  wir  jetzt  als  fehlerha.ft  bezeichnen  müssen, 
zu  folgender  Anschauung  gekommen.  In  der  Kette  Kupfer,  Zink,  feuchter 
Leiter,  Kupfer,  welche  zwischen  den  beiden  Endplatten  eine  Spannung 
derart  zeigt,  dass  das  erste  Kupfer  negativ,  das  letzte  positiv  ist,  liegt 
der  Hauptbetrag  der  Spannung  zwischen  den  beiden  Metallen,  indem 
Kupfer  in  Berührung  mit  Zink  negativ,  das  letztere  Metall  also  positiv 
wird*).  Zwisdien  den  Metallen  und  dem  feuchten  Leiter  finden  zwar 
Spannungen  statt,  sie  sind  aber  gering  und  insbesondere  bei  der  An- 
wendimg von  Wasser  oder  neutralen  Salzlösungen  gleich  Null  zu  setzen. 

Dass  man,  wenn  man  die  beiden  Metalle  einfach  in  Berührung 
l)i'ingt,   am  Elektrometer  keinen  Ausschlag  erhält,  föhrte  Volta  auf  ein 


^)  Daher  rührt  die  Bezeichnung  des  Kupfers  als  des  negativen  und  des 
Zinks  als  des  positiven  Metalls. 


464  I^-   Elektrochemie. 

eigentümliches  Gesetz  zniilck,  das  er  das  Gesetz  der  Spanniingsreibe 
nannte.  Es  lautet  dahin,  dass  die  Spannung  zwischen  zwei  Metallen  die 
gleiche  bleibt,  wenn  man  noch  beliebige  Metalle  dazwischen  schaltet 
Es  ist  mit  anderen  Worten  die  Summe  der  Spannungen  an  den  Be- 
rührungsstellen einer  Reihe  beliebiger  Metalle  immer  gldch  der  Spannung, 
die  sich  zwischen  den  Endmetallen  der  Reihe  bei  unmittelbarer  BerOhnuig 
herausstellt.  Da  die  ausschlaggebenden  Teile  eines  Elektrometers  am 
metallischen  Teilen  gleichen  Materials  bestehen,  so  muss,  wenn  man  nur 
MetaUe  in  beliebiger  Anordnung  mit  ihm  in  Verbindung  bringt,  die 
Spannung  zwischen  diesen  Teilen  (z.  B.  zwischen  den  beiden  Goldblätt- 
chen) nach  dem  Gesetz  gleich  Null  sein  und  das  Elektrometer  kaim 
keinen  Ausschlag  geben. 

Schaltet  man  dagegen  einen  feuchten  Leiter  zwischen  zwei  rer- 
schiedene  Metalle,  so  bestehen  an  den  beiden  Berührungspunkten  keine 
Spannungsunterachiede,  und  das  Elektrometer  muss  den  Spannungsunter- 
schied der  Metalle  erkennen  lassen. 

Die  Kette  bestehe  z.  B.  aus  Gold  und  Zink  und  sei  durch  Goid- 
drähte  mit  den  Goldblättchen  des  Elektrometers  verbunden.  Dann  best^ 
nach  Volta  ein  Spannungsunterschied  an  der  Berührungsstelle  zwischen 
Gold  und  Zink;  da  aber  eme  zweite  Berührung  im  entgegengesetztoi 
Sinne  vorhanden  ist,  so  heben  sich  beide  Wirkungen  auf.  Das  gleiche 
ist  der  Fall,  wenn  man  irgend  ein  anderes  Metall  einschaltet. 

Wird  dagegen  zwischen  Gold  und  Zink  an  einer  der  beiden  Be- 
rührungsstellen ein  feuchter  Leiter  gelegt,  so  wird  dort  eine  Leitung 
hergestellt,  ohne  dass  eine  neue  Spannung  in  den  Kreis  gebracht  wiri 
Das  Elektrometer  zeigt  an  der  Seite,  wo  das  Goldblättchen  mit  dem 
Zink  in  metallischer  Verbindung  steht,  einen  positiven  Ausschlag. 

Während  diese  Anschauung  von  dem  Zustandekommen  der  Span- 
nung eine  formal  befriedigende  Rechenschaft  giebt,  kann  sie  die  ein 
halbes  Jahrhundert  später  aufgetretene  Frage  nach  der  Quelle  der  elek- 
trischen Energie  nicht  beantworten.  Ais  solche  liess  sich  unzweifelhaft 
der  chemische  Vorgang  nachweisen;  dieser  konnte  zwar  zwischen  Metall 
und  feuchtem  Leiter,  nicht  aber  zwischen  beiden  Metallen  stattfinden. 

In  dunkler  Weise  hatten  schon  die  Zeitgenossen  Voltas  diesen 
Widerspruch  empfunden,  und  die  Entdeckung  W.  Ritters  (1798),  da« 
die  SpannungsreÜie  der  Metalle  im  Voltaschen  Sinne  mit  ihrer  Reihen- 
folge der  Oxydierbarkeit  oder  der  chemischen  Verwandtschaft  zum  Sauer- 
stoff übereinstimmt,  gab  der  ^chemischen  Tlieorie^  der  Kette  auch  eine 
bestimmte  Grundlage. 

In  der  That  erhält  man  ganz  dieselben  Ergebnisse,  wie  nach  der 
Voltaschen  Theorie,  wenn  man  die  umgekehrte  Annahme  macht,  daaij 
die  Metalle  aufeinander  nicht  elektromotorisch  wirken,  sondern  nur  anf 
feuchte  Leiter.  Eine  beliebige  Reihenfolge  von  Metallen  giebt  jdann 
überhaupt  keine  Spannung,  und  darum  bleibt  das  Elektrometer  in  Rnbe, 
wenn  man  es  in  einen  rein  metallischen  Kreis  bringt    Schaltet  man  da- 1 


Einzelspannungen  und  Spannnngsreihen.  465 

gegen  einen  fenditen  Leiter  dazwischen,  8o  entstehen  an  den  beiden  Be- 
iUhrungsstellen  desselben  mit  den  beiden  Metallen  zwei  Spannungen, 
deren  Unterschied  auf  das  Elektrometer  wirkt.  Gemäss  dieser  Ansicht 
wird  das  Zink  negativ,  gegen  den  feuchten  Leiter,  das  Kupfer  positiv. 
Für  die  entstehende  Spannung  kommen  nur  die  Metalle  in  Betracht,  die 
an  den  feuchten  Leiter  grenzen,  da  nur  hier  Spannungen  entstehen;  die 
sonst  im  Kreise  befindlichen  Metalle  smd  ohne  Einfluss. 

Mit  beiden  Theorieen  kann  man  genau  denselben  Kreis  von  That- 
sachen  erklären  (insbesondere  wenn  man  die  Luft  als  einen  feuchten 
Leiter,  wenn  auch  von  sehr  geringer  Leitfähigkeit  betrachtet).  Der  Um- 
stand, dass  jede  einzelne  Thatsache  ebenso  in  dem  einen,  wie  im  anderen 
Sinne  gedeutet  werden  konnte,  war  die  Ursache  des  langen  Streites 
zwischen  der  Kontakt-  und  der  chemischen  Theorie  der  Voltaschen  Kette. 

Gegenwärtig  kennen  wir  die  engen  Beziehungen  zwischen  der  che- 
mischen und  der  elektrischen  Energie  in  der  Kette,  und  sind  vollkommen 
darüber  im  Klaren,  dass  die  in  der  Spannung  zum  Ausdrucke  kommende 
elektrische  Energie  nur  von  den  chemischen  Vorgängen  herrührt  Es 
spricht  also  die  grösste  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch  die  Span- 
nungen an  den  Berührungsstellen  der  Metalle  und  der  Elektrolyte  sitzen. 
Doch  ist  es  immerhin  möglich,  durch  künstliche  Annahmen  ad  hoc  die 
Kontakttheorie  formell  zu  retten,  so  dass  ein  unabhängiger  Nachweis  der 
Spannungen  von  grosser  Bedeutung  wäre. 

Die  Ursache  dieser  Ungewissheit  hegt  darin,  dass  auch  die  einfachste 
Kette  mindestens  drei  verschiedene  Berührungsstellen  hat,  also  an  drei 
Orten  Spannungsunterschiede  aufweisen  kann.  Nun  kann  man  allerdings 
aus  denselben  Stoffen  andere  Ketten  zusammenstellen,  versucht  man  aber, 
durch  Messungen  an  allen  möglichen  Zusammenstellungen  zwischen  einer 
begrenzten  Zahl  von  Stoffen  so  viele  Gleichungen  zu  gewinnen,  dass 
man  jede  Spannung  einzehi  berechnen  kann,  so  erweist  es  sich,  dass 
man  immer  eine  Gldchung  zu  wenig  hat,  und  dass  deshalb  irgend  eine 
Spannung  beliebig  angenommen  werden  darf,  ohne  dass  man  mit  der 
Erfahrung  in  Widerspruch  gerät.  Der  Streit  zwischen  den  beiden 
Theorieen  hat  deshalb  so  lange  gewährt,  weil  jede  von  ihnen  eine  An- 
nahme frei  hatte,  und  es  daher  unmöglich  war,  die  Unrichtigkeit  dieser 
Annahme  formeU  nachzuweisen. 

Die  Aufgabe  besteht  somit  darin,  auf  irgend  eine  unabhängige 
Weise  ein  Datum  über  eine  der"  vorkommenden  Berührungsspannungen 
zu  gewinnen.  Es  giebt  gegenwärtig  ein  einziges  unabhängiges  Verfahren 
dazu,  welches  die  Frage  im  Sinne  der  chemischen  Theorie  entscheidet. 
Es  wäre  sehr  erwünscht,  ein  zweites  solches  Verfahren  zu  kennen,  um 
damit  mögliche  Irrtümer  in  der  BeurteUung  der  Ergebnisse  der  ersten 
auszuschliessen,  doch  ist  es  bisher  nicht  gelungen,  ein  solches  zu  finden. 

Das  Verfahren  beruht  auf  folgender  Thatsache.  Ein  Quecksilber- 
tropfen unter  einem  Elektrolyt  zeigt  eme  bestimmte  Oberflächenspannung, 
welche  sich  verändert,  wenn  man  die  elektrische  Spannung  zwischen  der 

Ostwald,  Grundriss.  8.  Aufl.  30 


1 


466  I^*   Elektrochemie. 


Flüssigkeit  und  dem  Quecksilber  ändert.  Und  zwar  nimmt  die  Oto- 
flächenspannung  des  Quecksilbers  unter  Schwefelsäure  bei  anodiseher 
Polarisation  ab;  man  kann  aber  nicht  sehr  weit  gehen,  weil  bald  Elek- 
trolyse eintritt,  und  das  Quecksilber  sich  mit  Merkurosul£ät  bekleidet 
Erzeugt  man  dagegen  eine  kathodische  Spannung  auf  dem  QuecksUb», 
so  nimmt  bei  ihrer  aUmählichen  Steigerung  die  Oberflächenspannnng  eist 
zu,  erreicht  bei  etwa  0*9  V  ein  Maximum,  und  nimmt  dann  wieder  ab. 
Erst  nachdem  die  Abnahme  ziemlich  bedeutend  geworden  ist,  beginnen 
die  ersten  Wasserstoff  blasen  infolge  der  Zersetzung  der  Schwefelsaure  auf- 
zutreten. 

Die  Aufgabe,  die  Spannung  an  der  Grenze  zwischen  Quecksilber  und 
Schwefelsäure  in  messbarer  Weise  zu  ändern,  löst  man,  indem  man  mit  der 
Schwefelsäure  eine  sehr  grosse  und  eine  sehr  kleine  Quecksilberfläche  in  Be> 
rührung  setzt.  Bringt  man  dann  zwischen  beide  Quecksilbermassen  eine  be- 
stimmte elektrische  Spannung,  so  verteilt  diese  sich  im  umgekehrten  Verhält- 
nis der  Oberflächen,  und  die  Änderung  betrifft  daher  praktisch  nur  die 
kleine  Fläche. 

Da  also  im  allgemeinen  die  Quecksilber-Schwefelsäurefläche  der  Sts 
eines  elektrischen  Spannungsunterschiedes  ist,  so  besteht  dort  eine  An- 
sammlung elektrischer  Energie,  wie  an  den  beiden  Belegungen  aner 
Kleistschen  Flasche,  zwischen  denen  man  einen  Spannungsuntersefaied 
hergestellt  hat*  Diese  Energie  wirkt  in  der  Art  einer  Oberflächenenergie^ 
indem  sie  die  Oberfläche  zu  ändern  sucht,  und  zwar  lehrt  die  Elektro- 
statik, dass  sie  die  Fläche  zu  vergrössem  strebt,  da  hiermit  eine  Ab- 
nahme der  Spannung  verbunden  ist.  Dadurch  wirkt  die  elektrische 
Ladung  der  Oberflächenspannung  entgegen,  welche  die  Flädie  zu  ver- 
kleinem  besti'ebt  ist,  und  die  beobachtete  Oberflächenspannung  ist  da: 
Unterschied  beider  Spannungen. 

Daraus  folgt  unmittelbar  folgendes  Verhalten.  Bestimmen  wir  für 
irgend  einen  Wert  der  elektrischen  Spannung  an  der  Grenzfläche  den 
Wert  der  Oberflächenspannung,  so  wird  die  Änderung  der  ersteren,  durch 
welche  die  Oberflächenspannung  wächst,  in  einer  Verkleinerung  des  el^- 
trischen  Spannungsunterschieds  in  der  Oberfläche  bestehen  müssen.  Ändert  man 
nun  jene  immer  weiter  in  demselben  Sinne,  so  muss  schliesslich  die  elektrische 
Ladung  Null  werden.  In  diesem  Augenblicke  hat  die  Oberflächenspannung 
ihren  höchsten  Wert  eireicht,  denn  ändert  man  den  elektrisdien  Zustand 
in  gleichem  Sinne  weiter,  so  bildet  sich  wieder  eine  Ladung  aus.  Wenn 
sie  auch  nun  das  umgekehrte  Zeichen  der  Mheren  hat,  so  bleibt  doch 
ihre  Eigenschaft  bestehen,  die  Oberflächenspannung  zu  vermindern,  und 
diese  muss  wieder  kleiner  werden.  Dies  Verhalten  hat  auch  der  Ve^ 
such  erkennen  lassen,  und  daraus  ergiebt  sich  der  Schluss:  wo  die  Ob»* 
flächenspannung  der  Schwefelsäure  ihren  grössten  Weit  hat,  da  ist  der 
elektrische  Spannungsunterschied  an  der  Grenzfläche  gleich  Null. 

Da  dieser  Zustand  eintritt,  wenn  zwischen  dem  Quecksilber  und 
der    (mit  Merkurosulfat   gesättigten)   Schwefelsäure   ein    Spannungsunter- 


i 


Einzelspanaungen  und  Spannungsreihen.  407 

schied  von  0-9  V  angebracht  wird  (der  Wert  hängt  etwas  von  der  Kon- 
zentration der  Schwefelsäure  ab),  so  muss  geschlossen  werden  ^  dass  der 
Spannungsunterschied,  der  sich  freiwillig  zwischen  Quecksilber  und 
Schwefelsäure  herstellt,  gleich  und  entgegengesetzt  jenem  Werte  ist  Und 
da  man  jene  Spannung  in  kathodischem  Sinne  anbringen  muss,  so  folgt, 
dass  man  zur  Ausgleichung  des  Unterschiedes  die  Flüssigkeit  positiver 
machen  muss,  dass  also  im  natürlichen  Zustande  das  Quecksilber  um 
0-9  V  positiver  ist,  als  die  Flüssigkeit. 

Auf  diese  Weise  lässt  sich  zunächst  die  Spannung  zwischen  Queck- 
silber und  beliebigen  Elekti'olyten  bestimmen.  Damit  diese  genau  definiert 
ist,  muss  der  Elektrolyt  einen  ganz  bestimmten  Gehalt  an  Quecksilber- 
ionen besitzen;  da  die  meisten  Merkurosalze  schwer  löslich  sind,  ist  dies 
der  Sättigungsgehalt  an  der  betreffenden  Verbindung. 

Verbindet  man  mit  einer  solchen  Quecksilberelektrode  ein  anderes 
Metall  in  seinem  Elektrolyt,  indem  man  beide  Flüssigkeiten  in  Berührung 
setzt,  so  erhält  man  eine  Kette,  deren  Spannung  man  messen  kann. 
Zieht  man  von  dieser  den  bekannten  Wert  am  Quecksilber  ab,  so  bleibt 
die  Spannung  zwischen  dem  Metall  und  dem  Elektrolyt  übrig.  Dies  giebt 
einen  Weg,  um  auch  alle  anderen  Spannungen  einzeln  zu  bestimmen. 

Hierbei  sind  allerdings  zwei  Voraussetzungen  gemacht,  nämlich, 
dass  sowohl  die  Spannung  zwischen  den  beiden  Elektrolyten,  wie  auch 
die  zwischen  beiden  Metallen  Null,  oder  doch  sehr  klein  sei.  Die  ersteren 
Werte  kann  man  auf  Grund  von  Betrachtungen,  deren  Prinzipien  ange- 
deutet sind,  in  vielen  Fällen  berechnen  (Nemst  1889  und  Planck  1890), 
nnd  man  kann  die  Versuche  immer  so  anordnen,  dass  die  Rechnung 
möglich  wird.  Es  ergiebt  sich,  dass  in  den  meisten  Fällen  diese  Spannungen 
0-01  V  kaum  erreichen  und  leicht  auf  noch  kleinere  Beträge  emgeschränkt 
werden  können. 

Was  die  Spannungen  zwischen  den  Metallen  anlangt,  so  sprechen 
gewichtige  Gründe  dafür,  dass  sie,  wenn  nicht  Null,  so  doch  jedenfalls 
sehr  klein  sind.  Es  ist  daher  statthaft,  hier  von  beiden  abzusehen,  und 
die  Spannungen  der  Ketten  als  die  Summen  der  beiden  Spannungen  an 
den  Elektroden  zu  beti*achten. 

Um  wohldefinierte  Werte  von  Einzelspannungen  beobachten  zu  können, 
bedient  man  sich  einer  „Normalelektrode",  die  sich  leicht  in  übereinstimmen- 
der Weise  herstellen  lässt.  Sie  besteht  aus  Quecksilber  mit  Quecksilberchlorür 
unter  zehntelnormaler  Lösung  von  Chlorkalium.  Auch  abgesehen  davon,  dass 
an  dieser  der  Spannungsunterschied  zwischen  Metall  und  Elektrolyt  auf  Grund 
der  eben  geschilderten  Verhältnisse  bekannt  ist,  gestattet  die  Anwendung 
einer  solchen  Normalelektrode  Messungen  von  Spannungen  in  Bezug  auf  jede 
einzelne  Elektrode  vorzunehmen  und  führt  dadurch  zu  bestimmteren  und  ein- 
dringenderen Ergebnissen,  als  die  früher  meist  üblich  gewesenen  Messungen 
der  Gesamtspannungen  der  Ketten. 

Die  Herstellung  einer  solchen  Normalelektrode  ist  aus  der  umstehenden 

30* 


1 


468 


IX.   Elektrochemie. 


Figur  56  ersichtlich;  der  durch  den  Quetschhahn  verschliessbare  Giimmischlaudi 
ist  mit  der  ChlorkaliumlOsung  gef&llt  und  dient  dazu,  die  Elektrode  bequem 
mit  der  Flüssigkeit  der  zu  messenden  Kette  in  Verbindung  zu  setzen.  Die 
Spannung  zwischen  dem  Quecksilber  und  der  Ghlorkaliumlösung  beträgt  0>62  Y, 
das  Quecksilber  ist  positiv  gegen  die  Massigkeit,  diese  also  negativ  gegen 
das  Metall. 

Die  Spannungen  der  Metalle  gegen  den  Elektrolyt  sind,  wie  ans 
der  Formel  S.  448  ersichtlidi,  von  der  Konzentration  d^  Ionen  im 
Elektrolyt  abhängig.  Will  man  daher  solche  angeben  so  muss  diese 
Konzentration  definiert  sein.  In  der  untenstehenden  Tabelle  ist  voraus- 
gesetzt, dass  die  Lösungen  normal  sind,  wobei  allerdings  wegen  der  ün- 
vollständigkeit  der  Dissodation  der  Metallsalze  die  Konzentration  der 
Ionen  geringer,  etwa  0«6  bis  0-8  —  normal  ist.  Die  Zeichen  geben  die 
Ladung  des  Elektrolyts  an,  wenn  die  des  Metalls  gleich  Null  gesetzt  ist. 


^mr\ 


Fig.  56. 


Magnesium 

+  1-24 

Wasserstoff 

—  0-25 

Aluminium 

1-03 

Antimon* 

—  038 

Mangan 

0-82 

Wismuth* 

—  0-50 

Zink 

051 

Arsen* 

—  055 

Gadmium 

0-16 

Kupfer 

—  059 

Thallium 

011 

Quecksilber 

-1-03 

Eisen 

0-09 

Süber 

—  1-06 

Kobalt 

—  0.02 

Palladinm 

—  107 

Nickel 

—  0.02 

Platin* 

—  114 

Zinn* 

—  0.09 

Gold* 

—  136 

Blei 

—  010 

Die  mit  einem  Stern  versehenen  Metalle  sind  nur  angenähert  ge- 
messen worden,  da  die  Herstellung  von  Elektrolyten  von  bekannte 
lonenkonzentration  nicht  thunlich  war. 

Man  erkennt  in  der  Tabelle  die  alte  Spannungsreihe  von  Volta, 
Ritter  und  Berzelius  wieder,  nur  in  besser  definierter  Gestalt.  Die  an- 
gegebenen   Spannungen    haben   wirklich    die   Bedeutung,    dass    sie  ein 


Einzelspannimgen  und  Spaimiingsreihen.  409 

Mass  der  chemischen  Affinität  der  Metalle^  und  zwar  ihrer  Tendenz  zur 
lonenbüdung  oder  zu  ihrem  Übergange  in  salzartige  Verbindungen  dar- 
stellen. Jedes  Metall  mit  grösserem  positiven  Werte  verdrängt  das  mit 
kleinerer  Spannung  aus  seinen  Salzen,  indem  es  selbst  in  den  lonenzu- 
stand  übergeht. 

Gleichzeitig  sieht  man,  dass  diese  Reihe  nur  unter  der  Bedingung 
übereinstimmender  lonenkonzentration  Geltung  hat.  In  Elektrolyten, 
i^elche  mit  den  Metallen  komplexe  Verbindungen  geben,  ändern  sidb  die 
Verbältnisse  entsprechend  den  Spannungen,  welche  die  Metalle  unter 
diesen  Umständen  annehmen  (S.  453).  Kennt  man  die  lonenkonzen- 
trationen  aus  anderen  Versuchen,  z.  B.  aus  Lösliehkeitsbestimmungen 
(S.  407),  so  kann  man  auch  das  chemische  Verhalten  der  Metalle  in 
Bezug  auf  gegenseitige  Verdrängungen  voraussagen. 

Ein  gewisses  Interesse  gewährt  schliesslich  der  Vergleich  dieser 
Spannungsgrössen  mit  den  S.  281  angegebenen  Bildungs wärmen  der 
Ionen.  Wie  man  sieht,  bewegen  sich  die  beiden  Reihen  zwar  im 
gleichen  Sinne,  sind  aber  einander  keineswegs  proportional.  Daraus 
folgt,  dass  bei  der  lonenbüdung  die  chemische  Energie  keineswegs  ohne 
Eest  in  die  elektrische  übergeht,  es  bestehen  vielmehr  Unterschiede  in 
beiderlei  Sinn.  Wären  sie  nicht  vorhanden,  so  müssten  die  Ketten  mit 
Metallelektroden  ihre  Spannung  unabhängig  von  der  Temperatur  behalten 
(S.  435),  was  erfahrungsmässig  nicht  der  Fall  ist^). 

An  die  Spannungsreihe  der  Metalle  sei  die  auf  den  gleichen  Grundwert 
bezogene  Spannungsreihe  der  gebräuchlichsten  Oxydations-  und  Reduktions- 
mittel geschlossen.  Sie  bezieht  sich  auf  die  Reagentien,  wie  sie  bei  gewöhn- 
licher Bereitung  erhalten  werden.  Da  die  vorhandenen  Mengen  der  Umwand- 
lungsprodukte nicht  bestimmt  worden  sind,  so  ist  der  Zustand  nicht  genau 
definiert;  für  die  allgemeine  Orientierung  werden  sie  indessen  ausreichen. 
Das  Vorzeichen  ist  wie  bei  den  der  vorigen  Tabelle:  es  bezeichnet  die  Span- 
nung der  Flüssigkeit,  wenn  die  der  Elektrode  gleich  Null  gesetzt  ist. 


Alkalisches  Zinnchloriir 

-1-0.30 

Natriumbisulfit 

0-66 

Schwefelnatrium 

+  009 

Schweflige  Säure 

0.72 

Alk.  Hydroxylamin 

-h0.06 

Ferrosulfat,  sauer 

—  0.78 

Alk.  Chromoacetat 

4-0.03 

Ealiumferrioxalat 

—  0.85 

Alk.  Pyrogallol 

—  008 

Jodjodkalium 

—  0.89 

Alk.  Hydrochinon 

—  0.23 

Ferricyankalium 

—  0-98 

Wasserstoff 

—  0.25 

Kai  iumbichromat 

—  1.06 

Unterschwefl.  Zink 

—  0.28 

Ealiumnitrit 

1.14 

*)  In  der  That  beruht  die  Ermittelung  der  Bildungswärmen  der  Ionen 
auf  der  Messung  der  an  den  Elektroden  bei  deren  Entstehung  oder  Umwand- 
lung auftretenden  Wärmeerscheinungen.  Diese  werden  durch  die  gleichzeitigen 
Wärmetönungen  infolge  der  elektrischen  Spannungsverschiedehheiten  beein- 
flusst,  und  die  Kenntnis  dieser  letzteren  führt  zur  Möglichkeit,  die  Ionen - 
bildungswärmen  zu  berechnen. 


70 

IX.   Elektrochemie. 

Ealiumferrooxalat 

-029 

Alk.  GfalorlOsung 

—  1.19 

Alk.  Kalinmferrocyanid 

—  048 

Eisen  Chlorid 

1.24 

Alk.  Jodlösung 

—  049 

Salpetersäure 

—  126 

Zinnchlorür,  sauer 

—  0.50 

Alk.  Bromlösung 

—  1.32 

Kaliumarsenit 

-051 

Ghromsäure 

—  140 

Kupferchlortir 

-0.56 

Chlors&ure 

142 

Katrinmthiosulfat 

—  0.58 

Brombromkalium 

—  143 

Katriumsulfit 

—  0.58 

Kaliumjodat 

—  149 

Kaliumferrocyanid 

059 

Manganhyperoxyd 

1.63 

FerroBulfat,  neutral 

-0-63 

Saure  Chlorlösung 

1.67 

Hydroxylamin,  sauer 

—  064 

Kaliumpermanganat 

—  1.76 

Elftes  Kapitel. 
Elektrolyse  und  Polarisation. 

Wenn  ein  elektrischer  Strom  in  einen  Eiektolyten  ein-  oder  aus- 
tritt, so  erfolgt  an  der  Stelle  notwendig  ein  chemischer  Vorgang,  der 
primär  in  der  Bildung  von  Ionen  aus  neutralen  Stoffen,  oder  der 
Umwandlung  von  Ionen  in  solche,  oder  endlich  in  einer  Vermehrung, 
bez.  Verminderung  vorhandener  lonenladungen  besteht  An  diesen  pri- 
mären Vorgang  können  sich  sekundär  andere  schliessen,  die  in  mannig- 
faltigster Weise  von  der  Beschaffenheit  der  beteiligten  Stoffe,  sowie  von 
den  begleitenden  Umständen  abhängen. 

Die  Notwendigkeit  eines  solchen  Vorganges  ergiebt  sich  daraus^ 
dass  im  Elektrolyt  die  Elektrizität  nur  gleichzeitig  mit  den  Ionen  sid) 
bewegen  kann,  während  sie  ausserhalb  des  Elektrolyts  von  diesen  unab- 
hängig wird.  An  der  Grenzfläche  tritt  daher  notwendig  ein  Vorgang 
ein,  der  in  der  Aufiiahme  oder  Abgabe  elektrischer  Ladungen  seitens 
vorhandener  Stoffe  besteht 

Von  der  Natur  des  Leiters,  der  an  den  Elektrolyten  grenzt,  hängen 
diese  Vorgänge  nur  sekundär  ab.  Insbesondere  ist  es  nicht  nötig,  dass 
Metalle  die  Elektroden  bilden;  schon  Davy  hat  gezeigt,  dass  auch,  wenn 
ein  Strom  aus  dem  Elektrolyt  in  Luft  (durch  Büschelentladung)  tritt,  an 
der  Grenzfläche  der  chemische  Vorgang  nicht  ausbleibt 

Man  nennt  einen  solchen  Vorgang  eine  Elektrolyse.  Dabei 
kommen  sowohl  die  stofflichen  wie  die  energetischen  Änderungen  in 
Betracht. 

Die  einfachsten  stofilichen  Änderungen  treten  ein,  wenn  die  Ionen, 
welche  den  Transport  der  Elektrizitätsmengen  zu  den  Elektroden  besorgt 
haben,  ohne  Änderung  ihrer  Zusammensetzung  in  den  neutralen  Zustand 
übergehen  können.  Ziemlich  allgemein  ist  dies  bei  den  Salzen  der 
Schwermetalle  der  Fall,  welche  an  der  Katiiode  die  Metalle  abscheiden. 


Elektrolyse  und  Polarisation.  471 

Dies  gesdiieht  meist  in  zusammenhängender  Gestalt,  so  dass  solche  Ab- 
sehddnngen  zur  Abformnng  von  Gegenständen  in  Metall  und  zur  Her- 
stellang  metaUischer  Überzüge  eine  ausgedehnte  technische  Anwendung  finden. 

Darauf  beruht  die  Galvanoplastik  und  Galvanostegie.  Für  diese  Künste 
ist  es  wichtig,  dass  die  abgeschiedenen  Metalle  möglichst  glatt  imd  zusammen- 
hängend auftreten.  Man  erreicht  dies  auf  mechanischem  Wege,  indem  man 
die  Oberfläche,  welche  den  Niederschlag  aufnimmt,  möglichst  eben  und  glatt 
herstellt,  wohl  auch  während  der  Fällung  mechanisch  bearbeitet,  um  die  Bildung 
von  Unebenheiten  zu  yerhindem.  Ist  eine  solche  einmal  entstanden,  so  be- 
steht zwischen  ihr  und  der  Anode  meist  eine  bessere  Strombahn,  und  sie  hat 
daher  die  Tendenz,  infolge  der  Mehrabscheidung  des  Metalls  sich  zu  yer- 
grOssem. 

Chemische  Einflüsse  sind  gleichfalls  thätig,  insofern  kleine  Änderungen 
im  Zustande  des  Bades  oft  die  Beschaffenheit  des  ISfiederschlages  erheblich 
ändern.  Die  Ursachen  hiervon  sind  nur  teilweise  bekannt.  Meist  ist  es  die 
gleichzeitige  Abscheidung  nichtmetaUischer  Produkte  der  Elektrolyse  (Gase, 
Oxyde),  wodurch  schlechte  Niederschläge  entstehen;  Zusätze  zum  Bade,  welche 
diese  Ausscheidungen  verhindern,  werden  also  den  Niederschlag  verbessern. 
Ausserdem  besteht  noch  die  bisher  unerklärte  Thatsache,  dass  Metallabschei- 
dungen  aus  komplexen  Salzen,  in  denen  die  Konzentration  der  Metall- 
ionen immer  sehr  klein  ist,  meist  viel  glatter  erfolgen,  als  aus  gewöhnlichen 
Neutralsalzen.    Beispiele  sind  Gold  und  Silber. 

Sind  mehrere  Metalle  gleichzeitig  in  der  Lösung^  so  werden  sie  in 
der  Ordnung  der  Tabelle  S.  468  ausgeschieden,  wie  ihre  Spannungen 
gegen  den  Elektrolyt  aufeinander  folgen.  Solche,  deren  anodische  Natur 
oder  Tendenz  Ionen  zu  bilden  gering  ist,  treten  zuerst  auf,  und  die 
anderen  folgen  nach  Massgabe  ihrer  Tendenz  nach.  Zwar  ist  die  Span- 
nung eines  Metalls  gegen  seine  Lösung  von  der  Konzentration  der 
Ionen  in  dieser  abhängig;  da  aber  eine  Verminderung  der  letzteren  auf 
1/1000,  welches  die  Grenze  der  meisten  analytischen  Methoden  bildet, 
bei  einem  zweiwertigen  Metall  nur  einen  Spannungsunterschied  von 
0-08  V  ausmacht,  so  sieht  man,  dass  bereits  Metalle  getrennt  werden 
könnten,  deren  Spannungsunterschiede  gegen  gleich  konzentrierte  Lösungen 
nicht  viel  über  O-lV  hinausgehen. 

Diese  Ordnung  wird  geändert,  wenn  sich  die  Metalle  in  Lösungen 
komplexer  Verbindungen  befinden,  indem  das  Metall  um  so  anodischer 
wird,  je  geringer  die  Konzentration  der  MetaUionen  im  Komplex  ist. 
Da  die  analogen  komplexen  Verbindungen  verschiedener  Metalle  sich  in 
dieser  Beziehung  verschieden  verhalten,  so  werden  unter  Umständen  be- 
deutende Verschiebungen  der  gegenseitigen  Stellung  bewirkt  So  bildet 
z.  B.  Zink  mit  Alkalicyaniden  einen  ziemlich  unbeständigen,  Kupfer  da- 
gegen einen  sehr  beständigen  Komplex;  es  werden  daher  beide  Metalle 
na(^  der  anodischen  Seite  verschoben,  Kupfer  aber  so  viel  mehr  als 
Zink,  dass  beide  einander  ganz  nahe  kommen  und  bei  der  Elektrolyse 
gleichzeitig  (als  Messing)  ausgeschieden  werden. 


472  ^*   Elektrochemie. 

Vergleicht  man  die  verschiedenen  Metalle  in  der  Reihe  auf  S.  468 
miteinander^  so  findet  man  den  Wasserstoff  zwisdien  Blei  und  Antimon; 
man  müsste  also  annehmen,  dass  man  zwar  noch  dieses,  nicht  aber  mehr 
Blei  aus  wässeriger  Lösung  ausscheiden  könnte.  Doch  weiss  man,  dass 
nicht  nur  Blei,  sondern  auch  Cadmium  und  Zink  sich  ausscheiden  lassen, 
obwohl  die  Spannung  dieses  Metalls  um  0*76  V  anodischer  ist,  als  die 
des  Wasserstoffs. 

Nun  kann  man  allerdings  anführen,  dass  die  Spannung  des  Wasser- 
stoffs gegen  eine  normale  Säurelösung  gemessen  ist,  und  dass  in  neutraler 
Lösung  eine  anodische  Verschiebung  von  rund  0-4  V  einüitt  Dadurch 
käme  man  aber  erst  bis  zum  Cadmium,  und  Zink  steht  noch  rund  0-3  V 
weiter.  Die  Ursache  ist,  dass  der  angegebene  Wert  des  Wasserstofis 
nur  für  das  Gleichgewicht  gilt.  Wird  bei  der  Elektrolyse  Wasserstoff 
ausgeschieden,  so  tritt  vorher  eine  sehr  bedeutende  Übersättigung 
ein,  und  es  bedarf  einer  entsprechenden  Steigeiiing  der  Spannung, 
um  die  Entstehung  von  Gasblasen  zu  bewirken.  Dadurdi  wird  die 
Möglichkeit  gegeben,  Zink  elektrolytisch  abzuscheiden.  Gleichzeitig  sidt 
man,  dass  die  Lösung  des  Zinks  neutral  und  möglichst  konzentriert  sein 
muss,  damit  die  geföhrliche  Nachbarschaft  der  Wassersto£&pannung  ver- 
mieden wird;  ebenso  wird  die  Abscheidung  um  so  besser  gelingen,  je 
glätter  man  den  Niederschlag  zu  erzeugen  vermag,  damit  das  Anftreten 
der  ersten  Gasblasen  hintangehalten  wird. 

Metalle,  welche  noch  weiter  an  der  anodischen  Seite  stehen,  werden 
als  solche  nicht  mehr  ausgeschieden.  Man  erhält  indessen  sogar  nodi  die 
Alkalimetalle,  wenn  man  als  Elektrode  Quecksilber  oder  ein  anderes 
flüssiges  Metall  anwendet.  Dies  liegt  einerseits  daran,  dass  die  Spannung 
des  un  Quecksilber  gelösten  Metalles  weniger  anodisch  ist,  als  die  des 
reinen  Metalls,  denn  es  befindet  sich  dort  im  Zustande  der  Lösung,  aus 
dem  es  nur  unter  Arbeitsaufwand  entfernt  werden  könnte.  Femer  aber 
gestattet  die  Obeffläche  eines  flüssigen  Metalls,  die  das  äusserste  an 
Glätte  und  Ebenheit  darbietet,  was  überhaupt  herstellbar  ist,  eine  be- 
sonders weitgehende  Übersättigung  an  Wasserstoff,  dass  auch  die  für  die 
Abscheidung  der  genannten  Metalle  erforderlichen  Spannungen  hergestellt 
werden  können,  bevor  sich  Wasserstoffgas  entwickelt 

Auch  von  diesen  Vorgängen  wird  in  der  Technik  für  die  Gewinnung 
der  Alkalimetalle  bez.  von  deren  Hydroxyden  durch  Einwirkung  von  Wasser 
auf  die  Amalgame  Anwendung  gemacht. 

Ähnlich  den  Metallionen  verhalten  sich  die  Ionen  der  Halogene, 
welche  durch  die  Entladung  in  die  freien  Elemente  übergehen.  Audi 
hier  tritt  eine  Mitwirkung  der  Ionen  des  Wassers  ein;  während  Jod  und 
Brom  weiter  keine  Besonderheiten  aufweisen,  ist  es  bei  Chlor  eine  Frage 
der  Konzentration,  ob  Chlor  oder  Sauerstoff  erscheint,  und  beim  Fluor 
ist  es  keine  Frage  mehr,  denn  es  erscheint  nur  Sauerstoff.  Letzteres 
rührt  daher,  dass  die  Entladung  des  Hydroxyls  aus  dem  Wasser,  trotz 
seiner  sehr  geringen  Konzentration  in  der  Lösung  von  Fluorwasserstofisäure^ 


Elektrolyse  und  Polarisation.  473 

bei  geringerer  Spannung  vor  sich  geht,  als  die  der  Ftuorionen;  und  da- 
her nur  Sauerstoff  auftritt  Bei  der  Chlorwasserstofl&äure  wird  die  Ent- 
ladung des  Chlors  um  so  leichter  erfolgen^  je  konzentrierter  die  Lösung 
in  Bezug  auf  Chlorionen  und  je  verdünnter  sie  in  Bezug  auf  Hydroxyl 
ist.  Beides  ist  in  konzentrierten  Lösungen  von  Salzsäure  vorhanden, 
da  die  Wassersto£^onen  der  letzteren  das  Hydroxyl  entsprechend  zurück- 
drängen. Je  verdünnter  sie  wird,  um  so  mehr  sieht  man  bei  der  Elektro- 
lyse den  Sauerstoff  hervortreten. 

Bei  dieser  Überlegung  macht  sich  ein  Punkt  geltend,  der  noch 
wiederholt  in  den  Vordergrund  treten  wird,  nämlich  die  erhebliche  Be- 
teiligung von  Ionen  an  den  Ergebnissen  der  Elektrolyse,  welche  nur  in 
sehr  geringer  Konzentration  vorhanden  sind.  Im  allgemeinen  beteiligen 
sieh  die  verschiedenen  Ionen  an  dem  Transport  der  Elektrizität  nach 
Massgabe  ihrer  Konzentration  und  Wanderungsgeschwindigkeit;  ihre  Ent- 
ladung an  der  Elektrode  ist  aber  von  ihrer  Spannung  gegen  die  neutrale 
Form  abhängig.  Ist  ein  Ion  nur  in  geringer  Konzentration  vorhanden,  hat 
aber  eine  kleine  Entladungsspannung,  so  werden  zunächst  die  vorhandenen 
Mengen  sich  zu  entladen  beginnen.  Die  Konzentration  sinkt,  die  Spannung 
steigt,  und  ist  nicht  viel  von  dem  Stoff  vorhanden,  so  muss  sehr  bald 
ein  neues  Ion  entladen  werden.  Hieran  ist  nichts  besonderes.  Anders 
werden  aber  die  Verhältnisse,  wenn  die  Konzentration  eines  Ions  zwar 
an  sich  gering  ist,  wenn  aber  bei  stattfindendem  Verbrauch  die  ver- 
schwundenen Mengen  alsbald  wieder  nachgeliefei*t  werden. 

Dies  kann  auf  zweierlei  Weise  geschehen.  Es  kann  das  Ion  als 
Bestandteil  eines  schwerlöslichen  Salzes  vorhanden  sein,  das  sich  in  dem 
Masse  neu  auflöst,  als  jenes  Ion  aus  der  Lösung  verschwindet.  Ferner, 
und  dies  ist  der  häufigere  und  wichtigere  Fall,  kann  ausser  dem  Ion 
eine  andere  Verbindung  vorhanden  sein,  mit  der  das  Ion  im  chemischen 
Gleichgewichte  steht,  und  welche  gleichfalls  neue  Mengen  des  Ions 
liefert,  wenn  die  vorhandenen  auf  h-gend  eine  Weise  aus  der  Lösung 
verschwinden.  Dies  geschieht  gewöhnlich  dadurch,  dass  eine  komplexe 
Verbindung  vorhanden  ist,  die  mit  dem  Ion  derart  im  Gleichgewicht 
steht,  dass  einer  grossen  Konzentration  der  Verbindung  eine  kleine  des 
Ions  entspricht. 

Ein  Beispiel  hierfür  ist  das  Cyansilberanion  des  komplexen  Cyansilber- 
kaliums  E/Ag(CN)*,  welches  zu  einem  sehr  kleinen  Teile  im  Sinne  der 
Gleichung.  Ag(CN)'5  =  Ag»  +  2CN'  zerfällt.  Trotz  der  ungemein  geringen 
Konzentration  der  Silberionen  in  dieser  Lösung  (S.  453)  scheidet  sie  an  der 
Kathode  einen  schönen  Silberüberzug  auch  bei  ziemlich  starkem  Strome  aus, 
denn  in  dem  Masse  wie  die  wenigen  Silberionen  entladen  werden,  bilden 
sich  neue  infolge  der  angegebenen  Reaktion  und  die  Flüssigkeit  verhält  sich 
praktisch  so,  als  wäre  alles  Silber  in  lonenform  vorhanden.  Basselbe  gilt  für 
Wasserstoff  und  Hydroxyl  bez.  Sauerstoff  in  wässerigen  Lösungen. 

Ein  derartiges  Verhalten  ist  also  immer  möglich,  wenn  die  entsprechende 
Reaktion  möglich  ist.   Ob  es  in  einem  gegebenen  Falle  stattfinden  wird,  hängt 


1 


474  I^   Elektrochemie. 

einigermassen  von  der  Geschwindigkeit  der  beteiligten  Reaktionen  ab.    Die 
lonenreaktionen  sind  zwar  sehr  geschwind,  aber  jedenfiedls  nicht  unendlidi 
;  geschwind,   und    einige  hergehörige   Erscheinungen   deuten    bereits    darauf 

I  hin,  dass  messbare  Verschiedenheiten   solcher  Geschwindigkeiten  nachweis- 

bar sind. 

Statt  der  voUständigen  Entladung  der  Ionen  tritt  in  solchen  FlU^ 
wo  die  entsprechenden  Stoffe  existenzfähig  «nd;  an  den  Elektroden  aadi 
eine  teilweise  Ent-  oder  Aufladung^  allgemein  ein  Wechsel  der  Valenz 
ein.  So  gehen  Ferroionen  an  der  Anode  in  Ferriionen  über^  und  diese 
verwandeln  sich  nmgekehrt  an  der  Kathode  in  Ferroionen.  Ähnlidie 
Umladungen  sind  natürlich  bei  allen  anderen  Metallen  möglich ,  weldie 
Ionen  von  verschiedener  Wertigkeit  bilden  können.  Aber  auch  zusammen- 
gesetzte Anionen  sind  solcher  Umladung  MAgy  wenn  sie  verschieden- 
wertig  auftreten  können ,  so  das  drei-  und  vierwertige  Ion  Fe(GN)g 
und  andere. 

Einen  auffallenderen  Charakter  nehmen  diese  Umladungen  an^  wenn 
dabei  gleichzeitig  Änderungen  der  Molekulargrösse  erfolgen.  Die  Ionen 
erster  Stufe  der  Schwefelsäure  SO4"  verlieren  an  der  Anode  je  eine 
Ladung  und  gehen  unter  gleichzeitiger  Kondensation  in  die  Ionen  S^Og" 
der  Überschwefelsäure  über.  Ebenso  verhalten  sich  die  Ionen  der  Kohlen- 
säure. Auch  sollte  man  auf  gleiche  Weise  das  Ion  der  Thiosulfate 
S2  0^"  durch  Entziehung  je  einer  negativen  Ladung  in  das  Tetrathionate 
840«"  verwandeln  können. 

Einen  Grenzfall  in  gewissem  Sinne  bilden  die  Vorgänge^  bei  denen  die 
entiadenen  Ionen  keinen  neutralen  Stoff  gleicher  Zusammensetzung  zu  bilden 
vermögen.  Es  tritt  dann  meist  ein  Zerfall,  häufig  unter  li£itwirknng  des 
Lösungswassers  ein.  So  zerfällt  das  entladene  Kation  der  Ammonium- 
salze jNH^  an  der  Katiiode  in  Ammoniak  und  Wasserstoff,  2KR^  = 
Bf  4-  2NH3;  das  Anion  der  Essigsäure,  CH3CO2,  zerfällt  in  Äthan  und 
Kohlendioxyd,  2  C  H,  0  0,  =  C j  Hg  -|-  2  C  0  *.  Die  entiadenen  Anionen  der 
sauerstofireiehen  anorganischen  Säuren  reagieren  mit  dem  Lösungswasser 
unter  Rückbildung  der  Säure  und  Entwickelung  von  Sauerstoff.  Sind 
sie  vermögend,  eine  sauerstofireichere  Verbindung  zu  liefern,  so  gehen 
sie  unmittelbar  in  diese  über,  wie  entladene  Chlorsäureionen  in  Über- 
chlorsäure, C10«-{-H«0  =  H«C10*. 

Schliesslich  kann  die  Beteiligung  der  in  der  Lösung  vorhandenen 
Stoffe  die  Hauptreaktion  werden,  und  die  Elektrolyse  wird  in  diesen 
Fällen  den  mit  Oxydations-  und  Reduktionsmitteln  betriebenen  Ketten 
analog.  Allgemein  werden  die  an  der  Anode  befindlichen  Stoffe  oxydiert, 
die  an  der  Katiiode  reduziert,  wie  sich  unmittelbar  ergiebt,  wenn  man 
die  S.  438  gegebenen  Definitionen  auf  unseren  Fall  anwendet  Dies 
ist  das  Gebiet,  in  welchem  namentiich  die  elektrolytische  Behandlmig 
organischer  Verbindungen  zu  einer  grossen  Zahl  von  Darstellungs- 
metiioden  geführt  hat,  welche  den  Vorzug  besitzen,  dass  die  Oxydation 
und   Reduktion  ausgeführt  werden  kann,   ohne  dass  fremde   Stoffe  mit 


j 


Elektrolyse  und  Polarisation.  475 

dem  Yersuchsmaterial  in  Berührung  zu  l^ommen  brauchen.  Ausserdem 
kann  man  das  Ergebnis  des  Vorganges  durch  Veränderung  der  Spannung^ 
durch  Anwendung  saurer  oder  alkalischer  Lösungen  u.  s.  w.  auf  die 
mannigfaltigste  Weise  variieren.  Insbesondere  hat  sich  gezeigt^  dass  die 
Besdiaffenheit  der  Elektroden  oft  einen  sehr  bedeutenden  katalytischen 
Einftuflft  auf  das  Ergebnis  der  Elektrolyse  ausübt  1 

Es  ist  häufig  die  Frage  aufgeworfen  worden,  welche  von  den  an  den 
Ellektroden  stattfindenden  Reaktionen  als  primär,  und  welche  als  sekundär 
anzusehen  sind.  Soweit  diese  Frage  nicht  durch  die  Zusammensetzung  der  Ionen 
und  der  Produkte  sich  unmittelbar  beantwortet,  kommt  sie  meist  auf  eine 
Unsicherheit  darüber  hinaus,  welche  von  den  gleichzeitig  möglichen  Reaktionen 
wirklich  stattfindet;  Wenn  man  z.B.  eine  wässerige  Lösung  von  Natriumsxdfat 
elektrolysiert,  so  erscheint  an  der  Anode  Sauerstoff,  an  der  Kathode  Wasserstoff, 
wälirend  die  Flüssigkeit  sauer,  bez.  basisch  wird,  und  man  hat  früher  angenommen, 
dass  gleichzeitig  das  Salz  in  Säure  und  Base,  und  das  Wasser  in  seine  Elemente 
gespalten  wird.  Eine  solche  Annahme  widerspricht  indessen  dem  Faraday- 
schen  Gesetze,  und  Hittorf  hat  bewiesen,  dass  die  Stromleitung  durch  die 
beiden  Ionen  Na*  und  SO4'' nach  ihren  Wanderungsgeschwindigkeiten  bewirkt 
wird.  Nur  kann  das  entladene  Anion  nicht  als  neutraler  Stoff  fortbestehen, 
Bondem  geht  in  Schwefelsäure  und  Sauerstoff  über;  in  solchem  Sinne  ist  der 
Sauerstoff  sekundär.  Den  Wasserstoff  an  der  Kathode  kann  man  auch  als 
sekundär  auffassen,  indem  man  annimmt,  dass  sich  zuerst  Natrium  ausscheidet, 
welches  auf  das  Wasser  unter  Entwickelung  von  Wasserstoff  und  Bildung  von 
Natron  einwirkt.  Überlegt  man  sich  aber,  dass  in  Natron  wieder  nur  Natrium - 
Ionen  neben  Hydroxyl  vorhanden  sind,  so  müsste  man  annehmen,  dass  die 
Natriumionen  entladen  werden,  um  wieder  in  Natriumionen  überzugehen. 
Man  wird  also  in  diesem  Falle  besser  annehmen,  dass  die  Natriumionen 
gar  nicht  entladen  werden,  sondern  an  ihrer  Stelle  die  Wasserstoffionen  des 
Wassers.  Obwohl  diese  in  sehr  geringer  Konzentration  vorhanden  sind,  wer- 
den sie  doch  aus  dem  Wasser  immer  wieder  neugebildet,  so  dass  stets  welche 
für  die  Stromentladung  vorhanden  sind.  Das  übrigbleibende  Hydroxyl  be- 
-wirkt  die  alkalische  Reaktion. 

Bei  der  Anwendung  einer  Quecksilberelektrode  wird  indessen  wirklich 
Natrium  ausgeschieden,  das  sich  im  Quecksilber  auflöst.  Dies  rührt  einer- 
seits daher,  dass  sich  die  kathodische  Spannung  an  einer  Quecksilberelektrode 
viel  mehr  steigern  lässt,  als  an  irgend  einer  anderen  (S.  472),  und  anderer- 
seits daher,  dass  die  anodische  Spannung  des  Natriums  in  der  Quecksilber- 
lösung viel  kleiner  ist,  als  die  des  reinen  Metalls.  Durch  sehr  grosse  Ver- 
dünnung kann  sie  beliebig  klein  gemacht  werden  (S.  457),  und  daher  wird 
eine  gewisse  Menge  Natrium  vom  Quecksilber  aufgenommen  sein  müssen,  ehe 
der  Wert  des  Wasserstoffs  an  Quecksilber  erreicht  ist.  Es  wird  also  in  diesem 
Falle  primär  Natrium  ausgeschieden;  nachdem  dessen  Konzentration  im  Queck- 
silber einen  gewissen  Wert  erreicht  hat,  tritt  als  primäres  Ausscheidungspro- 
dukt an  die  Stelle  des  Natriums  der  Wasserstoff. 

In  ähnlicher  Weise  lassen  sich  die  verschiedenen  Aufgaben  behandeln. 


1 


476  I^<   Elektrochemie. 


Nur  kommt  noch  ein  Gesichtspunkt  wesentlich  in  Frage.  Die  Spannung  an 
der  Elektrode  wird  nicht  von  der  mittleren  Konzentration  der  Stoffe  in  der 
ganzen  Flüssigkeit,  sondern  ausschliesslich  von  der  Konzentration  unmittel- 
bar an  der  Elektrode  bestimmt.  Wird  diese  durch  die  Elektrolyse  geändert, 
so  hängt  es  von  mechanischen  Bedingungen,  wie  Diffusion,  Strömungen, 
Rühren  u.  s.  w.  ab,  welche  Konzentrationen  in  jedem  Augenblicke  an  den 
Elektroden  bestehen.  Dazu  kommen  mit  ähnlicher  Wirkung  die  verschiedenen 
Geschwindigkeiten,  mit  denen  die  Reaktionen  stattfinden.  Wenn  man  alsa 
auch  den  Satz  durchführen  kann,  dass  in  jedem  Augenblicke  an  der  Elektrode 
dasjenige  Ion  ausgeschieden  wird,  dessen  Entladungsspannung  die  kleinste  ist, 
so  ist  es  doch  wegen  der  genannten  Umstände  oft  nicht  leicht  zu  sagen, 
welchem  der  vorhandenen  Ionen  in  einem  gegebenen  Augenblicke  diese 
Eigenschaft  zukommt 

Die  zweite  Frage,  welche  betreffs  der  Erscheinungen  der  Elektrolyse 
zu  stellen  ist,  bezieht  sich  auf  die  Arbeiten,  welche  zur  Ans- 
seheidnng  der  verschiedenen  Stoffe  erforderlieh  sind.  Es  ist 
vor  allen  Dingen  darauf  hinzuweisen^  dass  diese  Arbeiten  immer  die 
Summe  zweier  Glieder  sind,  die  sich  auf  die  beiden  Elektroden  beziehen, 
und  die  in  ziemlich  hohem  Grade  voneinander  unabhängig  gemacht 
werden  können.  Es  hat  die  Entwickelung  unserer  Kenntnisse  in  diesem 
Gebiete  sehr  verzögert,  dass  die  in  den  meisten  Untersuchungen  nur  die 
Summe  der  Vorgänge  an  beiden  Elektroden  zusammen  betrachtet  wurden, 
ohne  dass  sie  in  die  Summanden  gesondert  wären. 

Die  Arbeitsgrössen,  welche  bei  elektrolytischen  Umsetzungen  aufge- 
wendet oder  gewonnen  werden,  gelangen  ebenso  wie  die  Arbeiten  der 
Voltaschen  Ketten  ausschliesslich  in  den  Spannungsgrössen  zmn  Aus- 
druck^ da  die  Elektrizitätsmengen  unabhängig  von  diesen  dwch  das 
Faradaysche  Gesetz  geregelt  werden.  Ist  jr  diese  Spannung  in  Yoll^ 
n  die  Valenz  der  entladenen  Ionen ^  so  ist  96540  «jrn  die  Arbeit  in 
Joule,  welche  ^  die  Abscheidung  von  einem  Mol  des  Ions  erforderlich  ist 

Die  Spannung  bei  der  Abscheidung  eines  Stoffes  aus  sdnen  Ionen 
ist  nun  gleich  der  Spannung,  welche  eben  dieser  Stoff  (als  Elektrode  oder 
an  der  Elektrode)  in  einer  Voltaschen  Kette  erzeugt  (Le  Blanc  1893). 
Dabei  ist  vorausgesetzt;  dass  die  Konzentrationen  der  beteiligten  Stoffe 
gleich  sind;  und  dass  die  Reaktionen  umkehrbar  sind.  Letzteres  ist  ba 
schnell  verlaufenden  Vorgängen  zwar  anscheinend  immer  der  Fall,  b^ 
langsam  verlaufenden  sekundären  Reaktionen  an  der  Elektrode  kann  in- 
dessen die  Rückbildungsgeschwindigkeit  der  Ionen  aus  den  weiteren  Pro- 
dukten der  Elektrolyse  so  gering  werden,  dass  von  einer  praktisdi 
umkehrbaren  Kette  nicht  mehr  die  Rede  ist.  Solche  Falle  sollen  also 
ausgeschlossen  werden. 

In  dem  Falle,  dass  das  Produkt  der  Elektrolyse  ein  fester  Stot^ 
etwa  ein  Metall  ist,  läBst  sich  der  Satz  sehr  leicht  prüfen  und  beweisen. 
Grössere  Schwierigkeiten  entstehen  erst  in  dem  Falle  gasförmiger  I^ 
dukte,  insbesondere  des  Wasserstoffe  und  Sauerstoffe. 


Elektrolyse  und  Polarisation.  477 

Während  nämlich  die  Spannungen  der  enteren  Stoffe  nur  noch 
^on  der  Konzentration  der  Ionen  im  Elektrolyt  abhängen^  ändern  die 
der  letzteren  sich  noch  im  weitesten  Umfange  durch  Übersättigungs- 
erscheinungen. Das  viel  mannig&ltigere  Bild,  welches  dadurch  entsteht, 
liat  die  Auffassung  der  einfachen  Verhältnisse  auf  diesem  Gebiete 
'verzögert,  weil  man  jene  verwickeiteren  Verhältnisse  vorwiegend  unter- 
sucht und  als  typisch  angesehen  hat  Indessen  ist  nachgewiesen  worden, 
dass  mit  derselben,  bez.  einer  nur  wenig  höheren  Spannung,  wie 
sie  die  Sauerstoff -Wasserstoffkette  (S.  461)  giebt,  nämlich  1-08  V,  auch 
ein  dauernder  Strom  durch  einen  entsprechenden  Elektrolyt,  eine  Säure 
oder  ein  Alkali  geleitet  werden  kann,  so  dass  die  Wasserbildung  und 
Zersetzung  unter  diesen  Umstäuden  ein  umkehrbarer  Vorgang  ist 
(Le  Blanc  1893). 

Mit  dem  Namen  der  unpolarisierbaren  Elektroden  bezeichnet 
man  gewisse  Zusammenstellungen  namentiich  aus  Metallen  in  ihren 
LiöBungen,  welche  die  Eigenschaft  haben,  dass  beim  Stromdurchgange 
keine  in  entgegengesetzter  Richtung  wirkende  Spannung  oder  Polarisation 
entsteht.  Im  strengen  Sinne  unpolarisierbare  Elektroden  giebt  es  nicht, 
denn  durch  den  Strom  wird  stets  (ausser  in  dem  einzigen  Falle,  dass 
die  beiden  Ionen  genau  gleiche  Wanderungsgeschwindigkeit  haben)  die 
Konzentration  der  Lösung  an  der  Elektrode  geändert,  und  eine  vep- 
änderte  Spannung  ist  die  notwendige  Folge  hiervon.  Wohl  aber  giebt 
es  verschiedene  Grade  der  Polarisierbarkeit,  und  man  kann  für  den  eben 
erwähnten  Fall  des  Metalles  in  der  Lösung  eines  seiner  Salze  den  Satz 
aufstellen,  dass  das  Gebilde  um  so  leichter,  d.  h.  ftir  eine  um  so  ge- 
ringere Stromstärke  zu  einem  bestimmten  Grade  polarisierbar  ist,  je  ver- 
dünnter die  Lösung  in  Bezug  auf  das  Metall  ist.  Denn  die  ausge- 
schiedene MetaUmenge  ist  der  Stromstärke  proportional,  die  Änderung 
der  Spannung  aber  nicht,  denn  die  Spannung  ändert  sich  um  gleiche 
Beträge,  wenn  die  Konzentration  sich  um  gleiche  Verhältnisse  ge- 
ändert hat.  Hat  also  z.  B.  ein  gegebener  Strom  zwei  Drittel  vor- 
handenen Metalls  ausgeschieden,  und  dadurch  eine  gewisse  Polarisation 
erzeugt,  so  wird  hernach  ein  Drittel  jenes  Stromes  genügen,  um  die 
gleiche  Änderung  hervorzubringen,  und  dann  ist  weiter  nur  ein  Neuntel 
des  anfänglichen  Stromes  fiir  den  gleichen  Effekt  erforderlich. 

Für  die  Unpolarisierbarkeit  ist  der  Gehalt  an  Metall  in  irgend  einer  Form 
wesentlich,  und  es  ist  nicht  nötig,  dass  es  als  Ion  yorhanden  ist.  Denn  auch 
in  solchen  Fällen,  wo  die  lonenkonzentration  äusserst  gering  ist,  wie  z.  B. 
bei  den  Silbercyanverbindungen,  ergiebt  sich  eine  Silberelektrode  als  sehr 
wenig  polarisierbar,  da  die  an  der  Elektrode  verbrauchten  Silberionen  alsbald 
durch  den  Zerfall  des  Komplexes  ersetzt  werden.  Wohl  ist  aber  die  Spannung 
an  der  Elektrode  hiervon  abhängig. 

Schaltet  man  einen  Elektrolyten  zwischen  zwei  gleiche  unpolarisier- 
bare Elektroden,  so  verhält  sich  das  Gebilde  gegen  durchgehende  Ströme 
wie  ein  metallischer  Leiter,  indem  die  Spannung  an  der  einen  Elektrode 


478  I^*   Elektrochemie. 

durch  die  entgegengesetzte .  an  der  anderen  gerade  aufgehoben  wird. 
Dies  war  vor  der  Anwendung  der  Wechselströme  fast  der  einzige  Weg, 
um  die  Widerstände  von  Elektrolyten  zu  messen. 

An  den  Grenzflächen  zweier  Elektrolyte  entsteht  nie  eine  erhebliche 
Polarisation,  entsprechend  dem  Umstände,  dass  die  Spannungen  dar 
Flüssigkeitsketten  immer  sehr  gering  sind.  Man  kann  daher  beliebige 
Flüssigkeiten  polarisationsfrei  in  einen  Stromkreis  bringen,  wenn  man  »e 
zwischen  die  Flüssigkeiten  zweier  gleicher  unpolarisierbarer  Elektroden 
schaltet. 

Die  in  polarisierbaren  Elektroden  für  den  chemischen  Vorgang  auf- 
zuspeichernde Energie  wird  wiedergewonnen,  wenn  man  die  Elektroden 
dui'ch  einen  Leiter  verbindet,  indem  der  chemische  Vorgang  rückgängig 
wird.  Dadurch  ist  ein  jedes  derartige  Gebilde  ein  elektrischer  Samm- 
ler oder  Akkumulator.  Denn  es  ist  schon  bemerkt  worden^  dass  im 
Prinzip  jeder  elektrolytische  Vorgang  umkehrbar  ist,  wenigstens  für  den 
Fall,  dass  die  Rückbildung  sehr  bald  nach  der  Elektrolyse  erfolgt, 
und  dass  die  Elektroden  nicht  überladen,  d.  h.  zur  Abscheidnng  von 
Produkten  gebracht  wurden,  welche  sich  von  den  leitenden  flächen  ent- 
fernen, und  sich  dadurch  der  Rückverwandlung  entziehen. 

Für  praktische  Zwecke  sind  diese  Eigenschaften  allerdings  nicht  genügend, 
denn  hier  kommt  es  gerade  darauf  an,  dass  der  Sammler  seine  Energie  mög- 
lichst lange  unverändert  erhält,  und  dass  möglichst  grosse  Mengen  Energie  in 
den  Elektroden  aufgespeichert  werden  können.  Wenn  also  auch  als  Sammler 
jede  Yoltasche  Kette,  deren  chemischen  Vorgang  man  durch  einen  entgegen- 
gesetzten Strom  rückgängig  machen  kann  (z.  B.  eine  Daniellsche  Kette), 
dienen  kann,  so  wird  doch  die  Auswahl  durch  die  eben  ganannten  praktischen 
Bedingungen  so  beschränkt,  dass  bisher  nur  ein  einziger  Typus  sich  als 
lebensfähig  erwiesen  hat.    Es  ist  dies  der  Blei  Sammler. 

Ein  Bleisammler  besteht  aus  zwei  Elektroden  aus  möglichst  porösem, 
aber  doch  hinreichend  widerstandsfähigem  Blei,  welche  in  verdünnter  Schwefel- 
säure stehen.  Die  eine  Platte  ist  vorher  als  Anode  in  Schwefelsäure  behandelt 
worden,  und  das  Blei  darin  ist  dadurch  in  Bleihyperoxyd  übergegangen 
(s.  w.  u.).  Bei  dem  Schluss  dieser  Kette  wandern  die  SO4 -Ionen  der  Schwe- 
felsäure an  die  eine  Platte  aus  metallischem  Blei,  die  H-Ionen  an  die  Hyper- 
oxydplatte.  An  der  ersten  entsteht  nach  der  Gleichung  Pb  -f  SO^«^  PbSO^ 
Bleisulfat,  indem  sich  die  entladenen  Ionen  SO4  mit  dem  Bleimetall  verbin- 
den. An  der  anderen  Elektrode  wird  das  Hyperoxyd  durch  den  entladenen 
Wasserstoff  zu  Oxyd  reduziert,  welches  sich  mit  der  anwesenden  Schwefel- 
säure zu  Bleisulfat  verbindet.  Das  chemische  Ergebnis  des  Stromdurchganges 
ist  also  beiderseits  Bleisulfat.  Hierbei  wird  eine  beträchtliche  Energie  frei, 
da  die  Spannung  rund  2  V  beträgt. 

Sendet  man  nun  einen  Strom  in  entgegengesetzter  Richtung  durch  den 
Sammler,  nachdem  er  entladen  ist,  d.  h.  nachdem  sich  an  beiden  Platten  Blei- 
sulfat gebildet  hat,  so  wird  an  der  Kathode  das  Sulfat  wieder  in  Bleimetall 
übergeführt,   indem   der  Wasserstoff  das  Blei  aus   seinem  Sulfate  verdrängt 


Elektrolyse  und  Polarisation.  479 

und  Schwefelsäure  bildet.  Gegen  die  Anode  wird  das  Ion  SO4"  geführt, 
welches  sich  dort  entladet,  und  mit  dem  Bleisulfat  und  Wasser  im  Sinn  der 
Gleichung  PbSO^  +  SO^  +  2H«0  -=  PbO*  +  2H«S04  reagiert.  Dort  wird 
also  Bleihyperoxyd  wieder  gebildet  und  der  Sammler  ist  in  seinem  früheren 
Zustande. 

Durch  den  glücklichen  Umstand,  dass  dasselbe  Metall  an  den  beiden 
Elektroden  wirken  kann,  und  dass  die  Verbindungen,  die  in  Frage  kommen, 
mit  Ausnahme  der  Schwefelsäure  schwerlöslich  sind,  hat  der  Sammler  beson- 
dere Vorzüge.  Einmal  können  die  reagierenden  Stoffe  nicht  durch  Diffusion 
sich  von  den  Elektroden  entfernen,  an  denen  sie  wirken  sollen  (wie  das  z.  B. 
in  der  Daniellkette  das  Eupfersulfat  thut);  dann  aber  ist  die  Bildung  von 
„Lokalströmen"  ausgeschlossen,  die  dadurch  entstehen,  dass  sich  etwas  von 
dem  Kathodenmetall  an  der  Anode  absetzt,  und  dort  eine  kurz  geschlossene 
Kette  bildet,  die  zu  einem  nutzlosen  Verbrauch  des  Anodenmetalls  führt. 
Hierdurch  sind  zwei  wichtige  Umstände,  die  zu  einer  Verwüstung  der  auf- 
gespeicherten Energie  führen,  ausgeschlossen.  Ein  grosser  Nachteil  des 
Sammlers  ist  dagegen  das  grosse  elektrochemische  Äquivalent  des  Bleis,  wo- 
durch die  auf  die  Gewichtseinheit  der  Elektrode  aufspeicherbare  Energie  eine 
erhebliche  Einschränkung  erfährt. 

Die  Anwendung  dieses  Sammlers  im  Grossen  hat  ergeben,  dass  man 
bestenfalls  etwa  0*9  der  aufgespeicherten  Energie  wiedergewinnt  Der  Verlust 
liegt  wesentlich  an  dem  Umstände,  dass  beim  Stromdurchgange  die  Kon- 
zentration der  Schwefelsäure  erhebliche  Änderungen  erfährt.  Beim  Anblick 
der  Gleichungen,  welche  die  chemischen  Vorgänge  darstellen,  sieht  man,  dass 
bei  der  Arbeit  des  Sammlers  an  beiden  Elektroden  Schwefelsäure  verbraucht 
wird,  d.  h.  aus  der  Lösung  in  die  Elektroden  übergeht;  bei  der  Ladung  werden 
diese  Mengen  wieder  frei.  Dadurch  verdünnt  sich  bei  der  Arbeit  die  Schwefel- 
säure an  den  Elektroden,  und  dadurch  sinkt, wie  es  die  eingehendere  Betrachtung 
der  massgebenden  Konzentrationsverhältnisse  lehrt,  die  Spannung.  Nur  in 
dem  Masse,  wie  sich  durch  Diffusion  und  Strömung  die  Schwefelsäure  wieder 
ersetzt,  kann  die  Spannung  bei  der  Arbeit  aufrecht  erhalten  werden. 

Umgekehrt  konzentriert  sich  die  Schwefelsäure  an  beiden  Elektroden 
durch  die  Vorgänge  bei  der  Ladung,  und  dies  führt  zu  einer  Erhöhung  der 
Spannung  über  das  Mass  des  gewöhnlichen  Wertes,  so  dass  eine  entsprechend 
höhere  Energie  für  die  Ladung  aufzuwenden  ist. 

Gleichzeitig  geht  aus  diesen  Betrachtungen  hervor,  dass  der  Spannungs- 
verlust bei  der  Arbeit,  und  die  erhöhte  Gegenspannung  bei  der  Ladung  um 
so  bedeutender  werden  muss,  je  stärker  der  Strom  ist,  weil  die  Ausgleichung^ 
der  Konzentrationen  um  so  unvollkommener  erfolgt.  Auch  dies  entspricht  der 
Erfahrung,  dass  (innerhalb  gewisser  Grenzen)  der  Sammler  um  so  sparsamer 
in  Bezug  auf  die  Energie  arbeitet,  je  kleiner  die  auf  die  Einheit  der 
Elektrodenfläche  berechnete  Stromstärke  ist. 

Ausser  diesen  Verlusten  kommt  noch  der  Widerstand  der  Kette  und 
die  entsprechende  Umwandlung  der  elektrischen  Energie  in  Wärme  als  Ver- 
lust in  Betracht.    Er  wird  dadurch  möglichst  klein  gemacht,  dass  man  die 


480  ^<   Photochemie. 

Elektroden  plattenfSrmig  anordnet,  ihnen  eine  möglichst  grosse  Ausdehnung 
giebt,  und  die  Säureschicht  zwischen  ihnen  möglichst  dünn  macht.  Dadurch 
ist  der  innere  Widerstand  guter  Sammler  sehr  klein,  so  dass  er  in  den  meisten 
Fällen  nicht  mehr  in  Frage  kommt. 


Zehntes  Buc]^ 

Photochemie. 

Erstes  Kapitel. 
Die    strahlende   Energie. 

In  dem  allgemdnsten  und  bestbegründeten  Naturgesetz,  dem  ersten 
Hauptsatz  der  Energetik  oder  dem  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Energie 
besteht  eine  Lücke,  deren  Vorhandensein  uns  unaufhörlich  entgegentritt, 
und  bei  der  nur  ihr  häufiges  Vorkommen  uns  über  ihre  sonderbare  Be- 
schaffenheit beruhigt.  Sie  besteht  darin,  dass  in  zahllosen  FäUen  vorhandene 
Energiemengen  vollständig  verschwinden,  und  dann  an  anderen  Stelle  wieder 
auftreten,  ohne  dass  man  inzwischen  ihre  Existenz  durch  eine  entsprechende 
Veränderung  des  Raumes,  in  dem  sie  sich  befinden,  nachweisen  kann.  Denn 
jede  andere  Energieart  kann  man  durch  besondere  Eigentümlichkeiten 
an  ihrem  Orte  erkennen,  ohne  dass  man  ihre  Form  zu  ändern  braucht, 
d.  h.  man  kann  sie  als  solche  nachweisen.  In  den  hier  zu  betrachten- 
den Fällen  ist  dies  nicht  möglich.  Man  kann  nur  aus  dem  Ranme,  in 
welchen  hinein  die  Energie  verschwunden  ist,  den  gleichen  Energiebetrag 
in  irgend  einer  anderen  Form,  am  leichtesten  wie  immer  als  Wärme, 
zurückgewinnen;  ausserdem  hat  sich  aber  in  einem  solchen  Räume  in- 
zwischen nichts  in  messbarer  Weise  geändert 

So  wissen  wir,  dass  mit  dem  Auftreten  der  Sonne  über  dem  Horizonte 
ein  mächtiger  Strom  von  Energie  sich  von  dieser  auf  die  Erde  ergiesst.  Der 
gröBste  Teil  davon  erscheint  an  der  Erdoberfläche  als  Wärme,  ein  Teil  als 
mechanische,  als  chemische,  als  elektrische  Energie.  Während  der  Nacht 
hört  dieser  Strom  auf,  ja  er  kehrt  an  der  Erdoberfläche  meist  sogar  seine 
Richtung  um.  Der  Raum,  durch  welchen  er  sich  ergiesst,  hat  während  seiner 
Dauer  ganz  dieselben  Eigenschaften,  als  wenn  er  nicht  durchginge. 

Wir  nehmen  zum  Zwecke  der  Durchführung  des  ersten  Hauptsatzes 
an,  dass  trotz  des  Verschwindens  der  Energie  sie  in  diesem  Zwischen- 
räume dennodi  besteht,  wenn  auch  nur  in  einer  Form,  die  uns  unmittel- 
bar nicht  zugänglich  ist.  Diese  Annahme  ist  dadurch  gestützt,  dass  das 
Verschwinden  nur  auf  Zeit  eifolgt;  selbst  in  dem  gi*ossen  Räume  zwisdien 
Sonne  und  Erde  ist  die  von  ersterer  ausgehende  Energie  nur  während 
rund  9  Minuten  verschwunden,  und  tritt  nach  dieser  Zeit  auf  der  Erde 
durch  Umwandlung  in  eine  der  genannten   Formen  wieder  in  den  Be- 


Die  strablende  Energie.  481 

raöh  der  Nachweisbarkdt  und  Messbarkeit  Ferner  ist  dies  Yensdiwin- 
den  und  Wiederauftreten  an  ganz  bestimmte  Gesetze  gebiinden^  welche 
eine  so  grosse  Mannig&ltigkeit  erkennen  lassen,  dass  die  Annahme  einer 
besonderen,  an  aidi  nicht,  sondern  nur  durch  ihre  Umwandlungen  er- 
kennbaren Energieform  in  der  That  die  einfachste  ist,  die  zur  Zeit  ge- 
macht werden  kann.    Man  nennt  diese  Form  die  strahlende  Energie. 

Wir  erkennen  die  strahlende  Energie  vorwiegend  an  zwei  Umwand- 
lungen. Die  eine  bezieht  sich  auf  die  Wärme  und  findet  sehr  allgemein 
in  einem  wie  im  anderen  ȧinne  statt  Die  andere  Umwandlung  erfolgt 
in  unserem  Auge  und  ist  sehr  wahrscheinlich  chemischer  Natur.  Die 
auf  solche  Wdse  ei^ennbare  strahlende  Energie  bezeichnen  wir  als  Ldcht 
Mit  Hilfe  der  auf  diesen  Umwandlungen  beruhenden  Apparate  sind 
folgende  Eigenschaften  der   strahlenden  En^gie   nachgewiesen    worden. 

Die  Bewegung  der  strahlenden  Energie  durch  den  Raum  erfolgt 
nidit  augenblicklich,  sondern  sie  besitzt  eine  endliche,  wenn  auch  sehr 
grosse  Geschwindigkeit  Im  leeren  Räume  beträgt  diese  3  X  10^^  cm 
in  der  Sekunde.  Durch  andere  Mittel  als  den  leeren  Raum  geht  die 
strahlende  Energie  nicht  ohne  teilweise  Umwandlung,  meist  in  Wärme, 
zu  eiieiden.  Doch  ist  in  vielen  Fällen  die  Umwandlung  so  unbeträcht- 
lich^ dass  man  die  Strahlung  über  sehr  lange  Wege  verfolgen  kann.  Es 
erweist  sich,  dass  in  solchen  Mitteln  ihre  Geschwindigkeit  immer  geringer 
ist^  als  im  leeren  Räume. 

Infolge  dieser  Verschiedenheiten  verbreitet  sich  die  strahlende  Energie 
geradlinig  nur  in  Gebieten,  wo  sie  gleiche  Geschwindigkeit  hat;  in  anderen 
wird  die  Verbreitung  geändert.  Die  geometrischen  Gesetze  dieser  Vorgänge 
behandelt  die  Optik;  sie  sollen  hier  nicht  erörtert  werden. 

Eine  zweite  sehr  wichtige  Eigenschaft  der  strahlenden  Energie  ist 
ihr  periodischer  Charakter.  Die  Vorgänge  an  einem  Punkte,  der  in 
einem  Räume,  durch  welchen  sich  strahlende  Energie  bewegt,  diese  auf- 
nimmt und  umwandelt,  ändern  sich  in  regelmässigen  Zeiten,  die  ausser- 
ordentlich kurz  sind;  ebenso  erfolgen  an  nebeneinanderiiegenden  Punk- 
ten dnes  solchen  Raumes  in  einem  bestimmten  Augenblicke  nicht 
die  Reichen  Vorgänge,  sondern  sie  ändern  sich  auf  sehr  kurze  Strecken 
in  regelmässiger  Wiederkehr.  Man  schreibt  daher  der  strahlenden 
Energie  die  Eigenschaft  einer  Wellen-  oder  Schwingungsbewegung  zu. 
Wenn  man  nur  das  Nötige  ohne  hypothetischen  Zusatz  angeben  wiU, 
so  wird  man  zunächst  nur  sagen,  dass  die  Eigenschaften  der  strahlen- 
den Energie,  d.  h.  ihre  Umwandlungsfähigkeit  in  andere  Formen 
sidi  periodisch  im  Räume  und  in  der  Zeit  ändern;  die  Raumperiode 
nennt  man  die  Wellenlänge,  die  Zeitperiode  die  Schwingungsdauer 
der  Strahlung.  Erstwe  bedeutet  die  Strecken,  die  zweite  die  Zeiten, 
nach   denen  bestimmte  Eigenschaften  der  Strahlung  wiederkehren. 

Die  Erfahrung  ergiebt,  dass  diese  Zeiten  und  Strecken  sich  von  Fall  zu 
Fall  verschieden  erweisen.  Mit  diesen  Verschiedenheiten  ändert  sich  auch 
in  verschiedenen  Mitteln  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit,  und  zwar  ih 

Ostwald ,  GrandrUs.  8.  Aufl.  31 


482  X*  Photochexnie. 

wechselnden  Verhältnissen;  im  leeren  Räume  ist  sie  von  der  Wdlen- 
länge  unabhängig.  Zwischen  den  drei  Grössen ,  der  Wellenlänge  I, 
der  Schwingongsdauer  X  und  der  Geschwindigkeit  v  besteht  die  not- 
wendige Beziehung  ys  =  l.  Reziprok  der  Schwingangsdaner  oder  Pe- 
riode s  ist  die  Schwingongszahl  n  =  — ;  sie  bedeutet  die  Zahl  der  Pe- 

rioden  in  emer  Sekunde. 

Für  die  Wellenlängen  der  als  Licht  sichtbaren  Strahlung  sind  die 
wichtigsten  Zahlen  bereits  früher  (S.  132)  angegeben  worden;  sie  be- 
wegen sich  zwischen  40  und  70  X  10~^  cm.  Die  Grenzen  der  be- 
kannten Wellenlängen  sind  diese  nicht;  nach  den  kürzeren  Wellen  ist 
man  bis  etwa  10  X  10"*  cm  hinaufgekommen;  fiir  die  langen  WeDen 
lässt  sich  zur  Zeit  keine  Grenze  angeben. 

Für  mittleres  (grünes)  Licht  von  5  X  10""^  cm  Wellenlänge  ergiebt 
sich  die  Schwingungsdauer  8  =  5  X  lO-^/s  x  10io=  1-67  X  lO-^^Sek, 
und  die  Zahl  von  0-6  X  10^^  Schwingungen  in  der  Sekunde* 

Die  Bedeutung  der  strahlenden  Energie  fUr  den  Gregenstand 
dieses  Werkes  liegt  in  der  wechselseitigen  Umwandlung  zwischen  ihr 
und  der  chemischen  Energie.  Eine  Betrachtung  der  von  den  leben- 
den Organismen  verbrauchten  wie  der  fiir  technische  Zwecke  verwert- 
baren Energie  zeigt^  dass  die  chemische  Energie  von  allen  in  Betracht 
kommenden  Arten  die  wichtigste  ist.  Die  weitere  Untersuchung  der 
Herkunft  dieser  Energie  ergiebt^  dass  sie  aus  der  Sonne  stammt,  von 
der  sie  in  Gestalt  von  Strahlung  auf  die  Erde  gelangt  Hier  geht  sie 
zum  grössten  Teile  in  Wärme,  und  mittelbar  in  mechanische  Energie 
der  meteorologischen  Vorgänge  über,  die  sich  in  bewegten  Luft-  und 
Wassermassen  zur  Geltung  bringt.  Ein  zweiter  Anteil  der  zugestrahlten 
Energie  nimmt  aber  die  Dauerform  der  chemischen  Energie  unter 
der  Mitwirkung  der  Pflanzen  an. 

Durch  die  Einwu'kung  der  Sonnenstrahlen  findet  in  den  Pflanzen 
eine  Keihe  von  chemischen  Vorgängen  statt,  deren  E^zdhdten  uns 
grösstenteils  noch  unbekannt  sind,  deren  Endergebnis  aber  die  Spaltung 
des  Kohlendioxyds  der  Luft  in  Sauerstoff,  welcher  entweicht,  und  in 
kohlenstoffhaltige  Verbindungen,  namentlich  Stärke,  welche  zurückbleiben, 
ist.  Da  die  Verbrennungswärme  der  Stärke  zu  Kohlensäure  und  Wasser 
17«24  J  für  jedes  Gramm  beträgt,  so  ist  dieselbe  Energiemenge  erforder- 
lich, um  aus  den  der  Pflanze  zugänglichen  Stoffen,  Kohlendioxyd  und 
Wasser,  Stärke  zu  bilden.  Diese  Energie  wird  ausschliesslich  als  Strah- 
lungsenergie von  der  Sonne  geliefert,  denn  die  Pflanzen  vermögen  nur 
im  Sonnenlicht  die  Reduktion  der  Kohlensäure  auszufuhren. 

Man  übersieht  alsbald,  wie  dieser  Vorgang  die  Energie  in  weit  brauch- 
barerer Form  liefert,  als  die  meteorologischen  Vorgänge,  und  in  der  That  ist 
der  Anteil,  welchen  die  letzteren  im  Betrieb  von  Wind-  und  Wassermühlen 
liefern,  sehr  klein  im  Verhältnis  zu  dem,  welcher  durch  die  Lebensthätigkeit 
der  Pflanzen  aufgespeichert  wird.  Alles  Brennmaterial  der  Technik  hat  diesen 


• 


Die  strahlende  Energie.  4g  3 

Ursprung.  Und  der  menschliche  und  tierische  Organismus  kann  seinen 
Energiebedarf  überhaupt  nicht  anders  decken,  als  auf  Kosten  der  von  den 
Pflanzen  gesammelten  Energie. 

Eine  zweite,  sehr  wi^tige  Eigentümlichkeit  der  strahlenden  Energie 
ist  die^  dass  sie  sich  mit  äusserster  Feinheit  räumlich  verteilen  lässt. 
In  auf&Ilendem  Gegensatze  zu  der  an  den  Stoffen  haftenden  Wärme^ 
welche  einem  beständigen  Vermischungs-  oder  Diffdsionsvorgang  unter- 
worfen ist,  bleiben  die  räumlichen  Verschiedenheiten  der  strahlenden 
Energie  auf  das  genaueste  erhalten,  auch  nachdem  sie  sich  Millionen  von 
Meilen  durch  den  Raum  bewegt  hat. 

Yen  dieser  Eigenschaft  hängt  zunächst  die  Fähigkeit  des  Sehens  ab, 
die  Fähigkeit,  welche  uns  nach  Herschels  Ausdruck  mehr  als  jede  andere  die 
Eigenschaft  der  Allgegenwart  verleiht.  Die  zahllosen  feinen  und  feinsten 
Unterschiede,  mit  welchen  die  strahlende  Energie  die  Objekte  verlässt,  erzeugen 
auf  der  Netzhaut  des  Auges  entsprechend  abgestufte  chemische  Vorgänge,  die 
uns  ein  treueres  und  vollständigeres  Bild  der  Aussenwelt  vermitteln,  als  jeder 
andere  Sinn.  Auch  eine  technische  Bedeutung  hat  diese  Eigenschaft  der 
strahlenden  Energie  gewonnen;  in  der  Photographie  werden  Vorgänge  von 
ganz  vergleichbarer  Beschaffenheit  auf  der  lichtempfindlichen  Platte  hervor- 
gerufen, welche  eine  dauernde  Aufbewahrung  augenblicklicher  Zustände  und 
Erscheinungen  ermöglichen. 

So  entwickelt  sich  denn  audi  die  wissenschaftliche  Photochemie  wie 
die  Thermochemie  an  den  beiden  Problemen,  dem  physiologischen  und 
dem  technischen,  und  zwar  fallen  beide  Anfange  in  nicht  sehr  weit  ent- 
legene Zeiten  zurück.  Von  Priestley  ist  1772  die  Beobachtung  gemacht 
worden,  dass  grüne  Pflanzen  im  Sonnenlicht  die  durch  Atmen  verdorbene 
Luft  verbessern:  Senebier  und  Ingenhouss  erkannten  darauf,  dass  der 
Vorgang  in  einer  Zersetzung  der  Kohlensäure  und  Abscheidung  von 
Sauerstoff  bestehe.  Die  wichtige  Rolle,  welche  dieser  Prozess  im  Natur- 
haushalt spielt,  wurde  indessen  erst  von  Liebig  (1840)  und  J.  R.  Mayer 
(1842)  genügend  erkannt. 

Die  ältesten  Beobachtungen  über  Lichtbilder  mit  Hilfe  von  Chlor- 
siiber  rühren  von  J.  H.  Schnitze  (1727)  her,  indessen  blieben  sie  ver- 
einzelt. Die  Fähigkeit  verschiedener  Lichtstrahlen,  verschiedene  Wu'kung 
auf  diesen  lichtempfindlichen  Stoff  auszuüben,  wurde  von  Scheele  (1777) 
erkannt,  welcher  zuerst  das  Spektrum  photographierte;  Ritter  entdeckte 
(1801),  dass  die  chemische  Wirkung  sogar  über  das  sichtbare  Spektrum 
hinaus  sich  erstreckt.  Wollaston  hat  dann  die  Schwärzung  des  Chlor- 
silbers zum  Kopieren  von  Silhouetten  benutzt.  Die  eigentliche  Photo- 
graphie nimmt  ihren  Ausgang  von  Daguerre  (1838),  welcher  die  Ent- 
w.iekelung  der  Lichtbilder  entdeckte,  auf  welcher  die  Möglichkeit,  die 
Bilder  der  Camera  obscura  festzuhalten,  und  photographische  Auihahmen 
in  kürzester  Zeit  auszufiihren,  beruht.  Dieselbe  besteht  darin,  dass 
äussei*st  schwache  chemische  Lichtwirkungen,  welche  für  sich  keine  sicht- 

31* 


484  ^*  PhötOGhemie. 

bare  Veräaderang  d^  Uehti^pfindHcheii  Fläche  herrorgenifen  hatei, 
durch  passende  Behandlung  sichtbar  gemacht  und  so  in  ein  Bild  übo-- 
ge^rt  werden  können.  Wiewohl  die  Mittel  später  wesentlich  ando« 
geworden  sind,  ist  das  Prinzip  dasselbe  gebli^en. 


Zweites  Kapitel. 
Emission  und  Absorption. 

Wiewohl  die  gegenseitigen  Umwandlungen  zwischen  chemischer 
und  strahlender  Energie  den  wesentlichsten  Teil  der  hier  vorzunehmen- 
den Erörterungen  zu  bilden  haben,  sind  einige  von  den  anderen  möglichen 
Umwandlungen^  wenigstens  in  ihren  wesentlichsten  Zügen  zu  schildern^ 
da  sie  für  chemische  Verhältnisse  gleichfalls  in  Betracht  kommen. 

Am  leichtesten  erhält  man  strahlende  Energie  aus  Wärme,  und  es 
ist  eine  allgememe  Thatsache,  dass  ein  warmer  Körper  beständig  in  einer 
von  seiner  Oberfläche,  seiner  Temperatur  und  der  Beschaffenheit  des  um-j 
gebenden  Raumes  abhängigen  Weise  strahlende  Energie  verliert  Diese! 
Beziehung  ist  so  allgemein,  dass  man  die  strahlende  Energie  früher 
strahlende  Wärme  genannt  hat  Da  indessen  diese  Energieform  keine 
von  den  besonderen  Eigenschaften  der  Wärme  besitzt,  und  ihre  Ent- 
stehung auch  nicht  ausschliesslich  an  die  Wärme  gebunden  ist^  so  ist 
dieser  Name  als  einseitig  und  daher  irreftlhrend  zu  verlassen. 

Bringt  man  in  einen  Raum  Körper  verschiedener  Temperatur,  so 
brauchen  sie  nicht  in  unmittelbarer  Berührung  zu  stehen,  damit  ihre 
Temperatur  schliesslich  gleich  wird;  dies  wird  auch  durch  ihren  Energie- 
verkehr mittels  Strahlung  bewirkt.  Daraus  geht  eine  bestimmte,  sehr 
wichtige  Beziehung  hervor,  welche  von  Kirchhoff  (1859)  aufgestellt  wor- 
den ist  Denkt  man  sich  der  Einfachheit  wegen  zwei  gleich  grosse 
Flächen  verschiedener  Temperatur  und  verschiedener  Beschaffenheit  so 
gegeneinander  gestellt,  dass  sie  ihre  Strahlung  nur  gegeneinander  senden 
können,  so  wird  zunächst  ein  Austausch  der  Energie  eintreten,  und 
sdiliesslich  wird  die  Temperatur  beider  Körper  gleich  geworden  sein. 
Dies  folgt  notwendig  aus  dem  zweiten  Hauptsatze,  denn  was  auf  eine 
Art,  durch  Strahlung,  im  Temperaturgleichgewicht  ist,  muss  auf  jede 
andere  Art,  also  auch  bei  unmittelbarer  Berührung  im  Temperatar- 
gleichgewicht sein. 

In  diesem  Gleichgewichtszustande  ist  nun  die  gegenseitige  Strahlung 
von  der  Beschaffenheit,  dass  jede  Fläche  durch  die  Au&ahme  der  Strahlen 
der  anderen  ebenso  viel  gewinnt,  als  sie  selbst  durch  Strahlung  vertiert. 
Nennen  wir  die  in  der  Sekunde  von*  der  ersten  Fläche  ausgestrahlte 
Energiemenge  oder  deren  Emissionskoeffidenten  A,  so  wird  diese  nor 
zum  Teil  von  der  zweiten  Fläche  aufgenommen  werden;  wir  nennen 
diesen    Bruchteil    bA,    wo   b    der    Absorptionskoeffizient    der    zweiten 


Emission  und  Absorption.  4g  5 

Fläche  ißt;  der  Teil  (1  —  b)A  gelangt  an  die  erste  Fläche  zurück,  und 
wird  von  dieser  aufgenommen.  Die  erste  Fläche  verliert  also  die  Menge 
b  A.  Femer  strahlt  die  zweite  Fläche  der  ersten  die  Menge  B  zu,  von 
der  der  Teil  aB  aufgenommen  wird,  den  die  zweite  Fläche  thatsächlich 
verliert;  der  Best  kehrt  zu  ihr  zurück.  Der  gesamte  Energieverlust  der 
ersten  Fläche  ist  also  bA — aB,  der  der  zweiten  aB  —  bA.  Nun 
müssen  beim  Gleichgewichte,  d.  h.  bei  gleicher  Temperatur  die  beiden 
Verluste  Null  sein,  und  es  folgt  somit  die  Gleichung- bA=  aB  oder 
A/a=:B/b,  d.  h.  das  Verhältnis  zwischen  den  Koe£6zienten  der  Ab- 
sorption und  Emission  ist  bei  allen  Stoffen  dasselbe,  wenn  ihre  Tempe- 
ratur gleich  ist. 

Da  die  Gleichheit  der  durch  Strahlung  erreichten  Temperaturen 
auch  bestehen  bleibt,  wenn  man  an  Stelle  der  betrachteten  einfachen 
Verhältnisse  beliebige  andere  setzt,  so  folgt,  dass  der  eben  ausgesprochene 
Satz  für  Flächen  aller  Art,  und  ebenso  für  Strahlen  aller  Art  gelten  mus& 
Insbesondere  ist  es  ausgeschlossen,  dass  etwa  nur  die  Gesamtabsorption 
und  Emission  proportional  sein  sollten;  das  Verhältnis  muss  vielmehr 
ftlr  jede  emzehie  Strahlenart  (die  durch  ihre  Periode  und  eventuell  auch 
ihre  Schwhigungsebene  gekennzeichnet  ist)  dasselbe  sein. 

Hat  also  ein  Körper  die  Eigenschaft,  irgend  welche  besonderen 
Strahlen  reichlich  auszusenden,  so  hat  er  auch  notwendig  die  Eigenschaft, 
ebendiese  Strahlen  in  demselben  reichlichen  Verhältnisse  aus  anderen  auf- 
zunehmen. Umgekehrt  würde  eine  Fläche,  die  alle  auf  sie  fallenden 
Strahlen  zurückwirft,  ausser  stände  sein,  ihrerseits  Strahlen  auszusenden. 
Wir  können  uns  als  Grenzfall  einen  Körper  denken,  der  alle  auf 
ihn  fällenden  Strahlen  aufnimmt,  ohne  einen  Anteil  davon  zurückzusenden. 
Für  einen  solchen  würde  der  Absorptionskoeffizient  den  Wert  Eins  an- 
nehmen. Sei  dies  der  erste  Körper;  dann  würde  a=l  und  S  =  B/b 
sein,  wo  S  den  Emissionskoeffizienten  in  diesem  besonderen  Falle  be- 
zeichnet Wir  nennen  einen  solchen  Körper  einen  schwarzen;  die 
Gleichung  sagt,  dass  die  Emission  eines  bestimmten  Körpers  B  immer 
kleiner  sein  muss,  als  die  eines  schwarzen,  und  zwar  im  Verhältnis  seines 
Absorptionskoeffizienten  b.  Man  erhält  loit  anderen  Worten  die  Strahlung 
eines  bestimmten  Körpers,  wenn  man  die  eines  schwarzen  mit  dem  Ab- 
sorptionskoeffizienten des  Körpers  multipliziert 

Die  Strahlung  eines  schwarzen  Körpers  ist  somit  eine  äusserst 
wichtige  Fundamentalgrösse.  Sie  ist  von  der  Temperatur  abhängig, 
und  zwar  wächst  sie  proportional  der  vierten  Potenz  der  absoluten 
Temperatur  (Stefan  1879,  Boltzmann  1884).  Die  von  einem  Quadrat- 
zentimeter in  der  Sekunde  ausgestrahlte  Energiemenge  wird  in  absoluten 
Einheiten  durch  den  Ausdruck  S  =  5-32  X  10"*  T*  Erg  dargestellt 
Da  ein  schwarzer  Körper  in  dem  hier  definierten  Sinne  nur  eine  Ab- 
straktion ist,  so  entsteht  die  Frage,  wie  ein  solcher  experimentell  herzu- 
stellen ist.  Die  Antwort  ergiebt  sich  dahin,  dass  eine  kleine  öfinung 
in    einem   Baume,  dessen  Wände  von  beliebigem  Material  bei  der  be^ 


486  ^-  Photochemie. 

stiminteii  Temperatur  gebildet  werden,  wie  eine  sdiwarze  Fläche  von 
der  Grösse  der  Ofihung  wirkt.  Der  Beweis  dafür  beniht  anf  der  Be- 
trachtung, dass  eine  in  einen  solchen  Raum  eindringende  Strahlong  in- 
folge der  vielen  Reflexionen  an  den  teilweise  absorbirenden  Wänden 
schliesslich  vollständig  absorbirt  werden  wird,  ehe  ein  Anteil  dordi  die 
öfihong  wieder  einen  Ausweg  findet.  Ein  solcher  Raum  hat  also  d^ 
Absorptionskoeffizienten  Eins,  folglich  hat  er  die  Emission  einer  schwarzoi 
Flädie  (Kirchhofl'  1859). 

Ausser  dem  Betrage  der  Gesamtstrahlung  ist  auch  noch  der  der  einzelnen 
Perioden  eine  allgememe  Temperaturfunktion.  Die  Untersuchungen  hier- 
über haben  gleichfalls  in  letzter  Zeit  ein  allgemeines  Resultat  ergeben^ 
doch  muss  von  einem  Eingehen  darauf  hier  abgesehen  werden. 

Eine  wichtige  Beziehung  zwischen  der  strahlenden  Energie  und  den 
Eigenschaften  materieller  Stoffe  liegt  nun  darin,  dass  ihre  Entstehung  und 
Umwandlung  an  diesen  in  Bezug  auf  die  Periode  gesetzmässig  g^egelt 
ist  In  vielen  FMen  wird  nur  Strahlung  von  bestimmten  Perioden  ^t- 
wickelt,  bez.  umgewandelt,  und  diese  Thatsache  lässt  auf  periodisdie 
Eigentümlichkeiten  der  betreffenden  Stoffe  schliessen.  Umgekehrt  wird 
die  Abwesenheit  emer  solchen  spezifischen  Emission  oder  Absorption  dar- 
auf schliessen  lassen,  dass  solche  periodische  Eigenschaften  nicht  vor- 
banden sind,  oder,  was  hier  dasselbe  bedeutet,  dass  die  in  Frage 
kommenden  Eigenschaftien  alle  möglichen  Perioden  innerhalb  der  vor- 
handenen  Grenzen  besitzt 

Durch  die  unmittelbare  Beziehung  zwischen  Emission  und  Absorption 
ist  ein  zweifaches  Yerfiüiren  ftlr  die  Bestimmung  dieser  Perioden  gegeben: 
man  untersucht  entweder  die  Strahlung,  die  der  betreffende  Stoff  aus- 
sendet, auf  ihre  Perioden,  oder  man  sendet  eine  Strahlung,  die  alle 
möglichen  Perioden  enthält,  durch  den  Stoff,  und  ermittelt,  welche  Perio- 
den absorbiert  werden.  Beide  Verfahren  sind  in  Gebrauch;  in  den 
Fallen,  wo  beide  unter  gleichen  Bedingungen  auf  denselben  Stoff  haben 
angewendet  werden  können,  haben  sie  übereinstimmende  Ergebnisse  geliefert 

Am  einfachsten  haben  sich  die  Verhaltnisse  bei  den  Gasen  gezdgt 
Gase,  die  durch  hohe  Temperatur  oder  auf  andere  Weise  (z.  B.  durch 
elektrische  Entiadungen)  zum  Leuchten  gebracht  werden,  senden  Strahlen 
von  ganz  bestimmter  Periode  aus,  die  von  ihrer  chemischen  Natur  ab- 
hängen, von  der  Temperatur  aber  in  weitesten  Grenzen  unabhängig 
sind  (Bunsen  und  Eirchhoff  1859).  Die  Perioden  dieser  Strahlnngen 
sind  allerdings  nicht  auf  eine  einzige  ftir  jeden  Stoff  beschränkt;  viel- 
mdu*  ist  die  Zahl  der  zu  einem  Stoff  gehörenden  Perioden,  wenn  man 
die  Untersuchung  in  einem  hinreichend  weiten  Temperaturum&nge  durdi- 
ftihrt,  ausserordentlich  gross;  sie  sind  aber  vereinzelt  über  weite  Gebiete 
der  vorkommenden  Perioden  gelagert,  und  alle  dazwischen  möglichen 
Perioden  treten  nicht  auf. 

Um  diese  nebeneinander  sichtbar  zu  machen,  bedient  man  sich  der 
Dispersion   durch   ein  Prisma  von  Glas   oder   einem   anderen  durchsichtigen 


Emission  und  Absorption.  4g7 

Stoffe,  oder  durch  Beugung  an  einem  Gitter.  Bringt  man  die  zu  untersuchende 
Lichtquelle  vor  einen  schmalen  Spalt,  der  im  Brennpunkt  einer  Sammellinse 
steht,  so  erhält  man  ein  paralleles  Lichtbündel,  das  man  durch  das  Prisma 
treten  lässt.  In  diesem  wird  das  Licht  je  nach  seiner  Periode  verschieden 
stark  abgelenkt,  und  betrachtet  man  das  Lichtbündel  durch  ein  auf  Unendlich 
eingestelltes  Femrohr,  so  sieht  man  an  Stelle  des  einfachen  Bildes  des  Spaltes 
soviel  verschiedene  nebeneinander  liegende  Bilder,  als  verschiedene  Licht- 
arten in  der  Lichtquelle  vorhanden  sind.  Das  Licht  glühender  fester  und 
flüssiger  Körper  ist  gewöhnlich  homogen,  d.  h.  es  sind  darin  alle  Perioden 
vorhanden»  Das  Bild  erscheint  dann  als  ein  stetiges  Lichtband,  in  welchem 
alle  Farben  von  rot  bis  violett  vorhanden  sind  und  stetig  ineinander  übergehen. 
Sind  dagegen  nur  einzelne  Perioden  vertreten,  so  erscheint  an  Stelle  des 
ununterbrochenen  Bandes  eine  Reihe  von  scharfbegrenzten  Linien,  von  der 
optischen  Breite  des  Spaltes.  Derartige  Lichtbilder,  in  denen  die  Lichtarten  nach 
der  Periode  nebeneinander  geordnet  sind,  nennt  man  Spektren,  und  die  zu 
ihrer  Erzeugung  dienenden  Apparate  Spektralapparate. 

Während   bei   einem   durch   Zerstreuung   in   einem  Prisma   erzeugten 
Spektrum  kein  einfacher  Zusammenhang  zwischen  der  Periode  und  der  Ab- 
lenkung des  Strahls  vorhanden  ist,  besteht  ein  solcher  bei  den  Spektren,  die 
durch  Beugung  an  Gittern  entstehen.    Indem  wegen  der  Entstehung  solcher 
Spektren  auf  die  Lehrbücher  der  Physik  verwiesen  wird,  sei  hier  nur  das 
Ergebnis  angeführt,   dass   in  ihnen   der  Ablenkungswinkel   der  Wellenlänge 
des  abgelenkten  Lichtes   proportional  ist.    Infolgedessen  werden  durch  Beu- 
gung   theoretisch    einfachere    Spektren  erhalten.     Gleichzeitig  gewinnt   man 
auf    diesem  Wege    eine    weit    bedeutendere    Dispersion    der   verschiedenen 
Strahlen,   so   dass   die  Beugungsgitter   eine   viel   weitergehende  Analyse  des 
Lichtes  ermöglichen,  als  Prismenapparate.   Indem  man  die  Bilderzeugung  und 
die  Dispersion  durch  Anwendung  eines  auf  einem  Hohlspiegel  von  grossem 
Kadius  befindlichen  Gitters  in  einen  Apparat  vereinigt,  erhält  man  den  voll- 
kommensten Spektralapparat,  über  den  die  Wissenschaft  gegenwärtig  verfügt. 
Um  die  Spektren  leuchtender  Gase  und  Dämpfe  zu  erhalten,  erhitztman  diese 
auf  passende  Weise,  und  untersucht  ihr  Licht  mittels  eines  Spektralapparates. 
Die  einfachste  Art  der  Erhitzung  ist  die  in  der  fast  lichtlosen  Flamme  eines 
Bunsenbrenners,  in  die  man  die  Stoffe  bringt,  welche  durch  Verdampfung 
oder  Umsetzung  die  gewünschten  Gase  liefern.    Indessen  ist  die  Temperatur 
dieser  Flamme  nicht  so  hoch,  dass  darin  alle  Gase  zum  Leuchten  kommen. 
Um  höhere  Temperaturen  zu  erzielen,  bedient  man  sich  der  elektrischen  Ent- 
ladung.   Man  lässt   einen  Lichtbogen  zwischen  zwei  Eohlepolen   zu  stände 
kommen,  und  bringt  an  die  positive  Kohle,  welche  die  heissere  ist,  die  zu 
verdampfenden  Stoffe.    Dies  geschieht  am  einfachsten,  indem  man  diese  Kohle 
in  Gestalt  einer  Bohre  anwendet,  deren  Höhlung  mit  dem  Stoffe  ausgefüllt 
ist;  auch  kann  man,  wenn  es  sich  nur  um  kurze  Dauer  handelt,  den  Stoff  in 
die  kraterförmige  Vertiefung  bringen,  die  sich  an  der  positiven  Kohle  ausbildet. 
Noch  höhere  Temperaturen  entstehen,  wenn  man  die  elektrischen  Funken 
zwischen  Elektroden  überspringen  lässt,  welche  aus  den  betreffenden  Stoffen 


488  ^'  Fhotocheiiiie. 

bestehen,  oder  sie  enthalten.    Sind  die  Stoffe  bei  gewöhnlicher  Tempermlar 
bereits  gasförmig,  so  lungiebt  man  die  Elektroden  mit  dem  Gase. 

In  allen  diesen  F&llen  erhält  man  neben  dem  Spektrum  des  zu  unter- 
suchenden Stoffes  das  aller  anderen  anwesenden  Stoffe.  Man  muss  daher 
eine  Untersuchung  über  letztere  vorangehen  lassen,  um  die  Zugehörigkeit 
der  Terschiedenen  Linien  zu  kennen.  Hierbei  treten  oft  grosse  Schwierig- 
keiten auf,  indem  Verunreinigungen,  die  in  sehr  geringen  Meng^i  vorhandea 
sind,  zuweilen  sehr  starke  Spektralerscheinnngen  geben,  ohne  daas  man 
ihrer  Anwesenheit  auf  anderem  Wege  gewahr  geworden  ist 

Die  allgemeinen  Gesetze,  welche  für  die  Spektra  der  versdueden^i  Stoffe 
bisher  geftinden  worden  sind^  lassen  sieh  folgendennassen  zusammenfassen. 

Ein  bestimmtes  Spektrum  gehört  immer  einem  bestimmten 
Stoffe  an,  nie  haben  verschiedenne  Stoffe  gleiche  Spektren. 

Das  Umgekehrte  lässt  sieh  anscheinend  nicht  aussprechen,  denn  es 
sind  zahhreiche  FSHe  nachgewiesen  worden,  in  denen  derselbe  Stoff  ver- 
schiedene Spektren  zeigt  Früher  hat  man  diese  Untersdiiede  so  auf- 
zuessen versucht,  dass  die  verschiedenen  Spektren  besonderen  Molekular- 
zuständen  der  Stoffe  angehörten.  Indessen  ist  eine  solche  Auflassong 
nicht  durchzuführen ;  denn  mehrere  Stoffe,  die  man  nur  in  einem  Zu- 
stande kennt,  geben  verschiedene  Spektren.  Das  auffälligste  Bei^iel  ist 
das  Argon,  das  nach  den  gegenwärtigen  Kenntnissen  als  ein  dnatomiges 
Gas  aufgefasst  werden  muss,  überhaupt  keine  bekannten  Verbindungen 
bildet,  und  das  dennoch  mindestens  drei  wesentlich  verschiedene  Spek- 
tren zeigt 

Die  Ursache  der  Ausbildung  der  verschiedenen  Spektren  scheint 
ganz  wesentlich  die  Verschiedenheit  der  Temperatur  zu  sein.  Doch 
gehören  sehr  grosse  Unterschiede  derselben  dazu,  um  die  Änd^img 
zu  bewu'ken. 

Verbindungen  haben  Spektren,  die  von  denen  ihrer  Ele- 
mente verschieden  sind. 

Während  die  Spektren  verschiedener  Stoffe,  welche  gleichzeitig 
nebeneinander  entstehen,  voneinander  ganz  unabhängig,  also  voUkommen 
additiv  smd  (hierauf  beruht  der  grosse  analytische  Wert  der  Spektral- 
erscheinungen,  da  keine  vorgängige  Trennung  der  Stoffe  erforderlich  ist), 
so  sind  Beziehungen  zwischen  den  Spektren  der  Elemente  und  ihrer 
Verbindungen  nicht  sicher  bekannt.  Es  mag  dies  zum  Teil  daher  rühren, 
dass  überhaupt  die  Zuschreibung  von  Verbindungssp^tren  zu  bestimmten 
Stoffen  eine  sdiwierige  Sache  ist,  da  über  die  Natur  der  bei  hohen 
Temperaturen  aus  gegebenen  Elementen  entstehenden  Verbindungen  sich 
nur  wenig  mit  einiger  Sicherheit  sagen  lässt 

Bei  den  Absorptionsspektren  zusammengesetzterer  St<^e  sind 
Zusammenhänge  zwisciien  der  Natur  der  Verbindung  und  dem  Spektmm 
vorhanden,  wie  weiter  unten  gezeigt  werden  soll. 

Die  verschiedenen  Linien  desselben  Spektrums  stehen  zu 
einander  in  einem  gesetzmässigen  Zusammenhange. 


J 


Einission  und  Absorption.  499 

Die  allgemdne  Form  dieses  Zusammenhanges  ist  noch  nicht  mit 
Sieh^eit  festgestellt  In  einzelnen  fllien  gilt  die  Beziehung  n  sxs  A  —  B/m'» 
^wo  n  die  Sdiwingungszahl  der  Linien  ist;  A  und  B  Konstanten  dar- 
stellen und  für  m  die  Reihe  der  ganzen  Zahlen  gesetzt  wird.  Beim 
Wasserstoff  ist  diese  Beziehung  mit  ausgezeidmeter  AnnSfaerung  erföUt; 
bei  d^i  anderen  Elementen  muss  meist  noch  ein  Glied  mit  G/m^  hinzu- 
genommen  werden.  Auch  zerfiülen  hier  die  Linien  eines  und  desselben 
Spektrums  in  verschiedene  sdche  Reihen^  in  denen  die  Konstanten  ver- 
schiedene Werte  haben. 

Ähnliche  Elemente  zeigen  einen  ähnlichen  Bau  des 
Spektrums. 

Eine  Ähnlichkeit  in  den  Spektren  der  Alkalimetalle  ist  bereits  den 
ersten  Beobachtern  aui'gefallen,  da  schon  die  wenigen  Linien  in  der 
Bnnsenflamme  einen  analogen  Bau  zeigen,  derart,  dass  die  entsprechen- 
den Linien  bei  Kalium,  Rubidium  und  Cäsium  eine  um  so  langsamere 
Schwingung  zeigen,  je  grösser  das  Verbindungsgewicht  des  Elements  ist. 
Auch  die  viel  reicheren  Spektren  derselben  Elemente  im  elektrischen 
Lichtbogen  haben  ähnliche  Beziehungen  für  die  Konstanten  der  oben 
erwähnten  Reihen  ergeben.  Ebenso  sind  derartige  Analogieen  für  die 
zweiwertigen  Elemente  der  Magnesiumreihe  gefunden  worden. 

Die  Beziehung  zwischen  Emission  und  Absorption  hat  sich  bei 
Gasen  am  genauesten  kontrollieren  lassen.  Sie  führt  zu  der  Erscheinung 
der  Umkehrung  der  Linien.  Wird  durch  die  vorhandenen  Um- 
stände die  Bildung  eines  ununterbrochenen  Spektrums  bei  Gegenwart 
der  betreffenden  Gase  befördert,  so  erscheint  an  Stelle  der  hellen  Linie 
des  leuchtenden  Gases  eine  dunkle.  Dies  tritt  ein,  wenn  das  stetige 
Gesamtspektrum  an  Lichtstärke  erheblich  kräftiger  wird  als  die  betreffende 
Einzelstrahlung.  Muss  dann  dies  Licht  durch  eine  Schicht  des  Gases  gehen, 
so  verliert  es  durch  Absorption  diese  Strahlen,  und  die  von  dem  Gase 
ausgehende  Strahlung  erscheint  wegen  ihrer  geringen  Stärke  als  Dunkel- 
heit auf  dem  hellen  Grunde  des  stetigen  Spektrums.  Im  allgemeinen 
kehren  sich  die  hellsten  Linien  am  leichtesten  um^  da  sie  die  Stellen 
stärkster  Absorption  darstellen. 

Verbindungen  können  meist  nicht  unverändert  durch  Erhitzen 
zum  Leuchten  gebracht  werden.  Man  ist  daher  bei  ihnen  meist  auf  die 
Absorptionserscheinungen  angewiesen.  Während  hier  für  Gase  nicht 
viel  bekannt  ist,  sind  flüssige  und  gelöste  Verbindungen  in  ziemlich 
weitem  Umfange  untersucht  worden. 

Die  Absorptionsspektra  flüssiger  oder  gelöster  Stoffe  unterscheiden 
sich  wesentlich  von  denen  bei  Gasen  durch  den  Umstand^  dass  niemals 
Sidiarf begrenzte  Linien  auftreten,  die  der  Absorption  eines  ganz  engen 
Gebietes  entsprechen.  Hier  sind  vielmehr  die  Absorptionen  immer  über 
ein  mehr  oder  weniger  weites  Gebiet  verbreitet,  so  dass  man  nicht  mehir 
von  Linien  reden  darf;  es  treten  Absorptionsbanden  auf. 


490  ^*  Photochemie. 

Wegen  des  besonderen  Interesses  an  den  Absorptionen  im  sicht- 
baren Grebiete,  welche  zn  der  Erscheinung  der  farbigen  Stoffe  fuhren, 
sind  diese  besonders  emgehend  untersucht  worden.  Dadurch  sind  unsere 
Kenntnisse  über  diesen  Gegenstand  einigermassen  einseitig  geblieben,  und 
dies  macht  sich  in  dem  Mangel  allgemeiner  Gesetze  fühlbar.  Allgemein 
kann  man  nur  sagen,  dass  es  sich  hier  um  eine  vorwiegend  konstitutlre 
Eigenschaft  handelt  Von  den  zahheichen  organischen  Yerbindungffl 
sind  die  einfachsten  Abkömmlinge  der  gesättigten  Kohlenwasserstoffe  fdr 
die  mdsten  Strahlen  durchlässig,  und  bestimmte  Absorptionen  treten  erst 
ein,  wenn  besondere  Konstitutionsvezhältnisse  dazutreten.  So  ist  ein 
Gehalt  an  Stickstoff  und  das  Vorhandensein  von  Doppelbindungen  gfinstig 
für  das  Auftreten  von  Absorption;  noch  mehr  sind  die  verschiedenen 
Gruppen  der  sogenannten  cyklischen  Verbindungen  die  Bildui^s- 
stätte  absorbierender  Stoffe.  Diese  zeigen  in  den  einfacher^i  Faüen 
meist  die  Absorption  im  Ultravioletten,  und  es  bedarf  besonderer  Ver- 
hältnisse, dass  sie  in  das  sichtbare  Gebiet  hinüberwandert 

Innerhalb  nahverwandter  Gruppen  lassen  sich  auch  einige  besondere 
Beziehungen  erkennen,  insofern  gewisse  Stoffe  beim  Eintritte  in  eme 
farbige  Verbindung  die  Absorption  in  bestimmtem  Sinne  verschieben. 
So  drängen  Methyl  oder  Kohlenwasserstoffi^adikale,  im  aUgemeinen  ebenso 
Halogene  den  Streifen  nach  der  Seite  der  längeren  Wellen,  während 
Amid  und  auch  oft  die  Nitrogruppe  sie  nach  den  kürzeren  Wellen  ver- 
schiebt Die  Beträge  dieser  Änderungen  sind  gleichfalls  mit  der  Kon- 
stitution veränderhch.  Daraus  haben  sich  für  die  Technik  gewisse 
Regeln  ergeben,  nach  denen  aus  gegebenen  Farbstoffen  andere  von  ge- 
wünschtem Tone  erzeugt  werden  können. 

Ein  Beispiel  für  diese  Verhältnisse  bieten  die  Abkömmlinge  des  Fluores- 
celns.  Dieses  hat  einen  Absorptionsstreifen  im  Blau  und  sieht  deshalb  (in  der 
ßurchsicht)  gelb  aus.  Durch  den  Eintritt  von  Chlor,  Brom  oder  Jod  ver- 
schiebt sich  der  Streifen  nach  dem  Grünen  zu,  und  zwar  in  der  angegebenen 
Reihenfolge  stärker.  Der  Stoff  erscheint  dadurch  rot,  und  zwar  um  so  mehr 
purpurrot,  je  weiter  der  Streifen  nach  den  langen  Wellen  vorrückt  Dieser 
Einfluss  der  Halogene  ist  wieder  verschieden,  je  nachdem  die  Substitution 
im  Fhtalsäurerest  oder  im  Resorcinrest  erfolgt;  im  ersten  Falle  ist  er  kleiner. 

Femer  geht  der  im  Grünen  liegende  Absorptionsstreifen  des  Rosanilins 
nach  dem  Orange  und  Gelb  weiter,  wenn  man  Methyl  oder  Phenyl  einfuhrt, 
und  die  entsprechenden  Abkömmlinge  des  Rosanilins  sind  violett  und 
blau  gefärbt. 

Nur  in  einem  Falle  lässt  sich  trotz  erheblicher  Änderungen  eines 
Bestandteils  gar  keine  Änderung  in  der  Farbe  nachweisen:  bei  den  ver- 
dünnten Lösungen  der  Salze.  Eine  dahin  gerichtete  Untersuchung 
(Ostwald  1892)  hat  gezeigt,  dass  z.  B.  die  fünf  recht  scharfen  Absorptions- 
streifen in  den  Lösungen  der  Permanganate  ganz  dieselbe  Stelle  be- 
halten,  welches  Salz  der  Übermangansaure  man  auch  untersuchen  mag. 
Die  Erklärung  hierfür  liegt  wieder  in  der  unabhängigen  Existenz  der 


Emission  und  Absorption.  491 

Ionen,  welche  in  der  UnabhSngigkeit  ihrer  Eigenschaften  von  denen  der 
aonderen  Ionen  zum  Ausdrucke  kommt  Bei  der  grossen  Empfindlich- 
keit der  Lichtabsorption  gegen  konstitutive  Einflüsse  ist  dieser  Nachweis 
ein  guter  Beleg  fQr  die  Lehre  von  der  unabhängigen  Existenz  der  Ionen. 

Die  nicht  ionisierten  Salze  haben  oft  eine  andere  Farbe,  als  ihre  Ionen.  So  ist 
Kupferchlorid  im  wasserfreien  Zustande  gelbbraun,  Eupferbromid  schwarzYiolett, 
während  beide  in  yerdünnter  Lösung  die  grünblaue  Farbe  der  Eupferionen 
zeigen.  Indessen  muss  beachtet  werden,  dass  zwar  im  allgemeinen  eine  Ver- 
schiedenheit in  beiden  Fällen  zu  erwarten  ist,  dass  sie  aber  nicht  notwendig 
vorhanden  zu  sein  braucht  In  den  komplexen  Salzen  des  dreiwertigen 
Chroms  haben  wir  Verbindungen,  welche  trotz  konstitutiver  Verschiedenheiten 
der  Zusammensetzung  doch  im  grossen  und  ganzen  die  gleiche  Absorption 
zeigen.  Welches  die  konstitutiven  Umstände  sind,  unter  denen  eine  solche 
geringe  Beeinflussung  der  Lichtabsorption  eintritt,  ist  noch  nicht  ausgemacht. 

Dbs  Gebiet  der  Absorptionserscheinungen  hat  sich  in  neuerer  Zeit 
sehr  dadurch  ausgedehnt,  dass  auch  die  elektromagnetische  Strahlung 
einbezogen  werden  muss. 

Wenn  elektrische  Schwingungen  in  einem  Leiter  erfolgen,  so  tritt 
aus  diesem  Energie  in  den  umgebenden  Eaum^  welche  dieselben 
Eigenschaften^  insbesondere  dieselbe  Verbreitungsgeschwindigkeit  besitzt, 
wie  die  gewöhnliche  strahlende  Energie.  Triflt  diese  Strahlung  auf 
elektrische  Leiter^  so  wird  sie  aufgenommen^  indem  wieder  elektrische 
Ströme  entstehen^  welche  gemäss  dem  Jouleschen  Gesetz  nach  Massgabe 
der  Leitfähigkeit  des  aufnehmenden  Körpers  ihre  Energie  in  Wärme 
verwandehi.  Die  Untersuchung  dieser  Erscheinungen  hat  gezeigt,  dass 
sich  alle  wesentlichen  Eigenschaften  der  strahlenden  Energie  an  ihnen 
nachweisen  lassen.  Daraus  hat  sich  die  Vorstellung  entwickelt,  dass  auch 
die  letztere  ihrem  Wesen  nach  eine  elektromagnetische  Schwingung  sei, 
nnd  die  hierauf  gebaute  elektromagnetische  Theorie  des  Lichtes 
hat  sich  im  wesentlichen  im  stände  gezeigt^  die  Thatsachen  mit  genügender 
Annäherung  darzustellen.  Doch  muss  auch  hier  betont  werden,  dafls  die 
aus  elektromagnetischen  Schwingungen  erhaltene  Energie,  solange  sie  sich 
im  strahlenden  Zustande  befindet,  keine  elektrischen  oder  magnetischen 
Eigenschaften  besitzt  Sie  lässt  sich  nur  wieder  in  elektromagnetische 
Energie  zurückverwandeln,  wenn  man  sie  durch  passende  Leiter  auf- 
fängt, in  denen  elektromagnetische  Schwingungen  von  gleicher  Periode 
«tattfinden  können.  Für  das  licht  ist  wegen  der  Kleinheit  der  Wellen 
diese  Art  der  Umwandlung  noch  nicht  nachzuweisen  gewesen. 

Durch  den  Anschluss  der  elektromagnetischen  Strahlen  wird  das 
Gebiet  der  strahlenden  Energie  ausserordentlich  vergrössert,  da  auf  diese 
Weise  Wellenlängen  von  jeder  beliebigen  Grösse  erzeugt  werden  können. 
Für  die  Absorption  dieser  elektromagnetisch  erzeugten  strahlenden  Energie 
durch  verschiedene  Verbindungen  haben  sich  ähnliche  konstitutive  Be- 
ziehungen ergeben,  wie  sie  im  Gebiete  des  sichtbaren  Lichtes  beobachtet 
worden  sind  (Drude  1897).    Von  der  Mitteilung  der  Einzelheiten  muss 


492  X.  Photochemie. 

bis  auf  die  Unt^^nchung  eines  ansged^mteren  Mat^ate  abges^ea 
w^en;  nur  sei  erwähnt,  dass  insbesondere  Hydroxylverbindungen  die 
Fähigkeit  zur  Absorption  von  Strahlen  von  10  bis  20  cm  Wellenlänge 
gezdgi  haben. 

Was  die  allgemeine  Bedeutung  der  Emissions-  und  Absorptions- 
erschdnungen  anlangt,  so  liegt  sie  darin^  dass  durdi  sie  das  Vorhanden* 
sein  periodischer  Vorgänge  in  den  strahlend^  bez.  absorbierenden 
Stoffen  erkennbar  gemacht  wird;  diese  Perioden  müssen  mit  denen  dar 
betr^enden  Strahlung  entweder  identisch  sein^  oder  doch  za  ihnen  in 
einem  multiplen  Verhältnisse  stehen.  Wdcher  Art  diese  Ersehdnungen 
sind^  ist  noch  unbekannt  In  früherer  Zeit,  wo  man  das  Licht  als  die 
Schwingung  eines  hypothetischen  elastischen  Mittels;  des  sog^iannt^ 
Äthers  ansah,  fasste  man  sie  als  die  Schwingung  der  Atome  auf;  ^b^ 
entstand  die  Schwierigkeit,  dass  einerseits  diese  Periode  von  der  Tempe- 
ratur, also  von  der  Amplitude  der  Schwingung,  in  weitestem  Masse  un- 
abhängig war,  andererseits  die,  dass  die  verschiedenen  Strahlen  desselben 
Spektrums  sich  untereinander  verhalten  müssten,  wie  die  Obertöne  dnes 
sdiwingenden  Körpers,  was  sich  mit  der  Erfahrung  nicht  vereimgen  liess. 
Gegenwärtig  sieht  man  in  dem  Lichte  meist  eine  elektromagnetische 
Schwingung,  und  hat  in  den  absorbierenden  Stoffen  entsprech^ide  elek- 
trische Vorige  anzun^men.  Die  Versuche,  dne  solche  Theorie  zu 
entwickeln,  haben  noch  nicht  zu  Ergebnissen  allgemeiner  Beschaffenheit 
geführt,  und  der  hier  eröffiaete  Bfick  in  den  „inneren  Bau  der  Mol^eh^ 
hat  keine  entzifferbaren  Formen  gewahren  lass^. 

Durch  die  Absorption  wird  die  strahlende  Energie  in  andere  Formea 
umgewandelt.  Dabei  tritt  vorwiegend  Wärme  auf;  doch  giebt  es  auch 
Fälle,  wo  andere  Formen,  insbesondere  chemische  Energie  entstehen* 
Diese  letzteren  sollen  uns  besonders  beschäftigen. 

Umgekehrt  wandelt  sich  chemische  Energie  gleichfalls  häufig  in 
strahlende  um.  Man  darf  hier  nicht  daran  denken,  dass  in  den  meisten 
liSmpen  (mit  Ausnahme  der  elektrischen)  chemische  Vorgänge  die  Quelle 
der  Lichtenergie  liefern;  hier  handelt  es  sidi  vorwiegend  um  s^iundäre 
Erscheinungen,  Indem  sich  die  chemische  Energie  erst  in  Wärme  ver- 
wandelt, von  der  ein  kleiner  Teil  durch  Temperaturstrahlung  in  Licht 
übergeht.  Wohl  aber  gehören  solche  Erscheinungen,  wie  das  Leuchten 
des  Phosphors,  mancher  Pilze  (auf  moderndem  Holze  und  zuweilen  auch 
auf  Fleisch),  der  Johanniskäfer  u.  a.  m.  hierher.  In  dies^i  FSäen 
handelt  es  sich  nicht  um  das  gewöhnliche  Temperaturleuchten,  da  die 
leuchtenden  Stoffe  alle  unter  50^  sind,  sondern  um  eine  unmittelbare 
Umwandlung  chemischer  Energie  in  strahlende^). 


')  Die  gelegentlich  ausgesprochene  „Erklärung^'^  es  könnten  einzelne 
Molekeln  ganz  wohl  die  Qlühtemperatur  haben,  während  die  mittlere  Tempe- 
ratur der  Gesamtmasse  niedrig  ist,  hat  keinen  experimentell  nachweisbaren 
Inhalt,  und  daher  keine  wissenschaftliche  Bedeutung. 


1 


Die  chemische  Wirkung  des  Lichtes.  493 

Demgemäss  h&tte  die  Photodtemie  odw  die  Lehre  von  den  gegen- 
seitigen Umwandlangen  der  strahlende  und  der  diemiscfaen  Energie  in 
zwei  Abteüungen  zu  zerfallen,  von  denen  die  eine  die  Büdnng  chemischer 
Energie  ans  strahlender,  und  die  andere  den  entgegengesetzten  Vorgang 
zu.  behandeki  hätte.  Indessen  ist  nur  der  eiBte  Teil  dnigermassen  ent- 
widsdt  Für  den  zweiten  sind  nur  einige  Beobachtungen  der  eben  er- 
wähnten Art  vorhanden,  und  zu  einer  wissenschaftlidien  B^andlung  des 
Gebietes  sind  kaum  die  ersten  Ansätze  vorhanden.  Wir  werden  uns 
daher  ausschliesslich  mit  dem  ersten  Teile  zu  beschäftigen  haben. 


Drittes  Kapitel. 
Die  chemische  Wirkong  des  Lichtes. 

Die  photochemischen  Erscheinungen  bestehen  darin,  dass  sich  die 
chemischen  Verhältnisse  in  einem  gegebenen  Gebiete  verändern,  wenn 
strahlende  Energie  in  dieses  eintritt.  Damit  die  letztere  irgend  eiae 
Wirkung  äussern  kann,  muss  sie  sich  in  eine  andere  Form  verwandelt 
haben,  die  Absorption  ist  also  eine  notwendige  Voraussetzung  aller  photo- 
chemischen Wirkung. 

Die  Art  der  Veränderungen  kann  sehr  verschieden  sein.  Aligemein 
wird  man  sagen,  dass  verschiedene  Stoffe  unter  dem  Einflüsse  der  Strah- 
lung andere  chemische  Eigenschaften  annehmen,  als  sie  sie  ohnedies  be- 
sitzen. Dadurch  werden  vorhandene  Gleichgewichte  verschoben  werden, 
und  es  können  Vorgänge  eintreten,  die  ohne  die  Mitwirkung  der  Strah- 
lung nicht  in  nachweisbarer  Menge  stattfinden.  Femer  können  vorhan- 
dene Vorgänge  beschleunigt  oder  verzögert  werden.  Ob  letzteres  nur 
durch  die  Änderung  der  chemischen  Eigenschaften  im  Sinne  einer  Ver- 
schiebung des  chemischen  Potentials  bewirkt  werden,  oder  ob  die  Strah- 
lung ausserdem  katalytisch,  d.  h.  von  der  Potentialänderung  unabhängig 
beschleunigen  kann,  ist  noch  nicht  ausgemacht,  wenn  es  auch  sehr 
wahrscheinlich  ist. 

Man  wird  also  Lichtempfindlichkeit  bei  allen  Stoffen  zu  erwarten  haben, 
die  absorbieren  können,  und  es  wird  sich  nur  um  verschiedene  Grade 
dieser  Eigenschaft  von  Stoff  zu  Stoff  handeln  können.  In  der  That  ist 
das  Verzeichnis  der  Stoffe,  die  sich  durch  den  Einfluss  des  Lichtes  ändern, 
sehr  gross  und  nimmt  unaufhörlich  zu. 

Um  sich  eine  Vorstellung  davon  zu  machen,  wie  durch  Strahlung  der 
chemische  Zustand  öines  Gebildes  geändert  werden  kann,  denken  wir  uns  ver- 
schiedene absorbierende  Stoffe  in  einen  Raum  von  konstanter  Temperatur  ge- 
bracht. Dann  werden  diese  gleiche  Temperatur  annehmen.  Wird  nun  eine 
Strahlung  in  den  Kaum  gesendet,  die  von  den  Stoffen  verschieden  absorbiert 
wird,  wobei  die  absorbierten  Strahlen  sich  in  Wärme  verwandeln  mögen,  so 


494  X.  Phötochemie. 

nehmen  die  Stoffe  verschiedene  Temperaturen  an,  die  sich  aus  dem  Yerhält- 
nis  der  Absorption  der  empfangenen  Strahlen  zur  Emission  bei  den  ent* 
standenen  Temperaturen^)  ergeben.  Demgemftss  werden  sie  sich  auch  gegen- 
einander nicht  mehr  so  verhalten  können,  wie  vorher  im  Dunkeln,  sondern 
nehmen  neue  gegenseitige  Beziehungen  an. 

Von  den  sehr  vielen  photochemischen  Vorgängen  sind  nur  wenige 
quantitativ  untersucht  worden.  Am  eingehendsten  ist  dies  mit  &n^ 
von  BerthoUet  entdeckten  Keaktion  geschehen,  die  in  der  Verbindung  des 
ChlorknallgaseS;  d.  h.  eines  Gemisches  aus  gleichen  Volumen  C9ilor  und 
Wasserstoff  im  Lichte  besteht.  Beide  vereinigen  sich  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Strahlung  zu  Chlorwasserstoff.  Lässt  man  starkes  Licht  auf 
eine  grössere  Menge  des  Gases  wirken,  so  geschieht  die  Vereinigung 
nach  einigen  Augenblicken  unter  Explosion;  mässigt  man  aber  das  Lidit, 
so  findet  die  Bildung  des  Chlorwasserstoffs  in  regehnässiger  und  lang- 
samer Weise  statt.  Die  letzteren  Umstände  sind  es,  unter  denen  man 
die  Erscheinung  zu  messenden  Versuchen  benutzen  kann. 

Chlor  und  Wasserstoff  verbinden  sich  auch  im  Dunkeln,  wenn  man  ihre 
Temperatur  genügend  steigert,  und  zwar  genügt  die  Steigerung  an  einer 
kleinen  Stelle,  z.  B.  durch  einen  elektrischen  Funken  dazu,  um  eine  beliebig 
grosse  Menge  des  Gases  zur  Explosion  zu  bringen.  Dies  rührt  daher,  dass  durch 
denVorgang  selbst  eine  grosse  Menge  Wärme  entwickelt  wird.  Durch  diese  wird  die 
Temperatur  in  der  Umgebung  der  Stelle,  wo  die  erste  Verbindung  stattfand, 
soweit  gesteigert,  dass  auch  dort  die  Verbindung  eintritt,  und  so  setzt  sich  der 
Vorgang  über  die  ganze  Masse  fort.  Die  gleiche  Überlegung  gilt  für  die  Ver- 
bindung unter  der  Wirkung  des  Lichtes.  Wird  die  erzeugte  Wärme  so  lang- 
sam abgeführt,  dass  sich  die  Temperatur  der  schnellen  Reaktion  herstellt,  so 
tritt  die  explosive  Verbindung  ein.  Belichtet  man  dagegen  unter  Bedingungen, 
durch  welche  diese  Temperatursteigerung  vermieden  wird  (am  besten  unter 
solchen,  dass  eine  merkliche  Steigerung  überhaupt  nicht  stattfindet),  so  geht 
die  Verbindung  in  stetiger  und  messbarer  Weise  vor  sich. 

Die  Messung  der  chemischen  Wu'kung  des  Lichtes  auf  Chlorknall- 
gas  beruht  nun  auf  dem  Umstände,  dass  der  gebildete  Chlorwasserstoff 
augenblicklich  von  Wasser  aufgenommen  wird,  während  die  Absorption 
der  Bestandteile  gering  ist  Man  belichtet  daher  Chlorknallgas  in  Be- 
rührung mit  Wasser  (das  mit  Chlor  und  Wasserstoff  unter  den  Umstän- 
den des  Versuches  gesättigt  ist)  in  einem  Apparate,  der  die  Messung  der 
Volumverminderung  gestattet,  und  hat  in  letzterer  ein  Mass  fttr  den  Be- 
trag der  verbundenen  Gase. 

.  Ein  derartiger  Apparat  wurde  zuerst  von  Draper  (1842),  später  in 


*)  Man  darf  nicht  etwa  hier  das  Kirchhoffsche  Gesetz  (S.  484)  anwenden 
wollen;  hier  handelt  es  sich  nicht  um  ein  Gleichgewicht  gegenseitiger 
Strahlung,  für  welche  dieses  Gesetz  gilt,  sondern  um  die  Wirkung  einer  un- 
abhängigen äusseren  Strahlungsquelle. 


Die  chemische  Wirkung  des  Lichtes.  495 

vollkommener  (restait  von  Bunsen  und  Roscoe  (1862)  konstruiert  Der 
Hauptteil  des  letzteren  ist  untenstehend  (flg.  57)  abgebildet 

Das  elektrolytiseh  in  genau  riehtigen  Verhältnissen  dai^estellte  6e- 
menge^  das  Chlorknallgas^  wird  von  h  aus  durch  das  ^Insolationsge^iss^ 
i  geleitet,  welches  in  flacher  Dosenform  aus  dünnem  Glase  geblasen  ist 
und  in  seiner  unteren,  geschwärzten  Hälfte  Walser  enthält.  Es  steht 
durch  einen  Schliff  mit  dem  Skalenrohr  k  in  Verbindung,  das  in  das 
gMchfalls  mit  Wasser  geföUte  Gefäss  1  ausläuft. 

Fällt  licht  auf  den  oberen  Teil  von  i,  so  bildet  sich  Chlorwasser- 
stoff, welcher  augenblicklich  von  Wasser  aufgenommen  wird.  Dadurch 
«entsteht  eine  Volumverminderung  und  der  Wasserfaden  Ik  im  Skalen- 
robre  bewegt  sich  nach  i  hin;  die  durchmessene  Strecke  wird  an  der 
Teilung  abgelesen  und  ist  das  Mass  der  chemischen  Wirkung  des  Lichtes. 

Durch  diese  Einrichtung  ist  bewirkt,  dass  das  Produkt  der  Licbt- 
wirkung,  das  Ghlorwasserstoffgas,  in  demselben  Masse  fortgenommen  wu^, 
als  es  entsteht,  und  dass  somit  der  Apparat  seine  Beschaffenheit  während 
des  Versuches  unverändert  beibehält 

Mittels  derartiger  Apparate  hat  nun  zuerst  Draper  und  später 
Bunsen  und  Roscoe  das  Grundgesetz  der  photochemischen  Wurkung  fest- 


Fig.  57. 

gestellt,  demzufolge  die  Wirkung  des  Lichtes  proportional  seiner 
Stärke  ist 

Draper  (1842)  entwarf  von  einer  gleichmässig  beleuchteten  weissen 
Fläche  mittels  dner  grossen  Linse  ein  Bild  auf  seinem  Apparat;  welcher 
ihm  die  Messung  der  durch  die  Lichtwirkung  aus  Chlorknallgas  gebildeten 
Chlorwasserstoffmenge  gestattete,  und  erhielt,  wenn  er  die  Linse  durch 
Sektoren  von  bekanntem  Winkel  teilweise  zudeckte,  Reaktionsgeschwindig- 
keiten, welche  der  freien  Linsenoberfläche  proportional  waren.  Später 
ist  derselbe  Satz  von  Hankel  (1862),  sowie  von  Bunsen  und  Roscoe 
(1862)  geprüft  und  bestätigt  worden. 

In  der  eben  ausgesprochenen  Form  bezieht  sich  der  Satz  auf  die 
in  der  Zeiteinheit  ausgeübte  Wirkung  einer  gleichförmigen  Strahlung. 
Denkt  man  sich  die  Sti*ahlung  veränderlich,  so  ist  die  in  jedem  Zeitteil 
erfolgte  Wirkung  proportional  der  in  diesem  Augenblicke  herrschenden 
Strahlung.  Multipliziert  man  daher  jede  Strahlungsintensität  mit  der 
Zeit,  während  der  sie  geherrscht  hat,  und  summiert  diese  Produkte,  so 
erhält  man  eine  Grösse,  welcher  nach  dem  Grundgesetze  die  gesamte 
ehemisehe  Wirkung  proportional  ist  Jene  Summengrösse  ist  aber  nichts 
als  die  Gesamtenergie  der  Strahlung,  welche  während  der  ganzen 
Zeit  eingewirkt  hat,  und  man  kann  das  Grundgesetz  daher  auch  m  der 
Gestalt  aussprechen:    für  ein  gegebenes  Gebilde  ist  die  zu  che- 


496  ^-  Photodiemie. 

mischen  Zwecken  umgesetzte  Strahlungsenergie  ein  kon* 
stanter  Bruchteil  der  Gesamtenergie  der  Strahlung. 

Die  Genauigkeit  dieses  Grandgesetzes  ist  nur  theoretisch  eine  voll- 
kommene, da  die  Voraussetzung,  dass  das  Gebilde  seine  Besdiaffenheit  wahrraid 
der  Strahlung  beibehalte,  in  aller  Strenge  nicht  zu  erfOllen  ist.  Denn  es 
erfolgt  z.  B.  im  Bunsenschen  Apparate  die  Absorption  des  Chlorwasserstoffs 
nicht  augenblicklich,  sondern  nur  sehr  schnell;  es  wird  also  immer  währ^ad 
der  Arbeit  etwas  Chlorwasserstoff  im  Apparate  sein,  und  zwar,  wie  eine  nahe- 
liegende Überlegung  zeigt,  nicht  eine  konstante  Menge,  sondern  eine,  die  der 
Reaktionsgeschwindigkeit  proportional  ist.  Ähnliche  Einwendungen  lassen 
sich  in  allen  fthnlichen  derartigen  Fallen  machen. 

Femer  hat  sich  gerade  bei  den  Versuchen  von  Bunsen  und  Eoscoe  gezeigt, 
dass  der  Verbindung  des  Chlorknallgases  gewisse  Vorgänge  Yorausgeben,  durch 
welche  die  Reaktionsgeschwindigkeit  gesteigert  wird,  so  dass  erst  nach  längerer 
Einwirkung  einer  konstanten  Lichtquelle  eine  konstante  Reaktionsgeechwindig- 
keit  erreicht  wird.  Derartige  Erscheinungen  der  „photochemischen  Induktion** 
finden  auch  in  anderen  Fällen  statt;  sie  rühren  alle  daher,  dass  unter  der 
Einwirkung  der  Strahlung  das  lichtempfindliche  Gebilde  selbst  ein  anderes 
werden  muss,  bevor  es  in  einen  stationären  Zustand  übergeht.  Für  diese 
erste  Arbeit  sind  bestimmte  endliche  Beträge  erforderlich,  die  einen  anderen 
Koeffizienten  haben,  als  die  Arbeit  im  stationären  Zustande,  und  die  deshalb 
eine  Abweichung  vom  einfachen  Grundgesetz  bewirken. 

Es  entsteht  nun  die  Frage  nach  dem  Bruchteil  der  Gesamtmenge 
der  strahlenden  Energie^  welcher  im  Chlorknallgas  zu  chemischer  Wirkung 
verbraucht  wird.  Bunsen  und  Roscoe  haben  eine  Antwort  auf  folgendem 
Wege  erhalten. 

Die  Strahlen  einer  konstanten  Leuchtgasflamme  wurden  znnädist 
durch  einen  Cylinder  mit  Chlor  geschickt,  und  es  wurde  der  Verlust  an 
Strahlung  (welcher  zur  Erwärmung  des  Chlors  dient)  gemessen.  Alsdann 
wurde  in  den  Weg  derselben  Strahlen  ein  doppelt  so  langer  Cylinder 
mit  Chlorknaiigas  eingeschaltet.  Da  der  Wasserstoff  nicht  in  messbarer 
Weise  die  Strahlen  absorbiert,  so  müsste  das  licht,  wenn  es  ohne  andere 
Arbeit  zu  leisten,  als  es  im  Chlor  geleistet,  durch  das  Chlorknallgas  ginge, 
gerade  dieselbe  Schwächung  erfahren,  wie  im  Chlor  allein.  Die  Schwächung 
war  aber  merklich  grösser,  so  dass  die  Forscher  zu  folgendem  Er- 
gebnis kamen: 

„Von  den  Strahlen  einer  Leuchtgasflamme,  welche  im  Chlorknall- 
gase absorbiert  werden,  dienen  zwei  Drittel  zur  Erwärmung  des  Gases, 
und  ein  Drittel  zur  Leistung  der  Arbeit,  durch  welche  die  beiden  Gase 
.    in  den  Stand  gesetzt  werden,  sich  chemisch  zu  verbinden." 

Untersuchungen  über  den  Anteil  des  Lichtes,  welcher  beim  Auf- 
fallen auf  lichtempfindliche  Stoffe  zur  Wirkung  gelangt,  haben  er- 
geben, dass  derselbe  meist  sehr  klein  ist.  Nach  Pfeffer  wird  unter  den 
günstigsten  Verhältnissen  von  einem  Quadratcentimeter  Oberfläche  eines 
Oleanderblattes  in  einer  Sekunde  0-0000000537  g  Stärke  gebildet   Die 


Die  chemische  Wirkung  des  Lichtes.  497 

Verbrennungswärme  dieser  Menge  beträgt  nnr  9200  Erg,  und  ebenso 
gross  ist  die  Menge  der  zur  Bildung  der  Stärke  aus  dem  Lichte  ver- 
brauchten Energie.  Nun  beträgt  aber  die  strahlende  Energie,  welche 
ein  Quadratcentimeter  an  heiteren  Sommertagen  empiängt,  1250000  Erg 
in  der  Sekunde;  von  dieser  Menge  kann  also  die  Pflanze  noch  nicht 
den  hundertsten  Teil  zu  chemischen  Zwecken  verbrauchen. 

Aus  diesem  Beispiel  ergiebt  sich,  dass  der  Bruchteil  der  strahlen- 
den Energie,  der  zu  chemischen  Zwecken  verbraucht  wird,  je  nach 
Umständen  ausserordentlich  verschieden  sein  kann.  Er  kann  selbstver- 
ständlich nie  grösser  sein,  als  der  überhaupt  absorbierte  Teil;  zwischen 
der  Gesamtabsorption  und  der  chemischen  besteht  aber  auch  offenbar 
kein  konstantes  Verhältnis,  und  man  kann  daher  aus  der  Lichtabsorption 
keinen  unmittelbaren  Schluss  auf  die  chemische  Lichtempfindlichkeit  ziehen. 

Aus  dem  photochemischen  Grundgesetze  imd  den  allgemeinen  Ge- 
setzen, denen  die  strahlende  Energie  unterworfen  ist,  ergeben  sich  die 
einzelnen  Gesetze  für  die  chemische  Wirkung  des  Lichtes.  So  wird  diese 
im  umgekehrten  Verhältnisse  des  Quadrats  der  Entfernung  von  einer  all- 
seitig strahlenden  Lichtquelle  abnehmen,  und  bei  der  Absorption  durch 
irgend  welche  Mittel  wird  die  absorbierte  Menge  in  geometrischer  Beihe 
wachsen,  wenn  die  Schichtdicke  in  arithmetischer  zunimmt. 

Dass  endlieh  alle  geometrischen  Gesetze  der  strahlenden  Energie 
auch  für  die  photochemische  Wirkung  Geltung  haben,  ergiebt  sich  daraus, 
dass  man  jede  objektive  optische  Erscheinung  photographieren  kann. 

Diese  Gesetze  sind  durch  verschiedene  Methoden,  insbesondere  mit- 
tels lichtempfindlicher  Papiere  und  Platten  geprüft  worden,  und  haben 
stets  dasselbe  Resultat,  unabhängig  von  der  Beschaffenheit  der  prüfen- 
den Stoffe,  ergeben. 

Diese  Unabhängigkeit  der  allgemeinen  Gesetze  von  dem  besonderen 
photochemischen  Vorgange  führt  zu  einem  wichtigen  Schlüsse.  Betraditet 
man  nämlich  die  mannigfaltigen  derartigen  Prozesse,  so  glaubt  man  sie 
in  zwei  Klassen  teilen  zu  müssen,  die  dadurch  verschieden  sind,  dass  in 
der  einen  die  neuen  Stoffe  unter  Energieverlust,  in  der  anderen  unter 
Energiegewinn  entstehen.  Ein  Beispiel  ftir  die  erste  Klasse  bildet 
die  Verbindung  des  Chlorknallgases  zu  Chlorwasserstoff,  eines  für  die 
zweite  die  Bildung  der  Stärke  in  den  grünen  Pflanzen.  Man  hat  daher 
gesagt,  dass  im  ersten  Falle  das  Licht  nur  auslösend  wirke,  während  es 
im  zweiten  wirklich  Arbeit  leiste. 

Gegen  eine  derartige  Trennung  spricht  vor  allen  Dmgen  der  Um- 
stand, dass  beide  Fälle  voneinander  sich  nicht  unterscheiden,  was  die 
Gesetze  des  photochemischen  Verlaufes  anlangt.  Man  wird  daher 
gezwungen,  in  allen  FäUen  anzunehmen,  dass  es  sich  um  eine  wirkliche 
Arbeitsleistung  des  Lichtes  handelt,  d.h.  um  eine  Umwandlung  der  strahlenden 
Energie  in  chemische.  Der  Unterschied  der  beiden  FsAle  besteht  dann 
nur  darin,  dass  die  durdi  die  Arbeit  des  Lichtes  bewirkten  Vorgänge 
noch  von  anderen  Vorgängen  gefolgt  sein  können,  bei  denen  ein  Energie- 

Ostwald,  Grandriss.  3.  Aufl.  32 


498  ^*  I^liotocheinie. 

yerlust  erfolgt,  der  grösser  ist,  als  der  Gewinn  ans  der  Strahlung.  IMes 
wäre  der  Fall  des  Chlorknallgases.  Tritt  ein  solcher  sekundärer  Vorgang 
nicht  ein,  so  ist  das  Gesamtergebnis  ein  Energiegewinn  für  das  betrachtete 
Gebilde,  dem  Falle  der  photochemiscben  Wu*knng  in  den  grünen  Pflanzen 
entsprechend. 

Auf  die  Frage,  welche  Strahlen  chemische  Wu*knngen  ansILben,  ist 
zu  antworten,  dass  dies  durch  die  Schwingnngsdauer  oder  die  Wellen- 
länge der  Strahlen  bestimmt  wird,  derart,  dass  für  jedes  Uchtempfindlidie 
Gebilde  ein  Maximum  (oder  einige)  bei  bestimmter  Periode  vorhanden 
ist.  Durch  den  Umstand,  dass  die  auffallendsten  chemischen  Wildungen 
des  Lichtes  an  solchen  Stoffen  beobachtet  worden  sind,  deren  chemisdies 
Absorptionsgebiet  im  Blau,  Violett  und  darüber  hinaus  liegt,  hatte  sidi 
früher  die  Vorstellung  entwickelt,  dass  die  kurzwelligen  Strahlen  die 
eigentlich  ^ chemischen^  seien.  Die  späteren  Foi*schungen  haben  gezeigt, 
dass  chemische  Wirkungen  von  allen  Strahlen  des  sichtbaren  und  un- 
sichtbaren Spektrums  ausgeübt  werden  können,  und  dass  es  nur  von 
der  Natur  der  Stoffe  abhängt,  welche  Strahlen  als  diemisch  wirksam 
zur  Geltung  kommen.  Die  Messungen  der  „chemischen  Intensität  des 
Lichtes"  zuerst  oder  des  „photochemischen  Klimas",  welche  früher  vielfach 
ausgeführt  worden  sind,  haben  daher  keine  allgemeine  Bedeutung,  sondern 
sie  geben  nur  die  zeitlichen  Mannigfaltigkeiten  in  der  Stärke  der 
Strahlenarten  wieder,  welche  auf  das  benutzte  Aktinometer  von  besonders 
grosser  Wirkung  sind. 

Über  den  Zusammenhang  der  photochemisdien  Empfindlichkeit  mit 
der  chemischen  Natur  der  Stoffe  hat  sich  allgemeines  noch  nicht  ermittdn 
lassen.  Da  das  chemische  Absorptionsgebiet  notwendig  innerhalb  des 
optischen  liegen  muss,  so  wird  man  vorwiegend  unter  den  geiUrbten  Stoffen 
die  für  die  sichtbaren  Strahlen  empfindlichen  zu  suchen  haben.  Doch 
genügen  sehr  geringe  Grade  der  Färbung,  um  sehr  bedeutende  Lidit- 
empfindlichkeit  zu  ermöglichen,  wie  sieh  an  dem  Beispiele  der  last 
weissen  Halogenverbindungen  des  Silbers  ersehen  lässt. 

Im  übrigen  scheinen  namentlich  Oxydations-  und  Reduktions^eieh- 
gewichte  durch  die  strahlende  Energie  beeinflusst  zu  werden.  Daher 
sind  fast  alle  Salze  der  Metalle,  die  Ionen  von  mehrfadiw  Wertigkeit 
bilden  können,  lichtempfindlich.  Dies  tritt  besonders  deutlich  zn  Tage^ 
wenn  gleichzeitig  Stoffe  zugegen  sind,  die  eine  Oxydation,  bez.  Reduktion 
erfahren  können. 


Viertes  Kapitel. 

Die  Photographie. 

Die  Methode,  mittels  deren  Daguerre  zuerst  wirkliche  Photogramme 
zuwege  brachte,  bestand  darin,  dass  er  eme  Silberplatte  (oder  eine 
mit    Silber  überzogene   Kupferplatte)   den    Dämpfen    des  Jods  aussetzte, 


Die  Photographie.  499. 

und  alsdann  das  Bild  der  Camera  obscora  auf  die  Platte  wirken  Hess. 
Nach  erfolgter  Einwirkung  (die  nur  wenige  Sekunden  erfordert)  wird 
die  Platte,  auf  welcher  kein  Bild  sichtbar  ist,  den  Dämpfen  von  schwach 
ervrärmtem  Quecksilber  ausgesetzt.  Diese  verdichten  sich  an  der  Platt«, 
und  zwar  um  so  reichhcher,  je  stärker  das  Licht  an  der  betreffenden 
Stelle  eingewurkt  hat.  Betrachtet  man  die  Platte  so,  dass  die  blanken 
Stellen  wenig  Licht  in  das  Auge  reflektieren,  so  erscheinen  die  Stellen, 
an  denen  ein  Niederschlag  von  Quecksilbertröpfchen  erzeugt  ist,  heller 
als  der  Grund,  und  zwar  um  so  heller,  je  reichlicher  der  Nieder- 
schlag ist. 

Die  Theorie  dieses  Vorganges  beruht  zunächst  auf  der  Thatsache, 
dass  sich  Dämpfe  an  rauhen  Stellen  im  allgemeinen  leichter  ansetzen, 
als  an  glatten.  Wo  das  Licht  auf  das  Jodsilber  eingewirkt  hat,  ist  letzteres 
teilweise  zerlegt  worden  und  dadurch  hat  sich  an  den  entsprechenden 
Stellen  ein  besserer  Boden  für  die  Anlagerung  von  Quecksilbertröpfchen 
gebildet.  Dazu  kon;imt  vielleicht  noch  der  Umstand,  dass  das  aus- 
geschiedene Silber  mehr  Verwandtschaft  zum  Quecksilber  hat,  und  daher 
dasselbe  reichhcher  verdichtet,  als  das  unzerlegte  Jodsilber.  Überhaupt 
ist  durch  die  Forschungen,  welche  sich  an  das  Bekanntwerden  der 
Daguerreschen  Methode  knüpften,  erwiesen  worden,  dass  mit  der  geringsten 
örtlichen  Änderung  in  der  Oberflächenbeschaffenheit  einer  polierten  Schicht 
sich  die  Art,  wie  Dämpfe  an  derselben  sich  verdichten,  in  auffalligster 
Weise  ändert.  Es  ist  dies  eine  Folge  des  Einflusses  fremder  Stoffe  auf 
die  metastabile  Grenze  (S.  114). 

Die  Methode  von  Daguerre  ist  jetzt  allgemein  verlassen.  Sie  wurde 
zunächst  durch  das  KoUodionverfahren  von  Scott  Archer  verdrängt.  Einer 
Auflösung  von  Schiessbaumwolle  (Cellulosenitrat)  in  Äther  und  Alkohol, 
welche  beim  Verdunsten  des  letzteren  eine  glasartige  Schicht  zurücklässt, 
werden  Jodverbindungen  (Jodcadmium,  Jodammonium  u.  s.  w.),  die  in 
der  Flüssigkeit  löslich  sind,  zugesetzt.  Mit  derselben  wird  eine  Glas- 
platte überzogen,  und  diese  taucht  man,  nachdem  die  Hauptmenge  des 
Äthers  verdunstet,  in  eine  Lösung  von  Silbemitrat.  Dadurch  bildet  sich 
in  der  KoUodionschicht  ein  Niederschlag  von  Jodsilber,  welcher  licht- 
empfindlich ist. 

Bringt  man  eine  solche  Platte  in  die  Camera  obscura  und  belichtet 
die  erforderliche  Zeit  (einige  Sekunden  im  freien  Tageslicht),  so  kann 
man  auf  der  gelblich- weissen  Platte  keine  Spur  eines  Bildes  bemerken. 
Ein  solches  kommt  erst  zum  Vorschein,  wenn  man  die  Platte  mit  einem 
Gemenge  von  Silbemitrat  und  einer  reduzierenden  Flüssigkeit,  einer 
Lösung  von  Pyrogallol  oder  von  Eisenvitriol  u.  s.  w.,  übergiesst.  Das 
Silber,  welches  sich  aus  dem  Gemenge  ausscheidet,  lagert  sich  vorzugs- 
weise an  den  Stellen  an,  wo  das  Licht  gewirkt  hat,  und  bringt  ein  Bild 
hervor,  in  welchem  der  Silberniedei*schlag  proportional  der  Lichtstärke 
ist.  Durch  Behandeln  dieses  „entwickelten"  Bildes  mit  einem  Ijösungs- 
mittel  des  Jodsilbers,  z.  B.  Cyankalium,  wird  das  überschüssige  Jodsilber 

32* 


500  ^*  Photochemie. 

entfernt  und  es  bleibt  ein  Negativ,  d.  h.  ein  Büd  mit  nndurchsicbtigeD 
lichtstellen   und   durchsichtigen  Schattenstellen  zurück. 

Die  Theorie  des  Vorganges  beruht  auf  den  Eigenschaften  über- 
sättigter Lösungen  gegenüber  vorhandenen  Keimen.  In  der  mit  dem 
Entwickler  übergossenen  Schicht  besteht  das  Bild  aus  metallischem  Silber*), 
während  das  Gemenge  von  Silbemitrat  und  Reduktionsmittel,  welches 
den  Entwickler  bildet,  eine  in  Bezug  auf  Silber  übergesättigte  Losung 
darstellt.  Aus  dieser  Lösung  scheidet  sieh  das  Silber  dort  aus,  wo 
bereits  Keime  von  Silber  vorhanden  sind,  und  so  entsteht  ein  siebtbares 
Bild.  Durch  fortgesetzte  Einwirkung  des  Entwicklers  kann  man  diesen 
Niederschlag  so  dicht  erhalten,  als  für  den  vorliegenden  Zweck  erforderlich 
ist.  Dies  gelingt  ebenso  mit  dem  frischen  Bilde  in  der  JodsUberschidit, 
wie  mit  dem  „fixirten",  d.  h.  durch  Behandeln  mit  Cyankalinmlösnng 
vom  Jodsilber  befreiten  Bilde. 

Gegenwärtig  wird  auch  der  KoUodiumprozess  nur  noch  für  bestimmte 
Zwecke  benutzt,  und  es  dienen  fär  den  allgemeinen  Gebrauch  Bromsilber- 
gelatineplatten. Diese  haben  ausser  der  viel  grösseren  Lichtempfindlich- 
keit den  wesentlichen  Vorzug,  dass  sie  beliebig  lange  vor  dem  Gebrauch 
hergestellt  werden  können,  ohne  zu  verderben,  während  die  Kollodium- 
platten unmittelbar  nach  dem  Baden  in  der  Silberlösung  verbraucht 
werden  müssen. 

Die  Herstellung  dieser  Platten  geschieht,  indem  zu  einer  warmen 
Lösung  von  reiner  Gelatine  und  Bromkalium  eine  ammoniakalisdhe  Süber- 
lösung  gesetzt  wird,  wobei  das  Bromid  in  kleinem  Überschusse  bleiben 
muss.  Das  BromsUber  scheidet  sich  dann  in  koUoidalem  Zustande  aus 
und  ist  zunächst  unempfindlich.  Durch  längeres  Digerieren  bei  etwas 
erhöhter  Temperatur  wird  es  empfindlicher,  und  nach  bestimmter  Zeit 
ist  es  genügend  „gereift^^  Dann  lässt  man  die  Masse  erstarren,  wäscht 
das  entstandene  Kaliumnitrat  aus,  schmUzt,  vergiesst  die  Emulsion  auf 
Glasplatten  und  läfist  trocknen. 

Die  Entwickelung  dieser  Platten  erfolgt,  indem  man  sie  mit  starken 
Eeduktionsmitteln,  Kaliumferrooxalat,  alkalischen  Lösungen  von  Hydro- 
chinon  oder  anderen  mehrfach  hydroxylirten  aromatischen  Verbindungen 
behandelt.  Dann  wird  das  Bromsilber  vorwiegend  an  den  Stellen  redudrt, 
wo  die  Lichtwirkung  stattgefunden  hatte.    Durch  Behandeln  mit  Natrinm- 


^)  Durch  neuere  Versuche  von  Eder  ist  sichergestellt  worden,  dass  in 
der  nicht  entwickelten  Kollodium -Jodsilberschicht  das  Bild  nicht  aus  metalli- 
schem Silber,  sondern  aus  Silberjodür  oder  einem  ähnlichen  Beduktionspro- 
dukt  des  Jodsilbers  besteht,  da  es  durch  Salpetersäure  nicht  zerstört  wird, 
wohl  aber  durch  Jodlösung.  Für  die  Theorie  der  Entwickelung  ist  dies  an 
sich  wichtige  Ergebnis  ohne  Belang,  da  sich  aus  den  Subhalogenverbindungen 
des  Silbers  unter  dem  Einflüsse  des  Entwicklers  alsbald  metallisches  Silber 
bildet,  welches  dann  die  oben  geschilderte  Rolle  übernimmt. 


Die  Photographie.  501 

thiosulfat  wird  schliesslich  das  nicht  reduzierte  Brotnsilber  entfernt  und 
das  Bild  fi^rt. 

Die  Theorie  dieser  Entwickelung  ist  von  der  der  Kollodiumplatten 
nicht  wesentlich  verschieden.  Auch  hier  bildet  sich  durch  die  Einwirkung 
des  reduzierenden  Stoffes  auf  das  Bromsilber  eine  tibersättigte  Silberlösung, 
ivelche  das  Metali  an  vorhandenen  Keimen  absetzt. 

Auch  dieses  Verfahren  giebt  negative  Bilder,  d.  h.  solche,  in  denen 
die  lichten  Stellen  undurchsichtig  und  die  dunklen  durcbsichtig  sind. 
Für  die  Herstellung  positiver  Bilder  nach  diesen  giebt  es  sehr  verschiedene 
Verfahren.  Die  gebräuchlichsten  beruhen  auf  der  Schwärzung  der  Silber- 
salze,  die  in  Berührung  mit  organischen  Stoffen  sind,  hn  Lichte.  Die 
Silbersalze  werden  unter  diesen  Umständen  zu  Silber  reducirt,  und  zwar 
im  umgekehrten  Verhältnis  zu  der  Dichtigkeit  des  aufgelegten  Negativs, 
so  dass  nun  ein  richtiges  Bild  zu  stände  kommt.  Durch  Natriumthio- 
Bulfat  wird  das  überschüssige  Silbersalz  entfernt,  und  ein  aus  Süber 
bestehendes  Bild  bleibt  zurück.  Da  dies  Silber  eine  unschöne  braune 
Farbe  hat,  so  behandelt  man  das  Bild  mit  einer  sehr  verdünnten  Gold- 
lösung, wodurch  das  Silber  des  Bildes  durch  Gold  ersetzt  wird,  dessen 
blauviolette  Farbe  mit  dem  Braun  des  Silbers  den  bekannten  „Photo- 
graphieton"  giebt. 

Die  Platinotypie  beruht  auf  der  Eeduktionswirkung,  welche  die 
Ferrisalze  im  Lichte  erfahren.  Man  benutzt  gewöhnüch  Kaliumferrioxalat, 
dem  man  eine  Lösung  von  Kaliumplatinchlorür  zufügt.  Nach  der  Be- 
lichtung wird  das  Bild  mit  einer  Lösung  von  Kaliumoxalat  behandelt, 
wodurch  an  den  reduzierten  Stellen  das  entstandene  Ferrosalz  aus  dem 
Platinsalze  metallisches  Platin  abscheidet. 

Eine  grosse  Anzahl  weiterer  Verfahren  benutzen  die  Wechselwirkung 
zwischen  Chromaten  und  organischen  Klebstoffen,  wie  Leim  und  Gummi. 
In  diesen  Gemengen  wird  durch  das  Licht  die  Chromsäure  reduziert, 
und  das  entstandene  Chromoxyd  bildet  mit  dem  Klebstoff  eine  schwer- 
lösliche Verbindung.  Hierdurch  wird  ein  Farbstoff,  der  dem  Gemenge 
einverleibt  war,  an  den  Stellen  grösster  Lichtwirkung  gebunden,  und 
man  erhält  nach  dem  Fortwaschen  des  unveränderten  Überzuges  nach 
einem  Negative  ein  Positiv. 

Auf  der  gleichen  Reaktion  beruhen  mehrere  photographische  Druck- 
verfahren. Für  letztere  wird  femer  vielfach  der  Asphalt  benutzt,  welcher 
die  Eigenschaft  hat,  im  Lichte  seine  Löslichkeit  in  Terpentinöl  zu  ver- 
lieren. Die  Einzelheiten  dieser  sehr  mannigfaltigen  Methoden  entziehen 
sich  der  Berichterstattung  an  dieser  Stelle. 

Eine  bemerkenswerte  Beobachtung  ist  von  H.  W.  Vogel  (1874) 
gemacht  worden.  Die  Silbersalze,  insbesondere  auch  das  Bromsilber  der 
gewöhnlichen  Negativplatten  sind  vorherrschend  empfindlich  für  Strahlen 
zwischen  blau  und  ultraviolett,  während  auf  das  Auge  die  grüngelben 
Strahlen  am  stärksten  einwirken,  für  welche  die  Platten  wenig  empfind- 
lich sind.     Die  Folge  davon   ist,   dass  in  photographischen  Bildern  die 


502  XI.  Die  chemische  Verwandtschaft. 

Lichtverhältnisse  geändert  erseheinen;  die  dunkelaossehenden  blauen  und 
violetten  Farben  bilden  sich  hell  ab,  während  helle  rote  und  gdbe 
Töne  dunkel  wiedergegeben  werden. 

Dieser  Übelstand  lässt  sich  nun  beseitigen,  wenn  man  dem  Brom- 
silber der  Platten  gewisse  Farbstoffe,  z.  B.  Eosin  oder  Cyanin  in  s^ir  ge- 
ringer Menge  zusetzt.  Dadurch  verschiebt  sich  das  Maximum  der 
photographischen  Wirkung  nach  der  Seite  der  längeren  Wellen,  bez.  es 
treten  in  diesem  Gebiete  neue  Maxima  auf,  und  man  erhlUt  Bilder  mit 
richtigerer  Abstufung. 

Die  Theorie  dieses  Verfahrens  ist  noch  nicht  befriedigend  entwi<^eli 
Es  lässt  sich  nicht  absehen,  wieso  die  Absorption  durch  den  beigemisdi- 
ten  Farbstoff  das  aufgenommene  Licht  zu  einer  Wirkung  auf  das  Brom- 
silber beföhigen  soll.  Zwar  scheint  der  Farbstoff  gleichfalls  eine  Ver- 
bindung mit  Silber  einzugehen,  welche  lichtempfindlich  ist;  doch  für  diese 
ist  eme  Lichtempfindlichkeit  von  der  Ordnung  der  beim  Bromsilber  vor- 
handenen nicht  nachgewiesen  worden.  Das  optische  Absorptionsmaximum 
der  gefärbten  Platte  stimmt  ausserdem  nicht  mit  dem  photographisdieii 
Wirkungsmaximum  überein. 

So  wichtig  sich  diese  Erfindung  daher  auch  für  die  photogra- 
phische Technik  erwiesen  hat  und  so  sicher  sie  zur  Zeit  bereits  praktisdi 
gehandhabt  wird,  so  muss  doch  eine  ausreichende  Theorie  dieser  merk- 
würdigen Erscheinung  erst  von  der  Zukunft  erwartet  werden. 

Die  Versuche  endüch,  Photogramme  in  natürlichen  Farben  herzu- 
stellen, beruhen,  soweit  sie  nicht  wesentlich  mechanischer  Natur  sind^ 
auf  physikalischen  Vorgängen  ohne  besondere  chemische  Beziehung  und 
müssen  daher  hier  tibergangen  werden. 


Elftes  Buch. 

Die  chemische  Verwandtschaft 

Erstes  Kapitel. 
Methoden. 

Wenn  eine  Anzahl  Stoffe  in  bestimmten  Mengen  und  unter  be- 
stimmten Umständen  gegeben  sind,  so  kann  gefragt  werden,  was  zwischen 
ihnen  geschieht.  Denn  sie  werden  sich  im  allgemeinen  nicht  im  che- 
mischen Gleichgewicht  befinden,  und  es  werden  daher  Umsetzungen, 
Verbindungen  und  Trennungen  eintreten,  die  schliesslich  dazu  fuhren 
werden,  dass  Gleichgewicht  vorhanden  ist. 

Die  formale  Seite  dieser  Aufgabe  ist,  soweit  die  gegenwärtige 
Entwickelung  der  chemischen  Wissenschaft  reicht,  in  dem  zweiten  Teile 
dieses  Werkes  behandelt  worden,  und  es  sind  als  allgemeinste  Formen  der  Ant- 
wort auf  diese  Frage  die  beiden  Grundgesetze:  das  der   chemischen 


Methoden.  503 

Massenwirkung  und  das  der  Reaktion  gegen  zwangsweise  Ver- 
änderungen erörtert  worden.  Dabei  haben  sich  diese  Vorgänge  in  ihrem 
Verlaufe  und  in  dem  schliesslich  erreichten  Gleichgewichte  innerhalb  der 
genannten  Gesetze  noch  durch  Koeffizienten  bestimmt  gezeigt,  die  von 
der  chemischen  Natur  der  beteiligten  Stoffe  und  den  äusseren  Umständen 
des  Vorganges  abhängig  sind.  Diese  Koeffizienten  waren  als  gegeben 
betrachtet  worden  und  es  wurde  ihnen  gegenüber  nur  die  Frage  gestellt, 
inwieweit  sie  als  Konstanten  behandelt  werden  können.  Gegenwärtig 
soll  die  weitere  Frage  erörtert  werden,  wie  diese  Koeffizienten  mit  der 
chemischen  Natur  der  beteihgten  Stoffe  und  anderen  Umständen  zu- 
sammenhängen. Dadurch  erhalten  die  etwas  abstrakt  gewordenen  Be- 
trachtungen der  chemischen  Energetik  wieder  einen  lebendigen  Inhalt, 
und  die  stöchiometrischen  Probleme,  die  den  Gegenstand  des  ersten 
Teiles  dieses  Werkes  bildeten,  kehren  als  Zielpunkte  der  weitergeführten 
Entwickelung  der  allgemeinen  Chemie  wieder. 

Denn  indem  diese  Koeffizienten  den  Zustand  des  Gleichgewichts 
zwischen  den  Stoffen  bestimmen,  gestatten  sie  die  Aufgabe  zu  lösen,  wie 
weit  ein  gegebenes  Gebilde  noch  vom  Gleichgewichte  entfernt  ist,  und 
welche  Arbeiten  es  daher  noch  leisten  kann,  bis  es  diesen  Zustand 
erreicht.  Dies  ist  aber  die  Hauptfrage,  welche  bezüglich  aller  Anwen- 
dungen der  chemischen  Vorgänge,  z.  B.  im  technischen  und  physiolo- 
gischen Gebiet  gestellt  werden  muss,  und  ihre  Beantwortung  ist  grund- 
legend für  die  Beurteilung  der  Ergebnisse  der  Vorgänge. 

Ausser  der  Frage  nach  dem  Gesamtbetrage  der  Arbeiten,  die  mit 
einer  bestimmten  Zustandsänderung  verbunden  sind,  ist  noch  die  nach 
der  Geschwindigkeit  zu  stellen,  mit  der  der  endliche  Zustand  erreicht 
wird.  Auch  diese  Frage  ist  von  höchster  Bedeutung  für  alle  Anwendungen 
der  chemisdien  Vorgänge,  denn  ebensowenig,  wie  es  für  den  Techniker 
gleichgültig  ist,  ob  er  sein  Produkt  in  einem  Tage  oder  einer  Woche 
herstellen  kann,  ist  jede  Bethätigung  emes  lebenden  Organismus  in  ent- 
scheidender Weise  dadurch  beeinflusst,  ob  die  entsprechende  chemische 
Reaktion  langsam  oder  schnell  erfolgt. 

Es  wird  also  zwei  Gruppen  von  Konstanten  geben,  deren  Kenntnis 
zur  Beantwoitung  derartiger  Fragen  nötig  ist:  Gleichgewichts-  und  Ge- 
schwindigkeitskonstanten. Zwar  stehen  beide  in  dem  Zusammenhange, 
dass  eine  Gleichgewichtskonstante  sich  immer  als  das  Verhältnis  zweier 
Geschwindigkeitskonstanten  darstellen  lässt,  welche  den  entgegengesetzten 
Eeaktionen  angehören.  Durch  diese  Beziehung  sind  aber  nur  die  Werte 
der  ersteren  ableitbar,  wenn  die  letzteren  gegeben  smd.  Umgekehrt  sind 
aber  sehr  verschiedene  Geschwindigkeitswerte  möglich,  welche  dasselbe 
Gleichgewicht  ergeben,  wenn  nur  die  beiden  entgegengesetzten  Ge- 
schwindigkeiten in  gleichem  Verhältnisse  grösser  oder  kiemer  werden. 
In  der  That  kann  man  für  die  gleiche  Reaktion  durch  den  Einfluss  dritter 
Stoffe,  sogenannter  Katalysatoren,  die  Geschwindigkeit  beträchtlich  ändern, 
ohne  dass  das  Gleichgewicht  geändert  wird. 


504  XI-    ^i^  chemische  Verwandtschaft. 

Die  Bestimmung  solcher  Konstanten  kommt  in  beiden  FMen  daranf 
hinans,  dass  man  in  einem  gegebenen  Augenblicke  die  Mengen  der 
verschiedenen  Stoffe  bestimmt,  welche  ixi  dem  untersuchten  Gebilde  vor- 
handen sind.  Dies  ist  in  den  einfacheren  fallen  eine  gewöhnliche  Auf- 
gabe der  analytischen  Praxis,  nämlich  immer,  wenn  es  sich  nin  die 
Messung  eines  einzigen  Stoffes  in  einer  Phase  handelt  Beispiele  sind 
die  Bestimmung  des  Dissociationsdruckes  von  Calciumkarbonat  oder  der 
Löshchkeit  eines  Salzes. 

Schwieriger  wü*d  die  Aufgabe,  wenn  in  derselben  Phase  mehrere 
Stoffe  vorhanden  sind.  Dann  reichen  die  gewöhnlichen  Hilfsmittel  der 
Analyse  oft  nicht  aus,  um  die  gestellten  Fragen  zu  beantworten.  Denn 
bei  der  gewöhnlichen  chemischen  Analyse  wird  der  Stoff,  dessen  Menge 
gemessen  werden  soll,  im  allgemeinen  in  eine  andere  Form  umgewandelt^ 
welche  die  Trennung  und  gesonderte  Messung  gestattet.  Das  Verfahren 
führt  also  nur  dann  zum  Ziel,  wenn  durch  diese  Operationen  die  Menge 
des  Stoffes  nicht  verändert  wh-d,  der  gemessen  werden  soll.  Eine  solche 
Änderung  aber  tritt  immer  ein,  wenn  sich  dieser  Stoff  als  Bestandteil  eines 
Gleichgewichts  vorfindet,  welches  durch  dessen  Concentration  mitbestimmt 
ist,  und  dessen  Reaktionsgeschwindigkeit  einen  Wert  hat,  der  von  gleicher 
Ordnung  ist,  wie  die  der  zur  Analyse  erförderlichen  Vorgänge.  Nur 
wenn  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  sich  das  Gleichgewicht  einstellt, 
klein  genug  ist,  kann  man  den  daher  rührenden  Fehler  in  den  zuläsagen 
Grenzen  halten. 

Wenn  es  sich  z.  B.  darum  handelt,  die  Menge  der  Silberionen  in  einer 
bestimmten  Lösung  von  Silberacetat  festzustellen,  so  kaim  man  sich  hierzu 
nicht  des  analytischen  Nachweises  bedienen,  der  auf  der  Fällung  der  Silber- 
ionen durch  Chlorionen  beruht.  Denn  wenn  man  durch  Zusatz  von  Chlor- 
ionen in  Form  von  Salzsäure  auch  zunächst  nur  die  Silberionen  ausfällt,  so 
entstehen  aus  dem  nichtdissociierten  Teile  des  Silfoeracetats  doch  alsbald  neue 
Silberionen,  die  gleichfalls  niedergeschlagen  werden,  und  schliesslich  finden 
sich  im  Niederschlage  nicht  nur  die  ursprünglich  vorhanden  gewesenen  Silber- 
ionen, sondern  alle,  die  sich  unter  den  vorhandenen  Umständen  vermöge  des 
Zusatzes  des  Fällungsreagens  haben  bilden  können. 

Dagegen  kann  man  die  Menge  der  Chlorionen,  die  sich  durch  die  Hydro- 
lyse der  Monochloressigsäure  unter  bestimmten  Verhältnissen  gebildet  haben, 
ganz  gut  auf  diese  Weise  bestimmen,  denn  der  Versuch  zeigt,  dass  aus  reiner 
Monochloressigsäure  durch  Silberlösung  bei  Zimmertemperatur  kein  Chlorsilber 
in  der  Zeit  gefallt  wird,  welche  zu  einer  Analyse  nötig  ist  Zwar  bleibt  auch 
diese  Reaktion  auf  die  Dauer  nicht  aus;  ihre  Geschwindigkeit  ist  aber  klein 
genug,  dass  die  Menge  des  daher  rührenden  Chlorsilbers  verschwindend 
gemacht  werden  kann  gegen  die  Menge  des  aus  den  vorhandenen  Chlorionen 
stammenden. 

Wenn  die  während  der  Analyse  eintretende  Verschiebung  der  Menge 
des  zu  bestimmenden  Stoßes  zu  gross  ist,  als  dass  sie  vernachlässigt 
werden  kann,    so  lässt  sich  oft  die  Analyse  dadurch   ermöglichen,    dass 


Methoden.  505 

man  einen  Zustand  herstellt;  in  weldiem  die  Reaktionsgeschwindigkeit 
des  Gebildes  auf  einen  sehr  kleinen  Wert  herabgeht,  ohne  dass  sich 
die  Menge  des  zu  messenden  Stoffes  ändert.  Da  das  allgemeinste  Mittel 
zur  Verminderung  der  Reaktionsgeschwindigkeit  in  der  Erniedrigung  der 
Temperatur  liegt,  so  lässt  sich  diese  in  sehr  vielen  Fällen  mit  Erfolg 
anwenden.  Die  Erniedrigung  der  Temperatur  muss  allerdings  mit  so 
grosser  Geschwindigkeit  erfolgen,  dass  die  Verschiebung  des  Zustandes 
in  der  Zeit  der  Abkühlung,  wo  das  Gebilde  noch  in  Zuständen  end- 
licher Reaktionsgeschwindigkeit  bleibt,  verschwindend  gering  ist,  und 
man  hat  gegebenenfalls  besondere  Anordnungen  (Leiten  durch  abgekühlte 
Röhren  u.  dergl.)  zu  treffen,  durch  welche  eine  solche  Forderung  er- 
füUt  wird. 

Ein  solches  Verfahren  ist  beispielsweise  angewendet  worden,  um  die 
Reaktion  zwischen  Wasserstoff  und  Jod  zu  studieren  (S.  341).  Durch  längeres 
oder  kürzeres  Erhitzen  auf  die  Versuchstemperatur  wurde  der  zu  unter- 
suchende Zustand  hergestellt,  und  dann  wurde  das  Gefäss,  welches  die  Gase 
enthielt,  so  schnell  wie  möglich  abgekühlt,  um  den  erreichten  Zustand  zu 
fixieren.  Um  zu  wissen,  ob  der  Zweck  erreicht  ist,  stellt  man  den  Versuch 
unter  sonst  gleichen  Umständen  so  an,  dass  man  die  zur  Abkühlung  erforder- 
liche Zeit  in  einem  bekannten  Verhältnis  vergrössert,  und  die  entsprechende 
Verschiebung  des  Zustandes  beobachtet.  Auch  geben  die  Beziehungen  zwischen 
den  Reaktionsgeschwindigkeiten  bei  verschiedenen  Temperaturen  (S.  30;^) 
Mittel  an  die  Hand,  rechnerisch  die  Beträge  der  hier  möglichen  Fehler 
zu  schätzen. 

Ausser  dem  Rxierverfahren  durch  Temperaturemiedrigung  giebt  es 
noch  verschiedene  andere  auf  chemischem  Wege,  die  sich  aus  der 
Beschaffenheit  des  vorhandenen  Falles  ergeben.  So  kann  man  Reaktionen, 
die  durch  die  Anwesenheit  bestimmter  Stoffe  beschleunigt  werden,  da- 
durch zum  Stillstande  bringen,  dass  man  diese  Stoffe  entfernt  oder  in 
andere  umwandelt.  Umgekehrt  kann  man  durch  Zufligung  „negativer 
Katalysatoren",  d.  h.  solcher  Stoffe,  welche  die  Geschwindigkeit  der 
Reaktion  vermindern,  das  Gleiche  erreichen.  Während  das  erste  Ver- 
fahren vielfach  angewendet  ist,  liegt  noch  kein  Beispiel  praktischen 
Gebrauches  für  das  zweite  vor. 

Ein  chemisches  Fixierverfahren  ist  bei  der  Inversion  des  Rohrzuckers 
durch  Säuren  (S.  296)  oft  angewendet  worden,  indem  man  die  vor- 
handene Säure  in  dem  gegebenen  Augenblicke  durch  den  Zusatz  einer 
Base  abstumpft.  Da  die  erforderliche  Menge  der  letzteren  nicht  bequem 
zu  bemessen  ist,  und  ein  Überschuss  die  Drehung  beeinflusst,  so  ver- 
fährt man  noch  einfacher,  indem  man  Natriumacetat  zufügt.  Hierdurch 
wird  wegen  des  lonengleichgewichts  (S.  413)  die  vorhandene  Menge 
der  Wasserstoffionen  sehr  stark  vermindert,  so  dass  die  Geschwindigkeit 
durch  den  übrigbleibenden  Rest  verschwindend  gering  wird. 

Auch  bei  der  Anwendung  dieser  Mittel  hat  man  sich  durch  blinde 


506  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

Versuche  zu  überzeugen,  dass  sie  keinen  Einfluss  auf  die  zu  messende 
Grösse  haben. 

Versagen  auch  diese  Mittel,  so  steht  man  vor  der  allgemeinen  Auf- 
gabe, die  Menge  eines  bestimmten  Bestandteils  in  einem  Gemenge  zu 
bestimmen,  ohne  dieses  durch  einen  Eingriff  zu  verändern. 

Die  einfachste  Lösung  der  Aufgabe  besteht  darin^  dass  man  dnrefa 
passende  Wahl  der  Versuchsbedingungen  sich  die  Kenntnis  der  Mengen 
der  vorhandenen  Stoffe  bis  auf  einen  verschafft.  Bestimmt  man  dann 
die   Gesamtmenge,  so  ergiebt  sich  die  gesuchte  Grösse  als  Unterschied. 

Dies  Verfahren  ist  z.  B.  von  Deville  bei  der  Bestimmung  des  Gleich- 
gewichts zwischen  Wasserdampf  und  Eisen  angewendet  worden.  Dadurcb, 
dass  er  den  Druck  des  Wasserdampfes  durch  Umgeben  des  Wassergefösses 
mit  einem  Bade  von  konstanter  Temperatur  auf  einen  bekannten  Wert 
brachte,  konnte  er  den  Druck  des  gebildeten  Wasserstoffgases  ermitteln,  in- 
dem er  von  dem  gemessenen  Gesamtdrucke  den  dem  Wasserdampfe  zu- 
kommenden abzog. 

Sehr  häufig  ist  diese  Lösung  der  Aufgabe  nicht  möglich^  nämlich 
wenn  mehrere  Stoffe  gleichzeitig  unabhängig  ihre  Menge  ändern.  Hier 
treten  die  sogenannten  physikalischen  Methoden  ein. 

Streng  genommen  sind  alle  analytischen  Methoden,  welche  in  der  Chemie 
Anwendung  finden,  physikalische,  da  sie  auf  der  Messung  von  Gewicht,  Volum 
oder  anderen  physikalischen  Eigenschaften  beruhen.  Das  Wesen  der  „che- 
mischen" Methoden  besteht  darin,  dass  wenn  die  gewöhnlich  angewendeten 
physikalischen  Methoden  der  Gewichts-  und  Volumbestimmung  zur  Aus- 
führung der  Messung  nicht  ausreichen,  chemische  Vorgänge  eingeleitet  werden, 
welche  die  physische  Trennung  des  zu  messenden  Stoffes  (oder  eines  um- 
Wandlungsproduktes  desselben)  und  die  Anwendung  jener  Methoden  auf  den 
abgetrennten  Stoff  gestatten.  Die  physikalischen  Methoden  in  dem  oben 
gebrauchten  Sinne  sind  solche,  welche  durch  geeignete  Wahl  der  zur  Messung 
benutzten  Eigenschaft  die  vorhergehende  chemische  Einwirkung  entbehrlich 
machen. 

Die  physikalischen  Methoden  beruhen  darauf,  dass  man  irgend  eine 
Eigenschaft  an  dem  vorliegenden  Gemenge  misst^  welche  sich  gleich- 
zeitig mit  der  Menge  des  zu  bestimmenden  Stoffes  ändert  Kennt  man 
den  Zusammenhang  zwischen  dem  Betrage  dieser  Eigenschaft  und  der 
Menge,  so  kann  man  von  dem  einen  auf  die  andere  schliessen. 

Nun  können  die  in  Betracht  kommenden  Eigenschaften  von  zweierlei 
Art  sein.  Es  sind  entweder  besondere,  die  unter  den  vorhandenen 
Stoffen  allein  dem  zu  messenden  zukommen;  dann  gewährt  die  Messung 
der  Eigenschaft  unmittelbar  die  Möglichkeit  eines  Schlusses  auf  die 
Menge  des  fi-agüchen  Stoffes.  Oder  es  handelt  sich  um  eine  allgemeine 
Eigenschaft,  welche  mehreren  der  vorhandenen  Stoffe,  bez.  allen  zukommt. 
Da  der  letzte  Fall  der  allgemeinere  ist,  soll  er  zuerst  betrachtet  werden. 

Was  die  Wahl  der  für  einen  solchen  Zweck  zu  benutzenden  Eigen- 
schaft anlangt,  so  ist  sie  nur  durch  die  Bedingung  beschränkt,   dass  sie 


Methoden.  507 

I 

fOr  den  zu  untersuchenden  Vorgang  konstitutiv  ist^  d.  h.  dass  die 
durch  den  Vorgang  bewirkte  Gesamtänderung  der  Eigenschaft  einen 
endlichen  Wert  hat.  Additive  Eigenschaften  sind  dadurch  gekennzeichnet, 
dass  die  Summe  ihrer  Änderungen  Null  ist,  wenn  sie  auch  an  den 
einzelnen  Stoffen  Änderungen  erfahren;  solche  sind  ftlr  unseren  Zweck 
nicht  brauchbar. 

Da  streng  genommen  ausser  der  Masse  und  dem  Gewicht  genau 
additive  Eigenschaften  nicht  vorhanden  sind,  so  müsste  schliesslich  jede 
andere  Eigenschaft  sich  benutzen  lassen.  Doch  sind  oft  die  Abweichungen 
von  der  additiven  Beschaffenheit  so  klein,  dass  der  Einfluss  der  Versuchs- 
fehler einen  zu  grossen  Wert  fllr  die  Anwendbarkeit  erreicht. 

Im  übrigen  ist  die  Wahl  der  Eigenschaft  von  der  Bequemlichkeit 
und  Genauigkeit  abhängig,  mit  welcher  sie  bestimmt  werden  kann;  einen 
weiteren  sehr  wichtigen  Umstand  bildet  die  Grösse  der  Änderung  durch 
den  zu  untersuchenden  Vorgang. 

Eine  ftir  die  Anwendung  sehr  wichtige  Eigenthümlichkeit  ist  femer, 
dass  die  Änderung  der  Eigenschaft  dem  Betrage  der  chemischen  Änderung 
proportional  ist.  Für  sehr  kleine  Mengen  trifft  eine  solche  Beziehung 
wohl  immer  zu;  allerdings  ist  die  Grenze,  wo  die  Abweichungen  nicht  mehr 
vernachlässigt  werden  können,  von  Fall  zu  Fall  festzustellen. 

Bei  den  nachstehenden  Betrachtungen  ist  vorausgesetzt,  dass  die 
Proportionalität  besteht. 

Die  Reaktion  sei  durch  eine  chemische  Gleichung  von  der  Gestalt 

Ai  -[-  Ag  +  A3  +  •  •  •  =  Bi  +  ßg  +  B3  +  •  •  •  gegeben.  Der  Wert  der 
benutzten  Eigenschaft  sei  ftir  em  Mol  (bez.  für  so  viel  Mole,  als  in  der 
Formel  erscheinen)  der  Stoffe  A^,  A^,  A3  . . .  durch  «, ,  «j,  «3  . . .  gegeben; 
der  der  Stoffe  B,, Bj, B3  . . .  durch  ß^jß^, ß^  ">  Dann  ist  «i  +  «2  +  «3 
-{-...  =  -2"«  der  Anteil  an  dem  Gesamtwerte,  der  den  links  stehenden 
Stoffen  zukommt  und  Hß  der  Anteil  der  Stoffe  B.  Für  den  vollständigen 
Übergang  der  Stoffe  A  in  B  beträgt  daher  die  Änderung  der  Eigen- 
schaft 2a  —  2ß  •=  Ro,  und  findet  nur  der  Bruchteil  x  der  voll- 
ständigen Umsetzung  statt,  so  ist  der  Betrag  der  Änderung  x(^«  — 2ß) 
oder  xRq. 

Nun  seien  beliebige  Mengen  ai,aj,a3...  der  Stoffe  A  und  b,,b2, 
bg  . . .  der  Stoffe  B  gegeben,  wo  die  Mengen  a  und  b  durch  die  Em- 
heiten  A  und  B  gemessen  werden,  so  wird  ein  Gemisch  aus  diesen 
Stoffen   den  Gesamtbetrag  der  Eigenschaft  a^  «j  +  ag  «g  +  83  «3  +  . . . 

+  ^1  i^i  +  ^2  i^2  +  ^3  ^3  +  •  •  •  gleich  J^aa  -|-  2^ß  haben.  Nachdem 
die  unbekannte  Menge  x  sich  umgesetzt  hat,  wird  der  Wert  R  der 
Eigenschaft  gemessen,  und  es  wird  gefragt,  wie  aus  ihm  die  Unbekannte 
X  zu  berechnen  ist. 

Nun  ist  R  gegeben  durch  den  Ausdruck  R  =  (a^  +  x)  a^  +  (a^  +  x)  «^ 
+  (a3  +  x)a3...  +  (bi  — x)^i  +  (b2— x)^2  +(b3  — x)/?3.  ..,  denn 
es   sind  zu  den   Mengen   ai,a^,a3...   die  gleichen   Beträge  x  hinzuge- 


508  'l^I*   ^^6  chemische  Verwandtschaft 

kommen,  nnd  die  Mengen  b  haben  sich  um  ebensoviel  vermindert^). 
Man  kann  den  Ausdruck  umformen  in  R==^a«  +  x27a  +  2^b/J  — 
x2ß  oder  R  =  2a.a  +  2h ß  +  x  Rq,  woraus  folgt 

_R  —  (^S&a  +  2hß) 

Überlegt  man  noch,  dass  ü&a-j- Hhß  der  Wert  der  Eigenschaft  in 
dem  ursprünglichen  Gemische  ist,  während  R  diesen  Wert  nach  erfolgter 
Umwandlung  des  Betrages  x  darstellt,-  so  sieht  man,  dass  im  Zähler  des 
Bruches  die  Änderung  der  Eigenschaft  durch  den  chemischen  Vorgang 
steht  Wir  bezeichnen  sie  mit  JR.  Der  Nenner  Rq  ist  die  Änderung 
für  den  Fall,  dass  ein  Formelgewicht  der  Stoffe  sich  vollständig  umge- 
setzt hat  Das  Verhältnis  der  beobachteten  Änderung  der 
Eigenschaft  zu  der  Gesamtänderung  bei  vollständiger  Um- 
setzung giebt  also  das  Mass  für  den  eingetretenen  Betrag 
der  Umsetzung,  und  letzterer  wird  berechnet  nach  der  Gleichang 

JR 

Der  erste  Autor,  welcher  physikalische  Methoden  auf  Afünitätsprobleme 
in  systematischer  Weise  angewendet  hat,  ist  Gladstone.  Aus  dessen  For- 
schungen ist  bereits  die  grosse  Mannigfaltigkeit  erkennbar,  welche  die  phy^ 
sikalischen  Methoden  je  nach  Umständen  annehmen  können.  Neben  der  mit 
Vorliebe  benutzten  Änderung  der  Farbe  sind  noch  die  der  Fluorescenz,  der 
Zirkularpolarisation,  sowie  Diffusionserscheinungen  von  ihm  für  den  gleichen 
Zweck  in  Anwendung  gebracht  worden.  Doch  ist  die  quantitative  Ausbildung 
des  Messverfahrens  nur  teilweise  durchgeführt. 

In  ausgebildeter  Form  findet  sich  ein  Beispiel  der  physikalischen 
Methode  zuerst  bei  J.  Thomsen  (1869),  welcher  zeigte,  dass  mittels 
calorimetrischer  Beobachtungen  über  den  Zustand  homogener  Flüssig:keiten 
alle  erforderlichen  Auskünfte  gewonnen  werden  können. 

Die  Koeffizienten  a  und  ß  bedeuten  hier  einfach  Energiemengen. 
Handelt  es  sich  z.  B.  um  die  Wechselwirkung  zwischen  Pluomatrium 
und  Chlorwasserstoff  unter  Bildung  von  Chlomatrium  und  Fluorwasser- 
stoff, so  ist 

«1     die  Energie  von  einem  Mol  Fluomatrium, 
«2       „         „         „         „        „     Chlorwasserstoff, 
ßi       „         „         „         „        „     Chlornatrium, 
^2       ;?         fy         ))         )y        ;?     Fluorwasscrstoff. 


In  der  Gleichung 


AR 

Rq 


bedeutet  nun  JR  die  Änderung  der  Energie  des  Anfangszustandes  beim 
Übergang  in  den  Zustand,  bei  welchem  Gleichgewicht  stattfindet;  /IR  ist 

^)  Der  Wert  von  x  kann  auch  negativ  sein. 


Methoden.  509 

somit  die  Wärmeentwickelung  bei  der  Reaktion  des  Chlorwaaserstoffe  auf 
Fluomatrium.  Der  Nenner  ist  die  Energiedifferenz  Fluomatrium  plus 
Chlorwasserstoff  und  Chlomatrium  plus  Fluorwasserstoff,  d.  h.  der  Unter- 
schied der  Neutralisationswärmen  der  beiden  Säuren. 

Nun  ist  die  Neutralisationswärme  des  Fluorwasserstofls  68*05  J,  die 
des  Ghlorwasserstofis  57-48  J;  der  Unterschied  beträgt  10»07J,  und  es 
ist  Ro  =  —  10-57  J  zu  setzen.  Andererseits  wurde  bei  der  Reaktion 
von  1  Äq.  Chlorwasserstoff  auf  1  Äq.  Fluomatrium  eine  Wärmeabsorption 
von  —  987  beobachtet.     Führt  man  die  Werte  ein,  so  ergiebt  sich 

—  9-87 

x  = —-=0-933. 

—  10-57 

Bei  dem  fraglichen  Vorgange  sind  somit  0-933  des  Äquivalents,  oder 
93-3  Prozent  der  vorhandenen  Menge  Fluorwasserstoff  durch  die  Salz- 
säure in  Freiheit  gesetzt  worden. 

Bei  der  Ableitung  ist  stillschweigend  die  Voraussetzung  gemacht 
worden,  dass  ausser  der  Energieänderung  durch  die  Umsetzung  der 
Salze  keine  andere  stattfindet.  Nun  trifft  dies  keineswegs  immer  zu; 
häufig  wirken  die  vorhandenen  Stoffe  auch  nach  anderer  Richtung,  und 
man  muss  dann  entsprechende  Korrekturen  anbringen.  Man  thut  dies, 
mdem  man  den  thermischen  Betrag  dieser  Nebenreaktionen  durch  eigene 
Versuche  bestimmt  und  ihn  von  der  Differenz  JR  in  Abzug  bringt. 
Die  Formel  nimmt  dann  die  Gestalt  an 

_  JR  — q 

In  vielen  Fällen  wird  dies  Verfahren  freilich  noch  dadurch  erschwert, 
dass  q  selbst  eine  Funktion  des  Wertes  x  ist,  den  man  zu  bestimmen 
beabsichtigt.  In  solchen  Fällen  ist  es  am  einfachsten,  fiir  einige  willkür- 
lich angenommene  Werte  von  x  die  Grössen  R  und  q  zu  berechnen; 
hat  man  jene  so  gewählt,  dass  der  wirkliche  Wert  von  x  zwischen  die 
angenommenen  fällt,  so  lässt  er  sich  leicht  durch  Interpolation  mit  ge- 
nügender Genauigkeit  berechnen. 

In  vielen  Fällen  lassen  sich  die  Einzelwerte  Sa  und  Sß,  aus  denen 
sich  die  Grösse  R©  zusammensetzt,  nicht  bequem  unmittelbar  bestimmen.  Für 
den  hier  betrachteten  Fall  der  Salzbildung  sind  zwar  die  Neutralisations- 
wärmen  löslicher  Basen  experimentell  leicht  zugänglich,  nicht  aber  die  der 
unlöslichen.  Alsdann  ist  die  Kenntnis  eines  allgemeinen  Verfahrens  wichtig, 
welches  die  Bestimmung  jener  Grösse  auf  einem  anderen  Wege  gestattet. 

Dieser  Weg  liegt  darin,  dass  man  von  den  beiden  Zuständen  aus,  wie 
sie  die  beiden  Seiten  der  chemischen  Gleichung  darstellen,  zu  einem  gemein- 
samen Zwischenzustand  übergeht;  die  Differenz  der  beiden  Änderungen  ist 
gleich  dem  gesuchten  Unterschiede  für  den  vollständigen  Übergang  des  Ge- 
bildes von  dem  einen  Grenzzustande  in  den  anderen.  Geht  man  dann  von 
dem  ersten  Zustande  durch  die  eintretende  Reaktion  zu  dem  Gleichgewich ts- 
zustande  über,  und  für  den  die  Eigenschaft  den  Wert  S  annehmen  soll,  so 


510  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

beobachtet  man  die  Änderung  2^a—  S.  Verf&hrt  man  ebenso  von  dem 
zweiten  Grenzzustande  aus,  indem  man  entsprechende  Mengen  der  Produkte 
zur  Reaktion  und  zu  demselben  Gleichgewichte  bringt,  wie  im  ersten  Falle, 
so  erh&lt  man  den  Unterschied  2ß—S.  Die  Differenz  der  beiden  Änderungen 
^a  —  S  —  {Hß  —  S) «  2'a  —  Z/9  ist  der  gesuchte  Wert. 

Die  Voraussetzung  desVerfehrens  ist,  dass  die  Stoffe  in  dem  durch  die 
Reaktionsgleichung  gegebenen  Verhältnis  angewendet  werden,  indem  jedes- 
mal die  durch  eine  Seite  der  Gleichung  gegebenen  Mengen  zur  Reaktion  ge- 
bracht werden.  Eine  weitere  Voraussetzung  ist,  dass  von  beiden  Seiten  aus 
auch  wirklich  dasselbe  Gleichgewicht  erreicht  wird,  worüber  bei  langsam  ver- 
laufenden Reaktionen  besondere  Untersuchungen  anzustellen  sind. 

Im  vorliegenden  Falle  der  Neutralisationswärmen  besteht  das  Verfahren 
darin,  dass  man  einmal  das  Salz  der  ersten  Säure  mit  der  zweiten  freien 
Säure  zur  Reaktion  bringt,  und  das  anderemal  den  gleichen  Versuch  mit  dem 
Salze  der  zweiten  Säure  und  der  ersten  Säure  im  freien  Zustande  anstellt 
In  diesen  Versuchen  ist  dann  gleichzeitig  das  Material  zur  Berechnung  des 
„Teilungsverhältnisses**  enthalten,  da  2a  —  S=— JR  ist. 

Ein  Verfahren  von  ähnlichem  Umfang  der  Anwendbarkeit  wie  das 
therm  ochemische,  aber  viel  leichter  und  bequemer  in  der  Ausführung^  ist 
die  auf  der  Bestimmung  des  spezifischen  Volums  beruhende  v o In m che- 
mische Methode.  Die  Anwendung  des  spezifischen  Gewichts  zur 
Quantitätsbestimmung  gelöster  Stoffe  reicht  in  das  Altertum  zurück,  und 
nimmt  bis  heute  einen  wichtigen  Platz  in  der  Technik  und  Wissenschaft 
ein.  Deshalb  ist  es  immerhin  auffallig,  dass  die  Benutzung  dieser  Eigen- 
schaft zur  Ermittelung  der  Anordnung  der  Stoffe  in  homogenen  Losungen 
so  lange  hat  auf  sich  warten  lassen.  Die  ersten  Versuche  hierüber  sind 
von  Tissier  (1859)  ausgeführt  worden.  Später  sind  von  W.  Ostwald 
(1878)  zahlreiche  Versuche  nach  dieser  Methode  ausgeführt  worden, 
welche  die  Verteilung  verschiedener  Basen  zwischen  je  zwei  gleichzeitig 
einwirkende  Säuren  zum  Gegenstande  hatten. 

Ist  d  das  spezifische  Gewicht  einer  Flüssigkeit,  so  ist  1/d  ihr  spezi- 
fisches Volum,  d.  h.  das  Volum,  welches  von  der  Gewichtseinheit  einge- 
nommen wird.  Multipliziert  man  dieses  mit  dem  Gewicht  der  Losung, 
welches  ein  Mol  des  betrachteten  Stoffes  enthält,  so  erhält  mau  das 
Molekularvolum  der  Lösung.  Bringt  man  verschiedene  Lösungen,  weldie 
chemisch  aufeinander  einwirken  können,  zusammen,  und  lässt  den  Vor- 
gang erfolgen,  so  zeigt  sich  das  Molekularvolum  der  gemischten  Losung 
verschieden  von  der  Summe  der  Volume  der  Bestandteile. 

Die  Änderungen  der  Molekularvolume  durch  den  Neutralisationsvor- 
gang sind  ziemlich  beträchtlich  und  viel  mannigfaltiger,  als  die  ent- 
sprechenden Neutralisationswärmen.  Das  Prinzip  der  Methode  ist  von 
dem  der  thermochemischen  nicht  verschieden  und  es  gilt  dieselbe  Formel 

_  AR 

Rq 


Methoden.  511, 

wo  nur  die  Grössen  eine  entsprechend  geänderte  Bedeutung  gewinnen.  zJR 
ist  die  Volumänderung,  welche  bei  der  Einwirkung  der  einen  Säure  auf 
äaa  Neutralsalz  der  anderen  stattfindet,  und  R^^  ist  der  Unterschied  der 
Volumänderungen  bei  der  Neutralisation  jeder  der  beiden  Säuren.  Sind 
Nebenreaktionen  vorhanden,  so  gilt  die  korrigierte  Formel 

_  JR--q 

Rq 

wo  q  die  Volumänderung  der  Nebenreaktionen  bedeutet. 

Die  technische  Ausführung  der  Versuche  ist  unter  Anwendung  eines 
Pyknometers  leicht  bis  zu  einem  hohen  Grade  der  Genauigkeit  zu  bringen. 
Das  Verfahren  ist  das  der  gewöhnlichen  Dichtebestimmungen;  man  hat 
sorgfaltig  die  Temperatur  konstant  zu  halten  und  ei'reicht  dann  leicht 
eine  Genauigkeit  von  einigen  Einheiten  der  fünften  Dezimale,  wenn  man 
Pyknometer  von  20  bis  30  g  Inhalt  verwendet. 

So  wurde  z.  B.  das  spezifische  Volum  einer  Kalilösung,  welche  KOH 
=  56'1  g  in  einem  Kilogramm  enthielt,  gleich  0-950668  gefunden,  das  einer 
entsprechenden  Salpetersäurelösung  gleich  0-966623;  die  Molekularvolume 
sind  950-668  und  966-623  ccm.  Als  gleiche  Gewichte  beider  Lösungen  ge- 
mischt wurden,  ergab  sich  das  spezifische  Volum  der  erhaltenen  Salpeterlö- 
sung zu  Ü-968669;  das  Molekularvolum  (dem  ein  Gewicht  von  2000  g  ent- 
spricht) beträgt  daher  1937-338  ccm,  während  die  Summe  der  Molekularvolume 
von  Säure  und  Basis  nur  1917*291  ccm  ausmacht.  Somit  ist  bei  der  Neu- 
tralisation eine  Ausdehnung  um  20047  ccm  eingetreten. 

Bei  anderen  Säuren  sind  die  Änderungen  meist  kleiner;  sie  gehen  auf 
6  ccm  bei  den  Fettsäuren  herab. 

Das  volumchemische  Verfahren  lässt  sich  leicht  auf  höhere  und 
niedere  Temperatm'en  ausdehnen,  was  bei  dem  thermochemischen  mit 
erheblichen  Schwierigkeiten  verknüpft  ist.  Man  braucht  nur  die  Wärme- 
ausdehnung der  Flüssigkeiten,  deren  Volume  man  zu  vergleichen  hat, 
mit  Hilfe  eines  Dilatometers  zu  bestimmen,  um  flir  jede  andere  Tem- 
peratur das  Material  zu  gewinnen,  welches  den  Zustand  der  Lösung  zu 
berechnen  gestattet. 

Von  weiteren  allgemeinen  Eigenschaften,  welche  ähnliche  Anweu- 
dung^^'estatten  und  in  solchem  Sinne  benutzt  worden  sind,  ist  die  Licht- 
brechung zu  nennen.  Die  Anwendung  des  Verfahrens  bietet  grundsätz- 
lich nichts  neues,  so  dass  Einzelheiten  unterbleiben  können. 

Hiermit  ist  die  Liste  der  anwendbaren  allgemeinen  Eigenschaften 
nicht  abgeschlossen,  doch  haben  die  anderen  noch  keine  eriiebliche  An^ 
Wendung  gefunden. 

Was  die  Anwendung  der  besonderen  Eigenschaften  anlangt,  so 
liegt  der  günstigste  Fall  vor,  wenn  es  gelingt,  eine  Eigenschaft  ausfindig  zu 
machen,  welche  dem  zu  messenden  Stoffe  allein  zukommt,  und  deren 
Betrag  seiner  Menge  oder  Konzentration  proportional  ist.  Dann  giebt 
die  Messung  der  fraglichen  Grösse  unmittelbar  die  gesuchte  Menge. 


512  XL    Die  chemische  Verwandtschaft. 

Die  Möglichkeit  von  Fehlem  liegt  hier  insofern  vor^  als  entweder 
die  vorausgesetzte  Proportionalität  nicht  genau  vorhanden  ist^  oder  ä& 
Proportionalitätsfaktor  durch  die  Gegenwart  anderer  Stoffe^  die  an  sidi 
die  tägliche  Eigenschaft  nicht  besitzen  ^  geändert  wird.  Hier  ist  es 
häufig  schwierig,  die  erforderlichen  Kontrollversuche  anzustellen,  da  sidi 
von  vornherein  nicht  entscheiden  lässt,  ob  eine  auf  Zusatz  eines  anderen 
Stoffes  beobachtete  Änderung  des  Eigenschaftswertes  von  der  Änderung 
der  Menge  des  fraglichen  Stoffes,  oder  von  der  Änderung  des  Faktors 
herrührt.  Das  einzige  Mittel,  das  in  solchen  Fällen  angewendet  werden 
kann,  ist  die  Messung  mittels  einer  anderen,  unabhängigen  Eigenschaft; 
aus  dem  Vergleich  der  beiderseits  erhaltenen  Zahlen  ergiebt  sich  dann, 
welche  von  den  beiden  Möglichkeiten  die  wahrscheinlichere  ist. 

Als  Beispiel  für  diese  Methode  sei  die  Bestimmung  der  Zuckermenge 
in  einer  Lösung  aus  der  Drehung  der  Polarisationsebene  genannt.  Durch 
Messungen  an  reinen  Zuckeriösungen  von  bekanntem  Gehalt  hat  sich  ergeben, 
dass  die  Drehung  dem  Gehalte  keineswegs  völlig  genau  proportional  ist;  bei 
sehr  genauen  Versuchen  wird  also  hierauf  Rücksicht  zu  nehmen  sein.  Femer 
hat  sich  ergeben,  dass  die  Anwesenheit  anderer  Stoffe,  wie  Salze,  Alkohol 
u.  dergl.  die  Drehung  ein  wenig  ändert;  auch  dieser  Einfluss  ist  gering. 

Ähnlich  verhält  sich  die  Gehaltsbestimmung  aus  der  Färbung,  wenn  nur 
der  zu  messende  Stoff  eine  merkliche  Lichtabsorption  zeigt.  Gewöhnlich  wird 
die  Geltung  des  Behrschen  Gesetzes,  nach  welchem  der  Extinktionskoeffizient 
dem  Gehalte  an  färbendem  Stoffe  proportional  ist,  ohne  weiteres  vorausgesetzt; 
doch  werden  auch  hier  in  bestimmten  Fällen  sich  Abweichungen  nachweisen 
lassen,  und  eine  Prüfung  des  Geltungsbereiches  hat  in  jedem  neuen  Falle  der 
Anwendung  vorauszugehen. 

Messungen  dieser  Art  werden  mittels  eines  Kolorimeters  ausgeführt.  Ein 
solches  besteht  aus  zwei  Röhren,  die  unten  durch  ebene  Glasplatten  ab- 
geschlossen sind;  in  die  eine  kommt  die  zu  messende  Flüssigkeit  bis  zu  einer 
bestimmten  Höhe,  in  der  anderen  vermehrt  oder  vermindert  man  die  Höhe 
einer  Vergleichsflüssigkeit  von  bekanntem  Gehalte  so  lange,  bis  beide  Röhren 
bei  senkrechter  Durchsicht  dieselbe  Farbe  zeigen.  Um  diesen  Vergleich 
bequem  und  genau  ausführen  zu  können,  sind  verschiedene  Mittel  angegeben 
worden;  eines  der  einfachsten  und  besten  besteht  in  der  Anbringung  zweier 
paralleler,  unter  45°  gegen  die  Rohrachsen  geneigter  Spiegel.  Man  entfernt 
von  dem  einen  einen  Teil  der  Belegung;  blickt  man  durch  die  Öffnung  nach  dem 
anderen  Spiegel,  so  erscheint  das  durch  das  zweite  Rohr  gegangene  Licht 
inmitten  des  aus  dem  ersten  Rohr  stammenden,  das  von  dem  ersten  Spiegel 
reflektirt  wird,  und  man  kann  die  Färbung  beider  Flüssigkeitssäulen  mit  grosser 
Schärfe  vergleichen.  Die  von  der  kleinen  Unsymmetrie  dieser  Anordnung 
herrührende  Einseitigkeit  dieses  Apparates  kann  man  durch  Vorversuche  leicht 
bestimmen  und  rechnerisch  eliminiren. 

Zwischen  den  allgemeinen  Eigenschaften,  die  sämtlichen  Stoffen 
zukommen,  und  den  besonderen,  die  individuell  sind,  giebt  es  noch 
Zwischenstufen,    welche    bei    grösseren     oder    kleineren    Gruppen    von 


Methoden«  513 

Stoffen  auftreten.  Hier  sind  zunächst  die  an  Oasen  und  verdünnten 
Lösungen  auftretenden  koliigativen  Eigenschaften  zu  nennen,  aus  d^en 
Messung  sich  oft  wichtige  Schlüsse  ziehen  lassen.  Ein  Beispiel  solcher 
Anwendung  bieten  die  Ermittelungen  über  den  Dissociationszustand  ge- 
wisser Verbindungen,  die  sich  aus  der  Gasdichte  ergeben  haben.  Der 
för  Phosphorpentachlorid  gefiindene  Wert  von  rund  140  (S.  74)  ist  ein 
Beweis  dafür,  das  eine  Verbindung  PClj^  im  Dampfe  sicher  nicht  vor- 
handen ist;  eine  Auskunft,  welche  Stoffe  thatsächlich  vorhanden  sind, 
lässt  sich  aus  dieser  Zahl  allerdings  nicht  entnehmen.  Ist  aber  ander- 
weit bekannt,  was  vorhanden  ist,  so  dient  die  gefundene  Gasdichte  zur 
Ermittelung  der  Mengenverhältnisse,  wie  das  im  Falle  des  Stickstoff- 
hyperoxyds (S.  308)  gezeigt  worden  ist. 

Durch  die  Erweiterung  der  Gasgesetze  auf  verdünnte  Lösungen  ist 
dieser  Schlussweise  ein  sehr  ausgedehntes  Anwendungsgebiet  eröffiiet 
worden.  Auch  ist  bereits  geschildert  worden,  wie  sie  zu  einem  der 
wichtigsten  Fortschritte  der  neueren  Chemie,  zur  Theorie  der  freien  Ionen 
geführt  hat  (S.  214). 

Durch  den  Begriff  der  freien  Ionen  selbst  ist  eine  neue  Reihe 
von  Aufgaben  entstanden,  die  sich  auf  die  Beschaffenheit  und  Menge 
derselben  beziehen.  Was  die  erste  anlangt,  so  lassen  sich  die  hier  ent- 
stehenden Fragen  nach  der  Zusammensetzung  der  Ionen  in  besonderen 
Fällen,  namentiich  bei  der  Bildung  von  komplexen  Verbindungen,  durch 
das  Kriterium  der  Wechselzersetzung  beantworten:  Stoffgruppen,  welche 
die  Stelle  notorischer  Ionen  in  salzartigen  Verbindungen  einnehmen 
können,  sind  als  Ionen  anzusehen.  Eine  weitere  Gewähr  fiir  die  Er- 
gebnisse kann  man  auf  dem  Wege  der  Überfuhrungserscheinungen  er- 
halten: Bestandteile,  deren  Konzentration  sich  bei  der  Elektrolyse  an  der 
Anode  vermehrt,  gehören  dem  Anion  an  und  umgekehrt. 

Für  das  Vorhandensein  der  Ionen  selbst  ist  die  Anwesenheit  elek- 
trolytischer Leitfähigkeit  ein  sicherer  Beweis.  Ist  man  darüber 
nicht  sicher,  ob  die  Leitung  metallisch  oder  elektrolytisch  ist,  so  giebt 
die  Erscheinung  der  Polarisation  nach  dem  Durchgange  eines  einseitigen 
Stromes  Auskunft.  Einen  noch  sichereren  Nachweis  bietet  das  Entstehen 
einer  Spannung,  wenn  der  fragÜche  Stoff  zwischen  verschiedenen  MetaUen 
zu  einer  Kette  zusammengestellt  wird.  Ist  der  Stoff  ein  metallischer 
Leiter,  so  zeigt  ein  eingeschaltetes  Elektrometer  keine  Spannung  an; 
im  andern  Falle  tritt  eine  auf.  Als  einschliessende  Metalle  nimmt  man 
am  besten  solche,  die  weit  voneinander  in  der  Spannungsreihe  abstehen, 
wie  Zink  und  Platin;  um  zu&llige  Kompensationen  zu  erkennen,  wieder- 
holt man  den  Versuch  mit  anderen  Metallpaaren. 

Aus  der  beobachteten  elektrolytischen  Leitfähigkeit  lässt  sich  ein 
annähernder  Schluss  über  die  Konzentration  vorhandener  Ionen  ziehen. 
Denn  die  Wanderungsgeschwindigkeit  der  verschiedenen  Ionen  (mit  Aus- 
schluss von  Wasserstoff  und  Hydroxyl,  deren  Anwesenheit  leicht  durch 
saure  oder  alkalische  Reaktion  zu  erkennen  ist)  ist  nicht  so  verschieden, 

Ostwald,  Grundriss.  3.  Aufl.  33 


514  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft 

dass  nicht  eine  annähernde  Schätzung  mit  Hilfe  der  S.  385  nnd  397 
gegebenen  Zahlen  und  Regehi  auszufahren  wäre. 

Im  übrigen  ist  die  Leitfähigkeit  nur  ein  Gruppenreagens  auf  lon^ 
überhaupt;  welches  zwar  deren  Vorhandensein^  nidbt  aber  ihre  Natur  an- 
zugeben vermag.  Kennt  man  diese  aber,  so  ist  die  Leitfähigkeit  ein 
ausgezeichnetes  Mittel,  um  die  Konzentration  der  Ionen  zu  ermittehi, 
und  es  ist  an  früherer  Stelle  (S.  390)  diese  Anwendung  in  einem  besonderen 
Falle  dargelegt  worden. 

In  manchen  Fällen  ist  die  Mannigfaltigkeit  vorhandener  Ionen  zn 
grosS;  als  dass  man  aus  der  Leitfähigkeit  Schlüsse  auf  die  Mengen  einzelne 
Arten  ziehen  könnte.  Dann  treten  die  spezifischen  Reaktionen  auf 
einzelne  Ionen  ein.  Diese  finden  sich  in  den  chemischen  Gleich- 
gewichten mit  festen  Phasen  (S.  414);  durch  die  Verminderung  der 
Löslichkeit  eines  schwerlöslichen  Stoffes  ergiebt  sich  das  Vorhandensein 
und  die  Konzentration  eines  seiner  Ionen  in  der  zu  untersuchenden 
Flüssigkeit. 

Ein  anderes  Mittel  ^  das  namentlich  im  Falle  sehr  kleiner  Konzen- 
trationen von  Ionen  Anwendung  finden  kann,  liegt  in  der  Messung  der 
elektrischen  Spannung  einer  solchen  Lösung  gegen  eine  Elektrode,  weldie 
mit  diesem  Ion  im  Gleichgewicht  steht.  Auch  hierfür  ist  früher  (S.  453) 
ein  Beispiel  gegeben  worden. 


Zweites  Kapitel. 
Beaktionsgesohwindigkeit  und  Katalyse. 

Das  chemische  Gleichgewicht  ist  durch  die  Bedingung  gekennzeich- 
net, dass  die  möglichen  Verschiebungen  des  Zustandes  unendlich  wenig 
Arbeit  erfordern  oder  ausgeben.  Hierdurch  wird  die  Bestimmung  des- 
selben eine  Aufgabe  der  Energetik,  und  es  ist  eindeutig  festgestellt,  wenn 
diese  Arbeiten  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  relativen  Menge  der  mög- 
lichen Stoffe  bekannt  sind. 

Dass  eine  chemische  Reaktion,  der  eine  Geschwindigkeit  znkommt 
eintreten  wird,  wenn  die  allgemeine  Gleichgewichtsbedingung  nieht  er- 
fQUt  ist,  lässt  sich  gleichfalls  energetisch  begründen;  femer,  dass  unter 
sonst  gleichen  Umständen  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  die  Beaktion 
bei  mangelndem  Gleichgewicht  stattfinden  wird,  der  Entfernung  vom 
Gleichgewicht  proportional  sein  wird.  Wie  diese  Entfernung  vom  Gleich- 
gewicht zu  messen  ist,  ergiebt  sich  aus  der  Gestalt  für  die  Gesetze  der 
Reaktionsgeschwindigkeit  (S.  295  u.  ff.). 

Hierdurch  wird  festgestellt,  dass  erstens  ein  Vorgang  mit  einer  end- 
lichen Geschwindigkeit  eintritt,  und  dass  zweitens  die  nacheinander  folgen- 
den   Teile    des  Vorganges    in    Zeiten    verlaufen,    die   in    gesetzmässiger 


Reaktionsgeschwindigkeit  und  Katalyse.  51  g 

gegenseitiger  Abhängigkeit  stehen.  Dagegen  wird  nicht  festgestellt,  welches 
der  absolute  Betrag  der  Zeit  ist,  in  welcher  sich  ein  bestimmter  Bruch- 
teil der  Reaktion  vollziehen  muss.  Die  genannten  Gesetze  können  be- 
friedigt werden,  ob  die  Umwandlung  von  einem  Prozent  des  Gesamtbe- 
trages eine  Sekunde  oder  ein  Jahr  beansprucht. 

Auch  durch  die  Beziehung  der  Geschwindigkeiten  zweier  entgegen- 
gesetzter Reaktionen,  die  zu  einem  Gleichgewicht  führen,  auf  die  Verhältnisse 
dieses  Gleichgewichts  wird  keine  absolute  Bestimmung  der  Geschwindig- 
keit erzielt.  Ist  eine  Geschwindigkeit  und  das  Gleichgewicht  gegeben, 
so  ist  auch  die  andere  Geschwindigkeit  bestimmt;  aus  dem  Gleichgewicht 
allein  kann  man  aber  nur  das  Verhältnis  beider  Geschwindigkeiten  ab- 
leiten, und  ihr  absoluter  Wert  kann  jeden  beliebigen  Betrag  annehmen. 

Die  Erfahrung  entspricht  diesen  allgemeinen  Überlegungen  in  sehr 
auffälliger  Weise.  Durch  Umstände,  die  auf  das  Gleichgewicjit  keinen 
oder  nur  einen  geringen  Einfluss  ausüben,  lässt  sich  die  Geschwindigkeit 
ausserordentlich  verschieben.  Ein  bekanntes  Beispiel  hierför  ist  die 
Bildung  der  Ester  aus  Säuren  und  Alkoholen;  während  die  Reaktions- 
geschwindigkeit sich  durch  eine  Temperaturerhöhung  von  etwa  100^ 
vertausendfacht,  erleidet  dadurch  das  Gleichgewicht  infolge  der  geringen 
Reaktionswärme  (S.  288)  eine  so  unerhebliche  Verschiebung,  dass  diese 
experimentell  kaum  nachweisbar  ist.  Femer  besteht  der  Einfluss  der 
Temperaturerhöhung  immer  in  der  Erhöhung  der  Geschwindigkeit, 
während  sie  das  Gleichgewicht  in  einem  wie  im  anderen  Sinne  ver- 
schieben kann'). 

Ausser  der  Temperatur  zeigen  noch  andere  Umstände  einen  solchen 
grossen  Einfluss  auf  die  Reaktionsgeschwindigkeit,  vor  allen  Dingen  die 
Gegenwart  anderer  Stoße.  Es  ist  an  früherer  Stelle  (S.  303)  dargelegt 
worden,  dass  ein  solcher  Einfluss  immer  besteht;  nur  ist  er  in  vielen 
Fällen  nicht  sehr  gi^oss  und  hat  deshalb  keine  besondere  Aufmerksam- 
keit erregt.  In  einzelnen  Fällen  dagegen  genügen  sehr  kleine  Mengen 
fremder  Stofle,  um  ausserordentlich  beträchtliche  Änderungen  der  Ge- 
schwindigkeit hervorzubringen.  Diese  Änderungen  können  positiv  wie 
negativ  sein,  d.  h.  sowohl  in  Erhöhungen,  wie  Verminderungen  der  Ge- 
schwindigkeit bestehen. 

Man  neimt  die  Stoße,  welche  solche  Änderungen  der  Geschwindig- 
keit bewirken,  Katalysatoren,  und  zwar  positive  und  negative,  je 
nachdem  sie  Beschleunigungen  oder  Verzögerungen  hervorbringen. 

Der  Begriff  der  Katalysatoren  hat  erst  in  neuerer  Zeit  diese  bestimmte 
Definition  erfahren  (Ostwald  1894).  Früher  glaubte  man,  dass  gewisse  Stoffe 
durch  ihre  Gegenwart  zwischen  anderen  Stoffen  Reaktionen  hervorbringen 
könnten,  die  ohnedies  überhaupt  nicht  stattfänden,  und  „erklärte"  sich  diese 
Erscheinungen  durch  nichtssagende  Annahmen   von    Atomschwingungen    und 


*)  Dies  geschieht  insbesondere,  wenn  die  Reaktionswärme  durch  Null 
geht  (S.  344). 

33* 


516  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

derfi^leichen  unkontrollierbaren  Dingen.  Gegenwärtig,  wo  man  durch  die  Er- 
fahrung zu  der  allgemeinen  Auffassung  geführt  wird,  dass  alle  aus  bestimmten 
Stoffen  möglichen  Produkte  auch  wirklich  entstehen,  wenn  auch  in  sehr  ver- 
schiedenen Verhältnissen  und  mit  entsprechend  verschiedener  Geschwindigkeit, 
macht  es  keine  Schwierigkeit,  alle  derartigen  „Berührungswirkungen'^  als  kata- 
lytische  Beschleunigungen  vorhandener,  wenn  auch  quantitativ  noch  nicht 
messbarer  Reaktionen  aufzufassen.  Der  Begriff  des  Beschleunigers  oder  Ka- 
talysators hat  dadurch  einen  bestimmten  Inhalt  gewonnen,  der  einer  zahlen- 
mässigen  Definition  durch  den  Betrag  der  Beschleunigung  für  eine  bestimmte 
Menge  des  Katalysators  fähig  ist. 

Das  Vorhandensein  solcher  katalytischer  oder  Berühnmgswirkungen 
ist  zuerst  an  zwei  technich  sehr  wichtigen  Vorgängen  bekannt  geworden: 
der  Schwefelsäurebildung  und  der  Umwandlung  der  Starke  und  anderer 
Kohlehydrate  in  Zucker.     Beide  sind  Entdeckungen  des  Zufalls. 

Schwefelsäure  wurde  im  vorigen  Jahrhundert  dadurch  hergestellt 
dafis  man  das  durch  Verbrennen  von  Schwefel  erhaltene  Schwefeldioxyd 
mit  Wasser  und  Luft  in  grossen  Flaschen  stehen  liess;  durch  Oxydation 
der  schwefligen  Säure  entstand  dann  langsam  Schwefelsäure.  Das  Ver- 
fahren war  wenig  ausgiebig  und  konnte  sich  kaum  neben  der  anderen 
Methode^  der  Destillation  von  Eisenvitriol,  halten.  Um  die  Verbrennung 
des  Schwefels  und  die  Oxydation  zu  begünstigen,  mischte  man  diesem 
Salpeter  zu.  Es  ergab  sich  eine  sehr  bedeutende  Beschleunigung  des 
Vorganges,  und  zwar  blieb  diese  bestehen,  als  die  Menge  des  zugesetzten 
Salpeters  weit  unter  den  Betrag  vermindert  wurde,  der  für  die  Oxydation 
des  Schwefels  erforderlich  gewesen  wäre.  Clement  und  Desormes  haben 
dann  (1806)  in  einer  sehr  einflussreich  gewordenen  Untersuchung  ge- 
zeigt, dass  die  Wirkung  von  den  entstandenen  roten  Dämpfen,  d.  h. 
dem  Stickstoffhyperoxyd  ausging.  Denn  man  konnte  die  gleiche  Be- 
schleunigung erzielen,  wenn  man  keinen  Salpeter  für  die  Verbrennung 
des  Schwefels  benutzte,  sondern  dem  Gemenge  von  Schwefeldioxyd, 
Luft  und  Wasserdampf  gasförmiges  Stickstoffhyperoxyd  zusetzte.  Auf 
dieser  Bemerkung  beruht  wesentüch  die  gegenwärtige  Form  der  Schwefel- 
säuregewinnung. 

Zur  „Erklärung^'  der  von  ihnen  beobachteten  merkwürdigen  Ver- 
hältnisse nahmen  Clement  und  Desormes  an,  dass  der  SauerstoflT  im 
Hyperoxyd  in  einer  der  schwefligen  Säure  „bequemeren"  oder  zugäng- 
licheren Form  vorhanden  sei,  als  in  der  Luft.  Sie  stellten  daher  die  noch 
heute  angenommene  Theorie  auf,  dass  erst  die  Luft  ihren  Sauerstoff  an 
vorhandenes  Stickoxyd  abgebe,  um  Hyperoxyd  zu  bilden.  Diesem  ent- 
ziehe die  schweflige  Säure  den  Sauerstoff,  um  m  Schwefelsäure  überzu- 
gehen, und  das  neu  gebildete  Stickoxyd  wiederhole  den  Vorgang. 

Fragt  man  sich  nach  der  Stichhaltigkeit  dieser  Theorie,  so  sieht  man, 
dass  sie  die  Hauptsache  unberührt  und  unerklärt  lässt.  Die  Frage  ist  nicht: 
warum  geht  die  schweflige  Säure  bei  Gegenwart  von  Stickstoffhyperoxyd  in 
Schwefelsäure    über?    denn  der  Übergang  erfolgt  auch  ohne  die   Gegenwart 


Reaktionsgeschwindigkeit  und  Katalyse.  517 

dieses  Stoffes.  Die  Frage  ist  vielmehr:  warum  geht  der  Übergang  bei  Gegen- 
i^art  des  Hyperoxyds  so  viel  schneller  vor  sich,  als  ohne  diese  ?  und  auf  diese 
Frage  giebt  die  Theorie  der  abwechselnden  Reduktionen  und  Oxydationen 
der  Stickstoflfverbindung  keinen  Aufschluss. 

Da,  wie  oben  dargelegt,  zwischen  der  Geschwindigkeit  der  Reaktion  und 
der  Entfernung  vom  chemischen  Gleichgewicht  kein  notwendiges  Verhältnis 
besteht,  so  ist  es  allerdings  ganz  wohl  möglich,  dass  jede  der  beiden  ange- 
nommenen Zwischenreaktionen  schneller  erfolgt,  als  die  unmittelbare  Oxy- 
dation der  schwefligen  Säure,  obwohl  die  beiden  Stufen  0'  +  2NO=»2NO* 
und  H*SO^ -f- NO*  =  H*SO*  +  NO  jede  einzeln  eine  geringere  Entfernung 
vom  schliesslichen  Gleichgewicht  darstellen,  als  die  Stufe  2H*SO*4-0*=* 
2  H'SO*.  Es  ist  also  auch  möglich,  dass  die  Beschleunigung  wirklich  von  dem 
Dazwischentreten  dieser  Reaktionen  herrührt.  Auch  ist  es  mit  den  gegen- 
veärtigen  Mitteln  sogar  möglich,  dieser  Frage  experimentell  näher  zu  treten. 
Dann  wäre  die  Theorie  der  Beschleunigung  damit  gegeben,  dass  die  in  diesem 
Falle  vorhandenen  Zwischenreaktionen  schneller  verlaufen,  als  die  unmittel- 
bare Reaktion. 

Durch  eine  eigentümliche  Verkennung  der  Fragestellung  hat  sich  aber 
die  Vorstellung  entwickelt,  als  wäre  eine  beobachtete  Beschleunigung  bereits 
erklärt,  wenn  es  gelingt,  irgend  eine  Zwischenreaktion  aufzustellen.  Man  hat 
mit  anderen  Worten  stillschweigend  angenommen,  dass  alle  Zwischenreaktionen 
schneller  verlaufen  müssten,  als  die  unmittelbare  Reaktion.  Eine  solche  An- 
nahme ist  aber  in  keiner  Weise  bewiesen,  ja  auch  nur  wahrscheinlich,  und 
somit  lässt  die  Formulierung  einer  möglichen  Zwischenreaktion  die  Frage 
thatsächlich  dort,  wo  sie  war. 

Femer  beruht  aber  der  experimentelle  Nachweis  einer  Zwischenreaktion, 
wo  er  versucht  worden  ist,  auf  dem  Nachweis  einer  fassbaren  Menge  eines  der 
angenommenen  Zwischenstoffe  im  Reaktionsgemisch.  Auch  wenn  ein  solcher 
Nachweis  gelungen  ist,  ist  dadurch  noch  nicht  bewiesen,  dass  der  Stoff  ein 
Zwischenprodukt  ist.  Er  kann  ebensogut  ein  Nebenprodukt  sein,  d.h. 
mit  der  Hauptreaktion  überhaupt  in  keiner  Beziehung  stehen. 

Endlich  kann  durch  die  Annahme  von  Zwischenprodukten  die  Existenz 
negativer  Katalysatoren  nicht  erklärt  werden.  Denn  wenn  die  Reaktion  über 
die  Zwischenprodukte  langsamer  geht,  als  die  unmittelbare  Reaktion,  so  ist 
kein  Grund  einzusehen,  warum  nicht  eben  die  letztere  erfolgt,  und  zwar  mit 
ihrer  normalen  Geschwindigkeit. 

Die  bisher  übliche  Auffassung  der  katalytischen  Erscheinungen  muss 
also  als  ungenügend  bezeichnet  werden.  Durch  die  neue  Auffassung  als  einer 
Änderung  der  Reaktionsgeschwindigkeit  ist  etwaiger  Mitthätigkeit  von  Zwischen- 
stoffen nicht  vorgegriffen;  es  ist  nur  die  Frage  auf  den  Boden  quantitativer 
Messungen  anstatt  qualitativer  Hypothesen  gestellt  und  dadurch  der  wissen- 
schaftlichen Behandlung  zugänglich  gemacht  worden. 

Der  zweite  Fall,  in  welchem  eine  katalytische  Reaktion  von  technischer 
Bedeutung  entdeckt  wurde,  war  die  Bildung  von  Gummi  (Dextrin)  und 
Zucker  aus  Stärke  durch  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  (Kirchhoff  1811). 


518  •    XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

Hier  trat  die  typische  Eigentümlichkeit  solcher  Vorgänge,  dass  der  Zn- 
satz nötig  ist,  um  die  Erscheinung  in  praktisch  anwendbarer  Zeit  her- 
vorzurufen, dass  aber  in  keinem  Stadium  der  Reaktion  eine  nachweisbare 
Verbindung  zwischen  diesem  notwendigen  Stoffe  und  dem  vorhanden  ist, 
der  die  Veränderung  erfährt,  oder  einem  seiner  Umwandlungsprodukte, 
sehr  deutlich  zu  Tage.  Auch  wurde  bereits  damals  die  fundamentale 
Thatsaehe  (allerdings  ohne  Erkenntnis  ihrer  Bedeutung)  festgestellt,  dass 
auch  ohne  die  Anwendung  von  Säuren  die  Stärke  beim  Kochen  mit 
Wasser  in  Gummi  (d.  h.  Dextrin)  und  etwas  Zucker  übergeht  Gegen- 
wärtig erkennen  wir  aus  diesem  Umstände,  dass  es  sich  wieder  um  die 
Beschleunigung  eines  ohnedies,  nur  mit  sehr  geringer  Geschwindigkeit 
stattfindenden  Vorganges  handelt. 

Diese  und  eine  Anzahl  anderer  Thatsachen,  insbesondere  die  Bildung  des 
Äthyläthers  aus  Alkohol  und  Schwefelsäure,  wobei  die  letztere  gleichfalls 
keine  Veränderung  erleidet,  wurden  dann  von  Mitscherlich  und  Berzelius 
unter  den  Begriff  der  kataly tischen  Erscheinungen  oder  Berührungswirkungen 
zusammengefasst.  Der  Wissenschaft  wurde  dadurch  ein  erheblicher  Dienst 
erwiesen,  da  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  Reihe  zusammengehöriger  That- 
sachen  gelenkt  wurde,  welche  der  Erforschung  bedurften.  Der  gegebene  Name 
hatte  wie  immer  in  solchen  Fällen  den  Zweck  und  Nutzen,  dass  er  die  Auf- 
gabe bestimmter  hinstellte  und  dadurch  ihre  Lösung  vorbereitete. 

Indessen  wurde  durch  eine  von  Liebig  aufgestellte  Hypothese  dieser  Gewinn 
fast  völlig  vernichtet.  Liebig  nahm  an,  dass  ein  in  Zersetzung  oder  „chemischer 
Bewegung**  befindlicher  Stoff  einen  anderen,  der  zugegen  ist  und  sich  seiner- 
seits nicht  zersetzt,  seine  „chemische  Bewegung"  mitteilen  und  ihn  zur  Zer- 
setzung bringen  kann.  Diese  Ansicht  beruht  auf  einer  blossen  Analogie;  sie 
wurde  aber  von  den  Zeitgenossen  als  wissenschaftlicher  angesehen,  als  der 
von  Mitscherlich  und  Berzelius  ausgeführte  klassifikatorische  Akt,  und  infolge 
einer  hierbei  entstandenen  Polemik  ist  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag  der 
Ausdruck  Katalyse  wissenschaftlich  einigermassen  anrüchig. 

Der  von  Liebig  erhobene  Einwand  war,  dass  durch  die  Einführung  des 
Begriffes  der  Katalyse  nichts  „erklärt"  sei.  Vergebens  hat  Berzelius  darauf 
hingewiesen,  dass  eine  Erklärung  dadurch  überhaupt  nicht  beabsichtigt  war, 
sondern  nur  eine  Zusammenfassung.  Die  scheinbare  Erklärung  durch  die 
Anstosshypothese  hat  ihrerseits  keinen  anderen  Erfolg  gehabt,  als  die  Er- 
forschung des  Problems  um  ein  halbes  Jahrhundert  hinauszuschieben. 

Was  nun  die  Zusammenfassung  der  gegenwärtig  bekannten  That- 
sachen  und  Verhältnisse  anlangt,  so  ist  zunächst  festzustellen,  dass  es 
eine  grosse  Anzahl  von  Stoffen  giebt,  welche,  ohne  an  dem  Endergebnis 
einer  Reaktion  in  messbarer  Weise  beteiligt  zu  sein,  ihren  Verlauf  in 
Bezug  auf  die  Geschwindigkeit  in  sehr  hohem  Masse  beeinflussen.  Die 
Vorgänge,  welche  in  solcherWeise  beeinflusst  werden,  müssen 
immer  solche  Sein,  die  auch  ohnedies  freiwillig  verlaufen 
könnten;  denn  wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  wären  Verletzungen  des 
isweiten  Hauptsatzes  möglich.      In   dieser  Beziehung  werden  noch  jetzt 


Reaktionsgeschwindigkeit  und  Katalyse.  519 

häufig  IrrtüEier  begangen,  indem  man  z.  B.  den  Katalysatoren  des  Or- 
ganismus gelegentlich  die  Fähigkeit  zuschreibt,  chemische  Vorgänge  zu 
bewirken,  welche  mit  Vermehrung  der  freien  Energie  oder  der  Ai-beits- 
f  ähigkeit  verbunden  sind. 

Femer  muss  man  als  eine  Folgerung  des  zweiten  Hauptsatzes  den 
Schluss  aussprechen,  dass  wenn  eine  zu  einem  Gleichgewichte 
führende  Reaktion  katalytisch  beeinflusst  wird,  auch  die  ent- 
gegengesetzte Reaktion  einen  gleichen  Einfluss  erfahren 
muss.  Streng  genommen  gilt  dieser  Satz  nur  för  den  Grenzfall,  dass 
man  theoretisch  die  Einführung  des  Katalysators  vor,  und  seine  En^ 
feraung  nach  der  Reaktion  so  ausführen  kann,  dass  die  Summe  der 
dazu  erforderlichen,  bez.  dabei  geleisteten  Arbeiten  gleich  Null  ist.  Da 
sich  aber  übersehen  lässt,  dass  in  den  meisten  Fällen  diese  Bedingung 
mit  grosser  Annäherung  erfallt  ist,  so  kann  man  den  Satz  ohne  Schwierig- 
keit anwenden. 

Als  Beispiel  kann  die  Esterbildung  aus  Säuren  und  Alkoholen  dienen, 
w^elche  durch  die  Gegenwart  starker  Mineralsäuren,  wie  Schwefel-  oder  Salz- 
säure, sehr  beschleunigt  wird.  Durch  dieselben  Katalysatoren  wird  aber  auch 
die  Verseifung  der  Ester  mit  Wasser  in  gleichem  Masse  beschleunigt. 

Der  Beweis  für  den  Satz  liegt  in  dem  Umstände,  dass  durch  die  Gegen- 
wart einer  kleinen  Menge  eines  fremden  Stoffes,  der  nicht  in  Verbindung 
tritt,  das  Gleichgewicht  nicht  oder  nur  unerheblich  verschoben  werden  kann. 
Da  aber  das  Gleichgewicht  durch  die  Gleichheit  der  Geschwindigkeiten  der 
entgegengesetzten  Reaktionen  gekenu zeichnet  ist,  so  muss,  wenn  die  eine  Re- 
aktion durch  den  Katalysator  beschleunigt  wird,  auch  die  entgegeugesetzte  in 
gleichem  Verhältnis  beschleunigt  werdeu. 

Der  Betrag  der  katalytischen  Beeinflussung  ist  in  erster 
Annäherung  derEonzentration  des  Katalysators  proportional. 
Für  diesen  Satz  sind  in  vielen  Fällen  Belege  erbracht  worden,  insbe- 
sondere im  FaUe  der  Invereion  des  Rohrzuckers  durch  Säuren,  die  der 
Konzentration  der  vorhandenen  Wasserstoffionen  proportional  ist.  Doch 
wird  man  diesen  Satz  als  ein  Grenzgesetz  zu  betrachten  haben,  welches 
über  ein  gewisses  Gebiet  von  den  kleinsten  Verdünnungen  ab  gilt,  aber 
früher  oder  später  Abweichungen  erkennen  lassen  wird. 

Damit  ist  erschöpft,  was  sich  allgemeines  in  diesem  von  der  Wissen- 
schaft lange  vernachlässigten  Gebiete  sagen  lässt.  An  einzelnen  That- 
sachen  verdienen  noch  die  folgenden  angeführt  zu  werden. 

Katalytische  Wirkungen  können  von  Stoffen  aller  Art  ausgeübt 
werden.  Elemente,  Verbindungen  vom  einfachsten  bis  zum  verwickeltsten 
Typus,  feste,  flüssige  und  gasförmige  Stoffe,  neutrale  Stoffe  und  Ionen, 
alle  finden  sich  unter  den  Katalysatoren  vertreten,  so  dass  diese 
Eigenschaft  thatsächhch  bei  aUen  Arten  chemischer  Individuen  vorzu- 
kommen scheint. 

Von  allen  Stoffen  zeigt  sich  am  häufigsten  katalytisch  wirksam  der 
Wasserstoff  im   lonenzustande.     Die  meisten  Vorgänge,   bei  denen  die 


520  ^'   ^i^  chemische  Verwandtschaft. 

Elemente  des  Wassers  aufgenommen  nnd  abgeschieden  werden^  veriaufen 
bei  Gegenwart  von  Wasserstofiionen  schneller,  zum  Teil  sehr  viel  schnelle, 
als  in  neutraler  Lösnng.  Man  hat  diese  Wirkung  der  Säuren  häufig,  z.  B. 
bei  der  Esterbildung,  in  einer  Bindung  des  entstehenden  Wassers  gesndit 
Da  aber  der  entgegengesetzte  Vorgang,  der  unter  Aufnahme  von 
Wasser  erfolgt,  durch  dieselben  Stoffe  in  gleicher  Weise  beschleunigt 
wird,  so  ist  eine  solche  Erklärung  hinfällig. 

Ähnlich  wie  Wasserstoffionen  wirken  in  manchen  Fällen  Hydroxyl- 
ionen,  die  in  letzter  Zeit  namentlich  in  der  organischen  Chemie  vielßiefa 
zu  „Kondensationen^  angewendet  worden  fflnd.  Insofern  es  sich  in 
solchen  F^len  um  Gleichgewichtszustände  handelt,  muss  man  erwarten, 
dass  auch  umgekehrt  die  Spaltungen  der  Produkte  in  gleicher  Weise 
durch  alkalische  Katalysatoren  beeinflusst  werden  müssen. 

Für  Oxydations-  und  Heduktionsvorgänge  zeigt  sich  namentlich  das 
metallische  Platin  wirksam;  ebenso  und  zum  TeU  noch  stärker  wirken 
die  anderen  Metalle  der  Platingruppe.  Viele  derartige  Vorgänge  werden 
femer  durch  die  Gegenwart  der  Ionen  des  Eisens,  Mangans,  Kupfos 
u.  s.  w,,  femer  der  Ionen  der  Chromsäure,  der  Vanadinsäure,  der  Molybdän- 
säure u.  a.  m.  beschleunigt. 

Die  Untersuchung  dieser  Vorgänge  hat  ergeben,  dass  zwei  Kataly- 
satoren bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  ihre  Wirkung  nicht  einfach  addieren; 
in  den  bisher  studierten  Fällen  hat  sich  die  gemeinsame  Wirkung  be- 
deutend grösser  gezeigt,  als  die  Summe  der  Teilwirkungen.  Fälle  mit 
gegenseitiger  Verminderung  sind  noch  nicht  beobachtet  worden,  doch 
sind  unsere  Kenntnisse  in  dieser  Hinsicht  noch  sehr  dürftig. 

Reaktionen  ähnlicher  Art  werden  durch  dieselben  Stoffe  oft  in  sehr 
verschiedenem  Masse  katalytisch  beeinflusst.  Während  die  Geschwindigkeit 
der  Oxydation  des  Jodwasserstofls  d.  h.  der  Jodionen  mit  Chlorsäure  oder 
Bromsäure  durch  Ferrosalze  und  Chromate  ganz  ungemein  stark  be- 
schleunigt wird,  sind  diese  Stoffe  ohne  merkhchen  Einfluss  auf  die  ent- 
sprechende Wirkung  der  Jodsäure  ^). 

Die  Erscheinungen  der  negativen  Katalyse  sind  nur  äusserst  wenig 
studiert  worden.  Einen  sehr  ausgeprägten  Fall  bietet  die  Oxydation 
des  Natriumsulfits  durch  gasförmigen  Sauerstoff,  deren  G^chwindigkdt 
durch  die  Anwesenheit  ausserordentlich  kleiner  Spuren  organischer  Ver- 
bindungen, wie  Alkohol,  Zucker,  Aldehyde  u.  s  w.  enorm  verkleinert  wird. 

Eine  besondere  Klasse  von  sehr  wirksamen  Katalysatoren  bilden 
die  in  den  Organismen  vorkommenden  Fermente  oder  Enzyme.  Sie 
haben  die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Eiweissstoffe  und  verlieren 
ebenso  wie  diese  ihre  spezifischen  Eigentümlichkeiten  bei  Temperaturen 
zwischen  60  und  100®.  In  ihrer  Wirkungsweise  schüessen  sie  sich  den 
anderen  Katalysatoren  an;   es  giebt  solche,  die  hydrolytisch  und  hydro- 


^)  Es  hat  den  Anschein,  dass  Reaktionen,  die  an  sich  schnell  verlaufer, 
gegen  positive  Katalysatoren  wenig  empfindlich  sind. 


Stöchiometrische  Beziehungen.  521 

synthetisch  wirken,  andere,  welche  spezielle  Oxydationen  befördern,  u.  s.  w. 
Daneben  zeigen  sie  noch  eine  Anzahl  besonderer  Wirkungen  auf  Vor- 
gange an  organischen  Stoffen,  wie  das  Gerinnen  von  CaseYn,  den  Zer- 
fall von  Zucker  in  Alkohol  und  Eohlendioxyd  u.  a.  m.,  fiir  welche  an- 
organische Katalysatoren  noch  nicht  bekannt  sind. 

Es  erscheint  keinem  erheblichen  Zweifel  unterworfen,  dass  die 
Gesetze,  nach  denen  diese  Stoffe  wirken,  von  denen  der  anorganischen 
Katalysatoren  nicht  wesentlich  verschieden  sind;  insbesondere  ist  an  einem 
Maltoseferment  gezeigt  worden,  dass  es  ebenso  diesen  Zucker  in  Glukose 
spaltet,  wie  konzentrierte  Lösungen  der  letzteren  in  Maltose  verwandelt 
(HiU  1898). 

Die  katalytischen  Erschemungen  sind  von  sehr  grosser  Wichtigkeit 
nicht  nur  für  die  wissenschaftliche  Chemie,  sondern  für  die  Physiologie 
und  die  Technik.  Ihre  Erwähnung  an  dieser  Stelle  hat  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stande  unseres  Wissens  allerdings  nicht  die  Bedeutung  der 
Schilderung  eines  vorhandenen  geordneten  Wissensbestandes,  sondern  die 
eines  Hinweises  auf  das  Vorhandensein  einer  Lücke,  deren  Ausfüllung 
wichtige  Ergebnisse  nach  allen  Richtungen  verspricht. 


Drittes  KapiteL 
Stöchiometrische  Beziehungen. 

Dass  die  Affinitätseigenschaften  der  Stoffe  regelmässige  und  durch- 
greifende Beziehungen  zu  ihrer  Zusammensetzung  und  Konstitution  zeigen, 
ist  ein  Satz,  dessen  Geltung  stets  angenommen  worden  ist.  Beruht  doch 
ein  ganz  wesentlicher  Teil  der  üblichen  chemischen  Systematik  auf  dem 
Vorhandensein  grosser  Unterschiede  in  den  Affinitätseigenschaften,  zu 
deren  Erkenntnis  quantitative  Messungen  nicht  erforderlich  waren;  die 
spätere  messende  Forschung  hat  dann  diese  allgemeinen  Grundztige  mit 
der  Mannigfaltigkeit  exakter  Zahlenbestimmungen  auszufüllen. 

Diese  zweite  Stufe  der  Entwickelung  ist  allerdings  nur  wenig  vor- 
geschritten, und  insbesondere  harrt  das  vorhandene  Material  noch  viel- 
fach der  systematischen  Bearbeitung  und  Zusammenstellung.  Auch  auf 
den  nachstehenden  Seiten  ist  eine  solche  Systematik  noch  nicht  durch- 
zuftihren  versucht  worden,  und  dieses  Schlusskapitel  des  Buches  enthält 
mehr  einen  Hinweis  auf  das,  was  in  dieser  Richtung  geschehen  könnte 
und  sollte,  als  die  Ergebnisse  abgerundeter  Forschungen. 

Gemäss  der  Thatsache,  dass  vor  allen  Stoffen  die  Ionen  chemische 
Reaktionen  am  leichtesten  und  schnellsten  beobachten  lassen,  haben  sich 
in  der  geschichtlichen  Entwickelung  die  Affinitätsprobleme  zuerst  an  diese 
Erscheinungen  geheftet.  Die  Verwandtschaftstafeln  des  vorigen  Jahr- 
hunderts enthielten  nur  die  Salzreaktionen,    und  als  im  letzten  Viertel 


522  XI-   I^ic  chemisdie  YerwandtBciiaft. 

dieses  JahiiiiindertB  die  messende  Affinitätsldire  sidi  za  entwi^dn  b^ann. 
war  es  wieder  das  P^bl^n  d^  Salzbildnng ,  weldies  zunächst  be> 
arbeitet  wurde. 

Neben  dem  Gebiete  der  Elektrolvte  hat  sich  aber  das  der  Nidit- 
elektrolyte  in  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahihanderts  der  wissensdiaft- 
hdien  Forschung  dargeboten.  Da  die  Versuche^  die  an  den  erBto!eii 
gewonnenen  Anschauungen,  wie  sie  sidi  im  elektrochemisdien  Syst^B 
Ton  Berzelius  verkörperten^  auf  diese  neue  Klasse  von  Yerbindnngen  zu 
fibertragen,  scheitern  mussten,  so  entstand  zunächst  der  Irrtam,  dass 
jene  Ansdiauungen  überhaupt  falsch  seien,  und  da  man  die  Alkohole 
und  Kohlenwasserstoffe  nicht  binär  formulieren  konnte,  wie  die  Salze, 
so  formulierte  man  die  Salze  unitär,  wie  die  Kohlenwasserstoffe.  Eist  j 
in  unserer  Zeit  ist  die  Erkenntnis  entstanden,  dass  dies  ebenso  ^n  F^er 
ist,  wie  die  Übertragung  des  elektrochemischen  Dualismus  auf  die  or- 
ganischen Verbindungen  einer  war. 

Für  die  Betrachtungen  dieses  Kapitels  wird  man  also  die  Chemie 
der  Ionen  von  der  der  Nichtionen  zu  scheiden  haben;  beide  zeigen 
weit  verschiedene  Eigentümlichkeiten.  Dieser  Untersdiied  fäUt  einiger- 
massen  mit  dem  traditionellen  zwischen  anorganischer  und  organischer 
Chemie  zusammen,  doch  nur  teilweise,  und  es  wäre  ein  Irrtum^  wenn 
man  die  anorganische  Chemie  als  die  der  Ionen  auffassen  wollte.  Denn 
nicht  nur  sind  in  der  anorganischen  Chemie  zahlreiche  Vorgänge  vor- 
handen, die  nicht  vom  lonenstandpunkte  aufgefasst  werden  können; 
auch  die  organische  Chemie  enthält  zahllose  Stoffe  in  lonenform,  und 
einige  sehr  wichtige  stödiiometi'ische  Eigenschaften  der  Ionen  sind  an 
organischem  Material  entdeckt  und  entwickelt  worden. 

Die  Geschichte  dieser  Probleme  beginnt  mit  der  An&tellnng  von 
Verwandtschaftsreihen,  d.  h.  mit  der  Bestimmung  der  Eeihenfolge,  in  der 
sich  die  Stoffe  gegenseitig  aus  analogen  Verbindungen  verdrängen.  Nadi- 
dem  schon  Stahl  der  Aufgabe  diese  Form  gegeben  hatte,  wurde  sie  von 
Geoffroy  aufgenommen  und  von  T.  Bergmann  im  letzten  Viertel  des 
vorigen  Jahrhunderts  zum  Abschluss  gebracht  Diese  Verwandtschafts- 
tafeln  sollten  die  Grösse  der  Verwandtschaften  der  enthaltenen  Stoffe 
zuerst  nur  der  Reihe  nach,  später  sogar  quantitativ  ausdrücken.  Dass 
sie  dann  so  schnell  wieder  aufgegeben  wurden,  als  sie  aufgenommen 
worden  waren,  wai*  eine  Folge  ihrer  ungenügenden  Voraussetzungen. 

Sie  beruhten  auf  der  Ansicht,  dass  die  Verwandtschaft  nach  Art  einer  me- 
chanischen Kraft  anzusehen  sei.  Wie  eine  grössere  Kraft  die  kleinere  ^über- 
windet", so  dass  sich  der  angegriffene  Körper  im  Sinne  der  grösseren 
bewegt,  so  sollten  auch  die  chemischen  Reaktionen  ausschliesslich  im 
Sinne  der  grösseren  Verwandtschaft  stattfinden.  Gerade  diese  Grundlage 
wurde  zu  Beginn  dieses  Jahrhunderts  durch  Berthoüet  angegriffen,  und 
wenn  es  ihm  auch  nicht  gelang,  die  neu  von  ihm  gegebenen  Ansichten 
von    dem   Eintreten    chemischer  Gleichgewichtszustände    alsbald    in    eine 


Stöchiometrische  Beziehungen.  523 

entwickelungsfahige  Gestalt  zu  bringen,  so  waren  doch  nach  seinem  Auf- 
treten auch  die  Verwandtschaftstafeln  verschwunden. 

Durch  die  Entdeckung  der  stöchiometrischen  Gesetze  zu  Beginn 
dieses  Jahrhunderts  und  die  bald  darauf  eintretende  Entwickelung  der 
organischen  Chemie  geriet  die  Frage  nach  den  Gesetzen  der  chemischen 
Verwandtschaft  ganz  in  den  Hmtergiund.  Die  Reaktionen  der  Kohlenstoff- 
verbindungen erschienen  so  wenig  als  das  Ergebnis  grösserer  oder  ge- 
ringerer Verwandtschaftskräfte  und  so  sehr  abhängig  von  der  „Anordnung 
der  Atome",  dass  Dumas  bei  seinen  ersten  Versuchen  zur  Entwickelung 
der  Typentheorie  nur  der  letzteren  einen  Einfluss  auf  die  Vorgänge  ein- 
räumen wollte.  Trat  der  Irrtum  einer  solchen  radikalen  Ansicht  auch 
bald  zu  Tage,  so  blieb  doch  der  Umstand  bestehen,  dass  Aflfinitäts- 
probleme  im  engeren  Sinne  in  der  organischen  Chemie  kaum  auftauchten. 
Selbst  als  durch  Berthelot  und  Pean  de  St.  Gilles  in  der  Bildung  der 
Ester  aus  Säuren  und  Alkoholen  (1862)  ein  der  organischen  Chemie 
ungehöriger  Fall  gefiinden  und  studiert  worden  war,  in  welchem  der 
teilweise  und  bedingte  Verlauf  der  Eeaktionen  in  der  Zeit  ungemein 
anschaulich  experimentell  verfolgt  werden  konnte,  dauerte  eg  noch  mehrere 
Jahre,  bevor  die  Wiederbelebung  der  Entwickelung  der  Bertholletschen 
Theorie  durch  Guldberg  und  Waage  (1867)  die  Grundlegung  einer 
systematischen  Afiinitätslehre  ermöglichte. 

Der  erste,  welcher  dann  in  dieser  Richtung  vorging,  war  J.  Thomsen 
(1868),  dessen  thermochemische  Messungen  die  Verwandtschaftsverhältnisse 
zwischen  Säuren  und  Basen  zum  Gegenstande  hatten.  Der  wesentlichste 
Punkt  dieser  Arbeiten  war  ausser  dem  Nachweis  der  Gültigkeit  des 
Massenwirkungsgesetzes  die  Entdeckung,  dass  die  aus  den  Gleichgewichten 
sich  ergebenden  Affinitätsgrössen  der  Säuren  sich  ganz  unabhängig 
von  ihren  Neutralisationswärmen  zeigten.  Dadurch  wurde  der  Irrtum, 
dass  beide  Grössen  einander  proportional  seien,  endgültig  beseitigt. 

Die  sich  an  Thomsens  Forschungen  anschhessenden  Arbeiten  von 
Ostwald  (seit  1877)  ergaben,  dass  sich  die  verschiedenartigsten  Reaktionen 
der  Säuren  einander  proportional  zeigten,  so  dass  sich  ftir  diese  Stoffe, 
denen  sich  bald  die  Basen  anschliessen  Hessen,  spezifische  Affinitäts- 
koeffizienten aufstellen  lassen,  die  sich  zwar  mit  der  Konzentration 
und  der  Temperatur  ändern,  von  der  Natur  der  Reaktion  aber  unab- 
hängig sind. 

Die  Theorie  der  freien  Ionen  von  Arrhenius  Hess  diese  spezifischen 
Koeffizienten  als  durch  die  Konzentration  der  vorhandenen  freien  Wasser- 
stoff-, bez.  Hydroxylionen  bestimmt  erkennen,  und  die  Gleichgewichts- 
erscheinungen der  Elektrolyte  wurden  auf  die  Dissociationskoeffizienten 
der  beteiligten  Stoffe  zurückgefiihrt  (S.  403). 

Somit  ist  das  Affinitätsproblem  ftir  die  homogenen  Gleichgewichte 
der  Elektrolyte  im  wesentiichen  gelöst,  wenn  diese  Koeffizienten  bekannt 
sind.     Die  Forschung  hat  in  dieser  Beziehung  hauptsächlich  das  Gebiet 


524  XI.   Die  chemiBche  Verwandtschaft. 

der  wäsBerigen  Lösnngen  bearbeitet;    andere  Lösnngsmittel  haben  nodi 

nicht  überwundene  Schwierigkeiten  ergeben. 

Wie  S.  403  angegeben^  ergiebt  edch  der  Dissociationskoeffizient  k 

a* 
ans  der  Formel r —  =  k,   wo    a   der   Bruchteil    des    dissodierten 

(l_a)v 

Stoffes  und  y  das  Volum  ist. 

Die  Formel  enthält  eine  einzige  Konstante  k^  welche  von  der  Natur 
des  Stoffes  bestimmt  wird;  und  diese  Konstante  ist  das  gesuchte 
Mass  der  chemischen  Verwandtschaft. 

Um  die  Bedeutung  dieser  Konstanten  zu  erfassen,  denken  wir  unft 
den  Stoff  zur  Hälfte  dissociiert.  Wird  demgemäss  a  =  0-5  gesetzt^ 
so  wu-d 

—  =kv:   2k=  — . 
2  '  V 

Es  ist  somit  2  k  gleich  dem  reziproken  Wert  des  Volums  oder  gleicfa 
der  Konzentration,  bei  welchem  der  Elektrolyt  gerade  zur  Hälfte  disso- 
ciiert ist. 

Das  einfachste  und  genaueste  Hilfsmittel,  die  Konstante  k  zu  be- 
stimmen, ist  die  Messung  der  elektrischen  Leitfähigkeit  Es  ist  bereit» 
gezeigt  worden  (S.  390),  dass  der  Dissociationsgrad  a  sich  als  das  Ver- 
hältnis zwischen  der  entsprechenden  molekularen  Leitf^Übigkeit  [i  und  dem 
Grenzwert  derselben  (i^   bei  unendlicher  Verdünnung  ergiebt. 

Die  stöchiometrischen  Beziehungen  der  Konstanten  k  treten  be- 
sonders deutlich  an  organischen  Säuren  hervor  (Ostwald  1889)  und 
soUen  hier  in  einigen  typischen  f^en  erörtert  werden.    Dabei  wird  statt 

a« 
der  aus   der  Formel — -  =  k  sich  ergebenden  Konstante,  welche 

(1  — a)v 

unbequem  kleine  Werte  hat,  die  100  mal  grössere  Zahl  K=100k  be- 
nutzt werden.  Sämtliche  Zahlen  sind  bei  25®  mittels  der  Methode  der 
elektrischen  Leitfähigkeit  bestimmt  worden. 

Die  Konstanten  der  Fettsäuren  wurden  wie  folgt  gefunden: 

K 

Ameisensäure         HCO^H  0*0214 

Esssigsäure            CH8C0*H  000180 

Propionsäure          C^H^CO^H  0-00134 

Buttersäure            C^H^CO^H  0-00149 

Isobuttersäure        C^H'CO^H  0-00144 

Isovaleriansäure     G^H^CO^H  0-00161 

Capronsäure           C^H^^CO-H  0-00145 

Die  Werte  flir  die  drei  ersten  Glieder  der  Fettsäurereihe  nehmen  stetig  ab; 
der  Eintritt  von  GH^  für  Wasserstoff  erniedrigt  also  die  Reaktionsfähig- 
keit der  Säuren.  Vom  dritten  GHede  ab  schwanken  die  folgenden  Werte 
unregelmässig  um  kleine  Beträge  auf  und  ab.  Die  weit  vom  Carboxyl 
entfernt  erfolgenden  Substifutionen  von  Wasserstoff  durch  Methyl  haben 


Stöchiometrische  Beziehungen«  525 

keinen  merklichen  Einfluss  mehr  auf  dasselbe,  und  es  machen  sich  andere 
"Wirkungen  geltend,  die  sich  zunächst  unserer  Erkenntnis  entziehen. 

Bemerkenswert  ist,  dass  die  Isomeren  Buttersäure  und  Isobutter- 
saure  einander  sehr  nahe  gleich  sind.  Der  Fall  ist  nicht  häufig,  indem 
meist  isomere  Verbindungen  sehr  verschiedene  Konstanten  haben. 

Führt  man  in  die  Essigsäure  an  Stelle  des  Wasserstofl^  Chlor  ein, 
so  wu*d  die  Konstante  bedeutend  erhöht. 

Essigsäure  0-00180 

Monochloressigsäure  0-155 

Dichloressigsäure  5-14 

Trichloressigsäure  121 

Man  kann  zunächst  fragen,  in  welcher  Weise  die  Einflüsse  von  Ver- 
änderungen des  Komplexes  auf  das  Verhalten  des  Carboxyls  und  so- 
mit auf  die  Konstante  erfolgen,  ob  letztere  flir  gleiche  Änderungen  um 
gleiche  Werte  oder  in  gleichem  Verhältnis  zunimmt  Ein  Blick 
auf  die  vorstehenden  Zahlen  lehrt,  dass  nur  die  letzte  Möglichkeit  vor- 
handen ist  Denn  die  Diflerenzen  der  aufeinanderfolgenden  Zahlen  be- 
tragen 0-153,  4-99  und  116,  die  Verhältnisse  dagegen  86,  33-2  und 
23*5.  Dass  die  letzteren  Zahlen  nicht  gleich  sind,  ist  wohl  so  zu  deuten, 
dass  die  drei  in  Betracht  gezogenen  Änderungen  nicht  gleich  sind,  denn 
im  ersten  Fall  tritt  Chlor  in  eine  Verbindung,  in  welcher  noch  kein 
Chlor  vorhanden  ist,  während  im  zweiten  Falle  die  Substitution  in 
der  Gruppe  CH^Cl,  im  dritten  in  der  Gruppe  CHCl*  erfolgt.  Die 
drei  Änderungen  sind  in  der  That  nicht  gleich,  sondern  nur  ähnlich,  und 
dementsprechend  sind  die  drei  Verhältniszahlen  nicht  gleich,  sondern  nur 
von  gleicher  Ordnung. 

Der  Einfluss  des  eintretenden  Chlors  auf  die  sauren  Eigenschaften 
der  Essigsäure  ist  ein  sehr  erheblicher;  es  müssen  dem  Chlor  also  be- 
deutende „sauermachende"  Eigenschaften  zugeschrieben  werden.  Auf 
welche  Weise  eine  derartige  Wirkung  zu  stände  kommt,  lässt  sich  gegen- 
wärtig kaum  noch  hypothetisch  angeben.  Berzelius  nahm  an,  dass  die 
Atome  des  Chlors  mit  einem  ziemlich  grossen  Überschuss  negativer 
Elektrizität  beladen  seien  und  daher  eine  starke  Anziehung  auf  positiv 
geladene  Stoffe,  wie  Metalle,  ausüben.  Mit  unseren  gegenwärtigen  Kennt- 
nissen tlber  das  Verhalten  der  Elektrizität  lässt  sich  diese  Hypothese 
nicht  in  Einklang  bringen,  doch  ist  noch  die  Bezeichnung  der  Elemente 
als  positive  und  negative,  je  nachdem  sich  vorwiegend  basische  oder  saure 
Verbindungen  bilden,  herrschend  geblieben.  Sachgemässer  sind  die  Be- 
zeichnungen positivierend  und  negativierend. 

Benutzt  man  statt  des  Chlors  andere  negativierende  Substituenten, 
so  erhält  man  gleichfalls  Verstärkungen  in  der  Wirkung  der  Essigsäure. 

Monobromessigsäure  CH'BrCO^H  0-138 

Cyanessigsäure  CH«(CN)CO«H  0-370 

Rhodanessigsäure  CH>(SCN)CO«H  0-265 


526  ^I*   ^^®  chemische  Verwandtschaft. 

Carbaminthioglykolsäure     CH«(SCONH2)C02H  0-0246 

Thioglykolsäure  CH«(SH)CO«H  0-0225 

Glykolsäure  CH«(OH)GO«H  0-0152 

Die  Konstante  der  Monobromessigsäure,  0-1*^8;  ist  von  der  der  Mono- 
chloressigsäure,  0-155;  wenig  verschieden,  wie  sich  auch  Chlorwasserstoff 
und  Bromwasserstoff  als  übereinstimmend  erweisen.  Dagegen  ist  die 
Konstante  der  Cyanessigsäure  bedeutend  grösser;  Oyan  ist  demgemäss 
ein  viel  „negativerer"  Substituent,  als  Chlor  und  Brom.  Trotzdem  ist 
Cyanwasserstoff  eine  so  schwache  Säure,  dass  sie  den  Namen  einer 
solchen  kaum  verdient.  Dieser  Umstand  führt  zu  dem  Schlüsse,  dass  die 
Cyanwasserstoflsäure  nicht  den  Halogenwasserstoffsäuren  vergleichbar  ist, 
sondern  wahrscheinlich  als  eine  Imidverbindung  aufgefasst  werden  muss. 

Die  Einführung  von  Rhodan  bedingt  gleichfalls  eine  viel  stäi^ere 
Wirkung  als  die  des  Chlors,  doch  steht  die  Konstante  hinter  der  der 
Cyanessigsäure  zurück.  Auch  ist  Rhodanwasserstoff  eine  echte  Waaser- 
stoffsäure  und  an  Stärke  der  Salzsäure  völlig  vergleichbar. 

Sehr  bemerkenswert  ist  die  ungemeine  Schwächung,  welche  diese  Säure 
erleidet,  wenn  sie  unter  Aufnahme  der  Elemente  des  Wassers  in  die  Carba- 
minthioglykolsäure, eine  Essigsäure,  in  welcher  ein  Wasserstoffatom  durch  den 
Best  der  Thiocarbaminsäure  ersetzt  ist,  übergeht.  Die  Konstante  vermindert 
sich  auf  weniger  als  eiir  Zehntel  ihres  Wertes.  Die  Ursache  davon  ist  sehr 
wahrscheinlich  in  der  Bethätigung  der  positivierenden  Eigenschaften  der  ent- 
standenen Amidgruppe  NH^  zu  suchen. 

Der  Ersatz  von  Wasserstoff  der  Essigsäure  durch  Hydroxyl  er- 
giebt  gleichfalls  eine  Verstärkung  der  Säure;  die  Konstante  der  Glykol- 
säure ist  etwa  8  mal  grösser,  als  die  der  Essigsäure.  Der  Schwefel- 
wasserstoffrest, SH,  an  derselben  Stelle  bedingt  eine  grössere  Wirkung, 
ebenso  wie  Schwefelwasserstoff  eine  stärkere  Säure  ist  als  Wasser. 

Wird  noch  ein  weiteres  Hydroxyl  in  die  Essigsäure  eingeführt,  so 
entsteht  die  Gly Oxalsäure: 

Glyoxalsäure  CH(0H)2C00H      0-0474. 

Das  Verhältnis  zwischen  Essigsäure  und  Glykolsäure  ist  1:8,  das  zwi- 
schen dieser  und  der  Glyoxalsäure  1:3.  Die  zweite  Substitution  des 
Hydroxyls  hat  also  eine  geringere  Wirkung  hervorgebracht,  als  die  erste. 
Dies  Ergebnis  stellt  sich  ganz  dem  an  den  gechlorten  Essigsäuren  er- 
haltenen an  die  Seite;  dort  betrugen  die  beiden  Verhältniszahlen  1 :  86 
und  1 :33;  sie  stehen  also  in  dereelben  Beziehung  zu  einander,  wie  die 
an  den  Oxyessigsäuren  beobachteten. 

Mit  der  Thioglykolsäure  kann  die  Thiacetsäure  verglichen  werden. 
Die  Konstante  ist: 

Thiacetsäure  CH^.COSH  0-0469. 

Thioglykolsäure  hat  0-0225,  die  Zahl  der  Thiacetsäure  ist  somit  doppelt 
so  hoch.  Die  Ursache  liegt  in  der  viel  unmittelbareren  Beziehung  zwi- 
schen   dem    eingetretenen    „negativen"  Schwefelatom    und    dem    Säure- 


StÖchiometrische  Beziehungen.  527. 

Wasserstoff,  welche  in  der  Thiacetsäure  voriianden  ist,  und  welche  die 
Wirkung  des  Schwefels  demgemäfls  viel  kräftiger  Zustandekommen  lässt. 
Ähnliehe  Verhältnisse,  wie  die  hydroxylierten  Essigsäuren,  zeigen 
die  hydroxylierten  Propionsäuren.  Es  giebt  deren  zwei  mit  verschiedener 
Stellung  des  Hydroxyls;  ihre  Konstanten  sind: 

Propionsäure  CHS.CH^CO^H  000134 

Milchsäure  CH2:CH(0H)C0«H  0-0138 

jE^-Oxypropionsäure    CH*OH.CH«.CO«H  0.00311 

Während  das  in  der  «-Stellung  eingetretene  Hydroxyl  die  Konstante  der 
Propionsäure  auf  den  zehnfachen  Wert  erhoben  hat,  wirkt  derselbe  Sub- 
stituent  von  der  ;9-Stelle  aus  nur  mit  dem  Faktor  2-3.  Es  ist  dies  eine 
sehr  anschauliche  Bestätigung  des  allgemeinen  Satzes,  dass  die  Wirkung 
der  einzelnen  Elemente  auf  die  Affinitätseigenschaften  nicht  nur  von  ihrer 
Natur,  sondern  in  massgebender  Weise  von  ihrer  „Stellung'^  oder  Kon- 
stitution abhängt. 

Wird  in  die  Milchsäure  ein  |9-Hydroxyl  eingeführt,  so  entsteht  die 
Glycerinsäure 

Glycerinsäure       CH«(OH).CH(OH)CO«H         00228. 

Das  Verhältnis  der  Konstanten  zur  Milchsäure  ist  1-7,  während  das 
zwischen  Propion-  und  ß-Oxypropionsäure  2-3  beträgt.  Die  Änderung 
ist  in  beiden  Fällen  von  gleicher  Grössenordnung,  aber  kleiner  in  dem 
Falle,  wo  bereits  der  Substituent  einmal  vorhanden  war.  Es  ist  dies 
dieselbe  Beziehung,  welche  bei  der  gechlorten  und  hydroxylierten  Essig- 
säure beobachtet  wurde. 

Ein  ähnlicher  Einfluss  der  Entfernung  des  Substituenten  lässt  sich 
bei  der  Lävulinsäure  erkennen. 

Lävulinsäure      CH^.CO.CH^.CH^.COOH       000255. 

Die  Säure  steht,  abgesehen  von  der  Stellung  der  CO-Gruppe,  zu  der 
Valeriansäure  in  demselben  Verhältnis,  wie  die  Glyoxalsäure  zur  Essig- 
säure. Doch  ist  sie  nur  um  1'5  mal  stärker  als  diese,  während  die 
Essigsäure  beim  Übergang  in  Glyoxalsäure  die  Konstante  im  Verhältnis 
1  :  26  erhöht.  Der  enorme  Unterschied  ist  allein  der  entfernten  Lage  des 
Sauerstoffatoms  (oder  der  äquivalenten  beiden  OH- Gruppen)  in  der 
Lävulinsäure  zuzuschreiben. 

Weitere  Beispiele  fiir  diesen  Einfluss  der  Lage  bieten  folgende  Stoffe. 

|!?-Jodpropionsäure         CH^J.CH^CO«H  0-0090 

TCchlormilchsäure         CC1».CH0H.C0«H  0465 

Trichlorbuttersäure        CH^CHCLCCl^CO^H  10 

Mononitrocapronsäure    CH».CH(N02).C(CH»)*.C0«H    0-0123 

Dinitrocapronsäure        CH^C(N02)8.C(CH3)2.CO«H   00694 

Die  Konstante  der  «-Jodpropionsäure  ist  nicht  bekannt,  doch  lässt  sie  sich 

mit  einiger  Sicherheit  annähernd  gleich  0'12  schätzen.    Die  der  /9-Jod- 

propionsäure  ist  13  mal  kleiner.    Der-  grosse  Einfluss  der  Stellung  macht 

sich  um  so  deutlicher  geltend,  je  stärker  die  Substituenten  selbst  wirken. 


528  ^*   ^i®  chemische  Verwandtschaft. 

Noch  erheblicher  gestalten  sich  die  Unterschiede  bei  der  Trichlor- 
milchsäure.  Milchsäure  hat  die  Konstante  0*0138;  die  drei  Chloratome 
haben  dieselbe  etwa  auf  den  34  fachen  Wert  gesteigert  Die  Elssigsaure 
dagegen  zeigt  beim  Übergange  in  die  Trichloressigsäure  eine  Steigerung 
von  0*0018  auf  121,  also  wie  1  :  67000;  das  Yeriiältnis  ist  somit  nicht 
weniger  als  2000  mal  grösser. 

Die  Mononitrocapronsäure  mit  der  Konstante  0*01 2  3  leitet  8-5  mal 
besser,  als  ihre  Muttersubstanz;  es  kann  somit  keine  a-Verbindimg  sein. 
Denn  die  Nitrogruppe  erweist  sich  weit  stärker  negativierend  als  Chlor, 
und  Clüor  in  der  ce- Stelle  bedingt  eine  Erhöhung  der  Konstanten  auf 
etwa  den  80  fachen  Wert.  Hingegen  entspricht  die  Zahl  ganz  gut  der 
Annahme,  dass  die  Nitrogruppe  in  der  /3-Stellung  steht,  welche  Annahme 
auf  Grund  der  chemischen  Verhältnisse  für  den  Stoff  gemacht  worden 
ist.  Die  zweite  Nitrogruppe  bedingt  eine  Zunahme  der  Konstanten  anf 
den  5-6  fachen  Wert  der  Mono  Verbindung.  Der  Faktor  ist  fiir  die  zweite 
Nitrogruppe  kleiner,  als  für  die  erste,  was  den  früheren  Erfahrungen 
vollkommen  entspricht. 

In  noch  viel  mannigfaltigerer  Weise,  als  bei  den  Abkömmlingen  der 
Fettsäuren,  lässt  sich  der  Einfluss  wechselnder  Stellung  bei  der  Substita- 
tion  an  den  Derivaten  der  Benzoesäure  verfolgen.  Es  sind  folgende 
Konstanten  beobachtet  worden: 

Benzoesäure  C^H^CO^H  0-0060 

o-Oxybenzoesäure  C**H*(0H)C02H  0-102 

m-Oxybenzoesäure  C^H*(OH)CO«H  0-0087 

p-Oxybenzoesäure  CßH*(OH)CO*H  0-00286 

Benzoesäure  selbst  ist  slärker  als  die  höheren  Fettsäuren,  auch  als  EsA^- 
säure;  auch  ist  Phenyl  negativer  als  Methyl,  denn  Phenylalkokol  oder 
Phenol  hat  den  Charakter  einer  schwachen  Säure,  was  bei  Methylalkohol 
nicht  der  Fall  ist  Das  eintretende  Hydroxyl  übt,  je  nachdem  es  in  die 
Ortho-,  Meta-  oder  Para-Stellung  tritt,  ungemein  verschiedene  Wirkungen  aus. 
In  der  o-Stellung  beträgt  der  Einfluss  am  meisten;  die  Konstante  ersdieint 
auf  den  1 7  fachen  Wert  gesteigert  In  der  m-Stelle  beträgt  die  Änderung 
nur  das  1-4  fache,  und  in  der  p-Stelle  bedingt  der  Eintritt  des  Hydroxyls 
sogar  eine  Schwächung  der  Säure,  eine  Verminderung  der  Konstante 
auf  etwas  weniger  als  die  Hälfte. 

Aus  den  Einflüssen,  welche  das  Hydroxyl  an  jedem  der  drei  Orte 
des  Benzols  ausübt,  lassen  sich  nun  mit  ziemlich  grosser  Annäherung 
die  Konstanten  aller  übrigen  mehrfach  hydroxyh'erten  Benzoesäuren 
schätzen.  Die  Messungen  haben  folgende  Zahlen  ergeben,  wobei  be- 
merkt werden  soll,  dass  die  Stellung  der  Hydroxyle  vom  Carboxyl  ab 
gezählt  werden  soll;  dieses  ist  mit  1  bezeichnet. 

OxysaUcylsäure  C«H3(0H)2C0*H(2,  3)         0.114 

Oxysaücylsäure  C«H»(OH)2C02H(2,  5)         0-108 

cc-Resorcylsäure  C6H3(OH)2CO«H(2,  6)         50 


Stdchiometrische  Beziehungen.  529 

/J-Resorcylsäure  C«H»(OH)2C02H(2,  4)  0052 

Ptotokatechusäure  CßH3(OH)2CO«H(3,  4)  00033 

symm.  Dioxybenzoesäure  C«H3(OH)2C02H(3,  5)  00091 

Gallussäure  CßH«(OH)'»C02H(3,  4,  5)  00040 

PyrogaUolcarbonsäure        C«H«(OH)3CO«H(2,  3,  4)  0-055 

Phlorogludncarbonsäure     CßH«(OH)3C02H(2,  4,  6)  2-2 

Die  gleichzeitige  Wb-kung  mehrerer  Substituenten  zeigte  sich  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  meist  in  dem  Sinne,  dass  jeder  Substituent 
einen  von  seiner  Natur  und  Stellung  abhängigen  Faktor  zu  der  Säure- 
konstante  beitrug.  Der  Faktor  war  einigermassen,  aber  nicht  ganz 
unabhängig  von  dem,  was  bereits  in  der  Molekel  vorhanden  war;  bis- 
her zeigte  sich  stets  eine  Abweichung  in  dem  Sinne,  dass  der  zweite, 
übereinstimmend  eintretende  Substituent  etwas  geringer  wirkte,  als 
der  erste. 

Nach  diesem  Satz  haben  wu*  zu  erwarten,  dass  die  Oxysalicylsäure 
2y  3  etwas  stärker  sein  muss,  als  die  Salicylsäure,  weil  das  hinzuge- 
tretene m-Hydroxyl  die  Konstante  etwas  vergrössert  (S.  528).  Salicyl- 
säure hat  0102,  Oxysalicylsäure  0-114,  die  Erwartung  findet  sich  so- 
mit bestätigt. 

Auch  in  der  anderen  Oxysalicylsäure  2,  5  hat  das  hinzugetretene 
Hydroxyl  die  m-Stelle  eingenommen;  beide  Stoffe  enthalten  somit  beide 
Hydroxyle  in  gleicher  Entfernung  vom  Carboxyl.  Trotzdem  sind  sie 
etwas  verschieden.  Zwar  ist  die  2,  5 -Säure,  der  Erwartung  gemäss, 
gleichfalls  etwas  stärker,  als  Salicylsäure,  sie  ist  es  aber  in  geringerem 
Masse,  als  die  2,  3-Säure.  Dies  ist  ein  Beweis,  dass  die  Wirkungen  der 
einzelnen  Substituenten  zwar  in  geringerem,  aber  doch  immerhin  merk- 
lichem Mass  voneinander  abhängig  sind. 

Schreibt  man  beide  Säuren  in  dem  üblichen  sechseckigen  Benzol- 
schema, so  zeigt  sich,  der  Erfahrung  entsprechend,  die  Stellung  2,  3 
günstiger  zum  Zusammenwirken,  als  die  Stellung  2,  5. 

Die  j9-Resorcylsäure  2,  4  ist  aus  der  Salicylsäure  durch  Eintritt 
eines  Hydroxyls  in  der  p- Stelle  entstanden;  sie  muss  daher  nur  etwa 
halb  so  stark  sein,  wie  jene.  Ihre  Konstante  0-052  ist  in  der  That 
gegen  die  der  Salicylsäure  0-102  auf  die  Hälfte  vermindert. 

In  der  a-Resorcylsäure  befinden  sich  zwei  Hydroxyle  in  der  Ortho- 
stellung.  Das  erste  o- Hydroxyl  bewirkt  in  der  Benzoesäure  eine  Er- 
höhung der  Konstanten  auf  den  17  fachen  Wert;  das  zweite,  wie  aus 
den  Zahlen  hervorgeht,  eine  auf  den  49  fachen  Wert.  Hier  zeigt  sich 
ein  Gegensatz  zu  den  früher  (S.  525)  beobachteten  Verhältnissen,  nach 
denen  der  zweite  von  zwei  gleichen  Substituenten  schwächer  wirkt,  als 
der  erste.  Indessen  steht  die  neue  Erscheinung  nicht  vereinzelt  da,  wie 
aus  dem  folgenden  Beispiel  hervorgeht: 

Gallussäure  C«H2(OH)3CO«H        0.0040 

Monobromgallussäui-e     C  «  H  Br  (0  H) »  C  0  «  H      0-059 
DibromgaJlussäure  CßBr2(OH)8C02H        1-21 

Ostwald,  Grundriss.    3.  Aufl.  34 


530  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

Die  Bromatome  der  gebromten  Gallussäuren  befinden  sieh^  da  die  drei 
Hydroxyle  die  Stellen  3,  4,  5  einnehmen,  beide  in  der  Orthosteliung. 
Das  erste  Bromatom  bewirkt  eine  Verstärkung  um  das  15  faehe^  das 
zweite  um  mehr  als  das  20  fache.  Es  wirkt  also  auch  in  diesem  Falle 
der  zu  zweit  eintretende  Substituent  stärker,  als  der  zuerst  eintretende. 
Hieraus  geht  zunächst  hervor,  dass  die  Orthostelle  im  Benzolkem  ganz 
andere  Wirkungen  bedingt,  als  die  «-Stellung  in  den  geraden  Ketten. 
Eine  anschauliche  räumUche  Erklärung  dieser  besonderen  Verhältnisse 
liegt  ziemlich  nahe,  doch  soll  von  ihrer  Auseinandersetzung  hier  abge- 
sehen werden. 

Die  Ptotokatechusäure,  welche  ein  Hydroxyl  in  der  Meta-  und 
eines  in  der  Parastellung  enthält,  muss  wegen  des  letzteren  etwa  halb 
so  stark,  als  die  m-Oxybenzoesäure  sein.  Auch  diese  Erwartung  findet 
sich  bestätigt. 

Die  symmetrische  Dioxybenzoesäure  besitzt  zwei  Meta -Hydroxyle 
und  hat  demgemäss  die  Konstante  00091,  welche  etwas  die  der  m-Oxy- 
benzoesäure  übertrifft.  Es  entsprechen  somit  sämtliche  zweifach  hydr- 
oxylierten  Benzoesäuren  dem  Gesetz,  dass  die  Affinitätskonstanten  mehr- 
fach substituierter  Säuren  angenähert  als  Produkte  der  den  einzelnen 
Substituenten  zukommenden  Faktoren  erscheinen. 

Auch  fiir  die  bisher  bekannten  Trioxybenzoesäuren  lassen  sich  die 
beobachteten  Konstanten  mit  grosser  Annäherung  vorausberechnen.  So 
ist  die  Gallussäure  das  p-Oxyderivat  der  symmetrischen  Dioxybenzoe- 
säure; ihre  Konstante  muss  etwa  halb  so  gross  sein,  wie  die  der  letzteren. 
Die  beiden  Zahlen  sind  00091  und  0-0040.  Die  Pyrogallolcarbonsäure 
ist  die  p-Oxyverbindung  der  Oxysalicylsäure;  die  Konstanten  sind  0-055 
und  0-114,  stehen  also  wieder  in  dem  erwarteten  Verhältnis  1:2. 
Phloroglucincarbonsäure  endlich  ist  die  p-Oxyverbindung  der  /3-Ilesorcyl- 
säure;  beide  Konstanten  sind  2-2  und  5-0,  der  Erwartung  gemäss. 
Sämtliche  Beziehungen  trefifen  mit  solcher  Sicherheit  zu,  dass  auch  för 
die  drei  noch  nicht  bekannten  Trioxybenzoesäuren  die  Konstanten  vor- 
ausbestimmt werden  können,  so  dass,  wenn  sie  einmal  hergestellt  sein 
werden,  eine  Messung  der  elektrischen  Leitfähigkeit  genügt,  um  über 
ihre  Konstitution  zu  entscheiden. 

Ähnlich  wie  das  Hydroxyl  verhalten  sich  die  anderen  Substituenten 
der  Benzoesäure. 

o-Chlorbenzoesäure  C^H^CICO^H  0-132 

m-Chlorbenzoesäure  C  ^  H  *  Cl-C  0  ^H  0-0155 

p-Chlorbenzoesäure  C  «  H  *  Cl-C  0  ^H  0-009  3 

o-Brombenzoesäure  C^H*Br-CO*H  0-145 

m-Brombenzoesäure  C^H^Br-CO^H  0-0137 

m-Fluorbenzoesäure  C^H^Fl-CO^H  0-0136 

m-Cyanbenzoesäure  C®H*CN-CO*H  0-0199 

o-Nitrobenzoesäure  C  ®  H  *.(N0  ^)G  0  «H  0-616 

m-Nitrobenzoesäure  C  ^  H*(NO  ^0  0  ^H  0-0345 


Stöchiometrische  Beziehungen.  531 

p-Nitrobenzoesäure  C«H*(NO*)CO*H  0-0396 

o-Nitrosalicylsäure  (1,2,3)  C«H8(0H)(N0«)C0«H  1.57 

p-Nitrosaücylsäure  (1,2,5)  C6H»(0H)(N0«)C0*H  0-89 

Bromnitrobenzoesäure  (1,2,6)  C  «  H  »  Br(NO  «)€  Ö  ^H  14 

Die  Zahlen  geben  wieder  zu  einer  Anzahl  von  Bemerkungen  Anlass. 
Das  Chlor  wirkt,  wie  man  sieht,  als  Substituent  im  Benzol  ganz  anders 
als  das  Hydroxyl,  Während  o-Cldorbenzoesäure  nur  wenig  stärker  ist 
als  Salicylsäure,  sind  m-  und  p-Chlorbenzoesäure  den  entsprechenden  Oxy- 
verbindungen  bedeutend  tiberlegen.  Auch  wirkt  das  Chlor  von  allen  drei  Stellen 
aus  verstärkend.  Brom  verhält  sich  ziemlich  ähnlich  wie  Chlor,  nur  ist 
die  Orthoverbindung  etwas  stärker,  die  m- Verbindung  deutlich  schwächer 
als  beim  Chlor.  Die  m  -  Fluorbenzoesäure  schliesst  sich  der  ent- 
sprechenden Bromverbindung  völlig  an,  ein  Ergebnis,  das  unerwai-tet  war, 
weil  Fluorwasserstoff  eine  weit  schwächere  Säure  ist,  als  Chlorwasserstoff. 
Cyan  zeigt  dagegen  auch  im  Benzol  seinen  stark  negativierenden  Charakter, 
der  den  des  Chlors  übertrifft;  ebenso  wie  die  Cyan  essigsaure  erheblich 
stärker  ist,  als  die  Chloressigsäure,  übertrifft  die  m-Cyanbenzoesäure  die 
entsprechende  Chlorverbindung. 

Dem  Cyan  zeigt  sich  indessen  die  Nitrogruppe  an  säurebildender 
Fähigkeit  noch  überlegen.  In  der  Orthoverbindung  ist  die  Konstante 
der  Benzoesäure  auf  mehr  als  den  hundertfachen  Wert  gesteigert,  die 
Metasäure  weist  den  5-7  fachen,  die  Parasäure  den  6*6  fachen  Wert  auf. 
Hier  macht  sich  zudem  eine  weitere  Abweichung  von  der  Analogie 
geltend,  indem  die  p-Nitrobenzoesäure  etwas  stärker  ei*scheint,  als  die 
Metaverbindung,  während  sonst  stets  das  Gegenteil  beobachtet  wurde. 
Dieser  Umstand  zeigt,  dass  man  den  „Benzolkern"  nicht  als  ein  starres 
Gebilde  auffassen  darf. 

Die  beiden  Nitrosalicylsäuren  enthalten  die  Nitrogruppe  in  der  Meta- 
stellung  zum  Carboxyl.  Sie  sind  beide  erheblich  stärker,  als  ihre  Mutter- 
substanz; der  Faktor  ist  aber  beide  Male  grösser,  als  das  Verhältnis 
zwischen  Benzoesäure  und  m-Nitrobenzoesäure.  Ähnliche  Erscheinungen 
haben  schon  früher  (S.  530)  Erwähnung  gefunden. 

Die  Bromnitrobenzoesäure  enthält  endlich  Nitryl  in  der  Ortho-  und 
Brom  in  der  Metastellung.  Letzteres  bedingt,  gemäss  den  Zahlen  flii* 
Benzoe-  und  m-Brombenzoesäure,  eine  Vergrösserung  der  Konstanten  um 
etwas  mehr  als  das  Doppelte.  Da  o-Nitrobenzoesäure  0-62  hat,  so  ist 
für  die  vorliegende  Substanz  1-3  bis  1*4  zu  erwarten,  wie  die  Messung 
auch  thatsächlich  ergeben  hat. 

Bisher  sind  fast  ausschliesslich  solche  Verbindungen  behandelt  worden, 
welche  negativierende  oder  die  sauren  Eigenschaften  steigernde  Sub- 
stituenten  enthalten.  Im  Methyl  haben  wir  (S.  524)  eine  Atomgruppe 
kennen  gelenit,  welche  unter  Umständen  (z.  B.  beim  Übergang  von 
Ameisen-  zu  Essigsäure)  die  Konstante  heruntersetzt.  Doch  ist  dies 
keineswegs    immer    der.  Fall.      Beim    Einfuhren    von    Methyl    für    den 

34* 


532  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

Hydroxylwasserstoff  der  Glykolsäure  wird  im  Gegensatz  dazu  die  Kon- 
stante grösser.     Schwächer  als  das  Methyl  wirkt  Äthyl. 

Glykolsäure  CH^OHCO^H  00152 

xMethylglykolsäure       CH^OCH^CO^H  0-0335 

Ätliylglykolsäure         CH^OCäH^CO^H  0.0234. 

Da  schon  früher  das  Phenyl  als  dem  Methyl  in  Bezug  auf  seine 
säurebildende  Khigkeit  tiberlegen  erkannt  wurde,  so  kann  es  nidit 
Wunder  nehmen,  dass  die  Phenylglykolsäure,  K==  0-076,  der  Glykol- 
säui'e  stark  überlegen  ist. 

Deutlich  die  sauren  Eigenschaften  abschwächende  Eigenschaften  hat 
die  Amidgruppe,  NH*.  Führt  man  sie  in  die  Benzoesäure  ein,  so  hat 
man  folgende  Reihe: 

Benzoesäure  C^H^CO^H  0-0060 

o-Amidobenzoesäure  C^H^NH^-CO^H  0-0009  (ungef.) 

p-Amidobenzoesäure  CöH^NH^-CO^H  0.0010  (ungef.) 

m-Amidobenzoesäure  C^H^NH^-CO^H  0-0012. 

Die  Konstanten  der  Amidobenzoesäure  lassen  sich  wegen  experimenteller 
Schwierigkeiten  nicht  genau  bestimmen;  sie  sind  erhebhch  kleiner,  als 
die  Konstante  der  Benzoesäure. 

Wird  in  das  Amid  eine  Acetylgruppe  emgefühi-t,  so  werden  die 
basischen  Eigenschaften  des  Amids  nicht  nur  kompensiert,  sondern  über- 
kompensiert; die  Konstanten  der  o-  und  p-Acetamidobenzoesäure  über- 
treffen die  der  Benzoesäure.  Bei  der  p-Verbindung  bewirkt  das  schwach 
negative  Radikal  eine  Verminderung,  ganz  ähnlich  wie  beim  Eintritt  von 
Hydroxyl  (S.  528). 

0- A  cetamidobenzoesäure      C « H  *  (NHCOCH  »)  CO « H     00236 
m-Acetamidobenzoesäure     C«H*(NHCOCH»)  CO«H     0-0085 
p-Acetamidobenzoesäure      C«H*(NHCOCH»)  CO«H     00052. 
Benzoesäure  hat  0-0060. 

Die  vorstehenden  Beispiele  werden  genügen,  um  die  Beschaffenheit 
der  Ergebnisse  zu  zeigen,  welche  sich  durch  die  Messung  der  elektro- 
lytischen Dissociationskonstanten  K  gewinnen  lassen;  für  eine  vollständige 
Aufzählung  der  nach  dieser  Richtung  bereits  erlangten  Resultate  ist  hier 
nicht  der  Ort. 

Wenden  wir  uns  von  diesem  speziellen  Gebiete  zu  aUgemeineren 
Fragen,  so  müssen  wir  den  Boden  quantitativer  Kenntnisse  verlassen. 
Man  kann  versuchen,  auf  die  Elemente  zurückzugehen,  und  deren  Be- 
ziehungen zu  den  aus  ihnen  entstehenden  Ionen  zum  Gegenstande  der 
Untersuchung  machen.  Es  ergiebt  sich  dabei  die  Fragestellung  nach  der 
Tendenz  zur  lonenbildung,  oder,  um  ein  Bild  'zu  brauchen,  naeh  der 
Verwandtschaft  der  elementaren  Stoffe  zur  Elektrizität.  Wenn  auch  hier 
keine  Zahlen  beigebracht  werden  können,  so  sind  doch  so  grosse  Unter- 
schiede vorhanden,  dass  systematische  Zusammenhänge  leicht  zu  er- 
kennen sind. 


Stöchiometrische  Beziehungen.  533 

In  den  natürlichen  Familien^  wie  sie  durch  das  periodische  System 
der  Elemente  gegeben  sind,  besteht  eine  deutliche  Abstufung  der  Fähig- 
keit, Ionen  zu  bilden;  gleichzeitig  ist  die  Wertigkeit  der  entstehenden 
Ionen  von  der  Reihe  abhängig,  in  der  sich  das  Element  befindet.  Be- 
trachten wir  auf  Seite  45  die  Reihe  I,  so  bilden  die  Elemente  der 
Alkaligruppe  sämtlich  einwertige  Kationen,  welche  sehr  viel  beständiger 
sind,  als  die  neutralen  EleÄiente;  ihre  wichtigsten  Reaktionen  bestehen 
daher  in  ihrem  Übergange  in  den  lonenzustand  oder  den  nahestehenden 
des  festen  Salzes.  Die  Elemente  der  Nebenreihe  Cu,  Ag,  Au  zeigen  ihre 
geringe  Verwandtschaft  mit  denen  der  Hauptreihe  durch  ihre  viel  ge- 
ringere Tendenz,  die  der  Reihe  der  wachsenden  Verbindungsgewichte 
schnell  abnimmt.  Hiermit  ist  teilweise  die  Fähigkeit  zur  Bildung  kom- 
plexer Ionen  verbunden,  die  dort  auftritt,  wo  die  Tendenz  zur  Bildung 
elementarer  Ionen  kleiner  wird. 

In  der  Reihe  II  sind  die  Elemente  enthalten,  welche  zweiwertige 
Kationen  bilden.  Auch  hier  ist  die  Tendenz  in  der  Hauptreihe  der  Erd- 
alkalimetalle sehr  gross,  in  der  Nebenreihe  der  Schwermetalle  geringer. 
Bei  dem  höchsten  Gliede,  dem  Quecksilber,  tritt  wieder  die  Neigung 
zur  Bildung  komplexer  Ionen  auf. 

Ähnliche  Verhältnisse  finden  sich  in  der  dritten  Reihe  wieder,  nur 
dass  die  Tendenz  zur  lonenbildung  geringer  geworden  ist.  Sie  wächst 
mit  steigendem  Verbindungsgewicht  bei  den  Elementen  der  Hauptreihe, 
nimmt  aber  bei  denen  der  Nebenreihe  eher  ab.  Die  höchsten  Glieder 
zeigen  wieder  die  Fähigkeit,  Ionen  von  verschiedener  Wertigkeit  zu  bilden. 

Die  gleiche  Eigentümlichkeit,  dass  die  Elemente  mit  kleinstem  Ver- 
bindungsgewicht die  geringste  Tendenz  zur  BUdung  elementarer  Ionen 
haben,  ist  in  der  vierten  Reihe  sehr  ausgeprägt,  da  die  niederen  Glieder 
überhaupt  derartige  Ionen  nicht  mehr  bilden  und  nur  das  höchste  Glied, 
das  Thorium,  beständige  Salze  giebt.  Auch  verschwindet  hier  der  Gegen- 
satz zwischen  Haupt-  und  Nebenreihe,  in  dem  auch  in  letzterer  die 
Bildung  der  Ionen  durch  die  Steigerung  des  Verbindungsgewichtes  be- 
günstigt wird. 

Als  völlig  ausgebildete  Eigenschaft  zeigt  sich  dagegen  bei  diesen 
Elementen  die  schon  in  der  vorigen  Reihe  an  den  ersten  Gliedern  aufge- 
tretene Fähigkeit,  in  Verbindung  mit  Sauerstofl^  zusammengesetzte  Anionen 
zu  büden.  Gleichzeitig  entwickelt  sich  die  Verschiedenwertigkeit  der  Ionen 
noch  mehr. 

Bei  den  Elementen  der  fünften  Reihe  treten  schon  die  ersten  Spuren 
der  Fähigkeit  auf,  elementare  Anionen  zu  bilden,  zunächst  in  der  Bildung 
salzartiger  Verbindungen,  in  denen  diese  Elemente  den  sauren  Teil  dar- 
stellen. Da  diese  Verbindungen  entweder  nicht  im  Wasser  löslich  sind, 
oder  durch  dieses  zersetzt  werden,  so  kommt  es  allerdings  meist  nicht 
zur  Bildung  von  Ionen  in  wässeriger  Lösung;  wohl  aber  mögen  solche 
in  Schmelzgemischen  vorhanden  sein.  Die  sauerstoffhaltigen  Anionen 
spielen  eine  grosse  Rolle,  dagegen  ist  die  Bildung  elementarer  Kationen 


534  XI.   Die  chemische  Verwandtschaft. 

auf  die  höchsten  Glieder  beschränkt;  sie  treten  dort  dreiwertig  auf.  Eine 
Besonderheit  bildet  femer  das  erste  Eracheinen  sauerstoffhaltiger  EationeD 
vom  Typus  der  Vanadyls,  VdO. 

In  der  sechsten  Reihe  sind  bereits  elementare  zweiwertige  Anionen 
unzweifelhaft.  Die  Bildung  sauerstoffhaltiger  Anionen  ist  typisch  ent- 
wickelt; Kationen,  und  zwar  elementai*e  wie  sauerstofiTialtige,  treten  in 
den  höchsten  Gliedern  auf. 

Die  siebente  Reihe  enthält  die  typischen  anionenbildenden  Meinente, 
die  Halogene.  Sie  bilden  mit  Ausnahme  des  ersten  auch  sauerstoffhaltige 
Anionen;  von  der  Fähigkeit,  sauerstoffhaltige  Kationen  zu  bilden,  sind 
beim  höchsten  Gliede,  dem  Jod,  unzweifelhafte  Anzeichen  vorhanden. 

Die  Elemente  der  Aussengruppen  des  Eisens  und  Platins  zeidmen 
sich  endlich  ausser  durch  die  Fähigkeit,  mit  sehr  verschiedenen  Wertig- 
keiten aufzutreten,  auch  noch  durch  eine  ausgeprägte  Tendenz  aus, 
komplexe  Ionen  zu  bilden. 

Diese  Andeutungen  einer  lonensystematik  der  chemischen  Elemente 
lassen  sich  sehr  erweitem.  Hierzu  sind  in  jüngster  Zeit  hoffiiungsvolle 
Ansätze  gemacht  worden  (Abegg  und  Bodländer  1899). 

Wenden  wir  uns  von  den  Ionen  zu  den  Nichtelektrolyten  der 
organischen  Chemie,  so  ist  schon  bemerkt  worden,  dass  ein  grosser  Teil 
der  Systematik  dieses  Gebietes  auf  Schätzungen  der  Afßnitätseigen- 
schaften  bemht.  Konstitutive  Unterschiede,  wie  die  Bezeiclmung  des 
Sauerstoffs  als  Hydroxyl-,  Keton-,  Aldehyd-,  Äthersauerstoff  sind  auf 
Grand  von  Umsetzungs-  und  Gleichgewichtsbeobachtungen  gemacht  worden. 
Auch  sind  hier  beachtenswerte  Anfänge  zum  messenden  Eindringen  vor- 
handen. Über  die  Bildung  der  Ester  aus  organischen  Säuren  und  Alko- 
holen hegen  von  Menschutkin  (1879  u.  ff.)  zahlreiche  und  ausgedehnte 
Untersuchungen  vor,  welche  wenigstens  fiir  begrenzte  Gebiete  homologer 
und  analoger  Verbindungen  Regelmässigkeiten  ergeben  haben.  So  ver- 
estem  sich  die  primären  normalen  Alkohole  gleich  schnell  (mit  Ausnahme 
des  Methylalkohols),  die  nicht  normalen  primären,  sowie  die  ungesättigten 
Alkohole  langsamer,  noch  langsamer  die  sekundären  Alkohole,  weldie 
auch  untereinander  Verechiedenheiten  aufweisen.  Lässt  man  denselben 
Alkohol  auf  verschiedene  Säuren  wirken,  so  zeigen  die  primären  Fett- 
säuren mit  steigendem  Molekulargewicht  eine  abnehmende  Geschwindig- 
keit. Bedeutend  langsamer  wirken  die  sekundären  und  am  langsamsten 
die  tertiären  Säuren. 

Aus  neuerer  Zeit  Hessen  sieh  noch  manche  anderen  Untersuchungen 
ähnlicher  Tendenz  nennen,  die  bemerkenswerte  Resultate  ergeben 
haben,  doch  muss  auf  ein  Eingehen  verzichtet  werden. 

Denn  es  kann  in  einem  Lehrbuche,  das  der  allgemeinen  Chemie 
gewidmet  ist,  nicht  die  eingehende  Dai-stellung  solcher  Verhältnisse  vor- 
genommen werden,  da  diese  unzweifelhaft  der  speziellen  anorganisdien 
und  organischen  Chemie  angehören.  Die  Entwickelung  unserer  Wissen- 
schaft hat  nach  dieser  Richtung  so  spät  stattgefunden,  dass  die  Angaben 


Stöchiometrische  Beziehungen.  535 

über  derartige  Beziehungen  nur  erst  begonnen  haben,  in  derartige  Lehrbücher 
einzudringen.     Doch  macht  sich  bereits  überall  das  Bewnsstsein  geltend, 
dass    den  Affinitätsbeziehungen    flir  Fragen    der    chemischen    Systematik 
ein    erhebliches  Stimmrecht  einzuräumen  sei,   und  mit  diesem  Wachstum 
der    Bedeutung,    das    den  auf  Grundlage    der  allgemeinen   Chemie  ent- 
^ckelten    erforschbaren  Verhältnissen  beigelegt   wird,  wächst  auch  die 
Pflege    dieser  Wissenschaft    und   erfahrt    sie   immer   neue  Befruchtung. 
Denn   so   erfreulich  das  Gebiet  aUgemeiner  Wahrheiten  hier  bereits  sich 
ausgedehnt    hat:    die    Mannigfaltigkeit   der  thatsächlichen  Erscheinungen 
kann   nie   vollständig  dargestellt  werden,  und  jeder  Versuch,  den  Aus- 
druck dieser  allgemeinen  Wahrheiten  in  einem  bestimmten  Falle  wieder- 
zufinden, lässt  hinter  ihnen   endlose  weitere  Mannigfaltigkeiten  erkennen. 
Die  Natur  aber  ist  überall  vollständig,  und  wo   wir  in  die  Tiefe 
graben,  sind  wir  sicher,  ihrem  Mittelpunkte  näher  zu  kommen. 


Namen-Register. 


Abbe  132. 
Abegg  534. 
Abrahall  23. 
Amagat  55. 
AmmermüUer  186. 
Ampere  72« 
Andrews  107,  253. 
Arago  55. 
Archer,  Sc.  499. 
Arfvedson  30,  37. 
Arrhenius  382,  412, 420, 

523. 
Aston  23. 
Auer  26. 

Avogadro  65,  72,  188. 
Awdejew  23. 


Babo  200. 

Bahr  30,  39. 

Bailey  32,  40. 

Baker  74. 

Baiard  24. 

Baubigny  26,  39. 

Baxter  29. 

Beckmann  202,  204,208, 
230. 

Behrend  370. 

Bergmann  290,  522. 

Beringer  25. 

Berlin  26. 

Berthelot  135,  253,  257, 
258,  261,  283,  365, 
371,  523. 

Berthollet  290,  494,  522. 

Berzelius  13,  15,  16, 
17,  19,  21,  23,  24,  25, 
26,  27,  28,  29,  30,  31, 
32,  33,  34,  35,  36,  37, 
38,  39,  41,  219,  220, 
233,234,235,468,518. 

Blagden  207. 

Blomstrand  32. 

Bodländer  534. 

Boltzmann  485. 


Bongartz  22,  39. 
Borch  38. 
BouUay  186. 
Boussingault  36. 
Boyle  48. 

Brauner  25,  26,  36. 
Bravais  165. 
Bredig  397. 
Brühl  136. 
Buflf  62,  129. 
Bührig  25. 

Bunsen  28,  33,  39,  174, 
315,316,486,495,496. 
Burton  31,  39. 
Bütschli  339. 

Cagniard-Latour  107. 
Cailletet  55,  99. 
Cannizzaro  70,  221. 
Carnelley  224. 
Camot  119. 
Chikagishe  36. 
Christensen  27. 
Chydenius  37. 
Classen  38,  39. 
Claus  33. 
Clausius  80,  382. 
Clement  516. 
Cleve  26,  27,  30,  34,  37, 

39. 
Commaille  29. 
Cooke  18,  22. 
de  Coppet  207. 
Couper  238. 
Crookes  37. 
Cushmann  32. 

Daguerre  483,  498. 

Dalö  132. 

Dalton  8,  9,  10,  16,  48, 

58,  103,  258,  314. 
Daniell  432. 
Davy  258,  442. 
Debray  23,  350. 


Delafontaine  37,  38,  39. 

Demoly  37. 

D^sormes  516. 

Despretz  55,  252,   258. 

Deville  63,  75,  506. 

Dewar  31,  99. 

Dexter  22. 

Diehl  30. 

Dittmar  18. 

Döbereiner  42. 

Draper  494,  495. 

Drude  491. 

Dühring  103,  117. 

Dulong  17,  35,  55,  188, 
220,  252,  258. 

Dumas  15,  17,  22,  23, 
24,  25,  27,  28,  29,  30, 
31,  32,  34,  35,  36,  38, 
39, 41,  43,  63,  75,  186, 
236,  237,  523. 

Ebelmen  37. 
Ekmann  34. 
Eötvös  149. 
Erdmann  15,  17,  24,  27, 

29,  33,  34,  39. 
Eykman  211. 

Fahrenheit  176. 
Faraday  99,   107,   144, 

235,  379. 
Favre  39,  253,  258, 376, 

433. 
Fick  200. 
Fourier  200. 
Frankenheim  165. 
Frankland  144,  238,  259. 
Fresnel  169. 
Friedel  29. 
Frowein  352. 

Galvani  430. 
Gauss  148. 


Namen  -  Register. 


537 


Oaj-Lussac  20,  28,  30, 

48,   58,   63,   65,   85, 

87,  93. 
Geoffroy  522. 
Gerhardt  70,  221,   237, 

238. 
Gibbs  29,  101,  307,  434. 
Gladstone   39,  43,   132, 

136,  137,  138,  508. 
Gmelin  30,  220. 
Godeflfroy  24,  33. 
Gooch  36. 
Goodwin  444,  452. 
Graham  156,   197,  253. 
Groth  181. 
Grove  458. 

Guldberg  209,  290,  523. 
Guye  231. 

Ha^en  30. 

Halberstadt  33. 

Handl  156. 

Hankel  495. 

Hardin  24,  33. 

V.  Hauer  24. 

Hauer  31,  36. 

Hauy  159,  165,  179. 

Hebberling  37. 

Helm  248. 

Helmholtz  434,  443. 

Hempel  29. 

Henderson  18. 

Henry  315,  346. 

Herapath  186. 

Hermann  25,  26,  30,  36, 
37,  188. 

Herschel  172. 

Hess  252,  255,  275,  278. 

Hibbert  39. 

Hisinger  25. 

Hittorf  387,  388,  391. 

van't  Hoflf  141,  142,  190, 
192,  193,  197,  209, 
231,  242,  311,  336, 
406,  414,  417,  445. 

Hofmann  63,  237. 

Höglund  39. 

Horstmann  348,  363. 

Howland  36. 

Huntington  24. 

Jacobi  453. 
Jacquelain  30,  32,  39. 
Jahn  435. 
Javal  27. 
Jegel  25. 


Ingenhouss  483. 
Joly  28,  32,  34,  90. 
Jones  24,  26. 
Jörgensen  33. 
Joule  87,  188,  378. 
Isambert  347. 
Jungfleisch  371. 

Kämpe  31. 
Karsten  186. 
Keiser  18,  32. 
Kekul^  2a7,  238,  239. 
Keller  32. 
Kessler  26. 
Kestner  235. 
Kirchhoff  484,  486,  517. 
Klaproth  179. 
Klatzo  23. 
Kobbe  33. 
Kohlrausch  380, 383, 386, 

388,  407. 
Kolbe  238. 
Konowalow  326. 
Kopp  104, 105, 117, 127, 

128,    129,    135,    186, 

188,  262. 
Kralowanszky  30. 
Kremers  43. 
Krüss  28,  37. 
Kundt  93,  95. 

Laar  244. 
Lagerhjelm  38. 
Lamb  32. 
Lamy  37. 

Landolt  4, 133, 135, 136. 
Laplace  252. 
Laurent  25,  236,  237. 
Laurie  28. 
Lavoisier  252. 
Le  Bei  141,  142. 
Le  Blanc  476,  477. 
Lecocq  de  Boisbaudran 

27. 
Leduc  18. 
Lee  29. 
Lefort  26. 
Lehmann  184. 
Leidie  32. 
Lenssen  24. 
Lepierre  37. 
Le  Roy  er  186. 
Level  28. 
Liebig  15,  24,  29,  229, 

234,  236,  483,  518. 
Liechti  31. 


Linde  100.. 
Lippmann  432. 
Loren tz,  H.  133. 
Lorenz,  L.  133. 
Lorimer  24. 
Louyet  27. 
Löwe  38. 
de  Luca  27. 
Luther  462. 

Maas  31. 
Magnus  58. 
Mallet  22,  28,  30. 
Marchand  15, 17,  24,  27, 

29,  30,  33,  34,  62. 
Marignac  19,  23,  24,  25, 

26,  27,  28,  29,  30,  31, 

36,  38,  39. 
Marum  55. 
Mathias  110. 
Maumenö  27. 
Maxwell  80. 
Mayer,  J.  R.  85,  86,  87, 
•    483. 

Meinecke  15,  26,  41. 
Mendelejew  15,  43,  46, 

97,  149,  224. 
Menschutkin  534. 
Meyer,  L.   15,  43,  44, 

224,  225. 
Meyer,  0.  E.  81. 
Meyer,  V.  64,  75. 
Milien  28,  29,  33. 
Mitscherlich    180,    182, 

350,  518. 
Möbius  165. 
Moberg  26. 
Morley  18. 
Morse  24,  39. 
Mulder  39. 

Natterer  55,  107. 
Nernst   194,    198,   272, 

353,   393,    414,   443, 

445,  449. 
Neumann  169, 188,  262. 
Newlands  43. 
Newton  92,  132. 
Nilson  23,  26,  34,  37 

38,  189. 
Nordenfeldt  30. 
Norlin  26. 
Noyes  18. 

Ohm  200. 
Oersted  55. 


538 


Namen  -  Register. 


Ostwald  368,  393,  404, 

407,   419,   421,  425, 

444,   460,   490,  610, 
515,  523. 

Parker  31. 

Parrot  197. 

Partridge  24. 

Pasteur  140. 

P^an  de  St.  Gilles  365, 

523. 
Pebal  74. 
Peligot  37. 
Pelouze  20,  23,  31,  32, 

35,  36. 
Pennington  38. 
Penny  21,  25,  31,  35. 
Perkin  144. 
Peters  462. 
Petit  188,  220. 
Pettersson  23, 26, 34, 189. 
Pfeffer  192,  197,  496. 
Pfeifer  22. 
V.  d.  Pfordten  31. 
Piccard  33. 
Pictet  99. 
Pierre  37. 

van  der  Plaats  29,  32,  39. 
Poggendorff  431. 
Pollard  31. 
Popper  22. 
Pribram  156. 
Priestley  483. 
Prout  15,  41. 
Pulfrich  132. 

Rammeisberg  25. 
Ramsay  22,  23,  28,  29, 

32,  38,  39,  104,  117, 

149   231. 
Raoult  201,  207,  317. 
Ramson  26. 
Rayleigh  18,  22,  380. 
Redtenbacher  15,  29. 
Regnault  18, 36,  55, 188, 

259. 
Reich  28. 
Rellstab  156. 
Remmler  29. 
Reynolds  39. 
Richards  16,  18,  23,  29, 

30,31,32,36,39,357. 
Richter  28. 
Richter,  J.  B.  42. 
Rimbach  23. 
Ritter  464,  468. 


Rivot  27. 
Robinson  25. 
Rodger  156. 
Rogers  39. 
Roozeboom  359. 
Roscoe  29,  38,  354,  495, 

496. 
Rose  32,  36,  37,  407. 
Rothoff  29. 
Rowland  254. 
Rudberg  58. 
Rudolphi  406. 
Rüdorff  207. 
Rumford  97,  252,  258. 
Rüssel  29. 


Saac  34. 

Scheele  26,  483. 

Scheerer  30. 

Scheibler  38. 

Schiel  35. 

Schiff  149. 

Schneider  22,29,31,38. 

Schrauf  134. 

Schröder  187,  188. 

Schrötter  32,  33. 

Schnitze,  J.  H.  483. 

Schützenberger  25. 

Scott  18,  31. 

Sefström  33. 

Senebier  483. 

Seubert  28,  31,  32,  33. 

Setschenow  317. 

Shaw  29. 

Shields  149. 

Siewert  26. 

Silbermann  253,  258. 

Smale  459. 

Smith  24,  31,  32,  38. 

Sohncke  165. 

Sommaruga  29. 

Stahl  522. 

Stas  15,  18,  19,  20,  23, 

24,  25,  28,  29, 30,  31, 

34,  35,  36,  41. 
Staudenmayer  36. 
Stefan  146,  485. 
Steno  158. 
Stohmann  253,  259,  283, 

288,  289. 
Stromeyer  24,  26,  35,  36. 
Struve  31,  34. 
Svanberg  26,  30,  31,  33. 

Thiele  29. 
Thilorier  99. 


Thomsen  18,  253,  257, 

258,  261,  508,  523. 
Thomson  41,  174. 
Thorpe  28,  35,  37,  156. 
Tisßier  22,  510. 
Travers  38. 
Troost  30,  63,  75. 
Trouton  231. 
Turner  15, 23, 33,  34,35. 

Valson  215. 
Vauquelin  30. 
Vieille  258. 
Vlandeeren  39. 
Vogel,  H.  W.  501. 
Volta  430,  463,  468. 
Vorce  31. 

van  der  Waals  83,  112, 

115,  116,  117. 
Waage  290,  523. 
Wackenroder  26. 
Waddell  38 
Wald  374. 
Warburg  95. 
Warder  299. 
Weber  189. 
Weeren  23,  31. 
Weibull  39. 
Weiss  159. 
V.  Welsbach  26. 
Welter  93. 
Wenzel  291,  301. 
Werther  37. 
Wertheim  37. 
Weselski  29. 
Westen  432. 
Wheatstone  383. 
Wiedemann  350. 
Wildenstein  26. 
Wilhelmy  292,  295,  303. 
Williamson  229, 237,382. 
Wills  36. 

Winkler  27,  28,  29. 
Wislicenus  242. 
Wöhler  234,  236. 
Wolf  25. 

WoUaston  132,  483. 
Wüllner  200. 
Wundt  73. 
Würtz  237. 

Young35,  104,117,147. 

Zettnow  38. 
Zimmermann  29,  37. 
Zschiesche  26. 


Sach  -  Register. 


Thch.  D.  =  Thermochemisclie  Daten.  —  V.  G.  =  Verbindungsgewicht. 


A. 

Abscissen  51. 

Absolute  Temperatur  53. 

Absolute  Temperatur  Skala  126. 

Absorption  484. 

Absorptionsbanden  489. 

Absorptionskoeffizient  315,  484. 

Absorptionsspektren  488. 

Achsensysteme  159. 

Additive  Eigenschaften  47. 

Adiabatische  Vorgänge  92. 

Adsorption  338. 

Affinitätseigenschaften  der  Stoffe  521. 

Affinitätskoeffizienten,  spezifische  523. 

Affinitätsmessung,  thermochemische 
508. 

Affinitätsmessung,  volumchemische 
510. 

Akkumulator  478. 

Aktive  Krystalle  172. 

Aldehyd,  Thch.  D.  287. 

Alkohol,  Thch.  D.  286. 

AUotrope  Form  und  Löslichkeit  328. 

Allotropie  182. 

Aluminium,  Thch.  D.  270. 

Aluminium,  V.  G.  21. 

Amalgame,  Thch.  D.  272. 

Ammoniak,  Thch.  D.  266. 

Ammonium,  Thch.  D.  269. 

Ammoniumsulf hydrid ,  Gleichgewicht 
347. 

Amorphe  Stoffe  157. 

Analyse,  physikal.  Methoden  dess.  506. 

Analytische  Chemie,  Gleichgewichts- 
lehre in  ders.  415. 

Analytische  Reaktionen  427. 

Anion,  Einfluss  dess.  auf  die  Span- 
nung 449. 

Anionen  217,  382. 

Anionen,  einwertige  und  mehrwertige 
394. 

Anode  448. 

Anode,  wesentliche  Reaktionen  an  ders. 
438. 

Antimon,  Thch.  D.  267. 


Antimon,  V.  G.  22. 

Antimonchlorid,  Thch.  D.  267. 

Antimonchlorür,  Thch.  D.  267. 

Antimonoxyd,  Thch.  D.  267. 

Antimonpentoxyd,  Thch.  D.  267. 

Apparate  und  Methoden,  thermoche- 
mische 257. 

Arbeit  5. 

Arbeit  und  Wärme  85. 

Arbeitswert  einer  Kalorie  87. 

Argon,  V.  G.  22. 

Aromatische  Verbindungen,  Thch.  D. 
288 

Arsen,  Thch.  D.  267, 

Arsen,  V.  G.  23. 

Arsenbromür,  Thch.  D.  267. 

Arsenchlorür,  Thch.  D.  267. 

Arsenige  Säure,  Thch.  B.  267. 

Arsenjodür,  Thch.  D.  267. 

Arsensäure,  Thch.  D.  267. 

Arsenwasserstoff,  Thch.  D.  267. 

Asymmetrische  Klasse  161. 

Asymmetrisches  Kohlenstoffatom  141. 

Äther,  Thch.  D.  287. 

Ätherbildung  518. 

Äthylenreihe,  Thch.  D.  286. 

Atomgewicht  11. 

Atomhypothese  10,  233. 

Atomrefraktionen  135,  137. 

Atomverbindungen  241. 

Atomvolum  225. 

Atomvolume  der  Elemente  128. 

Atomwärme  188,  220. 

Aufladung  der  Ionen  474. 

Ausdehnung  der  Flüssigkeiten  durcii 
die  Wärme  96. 

Ausdehnungskoeffizient  der  Gase  49. 

Ausdehnungsmodulus  97. 

Axen  51. 

B. 

Baryum,  Thch.  D.  269. 

Baryum,  V.  G.  23. 

Basen,  Dissociations wärme  ders.  278. 

Basizität,  Bestimmung  ders.  407. 


540 


Sach- Register. 


Begrenzte  Löslichkeit  324. 

Benzol,  Thch.  D.  288. 

Benzoyl  236. 

Berührungswirkungen  516. 

Beryllium,  V.  G.  23. 

Bestandteile  7,  306. 

Bestandteile,  gemeinsame  319. 

Bewegungsenergie  3,  247. 

Bildungswärme  256,  263. 

Bildungswärme  der  Ionen  281. 

Bildungswärme  des  Wassers  aus  den 
Ionen  276. 

Binnendruck  146. 

Bipyramidale  Klasse  161,  162. 

Bisphenoidische  Klasse  161. 

Bläschen,  Bildung  ders.  in  Flüssig- 
keiten 318. 

Blei,  Tchh.  D.  273. 

Blei,  V.  G.  23. 

Bleisammler  478. 

Bombe,  kalorimetrische  258. 

Bor,  Thch.  D.  267. 

Bor,  V.  G.  23. 

Borchlorid,  Thch.  D.  267. 

Bortrioxyd,  Thch.  1).  267. 

Brechungskoeffizient  131. 

Brechungskonstante  132. 

Brom,  Thch.  D.  264. 

Brom,  V.  G.  23. 

Bromjod,  Thch.  D.  264. 

Bromsäure,  Thch.  D.  264 

Bromsilbergelatineplatten  500. 

Bromwasserstoff,  Thch.  D.  264. 

C. 

Cadmium,  Thch.  D.  271. 

Cadmium,  V.  G.  24. 

Calcium,  Thch.  D.  270. 

Calcium,  V.  G.  24. 

CarbaminBauresAmmon,Gleichgew.348. 

Carbonylchlorid,  Thch.  D.  267. 

Carbonylsulfid,  Thch.  D.  267. 

Camotscher  Kreisprozess  122. 

Cäsium,  V.  G.  24. 

Cerium,  V.  G.  25. 

Chemische  Energie  247,  249. 

Chemische  Energie,  Umwandlung  aus 
strahlender  Energie  482. 

Chemische  Mechanik  289. 

Chemische  Strahlen  498. 

Chemische  Typen  237. 

Chemische  Wirkung  des  Lichtes  493. 

Chemisches  Gleichgewicht  des  Jod- 
wasserstoffs 341. 

Chemisches  Individuum,  Kennzeich- 
nung eines  374. 


Chemisches  Potential  250,  319. 
Chlor,  Thch.  D.  263. 
Chlor,  V.  G.  20,  25. 
Chlorammonium,  Dampfdichte  74. 
Chloijod,  Thch.  D.  264. 
Chlorknallgas  494. 
Chlorsäure,  Thch.  D.  264. 
Chlorsilber,  Löslichkeit  dess.  451. 
Chlorwasserstoff,  Thch.  D.  263. 
Chrom,  V.  G.  25. 
Coulomb  378. 
Cyan,  Thch.  D.  267. 
Cyanwasserstoff,  Thch.  D.  267. 

D. 

Dampf  98. 

Dampf  dichte,  Bestimmung  62. 

Dampfdichten,  abnorme  73. 

Dampfdruck  99. 

Dampfdruck  und  Oberflächenspannung 
152. 

Dampfdrucke  von  Gemengen  321. 

Dampfdrucke  von  Lösungen  200. 

Dampfdruckformel  102. 

Dampf druckgleichung  125. 

Dampfdruckverminderung,  molekulare 
201. 

Dampfdruckverminderung,  relative200. 

Dämpfe,  gesättigte  101. 

Dämpfe  und  Gase,  leuchtende,  Spek- 
tren ders.  487. 

Daniellkette,  Einfluss  der  Verdünnung 
449. 

Daniellsche  Kette  432. 

Dialyse  197. 

Dichte  und  Volum  der  Gase  59. 

Didym,  V.  G.  26. 

Diffusion  194. 

Diffusion  der  Elektrolyte  198. 

Diffusion  der  Gase  81. 

Diffusionskonstante  195. 

Dihexagonal- bipyramidale  Klasse  162. 

Dihexagonal-pyramidale  Klasse  162. 

Diosmose  197. 

Dispersionsformel  134. 

Dissociation,  elektrolytische,  Grad  ders. 
390. 

Dissociation  der  Salze  in  Lösungen  214. 

Dissociation  des  Wassers  401,  460. 

Dissociationsdruck  348,  350. 

Dissociationskonstante  404. 

Dissociationskonstanten  organischer 
Säuren  524. 

Dissociationswärme  der  Basen  278. 

Dissociationswärme  der  Säuren  278. 

Distanzenergie  6,  247. 


I 


Sach-Register. 


541 


Di tetragonal- bipyramidale  Klasse  161. 

Ditetragonal -pyramidale  Klasse  161. 

Ditrigonal -bipyramidale  Klasse  162. 

Ditrigonal-pyramidale  Klasse  162. 

Ditrigonal -skalenoedrische  Klasse  162. 

Domatische  Klasse  161. 

Doppelbildung  am  Kohlenstoff,  Re- 
firaktionswert  ders.  136. 

Doppelsalze  416. 

Doppelsalze,  Gleichgewicht  369. 

Drehspiegelung  160. 

Drehung  160. 

Drehung  der  Polarisationsebene  138. 

Drehvermögen,  molekulares  139. 

Dreh  vermögen,  spezifisches  138. 

Dreiachsige  Krystalle  163. 

Dreifache  Punkte  176,  179. 

Druck  247. 

Druck,  Einflnss  dess.  auf  die  Löslich- 
keit 332. 

Druck,  Einfluss  dess.  auf  die  poly- 
morphe Umwandlung  183. 

Druck,  Einfluss  dess.  auf  den  Zer- 
setzungsgrad 308. 

Druck,  Einheit  54. 

Dmck,  Verhalten  der  Gase  55. 

Druck,  Verbrennungswftrmen  bei  kon- 
stantem 285. 

Druck,  kritischer  110. 

Druckkoeffizient  der  Gase  49. 

Dyakisdodekaedrische  Klasse  162. 

Dynamik,  chemische  290. 

E. 

Eigenschaften  1. 

Eigenschaften,  besondere  und  allge- 
gemeine  506. 

Einachsige  Krystalle  (optisch)  170. 

Einachsige  Krystalle  163. 

Einzelspannungen  463. 

Eis,  Dampf drucklinie  178. 

Eis,  Einfluss  des  Druckes  auf  den 
Schmelzpunkt  175. 

Eisen,  V.  G.  26. 

Eisen,  Thch.  D.  271. 

Elastizität  157. 

Elektrische  Energie,  Entstehung  in  der 
Kette  433. 

Elektrische  Energie,  Quelle  ders.  430. 

Elektrische  u.  magnetische  Energie  247. 

Elektrizitätsmenge  376. 

Elektrochemie  250,  375. 

Elektrochemische  Theorie  234. 

Elektroden  380. 

Elektroden,  absoluter  Wert  der  Span- 
nung an  dens.  467. 


Elektroden,  unpolarisierbare  477. 

Elektroden,  Vorgänge  aus  dens.  473. 

Elektrolyse  470. 

Elektrolyte  214,  379. 

Elektrolyte,  Diffusion  ders.  198. 

Elektrolyte,  Zerfall  mehrwertiger  in 
Ionen  408. 

Elektrolyte,  Messung  der  Leitfähig- 
keit 383. 

ElektrolytischeBehandlungorganischer 
Verbindungen  474. 

Elektrolytische  Dissociation,  Grad  ders. 
390. 

Elektrolytische  Gleichgewichte  400. 

Elektromagnetische  Strahlung  491. 

Elektrometer  432. 

Elektromotorische  Kraft  376. 

Elemente  7,  12. 

Elemente,  periodisches  System  43. 

Elemente,  typische  227. 

Emission  484. 

Emissionskoeffizient  484. 

Enantiomorphe  Krystalle  173. 

Enantiotrope  Stoffe  184. 

Energetik,  allgemeine  245. 

Energie,  Definition  246. 

Energie,  elektrische,  Entstehung  in 
der  Kette  433. 

Energie,  Erhaltung  ders.  6,  86. 

Energie,  strahlende  480. 

Energie ,  Vernutzungserscheinungen 
ders.  199. 

Energiearten  247. 

Entladung  der  Ionen  474. 

Entwickelung  der  Lichtbilder  483. 

Entwickelung,  photographische,  Theo- 
rie ders.  500. 

Enzyme  520. 

Erbium,  V.  G.  27. 

Erstarren  174. 

Ester,  Thch.  D.  287. 

Esterbildung,  Gleichgewicht  dabei  365. 

Eutektischer  Punkt  333,  357. 

F. 

Faraday,  Gesetz  378. 

Faradaysche  Konstante  380. 

Farbe  der  Salze  490. 

Fermente  520. 

Feste  Körper,  Molekularvolum  186. 

Feste  Körper,  optische  Eigenschaften 
169. 

Feste  Lösungen  231,  336. 

Feste  Phasen  beim  chemischen  Gleich- 
gewicht 312. 

Feste  Stoffe  156. 


542 


Sach-Register. 


Feste  Stoffe,  zwei,  Gleichgewicht  ders. 
332. 

Feste  Stoffe,  Lösungen  in  Flüssig- 
keiten 327. 

Feste  Stoffe,  Volume  ders.  185. 

Feste  Stoffe,  spez.  Wärme  ders.  188. 

Fettsäuren,  Thch.  D.  287. 

Fixierverfahren,  chemisches  505. 

Flächenenergie  247. 

Fliessen  fester  Körper  157. 

Fluor,  Thch.  D.  264. 

Fluor,  V.  G.  27. 

Fluorwasserstoff,  Thch.  D.  264. 

Flüssige  Phasen  beim  chemischen 
Gleichgewicht  312. 

Flüssige  Stoffe,  Volumverhältnisse  ders. 
127. 

Flüssigkeiten,  allgemeine  Eigenschaf- 
ten 96. 

Flüssigkeiten,  Ausdehnung  durch  die 
Wärme  96. 

Flüssigkeiten,  homogene,  Molekular- 
gewicht ders.  150. 

Flüssigkeiten,  Lösungen  ders.  in  Flüs- 
sigkeiten 320. 

Formeln,  chemische  14. 

Formenergie  157. 

Fortführung  199. 

Freiheiten  307. 

G. 

Gadolinium,  V.  G.  27. 

Gallium,  V.  G.  27. 

Galvanoplastik  471. 

Galvanostegie  471. 

Gas,  ideales  55. 

Gase,  allgemeine  Eigenschaften  ders.  47. 

Gase,  Isothermen  ders.  109. 

Gase,  Kaumgesetz 

Gase,  kinetische  Theorie  ders.  76. 

Gase,  Verflüssigung  ders.  99. 

Gase,  Wärmeerscheinungen  ders.  83. 

Gase  und  Dämpfe,  leuchtende,  Spek- 
tren ders.  487. 

Gasgesetz  54. 

Gasketten  455,  458. 

Gasphase  beim  chemischen  Gleichge- 
wicht 312. 

Gefriermethode,  Molekulargewichtsbe  - 
Stimmung  nach  ders.  208. 

Gefrierpunkte  von  Lösungen  207. 

Gemenge,  konstant  siedende  323. 

Germanium,  V.  G.  27. 

Geschwindigkeit,  chemische  291. 

Geschwindigkeit  der  Reaktionen  503. 

Geschwindigkeitskoeffizienten  302. 


Gewicht,  Erhaltung  dess.  4. 

Gitterspektrum  487. 

Glaubersalz,  Schmelzung  dess.  356. 

Gleichgewicht,  chemisches  304. 

Gleichgewicht  zweier  fester  Stoffe  332. 

Gleichgewichte,  diemische,  zweiter 
Ordnung  313. 

Gleichgewichte,  elektrolytische  400. 

Gleichgewichte,  indifferente  306. 

Gleichgewichte  der  Ionen  400. 

Gleichgewicht  von  vier  Ionen  420. 

Gleichgewichte,  kondensierte  356. 

Gleichgewichte,  labile  306. 

Gleichgewichte  erster  Ordnung  306, 307. 

Gleichgewichte  zweiter  Ordnung  306. 

Gleichgewicht  zweiter  Ordnung,  all- 
gemeinster Fall  dess.  340. 

Gleichgewichte  höherer  Ordnung  360. 

Gleichgewichte,  stabile  306. 

Gleichgewichte,  wirkliche  und  schein- 
bare 305. 

Gleichgewichtsisotherme  309. 

Gleichgewichtskonstante,  Änderung  mit 
der  Temperatur  344. 

Gold,  Thch.  D.  273. 

Gold,  V.  G.  27. 

Grenzgesetze  54. 

Grenzwinkel  148. 

Grundgesetze,  stöchiometrische  1. 

Gruppen,  isomorphe  181. 

H. 

Halbdurchlässige  Wände  191. 
Hauptsatz,  erster,  der  Wärmetheorie  83. 
Hauptsatz,  zweiter  118,  121. 
Helium,  V.  G.  28. 
Heterogenes  Gebilde,  Reaktionen  eines 

301. 
Hexakisoktaedrische  Klasse  162. 
Hexakistetraedrische  Klasse  162. 
Homologe  Reihen,  Verbrennungswärme 

283. 
Homöomorphie  180. 
Hydrolyse  423. 

Hydroxylamin,  Thch.  D.  266. 
Hydroxylionen  395. 
Hyperbel  89. 
Hypothesen  10. 

I. 

Idealer  Kettenzustand  435. 
Indifferente  Gleichgewichte  306. 
Indikatoren  425. 
Individuen,  chemische  1,  374. 
Indium,  V.  G.  28. 


Sach-Register. 


543 


Induktion  2. 

Induktion,  photochemische  496. 

Inkonstante  Kette  436. 

Intensitätsgrössen  248. 

Inversion  des  Rohrzuckers  295. 

Jod,  Thch.  D.  264. 

Jod,  V.  G.  28. 

Jod,  Dampfdichte  75. 

Jodsäure,  Thch.  D.  264. 

Jodwasserstoff,  Thch.  D.  264. 

Jodwasserstoff,  chemisches  Gleichge- 
wicht dess.  341. 

Ionen  217,  381. 

Ionen,  Aufladung  ders.  474. 

Ionen,  Bildungswärme  ders.  281. 

Ionen,  Eigenschaften  ders.  391. 

Ionen,  Entladung  ders.  474. 

Ionen,  Leitfähigkeit  ein  Gruppen- 
reagens auf  dies.  514. 

Ionen,  Nachweis  ders.  513. 

Ionen,  Thermochemie  ders.  274. 

Ionen,  Vorgänge  zwischen  dens.  303. 

Ionen ,  Wanderungsgeschwindigkeit 
ders.  386,  397. 

Ionen,  Zusammensetzung  ders.  393. 

lonenhildung,  Tendenz  zu  ders.  532. 

lonenisomerie  398. 

lonenreaktionen  437. 

loule  88,  253. 

Iridium,  V.  G.  28. 

Isohydrische  Lösungen  412. 

Isomerie  234,  235. 

Isomerie  der  Ionen  398. 

Isomorphe  Gemenge  416. 

Isomorphe  Gruppen  181. 

Isomorphie  179,  220. 

Isothermen  der  Gase  109. 

Isotrope  Krystalle  163,  170. 

E. 

Kalium,  V.  G.  20,  28. 

Kalium,  Thch.  D.  268. 

Kalorie  253. 

Kalorie,  Arbeitswert  einer  87. 

Kalorie,  absolutes  Mass  88. 

Kalorimeter  257. 

Kalorimetrische  Bombe  258. 

Kapazitätsgrössen  248. 

Katalysatoren  303,  515. 

Katalyse  514. 

Katalyse,  Gesetze  ders.  518. 

Kathode  448. 

Kathode,  wesentl.  Reaktion  an  ders.  438. 

Kationen  217,  38L 

Kationen,  einwertige  394. 

Kationen,  zweiwertige  394. 


Kationen,  dreiwertige  394. 

Kette,   Entstehung    der   elektrischen 

Energie  in  ders.  433. 
Kette,  konstante  umkehrbare  436. 
Kette,    chemische  Vorgänge  in  ders. 

437. 
Kette  mit  schwerlöslicheren  Salzen  450. 
Ketten  mit  einer  komplexen  Verbin- 
dung 452. 
Kilojoule  253. 
Kinetik,  chemische  291. 
Kinetische  Theorie  der  Gase  76. 
Kobalt,  Thch.  D.  271. 
Kobalt,  V.  G.  29. 
Koexistenz,  Prinzip  ders.  301. 
Kohlehydrate,  Thch.  D.  286. 
Kohlendioxyd,  Isothermen  108. 
Kohlenoxyd,  Thch.  D.  267. 
Kohlensäure,  Thch.  D.  267. 
Kohlenstoff,  Thch.  D.  267. 
Kohlenstoff,  V.  G.  29. 
Kohlenstoff,    dreifache    Bindung    an 

dems.  136. 
Kohlenstoff,  Doppelbindung  an  dems., 

Refraktionswert  ders.  136. 
Kohlenstoff,  vierwertig  238. 
Kohlenstoffatom,  asymmetrisches  141. 
Kohlenstofftetrachlorid,  Thch.  D.  267. 
Kohlenstoffkette,  technische  Bedeutung 

463. 
Kohlenwasserstoff,  Thch.  D.  285. 
Kolligative  Eigenschaften  73,  228,  230. 
Kolligative  Eigenschaften   bei  reinen 

Flüssigkeiten  231. 
KoUodionverfahren  499. 
KoUoidstoffe  196,  339. 
Komplexe  Verbindung  429. 
Komplexe   Verbindung,    Ketten    mit 

einer  452. 
Kondensationen  520. 
Kondensierte  Gleichgewichte  356. 
Kondensierte  Typen  237. 
Konjugierte  Elektrolyte  422. 
Konstitution  105,  229. 
Konstitutive  Eigenschaften  106. 
Konvektion  199. 

Konzentration,  Einheit  ders.  295. 
Konzentrationsketten  442. 
Konzentrationsketten  mit  Überführung 

444. 
Koordinatensystem  51. 
Kraft  5. 

Kreisprozess,  Carnotscher  122. 
Kreisprozess,  umkehrbarer  120. 
Kritische  Erscheinungen  107. 
Kritische  Grössen  einiger  Stoffe  112. 


544 


Sach-Register. 


Kritische  Konzentration  325. 
Kritischer  Lösungspunkt  325. 
Kritischer  Punkt  110,  116. 
Kryohydratischer  Punkt  333. 
Krypton,  V.  G.  29. 
Krystallarten  160. 
Kry  stalle  158. 

Kry stalle,  optisch  aktive  172. 
Krystalle,  einachsige  163. 
Krystalle,  dreiachsige  163. 
Krystalle,  enantiomorphe  173. 
Krystalle,  isotrope  163. 
Krystallinische  Stoffe  157. 
Krystalloidstoffe  196. 
Kry  Stallstruktur,  Theorien  ders.  165. 
Kupfer,  Thch.  D.  272. 
Kupfer,  V.  G.  29. 

Lahile  Gleichgewichte  306. 

Labile  Zustände  114,  312. 

Labiles  Gebiet  177. 

Lanthan,  V.  G.  30. 

Leitfähigkeit  382. 

Leitfähigkeit,  äquivalente  383. 

Leitfähigkeit  der  Elektrolyte,  Messang 
ders.  383. 

Leitfähigkeit  ist  ein  Gruppenreagens 
auf  Ionen  514. 

Leitfähigkeit,  molekulare  383. 

Leitung,  elektrolytische  381. 

Licht,  chemische  Wirkung  dess.  493. 

Lichtbrechung  in  Flüssigkeiten  131. 

Lichtempfindlichkeit  493. 

Lithium,  Thch.  D.  269. 

Lithium,  V.  G.  21,  80. 

Löslichkeit,  begrenzte  324. 

Löslichkeit,  Bestimmung  ders.  327. 

Löslichkeit  des  Chlorsilbers  451. 

Löslichkeit,  Einfluss  des  Druckes  auf 
dies.  382. 

Löslichkeit  allotroper  Formen  328. 

Löslichkeit,  Messung  mittelst  Leit- 
fähigkeit 407. 

Löslichkeit  schwerlöslicher  Stoffe  451. 

Löslichkeit,  Zusammenhang  mit  der 
Lösungswärme  331. 

Löslichkeitskoeffizienten  315. 

Löslichkeitsprodukt  427. 

Lösungen  313. 

Lösungen,  Dampfdrucke  ders.  200. 

Lösungen,  Dissociation  der  Salze  in 
dens.  214. 

Lösungen,  feste  231. 

Lösungen  von  Flüssigkeiten  in  Flüs- 
sigkeiten 320. 


Lösungen  in  Gasen  314. 

Lösungen  von  Gasen  in  Flüssigkeiten 

315. 
Lösungen,  Gefrierpunkte  ders.  207. 
Lösungen,  isohydrische  412. 
Lösungen,  konzentrierte,  Bestimmung 

der  wirksamen  Menge  ders.  346. 
Lösungen  fester  Stoffe  in  Flüssigkeiten 

327. 
Lösungen,  übersättigte  328. 
Lösungen,  verdünnte  189. 
Lösungsdruck  446. 
Lösungsgleichgewicht  370. 
Lösungslinien  330. 
Lösungswärme ,     Zusammenhang    mit 

der  Löslichkeit  331. 
Luft,  flüssige  100. 

M. 

Magnesium,  Thch.  D.  270. 

Magnesium,  V.  G.  30. 

Magnetische  und  elektrische  Energie 
247. 

Magnetische  Drehung  der  Polarisa- 
tionsebene 144 

Mangan,  Thch.  D.  270. 

Mangan,  V.  G.  31. 

Manometer  247. 

Masse  3. 

Masse,  Erhaltung  ders.  249. 

Massenwirkung,  Gesetz  ders.  292. 

Materie  246. 

Materie,  Beständigkeit  ders.  3. 

Mechanik,  chemische  289. 

Mechanochemie  251. 

Menge,  wirksame  321. 

Messinstrumente,  Theorie  ders.  248. 

Metalle  13. 

Metalle,  Spannungen  ders.  468. 

Metalle,  Spannungen  zwischen  dens. 
467. 

Metalle,  Thermochemie  ders.  268. 

Metamerie  235. 

Metastabile  Zustände  114,  312. 

Metastabiles  Gebiet  177. 

Metastabiles  Gebiet  bei  Lösungen  329. 

Methan,  Thch.  D.  267. 

Methanreihe,  Kohlenwasserstoffe  ders. 
285. 

Methode,  volumchemische,  Aiflnitäts- 
messung  510. 

Methoden,  thermochemische  253. 

Methoden  und  Apparate,  thermoche- 
mische 257. 

Mischkrystalle  180. 

Moduln  215. 


Sach- Register. 


545 


Mol  70.  ' 

Molekeln,  Dimensionen  ders.  82. 

Molekeln,  Durchmesser  ders.  151. 

Molekeln,  Gesamtraum  ders.  81. 

Molekeln,  Querschnitte  ders.  81. 

Molekulare  Dampfdruckverminderung 
201. 

Molekularre£raktion  135. 

Molekulargewicht,  Bestimmung  dess. 
auf  die  Siedemethode  202. 

Molekulargewicht  homogener  Flüssig- 
keiten 150. 

Molekulargewichte  61,  229. 

Molekulargewichtsbestimmung  nach  der 
Gefriermethode  208. 

Molekulargewichtsbestimraung,  Metho- 
den ders.  212. 

Molekularhypothese  72,  228. 

Molekularverbindungen  241. 

Molekularvolum  127. 

Molekularvolum  fester  Körper  186. 

Molekularvolum,  kritisches  110. 

Molekularvolum  ungesättigter  Verbin- 
dungen 129. 

Molekularwärmen  von  Gasen  90. 

Molenbruch  321. 

Molybdän,  V.  G.  31. 

Monotrope  StoflFe  184. 

Morphotropie  181. 

Natrium,  Thch.  D.  268. 

Natrium,  V.  G.  21,  31. 

„Natürliche"  Familien  44. 

Nebenprodukte  517. 

Negativ  500. 

Negativierende  Substituenten  525. 

Neodym,  V.  G.  26. 

Neon,  V.  G.  32. 

Neutralisationskette  460. 

Neutralisationswärme  261. 

Nichtmetalle,  Thermochemie  ders.  262. 

Nickel,  Thch.  D.  271. 

Nickel,  V.  G.  32. 

Niobium,  V.  G.  32. 

Normaldruck  51. 

Normalelektrode  467. 

Normalelement  432. 

Normalgas  60. 

Normalgewicht  der  Verbindungen  68. 

Normalgewichte  61,  66. 

Normal temperatur  öl. 

Normalzustand  der  Gase  59. 

0. 

Oberflächenenergie  98. 
Oberflächenenergie,  molekulare  149. 

Ostwald,  Grundriss.  8.  Aufl. 


Oberflächenspannung  145,  147. 

Oberflächenspannung  und  Dampfdruck 
152. 

Oberflächenspannung,  negative  152. 

Oberflächenspannung  des  Quecksilbers, 
Einfluss  der  Polarisation  466. 

Ohm  378. 

Oktaven,  Gesetz  der  43 

Optisch  symmetrische  Formen  140. 

Optische  Achsen  170. 

Optische  Eigenschaften  der  festen 
Körper  169. 

Ordinate  51. 

Ordnung,  Gleichgewichte  erster  306, 
307. 

Ordnung,  Gleichgewichte  zweiter  306, 
313. 

Ordnung,  Gleichgewichte  höherer  360. 

Ordnung,  Reaktionen  zweiter  298. 

Ordnung,  Reaktionen  höherer  300. 

Organische  Verbindungen,  elektroly- 
tische Behandlung  ders.  474. 

Organische  Verbindungen,  Thermo- 
chemie ders.  282. 

Orthochromatische  Photographie  50*2. 

Osmium,  V.  G.  32. 

Osmotischer  Druck  190,  191. 

Oxalsäurereihe,  Thch.  D.  287. 

Oxydation  und  Reduktion,  Begriff 
ders.  455. 

Oxydationsketten  461. 

Oxydationsmittel,   Theorie  ders.  439. 

Oxydationsvorgänge  398. 

Oxydations-  u.  Reduktionsketten  455. 

Oxydations-  und  Reduktionsmittel, 
Spannungsreihe  ders.  469. 

Ozon,  Thch.  D.  263. 

P. 

Paarung  236. 

Palladium,  Thch.  D.  274. 

Palladium,  W.  G.  32. 

Parallelosterismus  187. 

Pen  tagen -ikositetraÖdrischeKlasse  162. 

Periode  482. 

Periodisches  Gesetz  224. 

Periodisches  System  der  Elemente  43. 

Perpetuum  mobile  121. 

Perpetuum  mobile  zweiter  Art  121. 

Phasen  101. 

Phasen,  Vertretbarkeit  ders.  319. 

Phasengesetz  101,  304,  307,  324. 

Phosphoniumjodür,  Thch.  D.  266. 

Phosphor,  Thch.  D.  266. 

Phosphor,  V.  G.  32. 

Phosphorbromid,  Thch.  D.  266. 

35 


V 


546 


Sach- Register. 


Phosphorbromür,  Thch.  D.  266. 

Phosphorchlorid,  Thch.  D.  266. 

Phosphorchlorür,  Thch.  D.  266. 

Phosphorige  Säure,  Thch.  D.  266. 

Phosphorjodür,  Thch.  D.  266. 

Phosphoroxybromid,  Thch.  D.  266. 

Phosphoroxychlorid,  Thch.  D.  266. 

Phosphorpentachlorid,  Dampfdichte  74. 

Phosphorpentachlorid ,  Gleichgewicht 
342. 

Phosphorsäure,  Thch.  D.  266. 

Phosphorwasserstoff,   Thch.  D.  266. 

Photographie  483,  498. 

Photographie,   orüiochromatische  502. 

Photochemie  250,  480. 

Photochemische  Erscheinungen  493. 

Photochemische  Induktion  496. 

Photochemische  Vorgänge  494,  497. 

Pinakoidale  Klasse  161. 

Platin,  Thch.  D.  274. 

Platin,  V.  G.  33. 

Platinierung  von  Elektroden  385. 

Platinotypie  501. 

Polare  Eigenschaften  164. 

Polarisation  383,  470. 

Polarisation,  Einfluss  auf  d.  Ober- 
flächenspannung d.  Quecksilbers  466. 

Polarisation  durch  den  Wasserstoff  472. 

Polarisationsebene,  Drehung  ders.  138. 

Polarisationsebene,  magnetische  Dreh- 
ung ders.  144. 

Polymerie  235. 

Polymorphe  Umwandlung,  Einfluss  des 
Druckes  183. 

Polymorphie  179,  182,  232. 

Positivierende  Substituenten  532. 

Positiv  verfahren,  photographisches  501. 

Potential  376. 

Potential,  chemisches  250. 

Praseodym,  V.  G.  26. 

Primäre  und  sekundäre  Reaktionen  475. 

Prismatische  Klasse  161. 

Proutsche  Hypothese  41. 

Pyramidale  Klasse  161,  162. 

Pyrosulfurylchlorid,   Thch.  D.  265. 


Q. 

Quecksilber,  Thch.  D.  272. 

Quecksilber,  V.  G.  33. 

Quecksilber,  Einfluss  der  Polarisation 

auf  d.  Oberflächenspannung  466. 
Quecksilber,     Zusammendrückbarkeit 

dess.  96. 
Quecksilberdampf  spez.  Wärme  95. 
Querschnitte  der  Molekeln  81. 


R  (Gaskonstante)  absoluter  Wert   71. 
Raceraische  Verbindungen  140. 
Radikaltheorie  236. 
Reaktionen,  analytische  427. 
Reaktionen  zweiter  Ordnung  298. 
Reaktionen  höherer  Ordnung  300. 
Reaktionen,  primäre  und  sekundäre  475. 
Reaktionsgeschwindigkeit  5 1 4. 
Reaktionsgeschwindigkeit,  Einfluss  der 

Temperatur  515. 
Reaktionsgeschwindigkeit,  Gesetz  ders. 

296. 
Reduktion    und    Oxydation,    Begriff 

ders.  455. 
Reduktionsketten  461. 
Reduktionsmittel,  Theorie  ders.  439. 
Reduktions Vorgänge  399. 
Reduktions-  und  Oxydationsketten  455. 
Reduktions-     und    Oxydationsmittel, 

Spannungsreihe  ders.  469. 
Reflexion,  totale  131. 
Refraktionskonstante  gasförmiger 

Stoffe  137. 
Refraktometer  132. 
Reibung  der  Gase  81. 
Reibung,  innere  153. 
Reihen,  stöchiometrische  42. 
Rhodium,  V.  G.  33. 
Rhomboedrische  Klasse  162. 
Rohrzucker,  Inversion  dess.  295. 
Rotation,  spezifische  144. 
Rubidium,  V.  G.  33. 
Ruthenium,  V.  G.  33. 

S. 

Salpetersäure,  Thch.  D.  266. 
Salpetrige  Säure,  Thch.  D.  266. 
Salzbildung  277. 

Salzbildung,  Thermochemie  ders.  274. 
Salzbildungskette  460. 
Salze  391. 

Salze,  Dissociation  ders.  i. Lösungen  214. 
Salze,  Farbe  ders.  490. 
Salze,  neutrale,  Leitfähigkeit  ders.  385. 
Salze,  wasserhaltige,  Verwitterungser- 
scheinungen ders.  350. 
Salzlösungen  214. 
Samarium,  V.  G.  34. 
Sammler,  elektrischer  478. 
Sättigung  327. 
Sauerstoff,  Thch.  D.  263. 
Sauerstoffelektrode  459. 
Sauerstoff- Wasserstoffkette  461. 
Säuren,  Dissociationswänne  ders.  278. 
Scandium,  V.  G.  34. 


Sach -Register. 


547 


Schallgeschwindigkeit  92. 

Schmelzen  174. 

Schmelzen  der  festen  StoflFe  unter  der 

Lösung  335. 
Schmelzpunkt  t^25. 
Schmelzpunkt,  Einfluss  des  Druckes 

auf  dens.  bei  Eis  175. 
Schmelzwärme  174« 
Schwarzer  Körper,  Strahlung  eines  485. 
Schwefel,  Thch.  D.  265. 
Schwefel,  V.  G.  20,  34. 
Schwefel,  Dampfdichte  75. 
Schwefel,  Polymorphie  182. 
Schwefelbromür,  Thch.  D.  265. 
Schwefelchlorür,  Thch.  D.  265. 
Schwefeldioxyd,    Verbindungen    dess. 

mit  Wasser  359. 
Schwefelige  Säure,  Thch.  D.  265. 
Schwefelkohlenstoff,  Thch.  D.  267. 
Schwefelsäure,  Thch.  D.  265. 
Schwefelsäurebildung  516. 
Schwefelwasserstoff,  Thch.  D.  265. 
Schwerpunkt,  Erhaltung  dess.  249. 
Schwingungsdauer  481. 
Schwingungszahl  482. 

Sekundäre  und  primäre  Reaktionen  475. 

Selen,  Thch.  D.  265. 

Selen,  V.  G.  34. 

Selenchlorür,  Thch.  D.  265. 

Selenige  Säure,  Thch.  D.  265. 

Selensäure,  Thch.  D.  265. 

Selenwasserstoff,  Thch.  D.  265. 

Selentetrachlorid,  Thch.  D.  265. 

Siedemethode,  Bestimmung  des  Mole- 
kulargewichts auf  dies.  202. 

Siedepunktsgesetze  104. 

Silber,  Thch.  D.  273. 

Silber,  V.  G.  19,  34. 

Silbersalze,  Spannung  ders.  454. 

Silicium,  Thch.  D.  268. 

Silicium,  V.  G.  35. 

Skalenoedrische  Klasse  161. 

Spaltung  racemischer  Formen  141. 

Spannung  376. 

Spannung,  Einheit  ders.  378. 

Spannung,  elektr.,  Messung  ders.  431. 

Spannung,  Temperaturkoeffizient  ders. 
435. 

Spannung,  absoluter  Wert '  ders.  an 
den  Elektroden  467. 

Spannungen  zwischen  den  Metallen  467. 

Spannungsreihe,  Gesetz  ders.  464. 

Spannungsreihe  der  Oxydations-  und 
Reduktionsmittel  ders.  469. 

Spektra,  allgem.  Gesetze  für  dieß. 
482. 


Sphenoidische  Klasse  161. 
Spiegelung  160. 
Stabile  Gleichgewichte  306. 
Stabile  Zustände  114,  312. 
Stärke,  Hydrolyse  ders.  517. 
Statik,  chemische  291. 
Stereochemie  242. 
Stickoxyd,  Thch.  D.  266, 
Stickoxydul,  Thch.  D.  266. 
Stickstoff,  Thch.  D.  266. 
Stickstoff,  V.  G.  21,  35. 
Stickstoffhyperoxyd,  Thch.  D.  266. 
Stickstoffhyperoxyd,  Gleichgewicht308. 
Stickstoffverbindungen,  organische, 

Thch.  D.  288. 
Stöchiometrische  Grundgesetze  9. 
Stoff,  Erhaltung  dess.  3. 
Stoffe  1. 
Stoffmenge  249. 
Strahlen,  chemische  498. 
Strahlende  Energie  247,  480. 
Strahlende  Energie,  Umwandlung  in 

chemische  Energie  482. 
Strahlung,  elektroma^etische  491. 
Strahlung  eines  schwarzen  Körpers  485. 
Strom,  elektrischer  375. 
Strontium,  Thch.  D.  270. 
Strontium,  V.  G.  36. 
Strukturformel,  239. 
Substituenten,  negativierende  525- 
Substituenten,  positivierende  532. 
Substitution  236. 
Sulfurylchlorid,  Thch.  D.  265. 
Symmetrieachse  160. 
Symmetrieebene  160. 
Symmetriegesetz  159. 
System,  hexagonales  162. 
System,  kubisches  162. 
System,  monoklines  161. 
System,  rhombisches  161. 
System,  tetragonales  161. 
System,  trigonales  162. 
System,  triklines  161. 
Systematik,  chemische  218. 

T. 

Tantal,  V.  G.  36. 
Tautomerie  244. 
Teildruck  314. 
Teildrucklinien  322. 
Teilungskoeffizient  371. 
Tellur,  Thch.  D.  265. 
Tellur,  V.  G.  36. 
Tellurige  Säure,  Thch.  D.  265. 
Tellursäure,  Thch.  D.  265. 

35* 


548 


Sach-Register. 


Tellurtetrachlorid,  Thch.  D.  265. 

Temperatur,  Einfluss  auf  das  Gleich- 
gewicht 310,  343. 

Temperatur,  Einfluss  bei  thermoche- 
mischen  Messungen  261. 

Temperatur,  Einfluss  auf  den  Zer- 
setzungsdruck 351. 

Temperatur,  kritische  110. 

Temperatur  u.  Reaktionsgeschwindig- 
keit 515. 

Temperaturen,  absolute  53. 

Temperaturen,  vergleichbare  310. 

Temperaturkoeffizient  d.  Spannung435. 

Temperaturmessung  259. 

Temperaturskala,  absolute  126. 

TetraSdrisch  -  pentagondodekagdrische 
Klasse  162. 

Tetrathionsäure,  Thch.  D.  265. 

Thallium,  Thch.  D.  273. 

Thallium,  V.  G.  37. 

Thermochemie  250,  251. 

Thermochemie  der  Metalle  268. 

Thermochemie   der  Nichtmetalle  262. 

Thermochemische  Affini  tätsmessung 
508. 

Thermochemische  Apparate  und  Me- 
thoden 257. 

Thermochemische  Messungen,  Einfluss 
der  Temperatur  bei  dens.  261. 

Thermoneutralität  275. 

Thionylchlorid,  Thch.  D.  265. 

Thorium,  V.  G.  37. 

Thulium,  V.  G.  37. 

Titan,  V.  G.  37. 

Trapezoedrische  Klasse  161,  162. 

Triaden  43. 

Typen,  chemische  237. 

Typen,  kondensierte  237. 

Typen,  zusammengesetzte  237. 

Typische  Elemente  227. 

U- 

Überchlors&ure,  Thch.  D.  264. 

Übereinstimmende  Zustände,  Gesetz 
ders.  117. 

Überführung,  Konzentrationsketten  m. 
ders.  444. 

Überführungsverhältnis  388. 

Überkaltung  176. 

Überjodsäure,  Thch.  D.  264. 

Übersättigte  Lösungen  328. 

Überschreitungsersdieinungen  312. 

Überschreitungserscheinungen  bei  Lö- 
sungen V.Gasen  in  Flüssigkeiten  31 7. 

Überschwefelsäure,  Thch.  D.  265. 

Umkehrbarer  Kreisprozess  120. 


Umkehrung  der  Linien  489. 

Umwandlungstemperatur  182. 

Unbeständige  Formen  monotroperStoffe 
184. 

Ungesättigte  Verbindungen  241. 

Ungesättigte  Verbindungen,  Molekular- 
volum ders.  129. 

Unitäre  Konstitution  237. 

Unpolarisierbare  Elektroden  477. 

Unterbromige  Säure,   Thch    D.    264. 

Unterchlorige  Säure,  Thch.  D.  264. 

Unterphosphorige  Säure,  Thch.  D.  266. 

Unterschwefelsäure,  Thch.  D.  265. 

Unterschweflige  Säure,  Thch.  D.  265. 

Uran,  V.  G.  37. 

V- 

Valenzlehre  239. 

Vanadium,  V.  G.  38. 

Verbindungen,  chemische,  Theorie  ders. 
232. 

Verbindungsgewicht  9,  14. 

Verbindungsgewichte ,  Beziehungen 
zwischen  den  Zahlenwerten  ders.  41. 

Verbindungsgewichte,  Einheit  16. 

Verbindungsgewichte,  Wahl  ders.  218. 

Verbrennungswärme  283. 

Verbrennungswärme,  homologe  Reihen 
283. 

Verbrennungswärmen  bei  konstantem 
Druck  285. 

Verbrennungswärmen  bei  konstantem 
Volum  285. 

Verdampfung  98. 

Verdampfungswärme  118. 

Verdampfungswärme,  molekulare  118. 

Verdrängung  der  Säuren  aus  ihren 
Salzen  419. 

Verdünnungsgesetz  403. 

Verflüssigung  98. 

Vemutzungserscheinungen  d.  Energie 
199. 

Verseifung,  Gesetz  ders.  299. 

Verteilungssatz  353. 

Verwandtschaft,  chemische  502. 

Verwandtschaftstafeln  521. 

Verwitterungserscheinungen  wasser- 
haltiger Salze  350. 

Vierfache»-  Punkt  358. 

Volt  378. 

Voltasche  Kette  376,  430. 

Voltasche  Kette,  Elek'trizitätsentwicke- 
lung  in  ders.  380. 

Volum,  inkompressibles  57. 

Volum,  Verbrennungswärmen  bei  kon- 
stantem 285. 


Sach- Register. 


549 


Volum,  kritisches  110. 

Yolum,  spezifisches,  der  Gase  60. 

Yolumchemische  Methode  der  Affini- 

tätsmessnng  510. 
Volume  fester  Stoffe  185. 
Volumenergie  53,  247. 
Volum  Verhältnisse  flüssiger  Stoffe  127. 
Volum  und  Dichte  der  Gase  59. 
Vorgänge,  chemische  2. 

W. 

Wabige  Struktur  339. 
Wanderungsgeschwindigkeit  der  Ionen 

386,  397. 
warme  247. 

Wärme,  spezifische,  fester  Stoffe  188. 
W^ärme,  spezifische,  bei   konstantem 

Volum  90. 
Wärme  und  Arbeit  85. 
Wärmeäquivalent,  mechanische  87. 
Wärmeausdehnung  des  Wassers  97. 
Wärmeerscheinungen  der  Gase  83. 
Wärmekapazität  84. 
Wärmeleitung  der  Gase  81. 
Wärmemenge,  Einheit  ders.  84. 
Wärmen,  spezifische  84. 
Wärmesummen,  Gesetz  der  konstanten 

252. 
Wärmetheorie,  ersterHauptsatz  der8.83. 
Wasser,  Thch.  D.  263. 
Wasser,  Bildungswärme  aus  den  Ionen 

276. 
Wasser,  Dissociation  dess.  401. 
Wasser,  Verbindungen  mit  Schwefel - 

dioxyd  359. 
Wasser,  Wärmeausdehnung  dess.  97. 
Wasser,  Zusammendrückbarkeit  dess. 

96. 
Wasserstoff,  thch.  D.  263. 
Wasserstoff,  V.  G.  17. 


Wasserstoff,  Polarisation  durch  dens. 

472 
Wasserstoffionen  395. 
Wasserstoffkette  456. 
Wasserstoffsuperoxyd,  Thch.  D.  263. 
Wasserstoff- Sauerstoff  kette  461. 
Weglänge,  mittlere  81. 
Weinsäure,  verschiedene  Formen  140. 
Wellenlänge  481. 
Wellenlängen   bestimmter  Lichtarten 

132. 
Widerstand  R.  377. 
Widerstand,  Einheit  dess.  378. 
Widerstand,  spezifischer  382. 
Wirksame  Menge  321. 
Wirksame  Menge,  Bestimmung  ders. 

in  konzentrierten  Lösungen  346. 
Wismut,  Thch.  D.  273. 
Wismut,  V.  G.  38. 
Wolfram,  V.  G.  38. 


X. 


Xenon,  V.  G.  38. 

T. 

Ytterbium,  V.  G.  38. 
Yttrium,  V.  G.  39. 

Z. 

Zink,  Thch.  D.  271. 

Zinn,  Thch.  D.  273. 

Zinn,  V.  G.  39. 

Zirkonium,  V.  G.  39. 

Zusammendrückbarkeit  des  Quecksil- 
bers 96. 

Zusammendrückbarkeit  des  Wassers  96. 

Zusammengesetzte  Typen  237. 

Zustandsgieichung  nach  van  der  Waals 
115. 

Zwischenprodukt  517. 


Druck  voa  POschel  &  Trepte  in  Leipzig. 


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