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J>
GRUNDMSS
DER
ALLGEMEINEN CHEMIE
VON
W. OSTWALD
«
% %
MIT 67 TEXTFIGUREN
DRITTE, UMGEARBEITETE AUFLAGE
^ OF THK ' r'
UNIVERSITY
^ALIFOB!^
LEIPZIG
YERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1899.
6^
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung vorbehalten.
V
DER ERINNERUNG
AN
LOTHAR MEYER
(t 1895)
GEWIDMET.
y
Vorbericht.
Die erste Auflage dieses Bnches wurde zu einer Zeit (1889) her-
ausgegeben, als die gegenwärtige grosse und mannigfaltige Entwickelung
der allgemeinen Chemie eben erst ihre wesentiichsten Schritte gethan
hatte, und sie verfolgte den Zweck, den ausserhalb der unmittelbaren
Bethätigung an dieser Entwickelung stehenden Fachgenossen, jüngeren
wie älteren, deren Grundlagen genauer vor Augen zu führen, um ihnen
die Beurteilung und die Benutzung der erzielten Fortschritte zu er-
leichtem.
In den inzwischen verflossenen zehn J.ohren ist diese Entwickelung
rastlos weitergeschritten, und gleichzeitig hat sich der Kreis derer, die an
ihr mitarbeitend oder auch nur lernend teihiehmen, sehr erweitert. Handelte
€8 sich damals wesentlich darum, das Interesse an den neuen Gedanken
zu beleben und durch genaue Dai-stellung ihres Inhalts die gesunde
Kritik zu fördern, die oberflächliche zu entkräften, so liegt jetzt eine
andere Aufgabe vor. Die wissenschaftliche Bedeutung der neuen Ideen
kann nicht mehr ein Gegenstand ernsthafter Diskussion sein; an ihren
Früchten kann man sie erkennen. Aber nachdem diese Fortschritte sich in
der reinen Chemie entwickelt haben, ist naturgemäss die weitere und ausser-
ordentlich mannigfaltige Aufgabe entstanden, die gewonnenen Hilfsmittel in all
den Gebieten zur Anwendung zu bringen, auf deren Gestaltung die Chemie
einen Einfluss hat. Nicht nur etwa die chemische Technik und die analy-
tische Chemie erfahren oder erwarten eine Umwandlung durch die neuen
Gedanken, sondern auch weiter abliegende Gebiete, vor allen das der
Physiologie, stehen am Anfange einer folgenreichen Entwickelung und
Umgestaltung durch die Anwendung der Fortschritte der allgemeinen
oder rationellen Chemie.
Die fortdauernde Nachfrage nach dem „Grundriss", auch nachdem
die zweite Auflage längst vergrifien war, hat mich überzeugt, dass das
in anderer Absicht geschriebene Buch auch dem neuen Bedürfnis in einem
gewissen Sinne genügen könnte, und ich habe deshalb die Aufgabe einer
VI Vorbericht
vollständigen Umarbeitung des Baches nicht gescheut^ nm es der in-
zwischen erfolgten Entwickelung der allgemeinen Chemie entsprechend zu
gestalten. Es erwies sich, dass zwar die Anordnung des Stoffes im
wesentlichen beibehalten werden durfte , dass aber der Inhalt nicht nur
zu bearbeiten^ sondern vielfach ganz neu zu gestalten war. Es ist also
zum grössten Teil ein neues Buch^ das sich in dem alten Gewände dar-
stellt. Unverändert ist sein Zweck geblieben, Anfängern, die sich durch
ernsthaftes Studium mit den Gesetzen der allgemeinen Chemie vertraut
machen wollen, ein möglichst zuverlässiger und klarer Führer zu sein.
Durch die Herausarbeitung der Hauptsachen, unter Fortlassung allen
entbehrlichen Beiwerkes hoffe ich den Weg gefunden zu haben, auch
denen behilflich zu sein, welche sich mit diesen Gesetzen zum Zwecke
der Anwendung in besonderen Gebieten bekannt machen wollen.
Als entbehrliches Beiwerk habe ich insbesondere auch die hypothe-
tischen Bilder angesehen, von denen unsere Wissenschaft noch immer
einen viel zu ausgedehnten und vertrauensvollen Gebrauch macht. Hier
war an vielen Stellen Arbeit zu thun. Die Absonderung der stöchio-
metrischen Grundgesetze von der Schale der Atomhypothese war nicht
schwer; sie ist ja auch schon früher ausgeführt worden. Schwieriger
war bereits die gleiche Operation an der Molekularhypothese; durch die
in diesem Buche gegebene Ableitung des entsprechenden Begriffes des
^Normalgewichtes^ aus den experimentellen Grundlagen allem hoffe ich
der Lehre der Wissenschaft, wie ich sie verstehe, einen kleinen Dienst
erwiesen zu haben. Das gleiche Besti*eben wird man an manchen anderen
Teilen dieses Buches wahrnehmen. Wenn auch zugegeben werden muss, dass
in dieser Richtung noch bei weitem nicht alles geschehen ist, was hätte
geschehen können, so war doch andererseits in Rücksicht auf die not-
wendige Stetigkeit der geschichtlichen Entwickelung eine gewisse Zurück-
haltung geboten.
Ein anderer Schritt, dessen Ausführung nur eine Frage der Zeit
war, ist die Durchführung des einheitlichen Masssystems in allen Gebieten^
insbesondere auch in der Wärmelehre. Man wird sich hier überzeugen
können, wie sehr die Rechnungen, in denen Zahlen aus verschiedenen
Gebieten benutzt werden, durch die ausschliessliche Anwendung der
cm-g-sec-Einheiten erleichtert werden. Auch hoffe ich, dass sich die ge-
troffene Wahl des Joule und Kilojoule als praktischer Wärmeeinheiten
durch die Handlichkeit der Zahlen rechtfertigen und dass demnach die
allgemeine Verwendung dieser Einheiten sich bald einbürgern wird.
Vorbericht. VH
Einer Eigentümlichkeit des Buches^ die mir zuweilen von Freunden
tadelnd bezeichnet worden ist, habe ich nicht abzuhelfen gewusst. Es
ist der Umstand, dass oft wichtige Dinge in wenigen Zeilen hingestellt
und erledigt werden. Der Tadel bezog sich auf ein Zuviel des Inhaltes
in einem Zuwenig von Worten und nahm gelegentlich die anschauliche
Form an: ^Von Fleischextrakt kann man nicht leben !^ Ich habe dar-
auf nur erwidern können, dass man allerdings von Fleischextrakt nicht
lebt, dass aber die tägliche Suppe durch eine angemessene Dosis davon
sehr verbessert werden kann. Wenn mein Buch in solchem Sinne
wirken könnte, dass es die wissenschaMche Assimilation der alltäglichen
Chemie befördert, die Aufiiahmefähigkeit des Organismus steigert und den
Nutzungskoei&zienten der aufgewendeten Energie vergrössert, so würde
ich die Zeit, welche ich für seine Herstellung der experimentellen
Forschung entziehen musste, nicht als einen Verlust, sondern als einen
grossen Gewinn ansehen.
Schliesslich soll nicht unterlassen werden, den Herren Luther,
Böttcher und Brauer, welche mir beim Lesen der Korrekturen auf
das gewissenhafteste geholfen und mir zahlreiche nützliche Bemerkungen
gemacht haben, warmen Dank zu sagen.
Leipzig, 31. Juli 1899.
W. Ostwald.
Inhalt
Erster Teil. Stöchiometrie.
Erstes Bneb. MassenTerbftltnisse ehemiscber Yerblndungen.
Erstes Kapitel. Die Grundgesetze S. 1 — 12.
Stoffe und ihre Eigenschaften 1. Erfahrung und Induktion 2. Che-
mische Vorgänge 2. Gesetz von der Erhaltung der Masse 3. Definition
der Masse 3. Bewegungsenergie; ihre Einheit ist das Erg 4. Erhaltung
des Gewichts 4. Proportionalität von Masse und Gewicht 5. Kraft 5. Er-
haltung der Energie 6. Gesetz der konstanten Yerbindungsverhältnisse 6.
Elemente 7. Gesetz der multiplen Verbindungsverhältnisse 8, der Ver-
bindungsgewichte 9. Atomhypothese 10.
Zweites Kapitel. Die Elemente 12 — 14.
Begriff eines Elementes 12. Verzeichnis der bekannten Elemente;
Symbole für diese 13. Chemische Formeln 14.
Drittes Kapitel. Die Verbindungsgewichte 14 — 40.
Geschichtliches 14; Bezugselement 16. Verbindungsgewicht von Wasserstoff
17; Chlor, Kalium und Silber 19; Schwefel 20; Stickstoff 21; Aluminium 21;
Antimon, Argon 22; Arsen, Baryum, Beryllium, Blei, Bor 23; Brom, Cäsium,
Kadmium, Calcium 24; Cerium, Chlor, Chrom 25; Didym (Praseodym und
Neodym), Eisen 26 ; Erbium, Fluor, Gadolinium, Gallium, Germanium, Gold 27;
Helium, Indium, Iridium, Jod, Kalium 28; Kohlenstoff, Kypton, Kupfer 29
Lanthan, Lithium, Magnesium 30; Mangan, Molybdän, Natrium 31; Neon,
Nickel, Niobium, Osmium, Palladium, Phosphor 32; Platin, Quecksilber
Rhodium, Rubidium, Ruthenium 33; Samarium, Scandium, Schwefel, Selen,
Silber 34; Silicium, Stickstoff 35; Strontium, Tantal, Tellur 36; Thallium,
Thorium, Thulium, Titan, Uran 37; Vanadium, Wismut, Wolfram, Xenon,
Ytterbium 38; Yttrium, Zink, Zinn, Zirkonium 39. Zusammenstellung der
Verbindungsgewichte 40.
Viertes Kapitel. Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der
Verbindungsgewichte 41—47.
Prouts Hypothese 41. Widerlegung durch Stas 42. Reihen der Ver-
bindungsgewichte 42. Das periodische System 43; Tabelle 45. Additive
Eigenschaften 47. .
X Inhalt.
Zweites Bach. StOchlometrie gasförmiger Stoffe.
Erstes Kapitel. Die allgemeinen Eigenschaften der Gase 47 — 59.
Die Gasgesetze 47. Koordinaten 49. Absolute Temperatur 52. Volum-
energie 53. Einheit des Druckes 54. Ideales Gas 55; wirkliche Gase 55.
Zweites Kapitel. Dichte und Volum der Gase 59 — 64.
Einheit der Dichte 59. Normalzustand der Gase 59. Dichte von Luft
und Sauerstoff 60. Normalgewicht oder Molekulargewicht 61. Formel zur
Berechnung 61. Methoden 62.
Drittes Kapitel. Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hypothese
von Avogadro 65—73.
Volumverhältnisse der Gase bei chemischen Vorgängen 65. Verbin-
dungsgewicht und Normalgewicht 66. Molekularvolum der Gase; Zahlen-
wert der Konstanten K 71. Molekularhypothese 72. KoUigative Eigen -^
Schäften 73.
Viertes Kapitel. Abnorme Dampfdichten 73 — 75.
Zerfall zusammengesetzter Stoffe im Dampfzustande 73. Elemente mit
verschiedenen Dampfdichten 75.
Fünftes Kapitel. Die kinetische Theorie der Gase 76 — 83.
Die mechanische Hypothese 76. Ableitung der Gasgesetze 77. Weg-
länge 80, Dimension der Molekeln 82.
Sechstes Kapitel. Die Wärmeerscheinungen der Gase und der
erste Hauptsatz der Wärmetheorie 83—95.
Messung der Wärme 83. Einheit 84. Wärmekapazität 84. Arbeit und
Wärme 85. Erhaltung der Energie 86. Mechanisches Wärmeäquivalent 87.
Kalorie, Erg, Joule, Kilojoule 88. Isotherme Arbeit eines Gases 89.
Wärmekapazität der Gase 90. Beziehungen zur kinetischen Hypothese 94.
Drittes Baeh. BtOehiometrie der Flttssigkeiten«
Erstes Kapitel. Die allgemeinen Eigenschaften der Flüssig-
keiten 96—98.
Volum und Dichte 96, Oberfläche 97.
Zweites Kapitel. Verdampfung und Verflüssigung 98 — 106.
Konstanz des Dampfdruckes 98. Verflüssigung der Gase 99. Phasen
und ihre Gleichgewichte 99. Temperatur und Dampfdruck 102; Formeln 103.
Regelmässigkeiten der Siedepunkte 104. Konstitution 105 und konstitutive
Eigenschaften 106.
Drittes Kapitel. Die kritischen Erscheinungen 107 — 112.
Beschreibung 107. Isothermen des Kohlendioxyds 108. Die kritischen
Werte: Temperatur, Druck, Volum 110. Tabelle kritischer Grössen 112.
Viertes Kapitel. Überschreitungserscheinungen und die Theorie
von van der Waals 112—117.
Überschreitungen 112. Stetigkeit der Isothermen 114. Labile, meta-
stabile und stabile Zustände 114. Das inkompressible Volum und der
innere Druck 115. Berechnung der kritischen Konstanten aus der Gleich-
ung von van der Waals 116. Übereinstimmende Zustände 116.
Inhalt. XI
Fünftes Kapitel. Die Verdampfungswärme und der zweite Haupt-
satz 118—127.
Messung der Verdampfungswärme 118. Molekulare Verdampfungs-
wärme 119. Der zweite Hauptsatz 119. Ideale Maschinen 120. Perpe-
tuum mobile zweiter Art 121. Carnotscher Kreisprozess 122. Formel für
die Umwandlung der Wärme in Arbeit 124. Anwendung auf die Dampf-
drucklinie 125. Absolute Temperaturskala 126.
Sechstes Kapitel. Volumverhältnisse flüssiger Stoffe 127—131.
Molekularvolum 127. Vergleichbare Temperaturen 127. Berechnung
des Molekularvolums aus den Atomvolumen 128. Konstitutive Einflüsse 130.
Siebentes Kapitel. Lichtbrechung in Flüssigkeiten 131 — 138.
Brechungskoeffizient 131. Wellenlängen der Hauptlinien 132. Spe-
zifische und molekulare Refraktion; Formeln dafür 133. Einfluss der
Wellenlänge 134. Atomrefraktionen 136. Anorganische Stoffe 188.
Achtes Kapitel. Drehung der Polarisationsebene 138 — 145.
Spezifisches und molekulares Dreh vermögen 138. Apparate 139. Ge-
setze des Drehvermögens 140. Das asymmetrische Kohlenstoffatom 141.
Stöchiometrische Beziehungen 144.
Neuntes Kapitel. Oberflächenspannung 145—153.
Binnendruck 146 und Oberflächenspannung 147. Methoden 148. Mole-
kulare Oberflächenenergie 149, als koUigative Eigenschaft 150. Einfache
und polymerisierte Flüssigkeiten 150. Molekulare Dimensionen 151. Ein-
fluss auf den Dampfdruck 152.
Zehntes Kapitel. Innere Reibung 153 — 156.
Definition 154. Apparate 155. Stöchiometrische Ergebnisse 156.
Viertes Buch. St9ehiometrle fester Stoffe«
Erstes Kapitel. Allgemeines 156—158.
Definition 156. Elastizität 157. Amorphe und krystallinische Stoffe 157.
Zweites Kapitel. Krystalle 158—169.
Die Eigenschaften krystallisierter Stoffe 158. Krystallographische Systeme
159. Symmetrie 159. Die drei Arten der Symmetrie 160. Die sieben
Systeme und 32 Klassen der Krystalle 161. Die Mannigfaltigkeit der
Eigenschaften 163. Hypothesen der Kry Stallstruktur 165.
Drittes Kapitel. Die optischen Eigenschaften der festen Körper
169—173.
Amorphe Körper und Krystalle 169. Dreiachsige, einachsige und iso-
trope Krystalle 170. Drehung der Polarisationsebene 172.
Viertes Kapitel. Schmelzen und Erstarren 174 — 179.
Krystallinische Stoffe haben einen Schmelzpunkt, amorphe keinen 174.
Schmelzwärme 174. Einfluss des Druckes auf den Schmelzpunkt 175. Drei-
fache Punkte 176. Überkaltung 176. Dampfdrucke überkalteter Stoffe 178.
Fünftes Kapitel. Isomorphie und Polymorphie 179 — 185.
Geschichte 179. Mischkry stalle 180. Isomorphe Elemente 181. Mor-
photropie 181. Polymorphie und AUotropie 182, Übergangspunkt 182.
XII Inhalt.
Gesetze der Umwandlung polymorpher Formen 183. Monotrope und enantio-
trope Formen 184. Geschwindigkeit der Umwandlung 185.
Sechstes Kapitel. Volume fester Stoffe 185—187.
Molekularvolum 186. Vergleichbare Formen 186. Parallelosterismus 187.
Siebentes Kapitel. Spezifische Wftrme 188 — 189.
Die Gesetze von Dulong-Petit und Neumann 188. Abweichungen 189.
Fttnftes Buch. Die yerdünnten LOsangren.
Erstes Kapitel. Allgemeines 189 — 191.
Zustand gelöster Stoffe 190. Osmotischer Druck 190.
Zweites Kapitel. Der osmotische Druck 191 — 194.
Halbdurchlässige Wände 191. Gesetze des osmotischen Druckes 192.
Ausnahmen 194.
Drittes Kapitel. Diffusion 194—200.
Diffusionskonstante 195. Abhängigkeit von den Stoffen und der Tem-
peratur 196. Kolloidstoffe 196. Freie Diffusion 197. Diffusion der Elektro-
lyte 198. Konvektion 199. Allgemeines über das Diffusionsgesetz 199.
Viertes Kapitel. Dampfdrucke von Lösungen 200 — 207.
Spezifische Dampfdruckverminderung 200. Einfluss der Temperatur
200. Molekulare Dampfdruckverminderung 201 . Theorie 202, Methoden 204.
Beziehung zum osmotischen Druck 205.
Fünftes Kapitel. Gefrierpunkte von Lösungen 207 — 211.
Spezifische und molekulare Gefrierpunktsemiedrigung 207. Verfahren
208. Theorie 209.
Sechstes Kapitel. Übersicht 211 — 213.
Allgemeine Charakteristik der Lösungsgesetze 211. Beziehung zur os-
motischen Arbeit 212.
Siebentes Kapitel. Salzlösungen 214 — 218.
Abweichung der Molekulargewichte 214. Gesetz der Moduln 215.
Ionen 217.
Sechstes Buch. Systematik«
Erstes Kapitel. Die Wahl der Verbindungsgewichte 218 — 224.
Die Unbestimmtheit der rationalen Faktoren 218. Grundlagen für die
Wahl: Einfachheit und Ähnlichkeit 219. Anwendung der Gesetze der
Atomwärmen 220, der Isomorphie 220, der Molekulargewichte 220. Über-
blick 221. Argon, Helium und Verwandte 224.
Zweites Kapitel. Das periodische Gesetz 224 — 228.
Atomvolum 225. Schmelzpunkt 225. Typische Elemente 227.
Drittes Kapitel. Die Molekulartheorie 228—232.
Die drei Arten der Eigenschaften 228. Anwendung der kolligativen
zur Definition des Molekulargewichts 228. Allgemeine Methoden zu seiner
Bestimmung 229. Lösungen 230, Flüssigkeiten 231, Feste Stoffe 231.
Viertes Kapitel. Theorie der chemischen Verbindungen 232 — 244.
Genetische Systematik 232. Atomhypothese 233. Elektrochemische
Theorie 233. Isomerie 234. Radikaltheorie 236. Substitution 236. Che-
Inhalt. Xni
mische Typen 237. Valenzlehre und Strukturformeln 237. Ungesättigte
Verbindungen 241. Molekularverbindungen 241. Stereochemie 243. Tau-
tomerie 244.
Zweiter Teil. Verwandtschaftslehre.
Einleitung. Allgemeine Energetik 245 — 251.
Allgemeinheit des Energiebegriflfes 245. Definition der Energie 246.
Energetik 246. Arten der Energie 247. Faktoren der Energie 247. In-
tensität 248 und Kapazität 248. Faktoren der verschiedenen Energiearten
249. Beziehungen zur chemischen Energie 250.
Siebentes Bach. Thenuoehemie«
Erstes Kapitel. Allgemeines 251 — 253.
Chemische Energie 251. Begründung der Thermochemie 252. Gesetz
der konstanten Wärmesummen 252.
Zweites Kapitel. Thermochemische Methoden 253 — 262.
Kalorie und Kilojoule 253. Thermochemische Gleichungen 254. Bil-
dungswärme 256. Methoden 257. Berechnung 260. Einfluss der Tempe-
ratur 261.
Drittes Kapitel. Thermochemie der Nichtmetalle 261 — 268.
Sauerstoff, Wasserstoff, Chlor 263, Brom, Jod, Fluor 264, Schwefel,
Selen, Tellur 265, Stickstoff, Phosphor 266, Arsen, Antimon, Bor, Kohlen-
stoff 267, Silicium 268.
Viertes Kapitel. Thermochemie der Metalle 268--274.
Kalium, Natrium 268, Ammonium, Lithium, Baryum 269, Strontium,
Calcium, Magnesium, Aluminium, Mangan 270, Eisen, Kobalt, Nickel, Zink,
Cadmium 271, Kupfer, Quecksilber 272, Silber, Thallium, Blei, Wismut,
Zinn, Gold 273, Platin, Palladium 274.
Fünftes Kapitel. Thermochemie der Salzbildung und der Ionen
274—282.
Thermoneutralität 275. Neutralisationswärmen 276. Starke und schwache
Basen und Säuren 277. Lösungswärme von Niederschlägen 277. Disso-
ciationswärmen 278. Bildungswärme der Ionen 280.
Sechstes Kapitel. Organische Verbindungen 282 — 289.
Verbrennungswärme 283. Homologe Reihen 284. Kohlenwasserstoffe
285. Alkohole 286, Säuren 287, Äther und Ester 287. Stickstoffverbin-
dungen 288. Aromatische Stoffe 288.
Achtes Buch. Chemische Mechanik.
Erstes Kapitel. Allgemeines 289—291.
Das Affinitätsproblem 289. Entgegengesetzte Vorgänge 290. Geschicht-
liches 290. Kinetik und Statik 291.
Zweites Kapitel. Chemische Kinetik 291 — 304.
Chemische Geschwindigkeit 291. Gesetz der Massenwirkung 292 und
des Ablaufes eines chemischen Vorganges 293. Einheit der Konzentration
295. Inversion des Rohrzuckers 296. Allgemeine Bedeutung der Formel 297.
XIV Inhalt.
Vorgänge zweiter Ordnung 298, Beispiel 299. Vorgänge höherer Ord-
nung. 299. Vorgänge mit Gegenreaktion 300. Das Koexistenzprinzip 301.
Heterogene Gebilde 301. Die Geschwindigkeitskonstanten 302. Katalysa-
toren 303.
Drittes Kapitel. Allgemeines über das chemische Gleichgewicht.
Das Phasengesetz 304—307.
Chemisches Gleichgewicht 304. Wirkliche und scheinbare Gleichge-
wichte 305. Verschiedene Ordnungen 306. Das Phasengesetz 307.
Viertes Kapitel. Gleichgewichte erster Ordnung 307 — 313.
Stickstoff hyperoxyd 308; allgemeine Formel 309. Einfluss der Tem-
peratur 310. Mehrere Phasen 311. Überschreitungen 312. Allgemeines
Gesetz für das Auftreten neuer Formen 313.
Fünftes Kapitel. Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung.
Lösungen 313—340.
Definition 313. Lösungen in Gasen; Daltons Gesetz 314. Lösungen
von Gasen in Flüssigkeiten; Löslichkeit und Absorptionskoeffizient 315.
Einfluss chemischer Vorgänge 317. Übersättigung 317. Vertretbarkeit der
Phasen 319. liösungen von Flüssigkeiten in Flüssigkeiten 320. Der Dampf
als Mass der wirksamen Menge 320. Molenbruch 321. Dampfdrucke von
Lösungen 322. Konstant siedende Gemenge 323. Begrenzte Löslichkeit 324.
Kritischer Lösungspunkt 325. Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten 327.
Grenze der Löslichkeit 327. Übersättigung 328. Einfluss der Temperatur
auf die Löslichkeit 329. Stetigkeit der Lösungslinien 330; ihre Durch-
schnitte 331. Einfluss des Druckes auf die Löslichkeit 332. Zwei feste
Stoffe 332. Eutektische Lösungen und Kryohydrate 333. Schmelzen unter
der Lösung 335. Feste Lösungen 336. Absorption 338. Kolloidstoffe 339.
Sechstes Kapitel. Weitere chemische Gleichgewichte zweiter
Ordnung 340—359.
Der allgemeinste Fall 340. Jodwasserstoff 341. Einfluss der Tem-
peratur 343. Gleichgewichte in Lösungen 344. Die wirksame Menge 346.
Zwei Phasen. Ammoniumsulfhydrid 347, Ammoniumkarbamat 348. Zwei
feste Phasen 349. Dissociation des Calciumkarbonats, der kry stall wasser-
haltigen Salze 350. Einfluss der Temperatur 351. Flüssigkeiten und Gase
352. Flüssigkeiten und feste Stoffe 354. Kondensierte Gleichgewichte 356.
Vierfache Punkte 359.
Siebentes Kapitel. Gleichgewichte höherer Ordnung 360—374.
Allgemeine Formel 360. Zahl der Bestandteile 361. Einzelne Fälle:
Wassergas 363; Esterbildung 365. Dreifache eutektische Gemische 366.
Lösungen 367. Anwesenheit einer festen Phase 368; zweier 369. Zwei
flüssige Phasen. Teilungskoeffizient 371. Kritische Erscheinungen 372.
Definition eines chemischen Individuums 374.
Xeuntes Buch. Elektrochemie.
Erstes Kapitel. Allgemeines 375—378.
Chemische Ursache elektrischer Ströme 375. Voltasche Kette 376. Die
Inhalt. XV
Faktoren der elektrischen Energie 376. Die Gesetze von Ohm und Joule
377. Die elektrischen Einheiten: Volt, Coulomb, Ohm, Ampere, Joule 378.
Zweites Kapitel. Das Gesetz von Faraday 378 — 381.
Leiter erster und zweiter Klasse 378. Ionen 379. Das elektrochemische
Äquivalent und die Faradaysche Konstante 380.
Drittes Kapitel. Die elektrolytische Leitung 381 — 391.
Leitung durch Ionen 381. Widerstand 382, äquivalente und mole-
kulare LeitMigkeit SSS. Methoden 383. Tabellen 385. Das additive Ge-
setz der Leitfähigkeit 386. Die Wanderung der Ionen 387. Berechnung
des Dissociationsgrades der Elektrolyte 390.
Viertes Kapitel. Die Eigenschaften der Ionen 391 — 400.
Salze 391. Zusammensetzung der Ionen 393; ein- und mehrwertige
Ionen 393. Wasserstoff und Hydroxyl 395. Eigenschaften der Ionen 396;
ihre Wanderungsgeschwindigkeit 397. lonenisomerie 398. Unterschiede gegen
isomere neutrale Stoffe 399.
Fünftes Kapitel. Elektrolytische Gleichgewichte 400—430.
Abänderung des Phasengesetzes 400. Gleichgewichte erster Ordnung;
Konzentration der Ionen des Wassers 401. Binäre Elektrolyte; das Ver-
dünnungsgesetz 403. Abweichungen 406. Regel für mehrwertige Salze 406.
Bestimmung der Löslichkeit schwerlöslicher Salze 407. Mehrwertige Elektro-
lyte 408. Drei Ionen 410. Isohydrische Lösungen 412. Säuren und ihre
Neutralsalze 413. Löslichkeit von Salzen bei Überschuss eines Ions 414.
Zwei feste Phasen 415. Doppelsalze 417. Vier Ionen 418. Teilung einer
Base zwischen zwei Säuren 420. Hydrolyse 422. Die Indikatoren 425.
Die Fällungsreaktionen und das Löslichkeitsprodukt 426. Analytische An-
wendungen 428.
Sechstes Kapitel. Voltasche Ketten 430 — 437.
Quelle der elektrischen Energie 430. Messung von Spannungen 431.
Berechnung der Spannung in der Danielischen Kette aus der Reaktions-
wärme 433. Der Irrtum hierbei 433 und die richtige Formel 435. Kon-
stante und umkehrbare Ketten 436.
Siebentes Kapitel. Die chemischen Vorgänge in der Kette und
die lonenreaktionen 437—442.
Anode und Kathode 437. Vorgänge an ihnen 438. Oxydation und
Reduktion 439. Allgemeine Formulierung der Oxydations- und Reduktions-
vorgänge 439. Elektrische Messung der chemischen freien Energie 442.
Achtes Kapitel. Konzentrationsketten 442 — 454.
Der einfachste Fall 442; Formel 443. Der elektrolytische Lösungs-
druck 446. Allgemeine Formel der Kette 447. Schwerlösliche Salze 450.
Komplexe Verbindungen 452. Beziehung zu analytischen Reaktionen 454.
Neuntes Kapitel. Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten
455—463.
Bedingung der elektromotorischen Wirkung 455. Wasserstoff kette 456.
Gasketten 458. Säure- Alkalikette 459. Knallgaskette 461. Oxydations- und
Reduktionsketten 461. Elektrische Energie aus Kohle 463.
XVI Inhalt
Zehntes Kapitel. Einzelspannungen und Spannungsreihen463 — 470.
Die Yoltasche Theorie 463 und die chemische 464. Das galvanische
Verhalten des Quecksilbers 465. Messung einer Einzelspannung 467. Nor-
malelektrode 468. Die Spannungsreihe der Metalle 468, der Ozydations-
und Reduktionsmittel 469.
Elftes Kapitel. Elektrolyse und Polarisation 470—480.
Elektrolyse 470. Abscheidung der Metalle 471; Einfluss komplexer
Verbindungen 471. Umwandlung der Ionen bei der Ausscheidung 473.
Primäre und sekundäre Vorgänge 475. Polarisation 476. Unpolarisierbare
Elektroden 477. Der Akkumulator 478.
Zehntes Buch. Pbotoehemie.
Erstes Kapitel. Die strahlende Energie 480—484.
Verhältnis zum Energiegesetz 480. Periodizität, Wellenlänge und
Schwingungsdauer 481. Umwandlung in chemische Energie 482. Geschichte 483.
Zweites Kapitel. Emission und Absorption 484—493.
Strahlungsgleichgewicht 484. Der Kirchhoffsche Satz 485. Strahlung eines
schwarzen Körpers 485. Emissionsspektra 486. Gesetze derselben 488. Ab-
sorptionsspektra 489. Elektromagnetische Strahlung 491.
Drittes Kapitel. Die chemische Wirkung des Lichtes 493—498.
Lichtempfindlichkeit und Absorption 493. Ghlorknallgas 494. Gesetze
der photochemischen Wirkung 495. Bruchteil der umgewandelten Energie
497. Verschiedene Arten photochemischer Vorgänge 497.
Viertes Kapitel. Die Photographie 498 — 502.
Daguerreotypie 498. Kollodiumverfahren 499. Bromsilberverfahren 500.
Positivverfahren 501. Orthochromatisches Verfahren 502.
Elftes Buch. Die chemische Verwandtschaft.
Erstes Kapitel. Methoden 502—514.
Die Aufgabe : Koeffizienten des Gleichgewichts und der Geschwindigkeit
503. Unmittelbare Analyse des Zustandes 504. Fixierverfahren 505. Physi-
kalische Methoden der Analyse 506. Allgemeine Theorie 507, Beispiele 508.
Besondere Eigenschaften 511. Quantitätsbestimmungen an Ionen 513.
ZweitesKapitel. Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse 514 — 521.
Geschwindigkeit und Gleichgewicht 514. Katalysatoren 515, Beispiele
516. Kritik der älteren Anschauungen 517. Gesetze der kataly tischen
Vorgänge 518.
Drittes Kapitel. Stöchiometrische Beziehungen 521 — 535.
Geschichte 521. Verwandtschaftsreihen 522. Esterbildung 523. Gesetz
der Massenwirkung 523. Spezifische Affinitätskoeffizienten 523. Disso-
ciationskonstanten organischer Säuren 524. Vergleichende Affinitätslehre
der Elemente und ihrer Verbindungen 533. Schluss 535.
Namen-Register 536 — 538.
Sa ch- Register 539—549.
OF THK ^^
ÜNIVERSITY
Erster Teil. Stöchiometrie,
Erstes Buch.
Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Erstes Kapitel.
Die Grundgesetse.
Die Chemie ist die Lehre von den Stoffen, ihren Eigenschaften
und Umwandlungen. Wir erkennen und unterscheiden die Gegenstände
der Aussenwelt überhaupt durch ihre Eigenschaften, d. h. durch ihre
unmittelbaren und mittelbaren Einwirkungen auf unsere Sinnesorgane.
Betrachten wir die Gegenstände ohne Rücksicht auf Ort, Form und
Masse; also in Bezug auf Eigenschaften, die von diesen unabhängig sind,
so nennen wir sie Stoffe.
Die verschiedenen Stoffe sind also durch die Verschiedenheit ihrer
Eigenschaften gekennzeichnet. Nun ist die Zahl der möglichen Eigen-
schaften unbegrenzt, und man kann sicher sein, dass, wenn man auch
alle bekannten Eigenschaften untersucht hat, der Fortschritt der Wissen-
schaft neue aufdecken wird, die gleichfaUs bestimmte Werte an einem
gegebenen Stoffe haben werden. Es sieht daher so aus, als wäre die
Aufgabe, zwei Stoffe daraufhin zu piüfen, ob sie gleiche Eigenschaften
haben, unlösbar, und als wäre es wissenschaftlich unzulässig, von zwei
verschiedenen Körpern zu behaupten, dass sie aus gleichem Stoffe be-
ständen. Denn wenn man auch alle bekannten Eigenschaften gleich ge-
ftmden hat, so weiss man noch nicht, ob es nicht andere unbekannte
Eigenschaften giebt, welche verschieden sein könnten.
Dieser Einwand wird durch ein sehr allgemeines Naturgesetz be-
seitigt, das dahin lautet: Wenn zwei Stoffe bezüglich einiger
Eigenschaften übereinstimmen, so thun sie es auch bezüglich
aller anderen Eigenschaften.
Durch dies Gesetz wird sonach die Existenz bestimmter Stoffarten
mit bestimmten, sich immer wiederfindenden Eigenschaften ausgesprochen.
Man nennt diese so gekennzeichneten Arten oder chemischen Individuen
kurzweg Stoffe im chemischen Sinne.
Ostwald, Grimdriss. 3. Aufl. 1
2 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Dieses Gesetz lässt sich aus den eben angegebenen Gründen nie-
mals erschöpfend beweisen. Trotzdem sehen wir es als so sicher an,
dass es nicht einmal besonders ausgesprochen zu werden pflegt, sondern
stillschweigend als „selbstverständlich" angenommen wird. Zu der Über-
zeugung von der allgemeinen Gültigkeit dieses Gesetzes veranlasst
uns die Thatsache, dass es in allen Fällen eingetroffen ist, die wir bis-
her der Prüfung unterzogen haben. Da die Zahl solcher Prüiungen
ausserordentlich gross ist, und sie in allen möglichen Gebieten der
Chemie stattgefunden haben, so daif man einen Zufall als ausgeschlossen
ansehen, und das Gesetz für allgemeingültig halten. Indessen muss
man diesem Naturgesetz, wie allen übrigen, gegenüber stetß dessen ein-
gedenk sein, dass es das Ergebnis der Erfahrung ist, und durch gegen-
teilige Erfahrungen in seiner Geltung eingeschränkt werden kann.
Man nennt dieses Verfahren, aus der Übereinstimmung sehr vieler
Fälle auf die Allgemeingültigkeit der vorhandenen Beziehung (unter Vor-
behalt einer Kon-ektur durch etw^aige spätere Erfahrungen) zu scliliessen,
Induktion. Man muss die Ergebnisse des Induktionsverfahrens wegen
des bescheidenen Masses an Gewissheit, das ihnen nach ihrer Herkunft
zukommt, nicht gering schätzen; denn ein höherer Grad der Ge-
wissheit lässt sich in wissenschaftlichen Dingen überhaupt
nicht erreichen.
Man kann noch die Frage stellen, wie viele Eigenschaften übereinstimmen
müssen, damit das Gesetz Anwendung findet. Eine bestimmte Antwort lässt
sich hierauf nicht geben, da es auf die Art der Eigenschaft ankommt. Es
giebt einige, die bei den vielen verschiedenen Stoffen so nahe gleich sind,
dass man vorhandene Unterschiede nur durch sehr feine Messungen ermitteln
kann. Andere Eigenschaften sind wieder von Stoff zu Stoff in grossen Ab-
ständen verschieden. Es hängt also von der Art der Eigenschaft ab, mit
welcher Sicherheit man sie zur Unterscheidung der Stoffe verwenden kann.
Doch kann man allgemein aussprechen, dass bereits die Bestimmung von drei
oder vier verschiedenen Eigenschaften zu genügen pflegt, um einen Stoff zu
kennzeichnen; zum Schutz gegen zufällige Übereinstimmungen ist es indessen
zweckmässig, diese Anzahl noch um einige zu vermehren.
Die hier berührte Frage nach einer allgemeinen Definition des chemischen
Individuums kann an dieser Stelle noch nicht eingehend behandelt werden,
da hierzu Kenntnisse erforderlich sind, die erst im Verlaufe dieses Buches
vermittelt werden sollen. Die eben gegebenen Bestimmungen sind ausreichend
zu einer Entscheidung in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle und als
Grundlage für die zunächst anzustellenden Betrachtungen.
Nun können wir häufig beobachten, dass sich gegebene Stoffe in
andere umwandeln, z. B. Eisen in Rost, Wein in Essig, wobei statt
der ursprünglichen Stoffe andere mit anderen Eigenschaften erscheinen:
das sind chemische Vorgänge.
Solche chemische Umwandlungen sind bestimmten Gesetzen unter-
worfen, deren genaue Erkenntnis, nachdem sie die Vorarbeit vieler Jahr-
Die Grundgesetze. 3
hunderte beansprucht hatte, erst seit etwa hundert Jahren gewonnen
worden ist. Das allgemeinste dieser Gesetze pflegt man das von der
Beständigkeit der Materie zu nennen; es kann folgendermassen
ausgesprochen werden:
Bei allen chemischen Vorgängen bleibt die Summe der
Massen der beteiligten Stoffe unverändert.
Die Masse eines Körpers ist eine Eigenschaft, welche sich bethätigt,
wenn man ihn in Bewegung zu setzen oder seine vorhandene Bewegung zu
ändern versucht. Dann verhalten sich die verschiedenen Körper verschieden,
indem sie infolge gleicher Impulse (z. B. durch gleiche Entspannung derselben
Feder) verschiedene Geschwindigkeiten annehmen. Man schreibt einem Körper,
welcher im "Vergleich zu einem anderen eine kleinere Geschwindigkeit annimmt,
eine grössere Masse zu, und zwar lehrt die Mechanik, dass die Massen um-
gekehrt proportional den Quadraten der auftretenden Geschwindigkeiten
zu setzen sind. Verliert ein Körper seine Geschwindigkeit, indem seine Be-
wegung vollständig auf einen anderen Körper übertragen wird, so verhalten
sich demgemäss die Quadrate der Geschwindigkeiten umgekehrt wie die Massen ;
bezeichnet man erstere mit q und c^, letztere mit m^ und m^, so gilt
cj : Cg = mg : m^ oder m^cj «= m^ c^ . Es bleiben also bei der gegenseitigen
Mitteilung von Bewegungen zwischen Massen die Produkte mc* unverändert.
Man nennt die halben Werte dieser Produkte, die Grössen Va nie®, die lebendige
Kraft oder besser die Bewegungsenergie der betreffenden Körper, und das
eben ausgesprochene Gesetz von der Unveränderlichkeit dieser Werte bei der
Wechselwirkung bewegter Massen heisst das Gesetz von der Erhaltung der
lebendigen Kraft oder von der Erhaltung der Bewegungsenergie. Es
wird sich später zeigen, dass dies Gesetz nur ein besonderer Fall eines all-
gemeineren Gesetzes ist; dasselbe gilt übrigens auch von dem oben mitge-
teilten Gesetz von der Erhaltung der Masse.
Man bezeichnet das Gesetz von der Erhaltung der Masse häufig als das
von der Erhaltung des Stoffes oder der Materie. Indessen gerät man in
Schwierigkeiten, wenn man diese beiden Ausdrücke definieren soll, und es
empfiehlt sich daher hier wie in aller Wissenschaft, die gesetzmässigen Be-
ziehungen nur für solche Grössen auszusprechen, die man thatsächlich auf-
weisen und messen kann.
Als Einheit der Masse dient das Gramm, welches als der tausendste Teil
eines in Paris aufbewahrten Platin Stückes, des Normalkilogramms, definiert ist.
Diese Masse eines Grammes ist sehr nahe gleich der Masse von einem Kubik-
centimeter reinen Wassers bei 4°, im Zustande seiner grössten Dichte.
Die Einheit der Bewegungsenergie ergiebt sich aus dem Ausdrucke
E = V2 ™ c* für dieselbe, wenn die Masse und die Geschwindigkeit gleich
Eins gesetzt werden. Dann wird E =« Va > <^- ^- ^i® Einheit der Bewegungs-
energie ist die Hälfte der Energie, die in einem Gramm Masse enthalten ist,
wenn deren Geschwindigkeit Eins beträgt.
Die Einheit der Geschwindigkeit ist durch die Einheiten der Länge
und der Zeit festgesetzt, da die Geschwindigkeit gleich Länge/Zeit ist.
1*
4 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Als Längeneinheit dient das Centimeter, der hundertste Teil der Länge eines
gleichfalls in Paris aufbewahrten Massstabes. Die Einheit der Zeit ist durch
die Sekunde bestimmt, von der 60.60.24 = 86400 auf einen mittleren
Sonnentag gehen.
Die auf solche Weise festgestellte Einheit der Bewegungsenergie hat
eine allgemeinere Bedeutung. Wenn Bewegungsenergie bei irgend welchen
Vorgängen verschwindet, so treten an ihrer Stelle andere Grössen auf, die
man gleichfalls Energie nennt, und deren Betrag man durch die verschwundene
Bewegungsenergie misst. Ebenso verschwinden entsprechende Beträge dieser
anderen Energiearten, wenn Bewegungsenergie sich einstellt, ohne als solche
anderen Körpern entnommen zu sein. Dadurch wird die Einheit der letzteren
zur allgemeinen Einheit der Energie, und erhält deshalb den Namen Erg.
Da diese Einheit sehr klein im Verhältnis zu den gewöhnlich gehandhabten
Mengen ist, so benutzt man häufig Vielfache dieser Einheit. Am meisten
werden die Grössen 10' Erg und 10*° Erg benutzt.
Das Gesetz von der Erhaltung der Masse ist nicht die erste Form,
in welcher die hier vorhandene Beziehung ausgedrückt worden ist. Viel-
mehr lautet es ursprünglich dahin, dass bei allen chemischen Vorgängen
die Summe der Gewichte der beteiligten Stoffe unverändert bleibt.
Dieser Satz ist von Lavoisier bewiesen worden (1785).
Durch den Umstand, dass an einem gegebenen Orte Masse und
Gewicht der verschiedenen Körper einander genau proportional sind, kann
man von der Geltung des einen Gesetzes auf die des anderen schliessen.
Man zieht gegenwärtig vor, das Gesetz in der auf die Masse bezüglichen
Form auszusprechen, weil die Masse eine unter allen Umständen unver-
änderliche Grösse ist, während das Gewicht mit dem Orte wechselt.
Experimentell aber hat man das Gesetz immer in Bezug auf das Ge-
wicht geprüft, denn die genaue Bestimmung beliebiger Massen ist sehr
schwierig, während Gewichte sich sehr viel leichter genau bestimmen
lassen.
Solche Prüfungen lassen sich ausführen, indem man Stoffe, die auf
einander chemisch einwirken können, so in Glasgefässe einschliesst, dass
sie anfangs getrennt sind und später nach Belieben mit einander in Be-
rührung gebracht werden können. Die Gewichte vor und nach dem
chemischen Vorgange erweisen sich dann immer als gleich.
In viel grossartigerer Weise liefert das Sonnensystem denselben Be-
weis. Denn die Umlaufsgeschwindigkeit der Planeten um die Sonne
hängt von ihren Massen ab; da seit absehbarer Zeit die Länge des Jahres
nicht die mindeste merkbare Veränderung erfahren hat, so muss ge-
schlossen werden, dass trotz der mannigfaltigen chemischen Vorgänge auf
der Erde wie auf der Sonne ihre Massen keine Veränderung er-
fahren haben.
Die genauesten Versuche dieser Art sind von Landolt (1893) an-
gestellt worden, und es hat sich ergeben, dass, wenn Gewichtsänderungen
bei chemischen Vorgängen eintreten, sie weniger als ein Milliontel des
Die Grundgesetze. 5
Gesamtgewichtes ausmachen. Bis zu dieser Genauigkeit kann man also
das Gesetz von der Erhaltung des Gewichtes als bewiesen ansehen.
Da die Proportionalitat zwischen Masse und Gewicht noch genauer
erwiesen ist, so gilt für das Gesetz von der Erhaltung der Masse die
gleiche Grenze des Nachweises.
Das Gesetz, dass Masse und Gewicht einander proportional sind, ist
von Galilei und Newton aufgestellt, und am genauesten von Bessel (1826)
geprüft und bestätigt worden.
Das Gewicht ist die Grösse der Kraft, mit welcher sich ein gegebener
Körper der Erde zu nähern strebt. Eine solche Kraft wird bei allen Objekten
gefunden, welche Masse besitzen, und das eben ausgesprochene Gesetz besagt,
dass beide nicht nur gleichzeitig vorhanden sind, sondern auch in einem
unveränderlichen Verhältnis zu einander stehen. Um die Bedeutung des
Satzes einzusehen, muss man erst wissen, wie Kräfte gemessen werden.
Eine Kraft nehmen wir dort an, wo wir sehen , dass Körper Bewegung
erlangen. Ein sich bewegender Körper besitzt eine Geschwindigkeit, und da
er auch Masse besitzt, so enthält er eine bestimmte Menge Bewegungsenergie,
die durch Va^^^^* dargestellt und gemessen wird. Unter dem Einflüsse einer
Kraft erlangt ein Körper also Bewegungsenergie. Die Erfahrung gestattet
den Zusammenhang dieser Grössen durch die Formel V«™c*==fs darzu-
stellen, in welcher f die Kraft und s die Strecke bedeutet, die der Körper
unter dem Einflüsse der Kraft zurückgelegt hat.
Die Einheit der Kraft ergiebt sich aus der Formel, wenn man bedenkt,
dass der Faktor s in dem Ausdruck fs als Strecke bereits seine Einheit, das
Centimeter, hat. Die Kraft Eins, auch Dyne genannt, ist also die Kraft,
welche, über ein Centimeter wirkend, ein Erg Bewegungsenergie erzeugt.
Erzeugt sie x Erg, so ist ihr Betrag x Dynen.
Lässt man ein Gramm unter dem Einflüsse seines Gewichtes sich
bewegen, so erlangt es beim Fall durch 1 cm die Geschwindigkeit von
44-3 cm / sec. Seine Energie beträgt daher Va • 44-3* =» 980 Erg, und das
Gewicht von einem Gramm hat den Wert von 980 Krafteinheiten oder Dynen.
Nun fallen nach der Entdeckung von Galilei (1638) alle Körper gleich
schnell; d. h. sie nehmen nach dem Falle durch gleiche Strecken gleiche
Geschwindigkeit an. Betrachten wir zwei Körper, die wir durch die Ziffern
1 und 2 unterscheiden, so gelten für sie die Gleichungen */j m^ cj =« f^ s^
und V«™«cJ = f2S3. Sind sie durch gleiche Strecken gefallen, Si=«Sj, so ist
nach dem Gesetz von Galilei auch c, =« c^, und daraus folgt mj : m^ == fi : 4>
d. h. die Kräfte beim Fall oder die Gewichte verhalten sich wie die Massen.
In der Gleichung VaD^c^^^fs stellt die linke Seite die Bewegungs-
energie dar. Die rechte Seite muss deshalb auch eine Grösse gleicher Art,
eine Energie, darstellen. Diese Art der Energie wird bethätigt, wenn Körper
unter dem Einflüsse von Kräften ihren Ort ändern, und man nennt sie dem
Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens gemäss Arbeit. Da andererseits
Kräfte sich zwischen verschiedenen Körpern in solchem Sinne bethätigen,
dass die gegenseitige Entfernung sich ändert, so kann die entsprechende
6 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Energie auch passend Distanzenergie genannt werden. Die letztere Be-
zeichnung ist sogar die bestimmtere, da es in Gebrauch gekommen ist, noch
andere Formen der Energie, ja die Energie allgemein Arbeit zu nennen.
Der Sinn der Gleichung ist, dass Bewegungsenergie und Distanzenergie
sich gegenseitig in einander überführen lassen, so dass, wenn ein bestimmter
Betrag der einen verschwindet, der durch die Gleichung gegebene Betrag
der anderen entsteht. Bezeichnet man entstehende Energiemengen mit dem
positiven, verschwindende mit dem negativen Zeichen, so kann man auch
sagen, dass bei solchen Umsetzungen der Gesamtbetrag der Energie unver-
ändert bleibt. Dies ist ein Beispiel für ein allgemeines Naturgesetz von
allergrösster Wichtigkeit, das Gesetz von der Erhaltung der Energie.
Das Gesetz von der Erhaltung der Masse ist nicht das einzige,
dessen Geltung bei chemischen Vorgängen erkannt worden ist. Viehnebr
giebt es innerhalb seines Rahmens noch mehrere besondere Gesetze, die
nunmehr ausgesprochen werden sollen.
Wandelt sich ein Stoff in einen anderen um, so stehen
die Massen beider in einem unveränderlichen Verhältnis.
So geben 100 Teile Zink beim Verbrennen stets genau 124-5 Teile
eines weissen Pulvers, Zinkoxyd, gleichgültig, ob man viel oder wenig Zink
nimmt, oder wie man die Verbrennung ausführt. Ja, man kann das Zink-
oxyd mit ganz gleichen Eigenschaften auch auf Wegen gewinnen, die von
dem gewöhnlichen Verbrennen weit verschieden sind; immer erhält man
aus einer gegebenen Menge Zink die proportionale Menge des Oxyds.
Eine derartige Umwandlung eines Stoffes in einen anderen von
anderer Masse kann nach dem ersten Gesetz nur dann eintreten, wenn
sich ein zweiter Stoff dabei beteiligt, dessen Masse zu der des ersten
hinzutritt. Mit dem vorigen Gesetz steht daher das folgende im engsten
Zusammenhange :
Entstehen durch Wechselwirkung mehrerer Stoffe neue,
so stehen die Massen sowohl der verschwindenden, wie der
erzeugten Stoffe in unveränderlichen Verhältnissen.
Hierbei ist besonders zu bemerken, dass die Änderung der Eigen-
schaften der Stoffe bei chemischen Umwandlungen stets sprungweise
erfolgt. Wenn man Zink zu Zinkoxyd verbrennt, so kann man nicht
Zwischenstufen des Stoffes zwischen beiden Zuständen erkennen, indem
die ganze Menge des Zinks allmählich ihre Eigenschaften ändert, bis
die des Oxyds eingetreten sind, sondern das Zink verwandelt sich Teil
für Teil. Unterbricht man den Vorgang, so ist derjenige Teil des Zinks,
welcher sich in Oxyd hat verwandeln können, in dieses vollkommen
übergegangen, und der Teil, welcher dies Ziel noch nicht erreicht hat,
ist völlig unverändertes Zink. Daraus muss eben mit Notwendigkeit ge-
schlossen werden, dass zur Bildung eines Stoffes die zugehörigen Aus-
gangsstoffe in einem ganz bestimmten Verhältnis zusammenwirken müssen.
Die mit Massenverändening verbundene Umwandlung der Stoffe in
andere kann nach dem ersten Gesetze offenbar nur so stattfinden, dass
Die Grundgesetze. 7
entweder mehrere Stoffe sich zu einem vereinigen oder dass ein Stoff
in mehrere zerfällt; auch können wohl Vorgänge von beiderlei Art
gleichzeitig stattfinden. Die Stoffe, in welche ein gegebener Stoff zer-
fällt (so dass die Summe ihrer Massen der des ursprünghchen Stoffes
gleich ist), nennt man die Bestandteile des letzteren. Setzt man diese
neuen zersetzenden Einflüssen aus, so gelingt es häufig, sie wieder zu
spalten, und so fort; zuletzt gelangt man aber zu Stoffen, welche allen
Versuchen, sie zu zerlegen, mit Erfolg widerstehen.
Solche Stoffe nennt man Elemente. Sie sind dadurch gekenn-
zeichnet, dass sie bei chemischen Umwandlungen nur in solche Stoffe
übergehen können, die ein grösseres Gewicht haben (oder allenfalls in
Stoffe von gleichem Gewicht, aber anderen Eigenschaften, welcher Fall
audi möghch ist).
Alle Stoffe sind sonach entweder Elemente, oder Verbindungen dieser
unter einander.
Man stellt sich die Verbindungen gewöhnlich in der Weise vor,
dass die Elemente in den Verbindungen noch fortbestehen, und nur
durch das Zusammentreten mit anderen Elementen andere Eigenschaften
angenommen haben. Diese Voretellung trifl^ auf die prinzipielle Schwierig-
keit, dass man die Elemente wie alle anderen Stoffe nur durch ihre
Eigenschaften kennt, und daher nicht angeben kann, was von ihnen
übrig bleibt, wenn ilmen ihre Eigenschaften genommen werden. Indessen
darf man formal immerhin diese Vorstellung festhalten, zumal sie auch
eine Veranschaulichung eines anderen Gesetzes bietet, das man das Ge-
setz von der Erhaltung der chemischen Art nennen könnte.
Kein Element kann in ein anderes umgewandelt werden.
Die Erkenntnis dieses Gesetzes ist die Frucht der jahrhundertelangen
vergeblichen Arbeit der Alchemisten, welche sich bemühten, eine solche
Umwandlung unter der Erzeugung der Elemente Gold oder Silber her-
vorzurufen. An sich waren jene Versuche keineswegs unvernünftig, und
erst die Erkenntnis des eben ausgesprochenen Gesetzes hat gezeigt, dass
die beim Gold und Silber gefundene Unmöglichkeit nur eine von vielen
älinlichen Unmöglichkeiten ist.
An dies Gesetz schliesst sich ein anderes, das sich auf die Verbindungen
bezieht; es besagt, dass die Verbindungen eines Elements nur mit Hülfe dieses
Elements oder anderer Verbindungen des Elements gewonnen werden können,
dagegen auf keine Weise aus anderen Stoffen, die ihrerseits sich nicht
in jenes Element tiberführen lassen. Es bildet mit anderen Worten jedes
Element eine Familie von Abkömmlingen, von denen mindestens einer vor-
handen sein muss, um zu einem anderen zu gelangen. Unter der Voraus-
setzung, dass man von dem Element zu seinem Abkömmling und umgekehrt
die chemischen Umwandlungen in jeder Richtung ausführen kann, lässt sich
indessen dieses Gesetz auf das zuerst ausgesprochene zurückführen, und be-
darf daher keiner besonderen Aufstellung.
8 I. Massenverhältnisse chemiBcher Verbindungen.
Die eben ausgesprochene Voraussetzung, dass man aus jeder Verbindung
ihre Elemente, und aus ihren Elementen jede Verbindung herstellen kann,
ist experimentell noch keineswegs in jedem einzelnen Falle bewiesen. Zwar
bezüglich des ersten Teiles der Voraussetzung besteht kein Zweifel: man
kann gegenwärtig in der That jede Verbindung in ihre Elemente verwandeln.
Aber der zweite Teil hat von jeher viel grössere Schwierigkeiten bereitet;
und wenn auch jetzt schon viele, früher für unmöglich gehaltene Zusammen-
setzungen oder Synthesen gelungen sind, so giebt es auch jetzt noch zahl-
reiche Stoffe, insbesondere Produkte des lebenden Organismus, deren Darstellung
aus den Elementen oder aus einfacheren Verbindungen noch nicht ausge-
führt worden ist. Vermöge eines Induktionsschlusses von ähnlicher Natur,
wenn auch viel geringerer Sicherheit, wie der S. 2 angeführte, nimmt man
an, dass die Synthese der noch ausstehenden Stoffe gelingen wird, weil
die Synthese vieler verwickelt zusammengesetzter Stoffe bereits gelungen ist,
wobei sich keine Eigentümlichkeiten gezeigt haben, welche in bestimmten
Fällen die Möglichkeit einer Synthese ausschlössen. Die hier zu über-
windenden Schwierigkeiten liegen namentlich in der Unbestimmtheit der Auf-
gabe, denn mit der Kenntnis der elementaren Zusammensetzung eines Stoffes
ist dieser noch durchaus nicht eindeutig bestimmt; es giebt zahlreiche Stoffe,
die bei gleicher elementarer Zusammensetzung doch verschiedene Eigenschaften
haben, also verschieden sind.
Zwischen denselben Elementen können Verbindungen in verschiedenen
Verhältnissen stattfinden. Von diesen Verhältnissen ist nicht nur jedes
nach dem dritten Gesetze konstant, sondern ihre gegenseitige Beziehung
wird durch ein weiteres Gesetz geregelt, dessen Entdeckung man Dalton
(1808) verdankt.
Verbindet sich ein Stoff A mit einem anderen B in
mehreren Verhältnissen, so stehen die Massen von B, die sich
mit gleichen Massen von A vereinigen, in rationalen Ver-
hältnissen.
So können sich z. B. Sauerstoff und Stickstoff, die Bestandteile der
atmosphärischen Luft, zu mehreren verschiedenen Stoffen verbinden.
Diese enthalten auf 100 Teile Stickstoff 57-1, 114-3, 171-4, 228-6
und 285-7 Teile Sauerstoff, d. h. Mengen, die sich wie 1:2:3:4:5
verhalten.
Dalton entdeckte sein Gesetz nicht auf Grund entsprechender Analysen,
sondern er war durch eine gewisse hypothetische Anschauung, die wir bald
erörtern wollen, zu der Vermutung geführt worden, dass ein solches Gesetz
bestehen müsse, und hat es dann bei dem Vergleich mit eigenen und fremden
Analysen bestätigt gefunden. Doch hat er im Vertrauen auf die Richtigkeit
seiner Hypothese sich nicht darum bemüht, den Genauigkeitsgrad festzustellen,
der diesem Gesetze zukommt. Diese Untersuchung und damit die eigentliche
wissenschaftliche Sicherung des Gesetzes ist erst von Berzelius (1811) vorge-
nommen, wobei sich ergeben hat, dass es so genau gilt, als sich Analysen
überhaupt ausführen lassen.
Die Grundgesetze. 9
Die bisher ausgesprochenen einzelnen Gesetze der Massen- oder
Gewichtsverhältnisse diemischer Verbindungen ergeben^ sich schliesslich als
Einzelfälle eines Hauptgesetzes, das alle Verbindungen der verschiedenen
Elemente unter einander beherrscht. Es besteht darin^ dass man jedem
Elemente ein bestimmtes, (relatives) Gewicht zuschreiben kann, mit welchem
es in Verbindungen eintritt Setzt man den Begriff dieses individuellen
„Verbindungsgewichtes" als gegeben voraus, so kann man das Gesetz
folgendermassen aussprechen :
Die Elemente verbinden sich nur im Verhältnis ihrer
Verbindungsgewichte oder rationaler Vielfacher derselben.
Die Entdeckung dieses Gesetzes ist nicht auf einmal erfolgt, sondern
es sind einzelne Teile desselben bekannt gewesen, bevor es über alle
Verbindungen ausgedehnt worden ist So hat insbesondere Richter (1792)
das Bestehen eines solchen Gesetzes bei den Verbindungen zwischen Sauren
und Basen erkannt Aus der Thatsache, dass zwei neutrale Salze neutrale
Produkte liefern, wenn sie sich unter Wediselzersetzung in zwei neue
Salze verwandehi, schloss Richter, dass die bei der Zersetzung des einen
Salzes freiwerdende Säure gerade ausreicht, um die bei der Zersetzung
des zweiten freiwerdende Base zu sättigen. Daraus folgt, dass, wenn
man in Bezug auf eine konstante Menge einer Base die Mengen ver-
schiedener Säuren ermittelt, welche sich mit dieser zu einem neutralen
Salze verbmden, oder sie sättigen, diese Säuremengen auch von jeder
anderen Base konstante Mengen sättigen werden. Die Erfahrung hat
ihm diesen Schluss bestätigt
Dass es sich aber hier um ein allgemeines Gesetz handelt, welches
noch in Bezug auf das Vorkommen von Verbindungen in mehreren Ver-
hältnissen gemäss dem Gesetz der rationalen Verhältnisse zu ergänzen
war, ist erst von Dalton (1808) ausgesprochen worden. Dalton gelangte
auch zu diesem Gesetz von seiner Hypothese aus, und hat es nicht
sorgfältig auf seine Genauigkeit geprüft. Auch war es wieder Berzelius,
dem man die wissenschafthche Sicherung des Gesetzes verdankt, während
Dalton im Vertrauen auf seine Hypothese diese Arbeit für neben-
sächlich hielt.
Wasserstoff verbindet sich z. B. mit Sauerstoff im Verhältnis 1-008:8,
mit Schwefel im Verhältnis 1-008 : 16. Wir müssen demnach verlangen, dass
alle Verbindungen von Schwefel mit Sauerstoff durch die Zahlen m8:nl6
ausdrückbar seien, wo m und n ganze Zahlen sind. In der That kennt
man Verbindungen von Sauerstoff mit Schwefel, in welchen die Gewichte der
beiden Elemente in den Verhältnissen 2x8:16 und 3x8:16 stehen, und
keine anderen.
Ueber die Genauigkeit, die den stöchiometrischen Grundgesetzen oder
den Gesetzen über die Gewichts- und Massenverhältnisse chemischer Ver-
bindungen zukommt, ist bereits in einzelnen Fallen bemerkt worden, dass
sie sich soweit bewährt haben, als die Möglichkeit ihrer Prüftmg bisher
überhaupt gereicht hat Man muss angesichts der Thatsache, dass alle unsere
IQ I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Messungen mit Fehlem behaftet sind, die zwai* immer kleiner gemacht,
nie aber zum Verschwinden gebracht werden können, allerdings darauf'
verzichten, für irgend ein Gesetz absolute Geltung in Anspruch zu
nehmen. Vielmehr besteht die wissenschaftUche Aufgabe darin, die Grenze
der Genauigkeit festzustellen, bis zu welcher das Gesetz Anwendung
findet, oder wenn eine solche Grenze nicht gefunden worden ist, anzu-
geben, bis zu welchem Grade das Gesetz geprüft worden ist. In dieser
Beziehung ist nun zu sagen, dass die stöchiometrischen Grundgesetze zu
den wenigen gehören, deren Grenze noch nicht gefunden worden ist. Man
hat mit anderen Worten keine grösseren Abweichungen von den Gesetzen
beun Versuche beobachtet, als sie durch die unvermeidlichen Fehler be-
dingt waren. Diese Fehler sind auf ziemlich geringe Beträge einge-
schränkt worden, denn die stöchiometrischen Grundgesetze sind auf ein
Hunderttausendstel bis zu einem MiUiontel geprüft und stichhaltig be-
ftmden worden.
Während die stöchiometrischen Gesetze, wie sie bisher ausgesprochen
worden sind, den reinen Ausdruck der Erfahrung darstellen, und weiter
keine Unsicherheit enthalten, als sie allen induktiv gefondenen Gesetzen
anhaftet, so hat man zui* besseren Veranschaulichung dieser Verhältnisse
und zur Erleichterung weiterer Schlussfolgerungen aus ihnen eine Vor-
stellung erdacht, aus der sie abzuleiten sind. Diese Vorstellung ist für
sich der Prüfung nicht zugänglich, sondern nur in ihren Consequenzen.
Da man niemals beweisen kann, dass nicht auch andere Vorstellungen
zu den gleichen Consequenzen führen, so kann man auch die Richtigkeit
einer solchen Voratellung nie beweisen. Wohl aber kommt ihr die
Eigenschaft der Zweckmässigkeit zu, wenn sie gestattet, die fi-aglichen
Consequenzen leicht und anschaulich zu entwickeln, und so die Erlernung
und Anwendung der Gesetze zu erleichtem.
Derartige Vorstellungen nennt man Hypothesen. Solche bestehen
immer in der Übertragung bekannter gesetzmässiger Verhältnisse auf Gebiete,
die weniger bekannt sind, und in denen ähnliche Gesetzmässigkeiten beobachtet
werden. Da von allen Gebieten das der Mechanik am besten theoretisch bekannt
ist, so werden seit jeher die Materialien für Hypothesen meist der Mechanik
entnommen. Auch die hier zu besprechende Hypothese macht hiervon keine
Ausnahme, indem sie gleichfalls die chemischen Gesetzmässigkeiten durch die
Annahme gewisser mechanischer Beschaffenheiten der beteiligten Stoffe darstellt.
Diese Annahme ist, dass die Stoffe nicht stetig den Eaum erfiiUen,
sondern aus kleinen Teilchen bestehen, welche zu dem zusammentreten,
was uns als Stoff* erscheint. Diese kleinsten Teilchen werden Atome
genannt. Die Atomhypothese ist bereits von den griechischen Philosophen
aufgestellt worden, und hat während der ganzen Entwicklungsgeschichte
der Wissenschaft immer wieder ihre Rolle gespielt. Doch war ihre Ver-
wendung bis zum Anfange dieses Jahrhunderts nur eine qualitative und
daher ziemlich unbestimmte; erst Dalton hat (1803) die Hypothese auch
Die Grundgesetze. 11
zu quantitativen Schlüssen anzuwenden versucht, und dabei sehr günstige
Ergebnisse erlangt.
Die erste Frage, welche er sich in solcher Richtung stellte, war
die, ob die Atome eines gegebenen Stoffes untereinander in aller Strenge
gleich, oder nur ähnlich anzunehmen seien, wie etwa die Kömer des
Sandes.
Wäre das letztere der Fall, so müsste es möglich sein, von einem be-
stimmten Stoffe, z. B. Wasser zwei Proben herzustellen, die etwas ver-
schiedene Eigenschaften haben, wie man Sand in einen gröberen und
einen feineren Anteil sondern kann. Die Erfahrung scheint im ersten
Augenblicke dafiir zu sprechen, denn Flusswasser, Quellwasser und Meer-
wasser sind zwar ähnlich, aber nicht ganz gleich. Eine eingehende
Untersuchung zeigt aber das Gegenteil. Diese Arten von Wasser sind
nur deshalb verschieden, weil sie nicht rein, d. h. nicht Wasser allein
sind. Befreit man sie durch zweckentsprechende Massnahmen von allen
fremden Stoffen, so erhält man Wasserarten, die in allen Beziehungen
und so vollkommen übereinstimmen, dass in keiner ihrer Eigenschaften
Unterschiede nachweisbar sind.
Dalton schloss also, dass die Atome jedes reinen Stoffes unterein-
ander vollkommen gleich sind. Er nahm weiter an, dass die chemischen
Verbindungen dadurch entstehen, dass sich die Atome der Bestandteile
oder Elemente in bestimmter Zahl und auf bestimmte Weise aneinander
lagern; jeder zusammengesetzte Stoff enthält also die Atome seiner Ele-
mente auf bestinmite Weise geordnet.
Aus dieser Annahme lassen sich die stöchiometrischen Gesetze un-
mittelbar ableiten. Da die elementaren Atome jedes Elements unterein-
ander in allen Beziehungen gleich sind, so ist auch das Gewicht gleich-
namiger Atome vollkommen gleich. Da femer sich die Atome nur in
ganzer Anzahl aneinander zu Verbindungen lagem können, so müssen
die Gewichtsverhältnisse der Elemente in den Verbindungen durch die
Produkte aus der Anzahl der vorhandenen Atome jedes Elements in das
Gewicht eines einzelnen Atomes darstellbar sein. Dies ist aber das Ge-
setz von den Verbindungsgewichten, welches wie bemerkt alle übrigen
stöchiometrischen Gesetze umfasst. Das Verbindungsgewicht erhält
dadurch die Bedeutung des (relativen) Atomgewichts.
Die grosse Einfachheit dieser Darstellungsweise hat es mit sich ge-
bracht, dass die Daltonsche Atomhypothese nicht nur zur Einführung
des Anfangers in das Thatsachengebiet der Chemie benutzt wird, sondern
auch in wissenschaftlichen Darstellungen die Ausdracksweise beherrscht.
Audi ist es nur billig, zu betonen, dass bisher es noch immer möglich
gewesen ist, die Atomhypothese so auszugestalten, dass auch die anderen
chemischen Verhältnisse sich in ihrem Sinne haben darstellen lassen.
Doch scheint gegenwärtig die Grenze ihrer Anpassungsfähigkeit nahezu
erreicht zu sein, und die Stimmen mehren sich, welche auf ihre Unzu-
länglichkeit in manchen Gebieten hinweisen.
12 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Wenn sich auch die in diesem Buche zu behandelnden Gegenstände
zu einem grossen Teil ohne Benutzung der Atomhypothese erörtern lassen,
und daher ein wesentlicher Gebrauch von ihr nur ausnahmsweise zu machen
sein wird, so ist doch noch gegenwärtig fast die ganze Nomenklatur der Chemie
auf Grund der Hypothese entwickelt, und ein Versuch der Darstellung ohne
sie würde die Schaffung einer Anzahl neuer Bezeichnungen nötig machen.
Deshalb soll ferner mit dem Gebrauch dieser alten Namen die Hypothese
formell beibehalten werden; doch geht die Tendenz des Werkes dahin,
möglichst die Thatsachen und die aus ihnen abgeleiteten Gesetze für sich
selbst darzustellen, um ihre Tragweite besser zum Bewusstsein zu bringen
und die Beurteilung der Erscheinungen nicht durch entbehrliche Zuthaten
unsicherer zu gestalten.
Zweites Kapitel.
Die Elemente.
Das einzige Verfahren, um zu erkennen, ob ein gegebener Stoff
einfach oder zusammengesetzt, ein Element oder eine Verbindung sei,
besteht darin, dass man voraussetzt, er sei zusammengesetzt, und alle
Hilfsmittel der Zerlegung, welche man besitzt, auf ihn anwendet. Er-
hält man bei allen Umwandlungen, denen man den Stoff unterwii"ft,
immer nur Produkte, welche ebensoviel oder mehr wiegen, als er selbst
gewogen hat, und niemals (vollständige Umwandlung und Vermeidung
jedes Verlustes vorausgesetzt) solche, welche ein geringeres Gewicht be-
sitzen, so bleibt nichts übrig, als ihn für ein Element zu halten.
Der Begriff eines Elements im chemischen Sinne ist also der eines
unzerlegten, nicht der eines unzerlegbaren Stoffes; derselbe wird
demnach einigermassen veränderlich, insbesondere von den Hilfsmitteln
der chemischen Analyse abhängig sein, und man muss es zunächst für
ganz ungewiss halten, ob den Elemente genannten Stoffen die im
Namen vorausgesetzte Einfachheit wirklich zukommt
Allerdings kann man niemals entscheiden, ob unsere gegenwärtigen
„Elemente" wirklich unzerlegbar sind. Wohl aber kann man entscheiden,
ob sie Stoffe gleicher oder verschiedener Ordnung sind. Nun sprechen die
Thatsachen fast ausnahmslos zu gunsten des Satzes, dass, wenn die Elemente
wirklich zusammengesetzt sind, sie jedenfalls Verbindungen von gleichem
Grade der Zusammengesetztheit sein müssen. Wenn also die Zerlegung einea
der gegenwärtigen Elemente, z. B. des Kupfers, in einfachere Bestandteile
gelänge, so wäre damit fast gewiss gemacht, dass auch alle anderen Elemente
in gleicher Weise sich müssen zerlegen lassen. Die Gründe für diesen
Schluss können freilich erst weiter unten, bei der Besprechung der Eigen-
schaften der Elemente und der Beziehungen zwischen ihren Zahlenwerteö
vollständig angeführt werden.
Die Elemente.
13
Die Zahl der bisher bekannten Elemente beträgt über 70; genau
lässt sie sich nicht angeben , weil über einige von den als Elemente
angesehenen Stoffen die Akten noch nicht geschlossen nnd ihre An-
rechte daher zweifelhaft sind; die Namen der unzweifelhaften Elemente
sind folgende:
Aluminium AI
Antimon Sb
Argon Ar
Arsen As
Baryum Ba
Beryllium Be
Blei Pb
Bor B
Brom Br
Cäsium Cs
Cadmium Cd
Calcium Ca
Oerium Ce
Chlor Cl
Chrom Cr
Eisen Fe
Erbium Er
Fluor Fl
Gallium Ga
Germanium Ge
Gold Au
Helium He
Indium In
Iridium Ir
Jod J
Kalium K
Kiesel Si
Kobalt Co
Kohle C
Kupfer Cu
Lanthan La
Lithium li
Magnesium Mg
Mangan Mn
Molybdän Mo
Natrium Na
Neodym Nd
Nickel Ni
Niobium Nb
Osmium Os
Palladium Pd
Phosphor P
Platin Pt
Praseodym Pr
Quecksilber Hg
Rhodium Rh
Rubidium Rb
Ruthenium Ru
Samarium Sa
Sauerstoff 0
Scandium Sc
Schwefel S
Selen Se
Silber Ag
Stickstoff N
Strontium 8r
Tantal Ta
TeUur Te
ThalUum Tl
Thorium Th
Titan Ti
Uran ü
Vanadium V
Wasserstoff H
Wismuth Bi
Wolfram W
Ytterbium Yb
Yttrium Y
Zink Zu
Zinn Sn
Zirconium Zr
Die allgemeine Kenntnis der Beschaffenheit der chemischen Ele-
mente wird aus der beschreibenden Chemie vorausgesetzt, so dass auf
sie hier nicht einzugehen ist. Nur soll bemerkt werden, dass die
überwiegende Mehrzahl den Metallen angehört, deren sehr ähnliche
Eigenschaften eines der Argumente sind, welche zu gunsten der An-
nahme sprechen, dass die Elemente Stoffe gleicher Ordnung darstellen.
Den Namen der Elemente sind ihre abgekürzten Symbole
beigeschrieben. Derartige symbolische Stoffbezeichnungen sind seit den
ältesten Zeiten der Chemie üblich gewesen, wo insbesondere die Me-
talle mit den Zeichen der Planeten belegt wurden. Sie hatten zunächst
quaütative Bedeutung und standen einfach ftir den Namen des be-
treffenden Stoffes. Mit der Entdeckung des Gesetzes der Verbindungs-
gewichte erhielten die Symbole der Elemente eine erweiterte, nämlich
quantitative Bedeutung, indem sie ein Verbindungsgewicht des betreffenden
Elementes darzustellen hatten. So ist insbesondere von Dalton alsbald
nach AuMeUung der Atomhypothese eine derartige Symbolik ausgearbeitet
worden, die indessen aus willkürlichen Zeichen bestand, und daher grosse
Anforderungen an das Gedächtnis stellte. Eine praktische Form erhielt
sie erst durch Berzelius, welcher den Anfangsbuchstaben des lateinischen
Namens des Elementes, erforderlichenfalls unter Zufligung eines weiteren
14 I. Massen Verhältnisse chemischer Verbindungen.
Buchstabens^ zur Bezeichnung eines Verbindungsgewichtes des fraglichen
Elementes benutzte, wodurch sich die Zeichen sehr leicht dem Gedächt-
nis einprägen.
Chemische Verbindungen werden bezeichnet, indem die Zeichen
ihrer Elemente nebeneinander geschrieben werden. Sind mehrere Ver-
bindungsgewichte eines Elementes in der Verbindung vorhanden, so
schreibt man sie meist nicht einzeln hin, sondern setzt ihre Anzahl als
Faktor zum Zeichen. Es ist üblich geworden, diesen Faktor nicht, wie
in der Mathematik, vor das Zeichen zu setzen, sondern an die Stelle
des Index oder des Exponenten. Ein Irrtum kann dadurch nicht veran-
lasst werden, und für zusammengesetztere Formeln wird in erwünschter
Weise Raum gewonnen.
Der Inhalt der chemischen Formeln ist durch die Bezeichnung der
Art und Anzahl der Atome nicht erschöpft. Zunächst geben sie, da die
Kenntnis der relativen Verbindungsgewichte vorausgesetzt wird, gleichzeitig
vollständige Auskunft über die Massenverhältnisse der Elemente in der Ver-
bindung. Femer aber sucht man durch sie eine hypothetische Vorstellung
von den engeren oder weiteren Beziehungen zu geben, in welchen die Atome
innerhalb der zusammenhängenden Atomgruppe oder Molekel zu einander
stehen. Mit Bücksicht auf diese Absicht schreibt man Konstitutions-
formeln, in welchen diese Beziehungen durch die räumliche Anordnung
der einzelnen Zeichen zur Darstellung gebracht werden.
Drittes Kapitel.
Die Verbindungsgewichte.
Nach den am Schlüsse des ersten Kapitels gegebenen Auseinander-
setzungen existiert flir jedes Element eine bestimmte Zahl, welche für
sich, oder nach Multiplikation mit einer ganzen Zahl die Masse und das
Gewicht bestimmt, mit welchem das Element Verbindungen eingeht. Diese
Zahl, die Verbindungsmasse oder das Verbindungsgewicht lässt sich zu-
nächst nur relativ bestimmen, d. h. man muss sie für irgend ein Element
willkürlich festsetzen, und die Verbindungsgewichte der anderen Elemente
auf diesen Wert beziehen.
Im Sinne der Atomhypothese sind diese Zahlen nichts als die rela-
tiven Massen oder Gewichte der Atome und man pflegt sie daher kurz-
weg die Atomgewichte zu nennen. Wir können in der Folge den
hypothetischen Namen Atomgewidit, der in der chemischen Litteratur
allgemein gebräuchlich ist, benutzen, wo kein Irrtum von Belang durch
seinen Gebrauch zu befürchten steht.
Die Bestimmung der relativen Verbindungs- oder Atomgewichte
war die wichtigste Aufgabe, welche nach Entdeckung der stödiiometrischen
Grundgesetze der Experimentalchemie entgegentrat. Denn waren ein-
Die Verbindungsgewichte. 15
mal diese Konstanten bestimmt, so waren dadurch die GewichtsverhäJtnisse
in allen chemischen Verbindungen mit demselben Grade der Genauigkeit
berechenbar, nachdem in ihnen die verhältnismässige Anzahl der ver-
schiedenen Atome durch eine Analyse von annähernder Genauigkeit be-
stimmt war.
Zunächst widmete sich dieser Aufgabe fast allein Berzelius, und führte
sie mit einer für jene Zeit ganz ausserordentlichen Sicherheit und Genauig-
keit in weitem Umfange durch. Seine Zahlen genossen daher das grösste
Vertrauen, zunächst auf dem Kontinent. In England waren in Folge einer
später zu besprechenden Hypothese etwas abweichende Zahlen in Gebrauch.
Als aber bei einer Prüfung ihrer Richtigkeit durch Turner die Werte
von Berzelius eine glänzende Bestätigung erhielten, erreichte das Vertrauen
in deren Genauigkeit den Höhepunkt.
Inzwischen waren bei Analysen organischer Verbindungen, welche nur
Wasserstoff und Kohlenstoff enthielten, von den sorgfältigsten Beobachtern
Zahlen gefunden worden, welche als Summe der Bestandteile ein grösseres
Gewicht ergaben, als zur Analyse genommen war. Da bei der Analyse
Kohlenstoff als Kohlensäure, Wasserstoff als Wasser gewogen wird, so blieb
nur der Schluss übrig, dass der Gehalt des einen oder andern an dem fraglichen
Elemente falsch in Rechnung gebracht war. Untersuchungen von Liebig
und Redtenbacher, Dumas und Stas, Erdmann und Marchand, welche in
diesem Sinne vorgenommen wurden, ergaben, dass Berzelius bei der Be-
stimmung des Atomgewichtes des Kohlenstoffs allerdings einen ziemlich groben
Fehler, von zwei Prozent etwa, begangen hatte.
Diese gänzlich unerwartete Entdeckung (1841) brachte eine förmliche
Panik unter den Chemikern hervor. Je höher man die Zahlen von Berzelius
gestellt hatte, um so tiefer wurde das Misstrauen gegen sie. Es begann eine
rührige Revision der von Berzelius gegebenen Zahlen. Als Resultat ergab
sich, dass jener Fehler von Berzelius bei weitem der grösste,. ja fast der
einzige war ; die zahlreichen Neubestimmungen erwiesen fast nur die Richtig-
keit der übrigen Werte dieses gewissenhaften Experimentators.
In der Folge sind die Revisionen und Neubestimmungen der Verbindungs-
gewichte stetig fortgeführt worden. Dreimal haben sie indessen noch be-
sondere Impulse empfangen. Zuerst war es eine von Prout und Meinecke
aufgestellte Hypothese, nach welcher alle Verbindungsgewichte Multipla von
dem des Wasserstoffs sein sollten, die eine Anzahl äusserst genauer Arbeiten,
insbesondere die in dieser Hinsicht unübertroffenen von Stas, anregte.
Zweitens aber veranlasste eine vonMendelejew undL.Meyer entdeckte Beziehung
zwischen den Verbindungsgewichten und den anderen Eigenschaften der Elemente
viele Arbeiten, weil in einzelnen Fällen Widersprüche gegen die allgemeinen
Beziehungen vorhanden waren, deren mögliche Veranlassung durch ungenaue
Bestimmungen der Atomgewichte eine erneute Prüfung solcher Werte not-
wendig machte. Endlich hat der Umstand, dass vor etwa 15 Jahren von
verschiedenen Seiten die vorhandenen Bestimmungen der Verbindungsgewichte
in systematischer Weise neu berechnet worden sind, auf die UnvoUkommenheit
lg I. Massenverhältnisse chemischer Yerhindungen.
vieler dieser Bestimmungen aufmerksam gemacht, und erneute Untersuchungen
angeregt. In diesen Arbeiten hat sich insbesondere Th. W. Richards grosse
Verdienste erworben.
Da man die Werte der Verbindungsgewichte zur Zeit nur relativ be-
stimmen kann, so ist zunächst die Einheit festzustellen^ welche ihnen zu
Grunde gelegt werden soll, d. h. das Verbindungsgewicht eines der Elemente
ist willkürlich gleich einem bestimmten Zahlenweii; zu setzen. D alten
hatte als Ausgangspunkt den Wasserstoff gewählt, dessen Wert von allen
der kleinste ist. Berzelius verliess in der Folge diese Einheit aus
praktischen Gründen. Es giebt nämlich sehr wenig Wasserstoffver-
bindungen, welche sich zu genauer Analyse eignen, so dass man das Ver-
hältnis zwischen dem Verbindungsgewicht des Wasserstoffe und dem anderer
Elemente meist nur auf Umwegen festsetzen kann. Der Sauerstoff bildet
dagegen mit fast allen Elementen sehr geeignete Verbindungen, und
Berzelius wählte ihn als Ausgangsstoff, wobei er seinen Wert nicht gleich
Eins, sondern, um die übrigen Verbindungsgewichte von bequemer
Grösse zu haben, gleich Hundert setzte. In späterer Zeit ist man
wieder zur Daltonschen Wasseratoffeinheit zurückgekehrt, weil Wasser-
stoff auch in anderen Beziehungen für die Chemie ein Normalstoff ge-
worden war. Daraus hat sich aber die praktische Schwierigkeit ergeben, dass
alle Zahlenwerte der Verbindungsgewichte, welche in Bezug auf Sauerstoff
bestimmt sind — und dies ist die überwiegende Mehrzahl — mit Hilfe
des Verhältnisses Wasserstoff : Saueratoff berechnet werden müssen. Dieses
war aber bis vor kurzer Zeit keineswegs mit der wünschenswerten Ge-
nauigkeit bekannt; der mögliche Fehler, den es enthielt, betrug viel mehr,
als die Fehler einer ganzen Anzahl von Verbindungsgewichten anderer
Elemente in Bezug auf Sauerstoff, so dass man durch diese Rechnungs-
weise sie unnötigerweise mit einer Unsicherheit behaftet.
Daher ist es am zweckmässigsten, zwar die Daltonsche Einheit
formell beizubehalten, praktisch aber zu der von Berzelius zurückzu-
kehren, indem man das Verbindungsgewicht des Sauerstoffs, welches sehr
annähernd 1 6 mal so gross als das des Wasserstoffs ist, willkürlich genau
gleich 16 setzt.
Gegenwäiüg ist allerdings durch eine ganze Anzahl ausgezeichneter
Untersuchungen das Verhältnis zwischen Sauerstoff und Wasserstoff mit
einer sehr befnedigenden Genauigkeit bekannt. Doch ist die Bestimmung
dieses Verhältnisses so schwierig, dass mit einem gleichen Aufwände von
Arbeit und Geschick viele andere Verbindungsgewichte mit einem erheblich
kleineren Fehler bestimmt werden könnten. Der Übelstand ist also nur
zurückgeschoben worden, bleibt aber sachlich bestehen, und wird alsbald
wieder zur Geltung kommen, wenn die Arbeiten an den anderen Ele-
menten entsprechend vorgeschritten sind.
Es ist deshalb durchaus sach gemäss, dass die deutsche chemische
Gesellschaft (1898) den Beschlussgefasst hat, die Rechnung mit 0= 16-000
ihren Mitgliedern zu empfehlen; auch ist begründete Aussicht vorhanden,
Die Verbindungsgewichte. 1 7
dass die massgebenden Institutionen anderer Völker sich diesem Vor-
schlage anschliessen werden. Dadurch wird dem unerti'äglichen Zustande
ein Ende gemacht, dass die Verbindungsgewichte von verschiedenen
Autoren auf drei verschiedene Einheiten, nämlich 0=15»96, 15*87 und
1600 bezogen werden.
Es ist hier dasselbe Verfahren angewandt worden, welches sich als das
einzig praktische für die Bestimmung der Längeneinheit erwiesen hat. Das
Meter sollte ursprünglich der zehnmillionste Teil des Erdquadranten sein; da
aber die Bestimmung dieses Wertes mittelst geodätischer Messungen viel
weniger genau ist, als man Kopieen eines gegebenen Massstabes herstellen
kann, so läuft man Gefahr, bei jeder neuen Gradmessung ein merklich anderes
Meter zu erhalten. Man ist daher übereingekommen, das in Paris bei der
ersten, zum Zwecke der Bestimmung des Meters ausgeführten Gradmessung
hergestellte und seitdem aufbewahrte Längenmass als wirkliches Meter anzu-
sehen und die Beziehung auf den Erdquadranten ganz aufzugeben.
Von den zahlreichen Arbeiten, welche zur Bestimmung der relativen
Verbindungsgewichte der verschiedenen Elemente unternommen worden
sind, können hier nur wenige besprochen werden. Doch sollen die wich-
tigsten der benutzten Methoden an Beispielen erläutert werden.
Das Verbindungsgewicht des Wasserstoffs beträgt, wenn das des
Sauerstoffs gleich 1 6 gesetzt wird, annähernd 1 . Die erste etwas genauere
Bestimmung wurde 1819 von Berzelius und Dulong nach einer Me-
thode ausgeführt, welche seitdem von fast allen übrigen Forschern bei-
behalten wurde. Sie besteht darin, dass man möglichst reines und
trockenes Wasseretoffgas über glühendes Kupferoxyd leitet. Der Wasser-
stoff entzieht dem Kupferoxyd Sauerstoff, um sich damit zu Wasser
zu vereinigen; letzteres wird in geeigneten Gefässen aufgefangen;
die letzten dampfförmigen Anteile müssen mit Hilfe von wasseranziehen-
den Stoffen, Schwefelsäure oder Phosphorpentoxyd, festgehalten werden.
In den drei Versuchen der Genannten wurden 30-519 g Wasser er-
halten. Das Kupferoxyd, welches vor und nach den Versuchen gewogen
wurde, hatte 2 7« 129 g an Gewicht verloren. Dieses stellt den
im Wasser enthaltenen Sauerstoff dar, der Wasserstoff beträgt somit
30-519 — 27-129= 3-390 g. Im Wasser nunmt man nun auf ein
Verbindungsgewicht Saueretoff zwei Verbindungsgewichte Wasserstoff an;
ist die Masse des ersten gleich 16, so gilt folgende Proportion, in der
[H] das Verbindungsgewicht des Wasserstoffs bedeutet:
16:2[H] =27-129:3-390
^^ [H]=i^>l|^ = 0-9997.
^ ^ 2X27-129
Ähnliche Versuche mit ähnlichen Ergebnissen sind später von Dumas,
sowie von Erdmann und Marchand ausgeführt worden. Alle diese
Forscher schlössen aus ihren Messungen, dass das Verhältnis H:0 gleich
1 : 1600 sei.
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 2
18 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Als aber später Stas (18G0) angab, dass er diesen Wert auf Grund
unveröffentlichter Messungen für zu gross halten müsse, wurden von L.
Meyer die alten Zahlen neu berechnet, und es ergab sich der Weit
15-9G für den Sauerstoff, wenn Wasserstoff gleich Eins gesetzt wurde.
Dieser Wert erhielt eine weitere Bestätigung durch Regnaults (fehlerhafte)
Bestimmung der Dichten beider Gase, aus denen sich nach einem bald
anzugebenden Gesetze die Verbindungsgewichte bestimmen lassen.
Infolge dieses Ergebnisses verbreitete sich der Gebrauch der auf
0 = 15-96 bezogenen Verbindungsgewichte, während von anderer Seite
die Unsicherheit dieser Zahl betont und die Beziehung auf den willkürlich
angenommenen Wert 0=1600 empfohlen wurde. Um den Zwiespalt
zu schlichten und die wichtige Konstante endgültig festzusteUen, sind
dann seit 1887 zahlreiche Neubestimmungen unternommen worden, die nach
sehr verschiedenen Methoden durchgeführt wurden. Cooke und Richards
änderten das Verfahren von Berzelius dahin ab, dass sie den Wasserstoff
und das Wasser wogen. Ähnlich verfuhr Keiser (1888 und 1899),
der den Wasserstoff in Gestalt von Palladiumwasserstoff wog. Rayleigh
(1889) wog beide Gase als solche, und bestimmte ihr Verhältnis, indem
er sie portionenweise in einem Eudiometer mit einander sich ver-
binden Hess. Auch benutzte er zur Berechnung das von Scott ge-
messene Volumverhältnis, nach welchem sie sich verbinden. Noyes (1888)
liess Wasserstoff in eine ausgepumpte Kugel treten, die Kupferoxyd ent-
hielt, und bestimmte die Gewichtszunahme, die gleich dem Gewicht de»
Wasserstoffs ist, dann trieb er das gebildete Wasser aus, und bestimmte
so dessen Gewicht. Dittmar und Henderson (1890) wiederholten die
Versuche von Berzelius unter Berücksichtigung der inzwischen entdeckten
Fehlerquellen, ebenso Leduc (1892). Morley wog die beiden Gase
getrennt (den Wassei"stoff in Palladium), und dann das gebildete Wasser
(1895). Auch bestimmte er in einer meisterhaften Arbeit die Dichten
und das Volum Verhältnis. Thomson ermittelte das Verhältnis, in welchem
sich Ammoniak und Chlorwasserstoff verbinden, und berechnete unter
Benutzung der von Stas in Bezug auf Sauerstoff bestimmten Verbindungs-
gewichte des Chlors und Stickstoffs das des Wasserstoffs (1894). In einer
anderen Versuchsreihe bestimmte er einerseits das Gewicht des Wasser-
stoffs, der bei der Einwirkung von Aluminium auf Kalilauge entwickelt
wurde, andererseits verbrannte er diesen Wasserstoff und wog das ent-
standene Wasser (1895). Bezogen auf 0=16 sind folgende Gewichte
für den Wasserstoff gefunden worden: Cooke und Richards 10069,
Keiser 10031, später 10076, Rayleigh 10072, Noyes 10065, Dittmar
und Henderson 1-0087, Leduc 10059, Thomson 1000 und 1-0082.
Als die zuverlässigste aller neueren Untersuchungen ist die von Morley
anzusehen, ans welcher H= 100762 folgt. Diesen letzteren Wert wer-
den wu' in Zukunft benutzen; für die meisten Zwecke kann er auf
H = 101 abgerundet werden.
Ein gutes Beispiel füi' ein etwas verwickelteres Verfahren zur Be-
Die Verbindungsgewichte. 19
Stimmung von Verbindungsgewichten büdet die gleichfalls von Berzelius
angegebene Methode für Chlor, Kalium und Silber, wie es hernach
von mehreren Anderen, insbesondere von Marignac und Stas benutzt
worden ist.
Es wird zunächst Kaliumchlorat, KCIO^, durch Glühen nach der
Formel KC10^ = KCl + 30 zersetzt. Bei einem derartigen Versuch hatte
z. B. Stas 127-2125 g Chlorat genommen und 774023 g Chlorkalium
im Kückstand behalten; es waren folglich 49-8102 g Sauerstoff ent-
wichen. Da in dem Kaliumchlorat drei Atome Sauerstoff angenommen
werden, so kann man die Proportion ansetzen, wo [KCl] das Verbindungs-
ge wicht von Chlorkalium, KCl, ist:
3X 16: [KCl] = 498102:77-4023
[KCl] = 74-59.
Das Verbindungsgewicht des Chlorkaliums ist somit 74-59, d. h. die
Summe der Verbindungsgewichte von Kalium und Chlor beträgt eben-
soviel.
Um die einzelnen Werte daraus zu erhalten wurde zunächst mit
Hilfe des bekannten Verbindungsgewichtes des Chlorkaliums das des Chlor-
silbers ermittelt Zu diesem Zwecke wurde eine gewogene Menge Chlor-
kalinm mit überschüssiger Süberlösung gefällt, und das entstandene Chlor-
silber ausgewaschen und gewogen. Auf diese Weise erhielt Marignac (1846)
aus 14-427 g Chlorkalium 27-733 g Chlorsilber, und das Verbindungs-
gewicht des letzteren ergiebt sich nach der Proportion
74-590: [AgCl] = 14-427 : 27-732
[AgCl] = 14337
zu 143-37.
Endlich wurde das Verhältnis von Chlor und Silber im Chlorsilber
dadurch festgestellt, dass eine gewogene Menge Silber in Chlorsüber
übergeführt wurde, dessen Gewicht man gleichfalls feststeDte. Die Um-
wandlung kann auf verschiedene Weise geschehen; man kann das
Silber im Chlorstrome erhitzen, wobei es zu Chlorsilber verbrennt, oder
man löst es erst in Salpetersäure zu Silbemitrat und führt dieses durch
Salzsäure, Chlorammonium oder irgend eine andere passende Chlorver-
bindung in Chlorsüber über. Immer erhält man, unabhängig vom Ver-
fahren, das gleiche Verhältnis zwischen Silber und Chlorsüber. Von
den vorhandenen Versuchen führe ich einen von Stas an, bei welchem
101-519 g Silber in Chlor verbrannt 184-861 g Chlorsilber gaben.
Da daß Verbindungsgewicht des letzteren oben gleich 143-37 geftmden
war, so erfährt man das Verbindungsgewicht des Silbers [Ag] nach der
Proportion
143-37: [Ag] =134-861:101.519
[Ag]= 107-93.
20 I* Massen Verhältnisse chemischer Verbindungen.
Das Verbindungsgewicht des Silbers ist somit [Ag] = 107-93. Daraus folgt
weiter, da [AgCl] = 143-37 ist, dass das Verbindungsgewicht des Chlors
143-37 — 107-93 = 35 44 betragen muss. Zieht man endlich diesen
Wert [Gl] =35-44 von der in der ersten Reihe bestimmten Zahl [KCl] =
74-59 ab, so folgt das Verbindungsgewicht des Kaliums [K] = 39-15.
Die genauesten und zuverlässigsten derartigen Versuche sind von
J. S. Stas (1860 — 65) ausgeführt worden, und umfassen die Elemente
Silber, Chlor, Brom, Jod, Kalium, Natrium, Litliium, Schwefel, Stickstoff
und Blei. Bei den vier erstgenannten Stoffen änderte er die Methode
von Berzelius dahin ab, dass er z. B. statt Kaliumchlorat Silberdilorat,
AgClO^, zersetzte. Er gelangte so unmittelbar zu dem Verbindungsgewicht
des Chlorsilbers, und durch Bestimmung des Verhältnisses zwischen Chlor
und Silber zu den Verbindungsgewichten der beiden Elemente. Ähnliche
Versuche mit Silberbromat und Silberjodat ergaben unter Zufügung von
Bestimmungen des Verhältnisses der Elemente im Bromsilber und Jod-
silber die Werte für Brom und Jod, und ebenso zwei neue, völlig un-
abhängige Werte für Silber. Es ist in hohem Grade bemerkenswert,
dass diese völlig unabhängig voneinander und an ganz verschiedenen
Stoifen bestimmten Verbindungsgewichte des Silbers auf das allerbeste
miteinander übereinstimmen. Es ist dies eine der strengsten
Prüfungen des Gesetzes der Verbindungsgewichte.
Beim Schwefel verfuhr Stas dergestalt, dass er einerseits Silber-
sulfat, Ag^SO*, mittelst Wasserstoff zu Silber reduzierte, andererseits
Silber durch Schwefel in Schwefelsilber, Ag^S, umwandelte. Die Be-
rechnung der Ergebnisse geschieht wie folgt.
Es gaben 150000 g Silber, im Schwefeldampf erhitzt, 172-2765 g
Schwefelsilber; es verbinden sich somit mit 100 Silber 14-851 Schwefel.
Andererseits wurden aus 81 02 3 g Silbersulfat 56-071 g Silber erhalten.
Da im Silbersulfat das Verhältnis zwischen Silber und Schwefel genau
dasselbe ist, wie im Schwefelsilber, so folgt, dass neben 57 071 g Silber
in den 81-023 g Sulfat noch 8-3275 g Schwefel vorhanden. Der Rest
von 16-6247 g ist Sauerstoff. Nun muss sich das Gewicht von vier
Verbindungsgewichten Sauerstoff zu dem von einem Verbindungsgewicht
Schwefel, die im Silbersulfat enthalten sind, wie 16-6247:8-3275 ver-
halten, und es folgt daher nach der Proportion
4X16:[S] = 16-6247:8-3275
[S] = 32-06
daß Verbindungsgewicht des Schwefels zu [S] = 32-06.
Für die drei Alkali-Elemente bediente sich Stas der von Gay-Lussac
ursprünglich zu ganz anderem Zwecke ausgearbeiteten Methode der Silber-
titrierung, welche von Pelouze (1845) zuerst zur Bestimmung von Ver-
bindungsgewichten benutzt wurde. Setzt man zu der Lösung irgend eines
Chlorids in kleinen Anteilen eine Silberlösung von bekanntem Gehalt,
so kann man den Augenblick, wo alles Chlor in Chlorsilber überge-
Die Verbindungsgewichte, 21
gangen ist, leicht daran erkennen, dass in der durch Schütteln und Ab-
setzen geklärten Flüssigkeit ein weiterer Tropfen der Silberlösung keine
Trübung mehr hervorbringt. So wurden z. B. 10-5249 g Chloniatrium
abgewogen; sie verbrauchten eine Menge Silberlösung, in welcher 1 9-41 60 g
Silber (durch Salpetersäure gelöst) enthalten waren. Ist [NaCl] das
Verbindungsgewicht des Chlomatriums, so folgt, da 107-94 das des
Silbers ist,
[NaCl]: 107.94= 10.5249:19-460
[NaCl] = 58-50.
Man erhält auf diese Weise zunächst den Wert für das benutzte Chlorid;
zieht man hiervon das Verbindungsge\^icht des Chlors, 35-44, ab, so
folgt das des Natriums zu Na = 2306. Auf ähnliche Weise ist Ii =
7 03 gefunden worden.
Für den Stickstoff benutzte Stas eine zuerst von Penny (1839)
angegebene Methode. Ene gewogene Menge von Chlorkalium wurde
durch wiederholtes Eindampfen mit Salpetersäure in Kaliumnitrat über-
geführt. Es wurden z. B. in einem Versuche aus 48-9274 g Chlor-
kalium 66-3675 Kaliumnitrat erhalten. Ist [KNO^] das Verbindungs-
gewicht des letzteren, und wird das des Chlorkaliums (S. 19) gleich 74-59
gesetzt, so folgt
[KNO^J : 74-59 = 66.3675;: 48-9274
[KNO^] = 101-175.
Da das Kaliumnitrat die Formel KNO' hat, so muss von der er-
haltenen Zahl K=3915 und 30^=48 00 subtrahiert werden, woraus
N= 14-03 folgt. Ähnliche Versuche mit gleichen Ergebnissen steUte
Stas mit Chlomatrlum und Chlorlithium an.
Ein anderes einfacheres Verfahren bestand darin, dass Süber in
Silbemitrat übergeführt wurde. In einem derartigen Versuche gaben
77-2684 g Silber 121-6749 g Nitrat, woraus nach der Proportion
[AgNO^] : 107-93 = 1216749 : 772684
[AgNO»] = 169-95
das Verbindungsgewicht des Silbemitrats AgNO^ gleich 169-95 und
daraus nach Abzug von Ag= 107-94 und 30 = 48-00 das des Stick-
stoffs N=1402 gefunden wird.
Die vorstehend beschriebenen Versuche geben Beispiele für die ver-
schiedenen allgemeinen Methoden, nach denen Verbindungsgewichte bestimmt
werden. In den folgenden Zeilen sollen für alle Elemente kurze Angaben
über die Wege, auf welchen in den einzelnen Fällen die Verbindungsgewichte
bestimmt wurden und die genauesten der dabei erhaltenen Zahlen mitgeteilt
werden.
1. Aluminium. Berzelius hatte (1812) durch Glühen von Aluminium -
Sulfat die Zahl AI = 27-32 erhalten. Mit diesem ganz am Anfange der-
22 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
artiger Arbeiten aus einem einzigen Versuche bestimmten Werte begnügte
sich die chemische Welt jüber 30 Jahre lang, bis Tissier (1858; und nach
ihm zahlreiche andere die Konstante neu bestimmten. Die gegenwärtig als
richtig anerkannte Zahl wurde von Mallet (1880) bestimmt, welcher durch
Glühen von krystallisiertem Ammoniakalaun (2NH*A1S*0"12H*0 : A1*0»)
All— 27*12, durch Titriren von Aluminiumbromid mit Silberlösung AI «=27*11,
durch Verbrennen des Wasserstoffes, welchen gewogene Mengen Aluminium
aus Kalilauge entwickelten, (2A1:3H*0) AI =»27-05, und durch Messen des
Wasserstoffs bei der gleichen Reaktion AI «» 27 04 erhielt. Als wahrschein-
lichstes Verbindungsgewicht ist AI = 27-08 anzunehmen.
2. Antimon. Auch dieser Wert war bis 1856 nur ungenau bekannt.
Durch Reduktion von natürlichem Antimonglanz von Arnsberg mittelst
Wasserstoff (Sb*S*:2Sb) erhielt Schneider (1866) Sb = 120-6. Zwar erhielt
gleichzeitig Dexter durch Oxydation von Antimon zu Tetroxyd mittelst
Salpetersäure (2Sb:Sb*0*) höhere Zahlen, die durch die von Dumas (1859)
mitgeteilten Titrierversuche mit Antimonchlorid und Silberlösung eine schein-
bare Bestätigung erhielten, doch ergab sich durch eine eingehende Unter-
suchung von Cooke (1880), dass die Zahl von Schneider richtig war. Der
Fehler bei den Bestimmungen von Dumas liegt darin, dass so leicht zer-
setzliche Chloride, wie 'Antimonchlorid, kaum jemals in reinem Zustande
erhalten werden können. Die geringste Spur Wasserdampf bildet Oxychlorid,
während Chlorwasserstoff entweicht, und ersteres lässt eich nicht mehr durch
Destillation völlig vom Chlorid trennen. Dadurch enthält das Präparat zu
wenig Chlor und das Verbindungsgewicht wird zu gross gefunden.
Die Versuche von Cooke bestanden in Synthesen des Schwefelantimons
(2Sb:Sb*S'), Brombestimmungen im Antimonbromid (SbBr":3AgBr), Titrie-
rungen von Antimonbromid mittelst Silberlösung (SbBr':3Ag) und Jodbe-
stimmungen im Antimonjodid (SbJ':3AgJ). Das Mittel ist Sb«» 120-2.
Die Zahl ist in der Folge wiederholt bestätigt worden. Versuche nach
einem neuen Prinzip sind von Pfeifer (1881) und von Popper (1887) ausgeführt
worden. Nach dem elektrolytischen Gesetz von Faraday (s. w. u.) werden
nämlich aus verschiedenen Elektrolyten durch denselben Strom äquivalente
Mengen der Stoffe abgetrennt. Wenn man also denselben Strom hintereinander
eine Silber- und eine Antimonlösung durchwandern lässt, müssen die aus-
geschiedenen Metallmengen im Verhältnis der „Äquivalente", d. h. im Ver-
hältnis Sb:3Ag stehen. Auf diese Weise wurde Sb= 120-7 gefunden. Eine
Versuchsreihe von Bongartz (1883), bei der der Schwefel des Schwefelanti-
mons in Baryumsulfat übergeführt wurde (2 Sb :3 BaSO*), ergab Sb=» 120-1.
Als wahrscheinlichstes Mittel ist Sb= 120-3 anzusehen.
3. Argon. Dies merkwürdige, in der Luft vorkommende Element bildet
keine bekannten Verbindungen; sein wahrscheinliches Verbindungsgewicht
musste daher aus der Gasdichte abgeleitet werden. Die von seinen Entdeckern
Ramsay und Rayleigh (1895) angegebenen Werte führen auf Ar «39-88;
spätere genauere Messungen mit sorgfältig gereinigtem Material ergaben den
endgültigen Wert Ar = 39-91.
Die Verbindungsgewichte. 23
4. Arsen, Über dies Element sind nicht viel Untersuchungen gemacht
worden. Eine interessante Methode benutzte Berzelius (1818), indem er
Arsentrioxyd mit überschüssigem Schwefel erhitzte. Der nach der Gleichung
2As«0' + 9S = 2As«S* + 3S0« entstehende Gewichtsverlust durch das ent-
weichende Schwefeldioxyd liefert hier die nötigen Beziehungen. Die gegen-
wärtig angenommene Zahl ist von Pelouze (1845) und Dumas (1859) durch
Titrieren von Chlorarsen in wässeriger Lösung mit Silber ermittelt worden
und beträgt As = 750.
5. Baryum. Das Verbindungsgewicht des Baryums wurde zuerst von Ber-
zelius (1811) durch Umwandlung des Garbonats in das Sulfat (BaSO*:CO*\
später von ihm und vielen anderen (Turner 1829, Pelouze 1845, Marignac
1848 und 1858, Dumas 1859) an dem Chlorbaryum durch Fällung mit Silber
bestimmt. Neben diesem Verfahren kommen einige andere, weniger gute
Methoden kaum in Betracht. Die älteren Arbeiten werden indessen durch
neue Untersuchungen von Richards (1893) in den Schatten gestellt, der mit
grosser Genauigkeit das Verhältnis von Baryumchlorid und Baryumbromid zu
Silber bestimmte. Aus diesen Arbeiten folgt Ba = 137-43.
6. Beryllium. Es wurde fast nur das Berylliumsulfat analysiert. Neben
älteren, weniger genauen Versuchen von Berzelius (1815 und 1826), Awde-
jew (1842), Weeren (1854), Debray (1855), Klatzo (1869) besitzen wir sehr
gute Versuche von Nilson und Pettersson (1880), welche die Analyse des
Sulfats BeSO*, 4H*0 in denkbar einfachster Form ausführten, nämlich nur
durch heftiges Glühen, wobei Beryllerde, BeO, zurückbleibt. Diese Be-
stimmungen wurden (1891) durch Krüss und Morath wiederholt und ergaben
Be = 9-08.
7. Blei. In der Geschichte der Verbindungsgewichte nimmt das Blei in-
sofern einen hervorragenden Platz ein, als es das erste Element war, an welchem
Berzelius (1811) seine Kunst bethätigte. Seine Methode bestand in der Be-
handlung metallischen Bleis mit Salpetersäure und Glühen des Nitrats, wo-
bei Bleioxyd zurückblieb. Später (1818) analysierte er Bleichlorid, dann (1830)
reduzierte er Bleioxyd mittelst Wasserstoff. Von Turner (1833) wurde Blei,
sowie auch Bleioxyd in das Sulfat übergeführt, Marignac (1858) und Dumas
(1859) titrierten Chlorblei mit Silberlösung von bekanntem Gehalt. Die
gegenwärtig benutzte Zahl verdanken wir Stas, welcher in zwei Versuchs-
reihen metallisches Blei in Bleinitrat, und Blei in Bleisulfat überführte. Das
Mittel seiner Versuche giebt Pb = 206-91.
8. Bor. Zur Bestimmung dieses Verbindungsgewichtes stellte Berzelius
(1824) den Wassergehalt des krystallisierten Borax fest, woraus B = 1101 folgt.
Mit dieser Zahl musste man sich bis 1892 begnügen, da einige inzwischen von
Deville (1859) mitgeteilte Analysen des Borbromids zu wenig übereinstimmende
Werte ergaben. Dann wurde in kurzer Zeit eine Anzahl neuer Bestimm-
ungen mitgeteilt. Abrahall (1892) analysierte Borbromid, Ramsay und Aston
(1893) bestimmten den Wassergehalt im Borax, und führten, ihn in Natrium-
sulfat über, Kimbach (1893) titrierte Borax alkalimetrisch mit Methylorange
als Indikator. Als Mittelwert kann man B = 110 annehmen.
24 I- Massenverhältaiisse chemischer Verbindungen.
9. Brom, Die älteren Bestimmungen des Verbindungsgewichtes des Broms
von Baiard (1826) und Liebig (1826) geben zu niedrige Werte, weil das Ma-
terial noch chlorhaltig war. Berzelius erhielt einen besseren Wert, indem
er Bromsilber durch Erhitzen im Chlorstrome in Chlorsilber überführte.
Marignac führte mit Brom statt Chlor eine Versuchsreihe KBrO':KBr,
KBriAgBr, Ag:Br = AgBr durch, welche der oben (S. 20) mit Chlor
an Stelle des Broms geschilderten ganz ähnlich war. Es ergab sich
Br =- 7996
Stas hat endlich Silberbromat zu Bromid reduziert, und im Bromsilber
das Verhältnis Ag : Br festgestellt. Seine Versuche sind in weit grösserem
Massstabe und unter Anwendung viel mannigfaltigerer Hilfsmittel ausge-
führt worden, als die von Marignac; dennoch haben beide Versuchsreihen
ganz gleiche Resultate. Die als endgültig zu betrachtende Zahl von Stas ist
Br = 79-963.
10. Cäsium. Die Zahl für dieses Element ist ausschliesslich durch Über-
führung des Chlorcäsiums in Chlorsilber gewichtsanalytisch bestimmt wor-
den. Die genauesten Versuche rühren von Godeffroy (1876) her und geben
Cs =» 132-9.
11. Cadmium. Bis zum Jahre 1857 wurde als Verbindungsgewicht des
Cadmiums eine aus einer einzigen Angabe des Entdeckers Stromeyer (1818)
berechnete Zahl benutzt, die sich übrigens in der Folge als ziemlich richtig
erwies. Von den späteren Forschern führte v. Hauer (1857) Cadmiumsulfat
durch Glühen in Schwefelwasserstoff in Cadmiumsulfid über; Dumas (1859)
titrierte Chlorcadmium mit Silber; Lenssen analysierte (1860) Cadmium-
oxalat, Huntington (1881) analysierte Cadmiumbromid sowohl gewichts-
wie massanalytisch durch Überführung in Bromsilber. Eine spätere Arbeit
von Partridge (1890) stellt keinen Fortschritt dar, und auch die Be-
stimmung des Verhältnisses zwischen Metall und Oxyd über das Nitrat durch
Morse und Jones (1892) sind dem Bedenken ausgesetzt, dass die Zersetzung
des Nitrats in der Hitze schwer vollständig zu erreichen ist. Dieselben
analysierten ausserdem das Oxalat. Lorimer und Smith reduzierten das Oxyd
elektrolytisch, und auch Härdin (1896) benutzte elektrolytische Methoden.
Das Gesamtergebnis ist Cd = 112-1.
12. Calcium. Obwohl das Calcium von allen metallischen Elementen
auf der Erdoberfläche in den grössten Mengen vorkommt, so ist doch sein Ver-
bindungsgewicht keineswegs mit einer Sicherheit bekannt, welche der Bedeu-
tung dieser Konstanten entspricht. Berzelius hat ganz am Anfange seiner
Arbeiten (1811) eine einzige Analyse des Chlorcalciums gemacht und mit
der daraus berechneten Zahl, die noch dazu durch einen Schreibfehler ent-
stellt war, begnügten sich die Chemiker 30 Jahre. Erst 1842 machte Dumas
durch Weissglühen von isländischem Kalkspat (CaCO*:CaO) einige Be-
stimmungen, worauf Erdmann und Marchand eine lange Untersuchung (1842
bis 1850) nach verschiedenartigen Methoden durchführten, als deren Schluss-
ergebnis sich ein einziger fehlerfreier Versuch über den Gewichtsverlust
des Calciumcarbonats beim Glühen herausstellte. Er führt zu Ca = 400.
Die Verbindungsgewichte. 25
Die Unsicherheit, welche über diesen Wert besteht, wird durch eine Ver-
suchsreihe von Dumas (1859), in welcher Chlorcalcium mit Silber titriert
wurde, nicht vermindert, da die Herstellung von oxydfreiem Chlorcalcium
grosse Schwierigkeiten macht, von denen Dumas nicht erwiesen hat, dass er sie zu
überwinden wusste. Einstweilen muss die Zahl Ca = 40-0 beibehalten werden.
13. Cerium. Die Bestimmung des Verbindungsgewichtes dieses Elementes
hat ungemein grosse Schwierigkeiten gemacht. Diese lagen nicht etwa in den
analytischen Methoden, sondern darin, dass es äusserst schwierig ist, die
Cerverbindungen von denen der begleitenden Erden rein abzuscheiden.
Auf diesen Umstand ist es zurückzuführen, dass verschiedene Arbeiter bei
gleich sorgsamen Bestimmungen ziemlich abweichende Werte erlangt haben.
Die ältesten Bestimmungen von Hisinger (1816) wurden zu einer Zeit
ausgeführt, wo die Begleiter des Cers, Lanthan und die Didyme, noch nicht
entdeckt waren. Mit einigermassen reinen Cerverbindungen arbeitete zuerst
Beringer (1842), der das Chlorid und das Sulfat analysierte. Spätere Ver-
suche von Hermann, Rammelsberg, Marignac, Jegel, Wolf, Bührig bewiesen,
dass man je nach dem Ursprung und der Keinigungsmethode der benutzten
Cerpräparate sehr verschiedene Atomgewichte, zwischen 130 und 140, erhält.
Erst in neuester Zeit haben Robinson (1884) und Brauner (1885) mit sorg-
faltig gereinigtem Material in ganz unabhängigen Untersuchungen überein-
stimmende Werte erhalten. Die Methode bestand darin, dass das Sulfat
durch Weissglühen in das Oxyd übergeführt wurde, und das Ergebnis war
Ce = 140-2. Indessen scheint auch diese Übereinstimmung nur zufällig zu
sein, denn Schützenberger (1895) zeigte, dass die Cersalze sich durch geteilte
Krystallisation in Anteile von verschiedener Farbe und verschiedenem Atom-
gewicht spalten lassen. Dies wurde von Brauner bestätigt, und dieser teilte
Atomgewichtsbestimmungen verschiedener Fraktionen mit. Die Angelegenheit
harrt noch der Erledigung, und einstweilen kann kaum der runden Zahl
Ce = 140 eine Bedeutung zugeschrieben werden.
14. Chlor, Bereits oben (S. 19) wurde die von Berzelius zuerst ange-
wendete Methode mitgeteilt, nach welcher sowohl zuerst, wie auch endgültig
das Verbindungsgewicht dieses Elementes ermittelt worden ist. Die Zahl der
Forscher, welche ihre Kräfte von Berzelius bis Stas an dieser Aufgabe ver-
sucht haben, ist sehr gross, die genauesten Ergebnisse haben ausser den
genannten Penny (1839) und Marignac (1832 — 46) erhalten. Abweichende
Metboden wurden zwar versucht, doch ohne Erfolg. So erhielt Marignac
(1842) sehr falsche Zahlen, als er Kupferoxyd im Chlorwasserstoffstrome er-
hitzte (CuO 4- 2HC1 «s CuCl* + H*0) und ebensowenig verdienen die Ergeb-
nisse der Analyse einer kompliziert zusammengesetzten organischen Ver-
bindung, durch welche Laurent (1842) die Frage zu lösen suchte, irgend
welches Vertrauen. Die gegenwärtig als richtig angesehene Zahl ist die
von Stas gefundene, von der die älteren Bestimmungen von Marignac, Penny
und Berzelius nur um geringe Gröäsen abweichen. Sie beträgt Cl = 35-453.
15. Chrom. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes gehört zu denen,
deren Wert noch nicht durch eine eingehende' Arbeit ganz unzweifelhaft festge-
26 !• Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
stellt ist. Berzelius hatte (1818) einige Analysen des Bleichromats und des Ba-
ryumchromats mitgeteilt, deren Ergebnisse sich aber viel weiter von der Wahr-
heit entfernten, als sonst bei den Arbeiten dieses genauen Forschers der Fall
ist. Mit ziemlich guter Annäherung wurde dann der gesuchte Wert von Berlin
(1846) gefunden, welcher Silberchromat in Chlorsilber und Chromoxyd über-
führte. Spätere Arbeiten von Morberg (1848), Lefort (1850), Wildenstein
(1853) und Kessler (1861), in denen verschiedene, meist ungeeignete Metho-
den benutzt wurden, stehen hinter der älteren Arbeit von Berlin zurück.
Siewert (1861) gab eine Fehlerquelle in der letzten Arbeit an, die durch
die Löslichkeit des Chlorsilbers in der sauren, chromoxydhaltigen Flüssig-
keit, aus der es gefällt wird, liegen soll; indem er sie vermied, erhielt er
statt Berlins Zahl 52-5 die niedrigere 02-1. Einen mittleren Wert endlich
fand Baubigny (1884) bei der Überführung von Chromsulfat in Chromoxyd
durch starkes Glühen. Rawson (1889) zersetzte Ammoniumdichromat durch
Erhitzen, Meinecke (1891) verwandelte Silberchromat und Ammoniumsilber -
Chromat in Chlorsilber, und Ammoniumchromat durch Fällen mit Mercuro-
nitrat und Erhitzen in Chromoxyd. Diese neueren Bestimmungen ergeben
etwas kleinere Werte als die früheren, und führen zu dem Mittel Cr = 52'l.
16. Didym, Praseodym und Neodym. Für dieses Element gelten dieselben
Bemerkungen, welche über das Cer (S. 25) gemacht worden sind. Die älteren An-
gaben von Marignac (1849 und 1853), Hermann (1861), Zschiesche (1869) und
Erck (1870) schwanken alle sehr. Sie wurden meist durch die Fällung der
Schwefelsäure des Didymsulfats mit Chlorbaryum erhalten und wurden dadurch
fehlerhaft, dass das Baryumsulfat unter diesen Umständen erhebliche Mengen
von Didymoxyd durch Adsorption mitreisst. Indessen gaben auch ver-
schiedene Versuche von Cleve, Nilson und Pettersson, und Brauner, welche
alle Didymsulfat durch heftiges Glühen in Oxyd überführten, trotz der
gleichen Methode abweichende Zahlen. Im Jahre 1885 berichtete Auer
V. Welsbach, dass er das bisher Didym genannte Element als ein Gemenge
von zwei anderen, die er Praseodym und Neodym nannte, erkannt habe.
Die Verbindungsgewichte sind nach vorläufigen Angaben, die inzwischen nicht
ergänzt wurden, Pr = 143-6 und Nd = 140-8.
Die Angaben von Welsbach blieben lange ohne Kontrolle; erst in
neuester Zeit ist, veranlasst durch die Verwendung der seltenen Erden in
der Industrie des Gasglühlichtes, die Arbeit wieder aufgenommen worden.
Dabei stellte sich heraus, dass, während die Existenz der beiden Bestand-
teile desDidyms bestätigt wurde, dieVerbindungsgewichte gerade die umgekehrten
Werte haben. Da die Untersuchungen von Scheele, Braunerund Jones (sämt-
lich 1898) unabhängig das gleiche Resultat ergaben, so kann man gegenwärtig
die Zahlen Pr = 140-4 und Nd =* 143*6 als ziemlich sicher bekannt ansehen.
17. Eisen. Auch für das Eisen hatte Berzelius anfänglich (1811) einen
erheblich falschen Wert angenommen; auf den Fehler machten Stromeyer
(1826) und Wackenroder (1844) aufmerksam, worauf Berzelius eine erneute
Untersuchung durch Svanberg und Norlin (1846) veranlasste, der er einige
eigene Bestimmungen hinzufügte. Diese, sowie die Untersuchungen von
Die Verbindungsgewichte. 27
Erdmann und Marchand (1844), von Maumen^ (,1850) und Rivot (1850) wur-
den angestellt, indem einerseits reines Eisen durch Behandlung mit Salpeter-
säure, Abdampfen und Glühen in das Oxyd, andererseits reines Oxyd durch
Erhitzen im Wasserstoffstrome in Metall übergeführt wurde und ergaben mit
grosser Übereinstimmung Fe =« 56-00.
18. Erbium, Auch für dies seltene Element gelten die beim Cer und
Didym gemachten Bemerkungen. Man hat in dem Masse, als man sich ein-
gehender mit diesem Stoffe beschäftigte, andere Elemente von sehr ähnlichen
Eigenschaften abscheiden gelernt, und hat gegenwärtig auch keine Sicherheit,
dass das, was man Erbium nennt, wirklich ein einheitlicher Stoff ist. Die
letzten Bestimmungen von Cleve (1880) gaben Er = 166.
19. Fluor. Das Verbindungsgewicht des Fluors war lange bestimmt
-worden, bevor man das Element in freiem Zustande kennen lernte, was erst vor
Jfurzer Zeit geschehen ist. Man kannte es nur als Bestandteil verschiedener
Verbindungen und schloss auf das Dasein des Elementes aus der Thatsache,
dass diese Verbindungen von allen Verbindungen bekannter Elemente ver-
schieden sind. Zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes ist fast nur eine Me-
thode benutzt worden: die Umwandlung von Fluorcalcium in Calciumsulfat
durch Abdampfen mit Schwefelsäure: CaFl^ -f- H*SO* « CaSO* + i>HFl. Der-
artige Versuche stellten Berzelius (1818 und 1824), Louyet (1849), Dumas il859\
de Luca (1862) mit etwas wechselnden Ergebnissen an, da das Fluorcalcium
äusserst schwer vollständig durch Schwefelsäure zersetzbar ist. Deshalb wur-
den von Einigen noch andere Verbindungen, Fluomatrium und Fluorblei, an-
gewendet. Das Mittel der guten Versuche ist Fl = 19-00. Diese Zahl wurde
neuerdings auf einem ganz anderen Wege bestätigt. Christensen (1886) zer-
setzte die Verbindung (NH*)*MnFl*, welche schön krystallisiert, mit Jodwasser-
stoff: (NH*)«MnFl* + HJ = 2NH*F1 -I- MnFl« -f HFl + J und bestimmte das
ausgeschiedene Jod massanalytisch mittelst Natrium thiosulfat. Das Ergebnis
war dasselbe, Fl =: 1900.
20. Gadolinium, Das Element ist von Marignac charakterisiert worden,
der ihm das Verbindungsgewicht 156-8 zuschreibt. Lecocq de Boisbaudran
giebt 156-3, Cleve 154-8. Alle diese Zahlen erscheinen noch sehr unsicher.
21. Gallium. Lecoq de Boisbaudran, der Entdecker des Galliums, hat (1878)
das Verbindungsgewicht desselben durch Glühen von Ammoniumgalliumalaun,
NH*GaS20»4- 12H*0, wobei Galliumoxyd, Ga^O», hinterbleibt, bestimmt.
Femer hat er Metall in Oxyd verwandelt. Das Ergebnis ist Ga =* 69-9.
22. Germanium. Der Entdecker des Germaniums, Gl. Winkler, analy-
sierte Germaniumchlorid, GeCl*, durch Zersetzen mit Natriumcarbonat und
massanalytische Bestimmung des Chlors mittelst Silberlösung. Aus seinen
Angaben berechnet sich Ge =*= 72-3.
23. Gold. An diesem Element sind sehr mannigfaltige Methoden in
Anwendung gebracht worden. Zuerst fällte Berzelius (1813) eine Goldlösung
mit Quecksilber und bestimmte so das Verhältnis der Verbindungsgewichte der
beiden Metalle. Später erhielt Javal (1821) durch Analysen von Goldoxyd ganz
andere Zahlen, worauf Berzelius (1845) in einer neutralen Chlorgoldlösung
28 I- Massenverhaitnißse chemischer Verbindungen.
das Verhältnis zwischen Chlor und Gold ermittelte, und andererseits Kalium -
goldchlorid, KAuCl*, durch Glühen im Wasserstoffstrome zersetzte und das
Verhältnis zwischen Gold und Chlorkalium bestimmte. Level (1850) arbei-
tete nach einer vollkommen abweichenden Methode: er reduzierte eine
Goldchloridlösung durch Schwefeldioxyd, 2AuCl» + 3S0« + GH*0 = 2Au
-f-3H*SO* + 6HCl, und bestimmte das Verhältnis zwischen dem Golde und
dem aus der Losung durch Chlorbaryum gefällten Baryumsulfat In neuester
Zeit endlich haben G. Krüss (1887) und Thorpe und Laune (1887) nach der
letzten Methode von Berzelius, Zerlegung von Golddoppelsalzen, eine Neu-
bestimmung vorgenommen, und Au «« 197-2 im Mittel erhalten. Diese Zahl
wird auch durch die nach acht verschiedenen Methoden durchgeführte Unter-
suchung von Mallet (1889) nicht verändert.
24. Helium. Dies gasförmige Element verhält sich ganz wie das Argon.
Sein Entdecker Ramsay hat seine Dichte wiederholt bestimmt; die letzte, wohl
auf einen Bruchteil eines Prozents sichere Bestimmung ergiebt He = 3*96.
25. Indium. Dieses von Reich und Richter entdeckte Element ist von
seinen Entdeckern (1864), von Winkler (1867) und von Bunsen (1870) auf sein
Verbindungsgewicht untersucht worden. Die hauptsächlich benutzte Methode
bestand in der Oxydation des Metalls zu Oxyd. Der Wert ist In = 113-7.
26. Iridium. Vom Jahre 1828—1878, also 50 volle Jahre, begnügte
sich die Wissenschaft mit einer einzigen Analyse von Ealiumiridiumchlorid,
welche Berzelius ausgeführt hatte. In dem letzterwähnten Jahre führte Seubert
eine sehr sorgfältige Arbeit nach derselben Methode aus, deren Ergebnis
Ir =« 193-2 ist. Joly fand (1890) den gleichen Wert.
27. Jod. Gay-Lussac (1814), dem wir die genaue Kenntnis dieses Ele-
mentes verdanken, bestimmte das Verhältnis, in welchem Jo<t und Zink sich
verbinden. Berzelius (1828; zerlegte gewogene Mengen von Jodsilber durch
Erhitzen im Chlorstrome, wobei es völlig in Chlorsilber übergeht; später sind
diese Versuche von Dumas (1859) mit ganz übereinstimmendem Ergebnis
wiederholt worden. Eine der von Berzelius für Chlor eingeführten (S. 19)
Methode ähnliche benutzte Millon (1843), indem er Ealiumjodat durch Glühen
in Jodkalium überführte. Marignac (1843) stellte das Verhältnis zwischen
Jodkalium und Silber, sowie das zwischen Silber und Jodsilber fest.
Stas endlich analysierte Silbeijodat, indem er es durch Erhitzen zer-
setzte und den entweichenden Sauerstoff durch glühendes Kupfer aufnahm.
Andererseits bestimmte er das Verhältnis zwischen Jod bez. Silber und Jod-
silber. Aus seinen Versuchen, mit denen die von Marignac völlig überein-
stimmen, ergiebt sich J «» 126*86.
28. Kalium. Mit Ausnahme der allerältesten Bestimmungen von Ber-
zelius (1811), bei denen metallisches Kalium (als Amalgam gewogen) in Chlor-
kalium verwandelt wurde, hat man später das Verbindungsgewicht des Kaliums
stets im Zusammenhange mit dem des Chlors durch die Analyse des Kalium-
chlorats bestimmt; die verschiedenen Forscher, welche sich an der Arbeit
beteiligt haben, sind dort (S. 19) genannt worden. Die gegenwärtig benutzte
Zahl ist die von Stas, K = 39-14.
Die Verbindungsgewichte. 29
29. Kobalt. Über dieses Element ist eine Unzahl von Arbeiten aus-
geführt worden, besonders zu dem Zwecke, um zu entscheiden, ob Kobalt
und Nickel gleiche oder verschiedene Atomgewichte haben, und bei keinem
Element sind von verschiedenen, gleich zuverlässigen Forschem so abweichende
Ergebnisse gefunden worden. Die Namen der Beteiligten sind Rothoff (1818),
Schneider (1857), Marignac (1857), Gibbs (1858), Dumas (1859), Rüssel (1863
und 1869), Sommaruga (1866), Winkler (lfc67), Weselski (1868), Lee (1871),
Zimmermann ( 1886\ Remmler (1891), Winkler (1893 und 1894), Hempel und
Thiele (1895), Richards und Baxter (1898). Die angewandten Methoden waren
sehr verschieden, und die Ergebnisse schwanken zwischen 58-8 und 60*6.
Noch mehr wurde die Frage durch die von Krüss (1889) behauptete Existenz
eines dritten Metalls neben Kobalt und Nickel verwickelt, die sich indessen
als ein Irrtum herausgestellt hat. Als wahrscheinlichster Wert ist der von
Richards und Baxter durch die Analyse des Kobaltbromids gefundene,
C =^ 59-0, anzusehen.
30. Kohlenstoff. Die Bestimmung des Yerbindungsgewichts des Kohlen-
stoffs wurde von Berzelius anfänglich auf die Beobachtung gegründet, dass der
Sauerstoff sein Volum nicht vermehrt, wenn er in Kohlendioxyd übergeht; es
verhält sich somit das Yerbindungsgewicht des Sauerstoffs zu dem des Kohlen-
dioxyds wie die spezifischen Gewichte beider Gase. Indessen ist dies nicht
streng richtig; das Volum des Kohlen dioxyds ist etwas kleiner, als das des
Sauerstoffs, und so entstand der falsche Wert, welcher erst spät (1841) durch
Liebig und Redtenbacher, Dumas und Stas, sowie Erdmann und Marchand
richtig gestellt wurde (S. 15). Die von diesen Forschem übereinstimmend
gefundene Zahl C *== 1200 ist in der Folge noch mehrfach bestätigt worden.
So von Stas (1849) durch Verbrennung von Kohlenoxyd, von Roscoe (1882)
durch Verbrennung von Diamanten (vom Kap), auf gleiche Weise von Friedel
(1885) und endlich von van der Plaats (1885) durch Verbrennung von Zucker-
kohle, Graphit und Papierkohle. Es ist somit mit grosser Sicherheit zu setzen
C « 1200.
31. Krypton. Dies Gas von dem Typus des Argons wurde von Ramsay
(1898) gleichfalls in der atmosphärischen Luft aufgefunden. Ü^ber sein Ver-
bindungsgewicht lässt sich noch nicht bestimmtes angeben.
32. Kupfer, Die ineisten Versuche zur Bestimmung des Verbindungsge-
wichts dieses Metalls sind durch Reduktion gewogener Mengen von Kupferoxyd
in erhitztem Wasserstoff ausgeführt worden. So einfach der Versuch aussieht,
so haftet ihm doch eine Fehlerquelle an, welche darin liegt, dass das schwamm -
förmige reduzierte Kupfer merkliche Mengen Wasserstoff auf sich verdichtet
und dadurch sein Gewicht vermehrt. Nach diesem Verfahren arbeiteten Ber-
zelius (1820), Erdmann und Marchand (1844\ Milien und Commaille (1864)
und Hampe (1874). Letzterer bestimmte ferner den Kupfergehalt des wasser-
freien Kupfersulfats durch elektrolytische Ausscheidung. Endlich verwandelte
Baubigny (1883) Kupfersulfat durch Glühen in Oxyd.
Auf einem ganz anderen Wege, welcher dem beim Antimon angewen-
deten (S. 22) gleich ist, bestimmte W. N. Shaw (1887) den gesuchten Wert.
30 I* Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
Er leitete denselben galvanischen Strom durch zwei Zersetzungszellen, wo
derselbe einerseits Kupfer, andererseits Silber ausscheiden musste, und be-
stimmte nach dem Faradayschen Gesetz daraus das Äquivalent- oder Yer-
bindungägewicht des Kupfers. Die Zahl stimmt mit den auf chemischem
Wege gefundenen sehr nahe überein.
Sehr eingehende und sorgfältige Bestimmungen rühren von Th. W.
Richards her (1886 — 1891), der nach verschiedenen Methoden arbeitete. Er
führte Silbernitrat in kalter Lösung durch metallisches Kupfer in Silber über,
analysierte trockenes Kupfersulfat, bestimmte das Verhältnis zwischen Kupfer
und Silber, bez. Silberbromid un'd Kupferbromid. Seine Zahlen können als
die zuverlässigsten angesehen werden und ergeben Cu » 63-60.
33. Lanthan. Auch das Verbindungsgewicht dieses Elementes leidet unter
derselben Unsicherheit, wie das der anderen seltenen Erden. Es sollen daher
nicht die sehr zahlreichen Forscher genannt werden, welche sich mit ihrer
Bestimmung beschäftigt haben, zumal die benutzten Methoden die gleichen
waren. Als wahrscheinlichsten Wert kann man einen von Cleve (1883) an-
gegebenen ansehen; beträgt La =138-5.
34. Lithium. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes ist ausserordentlich
verschieden von verschiedenen Chemikern bestimmt worden. Der Entdecker
Arfvedson (1818) fand Li = 10-3. Darauf fand Vauquelin (1818) Li = 9-2,
Gmelin (1818) 10-8, Kralowanszky (1827) 10-6, dagegen Hermann (1829) 6-1,
Berzelius (1830) 6-6, Hagen (1889) 6-5, Mallet (1857) 6-95. Erst Troost
(1862), der anfänglich auch falsche Zahlen gefunden hatte, erhielt später
annähernd richtige. Die genaue Zahl wurde dann von Diehl (1862) be-
stimmt, indem er gewogene Mengen Lithiumcarbonat mit Schwefelsäure
zersetzte und durch den Gewichtsverlust des Apparates das Kohlendioxyd
ermittelte. Stas endlich stellte durch Titration die Beziehung zwischen
Chlorlithium und Silber fest, und bestimmte so die gegenwärtig gültige Zahl
Li = 7-03.
35. Magnesium. Die meisten älteren Bestimmungen sind durch Analyse
oder Synthese des Sulfats gemacht worden, so von Berzelius (1812), Gay-
Lussac (1819), Scheerer (1846), Svanberg und Nordenfeldt (1848), Jacquelain
(1850), Bahr (1852). Die letztere Bestimmung ist dadurch besonders in-
teressant, dass sie an einer Probe Magnesia gemacht wurde, die aus dem
Olivin eines sibirischen Meteoriten stammte. Wie in allen anderen Eigen-
schaften, erwies sich diese himmlische Magnesia auch in Bezug auf das
Verbindungsgewicht von der irdischen nicht verschieden.
Eine ausgedehnte Untersuchung von Marchand und Scheerer (1850) über
den Kohlensäuregehalt von natürlichem Magnesiumcarbonat (Frankensteiner
Magnesit) ist wertlos geworden, als Scheerer neun Jahre später in dem be-
nutzten Materiale einen Kalkgehalt entdeckte. Auch die Versuche von
Dumas (1859) über das Verhältnis zwischen Chlormagnesium und Silber zeigten
nur die Unbrauchbarkeit der Methode, da es trotz Erhitzens im Chlorwasser-
stoffstrome nicht gelang, ein sauerstofffreies Magnesiumchlorid herzustellen.
Erst in neuerer Zeit hat Marignac (1883) durch die alte Methode, Synthese
Die Verbindungsgewichte. 31
und Analyse des Sulfats, Bestimmungen geliefert, welche den berechtigten
Ansprüchen an eine so häufig gebrauchte Konstante genügen. Sie ergaben
Werte, die etwa 1 V2 Prozent höher ausfielen, als die bis dahin (und sogar noch
zuweilen jetzt) benutzte runde Zahl 240. Die Bestimmungen von Burton und
Vorce (1890) sind durch eine inzwischen entdeckte Fehlerquelle zweifelhaft
geworden; dagegen besitzen wir gute Messungen von Richards und Parker
(1896}, die auf der Bestimmung der Beziehung zwischen Magnesiumchlorid
und Silber beruhen. Das Ergebnis stimmt ausgezeichnet mit dem von Marignac,
und die Zahl = 24-36 kann bis auf eine Einheit der letzten Stelle als richtig
angesehen worden.
36. Mangan, Die älteren Werte für das Yerbindungsgewicht des Mangans
waren ziemlich unsicher; genaueren Zahlen begegnen wir erst bei Hauer
(1857), welcher Mangansulfat durch Glühen im Schwefelwasserstoflfstrome in
Mangansulfür überführte. Die Methode ist viel besser, als das von Dumas
wieder angewandte Titrierverfahren mit Silber, wobei sich wieder die Un-
möglichkeit herausstellte, reines Manganchlorür zu gewinnen. Auch eine
Versuchsreihe von Schneider (1859) durch Verbrennung von Manganoxalat
lässt zu wünschen übrig. Dewar und Scott (1883) analysierten Silber-
permanganat, AgMnO*, und Marignac (1883) und Weeren (1890) führten
Manganoxydul in das Sulfat über; letzterer wiederholte auch die Versuche
von Hauer. Beide Versuchsreihen gaben Zahlen, die unter sich und mit
denen Hauers stimmten, so dass gesetzt werden kann M = 55'0.
37. Molybdän. Die ältesten Versuche von Berzelius (1818) beziehen
sich auf die Umwandlung von Bleinitrat in Bleimolybdat, und gaben viel
richtigere Zahlen, als die Versuche von Svanberg und Struve (1848), bei
denen Molybdänsulfid, MoS*, durch Rösten in Trioxyd, MoO*, übergeführt
wurde. Es findet dabei nur ein Gewichtsverlust von etwa 10 Prozent statt,
und die begangenen Versuchsfehler haben einen sehr grossen Einfluss auf
das Ergebnis. Gute Zahlen, Mo == 96, erhielt dagegen Dumas (1859), welcher das
Trioxyd durch starkes Erhitzen im WasserstoiFstrome in Metall überführte.
Auch die Analysen der Molybdänchloride von Liechti und Kämpe (1873)
ergaben gleiches und in neuerer Zeit ist von 0. v. d. Pfordten (1884)
durch die Analyse des Amraoniummolybdats ein gleicher Wert gefunden
worden. Smith und Maas (1893^ erhitzten Natriummolybdat in einem Strome
von Chlorwasserstoff, wobei Natriumchlorid nachbleibt. Seubert und Pollard
lösten Molybdän trioxyd in Natronlauge auf, und bestimmten das Äquivalent
durch alkalimetrische Titration ; ferner reduzierten 'sie das Trioxyd im Wasser-
stoffstrome zu Metall. Das Mittel der Werte führt auf Mo =« 96'0.
38. Natrium. Berzelius (1811) bestimmte das Verbindungsgewicht dieses
Elementes wie das des Kaliums (S.28) durch Überführung des Metalls im Amal-
gam in Chlomatrium. Einen fast absolut richtigen Wert fand Penny (1839)
durch Reduktion des Natriumchlorats zu Chlornatrium. Pelouze (1845),
Dumas (1859) und Stas bestimmten das Verhältnis zwischen Chlornatrium und
Silber; die Versuche des letzteren gaben die gegenwärtig sicherste Zahl
Na « 23.06.
32 !• Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
39. Neon ist ein von Ramsay (1889) entdecktes Gas von den allgemeinen
Eigenschaften des Argons. Aus seiner Dichte ergiebt sich angenähert das
Verbindungsgewicht Ne «= 20.
40. Nickel. Fast alle Forscher, welche das Verbindungsgewicht des Kobalts
festzustellen gesucht haben, haben sich auch mit dem des Nickels beschäftigt
und ebenfalls sehr wechselnde Werte, von 58-0 bis 59*4, erhalten. Durch
die Entdeckung des leicht flüchtigen Nickelcarbonyls, dem keine entsprechende
Kobaltverbindung zur Seite steht, ist es (1890) möglich geworden, kobaltfreie
Nickelpräparate mit Leichtigkeit herzustellen, und seitdem hat sich auch das
Verbindungsgewicht des Nickels mit grösserer Sicherheit bestimmen lassen. Die
besten Zahlen sind voraussichtlich die von Richards und Cushmann (1898)
bei der Ermittelung der Beziehung zwischen Nickelbromid und Silber erhaltenen,
die Ni = 58'7 ergeben.
41. Niobium. Die Erforschung der Natur dieses Elementes hat sehr
bedeutende Schwierigkeiten gemacht, die von Rose, welcher sich viele Jahre
mit demselben beschäftigt hat, nicht überwunden worden sind. Erst ßlom-
strand fand die richtige Auffassung der Verhältnisse, und demselben ver-
danken wir auch die Bestimmungen, welche als die richtigsten anzusehen
sind. Die Analysen des Pentachlorids gaben Nb =« 94-2.
42. Osmium. Auch für dieses Element musste bis in die neueste Zeit
eine einzige Analyse des Kaliumosmiumehlorids von Berzelius (1828) dienen,
welche Os = 200 ergeben hatte. Erst 1888 hat K. Seubert eine genaue Neu-
bestimmung ausgeführt, welche durch Analyse des Ammonium- und des
Kaliumosmiumehlorids zu einer weit kleineren Zahl führte, welche als richtig
anzusehen ist: Os = 191.
43. Palladium. Bis zum Jahre 1889 beruhte unsere Kenntnis von dem
Atomgewicht dieses Elementes allein auf den alten Bestimmungen von Ber-
zelius. In dem genannten Jahre teilte Keiser die ersten Ergebnisse seiner
Arbeiten darüber mit, die er 1894 weiter führte. Inzwischen waren andere
Forscher an der gleichen Frage thätig gewesen, so Bailey und Lamb (1892),
Keller und Smith (1892), Joly und Leidie (1893). Der Mittelwert ist noch
ziemlich unsicher, und es muss die runde Zahl Pd = 106 genügen.
44. Phosphor. Zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes dieses Ele-
mentes hat Berzelius viele Methoden versucht, ohne ein genügendes Ergebnis
zu erhalten. Noch mannigfaltiger sind die Methoden, aber auch die Zahlen,
welche Jacquelain (1852) erhielt. Zuverlässige Zahlen, die bis jetzt auch
die besten geblieben sind, erhielt Schröter (1852), der Entdecker des roten
Phosphors, indem er gewogene Mengen desselben in einem geeigneten Appa-
rate mit Sauerstoff zu Pentoxy d verbrannte. Gleiche Versuche sind auch in
neuerer Zeit von van der Plaats (1885) angestellt worden und haben die
gleichen Zahlen ergeben.
Von Pelouze (1845) und Dumas (1859) ist die Methode der Silber-
titrierung unter Benutzung von Phosphortrichlorid angewendet worden; in-
dessen macht sich auch hier die gewöhnliche Schwierigkeit geltend, ein reines.
Die Verbindungsgewichte. 33
hier insbesondere von Oxychlorid freies Trichlorid zu erhalten, und die
Zahlen sind daher fast immer etwas zu hoch ausgefallen.
Das Ergebnis der Versuche von SchrÖtter führt zu P «= 31*03.
45. Platin, Das Missgeschick, welches Berzelius, entgegen der grossen
Zuverlässigkeit seiner übrigen Bestimmungen, bei der Ermittelung der Ver-
bindimgsgewichte der Metalle der Platingruppe hatte, machte sich auch bei
der des Platins selbst geltend. Seine älteren Zahlen (1813 und 1826), welche
er durch Fällung einer Platinlösung mit Quecksilber, und durch die Analyse
des Platinchlorürs erhalten hatte, kommen der Wahrheit viel näher, als die
von ihm bevorzugte Zahl, welche auf der Analyse des Kaliumplatinchlorids
(1828) beruhte und Pt = 197-2 ergab. Im Jahre 1881 wies Seubert einen
ziemlich beträchtlichen Fehler in dieser Bestimmung nach, und stellte durch
Analyse des Kalium- wie des Ammoniumplatinchlorids den Wert Pt = 1 94*8
fest. Die Zahl wurde bald darauf von Halberstadt (1884) bestätigt. Diese
Verhältnisse zu kennen, hat eine gewisse Bedeutung, da bei den Analysen
stickstoffhaltiger Stoffe sehr häufig der Stickstoff in Form von Platinsalmiak
abgeschieden und aus der Wägung des aus Platin bestehenden Glührückstandes
berechnet wird; bis zum Jahre 1881 sind daher die nach dieser Methode
ausgeführten Analysen mit einem Rechenfehler behaftet, welcher den ge-
fundenen Stickstoffgehalt kleiner erscheinen lässt, als er in Wirklichkeit ist.
46. Quecksilber, Über das Verbindungsgewicht dieses Elementes hat nie-
mals eine erhebliche Unsicherheit geherrscht, da bereits die ältesten Analysen
des Quecksilberoxyds von Sefström eine der richtigen sehr nahekommende
Zahl gaben. Spätere Bestimmungen wurden nach verschiedenen Methoden
ausgeführt. Turner (18^33) analysierte ausser Quecksilberoxyd noch Queck-
silberchlorid und Kalomel durch Glühen mit Kalk, Erdmann und Marchand
(1844) reduzierten Quecksilberoxyd mit Kohle und Quecksilbersulfid mit
metallischem Kupfer, Milien (1846) und Svanberg (1848) zerlegten wiederum
Quecksilberchlorid durch Glühen mit Kalk. Hardin (1896) benutzte elektro-
lytische Methoden. Der Mittelwert aller Bestimmungen führt auf Hg =« 200-3.
47. Bhodium. Die Zahl, welche Berzelius (1828) durch die Analyse
des Natriumrhodiumchlorids erhielt, scheint etwas richtiger zu sein, als die
für die anderen Platinmetalle gefundenen. Denn sie wird durch spätere Be-
stimmungen von Jörgensen (1883), die allerdings nur vorläufigen Charakter
tragen, nur um eine Einheit verändert; nach letzterem ist zu setzen Rh = 103.
Den gleichen Wert fanden Seubert und Kobbe (1890).
48. Rubidium. Als erste Frucht der neuentdeckten Spektralanalyse fand
R. Bunsen die neuen Alkalimetalle Rubidium und Cäsium auf. Während
die völlige Reindarstellung des letzteren nicht alsbald gelang, wurde Rubidium
sogleich frei von Beimengungen erhalten, und die für dasselbe aus der Ana-
lyse des Chlorids (1861) erhaltene Zahl ist durch spätere gleichartige Be-
stimmungen von Piccard (1862) und Godeffroy (1875) bestätigt worden. Das
Mittel ist Rh = 85-4.
49. Ruthenium. Der Entdecker dieses Metalls, Claus, dessen Arbeiten
wir fast unsere ganze Kenntnis darüber verdanken , hat auch das Verbindungs-
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 3
34 I- Massenverhältnisbe chemischer Verbindungen.
gewicht durch Analyse des Kaliumruthenium Chlorids, K*RuCP, bestimmt.
Es fand sich Ru = 103-8. Neuere Untersuchungen von Joly (1889) ergeben
den erheblich kleineren Wert Ru = 101'7.
50. Samarium. Dieses Element ist noch weniger sicher als einheitlich
erwiesen, wie die anderen seltenen Erdmetalle. Cleve (1884), der das Oxyd
in Sulfat überführte, giebt den Wert Sm = 150.
51. Scandium. Auch dieses Element gehört zu den „seltenen Erden",
doch ist seine Einheitlichkeit viel wahrscheinlicher, als die der anderen, von
denen es durch sein kleines Verbindungsgewicht sehr bedeutend abweicht.
Nilson (1880), der es gleichzeitig mit Cleve entdeckt hat, giebt den Wert
Sc = 44-1 ; die Zahl wurde durch Überführung des Oxyds in das Sulfat
bestimmt.
52. Schwefel. Das Verfahren, nach welchem Berzelius (1811) zum ersten
Male das Verbindungsgewicht des Schwefels feststellte, bestand darin, dass er
gleiche Mengen Blei einerseits mit Sauerstoff, andererseits mit Schwefel ver-
band; die erhaltene Zahl war allerdings noch nicht genau. Später (1818)
führte er Blei in Bleisulfat über, welche Versuche Turner (1833) wiederholte.
Erdmann und Marchand (1844) analysierten Quecksilbersulfid, nachdem sie das
Verbindungsgewicht des Quecksilbers durch Analyse des Oxyds (S. 33) fest-
gestellt hatten. Berzelius, welcher ihre Ergebnisse in Zweifel zog, führte
(1845) Chlorsilber durch Erhitzen in Schwefelwasserstoff in Schwefelsilber
über. Struve (1851) zersetzte Silbersulfat durch Erhitzen im Wasserstoff-
strome, wobei reines Silber hinterbleibt, und Dumas (1859) endlich führte
Silber durch Erhitzen im Schwefeldampf in Schwefelsilber über.
Die Ergebnisse der meisten Versuche führten zu Werten, welche nahe
an S =« 32-0 liegen. Doch folgt aus den genauen Versuchen von Stas (S. 20\
dass der wahre Wert etwas höher liegt; er beträgt S =* 32«06.
53. Selen. Die Bestimmung des Verbindungsgewichtes hat beim Selen
erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Berzelius (1818) benutzte ein ganz un-
gewöhnliches Verfahren: die Überführung gewogener Mengen von Selen in
das Tetrachlorid, SeCl*, und schenkte der hieraus gewonnenen Zahl ein
grösseres Zutrauen, als der, welche sich aus der Analyse des Selensilbers und
der des selenigsauren Baryts ergab. Eine Arbeit von Sacc (1847) enthält
eigentlich nur ein Verzeichnis von Versuchen, welche nicht zum Ziele führten.
Von Erdmann und Marchand (1852) rührt nur eine kurze Angabe über die
Analyse des Selenquecksilbers her, Dumas (1859) endlich wiederholte die Ver-
suche von Berzelius über die Bildung des Tetrachlorids.
Die gegenwärtig benutzte Zahl stützt sich auf eine Untersuchung von
Ekmann und Pettersson (1876), in welcher einerseits Selen in das Dioxyd
verwandelt, andererseits selenigsaures Silber in Chlorsilber übergeführt wurde.
Das Mittel ist Se = 79-1.
54. Silber. Das Verbindungsgewicht des Silbers ist stets gleichzeitig mit dem
des Chlors und des Kaliums bestimmt worden (S. 19), so dass auf die dort
gemachten Angaben verwiesen werden kann. Die gegenwärtig angenommene
Die Verbindungsgewichte. 35
Zahl, die von allen Verbindungsgewichten überhaupt als die bestbekannte an-
zusehen ist, wurde von Stas nach fünf unabhängigen Methoden, ermittelt,
deren Ergebnisse nachstehend zusammengestellt sind.
a) Analyse des Kaliumchlorats und Ermittelung des Verhält-
nisses KCl : Ag 107-940
b) Analyse des Silberchlorats und Synthese des Chlorsilbers . 107'941
c) Analyse des Silberbromats und Synthese des Bromsilbers . 107'923
d) Analyse des Silberjodats und Synthese des Jodsilbers . . 107'937
e) Analyse des Silbersulfats und Synthese des Schwefelsilbers 107-927
Der Mittelwert ist Ag = 107-938, und sein wahrscheinlicher Fehler be-
trägt weniger als vier Einheiten der letzten Stelle. Es ist das eine Genauig-
keit, welche in den exakten Wissenschaften sonst schwerlich erreicht, geschweige
denn übertroiFen wird.
55. Süidum. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes war bekannt, bevor
noch dieses selbst bekannt war. Berzelius (1810) und mit besserem Erfolge
Stromeyer (1811) stellten nämlich siliciumreiches Eisen her, von dem sie ge-
wogene Mengen oxydierten. Das Oxydationsprodukt wurde analysiert, und
nach Abzug des Eisens im AusgangsstoiFe und des Eisenoxyds im Oxydations-
produkte war das Verhältnis des Siliciums zu dem Dioxyd gegeben. Später
untersuchte Berzelius verschiedene Silicate, natürliche, wie künstliche, sowie
Kieselfluorbaryum, jedoch ohne genügendes Ergebnis.
Erst die Anwendung der Silbertitriermethode hat zu guten Erfolgen
geführt. Nach den ersten Versuchen von Pelouze (1845) haben Dumas (1859)
und Schiel (1861) das Verfahren mit gleichen Ergebnissen angewendet. In
letzter Zeit haben Thorpe und Young (1887) gewogene Mengen Silicium-
tetrabromid mit Wasser zersetzt und die entstehende Kieselsäure gewogen.
Das Ergebnis ist Si = 28-4.
56. Stickstoff. Für dieses Element ist eine sehr grosse Zahl verschie-
dener Methoden benutzt worden. Berzelius stellte zuerst (1811) das Ver-
hältnis zwischen Chlorammonium und Chlorsilber fest. Später benutzte er
den Satz, dass die spezifischen Gewichte der gasförmigen Elemente im Ver-
hältnis ihrer Verbindungsgewichte stehen (s. w. u.), und gründete die von ihm
für richtig gehaltene Zahl auf Wägungen von Sauerstoff- und Stickstoffgas, die
er gemeinsam mit Dulong (1820) ausführte. Turner (1833) ermittelte das
Verhältnis zwischen Silbemitrat und Chlorsilber, zwischen Baryumnitrat und
-sulfat, sowie zwischen Bleinitrat und -sulfat. Penny (18311), der seine be-
wunderungswürdig genauen Bestimmungen mit den denkbar einfachsten
Mitteln ausführte, führte Kaliumchlorat durch Eindampfen mit Salpetersäure
in Kaliumnitrat über, ebenso Kaliumchlorid in Kaliumnitrat und umgekehrt.
Femer leitete er das Verbindungsgewicht des Stickstoffs aus dem Verhältnis
zwischen Silber und Silbemitrat, wie zwischen Silbernitrat und Chlorsilber her.
Seine Ergebnisse stimmten fast absolut mit den viel späteren von Stas, den
genauesten, welche wir besitzen, überein.
Trotz ihrer Vorzüglichkeit sind Penny s Resultate wenig beachtet wor-
den, und ein viel weniger genauer Wert von Berzelius blieb in Gebraucli,
36 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
bis eine Wägung von Sauerstoff- und Stickstoffgas durch Dumas und Boussin-
guult seine Fehlerhaftigkeit aufwies. Berzelius veranlasste eine neue, auf
der Überführung von Blei in Beinitrat beruhende Bestimmung durch Svan-
berg (1842), welche indessen auch nicht sehr genau ausfiel. Gute Zahlen
gaben dagegen die Silbertitrierversuche von Pelouze (1843) mit Salmiak, die
Überführungen von Silber in Silbemitrat von Marignac (1842), und die Gras-
wägungen von Regnault (1845). Unsere gegenwärtige genaue Kenntnis ver-
danken wir den Arbeiten von Stas, über welche schon oben (S. 21) berichtet
worden ist; sie ergaben als Mittelwert N =« 14-041.
57. Strontium. Die erste Kenntnis des Verbindungsgewichtes dieses Ele-
mentes verdanken wir Stromeyer (1816), welcher das Carbonat und das Chlo-
rid analysierte. Pelouze (1845), Marignac (1858) und Dumas "(1859) titrierten
den Chlorgehalt des Chlorstrontiums mit Silber. Richards bestimmte (1894)
das Verhältnis zwischen Strontiumbromid und Silber, bez. Silberbromid, und
erhielt die als richtig anzusehende Zahl Sr=^87'61.
68. Tantal. Das Verbindungsgewicht dieses seltenen Elementes ist gegen-
wärtig noch nicht sehr sicher bekannt. Die älteren Versuche von Rose, Berzelius
und Hermann haben ganz unzuverlässige Resultate gegeben. Die besten
Zahlen lassen sich aus den Analysen des Kaliumtantalfluorids von Marignac
(1865) ableiten und geben Ta =« 183.
59. Tellur. Berzelius (1812 und 1833) oxydierte Tellur zu Dioxyd.
Seine Zahlen wurden von Hauer (1857) nahezu bestätigt, welcher Kalium -
tellurbromid analysierte. Nach beiden Methoden wiederholte Wills (1879)
die Bestimmungen und erhielt gleiche Resultate.
Trotz dieser Übereinstimmung hat man doch die erhaltene Zahl 128 als
unwahrscheinlich angesehen. Denn vergleicht man folgende Reihen:
P -= 310 As «. 75-0 Sb =- 120-3
S — 32-1 Se = 79-1 Te = 128
Cl=-3545 Br=«79.96 J =126.86
so findet man in den drei Gruppen P, As, Sb ; S, Se, Te und Cl, Br, J, welche
je drei einander sehr ähnliche Elemente umfassen, zwar Schwefel zwischen
Phosphor und Chlor, sowie Selen zwischen Arsen und Brom; Tellur aber
würde sich mit der Zahl 128 nicht einordnen. Demgemäss glaubte denn auch
B. Brauner (1883) eine Fehlerquelle in den ältesten Messungen gefunden zu
haben, und bestimmte durch die Oxydation des Tellurs zu Dioxyd, sowie
durch die Bildung des Sulfats Te*0*SO* das Verbindungsgewicht auf Te «= 125,
entsprechend den Analogieen. Doch bestätigten spätere Untersuchungen dieses
Ergebnis keineswegs. Gooch und Howland (1894) oxydierten eine alkalische
Lösung von Tellurdioxyd mit Permanganat und erhielten 127 '0, Staudenmayer
reduzierte krystallisierte Tellursäure zu Dioxyd und erhielt 127*2 bis 127-6.
Chikagishe (1896) zersetzte Tellurbromid durch Erhitzen mit Silber und fand
127-6. Man muss also das Verbindungsgewicht des Tellurs sicher als das
höhere gegenüber dem Jod ansehen, und kann es im Mittel auf Te =« 127-3
setzen.
Die Verbindungsgewichte. 37
60. Thallium. Die älteren Bestimmungen des einen Entdeckers des
Thalliums, Lamy (1862), durch Analyse des Chlorids und Sulfats, gaben das
Verbindungsgewicht des Metalls noch nicht sehr genau. Wenig bessere Er-
gebnisse erhielt Werther (1864) durch die Analyse des Jodthalliums, und
Hebberling (1865) durch die Wiederholung der Versuche von Lamy. Mit
allen irgend erdenkbaren Vorsichtsmassregeln, leider aber nur nach einer
Methode (Überfuhrung des Metalls in das Nitrat), ist eine Arbeit von dem
anderen Entdecker, W. Crookes (1873) ausgeführt. Sie ergiebt Tl«« 204.1.
Durch eine neuere Untersuchung, die Lepierre (1894) nach drei verschiedenen
Methoden durchführte, wurde der von Crookes bestimmte Wert bestätigt, so
dass er beibehalten werden kann.
61. Thorium. Berzelius, der das Thorium entdeckt hat, bestimmte
dessen Verbindungsgewicht (1829) durch die Analyse des Sulfats. Die Ver-
suche wurden in der Folge von Chydenius U863\ Delafontaine (1863), Her-
mann (1864) und Cleve (1874) wiederholt, indem die späteren Forscher die
Analyse meist durch heftiges Glühen, wobei Thorerde zurückbleibt, aus-
führten. Cleve analysierte ausserdem das Oxalat. Mit besonders gereinigtem
Material führte dann Nilson zuerst (1882) allein, später zusammen mit Krüss
(1887) die Analyse des Thoriumsulfats aus; beide Versuchsreihen führen
übereinstimmend zu einer Zahl, die etwas niedriger liegt, als die der älteren
Forscher; sie beträgt Th = 232-4.
62. Thulium. Ein noch zweifelhaftes Element, dem Cleve (1880) das
aus der Analyse des Sulfats abgeleitete Verbindungsgewicht Tu = 171 giebt.
63. Titan. Die ältesten Bestimmungen rühren von G. Rose (1823 und
1829) her und sind durch Rösten des Schwefel titans zu Dioxyd, sowie durch
Analyse des Titanchlorids erhalten worden. Letztere Methode ist später noch
von Pierre (1847), Demoly (1849) und Thorpe (1883 und 1885) benutzt
worden; aus den genauen Versuchen des letzteren, die auch noch auf Titan-
bromid ausgedehnt wurden, ergiebt sich Ti = 48*1.
64. Uran. Bis zum Jahre 1840 wurde das Verbindungsgewicht des
Urans aus den Versuchen von Arfvedson (1825) und Berzelius (1825) ganz
falsch berechnet, weil man das bei der Reduktion der höheren Oxyde mit
WasserstoiF entstehende schwarze Produkt UO* für metallisches Uran ansah,
bis Peligot zeigte, dass es sauerstoffhaltig ,ist. Gleichzeitig bestimmte der-
selbe aus der Analyse des Uranylacetats das Verbindungsgewicht ziemlich
richtig. Spätere Versuche von Ebelmen (1882) und Wertheim (1843) kommen
nicht besonders in Betracht, wohl aber die sorgfältigen Arbeiten von Cl.
Zimmermann (1882 und 1886). Die angewandten Methoden waren an sich
nicht sehr günstig, doch wurden durch besondere Sorgfalt in der Ausführung
gute Zahlen erhalten. Eine Versuchsreihe bestand in der Reduktion des
Uranyloxyds ü*0® zu Urandioxyd UO* durch Erhitzen im Wasserstoffstrome,
die andere in der Umwandlung von Natriumuranylacetat UO*Na(C*IPO*)'
in Natriumdiuranat Na'U*0' durch oxydierendes Rosten. Der Mittelwert ist
U == 239-5. Es ist zu erwähnen, dass Uran von allen Elementen das höchste
Verbindungsgewicht besitzt.
38 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
65. Vanadium. Mit diesem Metall hat sich ein ähnlicher Irrtum zuge-
tragen, wie mit dem Uran, der indessen erst 1868 durch Roscoe entdeckt
worden ist; der früher für Metall gehaltene Stoff ist ein Oxyd VdO. Be-
rechnet man mit Rücksicht darauf die älteren Analysen der Vanadinsäure
und des Vanadylchlorids von Berzelius (1821\ so erhält man ziemlich richtige
Zahlen. Unsere gegenwärtige genaue Kenntnis des Verbindungsgewichtes dieses
Elementes verdanken wir einer ungemein sorgfUltigen Untersuchung von Roscoe
(1868), welcher sowohl Vanadinsäure zu Oxyd im Wasserstoffstrome reduzierte,
wie auch Vanadylchlorid mit Silber titrierte. Das Mittel beider Versuchs-
reihen ist Vd = 51-2.
66. Wismuth. Für das Verbindungsgewicht dieses Metalls ist fast immer
ein falscher Wert benutzt worden. Schon die älteren Versuche von Lager-
hjelm (1816) hatten zu hohe Werte gegeben, und obwohl Schneider (1851)
durch Oxydation des Metalls die richtige Zahl '^08 festgestellt hatte, wurde
doch auf Dumas' Autorität hin (1859), der auch in diesem Falle nach der
Silbermethode einen zu hohen Wert erhalten hatte, dieser fast ausschliesslich
benutzt. Erst in neuerer Zeit hat man diesen falschen Wert aufgegeben,
als sowohl Löwe 0883) durch Oxydation des Metalls, wie Marignac (1883)
durch Überführung des Oxyds in das Sulfat und durch Reduktion des Oxyds
zu Metall im Wasserstoffstrome übereinstimmend mit Schneiders Versuchen
eine kleinere Zahl fanden. Zuletzt ist dann wieder diese durch eine
Arbeit von Classen (1890) in Frage gestellt worden, welche bei der Um-
wandlung von Metall in Oxyd durch Erhitzen des Nitrats Bi = 209 ergab.
Schneider wiederholte seine Bestimmungen, und erhielt wieder 2U8. Bis auf
weiteres, und obwohl dem niedrigeren Wert als dem wahrscheinlicheren mehr
Zutrauen zu schenken ist, mag das Mittel Bi = 208«5 dienen.
67. Wolfram. Das Verbindungsgewicht des Wolframs ist grösstenteils
durch Reduktion des Trioxyds zu Metall, sowie durch Oxydation des Metalls
zu Trioxyd bestimmt worden. Solche Versuche liegen von Berzelius (1825),
Schneider (1850), Borch und Dumas (1859) vor. Zu gleichen Ergebnissen
führte eine von Roscoe (1872) ausgeführte Analyse des Wolframhexachlorids.
Andere Bestimmungen, wie die Analyse des metawolframsauren Baryts von
Scheibler (1861) und die des Ferrowolframates von Zettnow (1867), kommen
weniger in Betracht. Neuere Messungen von Waddell (1886\ Pennington und
Smith (1894) über die Reduktion des Trioxyds haben zu etwas widersprechen-
den Werten geführt, so dass neue Untersuchungen wünschenswert sind; bis
dahin kann als Mittelwert benutzt werden W= 184.
68. Xenon. Dieses Element gehört gleichfalls zu den chemisch indiffe-
renten Gasen vom Typus des Argons, und wurde 1898 von Ramsay und
Travers entdeckt. Sein Verbindungsgewicht ist noch nicht bekannt.
69. Ytterbium. Marignac entdeckte in der bisher für Erbinerde ge-
haltenen Substanz 1872 eine vollkommen farblose Erde ohne Absorptions-
spektrum, welcher er den Namen Ytterbinerde gab. Unmittelbar darauf fand
Delafontaine denselben Stoff im Allanit von Amherst und auch Nilson be-
Die Verbindungsgewichte. 39
8tätigte bald die Existenz der neuen Erde. Das Verbindungsgewicht des Me-
talls wurde ziemlich übereinstimmend gleich Yb = 173-2 gefunden.
70. Yttrium. Auch dieses Element ist erst allmählich von seinen Be-
gleitern, mit denen es gemengt vorkommt, unterschieden und getrennt wor-
den und es lässt sich selbst jetzt noch nicht mit Sicherheit behaupten, dass
der Yttrium genannte StoiF wirklich einheitlich ist. Mit einigermassen rei-
nem Material hat wohl zuerst Delafontaine (1865) gearbeitet. Die Methode,
welche er sowohl wie Bahr und Bunsen (1866), Cleve und Höglund (1873),
Cleve (1873) und Jones (1895) benutzte, war die Überführung der Erde in
das Sulfat. Das Mittel der besseren Versuche ist Y = 88-7.
71. Zink. Schon die ältesten Versuche von Berzelius (1811) gaben ein
der Wahrheit sehr nahekommendes Resultat. Seine Methode war die der
Überführung des Metalls in das Oxyd. Im Jahre 1842 wurde die Zahl auf
Grund ganz ungenügender Versuche von Jacquelain angezweifelt und bald
darauf suchte Favre durch die Analyse des Zinkoxalats sowie durch Auf-
lösen von Zink in verdünnter Schwefelsäure und Verbrennen des gebildeten
Wasserstoffs zu Wasser die Richtigkeit eines höheren Wertes zu erweisen.
Berzelius liess durch A. Erdmann (1843) neue Oxydations versuche vornehmen,
welche seine früheren Zahlen nahezu bestätigten. Noch näher kommen dem
Wert von Berzelius die neuei-dings von Marignac durch Analyse des Kalium-
zinkchlorids gefundenen Werte. Ferner haben Baubigny (1883) durch Ana-
lyse des Sulfats, van der Plaats (1885) durch Auflösen von Zink in Schwefel-
säure und Messen des entwickelten Wasserstoffs, und Ramsay und Reynolds
auf gleiche Weise (1887) gleiche Werte gefunden. Morse und Burton (1888)
bestimmten gleichfalls das Verhältnis Zn : Zn 0, doch wurde die Thatsache
übersehen, dass auch stark geglühte Oxyde, die aus Nitraten durch Erhitzen
gewonnen worden sind, einen Rückstand von Sauerstoff und Stickstoff behalten.
Gladstone und Hibbert (1889) bestimmen das Verbindungsgewicht auf elektro-
lytischem Wege. Richards und Rogers endlich (1895) bestimmten die Be-
ziehung zwischen Zinkbromid und Silber. Diese Arbeit ist die zuverlässigste
und ergiebt Zn = 65-40.
72. Zinn. Beim Zinn ist fast ausschliesslich die Oxydation des Me-
talls zu Dioxyd zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes angewandt worden.
Es liegen hierüber Versuche von Berzelius (1812), Mulder und Vlandeeren
(1849), Vlandeeren (1858) Dumas (1858) und van der Plaats (1885) vor. In
Übereinstimmung mit ihnen stehen zwei Analysen des Tetrachlorids von
Dumas. Während diese Bestimmungen alle zu dem Wert 118 führen, haben
Bongartz und Classen (1888) nach verschiedenen Methoden einen um eine
Einheit höheren Wert gefunden. Da die älteren Ergebnisse durch die letzt-
genannte Arbeit nicht unbedingt überholt erscheinen, so mag einstweilen
der Mittelwert Sn^ 118*5 benutzt werden; doch ist eine neue Bestimmung
sehr zu wünschen.
73. Zirkonium. Dieser Wert ist nur selten bestimmt worden: einmal
von Berzelius (1825) durch Analyse des Sulfats, sodann von Marignac (1860)
durch Analyse des Kaliumzirkoniumfluorids. Weibull (1881) wiederholte
40
I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
die Versuche von Berzelius, Bailey (1889) ebenso. Die Bestimmungen des
letzteren ergeben Zr === 90*6, wenig abweichend von dem Wert von Marignac.
In der nachstehenden Tabelle sind die Verbindungsgewichte der
bis jetzt bekannten Elemente zusammengestellt, wobei wie immer 0 = 16
gesetzt worden ist.
1.
Aluminium
AI —
27-1
39.
Neon
Ne-^
20
2.
Antimon
Sb —
120-3
40.
Nickel
Ni —
58-7
3.
Argon
A -—
39-91
41.
Niobium
Nb —
94-2
4.
Arsen
As —
750
42.
Osmium
Os —
192
5.
Baryum
Ba —
13743
43.
Palladium
Pd —
106
6.
Beryllium
Be--
9-08
44.
Phosphor
P —
31-03
7.
Blei
Pb —
206-91
45.
Platin
Pt —
194-8
8.
Bor
B —
ll-O
46.
Praseodym
Pr —
140-4
9.
Broin
Br —
79-963
47.
Quecksilber
Hg-
200-3
10.
Cadmium
Cd —
1121
48.
Rhodium
Rh —
103
11.
Calcium
Ca —
40-0
49.
Rubidium
m —
85-4
12.
Cäsium
Cs-
132-9
50.
Ruthenium
Ru —
101-7
13.
Cerium
Ce —
140
51.
Samarium
Sa —
150
14.
Chlor
Cl —
35-453
52.
Sauerstoff
0 —
16-00
15.
Chrom
Cr —
521
53.
Scandium
Sc —
441
16.
Eisen
Fe —
560
54.
Schwefel
s —
32-06
17.
Erbium
Er —
166
55.
Selen
Se —
79-1
18.
Fluor
Fl —
19-00
56.
Silber
Ag —
107-938
19.
Gadolinium
Gd —
156
57.
Silicium
Si —
28-4
20.
Gallium
Ga —
69-9
58.
Stickstoff
N —
14041
21.
Germanium
Ge —
72-3
59.
Strontium
Sr —
87-61
22.
Gold
Au —
197-2
60.
Tantal
Ta -
183
23.
Helium
He-
3-96
61.
Tellur
Te —
127-3
24.
Indium
in —
113-7
Q2.
HiaUium
Tl —
204-1
25.
Iridium
Ir —
193-2
' 63.
Thorium
Th —
232.4
26.
Jod
J —
126-86
64.
Thulium
Ihi —
171
27.
Kalium
K —
3914
65.
Titan
Ti —
48-1
28.
Kobalt
Co —
59
66.
Uran
ü —
239-4
29.
Kohlenstoff
c —
12-00
67.
Vanadin
Vd —
51-3
30.
Krypton
Kr>
45
68.
Wasserstoff
H —
1-007
31.
Kupfer
Cu —
63-6
69.
Wismuth
Bi —
208-5
32.
Lanthan
La
138-5
70.
Wolfram
w —
184
33.
Lithium
Li —
7-03
71.
Xenon
X >
65
34.
Ma^esimu
Mg
24-36
72.
Ytterbium
Yb —
173-2
35.
Mangan
Mn —
550
73.
Yttrium
Y —
88-7
36.
Molybdän
Mo —
96-0
74.
Zink
Zn —
65-4
37.
Natrium
Na —
2306
75.
Zinn
Sn —
118-5
38.
Neodym
Nd —
143-6
76.
Zirkonium
Zr —
90-6
Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbindungsgewichte. 41
Viertes Kapitel.
Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbindungsgewichte.
Nach zwei Richtungen hat man aus dem Zahlenmaterial^ welches
durch die Bestimmungen der Verbindungsgewichte der Elemente darge-
boten war, allgemeine Schlüsse zu ziehen sich bemüht. Eine durch Prout
(1815) und bald darauf durch Meinecke (1^17) angeregte Gedanken-
reihe geht von der hypothetischen Annahme eines allgemeinen Grund-
stoffes oder einer Urmaterie aus. In dem Wasserstoff glaubte man
diese gefunden zu haben, und musste nun den Schluss ziehen, dass,
wenn alle anderen Elemente aus Wasserstoff bestehen, ihre Verbindungs-
gewiehte auch Multipla von dem des Wasserstoffs sein müssen.
Diese Hypothese wurde in England namentlich durch Tli. Thomson,
den Verfasser eines vielbenutzten Lehrbuches, verbreitet und mit Hilfe
allerdings recht ungenügender Versuche zu stützen gesucht. Auf dem
Kontinent hatte die Hypothese keinen Erfolg, w^eil Berzelius auf Grund
seiner Bestimmungen sie für unrichtig erklärte, und bei der schon er-
wähnten, von der British Association veranlassten Prüfung der Frage
durch Turner sich die Richtigkeit von Berzelius* Zahlen herausstellte.
Als aber 1841 der Fehler im Verbindungsgewicht des Kohlenstoffs ent-
deckt wurde, und letzteres sich nach den Versuchen von Dumas und
Stas so genau als möglich im Verhältnis 1:12 zu dem des Wasser-
stoffs ergab, als femer Dumas auch das Verbindungsgewicht des Sauerstoffs
gleich dem 16 fachen des Wassersto^ und das des Stickstoffs gleich dem
14 fachen des Wasserstoffs fand, da sprach er alsbald die Überzeugung
aus, dass es sich hier doch um ein allgemeines Gesetz handeln müsse.
Er gab sich in der Folge der Prüfting desselben hin und kam zu dem
Ergebnis, dass zwar nicht alle Verbindungsgewichte Multiple von dem ganzen
Yerbindungsgewicht des Wasserstoffs seien, dass aber doch die Hälfte dieses
Wertes allen anderen zu Grunde liege. Auch diese Einheit musste er
indessen in der Folge auf ihren halben Wert verkleinern, so dass nach
seiner schliesslichen Ansidit alle Verbindungsgewichte sich durch ein Viertel
von dem des Wasserstoffs darstellen lassen.
Durch diese Einschränkung hatte die ganze Angelegenheit den
gi'össten Teil ihres Interesses verloren, weil bei vielen Elementen die
Genauigkeit der Bestimmung die von Dumas angegebene Einheit nicht
erreicht, und somit eine Prüfung der Hypothese ausgeschlossen wird.
Dieselbe Frage wurde gleichzeitig durch J. S. Stas aufgenommen.
Dieser Forscher beschränkte sidi im Vergleich zu Dumas, was die Zahl
der zu untersuchenden Elemente anlangt, übertraf aber seinen Lehrer
und früheren Arbeitsgenossen bei weitem in der Genauigkeit seiner Be-
Btimmungen, welche hernach kaum wieder von anderen Forschem erreicht
worden ist. Als Ergebnis seiner auf diesen Punkt gerichteten Unter-
suchungen erkläii; Stas die Proutsche Hypothese für vollkommen unzu-
42 !• Massenverhftltnisse chemischer Verbindungen.
lässig; sie stellt nichts als eine ungefähre Annäherung an die Wahrheit
dar, thatsächlich aber weichen fast alle von ihm bestimmten Verbindungs-
gewichte weit mehr von den durch die Hypothese geforderten ab, als
die möglichen Verauchsfehler irgend gestatten.
Trotzdem durch diese unübertroffenen Arbeiten die Frage endgültig
erledigt schien, ist sie doch inzwischen immer wieder aufgeworfen w^orden.
Der Grund dazu ist die erwähnte, thatsächlich vorhandene Annäherung
der gemessenen Zahlenwerte an Multipla des Wasserstoffatoms. Ein Blick
auf die Tabelle S. 40 zeigt diese Annäherung deutlich. Es hat daher immer
Männer gegeben, welche die ganzzahligen Werte als die eigentlich richtigen
ansahen. Für die Ursache der thatsächlichen Abweichungen ist allerdings
bisher keinerlei wahrscheinliche Ansicht aufgestellt worden, vor allen Dingen
deshalb nicht, weil kein Vorgang bekannt ist, durch welchen die Massen
gegebener Stoffe irgend eine Änderung erleiden. Es bleibt also zur Zeit
nichts übrig, als die Zahlen so zu nehmen, wie sie die Versuche geben, und
die Frage, welche Ursache die auftallige Annäherung derselben an Multipla
des Wasserstoffs bedingen könnte, unbeantwortet zu lassen.
Neben diesen, bisher resultatlos gebliebenen Betrachtungen sind
andere, nach anderer Seite gerichtete, über denselben Gegenstand seit
der ersten Kenntnis stöchiometinscher Gesetzmässigkeiten verfolgt worden.
Diese haben im Gegensatz zu den vorerwähnten sehr umfassende Regel-
mässigkeiten ergeben, und sollen im folgenden dargelegt werden.
Bei seinen ersten Entdeckungen über die Massenverhältnisse bei
der Neutralisation einer Säure durch verschiedene Basen, mit welchen
Arbeiten die wissenschaftliche Erforschung der Stöchiometrie chemi-
scher Verbindungen ihren Anfang nimmt, kam J. B. Richter (1798) als-
bald auf den Gedanken, dass diese Konstanten, abgesehen von ihrer
allgemeinen Beziehung, noch besonderen Gesetzen unterworfen seien.
Ordnet man sie ihrer Grösse nach an, so folgen die Zahlenwerte nach
seinen Anschauungen einem bestimmten Gesetze, für welches er zu ver-
schiedenen Zeiten verschiedene Formen annahm. Es hat der allgemeinen
Annahme des von Richter entdeckten Gnmdgesetzes der Verbindungs-
zahlen sehr geschadet, dass der Entdecker jene eben erwähnte Idee mit
einer so grossen Behan'lichkeit verfolgte, dass er die Hauptsache fast
ausser Augen Hess. Doch hat die Nachwelt ihm auch insofern Recht
gegeben, als die von Richter > ermuteten Gesetzmässigkeiten thatsächlich
bestehen, wenn auch nicht in der von ihm angegebenen Gestalt.
Zunächst erhielten die von Richter nur für Säuren und Basen,
und später für Metalle entdeckten konstanten Verbindungszalilen die oben
geschilderte V^rallgemeinerang, die zu dem Gesetz der Verbindungs-
gewichte führte Der erate, welcher sehr bald nach Aufstellung des
letzteren auf eine Gesetzmässigkeit hinwies, war Döbereiner (1817),
welcher zeigte, dass das Verbindungsgewicht des Strontiums (87-6) das
aiithmetisclie Mittel von denen des Calciums (40-0) und des Baryums
Beziehungen zwischen den Zahlen werten der Verbindungsgewichte. 43
(13 7 «4) sei. Nach unseren genaueren Zahlen, die ich in Klammem bei-
gefügt habe, findet das allerdings nicht streng statt, denn die berechnete
Zahl ist 88-7 statt 87-6, doch ist die Annäherung immerhin bemerkens-
wert, zumal solche Beziehungen sich mehrfach wiederholen. Derartige
Triaden wurden mehrere aufgefunden, und später hat Lenssen (1875)
die sämtlichen Elemente in dieser Weise in Triaden einzuteilen gesucht.
Näher den ursprünglichen Ideen Richters kommt die Anschauung
von Pettenkofer (1850), dass die Verbindungsgewichte älmlicher Elemente
die Glieder arithmetischer Reilien bilden. Diese Ideen wurden dann von
Kremers, Gladstone und namentlich Dumas in mannigfaltiger Weise
weiter entwickelt.
Diejenige Idee endlich, welche sich am fruchtbarsten erwies, ist zu-
erst, wenn auch noch in unzulänglicher Fomi von Newlands (1864) ent-
wickelt worden, dem es allerdings nicht gelang, mit seinen Darlegungen
Anerkennung zu finden. Newlands ordnete nicht allein die durch Ähn-
lichkeit zusammengehörigen Elemente in Reihen, sondern sämtliche
Elemente nach der Grösse ihrer Verbindungsgewichte. Es ergab sich
dabei, dass in annähernd gleichen Abständen in dieser Reihe die ähn-
lichen Elemente auftraten: so war, von irgend einem Elemente ab ge-
zählt, im allgemeinen jedes achte dem ersten ähnlicher als allen anderen.
Er bezeichnete diese Beziehung als das Gesetz der Oktaven, vermochte
sie aber nicht vollständig durchzuführen.
Letzteres wurde gleichzeitig (1869) von zwei Forschem, L. Meyer
und D. Mendelejew erreicht, deren Ergebnisse sich durch den Satz aus-
drücken lassen: Die Eigenschaften der Elemente sind periodische
Funktionen ihrer Verbrindungsgewichte. Ordnet man also sämt-
liche Elemente nach der Grösse der Verbindungsgewichte in eine Reihe,
so ändern sich die Eigenschaften der Elemente von Glied zu Glied, so
dass nach einer bestimmten Anzahl von Gliedern sich die früheren Eigen-
schaften oder ihnen naheliegende wiederholen.
Anfangs stiess die Durchführung dieses Gedankens auf grosse Schwierig-
keiten. Diese lagen einerseits darin, dass man zu jener Zeit noch nicht auf
systematische Weise die Auswahl der angemessensten aus den möglichen Verbin-
dungsgewichten durchgeführt hatte. Wenn man z. B. bestimmt hat, dass Kohlen-
stoff mit Sauerstoff in den Verhältnissen 12 : 16 und 12 : 32 zusammentritt,
so ist es zunächst willküriich, wenn man in der ersten Verbindung ein Ver-
bindungsgewicht Kohlenstoff auf eines Sauerstoff, in der zweiten ein Kohlen-
stoff auf zwei Sauerstoff annimmt. Man könnte ebenso das Verbindungsgewicht
des Kohlenstoffs gleich 6 setzen, und die Verbindungen C*0 und CO schrei-
ben, oder die Annahme C = 24 machen, wodurch die Formeln CO* und CO*
würden. Die Anhaltspunkte, welche man im Laufe der Zeit für die richtige
Wahl gefunden hat, sind mannigfaltig, und werden weiter unten einzeln dar-
gelegt werden. Hier nur soviel, dass zur Zeit, wo Meyer und Mendelejew
ihre Anschauungen entwickelten, diese Anhaltspunkte zwar zum grössten Teil
bereits gefunden waren, aber keineswegs in übereinstimmender Weise zur
44 I* Massenverliältmsse chemischer Verbindungen.
Anwendung gelangten. Es musste umgekehrt vielfach die oben mitgeteilte
Gesetzmässigkeit dazu benutzt werden, um zwischen den möglichen Werten
zu entscheiden.
Neben dieser Schwierigkeit musste eine andere überwunden werden,
welche in der thatsächlich falschen Feststellung mancher Zahlenwerte lag.
Hier handelte es sich indessen meist darum, Umstellungen zweier neben-
einanderliegender Elemente vorzunehmen, und es ist früher schon auf ein-
zelne Fälle hingewiesen worden, bei welchen durch diesen Umstand eine
richtigere Ermittelung der Werte veranlasst worden ist. Am energischsten
und gleichzeitig am glücklichsten ging Mendelejew nach dieser Seite vor.
Die Anordnung der Elemente nach der Grösse der Verbindungsgewichte
ist beistehend; wesentlich nadb dem Plane von L. Meyer, doch ent-
sprechend den neueren Entdeckungen ergänzt, dargestellt Die ganze
Reihe ist in Stücke von je acht Gliedern geteüt, welche versetzt so
unter einander geordnet sind, dass die einzelnen Glieder der ersten,
dritten, fünften, siebenten, nennten und elften Reihe zu einander in
näheren Beziehungen stehen, als zu den Gliedern der paaren Reihen,
und ebenso diese von den unpaaren getrennt sind.
Dadurch stehen untereinander die ähnlichen Elemente, deren Zu-
sammengehörigkeit vielfach (wenn auch nidbt immer) schon früher er-
kannt und durch die Bildung ^natürlicher^ Familien zum Ausdrucke
gebracht worden ist. Und zwar bilden die Glieder der paaren Reihen
einerseits, der unpaaren andererseits die nächstverwandten Elemente; die
paaren und unpaaren sind etwas entfernter in ihrer Verwandtschaft.
In den allgemeinen chemischen Verhältnissen, insbesondere in der
Fähigkeit, Basen oder Säuren zu bilden, zeigen sich zunächst die Ähn-
lichkeiten am dentüchsten. Nimmt man die Tabelle zur Hand, so haben
wir zunächst in der ersten vertikalen Doppelreihe die ganz indifferenten
Gase des Argontypus; dann folgen die sehr stark basischen Alkali-, so-
dann in der nächsten Reihe die gleichfalls stark basischen Erdalkalimetalle.
Dann folgen die Erdmetalle, deren Oxyde schwach basische Eigen-
schaften haben, alsdann die EHemente der Kohlenstoffgruppe, deren Oxyde
schon zum Teil schwache Säuren sind; die sauren Eigenschaften nehmen
dabei mit steigendem Verbindungsgewicht ab. Die Glieder der nächsten Reihe
sind schon entschieden säurebUdend und die der 8. Reihe zeigen diese
Eigenschaft in ausgeprägtester Weise.
Eine sehr bemerkenswerte Regelmässigkeit zeigt sich in der Valenz
der Elemente, wie sie in der Tabelle dm*ch die römischen Ziffern ange-
deutet ist. Dieselbe nimmt zunächst von 1 bis 4 zu, von da ab ver-
mögen sich die Elemente meist mit verschiedener Valenz zu bethätigen^
gegen Cldor, Sauerstoff u. s. w. mit einer um je eine Einheit zunehmen-
den, gegen Wasserstoff aber mit einer ebenso regelmässig abnehmenden.
Weitere Regehnässigkeiten, welche die physikalischen Eigenschaften
der Elemente, sowie auch ihrer Verbindungen in den vorstehenden An-
ordnungen zeigen, werden später ihre Besprechung finden.
Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbindungsgewichte. 45
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46 !• Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.
In der Tabelle sind zahlreiche nicht ausgefüllte Plätze vorhanden.
Sie gehören Elementen zu, die man noch nicht entdeckt hat. Mendelejew
hat die erwähnten Gesetzmässigkeiten dazu benutzt, um die Eigenschaften
unbekannter Elemente aus denen der im Schema benachbarten ver-
mutungsweise vorauszusagen. So hat er insbesondere eine ziemlich ein-
gehende Beschreibung des Scandiums, Galliums und Germaniums, welche
zur Zeit der Abfassung seiner Abhandlung nicht bekannt waren, und
ihrer Verbindungen gegeben, und er sowie die Wissenschaft haben den
Triumph erfahren, dass diese Voraussagungen zum grössten Teil bei der
späteren Entdeckung dieser Elemente bestätigt worden sind.
Einigermassen ausserhalb der Tabelle stehen ganz rechts die Ele-
mente der Eisen- und Platingruppe. Sie zeigen unter sich eine grosse
Regelmässigkeit, indem sie in je drei Gruppen mit naheliegenden Verbin-
dungsgewichten zerfallen; bei den Platinmetallen entsprechen sich ausserdem
die einzelnen Elemente in den Formeln der Verbindungen, die sie bilden
können, ganz genau. Ebenso ordnen sich die am linken Rande be-
findlichen Ellemente des Argontypus den anderen nicht wohl zu und
bilden eine Gruppe für sich, die zu den anderen viel geringere Be-
ziehungen zeigt, als sonst benachbarte Reihen es thun.
Einige Worte verdient auch die Stellung des Tellurs. Wie schon erwähnt,
ist sein Verbindungsgewicht grösser gefunden worden, als es nach der Stellung
im periodischen System zu erwarten war, und die Wiederholung der Be-
stimmungen durch verschiedene Forscher (S. 36) hat dieses Ergebnis nur be-
stätigt. Da man nicht daran denken kann, die Stellen des Tellurs und Jods
in den natürlichen Verwandtschaften mit einander zu vertauschen, so liegt
hier ein thatsächlicher Widerspruch zwischen der Anordnung nach der Grösse
der Verbindungsgewichte und der nach der natürlichen Verwandtschaft vor.
Eine Art Erklärung hierfür findet man, wenn man beachtet, dass die
Unterschiede der Verbindungsgewichte bei entsprechenden Gliedern der Tabelle
keineswegs konstant sind, sondern anscheinend unregelmässig zwischen ziem-
lich weiten Grenzen schwanken. Wenn es sich hier um eine ungetrübte Gesetz-
mässigkeit handelte, so müssten die Verbindungsgewichte nicht nur dem Zahlen-
werte nach ungefähr die Reihenfolge ergeben, sondern ihre Zahlenwerte
müssten gesetzmässige Abstände haben. Man wird also vermuten können, dass
die Verhältnisse, die in dem periodischen System zum Ausdruck kommen,
das Ergebnis mehrerer unabhängiger Umstände sind, deren Einfluss auf das
Ergebnis wechselt.
Nun können dieselben Umstände, welche die entsprechenden Unterschiede
bald grösser und bald kleiner machen, auch in einem bestimmten Falle so
wirken, dass ein Unterschied ein umgekehrtes Zeichen annimmt, d. h. dass die
Reihenfolge zweier Elemente sich umkehrt. Ein solcher Fall könnte bei Jod
und Tellur vorliegen; auch die notwendige Einordnung des Argons zwischen
Chlor und Kalium erfordert die Annahme einer solchen Umkehrung des
Zeichens der Differenz.
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe. — Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 47
Dem Zeichen des Lanthans in der Reihe III ist. ein etc. beigefügt, um
anzudeuten, dass auch die anderen „seltenen Erden", Cer, Neodym und
Praseodym hier anzuschliessen sind.
Da die Tabelle dort nur einen einzigen Platz hat, liegt wieder eine
Störung des Systems vor. Die fraglichen Elemente sind einander in noch
höherem Masse ähnlich, als die Elemente der Eisengruppe, und es sieht so
aus, als wenn die Umstände, die sonst nur zu der Bildung eines einzigen Ele-
mentes Anlass gaben, hier die Entstehung einer Anzahl sehr ähnlicher be-
wirkt hätten, ähnlich der Bildung der Planeten der Asteroidengruppe.
Somit ist das „periodische System" der Elemente noch keineswegs
vollkommen. Es werden in der vorstehenden Tabelle häufig Elemente von-
einander entfernt, die ein unbefangener Beobachter für ähnlich in ihren Ver-
bindungsverhältnissen halten würde (z. B. Kupfer und Quecksilber), und an-
dere zusammengestellt, welche als durchaus unähnlich erscheinen, wie Natrium
mit Kupfer, Silber und Gold. In Bezug auf solche Schwierigkeiten ist zu
hoffen, dass sie durch spätere Überlegungen und Thatsachen gehoben werden.
Das „periodische System" ist daher nicht als der Abschluss, sondern vielmehr
als der Anfang einer fruchtbaren Ideenreihe anzusehen.
Zum Schluss dieses Teiles möge noch eine allgemeine Bemerkung
Platz finden. Aus der Thatsache, dass durch den chemischen Vorgang
die Masse der beteiligten Stoffe sich nicht ändert, geht hervor, dass die
Masse einer chemischen Verbindung gleich der Summe der Massen ihrer
Bestandteile ist. Derartige Eigenschaften, die unabhängig vom chemischen
Verbindnngszustande sind, und deren Zahlenwert in den Verbindungen
daher als die Summe der den Bestandteilen zukommenden Zahlenwerte
erscheint, sollen in Zukunft additive genannt werden. Aus dem Vor-
handensein solcher Eigenschaften hat man darauf geschlossen, dass die
chemischen Verbindungen ihre Bestandteile der Substanz nach noch ent-
halten, indem nur deren Anordnung eine andere geworden ist; die ad-
ditiven Eigenschaften bilden daher die Grundlage der Atomhypothese,
doch bestehen sie natürlich unabhängig von jeder Hypothese.
Zweites Buch.
Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Erstes Kapitel.
Die allgemeinen Eigenschaften der Qase.
Im gasförmigen Zustande sind die Stoffe durch die Fähigkeit
ausgezeichnet; jeden gegebenen Raum gleichförmig zu erfiillen, und be-
sitzen daher keine eigene Form. Sie nehmen in dieser Gestalt den
grössten Raum ein, und gehorchen einfacheren Gesetzen, als in den
anderen Zuständen.
48 II. Stöcbiometrie gasförmiger Stoffe.
Einer gegebenen Gasmasse kommt ein bestimmter Raum v nur
zu, wenn sie eine bestimmte Temperatur t hat, und unter einem be-
stimmten Drucke p steht Wir können also allgemein setzen v=f(p, t),
wo f (p, t) eine Funktion von p und t bedeutet, deren Fonn zu be-
stimmen ist.
Der Einfluss des Druckes äussert sich in dem Sinne, dass mit
wachsendem Druck der Kaum abnimmt, und zwar im umgekehrten
Verhältnis des Drucks. Dies Gesetz ist von R. Doyle (1662) entdeckt
worden und wird gegenwärtig meist wieder nach ihm benannt. Früher
hiess es gewöhnlich das Gesetz von Mariotte, indessen hat dieser es
erst 1679 mitgeteilt. Der algebraische Ausdruck des Gesetzes lautet,
wenn v und p, v' und p' zwei zusammengehörige Paare von Druck
und Volum darstellen, die einer und derselben Gasmasse bei derselben
Temperatur zukommen:
V : v' = p' : p
oder V p = v' p'
d. h. bei gegebener Temperatur ist bei einer Gasmasse das Produkt
von Druck und Raum stets gleich gross.
Dies Gesetz gilt ftb* alle Gase, unabhängig von ihrer chemischen
Natur, und wir können daraus schliessen, dass die Ursache des Ge-
setzes gleichfalls in einem Umstände liegt, der von der chemischen
Natur des Gases nicht abhängt.
Eine gleiche Unabhängigkeit von der chemischen Beschaffenheit
zeigt sich beim Einfluss der Temperatur auf das Volum der Gase.
Das hierfür gültige Gesetz ist von Gay-Lussac und Dalton gleich-
zeitig (1802) aufgefunden worden und wird meist nach ersterem be-
nannt. Nach demselben dehnen sich alle Gase bei gleicheii Temperatur-
änderungen in gleichen Verhältnissen aus.
Setzt man den von einem Gase bei einem bestimmten Drucke
und bei der Temperatur des schmelzenden Eises angenommenen Raum
gleich Eins, so * wächst bis zur Temperatur des siedenden Wassers
dieser Raum auf den Wert 1-367. Man teilt diesen Temperaturunter-
schied in 1 00 Teüe, welche man so bestimmt, dass auf jeden Teil eine
gleiche Zunalime (nämlich 0 003 67 des Raumes bei 0®) erfolgt, und nennt
die so erhaltenen Temperaturstufen Centesimalgrade. Sie werden von
der Temperatur des schmelzenden Eises als dem Nullpunkte aufwärts
mit positivem, abwärts mit negativem Zeichen gezählt. Der Bruchteil
der Volumzunahme ist nach der Definition bei Gasen für jeden Tempe-
ratm-grad gleich; er beträgt 0«00367 oder y4t ^^ Raumes bei 0"
und wird der Ausdehnungskoeffizient genannt
Der algebraische Ausdruck für diese Beziehung stellt sich in der
Formel dar
v = Vo(l + at),
Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 49
wo V der Raum bei der Temperatur t*, v^^ derselbe bei 0® ist; a ist
der Ansdehnungskoeffizient
Erwärmt man das Gas^ ohne ihm die Ausdehnung zu gestatten,
so nimmt der Druck zu. Man kann diesen berechnen, wenn man
das Boylesche Gesetz anwendet. Denken wir uns zuerst das Gas durch
die Erwärmung von v^ auf v ausgedehnt und dann bei der Temperatur
t wieder auf v^ zusammengedrückt, so muss nach dem Boyleschen
Gesetz sich der Druck p^ bei 0® zu dem bei t®, p, umgekehrt wie
die entsprechenden Räume verhalten, d. h. es ist
p^ : p = v^ : V oder p v^ = p^v.
Wird diese Gleichung mit der vorigen verbunden, so folgt
P == Po (! + «*)•
Es nimmt also bei konstantem Volum der Druck durch Temperatur-
steigerung in demselben Masse zu, wie bei konstantem Druck das
Volum. Die für einen Grad berechnete, auf den Druck bei 0® be-
zogene Druckzunahme oder der Druckkoeffizient ist gleich dem
Ausdehnungskoeffizienten.
Lässt man endlich sowohl den Druck wie das Volum sich beliebig
ändern, so nimmt das Produkt beider, welches bei konstanter Tempe-
ratur konstant ist, bei wechselnder Temperatur in demselben Masse zu
oder ab, wie einer der Faktoren, vrenn der andere konstant gehalten
wird. Für diesen allgemeinen Fall gilt dalier die Beziehung
Pv = PoVo(l + «t).
Diese Verhältnisse lassen sich durch ein Ver&hren anschaulicher
machen, dessen wir uns in der Folge vielfach mit Vorteil bedienen
werden, so dass es hier in seinen Grundlagen beschrieben werden soll.
Es beruht darauf, dass man irgend welche Grössen, die einen Zahlen-
wert besitzen, durch gerade Linien von entsprechender Lange darstellen
kann. Smd nun Grössen gegeben, die in gegenseitiger Abhängigkeit
stehen, oder Funktionen von einander sind, so gelangt man zu einer
Darstellung dieser Abhängigkeit unter Benutzung des Verfahrens durch
folgende Methode.
Man trägt einen Wert der emen Grösse auf einer horizontalen Ge-
raden von einem bestimmten Punkte 0 (flg. 1) aus ab, und erhält so einen
Punkt auf dieser, etwa 20. In diesem Punkte errichtet man eine
Senkrechte 20 d, die man zum Masse des zugehörigen Wertes der
anderen Grösse macht. In unserem Falle würde 0 20 z. B. ein Volum
einer bestimmten Gasmenge, und 20 d den zugehörigen Druck darstdlen.
Dann stellt der Punkt d diesen bestimmten Zustand des Gases dar,
und jeder andere Punkt der Zeichenebene bedeutet einen anderen Zu-
stand des Gases, für den man den Druck und das Volum auf die ent-
sprechende Weise ablesen kann. So ist z. B. der Druck des Zustandes c
durch die Länge 10 c, das Volum durch 010 dargestellt
Ostwald, Gnindriss. 3. Aufl. 4
50
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Haben wir nun beispielsweise eine Gasmenge, welches bei 0** unter
einem Drucke von 20 cm Quecksilber das Volum 5 ccm hat, so nimmt
die Eonstante des Boyleschen Gesetzes den Wert 100 an, so dass
p V =r 100 gilt Für eine Anzahl anderer, willkürlich gewählter Volume
haben wir folgende Drucke:
Volum 2 5 10 20 50 ccm
Druck 50 20 10 5 2 cm
Zeichnen wir diese Wertpaare in der beschriebenen Weise auf, so
erhalten wir die Punkte abcde. Die gleichen Punkte erhält man
natürlich, wenn man zuerst die Drucke auf OP abträgt, und die zuge-
hörigen Volume horizontal nach rechts misst.
soy
Fig. 1.
Denken wir uns jetzt beliebig viele weitere Wertepaare eingetragen^
so werden die entsprechenden Punkte zwischen die angegebenen fallen,
und alle möglichen Wertepaare werden eine Punktreihe bilden, welche in
der Gestalt einer durch die Punkte abcde gelegten stetigen gekrümmten
Linie verläuft. Die besondere Form, welche unter der Anwendung des
Boyleschen Gesetzes entsteht, heisst die rechtwinklige Hyperbel. Sie ist
ebenso eine Darstellung des Boyleschen Gesetzes, wie die Formel
p V == const., und hat vor dieser den Vorzug der Anschaulichkeit.
Man nennt die Linie abcde, da sie das Verhalten des Gases bei
konstanter Temperatur darstellt, eine Isotherme des Gases. Die
Isothermen der Gase oder die Linien konstanter Temperatur sind somit
rechtwinklige Hyperbeln.
Die allgemeinen Eigenschaften der Gase.
Ein derartiges System von Masslinien nennt man ein Koordinatensystem.
Die Linien OP und OV, die sich im Anfangs- oder Nullpunkte 0 schneiden,
sind die Axen, die abgetragenen Strecken die Koordinaten. Und zwar
heissen die horizontalen Strecken die Abscissen, die Senkrechten die Ordi-
naten. Jeder Punkt hat eine Ordinate und eine Abscisse, die seine Ent-
fernung von der entsprechenden Axe darstellt, und ist durch die Angabe
ihrer Werte eindeutig bestimmt.
Handelt es sich um die Darstellung negativer Zahlen neben positiven,
so verlängert man die Axe über den Punkt 0 hinaus und trifft die Fest-
setzung, dass positive Werte nach rechts und oben, negative nach links und
unten gerechnet werden sollen. Man überzeugt sich leicht, dass dadurch die
Rechenregeln mit negativen Grössen befriedigt werden.
Die Produkte pv stellen in der Zeichnung die Flächeninhalte der
Rechtecke dar^ welche von den beiden Axen und den Koordinaten be-
gi'enzt sind; und deren Ecken in der Kurve liegen. Letztere hat somit
die Eigenschaft; dass alle derartigen Rechtecke wie 0 2a 50', 05b 20',
O'IO c 10', 0 20 d 5', 0 50 e 2' fläcbengleich sind.
Für eine andere Temperatur, z. B. 200®, erhält man die Isotherme,
wenn man dem Gesetz von Gay-Lussac gemäss alle Volume für die
ausgeworfenen Drucke im Verhältnis 1 : (1 + at), also 1 : 1-734 in dem
gewählten Beispiele vermehrt. Dai'aus ergiebt sich die der vorigen ent-
sprechende Tabelle
Druck 2 5 10 20 50 cm
Volum 86-70 34-68 17-34 8-670 3468 ccm
Die zugehörige Kurve ist in der Zeichnung eingetragen; sie ist
natürlich auch eine rechtwinklige Hyperbel, da sie einer ähnlichen
Gleichung, nämlich pv = 173-4 genügt, derzufolge die von den Axen
und den Koordinaten eingeschlossenen Rechtecke flächengleich sind.
Hieraus folgt, dass jedes beliebige Rechteck der ersten Kurve zu
jedem beliebigen der zweiten bezüglich des Flächeninhaltes im Verhältnis
l:(l+«t) steht, woraus die gewöhnliche Form der Gasgleichung
py = ^qVq {i -{- at) sich alsbald ergiebt.
Diese Gleichung gestattet, durch Rechnung aus dem bei irgend
einer Temperatur t und irgend einem Drucke p beobachteten Volum
eines Gases das Volum zu berechnen, welches es bei normalem Druck
und normaler Temperatur haben würde. Letztere beiden Werte sind
durch Übereinkunft festgestellt worden, und zwar so, dass als Normal-
temperatur die des schmelzenden Eises oder Null Grad, als Normaldruck
der einer Quecksilbersäule von 76 cm Höhe, gleich einem Gewicht von
1033 g pro Quadratcentimeter^), festgesetzt worden ist. Man schreibt
zu dem Zwecke die Gleichung in der Gestalt
*) Das Quecksilber ist 13-595 mal schwerer als Wasser; eine Säule
von 1 qcm Querschnitt und 76 cm Höhe enthält also 76 ccm Quecksilber und
hat ein Gewicht von 76x13-595= 1033 g.
4*
52
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
pv
100'
273'
Fig. 2.
' Po (1 + «t) '
in welcher sie vielfach benutzt wird.
Man kann der allgemeinen Gasgleichung pv =p^)Vö (1 + «t) eine
einfachere Gestalt geben, wenn man sich folgender Überlegung bedient.
Stellt man die Volume, die ein Gas unter konstantem Drucke bei
wechsehider Temperatur annehmen kann,
durch entsprechende Linien Oa, lOOb, dar,
die von der durch eine senkrechte Gerade
dargestellteu Theimometerskala entsprechend
der Grösse des Volums nach rechts abge-
tragen werden, so erhält man eine gerade
Unie ab, welche für jede andere Tempe-
ratur das zugehörige Volum in gleicher
Weise angiebt. Verlängert man diese Ge-
rade nach unten, so gelangt sie schliess-
lich*mit der Thermometerskala zum Durch-
schnitt, d.h. es giebt eine Temperatur, bei
welcher das Volum eines Gases gleich Null
sein würde, wenn das Ausdehnungsgesetz
noch bis daliin in Geltung bliebe. Nun
kann man offenbar auch ohne dies die
Temperatur von diesem Durchschnittspunkte
aus zählen, und würde dadurch den Vorteil
haben, dass das Volum des Gases dieser neuen Temperatur unmittelbar
proportional wäre, so dass der Ausdruck der Gasgesetze eine einßtchere
Gestalt annähme.
Ausser diesem Vorteile eines kürzeren Ausdruckes erlangt man hierbei
noch einen wichtigen weiteren Vorteil, da die so gezählte Temperatur mit
einer theoretischen Temperaturskala wesentlich zusammenfällt, welche sich
auf Grund allgemeiner Betrachtungen über die Eigenschaften der Wärme
ableiten lässt. Diese theoretische Skala ist von der besonderen Natur der
thermometrischen Substanz unabhängig, was man von keiner anderen Skala,
auch nicht von der auf der Ausdehnung der Gase beruhenden sagen kann;
sie fällt aber thatsächlich fast vollkommen mit der wie oben definierten
Skala zusammen.
Um den Punkt zu finden, in welchem der Durchschnitt der beiden
Linien eintritt, erinnern wir uns, dass das Volum für jeden Grad um
0-00367 oder 1/273 des Volums beim Schmelzpunkt des Eises abnimmt.
Daher muss 273 Grad unter diesem Punkte (unter der oben gemachten
Voraussetzung) das Volum verschwinden. Die neue Zählung würde an
dem Punkte — 273® C anfangen, und jeder wie gewöhnlich gezählte
Celsiusgrad ist um 273 zu vermehren, um die neue Temperatur zu
ergeben.
Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 53
Man nennt diese so gezählten Temperaturen absolute und be-
zeichnet sie mit T, im Gegensatz zu der mit t bezeichneten, vom Eis-
punkte ab gezählten Gentesimaltemperatur. Handelt es sich um die Kenn-
zeichnung von Zahlenangaben, so wird den Centesimalgraden ein 0, den
absoluten Graden ein A zugefügt.
Rechnerisch ergiebt sich diese Zählung aus den folgenden Gleichungen
pv = PoVo(l+at) = PoVo(l+t/273) = PoVo(27a + t)/273=^T
wo T = 273 4-t gesetzt worden ist. Wu'd ausserdem die Konstante
PqVq/273 mit r bezeichnet, so erhalten wir die einfache und allgemeine
Form der Gasgleichung,
pv = rT.
Die Konstante r ist gemäss ihrer Definition r=«poVo/27o proportional
der betrachteten Gasmenge. Auf Grund späterer Erörterungen wird es sich
als vorteilhaft erweisen, solche Mengen verschiedener Gase zu betrachten, für
welche die Konstante r gleichen Wert hat. Die alsdann auftretende absolute
Konstante, die seinerzeit definirt werden soll, wird mit R bezeichnet.
Das in der Gasgleichung auftretende Produkt pv hat den Charakter
einer Energie oder Arbeitsgrösse. Denn um unter gegebenen Verhält-
nissen, z. B. unter dem Druck der Atmosphäre eine gewisse Gasmasse
entstehen zu lassen, muss der Druck p über den Raum v zurückge-
schoben oder überwunden werden, und diese Arbeit ist proportional
einerseits dem Drucke p, andererseits dem vom Gase eingenommenen
Kaum V. Um diese Art Energie von anderen zu unterscheiden, kann
man sie Volum energie nennen. Sie gehört zu den mechanischen
Energieen und ist £ast die einzige Arf mechanischer Energie, die für die
späteren Beü*achtungen in Frage kommt.
Die Gestalt des Gasgesetzes pv = rT lehrt nun eine wichtige Eigen-
tümlichkeit der Volumenergie der Gase kennen. Sie zeigt, dass bei ge-
gebener Temperatur T der Druck, unter dem ein Gas entsteht, keinen
Einfluss auf die dafür verbrauchte Volumenergie hat. Denn in dem
Masse, wie der Dinick kleiner wird, nimmt das Volum zu, und das
Produkt beider, welches eben diese Volumenergie misst, bleibt konstant
Wir können daher die Gasgesetze auch in der folgenden Gestalt aus-
spredien, die das Verständnis gewisser Eigentümlichkeiten in dem Ver-
halten der Gase erleichtert: Die für die Entstehung einer bestimmten
Gasmenge erforderliche Volumenergie ist unabhängig vom Druck und
proportional der absoluten Temperatur.
Aus dem Umstände, dass auf der linken Seite der Gasgleichung pv = rT
eine Energiegrösse steht, folgt, dass auch die rechte Seite rT eine solche sein
muss. In der That bedeutet diese Grösse eine neue Art Energie, die Wärme.
Auf diese Bemerkung wird später Bezug genommen werden.
Da pv eine Energiegrösse ist, so hat sie auch gemäss S. 5 ein abso«
lutes Mass in Erg. Daraus folgt weiter, dass es auch für den Druck eine
54 II- Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
absolute Einheit giebt: der Druck Eins ist der Druck, der über ein Kubik-
centimeter wirkend, ein Erg Arbeit leistet.
Um diesen Betrag mit den gewöhnlichen Arten der Druckmessung in
Beziehung zu bringen, erinnern wir uns, dass der Druck einer Atmosphäre
durch eine Quecksilbersäule von 76 cm Höhe ausgeübt wird. Die Arbeit
für die Überwindung dieses Druckes bei der Vermehrung des Volums um ein
Kubikcentimeter ist gleich der für die Erhebung einer Quecksilbersäule von
1 cm' Querschnitt und 76 cm Höhe um 1 cm. Da nun die Schwere eines
Gramms gleich 980 (genauer 980-53) absoluten Einheiten ist (S. ö), und 1 ccm
Quecksilber 13-5953 g wiegt, so enthält eine Atmosphäre 76 x 980-53 x 13-5953
= 1013130, etwas über eine Million absolute Druck einheiten.
Hierbei ist Rücksicht darauf genommen worden, dass die Kraft der
Schwere mit dem Orte wechselt, indem als Normalort ein solcher unter Meeres -
höhe und 45® Breite gewählt worden ist, für den die Schwere 980-53 Ein-
heiten beträgt.
Will man den Druck einer Atmosphäre in Gewichtseinheiten auf die
Einheit der Druckfläche, ein Quadratcentimeter, darstellen, so hat man zu
überlegen, dass dieser Druck gleich dem Gewicht einer Quecksilbersäule von
1 cm* Querschnitt und 76 cm Höhe ist, welches 1033 g betrögt. Wegen der
Annäherung dieses Wertes an 1000 g oder ein Kilogramm wird für technische
Zwecke die Atmosphäre auch als der Druck von einem Kilogramm auf ein
Quadratcentimeter definiert; doch ist für wissenschaftliche Zwecke die oben
gegebene absolute Definition unbedingt vorzuziehen. Will man abrunden,
so geschieht dies viel besser dahin, dass man 75 statt 76 cm Quecksilbersäule
als Druckeinheit einführt, da dieser Betrag sehr nahe gleich einer Million
absoluter Einheiten unter mittleren Verhältnissen ist.
Das Gasgesetz pv=rrT ist als Naturgesetz von ganz anderer Be-
schafifenheit^ als die früher besprochenen stöcliiometrisdien Gesetze. Wäli-
rend von jenen keine Ausnahme bekannt ist; kennt man umgekehrt kein
Gas, dessen Verhalten durch die Formel genau dargestellt wird. Es
liegt dies an dem verschiedenen Verhalten der Grössen, die in den beiden
Gesetzen auftreten. Während wir keinen Vorgang kennen, der auf die
Masse der beteiligten StoflTe den geringsten Einfluss ausübte, sind umge-
kehrt Druck und Temperatur nicht die einzigen Bedingungen, von denen
die Raumerfiillung eines Gases abhängt. Vielmehr übt die chemische
Natur des Gases gleichfalls einen Einfluss aus, der zwar unter den ge-
wöhnlichen Verhältnissen gering ist, dagegen um so mehr hervortritt je
kleiner der Raum ist, der dem Gase zur Verfügung steht.
Daher ist die Formel pv = rT nur ein Grenzgesetz, d. h. eine
Formel, die das wirkliche Verhalten zwar in grossen Zügen darstellt,
aber doch immer gegen die Wirklichkeit einen Rest lässi Dieser Rest
wird um so kleiner, je geringer der Druck und je höher die Tempera-
tur wird; doch erreicht nie das Verhalten eines wirklichen Gases genau
die Formel. Man nennt daher ein gedachtes Gas, das genau dieser
Formel (und einigen anderen, die hier nicht erwälmt werden können)
Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 55
gehorchen würde, ein ideales Gas, und sagt, dass sich das Verhalten
der wirklichen Gase dem eines idealen um so mehr nähert, je höher die
Temperatur und je kleiner der Druck wird.
Die ersten Untersuchungen über diesen Gegenstand machte Despretz
1825, nachdem schon früher van Marum und Oersted einzelne hierhergehörige
Beobachtungen mitgeteilt hatten. Er kam zu der Ansicht, dass solche Gase,
welche dem Punkte, wo sie in Flüssigkeiten übergehen, nahe sind, sich im
allgemeinen stärker zusammendrücken lassen, als dem Boyleschen Gesetze
entspricht.
An der Luft konnten Arago und Dulong, welche 1829 mit grösseren
Mitteln die Versuche aufnahmen, bis 27 Atmosphären keine Abweichung ent-
decken. Andere Gase wurden nicht untersucht. Pouillet verglich Kohlen -
dioxyd, Stickstoffoxydul, Methan und Äthylen mit Luft, und fand bei allen
eine Abweichung in demselben Sinne, d. h. die Gase Hessen sich stärker
zusammendrücken, als dem Boyleschen Gesetze entsprach. Die letzten bei-
den Gase waren noch nicht in flüssigem Zustande bekannt. Sehr umfassende
Versuche rühren von Regnault her. Aus ihnen ergab sich, dass überhaupt
kein Gas dem Boyleschen Gesetze genau folgt. Ausser der bereits bekannten
Abweichung der zu grossen Zusammendrückbarkeit zeigte sich beim Wasser-
stoffe das entgegengesetzte Verhalten, es ist nach Regnaults Ausdruck ein
„gaz plus que parfait".
Indessen erwies es sich bald, dass dieses Verhalten, so unerwartet es
anfangs war, sämtlichen Gasen zukommt, wenn sie sehr starken Drucken
ausgesetzt werden, vorausgesetzt, dass sie sich bei diesen Drucken nicht ver-
flüssigen. Natterer (1850) fand diese Thatsache bei seinen vergeblichen Versuchen,
die sogenannten permanenten Gase, Sauerstoff, Wasserstoff und Luft, zu
verflüssigen, auf.
Die von Begnault beobachtete Abweichung beim Wasserstoff ist also
keine besondere Eigentümlichkeit dieses Gases, sondern kommt allen Gasen,
nur bei verschiedenen Drucken zu.
So interessant auch Natterers Ergebnisse waren, und so sehr sie zu
weiteren Forschungen einluden, dauerte es doch fast zwanzig Jahre, bis ein-
gehendere Versuche über diesen Gegenstand begonnen wurden. Erst 1870
nahm Cailletet und gleichzeitig Amagat derartige Untersuchungen auf. Insbe-
sondere der letztere hat die Frage ungemein gefordert.
Die nachstehenden Figuren (S. 56 und 58) geben das Verhalten
einiger Gase unter starkem Druck anschaulich wieder. Nach oben
sind die Werte der Produkte pv eingetragen, nach rechts die Drucke p.
Wenn die Gase genau dem Boyleschen Gesetze folgten, so wäre das
Produkt pv konstant und die zugehörige Kurve wäre eine Gerade, die
parallel der horizontalen Axe verüefe. Wie man sieht, entspricht kein
Gas diesem einfachen Fall. Die meisten Gase zeigen bei geringeren
Drucken eine Abnahme des Produkts, sie lassen sich also stärker zu-
sammendrücken. Bei höheren Drucken dagegen wird das Produkt pv
ausnahmslos grösser, und alle Gase verhalten sich wie der Wasserstoff.
56
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
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Fig. 4. Stickstoff.
Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 57
Eine wichtige Eigentümlichkeit, die sich bei allen Gasen wieder-
findet, die nnter hohen Drucken untersucht worden sind, ist die, dass
über einen bestimmten Dnick hinaus die pv-Linien wieder gerade
werden. Das Verhalten, welches der Wasserstoff bereits bei niedrigen
Drucken zeigt, tritt also bei allen Gasen ein, wenn man den Druck nur
hoch genug nimmt. Dies führt zu dem folgenden Schlüsse.
Der geradlinige Verlauf der pv-Linie bei veränderlichem Drucke p, wie er
in Rg. 2 bis 4 an der rechten Seite aller Linien erscheint, bedeutet,
dass dort der Wert pv proportional dem Dnicke zunimmt, also einer
Formel von der Gestalt pv=a + bp folgt. Formt man die Gleichung
etwas um, so ergiebt sieh p (v — b) = a.
Vergleicht man dies mit der gewöhnlichen Gasgleichung, die für
konstante Temperatui* die Form py = a hat, so sieht man, dass stark zu-
sammengedrückte Gase sich von denen unter schwachem Drucke nur in-
sofern verschieden verhalten, als bei ihnen nicht das ganze Volum dem
Drucke umgekehrt proportional ist, sondern das Volum nach Abzug
einer vom Druck unabhängigen Grösse b. Es verhalten sich mit
anderen Worten die Gase so, als beständen sie aus einem Teil b, der
nicht zusammendrückbar ist, und einem anderen Teil v — b, der dem
einfadien Gasgesetze bis in die höchsten Drucke folgt
Es ist dadurch kein Gegensatz zu den Gasen unter geringem
Drucke in dem Sinne gegeben, als wäre bei diesen das „incompressible
Volum" nicht voriianden. Es beträgt in diesem Falle nur einen so
kleinen Anteil des ganzen Volums, dass er für die Messung nicht in Be-
tracht kommt. Im Falle des Wasserstoffs z. B. ist der incompressible
Anteü in dem bei 0® und unter Atmosphärendruck befindlichen Gase
nur 00006, erreicht also erst bei 16 Atmesphären Druck ein hundert-
ste! von dem Volum des Gases. Bei anderen Gasen ist dieser Anteil
etwas grösser, bleibt aber immer von derselben Ordnung.
Die Thatsache, dass die Gase bei mittleren Drucken sich anders ver-
halten, als bei hohen, legt die Vermutung nahe, dass ausser dem eben ge-
schilderten Einflüsse noch ein anderer vorhanden ist, welcher seine Wirkung
auf das Volum äussert. Diesen zweiten Umstand hat man mit Erfolg in der
Dichte gesucht, vermöge deren Wirkungen eintreten, die bei stärkerer Ent-
wickelung zu der Entstehung einer Flüssigkeit aus dem Gase führen. Die
genauere Betrachtung dieser Verhältnisse wird an späterer Stelle vorgenommen
werden.
Über das Verhalten der Gase bei sehr kleinen Drucken haben die da-
hin gerichteten Experimentaluntersuchungen keine übereinstimmenden Ergeb-
nisse geliefert. Doch scheint es wahrscheinlich, dass die gewöhnliche An-
schauung, nach welcher sich alle Gase bei abnehmenden Drucken zunächst
mehr und mehr dem idealen Gaszustande, d. h. der strengen Gültigkeit des
Boyleschen Gesetzes nähern, zwar richtig ist, dass aber bei sehr kleinen Drucken
neue Verhältnisse eintreten, die wieder eine Abweichung von den einfachen
Gesetzen bedingen.
58
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Die Abweichungen der Gase von den einfachen Gesetzen finden nicht
nur bei den wechselnden Drucken, sondern auch bei wechselnden Tempera-
turen statt. Zunächst war allerdings schon der Ausdehnungskoeffizient selbst
20 kO 60 80
120 ikD 160 180 200 220 2k0 260 280 300 320
Fig. 5. Kohlendioxyd.
sowohl von Gay - Lussac wie von Daiton nicht unerheblich zu gross be-
stimmt worden. Nach der Zurechtstellung des Wertes durch Rudberg unter-
suchte Magnus mehrere Gase und fand merkliche Verschiedenheiten. Wie im
anderen Falle sind die Abweichungen am grössten bei den dichtesten Gasen
und zwar erweisen sich die Koeffizienten solcher Gase grösser, als die der
Dichte und Volum der Gase. . 59
normalen Gase. Diese Abweichungen wirken gleichzeitig in solchem Sinne,
dass die Abweichungen vom Boyleschen Gesetze um so geringer werden, je
höher die Temperatur steigt.
Gestattet man dem Gase nicht, sich auszudehnen, so nimmt sein Druck
zu. Das Mass dieser Druckzunahme, der Druckkoeffizient, ist gleichfalls nur
im idealen Grenzfalle konstant, und zeigt bei verschiedenen Gasen Abweich-
ungen von der Grössenordnung derjenigen, welche bei Ausdehnungskoeffizienten
vorkommen. Doch gelten diese Regeln nur für massige Drucke; bei hohen
l)racken können die Ausdehnungs-, wie die Druckkoeffizienten sowohl grösser
wie auch kleiner sein, als die normalen Werte. Die hier eintretenden Ver*
hältnisse lassen sich aus den Figuren 3—5 durch naheliegende Betrachtungen
und Konstruktionen ableiten, doch muss diese Hindeutung genügen.
Es wurde schon hervorgehoben, dass die Abweichungen von den Gas-
gesetzen am grössten bei solchen Gasen sind, welche ihrem Verflüssigungs-
punkt am nächsten stehen. Ganz verschieden von diesen Abweichungen, die
von der Dichte des Gases abhängen und sich bei nicht allzu hohen Drucken
innerhalb massiger Grenzen bewegen, sind die Abweichungen, die sich bei
gewissen Gasen, von denen Stickstoffhyperoxyd das beste Beispiel ist, zeigen.
Diese sind viel grösser, und haben das Besondere, dass sie auf bestimmte
mittlere Druck- und Temperaturgebiete eingeschränkt sind. Die Erklärung
dieser Erscheinungen wird in der Veränderlichkeit der Konstante r gesucht,
die mit dem Umstände verbunden ist, dass auch die anderen Eigenschaften
des Gases (z. B. seine Farbe) erhebliche Änderungen erfahren. Es sind mit
anderen Worten Gase, die umkehrbare chemische Änderungen erleiden.
Deshalb kann ihr Verhalten erst an späterer Stelle eingehender betrachtet
werden.
Zweites Kapitel.
Dichte und Volum der Gase.
Die Dichte eines Stoffes ist das Verhältnis seiner Masse zu dem
Haume, den er einnimmt. Da die Masse zahlenmässig durch das Ge-
wicht des Körpers in Grammen dargestellt wird, und die Raumeinheit
Wasser, ein Kubikcentimeter, 1 g wiegt, so kann die Dichte auch durch
das Verhältnis der Gewichte gleicher Räume des Stoffes und reinen
Wassers von 4® gemessen werden.
Für Gase fahrt diese Bestimmung zu einiger Unbequemlichkeit.
Einmal eiiiält man sehr kleine Zahlen, da die Gase einige hundert- bis
tausendmal leichter sind, als gleiche Räume Wasser, andererseits aber
ist das Gewicht der Raumeinheit eines Gases im höchsten Masse von
Temperatur und Druck abhängig. Man pflegt daher die Dichte in diesem
Sinne nur für den „Normalzustand" der Gase bei 0® und einer Atmo-
sphäre Druck zu bestimmen.
60 II* Stöchiometrie gasfönniger Stoffe.
Für diesen Zustand ist die Dichte der atmosphärischen Lnfl von
mittlerer Znsammensetzung gleich 0*010293. Es wiegt also ein Liter
Luft nur etwas mehr als ^U g-
Für wissenschaftliche Zwecke ist der Begriff ^^Lufl:'^ zu unbestimmt,
da dies Gemisch keine konstante Zusammensetzung hat Hier dient als
Norm am besten der Sauerstoff, der ja auch als Norm der Verbindungsge-
Wichte dient. Die Dichte des Sauerstofls ist 00014290.
Der reziproke Wert der Dichte ist das spezifische Volum, oder das
Volum eines Gramms. Es beträgt beim Sauerstoff 699*80 ccm, also fast
genau 700 ccm.
Bei anderen Temperaturen und Drucken (in cm Quecksilber) beträgt
das Gewicht von einem Cubikcentimeter Sauerstoff:
G = 00014290 p/76 (1 + at)
und das Volum von einem Gramm Sauerstoff:
V = 699-80X76 (1 + at)/p.
Um nun die Unbequemlichkeit, die in der Veränderlichkeit der
Dichte der Gase liegt, zu umgehen, ist es Gewohnheit geworden, statt
der absoluten Dichte das Verhältnis anzugeben, in welchem das Gewicht
des fraglichen Gases zu dem eines Normalgases steht, wenn beide
gleichen Druck und gleiche Temperatur haben. Denn da diese beiden
Faktoren auf alle Gase einen gleichen Einfiuss ausüben, so ist eine solche
Verhältniszahl von dem Werte des Druckes und der Temperatur unab-
hängig.
Als solches Normalgas hat früher die Luft gedient, doch ist sie aus
den bereits angegebenen Gründen hierfür nicht geeignet. Auch hier hat
der Sauerstoff einzutreten, und demgemäss ist die relative Dichte eines
Gases das Verhältnis, in welchem sein Gewicht zu dem eines gleichen
Volums Sauerstoff unter gleichem Drucke und bei gleicher Tempera-
tur steht.
Aus Gründen, die alsbald zur Besprechung gelangen sollen, wird
als Normalgas in diesem Sinne nicht der Sauerstoff unmittelbar benutzt,
sondern man denkt sich ein Gas, dessen Dichte 32 mal so klein ist, als
die des Sauerstofls. Das Gewicht von einem Eubikcentimeter des
Normalgases ist demnach 32 mal so klein, als des Sauerstoffs, und be-
trägt 0-00004463 p/ 7 6 (1+at). Dadurch wird die relative Dichte des
Sauerstoffs selbst gleich 32, und die der anderen Gase werden 32 mal
so gross, als die auf Sauerstoff als Einheit bezogenen relativen Dichten.
Da die Dichten von Luft und Sauerstoff im Verhältnis 0001293/0001429
stehen, so sind die auf jenes Normalgas bezogenen Dichten um 32 X
0-O01293/0-O01429 = 28*98 mal so gross als die auf Luft als Einheit
bezogenen relativen Dichten. Da die Zahlen der letzteren Art noch
häufig in der litteratur vorkommen, so ist es widitig, diesen Faktor
28-98 zu kennen.
Die auf jenes Normalgas bezogenen Dichten nennt man auf Grund
Dichte und Yolum der Gase. ßi
einer bestimmten hypothetischen Anschauung die Molekulargewichte
der betreffenden Gase Wegen des Nachteiles, der immer damit ver-
banden ist, dass man eine von allen Hypothesen unabhängige empirische
Grösse mit einem der Hypothese entnommenen Namen bezeichnet, soll
dieser wenigstens vorläufig nicht benutzt werden; wir wollen vielmehr
die auf unser gedachtes Normalgas bezogenen Dichten oder Volumge-
wichte Normalgewichte nennen. Später, nachdem die vorliegenden
Verhältnisse unabhängig von entbehrlichen Zuthaten dargelegt sein werden,
kann mit der Mitteilung der hypothetischen Veranschaulichnng auch der
entsprechende Name Molekulargewicht in Gebrauch genommen werden.
Die Kenntnis der Molekular- oder Normalgewichte verschiedener Gase
hat für den Chemiker ein besonderes Interesse, und es sind daher ver-
schiedene Methoden ersonnen worden, um sie zu erlangen. Die Methoden
kommen immer darauf hinaus, dass man für eine gegebene Gasmasse
sowohl das Gewicht, wie das Volum bei bestimmter Temperatur und be-
stimmtem Druck ermittelt. Berechnet man dann, wieviel ein gleiches
Volum des Normalgases unter gleichen Umständen wiegt, so ist das Ver-
hältnis beider Gewichte das gesuchte Normalgewicht. Ist W das Gewicht
des zu untersuchenden Gases bei dem Volum V, dem Druck P und der
Temperatur t, so ist das Gewicht g des gleichen Volums des Normal-
gases:
PV
g= 0-00004463 ;
^ yy^ yj " 76(1 + 0-00367 1)
W
und das gesuchte Normalgewicht m = — erhält den Wert
W.76(l+ 0-00367 1) ^ WT
000004463 PV PV '
wo T=273 + t ist.
Diese Gleichung gilt fiir sämtliche Methoden der Gasdichtebestimmungen;
ihre Anwendung setzt voraus, dass man die Drucke in Centimetem
Quecksilber, die Volume in Kubikcentimetem, die Gewichte in Grammen
und die Temperaturen in Celsiusgraden -|- 273 misst Die verschiedenen
Bestimmungsmethoden gehen nur insofern auseinander, als man ver-
schiedene Wege einschlägt, um zur Kenntnis dieser vier erforderlichen
Zahlen zu gelangen.
Handelt es sich um möglichst genaue Bestimmungen an Gasen, die
man bei niederen Temperaturen untersuchen kann, so benutzt man zwei
möglichst gleiche Glaskolben von passender Grösse, die durch Hähne
verschliessbar sind, und die man durch Zusätze so abgleicht, dass sowohl
ihr Gewicht, wie ihr äusseres Volum gleich werden. Der eine von
beiden Kolben wird verschlossen (am besten in leerem Zustande) und
dient als Gegengewicht fiir den andern, den man abwechselnd in leerem
Zustande und mit den zu unterauchenden Gasen gefüllt, wägt. Die Not-
wendigkeit eines an äussei*em Umfange gleichen Gegengewichtes wird da-
Q2 II' Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
durch bedingt, dass der Auftrieb, welchen die Gasbehälter durch die
Luft, in welcher sie gewogen werden, erfahren, ungefähr ebensoviel be-
trägt, als im allgemeinen das Gasgewicht selbst, und dass dieser Auftrieb
mit dem Zustande der Luft veränderlich ist Treffen aber, wie bei der
beschriebenenen Anordnung, diese Veränderungen beide Seiten der Wage
gleichförmig, so haben sie auf das Ergebnis der Wägung keinen Ein-
fluss mehr. Bei den Wägungen des Versuchskolbens in luftleerem und
gaserftilltem Zustande ist infolge der im ersten Falle auftretenden Zu-
sammendrückung durch den äusseren Luftdruck das Volum und daher
auch der Auftrieb etwas kleiner, ein Umstand, auf welchen bei sehr ge-
nauen Messungen Rücksicht genommen w^en muss.
Die bei solchen Versuchen auftretenden Schwierigkeiten liegen in der
Notwendigkeit, den grossen Luftbehälter überaus genau zu wägen; die Be-
stimmungen von Druck, Volum und Temperatur lassen sich viel leichter ge-
nau ausführen. Deshalb kann man häufig bequemer und daher genauer zum
Ziele kommen, wenn man das Gas nicht als solches wägt, sondern in festem
oder flüssigem Zustande. Dies setzt keineswegs voraus ^ dass das Gas als
solches in diesen Zustand bequem übergeführt werden kann, sondern man
kann das Verfahren überall anwenden, wo man das Gas aus festen oder
flüssigen chemischen Verbindungen erzeugen oder es in solche überführen
kann. Um z. B. die Dichte des Sauerstoffs zu finden, wog Buff eine mit
Kaliurachlorat gefüllte Retorte, entwickelte aus derselben Sauerstoff, dessen
Volum, Druck und Temperatur er mass, und wog die Retorte zurück. Der
Unterschied beider Gewichte ist das Gewicht des gemessenen Sauerstoffs.
Umgekehrt leitete Marchand die noch unbekannte Menge Sauerstoff, deren
Volum, Druck und Temperatur er gemessen hatte, mit Hülfe eines indifferen-
ten Gases (Kohlendioxyd) über gewogenes glühendes Kupfer, welches sich mit
dem Sauerstoff vollständig zu Kupferoxyd verband, und erhielt durch dessen
Gewichtszunahme das gesuchte Gewicht des Sauerstoffs. Man sieht leicht
ein, wie man diese Methoden auf andere Fälle anwenden kann.
In Fällen, wo es auf geringere Genauigkeit ankommt, oder wo nur
geringe Gasmengen zu Gebote stehen, wird der Massstab der Versuche
erheblich verkleinert. Besonders häufig kommt der Chemiker in die
Lage, das Normalgewicht von solchen Gasen, welche bei gewöhnlicher
Temperatur feste oder flüssige Körper sind, oder von Dämpfen zu be-
stimmen. Hierzu dienen kleinere Kolben von 200 bis 500 ccm Inhalt,
in welche man etwas von dem Körper hineinbringt. Indem man als-
dann den Kolben einer Temperatur aussetzt, welche erheblich (mindestens
30® bis 50®) über dem Siedepunkt des Stoffes liegt, und dadurch eine
schnelle Dampfentwickelung hervorbringt, treibt man die im Kolben ent-
haltene Luft durch den Dampf aus. Hat das Ausströmen aus dem
(möglichst schmalen) Kolbenhalse aufgehört, so schmilzt man ihn zu und
bemerkt die Temperatur und den Barometeretand. Das Gewicht wu-d
durch den Unterschied bei der Wägung des leeren und des dampfer-
füllten Kolbens gefunden (wobei auf den Auftrieb Rücksicht zu nehmen
Dichte und Volum der Gase. 63
ist), und daß Volum ermittelt man, indem man den Kolben leer und mit
Wasser von 4** geflillt wägt; der Gewichtsunterschied in Grammen ist
gleidi dem Inhalt in Kubikcentimetem. Doch darf nicht vergessen
werden, dass bei der Beobachtungstemperatur der Kolben ein etwas
grösseres Volum hatte, weil er durch die Wärme ausgedehnt war; die
Zunahme beträgt bei Glas etwa 0-00003 fiir jeden Grad, ist also nicht
erheblich. (Dumas.)
Man kann die Wägang des Kolbens vor und nach dem Verauche
sich erspai'en, wenn man das Gewicht des Dampf Inhaltes auf irgend einem
anderen Wege bestimmt. Handelt es sich z. B. um die Dichte des
Joddampfes, so braucht man nm* nach dem Versuche den Kolben mit
JodkaJiumiösnng auszuspülen und die Lösung mit Natriumthiosulfat zu
titrieren, um zu sehr genauen Bestimmungen zu gelangen. Derartige
Hilfsmittel sind indessen bisher fast gar nicht benutzt worden.
Bei sehr hohen Temperaturen, wo Glas nicht mehr ausreicht, dienen
Kolben von Porzellan, die mittelst des Knallgasgehläses verschlossen werden.
Da unter solchen Umständen die Bestimmung der Temperatur schwierig ist,
so erspart man sie sich, indem man einen Parallelversuch unter gleichen Um-
ständen mit Luft macht, und deren Gewicht bestimmt, was allerdings zweck-
mässiger durch Messung als durch Wägung geschieht. Zieht man eine Wägung
vor, so benutzt man statt der Luft ein schweres Gas, dessen Dichte bekannt
ist, um die Wägungsfehler unschädlicher zu machen (Deville und Troost).
Der früher hierzu benutzte Joddampf ist nicht geeignet, weil seine Dichte
bei höherer Temperatur nicht konstant ist.
Gewissermassen die ümkehrung des von Dumas herrührenden Ver-
fahrens bildet die Methode von Gay-Lussac, bei welcher nidit die Menge
des Dampfes bestimmt wird, welcher ein gegebenes Volum erfüllt, son-
dern das Volum, welches von einer gegebenen Menge des Dampfes ein-
genommen wird. Die Ausführung der Methode setzt voraus, dass man
den fraglichen Stoff als festen oder flüssigen Körper wägen kann.
Bei der Ausführung wird eine derart gewogene Menge in eine oben
geschlossene und in Kubikcentimeter geteilte Köhre von Glas gebracht,
welche mit Quecksilber gefüUt ist und in einer Quecksilberwanne steht
Die Röhre muss von einer Vorrichtung umgeben sein, welche gestattet,
ihr eine gleichförmige und genau bestimmbare Temperatur zu geben.
Der hmeingebrachte Stoff verwandelt sich in Dampf, welcher QuecksUber
verdrängt und dessen Volum man an der Teilung ablesen kann. Bei
diesem Verfahren ist zu berücksichtigen, dass der Druck, unter dem das
Gas steht, gleich dem Barometerstand minus der in der Röhre verbleiben-
den Quecksilbersäule ist; auch muss die Höhe der letzteren nach dem
Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers (0-000182) auf 0® reduziert
werden.
Eine Abänderung dieser Methode unter Anwendung längerer Röhren
nnd eines Dampfmantels zur Erwärmung, welche von Hoftnann ange-
34 II- StöchioDietrie gasfOrmiger Stoffe.
geben worden Ut, iat eine ganz wesentliche Verbessening der in ihrer
nreprüng^cfaen Form etwas unbequemen Metiiode.
Der gleichen Gruppe angehörig tat ein gleiehtidb sehr bequemes
Ver&hren, welches von V, Meyer berrUhrt (flg. fi). Eb besteht darin,
dass man zunächst ein cylindrischee Gefdss mit langem Halse auf eine
passende gleidiförmige Tem-
' peratnr erhitzt. Der obere
Töl des Gefässes wird mit
einem in Knbikcentimeter ge-
teilten Mesarohre in Verbin-
duDg gesetzt und aladaim
läfist man in den unteren
Teil eine gewogene Menge
des ZQ vergasenden Stoffes
fallen. Indem er Gasgestalt
annimmt, verdrängt er ein
gleiches Volum der Luft, wel-
clie das Gefäss erfüllte; diese
tritt in die Messröhre über,
und aus den Ablesungen an
dieser kann das entsprechende
Gewicht des Normalgases in
bekannter Weise bestimmt
werden. Das Verfaliren hat
den grossen Vorteil, daas es
' bei allen Temperaturen, für
Fig. 6. welche man haltbare Gefässe
herstellen kann, Anwendung
findet, und dass man die Temperatur des Dampfraumes nicht
zu kennen braucht; letzlere muss nur wälirend des Verenehes kon-
stant sein.
Um, was für beatimmte Fragen von Wichtigkeit ist, die Temperatm- des
Damptmumes kennen zu lernen, verdrängt V. Meyer die Luft daraus durch
Chlorwasserstoffgas, und fängt sie über Wasser auf, welches das Chlorwasser-
stoffgas autnimmt. Ist v' das Volum der ausgetriebenen Luft bei der Zimmer-
temperatur T', mid V das Volum des Dampfraumes, so ergiebt sich seine Tem-
peratur T nach dem Gesetz von Gay-Lussac aus der Proportion
v : V = T' : T
Andere Verfahren, welche in besonderen Fällen zu benutzen sind, hat
mannigfach erfunden und beschrieben, doch sind sie nicht in allgt
Gebrauch gekommen und können daher hier übei^angen werde
Das Gesetz von Gay-Lnssac und die Hypothese von Avogadro. 65
Drittes Kapitel.
Das Gesets von Gay-Lussao und die Hypothese von Avogadro.
Bei Versuchen über das Kaumverhältnis, in welchem sich Sauerstoff
und Wasserstoff zu Wasser verbinden^ hat man schon am Ende des
vorigen Jahrhunderts erkannt, dass es ungefähr 1:2 ist. Dass es, soweit
die damaligen Hilfsmittel es zu bestimmen gestatteten, genau diesen
einfachen Wert hat, ist indessen erat 1805 von Gay-Lussac und Hum-
boldt ausgesprochen worden. Drei Jahre später stellte Gay-Lussac in
einer sehr beriihmt gewordenen Abhandlung fest, dass diesem Verhalten
ein für alle Gase gültiges Gesetz zu Grunde liegt, welches lautet: Wenn
gasförmige Stoffe sich chemisch verbinden, so stehen ihre
Volume in einfachen rationalen Verhältnissen; entsteht dabei
wieder ein gasförmiger Stoff, so steht auch sein Volum in
rationalem Verhältnis zu dem Volum der ursprünglichen Gase.
Vorausgesetzt ist dabei natttrlidi, dass alle Voiumbestimmungen bei
gleichem Druck und gleicher Temperatur erfolgen.
Dies Gesetz gestattet offenbar, die Dichten gasförmiger Verbindungen
aus denen der Elemente zu berechnen, wenn man die Volumverhältnisse bei
ihrer Bildung kennt. So geben 2 Volume Wasserstoff und 1 Volum Sauer-
stoff 2 Volume Wasserdampf. Nun ist die Dichte des Wasserstoffs in der
S. 61 angegebenen Einheit 2-02, die des Sauerstoffs ist 32*00. Wir haben nun
folgende Rechnung:
2 Vol. Wasserstoff wiegen 2 x 2-02 « 4-04
1 Vol. Sauerstoff wiegt 32«00
Die entstehenden 2 Vol. Wasserdampf wiegen 36-04
folglich: 1 Vol. Wasserdampf wiegt 18-02
Die Beobachtung giebt 18*05, fast also eine identische Zahl.
Überlegt man nun, dass die Gase sich dem Gewichte nach im
T'erhältnis ihrer Verbindungsgewichte oder deren Multiplen, dem Volum
nach aber zu gleichen oder multiplen Volumen verbinden, so folgt, dass
die Gewichte gleicher Volume der Gase sich wie ihre Ver-
bindungsgewichte oder der Multiplen verhalten müssen.
Es liegt daher der Gedanke nahe, die Verbindungsgewichte so zu
wählen^ dass die rationalen Faktoren derselben mit denen der Volume
bei chemischen Verbindungen übereinstimmend werden. Dann verhalten
sieh die Dichten der verachiedenen Gase wie ihre Verbindungsgewichte.
Indessen zeigt sich dieser einfachen Annahme gegenüber eine
Schwierigkeit, welche sie undurchführbar macht. Wenn Chler und Wasser-
stoff sich zu Chlorwasserstoff verbinden, so bleibt das Volum unver-
ändert, d. h. ein Liter Chlor und ein Liter Wasseratoff geben zwei Liter
Chlor^'asserstoff. Nehmen wir solche Volume der beiden gasförmigen
Elemente, dass jedes ein Verbindungsgewicht enthält, so wäre in den
enttstandenen zwei Volumen Chloi'wasseretoff doch auch nur ein Ver-
Ostwald, Grundriu. 3. Aufl. 5
66 II« Stöchiometrie gasfönniger Stoffe.
bindungsgewicht Chlorwasserstoff enthalten, d. h. in dem gleichen Volum
nur ein halbes Verbindungsgewicht Dies widerspricht aber der Begrifls-
bestimmung, dass das Verbmdungsgewicht dnes zusammengesetzten Stoffes
gleich der Summe der Verbindungsgewichte seiner Elemente sein soll.
Bei Wasser ist eine ähnUche Scliwierigkeit vorhanden. Es treten
zwei Volume Wasserstoff mit einem Volum Sauerstoff zu zwei Volumen
Wasserdampf zusammen. Dies wäre im Sinne der versuchten Auffassung
so zu deuten, dass ein Verbindungsgewicht Sauerstoff mit zwei Wasser-
stoff Wasser bildet; da dies aber den doppelten Raum des Sauerstoffs
einnimmt, so wäre in dem einfachen Eaume nur ein halbes Verbindungs-
gewicht Wasser enthalten, wieder im Widerspruch mit dem allgemeinen
Satze über das Verbindungsgewicht der zusammengesetzten Stoffe.
Noch schlimmmer ist der Fall des Phosphorwasserstoffe. Hier ver-
bindet sich em Volum Phosphordampf mit sechs Volumen Wasserstoff,
und es entstehen vier Volume Phosphorwasserstoff. Hier müsste^ also
das Verbindungsgewicht des Phosphorwafiserstoffe nur ein Viertel von
der Summe der Bestandteile sein.
Wir kommen somit zu dem Schlüsse, dass eine einfache Proportio-
nalität zwischen Gasdichte und Verbindungsgewicht nicht durchführbar
ist; man muss vielmehr zwischen bdden noch Faktoren annehmen, die
von Fall zu Fall verschieden sein können, und von denen man nur auf
Grund des Gesetzes von Gay-Lussac sagen kann, dass sie rationale
Zahlen sein müssen.
Man kann nun sich die Aufgabe stellen, die kleinsten Werte
ganzer rationaler Faktoren aufzusuchen, welche eine widerspruchsfreie Dar-
stellung des Zusammenhanges gestatten. Benutzen wir den Namen
Normalgewicht für die auf das hypothetische Normalgas bezogene Dichte
(S 6), so lautet die Frage: wieviel Verbindungsgewichte sind in einem
Normalgewicht anzunehmen, damit immer das Normalgewicht der Ver-
bindung mindestens gleich der Summe der Verbindungsge^ichte der
Elemente ist?
Im Falle des Chlorwasserstoffs genügt offenbar die Annahme, dass
ein Normalgewicht Chlor und Wasserstoff je zwei Verbmdungsgewichte
enthält, und dass beim Chlorwasserstoff Normal- und Verbindungsgewiclit
gleich sind. Eine ähnliche Annahme führt beim Wasser zum Ziel. Beim
Phosphorwasserstoff muss dagegen die Annahme gemacht werden, dass
der Phosphordampf vier Verbindungsgewichte in einem Nonnalgewicht
enthält, damit in jedem der entstehenden vier Volume Phosphorwasser-
stoff ein Verbindungsgewicht Phosphor enthalten ist. Allgemein wird
man, wenn aus einem Volum eines Bestandteils n Volume der Ver-
bindung entstehen, in einem Normalgewicht des ersteren n Verbindungs-
gewichte anzunehmen haben.
Schreibt man die chemischen Formeln so, dass sie je ein Normal^
gewicht darstellen, oder dass die durch die Foimel ausgediiickten Mengen
Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hjrpothese von Avogadro. 67
den Gasdichten proportional sind, so werden die eben geschilderten Ver-
hältnisse sehr übersichtlich. Wu* haben die Reaktionen:
H* + Cl« =2HC1
2H« + 0« =2H«0
P*-f 6H* = 4PH3.
Betrachtet man im Lichte dieser Gleichungen aUe chemisdien Re-
aktionen, bei denen sich Stoffe beteiligen, die in Gas- oder Dampfform
bekannt sind, so ergiebt sich, dass bei den Elementen Sauerstoff, Stick-
stoff, Wasserstoff, Chlor, Brom, Jod die Annahme ausreicht, es seien in
einem Normalgewicht je zwei Verbindungsgewichte enthalten; es
ist keine Verbindung bekannt, die in einem Normalgewicht weniger als
ein hall^es Normalgewicht dieser Elemente enthielte. Dies ist der
Grund, aus welchem die Normalgewichte auf eine Einheit
bezogen worden sind, welche für den Sauerstoff die Zahl .'J2,
entsprechend dem doppelten Verbindungsgewicht, ergiebt.
Bei den nicht zahlreichen metallischen Elementen, die in Dampf-
gestalt bekannt sind, genügt sogar die Annahme, dass die Normal- und
Verbindungsgewichte identisch sind. Phosphor und Arsen ver-
langen dagegen die Annahme von vier Verbindungsgewichten in einem
Normalgewicht. Schwefel und Selen schliessen sich den erstgenannten
Elementen an, zeigen aber etwas verwickeitere Verhältnisse, die alsbald
erörtert werden sollen.
Die nachstehende Tabelle lässt diese Verhältnisse übersehen.
Verbindimgs
Normal-
VArhJLli
. gewicht
gewicht
1.
Sauerstoff
16
32
2
2.
Wasserstoff
1-01
202
2-00
3.
Stickstoff
14-04
2811
2-01
4.
Chlor
3545
70-9
2-00
5.
Brom
. 79-96
159-9
2-00
6.
Jod
126-86
253-0
2-00
7.
Schwefel
32-06
65
206
8.
Selen
79-1
160
2-03
9.
TeUur
127-3
254
2-00
10.
Phosphor
31-0
129
402
11.
Arsen
75-0
304
4-05
12.
Quecksilber
200
202
1-01
13.
Cadmium
112
114
1-02
14.
Zmk
65-4
68
1-04
15.
Kalium
39.1
37-7
0-97
16.
Natrium
23-1
25-5
111
Die Tabelle ergiebt zunächst eine Bestätigung des Gesetzes von
Gay-Lussac, nach welchem Gasdichte und Verbindungsgewicht in ein-
fachen Verhältnissen stehen. Die vorhandenen Abweichungen von den
5*
68
II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
ganzen Zahlen rOhren daher, dass die untersuchten Dämpfe nicht immer
den einfachen Gasgesetzen gehorchen; auch spielen namentüdi bei den
letztgenannten die sehr erhebfidien Versuchsschwierigkeiten eine Rolle.
Während nun die Einföhrung der Normal- oder Molekulargewichte
für die elementaren Stoffe keinen erheblichen Fortsdiritt bedeutet, so
tritt ein solcher alsbald hervor, wenn man die Verbindungen aiis diesen
Elementen untersucht Dann zeigt es sich nämlidi, dass in fast allen
Fällen das Verbindungs- oder Formelgewicht mit dem Normalgewidit
übereinstimmt. Diese Übereinstimmung tritt in der nachstehenden Tabelle
hervor.
Verbindnngs-
gewicht
Normalgewicht
beobachtet
Wasser H«0
18-02
18-05
Ammoniak NH^
17-07
1710
Stickoxydul N«0
Chlorwasserstoff HCl
44-08
36-46
44-25
36-52
Chlordioxyd CIO«
Nitrosylchlorid NOCl
Jodwasserstoff HJ
675
655
127-9
68-68
6753
128-6
Schwefelwasserstoff H*S
34-0
34-48
Schwefeldioxyd SO«
Schwefelchlorür S«C1«
64-0
134-9
65-21
136-2
Selenwasserstoff SeH*
81-1
81-16
PhosphorwaÄserstoff PH'"*
Phosphortrichlorid PCI«
34.0
137-4
3390
141-5
Phosphoroxydilorid POCl*
Phosphorsulfochlorid PSCl»
Phosphorpentasulfid P«S^
Arsen Wasserstoff AsH*
1534
1694
222-3
78-0
1545
1710
222-3
78-25
Arsentrioxyd As*0*
Araentrichlorid AsCl*
396-0
181-4
3994
1826
Quecksilberchlorid HgCl«
Queeksilberbromid HgBr«
Quecksilberjodid HgJ«
Cadmiumbromid CdBr*
271-2
3602
4540
2720
2840
352-4
4521
296-6
Die beiden Spalten unter Verbindungsgewicht und Normalgewidit
stimmen wieder innerhalb der Fehlergrenzen überein, und zwar so, dass
die Formeln die kleinste Zahl von Verbindungsgewichten der Elemente
enthalten, die bei der gegebenen Zusammensetzung nur möglich ist^).
Dies ist aber durch eine solche Wahl der Verbindungsgewichte erreicht
worden, wie sie in der vorigen Tabelle zum Ausdrucke gebracht worden
ist Die Beziehung auf die Gasdichten hat zu einer Wahl der Verbindungs-
*) Ausnahmen sind nur Arsentrioxyd und Schwefelchlorür.
Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hypothese von Avogadro. ^9
gewidite geführt^ weldie eine sehr einfsiche und daher zweckmässige Dar-
stellung der voiiiandenen VerhSltnisse ermöglicht.
Die bisher durchgeAihrten Betrachtungen lassen sich noch weiter
ausdehnen. Offenbar kann die Gültigkeit des Gesetzes von Gay-Lussac
nicht davon abhängen, ob unsere Experimentierkunst weit genug ent-
wickelt ist, dass alle Elemente auf ihre Dampfdiehte untersucht sind.
Es giebt nun eine grosse Anzahl zusammengesetzter Stoffe, die flüchtig
smd, deren Gasdichte und Normalgewicht man daher kennt, während sie
Elemente enthalten, für welche diese Grössen nicht bekannt sind. Auch
auf solche Stoffe muss das Gesetz Anwendung finden, und es nimmt hier
die Gestalt an, dass allgemein die Normalgewichte flüchtiger Verbindungen
in einfachen rationalen Verhältnissen zu ihren Verbindnngsgewichten
stehen müssen.
Nun hat es sich als ausführbar erwiesen, aUe Verbindungsgewichte der
Elemente so zu wählen, dass einerseits die durch die Nonnalgewichte
bestimmten Mengen der Verbindungen mit deren Verbindungsgewichten
identisdi werden, und dass andererseits die so bestimmten Verbindungs-
gewichte sieh zur Darstellung der diemis^en Umwandlungen und der
systematischen Beziehungen als die einfachsten und zweckmässigsten er-
wiesen haben. Die entsprechenden chemischen Formeln sind entweder
die einfachst mögüchen, oder wenn sie es nicht sind, so liegen mdst er-
hebliche Gründe vor, welche die durch das Normalgewicht geforderten
Formeln aJs die angemesseneren ersdieinen lassen.
Die nadistehende Tabelle giebt ^en Überblick über gas- und
dampfförmige Verbindungen von Elementen, die für sich in solchem Zn-
stande nicht bekannt sind.
Verbindungs-
Nonnalgewicht
gewicht
beobachtet
Methan GH«
16-0
16-1
Kohlendioxyd CO«
44-0
44-3
ChlorsiHcium SiCl*
170-2
1722
Bortridüorid BG^
1174
117.5
Chloraluminium AlCl^
133.5
139-1
GaUinmchlorid GaCF
1763
177-6
Indiumdichlorid InCP
184.6
186-6
Chromoxychlorid CrO^Cl*
1550
160.8
Eisenchlorür FeCl*
126-9
125.2
Zinkchlorid ZnCl«
136-3
133-6
Kupferchlorür Cu«Cl«
1981
200-8
Bleichlorid PbCl*
277-8
2783
Wismuthchlorid BiCP
314-9
330-4
Thalliumchlorür TlCl
239-6
255-1
AntimonehlorQr SbCi^
226-7
2260
NiobcWorid NbCl^
2715
2783
Vanadinchlorid VdCl*
1931
1938
70 n. Stöchiometrie gasfSnniger Stoffe.
Yerbindungs-
gewidit
Nomudgewicht
beobachtet
360-3
373.9
2733
2742
361*1
3681
3813
385-5
189-4
193-3
260-3
266-7
190
198-3
2324
236-2
1043
102-6
2141
215-6
5797
594-1
1660
169-5
3742
359-9
Tantalchlorid TaCl*
Molybdänchlorid MoCl<^
Wolframchlorid WOP
Uranchlorür ÜCH
Zinnefalorür SnCP
Zinncblorid SnCl^
. Titanchlorid TiCl*
Zirkonchlorid ZrCl*
GermaniumsnlAlr GeS
Germaninmchlorid GeCl^
Germaniumjodid GeJ*
Kaliumjodid EJ
Thoriumchlorid Tha*
Die Übereinstimmung der beobachteten und berechneten Zahlen ist
nach Beschaffenheit der in jed^n einzelnen Falle vorhandenen Yersucbs-
Bchwierigkeiten genügend^ und gleichzeitig sieht man, dass die Formeln
der yeri)indungen unter der Voraussetzung der Gleichheit von Normal-
und Verbindungsgewicht wieder die einfachste Gestalt angenonmien
haben, die möglidi ist
Verwickelte Formeln, bei denen aber die chemischen Verhältnisse die
Abweichungen von der Einfachheit vollauf rechtfertigen, treten namentlich
bei den organischen Verbindungen auf. In diesem Gebiete macht sich auch
der systematische Wert dieser Ausdrucksweise am meisten geltend, und so
ist es gekommen, dass die Entwickelung der hier geschilderten Beziehungen
in der organischen Chemie zuerst stattgefunden hat. Als der Forscher, welcher
am nachdrücklichsten darauf hingewiesen hat, dass die Formulierung der che-
mischen Verbindungen am zweckmässigsten nach Ableitung ihrer Gasdichten
zu geschehen hat, muss Gh. Grerhardt (1844) genannt werden. Dass die ent-
sprechende Wahl der Verbindungsgewichte der Elemente auch in den übrigen Ge-
bieten der Chemie zu einfachen und angemessenen systematischen Formen
führt, hat am überzeugendsten Cannizzaro (1^58) nachgewiesen.
Wenn wir die Normal- oder Molekulargewichte der yerschiedenen
Stoffe bei chemischen Vorgängen in Rechnung bringen, so sind wir meist
veranlasst, mit bestimmten Quantitäten zu arbeiten, und beziehen dem-
:gemäss diese ursprünglich relativ ermittelten Zahlen auf eine bestimmte
Masseneinheit Da als solche das Gramm dient, so betragen diese
Mengen demgemäss soviel Gramm, als das Normalgewicht Einheiten
liat. Man nennt diese Mengen, welche die eigentiich messbaren Quanti-
täten bei chemischen Betrachtungen darstellen, Mole; ein Mol Sauer-
stoff ist demnach die Menge von 32 g Sauerstoff, und ein Mol Chlor-
wasserstoff wü^d durch 36-45 g dargestellt. Auf diese Grössen werden
fast alle Eigenschaften der Stoffe bezogen, mit denen wir uns später zu
beschäftigen haben werden.
Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hypothese von Avogadro. 71
Aus der Angabe (S. 60), dass 1 g Sauerstoff im Normalzustande
den Raum von 699-80 ccm einnimmt, folgt, dass 32 g Sauerstoff bei 0^*
und 76 cm Druck den Raum von 22394 ccm haben. Den gleichen
Ranm nimmt vermöge der Definition ein Mol jedes anderen Gases ein,
das unter den gleichen Umständen gemessen wird. Bei dem Drucke p
und der Temperatm* t*^ ist der Raum, den ein Mol irgend eines Gases
oder Dampfes einnimmt, durch den Ausdruck 22394 X 76 X (1 + «t)/p
gegeben. Beziehen wir daher die allgemeine Gasgleidiung auf je ein
Mol der verschiedenen Gase, so wird in pv = rT der Faktor eine all-
gemeine Konstante, die unabhängig von der Natur des Gases oder
Dampfes ist. Der Wert dieser Konstanten ergiebt sich aus dem Aus-
drucke dafar: r = p^Vo/273 gleich 76X22394/273, wenn man den
Druck in Gentimetem Quecksilber misst. Misst man ihn in absolutem
Masse, so ist statt des Faktors 76 der Wert 1013130 einzuführen,
weldier in absolutem Masse den Druck einer Atmosphäre darstellt
(S. 54), und damit wird die Konstante gleich 8-3 1 X 10^ im Masse Erg/Tem-
peraturgrad. Man pflegt diesen Wert mit dem Buchstaben R zu bezeichnen,
und die Gasgleichung erlangt dadurch die Gestalt, in welcher sie später immer
verwendet werden wird. Sie bezieht sich in dieser Form stets auf ein
Mol des betrachteten Stoffes, und R ist demgemäss immer 8-31X10'.
Mit Bezugnahme auf die frühere Bemerkung, dass pv eine Energie-
grösse ist, folgt, dass die bei der Entstehung von einem Mol irgend eines
Gases austretende Volumener^e gleich 8-31 X 10' XT Erg ist, unab-
hängig von der Natur des Gases, solange es nur den Gasgesetzen folgt.
Es ist für mancherlei Rechnungen bequem, den Wert von R auch in
anderen Einheiten zu kennen. Von diesen wird am häufigsten der Wert in
Gravitationseinheiten benutzt, wo als Einheit des Druckes ein Grammgewicht
pro cm* dient. In dieser Einheit beträgt eine Atmosphäre 1G83, und da-
durch wird R = 22394x1033/273 =-84736. Wird andererseits das Volum in
Litern, der Druck in Atmosphären gemessen, so ist R =* 22-394 x 1 /273 =*
008203.
Auch erleichtert es die Anschauung, wenn man bemerkt, dass im Sinne
der massanalytischen Einheiten, wo eine Lösung normal genannt wird, die ein
Gramm-Formelgewicht im Liter enthält, die Gase bei einer Atmosphäre Druck
und bei 0® eine 1/224 -normale, bei Zimmertemperatur eine ^/a^- normale
Konzentration haben.
Die geschichtliche Entwickelung der eben behandelten Gesetzmässig-
keiten hat nicht in der unmittelbaren Weise stattgefunden, wie sie dar-
gestellt worden ist, sondern unter Vermittelung einer hypothetischen An-
schauung, welche sich an die Atomhypothese angeschlossen hat. Der
erste Schluss, der in dieser Hinsicht aus dem Volumgesetz von Gay-Lussac
gezogen wurde, war, dass in gleichen Volumen der verschiedenen Gase
gleich viel Atome enthalten seien. Die Durchführung dieser Annahme
scheiterte an denselben Thatsachen, welche die Gleichsetzung der Nor-
malgewichte mit den Verbindungsgewichten unmöglich machen.
72 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Zur Hebung der Schwierigkeit wurde von Avogadro C^Bll) und
Ampäre (1812) eine Erweiterung der Atomhypothese vorgenommen^
durch welche zwischen den kleinsten bei chemisclien Yoi^ängen in Be-
tracht kommenden Teilchen der Materie, den Atomen, und den kldn-
sten für sich bestehenden Teildien, den Molekeln, untersdiieden wurde»
Beide sollten nicht, wie anfangs stillschweigend angenommen worden war,
identisdi sein, sondern die Molekehi können audi aus einer grösseren
Zahl von Atomen bestehen. Ampere setzte diese Zahl aus krystallogra-
phischen Gründen auf mindestens vier; Avogadro dagegen, der nur ahe-
mische Gründe in Betracht zog, zeigte, dass man bei den bekannten
elementaren Gasen mit der Annahme von Molekehi, die nur aus zwei
Atomen bestehen, ausreicht.
Indem Avogadro nun die Forderung au&tellte, dass in gleichen
Bäumen der verschiedenen Gase bei gleichem Druck und gleicher Tem-
peratur eine gleiche Anzahl von Molekeln anwesend sd, kam er zn
dem Schlüsse, dass die relativen Gewichte der M<ddceln den Gasdichten
proportional sein mfissten, und dass daher umgekehrt in der Bestimmung
der Gasdichte ein Verfahren zur Messung des relativen MolekuUrgewichtes
gegeben ist, wie in der Bestimmung des Verbindungsgewichtes eines zur
Messung der relativen Gewichte der Atome. Der Begriff des Normalge-
wichtes, der oben rein erfabrungsmässig eingeftlhi-t worden war, erlangt
durch diese Betrachtung die hypothetische Bedeutung des Molekular-
gewichtes, und der Nadiweis, dass sich mit seiner Hilfe das Postulat
durdiführen lässt, das Verbindungsgewicht eines zusammengesetzten Sto0es
als die Summe der Verbindungsgewichte seiner Bestandteile darzustellen,
geht im lichte dieser Betrachtung in den Nachweis über, dass die
Molekehi der Verbindungen sich alsdann so darstellen lassen, dass sie
immer je eine ganze Anzahl der vorhandenen Atome entlialten.
Beim Rückblick auf den Charakter der Beziehungen, welche zwischen
der Raum^*ftillung und der chemischen Zusammensetzung gasförmiger
Verbindungen bestehen, sehen wir, dass dieselben ganz anderer Natur
sind als die, welche sich bei den Massenverhältnissen chemischer Ver-
bindungen gezeigt haben. Die letzteren smd, wie schon (S. 47) er-
wähnt wurde, rein additiv, d. h. die Masse einer Verbindung ist die
Summe der Massen ihrer Elemente. Bei der RaumeriUllung der Gase ist
aber diese Eigenschaft in gewissem Sinne ganz unabhängig von der
chemischen Zusammensetzung, Wenn ich z. B. ein bestimmtes Volum
WassCTStoff nehme, und ich verwandle diesen in Wasser, so ändert sich
das Volum dabei nicht Pas Wasser, H*0, kann ich mir dm'ch Ver-
bindung mit Äthylen, C*H*, in Alkohol, C*H®0, verwandelt denken:
das Volum bleibt unverändeii;. Ich kann mir noch einmal Äthylen hin-
zuaddiert denken, so dass sich Butylalkohol, C*H***0, bUdet: das Volum
bleibt wiederum dasselbe u. s. w. Derartige Eigenschaften, welche für
bestimmte Stoffgruppen, unabhängig von deren chemischer Natur und
unabhängig von der Anzahl der Elemente in diesen Komplexen, stets
Abnorme Dampfdiehten. 73
denselben Wert bdialten^ wiH ictt fernerhin koUigative nennen^). Das
Volum der gasförmigen Stoffe ist eine derartige kolligative Eigenschaft.
Ebenso^ wie wir nns das Vorhandensein additiver Eigenschaften
mittelst der Atomhypothese durch die Annahme erklärt hatten, dass
in den Verbindungen die Bestandteile ihrer Natur nach bestehen bleiben
(S. 47); so erklSren wir uns das Vorhandensein kolligativer Eigenschaften
dnrdi die Annahme von Molekeln, d. h. selbständigen Atomgruppen,
welche gewisse Beziehungen nur durch ihre Anzahl, nicht aber durch
ihre Natur und chemische Zusammensetzung bestimmen.
Ist man darüber ins Klare gekommen, dass die der Molekularhypothese
zu Grunde liegenden Gesetzmässigkeiten und methodischen Vorteile sich rein
erfahrungsmässig entwickeln lassen, so wird man sich der eingebürgerten Be-
zeichnung Molekulargewicht femer bedienen können, ohne an die Hypothese
gebunden zu sein. Für wissenschaftliche Zwecke bedeutet ein Molekularge-
wicht eines Stoffes immer nur eine Menge, für die die Konstante R in der Gas-
gleichung einen bestimmten, von der Natur des Gases unabhängigen Wert hat.
Von einem Molekulargewicht darf daher zunächst nur gesprochen werden,
wenn der betreffende Stoff im gas- und dampfförmigen Zustande vorliegt. An
späterer Stelle wird gezeigt werden, dass es möglich ist, die Definition auch
auf gelöste Stoffe auszudehnen. Wenn aber yersucht wird, auch die Mole-
kulargrösse flüssiger oder fester Stoffe, die keine Lösungen sind, anzugeben,
60 ist immer erst ein Nachweis erforderlich, ob und wie sich die Begriffsbe-
stimmung auf die neuen Fälle übertragen lässt Das Vorhandensein kolli-
gativer Eigenschaften lässt sich im allgemeinen als ein solches Kriterium
ansehen, wie denn auch das Auftreten solcher Eigenschaften bei Gasen auf
die Schaffung dieses Begriffes geführt hat.
Viertes Kapitel.
Abnorme Dampfdiehten.
In den vorstehenden Auseinandersetziingen ist nur von solchen Mes-
sungen die Rede gewesen, welche sich dem durch den Begriff des Nor-
mal- oder Molekulargewichtes gegebenen System einordnen lassen. Es ist
indessen eine^ freilich nicht grosse Anzahl von Stoffen entdeckt worden^
welche Ausnahmen zu bilden schienen. Doch hat sich überall nach-
weisen lassen, dass diese Ausnahmen nur scheinbar waren, so dass jene
Me, statt der Theorie zu widersprechen, sie schliesshch nur unterstützt
haben.
*) Ich yerdanke den Vorschlag zu dieser Bezeichnungsweise meinem
verehrten Kollegen W. Wundt.
74 n. StOchiometrie gasförmiger Stoffe.
Eines der bekanntesten Bdspiele liefert das Chlorammoninm. Ge-
mäss der Formel NH^Cl hat es das Formelgewicht 53*5 und sein
Normalgewicbt mösste ebensoviel betragen; dies ist aber nur etwas mehr
als halb so gross^ nämlich gleich 29 geftmden worden. Die Erklärung
daför hegt darin^ dass der Dampf des Salmiaks gar nicht aus dem Stoffe
NH^Cl besteht; sondern zum grössten Teil in NIP und HCl zerfallen
ist. Dadurch ist das Volum verdoppelt; die Dichte aber auf die Hälfte
herabgesetzt worden.
Der Nachweis, dass thatsächlich der Salmiakdampf ein Gemenge
von Ammoniak und Chlorwasserstoff ist, wurde zuerst von Pebal (1862)
geführt Dieser zeigte, dass bei der Diffusion dieses Dampfes das
leichtere Ammoniak viel schneller fortgeht, als der schwerere Chlorwasser-
stoff, und dass man beide durch ihre Wbkung auf Lackmuspapier nach-
weisen kann. Einzelne Einwände, welche gegen die Beweiskraft des
Versuches erhoben wurden, sind alle in der Folge widerlegt worden.
Auf dieselbe Weise, nämlich mittelst der Trennung durch Diffusion, ist
späterhin flir sehr viele andere Stoffe, welche „abnorme Dampfdichten"
zeigten, die Anwesenheit der Zerfallprodukte nachgewiesen worden, so
dass jeder Zweifel, dass derartige Spaltungen die zu kleinen Dampfdichten
überall bedingen, wo sie vorkommen, gehoben ist.
In neuerer Zeit hat Baker (1894) auf anderem Wege eine Be-
stätigung dieser Auffassung am Saimiakdampf erbracht, indem es ihm ge-
lang, die Dichte des unzersetzten Dampfes zu bestimmen. Beim sorg-
faltigen Ausschluss der Feuchtigkeit wird nämUch die Reaktion zwischen
Ammoniak und Chlorwasserstoff (und zwar sowohl die Verbindung, wie
die Trennung) so langsam, dass fester Salmiak vergast werden kann,
ohne zu zerfallen. Für solchen Dampf aus trockenem Salmiak wurde
der normale Wert des Molekulargewichtes, 5 3 «5, in wiederholten Ver-
suchen gefunden.
In einzehien Fällen ist der Nachweis noch auf anderem Wege ge-
lungen. Phosphorpentachlorid müsste wegen seiner Zusammensetzung
das Molekulargewicht 208« 3 zeigen; es zeigt aber nur kleinere Werte,
die stark mit dem Druck und der Temperatur wechsehi und bis 104
heruntergehen. Dass dieses von einer Spaltung in PCI* und Cl* her-
rührt, kann an der Farbe des Dampfes erkannt werden. Der unzer-
setzte Dampf des Pentachlorids ist wenig oder gar nicht gefärbt, wäh-
rend Chlorgas grün ist. Es erwies sich, dass der Pentachloriddampf
gleichfalls grünüch war, und zwar um so stärker gefärbt, je geringer
seine Dichte gefunden wurde, entsprechend einer zunehmenden Abspal-
tung freien Chlors.
Ebenso, wie an Verbmdungen die Abweichungen vom gewöhnliehen
Verhalten sich durch eine eintretende Spaltung in einfachere Bestand-
teile unter entsprechender Vermehrung des Gasvolums haben erklären
lassen, können auch einige an den elementaren Stoffen beobachtete auf-
fäUige Erscheinungen gedeutet werden.
Abnorme Dampfdichten. .75
Von Dumas war die Dampfdichte des Schwefels bei etwa 500®
gleich 384 gefunden worden, während nach den Analogien für Schwefel-
dampf die Dichte 64, der Formel S* mit dem Molekulargewicht 64 ent-
sprechend, erwartet werden musste. Als aber später die Versuche von
Bineau und namentlich von Deville und Troost bei hohen Temperaturen
Tsiederholt wurden, ergab sich, dass bei etwa 800*^ der normale Wert
von 64 erreicht wurde, welcher weiterhin konstant bleibt. Wh* haben
zur Erklärung dieser Erscheinung anzunehmen, dass der Schwefeldampf
bei 600® nach einer Formel S° zusammengesetzt ist (n>6), und dass
diese Form des Schwefeldampfes bei höherer Temperatur in die ein-
fachere Form S' übergeht
Bestimmungen des Molekulargewichtes von Schwefel, der in verschiedenen
Lösungsmitteln gelöst war, haben das grössere Molekulargewicht S^ ergeben.
Andererseits zeigt sich die Dampfdichte des Schwefels schon unmittelbar über
«einem Siedepunkte stark mit der Temperatur veränderlich, so dass sich der
Dampf in diesem Gebiete bereits wie ein teilweise zersetzter Stoff verhält.
Es ist daher die Annahme am wahrscheinlichsten, dass im Schwefeldampfe bei
niederen Temperaturen ein Gemenge der Verbindungen S' und S* in wechseln-
den Verhältnissen vorliegt. Dass es überhaupt eine Verbindung von der
Formel S* giebt, wie auf Grund der Versuche von Dumas angenommen wird,
geht aus den bisherigen Versuchen nicht hervor, und es sprechen keine Be-
weise für ihr Vorhandensein.
Noch auffalliger sind die von V. Meyer (1880) beobachteten Dichte-
andemngen am Joddampf. Bis etwa 500^ hinauf hat die Dichte den
Wert 254 der Formel J* entsprechend. Steigert man aber die Tempe-
ratur, so nimmt der Wert mehr und mehi* ab, und man gelangt bei
sehr hohen Temperaturen (bis 1500®) und vermindertem Druck bis zu
Werten um 140, weldie annähernd der Formel J entsprechen (Grafts
und Meier, 1881).
Ähnliche Erscheinungen wie am Jod sind auch am Brom und Chlor
beobachtet worden, jedoch in geringerem Umfange.
Alle diese Thatsachen zeigen die Zweckmässigkeit der Bildung des
Begrifies des Normal- oder Molekulargewichtes und seine Durchführbar-
keit auch verwickeiteren Erscheinungen gegenüber. Ebenso hat er sich
an der Thatsache erprobt, dass solche Dämpfe, bei denen Normal- und
Verbindungsgewicht zusammenfallen, wie z. B. Quecksilber, auch bis in
die höchsten erreichbaren Temperaturen keine Änderung der Dampfdichte
aufwiesen. Im Sinne der Molekularhypothese ist dies so aufzufassen,
dass Molekehi, die nur je ein einzelnes Atom enthalten, nicht weiter
zerfallen können.
76 n. Siöchiometrie gasfönniger Stoffe.
Fünftes Kapitel.
Die kinetische Theorie der Gase.
Die ungemein einfachen mechanischen Eigenschaften der Gase,
welche in ihrem übereinstimmenden Verhalten gegen Änderungen des
Druckes und der Temperatur zu Tage treten^ laden sehr zu Versuchen
ein, sie durch eine anschauliche Konstruktion abzuleiten. Solche Ver-
sudie lassen sich weit zurück verfolgen; schon D. Bemoulli hat 1738
eine mit der gegenwärtig gebräuchhchen übereinstimmende Vorstellung
ausgearbeitet. Doch ist erst in neuerer Zeit, insbesondere durch die Ar-
beiten von Clausius und Maxwell der hierher gehörige Anschäuungskreis
weiter entwickelt und auf verschiedenartige Erscheinungen angewendet
worden.
Die grundlegende Thatsache ist das Ausdehnimgsbestreben der Gase,
vermöge dessen sie jeden dargebotenen Raum gldchförmig erfüllen. Zu-
erst nahm man in Analogie mit der durch den Raum wirkenden an-
ziehenden Schwerkraft eine abstossende Kraft zwischen den Gasmolekein
an, dodi gelangte man auf diesem Wege zu keinen anschaulichen Er-
gebnissen. Erst als man die fragliche Eigenschaft als äne reine Be-
wegungserscheinung auffasste, glückte die Aufstellung einer konstmier-
baren Hypothese.
Nach dieser besteht ein Gas aus einer grossen Anzahl kleiner
Teilchen, welche aber nicht in Ruhe, jedes an seinem Orte, verharren,
sondern mit grossen Geschwindigkeiten sich durcheinander bewegen. In-
folgedessen findet, sowie einem Gase ein freier Raum dargeboten wird,
alsbald eine Einwanderung der nach der entsprechenden Seite sich be-
wegenden Molekeln statt, und die Erfüllung des Raumes mit Gas er-
folgt äusserst schnell. Vermöge der beständigen Bewegungen finden im
Durchschnitt überall in dem vom Gase eingenommenen Räume sich gleich
viel Molekeln vor, die Dichte ist übei*all dieselbe.
Bei ihren allseitigen Bewegungen müssen auch an die Wände des
Gefässes, welches das Gas einschllesst, beständig lebhaft bewegte Mo-
lekeln gelangen, welche von diesen wieder abprallen und in das. Innere
zurückeilen. Durch diese ununterbrochenen Stösse übt das Gas auf die
Wände einen Druck aus, der offenbar sowohl mit der Anzahl der Mo-
lekeln, wie mit der Masse und Geschwindigkeit jeder einzehien zu-
nehmen muss.
Um diesen Druck zu berechnen, denken wir uns einen würfel-
förmigen Raum, dessen Seitenlänge 1 betrage. Die Anzahl der ihn er-
füllenden Molekeln sei^n^jnd sie seien alle von gleicher Art; jedes von
der Masse m und mit der Geschwindigkeit c ausgestattet. Die Be-
wegungen finden nach allen Richtungen in gleicher Weise statt
Wir betrachten nun eine Molekel, welche mit der Geschwindigkeit
c nach irgend einer Richtung fliegt Nach den Gesetzen der Mechanik
Die kinetische Theorie der Gase. 77
können wir diese Geschwindigkeit in drei aufeinander reditwinklige Kom-
ponenten^ 11; V und W; zerlegen^ welche zu c in der Beziehung stehen
müssen: u*-|~ v*4" ''^* = <5*.
Die drÄ~Komponenteirseien parallel den Würfelkanten angenommen.
Die Wirkung, welche die Molekel, die mit der Greschwindigkeit c in der
entsprechenden schrägen Richtung auf eine Würfelseite prallt, dort aus-
übt, ist gleich der^ welche sie ausüben würde, wenn sie mit der zu der
Wand senkrechten Komponente dort anlangte. Betraditen wir zunächst
die Komponente u, so ist diese Wirkung gleich 2 mu, indem zunächst
beim Aufprall die Bewegungsgrösse mu abgegeben, sodann beim elastischen
Rückgang die gleiche entgegengesetzte aufgenommen wird.
Diese Wirkung eines einmaligen Stosses erfolgt nun In der Zeit-
einheit auf die beiden parallelen Würfelseiten —mal, d. h. soviel mal,
als die in der Zdteinheit zurückgelegte Strecke u durch die Entfernung 1
der Würfelseiten teilbar ist Die Gesamtwirkung einer Molekel in der
2mu'
Zeitemheit beträgt also —
Für die beiden anderen Komponenten der Bewegung gilt eine
gleiche Entwickelung; die gesamte Wbkung einer Molekel in der Zeit-
2m
einheit auf sämtliche 6 Wtirfelseiten beträgt somit — — (u * + v * -{- w *) ,
2mc'
oder, nach der oben gegebenen Gleichung, — - — ; sämtliche n Molekeln
2mnc*
haben die Wirkung — Um hieraus schliesslich den Druck p auf
die Flächeneinheit zu berechnen, muss der eben gefundene Wert durcli
die gesamte gedi-ückte Oberfläche, welche beim Würfel 6P beträgt,
2iimc
dividiert werden; es folgt p = — ^-^ — , oder, da 1* das Volum V des
Würfels ist, ^^
pv = — -mnc*.
3
Dies ist die auf Grund der oben dargelegten Hypothese über die
mechanische Konstitution der Gase entwickelte Beziehung. Da rechts
in der Gleichung lauter für eine gegebene Gasmasse konstante Werte
stehen, so folgt, dass das Produkt von Druck und Volum bei einem
solchen mechanischen Gebilde konstant sein muss: das Boylesche Gesetz.
Die Erweiterung dieses für einen Würfel geführten Beweises auf be-
liebig geformte Gefässe macht keine Schwierigkeit, weil man solche mit
beliebiger Annäherung als aus lauter kleinen Würfeln bestehend ansehen
kann. Die Zwischenwände erfahren beiderseits gleichen Druck und können
somit ohne Veränderung des Gebildes fortgedacht werden.
Die Grösse mn in der letzten Gleichung ist als Produkt der
Masse je einer Molekel in der Anzahl der Molekeln gleich der gesamten
78 II- Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Masse des Gases. Das Produkt einer bewegten Masse in das halbe
Quadrat ihrer Geschwindigkeit, m — , nennt man ihre lebendige Kraft.
Da wir die obenstehende Gleichung auch in der Gestalt schreibein können
2 c*
py = -.mn-,
SO können wir das Ergebnis aussprechen: Das Produkt von Druck und
Volum eines Gases ist gleich zwei Dritteln von der lebendigen Kraft
seiner Molekeln. Haben wir also verschiedene Gase, so muss, w^enn
wir sie bei gleichen Volumen und Drucken betrachten, die gesamte
lebendige Bj^ ihrer Molekeln gleich sein.
Dies gilt offenbar für jeden beliebigen Wert der lebendigen Kraft.
Ändern wir nun die Temperatur eines Gases, so wird dadurch der
Druck oder das Volum, allgemein das Produkt beider, verändert Da
von den beiden Faktoren der lebendigen Kraft, der Masse und der Ge-
schwindigkeit, die erstere keine Änderungen erfahren kann, so muss die
Änderung der Temperatur eines Gases die Geschwindigkeit seiner Mo-
lekeln ändern, und die letztere, oder vielmehr das Quadrat derselben, ist
proportional der absoluten Temperatur.
Zwei Gase stehen dann im Temperaturgleichgewicht, wenn sie sich
gegenseitig bei der Beiührung nicht in Bezug auf Druck und Volum
beeinflussen. Fragt man nun, unter welchen Umständen zwei mecha-
nische Gebilde von der Art, wie wir uns die Gase denken, bei denen
die Massen der bewegten Teildien verschieden sind, sich unbeeinflusst
lassen, so lehrt die Rechnung (die hier ihrer verwickelten Beschaffenheit
wegen nicht wiedergegeben werden kann), dass dies geschieht, wenn die
lebendige Kraft der bewegten Massen gleich gross ist. So ent-
sprechen bei verechiedenen Gasen gleichen Änderungen der Temperatur
gleiche Änderungen der lebendigen Kraft der Molekehi. Da nun anderer-
seits jedesmal das Produkt pv der lebendigen Kraft proportional ist,
so folgt, dafis bei verschiedenen Gasen gleiche Änderungen der Tempe-
ratur proportionale Änderungen der Produkte pv bedingen. Dies ist
aber das Ausdehnungsgesetz der Gase in seiner allgemeinsten Form, und
auch dieses stellt sich somit als eine Folge der mechanischen Voraus-
setzungen dar.
Auch der Satz von Avogadro endlich, dass in gleichen Räumen
verschiedener Gase unter gleichen Umständen gleich viel Atome ent-
halten seien, lässt sich aus unseren Voraussetzungen ableiten. Alsdann
sind nämlich, wenn pj und Vj Druck und Volum des ersten, p, und
Vj dieselben Grössen bei einem zweiten Gase sind, nach der Voraus-
setzung Pj==Pj, Vi=Vj und somit PiVi=PjVj. Nun wurde oben
2 c* 2 .
pv = --mn— - gefunden; wk haben also, wenn wir den Faktor -— bei-
3 2
t /> s
derseits fortlassen, mjnj— ^ sssm^n^ ^
2
Die kinetische Theorie der Gase. 79
Nach dem oben (S. 78) erwähnten Satze haben aber zwei Gase
dann gleiche Temperatur, wenn die lebendige Kraft ihrer einzelnen
Molekeln gleich ist, d. h. wenn
^1 ^i
m^ — — =m2
2 ' 2
Wird diese Gleichung in die obere dividiert, so folgt
d. h. sind Druc^ und Temperatur bei gleichen Volumen zweier Gase
gleich, so ist es auch die Anzahl der Molekeln beiderseits. Wir gelangen
hier auf einem ganz unabhängigen, wenn auch hypothetischen Wege zu
derselben Schlussfolgerung, welche wir als wahrscheinlichsten Ausdruck
für die chemische Molekularhypothese früher aufgestellt hatten.
Die eben entwickelten Beziehungen lassen sich endlich benutzen, um
die Geschwindigkeiten zu berechnen, mit welcher die Molekeln der verschie-
denen Gase den Kaum durchmessen müssen, um die Druckwerte zu geben,
welche man tbatsächlich beobachtet. Die Gleichung pv *=»— -mnc'giebtnach
o
c aufgelöst den Ausdruck c«=|/_B^
f mn
Betrachten wir lg Sauerstoff bei 0* und 76cm Druck, so ist zunächst
die Masse mn=«l zu setzen; femer ist das Volum von lg Sauerstoff unter
diesen Umständen v = 6U9-4 (S. 60). Der Druck einer Atmosphäre ist in ab-
solutem Masse gleich 1013130. Führt man die Rechnung aus, so ergiebt sich
c«= 46103.
Eine Sauerstoffmolekel bewegt sich somit unter den angegebenen umständen
mit einer Geschwindigkeit von 46103 cm/sec, also fast einem halben Kilometer
in der Sekunde durch den Raum.
In der Formel c =« 1/ hat eine einfache Bedeutung. Es ist
f mn V
die Masse, dividiert durch das Volum, d. h. das auf Wasser gleich Eins be-
zogene spezifische Gewicht. Setzen wir dasselbe gleich s, so wird die Formel
5p^
f die molekularen Geschwindigkeiten der Gase verhalten sich um-
gekehrt wie die Quadratwurzeln aus ihren spezifischen Gewichten.
Eine unmittelbare Beobachtung dieser Geschwindigkeiten ist nicht wohl
ausführbar. Lässt man verschiedene Gase durch enge Öffnungen in dünner
Wand ausströmen, so lehrt eine allgemeine mechanische Betrachtung, dass als-
dann ohne irgendwelche Annahmen über die Konstitution der Gase die Aus-
strömungsgeschwindigkeit im umgekehrten Verhältnis der Quadratwurzel aus
dem spezifischen Gewicht stehen muss. Dass ein solches Verhältnis auch
tbatsächlich beobachtet worden ist, ist somit die Bestätigung eines allgemeinen
mechanischen Satzes. Doch ist es immerhin beachtenswert, dass auch die
'V
80 II- Stdchiometrie gasförmiger Stoffe.
kinetische Gastheorie, insofern man unter den angegebenen Verhältnissen die
Ansströmungsgeschwindigkeit als bedingt durch die Geschwindigkeit der
Molekeln ansieht, zu der gleichen Beziehung fährt.
Man kann nun angesichts dieser ungeheuren Geschwindigkeiten fragen,
wie es kommt, dass in ruhiger Luft z. 6. riechende Gase, die in einer Ecke
eines massig grossen Zimmers entwickelt werden, sich nicht augenblicklich
durch dasselbe verbreiten, sondern dazu merkliche Zeit brauchen. In der
That ist diese Frage als entscheidender Einwand gegen die Zulässigkeit der
kinetischen Theorie der Gase geltend gemacht worden.
Die Antwort auf diese Frage hat Clausius gegeben, indem er betonte,
dass zwar die Molekeln in ihrer B^hn diese Geschwindigkeit besitzen, dass
aber die Bahnen, welche sie ungehindert, ohne auf andere Molekeln zu stossen,
zurücklegen, aller Wahrscheinlichkeit nach sehr kurz sind. Der wirkliche
Weg einer Molekel ist also nicht eine lange gerade Linie, sondern eine aus
lauter kurzen Geraden zusammengesetzte, durchaus unregelmäßige Zickzack-
linie, auf welcher sich die Molekel trotz ihrer grossen Geschwindigkeit im
allgemeinen nur wenig von ihrem Ausgangspunkte entfernt.
Eine zweite Frage ist die, ob es denn zulässig ist, für alle Molekeln in
einem Gase die gleiche Geschwindigkeit anzunehmen. Durch derartige unauf-
hörliche Zusammenstösse müssen einzelne Molekeln offenbar gelegentlich eine
grössere, andere eine kleinere Geschwindigkeit annehmen, und im allgemeinen
werden in einem Gase in einem gegebenen Augenblicke alle möglichen Ge-
schwindigkeiten vorhanden sein.
Dieser Einwand ist zuzugeben. Doch gelten die oben geführten Ablei-
tungen immer noch, wenn man die Geschwindigkeit c so bestimmt, dass die
lebendige Kraft aller Molekeln, wenn sie die gleiche Geschwindigkeit c hätten,
der gesamten lebendigen Kraft gleich ist, welche die Molekeln thatsächlich
haben. Statt des Ausdrucks „lebendige Kraft^^ ist also in sämtlichen vor-
stehenden Ableitungen streng genommen der Ausdruck „mittlere lebendige
Kraft" zu setzen. Doch wird offenbar an den allgemeinen Ergebnissen da-
durch nichts geändert.
Von Cl. Maxwell ist die Verteilung berechnet worden, welche die Ge-
schwindigkeiten in einem mechanischen S3Stem von der angenommenen Be-
schaffenheit erlangen, wenn ein ständiger Zustand sich hergestellt hat. Der
Ausdruck kann nur durch sehr verwickelte Rechnung abgeleitet werden und
hat die Form
y = — =:-'X*-e "^ ,
Vtt
wo y die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass eine Molekel die Geschwindig-
keit X hat, wenn die wahrscheinlichste Geschwindigkeit gleich Eins gesetzt
wird; n ist die bekannte Kreiszahl, und e die Basis der natürlichen Loga-
rithmen.
Durch diese Betrachtungen kann man sich somit schon ein etwas
genaueres Bild von der Beschaffenheit machen ^ welche ein Gas nach
Die kinetische Theorie der Gase. 31
der kinetischen Hypothese zeigt. Die Molekeln werden damadi nach
allen Seiten und mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten sich be-
wegen, und dabei beständig zusammenstossen. Man wird für gegebene
Verhältnisse offenbar eine mittlere Weglänge annehmen können , durch
welche jede Molekel ungestört gehen kann, bevor sie mit einer anderen
zusammentrifft. Eine Molekel wird auf die andere um so seltener stossen, je
weiter durchschnittlich die Mdekehi von einander entfernt sind, und um
so häufiger, je grösser ihr Querschnitt und der der anderen Molekeln ist.
Die mittlere Weglänge L ist also direkt proportional der Grösse des auf
je eine Molekel entfallenden Raumes, also umgekehrt proportional n,
wemi wir mit n die Anzahl der Molekeln in der Raumeinheit bezeichnen.
Sie ist femer umgekehrt proportional dem Querschnitt ^^ der Molekeln,
wenn wir unter ^ diejenige Entfernung verstehen, bis zu welcher höchstens
die Schwerpunkte zweier Molekeln sich nähern können. Der genaue Aus-
druck wird von 0. E. Meyer in der Gestalt gegeben
jrV/2.ng«
Nun ist freilich sowohl n wie ^ zunächst unbekannt. Doch kann man
aus der Erscheinung, welche uns oben zu der Frage der Weglänge überhaupt
gefuhrt hatte, aus der Geschwindigkeit, mit welcher sich ein Gas in einem
anderen verbreitet, oder der Diffusionsgeschwindigkeit, Schlüsse auf
den Wert dieser Grösse ziehen. Die Theorie dieser Vorgänge, sowie der
verwandten Reibung und Wärmeleitung in Gasen ist freilich trotz vieler
dahin gerichteter Anstrengungen noch keineswegs vollständig ausgearbeitet,
doch ist man schon so weit gelangt, dass man die nach den verschiedenen
Methoden ermittelten Weglängen ziemlich übereinstimmend gefunden hat.
Sie sind sehr klein, und betragen z. B. bei Luft unter gewöhnlichen Umständen
rund O'OOOOl cm, fallen also auch unter die Grenze des mikroskopisch Sichtbaren.
Hat man L bestimmt, so lässt sich, wie man aus der obigen
Gleichung ersieht, auch n^', die Summe der Querschnitte aller in der
Eaumeinheit enthaltenen Molekeln, berechnen. Es ergiebt sich dabei,
dass z. B. in einem Kubikcentimeter Luft diese Querschnitte mehr als
1-5 Quadratmeter ausmachen. Dies rührt von der ungeheuren Anzalil
imd Kleinheit der Molekeln her, denn je feiner eine Masse von gegebener
Didite zerteilt ist, um so grösser wird ihr Gesamtquerschnitt
Die Aufgabe, die Grösse der Molekeln selbst zu bestimmen, erfordert
noch ein weiteres Datum. Dieses wird durch eine Bestimmung des Ge-
samtraumes der Molekeln gefunden.
Wenn die Molekeln in einer gegebenen Gasmasse einen messbai*en
Raum einnehmen, so muss dieser Umstand einen Einfluss auf die Gültig-
keit des Boyleschen Gesetzes haben. Sei z. B. der Durchmesser einer
Molekel, die in einem würfelförmigen Räume senkrecht zu zwei Wänden
Äich bewegt, ein Hundertstel von der Entfernung dieser Wände, so wird
offenbar die Zahl der Stösse eine grössere, als wenn die Molekel über-
Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 6
32 IL Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
haupt keine Ausdehnung besässe, da jedesmal die Molekel nicht die
ganze Entfernung zwischen den Wänden, sondern eine um ihren eigenen
Durchmesser kleinere zurückzulegen hat. Der Druck wird durch diesen
Umstand bei abnehmendem Volum sdmeller wachsen müssen^ als das
Boylesche Gesetz erfordert Es lässt sich leicht eine entsprechende Kor-
rektur an dem Boyleschen Gesetz anbringen. Nennt man b den von
den Molekehl eingenommenen Raum^ so ist das Boylesche Gesetz
nicht auf den gesamten Raum des GaseS; sondern auf den nicht von
der Substanz der Molekeln erfüllten Zwischenraum v — b zu beziehen^
(vergl. S. 57) und wir erhalten statt der Gleichung pv =r RT vielmehr
die Gleichung p(v-b)=rRT.
Dieses Korrektionsglied b fallt um so mehr ins Gewicht^ je kleiner
der Raum ist, in dem das Gas sich befindet, und kann daher nur genau
bei grossen Drucken beobachtet werden. Es erklärt die Abweichungen,
welche Regnault beim Wasserstoff beobachtet hatte, und w eiche nach den
Arbeiten von Natterer und Amagat bei sämtlichen stark zusammenge-
drückten Gasen auftreten (S. 57). Auf diese Weise hat Budde (1874)
berechnet, dass z. B. im Wasserstoff bei 76 cm Quecksilberdruck b =
00006 2 ist. Von van der Waals ist dann gezeigt worden, dass, wenn
man die kinetische Hypothese annimmt, wegen der Bewegung der
Molekeln b nicht als das Molekularvolum selbst, sondern als dessen vier-
facher Wert aufzufassen ist.
Nun betragen nach den oben (S. 81) dargelegten Rechnungen die
Summen aller Querschnitte der Wasserstoffmolekeln in einem Kubik-
centimeter bei 76 cm Druck 9500 qcm. Nennt man x den Durchmesser
einer würfelförmig gedachten Molekel, so muss x X 9500 gleidi dem
Gesamtvolum der Molekeln, also gleich ^/^ X 000062 ccm sein, woraus
x= 1-6X10- 8 cm folgt.
Für die anderen Gase ergeben sich ähnliche Zahlen, die meist etwas
höher liegen, und deren Betrag im allgemeinen mit wachsendem Atomgewicht
und wachsender Zusammengesetztheit der Stoffe zunimmt. Bei der grossen
Unsicherheit, die diesen Werten noch anhaftet, kann von ihrer Mitteilung ab-
gesehen werden. Dagegen hat sich die gefundene Grösse für die „Dimensionen
der Molekeln" als eine Zahl erwiesen, der auch unabhängig von der kineti-
schen Hypothese eine physische Bedeutung zukommt. Sie erweist sich als
die Dimension, unterhalb deren die Stoffe andere Eigenschaften annehmen,
als sie in grösseren Mengen, die wir zu betrachten gewohnt sind, aufweisen,
und wir werden unter diesem Gesichtspunkte später wiederholt ähnlichen
Werten begegnen.
Ausser der bei hohen Drucken hervortretenden Abweichung vom Boyle-
schen Gesetz, nach welcher die wirklichen Volume grösser sind, als die be-
rechneten, zeigen die Gase alle ausser Wasserstoff noch eine andere, die
namentlich bei mittleren Drucken deutlich ist, und das umgekehrte Zeichen
hat: die beobachteten Volume sind zu klein. Zur Erklärung derselben wird
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 83
angenommen, dass die Wechselwirkung der Molekeln, welche in flüssigen
und festen Körpern ein Zusammenhalten derselben bedingt, sich auch bei
Gasen bethätigt, und einen Teil des Druckes, welcher durch die Molekular-
bewegung bewirkt wird, aufhebt. Van der Waals hat (1879) eine Theorie
entwickelt, nach welcher diese Wechselwirkung dem Quadrat der Dichte direkt
oder dem des Volums umgekehrt proportional gesetzt wird; zum äusseren
Druck ist demgemäss eine Grösse — hinzuzufügen und die in Bezug auf
beide Störungen korrigierte Gasgleichung heisst darnach
(p + ;^)(v-b) = RT.
Die Gleichung findet ihre Anw^endung hauptsächlich beim Übergang aus dem
gasförmigen in den flüssigen Zustand und wird weiter unten eingehender
untersucht werden.
Sechstes Kapitel.
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz
der Wärmetheorie.
Bei den ersten Versudien, die Erscheinungen der Wärme messend
zu verfolgen, hatte sich ein Erhaltungsgesetz flir sie herausgestellt, der-
gestalt, dass die Wanne wohl ihren Ort, nicht aber ihren Betrag ändert,
wenn man verschieden warme Körper mit einander in Berührung bringt.
Wird die in einem Körper enthaltene Wärme seinem Gewicht und seiner
Temperatur proportional gesetzt, so ergiebt sich auf Grund dieses Ge-
setzes eine mit der Erfahrung übereinstimmende Berechnungsweise der
Temperaturen, die bei der Vermischung beliebiger Mengen eines Stofles
auftreten, wenn diese verschiedene Temperatur haben. Ist m, das Ge-
\*icht des einen Anteils, und tj seine Temperatur, und gelten m^ und tg
flir den anderen Anteil, so wird die mittlere Temperatur t nach der
Vermischung gefunden, wenn man den Wärmegewinn des einen Teils
%(* — tj) dem Wärmeverlust des anderen, m^ (t^ — t) gleich setzt.
Biese Gleichsetzung, d. h. die Forderung, dass die Gesamtmenge der
Wärme erhalten bleibt, ergiebt die Gleichung m, (t — t|) = mj(tjj — t)
und daraus t = (mj t, + mg t3j)/(mi + rag).
Werden Körper von verschiedener Beschaflenheit mit einander ver-
mischt, so ergiebt die Erfahrung, dass diese Gleichung nicht mehr gültig
ist. Doch gelingt wieder ein Anschluss an die Wirklichkeit, wenn man
jedem Stoffe eine spezifische Wärmekapazität zuschreibt, d. h. annimmt,
dass die Wärmemengen, welche von gleichen Gewichten verschiedener
Stoffe bei gleicher Temperaturänderung aufgenommen werden, nicht durch
ilire Masse allein bestimmt werden, sondern ausserdem von ihrer be-
sonderen Natur abhängen. Nennt man die entsprechenden Faktoren c,
6*
34 II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
und c^, 80 geht cjie Gleichung über in m, c^ (t — t,) = m^c^(t^ — t). Hierin
kann einer der c -Werte beliebig angenommen werden, und man kann
die thatsächlichen Verfiältnisse darstellen, wenn man den anderen Wert
von c passend bestimmt.
Diese c-Werte nennt man die spezifischen Wärmen der betreffenden
Stoffe. Die spezifische Wärme des Wassers wird willkürlich gleich Eins
gesetzt, und damit geht die Gleichung über in m,Ci(t — ti) = m,,(to — t)
oder c = mo(t|) — t)/mi(t — t,), wenn einer der Stoffe, dessen Werte
mit dem Index 0 bezeichnet sind, Wasser ist Diese Gleichung dient
zur Bestimmung der spezifischen Wärme der Stoffe.
Es ist bei diesen Betrachtungen die Voraussetzung gemacht, dass
eine absolute, d. h. von der Beschaffenheit eines bestimmten Stoffes unab-
hängige Temperaturskala bekannt ist, und dass die spezifische Wärme der
Stoffe sich nicht mit der Temperatur ändert. Bezüglich des ersten Punktes
ist zu sagen, dass die Skala des Quecksilberthermometers mit dieser absoluten
Skala ziemlich nahe übereinstimmt, so dass wir einstweilen die eine für die
andere setzen können. Femer ist die spezifische Wärme allerdings im all-
gemeinen mit der Temperatur veränderlich, doch meist nicht in so hohem
Grade, dass das oben gegebene Bild dadurch wesentlich falsch erschiene.
Durch die Annahme, dass die spezifische Wärme des Wassers gleich
Eins sein soll, wird gleichzeitig die Einheit der Wärmemenge defi-
niert: es ist die Wärmemenge, die man einem Gramm Wasser znföhren
muss, damit seine Temperatur um einen Grad steigt. Man nennt diese
Wärmemenge eine (kleine) Kalorie und bezeichnet sie mit c oder cal.
Hierdurch gelangt man zu einer anderen Form füi* die Definition der
spezifischen Wärme: sie ist die Wärmemenge in Kalorieen, die man einem
Gramm des Körpers zuDihren muss, um seine Temperatur um einen
Grad zu erhöhen. Oder allgemeiner: die spezifische Wärme ist das
Verhältnis zwischen der zugeführten Wärmemenge und der dadurch be-
wirkten Temperaturerhöhung, bezogen auf die Gewichtseinheit Nennt
man erstere dW, letztere dt, und m das Gewicht des Körpers*), so ist
seine spezifische Wärme c = dW/mdt
Bei unseren künftigen Betrachtungen werden wir die zugeführten
Wärmemengen nicht auf die Gewichtseinheit, sondern auf anderweit gegebene
Mengen (meist Verbindungsgewichte) der Stoffe zu beziehen haben. Für
die dann auftretenden R'odukte aus spezifischer Wärme und Gewicht
soll der Name Wärmekapazität gebraucht werden. Die Definition
dieser Grösse ist einfach das Verhältnis der zugeführten Wärme zu der
dadurch bewirkten Temperaturerhöhung, k = dW/dt; sie verlangt also
immer eine Angabe darüber, welche Menge des Stoffes gemeint ist.
*) Es ist in der höheren Mathematik üblich, Änderungen vorhandener
Grössen durch das Vorsetzen des Buchstabens d zu kennzeichnen, und wir
werden uns in der Folge oft dieser Schreibweise bedienen.
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. ^5
Diese Begriffsbestimmongen und Anschaanngen haben sich, als ziem-
lich brauchbar erwiesen, solange man die Wärmevorgänge bei festen
oder flüssigen Körpern allein in Betracht zog. Bei dem Versuche aber,
sie auch auf Gase anzuwenden, traten neue Erscheinungen auf, welche
das Gesetz von der Erhaltung der Wärme in dieser einfachen Gestalt
undurchMirbar machten. Durch die Überwindung dieser Schwierigkeiten
ist dann schliessUch wieder ein Erhaltungsgesetz zu Tage getreten,
welches viel allgemeiner ist, als das ältere. Es stellt das aligemeinste
Naturgesetz dar, das zm* Zeit bekannt ist, und seine Entdeckung hat
eine tiefgreifende Umgestaltung der ganzen Physik und Chemie bewirkt.
Wir wenden uns nun zu den Wärmeerscheinungen bei Gasen.
Die spezifische Wärme der Luit ergiebt sich gleich 0-2375, wenn
man den Versuch so anordnet, daas in einem System von Röhren Luft
auf irgend eine höhere Temperatur vorgewärmt wird, und dann in einem
Kalorimeter die aufgenommene Wärme an die Kalorimeterflüssigkeit ab-
giebt, während sie fortwährend unter gleichem Drucke steht.
Nun ist aber folgende Thatsache bekannt. Drückt man eine abge-
schlossene Luftmenge zusammen, so erwärmt sie sich. Die zugeftlhrte Wärme
dW ist Null, die Temperaturänderung dt aber hat einen endlichen Wert;
dW
der Quotient — — wird Null, und somit auch die spezifische Wärme.
dt
Wenn wir eine Luftmenge ausdehnen, so wird sie kälter. Führen wir
soviel Wärme zu, dass die Temperatur konstant bleibt, so hat dW einen
endlichen Wert, dt ist Null, die spezifische Wärme ist unendlich. Lassen
wir also das Gas sein Volum ändern, so wird der Wert der spezifi-
schen Wärme unbestimmt; sie kann jeden beliebigen Wert annehmen.
Andererseits ist von Gay-Lussac (1807) folgender Versuch gemacht
worden. Es wurde in einer hohlen Kugel Luft zusammengepresst,
während aus einer anderen Luft entfernt war. Wurden die beiden
Kugehi, nachdem sie in das Wasser eines Kalorimeters gebracht waren,
miteinander in Verbindung gesetzt, so dass die zusammengepresste Luft
sich ausdehnen konnte, so fand doch keine Temperaturänderung des
Kalorimeters statt. Die Volumänderung allein bedingt somit nicht die
Temperaturänderung.
In diese scheinbar sich widersprechenden Thatsachen hat zuerst
J. R. Mayer (1842) Klarheit gebracht. Auf die Frage: woher rührt
die Wärme, welche beim Zusammenpressen eines Gases erzeugt wird,
und was wird aus der Wärme, welche bei der Ausdehnung verschwin-
det? gab er die Antwort: die Arbeit, welche zum Zusammenpressen
verbraucht whrd, wird in Wärme verwandelt, und die Arbeit, welche das
Gas beim Ausdehnen im Zurückschieben der äusseren drückenden Luft
leistet, kann nicht aus Nichts entstehen, sondern entsteht aus der Wärme,
die im Gase verschwindet Ist bei der Ausdehnung kein äusserer Druck
zu überwinden, so ist insgesamt keine Arbeit zu leisten, und es wird
auch (im Versuch von Gay-Lussac) keine Wärme verbraucht.
86 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
Die Arbeit und die Wärme erscheinen hier als zwei verschiedene
Formen desselben Dinges, wie gelber und roter Phosphor oder Diamant
und amorphe Kohte. Dies Ding selbst ist von Mayer als unerschaffbar
und unvemichtbar, als unter allen Umständen beständig aufgefasst worden;
es kann nur Änderungen der Erscheinungsform, keine aber in der Menge
erleiden.
Mayer hatte dies Beständige „Krafl" genannt. Da indessen dieser
Name in der Mechanik eine andere Bedeutung besitzt, als diejenige,
welche Mayer im Sinne hatte, so ist dadurch einige Verwirrung hervor-
gerufen worden. Deshalb ist gegenwärtig daftlr der Name Energie
allgemein angenommen worden und das von Mayer ausgesprochene
Prinzip ist das von der Erhaltung der Energie.
Dieser Satz ist ein Erfahrungssatz von allgemeinster Bedeutung, ebenso
wie der von der Erhaltung des Stoffes. Ebenso wie nur durch Unkenntnis des
letzteren Satzes die vergeblichen Anstrengungen ;der Alchemisten veranlasst
wurden, viel Gold aus geringen Mengen Silber oder Blei zu machen, so hat
die Unkenntnis des ersteren zu dem gleich unausführbar sich erweisenden
Problem des perpetuum mobile geführt. Die Thatsache, dass überhaupt die
Aufgabe, Arbeit aus nichts zu schaffen, für ausführbar gehalten wurde, beweist,
dass der Energiesatz keineswegs, wie gelegentlich behauptet wird, eine Denk-
notwendigkeit ist. Wohl aber ist er neben dem Satze von der Erhaltung des
Stoffes die grösste und umfassendste Verallgemeinerung, unter welche die
Naturwissenschaften die erfahrungsmässigen Thatsachen zusammenzufassen ge-
wusst haben.
Um nun diesen Gedanken auf die Wärmeerscheinung bei Gasen
anzuwenden, machte Mayer folgende Überlegung. Die spezifische Wärme
der Luft ist bei konstantem Drucke, also indem sie sich unter Arbeits-
leistung beim Erwärmen ausdehnen kann, gleich 0-2375 gefunden worden.
Es wird also mit anderen Worten ein Gramm Luft durch Zuführung
von 0-2375 cal um einen Grad wärmer, indem sie gleichzeitig sich aus-
dehnt und eine Arbeit nach aussen abgiebt, deren Betrag sich wie folgt
berechnet. Ein Gramm Luft hat bei 0® den Raum von 773-3 com
unter dem Drucke einer Atmosphäi*e. Bei der Eirwärmung um einen
Grad wird dies Volum um 1/273 grösser, d. h. um 2-830 ccm, und
das Produkt dieser Zahl in den Druck ist gleich der geleisteten Arbeit.
Der Druck einer Atmosphäi*e ist gleich dem Gewicht von 1033 g/cm^,
die Arbeit ist also gleich 2-830 X 1033 gcm = 2923 gern, d. h. gleich
der Hebung von 2923 g um ein cm.
Andererseits ist die spezifische Wärme der Luft bei konstantem
Volum, also ohne äussere Arbeitsleistung, gleich 0-1683 geftmden worden.
Durch Zuführung von 0-1683 cal ynrd also ein Gramm Luft um einen
Grad wärmer. Den Unterschied dieses Wertes gegen den vorigen vnrd
man als das Aequivalent der eben berechneten Arbeit auffassen können,
wenn man behaupten darf, dass ausserdem keine Wärme oder Arbeit
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 87
entwickelt oder verbraucht worden ist. Nun besteht aber noch der
Unterschied, dass beim ersten Versuche, abgesehen von der Leistung der
äusseren Arbeit, sich das Volum der Luft vergrössert hat, während
es beim zweiten konstant geblieben ist. Welchen Einfluss hat dieser
Umstand?
Die Antwort ist: keinen. Denn von Gay-Lussac (S. 85) ist ge-
zeigt worden, dass die blosse Volum vergrösserung der Luft ohne Ar-
beitsleistung die Temperatur der Luft nicht ändert. Wenn wir uns also
die Erwärmung unter konstantem Druck von einer Volumvergrösserung
um 2-830 ccm ohne Arbeitsleistung gefolgt denken, so genügen noch
immer 0-1683 cal für diese Änderung, und damit ist der ganze Unter-
schied der beiden Fälle auf die Arbeitsleistung und den entsprechenden
Wärmeverbrauch im ersten reduziert.
Man darf somit den Unterschied der beiden Wärmemengen,
0-2375 — 0-1683 = 0-0692 cal äquivalent der Arbeitsleistung von
2923 gcm setzen. Das macht 42240 gcm für eine Kalorie, und diesen
Wert nennt man das mechanische Wärmeäquivalent, oder den
Arbeitswert einer Kalorie.
Mayer betonte alsbald, dass man nicht nur die durch die Volum -
änderung der Gase geleistete Arbeit proportional der erzeugten Wärme
setzen kann, sondern dass noch viele andere Arten von Arbeit oder
Energie vorhanden sind, für welche eine gleiche Beziehung anzunehmen
ist. Doch hat er keine weiteren Versuche darüber angestellt; solche
verdankt man besonders den durch viele Jahre fortgesetzten Bemühungen
von Joule (1843), der den gleichen Nachweis zunächst für die Arbeit
fallender Gewichte, die Distanzenergie in Beziehung zur Wärme erbrachte.
Die hier geleistete Arbeit ist durch das Pi'odukt des Gewichtes mit der
Höhe des Falles gegeben, wenn man nicht, wie beim freien Falle, diese
Arbeit sich in Bewegungsenergie umwandeln lässt (S. 5), sondern sie
durch Reibung in Wärme überführt, so dass der fallende Körper mit
der Geschwindigkeit Null unten ankommt. Joule benutzte nun die
Arbeit solcher Gewichte, um in einem mit Wasser gefüllten Gefäss zwei
eiserne Platten gegeneinander zu reiben. Da diese hierbei keine dauern-
den Veränderungen erfahren, so geht die aufgewendete Arbeit ausschliess-
lich in Wärme über, und deren Menge kann aus der Temperaturer-
höhung des Wassers und seinem Gewicht berechnet werden. Setzt man
nun die gefundene Wärmemenge gleich der verbrauchten Arbeitsmenge,
so erhält man, wie Joule fand, ein ganz unveränderliches Verhältnis
zwischen beiden, welches weder von der Art, wie die Wärme in Arbeit
verwandelt wird, noch von den sonstigen Versuchsumständen abhängt.
Der Mittelwert der später vielfach wiederholten Bestimmungen dieses
Verhältnisses ist 42660 gcm =1 cal, d. h. wenn das Produkt von Fall-
höhe und Gewicht 42660 beträgt, so wird durch diese Arbeit 1 g
Wasser um 1® C erwärmt. Die Zahl stimmt mit der oben berechneten
^ OF THK ^^\
38 II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
so gut überein, als es die Genauigkeit zolässt, mit welcher die benutzten
Werte bestimmt sind.
Um liiervon auf absolute Werte tiberzugehen, hat man nur zu be-
denken, dass die Schwerkraft rund 980-5 absolute Einheiten beträgt,
da ein Gramm unter ihrem Einflüsse die Beschleunigung von 980*5 cm
in einer Sekunde erfährt. Somit beträgt eine Kalorie in absolutem
Masse 4-183 X 10' Erg.
Da die spezifische Wärme des Wassers mit der Temperatur etwas ver-
änderlich ist, so ist auch die Erwärmung einer bestimmten Wassermenge
durch den gleichen Betrag von Arbeit mit der Temperatur veränderlich. Diese
kleinen Verschiedenheiten sind von Rowland (1879) durch den Versuch un-
mittelbar nachgewiesen worden, und der oben angegebene Zahlenwert bezieht
sich auf die mittlere Temperatur von 18°.
Hierdurch wird es klar, dass die oben eingeführte Wärmeeinheit,
die Kalorie, willkürlich und unsystematisch vom Standpunkte der Energie-
lehre genannt werden muss. Denn ebenso, wie man die mechanischen
Energieformen und ihre Faktoren alle so bestimmt, dass ihre Einheit
übereinstimmend die gleiche, das Erg, wird, so entsteht mit der Erkenntnis,
dass die Wärme auch eine Form der Energie ist, das Bedürfnis, sie
gleichfalls in den gleichen Einheiten, in Erg, zu messen. Dieser not-
wendige Schritt ist bisher in der wissenschaftlichen Litteratur noch nicht
durchgeführt; um seine Durchführung zu erleichtem, sollen in diesem
Werke künftig alle Wärmeangaben in Erg gemacht werden.
Hierbei ist noch über die Einheit zu sagen, dass sie für die meisten
Messungen und Rechnungen viel zu klein ist. Das Megerg wäre eine
passende Einheit; indessen ist in der Elektrik als praktische Einheit der
Betrag von 10000000 Erg unter dem Namen Joule, abgekürzt j, ge-
bräuchlich geworden, und deshalb soll auch für praktische Zwecke diese
Einheit in diesem Buche angenommen werden. Eine kleine Kalorie hat
demnach den Wert von 4-183 Joule, und wir haben die Gleichungen
lcal = 4-183 j und Ij == 0-2391 cal.
Ausser diesem mit einem kleinen j bezeichneten Werte wird künftig
auch der tausendfache Wert benutzt werden, der mit einem grossen J
bezeichnet werden wird. Demnach ist
1 cal = 0004183 J und 1 J = 239-1 cal = 10 ^«^Erg.
Es ist für viele Aufgaben wichtig, die Arbeit zu kennen, welche
ein Gas leisten kann, wenn es sich bei konstanter Temperatur ausdehnt.
Im allgemeinen wird eine solche Arbeit durch das Produkt des Druckes
mit der Volumänderung, pdv (wo dv die Änderung des Volums ist), dar-
gestellt; die Rechnung macht aber etwas Schwierigkeiten, wenn der
Druck nicht konstant ist.
Zu diesem Zweck soll die Beziehung zwischen Druck und Volum
bei Gasen graphisch dargestellt werden, indem die Drucke und Volume
als Entfernungen von zwei zu einander senkrechten Axen gerechnet werden
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 89
««'
Fig. 7.
(S. 50). Entsprechend der Gasgleichung pv=RT hat die zugehörige
Kurve bb die Eigenschaft, dass an jeder Stelle das Pi*odukt zweier solcher
Abmessungen oder Koordinaten denselben Wert hat. Die analytische
Geometrie lehrt, dass die Gestalt der entsprechenden Kurve die der
rechtwinkligen Hyperbel ist
Die Arbeit, welche bei der Volumänderung dv geleistet wird, oder
das Produkt pdv, erscheint in der Darstellung Fig. 7 als eine vierseitige
schmale Figur aaß'ß. Die ge-
samte Arbeit, welche zwischen
zwei Zustanden des Gases, ß und
7, bei der Ausdehnung geleistet
wird, ist somit die Summe aller
schmalen Vierseite pdv, und auch
gleich dem Vierseit aßyö. Die
Berechnung der Arbeit kommt
somit auf die sogenannte Qua-
dratur der Hyperbel hinaus.
Diese Aufgabe lässt sich
auf elementarem Wege nicht
lösen; es muss daher genügen,
wenn hier allgemein das Resul-
tat angegeben wird. Dehnt sich
ein Gas bei der Temperatur T vom Volum v^ auf das Volum v, aus^
indem es dabei stets den durch die Gleichung pv = RT gegebenen Druck
ausübt, so hat die zugehörige Arbeit A den Wert (dav^/v^ =Pi/Pi)
A = RThi^=RTln^.
Vi Pa
Hier bedeutet In den natürlichen Logarithmus, d. h. einen Logaritii-
mus mit der Basis e= 2-71828. Man kann die natürlichen Loga-
rithmen aus den gewöhnlichen oder dekadischen Logarithmen erhalten,
wenn man die letzteren mit 2*30259 multipliziert.
Kehren wir hiemach wieder zm* Frage nach den spezifischen
Wannen der Gase zurück, so ergiebt sich, dass wir von solchen nur
reden können, wenn wir genau bestimmen, ob bei der Erwärmung
äussere Arbeit stattfindet, und welche. Der einfachste Fall ist oflfenbar
der, dass man äussere Arbeit ganz vermeidet, also das Gas in eine feste
Hülle einschliesst, und unter diesen Umständen die spezifische Wärme
bestimmt. Doch ist dieser theoretisch einfachste Fall experimentell bisher
sehr schwer ausfuhrbar gewesen. Die Hülle nämlich, in welche die
Gase eingeschlossen werden müssen, und welche an den Erwärmungen
und Abkühlungen notwendig teilnimmt, beansprucht einen so beträcht-
lichen Teil des gesamten Wärmeaustausches für sich, da sie genügend
widerstandsfähig angefertigt werden muss, um die Druckänderungen durch
die Änderungen der Temperatur zu ertragen, dass der auf das Gas ent-
90 II* Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
♦
fallende Anteil nur einen kleinen Teil der ' gesamten Wärmemenge aus-
macht. Doch ist es in neuerer Zeit Joly (1890) gelungen, durch ein
sinnreich ausgedachtes Differentaalverfahren diese Schwierigkeit zu über-
winden, wobei sich Werte ergaben, die mit denen gut übereinstimmten,
die auf dem gleich anzugebenden Umwege erhalten worden waren.
Man führt derartige Bestimmungen daher meist so aus, dass man
unter konstantem äusseren Druck die Temperaturveränderungen vor sich
gehen lässt. Es ergiebt sich auf diese Weise die spezifische Wanne bei
konstantem Druck, die wir mit Cp bezeichnen wollen. Versuche zur
Bestimmung dieser Zahl sind in weitem Umfange von Regnault ausge-
führt worden, und ihre Ergebnisse werden weiter unten mitgeteilt wer-
den; später hat E. Wiedemann einige der Versuche wiederholt und die
Änderungen untersucht, welche die spezifische Wärme vieler, namentlich
kohlenstoflFhaltiger Gase mit der Temperatur ei-föhrt.
Um aus diesen Zahlen die von der äusseren Arbeit befreite spezifische
Wärme bei konstantem Volum, c^, zu ermitteln, hat man nur den
Wärmewert der äusseren Arbeit abzuziehen. Am einfachsten gestaltet
sich die Rechnung, wenn man je ein Mol der verschiedenen Gase be-
trachtet. Alsdann nehmen sämtliche Gase dasselbe Volum, näm-
lich 22 394ccm bei 0® und 76 cm Barometerstand ein und dehnen sich
bei der Erwärmung von 1® um ^f-y dieses Volums aus. Die äussere
Arbeit pro Grad dabei ist gleich Po Vo/273, d.h. sie hat den Wert der Kon-
stanten R in der allgemeinen Gasgleichung (S. 7 1 ), nämlich 8-31X10''^ Erg/T
oder 8*31 j/T. Ist also die auf ein Mol bezogene Wärmekapazität eines
Gases bei konstantem Druck, oder die Molekularwärme bei konstantem
Druck in Joule bekannt, so braucht man von ihr nur den Wert 8-21
abzuziehen, um die Molekularwärme bei konstantem Volum zu erhalten.
In Formeln: c = c R.
Gewöhnlich werden die Molekularwärmen noch in Kalorieen pro Grad an-
gegeben. Dann ist der Wert von R, durch den Betrag einer Kalorie in Joule, näm-
lich 4-183 zu dividieren, wodurch sich R«« 1-99 ergiebt. Die Molekularwärme
bei konstantem Druck ist also um 1*99 grösser, als die bei konstantem Volum.
In der nachstehenden Tabelle sind die von Regnault bestimmten
Werte zusammengestellt.
Molekular- Molekularwärme in j
Namen Formel »e wicht ^ konst. bei konst.
32
28
5
71
160
30
28
36-5
Sauerstoff
0«
Stickstoff
N«
Wasserstoff
H^
Chlor
Cl«
Brom
Br«
Stickoxyd
NO
Kohlenoxyd
CO
Chlorwasserstoff
HCl
Druck
Volum
29-12
20-81
28-53
20-22
2853
20-22
35.93
27-62
37-10
28-79
29-07
20-76
28-69
20-38
28-28
19-97
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 91
Namen
Tn 1 Molekular-
^^™^^ gewicht
Molekularwärme in j
bei konst. bei konst
u
Druck
Volum
Kohlendioxyd
CO«
44
3999
3168
Stickoxydul
N«0
44
4171
3340
Wafiser
H«0
18
36-22
27-91
Schwefeldioxyd
SO"
64
41-08
32-77
Schwefelwasserstoff
H«S
34
34-30
25-99
Schwefelkohlenstoff
CS«
76
4971
41-40
Methan
CH*
16
39-41
31-10
Chloroform
CHCl»
119-5
77-61
69-30
Äthylen
C«H*
28
4999
41-68
Ammoniak
NH«
17
35-97
27-66
Benzol
C«H«
78
121-5
113.2
Terpentinöl
Q10Q16
136
285-7
277-4
Methylalkohol
CH*0
32
60-87
5256
Äthylalkohol
C«H«0
46
86-60
78-29
Äther
C^H'^O
74
147-2
138-9
Äthylsnlfid
C*H»<»S
90
149-7
141-4
Chloräthyl
CH^Cl
645
73-40
6509
Bromäthyl
C«U«Br
109
84-50
76-19
Äthylendilorid
c*H*a«
99
94-12
85-81
Aceton
C»H«0
58
8230
73-99
Äthylacetat
C^H80»
88
146-4
138-1
Silidumchlorid
SiCl*
169
93-30
84-99
Hiosphorchlorür
PCI»
1375
76-78
68-47
Arsen chlorür
AsCP
181-5
84-50
76-19
Titanchlorid
TiCl*
190
102-9
94-6
Zinnchlorid
SnCl*
260
101-0
92-7
Bei der Betrachtung der vorstehenden Tabelle zeigen sich einige Regel-
mässigkeiten. So sind die Molekularwärmen der Gase 0*, N*, H^, NO, CO
und HCl, die aus je zwei Atomen bestehen, annähernd gleich gross. Doch
zeigen Cl* und Br*, obwohl gleichfalls zweiatomig, bedeutend höhere Werte.
Ebenso stimmen die aus je drei Atomen bestehenden Gase zum Teil
überein, doch auch mit Ausnahmen. Eine durchgreifende Regelmässigkeit
lässt sich übrigens kaum erwarten, da die meisten der untersuchten Dämpfe
ihre Wärmekapazität stark und in verschiedener Weise mit der Temperatur
ändern, und daher je nach der Versuchstemperatur ganz verschiedene Bilder
gewähren.
Die Molekularwärmen bei konstantem Volum sind, wie erwähnt,
durch Abzug der äussern Arbeit berechnet worden. Man kann sie in-
dessen auch experimentell auf einem Umwege finden, welcher das Ver-
hältnis beider spezifischen Wärmen zu messen gestattet.
Die hierher gehörigen Untersuchungen nahmen ihren Ausgang von
einem rätselhaften Mangel an Übereinstimmung zwischen einem un-
92 II* Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
zweifelhaft scheinenden Ergebnis der Rechnung und der Erfahrung.
Die Theorie der Schwingungsbewegung in elastischen Mitteki fuhrt
nämlich, wie Newton gezeigt hat, zu der Formel u =yp/d fiir die Ge-
schwindigkeit des Schalles in einem Gase, wo u die Geschwindigkeit, p
der Druck und d die Dichte ist; die Schallgeschwindigkeit ist gleich der
Quadratwurzel aus dem Verhältnis zwischen Druck und Dichte. Für Luft
unter normalen Umständen ist p= 1013130 in absolutem Mass, und
d=r 0-001293. Führt man die Rechnung aus, so erhält man rund
28000 cm/sec, während die Beobachtung 33100cm/sec. ergiebt.
Ein solcher Mangel an Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen
der Analyse und der Erfahrung beweist immer einen Fehler im Ansatz.
Laplace fand diesen auf. Newton hatte, um das Verhältnis zwischen
Druck und Dichte einzuführen, das Boylesche Gesetz, dass beide pro-
portional seien, benutzt. Laplace aber wies darauf hin, dass dies unbe-
rechtigt sei. Bei den schnellen Zusammendrückungen und Ausdehnungen,
welche die Luft bei der Schallbewegung erfahrt, machen sich dieselben
Erwärmungen und Abkühlungen geltend, welche oben (S. 85) erwähnt
worden sind; dadurch steigt aber der Dnick schneller, als die Dichte
zunimmt, und nimmt auch schneller ab, als sie abnimmt. Das Verhält-
nis zwischen Druck und Dichte muss also durch einen anderen Aus-
druck dargestellt werden, welche diesen Einfluss zur Geltung bringt.
Da die elementare Ableitung der Formel fiirdie gleichzeitigen Änderungen
des Drucks und des Volums ohne Abführung der Wärme, also unter
entsprechenden Temperaturänderungen, sich unübersichtlich gestaltet, so
sei hier nur das Ergebnis mitgeteilt: es lautet, wenn p, und Vj, bez.
Pj, und Vg zusammengehörige Drucke und Volume sind, und das Ver-
hältnis der beiden spezifischen Wärmen Cp/Cv=k gesetzt wird,
Vorgänge, wie der betrachtete, bei denen Wärme weder aus- noch
eintritt, heissen adiabatische oder isentropische. Die durch die Formel
zum Ausdruck gebrachte grössere Drucksteigerung, als sie dem Boyle-
schen Gesetz entsprechen würde, rührt daher, dass sich durch die an
dem Gas geleistete Arbeit seine Temperatur und damit sein Druck über
den durch das Boylesche Gesetz geforderten Betrag hinaus steigert, und
es ist einleuchtend, dass der Betrag dieser Temperaturerhöhung sich von
der spezifischen Wärme abhängig zeigt, indem eine und dieselbe in
Wärme sich verwandelnde Arbeit eine um so geringere Temperaturer-
höhung bewirken muss, je grösser die spezifische Wärme des zu erhitzen-
den Gases ist.
Die Temperaturerhöhung wird durch eine ähnliche Formel darge-
stellt, die auch ohne Ableitung gegeben werden muss. Je nachdem
man als zweite Veränderliche Druck oder Volum benutzt, erhält man
(P,/P2)'"'=(Tx/T,)^ und {y.lv^)^-' =T,fT,.
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 93
Da in allen diesen Gleichungen das Yerliättnis k der spezifischen
Wärmen auftritt, so kann k experimentell mit ihrer Hilfe gemessen
werden, wenn man die anderen Grössen bestimmt. Für diesen Zweck
dient hauptsächlich die erste Gleichung, während die anderen zur Be-
rechnung der Temperaturänderungen Verwendung finden, weldie bei
plötzlicher Entspannung oder Kompression von Gasen eintreten.
Die Verwendung der ersten Gleichung ftir die Bestimmung des Ver-
hältnisses der spezifischen Wärmen hängt von der Art des adiabatischen
Vorganges ab, weldbier ausgeführt wird.
Als solcher dienen zunächst die bei der Schailbewegung erfolgenden
Dichteänderungen der Luft, und die Grösse k ist die oben (S. 92) als
notwendig erkannte Korrektion des Verhältnisses zwischen Druck und
Dichte, sodass für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles nicht die
Formel v = Vp7d, sondern v = Vkp/d zu benutzen ist. Somit ist
das Quadrat des Verhältnisses z^isdien der nach der alten Formel be-
rechneten Schallgeschwindigkeit und der wahren gldch dem Verhältnis
der spezifischen Wärmen. Aus den oben mitgeteilten Zahlen ergiebt
sich für Luft k = l*40. Mit Hilfe dieser Zahl ist oben die spezifiysche
Wärme der Luft bei konstantem Volum berechnet worden, wo auch die
Übereinstimmung des hiermit berechneten mechanischen Wärmeäquivalents
mit dem durch unmittelbare Versuche geftmdenen nachgewiesen ist
Um die Methode der Schallgeschwindigkeit auf andere Gase anwendbar
zu machen, ist von Kundt (1866) ein Verfahren angegeben worden, mittelst
dessen in Röhren die Wellenlänge bestimmter Töne durch die Figuren, in
welchen sich hineingebrachte leichte Pulver anordnen, messbar gemacht werden.
Ist 1 die Wellenlänge und n die Schwinguagszahl des betreffenden Tones, so
ist nl die Schallgeschwindigkeit. Die Schwingungszahl braucht nicht einmal
besonders bestimmt zu werden, denn erzeugt man mit dem Apparat Wellen
in Luft, so braucht man nur ihre Länge in die bekannte Schallgeschwindig-
keit der Luft zu dividieren, um die Schwingungszahl zu finden.
Eine andere Methode, welche zuerst von Gay-Lussac und Welter ange-
wendet worden ist, besteht darin, dass man in einem grossen Glasgefäss die
Luft schwach verdichtet, und ihren Überdruck genau misst. Dann wird plötz-
lich ein grosser nach aussen führender Hahn geöffnet und alsbald wieder ge-
schlossen. Die Sperrflüssigkeit im Manometer, welche sich beim öffnen des
Hahnes auf gleiche Höhe gestellt hatte, beginnt dann nach einigen Augen-
blicken wieder zu steigen und bleibt bei einem Drucke stehen, welcher kleiner
ist, als der frühere. Die Erscheinung rührt daher, dass bei der plötzlichen
Ausdehnung die Luft sich der Ausdehnungsarbeit entsprechend abkühlt.
Nimmt sie nach dem Abschliessen des Hahnes wieder ihre frühere Temperatur
aus der Umgebung an, so steigt der Druck im entsprechenden Verhältnis.
Die Berechnung derartiger Versuche geschieht nach der S. 92 gegebenen
Formel, welcher man die Gestalt
logPi — logPa
k =
log Vj— log Vi
94 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.
giebt. Doch sind die Versuche nach dieser Methode schwieriger oder weniger
genau, als die nach der Methode der Schallgeschwindigkeit, weil es sehr
schwer hält, den Vorgang streng adiabatisch auszuführen.
Berechnet man nach den Werten von k, die man auf solche Weise
bestimmt hat^ aus den Molekularwännen bei konstantem Druck die bei
konstantem Volum ^ so erhält man im allgemeinen Zahlen^ welche etwas
kleiner ausfallen^ als die auf S. 90 aus der äusseren Arbeit berechneten.
Dies rührt daher, dass bei zusammengesetzteren Gasen die dort gemachte
Voraussetzung nicht zutrifft; auch bei der Ausdehnung ohne äussere
Arbeit findet bei solchen Gaaen ein allerdings nicht grosser Wärmever-
brauch statt, welcher daher rührt, dass noch eine merkliche Wechsel-
wirkung des Stoffes vorhanden ist, die bei der Ausdehnung teilweise
aufgehoben wird.
Schliesslich sei noch das Verhältnis der kinetischen Hypothese zu
den experimentellen Bestimmungen der spezifischen Wärme erörtert. Nach
dieser Auffassung ist die in einem Gase enthaltene Energie in erster
Linie kinetische und zwar ergab sich der Betrag derselben, der in dem
Gase anwesend sein muss, um einen Druck entsprechend den Gasge-
setzen hervorzubringen, gleich '/^ pv, oder gleich '/g RT. Die Zu-
nahme dieser Energie für jeden Grad hat also den Wert ^/^ R, und
somit ist auch ^/^ R der Wert der Molekularwärme des Gases, d. h.
die Vermehrung von dessen Wärmeinhalt oder kinetischer Energie für
jeden Grad. Da R=8-31j/T ist, so folgt für die Molekularwärme die
Zahl 1247 j/T oder 2-98cal./T.
Vergleicht man dies Ergebnis mit der S. 90 gegebenen Tabelle, so
findet sich keine Übereinstimmung; die Molekularwärmen sind alle viel
grösser. Der Vergleich ist mit den Molekulansv^ännen bei konstantem
Volum, also ohne äussere Arbeit zu ziehen; doch auch diese Zahlen sind
alle grösser, zum Teil sehr erheblich.
Es ist deshalb nötig, die kinetische Hypothese in der Richtung zu
erweitern, dass man noch eine andere Art der Energie in den Molekeln
der Gase annimmt. Eine solche bietet die folgende Betrachtung.
Im Sinne der Hypothese besteht eine Molekel auch der elementaren
Gase aus mehreren Atomen, die durch irgend welche Kräfte zusammen-
gehalten werden, und sich in einer gewissen Entfernung von einander be-
finden. Dadurch wird bei den gegenseitigen Stössen nicht nur die ge-
radlinige Fortschreitung der Molekeln beeinflusst, sondern es treten auch
drehende Bewegungen der Bestandteile dieser Molekeln gegen einander
ein, welche einen Teil der Energie aufiiehmen, ohne dass dieser an dem
Betrage des Druckes zur Geltung kommt. Die eben berechnete Wärme-
kapazität ist daher nur als ein kleinster Wert aufzufassen, der eintreten
würde, wenn die Molekeln sich wie ausdehnungslose Punkte verhielten
und keine Energie der drehenden Bewegungen enthalten könnten; anders
beschaffene Molekeln müssen eine grössere Wärmekapazität zeigen, und
Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 95
zwar eine um so grössere, je zusammengesetzter sie sind. Hiermit stehen
die Zahlen der Tabelle in der That im Einklänge.
Ein noch weitergehender Schluss ist von Kundt und Warburg (187 6)
gezogen worden. Bei den in Dampfgestalt bekannten MetaUen bestehen die
Molekeln nach der Hypothese von Avogadro (S. 67 und 72) aus einzelnen
Atomen und bei ihnen ist daher der Minimalwert der Wärmekapazität zu
erwarten. Nun ist es zwar schwierig, die spezifische Wärme eines Metall-
dampfes unmittelbar zu messen, da schon der Siedepunkt des niedrigst
siedenden Metalles, des Quecksilbers, bei 360^ liegt; doch genügt es, das
Verhältnis der beiden spezifischen Wärmen zu bestimmen. Denn da der
Unterschied beider Werte gleich R ist, so lässt sich jeder einzelne Wert
berechnen, w«nn das Verhältnis der beiden gegeben ist. Zur Bestimmung
des Verhältnisses aber kann das Verfahren der Schallgeschwindigkeit
ohne allzugrosse Mühe benutzt werden.
Ist nun die Molekularwärme eines solchen Gases bei konstantem
Volum gleich ^/^ R, so ist die bei konstantem Druck um R grösser,
also %R, und das Verhältnis beider ^/g = 1-667. Ein solcher Wert
der Verhältniszahl k ist also für Quecksilberdampf zu erwarten.
Der Versuch ergab k=l-66, entsprechend den Erwartungen.
Durch diesen glänzenden Erfolg gelangte die kinetische Hypothese zu
grossem Ansehen, so dass sie auch noch heute vielfach als eine wissenschaft-
liche Wahrheit, und nicht als das, was sie ist, eine bildliche Veranschau-
lichung, angesehen wird. Es ist natürlich, dass ein solches Bild, das man
den erfahrungsmässigen Thatsachen entsprechend gewählt hat, sich zur Dar-
stellung dieser Thatsachen und verwandter als brauchbar erweist. In solchem
Sinne ist ein solches Bild sogar ein wertvolles Hilfsmittel der Forschung, in-
dem es auf die Möglichkeit und die mutmassliche Gestalt weiterer Beziehungen
hinweist. Aber ebenso natürlich muss es einen Punkt geben, von dem ab
Bild und Wirklichkeit auseinanderzugehen beginnen, und dann ist es meist
eine vergebliche Verschwendung von Arbeit, das Bild noch weiter benutzen
zu wollen und durch willkürliche Annahmen ad hoc den Schein einer weiteren
Übereinstimmung herzustellen. Solche Schwierigkeiten sind auch in diesem
Falle aufgetreten.
Theoretische Untersuchungen, um bei zusammengesetzteren Molekeln die
zur intramolekularen Arbeit erforderliche Energiemenge zu bestimmen, sind
vielfach angestellt worden, doch ohne erheblichen Erfolg. Auf die hier ob-
waltenden Verhältnisse hat nicht nur die Zahl der Atome, sondern auch ihre
Beschaffenheit einen entscheidenden Einfluss, wie daraus hervorgeht, dass die
Molekularwärmen solcher Gase, welche gleichviel Atome in der Molekel ent-
halten, verschieden gefunden worden sind. Diese besondere Beschaffenheit
aber hat man noch nicht zahlenmässig auszudrücken gewusst.
^6 11^* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Drittes Buch.
Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Erstes Kapitel.
Die aUgemeineii Eigensohalten der Flüssigkeiten.
Im flüssigen Aggregatzustande haben die Stoflfe die Fähigkeit ver-
loren, jeden dargebotenen Raum gleichmässig auszufüllen. Flüssigkeiten
besitzen im Gegensatz zu den Gasen ein bestimmtes Volum, das zwar
wie dort sich durch Druckänderungen vergrössem oder verkleinem lässt,
jedoch nur in verhältnismässig sehr geringem Grade. Mit den Gasen
tibereinstimmend besitzen die Flüssigkeiten keine eigene Gestalt, sondern
nehmen jederzeit eine solche an, welche der Gesamtheit der auf sie
einwirkenden Drucke entspricht.
In Bezug auf denEinfluss des Dnickes auf das Volum zeigen die Flüssig-
keiten nichts mehr von der Übereinstimmung, welcher wir bei Gasen begegnet
sind. Die Zusammendrtickbarkeit, gemessen durch die Volumänderiing,
welche die Einheit des Volums durch die Einheit der Druckänderung
erfährt, ist sehr klein; sie beschränkt sich beim Wasser z. B. auf etwa
48 Milliontel für eine Atmosphäre. Bei anderen Flüssigkeiten ist sie
meist grösser und bei allen von der Temperatur abhängig.
Die absolute Bestimmung dieser Grösse ist schwierig auszuführen,
da die Volumänderung der Gefasse schwer in Rechnung zu ziehen ist.
Leichter gelingt eine relative Bestimmung; und ist von einer Flüssigkeit
die absolute Kompressibilität bekannt, so kann durch eine Vergleichsbe-
stimmung dieser und der zu untersuchenden Flüssigkeit die relative Mes-
sung leicht in eine absolute übergeführt werden. Für diesen Zweck
kann die Angabe dienen, dass das Quecksilber sich bei 0^ durch den
Druck einer Atmosphäre um 0-000003198, also sehr nahe um 0-0000032
seines Volums zusammendrücken lässt. Bestimmt man also die schein-
bare Volumverminderung des Quecksilbers in einem beliebigen Gefäss
durch einen bekannten Druck, so ist der Unterschied zwischen dieser
und der aus der wahren Zusammendrückbarkeit zu berechnenden gleich
der Volumänderung des Gefässes für diesen Druck. Ist diese bekannt,
so lässt sich aus der scheinbaren Zusammendrückung einer anderen Flüssig-
keit in demselben Gefässe ihre wirkliche und damit ihre Zusammendrück-
barkeit oder ihr Kompressionskoeffizient ableiten.
Auch die Ausdehnung der Flüssigkeiten durch die Wärme ist von
ihrer Natur in hohem Masse abhängig, und hat sich noch nicht unter
allgemeine Gesichtspunkte bringen lassen. Gewöhnlich wird der Einfiuss
der Temperatur auf das Volum durch eine Fonnel von der Gestalt
V= Vo (1 + at + bt« -f et» 4- . . .) dargesteUt, wo V das Volum bei der
Temperatur t, V^ dasselbe bei 0®, und a, b, c, . . . Konstanten sind.
Die allgemeinen Eigenschaften der Flüssigkeiten. 97
Solche Formeln haben keinerlei theoretische Bedeutung und dienen nur
dazu, die Volume für zwischenliegende Temperaturen zu berechnen, für
welche keine unmittelbaren Beobachtungen vorliegen. Dieselben Dienste
leisten Kurven, deren Abscissen Temperaturen und deren Ordinaten die
Volume (oder zweckmässiger nur die Volumzunahme) darstellen.
Von Mendelejew ist (1884) eine Formel vorgeschlagen worden, welche die
Wärmeausdehnung der Flüssigkeiten mit ziemlicher Genauigkeit durch eine
Y
einzige Konstante zu kennzeichnen gestattet. Sie hat die Gestalt V «*■ - — ~~
und schliesst sich recht gut den gemachten Beobachtungen an. Indessen sind
Abweichungen von denselben doch meist grösser, als die Versuchsfehler ge-
statten, und Mendelejew will seine Formel deshalb als ein Grenzgesetz, ähn-
lich wie die Gasgesetze, betrachtet wissen, dem eine ideale Flüssigkeit
genau folgen würde, von dem aber die wirklichen Flüssigkeiten je nach Um-
ständen mehr oder weniger abweichen. Untersuchungen über den etwaigen
Zusammenhang der Grösse k, des „Ausdehnungsmodulus^^ mit der Zusammen-
setzung der Flüssigkeiten sind noch nicht angestellt worden.
Eine ganz besondere Stellung in Bezug auf die Wärmeausdehnung
nimmt das Wasser ein, welches, wie Rumford (1802) zuerst gezeigt hat,
bei der Erwärmung von 0^ aufwärts sich zuerst zusammenzieht, bis es
bei 4" sein kleinstes Volum erreicht hat; darüber hinaus dehnt es sich
wie alle Flüssigkeiten aus, und zwar für gleiche Temperaturerhöhungen
um so mehr, je wärmer es bereits ist. Bis 100" beti'ägt die Ausdeh-
nung etwa 4 Prozent des Volums bei 0*^, wovon 1 Prozent bis 50"
und die übrigen 3 Prozent zwischen 50® und 100^ zu stände kommen.
Da die Flüssigkeiten gegen äusseren Druck und Wärme sich unter-
einander verschieden verhalten, so ist zu schliessen, dass ihr Volum nicht
durch allgemeine, von ihrer chemischen Natur unabhängige Verhältnisse
bedingt ist, wie bei Gasen, sondern durch ihre besondere Beschaffenheit.
Das Volum der Flüssigkeiten ist keine kolligative Eigenschaft, wie bei
Gasen. Wir werden später sehen, dass es wesentlich additiven Cha-
rakters ist.
Eine den Flüssigkeiten eigentümliche Erscheinung, die bei Gasen
nicht vorhanden ist, besteht in der Entwickelung einer Oberfläche bei
ihnen. Mit solch einer Oberfläche grenzt sich eine Flüssigkeit selbstthätig
ab, wenn ihr ein Raum dargeboten wird, der grösser ist als der, den sie
unter den vorhandenen Umständen für sich einnimmt.
Die Gestalt dieser Oberfläche erecheint gewöhnlich als eine Ebene;
indessen ist dies nur die Folge der Wirkung der Schwere, unter der
die Flüssigkeiten gewöhnlich stehen. Schliesst man diesen Einfluss aus,
so macht sich eine Wirkung geltend, vermöge deren sich die Oberfläche
möglichst zu verkleinem strebt. Es ist somit Arbeit erforderlich, die
Oberfläche zu erzeugen oder zu vergrössem; durch ihre Verkleinerung
kann umgekehrt Arbeit gewonnen werden. Daraus folgt, dass die
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 7
98 m* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Oberfläche der nOssigkeiten der Sitz einer Energie ist, deren Vorhanden-
sein durch sie bedingt ist, und deren Betrag sich mit ihrer Grösse ändert.
Man nennt diese Energieart Oberflächenenergie. Sie lässt sich als
eine fQr den Flüssigkeitszustand charakteristische Energieart ansehen, wie
die Volumenergie für die Gase sich als die wichtigste Form herausge-
stellt hat. Auch bestehen hier, wie später gezeigt wei*den iivird, bezüg-
lich allgemeiner Gesetze ganz bestimmte Analogen.
Zweites Kapitel.
Verdampfung und Verflüssigung.
Die Existenz einer Flüssigkeit ist, allgemein gesprochen, daran ge-
bunden, dass sie mindestens unter einem bestimmten Drucke steht, der
von der Temperatur und von ihrer Beschaffenheit abhängt. Steht sie
unter einem höheren Druck, so verhält sie sich, wie eben besdiriebcD,
d. h. sie ändert ihr Volum nur wenig, wenn man den Druck auch er-
heblich steigert.
Vermindert man den Druck, so giebt es einen Punkt, wo eine neue
Erscheinung auftritt. Die Flüssigkeit scheidet einen Stoff aus, der die
Eigenschaften eines Gases hat, und versucht man weiter durch Ver-
grösserung des Volums den Druck zu vermindern, so erweist sich dies
als nicht möglich. So lange die Temperatur dieselbe bleibt, bleibt nun-
mehr auch der Druck unverändert, und die ganze Wirkung besteht da-
rin, dass sich zunehmend mehr von dem gasförmigen Stoffe bildet, und
dass die Menge der Flüssigkeit sich in gleichem Masse veiTingert Die
Flüssigkeit verwandelt sich also in diesen gasförmigen Stoff: man nennt
ihn den Dampf der Flüssigkeit.
Setzt man die Volumvergrösserung bei konstanter Temperatur fort^
so geht schliesslich alle Flüssigkeit in Dampf über. Ist dies geschehen,
so tritt wieder eine gegenseitige Abhängigkeit von Druck und Volum
ein, und zwar besteht nun zwischen beiden die Beziehung pv = con8t.,
wie wir sie von den Gasen her kennen.
Vermindert man umgekehrt das Volum des Dampfes, so nimmt
erst der Druck gemäss dem Boyleschen Gesetz (meist unter einiger Ab-
weichung, vergl. S. 55) zu; dann tritt bei einem bestimmten Drucke
Verflüssigung ein, und nun bewirkt eine Verminderung des Volums nur
eine fortschreitende Umwandlung von Dampf in Flüssigkeit, ohne dass
sich der Druck dabei ändert; erst nachdem aller Dampf verflüssigt worden
ist, treten die gewöhnlichen Eigenschaften der Flüssigkeit wieder ein.
Dieser Druck, welcher unabhängig von der Menge Dampf und
Flüssigkeit ist, die nebeneinander bestehen, ist indessen mit der Tem-
Verdampfung und Verflüssigung. 99
peratur in hohem Masse veränderlich, und zwar besteht ohne Ausnahme
das Gesetz, dass dieser Druck, den wir den Dampfdruck der Flüssig-
keit nennen wollen, mit steigender Temperatur zunimmt.
Man wird also im allgemeinen zu erwarten haben, dass jedes Gas
durch geeignete Erhöhung des Druckes und Erniedrigung der Tempe-
ratur in eine Flüssigkeit verwandelt werden kann. Diese Erwartung
darf heute als allseitig bestätigt angesehen werden, nachdem in der
neuesten Zeit durch Dewar (1898) auch die bis dahin widerstandsfähigsten
Gase Wasserstoff und Helium im Zustande statischer Flüssigkeiten er-
halten worden sind.
Der erste Forscher, welcher in umfänglicher V^eise sich mit der Aufgabe
beschäftigte, die als Gase bekannten Stoffe in den flüssigen Zustand überzu-
führen, war Faraday (1823). Er verflüssigte Kohlendioxyd, Schwefelwasser-
stoff, Chlorwasserstoff, Schwefeldioxyd, Cyan, Ammoniak und Chlor, indem er
sie unter starkem Druck niedrigen Temperaturen aussetzte. Später lehrte
Thilorier (1835) das Eohlendioxyd in grossem Massstabe verflüssigen, so dass
man sich des flüssigen, oder noch bequemer des festen, mit Äther vermischten
Kohlendioxyd zur Erzeugung sehr niedriger Temperaturen, bis — 100**, bedienen
konnte. Faraday benutzte später (1845) dies Mittel, und erhielt Jodwasser-
stoff, Brom Wasserstoff, Schwefeldioxyd, Schwefelwasserstoff, Stickstoffoxydul,
Cyan und Ammoniak sowohl flüssig wie fest, während Chlorwasserstoff, Arsen -
Wasserstoff, Äthylen, Siliciumfluorid, Borfluorid und Chlor nur als Flüssigkeiten
auftraten. Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Stickoxyd, Kohlenoxyd und
Leuchtgas gaben hingegen kein Anzeichen von Verflüssigung zu erkennen.
Nachdem inzwischen entdeckt worden war (s. w. u.), dass möglichst
niedrige Temperaturen für die Verflüssigung wesentlich sind, war auch der
Weg gezeigt, die noch widerstehenden Gase zu verflüssigen. Pictet (1877) er-
zeugte sehr niedrige Temperaturen, indem er flüssiges Kohlendioxyd durch
flüssiges Schwefel dioxyd, welches im leeren Räume siedete, stark vorkühlte,
und dann seinerseits im Vakuum zum Verdampfen brachte. Sauerstoff, welcher
in einer dickwandigen schmiedeeisernen Retorte durch Erhitzung von Kalium-
chlorat erzeugt und durch eigenen Druck auf einige hundert Atmosphären
zusammengepresst wurde, ging bei der so erhaltenen Temperatur ( — 140^) in
den flüssigen Zustand über.
Cailletet verflüssigte gleichzeitig (1877) die „permanenten" Gase, indem
er zur Abkühlung derselben den Arbeitsverbrauch benutzte, welchen sie bei
plötzlicher Ausdehnung beanspruchen. Um die entsprechenden Temperatur-
änderungen zu berechnen, gehen wir von der oben (S. 92) mitgeteilten Gleichung
für die adiabatische Zustandsänderung
aus. Setzt man für Luft k«*141, so folgt für verschiedene Anfangsdrucke
folgende Tabelle, wenn man voraussetzt, dass die Anfangstemperatur 0° und
der schliessliche Druck 1 Atmosphäre .ist.
7*
100 III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Druck in Atmosphären
lern
absolut
iperatur
Centesimalgrade
100
715
— 201.5°
200
58.5
— 214.5«
300
520
2210°
400
47.9
— 2251 °
500
44-8
— 2282«
Es sind also sehr tiefe Temperaturen, welche sich bei etwas stärkeren An-
fangsdrucken berechnen. Allerdings werden dieselben nie ganz erreicht, da
alsbald die Gasmenge, die wegen der hohen Drucke nur klein genommen
werden kann, durch die Wände enftärmt wird. Die Verflüssigung macht sich
unter diesen Umständen nur als Nebel geltend, welcher im Augenblick der
Druckaufhebung entsteht, und in wenigen Augenblicken verschwindet.
In neuerer Zeit ist durch Linde (1895) ein Verfahren erfunden worden,
um atmosphärische Luft durch einen stetigen Vorgang in den flüssigen Zu-
stand zu versetzen und beliebige Mengen davon herzustellen. Es beruht auf
der Erscheinung, dass vermöge des unvollkommenen Gaszustandes bei der Aus-
dehnung der Luft auch ohne Arbeitsleistung (z. B. durch ein Drosselventil)
eine Abkühlung erfolgt. Diese ist zwar zunächst klein; man benutzt sie aber,
um die weiter hinzutretenden Luftmengen vorzukühlen, wodurch deren Tem-
peratur beim Durchgang durch das Ventil noch tiefer sinkt. Die Abkühlung
steigert sich auf diese Weise mit jedem weiteren Durchgange der Luft und
wird nach einiger Zeit so bedeutend, dass sich die Luft verflüssigt. Eine Be-
förderung erfährt der Vorgang dadurch, dass die Abweichung von den Gas-
gesetzen, und damit die Abkühlung beim Durchgang durch das Ventil um so
grösser wird, je niedriger die Temperatur geworden ist.
Die Temperatur der unter Luftdruck siedenden flüssigen Luft ist je
nach dem Gehalt an Sauerstoff etwas verschieden, um — 180°. Durch
Siedenlassen unter der Luftpumpe kann man sie weiter erniedrigen. Bei
diesen Temperaturen werden fast alle Gase flüssig oder fest, und fast alle
Flüssigkeiten gehen in feste, krystallinische oder amorphe Körper über.
Vergleichen wir das Verhalten eines Gases odw einer Flüssigkeit aliein
mit dem des Gebildes aus Dampf und Flüssigkeit^ so finden wir einen
wesentlichen ünterachied. Wenn eine gegebene Gasmenge eine bestimmte
Temperatur hatte^ so wai* dadurch ihr Druck noch keineswegs bestimmt;
er konnte vielmehr jeden beliebigen Wert haben^ wenn man das Volum
passend wählte. War aber noch eine dieser beiden Grössen bestimmt,
so war die dritte gegeben; ein vorgeschriebener Drack konnte bei vor-
geschriebener Temperatur nur bei einem ganz bestimmten Volum er-
reicht werden, oder umgekehrt. Der Zustand eines Gases ist daher durch
zwei Veränderliche vollständig bestimmt oder, wie man sich auch aus-
drücken kann: eine gegebene Gasmenge hat zwei Freiheitsgrade. Ein
Gebilde aus Flüssigkeit und Dampf hat dagegen nur einen Freiheitsgrad:
ist die Tempei-atur frei gewählt, so ist dadurch der Druck bestimmt,
und umgekehrt.
Verdampfung und Verflüssigung. 101
Dies rührt daher, dass ein solches Gebilde aus zwei verschiedenen
Anteilen besteht, in denen zwar gleicher Druck und gleiche Temperatur
hen-scht, deren Dichten und sonstige Eigenschaften aber verschieden sind.
Solche verschiedene, durch physische Trennungsflächen gegeneinander
abgegrenzte Teile eines Gebildes nennt man seine Phasen. Innerhalb
jeder Phase sind alle Eigenschaften konstant, und ein jeder Teil einer
Phase ist von jedem anderen nur durch seine Menge verschieden; von
einer Phase zur anderen, wenn sie auch nebeneinander bestehen können,
haben die Eigenschaften andere Werte.
Es besteht nun das allgemeine Gesetz, dass ein Gebilde um so
weniger Freiheiten hat, je mehr Phasen in ihm auftreten, und zwar geht
für jede neue Phase ein Freiheitsgi*ad verloren. Die Gebilde aus ein-
heitlichen Stoffen, die zunächst betrachtet werden sollen, ergeben als
konstante Summe der Phasen und der Freiheiten drei. In einem Gase
oder in einer Flüssigkeit allein ist nur eine Phase vorhanden: folglich
sind noch zwei Freiheitsgrade gegeben, entsprechend dem eben gesagten.
Tritt aber eine zweite Phase auf, wie in dem Gebilde aus Flüssigkeit
und Dampf, so geht ein Freiheitsgrad verloren, und es bleibt nur einer
erhalten.
Diese Betrachtungsweise erscheint zunächst nur wie eine etwas umständ-
lichere Umschreibung wohlbekannter Thatsachen. Dies ist ganz richtig; doch
ergiebt sie für die Untersuchung verwickelterer Gebilde so erhebliche Vor-
teile, dass es zweckmässig erscheint, sie schon auf diese einfachen Fälle anzu-
wenden, um eine genügende Vertrautheit mit diesen Begriffen für die Be-
handlung schwierigerer zu erreichen. Alsdann wird auch der allgemeine Aus-
spruch des Gesetzes mitgeteilt werden, dessen Formulierung von W. Gibbs
il876) herrührt.
Aus dem bekannten Verhalten der in Berührung mit der Flüssigkeit
stehenden, oder wie man sie auch nennt, der gesättigten Dämpfe er-
giebt sich als notwendig, dass weder die absoluten, noch die relativen
Mengen, in denen die beiden Phasen anwesend sind, einen Einfluss auf
den Druck haben. Dies ist gleichfalls ein besonderer Fall eines allge-
meinen Gesetzes: Auf das Gleichgewicht zwischen zwei belie-
bigen Phasen haben die Mengen, in denen sie anwesend sind,
keinen Einfluss. Auch von diesem Gesetz wird in der Folge sehr
häufig Anwendung zu machen sein.
Sind die Mengen einer Phase sehr klein, so tritt allerdings ein Einfluss
auf, der unterhalb einer gewissen Grenze merklich wird. Dies rührt daher,
dass alsdann die Oberflächenenergie beginnt für den Zustand mitbestimmend
zu werden. Bei Gelegenheit des entsprechenden Kapitels wird hierauf einge-
gangen werden.
Das Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf wird also im
allgemeinen durch eine Formel von der Gestalt p=rf(T) dargestellt, wo
f(T) eine vorläufig unbekannte Funktion der Temperatur ist, von der man
102 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
er
dem oben ausgesprochenen Gesetz gemäss weiss ^ dass sie gleicl^zeiti
mit der Temperatur zunimmt. Im übrigen wird sie sowohl von der Be-
schaffenheit des Dampfes wie von der der Flüssigkeit abhängen, und
die Eigenschaften beider zum Ausdruck bringen.
Die Beziehung zwischen Druck und Temperatur beim Gleichgewicht
zwischen Flüssigkeit und Dampf wird experimentell auf zwei Wegen be-
stimmt. Entweder sucht man die Drucke, welche sich herstellen, wenn
man einen mit Flüssigkeit und Dampf erfüllten Raum auf die gewünschte
Temperatur bringt, oder man bestimmt die Temperatur, bei welcher
unter dem eingehaltenen Drucke sich Dampf neben der Flüssigkeit
bilden kann. Das erste Verfahren wird das statische genannt; es ist
flüher fast ausschliesslich benutzt worden, hat sich aber als das weniger
genaue erwiesen. Das zweite wird gewöhnlich so ausgeführt, dass man
die Flüssigkeit unter dem fraglichen Drucke sieden, d. h. Dampfblasen
entwickeln lässt, indem man gleichzeitig von aussen die erforderliche
Wärme zuführt; es heisst das dynamische und wird gegenwärtig fast
allein zu genauen Messungen benutzt. Die zu einem bestimmten
DiTicke gehörige Temperatur heisst der Siedepunkt der Flüssigkeit für
den bestimmten Druck; der Druck, der sich bei einer bestimmten Tempe-
ratur einstellt, heisst der Dampfdruck der Flüssigkeit bei jener Temperatur.
Man findet statt des Namens Dampfdruck häufig Dampfspannung oder
gar Dampft ension im Gebrauch. Es ist sehr zu wünschen, dass hier eine
grössere Bestimmtheit Platz greift. In diesem Buche werden Spannungen nur
die Wirkungen genannt werden, welche in Oberflächen auftreten, und die
Kapillarerscheinungen verursachen ; ihre Dimension ist Energie/Fläche. Drucke
haben dagegen die Dimension Energie /Volum, während die Dimension der
Kräfte Energie /Strecke ist.
Was nun den Ausdruck der Beziehungen zwischen Dampfdruck
und Siedetemperatur anlangt, so liegen hier zwei verechiedene Aufgaben
vor. Man kann erstens nach einem allgemeinen Gesetz fi'agen, durch
welches an die Stelle der unbekannten Funktion f(T) ein bestimmter
Ausdruck tritt. Zweitens wäre es denkbar, dass, wenn ein solcher all-
gemeiner Ausdruck nicht gefunden werden sollte, doch zwischen den zu
zwei verschiedenen Flüssigkeiten gehörigen Funktionen f, (T) und f^ (Tj
eme einfache Beziehung gefunden werden könnte, welche gestattete, aus
der empirischen Kenntnis der einen die andere zahlenmässig abzuleiten.
Es soll schon hier hervorgehoben werden, dass weder die eine, noch die
andere Aufgabe bisher als allgemein gelöst bezeichnet werden kann.
Was die Frage nach einer allgemeinen Dampfdruckformel anlangt,
durch welche der Verlauf der Funktion f(T) angegeben würde, so ist
bekannt, dass diese in grossen Zügen einer Exponentialfunktion ähnlich
ist, so dass der Logarithmus des Druckes der Temperatur annäliemd pro-
portional wächst. Doch gilt dies nur in grober Annäherung, denn für
gleichbleibende Unterschiede der Temperaturen sind die Differenzen dieser
Verdampfung und Verflüssigung. 103
Logarithmen nicht konstant; sondern nehmen langsam mit steigender
Temperatur ab. Das Gesetz dieser Abnahme hat sich noch nicht in
«ine einfache Gestalt bringen lassen.
Eine für rechnerische Zwecke brauchbare Interpolationsformel ist von
Bertrand (1887) angegeben worden. Sie hat die Gestalt p =« G ( — 7p— J »wo
0 und ), zwei Konstanten sind.
Die Frage, warum eine so allgemeine Erscheinung, wie die Dampf-
bildung, nicht auf eine einfache Formel hat gebracht werden können, da doch
z. B. die Eigenschaften der Gase eine solche Formulierung gestattet haben,
ist dahin zu beantworten, dass beim Dampfdruck es sich um das Gleichge>
wicht zwischen Flüssigkeit und Dampf handelt. Wenn auch für den letzteren,
wenigstens solange seine Dichte noch nicht bedeutend ist, einfache Verhältnisse
bekannt sind, so wissen wir doch umgekehrt, dass sich die Flüssigkeiten indi-
viduell verhalten. Im Dampfdrucke kommen die Eigenschaften beider Phasen
zur Geltung, und daher ist zwar wegen der Verhältnisse der Dämpfe eine An-
näherung an einfache Beziehungen vorhanden, diese wird aber durch den
individuellen Einfluss der Flüssigkeitsphase verwischt. Aus diesem Grunde ist
denn auch gerade der Dampfdruck ein gutes Mittel, um über den Einfluss
der Temperatur auf die Eigenschaften einer Flüssigkeit Auskunft zu erhalten,
und den Weg zu ihrer allgemeineren Behandlung- zu bahnen.
Etwas erfolgi*eicher sind die Versuche gewesen, unter Verzicht auf
eine allgemeine Formel die Dampfdrucke der Flüssigkeiten aufeinander
zu beziehen, so dass man aus der Kenntnis des Verlaufes der Dampf-
druckfimktion einer Flüssigkeit die Dampfdrucke anderer ableiten
kann, nachdem man einen oder einige Dampfdrucke an letzteren be-
stimmt hat.
Der erste Versuch rührt von Dalton (1801) her; Dalton stellte die
Regel auf, dass Flüssigkeiten von verschiedenen Siedepunkten bei solchen
Temperaturen gleichen Dampfdruck zeigen, welche um gleich viel Grade von
ihren Siedepunkten abliegen. So siedet Wasser bei 100°, Äther bei 35",
d. h. sie haben bei diesen Temperaturen beide einen Dampfdruck von 76 cm.
Bei 80**, also 20° unter dem Siedepunkt, hat Wasser den Druck von 35-5 cm;
Äther hat bei der entsprechenden Temperatur von 15° den Druck 35-4 cm.
Die Zahlen stimmen vortrefflich, und Dalton hatte sein „Gesetz" in der
That auch aus dem Vergleich von Äther und Wasser abgeleitet. Alkohol
dagegen, der bei 78° siedet, hat bei 58° einen Druck von 33 cm, also
einen erheblich zu kleinen, und das gleiche trifft für die meisten anderen
Stoffe zu.
Viel besser stimmt mit der Erfahrung eine dem Daltonschen „Gesetz"
nachgebildete Regel von Dühring. Sie kommt darauf hinaus, dass zu der
Daltonschen Formel noch ein von der Natur der Flüssigkeit abhängiger Faktor
kommt. Wenn man von Temperaturen gleichen Druckes zu anderen Tempe-
raturen gleichen Druckes übergeht, sind nicht (nach Dalton) die Temperatur-
104 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
unterschiede gleich, wohl aber untereinander proportional. Das Daltonsche
„Gesetz" würde, mit anderen Worten, gültig sein, wenn man für jede Flüssig-
keit eine besondere Temperaturskala benutzte, die der Centesimalskala pro-
portional wäre. Die Formel von Dühring lautet, wenn man als Vergleichs-
flüssigkeit Wasser einführt:
t' = ^ + q (t — 100).
Hier ist 100 die Siedetemperatur des Wassers und & die des Stoffes bei
Normaldruck (76 cm), t und t' sind die Siedepunkte beider bei irgend einem
anderen Drucke; q endlich ist ein Faktor, welcher je nach der Natur der
Flüssigkeit zwischen 0-5 bis 2'3 schwankt. Um q zu berechnen, hat man
t' — ^
einfach q == - — -r— , d. h. man dividiert die Unterschiede der zu zwei ver-
schiedenen Drucken gehörigen beiderseitigen Siedetemperaturen.
Eine andere Formel, die gleichfalls eine gute Annäherung gewährt,
die um so grösser ist, je naher die verglidienen Stoffe miteinander ver-
wandt sind, besteht in der Annahme, dass die in absoluter Zählung ge-
rechneten Siedetemperaturen für gleichen Druck einander proportional
sind. Es ist also T^ /T^ = const, wenn man mit T^ und Tj die Siede-
punkte zweier Stoffe bei gleichem Druck bezeichnet. Ramsay und
Young (1886) haben u. a. gezeigt, dass sich diese Beziehung an den
Halogenabkömmlingen des Benzols sowie an einer grösseren Anzahl ver-
schiedener Fettsäureester bewährt. In solchen Fällen, wo sie nicht gilt,
kann man sie durch die etwas verwickeitere Formel
T'x/T',=TJT,+c(T\-T,)
ersetzen, welche in die erstgenannte einfache übergeht, wenn c = 0
wird. Hier bezeichnen die gestrichelten Temperaturen die Siedepunkte
bei einem anderen Druck, der wieder für beide Stoffe gleich ist.
Durch den Mangel allgemeiner Gesetze auf diesem Gebiete ist da-
her die Chemie auf die Zusammenstellung begrenzter Zahlenbeziehungen
angewiesen. Solche sind zuerst von H. Kopp (1842) ausgesprochen
worden, in der Form, dass bei analogen Stoffen gleichen Unter-
schieden der chemischen Zusammensetzung organischer Ver-
bindungen gleiche Unterschiede der Siedepunkte entsprechen
So siedet z. B. jeder Äthylester einer Säure um durchschnittlich 19^
höher, als ihr Methylester, und die Säm^e selbst um 45® höher, als ihr
Äthylester, etc.
Diese Bemerkung hatte alsbald grosses Interesse erregt und eine er-
hebliche Anzahl von Versuchen veranlasst, statt der von Kopp mit sach-
gemässer Zurückhaltung aufgestellten engeren Beziehungen allgemeine Gesetze
aufzustellen. Diese Versuche sind sämtlich gescheitert, und haben scheitern
müssen, weil die Autoren derselben die Siedepunkte als an und für sich ver-
gleichbare Grössen betrachteten, ohne sich zu fragen, ob nicht statt der Tem-
peraturen gleicher Dampfdrucke nicht etwa die Temperaturen verschiedener.
Yerdampfiing und Verflüssigung. 105
von der Natur der untersuchten Stoffe abhängiger Dampfdrucke zu vergleichen
seien. Denn es verschiebt sich das Bild der für einen bestimmten Druck be-
obachteten Siedepunkte alsbald, so wie man auf irgend einen anderen Druck
übergeht.
So ist denn auch die spätere Forschung nicht erheblich über den
von Kopp aufgestellten allgemeinen Satz hinausgekommen; yielmehr hat
seine Geltung erheblich eingeschränkt werden müssen. Nach dem Satze
müssten metamere Stoffe gleichen Siedepunkt haben; dies trifft nicht
genau zu. Insbesondere hat sich ergeben^ dass die zur Zeit, wo Kopp
seinen Satz aufteilte , noch nicht bekannten Konstitutionsverschieden-
heilen isomerer Stoffe von gleicher chemischer Funktion, wie sie bei
primären, sekundären und tertiären Alkoholen und Säuren, den soge-
nannten Stellungsisomeren unter den Benzolabkömmlingen u. s. w. sich
zeigen, jedesmal Verschiedenheiten der Siedepunkte bedingen. Zwar
sind auch hier die Verschiedenheiten gesetzmässiger Natur, indem im
allgemeinen primäre Alkohole höher sieden, als sekundäi*e, und diese
höher, als die teiüären, oder in der anderen Gruppe die Paraver-
bindungen höher zu sieden pflegen, als die Ortho- und Metaverbin-
dungen. Doch sjnd derartige Regelmässigkeiten noch zu beschränkten
Charakters und nicht fi*ei von Ausnahmen, so dass ihre Andeutung hier
genügen muss.
Wären die von Kopp an einem beschränkten Gebiete ähnlicher Ver-
bmdungen beobachteten Beziehungen allgemein gültig, so wäre der Siede-
punkt der chemischen Verbindungen eine additive Eigenschaft (S. 47);
denn wenn gleichen Unterschieden der Zusammensetzung gleiche Unter-
schiede des Siedepunkts entsprechen, so lässt sich dieser als die Summe
von Zahlen darstellen, welche nur von der Art und dem Verhältnis der
Elemente dieser Verbindungen abhängen. So verhalten sich die Siede-
punkte nun nicht; vielmehr sind weder ihre Unterschiede fiir gleiche
Unterschiede der Zusammensetzung genau gleich, noch haben gleich zu-
sammengesetzte Stoffe gleiche Siedepunkte. Es macht sich somit noch ein
anderer Einfluss geltend, der auch bei gleich zusammengesetzten Stoffen
verschieden ist.
Die Chemie besitzt für die Thatsache, dass es Stoffe von gleicher
Zusammensetzung abei* verschiedenen Eigenschaften giebt, den Ausdruck,
dass deren Konstitution verschieden sei. Gewöhnlich veranschaulicht
man sich diese Verscliiedenheit durch verschiedene Anordnung der Atome,
aus denen sich der Stoff aufbaut. Da aber diese Vorstellung hypothe-
tisch ist, so muss man nach einem hypotliesenfreien Begriff fragen, der
die Thatsache ausdrückt. Diesen findet man in dem Umstände, dass
ohne Ausnahme solche gleich zusammengesetzten Stoffe von verscliiedenen
Eigenschaften einen nach Art und Menge verschiedenen Energieinhalt
besitzen, und sich deshalb in verschiedener Weise verhalten, wenn sie
(mit oder ohne Mitwirkung anderer Stoffe) irgend welche Umwandlungen
erfahren. Man verbindet daher am besten mit dem Begriffe der Kon-
106 m* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
stitution den des Energieinhaltes; daneben kann man zur kurzen Dar-
stellung der chemischen Beziehungen noch von der sehr ausgebildeten
Formelsprache Gebrauch machen, in der die heutige Chemie diese ver-
sinnlicht; denn die Bedeutung der Stniktur- und räumlichen Formeln
ist keine andere^ als dass sie zur übersichtlichen Darstellung chemischer
Umwandlungen und Reaktionen dienen.
Benutzt man in diesem Sinne das Wort Konstitution, so wird man
solche Eigenschaften, die von dieser abhängen, also bei gleich zusammen-
gesetzten Stoffen verschieden sein können, konstitutive Eigenschaften
nennen. Wie an dem vorliegenden Falle ersichtlich ist, verbinden sich
additive und konstitutive Eigenschaften miteinander, so dass bei sich
chemisch ähnlich verhaltenden Stoffen die Werte der Eigenschaft additi\e
Beschaffenheit annehmen, welche verschwindet, wenn man femer stehende
Stoffe vergleicht. Ein besonderer Fall dieses Gesetzes ist, dass die
Eigenschaften gleich zusammengesetzter oder isomerer Stoffe sich um
so näher stehen, je ähnhcher ihre Konstitution ist. Es gehen mit anderen
Worten die Zahlenwerte der physikalischen Eigenschaften der Stoffe mit
ihren chemischen Beziehungen parallel.
Wiewohl für solche chemische Ähnlichkeit noch kein zahlenmässiger
Ausdruck gefunden ist, so hat doch dieser Satz trotz seiner unbestimmten Fas-
sung viele und nützliche Anwendung gefunden. Insbesondere liefert er in
zweifelhaften Fällen ein Hilfsmittel für die Ermittelung der chemischen Ähn-
lichkeit, und nach dieser Seite ist die Stöchiometrie der konstitutiven Eigen-
schaften (deren es eine grosse Anzahl giebt) besonders wichtig geworden.
Um aus dem vorliegenden Gebiete emige Beispiele zu geben, so
sind die Siedepunkte der isomeren Fettsäureester nicht gleich: sie stehen
sich aber nahe, und um so näher, je weniger die Zusammensetzung der
vorhandenen Säui-en, bez. Alkyle verschieden ist. Die mit diesen Estern
isomeren freien Fettsäuren sieden viel höher, doch bestehen zwischen
ihren Siedepunkten wieder ähnliche Verwandtschaftsbeziehungen. Aus der
nachstehenden Tabelle gehen diese Verhältnisse hervor.
Isomere Ester C^H^öO* Isomere Säm-en C^H^OO"
n-Buttersäure-Methylester 102-3® n-Valeriansäure 186-4®
i-Buttersäm-e-Methylester 92-3® i-Valeriansäure 176-3®
Propionsäui-e-Äthylester 98-8® Trimethylessigsäure 163-8®
Essigsäure-n-Propylester 1 00-8 ® Äthylmethylessigsäure 177-0®
Essigsäure-i-Propylester 91-0®
Ameisensäure-n-Butylester 106-9®
Ameisensäure-i-Butylester 97-9®
Die kritischen Erscheinungen. 107
Drittes Kapitel.
Die kritischen Erscheinungen.
Der mit einer Flüssigkeit im Gleichgewicht stehende Dampf erfährt
einen doppelten Einfluss, wenn man die Temperatur erhöht Einmal
würde er, wenn sein Druck unverändert bliebe, durch die höhere Tem-
peratur ausgedehnt werden. Andererseits nimmt aber der Druck zu,
und der Dampf wird dichter. Erfahrungsmässig überwiegt der zweite
Einfluss immer bedeutend den ersten, so dass die Zunahme der Dichte
des gesättigten Dampfes nut steigender Temperatur eine regelmässige
Erscheinung ist, von der keine Ausnahme je beobachtet wurde.
Denkt man sich nun die Temperatur mehr und mehr gesteigert, so
muss die Dichte des Dampfes der der Flüssigkeit immer näher kommen,
' und sie schliesslich erreichen. Es zeigt sich, dass mit dem Gleichwerden
der Dichte auch das Gleichwerden aller anderen Eigenschaften verbunden
ist, so dass an dieser Stelle Dampf und Flüssigkeit identisch werden.
Eine Flüssigkeit, die in einem gegebenen Räume bis zu diesem Punkte
neben ihrem Dampfe unterscheidbar und durch eine Fläche getrennt be-
stand, wird von diesem Punkte ab den Raum gleichförmig ausfüllen und
keine Trennungsfläche mehr erkennen lassen. Diese Erscheinung ist von
Cagniard-Latour (1822) zuerst beobachtet worden.
Umgekehrt müsste man schliessen, dass man ein Gas nur genügend
zusammenzudrücken brauchte, um es in eine Flüssigkeit zu verwandeln.
Doch konnte Natterer (1848) trotz sehr grosser Drucke die Verflüssigung
von Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff nicht erreichen, wenn auch
eine Anzahl anderer Gase durch die Anwendung hohen Druckes und
starker Kälte von Faraday (1823 und 1845) verflüssigt worden war.
Diesen Widerspruch klärte erst Andrews (1869) auf, indem er
nachwies, dass die Verflüssigung eines Gases nidit Sache des Druckes
allein ist, sondern in entsclieidender Weise von der Temperatur mit ab-
hängt. Er machte seine Beobachtungen am Kohlendioxyd, und sie sollen
daher auch an diesem Beispiele geschildert werden.
Wird dies Gas bei Zimmertemperatur, also etwa 18**, einem steigen-
den Drucke unterworfen, so vermindert sich sein Volum anfangs dem
Boyleschen Gesetze gemäss, und dann schneller. Bei 60 Atmosphären
scheidet sich Flüssigkeit aus, und die weitere Volumverminderung erfolgt
ohne Druckzunahme, bis alles Gas flüssig geworden ist. Dies ist das
gewöhnliche Verhalten eines Dampfes.
Wiederholt man aber den Versuch oberhalb 31®, so kann man
keine Verflüssigung erzielen, so hoch man den Druck auch steigert. Der
Inhalt der Röhre, in der man den Versuch anstellt, bleibt immer gleich-
förmig. Bei eingehenderer Untersuchung erweist sich die Temperatur
von 31'1® als die Grenze zwischen diesen beiden MögÜchkeiten: unter-
108
III. StÖchiometrie der Flüssigkeiten.
halb 3 11^ kann man Kohlendioxyd durdi Druck zu einer Flüssigkeit
verdichten, oberhalb 31.1® nicht. Man könnte also diese Temperatur
als die Grenze des flüssigen Zustandes bei diesem Gase ansehen.
Indessen sind die Verhältnisse doch etwas verwickelter. Der höchste
Druck, durch den Kohlendioxyd verflüssigt wird, tritt bei 31« 1® ein und
beträgt 75 Atmosphären. Wir unterwerfen das Gas bei einer über 31^
liegenden Temperatur einem grösseren Drucke, z. B. von 80 Atmosphären,
und kühlen es dann ab, indem wir den Druck unverändert erhalten.
Ist die Temperatur unter
31® gesunken, so heben wir
den Druck auf: es zeigt
sich, dass wu- Flüssigkeit
vor uns haben, denn der
Inhalt des Rohres siedet auf
und ven^^andelt sich teilweise
in Dampf.
Es ist also möglich, von
einem Gase auszugehen, und
es in eine Flüssigkeit zu ver-
wandeln, ohne dass jemals
Heterogenität eintritt.
Ebenso ist der umge-
kehrte Vorgang möglich. Wir
nelimen Kohlendioxyd unter
31^ und vei-flüssigen es
durch Druck. Die Flüssigkeit
drücken wir weiter, bis über
80 Atmosphären, und erwär-
men sie, indem der Druck
unverändert gehalten wu*d.
Dann lässt sich in keinem
Augenblicke, insbesondere
auch nicht beim Durch-
schreiten der Tempemtur
31® ein Verdampfen beobach-
ten; der Inhalt der Röhre bleibt immer gleichförmig. Wird nun bei
40® z. B. der Druck wieder vermindert, so erweist sich der Inhalt als
gasförmig, denn man kann bis auf Atmosphärendruck herabgehen, ohne
dass man irgend eine Siedeerscheinung wahrnimmt.
Die Zustände des Gases und der Flüssigkeit hängen also auf stetige
Weise zusammen, und die gewöhnlich beobachtete Unstetigkeit dieses
Überganges ist nur eine Folge des Weges, auf dem er gewöhnlich vor-
genommen wird.
Die Gesamtheit der Verhältnisse lässt sich übersehen, wenn man die
zusammengehörigen Drucke und Volume bei konstanter Temperatur in
Fig. 8.
Die kritischen Erscheinungen. 109
einem Koordinatensystem darstellt^ ^Fig. 8, wo die Drucke in Atmo-
sphäi^en nach oben^ die Volume in willkürlicher Einheit nach rechts
eingetragen sind.
Die Linien konstanter Temperatur oder Isothermen eines vollkommenen
Gases sind unter diesen Umständen durch Hyperbeln, entsprechend
der Formel pv = const. dargestellt. Die für die Luft geltenden
Linien weichen nicht viel von diesen ab, und sind rechts oben fllr eine
Anzahl Temperaturen verzeichnet. Füi* Kohlendioxyd haben wir zu
Oberst die Isotherme füi* 48-1", die sich in ihrem Verlaufe diesen Linien
anschliesst; nur ist wegen der Abweichung von den Gasgesetzen das
Produkt pv kleiner, als bei Luft, und deshalb liegt die Linie niedriger.
Die Isotherme ftir 3 5« 5** liegt noch niedriger, und zeigt eine auffällige
Ausbiegung bei 85 Atmosphären, d. h. die Zusammendrttckbarkeit ist
bei höheren Drucken gering, und nimmt dort plötzlich grosse Werte an.
Noch auffallender ist diese Ausweichung bei der Isotherme ftir 32*5*^;
bei der ftir 31-1® endlich ist sie so gross, dass die Linie einen Augen-
blick bei 75 Atmosphären horizontal läuft, und dort die Zusammendrück-
barkeit ausserordentlich gross ist, indem einer geringen Druckverminderung
eine sehr bedeutende Volumzunahme entspricht.
Ein wesentlich anderes Bild zeigt die Isotherme fiir 21-1^. Hier
ist die Linie nicht mehr stetig, sondern, setzt sich aus drei Stücken zu-
sammen, die unter Winkeln aneinander stossen. Beginnt man bei
grossen Volumen und kleinen Drucken rechts unten, so haben wir zu-
erst einen Teil, der dem gasförmigen Kohlendioxyd angehört. Bei
einem Dinicke von etwas über ßi) Atmosphären entsteht ein Winkel,
und die Linie verläuft als horizontale Gerade. Es ist dies der Punkt,
wo sich die Flüssigkeit auszuscheiden beginnt; der Druck ist dort von
dem Volum unabhängig. Dies dauert so lange, bis alles Gas flüssig
geworden ist; dann tritt ein neuer Knick auf, und der Druck nimmt
sehr schnell zu, wenn sich das Volum nur um ein Geringes vermin-
dern soll.
Die Isotherme ftir 13-1® zeigt ganz ähnliche Erscheinungen, nur
dass die Flüssigkeit bei grösserem Volum und kleinerem Druck zu er-
scheinen beginnt und der Dampf bei kleinerem Volum verschwindet.
Verbindet man die Knickpunkte durch eine Linie, die in der Fig. 8
punktiert gezeichnet ist, so liegen alle Zustände, in denen Flüssigkeit
neben Dampf vorhanden ist, oder alle Zustände mit zwei Phasen innerhalb
dieser punktierten Linie; die einphasigen Zustände dagegen ausserhalb.
Jede ununterbrochene Linie, die wir in der Zeiclienebene ziehen, stellt eine
zusammenhängende Reilie von Zuständen dar, deren Volume und Drucke aus
den Koordinaten unmittelbar abgelesen werden können; die Temperaturen
ergeben sich aus den Isothermen, welche geschnitten werden. Jede Linie
nun, die so gezogen wird, dass das zweiphasige Gebiet vermieden wird,
stellt eine Reihe von Zuständen dar, bei denen der Stoff homogen bleibt.
110 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Nun sind die Zustände am rechten^ unteren Rande der Zeichnung jeden-
falls gasförmige; solche am unteren linken Rande jedenfalls flüssige. Man
kann also vom Gase zur Flüssigkeit und umgekehrt gelangen^ ohne dass
der Zustand jemals unstetig wird^ oder dass zwei Phasen auftreten^ wenn
man nur die Drucke und Volume vermeidet, die durch die punktierte
Linie eingeschlossen sind. Dies ist der Sinn des Satzes von dem stetigen
Zusammenhange des flüssigen Aggregatzustandes mit dem gasförmigen.
In dem mit K bezeichneten Punkte liegt der höchste Druck und
die höchste Temperatur vor, bei welchem eine Flüssigkeit unterscheidbar
neben ihrem Dampfe bestehen kann. Der Punkt heisst der kritische,
und demgemäfis die zugehörigen Werte die kritische Temperatur und der
kritische Druck. Durch den Punkt ist femer ein Volum gekennzeichnet,
dem eine bestimmte Dichte entspricht. Diese heisst die kritische Dichte,
und das zugehörige Volum das kritische Volum. Man kann das letztere
entweder wie gewöhnlich auf ein Gramm des Stofl^es beziehen, oder
man bezieht es rationeller auf ein Mol; der letztere Wert mag das
kritische Molekularvolum heissen.
Die experimentelle Bestimmung der kritischen Grössen ist gegenwärtig
an sich keine schwierige Arbeit, soweit nicht durch die Zersetzlichkeit der
Stoffe bei den meist hohen Temperaturen besondere Schwierigkeiten entstehen.
Am leichtesten lässt sich die kritische Temperatur bestimmen. Man schliesst
zu diesem Zweck den Stoff in eine Glasröhre ein, die er etwas mehr als zur
Hälfte ausfüllt. Das Rohr wird zugeschmolzen und langsam erhitzt, bis man
an einer charakteristischen Nebelerscheinung das Eintreten des kritischen
Zustandes erkennt; noch leichter lässt sich dieser beim Abkühlen erkennen,
und durch Wiederholung des Versuches gelangt man bald zu guten Werten.
Man könnte gegen dies Verfahren den Einwand erheben, dass die kritische
Temperatur genau erst eintritt, wenn man gerade das kritische Volum ge-
troffen hat. Doch sieht man aus der Fig. 8, dass eine grosse Änderung des
Volums nur einen kleinen Einfluss auf den kritischen Punkt hat, da gerade
an dieser Stelle die Isothermen alle fast parallel der Volumachse verlaufen.
Um den kritischen Druck zu bestimmen, schliesst man die Flüssigkeit
in eine längere Röhre, die mit einem Kompressionsapparat und einem Mano-
meter verbunden ist, und erwärmt die Röhre an ihrem oberen Ende über die
kritische Temperatur, während man den Druck unter dem kritischen hält.
Dann bildet sich eine Trennungsfläche zwischen Flüssigkeit und Dampf aus.
Man steigert den Druck, bis diese eben verschwindet; das Manometer zeigt
dann den kritischen Druck an.
Das kritische Volum ist am schwierigsten zu bestimmen. Man benutzt
dazu ein von Mathias (1892) gefundenes Gesetz. Zeichnet man in * ein
Koordinatensystem die Temperaturen und die Dichten des Stoffes im flüssigen
und gasförmigen Zustande, so erhält man für jede Temperatur zwei Punkte,
die sich um so näher rücken, je höher die Temperatur wird, und die im
kritischen Punkte zusammenfallen. Die Gesamtheit dieser Punkte erscheint
Die kritischen Erscheinungen.
111
wie in Fig. 9 als eine parabelartige Kurve. Diese hat die Eigenschaft, dass
die Mitten zwischen den beiden Dichtewerten für die verschiedenen Tempe-
raturen alle in einer Geraden m^m^m, liegen. Man hat also nur für einige
Temperaturen die beiden Dichten zu bestimmen, um die Richtung der Ge-
raden festzulegen, und dann ihren Durchschnitt mit der Ordinate der kritischen
Temperatur zu bestimmen.
Die Werte der kritischen Grössen sind nicht für sehr viele Stoffe
bekannt. Allgemein lässt sich angeben^ dass die kritischen Temperaturen
sich über das ganze Gebiet verbreiten, in welchem Temperaturen über-
haupt gemessen werden können. Sie liegen rund um die Hälfte höher
als die Siedetemperaturen unter Atmospbärendruck nach absoluter Zählung,
dodi gilt die Regel nur
als Annäherung. Über ihren
Zusammenhang mit der
chemischen Zusammen-
setzung lässt sich sagen,
dass die im Anschluss an
den Satz von Kopp ent-
wickelten Beziehungen der
gewöhnlichen Siedepunkte^
sich annähernd auch bei
den kritischen Tempera-
turen wiederfinden. Die
früher gehegte Hoffnung,
dass die letzteren genauer
den additiven Gesetzen
folgen würden, hat sich
nicht bestätigt; vielmehr
scheinen die kritischen Temperaturen, die in viel höherem Masse als ver-
gleichbare Grössen angesehen werden können als die gewöhnlichen Siede-
punkte, den Einfluss der Konstitutionsverschiedenheiten deutlicher zu
zeigen als diese.
Die kritischen Drucke sind viel weniger untereinander verschieden,
als die Temperaturen, denn sie bewegen sich meist zwischen den Grenzen
von 30 bis 80 Atmosphären. Bei nahe verwandten Stoffen sind sie fast
gleich, was im Hinblick auf spätere Betrachtungen besonders hervorge-
hoben sei.
Die kritischen Volume endlich sind den Volumen bei den Siede-
temperaturen der betreffenden Stoffe angenähert proportional. Auch diese
Bemerkung fiihrt zu weiterer Verwendung.
Emige Angaben über die kritischen Grössen wichtiger Stoffe finden
sich in der nachstehenden Tabelle.
Fig. 9.
112
III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Kritische Grösse
n.
Aceton
(in Centesimal-
graden)
2375
n
(in Atmo-
sphären)
60-0
(in com für
1 Mol)
Acetylen
Äthan
371
350
680
45-2
Äthylalkohol
Äthyläther
Äthylen
Aldehyd
Ammoniak
2436
1944
101
182-0
130-0
62-8
356
510
1150
160
301
127
Benzol
288.5
479
220
Brom
302-2
—
135
Chlor
1410
83-9
Chlorkohlenstoff
283-2
450
Chloroform
2600
550
Chlorwasserstoff
523
86-0
Essigsäure
Kohlenoxyd
Kohlensäure
3215
— 1395
311
570
355
730
147
147
Methylalkohol
Methan
2400
95-5
78-5
500
■ '
Pentan
1972
330
Sauerstoff
— 118-0
50-0
Schwefelkohlenstoff
2777
78-1
215
Schwefelwasserstoff
1002
920
—
Schwefelige Säure
Stickoxyd
Stickoxydul
Stickstoff
1554
— 935
36-4
146-0
78-9
712
73-1
330
116
107
Wasser
3650
200-0
420
Wasserstoff
2345
200
Viertes Kapitel.
Überschreitungserscheinungen und die Theorie von
van der Waals.
Wenn man einen Dampf zusammendrückt, bis er auf den Sättigungs-
punkt gekommen ist, so tritt Verflüssigung nicht mit Notwendigkeit ein.
Vielmehr kann man Zustände herstellen, in denen der Dampf unter
höherem Drucke, als dem der Sättigung steht, und doch die Eigenschaften
seines Zustandes beibehält.
Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. 113
d^
\^
Das gleiche ^It fUr die Flüssigkeit Es ist möglich, eine Flüssig-
keit unter einem Druck zu erhalten, welcher unterhalb ihres Dampf-
drackes bei der herrschenden Temperatur liegt.
Beide Möglichkeiten hören auf, wenn man die andere Phase zu-
gegen sein lässt; ein Dampf lässt sich bei Gegenwart yon Flüssigkeit
nicht unter einen, höheren Druck versetzen, als dem Gleichgewicht ent-
spricht, und ebenso verwandelt sich eine unter geringerem als dem
Dampfdrucke stehende Flüssigkeit sofort teilweise in Dampf, so wie ein
kleines Dampfbläschen mit ihr in Berührung kommt.
Um die erste Erscheinung zu beobachten, verdünnt man in einer etwas
Wasser enthaltenden grossen Flasche die Luft plötzlich durch Saugen. Ist
die Flasche kurz vorher offen gewesen, so zeigt sich dabei sofort ein Nebel,
indem durch die Ausdehnung der Luft
deren Temperatur sinkt, wodurch der Sät-
tigungsdruck des vorhandenen Wasser-
dampfes unterschritten wird und Ver-
flüssigung erfolgt. Als „Keime** dienen
die in der Luft schwebenden Stäubchen,
die mit Feuchtigkeit gesättigt sind, und ,-^.
deshalb wie Flüssigkeitstropfen wirken. Hat
man aber die Flasche über Nacht ruhig
stehen gelassen, so erscheint bei nicht über-
/ massiger Ausdehnung der Luft kein Nebel,
^ obwohl die Abkühlung die gleiche ist; der
Wasserdampf kann also unter Umständen
bestehen, wo seine Dichte grösser ist, als
dem Gleichgewicht mit flüssigem Was«er
entspricht. Dies rührt daher, dass in der ^^S- l^-
Ruhe sich die Nebelkeime gesenkt oder an
den nassen Wänden der Flasche gefangen haben. An den letzteren, sowie
an der freien Wasserfläche findet natürlich Verflüssigung statt; wegen der lang-
samen Diffusion in Gasen bleibt aber die Hauptmenge lange „übersättigt".
Bei verhältnismässig starker Abkühlung erscheint auch in staubfreier
Luft Nebel.
Dass Flüssigkeiten unter Drucken nicht verdampfen, die weit unter ihren
Dampfdrucken liegen, zeigt sich in den Erscheinungen der „Überhitzung".
In sorgfältig gereinigten Gefässen kann man W^asser um viele Grade über den
Siedepunkt erwärmen, und in einem gut ausgekochten Barometer sinkt das
Quecksilber nicht auf seinen normalen Stand, sondern füllt die ganze
Röhre aus, wenn diese auch ein Meter oder mehr zu hoch ist. Ist aber erst
einmal das Quecksilber gesunken, wobei eine sehr kleine Menge Gas abge-
schieden ist, so gelingt der Versuch nicht mehr, wenn das Bläschen nicht durch
erneutes Auskochen beseitigt wird.
Es ist also durch die Knickstellen in den Isothermen der Fig. 8
kein Ende des flüssigen, bez. gasfonnigen Zustandes gegeben; diese
i)
Ostwald, Gnmdriss. 3. Aufl.
8
114 III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
können vielmelir über diese Punkte hinaus fortbestehen, und zwar, wie
die Beobachtung gelehrt hat, in stetiger Fortsetzung der Isotherme.
Die Isothermen werden somit die Gestalt haben, wie sie in Fig. 10
angedeutet ist. Gehen wir vom Gaszustande a aus, so endet dieser
nicht an dem Punkte b, wo die Dampfdrucklinie bd beginnt, sondern
sie lässt sich über b hinaus stetig, etwa nach ß fortsetzen. Ebenso
endet die Flüssigkeitsisotherme nicht in d, bei dem Dampfdrucke der
Flüssigkeit, sondern man kann sie ein Stück in der Richtung dy in das
Gebiet kleinerer Drucke beobachten. Es ist deshalb von J. Thomson
(1872) die Vermutung ausgesprochen worden, dass die Isothermen nicht
nur -oberhalb, sondern auch unterhalb des kritischen Punktes stetig zu-
sammenhängen, und daher die Form abjJcyde haben.
Von dieser stetigen Isotherme laBsen sich die Teile hß und dy
wenigstens teilweise beobachten; von dem hypothetischen Teile ßey wird
man aber sagen müssen, dass er sich nie als dauernde Erscheinung wird
erhalten lassen. Denn während in den Teilen aj3 und ey ein wirklicher
Ruhezustand mögHch ist, indem bei zunehmendem Druck sich das Volum
verkleinert, also sich so ändert, dass der Druck verringert wird, so
müsste im Teil ßcy das Gegenteil stattfinden: mit steigendem Druck
würde das Volum wachsen und die Drucksteigening unbegrenzt weiter
vermehren, und ebenso würde mit abnehmendem Druck auch das Volum
abnehmen und die Druckverminderung nicht begi'enzen, sondern steigern.
Die durch den Teil ßcy gekennzeichneten Zustände würden daher, wenn
sie auch herstellbar wären, sich labil im Sinne der Mechanik verhalten,
d. h. sie würden bei der geringsten Zustandsänderung ihr Gleichgewicht
verlieren, und unaufhaltsam in einen entfernten Zustand übergehen.
Im Gegensatz dazu sind die Zustände ab und de etabil und haben
die Eigenschaft, sich selbstthätig wieder mehr oder weniger vollständig
herzustellen, wenn sie gestört w^erden.
Die Zustände hß und dy sind zwar stabil gegen Ändeiningen des
Drackes und Volums, solange diese sie nicht in das labile Gebiet hinüber
fahren. Sie sind aber nicht stabil gegen die Berühlning mit der anderen
Phase, sondern erleiden dadurch gleichfalls endliche Zustandsänderungen^
die sie nach der Linie dcb führen. Wegen dieser Mittelstellung sollen,
solche Zustände metastabil genannt werden.
Die hier geschilderten Erscheinungen sind nicht auf die Zustandsänderung
Flüssigkeit: Dampf beschränkt, sondern treten allgemein auf, wo es sich um
die Übergänge zwischen zwei Phasen und die Gleichgewichte dabei handelt.
Es wird daher auch später oft von labilen, stabilen und metastabilen Zu-
ständen die Rede sein, wobei der Übergang aus dem stabilen Gebiete in da»
metastabile durch die charakteristische Eigenschaft der Überschreitungser-
scheinungen, die Empfindlichkeit gegen Spuren der anderen Phase, gekenn-
zeichnet ist.
Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. 115
Eine Theorie, welche diese und andere Thatsadien in einen be-
merkenswerten Zusammenhang bringt, ist von van der Waals im An-
schluss an die früher (S. 57) angedeuteten Betrachtungen ^twickelt
worden (1881). Es wurde erwähnt, dass ausser dem ^inkompressibl^i
Volum '^ noch ein anderer Umstand das Volum der Gase so beeinflusst,
dass bei mittleren Drucken das Volum kleiner wird, als es nach dem
Boyleschen Gesetze sein sollte. Aus der Betrachtung der Jlg. 5, S. 58
ergiebt sich, dass dort, wo diese Beeinflussung am deutlichsten hervor-
tritt, auch das Gas in den flüssigen Zustand übergeht Van der Waals
hat dies als eine Wirkung einer gegenseitigen Anziehung der Molekdn
aufgefasst, welche unter geeigneten Verfaälüiissen bis zur Verflüssigung
führt. Man kann das Thatsächliche beibehalten, ohne sich der h3^o-
tlietischen Sprache zu bedienen, indem man die innere Energie des Gases,
die bei einem vollkommenen Gas vom, Volum unabhängig ist, bei dem
unvollkommenen als vom Volum abhängig ansetzt. Diese Abhängigkeit
zeigt sich darin, dass das Volum nicht mehr allein durch den von aussen
bewirkten Druck bestimmt wird, sondern dass sich diesem ein „innerer
Druck" hinzufügt, der mit abnehmendem Volum zunimmt. Die Funktion
dieses Einflusses ist von van der Waals auf Grund schwieriger und nicht
unbestrittener Betrachtungen abgeleitet worden. Wir können uns mit
der Thatsache begnügen, dass die auf diese Weise gefundene Funktion
die wirklichen Verhältnisse mit bemerkenswerter Annäherung darzusteUen
vermag, ohne uns auf diese Ableitung einzulassen.
Van der Waals setzt den inneren Druck umgekehrt proportional dem
Quadrate des Volums, so dass der Druck, welcher das Volum des Gases that-
sächlich bestimmt, die Summe des äusseren Druckes p und des inneren a/v*
i^. Unter gleichzeitiger Berücksichtigung des „inkompressiblen Volums" er-
giebt sich dann die Formel
{P + ^) (v-b) = BT.
Wird die Gleichung ausmultipliziert und nach v geordnet, so folgt
V p / p p
Die Gleichung ist also in Bezug auf v vom dritten Grade und hat daher, je
nach dem Werte der Konstanten, entweder drei reelle, oder eine reelle und
zwei imaginäre Wurzeln. Das heisst: es giebt für jeden Wert von p und T
entweder ein oder drei zugehörige Volume. Ersteres gilt offenbar für den
gasförmigen Zustand unter geringem und für den flüssigen Zustand unter
hohem Druck, wo zu jedem Werte von Druck und Temperatur ein bestimmtes
Volum vorhanden ist. Für Temperaturen, wo der Stoff sowohl als Flüssigkeit
wie als Gas bestehen kann, giebt es offenbar zwei Volume, das im flüssigen
und das im dampfförmigen Zustande ; ein drittes Volum ist aber nicht bekannt.
Wenn man nun die durch diese Gleichung ausgedrückten Isothermen
mit passenden Werten der Konstanten a und b in den Koordinaten p
8*
116 III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
und y zeichnet^ so erhält man Kurven von der Gestalt der in Fig. 10
dargestellten hypothetischen stetigen Linie nach J. Thomson. Das dritte
Volum ist dann durch den Punkt c gegeben, und es wird klar, warum
es unbekannt ist: es liegt im labilen Gebiete und kann deshalb nicht
beobachtet werden
Die bemerkenswerteste Anwendung der Formel ergiebt sich, wenn
man den Wert von p und T aufsucht, bei welchen die drei verschie-
denen Volume in eines zusammenfallen. Das Gleichwerden des flttssigen
und gasförmigen Volums findet im kritischen Punkte statt; da das dritte
Volum zwischen diesen beiden liegt, so muss es gleichfalls am gleichen
Punkte mit den anderen zusammenfallen.
Es sind also die drei Wurzeln der Gleichung gleich geworden. In
solchem Falle ist in einer Gleichung von der Gestalt v* — qv*-f-rv — s«=0
der Wert y, bei welchem die drei Wurzeln gleich werden, gegeben durch
RT a ab
Wir haben also 3 «> = b H : 3 a)* = — und w^ = — , und wenn wir
p ^ p p
die speziellen Werte, welche p und T in diesem Falle annehmen, mit n und d-
bezeichnen, so folgt
das kritische Volum ^=s3b,
a
der kritische Druck n
27 b«*
die kritische Temperatur ^ = — -.
27 Rh
»
Diese Gleichungen sind sehr merkwürdig. Die Grössen a und b, welche als
Korrektionsglieder in die Gasgleichung eingeführt wurden, lassen sich z. B.
aus den S. 56 bis 58 gegebenen Kurven berechnen, so dass sie die Ab-
weichungen von den Gasgesetzen mit genügender Annäherung darstellen. Hat
man sie berechnet, so kann man aus ihnen die kritischen Konstanten : Druck,
Volum und Temperatur bestimmen, ohne nur einen einzigen unmittelbaren
Versuch zu machen.
Eine weitere merkwürdige Schlussfolgerung ist gleichfalls von van der
Waals gezogen worden. Ersetzt man in der Gleichung
(p + :^)('-b)-RT
die in gewöhnlichen Einheiten gemessenen Veränderlichen durch Bruchteile
ihrer kritischen Werte, d. h. setzt man pa=r;r, v=»n^ und T =» m^, so folgt
(r+l)(3n-l)-8m
In dieser Gleichung ist alles verschwunden, was von der besonderen
Natur des Stoffes abhängt, und sie beansprucht daher wie die Gleichung der
vollkommenen Gase allgemeine Geltung. Die Zustandsgieichung aller Stoffe
müsste gleich werden, wenn man Druck, Temperatur und Volum als Bruch-
teile ihrer kritischen Werte ausdrückt.
Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. 117
Die Prüfung dieser seHr folgenreichen Beziehung hat ergeben, dass es
sich um ein Grenzgesetz handelt, das von ähnlicher, aber noch eingeschränkterer
Bedeutung ist, wie die Gleichung der idealen Gase. Während es sich nicht
verkennen lässt, dass in der That das Verhalten vieler Stoffe durch die Formel
annähernd dargestellt wird, hat es sich andererseits erwiesen, dass die that-
sächlichen Verhältnisse fast immer Abweichungen erkennen lassen, die zu
gross sind, als dass sie den Versuchsfehlern zugeschrieben werden können.
Man kann daher dieses „Gesetz der übereinstimmenden Zustände^' zwar als
einen brauchbaren Führer zur allgemeinen Übersicht, nicht aber als ein
strenges Naturgesetz betrachten.
Die Anwendungen dieser Betrachtungsweise sind sehr mannigfaltig, denn
man muss danach erwarten, dass jede Eigentümlichkeit des Zustandes eines
flüssig- gasförmigen Stoffes sich bei den entsprechenden Werten eines anderen
wiederfindet. So müssten z. B. alle Dampfdrucklinien übereinstimmen, wenn
man die Drucke und Temperaturen als Bruchteile der kritischen Werte dar-
stellte. Dies wäre eine Lösung des S. 102 gestellten Problems der gegenseitigen
Beziehungen der Dampfdrucklinien verschiedener Stoffe.
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkte die Formeln von Dühring
und von Ramsay und Youiig, so sieht man, dass sie den Ansprüchen der
Theorie von van der Waals nicht genügen. Am ehesten thut dies die ein-
fachste Formel, nach welcher die Temperaturen gleicher Dampfdrucke ver-
schiedener Stoffe einander proportional sind. Die Theorie verlangt, dass
gleichen Bruchteilen des kritischen Druckes gleiche Bruchteile der kritischen
Temperatur entsprechen ; sie geht also in jene Formel über, wenn die kritischen
Drucke der verglichenen Stoffe gleich sind. Da ^ie kritischen Drucke ein-
ander im allgemeinen nahe stehen, so ist auch einzusehen, weshalb jene
einfache Formel oft eine Annäherung an die Wirklichkeit giebt.
Die Rechnungen von van der Waals zeigen, dass in der That eine
gegenseitige Beziehung der Dampfdrucklinien verschiedener Stoffe im Sinne
der Formel vorhanden ist. Doch haben die späteren Messungen verschiedener
Forscher erwiesen, dass von einer genauen Übereinstimmung zwischen Ver-
such und Theorie nicht die Rede sein kann, wie denn auch die Ausgangs-
formel zwar eine gute erste Annäherung, nicht aber eine exakte Darstellung
der Thatsachen enthält.
An späterer Stelle wird sich wiederholt Gelegenheit finden, die Theorie
der übereinstimmenden Zustände als Führer in entsprechenden Fragen anzu-
wenden. Rückblickend lässt sich bereits sagen, dass die zu vergleichenden
Siedetemperaturen im Sinne der Betrachtungen Kopps (S. 104) nicht die bei
gleichem Drucke wären, sondern die bei gleichen Bruchteilen des kritischen
Druckes. Bei den geringen Verschiedenheiten zwischen den kritischen Drucken,
die ohnedies mit der Konstitution der Stoffe unzweifelhaft gesetzmässig
zusammenhängen, lässt sich indessen übersehen, dass das aus den Betrachtungen
der gewöhnlichen Siedetemperaturen gewonnene Bild sich durch den Über-
gang auf die vergleichbaren Temperaturen nicht wesentlich ändern wird.
118 in. Stöchioraetrie der Flüssigkeiten.
Fünftes Kapitel.
Die Verdampfangswärme und der zweite Hauptsatz.
Ausser der Änderung des Volums bei dem Übergange einer Flüssig-
keit in den Dämpf findet eine Änderung des Wärmezustandes in dem
Sinne statt, dass dabei eine gewisse Wärmemenge verschwindet, die der
Flüssigkeitsmenge proportional ist, und im übrigen von deren Natur und
der Temperatur abhängt. Weil eine gleichgrosse Wärmemenge zum
Vorschein kommt, wenn man den Dampf umgekehrt wieder in Flüssig-
keit verwandelt, nahm die ältere Wärmetheorie an, dass bei dem ersten
Vorgange die aufgenommene Wärme in dem Stoffe noch enthalten sei,
nur für das Thermometer nicht nachweisbar oder „latent". Gegenwärtig
wird eine solche unbewiesene Annahme nicht gemacht, vielmehr sieht
man die Aufiiahme von " Energie als eine Bedingung für die Änderung
des Zustandes an, indem jeder Zustand eben durch die Energiemenge
gekennzeichnet ist, die der Köiper aufnehmen oder abgeben muss, um
von einem willkürlich gewälilten Anfangszustande in diesen zu gelangen.
Man bestimmt die Verdampfungswärme gewöhnlich, indem man den
Dampf von gemessener Temperatur in einem Gefäss verdichtet, das in einem
Kalorimeter, d. h. einem mit einer gewogenen Wassermenge beschickten Ge-
fäss liegt, und die Temperaturerhöhung mittelst eines empfindlichen Thermo-
meters feststellt. Das Produkt aus der Wassermenge in die Temperatur-
erhöhung giebt (nach Anbringung der erforderlichen Korrekturen) die Zahl
der abgegebenen Kalorieen. Von diesen ist noch die Wärmemenge abzu-
ziehen, welche die verdichtete Flüssigkeit abgiebt, indem sie sich von der
Temperatur der Verflüssigung (d. h. ihrer Siedetemperatur unter dem vor-
handenen Drucke) auf die des Kalorimeters abkühlt; man erfährt diese durch
einen entsprechenden Versuch mit der erwärmten Flüssigkeit.
Die Verdampfungswärme wird gewöhnlich auf 1 g des Stoffes be-
zogen; für unsere Betrachtungen ist die Rechnung auf ein Mol die
rationelle. Man unterscheidet jene als die spezifische Verdampfungswärme
oder Verdampfungswärme schlechtweg von der molekularen, die aus der
ersten durch Multiplikation mit dem Molekulargewicht entsteht. In diesem
Werke wird nur mit der molekularen Verdampfungswärme gerechnet wer-
den, und es soll auch ohne weitere Bezeichnung stets diese gemeint sein.
Die Verdampfungswärme nimmt bei demselben Stoffe mit steigen-
der Temperatur ab, und wird im kritischen Punkte gleich Null. Denn
da in diesem Punkte der Unterechied zwischen den beiden Zuständen
verschwindet, so kann auch der Übergang von dem einen zum anderen
keine Änderung der Energie mehr bedingen. Durch unmittelbare Messungen
ist übrigens auch von Mathias (1897) festgestellt worden, dass mit der
Annäherung an den kritischen Punkt der Wert in solcher Weise kleiner
wird, dass sein Verschwinden an diesem Punkte sich durch eine kleine
Extrapolation mit Sicherheit ergiebt.
Die Verdampfungswärrae und der zweite Hauptsatz. 119
Das Gesetz der Abnahme ist in allgemeiner Form nicht bekannt;
aueh sind nur wenig Stoffe in einigem Umfange daraufhin untersucht
worden.
Der Betrag der molekularen Verdampfiingswärme W ist bei den
verschiedenen Stoffen durch ein angenähert gültiges Gesetz von ziemhch
weiter Anwendbarkeit gegeben. Ist T die absolute Temperatur des Siede-
punktes der betreffenden Flüssigkeit, so gilt W = AT, wo A eine von
der Natur der Stoffe unabhängige Konstante ist. Ihr Wert beträgt fiir
Atmosphärendi-uck in runder Zahl 20 cal oder 83-7 j, die man auf
84 j abrunden kann, so dass die Formel lautet: W=84Tj.
Die Gleichung gilt nur für den Vergleich der Verdampfungswärmen bei
Atmosphärendruck, und man muss sich hüten, sie als eine allgemeine Formel
anzusehen. Ihre Ungültigkeit für alle Temperaturen geht schon daraus her-
vor, dass sie nicht bei der kritischen Temperatur W = 0 giebt, wie sie müsste.
£s ist also der Koeffizient 84 seinerseits eine Funktion des Druckes, deren
Gang einstweilen unbekannt ist.
Mit Hilfe der Eigenschaften des Dampfes wird bekanntlich die
durch Verbrennung von Steinkohle erhaltene Wärmeenergie in mechanische
umgewandelt, und die hierfür beti'achteten Verhältnisse geben die allge-
meine Grundlage dafür. Für das Verständnis sind einige Erörterungen
über die Umwandlung der Energie vorauszuschicken.
Während der erste Hauptsatz oder der Satz von der Erhaltung
der Energie die Bilanz bei jeder möglichen Umwandlung ziehen lässt,
giebt er keine Auskunft darüber, ob und zu welchem Betrage in einem
gegebenen Falle diese Umwandlung stattfinden kann. Diese Frage beant-
wortet der zweite Hauptsatz. Ehe dieser indessen in seiner allge-
meinsten Fassung vorgelegt wird, sollen einzelne wichtige Fälle gesondert
studiert werden.
Vorhandene Wärmemengen lassen sich in mechanische Arbeit nicht
unter allen Umständen verwandeln; so ist es insbesondere nicht möglich,
in einem Baume, dessen Temperatur tiberaU dieselbe ist, eine solche
Ändemng auszuführen, dass schliesslich eine gewisse Wärmemenge ver-
schwunden und eine äquivalente Menge irgend einer anderen Energie
daftir entstanden ist. Für eine solche Umwandlung ist vielmehr ein
Temperaturunterschied erforderlich (Camot 1824), und man kann
alsbald hinzufügen, dass der Betrag der um wandelbaren Wärme mit der
Grösse dieses Unterschiedes zunehmen wird, und dass immer nur ein
Bruditeil x der Wärme in Arbeit verwandelt werden kann.
Femer kann man aber beweisen, dass der Maximalwert dieses
Bruchteils, der sich in eine andere Form (z, B. mechanische Arbeit, von
der zunächst ausschliesslich die Rede sein wu'd) umwandeln lässt, nur
von der Temperatur abhängig sein kann.
Um dieses einzusehen^ denken wir uns irgend eine Maschine, durch
welche Wanne in Arbeit verwandelt wird, in möghchster Vollkommenheit
120 I^I* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
ausgeführt; so dass die auf Reibung und dergl. verbrauchten Energie-
mengen verschwindend klein sind. Eine solche Maschine würde umkehr-
bar sein, d. h. wenn man sie umgekehrt laufen liesse, so würde sie
Arbeit verbrauchen, und die Wärmemengen, die sie beim direkten Laufe
aufnimmt und abgiebt, umgekehrt bei den beti*effenden Temperaturen
abgeben und aufnehmen.
Bei der Bethätigung dieser idealen Maschine müssen wir noch einen
Vorbehalt machen. Da nämlich die in der Maschine verwendeten Stoffe
durch die Änderung der Temperatur und des Druckes Änderungen ihrer
inneren Energie erfaliren, von denen möglicherweise ein Teil der Wärme
oder Arbeit herrühren könnte, so muss man, um dieses auszusdiliessen,
die weitere Bedingung stellen, dass nui* solche Vorgänge betrachtet wer-
den, bei denen schliesslich die Stoffe wieder in ihren ursprünglichen Zu-
stand zurückgeführt werden, so dass auch ihr Energieinhalt wieder der-
selbe ist. Solche Vorgänge nennt man Kreisprozesse, und es mufis
betont und festgehalten werden, dass die zunächst zu entwickelnden Ge-
setze nur für umkehrbare Kreisprozesse Geltung haben. Wenn sie an-
gewendet werden sollen, muss man daher den zu untersuchenden Vor-
gang als einen Teil eines umkehrbaren Kreisprozesses darstellen.
Nimmt also diese Maschine die Wärmemenge Q, bei der Temperatur
T| auf, und verwandelt sie den Betrag Q davon in Arbeit, so wird sie
den Rest Q^ = Qi — Q bei der niedrigeren Temperatur T^ abgeben.
Lässt man sie umgekehrt laufen, so wird sie die Arbeitsmenge Q ver-
brauchen, um die Wärme Q^ bei der Temperatur T^ aufzunehmen, und
diese nebst der in Wärme umgewandelten Arbeit Q, also die Wärme
Q2 -|- Q = Qi bei der höheren Temperatur Tj abgeben.
Ausser dieser Maschine sei noch eine andere vollkommene oder
umkehrbare gegeben, welche zwischen denselben Temperaturen arbeitet,
im übrigen aber beliebig von der ersten verschieden sein mag. Die in
ihr bethätigten Wärmemengen seien mit einem Strich bezeichnet. Dann
lautet der zu beweisende Satz Q/Qi=Q'/Qi'> d.h. das Verhältnis der
umgewandelten Wärme zur aufgenommenen ist unabhängig von der Art
der Maschine.
Wären die beiden Verhältnisse nicht gleich, so könnte man die
Maschine, welche einen grösseren Bruchteil der Wärme in Arbeit um-
wandelt, vorwärts, und die andere mitPIilfe der aus der ersten erhaltenen
Arbeit rückwärts laufen lassen. Das Ergebnis würde sein, dass wir
nicht alle von der ereten Maschine gelieferte Arbeit brauchen würden, um
die von ihr entnommene Wärme Qi wieder auf die Temperatur Tj zu
schaffen, sondern einen Überschuss Q — Q' behielten. Durch Wieder-
holung des Vorganges könnte man diesen Überschuss beliebig gross machen.
Wäre das Umwandlungsverhältnis in der zweiten Maschine das
grössere, so würde man diese vorwärts, die andere umgekehrt laufen lassen,
und damit das gleiche Ergebnis haben.
Die Verdampfungswänne und der zweite Hauptsatz. 121
Da wir nach der Voraussetzung immer die von der einen Maschine
bei der höheren Temperatur aufgenommene Wärme durch die andere in
gleichem Betrage zurückbefordern lassen, ist zunächst Q^ = Q^', und
somit Q2 — Q = Qjj' — Q'. Da femer die zum Betriebe der zweiten
Maschine verbrauchte Arbeit kleiner sein soll, als die von der ersten
gelieferte, so ist Q'<CQ und daher Qjj'^Qa. Es wird mit anderen
Worten beliebig viel Wärme bei der unteren Temperatur der Maschinen
in Arbeit verwandelt.
Erfahrungsmässig ist eine derartige Umwandlung unmöglich. Dann
sind aber auch die Ungleichungen unmöglich, und es muss das Ver-
hältnis Q/Qi =Q'/Qi' bestehen.
Die eben ausgesprochene Erfahrung ist von ähnlicher allgemeiner
Art, wie der Satz von der Erhaltung der Energie, und wird deshalb als
der zweite Hauptsatz bezeichnet. Man kann diesen in sehr verschiedenen
Formen aussprechen; im Sinne der hier durchgeführten Betrachtungen
wird man sagen, dass ruhende Energie sich nicht freiwillig in Bewegung
setzt oder in andere Formen umwandelt.
Die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile in Gestalt einer Maschine,
durch welche Energie ohne anderen Aufwand geschaffen würde, ist eine an-
schauliche Form des ersten Hauptsatzes. Um aber den Gedanken eines Per-
petuum mobile, d.h. die Arbeitsleistung ohne Aufwand, zu verwirklichen, bedarf es
keiner Verletzung dieses Satzes. Die Arbeit, welche die Riesenmaschine eines
Oceandampfers leistet, wird vollständig wieder in Wärme verwandelt, denn
selbst die Bewegungsenergie des Schiffes während der Fahrt ist nach der An-
kunft gleich Null geworden und in Wärme übergegangen. Könnte man diese,
dem Wasser des Meeres mitgeteilte Wärme wieder in Bewegungsenergie ver-
wandeln, so könnte der Dampfer seine Rückfahrt ohne Kohlenverbrauch aus-
führen, was nicht möglich ist. Allgemein würde ein geringer Bruchteil der
im Ocean als Wärme enthaltenen Energie ausreichen, um alle Maschinen der
Welt zu treiben. Eine solche Leistung wäre einem Perpetuum mobile gleich-
wertig, wenn auch dabei keine Energie aus nichts erschaffen würde; wenn
man nur eine und dieselbe Energiemenge immer wieder für die gleiche Um-
wandlung in Anspruch nehmen könnte, dürfte man gleichfalls die technische
Aufgabe unentgeltlichen Arbeitsgewinnes als gelöst ansehen. Dass es einen
solchen nicht giebt, lässt sich in der Gestalt aussprechen : Ein Perpetuum mo-
bile zweiter Art ist unmöglich. Dabei ist unter einem Perpetuum mobile
zweiter Art eine Maschine verstanden, welche ruhende Energie in Bewegung
setzen oder in andere Formen verwandeln kann. Ein Perpetuum mobile
erster Art wäre dagegen eine Einrichtung zur Schaffung von Energie über-
haupt.
Der hier benutzte Begriff der ruhenden Energie bedarf noch eingehen-
derer Untersuchungen. Diese sollen nicht an dieser Stelle vorgenommen
werden, sondern später im Zusammenhange mit Iden Eigentümlichkeiten
anderer Energiearten. Einstweilen soll als Kennzeichen der Zustände ruhen-
122
III. Stochiometrie der Flüssigkeiten.
der Energie die Thatsache dienen, dass dies Zustände sinjd, die sich aus
anderen selbstthätig oder freiwillig ausbilden.
Der zwischen den beiden Temperaturen T, und T^j durch
einen umkehrbaren Kreisprozees in Arbeit verwandelbare Bruchteil der ^
Wärme ist also nur eine Funktion dieser Temperaturen, hängt dagegen
nicht von der Beschaffenheit der Maschine ab. Hierin liegt die ungemein
ausgedehnte Anwendbarkeit des auf die Wärmeumwandlungen bezogenen
zweiten Hauptsatzes, die sich noch dadurch ungeheuer erweitert, dass
älinliche Gesetze flir die anderen Umwandlungen der Energie gelten,
bei denen die Wärme nicht beteiligt ist. Denn man kann mit Hilfe dieses
Satzes für jede derartige Umwandlung alsbald eine bestimmte Beziehung
zwischen den dafür in Betracht kommenden Grössen aufstellen, und er-
langt somit je ein besonderes Naturgesetz für jede derartige Aufgabe.
Die Funktion der Temperatur, welche die Umwandlung der Wärme
in mechanische Arbeit regelt, ergiebt sich, wenn man einen beliebigen
umkehrbaren Kreisprozess berechnet, und man darf dazu den wählen,
dessen Grundlagen am besten bekannt
sind. Hierzu dient ein von Garnot (1824)
angegebener Bjreisprozess an einem voll-
kommenen Gase.
Wir lassen ein Mol eines Gases (z. B.
32 g Sauerstoff) folgenden Kreisprozess
durchmachen, den wir gleichzeitig graphisch
darstellen (Fig. 11).
Das Gas habe.zunächst einen Diuck p^
und ein Volum Vj bei der Temperatur T, .
Es soll sich etwas ausdehnen, während die
Temperatur konstant bleibt; dazu ist erforderlich, dass ihm die der Arbeit
entsprechende Wärmemenge Q, zugeführt werde. Druck und Volum be-
tragen alsdann p^j und v^. Alsdann entfernen wir die Wärmequelle und
lassen das Gas sich weiter ausdehnen. Es leistet dabei gleichfalls Arbeit;
da es aber keine Wärme von aussen emp^gt, so muss es dieselbe aus
seinem eigenen Wärmeinhalt nehmen und sich daher abkühlen. Die
Temperatur, welche es erreicht, sei T^; Druck und Volum pj und v^.
Jetzt drücken wir das Gas wieder zusammen. Hierzu wird Arbeit ver-
braucht; die erzeugte Wärme führen wir ab, so dass die Temperatur
Tg erhalten bleibt (p4, v^). Schliesslich isolieren wir das Gas von neuem
und drücken es weiter zusammen. Die erzeugte Wanne bleibt im Gase
und erhöht dessen Temperatur. Der Punkt 4 wird so gewählt, dass
wenn das Gas die Temperatur Tj wieder erreicht hat, es auch den
früheren Druck und das fi'ühere Volum p^ und Vj wieder besitzt, was
immer möglich ist.
Die Arbeit, welche das Gas bei diesem Ki^eisprozess geleistet hat,
wird durch das krummlinige Viereck 12 3 4 ausgedrückt. Denn diese
Arbeit ist stets das R-odukt von Dnick und Volumändening des Gases.
Vi cc d ß
Fig. 11.
•r
Die Yerdampfangswärme und der zweite Hauptsatz. 123
Für den Weg 1 2 des Gases stellt die Pläche «12/9 diese Arbeit dar,
da die Höhe der zahllosen kleinen Streifen, in die man sie durch Parallelen
nach p zerlegen kann, gleich dem Drucke p und ihre Breite gleich der
zugehörigen Volumanderung ist. In gleicher Weise ist die zum Wege
2 3 gehörige Arbeit numerisch gleich der F'läche ß 2 S y. Zum Wege
3 4 gehört die Arbeit d 4 3 y, zu 4 1 endlich a 1 4 (f . Zieht man
die Summe der beiden letzteren von der Summe der beiden ersten ab,
so bleibt das Viereck 1 2 3 4 als Mass der beim ganzen Kreisprozess
geleisteten Arbeit.
Nun ist die Arbeit, welche ein Gas leisten kann, wenn es sich
vom Volum Vj auf das Volum Vg ausdehnt, indem die Temperatur T,
konstant bleibt, gegeben durch KT, ln(v,/v2), wo R die Gaskonstante und
In der natürliche Logarithmus ist (S. 89). Es wird daher auch die auf
diesem Wege zuzuführende Wärme Q^ gleich RTj ln(v,/v,) sein, denn zm*
blossen Volumänderung braucht das Gas keine Wanne. Auf dem Wege
von 2 bis 3 wird nach der Voraussetzung keine Wärme aufgenommen.
Indem nun das Gas von 3 bis 4 zusammengedrückt wird, entbindet es
eine Wärmemenge Qj, welche dm^ch eine gleiche Formel, Qg = RT^ In (v^/vg)
gegeben ist; zwischen 4 und 1 tritt wiederum Wärme weder aus noch ein.
Somit ist die während des Kreisprozesses aufgenommene Wärme Q,
die abgegebene Wärme Qj und das Verhältnis beider
Q,^T,ln(v,/v,)
Q, Taln(v,/V3)'
Es lässt sich beweisen, dass v, /v, = vjv^ ist. Für die Vorgänge 2 3
und 4, 1 gilt nämlich die Formel, welche S. 92 unter der Voraussetzung
entwickelt wurde, dass keine Wärme aus- und eintritt
fM'=Plund(^)'=P^
VVg/ P, \V^/ P,
Nun ist pv = RT, speziell p^ v, =RTi und p^Vj =RTj. Daraus folgt
Po V T p^ V T
-- = — •— ^ und ähnlich — ==— .— ^. Setzt man diese Werte in die
P« Vs Tj Pi V4 Ti
Gleichungen, so folgt nach einer kleinen Umformung
^ und riL^-^^'^*
also V2/v3=Vi/v4 oder yilyi=yj^'s-
Damit gestaltet sich aber das Verhältnis der beiden Wärmemengen zu
Die bei diesem Kreisprozess ein- und austretenden Wärmemengen ver-
halten sich wie die absoluten Temperaturen, bei welchen der Aus- und
Eintritt stattfindet.
124 ni. Stdchiometrie der Flüssigkeiten.
Durch einfache Umformungen lässt sich diese Gleichung in folgende
Gestalt bringen
Qt-Q, T, -T, Qt-Q, Tt-T,
Q. T, Q, T,
Nun ist Q = Qi — Q^ die in Arbeit übergeführte Wärme. Es verhält
sich somit die in Arbeit übergefUhrte Wärme zur gesamten eintretenden
Wärme wie der Unterschied der Temperaturen, zwischen denen der
Kreisprozess sich vollzieht, zur Temperatur des Eintritts. Ebenso ver-
hält sich die in Arbeit tibergeführte Wärme zur austretenden, wie der
Temperaturunterschied zur Temperatur des Austrittes.
Zieht man nur kleine Temperaturunterschiede in Betracht, so ist
die Arbeit, welche die Wärme bei umkehrbaren Kreisprozessen infolge
gleichgrosser Temperaturunterschiede leisten kann, umgekehrt proportional
der absoluten Temperatur, bei welcher die Arbeitsleistung stattfindet.
Wäre es möglich, den absoluten Nullpunkt der Wärme zu erreichen,
Q Q X T
so würde in der Gleichung --H-^_**_ «, — 1_- — L der Wert T^ «* 0 und somit
die rechte Seite gleich eins werden. Daraus folgt dann notwendig Q^ = 0,
d. h. wenn die untere Temperatur dem absoluten Nullpunkt gleich gemacht
werden könnte, so würde die gesamte zugeführte Wärme sich in Arbeit ver-
wandeln lassen.
Die Grösse — kann der ökonomische Koeffizient genannt wer-
den. Da der oben beschriebene Kreisprozess der denkbar günstigste ist, so
folgt, dass der ökonomische Koeffizient einer Maschine nie grösser als
X T
— S= — — werden kann. Eine Dampfmaschine z. B., welche mit Dampf von
150® C. und einem Kondensator von 17" C. betrieben wird, kann höchstens
zr.TT— — — -r- = 0-31, also noch nicht ein Drittel der zugefuhrten Wärme in
2<3 + 150
Arbeit verwandeln. Thatsächlich ist das Ergebnis . noch viel ungünstiger.
Bei einer gleichen Schlusstemperatur ergiebt sich der Koeffizient um so
günstiger, je höher die Änfangstemperatur ist. Zwischen 1000° C. und 0®C.
würde eine Maschine schon 0-785, also beinahe vier Fünftel der Wärme in
Arbeit verwandeln können.
Der Satz, dass die in Arbeit um wandelbare Wärme der absoluten
Temperatur umgekehrt proportional ist, gestattet eine grosse Reihe
folgenreicher Anwendungen.
So gelangen wir z. B. mit Hilfe des Satzes zu einer sehr wichtigen
Beziehung in Betreff der Verdampfung der Flüssigkeiten. Wir denken
uns ein Mol einer solchen, deren Volum Vj sei und die unter einem
DiTicke p, stehe, welcher gleich dem ihres Dampfes ist; die Temperatur
sei T. Jetzt erhöhen wir die Temperatur um ein sehr Geringes; die-
Die Yerdampfungswärme und. der zweite Hauptsatz.
125
selbe steigt von T auf T + dT. Dabei wächst der Druek um dp. Nun
lassen wir die Flüssigkeit sich vollständig in Dampf verwandehi. Zu
diesem Zwecke muss ihr die Wärmemenge W zugeführt werden, wo
W die molekulare Dampfwärme darstellt. Der Druck bleibt dabei kon-
stant ^ und das Volum nimmt sehr bedeutend zu; diese Zunahme ^ oder
das Volum des Dampfes minus dem der Flüssigkeit heisse u. Alsdann
soll der Dampf wieder um dT abgekühlt werden, und bei der Tem-
peratur T und dem entsprechenden Drucke p soll er zur Müssigkeit ver-
dichtet werden, bis er schUesslich wieder in den An£mgszustand zurück-
kehrt. Die graphische Darstellung des Kreisprozesses ist in Fig. 12
gegeben und die dabei erhaltene Arbeit wkd durch das Viereck 12 3 4
dargestellt.
i:
'7,
V
Fig 12.
Fig. 13.
Nun gilt der erwähnte Satz
Qi-Qg^T^— T,
Qi T,
Qi -- Qj ist die in Arbeit übergeftihrte Wärme; dieselbe ist gleidi der
Arbeit, die durch das Viereck 12 3 4 dai'gestellt ist. Der Inhalt des-
selben ist gleich dem Produkt der Grundlinie 1, 4, welche die Volum-
zunahme u bei der Verdampfung darstellt, mit der Höhe, der Druckzu-
nahme dp; es ist also Q^ — Q^ =udp. Die zugeführte Wärme Q ist
die latente Dampfwärme W. Für Tj — T^ ist der Temperaturunter-
schied dT der beiden Teile des Kreisprozesses zu setzen, und wir er-
halten demnach
udp dr
"^ ~"^'
Die Gleichung kann in einer der folgenden Formen geschrieben werden
W = Tu dp/dT oder dp/dT = W/Tu,
ihre Bedeutung ist die folgende.
Ändert man die Temperatur um den kleinen Betrag dT, so ändert
ffldi gleichzeitig der Dampfdruck p um einen Betrag dp. Stellt dd in
Fig. 13 die Dampfdrud^linie dar, so ergiebtsieh, wenn man eine bestimmte
126 KI' Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Temperäturzunahme dT = ab betrachtet, die dazu gehörige Druckzu
nähme, dp==fe. Diesem Verhältnis fe/cf=dp/dT ist nach der Gleichung
die Verdampfungswärme dü-ekt und das Dampfvolum umgekehrt propor-
tional, und man kann, wenn zwei von diesen Grössen bekannt sind, die
dritte berechnen. So braucht man z. B. die Verdampiungswärme nicht
zu messen, wenn man den Verlauf der Dampfdrucklinie mit der Tempe-
ratur utid die Dichte des gesättigten Dampfes kennt.
Eine besonders brauchbare Gestalt erlangt die Gleichung, wenn man
für den Dampf die -Gasgesetze als gültig annehmen darf. Dann kann
man für u das Volum von einem Mol des Dampfes einfuhren, wie es
sich aus der Formel pv = RT ergiebt und erhält u = RT/p, womit
dp/dT = pW/RT«
folgt, in welcher Gestalt die Gleichung, deren Geltung weit über den
einfachen Fall des Dampfdruckes einer Flüssigkeit hinausgeht, sehr viel
angewendet wird. Mit dieser ist identisch die Gleichung
dlnp/dT = W/RT^,
welche sich aus der ersten mittels höherer Mathematik alsbald ergiebt.
Um die Anwendung kennen zu lernen, wollen wir sie auf die Be-
rechnung der Verdampfiingswärme des Wassers bei 20® C anwenden,
wo flir den Wasserdampf die Gasgesetze noch genügend genau sind.
InW^RT^dp/pdT haben wu- R = 841X10^, T = 273 4-20. Der
Dampfdruck >) des Wassers ist 16-319 cm Quecksilber bei 19^ 17-363
bei 20®, 18466 cm bei 21®; der Unterschied dp =^2.147 gilt für den
Temperaturunterschied von 19® bis 21®, oder dT = 2, der Druck
p = 17*363 ist für die mittlere Temperatur 20® zu rechnen. Die
Gleichung wird:
W=8-41 X 10'^ X 293«X2.147/I7.363 X 2 = 44-7 X 10^® = 44-7 J.
Die unmittelbaren Messungen haben 444 bis 45-0 J ergeben.
Während die Gleichung zwar die Berechnung der Verdampfungs-
wärme aus dem Ansteigen des Druckes mit der Temperatur gestattet,
giebt sie umgekehrt die MögHchkeit nicht, den Druck selbst aus der
Verdampfungswärme zu berechnen, sondern nur sein verhältnismässiges
Ansteigen mit der Temperatur.
Zum Schlüsse dieses E^pitels soll noch erwähnt werdeu, dass durch
die Gleichung Qi/Q3=T, /Tjj ein experimentelles Mittel gegeben ist,
eine wirklich absolute, d. h. von den besonderen Eigenschaften eines
einzelnen Stoffes unabhängigeTemperaturskala herzustellen. Die
Ableitung der Gleichung erfolgte auf Grund der Annahme, dass es ein ideales
Gas gebe, das dem Gesetz pv = RT genau gehorcht. Durch die Be-
stimmung des Betrages der Abweichungen eines wh-klichen Gases von
^) Die Drucke sind nicht auf absolutes Mass bezogen worden, weil so-
wohl im Zähler, wie im Nenner eine Druckgrösse steht, wodurch sich der
Faktor heraushebt und die Formel unabhängig von der Druckeinheit wird.
Volumverhältnisse flüssiger Stoffe. 127
dem idealen kann man ermitteln, wie gi'oss die Abweichungen zwischen
den nach der Ausdehnung dieses Gases gemessenen Temperaturen und
denen sind, die ein ideales Gas ergeben würde. Hierfür aber dient die
obige Gleichung und es hat sich ergeben, dass die Temperatur eines
Gas-, z. B. des Wasserstoffthermometera, von der absoluten nur sehr
wenig abweicht.
Sechstes Kapitel.
Volumverhältnisse flüssiger Stoffe.
Die Beziehung zwischen Raum und Masse wird gewöhnlich durch die
Dichte oder- die Masse der Raumeinheit dargestellt. Bereits bei den Gasen
hat es sich erwiesen, dass diese Grösse flir die Darstellung chemischer Ge-
setzmässigkeiten nicht geeignet ist, und daös sich einfache und übersicht-
liche Verhältnisse ergeben, wenn man statt der Dichte die Volume der
durch die Molekulargewichte dargestellten Mengen, oder kurz die Molekular-
volume, miteinander vergleicht.
Auch flir Flüssigkeiten hat sich diese Art des Vergleiches als die
angemessenste erwiesen, und in . der Folge wird ausschliesslich diese Grösse
benutzt werden.
Unter Molekularvolum verstehen wir daher das in Kubikcenti-
metem gemessene Volum von einem Mol, d. h. dem in Grammen ge-
messenen Molekulargewicht des Stofles, Da z. B. das Volum von einem
Gramm Wasser bei 4" 1 ccm beträgt, während das Molekulargewicht
1802 ist, so ist das Molekularvolum des Wassers bei 4® gleich 18 02.
Ist von einer Flüssigkeit die Dichte oder das spezifische Gewicht, d. h*
das Gewicht von 1 ccm, gleich d, so ist das Volum von 1 g der Flüssig-
keit gleich l/d, und wenn m das Molekulargewicht ist, so ist das-
Molekularvolum gleich m/d.
Die ersten Regelmässigkeiten zwischen den Molekularvolumen wurden
von H. Kopp (1842) zu deraelben Zeit entdeckt, als er die Beziehungen
zwischen den b^iedepunkten auffand; auch Hessen sie sich in derselben
Form ausdrücken: dass gleichen Unterschieden in der Zusam-
mensetzung gleiche Unterschiede im Molekularvolum ent-
sprechen. Nun sind allerdings die Molekularvolume der hier hauptsächlich
betrachteten organischen Verbindungen in hohem Masse von der Tem-
peratur abhängig, und bevor irgend ein Vergleich angestellt werden
konnte, musste entschieden werden, bei welchen Temperaturen der Ver-
gleich anzustellen sei. Kopp fand bald, dass viel allgemeinere Regel-
mässigkeiten, als bei gleichen Temperaturen (z.B. 0^) sich herausstellen,
wenn man die Flüssigkeiten bei ihren Siedepunkten unter gleicheni
Druck vergleicht.
128 ^II- Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Der erslen Entdeckung der vorhandenen Beziehungen liess Kopp
eine lange Reihe überaus sorgsamer Experimentaluntersuchungen folgen;
welche jene ereten Beobachtungen teils bestätigen, teils erweitem oder
wohl auch beschränken. In der Hauptsache ergab sich das Molekular-
volum beim Siedepunkt als eine additive Eigenschaft: das Molekular-
volum einer Verbindung ist die Summe der Molekularvolume ihrer Be-
standteile. Bei anderen Temperaturen treten vorhandene Beziehungen
nicht so klar hervor.
Bei analogen Verbindungen ändert sich das Molekular-
volum für je CH* um 22 Einheiten im Durchschnitt Die Bezieh-
ung wurde in Kohlenwasserstoffen, Alkoholen, Estern, Säuren, Aldehyden
und Ketonen nachgewiesen.
Isomere Flüssigkeiten haben gleiche Molekularvolume,
wie namentlich durch den Vergleich von isomeren Estern und Säuren
gezeigt wird.
Wenn zwei Atome Wasserstoff durch ein Atom Sauerstoff
ersetzt werden, so ändert sich das Volum nicht wesentlich.
Dies gilt namentlich fär den Übergang von Alkoholen in Säuren, doch
auch fiir andere Fälle.
Ein Atom Kohlenstoff und zwei Atome Wasserstoff können
sich ohne Volumänderung ersetzen. Diese Beziehung wurde aus-
schliesslich durch den Vergleich zwischen Fettkörpem und aromatischen
Verbindungen erhärtet
Die eben angegebenen Gesetzmässigkeiten legen den Gredanken
nahe, den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, aus welchen
die bisher behandelten Verbindungen bestehen, bestimmte Atomvolume
zuzuschreiben, als deren Summe das Molekularvolum der Verbindung
erscheint Doch erweist sich dies nicht als völlig möglich, indem die Ab-
weichungen zu gross werden. Die fragliche Eigenschaft ist also keine
rein additive. Kopp zeigte nun, wie die verschiedene Bindung des
Sauerstoffs mit den Abweichungen in Beziehung steht: wenn der Sauer-
stoff zweiwertig an dasselbe Kohlenstoffatom gebunden ist (Carbonyl-
sauerstoff), so ist das Molekularvolum gi-össer, als wenn der Sauerstoff
nur durch eine Valenz mit dem Kohlenstoff in Beziehung steht (Hydroxyl-
bez. Äthersauerstoff). Erteilt man dem Sauerstoff je nach seiner chemischen
Funktion verschiedene Volume, so lassen sich die Molekularvolume der Ver-
bindungen mit Abweichungen von höchstens 4 Pi'ozent als Summen der
Atomvolume ihrer Verbindungen darstellen.
Die Zalilenwerte dieser Volume sind
Kohlenstoff
11
Wasserstoff
5-5
Carbonyl-Sauerstoff
122
Hy droxyl- Sauerstoff
7-8
Volum Verhältnisse flüssiger Stoffe. 129
Haben
wir
z. B.
Essigsäure, GH'
•CO (OH),
so
giebt
die
Rechnung
folgendes
2C
4H
0 (Carbonyl)
0 cHydroxyl>
— 22
«22
«122
=- 7.8
640
Der beobachtete Wert ist 63-7.
Auch für andere Elemente hat Kopp Atomvolume festgestellt, die sich
wie folgt ergeben haben:
Schwefel
22-0
Chlor
22-8
Brom
27-8
Jod
37-5
Phosphor
25-4
Silicium
32
Arsen
26
Antimon
33
Zinn
40
Titan
35
Die letzten Zahlen sind ziemlich unsicher, da sie nur aus wenig Verbindungen
abgeleitet wurden.
Am Stickstoff wurden, je nach der Natur der untersuchten Stoffe, sehr
verschiedene Zahlen erhalten, die sich nicht einheitlich erklären liessen;
ebenso gaben einige Schwefelverbindungen Abweichungen zu erkennen. Diese
Umstände führten zu der Überzeugung, dass der Einfluss, welchen die che-
mische Funktion des Elements auf das Atomvolum hat, nicht nur beim Sauer-
stoff vorhanden ist, sondern überall dort, wo die Elemente in verschieden-
artiger Bindung auftreten.
So hat Buff (1865) gezeigt, dass die ungesättigten Verbindungen stets
ein etwas grosseres Molekularvolum aufweisen, als es sich aus Kopps Zahlen-
werten der Atomvolume berechnet. Das gleiche Ergebnis ist später von
Schiff und Horstmann erhalten worden; letzterer hat gleichzeitig den grossen
Einfluss nachgewiesen, welchen die chemische Konstitution noch in anderer
Richtung, durch die sogenannte Ringschliessung ausübt.
Die spätere Entwicklung der Lehre von den Molekularvoluraen
wurde lange Zeit dadurch gehemmt, dass die Forscher Versuche machten^
die additive Form der Gesetzmässigkeiten festzuhalten, und durch die
Annahme besonderer Reihenkbnstanten, verschiedener Werte der Atom-
volume in verschiedenen Gruppen u. s. w. die thatsächlichen Abweichungen
von den einfachen Summenwerten der Koppschen Formel in einen Aus-
diTick von dem gleichen Typus aufzunehmen. Alle diese Versuche sind
schliesslich missglückt.
Erst in neuerer Zeit ist die andere Betrachtungsweise angenommen
worden, dafis das Moiekularvolum nicht eine rein additive Eigenschaft
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 9
130 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
ist; sondern konstitutive Einflüsse enthält , wenn auch in viel ge-
ringerem Betrage, als der Siedepunkt. Nun muss man sich aber sagen^
dass es nie zwei FMe geben kann, wo formell übereinstimmende chemische
Änderungen zweier Stoffe als völlig gleichwertig angesehen werden können.
Nehmen wir die Substitution, welche den geringsten bez. regelmässigsten
Einfluss auf die chemischen Eigenschaften ausübt, den Ersatz von Wasser-
stoff durch Metliyl. Die dabei entstehenden Stoffe nennt man gerade
wegen der Geringfügigkeit dieses Einflusses homolog.
Während nun z. B. der Übergang von einem Alkohol zu dem
nächst höheren homologen bei Verbmdungen mit 20 und mehr Kohlen-
stoffatomen einen so geringen Einfluss übt, dass man beide an ihren
chemischen Eigenschaffen kaum unterscheiden kann, so ist die ent-
sprechende Änderung um so grösser, je weniger Kohlenstoffatome vor-
handen sind, und wird zwischen Äthyl- und Methylalkohol am grössten.
Ähnliches gilt fUr alle entsprechenden Fälle. Man muss allgemein sa^en,
dass übereinstimmende Substitutionen oder sonstige chemische Änderungen
in verschiedenen Stoffen nicht gleichwertig sind, ja streng genommen nie
gleichwertig sein können. Deshalb giebt es auch nie zwei ganz gleich-
wertige Konstitutionsverschiedenheiten, und deshalb kann auch der kon-
stitutive Einfluss analoger chemischer Verschiedenheiten nie vollkommen
der gleiche sein.
Die Aufgabe der Forschung auf diesem Gebiete kann daher nicht
die Aufstellung irgend welcher starrer Formeln sein, sondern es ist der
Parallelismus zwischen der Mannigfaltigkeit der Konstitutions Verschieden-
heiten und den entsprechenden Abweichungen des Molekularvolums vom
einfachen Schema festzustellen. Doch ist mit Bewusstsein in dieser
Richtung bisher kaum gearbeitet worden.
Die bisherigen Betrachtungen bezogen sich auf die Molekularvolume,
wie sie bei den Siedepunkten der Stoffe unter Atmosphärendruck gemessen
wurden. Man kann sich fragen, ob die Wahl dieser Temperaturen als ver-
gleichbarer berechtigt ist. Die einzige einigermassen begründete Kritik,
welche hier geübt werden kann, beruht auf dem Theorem der vergleichbaren
Zustä.nde von van derWaals (S. 116). Hiernach müssten es nicht die Siedepunkte
unter gleichem Drucke, sondern unter gleichen Bruchteilen der kritischen
Drucke sein, bei denen die Volume vergleichbar werden. Dass mau auch bei
den gewöhnlichen Siedepunkten Regelmässigkeiten gefunden hat, wäre auf den
Umstand zurückzuführen, dass die kritischen Drucke voneinander nicht sehr
verschieden sind, und dass daher die Siedepunkte bei gleichem Druck sich
nicht sehr weit von vergleichbaren Zuständen unterscheiden.
In der That haben auch Untersuchungen über die Molekularvolume bei
anderen Temperaturen gleichen Dampfdruckes ergeben, dass sich die dort
gefundenen Gesetzmässigkeiten in gleicher Form, nur mit etwas anderen
Zahlenwerten wiederholen. Andererseits sind in den verhältnismässig wenigen
Fällen, wo man vergleichbare Molekularvolume im Sinne von van der Waals
Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 131
der Rechnung zu Grunde legte, vorhandene konstitutive Abweichungen vom
additiven Schema keineswegs zum Verschwinden gebracht worden. Wenn
also auch eine Untersuchung der Frage in diesem Sinne unzweifelhaft manche
wertvolle Auskunft geben wird, so wird sich doch das allgemeine Bild zwar
schärfer, aber kaum wesentlich anders ausweisen. Auch darf nicht vergessen
werden, dass der Satz von den übereinstimmenden Zuständen sich bisher nicht
als ein strenges Gesetz, sondern als eine angenäherte Regel gezeigt hat.
Dadurch wird auch die Sicherheit seiner Anwendung auf den vorliegenden
Fall vermindert.
Siebentes Kapitel.
Lichtbrechung in Flüssigkeiten.
Das Licht pflanzt sich in verschiedenen durchsichtigen Stoffen mit
sehr verschiedener Geschwindigkeit fort. Man kann die relativen Werte
derselben ermitteln, wenn man den Weg eines Lichtstrahls verfolgt;
welcher unter irgend einem Winkel zum E^fällslot aus einem Mittel in
ein anderes tritt Dann heiTScht das Gesetz , dass der Sinus des Ein-
fallswinkels zum Sinus des Brechungswinkels in einem beständigen Ver-
hältnis steht, welches gleich dem Verhältnis der Lichtgeschwindigkeiten
in beiden Mitteln ist und der Brechungskoeffizient genannt wird.
Zur Bestimmung des Brechungskoeffizienten von Flüssigkeiten bedient
man sich hohler Prismen, die mit planparallelen Glasplatten verschlossen sind
und mit der fraglichen Flüssigkeit gefüllt werden. Schickt man durch einen
Spalt und eine um ihre Brennweite von demselben entfernte Linse ein paralleles
Lichtbündel durch das Prisma und sucht mit einem auf Unendlich eingestell-
ten Fernrohr das abgelenkte Bild des Spaltes auf, während man das Prisma
so drehty dass die Ablenkung möglichst klein ist, so steht der Ablenkungs-
winkel d zum brechenden Winkel des Prismas w und dem Brechungskoeffi-
zienten n in der einfachen Beziehung:
sin V« (w + d)
n = - — * ^ — - — - •
sin Va w
Dies ist die gewöhnlichste Methode der Bestimmung des Brechungs-
koeffizienten. Ein anderes, viel bequemeres, und ebenso genaues Verfahren be-
ruht auf der Erscheinung der totalen Reflexion.
Ist i der Einfalls- und r der Brechungswinkel, so gilt, wie erwähnt,
-r — ==n oder sini = nsinr. Bewegt sich das Licht aus einem optisch dün-
sin r ®
neren in ein dichteres Mittel, so ist n grösser als Eins, und daher i grösser
als r. Es giebt also für jeden Wert von i immer einen reellen Wert von r.
Geht aber das Licht aus einem dichteren in ein dünneres Mittel über, so
ist n kleiner als Eins, und daher r grösser als i. Dann aber kann nicht zu
9*
132 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
jedem Wert von i ein reeller Wert von r gehören. Ist z. B. n *=» 0-8, so
ist zwar für Einfallswinkel, deren Sinus kleiner als 0«8 ist, ein Brechungs-
winkel möglich; für sin i=«0'8 aber wird sin r=-l, und daher r = 90°,
d. h. der Strahl tritt nicht mehr in das zweite Mittel, sondern bewegt sich
parallel der Einfallsebene fort. Für Einfallswinkel, welche grösser sind,
ist sin i>>0-8, und sin r müsste grösser als Eins sein, was unmöglich ist.
Es hört dann die Brechung überhaupt auf, und statt ihrer tritt totale Re-
flexion ein.
Der Grenzwinkel, bei welchem die totale Reflexion beginnt, folgt aus
dem Gesagten ; er entspricht der Bedingung sin r *» 1 , woraus sin i =« n folgt.
Bestimmt man diesen Grenzwinkel, so lässt sich aus ihm der Brechungs-
koeffizient berechnen.
Die Apparate, welche zu diesem Zwecke dienen, heissen gewöhnlich
Refraktometer. Das erste Instrument dieser Art ist von WoUaston (1801) an-
gegeben worden, neuerdings sind bequeme Apparate von Abbe und von
Pulfrich konstruiert worden.
Beobachtet man die Ablenkung eines weissen Lichtstrahls durch
ein Flüssigkeitsprisma ; so erhält man ein Spektrum ^ indem die ver-
schiedenen Farben verschieden stark gebrochen werden. Man muss da-
her die Brechungskoeffizienten ftir bestimmte Lichtstrahlen messen. Die
för diesen Zweck zumeist angewendeten Lichtarten sind in der nach-
stehenden Tabelle mit ihren Wellenlängen in Milliontel-Millimetern ver-
zeichnet.
Lithium (rot) 670-6
Wasserstoff (rot) 656-2
Natrium (gelb) 585-5 und 588-9
ThaUium (grün) 534-5
Wasserstoff (grün) 486-0
Wasserstoff (violett) 434-0
Der Brechungskoeffizient einer gegebenen Flüssigkeit ist ausser von
der Natur des Lichtes noch von der Temperatur abhängig, und zwar
nimmt er im allgemeinen mit steigender Temperatur ab. Ebenso ändert
er sich; wenn man durch Änderung des äusseren Druckes das spezifische
Volum der Flüssigkeit ändert. Es muss daher gefragt werden, ob es
nicht eine Funktion des Brechungskoeffizienten giebt, welche den Ein-
fluss des Stoffes auf die Lichtgeschwindigkeit, unabhängig von dem
Räume, auf welchen der Stoff verteilt ist, zur Darstellung bringt.
Solcher Formeln sind im Laufe der Zeit mehrere vorgeschlagen
worden. Zuerst hatte Newton auf Grund seiner Emissionstheorie des
Lichtes den Ausdruck (n* — l)/d, wo d die Dichte ist, entwickelt. Durch
die Undulationstheorie wurde dieser Formel der theoretische Boden ent-
zogen; dass sie auch empirisch sich nicht halten liess, wurde durch
Gladstone und Dale erwiesen. Die letzteren zeigten gleichzeitig (1858),
dass die ähnlich gebildete, aber einfachere Funktion (n — l)/d in viel
Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 133
höherem Masse bei wechselnden Temperatnren konstant bleibe, und
schlössen daher, dass sie als das eigentliche Mass des Brediungsver-
mögens anzusehen sei.
Bei der Prüfung dieser Formel, die bald darauf durch Landolt und
andere erfolgte, erwies sich, dass sie zwar mit ziemlich guter Annäherung,
nicht aber vollständig konstante Werte gab. Eine theoretische Be-
gründung für sie wurde nicht aufgestellt
Bei dem Versuche eine theoretisch begründete Formel, wenn auch auf
teilweise hypothetischem Boden zu finden, gelangten zwei Forscher, L. Lorenz
und H. Lorentz (1880), zu dem gleichen Ausdrucke (n* — l)/(n* + 2)d
= const., welcher somit das gesuchte absolute Mass der Brechung dar-
stellen sollte. Da die eine Ableitung auf den Voraussetzungen der
elastischen Äthertiieorie des Lichtes, die andere auf der elektromagnetischen
Lichttheorie beruhte, so war durch diese Übereinstimmung ganz ver-
schiedenartiger Entwickelungen eine Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, dass
das Ergebnis allgemeinere Bedeutung habe, als sie ihm vermöge der be-
nutzten einzelnen Grundlagen zukam.
Die Bedeutung solcher Formeln ist, dass die entsprechenden Aus-
drücke ein Mass des Einflusses der Stofie auf die Liditgeschwindigkeit
darstellen sollen, das nur von der Beschaffenheit des Stoffes, nicht aber
von seinen wiUkürlidi veränderlichen Zuständen abhängen soll. Die
Prüfung der Formeln besteht daher darin, dass man einen und denselben
Stoff in möglichst verscliiedene Zustände bringt, und zusieht, ob der Aus-
druck seinen Wert beibehält oder ändert
Solche verschiedene Zustände kann man auf mehreren Wegen er-
reichen. Man kann die Temperatur oder den Druck ändern und dadurch
die Dichte beeinflussen, oder man kann den Stoff mit einem anderen
von bekannten Brediungsverhältnissen vermischen, und zusehen, ob sich
der Wert des Ausdruckes additiv aus den Werten der Bestandteile
zusammensetzt.
Nach den beiden ersten Metiioden hat man nur die mit der Tempe-
ratur oder dem Drucke veränderlichen Werte der Dichte d gleichzeitig
mit dem entsprechenden gemessenen Brechungskoeffizienten in die Formel
zu setzen, und die erhaltenen Werte zu vergleichen.
Das Mischungsverfahren beruht auf folgendem Ansatz. Ist r^ und
rg der Wert der Funktion an den Bestandteilen des Gemisches, und r
derselbe am Gemische selbst, das aus den Mengen x und 1 — x der
beiden Anteile zusammengesetzt sei, so muss bei additivem Verhalten die
Beziehung gelten r = xri -f- (1 — x)r2.
Die Prüfung der drei vorgesdilagenen Ausdrücke (n^ — l)/d,
(n — l)/d und (n* — l)/(n*-|-2)d hat nun ergeben, dass keiner von
ihnen die Forderung der Unabhängigkeit von den äusseren Umständen
vollständig erfüllt. Am wenigsten thut dies der erste Ausdruck, der des-
halb allgemein verworfen worden ist. Die beiden anderen Ausdrücke
sind annähernd gleichwertig, indem bald der eine, bald der andere einen
134 ni. Stöchiömetrie der Flüssigkeiten.
besseren Anschiuss aa die Erfahrung liefert Es würde daher der erste
als der einfachere vorzuziehen sein, wenn nicht abgesehen von der (aller-
dings nicht zwingenden) theoretischen Ableitung sich in einem besonderen
Falle die letzte Formel als überlegen erwiesen hätte. Während nämlich
sicli die zweite Formel beim Vergleich der Brechung flüchtiger Stoße
im gasföimigen und im flüssigen Zustande als ungenau erwiesen
hatte, zeigte Lorenz durch eine experimentelle Untersuchung an einer
Anzahl verschiedener Stoffe, dass die letzte Formel auch dieser sehr
grossen Änderung der Dichte zu folgen vermag. Die nachstehende
Tabelle giebt die Werte des Ausdruckes (n* — l)/(n*-{*2)d in beiden
Zuständen an, und man sieht, dass die Werte gut übereinstimmen.
flüssig (20«) gasförmig
Äthyläther 0-3029 0-3068
Ätiiylalkohol 0-2807 02825
Wasser 0-2061 0-2068
Chloroform 0-1791 01796
Aus diesem Grunde ist gegenwärtig die dritte Formel fast aus-
schliesslich im Gebrauch. Für die alsbald zu besprechenden stöehio-
metrischen Zwecke ist übrigens die Anwendung der einen oder der an-
deren Formel ohne gi'ossen Belang, da die gefundenen Beziehungen sich
ganz übereinstimmend nach beiden gestalten; die Zahlenwerte sind zwar
verschieden, die allgemeinen Gesetzmässigkeiten dagegen bleiben bestehen.
Ehe indessen hierauf eingegangen werden kajan, muss bedacht
werden, dass der Zahlen wert der Brechungskonstanten noch von der
Wellenlänge des Lichtes abhängt, fiir welches die Brechung bestimmt
worden ist. Denn der Brechungskoeffizient wird meist um so grösser,
je kleiner die Wellenlänge ist, und zwar in verschiedenem Masse bei
verschiedenen Stofl*en; es ist mit anderen Worten die Dispersion fiir ver-
schiedene Stoße verschieden. Wäre sie dem Brechungskoeffizienten pro-
portional, wie Newton angenommen hatte, so könnte dieser Einfluss da-
durch eliminiert werden, dass man alle Werte auf hegend einen be-
stimmten Brechungskoeffizienten bezöge, da der Übergang auf irgend
einen anderen dm*ch einen konstanten Faktor zu bewirken wäre. Doch
ist eine solche einfache Beziehung keineswegs vorhanden, und es ist da-
her die Frage vielfach erörtert worden, wie die hierin liegende Mannig-
faltigkeit zu bewältigen ist.
Zuerst hatte Schrauf (1862) vorgeschlagen, statt irgend einer be-
stimmten Wellenlänge die Konstante A der Dispersionsformel von Cauchy
n = A + Yi^ + -T^ -}■ •• ^^ benutzen, wo ?. die Wellenlänge ist, und
in welcher für ^ = oo der Brechungskoeffizient n = A wird, und der
Vorschlag war auch vielfach befolgt worden. Es schien in der That
rationell, statt mit dem Brechungskoeffizienten fiir irgend eine Wellen-
länge mit dßm für unendlich lange Welleji ?;u rechnen, Doch er^b
Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 135
sich^ dass die erwähnte Fonnel die Dispersion gar nicht genügend daf-
stelit^ je nach den benutzten Beobachtungen erhielt man verschiedene
Werte ftb* A, und wie insbesondere durch Messungen im ultraroten
Spektrum wahrscheinlich gemacht wurde, strebt der Grenzwert des
Brechungskoeffizienten keinem bestimmten Werte zu.
Man ist daher zu der Benutzung eines bestimmten Strahles zurück^
gekehrt; und bezieht die Werte meist auf die rote Wasserstofflinie mit
der Wellenlänge von 656-2 Milliontel-Millimeter, oder die Natriumlinie,
die mit der D-Iinie des Sönnenspektrums zusammenfällt
Der Übergang auf stöchiometrische Berechnungen wird erzielt, wenn
man die auf die Masseneinheit (durch die Dichte) bezogene Brechungs-
konstante mittelst Multiplikation mit dem Molekulargewicht auf diemisch
vergleichbare Mengen bezieht. Man erhält dadurch die Molekular-
refraktion R = m(n — l)/d undR* = m(n«— l)/(n»-|- 2)d, und die
erste Frage, die sich erheben lässt, ist die nach den Beziehungen der
Molekularrefraktionen chemisch vergleichbarer Stoffe, insbesondere nach
der Beziehung zwischen den entsprechenden Werten der Verbindungen
und ihrer Elemente.
Solche Fragen sind zuerst (1856) von Berthelot unter Benutzung
der unzulänglichen Newtonschen Formel aufgeworfen worden, und es
hatte sich dort bereits ergeben, dass es sich um eine im wesentUehen
additive Eigenschaft handelt Mit Benutzung der Gladstoneschen Foi'mel
hat dann Landolt (1864) an einem sehr umfassenden und sorgfiUtig be-
stimmten Material gezeigt, dass sich in der That ein additives Schema
in gutem Anschlüsse an die Erfahrung durchführen lässt
Der Weg, den die Forschung hier genommen hat, ist völlig über-
einstimmend mit dem, den Kopp bei der Erforschung der Molekular-
volume gegangen ist. Es wurde zuerst nachgewiesen, dass gleichen
Unterschieden der chemischen Zusammensetzung gleiche Unterschiede der
Molekularrefraktion entsprechen, und daran schloss sich der Versuch, fiir
die Elemente Atomrefraktionen zu bestimmen, durch deren Summierung
unter Multiplikation mit den Atomzahlen sich die Molekularretraktion er-
gab. Ist R die Molekularrefraktion einer Verbindung, deren Elemente
die Atomrefraktionen Rj, R^, Rg, . . . . haben und mit den Zahlen
%, n^, Ug, .... in der Verbindung enthalten sind, so gilt die allgemeine
Formel R = n4 R, + n, R^ + Uj R3 +
Auf diese Weise sind besonders von Landolt viele organische Ver-
bindungen der Fettreihe untersucht worden, wobei es sich ergab, dass
die Formel sich den Thatsachen zwar nicht absolut, doch mit ziemlich
guter Annäherung anschliesst Einflüsse von der Art, wie sie Kopp bei
der verschiedenen Bindung des Sauerstoffs beobachtet hatte, Hessen sieh
hier gleichfalls erkennen, wurden aber zunächst nicht eingehender verfolgt
Aus seinen Messungen hatte Landolt unter Benutzung der Formel von
eiadgtone di^ Atomrefraktionen C == 500, H « 1-30, 0 == 300 berechnet. Die
136 III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Anwendung ergiebt sich aus einem Beispiel. Für Äthylalicohol, C^ H^ 0,
wurde d== 0-8011, n = l'361 gefunden. Da m = 46 ist, so ergiebt sich
m(n — l)/d = 20-70, während die Summe der Atomrefraktionen 20-80 be-
trägt. Die Übereinstimmling liegt innerhalb VaVo-
Während bei diesen ersten Arbeiten der Nadiweis der additiven
Gesetzmässigkeiten im Vordergründe stand ^ stellte sich doch trotzdem
herauS; dass diese nicht allein thätig sind. Nachdem bereits Gladstone
und Landolt einzelne abweichende Fälle nachgewiesen hatten ^ zeigte
Brühl (1880); dass insbesondere eine konstitutive Eigentümlichkeit, die
sogenannte doppelte Bindung des KohlenstoflB, grosse und regelmässige
Abweichungen von dem uraprünglichen Schema bewirkt. Derartige
Stoffe zeigen stets eine grössere Molekularrefraktion, als sich aus den
Einzelwerten berechnet, und man muss daher den Satz von Landolt in
ähnlidier Weise erweiteni, wie das Koppsche Gesetz von den Molekular-
Yolumen. Neben der additiven Sumraierung machen sich konstitutive
Einflüsse geltend^ und die Elemente tragen je nach der Art, wie sie sich
bethätigen, verschieden viel zur Molekularrefraktion bei.
Dies ist zunächst beim Kohlenstoff genauer untersucht worden,
gilt aber, wie die vorhandenen Messungen ersehen lassen ^ auch für
andere Elemente, und zwar nicht nur für solche, die wie Sauerstoff,
Schwefel, Stickstoff u. s. w. sich mit verschiedener Valenz und in ver-
schiedener Bindungsweise bethätigen, sondern audi fiir einwertige. So
wird von Brühl folgende Zusammenstellung gegeben:
Kohlenstoff 2-48
Wasseratoff 1 -04
Hy droxy Isauerstoff 1-58
Carbonylsauerstoff 2-34
Chlor 602
Brom 8-95
Jod 13-99
Stickstoff (einfach gebunden) 3-02
Doppelbindung am Kohlenstoff 1-78
Dreifache Bindung am Kohlenstoff 2- 18
Die beiden letzten Werte bedeuten, dass zwei doppelt gebundene
Kohlenstoffatome nicht die Atomrefraktion 2 X 2-48 = 4-96, sondern
die um 1'78 gi'össere 6«74 besitzen; ebenso haben zwei dreiwertig
gebundene Kohlenstoffatome den Refraktionswert 4-96 + 2-18 =r 7-14.
8 1
Mit Hilfe dieser Konstanten, welche sich auf die Formel —r-, ~
' nä+2 d
und den «-Strahl des Wasserstoffs beziehen, ergeben sich nun Werte
flir die Molekularrefraktion von Verbindungen, welche mit den beobach-
teten meist recht gut übereinstimmen. Der ziemlich erhebliche und sehr
konstante Einfluss der doppelten Bindung hat sich insbesondere mehr-
fach von Nutzen bei der Erörtening von Konslitutionsfragen erwiesen.
Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 137
Man darf indessen nicht annehmen, dass die noch vorhandenen Unter-
schiede zwischen Messung und Rechnung nur Beobachtungsfehler sind. Es
geht yielmehr aus dem sehr yermehrten Beobachtungsmaterial mit Sicherheit
hervor, dass die Unterschiede wirklich bestehen. Man hat sie darauf zu-
rückzuführen versucht, dass die Dispersion sich noch nicht berücksichtigen
lässt, wie denn Stoffe mit starker Dispersion regelmässig eine grössere Mole-
kularrefraktion aufweisen, als sich aus den vorstehenden Konstanten be-
rechnen lässt. Aber auch bei anderen Stoffen ohne starke Dispersion haben
sich solche Abweichungen gezeigt, so dass der oben gezogene Scliluss, dass
über das additive Schema der Refraktionskonstanten sich konstitutive Ein-
flüsse von geringerem Betrage lagern, sich überall geltend macht. Die Fest-
stellung der Art und des Betrages dieser Einflüsse steht noch der Zukunft
anheim.
Die oben mitgeteilten Konstanten lassen sich zum Teil in der Weise
prüfen, dass man die Atomrefraktionen der freien Elemente aus ihren
Brechungskoeffizienten und Dichten berechnet. So ergäben sich aus den
Werten für die gasformigen Stoffe Wasserstoff und Chlor die Refraktionen
H= 1 05, Cl = 5-78, welche mit den ans den Verbindungen abgeleiteten
einigermassen stimmen.
Andere Fälle zeigen indessen wieder grosse Abweichungen. Ebenso
findet man bei dem Versuche, die Molekularrefraktion insbesondere der ein-
fachsten Verbindungen additiv zu berechnen, mannigfaltige Widersprüche.
Es sind hier die gleichen Erwägungen anzustellen, die bezüglich der
Molekularvolume (S. 130) angestellt worden sind. Gerade bei den ersten
Gliedern der verschiedenen Reihen vergleichbarer Stoffe machen sich die
besonderen konstitutiven Eigentümlichkeiten am meisten geltend, und man
ist daher nicht berechtigt, aus Verhältnissen, die sich an zusammenge-
setzteren Stoffen ergeben haben, Schlüsse auf Konstitutionseigenschaften
solcher einfacher Verbindungen zu ziehen. Vielmehr sind diese durch-
aus als individuell zu behandeln.
Dies gilt insbesondere auch für die Refraktionskonstanten gasformiger
Stoffe. Wiewohl sich diese in den vergleichbarsten Zuständen befinden,
die wir überhaupt kennen, sind doch . ihre Brechungsverhältnisse in
grossem Widerspruch mit dem additiven Schema. Dies rührt daher, dass
es sich hier meist um ganz einfach zusammengesetzte Stoffe handelt,
deren individuelle Beschaffenheit entscheidend in den Vordergrund tritt.
Die Hefraktionsverhältnisse der Dämpfe zusammengesetzterer Stoffe zeigen
dagegen wieder dieselben Regehnässigkeiten, die an den Stoffen im
flüssigen Zustande zu beobachten sind.
Viel weniger eingehend untersucht, als die organischen Verbin-
dungen, sind die der anorganischen Chemie. Hier verdanken wir fast
alles, was wir wissen, den Arbeiten Gladstones. Auch hier hat sich im
allgemeinen ein additives Gesetz gültig gezeigt, jedoch mit deutlicher
Mitwirkung konstitutiver Umstände. So ist z. B. die Molekularrefraktion
freier Säui'en von denen ihrer Kalisalze um einen Wert verschieden, der
138 UI. Stöchiometrie der Flfissigkeiten.
für alle starken Säuren nahezu gleich ist^ und ebenso ftlr alle schwachen
Säuren; ftlr beide Gruppen ist der Unterschied aber nicht gleich. Eben-
so stellte sich heraus^ dass wenn ein Metali mehrere Salzreihen zu bilden
vermag, es in jeder dieser Reihen eine besondere Atomrefraktion besitzt.
- Die Bestimmimgen der Molekularrefraktionen der hierhergehörigen
Stoffe ist meist an ihren wässerigen Lösungen ausgeführt worden. Besteht
dieselbe aus p Molen Wasser auf ein Mol des Stoffes, so gilt die Beziehung
(vgl. S. 135)
^* ' (18-01 p + m) r =. 18-01 p To + m R,
wo 18-01 das Molekulargewicht des Wassers, m das des gelösten Stoffes be-
deutet, und r, ro und R die Brechungskonstanten ( (n — l)/d oder ^ -A
der Lösung, des Wassers und des Stoffes sind. Daraus folgt die Molekular-
refraktion des letzteren
m R =- (18-01 p -f m) r — 18-01 p r^.
Durch besondere Versuche glaubte Gladstone sich überzeugt zu haben, dass
man übereinstimmende Werte für die Molekularrefraktion erhält, ob man sie
an dem festen Stoff (er benutzte Prismen von Steinsalz) oder an der Lösung
bestimmt, doch haben neuere Untersuchungen erwiesen, dass auch diese Be-
ziehung nicht genau ist.
Achtes Kapitel.
Drehung der Folarisationsebene.
Die Fähigkeit gewisser flüssiger Stoffe, die Polarisationsebene des
Lichtes zu drehen, ist völlig konstitutiver Natur. Sie ist eine Eigen-
schaft, welche relativ nur wenigen Stoffen zukommt, die, soweit die bis-
herigen Kenntnisse reichen, ausschliesslich Kohlenstofiverbindungen sind,
und ist bei diesen, wie weiter unten gezeigt werden soll, an ganz be-
stimmte Verhältnisse gebunden.
Der Winkel, um welchen die Ebene des geradlinig polarisierten
lichtes durch Flüssigkeiten gedreht wird, ist abhängig von deren
Natur, sowie von der Wellenlänge des Lichtes. Er ist proportional
der Länge der durchstrahlten Sdiicht und ändert sich mit der Tem-
peratur.
Man nennt den Winkel, um welchen polarisiertes Licht von be-
stimmter Wellenlänge gedreht wird, wenn es durch eine Schidit gegangen
ist, deren Dicke ihrem spezifischen Gewichte umgekehrt proportional ist,
das spezifische Drehvermögen. Dasselbe wird mit \d\ bezeichnel^
und es gilt dann die Beziehung
r 1 "
Drehung der Polarisationsebene. 139
wo a der abgelesene Winkel^ 1 die Länge der Schicht und d das spezi-
fische Gewidit der Flüssigkeit ist. Als Längeneinheit dient gewöhnlich
das Decimeter.
Multipliziert man diesen Wert mit dem Molekulargewicht m, so
stellt m[o] das molekulare Drehvermögen dar. Gewöhnlich wird, da
die Zahlen meist sehr gi-oss werden, der hundertste Teil dieses Wertes
m a
benutzt*), und man hat das molekulare Drehvermögen [m] = ^^ , ;, *
Handelt es sich um Lösungen oder Gemenge, so kann man unter der
Voraussetzung (die übrigens meist nicht zutrifft), dass das Lösungsmittel
keinen Einfluss auf das Drehvermögen habe, gleichfalls ein spezifisches und
molekulares Drehvermögen des gelösten Stoffes bestimmen. Sind p Gramme
des Stoffes zu v Cubikcentimetem gelöst, so ist die spezifische und mole-
kulare Drehung ^ ^^
Ip' "■ ' 100 Ip
Ist der Gehalt der Lösung dem Gewichte nach gegeben, so dass in 100 g
der Lösung k Gramm des Stoffes enthalten seien, und ist d das spezifische
Gewicht der Lösung, so ist ihr Volum — =— , und die Ausdrücke nehmen die
Gestalt an ^ -. 100 a , r -. m . a
Die Länge 1 pflegt wiederum in Decimetem gemessen zu werden.
Die Bestimmung des Drehvermögens wird meist ftü* eine be-
stimmmte Lichtart, fast ausnahmslos für das gelbe Licht der Natrium-
flamme ausgeführt; man bezeichnet die entsprechenden Werte mit [öJd
und [mJD, weil die Natriumlinie der Linie D im Sonnenspektrum ent-
spricht
Die Apparate, welche zu derartigen Messungen dienen, können hier nicht
ausführlich beschrieben werden. Sie bestehen sämtlich aus zwei Polarisatoren,
zwischen welche die zu untersuchende Flüssigkeit, eingeschlossen in eine
Glasröhre, die an den Enden durch planparallele Glasplatten verschlossen ist,
gebracht wird. Waren die Polarisatoren vorher in eine bestimmte Beziehung
zu einander gebracht, z. B. senkrecht gestellt, so dass sie kein Licht durch-
liessen, so muss man nach dem Zwischenbringen der Röhre nunmehr den einen
Polarisator drehen, um den gleichen Zustand zu erzeugen. Die verschiedenen
Apparate unterscheiden sich nur durch die Hilfsmittel, vermöge deren die
gegenseitige Stellung der Polarisatoren erkannt und wieder hergestellt wird.
Der Winkel, um den der Polarisator gedreht werden muss, ist der oben mit
a bezeichnete Drehungswinkel. Man nennt Stoffe rechtsdrehend, wenn man
den am Auge befindlichen Polarisator bei eingeschalteter Flüssigkeit nach
^) Besser wäre es, 1 in cm zu messen; dann würde das molekulare
Prehvermögen ohne den Faktor 100 bequeme Zahlen geben.
140 ni. StOchiometrie der Flüssigkeiten.
rechts drehen muss, um den früheren Zustand wieder herzustellen, und
umgekehrt.
Während bei flüssigen Stoffen die Messung sich unzweideutig ausführen
lässt, machen sich bei Stoffen, welche erst in einer geeigneten Flüssigkeit
aufgelöst werden müssen, ganz erhebliche Schwierigkeiten geltend. Die Fähig-
keit der Drehung der Polarisationsebene ist eine Eigenschaft, die gegen die
mindesten Einflüsse sich äusserst empfindlich zeigt, und so findet man denn
oft, wenn man an Ijösungen desselben Stoffes in verschiedenen Lösungsmitteln,
oder auch nur solchen von verschiedenem Gehalt nach den oben gegebenen
Formeln das spezifische Drehvermögen bestimmt, ganz verschiedene Zahlen.
Was nun die Gesetze dieser Erscheinung anlangt, so sind die ersten
allgemeinen Verhältnisse von Pasteur (1848) an den verschiedenen Wein-
säuren nachgewiesen worden. Ausser der gewöhnlichen rechtsdrehenden
Weinsäure war bereits seit längerer Zeit die lYaubensäure bekannt,
welche mit dieser gleich zusammengesetzt ist, aber andere Eigenschaften
hat und die Polarisationsebene des Lichtes nicht dreht Pasteur ent-
deckte nun, dass man die Traubensäure in zwei verschiedene Säuren
spalten kann, von denen die eine mit der gewöhnlichen rechten Wein-
säure identisch ist, während die andere in jeder Beziehung dieser gleicht,
insbesondere auch genau dieselben chemischen und physikalischen Eigen-
schaften zeigt, mit der Ausnahme, dass sie linksdrehend ist^). Durch
Zusammenbringen gleicher Mengen von gelöster rechter und linker Säure
erhält man eine Lösung, die alle Eigenschaften einer Traubensäure-
lösung hat.
Es giebt also zu der gewöhnlichen rechten Weinsäure dne „optisch
symmetrische^Msomere Form mit ganz gleidien Eigenschaftien, ausser dem
entgegengesetzten Zeichen der Drehung, die sich mit jener zu einer Ver-
bindung vereinigen kann, welche andere Eigenschaften hat und inaktiv
ist. Aus der letzteren Thatsache folgt, dass die beiden aktiven Säuren
in ihren optischen Eigenschaften vollkommen symmetrisch sein müssen,
da sich diese sonst nicht vollständig kompensieren könnten. Die unmittel-
bare Messung hat das Gleiche ergeben.
Die weiteren Arbeiten von Pasteur und seinen Nachfolgern an ver-
schiedenen anderen Stoffen zeigten dies Verhalten als ganz allgemein;
alle optisch aktiven Stoffe treten paarweise auf, so dass immer ein rechter
und ein linker sich entsprechen; diese können sich zu inaktiven Ver-
bindungen vereinigen, welche man in Erinnerung an den ersten Fall der
Traubensäure racemische zu nennen pflegt.
Hieraus ist nun zu schliessen, dass die chemische Eigenschaff,
weldie die optische Drehung zur Folge hat, mit der Eigentümlichkeit
der Symmetrie ausgestattet sein muss, so dass sie sich in zwei entgegen-
gesetzt gleichen Weisen bethätigen kann.
^) Auch an ihren Krystallen zeigen beide Säuren „rechte'* und „linke*'
Formen.
Drehung der Polarisationsebene. 141
Weiter wurde von Pasteur festgestellt, dass die unmittelbaren Ab-
kömmlinge eines optisch aktiven Stoffes (wie z.B. die Salze der Säuren)
gleichfalls aktiv sind. Auch die ferneren Abkömmlinge sind es oit; doch
giebt es Änderungen, welche die Aktivität vernichten. Es ist daraus zu
schliessen, dass das Dreh vermögen an einem bestimmten Komplex in
diesen Verbindungen haftet, und ein Hilfemittel zur Erkennung eines
solchen Komplexes liegt in dem Auftreten, bez. Verschwinden des Dreh-
vermögens.
AJs allgemeines Kennzeichen aktiver Komplexe wiesen gleichzeitig
(1874) van't Hoff und Le Bei das Vorhandensein eines „asymmetrischen
Kohlenstoffatoms", d. h. eines mit vier verschiedenen Elementen oder
Eadikalen verbundenen Kohlenstoffatoms nach.
Zur Durchfiihnmg des Satzes,* dass optisches Drehvermögen und
asymmetrischer Kohlenstoff miteinander in kausalem Verhältnis stehen,
war ein zweifacher Beweis zu führen.
Ist nämlich das asymmetrische Kohlenstoffatom die Ursache der
optischen Drehung, so muss einerseits jeder drehende Stoff ein solches
besitzen, andererseits jede ein asymmetrisches Kohlenstoffatom besitzende
Verbindung sich als optisch aktiv erweisen.
Von diesen beiden Schlüssen liess sich der erste verhältnismässig
leicht bewahrheiten. Bis auf wenige zweifelhafte Fälle, die bald zu
Gunsten der Theorie Erledigung fanden, waren in allen als aktiv be-
kannten Stoffen entweder aus rein chemischen Gründen bereits solche
Konstitutionsverhältnisse angenommen worden, oder sie konnten ohne
Widersprach mit anderen Thatsachen angenommen werden. Nach dieser
Seite konnte also die ITieorie als zutreffend bezeichnet werden.
Nach der anderen Seite sah es scheinbar weniger günstig aus, denn
es waren sehr viele Stoffe bekannt, in denen nach ihren chemischen
Verhältnissen asymmetrische Kohlenstoffatome angenommen werden mussten,
während sie kein Drehvermögen aufwiesen.
Hier tritt nun die von Pasteur entdeckte Symmetriebeziehung als
Erklärungsgrand und gleichzeitig als neues Postulat ein. Man muss in
allen diesen Fällen annehmen, dass eine inaktive Verbindung mit asym-
metrischem Kohlenstoff die racemische Form ist, und steht daher in
jedem solchen FaUe vor der Aufgabe, eine derartige Verbindung in ihre
aktiven Bestandteile zu spalten. Die dahin gerichtete Forschung hat
ergeben, dass in der That in sehr vielen Fällen die Spaltung ausführbar
ist, und dass somit auch nach dieser Richtung die Theorie Bestätigung
findet.
Die Methoden der Spaltung beruhen auf zwei verschiedenen Thatsachen.
Zwar sind alle Verbindungen symmetrischer aktiver Stoffe mit inaktiven Be-
standteilen in ihren Eigenschaften völlig übereinstimmend, nicht aber solche
mit zweitem aktivem Bestandteil. Übereinstimmend sind demgemäss zwar alle
Salze der rechten und der linken Weinsäure, die Metalle an Stelle des Wasser-
142 HL Stöchiometrie der Flüfisigkeiten.
Stoffs enthalten; stellt man aber Salze optisch aktiver Alkaloide her, so sind
die Eigenschaften des rechten Salzes von denen des linken nicht nur optisch,
sondern auch bezüglich der LOslichkeit, des Wassergehaltes u. s. w. verschieden.
Solche Salze lassen sich nach dem gewöhnlichen Verfahren der getrennten
teilweisen Krystallisation scheiden, und damit sind auch die Säuren trennbar.
Das zweite Verfahren beruht darauf, dass unter gewissen Bedingungen
der Temperatur, die allerdings von Fall zu Fall besonders zu ermitteln sind,
aus Lösungen der racemischen Verbindungen die aktiven Bestandteile der-
selben getrennt auskrystallisieren. Während nun zwar alle physikalischen
Eigenschaften der Krystalle, wie Farbe, Dichte, Habitus, ganz übereinstimmend
sind, erweisen sich meist die Krystailformen als symmetrisch verschieden.
Es erscheint nämlich, während alle Krystallwinkel übereinstimmen, die An-
ordnung gewisser Flächen symmetrisch entgegengesetzt, so dass sich die
Krystalle wie Gegenstand und Spiegelbild, oder wie rechte und linke Hand
verhalten. Ist eine solche Krystallisation erfolgt, so kann man durch Aus-
lesen der rechten und linken Krystalle die beiden Formen trennen.
Ein drittes Verfahren, nach welchem durch die Lebensthätigkeit von
Pilzen oder Bakterien die eine von den beiden Formen schneller oder aus-
schliesslich verzehrt wird, kommt wahrscheinlich auf das erste hinaus, da das
Protoplasma der lebenden Wesen optisch aktiv ist, und sich somit bei der
Assimilation den beiden Formen gegenüber verschieden verhalten muss.
Zur Veranschaulichung des Zusammenhanges zwischen Dreh ver-
mögen und dem asymmetrischen Kohlenstoff haben van't Hoff und Le Bei
in ziemlich übereinstimmender Form eine Hypothese aufgestellt, welche
eine sehr zweckmässige und anschauliche Darstellung gestattet. Sie
nehmen an, dass die vier verschiedenen mit einem Kohlenstoffatom ver-
bundenen Radikale an diesem geordnet sind, wie an den Ecken eines
Tetraeders. So lange mindestens zwei gleiche Radikale vorhanden sind,
lassen sich die vier nur auf eine Weise am Tetraeder ordnen, d.h. wie
man sie auch ordnen mag, immer lassen sich zwei derartige Tetraeder
durch einfache Drehung miteinander zur Deckung bringen. Erst wenn
alle vier Radikale verschieden sind, giebt es zwei, und nur zwei Anord-
nungen, die sich nicht zur Deckung bringen lassen, sondern sich zu
einander verhalten, wie Gegenstand und Spiegelbild. Werden diese
vier Radikale mit a, b, c, d bezeichnet, und denkt man sich die Tetraeder
mit einer Fläche auf die Ebene des Papiers gestellt, so hat man folgende
nicht kongruente, wohl aber symmetrische Formen (Fig. 14 u. 15).
Stellt man beide Tetraeder so, dass das Radikal d im Scheitel sich
befindet, so ist die Reihenfolge abc bei dem einen im Sinne der Uhr-
zeigerbewegung, bei dem anderen entgegengesetzt
Durch dies Bild sind also gleichzeitig die beiden wesentlichsten
Eigentümlichkeiten dargestellt, die erfahrungsmässig an den optisch aktiven
Stoffen auftreten: der Zusammenhang mit dem asymmetrischen Kohlen-
stoffatom und das paai-weise Auftreten der drehenden Stoffe in zwei
Drehung der Polarisationsebene.
143
symmetrischen Formen. Dadurch hat sich die H3rpothe(Be als eine sehr
zweckmässige und brauchbare erwiesen.
Auch verwickeitere Verhältnisse, die teils bereits bekannt waren,
teils erst infolge der Anwendung der Hypothese aufgesudit und gefunden
wurden^ fanden ihre ungezwungene und anschauliche Darstellung, so dass
sie als ein wichtiges Hil&nittel der Forschung in diesem Gebiete ge-
dient hat.
Ein Beispiel bietet die vierte "Weinsäure. Neben den beiden aktiven
Weinsäuren und der Traubensäure giebt es nämlich noch eine Weinsäure,
welche gleichfalls optisch inaktiv ist, wie die Traubensäure, nicht aber wie
diese in rechte und linke Säure sich spalten lässt. Sie zeigt auch andere
chemische Eigenschaften, als jene.
Um diese Thatsache vom Standpunkt der Theorie aus zu begreifen, muss
man sich erinnern, dass die Weinsäure, der Formel
.COOH
H-C<
OH
OH
^■"^<COOH
entsprechend, zwei asymmetrische Kohlenstoffatome von ganz gleicher Be-
schaffenheit besitzt. Diese beiden Eohlenstoffatome können von der Art
sein, dass durch beide der Lichtstrahl in gleichem Sinne, also entweder
rechts oder links, gedreht wird : dies wäre die Konstitution der rechten oder
linken Weinsäure. Es können aber auch zwei asymmetrische Kohlenstoff-
atome verbunden sein, welche entgegengesetzte Wirkungen auf den Lichtstrahl
ausüben. Dann findet, da die Konstitution der beiden im vorliegenden Falle
eine symmetrische ist, eine Kompensation innerhalb der Molekel selbst statt:
der Stoff muss optisch inaktiv sein, und kann auch nicht in aktive Anteile
gespalten werden.
Durch die ausgeprägt konstitutive Beschaffenheit des optischen Dreh-
vermögens ist das Vorhandensein ausgedehnter additiver Beziehungen von
vomherdn ausgeschlossen. Doch liegt immerhin die Möglichkeit vor,
dass innerhalb engerer Gruppen vergleichbarer Stoffe additive Eigentüm-
lichkeiten auftreten, wie dies sich bei den Siedepunkten gezeigt hatte.
144 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Die UnterBuchung solcher Fälle hat indessen auch hier anderes er-
geben. Das Ansteigen in der homologen Reihe bedingt nicht gleiche
Änderungen des Drehvermögens, sondern dieses geht einen besonderen
Gang, wenn man hinreichend viele Glieder der Reihe untersucht: es
steigt erst in einer Richtung, erreicht einen höchsten Wert und nimmt
dann wieder langsam ab. Als Beispiel seien Messungen von Frankland
über die Ester der Glycerinsäure angeführt:
Molekulare Drehung
Methylester der Glycerinsäure — 5-76
Äthylester „ ,, —12.31
Propylester „ „ — 19-16
n-Butylester „ „ — 17-85
Wenn nur kleinere Teile solcher Gruppen vorliegen, so scheint oft
die Änderung der Drehung einsinnig zu verlaufen; ob es sich um ein
allgemeines Gesetz handelt (Guye 1893) bleibt noch zu entscheiden.
Viel einfachere Verhältnisse zeigen die Salze in verdünnter wässeriger
Lösung. Bei diesen wird die konstitutive Eigenschaft der molekularen
Drehung rein additiv, so dass z. B. die Salze mit einer aktiven Säure
und beliebigen inaktiven Basen alle das gleiche Drehvermögen haben.
Die Erklärung dieses besonderen Verhaltens wird später gegeben werden.
Eine Gruppe von Erscheinungen, welche mit den vorbeschriebenen
in einiger Beziehung stehen, ist die von Faraday (1846) entdeckte mag-
netische Drehung der Polarisationsebene. Sie besteht darin,
dass durchsichtige Körper, welche in ein magnetisches Feld, z. B. in
das Innere einer von einem galvanischen Strome durchflossenen Draht-
spule gebracht werden, vorübergehend, nämlich solange die magnetische
Einwirkung dauert, die Fähigkeit zui* Drehung der Polarisationsebene
des Lichtes erhalten. Der Drehungswinkel ist proportional der Intensität
des magnetischen Feldes, proportional der Länge der dem Einfluss ausge-
setzten Schicht, und im übrigen von der Natur des Stoffes und der
Temperatur abhängig.
Die Untersuchung dieser Erscheinung wurde zunächst vom physi-
kalischen Standpunkte ausgeführt. Chemische Gesichtspunkte brachte
zuerst Perkin (1882) zu Geltung, dem wir fast alles verdanken, was
nach dieser Richtung über den Gegenstand bekannt ist.
Perkin nennt spezifische Rotation das Verhältnis der Drehungen,
welche der fragliche Stoff einerseits und eine Wassersäule anderei^seits
in demselben Magnetfelde bewirken, wenn die Längen beider Säulen sich
umgekehrt wie ihre spezifischen Gewichte verhalten. Ist co der Dreli-
ungswinkel, welchen eine Säule von der Länge 1 des Stoffes, dessen
spezifisches Gewicht d ist, zeigt, und sind oDq^ 1q und d^ die ent-
sprechenden Zahlen für Wasser von gleicher Temperatur, so ist die
spezifische Rotation r = — V^? • Die molekulare Rotation ist das Ver-
hältnis der Drehungen molekularer Mengen, und hat zum Wert
Oberflftchenspannung. 145
McoLdn ^ M
wo M das Molekulargewicht des Stoffes, 1801 das des Wassers ist. Die
molekulare Rotation des Wassers ist somit gleich Eins.
Bei einer Vergleichung der magnetischen Molekularrotationen verschie-
dener Stoffe ergab sich ein additiver Charakter dieser Eigenschaft nur beim
Aufsteigen in den homologen Reihen; in denselben bedingt jedes CH* eine
Zunahme von 10 2 3 Einheiten. Dieser Wert ist flir alle Verbindungs-
reihen der gleidie. Es kann also die MolekutUrrotation dargestellt wer-
den durch 0+ 1023 n, wo n die Zahl der CH*-Gruppen und 0 eine
Konstante ist, die für jede Reihe homologer Verbindungen ihren eigenen
Wert hat. Die Konstanten C sind gänzlich konstitutiven Charakters; sie
sind z. B. verschieden ftir normale und Isoparaffine, normale und Isoalkohole
oder dergleichen Säuren. Auch gelten die Formeln nur ftlr solche Ver-
bindungen, welche mindestens einmal Methylen, CII^, enthalten; so gilt
z. B. die Konstante 0*393 der normalen Fettsäuren nicht für Ameisen-
säure, HCOOH, und Essigsäure, CH».COOH, in welchen CH* nicht
in der Kette enthalten ist
Dadurch hat sich das magnetische Drehvermögen schon wiederholt
als nützlich erwiesen, um die Zugehörigkeit neuer Stoffe zu bestimmten
Verbindungsgruppen zu ermitteln.
Viel verwickelter als bei den einfachen Stoffen der Fettreihe zeigen
sich die Verhältnisse bei den zusammengesetzteren Stoffen, den Verbindungen
der aromatischen Reihe und allgemein den cyklischen Verbindungen.
Hier treten die konstitutiven Einflüsse derartig in den Vordergrund, dass
von der additiven Grundlage nicht viel übrig bleibt Dadurch erweist
sich die magnetische Drehung als etwa zwischen den Molekularvolumen
und Molekularrefraktionen einerseits, den Siedepunkten andererseits in
der Mitte stehend. Sie ist stärker durch konstitutive Verschiedenheiten
beeinflusst, als jene Eigenschaften, und weniger als diese. Ein vergleichen-
des Studium der Stoffe unter diesem Gesichtspunkt ist systematisch noch
nicht durchgeflihrt worden; in den neueren Arbeiten von Perkin (1896)
finden sich bemerkenswerte Ansätze dazu.
Neuntes Kapitel.
Oberflächenspannung.
Die Oberfläche, mit welcher Flüssigkeiten gegen den „freien'^, d. h.
mit ihren eigenen Dämpfen erfiillten Raum grenzen, ist von anderer Be-
schaffenheit, als das Innere. Während im Inneren jedes Teilchen frei
beweglich ist, kann ein in der Oberfläche liegender Teil sich nur nach
Ostwald, GrundrisB. 8. Aufl. 10
146 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
der Seite der Flüssigkeit hin frei bewegen; einer Bewegung aus der
Flüssigkeit hinaus ^aber setzen sich erhebliche Kräfte entgegen. Denn
im Innern der Flüssigkeit befindet sich jedes Teilchen nach allen Seiten
unter gleichen Einflüssen und kann sich daher bewegen , als wenn es
überhaupt keiner Wirkung unterworfen wäre. Liegt es dagegen in der
Oberfläche, so ergiebt die Wirkung der angrenzenden Teilchen eine
Resultierende senkrecht zur Oberfläche.
Die Kraft, welche auf diese Weise zustandekommt, ist sehr be-
deutend. Man kann sie in einer von Stefan (1886) angegebenen
Weise berechnen. Denken wir uns aus dem Inneren einer Flüssigkeit
ein Teilchen gegen die Oberflädie bewegt, so muss, damit es in diese
gelangt, die Hälfte aller Wechselwirkungen überwunden werden, wie aus
dem Anblick der Fig. 11 unmittelbar erhellt. Wird dann weiter das
Teilchen ganz in den oberen Raum hinübergebracht, so gelangt es aus
dem Wirkungsgebiet der
^^^" --.^ Flüssigkeit überhaupt hin-
aus, und wird ein Dampf-
\ teilchen. Um also ein
\ Teilchen in die Ober-
O- j_: fläche zu bringen, ist
halb soviel Arbeit er-
^ "■ forderlich, als um es
~~" in Dampf zu verwan-
dein.
Die letztere Arbeit
~» —
- — t-
- V y- —
.^'
^. ~ aber ist bekannt; es ist
die Verdampfungs-
wärme der Flüssigkeit.
Um zu einer Vorstellung von der Grösse der hier wirksamen Kräfte
zu gelangen, soll eine angenäherte Rechnung durchgeführt werden. Ist v das
Volum von einem Mol der Flüssigkeit, W seine Verdampfungswärme, pj der
(unbekannte) Oberflächendruck innerhalb der Flüssigkeit und pj der Dampf-
druck, so ist die Arbeit, welche die Teilchen erfahren müssen, um in die
Oberfläche gebracht zu werden, gleich (p, — p,) v, wenn v in erster An-
näherung als konstant angenommen wird. Somit ist nach dem Obigen
(Pa — Pi) V = Y W.
Für ein Mol Äther bei seinem Siedepunkte beispielsweise ist v = 107-4, p, = 1 Atm,
und W = 26-6 J = 26-6x10*°; dividieren wir gleichzeitig mit 1-013x10«.
um den Druck in Atmosphären zu haben, so folgt, da pj == 1, der Ober-
flächendruck pa == 1284 Atm.
Wie man sieht, handelt es sich um sehr bedeutende Druckwerte, mit
welchen das Innere der Flüssigkeit gegen die Oberfläche presst. Natürlich
machen sich dieselben auf eingetauchte Körper nicht geltend, weil sich an
Oberflächenspannung. 147
solchen anch eine Flüssigkeitsoberfläche ausbildet, an welcher der Druck
vom eingetauchten Körper weg ins Innere der Flüssigkeit gerichtet ist.
Von diesem starken Drucke wirkt nur ein geringer Anteil auch
in der Oberfläche der Flüssigkeit. Denn denken wir uns, dass wir
die Flüssigkeit vergfössem, so müssen wir eine Anzahl innerer Teilchen
in die Oberfläche versetzen, und somit Arbeit leisten. Umgekehrt wird
in einer Flüssigkeit stets das Bestreben vorhanden sein, nach welchem
möglichst viel Teilchen dem Drucke folgend in das Innere treten, wobei
die Oberfläche verkleinert wird. Die Oberflächen der Flüssigkeiten ver-
halten sich demnach so, als wenn in ihnen zusammenziehende Kräflie
tliätig wären, welche sie auf die möglichst geringe Ausdehnung zu
bringen streben.
Diese Auffassung einer Oberflächenspannung der Flüssigkeiten
rührt von Young (1804) her und hat sich als ungemein förderlich er-
wiesen. Man kann aus dem Prinzip, dass die Flüssigkeiten die kleinste
Oberfläche zu bilden suchen, die mit den übrigen vorhandenen Be-
dingungen verträglich ist, sämtUche entsprechenden Erscheinungen, die
man Eapillarerscheinungen zu nennen pflegt, theoretisch ableiten,
und hat dabei keinerlei Schwierigkeiten, ausser den mathematischen,
zu überwinden. Letztere sind freilich schon in äusserlich einfachen Fällen
meist sehr erhebhch.
Die für die Betrachtung dieser Erscheinungen erforderlichen Begrifie
erlangen wir von der Thatsache aus, dass zur Bildung einer Oberfläche
von bestimmter Grösse Arbeit d. h. Energie aufzuwenden ist. Diese
Arbeit ist proportional der Fläche, und dividiert man die Arbeit durch
die Fläche, so erhält man den Wert der Oberflächenspannung oder
kurz Spannung.
Um eine Anschauung für den Betrag «
der vorkommenden Spannungen zu haben, '%
kann man sich merken, dass der Wert S
für Wasser bei 0^, der einer der grössten p
ist, 77 in absoluten Einheiten beträgt, 0
d. h. es sind 77 Erg aufzuwenden, um |.
eine Wasserfläche von 1 cm* zu erzeugen. |
Um die Grösse der Oberflächenspan- |^ '
nung zu messen, bedient man sich fast ^
immer starrer Wände, welche von der /^
Flüssigkeit benetzt werden, d. h. auf fe-
denen sich eine Schicht der Flüssigkeit aus- m
breitet. Sei (Fig. 17) eine solche senk- Fig. 17.
recht stehende, benetzte Wand in eine
Flüssigkeit getaucht, so wird die Oberfläche abc sich zu verkleinem
streben und wird die Form aj3c annehmen. Gleichgewicht wird ein-
treten, wenn das längs der Wand gehobene Flüssigkeitsgewicht P dem Produkt
10*
148 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
aus der Oberflächenspannung s^ und der Lange der Berührungslinie 1
gleich geworden ist. Aus P=r8l folgt s=P/l, oder in absolutem
Masse, wenn g die auf 1 g wirkende Schwerkraft (rund 980 Dynen) ist,
Hat die Wand cylindrische Gestalt, d. h. haben wir es mit einer
Röhre zu thun, so ist, wenn diese einen kreisförmigen Querschnitt
mit dem Radius r hat, die Bertihrungslinie l=2jrr, und die hebende
Kraft 2:;rr/. Das gehobene Gewicht ist andererseits Pg = jrr*hsg, wo
h die Höhe, jrr^ der Querschnitt der gehobenen Flüssigkeitssäule,
jrr^h somit ihr Volum und s ihr spezifisches Gewicht ist Es ist somit
2jrr/ = jrr*hsg oder / = ^hrsg und h = 2//rsg. Die Steighöhe h ist
somit umgekehrt proportional dem Röhrenradius r, und die Oberflächen-
spannung ist gleich dem halben Produkt von Steighöhe, Röhrenradius,
spezifischem Gewicht und Schwerekonstante.
Eine andere Methode, die Oberfiächenspannung zu messen, besteht
in der Bestimmung des Gewichts der Tropfen, welche von einem gegebenen
Umfang getragen werden. Ist P das Gewicht des grössten Tropfens, der an
einer ebenen horizontalen Kreisfläche vom Radius r hängen kann, so ist
P
P = 27rry und daher y =«= ^ • Bie Schwierigkeit der Methode liegt darin,
dass der Tropfen beim Abfallen sich nicht vollständig von der Kreisfläche
trennt, sondern einen mehr oder weniger erheblichen Teil zurückiässt. Man
müsste also die Wiigung nicht des abgefallenen, sondern des hängenden
Tropfens ausführen.
Prinzipiell von dieser Methode nicht verschieden ist das Verfahren,
eine Scheibe von bekanntem Umfange mit der Flüssigkeit in Berührung zu
bringen und das Gewicht zu bestimmen, welches zum Abreissen derselben er-
forderlich ist. Auch hier gilt die Gleichung P = 27iry, wo 27tr der Um-
fang der (kreisförmig gedachten) Scheibe ist.
Bei allen diesen Rechnungen ist vorausgesetzt, dass man den festen
Körper als einen Teil der Flüssigkeit insofern betrachten kann, als er in der
Nähe der Berührungslinie vollständig mit Flüssigkeit überzogen ist, und die
letztere sich ihm in stetiger Krümmung anschliesst. Von Gauss wurde zu-
erst darauf hingewiesen, dass die Flüssigkeit auch an den festen Körper
unter irgend einem Winkel a anschliessen könne. Die Kraft, welche dann
von der Oberflächenspannung ausgeübt Wird, ist kleiner und beträgt, wie
eine leichte geometrische Überlegung zeigt, y cos or, wo a der Winkel zwi-
schen der Normalen des festen Körpers und der des letzten Flüssigkeits-
teilchens an der Grenzlinie ist. Bei gut benetzenden Flüssigkeiten scheint
dieser Winkel stets Null zu sein, doch sind Messungen über seinen genauen
Wert schwierig auszuführen.
Die Oberflächenspannung y ist von der Natur der Flüssigkeit und
von der Temperatur abhängig. Die Wirkung der letzteren bedingt eine
nahezu proportionale Abnahme, so dass im allgemeinen die Oberflächen-
Oberflächenspannung. I49
Spannung 7^ bei der Temperatur t durch einen Ausdruck von der Form
7j = 7o (1 — at) dargestellt werden kann. Dementsprechend muss es
eine Temperatur geben, bei welcher 7^==0 wird. Schon Frankenheim
(1841) hat darauf hingewiesen, dass diese Temperatur wahrscheinlich
mit der kritischen übereinkomme; da in der That bei der kritischen
Temperatur Flüssigkeit und Dampf identisch werden, so kann zwischen
ihnen auch keine Oberflächenspannung mehr vorhanden sein.
Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen der Oberflächen-
spannung und der chemischen Konstitution sind zuerst von Mendelejew
(1866) ausgefiihrt worden, hatten aber noch kein allgemeines Ergebnis
geliefert In späterer Zeit hatte R. Schiff (1884) die Frage wieder
aufgenommen. Diese älteren Versuche scheiterten alle daran, dass die
Aufteilung einer auf chemisch vergleichbare Mengen bezogenen Grösse
nicht gelungen war. Um eine solche zu erhalten, machen wir folgende
Überlegung.
Nehmen wir je ein Mol jeder Flüssigkeit und überlassen sie in
einem von der Schwere befreiten Räume sich selbst, so wird infolge der
Oberflächenspannung die Gestalt jeder dieser Massen eine Kugel sein.
Die Oberflächen dieser Kugeln sind dann als molekulare Oberflächen
aufzufassen, und die zu ihrer Bildung erforderliche Energie ist die mole-
kulare Oberflächenenergie.
Im Sinne der Molekularhypothese kann man sagen, dass in diesen Ober-
flächen je eine gleiche Zahl von Molekeln enthalten sind, denn die Gesamt-
zahl der Molekeln ist in den verschiedenen Kugeln nach der Voraussetzung
gleich, und die Kugeln sind einander geometrisch ähnlich, so dass auch auf
jede Oberfläche die gleiche Molekelzahl kommt.
Nun verhalten sich die Volume verschiedener Kugeln wie die Kuben,
und ihre Oberflächen wie die Quadrate der Radien. Da die Volume
gleich den Molekularvolumen genommen sind, so verhalten sich die
Oberflächen wie die 2/3-ten Potenzen der Molekularvolume. Multipliziert
man also diese letzteren mit der Oberflächenspannung, so ergiebt sich
die molekulare Oberflächenenergie, eine Grösse, die der Volumenergie
der Gase pv ganz vergleichbar ist.
Ist also V das Molekularvolum und 7 die Oberflächenspannung,
80 ist V^/«7 die molekulare Oberflächenenergie, wobei der allgemeine
Zahlenfaktor y36jr weggelassen ist.
Für die so definierte molekulare Oberflächenenergie sind nun von
Eötvös (1886) und Ramsay und Shields (1893) folgende Gesetze ge-
fiinden worden.
Die molekulare Oberflächenenergie nimmt proportional der Tempe-
ratur ab, um beim kritischen Punkt gleich Null zu werden. Der
Temperaturkoeffizient dieser Abnahme ist für alle homogenen
Flüssigkeiten der gleiche. Ist also w^ die molekulare Oberflächen
150 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
energie bei der Temperatur t und w© dieselbe bei 0®, so gilt die Gleichung
wt = Wo — Bt,
wo der Koeffizient B unabhängig von der Natur der Fltisägkeit ist.
Man kann die Ähnlichkeit dieser Gleichung mit der Gasgleichnng
noch mehr hervortreten lassen, wenn man die Temperatur abwärts von
dem kritischen Punkte oder dem Werte Null der molekularen Oberflächen-
energie rechnet. Nennt man die so gezählten Temperaturen D, die
molekulare Oberfläche a> und die Spannung /, so nimmt die Gleidiung
die Gestalt an yQ^-_BD^
die der Gasgleichung pv = RT ganz entspricht.
Die Konstante B beträgt, wenn man die Spannung in absolutem
Masse ausdrückt, 2*121.
Es ist alsbald hervorzuheben, dass diese Gleichung die Thatsachen nicht
vollständig genau darstellt. Die molekulare Oberflächenenergie verläuft in
der Nähe des kritischen Punktes nicht ganz linear, so dass man die Tempe-
ratur nicht von diesem ab rechnen darf, sondern von einem etwas um einige
Grade unter der kritischen Temperatur gelegenen Punkte.
Hieraus ergiebt sich die bemerkenswerte Thatsache, dass die mole-
kulare Oberflächenenergie eine kolligative Eigenschaft ist, wie die
Dampfdidite (S. 73). Die durch sie bestimmten Stoffinengen stehen
mit den chemisch vergleichbaren Mengen in einem ähnlich einfachen
Zusammenhange, wie die durdi die Dampfdichte bestimmten, und man
kann mittelst dieser Eigenschaft daher ebenso „Normalgewichte^ fest-
stellen (S. 66), wie mittelst der Dampfdichten. Die aus der Oberflächen-
energie bestimmten Normalgewichte sind in vielen Fällen den aus der
Dampfdichte bestimmten proportional, oder bei geeigneter Wahl der
Konstanten gleich. Im Sinne der Molekularhypothese liegt also in
der Bestimmung der Oberflächenspannung ein Mittel vor, um das Mole-
kulargewicht homogener Flüssigkeiten zu bestimmen, wie die Dampf-
dichte die Bestimmung des Molekulargewichts von Dämpfen gestattet
Da indessen beide Methoden auf Grundlagen beruhen, die von ein-
ander unabhängig sind, so war von vornherein nicht zu erwarten, dass
sie übereinstimmende Ergebnisse liefern müssen. Dass sie es dennoch
thun, ist als ein sehr bemerkenswertes Naturgesetz anzusehen.
Bei eingehender Untersuchung zeigt sich, dass nicht alle Stoffe diesem
einfachen Gesetze gehorchen; die vorhandenen Abweichungen liegen so, dass
der Faktor B kleiner als 2-121 ausfällt. Man kann den normalen Wert des
Faktors durch dasselbe Verfahren erzielen, welches zur „Erklärung" d. h.
Einbeziehung der abnormen Dampfdichten gedient hat. In dem Ausdrucke
für die molekulare Oberflächenenergie sind alle Werte experimentell gegeben
ausser dem des Molekulargewichts; man kann daher, wenn sich eine Ab-
weichung des Faktors B von den gewöhnlichen Werten herausstellt, das
Molekulargewicht so wählen, dass wieder der normale Wert herauskommt.
Wenn der Faktor B zu klein gefunden wird, so muss das Molekulargewicht
OberflftchenBpannung. 151
erhöht werden, damit er seinen gewöhnlichen Wert erhält. Im Sinne der
Molekularhypothese heisst dies, dass die betreffenden Stoffe im flüssigen Zu-
stande an Stelle der einfachen Molekeln, die sie im Dampfe bilden, zusammen-
gesetzte oder associierte enthalten. Hierbei ist die noch nicht bewiesene
Voraussetzung gemacht, dass in den normalen Flüssigkeiten die aus der
Oberfl^ächenspannung bestimmten Molekulargrössen mit denen aus der Dampf-
dichte gleich gesetzt werden können.
Die Zweckmässigkeit dieser Auffassung erhellt daraus, dass viele von
den Stoffen, die sich in dieser Weise als associiert ausweisen, auch im Dampf-
zustande Anzeichen von der Bildung vielfacher Molekeln geben. Dies trifft
insbesondere für die Essigsäure zu, deren Molekularzustand als Flüssigkeit
durch die Formel (C* H* 0*)n dargestellt wird, wo n je nach der Temperatur
von 1-3 bis 21 geht. Femer geben andere Methoden der Molekulargewichts-
bestimmung aus den Eigenschaften verdünnter Lösungen, die später erwähnt
werden sollen, auch gerade für solche Stoffe Neigung zur Bildung vielfacher
Molekeln zu erkennen, die aus der Oberflächenspannung zu dem gleichen
Schlüsse führen.
Zu solchen sich im flüssigen Zustande polymerisierenden Stoffen ge-
hören die Alkohole, deren n- Werte bis 2-6 gehen, die Fettsäuren, einige
Eetone, Nitrile, Nitroparafflne, insbesondere auch das Wasser, dessen n von 1-7
bei 0» bis 13 bei 140» geht.
Dagegen sind Kohlenwasserstoffe und ihre Halogenabkömmlinge, Äther
und Ester normal, ebenso die meisten anorganischen Flüssigkeiten, Säure-
chloride und -anhydride, Schwefelverbindungen, Anilin, Pyridin, Chinolin u.s. w.
Für die allgemeine Theorie der Flüssigkeiten ergiebt femer Be-
trachtung der Oberflächenspannung folgenden Schluss. Die Arbeit zur
Erzeugung von einem cm* Oberfläche beträgt beim Wasser (S. 147)
77 Erg. Mit einer gegebenen Wassermenge kann man nun nicht eine
unbegrenzt grosse Oberfläche herstellen^ da sonst eine unbegrenzte
Energiemenge mit einer endlichen Stofimenge verbunden wäre, was ein
Widerspruch ist. Im Sinne der S. 146 gegebenen Betrachtungen ist viel-
mehr das Maximum der Energie , die man der Flüssigkeit als Ober-
flädtenenergie zuführen kann^ durch die halbe Yerdampfiingswärrae ge-
geben. Diese beträgt für 1 g Wasser rund 25 J oder 25 X 10"" Erg.
Daraus folgte dass man mit 1 g Wasser höchstens eine Fläche von
16 X 10^ cm* bedecken kann. Die Dicke dieser Schicht ist 0-6 X 10"^ cm.
Die Molekularhypothese giebt für diese Dicke die Auffassung^ dass
sie eine einfache Schicht von Molekeln darstelle^ und danach wäre sie
auch als der Durchmesser der Molekeln anzusehen. Diese Zahl stimmt der
Grössenordnung nach gut mit der überein, die aus den Annahmen der
kinetischen Hypothese berechnet wurde (S. 82). Hieraus ist abgesehen
von allen Hypothesen zu schliessen, dass die Eigenschaften der Stofle
andere werden, als wir sie gewöhnlich kennen lernen, wenn ihre Ab^
messungen unter den Wert vou nmd I0~**cro herabgehen,
152 HI. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
Man kann sich schliesslich fragen, ob die bisher stillschweigend festge-
haltene Annahme, dass die Oberflächenspannung auf die Verkleinerung
der Oberfläche hinwirke, immer zutrifft, und ob es nicht auch Spannungen
umgekehrten Zeichens giebt. Eine solche Spannung müsste die Oberfläche
zu vergrössem streben. In der That sind solche Wirkungen bekannt: sie
liegen bei den Escheinungen der Benetzung und der gegenseitigen Auflösung
der Flüssigkeiten vor. Wenn man eine Fläche von reinem Glase mit Wasser
oder Alkohol in Berührung bringt, so tritt eine Bewegung der Flüssigkeit in
solchem Sinne ein, dass sich die Berührungsfläche zwischen beiden vergrössert.
Da hierdurch u. a. Wasser gehoben werden kann, so kann der Vorgang Arbeit
leisten, und es liegt also hier eine Oberflächenenergie zwischen der festen
Fläche und der Flüssigkeit vor, deren Zeichen das umgekehrte von dem der
gewöhnlichen, flächen verkleinernden ist.
Femer besteht an der Berührungsfläche zweier nicht mischbarer Flüssig-
keiten, wie Wasser und Phenol, bei niedrigen Temperaturen eine Oberflächen-
spannung von der gewöhnlichen Art, die die Oberfläche zu verkleinem strebt.
Erhöht man die Temperatur, so wird diese Spannung (während sich gleich-
zeitig die Flüssigkeiten mehr und mehr ineinander lösen) immer kleiner,
schliesslich gleich Null. Gleichzeitig werden die beiden Flüssigkeiten in allen
Verhältnissen ineinander löslich. Daraus kann man schli essen, dass bei
Flüssigkeitspaaren, die sich in allen Verhältnissen vermischen lassen, eine
Oberflächenspannung umgekehrten Zeichens besteht. Bringt man solche
Flüssigkeiten miteinander in Berührung, so sucht ihre gemeinsame Oberfläche
den grössten Wert anzunehmen, und dies geschieht, wenn sich beide Flüssig-
keiten vollkommen miteinander vermischen. Hierdurch werden die Erschei-
nungen der Lösung mit denen der Oberflächenspannung in Zusammenhang
gebracht.
Die Oberflächenspannung hat einen Einfluss auf den Dampfdruck
der Flüssigkeiten ; der indessen wegen des kleinen Betrages der Ober-
flächenenergie nur in fallen zur Geltung kommt^ wo das Verhältnis der
Oberfläche zur Stoflfmenge gross ist^ wie z. B. bei kleinen Tröpfchen.
Dieser Einfluss erhöht an konvexen Flächen, z. B. Tropfen, den Dampf-
druck, so dass dieser bei derselben Flüssigkeit und derselben Temperatur
um so grösser wird, je kleiner das Tröpfchen ist An konkaven Ftächen
wird der Druck umgekehrt kleiner.
Man kann sich von der Notwendigkeit eines soldien Einflusses leicht
überzeugen, wenn man überlegt, dass die Gesamtoberfläche zweier Kugeln
grösser ist, als die Oberfläche der einen Kugel, die man aus der gleichen
Stoflmenge bilden kann, und die daher das gleiche Volum hat Da
die Oberflächenspannung die Gesamtoberfläche so klein als möglich zu
machen strebt, so muss sie auch in solchem Sinne wirken, dass zwei
nebeneinander befindliche Tropfen sich zu einem vereinigen. Durch
die Betrachtung der verhältnismässigen Änderungen der Oberflädien bei
der Übertragung der Flüssigkeit aus dem einen lYopfen in den anderen
ergiebt sich alsbald, dass sich ein grösserer Tropfen auf Kosten eines
Innere Reibung. 153
kleineren Tergrössem muss; da die Tropfen auch durch Destillation ihr
Grössenverhältnis verändern können^ so muss in solchen Fällen Destillation
eintreten, and zwar vom kleineren Tropfen znm grösseren. Daraus er-
giebt sich die Notwendigkeit einer Verschiedenheit der Dampfdrücke mit
der Tropfengrosse in dem angegebenen Sinne.
Man kann sich von dem Vorhandensein solcher Unterschiede überzeugen,
wenn man eine (nicht zu leicht) flüchtige Flüssigkeit in eine Röhre ein-
schliesst, diese luftieer macht, und in ihr an einer vorher trockenen Wand
einen Beschlag von Tröpfchen erzeugt. Überlässt man dann den Versuch sich
selbst, so findet man nach einiger Zeit, dass die Tröpfchen, die durch Zufall
grösser geworden waren, als die anderen, sich mit einem trockenen Hof um-
geben haben, zum Zeichen, dass die angrenzenden kleineren Tröpfchen auf
ihren grösseren Nachbar überdestilliert sind. Ein geeignetes Material für
diesen Versuch ist Schwefel, der sich aus dem Dampfe in flüssiger Form ab-
zusetzen pflegt
Um den Betrag der Änderung zu berechnen, denke man sich in ein Geföss
mit der Flüssigkeit eine Eapillarröhre gestellt. Dann wird sich die Flüssig-
keit bis zu einer bestimmten Höhe erheben, die durch die Formel h»=2y/rs
(S. 148) gegeben ist. Da das Gebilde im Gleichgewicht ist, so muss der Dampf-
druck am Meniskus, der die Flüssigkeit oben begrenzt, gleich dem Drucke
des von der unteren ebenen Fläche ausgesendeten Dampfes, vermindert um
den hydrostatischen Druck des zwischen beiden Flächen befindlichen Dampfes
sein. Dieser aber ist gleich dem Produkte der (absoluten) Dichte des Dampfes D
in die Steighöhe h. Nennt man die Dampfdruckverminderung im Meniskus dp,
so ist dp = Dh oder nach Einsetzen des Wertes für h, dp«»2Dy/rs. Sie
ist also proportional der Oberflächenspannung y, dem Verhältnis D/d der
Dichten des Dampfes und der Flüssigkeit, und umgekehrt proportional dem
Radius der Röhre, und somit dem Radius der begrenzenden Eugelfläche.
In diesem Falle besteht der Einfluss der kapillaren Fläche in einer
Verminderung des Druckes, weil die Fläche konkav ist. Bei Tropfen ist sie
konvex und da tritt demgemäss eine Vergrösserung des Druckes ein. Man
erhält eine entsprechende Versuchsanordnung, wenn man eine nicht benetzende
Flüssigkeit in einem zweischenkligen Rohre mit einem kurzen engen und
einem hohen weiten Schenkel betrachtet.
Zehntes Kapitel.
Innere Beibung.
Die Flüssigkeiten sind bisher als Körper behandelt worden, welche
jede Form annehmen. Dies ist zwar der Fall, doch bedingt die Form-
änderung der Flüssigkeiten eine Arbeit, welche durch ihre innere
Keibnng gemessen wird. Diese ist allerdings meist sehr gering, doch
154 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.
giebt es auch Flüssigkeiten mit grossen Werten der inneren Reibung.
Je grösser diese Werte werden, um so mehr nähern sich die Flüssig-
keiten den festen Körpern, und es findet auf diesem Gebiet ein zu-
sammenhängender Übergang statt zwischen Stoffen von der Beschaffen-
heit des warmen Äthers, welcher überaus flüssig ist, bis zu der des
Pechs und Glases, weldies sich in den meisten Beziehungen wie ein fester
Körper verhält.
Die innere Reibung der Flüssigkeiten macht sich bei allen Be-
wegungen geltend, wenn sie audi ohne Formänderung stattfinden, falls
nur die Teilchen der Flüssigkeit sich aneinander verschieben. Der
Koeffizient der inneren Reibung rj ist gleich der Arbeit zu setzen, welche
erforderlich ist, um zwei Flächen von 1 qcm Grösse in 1 Sekunde ein-
ander parallel um ebensoviel zu verschieben, als ihre Entfernung beträgt.
Er hat flir die gewöhnlichen Flüssigkeiten recht kleine Werte; für Wasser
von mittlerer Temperatur z. B. beträgt er nicht mehr als 0 011 in ab-
soluten Einheiten.
Am zweckmässigsten bestimmt man die innere Reibung von Flüssig-
keiten mittelst Ausflusses aus cylindrischen Röhren. Für diesen Fall gilt
p jrr*
die Formel w= ^7— — , wo p der Druck, r der Röhrenradius, l ihre
81v
Länge und v das in der Zeiteinheit ausfliessende Flüssigkeitsvolum be-
deutet; jt ist die bekannte Zahl 3-1415.. Die Ableitung der Formel
erfordert höhere Mathematik und wird daher nicht gegeben.
pjrr*
Die in der Formel rj = — — — enthaltenen Beziehungen, dass das
ausfliessende Flüssigkeitsvolum proportional dem Drucke und der vierten
Potenz des Radius und umgekehrt proportional der Länge der Röhre
ist, sind auf empirischem Wege von Hagen (1839) und Poiseuille (1843)
gefunden worden. Diese Übereinstimmung zwischen Theorie und Er-
fahrung bestätigt die Voraussetzung, unter welcher erstere entwickelt
worden ist: dass nämlich die innere Reibung proportional der Grösse
der reibenden Flächen, sowie der relativen Geschwindigkeit ihrer Be-
wegung sei.
Die oben gegebene Formel gilt streng genommen nur für den Fall, dass
alle Arbeit, welche durch den Druck geleistet wird, nur zur Überwindung
der Reibung dient. Thatsächlich ist dies nie erfüllt, da die Flüssigkeit immer
mit einer endlichen Geschwindigkeit, also mit einem Vorrat von lebendiger
Kraft die Röhre verlässt. Nennt man R den durch die Reibung verbrauchten
Anteil der Arbeit, so muss diese plus der lebendigen Kraft, mit welcher die
Flüssigkeit austritt, gleich der gesamten Arbeit sein. Für das Volum V der
Flüssigkeit, welche unter dem Drucke P in die Röhre tritt, hat die Arbeit den
Wert PV, und somit ist PV=R-f L, wo L die lebendige Kraft darstellt
Diese ist gleich dem halben Produkt der Mß-sse Vs (s =^ spezifischem Gewicht)
Innere Reibung.
155
mit dem Quadrat der Geschwindigkeit Letztere ist aber gleich — , wo t die
Zeit und q den Querschnitt bedeutet. Wir haben demnach
PV«R+ ^"^
und
2t»q»
V>8
^^ V^ 2Pt«aV
ü*/
2Pt«q«
An dem Zahlenfaktor dieser Formel muss indessen noch eine Korrektion
angebracht werden. Er ist unter der Voraussetzung berechnet worden, dass
alle Teile der strömenden Flüssigkeit dieselbe Geschwindigkeit haben. Dies
ist nun nicht richtig; die mittleren Teile gehen am schnellsten, die äusseren
langsamer. Die Berücksichtigung dieser Verschiedenheiten, die nur mit höherer
Mathematik behandelt werden können, führt dazu, den Faktor 2 im Nenner
durch y2 = 1-260 zu ersetzen; im Übrigen bleibt die Formel unverändert
und hat sonach, da R dem Koeffizienten 97 proportional ist, die Gestalt
(. V*s
^="'?(b6ob.) \^ 1.26Pt«q^
Im Verhältnis des zweiten Gliedes in der Klammer muss also der aus den
Dimensionen der Röhre abgeleitete Wert des Reibungskoeffizienten vermindert
werden. Da dies Glied dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist,
so wird es am zweckmässigsten sein, die Geschwindigkeit des Ausflusses mög-
lichst zu vermindern, indem man lange Röhren und geringe Drucke verwendet.
Da die Bestimmungen der absoluten Werte der inneren Reibung
insbesondere wegen der Beschaffung und Ausmessung vollkommen
cylindrischer Kapillaren ziemlich beschwerlich ist, begnügt man sich
häufig mit relativen Werten, indem man die innere Reibung
des Wassers bei 0" (oder auch bei der Versuchstemperatur)
als Norm benutzt; gewöhnlich setzt man sie gleich 1
oder 100. Dies Verfahren hat den grossen Vorteil, dass
man dann die Konstante des Apparates mit ungeflihr der-
selben Genaaigkeit bestimmen kann, welche den Messungen
selbst zukommt, während einzelne der erforderlichen ab-
soluten Messungen einen weit grösseren Fehler bedingen.
Dem Fortschritt der Wissenschaft ist es zu tiberlassen,
die gewählte Einheit mit entsprechender Genauigkeit in
absolutem Werte zu ermitteln.
Am zweckmässigsten hat sich f^ die Ausführung
von relativen Reibungsbestimmungen der beistehend ab-
gebildete Apparat bewährt. Er besteht wesentlich aus
einer Röhre db, welche in ihrem obersten Teile einige
MiDimeter breit ist, sich bei c verjüngt, um in eine
Kugel k überzugehen, an welche sich die Kapillare
db schliesst, die ihrerseits wieder in die weitere Röhre
be übergeht. Man füllt den Apparat von f aus mit einem gemessenen
Volum d^r Flüssigkeit, und ermittelt die Zeit, in welcher die Oberfläche
a- -
f
Fig. 18.
156 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
der Flüssigkeit durch eine oberhalb und eine unterhalb der Kugel ange-
brachte Marke tritt. Ist t diese Zeit für eine Flüssigkeit, deren Dichte
s ist, und T die Zeit für Wasser mit der Dichte ö, so ist die relative
innere Reibung q = — , da die Drucke sich in beiden Fällen wie s:ö
verhalten.
Was nun -die stöchiometrischen Ergebnisse der Bestimmungen von
Reibungskonstanten flüssiger Stoffe anlangt, so sind dieselben, obwohl
von einzelnen Forschem viel Mühe auf ihre Messung gewendet worden
ist, bisher noch nicht in eine irgendwie allgemeinere Beziehung zu der
chemischen Zusammensetzung und Konstitution gebracht worden. Die
ersten Versudie hierüber liegen von Graham (1861) vor, später stellten
Rellstab (1868), Pribram und Handl (1878) und besonders umfassend
Thorpe und Rodger (1896) entsprechende Untersuchungen an. Die er-
haltenen Ergebnisse beschränken sich auf einige innerhalb enger Gebiete
geltende Regeln, deren Anführung unterbleiben kann.
Insbesondere hat sich kein Anhaltspunkt zur Entscheidung der Frage
gefunden, bei welchen Temperaturen die Reibungskoeffizienten vergleich-
bar seien. Die Werte derselben nehmen mit steigender Temperatur sehr
schnell ab; ein Gesetz, weldies diese Änderung darstellt, ist von Graetz
(1888) angegeben worden, doch hat seine Anwendung gleichfalls nicht
zu stöchiometrischen Ergebnissen geführt.
Etwas ergiebiger haben sich die Lösungen gezeigt, über deren Ver-
halten aber hier nicht berichtet werden kann.
Viertes Buch.
Stöchiometrie fester Stoffe.
Erstes Kapitel.
Allgemeines.
Flüssige und gasförmige Körper sind im stände, mechanische
Energie ausser in Gestalt von Bewegungsenergie auch dadurch aufzu-
nehmen, dass sie ihr Volum ändern. Durch die Wiederannahme des
früheren Volums wird die aufgenommene Energie wieder ausgegeben, und
die beiden Zustände unterscheiden sich durch den Umstand, dass den
Gasen diese Fähigkeit bei jedem Volum zukommt, während die Flüssig-
keiten ein bestimmtes grösstes Volum für jede Temperatur haben, das
durch Druckänderungen nur verkleinert, nicht vergrössert werden kann.
Allgemeines. 157
Feste Körper verhalten sich in Bezug auf die Volumenergie zu*
nächst den Flüssigkeiten ähnlich: sie lassen sich zusammendrücken^
nehmen aber durch Druckverminderung nicht ein beliebig grosses^ sondern
ein endliches eigenes Volum an. Ausser dieser Eigenschaft haben sie
aber noch eine andere ^ die ihren Charakter als feste Körper bedingt.
Auch zu blossen Änderungen ihrer Form, ohne gleichzeitige Volum-
änderung ist Arbeit erforderlich, und auch diese Arbeit wird wieder-
gewonnen, wenn man den Körper seine frühere Form wieder an-
nehmen lässt
Diese Formenergie nennt man auch Elastizität. Sie bedingt, dass
ein fester Körper seine Gestalt beibehält, solange nicht sie durch ent-
sprechende Ai'beit geändert wird, und dass nach dem Aufhören eines
solchen Zwanges sich seine frühere Gestalt wieder herstellt. Sie bildet
das wesentliche Kennzeichen des festen Zustandes.
Über diese Eigenschaft lagert sich eine andere, welche sie zum Teil ver-
decken kann. Auch festen Körpern kommt flüssige Beschaffenheit, d. h. die
Eigenschaft zu, ihre Teilchen dauernd gegeneinander zu verschieben. Hierfür
ist auch Arbeit erforderlich ; diese wird aber nicht wiedergewonnen, wenn man den
Körper aus dem Zwang entlässt, sondern ist verbraucht, d. h. in Wärme ver-
wandelt. Man bezeichnet dieses Fliessen fester Körper als unvollkommene
Elastizität, doch ist es besser, von dieser Bezeichnung keinen Gebrauch zu
machen, da es sich um eine Eigenschaft handelt, die in der Hauptsache ge-
rade das Gegenteil von Elastizität ist.
Von dem Zustande einer gewöhnlichen Flüssigkeit zu dem eines
festen Körpers giebt es also einen stetigen Übergang, wenigstens bei
gewissen Stoffen. So verhält sich beispielsweise geschmolzenes Glas bei
höherer Temperatur ganz wie eine Flüssigkeit. Lässt man es abkühlen,
so nimmt seine innere Reibung zu; gleichzeitig tritt die Eigenschaft der
Formelastizität, die bei gewöhnlichen Flüssigkeiten kaum nachweisbar ist,
mehr und mehr auf, und wird schliesslich bestimmend fiir das Verhalten.
Dass aber auch bei gewöhnlicher Temperatur das Glas noch etwas
flüssig ist, geht aus der den Glasbläsern bekannten Thatsache hervor,
dass Glasröhren, die nur an den Enden unterstützt lagern, sich allmäh-
lich im Sinne der Schwerewirkung durchbiegen und krumm werden.
Die gleiche Eigenschaft zeigt sich darin, dass frischgefertigte Quecksilber-
thermometer, in denen sich ein leerer Raum befindet, und die deshalb
den äusseren Luftdruck erfahren, ein langsames Ansteigen des Null-
punktes, entsprechend einem langsamen Zusammenfliessen des Queck-
silbergefasses, zeigen.
Die festen Körper lassen sich femer in zwei grosse Gruppen teilen,
welche voneinander scharf getrennt sind: in amorphe und krystal-
linische. Beide haben die eben geschilderte Eigenschaft, die Form-
elastizität, aber mit folgendem Unterschiede. Amorphe feste Körper haben
nur einen Koeffizienten der Formelastizität; ein Kreiscylinder aus
158 ^' Stöchiometrie fester Stoffe.
amorphem Material erieidet durch gleichen Druck nach allen Seiten die
gleiche Durchbiegung und es ist gleichgültig, nach welcher Richtung der
Cylinder etwa aus einem grösseren Stück geschnitten ist Ein krystal-
linischer Körper dagegen hat mehrere Elastizitätskoeffizienten. Schneidet
man einen Kreiscylinder aus einem solchen^ so ist dessen Durchbiegung
verschieden je nach der Ebene, in welcher man den Druck wirken lässt,
und es giebt nur eine endliche Zahl von Ebenen, nach denen sich der
Cylinder gleich verhält. Ebenso hat der Cylinder verschiedene elastische
Eigenschaften, je nach der Lage, in der man ihn aus einem Stück ge-
schnitten hat. Nur Cylinder, die einander parallel geschnitten sind, ver-
halten sich übereinstimmend, und ausser dieser gegenseitigen Lage giebt
es wieder nur eine endliche Anzahl anderer, welche übereinstimmende
Cylinder ergeben.
Bei den krystallinischen Körpern ist die Formelastizität also noch
an demselben Stück räumlichen Verschiedenheiten unterworfen, während
sie bei amorphen Körpern nur von der Natur des Stoffes und seiner
Temperatur abhängt.
Hierbei ist immer vorausgesetzt, dass wir es mit einheitlichen Körpern
zu thun haben, in denen übereinstimmend gelagerte Stücke in allen Be-
ziehungen gleiche Eigenschaften haben. UngleichfÖrmigkeiten der chemischen
Zusammensetzung und der physikalischen Eigenschaften von Ort zu Ort sind
nach der am Anfange dieses Werkes stehenden Bestimmung überhaupt von
der Betrachtung ausgeschlossen.
Zweites Kapitel.
Erystalle.
Es wurde bereits hervorgehoben, dass die festen Körper oft die
Eigenschaft gesetzmässiger Richtungsverschiedenheiten in ihrer Beschaffen-
heit besitzen. Diese Gesetzmässigkeit macht sich bei allen Beziehungen
geltend, bei welchen die Richtung in Frage kommt, also bei der äusseren
Begrenzung, der Elastizität, den optischen Eigenschaften, der Wärme-
leitung u. s. w. Während in einem amorphen Körper, wie Glas, diese
Eigenschaften nach allen Richtungen gleiche Werte haben, sind bei
Kiystallen, wie man deraiüge Körper nennt, die Eigenschaften nur nach
parallelen Richtungen gleich; nach den anderen dagegen im allgemeinen
verschieden.
Von den Eigenschaften, welche hier in Frage kommen, ist die
äussere Begrenzung früher als jede andere beachtet und in ihren Gesetz-
mässigkeiten erforscht worden. Das erste Gesetz rührt von N. Steno
(1669) her, und lautet, dass bei den verschiedenen KrystaUen desselben
Krystalle. I59
Stoffes zwar die Fonn und Grösse der Flächen beliebig wechselnd sein
können, dass aber die Winkel, unter denen die Flächen zusammenstossen,
stets dieselben bleiben.
Von Hauy ist dann (1781) zwischen den verschiedenen Flächen
eines Krystalls eme weitere Gesetzmässigkeit aufgefunden worden, die
von ihm folgendermassen dargestellt worden ist Denkt man sich, was
immer möglich ist, die einfachsten Formen eines Krystalls aus prisma-
tischen Elementen von bestimmten Winkeln und Seitenverhältnissen auf-
gebaut, so ist es möglieb, mit Hilfe gleicher prismatischer Elemente auch
alle anderen am Erystall vorkommenden Formen aufzubauen, so dass
die durch die entsprechenden Ecken der Elementarprismen gelegten
Flächen die Kiystallflächen darstellen.
Eine lange benutzte Gestalt hat die Krystallographie durch Weiss
(1809) erlangt, welcher die Beziehung der Krystallgestalten auf be-
stimmte Achsensysteme einffthrte. Die beiden eben erwähnten Gesetze
erhalten in dieser Darstellungsweise die Form, dass erstens jedem Stoff
dn Achsensystem, dessen Winkel und relative Längen bestimmte Werte
haben, zukommt, und dass zweitens die verschiedenen an einem Krystall
vorkommenden Flächen, wenn sie parallel sich selbst durch einen Punkt
einer Achse gelegt werden, die anderen Achsen in einfachen rationalen
Verhältnissen schneiden.
Zu diesen beiden Gesetzen tritt noch als drittes das Symmetrie-
gesetz, dessen Erkenntnis zum Teil gleichialls auf Hauy zurückzu-
fahren ist. In vollständiger Weise ist es von Hessel (1830) ausge-
sprochen worden, dessen Entdeckung aber lange Zeit völlig unbeachtet
blieb. Erst in neuerer Zeit, als die gleichen Ergebnisse von verschiedenen
anderen Forschem auf unabhängigen Wegen gefunden wurden, kam diese
Betrachtungsweise zur allgemeinen Geltung.
Das Symmetriegesetz besagt, dass die in den Krystallen vorhandenen
Richtungen tibereinstimmender Eigenschaften gesetzmässig derart zu ein-
ander geordnet sind, dass sie miteinander auf n verschiedene Weisen
zur Deckung gebracht werden können, wo n eine endliche Zahl ist.
Die Operationen, durch welche diese Deckbewegungen ausgefiihrt werden,
sind Drehungen und Spiegelungen.
Ein Rad mit 6 Speichen kann beispielsweise durch Drehungen um
seine Achse sechs Mal mit sich selbst zur Deckung gebracht werden. Ist es
ausserdem auf beiden Seiten gleich geformt, so ist auch eine Drehung von
180® um jeden Durchmesser eine Deckbewegung. Dagegen kann die rechte
und die linke Hand nur durch eine Spiegelung zur Deckung gebracht werden.
Stellt man sich die Aufgabe, im Rahmen der oben angegebenen
allgemeinen Eigenschaften der KrystaJle alle möglichen Arten derselben
aufzufinden, so wird man folgende Aufgabe zu lösen haben: Auf
wieviel wesenüich verschiedene Arten kann man Richtungen im Räume
symmetrisch anordnen?
160 ^- Stöchiometrie fester Stoffe.
Untersucht man alle möglidien Arten, durch welche Deckbewegungen
bewirkt werden können, so findet man drei: Spiegelung in einer Ebene,
Drehung um eine Achse, und Drehspiegelung, d. h. eine Bewegung, die
aus einer Drehung um eine Achse und einer darauf folgenden Spiegelung
in einer senkrecht zu dieser Achse stehenden Ebene besteht Alle anderen
denkbaren Zusammenstellungen von Drehungen und Spiegelungen lassen
sich auf eine einzige der genannten Operationen zurückföhren.
Die einfachste Symmetrieart ist die Spiegelung. Sie liegt vor, wenn
jedem Punkte der ersten Lage ein Punkt der zweiten so entspricht, dass
er auf der Normalen einer bestimmten Ebene ebenso weit hinter dieser
liegt, als jener vom gelegen ist. Diese Ebene heisst die Symmetrieebene.
Die Drehung erfordert eine Symmetrieachse, d.h. eine Gerade, um
die man das Gebilde so drehen kann, dass es mit sich selbst zur
Deckung kommt Soli, wie bei Krystallen, die Bedingung erfüllt sein,
dass die Zahl dieser Drehungen endlidi ist, so muss der Winkel jeder
Drehung ein rationaler Bruchteil von 360® sein. Es lässt sich beweisen,
dass diese Brüche nur */,, ^s? V4 ^^^ Ve ^^ können; andere Ein-
teilungen würden mit dem Gesetz der rationalen Achsenschnitte in Wider-
spruch geraten. Demgemäss wird die Symmetrieachse eine zwei-, drei-,
vier- oder sechszählige sein, d. h. das Gebilde wird bei einer voll-
standigen Drehung um diese Achse 2, 3, 4 oder 6 Mal mit sich selbst
zur Deckung gelangen.
Nachdem sich die Symmetrieebene und -achse als Eigentümlichkeiten
der beiden ersten Symmetriearten ausgewiesen haben, könnte man
versucht sein, das Symmetriezentrum als die der dritten, der Dreh-
spiegelung anzusehen. Doch erweist sich der letztere BegrüBT weiter, als
der erste, so dass zwar alle durch ein Symmetriezentrum gegebenen Be-
ziehungen durch Drehspiegelung erreicht werden können, nicht aber
umgekehrt
Die Drehspiegelung kann nur bei 2, 4 und 6-zähliger Drehachse zu
Stande kommen; versucht man sie mit einer dreizähligen auszufuhren,
so gelangt man nicht mit einer ganzen Drehung zur Ausgangslage zu-
rück, sondern erst mit zweien, und das Ergebnis ist dann mit dem einer
sechszäliligen Achse identisch.
Aus diesen acht Symmetrieelementen: der Spiegelung, der zwei-,
drei-, vier- und sechszähligen Symmetrieachse und der zwei-, vier- und
sechszähligen Drehspiegelung setzen sich nun die Symmetrieeigenschaften
aller Krystalle zusammen. Bei dem Versuche, alle möglichen Zusammen-
stellungen dieser Elemente zu erschöpfen, überzeugt man sich bald, dass
ihre Zahl nicht besonders gross ist, denn man kann nicht willkürlich
jedes Element mit jedem anderen verbinden, sondern gewisse schliessen
sich gegensdtig aus, und andere Zusammenstellungen fllhren zu bereits
vorhandenen Formen. Die Gesamtzahl aller möglichen Krystallarten
ergiebt sich zu 31, und wenn man den Fall, dass gar keine Symmetrie
vorhanden ist, dazuniramt, 32.
Krystalle. 161
Die Ableitung dieser 32 Arten soll hier nicht gegeben werden,
wohl aber eine kurze Zusammenstellung der Ergebnisse^).
Zur besseren Übersicht ordnet man die 32 Klassen in 7 Krystall-
systeme, die aus der auf Achsenkreuze bezogenen Systematik von Weiss
übernommen sind.
I. Triklines System. Die Formen sind die wenigst symmetrischen.
Das System enthält zwei Klassen: 1. die asymmetrische Klasse ohne
jedes Symmetrieelement; 2. die pinakoidale Klasse mit einer zwei-
zähligen Drehspiegelung. Dadurch entsteht ein Symmetriezentrum, d. h. jeder
Fläche entspricht eine parallele Gegenfläche, und die Verbindungsgeraden
entsprechender Punkte schneiden sich alle in einem Punkte unter gegen-
seitiger Halbierung.
II. Monoklines System. 3. Sphenoidische Klasse: eine zwei-
zählige Symmetrieachse. 4. Domatische Klasse: eine Symmetrie-
ebene. 5. Prismatische Klasse: eine Symmetrieebene und eine dazu
senkrechte zweizählige Symmetrieachse. -^ Die Krystalle dieses Systems
zeigen einen höheren Grad von Symmetrie, indem durch die Symmetrie-
ebene bez. -achse nach einer Richtung eine rechtwinküge Ausbildung
bedingt wird.
III. Bhombisches System. 6. Bisphenoidische Klasse: drei
zu einander senkrechte zweizähUge Symmetrieachsen. 7. Pyramidale
Klasse: eine zweizählige Achse und zwei ihr parallele, einander recht-
winklig schneidende Symmetrieebenen. 8. Bipyramidale Klasse: drei
zu einander senkrechte Symmetrieebenen und drei zu einander senkrechte
zweizählige Achsen. — Die Krystalle dieses Systems sind durch drei
aufeinander senkrechte Ausbildungsrichtungen oder Achsen gekennzeichnet,
die durch ihre Symmetrieelemente bedingt werden.
lY. Tetragonales System. 9. Bisphenoidische Klasse: eine
vierzählige Drehspiegelung. 10. Pyramidale Klasse: eine vierzählige
Symmetrieachse. 11. Skalenoedrische Klasse: eine vierzählige Dreh-
spiegelung; senkrecht zu deren Achse zwei zweizählige, senkrecht zu
einander stehende Symmetrieachsen; in der Achse zwei Symmetrieebenen,
welche die Winkel der zweizähligen Achsen halbieren. 12. Trapez o-
edrische Klasse: eine vierzählige Achse; in der dazu senkrechten
Ebene vier zweizählige. 13. Bipyramidale Klasse: eine vierzählige
Achse und senkrecht dazu eine Symmetrieebene. 14. Ditetragonal-
pyramidale Klasse: eine vierzählige Achse und vier sich in ihr schnei-
dende Symmetrieebenen. 15. Ditetragonal-bipyramidale Klasse:
wie 14, dazu senkrecht zur vierzähligen Achse eine Symmetrieebene und
vier zweizählige Symmetrieachsen. — Die Krystalle dieses Systems sind
alle durch eine vierzählige Symmetrie um eine Hauptachse, d. h. eine
gegen alle übrigen Richtungen ausgezeichnete Richtung gekennzeichnet.
*) Groth, Physikalische Krystallographie. 3. Aufl. Leipzig 1895.
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 11
^62 ^^- Stöchiometrie fester Stoffe.
V. Trigonales System. ).6. Pyramidale Klasse: eine drei-
zählige Symmetrieachse. 17. RhomboSdrische Klasse: eine drdzählige
Achse, welche zugleich die Achse einer sechszähligen Drehspiegelung
ist. 18. Trapezoedrische Klasse: eine dreizählige Symmetrieachse
und drei zweizählige senkrecht dazu. 19. Bipyramidale Klasse: eine
dreizählige Achse und senkrecht dazu eine Symmetrieebene. 20. Ditri-
gonal-pyramidale Klasse: eine dreizählige Achse, in der sich drei
Symmetrieebenen schneiden. 21. Ditrigonal-skalenoedrische Klasse:
ausser den Elementen der 20. Klasse drei zweizählige Achsen senkrecht
zu der dreizähligen. 22. Ditrigonal-bipyramidale Klasse: ausser
den Elementen der 20. Klasse eine Symmetrieebene und sechs zwei-
zählige Achsen senkrecht zur dreizähligen. — Die Krystalle des trigo-
nalen Systems sind durch eine dreizählige Symmetrie um eine Haupt-
achse ausgezeichnet.
VI. Hexagonales System. 23. Pyramidale Klasse: eine
sechszählige Achse. 24. Trapezoedrische Klasse: eine sechs-
zählige Achse und senkrecht dazu sechs zweizälilige. 25. Bipyra-
midale Klasse: eine sechszählige Aclise und senkrecht dazu eine
Symmetrieebene. 26. Dihexagonal-pyraraidale Klasse: eine sechs-
zählige Achse und darin sechs Symmetrieebenen. 27. Dihexagonal-
bipyramidale Klasse: ausser den Elementen von 26 eine Symmetrie-
ebene und sechs zweizählige Achsen senkrecht zur sechszähligen. — Die
hexagonalen Krystalle besitzen gleichfalls eine ausgezeichnete Richtung
oder Hauptachse und sind in sechszähliger Symmetrie um diese ausgebildet.
VII. Kubisches System. 28. Tetra^drisch-pentagondode-
kagdrische Klasse: drei gleichwertige zweizählige Achsen, die zu ein-
ander senkrecht stehen; unter gleichen Neigungen zu diesen vier drei-
zählige Achsen. 29. Pentagon-ikositetraedrische Klasse: drei
gleichwertige, gegeneinander senkrechte vierzählige Achsen, vier drei-
zählige und sechs zweizählige, welche die Winkel der vierzähligen hal-
bieren. 30. Dyakisdodekaedrische Klasse: die Elemente der Klasse
28 und drei Symmetrieebenen senkrecht zu den zweizähligen Achsen.
31. Hexakistetragdrische Klasse: die Elemente der Klasse 28 und
sechs Symmetrieebenen. 32. Hexakisokta6drische Klasse: drei
vierzählige gleichwertige Symmetrieachsen senkrecht zu einander, vier
dreizählige und sechs zweizählige, femer sämtliche Symmetrieebenen der
Klassen 30 und 31. — Die Krystalle des kubischen Systems haben
drei gleichwertige, senkredit zu einander stehende Symmetrieachsen, zu
denen die weiteren Elemente kommen. Sie stellen die am regelmässigsten
ausgebildeten Krystalle dar, insbesondere ist die Klasse 32 der Ausdruck
der hödisten Symmetrie, die innerhalb der krystallographisehen Grund-
gesetze möglich ist.
Die Entwickelung der möglichen Krystallklassen aus den Symmetrie-
verhältnissen ist unabhängig von der Frage der äusseren Begrenzung
Kry stalle. 163
der Krystalle. Da sich die KrystaHform als erste und auflUlligste Eigen-
schaft der Krystalle bemerkbar macht; ist man lange geneigt gewesen,
sie als die Grundlage der Systematik anzusehen. Doch ist die Form
nur eine von den vielen Eigenschaften der Krystalle, die räumliche Gesetz-
mässigkeiten aufweisen, und eine angemessene Systematik muss alle
diese Eigenschaften umfassen.
Es entsteht nun die weitere Frage, ob die verschiedenen Eigen-
sdiaften alle dieselbe Mannigfaltigkeit zeigen, welche in den 32 Klassen
zum Ausdruck gekommen ist. Die Antwort ist, dass dies durchaus nicht
der Fall ist. Die 32 KlaBsen steilen die grösste Mannigfaltigkeit der
Symmetriebeziehungen dar, die überhaupt möglich ist. Nun sind ver-
schiedene Eigenschaften von solcher Beschaffenheit, dass sie gewisse
Symmetrieelemente bereits in sidi enthalten; in Bezug auf solche gehen
daher die Klassen, welche diese Elemente niclit enthalten, in solche über,
welche durch die Zufügung dieser Symmetrie entstehen. Dadurch wird
immer die Anzahl der möglichen Verschiedenheiten vermindert und die
32 Klassen treten zu Gruppen zusammen, von denen jede eine gewisse
Zahl von Klassen umfasst
Je nach der hinzugetretenen Symmetrieart können diese Gruppen
verschieden sein, doch müssen Eigenschaften, welche gleiche Symmetrie-
bedingungen enthalten, auch gleiche Gruppen ergeben. Die Erfahrung
hat dies allgemein bestätigt.
Die wichtigste Gruppe wird durch solche Eigenschaften gebildet,
deren Symmetrie im allgemeinsten Falle durch ein dreiachsiges Eilipsoid
dai'gestellt wird. Wenn man z. B. im Inneren eines Krystalls, der
ursprünglich überall gleiche Temperatur besass, in einem Punkte eine
Wärmequelle sich bethätigen lässt, so liegen die Punkte gleicher Tempe-
ratur in der Fläche eines dreiachsigen EUipsoids. Dies tritt bei Krystallen
des triklinen, des monoklinen und des rhombischen Systems ein. Dabei
ist das Eilipsoid im ersten Falle ohne irgend welche geometrische Be-
ziehung zur KrystaHform gelagert. Bei den monoklinen Krystallen muss
die vorhandene Symmetrieachse bez. -ebene mit einer solchen des EUip-
soids zusammenfallen, und bei den rhombischen muss dies mit den drei
aufeinander senkrechten Achsen bez. Ebenen geschehen.
Die Krystalle des trigonalen, tetragonalen und hexagonalen Systems
besitzen eine Achse mit drei- oder mehrzähliger Symmetrie. Eine solche
ist in einem dreiachsigen Eilipsoid nicht vorhanden, dieses muss daher in
ein einachsiges oder Rotationsellipsoid übergehen. Hierdurch wird die
Gruppe der einachsigen oder der mit einer Hauptachse versehenen
Krystalle gebildet.
Die Krystalle des kubischen Systems haben drei zu einander senk-
rechte gleichwertige Achsen. Durch diese Bedingung geht das Eilipsoid
in eine Kugel über.
Für Eigenschaften der geschilderten Art bilden die Krystalle dem-
nach drei (bez. unter Berücksichtigung der bei den dreiachsigen Krystallen
11*
154 ^- Stöchiometrie fester Stoffe.
erwähnten Verschiedenheiten fünf) Gruppen^ nnd durch die Messung der
Symmetrie einer derartigen Eigenschafit kann man die Zugehörigkeit des
Ery Stalls zu dem entsprechenden System feststellen ^ auch wenn er eine
willkürliche oder zuMige Form hat
Die meistuntersuchte von den Eigenschaften dieser Art ist die Fort-
pflanzung des Lichtes, und die davon abhängigen Brechungs- und Zer-
streuungsverhältnisse. Sie sind wegen ihrer Wichtigkeit in einem eigenen
Kapitel behandelt
Den gleichen Charakter haben alle anderen Eigenschaften, die auf eine
Ausbreitung von Punkt zu Punkt sich zurückführen lassen, wie die Leitung
der Wärme, der Elektrizität, des Schalls u. s. w. Ferner gehören hierher
die Form- und Volumänderungen durch Temperatur und allseitigen Druck,
ebenso die Verwitterungserscheinungen und überhaupt die chemischen Ände-
rungen an Krystallen, die ihn nur teilweise ergreifen.
Eine andere Art von Zusammenfassung wird durch solche Eigenschaften
bewirkt, welche zwar nach der Richtung verschiedene Werte haben, bei denen
es aber keinen Unterschied zwischen vor- und rückwärts giebt. Solcher Art
sind die elastischen Kräfte, denn ein gespannter Stab strebt sich zu verkürzen,
aber die Kraft treibt ihn nicht ausschliesslich nach der einen oder der an-
deren Seite. Durch eine solche Eigentümlichkeit erhält die Eigenschaft ein
Symmetrie Zentrum, und in Bezug auf sie giebt es nur so viele Klassen, als
aus den 32 werden, wenn man zu jeder noch diese Bedingung hinzufügt, und
die dann gleich werdenden zusammenfasst. Es bleiben dann elf Klassen übrig*).
Eine Eigenschaft polaren Charakters dagegen, d. h. eine solche, welche
immer und notwendig mit zwei entgegengesetzten Werten auftritt, wie z. B.
die elektrische Ladung, kann sich nur an solchen Achsen ausbilden, die an
ihren Enden verschieden sind, die z. B. nicht mit einer senkrecht dazu
stehenden Symmetrieebene verbunden sind. Ebenso sind alle Krystalle aus-
geschlossen, welche ein Symmetriezentrum haben.
Durch diese Betrachtimgen wird der enge Zusammenhang klar, welcher
zwischen der Symmetrie der Krystalle und der Weise besteht, in welcher
sich die verschiedenen Eigenschaften an ihnen bethätigen. Die weitere Ver-
folgung des Gegenstandes gehört der Krystallphysik an.
Die vorstehenden Entwickelungen enthalten nur die Voraussetzung, dass
die Krystalle symmetrische Gebilde seien, deren Mannigfaltigkeit nur durch
die anderen krystallographischen Grundgesetze eingeschränkt ist. Sie sind
daher frei von hypothetischen Annahmen bezüglich der inneren Struktur
der Krystalle und eines etwaigen Aufbaues derselben aus gesetzmässig ge-
ordneten Teilchen. Doch haben bereits seit dem Beginn der wissenschaft-
lichen Krystallographie Bestrebungen sich gezeigt, auf Grund der beobachteten
Gesetzmässigkeiten Vorstellungen der letzteren Art zu entwickeln, und solche
^) Im Falle der Elastizität tritt noch eine weitere Bedingungsgleichung
1
I
hinzu, durch welche noch zwei von diesen Klassen verschwinden.
" OF THK
. UISIIVERSITY
Krystalle. ' " "
sind bis auf unsere Zeit verfolgt worden. Dabei hat sich allerdings heraus-
gestellt, dass zwar die erste Ausbildung der Kenntnisse und Anschauungen
in der Krystallographie durch diese Hilfsvorstellungen erleichtert und be-
fördert worden ist; f&r die yoUstftndige Erledigung der Aufgabe sind sie aber
nicht geeignet gewesen, sondern dies ist auf rein geometrischem Wege, also
ohne jede derartige Annahme erfolgt, und auch in ihrer weiteren Entwickelung
hat die molekularhypothetische Betrachtung an Vollständigkeit und Einfach-
heit die geometrische nicht erreichen können.
Ein solches Verhältnis ist zu erwarten gewesen. Durch jede hypothe-
tische Veranschaulichung werden ausser den für die Erscheinung wesentlichen
Elementen noch zufällige in die Darstellung hineingebracht, die von der Be-
schaffenheit des angewendeten Bildes herrühren. Andererseits enthält die
geometrisch-mathematische Theorie nur die nötigen Elemente; sie muss daher
notwendig eine angemessenere Darstellung liefern, als die mit zufälligen Be-
standteilen beschwerte „anschauliche^* Hypothese. Indessen hat diese doch auch
im vorliegenden Falle eine so bedeutende Rolle gespielt, dass wenigstens
die Hauptpunkte erörtert werden müssen.
Schon Hauy, einer der ersten wissenschaftlichen Bearbeiter der Krystallo-
graphie, hatte seine Darstellung auf die Annahme gegründet, dass die Kry-
stalle aus kleinsten Teilchen von gleicher Form und paralleler Lage zusammen-
gesetzt seien, wie ein Mauerwerk aus Ziegeln. Das Gesetz der rationalen
Achsenschnitte ergab sich alsbald anschaulich aus dieser Annahme. Denkt
man sich z. B. parallelepipedische Stücke so übereinander gelagert, dass
jede höhere Schicht nach Länge und Breite um einen Stein kleiner wird, so
entstehen die Seiten einer Pyramide. Indem man die Abnahme erst bei
jeder zweiten, dritten u. s. w. Schicht eintreten lässt, oder jede folgende
Schicht um mehr als einen Stein kleiner macht, erhält man andere Pyramiden,
deren Lage zu der ersten dem Gesetz der rationalen Achsenschnitte (das
Hauy auf Grund dieser Betrachtung als das Gesetz der Decrescenzen be-
zeichnet) entspricht.
Während Hauy aber es noch als nötig angesehen hatte, seine Bausteine
von solcher Form anzunehmen, dass der Raum durch ihre Zusammensetzung
vollständig gefüllt wurde, gab man später diese Annahme als unnötig auf,
und bearbeitete die allgemeinere Aufgabe, die Molekeln oder Massenpunkte
ohne Rücksicht auf ihre etwaige Form in gesetzmässiger Weise anzuordnen,
und zuzusehen, wie sich diese Anordnung mit den krystallographischen That-
sachen in Übereinstimmung bringen lässt.
Solche Vorstellungen sind mehrfach ausgebildet worden von Franken -
heim (1832—56), Bravais (1849), Möbius (1849) und Sohncke (seit 1867), und
haben zu dem gesuchten Ergebnis gefuhrt.
Man denke sich ein System von Punkten im Räume, welches der Be-
dingung entspricht, dass die Anordnung desselben um jeden beliebigen Punkt
die gleiche ist, wie um jeden anderen. Verbindet man einen Punkt mit
einem benachbarten, so wird diese Gerade, beiderseits verlängert, in gleiclun
Entfernungen immer wieder einen Punkt treffen, da nach der Voraussetzung
166 I^- Stöchiometrie fester Stoffe.
der dritte Punkt zum zweiten ebenso liegen muss, wie der zweite zum
ersten; die Gerade wird also eine unendliche Reihe äquidistanter Punkte ver-
binden. Zieht man von demselben ersten Punkte zu einem anderen benach-
barten wieder eine Gerade, so gilt für diese das Gleiche. Ebendasselbe gilt
aber auch für jede Parallele zur ersten Geraden, die man durch einen Punkt
der zweiten zieht und umgekehrt Die beiden Scharen von Parallelen, die
man durch diese Konstruktion erhält, liegen in einer Ebene und ihre Durch-
schnitte enthalten alle Punkte, welche zum System gehören. Die für Krystalle
charakteristische Anordnung führf also in der Ebene zunächst auf zwei
Scharen äquidistanter Parallelen, die unter irgend einem Winkel sich schneiden.
Fügt man die Bedingung hinzu, dass die beiden bestimmenden Geraden von
dem Ausgangspunkte zu den beiden zunächstliegenden Punkten gezogen
werden, so lässt sich beweisen, dass der Winkel zwischen 60° und 90*
liegen muss.
Ziehen wir weiter eine dritte Gerade zu einem nicht in der Ebene
liegenden nächstbenachbarten Punkte, so gilt für diese und für jede durch
einen Punkt in der Ebene gezogene Parallele wiederum das oben Gefundene.
Die Gesamtheit der gesetzmässig möglichen Punkte ordnet sich somit in den
Durchschnittspunkten von drei Scharen paralleler äquidistanter Ebenen an,
für deren Winkel das oben Gesagte gleichfalls gilt. Wird keine weitere Be-
stimmung getroffen, so haben wir den Fall geringster Symmetrie, das asym-
metrische System.
Wenn wir nun die weitere Bedingung hinzufügen, dass eine Sym-
metrieebene vorhanden sein soll, so muss diese jedenfalls senkrecht zu
einer von zwei Punktreihen bestimmten Ebene stehen und den Winkel der
Reihen halbieren, da anders nicht die Bedingung der Symmetrie, d. h. die
Bedingung, dass jenseits der Symmetrieebene die Anordnung das Spiegel-
bild der diesseits befindlichen darstellt, zu erfüllen ist. Femer müssen die
beiden Parallelenscharen in der Ebene auch in Bezug auf Entfernung über-
einstimmen. Denn denkt man sich die eine Schar in der Ebene bis zu
ihrem Durchschnitte mit der Symmetrieebene gezogen, so erfordert die
Schar ihr Spiegelbild auf der anderen Seite, und verlängert man die Paral-
lelen beiderseits unbegrenzt, so ist das Netz in der Ebene endgültig fest-
gestellt. Wir kommen also zum Schluss, dass eine Symmetrieebene in einer
dazu senkrechten Ebene ein Punktnetz mit rhombischer Masche bedingt,
die Symmetrieebene geht durch eine Diagonale. Was nun die Punkte ausser-
halb der Ebene betrifft, so soll zunächst in Erinnerung gebracht werden,
dass jede Ebene, die parallel der eben betrachteten durch einen solchen
Punkt gelegt ^ird, genau dieselbe Punktanordnung enthalten muss, wie
diese. Wir können dies zweite Punktsystem also erhalten, wenn wir das
erste parallel sich selbst um irgend eine Grösse verschieben. Dabei muss
aber dem Gesetz der Symmetrie Genüge geschehen. Da nun durch die
Spiegelung die Zahl der Punkte sich verdoppeln würde, wenn die Ver-
schiebung willkürlich geschähe, so muss diese so ausgeführt werden, dass die
ursprünglichen punkt^ und ihre Spiegelbilder ;zusan)ip^4fallen , d, b. ii^s^n
Kry stalle. 167
muss das System so verschieben, dass jeder Punkt sich in einer zur Symmetrie -
ebene parallelen Geraden bewegt Die Projektion der Punkte ausserhalb der
Ebene muss also in die Diagonale der Hhomben fallen, durch welche die
Symmetrieebenen gehen. Man erlangt so als Grundform des Raumgitters
eine Parallelepipedon mit rhombischer Basis, von dem je zwei angrenzende
Seitenflächen gleiche Neigung zur Basis haben. Zieht man die Diagonalen
der Basis und verbindet ihren Durchschnittspunkt mit dem entsprechenden
Punkte der Gegenfläche, so hat man ein Achsen System, in welchem sich die
Achsen zweimal unter rechten, einmal unter schiefen Winkeln efchneiden.
Damit ist aber das monokline System charakterisiert.
Wir wollen nur annehmen, es existiere noch eine zweite Symmetrie-
ebene. Dann muss dieselbe eine dritte hervorrufen, welche ihr Spiegelbild
in der ersten ist; das Spiegelbild der ersten Symmetrieebene in der zweiten
bedingt eine vierte. Jede der neuen Symmetrieebenen bedingt wiederum
drei weitere und so fort. Eine willkürliche Lage zweier Symmetrieebenen
ruft also unendlich viele neue hervor, die alle durch dieselbe Gerade gehen,
führt also auf eine Unmöglichkeit. Wir müssen daher spezielle Lagen auf-
suchen, in welchen die Zahl der Symmetrieebenen endlich bleibt; dies findet
180"
statt, wenn der Winkel beträgt, wo n eine ganze Zahl ist.
Wir nehmen zunächst na2; dann schneiden sich beide Ebenen unter
rechten Winkeln. Beide müssen aus den oben ausgesprochenen Gründen
senkrecht auf einem ebenen Punktnetz stehen. Die Punktreihen dieses
l^etzes müssen gegen beide senkrechte Ebenen symmetrisch sein; diese
Bedingung aber lässt sich erfüllen^ indem entweder die Punkte Rhomben
bilden, durch deren beide Diagonalen die Symmetrieebenen gehen, oder in-
dem die Punktreihen senkrecht zu einander und parallel den Symmetrie-
ebenen angeordnet sind. Die Masche des Netzes ist also rhombisch oder
rechteckig. Die Punkte des parallelen Netzes können ebenfalls zwei Lagen
haben: entweder liegen sie gleichzeitig in beiden Symmetrieebenen^ d. h.
senkrecht über den unteren Punkten, oder senkrecht über den Diagonal -
durchschnitten. In beiden Fällen findet dies ebenso über wie unter der be-
trachteten Ebene statt, und diese erweist sich demgemäss gleichfalls als eine
Symmetrieebene. Diese Darlegung gilt ebenso für jedes System von mehr
als zwei Symmetrieebenen, welche gleichzeitig durch dieselbe Gerade gehen, und
wir können daher allgemein aussprechen: Zwei oder mehrere Symmetrie-
ebenen, die sich in einer Geraden schneiden, bedingen eine
neue Symmetrieebene senkrecht dazu.
Kehren wir nun zu den gefundenen Netzen und Raumgittern zurück.
Im Falle die Punkte in der Parallelebene senkrecht über den Mitten der
Diagonalen liegen, liegen die Punkte der dritten Ebene wieder senkrecht
über den Punkten der ersten, wir können daher solche Systeme als Kom-
bination zweier ineinander gestellter senkrechter Raumgitter betrachten.
In allen Fällen gelangen wir zu drei aufeinander senkrechten Achsen, welche
ungleichwertig sind; es ist dies die Charakteristik des rhombischen Systems.
168 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
Die zweite Symmetrieebene mag nun durch n «« 3 bestimmt werden,
der Winkel wird 60*^. Es tritt alsbald eine dritte zur ersten und zweiten
gleichfalls unter 60® stehende dazu, die alle senkrecht auf der ursprünglichen
Punktenebene stehen und gleichwertig sind. Die einzig mögliche Anordnung
der Punkte in der Grundebene ist die in drei Scharen von Punktreihen, die
je einer der Symmetrieebenen parallel sind; die Punkte bilden Rhomben von
60" und 120®. Die Parallelebene kann ihre Punkte wieder entweder senk-
recht über denen der ersten Ebene oder senkrecht über der Mitte der
Rhomben haben; im letzteren Falle befinden sich die Punkte der dritten
Parallelebene senkrecht über denen der ersten. Aus den gleichen Gründen,
wie beim vorigen Systeme, ist auch hier die ursprüngliche Ebene eine Sym-
metrieebene, so dass das System deren vier hat, drei unter 60®, durch eine
Gerade gehend, und die vierte senkrecht zu dieser Geraden. Die Achsen
werden durch die Durchschnitte der vier Symmetrieebenen bestimmt, und wir
haben das hexagonale System mit drei gleichwertigen Achsen in einer
Ebene unter 60® und einer dazu senkrechten vierten.
Für n =s 4 tritt eine zweite Symmetrieebene unter 45® gegen die erste
auf. Beide rufen zwei weitere Symmetrieebenen hervor, welche senkrecht
zu beiden vorhandenen stehen und ihnen gleichwertig sind; wir haben also
vier, die alle durch dieselbe Gerade gehen, und von denen je zwei senkrecht
stehende gleichwertig sind, die benachbarten unter 45® stehenden sind es je-
doch nicht. Die Anordnung der Punkte in der Ebene kann nur quadratisch
sein, auch ist natürlich die Grundebene, zu welcher die vier Symmetrieebenen
senkrecht stehen, gleichfalls eine Symmetrieebene. Die Lage der Punkte in
den parallelen Ebenen wird durch dieselben Überlegungen bestimmt wie
früher. Das System hat fünf Achsen, von denen vier in einer Ebene liegen
und abwechselnd gleichwertig sind, während die fünfte dazu senkrecht steht.
Gewöhnlich beachtet man von den vier ersten nur zwei senkrecht stehende
und gleichwertige und betrachtet die beiden anderen als sekundäre. Das
System heisst das quadratische.
Setzt man n *= 5 oder grösser, so findet man, dass eine solche Zahl von
Symmetrieebenen sich nicht verwirklichen lässt. Oben wurde erwähnt, dass
der Winkel, welchen die von einem Punkt zu den beiden nächsten gezogenen
Geraden einschliessen, nicht unter 60® herabgehen kann, während fünf oder
mehr Symmetrieebenen dies bedingen würden, sie sind also nicht möglich.
Es bleibt nur noch ein einziger Schritt zu thun übrig, um den äussersten Grad
von Regelmässigkeit zu erreichen. Dazu muss man die fünfte Symmetrie-
ebene des quadratischen Systems mit zwei anderen gleichwertig machen^, man
hat dann drei gleichwertige, unter sich senkrechte Hauptsymmetrieebenen,
wozu noch sechs ■ weitere treten. Wir haben das kubische System.
Die vorstehende Entwickelung macht keinen Anspruch auf Strenge und
Vollständigkeit, sondern soll nur ein Bild von dem Wege geben, auf dem
solche Betrachtungen angestellt werden können. Eine systematische Unter-
suchung des Problems ist insbesondere von Sohncke durchgeführt worden, und
hat ergeben, dass die mögliche Mannigfaltigkeit auf die angedeutete Weise
Die optischen Eigenschaften der festen Körper. 169
nicht erschöpft werden kann. Die vollständige Lösung des Problems fordert,
dass ausser den durch diese Betrachtungen entwickelten einfachen Raum-
gittern noch zusammengesetzte angenommen werden, die aus mehreren inein-
ander gestellten kongruenten Raumgittern bestehen.
Femer aber hat der Vergleich der auf solchem Wege gewonnenen Ergeb-
nisse mit denen der rein geometrischen Betrachtung gezeigt, dass die letzteren
gleichzeitig vollständiger und einfacher sind, so dass die voraussetzungslose
Ableitung nicht nur die prinzipiell bessere, sondern auch die praktisch zweck-
entsprechendere ist.
Die Krystallograpbie hat damit eine Entwickelung durchgemacht, die der
Chemie bezüglich der stöchiometrischen Grundgesetze noch grösstenteils be-
vorsteht
Drittes Kapitel.
Die optischen Eigenschaften der festen Körper.
Die amorphen festen Körper unterscheiden sich in ihren optischen
Eigenschaften nicht von den Flüssigkeiten, denn auch in ihnen pflanzt
sich die Liditbewegung nach allen Richtungen in gleicher Weise und ins-
besondere mit gleicher Geschwindigkeit fort.
Bei den Ed'ystallen machen sich dagegen die Verechiedenheiten der
Richtung auf die entsprechenden Lichtbewegungen in ausgeprägtester
Weise geltend. Wegen ihrer auffallenden Beschaffenheit und wegen
ihrer praktisdien Wichtigkeit zur Kennzeichnung der Krystallbeschaffen-
heit sind sie eingehender, als irgend eine andere Eigenschaft ausser der
Krystallform untersucht worden, und bieten ein besonders gutes Beispiel
für den Zusammenhang der allgemeinen Symmetrieeigenschaften dar.
Kubische Krystalle verhalten sich in optischer Beziehung ganz wie
amorphe Stoffe oder Flüssigkeiten. Ein einfallender Lichtstrahl wird so
gebrochen, dass er in der Ebene bleibt, die durch die Richtung des
Strahls und die Einfallsnormale bestimmt ist, und dass der Sinus des
Einfallswinkels sich zu dem des Brechungswinkels verhält, wie die Licht-
geschwindigkeit im ersten Mittel zu der im zweiten.
Bei den Krystallen aller anderen Systeme erfolgen dagegen andere
Bewegungen des Lichtes. Durch Fresnel (1831) und Neumann (1832)
wurde gezeigt, dass in solchen Krystallen die Bedingungen, unter denen
die lichtschwingungen erfolgen, nicht nach allen Riehtungen gleich sind,
sondern gesetzmässig im Zusammenhange mit der Krystallform sich ändern.
In einem solchen Mittel zerfällt jede Sdiwingungsbewegung in zwei unab-
hängig voneinander verlaufende, die in zwei senkrecht aufeinander stehenden
Ebenen polarisiert sind. Im allgemeinsten Falle löst sich jeder eintretende
Lichtstrahl in zwei auf, die dem gewöhnlichen Brechungsgesetz nicht folgen.
Die mathematische Untereuchung der Schwingungsvorgänge in einem
170 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
solchen Mittel hat theoretisch eine grosse Zahl von merkwürdigen optischen
Erscheinungen an Krystallen zu erklären^ ja sogar neue, bis dahin nicht
beobachtete vorauszusagen gestattet. Die Hauptergebnisse sind folgende:
Legt man durch die Achsen grösster und kleinster Elastizität^ welche
stets zu einander senkrecht stehen^ eine Ebene^ so finden sich in dieser
zwei Richtungen, in welchen sidi die Strahlen mit gleicher Geschwindig-
keit bewegen. Nach diesen Richtungen findet also keine Zerlegung in
zwei Strahlen statt. Die Lage dieser Richtungen, welche die optischen
Achsen genannt werden, hängt von dem Veriiältnis der Elastizitäten
nach den Achsen ab; sie schneiden sich unter beliebigen Winkeln, sind
aber immer symmetrisch zu den Elastizitätsachsen, so dass diese die
Winkel halbieren, welche von den optischen Achsen gebildet werden.
Halbiert die Achse der grössten Elastizität den spitzen Winkel der
optischen Achsen, so heisst der Krystall positiv, im entgegengesetzten
Falle negativ.
Senkrecht zu den beiden Richtungen grösster und kleinster Elasti-
zität liegt eine Achse mittlerer Elastizität, derea Wert die optischen
Eigenschaften des Erystalls erst vollständig definiert. Diese mittlere
Elastizität kann je nach der Natur des Krystalls alle Werte zwischen
denen der grössten und kleinsten Elastizität annehmen. Im Grenz-
falle aber, wo sie der einen von beiden gleich wird, treten neue Eigen-
schaften ein.
In diesem Falle gehen nämlich die beiden optischen Achsen in eine
zusammen, deren Richtung mit der der ungleichen Elastizitätsachse zu-
sammenfällt. Statt der zwei optischen Achsen giebt es jetzt nur eine.
Gleichzeitig sind aber im Krystall alle Ebenen, welche man durch
die optische Achse legen kann, gleichwertig geworden. Während in dem
vorher besprochenen allgemeinen Falle der einfallende Lichtstrahl nicht
in der Einfallsebene blieb, sondern sie verliess, ist in dem Falle der
optisch einachsigen Krystalle nur noch ein Strahl mit dieser Eigenschaft
behaftet; der andere folgt dagegen dem gewöhnlichen Brechungsgesetz.
Man nennt ersteren den ausserordentlichen, letzteren den ordentlichen Strahl.
Wird auch die Elastizität nach der dritten Achse der nach den
beiden anderen gleich, so finden die Schwingungsbewegungen nach allen
Seiten unter gleichen Verhältnissen statt, und es tritt keine Doppelbrechung
ein; der Krystall ist isotrop und verhält sich wie ein amorpher Körper.
Die drei Gruppen der isotropen, optisch einachsigen und optisch
zweiachsigen Krystalle fallen mit den drei krystallographischen Gruppen
der kubischen, der mit einer Hauptachse versehenen (tri-, tetra- und hexa-
gonalen) und der keine Hauptachse besitzenden (rhombischen, monoklinen
und triklinen) Formen zusammen. Erstere sind optisch isotrop, die
zweiten einachsig und die dritten zweiachsig. Bei letzteren fallen im
rhombischen System die Elastizitätsachsen mit den krystallographischen
Achsen zusammen, und die optischen Achsen liegen symmetrisch zu
ihnen. Beim monoklinen System liegen zwei Elastizitätaachsen in der
Die optiBchen Eigenschaften der festen Körper. 171
SymmetrieebeDe bez. in der zur SyrametrieachBe senkrechten Ebene, die
dritte senkrecht dazn. Die beiden optischen Achsen liegen daher gleicli-
talis entweder in einer jener Ebenen oder in einer zu ihr senkrechten,
welche die dritte Elastizitätsachse enthält. Beim trikiinen System endlicli
besteht gar keine bestimmte Beziehung zwischen optischen und krystallo-
gTE^hischen EigenschaHen.
Auf Grmid dieser VerhSltnisee kann man aus den optischen Eigen-
adiaflen von Krystaliplatten Schlüsse auf ihre kry stall ographiache Natur
ziehen. Das Eicht wird beim Durchgang durch doppeih redende Platten
gleichzeitig polarisiert; betrachtet man daher eine Krystallplatte zwischen
zwei Polarisationsapparaten, z. B. zwei Tnr mahn platten oder Nicolachen
Prismen, so kann man zunächst entscheiden, ob es sich um einen regu-
lären Krystall handelt oder nicht Wenn die Polarisation sebenen beider
Apparate (gekreuzt sind, so geht kein Licht durch das System, ancli
nicht, wenn eine Platte aus einem regulären Krystall dazwisclien ange-
bracht wird. Ist aber die Platte doppelbrecbend, so zerlegt sie das aus
dem ersten Apparat kommende polarisierte Licht in zwei andere Strahlen,
welche durdi den zw^
ten Polarisaüonsappa' ^
zur Interferenz gebracht
werden, dass geerbtes
licht durch das System
geht. Erscheint also eine
Platte zwischen ge-
kränzten Nicols oder
Tnrmalinen hell, so ist
sie doppelbrechend.
Um die verschie-
denen Art«n doppel-
brechender Krystalle zu
unterscheiden, benutzt
man am besten Platten,
welche senkrecht zu
einer Elastizitätsachse
geschnitten sind, und be- A
trachtet sie im konver- Fig. 19.
genten Licht Dann ent-
stehen gefärbte Figuren, deren Theorie vollständig bekanntist; sie kann hier frei-
lich nicht entwickelt werden. Optisch einachsigeKrjstalle zeigen, wenn die Platten
senkrecht zur Hauptachse geschnitten sind, die Fig. 19, welche aus farbigen
lUngen, durchsetzt von einem schwarzen Kreuz, besteht. Opüach zweiachsige
Krystalle geben die Gestalten Fig. 20 und 21, welche durch zwei senkrechte
Durchmesser in vier kongruent« Quadranten zerlegt werden kOnnen. Eei
rhombischen Krystallen sind die Ringe in den vier Quadranten vBUig Aber-
172
IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
einetimmend gef^bt; bei monoklinen beBtebt aber noch eine Symmetrie der
Farben in Bezug auf einen der Durchmeeaer. Bei Platten ans triklinen
Krystallen Bind endlicli die Färbungen weder nach dem einen, noch nach
dem anderen Durchmesser symmetrisch.
Von diesen allgemeinen Gesetzen esiBtieren einzelne Ausnahmen,
indem sicli namentlich i-eguläi'e Krystalle häutig doppelbrechend zagen.
Die Erklärung dafär ist nach zwei Richtungen gesucht worden. Einmal
hat man nachweisen können, dass in vielen Fällen innere Spannungen
in den Krystallen vorhanden sind, durch welche dieselben doppdbrecheDd
werden, ebenso wie dies
an ranadtig gedehnten
oder gespannten amor-
phen Stoffen eintritt.
In anderen Rillen
scheint dagegen die re-
guläre Krysta]lform nnr
eine scheinbare zu Bein,
die Krystalle sind thafr
sächlich aus zweiadisi-
•^"'g- '^'i- gen Krystallen durch
a » Zwülingsbildung so zu-
sammengesetzt, dass die
äussere Gestalt eines
regulären Krystalls ent-
steht.
Eine besonders in-
teressante Beziehung ist
von Hersdiel (1835)
zwischen der Krystall-
Fig. 21. form und der I'ähigkeit,
die Polarisationsebene
des Lichtes zu drehen, gefunden worden. Der Quarz krystallisiert in hexa-
gonalen Säulen mit sechst adliger pyramidaler Zuspitzung. An den
Ecken befinden sich häufig einseitig gelagerte Flächen, welche entweder
rechts oder links auftreten. Vollkoramen parallel mit diesem Auftreten
der rechten oder linken Nebenflächen geht die Fähigkeit des Quarzes,
einen in der Richtung der optischen Adise durchgeschickten Lichtstrahl
nach rechts oder nach links zu drehen, so daas man einem Quaizkrystall
seine optischen Eigenschaften äusBerlich ansehen kann.
Beim Quarz ist diese Eigenschaft an die krystallinische Form ge-
bunden; geschmolzener Quarz dreht nicht mehr die Polarisationsebene.
Auch haben alle anderen Krystalle, welche die Polarisationsebene drehen,
gleichfalls derartige unsymmetrische Nebentiächen. Sind m am Krystall
nicht sichtbar ausgebildet, so kann man sieh von der einseitigen Natur
solcher Krystalle dui-eh oberflächliches Anätzen Qberzengen. Es ent-
Die optischen Eigenschaften der festen Körper. 173
stehen dadurch scharfbegrenzte mikroskopische Figuren, welche bei ge-
wöhnlichen KrystaUen symmetrisch ausgebildet sind, während die erwähnten
Gebilde entsprechend ihren optischen Eigenschaften emseitig rechts oder
links ausgebildete Ätzfiguren aufv^eisen.
In den erwähnten Krystallen liegt die Ursache der Drehung der
Polarisationsebene in der Symmetrie der festen Form, weil mit der Zer-
störung der krystallinisdien Beschaffenheit durch Schmelzen oder Auf-
lösen die Fähigkeit verschwindet. Früher haben wir Stoffe kennen gelernt,
die im amorphen Zustande drehen. Wenn solche Stoffe krystalHsieren,
so zeigen sie sich gleichfalls ausnahmslos einseitig ausgebildet, was
nötigenfalls gleichfalls durch Ätzfiguren nachgewiesen werden kann. Ver-
schwindet die optische Aktivität, wie beim Übergange der Weinsäure in
l>aubensäure, so verechwindet gleichzeitig an den Krystallen des Stoffes
die einseitige Ausbildung.
Mit Bezug auf das Gesetz vom Zusammenhange der Eigenschaften
mit der allgemeinen Symmetrie kann man die Fi-age aufwerfen, welche
Symmetrieeigentümlichkeit vorliegen muss, damit die optische Drehung
auftritt. Nun beruht die Erscheinung darauf, dass sich in der Richtung
des Strahls zwei Lichtschwingungen fortpflanzen, welche entgegengesetzt
kreisförmig polarisiert sind; die eine pflanzt sich jedoch schneller fort,
als die andere. Die Symmetrie dieses Vorganges wird also durch die
einer Scliraube dargestellt, die entweder nach rechts oder nach links ge-
dreht ist. Ein solches Gebilde hat weder ein Symmetriezenti'um, noch
eine Symmetrieebene, wohl aber eine Symmetrieachse. Die Erscheinung
kann also nur bei Krystallen eintreten, welche diesen Bedingungen ent-
sprechen. In ihrer äusseren Gestalt lassen sich derartige Krystalle daran
erkennen, dass sie enantiomorph sind, d. h. dass es zwei verschiedene
Formen aus den gleichen Elementen giebt, die miteinander durch Ver-
schiebung und Drehung nicht zur Deckung gebracht werden können,
sondern nur durch Spiegelung. Die rechte und linke Hand sind ein
Beispiel eines solchen enantiomorphen Formenpaares.
Untersucht man von diesem Gesichtspunkt aus die 32 Klassen, so
ergeben die Klassen 10, 12, 16, 18, 23, 24, 28 die Möglichkeit solcher
enantiomorpher Bildungen bei den kubisclien und den einadisigen Kry-
staUen. Bei den dreiachsigen ist noch eine weitere Anzahl vorhanden,
indessen werden dort die Verhältnisse durch die nach allen Richtungen
vorhandene Doppelbrechung so verwickelt, dass sich einfache Drehungs-
eracheinungen nicht mehr beobachten lassen.
Die Theorie stimmt insofern mit der Erfahrung überein, als die
KrystaUe, an denen Drehung beobachtet worden ist, alle einer der ange-
gebenen Klassen angehören. Doch sind umgekehrt noch nicht für alle
Klassen, in denen Drehung zu erwarten ist, entsprechende Beispiele ge-
funden worden.
174 IV- Stöchiometrie fester Stoffe.
Viertes Kapitel.
Sohmelson und Srstarren..
Früher wurde erwähnt, dass der amorphe feste Zustand die regel-
mässige Fortsetzung des flüssigen Zustandes ist Ein plötzlicher Sprung
findet nirgend statt, und insbesondere haben die amorphen Körper keinen
eigentlichen Schmelzpunkt. Insofern ist dieser Übergang dem der Gase
in Flüssigkeiten unter einem grösseren als dem kritischen Drucke zu
vergleichen. Der Übergang des flüssigen Zustandes in den krystallinischen
ist dagegen ein plötzlicher; er erfolgt bei einer bestimmten Temperatur,
bei welcher beide Zustände nebeneinander existieren können, während
ausserhalb nur der eine oder andere beständig ist. Dieser Übergang ist
mit dem eines Dampfes in den flüssigen Zustand unterhalb des kritischen
Druckes vergleichbar, und in der That ist die Ähnlichkeit beider Über-
gänge sehr weitgehend.
Diese Ähnlichkeit hat ihren Grund darin, dass es sich auch in
diesem Falle um das Gleichgewicht zweier Phasen handelt (S. 101),
welches nach dem allgemeinen Gesetz nicht von deren Menge abhängig
ist. Vielmehr besteht für jeden Druck eine bestimmte Temperatur, bei
welcher beide Phasen nebeneinander bestehen können; bei jeder anderen
Temperatur verschwindet die eine oder die andere.
Die Umwandlung der einen Phase in die andere ist wie immer mit
einer Energieändeiaing verbunden. Ähnlich wie bei der Verdampfimg
besteht bei der Verflüssigung das erfahrungsmässige Gesetz, dass der
Übergang aus dem festen Zustande in den flüssigen immer mit Auf-
nahme von Wärme oder allgemein Energie verbunden ist. Der Betrag
dieser Wärmemenge, der Schmelzwärme, ist von der Natur des Stoffes
abhängig. Umfassendere Gesetze stöchiometrischer Art sind für diese
Grösse noch nicht gefiinden worden.
Gleichzeitig mit der Wärmeaufiiahme erfolgt bei der Schmelzung
eine Änderung des Volums. Auch hierüber lässt sich allgemeines nicht
sagen, denn es ist nicht nur der Betrag, sondern sogar das Zeichen
dieser Änderung von Stoff zu Stoff verschieden. Während die meisten
Stoffe ihr Volum beim Schmelzen vergrössem, giebt es einige wenige,
bei denen das Umgekehrte eintritt. Das bekannteste und wichtigste
Beispiel für diesen zweiten Fall bietet das Wasser dar, welches beim
Schmelzen sein Volum um etwa den zehnten Teil vermindert.
Von der Verdampfung unterscheidet sich die Verflüssigung dadurch,
dass der Druck einen sehr geringen Einfluss auf die Temperatur des
Gleichgewichts hat. Dieser Einfluss ist so gering, dass er anfangs ganz
übersehen wurde; er wurde theoretisch durch J. Thomson (1849) und
experimentell unabhängig von Bunsen (1850) aufgefunden.
Die Theorie dieses Einflusses ist völlig analog der S. 125 entwickelten
Theorie des Zusammenhanges zwischen Druck, Temperatur und Um-
Schmelzen und Erstan*en. I75
wandlungswärme bei der Verdampfung, und man kann die dort gegebenen
Betrachtungen voUständig wiederholen, wenn man an die Stelle der
Fiäsßigkeit den festen Stoff, und an die Stelle des Dampfes die Flüasig-
keit setzt. In der sich ergebenden Gleichung dp/dT=W/Tu bedeutet
T wie früher die absolute Temperatur, p den Druck, dT und dp die
gleichzeitigen Ändeningen beider Grössen bei einer Verschiebung des
Gleichgewichts. Dagegen nimmt W die Bedeutung der Schmelzwärme
an, und u ist die Volumänderung bei der Schmelzung.
Hieraus ergiebt sich zunächst, dass in der That der Einfluss des
Druckes auf die Schmelztemperatur sehr klein sein muss, denn im Ver-
gleich mit der sehr bedeutenden Volumzunahme bei der Verdampfung
ändert sich das Volum bei der Schmelzung nur sehr wenig, während
die Schmelzwärme W zwar auch kleiner ist, als die Verdampfungswärme,
aber bei weitem nicht in gleichem Verhältnisse. Ferner aber ist ein
wesentlicher Unterschied dann vorhanden, dass bei der Verdampfung nur
eine Vergi-össenmg des Volums vorkommt, während bei der Schmelzung
ausser Vergrösserungen auch Verkleinerungen aufti-eten. Die Folge da-
von ist, dass der Einfluss einer Zunalime des Druckes auf den Schmelz-
punkt nicht immer in einer Erhöhung besteht, sondern dass der Schmelz-
punkt auch durch Druck sinken kann. Und zwar hängt dies nur von
dem Zeichen der Volumänderung u ab, denn die beiden anderen Grössen
auf der rechten Seite der Gleichung W und T sind immer positiv.
Demgemäss ist beim Eise, welches unter Verminderung des Volums
schmilzt, auch eine Erniedrigung des Schmelzpunktes durch den Druck
beobachtet worden, während die anderen Stoffe, deren Volum sich beim
Schmelzen vergrössert, ihren Schmelzpunkt durch Druck erhöhen.
Eine zahlenmässige Prüfung der Theorie ergiebt sich, wenn man in
die Formel die entsprechenden Werte einsetzt. Das Molekularvolum des
Wassers bei 0® ist 18-02, das des Eises 19-66, woraus u = — 1-66 folgt. Die
Schmelzwärme ist 80 cal für 1 g, also 6-03 J = 603 x 10'*» Erg für ein Mol, T ist
273. Wird d T = — 1 gesetzt, d. h. fragt man , welcher Druck erforderlich
ist, um den Schmelzpunkt des Wassers um einen Grad herabzusetzen, so er-
giebt sich dp==138xl0*, oder wenn man durch Division mit 1013x10**
auf Atmosphären timrechnet, 136 Atm. Umgekehrt wird durch eine Atmo-
sphäre Druck der Schmelzpunkt des Eises um 00074** erniedrigt.
Wird zu den beiden Phasen fest-flüssig noch eine dritte genommen,
80 geht auch die eine noch vorhandene Freiheit fort, und man hat ein
Gebilde, welches nur bei einer bestimmten Temperatur und einem be-
stimmten Druck bestehen kann. Einen solchen Zustand erhält man,
wenn man neben Eis und Waaser noch Dampf zugegen sein lässt.
Der Dampfdruck des Wassers bei 0® beträgt 4-57 mm Quecksilber.
Bei diesem Druck ist der Schmelzpunkt nicht mehr genau 0^, sondern
+ 0-0074®; die entsprechende Erhöhung des Dampfdruckes kommt in
der zweiten Dezimale nicht mehr zum Ausdruck. Nur bei diesen
176 I^- Stöchiometrie fester Stoffe.
Werten« von Druck und Temperatui' können also Eis, Wasser und Dampf
nebeneinander bestehen.
Solcher dreifacher Punkte giebt es einen für jeden Stoff, der in den
drei Aggregatzuständen bestehen kann. Doch ist dies nicht die einzige der-
artige Möglichkeit; auch das Zusammenbestehen zweier allotroper Formen
neben Flüssigkeit oder Dampf ergiebt einen solchen Punkt von der gleichen
Eigenschaft der Unveränderlichkeit.
Man kann sich die Frage stellen, ob der Dampfdruck des Eises
und der des Wassers denn bei dieser Temperatur notwendig derselbe
sein muss. Die Antwort lautet bejahend. Wäre dies nicht der Fall,
so könnte man ein Perpetuum mobile zweiter Art (S. 121) herstellen, und
da ein solches erfahrungsmässig unmöglich ist, so können beide Dampf-
drucke nicht verschieden sein. Wäre nämlich der Dampfdruck des Eises
bei derselben Temperatur, bei welcher Eis und Wasser sich im Gleich-
gewicht befinden, etwa kleiner, als der des Wassers, so könnte man mit
dem Druckunterscliiede eine Maschine treiben, in der Wasser verdampft
und Eis von gleicher Temperatur gebildet wird. Bei derselben Tempe-
ratur könnte man aber das Eis wieder schmelzen und so einen Ki'eis-
prozess durchführen, durch den bei konstanter Temperatur Wärme in
Arbeit verwandelt wird. Eine solche Maschine wäre das Perpetuum
mobile zweiter Art. Ähnlich kann man fiir den umgekehrten Fall
schliessen, und daher ist nur die Gleichheit der beiden Drucke möglich.
Man kann diese Schlussweise in die kurze Form fassen: was auf eine
Weise im Gleichgewicht ist, muss auf alle Weise im Gleichgewicht
sein. Sind Eis und Wasser bei unmittelbarer Berührung im Gleichgewicht, so
sind sie auch für jeden anderen Vorgang, durch den unter gleichen Umständen
Eis in Wasser oder umgekehrt übergeführt werden könnte, im Gleichgewicht, ins-
besondere auch für die Überführung durch Vermittelung des Dampfzustandes.
In dieser Möglichkeit, aus dem Verhalten des Gebildes in gewisser Hinsicht
Schlüsse auf sein Verhalten in anderer Hinsicht zu ziehen, liegt die grosse
Bedeutung des zweiten Hauptsatzes.
Es kann nun weiter die Frage gestellt werden, ob diese Gleichheit
des Dampfdnickes auch bei anderen Temperaturen besteht. Diese Frage
hat erat dann einen Sinn, wenn man Eis und Wasser bei anderen
Temperaturen gleichzeitig haben kann. Nun lehrt die Erfahrung, dass
es allerdings möglich ist, Wasser bei Temperaturen unter 0®, im soge-
nannten überkalteten Zustande, zu beobachten. Eis oberhalb 0** ist bis-
lier noch nicht beobachtet worden, doch scheint nach der Analogie seine
Existenz möglich. Es erhebt sich also die weitere Frage nach der
Beschaffenheit solcher Zustände.
Nachdem schon im vorigen Jahrhundert von Fahrenheit (1724)
beobachtet worden war, dass sich Wasser, das in eine Glaskugel ein-
geschlossen ist, unter den Gefrierpunkt abkühlen läfist, ist ein solches
Verhalten als eine allgemeine Eigenschaft flüssiger Stoffe erkannt worden.
Schmelzen und Erstarren. 177
Jede Flüssigkeit lässt sich unter ihren Schmelzpunkt abkühlen, wenn
sie gegen die Berührung mit der festen Phase geschützt is^ und so be-
liebig lange flüssig erhalten. Erniedrigt man die Temperatur mehr und
mehr, so tritt schliesslich ein Zustand ein, in welchem auch ohne die
Mitwirkung der festen Phase die Erstarrung erfolgt.
Es liegt also eine vollständige Ähnlichkeit mit dem Verhalten des
überkalteten Dampfes (S. 114) vor, und man kann die Thatsache ange-
messen darstellen, wenn man auch für diese Überschreitungserscheinung
zunächst ein metastabiles Gebiet annimmt, in welchem die Umwandlung
in die andere Form nur unter Mitwirkung eines ^Keimes'' derselben
stattfindet, während nach weiterer Überschreitung das labile Gebiet be-
ginnt, in welchem die Umwandlung freiwillig, d. h. ohne Keim statt-
findet. Die Grenze zwischen beiden Gebieten ist sehr schwer zu be-
obachten, da nicht nm* kleine Verschiedenheiten des Druckes und der
Temperatur, die sich an den Messinstrumenten nicht erkennen lassen,
die Grenze einseitig beeinflussen, sondern auch die Beschafienheit anderer
fester Körper, die mit der Flüssigkeit in Berührung sind, einen gleichen
Einfluss übt.
Die Erstarrung einer überkalteten Flüssigkeit bd der Berührung
mit einem Krystall desselben Stoffes ist eine ausschliessliche Wirkung
des letzteren. Taucht man z. B. in geschmolzenes und auf Zimmer-
temperatur erkaltetes Natriumthiosulfat einen mit demselben Salze über-
zogenen Glasstab, so beginnt alsdann eine Krystalldruse sich um diese
zu entwickeln. Hebt man ihn aus der Flüssigkeit, so dass kein Kry-
stallteilchen in ihr zurückbleibt, so erstarrt sie nicht weiter, sondern be-
hält ihren flüssigen Zustand bei. Der Zustand überkalteter Flüssigkeiten
ist somit kein an sich labiler, wie er häufig genannt wird, sondern
er ist dies nur, wenn etwas von dem festen Körper zugegen ist.
Was nun die Eigenschaften der Flüssigkeit im Überkaltungsgebiet
anlangt, so sind sie eine stetige Fortsetzung von denen im gewöhnlichen
FlüBsigkeitsgebiete. Keine von ihnen erleidet eine sprungwdse Änderung,
und der Überkaltungszustand erweist sich daher nicht als eine Besonder-
heit der Flüssigkeit, sondern nur als ein Ausdruck der Beziehung zwischen
flüssiger und fester Form.
So wird insbesondere der Dampfdruck der Flüssigkeit als Funktion
der Temperatur dm'ch eine vollkommen stetig verlaufende Linie darge-
stellt, deren Gang am Erstarrungspunkte keinerlei Änderung er^ihrt. Eine
gleiche Stetigkeit ist fiir die Dampfdrucklinie des festen Stoffes zu er-
warten. Da femer beide Linien am Schmelzpunkt einen Punkt gemeinsam
haben, so sind nur die beiden Möglichkeit-en vorhanden, dass sie in
ihrem ganzen Verlaufe zusammenfallen, oder dass zwei verschieden ver-
laufende Linien sich in diesem Punkte schneiden.
Die erste Auffassung war firüher auf Grund irriger Versuche an-
genommen worden; die zweite dagegen hat sich theoretisch wie experi-
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 12
178
IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
mentell als die riditige erwiesen. Dies ergiebt sich aus der Betrachtang
der Formel für den Dampfdruck dp/dT = W/Tu. Für die Verdampfung
des Wassers bedeutet W die Wärme, die beim Übergang von Wasser
in Dampf aufzuwenden ist. Soll Eis bei der gleichen Temperatur ver-
dampft werden, so kann man sich den Vorgang so vorstellen, dass zuerst
Eis zu Wasser geschmolzen, und dann dieses in Dampf verwandelt wird.
Die dafür aufzuwendende Wärme muss dieselbe sein, wie bei der un-
mittelbaren Umwandlung des Eises in Dampf, da sonst Energie aus
Nichts geschaflfen oder der erste Hauptsatz verletzt werden könnte. Da
femer bei der Schmelztemperatur die beiden Dampfdrucke und Tempe-
raturen gleich sind, so ist nichts verschieden, als die Verdampfungswärme
W, welche die Neigung der Dampfdrucklinie bestunmt (S. 25). Und
zwar muss, da die Verdampfungswärme des Eises (um etwa ein Sechstel)
grösser ist, als die des Wassers, auch dp/dT um ebensoviel grösser sein.
d. h. die Dampfdrucklinie des Eises muss steiler verlaufen, als die des
flüssigen Wassers (Flg. 22).
Um diesen Einfluss zahlenmässig zu berechnen, sind in die Formel die
Werte einzusetzen. Bei 0® ist der Dampfdruck des Wassers oder Eises nur
4-57 mm, man kann daher die Gasgesetze für den Dampf als gültig ansehen, und
die Gleichung in der Form dp/dT = pW/RT* anwenden. Sie hat für Wasser
und Eis die gleiche Gestalt, nur dass im zweiten Falle statt W zu setzen ist
W + S, wo S die Schmelzwärme bedeutet. Zieht man die beiden Gleichungen
dp/dT = pW/RT» und dp'/dT =- p (W-f S)/RT« voneinander ab, so erhält
man links den Unterschied der Dampfdrucke von Wasser und Eis, und zwar
für die gleiche Temperatur, wenn man T und dT gleich nimmt. Wir setzen
dT = — 1, berechnen also den Dampfdruckunterschied für einen Grad unter
Null. Dann ist dp — dp = pS/RT*. Hier ist p = 4.57 mm, T=:273,
S = 607 X 10'«, R «= 8.31X 10' und daraus folgt dp — dp «0044 mm.
Der Unterschied ist klein genug, um auch einem geschickten Experimentator
zu entgehen. Doch hat der Versuch hier und in einigen weiteren Fällen
diesen zuerst von der Theorie vorausgesehenen Unterschied bestätigt, und auch
eine sehr befriedigende Übereinstimmung der Zahlen werte ergeben.
Isomorpbie und Polymorphie.
179
Flüssig
Stellt man die GldchgewichtBzusiände des Wassers in den drei
Formen als Eis, Wasser und Dampf durch eine Zeichnung dar, deren
Abmessungen durch Druck und Temperatur gegeben sind, so hat man
zunächst die Dampfdrucklinie des Wassers II; I ist die Dampfdrucklinie
des Eises, die sich mit der vorigen immer bei 0® (genauer bei 4" 0'0075®)
schneidet Da in diesem Ihinkte Eis, Wasser und Dampf nebenein-
ander bestehen können, so muss auch die Linie, die die Änderung des
Schmelzpunktes mit dem Druck, d. h.
das Gleichgewicht Wasser-Eis darstellt,
durch diesen Punkt gehen. Da femer
die Temperatur sich hierbei mit dem
Druck nur äusserst wenig ändert, so
wird diese Linie £ast senkrecht nach
oben gehen, wie das in III angedeutet
ist Beim Wasser, das sich durch
das Erstarren ausdehnt, liegt diese Linie
etwas nach rechts über, bei den anderen
Stoffen nach links. Die drei Linien
teilen das Feld in drei Gebiete, welche
je einer der Formen Dampf, Wasser
oder Eis zukommt; die Linien selbst
kennzeichnen die Werte von Druck
und Temperatur, bei denen die beiden angrenzenden Phasen zusammen
vorkommen können, und der Durchschnittspunkt stellt die einzige Möglichkeit
Rir das Zusammenbestehen der drei Phasen dar.
Diese Erläuterungen gelten nur für die vollkommen stabilen Zu-
stände; die metastabilen reichen allerseits über die Grenzen in das be-
nachbarte Gebiet hinein.
Fig. 23.
Fünftes KapiteL
Isomorphie und Polymorphie.
Von Hauy wurden am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts als
Axiome die beiden Sätze aufgestellt, dass jedem bestimmten Stoff nur
eine bestimmte Krystallform zukomme, und dass verschiedene Stoffe not-
wendig verschiedene Formen (ausser im regulären System, wo solche
nicht möglich sind) besitzen.
Gegen beide Sätze machten sich bald Erfahrungen geltend. Elap-
roth hatte (1798) gefunden, dass Kalkspat und Aragonit bei gleicher
Zusammensetzung verschiedene Formen haben, und eine spätere Prüfung
dieser Angabe konnte sie nur bestätigen. Andererseits fand man gleich-
gestaltete Stoffe, wie die Alaune, die Rotgültigerze, die gemischten Vitriole
12*
180 rV. Stöchiometrie fester Stoffe.
von ganz verschiedener Zusammenfietzung. Die zur Erklärung ver-
suchte Annahme, dass die fraglichen Erystalle die fremden Stoffe nur
eingemengt enthalten, wurde durch die vollkommene Gleichförmigkeit
und Durdisichtigkeit vieler derselben widerlegt
Durch Mitscherlich (1820) wurden diese Widersprüche aufgeklärt.
Er fand bei seinen Untersuchungen der phosphorsauren und arsensauren
Salze; dass diesen gleiche Krystallform zukommt, wenn sie in ähnlicher
Weise zusammengesetzt sind, d. h. wenn ihre Bestandteile gleich sind,
ausser dass das eine Salz Phosphor, das andere Arsen enthält Eine
ähnliche Beziehung fand sich bald bei vielen anderen Stoffen, so dass
man allgemein sagen konnte: auch chemisch ähnlich zusammengesetzten
Stoffen kommt gleiche Krystallform zu.
In einem Falle indessen, bei den Salzen NaH*PO* + H*0 und
NaH^AsO^ -f- H*0, war keine Übereinstimmung der Formen nachzu-
weisen. Doch wurde gelegentlich das Phosphat in Formen erhalfen,
welche von den gewöhnlich auftretenden abwichen und mit denen des
Arseniats übereinstimmend waren.
Somit war wiederum nachgewiesen ^ dass gleiche Stoffe verschie-
dene Formen annehmen können, und Mitscherlich sprach aus, dass dies
allgemein möglich sei.
Die Thatsache, dass chemisch ähnliche Stoffe in gleichen Formen
krystallisieren, ist von Mitscherlich mit dem Namen Isomorphismus
bezeichnet worden. Isomorph heissen zunächst die gleichgestalteten Stoffe,
also z.B. die Salze Na»HPO* + 12H«0 und Na^HAsO* + 12H«0.
Da aber sehr viele analoge Verbindungen des Phosphors und des Arsens
isomorph sind, so hat man sich gewöhnt, auch diese Elemente selbst
isomorph zu nennen, so dass dieser Name nicht nur ftir Stoffe gilt,
welche gleiche Gestalt haben, sondern auch für solche, welche mit den-
selben anderen Stoffen gleichgestaltete Verbindungen bilden können.
Die Übereinstimmung der Winkel isomorpher Stoffe ist (ausser im
regulären System) keine vollkommene; streng genommen müsste daher der
Name Isomorphie gegen Homöomorphie vertauscht werden. Die Abweichungen
sind bald grösser, bald kleiner, und können bis zu mehreren Graden ansteigen.
Ein sichereres Kriterium, als die Übereinstimmung der Winkel,
ist für das Stattfinden der Isomorphie die Fähigkeit isomorpher Stoffe^
Mischkrystalle zu bilden. In solchen Krystallen sind die isomorph
sich vertretenden Bestandteile nicht in stöchiometrischen Verhältnissen
vorhanden, sondern in ganz veränderlichen, welche von den Bildungsbedin-
gungen abhängig sind. Nur die Summe der isomorphen Elemente ist
genau äquivalent der der Formel der einfachen Verbindungen ent-
sprechenden Menge, oder die isomorphen Elemente vertreten sich im
Verhältnis ihrer Äquivalentgewichte.
Die Eigenschaften solcher Mischkrystalle sind im allgemeinen die,
welche sich aus denen der Gemengteile nach der Mischungsregel be-
Isomorphie und Polymorphie. 181
rechnen lassen. Nachgewiesen ist dies von den Brechungskoeffizienten,
den spezifischen Gewichten und den Winkeln. In einigen Fällen er-
gaben sich indessen Abweichungen, welche noch der Aufklärung bedürfen.
Der Isomorphismus hat zu vielen theoretisclien Spekulationen in
Bezug auf die Gestalt der kleinsten Teilchen u. s. w. Anlass gegeben,
die indessen zu belangreichen Ergebnissen nicht geführt haben. Nach
einer anderen Seite indessen, zur Auffindung und Nachweisung chemischer
An^ogieverhältnisse, ist er ungemein nützUch gewesen, worauf später
eingegangen werden wird. Allerdings sind in früheren Zeiten die Kjiterien
des Isomorphismus nicht immer streng beobachtet worden, so dass viele
Stoffe miteinander isomorph genannt worden sind, bei denen nur eine
Winkelähnlichkeit vorhanden war, wie sie sehr leicht zufiÜlig eintreten kann.
Die Elemente, die entweder flir sich isomorph sind, oder isomorphe
Verbindungen bilden können, sind die chemisch ähnlichen Gruppen, wie
sie grösstenteils durch das periodische System (S. 45) zusammengefasst
werden. In der That fallen die früher empuisch zusammengestellten der-
artigen Gruppen fast immer mit diesen Reihen zusammen, und ein Bück
auf die Tabelle S. 45 ergiebt auch die isomorphen Gruppen.
Dabei ist indessen auf folgende Punkte Acht zu geben. Die Ele-
mente mit dem niedrigsten Atomgewicht schüessen sich im allgemeinen
keiner isomorphen Gruppe an; so stehen die ersten Elemente bis etwa
zum Fluor isoüert da. Vom Natrium ab beginnen die isomorphen
Gruppen, aber in der Art, dass vorwiegend die paaren und die unpaaren
Gruppen unter sich isomorph sind.
Neben diesen einfachen Beziehungen sind noch weitere vorhanden, deren
ünregehnässigkeit vieüeicht nur in der Unvollkommenheit des periodischen
Systems liegt. So ist Blei mit der Gruppe Ca, Sr, Ba isomorph, während
Gadmium viel lockerere Beziehungen zu Zink und Magnesium zeigt. Die
ausserhalb des Systems befindlichen Metalle der Eisengruppe nebst Kupfer
schüessen sich in ihren zweiwertigen Verbindungen dem Magnesium und
Zink, in den dreiwertigen, soweit sie solche bilden, dem Aluminium an,
u. s. w. Überhaupt wird durch die verschiedene Wertigkeit, die viele
Elemente annehmen können, deren Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen
bedingt, und so eine einfache Systematik vereitelt. So ist das Mangan
in semen zweiwertigen Verbindungen dem Magnesium, in seinen drei-
wertigen dem Aluminium isomorph. Die Salze der Mangansäure schliessen
sich denen der Schwefel- und Selensäure, die der Übermangansaure denen
der Überchlorsäure an, während das Hyperoxyd mit den nach gleicher
Formel zusammengesetzten Verbindungen des Titans, Zircons, . Zinns
u. s. w. isomorph ist Dies Element gehört demnach mindestens fünf ver-
schiedenen isomorphen Gruppen an.
An das Verhältnis der Isomorphie schliesst sich das von Groth (1870)
zuerst in Betracht gezogene der Morphotropie. Es sind namentlich in
der organischen Chemie zahlreiche Stoffe bekannt, welche sich voneinander
182 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
durch den Ersatz eines oder einiger Wasserstoffatome mittelst anderer Ele-
mente oder Radikale ableiten lassen. Zwischen solchen Verbindungen sind
schon oft Beziehungen der Gestalt vermutet worden. Groth zeigte nun, dass
diese Beziehungen sich vielfach so darstellen, dass die Achsenverhältnisse sich
nur nach einer Seite ändern. So ist das Benzol, seine Oxy- und Nitroderivate
rhombisch; in diesen Verbindungen bleibt das Verhältnis zweier Achsen ziem-
lich konstant, während die dritte Achse starke Veränderungen erleidet. Ähn-
liche Beziehungen sind später mehrfach an anderen Stofireihen nachgewiesen
worden. Häufig bedingt eine Substitution den Übergang in ein anderes Kry-
stallsystem, z. B. des rhombischen in das monosymmetrische. Aber auch dann
bleibt oft eine allgemeine Übereinstimmung des Habitus und eine nahe Gleich-
heit der analogen Winkel erhalten.
Die klare Erfassung der Isomorphiebeziehangen wird vielfach er-
schwert durch die schon oben erwähnte Fähigkeit vieler Stoffe, in ver-
schiedenen Krystallformen auftreten zu können. Man hat dieselbe mit
dem Namen Polymorphie oder auch Allotropie bezeichnet. Die
Polymorphie ist eine viel allgemeinere Erscheinung, als man früher an-
nahm; namentlich hat die krystallographische Untersuchung organischer
Stoffe, besonders mit Hilfe des Mikroskops erwiesen, dass fast jeder Stoff,
wenn man nur die Versuchsbedingungen gehörig ändert, in zwei oder
mehreren verschiedenen Formen erhalten werden kann.
Diese Thatsache IMsst sich zu der Schlussfolgerung verwenden, daäs
zwischen der Zusammensetzung der Stoffe aus den Elementen und der
Krystallform nicht jener vielfach vermutete Zusammenhang besteht, nach
welchem sich diese aus jener gewissermassen aufbauen lassen soll.
Die Frage nach den Gesetzen, denen die Umwandlungen polymorpher
Stoffe unterliegen, lässt sich am besten durch den Hinweis beantworten,
dass sich der Übergang aus einer Form in die andere ebenso verhält, wie
der Übergang aus einem Aggregatzustand in den anderen. Danach ist es
wesentlich die Temperatur, welche hierflir bestimmend ist. Schon
Mitscherlich, der am Schwefißl zuerst diese Beziehung entdeckt hatte,
stellte fest, dass von den beiden Formen dieses Elements, der rhom-
bischen und der monoklinen, die erste bei Temperaturen unter 100^,
die andere bei höheren Temperaturen beständig ist. Ebenso wie Eis
über 0® schmilzt, so geht rhombischer Schwefel über 100^ in monoklinen
über, und ebenso, wie Wasser unter 0^ erstarrt, verwandelt sich mono-
kliner Schwefel unter 100® in rhombischen. Es giebt also für jeden dieser
Zustände ein Gebiet der Beständigkeit, und beide Gebiete sind durch
eine Übergangstemperatur voneinander getrennt, bei der beide Formen
nebeneinander (und neben Dampf) bestehen können.
So lassen sich denn auch die anderen Eigentümlichkeiten der ge-
wöhnlichen Änderungen des Aggregatzustandes hier wiederfinden. Zu-
nächst die Überschreitungserscheinungen, die hier noch viel leichter und
nach beiden Richtungen stattfinden. Wenn man rhombischen Schwefel
über 100^ erwärmt hat, so verwandelt er sich keineswegs augenblicklicfa
Isomorpbie und Polymorphie. X83
in monoklineii; sondern bleibt je nach dem Betrage der Überschreitung
kürzere oder längere Zeit in dem alten Zustande. Dies geht so weit, dass
man bei schneller Arbeit den Schmelzpunkt des rhombischen Schwefels
bestimmen kann, ehe er in monoklinen übergegangen ist; er liegt bei
115®, während der des monoklinen bei 120® liegt. Die hierin zum Aus-
drucke kommende Beziehung, dass die unbeständigere Form den nied-
rigeren Schmelzpunkt hat, ist allgemein.
Ebenso ist der monokMne Schwefel bei niedriger Temperatur ziem-
lidi lange beständig. Seine Umwandlung in rhombischen, die man an
dem Trübewerden der bis dahin durchsdieinenden Masse erkennen kann,
breitet sich von bestimmten Punkten aus, zum Beweis dafür, dass sie
durch die Berührung mit der beständigen Form bewirkt wird. Ob man
auch hier ein metastabUes Gebiet von einem labilen unterscheiden kann,
wie dies nach der Analogie zu erwarten ist, ist noch nicht eingehend
untersucht worden, aber sehr wahrscheinlich.
Auch die Verschiedenheit der Dampfdrucke, welche für die feste
und flüssige Form eines Stoffes ausserhalb des Schmelzpunktes nachge-
wiesen ist, findet sich hier in der Gestalt wieder, dass der Dampfdruck
der beständigen Form kleiner ist, als der der unbeständigeren. Im Über-
gangspunkte werden beide Drucke gleich, indem sich die Dampfdrucklinien
hier schneiden«
Die Umwandlung der Formen im Übergangspunkte unterliegt dem
Gesetz, dass eine bei steigender Temperatur eifolgende Umwandlung
immer unter Wärmeaufnahme stattfindet, ebenso wie dies bei den
Änderungen des Aggregatzustandes der FaU ist Es liegt hier ein Fall
emes allgemeineren Gesetzes vor, dass bei der Überschreitung eines
Gleichgewichtspunktes durch eine äussere Einwirkung oder einen Zwang
immer der Vorgang eintritt, der sich diesem Zwang widersetzt So be-
wirkt die Elrwärmung immer Reaktionen, die mit Wärmebindung ver-
knüpft sind, und ebenso wird durch eine Vermehrung des Druckes die
Reaktion bewirkt, durch welche sich das Volum vermindert, also der
Druck gleichfalls verkleinert wird. Viele der früher erörterten Verhält-
nisse bieten weitere Beispiele für diesen Satz.
Daher besteht auch für die polymorphe Umwandlung die Beziehung,
dass die Übergangstemperatur durdi den Druck verschoben wird. Die
für die Schmelzpunktsänderung entwickelte Gleichung (S. 175) behält auch
för diesen Fall unverändert ihre Geltung; insbesondere bestimmt das
Zeichen der Volumänderung für die mit Wärmeaufiiahme verbundene,
also durch Temperatursteigerung bewirkte Umwandlung, ob sie durch
Druck erhöht oder erniedrigt wird.
Ebenso wie der Schwefel verhalten sidi sehr viele andere Stoffe,
aber nicht aUe. Es giebt auch polymorphe Stoffe, die gar keinen Über-
gangspunkt erkennen lassen, und bei denen nur eine beständige und
eine (oder einige) unbeständige Form vorkommt. Dies wird dadurch
bewirkt, dass die Temperatur des Umwandlungspunktes höher liegt, als
184
lY. Stöchiometrie fester Stoffe.
der Schmelzpnnkt der weniger beständigen Form. Da Überschreitangen
des Schmelzpunktes unter gewöhnlichen Umständen nicht eintreten (S. 176),
so ist dn so gelegener Umwandlungspunkt unzugänglich. Die Ver-
schiedenheit dieses Falles von Polymorphie von dem gewöhnlichen ist
von Lehmann zuerst hervorgehoben worden, der die Stoffe der ersten
Art enantiotrope nannte, während die der zweiten Art monotrope
heissen.
Gemäss dem Satze, dass der Dampfdruck der unbeständigeren Form
immer höher liegt, als der der beständigeren, und dass im Schmelzpunkte
sich die Dampfdrucklinien der flüssigen und der festen Form schneiden,
hat man för die beiden Fälle die in Figui* 24 und 25 angegebene Lage
der Dampfdrucklinien, wo sich I immer auf die Flüssigkeit, II und III
auf die festen Formen bezieht Die Durchschnitte von I mit II und III
sind daher Schmelzpunkte, während der von II mit III den Umwandlungs-
Fig. 24.
Fig. 25.
punkt darstellt. Die Linie der Flüssigkeit schneidet die beiden anderen
entweder oberhalb des Umwandlungspunktes, Figur 25, und dann haben
beide Formen ein beständiges Gebiet. Oder der Durchschnitt von I mit
II und III liegt unterhalb des Umwandlungspunktes, Figur 24; dann ist
die Form II in ihrem ganzen Existenzgebiete bis zum Schmelzpunkt
unbeständig, und III ist beständig. Der erste Fall stellt somit die enantio-
tropen, der zweite die monotropen Stoffe dar.
Es ist denkbar, dass bei tiefen Temperaturen die linien wieder
zum Schnitt kommen, und die Verhältnisse sich demgemäss ändern.
Doch ist ein derartiger Fall noch nicht bekannt
Man muss fragen, wie man überhaupt zu der Beobachtung der
unbeständigen Formen monotroper Stoffe gelangt, da es doch gar
kein Gebiet giebt, in welchem sie beständig sind. Darauf ist zu ant-
worten, dass vermöge eines allgemeinen Gesetzes die unbeständigen
Formen aus den flüssigen, bez. dampfförmigen eher entstehen, als die
beständigen. Als erste Produkte der freiwilligen Erstarrung einer über-
Volume fester Stoffe. 185
kälteten Flüssigkeit pflegen gerade die unbeständigen Formen zuerst auf-
zutreten, wenn man die Wirkung von Keimen der beständigeren ver-
meidet, liegt dann diese Form noch im metastabilen Gebiete, so kann
3ie sidi beliebig lange erhalten.
Die Umwandlung der unbeständigen Formen in die beständigen ist
wie die der überkalteten Flüssigkeiten im metastabilen Gebiet von der
Gegenwart eines Keims der beständigen Form abhängig; in dieser Be-
ziehung ist zwischen monotropen und enantiotropen Formen kein Unter-
schied vorhanden.
Nach den vorstehenden Erörterungen ist unter gegebenen umständen
immer nur eine von den verschiedenen Formen, in die sich ein Stoff um-
wandeln kann, im strengen Sinne beständig, und in der Natur müsste sich
daher (ausser in Fällen, wo der Zutritt von Keimen der beständigsten
Form ausgeschlossen ist) nur diese eine Form vorfinden. Die Erfahrung
bestätigt diesen Schluss nicht; vielmehr sind gerade unter den Mineralien
viele polymorphe Formen bekannt, deren Individuen sicher oft genug Gelegen-
heit zur Berührung mit Keimen der anderen Formen gehabt haben. Eines
der bekanntesten Beispiele bietet Calciumcarbonat in der Gestalt von Kalk-
spat und Aragonit. Während bei beginnender Rotglut sich der letztere frei-
willig in Kalkspat verwandelt, können beide Formen bei den in der Natur
gewöhnlich auftretenden Temperaturen sich anscheinend beliebig lange neben-
einander erhalten.
Über die Ursache solchen Verhaltens besitzen wir noch keine ein-
gehende wissenschaftliche Untersuchung. Doch kann man vermuten, dass es
sich hier um den Umstand handelt, dass die Geschwindigkeit der Umwand-
lung einer Form in die andere von mehreren Faktoren abhängt Einmal ist sie
um so geringer, je näher die Temperatur an der Übergangstemperatur selbst
liegt; in unmittelbarer Nähe an derselben ist sie unendlich klein. Dann aber
kann auch die Umwandlungsgeschwindigkeit in grösserer Entferung unterhalb
der Übergangstemperatur unmerklich klein werden, da alle chemischen Vor-
gänge durch Temperaturerniedrigung sehr schnell ihre Geschwindigkeit ver-
mindern. Beide Umstände können also eine scheinbare Beständigkeit von
Formen ergeben, die sich nach den vorhandenen Verhältnissen eigentlich um-
wandeln müssten. Sie wandeln sich thatsächlich um, aber so langsam, dass
man es nicht merkt.
Sechstes Kapitel.
i
Volume fester Stoffe.
i Die wenigen Andeutungen gesetzmässiger Beziehungen, welche man
j bisher an den Volumverhältnissen fester Stoffe entdeckt hat, liegen ganz
auf demselben Gebiete, wie die bei Flüssigkeiten. Wenn auch bei festen
Stoffen die Schwierigkeit in Bezug auf die Vergleichstemperatur fast
186 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.
völlig wegföllt, weil die Ausdehnung meist eine sehr geringe ist^ so tritt
doch eine neue Schwierigkeit damit auf, dass viele feste Körper in
mehreren verschiedenen E^rystallformen^ welchen immer verschiedene Mole-
kularvolume entsprechen^ auftreten können. Man ist in solchen Fällen
nur dann in der Lage^ einen einwurfefreien Vergleich durehföhren zu
können^ wenn die zu vergleichenden Stoffe isomorph sind; sind sie es
nicht^ so lässt sich von vornherein nicht absehen^ welche der verschiedenen
vorhandenen Formen man zum Vergleich heranziehen darf.
Zu dieser prinzipiellen Schwierigkeit gesellt sich eine praktische. Die
Bestimmung der spezifischen Gewichte fester Stoffe ist zwar an und für sich
meist keine sehr schwere Aufgabe, und die yorhandenen Methoden gestatten
leicht, die Zahlen auf Viooo ihres Wertes genau zu erlangen. Wohl aber ist
es äusserst schwierig, die zu bestimmenden Krystalle in einem Zustande zu
erlangen, welcher eine genaue Bestimmung gestattet. Wenn Stoffe aus
Lösungen krystallisieren, so schliessen die gebildeten Krystalle äusserst häufig
mit Mutterlauge gefüllte Bläschen ein, durch welche das spezifische Gewicht
um so mehr vermindert wird, je grösser es ist. Dadurch erklären sich
die zum Teil enormen Unterschiede zwischen den Zahlen, welche verschiedene
gewissenhafte Forscher an demselben Stoff beobachtet haben; im allgemeinen
hat man den grössten Werten der spezifischen Gewichte oder den kleinsten
der spezifischen Volume das meiste Vertrauen zu schenken, und muss sich
dabei doch die Möglichkeit von Fehlem, die mehrere Prozente betragen,
gegenwärtig halten.
Über die älteren Arbeiten von Le Royer und Dumas (1821),
Herapath (1823), Karsten (1824) und Boullay (1830) ist nicht viel mehr
zu berichten, als dass insbesondere durch die beiden letzteren festgestellt
wurde, dass das Volum einer chemischen Verbindung aus festen Ele-
menten nicht gleich der Summe der Volume der Bestandteile ist; meist
tritt eine Volumverminderung, in einigen f^en aber auch eine Aus-
dehnung ein. Die erste Gesetzmässigkeit auf diesem Gebiete fand
Ammermüller (1840) durch die Beobachtung, dass Kupferoxydul, Cu*0,
und Kupferoxyd, CuO, dasselbe Molekularvolum haben, wenn man
Cu*0 mit Cu^O* vergleicht; die Verhältnisse sind so, als wenn das
eine Atom Sauerstoff im Oxydul denselben Raum einnähme, wie die
beiden Atome im Oxyd. Einige andere Beispiele entsprachen gleichfalls
einer ähnlichen Gesetzmässigkeit, doch zeigten sidi alsbald auch zahl-
reiche Abweichungen.
Die Frage, ob das Molekularvolum bei festen Körpern sich ähnlich
wie bei Flüssigkeiten als eine additive Eigenschaft auffassen lasse, ist
dann von Kopp (1841) eingehend untersucht und im ganzen bejahend
beantwortet worden. Die Molekularvolume sind in der That annähernd
Summen von Gliedern, die von der Natur der zusammensetzenden Atome
oder Atomgruppen abhängig sind. Doch sind erstens diese Teilvolume
nicht immer gleich den Atomvolumen der freien Elemente, und zweitens
KCl
374
NaCl
27.1
KBr
443
NaBr
33-8
KJ
540
NaJ
435
Volume fester Stoffe. 187
erweisen sich die Addenden nur inneiiialb engerer Gruppen konstant.
Letztere werden, was im Anschlnss an eine oben gemachte Bemerkung
betont werden soll, meist von isomorphen Verbindungen gebildet
Mit dieser Beziehung im engsten Zusammenhange steht der von
Schröder (1859) betonte „Parallelosterismus" solcher isomorpher
Gruppen. Ordnet man nämlich salzartige analoge Verbindungen (z. B.
die Chloride, Bromide und Jodide der Alkalimetalle und des Silbers)
tabellarisch so an, dass Verbindungen desselben Elements in eme Reihe
kommen, so sind die Unterschiede der Moleknlarvolume der Glieder
paralleler Reihen konstant. So wurde gefunden:
Aga 25-6
AgBr 31-8
AgJ 420
Die daneben geschriebenen Molekularvolume zeigen in der That die
erwähnte Beziehung, indem z. B. alle Jodide ein um etwa sechzehn
Einheiten grösseres Molekularvolum haben, als die entsprechenden Chlo-
ride, oder die Natrium- und Silberverbindungen nur um eine bis zwei
Einheiten verschieden smd, unabhängig von dem anderen Bestandteil.
Eine ähnliche Gruppe bilden die Sulfate, Carbonate und Nitrate
des Baryums, Bleis und Strontiums, dodi ist, wie erwähnt, die Beziehung
auf isomorphe Gruppen beschränkt.
Auch die Frage, in welcher Beziehung die Atomvolume der Ele-
mente im freien Zustande zu denen in den Verbindungen stehen, ist
erst in sehr unvollständiger Weise beantwortet Aus der Thatsache,
dass z. B. Chlorkalium ein kleineres Volum (37*4) einnimmt, als das
in demselben enthaltene Kalium (45*2), geht schon hervor, dass einige
der freien Elemente ihr Volum sehr verkleinem, wenn sie sich ver-
binden. Von Schröder ist die Annahme gemacht worden, dass das in
den Verbindungen eingenommene Volum ein rationeller Bruchteil des
Atomvolums sei, wenn eine Kondensation stattfindet In der That
lassen sich durch eine solche Annahme einige Thatsachen gut dar-
stellen. Doch ist mit dem Ausdruck, dass ein Bestandteil eines festen
Stoffes innerhalb desselben einen bestimmten Raum einnehme, eine klare
Vorstellung kaum zu verbinden.
Nimmt man an, dass im Chlorsilber das Silber mit dem Volum ent-
halten sei, welches es in metallischem Zustande annimmt, nämlich 10-3, so
bleibt für das des Chlors 15-3 übrig ; zieht man diese Zahl von den Volumen
von Chlorkalium und -natrium ab, so bleiben die Zahlen 22*1 und 11*8.
Nun sind die Volume von Kalium und Natrium im freien Zustande 45>2 und
2d*8, welche Werte nahezu doppelt so gross sind, wie die unter den er-
wähnten Annahmen berechneten Volume der gebundenen Metalle.
Eine weitere Ausdehnung solcher Beziehungen hat sich indessen nicht
ohne Zwang durchführen lassen.
188 IV. StOchiometrie fester Stoffe.
Siebentes Kapitel.
Spesiflsohe Wärme.
Bei Gelegenheit einer ausgedehnten Arbeit über die Gesetze der
Wärme entdeckten Dulong und Petit (1818) ein Gesetz von merk-
würdiger Einfachheit y welches sie selbst in den Satz zusammen&ssten:
Die Atome aller einfachen Körper haben genau dieselbe
Wärmekapazität
Es ist mit anderen Worten das Produkt aus der spezifischen Wärme
und dem Verbindungsgewicht eine konstante Grösse. Oder: Mengen ver-
schiedener Elemente, welche im Verhältnis ihrer Verbindungsgewichte
stehen, erfahren durdi die gleiche Wärmemenge eine gleiche Temperatur-
erhöhung.
Die Wichtigkeit der Entdeckung wurde sofort anerkannt, doch
erhoben sich alsbald Zweifel gegen die allgemeine Anwendbarkeit des
Gesetzes, insbesondere da durch die erhaltenen Zahlen die unzweifelhaft
vorhandene Analogie zwischen Kobalt und Nickel in Frage gestellt
wurde. Die Arbeit wurde nicht fortgesetzt, da Petit bald starb und
Dulong sie nicht wieder aufiiahm.
Eine Erweiterung erfuhr das Gesetz von Dulong und Petit durch
F. Neumann (1831), welcher einen ähnlidien Satz för zusammengesetzte
Stoffe au&teUte: ^Es verhalten sich bei chemisch ähnlich zu-
sammengesetzten Stoffen die spezifischen Wärmen umge-
kehrt wie die stöchiometrischen Quantitäten, oder, was das-
selbe ist, die stöchiometrischen Quantitäten bei chemisch
ähnlich zusammengesetzten Stoffen besitzen gleiche spezi-
fische Wärmequantität. '^
Die zahlreichsten Untersuchungen über diesen Gegenstand sind
dann von Regnault (1840) und H. Kopp (1864) ausgeftlhrt worden.
Sie haben zunächst die Gesetze von Dulong und Petit und Neumann
in ziemlich weitem Umfange bestätigt, dabei aber ^eichzeitig gezeigt, dass
beide Gesetze nur angenälierten Charakter haben. Die Produkte von
spezifischer Wärme und Verbindungsgewicht sind zwar bei sehr vielen,
aber doch nicht bei allen Elementen gleich, sondern die Zahlen weichen
mehr voneinander ab, als die Versuchsfehler betragen.
Was die Beziehungen zwischen den Atomwärmen der Elemente
und denen ihrer Verbindungen betrifft, so ist, nachdem frühere An-
nahmen von Avogadro, Hermann und Schröder sich als falsch erwies^i
hatten, von Joule (1844) der Satz ausgesprochen worden, dass die
Wärmekapazität einer Verbindung die Summe derer ihrer Bestandteile
sei. Das Verdienst, diesen Satz als in hohem Grade aUgemeingültig
erwiesen zu haben, kommt H. Kopp zu.
Nach letzterem Forscher haben folgende Elemente eine „normale"
Atom wärme, d. h. das Produkt ihrer auf Wasser = 1 bezogenen spezifischen
V. Die verdünnten Lösungen. — Allgemeines. 189
Wärme mit dem Verbindungsgewicht giebt nahezu die Zahl 6-4: Ag, AI,
Ab, Au, Ba, Bi, Br, Ca, Cd, Cl, Co, Cr, Cu, Fe, Hg, J, Ir, K, Li, Mg,
Mn, Mo, N, Na, Ni, Os, Pb, Pd, R, Rb, Rh, Sb, Se, Sn, Sr, Te, Ti,
TI, W, Zn, Zr.
Eine kleinere Atomwärme haben: S = 54, P=5-4, Fl = 5 0,
0 = 40, Si = 3.8, B = 2.7, H = 2.3, C=1.8. Hieran schUeest sich
noch Beryllium.
Wie man sieht, gehören zu der letzteren Gruppe nur Elemente
mit kleinem Atomgewicht Sowie das letztere über 30 hinausgeht, ge-
horchen die Elemente dem Gesetz von Dulong und Petit
Für mehrere der in zweiter Reihe genannten Stoffe ist bereits
nachgewiesen, dass ihre Atomwärme mit steigender Temperatur schnell
zunimmt, bis sie den „normalen" Wert von etwa 6 erreicht haben, so
von Weber flir Kohlenstoff, Silicium und Bor, von Nilson und Pettersson
für Beryllium. Auch sind mehrere der oben angeftihrten Zahlen nicht
unmittelbar beobachtet, sondern aus den Molekularwärmen von Ver-
bindungen durch Abzug der auf die anderen Elemente Menden Anteile
berechnet worden.
Bei der noch vorhandenen Unklarheit über den eigentüchen Inhalt
der von Dulong und Petit gefundenen Regel ist es auch noch nicht
möglich, über die Bedeutung der Abweichungen von ihr etwas auszu-
sagen. Man kann sich nur empirisch merken, dass sie für Stoffe mit
höherem Atomgewidit als 30 zutrifft und auf diese daher angewendet
werden kann. Die Regel ist indessen von grosser praktischer Bedeutung
gewesen, da sie lange Zeit neben der Dampfdichtebestimmung und den
Beziehungen im periodischen System der Elemente fast das einzige Mittel
war, um bei neuentdeckten Elementen aus den verschiedenen möglichen
Yerbindungsgewichten das richtige zu wählen.
Fünftes Buch.
Die verdünnten Losungen.
Erstes Kapitel.
Allgemeines.
Streng genommen gehört die Lehre von den Lösungen in den
zweiten Teil dieses Werkes, der von den Beziehungen zwischen zweien
und mehreren Stoffen handelt, während der erste der Betrachtung der Stoffe
als einzelner Individuen gewidmet ist. Indessen erscheint es angemessen,
die verdünnten Lösungen an dieser SteUe zu behandeln. Durch den
190 V*. Die verdünnten Lösungen,
Zustand einer verdünnten Lösung gewinnen die Stoffe gewisse gemein-
same Eigentümlichkeiten, welche gestatten , in gewissem Sinne den Lö-
sungszustand wie einen besonderen A^regatzustand zu betrachten, und
ihn den drei gewöhnlichen Aggregatzuständen anzuschliessen. Zwar er-
geben sich die hier zu entwickekden Beziehungen auch als einfachste
Grenzfälle der allgemeineren Gesetze, welche das Verhalten der Gleich-
gewichtszustände aus zwei oder mehr Stoffen regeln; aber die Verein-
fachung, die aus dem Übergange auf die verdünnten Lösungen entsteht,
ist so bedeutend, und die Wichtigkeit der entsprechenden Gesetze ist so
gross, dass die vorgängige Kenntnis dieser Grenzfälle audi das beste
Mittel ist, die allgemeinere Beziehung zu übersehen und zu beherrschen.
Der Zustand, welchen die gelösten Stoffe innerhalb der Lösung an-
nehmen, ist schon früher oft als ein vergleichbarer angesehen worden,
und verschiedene Forseher haben gerade von der Untersuchung der ver-
dünnten Lösungen die einfachsten Besultate erwartet. Zu ihrer gegen-
wärtigen Bedeutung sind diese Betrachtungen indessen erst durch die
Arbeiten van't Hoffs (1886) gelangt, welche die frühere ungefähre
Analogie in eine festgefögte und zu zahlenmässiger Anwendung bereite
Theorie verwandelt haben. Der Grundgedanke dieser Theorie ist, dass
die gelösten Stoffe innerhalb ihrer Lösungen ähnlichen Gesetzen gehorchen,
wie die Gase. Überlegt man die ausgezeichnete Rolle, weldie die Gase
vermöge ihrer einfachen und allgemeinen Eigenschaften ^ die En^
Wickelung unserer Wissenschaft gespielt haben, wo sie einerseits die Ge-
staltung des Molekularbegriffs, andererseits die der Thermodynamik er-
möglicht haben, so ist ersichtlich, welche Bedeutung die Ausdehnung ihrer
Gesetze auf eine weitere Klasse von Stoffen haben muss. Gelten in der
That die Gasgesetze in bgend einem Sinne für die gelösten Stoffe, so
bedeutet dies, dass an Stelle der wenigen Stoffe, die man im Gaszu-
stande untersuchen kann, die zahllosen Stoffe, die sich in irgend einem
Lösungsmittel auflösen, der theoretischen Forschung und damit der Vor-
ausbestimmung ihres Verhaltens in einem mehr oder weniger weitgehen-
den Grade zugänglich werden.
In der That hat die allgemeine Chemie in der wenig langer, als
ein Jahrzehnt dauernden Zeit, die seit der Aufstellung der Theorie von
van't Hoff verflossen ist, gerade durch diese eine ungemein beschleunigte
Fortbildung erfahren, und die gesamte Chemie hat durch sie einen so
bedeutenden Schritt in ihrer Entwickelung zu einer von allgemeinen
Prinzipien beherrschten Wissenschaft gemacht, wie vielleicht nie vorher
durch einen derartigen Gedanken. Dadurch, und durch die verhältnis-
mässige Neuheit dieses Fortschrittes rechtfertigt sich die hervortretende
Stellung, die hiermit der Theorie der verdünnten Lösungen angewiesen wird.
Der wichtigste Begriff, von dessen Erfassung die Theorie der Lö-
sungen entscheidend bestimmt worden isf, ist der des osmotischen
Druckes. Denn es ist kaum je ein rein erfahrungsmässig definierbarer
und aufweisbarer Begriff so vielfach missverstanden worden, wie dieser.
Der osmotiBche Druck. 191
Verfolgt man diese Missverständnisse auf ihren Ursprung zurück, so findet
man sie meist durch hypothetische Zuthaten verursacht , durch die man
diesen Begriff hat ^erklären'^ oder gar rechtfertigen woUen. Es sei da-
her gleich von vornherein betont, dass es sich Üer um nichts, als die
Zusammenfassung gewisser ErMrungsthatsachen handelt, die durch keine
hypothetische Erklärung sicherer gemacht werden können, als sie es ver-
möge der Erfahrung sind. Die ganze Theorie der Losungen lässt sich
vollständig und geschlossen ohne diese Zuthaten entwickeln, welche wirk-
lich auch in diesem Gebiete bisher viel mehr verwirrend, als aufklärend
gewirkt haben. In den nachstehenden Kapiteln ist versucht worden,
eine hypothesenfreie, rein thatsächliche Darstellung der Theorie zu geben.
Zweites Kapitel.
Der osmotlsohe Druck.
Wenn man über irgend eine Lösung, z. B. von Zucker in Wasser,
vormchtig eine Schicht reinen Wassers bringt, so bleibt das Gebilde nicht
m diesem Zustande. Ahnlich wie bei einem Gase, dessen Dichte in
einem Räume nicht überall dieselbe ist, beginnt alsbald der Zucker sich
zu erheben und in dem Wasser zu verbreiten, und die Bewegung hört
erst auf, wenn sich der Stoff in der gesamten Wassermenge gleichförmig
verteilt hat
Man kann diese Bewegung hemmen, indem man zwischen die Lö-
sung und das reine Lösungsmittel eine Wand bringt, welche zwar das
letztere, nicht aber den gelösten Stoff durchtreten lässt. Solche „halb-
durchlässige^ Wände lassen sich darstellen, wenn man z. B. eine poröse
Thonzelle zuerst mit einer Lösung von Kupfersulfat tränkt, sie sorgfältig
ausspült und alsdann mit einer Lösung von Kaliumferrocyanid anfüllt.
Es bildet sich alsbald auf und in der Thonwand eine zusammenhängende
Decke von Kupferferrocyanid, durch welche man Wasser filtrieren kann;
filtriert man aber eine Zuckerlösung, so erfordert dies zunächst einen
viel stäri^eren Druck, und was schliesslich durchtritt, ist nicht Zucker-
lösung, sondern reines Wasser.
Statt des Niederschlages von Kupferferrocyanid kann man mit gleichem
Erfolge Niederschläge von anderen amorphen Stoffen, wie Eisenoxyd, gerb-
saurem Leim, Kieselsäure u. s. w. anwenden. Das Protoplasma der organi-
schen Zellen pflegt gleichfalls mit einem Häutchen umkleidet zu sein, welches
vielen gelösten Stoffen gegenüber dieselbe Eigenschaft hat.
Wenn man in eine derartig vorbereitete Zelle Zuckerlösung fiiUt
und sie alsdann durch einen Pfropfen verschliesst, welcher ihren Inhalt
mit dnem Manometer in Verbindung zu bringen gestattet, so bemerkt
man, wenn man die Zelle in reines Wasser setzt, eine Zunalxme des
192 ^' ^^^ verdünnten Lösungen.
Druckes im Inneren der Zelle^ welche bis zu einem bestimmten Maximal-
wert geht. Letzterer ist von der Konzentration der Zuckerlösung und
der Temperatur abhängig.
Ist zunächst die Temperatur konstant, so ist der Druck , wie
Pfeffer (1877) gefunden hat, proportional dem Gehalt der Lösung. Die
schliesslichen Druckwerte sind sehr bedeutend ; einprozentige Zuckerlösungen
geben Drucke von mehr als 50 cm Quecksilber; eine einprozentige Sal-
peterlösung lässt sogar den Druck auf mehr als drei Atmosphären
steigen.
Die ProportionaUtät zwischen Konzentration und Druck ergiebt sich
aus nachstehenden Messungen Pfeffers an Zuckerlösungen:
Konzentration Druck Verhältnis
1 Prozent 53-5 cm 53-5
2 „ 1016 „ 50-8
274 „ 1518 „ 554
4 ^ 208-2 „ 521
6 „ 3075 „ 513
Das Gesetz, welches den osmotischen Druck regelt, hat ganz die-
selbe Gestalt, wie das Boylesche Gesetz bei Gasen, denn auch bei diesen
ist der Druck, welchen sie ausüben, proportional ihrer Dichte oder Kon-
zentration. Dass das Gesetz des osmotischen Druckes für alle gelösten
Stoffe unabhängig von ihrer Natur gültig ist^ hat sich durch eine Reihe
von sowohl direkten wie mittelbaren Messungen in vielen anderen Fällen
feststellen lassen.
Der Einfluss der Temperatur auf den osmotischen Druck madit
sich in derselben Weise geltend, wie bei Gasen: der Druck nimmt
proportional der Temperatur, und bei allen gelösten Stoffen
in gleichem Verhältnis zu. Die Verhältniszahl selbst oder der
Druck-Temperaturkoeffizient hat denselben Wert wie bei Gasen.
Hat man somit den osmotischen Druck Pq bei 0^ bestimmt, so
ist derselbe bei t© gleich P^, (1 + 0-003 6 7 t). Man kann die Beziehung
wie bei den Gasen daher auch folgendermassen ausdrücken: der osmotische
Druck ist proportional der absoluten Temperatur. Zum Beweise dieses
wichtigen Gesetzes gebe ich nachstehende Messungen von Pfeffer nach
den Berechnungen von van't Hoff wieder.
Druck bei
Rohrzucker 54-4 320®
„ 56-7 360®
Natriumtartrat 156-4 36-6®
„ 98-3 370®
Die unter ber. stehenden Zahlen sind unter der Voraussetzung, dass
der Koeffizient 0-00367 richtig sei, berechnet worden. Die Unter-
schiede überschreiten nicht die Versuchsfehler.
bei
beob.
ber.
14.15®
510
51-2
155®
52-1
529
13-3®
1432
144-3
13-3®
90-8
90-7
Der osmotische Druck. 193
Durch Versuche mit lebenden Zellen ist auch noch von anderer Seite
der Beweis erbracht worden, dass solche Lösungen, welche mit dem Zell-
inhalt bei 0° im osmotischen Gleichgewicht standen, dasselbe auch bei 34°
zeigten; die Zunahme des Druckes war also stets dieselbe, so verschieden
auch die angewendeten Lösungen waren, und so zusammengesetzt auch der
Zellinhalt selbst war.
Man kann somit den osmotischen Druck der gelösten Stoffe durch
ganz dieselbe Formel darstellen, welche den Druck der Gase zum Aus-
drack bringt, nämlich pv = RT. Es fragt sich nur noch, welchen Wert
die Eonstante R, welche för molekulare Mengen der verschiedenen Gase
gleich gross ist, im Falle der Lösungen hat. Die Konstante R ist schon
früher (S. 71) berechnet worden und hat sich für Gase gleich 8-31 X 10'
in absolutem Masse ergeben.
Pfeffer hatte nun flir eine einprozentige Zuckerlösung bei 0® den
Druck von 49 3 cm Quecksilber gefunden. Das Molekulargewicht des
Zuckers, C>*H"0*S ist 342; das Volum, in welchem 342 g Zucker
enthalten sind, beträgt somit 34200 ccm. Der Druck von 49-3 g
Quecksüber ist gleich 49-3 X 13-59 X 980 = 6-56 X 10^ Die Tem-
peratur 0® C. ist 273 A. Für Zucker ist somit die Eonstante R =
6-56X105x34200 ^ ^^ ^. „r- • ix .. . :,
-~ = 8-22X10'. Wie man sieht, stimmt der
273
Wert innerhalb der Versuchsfehler mit der Gaskonstante überein.
Der osmotische Druck einer Zuckerlösung hat somit den-
selben Wert, wie der Druck, welchen der Zucker ausüben
würde, wenn er sich gasförmig in demselben Räume befände,
den die Lösung einnimmt. Die Gasgleichung pv=RT gilt un-
verändert mit denselben Konstanten für die Lösung, nur dass p den
osmotischen Druck bedeutet. Diesen überaus wichtigen Satz verdanken
wir J. H. vanH Hoff (1886).
Die Frage, ob dies bei anderen Konzentrationen und Temperaturen
ebenso ist, muss sofort bejaht werden, da schon oben die Gültigkeit des
Boyleschen und Gay-Lussacschen Gesetzes für die Lösungen nachgewiesen
wurde. Es bleibt also nur noch die Frage aufzuwerfen, ob auch noch
das Avogadrosche Gesetz iiir Lösungen gilt, d. h. ob auch alle anderen
Stoffe ausser Zucker fiir R den Wert der Gaskonstante zeigen, wenn
man molekulare Mengen in Betracht zieht. Auch diese Frage hat sich
bejahend beantworten lassen. Zwar hegen nur wenige unmittelbare
Messungen des osmotischen Druckes vor, doch ist nach der früher schon
angedeuteten Methode mit organischen Zellen festgestellt worden, dass
solche Lösungen der verschiedensten Stoffe gleichen Einfluss auf dieselben
ausüben, welche die Stoffe im Verhältnis ihrer Molekulargewichte ent-
halten.
Alle die umfjassenden Beziehungen, welche früher über den Zu-
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 13
194 ^' I^ie verdünnten Lösungen.
sammenhang der Gasdichten und Molekulargewichte entwickelt wurden^
finden auf Lösungen somit ihre Anwendung^ und man kann allgemein
sagen ; dass der Zustand gelöster Stoffe mit dem der Gase in ausge-
dehntester Weise vergleichbar ist.
Einzelne Gruppen von Stoffen, insbesondere die Salze, daneben auch
viele Säuren und Basen, zeigen indessen Abweichungen von diesen einfachen
Beziehungen. Der osmotische Druck, welchen sie ausüben, ist weit grösser,
als er nach der Molekulargrösse sein sollte; bei Ghlorkalium z. B. ist er
fast doppelt so gross.
Bei den Gasdichten war eine ganz ähnliche Unregelmässigkeit in be-
stimmten Fällen, z. B. bei den Ammoniaksalzen, aufgetreten, indem die Dichte
viel kleiner, oder, was dasselbe ist, der Druck viel grösser gefunden wurde,
als ihr Wert nach der Theorie sein sollte. Dort wurden die Abweichungen
dadurch erklärt, dass man die fraglichen Stoffe als dissociiert, d. h. in einfachere
Stoffe zerfallen erkannte; an Stelle der durch die Formel ausgedrückten Ver-
bindung waren mehrere Mole der Zerfallprodukte vorhanden und daher war
der Druck in demselben Verhältnis grösser.
Es liegt nahe, hier eine ähnliche Erklärung anzunehmen, d. h. die
fraglichen Stoffe, welche eine derartige Abweichung zeigen, gleichfalls in
ihren Lösungen als dissociiert anzusehen. Es wird später gezeigt werden, dass
diese Annahme in der That wohlbegründet ist, und nicht nur diese, sondern
eine grosse Anzahl anderer Erscheinungen befriedigend erklärt.
Drittes Kapitel.
Diffiision.
Die Erkenntnis der Thatsache, dass zwischen zwei verschieden kon-
zentrierten Lösungen desselben Stoffes ein Druck, der osmotische, herr-
schen muss, war zunächst daraus abgeleitet worden, dass sich der gelöste
Stoff freiwillig aus dem Gebiete grösserer Konzentration in das der
geringeren begiebt. Durch die Verhinderung dieser Bewegung kam die
Möglichkeit einer unmittelbaren Messung des osmotischen Druckes zu
Stande. Umgekehrt lässt sich eine Theorie dieser Bewegungen auf Grund
des Begriffes des osmotischen Druckes entwickeln, und bietet durch den
Vergleich mit der Erfahrung eine weitere Pruiung für die Brauchbarkeit
jenes Begriffes (Nemst 1888).
Denken wir uns zwei Lösungen aneinander grenzend, in denen die
osmotischen Drucke p^ und p^ herrschen. Dann wird der gelöste Stoff
mit dem Drucke p = Pi — Pj aus der konzentrierteren Lösung in die ver-
Difiitsion. 195
dfinntere getrieben. Die Gesdiwindigkeit dieser Bewegung ist proportional
dem Dmckunterscfaiede p und einem Koeffizienten, der eine Art Reibung,
d. h. einen Energieverbrauch darstellt. Denn die Geschwindigkeit der
Bewegung ist so gering, dass die Bewegungsenergie stets verschwindend
klein bleibt, und die ganze Arbeit in Wärme verwandelt wird.
Man erhalt ein Mass dieser Eigenschaft, der Diffusionskonstan-
ten, wenn man sich an den Enden eines Cylinders von 1 cm* Quer-
sehnitt und 1 cm Länge den Eonzentrationsunterschied Eins hergesteUt
und erhalten denkt, und nun die Stoffmenge misst, welche in der Zeit-
einheit, einer Sekunde, durch den Oylinder tritt Und zwar gilt diese
Definition, nachdem sich em dauernder Zustand im Oylinder herausge-
bildet hat Alsdann nimmt die Konzentration proportional der Länge,
von dem Ende der höheren Konzentration gerechnet, ab, und die durch-
tretende Menge stellt einen konstant fliessenden Strom dar.
Man kann eine derartige Yersuchsanordnung praktisch herstellen, wenn
man einen entsprechenden Hohlcylinder, z. B. ein Stück einer Glasröhre, mit
Leim- oder Kieselsäuregallerte ausfüllt, und an dem einen Ende eine Lösung
Yom Gehalte Eins, am anderen reines Wasser langsam vorbeiströmen lässt').
Bestimmt man dann nach längerer Zeit die durchgetretene Stoffinenge, so ist
sie dieser Zeit und dem Diffusionskoeffizienten proportional. Hat der Oylin-
der nicht die vorgeschriebenen Einheitsdimensionen, so berücksichtigt man,
dass die durchgetretene Stoffmenge dem Querschnitt direkt und der Länge
umgekehrt proportional ist, und man daher die für die Zeiteinheit ermittelte
Menge durch den Querschnitt dividieren und mit der Länge multipli-
zieren muss.
Da die Zahlen auf diese Einheiten bezogen sehr klein ausfallen, hat
man gewöhnlich zur Zeiteinheit den Tag an Stelle der Sekunde gewählt, und
so 86400 mal grössere Werte für den Koeffizienten erhalten. Man gewinnt
eine Anschauung von den hier vorkommenden Grössen aus der Angabe, dass
aus einer einprozentigen Lösung von Zucker in einem Tage 0*312 g durch den
Einheitscylinder diffandieren.
Angesichts der grossen osmotischen Drucke, die durch verhältnismässig
kleine Konzentrationen bewirkt werden, muss man die erreichten Geschwindig-
keiten auffallend klein finden. Vom Standpunkte der Molekularhypothese
kann man sich dies indessen erklären^ da eine gegebene Stoffmenge in einem
widerstehenden Mittel einen um so grösseren Widerstand erfährt, je feiner
sie zerteilt ist. Eine Kugel von 2 cm Eadius hat einen Querschnitt von
4Äcm*. Zerlegt man sie in 8 Kugeln von 1cm Radius, so ist die Summe
von deren Querschnitten 8;rcm*, also doppelt so gross, und so fort Der Ge-
samtqnerschnitt ist umgekehrt proportional der Anzahl qi:qa = r,:rj der ge-
') Die meisten Stoffe diffundieren in Gallerten ebenso schnell, wie in
reinem Wasser.
13*
196 V- Die verdünnten Lösungen.
bildeten (geometrisch ähnlichen) Teile'), und .wächst daher mit steigender
Teilung schnell an. Dem Gesamtquerschnitte aber ist die Reibung für die
Bewegung derselben StofPmenge proportional.
Die Diffusionskonstanten der verschiedenen Stoffe sind meist nicht
sehr voneinander verschieden; im allgemeinen sind sie um so kleiner,
je grösser das Molekulargewicht der Stoffe wird. Bezieht man wie
gewöhnlich die Konstante auf Konzentrationen, die durch Gewichts-
prozente gemessen werden, so liegt ein doppelter Grund fiir diese Ab-
nahme vor. Einmal wird der Unterschied der osmotischen Drucke für
den gleichen Unterschied des Gewichtsgehaltes um so kleiner, je grösser
das Molekulargewicht ist; andererseits wandern auch die hochmolekularen
Stoffe bei gleichen Unterschieden des osmotischen Druckes viel langsamer,
sie erfahren also grössere Reibung, was wieder vom Standpunkte der
Molekularhypothese angemessen auf einen grösseren Querschnitt der
wandernden Molekeln zurückgeführt wird.
Der Einfluss der Temperatur ist bei den wässerigen Lösungen ver-
schiedener Stoffe auffallend wenig verschieden; die Diffiisionskonstante
wächst etwas schneller, als proportional der Temperatur; die Zunahme
ist zwischen 0® und 20<> rund 0-023 des Wertes bei 20*» für jeden Grad.
Es giebt nun eine Anzahl Stoffe, deren Lösungen durch ihr Vor-
handensein kaum messbare Änderungen im Gefrierpunkte oder Siede-
punkte gegen das reine Lösungsmittel zeigen, deren Molekulargewicht
also sehr gross ist. Solche Stoffe diffundieren auch äusserst langsam,
und werden als Kolloid Stoffe von den gewöhnlichen oder Krystalloid-
st offen unterschieden. Lösungen dieser Art kennt man nur an Stoffen,
die sehr schwer löslich sind; auch scheint sich ihr Vorkommen fast völlig
auf wässerige Lösungen zu beschränken*). Kieselsäure, Eisenoxyd, viele
Schwefel Verbindungen der Schwermetalle und auch manche Metalle lassen
sich in solchem Zustande erhalten. Ferner treten sehr viele Stoffe der
tierischen und pflanzlichen Organismen in kolloidalem Zustande auf, wie
insbesondere die verschiedenen Eiweissarten, Leim (der der Gruppe den
Namen gegeben hat) und viele andere.
Oben wurde erwähnt, dass die meisten Stoffe, insbesondere die
^) Nennt man n^ und n, die Zahl, r^ und r, die Radien oder allgemein
eine homologe Dimension der Teile, q^ und q, die Gesamtquerschnitte, so
gelten die Proportionen Uj/n^ = rg^ri* und (i^/(ii = T^iV^yT^iT^*y woraus q,/q«
*) Die Gläser scheinen im stände zu sein Stoffe, wie Gold, Silber,
Kupfer, Kohlenstoff u. s. w. im kolloidalen Zustande zu lösen, doch liegen unter
diesem Gesichtspunkte zu wenig Untersuchungen vor, als dass man über die
Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Gebilde den wässerigen Lösungen der
Kolloidstoffe gegenüber bestimmtes angeben könnte.
Diffusion. 197
eigentUchen Rrystalloide ungestört durch Gallerten^ d. h. durch koUoide
Massen^ wandern, ohne ihre DifiPiisionsgeschwindigkeit merklich zu ändern.
Dies gilt nicht mehr fBr difiPiindierende Kolloide; diese werden durch Wände
aas anderen Kolloiden zurückgehalten, und man kann aus Gemengen
beider Arten Stoffe die Anteile trennen, indem man sie der Diffusion
durch kolloide Wände unterwirft. Als solche dienen tierische Häute,
wie Harnblase, Herzbeutel, femer Pergamentpapier, Leunschichten u.s.w.
(Graham 1862).
Ebenso, wie zwischen den Ejrystalloid- und den Kolloidstoffen
stufenweise Übergänge bestehen, die keine scharfe Grenze zu ziehen ge-
statten, so ist auch die Fähigkeit solcher Scheidewände, erstere durchzu-
lassen und letztere zurückzuhalten, nur gradweise verschieden. Manche
von den genannten Wänden beschränken auch die DifFiisionsgeschwindig-
keit einiger Krystalloide sehr bedeutend. Sie erfahren dann auch als
Scheidewände zwischen verschieden konzentrierten Lösungen solcher Stoffe
einen osmotischen Druck, der indessen nur ein Bruchteil von dem
ganzen ist, ebenso wie eine nicht vollständig luftdichte Wand nicht den
ganzen Druck eines eingeschlossenen Gases ei-fahrt. Von solcher Be-
schaffenheit, die nur gradweise verschieden ist, müssen wir alle praktisch
herstellbaren halbdurchlässigen Scheidewände ansehen; sie werden nie
vollkommen dicht flir einen gegebenen Stoff sem, sondern ihn durch-
treten lassen, wenn auch oft mit so stark verminderter Geschwindigkeit,
dass die Abweichung des beobachteten Druckes vom theoretischen Grenz-
wert sich der Messung entzieht.
Dadurch, dass solche teilweise durchläBsige Wände Mher vorwiegend
untersucht worden sind, erklärt sich die geringe Übereinstimmung und die
verwickelte Beschaffenheit der entsprechenden Erscheinungen, die unter
dem Namen Diosmose, Dialyse u. s. w. im Interesse physiologischer
Fragen vielfach untersucht worden sind. Erst die Rückkehr zu den
schon von Parrot (1815) untersuchten Vorgängen der freien Diffiision
hat Graham (1851) in den Stand gesetzt, wenigstens die Hauptzüge
der Erscheinungen zu erkennen. Durch die Herstellung nahezu idealer
halbdurchläfisiger Scheidewände hat dann Pfeffer (1877) die experimentellen
Grundlagen beschafft, auf denen van't Hoff (1886) das Gebäude seiner
Theorie errichten konnte.
Die Versuchsanordnung von Graham bestand darin, dass er auf den
Boden eines cylindrischen Gefässes eine konzentrierte Lösung des zu unter-
suchenden Stoffes brachte und sie vorsichtig mit reinem Wasser überschichtete.
Nach längerer Zeit wurden die oberen Schichten, in die inzwischen der Stoff
diffundiert war, mit einem Heber abgezogen und auf ihren Gehalt untersucht.
Dieser ist unter gleichen umständen um so grösser, je grösser der Diffusions -
koeffizient ist, doch diesem nicht proportional. Die verwickelte Formel, die
ihn zu berechnen gestattet, soll hier nicht angeführt werden.
In allen Fällen werden messende Bestimmungen der Diffusion sehr da-
198 ^* I^io yerdünnten Lösungen.
durch erschwert, dass durch kleine Änderungen der Temperatur leicht
Strömungen eintreten, durch welche die Schichten mechanisch miteinander
vermischt werden, so dass das Ergebnis der reinen DifiEusionswirkung gefälscht
wird. Die Störung liegt immer in dem Sinne, dass die Vermischung weiter
gegangen ist, als durch die Diffusion allein geschehen wäre, und dass daher
der scheinbare Koeffizient zu gross ausfällt.
Die einfachsten Verhältnisse solcher Versuche liegen vor, wenn man an
einem Ende einer langen Säule des Lösungsmittels eine konstante Konzentration
der Lösung (etwa durch die Gegenwart festen Stoffes, der die Lösung ge-
sättigt erhält) bestehen lässt. Die Strecke, bis zu der eine bestimmte (durch
ein Reagens bemerkbare) Konzentration vorgedrungen ist, erweist sich dann
als proportional der Diffusionskonstanten, der Quadratwurzel aus der Zeit
und der konstanten Konzentration am Ende der Säule. Das Gleiche gilt
von der eingedrungenen Stoffmenge.
Ein besonders verwickelter Fall tritt bei der Diffusion der Lösung
eines Elektrolyts ein. Da dessen Ionen unabhängig voneinander sind^
so diffundiert jedes mit seiner eigenen Geschwindigkeit^ und es erfolgt
eine Trennung in dem Sinne, dass das geschwindere Ion vorangeht
Da aber sich mit den Ionen gleichzeitig elektrische Ladungen bewegen,
so ist hiermit eine Trennung derselben verbunden, und die beiden
Flüssigkeitsgebiete nehmen entgegengesetzte Ladungen an: das ver-
dünntere die des schnelleren Ions, das dort vorherrscht, und die ursprüng-
liche Lösung die des langsameren. Hierdurch entstehen aber elektro-
statische Kräfte, die das vorangegangene Ion zurückhalten und das
zurückgebliebene beschleunigen. Da beide Ionen wegen ihrer elektrischen
Verhältnisse nur in verschwindend geringem Masse getrennt werden
können, so stellt sich schliesslich eine mittlere Difiusionsgeschwindigkeit
heraus, die thatsächlich zur Beobachtung kommt.
Diese Betrachtungen (Kernst 1888) haben zur Erklärung der zwischen
verschiedenen Lösungen auftretenden elektromotorischen Kräfte geführt, die
hier nicht behandelt werden können. Sie haben aber noch eine andere
Folgerung ergeben. Da man durch die Anwendung elektrischer Kräfte, wie
sie beim Durchleiten eines elektrischen Stromes entstehen, die auf die Ionen
wirkenden Kräfte messbar verändern kann, während die Bewegungshindemisse
unter gegebenen Verhältnissen dieselben bleiben, so wird man zu bestimmten
Beziehungen zwischen dem Diffusionskoeffizienten und dem Koeffizienten der
elektrischen Leitfähigkeit geführt: die Diffusionskoeffizienten der Ionen
müssen ihren Koeffizienten der elektrischen Leitfähigkeit proportional sein.
Die entsprechenden Rechnungen haben gezeigt, dass auf solche Weise in
der That das Wesentliche der beiden Erscheinungsreihen dargestellt wer-
den kann.
Die Difiusionserscheinungen sind in der Natur ausserordentlich ver-
breitet und üben einen grossen Einfluss auf die Gestaltung der Natur-
vorgäuge aus. Sie treten insbesondere im tierischen und pflanzlichen
Diffusion. 199
OrganismoB auf, und besorgen in diesem zum Teil den Transport der
aufzunehmenden und auszuscheidenden Stoffe. Da sie dahin streben,
alle Unterschiede der Konzentration der einzelnen Stoffe, somit also
chemische Unterschiede auszugleichen, so müssen Einrichtungen vor-
banden sein, um solche Unterschiede dort aufrecht zu erhalten, wo sie
nötig sind. Dies geschieht entweder durdi schweriösliche Formen der
betreffenden chemischen Verbindungen (z. B. Stärke), wodurch diese aus
der Lösung heraustreten und daher nicht mehr diffundieren können, oder
durch Bildung von Eolloidstoffen, die der Diffiision gleichfalls kaum unter-
worfen sind (wie die meisten Bestandteile des Protoplasmas), oder endlich
durch die Abschliessung der zu schützenden Zellen mittelst halbdurch-
lassiger Membranen, die die betreffenden Stoffe nicht durchtreten lassen.
Indessen ist zu beachten, dass in kürzeren Zeiträumen, wie de hier
in Frage kommen, die durdi Diffusion zurücklegbaren Entfernungen nur
sehr klein sind. Überall dort, wo es sich um erheblichere Strecken
bandelt, muss daher eine andere Art der Beförderung, die der gesamten
Massen, eintreten, und so sehen wir die Konvektion oder Fort-
führung stets dort verwendet^ wo die Stoffe auf erheblichere Distanzen
zu transportieren sind. Beispiele sind die Blutbewegungen in den Tieren,
die Saftbewegungen in den Pflanzen, die Sammlung des un Wasser ge-
lösten Sauerstofife durch die Kiemen der Fische und vieles mehr. In
solchen Fällen vereinigt sich die Diffusion mit der mechanischen Fort-
fohrong, indem die schliessliche Au&ahme der mechanisch herangeführten
Stoffe durch die Diffusion erfolgt Ja man überzeugt sich leicht, dass
selbst ein so einfacher Versuch, wie die Herstellung einer überall gleich
konzentrierten Flüssigkeit durch Umrühren des rohen Gemenges, keines-
wegs ausschliesslich auf der mechanischen Vermischung beruht. Ohne
die Diffiision zwischen den durch das Rühren einander nahe gebrachten
Teilen verschiedener Konzentration würde die gleichförmige Verteilung
sebr viel längere Zeit erfordern und sehr unvollkommen bleiben, wie
man dies an Gemengen verschiedener Pulver leicht beobachten kann.
Schhesslich soll erwähnt werden, dass die Dif^sionserscheinungen
zu einem allgemeinen Typus gehören, dem sich die Leitung der Wanne
und der Elektrizität, die innere Eeibung und noch manche andere Vorgänge
anschliessen. Man kann sie allgemein als räumliche Vernutzungser-
seheinungen der Energie kennzeichnen, denn sie bestehen darin, dass
eine vorhandene arbeitsfähige oder freie Energie sich ausgleicht, ohne
entsprechende Arbeit zu leisten; sie geht viehnehr in letzter Instanz in
Wärme über. Damit eine Energie verwandelbar ist, muss ein Unter-
schied ihrer Intensitätsgrösse vorbanden sein; zwischen zwei Orten, wo
solch ein Unterschied besteht, tritt eine *„Leitung^^ der Energie ein, welche
diesen Unterschied auszugleichen strebt. Dieser Vorgang erfolgt pro-
portional dem Intensitätsunterschiede oder Gefalle, und ist im übrigen
in seinem Zeitverlaufe von bestimmten Konstanten abhängig, die teil-
weise eine Funktion der Natur des Materials sind, in dem der Vor-
200 V- I^ie verdünnten Lösungen.
gang erfolgt^ teilweise durch die geometiische Gestalt des Leiters bedingt
werden.
Man stellt sich daher di^e analogen Vorgänge unter dem Bilde
eines besonderen Falles vor, und benutzt dazu gewöhnlich den einer
strömenden Flüssigkeit. Doch hat man bei der Benutzung dieses Bildes
darauf Acht zu geben, dass die strömenden Dinge in den anderen Fällen
nicht etwas der Bewegungsenergie ähnliches besitzen, und dass daher
das Bild nur zutrifft, wenn man den Widerstand, den die strömende
Flüssigkeit erfährt, so gross annimmt, dass die Geschwindigkeit relativ
klein, und die Bewegungsenergie verschwindend ist.
Die Theorie dieser Erscheinungen ist im Falle der Wärmeleitung
durch Fourier (1822) in sehr vollkommener Weise entwickelt worden.
Hernach ist es dann nur nötig gewesen, die der Temperatur, Wärmemenge
und Wärmeleittähigkeit entspredienden Grössen in den anderen Gebieten
aufzusuchen und in die Gleichungen sachgemäss einzusetzen, um die ent-
sprechenden anderen Theorien zu haben. Dies ist durch Ohm (1827)
für die Elektrizitätsleitung und durch Eick (1855) fiir die Diffusion ge-
schehen.
Viertes Kapitel.
Dampfdrücke von Lösungen.
Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass der Dampfdruck von Flüssig-
keiten, welche andere Stoffe gelöst enthalten, kleiner ist, als der der reinen
Flüssigkeit. Die Gesetze dieser Erscheinung sind, zunächst fiir die
Lösungen nichtflüchtiger Stoffe, von Babo (1848) und WüUner (1856)
ermittelt worden. Sie besagen, dass die Verminderung des Dampf-
druckes proportional derzugesetztenMengedesgelöstenStoffes
ist, und dass bei einer und derselben Lösung die Verminderung
bei jeder Temperatur denselben Bruchteil des Dampfdruckes
der reinen Flüssigkeit beträgt.
Bezeichnet man mit f den Dampfdruck des Lösungsmittels, mit f
den der Lösung, und mit g den Gehalt der Lösung an gelöstem Stoffe,
so gilt die Beziehung
f— f
f f
wo r eine Konstante bedeutet, welche das Verhältnis — - — oder die
relative Dampfdrucksverminderung für den Gehalt Eins darstellt
Das Gesetz ist indessen, wie viele derartige Beziehungen, nur ein
Grenzgesetz, welchem sich die thatsächlichen Verhältnisse um so mehr
Dampfdracke von Losungen. 201
nahem, je verdünnter die Lösungen sind. In konzentrierteren Lösungen
machen sich Abweichungen geltend, die ähnlich den Abweichungen der Gase
von den einfachen Gesetzen bei höherem Druck sind, und zunächst ausser Be-
tracht bleiben sollen.
Es liegt nahe, die Konstante r, oder die relative Dampfdrucksver-
mindenmg nicht auf gleiche Gewichte zu beziehen, sondern auf Mole.
Alsdann ergiebt sieh ein weiteres allgemeines Gesetz, indem sich die
Produkte aus der relativen Dampfdrucksvermindenmg und dem Molekular-
gewicht bei Anwendung desselben Lösungsmittels gleich gross ergeben.
Löst man also in gleichen Mengen eines Lösungsmittels solche Mengen
verschiedener Stoffe auf, welche im Verhältnis ihrer Molekulargewichte
stehen, so erhält man Flüssigkeiten von gleichem Dampfdruck. Man
kann den Satz auch so aussprechen: die molekulare Dampfdrucks-
verminderung, welche beliebige Stoffe in demselben Lösungs-
mittel hervorbringen, ist konstant.
Vergleicht man schliesslich die relative Dampfdrucksverminderung,
welche verschiedene Lösungsmittel erfahren, so sind dieselben wiederum
gleich, wenn man gleiche Mengen eines Stoffes in solchen Mengen ver-
schiedener Lösungsmittel auflöst, welche im Verhältnis der Molekular-
gewichte stehen. Dabei verhält sich der Dampfdruck der Lösung zu
dem des reinen Lösungsmittels, wie die Zahl der Mole des Ijösungsmittels
zur Gesamtzahl der in der Lösung vorhandenen Mole.
Ist daher G das Gewicht des Lösungsmittels, g das des gelösten
Stoffes, und sind M und m die entsprechenden Molekulargewichte, so
sind G/M ^^ N und g/m = n die relativen Molenmengen. Stellen femer,
wie oben, f und f den Dampfdruck des reinen Lösungsmittels und den
der Lösung dar, so gilt nach aUem die Beziehung
r _ N
f ~ N + n'
welche man umformen kann in
f— f n
f N + n
Die relative Dampfdrucksverminderung jeder Lösung ist
gleich dem Verhältnis zwischen der Zahl der Mole des
gelösten Stoffes und der Gesamtzahl der in der Flüssigkeit
enthaltenen Mole.
Mit Benutzung der Beziehungen G/M = N und g/m = n haben
wir schliessüch m„ m. p n
(f — f )/f = gM/(gM + Gm).
Die vorstehenden Sätze sind meist von F. M. Haoult (1887) entdeckt worden.
In der letzten Gleichung treten neben den Molekulargewichten des
Lösungsmittels und des gelösten Stoffes lauter unmittelbar messbare
202 V. Die yerdfinnten Lösungen.
Grössen auf. Ist daher das Molekulargewicht des Lösungsmittels be-
kannt^ so kann man durdi die Messung der relativen Dampfdrucksv^-
minderuDg, welche eine gewogene Menge eines unbekannten Stoffes in
einer gleichfalls gewogenen Menge des Lösungsmittels henrorruft, dessen
Molekulargewicht bestimmen.
Angesichts der grossen Bedeutung, welche die Messimg des Molekular-
gewichts neuer Stoffe ftkr die Ermittelimg ihrer Konstitution und dadurch
ihrer allgemeinen chemischen Verhältnisse hat, lässt sich die praktische
Wichtigkeit dieser Formel begreifen. Dehnt sie doch die Möglichkeit,
Molekulargewichte zu bestimmen, von den flüchtigen Stoffen auf aUe
löslichen aus. Wenn auch vor einem halben Jahrhundert, wo die organische
Chemie wesentlich mit der Erforschung der meist leichtflüchtigen Ver-
bindungen der Fettreihe zu thun hatte, ein derartiges Hilfsmittel von
geringerer Bedeutung gewesen sein mochte, so war es doch zu der Zeit
seiner Entdeckung, wo die Forschung vorwiegend auf die im Dampf-
zustande vielfach unzugänglichen hochmolekularen aromatischen und
cyklischen Verbindungen übergegangen war, um so willkommener.
Formt man die oben gegebene Gleichung so um, dass sie unmittel-
bar das Molekulargewicht des gelösten Stoffes ersehen lässt, so hat man,
wenn man zur Abkürzung die relative Dampfdrucksemiedrigung (f — f')/f
= 9> seH m = gM(l - 9) /9) G.
Bei verdünnten Lösungen ist der Wert von g) sehr klein gegen-
über 1; man kann ihn daher im Zähler vernachlässigen und erhält die
emfachere Gleichung m = gM/^G,
welche zur Bestimmung von Molekulargewichten aus der Dampfdrucks-
verminderung allgemein angewendet wurd.
Das experimentelle Verfahren zur Bestimmung von g) bestand an-
fangs in der Ermittelung der beiden Drucke f und f' nach der statischen
Methode. Wegen der Schwierigkeit und Unsicherheit solcher Bestimmungen
(S. 102) ist diese durch die dynamische ersetzt worden, deren Anwendung
aUerdings dadurch erschwert war, dass die Bestimmung der Siedetempe-
ratur einer Lösung ganz besondere Vorsichtsmassregeln zu erfordern
schien. Die hier vorhandenen Schwierigkeiten sind indessen, namentlich
durch die Arbeiten von Beckmann (1889), überwunden worden und
gegenwärtig macht eine Molekulargewichtsbestimmung nach dieser Methode
weit weniger Arbeit, als die Dampfdichtebestimmung eines niedrig
siedenden Stoffes.
Man bestimmt nach diesem Verfahren nicht die Drucke, unter denen
das Lösungsmittel und die Lösung den gleichen Siedepunkt haben, sondern
die Siedetemperaturen, die sie unter gleichem Drucke, dem der Atmo-
sphäre, zeigen. Kennt man die Beziehung zwischen Druck und Tempe-
ratur bei dem reinen Lösungsmittel, so kann man den Druck erfahren,
den es bei der Siedetemperatur der Lösung haben würde, und damit
Dampfdrucke von Lösangeii.
203
hat man die zur Ermittelung der relativen Dampfdrucksverminderung er-
forderlichen Daten.
Es sei flg. 26 11 die Dampfdrucklinie des reinen Lösimgsmittels,
88 die der Lösung^ so ist f=ac und f' = ab; die relative Dampfdruck-
verminderung ist daher 9P = bc/ac. Die Temperatur, bei welcher die
Lösung unter demselben Druck siedet^ wie das Lösungsmittel, findet man,
wenn man die Linie konstanten Druckes cd zieht Die Siedetemperatur
der Losimg ist notwendig höher, als die des Lösungsmittels, wenn der
Dampfdruck durch die Auflösung des fremden Stoffes vermindert wird,
und diese Erhöhung ist durch cd dargestellt
Kennt man nun das Verhältnis bc:cd, welches gleich dem Ver-
hältnis der Dampfdrucksvermindemng zur Siedepunktserhöhung in der-
selben Lösung ist, so kann man auch
die Bestimmung der letzteren zur Ermit-
telung des Molekuhirgewichts verwerten.
Sei s die Siedepunktserhöhung und d
die (absolute, nicht die relative) Dampf-
dmcksverminderung und das Verhältnis
zwischen beiden d/s = r, so ist die rela-
tive Dampfdrucksverminderung g> = TSJfy
and damit geht die Gleichung m = g M/^pO
über in m = gMf/rsG, oder wenn man
die Konstanten Mr dasselbe Lösungsmittel
in K = Mf/r vereinigt, in
m=:Kg/sG.
Die VerhSltniszahl r = bc/cd (Fi-
gur 26) ergiebt sich aus der Kenntnis
der Dampfdrucklinie des reinen Lösungsmittels. Denn man kann für
kleine Unterschiede die Linien 11 und ss als parallele Gerade ansehen;
dann ist bc/cd = ed/cd, und das letztere Verhältnis ist das der gleich-
zeitigen Änderungen des Druckes mit der Temperatur am reinen Lösungs-
mittel, dp/dT. Nun ergiebt sich dies Verhältnis einerseits aus der Ver-
dampiungswärme (S. 125), andererseits aus der experimentellen Bestimmung
der Dampfdrucklinie in der Nähe des Siedepunktes.
Um an einem Beispiele die angenäherte Berechnung der Konstanten K
kennen zu lernen, ermitteln wir sie für Äther. Nach Begnault ist der Dampf-
druck des Ä£hers bei 35^ gleich 76-33 cm, bei 40® gleich 90-96 cm Quecksilber^);
das Verhältnis zwischen der Zunahme des Druckes und der Temperatur ist
also r = 2-926. In dem Ausdrucke für die Konstante Ks=Mf/r ist femer
M, das* Molekulargewicht des Äthers, gleich 74*1, der Druck f im Mittel von
^) Da in der Gleichung für das Molekulargewicht die Drucke nur als
Verhältniszahl eingehen, braucht man sie nicht in absoluten Werten auszu-
drücken, indem der Faktor sich heraushebt.
204 V. Die verdQnnten Lösungen,
T6-B3 und 90-96 gleich 83-Ö. Daraus folgt E—211T; die strengere Rechnung
ergiebt 2110.
Die Ausbildung des praktischen Verfahrens der Siedemetbode ist wesent-
lich durch Beckmann (1889) erfolgt, dem sich viele andere Forscher durch
mehr oder weniger abgeänderte Methoden angeschloesen haben. Der am
meisten verbreitete und fUr &st alle Zwecke verwendbare Apparat ist in
Fig. 37 abgebildet. Er besteht aus einem Siedegef^se A in Gestalt eines
grossen Probierglases mit einem seit-
lichen Stutzen. In dem Siedegefftsse
ist das Thermometer angebracht, das
an seinem oberen Ende eine mehrfach
auf- und abgebogene Erweiterung trftgt;
diese ermöglicht, durch Abtrennen eines
Teils der Quecksilberfüllung das nur
einige Grade umfassende, in O-Ol' ge-
teilte Thermometer für alle vorkom-
menden Temperaturen anwendbar zu
machen. Um das Sieden regelmässiger
zu machen, ist dae Gefäss A zum
Teil mit Granaten oder Platinschnitzeln
gefüllt. E, ist ein Kühler beliebiger
Form, der den Dampf des Lösungs-
mittels verflüssigt und der Hauptmenge
wieder zuführt.
Um die Temperatureinslellung von
der Umgebung unabhängig zu machen,
ist das Siedegef^s in den Siedemantel
B gestellt, in dessen Innerem sich
etwas von dem Lüaungsmittel befindet
Durch den aus Asbestpappe gefertigten
Heizkasten C wird die Wärme so zu-
geleitet, dass in beiden Räumen ruhiges
Sieden stattfindet
Man beschickt zuerst das Siede-
getäsB mit einer gewogenen Menge des
PJ2 27 Lösungsmittels und beobachtet an dem
zusammengestellten Apparate den Sie-
depunkt, bis er konstant ist. Dann wird durch den Kühler K, {nötigenfalls
durch den Stutzen selbst) der Sleff hineingebracht, worauf mai bald die ein-
getretene Erhöhung des Siedepunktes beobachten kann. Durch Einbringen
weiterer Mengen kann man die Bestimmung auf höhere Eonzentrationen
ausdehnen.
In manchen Fällen kann man von dem Satz Gebrauch machen, dass in
Gasen der Dampfdruck ebenso gross, wie im leeren Räume ist Leitet man
z. B. einen Luftetrom durch die Lösung, und sodann durch das reine Löanngs-
Dampfdrücke von Lösungen.
205
JL
mittel, 80 wird der Gewichtsyerlust der ersteren zu dem des zweiten sich
verhalten wie f : f — f ', indem die Luft sich beim Durchstreichen durch die
Lösung mit dem Dampfe bis zum Druck i' sättigt, und diese teilweise
gesättigte Luft aus dem reinen Lösungsmittel noch soviel desselben auf-
nimmt, bis sie zu dem Drucke f gesättigt ist. Bestimmt man noch die Ge-
samtmenge des mitgef&hrten Dampfes, so ist derselbe proportional dem
Dampfdruck f des Lösungsmittels.
Handelt es sich um wässerige Lösungen, so kann man auch die Methoden
f
der Hygrometrie zur Bestimmung der verhältnismässigen Feuchtigkeit -^
anwenden.
Was die Allgemeingültigkeit des oben (S. 201) aus-
gesprochenen Gesetzes anlangt, so machen sich hier ganz
dieselben Ausnahmen geltend, deren Vorhandensein bei
dem Gesetze für den osmotischen Druck hervorgehoben
wurde. Alle Stoffe, welche letzteren zu gross ergaben,
und für welche daher ein Dissociationszustand, ein Zer-
fallen in einfachere Molekeln angenommen werden musste,
zeigen ganz die gleiche Abweichung in Bezug auf die
Dampfdrucksverminderung. Das Verhältnis z\?ischen dem
thatsächlichen osmotischen Drucke und dem theoretischen
ist gleich dem Verhältnis zwischen der thatsächlichen
Dampfdrucksverminderung und der theoretischen. Dieser
Umstand ist eine kräftige Stütze für die Richtigkeit der
Annahme, dass die Ursache der Abweichungen dem ge-
lösten Stoffe und nicht etwa dem Lösungsmittel zu-
zuschreiben ist
Angesichts des vollkommenen Parallelismus beider Erscheinungsreihen,
der osmotischen Drucke und der Dampfdrucksverminderungen, muss man
sich fragen, ob zwischen beiden nicht ein theoretischer Zusammenhang
besteht Ein solcher ist in der That vorhanden, so dass man, v^enn
die Gesetze des osmotischen Druckes gegeben sind, die der Dampfdrucks-
verminderung daraus ableiten kann, und umgekehrt.
Wir denken uns ein Gefäss in der Form eines langen Cylinders
(Fig. 28), welches oben mittelst einer halbdurchlässigen Wand geschlossen
ißt Es sei mit dem Lösungsmittel geflillt und stehe in einem Gefäss F,
welches gleichfaUs das reine Lösungsmittel enthält. Darüber sei etwas
von der Lösung nach L gebracht Daß Ganze sei mit einer Glocke
überdeckt, unter welcher ein luftleerer Raum hergestellt worden ist.
Alsdann wird die Lösung mit dem Lösungsmittel im Gleichgewicht
sein, wenn der Druckunterschied, welcher der Säule FL entspricht, gleich
dem osmotischen Druck ist. Nun verdampft sowohl die Flüssigkeit bei
F, sowie die Lösung bei L; es muss auch bei L der Dampfdruck der
Lösung gleich dem Druck sein, welchen der Dampf der Flüssigkeit an
dereelben Stelle besitzt. Denn wäre er grösser oder kleiner, so müsste
[^
Fig. 28.
206 V. Die verdünnten Lösungen.
in h entweder FIfissigkdt verdampfen oder sich niederschlagen; in beiden
Fällen würde sich der Druck auf die halbdurchlässige Wand ändern und
Flüssigkeit würde aus- oder dntreten. Dieser Vorgang könnte zum Be-
trieb einer Maschine bei konstanter Temperatur benutzt werden; man
hätte ein perpetuum mobile zw^ter Art, was unmöglich ist
Der Druck; welchen die Dämpfe der Flüssigkeit F bei L ausüben,
ist also gleich dem Dampfdruck des Lösungsmittels, vermindert um das
Gewicht einer Damp&äule von der Höhe FL. Diesem Drudce muss
der Dampfdruck der Lösung gleich sein.
Wir wollen nun die Gesetze des osmotischen Druckes als gegeben
ansehen. Die Lösung enthalte n Mole des gelösten Stoffes und N Mole
des Lösungsmittels. Dann ist der osmotische Druck, welcher (S. 193)
gleich dem Drucke ist, den der gelöste Stoff ausüben würde, wenn er
sich in dem gegebenen Räume in Gasform befände, durch die Gleichung
nRT
pv = nRT gegeben; es ist also p = • Um v zu finden, beachten
wir, dass die N Mole des Lösungsmittels das Gewicht MN haben, wo
MN
M das Molekulargewicht ist, und das Volum einnehmen, wo s das
^ nRTs
spezifische Gewicht des Lösungsmittels ist. Wü* erhalten also p = -^^j^- •
Die Höhe h des Lösungsmittels, welche diesem Druck entspricht, ist durdi
die Gleichung p=^hs gegeben, wir finden h= « Da MN gleich
dem Gewicht des Lösungsmittels ist, in welchem n Mole des gelösten
Stoffes enthalten sind, so lässt sich der Satz aussprechen: Die osmotische
Steighöhe ist bei Lösungen desselben Stoffes von gleichem Gewichts-
gehalt unabhängig von der Natur des Lösungsmittels.
Um den Druck, welchen eine DampMule von der Höhe h aus-
übt, ist nun, wie oben bewiesen wurde, der Dampfdruck f der Lösung
kleiner, als der des Lösungsmittels. Sei letzterer f, so ist f = f — hd,
wo d die Dichte des Dampfes bedeutet. Diese ergiebt sich gleichfalls
aus der Formel pv = RT; p, der Druck des Dampfes^ ist gleich f, und
d ist, da die Formel sich auf je ein Mol Dampf bezieht, gleich dem
M
Gewicht M, dividiert durch das Volum v, also d = — Dadurch erhalten
Setzen wir ntm schliesslich in die Gldchung f'=:f — hd die Werte
. nRT ,, fM . ._ ., V n\ , f- f n
Als Ergebnis der Versuche von Raoult war oben (S. 201) die Formel
f—f n
— ---=:-—- — gefimden worden. Der Unterschied rührt daher, dass
f N + n
Gefrierpunkte von Lösungen. 207
jene Versuche an Lösungen von endlicher Konzentration ausgeführt
worden anä, während die Rechnungen fUr unbegrenzt kleine Konzen-
tration gelten; wird n sehr klein gegen N, so geben beide Formeln
gleiche Resultate.
Fünftes Kapitel.
Gefrierpunkte von Lösungen.
In einer fiir jene Zeit ungewöhnlich genauen Arbelt hatte bereits
im vorigen Jahrhundert J. Blagden (1788) zwischen den Temperaturen,
bei welchen Salzlösungen erstarren, und dem Gehalt dieser Lösungen die
einfache Beziehung gefonden, dass beide einander proportional sind.
Die Arbeit ist indessen völlig in Vergessenheit geraten; 1861 entdeckte
Rüdorff dieselbe Thatsache noch einmal, und 1871 fügte de Coppet,
welcher dieses Ergebnis bestätigte, noch den Satz hinzu, dass versdiie-
dene Stoffe von ähnlicher Natur den Gefrierpunkt um gleich viel er-
niedrigen, wenn sie im Verhältnis ihrer Molekulargewichte in Wasser ge-
löst werden.
Die weitere Entwickelung unserer Kenntnisse über diesen Gegen-
stand wurde lange Zeit dadurch aufgehalten, dass man die Untersuch-
ungen ausschliesslich auf Wasser als Lösungsmittel und auf Salze als
Versuchsstoffe beschränkte. Erst als durch F. M. Raoult zunächst (1882)
wässerige Lösungen indifferenter organischer Stoffe studiert wurden, er-
gab fflch das einfache Gesetz, dass äquimolekulare Lösungen, d. h.
solche, deren Gehalte im Verhältnis der Molekulargewichte der gelösten
Stoffe stehen, gleiche Erstarrungspunkte haben. Als dann auch andere
Stoffe als Lösungsmittel verwendet wurden, fand sich das gleiche Ergeb-
nis^ nur mit einem anderen Koeffizienten, so dass man allgemein folgende
Formel au&tellen kann.
Ist J die Erniedrigung, welche der Erstarrungspunkt des Lösungs-
mittels erfährt, wenn n Mole des Stoffes in G Gramm des Lösungsmittels
gelöst sind, so gilt ^
^ = r--,
WO r eine Konstante ist; welche von der Natur des Lösungsmittels allein
abhängig. Ist das Molekulargewicht m des Stoffes nicht bekannt, so
kann man es somit ableiten, wenn man den Gefrierpunkt einer Lösung
bestimmt, welche g Gramme des Stoffes in G Grammen Lösungsmittel
g rg
enthält Es ist nämlich dann n=-^: die Gleichung wird J = — —
m mij
oder rg
m =
wodurch man das Molekulargewicht erhält.
208
V. Die verdünnten Lösungen.
D
Die Konstante r, welche, wie erwähnt, von der Natur der Flüssigkeit
abhängt, lässt sich bestimmen, wenn man Stofife von bekanntem Molekular-
gewicht in der Flüssigkeit auflöst und die Erniedrigung des Gefrierpunktes
bestimmt Setzt man die so erhaltenen Werte in die erste Formel ein, so lässt
sich r =a* berechnen.
n
Auch dies Gesetz gilt zunächst nur für in-
differente Stoffe; Salze, starke Säuren und Basen
bilden Ausnahmen. Aber diese Ausnahmen stehen
wiederum in engster Beziehung zu den ent-
sprechenden Ausnahmen in Bezug auf den
osmotischen Druck und die Dampfdrucksvermin-
derung; die thatsächlich beobachteten Gefrier -
punktsemiedrigungen ergeben sich grösser als
die berechneten, und die Verhältniszahlen zwi-
schen Messung und Itechnung sind bei den ver-
schiedenen Stoffen dieselben, welche bei den
anderen Methoden gefunden wurden.
Zur praktischen Ausführung derartiger Be-
stimmungen dient am besten nach Beckmann
(1888) der beistehend abgebildete Apparat. Das
Glas A enthält ein in 0-01 Grade geteiltes Ther-
mometer D und einen aus Platindraht geboge-
C ^^yüi^r^ J) nen Rührer. Es wird mit einer gewogenen Menge
"^T*" — n iiiin gl des Lösungsmittels beschickt, in ein etwas wei-
teres Glas B gesetzt, welches als Luftmantel
dient, und dann in den Deckel eines starken
Glases C gesetzt, welches Wasser oder eine
Kältemischung enthält , deren Temperatur 2** bis
5** unter dem Erstarrungspunkte der Flüssigkeit
liegt. Man beobachtet nun unter stetem Rühren
(dessen Wirkung noch durch einige in A hinein-
gebrachte Schnitzel von Platinblech unterstützt
wird) das Thermometer. Es sinkt anfangs in-
folge von Überkaltung unter den Gefrierpunkt,
um alsdann plötzlich, indem sich feste Substanz
ausscheidet, auf denselben sich zu erheben. Hat
man auf diese Weise zuerst genau den Erstar-
rungspunkt des Lösungsmittels bestimmt, so
bringt (man aus einem gewogenen Gls^se) eine be-
kannte Menge des zu untersuchenden Stoffes in A durch den Stutzen hinein,
vermischt, und wiederholt den Versuch. Die Erstarrung tritt jetzt bei niedrigerer
Temperatur ein, und der Unterschied beider Temperaturen ist der in den
Gleichungen auftretende Wert J,
Bei vielen Lösungen erfolgt leicht eine sehr starke Überkaltung, so dass
Fig. 29.
Gefrierpunkte von Lösungen.
209
beim Erstarren sich eine grosse Menge von Eis ausscheidet. Dadurch wird
die nachhleibende Lösung aber konzentriert, und die beobachtete Temperatur
ist zu niedrig. Dann lässt man das meiste Eis durch Erwärmen wieder zer-
gehen, und bringt, wenn nur noch eine sehr kleine Menge vorhanden ist,
den Apparat in das Eühlgefäss.
Es liegt nahe, zwischen der oben besprochenen Erscheinung der
Dampfdi-acksvermindening und der Gefrierpunktsemiedrigung einen ähn-
lichen theoretischen Zusammenhang zu vermuten, wie er zwischen jener
und dem osmotischen Druck besteht Ein solcher ist in der That vor-
handen und zuerst von C. M. Guldberg (1870) nachgewiesen worden.
Später (1886) hat van't Hoff die Theorie dieses Zusammenhanges in
wesentlichen Stücken vervollständigt und die Konstante r aus anderen
Grossen abzuleiten gelehrt
Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob sich aus Lösungen
reines Eis^) ausscheidet, oder ob die Lösung als Ganzes gefriert Aus
den hierüber angestellten Untersuchungen und gepflogenen Diskussionen
hat sich ergeben, dass in den meisten Fällen das erstere stattfindet Es
scheidet sich (abgesehen von bestimmten Ausnahmen), so lange die Lö-
sung nicht so konzentriert ist, dass der gelöste Stoff schon durch die
Temperaturemiedrigung auskrystallisiert, nur reines Eis aus.
Nun läfist sich durch eine Sdilussweise, die der auf S. 176 ange-
wendeten ganz ähnlich ist, beweisen, dass öie Temperatur, bei welcher
sich Eis aus einer Lösung ausscheiden kann, diejenige ist, bei welcher
Eis und Lösung gleichen Dampfdruck haben. Da mit anderen Worten
Eis und Lösung unmittelbar im Gleichgewicht sind, so müssen sie es
auch unter Vermittelung des
Dampfes sein, und dieser muss P
daher beiderseits gleichen
Druck haben. Auch könnte
mau sich, wenn die Drucke
verschieden wären, eine Ma-
schme konstruieren, durch wel-
che Wärme bei konstanter
Temperatur dauernd in Arbeit
übergeführt werden könnte,
im Widerspruch mit dem zwei-
ten Hauptsatz.
Daraus folgt also, dass
Gesetze, welche wir oben fiir ^^'
den Dampfdruck äquimolekularer Lösungen gefunden haben, auch für
ihre Gefrierpunktsemiedrigungen gelten müssen.
Um cUe hier obwaltenden Verhältnisse anschaulidi zu machen,
stelle m der beistehenden Fig. 30 ww die Dampfdruckkurve des Wassers
*) Es soll hier mit „Eis" ganz allgemein das erstarrte Lösungsmittel, sei
es Wasser, Benzol oder etwas anderes, bezeichnet werden.
Ostwald, Gnindriss. S.Aafl. ^^
210 V« I^iß verdünnten Lösungen.
dar^ indem die Temperaturen als AbadsBen, die Dampfdrucke als Ordi-
nalen eingetragen sind. Die Dampfdruckkurve e des Eises hat bei 0®
einen Punkt mit der des Wassers gemein (S. 176). Unter 0^ verläuft
aber die Dampfdruckkurve des Eises unterhalb der des (überkalteten)
Wassers. Die Dampfdruckkurve einer Lösung U endlich verläuft unter-
halb der des Wassers so, dass ihre Abscissen stets denselben Bruchteil
von denen des Wassers darstellen.
Dann ist der Gefrierpunkt der Lösung die Abscisse desjenigen
Punktes, in welchem sich die Dampfdruckkurven des Eises e und der
Lösung 1 schneiden, weil beide, wie eben bewiesen wurde, gleichen
Dampfdruck haben müssen.
Bei den hier in Betracht kommenden kleinen Temperaturunterachieden
kann man die entsprechenden Teile der Dampfdruckkurven als gerade Linien
betrachten. Es ist dann klar, dass der Schnittpunkt von e und 1 in
demselben Verhältnis nach links rücken muss, in welchem 1 sich unter
w senkt. Nun ist diese Senkung, oder die relative Dampfdrucksvermin-
derung früher experimentell wie theoretisch proportional dem Gehalt der
Lösung an aufgelöster Substanz geftmden worden, und es muss dem-
nach auch die Gefrierpunktsemiedrigung dem Gehalt proportional sein,
wie es die Versuche ergeben hatten.
Die Konstante r lässt sich auf folgende Weise ableiten. Wir denken
uns eine grosse Menge der Lösung, welche aus n Molen des gelösten Stoffes
auf G Gramm des Lösungsmittels besteht, in einen Cy linder mit halbdurch-
lässiger Wand eingeschlossen. Durch einen auf einen Kolben ausgeübten
Druck, welcher den osmotischen Druck um ein sehr geringes übertrifft, wird
von dem Lösungsmittel so viel hinausgepresst, als dem Volum entspricht, in
welchem ein Mol des gelösten Stoffes enthalten ist. Die zugehörige Arbeit
ist, wenn p der osmotische Druck und v das eben definierte Volum ist,
gleich pv, welche Grösse ihrerseits gleich RT ist. Dieser Vorgang werde bei
der Schmelztemperatur T des Lösungsmittels ausgeführt. Die dabei heraus-
gepresste Menge des Lösungsmittels ist — Gramm.
Jetzt lassen wir diese Menge des Lösungsmittels gefrieren, wobei
— w Wärmeeinheiten frei werden, wenn w die Schmelzwärme von 1 g des Lö-
n
sungsmittels ist. Dann kühlt man alles um /j ab, bis man den Gefrierpunkt der
Lösung erreicht hat, bringt das Eis mit der Lösung in Berührung und lässt
es schmelzen. Dabei werden die — w Einheiten wieder verbraucht, aber bei
n
der niedrigeren Temperatur T — J. Zum Schluss erwärmen wir das Ganze
wieder auf T und es ist alles wieder im früheren Zustande.
Dieser Vorgang stellt einen umkehrbaren Kreisprozess dar (S. 125). Es
muss daher die durch die Wärme hierbei geleistete Arbeit gleich dem Bruchteil
-^ der gesamten, von höherer zu niederer Temperatur übergehenden Wärme
sein, wo z/ der Temperaturunterschied und T die absolute Temperatur des
Übersicht 2 1 1
Überganges ist. Im vorliegenden Falle beträgt die übergehende Wärme
G /JGw
— w, und der Teil -=, — derselben ist somit in Arbeit verwandelt worden.
n Tn
Letztere aber wurde oben gleich pv oder RT gefunden, und daraus folgt
^H — ^^-
RT* n
Wir haben demnach J = • -^- • Vergleicht man diesen Wert mit
w Cj
RT*
dem S. 207 gegebenen für z/, so folgt r = • Die Konstante r ist somit
w
durch die latente Schmelzwärme w und die absolute Schmelztemperatur T
bestimmt
Um die Anwendung der Formel zu zeigen, soll die Konstante für Wasser
RT*
berechnet werden. In r « ist R ■« 831 x 10^ T =« 273, w =« 80 cal «=
w
335 X 10'. Daraus folgt r ■-= 1850. Zur Prüfung dieses auf theoretischem Wege
RT*
abgeleiteten Ergebnisses r= hatte van' t Hoff (1887), dem wir diese Ab-
vi
leitung verdanken, eine Anzahl Konstanten aus den Werten der latenten
Schmelzwärme w und der absoluten Schmelztemperatur T abgeleitet und mit
den von Raoult empirisch gefundenen Konstanten verglichen. Die Zahlen sind:
RT*
Wasser
1
273
w
79
w
1850
r
1890
Essigsäure
290
432
3880
3860
Ameisensäure
281-5
55-6
2840
2770
Benzol
2779
291
5300
5000
Nitrobenzol
278-3
223
6950
7070
Die Übereinstimmung ist in Anbetracht der geringen Genauigkeit, mit welcher
mehrere Schmelzwärmen bekannt sind, genügend. Eine spätere eingehende
Prüfung durch Eykman und andere hat die Formel allseitig bestätigt.
Sechstes Kapitel.
Übersicht.
Die Gresetze der Einflüsse^ welche gelöste Stoffe auf den Siedepunkt
und den GeMerponkt des Lösungsmittels ausüben, sind in so hohem
Grade übereinstimmend^ dass man zu der Frage gedrängt wird, welcher
gemeinsame Bestandteil diese Gleichheit bewirkt. Prüft man unter diesem
Gesichtspunkte die theoretischen Ableitungen der beiden Formeln^ so er-
giebt sich folgendes.
Das Molekulargewicht der Gase ist durch die Arbeit pv bestimmt^
welche geleistet werden muss, damit ein Gas in einem Räume, wo irgend
ein Druck p herrscht, sich bilden kann. Diese Arbeit ist unabhängig
14*
212 V. Die verdünnten Lösungen.
von dem Druck p, proportional der absoluten Temperatur und der Gas-
menge. Bestimmt man letztere so^ dass die Arbeiten bei allen Gasen
für dieselbe Temperatur denselben Wert erhalten ^ so hat man Mengen,
die im Verhältnisse der Molekulargewichte stehen.
Da für die zu verdünnter Lösung gelösten Stoffe dieselben Gesetze
gelten, wie ^ Gase, so gilt auch dieselbe Definition des Molekular-
gewichtes, und da die beiderseitigen Arbeitsgrössen unmittelbar vergleich-
bar sind, so besteht auch kein prinzipieller Unterschied zwischen den
nach den beiden Methoden bestimmten Molekulargewichten. Wenn Ver-
schiedenheiten des letzteren bei Lösungen gefunden werden, so haben
sie denselben Grund, wie die Verschiedenheiten der aus den Dampf-
dichten bestimmten Molekulargewichte eines und desselben Stoffes: sie
liegen in Änderungen des chemischen Zustandes, Polj^merisierungen und
Zersetzungen. Die verschiedenen Lösungsmittel wirken auf den gelösten
Stoff, wie verschiedene Temperatur und verschiedener Druck auf Dämpfe.
Wenn wir also an dem gelösten Stoffe auf irgend eine Weise die
Grösse pv bei einer bekannten Temperatur bestimmen, so können wir
daraus die Stoflinenge berechnen, welche in der Gleichung pv = RT die
Konstante R auf den festgesetzten Wert von 8-31 X 10' (S. 71) bringt.
Darin Hegt eine Molekulargewichtsbestimmung von ganz derselben Art,
wie wenn wir bei einem Dampfe die für die Ausfüllung der Gleichung
pv = RT erforderlichen Werte des Druckes, des Volums und der
Temperatur bestimmen.
Prüfen wir unter diesem Gesichtspunkte die drei Methoden der
Molekulargewichtsbestimmung, so überzeugen wir uns, dass es sich in
der That um die Ermittelung derselben drei Grössen auf einem mehr
oder weniger direkten Wege handelt. Am unmittelbarsten ist dies bei
der Bestimmung aus dem osmotischen Druck ersichtUch. Der Gehalt
der Lösung am gelösten Stoffe giebt das Volum, der Druck und die Tem-
peratur werden unmittelbar gemessen.
Bei den beiden anderen Methoden wird die Temperatur unmittel-
bar gemessen, das Volum aus dem Gehalt berechnet. Der Druck da-
gegen wu*d mittelbar dadurch bestimmt, dass man die (osmotische)
Arbeit berechnet, welche durch eine kleine Konzentrationsänderung der
Lösung hervorgebracht wird, und die angewandten Formeln ergeben sich,
wenn man diese Arbeit durch die anderen in Betracht kommenden
Grössen, insbesondere die Schmelz- bez. Verdampftmgswärme ausdrückt.
Thatsächüch ist jeder Druckmesser oder jedes Manometer ein Apparat,
der den Druck auf solche Weise zu bestimmen gestattet. Nehmen wir als Bei-
spiel ein gewöhnliches Quecksilbermanometer, in welchem der Druck durch die
Höhe der Quecksilbersäule gemessen wird. Dass diese Höhe dem Drucke
proportional ist, liegt daran, dass die Arbeit zur Hebung des Quecksilbers
bei einem kleinen Steigen des Manometers gleich ist der entsprechenden
Arbeit, die der Druck bei der gleichzeitigen Änderung des Volums im
Manometer leistet. Es kann überhaupt kein Manometer geben, bei
Übersicht. 213
welchem nicht durch den zu messenden Druck eine Volumänderung be-
wirkt und daher eine Volumarbeit geleistet wird, und die Theorie jedes
Manometers beruht auf der Gleichsetzung dieser Arbeit mit irgend einer
anderen, durch deren Leistung es bethätigt wird.
Durch die Berechnung der Arbeit bei einer Konzentrationsänderung
der Losung erfahren wir also den Druck, der in ihr herrscht, und können
die dritte Grösse in der Gasgleichung feststellen. Daraus folgt, dass jeder
beliebige Vorgang, durch welchen eine Änderung im Gehalte einer
Lösung bewü*kt wird, die Berechnung des osmotischen Druckes gestattet,
wenn man nur den Vorgang wenigstens theoretisch so leiten kann, dass
er umkehrbar ist, und man also den Höchstwert der entsprechenden
Arbeit berechnen kann. Ein jeder derartiger Vorgang kann also auch
als Grundlage einer Methode der Molekulargewichtsbestimmung dienen.
Andererseits kann bei bekanntem Molekulargewicht für jeden Vorgang,
welcher die Konzentration einer Lösung ändert, auf Grund der osmo-
tischen Gesetze die zugehörige Arbeit berechnet werden. Da nach dem
zweiten Hauptsatze dieser Arbeitsbetrag unabhängig von dem Wege ist,
auf welchem er gewonnen wird, wenn dieser nur umkehrbar ist, so ist
durch die Berechnung der osmotischen Arbeit auch gleichzeitig der Be-
trag irgend einer anderen Energie festgelegt, die in Gestalt von Arbeit
aus dem Gebilde gewonnen werden kann, wenn die Lösung eine be-
kannte Änderung der Konzentration (eines oder mehrerer Stoffe) erleidet.
Daraus ergeben sich dann die Gesetze für die Umwandlung der chemischen
Energie in die anderen Formen, denn die chemischen Vorgänge lassen
sich meist darauf zurückführen, dass in einem gegebenen Räume die Menge,
und damit die Konzentration vorhandener Stoffe eine Änderung erleidet.
Selbst in den Fällen, wo unmittelbar keine Änderung der Konzentration
vorliegt, wie beim Entstehen und Verschvnnden eines festen Stoffes, ist
es möglich, von den gleichen Gesichtspunkten aus Gesetze für das Ver-
balten unter solchen Umständen aufzustellen, so dass die Lehre vom
osmotischen Druck in der That eine fast unübersehbare Anwendung
finden kann.
Diesem weiten Umfange ihrer Bedeutung gegenüber darf nicht ver-
gessen werden, dass die oben abgeleiteten Gesetze nur flir verdünnte
Lösungen gelten, und im Falle konzentrierterer durch verwickeitere Ge-
setze ersetzt werden müssen, deren Kenntnis nur in geringem Grade
vorgeschritten ist. Thatsächlich haben vnr in den unmittelbaren und
mittelbaren Beziehungen aus den einfachen Formeln nur Grenzgesetze,
die in jedem vorliegenden Fall eine Untersuchung darüber verlangen,
innerhalb welcher Gebiete ihre zahienmässige Anwendbarkeit gesichert ist.
214 V. Die verdünnten Lösungen.
Siebentes Kapitel.
SalBlösnngen.
Wie schon erwähnt wurde, weicht eine grosse Gruppe von Stoffen,
nämlich die Säuren, Basen und Salze, in wässerigen Lösungen von den
einfachen Gesetzen ab. Es ist dies keine Eigenschaft, die diesen Stoffen
als solchen immer anhaftet, denn in den meisten anderen Lösungsmitteln
verhalten sie sich ganz normal und lassen genau die aus den Molekular-
gewichten berechneten Einflüsse erkennen. Ebenso zeigt das Wasser
anderen Lösungsmitteln gegenüber keinerlei Ausnahmestellung, wenn man
indifferente Stoffe darin löst. Die Ausnahme tritt nur ein, wenn die
erwähnten Stoffe in Wasser gelöst werden, und ist ein Ergebnis der
Wechselwirkung beider Faktoren*).
Das Molekulargewicht der genannten Stoffe ergiebt sich, wenn man
es nach einer der vorerwähnten Methoden an ihren wässerigen Lösungen
bestimmt, stets kleiner, als es nach der chemischen Formel sein sollte.
Ist M das der Formel entsprechende Molekulargewicht, und M^ das in
wässeriger Lösung gefundene, so kann man M = iM^ setzen, wo i eine
Zahl darstellt, die stets grösser als Eins ist und bis 4 oder 5 wachsen
kann. Dabei ist zu beachten, dass die verschiedenen Methoden an ein
und derselben Lösung den gleichen Wert fär i geben; eine Lösung von
Chlorkalium, fiir welche i nahezu gleich 2 ist, zeigt nicht nur eine
doppelt so grosse Erniedrigung des Gefrierpunktes, als der Formel
entspricht, sondern auch die Verminderung des Dampfdruckes, sowie der
osmotische Druck sind in ganz demselben Verhältnis 2:1 zu gross.
Die Zahl i ist daher nicht von der benutzten Methode abhängig, sondern
nur von der Natur des gelösten Stoffes, und einigermassen von der
Konzentration sowie von der Temperatur.
Es ist schon oben auf die Erklärung dieser Erscheinung hingewiesen
worden. Man muss annehmen, dass die fraglichen Stoffe in ihren
Lösungen dissociiert, d. h. in Verbindungen von einfacherer Zusammen-
setzung gespalten sind, ähnlich wie Chlorammonium in Dampfgestalt
dissociiert ist. Fi'eilich handelt es sich hier um eine Dissodation besonderer
Art, die im engsten Verhältnis zu den elektrischen Eigenschaften dieser
Lösungen steht, und die weiter unten in dem Buch über Elektrochemie
eingehender erklärt werden wird. Hier soll nur betont werden, dass
unter Rücksichtnahme auf den Faktor i auch die Lösungen der Salze,
*) Es soll schon hier erwähnt werden, was später sich für die Theorie
dieser Erscheinung als von entscheidender Wichtigkeit erweisen wird: dass
nämlich die Lösungen, welche diese Ausnahmestellung ein-
nehmen, und nur diese, Elektrolyte sind. Beide Eigenschaften sind
ausnahmslos miteinander verbunden. Ausser Wasser haben einige andere
Lösungsmittel, wie Aceton, flüssiges Ammoniak, reine Salpetersäure die gleiche
Eigenschaft, doch meist in geringerem Grade,
Salzlösungen.
215
Säuren und Basen sich den allgemeinen Gesetzen der Lösungen unter-
ordnen.
Mit dieser Thatsache stimmt auf das beste das gesamte Verhalten
der Salzlösungen überein. Während es ein charakteristisches Kennzeichen
der chemischen Verbindungen ist^ dass die Eigenschaften der Bestandteile,
aus denen sie sich bilden, in der Verbindung verschwunden, oder doch
mehr oder weniger verändert sind, zeigen die verdünnten Lösungen der
Salze im Gegenteil eine au^lige Unabhängigkeit der Eigenschaften ihrer
einzelnen Bestandteile von der Natur der anderen. So haben alle verdünnten
Losungen von NickelsaJzen dieselbe grüne Farbe; eine genauere Unter-
suchung der Farbstärke zeigt sogar, dass diese gleich ist, wenn gleiche
Mengen Nickel vorhanden sind, unabhängig davon, mit welcher Säure
das Nickel verbunden ist. Ebenso kann man an allen löslichen Bichromaten
oder Permanganaten dieselbe Färbung beobachten, und die Natur des
MetaUes hat darauf nicht den geringsten Einfluss*).
Was hier für die Fai'be gesagt worden ist, findet auf alle anderen
Eigenschaften der Salzlösungen Anwendung. In einer noch etwas un-
vollkommenen Gestalt ist diese Thatsache von Valson (1874) an den
spezifischen Gewichten äquivalenter Salzlösungen beobachtet und in das
sogenannte Gesetz der „Moduln" gefasst worden.
Ordnet man die spezifisdien Gewichte verschiedener Lösungen,
welche auf gleich viel Wasser äquivalente Mengen verschiedener Salze
enthalten, in eine Tabelle so ein, dass alle Salze mit gleicher Basis in
je eine senkrechte, alle Salze mit gleicher Säure in je eine wagerechte
Reihe kommen, so zeigen sich die Unterschiede entsprechender Glieder
der Reihen nach beiden Richtungen konstant. Daraus geht hervor, dass
das spezifische Gewicht äquivalenter Salzlösungen sich aus zwei Gliedern
additiv zusammensetzt, von denen das eine nur von der Säure, das
andere nur von der Basis abhängt.
Valson wählte eine normale Chlorammoniumlösung (53-5 g im
Liter), deren spezifisches Gewicht 1-015 ist, als Ausgangspunkt, und
bestimmte dazu folgende Addenden (in Einheiten der dritten Stelle)
zur Berechnung der spezifischen Gewichte der anderen Lösungen:
Kalium
Natrium
Calcium
Magnesium
Strontium
Baryum
Mangan
Um z. B. die Dichte einer normalen Calciumnitratlösung zu erhalten,
hat man zu 1-015 die Konstante 27 für Calcium und 15 für Salpeter-
30
Eisen
37
Brom
34
25
Zink
41
Jod
64
27
Kupfer
42
Sulfate
20
20
Cadmium
61
Nitrate
15
55
Blei
103
Carbonate
14
73
SUber
105
Bicarbonate
16
37
Chlor
0
') Einige scheinbare Ausnahmen werden später ihre Erklärung finden.
216 ^- ^^^ verdünnten Lösungen.
säure zu addieren^ woraus sich 1*057 ergiebt, nahe übereinstimmend
mit dem Versuche.
Ausser den eben erwähnten Eigenschaften haben sich bisher auch
alle anderen ; die man daraufhin untersucht hat, dem gleichen Gesetz
unterworfen gezeigt: die Eigenschaften der Salzlösungen setzen sich aus
zwei Summanden zusammen, von denen der eine nur von dem Metall
(oder dem metallähnlichen Radikal, wie Ammonium) und der andere nur
von dem Halogen oder dem entsprechenden Radikal abhängt.
Salze verhalten sich mit anderen Worten in ihren verdünnten Lö-
sungen so, als wären ihre Bestandteile gar nicht verbunden; denn die
Ändenmg der Eigenschaften, die fiir die Thatsache der Verbindung
charakteristisch ist, bleibt hier aus. Nimmt man hierzu die andere That-
sache, dass die Salzlösungen, und nur diese, nach ihren osmotischen
Eigenschaften auf mehr Molekeln schliessen lassen, als sich aus ihrer
Formel ergeben, so wird man zu der Annahme geflihrt, dass dies letztere
thatsächlich der Fall ist, und dass in den verdünnten wässerigen Lö-
sungen die Salze nicht als Verbindungen enthalten sind, sondern nur in
ihren Bruchstücken.
Welches sind nun diese Bruchstücke? Die Antwort ist unzweifel-
haft in solchen Fallen, wo die Salze nur aus zwei Elementen bestehen.
Die Bruchstücke des Chlomatriums können nur Chlor und Natrium, oder
Verbindungen dieser Elemente mit dem Lösungswasser sein*). Nun
zeigen die Lösungen des Chlomatriums aUerdings keine von den Eigen-
schaften des elementaren Chlore; doch sind wir auch gar nicht berechtigt,
dies in der Lösung anzunehmen. Denn dies Chlor hat das durch die
Formel Cl* bezeichnete Molekulargewicht von 71, während das Molekular-
gewicht des in Chlomatriumlösung anzunehmenden Chlore nicht anders,
als durch die Formel Cl dargestellt werden kann, da sein Zahlenwert
35-5 ist. Wenn also wirklich elementares Chlor in der Chlomatrium-
lösung enthalten ist, so muss es eine allotrope Form des gewöhnlichen
Chlore sein.
Ähnliche Überlegungen sind fiir den anderen Bestandteil des Chlor-
natriums anzustellen; das in den Lösungen enthaltene Natrium hat nicht
die Eigenschaften des gewöhnlichen metallischen Natriums, und wir be-
trachten es gleichfalls als eine aUotrope Form desselben.
^) Man hat gelegentlich angenommen, dass die Bruchstücke sich mit
dem Wasser so umsetzen, dass statt des Chlors und Natriums beispielsweise
Chlorwasserstoff und Natriumhydroxyd vorhanden sind. Eine solche Annahme
widerspricht den Thatsachen, denn wenn man Lösungen dieser beiden Stoffe
mit einander vermischt, so erfolgt eine bedeutende Wärmeentwickelung, eine
Volumänderung und eine Reihe anderer Erscheinungen, welche beweisen, dass
beide Stoffe nicht unverändert nebeneinander bestehen können, sondern auf-
einander chemisch einwirken.
Salzlösungen. 217
Hieraus ergeben sich die Formeln der Bestandteile zusammenge-
setzterer Salze durch Analogie. Natriumverbindungen irgend welcher
Art können als einen Bestandteil nur dies allotrope Natrium enthalten,
und der andere Bestandteil ist demnach das, was ausser dem Natrium
im Salze enthalten ist. Das gleiche gilt fUr die Chloride. Es schliessen
sich also dem allotropen Chlor die Atomgruppen NO^ der Nitrate,
SO* der Sulfate, CIO* der Chlorate, CIO* der Perchlorate an, während
andererseits das Ammonium NH* und die analogen metallähnlichen
Radikale dieselbe Rolle spielen, wie das Natrium. Um einen kurzen
Namen für diese Stoffe zu haben, nennen wir sie Ionen*), und zwar
die dem Natrium analogen Ionen Kationen, die dem Chlor analogen
Anionen.
Gegen die Annahme dieser Bestandteile kann man das Bedenken
geltend madien, dass sie nie für sich dargestellt worden sind, und ihre
Existenz daher ganz hypothetisch ist Die Antwort ist einerseits, dass
die elektrischen Eigenschaften, welche diese Bestandteile oder Ionen er-
fahrungsmässig zeigen, mit Notwendigkeit die Unmöglichkeit ergeben,
sie einzeln in solcher Menge anzuhäufen; dass sie für sich untersucht
werden können; yielmehr können sie wegen dieser Eigensdiaften immer
nur so beobachtet werden, dass chemisch äquivalente Mengen Anionen
nnd Kationen, gleichgültig in welcher Zusammenstellung, in einer ge-
gebenen Lösung gleidizeitig anwesend sind.
Andererseits aber kann man antworten, dass die Existenz dieser
Ionen dadurch gesichert ist, dass sie besondere Eigenschaften aufweisen,
als deren Summe die Eigenschaften der Salzlösungen erscheinen. Am
deutlichsten werden diese Verhältnisse aus den Thatsachen, die der ana-
lytischen Chemie zu Grunde liegen. Hier giebt es kaum Reaktionen auf
einzelne Salze, sondern fast nur solche auf Ionen. Baryumchlorid ist z. B.
kein Reagens auf Natriumsulfat oder Schwefelsäure, sondern eines auf
das Ion SO*, denn alle beliebigen Salze, in denen dieses vorkommt, geben
mit Baryumchlorid einen Niederschlag. Ebenso ist Schwefelsäure, oder
vielmehr irgend ein das Ion SO* enthaltendes Salz ein Reagens auf
das Ion Ba, denn jedes Baryumsalz giebt mit Schwefelsäure oder einem
beliebigen anderen Sulfat den Niederschlag. Diese Beispiele Hessen sich
ins Unbegrenzte vermehren^.
Wir werden daher in der Folge die Salzlösungen als binäre Ge-
mische ihrer Ionen betrachten. Eme grosse Zahl späterer Erörterungen
wird zeigen, dass ausser den Thatsachen, die sich um den osmotischen
Druck und die daraus bestimmten Molekulargewichte, um die physi-
*) Die Bezeichnung rührt von ihren elektrischen Eigenschaften her, die
weiter unten erläutert werden sollen.
*) Ausführliches hierüber findet sich in des Verfassers Wissenschaftlichen
Grundlagen der analytischen Chemie, 2: Aufl. Leipzig 1897.
218 VI. Systematik.
kaiischen Eigenschaften und um die analytischen Reaktionen gruppieren
lassen, auch die elektrochemischen Verhältnisse und die chemischen
Gleichgewichte der Salzlösungen nicht nur die gleiche Auffassung ge-
statteU; sondern sie als die einzig durchführbare fordern.
Sechstes Buch.
Systematik.
Erstes Kapitel.
Die Wahl der Verbindungsgewiohte.
Durch ' die Analyse geeigneter Verbindungen der Elemente ergeben
sich deren Verbindungsgewichte nicht eindeutig. Denn es werden da-
durch zwar die Zahlen festgestellt, nach welchen sich die Elemente
vereinigen können; aber ausser diesen Zahlen treten noch die durch
das Gesetz der multiplen Proportionen bedingten rationalen Faktoren
auf, und über deren Festsetzung ergeben die stöchiometrischen Grund-
gesetze keine Auskunft.
Es ist mit anderen Worten durch den Nachweis, dass mit 16 Teilen
Sauerstoff sich einerseits 1008 Wasserstoff, andererseits 12-00 Kohlen-
stoff verbinden können, zwar auch festgestellt worden, dass sich Wasser-
stoff und Kohlenstoff nur in dem Verhältnis mX 1-008 zu nX 12-00
verbinden können, wo m und n ganze Zahlen sind; aber diese Forderung
kann auch erfüllt werden, wenn statt der Zahlen 1-008 und 12-00
irgend ein rationales Vielfaches oder ein rationaler Bruchteil davon der
Rechnung zu Grunde gelegt wird.
Wenn alle Elemente sich untereinander nur in einem Verhältnis
vereinigten, so könnte man diesen Zweifel dadurch vermeiden, dass man
als Verbindungsgewichte eben die Werte wählte, die diese Verhältnisse
ausdrücken; dann würde jede Verbindung immer je ein Verbindungsge-
wicht der darin vorhandenen Elemente enthalten. Dies ist aber nicht
der Fall; vielmehr besagt das Gesetz der multiplen Proportionen, dass
diese Verhältnisse verschieden sein können, und die Erfährung lehrt, dass
sie es in der überwiegenden Mehrzahl der li^Ue auch sind.
Es liegt hier somit noch eine Unbestimmtheit vor, und die Lehre
von den Verbindungsgewichten ist in der Lage, noch weitere Beziehungen
suchen zu müssen, um die hier vorhandene unerwünschte Freiheit so
einzuschränken, dass eine eindeutige Bestimmung der „richtigen", d. h.
der zweckmässigsten Verbindungsgewichte möglich wird. .
Die mit dem Gesetz der Verbindungsgewichte in unmittelbarer Be-
ziehung stehende Atomhypothese hat dieses weitere Bestimmungsstück nicht
Die Wahl der Yerbindnngsgewichte. 219
liefern können. Zwar yerlangt sie auch, dass unter den möglichen Verbindungs-
gewichten nur eines das Atomgewicht sein könne; sie giebt aber kein unab-
hängiges Kriterium für die Bestimmung dieses Wertes an die Hand.
Ein erster Versuch zur Gewinnung der Entscheidung wurde von
Berzelius auf Grund des Gesetzes von Gay-Lussac über die Beziehungen
zwischen Gasdichte und Verbindungsgewicht gemacht. Sind die Dichten
der gasförmigen Elemente den Verbindungsgewichten oder einfachen
rationalen Multiplen derselben proportional^ so hat man die MögUchkeit^
beide unmittelbar proportional zu setzen^ und so eine eindeutige Wahl
ztt treffen. In der That stellte Berzelius zuerst dies Prinzip auf.
Er musste es indessen bald aufgeben. Denn wenn auch die
Elemente sich auf diese Weise betrachten üessen, so war es bei ihren
Verbindungen nicht mehr möglich^ ausser man verletzte den Grund-
satz, dass das Verbindungsgewicht des zusammengesetzten Stoffes gleich
der Summe der Verbindungsgewichte der Elemente sein müsse. Die hier
auftretenden Schwierigkeiten sind bereits (S. 65) dargelegt worden.
Sie haben sich durch die Entwickelung eines diesen Verhältnissen ange-
passten neuen Begrifis, des Molekulargewichts, heben lassen, doch ge-
hört diese Entwickelung erst einer späteren Zeit an.
Berzelius, der um jene Zeit der führende Forscher auf diesem Ge-
biete war, musste sich daher mit weniger unzweideutigen Grundlagen be-
gnügen. Er fand sie in den Prinzipien der Einfachheit und Ähnlich-
keit, die er für die Formulierung der chemischen Verbindungen anstrebte.
Es wurden demgemäss die Verbindungsgewichte so bestimmt, dass
die bekanntesten und wichtigsten Verbindungen möglichst einfache Formeln
erhielten. Alsdann wurde dafür gesorgt, dass die Formeln solcher Stoffe,
welche sich chemisch ähnlich verhalten, übereinstimmende Gestalt er-
hielten. So giebt das Eisen zwei Sauerstoffv^erbindungen, welche auf
56 g Eisen 16 und 24 g Sauerstoff enthalten. Die einfachste Annahme
ißt, dass in dem ersten Oxyd gleiche Atome Eisen und Sauerstoff ent-
halten seien, im zweiten auf zwei Atome Eisen drei Atome Sauerstoff.
Nähme man nämlich für das zweite Oxyd das Atomverhältnis 1:1 an,
80 müssten im ersten auf drei Atome Eisen zwei Atome Sauerstoff ent-
halten sein, was Berzelius weniger einfach erschien. Denn wenn auch
die Formeln der Eisenverbindungen selbst durch die getroffene Wahl
nicht einfacher wurden, so giebt es doch eine gi'osse Anzahl von anderen
Oxyden, welche dem niederen Oxyd des Eisens ähnlich sich verhalten,
und in denen nach dem zweiten Grundsatze somit auch überall drei
Atome Metall und zwei Atome Sauerstoff angenommen werden müssten.
Andererseits erteilte Berzelius dem Aluminiumoxyd die Formel Al^O*,
welche zwar weniger einfach ist, als die Formel AlO, und auch durch
keine andere Verbindung von Aluminium und Sauerstoff notwendig ge-
macht wird, nur aus dem Grunde, weil das Aluminiumoxyd in seinen
Verbindungsverhältnigsen die grösste Ähnlichkeit mit dem Eisenoxyd hat.
220 VI. Systematik.
Trotz der Unbestimmtheit dieser Grundlagen hat Berzelius mit ihrer
Hilfe ein Syötem der Verbindungsgewichte geschaffen, welches in der
Zukunft; nur eine wesentliche Änderung erfahren hat: die Halbierung der
Verbindungsgewidite der AlkaKmetalle, welche Berzelius denen der Erd-
alkalimetalle äquivalent angenommen hatte.
Ein unabhängiges Mittel für die Wahl schien sich dann durch die
Entdeckung von Dulong und Petit über die Wärmekapazität der ele-
mentaren Stoffe (S. 188) zu ergeben. Aber ein besonderes Missgeschick
vereitelte zunächst diese Hilfe. Unter den mitgeteilten Messungen be-
fanden sich auf Kobalt und Tellur bezügliche, nach denen die unzweifel-
haft vorhandene chemische Ähnlichkeit des ersteren mit dem Nickel und
des anderen mit dem Schwefel nicht hätte in der Formel zum Ausdruck
kommen können. Es lag dies daran, dass die Messungen an unreinen
Stoffen ausgeführt worden waren; da sie indessen einstweilen nicht
wiederholt wurden, war Berzelius ganz im Recht, wenn er die Annahme
der aus diesem Prinzip sich ergebenden Schlüsse fiir unzulässig vom
chemischen Standpunkte aus erklärte.
Die Entdeckung der Isomorphie gewährte (S. 180) ein weiteres
wertvolles, weil objektives Kennzeichen der chemischen Ähnlichkeit. Die
Verbindungsgewichte waren so zu wählen, dass die Formeln isomorpher
chemischer Verbmdungen die gleiche Gestalt erhielten.
Dies Mittel bestätigte überall die von Berzelius getroffenen Ent-
scheidungen, war aber zunächst nur innerhalb engerer Grenzen anwend-
bar und wurde bei seiner weiteren Anwendung dadurch vielfach behindert,
dass die Metiioden zum Nachweis des wirklichen Isomorphismus und zu
seiner Unterscheidung von zubilligen Übereinstimmungen der Winkel
sich nur langsam entwickelten.
Durch das weit verbreitete Handbuch von Gmelin kam dann eine
Auswahl von Verbindungsgewichten in ausgedehnte Annahme, welche
zwar mit dem Ansprüche aufgestellt waren, dass sie blosse Äquivalent-
gewichte darsteUten; doch sind sie tiiatsächüch nur eine recht zweck-
mässige Wahl aus den verschiedenen durch das Gesetz der multiplen
Pi'oportionen gegebenen Äquivalenten, da ja eine eindeutige Bestimmung
derselben nicht möglich ist
Durch die in den vierziger Jahren erfolgende Entwickelung der
organischen Chemie erfolgte gleichzeitig eine Ausgestaltung des Molekular-
begriffes, durch welchen ein unabhängiges Mittel gefunden wurde, zwar
nicht die Verbindungsgewichte der Elemente, wohl aber die Molekular-
grösse der Verbindungen festzustellen. Die Verbindungsgewichte der
Elemente musstendann so bemessen werden, dass keine Bruchteile in den
Formeln auftraten. Dadurch war wenigstens eine obere Grenze fiir sie
festgelegt. Eine untere Grenze ergab sich daraus, dass man die Ver-
bindungsgewichte so gross nahm, als es nur ohne Verletzung jener
Forderung mögüch war. Die hieraus sich ergebenden Verbindungsge-
Die Wahl der Verbindungsgewichte. 221
Wichte der Elemente wurden insbesondere von Oerhardt und seiner
Schule angewendet.
In diese Verwirrung hinein kam eine Abhandlung von Canizzaro
(1858), in welcher gezeigt wurde, dass alle die bisher benutzten Grund-
lagen för die Wahl der Verbindungsgewichte bei angemessener An-
wendung zu gleichen Ergebnissen fuhren. Das Gesetz von Dulong und
Petit war durch die inzwischen mitgeteilten genaueren Bestimmungen
von Regnault durchführbar geworden (ausser für . die Elemente mit
klemem Verbmdungsgewicht), und die Grundsätze der Einfachheit und
Ähnlichkeit Hessen sich unter gleichzeitiger Befriedigung der Forderungen
der Molekulartheorie wahren.
So wurde es möglich gemacht, eine einwurfsfreie Wahl zwischen
den möglichen Verbindungsgewichten zu treffen, welche von der Wissenschaft
jetzt ausnahmslos angenommen worden ist. Auch die inzwischen ent-
deckten neueren Hilfsmittel haben nur zur Bestätigung dieses Systems
gedient.
In der nachstehenden Tabelle sind die Gründe kurz zusammenge-
stellt, welche zu den gegenwärtig gebräuchlichen Annalimen bei den
einzehen Elementen geftihrt haben.
Wasserstoff, H = 1-008, dient als Ausgangspunkt.
Sauerste ff, 0=16, aus dem Volumverhältnis zum Wasserstoff
1:2 bei der Wasserbildung; aus der Gleichheit der Atomwärme mit
Wasserstoff im Gaszustande.
Stickstoff, N=14'04, aus dem Volumverhältnis zum Wasserstoff
1:3 bei der Verbindung zu Ammoniak, und zum Sauerstoff bei den
entsprechenden Verbindungen; aus der Gleichheit der Atom wärmen mit
gasförmigem Sauerstoff und Wasserstoff.
Kohlenstoff, 0 = 12. Aus den Dampfdichten organischer wie
anorganischer Verbindungen hat sich nie ein kleineres Molekulargewicht
derselben, als dem Atomgewicht 0 = 12 entspricht, ergeben. Die spe-
zifische Wärme giebt nur unsichere Anhaltspunkte.
Chlor, 01=35-45. Aus dem Volumverhältnis 1:1 bei der Ver-
bindung mit Wasserstoff; aus den Volumverhältnissen der Sauerstoffver-
bindungen.
Brom, Br= 79-96, und Jod, J = 126-86, sind in ihren Ver-
bindungen dem Ohlor vollkommen analog, auch isomorph.
Fluor, F=190, ist, emigermassen unsicher, aus der Analogie
mit den Ohlorverbindungen bestimmt worden. In neuerer Zeit ist der
Wert durch die Gasdichte des Fluors bestätigt worden.
Schwefel, S = 32-06, aus der Dampfdichte, den Volumverhält-
nissen des Schwefelwasserstoffs, sowie aus der spezifischen Wärme.
Selen, Se=79-1, Ist isomorph und analog mit Schwefel.
Tellur, Te = 127*3, ist isomorph und analog mit Schwefel und Selen.
Phosphor, P = 31-0, aus der spezifischen Wärme (etwas unsicher).
Aus der Dampfdichte des Elementes selbst wäre zunächst ein doppelt so
222 VI. Systematik.
grosser Wert zu folgern gewesen, doch widerapricht dem die Gasdichte
des Phosphorwasserstofis, aus welcher P = 31 folgt.
Arsen, As =75, aus der spezifischen Wärme, der Gasdichte des
Trichlorids und dem Isomorphismus mit Phosphor.
Silicium, Si = 28-4. Die spezifische Wärme giebt nur unsidiere
Auskunft. Dagegen wird die Zahl durch die Dampfdichte des Tetra-
chlorids, sowie durch den Isomorphismus mit Titan und Zirconium sidier
gestellt.
Bor, B = ll-0, aus den flüchtigen Borverbindungen.
Lithium, Li == 7 03, aus der spezifischen Wärme, die ausnahms-
weise trotz des kleinen Atomgewichtes normal ist.
Natrium, Na =23-06, aus der spezifischen Wärme.
Kalium, K = 39-14, aus der spezifischen Wärme.
Rubidium, Rb = 85-4, ist isomorph mit Kalium.
Cäsium, Cs=132'9, ist isomorph mit Kalium und Rubidium.
Beryllium, Be ^= 90-8. Dies Element hat grosse Schwierigkeiten
gemacht. Die spezifische Wärme ist, entsprechend dem kleinen Atom-
gewicht, sehr klein, und ein unzweifelhafter Isomorphismus ist auch nicht
nachgewiesen. Schliesslich hat eine Bestimmung der Dampfdichte des
Berylliumchlorids die Entscheidung gebracht.
Magnesium, Mg ^24.36, aus der spezifischen Wärme.
Calcium, Ca = 40, aus der spezifischen Wärme.
Strontium, Sr = 87-6, ist isomorph mit Calcium und Blei.
Baryum, Ba=137-4, isomorph mit Calcium, Strontium und Blei.
Aluminium, AI = 27. Aus der Dampfdichte des Chlorids, wie
aus der spezifischen Wärme.
Gallium, Ga = 69-9. Dampfdichte flüchtiger Verbindungen, spezi-
fische Wärme und Isomorphismus mit Aluminium führen zu gleichen Werten.
Scandium, Sc = 4 4-1, aus dem Isomorphismus mit Aluminium.
Cer, Ce=140, aus der spezifischen Wärme.
Lanthan, La =138-5, auf gleiche Weise.
Praseodym, Pr = 140-4 und Neodym, Nd = 143-6 sind im
reinen Zustande nicht auf ihre spezifische Wärme untersucht worden.
Doch gehen aus der entsprechenden Messung an dem früher Didym
genannten Gemisch die angegebenen Atomgewichte sicher hervor.
Yttrium, Ytterbium und die anderen ErdmetaJle aus der Analogie,
resp. dem Isomorphismus mit Cer, Lanthan und den Didymen.
Eisen, Fe = 560, aus der Dampfdichte der Chlorverbindung, der
spezifischen Wärme und dem Isomorphismus mit Calcium.
Kobalt, Co = 59, aus der spezifischen Wärme und dem Isomor-
phismus mit Eisen u. s. w.
Nickel, Ni = 58-7, aus der spezifischen Wärme und dem Isomor-
phismus mit Eisen u. s. w.
Zink, Zn = 65-4, aus der spezifischen Wärme, dem Isomorphismus
mit Magnesium und der Dampfdichte des Metalls wie der Chlorverbindung.
Die Wahl der Yerbindungsgewichte. 223
Oadmium, Cd = 112*1, aus der spezifischen Wanne nnd der
Dampfdichte.
Enpfer, Qu =63-6; aus der spezifischen Wärme und dem Iso-
morphismus mit Eisen u. s. w.
Silber^ Ag== 107-9; aus der spezifischen Wärme und dem Iso-
morphismus mit Natrium.
Quecksilber, Hg = 200*3, aus der spezifischen Wärme und der
Dampfdichte des Metalls sowie seiner Halogenverbindungen.
Blei, Pb = 206-9, aus der spezifischen Wärme und der Dampf-
dichte des Chlorids. Isomorph mit Calcium u. s. w.
Thallium, Tl = 204*1, aus der spezifischen Wärme, dem Iso-
morphismus mit Kalium, Cäsium, Rubidium, sowie der Dampfdichte des
Chlorürs.
Titan, Ti = 48*l, aus der Dampfdichte des Chlorids und dem
Isomorphismus mit Silidum und Zinn.
Zirconium, Zr=:90*6, aus der Dampfdichte des Chlorids und
dem Isomorphismus mit Süicium, Titan und Zinn.
Zinn, Sn = 118-5, aus der spezifischen Wärme, der Dampfdichte
des Chlorids und dem Isomorphismus mit Silicum, Titan und Zirconium.
Thorium, Th = 2324, aus der spezifischen Wärme und dem Iso-
morphismus mit Zirconium.
Vanadium, Vd=51-3, aus der Dampfdichte des Chlorids und
Oxychlorids und dem Isomorphismus mit Phosphor und Arsen.
Niobium, Nb=94-2, aus der Dampfdichte von Chloriden und
Oxychloriden.
Tantal, Ta=183, aus der Dampfdichte flüchtiger Chlorverbm-
dungen.
Antimon, Sb= 120-3, aus der spezifischen Wärme, der Dampf-
dichte des Chlorids u. s. w. und der Analogie mit Arsen.
Wismut, Bi = 208-5, aus der spezifischen Wärme, der Dampf-
dichte der Chlorverbmdung und der Analogie mit Arsen und Antimon.
Chrom, Cr =52-1, aus der spezifischen Wärme, der Dampfdichte
flüchtiger Verbindungen und dem Isomorphismus mit Eisen, Schwefel u.a.
Molybdän, Mo = 96-0, aus der spezifischen Wärme (zweifelhaft),
der Dampfdichte flüchtiger Verbindungen und dem Isomorphismus mit
Chrom.
Wolfram, W=184, aus der spezifischen Wärme, der Dampf-
dichte der Chlorverbindungen und der Analogie mit Chrom und Molybdän.
Gold, Au =197 '2, aus der spezifischen Wärme.
Platin, Pt= 194-8, aus der spezifischen Wärme.
Iridium, Ir= 193-2, aus der spezifischen Wärme.
Osmium, Os = 192
Palladium, Pd = 106 ^ desgleichen.
Rhodium, Rh = 103 ' ^
Ruthenium, Ru= 101-7
224 VI. Systematik.
Zu mancherlei Erörterungen haben die in den letzten Jahren ent-
deckten seltenen GsBe Argon^ Helium und ihre Verwandten Anlafis ge-
geben. Da keine definierten chemischen Verbindungen von ihnen be-
kannt sind 7 ist man auf die Gasdichte angewiesen , welche nur einen
höchsten Wert geben kann, da die Molekulargewichte dieser Elemente
ja Vielfache ihrer Atomgewichte sein können. Das einzige ausserdem
vorhandene Hilfsmittel ist das Verhältnis der spezifischen Wärmen,
welches beim Quecksilberdampf eine mit den Forderungen der kinetischen
Hypothese übereinstimmende Entscheidung über die Beschaffenheit des
Dampfes gegeben hatte (S. 95). Bei diesen Oasen zeigt sich das Ver
hältnis der spezifischen Wärmen gleich dem beim Quecksilberdampf zu
1-667. Wenn man auch der kinetischen Hypothese keine entscheidende
Stimme wird zuschreiben wollen, so liegt doch in diesem Ergebnis eine
nicht zu übersehende, von allen Hypothesen unabhängige Analogie mit
dem Quecksilberdampf vor, dass eine entsprechende Formulierung ge-
rechtfeiiagt erschemt, wenn andere Anhaltspunkte fehlen. Nun hat sich
durch die Entdeckung des Neons in der That ein solcher weiterer An-
haltspunkt auf Grund des periodischen Gesetzes gefunden (s. w.u.), und
die Wahl He = 4, Ar = 40 u. s. w. erscheint gerechtfertigt
In der vorstehenden Tafel sind nur die wesentlichsten Momente
zusammengestellt; eine grosse Anzahl weiterer bestätigender Beziehungen
hat keine Erwähnung finden können.
Zweites Kapitel.
Das periodisohe Gesets.
Die umfassendste Bestätigung, welche die Angemessenheit der Tor-
stehend bestimmten Verbindungsgewichte gefunden hat, bilden die gesetz-
mässigen Beziehungen, welche sich herausstellen, wenn man die Elemente
nach der Grösse dieser Verbindungsgewichte ordnet Dieselben sind kurz
schon oben (S. 43) angedeutet worden. Sie bilden gegenwärtig neben
den früher erwälmten Mitteln ein weiteres von grösster Bedeutung, um
aus den möglichen Verbindungsgewichten das angemessenste zu bestimmen,
und haben in vielen Fällen, wo die anderen Methoden versagt oder nicht
deutiich genug gesprochen hatten, die Entscheidung gegeben.
Es sollen hier zur Ergänzung des früher Gesagten noch einige
Zusammenstellungen von Eigenschaften der Elemente, sowie ihrer Ver-
bindungen in Bezug auf das periodische Gesetz mitgeteilt werden.
Derartige Forschungen sind ausser von den Entdeckern L. Meyer und
D. Mendelejew noch insbesondere von Th. Camelley angestellt worden,
und man kann in der That jetzt sagen, dass fast jede gut definierte
und vergleichbare Eigenschaft eine periodische Funktion der Verbin-
dungsgewichte ist
Das periodische Gesetz. 225
Über die chemischen Eigenschaften ist bereits früher das Nötige
gesagt worden. Von den physikalischen Eigenschaften^ zonädist der
freien Elemente^ zeigt die periodische Änderung am deuttichsten das
Atomvolum, worauf zuerst L. Meyer hingewiesen hat. In der um-
stehenden Fig, 31 sind die Verbindungsgewichte in horizontaler Linie als
Absdssen, die Atomvolume vertikal als Ordinaten eingetragen, und die
Endpunkte sind durch die starke Linie verbunden. Wie man sieht, er-
scheint diese Linie als eine Reihe von immer grösser werdenden Wellen
und bringt die Periodizität auf das Deutlichste zur Geltung. Die
Elemente von ähnlichen chemischen Eigenschailen befinden sich stets an
ähnlichen Orten der Wellenlinien; so nehmen die stark basischen Alkali-
metalle überall den Gipfel ein, während unmittelbar vor ihnen die stark
säurebildenden Halogene ihren Platz gefunden haben. Nach ihnen, in
den nach rechts absteigenden Teilen der Wellen liegen die Erdalkali-
metalle, die Erdmetalle u. s. w. mit abnehmenden basischen Eigenschaften,
während die aufsteigenden Seiten die mehr und mehr säurebildenden
Elemente beherbergen.
Eine zweite Eigenschaft von ebenso ausgeprägt periodischem Cha-
rakter ist der Schmelzpunkt Die entsprechende Kurve ist in der
Fig. 31 mit schwachen Zügen angegeben, sie liegt etwa in der Mitte
zwischen den Wellen der Atomvolume, und zeigt einen ausgesprochen
doppelperiodischen Gang, indem sich je eine kleine und eine grosse
Welle folgen.
Weitere Kegelmässigkeiten periodischer I^atur haben sich bei folgenden
Eigenschaften erkennen lassen: Molekularvolume analoger Verbindungen,
Kefraktionsäquivalente, Bildungswärme entsprechender Verbindungen, Leit-
fähigkeit für Wärme und Elektrizität, Farbe, innere Reibung.
Doch muss hervorgehoben werden, dass die Regelmässigkeiten, so-
weit sie bis jetzt bekannt sind, noch sehr der wünschenswerten Schärfe
und Bestimmtheit entbehren. Sie sind nicht von der Beschaffenheit,
dass man aus den Eigenschaften der Nachbarglieder die der zwischen-
liegenden EHemente berechnen kann; man kann sie nur annähernd
schätzen. Dies vermindert natürlich nicht den Wert der allgemeinen
Erkenntnis, es macht nur deutlich, dass in der Angelegenheit noch
wichtige Probleme ihrer Lösung harren.
Ein solches Problem ist die offenbare Zugehörigkeit einzelner Elemente
zu verschiedenen Gruppen. So gehört Chrom durch sein ausgeprägt basisches
Monoxyd zum Magnesium, und Zink, durch sein alaunbildendes Sesquioxyd, zu
Aluminium und Gallium, während es durch seine Säure mit Molybdän und
Wolfram vereinigt wird; nur die letzte Beziehung hat in der Tafel (S. 45)
ihren Ausdruck gefunden. Kupfer gehört durch sein Oxydul und unlösliches
Chlorür allerdings zum Silber; beiden aber schliesst sich das Quecksilber aus
der nächsten und das Thallium aus der dritten Reihe viel mehr an, als Natrium
und Gold; andererseits verweist das Kupferoxyd dies Metall unzweideutig zu
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 15
Flg. 31. Die starke Linie glebt AtoniToluina, die scbvicfae Bchtnfltpuokle In atisoluter Tempramlnr
■n. Die Ordinate der AlomTolumB sind mit 4 multiplldart, die der Scbmelipnnkte mit T dlTMlut.
Dar mll • beielehiiele Funkt liegt 66 Tallitricba hflher.
Das periodische (besetz. 22?
Magnesium und Zink. Mangan könnte seinen Verbindungen MnO, Mn'O*,
MnOV MitO* und Mn*0' entsprechend in fünf verschiedenen Reihen unter-
gebracht werden. Für alle diese und noch zahlreiche andere Beziehungen
ist im periodischen System noch kein Ausdruck vorhanden.
Femer ist der eigentümlichen Verhältnisse zu gedenken, welche die
Elemente mit dem niedersten Verbindongsgewidit zeigen. Mendelejew hat
dieselben typische genannt, eine Bezeichnong, die das Gegenteil von
dem aussagt, was der Wu'klichkeit entspricht. Denn diese Elemente
sind keineswegs Typen für die Reihen, an deren Eingang sie stehen,
sondern sie zeigen eine ausgesprochene Neigmig, mit ihren Eigenschaften
in die nächste Reihe hinüberzugreifen. Das Lithium bildet ein
sdiwerlösliches Carbonat und ein leichtlösliches Bicarbonat, wie die zwei-
wertigen Erdalkalimetalle und entgegen dem Verhalten der Alkalimetalle.
Das Beryllium ist in seinem Verhalten dem Aluminium so ähnlich, dass
es bis zur Bestinmiung der Dampfdichte seines Chlorids von vielen
Chemikern für dreiwertig gehalten wurde. Das dreiwertige Bor ist
keinem Elemente in seinen Eigenschaften im freien Zustande sowie in
seinen Verbindungen ähnlicher, als dem vierwertigen Silidum. Fluor
bildet mit Vorliebe Verbindungen, in denen es sich wie ein zweiwertiges
Element verhält Auch für diese Eigentümlichkeiten hat das periodische
System noch keinen rationellen Ausdruck gefunden.
Auch sind die Unterschiede der Zahlenwerte der Verbindungsgewichte beim
Fortschreiten in der Reihe keineswegs konstant, sondern schwanken vom ein-
fachen bis zum doppelten. Und zwar findet sich dies bei Verbindungsgewichten,
die so genau bekannt sind, dass die Hoffnung, ihre Zahlenwerte durch spätere
genauere Bestimmung in regelmässige Abstände zu bringen, in keiner Weise
gehegt werden darf. Vielleicht wird es aber möglich sein, späterhin diese
Unregelmässigkeiten mit den anderen vorhandenen Unregelmässigkeiten in
ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu bringen und so ein Gesetz in
ihnen zu entdecken. Das periodische System macht gegenwärtig den Eindruck,
als seien über ein an sich regelmässiges Schema die Elemente einigermassen
willkürlich hingestreut, so dass nicht jedes genau an den ihm zukommenden
Ort gelangt ist.
Trotz alledem darf man nicht anstehen, die Erkenntnis, dass die
Eigenschaften der Elemente und ihrer vergleichbaren Verbindungen perio-
dische Funktionen der Verbindungsgewichte sind, als einen der wichtigsten
Fortschritte anzuerkennen, welchen die wissenschaftliche Chemie in neuerer
Zeit gemacht hat. Die Betrachtungsweise hat ihre Feuerprobe bereits
mehrfach bestanden, sowohl in der Voraussagung der Eigenschaften
noch unbekannter Elemente, wie durch die Fingerzeige zur Korrektur
falsch bestimmter Verbindungsgewichte. Auch sei hier nochmals der innige
Zusammenhang betont, welcher zwischen dem periodischen System und den
anderen Grundlagen für die Auswalil der richtigen Verbindungsgewichte be-
steht Jeder Versuch, an einem anderen System von Verbindungsgewichten,
15*
228 VI. Systematik.
etwa an den Gmelinschen „Äquivalenten", ähnliche umfassende Regel-
mässigkeiten zu finden, schlägt fehl, so dass das periodische Gesetz neben
dem Isomorphismus, dem Dulong-Petitschen Gesetz und dem Avogadro-
schen Prinzip eine gleichwertige Stellung zur Bestimmung der wahren
Verbindungsgewichte einnimmt.
Drittes Kapitel.
Die Molekulartheorie.
Es ist bei Gelegenheit der Besprechung der einzelnen Eigenschaften
der Stoße auf den dreifachen Charakter derselben schon wiederholt hin-
gewiesen worden. Einzelne Eigenschaften erleiden durch den Vorgang
der chemischen Bindung überhaupt keine Änderung; sie sind unabhängig
von dem Zustande des Elements und ihre Werte finden sich daher in
den Verbindungen als Summen der entsprechenden Werte der einzelnen
Elemente wieder. Es sind dies die additiven Eigenschaften, deren
reiner Typus die Masse ist, welche bei allen chemischen Vorgängen
vollkommen unverändert bleibt. Wesentlich, additiv erwies sich femer
noch die Wärmekapazität Das Molekularvolum und die Molekular-
reiraktion haben in der Hauptsache auch noch additiven Charakter; die
Eigenschaften der Elemente gehen aber nicht immer mit demselben
Wert in die den Verbindungen entsprechenden Summen ein, sondern
weisen je nach der Art, wie sich die Elemente chemisch bethätigen, eine
grosse Mannigfaltigkeit auf.
Hierdurch gehen die additiven Eigenschaften in die konstitutiven
über^ welche abgesehen von den Eigenschaften der zusammensetzenden
Elemente noch von weiteren chemischen Eigentümlichkeiten der entstandenen
Verbindungen abhängen. Ausser der Masse^ welche rein additiv ist,
sind alle annähernd additiven Eigenschaften mit konstitutiven Anteilen
behaftet, und sie unterscheiden sich wesentlich durch den verhältnis-
mässigen Betrag der letzteren. Aber auch bei den am meisten kon-
stitutiven Eigenschaften, wie die Farbe oder die optische Drehung, macht
sich doch innerhalb engerer Grenzen ein annähernd additiver Charakter
geltend, der die Grundlage für die Schematisierung solcher Grössen liefert
Ganz verschieden von diesen Eigenschaften sind die, welche fiiiher
(S. 73) bereits kolligative genannt worden sind. Sie zeigen sich
ganz unabhängig von der Art und Zahl der zusammensetzenden Ele-
mente, so dass sie für gewisse Mengen der verschiedenartigsten Stoffe
gleiche Werte annehmen.
Man kann also die Formeln der Stofie so wählen, dass sie Stoff-
mengen darstellen, für welche die kolligativen Eigenschaften gleiche
Werte annehmen. Die so gewonnenen Formeln ergeben wichtige Vor-
Die Molekulartheorie. 229
teile fiir die chemische Systematik^ und die auf diese Weise erhaltenen
Zahlen sind als die Molekulargewichte bekannt
Es ist bereits (S. 72) dargelegt worden, dass dieser Begriff zwar ent-
wickelungsgeschichtlich mit besonderen Hypothesen über die Beschaffenheit
der Materie und ihre Zusammensetzung aus sich frei durch einander bewegen-
den kleinsten Teilchen zusammenhängt, in seiner chemischen Bedeutung aber
unabhängig von solchen Annahmen ist. In gleicher Weise ist das Gesetz von
der Erhaltung der Masse bei chemischen Vorgängen unabhängig von der
Atomhypothese und von der Annahme, dass die Elemente noch in ihren Ver-
bindungen fortbestehen, wenn auch die Entdeckung und Entwickelung dieses
Gesetzes unter ihrem Einflüsse stattgefunden hat.
Besonders nutzbringend hat sich der Molekularbegriff bei der
Systematik der organischen Verbindungen erwiesen. Bei diesen, aus
wenigen Elementen in den mannigfaltigsten Verhältnissen zusammenge-
setzten Verbindungen ist er fiir das Verständnis der gegenseitigen Be-
ziehungen von entscheidender Bedeutung geworden. Ebenso, wie bei
der Wahl der Verbindungsgewichte zunächst das Äquivalenzprinzip durchzu-
föhren gesucht wurde, und erst langsam, nachdem sich das Gesetz der
multiplen Proportionen immer wieder als unüberwindliches Hindernis
solchen Versuchen entgegengestellt hatte, das gegenwärtige System sich
Bahn gebrochen hatte, so versuchte man auch zunächst in der organischen
Chemie mit den einfachsten Formeln auszukommen. Erst Grahams und
namentlich Liebigs Untersuchungen über die mehrbasischen Säuren,
Williamsons klassischer Nachweis, dass in den Äthem zwei Alkohol-
radikale enthalten seien, und die Darlegungen von Laurent und Gerhardt,
dass durch die Beziehung der Formeln auf gleiche Dampfvolume eine
umfassende Systematik der organischen Verbindungen von einer bis dahin
nicht erreichten inneren Konsequenz möglich sei, brachen der Molekular-
Iheorie in der Chemie endgültig ihre Bahn.
Die gegenwärtige Aufgabe der speziellen Chemie ist, wie im nächsten
Kapitel dargelegt werden wird, die Konstitution der chemischen Ver-
bindungen zu bestimmen. Die erste Grundlage zur Losung dieser Auf-
gabe ist nach der Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und
der Aufstellung der empirischen Formel, d. h. des einfachsten Atomver-
hältnisses, welches die gefundenen Zahlen darstellt, die Ermittelung der
Molekulargrösse oder des Molekulargewichts. Früher gab es
nur ein Mittel für diesen Zweck: die Bestimmung der Dampfdichte. Das
Mittel konnte natürlich nur für flüchtige Stoffe Anwendung finden, und
versagte somit ausserordentiich oft.
Man sieht alsbald ein, dass man die Aufgabe durch die Messung
jeder kolligativen Eigenschaft lösen kann. Denn kolligative Eigenschaften
sind definitionsgemäfis solche, welche fiir äquimolekulare Mengen der ver-
schiedenen Stoffe gleiche Werte annehmen. Bestimmt man also, wieviel
von dem Stoffe mit unbekanntem Molekulargewicht dazu gehört, um
den gleichen Zahlenwert irgend einer kolligativen Eigenschaft zu ergeben.
230 VI. Systematik.
welchen eine bekannte Menge eines Stoffes von bekanntem Molekular-
gewicht ergiebt^ so müssen diese Mengen im Verhältnis der Molekular-
gewichte stehen.
Eolligative Eigenschaften smd ausser bei Gasen bei Lösungen beobachtet
worden^ und zur Bestimmung von Molekulargewichten gelöster Stoffe kann
jede der S. 193 bis 211 erörterten kolligativen Eigenschaften dienen,
also der osmotische Druck, die Erniedrigung des Dampfdruckes und die
des Erstarrungspunktes. Von diesen Methoden sind die beiden letzten
am besten entwickelt; eine Molekulargewichtsbestimmung durch Siede-
punktserhöhung oder Gefrierpunktsemiedrigung ist weit leichter und
schneller auszuftihren, als eine Dampfdichtebestimmung.
Es erhebt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis die nach den
verschiedenen Methoden bestimmten Molekulargewichte stehen, insbesondere
ob sie übereinstimmend ausfallen. Eine ziemlich umfassende Prüfung, welche
seit Beckmann (1888) in dieser Richtung durchgeführt worden ist, er-
gab eine sehr weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse dieses Ver-
fahrens mit den durch die Dampfdichten gewonnenen. In einzelnen Fällen,
wo auch durch die Dampfdichte eine Neigung zur Bildung von Doppelmole-
keln nachweisbar ist, z. B. bei der Essigsäure, ergab sich, dass verschiedene
Lösungsmittel verschieden wirken. In Wasser gelöst zerfällt die Essigsäure
in normale Molekeln C*H*0*, in Benzol gelöst hat sie dagegen die doppelte
Formel. Das erste Lösungsmittel wirkt danach so auf die Essigsäure, wie eine
hohe Temperatur oder ein kleiner Druck, das zweite umgekehrt. Auch für
nicht flüchtige Stoffe, deren Molekulargrösse bisher nur aus ihren chemischen
Reaktionen abgeleitet werden konnte, ergaben sich die aus den Gefrierpunkts -
erniedrigungen bestimmten Werte fast ausnahmslos übereinstimmend mit den
aus chemischen Gründen abgeleiteten, so dass sich das Verfahren allseitig be-
währte. Zu bemerken ist noch, dass, wenn eine Neigung zur Bildung von
Doppelmolekeln vorliegt, wie sie sich bei vielen Hydroxyl enthaltenden Ver-
bindungen findet, dieselbe in Benzollösung viel leichter und ausgiebiger zur
Geltung kommt, als wenn der Stoff in Wasser, Essigsäure oder Phenol
aufgelöst wird.
Die S. 212 gegebenen theoretischen Betrachtungen führen überein-
stimmend mit der Erfahrung zu dem Schlüsse von der Gleichartigkeit der an
Gasen und Lösungen bestimmten Molekulargewichte.
Durch die Entdeckung des kolligativen Charakters der erwähnten
Eigenschaften von Lösungen hat die Möglichkeit der Molekulargewichts-
bestimmung, welche früher auf flüchtige Stoffe beschränkt war, eine
enorme Erweiterung erfahren, indem sie gegenwärtig auf alle lös-
lichen Stoffe sich ausdehnen lässt, d. h. auf fast alle Stoffe, die dem
Chemiker überhaupt unter die Hand kommen. Es ist einleuchtend,
wie sehr durch diese Möglichkeit die Erforschung unbekannter Stoffe
gefördert wird; ist von emem neuen Körper das Molekulargewidit be-
kannt^ so wird das Gebiet der Möglichkeiten fUr pdne rationelle Kon-
Die Molekulartheorie. 231
stitution sofort ausserordentlich eingeschränkt nnd eine Entscheidung
wesentlich erleichtert
Mit der Dampfdruck- und der Gefrierpunktsmethode sind die Möglich-
keiten der Molekulargewichtsbestimmungen an Lösungen keineswegs er-
schöpft^ da sich ausserdem noch eine grosse Anzahl verschiedener Wege
erdenken und praktisch ausf&hren lässt, um die Konzentration einer
Losung umkehrbar zu ändern (S. 212). Indessen liegt ein praktisches
Bedürfnis nach der Ausarbeitung weiterer Methoden kaum vor, und die
erwähnten Beziehungen dienen vielmehr dazu, mit Hilfe der als bekannt
vorausgesetzten Molekulargewichte andere Gesetzmässigkeiten zahlenmässig
zu berechnen.
Was die kolligativen Eigenschaften bd reinen flüssigen Stoffen
anlangt, so ist eine solche in dem Temperatnrkoeffizienten der moleku-
laren Oberflächenenergie gefunden worden (S. 150). Die Ergebnisse
dieses Verfahrens stimmen im wesenüichen mit den an Dämpfen und Lösungen
gefimdenen überein. Man darf darauf die Vermutung gründen, dass
zwischen beiden Methoden ein prinzipieller Zusammenbang besteht
Eine zweite kolligative Eigenschaft ist durch die sogenannte Troutonsche
Regel für die Verdampfungswärme gegeben, nach welcher der Quotient Ver-
dampfungswärme/Siedetemperatur (abs.) für äquimolekulare Mengen verschie-
dener Stofife nahezu gleich ist; Abweichungen von ihr deuten auf Abweich-
ungen der Molekulargrösse.
Weitere Kriterien beziehen sich auf die kritischen Konstanten und das
Theorem der übereinstimmenden Zustände. Sie sind von Guye (1894) und
Ramsay (1894) erörtert worden, und haben im allgemeinen Resultate ergeben,
die mit den aus der Methode der Oberflächenspannungen erhaltenen überein-
stimmen. Doch sind sie weniger bestimmt als diese, und es wird daher diese
Andeutung genügen.
Über das Molekulargewicht fester Stoffe hat man auf folgende Weise
Auskunft zu gewinnen versucht. Es" giebt feste Stoffe von veränder-
licher Zusammensetzung, auf welche man den Begriff der Lösung anzu-
wenden versuchen kaUn. Solche Stoffe sind die isomorphen Geraische,
femer Palladium wasserstoff und ähnliche Dinge, endlich solche gleichförmige
Gemische, die durch Zusammenkrystallisieren nicht isomorpher Stoffe
entstehen, und von denen eine grosse Zahl nachgewiesen worden ist.
Durch die Anwendung ähnlicher Überlegungen, wie sie zu den ver-
schiedenen Methoden der Molekulargewichtsbestimmungen an flüssigen
Lösungen führen, hat man aus den Eigenschaften dieser Gemische Schlüsse
auf die Molekulargi-össe der beteiligten Stoffe gezogen, indem man sie
nach dem Vorgange van't Hoffs als feste Lösungen auffasste.
Die Ergebnisse dieser Versuche, die indessen noch einigermassen
zweifelhaft erscheinen, gehen dahin, dass im allgemeinen auch die festen
Stoffe keine besonders zusammengesetzten Molekeln entlialten; die Mole-
kulargewichte, die für sie berechnet worden sind, stimmen mit denen an
Flüssigkeiten meist überein. Dies schliesst nicht aus, dass auch für ge-
OF THK
UNIVERSITY
232 VI. Systematik.
wisse feste Stoffe eine grössere Znsammengesetztheit anzunehmen ist;
so kommt dem festen Schwefel schwerlich eine kleinere Formel zu, als
dem gelösten: im letzteren Falle aber kann sie bis Sg ansteigen.
Aus der Erscheinung der Polymorphie fester Stoffe ist früher vielfach
der Schluss gezogen worden, dass die festen Stoffe aus sehr zusammengesetzten
Molekeln bestehen müssten, da die verschiedenen Formen nur durch die ver-
schiedene Zusammenlagerung der chemischen Molekeln zu erklären sei.
Führt man die allotropen festen Stoffe in den flüssigen oder gasförmigen
Zustand über, so bleibt gewöhnlich von ihren Verschiedenheiten nichts übrig.
Der Dampf des roten Phosphors ist identisch mit dem des gelben, und eine
Lösung von rhombischem Schwefel in Schwefelkohlenstoff unterscheidet sich
in keinem Punkte von einer gleich zusammengesetzten Lösung, zu welcher
monosymmetrischer Schwefel verwendet wurde. Umgekehrt kann aus derselben
Lösung z. B. von Nickelsulfat, die man durch Abkühlen übersättigt hat, durch
Einbringen eines entsprechenden Krystallfragments jede der mehreren Formen
des Salzes erzeugt werden. Das Auftreten der sogenannten physikalischen
Isomerie ist sonach ausschliesslich an den festen Zustand der Stoffe ge-
bunden, und diese verschwindet, sowie dieselben in einen anderen Aggregat-
zustand übergehen.
Während diese Erscheinungen sich ganz wohl im Sinne einer grossen
Zusammengesetztheit der Erystallpartikeln im Verhältnis zu den chemischen
Molekeln der Flüssigkeiten oder Dämpfe deuten lassen, stehen die oben er-
wähnten Ergebnisse an festen Lösungen im Widerspruch damit.
Viertes Kapitel.
Theorie der chemischen Verbindungen.
Die chemischen Verbindungen stellen eine Mannigfaltigkeit besonderer
Art dar, deren Glieder sich teilweise und nach bestimmten Gesetzen in-
einander umwandehi lassen. Man könnte die Gesetzmässigkeit dieser
Umwandlungen in all den mannigfaltigen Beziehungen, die dabei zu Tage
treten, unabhängig von irgend welcher hypothetischen Vorstellung über
die Natur dieser Verbindungen entwickeln, und würde dadurch zu einer
genetischen Systematik der chemischen Individuen gelangen, welche
der gegenwärtig benutzten in vielen Stücken ähnlich, von ihr aber da-
durch verschieden wäre, dass sie keine hypothetischen Elemente enthielte.
Indessen liegt zu einer solchen Darstellung noch nicht einmal ein
Versuch vor, und wenn ein solcher hier gemadit würde, so würde der
Leser eine Sprache lernen, von der zwar gesagt werden darf, dass
künftig jeder Chemiker sie sprechen wird, von der aber auch gesagt
werden muss, dass sie heute noch nirgend gesprochen wird.
Theorie der chemischen Verbindungen. 233
Vielmehr ist bisher die gesamte Systematik der chemischen Um-
wandlungsbeziehungen nur unter dem Bilde der Atomhypothese ent-
wickelt worden. Dieses hätte nicht stattfinden können^ wenn nicht das
Bild thatsächlich ein ausserordentlich glückliches wäre und eine nach vielen
Seiten zutreffende Vorstellung von den wirklichen Verhältm'ssen vermittelte.
Auch hat es bisher in den wichtigsten Punkten eine genügende Mannig-
faltigkeit gezeigt; um einen naturgemässen Ausdruck auch für solche
neue Thatsachen zu ermöglichen, welche bei dem ursprünglichen Ent-
wurf nicht vorgesehen waren. Aber es scheint, als ob diese Anpassungs-
^igkeit der Erschöpfung nahe sei, und man thut wohl, sich klar zu
machen, dass nach der immer wiederholten Lehre, die die Geschichte
der Wissenschaft uns giebt^ ein solches Ende früher oder später unver-
meidlich ist.
Unter diesem Vorbehalt sollen die Hauptergebnisse der bisherigen
Untersuchungen über die Konstitutionsverhältnisse der diemischen Ver-
bindungen in der üblichen Form der Atom- und Molekul^rhypothese
entwickelt werden.
Von den zahlreichen Fragen über die Natur der chemischen Ver-
bindungen hatte die Daltonsche Atomhypothese nur die eine beant-
wortet, ob in diesen noch die Elemente als solche anzunehmen seien
oder nicht, und zwar im bejahenden Sinne. Die chemische Verbindung
war ein durch Aneinanderlagerung der Elementaratome entstandener
Komplex. Über die relative Masse der Elementaratome gaben die in
den beiden ersten Kapiteln des flinft;en Buches dargelegten Thatsachen
und Theorien Auskunft, über die Anzahl der Atome in solchen Komplexen
konnte in bestimmten Fällen durch die Molekulartheorie und die derselben
zu Grunde liegenden Beobachtungen Auskunft gewonnen werden. Im
gegenwärtigen Kapitel soll uns die Frage nach den gegenseitigen Be-
ziehungen der Atome innerhalb der Molekel beschäftigen.
In der That ist die Frage auch ebenso alt, wie die Atomtheorie
selbst; seitdem man chemische Verbindungen sich aus Atomen zusam-
mengesetzt vorstellte, suchte man sich auch über das Verhältnis der zu-
sammensetzenden Atome klar zu werden.
Wie bekannt, rührt die erste durchgeftihrte Theorie der chemischen
Verbindungen von Berzelius her, der dieselbe auf die von ihm studierten
Erscheinungen bei der Elektrolyse von Salzen begründete. Er beobach-
tete, dass am Kupferpole sich die Säuren, am Zinkpole die Basen der
von ihm hauptsächlich untersuchten Alkalisalze ansammelten, und nach
dem alten Grundsatze Stahls: woraus etwas zusammengeftiget ist und
darein es wieder zerlegt werden kann, daraus besteht es, setzte er vor-
aus, dass Säuren und Basen die Bestandteile der Salze sein müssten.
Zwar gaben die bekannten Säuren und Basen bei ihrer Verbindung auch
stets Wasser aus; dieses aber wurde in ihnen vorgebUdet angesehen und
spielte in den Säuren die BoUe einer Basis ^ in den Basen die Rolle
234 VI. Systematik.
einer Säure; die eigentlichai Säuren und Basen waren die bekannten
Verbindungen ohne das Wasser.
Gleichzeitig wurde die gewonnene Erkenntnis auf alle übrigen
Stoffgruppen ausgedehnt. Auch Oxyde liessen sich elektrolytisch zer-
setzen und gaben einerseits Sauerstoff, andererseits Metall; Berzelius sah
daher ganz allgemein alle Verbmdungen als aus zwei Anteilen gebildet
an, welche durch elektrische Anziehungskräfte zusammengehalten sind,
wie sie durch solche getrennt werden können. Es entstand so das
elektrochemische System, nach welchem die binäre Gliederung sich stufen-
weise auch in den verwickeltsten Verbindungen geltend macht. Alaun
z. B. bestand zunädist aus schwefelsaurem Thonerdekali und ViTasser;
letzteres war eine binäre Verbindung von Wasseratoff und Sauerstoff,
ersteres eine ebensolche von schwefelsaurer Thonerde und schwefelsaurem
Kali. Jedes dieser SaJze bestand wieder aus Schwefelsäure (SO3) einer-
seits, und Metalloxyd andererseits, und diese beiden Bestandteile waren
wiederum jedes für sich in Metall, resp. Schwefel und Sauerstoff ge-
gliedert.
Diese Betraditungsweise, deren Prinzip so einfach und anschaulich
war, hat ausserordentlichen Nutzen gebracht, obwohl die Grundlage, von
welcher aus sie entwickelt wurde, falsch war. Das schwefelsaure Kali
zerfällt thatsächlich, wie jetzt bekannt ist, bei der Elektrolyse nicht nach
dem Schema KgO -|- SO3, sondern nach dem Schema Kg -|- SO4, und
der Grundsatz der dualistischen Theorie von Berzelius, dass nur Verbin-
dungen gleicher Ordnung zu höheren Verbindungen zusammentreten, steht
im Widerspruch mit der Fundamentalerscheinung, aus welcher es ab-
geleitet wurde.
Trotz dieses Grundirrtums ist die elektrochemische Theorie für die Ent-
wickelung der Chemie von allergrösster Bedeutung gewesen. Durch die Auf-
stellung der elektrochemischen Spannungsreihe wurde von Berzelius die
Grundlage der vergleichenden Affinitätslehre gelegt, und die leicht verständ-
liche und scharfe Systematik, welche die Theorie ermöglichte, hat das Stu-
dium der Chemie ausserordentlich gefördert. Sie ist auch nicht durch Aufdeckung
des Irrtums über den elektrolytisdien Vorgang zu Falle gebracht worden,
sondern dadurch, dass ihre Nichtanwendbarkeit für ein Gebiet von Verbin-
dungen zu Tage trat, welche zur Zeit ihrer Entwickelung noch unbekannt
waren. Es sind das die nicht elektrolysierbaren organischen Verbindungen.
Eine Bezugnahme auf die gegenseitige Stellung der Atome in der
Molekel wurde erforderlich, als Thatsachen bekannt wurden, welche sich
auf dem Boden der Atomtheorie nicht anders erklären liessen, als durch
verschiedene Atomlagerung. Es sind das die Verhältnisse der Isomerie.
AlsWöhler 1823 die Cyansäure, und Liebig 1824 die Knallsäure
analysierte, ergab sich, dass beide Forscher für ihre unzweifelhaft ver-
schiedenen Stoffe die gleiche Zusammensetzung geftmden hatten. Ber-
zelius, welcher in semen Jahresberichten diese Arbeiten zusammenstellte,
erwog verschiedene Vermutungen, auf welche Weise der eine oder der
Theorie der chemischen Verbindungen. 235
andere Forscher in einen Irrtum gefallen sein könne ; denn dass zwei
derart verschiedene Stoffe eine gleiche Zusammensetzung haben könnten^
erschien so unwahrscheinlich; dass die Möglichkeit gar nicht in Frage kam.
Indessen fand schon ün folgenden Jahre Faraday bei Gelegenheit
der Untersuchung von Kohlenwasserstoffen, weldie sich m Cyhndem an-
gesammelt hatten, in denen Leuchtgas komprimiert wurde, neben dem
Benzol ein Gas (das Butylen), welchem die gleiche elementare Zusam-
mensetzung, wenn auch doppelt so grosse Dichte im Dampfzustande zu-
kam wie dem längstbekannten ölbildenden Gase (Äthylen). Berzelius
befreundete sich allmählich mit der Vorstellung, dass in der That gleich
zusammengesetzte Stoffe verschiedene Eigenschaften haben könnten, und
erinnerte seinerseits an die beiden verschieden sich verhaltenden Zinn-
oxyde. Fast jedes Jahr brachte nun neue Stoffe von ungleichen Eigen-
schaften bei gleicher Zusammensetzung, bis schliesslich 1830 die von
Kestner in Than (Elsass) aufgefundene Traubensäure sich mit de^ gewöhn-
lichen Weinsäure in jeder Beziehung gleich zusammengesetzt erwies,
während sie doch in ihren Löslichkeitsverhältnissen, in der Krystall-
form ihrer Salze, ihren Reaktionen von dieser unzweideutig verschie-
den war.
Berzelius ftihrte daher die Erkenntnis, dass gleich zusammengesetzte
Stoffe verschiedene Eigenschaften haben können, in den Besitzstand der
Wissenschaft über, indem er der Erscheinung den Namen Isomerie gab.
Hierbei unterschied er bald verschiedene f^le; iür solche Verbindungen,
wie Faradays Kohlenwasserstoffe, die dieselben Elemente in denselben
Verhältnissen, aber nach einer verschiedenen (multiplen) Anzalü Atome
enthalten, ftlhrte er den Namen polymer ein, während er solche
gleich zusammengesetzte Stoffe, in denen auch die Anzahl der Atome
gleich, nur ihre „Anordnung^^ verschieden ist, metamer nannte. Diese
sehr zweckmässigen Bezeichnungen und bis heute im Gebrauch ge-
blieben.
Die Thatsache der Isomerie ist von allergrösster Bedeutung ftir
die theoretische Gestaltung der Chemie geworden, denn aus ihr ging
hervor, dass auf die Eigenschaften eines zusammengesetzten Stoffes nicht
nur die Natur und Zahl der zusammensetzenden Elementaratome von
entscheidendem Einfluss sind, sondern ausserdem etwas anderes, was
Berzelius zunächst hypothetisch darauf zurückftihrte, dass die Atome „auf
verschiedene Weise zusammengelegt^^ seien. Dieser Gesichtspunkt wurde
in der ganzen kommenden Entwickelung des Isomeriebegriffs festgehalten
und gelangte zunächst durch die Annahme verschiedener „Radikale^^ in
den Verbindungen zur Geltung. Allerdings geschah die Annahme der-
selben nicht zur Erklärung der Isomerieerscheinungen, sondern ganz
andere Thatsachen veranladsten diese Entwickelung der elektrochemischen
Lehre; wohl aber konnten manche IsomerieMe durch die Verschieden-
heit der Radikale erklärt werden.
236 ^* Systematik.
Durch die grossartige Arbeit von Liebig und Wöhler über das Ben-
zoyl (1832) war eine Anzahl von Stoffen bekannt geworden, welche alle
denselben Atomkomplex (C7H5O) enthielten und aus demselben Ausgangsstoff
entstanden waren. Dem unveränderlichen Anteil wurde eine besondere Rolle
innerhalb der Verbindungen zugeschrieben; man dachte sich seine Atome
durch stärkere Kräfte zusammengehalten, als die waren, welche die wechseln-
den Bestandteile fesselten. Das war die Radikal theorie; jene beständigeren
Gruppen spielten in den zusammengesetzteren Stoffen dieselbe Rolle, wie die
Elemente in den einfacheren, ja Liebig sprach wiederholt aus, die Radikale
seien die wahren Elemente der organischen Chemie. Durch die helden-
mütigen Forschungen Bunsens über das Kakodyl und Franklands vermeinte
Isolierung des Äthyls wurden so viel Momente zu Gunsten der Radikaltheorie
herbeigeschafft, dass sie allgemein als einzig richtige Form der Auffassung
und Darstellung der Natur chemischer Verbindungen angesehen werden durfte.
Die Unklarheit in der Radikal theorie darüber, welcher Art die engere
oder stärkere Bindung der Atome innerhalb des Radikals sei, und inwiefern
sich diese von der Art der Verbindung der Radikale unter sich oder mit
anderen Atomen unterscheidet, wurde nicht empfunden, weil zu jener Zeit
die Probleme der chemischen Verwandtschaft überhaupt nicht in Frage kamen.
Ja, späterhin nahmen einzelne Forscher nach dem Vorgange von Berzelius
sogar ausdrücklich eine besondere Art der Bindung, verschieden von der ge-
wöhnlichen, an, welche als „Paarung" von dieser unterschieden wurde.
Während die Radikaltheorie aus der elektrochemischen erwachsen
war, und die Grundvorstellungen derselben in unveränderter Weise auf
ihre neuen Einheiten anwandte, trat seit 1839, unterstützt durch immer
zahbeichere Thatsachen, eine Betrachtungsweise in den Vordergrund,
welche von Laurent begründet, von Dumas abwechselnd abgelehnt und
verteidigt, von Berzelius auf das schärfete angegriffen, doch schliesslich
sich als vollkommen berechtigt und von gTösster Fruchtbarkeit erwies.
Es ist dies die Idee der Substitution, die Vorstellung, dass einzelne
Atome einer Verbindung durch andere ersetzt werden können, so dass
der neu entstehende Stoff dem früheren analog verbleibt Zuerst wurden
derartige Beobachtungen bei der Einwirkung des Chlors auf Wasserstoff-
haltige organische Verbindungen gemacht; ein besonders prägnantes Bei-
spiel bildete die von Dumas entdeckte Trichloressigsäure, in welcher
drei Wasserstoffatome der Essigsäure durch ebensoviel Chloratome ersetzt
waren. Die enge Beziehung der neuen Säure zur Essigsäure wurde
besonders deutiich an ihrer Rtickwandlung in Essigsäure, welche Melsens
entdeckte.
Mit der elektrochemischen Theorie trat die neue Betrachtungsweise
auf zwei Hauptpunkten in Widerspruch. Berzelius konnte nicht zugeben
dass der „elektropositve" Wasserstoff durch das „elektronegative" Chlor so
ersetzt werden könne, dass die Ähnlichkeit der beiden Verbindungen gewahrt
blieb. Andererseits widersprach die Annahme einer Substitution, des Ein-
tritts eines Atoms an die Stelle eines anderen, dem elektrochemischen Grund-
Theorie der chemischen Verbindungen. 237
satz der binären Gliederung. Beide Widerspruche wurden von den Vertretern
der Substitutionstheorie energisch betont. Der erste führte zu dem Satz,
dass nur die „Stellung^' eines Atoms in der Verbindung, nicht seine Natur
auf die Eigenschaften der Verbindung von Einfluss sei. In dieser Form ist
der Satz sicher falsch und fand alsbald Widerspruch; auch konnte A.W. Hof-
mann an den Bromsubstitutionsprodukten des Anilins bald zeigen, dass zwar
je nach der Stellung die Eigenschaften der substituierenden Elemente häufig
in erheblich geschwächtem Masse sich geltend machten, verschwunden waVen
sie jedoch nicht
Während hier ein Kompromiss zwischen den alten und den neuen
Anschauungen hergestellt werden konnte, siegte die zweite Idee der uni-
tären Konstitution der chemischen Verbindungen vollständig über die der
binären Konstitution. Diese Reform traf zusammen mit der oben geschilder-
ten Entwicklung des Begriffs der Molekel und führte zur Aufstellung der
molekularen Schemata, der chemischen Typen, auf die alsbald näher ein-
gegangen werden soll.
Das Substitutionsgesetz wnrde inzwisdien mehr und mehr erweitert.
Man erkannte^ dass nicht nur Chlor, Brom oder Jod den Wasserstoff
organischer Verbindungen substituieren konnten, sondern auch zusammen-
gesetzte Komplexe. Hier stellten sich die Radikale der älteren Theorie
als die wahren Snbstituenten dar, wie dies namentlich von Hofinann
und Würtz an den substituierten Ammoniaken erkannt wurde. Gleich-
zeitig wurde die Unterscheidung zwischen Atom und Äquivalent vor-
bereitet, ein Atom Sauerstoff vertritt bei der Substitution nicht ein,
sondern zwei Atome Wasserstoff und hat daher diesem gegenüber den
doppelten Substitutionswert
Dumafi hatte bei der Erfassung der Substitutionsidee dieselbe seiner
Gewohnheit gemäss alsbald einseitig in ihre äussersten Konsequenzen
verfolgt, indem er nur die Anordnung der Atome, nicht ihre Natur als
bestimmend für die Eigenschaften der Verbindungen ansah. Für ihn
lag daher unmittelbar die Aufgabe vor, diese wesentlichen Formen zu
erkennen. Ein Versuch, den er in der Aufstellung seiner Theorie der
chemischen Typen machte, schlug indessen fehl.
Erst spätere Forschungen, wie die Williamsons über die Äther, Hof-
manns und Würtz' über die organischen Ammoniake befähigten Ger-
hardt und Laurent, dieselbe Idee in brauchbarer Gestalt zur Geltung zu
bringen. Nach ihnen leiten sich sämtliche Verbindungen von den Typen
Wasserstoff „>, Chlorwasserstoff p.>, Wasser tt>0 und Ammoniak H>N ab,
indem der Wasserstoff derselben durch andere Elemente oder Radikale
ersetzt wird. Zu diesem Schema fügte später Williamson das der ver-
doppelten oder verdreifachten „kondensierten" Typen und Kekul4 führte
die zusammengesetzten Typen ein, indem er zwei oder mehr verachiedene
238 ^' SjBtomatik.
Typen vereinigte. Bei diesen letzterer^ Versuchen, die Sdiemata mit
den Thatsachen in Einklang zu bringen, kam bereits ein später wichtig
gewordenes Moment zur Geltung. Damit in den kondensierten und
gemischten Typen die beiden Gruppen zusammengehalten wurden, musste
ein Atom oder Radikal vorhanden sein, welches zwei Wasserstoffatome
ersetzen konnte, und welches das Bindeglied abgab, indem es in jeder
Gruppe ein Wasserstoffatom vertrat. Hier trat der Begriff des mehr-
atomigen Radikais oder Elements als Bedingung für den Zusammen-
hang der Molekel zuerat auf.
Die Klassifizierung der chemischen Verbindungen nach Typen war von
grossem Nutzen für die Wissenschaft, denn sie gestattete eine bequeme Über-
sicht einer grossen Zahl von Stoffen und gab Anhaltspunkte zur Darstellung
neuer. Eine umfassende Theorie der chemischen Verbindungen war sie da-
gegen infolge ihre^ formalen Charakters nicht, Gerhardt, ihr eigentlicher
Begründer, war sich auch ganz klar darüber; er betonte immer wieder, dass
seine Formeln nur als Reaktions-, nicht als Konstitutionsformeln aufzufassen
seien. Auch erwies sich die Typenlehre bald als unzulänglich, dem Fort-
schritt der Wissenschaft zu folgen.
Das typische System war keineswegs allgemein angenommen, da sich die
wichtigsten Vertreter der Radikaltheorie, welche das Substitutionsgesetz an-
erkannten und mit seiner Hilfe die älteren Anschauungen erweiterten, von
demselben fern hielten. Insbesondere Frankland und Kolbe suchten zu einem
Verständnis der chemischen Verbindungen auf einem anderen Wege zu ge-
langen, welcher der Natur der Elemente und den Analogieen mit anorganischen
Verbindungen besser Rechnung trug. So war Kolbe im stände, die Existenz
von Isomerieen da vorauszusagen, wo im typischen System nur für einen
Stoff Platz war, bei den Alkoholen. Und nicht nur die Existenz, auch das
Verhalten dieser Stoffe wurde von Kolbe prognostiziert; wenige Jahre darauf
entdeckte Friedel den sekundären Propylalkohol und bestätigte Kolbes
Prognose.
So hatte wiederum ein Isomeriefall die Notwendigkeit tieferen Eingehens
in das Konstitutionsproblem erwiesen. Die leitende Idee dazu fand Frankland.
Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die organischen Metall-
verbindungen maclite Franklai^d 1852. die Bemerkung, dass ein Atom
Zink, Arsen, Antimon u. s. w. stets durch eine bestimmte Anzahl ein-
wertiger Elemente oder Radikale in seinem Verl^indungsbestreben be-
friedigt werde, welcher Art auch diese letzteren sein mögen. Dadurch
wurde der Grund zur Lehre von der . Sättigungskapazität oder Valenz
der Atome gelegt.
Die Anwendungen auf Kohlenstoffverbindungen machte Frankland
nicht. Dieser wichtige Schritt wurde fast gleichzeitig (1858) von Couper
und Kekule gethan, welche den Kohlenstoff als vierwertig erkannten
und zeigten, dass die Zusammensetzung zahlreicher KohlenstoffVer-
bindungen sich dadurch darstellen liess. Jedes . Kohlenstoffatom kann sich
Theorie der chemischen Verbindungen. 239
mit vier anderen dnwertigen Atomen oder Radikalen (d. h. solchen^ die
ein Atom WasserBtoflf substituieren) verdnigen^ nidit aber mit mehreren.
Die Durchfiihrung dieser Idee verdanken wir hauptsächlich Eekule.
In der Yalenzlehre; welche die gegenwärtig herrschende Vorstellung
ist; wird also angenonmien, dass jedem Atom eine bestimmte und be-
grenzte f^Uiigkeit, sidi mit anderen Atomen zu vereinigen , zukomme.
Man nennt diese Fähigkdt Valenz oder Werti^eit, und nennt solche
Atome ein-; zwei-^ drei-, vierwertig u. s. w., die sich je mit einem, zwei,
drei oder vier Wasserstoffatomen, oder äquivalenten Atomen resp. Radi-
kalen vereinigen können. Kohlenstoff ist vierwertig wegen der Ver-
bindung CH4, Sauerstoff zweiwertig wegen OHj. Im allgemeinen sind
nun die chemischen Verbindungen derart beschaffen, dass die Valenzen
der verschiedenen Atome dner Verbindung sich gerade ausgleichen.
In der Essigsäure, deren rationelle Formel HO-GO-CHj ist, bindet zu-
nächst das eine Eohlenstoffatom mit zwei Valenzen ein zweiwertiges
Sauerstoffatom. Die dritte Valenz ist mit einer Valenz eines zweiten
Sauerstoffatoms vereinigt, dessen zweite durdi ein Wasserstoffiatom ge-
sättigt ist Mit der vierten Valenz des Eohlenstoffatoms steht endlich
die eines zweiten Eohlenstoffatoms in Verbindung, dessen drei andere
Valenzen durch drei Wasserstoffatome gesättigt sind.
Diese Verhältnisse können nach dem Vorgang Goupers veranschau-
licht werden, wenn man den Atomzeidien soviel Striche anhängt, als Va-
lenzen tiiätig sind, und diese dann von Atom zu Atom vereinigt. Die
Essigsäure würde folgende graphische oder Strukturformel erhalten:
0 H
II I
H-O-C — C — H.
I
H
Eine derartige Formel ist in der That im stände, sehr mannigfaltige
Beziehungen zu veranschaulichen. Sie zeigt, dass ein Viertel des
vorhandenen Waaserstoffe oder ein Atom Wasserstoff sich anders verhält,
als die drei anderen, weil es mit Sauerstoff zu Hydroxyl verbunden
ist, während die übrigen mit Eohlenstoff vereinigt sind. Ferner verhalten
sidi die beiden Sauerstoffatome verschieden, indem das des Hydroxyls
leichter angegriffen und entfernt wird. Endlich haben auch die beiden
Kohlenstoffatome verschiedene Funktionen; das eine, mit zwei Sauerstoff-
atomen verbundene, wird leicht in Eojüensäure übergehen, das andere
wird sich dagegen als Methyl, CH3 abspalten. Alle diese Beziehungen,
die eben aus der Formel abgeleitet wurden^ sind thatsächliche; die
Strukturformeln erfMen also in hohem Grade den Anspruch, Reaktions-
und Konstitutionsformeln zu sein.
Was nun die Beurteilung der Bedeutung solcher Formeln anlangt, so
ist zweierlei zu trennen: einerseits die Lehre von der chemischen Va-
lenz, und andererseits ihre Darstellung durch sogenannte Strukturformeln.
240 ^I- Systematik.
Die erste hat einen materialen Inhalt, sie ist auf die Beohachtung begründet,
dass die Elementaratome in ihrem Verbindungsbestreben durch eine gleiche
Anzahl von Äquivalenten anderer Atome oder Radikale befriedigt werden
können, unabhängig von der Natur der letzteren. Die Darstellung durch
Strukturformeln, welche diese Thatsache gefunden hat, ist zunächst eine rein
formale, sie dient nur als Gedächtnis- und Anschauung^hilfsmittel , um zu
zeigen, ob die Postulate der Yalenzlehre erfüllt sind.
Als Einheit der Valenz nimmt man die des Wasserstoffes an^ weil
nach der bisherigen Erfahrung ein einzelnes Atom irgend eines Elements
sich nur mit einer bestimmten Anzahl Wasserstoffatome vereinigen kann
und das Gesetz der ^ multiplen Proportionen auf die Wasserstoffver-
bindnngen^ weiche nur je ein Atom anderer Elemente enthalten, keine
Anwendung findet. Leider bilden nur wenige Elemente Wasserstoffver-
bindungeu^ so dass die Feststellung der Valenzwerte mit deren Hilfe
eine beschi*änkte ist. Mit Hilfe anderer durch Vermittelung des Waaser-
stoffi) als einwertig erkannter Elemente (oder Radikale) ist man zu einer
Erkenntnis der Valenz solcher Elemente gelangt^ welche keine Wasserstoff-
verbmdungen bilden. Doch haben sich dabei erhebliche Schwierigkeiten
gezeigt; welche gegenwärtig noch nicht vollständig überwunden sind.
Die bemerkenswerteste Beziehung der Valenzwerte, soweit solche
bekannt sind, hat sich zum periodischen System der Elemente ergeben,
indem jene sich gleichfalls als periodische Funktion der Elementaratome
darstellen lassen. Die Valenz ist in der Tabelle S. 45 in jeder Ver-
tikalreihe konstant nnd nimmt von Reihe zu Reihe um je eine Ein-
heit zu. Von der flinften Reihe ab nimmt sie eben so regelmässig ab,
wenn man die Wasserstoffverbindungen als entscheidend ansieht; die
Chlor- und Sauerstoffverbindungen zeigen dagegen eine fortlaufende
Steigerung der Valenz. Daneben macht sich allerdings die früher er-
wähnte Zugehörigkeit einzelner Elemente zu verschiedenen Reihen geltend.
Mendelejew hat, wie erwähnt, zuerst diese Beziehungen hervorgehoben.
Der vollständigen Durchführung der Valenztheorie haben sich, trotz der
grossen Übereinstimmung zahlreicher Thatsachen, namentlich in der organischen
Chemie, doch einige namhafte Schwierigkeiten in den Weg gestellt. Vor
allen Dingen ist der an die Spitze gestellte Satz, dass das Verbindungsbe-
streben der Elementaratome stets durch die gleiche Zahl von Äquivalenten
befriedigt wird, nicht allgemein. Es giebt zahlreiche Verbindimgen, welche
auf gleiche Mengen eines Elementes eine verschiedene Zahl von Äquivalen-
ten anderer Elemente aufweisen, wie z. B. Kohlenoxyd CO und Kohlen-
säure COa; Stickstoffoxydul N^O, Stickstoffoxyd NO, Salpetrigsäureanhydrid
NjOj und Stickstoffhyperoxyd NOj. Es ist hervorzuheben, dass dies Körper
sind, deren Gasdichte man kennt, und über deren Molekulargrösse daher kein
Zweifel besteht.
Mit dieser Thatsache hat man sich auf zweierlei Weise abzufinden
gesucht. Man nahm trotz derselben die Lehre von der konstanten Valenz
als richtig an und nannte die Verbindungen eines Elementes, in welchen
Theorie der chemischen Verbindungen. 241
die aus der Mehrzahl der überhaupt bekannten Verbindungen gefolgerte
Anzahl von Valenzen nicht befriedigt erschien, ungesättigte, unter der
Voraussetzung, dass es eben unter umständen Verbindungen geben kann,
in welchen einzelne Valenzen unthätig bleiben. Die Ursache, warum das
in einzelnen Fällen geschieht, und warum die Atome nicht die prinzipiell
stets mögliche Anordnung, dass alle Valenzen befriedigt sind, einnehmen,
blieb dabei unerledigt.
Andere Forscher nahmen wiederum an, dass die Valenz der Atome
wechseln könne, dass z. B. im Stickstoffoxyd NO der Stickstoff ebenso wie
der Sauerstoff zweiwertig sei. Auch diese Art und Weise, die thatsächlichen
Verhältnisse auszudrücken, ist ebensowenig eine Erklärung derselben, wie
die Anhahme von ungesättigten Valenzen. Trotzdem hat der Streit zwischen den
Anhängern der konstanten und der wechselnden Valenz erbittert genug gewogt.
Es ist indessen noch eine Möglichkeit vorhanden, die thatsächliche Ver-
schiedenheit der Valenzwirkungen im Sinne der Atomhypothese zu erklären.
Wenn wir die Valenz als Folge einer Eigenschaft der Atome auffassen, deren
Wirkung durch die Verschiedenheit der Zustände des Atoms, insbesondere
der Bewegungszustände, modifiziert werden kann, so ist es denkbar, dass, ob-
wohl die Ursache der Valenz unveränderlich ist, die Wirkungen dieser Ur-
sache, eben die Valenz selbst, von Fall zu Fall verschieden erscheint.
Eine Hypothese der erwähnten Art ist in der That von van't Hoff
(1878) aufgestellt worden. Indem er annahm, dass die chemische Anziehung
zwischen den Atomen eine Folge der Gravitation sei, zeigte er, dass, wenn
ein Atom eine von der Kugelgestalt abweichende Form besitzt, die Intensität
der Anziehung auf seiner Oberfläche eine bestimmte Anzahl Maxima besitzen
müsse, welche von der Form abhängt. Die Maxima können von verschiedenem
Werte sein. Ist die Wärmebewegung des Atoms eine lebhafte, so werden
nur die grössten Maxima ihre Atome festhalten können, und die Valenz
zeigt sich entsprechend der Erfahrung bei höherer Temperatur kleiner, als
bei niederer.
Das Bedürfiiis, für eine grosse Anzahl meist nur in fester^ selten
flüssiger Form bekannter Verbindungen, deren Konstitution aus den
gewöhnlichen Annahmen über die Valenz der Elementaratome niclit zu
erklären ist, eine Erklärung zu finden, hat die Vertreter der Lehre von
der konstanten Valenz auf den Ausweg geftlhrt, soldie Verbindungen
als verschieden von denen anzusehen, welche der erwähnten Form der
VaJenzlehre entsprechen. Man unterschied solche Verbindungen als
Molekularverbindungen von den anderen, als Atomverbindungen.
Erstere, zu denen Salze mit KrystaJlwasser, Doppelsalze, von einigen
aber auch Chlorammonium und alle anderen Ammoniaksalze gerechnet
werden, sollen den Zusammenhang ihrer Atome nicht den zwischen
Atom und Atom wirkenden Kräften, welche die Valenz bedingen, ver-
danken, sondern die Molekeln, aus welchen diese Verbindungen ent-
stehen, sollen als Ganzes wechselseitige Kräfte aufeinander ausüben, durch
welche der fragliche Zusammenhang bewirkt wird.
Oitwaldy Grondriss. 8. Aufl. 16
242 VI. Systematik.
Man hat die Molekularverbindungen erst der Lehre von der kon-
stanten Valenz zuliebe von den Atomverbindungen unterschieden. Schon
dies kann gegen sie misstrauisch machen. Dazu kommt aber, dass
trotz aller Mühe ein anderer Unterschied zwischen beiden Klassen nicht
hat gefunden werden können, als dass die eine bestimmten Annahmen
über konstante Valenz entspricht, die andere dagegen nicht. Im übrigen
gehen die Eigenschaften der einen vollkommen stetig in die der anderen
über, indem man überall einen stufenweisen Abstieg geringster Zersetzlich-
keit zu grösster an entsprechenden Verbindungen nachweisen kann.
Die vorstehenden Betrachtungen zeigen, wie entfernt die Valenz-
lehre davon ist, den Namen einer vollständigen Theorie der chemischen
Verbindungen zu verdienen. Ihr hängt von ihi*er Mutter, der Typen-
theorie, das bloss formale Element noch in so hohem Masse an, dass
der Versuch, die thatsächlichen Verhältnisse der gegenseitigen Umwandlungen
quantitativ gemäss der grösseren oder geringeren Beständigkeit der Produkte
darzustellen, nur eben erst unternommen worden ist. Man lässt sich
meist daran genügen, dass durch die Strukturformeln Schemata gegeben
sind, weldie die vorhandenen Isomerieen und möglichen Reaktionen darstellen.
Es soll damit nicht ein ungünstiges Urteil über die Bedeutung der
Strukturformeln ausgesprochen sein. Diese stehen zu den durch sie
repräsentierten Stoffen ungefähr in der Beziehung, wie die Formeln der
analytischen Geometrie zu den repräsentierten räumlichen Gebilden, nur
erreichen sie letztere freilich nicht entfernt in Bezug auf die Sicherheit
und Vollständigkeit der Darstellung, wie dies ja dem Unterschiede der
beiden Wissensgebiete entspricht. Sie gestatten daher dem Kundigen
eine grosse Zahl von Schlüssen, und gewähren die Möglichkeit, eine
grosse Summe von Thatsachen in einen kurzen Ausdruck zu Bässen.
Die in der vorbeschriebenen Weise entwickelten Strukturformeln
haben sich doch nicht dauernd als ausreichend gezeigt, alle neuentdeckten
Isomerieverhältnisse darzustellen, und sind daher in einem Sinne erweitert
worden, der als eine sachgemässe Weiterentwickelung des Prinzips be-
zeichnet werden muss. Nachdem schon frtlher Wislicenus darauf hinge-
wiesen hatte, dass gewisse Isomerieerscheinungen bei den Milchsäuren nicht
mehr ausreichend durch die in der Ebene des Papiers geschriebenen
Strukturformeln dargestellt werden können, hat van't Hoff (1877) den
ersten Versuch durchgeführt, eine Ausgestaltung der Strukturtlieorie auf
den Raum zu bewerkstelligen. Er nahm insbesondere an, dass die vier
Valenzen des Kohlenstoffs in den vier Ecken eines regulären TetraSders
angeordnet seien, und entwickelte die daraus entspringenden Konsequenzen.
Eine der wichtigsten davon haben wir bereits kennen gelernt (S. 143):
es ist die, dass ein mit vier verschiedenen Radikalen verbundenes
Kohlenstoffatom asymmetrisch sein muss, d. h. dass es in zwei ver-
schiedenen Formen auftreten kann, die nicht überdeckbar, sondern spiegel-
bildlich symmetiisch sind. Die gute Übereinstimmung dieses Schlusses
mit den thatsächlidien Verhältnissen ist bereits dargelegt worden.
Theorie der chemischen Verbindungen. 243
Ein zweiter Schlnss, der insbesondere von WisUcenus in mannig-
faltigster Weise zu der Erklärung und auch Auffindung neuer Isomerie-
yerhaltnisse benutzt worden ist; bestand in der Erkenntnis^ dass ein
doppelt gebundenes Paar von Kohlenstoffatomen^ das mit irgend welchen
anderen Gruppen verbunden ist, vermöge der räumlichen Anordnung
je zwei Isomere von gleicher Struktur geben muss. Der Gedanke wird
am einfachsten aus der beistehenden Figur klar, welche die Isomerie von
Maleinsäure (Fig. 32) und Fumarsäure (Fig. 33) darstellt.
Auch dieser Gedanke hat sich als ungemein fruchtbar erwiesen,
indem er nicht nur den Chemikern, die bis dahin diesen mit der
Strukturtheorie nicht vereinbar gewesenen Isomerietällen mit einer ge-
wissen Scheu aus dem Wege gegangen waren, den Mut gab, sie ge-
nauer zu erforschen, sondern auch sich als ein zweckmässiger Führer
in verwickelteren Verhältnissen erwies. Für die weitere Ausgestaltung
der Grundgedanken sind insbesondere die Forschungen E. Fischers über
die Zuckerarten zu nennen, wo die sehr verwickelten und mannigßiltigen
com ffwr TfCiHm
Fig. 32. Fig. 33.
Verhältnisse durch die Theorie eine zur Zeit noch vollkommen aus-
reichende Darstellung gefunden haben.
Auch in der Chemie der Stickstoffv^erbindungen haben sich solche
räumliche Betrachtungen als ein gutes systematisches Hilfsmittel erwiesen,
wie dies namentlich durch Hantzsch gezeigt worden ist.
Es lässt sich vermuten, dass es mit der auf den Raum ausgedehnten
Strukturchemie oder der Stereo chemie ebenso gehen wird, wie es seiner-
zeit mit der ebenen Strukturchemie gegangen war. Wenn eine solche glückliche
Veranschaulichung gefunden worden ist, so treten der Forschung zunächst
eine Menge Thatsachen entgegen, die sich mit ihr in bester Übereinstimmung
befinden. Dies ist wegen der von allen besonderen Theorieen unabhängigen
Analogieerscheinungen in dem Verhalten der Stoffe notwendig. Auch erweist
sich ein gutes Bild darin erfolgreich, dass es noch nicht bekannte Erscheinungen
voraussehen lässt. Es verhält sich ungefähr so, wie eine empirische Formel,
welche irgend eine Naturerscheinung darstellt, sich bei der Extrapolation ver-
hält. Solange diese nicht bedeutend ist, findet Übereinstimmung zwischen
der Voraussicht und den nachträglich beobachteten Thatsachen statt. Wird
aber die Extrapolation bedeutender, oder sind die nächsten Analogieen er-
16*
244 ^I- Systematik.
schöpft, so werden die Unterschiede grösser, und schliesslich erweist sich die
Formel nicht mehr als anwendbar, und muss durch eine mit mehr Konstanten
ersetzt werden, welche nicht nur die früheren Thatsachen darstellt, sondern
auch die inzwischen aufgefundenen neuen.
Bisher hat sich die Möglichkeit der Erweiterung immer noch innerhalb
der Hypothese beschaffen lassen, doch es ist nicht wahrscheinlich, dass dies
immer so sein wird. Sind doch schon aus dem Lager der „Organiker" in
letzter Zeit Stimmen laut geworden, die auf die bevorstehende Erschöpfung
der Hilfsmittel der Strukturchemie hinweisen.
Eine andere notwendige Entwiekelung der Strukturchemie hat sich
ohne wesentliche Änderung durch die angemessene Verwendung der auf
anderen Gebieten gewonnenen Erkenntnisse bewerkstelligen lassen. Von van
Laar (1885) ist auf eine Anzahl von Fällen hingewiesen worden, wo Stoffe sich
so verhielten, als wären sie nach verschiedenen Strukturformeln konstituiert
Er nannte solche Stoffe tautomer, und in neuerer Zeit ist eine grosse
Anzahl zugehöriger Erscheinungen beschrieben worden. Dabei hat sich
herausgestellt, dass es sich um Stoffe handelt, welche sich sehr leicht
und schnell in Isomere von anderer Konstitution umlagern. Im festen
Zustande kann von diesen Formen immer nur eine vorhanden sein (ausser
wenn die beiden Formen Mischkrystalle bilden, was zwar nicht beobachtet,
aber auch nicht ausgeschlossen ist); im flüssigen Zustande werden aber,
wie dies die Theorie der chemischen Gleichgewichte verlangt, immer Ge-
mische der mehreren möglichen Formen vorliegen. Da nun die Stoffe,
wenn sie reagieren, immer flüssig (gelöst oder geschmolzen) sind, so sind
auch die verschiedenen Formen vorhanden, und der Stoff reagiert je nach
den Umständen mit der einen oder der anderen Form, die sich in dem
Masse nachbilden kann, als sie durch die Reaktion verbraucht wird.
Aus diesen einfachen Gesichtspunkten lassen sich die vorkommenden Ver-
hältnisse verstehen, doch können sie im Einzelnen hier nicht erörtert
werden, da sie die Kenntnis der chemischen Dynamik voraussetzen.
Zweiter Teil. Verwandtschaftslehre.
Binleitong. Allgemeine Energetik.
Wenn wir nach den allgemeinsten Kennzeichen der natürlichen
Vorgänge fragen, so ergiebt sich, dass alle mit zeitlichen und räumlichen
Änderungen der Energie verbunden sind. Ohne eine solche Änderung
verläuft kein Vorgang; wenn keine Änderung des Energiezustandes statt-
findet, so sind wir nicht im stände, überhaupt eine Änderung des vor-
handenen Zustandes zu behaupten.
Man wird also alle physikalisch-chemischen Vorgänge dadurch defi-
nieren können, dass man die dabei stattfindenden Energieänderungen
ihrer Art und ihrem Betrage nach angiebt Und zwar wird eine solche
Angabe nicht nur immer möglich, sondern sie wird auch erschöpfend
sein. Denn alle Kennzeichen, die wir für "Öie verschiedenen Dinge der
Aussenwelt besitzen, lassen sich gleichfalls auf deren Energieverhältnisse
zurückführen, da solche Kennzeichen notwendig in Vorgängen bestehen,
welche diese Dinge unmittelbar oder mittelbar in unseren Sinneswerk-
zeugen hervorrufen und letztere ausschliesslich auf Zu- oder Abfahr von
Energie reagieren. Somit sind die Energieverhältnisse thatsächlich das
Einzige, was wir von der Aussenwelt wissen, und diese lässt sich voll-
ständig als ein Gebilde beschreiben, in welchem verschiedene Energieen
auf bestimmte Art im Baume und in der Zeit geordnet sind.
Unter den gleichen Gesichtspunkt faUen notwendig auch die Er-
scheinungen, mit denen sich die Chemie speziell beschäftigt. Es kann
kein chemischer Vorgang stattfinden, ohne dass dabei Energiezustände
geändert werden, und ein chemischer Vorgang ist definiert, wenn die
beteUigten Energieen nach Mass und Art angegeben sind.
Die Energieverhältnisse sind aber nicht nur die Kennzeichen der
Zustände und ihrer Änderungen, sondern sie enthalten auch die Be-
dingungen ftir die Möglichkeit und die Art der Vorgänge, welche statt-
finden können, wenn bestimmte Zustände gegeben sind. Es lassen sich
mit anderen Worten die in der Physik und der Chemie bekannten aU-
gemeinen und besonderen Gesetze alle auf eine Form bringen, welche
die durch diese Gesetze geregelten Vorgänge als Umwandlungen oder
allgemeiner Beziehungen der vorhandenen Energieen erscheinen lässt. Die
Gesamtheit dieser Wissenschaften lässt sich daher als Energielehre oder
246 Verwandtschaftelehre.
Energetik bezeichnen^ und die Redaktion auf diese Fonn ist die ali-
gemeinste und exakteste Gestalt^ die man zur Zeit unseren Kenntnissen
geben kann.
Diese bevorzugte Stellung verdankt die Energie dem Umstände,
dass sie derjenige Begriff ist; der vermöge des allgemeinen Umwandlungs-
gesetzes einerseits in allen Einzelgebieten Anwendung findet, andererseits
zwischen allen Gebieten einen Zusammenhang herstellt.
Man hat oft der Energie die Materie voran, oder wenigstens zur
Seite gestellt, und beide als die Grundbestandteile der physischen Dinge be-
zeichnet. Indessen ist der Begriff der Materie zu unbestimmt, als dass man
ihm eine solche Stellung einräumen könnte. Die Materie ist besten-
falls nur durch die Arten der Energie bestimmbar, die zusammen in einem
begrenzten Räume vorkommen. Einen Stein nennen wir materiell, weil er
einerseits Gewicht und Masse, d. h. Gravitationsenergie und die Aufnahme-
fähigkeit für kinetische Energie besitzt; seine weiteren Eigenschaften, wie
Temperatur, Farbe, chemische Zusammensetzung beschreiben seine Verhältnisse
bezüglich der Wärme, der strahlenden, der chemischen Energie. Das Gesetz von
der Erhaltung der Materie, das dem von der Erhaltung der Energie an die
Seite gesetzt zu werden pflegt, bezieht sich nicht auf alle diese Eigenschaften,
sondern wesentlich auf seine Masse, und daneben noch auf das von der Er-
haltung der chemischen Art (S. 7) und wird sich als ein besonderer Fall
eines allgemeineren Energiegesetzes ausweisen. Als besonders bleibt nur der
Umstand übrig, dass alle die genannten Energieen in dem gleichen Räume
nebeneinander bestehen und gleichzeitig miteinander fortbewegt werden
können. Diese Thatsache des Zusammenbleibens der Energieen ist die einzige,
welche als eine Eigentümlichkeit eines Dinges, das wir Materie nennen, in
Anspruch genommen werden könnte; es kann nicht behauptet werden, dass
darin etwas von dem Energiebegriff Unabhängiges enthalten ist.
Es ist oft: gefragt worden ^ was denn die Energie sei. Eine
vollständige Definition giebt natürlich nur die Beschreibung ihres Ver-
haltens^ welche der Inhalt der exakten Naturwissenschaften ist Unter
Bezugnahme auf die oben gegebenen Darlegungen kann man aber kurz
sagen: die Energie ist das Unterschiedliche in Raum und Zeit
Die Bedeutung des Energiebegriffes für die Zusammenfassung der
Erfahrungsthatsachen liegt, abgesehen von seiner allgemeinen Anwendbar-
keit in sämtlichen Gebieten physischer Erscheinungen^ darin, dass fiir die
Energie selbst sich eine Anzahl allgemeiner Gesetze aufteilen lafisen, die
auf jedes einzelne Gebiet in gleicher Weise Anwendung finden und da-
her bekannte Verhältnisse übersichtlich zusammenfassen, unbekannte er-
schliessen lassen. Der Betrachtung der Beziehungen zwischen chemischer
Energie und den anderen Formen wird also eine allgemeine Erörterung
über die Gesetze der Energie im allgemeinen, oder die Energetik vor-
auszugelien haben.
Die gegenwärtig bekannten Energiearten zerfallen in mechanische
und nichtmechanische. Es sind folgende:
Einleitung. Allgemeine Energetik. 247
A. Mechanische Energiearten.
1. Volumenergie.
2. Flächenenergie.
3. Distanzenergie.
4. Bewegungsenergie.
B. Nichtmechanische Energiearten.
5. Wärme.
6. Elektrische und magnetische Energie.
7. Strahlende Energie.
8. Chemische Energie.
Die Frage, oh die genannten Energiearten die einzig möglichen sind,
ist bisher noch nichts erörtert worden. Durch eine Zusammenstellung aller
denkbaren Mannigfaltigkeiten, die bei einer Grösse von dem allgemeinen
Charakter der Energie möglich sind, kann man sich eine Vorstellung von den
Eigenschaften anderer Energieformen schaffen, die zwar denkbar, aber noch
nicht bekannt sind. Nach den Ergebnissen einer vorläufigen Untersuchung,
die ich über diese Frage angestellt habe, sollte es noch ziemlich viele unbe-
kannte Energiearten geben.
Die Volumenergie ist bereits bei der Erörterung der Gasgesetze
(S. 53) erwähnt worden, welche ein Ausdruck für das Verhalten dieser
Energieform in dem wichtigsten Falle sind, der uns vorkommt. Es hatte
sich ergeben, dass der Betrag dieser Energie durch das Produkt zweier
Grössen gemessen wird, des Druckes und des Volums. Eine solche Zu-
sammensetzung des Energiewertes aus zwei Faktoren ist eine allgemeine
Erscheinung; alle Energiearten lassen sich in zwei Faktoren zerlegen,
deren Produkt den Zahlenwert der Energie selbst ergiebt.
Von diesen Faktoren hat jeder besondere Eigenschaften. Der eine ist
em Ausdruck fiir das Bestehen oder die Abwesenheit eines dauernden
Zustandes oder Gleichgewichts zwischen zwei benachbarten Räumen, in
denen diese Energieart vorhanden ist Diese Rolle spielt im vorüegen-
den Falle der Druck: zwei Gase, deren Druck gleich ist, beeinflussen
sich gegenseitig nicht in Bezug auf ihr Volum, d. h. sie sind bezügUch
der Volumenergie im Gleichgewicht. Die Gleichheit des Druckes stellen
wu" fest, indem wir einen Apparat, an welchem wir das Vorhandensein
und die Verschiedenheit von Drucken durdi irgend ein Kennzeichen
wahrnehmen können, ein Manometer, mit beiden Gasen einzeln in Be-
ziehung setzen. Zeigt das Manometer mit beiden einzeln gleiche Ein-
stellung, so finden wir, dass auch bei der unmittelbaren Berührung der
beiden Gase die Drucke sich als gleich erweisen. Folghch smd zwei
Drucke, die einzeln einem dritten gleich sind, auch untereinander gleich;
ein Satz, der in entsprechender Anwendung für alle Grössen dieser Art
gilt, und dem trotz seiner anscheinenden „Selbstverständlichkeit" eine er-
hebüche Bedeutung zukommt.
Grössen solcher Art, die das Gleichgewicht einer bestimmten Energie-
248 Verwandtschaftslehre.
art definieren^ sollen Intensitätsgrössen genannt werden (Helm 1887);
jede Energieart hat ihre Intensitätsgröflse^ und die Kenntnis dieser ist
für die Beurteilung ihres Verhaltens unter gegebenen Bedingungen ent-
scheidend.
Einige Worte verdienen die Instrumente zur Messung der Intensitäts-
grössen; hierbei wird das, was in Bezug auf die Druckmesser oder Mano-
meter gesagt wird, in entsprechender Weise auf alle Intensitfttsmesser anwend-
bar sein. Ein Manometer ist ein Apparat, welcher Yolumenergie aufzunehmen
vermag und den aufgenommenen Betrag auf irgend eine Weise sichtbar
macht. So bestehen die gewöhnlich an Dampfkesseln angebrachten Mano-
meter aus Büchsen von elastischem Metall, die durch den Druck, der auf
ihr Inneres wirkt, erweitert werden bis der elastische Gegendruck dem zuge-
führten Druck das Gleichgewicht hält. Diese Yolumänderung wird durch ein
Hebelwerk, das die kleinen Bewegungen der Büchsenwand mechanisch ver-
grössert, leicht ablesbar gemacht Das Manometer kann nur wirken, wenn
sein Volum durch den Druck thatsächlich verändert wird; eine starre Büchse
wäre unbrauchbar. Doch ist der Betrag dieser Volumänderung willkürlich
und kann um so kleiner gemacht werden, je grösser die Übersetzung des
Zeigerwerkes ist; diese kann um so erheblicher sein, je leichter und beweg-
licher es gebaut ist. Allgemein wird also ein derartiges Messinstrument dem
Gebilde immer einen gewissen Betrag der Energie entziehen müssen, deren
Intensität gemessen werden soll; doch kann dieser Betrag um so kleiner ge-
macht werden, je weniger Energie das „Zeigerwerk" (im allgemeinsten Sinne)
verbraucht, um bethätigt zu werden. Niemals aber kann dieser Betrag gleich
Null gemacht werden.
In diesen Darlegungen ist eine allgemeine Theorie der Messinstrumente
für Intensitätsgrössen angedeutet, deren Entwickelung hier aber nicht durch-
geführt werden kann.
Der andere Faktor der Volumenergie ist das Volum oder der
Baum. Ihm kommt ersichtlicher Weise die Eigenschaft, das Gleichge-
wicht zu bestimmen, nicht zu, denn es können beliebige Gasvolume mit-
einander im Gleichgewicht sein. Dagegen ist die Umwandlung der
Volumenergie in andere Formen von dieser Grösse abhängig: eine solche
Umwandlung kann nicht ohne Änderungen des Volums erfolgen. Wir
nennen Grössen dieser Art Eapazitätsgrössen.
Eine wichtige Eigenschaft der Eapazitätsgrössen ist das Erhaltungs-
gesetz, das sie alle (mit einer Ausnahme) befolgen. Im Falle des
Volums erscheint es wegen unserer Vertrautheit mit diesen Thatsachen
so selbstverständlich, dass man sich auf sein Vorhandensein erst besinnen
muss, und sich ein gegenteiliges Verhalten der Erscheinungen nicht vor-
stellen kann. Doch giebt es andere Eapazitätsgrössen, die uns weniger
geläufig sind, und bei denen die Entdeckung des entsprechenden speziellen
Gesetzes ein wichtiger Fortschritt war.
Das Gesetz besagt, dass in einem gegebenen Gebilde bei allen
möglichen Änderungen die Summe der Eapazitätsgrössen
Einleitung. Allgemeine Energetik. 249
konstant bleibt In seiner Anwendung auf die Yolnmenergie heisst
dies, dass das Gesamtvolum sidi nicht ändern kann, oder dass, wenn
irgend ein Körper sein Volum yermehrt, daför ein anderer (oder mehrere)
sein Volum um gleich viel vermindern muss. Dass es sich hier nicht
um etwas ^Selbstverständliches^ handelt, sieht man, wenn man etwa
versudit, einen gleichen Satz ftkr den Druck auszusprechen, und sidi
überzeugt, dass er unzutreffend ist. Vielmehr ist diese Eigenschaft ein
widitiges Stück für die Beschreibung des Raumbegriffes.
Die beiden nächsten Formen der mechanischen Energie, die Ober-
flächen- und die Distanzenergie, geben zu ganz ähnlichen Betrachtungen
Anlass. Bei der ersteren ist die Intensitätsgrösse die Spannung, die
Eapazitätsgrösse die Fläche; bei der anderen sind es Strecke und Kraft.
Da sie för die Umwandlung in chemische Energie so gut wie gar nicht
in Frage kommen, muss hier von der eingehenderen Erörterung ihrer
Eigenschaften abgesehen werden.
Die vierte mechanische Energieform hat eine mehrfache Wichtig-
keit Ihre Faktoren sind Masse und Geschwindigkeitsquadrat, entsprechend
der Formel ^/^mv' (S. 5). Die Masse haben wir als Kapazitätsgrösse
anzusehen; die Geschwindigkeit ist die Intensität Denn zwei Massen
sind nur dann gegen die wechselseitiggB Änderung ihrer Bewegungsenergie
geschätzt, wenn sie (an Wert und Richtung) gleiche Geschwindigkeiten
haben, da sie nur dann in unveränderlicher gegenseitiger Entfernung bleiben.
Für die Masse haben wir das Erhaltungsgesetz der Kapazitäts-
grössen auszusprechen, und finden das widitige Gesetz von der Er-
haltung der Masse, das uns bereits am Anfange unserer Betrachtungen
entgegentrat, hier als einen besonderen Fall des allgemeineren Ge-
setzes wieder.
Ausser dieser Zerlegung der Bewegungsenergie in zwei Faktoren kann
man noch eine andere in Vi^ ^^d mv vornehmen. Hier tritt mv als Kapa-
zitätsgrösse auf, und auch für diesen Ausdruck, der in der Mechanik als Be-
wegangsgrösse bekannt ist, gilt das Erhaltungsgesetz. Es nimmt je nach
Umständen verschiedene Formen an; am bekanntesten ist es als das Gesetz
Ton der Erhaltung des Schwerpunktes. Doch ist wegen mangelnder chemischer
Beziehungen hierauf nicht näher einzugehen.
Indem wegen der Beschreibung der Eigenschaften der anderen
Energieformen auf die späteren Teile dieses Buches verwiesen wird,
seien hier noch einige Worte über die chemische Energie voraus-
geschickt Bei der Umwandlung irgend welcher Stoffe in andere finden
allgemein Änderungen der Gesamtenergie statt, welche wir einem ver-
änderten Gehalt des Gebildes an chemischer Energie zuschreiben, soweit
nicht andere Energiearten dabei aus- oder eingetreten sind. Auch iiir
diese Energieform ist die Intensitäts- und Kapazitätsgrösse aufzusuchen.
Als Kapazitätsgrösse kennzeichnet sich die Stoffmenge, welcher
die chemische Energie proportional ist, und deren Betrag keinen Ein-
fluss auf ein gegebenes chemisches Gleichgewicht hat Man muss diesen
250 Verwandtschaftslehre.
Begriff durchaus nicht mit der Masse oder dem Gewicht verwechseln;
er ist beiden Grössen proportional^ aber mit keiner von ihnen identisch.
Dies ergiebt sidi schon daraus, dass zwei Körper an Masse und Gewicht
gleich sein können, und dabei in Bezug auf chemische Energie weit
verschieden. Das Erhaltungsgesetz för diese chemische Eapazitätsgrösse
ist daher auch nicht auf die Erhaltung der Masse und des Gemchtes
bei beliebigen chemischen Umwandlungen beschränkt, sondern das früher
ausgesprochene Gesetz von der Erhaltung der Art bei chemischen
Vorgängen (S. 5) tritt nodi als weitere Spezialisierung dazu.
Gegenüber den anderen chemischen Kapazitätsgrössen zeigt die chemische
einen wesentlichen Unterschied, der auch ein entsprechendes Verhalten der
chemischen Intensitätsgrösse bedingt. Zwei Massen oder Volume sind nur
durch ihren Zahlenwert verschieden und können nur positiv sein. Zwei Stoff-
mengen sind ausser durch ihren Zahlenwert im allgemeinen noch durch ihre
Art verschieden. Eine Folge davon ist, dass man Massen oder Volume unbe-
schränkt addieren oder zusammensetzen kann, während man chemische
Mengen nur dann addieren kann, wenn sie gleicher Art sind. Ausserdem
bestehen zwischen den chemischen Kapazitätsgrössen noch die Beziehungen,
die durch die chemischen Gleichungen auf Grundlage der stöchiometrischen
Gesetze ausgedrückt werden können. Diese viel grössere Mannigfaltigkeit
der chemischen Energie bedingt eine entsprechende Verwickelung der
chemischen Energetik und ist eine Erklärung für die Verspätung, die ihre
wissenschaftliche Gestaltung erfahren hat.
Hierdurch fällt auch ein neues Licht auf die Frage nach einer etwaigen
gegenseitigen Umwandlung der Elemente. Man kann nicht sagen, dass sie
absolut unmöglich sei, aber man kann sagen, dass sie eben so wahrscheinlich,
bez. unwahrscheinlich ist, wie eine Verletzung des Gesetzes von der Er-
haltung der Masse.
Der Intensitätsfaktor der chemischen Ener^e ist das chemische
Potential in Analogie mit dem mechanischen und dem elektrischen
Potential genannt worden. Der Begrüf fällt nahezu zusammen mit dem,
was man unbestimmter die chemische Verwandtschaft genannt hat Es
wird sich später Gelegenheit finden, ihn schärfer zu bestimmen. Für
jetzt sei nur erwähnt, dass die Gleichheit des chemischen Potentials der
vorhandenen Stoffe iiir das chemische Gleichgewicht ebenso wesentiidi
ist, wie etwa Gleichheit des Druckes für das Gleichgewicht der Volumenergie.
Die Lehre von der chemischen Verwandtschaft ist nun die Lehre
von der Umwandlung der chemischen Energie in die anderen Formen,
und es wird demgemäss soviele Teile dieser Lehre geben, als es andere
Energieformen giebt. Bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens
ist allerdings dieses Programm nicht ganz auszufüllen, und die Kenntnis
der verschiedenen Umwandlungsbeziehungen ist sehr verschieden entwickelt.
Von diesen sind Thermochemie und Elektrochemie langst
anerkannte Gebiete; auch die Beziehung zwischen strahlender Energie
in der Form des Lichtes und chemischer Energie sind als Photo-
Vn. Thermochemie. — Allgemeines. 251
Chemie ein besonderes Kapitel der Wissenschaft. Bezüglich der vier
Energieformen^ die in ihrer Beziehung zur chemischen Energie eine
Mechanochemie geben sollten^ ist eine derartige Zusammenfassung zwar .
thatsächlich vorhanden, aber dodi in diesem Sinne kaum ausgesprochen
worden. Beachtet man aber, dass bei allen chemischen Vorgängen
Änderungen der Konzentration der beteiligten Stoffe vorkommen und
sich als wesentlich für den Verlauf der Erscheinungen erweisen, so wird
man als die zugehörige Energieform die Volumenergie erkennen, die
(teilweise in der Form osmotischer Volumenergie, S. 211) sich mit der
chemischen umsetzt und die Ercheinungen bedingt. Was man also in
übertragener Bedeutung chemische Mechanik genannt hat, verdient in
der That diesen Namen im eigentlichen Sinne, da die Lehre vom
chemischen Gleichgewicht thatsächüch die Lehre von den gegenseitigen
Beziehungen zwichen chemischer und mechanischer, speziell Volum<
energie ist.
Es erhebt sich alsbald die Frage nach etwaigen Beziehungen der
chemischen Erscheinungen zu den drei anderen mechanischen Energieformen.
Hierüber ist zu sagen, dass sie noch sehr wenig entwickelt sind. Es ist
bekannt, dass manche Lösungen an ihrer Oberfläche eine andere Zu-
sammensetzung haben, als im Inneren: hier haben wir es also mit einer Be-
ziehung z¥dschen chemischer und Oberflächenenergie zu thun. Femer
sind einige wenige Fälle bekannt, in denen chemische Vorgänge durch Be-
wegungsenergie beeinflusst werden (Einfluss der Centrifiigalkraft auf che-
mische Gleichgewichte, Bredig 1895), und ein gleicher Einfluss durch die
Schwere, eine Form der Distanzenergie ist gleichfalls theoretisch wie
experimentell nachgewiesen worden. Indessen sind alle diese Beziehungen
sehr wenig entwickelt und spielen auch in den Erscheinungen der Natur
und den technischen Vorgängen keine erhebliche Eolle, so dass sich die
Mechanochemie praktisch auf die erstgenannte Beziehung zur Volum-
energie beschränkt.
Siebentes Buch.
Thermochemie.
Erstes Kapitel.
Allgemeines.
Von allen Umwandlungen der chemischen Energie in andere Formen
erfolgt die in Wärme am leichtesten und vollständigsten. Die Thermo-
chemie oder die Lehre von den Beziehungen zwischen Wärme und
chemischer Energie gehört daher zu den ältesten Gebieten der Ver-
wandtschaftslehre und kann auch zur Zeit noch als das experimentell
am vollständigsten bearbeitete bezeichnet werden.
Die Wichtigkeit einer genauen Kenntnis der Beträge chemischer
Energie ergiebt sich, wenn man sich die Frage nach den Quellen und
252 VII. Thermochemie.
Vorräten der Energie stellt^ welche für die technisch nnd physiologisch
wichtigen Vorgänge verwendet werden. Es zeigt sich dann^ dass zu-
nächst alle in der Technik verwerteten Energiequellen chemischen Ur-
spnings sind, indem sie auf die Verbindung der Elemente der Brenn-
materialien mit dem Sauerstoff der Luft zurückgehen. Dazu kommt
aber noch^ dass auch die gesamte Lebensthätigkeit aller Organismen sich
ausschliesslich auf chemische Vorgänge und die bei denselben freiwerdende
Energie gründet. Die chemische Energie ist somit diejenige Foim^ welche
von allen am meisten und häufigsten in Frage kommt ^ und welcher im
Haushalte der Natur der erste und umfassendste Platz eingeräumt ist
Die Geschichte der Thermochemie beginnt demgemäss mit technischen
und physiologischen Problemen, welche von Lavoisier und Laplace, Rumford,
Dulong, Despretz u. a. gestellt und zu lösen versucht wurden. Eine prin2dpielle
Grundlegung nach einer Seite rührt von den erstgenannten her, welche den
Satz aufstellten, dass zur Zerlegung einer Verbindung ebensoviel Wärme er-
forderlich sei, wieviel bei ihrer Bildung aus den Elementen frei wird. Es
ist dies ein einzelner, und zwar besoDders einfacher Fall des allgemeinen
Energiesatzes.
Durch 6. H. Hess wurde (1840) für thermochemische Vorgänge
der erste Ener^esatz zuerst in seinem ganzen Umfange als das Gesetz
der konstanten Wärmesummen ausgesprochen. Dasselbe besagt^
dass für die Wärmeentwickelung bei chemischen Vorgängen nur der
Anfangs- und der Endzustand massgebend ist; sind diese gegeben^ so
ist damit auch die Wärmeentwickelung gegeben, welches auch die
Zwischenzustände seien.
Entsprechend unseren gegenwärtigen Vorstellungen ist mit jedem Zu-
stande eines Gebildes ein bestimmter Wert seiner Energie verknüpft,
indem das, was wir den „Zustand" nennen, eben durch die Art und
Menge der vorhandenen Ener^e gegeben ist. Zwei verschiedenen Zu-
ständen entsprechen daher zwei verschiedene Ener^egrössen, und die
Differenz der beiden muss ab- oder zugeführt werden, wenn das Gebilde
aus dem einen Zustande in den anderen übergehen soll. In welchen
Anteilen diese Ab- oder Zufuhr geschieht, ist für den schliesslichen Wert
offenbar gleichgültig.
Hess hat seinen Satz als eine Folgerung aus der Erfahrung, mit vollem
Bewusstsein indes seiner Tragweite aufgestellt Er prüfte ihn auf ver-
schiedene Weise, indem er einen und denselben chemischen Vorgang auf ver-
schiedene Weise in Teilvorgänge zerlegte und deren Wärmeentwickelung
einzeln mass. Die Summe erwies sich dann immer gleich gross, wie auch
die Zerlegung vorgenommen war. Aus seinen Zahlen sei die folgende Tabelle
angeführt:
Summe
H«SO*
—
+ 2NH» (gelöst) 595-8
5958
H«SO* + H>0
77.8
5189
596-7
H«S0* + 2H>0
1167
480.5
597-2
H«S0* + 5H«0
155-6
4465
601-8
Thermochemisehe Methoden. 253
Die erste Zahlenreihe stellt die Wärmemengen dar, welche bei der Ein-
wirkung von Schwefelsäure auf 1, 2 und 5 Mole Wasser frei werden, die
zweite die Wärmemengen, welche die so verdünnten Schwefelsäuren beim
Neutralisieren mit Ammoniak geben. Die Summe beider ist sehr annähernd
konstant.
Die Bedeutung dieses Satzes fiir die Methodik der Thermochemie
ist sehr gross und von Hess vollständig erkannt worden. Er gestattet^
die Wärmemengen solcher Vorgänge zu berechnen, welche dbekt nicht
messbar sind, indem man sie als Glieder einer Summe darstellt, deren
andere Glieder und Gesamtwert bekannt sind. So kann man z. B.
nicht die Wärmemengen messen, welche bei der Verbrennung der Kohle
zu Kohlenoxyd frei wird. Misst man aber die Wärmemenge, welche
man erhält, wenn man Kohle zu Dioxyd verbrennt, so muss sie gleich
sein der Verbrennungswärme von Kohle zu Kohlenoxyd plus der von
Kohlenoxyd zu Dioxyd. Letztere kann man gleichfalls messen; zieht
man die Zahl von der ersteren ab, so erhält man die gesuchte Ver-
brennungswärme der Kohle zu Kohlenoxyd.
Neben und nach Hess, welcher als der eigentliche Begründer der
Thermochemie anzusehen ist, wirkten andere Forscher, so Andrews, Graham
und namentlich Favre und Silbermann, welch letztere ein sehr reichliches
Beobachtungsmaterial sammelten. An Klarheit der Anschauungen stehen
sie alle hinter Hess zurück.
Die Ergebnisse der inzwischen entwickelten mechanischen Wärme -
theorie wurden von J. Thomson zuerst (1853) auf die Thermochemie ange-
wendet; dieser Forscher hat bis in die neueste Zeit eine überaus grosse
Zahl von Messungen auf diesem Gebiete, grossenteils von erheblicher Ge-
nauigkeit, ausgeführt. Später (1865) begann Berthelot sich mit ähnlichen
Problemen, besonders auch im Gebiete der organischen Chemie zu beschäftigen.
Beide Forscher sind diejenigen, welchen wir den grössten Teil unserer Kennt-
nisse auf dem Gebiet der Thermochemie verdanken. Eine grosse Zahl von
sehr genauen Bestimmungen über Verbrennungswärmen organischer Stoffe
verdanken wir F. Stohmann.
Zweites Kapitel.
ThermochemiBche Methoden.
In der Thermochemie hat man bisher als Wärmeeinheit die Kalorie
benutzt, d. h. die Wärmemenge, welche zur Erwärmung von 1 g Wasser
um einen Grad erforderlich ist. Es ist bereits (S. 88) dargelegt worden,
dass diese Emheit nicht rationell ist, und durch das Erg oder ein Viel-
faches davon ersetzt werden muss. Für die Zwecke der Thermochemie
ist der Wert von 10^^ Erg gleich 1000 Joule, oder das Kilojoule = J
eine zweckmässige Einheit. Sie soll in der Folge benutzt werden. Der
ümredmung aus den gewöhnlichen Angaben ist die bei 18*^ gemessene
254 VII. Thermochemie.
Kalorie nach Rowland, 1 cal = 41830000 Erg zu Grunde gelegt worden.
Dies ist dadurch gerechtfertigt, dafis die meisten thermochemischen Be-
stimmungen auf diesen Wert bezogen sind.
Um also eine in Kilojoule = J gegebene Zahl auf gewöhnliche
Kalorieen umzurechnen, ist sie mit 0-004183 zu dividieren oder mit
2391 zu multiplizieren. Will man mittlere Kalorieen K = 100 cal er-
halten, so ist der Faktor 2-391.
Die thermochemischen Thatsachen lassen sich kurz und zur Rechnung
geeignet darstellen, wenn die Bedeutung der gewöhnlichen chemischen
Gleichungen daliin erweitert wird, dass sie nicht nur die Massen- sondern
auch die Energieverhältnisse zur Darstellung bringen. Wenn wir z. B.
die Gleichung schreiben
Pb + 2J = PbJ^
so besagt sie, dass sich au^ Blei und Jod Jodblei bildet, und zwar aus
206-9 g Blei und 253-8 g Jod 460-7 g Jodblei. SoUen die Zeichen aber
nicht die Gewichtsmengen der Stoffe, sondern auch die Energiemengen,
welche sie kennzeichnen, darstellen, so ist die Gleichung unvollständig.
Denn bei der Bildung des Jodbleis wird Wärme frei, und zwar 167 J*),
um soviel ist die Energie des Jodbleis kleiner, als die der Bestandteile.
Die entsprechende Energiegleichung lautet demnach
Pb + 2J = PbJ2+167J,
und bedeutet: 206-9 g Blei und 253-8 g Jod enthalten ebensoviel Energie,
wie 460.7 g Jodblei plus 167J.
Die Gleichung gestattet beliebige algebraische Umformungen, und
muss dann entsprechend verschieden gelesen werden. So bedeutet
Pb + 2J — PbJ»=167J,
der Unterschied der Energie von Blei plus Jod und Jodblei beträgt 167 J.
Oder PbJ« = Pb + 2J — 167 J,
wenn Jodblei in Blei und Jod zerlegt wird, so müssen dabei 167J auf-
genommen werden.
Die Gleichungen sind sämtlich so zu verstehen, dass die Energie
der Stoffe fiir eine und dieselbe Temperatur gelten soll. Als solche
dient gewöhnhch die mittlere Zimmertemperatur von 18^.
Der Energieinhalt der Stoffe ist femer davon abhängig, in welchem
Aggregatzustande sie sich befinden. Es ist am einfachsten, diesen durch
Klammem anzudeuten^). Ohne Klammern erscheinen Flüssigkeiten, die
am meisten in Betracht kommen. Gase sollen mit randen, feste Körper
mit eckigen Klammem (an KrystaUe erinnemd) bezeichnet werden.
Dann bedeuten die Gleichungen
*) Eine Verwechslung der gleichen Zeichen J (Jod) und J (Kilojoule)
wird durch den Zusammenhang als ausgeschlossen angesehen.
*) Ich verdanke diese Form der Bezeichnung einem Fachgenossen,
dessen Namen ich nicht mehr weiss.
Thermochemische Methoden. 255
HgO —[113 0]= 6.0J
(H,0)— H«0 =40.5J
dass beim Übergange des flüssigen in festes Wasser 6 0J, beim Über-
gange des gasförmigen in flüssiges 40-5 J abgegeben werden.
Eis soll noch bemerkt werden, was bisher stillschweigend voraus-
gesetzt wurde, dass die angegebenen Energie- und Wärmemengen sich
auf Mole, d. h. auf solche Mengen der verschiedenen Stoße beziehen,
als deren Formelgewicht in Grammen beträgt.
Häufig sind die reagierenden Stoffe in sehr viel Wasser aufgelöst.
Man bezeichnet dies, indem man hinter das chemische Zeichen die Buch-
staben Aq (aqua) setzt. Solche Losungen geben keine Wärmeänderung,
wenn sie mit weiteren Wassermengen versetzt werden. Deshalb gelten
die Gleichungen
M.Aq + nH80 = M.Aq,
M.Aq — nH«0 = M.Aq,
wo M den gelösten Stoff darstellt. Man kann also in thermochemischen
Gleichungen begrenzte Wassermengen neben Aq verschwinden lassen,
oder davon abtrennen, ohne einen Fehler zu begehen.
So haben wir z« B. bei der Bildung des Ghlorkaliums in wässeriger
Lösung
KOHAq + HClAq = K01(Aq + Aq -f H ^0) + 573 J.
Statt dieser Gleichung schreiben wir stets
KOHAq + HClAq = KClAq + ÖTBJ,
da die Vermischung der freiwerdenden Wassermengen mit der Chlor-
kaliumlösung keine Wärmeänderung bedingt.
Die vorstehend eingeführten Energiegleichungen sind besonders nützlich,
um mit ihrer Hilfe auf indirektem Wege thermochemische Daten berechnen
zu können, welche mon unmittelbar nicht beobachten kann. Kehren wir zu
dem oben (S. 253) von Hess gegebenen Beispiel zurück, so haben wir durch
unmittelbare Messung
[C] + 2(0) = (C0«)-f 394J
(C0)+ (0) « (CO*) + 284 J.
Zieht man die untere Gleichung von der oberen ab, so kommt
[C] -f 2(0) — (CO) — 0 = 110 J
oder [C] + (0) -= (C 0) -f 110 J
d. h. die Verbin dungsw&rme von Kohlenstoff mit Sauerstoff zu Kohlenoxyd
beträgt llOJ.
Ein zweites, etwas verwickelteres Beispiel ist die von Hess bestimmte
Bildungswärme des Schwefeltrioxyds. Das Verfahren bestand darin, dass ein
Gemenge von Bleioxyd mit Schwefel im Sauerstoff verbrannt wurde. Es
bildet sich dabei Bleisulfat unter Entwickelung von 692 J; wir haben demnach
die Gleichung [Pb 0] -f [S] + 3 (0) = [Pb SO*] + 692 J.
256 ^I* Thermochemie.
Um die Glieder Pb 0 und Pb SO^ aus der Gleichung zu eliminieren, wurde
Bleioxyd mit verdünnter Schwefelsäure zu Bleisulfat verbunden; es ergab sich
[Pb 0] + H«SO* Aq =. [PbSO*] + Aq + 97 J.
Subtrahiert man diese Gleichung von der oberen, so folgt
[S] + 3 (0) + Aq = H«SO* Aq + 595 J,
d. h. die Bildung der wässerigen Schwefelsäure aus Schwefel, Sauerstoff und
Wasser entwickelt 595 J.
Schliesslich löste Hess Schwefel trioxyd in Wasser:
[SO»] + Aq = H«SO* Aq + 172 J.
Durch Abziehen dieser Gleichung von der vorigen folgt
[S] + 3[0] — [SO»] + 423J,
wodurch der gesuchte Wert erhalten wird.
Auf ähnliche Weise können zahllose Aufgaben gelöst werden. Die
Methode besteht im allgemeinen darin^ dass man irgend zwei Reaktionen
misst, bei welchen die iraglichen Stoffe ^ welche den Ausgang und das
Endprodukt der gesuchten Reaktion bilden, vorkommen, und die Hilfs-
stoffe, welche bei diesen Reaktionen gedient haben, durch passende
Gleichungen zwischen denselben eliminiert. Von der Geschicklichkeit
des Experimentators hängt es ab, die Reaktionen so zu wählen, dass
sie sich möglichst genau messen lassen, und dass sie das Ziel mit
möglichst wenig Umständen zu erreichen gestatten.
Eine besondera häufig berechnete Reaktionswärme ist die Bildungs-
wärme. Man bezeichnet mit diesem Namen den Unterschied zwischen
der Energie einer chemischen Verbindung und der ihrer Elemente. Man
erhält diese Zahlen aus den entsprechenden Reaktionsgleichungen, in
denen nur die Elemente und die Verbindung vorkommen. Aus .
[Pb] + 2[J] = [PbJj] + 167J
folgt, dass die Bildungswärme des Jodbleis 167 J ist
Die Bildungswärme ist somit der Energieveriust, welchen die
Elemente erfahren, wenn sie sidi zu der betreffenden Verbindung ver-
einigen. Zählt man die Energiemengen (die ihrer absoluten Grösse nach
vollkommen unbekannt sind), indem man die der freien Elemente gleich
Null setzt, so erhält die Gleichung die Form
0 + 0 = PbJ«+167 J,
indem [Pb] = 0 und [2 J] = 0 gesetzt wird. Man kann dies auch schreiben
[PbJ«]=— 167 J.
In den Energiegleichungen lässt sich somit die Formel der Verbindungen
durch ihre Bildungswänne unter Umkehrung des Zeichens ersetzen.
Diese Regel gestattet, mit Hilfe der Bildungswärmen Reaktions-
wärmen sehr leicht zu berechnen. Es sei z. B. die bei der Darstellung
des Magnesiums auftretende Wärmemenge zu berechnen. Wir haben
[MgCl*] -f 2 [Na] = 2 [NaCl] + [Mg] + x.
Nun ist die Bildungswärme von Ghlormagnesium 632 J, die von Chor-
Thermochemische Methoden. 257
natrium 408 J. Machen wir die Substitation, so kommt, indem man
die Bildungswärme der freien Elemente gleich Null setzt,
— 632 + 2x0 = — 2X408 + 0 + X
x = 184 J.
Wegen dieser einfachen Gestalt der Rechnung pflegt man für die ver-
schiedenen chemischen Verbindungen die Bildungswärme zu ermitteln,
um sie weiteren Rechnungen zu Grunde zu legen. Auch in den weiter
unten folgenden Zusammenstellungen sind die Bildungswärmen vorzugs-
weise angegeben.
Was nun die Ausführung thermochemische r Versuche anlangt, so
lassen sich, trotz der Mannigfaltigkeit der von verscliiedenen Forschem
benutzten Methoden und Apparate, doch einige allgemeine Angaben
aufstellen. Denn von den zahlreichen Reaktionen der Experimental-
chemie eignet sich nur eine relativ geringe Analil zu thermochemischen
Messungen, nämlich fast nur solche, welche in der kurzen Zeit einiger
Minuten bei gewöhnlicher Temperatur verlaufen. Dahin gehören vor
allem die verschiedenen Vorgänge der Salzbildung in wässerigen Lösungen,
sowie alle Lösungs- und Verdünnungsvorgänge.
Eine zweite Klasse von thermochemisdien Vorgängen sind die leb-
haften Verbrennungen, welche dadurch, dass man sie in einem allseitig
geschlossenen, von Wasser umgebenen Räume stattfinden lässt, gleich-
falls der Messung bequem zugänglich werden. Auf diese beiden Formen
läfist sich die grösste Zahl der thermochemischen Experimente zurückführen.
Für thermochemische Messungen in wässeriger Lösung bedient man
sich gläserner oder metallener Kalorimeter, am besten solcher von Platin.
Handelt es sich um die Auflösung eines festen, flüssigen oder gas-
förmigen Stoßes in der Flüssigkeit des Kalorimeters, so besteht der Versuch
darin, dass man den Stoff möglichst auf die Temperatur des Kalorimeters
bringt und dann den Vorgang einleitet. Durch einen Rührer wird für gleich-
förmige Verteilung der Stoffe wie der Wärme gesorgt. Dieser hat gewöhnlich
die Form einer horizontalen Platte, die für den Durchgang des Thermometers
u. s. w. passend durchbrochen ist, und wird senkrecht auf und ab bewegt.
Wenn die Reaktion zwichen zwei annähernd gleichen Flüssigkeitsmengen
stattfinden soll, so muss die Temperatur jeder im Augenblicke der Ver-
mischung genau gemessen sein. Thomsen ordnet in diesem Falle über dem
Kalorimeter ein kleineres GefiLss an, welches mit Rührer und Thermometer
ausgestattet wird, wie das Kalorimeter, und lässt, nachdem die Temperatur
beiderseits abgelesen ist, durch ein Ventil im Boden des oberen Gefässes die
Flüssigkeit in das untere strömen. Berthelot bringt die eine Flüssigkeit wie
Thomsen in das Kalorimeter, die andere dagegen in einen dünnwandigen,
breithalsigen Kolben, welcher innerhalb eines Schutzcylinders von innen ver-
silbertem und poliertem Kupferblech steht. Nachdem die Temperatur fest-
gestellt ist, wobei das Thermometer als Rührer dient, wird der Kolben mit
einer hölzernen Zange erfasst und in das Kalorimeter entleert. Die An-
Ostwald, GruDdriBS. 8. Aufl. 17
258
VII. Thermochemie.
Ordnung Thomsens verwirft er, weil die Flüssigkeit des oberen Gefässes beim
Durchgang durch das Ventil ihre Temperatur ändern könnte. Dieser Einwand
ist indessen unbegründet, da nach der Art, wie Thomsen seine Thermometer
vergleichbar macht, ein derartiger Fehler eliminiert wird. Im Gegenteil er-
weist sich Thomsens Anordnung als genauer, was wohl wesentlich dadurch
bedingt wird, dass dieser die Thermometer mit einem Fernrohr abliest,
Berthelot dagegen mit blossem Auge.
Das Kalorimeter zu Verbrennungen fester, flüssiger oder gasförmiger
Körper in ßasen hat eine allmähliche Ausbildung von der unvoll-
kommenen Gestalt, die es bei Dalton, Davy und Rumford besass, durch
Dulong, Despretz und namentlich Favre und Silbermann erhalten. Es
besteht aus einem mit Wasser gefiillten Cylinder, in welchem die Ver-
brennungskammer eingesenkt ist; eine Anzahl Rohren,
die zur Zufuhnmg der erforderlichen Gase bestimmt
sind, münden in dieselbe, und die Verbrennungs-
produkte werden durch ein langes, schraubenför-
mig aufgewickeltes Metallrohr abgeleitet, um all
die Wärme an das Calorimeterwasser abzugeben.
Der Apparat hat im Laufe der Zeit nicht viel
Änderung erfreu. Thomsen nimmt die Metallteile
aus Platin, und Berthelot hat gläserne Verbren-
nungskammem eingeführt, die ein bequemes Be-
obachten des Vorganges gestatten.
An Stelle der Verbrennung in Sauerstoff von
gewöhnlichem Druck ist in neuerer Zeit die in ver-
dichtetem Sauerstoff getreten, welche das ältere
Verfahren so gut wie vollständig verdrängt hat.
Der Apparat ist von Berthelot und Vieille ausge-
bildet worden (1881); er besteht aus einem stark-
wandigen Gefäss von Stahl, Fig. 34, das im
Inneren mit einem Überzuge von Platin (bei wohl-
feileren Apparaten von Email) ausgekleidet ist.
Ein durch eine Schraube verschliessbares Ventil gestattet, den Sauerstoff
unter Druck hineinzubringen; gewöhnlich genügen 25 Atm. Der zu
verbrennende Stoff befindet sich in einem Platinschälchen, das in der Mitte
der „Bombe" aufgehängt ist. Die Entzündung wird dadurch bewirkt,
dass sich dicht über dem Schälchen ein dünner Eisendraht befindet^
durch welchen von aussen ein elektrischer Strom geleitet werden kann;
es verbrennt zunächst der Dralit, und die weissglühenden Tröpfchen von
Eisenoxyd, die sich dabei bilden, fallen auf den Stoff und entzünden ihn.
Feste und nichtflüchtige flüssige Stoffe kommen unmittelbar in das
Schälchen; flüchtige Flüssigkeiten schliesst man in Blasen aus Kollodium-
haut. Einige sauerstoflfreiche Stoffe verbrennen unter diesen Umständen
nicht; solche werden mit einer gewogenen Menge Naphthalin vermischt und
das Ergebnis wird für die Verbrennungswärme dieses Zusatzes korrigiert
Fig. 34.
Thermochemische Methoden. 259
Der Vorteil der Verbrennung in der Bombe liegt einerseits darin;
dass der Vorgang augenblicklich erfolgt, andererseits . in der Vollständig-
keit der Verbrennung. Die meisten Stoffe geben in Sauerstoff von
Atmosphärendruck mehr oder weniger erhebliche Mengen Kohlenoxyd
neben Kohlendioxyd, und die Messungen müssen hierfür korrigiert werden,
was grosse Schwierigkeiten, bez. üngenauigkeiten mit sich bringt
Durch die Anwendung des im Handel vorkommenden auf 100 Atm.
verdichteten Sauerstoffs, die von Stohmann herrührt, ist das Arbeiten
mit der Bombe besonders einfach gemacht worden.
Ein anderes Verfahren ist die Verbrennung mit gebundenem Sauerstoff,
speziell mit chlorsaurem Kali, welches zuerst von Frankland (1866) benutzt,
später von Stohmann und seinen Schülern entwickelt und angewandt wurde.
Dabei wird der zu untersuchende Stoff mit chlorsaurem Kali und indifferenten
Verdünnungsmitteln (Bimstein) zu einer Art von Feuerwerkssatz gemengt und
innerhalb eines Wasserkalorimeters zum Abbrennen gebracht. Es wird jetzt
nicht mehr benutzt.
Schliesslich muss noch erwähnt werden, dass in einigen Fällen auch das
Bunsensche Eiskalorimeter zu thermochemischen Versuchen benutzt worden
ist. Neben dem Vorzug der kleinen Substanzmengen ist als Nachteil die
subtile Behandlung zu nennen. Zudem gestattet es nur bei der Temperatur 0^
zu arbeiten, was häufig ein Vorteil, in gewissen Fällen aber ein Nachteil ist.
Der wichtigste und schwierigste Teil einer kalorimetrischen Be-
stimmung ist die Temperaturmessung. Man kann allerdings durch Ver-
wendung enger Kapillaren und grosser Gefasse sehr empfindliche Thermo-
meter herstellen und verwendet jetzt gewöhnlich solche, die direkt in
- Grad geteilt sind, also mit dem Femrohr noch Grad zu schätzen
gestatten. Doch liegt die Schwierigkeit viel weniger im Mangel an
Empfindlichkeit der ^Ihermometer als darin, dass das Kalorimeter in stetem
Wärmeaustausch mit seiner Umgebung steht, wodurch das eigentliche
thCTmische Ergebnis mehr oder weniger gestört wird. Der Fehler ist
um so grösser, je kleiner das Kalorimeter ist, mit der Grösse von einem
halben Liter ist das zulässige Minimum gegeben, bei welchem die zu-
fälligen Störungen noch unterhalb der durch die Genauigkdt der Tempe-
raturmessung gegebenen Grenze bleiben.
Um die Strahlung möglichst zu beschränken, poliert man das Kalori-
meter glänzend, und stellt es in einen etwas weiteren, auf der Innenseite
gleichfalls glänzend polierten Cylinder. Letzteren umgiebt Berthelot mit
einem grossen Doppelgefäss aus Weissblech, dessen Zwischenräume mit Wasser
gefallt sind. Thomson zieht die Anwendung von Metall- oder Papphüllen,
zwischen denen sich nur Luft befindet, vor.
Die Methode, um die Temperaturmessungen von dem Einflüsse der
Strahlung zu befreien, rührt von Regnault her und beruht auf folgender
Überlegung. Die Temperaturänderung, welche das Kalorimeter während des
17*
260 VII. Thermochemie.
Versuches duch Ausstrahlung erfährt, kann innerhalb der geringen Unter-
schiede als eine lineare Funktion der Temperatur selbst angesehen werden.
Kennt man sie daher für die äussersten vorgekommenen Temperaturen, so
kann man sie für alle Zwischeniemperaturen proportional interpolieren.
Um dies auszuführen, beobachtet man das Thermometer in regelmässigen
Zeitabschnitten (z. B. 1/3 Sek.) vor dem Beginn des Versuches; daraus er-
giebt sich die Änderung für die niedrigste Temperatur, falls die Reaktion
Wärme entwickelt. Dann leitet man die Reaktion bei einem solchen Ab-
schnitte ein, und beobachtet in gleicher Weise das Thermometer, bis die
Temperatur sich wieder proportional der Zeit ändert. Dann ist die Reaktion
zu Ende, und man erfährt die Änderung für eine Temperatur, die der höchsten
sehr nahe liegt. Indem man nun proportionale Temperaturverluste für die
inzwischen abgelesenen Temperaturen während der Reaktion ansetzt, kann
man durch deren Zufügung berechnen, welches die Endtemperatur gewesen
wäre, wenn gar keine Verluste stattgefunden hätten.
Dies ist das Prinzip des Verfahrens; die Einzelheiten sind in den
Werken über Thermochemie oder den ausführlicheren Lehrbüchern der
Physik nachzusehen.
Die Zahl der bei einer thermochemischen Reaktion entwickelten
Wärmeeinheiten erhält man, wenn man die Wärmekapazität des Kalori-
meters mit der (komgierten) Temperaturänderung multipliziert. Um die
Berechnung auf die oben (S. 253) angegebenen Einheiten durchzufuhren,
ist noch die obige Zahl im Verhältnis der wirklich angewandten zu der
durch das Formelgewicht gegebenen Gewichtsmenge der wirkenden Stoffe
zu vergrössem resp. zu verkleinem.
Was die Wärmekapazität des Kalorimeters anlangt, so hat man
zunächst die Kapazität des Gefässes, Rührers, Thermoraetere, sowie
sämtlicher anderen Teile, welche die Temperaturändeiningen mitmaclien,
zu bestimmen oder durch Multiplikation der spezifischen Wärme mit dem
Gewicht zu berechnen. Femer muss man die spezifische Wärme der
Flüssigkeit kennen, wenn diese nicht Wasser ist. Da man die spezifische
Wärme von Lösungen nicht aus denen des Lösungsmittels und des Ge-
lösten ableiten kann, so müsste sie eigentlich in fast allen Fällen neu
bestimmt werden. Die Thermochemiker haben bisher meist von dieser
erheblichen Komplikation abgesehen und sich durch Annahmen geholfen,
welche ohne Kenntnis der fraglichen Zahlen dennoch recht genaue
Rechnungen gestatten. Thomsen setzt die Wärmekapazität seiner Lösungen
gleich der des in ihnen enthaltenen Wassers. Die Annahme, welche
Thomsen selbst eingehend geprüft hat, ist zwar in den seltensten Fällen
ganz richtig, die Abweichungen sind aber bald positiv, bald negativ, und
bei den verdünnten Lösungen, um die es sich hier fast ausschliesslich
handelt, stets nur klein.
Ein Urteil über die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens erhält man,
wenn man die Werte der Molekularwärmen wässeriger Lösungen und ihrer
Unterschiede gegen die des enthaltenen Wassers nachrechnet. Aus ihnen
Thermochemische Methoden. 261
ist ersichtlich, dass die Unterschiede meist nicht ein Prozent erreichen und
nur in besonderen Fällen grösser sind. Die Genauigkeit kalorimetrischer Be-
stimmungen ist wechselnd, häufig aber grösser, so dass immerhin nicht zu
leugnen ist, dass durch die angegebene Rechenweise die Zahlen etwas be-
einträchtigt werden.
Entsprechend den für unsere Rechnungen benutzten Einheiten ist
die Wärmekapazität von 1 g Wasser gleich 0-004183 J zu setzen.
Die Berechnung der beobachteten Wänneeffekte Q erfolgt nun
nach der Formel
Q = (tc— ta)a + (te~tb)(b + p),
WO ta die Temperatur der ausserhalb des eigentlichen Kalorimeters
befindlichen Substanz, tb die der im Kalorimeter befindlichen und tc die
korrigierte Endtemperatur nach der Reaktion darstellt; a ist das kalori-
metrische Äquivalent der ersten, b das der zweiten Substanz (beim
Mischungskalorimeter also der Wassergehalt der benutzten Lösungen).
Mit p ist endlich der Wasserwert des Kalorimeters bezeichnet.
So ist z. B. die Neutralisationswärme der Salzsäure mit Natron
von Thomsen gleich 57-5 J geftinden worden, indem er je Vs Formelge-
wicht oder 7^* Äquivalent einer Lösung von der Zusammensetzung
Na«0 + 200H«0 und H«C1« + 200H«0 aufeinander wirken liess.
Die Lösung im Kalorimeter hatte die Temperatur 18**-610, die im
oberen Gefäss 18^-222, nach der Mischung war die korrigierte End-
temperatur 22^-169. Die Lösungen hatten somit Temperaturerhöhungen
von 3®-559 bez. 3 ^«947 erfahren. Multipliziert man diese mit dem
Wassergewicht 450 g (= VgX 200H«0) und dem Faktor 0004183,
wobei ftir die erste Lösung noch der Wasserwert des Kalorimeters, 13 g,
hinzuzufügen ist, so erhält man 6-90 -|- 7-47 = 14-37 J und durch
Multiplikation mit 4 (da '/i Äq. benutzt war) 57-48 J als Neutralisations-
wärme von einem Äquivalent Natron mit einem Äquivalent Salzsäure,
oder NaOHAq + HClAq = NaClAq + 57-5 J.
Von Thomsens Weise weicht Berthelot insofern ab, als er die Wärme-
kapazität seiner Lösungen nicht nach dem Gewicht des Wassers, sondern
nach dem Gesamtvolum bestimmt. Er verwendet daher auch nicht, wie
Thomsen, Lösungen, die nach bestimmten Verhältnissen der Formelgewichte
zusammengesetzt sind, sondern solche, wie sie in der Massanalyse gebräuchlich
sind, die ein Mol oder einen Bruchteil davon in einem Liter enthalten. In
einzelnen Fällen erreicht man dadurch einen noch besseren Anschluss an die
Wahrheit, in anderen ist es umgekehrt. Doch hat das Verfahren den Vorzug
grösserer Bequemlichkeit in der Ausführung.
Em wichtiger Punkt bei theroiochemischen Messungen ist der Ein-
fluss der Temperatur auf die erhaltenen Zahlenwerte. Im allgemeinen
ändern sich nämlich die Energieunterschiede mit der Temperatur, und
zwar deshalb, weil die Wärmekapazität der Ausgangsstoffe nicht gleich
der der Produkte zu sein pflegt Ist die erstere grösser, als die letztere,
262 ^^- Thermochemie.
so wird für ihre Erwärmung mehr Wärme aufgenommen; als für die
der Produkte ; und daher muss die Wärmeentwiekelung mit steigender
Temperatur zunehmen. Umgekehrt ist es^ wenn die Produkte eine
höhere Wärmekapazität haben, als die Ausgangsstoffe.
Nun lehrt zwar das Gesetz von Neumann und Kopp (S. 188),
dass die Wärmekapazität der Verbindungen unabhängig von ihrer Natur
gleich der Summe der Wärmekapazitäten der Bestandteile sei, so dass
hiemach die Ausgangsstoffe und die Produkte gleiche Kapazität haben
müssten. Danach wäre also die Wärmeentwickelung unabhängig von
der Temperatur. Aber dies Gesetz gilt nur für feste Stoffe, und auch
für diese nur angenähert; so wie eine Verschiedenheit des Aggregat-
zustandes eintritt, ja nur eine Flüssigkeit bei der Reaktion beteiligt ist,
verUert das Gesetz seine Geltung, und es tritt die Veränderlichkeit der
Wärmetönung mit der Temperatur ein.
Um diesen Einfluss in einer Formel auszudrücken, sei Q^ die
Wärmetönung bei der Temperatur t^, Qg bei t^; die Wärmekapazität
der Ausgangsstoffe sei K, die der Produkte K'. Dann muss nach dem
ersten Hauptsatze der Energieunterschied derselbe sein, auf welchem
Wege man auch die Reaktion ausführt Wir lassen sie ehierseits bei t^
stattfinden, und haben die Wärmetönung Q^. Dann erwärmen wir die
Ausgangsstoffe von t| auf t^ und nehmen dabei die Wärme K(t2 — ^)
auf. Bei t, findet die Reaktion statt, und ergiebt Qg. Die Produkte
werden auf t, abgekühlt, und geben dabei die Wärme K' (t^ — t^) ab.
Die Smnme muss gleich Q^ sein, da beiderseits der Anfangs- und der
Endzustand gleich ist Es ist also
Q,=Q,+(K-K')(t,-t,),
welches die gesuchte Formel ist. Sie ist zuerst von Kkchhoff aufgestellt
worden.
Drittes Kapitel.
Thermoohemie der Nichtmetalle.
Infolge der Wichtigkeit, welche die Kenntnis der Energieänderungen
bei chemischen Vorgängen für die verschiedensten Aufgaben der Wissen-
schaft und der Praxis haben, sind Messungen solcher Grössen in aus-
gedehntester Weise durchgeführt worden, und es giebt kein anderes
Gebiet der allgemeinen Chemie, in welchem eine so grosse Menge von
thatsächlichem Material angehäuft wäre. Doch hat die Aufi^dung all-
gemeiner Gesetze an diesem Material mit seiner Menge nicht Schritt
gehalten; mit Ausnahme der bereits ausgesprochenen halbquantitativen
Beziehung, dass die Wärmeentwickelungen bei den Reaktionen entsprechen-
Thermochemie der Nichtmetalle. 263
der Stoffe ebenso wie alle anderen Eigensdiaften periodische Fanktionen der
Atomgewichte der beteiligten Elemente sind, lässt sich kaum ein thermo-
chemisches Gesetz von einigem Umfange angeben.
Die Ursache hiervon ist darin zu suchen , dass die Ener^eunter-
schiede für chemische Vorgänge nicht den Charakter von Naturkonstanten
haben, sondern in sehr verschiedenartiger Weise von der Temperatur
abhängen. Die bei durchschnittlich 18® bestimmten Wärmetönungen
sind daher einigermassen zufällige Zahlen , und das ' Bild verschiebt sich
in ungleichförmiger Weise, wenn man eine andere Beobachtungstempe-
ratur wählt. Darin liegt gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass zahlen-
iDässige Beziehungen, wie sie von verschiedenen Forschem angenommen
worden sind, auf strenge Genauigkeit keinen Anspruch erheben können,
ja in den meisten Fällen als zufällig angesehen werden müssen, wenigstens
solange nicht der Einfluss der Temperatur auf jeden derartigen Fall ins
klare gestellt worden ist.
Nur in der organischen Chemie, wo die grosse Ähnlichkeit der
homologen Stoffe sich auch in ihren Energieverhältnissen geltend macht,
und bei den Erscheuiungen der Salzbildung sind etwas umfassendere
Regelmässigkeiten ausfindig gemacht worden, die an entsprechender Stelle
Erwähnung finden sollen. Im übrigen kann auf den nachstehenden
Seiten nicht viel mehr gegeben werden, als eine Zusammenstellung der
beobachteten Bildungswärmen. Aus diesen lassen sich in der S. 256
geschilderten Weise die Wärmevorgänge, welche den verschiedenartigsten
Reaktionen entsprechen, durch leichte Rechnungen ableiten, so dass die
Tabellen der Bildungswärmen so ziemlich den ganzen thatsächlichen In-
halt der Thermochemie darstellen^).
§ 1. SanerstoflF. Bildungswärme
Ozon 0* 140 J (ungefähr).
Ozon bildet sich aus gewöhnlichem Sauerstoff unter bedeutendem
Wärme verbrauch.
§ 2. Wasserstoff.
1. Wasser H«0 286 J flüssig.
Schmelzwänne — 6«0 J, Verdampfangswärme bei 100^ 40-5 J.
2. Wasserstoffsuperoxyd H^O« 189 J.
Die Bildungswärme des Wasserstoflfeuperoxyds ist kleiner, als die
des Wassers; somit geht ersteres in letzteres unter Abgabe von fi*eiem
Sauerstoff mit Wärmeentwickelung von 97 J über.
§ 3. Chlor.
1. Chlorwasserstoff HCl 92 J
Wasser nimmt das Gas unter Entwickelung von 72 J auf, so dass
die Bildungs wärme im gelösten Zustande 164 J beträgt.
*) Wegen der Einzelheiten verweist der Verf. auf sein ausführlicbefi
Lelirbuqh 4er allgemeinen Chemie, Bd. II. Leipzigs Engelmann,
264 ^n. Thermochemie.
BiidungBwärme
2. Unterchlorige Säure CPO — 74J !
ClOH,Aq 126 J
Die Lösungswärme des AnhydridB in Wasser beträgt 39 J.
3. Chlorsäure HClO»,Aq 100 J
4. Überchlorsäure HC10*,Aq 162 J
Die wasserfreie Säure löst sich unter Entwickelung von 85 J in j
Wasser; die Bildungswärme derselben beträgt somit 77 J.
§ 4. Brom.
1. Brom. Die Schmelzwärme beträgt — 5-4 J, die Verdampfungs-
wärme beim Siedepunkt 63® — 15-1 J.
2. Bromwasserstoff HBr 50'6 J
Das Brom ist hierbei gasförmig angenommen. Für flüssiges ist
die Bildungswärme 35-1 J. Von Wasser wird Brom Wasserstoff unter
Entwickelung von 83 J aufgenommen.
3. Unterbromige Säure HOBr,Aq 125 J
4. Bromsäure HBrO^Aq 91 J
In beiden f^len ist das Brom gasförmig angenommen.
§ 5. Jod.
1. Jod. Die Schmelzwärme beträgt — 6-3 J, die Verdampiungswärme
— 12-6 J. Für die Dissoeiationswärme des Jods J* in einzelne Atome
ist der Wert — 119 J von Boltzmann berechnet worden.
2. Jodwasserstoff HJ — 25-5 J
Die Bildung des Jodwasserstoffe aus Wasserstoff und festem Jod
verbraucht Wärme. Gasförmiges Jod würde sich fast ohne Wärme-
effekt mit Wasserstoff verbinden. In Wasser löst sich das Gas mit
80 J auf; so dass die Bildungswärme des Jodwassersto^, HJ^Aq^
55 J beträgt
3. Jodsäure HJO» 243 J
HJO^Aq 234 J
In Wasser löst sich die Säure mit — 9-2 J. Für das Anhydrid
gut die BUdungswärme J^O^ 190 J
4. Überjodsäure HJO*,Aq 199 J
Die Lösungswärme der krystalliaierten Säure, HJO^. 2H*0, ist
nur — 6 J.
5. Chlorjod JCl 24 J Schmdzwänne — 9-6 J.
JCF 90 J
6. Bromjod JBr 10 J
§ 6. Fluor.
1. Fluorwasserstoff HFl 162 J
Lösungswärme 49 J, also Bildungswärme der wässerigen Lösung 2 11 J.
Thermochemie der Nichtmetalle.
265
§ 7. Schwefel.
1. Schwefel. Schmelzwänne — 1-26 J. Die verschiedenen Formen
zeigen Energieunterschiede von 2 bis 4 J. BildungswUrme
2. Schwefelwasserstoff H^S . ll-S J
Die Lösungswärme in Wasser beträgt 19 J.
3. Schwefelige Säure SO^ 297 J
Die Zahl bezieht sich auf die bei gewöhnlicher Temperatur be-
ständige rhombische Modifikation des Schwefels. In Wasser löst sich das
Dioxyd mit 32 J, so dass die Bildungs wärme der wässerigen Säure
H2S0^Aq aus WaÄserstoflf, Sauerstoff und Schwefel 615 J beträgt. ♦ '
4. Schwefelsäure H«SO* 807 J
H^SOSAq 882 „
SO» 432 „
S03,Aq 596,,
Die Lösungswärme der Schwefelsäure in Wasser beträgt 75 J, die
des Anhydrids 164 J.
5. Unterschweflige Säure H«S«O^Aq
6. Unterschwefelsäure
7. Tetrathionsäure
8. Überschwefelsäure
9. Schwefelchlorür
10. Schwefelbromür
11. Sulfurylchlorid
12. Thionylchlorid
13. Pyrosulfurylchlorid
§ 8. Selen.
1. Selenwasserstoff
2. Selenige Säure
3. Selensäure
4. Selenchlorür
5. Selentetrachlorid
§ 9. Tellur.
1. Tellurige Säure
S«0*,Aq
H«S^O«,Aq
S20^Aq
H«S*0«,Aq
S^O^Aq
H^S^O^Aq
S^CP
S^Br«
SO^Cl«
SOOP
S^O^Cl*
514 J
284
1170
883
1093
807
1073
60
42
376
208
806
??
yy
jf
yy
yy
>»
??
yy
yy
SeH«
SeO«
Se02,Aq 236
H^SeO-^Aq 521
SeO»,Aq 321
H*SeO*,Aq 607
— 106 J Lösungs wärme 40 J
239
Se^Cl«
SeCl*
93
193
yy
yy
TeO^Aq
H2TeO»,Aq
TeO^Aq
H^TeOSAq
3. Tellurtetrachlorid TeCl*
2. Tellursäure
323 J Lösungswärme 0
609
412
699
324
?»
yy
yy
iy
266
VII. Thermochemie.
§ 10. Stickstoff.
Bildung8wärme
1.
Ammoniak NH^
50 J
NH«,Aq
85 „
2.
Stickoxydul N^O
~75„
3.
Salpetrige SäureHNO», Aq
- 28 „
4.
Salpetersäure HNO^,Aq
205,,
N^O^Aq
2 X 62 „
HNO»
175 „ Lösungswärme 30 J
NJQÖ
55 „ „ 70 „
Die Schmelzwärme des Stickstofipentoxyds ist — 35 J, die Dampf-
wärme — 20 J. Die Summe beider beträgt soviel, wie die Bildungs-
wärme des festen Stickstofipentoxyds, so dass die Bildungswärme des
gasförmigen gleich Null ist.
5. Stickstoffhyperoxyd
N«0* — IIJ
NO» — 32„
Die Dissociation des Hyperxoyds N^O* in 2N0* bedingt — 54 J.
6. Stickoxyd NO — 90 J
7. Hydroxylamin NH80,Aq 102
7r
§ 11. Phosphor.
1. Phosphor. Die Umwandlung des gelben Phosphors in roten ent-
wickelt 114 J.
2. Phosphorsäure H»PO*
H3P0*,Aq
P«O^Aq
1267 J
1278 „
2 X 849 „
3. Phosphorige Säure
Hspo»
H'PO^Aq
P«0»,Aq
4. Unterphosphorige Säure
Hspo«
H8P0«,Aq
P*0,Aq
5. Phosphorwasserstoff PH»
6. Phosphoniumjodür
7. Phosphorchlorür
8. Phosphorchlorid
9. Phosphoroxychlorid
10. Phospborbromür
11. Phosphorbromid
12. Phosphoroxybromid
13. Phosphorjodür
V
952
951,,
2 X 523 „
PH*J
PCI»
PCl^
PO Ol»
PBr»
PBr5
POBr»
FP
586
585
2X156
18
93
316
440
611
187
247
442
41
yy
yy
w
yy
77
Dampfwärme — 28 »9 J
>;
??
7f
Thermochemie der Nichtmetalle. 267
§ 12. Arsen. Bildungswärme
1. Arsensäure As^O*^ 918 J Lösungswärme 25 J
A8«0«,Aq 2X471,,
H'AsOSAq 901 „
2. Arsenige Säure As*0^ 647 „ „ 32 J
As«O^Aq 2X307,,
3. Arsenwasserstoff AsH* — 185 „
4. Arsenchlorür AsCl* 299 „ Dampfwärme — 35 J
5. Arsenbromtir AsBr'* 188
6. Arsenjodtir AsJ* 53
§ 13. Antimon.
1. Antimonchlorür SbCP 382
2. Antimonchlorid SbCl^ 439
3. Antimonoxyd Sb«0» 700
4. Antimonpentoxyd Sb^O* 953 „ (Hydratisches Oxyd.)
§ 14. Bor.
1. Borchlorid BCP 435 J
2. Bortrioxyd B«0» 1326
B'O^Aq 1401
Die Zahlen beziehen sich auf amorphes Bor und sind nicht sehr sicher.
§ 15. Kohlenstoff.
Die verschiedenen Modifikationen des Kohlenstoffs, Diamant, Graphit
und amorphe Kohle, haben verschiedenen Energieinhalt. Die grösste
Energiemenge besitzt Holzkohle, Graphit enthält etwa 10 J weniger.
Dementsprechend giebt Holzkohle beim Verbrennen 10 J mehr aus, als
Graphit Für Diamant wurde von Berthelot und Petit die Verbrennungs-
wärme 394 J gefunden, er enthält 12 J weniger Energie als amorphe Kohle.
1. Kohlensäure 00* 406 J (aus amorpher Kohle,
2. Kohlenoxyd 00 122 „ Losungswärme 25 J)
Es ist auffallig, dass das erste Sauerstoffatom, welches mit dem
Kohlenstoff in Verbindung tritt, viel weniger Wärme entwickelt, als das
zweite; die Zahlen sind 122 und 284. Es ist deshalb die Vermutung
ausgesprochen worden, dass beide Wärmemengen eigentlich gleich seien
und der Unterschied von 162 J nur dazu diene, den festen Kohlenstoff
in gasförmigen zu verwandehi.
?>
?>
3. Methan
CH*
72 J
4. Carbonylddorid
COCl»
221 „
5. Kohlenstofitetrachlorid
CGI*
197,,
6. Carbonylsulfid
COS
91 „
7. Sdiwefelkohlenstoflf
CS«
- 120 „
8. Cyan
C,N,
- 275 „
9. CyanwaeBorstoff
HCN
-115,,
268
Vif. Thermochemie.
Die Bildungswärme des Schwefelkohlenstoffs ist negativ^ d. h. Kohle
verbrennt mit Schwefel nicht unter Wärmeentwickelung, sondern unter
Abkühlung. Die Zahlen beziehen sich auf amorphe Kohle.
§ 16. Siliciam.
Krystallinisches Silicium enthält 38 J mehr Energie, als amorphes.
Die Bildungswärme sämtlicher Slliciumverbindungen ist noch sehr un-
sicher, so dass die Angabe von Einzelheiten unterbleiben mag.
Viertes Kapitel.
Thermochemie der Metalle.
Ähnlich, wie im vorigen Kapitel, sind die Bildungswärmen der
wichtigsten Verbindungen an den Elementen zusammengestellt. Einige
allgemeine Gesetzmässigkeiten, die mit den hier gegebenen Zahlen zu-
sammenhängen, werden in dem nächsten Kapitel über die Salzbildung
dargelegt werden; im übrigen erklären die Tabellen sich selbst.
§ 1. Kalium.
1. Kali
2. Chlorkalium
3. Kaliumchlorat
4. Kaliumperchlorat
5. Bromkalium
6. Kaliumbromat
7. Jodkalium
8. KaJiumjodat
9. Schwefelkalium
10. Kaliumhydrosulfid
1 1 . Kahumsulfit
12. Kaliumpyrosulfit
13. Kaüumsul&t
14. Kaliumhydrosulfat
15. Kaliumpyrosulfat
16. Kaliumnitrat
17. Kaliumcarbonat
18. KaliumhydrocarbonatHKCO«
§ 2. Natrium.
1. Natron NaOH
NaOH,Aq
Na»0
KOH
KOH,Aq
K20,Aq
KCl
KCIO»
KCIO*
KBr
KBrO^
KJ
KJO»
K«S
HKS
K^SO»
K«S*06
K«SO*
KHSO*
K»S»0'
KNO»
K«CO»
Bildungswärme
432 J
487
2X344
436
402
473
398
352
335
521
423
261
1151
1555
1442
1161
1303
500
1165
974
n
7)
n
77
n
n
n
n
1)
n
n
77
77
77
77
77
Lösungswärme — 13 J
77
77
77
77
77
77
77
77
77
77
77
51
21
41
21
28
42
25
6
47
27
16
16
36
27
22
n
77
71
V
77
77
77
77
77
7i
77
426 J
468
77
419 „Lösungswärme 230 J
Thermochemie der Metalle.
269
2. Chlomatrium
3. Nati-iumhypochlorit
4. Natriumehlorat
5. Bromnatrium
6. Jodnatriura
7. Schwefelnatrium
8. Natriumhydrosulfid
9. Natriumhyposulfit
10. Natriumsulfit
1 1 . Natriumsulfat
12. Natriumbisulfat
13. Natriumnitrat
14. Natriumphosphat
NaCl
NaOCl,Aq
NaCiO»
NaBr
NaJ
Na«S
NaHS
Bildungswärme
408 J Ijösungswärme
349
363
359
289
364
226
15. Natriumcarbonat
1 6. NatriumhydrocarbonatNall CO*
§ 3. Ammonium.
Na«S«0^5aq. 1109
Na-SO'^
Na« SO*
NaHSO*
NaNO»
Na«HPO*
Na^CO»
1123
1375
1120
466
1731
1140
962
n
71
n
n
n
n
n
n
n
n
n
v
v
V
n
n
n
v
n
n
n
1. Chlorammonium
2. Bromammonium
3. Jodammonium
4. Ammoniumsulfat
5. Ammoniumnitrat
§ 4. Lithium.
1. Lithiumhydroxyd
2. Chlorhtliium
3. Lithiumsutfat
4. Lithiumnitrat
NH*Ci
NH*Br
NH*J
(NH*)»SO^
NH*NO»
LiOH,Aq
LiCl
Li'SO*
LiNO*
n
317 J Lösungswärme —
274
206
1181
368
v
r?
n
n
491
392
1398
467
^ Lösungswärme
v
n
V
n
5 J
23
1
5
63
18
48
46
1
5
21
23
23
18
17
18
15
11
26
35
25
1
7i
7)
1)
n
V
T)
7?
n
n
n
7)
V
V
§ 5. Baryum.
Es ist kein thermochemischer Versuch bekannt^ der von Baryum
ausgeht oder zu demselben ftlhrt. Indessen hat Thomsen es walirschein-
lich gemacht; dass die Bildungswärme des Baryumhydroxyds etwa 812 J
beträgt. Nimmt man diesen Wert vorläufig an, so kann man die auf
Grundlage desselben berechneten Bitdungswärmen wie andere Zahlen be-
nutzen ^ und ist sicher, keinen Fehler zu begehen, solange man nicht
eine Frage behandelt, bei welcher metallisches Baryum in Betracht
kommt. Um indessen den vorläufigen Charakter der Zahlen zu kenn-
zeichnen, sollen dieselben mit einem Sterne bezeichnet werden.
1. Baryumhydroxyd Ba(OH)*
2. Baryumoxyd BaO
3. Baryumhyperoxyd BaO^
4. Chlorbaryum BaCl*
5. Baryumchlorat BaCl^O^
6. Brombaryum BaBr*
*899 J Lösungswärme 51 J
*519
*592
*815
*720
*711
n
v
n
V
r)
r)
7)
7f
144
9
— 28
21
n
v
7?
;»
270
VII. Thermochemie.
7.
8.
9.
10.
11.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
1.
2.
3.
4.
5.
Baryumsulfid
Baryamsulfat
Baryamnitrit
Baryumnitrat
Baryumcarbonat
BaS
BaSO*
BaN«0*
BaN^O«
BaCO»
§ 6. Strontium.
Strontiumhydroxyd Sr (0 H) *
Strontiumoxyd SrO
SrCl«
SrBr«
SrS
SrSO*
SrN^O«
SrCO»
Chlorstrontium
Bromstrontium
Strontiumsulfld
Strontiumsulfat
Strontiumnitrat
Strontiumcarbonat
§ 7. Calcium.
Calciumhydroxyd
.Calciumoxyd
Chlorcaldum
Bromcalcium
Jodcalcium
Schwefelcalcium
Oalciumsulfat
Oalciumnitrat
Calciumcarbonat
Ca (OH) 2
CaO
CaCl«
CaBr«
CaJ»
CaS
CaSO*
CaN»0<5
CaCO«
§ 8. Magnesium.
Magnesiumhydroxyd Mg (0 H) *
Magnesiumoxyd MgO
Chlormagnesium
Magnesiumsulfid
Magnesiumsulfat
Magnesiumnitrat
MgCl«
MgS
Mg SO*
MgN'O^.
Bildungswärme
*410 J
*1414 „
*748 „ Lösungs wärme
*946
*1186
;;
}f
24 J
39
)}
897 J
537 „
772 „
659 „
408 „
1384 „
919 „
1176 „
Lösungs wärme 49 J
123
46
67
V
>»
77
77
7?
7;
17
— 19
77
958 J Lösungs wärme 13 J
611 y, Hydratationswärme 65 „
760
648
510
435
1389
908
1192
77
77
77
77
7»
77
}}
Lösungs wärme 73 „
10
>7
»7
7»
116
20
17
77
77
77
77
Lösungswärme 150 J
6aq
77
77
1.
3.
§ 9. Aluminium.
Aluminiumhydroxyd Al(OH)^
Chloraluminium AI Cl *
Bromaluminium AI Br *
Jodaluminium AIJ^
Aluminiumsulfid AI ' S ^
§ 10. Mangan.
Manganhydroxyd Mn (0 H) *
Chlormangan Mn Cl *
Mangansulfur Mn S . aq
909 J
602 „
632 „
324,,
1265 „
881,,
1242 J
674 „ Lösungswärme
502 „
295 „
512 „
85
18
V
77
77
77
321 J
357 „
372 „
683 J
469 „ LöBungswärme 67 J
186 „ (Hydratisches Sulf^r)
Thermochemie der Metalle.
4.
5.
6.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
das
MangansulM Mn S 0 ^
Mangancarbonat MnCO^
Kaliumpermanganat EMnO^
§ 11. Eisen.
Ferrohydroxyd
Ferrihydroxyd
Eisenoxyduloxyd
Eisencblorüi-
Bildttngswänne
Eisenchlorid
Eisenbromür
Eisenbromid
Eisenjodür
Eisensul^
Ferrosulfat
Ferrisulfat
Fe(OH)«
Fe(OH)»
Fe^O*
FeCP
FeCP
FeBr^Aq
FeBr»,Aq
FeJ^Aq
FeS,aq
FeSO*,Aq
1046
882
816
571
829
1107
343
402
338
405
194
100
986
271
Lösungswärme 58 J
— 44
yy
}}
71
ff
ff
>?
ff
ff
?>
ff
fy
Lösungswfirme 75 J
133
ff
ff
(Hydratisches Sulftir)
Fe«(SO*)«Aq 2587
Vom Eisen wird die Kohle (im Gusseisen) unter Wärmebindung,
Silicium unter Wärmeentwickelung aufgenommen.
§ 12. Kobalt.
1.
2.
3.
4.
1.
2.
3.
4.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
1.
2.
3.
4.
Co (OH)«
CoCl«
CoS.aq
CoSO^Aq
Ni(OH)«
NiCl«
NiS.aq
NiSOSAq
ZnO
Zn(OH)«
ZnCl»
ZnBr»
ZnJ«
ZnS.aq
ZnSO*
ZnN20«,Aq
§ 15. Gadmium.
Cadmiumhydroxyd Cd (0 H) «
Chlorcadmium CdCl*
Bromcadmiura CdBr*
Jodcadmium CdJ^
Kobalthydroxyd
Kobaltchlorür
Kobalteulfür
KobaltBul&t
§ 13. Nickel.
Nickelhydroxyd
Nickelchlorür
Nickelsulftir
Nickeisulfat
§ 14. Zink.
Zinkoxyd
Zinkhydroxyd
Chlorzink
Bromzink
Jodzink
Zinksulfid
Zinksulfat
Zinknitrat
551
320
82
964
ff
ff
ff
Lösungswärme 77 J
540 J
312
73
960
ff
ff
Lösungswärme 80 J
ff
359 J
632
ff
407 „ Lösungswärme
318
206
166
962
554
ff
ff
ff
»
ff
)7
yy
561 J
390
315
204
ff
ff
Lösungswärme
65
63
47
77
ff
ff
ff
ff
13 J
2
ff
ff
272
VII. Thermochemie.
Die Halogenverbindungen des Cadmiums folgen nicht dem Gesetz
der Thermoneutralität; die Neutralisationswännen fllr je 2 Clüor-, Brom-
und Jodwasserstoff betragen folgeweise 85, 90 und 101 J, statt wie bei
den meisten anderen entsprechenden Salzen gleich zu sein.
Bildungswärme
5. Cadmiumsulfid
CdS.Aq
136 J
G. Cadmiumsulfat
CdSO*
925 „
Lösungswärme 45 J
7. Cadmiumniti'at
CdN^O«,
Aq
486,,
8. Cadmiumcarbonat
CdC03
761 „
§ 16. Kupfer
•
1. Kupferoxyd
CuO
156 J
2. Kupferoxydul
Cu^O
171,,
3. Kupferchlorid
CuCl«
216,,
Lösnn |!;swärme 46 J
4. Kupferchlorür
Cu^Cl^
275,,
5. Kupferbromid
CuBr»
137 „
» 35 „
6. Kupferbromür
Cu^BrS
209 „
7. Kupferjodür
Cu«J«
136,,
8. Kupfersulfür
Cu^S
77 „
9. Kupfei-sulfat
CuSO*
764 „
»» 66 «
10. Kupfernitrat
CuN^O«,
Aq
344 „
§ 17. Quecksilber.
Durch die Wahl einer ungeeigneten Metliode hatte Thomsen fiir
die Bildungswäi'me der Quecksilberverbindungen erheblicli falsche Werte
erhalten, welche erst später (Nernst 1888) durch richtigere ersetzt
worden sind.
1. Quecksilberoxydul
*J, Quecksilberoxyd
3. Quecksilberchlorür
4. Quecksilberchlorid HsrCF 223 „ Lösungswärme — 14 J
f). Quecksilberbromür
6. Quecksilberbromid
7. Quecksilberjodür
8. Quecksilberjodid
Auch die Halogenverbindungen des Quecksilbers folgen nicht dem
Gesetz der Thermoneutralität.
9. Quecksilbersulfid HgS . 21 J
10. Amalgame. Die Alkalimetalle verbinden sich unter starker Wärme-
entwickelung mit Quecksilber. Festes Kaliumamalgam, KHg**, hat eine
Bildungswärme von 142 J; Natriumamalgam, Na Hg®, 88 J. Da das
Kalium bei seiner Verbindung mit Quecksilber viel mehr Warme aus-
giebt als das Natrium, so kommt es, dass Natriumamalgam auf Wasser
oder Säuren mit etwa 25 J mehr einwirkt als Kaliumamalgam.
Hg'O
93 J
HgO
87 „
Hg «Gl«
262,,
HgCF
223 „ Lösungswärme
Hg»Br«
205 „
HgBr*
169 „
Hg'J*
119 „
HgJ«
102 „
Thermochemie der Metalle.
273
§ 18. Silber.
1. Silberoxyd
2. Chlorsüber
3. Bromsilber
4. Jodsilber
5. Silbersulfid
6. Silbersulfat
7. Silbercarbonat
8. Silbemitrat
Ag«0
AgCl
AgBr
AgJ
Ag«S
Ag^SO*
Ag«CO»
AgNO»
§ 19. Thalliam.
1. Thalliumoxydul TPO
2. Thallohydroxyd
3. Thalliumchlorür
4. Thalliumbromür
5. Thalliumjodür
6. Thalliumsulfur
7. Thalliumsulfat
8. Thalliumnitrat
9. Thallihydroxyd
10. ThalHbromid
TlOH
TlCl
TlBr
TIJ
T1«S
T1«S0*
TINO'^
Tl(OH)»
TIBr»,Aq
§ 20. Blei.
1. Bleioxyd
2. Bleichlorid
3. Bleibromid
4. Bleijodid
5. Bleisulfid
6. Bleisulfat
7. Bleinitrat
8. Bleicarbonat
§ 21. Wismut.
1. Wismutchlorür
2. Wismutoxychlorid
3. Wismutoxyd
§ 22. Zinn.
1. Zinnoxydul
2. Zinnchlorür
3. Zinnchlorid
PbO
PbCl«
PbBr«
PbJ»
PbS
PbSO*
PbN«0«
PbCO«
BiCl»
Bio Gl
Bi(0H)8
Sn(0H)8
SnCl«
SnCl*
25 J
123 „
95 „
58 „
14 „
700 „ Lösungswärme
514,,
120 „
177 J Lösungswärme
238
19 J
23
?;
203
173
126
82
924
243
610
236
13 J
13 „
42
yy
V
♦«
— 35
— 42
>>
?j
7?
210 J
346 „ Lösungswärme
270 „
167 „
77 „
904,,
441,,
698 .,
380 J
369
718
28 J
42
?;
7J
— 32
yy
yy
?>
571 J
338
532
>j
yy
Lösungswärme 1
25
yy
yy
§ 23. Gold.
Das aus den Lösungen niedergeschlagene Gold kann in verschiedenen
Modifikationen mit verschiedenem Energieinhalt auftreten; die Unter-
schiede belaufen sich auf 13 bis 20 J. Die nachstehenden Zahlen
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl.
18
274 VII. Thermochemie.
beziehen sich auf die Modifikation mit dem gr(testen Energieinhalt^ welche
beim Fällen des Chlorids mit Schwefeldioxyd erhalten wiixl.
Bildungswärme
1. Goldhydroxyd Au (OH)* 402 J
Au-0'\aq — 55„
2. Goldchlorid AuCP 95 „ Lösungswärme 19 J
3. CblorgoldwasserstofF HAuCl*,Aq 298 „
4. Goldbromid AuBr»,Aq 21 „
5. Bromgold Wasserstoff HAuBr*,Aq 172 ,,
6. Goldcblorür Au Gl 24 ,,
7. Goldbromtir AuBr — 0 „
8. Goldjodür AuJ — 23 „
§ 24. Platin.
1. Chlorplatinwasserstoff H«RCl«,Aq 683 J
2. Bromplatinwasserstoff H*PtBr^,Aq 515 „
Die Neutralisationswärmen beider Säuren sind gleich der der Salzsäure.
3. Chlorpiatinowasserstoff H^PtCl^Aq 503 J
4. Brompiatinowasserstoff H*PtBr*,Aq 370 „
5. Platinoxydul R(0H)2 361 „
§ 25. Palladlnm.
1. PaUadiumoxydul Pd(OH)« 381 J
2. ChlorpaUadowasserstoff H^PdCl^Aq 529 „
3. Palladiumjodür PdJ* 76 ,
4: Palladiumhydroxyd Pd(OH)* • 699 „
Fünftes Kapitel.
Thermoohemio der Salzbildung und der Ionen.
Dieselbe Regelmässigkeit; welche an allen früher besprochenen Eigen-
schaften der verdünnten Salzlösungen (S. 214) beobachtet worden war,
und nach welcher ihre Eigenschaften als Summen der Eigenschaften
ihrer Bestandteile oder Jonen erschienen, findet sich auch bei der
wichtigsten, der Energieänderung wieder, nur ist hier die Form etwas
anders, als in den früheren. Fällen. Der Analogie nach wäre ein
Satz aufzustellen, dass die Energie einer Salzlösung gleich der Summe
zweier Glieder sein muss, von denen das eine nur durch das E^tion
oder Metall, das andere nur durch das Anion oder Halogen be-
dingt ist Dieser Satz ist auch richtig, da man aber den Energieinhalt
seinem Gesamtwerte nach nicht messen kann, sondern nur Energie-
unterschiede zwischen verschiedenen Zuständen, so kann er nicht un-
mittelbar, sondern nur in seinen Folgen geprüft werden.
Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 275
Die erste Folge ist, dass beim Vermischen zweier verdünnter Salz-
lösungen keine Energieänderung stattfinden darf. Denn da in der ge-
mischten Lösung die Ionen dieselben geblieben sind, die sie vorher
waren, und durch ihr gleichzeitiges Vorhandensein kein Vorgang verursacht
wird, so kann auch keine Wärmewirkung auftreten.
Dies Gesetz ist in der That als erstes Ergebnis der systematisch in
Angriff genommenen Thermochemie der Salze von Hess (1840) gefanden
und als das Gesetz der Thermoneutralität bezeichnet worden.
Die spätere Prüfung hat ergeben, dass dies Gesetz nicht allgemein
gültig ist; vielmehr giebt es mancherlei Ausnahmen, wenn auch die über-
wiegende Mehrzahl der KUe dem Gesetz entspricht Diese Ausnahmen
stehen aber in einem regelmäjssigen Zusammenhange mit den anderen
Eigenschaften der Salzlösungen, insbesondere ihrem osmotischen Drucke
und den davon abhängigen Grössen, und man kann allgemein aussprechen,
dass dafl Gesetz der Thermoneutralität dort gültig ist, wo durch den
osmotischen Druck die vollständige Unabhängigkeit der vorhandenen
Ionen voneinander angezeigt ist, indem der Wert i (8. 214) gleich der
Anzahl der in der Formel des Salzes enthaltenen Ionen ist. In dem
Masse, als i kleiner ist, als dieser Grenzwert, stellen sich auch die Ab-
weichungen von dem Gesetz der Thermoneutralität ein.
Nun haben die Beobachtungen über die Gefiderpünktsemiedrigungen
der Salzlösungen ergeben, dass die i -Werte dem theoretischen Grenzwert
um so näher kommen, oder mit anderen Worten das Salz um so voll-
ständiger in seine Ionen zerfaUen ist, je verdünnter die Lösung ist.
Demgemäss stimmt auch das Gesetz der Thermoneutralität um so genauer,
je verdünnter die Lösungen sind.
Abweichungen treten auch bei verdünnten Lösungen in einzelnen
f^Qlen ein; insbesondere die Halogenverbindungen des Cadmiums und
des Quecksilbers weisen solche auf, desgleichen manche Cyan- und Ehodan-
verbindungen. AUe die Salze erweisen sich auch nach den anderen
Methoden als nur wenig in ihre Ionen zerfallen.
Die besonderen Verhältnisse der Säuren und Basen, die ja auch
den Salzen zuzurechnen sind, werden weiter unten erörtert werden; sie
kommen auf die gleichen Ursachen zurück.
Abweichungen anderer Art treten ein, wenn sich ein Salz in fester
Gestalt ausscheidet. Dann ist die Wärmewirkung die Summe einer
etwaigen Wirkung im gelösten Zustande und der Ausscheidungswärme
des gelöst gewesenen Salzes, die mit umgekehrtem Zeichen gleich der
Lösungswärme ist. Folgen die gelösten Salze dem Gesetz der Thermo-
neutralität (wovon man sich u. a. durch die Bestimmung der i -Werte
überzeugen kann), so ist die gesamte beobachtete Wärme gleich der
Fällungs wärme zu setzen, und man hat hierin ein Mittel, die Lösungs-
-wärme auch solcher Salze zu messen, deren geringe Löslichkeit eine
direkte Bestimmung nicht gestattet.
18*
276 VII. Thermochemie,
Bei der Wechselwirkung von Säuren und Basen ist da« Gesetz
von der Thermoneutralität nie erfüllt; es findet vielmehr immer eine
beträchtliche Wärmeentwickelung statt. Untereucht man insbesondere
solche Säuren und Basen, deren i -Werte auf einen nahezu vollständigen
Zerfall in ihre Ionen schliessen lassen, so findet man die Wärmeentwickelung
sehr hoch, nämhch gleich 57 J; sie ist aber konstant, d. h. von der
Natur der beiden Stoffe unabhängig. Dies ergiebt sich aus der nach-
stehenden Übersicht: Tetramethyl-
ammonium-
Natron Lithion Kali Baryt Strootian hydroxyd
Chlorwasserstoff 57 J 57 J 57 J 58 J 58 J 58 J
BromwaBserstoff 57 ,, — — — — —
Jodwasserstoff 57 „ - — — — —
Salpetersäure 57 „ — — — — —
Chloraäure 58 „ — — 58 — —
Bromsäure 58 ,, — — — — —
Chlorplatin wasserstoffsäure 57 „ — — 58 — —
Unterschwefelsäure 56 „ — — — — —
Die Erklärung für diesen scheinbai'en Widerapruch ergiebt sich,
wenn man die Neutralisation einer Säm^e und einer Basis vollständig
formuliert. Nehmen wir als Beispiel Chlorwasserstoffsäure und Natron,
so heisst die Gleichung
HCl + NaOH = NaCl + H^O.
Von den beteiligten Stoffen haben Chlorwasserstoff, Natron und Chlor-
natrium i = 2, sie sind also vollständig^) gespalten. Das Wasser da-
gegen ist es nicht; obwohl es auch in Ionen zerfallen kann, nämlich in
H-, das charakteristische Ion der Säuren, und OH', das Ion der Basen,
so erweisen doch alle Methoden, die bisher in Anwendung gebracht
worden sind, dass im Wasser diese Ionen nur in äusseret geringer
Menge vorhanden sind, so dass Wasser fttr unsere Betrachtungen als
unzersetzt angenommen werden darf. Während also die Ionen Gl' und
Na* während der Reaktion unverändert bleiben, und daher auch keine
Wärmewirkung verursachen können, verbinden sich die Ionen H* und
OH' zu nicht zerfallenem Wasser, und die beobachtete Wärmewirkung
von 57 J ist daher nichts als die Bildungswärme des Wassere aus den
Ionen Wasseretoff und Hydroxyl.
Diese Bildungswärme ist durchaus nicht mit der Bildungswärme des
Wassers aus Sauerstoff- und Wasserstoffgas zu verwechseln. Denn abgesehen,
dass es sich hier nicht um Sauerstoff, sondern um Hydroxyl handelt, so ist
auch der Wasserstoff im lonenzustande nicht mit dem Wasserstoffgase
gleich zu setzen, sondern beide haben wesentlich verschiedene Eigenschaften
(S. 216) und daher auch verschiedenen Energieinhalt.
') Der Zerfall ist nicht absolut vollständig, aber doch hinreichend, dass
der Rest für die vorliegenden Betrachtungen vernachlässigt werden kann.
Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 277
Zwischen dem Wasser, das äusserst wenig, und den meisten Neutral-
salzen, die ziemlich vollständig in ihre Ionen zerfallen sind, ordnen sich
die Säuren und Basen ein, bei denen die verschiedenartigsten Stufen des
Zerfalls vorkommen können. Dabei besteht immer das Gesetz, dass der
Zerfall mit wachsender Verdtlnnung zunimmt; doch verwischt diese Ver-
änderlichkeit nicht die wesentlichen Unterschiede, welche hier vor-
handen sind.
Wenn auch die genauere Erörterung dieser Verhältnisse erst in
einen späteren Abschnitt gehört, so sollen doch zur Übersicht die
wichtigsten Gruppen angegeben werden, da ihre Kenntnis, das Ver-
ständnis der thermochemischen Thatsachen sehr erleichtert.
Sehr weitgehend zerfallen sind von den Säuren die Halogenwasser-
stoflBäuren, mit Ausnahme der Fluorwasserstoffsäure, femer die sauer-
stoffreichen einbasischen Säuren, die sich vom Stickstoff und den Halogenen
ableiten. Von den zweibasischen Säuren sind hier nur die Platinchlor-
wasserstoflfeäure und die Polythionsäuren zu nennen, die dreibasischen
gehören fast alle der weniger gespaltenen Gruppe an. Schwefelsäure
ist etwa zur Hälfte in naässig verdünnten Lösungen zerfallen, die anderen
zweibasischen Säuren sind es noch weniger. Noch geringer ist der Zerfall
bei der Phosphor- und Arsensäure. Die Carbonsäuren der Fettreihe sind
wenig zerfallen; durch Eintreten von Halogenen, der Nitrogruppe, Cyan
u. dergl. wird der Zerfall gesteigert und kann nahezu vollständig
werden (Trichloressigsäure).
Unter den Basen sind die Hydroxyde der Alkali- und der Erdalkali-
ncietalle und Thallohydroxyd fast vollständig zerfallen. Ihnen schliessen
sieh die quatemäreti Ammoniumbasen und die entsprechenden Abkömm-
linge des Phosphors, Arsens, Antimons an, ebenso die Sulfinbasen. Die
meisten anderen Basen, insbesondere die flüchtigen Ammoniakabkömm-
tinge sind wenig zerfaUen.
Vergegenwärtigen wir uns unter diesen Voraussetzungen den Vor-
gang der Salzbildung aus Säure und Basis, so wird er, im Falle beide
Stoffe zerfallen sind, nur in der Bildung von Wasser aus den Ionen
Hydroxyl und Wasserstoff bestehen, und die entsprechende Wärmeent-
wickelung wird 57 J betragen. Dies zeigt der Versuch in der That,
wenn irgend welche der oben als zerfallen angegebenen Stoffe mitein-
ander in Wechselwirkung gebracht werden, und kein Niederschlag
sich ausscheidet.
Entsteht ein Niederschlag, so ist der Unterschied gegen den Wert
57 J als die Lösungswärme des Stoffes zu dissoziierter Lösung mit um-
gekehrtem Zeichen aufzufassen.
Wird eine nur wenig zerfallene Base mit einer ganz zerfallenen
Säure neutralisiert, und es entsteht kein Niederschlag, so ist die Wärme
die Summe zweier Grössen: der Bildungswärme des Wassers aus den
Ionen, 57 J, und der zur Zerlegung der Säure in ihre Ionen erforderlichen
Wärme. Denn man kann sich den Vorgang so geteilt denken, dass
278 VII. Thennochemie.
erst die Säure in ihre Ionen zerfällt; und dann der Neutralisationsvor-
gang, wie bei einer zerfallenen Säure stattfindet; da das Endergebnis
dasselbe ist; müssen auch die beiderseitigen Wärmetönungen dieselben
sein. Der Unterschied zwischen der beobachteten Neutralisationswärme
und der Konstanten 57 J ist dann die zum Zerfall erforderliche Wärme,
oder die Dissoziationswärme der Säure.
Ist die Säure teilweise zerfallen^ so kommt nur ein entsprechender
Bruchteil der Dissoziationswärme zur Geltung; die ganze lässt sich be-
rechnen, wenn man diesen Bruchteil auf geeignete Weise (z. B. aus der
Gefrierpunktsemiedrigung) bestimmt.
Ganz dieselben Betrachtungen sind Air die Neutralisation einer teil-
weise zerfallenen Base mit einer ganz zerfallenen Säure anzustellen; sie
brauchen daher nicht wiederholt zu werden.
Sind beide Stoffe wenig oder doch nicht ganz zerfallen, so treten
zu der Konstanten 57 J die beiden Dissoziationswärmen der Säure und
der Basis. Dies ist der allgemeine Fall, von dem die bisher besprochenen
nur GrenzMle darstellen.
In diesem Falle wird die Neutralisationswärme durch einen Aus-
druck von der Gestalt C + a -f- b dargestellt, wo C die Konstante 57 J,
a die Dissoziationswärme der Säure und b die der Base ist. Der Aus-
druck hat die gleiche Form, ob die Säure und Basis mehr oder weniger
zerfallen ist, da er in jedem Falle den Betrag an Wärme bedeutet, der
zur Überführung der Stoffe aus dem y erliegenden Zustande in den des
vollständigen Zerfalls notwendig ist
Dies ist nun genau das Ergebnis, zu welchem die Beobachtung
lange vor der Entwickelung der eben mitgeteilten Anschauungen ge-
fuhrt hat. Hess hatte, als er sein Gesetz der Thermoneutralität entdeckt
hatte, angenommen, dass die Neutralisationswärme nur durch die Säure
bestimmt werde, so dass dieselbe Säure mit verschiedenen Basen gleiche
Wärmemengen entwickelt; hieraus würde das Gesetz der Thermoneutralität
folgen. Andrews, der sich etwas später mit ähnlichen Fragen beschäftigte,
vertrat die umgekehrte Meinung; nach ihm sollte die Baflis bestimmend
füi die Neutralisationswärme sein. Favre und Silbermann endlich er-
kannten, dafis keine von diesen Ansichten zutrifft, dass vielmehr nur die
Unterschiede der Neutralisationswärmen verschiedener Säuren mit einer
und derselben Basis von der Natur dieser Basis unabhängig sind; ebenso
sind es die Unterschiede der Neutralisationswärmen verschiedener Basen
mit einer Säure von der Natur dieser Säure. Dies Gesetz ist aber
identisch mit dem oben ausgesprochenen, dass die Neutralisationswärme
durch einen Ausdruck von der Gestalt C + a -f- b dargestellt wird. Denn
da a nur von der Natur der Säure, b nur von der Basis abhängt, so
sind die Neutralisationswärmen fttr verschiedene Säuren mit derselben
Basis durch die Grössen C -{- sl^ -{- hy 0 + ^i + t)? C + ^^ + ^ w« s« w.
gegeben. Bildet man die Unterschiede, z. B. gegen die erste, so ergiebt
Thermochemie der Salzhildung und der Ionen. 279
sich a, — a,, a, — ag u. s. w., welche von dem Werte von b unab-
hängig sind. Eine gleiche Beweisführung gilt ftir die Basen.
Ausser diesen Wärmeerscheinungen bei der Neutralisation sind noch
andere bekannt, die insbesondere beim Vermischen von Neutralsalzen
mit den dazu gehörigen Säuren oder Basen auftreten. Sie zeigen sich
nur, wenn diese Stoffe teilweise zerfallen sind, und rühren daher, dafis
die Gegenwart der Neutralsalze auf den Betrag dieses Zerfalls einen Ein-
fluss ausübt. Diesen können wir indessen erst aus der Lehre vom
chemischen Gleichgewicht berechnen, und es muss einstweilen die Angabe
genügen, dass auch hier Beobachtung und Kechnung übereinstimmen.
Man kann also die Dissoziationswärme einer teilweise zerfaUenen
Säure bestunmen, wenn man ihre Neutralisationswärme mit Natron (oder
irgend einer anderen zerfallenen Basis) bestimmt, und von dem Betrage
57 J abzieht. Ebenso erhält man die Dissoziationswärme einer Basis
durch ein entsprechendes Verfahren mit einer zerfallenen Säure. In
bdden Fällen muss bekannt sein, in welchem Grade der weniger zer-
fallene Stoff in der verwendeten Lösung gespalten war.
Wenn auch eine systematische experimentelle Untersuchung in dieser
Richtung noch nicht vorgenommen worden ist, so liegen doch bereits so
viele gelegentlich gemessene Daten vor, dass sich eine Übersicht ge-
winnen lässt Hiemach sind die Dissoziationswärmen im allgemeinen
nnbedeutend, und betragen einen kleinen Bruchteil der gesamten Neu-
tralisationswärme, der über 10 J nur selten hinausgeht. Dem Zeichen
nach sind sie bald positiv, bald negativ; in einigen Fällen entwickelt
sich bei dem Zerfall der Stoffe in ihre Ionen Wärme, in anderen wird
welche aufgenommen. Einfache Zusammenhänge mit anderen Eigen-
schaften sind wegen der geringen Ausdehnung des Beobachtungsmaterials
nicht aufzuweisen; nach den allgemeinen Verhältnissen lassen sich wesent-
lich konstitutiv beeinflusste Beziehungen erwarten.
Die Thatsache der gegenseitigen Unabhängigkeit der Ionen der
meisten Salze in ihren verdünnten Lösungen gestattet die Thermochemie
dieser Stoffgruppe auf eine besonders einfache Form zu bringen. Be-
stimmt man nämlich die Bildungswärme der verschiedenen Ionen aus
ihren Elementen, so giebt die Summe zweier beliebiger von ihnen die
Bildungswärme des entsprechenden Salzes in verdünnter Lösung.
Nun ergeben freilich die thermochemischen Beobachtungen nicht
das Mittel, die Bildungswärmen der einzelnen Ionen zu berechnen. Denn
da immer äquivalente Mengen von Anionen und Kationen gleichzeitig
nebenemander entstehen müssen, so kann man immer nur die Summen
zweier solcher Bildungswärmen erfahren, und hat kein Mittel, die Einzel-
werte zu ermittehi. Würde man andererseits auch nur von einem Ion
die Bildungswärme kennen, so könnte man die aller anderen Ionen be-
rechnen. Sei z. B. die Uildungswärme der Chlorionen aus dem Chlor-
gase bekannt, so brauchte man sie nur von der Bildungswärme irgend
eines Chlorids in verdünnter Lösung abzuziehen^ um die des entsprechen-
28Ö VII. Thermochemie^
den Metallions za haben. Und die auf solche Weise ermittelte Bildungs-
wärme des Natriumions würde die Berechnung aller Anionen gestatten,
die mit dem Natrium löshche Salze bilden, deren gesamte Bildungswärme
durch die gewöhnlichen Methoden bestimmt worden ist.
Solche Anhaltspunkte zur Bestimmung einzelner lonenbildungs-
wärmen haben sich nun auf elektrochemischem Gebiete ergeben. Sie
können hier nicht auseinandergesetzt werden, nur das Ergebnis soll als
Unterlage der Rechnung dienen. Sollte sich später einmal eine Änderung
dieses Wertes notwendig machen, so würde eine solche nur in der Hin-
zufügung einer für alle Ionen gleichen Konstanten bestehen, da nur eine
einzige lonenbildungswärme der Umrechnung der unmittelbaren thermo-
chemischen Bestimmungen dient.
Die erwähnten elektrochemischen Beziehungen haben nun gezeigt,
dass zur Umwandlung des gasförmigen Wasserstoffs in Wasser-
stoffionen nur eine sehr geringe Wärmemenge erforderlich
ist, deren Betrag nach den vorhandenen Daten um 4 J für
Hg liegt. Da die Unsicherheit dieser Werte diesen Betrag mindestens
erreicht, so ist es bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnis am
zweckmässigsten, ihn vorläufig gleich Null zu setzen. Die etwa
notwendigen späteren Verbesserungen lassen sich dann am leichtesten an-
bringen.
Hieraus ergiebt sich alsbald, dass die Büdungswärme der Metallionen
gleich der Wärmetönung bei der Zersetzung einer ganz^ zerfallenen Säure
durch das MetaU unter Wasserstoffentwickelung ist. Denn der Vorgang
besteht in der Bildung von MetaUionen aus dem Metall und der gleich-
zeitigen Umwandlung von Wasserstoffionen in Wasserstoffgas, Da der
letzte Vorgang nach der eben gemachten Voraussetzung keine Wärme-
tönung bewirkt, so rührt die ganze Wärme von der ersten Um-
wandlung her.
Hierin liegt gleichzeitig, dass die Auflösung eines Metalls in irgend
einer ganz zerfallenen Säure zu ebensolchem Salz die gleiche Wärme-
entwickelung geben muss, unabhängig von der Natur der Säure. Dies
ist in der That der Fall, und die Beziehung ist schon früh von Andrews
experimentell gefunden worden.
Die auf dieser Grundlage berechneten Bildungswärmen der wichtigsten
Ionen finden sich nachstehend verzeichnet. Durch die Summiening der
den beiden Ionen eines Salzes zukommenden Werte unter Berücksichtigung
der etwaigen (sich aus der Formel ergebenden) Vielfachen infolge der
Valenz erhält man die Bildungswärme der gelösten Salze. Um die
Formehl der Ionen von denen der anderen Stoffe unterscheiden zu können,
sind die Kationen mit soviel Funkten und die Anionen mit soviel
Strichen bezeichnet worden, als ihre Wertigkeit beträgt Auf solche Weise
kann man Energiegleichungen unter Kennzeichnung der Ionen ähnlich
wie die bisher benutzten schreiben. Die Formeln
7'
Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 281
Na = Na +240J
und (Cl*) = 2 er + 2 X 164 J
bedeuten, dass bei der Umwandlung des metallischen Natriums in Natrium-
ionen sich 240 J entwickeln und 164 J bei dem Übergange von gas-
förmigem Chlor in Ohlorionen. Zu beachten ißt noch, dass Ionen nur
in verdünnten Lösungen auftreten^ so dass neben ihrem Zeichen stets Aq
stehen müsste. Da hiervon keine Ausnahme vorkommt, so kann man,
wo kein Irrtum zu befürchten ist, dieses Zeichen fortlassen, da es sich
von selbst versteht.
Kationen
Wasserstoff H* +0 J
Kalium K* +259
Natrium Na* + 240
Litiiium U' +263
Rubidium Rb' +262
Ammonium NH^' +137
Hydroxylamin N H^ 0 ' +157
Magnesium Mg • +456
Calcium Ca - + 458 „ (V)
Strontium Sr* + 501 „
Aluminium AI*** +506
Mangan Mn** +210
Eisen Fe-- +93
Fe-- — 39
Kobalt Co-- +71
Nickel . Ni- +67
Zink Zn-- + 147
Cadmium Cd*- +77
Kupfer Cu-- —66
Cu- - 67 „ (?)
Quecksilber Hg- — 83
Silber Ag- — 106
Thallium Tl- +7
Blei Pb- +2
Zinn Sn- +14
Anion der
Chlörwasserstoffsäure Cl' +164 ,1
Unterchlorigen Säure CIO' + 109 yy
Chlorsäul-e CIO3' +98 „
Überchlorsäure ClO^' — 162 „
BromwasserstofFsäure Br' + 118 ,,
Bromsäure BrOg' +47 „
Jodwasserstoffsäure J' + 55 „
Jodsäme JO3' +234 „
yy
yy
??
yy
yy
V
yy
yi
yy
282
VII. Thermochemie.
Anion der
Überjodsänre
30'
4-195 J
Schwefelwaaserstofi^Tire
S"
— 53 „ !
HS'
+ 5„
lliioschwefelsäure
8,0,"
+ 581 „
DitbionflftTire
8,0,"
+ 1166,,
Tetrathionflänre
8*0."
+ 1093 „
scshwefligen Säure
SO,"
+ 633 „
Schwefelsäure
SO''
+ 897 „
Selenwasserstoffflänre
Se"
- 1*9 „
selenigen Säure
SeO,"
+ 501 „
Selensäure
SeO/'
+ 607 ,,
Tellurwasserstoüsäure
Te"
- 146 „
tellurigen Säure
TeO,"
+ 323 „
Tellursäure
TeO«
+ 412,,
salpetiigen Säure
NO,'
+ 113 „
Salpetersäure
NO,'
+ 205 „
Stiekstoffwasserstoffisäure
N,'
— 277 „
unterphosphorigen Säure
HPOj'
+ 603 „
phosphorigen Säure
HPO,"
+ 962 „
Phosphorsäure
PO/"
+ 1246 „
HPO/'
+ 1277 „
Ärsensäure
AsO/"
+ 900 „
Kohlensäure
CO,"
+ 674 „
HCO,'
+ 683 „
Hydroxyl
OH'
+ 228 „
Diese kurzen Tabellen gestatten, die Bildungs wärme von über 7000
Salzen in verdünnter wässeriger Lösung zu berechnen.
Sechstes Kapitel.
Organische Verbindungen.
Die Thermochemie organischer Verbindungen hat ein besonderes
Interesse dadurch, dass die meiste technisch verwertete, sowie alle in
den Organismen zur Geltung kommende Energie durch die Oxydation
organischer Verbindungen erlangt wird; zum genauen Verständnis der
Ökonomie des einen wie des anderen Betriebes gehört also eine Kennt-
nis des Energieinhaltes der in Betracht kommenden Stoffe.
Die besondere Eigentümhchkeit der Vorgänge zwischen Kohlenstoff-
verbindungen, welche fast ausnahmslos nur langsam, oder unter Druck
bei höheren Temperaturen eintreten, hat eine unmittelbare thermochemische
Organisclie Verbindungen. 283
Untersuchung solcher Vorgänge sehr eingeschränkt Es giebt zur Be-
stimmung des Energieinhaltes organischer Verbindungen ^ ähnlich wie
zu ihrer Analyse, fast nur eine Methode, die der vollständigen Ver-
brennung. Die hierbei auftretende Wärmemenge ist dieselbe, welche
bei der technischen oder physiologischen Verwertung organischer Stoffe
zunächst in Betracht kommt^ und so spielt die Verbrennungswärme
eine ungemein wichtige Rolle.
Zieht man die Verbrennungswärme einer organischen Verbindung
von der ihrer Elemente ab, so erhält man, dem ersten Hauptsatz zufolge,
die Bildungswärme der Verbindung aus ihren Elementen. Letztere hat,
da kaum je organische Verbindungen sich aus ihren Elementen zu
bilden vermögen, nur eine rechnerische Bedeutung. Zum Zweck der
Berechnung von Reaktionswärmen kann man sich indessen ebensogut
der Verbrennungswärmen bedienen, denn der Unterschied der Ver-
brennungswärmen der Stoffe vor und nach der Reaktion ist gleich der
bei der Reaktion selbst entwickelten Wärme, wie man gleichfalls leicht
mit Hilfe des ersten Hauptsatzes beweisen kann.
Nun sind die bei chemischen Vorgängen zwischen organischen Ver-
bindungen austretenden oder aufgenommenen Wärmemengen verhältnis-
mässig klein. Die Verbrennungswärmen sind andererseits beträchtlich,
80 dass wenn man Reaktionswärmen aus den Unterschieden der Ver-
brennungswärmen der Stoffe vor und nach der Reaktion berechnen will,
es sich um kleine Unterschiede grosser Werte handelt, in denen sich die
Versuchsfehler entsprechend vervielfadben. Um irgend brauchbare Zahlen
zu haben, muss man daher die Verbrennungswärmen mit grosser Ge-
nauigkeit messen.
Während die älteren Methoden der gewöhnlichen Verbrennung in
dieser Richtung durch die UnvoUständigkeit des Vorganges auch in reinem
Sauerstoff mit schwer zu beseitigenden Fehlerque^llen behaftet waren, ist
die Methode der Verbrennung in verdichtetem Sauerstoff nach Berthelot
und Vieille namentlich in den Händen Stohmanns bis zu einem solchen
Grade der Genauigkeit ausgebildet worden, dass auch die Reaktions-
wärmen sich mit einiger Zuverlässigkeit ableiten lassen. Die dabei er-
haltenen Resultate haben indessen zu keinen wichtigeren allgemeinen
Elrgebnissen gefBhrt, und insbesondere besteht zwischen dem Betrage
dieser Wärmetönungen und der Möglichkeit, bez. Geschwindigkeit der
entsprechenden Reaktionen kein ersichtlicher Zusammenhang.
Der allgemeinste Satz, der sich bei diesen Untersuchungen ergeben
hat, ist die wesentlich additive Beschaffenheit der Verbrennungswärme.
Diese ist allerdings ebensowenig absolut vorhanden, wie bei irgend einer
anderen Eigenschaft;, die Masse ausgenommen; doch sind hier die kon-
stitutiven Einflüsse so gering, dass erst die eben erwähnten genauesten
Untersuchungen ihr Vorhandensein ausser Zweifel gesetzt haben. Am
deutlichsten macht sich dies Verhalten in den homologen Reihen geltend.
Für die Vermehrung um jedes CH* wächst die Verbrennungswärme um je
284 Vil. Thermochemie.
655 J, und diese Beziehung ist so allgemein und dieser Unterschied ist
in den verschiedenen Reihen so nahe derselbe, dass er fast als eine
allgemeine Konstante angesehen werden kann.
Eine Folge dieser Beziehung ist, dass die Reaktionswärme für
irgend einen Vorgang bei den verschiedenen Gliedern einer homologen
Reihe stets fast genau denselben Wert hat Schreiben wir einen der-
artigen Vorgang (z. B. die Umwandlung eines Alkohols in eine Säure)
in Gestalt einer Reaktionsgleichung, und nennen A die Verbrennungs-
wärme der auf der linken Seite stehenden Stoffe, B die der auf der rechten
Seite stehenden; dann ist A-B gleich der Reaktionswärme. Für einen
um nCn^ reicheren Stoff, an dem die gleiche Reaktion vorgenommen
wird, sind die entsprechenden Verbrennungswärmen A -f- n 655 J und
B + n 655 J, und der Unterschied oder die Reaktionswärme beträgt
wieder A-B.
Durch diesen Umstand kann man das thermochemische Zahlen-
material der organischen Chemie auf eine sehr einfache Gestalt bringen;
sind die Verbrennungswärmen je eines Gliedes fiir alle vorkommenden
Verbindungstypen gegeben, so lassen sich alle Homologen (wobei
dieses Wort in einem ziemlich weiten Sinne genommen werden darf)
durch die Zufügung von n 655 J berechnen, wo n die (positive oder
negative) Zahl der Kohlenstoffatome bedeutet, welche die Formel der
fraglichen Verbindungen mehr enthält, als die des typischen Stoffes.
Immerhin muss beachtet werden, dass es sich um eine Annäherungs-
regel handelt, und dass konstitutive Einflüsse thatsächlich vorhanden,
wenn auch den grossen Werten der Verbrennungs wärmen gegenüber
nur unbedeutend sind. Man kann nach diesem Verfahren auf rund ein
Prozent Genauigkeit rechnen.
Als typische Stoffe sind die ersten Glieder der homologen Reihen
weniger geeignet, als irgend ein höheres Glied. Die Ursache der all-
gemeinen Erscheinung, dass die homologen Regelmässigkeiten er^t bei
den höheren Gliedern genauer werden, ist an früherer Stelle (S. 130) be-
reits erörtert worden, und die dort angestellten Betraditungen lassen sich
in sachgemässer Umgestaltung auch hier anwenden.
Bevor an die Mitteilung einzelner Versuchsergebnisse gegangen werden
kann, aus denen sich die Belege füi- die eben gegebenen allgemeinen Be-
ziehungen entnehmen lassen, muss noch eine Bemerkung über den Einfluss
des äusseren Druckes gemacht werden. Wenn die Verbrennung einer
organischen Verbindung wie gewöhnlich unter dem konstanten Drucke der
Atmosphäre vorgenommen wird, so enthält die gemessene Wärmetönung ausser
dem Unterschiede der chemischen Energie der Stoffe vor und nach der Ver-
brennung im allgemeinen noch Beträge äusserer mechanischer Arbeit, die
daher rühren, dass das Volum der Verbrennungsprodukte nicht gleich dem
Volum der Ausgangsstoffe ist. Vermindert sich bei der Verbrennung das
Volum, so wird äussere Arbeit in Wärme verwandelt, und die beobachtete
Organische Verbindungen. 285
Wärmetönung ist um so viel grösser, als der Unterschied der chemischen
Energieen; im anderen Falle ist sie kleiner. Nur wenn das Volum unverändert
bleibt, sind beide gleich.
Man hat sich daher gewöhnt, zwei verschiedene Verbrennungswärmen
zu unterscheiden, nämlich die bei konstantem Volum ohne den Einfluss
äusserer Arbeit, und die bei konstantem Druck, wo die äussere Arbeit
eingerechnet ist. Die älteren Methoden der Verbrennung im offenen Kalori-
meter gaben den letzteren Wert, die Verbrennung in der kalorimetrischen
Bombe giebt den ersteren. Für physiologische und technische Zwecke kommt
der letztere Wert allein in Frage, und die nachstehenden Angaben beziehen
sich daher auf konstanten Druck.
Der theoretische Einwand, dass die mit der äusseren Arbeit behafteten
Verbrennungswärmen eine Summe zweier verschiedener Energiegrössen , der
chemischen und der mechanischen sei, während die Verbrennungswärme bei kon-
stantem Volum den einen Summanden allein darstellt, ist ganz richtig, ändert
aber nichts an der Bedeutung jener zusammengesetzten Zahlen. Insbesondere
muss betont werden, dass die Rechnung mit den Verbrennungswärmen bei
konstantem Druck ein in sich vollkommen zusammenhängendes System von
Zahlen giebt, welches keinen systematischen Fehler enthält. Ein solcher
würde nur auftreten, wenn während der Verbrennung der Druck geändert
würde, was experimentell nicht vorkommt. Im Übrigen ist es für die Ver-
gleichbarkeit der Zahlen nicht einmal erforderlich, dass die Verbrennungen
alle bei demselben Drucke stattfinden; dieser kann vielmehr beliebig sein,
wenn er im Laufe eines Versuches nur konstant bleibt.
Der Beweis hierfür, und der Zahlenwert der anzubringenden Korrektur,
wenn man von den einen Werten auf die anderen übergeht, ergiebt sich aus
der folgenden Betrachtung. Wenn ein Mol eines Gases entsteht, so wird
dabei eine Arbeit verbraucht, die von der Natur des Gases unabhängig ist
und sich aus der Gasgleichung pv.= RT ergiebt (S. 71). Die Konstante R
beträgt in absolutem Masse 8-31 x 10'; die Arbeit ist sonach 8-31 T Joule,
unabhängig vom Druck und proportional der absoluten Temperatur. Für die
mittlere Zimmertemperatur von 18® C. oder 291° A ist der Betrag also
2419 j oder 242 J.
Ist m die Zahl der Mole gasförmiger Stoffe vor der Verbrennung, und n
diese Zahl nach der Verbrennung, so steht die Verbrennungswärme W bei
konstantem Druck zu der Verbrennungswärme (W) bei konstantem Volum
in der Beziehung.
(W) «= W — (m — n)8-31 T j oder bei Zimmertemperatur (W) = W— (m— n) 242 J.
Die nachstehenden Zahlenangaben sollen einen Überblick über die
wichtigsten Gruppen der organischen Chemie geben; ein vollständiges
Verzeichnis der ausgeflihrten Arbeiten ist nicht beabsichtigt.
Für die gasförmigen Kohlenwasserstoffe der Methanreihe wurden
von Thomson folgende Verbrennungswärmen bestimmt:
(OH4) 886 J Unterschied
(CgllJ 1550,, 664 J
286 VII. Thermochemie.
Unterschied
(Ca Hg) 2214 J 664 J
(C4H10) 2877,, 663,,
(C5H,,) 3544,, 667,,
Das Mittel der Zunahme für jedes CH, beträgt 664 J. Bei flüssigen
Stoffen ist dieser Wert etwas grösser, da die Verdampfiingswärme (um
welche die Yerbrennnngswärme im flüssigen Zustande die im gasförmigen
tibertrifil) mit wachsendem Molekulargewicht langsam ansteigt. Von
Stohmann ist bestimmt worden:
CßHi^ 4146 J Unterschied
C7H16 4830 „ 684 J
CieHg^ 11030 „ 9X689 „
Ähnlich verhalten sich die Stoffe der Äthylenreihe. In Gasform gaben sie
(CallJ 1395 J Unterschied
(CaHg) 2061 „ 666 J
(C.Hg) 2722 „ 661 „
(C5H10) 3378,, 656,,
Flüssige Verbindungen derselbe Reihe gaben:
CgHjg 5239 J Unterschied
CjoHjo 6677,, 2X664
Acetylen hat die Verbrennungswärme 1321J. Vergleicht man die
drei Verbindungen C*H*, C^H*, C*H*, so ergeben sich die Unterschiede
74 und 155 J. Die Verbrennungswärme von H* ist 286 J; es würde
also bei der Aufnahme von Wasserstoff durch Acetylen eine erhebliche
Wärmeentwickelung von 212 J stattfinden; ebenfalls bedeutend, wenn
auch kleiner (131 J), ist sie beim Übergang von Äthylen in Äthan.
Die Verbrennungswärmen der einwertigen Alkohole sind:
CH40
714 J
Untersdiied
CaH,0
1362 „
648 J
CjHgO
2009 „
647,,
C4H10O
2663 „
654,,
CsH.^O
3321 „
658 „
^8^1 gO
5280 „
3 X 653 „
Propylglykol G^R^O^ hat 1804 J, Glycerin C^HgOs 1662 J. Der Über-
gang vom einwertigen Alkohol auf den zweiwertigen vermindert die
Verbrennungswärme um 205 J, von diesem auf den dreiwertigen um 142 J.
Isopropylalkohol hat 2000 J, während der normale 2009 J hat.
Der Unterschied kennzeichnet den geringen Einfluss der Isomerie auf
die Verbrennungswärme.
Einige wichtigere mehratomige Alkohole und Kohlehydrate sind:
Erythrit, C4H10O4, 2103 J, Rhamnose C^HijOg 3006 J, Quercit C5H12O5
2972 J, Mannit G^B-i^Oq 3048 J, Glukose CßHigOß 2833 J, Rohrzucker
^laHajOu 5668 J, Milchzucker CigHgjOu 5653 J, Dextrin CgHioOg
279 IJ, Stärke Ct-HjoOs 2865 J, Cellulose 2846 J.
Organische Verfoindungen. 287
Aldehyde der Fettreihe haben im flüssigen Zustande
Cy H4 0 1 1 2 7 J Unterschied
CjHjoO 3104,, 3X659J
Aceton, CjHgO, hat 1772 J, Diäthylketon, C^HioO, 3083 J; der Unter-
schied für CHg ißt 656 J.
Die normalen Fettsäuren ergaben:
CH^O^ 258 J Unterschied
CgH^Og 876 „ 616 J
CjHgOje 1537 ., 661 „
C^HgOj 2194 „ 657 „
CftHi^Oj, 2852 „ 658 „
CßHjjOj 3503 „ 651 „
Hier ist die Abweichung des ersten Gliedes besonders auffallig.
Für die Säuren der Oxalsäurereihe wurde gefunden:
C,H,04 251 J Unterschied
C3H4O4 867 „ 616 J
C^I^bOa 1492 „ 625 „
CßHgO^ 2154 „ 662 „
CeHjoO^ 2798,, 644,,
C^Hi^O^ 3467 „ 669 „
CgHj^O^ 4114,, 647,,
C^HißO^ 4774 „ 660 „
C10H18O4 5410,,
Auch hier zeigen die Anfangsglieder die grössten Abweichungen.
Hervorzuheben ist das Oscillieren der Unterschiede bei den höheren
Homologen, welches mit entsprechenden Verschiedenheiten vieler anderer
Eigenschaften (z. B. der Schmelzpunkte) der Säuren mit paarer und
mit unpaarer Kohlenstoffzahl zusammenhängt.
Die aus den Alkoholen bei ihrer Verbindung unter sich oder mit
Säuren entstehenden Stoffe, die Äther und Ester, welche die Elemente
ihrer Bildungsbestandteile minus denen des Wassers enthalten, haben
meist eine Verbrennungswärme, welche von der Summe der Verbrennungs-
wärmen ihrer Komponenten nicht viel abweicht, zum Zeichen, dass diese
Vorgänge nur mit geringer Wärmeänderung erfolgen. Letztere hat
häufig ein negatives Zeichen, d. h. die Stoffe nehmen bei ihrer Ver-
einigung Wärme auf.
So ist die Verbrennungswärme des Äthyläthers (C*H*)*0 gleich
2726 J, die von zwei Molen Äthylalkohol 2724 J, so dass bei der un-
mittelbaren Ätherbildung überhaupt keine nachweisbare Wärmewirkung
stattfinden würde.
Ähnlich stellen sich die Zahlen beim Vergleich der Verbrennungs-
wärmen der Ester mit denen der Säuren und Alkohole. Hier treten
meist 4 bis 8 J bei der Bildung der Ester ein, und um so viel über-
288 VII- Thermochemi«.
treffen die Verbrennungswärmen der letzteren die ihrer Bestandteile. So
ist die Verbrennungs wärme des Äthylacetats 2246 J, die von Essigsäure
und Alkohol zusammen 2238 J; ebenso hat Äthylbuiyrat 3561, während
die Summe 3556 J ist. Man kann sidi dieser Regel bedienen, um an-
nähernd die Verbrennungswärmen der unter Wasseraustritt gebildeten
organischen Verbindungen vorauszuberechnen.
Über die organischen Stickstoff Verbindungen lässt sich wenig
Allgemeines sagen. Es ist bemerkenswert, dass die Bildung des Cyans
aus Kohle und Stickstoff unter sehr erheblichem Wärmeverbrauch er-
folgt. Die Verbrennungswürme von (CN)* beträgt 1080 J, während die
der zwei Atome Kohlenstoff nur 788 J ausmacht; es wird also die er-
hebliche Wärmemenge von 298 J aufgenommen. In dieser Beziehung
schliesst sich das Cyan dem Acetylen an, welches gleichfalls wie jenes
bei hohen Temperaturen unter starkem Wärmeverbrauch (von 247 J, da
die Verbrennungswärme 1321 J gefanden wurde) entsteht.
Bei der Verbindung des Cyans mit Wasserstoff würden sidi 45 J
(fiir ein Atom Wasserstoff) entwickeln. Die Zahl nähert sich der für
die Bildung des Brom Wasserstoffs. Die Bildungs wärme aus den Elementen
bleibt negativ.
Schliesslich seien die physiologisch wichtigen Verbrennungswärmen
derstickstoffhaltigen Endprodukte des tierischen Stoffwechsels
nach Stohmann angegeben.
Harnstoff C0(NH*)8 636 J
Harnsäure O^H^N^O» 1924 „
Hippursäure C^H^NO» 4242 „
Eiweissstoffe entwickeln 2-3 bis 2«5J bei der Verbrennung von lg.
Auch die Verbrennungswärmen zahlreicher aromatischer Verbindungen
sind bestimmt worden. Die hauptsächlichsten Ergebnisse haben ganz
dieselbe Form, wie sie bei den Fettkörpern gefunden wurde, so dass
eine kurze Erwähnung genügen mag.
Die Verbremiungswärme des Benzols ist 326 J. Für die dem
Benzol homologen Kohlenwasserstoffe macht sich wieder der bekannte
Anwuchs von je 655 J filr jedes CH^ geltend; die verschiedenen Iso-
meren zeigen dabei keine erheblichen Unterschiede. Eine Anzahl von
Verbrennungswärmen anderer aromatischer Verbindungen (nach Stohmann)
sei zur allgemeinen Orientierung hergesetzt.
Phenol O^H^O 3082 J
jBrenzkatechin C^H^O» [2865 „
Resorcin C^H«0« 2857 „
IHydrochinon C^H^O^ (2857 .,
Pyrogallol C^H^O^ 2635 „
Benzogsäure 0'H«0* 3228 „
Benzaldehyd C'H«0 3521 „
BenzylaJkohol C'H«0 3744 ,,
VIII. Chemische Mechanik. — Allgemeines. 289
Phtalsäure C^H^O* 3234 J
Saücylfläure C'H«0» 3052 „
Die früher angegebenen Regeln finden sich auch hier im allge-
meinen bestätigt. Bemerkenswert ist, dass, während die drei isomeren
Kresole, CH*C®H*OH, gleiche Verbrennungswärmen haben^ das meta-
mere Anisol, C^H^OCH^, merklich abweicht. Dass nicht alle Stellungs-
isomeren gleiche Verbrennungswärmen haben, macht sich endlich beim
Vergleich von Brenzkatechin mit den anderen Dioxybenzolen geltend.
Die Verbrennungswärmen der den oben angeführten Stoffen ho-
mologen Verbindungen lassen sich alle mit genügender Annäherung
durch Hinzufügen von je 655 J für je CH* berechnen.
Eine Regel von bemerkenswerter Allgemeinheit ist von Stohmann
zwischen der Verbrennungswärme der Säuren und ihrer chemischen
„Stärke" oder Affinitätskonstante (s. w. u.) gefunden worden: beide
nehmen bei isomeren Säuren gleichzeitig zu und ab. Da für die letz-
tere Grösse allgemeine Beziehungen zur chemischen Zusammensetzung,
die später besprochen werden sollen, bekannt sind, so lassen sich auch
die Unterschiede der wirklichen Verbrennungswärmen gegen die aus der
additiven Regel berechneten angenäherten Werte im Voraus schätzen.
Achtes Buch.
Chemische Mechanik.
Erstes Kapitel.
Allgemeines.
Der Inhalt der Thermochemie war wesentlich durch den ersten
Hauptsatz der Energetik bestimmt: sie handelte von dem Gesamtbetrage
der Energie, welche die chemischen Vorgänge begleitet, und lehrte sie in
Wärmemass bestimmen. Dabei war vorausgesetzt, dass die durch die
Formeln angegebenen Vorgänge in dem Sinne und mit der Vollständig-
keit stattfinden, welche durch diese Formehi dargestellt sind. Warum
die Vorgänge gerade in solchem Sinne erfolgen, und nicht im entgegen-
gesetzten, der formell immer ebenso möglich wäre, wurde noch nicht er-
örtert, ebensowenig, ob die stillschweigend vorausgesetzte Vollständigkeit
der Reaktionen thatsäehlich stattfindet.
Früher hat man geglaubt, diese Fragen auf Grund der thermoche-
mlschen Daten selbst beantworten zu können, denn es war der Satz
aufgestellt worden, dass von den beiden möglichen entgegengesetzt ge-
richteten chemischen Vorgängen derjenige ausschliesslich stattfindet, welcher
mit VTärmeentwickelung verbunden ist. Denn da beim chemischen Vor-
Ostwald, Orundriss. 3. Aufl. 19
290 VIII. Chemische Mechanik.
gange jedenfalls eine Energieänderong eintritt^ so muss jede chemische
Gleichung, in einem Sinne gelesen, einer Wärmeentw^ickelung und im
anderen Sinne einem Wärmeverbrauch entsprechen.
Diese Ansicht, welche noch bis in die neueste Zeit Vertreter ge-
funden hat, ist unrichtig. Sie ist der letzte Rest einer Lehre, die im
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts von T. Bergmann aufgestellt
worden ist. Nacli dieser verhalten sich die chemischen Stoffe gegenein-
ander wie mechanische Massen, die von entgegengesetzt gerichteten
Kräften angegriffen werden; eine oder die andere Kraft ist die grössere,
und dieser gemäss erfolgt der Vorgang. Da Bergmann diese „chemischen
Kräfte" nur durch die Natur der Stoffe und die Temperatur bestimmt
ansah, so musste er gleichzeitig annehmen, dass sie solange wirken, als
noch etwas von den umwandlungsfUhigen Stoffen vorhanden ist, d. h.
dass die Vorgänge alle vollständig verlaufen.
Während diese Ansicht das Wissen ihrer Zeit, in welcher nur die
(praktisch) vollständigen Vorgänge gekannt waren oder beachtet wurden,
in genügender Weise darstellten, ergab sich bald bei grösserer Aufmerk-
samkeit, dass die nach dieser Theorie nicht möglichen unvollständigen
Re?iktionen viel häufiger vorkamen, als angenommen worden war. Um
den Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts entstand daher eine ent-
gegengesetzte Theorie, die von C. L. BerthoUet entwickelt wurde. Ihr
Grundgedanke war, dass auf den Verlauf eines chemischen Vorganges
nicht nur die Beschaffenheit der Stoffe und die Temperatur einen Ein-
fluss hat, sondern auch die im Reaktionsgebiet vorhandene Menge eines
jeden beteihgten Stoffes. Dadurch, dass die aufeinander wirkenden Stoffe
infolge dieser Wirksamkeit verschwinden und die Produkte sich anhäufen^
entsteht eine Ursache, welche eben diesen Vorgang behindert und schliess-
lich zum Stillstande bringt. Denn die entstandenen Stoffe haben in dem
Masse, als sie sicli bilden, immer mehr die Tendenz, die Ausgangsstoffe
wieder zurückzubilden, und es tritt ein Stillstand der Reaktion ein, be-
vor sie sich hat vollenden können.
Dass trotzdem viele Reaktionen innerhalb der Messbarkeit vollständig
verlaufen, lässt sich meist darauf zurückfähren, dass die Anhäufung der
Produkte irgendwie verhindert wud. Ist z. B. eines derselben gasförmig,,
so wird es entweichen und keinen Einfluss mehr ausüben; ist es unter
den vorhandenen Umständen unlöslich, so wird es sich ausscheiden und
sich gleichfalls der weiteren Wirkung entziehen.
Diese Gesichtspunkte haben sich in der Folge als richtig herausge-
stellt. Allerdings hat es sehr lange Zeit gedauert (Guldberg und Waage ^
1867), bis sie sich zu einer wirklichen Theorie der chemischen Vorgänge
und Gleichgewichtszustände entwickelt haben. Nachdem die Angemessen-
heit von BerthoUets Anschauungen sich durch die späteren Forschungen
zunächst erfahrungsmässig in vielen FäUen hat nachweisen lassen, ist
später durch die Entwickelung der Energetik und ihre Anwendung auf
chemische Probleme eine „chemische Dynamik^^ entstanden, welche die
Chemische Kinetik. 291
Grondlagen der Bertholletschen Affinitätslehre trotz der ungemeinen Er-
weiterung und Vertiefung des Gebietes im wesentlichen beibehalten hat.
Die Grundlage dieser Entwickelung bildet das Gesetz der chemischen
Massenwirkung, nach welchem die chemische Wirkung der wirk-
samen Masse, d. h. der Stoflftnenge in der Volumeinheit oder Kon-
zentration proportional ist. Die chemische Wirkung, von der hier
die Rede ist, kann sich nach zwei Richtungen bethätigen: in der Regelung
des Verlaufes der Reaktion einerseits, und in der Regelung der Gleicli-
gewichtsverhältnisse nach Ablauf derselben andererseits. Daraus ergeben
sich die beiden Gebiete: die chemische Kinetik und die chemische
Statik.
In bestimmtem Sinne kann man die Kinetik als die grundlegende
Wissensdiaft ansehen, da der Vorgang erst verlaufen muss, bevor sich
das Gleichgewicht einstellt. Doch hat sie sich viel weniger entwickelt,
als die Statik. Dies liegt einerseits darin, dass sie durch die Beziehung
auf die Zeit eine Veränderliche mehr enthält, als die Statik, und dadurch
notwendig eine grössere Verwickelung aufweist, als diese. Andererseits
ist es noch nicht gelungen ein allgemeines Prinzip auf energetischer
Grundlage aufzustellen, welches über dieses Gebiet in ähnlicher Weise
Auskunft gäbe, wie die verschiedenen, auf der Verallgemeinerung des
zweiten Hauptsatzes beruhenden Gleichgewichtsprinzipien dies für die
chemische Statik thun. Doch lässt sich eine wachsende Bedeutung für
die Kinetik voraussehen, da einerseits der Betrag der Aufschlüsse über
die Beschaffenheit der chemischen Gebilde auf ihrem Wege viel grösser
ist, als auf dem der Statik, und andererseits auch für jenes noch ge-
suchte allgemeine Prinzip bereits Andeutungen vorhanden sind, die seine
umfassende Aussprache in naher Zeit erwarten lassen.
Zweites Kapitel.
Chemische Kinetik.
Als im Jahre 1777 der Chemiker C. F. Wenzel sich die Aufgabe
gestellt hatte, die Ursache der chemischen Vorgänge, oder die Gesetze
der chemischen Verwandtschaft zu erforschen, musste er vor allen
Dingen eine Methode haben, diese zu messen. In Analogie mit der
Methode, nach welcher die Ursachen der mechanischen Vorgänge oder
der Bewegungen gemessen werden, wollte er die chemischen „Kräfte"
mittels der Geschwindigkeiten messen, mit welchen die verschiedenen
Stoffe analoge Vorgänge bewirken.
Der Begriff der „chemischen Geschwindigkeit" ist durch das Ver-
hältnis zwischen der durch den betrachteten Vorgang umgesetzten Stoff-
menge zu der dazu erforderlichen Zeit gegeben. Der Ausdruck, dass
19*
292 YIII. Ghemisclie Mechanik.
z. B. eine Gärung schneller bei höherer, als bei niederer Temperatur
verläuft, besagt, dass unter sonst gleichen Umständen bei höherer Tem-
peratur mehr Zucker in Alkohol und Kohlensäure umgesetzt wird, als
bei niederer. Mit der mechanischen Geschwindigkeit hat diese ehemische
nur eine ziemlich äusserliche Ähnlichkeit, und man muss sich hüten, die-
selbe för weitergehend zu halten.
Die Menge der in der Zeiteinheit umgesetzten Stoffe oder die che-
mische Geschwindigkeit irgend einer Reaktion hängt offenbar von sehr
vielen einzelnen Umständen ab. Wenzel, welcher die chemische Ver-
wandtschaft der Säuren zu den Metallen messen wollte, führte seine Ver-
suche so aus, dass er die Oberflächen der Metallstücke, welche die Wirkung
der Säuren erfahren sollten, gleich machte, denn er sagte sich, dass die
in einer gegebenen Zeit aufgelöste MetaDmenge der Oberfläche pro-
portional sein müsse. Femer war er über die Wirkung dnes versdiie-
denen Gehaltes seiner verdünnten Säuren vollkommen im klaren: die
Wirkung muss auch dem Gehalt proportional sein. „Denn wenn ein
Saueres in einer Stunde eine Drachma von Kupfer oder Zink auflöst,
80 braucht ein halb so starkes Saueres zwei Stunden dazu, wenn näm-
lich die Flächen und Wärmen in allen diesen Fällen einander gleich
bleiben."
Dieser von Wenzel ausgesprochene Grundsatz, dass die Wk'kung pro-
portional der Konzentration des wirksamen Stoffes ist, bildet nun in der
That die Grundlage der chemischen Mechanik. Er ist später von
BerthoUet von neuem und unabhängig von Wenzel ausgesprochen worden,
hat aber erst in neuerer Zeit die von letzterem bereits vorausgesehene
Anwendung zur Messung ^chemischer Kräfte" erfahren.
Zunächst ist es klar, dass man eine von den Komplikationen der
Versuchsanordnung Wenzels beseitigen kann, wenn man die Anwendung
fester Körper aufgiebt. Chemische Vorgänge, bei welchen überhaupt
keine Oberflächen in Frage kommen, kann man in homogenen Flüssig-
keiten oder Gasen erzeugen. Freilich ist in solchen der Verlauf der
Vorgänge selbst nicht immer leicht zu messen, doch hat sich das bereits
in vielen Fällen ausführbar erwiesen.
Die eraten derartigen Messungen sind von Wilhelmy (1850) ge-
macht worden, welcher auch das richtige Gesetz des Verlaufes einer be-
stimmten Klasse chemischer Vorgänge zuerst aufgestellt hat Wenn
nämlich bei dem Vorgange in einer homogenen Flüssigkeit nur ein ein-
ziger Stoff betroffen wird, so kann offenbar nach dem Prinzip der
Massenwirkung die Geschwindigkeit nicht konstant sein, sondern muss
beständig abnehmen. Es werde z. B. in der Zeiteinheit immer je 0-1
des eben vorhandenen Stoffes umgewandelt Dann erleiden nach Ver-
lauf der Zeiten 1, 2 folgende Mengen die Umwandlung:
Zeit vorhandene Menge umgewandelte Menge
0—1 1-000 aioo
1 — 2 0-900 0-090
Chemische Kinetik. 293
Zeit vorhandene Menge umgewandelte Menge
2—3 0-810 0081
3—4 0729 0073
4—5 0-656 0-066
Zum Beginn der Zeit ist die Menge 1-000 da, nach Verlauf der Zeit
1 ist 0-100 nach der Annahme umgewandelt. Es ist dann die Menge
0-900 nachgeblieben, von der wieder ein Zehntel, d. h. 0-090 die Um-
wandlung erfährt. Alsdann ist die Menge 0-900 — 0-090 = 0-810 nach-
geblieben, von der wieder ein Zehntel, nämlich 0-081 umgewandelt
wird, u. s. f.
Nennt man also C die zu irgend einer Zeit i^ vorhandene Kon-
zentration des sich umwandehiden Stoffes, und dC die Änderung^),
weiche sie in der kleinen Zeit di^* erfährt, so wb*d der Satz, dass die
Reaktionsgeschwindigkeit der Konzentration proportional ist, durch die
Gleichung ausgedrückt
— dC/d^ = kC.
Hierin ist — dC/di^ die Reaktionsgeschwindigkeit, oder das Verhältnis
der umgewandelten Menge zu der entsprechenden Zeit. Das negative
Zeichen von dCjd^ ergiebt sich daraus, dass durch die Reaktion die
Konzentration des betrachteten Stoffes abnimmt, während die Zeit in
positivem Sinne wächst. Die Bedeutung von k ergiebt sich, wenn man
C = 1 setzt: k ist die Reaktionsgeschwindigkeit für die Konzentration Eins.
Man kann diese Gleichung nicht genau an der Erfahrung prüfen. Denn
da sich die Konzentration C während eines Zeitraumes d^ beständig ändert,
so ist auf der rechten Seite in den Ausdruck k C für C ein Mittelwert zwischen
dem Anfangs- und dem Endwerte in der Zeit d^ zu setzen; wie man aber
diesen berechnet, geht aus der Gleichung nicht unmittelbar hervor.
OflPenbM: wird dieser unbekannte Mittelwert um so genauer durch das
arithmetische Mittel beider Konzentrationen ersetzt werden können, je näher
sich diese liegen, je kürzer also der Zeitraum d^ gewählt wird. Ist d^ sehr
klein, so sind beide Konzentrationen überhaupt nicht merklich verschieden,
und die Unsicherheit über den Mittelwert verschwindet ganz.
Wenn man also die Gleichung prüfen will, so muss man möglichst kleine
Konzentrationsänderungen nebst den zugehörigen Zeiten messen. Als kleine
Unterschiede grosser Zahlen sind aber solche kleine Änderungen mit experimen-
tellen Unsicherheiten behaftet, die relativ um so grösser werden, je kleiner
die Unterschiede sind. Wir haben also zwei sich widersprechende Forderungen
zu erfüllen: möglichst kleine Unterschiede wegen der Anwendbarkeit der
Formel, möglichst grosse wegen der Versuchsfehler.
Eine strenge Prüfung der Formel ist also auf diesem Wege nicht möglich.
Wohl aber kann man durch Rechnung aus der für sehr kleine Zeiten d^
geltenden Formel die Änderungen bestimmen, welche nach einer endlichen
^) Wegen der Bedeutung des Zeichens d vergl. S. 84, Anmerkung.
294 VIII. Chemische Mechanik.
Zeit ^ eingetreten sind. Hierzu muss man die Zeit in sehr viele kleine Teile
dd zerlegen, für jeden Zeitanteil die Änderung — dC berechnen und alle
Beträge summieren.
Mit der Lösung solcher Aufgaben beschäftigt sich die Integralrechnung,
deren Kenntnis hier nicht vorausgesetzt wird. Um eine Vorstellung von dem
Verfahren zu geben, soll eine entsprechende Rechnung ausgeführt werden,
wobei wir die S. 292 gemachte willkürliche Zahlenannahme durch einen allge-
meinen Ausdruck ersetzen. Wir haben, wenn wir den in der Zeiteinheit
umgewandelten Anteil gleich k und die ursprüngliche Menge gleich Eins setzen:
Zur Zeit vorhandene Menge umgewandelte Menge
0 — 11 k
1 — 2 1 — k (1 — k)k
2 — 3 1 — k — (1 — k)k-=(l — k)* (1— k)*k
a_4 (1 — k)«— (l— k)*k = (l — k^» (l_k)'»k
4 — 5 (1 — k)'» — (1 — k)* k = (1 — k)* (1 — k)* k
u. s. w.
Bezeichnet man daher mit ^ die Zahl der seit dem Anfang des Vor-
ganges verflossenen Zeiteinheiten , so ist die zur Zeit ^ noch vorhandene
Menge (1 — k)^. Dies gilt, wenn die anfängliche Konzentration gleich Eins
gesetzt wird. Wird sie gleich Cq gesetzt, so ist die nach der Zeit & vorhandene
Konzentration C gegeben durch C/Co=«(l — k)^ oder C = Cj, (1 — k)^.
Indessen ist die Gleichung unter einer ungenauen Voraussetzung abge-
leitet. Wir haben uns den Vorgang so vorgestellt, als fände in den aufein-
anderfolgenden einzelnen Zeiträumen die Umwandlung immer mit konstanter
Geschwindigkeit statt, und ändere sie sich sprungweise beim Anfang des
nächsten Zeitraumes der nunmehr verminderten Menge entsprechend. Dies
ist nun allerdings nicht der Fall, denn die Änderung geht offenbar stetig vor
sich; wir werden uns aber diesem wirklichen Vorgang am besten annähern,
wenn wir die Zeiträume so klein als möglich nehmen.
Führen wir also statt der bisherigen Zeiteinheit eine n-mal kleinere
ein, so ist der in der neuen Zeiteinheit umgewandelte Bruchteil der Anfangs-
menge nur k/n, während die Zahl der Zeiteinheiten auf n^ gestiegen ist.
Für denselben Augenblick, für den die angenäherte Gleichung C/Cq = (l — k)^
gilt, gilt auch die genauere Gleichung C/Co = (l — k/n)"^.
Lässt man nun n immer grösser werden, so wird die Gleichung immer
genauer, und sie wird richtig, wenn n unendlich gross wird, n = oo. Dann
wird k/n = 0 und der Ausdruck erlangt die Form (1 — 0) oo. Die Analysis
lehrt, dass der Ausdruck (1 — (k/n)°^ für unendlich werdendes n übergeht
in e-k^, wo e die Basis der natürlichen Logarithmen, die Zahl 2'7183 ist
Wir haben demnach 0/0© = ek^ oder Co/C = ei^^. Wird beiderseits
der natürliche Logarithmus genommen, der mit In bezeichnet wird, so folgt
InCo — lnC = k^
als Ausdruck des gesuchten Gesetzes, welches für jede beliebige Zeit d- die
zugehörige Konzentration C angiebt.
Chemische Kinetik. 295
Die aus der mathematischeii Formulierung des Massenwirkungsge*
gesetzes sich ergebende Gleichung lautet
InCrt— lnC = k^,
wo Co die Konzentration am Anfange der Zeitmessung, C dieselbe nach
der Zeit ^ und k die Geschwindigkeitskonstante ist; die Definition der
letzteren ergiebt sich aus der Ableitung; sie stellt den Bruchteil der
ureprünglichen Menge des Stoffes dar, welcher in der Zeiteinheit umge-
wandelt werden würde, wenn die anfangliche Geschwindigkeit während
der Zeiteinheit konstant bliebe^).
Was die zu benutzenden Einheiten anlangt, so ist als Einheit der
Konzentration die Menge Eins im Volum Eins zu definieren. Die
Mengeneinheit im chemischen Sinne ist das Mol, oder wo dieses nicht
bekannt ist, das Formelgewicht in Grammen. Als Einheit des Volums
sollte bei absoluter Messung das Kubikcentimeter dienen. Da indessen
alsdann die Konzentrationen durch sehr kleine Zahlen dargestellt werden
würden, so benutzt man praktisch das Liter als Volumeinheit, und die
Einheit der Konzentration ist ein Mol im Liter.
Die Zeit d" sollte gleichfalls im System nach Sekunden gemessen
werden. In der chemischen Kinetik ist die Minute als Einheit üblich
geworden, und da bisher noch keine vollständige Beziehung der Reaktions-
geschwindigkeit zu anderen, in absoluten Einheiten gemessenen Grössen
bekannt geworden ist, kann sie vorläufig beibehalten werden.
Schliesslich kann die unbequeme Rechnung mit natürlichen Logarithmen
durch die Einführung dekadischer vermieden werden. Bezeichnet man
letztere mit log, so besteht die Beziehung log 0 = 04343 In C, und wir
haben log C — log C,, = 04343 k^,
in welcher Gestalt die Formel allgemein zu benutzen ist.
Aus der Form der Gleichung geht hervor, dass die Einheit der
Konzentration ohne Einfluss auf den Wert der Konstanten k ist. Denn
misst man jene in einer n-mal kleineren Einheit, so dass die Zahlenwerte
n-mal grösser werden, so erhält die linke Seite der Gleichung die Form
lognC — lognCß, welche gleich logC — log Co ist. Man kann daher
bei der Rechnung jede beliebige Konzentrationseinheit benutzen.
Diese Unabhängigkeit der Konstanten von der Konzentrationseinheit ist
nur bei dem eben behandelten einfachsten Falle der Reaktionsgeschwindigkeit
vorhanden, in allen anderen Fällen tritt ein Einfiuss der Einheit auf die Ge-
schwindigkeitskonstante zu Tage, wie sich später ergeben wird.
Der Fall, an welchem Wilhelmy zuerst die Richtigkeit dieser
Formel zeigte, war die Inversion des Rohrzuckes. Dieser Stoff zerfällt,
wie bekannt, unter dem Einflüsse freier Säuren in Dextrose und
*) Diese Definition von k ist von der S. 293 gegebenen nur der Form
nach verschieden.
296
YIII. Chemische Mechanik.
LävulosB; indem er die Elemente des Wassers an&immt; der Formel
C'«H"0i^ + H«0 = 2C«H'»0« gemäss. Dabei erleidet die freie
Säure keine Änderung ihrer Menge, und das Wasser ist bei derartigen
Versuchen stets in so grosser Menge da, dass die Änderung seiner Menge
unmerklich ist. Die Vorbedingung bei der Ableitung der Gleichung
ist somit erföllt. Um die zu jeder Zeit noch vorhandene Menge des
nicht umgewandelten Rohrzuckers zu bestimmen, benutzte Wilhelmy
die Methode mittelst der Drehung der Polarisationsebene, welche eine
Analyse ohne jeden chemischen Eingriff gestattet Aus seinen Messungen
ergab sich z. B. folgende Reihe:
n (Minuten)
^ wÄr Konzentration
logCo-logC
0-4343 k
0
46-75^
65-45
15
43.75
62-45
0-0204
0-00136
30
41-00
59-70
0-0399
000133
45
38-25
56.95
00605
0-00134
60
35.75
54.45
0-0799
0-00133
75
3325
51-95
0-1003
0.00134
90
30-75
49-45
0-1217
0-00135
105
2825
46-95
0-1441
0-00137
120
26-00
4470
0-1655
0-00137
oo
—18-70
—
Mittel 0-4343 k =
= 0-00135,
k — 0-00310.
Die Beobachtungen sind in folgender Weise berechnet. Die ur-
sprüngliche Zuckerlösung hatte die Drehung 46^75; nachdem sie voll-
ständig in Dextrose und LÄvulose tibergegangen war, betrug die Drehung
— 18^70. Da die Drehung der Zuckermenge proportional ist, so ist
der ganze zurückgelegte Winkel von 46-75 + 18-70 = 65 «4 5 das Mass
der anfanglichen Konzentration Cq. Der nach 15 Minuten beobachtete
Drehungswinkel von 43^5 ergiebt C = 43-75 + 18-70 = 62-45.
Nimmt man von beiden Zahlen die Logarithmen, so ist der Unterschied
gleich 0-0204, und diese Zahl durch ^=15, die Zahl der vergangenen
Minuten dividiert, giebt endlich 0-00136, u. s. w.
Die in der letzten Spalte verzeichnete Grösse '*
^
ist
nach der Gleichung also gleich 0-4343 k und muss konstant sein. Wie
man an der Tabelle sieht, trifft dies zu. Denn die vorhandenen Ab-
weichungen rühren nur von Versuchsfehlem her.
Um an demselben Versuchsmaterial die Ergebnisse der Rechnung
nach der Formel — dC/dd^ = kC zu zeigen, sind die Zeitunterschiede
von 15 Minuten zwischen den einzelnen Ablesungen gleich d^ gesetzt
worden; dC sind die zugehörigen Winkeländerungen und ftlr C sind
die Mittelwerte vom Anfang und Ende dieser Zeiten angenommen worden.
Dann ergiebt sich
Chemische Kinetik. 297
d^
— dC
C
k
15
300
63-95
0-003 1 2
15
275
61-08
0-00300
15
275
58-33
0-00315
15
2-50
5570
0-00300
15
2-50
53-20
000313
15
250
5070
0-00328
15
250
48-20
000335
15
2-25
4583
0-00328
Mittel k-
= 000316
Wie man sieht, schwanken die einzelnen Werte viel mehr, als bei
der Benutzung der imderen Formel; auch liegt der Mittelwert um fast
zwei Prozent höher. Doch kann man auf diesem Wege immerhin zu
leidlich angenäherten Resultaten gelangen, zumal im vorliegendem Falle
die Messungen nur auf Viertelgrade haben abgelesen werden können,
und somit jeder einzehieWert von dC eine Fehlermöglichkeit von +4 bis
6 Prozent enthält.
Gleiche Ergebnisse, wie Wilhelmy sie bei der Inversion des Rohr-
zuckers erhalten hatte, haben sich späterhin bei vielen anderen Vor-
gängen wiedergefunden. So verläuft die Reduktion der Übermangan-
saure durch einen grossen Überschuss von Oxalsäure, der Zerfall des
Methylacetats in Methylalkohol nnd Essigsäure, welcher in verdünnter
wässeriger Lösung bei Anwesenheit von Säuren erfolgt, die Umwandlung
von Bibrombemsteinsäure in Bromwasserstoff und Brommaleinsäure, von
Monochloressigsäure in Glycolsäure, die Umwandlung des Atropins in
Hyoscyamin durch die Gegenwart von Alkalien, u. s. w. nach dem
gleichen Gesetz. Dieses hängt nicht von der Beschaffenheit der an der
Reaktion beteiligten Stoffe ab; wo immer ein chemischer Vorgang so
verläuft, dass dabei die Menge nur eines Stoffes sich ändert, so erfolgt
er nach der Fonnel InC^ — lnC = k{^. Die Formel ist wieder nichts
als eine mathematische Folgerung aus dem Satze, dass die chemische
Wirkung der wirkenden Masse oder Konzentration proportional ist.
Die Betrachtung der Formel lehrt, dass theoretisch gesprochen eine
Reaktion nie zu Ende kommen kann. Denn für jeden noch so grossen Wert
der Zeit behält der Ausdruck log C© — log C einen endlichen Wert, d. h. es
ist noch etwas unzersetzter Stoff vorhanden. Erst für ^ = ao wird log Co — log C
unendlich oder C = 0.
Allerdings lässt sich der Nachweis dieses theoretischen Ergebnisses
experimentell nicht führen, da alle Messhilfsmittel begrenzt sind, und die
Konzentration C, wenn sie unter eine bestimmte Grenze gefallen ist, nicht
mehr gemessen, also auch nicht mehr von Null unterschieden werden kann.
Als durchschnittliche Grenze der gewöhnlichen analytischen Bestimmungen
kann man '/jooo ^^^ Wertes ansehen; wenn also die ursprüngliche Konzen-
tration unter diesen Wert gesunken ist, hat man den Wert Null praktisch
298 VIII. Chemische Mechanik.
erreicht. Nun lehrt eine leichte Rechnung, die dem Leser anzusetzen über-
lassen werden mag, dass in einer Zeit, die das Zehnfache der für die halbe Um-
setzung erforderlichen beträgt, die Konzentration unter Viooo des Anfangswertes
gesunken ist, und somit das Ende des Vorganges experimentell erreicht ist.
Es soll schon hier hervorgehoben werden, dass auch die dem bis-
her entwickelten Gesetze nicht unterliegenden Reaktionen alle theoretisch erst
nach unendlich langer Zeit zu Ende gehen. Das Verhältnis zwischen der
Zeit für die Hälfte und 0-999 der Reaktion verschiebt sich aber in den
anderen Fällen so, dass die Regel keine Anwendung mehr findet.
Ein zweiter Fall chemischer Vorgänge, für welchen ein nenes Ge-
setz gültig ist, tritt ein, wenn zwei Stoffe bei demselben ihre Kon-
zentration ändern. Wir müssen wieder voraussetzen, dass die Wirkung
der Konzentration jedes einzelnen proportional ist. Daraus folgt, dass
die Wirkung dem Produkt beider Konzenti'ationen proportional zu
setzen ist, denn dies ist die einzige Funktion, welche die Bedingung erfüllt.
Für die Formulierung eines solchen Vorganges erscheint es auf den
eraten Blick, als wären zwei Gleichungen aufzustellen, da zwei Stoffe
gleichzeitig ihre Konzentration ändern. Doch ist die Änderung der
Konzentration des ersten Stoffes nicht unabhängig von der des zweiten:
vielmehr verlaufen beide einander proportional, und wenn die chemische
Gleichung des V^organges gegeben ist, so wird dessen Zustand durch
eine einzige Veränderliche vollständig bestimmt.
Für die hier zu betrachtenden Reaktionen machen wir die Vor-
aussetzung, dass die auf einander wirkenden Stoffe zu gleichen Molen
reagieren; dann ist die gleichzeitige Änderung der Konzentrationen beider
Stoffe in dem hier eingehaltenen Mass gleich gross, und kann durch
einen gemeinsamen Ausdruck dC dai-gestellt werden. Danach lautet
denn die Grundgleichung für diese Art Vorgänge, die wir als solche
zweiter Ordnung bezeichnen,
— dC/di^ = kCC',
wo C und C' die Kotizentrationen der beiden beteiligten Stoffe in
molekularem Masse sind. Die Bedeutung von k ist wieder die des Ge-
schwindigkeitskoeffizienten, d. h. der Geschwindigkeit, mit der der Vor-
gang verlaufen würde, wenn beständig die Konzentration der beiden
Stoffe gleich Eins wäre.
Auch in diesem Falle ist es fiir eine strenge Prüfung erforderlich,
von der liir unbegrenzt kleine Zeiträume geltenden Gleichung (der
Differentialgleichung) auf einen Ausdruck tiberzugdien, welcher die in be-
liebigen endlichen Zeiten erfolgten Umsätze dai^stellt. Die elementare
Ableitung dieser Gleichung (der Integi'algleichung) würde sehr unüber-
sichtlich ausfallen, und es soll daher nur das Ergebnis gegeben werden
(zu welchem die Integralrechnung alsbald fühi*t). Je nachdem man von
gleichen (d. h. reaktionsäquivalenten) Konzentrationen ausgeht, oder von
verechiedenen, erhält man vei-schiedene Formeln.
Chemische Kinetik. 299
Sind die Anfangskonzentrationen Cq und C\ beider Stoife gleich;
so bleiben sie es auch während der ganzen Reaktion, und die Integral-
gleichung lautet: ^i^^^/q^^ q^ k^,
wo C die gemeinsame Konzentration nach der Zeit 0- ist.
Ein Beispiel eines derartigen Vorganges ist die von R. Warder
(1881) untersuchte Verseifung des Äthylacetats mit Natronlauge.
n C -Ü-~V ^«^
0 16-00 — "^ —
5 10-24 0-563
15 6.13 1-601
25 432 2-705
35 3-41 369
55 2-31 6-94
120 1-10 13-55
In letzter Reihe steht der Wert des Ausdruckes -^ ( -7^ -7^ 1 = Cq k,
welcher der Theorie gemäss konstant sein soll. Auch hier rühren die
vorhandenen kleinen Schwankungen nur von Versuchsfehlem her.
Für die Vorgänge der zweiten Ordnung gilt ganz ähnliches, wie
für die der ei-sten Art. Es wird durch die Natur der vorhandenen
Stoffe, die Temperatur und die Konzentration nur allein die Konstante
k bestimmt; kennt man deren Wert, so ist dadurch der ganze Verlauf
des Vorganges gegeben.
Sind die beiden Stoffe, welche aufeinander wirken, nicht in gleichen
Konzentrationen vorhanden, so gilt eine etwas verwickeitere Gleichung,
deren elementare Ableitung noch weniger anschaulich wäre, als die der
vorigen, und die daher gleichfalls ohne eine solche mitgeteilt werden
soll. Sind beide Anfangskonzentrationen C^ und C'^, so lautet die Gleichung
ln-^^ = (Co-C',)k*,
WO In der natürliche Logarithmus ist und C und C' die Konzenti-ationen
der beiden beteiligten Stoffe in einem und demselben Augenblicke, näm-
lich nach Verlauf der Zeit ß- darstellen. Auch diese Gleichung ist geprüft
und mit der Erfahrung in Übereinstimmung gefunden worden.
Es sind nun weiter die Fälle ins Auge zu fassen, in denen mehr
als zwei Stoffe miteinander reagieren. Es gelten für sie ganz äimliche
Betrachtungen, wie für die Vorgänge zweiter Ordnung, indem die Grund-
gleichung lautet _dC/d^ = kCC'C",
wo C, C' und C" die Konzentrationen der drei Stoffe darstellen.
Auch diese Gleichungen lassen sich für endliche Zeiten umrechnen,
und nehmen je nach den Voraussetzungen über die Gleichheit oder Ver-
300 VIII' Chemische Mechanik.
schiedenheit der Anfangskonzentrationen verschiedene Formen an. Von
deren Mitteilung kann hier abgesehen werden, da derartige Reaktionen
dritter Ordnung sehr selten zu sein sdieinen, so selten, dass es langes
Suchen gekostet hat, bis die ersten derartigen Vorgänge überhaupt ge-
funden worden sind.
Vorgänge vierter Ordnung, bei denen vier verschiedene StoflFe
gleichzeitig aufeinander reagieren, sind noch nicht nachgewiesen oder
untersucht worden.
Bei den eben erwähnten Arbeiten über die Vorgänge höherer Ordnung
hat sich herausgestellt, dass Reaktionen, die nach der chemischen Gleichung
höherer Ordnung sein sollten, doch nach einer niederen verliefen. Die Ur-
sache dafür scheint zu sein, dass diese Vorgänge nicht so verlaufen, wie sie
durch die übliche Formulierung der beteiligten Stoffe erscheinen, sondern dass
diese thatsächlich das Schlussergebnis einer Reihe von nacheinander sich ab-
spielenden Teil Vorgängen sind, deren Ordnung eine andere sein kann, als die
aus der Gesamtgleichung sich ergebende. Dadurch werden solche Unter-
suchungen umgekehrt wieder ein Mittel, über das Auftreten von Zwischen-
vorgängen Aufschluss zu erlangen, und so unsere Einsicht in die Natur der
Reaktionen zu vertiefen.
Die bisherigen Betrachtungen beruhen auf der stillschweigendea
Voraussetzung, dass die Vorgänge, deren Verlauf in der Zeit durch die
Gleichungen dargestellt wird, vollständig zu Ende gehen, ohne dass die
Produkte aufeinander unter Bildung der ursprünglichen Stoffe wieder
reagieren. Wie bereits erwähnt, ist diese Voraussetzung streng genommen
nie richtig, sondern wir müssen in jedem einzelnen Falle die Möglichkeit
zugeben, dass die entgegengesetzte Reaktion thatsächlich verläuft, dass
also z. B. eine Lösung von Dextrose und Lävulose mit etwas Säure
versetzt, eine gewisse, wenn auch wahrscheinlich äusserst kleine Menge
von Rohrzucker zurückbildet. Dass dennoch die ohne eine solche An-
nahme entwickelten Gleichungen die thatsächlichen Verhältnisse innerhalb
der Fehlergrenzen darzustellen vermochten, liegt daran, dass eben in sehr
vielen Fällen der Betrag einer solchen umgekehrten Reaktion unter die
Fehlergrenze der Messungen fällt, und daher nicht nachweisbar ist. Inner-
halb dieser Grenzen sind denn auch die entwickelten Gleichungen richtig,
wenn auch das Vorhandensein eines gewissen Fehlers prinzipiell zuzu-
geben ist.
Daneben giebt es aber auch viele Vorgänge, bei denen die umge-
kehrte Reaktion erhebliche Beträge annimmt, so dass sie nicht vernach-
lässigt werden kann, ohne dass bedeutende Fehler entstehen. Um solche
Fälle rechnerisch darzustellen, machen wir folgende Überlegungen.
Wandelt sich ein Stoff A^ in einen anderen A^ um, und umgekehrt,
so wird die Geschwindigkeit der ersten Umwandlung proportional der
Konzentration von Aj, die der zweiten proportional der von A, sein;
für jeden dieser Vorgänge wird also, wenn C^ und C^ die zugehörigen
Chemische Kinetik. 301
Konzentrationen sind, eine entsprechende Gleichung — dCi/d^=KiCi
und — d C, /d ^ = Kg Cg gelten.
Für den gleichzeitigen Verlauf der beiden Vorgänge stellen wir nun
das Prinzip der Koexistenz auf, d. h. wir machen die Annahme,
dass die beiden entgegengesetzten Teilvorgänge nach dem Gesetze der
Massenwirkung so nebeneinander verlaufen, als fände jeder allein statt,
ohne einen anderen Einfluss auf den anderen auszuüben, als den durch
die Veränderung der Konzentration der beteiligt^tt Stoflfe. Die wirklich
stattfindende Änderung der Konzentration dO ergiebt sich, da durch den
einen Vorgang der Stoff gebildet, durch den anderen aber zerstört wird,
als der Unterschied der beiden Teiländerungen, dC = dCi — dC„ und
indem man diese Werte aus den beiden Einzelgleichungen einfährt, findet
"^^ dC/d,9^ = kC--k'C'.
Die Gleichung lässt sich ebenso behandehi, wie die für die einfachen
Vorgänge erster Ordnung (S. 293), und hat sich gleichfalls durch die
Erfahrung bestätigen lassen.
In ähnlicher Weise ergiebt sich für zwei entgegengesetzt verlaufende
Vorgänge zweiter Ordnung die Gleichung
— dC/d.9- = kC, Cg — k'C/C/,
wo die Konzentration C, und Cg sich auf die Ausgangsstoffe, 0/ und
C3' auf die Produkte beziehen. Wegen der chemischen Reaktions-
gleichung sind diese vier Werte so voneinander abhängig, dass wenn die
vier Konzentrationen in einem bestimmten Augenblicke gegeben waren,
die Angabe einer von ihnen zu jeder anderen Zeit genügt, um den
Wert der drei anderen zu bestimmen. Denn es ist notwendig dCj = dC2,
dCi'=dCg' und dCi = — dC^', und wenn man die einzelnen Re-
aktionsgleichungen ansetzt und dann gemäss dem Koexistenzprinzip addiert,
so erhält man alsbald die oben gegebene Gleichung.
Auch diese verwickeitere Gleichung ist in mehreren Fällen geprüft
und mit der Erfahrung in Übereinstimmung gefunden worden.
Die Mannigfaltigkeit der zusammengesetzten Vorgänge ist durch die
erwähnten Fälle keineswegs erschöpft. Doch kann auf die Anführung
weiterer verzichtet werden, da sie sich alle durch die Anwendung des
Koexistenzprinzips behandeln und wenigstens prinzipiell lösen lassen.
Femer ist noch der Fall zu betrachten, dass der Vorgang in einem
heterogenen Gebilde verläuft, oder dass es sich mit anderen Worten um
Vorgänge zwischen zwei Phasen (S. 101) handelt. In solchen Fällen
besteht eine Trennungsfläche zwischen den beiden Phasen, und der Vor-
gang findet in dieser statt. Das Grundgesetz für diesen Fall ist gleich-
falls schon von Wenzel aufgestellt worden und lautet, dass die umge-
setzten Mengen der Grösse der Berührungsfläche proportional sind. Im
übrigen hängt die Reaktionsgeschwindigkeit gemäss dem Massenwirkungs-
302 VIII. Chemische Mechanik.
gesetze von den Konzentrationen der beteiligten Stoffe in der gemein-
samen Grenzfläche ab. Hierdurch wird im allgemeinen die Verteilung
der Konzentrationen in den einzelnen Phasen ungleichförmig^ und die
Geschwindigkeit wu'd davon abhängig, auf welche Weise (durch Diffusion,
Bewegung u. s. w.) sich die Konzentrationen in der Grenzfläche regeln.
In einigen einfacheren fallen ist die Richtigkeit des Grundsatzes,
dass die umgesetzten Mengen unter sonst gleichen Umständen der Be-
rührungsfläche proportional sind, experimentell erwiesen worden. Die
erwähnten, durch den Vorgang selbst verursachten mannigfachen Kon-
zentrationsänderungen in der Berührungsfläche lassen indessen derartige
Vorgänge leicht so verwickelt werden, dass ihre theoretische Bewältigung
auf grosse Schwierigkeiten stösst.
Zum Schlüsse werden einige Bemerkungen über die bei diesen
Untersuchungen auftretenden Konstanten k am Platze sein. Für ge-
gebene Bedingungen der Stoffe (einschliesslich etwaiger Lösungsmittel),
der Temperatur und des Druckes sind diese Geschwindigkeitskoeffizienten
ebensolche Naturkonstanten, wie irgend welche anderen Grössen, die
man messen und wiederherstellen kann. Man kann sich ihrer also zur
Kennzeichnung bestimmter Stoffe bedienen, und auch, soweit das Massen-
wirkungsgesetz sich als gültig erweist, zu ihrer quantitativen Bestimmung.
Was die genannten Einflüsse anlangt, so vermehrt die Steigerung
der Temperatur sehr bedeutend die Geschwindigkeit. Es giebt wenig
andere Grössen, welche in ähnlichem Masse durch die Temperatur ge-
ändert werden').
Der Einfluss ist mit der Natur der Reaktion einigermassen, doch
nicht sehr veränderlich; er beträgt durchschnittlich so viel, dass durch
eine Temperaturerhöhung von rund 10® die Geschwindigkeit verdoppelt wird.
Der Einfluss des Druckes ist dagegen sehr gering, so dass es gi-osser
Drucke bedarfj um ihn überhaupt messen zu können.
Ein Einfluss „fremder", d. h. nicht in der Reaktionsgleichung auf-
tretender Stoffe, die zugegen sind, lässt sich gleichfalls immer erkennen.
') Die Dampfdrucke zeigen eine ähnlich grosse Veränderiichkeit, welche
sogar einige zahlenmässige Annäherungen aufweist. Dieser Zusammenhang
scheint nicht zufällig, denn da die wirksame Menge der Flüssigkeiten durch ihren
Dampfdruck gemessen wird (wie sich aus später anzustellenden Betrachtungen
ergiebt), und andererseits die Reaktionsgeschwindigkeit der wirksamen Menge
proportional ist, so kann man einen solchen Zusammenhang von vornherein
erwarten. Nur wird sich neben ihm noch der spezifische Einfluss der Tem-
peratur auf die Geschwindigkeit geltend machen.
Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass ähnliche Veränderungen der
Reaktionsgeschwindigkeiten mit der Temperatur auch bei gasförmigen Gebil-
den beobachtet worden sind, auf welche diese Beziehung nicht angewendet
werden kann.
Chemische Kinetik. 303
In vielen Fällen ist die Ändeining der Geschwindigkeit durch die Gegen-
wart solcher Stoffe gering^ in anderen wieder sehr bedeutend; in ein-
zelnen Fällen genügen fast unmessbar kleine Mengen fremder Stoffe^ um
die Geschwindigkeit auf ein Vielfaches ihres Wertes zu erhöhen, oder
auf einen kleinen Bruchteil zu veiTnindem. Solche die Geschwindigkeit
sehr stark beemflussende Stoffe nennt man kataly tisch wirkende oder
Katalysatoren. Doch handelt es sich hier nur um quantitative Unter-
schiede (die allerdings zuweilen ungeheure Beträge annehmen); im Grunde
wirkt jeder fremde Stoff katalytisch, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit
ändernd.
Durch diesen allgemeinen Umstand ist eine Ursache gegeben, welcher
die Geltung der einfachen Gesetze der Reaktionsgeschwindigkeiten sehr ein-
schränkt. Infolge der Reaktion entstehen ja notwendig neue Stoffe, welche in
dem oben ausgesprochenen allgemeinen Sinne kataly tisch wirken, d. h. die
Geschwindigkeitskonstante ändern. Die oben gegebenen Gesetze sind aber
unter der Voraussetzung entwickelt, dass diese Konstante während der ganzen
Reaktion ihren Wert unverändert beibehält. Die einfachen Gesetze können
daher nur in solchen Fällen Geltung haben, wo diese Einflüsse auf die Kon-
stante unterhalb der Versuchsfehler bleiben. Es muss als ein besonderer
Glücksfall angesehen werden, dass das erste Beispiel einer Reaktionsgeschwindig-
keit, welches Wilhelmy untersuchte (S. 295), die Zuckerinversion war, denn
diese ist wohl unter allen bisher untersuchten Reaktionen am wenigsten von
derartigen Nebenwirkungen beeinflusst.
Im übrigen sind die Geschwindigkeitskonstanten der verschiedenen
Vorgänge untereinander ausserordentlich verschieden und umfassen das
ganze Gebiet der mess- und beobachtbaren Werte. Am schnellsten ver-
laufen Vorgänge zwischen Ionen in wässerigen Lösungen; ihre Ge-
schwindigkeit überschreitet die Grenze des gegenwärtig Messbaren. Die
Vorgänge zwischen organischen Verbindungen sind dagegen meist durch
geringe Geschwindigkeiten gekennzeichnet; daher rührt die so häufige
Anwendung erhöhter Temperatur in geschlossenen Gefässen^). Ebenso
sind die meisten Vorgänge zwischen Gasen, soweit sie nicht bei hoher
Temperatur erfolgen, von grosser Langsamkeit. Sind derartige Vorgänge
von technischer Wichtigkeit, so bedient man sich geeigneter katalytischer
Beschleuniger, um eine genügende Geschwindigkeit zu erzielen. Ebenso
regeln die tierischen und pflanzlichen Organismen die Geschwindigkeit
ihres Stoffwechsels durch Katalysatoren der verschiedensten Art. Da-
durch kommt diesen Wirkungen eine ausserordentliche Wichtigkeit zu,
und die Erkenntnis ihrer allgemeinen Gesetze wird auf die chemische
Technik, wie auf die Physiologie und Medizin unübersehbare Einflüsse
') Die gelegentlich ausgesprochene Annahme, als käme dem Druck hier-
bei eine grosse Wirkung zu, ist irrtümlich ; der Druck ist nur nötig, um die
beteiligten Stoffe im flüssigen Zustande bei so hohen Temperaturen zu halten,
dass die Reaktionsgeschwindigkeit einen genügend grossen Wert annimmt.
304 VIII. Chemische Mechanik.
ausüben. Leider ist die Teissenschaftliche Erforschung der katalytischen
Erscheinungen unter den hier gegebenen Gesichtspunkten erst in jüngster
Zeit aufgenommen worden^ und hat noch nicht zu Ergebnissen geführt,
die einen einfachen Ausdruck gestatten.
Drittes Kapitel.
Allgemeines über da9 chemisohe Gleichgewicht. Das Phistsengesetz.
Das Gesetz der chemischen Massenwirkung beherrscht, wie bereits
erwähnt, zwei Gruppen von Erscheinungen: den zeitlichen Ablauf der
chemischen Vorgänge einerseits, und andererseits die Gleichgewichte, zu
denen dieser fuhrt. Beide Fälle stehen unter dem allgemeinen Gesetz,
dass die Tendenz, mit welcher sich ein vorhandener Stoff umzuwandeln
strebt,, mit seiner Konzentration wächst. Demgemäss ändert sich die Ten-
denz, mit welcher ein Stoff sich zu bilden strebt, umgekehrt mit
seiner Konzentration.
Findet daher ein chemischer Vorgang statt, so wird durch die Ver-
mindeiTing der Ausgangsstoffe infolge ihrer Umwandlung deren Tendenz
zur Umwandlung immer geringer, und durch die Vermehrung der Pro-
dukte deren Tendenz zur Rückverwandlung immer grösser. Schliesslich
muss ein Zustand eintreten, in welchem beide Tendenzen sich gegen-
seitig aufheben, und die Reaktion stillsteht.
Ganz die gleichen Überlegungen sind anzustellen, wenn die Reaktion
in umgekehrtem Sinne vor sich geht. Wenn in beiden Fällen die
äusseren Umstände, wie Dnick, Temperatur und Gesamtkonzentration
gleich sind, so muss die Umwandlung bei den gleichen Verhältnissen der
Ausgangsstoffe und der Produkte aufhören, wie im ersten Falle. Einen
solchen Zustand nennt man den eines chemischen Gleichgewichts
in leicht ersichtlicher Analogie mit dem mechanischen Gleichgewicht.
Ein mechanisches Gleichgewicht ist im allgemeinsten Sinne dadurch
gekennzeichnet, dass eine Verschiebung des Zustandes Ursachen hervor-
ruft, welche sich dieser Verschiebung widersetzen und den früheren Zu-
stand wieder herzusteUen streben. Ganz dieselbe Definition lässt sich
auf das chemische Gleichgewicht anwenden. Die Verschiebung des Zu-
standes besteht hier zunächst in einer Veränderung des Verhältnisses der be-
teiUgten Stoffe. Es giebt also ein bestimmtes Verhältnis, bei welchem
das Gebilde in Ruhe ist, und jede Ändemng dieses Verhältnisses ruft
einen chemischen Vorgang hervor, der den früheren Wert desselben
wieder herstellt.
Zu demselben Ergebnis kommt man, ^enn man ein chemisches Gleich-
gewicht als einen Zustand auffasst, in welchem die Geschwindigkeit der einen
Reaktion gleich der der entgegengesetzten geworden ist. Da die Geschwindig-
Allgemeines über das chemische Gleichgewicht. Das Phasengesetz. 305
keiten von den Konzentrationen abhängen, so kann die Gleichheit der ent-
gegengesetzten Geschwindigkeiten, oder die Gesamtgeschwindigkeit Null nur
bei einem bestimmten Verhältnis jener eintreten.
Vergleicht man die Erfahrungen an den meisten chemischen Vor-
gängen mit diesen allgemeinen Betrachtungen ^ so findet man nur teil-
weise Übereinstimmung. Zwar sind viele derartige Gleichgewichtszu-
stände bekannt; daneben stehen aber noch zahlreichere Reaktionen, die
keinen Gleichgewichtszustand erkennen lassen^ sondern durchaus den Ein-
druck der Einseitigkeit machen: nur die eine von den beiden entgegenge-
setzten Reaktionen tritt ein^ und die andere lässt sich nicht nachweisen.
So bildet Salzsäure in wässeriger Lösung mit Natron anscheinend
ganz vollständig Natrium clilorid und Wasser, und die entgegenge-
setzte Reaktion, die Zerlegung des Natriumchlorids durch Wasser in
Salzsäure und Natron, scheint unmöglich zu sein. Indessen lässt sich
schon in dem sehr ähnlichen Falle, wo das Natron durch Ammoniak,
oder die Salzsäure durch Kohlensäure ersetzt ist, die entgegengesetzte
Reaktion beobachten: die Lösung ist im ersten Falle etwas sauer, zum
Zeichen, dass etwas Salzsäure unverbunden vorhanden ist, und im zweiten
Falle ist sie stark alkalisch, zum Zeichen, dass normales Natrium-
karbonat in wässeriger Lösung so zersetzt wird, dass sich eine merk-
liche Menge Natron bildet. Zwischen solchen Salzen, die sicher teil-
weise zersetzt sind, und solchen, an denen sich keine Zersetzung nach-
weisen lässt, smd alle Übergänge vorhanden.
Wir können dieses Beispiel verallgemeinem, und sagen, dass von
den thatsächlich vorhandenen Gleichgewichtszuständen uns nur die ver-
hältnismässig kleine Zahl zur Kenntnis kommt, wo die Konzentrationen,
bei denen das Gleichgewicht eintritt, innerhalb der analytisch nachweis-
baren Grenzen liegen. Da diese Grenzen täglich erweitert werden, so
erweitert sich dadurch auch das Gebiet der nachweisbaren Gleichgewichte,
und da sich bisher kein Widerspruch gegen die Verallgemeinerung des
Gleichgewichtsbegriffes gezeigt hat, so kann man ihn als einen be-
reditigten Induktionsschluss aus der Erfahrung annehmen.
Ein wichtiger Umstand muss indessen hier betont werden. Die
eben durchgeführten Betrachtungen gelten für wirkliche Gleichgewichte,
die der oben gegebenen Definition entsprechen, und sieh bei einge-
tretener Störung wieder herstellen. Die Geschwindigkeit dieser Her-
stellung ist sehr verschieden, und wird in der Nahe des Gleichgewichts
ohnedies immer kleiner. Es kann bei den ungeheueren Verschiedenheiten
der Reaktionsgeschwindigkeiten also häufig der Fall eintreten, dass ein
Zustand anscheinend unverändert in der Zeit bestehen bleibt, nicht weil
er ein Gleichgewicht ist, sondern weil seine Reaktionsgeschwindigkeit so
klein ist, dass sich die Veränderung der Beobachtung entzieht. Solche
Zustände lassen sich von denen des Gleichgewichts immer dadurch unter-
scheiden, dass sie nicht in absehbarer Zeit von beiden Seiten her erreicht
Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 20
306 YIII. Chemische Mechanik.
werden, und sich daher auch nicht selbstthätig wieder herstellen, wenn sie
gestört worden sind.
Die Mechanik unterscheidet femer stabile, indifferente und labile Gleichge-
wichte; die oben gegebene Definition passt nur auf die ersteren. Die labilen
Gleichgewichte sind eine mathematische Fiktion, der keine Thatsachen
entsprechen, da die vollständige Abwesenheit von Störungen, welche für die
Existenz der labilen Gleichgewichte vorausgesetzt wird, sich nicht herstellen
lässt. Die Bezeichnung von Zuständen der Überkaltung u. dergl. (S. 113)
als labiler ist ungeeignet, und führt zu irrtümlichen Vorstellungen. Dagegen
sing als labil im chemischen Sinne solche Zustände zu bezeichnen, welche an
sich unbeständig sind, und ohne äusseres Zuthun in andere übergehen.
Dagegen ist für die indifferenten Gleichgewichte eine Analogie vor-
handen. Indifferent heisst in der Mechanik ein Gebilde gegen solche Zustands-
änderungen, welche auf das stabile Gleichgewicht keinen Einfluss haben.
Solche Veränderungen sind bei den chemischen Gleichgewichten die Menge
verschiedener heterogener Phasen (S. 101). Ein einfaches Beispiel ist das
Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf; dieses ist ganz unabhängig
von den absoluten und relativen Mengen dieser beiden Phasen, und in Be-
zug auf die Veränderung dieser Mengen befindet sich das Gebilde also im
indifferenten Gleichgewicht.
Man kann die verschiedenen Fälle des chemischen Gleichgewichts
in Klassen ordnen, die von der Zahl der Bestandteile abhängen, welche
sich am Gebilde beteiligen. Die Gleichgewichte erster Ordnung,
bei denen nur ein Bestandteil vorhanden ist, sind zum Teil bereits bei
Mherer Gelegenheit behandelt worden: es sind die Änderungen des
Aggregatzustandes, denen sich die allotropen und polymorphen Um-
wandlungen anschliessen. Die ersteren dieser Gleichgewichte nennt man
wohl auch physikalische, im Gegensatze zu den chemischen. Doch ist eine
solche Unterscheidung nur äusserlich und nicht in der Natur der Sache
begründet, denn die Gesetze der chemischen Gleichgewichte im engeren
Sinne benihen auf ganz denselben Prinzipien, wie die der sogenannten
physikalischen. Insbesondere werden die gegenseitigen Umwandlungen
polymorpher Stoffe von ganz genau denselben Gesetzen geregelt, wie
die Übergänge der verschiedenen Aggregatzustände in einander, während
>man sie doch chemische Umwandlungen nennen muss. Doch gehören
zu den Gleichgewichten erster Ordnung noch andere, wie die Spaltung
des Stickstofihyperoxyds, N^O* in 2 NO*, des Jods, J»=r2J, und
ähnliche Fälle mehr.
Beim Gleichgewicht zweiter Ordnung beteiligen sich zwei verschie-
dene Stoffe oder Bestandteile; hierher gehören einerseits die Lösungen,
andererseits aber auch chemische Gleichgewichte im engeren Sinne.
Die „Bestandteile" eines im Gleichgewicht befindlichen Gebildes
sind nicht notwendig die Elemente. Vielmehr nennt man Bestandteile
die Stoffe, aus denen man alle am Gleichgewicht beteiligten Phasen zu-
sammensetzen kann. Sind alle Phasen emes solchen Gebildes von
Gleichgewichte erster Ordnung. 397
gleicher elementarer ZoBammenBetzung (und lassen sie sich ineinander
umwandeln); so liegt ein einziger Bestandteil vor; sind alle Phasen von
der Beschaffenheit; dass ihre Zusammensetzung sich als Summe ent-
sprechender Mengen zweier Stoffe (gleichgültig, ob diese im reinen Zu-
stande vorliegen oder nicht) darstellen lässt, so ist das Gleichgewicht
zweiter Ordnung u. s. f. So stellt eine Lösung von Magnesiumsulfet
in Wasser, neben festem Salz und Wasserdampf ein Gleichgewicht
zweiter Ordnung dar; denn jede der Phasen lässt sich durch eine
Formel xMgSO* + yH*^0 darstellen, wo x und y irgend welche Werte
(u. a. auch Null) annehmen können.
Ein zweiter Einteilungsgrund ist durch das Phasengesetz (Gibbs
1874) gegeben. Wir haben früher (S. 101) gesehen, dass ein einheit-
licher Stoff, d. h. ein Gleichgewicht erster Ordnung, mit einer einzigen
Phase zwei Freiheiten hat, d. h. dass sein Zustand erst bestimmt ist,
wenn man für zwei Grössen, von denen er abhängt, bestimmte Werte an-
genommen hat. Tritt eine zweite Phase hinzu (z. B. Dampf zu Wasser,
so bleibt nur eine Freiheit übrig, und nur eine Zustandsgrösse kann wiU-
kürlich gewählt werden. Eine dritte Phase hebt alle Freiheit auf (S. 175).
Wenn nun mehr als ein Bestandteil vorhanden ist, so wächst die
Zahl der Freiheiten mit der Zahl der Bestandteile, und zwar mit jedem
Be»tandteil um Eins. Nennt man die Zahl der Bestandteile B, und P
die Zahl der Phasen in einem Gleichgewicht, so ist die Zahl der Frei-
heiten F durch die Formel F = B -f- 2 — P gegeben.
Trotz ihrer anscheinenden Einfachheit ist diese Formel von sehr aus-
gedehnter Anwendbarkeit und gestattet Folgerungen der mannigfaltigsten Art
zu ziehen, die allerdings nur qualitativer Natur sind. So kann man z. B.
mit ihrer Hilfe die früher bestrittene Frage entscheiden, ob der Druck einen
Einfluss auf die Löslichkeit der Stoffe ausübt. Wir betrachten ein Gebilde,
das aus dem festen Stoffe und der mit ihm im Gleichgewicht befindlichen
Lösung unter irgend einem Drucke besteht. Die Zahl der Bestandteile ist
zwei, ebenso die Zahl der Phasen; folglich müssen nach der Formel zwei
Freiheiten vorhanden sein. Über eine von diesen verfügen wir durch die
Wahl einer bestimmten Temperatur; dann ist noch eine Freiheit übrig,
und folglich muss sich die Zusammensetzung der Lösung mit dem Drucke
ändern können, wie es der Versuch auch thatsächlich erwiesen hat.
Viertes Kapitel.
Gleichgewichte erster Ordnung.
Bei der Besprechung der abnormen Dampfdichten wurde bereits
(S. 74) einiger Fälle gedacht, in denen Gase durch Veränderungen des
Druckes und der Temperatur ihre Eigenschaften ändern, ohne dass sich
üure chemische Gesamtzusammensetzung ändert. Das am längsten be-
20*
308 VIII. Chemische Mechanik.
kannte Beispiel ist das Stiekstoffhyperoxyd^ dessen Umwandlung durch
die Gleichung N*0*=2N0^ dargestellt wird. Die erste Ursache für
die Aufstellung einer solchen Formel war die Veränderlichkeit des Normal-
oder Molekulargewichts, wie es sich ans der Messung der Dampfdichte
ergab. Doch sind mit diesen Änderungen auch solche anderer Eigen-
schaften verbunden. Insbesondere zeigen die Dämpfe in solchen Zu-
ständen, die durch die erste Formel ausgedrückt werden, nur geringe
Färbung, und diese wird um so dunkler braunrot, je grösser der An-
teil an der Form NO* wird.
Man könnte auf die Messung der Farbe eme Bestimmung des Ver-
hältnisses beider Anteile gründen, indem man die wahrscheinliche An-
nahme macht, dass sich die Färbung des Gemisches additiv aus der der
Bestandteile zusammensetzt. Doch hat man ein sicheres Mittel in der
Messung der Dichte. ^
Bestimmt man den Wert von R in der Gasgleichung pv = RT
für ein Mol N*0* oder 92 g des Stoffes, so erhält man je nach der
Temperatur und dem Drucke Werte zwischen dem normalen und dem
doppelten, entsprechend der oben formulierten Zersetzung. Nennt man
X den Bruchteil des unzersetzt gebliebenen N*0*, so wird der an einem
entsprechenden Gemisch beobachtete Wert der Konstanten, der r genannt
werden soll, gegeben sein durch die Summe xR-|-2(l — x)R, oder
r = R(2 — x), woraus sich x = 2 — r/R ergiebt. Bestimmt man also
r =:r pv/T für 92 g des teilweise zeraetzten Gemisches, so ergiebt sich
daraus aJsbald der Zersetzungsgrad x. Da ferner den Grössen r und R
die Dichte d des teilweise zersetzten Gemisches und die Dichte D des
unzersetzten Stoffes N'O^ umgekehrt proportional ist, so kann man das
Verhältnis r/R durch D /d ersetzen und erhält die Gleichung x = 2 — D/d.
Die Erfahrung zeigt nun, dass die Dichte d um so kleiner aus-
fällt, je geringer der Druck wird, dass also die Zersetzung mit ab-
nehmendem Drucke zunimmt. Das Gesetz für den Einfluss des Druckes
lässt sich theoretisch ableiten.
Der unmittelbare Ansatz des Massenwirkungsgesetzes würde in
unserem Falle zu folgender Gleichung führen. Setzen wir die Wirkung
jeder der beiden Formen des Hyperoxyds auf die Entstehung des Gleich-
gewichts proportional ihrer Konzentration, so würden wir die Gleichung
a = kb erhalten, wo a die Konzentration von N*0* und b die von
NO* ist; k bedeutet einen Koeffizienten, der noch von der Temperatur
abhängig sein kann. Indessen ist diese Gleichung im Widerspruch mit
der Erfahrung, da sie zu dem Schlüsse führt, dass das Verhältnis beider
Konzentrationen unabhängig von deren absolutem Werte sein soll, während
doch mit abnehmender Konzentration (abnehmendem Druck) sich das
Verhältnis zu Gunsten der Form NO* verschiebt.
Auch lässt sich allgemein absehen, dass der Druck einen Einfluss
auf den Zersetzungsgrad haben muss, denn dieser hat einen Einfluss
Gleichgewichte erster Ordnung. 309
auf den Druck, indem der Druck sieh vermehrt, wenn NO* auf Kosten
von N*0* zunimmt. Es ist also noch die eintretende Volumänderung
in der Gleichung zur Geltung zu bringen. Die einzige Form^ dies zu
tliun, ohne in Widerspruch mit den Voraussetzungen zu geraten, und
ohne neiie Koeffizienten einzuführen, ist die entsprechender Potenzen
der Konzentrationen. Die Gleichung
a = kb'^
stellt in der That das Verhalten des StickstofiThyperoxyds bei wediseln-
der Konzentration (oder wechselndem Druck) und konstanter Temperatur
vollkommen dar; sie ist mehrfach an der Erfahrung geprüft und mit ihr
in Übereinstimmung gefanden worden.
Zerfällt aUgemein ein Mol eines Gases in n Mole eines anderen,
und sind a und b die zugehörigen Konzentrationen, so ist die Gleich-
gewichtsgleichung bei konstanter Temperatur, oder die Gleichgewichts-
isotherme gegeben durch die Formel a = kb°.
Die Formel a = kb° zeigt, dass ein Einfluss der Konzentration
auf das Gleichgewicht nur in dem Falle vorhanden ist, dass n von Eins
verschieden ist. Ist n = 1 , so bleiben beide Konzentrationen einander
proportional; der Zersetzungsgrad ändert sich nicht, wenn man das Gas-
gemisch einem veränderten Drucke unterwirft, da hierbei beide Konzen-
trationen in gleidiem Verhältnisse geändert werden. Femer ergiebt sich,
dass eine Änderung der Konzentration b einen grösseren Einfluss ausübt,
als eine von a; in dem Fall des Stickstoflfhyperoxyds, wo n = 2 ist,
muss eine Verdoppelung der ersteren von einer Vemerfachung von a
begleitet sein, wenn das Gleichgewicht bestehen soll. Daraus ergiebt
sich, dass bei einer Druckvermehrung der Zerfall zurückgehen muss, dass
mit anderen Worten der Vorgang einti'itt, welcher sich der Druckver-
mehrung widersetzt.
Die vorstehende Formel lässt sich streng auf Grund der Definition ab-
leiten, dass ein Gleichgewichtszustand eintritt, wenn für eine unendlich kleine
Verschiebung dieses Zustandes die zugehörigen Arbeiten in Summa Null sind.
Nun ist die Arbeit, welche ein Gas bei konstanter Temperatur bei einer
Ausdehnung von v, auf v^ leistet, gleich RTln(Vj/v,) (S. 89), oder da bei
konstanter Temperatur Vj/v^ «=p,/p.^ ist, RTln(pj/pg) oder RT(lnp, — Inpj).
Für eine kleine Änderung des Druckes p ist die Arbeit nach der mehrfach
benutzten Schreibweise (dRTlnp) oder RTdlnp.
Verschieben wir nun das Gleichgewicht in unserem Falle, so entstehen 2,
oder allgemein n Mole des Produktes B, wenn ein Mol des Ausgangsstoffes A
verschwindet. Die zugehörigen Arbeiten sind nRTdlnpß und — RTdlnp^^
und ihre Summe muss nach dem oben ausgesprochenen Prinzip gleich Null
sein. Wir haben also nRTdlnp^ — RTdlnp^ = 0 oder ndlnpg — dlnp^ = 0,
oderd(nlnpß) — dlnp^ = 0 oder dlnpß = dlnp^. Es sollen also die gleich-
zeitigen Änderungen des Logarithmus von p^ und von p^ gleich sein; dies
tritt ein, wenn die beiden Zahlen selbst in konstantem Verhältnis stehen,
310 YIII. Chemische Mechanik.
denn dann sind ihre Logarithmen stets um eine konstante Zahl verschieden
und ihre gleichzeitigen Änderungen gleich. Nennen wir r dies konstante
Verhältnis, so folgt „
Nun sind aber hier die Konzentrationen der beiden Gase den Teildrucken
Pß und p^ proportional, p^ =■ ha und pg«=hb, wo h der Proportionalitäts-
faktor ist. Hiermit, und indem wir rh°-i=-k setzen, folgt
a-=kb^-
lieber den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht läset
sich zunächst sagen, dass zufolge des allgemeinen Gleichgewichtssatzes
(S. 304) bei einer Steigerung der Temperatur der Vorgang einti-eten
wird, der sich der Steigerung widersetzt, d. h. das Gleichgewicht wird
sich in solchem Sinne verschieben, dass die mit Wärmeverbrauch ver-
bundene Reaktion eintritt. Da dies beim Stickstoffhyperoxyd der Zer-
fall in die einfachere Verbindung ist, so wird mit steigender Temperatur
dieser Zerfall zunehmen. Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss.
Man kann dies sehr leicht anschaulich machen, wenn man dampfförmiges
Hyperoxyd in eine Glasröhre einschmilzt. Während bei gewöhnlicher Tem-
peratur der Inhalt der Röhre nur wenig gefärbt ist, wird bei einigem Er-
wärmen der Dampf schnell dunkler, und nimmt beim Erkalten wieder seine
ursprungliche Farbe an. Ein nicht erwärmtes, ebenso gefülltes Rohr dient
zum Vergleich.
Eine Formel für den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht
lässt sich auf einem Wege erhalten, der dem S. 125 benutzten zur Ab-
leitung der Dampfdruckformel ganz älinlich ist, und auf dem Satze
beruht, dass das Verhältnis der in Arbeit umsetzbaren Wärme zur Ge-
samtmenge der in Bewegung gesetzten Wärme sich bei einem zwischen
zwei Temperaturen verlaufenden umkehrbaren Kreisprozess verhält wie
der Temperaturunterschied zu der Temperatur in absoluter Zählung. Sie
lautet dlnr/dT = L/RT^
Die Arbeit, welche aufgenommen wird^ wenn siph in einer grösseren Ge-
samtmenge ein Mol eines Gases in n Mole eines anderen verwandelt, ist gleich
RT(lnp^ — ^^Pa) — nRT(lnpß — Inp'^), da ein Mol verschwindet und n
Mole entstehen ; die neuen Teildrucke sind mit einem Strich bezeichnet. Die
Änderung dieser Arbeit wird demnach durch RTd In (pA/Pg) ausgedrückt,
und die Gleichung für die Änderung der Arbeit mit der Temperatur, oder
die zwischen den Temperaturen T und T + d T in einem Kreisprozess zu
gewinnende Arbeit erlangt die Gestalt
RTdln(p^/pJ)/L-dT/T,
WO L die bei der Umwandlung von einem Mol des Gases aufgenommene
Wärmemenge ist. Nun ist das Verhältnis p^ /pg die Gleichgewichtskonstante
(siehe oben); hiernach vereinfacht sich die Gleichung zu
dlnr/dT = L/RT*.
Gleichgewichte erster Ordnung. 311
Diese Gleichung (van't Hoff 1885) stimmt in ihrer Form durchaus
mit der für die Änderung des Dampfdruckes mit der Temperatur (S. 126)
abgeleiteten überein, nur dass links unter dem Logarithmus an Stelle des
Druckes der Quotient der Teildrucke (bez. ihrer Potenzen) steht Es
wird sich später zeigen, dass diese Formel für alle Arten des Gleich-
gewichts ihre Geltung behält, indem immer nur unter dem Logarithmus
der auf die Drucke bezogene Gleichgewichtskoeffizient auftritt.
Die Formel gestattet, wenn der Verlauf der Konstanten r, d. h.
des Gleichgewichtszustandes mit der Temperatur gegeben ist, die Re-
aktionswärme L zu berechnen und umgekehrt. Öie hat durch die Er-
fahrung Bestätigung gefunden, wenn auch noch nicht in sehr weitem
Umfange, und hat sich als nützlich erwiesen, um die Wärraetönungen
von Reaktionen zu berechnen, die man nicht unmittelbar messen konnte.
So hat sich z. B. die beim Zerfall des Jods, J^ = 2J, bei sehr hohen
Temperaturen (S. 15) verbrauchte Wärme zu 119 J ergeben (Boltz-
mann 1884).
Ähnliche Gleichgewichtszustände, wie in einem Gemenge von gegen-
seitig umsetzbaren Gasen, können auch in Flüssigkeiten eintreten, die
sich gegenseitig umwandeln. So ist unzweifelhaft; das flüssige Stickstoff-
byperoxyd ein Gemenge der beiden Formen, wenn auch mit vorwiegen-
dem N*0*, und das Verhältnis beider verschiebt sich mit steigender
Temperatur zu gunsten der einfachen. Von den für das Gleichgewidit der
Gase entwickelten Gesetzen bleibt hier aber nur der allgemeine Teil in Kraft,
der sich auf den Sinn der Verschiebung des Gleichgewichts bei geänderten
Verhältnissen bezieht: eine Druckvermehrung wird immer die Reaktion,
begünstigen, welche mit Raumvermindenmg verbunden ist, und eine
Temperaturerhöhung die Reaktion mit Wärmeverbrauch. Die quantitativen
Gesetze dagegen, die auf Grund der Berechnung der Arbeit mittels der
Gasgesetze abgeleitet worden sind, treffen nicht mehr zu, wo die Gas-
gesetze nicht gültig sind. Für verdünnte Lösungen gelten die Gas-
gesetze noch unter Ersatz des Gasdruckes durch den osmotischen (S. 93);
für konzentriertere Lösungen ist dagegen zur Zeit eine Berechnung der
Arbeitsgrössen in allgemeiner Weise nicht möglich und die Formeln ver-
lieren ihre Anwendung.
Weitere Fälle des Gleichgewichts erster Ordnung entstehen, wenn
mehrere Phasen auftreten. Das wesentliche über solche Gleichgewichte
ist bereits in den Kapiteln über die Änderungen der Aggregatzustände
gesagt worden (S. 98 und 174); hier ist nur zuzufügen, dass die ent-
wickelten Beziehungen ganz unabhängig davon sind, ob die beteiligten
Stoffe isomere Umwandlungen erleiden, oder nicht. Der einzige Unter-
schied ist, dass bei chemischen Umwandtungen das Gleichgewicht sich
meist langsamer einstellt, als in den Fällen ohne Umwandlung.
So besitzt z. B. das Stickstoffhyperoxyd einen bestimmten, nur von der
Temperatur abhängigen Dampfdruck, unabhängig davon, dass es in beiden
Zuständen, dem flüssigen und dem als Flüssigkeit und als Dampf, kein ein-
312 VIII. Chemische Mechanik.
heitlicher Stofif im chemischen Sinne ist. Ebenso besteht zwischen fester
Cyanursäure, CsN^OsHa, und dem aus ihr beim Erhitzen entstehenden Cyan-
säuredampfe CNOH ein nur von der Temperatur abhängiges Gleichgewicht, ob-
wohl mit der Verdampfung eine chemische Umwandlung verbunden ist. Das
gleiche gilt für gasförmiges Cyan und festes Paracyan, das dem ersteren po-
lymer ist.
Für den Gleichgewichtszustand fest-flüssig sind dieselben Betrachtungen
geltend zu machen. Ein fester Stoff und seine Schmelze befolgen alle die
Gesetze, welche S. 174 für den Fall der einfachen Schmelzung entwickelt
worden sind, welche chemische Verschiedenheit auch zwischen beiden Phasen
bestehen mag, wenn nur beide gleich zusammengesetzt sind und bleiben.
Hierbei ist es nicht einmal erforderlich, dass irgend eine der Phasen ein
chemisches Individuum sei; wir werden später in den „Kryohydraten" Ge-
bilde kennen lernen, welche im festen, wie im flüssigen Zustande Gemenge
beliebig vieler Bestandteile sein können, und doch genau den Schmelzpunkts -
gesetzen gehorchen, da sie die Bedingung erfüllen, dass die beiden Phasen,
die feste und die flüssige, gleiche Zusammensetzung haben und sich in ein-
ander umwandeln. Diese Betrachtungen gestatten, die möglichen Fälle der
Gleichgewichte erster Ordnung sämtlich unter die vorhandenen Gesetzmässig-
keiten zu bringen.
Schliesslich sei noch auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Es
kann in keinem Gebilde mehr als eine Gasphase sein^ da alle Gase
sich in allen Verhältnissen miteinander vermischen. Flüssige Phasen
kommen^ soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, höchstens in so
grosser Zahl vor, als Bestandteile vorhanden sind; es sind demnaeli
Gleichgewichte erster Ordnung nur mit einer flüssigen Phase bekannt.
Flüssigkeiten und Gase können einheitliche Stoße und Gemische sein.
Feste Körper können sich an Gleichgewichten in beliebiger Zahl be-
teiligen: sie werden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von ein-
heitlichen Stoffen gebildet. Feste Lösungen sind zwar möglich und be-
kannt, doch ist ihr Vorkommen beschränkt, und sie sollen vorläufig
von den Betrachtungen ausgeschlossen werden.
Bei aUen Gleichgewichten mit mehreren Phasen ist das Auftreten
einer noch nicht vorhandenen Phase, wenn sie neben der vorhandenen
unter den gegebenen Umständen bestehen kann, keine Notwendig-
keit. Vielmehr darf man die Überschreitungserscheinungen (S. 112) als
eine allgemeine Eigentümlichkeit mehrphasiger Gebilde ansehen, und nach
den bisherigen Erfahrungen ist es auch statthaft, die Begriffe stabil,
metastabil und labil auf alle derartigen Fälle anzuwenden, und sie
nicht auf das Gleichgewicht zwischen einer Flüssigkeit und ihrem Dampf
zu beschränken. Die Leichtigkeit, Überschreitungen experimentell her-
zustellen, ist allerdings sehr verschieden, und ebenso ist es die Breite
der metastabilen Gebiete.
Wenn man das metastabile Gebiet überschritten hat, und es ent-
steht eine neue Phase freiwillig, so macht sich das bemerkenswerte Ge-
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 313
setz geltend, dass die entstehende Form nicht die unter den
vorhandenen Umständen beständigste ist, sondern im Gegen-
teil die wenigst beständige, d. h. die in Bezug auf ihre Be-
ständigkeit der sich umwandelnden Form zunächst liegende.
Die Erscheinung ist ausserordentlich verbreitet. Als Bei-
spiel diene, dass Schwefel sich aus seinem Dampfe immer in Gestalt
von Tröpfchen abscheidet, wenn auch die Temperatur weit unter dem
Schmelzpunkte liegt. Quecksilberjodid schlägt sich aus dem Dampfe
immer erst in der unbeständigen gelben Form nieder, obwohl deren
ümwandlungstemperatur bei etwa 140® liegt, u. s. w. Es handelt sich
hier um eine ganz allgemeine Erscheinung, die nicht auf die Gleich-
gewichte erster Ordnung beschränkt ist, sondern bei allen Zustands-
änderungen chemischer oder physikalischer Art sich zur Geltung bringt
Fünftes Kapitel.
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.
Nach Anleitung der Definition eines Gleichgewichts erster Ordnung
(S. 306) ist eines zweiter Ordnung dadurch bestimmt, dass alle vor-
handenen Phasen sich ihrer Zusammensetzung nach als Summe zweier
Bestandteile darstellen lassen; diese Bestandteile können ihrerseits chemisch
einfache oder zusammengesetzte Stoffe sein. Daraus ergiebt sich, dass
die Zuordnung eines gegebenen Gebildes von der Art der Umwandlungen
und von den Existenzbedingungen abhängig ist, welche man in Betracht
zieht. Bei Temperaturen, die einige hundert Grade nicht überschreiten,
sind z. B. die möglichen Umwandlungen des Wassers erster Ordnung;
sowie man aber in das Gebiet gelangt, wo der Zerfall des Wassers in
Sauerstoff und Wasserstoff messbar zu werden beginnt, wird das Gleich-
gewicht zweiter Ordnung, weil die nun auftretenden Phasen nur noch
durch unabhängige Mengen der Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff
dargestellt werden können.
Eine der wichtigsten Gruppen in den Gleichgewichten zweiter
Ordnung sind die Gemenge zweier Bestandteile, die eine homogene Phase
von stetig wechselnder Zusammensetzung bilden. Wir bezeichnen solche
Gemenge aus zwei oder mehreren Bestandteilen als Lösungen, und
betrachten deren Eigenschaften zunächst für sich. Von der Theorie der
Lösungen bilden die S. 189 u. ff. mitgeteilten Beziehungen nur einen
kleinen, wenn auch sehr wichtigen Teil, der aus äusseren Gründen an
der früheren Stelle abgehandelt worden ist,
Gemäss den drei Aggregatzuständen haben wir gasförmige, flüssige
und feste Lösungen zu unterscheiden.
314 VIII. Chemische Mechanik.
A. Lösungen in Gasen.
Gase bilden unter allen Umständen miteinander Lösungen, denn
alle Gase (soweit sie sich nicht gegenseitig chemisch verändern) lassen
sich in allen Verhältnissen vermischen. Die Eigenschaften solcher Ge-
mische sind die sachgemäss gebildeten Summen der Eigenschaften der
Bestandteile; sie sind mit anderen Worten additiv. Dies wichtige Ge-
setz, dessen erste allgemeine Aufstellung wir Dalton (1805) verdanken,
gestattet die hier auftretenden Fragen sämtlich zu beantworten.
Es lässt sich auch in der anschaulichen Form aussprechen: in einem
Gemisch verhält sich jedes einzelne Gas in Bezug auf die von ihm ab-
hängigen Erscheinungen so, als w^äre es allein vorhanden.
Eine der häufigsten Anwendungen dieses Gesetzes ist die auf den
Druck. Alle vom Druck des Gases abhängigen Vorgänge erfolgen in
einem Gasgemenge so, als übe jeder Bestandteil den Druck aus, den er
in dem vorhandenen Räume allein ausüben würde. Man nennt diesen
Druck den Teildruck des betreffenden Bestandteils, und nur von ihm
ist in den uns beschäftigenden Fällen (z. B. bei Erörterung der chemischen
Gleichgewichte) die Rede (S. 308).
Die Anwendung des Gesetzes setzt voraus, dass die Gase des Gemisches
in diesem gleichförmig verteilt sind. Dieser Zustand stellt sich freiwillig her,
wenn man die Bestandteile lange genug miteinander in Berührung lässt,
und ist daher der einzige, welcher für Gleichgewichtszustände in Frage kommt.
Ebenso, wie ein Gas in einem Räume nur in Ruhe sein kann, wenn sein
Druck überall denselben Wert hat, so ist ein Gasgemisch erst in Ruhe, wenn
alle Teildrucke überall gleich geworden sind.
Das Gültigkeitsgebiet dieses Daltonschen Gesetzes ist das der Gas-
gesetze überhaupt; Abweichungen beginnen einzuti'eten in Zuständen
grösserer Dichte, wo die Gasgesetze nicht mehr zur Daretellung der
thatsäclilichen Erscheinungen ausreichen.
Über Lösungen von Flüssigkeiten und festen Stoffen in
Gasen ist wenig zu sagen. Bringt man eine verdampfbare Flüssigkeit
in ein Gas, so verdampft sie, als wäre sie in einen leeren Raum ge-
bracht, denn gemäss dem Daltonschen Gesetz ist ihr Dampfdruck unab-
hängig davon, ob das Gas anwesend ist oder nicht. Doch gelten hier
auch die Grenzen des Daltonschen Gesetzes, so dass bei erheblicheren
Drucken Abweichungen eintreten.
Ein anderer Grund für Abweichungen liegt darin, dass sich das
Gas in der Flüssigkeit löst, und ihren Dampfdruck gemäss den allgemeinen
Gesetzen (S. 200) vermindert. Dieser Einfluss ist indessen nur bei
leichtlöslichen Gasen merkbar und verschwindet in vielen Fällen.
Die gleichen Beziehungen gelten für die Lösung fester Stoffe
in Gasen. Auch hier kann von einer solchen nur die Rede sein, wenn
der feste Stoff flüchtig ist, und -sein Dampfdruck in einem Gase ist
gleich dem im leeren Räume. Da sich Gase in festen Stoffen nicht
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 315
lösen, so liegen die Verhältnisse noch einfacher, als bei Flüssigkeiten, da
die eben erwähnte Ursache von Abweichungen fortfällt. Bei sehr starken
Dnicken werden feste Stoffe in Gasen löslicher, als im leeren Räume,
einerseits, weil die Gase dann wie flüssige Lösungsmittel wirken, anderer-
seits, weil der Dampfdruck eines festen (und flüssigen) Stoffes durch eine
solche Pressung unmittelbar vermehrt wird. Man kann letzteres verstehen,
wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Stoff durch die Pressung dichter
wird, und daher auch einen dichteren Dampf zum Gleichgewicht erfordert.
B. Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten.
Viel mannigfaltiger sind die Verhältnisse bei flüssigen Lösungen.
Die Gesetze der gelösten Stoffe in verdünnten Lösungen sind bereits
(S. 189) behandelt worden; hier sind die Gleichgewichtsbeziehungen zu
betrachten, welche bei der Bildung der Lösungen aufti'eten.
Flüssige Lösungen lassen sich aus Flüssigkeiten mit Gasen, mit
Flüssigkeiten und mit festen Stoffen bilden, und wir haben die Gesetze
dieser drei Fälle gesondert zu erörtern.
Das Lösungsgleichgewicht zwischen Gasen und Flüssigkeiten
ist durch das Gesetz von Henry (1803) geregelt, nach welchem die von
einer Flüssigkeit gelöste Gasmenge dem Drucke proportional und ausser-
dem mit der Temperatur veränderlich ist. Von Dalton ist (1805) dies
Gesetz dahin erweitert worden, dass es auch für die Bestandteile be-
liebiger Gasgemische gilt, wenn für diese die TeUdrucke in Rechnung
gebracht werden.
Da das Volum eines Gases seinem Drucke umgekehrt proportional
ist, so kann man das Henrysche Gesetz auch in der Gestalt aussprechen,
dass das von einer Flüssigkeitsmenge absorbierte Gasvolum unabhängig
vom Drucke ist.
Nennt man die Menge des Gases, welche in der Volum einheit (so-
wohl des Gasraumes, wie der Lösung) enthalten ist, die Konzentration
desselben, so kann man dies Gesetz endlich auch so ausdrücken, dass unter
gegebenen Verhältnissen bei wechselndem Druck die Konzentration im
Gasraume zu der im Flüssigkeitsraume in einem konstanten Verhältnis
stehen muss. Dies Verhältnis wollen wir den Löslichkeitskoeffizienten
oder kurz die Löslichkeit des Gases nennen.
Eine mit diesem Weihte in nahem Zusammenhange stehende Zahl
ist der von Bunsen (1885) definierte Absorptionskoeffizient. Der-
selbe bedeutet das auf 0^ und 76 cm Druck reduzierte Gasvolum, wel-
ches bei ebendemselben Druck von 1 ccm der Flüssigkeit aufgenommen
wird, und unterscheidet sich von der oben definierten Löslichkeit nur
dadurch, dass das Gasvolum auf 0® reduziert, also durch 1 + 000367 t
dividiert worden ist. Es erscheint sachgemässer, das Volum des Gases
für die Temperatur zu bestimmen, für welche die Löslichkeit selbst
bestiiÄmt worden ist, indessen ist die von Bunsen gegebene Definition
noch allgemein verbreitet und muss daher auch erwiümt werden.
316 VIIL Cbemische Mechanik.
Die Berechnung eines AbsorptionsverBuches, bei welchem das Volum Y
der Flüssigkeit ein Gasvolum v bei der Temperatur t und dem Drucke p
aufgelöst hat, geschieht nach Bunsen, indem man zunächst das Gasvolum
durch Multiplikation mit -_ .^ . — - auf Normalverhältnisse reduziert, darauf
76(1 -}- ttt)
7fi
durch Multiplikation mit die Gasmenge berechnet, welche nach dem
Henryschen Gesetz beim Normaldrucke aufgelöst würde, und dann schliess-
lich durch Division mit dem Flüssigkeitsvolum v die auf die Volumeinheit
der Flüssigkeit entfallende Menge berechnet. Es ergiebt sich so der Ab-
sorptionskoeffizient /9 «= — „ .,^ . : = —TT- . — 7^ •
^ ^ V 76(l-|-at) p v(l-l-at)
V
Die Löslichkeit, wie sie oben definiert wurde , ist einfach A = —
V
Bansen und seine Schüler haben die Werte der Absorptions-
koeffizienten für eine grössere Anzahl Gase gegenüber dem Wasser so-
wie dem Alkohol bei Temperaturen zwischen 0® und 20^ bestimmt.
Die Zahlen sind meist nicht gross und bewegen sich für die „perma-
nenten" Gase, Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenoxyd, Methan,
zwischen 002 und 005. Die leichter verdichtbaren Gase, wie Kohlen-
dioxyd ^ Stickoxydul, Schwefelwasserstoff haben Koeffizienten zwischen
1 und 4. Diese Zahlen gelten ftir Wasser; für Alkohol fallen sie zwei-
bis achtmal grösser aus; beide Reihen sind nicht proportional.
Mit steigender Temperatur nimmt in den meisten Fällen die Lös-
lichkeit ab. Dies hängt damit zusammen, dass sich bei der Auflösung
der Gase regelmässig Wärme in verschiedenem Betrage entwickelt.
Die Genauigkeit der eben besprochenen Gesetze ist von derselben Be-
schaffenheit, wie die der Gasgesetze: es sind Grenzformeln, denen die that-
sächlichen Verhältnisse sich mehr oder weniger annähern, und zwar im all-
gemeinen um so besser, je kleiner die Löslichkeit und je geringer der Druck
ist. Doch ist selbst bei einem so leicht absorbierbaren Gase, wie Kohlen-
dioxyd, noch bis zu Drucken von 4 Atmosphären das Henrysche Gesetz mit
einer Annäherung von 1 Prozent gültig.
Bei Gasen, von welchen Volume gelöst werden, die das mehr-
hundertfache des Flüssigkeitsvolums betragen, hört meist das Henrysche
Gesetz auf, gültig zu sein. Indessen haben wir in solchen IWen regel-
mässig Ursache, chemische Vorgänge zwischen dem gelösten Gase und dem
Lösungsmittel anzunehmen, so dass das gelöste Gas teilweise chemisch
verändert wird, und für das schliessliche Gleichgewicht nur der (meist
unbekannte) unveränderte Teil in Frage kommt. In solchen Fällen
wächst die aufgenommene Gasmenge in kleinerem Verhältnisse, als der
Druck. Zuweilen zeigen sich bei niederen Temperaturen Abweichungen,
welche bei höheren, wo die Löslichkeit geringer wird, verschwinden. So
folgt Schwefeldioxyd oberhalb 40^ dem Henryöchen Gesetz und weicht
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 317
unterhalb dieser Temperatur davon ab; Ammoniak wird erst bei 100®
nach dem Henryschen Gesetze von Wasser gelöst
Wenn man statt reinen Wassers Lösungen verschiedener Stoffe zur
Absorption von Gasen benutzt, so erscheint die Löslichkeit meist vermindert.
Daher entweichen auch gelöste Gase aus Massigkeiten, wenn man feste Stoffe
darin auflöst. In einzelnen Fällen, so in dem von Raoult (1874) untersuchten,
bei welchem Kali- und Natronlösungen mit Ammoniak gesättigt wurden, er-
gab sich, dass die Abnahme proportional dem Gehalte am festen Stoffe war.
Ähnliche Ergebnisse fand Setschenow (1875) für das Verhalten verschiedener
Salzlösungen gegen Kohlendioxyd, doch machte sich hier neben der Lösungs-
wirkung zuweilen noch ein chemischer Vorgang zwischen der Kohlensäure
und dem gelösten Salze geltend, wodurch die Erscheinungen weit verwickelter
wurden. In den einfachsten Fällen setzte sich die aufgelöste Menge aus
einem der Salzmenge proportionalen und vom Druck unabhängigen (chemisch
gebundenen) Anteil und aus einem dem Druck proportionalen, einfach ge-
lösten Anteil zusammen. In anderen Fällen aber erwies sich auch der erste
Anteil vom Druck abhängig, wenn auch viel weniger, als der Proportionalität
entsprach ; alsdann fand auch ein chemischer Vorgang statt, derselbe war aber
unvollständig und mit dem Drucke veränderlich.
Bei Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten treten Überschreitungserschei-
nungen sehr leicht auf, wohl leichter, als in jedem anderen Falle. Sie zeigen
sich darin, dass eine Lösung, die unter einen geringeren Druck gebracht
wird, als dem ihrer Sättigung, doch keineswegs das Gas entwickelt, sondern
homogen bleibt. Die Übersättigung muss einen recht bedeutenden Betrag an-
nehmen, wenn sie freiwillig aufhören soll.
Wird eine Gaslösung unter einem bestimmten Drucke gesättigt, und
vermindert man nun den Druck, so geht keineswegs augenblicklich die ent-
sprechende Gasmenge aus der Lösung heraus. Vielmehr bleiben Gaslösungen
äusserst leicht „übersättigt^^ und erst, wenn man die Flüssigkeit in möglichst
ausgedehnte Berührung mit dem Gase bringt, welches unter dem geringeren
Drucke steht, oder noch besser mit einem fremden Gase, in welchem der
Teildruck des gelösten Gases gleich Null ist, entweicht der Überschuss. Da-
her sind poröse, viel Luft einschliessende Pulver, die man in die Gaslösung
einführt, sowie heftiges Schütteln, welches zahlreiche Gasblasen im Inneren
verteilt, endlich Sieden des Lösungsmittels, wo die Dampfblasen diese Rolle
übernehmen, in dieser Beziehung besonders wirksam. Sehr lange dagegen
halten sich übersättigte Gaslösungen in sorgfältig (mit Schwefelsäure, Kali-
lauge u. s. w.) gereinigten Glasgefässen.
Dagegen wirkt jedes Bläschen eines Gases, sei es desselben oder eines
fremden, als ein Keim (S. 177), der die Bildung der neuen Phase auflöst.
Diese Keimwirkung ist aber wieder an die örtliche Berührung gebunden; ist das
Bläschen aufgestiegen, so bleibt die Flüssigkeit übersättigt zurück und ent-
wickelt freiwillig keine weiteren Blasen mehr. •
In dieser ohne Zuthun erfolgenden Austreibung des Keimes liegt einer
der wesentlichsten Gründe für die Beständigkeit übersättigter Gaslösungen.
318 VIII. Chemische Mechanik.
Denn eine feste Ausscheidung in einer überkalteten Flüssigkeit bleibt darin,
und die Erystallisation hört nicht eher auf, als bis die Überkaltung beseitigt
ist; eine übersättigte Gaslösung treibt dagegen einen vorhandenen Keim
selbstthätig aus, und bleibt übersättigt.
Man beobachtet derartige Erscheinungen bequem bei dem als Ge-
tränk benutzten kohlensauren Wasser (Selters- und Sodawasser), welches etwa
bei 4 Atmosphären Druck gesättigt in den Handel gebracht wird. Ist das
erste Brausen nach dem Eingiessen in ein Glas vorüber, so entwickeln sich
gewöhnlich von Stellen aus, an denen das Glas Schrammen hat, in denen
etwas Luft gefangen bleibt, feine Gasblasen in Gestalt eines Stromes. Hat
man aber das Glas vorher sorgfältig benetzt, so bleibt die Flüssigkeit in Ruhe.
Jeder Körper, an dessen Oberfläche Gas haftet, also insbesondere poröse Stoffe,
bringen wieder eine Gasentwickelung hervor. Senkt man in die Flüssigkeit
eine oben geschlossene, mit Luft gefüllte reine Kapillare, so sieht man nur
von der Grenzfläche der Luft und der Lösung die Blasen aufsteigen, zum
Zeichen, dass nur dort die Auslösung erfolgt.
Dass eine Überschreitung des Sättigungspunktes bei der Abwesenheit
von Gaskeimen eintreten muss, ergiebt sich aus der Betrachtung der Ober-
flächenenergie (S. 148). Da die Oberflächenspannung jede Flüssigkeitsober-
fläche zu verkleinern strebt, so muss im Innern einer kugelförmigen Gras-
blase ein grösserer Druck herrschen, als er für eine ebene Fläche sich aus
den vorhandenen Verhältnissen ergeben würde, und die Kapillaritätstheorie
giebt dafür die Formel p = 2y/r, wo p der Druck, y die Oberflächenspannung
und r der Radius der Kugel ist. Wenn also ein Bläschen des Gases freiwillig
entstehen sollte, so müsste es unter einem weit grösseren Drucke entstehen,
als der Sättigung unter den vorhandenen Umständen entspricht.
Es scheint nach dieser Betrachtung sogar, dass ein Bläschen freiwillig über-
haupt nicht entstehen könnte. Denn man wird sagen, dass im ersten Augenblicke
das Bläschen ja unendlich klein, der Druck der Formel gemäss also unendlich
gross sein müsste. Dass trotzdem freiwillige Bläschenbildung eintritt, lehrt,
dass die Annahme, es habe die Flüssigkeit bis zu unendlich kleinen Dimen-
sionen dieselben Eigenschaften, wie in endlichen Mengen, nicht richtig sein
kann. Der gleiche Schluss hatte sich früher aus anderen Betrachtungen er-
geben (S. 151). Führt man die Grenze für die gewöhnlichen Eigenschaften
der Flüssigkeiten mit 10~'*cm ein, so ergiebt die Rechnung für den Druck
in einem Bläschen von diesem Radius den Wert von 15000 Atmosphären in
Wasser bei Zimmertemperatur. Doch ist anscheinend bei weitem nicht ein
so grosser Übersättigungsgrad erforderlich, um freiwillige Gasentwickelung zu
bewirken.
Die eben angestellten Betrachtungen finden auch auf den Fall der
Übersättigung bezüglich fester oder flüssiger Stofi^e ihre sachgemässe Anwen-
dung, da ein Stoff wegen der Mitwirkung der Oberflächenenergie um so lös-
licher sein muss, je feiner er. zerteilt ist. Man kann dies aus der Analogie
der Erhöhung des Dampfdruckes kleiner Tröpfchen (S. 152) schliessen; auch
ergiebt es sich aus der Betrachtung, dass die Arbeit bei der Auflösung eines
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 319
heterogenen Stoffes um so kleiner wird, je mehr Energie durch die Bildung
einer gemeinsamen Oberfläche mit dem Lösungsmittel herausgenommen wor-
den war.
An dieser Stelle soll noch eine allgemeine Bemerkung gemacht
werden, welche sich auf alle mehiphasigen Gebilde bezieht. Für solche
besteht das Gesetz, dass alle Phasen, die miteinander im Gleichge-
wicht stehen, einander bei beliebigen anderen Gleichgewichten
ersetzen können, bei denen ein gemeinsamer Bestandteil
dieser Phasen In Frage kommt. Es handelt sich hier um eine
Eigenschaft der Intensitätsgrösse der chemischen Energie (S. 2 50), des
chemischen Potentials. Ebenso, wie zwei Körper, die mit einem
dritten gleiche Temperatur oder gleiches elektrisches Potential haben,
auch untereinander in dieser Beziehung gleich sind, so stellt sich zwischen
zwei oder mehreren Phasen im Gleichgewichte Gleichheit des chemischen
Potentials her, durch welche für die chemischen Verhältnisse ein gleicher
Zustand bewirkt wird, ^^ie ihn z. B. Gleichheit der Temperatur für die
Wärme bewirkt.
Um sich dieses wichtige und allgemeine Gesetz anschaulich zu machen,
denke man sich etwa eine Lösung von Wasserstoff in Wasser, die mit Wasser-
stoffgas von Atmosphärendruck im Gleichgewicht steht. Bringt man in eine
solche Lösung etwas Palladium, so wird dieses aus der Lösung (falls deren
Konzentration konstant gehalten wird) ebensoviel Wasserstoff aufnehmen, wie
aus gasförmigem Wasserstoff, obwohl die Konzentration in der wässerigen Lö-
sung etwa 50 mal geringer ist.
Dieser Satz ist ein besonderer Fall des zweiten Hauptsatzes der Energetik,
und sein Beweis liegt darin, dass man ein Perpetuum mobile zweiter Art her-
stellen könnte, wenn er nicht richtig wäre. Nehmen wir an, das Palladium
sättige sich weniger aus der wässerigen Lösung, als aus dem Gase. Dann
würde man das Metall erst aus dem Gase sättigen und es dann mit der Lö-
sung zusammenbringen. Da es mehr Wasserstoff enthält, als der Sättigung
in der Lösung entspricht, so wird diese Wasserstoff aus dem Metall auf-
nehmen und dadurch dem Gase gegenüber übersättigt sein. Der Gasttber-
schuss steigert den Druck des mit der Lösung in Berührung stehenden Gases,
und man kann Arbeit gewinnen, indem man dieses sich auf Atmosphärendruck
ausdehnen lässt. Nun kann man mit diesem Gase wieder das Palladium sättigen,
und den Vorgang wiederholen, so dass man eine unbegrenzte Menge Arbeit
bei konstanter Temperatur durch einen Kreisprozess gewinnen könnte. Dies
ist aber ein Widerspruch gegen den zweiten Hauptsatz und daher nicht
möglich. Eine ganz ähnliche Schlussweise würde man anwenden können,
wenn man die entgegengesetzte Annahme betreffs der Sättigung machte.
Das Gesetz von der gegenseitigen Vertretbarkeit solcher Phasen,
die untereinander im Gleichgewicht stehen, bezieht sich nur auf gemein-
same Bestandteile. Haben wir zwei Phasen, die aus den Bestandteilen
A, B, 0 und A, D, E bestehen, und bringen die erste mit einer dritten
320 VIII. Chemische Mechanik.
Phase A, E, F ins Gleichgewicht, so sind A, D, E und A, E, F zwar
in Bezug auf A im Gleichgewicht, sie brauchen es aber keineswegs in
Bezug auf E zu sein. Man muss auf diesen Umstand achten, wenn
man das Gesetz von der Gleichheit der chemischen Potentiale anwenden
will. Diese Eigentümlichkeit rührt daher, dass es soviel verschiedene
Arten chemischer Potentiale giebt, als Bestandteile vorhanden sind, während
es z. B. nur eine Art Temperaturen giebt.
C. Lösungen von Flüssigkeiten in Flüssigkeiten.
Die bei Gasgemischen vorhandenen einfachen Verhältnisse finden
sich bei Flüssigkeiten nicht wieder. Zunächst fehlt bei diesen die all-
gemeine Mischbarkeit der Gase: viele Flüssigkeiten sind ineinander nur
teilweise löslich. Ferner besteht bei Flüssigkeitslösungen das additive
Gesetz der Eigenschaften nicht. Man muss es vielmehr als einen Grenz-
fall ansehen, der nur sehr selten erreicht wird, während mehr oder
weniger grosse Abweichungen die Regel bilden.
Solche Abweichungen sind vielfach studiert worden, ohne dass sich
allgemeine Ergebnisse gefunden hätten. Beispielsweise ist das Volum
eines Gemisches zweier Flüssigkeiten nie gleich der Summe der Teil-
volume, sondern es findet meist eine Zusammenziehung statt, in einigen
Fällen indessen auch eine Ausdehnung. Durch diesen Umstand ist es
nicht möglich, aus der Dichte einer Lösung deren Gehalt an dem ge-
lösten Stoffe durch eine einfache Proportionsrechnung zu bestimmen,
sondern es muss für jedes Flüssigkeitspaar (und streng genommen auch
für jede Temperatur) die Beziehung zwischen Dichte und Zusammen-
setzung empirisch bestimmt werden.
Man kann die Vohimverminderung beim Vermischen zweier Flüssig-
keiten anschaulich zeigen, wenn man eine meterlange Röhre zur Hälfte
mit Wasser füllt, und darüber Alkohol schichtet. Vermischt man beide Steile
durch mehrmaliges Umwenden der geschlossenep Röhre, so zeigt sich hiernach
trotz der erhöhten Temperatur ein leerer Raum von mehreren Centimetern Länge.
Die Abweichungen von dem additiven Gesetze erweisen sich als
besonders gross in Fällen, wo Wasser den einen Bestandteil bildet, und
sind am geringsten bei der Vermischung von gesättigten Kohlenwasser-
stoffen, oder ihren Halogenabkömmlingen von Estern u. s.w. Es scheint^
dass allgemein die Flüssigkeiten, welche sich nach der Methode der
Oberflächenspannungen (S. 150) als polymer gegenüber ihren Dämpfen
erweisen, die grössten gegenseitigen Beemflussungen in der Lösung zeigen,
und man kann mit einigem Rechte die Abweichungen von dem additiven
Gesetz häufig als eine Folge der gegenseitigen Änderung der Molekular-
grösse der beü-effenden Flüssigkeiten auffassen.
Die bestimmteste Auskunft über den Zustand der Flüssigkeiten in
einer Lösung erhält man durch die Bestimmung ihres Dampfdruckes,
bez. der Konzentration ihres Dampfes. Denn dieser ist ein Mass für
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 321
die wirksame Menge der Flüssigkeit in jedem Zustande^ d. h. für
den Betrag, mit welchem sie sich an Gleichgewichten aUer Art beteiligt
Der Beweis hierfar liegt in dem allgemeinen Satze von der Ver-
ti-etbarkeit der Phasen (S. 319) und darin ^ dass ftir Gase und Dämpfe
das einfache Massenwirkungsgesetz gilt.
Der Dampfdruck einer Rüssigkeit aus einer iJjrer Lösungen ist
einfachen Gesetzen unterworfen, wenn die Flüssigkeit einen sehr grossen
uder einen sehr kleinen Anteil der Lösung bildet. Im ersten Falle wissen
wir (S. 201), dass jeder beliebige Stoff den Dampfdruck seines Lösungs-
mittels um einen Betrag vermindert, der durch das Verhältnis N^ /(N^ +Ng)
gegeben ist. Hier ist Nj die Zahl der Mole des reichlich vorhandenen
Stoffes oder Lösungsmittels, und Ng die des in geringer Menge vor-
handenen Stoffes oder des Gelösten*). Wh* nennen zur Abkürzung
in Zukunft den Bruch N, /(N, ^-Ng) den Molenbruch von Nj, und
^3/(^1 ~f~ ^2) ^®° Molenbruch von N^.
Tragen wir daher auf einer horizontalen Geraden den einen Molen-
bmch von links nach rechts ab, und messen die entsprechenden Dampf-
drucke des Stoffes nach oben, so wird die zugehörige I^inie sich am
rechten Ende als eine nach dem Anfangspunkte gerichtete Gerade dar-
stellen, Fig. 35. In diesem Gebiete ist der Dampfdruck gleich dem Dampf-
drucke des reinen Stoffes, multipliziert mit dem Molenbruch.
Am Anfange, wo die Flüssigkeit nur geringe Mengen des Stoffes
enthält, wird das Verhältnis zwischen Teildruck und Molenbruch durch
das Henrysche Gesetz gegeben sein. Denn es ist offenbar für dessen
Gültigkeit gleichgültig, bei welchem Drucke das Gas von einer Flüssigkeit
gelöst wird; wenn überhaupt der Stoff eine gasförmige Phase oder einen
Dampf bUden kann, so wird seine Konzentration in der Lösung zu der
im Dampfe in einem konstanten Verhältnisse stehen, vorausgesetzt, dass
die Lösung nicht zu konzentriert ist. In diesem Gebiete wird also der
Dampfdruck auch durch eine Gerade dargestellt sein, die durch den An-
fangspunkt geht, weil bei der gelösten Menge Null auch der Dampfdruck
Null ist, deren Richtung aber nicht notwendig die des letzten Teils der
Linie ist. Vielmehr kann, je nachdem die Löslichkeit des Dampfes in der
anderen Flüssigkeit gross oder klein ist, der Anfang der Dampfdruck-
linie flacher oder steüer verlaufen.
Nehmen wir schliesslich ftir den mittleren Teil der Linie einen
möglichst einfachen Gang an, so wird die Linie der Teildrucke des einen
Bestandteils der flüssigen Lösung eine der Formen a, b oder c der
*) Die Bezeichnung Lösungsmittel und Gelöstes sind nicht so zu ver-
stehen, als deuteten sie auf eine wesentliche Verschiedenheit im Verhalten
der beiden an der Lösung beteiligten Stoffe. Eine solche ist nicht vorhanden,
und die Worte sollen nur die im Text gegebenen Mengenverhältnisse aus-
drücken.
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 21
322
YIII. Chemische Mechanik.
Fig. Ö5.
Fig. 35 haben. Die erste Form erscheint, wenn die Löslichkeit sehr
klein ist; die Form b entspricht einer grossen Lösüchkeit. Der einfachste
Fall wird durch c dargestellt, welcher eintritt, wenn der Teildruck gleich
dem Dampfdruck der reinen Flüs-
sigkeit, multipliziert mit dem Molen-
bruch ist Dann herrscht an bei-
den Enden der Dampfdrucklinie das
gleiche Gesetz, und meist auch in
dem ganzen mittleren Gebiete.
Ganz dieselben Betrachtungen
gelten für den zweiten Bestandteil;
auch sein Dampfdruck kann eine
der drei Formen annehmen. Die
Theorie zeigt, dass beide Bestandteile
eines gegebenen Flüssigkeitspaares
Teildrucklinien von übereinstimmen-
der Form haben müssen; beide gehören gleichzeitig einem dar drei Typen
a, b oder c an.
Die nicht sehr zahlreichen üntereuchungen über den Gegenstand
haben gezeigt, dass bei sehr ähnlichen und nicht polymerisierten Flüssig-
keiten, die sich in allen Verhältnissen ineinander lösen, meist eine ziemlich
grosse Annäherung an den Typus
c vorhanden ist. Die Form b tritt
bei Flüssigkeiten auf, zwischen
denen stai'ke chemische Wechsel-
wirkungen vorhanden sind, wäh-
rend a bei solchen Paaren erscheint^
die der Entmischung sich nähern
(s. w. u.).
Die beiden Teildrucklinien
der Dämpfe eines Gemenges liegen
einander entgegengesetzt, und ihre
Summe giebt die Linie des ge-
samten Dampfdruckes, welche
zwischen den Dampfdruckwerten
OA der beiden Bestandteile verläuft.
100 B '^^ ^^^^ ^^^ Form der Teillinien
erhält die Gesamtlinie verschie-
denartige Gestalten, deren ein-
fachste Typen in Fig. 36 dargestellt sind.
Sind beide Teillinien gerade, so ist es auch die Summe, und wir
haben die Form 1. Der Satz lässt sich auch umkehren: ist die Ge-
samtdrucklinie gerade, so sind es auch die Teildrucklinien.
Teillinien von der Form a. Flg. 35 geben Summen von der Ge-
stalt 2 und 3. Solche nach oben konvexe Linien können entweder
Fig. 36.
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 323
beständig ansteigen, Nr. 2, oder sie gehen durch einen Maximalwert,
Nr. 3. Den gleichen Unterschied zeigen die aus Teillinien von der
Form b entstehenden Gesamtlinien Nr. 4 und 5.
Diese Linien des Gesamtdruckes sind wichtig, weil ihr Verlauf Aus-
kunft über das Verhalten der Stoffe beim Verdampfen oder Destil-
lieren giebt.
Die Zusammensetzung des Dampfes ist nämlich von der der Flüssig-
keit im allgemeinen verschieden. In welchem Sinne, ergiebt sich aus
der Richtung der Gesamtdrucklinie nach der Regel, dass die Zusammen-
setzung des Dampfes im Sinne der aufsteigenden Seite liegt. In der
Flg. 36 sei der Molen bruch der Flüssigkeit durch den Punkt a dar-
gestellt. Dann werden Losungen, deren Gesamtdrucklinien die Formen 1,
2, 3 und 4 haben, Dämpfe entwickeln, deren Zusammensetzung durch
einen rechts von a liegenden Punkt dargestellt ist, während der Dampf
von 5 durch einen links von a liegenden Wert des Molenbruchs ge-
kennzeichnet ist. Eine Flüssigkeit von der durch b angegebenen Zu-
sammensetzung bildet bei 1, 2, 4 und 5 Dämpfe, deren Zusammen-
setzung rechts von b zu suchen ist, während die Dämpfe von 3 nach
links abweichen.
Durch die Entwickelung solcher Dämpfe wird die Flüssigkeit ihre
Zusammensetzung im entgegengesetzten Sinne ändern, so dass man die
allgemeine Regel aussprechen kann: bei der Destillation ändert die Flüssig-
keit ihre Zusammensetzung im Sinne der absteigenden, das Destillat im
Sinne der aufsteigenden Dampfdrucklinie.
Die Ursache dieses Verhaltens ergiebt sich aus der Bedingung, dass die
betrachteten Zustände Gleichgewichte sind. Dies erfordert, dass durch die
Verdampfung bei konstanter Temperatur sich die Flüssigkeit nur so ändern
kann, dass ihr Dampfdruck kleiner wird, da anderenfalls die eingeleitete
Änderung sich freiwillig fortsetzen müsste.
Einen besonderen Fall bilden die Linien 3 und 5, welche einen
höchsten, bez. niedrigsten Punkt haben. Nach der eben ausgesprochenen
Regel kann in einem solchen Punkte der Dampf weder im einen, noch
im anderen Sinne von der Flüssigkeit verschieden sein, und daher
müssen beide gleiche Zusammensetzung haben. Dann aber wird der
Rückstand durch die Destillation nicht geändert, und eine solche Lösung
muss bei konstanter Temperatur destillieren, d. h. sie verhält sich wie
ein einheitlicher Stoff.
Solche Fälle konstant siedender Gemenge sind vielfach beobachtet
worden, und man hat früher derartige Lösungen für chemische Ver-
bindungen gehalten; ja dieser Irrtum tritt zuweilen noch heute auf. Dass
es sich nur um Lösungen handelt, geht erstens daraus hervor, dass die
Zusammensetzung keine einfachen stöchiometrischen Verhältnisse zu zeigen
pflegt. Femer ergeben Dampfdichtebestimmungen die Abwesenheit che-
mischer Verbindung, und schliesslich hat sich die Zusammensetzung der
21*
324 ^ni. Chemische Mechanik.
konstant siedenden Lösungen mit dem Druck als stetig veränderlieh er-
wiesen.
Hieraus folgt , dass man Geroenge zweier flüchtiger Flüssigkeiten nur
dann durch Destillation in ihre Bestandteile sondern kann, wenn ihre Dampf-
drucke in Bezug auf die Zusammensetzung hei konstanter Temperatur (oder
was praktisch fast auf dasselbe herauskommt, ihre Siedepunkte bei konstantem
Druck) kein Maximum oder Minimum zeigen. Tritt ein solches auf, so geht
die Scheidung durch Destillation nur bis zu einer Trennung des konstant
siedenden Gemisches von dem überschüssigen Bestandteil.
In vielen Fällen ist die Löslichkeit zweier Flüssigkeiten ineinander
begrenzt. Wenn man zu der Flüssigkeit A stufenweise kleine Mengen
einer anderen B zufügt, so werden diese anfangs aufgelöst; ist aber
eine bestimmte, von der Temperatur (und aucli etwas vom Drucke) ab-
hängige Konzentration erreicht, so gehen weitere Mengen von B nicht
mehr in Lösung, sondern bleiben unvermischt neben der „gesättigten"
Lösung von B in A. Diese zweite Flüssigkeit besteht wesentlich aus B,
jedoch erweist sie sich immer etwas von A enthaltend. Setzt man
weiteres B hinzu, so vermehrt sich die zweite Schicht, ohne ihre Zu-
sammensetzung zu ändern; es sind mit anderen Worten zwei gesättigte
Lösungen entstanden: eine vorwiegend aus A mit etwas B, und eine
vorwiegend aus B mit etwas A bestehend. Dieses Gegenseitigkeitsver-
hältnis ist allgemein; nie kann eine Flüssigkeit A eine begrenzte Löse-
fähigkeit für B zeigen, ohne dass auch etwas A von B zu einer ge-
sättigten Lösung aufgenommen würde.
Im Sinne der Phasenregel ist der Fall dadurch gekennzeichnet, da*«s
durch die Bildung der beiden Flüssigkeitsschichten neben Dampf drei Phasen
bei zwei Bestandteilen vorliegen Es ist somit eine Freiheit vorhanden, und
verfügt man über diese durch Bestimmung der Temperatur, so darf eine'
Änderung der Mengenverhältnisse keinen Einfluss mehr auf das Gleichgewicht
haben. Dies geschieht dadurch, dass die Mengenverhältnisse der Bestandteile
nur noch die Mengenverhältnisse der Phasen, nicht aber ihre Zusammen-
setzung beeinflussen. Da erstere keinen Einfluss auf das Gleichgewicht haben,
so ist die Forderung der Phasenregel erfüllt.
Die gegenseitige Löslichkeit der teilweise löslichen Flüssigkeiten
ändert sich mit der Temperatur meist in solchem Sinne, dass sie beide
gleichzeitig zunehmen. Misst man die Temperaturen nach rechts, und
die (durch den Molenbruch oder durch Gewichtsanteile ausgedrückte)
Zusammensetzung nach oben, so gehören zu jeder Temperatur zwei
Werte der Zusammensetzung, für jede Schicht einer. Bei steigender
Temperatur rücken sich diese Werte meist näher, d. h. die beiden
Lösungen werden einander ähnlicher, und schliesslich werden sie identisdi.
Dann können sie aber auch nicht mehr getrennt bleiben, sondern miüssen
sich zu einem einheitlichen Ganzen vermischen. Fig. 37 giebt eine Dar-
stellung dieser Verhältnisse.
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.
325
Der eben geschilderte Übergang hat so viele Ähnlichkeit mit dem
kritischen Punkte beim Übergange einer Flüssigkeit in den Dampf
(S. 109), dass man ihn als den kritischen Lösungspunkt bezeichnet.
Allgemein nennt man einen kritischen Punkt einen solchen, wo zwei
Phasen nach stetiger Annäherung einander gleich werden, und dadurch
in eine zusammentreten.
Gewöhnlich wird der kritische Lösungspunkt bei ansteigender Tem-
peratur erreicht, doch giebt es auch P^le, wo die Löslichkeit bei ab-
steigender Temperatur grösser wird, und zu einem „unteren" kritischen
Punkt führt. Beispiele für den ersten Fall sind Isobuttersäure -Wasser,
Phenol -Wasser, für den zweiten Triäthylamin -Wasser.
Die Zusammensetzung, welcher sich die beiden Lösungen bei der
Annähening an den kritischen Punkt nähern, ist die kritische Kon-
JO 20 M 40 JO «O 70 90 9Ot0OJlüJ2OUOliOU9l6OITO
Phenol - O', tt, vu d, d.A - FhavoiUd. dm PhgaytaMumiant
SaUcyisiuwe, -h.h,b e, e, e -Aniluv
Benzoesäure^ -c.c.c
Fig. 37.
zentration, der kritischen Dichte in dem einfachen Falle (S. 110) ent-
sprechend. Dagegen giebt es hier keinen kiitischen Druck, denn die
kritische Lösungstemperatur ist ihrerseits eine Funktion des Druckes,
wenn man das Gebilde ohne Dampf nur aus den beiden flüssigen Phasen
bestehen lässt. Doch ist der Einfluss des Druckes so klein, dass er nur
schwierig überhaupt hat nachgewiesen werden können.
Der Dampfdruck solcher Lösungen zeigt sich mit der Zusammen-
setzung nach den bekannten Gesetzen veränderlich, so lange noch keine
Sättigung eingetreten ist. Hat sich die Lösung in zwei Schichten ge-
trennt, so bleibt bei weiterem Zusätze des einen Bestandteiles deren Zu-
sammensetzung unveränderlich, und nur die Anteile ändern sich. Daraus
geht hervor, dass so lange die beiden Lösungen nebeneinander vor-
handen sind, der Dampfdruck sich nicht ändern kann, denn er hängt
nur von der Zusammensetzung, nicht von der Menge der Flüssigkeiten
ab. Femer aber kann man behaupten, dass die Dampfdrucke der bei-
326
VIII. Chemische Mechanik.
den einzelnen Lösungen einander gleich sind, und zwar nicht nur der
Gesamtdruck, sondern auch die Teildrucke (Konowalow 1881).
Der Beweis hierfür liegt wieder in dem Satze, dass was auf eine "Weise
im Gleichgewicht ist, dies auf alle Weise sein muss. Sind die beiden Lö-
sungen bei unmittelbarer Berührung im Gleichgewicht, so würde die Abwesen-
heit des Gleichgewichts ihrer Dämpfe die Möglichkeit eines Perpetuum mobile
zweiter Art ergeben, und daher müssen die Dämpfe einzeln und zusammen
gleichen Druck haben.
Für den Verlauf des gesamten Dampfdruckes teilweise mischbai^er
Flüssigkeiten mit der Zusammensetzung ergiebt sich daher das Bild
Fig. 38; die Verschiedenheiten der Fälle sind davon abhängig, ob
der Gesamtdruck im heterogenen mittleren Teile zwischen den Drucken
der reinen Bestandteile liegt, Linie s, oder oberhalb beider, r. Unter-
halb kann er nicht liegen. Aus der Dampfdrucklinie lässt sich das Ver-
halten bei der Destillation
r unmittelbar nach S. 323 ab-
^ / ^ ^ leiten; insbesondere ergiebt
sich, dass so lange zwei
Schichten in der Retorte sind,
die Zusammensetzung des
Destillats konstant und un-
abhängig von dem Verhältnis
in der Retorte ist.
Die gegenseitige Lös-
lichkeit der Flüssigkeiten
kann so gering werden, dass
sie sich der Beobachtung ent-
zieht, und man bezeichnet
dann die Stoffe als unlöslich
L
JC
Fig. 38.
ineinander. Man hat aUen Grund, eine gegenseitige ünlöslichkeit im
strengen Sinne als ausgeschlossen anzusehen, und nur quantitative Ver-
schiedenheiten anzunehmen. Denn abgesehen davon, dass die Grenze
zwischen löslichen und unlöslichen Flüssigkeiten sich beständiger Ver-
schiebung, entsprechend der Zunahme der anal^üschen Hilfsmittel be-
findet, sprechen auch theoretische Bedenken gegen die Annahme einer
absoluten ünlöslichkeit.
Je geringer die gegenseitige Löslichkeit wird, desto geringer wird auch
die gegenseitige Dampfdruckverminderung, und der Dampfdruck eines Ge-
menges beider Flüssigkeiten nähert sich der Summe der Dampfdrucke der
Einzelbestandteile. Der Siedepunkt solcher Gemenge liegt viel niedriger als
der der Bestandteile, da das Sieden eintritt, wenn die Summe der beiden
Dampfdrucke den Betrag des äusseren Druckes erreicht hat.
Destilliert man solche nicht mischbare Flüssigkeiten, so gehen, da ihr
Dampf aus den Dämpfen der Bestandteile im Verhältnis ihrer Dampfdrucke
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 327
besteht, beide in dem entsprechenden unveränderlichen Verhältnisse über, un-
abhängig von dem Verhältnis der beiden Stoffe in der Retorte. Da die bei-
den Mengen sich verhalten, wie die Produkte von Dampfdruck und Dichte,
oder von Dampfdruck und Molekulargewicht, so kann man bei bekanntem
Dampfdruck das Molekulargewicht finden.
Meist ist indessen auch der Dampfdruck unbekannt. Man findet diesen
aber, wenn man die Beziehung zwischen Dampfdruck und Temperatur bei
der anderen Flüssigkeit kennt, und die Temperatur des gemeinsamen Siedens
misst. Diese liegt natürlich unterhalb der Siedetemperatur des niedriger
siedenden Stoffes, und bei der Temperatur, bei welcher die Summe der Teil-
drucke beider Dämpfe gleich dem Luftdruck ist. Man braucht daher nur
den zur gemeinsamen Siedetemperatur gehörigen Teildruck der zweiten
Flüssigkeit von dem Luftdruck abzuziehen, um als Best den Teildruck des
anderen Stoffes bei derselben Temperatur zu finden. Freilich ist die Me-
thode nicht sehr genau.
Übersättigungserscheinungen sind bei Lösungen von Flüssig-
keiten in Flüssigkeiten noch nicht sicher nachgewiesen worden.
D. Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten.
Der bei Gasen stets, und bei Hüsslgkeiten oft vorkommende Fall
der unbegrenzten Lösiiehkeit ist bei festen Stoffen gegenüber flüssigen
Lösungsmitteln ausgeschlossen; hier giebt es nur begrenzte Löslichkeit,
und somit einen Sättigungszustand. Setzt man daher zu einer Flüssig-
keit einen festen Stoff, so wird dieser zuerst aufgelöst; bei einer be-
stimmten Konzentration, die von der Temperatur wesentlich, vom Druck nur
in sehr geringem Masse abhängt, tritt Sättigung ein, d. h. weitere Mengen
des festen Stoffes bleiben unverändert in der Flüssigkeit liegen. Diese
Sättigungskonzentration ist nach dem allgemeinen Gesetze des Phasen-
gleichgewichts von den Mengen der Lösung und des festen Stoffes ganz
unabhängig.
Es giebt viele Zusammenstellungen von Flüssigkeiten und festen Stoffen,
bei denen wir gewohnt sind, von Unlöslichkeit zu reden. Doch gilt für solche
Fälle das eben (S. 326) Gesagte, und es ist am zweckmässigsten, in jedem
Falle einen, wenn auch noch so kleinen Betrag von Löslichkeit anzunehmen.
Gerade bei Lösungen fester Stoffe ist es in letzter Zeit gelungen (durch
elektrische Hilfsmittel), das Vorhandensein und den Betrag der Löslichkeit
bei Stoffen (z. B. Brom- und Jodsilber in Wasser) nachzuweisen und zu
messen, wo man früher vollständige Unlöslichkeit annahm.
Die Bestimmung der Löslichkeit erfolgt, indem man den festen Stoff
und das Lösungsmittel zusammenbringt und bei konstanter Temperatur auf-
einander wirken lässt. Die Sättigung wird je nach der Art der Stoffe mit
sehr verschiedener Geschwindigkeit erreicht ; es ist daher gut, durch möglichst
feine Zerteilung des festen Stoffes und beständige Bewegung des Gemenges
die Geschwindigkeit thunlichst zu erhöhen. Man kann dann entweder die Tem-
peratur bestimmen, bei welcher die (vorher gewogenen) Bestandteile sich ge-
^
328 ^ni. Chemisöhe Mechanik.
rade auflösen, oder man nimmt den festen Stoff im Überschuss, und analysiert,
nachdem man die Sättigung bei konstanter Temperatur hat eintreten lassen,
die klare Lösung. Das zweite Verfahren ist meist genauer, das erste ist je-
doch allgemeiner in der Anwendung und gestattet durch die Benutzung zu-
geschmolzener Gefässe auch bequemes Arbeiten mit Flüssigkeiten, die der
Luft nicht ausgesetzt werden dürfen, oder deren Siedepunkt in der Nähe, bez.
oberhalb der Arbeitstemperatur liegt. Es setzt jedoch eine genügende Sät-
tigungsgeschwindigkeit voraus.
Eine andere Form des ersten Verfahrens ist die, dass man zuerst eine
übersättigte Lösung (s. w. u.) herstellt, und diese bei konstanter Tempera-
tur solange mit einem Überschusse des festen Stoffes in Berührung hält, bis
sich das Gleichgewicht hergestellt hat. Durch gleichzeitige Anwendung dieses
und des gewöhnlichen Verfahrens sichert man sich am besten gegen Sät-
tigungsfehler.
Der Sättigungszustand beim Gleichgewicht zwischen dem festen
Stoffe und seiner Lösung ist durch die Beschaffenheit des ersteren be-
dingt und ändert sich mit dieser. So kommt jeder allotropen Form
eines Stoffes, ebenso wie seinen verschiedenen Aggregatzuständen je eine
besondere Löslichkeit zu, und die Werte werden nur gleich in Punkten,
wo diese verschiedenen Formen nebeneinander und neben der Lösung
bestehen können. Gleiches gilt auch für die verschiedenen festen Ver-
bindungen zwischen dem festen Stoffe und dem Lösungsmittel, z. B. die
verschiedenen Krystallwasserverbindungen der Salze. Eine Angabe über
Löslichkeit ist also erst dann bestimmt, wenn die Form des festen Stoffes
angegeben ist, auf welche sie sich bezieht. .
Ist kein fester Stoff zugegen, so ist auch die Konzentration der
Lösung willkürlich. Dies gilt nicht nur für Konzentrationen, die unter-
halb der Sättigung liegen, sondern auch für grössere. Lösungen, die
mehr von einem festen Stoffe enthalten, als der Sättigung entspricht,
nennt man übersättigt. Dieser Zustand ist ebenso von der Form des
festen Stoffes abhängig, wie der der Sättigung, und eine Lösung kann
in Bezug auf eine Form übersättigt, in Bezug auf eine andere unge-
sättigt sein. Bringt man eine übersättigte Lösung mit einer kleinen
Menge des festen Stoffes in Berührung, so vergi-össert sich diese so lange,
bis die niedrigere Konzenti'ation der Sättigung eingetreten ist.
Die dazu erforderliche Menge des festen Stoffes ist sehr klein,
aber nicht unbegrenzt. Die Grenze ist ungefähr dieselbe, welche für
die Aufhebung der Überkaltung gefunden ist, und liegt bei 10^^ bis
10-10 g.
Übersättigte Lösungen werden auf alle Weise erhalten, durch welche
sich in der Lösung eine grössere Menge des gelösten Stoffes ansammelt, als der
Sättigung entspricht. Am einfachsten geschieht dies bei Stoffen, deren Lös-
lichkeit mit steigender Temperatur zunimmt, indem man eine bei höherer
Temperatur gesättigte Lösung herstellt und nach sorgfältiger Entfernung aller
festen Teilchen abkühlt. Doch kann jedes andere Verfahren, z. B. die Er-
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 329
Zeugung des betreffenden Stoffes auf chemisdiem Wege innerhalb der Lösung,
angewendet werden, welches den erforderlichen Überschuss ergiebt.
Am meisten ist in Bezug auf Übersättigung das Natriumsulfat studiert
worden. Versetzt man krystallisiertes Glaubersalz, das 10H*0 als Krystall-
wasser enthält, mit etwa der Hälfte seines Gewichtes Wasser, erhitzt in einem
mit einem Wattepfropf versehenen Kolben bis zum Sieden und lässt erkalten,
so hat man eine Lösung, die bei gewöhnlicher Temperatur in Bezug auf Glau-
bersalz übersättigt ist, und beim Hineinbringen eines Stäubchens davon als-
bald krystallisiert. Da in der Luft beständig Stäubchen dieses Salzes vor«
banden sind, so genügt ein einfaches öffnen des Kolbens, um Krystallisation
in kurzer Zeit zu bewirken.
Kühlt man den verschlossenen Kolben auf — 10® ab, so scheidet sich
ein Salz mit 7 H*0 ab, nachdem die liösung zuerst in Bezug auf dieses Salz
übersättigt gewesen war. Die überstehende Lösung ist dann in Bezug auf das
neue Salz gesättigt, denn dieses löst sich bei Erhöhung, und scheidet sich
reichlicher aus bei Erniedrigung der Temperatur. Dabei ist diese Lösung
aber dauernd für Glaubersalz übersättigt, und bildet dieses Salz, sobald ein
„Keim" davon in die Flüssigkeit kommt.
Die Fähigkeit, übersättigte Lösungen zu bilden, ist bei verschie-
denen festen Stoffen sehr verschieden; einige gestatten sehr weitgehende
Überschreitungen, andere nur ganz geringfügige. Steigert man den
Ubersättigungsgrad (z. B. durch Abkühlen der Lösung eines Stoffes,
dessen Löslichkeit mit der Temperatur zunimmt), so gelangt man an
einen Punkt, wo die Bildung des festen Stoffes freiwillig eintritt. Man
kann also auch hier, auf das stabile Gebiet der Untersätrigung folgend,
zunächst ein metastabiles Gebiet unterscheiden, und weiter bei stärkerer
Überschreitung ein labiles (S. 114). Die experimentelle Bestimmung
der Grenze zwischen beiden ist sehr schwierig, da sie nicht nur von der
Beschaffenheit der Stoffe und dem Übersättigungsgrade, sondern auch
noch von der Anwesenheit fremder Festkörper (Stäubchen) in einer noch
nicht näher bekannten Weise sich als abhängig erweist.
Die Temperatur hat, wie bereits erwähnt, einen meist ziemlich be-
deutenden Einfluss auf die Löslichkeit fester Stoffe in Flüssigkeiten. Man
pflegt diesen Zusammenhang darzustellen, indem man die Temperaturen
nach rechts und die Konzentration der gesättigten Lösungen nach oben
mißst. Die meisten so erhaltenen Löslichkeitslinien verlaufen aufsteigend,
d. h. in den meisten Fällen nimmt die Löslichkeit mit steigender Tem-
peratur zu. Pig. 39 zeigt eine Anzahl derartiger Lösungslinien, in
denen die Konzentrationen nach Gewichtsprozenten festen Stoffes in der
Lösung gerechnet sind. Es sind über diesen Gegenstand sehr zahlreiche
Untersuchungen angestellt worden, doch beziehen sich diese ganz vor-
wiegend auf die Löslichkeit von Salzen in Wasser. Wegen des teil-
weisen Überganges gelöster Salze in Ionen ist dieser Fall von allen ge-
rade der verwickeltste , und daher mag es rühren, dass nur wenige
330 VIII. Chemische Mechanik.
und unscharfe allgemeine Beziehungen zwischen der Löslichkeit und den
anderen Eigenschaften der Stoffe bekannt sind.
In erster Annäherung kann man sagen, dass Ähnlichkeit der chemischen
Natur günstig auf die Löslichkeit wirkt. So lösen sich in Wasser die
Hydroxyl Verbindungen unter den organischen Stoffen am reichlichsten, und
zwar um so reichlicher, je mehr Hydroxyle vorhanden sind. Die Anhäufung
von Kohlenstoff und Halogenen vermindert dagegen die Löslich keit in Wasser.
Ferner steht die Löslichkeit in einem bestimmten Zusammenhange mit dem
Schmelzpunkt; von isomeren Verbindungen ist in einem und demselben Lö-
sungsmittel die am löslichsten, deren Schmelzpunkt am niedrigsten liegt.
Eine weitere annähernde Beziehung ist die, dass die Löslichkeit ver-
gleichbarer Verbindungen im Sinne des periodischen Gesetzes mit dem Ver-
bindungsgewicht zu- oder abnimmt. Doch handelt es sich auch hier nur um
eine ungefähre Regel.
Eine wichtige Eigenschaft der Lösungslinien ist ihre Stetigkeit. So
lange die Beschaffenheit des festen Stoffes dieselbe bleibt, verläuft auch
die Lösungslinie ohne Sprung oder Knick. Umgekehrt kann man sicher
sein, dass wo eine Lösungslinie unstetige Änderungen enthält, die Be-
schaffenheit des festen Stoffes unter der Lösung eine plötzliche Änderung
erlitten hat. Solche Änderungen können von Polymoi-phie, Schmelzung,
Verbindung mit dem Lösungsmittel, bez. Änderung eines vorhandenen
Verbindungszustandes herrühren; sie beeinflussen jedesmal den stetigen
Verlauf der Linie.
Die angemessene Auff^assung dieser Erscheinung ist die, dass jeder
Form des festen Stoffes eine eigene Ijöslichkeit zukommt. Bei Tempe-
raturen, wo zwei verschiedene Formen des festen Stoffes unter der
Lösung nebeneinander bestehen können, muss auch ihre Löslichkeit gleich
sein, da sonst wieder ein Perpetuum mobile zweiter Art möglich wäre-
Die beiden Lösungslinien schneiden sich also in einem solchen Punkte-
Da ausserhalb dieses Punktes eine der beiden Formen instabil wird, so
ist es auch diese Form neben der Lösung. Doch sind häufig ziemlich
bedeutende Überschreitungen möglich, so dass die Thatsache des Be-
stehens und Durchschneidens der mehreren Lösungslinien vielfach experi-
mentell nachgewiesen worden ist.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Natriumsulfat, für dessen Lös-
lichkeit schon von Gay-Lussac die in Fig. 40 gezeichnete Kurve gegeben
worden ist. Die mit 10 bezeichnete Linie bezieht sich auf das gewöhnliche
Glaubersalz mit lOH-0, die mit 0 bezeichnete auf wasserfreies Salz. Bei
33*^ verwandelt sich das erstere in eine gesättigte Lösung neben wasserfreiem
Salz, und man beobachtet von dort ab nur die Löslichkeit des letzteren. Je-
doch kann man, wenn man Keime von Glaubersalz sorgfältig ausschliesst, Lö-
sungen unter 33® herstellen, die mit wasserfreiem Salz im Gleichgewicht
sind, und deren Zusammensetzung sich völlig stetig der der Lösungen über
33° anschliesst, wie das durch die Verlängerung der Linie über den Durch-
schnittspunkt nach links zum Ausdruck gebracht ist.
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Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösubgen
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Fig. 39. Löslichkeit von Sulfaten.
Unter 7 ist schliesslich die Löslichkeit des Salzes mit 7 H'O dargesi
Ton dessen Auftreten S. 329 die Rede war.
Bei der Auflösung fester Stoffe in Fiüfisigkeiten wird gewöhnlich
Wärme aufgenommen^ doch ist auch, »der umgekehrte Fall nicht ganz
selten. Allgemeine Gesetzmässig- ^^^
keilen über den Zusammenhang
der Lösungswärme mit anderen ^^°
Eigenschaften sind kaum bekannt, iffo
Zwischen der Änderung der ^^^
Löslichkeit mit der Temperatur
und der Lösungswärme besteht ^^°
der Zusammenhang^ dass eine loo
Zunahme der Löslichkeit in ^^
solchen Fällen eintritt, wo für
die Auflösung bei konstanter Tem- ^°
peratur Wärme aufgenommen *o
werden muss. Solche Stoffe,
welche Wärme entwickeln, ver-
mindern umgekehrt ihre Löslich-
keit mit steigeilder Temperatm*.
Der Zusammenhang beider Grös-
sen wird durch eine Formel dargestellt, welche der für den Zusammen-
hang zwischen Dampfdruck und Verdampfungswärme (S. 126) ähnlich
ist. Dies rührt daher, dass der Vorgang der Auflösung selbst dem
der Verdampfung ähnlich ist, indem es sich um einen Übergang in den
dena Gaszustande vergleichbaren Zustand der verdünnten Lösung handelt.
Bedeutet c die Konzentra-
tion der Lösung und L die '^
Lösungswärme (eintretende
Wärmemengen positiv ge-
rechnet), so besteht die Be-
ziehung
dlnc/dT = L/RT«.
Der Unterschied gegen
die Dampfdruckformel, in wel-
cher statt der Konzentra-
tion c der Druck p auftritt,
röhrt daher, dass die Lö-
sungswärme der gewöhnlichen
Verdampfungswärme nicht
ganz vergleichbar ist, da bei der Lösung in einem Lösungsmittel keine
äussere Arbeit geleistet wird, wie bei der Verdampfung unter irgend einem
Drucke. Die genauere Entwickelang dieser Verhältnisse erfordert die Hilfs-
mittel der höheren Mathematik.
Bei der Benutzung dieser Formel ist zu beachten, dass sie unter
Fig. 40.
332 Vni. Chemische Mechanik.
der Voraussetzung abgeleitet ist, dass die einfachen Gesetze des osmoti-
schen Druckes auf die Lösung noch Anwendung finden. Sie ist also
für konzentrierte Losungen nicht mehr gültig.
Im dem letzteren Falle entsteht eine weitere Verwickelung dadurch,
dass die Lösungswärme nicht wie bei verdünnten Lösungen von der Kon-
zentration unabhängig ist, sondern mit dieser wechselt. Löst man z B.
in einer gegebenen Wassermenge folgeweise gleiche Mengen Ammonium-
nitrat, so wird die aufgenommene Wärmemenge immer kleiner, je mehr
Salz in der Lösung bereits vorhanden ist. Diese Veränderlichkeit ist in
einzelnen Fällen so gross, dass sich das Zeichen umkehrt; krystallisiertes
Kupferchlorid löst sich z. B. in reinem Wasser unter Wärmeaufnahme,
in einer fast gesättigten Lösung des Salzes dagegen unter Wärmeent-
wickelung.
Wenn auch die Formel für konzentrierte Lösungen nicht mehr gilt,
so bleibt doch der Zusammenhang zwischen dem Zeichen der Lösungs-
wärme und dem des Temperatureinflusses bestehen. Nur muss alsdann
als Lösungswärme nicht die in reinem Wasser, sondern die sogenannte
letzte Lösungswärme, d. h. die in einer nahezu gesättigten Lösung ge-
rechnet werden. Man ei'fährt das Zeichen dieser Lösungswärme, wenn
man eine etwas überaättigte Lösung des fraglichen Stoffes herstellt, und
durch Einsäen von Krystallkeimen eine plötzliche Ausscheidung des festen
Stoffes hervorruft.
Der Einfluss des Druckes auf die Löslichkeit wird durch
die Regel bestimmt, dass durch Steigerung des Druckes die Reaktion
eintritt, durch welche eine Volumverminderung hervorgerufen wird, oder
mit anderen Worten die Reaktion, die sich der Drucksteigerung wider-
setzt. In den meisten F'äilen wird das Volum kleiner, wenn sich in der
fast gesättigten Lösung noch etwas Salz auflöst; alsdann wird die Lös-
lichkeit durch Druckzunahme gesteigert. Daneben sind einige wenige
F^Ue bekannt, wo die Auflösung unter Ausdehnung stattfindet (ein Bei-
spiel ist Salmiak in Wasser); solche Lösungen scheiden Salz aus, wenn
sie im gesättigten Zustande bei konstanter Temperatur einem grösseren
Drucke untei'worfen werden.
Diese Einflüsse sind indessen wegen der sehr geringen Volum-
änderungen, die hier auftreten, äusserst klein, und es bedarf sehr be-
deutender Drucke, um einigermassen messbare Änderungen der Löslidi-
keit zu erzielen. Für Drucke, die einige Atmosphären betragen, kann
man die Beeinflussung der Löslichkeit vernachlässigen, da sie weit unter-
halb der analytischen Fehlergrenzen bleibt.
E. Zwei feste Stoffe.
Bei den bisherigen Betrachtungen ist von möglichen Zustands-
änderungen des Lösungsmittels abgesehen worden. Doch wird man im
allgemeinen in Betracht ziehen müssen, dass bei fortgesetzter Verfolgung^
der Lösungslinie nach immer tieferen Temperaturen schliesslich auch das
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 333
Lösungsmittel in den festen Zustand übergdiien wird. Denn es wird
zwar durch die Auflösung eines fremden Stoffes die Erstarrungstemperatur
der Lösung immer herabgesetzt^ doch nicht unbegrenzt.
Es wird also je nadi der Löslichkeit des zugesetzten Stoffes mehr
oder weniger tief unter dem Schmelzpunkt des Lösungsmittels ein Zu-
stand eintreten^ wo das I^sungsmittel selbst in fester Form erscheint.
Wir haben dann neben der Lösung zwei feste Phasen; nehmen wir an,
dass das Gebilde in einen leeren Raum gebracht worden ist, so kommt
als vierte Phase Dampf hinzu, und nach der Phasenregel ist nun der
Zustand eindeutig bestimmt, da gar keine Freiheit mehr übrig ist').
Es wird also für jedes Paar solcher gegenseitig löslicher Stoffe eine
bestimmte Temperatur geben, bei welcher die beiden festen Formen neben
der Lösung bestehen können. Man nennt diesen Punkt den kryo-
hydratischen oder eutektischen. Seine Lage ist durch folgende Be-
trachtungen gegeben.
Wir gehen von der Schmelztemperatur tA des reinen Stoffes A aus.
Fügen wir etwas B hinzu, so verflüssigen sich beide gegenseitig, und erst
bei einer niedrigeren Temperatur, die mit der Vermehrung von B immer
mehr sinkt, kann sich wieder ein Gleichgewicht ausbilden, bei welchem
A als feste Phase neben der Lösung besteht. Tragen wir die Mengen-
verhältnisse nach oben ab, so erhalten wir eine Linie, die von tA nach
links verläuft, und zwar wegen der Proportionalität zwischen Kon-
zentration und Gefrierpunktsemiedrigung (S. 207) wesentlich geradlinig.
Gleiche Betrachtungen gelten für
den Stoff B; tragen wir dessen Gleich-
gewichtstemperaturen mit derijösung
von A in B in dasselbe Koordinaten-
system, so erhalten wir eine von
rechts nach links abwärts verlaufende,
annähernd gerade Linie.
I Beide Lösungslinien müssen sich
daher in einem Punkte K schneiden.
Dieser gehört beiden Linien an, und
stellt daher das Gleichgewicht der
Lösung sowohl mit dem einen wie p. ^-.
I mit dem anderen Stoffe im festen Zu-
stande, d.h. den eutektischen Punkt des fraglichen Stoffpaares dar.
I Wie sich aus der Figur unmittelbar ergiebt, liegt der eutektische
I Punkt um so weiter unter den Schmelzpunkten der reinen Stoffe, je
*) Bei der gewöhnlichen Art, den Versuch anzustellen, steht das Gebilde
unter dem Drucke der Atmosphäre. Die Ergebnisse sind von denen im
leeren Baume nicht messbar verschieden, da der Einfluss des Druckes auf
dies Gleichgewicht, der sehr kleinen ^Volumänderung wegen verschwindend
klein ist.
334 VIII. Chemische Mechanik.
näher sich die beiden Schmelzpunkte liegen. Ferner ist die Lage des
Durchschnittspunktes noch von der Neigung der beiden Linien abhängig;
diese wird aber nach der S. 211 gegebenen Formel durch die Grösse
L/T^ bestimmt, wo L die Schmelzwärme und T die Schmelztemperatur ist
Wenn wir die gebräuchliche Bezeichnung beibehalten, wonach wir bei
einer gesättigten Lösung den in fester i^'orm anwesenden Stoff als das Ge-
löste, und den anderen als das Lösungsmittel bezeichnen, so stellt die untere
Gerade die Löslichkeit des Stoffes A in B dar, d. h. der in grösster Menge
anwesende Stoff erscheint als das Gelöste, und der kleine Zusatz als Lösungs-
mittel. Der Widerspruch, den wir hier mit unseren gewöhnlichen Vorstellungen
empfinden, zeigt, dass die Unterscheidung der beiden Bestandteile in solchem
Sinne unzweckmässig ist. In der That liegt auch kein wissenschaftlicher
Grund für eine Unterscheidung vor, und man sollte daher immer nur von
den beiden Bestandteilen einer Lösung sprechen, ohne dem einen oder anderen
einen Vorrang einzuräumen.
Durch diese Betrachtungen wird das Verhalten einer Lösung bei
fortdauerndem Erkalten vollständig übersichtlich. Kühlen wir die Lösung
ab, so wird zunächst die Sättigungstemperatur in Bezug auf einen der
Bestandteile (welchen, hängt von der Zusammensetzung der Lösung ab)
erreicht, und dieser scheidet sich aus^). Dadurch wird die Lösung kon-
zentrierter in Bezug auf den anderen Bestandteil, und die Temperatur
wird niedriger. Dies setzt sich fort, bis der eutektische Punkt erreicht
ist; alsdann scheiden sich die beiden Bestandteile gleichzeitig aus. DieAu^
Scheidung muss in demselben Verhältnisse erfolgen, wie die Stoffe in
der Lösung vorhanden sind, da anderenfalls die Gleichgewichtstemperatur
freiwillig steigen müsste, was nicht möglich ist. Die Temperatur bleibt
konstant, bis alles erstarrt ist.
Hat die Lösung von vornherein die Zusammensetzung des eutektischen
Gemisches, so kann die Erstarrung überhaupt erst bei der eutektischen
Temperatur beginnen, , und erfolgt von Anfang bis zu Ende bei derselben
Temperatur. Solche Gemenge verhalten sich also ganz wie einheitliche
Stoffe, und man hat auch anfanglich sie mit solchen verwechselt. Dies
Verhalten ist dadurch hervorgerufen, dass infolge der vorhandenen Ver-
hältnisse die flüssige Phase die gleiche Zusammensetzung hat, wie das
Gemenge der beiden festen, was sich der Definition eines Gleichgewichts
erster Ordnung anschliesst. Dass es sich aber um ein Gemenge der
festen Stoffe und nicht um eine chemische Verbindung zwischen ihnen
handelt, geht daraus hervor, dass alle Eigenschaften des festen Gemenges
sich additiv aus denen der Bestandteile zusammengesetzt erweisen.
Ein wenig verwickelter werden die Vorgänge bei der Erstarrung der
Gemische dadurch, dass mehr oder weniger leicht Überschreitungen eintreten.
*) Es wird hier und in der Folge vorausgesetzt, dass keine Ober-
schreitungen eintreten, bez. dass solche durch rechtzeitige Zuführung von
Keimen vermieden werden.
Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.
335
Um diese Möglichkeit anzudeuten, sind in der Fig. 41 die beiden Linien über
ihren Durchschnittspunkt hinaus verlängert. Wenn man sie nicht ausschliesst»
so bleibt ein Gebilde auch nach dem Durchschreiten des eutektischen Punktes
noch ein Stück auf seiner Linie und die Temperatur geht unter den eutek-
tischen Punkt. Erst wenn die labile Grenze (S. 329) erreicht ist, oder wenn
auf irgend eine Weise Keime in die Flüssigkeit gelangen, scheidet sich der
betreffende feste Stoff aus. Dann steigt durch das Freiwerden der Schmelz-
wärme die Temperatur, doch nicht höher, als auf den eutektischen Punkt.
Da Überschreitungen auf dem umgekehrten Wege beim Schmelzen nicht
einzutreten pflegen, so wird sich hier stets das einfache Bild zeigen. Doch
kommt der Abkühlungsvorgang praktisch so viel häufiger vor, dass seine
Schilderung nicht zu umgehen war.
Die beschriebenen Erecheinungen treten ein, wenn die beiden Stoffe
im flüssigen Zustande sich in allen Verhältnissen mischen. Dies ist nun
durchaus nicht notwendig, sondern die teilweise Löslichkeit der Flüssig-
keiten ist eine mindestens ebenso häufige Erscheinung. In diesem Falle
beobachtet man ein Schmelzen, der festen Stoffe unter der
Lösung, und die Verhältnisse werden verwickelter.
Man kann diese Erscheinung als eine Abänderung des eben er-
örterten einfacheren Falles betrachten, der dadurch hervorgerufen wird,
dass mit der durch Fig. 41 gegebenen Linie der Zustände fest- flüssig
eine Lösungslinie von der Art Fig. 41
für die gegenseitige Lösung zweier
Flüssigkeiten zum Durchschnitt kommt.
In Fig. 41 ist ein solcher Fall sche-
matisch dargestellt.
Der Teil akb stellt die gewöhn-
Uchen beiden Lösungslinien neben
festem Stoffe dar; bei ak ist der
erste, bei kb der zweite Stoff im
festen Zustande neben der Lösung
vorhanden, und k ist der eutektische
Punkt. Bei b wird aber durch wei-
tere Vermehrung des zweiten Stoffes
B (was in der Zeichnung einem Fortschreiten nach oben entspricht)
eine zweite flüssige Lösung abgeschieden, die vorwiegend aus B besteht,
und wir haben vier Phasen, nämlich zwei Flüssigkeiten, festes B und
Dampf. Somit besteht keine Freiheit mehr, und eine Vermehrung von
B kann keinen Einfluss mehr auf die Zusammensetzung der Phasen und
die Temperatur haben. In der That vnid durch weiteres B nur be-
wirkt, dass sich die Menge der zweiten Lösung vermehrt und die der
ersten vermindert, bis schliesslicli im Punkte e die erste Lösung ver-
schwunden ist. Wird noch mehr B hinzugesetzt, so liegt wieder eine
gewöhnliche Lösungslinie zwischen festem B und einer Lösung vor, die
sich bis f, dem Schmelzpunkte von reinem B, erstreckt.
Fig. 42.
336 VIII. Chemische Mechanik.
In dem Gebiete be haben wir ein Gleichgewicht zweier flüssiger
Phasen. Solange festes B zugegen sein soll, bleiben wir auf der Ge-
raden be; verzichtet man aber auf dessen Gegenwart, so gewinnt man
wieder eine Freiheit, und kann die Temperatur ändern. Dadurch erhält
man eine Linie bde von der Gestalt Fig. 37, S. 325, wie sie für die
gegenseitige Löslichkeit zweier Flüssigkeiten auftritt. Diese ist nicht not-
wendig durch die Punkte b und e begrenzt, sondern lässt sich nach
niedrigeren Temperaturen verfolgen, wie das durch die punktierten Ver-
längerungen bc und eg angedeutet ist. Doch sind diese Gebiete über-
sättigt in Bezug auf die feste Phase B.
Diese Andeutungen erachöpfen den Gegenstand keineswegs, und
sollen nur eine Anschauung von den hier möglichen Mannigfaltigkeiten
geben. Von den mannigfaltigen Beziehungen, die hier auftreten, soll
nur noch Erwähnung finden, dass die beiden Lösungslinien kb und bd,
von denen die erste für den festen Stoff B neben der Lösung, die zweite
für eine vorwiegend aus B bestehende Flüssigkeit neben derselben Lö-
sung gilt, sich unter einem Winkel schneiden, dessen Grösse von der
Schmelzwärme des festen Stoffes B in ähnlicher Weise abhängt, wie der
Knick in der Dampfdrucklinie (S. 178) beim Schmelzpunkt des Eises
von der Schmelzw^ärme desselben. Die Auflösung eines festen Stoffes
in einer Flüssigkeit hat vielfache Ähnlichkeiten mit der Verdampfung,
und man kann die für das eine Gebiet gemachten Überlegungen leicht
auf das andere übertragen, und entsprechende neue Ergebnisse gewinnen.
Doch sind diese von so mannigfaltiger Art, dass sie hier nicht erörtert
werden können und ihr Studium den grösseren Lehrbüchern überlassen
bleiben muss.
F. Feste Lösungen.
Ausser den gasförmigen und flüssigen muss es der Analogie nach
auch feste Lösungen geben können, d. h. solche Stoffe, die mit dem
festen Aggregatzustande die Eigentümlichkeiten der Lösungen: stetig
veränderliche Zusammensetzung und entsprechend stetig veränderliche
Eigenschaften verbinden. Durch van't Hoff ist (1890) in der That ge-
zeigt worden, dass eine Reihe bekannter Erscheinungen sich dem Begriffe
der festen Lösungen unterordnen lassen.
Zunächst haben stetig veränderliche Zusammensetzung und stetig
veränderliche Eigenschaften die Gemenge isomorpher KrystaUe. Diese
würden also Beispiele für feste Lösungen bilden. An die isomorphen
Mischungen schliessen sich die nicht ganz seltenen Mischungen aus zwei
krystallinischen Stoffen, die einzeln in verschiedenen Formen krystalii-
sieren, aber doch einheitliche Mischkrystalle von der Form des vorwie-
genden Bestandteiles bilden können. Hierher gehören NaphthaUn und
Naphthol, Benzoesäure und Salicyläure,
Diesen Fällen schliessen sich femer die an, wo flüssige oder gas-
förmige Stoffe sich mit festen in wechselnden Verhältnissen zu festen
Stoffen vereinigen können, in denen die Eigenschaften stetig mit der
Chemisches Gleichgewicht zweiter Ordnung; Lösungen. 337
Zusammensetzung wechseln. Für die Zusammenstellung flüssig-fest giebt
es Beispiele unter den wasserhaltigen natürlichen Silikaten, den Zeolithen.
Aus manchen von ihnen lässt sich das Wasser in beliebigen Mengen
I austreiben, ohne dass sie ihre physikalisch homogene Beschaffenheit ver-
j lieren; sie bleiben durchsichtig und ihr Dampfdruck in Bezug auf Wasser
[ wird stetig kleiner in dem Verhältnis, wie der Wassergehalt geringer
I wird. Auch lässt sich das ausgetriebene Krystallwasser durch andere
I Flüssigkeiten, wie Alkohol, Chloroform, Schwefelkohlenstoff u. s. w. er-
i setzen, ohne dass die Durchsichtigkeit und das homogene Aussehen ver-
loren geht.
[ Die Aufnahme gasförmiger Stoffe zu festen Lösungen ist von den
I ebengenannten offenbar nicht wesentlich verechieden, da es eine Sache
I des zufälligen äusseren Druckes ist, ob man einen Stoff, wie Wasser
^ oder Chloroform, als eine Flüssigkeit oder einen Dampf betrachtet. Die
1 Neigung der schwer zu verflüssigenden Gase, feste Lösungen zu bilden,
I ist im allgemeinen gering; doch giebt es einige auffallende Ausnahmen,
i unter denen Palladiumwasserstoff die bekannteste ist. Ebenso vermag
Eisen mit Wasserstoff eine feste Lösung zu bilden, denn wenn man
einen ausgepumpten Kaum mit einer Eisenplatte schliesst, und diese zur
Kathode in verdünnter Säure macht, so findet sich bald im Räume
Wasserstoff, der sich im Eisen gelöst hatte und nach der anderen Seite
durchdiffundieii; ist.
Der wesentlichste Unterschied zwischen einer Lösung und einem
Gemenge, dass nämlich die Herstellung der Lösung aus den Bestand-
teilen Arbeit leisten kann, und dass dem gemäss Arbeit erforderlich ist,
um die Lösung wieder in ihre Bestandteile zu scheiden, findet sich auch
bei festen Lösungen wieder. Am einfachsten ist dies bei den festen
Lösungen flüchtiger Stoffe nachzuweisen. Ein gelöster Stoff muss immer
einen kleineren Dampfdruck haben, als der reine Stoff bei gleicher Tem-
peratur, denn nur dann ist die ebengenannte Arbeitsbedingung erfüllt.
Der Betrag dieser Arbeit ergiebt sich aus folgendem Vorgange:
Man verdampfe aus dem reinen Stoffe bei konstanter Temperatur ein Mol
unter dem normalen Dampfdrucke (Arbeit =RT), lasse dann den Dampf
unter entsprechender Arbeitsleistung sich ausdehnen (Arbeit =RTln(p/p'),
bis er den Druck erreicht hat, unter dem er mit der Lösung im Gleich-
gewicht ist, und lasse ihn dann von der Lösiing absorbiert werden (Arbeit
= — RT). Ist p der Dampfdruck der reinen Flüssigkeit, p' der der Lösung,
so ist die bei diesen drei Vorgängen für jedes Mol des gelösten Stoffes ge-
wonnene Arbeit gleich RT -f- RTln(p/p) — RT = RTlnp/p . Der gleiche
Arbeitsbetrag ist anzuwenden, um die Lösung wieder in ihre Bestandteile zu
trennen.
Hierbei ist die Menge der Lösung im Verhältnis zu der des Dampfes
so gross angenommen, dass eine messbare Änderung in der Zusammensetzung
der gesamten Lösung und damit eine Änderung in ihrem Dampfdrucke durch
Ostwald, Orundriss. 3. Aufl. 22
338 VIII. Chemische Mechanik.
die Aufnahme des Dampfes nicht bewirkt wird. Diese Voraussetzung lässt
sich immer erfüllt denken.
Eine solche Dampfdrucksverminderung wird in der That bei festen
Lösungen beobachtet, so dass auch nach dieser Richtung ihre Lösungs-
natur gesichert erscheint.
Kann man diese Arbeitsleistung, oder allgemein gesprochen, die
Verminderung des chemischen Potentials des gelösten Stoffes nicht durch
unmittelbare Dampfdrucksmessungen nachweisen, so ist dies meist auf
irgend einem anderen, theoretisch gleichwertigen Wege möglidi. Ebenso
wie der Dampfdruck muss sich die Löslichkeit in allen Lösungsmitteln,
die elektromotorische Kraft in solchen Ketten, in denen der gelöste Stoff
verbraucht wird, u. s. w., an der Lösung kleiner zeigen, als am reinen
Stoffe. Auch diese Kriterien sprechen im allgemeinen für die Lösungs-
natur der festen Lösungen.
Wenn auch eine qualitative Übereinstimmung des allgemeinen Ver-
haltens unverkennbar ist, so haben die Versuche einer quantitativen
Prüfung dieser Anschauungen noch nicht zu unzweideutigen Ergebnissen
geführt, denn einzelnen guten Fällen stehen andere gegenüber, die sich
noch nicht haben bewältigen lassen.
Eine grosse Übereinstimmung mit den festen Lösungen zeigen in
ihrem Verhalten gewisse Gebilde, in denen unzweifelhaft sich die Ober-
flächenenergie als entscheidender Faktor bethätigt. Es ist eine wohl-
bekannte Erscheinung, dass feste Körper sich an ihrer Oberfläche, wenn
diese mit Luft in Berührung steht, mit einer Schicht überziehen, die aus
den Bestandteilen der Luft: Stickstoff, Sauerstoff, Wasser und Kohlen-
dioxyd besteht, die in wesentlich anderen Mengenverhältnissen als in der
Luft anwesend sind. Die Erscheinung ist allgemein; die Mengenverhält-
nisse ändern sich mit der Natur der beteiligten Stoffe. Die Erscheinung
der Benetzung gehört gleichfalls hierher, und das Allgemeine hierbei ist,
dass die Bildung einer mit solchen Schichten bedeckten Oberfläche frei-
willig erfolgt, d. h. Arbeit leisten könnte. Wir haben es also mit der
Art der Oberflächenenergie zu thun, die der gewöhnlichen entgegen-
gesetzt ist; die Bildung einer benetzten Fläche erfordert nicht Arbeit,
wie die Bildung einer freien Flüssigkeitsfläche, sondern sie leistet welche.
Ganz ähnliche Erscheinungen zeigen sich, wenn man feste Körper
mit grosser Oberfläche iji flüssige Lösungen bringt. Auch hier bethätigt
sich eine auswählende Oberflächenenergie, die sich meist in einer rela-
tiven Anhäufung des gelösten Stoffes an der Oberfläche des festen
Körpers äussert. In der Anwendung der Knochenkohle oder ähnliclier
poröser Stoffe zum Entfärben unreiner Flüssigkeiten, z. B. der rohen
Zuckersäfte, wird von dieser Eigenschaft ein ausgiebiger Gebrauch ge-
macht; dabei hat sich die früher unerwai'tete, von dem gegenwärtigen
Standpunkte aus aber ganz verständliche Thatsache gezeigt, dass sich die
reinigende Wirkung nicht nur auf den Farbstoff, sondern auch auf an-
dere beigemischte Stoffe erstreckt
Chemisches Gleichgewicht zweiter Ordnung; Lösungen. 339
Solche Gebilde aus festen Körpern mit auf der Oberfläche abge-
lagerten oder „adsorbierten" Stoffen zeigen nun ganz ähnliches Ver-
haiten^ wie feste Lösungen und Lösungen überhaupt. Die abgelagerten
Stoffe haben immer einen geringeren Dampfdruck oder allgemein ein
geringeres chemisches Potential, als im reinen Zustande, und zwar nimmt
dessen Wert um so mehr ab, je kleiner verhältnismässig die Menge des
adsorbierten Stoffes geworden ist. Beide sind ganz wie bei Lösungen
eindeutige stetige Funktionen voneinander. Auch kann man eine „Sät-
tigung" erzeugen, wenn man das Gleichgewicht mit dem reinen Stoffe
herstellt Über die von der Einheit der Oberfläche hierbei aufgenommene
Menge des Stoffes ist nur wenig bekannt; sie scheint sich in den
Grenzen zu bewegen, die für die Benetzungsfähigkeit früher (S. 151)
berechnet worden sind, d. h. um weniger als ein Milliontel Gramm auf
ein Quadratcentiraeter.
Noch eine dritte Art von Gebilden zeigt die gleichen stetigen Ver-
minderungen der Dampfdrucke vorhandener Stoff^; es sind dies die leim-
artigen oder Kolloidstoffe. Der gewöhnliche Tischlerleim ist ein
gutes Beispiel hierfür; er nimmt in Berührung mit feuchter Luft Wasser-
dampf auf bis zu einem bestimmten Grade, der in gleichem Sinne, wie
der Teildruck des Wasserdampfes, stetig veränderlich ist. Es ist dies wieder
das Verhalten der Lösungen überhaupt und der festen Lösungen msbesondere.
Der Zusammenhang aller dieser Erscheinungen scheint auf dem
Boden der Oberflächenenergie vorhanden zu sein. Wälirend bei der Ad-
sorption eine solche unzweifelhaft ist, haben neuere Forschungen auch
für die Kolloidkörper eine gleiche Auffassung zu rechtfertigen begonnen.
Durch mikroskopische Untersuchimgen ist bei allen Kolloidkörpem eine
„wabige" Struktur d. h. eine Zusammensetzung aus Hohlräumen, die
von dünnen Zellwänden umschlossen sind, erwiesen worden (Bütschli,
1893—1899). Hierdurch wird eine ungemein grosse Oberfläche gebildet,
die der Stoflinenge proportional ist, und so den Betrag der Adsorption von
der äusseren Gestaltung unabhängig macht. Die ungemein starke Ent-
wickelung der Adsorptionserscheinungen, die von jeher an den Kolloid-
stoffen aufgefallen war, wird auf diese Weise erklärlich.
Der Übergang von diesen Stoffen auf die Lösungen ist nun durch
die Betrachtungen von S. 152 gegeben, denen zufolge zwei teilweise
mischbare Flüssigkeiten beim Durchgange durch den kritischen Lösungs-
punkt das Zeichen ihrer gemeinsamen Oberflächenenergie ändern, indem
die bis dahin auf Verkleinerung der Fläche gerichtete Spannung nun-
mehr auf Vergrösserung der Fläche gerichtet ist. Diese zweite Art der
Oberflächenenergie ist es gerade, welche sich vorher als die wesentliche
Ursache der Adsorptionseracheinungen erwiesen hatte, und so ist ein Zu-
sammenhang zwischen allen diesen Erscheinungen auch in Bezug auf
ihre Ursache hergestellt, nachdem sie eine weitgehende Übereinstimmung
in der Wirkung, der Beeinflussung des Dampfdruckes und allgemein des
chemischen Potentials des gelösten Stoffes haben erkennen lassen.
22*
340 VIII. Chemische Mechanik.
Sechstes Kapitel.
Weitere chemisohe Oleiobgewiohtd zweiter Ordnung.
Der aUgemeinste Fall eines Gleichgewichts zweiter Ordnung tritt ein,
wenn sich aus beiden Bestandteilen eine einzige Phase zusammensetzt,
in welcher sich diese nebst den Produkten ihrer Wechselwirkung im
Zustande eines homogenen Gemisches oder einer Lösung befinden. In
dem Falle, dass alle diese Stoffe gasförmig sind, lässt sich auch die Auf-
gabe, den Einfluss der Temperatur und des Druckes auf das vorhandene
Gleichgewicht zu bestimmen, allgemein lösen. In flüssigen Gebilden ist
dies nur noch unter der Voraussetzung der Fall, dass wir es mit ver-
dünnten Lösungen zu thun haben, dass also die einzelnen Stoffe ent-
weder den grössten Teil, oder nur einen kleinen Teil der Gesamtmenge
bilden. In diesem Falle bestehen drei Freiheitsgrade; wir können also
die Temperatur, den Druck und noch eine dritte Veränderliche, z. B.
die Konzentration eineSv der Stoffe oder etwa auch das Verhältnis der
beiden Bestandteile, oder sonst eine auf die Zusammensetzung bezüg-
liche Grösse beliebig (innerhalb gewisser Grenzen) bestimmen, und erst
dann sind die anderen Bestimmungsstücke des Gebildes, also die Kon-
zentrationen aller vorhandenen Stoffarten, eindeutig festgelegt.
Diese Mannigfaltigkeit vermindert sich in dem Grade, als die Zahl
der Phasen zunimmt. So wird bei zwei Phasen eine zweifache Freiheit
vorhanden sein, bei dreien nur eine Fi-eiheit. Diese Gebilde zeigen eine
gewisse Ähnlichkeit mit den Gleichgewichten erster Ordnung vom glei-
chen Freiheitsgrade, und w^ir werden uns der Analogieen, die sich daraus
ergeben, vielfach bedienen können, um die hier geltenden Gesetze auf-
zufinden.
Eine Reaktion, die zu einem Gleichgewichte zweiter Ordnung führt,
wird sich allgemein durch eine chemische Formel von der Gestalt dar-
stellen lassen:
ra, Ai 4- ma Ajj =rni Bj + Uj Bg + n3B3 + . . . .
■
wo Aj und Ag die Bestandteile, B,, Bg, B3 . . . die Produkte, und
m^y mg, n,, n^, Ug, .... die Molekulai-koeffizienten der Reaktion sind.
Die Zahl der verschiedenartigen R'odukte, die aus den BestandteUen
nebeneinander entstehen und im Gleichgewicht sich befinden können, ist
theoretisch gesprochen unbegrenzt. Thatsächlich tibersteigt sie kaum
jemals die Zahl zwei, oft ist nur ein Produkt vorhanden, und in den
anderen Fällen ist es immer möglich, die Gleichung in einfachere zu zer-
legen. Es wird also genügen, diese beiden Fälle allein zu betrachten.
Da in einem einphasigen Gleichgewicht zweiter Ordnung ausser
Druck und Temperatur nur noch eine Freiheit vorhanden ist, so ist die
Konzentration der verschiedenen Produkte, die nebeneinander entstehen
können, nicht frei, sondern wenn die eines dieser Stoffe gegeben ist, so
ist es dadurch auch die aller anderen. Es bestehen somit Beziehungen
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 34 1
zwischen den Konzentrationen dieser Stoffe, welche gestatten , deren
Werte bis auf einen ans der Gleichgewichtsgleichung zu eliminieren, und
sie auf eine Form zu bringen, als wäre nur ein Produkt der Reaktion
vorhanden.
Gehen wir vom Massenwirkungsgesetz aus, so wird die Gleichge-
wichtsgleichung • für den Fall eines einzigen Produktes die Gestalt haben
a™^ a^* = k.b°,
wo a^ und a^ die Konzentrationen der Bestandteile, b die des Produktes
und m^, m^ und n die MolekularkoefQzienten der Reaktion sind. Es
muss also das Produkt der Konzentrationen der Bestandteile der Kon-
zentration der Produkte proportional sein, nachdem jede Konzentration
auf die Potenz ihres Molekularkoeffizienten erhoben ist.
Die energetische Ableitung dieser Gleichung kann auf ganz dieselbe
Weise erfolgen, wie die für das Gasgleichgewicht erster Ordnung (S. 309), in-
dem man von dem Prinzip der virtuellen Energieänderungen Gebrauch macht.
Bezeichnet man die zu den Konzentrationen a,, a^ und b gehörigen Drucke
mit pi, P2 und q, so ist die virtuelle Arbeit gegeben durch m^RTdlnp^-f
m^RTdlnpa — nRTdlnq, und die Bedingung, dass dieser Wert gleich Null
sein soll, führt zu der Gleichung p™* p™* =* r« q"- Die Drucke sind den Kon-
zentrationen proportional, und somit ist die Gleichung identisch mit der oben
gegebenen a™i a™««k.b°.
Ein Beispiel iiir diese Art des chemischen Gleichgewichts liegt in
dem Verhalten des Jodwasserstoffs vor. Dieses Gas zerfällt bei Tempe-
raturen in der Nähe der dunklen Rotglut in Wasserstoff und Joddampf
und bildet sich anderereeits bei gleicher Temperatur aus den Bestand-
teilen. Beide Reaktionen sind unvollständig und fahren zu einem
chemischen Gleichgewicht, das durch die Formel H*-f-J* = 2HJ dar-
gestellt wird. Die Gleichgewichtsgleichung nimmt demgemäss die Gestalt
a^ 3,2 ==kb^ an, welche folgendes Verhalten voraussehen lässt:
a. Das Gleichgewicht ist unabhängig vom Druck oder der Kon-
zentration. Denn fügt man jedem Konzentrationswerte denselben Faktor
zu, 80 hebt sich dieser aus der Gleichung wieder heraus. Es ist also
für das Gleichgewicht nur das Verhältnis der Konzentrationen von
Belang, nicht aber ihr absoluter Wert.
Ein solches Verhalten tritt keineswegs bei allen Gleichgewichten
zweiter Ordnung auf, sondern nur bei solchen, in denen sich in der
eben erwähnten Weise ein gemeinsamer Faktor heraushebt. Dies ge-
schieht, wenn die Summe der Molekularkoeffizienten auf beiden Seiten
der Gleichgewichtsgleichung dieselbe ist, also wenn m^ -|~ 1^2 = ^' I^iese
Bedingung ist identisch mit der, dass durch die Reaktion sich der
Druck oder das Volum des Gasgemisches nicht ändert, und es ist nach
dem fi'üher erörterten Satze unmittelbar einleuchtend, dass eine Reaktion,
die den Druck nicht ändert, ihrerseits auch nicht durch den Druck ge-
ändert werden kann.
342 VIII. Chemische Mechanik.
Die Versuche am Jodwasserstoff haben diesen Schluss in weitem
Umfange bestätigt.
b. Die Konzentration keines der beteiligten Stoffe kann Null werden.
Je mehr man die des einen, z. B. des Wasserstoffs vermehrt, um so
mehr vermindert sich die des anderen, z. B. des Jods, doch müssen sich
beide immer in endlichen Grenzen bewegen.
c. Setzt man zu reinem Wasserstoff eine kleine Menge Joddampf,
so geht diese keineswegs vollständig in Jodwasserstoff über, sondern nur
in einem bestimmten Verhältnis, das von dem Werte der Konstanten k
abhängt; solange der Zusatz klein ist, sind die Mengen des Jods und
des Jodwasserstoffs proportional. Dies ergiebt sich, wenn man der Vor-
aussetzung gemäss in der Gleichung die Konzentration des Wasserstoffs
als konstant ansieht.
/ d. Das Gleichgewicht wird nicht geändert, wenn man die Kon-
zentrationen des Jods und des Wasserstoffe gegeneinander vertauscht,
da der Wert des Produktes derselbe bleibt. Dies ist gleichfalls nicht
immer beim Gleichgewicht zweiter Ordnung der Fall, sondern nur dann,
wenn m^ = mg ist.
e. Bei gleichem Gesamtdruck wird die Menge des gebildeten Jod-
wasserstoffs am grössten, wenn Jod und Wasseretoff in äquivalenten
Mengen zugegen sind. Dies folgt daraus, dass das Produkt zweier
Faktoren, deren Summe konstant ist, seinen grössten Wert annimmt,
wenn beide Faktoren einander gleich sind.
Alle diese Schlüsse sind durch die Erfahrung bestätigt worden.
Einen anderen Fall bietet das Gleichgewicht zwischen Phosphor-
trichlorid, Chlor und Phosphorpentachlorid dar. Die Reaktionsgleichung
ist PG1^4"^1^=^PCP und die Gleichgewichtsgleichung nimmt daher
die Form an „ « i u
aj sl^ = kb.
In diesem Falle ist der Druck allerdings von Einffuss auf das
Gleichgewicht, denn wenn man alle Konzentrationen mit einem kon-
stanten Faktor multipliziert, so hebt sich dieser nicht heraus, und die
Gleichung wird unrichtig. Vielmehr sieht man, dass wenn man etwa a
verdreifacht, man b neunmal so gross nehmen muss, damit die Gleichung
richtig bleibt. Wenn also der Druck vergrössert wird, so vermehrt sich
die Menge der Verbindung auf Kosten der Bestandteile und umgekehrt.
Da die Verbindung aus den Bestandteilen unter Verminderung des Volums
auf die Hälfte entsteht, so sieht man, dass von den möglichen Reaktionen
die erfolgt, welche sich der Drucksteigerung durch die Raumverminderang
widersetzt. Ebenso wird bei der Vergrösserung des Raumes mehr von
den beiden Bestandteilen gebildet; auch hierbei wird der Druck nicht so
stark vermindert, v,ie er es werden würde, wenn keine Reaktion stattfände.
Die Versuche mit Phosphorpentachlorid haben die eben ausgesprochenen
Schlussfolgerungen aus dem Gleichgewichtsgesetze zwar in grossen Zügen be-
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 343
stätigt, doch fehlt es noch an einer genaueren zahlenmässigen Prüfung in
derartigen Fällen.
Eine Reaktion zwischen Gasen, wobei die Bestandteile unter Vermehrung
des Volums aufeinander einwirkten, würde sich umgekehrt verhalten ; hierbei
würde mit steigendem Druck die Zersetzung zunehmen, und Druckverminderung
würde die Bildung der Verbindung befördern. Doch ist ein solches chemisches
Gleichgewicht nicht bekannt.
Über den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht erhalten
wir durch dieselben Überlegungen Auskunft, die wir in dem entspre-
chenden Falle des Gleichgewichts erster Ordnung benutzt haben. Die
Arbeit beim Verschwinden von m^ und m, Molen der Bestandteile und
dem Entstehen von n Molen des Produktes wird durch m,RT (In p^ — Inp^')
4- m2RT(lnp, — Inp^') — nRT(lnq — Inq') dargestellt, und die Än-
derung dieser Arbeit bei einer kleinen Verschiebung der Temperatui* ist
RTdln(p™'P^/q"). Der unter dem Logarithmus stehende Ausdruck
ist die auf den Druck bezogene Gieichgewichtskonstante, und wir ge-
langen wieder zu der Formel
dlnr/dT=L/RT«,
wo L die Reaktionswärme bei der vollständigen Umwandlung nach der
Reaktionsgleichung m, A -j- m^ A = nB ist.
Man ersieht aus dieser Ableitung noch deutlicher, als aus der früher
(S. 310) gegebenen, dass man unabhängig von der Anzahl der be-
teiligten Stoffe und daher unabhängig von der Ordnung der Reaktion
immer dieselbe Sdilussgleichung dlnr/dT = L/RT* findet Wir können
uns daher in späteren Fällen die ausführlidie Ableitung ersparen.
Die Gleichung besagt wie früher, dass sich das Gleichgewicht bei
steigender Temperatur in solchem Sinne verschiebt, dass dabei Wärme
aufjgenommen wird, und die Temperaturerhöhung also geringer ausfällt,
als wenn gar keine Reaktion stattgelunden hätte. Diese Reaktion braucht
keineswegs immer eine Spaltung der Verbindung zu sein. Vielmehr
kennen wir im Cyan, Acetylen und einigen anderen Gasen Fälle, wo
die Verbindung mehr Energie enthält, als die Bestandteile, und wo da-
her steigende Temperatur nicht wie gewöhnlich den Zerfall der Ver-
bindung in ihre Bestandteile befördert, sondern umgekehrt die Bestand-
teile ab- und die Verbindung zunehmen lässt. Auch hat die Beobach-
tung ergeben, dass bei den höchsten erreichbaren Temperaturen, denen
im elektrischen Flammenbogen, Kohlenstoff (der hier als gasförmig an-
gesehen werden kann) sich mit Stickstoff oder Wasserstoff leicht äu Cyan,
bez. Acetylen verbindet.
Es ist also weder theoretisch, noch experimentell gerechtfertigt, wenn
man annimmt, dass bei sehr hohen Temperaturen alle Verbindungen in ihre
Elemente zerfallen müssten, wie das noch heute vielfach geschieht Auch
die übliche Folgerung aus der kinetischen Theorie, dass die zusammenge-
setzten Molekeln bei steigender Temperatur wegen der immer heftiger wer-
344 VIII. Chemische Mechanik.
denden Zusammenstösse schliesslich in Einzelatome zersprengt werden müssen,
steht zwar in Übereinstimmung mit jenen landläufigen Irrtümern, im Wider-
spruch aber mit der Erfahrung und der rationellen Theorie des chemischen
Gleichgewichts, und es ist auch bisher noch nicht gelungen, diesen Wider-
spruch durch eine plausible Entwickelung zu beseitigen.
Ein bemerkenswerter Schluss ergiebt sieh, wenn man L==0 setzt.
Im allgemeinen ist die Reaktionswärme mit der Temperatur veränderlich
(S. 361), und es kann daher ganz wohl geschehen, dass sie einmal durch
Null geht. Dann wird auch dlnr = 0, d.h. das Gleichgewicht wird an
dieser Stelle von der Temperatur unabhängig. Ist die Veränderung der Re-
aktionswärme mit der Temperatur von der gewöhnlichen Art, dass ßie
von positiven Werten durch Null in negative tibergeht (oder umgekehrt),
so nimmt die Grösse r erst zu, und dann ab (bez. erst ab und dann
zu), d. h. die Gleichgewichtskonstante geht durch einen höchsten (bez.
kleinsten) Wert.
Ein solcher Fall scheint beim Jodwasserstoff vorzuliegen, doch reichen
die bisherigen Messungen nicht aus, um ihn sicher nachzuweisen.
Ausser Gasen können noch Flüssigkeiten einphasige Gleichgewichte
zweiter Ordnung bilden. Doch bleiben hier von den quantitativen Ge-
setzen dieser Gleichgewichte nur die Beziehungen nach, welche den
Sinn der Verschiebungen des Gleichgewichts mit einer Änderung der
Bedingungen desselben in Zusammenhang bringen. Denn die Form der
Gleichgewichtsgleichungen ergab sich aus der Berechnung der Arbeits-
beträge beim Entstehen und Verschwinden der Bestandteile und ihrer
Produkte; diese aber lassen sich nur für den Fall vollkommener Gase
und verdünnter Lösungen genau berechnen.
Einen Fall der letzteren Art bietet das Verhalten des Stickstofi-
hyperoxyds dar. Dieses zerfällt, wenn es in einem indifferenten Lösungs-
mittel wie Chloroform, Hexan u. s. w. aufgelöst ist, nach ganz denselben
Gesetzen in die einfachere Verbindung gemäss der Formel N*0* = 2N0*,
wie wenn er im Gaszustande vorhanden wäre (S. 308). Nur ist der
Koeffizient der Gleichgewichtsgleichung nicht derselbe, wie für das Gas,
sondern er wechselt mit dem Lösungsmittel; im allgemeinen ist der
Grad des Zerfalls in den verschiedenen Lösungsmitteln viel kleiner, als
bei gleicher Konzentration in Gasgestalt.
Liegt dagegen keine verdünnte Lösung vor, so ergiebt die Be-
rechnung der experimentell bestimmten Gleichgewichtszustände nach der
einfachen Massenwirkungsformel keinen konstanten Wert des Koeffi-
zienten k. Dies rührt daher, dass* man die Konzentration der beteiligten
Stoffe nicht mehr gleich der vorhandenen Menge in Molen, dividiert
durch das gesamte Volum, setzen darf. Die Frage, welche Grösse hier
die Bedeutung der Konzentration zu erhalten hat, muss von Fall zu
Fall eine verschiedene Beantwortung erhalten. In vielen Fällen lässt
sich die Konzentration durch den „Molenbruch^, d. h. das Verhältnis
der Zahl der Mole des betrachteten Stoffes zu der Gesamtzahl der im
"Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 345
Gemenge vorhandeneii Mole ersetzen. Doch ist bei dieser Rechnung
vorausgesetzt^ dass man das Molekulai'gewicht der Stoffe im flüssigen
Znstande kennt, und dieses ist unter Umständen (8. 150) nicht nur
von dem desselben Stoffes im Dampfzustande verschieden , sondern
wechselt auch mit der Temperatur und der Beschaffenheit der beige-
mengten Stoffe.
Eingehendere Untersuchungen über chemische Gleichgewichte in
Flüssigkeiten liegen in einem besonderen FaUe sehr zahhreich vor; es ist
der, wo die gelösten Stoffe einen Zerfall in Ionen erfahren. Dies tritt,
wie bereits erwähnt (S. 214), ein, wenn Salze in Wasser gelöst werden,
und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Ionen nicht allein aus den
Teilen des Salzes bestehen, sondern dass sich das Lösungswasser bei
ihrer Bildung in Substanz beteiligt, dass also die Ionen als Hydrate der
Bestandteile der Salze aufzufassen sind. Die eingehendere Erörterung
der lonengleichgewichte soll an späterer Stelle vorgenommen werden;
hier soll nur im Anschlüsse an das eben Bemerkte betont werden, dass
die Frage, ob die Ionen Hydrate sind oder nicht, mit Hilfe der Gesetze
der verdünnten Lösungen nicht beantwortet werden kann. Zwar geht
der Molenbruch n/(n-f-N), der für die Dampfdrucks- und Gefrierpunkts-
emiedrigung massgebend ist, über in n/(N + n — m), wenn die nMole
des gelösten Stoffes m Mole Wasser aufgenommen und dies dem Lösungs-
mittel entzogen haben. Bei der gemachten Voraussetzung indessen,
dass wir es mit einer verdünnten Lösung zu thun haben, ist die Ände-
rung des Wertes, den der Molenbruch dadurch erleidet, so klein, dass
er nicht sicher von den Versuchsfehlem unterschieden werden kann.
Versucht man, den Einfluss durch Anwendung einer konzentrierteren
Lösung zu steigern, so treten wieder Zweifel an der Gültigkeit der ein-
fachen Gesetze ein, und man kann etwa beobachtete Abweichungen nicht
mit Sicherheit einer etwaigen Hydratbildung zuschreiben.
Da die gleiche Überlegung für alle Fälle gilt, in denen zwischen
dem Lösungsmittel und dem gelösten Stoffe Verbindungen eintreten, so
ist der Nachweis solcher Verbindungen innerhalb der homogenen Lösung
sehr erschwert, und wir haben nur wenig Kenntnisse darüber. Der
einzige Hinweis, der indessen nur Andeutungen, keine Beweise giebt,
sind die Abweichungen, welche die Eigenschaften der Lösungen von
dem additiven Schema zeigen; je mehr die Eigenschaften der Lösung
von der Summe der Eigenschaften der Bestandteile verschieden sind,
um so eher kann man auf chemische Vorgänge zwischen letzteren
schliessen.
Ein Beispiel bilden die Färbungen, welche das Jod zeigt, wenn
man es in verschiedenen Lösungsmitteln aufnimmt. In Schwefelkohlen-
stoff und Chloroform löst es sich mit rotvioletter, in Äther, Petroleum
und anderen Flüssigkeiten mit brauner Farbe auf; ausserdem ändert sich
die Färbung der Lösung mit der Temperatur. Molekulargewichtsbestim-
mungen haben ergeben, dass in beiden Arten Lösungen das Jod als J*
346 VIII. Chemische Mechanik.
enthalten ist, so dass als wahrscheinlichste Ursache der Verschiedenheiten
die Bildung von Verbindungen zwischen dem Jod und den Lösungs-
mitteln nachbleibt. Eine eingehendere Untersuchung der anderen Eigen-
schaften solcher Lösungen würde noch mehr Aufschluss in dieser Bieh-
tung geben.
Es entsteht die Frage, wie man zu verfahren hat, um in den
Fällen konzentrierterer Ijösungen die ^wirksame Menge^ d. h. den Be-
trag zu bestimmen hat, mit welchem der Stoff in die Gleichgewichts-
gleichung einzusetzen ist, wenn diese ihre Form behalten soll. Ein all-
gemeines Verfahren, dies^ Wert experimentell zu ermitteln, liegt in der
Bestimmung des Teildruckes, welchen der Dampf jedes Stoffes über
dem Gemenge hat. Nach dem Gesetz von der Vertretbai'keit der im
Gleichgewicht befindlichen Phasen oder der Gleichheit der chemischen
Potentiale der beteiligten Stoffe in solchen muss man die wirksame
Menge im flüssigen Zustande gleich der Konzentration im
dampfförmigen setzen, und hat in letzterer ein unzweideutiges Mass
der ersteren.
Es ergiebt sich hieraus der Schluss, dass die Stoffe in den Ver-
hältnissen der Dampfphase, wie sie sich nach den Teildrucken aus der
Lösung einstellen, gleichzeitig auch untereinander im Gleichgewicht sein
müssen, da sonst ein Pei*petuum mobile zweiter Art möglich sein würde.
Femer sieht man ein, dass in verdünnten Lösungen dieselben Gleich-
gewichtsgesetze gelten müssen, wie bei Gasen. Denn nach dem Gesetze
von Henry (S. 315) sind die Konzentrationen in der Lösung denen im
Gaszustande oder Dampfzustande proportional, und nach dem Gesetze
von Dalton beeinflusst die gleichzeitige Gegenwart verschiedener Gase
diese Beziehung nicht.
Für die verdünnten Lösungen muss daher ein Massenwirkungsgesetz
gelten, das sich von dem für Gase entwickelten nur durch das Auftreten
konstanter Faktoren unterscheidet^ die durch die Lösliehkeitskoeftizienten
der beteiligten Dämpfe bestimmt werden.
Im Lichte dieser Betrachtungen lässt sich angeben, in welchen Fällen
die wirksame Menge der Stoffe in Lösungen endlicher Konzentration dem
Molen bruch proportional gesetzt werden kann. Dies ist zulässig, wenn der
Teildruck des Dampfes gleich dem Druck der reinen Flüssigkeit, multipli-
ziert mit dem Molenbruch ist. An früherer Stelle ist angegeben worden, in
welchen Fällen die Beobachtung eine Annäherung an dieses Verhältnis er-
geben hat.
Auch die Formel für den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht
in einem flüssigen Gebilde verliert bei endlichen Konzentrationen der be-
teiligten Flüssigkeiten ihre zahlenmässige Anwendbarkeit. Da man aber er-
fahrungsmässig den Satz aufstellen kann, dass in allen Fällen die wirksame
Menge eines Stoffes mit der Konzentration oder dem Molenbruche gleich-
zeitig zu- und abnimmt, so ist wenigstens der Satz noch beweisbar, dass
die Temperatur das Gleichgewicht in solchem Sinne beeinflusst, dass bei
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 347
höherer Temperatur die Reaktion fortschreitet, durch welche Wärme aufge-
nommen wird. «
Wenn sich zwei Phasen an einem Gleichgewichte zweiter Ordnung
beteiligen, so ergeben sich die einfachsten Verhältnisse, wenn eine dieser
Phasen fest, die andere gasförmig ist. Die verhältnismässig nicht häufigen
Fälle fester Lösungen (s. w. u.) ausgenommen darf man die festen Stoffe
als von konstanter Zusammensetzung ansehen. Daraus ergiebt sich, dass ihr
Dampf einen nur von der Temperatur abhängigen Teildruck besitzen muss,
und dass demnach in einer mit dem festen Stoffe im Gleichgewichte
befindlichen Dampiphase die Konzentration dieses Bestandteiles bei ge-
gebener Temperatur nur einen Wert haben kann. In der isothermen
Gleichgewichtsgleichung w\rd die Konzentration dieses Stoffes durch eine
Konstante ersetzt werden können, wodurch sich der Ausdruck ent-
sprechend vereinfacht.
Betrachten wir den einfachsten Fall der Reaktion m^ A^ -j- m, A^ = nB,
so suid zwei Möglichkeiten vorhanden. Es kann entweder einer der
Bestandteile Aj oder A,, oder aber die Verbindung B in fester Gestalt
zugegen sein. Die Gleichgewichtsj^deichung nimmt in beiden Fällen eine
verschiedene Form an; bringen wir die konstante Konzentration in den
Koeffizienten k unter, so haben wir die beiden Gleichungen
a™ = k.b° und a™^a^* = k.
Im ersten Falle sind die potenzierten Konzentrationen der variablen
Stoffe einander direkt proportional, im anderen sind sie umgekehrt pro-
portional oder bilden ein konstantes Produkt.
Am eingehendsten untersucht ist der zweite Fall, welcher vorliegt,
wenn zwei gasförmige Stoffe sich zu einem festen verbinden. Solches
tiitt bei den Ammoniakverbindungen vieler gasförmiger Säuren ein, und
an diesen Stoffen (Ammoniumsulfhydrid, Ammoniumkarbamat u. s. w.)
sind die hier auftretenden Gesetze am ersten experimentell geprüft und
bestätigt worden (Isambert 1881).
Ein Beispiel bietet das Ammoniumsulf hydrid, das sich aus gleichen Molen
Ammoniak und Seh wefelwasseratoff nach der Formel NH^ -[- H*S =NH*HS
bildet. In der Gleichgewichtsgleichung sind daher die beiden Exponenten
ra gleich Eins, und sie nimmt die Form an
aj -a^ = k.
Unter passender Änderung der Konstanten können wir die Konzentrationen
durch die diesen proportionalen Teildrucke (welche experimentell unmittel-
bar gemessen wurden) ersetzen , und erhalten die Gleichung p^ -p^ = r,
aus der sich folgende Schlüsse ziehen lassen:
Ist im Dampfraume keines der beiden Gase im Überachuss, so bleibt
dauernd P| =Pi. Daraus folgt, dass das Gleichgewicht sich bei einem ganz
bestimmten Drucke p = VpiPi=Vr einstellen muss, so dass sich der
feste Körper, obwohl er ein Gasgemenge aussendet, doch wie ein einheit-
licher Stoff verhält, der einen nur von der Temperatur abhängigen Dampf-
348 Vi II- Chemische Mechanik.
druck hat. Dies lässt sich auch von anderer Seite als notwendig ein-
sehen. Wir machen ja die Voraussetzung, dass die Gasphase dieselbe Zu-
sammensetzung habe, wie die feste 5 dies ist aber die Definition des
Gleichgewichts erster Ordnung, und innerhalb dieser Bedingung muss
sich unser Gebilde auch wie ein solches erster Ordnung verhalten. Die
Beobachtung hat diesen Satz in solchem Masse bestätigt, dass es einiger
Mühe bedurfte, bis die Erkenntnis eines abweichenden Verhaltens im
Falle nicht äquivalenter Gasmengen gewonnen wurde.
Dieser „Dissociationsdruck" ist im übrigen von der Temperatur
abhängig und nimmt wie ein Dampfdruck immer mit steigender Tempe-
ratur zu. Die Abhängigkeit wird durch eine Formel von der Gestalt
d hl p/dT = L/RT* dargestellt, wo L die Bildungswärme des festen Stoffes
aus den beiden Gasen ist. Der Beweis der Formel ergiebt sich aus
der Berechtigung, das Gebilde wie eines erster Ordnung zu behandehi.
Sind beide Gase im Gasraume von vornherein in verschiedenen
Mengen vorhanden, so ist der Gesamtdruck nicht mehr dem eines ein-
heitlichen Stoffes vergleichbar, sondern er ist grösser und ändert sich
mit dem Volum. Dies ergiebt sich aus folgender Betrachtung.
Wird bei konstanter Temperatur das Gasvolum vermindert, so
scheiden sich die Gase teilweise im verbundenen Zustande ab. Da
gleiche Volume beider Gase hierbei verschwinden, so wird das Verhältnis
beider um so ungleicher, je kleiner das Gesamtvolum wird. Nun ist
der Gesamtdruck gleich p^ -\-Vi'i ^^^h dem Massenvmkungsgesetz be-
steht zwischen beiden Drucken die Beziehung pj p^ = konst. Die
Summe der beiden Faktoren eines konstanten Produktes ist aber um
so grösser, je verschiedener die beiden Faktoren sind; daher ist der Ge-
samtdruck um so grösser, je kleiner man bei einem gegebenen Über-
schusse des einen Gases das Gesamtvolum macht. Im übrigen verhalten
sich beide Bestandteile symmeti'isch, d. h. gleiche Überschüsse jedes der
Bestandteile haben gleichen Einfluss auf den Gesamtdruck.
Wird dagegen das Volum zunehmend vergi'össert, so nimmt der
Gesamtdruck ab; sein Grenzwert ist der für gleiche Mengen der beiden
Bestandteile geltende ='\/t ,
Das Verhalten des carbaminsauren Ammons weicht in einigen Be-
ziehungen von dem des Sulfhydrids ab. Es bildet sich aus Ammoniak
und Kohlen dioxyd im Molekularverhältnis 2:1; die chemische Gleichung
lautet 2NH3-f C0- = NH^C02NH2, und die Gleichge^^nchtsgleichung
demgemäss aja2=k. Hier sind die Konzentrationen der beiden Be-
standteile nicht symmetrisch; vielmehr muss eine Verdoppelung des
Ammoniaks durch das Herabgehen des Kohlendioxyds auf ein Viertel
wett gemacht werden, wenn das Gleichgewicht erhalten bleiben soll.
Dieses Verhalten war theoretisch erschlossen worden, bevor noch
die Beobachtung es ergeben hatte; eine daraufhin angestellte Unter-
suchung bestätigte die theoretische Voraussicht (Horatmann 1873).
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 349
Die entwickelten Beziehungen behalten ihre Gültigkeit im wesentlichen
unabhängig davon, ob der Dampfdruck des unzersetzten festen Stoffes einen
messbaren Wert besitzt oder nicht, d. h. ob im Dampfe neben den Bestand-
teilen auch die Verbindung in messbarer Menge enthalten ist. In den meisten,
bisher untersuchten Fällen tritt letzteres nicht ein; der Dampf enthält keine
durch den Einfluss auf die Dichte (die bei der Verbindung 2, bez. 1-5 mal
so gross ist, wie für das Gemisch der Bestandteile) nachweisbare Menge
der Verbindung.
Dass es trotzdem am rationellsten ist, das Vorhandensein der letzteren
im Dampfe anzunehmen, geht aus Betrachtungen hervor, die den auf S. 226
angestellten ganz ähnlich sind. Zwischen den Fällen, wo man einen endlichen
Dampfdruck nachweisen kann, und denen, wo das nicht mehr geht, liegt kein
durch irgendwelches unabhängige Kennzeichen gesicherter Unterschied vor;
vielmehr ist diese Grenze nur ein Ausdruck unserer analytischen Hilfsmittel,
und daher beweglich. Andererseits hat die prinzipielle Annahme, dass alle
Stoffe in einem bestimmten, wenn auch häufig äusserst kleinen Betrage
flüchtig sind, in ihren Konsequenzen noch in keinem Falle zu irgend welchen
Widersprüchen mit der Erfahrung geführt, so dass man sich ihrer mit Ver-
trauen zu weiteren Anwendungen bedienen kann.
Ein anderes Verhalten, als das eben geschilderte, wird in dem Falle
eintreten, dass ein Gas auf einen festen Köi*per unter Bildung eines
zweiten Gases einwirkt. Ein wohluntersuchtes Beispiel für diesen Fall
liegt noch nicht vor; doch kann man die zu erwartenden Erscheinungen
mit Sicherheit voraussagen. Denken wir uns, um eine Anschauung zu
haben, ein Metall, das sich mit Chlor zu einem flüchtigen Chlorid ver-
bindet, das bei der Versuehstemperatur wieder in messbarem Betrage
in seine Bestandteile zerßlllt, so wird sich ein Gleichgewicht herstellen,
das gemäss der chemischen Formel 2Me + ßCl^= 2MeCl° durch die
Gleichung a° = k-b* gekennzeichnet ist. In diesem Falle bewirkt eine
Vermehrung des Druckes des einen Gases auch eine Vermehrung beim
anderen Gase. Ist n =r 2, so bleiben beide Dnicke immer in konstantem
Verhältnisse; ist n von 2 verschieden, so ist das Verhältnis veränderlich;
doch bleibt die gleichzeitige Ab- und Zunahme bestehen.
Noch einfachere Verhältnisse ergeben sich, wenn zwei feste
Phasen auftreten. Hierher gehören die ersten Fälle des chemischen
Gleichgewichts heterogener Gebilde, die unter dem Namen der Dissociation
studiert worden sind; durch ihre genauere Kenntnis ist wesentlich be-
wirkt worden, dass die früher verbreitete Meinung, die chemischen Re-
aktionen seien ihrer Natur nach vollständige, verdrängt wurde.
Die Gesetze dieses Gleichgewichts ergeben sich aus den allgemeinen
Formeln, indem man zwei von den Konzentrationswerten konstant setzt.
Es ist offenbar gleichgültig, welche von den Werten der typischen
Gleichung a"'a™* =k'b° es sind; immer bleibt eine Gleichung von der
Gestalt a°^ = K übrig, d. h. es ist eine einzige veränderliche Konzen-
350 VIII. Chemische Mechanik.
tration vorhanden. Dies ergiebt sich auch aus der Phaaenregel: drei
Phasen bedingen eine Freiheit.
Dadurch verhält sich ein derartiges Gleichgewicht wie das eines
verdampf baren einheitlichen Stoffes; es ist für jede Temperatur nur ein
Wert der Konzentration oder des Druckes möglich, bei welchem Gleich-
gewicht besteht, und dieses Gleichgewicht ist unabhängig von der Menge
der beteiligten Stoffe. Ein wesentlicher Unterschied gegen jenen ein-
fachen Fall liegt nur darin, dass zur Definition des Gleichgewichts
zwei feste Phasen erforderlich sind, und dass, wenn nur eine vorhanden
ist, das Gleichgewidit unbestimmt bleibt Dieser wichtige Umstand wird
sehr oft übersehen, und bis auf den heutigen Tag findet man Arbeiten
über die Zersetzungsdrucke solcher Gebilde, in denen die Frage, welches
die beiden festen Phasen sind, nicht gestellt und nicht beantwortet ist.
Einer der ersten Fälle, die untersucht worden sind, ist die Spaltung
des CaJciumkarbonats in Kalk und Kohlendioxyd. Es sind hier Galcium-
karbonat und Kalk die beiden festen Phasen, Kohlendioxyd ist die gas-
förmige, und es ist gezeigt worden (Debray 1867), dass die Zersetzung des
ersten durch die Hitze zu einem bestimmten „Dissociationsdruck" führt,
der für jede Temperatur einen bestimmten Wert hat. Ist der Druck
grösser, so wird das Gaß vom Kalk aufgenommen, bis sich der normale
Wert hergestellt hat; ist er kleiner, so zerfällt Calciumkarbonat bis zu
dem entsprechenden Werte.
Es hat sich später erwiesen, dass die Verhältnisse nicht ganz so einfach
liegen, wie Debray sie angesehen hatte; insbesondere scheint es ein Subkar-
bonat zu geben, durch dessen Auftreten das Gleichgewicht eine andere Kon-
stante erhält.
Ein vielstudiertes Beispiel solcher Gleichgewichte sind die Verwitterungs-
erscheinungen wasserhaltiger Salze. Schon Mitscherlich (1844) hat den
Dampfdruck des verwitternden Glaubersalzes gemessen, und aus seiner
Darstellung geht hervor, dass er ihn als eine reine Temperaturfiinktion
angesehen hat Ausdrücklich ausgesprochen wurde ein solcher Satz erst
später durch Wiedemann und Debray (1866 und 1868), w^elche Yer-
suche zu seiner Bestätigung mitgeteilt haben. Die späteren, ziemlich
ausgedehnten Erörterungen haben ergeben, dass in der That die Menge
der festen Phasen gar keinen Einfluss auf den Druck hat; vielmehr ist
der Dampfdruck eines Gemenges aus dem Salze und seinem Verwitterungs-
produkte nui* von der Temperatur abhängig.
Dabei ist lange übersehen worden, dass die Natur des Verwitterungs-
produktes auf den Dampfdruck ebenso einen Einfluss ausübt, wie die
des wasserhaltigen Salzes. Insbesondere erhält man verschiedene Drucke,
wenn man ein und dasselbe Salz zu verschiedenen Produkten ver-
wittern lässt.
Ein Beispiel für diesen wichtigen Satz bietet das Chlorcalcium.
Dieses krystallisiert gewöhnlich mit 6H*0; ferner giebt es zwei wasser-
ärmere Hydrate mit 4H*0, die verschieden sind, und von denen eines
Weitere chemißche Gleichgewichte zweiter Ordnung. 351
eine anbeständigere Form dem anderen gegenüber darstellt. Die Dampf-
dracke des Hexahydrats zeigen sich nnn verschieden^ je nachdem es zu
dem einen oder dem anderen Tetrahydrat verwittert , und zwar ist der
mit dem beständigeren Hydrate der grössere.
Ein solches Verhalten scheint im Gegensatz zu der allgemeinen Er-
fahrung zu stehen, dass der Dampfdruck der unbeständigeren Verbindung
grösser ist, als der der beständigeren (S. 184). Der Widerspruch verschwindet,
wenn man den Vorgang genauer überlegt. Denkt man sich die beiden Ge-
bilde, das Hexahydrat mit dem beständigen Tetrahydrat, und dasselbe mit
dem unbeständigen nebeneinander in denselben Raum gebracht, so muss das
Wasser von dem Gebiete grösseren Dampfdruckes zu dem mit kleinerem
destillieren, d. h. von dem beständigen zu dem unbeständigen Hydrat. Die
Folge davon ist, dass in dem ersten Gebilde ein Teil des Hexahydrats sich
in das beständigere wasserärmere Salz verwandelt, während in dem anderen
eine gleiche Menge der unbeständigen Form in das Hexahydrat übergeht.
Das Ergebnis ist daher, dass die unbeständige Form verschwindet, die be-
ständige sich vermehrt, und die Menge des Hexahydrats unverändert bleibt.
Ein solches Verhalten entspricht vollkommen dem, was zu erwarten ist, und
würde insbesondere auch eintreten, wenn man die beiden Gebilde in unmittel-
bare Berührung brächte.
Andere Fälle, welche unter das Schema fallen, sind die Ammoniak-
verbindungen mancher Salze (z. B. der Metallchloride) und welche leicht
in diese Salze und gasförmiges Ammoniak zerfallen. Auch hier zeigt sich
ein nur von der Temperatur abhängiges Gleichgewicht, welches voll-
kommen unabhängig von den Mengen der beiden festen Phasen ist, da-
gegen sich mit jeder Ändening der Natur einer dieser Phasen ändert.
Der Einfluss der Temperatur auf den Zereetzungsdruck steht
in einer unmittelbaren Beziehung zu der Bildungs- bez. Zersetzungs-
wärme der Verbindung. Da es sich hier nur um einen veränderlichen
Bestandteil in der Gasphase handelt, so vereinfacht sich die Formel auf
die Gestalt der Dampfdruckformel eines homogenen Stoffes. Ist also L
die Bindungswäi'me von einem Mol Wasserdampf durch das Verwitterungs-
produkt zu dem Hydrat, so gilt (S. 126) dlnp/dT =L/RT^ Zieht
man die entsprechende Gleichung für Wasser, dessen Druck durch p^
bezeichnet werde, dlnp^/dT = W/RT*, hiervon ab, wo W die Ver-
flüssigungswärme von einem Mol Wasserdampf bei gleicher Temperatur
ist, so folgt dhi(p/pw)/dT=(L — W)/RT'. Der Unterschied L — W
bedeutet nun nichts, als die Verbindungswärme des flüssigen Wassers
mit dem Verwitterungsprodukt, und da man experimentell nur diese
Grösse zu bestimmen pflegt, so giebt die letzte Gleichung einen un-
mittelbaren Vergleich mit der Beobachtung.
Durch die Messung der Dampfdrucke einer Anzahl teilweise verwitterter
Salze in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur einerseits, und durch
thermochemische Bestimmung der Hydratations wärmen andererseits ist nun
diese Gleichung geprüft worden. Während die früheren Versuche dieser
352 VIII. Chemische Mechanik.
Kontrolle wegen der Ungenauigkeit der Messungen zu so widersprechen-
den Ergebnissen gefUhrt hatten^ dass aus ihnen eher eme Widerlegung,
als eine Bestätigung zu entnehmen war, ergaben spätere Untersuchungen
(Frowein 1887), bei denen das Messverfahren der Ihampfdrucke genügend
verfeinert worden war, eine ausgezeichnete Bestätigung.
Die eben geschilderten Verhältnisse sind bestimmend für das Verhalten
der wasserhaltigen Salze an der Luft. Bekanntlich verwittern einige an der
Zimmerluft (Glaubersalz), während andere (Borax) ihr Krystallwasser zwar
meist behalten, unter Umständen aber auch verwittern. Andere Salze wieder
(Nickelsulfat) zeigen an der Zimmerluft keine Verwitterungserscheinungen.
Dies rührt daher, dass die Zimmerluft nicht mit Feuchtigkeit gesättigt
zu sein pflegt, sondern meist nur 0-6 bis 0-7 von dem Wasserdampf enthält,
der bei der vorhandenen Temperatur vorhanden sein könnte. Daher müssen
alle Hydrate, die mit ihrem Verwitterungsprodukt einen relativen Dampfdruck
über 0*7 ergeben, Wasser verlieren und verwittern; solche, deren Dampfdruck
an der Grenze liegt, verhalten sich verschieden, und solche, deren relativer
Dampfdruck erheblich unter 0-6 liegt, bleiben unverwittert.
Wird ein reiner und unverletzter, wasserhaltiger Krystall in eine Atmo-
sphäre gebracht, deren Wasserdampfdruck unter dem Zersetzungsdruck liegt,
so tritt die Verwitterung nicht notwendig ein ; vielmehr kann man hier ebenso
Überschreitungserscheinungen beobachten, wie sie in vielen ähnlichen Fällen
auftreten. Solange nämlich die zweite feste Phase, das Verwitterungsprodukt,
noch nicht anwesend ist, ist auch der Dampfdruck nicht bestimmt, und es
kann innerhalb gewisser Grenzen (denen des metastabilen Gebietes, S. 114)
jeder beliebige Druck vorhanden sein. So gelingt es z. B., ganz unverletzte
Glaubersalzkrystalle an der Luft von gewöhnlicher Trockenheit beliebig lange
unverwittert zu erhalten, wenn man den Zutritt von Keimen ausschliesst.
Wird an einer Stelle die Verwitterung eingeleitet, so zeigt sich die Abhängig-
keit von der unmittelbaren Berührung mit der zweiten Phase darin, dass die
Verwitterung am Orte bleibt und sich nur regelmässig um den angegriffenen
Punkt ausbreitet. Das verwitterte Gebiet bildet dann je nach dem Krystall -
System eine Kugel, ein einachsiges oder ein dreiachsiges Ellipsoid, vollkom-
men entsprechend der optischen Wellenfläche, wenn auch natürlich mit anderen
Konstanten.
Die einfachsten Fälle der Gleichgewichte zweiter Ordnung, die sich
zwischen Flüssigkeiten und Gasen einstellen, sind bereits (S. 315)
betrachtet worden; sie werden durch das Henrysche Gesetz geregelt,
nach welchem die Konzentration in beiden Phasen einander proportional
sind. Jetzt wollen wir die Frage stellen, was in dem Falle geschieht,
wo das gelöste Gas teilweise eine chemische Umwandlung erleidet.
Die Umwandlung besteht in einer Wechselwirkung mit dem Lösungs-
mittel, und wird durch eine Gleichung von der Gestalt m, A, + m^ Ag = nB
dargestellt werden können. Zur Berechnung des Endzustandes machen
wir die Voraussetzung, dass das Henrysche Gesetz nur für den nicht
umgewandelten Teil des gelösten Stoffes Geltung hat, und dass der
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 353
umgewandelte Teil für sich keinen Einflnss ausübt. Dies Gesetz der
Unabhängigkeit der Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Phasen ver-
änderlicher Konzentration von der Gegenwart anderer Stoffe, der „ Ver-
teilungssatz'^, ist in euizelnen Fällen von verschiedenen Forschem aus-
gesprochen worden; seinen zusammenfassenden und allgemeinen Ausdruck
hat es von Nemst (1891) erfahren.
Ist nun die Konzentration des unveränderten Teiles des gelösten
Gases mit a^, die des Lösungsmittels mit a^, die des entstandenen
Produkts mit b bezeichnet, so wird die Gleichung des Gleichgewichts
in der Lösung gemäss der oben angenommenen chemischen Formel lauten
a™*a™* = k-b°. Da nach der Voraussetzung aber die Lösung verdünnt
ist, so ist die Konzentration des Lösungsmittels konstant zu setzen, und
ersetzt man die Konstante k/a^* durch K, so lautet die Gleichung
a'»=Kb°.
Hieraus geht nun hervor, dass wenn m=rn ist, also aus jedem
Mol des Gases ein Mol der Verbindung entsteht, die Konzentration des
unveränderten Anteils der des umgewandelten immer proportional ist.
Daher bleibt in diesem Falle das Henrysche Gesetz bestehen, denn die
gesamte absorbierte Gasmenge ist gleichfalls der unverändert bleiben-
den proportional, und der ganze Einfluss besteht darin, dass die Löslich-
keit um so viel erhöht wird, als von dem gelösten Gase in die Verbin-
dung übergeht
Besteht die Gleichung m = n nicht, so besteht auch keine Pro-
portionalität zwischen der unveränderten und der umgewandelten Menge,
und das Henrysche Gesetz kann nicht mehr in Geltung bleiben. Eine
leichte Rechnung, die dem Leser überlassen werden mag, lehrt, dass im
Falle m>n die sdieinbare Löslichkeit (d. h. die gesamte gelöste Gas-
menge, dividiert durch den Druck) mit steigendem Dnicke zunimmt,
während sie im Falle m <1 n mit steigendem Drucke abnimmt.
FsMe derartiger Beeinflussung der Löslichkeit sind vielfach unter-
sucht worden, doch hat sich dabei kein Beispiel mit einfachen, berechen-
baren Verhältnissen ergeben.
Am auffallendsten ist der Einfluss chemischer Vorgänge auf die
Löslichkeit im Falle der Halogenwasserstoflsäuren. Diese werden be-
kanntlich von Wasser in sehr bedeutenden Mengen unter starker Wärme-
entwiekelung aufgenommen; letztere beträgt mehr, als die Verflüssigungs-
wärme der reinen Gase, oder es entwickelt sich auch Wärme, wenn
man die Halogenwasserstoflsäuren im flüssigen Zustande in Wasser auf-
löst Ferner steigt der Siedepunkt des Wassers durch die Auflösung
des Gases erat an, erreicht ein Maximum und fällt dann wieder ab;
der Dampfdruck bei konstanter Temperatur hat demnach den umge-
kehi^ten Verlauf. Gemäss der S. 323 gegebenen Regel folgt, dass verdünntere
Lösungen dieser Säuren sich durch Destillieren konzentrieren müssen,
indem vorwiegend Wasser übergeht; sehr konzentrierte werden umge-
Ostwsld, Grundriss. 3. Aufl. 23
354 VIII. Chemische Mechanik.
kehrt Säure verlieren und verdünnter werden. DaziRischen giebt es
eine Konzentration (sie liegt für Chlorwasserstoff bei 20 "/o), bei welcher
der Dampf dieselbe Zusammensetzung hat, \(ie der Kückstand, und die
unverändert destilliert. Dass es sich hier nicht um eine chemische Ver-
bindung handelt, y,ie irrttimÜch noch jetzt zuweilen angenommen wird,
ist von Roscoe (1860) damit gezeigt worden, dass diese Zusammen-
setzung mit dem Drucke wechselt, von 18 bis 23 Prozent bei Drucken
von 180 bis 5 cm Quecksilber. Auch ist die Dampfdichte die eines
Gemenges von Chlorwasserstoff und Wasserdampf.
Der chemische Vorgang, welcher in diesen Fällen stattfindet, be-
steht wesentlich in der Bildung der Ionen Wasserstoff und Halogen aus
der Verbindung. Da sich dabei die Molenzahl vermehrt, so muss sich
die scheinbare Löslichkeit nach der oben gegebenen Theorie mit steigen-
dem Drucke vermindern. Dies ist in ausgeprägtester Weise der Fall,
da schon bei sehr kleinen Drucken der grösste Anteil des Gases aufge-
nommen wird, und eine Vermehrung des Druckes nur eine verhältnis-
mässig unbedeutende Vermehrung der gelösten Menge bewirkt.
Den gegebenen Erörterungen über das Gleichgewicht zwischen einer
festen und einer flüssigen Phase ist wenig hinzuzufügen. Die auf
Grund der Phasenregel entwickelten allgemeinen Beziehungen werden
nur durch die Zahl der Bestandteile bestimmt, nicht durch die Zahl
der aus ihnen entstandenen Verbindungen. Der Umstand, dass solche
etwa entstanden sind, ist ganz ohne Einfluss auf die allgemeinen Ver-
hältnisse, und aus diesen kann umgekehrt nichts über die Frage etwaiger
Verbindungen ermittelt werden. Deshalb ist auch noch bis in unsere
Zeit die Frage, welche Verbindungen in einer gegebenen Lösung anzu-
nehmen sind, nur in wenigen Fällen befriedigend beantwortet worden.
Falls z\nschen dem gelösten Stoffe und dem Lösungsmittel irgend
welche chemischen Vorgänge eintreten, so wird dadurch die Löslichkeit
immer vermehrt werden. Denn wenn sich schliesslich das Gleich-
gewicht hergestellt hat, so besteht es zwischen der festen Phase und
dem unverändert in der Lösung vorhandenen Teil desselben Stoffes.
Es wird also die scheinbare Löslichkeit um so viel grösser als die wirk-
liche sein, als der in andere Verbindungen übergegangene Teil des
Stoffes beträgt. Der chemisch veränderte Anteil wirkt auf die wahre
Löslichkeit nur wie irgend ein anderer fremder Stoff: ist er in geringer
Konzentration vorhanden, so ist sein Einfluss verech windend; anderen-
falls wirkt er durch die Änderung in der Beschaffenheit des Lösungsmittels.
Diese Betrachtungen finden insbesondere Anwendung auf den meist-
untersuchten Fall der wässerigen Salzlösungen. Bei diesen' weiss man
jetzt sicher, dass nur ein kleiner Teil als unverändertes Salz gelöst ist;
der grössere Teil pflegt in Ionen zerfallen zu sein, und dieser Umstand
trägt am meisten dazu bei, dass die Salze vorwiegend in Wasser lös-
lich sind.
Hat man irgend einen Anhaltspunkt, der die Löslichkeit des un-
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 355
veränderten Stoffes bestimmen oder schätzen lässt^ so kann man aus
dem Überschuss der experimentell gefundenen, über die zu erwartende
den Betrag der stattgehabten chemischen Vorgänge ermitteln. Über
deren Natur erfährt man auf diese Weise nichts, hierfür müssen andere
Verfahren eintreten, die an dieser Stelle noch nicht erörtert werden können.
Man kann sich die Frage stellen, ob nicht durch die Bildung der
Verbindungen in der Lösung, vermöge der grösseren Mannigfaltigkeit,
die Zahl der Freiheiten sich vermehrt. Indessen sieht man leicht ein,
dass solches nicht eintreten kann, da durch die Menge der unverändert
gebliebenen Bestandteile die Mengen der entstandenen Verbindungen
eindeutig festgestellt sind. Sind a^ und a^ die Konzentrationen der
Bestandteile, und ist b die einer Verbindung, so besteht zwischen diesen
Grössen eine Gleichgewichtsgleichung von der Gestalt a"* a^* = k • b°,
und da a^ und a^ bestimmt sind, so muss es auch b sein. Für jede
neue Verbindung, die entstehen mag, gilt eine derartige Gleichung mit
einem neuen Koeffizienten k; doch bringt keine von ihnen eine unab-
hängig veränderliche Grösse hinein.
Die bisher betrachteten Gleichgewichte waren alle dadurch gekenn-
zeichnet, dass sich in ihnen Phasen veränderlicher Konzentration befanden.
Wenn ein Gebilde vorlag, in welchem nur eine Freiheit vorhanden war,
so konnte es, wenn man die Temperatur veränderte, durch Änderung
der Konzentration einen neuen Gleichgewiditszustand aufsuchen, und die
Existenz solcher Gebilde Hess sich stetig über ein mehr oder weniger
weites Gebiet verfolgen.
Anders werden die Verhältnisse, wenn keine Phase veränderlicher
Konzentration vorhanden ist. Wenn man in einem solchen Gebilde die
Temperatur ändert, so gelangt man alsbald aus der Existenzmöglichkeit
heraus, und es tritt eine unstetige Umwandlung ein.
Phasen veränderlicher Konzentration sind zunächst die Gase, sodann
die flüssigen Lösungen. Unveränderliche Konzentration (mit einer kleinen
Einschränkung) findet sidi bei festen Stoffen, femer bei solchen Flüssig-
keiten, die keinen von den anderen vorhandenen Stoffen in merklicher
Menge auflösen. Der letzte Fall ist verhältnismässig selten.
Die einfachsten Beispiele för diesen Unterschied finden sich bei den
Gleichgewichten erster Ordnung. Zwischen Dampf und Wasser besteht
ein ausgedehntes Gleichgemchtsgebiet, das sich von 0® bis etwa 400^,
der kritischen Temperatur, erstreckt. Dies liegt daran, dass der Dampf
veränderliche Konzentration annehmen und sein Gleichgewicht mit Wasser
auf diese Weise den Änderungen der Temperatur folgen kann. Dagegen
ist das Gleichgewicht zwischen Eis und Wasser kaum über einige Zelmtel-
grade bekannt; beide Stoffe können ihre Konzentration fast nicht ändern,
und deshalb muss bei einer kleinen Verschiebung der Temperatur ent-
weder das Eis vollständig in Wasser, oder das Wasser vollständig in
Eis übergehen.
23*^
356 VIII. Chemische Mechanik.
Durch starken Druck kann man die Dichte und daher die Kon-
zentration von Wasser und Eis allerdings ein wenig ändern. Doch ist
diese Änderung so überaus klein, dass ein Einfluss nur bei sehr starken
Drucken beobachtet werden kann und es nur ein sehr kleines Tempera-
turgebiet giebt, innerhalb dessen das Gebilde bestehen kann; beim Über-
schreiten dieses Gebietes verechwindet eine oder die andere Phase.
Auch bei Gleichgewichten zweiter Ordnung tritt ein ähnliches Ver-
halten ein.
Die Zahl der Fälle, wo Gleichgewichte erster Ordnung solche Ge-
bilde ergeben, die man auch als ,,kondensierte^' bezeichnet, beschränkte
sich auf zwei; es ist entweder eine feste und eine flüssige Phase (wie
bei Wasser und Eis) oder es sind zwei feste vorhanden. Der letzte Fall
tritt bei polymorphen Stoffen am Umwandlungspunkte ein (S. 183).
Kondensierte Gleichgewichte zweiter Ordnung verlangen drei Phasen.
Es können zwei flüssige und eine feste, zwei fißste und eine flüssige und
drei feste sein. Alle solche Gebilde zeigen die Eigenschaft, dass sie
nur bei einem praktisch unveränderlichen Temperatuipunkte bestehen
können, und beim Verlassen dieses Punktes eine der vorhandenen Phasen
verlieren.
Der Fall zweier flüssigen Phasen und einer festen ist uns schon
entgegengetreten. Er hegt vor, wenn ein Stoff unter seinem Lösungsmittel
schmilzt, wobei es gleichgültig ist, ob der gelöste Teil weitere chemische
Änderungen in der Lösung erleidet oder nicht. In einem solchen Ge-
bilde giebt es nur eine Temperatur, bei der fester und flüssiger Stoff
neben der Lösung bestehen kann. Erwärmt man, so verschwindet der
feste Stoff, und es bleibt nur der flüssige neben der Lösung; kühlt man
ab, so verschwindet die Schmelze, und man hat nur den festen Stoff neben
der Lösung.
Man kann sich diese Verhältnisse an der Benzoesäure veranschaulichen,
die bei +95° unter ihrer gesättigten Lösung zu einer Flüssigkeit schmilzt,
welche .wesentlich aus Benzoesäure besteht, daneben aber Wasser enthält.
Nur bei dieser Temperatur können feste und flüssige Benzoesäure neben der
Lösung bestehen. Die Temperatur ist im übrigen ganz unabhängig von den
Mengen der drei Phasen, also auch von den Verhältnissen, in denen die bei-
den Bestandteile vorhanden sind, falls nur solche Grenzen eingehalten sind,
dass alle drei Phasen sich ausbilden können.
Ein anderes Beispiel ist Äther und Wasser, die bei — 3-85® Eis aus-
scheiden, so dass dieses neben einer gesättigten Lösung von Wasser in Äther
und einer von Äther in Wasser vorhanden ist. Auch hier ist die Tempera-
tur unabhängig von den Mengenverhältnissen und ändert sich insbesondere
auch nicht, wenn man beliebig viel Eis sich ausscheiden oder verflüssigen lässt.
Der zweite Fall einer flüssigen Phaseneben zwei festen ist in dem
Falle der „Schmelzung" des Glaubersalzes gegeben. Bei 34^ verflüssigt
sich das mit lOH^O krystallisierende Natriumsulfat, doch erfolgt keine
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 357
wirkliche Schmelzung, denn es scheidet sich gleichzeitig wasserfreies Salz
aus und die entstehende Flüssigkeit hat daher nicht die Zusammensetzung
des Glaubersalzes^ sondern ist salzärmer. Im übrigen verhält sich das
Gebilde wie ein schmelzender einheitlicher Stoff, denn die Temperatur
bleibt bei weiterer Wärmezufuhr ganz konstant, bis alles Glaubersalz
verschwunden und nur noch wasserfreies Salz neben der gesättigten
Lösung nachgeblieben ist.
Wenn man zu den drei festen oder flüssigen I%asen eines „kon-
densierten" Gleichgewichts als vierte noch die Dampiphase hinzutreten
lässt, so erhält man einen Punkt, in dem keine weitere Freiheit besteht.
Die Eigenschaften solcher vierfacher Punkte werden alsbald besprochen
werden. Lässt man die vierte Phase fort, so bleibt noch eine Freiheit,
welche durch die allgemeine Gleichung dp/dT = L/uT (S. 125) ge-
regelt ist. Wegen der Abwesenheit der Gasphase sind die Volum-
änderungen u, die in dem Gebilde auftreten können, sehr klein, während
die Reaktionswärmen L die gewöhnlichen Werte haben. Dadurch wird,
wie dies schon in dem einfachsten Falle Wasser-Eis dargelegt worden
ist, das Verhältnis dp/dT sehr gross, d. h. es sind sehr bedeutende
Änderungen des Druckes erforderlich, um geringe Änderungen der Gleich-
gewichtstemperatur herbeizuftlhren. In den meisten Fällen lassen sich
diese Änderungen kaum nachweisen., und wenn nicht besondere Ver-
hältnisse eintreten, durch welche der Druck erheblich gesteigert werden
kann, erscheinen diese kondensierten Gleichgewichte an eine ganz be-
stimmte Temperatur gebunden. Praktisch liegt schon in der üblichen
Bestimmung des thermometrischen Nullpunktes durch schmelzendes Eis
ein solcher Fall vor; die Temperatur ist zwar vom Drucke abhängig,
doch in s^o geringem Grade, dass die Druckverschiedenheiten, wie sie
durch Änderungen des Barometerstandes oder den hydrostatischen Druck
der Eis- Wassermasse bedingt werden, auch bei feinen Messungen nicht
zur Geltung kommen. Daher lassen sich Gleichgewichtspunkte zweiter
Ordnung ähnUch zur Festlegung bestimmter Temperaturen benutzen, wie
dies bei solchen erster Ordnung längst üblich ist.
Bei einer dahin gerichteten Untersuchung am Glaubersalz hat es sich
gezeigt, dass man auf solche Weise äusserst konstante Temperaturen erhalten
kann, die sich für die Festlegung bestimmter Punkte ebensogut eignen, wie
die gewöhnlichen Schmelzpunkte reiner Stoffe, z. B. des Wassers. Die
Temperatur wird allerdings durch die Gegenwart fremder Stoffe ebenso be-
einflusst, wie ein gewöhnlicher Schmelzpunkt, doch hat es sich als ausführbar
erwiesen, durch verhältnismässig einfache Reinigungen auf einen Tausend -
Stelgrad genau schmelzendes Glaubersalz herzustellen. Die Temperatur ist
32-484® der internationalen Skala, oder 32-379<» des Wasserstoffthermometers
(Richards 1898).
Ein anderes hierhergehöriges Beispiel bilden die eutektischen Punkte
(S. 333), in denen die beiden festen Stoffe neben dem aus ihnen entstehenden
flüssigen Gemisch vorliegen, und welche gleichfalls von den Mengenverhält-
358 YIII. Chemische Mechanik.
nissen unabhängige^ nur durch die Natur der beteiligten Stoffe bestimmte
Gleichgewichtstemperaturen ergeben.
Kondeiisiei*te Gleichgewichte dreier fester Phasen aus zwei Bestand-
teilen sind noch nicht genauer untersucht, so dass sidi keine geeigneten
Beispiele angeben lassen. Es lässt sich absehen^ dass sich für das Be-
stehen solcher Gebilde Verhältnisse herausstellen werden, die sich unter
4
ähnliche, nur mannigfaltigere Typen bringen lassen werden, wie sie in
den enantiotropen und monotropen Formen bei einheitüchen Stoffen
(S. 184) vorliegen.
Soll endlich gar keine Freiheit mehr übrig bleiben, so müssen bei
zwei Bestandteilen vier Phasen vorhanden sein, und man hat einen
„vierfachen Punkt'^, der dem dreifachen bei den Gleichgewichten
erster Ordnung entspricht (S. 179). Ein solcher liegt z. B. vor, wenn
man dem oben geschUderten Gebilde aus Glaubersalz, wasserfreiem Na-
triumsulfat und gesättigter Lösung noch Dampf hinzufugt. Von den „kon-
densierten'^ dreifachen Punkten unterscheidet sich ein solcher dadurch, dass
nicht nur seine Temperatur, sondern auch sein Druck vollkommen be-
stimmt ist, und dass keines von diesen auch nur um das Geringste ver-
schoben werden kann, ohne dass eine Phase verschwindet.
Aus den vier Phasen eines solchen Punktes lassen sich vier Zu-
sammenstellungen zu dreien machen^ nämlich abc, abd, acd und b c d,
wenn a, b, c, d die vier Phasen sind. Jedes dieser dreiphasigen Gebilde hat
eine Freiheit, und ergiebt demnach eine Dnicktemperaturlinie. Ist eine
der vorhandenen Phasen Dampf, so haben drei dieser Linien den Cha-
rakter von Dampfdruck- oder Dissociationslinien, da jede Phase, also auch
die dampfförmige, in drei Zusammenstellungen vorkommt. Die vierte
Linie ist dann die eines kondensierten Gebildes. Ist eine Dampfphase
nidit vorhanden, so sind alle Linien kondensierte, d. h. sie verlaufen
fast parallel der Druckachse.
Es gehören also zu jedem vierfachen Punkte vier Zustandsreihen
mit einer Freiheit, die sich durch vier Drucktemperaturlinien darstellen
lassen. Diese vier Linien schneiden sich notwendig in einem Punkte,
eben dem vierfachen. An der Stelle, wo sich zwei beliebige dieser
Linien schneiden, sind die beiden Reihen angehörigen Phasen alle im
Gleichgewicht; da jede Reihe drei Phasen enthält und beide Gruppen
verschieden sein sollen, so sind im Durchschnittspunkte zweier Linien
bereits alle vier Phasen vertreten, die dort im Gleichgewicht sind. Da
der Durchschnitt jeder der beiden anderen Linien mit einer der be-
trachteten wieder ein Gleichgewicht dieser selben vier Phasen ergiebt,
und nach der Phasenregel zwischen diesen nur ein einziger Gleichge-
wichtspunkt möglich ist, so müssen alle vier Linien denselben Durch-
schnittspunkt haben, und also etwa wie in Fig. 43 liegen.
Die Zahl von vier Phasen ist zwar die grösste, die bei zwei Be-
standteilen nebeneinander im Gleichgewicht sein können, sie machen es aber
Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung.
359
möglich^ dass aus zwei Bestandteilen mehr als vier verschiedene Verbin-
dungen oder Lösungen, allgemein mehr als vier Phasen entstehen können.
So tritt die Frage auf, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn die An-
zahl der möglichen Phasen grösser ist.
Die Antwort ist, dass in solchen Fällen mehrere vierfache
Punkte entstehen, die durch die Zustandslinien der drei Phasen ver-
bunden sind, welche den beiden vierfachen Punkten gemeinsam sind.
Auf diese Weise können beliebig viele Foiinen und Verbindungen unter-
gebracht werden, und die Beobachtungen haben ein derartiges Verhalten
bereits in» vielen Fällen erkennen lassen.
Als Beispiel diene der erste Fall, der in dieser Hinsicht genauer unter-
sucht wurde, die Verbindungen des Sthwefeldioxyds mit Wasser (Roozeboom
1885). Die möglichen Phasen sind:
Fig. 43.
Fig. 44.
a. Festes Hydrat S0*.7H*0.
b. Lösung von SO* in Wasser.
c. Lösung von Wasser in SO*.
d. Gasförmiges SO* mit etwas Wasserdampf.
e. Eis.
Im Punkte L (Fig. 44) sind die Phasen a, b, c, d zusammen; im Punkte B
die Phasen a, b, d, e. Die Verbindungslinie I stellt somit die Gleichgewichte
der gemeinsamen Phasen a, b, d dar. Die anderen Linien haben die Be-
deutung: n = a, c, d; m « b, c, d; IV = a, b, c; V = a, d, e; VI « b, d, e;
VII = a, b, e.
Die vielfach interessanten Verhältnisse, die sich bei dem eingehenden
Studium solcher vollständiger Gleichgewichtsverhältnisse ergeben, können hier
nicht eingehend betrachtet werden; für ihr Studium stehen die Originalarbeiten
und die ausführlichen Lehrbücher zu Gebote.
360 VIII. Chemische Mechanik.
Siebentes Kapitel.
Gleichgewichte höherer Ordnung.
Die allgemeine Formel für das isotherme Gleichgewicht zwischen beliebig
vielen Bestandteilen lässt sich auf einem Wege ableiten , der dem ganz
ähnlich ist, auf welchem wir die Formeln für die Gleichgewichte erster
und zweiter Ordnung gefunden haben. Ist die Reaktionsgleidiung zwischen
den auftretenden Stoffen gegeben durch m^ Aj -}" ^^s Ag + mjj A3 + . . .
= n, Bj 4" ^8 ß« + ^8 ^3 4" • • • s^ ^* ^® Arbeit für eine kleine Ver-
schiebung des Zustandes — alle Bestandteile als Gase vorausgesetzt —
gegeben durch RT d In (p,""^ pf *p™» . . ,) / (qf' q^ q" ' • • •)• Die Bedingung,
dass die Summe dieser Arbeiten gleich Null sein soll, ergiebt p™* p™^ p"* . . . =
k- q"* q"* q" ' • • • ^^ gsmz allgemeine Gleichung ftir den Fall beliebig
vieler Stoffe, die sich bei konstanter Temperatur ins Gleichgewicht setzen.
Ebenso gilt für den Einfluss der Temperatur die allgemeine Formel
dlnk/dT= L/RT*, wo L die bei dem vollständigen Verlauf der durch
die Gleichung ausgedrückten Reaktion aufgenommene Wärmemenge ist.
Die Gleichung vereinfacht sich in dem Falle, dass feste Phasen auf-
treten, dadurch, dass so viele der Faktoren p oder q konstant werden, als
feste Phasen vorhanden sind. Sind insbesondere bei einem solchen Gleich-
gewichte n-ter Ordnung n feste Phasen zugegen, so besteht, da die
gesamte Zahl der Phasen mit der gasförmigen zusammen n -|- 1 ist, ein
Freiheitsgrad, und es liegt daher ein Gleichgewichtsdruck von der Art
eines Dampfdruckes vor, der nur von der Temperatur abhängig ist Ins-
besondere ist dann notwendig die Zusammensetzung der Gasphase fiir
eine gegebene Temperatur eine ganz bestimmte, wie mannigfaltig auch
das Gasgemisch sei; wird die Temperatur geändert, so wird sich aller-
dings auch die Zusammensetzung des Gasgemisches ändern.
Ist die Zahl der festen Phasen n — 1, die der Freiheiten also 2,
so ist die Zusammensetzung des Gasgemisches auch bei konstanter
Temperatur veränderUch; doch in solcher Weise, dass durch eine Be-
stimmung die anderen Verhältnisse festgelegt sind. Es stellen sich dann
Beziehungen heraus, die den S. 340 entwickelten ganz ähnlich sind.
Ist eine der vorhandenen Phasen flüssig, so verschwinden im all-
gemeinen die einfachen Verhältnisse und machen verwickeiteren Platz,
fiir welche eine allgemeine Darstellung noch nicht geftmden ist. Nur
in dem allerdings recht häufigen Falle, dass in der flüssigen Phase einer
der Bestandteile^) seiner Menge nach stark überwiegt, treten wieder ein-
fachere Verhältnisse durch die Gültigkeit der Gesetze verdünnter Lösungen
*) Der vorherrschende Stoff kann auch eine Verbindung aus mehreren
der vorhandenen Bestandteile sein, ohne dass dies an den vorhandenen Be-
ziehungen formell etwas ändert. Denn man kann auch jeden aus einfacheren
Bestandteilen zusammengesetzten Stoff als einen Bestandteil im Sinne des
Gleichgewichte höherer Ordnung. 361
ein, und die fiir Gasgleichgewichte entwickelten Beziehungen finden
sachgemäfise Anwendung.
Die Regel, nach der in solchen Fällen zu verfahren ist, ergiebt sich
daraus, dass die wirksame Menge des vorherrschenden Stoflfes oder I^ösungs-
mittels konstant gesetzt wird, während auf die in geringer Menge vor-
handenen Stoffe die Gasgesetze unter sachgemässer Deutung des Druckes
als des osmotischen Anwendung finden. Dabei ist natürlich auch noch
das Auftreten beliebig vieler fester Phasen möglich, die nach Anleitung
der bereits betrachteten Fälle zu behandeln sind.
Als empirische Regel für die zusammengesetzteren Gleichgewichte
kann noch angegeben werden, dass bisher die ZaJil der flüssigen
Phasen nie grösser, als die der Bestandteile gefunden worden ist.
Was die Beurteilung der Zahl der Bestandteile anlangt, die für
ein gegebenes Gleichgewicht anzunehmen sind, so gilt die Regel, dass
man nur soviele annehmen muss, dass man jede vorkommende Phase als
Summe (nötigenfalls mit negativem Vorzeichen) dieser Bestandteile ihrer
Zusammensetzung nach darstellen kann. Dies föhrt zu dem Schlüsse,
dass in der Regel so viele Bestandteile für einen gegebenen Vorgang
anzunehmen sind, als die um Eins verminderte Zahl der Glieder in der
chemischen Gleichung beträgt, welche den Vorgang daretellt. Denn die
Notwendigkeit, dass auf beiden Seiten einer jeden chemischen Gleichung
die Summe der Elemente gleich ist, giebt die Möglichkeit, ein Glied
jeder Gleichung durch die anderen darzustellen, und es sind somit nur
n — 1 Glieder einer aus n Gliedern bestehenden Gleichung unabhängig
voneinander.
Diese Regel gilt für die einfachste Form chemischer Gleichungen.
Daneben kann es noch Formen geben, denen zufolge aus denselben
Ausgangsstoffen gleichzeitig verschiedene Produkte entstehen. Solche
Gleichungen lassen sich immer in einfache Gleichungen zerlegen, als deren
Summen sie erscheinen, und für diese Einzelgleichungen gilt die ausge-
sprochene Regel allgemein.
Jede derartige Gleichung führt zu einer Gleichgewichtsgleichung
zwischen den potenzierten Konzentrationen oder wirksamen Mengen der
beteiligten Stoffe, die einen Koeffizienten enthält, der im allgemeinen
noch eine Funktion der Temperatur und des Druckes ist. Eine zu-
sammengesetzte Gleichung enthält soviele Koeffizienten, als sie einfache
Gleichungen enthält. Häufig lässt sich die zusammengesetzte Gleichung
auf mehrfache Weise in einfache zerlegen; dann gilt als Zahl der ent-
haltenen einfachen Gleichungen die kleinste Anzahl, welche durch
vorhandenen Gleichgewichts betrachten, wenn man sich gestattet, mit negativen
Mengen zu rechnen. Zu Irrtümern kann dies nie führen, wenn man nur
darauf achtet, dass diese negativen Beträge nicht unter die möglichen Werte
fallen, die durch die gesamte Zusammensetzung des betrachteten Gebildes
festgelegt sind.
362 YIII. Chemische Mechanik.
Summierung die zusammengesetzte ergiebt^ und zwischen den Koeffizienten
der verschiedenen einfachen Gleichungen bestehen soviele Zahlenbe-
ziehungen^ dass die durch die Regel gegebene Anzahl unabhängiger
Koeffizienten herauskommt.
So enthält z. B. die Gleichung 2 Ca CO» + H«0 «= Ca(0H)2+ CaO -f 2C0«
fünf verschiedene Stoffe, müsste also ein Gleichgewicht vierter Ordnung dar-
stellen. Sie lässt sich aber in die Einzelgleichungen CaCO' + H^O«
Ca(0H)« + C02 und CaCO» « CaO + CO« auflösen, von denen die erste
dritter, die zweite zweiter Ordnung ist.
Subtrahiert man die beiden Einzelgleichungen voneinander, so folgt
Ca(OH;* = CaO + H*0, welche Gleichung den Zerfall des Calci umhydroxyds
in Kalk und Wasserdampf darstellt. Diese Gleichung ist nicht unabhängig
von den anderen, und daher muss ihr Gleichgewichtskoeffizient sich als Funktion
der anderen Koeffizienten darstellen lassen. Bezeichnet man nämlich die
Teildrucke oder wirksamen Mengen der einzelnen Stoffe wie folgt CaCO'=«a,
H«0 = b, Ca(OH)««c, CO* = d, CaO«e, so ergeben die Gleichungen
CaCO« + H*0 = Ca(OH)*-f CO« und CaCO» + CaO + CO* die Gleichge-
wichtsgleichungen ab/cd=ak, a/de = r, wo k und r die Gleichgewichtskonstanten
sind. Durch Division folgt c/be = r/k; diese Gleichung stellt aber das Gleich-
gewicht Ca (0H)*= CaO +H*0 dar, und der zugehörige Gleichgewichtskoeffizient
ergiebt sich als Quotient der beiden anderen Koeffizienten.
Hieraus folgt also das bemerkenswerte Resultat, dass man die Gleich-
gewichtszustände zwischen Calciumhydroxyd und Wasserdampf berechnen
kann, wenn man die Zersetzung des Calciumkarbonats durch Wasserdampf
einerseits, und durch seinen Zerfall in Kalk und Kohlendioxyd andererseits
kennt. Diese Möglichkeit beruht darauf, dass man die chemischen Reaktions-
gleichungen entsprechend kombinieren kann, und dies geht immer, wenn
die verschiedenen Gleichungen teilweise dieselben Stoffe enthalten. Denn
jede neue chemische Gleichung, die man durch die Elimination solcher gemein-
samer Glieder erlangt, stellt notwendig wenigstens einen denkbaren, wenn
auch nicht immer ausführbaren chemischen Vorgang dar.
Die Anzahl der Bestandteile für ein gegebenes Gleichgewicht ist
durch die Art des chemischen Vorganges bestimmt, welcher betrachtet
wird, und ein und dasselbe Gebilde kann bei geändertem Vorgange
auch die Zahl der Bestandteile ändern. So werden die gewöhnliehen
Zustandsänderungen des Wassers unter die Gleichgewichte erster Ordnung
zu rechnen sein; steigert man aber die Temperatur auf 2000®, so zer-
fällt das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, und wir haben es mit
Gleichgewichten zweiter Ordnung zu thun.
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist, dass die Gleichungen,
welche die Phasen als Summen der angenommenen Bestandteile aus-
drücken, unter den angenommenen Bedingungen ausführbar suad,
oder wirkliche Umwandlungen darstellen. Ein Gemenge aus Essig-
säure, Äthyl- und Methylalkohol, in dem sich Wasser und die bei-
den Ester gebildet haben, stellt ein Gleichgewicht vierter Ordnung
Gleichgewichte höherer Ordnung. 363
dar^ obwohl die Zahl der anweBenden Elemente nur drei ist; und sidi
durdi diese die Zusammensetzung aller möglichen Phasen ausdrücken
lässt Da aber unter den bekannten Versuchsbedingungen sich die ge-
nannten Stoffe aus den Elementen nicht bilden , so dürfen diese auch
nicht als Bestandteile angenommen werden. Wohl aber kann durch vier
der genannten Stoffe, z. B. die beiden Alkohole, die Säure und Wasser
die Zusammensetzung jeder Phase dargestellt werden, denn die beiden
anderen Stoffe ^ hier die Ester ^ lassen sich als Summe von Säure plus
Alkohol minus Wasser ausdrücken, und diese Beziehungen sind auch
experimentell ausführbar.
Was die verschiedenen Fälle der Gleichgewichte dritter Ordnung
anlangt, so sind sie so zahlreich, dass es nicht ausführbar ist, sämtliche
möglichen Typen hier zu kennzeichnen. Es muss genügen, eine Anzahl
von fMen zu beschreiben, die entweder durch ihre allgemeine Be-
schaffenheit oder durch die Wichtigkeit des Vorganges besondere Auf-
merksamkeit beanspruchen.
Ein durch seine technische Bedeutung wichtiger Fall des Gleichgewichts
dritter Ordnung ist die durch die Gleichung H*0+ CO = H« -f- CO*
dargestellte Wechselwirkung zwischen Kohlenoxyd, Wasserdampf, Wasser-
stoff und Eohlendioxvd. Als Bestandteile kann man die Elemente Kohlen-
Stoff, Wasserstoff und Sauerstoff auffassen; will man solche Bestandteile
wählen, die wirklich vorhanden sind, so können drei von den Gasen
beliebig dazu genommen werden, da sich die chemische Zusammensetzung
des vierten* immer durch Summen (nötigenfalls mit negativen Gliedern)
der drei anderen darstellen lässt.
Es ergiebt sich hieraus eine Willkür in der Wahl der Bestandteile,
welche für die Anwendung des Phasengesetzes bedenklich zu sein scheint. Doch
überzeugt man sich bald, dass die Willkür nur in Bezug auf die Auswahl,
nicht aber in Bezug auf die Anzahl der Bestandteile vorhanden ist; für das
Phasengesetz kommt aber nur die letztere in Betracht.
Bezeichnen wir die Drucke der vier Bestandteile nacheinander mit
PuPsjQuQs? ^ &^^ ^ ^^ Gleichgewicht die Formel Pi pg = kqj q,,.
Da wir drei Bestandteile und eine Phase haben, so liegen vier Freiheiten
vor d. h. es können neben Gesamtdruck und Temperatur noch zwei
Teildrucke beliebig bestimmt werden. Der Gesamtdruck hat in diesem
Falle auf das Gleichgewicht keinen Einfluss, da die Reaktion ohne Volum-
änderung vor sich geht oder da ein gemeinsamer Faktor zu allen Druck-
werten sich aus der Gleichgewichtsgleichung wieder heraushebt (vgl. S. 381).
Dass die Ergebnisse der Beobachtung wenigstens in grossen Zügen
mit der Theorie übereinstimmen, ist von Horstmann (1877) gezeigt worden.
Doch mussten sich die Beobachtungen auf das Gleichgewicht beschränken,
das bei der Verpuffting von Kohlenoxyd-Wasserstoffgemengen mit unzu-
reichendem Sauerstoff sich im Augenblicke der Reaktion einstellt. Da
die höchste Temperatur nur sehr kurze Zeit dauert, so ist man nicht
364 VIII. Chemische Mechanik.
sicher, ob das Gleichgewicht erreicht wird; ausserdem wird «s eine Ver-
schiebung bei der absinkenden Temperatur erleiden.
Die Umwandlung von Wasserstoff und Kohlendioxyd in Wasserdampf
und Kohlenoxyd absorbiert Wärme; sie ist somit die Reaktion, deren
Betrag sich bei steigender Temperatur steigert. Umgekehrt wird um so
mehr Wasserstoff gebildet, je niedriger die Temperatur ist, bei der sich
das Gleichgewicht herstellt. Diese Thatsache ist von Wichtigkeit für
die Beurteilung der Vorgänge bei der Gewinnung von „Wassergas"
d, h. des Einwirkungsproduktes von Wasserdampf auf Kohle in der Glüh-
hitze. Die Reaktion verläuft bei hoher Temperatur vorwiegend im Sinne
der Gleichung H*0 + C=CO + H*. Doch folgt aus den eben ange-
gebenen Verhältnissen, dass bei niedriger Temperatur mehr und mehr
die Reaktion 2H*0 + C = 2H* -f CO« vorwiegt. Bei der steigenden
Verwendung des Wassergases ist es von Wichtigkeit zu wissen, dass die
Menge des giftigen Kohlenoxyds zu Gunsten der Bildung von Wasser-
stoff eingeschränkt werden kann, wenn man den Prozess bei möglichst
niedriger Temperatur ausführt (Mond 1897).
Ein Beispiel temären Gleichgewichts mit gasförmigen und festen
Phasen liegt in der Reaktion zwischen Eisen und Wasserdampf vor, die
zu einer teilweisen Bildung von Eisenoxyduloxyd und Wasserstoff führt.
Die chemische Gleichung ist 4H-'0 + 3Fe = 4H2 -f Fe^O^ und da
zwei feste Phasen neben der gasförmigen zugegen sind, so bestehen zwei
Freiheiten. Ist also Temperatur und Gesamtdruck gewählt, so kann
noch ein Teildruck beliebig angenommen werden; der andei^ stellt sich
dann auf einen bestimmten Wert ein.
Dies ergiebt sich, wenn man den Druck des Wasserdampfes mit p,
den des Wasserstoffs mit q bezeichnet, und die übrigen konstanten
Faktoren mit der Gleichgewichtskonstante vereinigt; die Gleichgewichts-
gleichung wird dann p'* = kq*, oder prrrKq d. h. es muss der Druck
des Wasserstoffs dem des Wasserdampfes proportional sein.
Ferner folgt aus den thermochemischen Zahlen, dass die Reaktion
des Wasserdampfes auf Eisen Wärme entwickelt, 84 J für ein Mol H^.
Aus den entsprechenden Beobachtungen von Deville (1870), der
das Vorhandensein dieser Beziehung weder vermutet, noch aus seinen
Beobachtungen ersehen hatte, ergiebt sich unzweifelhaft eine Bestätigung
der Formel. Ebenso verschiebt sich das Gleichgewicht bei fallender
Temperatur zu Gunsten des Wasserstoffs, da dessen Bildung Wärme ent-
wickelt.
Die Verhältnisse der Gleichgewichte werden durch das Auftreten
flüssiger Phasen verwickelter, da solche im allgemeinen Lösungen
bilden, in denen die wirksame Menge der beteiligten Stoffe weder kon-
stant, wie bei festen Stoffen, noch der Konzentration proportional wie
bei Gasen gesetzt werden darf. Nur im Falle der verdünnten Lösungen
ist letzteres möglich, und dann werden die Verhältnisse wieder der
Rechnung leichter zugänglich.
Gleichgewichte höherer Ordnung. 365
Unter den Keaktionen dritter Ordnung in homogener Flüssigkeit ist
die Wechselwirkung zwischen organischen Säui'en und Alkoholen zu er-
wähnen. Sie hat eine geschichtliche Bedeutung dadurch, dass sie die
erste Reaktion ist, an der der zeitUche Verlauf und die Gleichgewichts-
verhältnisse in umfassenderer Weise studiert worden sind (Berthelot und
Pean de St. Gilles 1862); auch die ersten erfolgreichen Versuche theo-
retischer Erlassung sind an diesem Material ausgeführt worden (Guld-
berg und Waage 1867; van't Hoff 1877).
Bezeichnet man die Säure mit H.A, den Alkohol mit R.OH, so
lässt sich der Vorgang in der Gestalt schreiben: H.A-|-R.OH==
R.A + H^O. Es stellt sich bei der Wechselwirkung der beiden Stoffe
ein Gleichgewichtszustand heraus, der von der Natur der Säure und der
Temperatur ziemhch unabhängig ist, und der durch eine Gleichung von
der Gestalt 2i^^=k.\h^
gekennzeichnet ist Hierin bezeichnet a^ die Konzentration des Alkohols,
a^ die der Säure, bj die des Esters und b^ die des Wassers. Die
Konstante k hat meist den Wert 1/4. Daraus folgt, dass, wenn man
Säure und Alkohol zu gleichen Molen anwendet, sich etwa 2/3 von
ihnen zu Ester und Wasser umsetzen.
Die Berechnung der zahlreichen Versuche über dies Gleichgewicht
haben nur angenäherte Übereinstimmung mit der Theorie ergeben. Dies
liegt daran, dass man als wirksame Menge den Molenbruch hat einführen
müssen (S. 346); da aber Alkohol und Wasser teilweise polymerisierte
Stoffe sind (S. 151), so ist gerade in diesem Falle eine solche Rechnung
zweifelhaft. Doch ist immerhin die Übereinstimmung genügend, um die
Anwendbarkeit der Theorie im Prinzip ausser Zweifel zu setzen.
Treten feste Phasen neben flüssigen auf, so kann man zunächst
nach dem Falle fragen, welcher dem der gegenseitig löslichen Schmelzen
und dem eutektischen Punkte (S. 333) entspricht. Um eine Übersicht
hierüber zu gewinnen, machen wir uns mit einem Koordinatensystem
bekannt, welches gestattet, drei veränderhche Bestandteile dai'zustellen.
Hierzu zeichnen wir ein gleichseitiges Dreieck, dessen Seitenlängen
gleich der Emheit gemacht werden, und beachten, dass jeder Punkt im
Innern dieses Dreiecks die Eigenschaft hat, dass die Summe der drei
Pai'allelen zu den Seiten pa + pb + pc gleich der Seitenlänge, also
gleich Eins ist. Bezieht man somit die Berechnung auf ein Mol des Ge-
misches, so kann man jede beliebige Zusammensetzung derselben durch
einen Punkt des Dreiecks angeben. Die Eckpunkte stellen dann die
reinen Stoffe dar, die Seiten des Dreiecks Gemenge aus je zwei Be-
standteilen, und im inneren hegen die ternären Gemische.
Nun seien die eutektischen Gemische flir die drei Stoffpaare AB,.
AC und BC bestimmt; sie mögen bei K^, Kg und Kj hegen, Fig. 45.
Man löse in dem flüssigen Anteile des eutektischen Gemisches AB, das
mit den festen Stoffen A und B im Gleichgewicht ist, etwas C auf. Dann
366
VIII. Chemische Mechanik.
wird die Temperatur sinken, und^ gleichzeitig wird sich im allgemeinen
auch das Verhältnis zwischen A und B in der Flüssigkeit etwas ändern,
bis sie meder mit festem A und B im^Gleichgewicht ist. Der Punkt,
welcher jetzt die Zusammensetzung der Flüssigkeit darsteUt, liegt inner-
halb des Dreiecks in der Nähe von ab, etwa bei i. Setzt man mehr
C hinzu, so rückt der Punkt weiter hinein, und die Gesamtheit dieser
Punkte, die die Gleichge\^iehte mit den beiden festen Phasen A und B
darsteUen, wird eine (nahezu gerade) Linie bilden, die etwa nach K läufL
Schhesslich wird die Lösung auch in Bezug auf C gesättigt sein, und
wnr gelangen zu einem Punkte, bei welchem sie mit allen drei festen
Stoffen im Gleichgewicht ist.
Ganz dieselbe Überlegung können wir machen, indem wir von dem
eutektischen Gemisch AG ausgehen. Wir finden eine Linie, die von K^j
nach K verläuft und sich mit der
ersten in K schneidet. Da es sich
um dasselbe Gleichgewicht, näm-
lich die Lösung neben den drei
festen Stofien handelt, so muss der
Punkt beiden Linien gemeinsam
sein, d. h. es muss deren Durcli-
schnittspunkt K sein.
Aber auch för das eutekti-
sche Gemisch BC gilt die gleiche
Überlegung. Dessen Linie muss
gleichfalls durch K gehen, und so
'^ wird die Erscheinung durch Fig. 45
dargestellt, wo sich die drei Linien
des Gleichgewichts mit je zwei
festen Stoffen in demselben Punkte K schneiden, der den temären eutek-
tischen Punkt darstellt. Er liegt, wie aus der Entwickelung hervor-
geht, bei tieferer Temperatur, als jeder der binären eutektischen Punkte,
hat aber im übrigen ganz dieselben Eigenschaften, wie diese, insbeson-
dere die, dass er die tiefste Temperatur darstellt, bei welcher eine flüssige
Phase aus den drei Bestandteilen bestehen kann, und dass sich die
Zusammensetzung der Flüssigkeit wälirend des Erstarrens nicht ändern
kann, so dass auch die Temperatur unverändert bleibt, solange noch
Flüssigkeit zugegen ist.
Der Versuch hat diese Schlüsse bestätigt.
Die Verschiedenheit der Temperaturen ist in der Zeichnung Fig. 45
nicht zur Darstellung gebracht. Um dies zu thun, kann man senkrecht
zur Zeichenebene Ordinaten errichten, welche den Temperaturen pro-
portional gemacht werden. Die drei Linien liegen dann im Räume und
bilden die Kanten einer dreiseitigen Hohlpyramide.
Fig. 46 veranschaulicht die Verhältnisse. Die drei Spitzen A, B
und C stellen die Schmelzpunkte der reinen Stoffe dar; an den drei
Fig. 45.
Gleichgewichte höherer Ordnung.
367
Seiten des Prismas erscheinen die eutektischen Punkte K^^ K, und E3
der binären Gemische, und von diesen aus setzen die drei Linien der
temären Gemische an, die sich im dreifachen eutektischen Punkte K
schneiden. Auf den Flächen AK^K^K, BKjKjK und CK^K^K liegen die
Losungen, welche mit einer festen Phase, auf den Linien K^K, KjK,
K3E die^ welche mit zwei festen Phasen im Gleichgewicht sind.
Die mehrfach betonte Ähnlichkeit zwischen der Lösung und der
Verdampfung bringt es mit sich, dass die Gleichgewichtszustände zweiter
Ordnung mit einer Gasphase sich
in ganz ähnlicher Weise in der
dritten Ordnung wiederfinden, indem
der leere Raum durch ein Lösungs-
mittel ersetzt ist und an Stelle des
Dampfes ein gelöster Stoff erscheint. ^^
Dabei hat der Umstand, dass etwa
das Lösungsmittel sich mit den an-
deren Bestandteilen oder ihren Ver-
bindungen vereinigt, auf die Gestalt
der Gesetze keinen Einfluss, solange
es nur in so grossem Verhältnis
vorhanden ist, dass man die Lö-
sung als eine verdünnte bezeich-
nen darf.
Man muss die Frage stellen,
welches denn die Grenze der ver-
dünnten Lösungen sei. Die Antwort
hängt einigermassen von der Natur
der beteiligten Stoffe ab; doch wird
man annehmen können, dass Lösungen,
die weniger als '/s ^^1 im Liter ent-
halten, unbedenklich als verdünnt an-
gesehen werden können. Oft ist dies
noch bei stärkeren Lösungen möglich,
doch bedarf es bei solchen der Vor-
sieht, und man sollte entsprechende °*
Prüfungen anzustellen nicht versäumen, wenn man die einfachen Lösungs-
gesetze auf sie anwenden will.
Der erste Fall ist der eines homogenen Gleichgewichts zwischen
zwei Bestandteilen in der Lösung. Für ein soldies wird die Gleichung
von S. 341 gelten: a™^a™* = k.b°; alle die dort entwickelten Beziehungen
finden sich hier wieder.
An gut untersuchten Beispielen für diese Art des Gleichgewichts
sind mehr bekannt, als für alle anderen Arten zusammengenommen, denn
der Zerfall der binären Elektrolyte in ihre Ionen whrd durch diese
368 Ylll. Chemische Mecjianik.
Gleichung geregelt (Ostwald 1888). Da indessen die lonengleichgewichte
später fiir sich betrachtet werden sollen, so muss hier der Hinweis genügen.
Ist neben der flüssigen Phase noch eine feste vorhanden, so
gelten die S. 347 entwickelten Beziehungen. Der feste Stoff kann entweder
eine Verbindung sein, und dann muss das Produkt der potenzierten
Konzentrationen seiner Bestandteile konstant (d. h. nur eine Funktion
der Temperatur) sein, oder der feste Stoff ist ein Bestandteil, und
dann müssen die beiden veränderlichen (potenzierten) Konzentrationen
einander proportional sein. Für den ersten Fall werden sich bei den
Lösungen der Elektrolyte zahlreiche Beispiele ergeben; der zweite, für
den der einfachere Typus noch nicht beobachtet worden ist (S. 349),
kann durch folgendes Beispiel erläutert werden (Noyes und Seiden-
sticker 1898).
Jod löst sich in Wasser nur in sehr geringer Menge auf; wird zu dem
Wasser irgend ein lösliches Jodid gefügt, so nimmt die Löslichkeit sehr stark
zu. Die Ursache davon ist, dass sich zu dem vorhandenen Jodion freies Jod
zufügt, und ein Ion von der Formel J* bildet. Man hat also die Reaktions-
gleichung J' + J* ^J^'. Es wird sich soviel Jod lösen, bis die zufolge des
chemischen Gleichgewichts zwischen dem freien Jod und dem Jodion J^' so-
viel von ersteren in der Lösung vorhanden ist, als der Löslichkeit in reinem
Wasser entspricht, wobei die Voraussetzung festzuhalten ist, dass das Lösungs-
mittel keine erhebliche Änderung erleidet, die Lösung also verdünnt bleibt.
In der zugehörigen Reaktionsgleichung a^ a, = k . b ist die auf das freie
Jod bezügliche Konzentration a^ konstant zu setzen; es soll demnach a^ und
b proportional sein, d. h. die Menge des Trijodions soll zu dem des Jodions
in konstantem Verhältnis stehen. Es wurden deshalb Jodkaliumlösungen mit
festem Jod bei 25° gesättigt, das aufgenommene Jod titriert, und von dieser
Menge der einfach gelöste Teil abgezogen. Letzterer beträgt 0-001342 Mol
oder 1-342 Millimol im Liter und wurde durch Lösungsversuche in reinem
Wasser ermittelt.
K J genommen Jod gelöst (corr) = J®'
106-3 5394
53-15 26-69
26-57 1334
13-29 6-66
6-643 3.325
3-322 1-710
In der ersten Spalte stehen die angewandten Konzentrationen des Jod-
kaliums in Millimolen im Liter und damit die der Summe J' +J*', in der zweiten
die gelösten Jodmengen nach Abzug der auf das Wasser entfallenden kon-
stanten Menge von 1-342, welche somit die Konzentration des entstandenen
Trijodions J*' angeben; in der dritten Spalte die Konzentrationen des unver-
ändert gebliebenen Jodions J', die sich aus den beiden ersten durch Sub-
traktion ergeben. In der letzten Spalte ist endlich das Verhältnis J"7J' vor-
J'
Verhältnis J^'/J'
52-4
103
26-46
1-01
13623
1-02
6-63
1-01
3-118
100
1-612
106
Gleichgewichte höherer Ordnung. 369
zeichnet, welches gemäss der Theorie konstant sein soll. Wie man sieht, ist
die Übereinstimmung vorzüglich, und es ergiebt sich, dass ungefähr die Hälfte
der Jodionen sich mit Jod zu Tr\jodionen yerbindet, oder dass die verdünnte
Jodkaliumlösung ebensoviel freies Jod auflöst, als sie gebundenes enthält.
Bei sehr konzentrierten Lösungen machen sich Abweichungen geltend,
indem sich bedeutend mehr Jod auflöst, als der Proportionalität entspricht.
Deshalb lässt eine gesättigte konzentrierte Lösung von Jod in Jodkalium
festes Jod fallen, wenn man sie mit Wasser verdünnt. Die Ursache hiervon
liegt in der Veränderung des Lösungsmittels; vermöge der grösseren chemi-
schen Ähnlichkeit ist die konzentrierte Jodkaliumlösung ein besseres Lösungs-
mittel.
Sind von den am Gleichgewicht beteiligten Stoffen zwei in fester
Gestalt neben der Lösung anwesend, so wird der Zustand vergleich-
bar dem bei zwei festen Stoffen neben Dampf. Das Gleichgewicht, das
in der Lösung durch die Gleichung a"*2^*=k.b** dargestellt ist, ver-
einfacht sich dadnrch, dasd zwei von den drei Konzentrationen konstant
werden. Dann muss es auch die dritte sein, und es stellt sich somit
euie ganz bestimmte Zusammensetzung der Lösung ein, die sich nur
noch mit der Temperatur ändert, von den Mengen der festen Stoffe und
der anfänglichen Zusammensetzung der Lösung aber ganz unabhängig ist.
Beispiele ftir diesen Fall bieten die Doppelsalze dar. Während z. B.
die Löslichkeit des Eupfersulfates in einer Lösung, die Ealiumsulfat ent-
hält, mit der Konzentration des letzteren sich ändert, so dass man von
einer „Verdrängung" des einen Salzes durch das andere gesprochen
hatte, so wird die Konzentration sofort unabhängig von der Menge des
Kaliumsulfats, wenn sich neben dem Kupfersulfat das Doppelsalz E^allum-
kupfersulfat in fester Gestalt vorfindet. Es erfolgt, wenn das Gleichge-
wicht noch nicht eingetreten war, Auflösung oder Ausscheidung der
Salze eines oder beider, bis die bestimmte Konzentration in Bezug auf
alle Bestandteile erreicht ist.
Es giebt ersichtlicher Weise in diesem Falle drei Arten des Gleich-
gewichts, je nachdem als feste Phasen die beiden Bestandteile, oder einer,
bez. der andere neben der Verbindung vorhanden ist. In unserem Bei-
spiele wären es die Lösungen mit Kaliumsuifat und Kupfersulfat, mit
Kaliamsulfat und Doppelsalz und mit Kupfersulfat und Doppelsalz. Von
diesen drei Gleichgewichten ist im allgemeinen eines unstabil-; im vor-
liegenden Falle ist es das erste, und wenn man die in Bezug auf die Bestand-
teile gesättigte Lösung herstellen will, tritt nach einiger Zeit das Doppel-
salz jfreiwillig auf, wodurch eines der beiden einfachen Salze zum Ver-
schwinden gebracht wird, und das entsprechende neue Gleichgewicht
sich einstellt.
Zur Prüfung des Massenwirkungsgesetzes sind solche Gleichgewichte
nicht geeignet, da sie durch die lonenbildung mit einer Verwickelung be-
haftet sind, deren Bewältigung erhebliche Schwierigkeiten macht.
Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 24
370 VIII. Chemische Mechanik.
Ein Beispiel, bei welchem die verschiedenen Arten des Lösungsgleich -
* gewichts zur Geltung kommen, und das gleichzeitig eine Anwendung des
Massenwirkungsgesetzes gestattet, bietet die Bildung der aus je einem Mol
der Bestandteile zusammengesetzten Verbindung von Anthracen und Pikrin-
säure in alkoholischer Lösung (Behrend 1894).
Die nachstehende Tabelle enthält die Ergebnisse der Löslichkeitsver-
suche bei 25°.
Feste Phasen.
Anthracen Anthracen u. Pikrat Pikrat pSJSl^^.^ßSre:
'l 2 3 4 5" 6^ 7 8 9 TÖ^^lT iF
Anthracen 0-176 0190 0206 0215 0228 0-236 0-202 0180 0-162 0-151 0149 -
Pikrinsäure — 1-017 2-071 2-673 3-233 3-469 3-994 5-087 5843 6-727 7-511 7-452
A n th racen
frei « a^ — 0176 0-176 0176 0176 0-183 0-140 0-127 0-109 0-098 0096 —
1 1 kt*i n säure
frei = a, — 0-999 2032 2-623 3-166 3-401 3-926 5019 5-775 6-659 7-443 —
Pikrat «b — 0.032 0-069 0.039 0-119 0.121 0121 0121 0121 0-121 0-121 —
a^a^/b — 5.5 5.2 5-2 47 51 48 5-3 52 54 5-2 —
Die Zahlen bedeuten Gewichtsteile der bezeichneten Stoffe in 100 Teilen
der Lösung. Jede Spalte giebt die Zusammensetzung einer bestimmten Lö-
sung an, die mit den darüber angegebenen festen Stoffen im Gleichgewicht
ist. Die einzelnen Posten haben folgende Bedeutung.
Unter Anthracen und Pikrinsäure sind die unmittelbaren Ergebnisse
der Analyse verzeichnet, welche die Summe der verbundenen und der unver-
bundenen Mengen beider Bestandteile angeben. Um zu bestimmen, wieviel
die unverbundenen Anteile betragen, sind Löslichkeitsbestimmungen der bei-
den Bestandteile in reinem Zustande ausgeführt, die in der ersten und der
letzten Spalte angegeben sind. Alle Lösungen, welche mit festem Anthracen im
Gleichgewicht sind, müssen die Menge 0-176 davon enthalten, und das Anthracen,
welches sich mehr in ihnen findet, ist als Pikrat vorhanden. Dasselbe gilt
für die mit Pikrinsäure gesättigte Lösung. Auf diese Weise sind die freien
Anteile, bez. die Mengen des Pikrats in den verschiedenen Lösungen berech-
net. Aus der Zusammensetzung der Lösung 6 im Vergleich mit der von 11
muss man den gleichen Gehalt an Pikrat finden, da beide mit festem Pikrat
im Gleichgewicht sind. Führt man die Rechnung aus, so findet sich Über-
einstimmung, wenn auch wegen der ziemlich bedeutenden Versuchsfehler nur
eine massige^).
Bildet man schliesslich den Ausdruck a^a^/b, wie er in der untersten
Reihe angegeben ist, so findet er sich konstant, bez. unregelmässig um einen
Mittelwert schwankend. In den Lösungen 2 bis 6 ist a^ konstant, somit auch
a^/b = const.; in den Lösungen 6 bis 11 ist b konstant, somit a^a^ ««= const.
') Darum ist in der Lösung 6 der Gehalt an freiem Anthracen mit
0183 statt 0-176 angegeben.
Gleichgewichte höherer Ordnung. 371
Die Lösungen 6 und 11 stellen den Fall dar, dass zwei feste Phasen vorhan-
den sind; für diese giebt es nur eine Zusammensetzung unabhängig von den
Mengen der anwesenden Bestandteile. Die dritte konstante Lösung, die mit
Anthracen und Pikrinsäure im Gleichgewicht wäre, ist nicht herzustellen ver-
sucht worden. Sie liegt im instabilen Gebiete, doch ist nicht ausgeschlossen,
dass es noch das metastabile Gebiet ist, und dann wäre die Herstellung der
entsprechenden Lösung möglich, wenn sie auch sich als übersättigt in Bezug
auf das Pikrat verhalten würde.
Ein weiterer interessanter Fall der Lösungsgleichgewichte ist der
mit zwei flüssigen Phasen. Hat man zwei Flüssigkeiten, die inein-
ander wenig löslich sind, und bringt einen Stoff dazu, der sich in beiden
auflösen kann, so wird er sich zwischen beiden Lösungsmitteln verteilen,
wie sich ein Gas zwischen dem Gasraume und einem flüssigen Lösungs-
mittel verteilt. Das Gesetz von Henry, dass die Konzentrationen in den
Phasen in einem konstanten Verhältnis stehen, lässt sich auf diesen Fall
wörtlich anwenden. Man nennt dies Verhältnis den Teilungskoeffi-
zienten. Bei der Lösung der Gase wurde die Konzentration in der
Flüssigkeit naturgemäss auf die im Gasraume bezogen; im Falle zweier
Flüssigkeiten hat keine von ihnen einen natürlichen Vorzug, und man
muss bei der Angabe eines Teilungskoeffizienten nicht versäumen, anzu-
geben, welche Flüssigkeit als Bezugsstoff dienen soll. Giebt man z. B.
den Teilungskoeffizenten der Bemsteinsäure zwischen Wasser und Äther
zu 6-0 an, so ist gemeint, dass die Gleichung erfüllt ist:
Konzentration im Wasser
Konzentration im Äther
Das Stattfinden dieses Gesetzes ist von Berthelot und Jungfleisch
(1872) entdeckt und an einer Anzahl von Beispielen nachgewiesen worden.
Spätere mannigfaltige Anwendungen des Gesetzes haben seine ausge-
dehnte Gültigkeit und Genauigkeit gezeigt. Als Beispiel diene die folgende
Beobachtungsreihe mit Bemsteinsäure.
Konzentration im Wasser im Äther Verhältnis
424 7-1 60
43-8 7.4 60
47-4 7.9 60
Untersucht man das Gleichgewicht in weiterem Umfange, so zeigt sich
der Teilungskoeffizient etwas veränderlich. Dies kann von zwei Gründen
herrühren. Einmal ist oft der Zustand des gelösten Stoffes mit der Ver-
dünnung veränderlich, indem chemische Wirkungen mit einem oder dem
anderen der Lösungsmittel eintritt. Der Einfluss eines derartigen Vor-
ganges auf den Teilungskoeffizienten ergiebt sich aus den S. 353 angestellten
Betrachtungen. Wird durch den Vorgang die Molenzahl der Verbindung
kleiner, als die des ursprünglichen Stoffes ^ so veimehrt sich die Menge
der Verbindung verhältnismässig mit steigender Konzentration. Nehmen
24*
372 Vni. Chemische Mechanik.
wir an, dass dieser Anteil wesentlich in derselben Lösung verbleibt (was
in den meisten Fällen zutreffen wird), so mnss der Teiiungskoeffizient
zu Gunsten dieser Lösung mit steigender Konzentration wachsen, und
mit abnehmender abnehmen. Umgekehrt wird ein Stoff, der eine Ver-
mehrung der Molenzahl durch den chemischen Einfluss des Lösungsmittels
erfährt, sich bei steigender Verdünnung mehr und mehr in der Lösung
ansammeln, in welcher dieser Einfluss stattfindet. Bleibt endlich die
Molenzahl unverändert, so hat die Verdünnung keinen Einfluss auf den
Teilungskoeffizienten, wenn auch chemische Vorgänge zwischen dem ge-
lösten Stoffe und dem Lösungsmittel stattfinden.
Ein zweiter Grund, der eine Veränderlichkeit des Teilungskoeffizienten
bewu*ken kann, sind die Abweichungen von den einfachen Lösungsge-
setzen, die bei grösserer Konzentration eintreten. Dadurch wird nicht
nur das Verhalten der Stoffe zu den einzelnen Lösungen geändert,
sondern die gegenseitige Löslichkeit der beiden Lösungsmittel, die immer
vorhanden ist, wenn sie auch klein sein kann, ertährt durch die An-
wesenheit erheblicher Mengen des dritten Stoffes eine Beeinflussung.
Diese wird in den meisten Fällen in einer Vermehrung der gegenseitigen
Lösüchkeit bestehen, und die Teilungskoeffizienten beziehen sich nicht
mehr auf die früheren Lösungsmittel, sondern auf geänderte.
Wird der dritte Stoff erheblich vermehrt, so nimmt die gegenseitige
Löslichkeit der beiden anderen in solchem Masse zu, dass endhch eine
homogene Lösung entsteht. Wir haben es wieder mit einer kritischen
Erscheinung (S. 325) zu thun, bei welcher zwei Phasen durch stetige
Übergänge miteinander identisch werden, doch ist in diesem Falle eine
grössere Mannigfaltigkeit vorhanden. Denken wir uns, um eine An-
schauung zu haben, als ursprüngliche Flüssigkeiten Äther und Wasser,
so stellen sich diese ins Gleichgewicht, indem jede von der anderen
etwas auflöst Wird nun Alkohol zugefügt, so verteilt sich dieser
zwischen beiden Phasen. Gleichzeitig werden Äther und Wasser lös-
licher ineinander und die beiden Schichten kommen sich in ihrer Zu-
sammensetzung näher. Bei weiterem Zusatz von Alkohol ist dies mehr
und mehr der Fall, und schUessUch werden beide Schichten identisch,
und gehen in eine zusammen, gerade wie beim kritischen Punkt einer
einheitlichen Flüssigkeit diese mit ihrem Dampfe identisch wird und beide
sich vereinigen. Die Zusammensetzung, auf welche beide Schichten bis
zum kritischen Punkte zustreben, ist offenbar eine ganz bestimmte.
Denken wir uns ähnUch wie in Fig. 37, S. 325 die Zusammen-
setzung der beiden Schichten in Bezug auf das Verhältnis zwischen
Äther und Wasser nach oben, und die Zusätze an Alkohol nach redits
aufgetragen, so erhalten wir eine Linie, die ganz äJinlich verlaufen wird,
wie die Linie der gegenseitigen Löslichkeit zweier Flüssigkeiten. Nur
tritt als Veränderliche hier nicht die Temperatur auf, sondern die Alko-
holmenge. Durch die beiden Stücke der Ordinate im kritischen Punkte
wird die Zusammensetzung in Bezug auf Ätiier und Wasser, durch die
Gleichgewichte höherer Ordnung. 373
Abscisse die in Bezug auf Alkohol angegeben; alle drei Verhältnisse sind
somit vollkommen bestimmt.
Infolge des Vorhandenseins dreier Bestandteile ist indessen die Zahl
der Freiheitsgrade erhöht, und zwar, wenn man keine Dampfphase zu-
lässt, auf drei. Die Bedingung, dass ein kritischer Punkt vorhanden sein
soll, verf> über einen von diesen; der kritische Punkt selbst hat daher
noch eine zweifache Veränderlichkeit nach Druck und Temperatur. In
Bezug auf den Druck kann auf das bei Gelegenheit des kritischen
Losungspunktes binärer Gemische Gesagte verwiesen werden (S. 325);
sein Einfluss ist wegen der kleinen Volumänderungen äusserst gering,
und liegt in dem durch die Regel vom Widerstand gegebenen Richtung.
Die Temperatur wirkt (S. 324) in den meisten Fallen steigernd auf
die gegenseitige Löslichkeit; daher wird bei höherer Temperatur im all-
gemeinen ein immer geringerer Zusatz des dritten Stoffes nötig sein,
um den kritischen Punkt hervorzubringen. Während also im Falle der
binären Gemische die kritische Temperatur und die kritische Zusammen-
setzung abgesehen von dem verschwindenden Einflüsse des Druckes nur
von der chemischen Natur der Stoffe abhing, so sind hier beide mit-
einander veränderlich, und man kann durch die Änderung der Zu-
sammensetzung den kritischen Punkt innerhalb gewisser Grenzen auf
jede beliebige Temperatur legen.
Hierdurch wird, wenn diese Verhältnisse in der eben geschilderten
Weise durch Kurven wiedergegeben werden sollen, für jede Temperatur
eine neue Kurve nötig. Man kann sieh die Temperaturen senkreclit zur
Zeichenebene auftragen, und die einzelnen Kurven entsprechend in
parallelen Ebenen übereinander schwebend denken. Dann bildet ihre
Gesamtheit eine krumme Fläche, deren Gestalt die vorhandenen Gleich-
gewichte für alle Temperaturen übersehen lässt.
Die bei binären Gemischen beobachteten Verschiedenheiten in Be-
zug auf den Einfluss der Temperatur finden sich auch hier wieder, in-
dem es obere wie untere kritische Punkte (S. 325) giebt. Erstere
stellen den häufigeren Fall dar; letztere kann man bei ätherhaltigen
Gemischen beobachten.
In ähnlicher Weise, wie hier die Gleichgewichte dritter Ordnung,
lassen sich die Fälle behandeln, in denen noch mehr Bestandteile sich ver-
binden. Wenn auch die Verhältnisse entsprechend verwickelter werden,
so treten doch keine wesentlich neuen Gesichtspunkte auf, und die Ge-
winnung eines Überblickes über die vorhandenen Beziehungen lässt sich
nach den dargelegten allgemeinen Grundsätzen bewerkstelligen. Ein Ein-
gehen auf die Einzelheiten würde über den Rahmen dieses Werkes hin-
ausgehen.
' Die bisherige Behandlung des Gleichgewichtsproblems geschah in
wesentlich formaler Weise, indem die Gestalt der Beziehungen zwischen
den bestimmenden Grössen, nicht aber ein etwaiger Zusammenhang
374 VIII. Chemische Mechanik. — Gleichgewichte höherer Ordnung.
zwischen den Konstanten und der chemischen Natur der beteiligten
Stoffe berücksichtigt worden ist. Die letztere Aufgabe gehört ihrem
Wesen nach der beschreibenden Chemie an, und die künftigen Lehr-
bücher werden solche Daten ebenso wie etwa Schmelz- und Siede-
punkte bringen. Einstweilen ist allerdings die Kenntnis dieser Grössen
noch viel zu wenig entwickelt, als dass sie als allgemeines Hilfs-
mittel der Beschreibung verwendet werden könnten. Was an Beziehungen
in dieser Richtung bekannt geworden ist, wird an späterer Stelle er-
örtert werden.
Schhesslich gestattet die allgemeine Auffassung der chemischen
Gleichgewichte im Sinne des Phasengesetzes eine Beantwortung der
Frage nach der Kennzeichnung eines chemischen Individuums,
die uns bereits am Anfange unserer Betrachtungen entgegengetreten war
(S. 2). Ein chemisches Individuum ist ein Stoff, den wir als
Phase von konstanter Zusammensetzung behalten, wenn wir
seine Zustandsbedingungen (Temperatur, Druck, Zusammen-
setzung der anderen gegenwärtigen Phasen) stetig Innerhalb
eines gewissen Umfanges (des Existenzgebietes dieses Stoffes)
verändern (Wald 1897).
Dadurch unterscheidet sich ein chemisches Individuum von einer
Lösung, deren Zusammensetzung als Bestandteil eines Gebildes aus
mehreren Phasen sich mit den Umständen stetig ändert. Beispiele sind
die Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten, die Gaslösungen u. s. w.
Aber auch solche Fälle, in denen die Phase in Bezug auf gewisse
Änderungen konstant in der Zusammensetzung bleibt, wie z. B. die kon-
stant siedenden Lösungen mit maximalem oder minimalem Dampfdrucke
(S. 323) lassen sich durch dasselbe Kriterium 'erkennen. Solche Lösungen,
die zwei Phasen gleicher Zusammensetzung bei bestimmter Temperatur und
dem entsprechenden Drucke ergeben, ändern die Zusammsetzung der beiden
Phasen, wenn man die Temperatur und den zugehörigen Druck ändert.
Eben dieses Kennzeichen hat in dem angegebenen Falle dazu gedient,
die konstant siedenden Gemische als Lösungen zu erkennen, und ihnen
den Anspruch auf die chemische Individualität abzusprechen.
Für die auf solche Weise gekennzeichneten konstanten Phasen gelten
nun die im ersten Buche entwickelten stöchiometrischen Gesetze. Man
darf die Überzeugung aussprechen, dass letztere sich künftig aus der
eben gegebenen Begriffsbestimmung des chemischen Individuums werden
ableiten lassen; doch ist trotz wichtiger Vorarbeiten in dieser Rich-
tung (Wald, seit 1895) der Zusammenhang beider noch nicht so klar
und übersichtlich hergestellt worden, dass er sich an dieser Stelle er-
örtern liesse.
IX. Elektrochemie. — Allgemeines. 375
Neuntes Buch.
Elektrochemie.
Erstes Kapitel.
Allgemeines.
Ein Stab von völlig reinem Zink wird von verdünnter Schwefel-
säure nicht angegriffen, ebensowenig ein solcher von Platin. Taucht
man aber gleichzeitig einen Zink- und einen Platinstab in die verdünnte
Schwefelsaure, und bringt die herausragenden Enden entweder unmittel-
bar oder mit Hilfe eines metallischen Drahtes in Beilihrung, so löst sich
das Zink auf und der aus der Schwefelsäure verdrängte Wasserstoff er-
scheint am Platin. Gleichzeitig hat der verbindende Draht besondere
Eigenschaften angenommen: hält man ihn einer Magnetnadel paraUel, so
wird diese aus ihrer Lage abgelenkt; trennt man ihn an einer Stelle
und setzt die Enden auf ein mit einer Salzlösung befeuchtetes Lackmus-
papier, so entsteht an der Zinkseite ein blauer, an der Platinseite ein
roter Fleck; endlich erwärmt sich der Draht Alle diese Erscheinungen
hören auf, sowie man eines der Metalle aus der Flüssigkeit entfernt.
Diese Erscheinungen zeigen, dass bei der beschriebenen Anordnung
der chemische Vorgang zwischen Zink und Schwefelsäure Wirkungen an
Orten (nämlich im Draht) hervorbringt, wo er nicht stattfindet. Es muss
daher die chemische Energie, welche an der Stelle, wo die Schwefelsäure
das Zink angreift, hervorgebracht wird, in eine andere Energieform über-
gegangen sein, welche fähig ist, sich durch Metalle oder Flüssigkeiten
fortzubewegen, und welche mechanische, chemische und thermische
Wirkungen an beliebigen Orten ihrer Bahn leisten kann.
Die einzige Veränderung, welche man hierbei in den Eigenschaften
der beteiligten Stoffe wahrnehmen kann, ist die, dass die Metalle elek-
trisch geworden sind, und zwar zeigt das Zink sich negativ, das Platin
positiv elektrisch geladen. Verbindet man beide Metalle durch einen
Leiter, so verschwinden diese Unterschiede nicht, denn nach Entfer-
nung des Leiters findet man die Metalle wieder geladen. Anderei*seit3
wissen wir, dass elektrische Ladungen in metallischen Leitern sich aus-
gleichen. Es bleibt also nur der Schluss übrig, dass zwar die Aus-
gleichung der Elektrizität durch den verbindenden Leiter beständig be-
wirkt wird, dass aber ebenso beständig sich die elektrischen Ladungen
in den Metallen wieder herstellen. Durch diesen Vorgang entsteht in
dem Gebilde das, was man einen elektrischen Strom nennt.
Dieser elektrische Strom ist zeitlich wie ursächlich mit dem che-
mischen Vorgang am Zink verbunden. Zeitlich insofern, als er aufhört,
wenn der chemische Vorgang am Zink auf irgend ein Weise verhindert
wird; ursächlich insofern, als er Arbeit leisten kann und somit einen
Energieinhalt besitzt. Die einzige verfagbare Energiequelle aber ist hier
376 IX. Elektrochemie.
der chemische Vorgang. Man kann also sagen, dass bei der beschrie-
benen Anordnung die chemische Energie sich in elektrische Energie
verwandelt.
Diese Vei'wandlung muss zunächst dem Äquivalenzgesetz unter-
worfen sein. Während bei der Auflösung des Zinks in Schwefelsäure,
wie sie gewöhnlich vorgenommen wird, alle chemische Energie sich in
Wärme verwandelt, muss hier um so weniger Wärme an der Angriffs-
stelle erscheinen, je mehr elektrische Energie in den Verbindungsdrabt
übergeht. Lässt man letztere sich gleichfalls in Wärme verwandeln, so
muss die Summe aller erzeugten Wärmemengen konstant und gleich der
Auflösungswärme des Zinks sein.
Diese Folgerungen des Energieprinzipes sind von Joule und na-
mentlich von Favre (1854) eingehend geprüft und bestätigt worden.
Man kann einer aus Zink, Schwefelsäure und Platin bestehenden An-
ordnung, die man eine Voltasche Kette zu nennen pflegt, mehr
als die Hälfte der Lösungswärme des Zinkes in Form von elektrischer
Energie entziehen; verwandelt man aber diese (indem man den Strom
durch lange dünne Drähte leitet) in Wärme, so erscheint genau die ent-
zogene Wärmemenge wieder.
Man kann die elektrische Energie, die man aus der chemischen
erhält, ihrerseits in mechanische Arbeit umwandeln, indem man sich der
elektromagnetischen Kräfte bedient. Dann wird die gesamte Wärmeent-
wickelung kleiner sein, und zwar um so viel, als der Wärmewert der
mechanischen Arbeit beträgt Diese Folgerung des Energiesatzes ist
gleichfalls durch Favre bestätigt worden.
Endlich kann man die erhaltene elektrische Energie zu chemischen
Arbeiten verwenden. Leitet man den Strom mehrerer solcher galvani-
scher Elemente in zwei Platinplatten, welche in verdünnter Schwefel-
säure stehen, so wird an ihnen Sauerstoff und Wasserstoff frei. Die
gesamte Wärmeentwickelung ist wieder geringer als vorher, und zwar
um genau so viel, als die Verbindungswärme des frei gewordenen Knall-
gases beträgt. Auch hier ist das Energiegesetz wie immer streng erftUlt.
Wie die anderen Energieformen erscheint auch . die elektrische
Energie als Piodukt zweier Faktoren, von denen man den einen
Elektrizitätsmenge, den anderen Potential, Spannung oder elek-
tromotorische Kraft nennt. Der erste Faktor ist eine Kapazität,
der zweite eine Intensität; es wird somit die elektrische Energie in
einem GebUde, in welchem sie sich frei bewegen kann, einen dauernden
Zustand nur behaupten können, wenn überall die zweite Grösse gleich
ist. Ist letzteres nicht der Fall, so erfolgt eine Zustandsänderung, aus
welcher man Arbeit gewinnen kann, ähnlich wie man aus entsprechen-
den Zustandsänderungen der Wärme oder anderer En^gieformen Arbeit
gewinnen kann.
Den anderen Faktor, die Elektrizitätsmenge, pflegt man meist als das
eigentlich Reale, was den elektrischen Erscheinungen zu Grunde liegt, anzu-
Allgemeines. 377
sehen, und die ganze Nomenklatur der Elektrizitätslehre ist dieser Vor-
stellung entsprechend gebildet. So zweckmässig für manche Dinge sich diese
Anschauungsweise gezeigt hat, so muss doch beachtet werden, dass das eigent-
lich Reale der elektrischen Erscheinungen die elektrische Energie ist, und
dass der erwähnten Anschauungs- und Bezeichnungsweise nur der Wert eines
für manche Fälle anschaulichen und zweckmässigen Bildes zukommt.
Eine elektrische Energie ist das Produkt einer Elektrizitätsmenge
und einer Spannung^). Nennt man die Elektrizitätsmenge, welche in
einem galvanischen Strome während einer Sekunde durch den Quer-
schnitt des Leiters geht, die Stärke i des Stromes, und die Spannung
zwischen zwei Stellen des Leiters E, so ist die dieser elektrischen Be-
wegung entsprechende Energie nach der Definition gleich Ei. Wenn
der St*om in dem betrachteten Leiterstück keinerlei äussere Arbeit
leistet, so geht seine Energie völlig in Wärme über; bezeichnen wir
diese mit W, so haben wir
W = Ei.
Die Art und Weise, wie sich die elektrische Energie in Wärme um-
setzt, pflegt man sich ebenso vorzustellen, wie sich die mechanische
Arbeit einer strömenden Flüssigkeit in Wärme umsetzt: durch eine Art
Reibung, welche sich der Elektrizitätsbewegung entgegenstellt, und deren
Überwindung die Umwandlung von anderer Energie in Wärme bedingt.
Die Spannung der Elektrizität entspricht dann dem Drucke, unter
welchem die Flüssigkeit sich bewegt. Diesen Voretellungen entsprechend
definiert man den Widerstand R eines Leiters als das Verhältnis
zwischen der Spannung E und der vermöge derselben in der Zeiteinheit
durch den Leiter gedrückten Elektrizitätsmenge, oder der Stromstärke i.
Wir haben somit
E , E
R = -7^ oder i = --•
1 R
Dies ist das berühmte Gesetz von Ohm, dass die Intensität oder
Stromstärke gleich dem Verhältnis zwischen Spannung und Widerstand
ist Die Erfahrung hat es in weitestem Umfange bestätigt, und es ist
als ein allgemeingültiges Naturgesetz anzusehen, welches unabhängig von
der erwähnten Vorstellung über die Natur des elektrischen Widerstandes
seine Geltung hat.
Ersetzt man in der oben gefiindenen Gleichung W = Ei die Spannung
E durch den gleichbedeutenden Wert E = iR, so folgt
W = i«R.
Die Wärmemenge, welche beim Durchgang der Elektrizität durch
einen Leiter entwickelt wird, ist bei gleichem Widerstände proportional
^) Dieser kurze Ausdruck soll fortlaufend für die längeren „Potential -
diflferenz" oder „elektromotorische Kraft" gebraucht werden.
378 I^' Elektrochemie.
dem Quadrat der Stromstärke (der in einer Sekunde durchgehenden
Elektrizitätsmenge); und bei gleicher Stromstärke proportional dem Wider-
stände. Der Satz ist von Joule (1841) experimentell aufgeftmden und
vielfach bestätigt worden.
Für die oben definierten Grössen hat man Einheiten eingeführt,
welche in hier nicht darzulegender Weise aus den elektrostatischen,
resp. elektromagnetischen Vorgängen abgeleitet sind. Als Einheit des
Widerstandes dient der Widerstand eines Quecksilberfadens von 106*23 cm
Länge und 1 qmm Querschnitt bei 0®; dieser Widerstand wird ein
Ohm genannt. Die Einheit der Spannung ist so bestimmt, dass die
Spannung einer Yoltaschen Kette aus Cadmium und Quecksilber mit
den gesättigten Lösungen ihrer Sulfate 1*0186 beträgt; sie wird Volt
E
genannt Durch diese beiden Einheiten ist gemäss der Formel I = v;
die Einheit der Elektrizitätsmenge bestimmt: es ist diejenige Elektri-
zitätsmenge, welche in einer Sekunde durch den Querschnitt eines Leiters
fliesst, zwischen dessen Enden die Spannung von einem Volt herrscht,
und dessen Widerstand gleich einem Ohm ist. Man nennt sie ein
Coulomb und die entsprechende Stromstärke ein Ampere.
Diese Grössen sind so gewählt, dass die elektrische Energie
Volt X Coulomb gleich 10' absoluten Einheiten ist Sie ist bereits
früher (S. 88) als allgemeine praktische Einheit der Energie unter dem
Namen Joule eingeführt worden. Auf Grund der dort mitgeteilten
Zahlen ergiebt sich daher als anschaulicher Wert des Joule, dass ein
Strom, welcher mit einer Spannung von 1 Volt während einer Sekunde
durch einen Widerstand von 1 Ohm geht, wobei 1 Coulomb in Be-
wegung gesetzt ist, so viel Wärme entwickelt, um 1 g Wasser von 0®
auf 0-239^ zu erwärmen.
Zweites Kapitel.
Das Gesetz von Faraday.
Die Elektrizitätsbewegung erfolgt in den Körpern, welche eine solche
überhaupt gestatten, nach zwei verschiedenen Weisen. Die Leiter
erster Klasse erfahren, wenn eine Ausgleichung elektrischer Energie
durch sie hindurch erfolgt, nur eine Erwärmung nach dem Gesetz von
Joule (S. 377) und sonst keinerlei materielle Veränderung. Zu dieser
Klasse gehören die Metalle und ihre Legierungen, die Kohle und einige
andere Stoffe.
Die Leiter zweiter Klasse vermögen eine Elektrizitätsbewegung
nur auf die Weise zu vermitteln, dass gleichzeitig eine chemische Ver-
änderung in ihnen vorgeht Zu ihnen gehören vor allen Dingen die
Salze in gelöstem und geschmolzenem Zustande, femer die wässerigen
Lösungen von Säuren und Basen, lauter zusammengesetzte Stoffe.
Das Gesetz von Faraday. 379
In solchen Leitern zweiter KUuase oder Elektrolyten erfolgt die
Bewegung der Elektrizität so, dass von der positiven Seite des Strom-
ki-eises nach der negativen die Metalle und metallähnlichen Radikale der
Salze und Basen^ sowie der Wasserstoff der Säuren wandert; in ent-
gegengesetzter J^ehtung wandern die Säureradikale oder die entsprechen-
den Elemente, wie Chlor, Brom, Jod, sowie das Hydroxyl der basischen
Körper. Wo die Elektrolyte an andere Leiter grenzen, werden diese Be-
standteile oder Ionen entladen, und die Stoffe abgeschieden.
Von Faraday (1833) ist das allgemeine Gesetz entdeckt worden,
dass gleiche Elektrizitätsmengen, wenn sie durch verschiedene Elektrolyte
gehen, äquivalente Mengen ihrer Bestandteile für den Transport in An-
spruch nehmen. Schaltet man in einen und denselben Stromkreis (in
welchem sich nach den Gesetzen der Elektrizitätslehre in gleichen Zeiten
gleiche Elektrizitätsmengen durdi jeden Querschnitt bewegen) verschiedene
Elektrolyte ein, so stehen sowohl die Mengen der ausgeschiedenen Metalle
und des Wasserstoffs, wie auch die Mengen der ausgeschiedenen Säure-
radikale in äquivalenten Verhältnissen.
Das Äquivalent eines Elements ist, wie bekannt, ein Verbindungsgewicht,
dividiert durch seine Valenz. Hat man in demselben Stromkreise hinter-
einander beispielsweise Lösungen von Silbemitrat, Kupfersulfat und Anti-
monchlorid, so stehen die gleichzeitig ausgeschiedenen Metallmengen in dem
Verhältnis 108 Silber zu Vi 63-3 Kupfer zu Vsl^O Antimon. Von den Säure-
radikalen wird gleichzeitig NO*, VaSO* und Vs^l' abgeschieden.
Die elektrolytischen Teilmolekeln oder Ionen verhalten sich so, als
hätte jedes von ihnen einen gleich grossen Behälter oder Fassungsraum
i^ die Elektrizität, so dass durch eine gleiche Zahl derselben^ unabhängig
von ihrer Natur, gleich viel Elektrizität befordert wird.
Es giebt bekanntlich einzelne Stoffe, namentlich Metalle, welche mit
verschiedener Valenz wirken können, so Quecksilber oder Kupfer ein-
und zweiwertig, Zinn zwei- und vierwertig. Eisen zwei- und dreiwertig.
Je nachdem die einen oder die anderen Verbindungen dieser Metalle zur
Stromleitung verwendet werden, befördert jedes Atom so vielmal die
€inem einwertigen Atom entsprechende Elektrizitätsmenge, als das MetaU
in der vorhegenden Verbindung Valenzen bethätigt.
Nimmt man die mit 1 g Wasserstoff wandernde Elektrizitätsmenge
als Einheit an, so führen 63-3 g Kupfer in den Cuproverbindungen eine
Einheit, in den Cupriverbindungen deren zwei mit sich. Ebenso führen
56 g Eisen in den Ferroverbindungen zwei, in den Ferriverbindungen
drei Einheiten. Die Atomgruppe Fe(CN)Q transportiert als Bestandteil
des gelben Blutlaugensalzes vier, als Bestandteil des roten nur drei Ein-
heiten (negativer) Elektrizität u. s. w. Entsprechend dieser Beschaffenheit
werden wir fortlaufend ein-, zwei-, dreiwertige Ionen u. s. w. unter-
scheiden. Wasserstoff und Metalle, mit welchen die positive Elektrizität
wandert, nennt man positive Ionen oder Kationen; Hydroxyl, Halogene
380 IX. Elektrochemie.
und andere Säureradikale, mit weichen die negative Elektrizität sich be-
wegty heiflsen negative Ionen oder Anionen.
Man muss sich, wenn man das Faradaysche Gesetz verstehen will, vor
dem Irrtum hüten, als sei die Ausscheidung der Teilmolekeln an den
Elektroden, d. h. den Stellen, wo die Elektrizität die elektrolytische
Flüssigkeit verlässt, um in metallische Leiter überzugehen, der einzige
Inhalt des Gesetzes. Das ist nicht der Fall ; das Gesetz bezieht sich vielmehr
auf jede Elektrizitätsbewegung irgend welcher Art im Leiter zweiter Klasse.
Wohl aber sind die Ausscheidungen der Ionen an den Elektroden das
einzige Mittel, um die Genauigkeit des Faradayschen Gesetzes zu prüfen.
Soweit diese Prüfung bis jetzt geführt worden ist, hat sich das Gesetz als
streng erwiesen: es ist stets die Elektrizitätsmenge genau proportional der
Menge der ausgeschiedenen Ionen, und letztere stehen für gleiche Elektrizi-
tätsmengen genau im Äquivalentverhältnis. Insbesondere ist für die von ver-
schiedenen Forschern als möglich angesehene „metallische^^ d. h. von der
lonenbewegung unabhängige Elektrizitätsleitung nicht das kleinste Anzeichen
gefunden worden.
Da das Faradaysche Gesetz für alle Elektrizitätsbewegungen in
Elektrolyten gilt, so muss auch die Elektrizitätsentwickelung in der
Voltaschen Kette (S. 375) dadurch bestimmt sein. Wenn in der Zu-
sammenstellung Zink, verdünnte Schwefelsäure, Platin die Ionen der
Schwefelsäure so wandern, dass die Atomgruppe SO* zum Zink gehi^
und mit demselben Zinksulfat bildet, während H^ zum Platin geht und
dort in Wasserstoff übergeht, so müssen bei der Auflösung von 654 g
Zink, oder dem Zerfall von 98 g Schwefelsäure genau zwei der oben
definierten Einheiten der Elektrizitätsmenge in Bewegung gesetzt werden*
Man kann allgemein sagen: jedes galvanische Element bethätigt beim
Verbrauch von einem Äquivalentgewicht des Metalls unabhängig von der
Natur desselben und von der Beschaffenheit des chemischen Vorganges
dieselbe Elektrizitätsmenge.
Es ist für viele Aufgaben von Interesse, die mehrfach erwähnte
Elektrizitätsmenge zu kennen, welche an 1 g Wasserstoff oder der äqui-
valenten Menge eines anderen Ions haftet. Nach den Versuchen von
F. Kohlrausch und Lord Rayleigh beträgt diese Elektrizitätsmenge
96540 Coulombs. Umgekehrt bedarf ein Coulomb zu seiner Wande-
rung in einem Elektrolyten 0-000001036 Gramm-Äquivalent eines be-
liebigen Ions.
Die eben erwähnte Folgerung aus dem Gesetze von Faraday, dass jede*
galvanische Element beim Verbrauch eines Gramm-Äquivalents seiner wirksamen
Stoffe die konstante Elektrizitätsmenge von 96540 Coul. in Bewegung setzt,
ist von Renault (1867) in weitem Umfange bestätigt worden. Insbesondere
haben sich dabei zahlreiche Beispiele dafür ergeben, dass je nach der Natur
der Verbindungen ein Metall verschiedene, in rationalen Verhältnissen stehende
elektrochemische Äquivalente haben kann. So werden 96540 Coul. bewegt
durch 200 g Quecksilber, wenn sich dasselbe in verdünnter Salpetersäure zu
Die elektrolytische Leitung. 381
Merkuronitrat löst, dagegen schon durch 100 g desselben Metalls, wenn es
von Cyankaliumlösung zu Cyanid, Hg(CN)*, gelöst wird. In verdünnter Salz-
säure ist das elektrochemische Äquivalent des Kupfers 63*3, indem dasselbe
in Chlorür übergeht, in verdünnter Salpetersäure ist es 31-7, wobei sich
Cuprinitrat bildet. Zinn wirkt meist mit dem Äquivalent Vs^l^f i^ Kalium -
pentasulfid aber, wo es sich als SnS* löst, ist sein Äquivalent nur V^HÖ.
Tellur hat in Salzsäure das Äquivalent Vs^^^» ^^ Kalilauge Va^^^ ^< ^* ^*
Man hat irüher das Faradaysdie Gesetz in dieser und der früher
erwähnten, auf Elektrolyse bezüglichen Form dahin missverstanden, als
bedinge die gleiche Elektrizitätsmenge bei den verschiedenen äquivalenten
Stoffen den gleichen Aufwand, resp. Gewinn an Arbeit; insbesondere
hat Berzelius von diesem Missverständnis aus das Gesetz heftig bekämpft.
Aus der eingehaltenen Darstellung geht hervor, dass es sich hier gar
nicht um Arbeits- oder Energieverhältnisse handelt. Das Faradaysche
Gesetz bezieht sich nur auf den einen Faktor der elektrischen Energie,
die Elektrizitätsmenge; der andere Faktor derselben, die Spannung,
bleibt völlig ausser Betracht
Drittes Kapitel.
Die elektrolytische Leitnng.
Es ist schon früher hervorgehoben worden, dass bei weitem nicht
alle zusammengesetzten Stoffe die Fähigkeit haben, die Elektrizität
elektrolytisch, d. h. vermittelst wägbarer Massenteilchen zu leiten. Die-
selbe kommt hauptsächhch den wässerigen Lösungen von Salzen, Säuren
und Basen, sowie denselben Stoffen im geschmolzenen Zustande zu; sie
zeigt sich nur an solchen Stoffen, welche fähig sind, ihre Bestandteile
augenblicklich auszutauschen.
Überlegt man, dass nach dem Faradayschen Gesetz bei der elektro-
lytischen Leitung wägbare Stoffe mit positiver Elektrizität in einer, solche
mit negativer Elektrizität in der anderen Richtung sich bewegen müssen,
so sieht man, dass die Fähigkeit der Leitung eines Stoffes von seiner
Mhigkeit, derartige Vehikel der Elektrizität zu bilden, abhängig ist.
Nun ist die elektrische Energie eine Energieform von binärer, und zwar
polarer Beschaffenheit, d. h. es können nie positive oder negative
Elektrizitätsmengen allein entstehen, sondern immer nur beide gleichzeitig
und in solchen Mengen, dass ihre algebraische Summe gleich Null ist.
Wenn also ein Stoff fähig sein soll, eine elektrolytische Leitung zu be-
wirken, so muss er sich in äquivalente Anteile spalten, welche gleich
grosse Summen positiver Elektrizitätsmengen einerseits, negativer anderer-
seits überfahren können. Diese Anteile nennt man die Ionen des ur-
sprünglichen, unelektrischen und nichtleitenden Stoffes, und zwar Kationen
382 IX. Elektrochemie.
die, welche im Sinne der positiven, und Anionen die, welche im Sinne
des negativen Stromes wandern.
Man hat daher früher der Elektrizität die Fähigkeit zugeschrieben,
beim Eintritt in den Elektrolyten diese Spaltung zu bewerkstelligen und
sich dann der Bruchstücke zu ihrer Wanderung zu bedienen. Gegen
diese Vorstellung sprechen indessen verschiedene Thatsachen. Zu einer
derartigen Spaltung müsste offenbar eine bestimmte Arbeit erforderlich
sein. Nun bewegt sich aber die Elektrizität erfahrungsgemäss in elektro-
lytischen Leitern mit derselben Freiheit, wie in metallischen, fiir eine
solche Arbeit bleibt also kein Raum. Clausius hat deshalb (1857) in
unbewusster Übereinstimmung mit einer von Williamson (1851) zu ganz
anderen Zwecken entwickelten Anschauung angenommen, dass die elektro-
lytischen Stoffe zu einem kleinen Teil von vornherein in ihre Bestand-
teile zerfallen sind; dieser von selbst zerfallenen Anteile bediene sich die
Elektrizität zur Bewegung, die somit die Zerlegung nicht erst zu bewerk-
stelligen hat.
Es fragt sich nun alsbald, wie gross der Anteil des zerfallenen
Stoffes in einem bestimmten Elektrolyt, z. B. einer normalen Lösung
von Chlorkahum (74'5 g im Liter) sei. Clausius hatte die Frage unbe-
antwortet gelassen und nur im allgemeinen gemeint, der Anteil brauche
nicht gross zu sein. Auf Grund einer Untersuchung über den Einfluss
der Verdtlnnung auf die elektrolytische Leittähigkeit gelangte Arrhenius
(1887) zu der gegenteiligen Ansicht, dass in den gewöhnlichen verdünnten
Lösungen dieser Anteil recht erheblich ist. Da dieser Schluss auf der
Kenntnis des allgemeinen Verhaltens der elektrolytischen Leitfähigkeit
beruht, soll dieses zunächst in seinen Grundzügen geschildert werden.
Schaltet man einen Leiter irgend welcher Art in einen Stromkreis,
so kommt ihm nach dem Ohmschen Gesetz ein von der Stromstärke
unabhängiger Widerstand zu, welcher von seiner chemischen Beschaffen-
heit, seiner Temperatur und seiner Form abhängt. Der letztere Einfluss
folgt dem Gesetz, dass der Widerstand proportional der Länge und umge-
kehrt proportional dem Querschnitt des Leiters ist. Man macht sich
von ihm unabhängig, wenn man den Widerstand auf einen cylindrischen
oder prismatischen Körper von 1 qcm Querschnitt und 1 cm Länge (z. B.
einen Würfel von 1 cm Kantenlänge) bezieht, und nennt den so er-
haltenen Widerstand in Ohm den spezifischen Widerstand des
fraglichen Stoffes bei der vorhandenen Temperatur.
Bei elektrolytischen Leitern, z. B. Salzlösungen, zeigt sich der
Widerstand annähernd im umgekehrten Verhältnis zum Salzgehalt ver-
änderlich; dass eine solche Lösung leitet, ist also wesentlich vom vor-
handenen Salz abhängig. Es ist deshalb angemessener, an Stelle des
Widerstandes W seinen reziproken Wert, die Leitfähigkeit L=l/W
einzuführen, welche mit dem Salzgehalt gleichzeitig ab- und zunimmt
Diese Leitfähigkeit ist nun noch mit dem Salzgehalt veränderlich.
Die elektrolytische Leitung. 3g 3
Da nnn nach dem Faradayschen Gesetz gleiche Elektrizitätsmengen durch
chemisch äquivalente Mengen flbergeftihrt werden, so wird es zweckmässig
sein, die Leitfähigkeit auf elektrisch oder chemisdi äquivalente Mengen
der in der Lösung vorhandenen Salze zu beziehen. Man gelangt zu
einer entsprechenden Definition auf folgende Weise.
Wir denken uns ein Gefafls aus zwei parallelen Elektrodenflächen
von 1 cm Abstand und beliebiger Ausdehnung nebst den erforderlichen
nichtleitenden Wänden gebildet. In ein solches Gefäss denken wir uns
so viel von der elektrolytischen Flüssigkeit gebracht, dass ein Gramm-
Äquivalent des Elektrolyts darin entlialten ist. Dieses Gebilde wird einen
bestimmten Widerstand in Ohm und eine entsprechende Leitlähigkeit be-
sitzen; vnr nennen diese die äquivalente Leitfähigkeit.
Femer können wir uns statt eines Gramm-Äquivalents ein Mol de»
Elektrolyts in dem Gefass enthalten denken; dann wird seine Leitf^g-
keit die molekulare Leitfähigkeit sein. Letztere ist bei einwertigen
Elektrolyten der äquivalenten gleich; bei mehrwertigen ist sie ein ganzes
Vielfaches der ersteren.
Die äquivalente und molekulare Leitfähigkeit eines gegebenen Elektrolyts
hängt zunächst von der Temperatur ab, bei welcher die Bestimmung ge-
macht wird, und zwar steigt sie fast ausnahmelos mit steigender Tempera-
tur, meist für jeden Grad um etwa zwei Pi'ozent ihres Wertes. Femer
hängt sie von der Verdünnung ab, und wächst gleichfalls fast ausnahme-
los mit steigender Verdünnung. Diese Zunahme ist sehr bedeutend bei
schlechten Leitern, gering bei guten Leitem, und nähert sich mit steigender
Verdünnung überall einem Grenzwert, der bei guten Leitem praktisch
erreicht werden kann, während bei schlechten Leitem, wie Essigsäure
oder Ammoniak, auch bei den äusdersten Verdünnungen, die der Messung
noch zugänglich sind, die molekulare Leitfähigkeit vom Grenzwert noch
weit entfemt ist.
Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit der Elektrolyte ist lange
Zeit hindurch eine schwierige Operation gewesen; ein gleichzeitig bequeme*
und genaues Verfahren ist erst von F. Kohlrausch (1880) angegeben worden.
Weil nämlich solche Messungen an Elektrolyten praktisch fast unausweichlich
an die Benutzung von Elektroden gebunden sind, letztere aber, sowie man
den Strom aus ihnen in die elektrolytische Flüssigkeit treten lässt, durch die
„Polarisation" der Sitz unbekannter elektromotorischer Kräfte werden (s. w. u.)^
so lassen sich die gewöhnlich bei Leitem erster Klasse benutzten Methoden
hier nicht anwenden. Erst dadurch, dass er die gewöhnlichen Ströme durch
Wechselströme, d. h. solche, die unaufhörlich ihre Richtung wechseln, ersetzte,,
gelangte F. Kohlrausch dazu, den Einfluss der Polarisation unschädlich zu
machen, und eine sichere Messung zu ermöglichen.
Der Apparat von Kohlrausch ist nach dem System der Wheatstoneschen
Brücke zusammengestellt und nachstehend schematisch vorgeführt. Die
Wechselströme eines kleinen Induktionsapparates J werden an die Enden &
384
IX. Elektrochemie.
und b eines Drahtes*) von 1 Meter Länge, welcher über eine in Millimeter
geteilte Skala ausgespannt ist, geleitet. Dort durchlaufen sie einerseits den
Draht adb, andererseits einen Widerstandskasten R und den zu messenden
Flüssigkeitswiderstand W auf dem Wege aRcWb. Von c aus geht ein Ver-
bindungsdraht nach ad hinüber, welcher vermittelst einer Schlittenvorrichtung
unter metallischer Berührung den Platindraht ab entlang geführt werden
kann; in diese Leitung ist ein Telephon T eingeschaltet.
Bekanntlich geht bei einer derartigen Anordnung durch die „Brücke"
cd kein Strom, wenn sich die Widerstände R:W verhalten wie ad:db.
Dass dieses der Fall ist, erkennt man an dem Schweigen des Telephons T.
Man findet demnach die gesuchte Stellung, indem man den Eontakt d
so lange an dem Drahte ab
hin- oder herführt, bis man
die Stelle, wo das Telephon
schweigt, gefunden hat. Da
R:W«=ad:db, so ist der
gesuchte Widerstand W = R
b — j-, oder die gesuchte Leit-
a Q
föhigkeit ^ - L - ^ .
Um aus der so gefun-
denen Leitfähigkeit der in
W eingeschalteten Flüssig-
keitsmenge die äquivalente, bez. molekulare Leitfähigkeit zu berechnen,
muss man sie noch mit der „Kapazität" des Gefässes, sowie mit der Ver-
dünnung, der Zahl der Liter, in welcher ein Gramm -Äquivalent, bez. ein
Mol des Elektrolyts enthalten ist, multiplizieren. Erstere findet man, wenn man
eine elektrolytische Flüssigkeit von bekannter Leitfähigkeit und Zusammen-
setzung in das Gefäss giebt und eine Messung macht. Ist M die molekulare
Leitfähigkeit der betreffenden Flüssigkeit und V ihre Verdünnung, so ergiebt
sich der Faktor K, welcher die in dem Gefäss gemessene Leitfähigkeit in die
molekulare verwandelt, aus der Gleichung
M«K.-,
V.ad
oder K
M.R.db
R.db V.ad
Misst man nunmehr eine andere Flüssigkeit von der Verdünnung v, so ist
ihre molekulare Leitfähigkeit ^
''^^ RTdF-
Die Gefässe, in welchen die Leitfähigkeiten gemessen werden, haben je nach
dessen Grösse verschiedene Formen, die durch den Umstand bestimmt werden,
dass Widerstände unter 10 und über 10000 Ohm mittelst des Apparates nicht
gut zu messen sind. Bei Flüssigkeiten, welche gut leiten, hat man daher
*) Der Draht kann aus Platin, aber auch aus Konstantan oder einem
ähnlichen Widerstandsmetall bestehen und muss einen möglichst grossen
Widerstand haben.
Die elektrolydgdie I/eitUDg.
385
Gef&sse zq wählen, in welchen die Elektroden ziemlich entfernt, nnd die
FlÜBsigkeitBBchicht zwischen denselben von geringem Queradmltt igt; bei
schlechtleitenden riüasigkeiteninusB das umgekehrte der Fall sein. Die unten-
stehenden Zeichnungen Fig. 48 u. 49 geben zwei Formen, mit denen man tast
immer ansreicht. Die Elektroden sind aus Platin, und müssen mit Flatjn-
schwarz überzogen werden, indem man zwischen denselben eine sehr ver-
dännte, etwas bleihaltige Platinchloridlösung unter zeitweiligem Stromwechsel
elektroljsiert, bis die Oberfläche sammetschwarz geworden ist').
Die aof äqnivalente (nicht molekulare) Mengen bezogene Leit-
föhi^eit der neutralen Salze iet von einigermassen gleicher Gröesen-
ordnong und achwankt in dem oben (S. 382) deSnierten Mass etwa
zwischen 50 und 120. Sie nimmt mit steigender YerdDnnuog langsam
zu und erreidit meist einen Maximalwert, der nicht weiter UberBchiitten
wird, bei Verdünnung von etwa 2000 L Die nachstehende Tabelle,
Fig. 48.
Fig. 49.
deren Werte
7on Kohlrausch beobachtet worden sind
lässt dies erkennen;
m gäi fflr 18".
Verdünnung
KCl
Ha Gl
LiCl V.BaCI,
/.K.S0^
V.MgSO«
11
98-2
74-4
63-2 70-3
71-8
28-9
101
111-9
92-5
82-9 92-2
95-9
50-1
1001
122-5
102-8
93-6 107-7
1174
76-6
10001
127-6
107-8
98-5 116-9
129-0
100-2
20001
128-3
108-5
99-3 118-3
130-8
104-8
50001
129-1
109-2
100-2 119-8
132-7
108-7
100001
129-5
109-7
100-7 120-5
1335
110-4
Die TabeUe ISsst
gleichfalls
eine andere Rege
mäsaigkdt erkennen
We Znnahme
welche die Leitfähigkeit bei steigender
Verdünn
ung eriährt,
•) Die Zusammensetzung e
Chlorid, 0-008 Bleiacetat (Lumm
eame Flatinierung, dass man m:
«Id , Gnmdriu
ler geeigneten Lösung ist 30 Wasser, 1 Platin-
■r und Kurlbaum); sie ergieht eine so wirk-
Elpktroden Ton 1 cm' Querschnitt ausreicht
386 IX. Elektrochemie.
ist verschieden, je nach der Natur der Salze. Am wenigsten ändert sich
die Leitfähigheit der SaJze mit zwei einwertigen Ionen, stärker die mit
einem zweiwertigen Ion und zwei einwertigen, und am stärksten die des
Magnesiumsulfats, welches zwei zweiwertige Ionen besitzt. Diese Regel
hat sich als sehr allgemein erwiesen.
Die allgemeinste Gesetzmässigkeit aber, welcher die Leitfähigkeit
der neutralen Salze unterworfen ist, lässt sich an der vorstehenden kleinen
Tabelle nicht erkennen. Sie ist von F. Eohlrausch (1876) entdeckt
worden und lässt sich am kürzesten in folgender Weise ausdrücken:
die Leitfähigkeiten der verdünnten Lösung neutraler Salze
setzen sich additiv aus zwei Werten zusammen, von denen
einer nur von dem Metall oder Kation, der andere nur von
der Säure oder dem Anion abhängt.
Die Form dieses Gesetzes stimmt vollkommen mit der überein,
welche man dem Gesetze der Therm oneutralität, sowie dem für die
Volumverhältnisse und die meisten anderen Eigenschaften der Salz-
lösungen geben kann, und führt auf denselben Grund zurück: die Un-
abhängigkeit der Leitfähigkeit der beiden Ionen des Salzes voneinander,
welche in dem Gesetz ausgesprochen ist, beweist die entsprechende Un-
abhängigkeit der Ionen selbst voneinander.
Versuchen wir, uns hieraus ein Bild von den Verhältnissen der
elekti'oly tischen Leitung zu machen, so gelangen wir zu folgender An-
schauung. Durch die elekti-isclie Triebkraft, welche infolge des im
Strome herrschenden Spannungsgefälles auf die positiven Ionen in der
Richtung des positiven Stromes, auf die negativen in entgegengesetzter
Richtung wirkt, werden beide in Bewegung gesetzt und transportieren
die Elektrizitätsmengen in den entsprechenden Richtungen. Die Leitfähig-
keit, oder die infolge der Einheit der Spannung in der Zeiteinheit trans-
portierte Elektrizitätsmenge hängt nun offenbar von der Menge der
transportierenden Ionen, sowie von deren Geschwindigkeit ab. Dabei ist
zu beachten, dass zufolge des Fai*adayschen Gesetzes jedes lonenäquivalent,
unabhängig von seiner Zusammensetzung, die gleiche Elektrizitätsmenge
befördert; bezieht man die Rechnung auf den Fall äquivalenter Mengen
der verschiedenen Elektrolyte, welche somit gleiche Elektrizitätsmengen
transportieren, so erweist sich die äquivalente Leitfähigkeit
unmittelbar als ein Mass für die Wanderungsgeschwindigkeit
der Ionen.
Allerdings ist dabei die Voraussetzung gemacht, dass der gesamte
in der Lösung enthaltene Elektrolyt sich an der elektrischen Leitung be-
teiligt. Diese Voraussetzung ist im allgemeinen nicht erfüllt; sehr verdünnte
Salzlösungen weichen aber so wenig davon ab, dass wir einstweilen hier-
von absehen können.
Aus der Verschiedenheit der elektrischen Leitfähigkeit der ver-
dünnten Salzlösungen geht zunächst hervor, dass die Wanderungsge-
schwindigkeit der Ionen verschieden sein muss. Daraus, dass die Leit-
Die elektrolytische Leitung.
387
fähigkeit des Chlorkaliums die des Chlomatriums (und ebenso die jeder
anderen Kaliumverbindung die jeder entsprechenden Natriumverbindung)
um 18 bis 19 Einheiten tibertriffl:, folgt weiter, dass Kalium um 18
bis 19 Einheiten schneller wandern muss, als Natrium. Ebenso kann
man die Unterschiede zwischen den Geschwindigkeiten anderer Ionen
bestimmen; die Geschwindigkeiten selbst aber lassen sich aus den Leit-
fähigkeiten nicht ableiten.
Hier tritt nun eine zuerst von Hittorf (1853) richtig verstandene
Erscheinung hilfreich ein. Wenn nämlich bei der Elektrolyse beide
Ionen (wie man früher stillschweigend angenommen hatte) gleich schnell
wandern, so muss der Vertust, welchen die Lösung durch die Elektrolyse
an beiden Elektroden erfährt, beiderseits gleich gross sein, und die Kon-
zentration beiderseits um gleich viel geringer werden. Dies findet nun
im allgemeinen nicht statt; die Konzentrationen ändern sich an beiden
a
o o o o o
I \ I
hO
o o o
o o o o o
o o o
o o o o o
o o o
o o o o o o o
I \ 1
u
y
Fig. 50.
Elektroden in ungleichem Masse, und daraus hat Hittorf geschlossen, dass
beide Ionen ungleich schnell wandern müssen.
Um sich die Wirkung der ungleichen Wanderungsgeschwindigkeit klar
zu machen, betrachte man das obenstehende Schema Fig. 50. Die schwarzen
und weissen Punkte stellen die Ionen dar. Bei der Elekti-olyse wandern
die schwarzen nach links, die weissen nach rechts, und zwar soUen die
ersten doppelt so schnell wandern, wie die zweiten. Die obere Reihe a
stellt den Zustand vor der Elektrolyse dar, die untere b nach der Ein-
wirkung des Stromes. Der senkrechte Süich xy teilt die ursprüngliche
Anordnung in zwei gleiche Anteile.
Am Anfange der Elektrolyse sind beiderseits je acht schwarze und
weisse Ionen. Am Schluss derselben, nachdem sechs Äquivalente zerlegt
sind, befinden sich links vier unzersetzte Äquivalente, rechts dagegen
sechs; die Konzentration ist also beiderseits nicht mehr die gleiche. Von
dem Salz sind links vier Äquivalente verschwunden, rechts zwei. Diese
beiden Verluste verhalten sich wie die Wanderungsge-
schwindigkeiten der fortgewanderten Ionen.
Bestimmt man also nach der Elektrolyse die Abnahme des SaJz-
25*
388 IX* Elektrochemie.
gehaltes an den entsprechenden Elektroden, so giebt das Verhältnis der
Verluste das Verhältnis der Wanderongsgeschwindi^eiten.
Auf Grund dieses Ergebnisses ist es nun leicht, die Anteile zu be-
rechnen, welche die einzelnen Ionen an der Leitfähigkeit haben. So
bleibt z. B. bei der Elektrolyse einer Lösung von Ghlorkalium die Kon-
zentration an beiden Elektroden fast völlig gleich; folglich wandern die
beiden Ionen K und Gl gleich schnell, und zwar jedes in den Einheiten
der Tabelle auf S. 385, wenn wir Lösungen von 10001 in Betracht
ziehen, jedes 63-8. Daraus folgt alsbald, dass die Wanderungsgeschwin-
digkeit des Natriums 440, die des Lithiums nm* 34-7 ist u. s. w.
Durch die Bestimmung eines einzigen ÜberftthrungsverhältnisseS;
z. B. des Ghlorkaliums, kann man sämtliche lonengeschwindigkdten be-
rechnen, wenn die Leitfähigkeiten bekannt sind. Kennt man aber diese,
so kann man alsbald wieder die Überführungsverhältnisse sämtlicher aus
diesen Ionen gebildeter Salze berechnen. Kohlrausch hat gezeigt, dass
die Ergebnisse einer derartigen Rechnung auf das beste mit den von
Hittorf unmittelbar gemessenen Überftthrungszahlen tibereinstimmen.
Ganz ähnlich den Neutralsalzen, welche bisher besprochen wurden,
verhalten sich die starken Säuren vom Typus des Ghlorwaisserstofis und
der Salpetersäure. Ihre Leitfähigkeiten sind viel grösser als die der
Neutralsalze. Da die Geschwindigkeiten der negativen Ionen bekannt
sind, so kann dies nur daher rühren, dass dem Wasserstoff eine sehr
grosse Geschwindigkeit zukommt. Es sollen zunächst wieder die äqui-
valenten Leitfähigkeiten nach Kohh^usch ftir eme Temperatur von 18^
mitgeteilt werden.
198 22 1-32
225 — 4-60
308 85 14-3
361 106 41
Bei einer Verdünnung von 1000 1, wo das Chlor eine Geschwindigkeit
von 63-8 hat, ergiebt sich für den Wasserstoff der Chlorwasserstoffsäure,
und somit für den Wasserstoff überhaupt 313-2; derselbe wandert also
fast fünfmal schneller, als das Chlor.
Es müssen deshalb bei der Elektrolyse der Säuren sehr starke
Konzentrationsänderungen an den Elektroden auftreten. Dieselben sind
gleichfalls von Hittorf gemessen worden, und Kohh-ausch hat gezeigt,
dass sie vollkommen der Theorie der unabhängigen Wanderung der
Ionen entsprechen.
Basische Stoffe ergaben endlich nach Kohlrauschs Messungen bei 18®:
Verdünnung KOH Na OH NH^OH
11 184 160 0-89
101 213 183 3-3
1001 228 200 9-6
1000 1 234 208 28-0
Verdünnung
HCl
HNO,
11
301
310
101
351
350
1001
370
368
1000 1
377
375
Die elektroljtische Leitung. 3g9
Ans der Wandenmgsgeschwindigkeit des Kaliums, weldie 64*7 beträgt,
folgt die des Hydroxyls OH gleich 169*3; dasselbe wandert also gleidi-
falls bedeutend schneller, als die anderen negativen Ionen, z. B. etwa
2-5 mal so sdmell, als das Chlor, welches sonst zu den schnellsten gehört
Während nun aber die starken Säuren und Basen sich dem Ge-
setz von Eohlrausch unterordnen, weichen die schwachen ausserordent-
lich stark davon ab. Weder die Phosphorsäure und Essigsäure, noch das
Ammoniak zeigen Zahlen, welche sich mit dem Gesetz in Einklang
bringen lassen, denn ihre Leitfähigkeit ist kleiner, als die Wanderungs-
geschwindigkeit des Wasserstofiis, bez. des Hydroxyis, so dass selbst die
Annahme, dass das andere Ion sich übeiiiaupt nidit bewegt, noch viel
grössere Zahlen giebt, als beobachtet worden sind.
Die Erklärung für diese Abweichungen ergiebt sich daraus, dass
bei den letzten Betrachtungen ein Faktor der Leitfähigkeit nicht berück-
sichtigt worden ist, welcher schon früher Erwähnung gefunden hat. Die
äquivalente Leitfähigkeit lässt sich nur dann als Summe der Wanderungs-
geschwindigkeiten der Ionen darstellen, wenn die Menge der die Elektri-
zität befördernden Ionen gleich, bez. äquivalent ist. Nun sind zwar
Lösungen miteinander verglichen, welche äquivalente Mengen der ver-
schiedenen Elektrolyte enthalten; es ist aber erst zu untersuchen, ob in
äquivalenten Mengen verschiedener Elektrolyte auch äquivalente
Mengen freier Ionen enthalten sind, denn nur diese beteiligen
sich an der Leitung.
Nun zeigen Bestimmungen der Gefrierpunkte der entsprechenden
Lösungen, dass Chlorwasserstoff und Kali eine Wirkung ausüben, die
fast doppelt so gross ist, als ihrem Molekulargewicht entspricht, sie sind
also fast völlig in ihre Ionen zerfallen. Essigsäure und Ammoniak er-
niedrigen aber den Gefrierpunkt nahezu wie indifferente Stoffe, ent-
sprechend ihrem Molekulargewicht; sie haben also nur sehr wenige freie
Ionen abgespalten. Phosphorsäure liegt zwischen beiden, aber näher zur
Essigsäure, als zur Salzsäure; sie ist also teilweise, aber bei weitem nicht
vollständig in Ionen zerfallen.
Somit ist das Gesetz von Eohfrausch nicht in der Form zu schrei-
ben jM = u + V, wo [i die molekulare Leitfähigkeit und u und v die
Wanderungsgeschwindigkeit bedeuten, sondern es ist zu schreiben
^ = x(u + v),
wo X den Bruchteil des Elektrolyts darstellt, welcher in seine Ionen
zerfallen ist. Erst bei unbegrenzt grosser Verdünnung wird der Zerfall
vollständig, und bei der entsprechenden Leitfähigkeit n^ wird, da als-
dann X = 1 wird,
Das Gesetz von Kohlrausch gilt also streng nur fUr unendlich grosse
Verdünnungen.
Nun ist aber bereits erwähnt worden, dass die Salze, insbeson-
390 IX. Elektrochemie.
dere die einwertigen, bereits bei praktisch erreichbaren Verdünnungs-
zuständen (von etwa 1000 1) so gut wie völlig zerfallen sind; eine
weitere Verdünnung ändert an ihrem Zustande nichts mehr. Das
Gleiche gilt für die starken Säuren und Basen. An ihnen kann man
also die Werte [i^ mit genügender Annäherung feststellen. Die Salze
schwacher Säuren mit starken Basen, und ebenso die Salze schwacher
Basen mit starken Säuren schliessen sich völlig denen aus starken Be-
standteilen an; durch die Untersuchung solcher Salze kann man somit
auch die Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen schwacher Säuren und
Basen bestimmen, so dass diese Eigenschaft fftr sämtliche Ionen der
Messung zugänglich wb-d.
Haben wir nun diese Kenntnis der Werte u und v für jedes Ion,
so können wir gemäss den Gleichungen
//=x(u + v)
leicht den Bruchteil x des in Ionen zerfallenen Anteils des Elektrolyts
oder den Grad der elektrolytischen Dissociation bestimmen; durch
Division folgt nämlich
x = — ^ —
Der Dissociationsgrad eines gelösten Elektrolyts bei
irgend einer Verdünnung ist gleich dem Verhältnis der mo-
lekularen Leitfähigkeit bei dieser Verdünnung zu der bei un-
begrenzt grosser Verdünnung.
An dieser SteUe entsteht eine neue Frage. Die bisherigen Be-
trachtungen sind ausschliesslich auf elektrischem Boden durchgeführt
worden: die Erscheinungen der elektrolytischen Leitung ergaben in ihrer
Zusammenfassung die Folgerung, dass in den Elektroljrten sich die Stoffe,
welche die Leitung bewirken, in einem besonderen Zustande der Spaltung
befinden müssten, welcher von der Verdünnung und der Temperatur,
sowie namentlich von der Natur des Stoffes abhängig ist; der Betrag
dieser Spaltung bestimmte unter sonst gleichen Verhältnissen den Betrag
der Leitfähigkeit. Umgekehrt ergab die Messung der letzteren den Be-
trag der vorauszusetzenden Spaltung.
Nun sind wir bereits auf einem anderen Wege, nämlich durch die
Abweichung des Verhaltens gewisser gelöster Stoffe von den einfachen
Lösungsgesetzen, zu einer ähnlichen Auffassung gefiihrt worden. Wenn
beide Betrachtungen richtig sind so muss die Eigenschaft der elektro-
lytischen Leitung und die der Abweichungen von den Lösungsgesetzen
Hand in Hand gehen; beide müssen nicht nur ausschliesslich bei den-
selben Stoffen vorkommen, sondern auch beiderseits gleiche verhältniss-
mäßsige Beträge aufweisen. Dieser Schluss ist nun von der Erfahrung
vollständig bestätigt worden. Jedesmal, wenn ein gelöster Stoff
von den Lösungsgesetzen in solchem Sinne abweicht, dass
Die Eigenschaften der Ionen. 391
sein osmotischer Druck (oder die diesem proportionale Ge-
frierpunkts- oder Siedepunktsänderung) grösser ist, als seinem
Molekulargewicht entspricht, so zeigt er auch elektrolytische
Leitfähigkeit, und umgekehrt. Dieser Zusammenhang besteht ausser-
dem nicht nur qualitativ, sondern quantitativ; der Grad der Spaltung
in Ionen, welcher durch die osmotischen Methoden angegeben wird, er-
giebt sich auch aus der elektrischen LeitMügkeit
Sowohl die osmotischen Methoden, wie die stöchiometrischen und
die rein chemischen Erscheinungen einerseits, und die elektroiytischen
andererseits führen somit zu derselben Auffassung des Zustandes der ge-
lösten salzartigen Stoffe, und alle diese Gebiete sind dadurch in einen
engen Zusammenhang gebracht Dieser Zusammenhang bewirkt, dass
man in vielen Fällen aus der Kenntnis des Verhaltens eines bestimmten
Stoffes in einem dieser Gebiete sein noch unbekanntes Verhalten in den
anderen Gebieten ableiten kann. Solche Schlussfolgerungen sind sehr
zahlreich gezogen worden, und die Erfahrung hat sie im weitesten Um-
fange bestätigt.
Viertes Kapitel.
Die Eigenschaften der Ionen.
Nachdem die verschiedensten Erscheinungen an Salzlösungen in
gleicher Weise zu der Annahme geführt haben, dass in ihnen ein Teil
des Salzes in zwei zwar stets nebeneinander vorkommende, in ihren
Eigenschaften aber unabhängige Bestandteile gespalten ist, welche wir
die Ionen genannt haben, entsteht das Bedürfnis, sich über die Natur
dieser Stoffe Rechenschaft zu geben, da die von ihnen vorauszusetzenden
Eigenschaften in manchen Stücken von den Eigenschaften der anderen
Stoffe abweichen.
Was zunächst die Fiage anlangt: welche Stoffe können Ionen
bilden? so kann die Antwort darauf kurz lauten: die Salze (Hittorf
1853). Unter diesem Namen verstehen wir eine Gruppe von binär
zusammengesetzten Stoffen, die durch eine besondere Bereitwilligkeit zu
chemischen Reaktionen und eine besondere Schnelligkeit, mit der diese
an ihnen verlaufen, ausgezeichnet sind. Diese chemischen Reaktionen
erfolgen niclit zwischen beliebigen Elementen der Salze, sondern zwischen
besonderen Bestandteilen oder Spaltungsstücken, den Ionen.
Während die grosse Klasse der anorganischen Salze fast gar keine
Schwierigkeit der Charakteristik macht, kann man bei gewissen organischen
Verbindungen zweifelhaft werden, ob sie den Salzen zuzurechnen sind
oder nicht. Insbesondere sind die Verbindungen, die aus Säuren und
Alkoholen unter Wasseraustritt, also ganz wie die Salze aus Säuren und
392 IX. Elektrochemie.
Basen, entstehen, die Ester, welche man den Salzen zuzurechnen ge-
neigt sein würde. Fragt man indessen nach dem anderen Kriterium, dem
der sehr sdineii verlaufenden chemischen Reaktion, so findet man, dass
es nicht zutrifil; die Ester tauschen ihre Bestandteile nicht augenblicklich
aus, sondern mehr oder weniger langsam, zuweilen gai* nicht in mess-
barer Weise. Die Ester werden also trotz der formalen Analogie der
Bildung nicht zu den Salzen zu rechnen sein.
Hiermit steht ein anderes Kriterium des Salzzustandes in Überein-
stimmung. Wenn die elektrolytische Leitung von dem Vorhandensein
freier Ionen abhängt, und deren Bildung die charakteristische Eigenschaft
der Salze ist, so müssen sich die Ester als Nichtleiter erweisen, falls sie
keine Salze sind. Dies entspricht der Erfehrung: die Ester leiten weder
für sich, noch in Lösung den Strom in irgend erheblichem Masse.
Aber ein kleiner Betrag von Leitung ist doch vorhanden, ebenso
wie ein langsamer Austausch. Wir werden also schliessen müssen, dass die
wesentliche Eigenschaft der Salze, die Spaltung in Ionen auch bei den Estern
vorhanden ist, wenn auch nur in sehr geringem Masse. In der That wird
dies der angemessenste Ausdruck der Erfahrung sein. Die Klasse der Salze
erscheint dadurch nicht fest abgeschlossen, sondern ihre Grenze ist einiger-
massen von unseren Hilfsmitteln der Beobachtung und Messung abhängig.
Dies ist eine Eigentümlichkeit, die bei allen Versuchen, die Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen zu klassifizieren, auftritt. Während der Haupttypus, in
welchem die wesentliche Eigenschaft am stärksten entwickelt ist, sich leicht
erkennen und feststellen lässt, finden sich andere Fälle mit zunehmend
weniger ausgesprochenem Gattungsmerkmal, und eine scharfe Grenze ist nicht
vorhanden. So werden wir auch alle Stoffe Salze im weiteren Sinne nennen
können, bei denen wir Ionen nachweisen, d. h. wechselseitigen Austausch
entsprechender Spaltungsstücke und elektrolytische Leitung beobachten können.
Der Zusammenhang zwischen lonenbUdung und elektrischer LeitMigkeit
zeigt, dass die elektrischen Erscheinungen bei ersterer wesentlich sind. Die
Salze zerfallen in Bestandteile, welche den Transport positiver und nega-
tiver Elektrizitätsmengen bewirken. Man hat sich daher diese Bestand-
teile mit diesen Elektrizitätsmengen auf u*gend eine Weise verbunden
vorzustellen. Ob man diese Vorstellung molekular fasst, und sich die
Ionen als kleine elektrisch geladene Körperchen denkt, oder irgend eine
andere Veranschaulichung entwickelt, ist für die hier zu behandelnden
Prägen belanglos; uns genügt die Thatsache, dass die Bildung von Ionen
und die Bildung proportionaler positiver und negativer Elektrizitätsmengen
untrennbar aneinander geknüpft sind.
Hieraus folgt zunächst, dass sich nur äquivalente Mengen positiver
und negativer Ionen gleichzeitig bilden können, denn es ist ein Grund-
gesetz der Elektrik, dass aus einem ursprünglich elektrisch neutralen
Körper nur gleiche Mengen der beiden entgegengesetzten Elektrizitäten
entstehen können. Diese Äquivalenz der ungleichnamigen Ionen muss
Die Eigenschaften der Ionen. 393
sich auch bei allen möglichen Reaktionen erhalten, da alle reagierenden
Lösnngen von vornherein die gleiche Bedingung erfüllen.
Wenn in elektrisch neutralen Lösungen die entgegengesetzten Ionen in
gleichen Mengen vorhanden sind, so müssen umgekehrt in elektrisch geladenen
Elektrolyten die entsprechenden Ionen im Überschuss vorhanden sein. Auch
dieser Schluss hat sich bestätigen lassen (Ostwald und Nemst 1890). Nur
sind die Elektrizitätsmengen, welche sich durch elektrostatische Ladung in
einem gegebenen elektrolytischen Leiter anhäufen lassen, überaus gering im
Verhältnis zu den vermöge des Faradayschen Gesetzes mit den Ionen ver-
bundenen Elektrizitätsmengen (S. 379), so dass bedeutende Ladungen nur
äusserst kleinen Stoffmengen entsprechen, und es besonderer Hilfsmittel bedarf,
um diese sichtbar zu machen.
Die Zusammensetzung der Ionen geht aus der der einfachsten
Salze unzweideutig hervor. Die Ionen des Ohlorkaliums können nur Chlor
und Kalinm (oder deren Hydrate) sein. Demgemäss sind alle Salzbe-
standteile, welche das Kalium vertreten können, Kationen, und alle,
welche das Chlor vertreten können, Anionen. Während die Kationen
meist elementarer Natur sind und von Metallen gebildet werden, ist die
Zahl der elementaren Anionen verhältnissmässig klein: es sind die Halogene
und die Elemente der Schwefelgruppe.
Zusammengesetzte Kationen sind Ammonium NH^ und dessen Ab-
kömmlinge, und die analogen Verbindungen der übrigen Elemente der
Stickstoffgruppe. Femer vermögen auch andere mehrwertige Elemente
ähnliche organische Kationen zu bilden, wie z. B. der Schwefel in den
Sulfiden und viele Metalle in ihren Alkylderivaten.
Zusammengesetzte Anionen sind sehr zahlreich; die meisten von
ihnen sind sauerstoffhaltig. Ihre Zusammensetzung ist die der ent-
sprechenden Säuren, vermindert um Wasserstoff.
Während das Faradaysche Gesetz keinen unmittelbaren Anlass giebt,
ein- und mehrwertige Ionen zu unterscheiden, so ergiebt sich ein solcher
zuweilen aus der Fonnel und in eindeutiger Weise aus den osmotischen
Gesetzen.
So giebt Chlorkalium, KCl, in seinen verdünnten Lösungen als
Grenzwert eine Verdoppelung der Gefrierpunktsemiedrigung gegen den
normalen Wert; demnach ist anzunehmen, dass ein Mol nichtdissoziiertes
Chlorkalium sieh in zwei Mole der Ionen gespalten hat. Bei Chlor-
baryum ist entsprechend der Formel BaCl* das Verhältnis 1:3, und
man muss daher das Baryum als zweiwertiges Ion ansehen, von dem ein
Mol zwei Molen Chlorionen äquivalent ist. Wollte man das Verbindungs-
gewicht des Baryums auf die Hälfte heruntersetzen, um einwertige Ba-
ryumionen schreiben zu können, so müsste ein derartiges Salz baCl
(wo ba Baryum mit dem Verbindungsgewicht 68-7 darstellt) eine doppelte,
die mit BaCl* bezeichnete Menge also eine vierfache Gefrierpunktser-
niedrigung zeigen. Da die Erfahrung nur die dreifache Erniedrigung
beobachten lässt, so ergiebt sich, dass als Ion Ba= 137-4 anzunehmen
394 IX. Elektrochemie.
ist. Dieselben Gesetzmässigkeiten, welche för die Molekulargewichte der
gewöhnlichen Verbindungen massgebend sind, gelten daher auch für die
Bildung der Ionen, und es giebt neben den einwertigen auch zwei-
und mehrwertige Ionen.
Einwertige Kationen bilden zunächst die Alkalimetalle, von den
Schwermetallen Silber und Thallium, wohl auch das Kupfer in den
Cuproverbindungen. Das Quecksilber in den Merkuroverbindungen scheint
nicht sowohl einwertige Ionen zu bilden, sondern zweiwertige Doppel-
ionen von der Formel Hg*, die sich in manchen Beziehungen anders
verhalten, als einwertige einfache Ionen es thun würden. Einwertige
Ionen werden femer vom Ammonium und seinen zahllosen Abkömmlingen
gebildet.
Zweiwertige Kationen ergeben sich aus den Erdalkalimetallen
und den Metalien der Eisen- und Kupfergruppe; auch in den Stannosalzen
sind zweiwertige Zinnionen vorhanden. Von zusammengesetzten zwei-
wertigen Kationen ist das bemerkenswerteste das Uranyl, UO*.
Dreiwertige Kationen werden von den Erdmetallen und deren Ver-
wandten, wie Chrom und Eisen (in den Fernverbindungen) gebildet;
vierwertige von den entsprechenden MetaUen der Zinngruppe. Doch ist
bereits bei diesen die Neigung zur Kationenbildung sehr gering geworden,
was in den schwachen basischen Eigenschaften der entsprechenden
Oxyde zum Ausdruck kommt. Kationen von noch höherer Wertigkeit
sind nicht bekannt.
Diese mehrwertigen Ionen sind dadurch gekennzeichnet, dass mit jedem
Mol derselben nicht die einfache durch das Faradaysche Gesetz gegebene
Elektrizitätsmenge von 96540 Coul (S. 379) sich bewegt, sondern die
zwei-, drei-, bez. vierfache Menge.
Ebenso giebt es neben einwertigen auch mehrwertige Anionen.
Einwertige sind zunächst die Ionen der Halogene Fluor, Chlor, Brom,
Jod, sowie der ähnlichen (zusammengesetzten) Stoffe Cyan, Rhodan;
ferAer alle Anionen der anderen einbasischen Säuren.
Zweiwertige elementare Anionen sind Schwefel, Selen und Tellur
in den entsprechenden Metallverbindungen, doch besteht bereits bei diesen
geringe Neigung zum lonenzustande. Zusammengesetzte zweiwertige
Anionen sind aus den zweibasischen Säuren sehr bekannt.
Dreiwertige elementare Anionen kennt man nicht Der Analogie
nach sollte man in den Nitriden der Metalle Salze des dreiwertigen Stick-
stoffions sehen; doch zersetzen sich diese in Berührung mit Wasser als-
bald in Hydroxyd und Ammoniak, so dass es nicht möglich ist, ent-
sprechende Lösungen herzustellen. Zusammengesetzte dreiwertige Anionen
sind in den dreibasisclien Säuren und ihren Salzen dagegen zahbeich
bekannt.
Elementare Anionen von höherer Wertigkeit sind gleichfalls nicht
bekannt; zusammengesetzte Anionen dagegen bis zur Sechswertigkeit
(Mellithsäure). Doch besteht die allgemeine Regel, dass sich Ionen
Die Eigenschaften der Ionen. 395
von höherer Wertigkeit zunehmend schwieriger bilden, je höher die
Wertigkdt wird.
Eine besondere RoUe spielen die Ionen Wasserstoff und Hydr-
oxyl. Beide einwertige Ionen smd die Spaltungsstücke des Wassers, welches,
wie aus einer sehr geringen Leitfähigkeit hervorgeht, nur sehr wenig ge-
spalten ist (rund ein Mol in iC litem). Die Verbindungen, welche
Wasserstoffionen abspalten können, nennt man Säuren; solche, welche
Ilydroxylionen bilden, Basen. Während die gewöhnlichen Salze, oder
die weldie weder Wasserstoff noch Hydroxylionen enthalten, in wässeriger
Lösung ziemlich gleich stark gespalten sind, machen sich bei den Säuren
und Basen die allergrössten Unterschiede geltend. Es finden sich alle
Stufen, von der fast vollständigen Spaltung in massig verdünnten Lösungen
bis zu geringen Spuren, ja bis zur Grenze der Nachweisbarkeit Säuren
und Basen, welche in weiterem Masse dissociiert sind, nennt man stark,
die andern schwach; denn die charakteristischen Eigenschaften der Säuren
und Basen rühren von ihrem Gehalt an den Ionen Wasserstoff, bez. Hydroxyl
her, und nehmen proportional der Konzentration an diesen zu und ab.
Die bekannten Reaktionen organischer Farbstoffe, wie Lackmus, auf
Säuren und Basen beziehen sich auf diese Ionen; saure Reaktion bedeutet
die Anwesenheit von Wasserstoff ionen, alkalische die von Hydroxylionen.
Wenn eine zweibasische Säure sich zu spalten beginnt, so entsteht
nicht in erster Linie das zweiwertige Anion neben Wasserstoff, sondern
die Spaltung beginnt zuerst nach dem Schema RH3=RH'+H*; und
das hierbei entstandene einwertige Anion RH' erleidet eine weitere
Spaltung in R" und H', wobei erst das zweiwertige Anion entsteht. In
entsprechender Weise bildet eine dreibasiscbe Säure RH3 die Zwisdien-
stufen RH'2 und RH", bevor das dreiwertige Ion R'" entsteht. Was
hier der Anschaulichkeit wegen fiir die mehrwertigen Säuren gesagt
worden ist, gilt ganz allgemein für alle Verbindungen mehrwertiger
Ionen; es bilden sich zuerst immer die Ionen, welche durch den geringsten
Betrag an Spaltung, oder die Bildung der geringsten Mengen getrennter
Elektrizitäten entstehen können, und die weitere Spaltung erfolgt stufen-
weise. Dadurch ist in Verbindungen aus mehrwertigen Ionen eine grosse
Mannigfaltigkeit von verschiedenen Spaltungsprodukten vorhanden.
Die Bildung der Ionen aus den ungespaltenen festen Verbindungen
erfolgt durch Verflüssigung, und zwar sowohl beim Schmelzen, wie beim
Lösen. Über den ersten Vorgang ist trotz seiner prinzipiellen Einfach-
heit nur wenig allgemeines bekannt; ausser der Thatsache, dass die
elektroyltische Leitfähigkeit mit steigender Temperatur schnell ansteigt,
und dass geringe* Beträge derselben auch schon im festen Zustande nach-
weisbar sind, ist kaum etwas anzuführen.
In Bezug auf die Bildung leitender Lösungen beschränkt sich
unsere Kenntnis wesentlich auf wässerige Lösungen, die allerdings unge-
mein eingehend studiert worden sind; das Verhalten anderer Lösungen
ist erst in jüngster Zeit in etwas weiterem Umfange untei*sucht worden.
396 IX* Elektrochemie.
Die salzartigen Stoffe im weiteren Sinne, also unter Einsdiinss der
Säuren und Basen, werden durch Auflösen in Wasser elektrolytische
Leiter, zerfallen also unter diesen Umständen in Ionen. Der Zerfall ist
nie vollständig und nimmt stets mit steigender Verdünnung zu; er ist^
wie schon erwähnt^ bei den meisten Neutralsalzen ziemlich beträditlich^
gewöhnlich 50 Prozent überschreitend, während bei freien Säuren und
Basen alle möglichen Grade des Zerfalls vorkommen. Die Temperatur
hat keinen sehr grossen Einfluss auf den Grad des Zerfalls; sie wirkt in
beiderlei Sinn, indem es Stoffe giebt, die bei steigender Temperatur mehr,
und andere, die weniger zerfallen. Da es sich hier um Fragen des
chemischen Gleichgewichts handelt, kann die genauere Erörterung erst
später vorgenommen werden.
In anderen Lösungsmitteln zeigen die Salze gleichfalls oft Leit-
fähigkeit und somit Spaltung, doch meist in viel geringerem Grade, als
in Wasser. Am ähnlichsten diesem wirken die Alkohole, namentlich die
kohlenstoffärmeren: femer Aceton. Ammoniak und einige andere Flüssig-
keiten. Sehr geringe spaltende Wirkung zeigen die Kohlenwasserstoffe
und ihre Halogenabkömmlinge; femer die neutralen Äther und Ester.
Auch die flüssigen organischen Säuren wie Essigsäure (die in reinem
Zustande praktisch Nichtleiter sind) haben nur in geringem Grade die
Ewigkeit, gelöste Stoffe in Ionen zu spalten.
Die Eigenschaften der Ionen sind in der Hauptsache die ihrer
Lösungen, nach Abzug von denen des Lösungsmittels. So ergiebt sich,
dass die Ionen der meisten Leichtmetalle und der Halogene farblos sind,
da die Lösungen aller aus ihnen gebildeten Salze es sind. Erst die
Schwermetalle bilden farbige Ionen; so sind die des Nickels grün, des
Kobalts rot, des Kupfers grünblau, des Mangans schwach rötlich, des
zweiwertigen Eisens grünUch.
Die Eigenschaften, welche den einzelnen Ionen zukommen, lassen
sich nur in wenigen Fällen ermittebi. Ein solcher Fall liegt vor, wenn
der Wert für das eine Ion Null ist, wie im eben erwähnten FaUe der
farbigen Ionen neben farblosen. In den f^en dagegen, wo jedes Ion
einen endlichen Beitrag zu der Gesamteigenschaft liefert, ist es im all-
gemeinen nicht mehr möglich, die Einzelwerte zu bestimmen. Denn da
die Ionen nur in äquivalenten Mengen entgegengesetzten Zeichens auf-
treten, so erlangt man durch die Untersuchung einer Eigenschaft an
einer gegebenen Lösung nur die Summe der Werte, die beiden Ionen
zukommen. Versucht man durch die Untersuchung anderer Lösung mit
einem gemeinsamen Ion die nötige Zahl von Daten zur Einzelberechnung
zu erhalten, so findet man, dass dies nicht geht; stets hat man eine
Unbekannte zu viel oder eine Gleichung zu wenig. Nur in dem Falle,
dass man auf irgend einem anderen Wege ein weiteres Datum gewinnt,
kann man die Gleichungen autiösen, und die den einzelnen Ionen zu-
kommenden Werte der Eigenschaft bestimmen. Ein praktisches Bei-
spiel hierflir hat bereits bei der Frage nach den Anteilen vorgelegen,
Die Eigenschaften der Ionen. 397
welche gemäfis dem Gesetz von Kohbausch den Ionen an der Leitfähig-
keit zukommt, wo die ÜberfÜhrungserscheinungen das erforderliche
Datum lieferten.
An dieser Stelle sollen die allgemeinen Beziehungen Erwähnung
finden, welche sich bezü^ch der Wanderungsgeschwindigkeiten der
verschiedenen Ionen ergeben haben (vgl. 8. 388).
Von den einwertigen Metallen wandern Kalium, Cäsium und Ru-
bidium am schnellsten, und zwar alle drei ziemlich gleich; Natrium
wandert bedeutend langsamer, noch langsamer Lithium. Ammonium hat
dieselbe Geschwindigkeit wie Kalium, dem sich auch Thallium nahe an-
schliesst; dem Natrium kommt das Silber nahe.
Von den zweiwertigen Erdalkalimetallen wandern Calcium, Strontium
und Baryum ziemlich übereinstimmend, langsamer Magnesium, am lang-
samsten Beryllium. Dem Magnesium schliessen sich Zink, Kupfer und
die übrigen „Vitriolmetalle" an.
Über die Wanderungsgeschwindigkeit drei- und mehrwertiger Me-
taUe ist nur wenig bekannt.
Von den einwertigen Anionen gehören Chlor, Brom und Jod zu
den schnellsten; sie sind unter sich fast völlig gleich. Etwas schneUer
noch als sie wandert das Ion der Überchlorsäure CIO*, zunehmend
langsamer das der Chlor-, Brom- und Jodsäure. Das Ion der Salpeter-
säure schliesst sich dem Chlor an. Fluor wandert erheblich langsamer,
ein Verhalten, das den Gliedern der natüilichen Familien der Elemente
mit kleinem Atomgewicht allgemein zuzukommen scheint.
Die Ionen der zusammengesetzten organischen Säuren wandern um
so langsamer, je mehr Atome sie enthalten. Bei einfacher zusammenge-
setzten Ionen übt die Natur der Elemente einen deutlichen Einfluss; so
bedingen die Halogene ein langsameres Wandern. Sowie aber die Zahl
der Atome im Ion auf zwölf oder mehr gestiegen ist, verschwindet dieser
Einfluss fast völlig. Die Wanderungsgeschwindigkeit hängt fast nur noch
von der Zahl der Atome ab, und nimmt beim Zutritt weiterer Atome
um so langsamer ab, je mehr Atome schon vorhanden sind.
Sie scheint einem Grenzwert zuzustreben, der für sehr zusammen-
gesetzte Anionen und Kationen gleich zu sein scheint, und bei 10 bis
12 Einheiten liegt.
Ein Einfluss der Konstitution hatte sich bei den isomeren organi-
schen Anionen nicht nachweisen lassen, indem diese sehr nahe gleich
schnell wandern. Dagegen ist ein derartiger Einfluss bei den Kationen
vom Ammoniumtypus vorhanden (Bredig 1892). Bei diesen ist die Ge-
schwindigkeit isomerer Ionen um so grösser, je mehr Wasserstoffe des
Ammoniums substituiert sind, also bei sekundären Aminen grösser, als
bei primären, und bei den quatemären Ammoniumbasen am grössten.
Im allgemeinen ist die Wanderungsgeschwindigkeit um so grösser, je
„symmetrischer" das Ion konstituiert ist.
398 I^* Elektrochemie.
Die zwei- und mehrwertigen Säureradikale sind wenig untersucht.
Selen- und Schwefelsäure wandern sehr nahe gleich schnell, ebenso Phosphor-
und Arsensäure.
Der Einfiuss der Temperatur endlich ist nicht sehr verschieden. Er
beträgt meist für jeden Temperaturgrad etwa Vso <i®s Wertes; und ist um so
grösser, je kleiner die Wanderungsgeschwindigkeit ist, und umgekehrt.
Die Erscheinung der Isomerie, der Verschiedenheit der Eigen-
schaften bei gleicher Zusammensetzung findet sieh auch bei den Ionen.
Doch muss man hier zwei wesentlich verschiedene Arten der Isomerie
unterscheiden. Einerseits finden sich die bei den gewöhnlichen Verbin-
dungen bekannten Verhältnisse wieder^ indem isomere Säuren oder Basen
auch isomere Ionen zu bilden vermögen. In solchem Sinne sind isomer
die Ionen der Buttersäure und der Isobuttersäure, des Trimethylam-
moniums, und des Propylammoniums.
Daneben giebt es aber eine spezifische lonenisomerie, die in der
Verschiedenheit des elektrischen Zustandes ihren Grund hat. Den ersten
Fall dieser Isomerie bilden die Elemente und Verbindungen, welche so-
wohl im neutralen, wie im lonenzustande vorkommen; den anderen die
Ionen, die bei gleicher Zusammensetzung mit verschiedenen Elektrizitäts-
mengen verbunden sind, und dem gemäss verschiedene Eigenschaften
haben. Der letztere Fall liegt den älteren Anschauungen näher, und
mag deshalb zuerst betrachtet werden.
lonenisomerie wegen Verschiedenheit der Ladungen kommt bei
Kationen wie Anionen vor, doch bei ersteren häufiger. Beispiele sind
alle Metalle, welche mehrere Reihen von Salzen bilden, wie Eisen, Chrom,
Zinn, Kupfer, Thallium, Quecksilber. Schon die Thatsache, dass die
analytischen Kennzeichen dieser verschiedenen Reihen von Salzen ver-
schieden sind, zeigt, dass es sich um Verschiedenheiten der loneneigen-
schaften handelt; in der That sind die Unterschiede zwischen FeiTO- und
Ferrisalzen, oder den Ionen Fe" und Fe*** grösser, als die zwischen
Fe** und Mn** oder Fe*" und Cr***. Die einzige nähere Beziehung
zwischen beiden ist ihre gegenseitige Umwandelbarkeit. Um eine solche
zu bewerkstelligen, ist die Zu- oder Abftihr der elektrischen Ladung er-
forderlich; da nun Elektrizitätsmengen nie entstehen oder verschwinden
können, ohne dass eine gleiche Menge der entgegengesetzten Elektrizität
mit entsteht oder verschwindet, so erfordert der Übergang eine gleich-
zeitige anderweitige Änderung. So kann man z. B. FeiToionen in Ferri-
ionen durch Einleiten von Chlor in die Lösung des Fen*osalzes über-
fuhren. Hierbei geht gleichzeitig Fe" in Fe*" und Cl in Cl' über,
d. h. das neutrale Chlor muss in das negative Ion tibergehen, wenn das
positiv zweiwertige Eisen sich in dreiwertiges verwandeln soll.
Demnach besteht der Oxydationsvorgang im weiteren Sinne (womit man
in der Chemie längst nicht nur die Aufnahme von Sauerstoff allein bezeichnet
hat) bei Ionen und ihren Abkömmlingen in der Aufnahme positiver Ladungen
durch den zu oxydierenden Stoff, oder in dem gleichwertigen Verlust nega-
Die Eigenschaften der Ionen. 399
tiver Ladungen. Redaktion bedeutet umgekehrt Verlust positiver oder Auf-
nahme negativer Ladung. Die Anwendung dieser Sätze auf einzelne Vorgänge
wird später in der Lehre von den Voltaschen Ketten durchgeführt werden.
Elementare Anionen von verschiedener Wertigkeit sind nicht bekannt^
wohl aber zusammengesetzte. Ein besonders lehrreiches Beispiel bieten
die Ionen der Manganate and der Permanganate. Beide haben die Zn-
sammensetzung MnO*, nur sind die ersteren zwei-, die letzteren ein-
wertig. Mit dieser Verschiedenheit der Ladung ist eine grosse Ver-
schiedenheit der Farbe und der anderen Eigenschaften verbunden; während
das erste nur in alkalischer Lösung beständig ist, ist es das zweite
wesentlich in saurer; während die Salze des ersteren denen der Schwefel-
säure isomorph sind, sind es die des zweiten mit denen der Überdilor-
säure; auch wird das um eine negative Ladung ärmere Ion der Über-
mangansaure mit Recht als das Oxydationsprodukt des um eine negative
Ladung reicheren Manganations angesehen. Ein ähnliches Verhältnis
besteht zwischen den Ionen Fe(CN)^ der Ferro- und Ferricyanide; sie
haben gleiche Zusammensetzung, aber verschiedene Eigenschaften, weil
die ersten vier-, die zweiten dreiwertig sind.
Sind nun je nach dem Betrage ihrer Ladungen die elektrisch
isomeren Ionen verschieden, so kann es nicht Wunder nehmen, dass noch
grössere Verschiedenheiten durch den Umstand bewirkt werden, dass in
der einen Form Ladungen vorhanden sind, in der anderen keine. Dieses
Verhältnis besteht zwischen neutralen Stoffen und gleich zusammen-
gesetzten Ionen. Eine solche Isomerie oder Allotropie tritt sowohl
bei Elementen, wie bei Verbindungen auf. Für den ersteren Fall bieten
die Metalle und die Halogene Beispiele, für den zweiten Fall haben
wir Wasserstoffliyperoxyd und Cyan. Bei diesen und den Halogenen
ist allerdings gleichzeitig Polymorphie vorhanden, da die neutralen Stoffe
die doppelte Molekularformel gegenüber den Ionen haben. Bei den
Metallen ist dies aber nicht der Fall, denn bei diesen ist auch im freien
Zustande das Molekulargewicht gleich dem Verbindungsgewicht und nicht
ein mehrfaches.
In der That sind die Eigenschaften der Ionen von denen der
isomeren neutralen Stoffe ganz wesentlich verschieden. Man braucht
sieh nur einerseits eine Lösung von Jodkalium, andereraeits elementares
Jod und Kalium zu vergegenwärtigen, um die ganze Grösse dieser
Unterschiede zu erfassen. Doch entsprechen diesen grossen Unterschieden
der Eigenschaften auch grosse Unterschiede des Energieinhaltes (S. 281);
alle die Energie, welche bei der Bildung einer I^ösung von Jodkalium
aus Jod, Kalium und Wasser frei wird, stellt die Energieverluste dar^
welche diese Elemente erleiden, wenn sie aus dem gewöhnlichen Zu-
stande in den der entsprechenden Ionen übergehen. Dies ergiebt sich
daraus, dass in einer hinreichend verdünnten Jodkaliumlösung wieder nur
Jod und Kalium vorhanden ist, nur beide im lonenzustande.
Hält man sich diese durch die Verhältnisse gebotenen Anschauungen
400 I^* Elektrochemie.
gegenwärtig, so macht es keine Schwierigkeit, zu verstehen, dass zwischen
den Elementen im gewöhnlichen Zustande und als Ionen nicht nur keine
Gleichheit vorhanden ist, sondern keine erwartet werden darf. Die
Nichtbeachtung der Isomeriebeziehung hat den grösstenTeil der Schwierig-
keiten veranlasst, welche viele mit den neueren Anschauungen Un ver-
traute diesen gegenüber empfunden haben.
Eine wichtige Eigenschaft aller Ionen soll nicht unerwähnt bleiben.
Da sich aus den festen Salzen die Ionen erst in der Auflösung bilden,
so ist deren Existenz an die Lösung gebunden; verlässt ein Stoff die
Lösung, so verlässt er gleichzeitig den lonenzustand. Hieraus ergiebt
sich, dass kein Ion in messbai'em Betrage flüchtig sein kann; diese
Eigenschaft kann .nur bei neutralen Stoffen auftreten. Ebensowenig kann
ein Ion in ein Lösungsmittel übergehen, in welchem die lonenbildung
Null ist. Aus diesen Eigenschaften, die in der Natur des lonenzustandes
begründet sind, und daher allen Ionen zukommen, ergeben sich zahl-
reiche chemische Eigentümlichkeiten der Ionen als notwendige Folgen;
es wird sich später Gelegenheit finden, auf einige von ihnen hinzuweisen.
Fünftes Kapitel.
Elektrolytische Gleichgewichte.
Von den gewöhnlichen Gleichgewichten unterscheiden sich die elek-
trolytischen, oder die zwischen Ionen bestehenden durch den besonderen
Umstand, dass in jeder Phase die gesamte Konzentration der Kationen
der der Anionen gleich sein muss. Die Notwendigkeit dieser Thatsache
ergiebt sich aus dem Faradayschen Gesetze, dass mit chemisch äquiva-
lenten Mengen der verschiedenen Ionen gleiche Elektrizitätsmengen verbunden
sind, im Verein mit dem anderen Gesetze, dass im Inneren eines Leiters
nie fi*eie Elektrizität vorhanden sein kann, und dass somit die Summe
aller vorhandenen positiven und negativen lonenladungen gleich Null
sein muss.
Dadurch tritt in allen Fällen, wo Ionen sich am Gleichgewicht be-
teiligen, eine weitere Bedingungsgleichung auf, durch welche die Zahl
der Freiheiten um eine vermindert wird. Für die Anwendung der
Phasenregel ist in solchen Fällen jede Art Ionen als ein unabhängiger
Bestandteil zu rechnen, doch ist die so erhaltene Gesamtzahl und da-
her auch die Zahl der Freiheiten um eine Einheit zu vermindern. Nach
dieser Regel lassen sich auch verwickeitere lonengleichgewichte sachge-
mäss behandeln.
Für den Fall, dass nur ein Elektrolyt anwesend ist, ergiebt sich,
dass die Phasenregel überhaupt keine Änderung erleidet. Denn man hat
allerdings die beiden Ionen als zwei BestandteUe zu zahlen; da aber
Elektrolytische Gleichgewichte. 401
Eins abzuziehen ist, so kann der Elektrolyt wie ein anderer Stoff oder
Bestandteil behandelt werden.
Anders werden die Verhältnisse, wenn zwei Elektrolyte auftreten.
Diese können entweder ein gemeinsames Ion enthalten, und dann sind
drei Bestandteile vorhanden, die bezüglich der Phasenregel als zweie zu
rechnen sind. Oder die beiden Elektrolyte enthalten lauter verschie-
dene Ionen; dann liegen vier Bestandteile vor, die als dreie zu rechnen
sind. Ähnlich sind die weiteren Fälle zu behandeln.
Elektrolytische Gleichgewichte erster Ordnung liegen vor, wenn der
Elektrolyt für sich teilweise in Ionen zerföllt. Dies tritt bei geschmolzenen
Salzen ein; bei Zimmertemperatur kennt man keinen einigermassen ge-
spaltenen Elektrolyt. Bezeichnet man ein Kation mit E, ein Anion mit
A', so ist die Reaktionsformel für den einfachsten Fall des binären Elektro-
lyts K' -f- A' = KA und die Gleichgewichtsgleichung daher a,^ »a^ = kb.
Wegen der Notwendigkeit, dass Kationen und Anionen in gleicher Kon-
zentration vorhanden sind, muss a^ =3^ gesetzt werden; wird die gleiche
Konzentration der beiden Ionen mit a bezeichnet, so folgt a' = k-b,
wo k noch eine Funktion der Temperatur und des Druckes ist, da die
eine Phase zwei Freiheiten bedingt
Das heisst: ein jeder Stoff, der ftLr sich in Ionen zerfallt, nimmt
bei gegebener Temperatur und gegebenem Drucke einen bestimmten
Gleichgewichtszustand an, der nur von seiner Natur abhängt. Der Ein-
fluss des Druckes ist wieder sehr gering, da keine erheblichen Volum-
änderungen bei der Ionisierung eintreten. Der Einfluss der Temperatur ist
durch die Regel bestimmt, dass bei steigender Temperatur die mit Wärme-
bindung stattfindende Reaktion erfolgt Da soviel bekannt alle Stoffe,
die für sich (d. h. ohne Lösungsmittel) Ionen bilden, bei steigender
Temperatur mehr zerfallen, so ist zu schliessen, dass die Bildung der
Ionen aus ihnen unter Wärmeverbrauch erfolgt. Doch ist unsere Kenntnis
dieser Verhältnisse noch so wenig entwickelt, dass man eine solche Be-
hauptung allgemein nicht aufstellen darf.
Am genauesten ist in dieser Beziehung das Wasser bekannt. Da
man die Geschwindigkeit seiner Ionen aus den Messungen an Säuren
(Wasserstoff) und Basen (Hydroxyl) kennt, so braucht man nur seine
Leitf^igkeit durch die Summe der beiden Geschwindigkeiten zu dividieren,
um den Dissoziationsgrad zu haben.
Die Ausftihrung dieses Gedankens stösst indessen auf die Schwierig-
keit, dass die Leitfähigkeit auch des mit grosser Sorgfalt hergestellten
Wassers ganz vorwiegend von Verunreinigungen herrührt, die durch das
Reinigungsverfahren nicht vollständig entfernt worden sind. Unter be-
sonderen Vorsichtsmassregeln (Destillation in einem zugeschmolzenen luft-
leeren Gefässe, in welchem etwa 10 Jahre lang reines Wasser enthalten
gewesen war) wurde es möglich, Wasser zu gewinnen, dessen Leitfähig-
keit nur etwa zu einem Zehntel von Verunreinigungen herrührte (Kohl-
est waid, Grundriss. 3. Aufl. 26
402 I^* Elektrochemie.
rausch und HeydweiUer 1894), und an dem die Leitfähigkeit des ganz
reinen Wassers auf Grund berechtigter Annahmen berechnet werden konnte.
Bei 18^ ist die spezifische Leitfähigkeit des reinen Wassers gleich
38510"^'^ gefunden worden, d, h. ein Würfel von 1 cm Seite hat die
angegebene Leitfähigkeit in reziproken Ohm. Nun ist die Wandemngs-
gesch windigkeit des Wasserstoffs bei dieser Temperatur 318, die des
Hydroxyls 174, die Summe also 492. Dividiert man diese Zahl in die
angegebene, so folgt die Konzentration der Ionen des Wassers in Molen
pro Kubikcenümeter; um sie wie gewöhnlich in Molen pro Liter zu
haben, ist der Wert mit 1000 zu multiplizieren. Es folgt 0078X10-6.
Das heisst, in einer Million Liter Wasser ist 0-078 g Wasserstoff und
1-326 g Hydroxyl im lonenzustande vorhanden.
Diese Menge ändert sich schnell mit der Temperatur, da die Dis-
sociationswäi^me des Wassers in seine Ionen, die aus den Erscheinungen
bei der Neutralisation zu berechnen war (S. 276), einen bedeutenden Wert
besitzt. In der Formel dlnk/dT=L/RT2 ist L= 57-51, R = 8-31X10^
und T= 291 zu setzen. Dies ergiebt für dT=l d In k = 0-082, oder
da dlnk=rdk/k ist, so ergiebt sich, dass die Spaltung des Wassers in
seine Ionen um rund 8 Prozent für jeden Grad zunimmt.
Die nachstehende Tabelle giebt die Konzentralion der H* oder
OH'- Ionen des Wassere bei verachiedenen Temperaturen in Molen auf
eine Mllion Liter an
Temp. 0^ 20 10« 18^ 26<> 34« 42« 50»
Diss. 0-034 0-038 0-055 0078 0-106 0-143 0-188 0-242
Ausser durch die LeitfUhigkeit ist die Dissociation des Wassere noch
auf verschiedene andere Weisen bestimmt worden. Diese voneinander un-
abhängigen Methoden haben tibereinstimmende Zahlen gegeben und so
eine ausgezeichnete Bestätigung für die Angemessenheit der Dissodations-
theorie der Elektrolyte geliefert.
Während unsere Kenntnis tiber die lonengleichgewichte ereter
Ordnung nicht viel weiter gehen, sind die zweiter Ordnung in einem
ausserordentlich weiten Umfange studiert worden. Die Messung der
elektrischen Leitiähigkeit gewährt ein so bequemes und empfindliches
Hilfsmittel zur Feststellung von lonenkonzentrationen und somit von Disso-
ciationsgraden, dass es auf sehr viele Stoffe angewendet worden ist, und
eine grosse Fülle von einzelnen Ergebnissen gebracht hat.
Lösen wir einen Elektrolyt in Wasser auf (es sollen zunächst aus-
schliesslich wässerige Lösungen betrachtet werden), so zerfällt er teilweise
in seine Ionen, und es tritt ein Gleichgewicht ein, das wieder durch die
chemische Formel K -f- A' = K-A dargestellt ist, wo K' das Kation und
A' das Anion bezeichnet. Sind a^ und a^ die Konzentrationen der beiden
Ionen, b die des unzeraetzten TeÜs, so ist wieder a^ =a2 =a zu setzen;
während aber beim Gleichgewicht ereter Ordnung diese Konzentrationen
nur von der Temperatur und dem Drucke abhängen, ist hier eine Frei-
heit mehr vorhanden, und man kann noch über eine der Konzentrationen.
Elektrolytische Gleichgewichte. 403
beliebig verfögen. Aus experimentellen Gründen ist dies die Gesamt-
konzentration des Elektrolyts a -f* b, denn man kann die Ionen nicht
einzebi handhaben. Die Gleichung lautet demnach a^/b = k und wird
sehr viel angewendet.
Um die Konzentration a der Ionen zu bestimmen, bedient man
sich des gleichen Mittels wie beim Wasser: man vergleicht die molekulare
Leitfähigkeit des Elektrolyts mit dem Grenzwert für unendliche Ver-
dünnung. Ist //y die Leitfähigkeit bei der Verdünnung (Mol im Liter)
V und^/QQ die bei unendlicher Verdünnung oder der Grenzwert der Leit-
fähigkeit, so ist fiylfi^=SL (S. 390) der dissociierte Bruchteil und a/v
die Konzentration der Ionen, während (1 — a)/v die Konzentration des
nichtdissociierten Anteils ist Werden diese Werte in die Gleichung ge-
setzt, so folgt
8 2
= k oder —^ — = k
(1 — a)v liooi^oo— liy)y
als Ausdruck für den Einfluss der Verdünnung v auf die molekulare
Leitfähigkeit (Ostwald 1888).
Diese Gleichung gestattet folgende Schlüsse. Ist a sehr klein, so
ist 1 — a von 1 nicht erheblich verschieden, und die Gleichung geht
über in a* = vk, d. h. der Dissociationsgrad und somit die molekulare
Leitfähigkeit wächst wie die Quadratwurzel aus der Verdünnung. ~ Dies
Gesetz ist für wenig leitende Elektrolyte lange vor Aufistellung ' der
Dissociationstheorie erfahrungsmässig gefunden worden (Kohlrausch 1878).
Im übrigen wächst a beständig mit v, aber nicht unbegrenzt. Für
sehr grosse v muss der Ausdruck a*/(l — a) gleichfalls sehr gross
werden, da k eine Konstante ist. Dies geschieht, indem sich a der Ein-
heit nähert. Das heisst, dass alle Elektrolyte mit steigender Verdünnung
immer grössere Werte der molekularen LeitMilgkeit annehmen müssen;
diese nähert sich einem Maximalwerte, der nicht überschritten werden
kann und dem vollständig dissociierten Elektrolyt zukommt. Auch diese
Verhältnisse sind erkannt worden, bevor die entsprechende Theorie auf-
gestellt worden war (S. 385).
Aus der Form der Gleichung ergiebt sich weiter folgendes. Da in
ihr nur die Konstante k noch von der Natur des Stoffes abhängt, so
kann man für zwei beliebige Stoffe die Verdünnung Vj und v^ so
wählen, dass die Produkte v, kj und v^ kg bei beiden gleich sind. Als-
a*
dann muss auch und somit auch a bei beiden gleich sein, d. h.
1 — a
die auf den Grenzwert bezogene Leitfähigkeit, oder, was dasselbe ist,
der Bmchteil dissociierter Molekeln ist bei beiden derselbe. Ändert man
beide Verdünnungen in demselben Verhältnis, verdoppelt man sie bei-
spielsweise, so bleiben die Produkte v, k^ und v^ kg wiederum gleich,
und ebenso die Werte von a. Daraus folgt, dass die Verdünnungen,
bei welchen zwei Stoffe in gleichem Grade dissociiert sind,
26*
404 IX- Elektrochemie.
stets in demselben Verhältnis stehen, unabhängig von den Werten
der Verdünnung selbst. Auch dieses Gesetz war (Ostwald 1885) empirisch
geftmden worden, bevor die Dissociationstheorie auf Elektrolyte ange-
wandt worden war. 2
Schliesslich muss der Ausdruck —^ für alle Verdünnungen
eines gegebenen Elektrolyten eine Konstante sein. Dieser Schluss ist
an einer sehr grossen Anzahl von Elektrolyten, Säuren wie Basen als
gültig nachgewiesen worden. Als Beispiel diene die nachstehende Tabelle
für Essigsäure bei 25^.
V
f^
a
k
8
4-34
001193
0-0000180
16
6-10
0-01673
0-0000179
32
8-65
0-02380
0-0000182
64
12.09
0-0333
0-0000179
128
16-99
0-0468
0-0000179
256
23-82
0-0656
0-0000180
512
32-20
0-0914
0-0000180
1024
46-00
0-1266
0-0000178
00
364
— .
Die Dissociations- oder Gleichgewichtskonstante k ist fiir eine grosse
Anzahl verschiedener Stoffe bestimmt worden, und hat sehr enge Be-
ziehungen zu deren Zusammensetzung und Konstitution ergeben. Eine
Übersicht der beobachteten Verhältnisse wird an späterer Stelle mit-
geteilt werden.
Mit der Kenntnis der Konstante k ist die Möglichkeit gegeben, für jede
Verdünnung die Leitfähigkeit einer Säure zu berechnen. Man braucht dazu
nur die Gleichung nach a aufzulösen, wobei man erhält
/xy — vk-f Vv*k«-^4vk
== a==
^00 2
Ausser von der Natur der Stoffe ist die Konstante k noch von
der Temperatur abhängig, und zwar gemäss der vielgebrauchten Formel
dlnk/dT = L/RT*. Ob also k mit steigender Temperatur zu- oder
abnimmt, hängt vom Zeichen der Dissociationswärme L ab. Bei positivem
L, d. h. wenn für die Dissociation Wärme aufgenommen wird, wächst k
mit steigender Temperatur; anderenfalls nimmt k ab. Nun giebt es für
Säuren oder Basen eine Methode, das Zeichen und den Wert von L zu er-
mitteln; sie besteht in der Messung der Neutralisationswärme des zu
untersuchenden Stoffes mit einer möglichst vollständig dissociierten Base,
bez. Säure (S. 277). Der Unterschied, den man dabei gegen die
Bildungswärme des Wassers aus seinen Ionen, 57 J, findet, ist L (1 — a),
das Produkt der Dissociationswärme in den nichtdissociierten Bruchteil
des Stoffes. Ist daher die Neutralisationswärme kleiner als 57 J, so
ist die Dissociationswärme positiv und die Dissociation nimmt mit steigen-
Elektrolytische Gleichgewichte. 405
der Temperatur zu; ist sie dagegen grösser, so erfolgt die Dissodation unter
Wärmeentwickelung und die Dissociation sinkt mit steigender Temperatur.
Vergleicht man unter diesem Gesichtspunkt die Neutralisationswärmen
der verschiedenen Säuren, so ergiebt sich, dass beide Fälle vorkommen:
es giebt sowohl positive, wie negative Dissodationswärmen. Der letztere
Fall, dass der Zerfall einer Säure in ihre Ionen Wärme entwickelt, hat
anfänglich Aufsehen und Unglauben erregt, da man vom molekularen
Standpunkte es tUr unmöglich hielt, dass die Trennung einer Molekel in
ihre Bestandteile noch Wärme entwickeln könne. Indessen entwickelt
auch der Zerfall des Acetylens und Cyans in seine Bestandteile Wärme,
und der Widerspruch, der hier gegen die Molekularhypothese erscheint, ist
eine Schwierigkeit iür diese Hypothese, aber keine für ^e Dissociationstheorie.
Eine Bestätigung dieser Schlüsse wurde dadurch erbracht, dass
durch Messungen der elektrischen Leittähigkeit bd verschiedenen Tempe-
raturen die Grösse a direkt bestimmt wurde. Es ergab sich der Vor^
ausberechnnng gemäss, dass wirklich die Säuren mit zu grosser Neutrali-
sationswärme ihre Dissociation mit steigender Temperatur vermindern.
Bei Phosphorsäure und Dichloressigsäure ist dieser Einfluss so stark, dass
er unter bestimmten Bedingungen selbst die Zunahme übertri£^ welche
die Ldtfähigkeit aller Elektrolyte durch die grössere Wanderungsge-
schwindigkeit ihrer Ionen bei steigender Temperatur erfahren. Diese
Elektrolyte zeigen ein Maximum der molekularen Ldtföhigkeit, d. h. bei
steigender Temperatur nimmt diese erst zu, wie gewöhnlich, und dann
wieder ab ^) (Arrhenius 1888).
Die vorstehenden Formeln und Beziehungen sind vorwiegend an
einbasischen organischen Säuren geprüft worden, und haben sich hier in
einem ungewöhnlich weiten Umfange bestätigt. Ebenso haben zahhrdche
Basen vom Typus des Ammoniaks eine vollständige Übereinstimmung'
zwischen Theorie und Erfahrung erkennen lassen. Diese Elektrolyte
sind meist nicht sehr weitgehend dissociiert, doch hat sich auch bei
solchen, deren Dissodation bis über 70 Prozent angestiegen ist, die Über-
einstimmung nachweisen lassen.
Das Verhalten der bisher besprochenen Elektrolyte, die alle durch
einen massigen Betrag des Zerfalls in Ionen gekennzeichnet sind, ist
vollständig durch das Massenwirkungsgesetz geregelt und sie bilden aus-
gezeichnete Bdspiele für dessen Piüfimg und Bestätigung. Neben ihnen
giebt es indessen eine grosse und wichtige Klasse von Elektrolyten, bei
denen die Geltung des Massenwirkungsgesetzes vermisst wird. Sie haben
^) Man findet noch oft in den Lehrbüchern die Angabe, dass sich die
Elektrolyte dadurch von den Leitern erster Klasse unterscheiden, dass sie ihre
Leitföhigkeit mit steigender Temperatur vermehren, während diese sie ver-
mindern. Aus dem im Text Gesagten ergiebt sich, dass ein solcher Satz
keineswegs für die Elektrolyte allgemein gültig ist. Er ist es auch nicht für
die Leiter erster Klasse.
406 IX. Elektrochemie.
alle die Eigentümlichkeit^ dass sie schon in verhältnismässig starken
Lösungen weitgehend dissoziiert sind, und sie verhalten sich bei steigen-
der Verdünnung so, dass ihre Leitfähigkeit langsamer zunimmt, als nach
dem Massenwirkungsgesetze zu erwarten wäre. Berechnet man daher
die Eonstante k»in gewöhnlicher Weise, so ersdieint sie nicht konstant,
sondern mit steigender Verdünnung abnehmend. Zu dieser Gruppe ge-
hören die Neutralsalze und die stark dissociierten Säuren, wie Salpeter-
säure, die Halogenwasserstofi^uren, die meisten Sauerstoffisäuren der
Halogene, die Sulfonsäuren der Kohlenwasserstoffe u. s. w.; endlieh die
stark dissociierten Basen, wie die Hydroxyde der Alkali- und Erdalkali-
metalle, die quaternären Ammoniumverbindungen und ähnliche Stoffe.
Die Abweichungen in der Leitfähigkeit dieser Stoffe vom Ver-
dünnungsgesetze sind zwai* nicht gross (einige Prozente), wenn man die
beobachteten und die bereclmeten Werte vergleicht, sie sind aber so konstant,
dass man sie nicht irgend welchen Zufälligkeiten zuschreiben darf. Wo-
her sie rühren, ist nicht ermittelt; einige plausibel erscheinende Ver-
mutungen sind bisher noch nicht genügend geprüft worden.
Die Abweichungen sind im übrigen so gesetzmässig, dass man
einige empirische Formeln für sie hat aufstellen können, die die Berechnung
der anderen Werte aus einer gemessenen Leitfähigkeit bei Verdünnungen
über 51 hinaus gestatten. An Stelle des theoretischen Ausdruckes
a«/(l — a)v = k giebt die Formel aV(l — a)V'v ==k(Rudolplii 1895)oder
a*/(l — a)*v = k (van't Hoff 1895) das Verhalten der stark dissociierten
Elektrolyte mit guter Annäherung wieder. Eine theoretische Begründung
ist f\Sir keine dieser Formeln gefunden worden. Die Frage, ob die Ab-
weichung daher rührt, dass die Leitföhigkeit kein richtiges Mass der
pissociation in diesem FaUe ist, seheint verneinend entschieden zu sein-,
die Abweichung liegt also vermutlich daran, dass in diesem Falle eine
andere, bisher nicht beachtete Energie sich am Zustandekommen des
Gleichgewichts beteiligt.
Dagegen sind einige erfahrungsmässige Beziehungen aufgefunden
worden, welche für die Chemie eine praktische Bedeutung gewonnen
haben. Vergleicht man den Einfluss der Verdünnung auf die äquiva-
lente (nicht die molekulare) Leitföhigkeit von Salzen, deren Ionen ver-
schiedene Wertigkeit haben, so findet man, dass für den gleichen Ver-
dünnungsbetrag diese Änderung gleichzeitig mit der Wertigkeit wächst,
und zwar im normalen Falle proportional mit dem Produkte aus den
Wertigkeiten beider Ionen. Die Versuche sind hauptsächlich in der Ge-
stalt ausgeführt worden, dass die äquivalenten Leitfähigkeiten bei den
Verdünnungen 32 und 1024 1 und bei 25® gemessen wurden; dann beträgt
der Unterschied für ein Salz aus zwei einwertigen Ionen rund 10 Ein-
heiten, und für eines, dessen Ionen die Wertigkeiten n, und n^ haben,
n^n^X 10.
Es ist sofort zu betonen, dass diese Regel nicht aUgemein ist,
sondern namentlich für die Salze aus mehrbasischen Säuren und mehr-
Elektrolytische Gleichgewichte. 407
säurigen Basen Ausnahmen erleidet, wenn diese Säuren oder Basen im
freien Zustande wenig dissoziiert sind. Salze schwacher Säuren oder
Basen folgen dagegen der Regel, wenn der andere Bestandteil einwertig
und im irden Zustande stark dissociiert ist. Die hauptsächlichste An-
wendung findet diese Beziehung zur Ermittelung der Baslzität einer un-
bekannten Säure, bez. der Acidität einer unbekannten Base; in solchen
fMen kann man es leicht so einrichten, dass die genannten günstigen
Bedingungen erMlt sind. j
Das praktische Verfahren gestaltet sich am einfachsten so , dass man die
fragliche Säure in Substanz in y^^-noTmB\eT Natronlauge (bez. die Base in
Vaa" normaler Salzsäure) auflöst, ihre Leitfähigkeit und die der 32 mal ver-
dünnteren Lösung misst. Der Unterschied der beiden auf ein Äquivalent be-
zogenen Leitfähigkeiten, dividiert durch 10, ergiebt die Wertigkeit der Säure,
bez. Base (Ostwald 1887).
Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Messung der elektrolytischen
Leitfähigkeit zu den bequemsten und empfindlichsten Hilfsmitteln gehört, um
das Vorhandensein eines Salzes in einer Lösung festzustellen, und wenn
seine Natur bekannt ist, auch seine Menge zu ermitteln. Da Wasser,
wie man es unter der Anwendung einiger Sorgfalt im Laboratorium rein
herzustellen vermag, etwa die spezifische Leitßöiigkeit von 10~® hat, so
kann man Lösungen, die etwa ihrerseits den gleichen Betrag an Leit-
fähigkeit bewirken, noch mit guter Sicherheit untersuchen. In so ver-
dünnten Lösungen addieren sich die LeitßUiigkeiten neutraler Salze ^), so
dass man die des Zusatzes durch Abziehen des vom Gebrauchswasser
herrührenden Betrages berechnen kann. Die angegebene spezifische Leit-
fähigkeit kommt etwa einer Lösung zu, die ein Neutralsalz in 10~*-nor-
maler Verdünnung enthält; bis dahin lassen sich also Gehaltsbestimmungen
leicht ausföhren.
Auf diese Weise ist z. B. die Löslichkeit folgender „unlöslicher^^
Salze bestimmt worden; die Zahlen bedeuten Mole in einer Million
Litern (Kohlrausch und Rose 1893).
Chlorsilber ll»?, Bromsilber 2, Quecksilberchlorür 13, Fluorcalcium 700,
Bar}'umsulfat 50, Strontiumsulfat 2320, Bleisulfat 600, Baryumoxalat 1320,
Sti'ontiumoxalat 1020, Calciumoxalat 184, Baryumkarbonat 480, Strontium-
karbonat 300, Calciumkarbonat 560.
Die Messungen gelten für 18*^. Die Berechnung beruht auf der
Kenntnis der Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen dieser Salze; be-
zieht man die beobachtete spezifische Leitfälligkeit durch Multiplikation
*) Säuren und Basen zeigen grosse Abweichungen, die von eintretender
Neutralisation durch die Verunreinigungen herrühren; durch das Verschwinden
der Ionen H* und OH', welche die schnellsten sind, nimmt die Leitfähig-
keit stark ab, und man darf die wahre Leitfähigkeit solcher Stoffe nicht durch
Abzug des dem Wasser zukommenden Anteiles berechnen wollen.
408 ^^* Elektrochemie.
mit 1000 auf 1 1, und dividiert diesen Wert durch die Summe der Leit-
fähigkeiten der Ionen, so erhält man den Gehalt in Molen auf ein Liter.
Etwas verwickelter, als die bisher geschilderten Verhältnisse gestaltet
sich der Zer&U mehrwertiger Elektrolyte in Ionen. Ist z. B. ein
zweiwertiges Anion A" mit zwei einwertigen Kationen K* verbunden,
so könnte man zunächst annehmen, dass der zugehörige Vorgang nach
der Gleichung A.K^ == A"-f- 2K- erfolge. Die Erfehrung zeigt, dass
dies nicht der Fall ist; vielmehr treten zwei Vorgänge ein, die durch
die Gleichungen A,K2=AK'+K* und AK'=A"-|-K' dargestellt
werden. Demgemäss ist die zugehörige Gleichgewichtsgleichung nicht
a^/(l — a)v = k, wie sie nach der ersten Annahme sein müsste, sondern
es bestehen zwei Gleichungen nebeneinander. Bezeichnet man den An-
teil der Ionen K* mit a, der Ionen AK' mit b, der Ionen A" mit c
und den unzerlegten Anteil mit e, so bestehen zunächst die Beziehungen
a = b + 2 c und e = 1 — b — c, die sich unmittelbai* aus den Reaktions-
gleichungen ergeben. Femer bestehen die Gleichgewichtsgleichungen
ab=kidv (1) und ac = k2bv (2). Durch Elimination kann man zwei
von den Werten a, b, c, e herausschaffen, so dass die endliche Gleich-
gewichtsgleichung zwei Veränderliche und die beiden Konstanten k, und
kg enthält. Für einen gegebenen Wert des einen Anteils können daher,
je nach den Werten beider Konstanten, die von Stoff zu Stoff verschie-
den sind, ganz verschiedene Werte der anderen Anteile bestehen.
Um diese Überlegungen anschaulich zu machen, denken wir uns
unter K* das Wasserstoflfion, d. h. wir betrachten eine zweibasische
Säure. Wir nehmen zunächst einen Grenzfall an: kg sei sehr klein
gegenüber k^. Dann ist vermöge der zweiten Gleichung c sehr klein
gegen b und man kann a = b und e = 1 — a setzen. Führt man dies
in die erste Gleichung ein, so erhält sie die Form der gewöhnlichen
Dissociationsgleichung für einen binären Elektrolyt, a^/(l — a) = kv.
Daraus folgt, dass bei Säuren der angenommenen Art die Dissociation
erfolgen muss, als seien sie einbasisch. Eret wenn v sehr gross wh*d,
nimmt der zweiten Gleichung gemäss auch c grössere Werte an, die man
schliesslich nicht mehr vernachlässigen darf.
Mit diesen Schlüssen stimmt die Erfahrung vollkommen überein.
Bei schwächeren zweibasischen Säuren ändert sich die Leitfähigkeit mit
der Verdünnung nach ganz demselben Gesetz, wie bei einbasischen.
Als Beispiel seien Messungen an Bernsteinsäure gegeben; die Be-
zeichnungen sind dieselben wie S. 404; die Leitfähigkeiten beziehen sich
auf ein Mol, nicht ein Äquivalent. Als Grenzwert ist 356 angenommen.
v ^ a 10*k
16
1140
0-0320
6-62
32
16-03
0-0450
6-62
64
2247
00632
6-67
128
3128
0-0880
6-64
256
43-50
0-1224
6-68
Elektrolytische Gleichgewichte. 409
V
ß
a
10» k
512
5951
0-1675
6-59
1024
81-64
0-2295
6-68
2048
109-5
0-3082
6-71
a
10»k
0-158
93
0-217
94
0293
95
0-390
97
0-503
99
0-639
110
0-785
140
Wie man sieht, ergiebt sich k völlig konstant innerhalb der Ver-
snchsfehler, obwohl schliesslich die Verdünnung recht bedeutend ist.
Sind die zweibasischen Säuren stärker, so kommt die Dissoziation
des einwertigen Anions in das zweiwertige und Wasserstoff viel früher
zur Geltung. Berechnet man dann die Konstante k wie gewöhnlich, so
beginnt sie dort zuzunehmen, wo die zweite Dissociation einen merk-
lichen Wert eriangt. Die nachstehenden Messungen an Fumarsäure lassen
dies Verhalten erkennen.
V ^
32 56-4
64 77-4
128 104-5
256 139-0
512 179-5
1024 228-0
2048 280-2
oo 357-0 — —
Die Genauigkeit, mit der die Eonstanten bestimmt worden sind, beläuft
sich auf etwa 2 Prozent; die Zunahme ist also bereits bei v = 256 1
erkennbar, und bei den nächsten Verdünnungen wird sie bald sehr be-
deutend.
Zwischen den beiden Konstanten k, und k^ besteht kein notwen-
. diger Zusammenhang, ausser dass k, immer kleiner sein muss, als k^;
das Verhältnis zwischen beiden ist sehr wechsehid und hängt von kon-
stitutiven Eigenschaften der Säuren ab, die hier nicht besprochen werden
können.
Ganz dieselben Betrachtungen lassen sich auf zwei säurige Basen an-
wenden, und auch hier hat die Erfahrung Übereinstimmung ergeben. Femer
unterliegen die Salze gleichfalls denselben Gesetzen, wenn sie aus einem
zweiwertigen Ion und zwei einwertigen bestehen. Da aber schon die ein-
fachst beschaffenen Salze Abweichungen vom Massenwirkungsgesetz zeigen,
ist dies auch bei den hier in Frage kommenden zu erwarten, und die rech-
nerische Verwertung der Formel ist nicht versucht worden. Wesentlich ist
nur, dass man in solchen Salzen die Anwesenheit der teilweise gespaltenen
Ionen anzunehmen hat, so dass man nicht aus der Leitfähigkeit einen un-
mittelbaren Schluss auf den Betrag der Dissociation und die Konzentrationen
der einzelnen Ionen ziehen kann.
Noch verwickelter werden die Verhältnisse, wenn Ionen von grösserer
Wertigkeit zusammentreten. Man könnte annehmen, dass im Falle, dass zwei
Ionen von gleicher Wertigkeit verbunden sind (wie z. B. zwei zweiwertige
410 I^- Elektrochemie.
im Magnesiumsulfat); wieder die einfache Gleichung Anwendung findet. Doch
mu88 man die Möglichkeit erwägen, dass sich zweiwertige Kationen von der
Zusammensetzung A.K"j und zweiwertige Anionen K.A", bilden können.
Im Falle des Magnesiumsulfats wären es die Ionen (SOJMgj*- und Mg(SOJj".
Beobachtungen über das Verhältnis zwischen LeittUhigkeit und Gefrierpunkts-
emiedrigung sprechen dafür, dass solche Ionen in messbarer Menge vorhan-
den sind.
Drei- und mehrbasische Säuren folgen, wenn sie wenig dissociiert
sind, noch bei nicht allzu grosser Verdünnung dem einfachen Gesetz der
binären Elektrolyte, nur treten die Abweichungen unter sonst gleichen
Verhältnissen früher ein, als bei zweibasischen.
Hiermit ist das wichtigste für den Fall zweier lonenbestandteile
erledigt Auch die Frage, wie sich das Gleichgewicht gestaltet, wenn
eine feste Phase dazutritt, ist bereits (S. 400) dahin beantwortet worden,
dass ein fester Stoff, der beim Auflösen in Ionen zerfallt, genau dieselben
allgemeinen Verhältnisse zeigt, als wenn er unverändert in Lösung ginge.
Nur besteht natürlich das Gleichgewicht ausschliesslich mit dem nicht-
dissociierten Anteil in der Lösung, und daher wird die scheinbare Lös-
lichkeit eines Elektrolyts immer höher sein, als die wahre, d. h. das
durch das Gleichgewicht zwischen dem festen Stoffe und dem unverändert
in der Lösung vorhaüdenen Anteil bestimmte Verhältnis. Jede Änderung
des Gleichgewichts zwischen diesem Anteil und den Ionen in der Lösung
muss sich auch in der Löslichkeit zum Ausdruck bringen. Dies giebt
eine Erklärung für die merkwürdige Thatsache, dass die meisten Sul&te
vom Typus des Magnesiumsulfats bei höheren Temperaturen (200 bis 300®)
in Wasser fast völlig unlöslidi werden, während sonst im allgemeinen
die Löslichkeit bei so hohen Temperaturen stark zunimmt Diese
Salze haben eine positive Dissociationswärme; ihre Dissodation geht
mit steigender Temperatur zmUck, und daher auch ihre scheinbare Lös-
hchkeit.
Der zunächst zu untersuchende Fall ist der dreier Ionen in der
Lösung. Da die Summe dei* Anionen und der Kationen jeden^s gleich
sein muss, so erhält man experimentell diesen Fall, wenn man zwei
Elektrolyte miteinander zusammenbringt, die ein gemeinsames Ion
enthalten, z. B. zwei Säuren, oder zwei Chloride. Man kann dann die
Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung des Gleichgewichtszustandes
beider Elektrolyte aufwerfen.
Einen Fall kann man allerdings sofort erledigen, den Fall nämlich,
dass alle gleichzeitig in der Lösung vorhandenen Elektrolyte nahezu
völlig dissociiert sind. Alsdann werden sie sich nicht weiter beeinflussen,
und man kann die für die einzelnen Lösungen gültigen Gesetze auch
auf Gemenge anwenden.
Befindet sich aber in der Lösung gleichzeitig ein stark und ein
schwach dissociierter Stoff, so wird eine gegenseitige Beeinflussung statt-
finden, wenn beide ein gleiches Ion enthalten. Es gelten dann die
Elektroly tische Gleichgewichte. 4X1
Formehi des ehemischen Gleichgewichts für nicht äquivalente Mengen und
der Dissociationszustand wird ein anderer.
Fragen wir zunächst, wie zwei Lösungen beschaffen sein müssen,
damit sich die gelösten, teilweise dissociierten Stoffe gegenseitig nicht
beeinflussen, so wird zu beanspruchen sein, dass sich die wirk-
same Menge der Bestandteile durch die Vermischung nicht
ändern darf. Zwei Lösungen desselben Stoffes werden sich demgemäss,
was schon von vornherein klar ist, nur dann unbeeinflusst lassen, wenn
ihre Konzentration gleich ist. Etwas verwickelter wh^ die Frage für
zwei verschiedene Stoffe, welche ein gemeinsames Ion enthalten, z. B.
für zwei Säuren. Wir betrachten der Einfachheit wegen zwei einbasische
Säuren HAj und HA^. Für dieselben werden nach der allgemeinen
Formel des chemischen Gleichgewichts die beiden Gleichungen gelten
'1
Vi
«1
«1
Vi
Vi
«,
ß«
V« Vg Vg
wo a der dissociierte Anteil und v das Volum bedeutet, in welchem ein
Mol enthalten ist.
Vermischen wir beide Lösungen, so geht das Volum in Vj + v^
1 — «1
über. Die Konzentration der unzersetzten Anteile geht auf
Vi +v.
8
und j — ^ zurück, die der gespaltenen Säureionen auf *
Vg Vi +Vj
und r — » die des Wasserstoffs aber auf — — -, — -* Die Gleichge-
Vl+Vj' Vi -t-Vj
wichtsgldchung lautet demgemäss für beide Säuren
1 — «1 «1 <^i + «2
^l + Vj Vi + Vj V,+ V2
1 — «8 «2 «1 + «2
Vi + Vg V, + V2 V1+V2
Dividiert man die untere Gleichung in die obere, so folgt nach einer
leichten Rechnung beiderseits
^=^1 oder ^ = ^.
«8 ^2 Vj V2
Damit bei der Vermischung zweier Säuren der beiderseitige Disso-
ciationszustand sich nicht ändert, muss die Konzentration des ab-
gespaltenen Wasserstoffs in beiden Lösungen gleich sein.
Haben wir also z. B. Essigsäure, welche wenig dissociiert ist, und Salz-
säure, welche es sehr stark ist, so werden wir, um Lösungen von gleicher
Konzentration der Wasserstoffionen zu erhalten, sehr stark verdünnte Lösungen
von Chlorwasserstoff zu massig starken Lösungen von Essigsäure nehmen
412 IX. Elektrochemie.
müssen. Aus der Tabelle auf S. 404 sieht man z. B., dass Essigsäure in einer
Verdünnung von 8 Litern rund 0-012 Mol Wasserstoffionen enthält, dass letztere
also eine Konzentration von —^—«= 0-0015 haben. Salzsäure wird diese
Lösung nicht beeinflussen, wenn die Konzentration ihres Wasserstoflfs der
Gleichung — *« 0-0015 entspricht. Da sie bei den erforderlichen grossen Ver-
dünnungen als völlig dissociiert angesehen werden darf, so ist a = 1 und so-
mit V =« 667. Die Salzsäure darf somit nicht konzentrierter sein, als ein Mol
in 667 Litern.
Arrhenius, dem wir die oben angestellten Betrachtungen verdanken
(1888), nennt solche Lösungen, welche gegenseitig ihren Dissociations-
zustand nicht ändern, iso hydrische. Da es der eben entwickelten
Formel gemäss fllr diese BeschaflPenheit nur erforderlich ist, dass die Kon-
zentrationen des gleichen Ions gleich sind, während die absoluten
Mengen beider Lösungen oder ihr Verhältnis keine Rolle spielt, so müssen
isohydrische Lösungen sich in allen Verhältnissen ungestört lassen.
Daraus kann man folgern, was geschehen wird, wenn man zwei
nicht isohydrische Lösungen miteinander vermischt: sie werden sich
gegenseitig in dem Sinne beeinflussen, dass sie isohydrisch werden.
Denkt man beide Lösungen zunächst un vermischt übereinander ge-
schichtet, so kann man der einen Lösung, in welcher die Konzentration
des gemeinsamen Ions geringer ist, Wasser entziehen und es der
anderen zufuhren, und zwar so lange, bis die Konzentration in beiden
Lösungen gleich geworden ist. Alsdann sind die Lösungen isohydrisch,
und sie können dann vermengt werden, ohne verändernd aufeinander
einzuwirken.
Zwei Lösungen, die mit einer dritten igohydrisch sind,
müssen es auch untereinander sein. Denn wenn zwei Lösungen
mit einer dritten isohydrisch sind, so enthalten sie ein gleiches Ion in
gleicher Konzentration wie ^e dritte, folglich haben sie auch unterein-
ander gleiche Konzentration und sind isohydrisch. Auch dieser Satz
war experimentell gefunden, bevor die Theorie ihn ableiten liess.
Diese Gleichgewichtsverhältnisse dreier Ionen fuhren nun zu der
Erklärung gewisser Erscheinungen, die seit langem praktisch angewendet
werden, ohne dass man ihr Wesen gekannt hätte. Es zeigt sich nämlich^
dass die Säurewirkung schwacher Säuren durch die Gegenwart ihrer
Neutralsalze in ganz ausserordentlicher Weise vermindert wird. Während
sich dies aus den älteren Vorstellungen nicht absehen liess, ergiebt es sich
mit Notwendigkeit aus der Betrachtung der lonenverhältnisse.
Sei a die Konzentration der freien Anionen und Kationen einer
wenig zerfallenen Säure und c der nicht zerfallene Anteil, so gilt für
das Gleichgewicht die Formel a* = kc. Fügt man nun eine gewisse Menge
eines Neutralsalzes derselben Säure hinzu, deren dissociierte Anteile dief
Konzentration b haben, so kann das Mhere Gleichgewicht nicht be-
stehen bleiben, sondern wegen der stai'ken Vermehrung der Konzentration
Elektrolytische Gleichgewichte. 413
der Anionen muss die der Wasserstoflfionen entsprechend abnehmen.
Sei a' die Konzentration der Wasserstoffionen, nachdem das neue Gleich-
gewicht eingetreten ist, so ist die der Anionen a' + b und die des nichts
dissociierten Teils hat sich auf c + a — a' vermehrt. Die Gleichung
lautet demnach a'(a' -f- b) = k (c -(- a- — a')«
Nun haben wir angenommen, dass die Säure wenig dissocüert ist;
es ist daher a und a' gegen c klein, und ebenso a' gegen b, falls der
Zusatz des Neutralsalzes nicht sehr gering war, was ausgeschlossen sein
soll. Vernachlässigen wir die kleinen Grössen gegen die grossen, so
nimmt die Gleichung die einfache Gestalt an
a'b = k c.
Hieraus erglebt sich, dass die Konzentration der Wasserstoffionen
umgekehrt proportional der Konzentration des zugesetzten Neutralsalzes
ist. Setzt man z. B. zu Essigsäure in der Verdünnung 8 1, wo der Zer-
fall 0-012, die Konzentration der Wasserstoffionen also 0'0015 beträgt,
eine äquivalente Menge Natriumacetat (das wir als völlig zerfallen an-
sehen), so haben wir b='/8, c=V8 zu setzen; k ist 0-000018
(S. 404), und daraus ergiebt sich a'=kc/b = 0-000018, also rund
83 mal kleiner, als ohne den Zusatz').
Da femer bei der Verdünnung der Gesamtflüssigkeit sich b, die
Konzentration des Neutralsalzes, und c, die Konzentration des nichtzer-
fallenen Teils der Säure, der von der Gesamtkonzentration der Säure nur
sehr wenig verschieden ist, einander proportional ändern, so muss auch
a', die Konzentration der Wasserstoffionen, unverändert bleiben. Während
also bei stark dissoziierten Säuren diese Konzentration umgekehrt pro-
portional dem Volum war, und bei schwach dissoziierten Säuren umge-
kehrt proportional der Quadratwurzel aus dem Volum, so haben wir
hier den Grenzfall, dass die Konzentration fast ganz unabhängig vom Volum
wird. Auch dieser Satz ist von einer gewissen Bedeutung, da er zu-
weilen gestattet, die Bedingungen chemischer Vorgänge, bei denen
Wasserstoffionen beteiligt sind, zu vereinfachen.
Diese Gleichgewichte liegen der Anwendung des essigsauren Natriums
in der analytischen Chemie zu Grunde. Man bedient sich dieses Reagens
wenn es sich darum handelt, eine Flüssigkeit zwar sauer zu erhalten, die
spezifische Säurewirkung aber möglichst klein zu machen. Ein solcher Fall
tritt z. B. bei der Fällung des Schwefelzinks ein, die durch etwas erheb-
lichere Konzentration vorhandener Wasserstoffionen verhindert wird. Setzt
man Natriumacetat zu, so wird deren Konzentration so stark herabgedrückt,
dass die Fällung hinreichend vollständig erfolgt, um quantitativ verwertbar
*) Aus der Rechnung ergiebt sich gleichzeitig, dass unter diesen
Umständen, nämlich wenn man zu der Lösung einer schwachen Säure eine
äquivalente Menge ihres Neutralsalzes setzt, die Konzentration der Wasser-
stoffionen gleich der Dissociationskonstante wird, unabhängig von der Gesamt-
konzentration.
414 IX. Elektrochemie.
zu sein. Auf dem gleichen Umstände beruht die Fällung der Ferrisalzldsungen
durch Natriumacetat in der Wärme. Die eingehende Behandlung dieser Er-
scheinungen kann hier nicht vorgenommen werden, da auch die heterogenen
Gleichgewichte für das Verständnis in Frage kommen.
Die gleiche Erscheinung wird auch vielfach in der chemischen Kinetik
verwendet, wenn es sich darum handelt, die Wirkung vorhandener Wasser-
stoffionen in einem gegebenen Augenblicke aufzuheben, ohne die Flüssigkeit
alkalisch machen zu müssen.
Die gleichen Überlegungen treten ein, wenn eine schwache, d. h.
wenig dissoziierte Base neben ihrem Neutralsalz vorhanden ist Femer
wird durch die Gegenwart einer stark dissociierten Säure der Zerfall
einer gleichzeitig anwesenden schwachen Säure vermindert , so dass ihre
Anionen fast aus der Flüssigkeit verschwinden. Gleiches gilt für eine
schwache Base bei Gegenwart einer starken. Audi diese Verhältnisse
kommen gelegentlich zur Geltung.
Tritt bei dem Gleichgewichte dreier Ionen eine feste Phase auf,
so machen sich Erscheinungen geltend, die gleichfalls erst durch die
Theorie der freien Ionen Erklärung und zahlenmässige Zusammenfassung
gewonnen haben (van't HoflP, Nemst). Sie ergeben sich für den einfachsten
Fall der binären Dissociation aus der Gleichung ab = kc, wo a und b
die Konzentrationen der beiden Ionen sind und c die des nicht disso-
ciierten Teiles ist, vermöge der Forderung, dass zwischen der letzteren und
der festen Phase Gleichgewicht besteht. Dadurch wird c nur noch eine
Funktion der Temperatur und bei gegebener Temperatur konstant. Dem-
gemäss muss auch das Produkt ab konstant, bez. eine Funktion der
Temperatm* sein.
In der reinen Lösung eines Elektrolyts ist a = b. Wird zu dieser
Lösung ein anderer Elektrolyt mit einem gemeinsamen Ion gesetzt, so
wird eine der Grössen a oder b vermehrt; es muss also die andere
kleiner werden, damit das Gleichgewicht bestehen bleibt. Dies kann
nur geschehen, indem sich der Elektrolyt zum Teil in fester Gestalt aus-
scheidet. Die Lösung wird also in Bezug auf diesen übersättigt
Dies gilt in gleicher Weise für das eine wie für das andere Ion;
daraus folgt, dass die Löslichkeit eines Elektrolyts in reinem Wasser am
grössten ist, und durch Zusätze gleichioniger anderer Elektrolyte nnr
vermindert werden kann.
Diese Verhältnisse lassen sich an der Löslichkeit des Silberacetats an-
schaulich machen. Eine gesättigte Lösung dieses Salzes scheidet Krystalle
ab, wenn man sie mit einer konzentrierten Lösung von Natriumacetat oder
einer von Silbemitrat versetzt. Auf Zusatz von Essigsäure erfolgt dagegen
keine Fällung, weil die Essigsäure nur wenig dissoziiert ist, also die Kon-
zentration der Acetionen nur unmerklich vermehrt.
Für die analytische Praxis sind diese Gleichgewichte von grösster Be-
deutung, da sie ein allgemeines Mittel gewähren, die Löslichkeit „unlöslicher**
h. d. schwerlöslicher Salze fast beliebig herabzusetzen, indem man eines ihrer
Elektrolytische Gleichgewichte, 415
Ionen in erheblicher Konzentration anwesend erhält. Da die Fällungsmittel
der salzartigen schwerlöslichen Niederschläge immer eines dieser Ionen ent-
halten, so ergiebt sich die allgemeine Regel, dass man von diesem Fällungs-
mittel mehr zusetzen muss, als für die Umsetzung erforderlich wäre. Hat
man z. B. Baryumsulfat mit Chlorbaryum aus der Lösung eines Sulfats ge-
fällt, um dessen Menge zu bestimmen, so setzt man einen Überschuss von
Chlorbaryum zu, damit in der entstehenden Flüssigkeit Baryumionen reichlich
vorhanden sind, und die Schwefelsäureionen auf ein Minimum heruntergehen.
Beim Auswaschen wird die Lösung allmählich durch reines Wasser ver-
drängt, und damit nimmt die Löslichkeit des Niederschlages wieder zu. Ist
sie gering, so kann der Verlust vernachlässigt werden; ist sie aber einiger-
massen merklich, so muss man zum Auswaschen eine Lösung benutzen,
welche das zweite Ion enthält. Natürlich muss dies in flüchtiger Form an-
gewendet werden können, da sonst der Überschuss nicht beim Trocknen oder
Glühen aus dem Niederschlage fortgehen würde. Hiervon macht man z. B.
beim Ammoniummagnesiumphosphat Gebrauch, indem man es statt mit reinem
Wasser mit verdünntem Ammoniak auswäscht. Im Sinne der eben gemachten
Darlegungen würde die Lösung eines leichtflüchtigen Ammoniaksalzes wegen
dessen grosserer Dissociation ein zweckmässiger Zusatz zu der Waschflüssig-
keit sein*).
Es treten in einzehien Fällen an Stelle der erwarteten Verminderungen
der Löslichkeit Vermehrungen auf, doch hat sich alsdann immer nachweisen
lassen, dass ausser den angenommenen Reaktionen zwischen den Ionen
noch andere stattfanden, die zur Bildung neuer Stoffe (Doppelsalze und
dergl.) führten. Da jeder neue Stoff, der aus den vorhandenen entsteht,
dessen für das Lösungsgleichgewicht massgebenden Konzentration ver-
mindert, so bringt er eine entsprechende Erhöhung der scheinbaren Lös-
lichkeit hervor.
Sind zwei feste Phasen, d. h. zwei Salze mit einem gleichen
Ion (z. B. Chlorammonium neben Chlornatrium) anwesend, so ist bei drei Ionen
das Gleichgewicht in der Lösung eindeutig bestimmt, und ein solches Ge-
bilde hat einen bestimmten Sättigungszustand in Bezug auf beide Phasen.
Das heisst, es stellt sich immer eine bestimmte Lösung her, welche
Mengen der festen Bestandteile auch zugegen seien, wenn nur beide in
fester Gestalt anwesend bleiben. Dies ergiebt sich folgendermassen.
Haben sich beide Salze zur Sättigung gelöst, so besteht für das eine ein
Gleichgewicht entsprechend der Formel ab = K, wo die Konstante K = kc
gesetzt ist. Für das zweite Salz, das mit dem ersten ein gemeinsames
Kation haben möge, ist die Gleichung ab' = K'. Femer besteht die
Gleicliung, dass die Summe der Konzentrationen der beiden Anionen
gleich der des gemeinsamen Kations sein muss, also a = b + b'. Das
*) Genaueres über die Anwendung der Gleichgewichtslehre in der analy-
tischen Chemie findet sich in des Verfassers „Wissenschaftlichen Grundlagen
der analytischen Chemie", 2. Aufl. Leipzig 1897.
416 IX. Elektrochemie.
giebt drei Gleichungen flir die drei Veränderlichen a, b und b', sie sind
also alle drei eindeutig bestimmt.
Da die Konstanten K und K' Funktionen der Temperatur (und in
sehr geringem Grade des Druckes) sind^ so hat ein derartiges Gebilde
eine Löslichkeitslinie, wie ein ein&cher Stoff, nur mit dem Unterschiede,
dass die Zusammensetzung der Lösung durch zwei unabhängige ana-
lytische Daten (zwei von den Grössen a, b, b') anzugeben ist.
Die experimentelle Untersuchung derartiger Fälle hat ergeben, dass
die gemeinsame Löslichkeit von Salzen, „die sich nicht gegenseitig zer-
setzen können^^, d. h. die ein gleiches Ion enthalten, im allgemeinen in
der That unabhängig davon ist, wieviel von beiden Salzen daneben in
fester Form vorhanden ist Insbesondere findet keine „Verdrängung^^
statt, und man kann in der gesättigten gemeinsamen Lösung beliebig
viel von dem einen oder anderen Salz durch Erwärmen auflösen; beim
Abkühlen auf die Mhere Temperatur scheidet sich dieses wieder aus
und man findet in der Lösung die frühere Zusammensetzung.
Dagegen giebt es gewisse Salzpaare, in denen früher eine solche
Verdrängung angenommen wurde. Die genauere Untersuchung hat ge-
zeigt, dass es sich hier um zwei verschiedene FBÜe handelt, je nachdem
Doppelsalze oder isomorphe Gemenge gebildet werden. Im letzteren
Falle handelt es sich um feste Phasen, die von Fall zu FaU verschieden
sind; da in der vorstehenden Betrachtung gerade die Unveränderlichkeit
der festen Phasen vorausgesetzt worden war, scheidet diese Erscheinung
aus der Betrachtung aus.
Im Falle der Doppelsalze beruhte der Anschein einer unbestimmten
Verdrängung auf der UnvoUständigkeit der Beobachtungen. Setzt man
beispielsweise zu einer gesättigten Lösung von Ammoniumsulfat Kupfer-
sulfat, und lässt krystallisieren, so erhält man je nach der zugesetzten
Menge verschieden zusammengesetzte Lösungen. Dies rührt aber nur
daher, dass sich aus beiden Salzen ein Doppelsalz bUdet, welches sich
unter den genannten Umständen als einzige feste Phase ausscheidet, so-
lange nicht ein genügender Überschuss an Kupfersulfat zugegen ist, dass
auch dieser Stoff in fester Gestalt auftritt. Andererseits wird eine ge-
sättigte Lösung von Kupfersulfat durch Ammoniumsulfat in ähnlicher
Weise verändert, bis festes Ammoniumsulfat neben festem Doppelsalz
auftritt. Es giebt also hier zwei gesättigte Lösungen: eine in Bezug
auf Doppelsalz neben Kupfersulfat, die andere in Bezug auf Doppel-
salz neben Ammoniumsulfat.
Schliesslich lässt sich noch eine dritte gesättigte Lösung in Betracht
ziehen: es ist die, in der sich das Doppelsalz wie ein einfadier Stoff
verhält, wo also die Zusammensetzung des in Lösung befindlichen Teils
mit der des Doppelsalzes übereinstimmt. Ob eine solche Lösung be-
ständig oder unbeständig ist, hängt von der Löslichkeit der drei festen
Stoffe ab; im allgemeinen verschieben sich diese Verhältnisse mit der
Temperatur so, dass in gewissen Gebieten das Doppelsalz sich unzersetzt
Elektrolyüsche Gleichgewichte.
417
mit seiner Lösung ins Gleichgewicht setzt, ohne dass sich die Einzelsalze
ausscheiden, während letzteres in anfleren Gehieten eintritt.
Die Verhältnisse lassen sich in folgender Weise tibersehen *). Trägt
man für eme gegebene Temperatur den Gehalt in der gesättigten Lösung
an dem einen Salze nach rechts, den am anderen nach oben ab
(Fig. 51), so gehen von den Punkten A und B, die den Gehalt der
gesättigten Lösung an den Einzelsalzen angeben, zwei Linien AF und
BF aus, von denen die erste die m Bezug auf A gesättigten Lösungen
darstellt, während BF sich auf die Gleichgewichte mit dem zweiten festen
Salze B bezieht. Wo sich beide Linien schneiden, in F, ist die Lösung
mit beiden Salzen im Gleichgewicht
Tritt nun ein Doppelsalz auf, so wird dessen Löslichkeit gleichfalls
veränderlich sein, wenn in der Lösung eines der Einzelsalze enthalten
ist, und zwar wird, je mehr von dem einen Salze in der Lösung vor-
handen ist, um so weniger Doppelsalz in Lösung gehen können, da die
Fig. 51.
Fig. 52.
Konzentration des anderen Salzes entsprechend kleiner sein muss. In
derselben Zeichnung wird also die Löslichkeit des Doppelsalzes bei Gegen-
wart eines Überschusses eines der Bestandteile in der Lösung durch
eine Linie von der Gestalt D dargestellt sein. Den Punkt, der der
Sättigung mit reinem Doppelsalz entspricht, findet man, wenn man durch
0 eine Gerade unter 45'* zieht; wo sie die Linie D trifft, haben die
beiden Koordinaten, welche die beiden Salzanteile darstellen, gleichen Wert*).
Liegt nun, wie in Fig. 51, die Linie D ganz oberhalb der Linien
AFB, so ist die Löslichkeit des Doppelsalzes immer grösser, als die
eines der Einzelsalze, sowohl für sich, wie bei Gegenwart des anderen
Salzes m der Lösung, und deshalb ist die Doppelsalzlösung in Bezug
auf die Bestandteile übersättigt. Falls Keime vorhanden sind, muss eine
solche Lösung das eine oder andere der Einzelsalze ausscheiden, und
wird dies freiwillig thun, wenn die metastabile Grenze tiberschritten ist.
*) Van*t Hoff, Bildung und Spaltung von Doppelsalzen. Leipzig 1897.
*) Es ist vorausgesetzt, dass das Doppelsalz aus gleichen Molen der
Bestandteile zusammengesetzt ist.
Ostwald, Grundriss. S.Aufl. 27
418
IX. Elektrochemie.
ZM^
Bringt man also bei dieser Temperatur das Doppelsalz mit Wasser zu-
sammen, so wird es zerfallen^ uifd es wird sich das weniger lösliche
Einzelsalz ausscheiden: das Doppelsalz wird durch Wasser zersetzt.
liegt aber die Linie D wie in Fig. 52, so ist zwischen C und D
die Löslichkeit des Doppelsalzes geringer, und dieses ist neben der
Losung beständig.
Durch Änderung der Temperatur kann man nun die gegenseitige Lage
der beiden Linien verschieben, und kann es insbesondere dazu bringen,
dass beide Linien den Punkt F gemeinsam haben. Dann kann in F
das Doppelsalz neben den beiden Einzelsalzen bestehen, und wir haben
in Bezug auf die festen Stoffe ein „kondensiertes Gleichgewicht" (S. 356)
oder einen Umwandlungspunkt
Bringt man bei dieser Temperatur das Doppelsalz mit Wasser zu-
sammen, so stellt sich keineswegs einfach eine gesättigte Losung her. Deren
Zusammensetzung müsste ja durch den Punkt P' (Fig. 53) gegeben sein,
da nur auf der Linie OP die Zusammen-
setzung der Lösung mit der des Doppel-
salzes übereinstimmt Es wird vielmehr ein
Teil des Doppelsalzes zersetzt, indem sich
das Salz abscheidet, das in der Lösung in
geringerer Menge vorhanden ist Erst wenn
sich auf diese Weise die dem Punkte ent-
sprechende Lösung hergestellt hat, kann wd-
teres Doppelsalz neben der Lösung unver-
ändert bestehen bleiben.
Erst bei einer anderen Temperatur,
wo die Lösungslinie des Doppelsalzes durch
den Punkt P^ geht, welcher Gleichheit der Zusammensetzung von
Lösung und Doppelsalz darstellt, kann sich dieses in Wasser lösen,
ohne einen Bestandteil in fester Form abzuscheiden. Auch sieht man,
dass zwischen P^ und dem Durchschnitt der Doppelsalzlinie mit BF ein
Gebiet der Gleichgewichte des unzersetzten Doppelsalzes besteht Die
beiden Schnittpunkte stellen die beiden Gleichgewichte mit je zwei festen
Stoffen: Doppelsalz und je einem Einzelsalz dar. Darüber hinaus zer-
setzen Lösungen, die mehr von dem Einzelsalz enthalten, das Doppdsalz
unter Abscheidung des betreffenden Salzes in festem Zustande.
Diese Betrachtungen lassen sich nach verschiedener Bichtung er-
weitern, darüber ist das oben erwähnte Werk van't Ho£& nadizusehen.
Gehen wir nunmehr zu dem Falle über, dass vier verschiedene
Ionen in der Lösung nebeneinander vorhanden sind, so wei*den wir
den Grundsatz aufstellen, dass alle möglichen Verbindungen zu unzer-
legten Salzen sich zwischen ihnen bilden werden. Es werden, wie
schon früh vermutet worden war, alle möglichen Salze entstdien; dies
geschieht aber meist nur zu einem geringen Anteile, und der grössere^
Anteil der Ionen pflegt unverbunden nebeneinander bestehen zu bleiben.
Fig. 53.
£ ZM^
Elektrolytische Gleichgewichte. 419
m
Insbesondere ist keine Rede davon, dass sich vorwiegend die starken,
d. h. weitgehend zerfallenen Säuren mit den starken Basen verbinden
werden, wie man ohne experimentellen Beweis seit jeher behauptet hat.
Man kann zwei Fälle unterscheiden: es sind entweder drei Ionen
einer Art und ein Ion der anderen (also z. B. drei verschiedene Kationen
und eine Anion) vorhanden, oder je zwei Kationen und zwei Anionen.
Der erste Fall kann nach Analogie von S. 410 behandelt werden, er
bietet kein besonderes Interesse. Der zweite stellt dagegen ein altes
Problem dar; unter ihn Mt die Frage nach der Zersetzung eines Salzes
durch eine andere Säure und nach der Wechselzersetzung zweier Neutral-
salze, mit der sich die allgemeine Chemie seit Jahrhunderten beschäftigt hat.
Bevor wu* den Gegenstand quantitativ behandeln, wollen wir uns
durch eine allgemeine Betrachtung über das Wesentliche dieser Erschei-
nungen zu orientieren suchen, da die dm*ch die Dissociationstheorie ge-
botenen Anschauungen in vielen Stücken von denen abweichen, die der
auch heute noch meist üblichen Darstellung zu Grunde liegen.
Wie früher bemerkt worden ist, sind die Lösungen fast aller Salze
ziemlich stark gespalten, ebenso die der starken Mineralsäuren. Mischen
wir z. B. eine verdünnte Lösung von Salzsäure, welche fast nur freie
Ionen H- und QX enthält, mit einer ebenfaUs verdünnten Lösung eines
Salzes, das wir allgemein mit MA bezeichnen wollen, wo M das Metall
und A das Säureradikal ist, so wird zum Gleichgewicht erforderlich sein,
dass alle positiven und negativen Ionen in Bezug auf die möglichen Ver-
bindungen im Dissociationsgleichgewicht stehen. Ist nun die Säure des
Salzes im freien Zustande ebenfalls stark dissociiert, so wird das Gleich-
gewicht zwischen dem Wasserstoff der Salzsäure und dem Säureradikal A
gleichfalls annähernd vorhanden sein. Ist aber die Säure HA nur in
sehr geringem Masse dissociiert, wie z. B. Essigsäure, so werden der
Wasserstoff der Salzsäure und das Säureradikal aufeinander wirken, um
nichtdissociierte Molekeln HA zu bilden, bis die übrigbleibende Salzsäure
mit der gebildeten Säure HA isohydrisch geworden ist. Das Ergebnis
wird also sein, dass sich auf Kosten des Salzes MA und der Säure eine
gewisse Menge der Säure H A gebildet haben wird, welche um so grösser
ist, je weniger die Säure dissociiert ist, je schwächer sie also ist.
Dies ist im Lichte der Dissodationstheorie der Vorgang, welchen
man bisher die Verdrängung der schwächeren Säure aus ihrem Salz
durch eine stärkere Säure genannt und einer besonderen chemischen
Verwaadtschaftskraft zwischen dem Metall und den verschiedenen Säure-
radikalen zugeschrieben hat. Wir sehen, dass die Ursache nur in der Natur
der Säure liegt; das Metall des Salzes kommt nicht wesentlich in Be-
tracht, denn es bat nur dazu gedient, durch seine Gegenwart das Ion
der Säure im dissociierten Zustande zu erhalten. Dadurch erklärt sich
das empirisch gefand ene Gesetz (Ostwald 1878), dass das Verhältnis, in
welchem eine Säure durch eine andere aus dem Salze „verdrängt" wird,
von der Natur des basischen Bestandteils nicht abhängt. Der wirksame
27*
420 I^- Elektrochemie.
BeBtandteil, d. h. der sich durch den Vorgang verändernde, ist aber
nicht die starke Säure, sondern gerade die schwache. Denn deren
Neigung, in den nicht dissociierten Znstand überzugehen, ist die einzige
Ursache, dass eine Reaktion eintritt.
In gleicher Weise muss nun auch ein anderer Vorgang aufgefasst
werden, die Neutralisation einer Säure durch eine Basis. Sind in dem
Salze die beiden Ionen dissociiert, so erscheint es im ersten Augenblick
unbegreiflich, warum denn Säure und Basis überhaupt aufeinander wir-
ken, da doch ihre wirksamen Bestandteile, das Metall und das Säure-
ion, gar nicht miteinander in Verbindung treten.
Letzteres ist richtig; die Salzbiidung in wässeriger Lösung besteht
in der That nicht in einer Verbindung dieser beiden Bestandteile von
Säure und Basis, sondern in der Verbindung der beiden anderen,
des Wasserstoffs der Säure mit dem Hydroxyl der Basis.
Denn das Wasser ist ein Elektrolyt mit ausserordentlich kleiner Disso-
ciation (S. 402). Somit können in derselben Flüssigkeit die Ionen des
Wassers nicht unverbunden nebeneinander bestehen, sondern müssen sich,
so wie sie zusammenkommen, zu gewöhnlichem Wasser vereinigen. Der
Neutralisationsvorgang m wäBseriger Lösung ist also nichts als eine
Wasserbildung (S. 276).
Wir müssen nun allgemein die Bedingungen feststellen, unter
welchen zwischen vier Ionen, zwei Anionen A^, A^ und zwei Kationen,
B], Bj, sich ein chemisches Gleichgewicht herstellt. Diese Bedingungen
lassen sich in folgenden Satz fassen: SteUt man von den vier Salzen A^B^
A|Bs, AjBi und A^^Bg lauter isohydrische Lösungen dar (indem A^B,
mit A1B2, dieses mit A^B^ und dieses wieder mit A^^B^ isohydrisch ge-
macht wird), und vermischt dieselben in solchen Volumen a, b, c und
d, dass die Gleichung
ad = bc
erftUlt wird, so sind und bleiben die Stoffe im Gleichgewicht (Arr-
henius 1890).
Bezeichnet man die nichtdissocüerten Mengen der vier Salze mit
^7 ßy 7} ^9 ^^^ achtet darauf, dass sich die dissociierten Anteile ver-
halten wie die Volume (weil die Lösungen nach der Voraussetzung iso-
hydrisch sind), also mit ha, hb, hc, hd bezeichnet werden können, wo
h eine Konstante ist, so nehmen die Gleichgewichtsgleichungen folgende
Gestalt an:
, a , /hay , ß /hbV
oder kia=h*a, kgj3. = h*b u. ö. w.
Denken wir uns nun die vier Volume a, b, c und d miteinander ver-
mischt, so werden neue Gleichgewichtsbedingungen eintreten, indem die
Gleichungen folgende Gestalt annehmen:
k.
Elektro! jtische Gleichgewichte. 421
a h8(a + b)(a + c)
a + b + c+d (a + b + c + d)8'
k <? _ h^(b + a)(b + <i)
'^a + b + c + d~ (a+b + c + d)« "• ^- ^•
Denn in dem Gemenge ist von dem nichtdissociierten Stoffe A^B^
nach wie vor die Menge a, aber im Volum a + b + c + d vorhanden.
Von den dissociierten Anteilen A| und B| stammt die Menge a von
A^ aus der Lösung von A^B^ und dazu kommt die Menge b aus der
Lösung AjB^; von Bj ist die Menge a aus der ersten Lösung A^B^
und die Menge c aus der dritten Lösung A^Bj vorhanden; jede Menge
muss wiederum durch' das Gesamtvolum a + b + c + d dividiert wer-
den, um die Konzentration zu geben. Auf gleiche Weise ergeben sich
auch die anderen Gleichungen.
Die letzten Gleichungen reduzieren sich auf
h«(a« + ab + ac + bc) , ^ h«(b« + ab + bd + ad)
a + b + c + d ' -»'' a-j-b + c + d
Damit nun, wie verlangt wird, der Dissociationszustand der vier Stoffe
unverändert bleibe, ist erforderlich, dass die Beziehungen zwischen a und
a, b und ß u. s. w. dieselben bleiben, wie in den ursprünglichen Lö-
sungen. Aus denselben und den obenstehenden Gleichungen geht durch
Division hervor
a* + ^^ + ^c + ^c b^-f- ab + bd + ad
a-|-b + c-{-d ' a-f-l> + c-|-d
woraus ad = bc; ad = bc u.s.w.
d. h. damit der Dissociationszustand unverändert bleibt, ist nötig, dass
die Bedingung
ad = bc
erf^lt werde.
Nun sind die Volume a, b, c und d proportional den wirksamen
oder dissociierten Anteilen der verschiedenen Elektrolyte, und zwar ge-
hören a und d den Stoffen AjB^ und A^B, an, welche bei der
Wechselwirkung AjB^ und A^B^ geben. Die dissociierten Mengen sind
wieder den gesamten Mengen, die p^, p^, Qt und q, heissen sollen, pro-
portional, wenn jede mit dem Dissociationsfaktor m^, m^, m^ und m4
des betreffenden Stoffes multipliziert wird. Dadurch erhalten wir die
Gleichgewichtsformel
mjPj.mjPj =™3Qi-™4Qj-
Wie man sieht, stellt diese Formel nicht nur das Guldberg-Waagesche
Gesetz der Massenwirkung (S. 309 u. 360) dar, in dem mgm^/m^mgzsK
zu setzen ist, sondern sie enthält auch die Erweiterung (Ostwald 1875),
nach welcher die Koeffizienten in je zwei Faktoren zerfallen, von denen
einer nur von der Säure, der andere nur von der Basis, d. h. der eine
nur vom positiven und der andere nur vom negativen Ion abhängt.
422 IX. Elektrochemie.
Die Gleichung enthält aber noch mehr, als jene empirische Be-
ziehung. Denn sie zeigt, dass die Koeffizienten m^ m^ . . . ., welche früher als
Konstanten behandelt wurden, dies in der That nicht sind. Die Dissodations-
koeffizienten hängen ausser von der Natur der Stoffe selbst noch von
der Gegenwart anderer Stoffe, welche das gleiche Ion enthalten, ab, und
können mehr oder weniger erhebliche Änderungen dadurch erleiden.
Hierin liegt die Erklärung fiir die mancherlei Ausnahmen, welche sieh
bei Elektrolyten von der Form des Massenwu-kungsgesetzes gezeigt haben,
in welcher die beiden Koeffizienten als konstant angesehen wurden.
Wie diese Formel zur Berechnung verschiedenartiger Gleichgewichte
zwischen vier „konjugierten" Elektrolyten angewendet wird, kann hier nicht
ausführlich gezeigt werden. Man kann zunächst beweisen, dass die Disso-
ciation einer schwachen Säure bei Gegenwart beliebiger stark dissociierter
Elektrolyte so erfolgt, als wären diese alle das Neutralsalz dieser Säure;
ihre Dissociation ist^ demnach (S. 413) der Konzentration dieser Fremdstoffe
umgekehrt proportional. Weiter lässt sich zeigen, dass bei der „Konkur-
renz zweier Säuren um eine Base", d. h. der gleichzeitigen Anwesenheit
zweier Anionen, eines beliebigen Kations und von Wasserstoff ionen , alle in
äquivalenten Mengen, sich die Base zwischen den Säuren im Verhält-
nis ihrer Dissociationsgrade bei der angewandten Verdünnung
teilen. Das heisst, stellt man Lösungen dar, welche je eine Säure und ihr
Neutralsalz in dem angegebenen Verhältnis enthalten, so entsteht bei der Ver-
mischung dieser beiden Lösungen keine Eeaktion.
Diese Beziehungen haben ein Interesse in Bezug auf ältere Versuche zur
Bestimmung der relativen „Stärke" der Säuren, und sind deshalb erwähnt
worden; die Einzelheiten können an dieser Stelle nicht erörtert werden.
Ein besonders wichtiger Fall des Gleichgewichts zwischen vier Ionen
tritt in den Lösungen einfacher Salze ein, wenn die Ionen des Wassers
sich in messbarer Weise am Gleichgewicht beteiligen. Dies kann nur
geschehen, wenn wenigstens eines der Salzionen mit dem Wasserstoff,
bez. dem Hydroxyl des Wassers eine so wenig dissodierte Verbindung
bildet, dass deren Dissociationsgrad mit dem des Wassers (S. 402) ver-
gleichbar ist, d. h. wenn es sich um das Salz einer sehr schwachen Säure
oder Base handelt.
Um zunächst in grossen Zügen den Erfolg eines derartigen Ver-
hältnisses kennen zu lernen, denken wir uns das Natriumsalz einer sehr
schwachen Säure, z. B. des Phenols. Das Phenohon bildet mit dem
Wasserstoff die sehr wenig dissociierte Verbindung Phenol; es wird also,
wenn durch das Salz eine grosse Menge dieser Ionen in die Lösung
gebracht wird, sich eine merkhche Menge der Verbindung bilden.
Dies kann nicht anders geschehen, als indem die gleiche Menge von
Hydroxylionen aus dem Wasser frei gemacht wird, und die Lösung
wird daher neben einer messbaren Menge Phenol auch eine messbare
Menge HydroxyHonen enthalten. Sie wird wegen des ersteren Umstandes
nach Phenol riechen (da Ionen nicht flüchtig sind, S. 400, so können
Elektrolytische Gleichgewichte. 423
sie auch nicht riechen, nnd ein etwaiger Geruch muss von freiem Phenol
herrühren), wegen der Hydroxylionen wird die Lösung alkalisch reagieren.
Denn die alkalische Reaktion, die den Lösungen der Basen eigen ist,
röhrt nur von deren gemeinsamem Bestandteil, den Hydroxylionen her^).
Die Lösung wird also zeigen, da^ ein Teil des Natrons und des
Phenols, aus denen man das Phenolnatrium zusammensetzen kann, unter
diesen Umständen nicht in Verbindung treten, sondern nebeneinander
bestehen bleiben. Da sie in festem Phenohiatrium jedenfalls in Verbin-
dung waren, so sind sie durch die Wu-kung des Wassers in Säure und
Base gespalten worden. Daher nennt man den Vorgang Hydrolyse.
Ganz ähnliche Erwägungen treten ein, wenn es sich um die Ver-
bindung einer starken Säure mit einer schwachen Base handelt: die Lö-
sung wird sauer reagieren, da eine gewisse Menge von Hydroxylionen
zur Bildung undissociierter Base aus dem Salze verbraucht und die ent-
sprechende Menge von Wasserstoffionen gebildet worden ist. Die Lö-
sung nluss sauer reagieren, und ausserdem die Eigenschaften der nichtzer-
legten Base erkennen lassen.
Wenn schliesslich beide Bestandteile des Salzes schwach sind, oder
wenig dissociierte Elektrolyte darstellen, so wird nur der Teil der vor-
stehenden Erwägungen in Geltung bleiben, der sich auf die Bildung der
nicht gespaltenen Verbindungen aus den Ionen des Salzes und des
Wassers bezieht. Die Ionen des Wassers werden aber beide verbraucht,
und die Flüssigkeit wird daher keine saure oder alkalische Eeaktion
zeigen. Genau gilt dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass
die Dissodationskonstanten der beiden Stoffe von gleicher Grösse sind;
sind sie verschieden, so wird die Lösung sauer reagieren, wenn die
Säure die grössere Konstante hat, und umgekehrt.
Die entsprechenden Rechnungen gestalten sich wie folgt. Es seien nach-
stehende Konzentrationen gegeben: Anionenssa, Wasserstofißonen «» h,
Kationen = b, Hydroxylionen = y, ungespaltene Säure = S, ungespaltene
Base «= B, so gelten zunächst die Gleichungen ah==kiS;by = kjB; hy^K.
Die erste Gleichung giebt die Beziehungen zwischen den Anionen und den
Wasserstoffionen der Säure, k^ ist also die Dissociationskonstante der Säure.
Die zweite Gleichung giebt dieselbe Beziehung für die Base. Die dritte stellt
das Gleichgewicht zwischen den Wasserstoff- und den Hydroxylionen im
Wasser dar; K ist die Dissociationskonstante des Wassers, die sich nach
der Angabe von S. 402, nach welcher die Konzentration der beiden Ionen
bei 18» gleich 0-078 x 10-6 ist, zu K == 0-61 x lO-l^ ergiebt.
Hat man den Fall eines Salzes, das aus einer schwachen Säure und
einer starken Base gebildet ist (z. B. Natriumphenolat), so ergiebt sich aus
der Verbindung der ersten Gleichung mit der dritten yS/a«=K/lq. Nun
ist y die Konzentration des Hydroxyls; wenn man neutrales Salz gelöst hat,
80 muss S, die Konzentration der freigemachten Säure (die so gut wie gar
*) Die Theorie der Indikatoren wird weiter unten dargelegt werden.
4 24 IX. Elektrochemie.
nicht dissociiert ist), ebenfalls gleich y sein; a, die Konzentration des Anions,
ist wieder wegen der fast vollständigen Dissociation des Salzes gleich der
Konzentration dieses letzteren. K und k^ sind Konstanten. Die Hydrolyse
wird durch den Betrag von y gemessen, und es gilt eine Gleichung von der
Form y' — ka (wo k =» K/kJ, welche der für die Dissociation einer wenig disso-
ciierten Säure oder Base gleicht: bei geringer Hydrolyse schreitet sie umge-
kehrt proportional der Quadratwurzel aus der Konzentration vor, bei grösserer
langsamer, und das Verhältnis des Quadrats des hydrolysierten Teils zu dem
nicht hydrolysierten ist konstant.
Man sieht femer, dass man in der ursprünglichen Gleichung yS /a =* K/kj
durch Vermehrung von S den Wert von y beliebig klein machen kann, und
zwar genügt schon eine bescheidene Vermehrung von S, d. h. ein kleiner Über-
schuss der nicht dissociierten Säure, um y entsprechend zu verkleinem. So ist
z. B. Natriumphenolat der Verdünnung von 101 zu 0-08 hydrolysiert; setzt
man nur einen Überschuss von 0*08 Phenol dazu, so geht die Hydrolyse auf
0-05 herab. Da dieser Überschuss nur unmessbar wenig dissociiert ist,* so be>
einflusst er das Leitvermögen nicht, und man kann auf solche Weise den
wahren Wert der Wanderungsgeschwindigkeit auch solcher Ionen bestimmen,
deren Salze hydrolytische Spaltung erfahren (Bredig 1894).
Ganz dieselben Überlegungen und Formeln gelten für Salze aus starken
Säuren und schwachen Basen.
Dagegen treten andere Verhältnisse ein, wenn Säure und Base schwach
sind. In der Gleichung y S/a = K/k^ wird die Konzentration der Hydroxylionen
nicht mehr gleich dem Betrage der Hydrolyse gesetzt werden können, sondern
die freigemachte Base ist nur zu einem sehr kleinen Teil dissociiert, da sie
sich in Gegenwart ihres Neutralsalzes befindet. Für diesen Fall gilt aber
(S. 413) die Beziehung, dass die Konzentration der Hydroxylionen von der
Verdünnung unabhängig ist; es wird also y konstant. Dadurch wird S/a kon-
stant. Betrachten wir wieder eine Lösung, die äquivalente Mengen von Säure
und Base enthält, so ist S die Konzentration der nicht dissociierten freien
Säure, giebt also den Betrag der Hydrolyse, während a als Konzentration
des Anions den Betrag des Salzes giebt, der nicht hydrolytisch gespalten ist^
da wir das Salz als vollständig elektrolytisch dissociiert voraussetzen. Die
Gleichung S/a = konst. besagt also, dass das Verhältnis des hydrolytisch
gespaltenen Bruchteils des Salzes zu dem ungespaltenen unab-
hängig von der Konzentration ist.
Zwischen diesem Ergebnis bei der Anwesenheit zweier schwacher
Elektrolyte und dem vorher entwickelten für den Fall eines schwachen
Elektrolyts besteht dieselbe Beziehung, wie zwischen der Dissociation einer
schwachen Säure mit oder ohne Gegenwart ihres Neutralsalzes: die hydro-
lytische, bez. elektrolytische Spaltung ist in einem Falle unabhängig von der
Verdünnung, im anderen proportional der Quadratwurzel aus derselben.
Es soU noch ausdrücklich bemerkt werden, dass den gemachten An-
sätzen entsprechend die Formeln und Gesetze nur für die Verbindungen ein-
wertiger Ionen gelten. Auch die mehrwertigen sind bereits in manchen Fällen
Elektrolytische Gleichgewichte. 425
bearbeitet worden; doch wird hier auf die Darstellung dieser yerwickelteren
Verhältnisse verzichtet. Ebenso sind die ausgesprochenen Regeln nur An-
näherungen, die durch bestimmte Vernachlässigungen erhalten sind, welche
übrigens jedesmal angegeben werden. Die wirklichen Verhältnisse werden
also mehr oder weniger grosse Abweichungen zeigen; doch sind die meisten
theoretischen Ergebnisse so weit mit den Thatsachen verglichen und in Über-
einstimmung gefunden worden, dass man sie auch nach der experimentellen
Seite als gesichert ansehen darf.
Auf Grund der vorstehend entwickelten Verhältnisse lässt sich nun
eine Theorie der alkalimetrischen und acidimetrischen Indi-
katoren (Ostwald 1894) entwickeln, welche in der analytischen Chemie
die wohlbekannte Anwendung finden. Sie bestehen aus Farbstoffen, die
sich verfärben, wenn die Lösung aus dem sauren Zustand in den alka-
lischen übergeht; auch weiss man, dass die verschiedenen Indikatoren
sieh verschieden verhalten, indem einige sich für die Titration gewisser
Säuren oder Ba^en eignen, andere nicht.
Ein alkalimetrischer Indikator ist immer einer Säure oder Base,
deren Ion eine andere f^bung zeigt, als die nichtdissociierte Verbindung.
Die Indikatoren zerfallen demgemäss zunächst in die zwei Klassen der
sauren und basischen. Wir betrachten zunächst die sauren.
Damit eine farbige Säure als Indikator dienen kann, darf sie keine
ganz starke Säure sein. Eine solche ist in der verdünnten Lösung,
die hier immer vorhanden ist, bereits in ihre Ionen zerfallen und kann
daher gar keinen Farbwechsel zeigen, da die Ionen bei der Neutrali-
sation, d. h. Salzbildung unverändert bleiben. Ein Beispiel hierfür
bietet das Ion MnO'4 ^®^ Permanganate. Ist die Säure dagegen
schwach, so wh"d sie bei überschüssiger Base, also bei Gegenwart von
viel Hydroxylionen und dementsprechend verschwindend wenig Wasser-
stoffionen im lonenzustande in der Lösung sein. Wird mehr und mehr
Säure zugesetzt, so kommt ein Zustand, wo durch die zugefügten
Wasserstoffionen die Hydroxylionen fast verbraucht sind und ein kleiner
Überschuss von Wasserstoffionen auftritt. Alsbald werden sich diese mit
dem Anion der Farbsäure oder des Indikators verbinden, und dieser geht
in die anders gefärbte ungespaltene Verbindung über.
So ist das Anion des Phenolphtaleins rot, die ungespaltene Ver-
bindung farblos. Das Anion des Lackmusfarbstoffes ist blau, die nicht
dissodierte Verbindung rot, u. s. w.
Nun kann man aber bekanntlich mit Phenolphtalein zwar schwache
Säuren titrieren, man muss sich dazu aber einer starken Base, z. B.
des Barytwassers bedienen. Bei Gegenwart einer schwachen Base, z. B.
des Ammoniaks, ist Phenolphtalein unbrauchbar, denn man erhält keinen
bestimmten Farbwechsel, sondern alünähliche Übergänge.
Die Ursache ist, dass dieser Farbstoff eine sehr schwache Säure
ist; ihre Salze mit schwachen Basen sind daher hydrolytisch gespalten,
und schon bevor Wasserstoffionen in grösserer Menge auftreten, wird
426 IX. Elektrochemie.
ein grösserer und grösserer Teil der Ionen in die farblose nichtdissodierte
Verbindung übergeführt. Ist dagegen die Base stark, so ist die Hydrolyse
sehr gering, und der Farbübergang ist bestimmt.
Will man schwache Basen mit einem sauren Indikator titrieren, so
muss man als solchen eine etwas stärkere Säure wählen, die nicht er-
hebliche Hydrolyse ergiebt. Eine solche ist das Metiiylorange, die Sulfo-
säure des Dimethylamidoazobenzols. Ihr Ion ist gelb, wahrend die nn-
gespaltene Verbindung rot ist; dem entsprechen die Farben in alkalischer
und saurer Lösung.
Mit Methylorange kann man zwar schwache Basen titrieren, mau
muss aber dazu starke Säuren, wie Salzsäure oder Schwefelsäure an-
wenden. Mit schwachen Säuren, wie Essigsäure, erhält man keinen be-
stimmten Farbumschlag, sondern langsame Übergänge. Dies rührt daher^
dass die ersten Spuren Essigsäure, die in Gegenwart ihres Neutralsalzes
in der Flüssigkeit auftreten, nur sehr wenig Wasserstoffionen abspalten,
80 wenig, dass sich diese nicht genügend mit den Ionen des Farbstoffes
vereinigen können. Es entsteht vielmehr ein chemisches Gleichgewicht,
das sich allmählich mit steigender Menge Essigsäure zu gunsten der un-
gespaltenen Farbsäure verschiebt, aber sich über ein so breites Eonzen-
trationsgebiet erstreckt, dass die genaue Messung vereitelt wird.
Daraus ergeben sich die Regehi: schwache Säuren müssen mit einer
starken Base und einer schwachen Farbsäure titriert werden, schwache
Basen mit einer starken Säure und einem mittelsauren Farbstoff.
Ganz ähnliche Betrachtungen sind für die Farbstoff b äsen anzu-
stellen, die man ebenso als Indikatoren brauchen kann, wenn ihre Ionen
andere Farbe zeigen, als der ungespaltene Stoff. Nur sind die Begeh
umzukehren: schwache Säuren verlangen einen stärker basischen Farb-
stoff, schwache Basen einen möglichst schwachen.
Praktisch ist zu bemerken, dass unter den sauren Farbstoffen
Phenolphtalein einer der schwächsten Säuren ist. Dann kommt Lackmus,
KocheniUe, Rosolsäure, Nitrophenol, und zuletzt Metiiylorange als stärkste
Säure, die als Indikator Anwendung findet. Basische Indikatoren sind
kaum im Gebrauch.
An die bisher behandelten elektrolytischen Gleichgewichte in einer
Flüssigkeit schUessen sich die, bei denen mehrere Phasen auftreten.
Die wichtigsten sind die mit festen Phasen; die Frage, unter welchen
Umständen bei der Wechselwirkung zweier Salze ein Niederschlag und
somit eine gegenseitige Zersetzung eintritt, hat seit den Tagen Stahls
und Bergmanns die Forscher beschäftigt.
Im Anschluss an die Darlegimgen von S. 414 wird man allgemein
sagen können, dass jedem festen Salze bei einer bestimmten Temperatur
eine bestimmte Löslichkeit zukommt, welche durch die Konzentration c
des nicht dissociierten Anteils in der Lösung bestimmt ist. Diese Menge
ist wieder durch die Konzentration der Ionen a und b in der Lösung
bestimmt. Zwischen den dreien besteht die Beziehung a™b° = kc, wo
Elektrolytische Gleichgewichte. 427
m und n die Zahlen der Ionen im Salze sind. Nennt man die Grösse
a™b° das Löslichkeitsprodukt; so wird also jedesmal in einer Lösung
«ine Fällung möglieh sein, wenn das Löslichkeitsprodukt überschritten ist ^).
Bringt man also in einer Lösung solche Ionen zusammen, aus denen
«ich ein Salz mit kleinerem Löslichkeitsprodukt bilden kanu, so ist jedes-
mal Übersättigung vorhanden, und es wird Fällung eintreten, wenn das
metastabile Gebiet übersehritten ist, oder Keime zugegen sind. Dieser
•ein&che Satz umfasst die ganze Theorie der Fällungsreaktionen an
Elektrolyten.
Einfache KUe, wie sie bei der Wechselwirkung der Ionen neutraler
Salze eintreten, erledigen sich hierdurch ohne weiteres; die Fällung von
Oaldumsalzen durch Anmioniumoxalat, von Sulfaten durch Baryum- oder
Bleisalzen bedürfen keiner Erklärung.
Etwas verwickeitere Verhältnisse treten ein, wenn der eine oder
andere der beteiligten Elektrolyten nicht wie die meisten NeutraJsalze
praktisch vollständig dissociiert ist Hier sind zuerst die f^Uungen durch
Säuren zu erwähnen, deren theoretische Bewältigung früher Schwierig-
keiten machte. Während aUe Baryumsalze auch durch freie Schwefel-
säure gefällt werden, ist zwar die Fällung des Calciumacetats durch
fi*eie Oxalsäure praktisch vollständig, nicht aber die des Calciumnitrats,
und die Gegenwart freier Salpetersäure im letzteren Falle kann sogar
die f^lung völlig verhindern.
Die Ursache ist die, dass die Schwefelsäure eine starke, d. h. weit-
gehend dissociierte Säure ist, während die Oxalsäure zu den schwächeren
gehört. Sind in der Lösung Waaserstoffionen neben denen der Schwefel-
säure vorhanden, so verbinden sie sich nur zu einem geringen Teile
miteinander zu nichtdissodierter Schwefelsäure^. Bei der Oxalsäure ist
-dagegen diese Verbindung reichlich, namentlich wenn überschüssige
Wafiserstoffionen zugegen sind; dadurch verschwinden Oxalsäureionen aus
•der Lösung, und man kommt bald zu einem Punkte, wo das Löslich-
keitsprodukt nicht mehr erreicht ist
Daraus ergiebt sich das Gesetz, dass Säuren zwar die Fällung
schwerlöslicher Salze wenig dissociierter Säuren verhindern könneu, nicht
aber die von Salzen stark dissociierter Säuren.
Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss allgemein; die Halogen ver-
.bindungen des Silbers sind in anderen Säuren praktisch unlöslich, weil
*) Ist die Überschreitung nicht gross, so braucht eine Fällung nicht not-
ifendig einzutreten, wenn die vorhandene Übersättigung noch im metastabilen
•Gebiete liegt. Hat aber die Fällung begonnen, so schreitet sie auch bis zum
Gleichgewichte vor.
*) Von der Betrachtung der durch teilweise Abspaltung des Wasserstoffs
•entstehenden einwertigen Ionen der beiden Säuren ist der Einfachheit wegen
abgesehen worden. Die Verhältnisse werden dadurch quantitativ etwas ver-
schoben, bleiben aber im Wesen die gleichen.
428 IX. Elektrochemie.
die Halogenwasserstoffsäuren zu den stärkst dissociierten gehören. An-
dererseits sind die Salze der schwachen Phosphorsäure; und die der
noch schwächeren Kohlensäure nicht nur in den starken Mineralsänren
löslich, sondern erstere zum Teil, letztere alle in Essigsäure.
Ganz dieselben Erwägungen bestimmen also auch die Frage, welche
Niederschläge in Säuren löslich sind, und welche nicht.
Ahnlich liegen die Verhältnisse llir die Fällung schwerlöslicher saurer
oder basischer Stoffe. Erstere kommen wenig vor, letztere dagegen sehr
häufig, und sollen daher betrachtet werden.
Wird zu einer Lösung eines Kupfersalzes Kali gesetzt, so wird die
Konzentration der Hydroxylionen in der Lösung vermehrt, und bald das
auf Kupferhydroxyd bezügliche Löslichkeitsprodukt Kupferionen X Hydr-
oxylionen tiberschritten, so dass dieses als Mederschlag austäilt. Dies ist
die typische Erscheinung. Abweichungen treten z. B. ein, wenn man
Magnesiumsalze mit Ammoniak fällt. Dann ist die Fällung unvollständig,
und ist von vornherein ein Ammoniaksalz zugegen gewesen, so entsteht
überhaupt kein Niederschlag.
Die Ursache ist, dass das Löslichkeitsprodukt des Magnesiumhy-
droxyds ziemlich gross ist, wie man auch aus seiner deutiich, wenn auch
schwach alkalischen Eeaktion erkennen kann. Ammoniak ist seinerseits
eine ziemlich schwache Base, die Lösung enthält also nicht viel Hy-
droxylionen. Indessen reichen diese aus, um beim Zusatz von wässeriger
Ammoniaklösung zu der eines Magnesiumsalzes das Löslichkeitsprodukt
zu überschreiten. Gleichzeitig vermehren sich aber die Ammoniumionen
der Lösung, indem sie mit dem Anion des Magnesiumsalzes ein stark
dissociiertes Salz bilden; dadurch wu-d die Dissodation des Ammoniaks
zurückgedrängt (S. 413) und die Konzentration der Hydroxylionen nimmt
entsprechend ab. Gleichzeitig wird die Konzentration der Magnesium-
ionen durch die Ausscheidung des Hydroxyds geringer, und beide Um-
stände wirken dahin, dass das Löslichkeiteprodukt auch bei weiterem
Zusatz von Ammoniak nicht mehr überschritten wird, also keine Fällung^
mehr stattfindet. Hat man aber von vornherein Ammoniaksalze zuge-
setzt, so wird gleich die Konzentration des Hydroxyls aus dem Am-
moniak so gering gemacht, daas das Löshchkeitsprodukt des Magnesium-
hydroxyds nicht erreicht wird.
Allgemein wird jeder Vorgang, der eines der Ionen des Nieder-
schlages aus der Lösung fortnimmt, dessen Löslichkeit befördern. So ist
bekannt, dass Ohiorsilber merklich in Merkurinitrat löslich ist. Dies
rührt daher, dass Merkurichlorid ein sehr wenig dissociiertes Salz ist;
durch die Gegenwart von Merkuriionen aus dem Nitrat werden also vor-
handene Chlorionen in nichtdissociiertes Quecksilberchlorid tibergeftihrt^
und es muss weiteres Chlorsilber in Lösung gehen, bis die dadurch ein-
getretene Vermehrung der Silberionen den Verlust an Chlorionen wett-
gemacht und das Löslichkeitsprodukt wieder hergestellt hat
Ein sehr häufiger Weg, auf dem Ionen verschwinden, ist der Über
Elektrolytische Gleichgewichte. 429
gang in eine zusammengesetztere oder ^ komplexe'^ Verbindung. Mit
diesem Namen bezeichnet man Ionen, in denen Bestandteile vorkommen,
die dort nicht Ionen sind, die aber für sich als Ionen existieren können.
Solche Verbindungen sind (prinzipiell immer und) häufig nachweisbar
teilweise in die ein&chen Ionen gespalten, wenn auch deren Hauptmenge
im Komplex enthalten ist
So sind z. B. fast alle SUbersalze in Cyankalium löslich, weil die
Silberionen sich mit den Cyanionen zu dem komplexen Anion der
Silbercyanwasserstof^ure HAg(CN)* verbinden. Dadurch wird die Kon-
zentration der Silberionen m der Lösung sehr klein gemacht, und es
muss durch Auflösen grösserer Mengen des festen Salzes das betreffenden
Anion in der Lösung vermehrt werden, wenn das Löslichkeitsprodukt er-
reicht werden soll.
Ähnliche Fälle sind überaus häufig^). Man bezeichnet sie in der
analytischen Chemie als anomale Reaktionen, und man kann beinahe die
Begriffe anomale Reaktion und Bildung einer komplexen Verbindung als
gleichwertig ansehen. Jedenfalls ist fast immer die erhöhte Löslichkeit
eines schwerlöslichen Salzes (dies Wort in seinem weitesten Sinne ge-
nommen) auf das Eingehen eines seiner Ionen in eine Verbindung, in
der es nicht mehr Ion ist, zurückzuführen.
Diese Betrachtungen geben auch Auskunft auf die Frage, welches
von den vier möglichen Salzen sich aus einer je zwei und zwei Ionen ent-
haltenden Lösung zuerst ausscheiden wird. Es ist dasjenige, dessen Lös-
lidikeitsprodukt zuerst erreicht ist, wenn man die Lösung konzentriert.
Auch für die weiteren möglichen Salze gilt das Gleiche, nur werden för
diese die Verhältnisse dadurch verwickelt, dass die Ausscheidung des
ersten Salzes die Konzentrationen der entsprechenden Ionen vermindert,
80 dass im allgemeinen wegen der Anreicherung der Lösung an den
beiden anderen Ionen das aus diesen gebildete Salz am ehesten das
Lösiichkeitsprodukt erreichen wird.
Ein eindeutiges Gleichgewicht ist dadurch noch nicht hergesteUt, denn
die vier Ionen bedingen drei feste Phasen neben der flüssigen und gas-
förmigen, damit eine Sättigungslinie, d. h. eine dndeutige Beziehung
zwischen Temperatur und der Zusammensetzung der Lösung gesichert
ist^. Erst wenn also drei von den möglichen Salzen am Boden liegen,
wird die Lösung den Charakter einer gesättigten haben, und sich durch
beliebige Änderungen der Mengen der festen Phasen nicht ändern. Dar-
aus folgt, dass wenn man zwei Salze, deren Ionen aUe verschieden sind,
*) Eingehenderes findet sich in des Verfassers Wissenschaftlichen Grund-
lagen der analytischen Chemie^ 2. Aufl., Leipzig 1897.
*) Vier Ionen und Wasser ergeben fünf Bestandteile, also sieben Frei-
heiten gemäss dem Phasengesetz. Von diesen wird eine durch die lonengleich-
ung (S. 400) beansprucht; damit eine Freiheit übrig bleibt, müssen fünf
Phasen, nämlich drei feste, Lösung und Dampf vorhanden sein.
430 IX. Elektrochemie.
im Überachuss mit Wasser zusammenbringt, ein Gleichgewicht sich durch
blosses Auflösen der beiden Salze nicht herstellen kann. Vielmehr muss.
gleichzeitig eines der beiden anderen Salze, die sich aus den genommenen
durch Wechselzersetzung herstellen lassen, sich in fester Gestalt aus-
scheiden, und erst nachdem dies geschehen ist, tritt ein bestimmtes
Gleichgewicht ein.
Welches von den beiden Salzen sich abscheidet, ist von den ein-
zelnen Löslichkeitsprodukten abhängig. Diese können sich mit der Tem-
peratur gegeneinander verschieben, so dass es im allgemeinen eine be-
stimmte Temperatur geben wird, bei welcher alle vier möglichen Salze
nebeneinander bestehen können. Unterhalb dieser Umwandlungstemperatur
besteht nur die eine Triade, oberhalb nur die andere.
Sechstes Kapitel.
Voltasche Ketten.
Nachdem Galvani das Zucken präparierter Froschschenkel entdeekt
hatte, welches bei der Berührung von Muskel und Nerv mit Metallen
eintritt, und Volta die Notwendigkeit der Anwendung zweier verschie-
dener Metalle gezeigt, und die Erscheinung als eine rein elektrische er-
wiesen hatte, trat alsbald die Frage nach der Quelle dieser Elektrizität
auf; Galvani suchte sie im lebenden Gewebe, Volta in der Berührung
zweier verschiedener Metalle. Es gelang Volta zwar, durch meisterhafte
Versuche die Unrichtigkeit von Galvanis Ansichten zu erweisen; über seine
eigene Auffassung entspann sich aber ein Kampf, der länger als ein halbes
Jahrhundert gedauert hat, und von dem noch jetzt einige Spuren übrig
geblieben sind. Die Entscheidung brachte das Energiegesetz, welches so
viele andere Fragen entschieden hat; es lehrte zunächst die Frage richtig
stellen. Durch den Aufbau seiner Säule hatte Volta gezeigt, dass man
durch die Schichtung abwechselnder Platten von zwei Metallen und einem
feuchten Leiter einen Apparat herstellen kann, der allerlei thermische,
chemische und mechanische Arbeit zu leisten vermag. Diesem gegen-
über war nicht in erster Linie die Frage zu stellen: woher kommt die
Elektrizität? sondern: woher kommt die elektrische Energie? Die
Arbeitsleistungen der Säule müssen in anderweitigen Energiequellen
ihren Ausgang haben, und als solche waren nur die chemischen Vor-
gänge in der Säule vorhanden.
Die Entscheidung der Sache wurde sehr durch das grosse Missver-
hältnis zwischen den Stoff- und den Eiektrizitätsmengen erschwert^ die
dem Faradayschen Gesetz gemäss sich gleichzeitig bewegen. Elektrizitäts-
mengen, welche grosse Kondensatoren bis zu erheblichen Schlagweiten
laden können, sind mit kaum wägbaren Spuren ihrer Träger, der Ionen
Voltasche Ketten. 431
verbunden, und man kann daher erhebliche elektrische Erscheinungen
in f^en beobachten, wo die zugehörigen chemisdien Vorgänge sich aller
Möglichkeit eines Nachweises entziehen. Nachdem aber da« Faradaysche
Gesetz sich als ein so genaues Naturgesetz erwiesen hat, dass bisher
Abweichungen davon noch nicht entdeckt worden sind, darf man mit
Sicherheit aussprechen, dass in Gebilden mit Elektrolyten kein elektrisdier
Vorgang ohne entsprechenden chemischen Vorgang verlaufen kann.
Eine Voltasche Rette ist demgemäss eine Maschine, welche chemische
Energie in elektrische verwandelt. Die theoretisch vollkommene Form
wird eine derartige Maschine haben, wenn der diemische und der elek-
trische Vorgang so miteinander verknüpft sind, dass keiner ohne den
anderen verlaufen kann. Eine solche Maschine erMt gleichzeitig das
Postulat der ümkehrbarkeit und gestattet die Anwendung der entsprechen-
den Gesetze.
Es hat die Entwickelung einer rationellen Theorie der Voltaschen Kette
sehr lange verzögert, dass die früher angewendeten Ketten sich sehr weit von
diesem Ideal entfernten, und insbesondere mit keinem scharf definierten
chemischen Vorgange verknüpft waren. In der ursprünglichen Voltaschen
Kette wurde Zink und Silber nebst Salzwasser verwendet. Kitter ersetzte
das Silber durch Kupfer, und Fechner zeigte, dass letzteres am besten wirkt,
wenn es an seiner Oberfläche oxydiert ist. Doch hatten alle diese Ketten die
Eigenschaft einer veränderlichen Spannung, sie „polarisierten" sich durch den
Gebrauch. Dies lag daran, dass anfangs der chemische Vorgang in der Re-
duktion des vorhandenen Kupferoxyds bestand; war dieses verbraucht, so
wurde statt des Kupfers Wasserstoff abgeschieden, und damit verminderte sich
die nutzbare Spannung.
Die elektrische Energie wird (S. 377) durch das Produkt von
Elektrizitätsmenge und Spannung gemessen. Über die erstere entscheidet
das Faradaysche Gesetz: unabhängig von der Natur der Kette geht ftlr
die einem Gramm Wasserstoff äquivalente Menge der umgesetzten Stoffe
die Elektrizitätsmenge von 96540 Goul durch die Kette. Die Ver-
schiedenheit der Energie der verschiedenen Ketten muss sich daher aus-
schliesslich in der Spannung zum Ausdruck bringen, und deren Messung
ist daher die Grundlage für ihre Beurteilung.
Um eine Spannung zu messen^ verfährt man am besten so, dass
man eine bekannte Stufenreihe von Spannungen herstellt^ und sie der
zu messenden Spannung entgegenschaltet Wo beide sich aufheben^ ist
die zu messende Spannung gleidi der, welche zu ihrer Kompensienmg
benutzt wurde. (Poggendorf 1842.)
Jetzt^ wo man in den Akkumulatoren Ketten von grosser Beständig-
keit hat ist die Herstellung eines solchen Apparates leicht Man schliesst
einen Akkumulator E flg. 54 durch einen auf einer Meterskala ausge-
spannten Draht ab (die Messbrücke f^r Widerstandsbestimmungen, S. 384,
ist dazu geeignet) und schaltet die zu messende Spannung nebst einem
Strom- oder Spannungsprüfer G in einen Kreis/ der an dem beweglichen
432 IX. Elektrochemie.
Kontakt c endet. Durch Verschieben des letzteren findet man die Stelle^
wo G keinen Ausschlag giebt; die an c abgelesenen Millimeter geben
dann die Spannung jc in Tausendsteln der Spannung zwischen a und b.
Für G kann man entweder ein empfindliches Galvanometer oder
ein Elektrometer anwenden; das letztere hat den Vorzug, keinen dauern-
den Strom zu gestatten, und dadurch die zu prüfende Kette gegen Be-
anspruchung zu schützen^). Da der Akkumulator keine ganz bestimmte
Spannung hat, so aicht man den Spannungsmesser dadurch^ dass man
ein Normalelement misst, und die Ablesungen auf dessen Spannung reduziert.
Als Normalelement dient das von Weston angegebene aus amal-
gamiertem Kadmium, gesättigter Lösung von Kadmiumsulfat neben
Krystallen des festen Salzes, Merkurosulfat und Quecksilber. Seine
Spannung ist 10186V, fast ganz unabhängig von der Temperatur.
Der Typus eines elektrochemischen Apparates, der sich den theo-
Fig. 54. ^
retischen Voraussetzungen möglichst nähert, ist die von Daniell (1836)
angegebene Kette.
Sie besteht aus einem Leiter (einer Elektrode) aus Zink und einem
aus Kupfer. Das Zink taucht in eine Lösung von Zinksulfat, das Kupfer
in eine von Kupfersulfat; beide Flüssigkeiten stehen miteinander in Be-
rührung; gegen Vermischung werden sie gewöhnlich durch eine Wand aus
porösem Material geschützt, die indessen nicht wesentlich ist.
So lange die beiden Elektroden nicht elektrisch leitend verbunden
sind, geht in der Kette nichts vor sich; stellt man dagegen die Ver-
bindung her, so erfolgt ein elektrischer Strom durch den Leiter und die
Kette, wobei auf der Kupferelektrode metallisches Kupfer ausgeschieden
wird, während sich an der Zinkelektrode die äquivalente Menge Zink löst.
^) Als Elektrometer dient am bequemsten eines nach dem Prinzip von
Lippmann. Die erforderlichen Einzelheiten über die Technik dieser und
anderer physikochemischer Messungen finden sich in des Verfassers Uand-
und Hilfsbuch zur Ausführung physikochemischer Messungen, Leipzig 1893.
Yoltasche Ketten. 433
Der chemische Vorgang besteht also in einer Substitution des Kupfers
in der Lösung durch Zink. Vermöge des Gesetzes von Faraday ist die
Elektrizitätsmenge, welche durch die Kette in Bewegung gesetzt wird^
der aufgelösten Zink- und der abgeschiedenen Kupfermenge proportional,
und zwar beträgt sie för jedes Mol Zink oder Kupfer 2 X 96540 Coul,
da die beiden Metalle zweiwertig sind.
Die Wärmetönung bei der Substitution des Kupfers durch Zink in
der Sul&tlösung lässt sich unmittelbar messen, wenn man eine Kupfer-
Bulfatlösung im Calorimeter durch Zinkpulver zersetzt Aus den oben
gegebenen Tabellen findet man sie, wenn man die Bildungswärme des
gelösten Kupfersulfats von der des Zinksulfats abzieht^). Sie ergiebt
sich zu 1039 — 830 gleich 209 J oder 209 000 j.
Nehmen wir nun an, dass die gesamte Energiemenge, die bei diesem
Vorgange frei wird, sich in elektrische Energie verwandelt, so ist von
dieser der eine Faktor, die Elektrizitätsmenge, gegeben; sie beträgt
2X96540Coul. Dividiert man diese Zahl in die Energiemenge von
209 000 j, so erhält man die elektromotorische Kraft in Volt, und da-
nach müsste die Daniellsche Kette 1-08 V Spannung haben. Der that-
sächlich beobachtete Wert beträgt 1-10 V, steht also in guter Überein-
stimmung mit der Rechnung.
Dieses Zusammentreffen bei der bestbekannten Kette hatte die Vor-
stellung hervorgerufen, dass es sich hier um ein allgemeines Gesetz
handele. Bei dem Versuche, diesen Gedanken durchzuführen, entstanden
indessen folgende experimentelle Schwierigkeiten.
Wenn man eine Kette durch einen Draht schliesst, so verwandelt
sich die elektrische Energie in Wärme, welche dem Jouleschen Gesetz
gemäss im ganzen Schliessungskreise proportional dem Widerstände an
jeder Stelle erscheint. Insbesondere tritt in der Kette selbst eine Wärme-
menge auf, die sich zur gesamten Stromwärme verhält, wie der innere
Widerstand der Kette zum gesamten Widerstände. Erhöht man also
den äusseren Widerstand, so kann man einen immer grösseren Betrag
der Wärmeentwickelung aus der Kette herausnehmen, und gelangt
praktisch leicht so weit, dass kaum ein Prozent des Widerstandes inner-
halb der Kette verbleibt.
Die Erfahrung hat nun gezeigt (Favre 1854), dass es emen Wärme-
anteil giebt, der sich nicht aus der Kette herausnehmen lässt, indem
auch bei einem sehr grossen Verhältnis des äusseren Widerstandes die
in der Kette verbleibende Wärmemenge nicht gegen Null geht, sondern
gegen einen endlichen Grenzwert, der meist positiv ist, aber auch negativ
sein kann. Das letztere bedeutet, dass durch den Strom mehr Wärme
*) Thatsächlich ist die Bildungswärme der Kupferverbindungen ermittelt
worden, indem man zuerst die der Zinkverbindungen durch Auflösen des
Metalls in Säuren bestimmt und dann die Zersetzungswärme der Kupfer -
salze durch metallisches Zink gemessen hat.
Ostwald, Grandriss. 3. Aufl. 28
434 I^* Elektrochemie.
aus der Kette entfernt wü*d, als durch den chemischen Vorgang geliefert
wird; dieses Mehr wird der Umgebung entnommen. Hatte man auch
die erste Erscheinung durch ^^Nebenreaktionen^' zu deuten gesucht, welche
zwar Wärme entwickeln, nicht aber elektromotorisdi wirken können, so
war dies im zweiten Falle sdiwieriger anzunehmen, da diese Neben-
reaktionen unter Wärmeverbrauch erfolgen sollten.
Die anfangs allgemein angenommene Theorie von der vollständigen
Umwandlung der chemischen Energie in elektrische in der Yoltaschen
Kette ^) musste daher fallen gelassen werden. Die richtige Theorie wurde
von W. Gibbs (1878) und Helmholtz (1882) aufgestellt.
Da man nicht von vornherein annehmen darf, dass in jeder Kette
die chemische Energie sich ohne weiteres in elektrische verwandeln kann,
so wird man die Rechnung so ansetzen, dass auch die Möglichkeit einer
AVärmeentwickelung in der Kette angenommen ist
Die Kette habe bei der Temperatur T die Spannung jr und ihre
Elektroden seien n- wertig. Die Faradaysche Konstante 96540 Coul
heisse F. Wir denken uns bei T® die Elektrizitätsmenge nF durch die
Kette geleitet; dann wird die elektrische Arbeit nFjr geleistet und zur
Erhaltung der Temperatur T werden gleichzeitig W Joule aufgenommen
(wo W positiv oder negativ sein kann). Dann werde die Temperatur
auf T -f- dT erhöht; die Spannung ändert sich auf Jt + ^^* Unter
diesen Umständen werden die nF Coul wieder im entgegengesetzten
Sinne durdi die Kette geleitet, wobei wir annehmen, dass der chemische
Vorgang (wie beim Daniellschen Element) wieder genau im umgekehrten
^) Dass dies nicht der Fall sein kann, geht auch aus folgender Über-
legung hervor. Man habe eine Kette von der Art der Daniellschen, jedoch
mit einem leicht schmelzbaren Metalle und zwar bei der Schmelztemperatur
desselben. Die elektromotorische Kraft sei so, dass sich die chemische
Energie ohne Rest in die elektrische verwandelt, wenn beide Metalle im
festen Zustande vorliegen. Jetzt werde das eine Metall geschmolzen, wozu
nach der Voraussetzung keine Temperaturveränderung erforderlich ist. Die
elektromotorische Kraft ändere sich so, dass wieder die Wärmetönung in der
Kette Null ist. Schaltet man dann beide Ketten gegeneinander, so erfolgt wegen
des Unterschiedes der Spannung ein Strom, mit dem man Arbeit leisten kann.
Da in beiden Ketten der chemische Vorgang derselbe ist, so ist das Resultat
des Stromdurchganges, dass einerseits das flüssige Metall gelöst, und anderer-
seits das feste abgeschieden wird. Nun kann man aber bei der Schmelz-
temperatur das feste Metall wieder durch Wärmezufuhr schmelzen, und so
die Kette beliebig lange unter Arbeitsleistung im Gange erhalten, d. h. man
kann bei konstanter Temperatur beliebige Wärmemengen in Arbeit ver-
wandeln. Dies wäre ein Perpetuum mobile zweiter Art und widerspricht dem
zweiten Hauptsatz, ist also unmöglich. Vielmehr müssen notwendig beide
Spannungen gleich sein, und wenn daher die eine Kette ohne Wärmetönung
arbeitet, so thut es die andere sicher nicht.
Yoltasche Ketten. 435
Sinne veiiäoft. Wird schliesslich die Temperatur wieder auf T® ge-
bracht; so ist der Kreisprozess gesdilossen, und wir können die Formel
anwenden, dass sidi die Arbeit zur bewegten Wärme verhält, wie dT
zu T. Die Arbeit ist der Unterschied der beiden elektrischen Energieen,
nämlich nFd:7r; die Wärme ist W. Die Gleichung lautet daher
dT/T = nF.d:?r/W oder d:7r/dT = W/nFT. Nun ist die der Kette
für den Umsatz von einem Mol zuzuführende Wärmemenge gleich der
herausgenommenen elektrischen Energie nFjr vermindert um die durch
den chemischen Vorgang gelieferte Wärmemenge; die Reaktionswärme R,
also W = nFjr — R. Wird dies in die obige Gleichung eingeführt, so
folgt d:7r/dT = jr/T— R/nFT oder :7r = R/nF + Tdjr/dT.
In dieser Gleichung ist R/nF die chemische Energie, dividiert
durch die Elektrizitätsmenge, d. h. die nach der früheren Ansicht be-
rechnete Spannung. Wie die Formel lehrt, sind beide nicht gleich^
ausser wenn das letzte Glied djr/dT, der Temperaturkoeffizient der
Spannung gleich Null ist. Dies trifft bei Daniellscfaen Elementen zu,
und deshalb hat sich jr = R/nF ergeben.
Im übrigen kommen aber l^le vor, wo die Spannung nicht von
der Temperatur unabhängig ist, sondern sich erheblich mit dieser ändert
Dabei sind Änderungen in beiderlei Sinn beobachtet worden; sowohl Zu-
nahme der Spannung mit steigender Temperatur, wie auch Abnahmen.
Ist djr/dT negativ, findet also mit stdjgender Temperatur eine Abnahme
der Spannung statt, so ist auch W = nF:7r — R negativ, d. h. es ist
R>>nF:;r, die chemische Energie ist grösser als die elektrische. Es
muss der Kette Wärme entzogen werden, um ihre Temperatur konstant
zu halten, oder sie erwärmt sich durch ihre Bethätigung über den Be-
trag der ^Jouleschen'^ d. h. durch den Widerstand bewirkten Wärme-
entwickelung hinaus.
Der umgekehrte Fall, die Erhöhung der elektromotorischen Kraft
mit der Temperatur, ist mit der Thatsache verbunden, dass die Kette
unter Wärmeaufiiahme, bez. Abkühlung arbeitet.
Diese Zusammenhänge sind durch sorgfaltige Untersuchungen, zu-
letzt von H. Jahn, experimentell in weitem Umfange bewiesen worden.
Ketten, deren Spannung mit steigender Temperatur abnimmt, müssen
schliesslich durch die Spannung Null gehen, und dann ihre Pole vertauschen.
Dadurch geben sie in Ketten über, die Wärme aufnehmen und deren Span-
I nung mit steigender Temperatur wächst, so dass diese Art als die typische
für höhere Temperaturen anzusehen ist. Gleichzeitig wird das Glied Td7r/dT
immer grösser dem Gliede R/nF gegenüber. Das hat zur Folge, dass schliess-
lich der chemische Vorgang in der Kette nur eine sekundäre Rolle spielt. Es
muss schliesslich einen idealen Kettenzustand, ähnlich dem idealen Gaszustande
geben, in welchem die ganze bei konstanter Temperatur zugeführte Wärme
I sich in elektrische Energie umsetzt, und die den chemischen Vorgang be-
gleitende Wärmetönung nur als Abweichung vom idealen Zustande erscheint.
! 28*
436 I^* Elektrochemie.
Die eben entwickelte Theorie ergiebt keine unabhängige Voraus-
berechnnng der elektromotorischen Kraft aus den Eonstanten des che-
mischen Vorganges in der Kette, sondern nur einen Zusammenhang
zwischen der chemischen, der elektrischen Energie und einem dritten
Gliede, das durch die Temperaturänderung der Spannung bestimmt ist.
Wenn zwei von diesen Gliedern gegeben sind, so lässt sich das diitte
berechnen.
Es ist nun zu fragen, welcher Art die chemischen Vorgänge in der
Kette sein müssen, damit die Theorie Anwendung finden kann. Die
Bedingungen sind dahin auszusprechen, dass die Kette konstant und
umkehrbar sein muss.
Konstant wird eine Kette sein, wenn während des Stromdurch-
ganges immer derselbe chemische Vorgang unter denselben Bedingungen
stattfindet. Da durch den Vorgang selbst die vorhandenen Stoffe ver-
braucht werden, so müssen sie entweder von vornherein in genügender
Menge und Konzentration anwesend sein, oder es muss Vorsorge ge-
troffen sein, daas sie nach Massgabe des Verbrauches ersetzt werden.
Dies sind indessen mehr praktische Fragen; da fwc theoretische Zwecke
die Stromentnahme auf ein Minimum eingeschränkt werden kann, so
kann in solchem Sinne schliesshch jede Kette als der theoretischen Be-
dingung entsprechend angesehen werden.
In der That liegt die Schwierigkeit in der Beurteilung einer sogenann-
ten inkonstanten Kette wesentlich in der Entscheidung der Frage, welcher
von den unter den vorhandenen Umständen möglichen chemischen Prozessen
wirklich stattfindet. So kann eine Kette aus Zink und Platin in Schwefelsäure
in mehrerlei Weise wirken. Solange an der Kathode Luftsauerstoff vorhanden
ist, wird sich auf seine Kosten Wasser mittels des zutretenden Wasserstoffs
bilden. Ist jener verbraucht, so tritt der Wasserstoff als solcher auf, der zu-
erst vom Platin aufgelöst wird und später in Blasen erscheint. Diesen ver-
schiedenen Vorgängen entsprechen ebenso verschiedene elektromotorische Kräfte,
und erst wenn man die Bedingungen, unter denen die Kette arbeitet, genau
definiert, kann man mit ihrer Spannung rechnen.
Umkehrbar wird eine Kette sein, wenn der durch den Stromdurch-
gang in einem Sinne bewirkte Vorgang mittels eines entgegengesetzt ge-
richteten Stromes wieder rückgängig gemacht werden kann. Beim Daniell-
schen Element ist diese Bedingung offenbar sehr nahe erfüllt, und sie wird
in allen Fällen erfüllt sein, wo diese entgegengesetzte Reaktion möglich
ist. Auch dies stellt sich schliesslich als eine wesentlich praktische Auf-
gabe heraus, denn allgemein gesprochen wird die entgegengesetzte Re-
aktion immer möglich sein. Nur kann es in vielen Fällen geschehen,
dass ausser dieser theoretischen Reaktion noch andere unter den gleichen
Umständen eintreten können, die neben jener stattfinden, und sie quan-
titativ übertreffen können. Femer geschieht es häufig, dass die unmittel-
baren Ergebnisse des elektrochemischen Vorganges an der Elektrode
weitere Umwandlungen erfahren, deren Umkehrung ähnlichen Schwierig-
Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen. 437
keiten nnterHegi In aUen solchen Fällen werden sich die Reaktionen
nicht vollständig^ zuweilen anscheinend gar nicht umkehren lassen.
Doch ist die Umkehrbarkeit häufig nur eine Frage der Zeit, und für
kurze Zeiträume wohl immer vorhanden. Dies ergiebt sich aus dem Umstände,
dass bei der Anwendung von Wechselströmen zur Messung der Leitfähigkeit
der Elektrolyte (S. 383) sich auch bei sehr genauen auf diesen Punkt gerich-
teten Untersuchungen keine Abweichungen von dem Ohmschen Gesetze gezeigt
haben. Dies ist ein Beweis dafür, dass die in der Polarisation der Elektroden
aufgetretene Energie des einen Stromes dem darauf folgenden entgegen ge-
richteten Strome wieder völlig zu Gute kommt, d. h., dass die durch den
ersten ausgeschiedenen Stoffe wieder für den entgegengesetzten Strom ver-
braucht werden. Anderenfalls wäre an den Elektroden ein besonderer
Energieverbrauch entstanden, als dessen Folge sich eine Abweichung vom
Ohmschen . Gesetze gezeigt hätte.
Siebentes Kapitel.
Die chemisohen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen.
Wenn eine Voltasche Kette einen Strom- entstehen lässt, so geht
dieser nicht nur durch den äusseren Leiter, sondern auch durch die
Kette. Diese besteht ans einer Zusammenstellung von Leitern erster
und zweiter Klasse. Während nun der Strom die ersteren ohne Än-
derung durchtritt, so bedarf er zu seiner Bewegung im Elektrolyt nicht
nur der Ionen als materieller Träger, sondern an den Stellen, wo der
Elektrolyt an die metallischen Leiter, die Elektroden, grenzt, müssen aus
elektrisch neutralen Stoffen Ionen entstehen, oder Ionen sich in neutrale
Stoffe verwandeln, da auf keine andere Weise die Stromleitung durch
die Kette aufrecht erhalten werden kann. Welche von diesen Vorgängen
stattfinden, ergiebt sich aus folgenden Betrachtungen.
Nennen wir die Elektrode, durch welche die positive Elektrizität
in den Elektrolyten tritt, die Anode, so kann die Stromleitung erstens
so erfolgen, dass sich von der Anode positive Ionen oder Kationen los-
lösen, welche die Beförderung des Stromes übernehmen. Dies ist z. B.
mit dem Zink der Daniellschen Kette der Fall. Einem Strome positiver
Elektrizität in einer Richtung ist aber ein Strom negativer in entgegen-
gesetzter Richtung gleichwertig; daher kann derselbe Erfolg erzielt wer-
den, wenn an die Stelle der Bildung von Kationen die Vernichtung von
Anionen tritt. Ersetzen wir z.B. das Zink der Daniellschen Kette durch
eine Lösung von Jodwasserstoff, so kann von einem eingetauchten me-
tallischen Leiter, z. B. einer Platinplatte, gleichfalls ein positiver Strom in
die Flüssigkeit treten; die gleichzeitige Erscheinung besteht hier daidn, dass
die in dem Jodwasserstoff vorhandenen negativen Jodionen entiaden werden
438 IX. Elektrochemie.
und in gewöhnliches Jod übergehen, das sich in der überschüssigen
Säure löst. Man kann sich die Erscheinung so deuten , dass die aus
der Platte tretende positive Elektrizität die negative der Jodionen neu-
tralisiert und diese dadurch in neutrales, d. h. gewöhnliches Jod ver-
wandelt.
Ganz ähnliche Vorgänge finden an der Kathode statt^ d. h. an der
Elektrode, durch welche der positive Strom den Elektrolyten verläfist
oder der negative in ihn eintritt. Dort müssen entweder Anionen in
der Flüssigkeit entstehen, oder Kationen aus ihr verschwinden. Bei der
Danielischen Kette ist das letztere der Fall, indem dort Kupferionen die
Flüssigkeit verlassen, um sich als metallisches, d. h. neutrales Kupfer an
der Elektrode niederzuschlagen. Aber man kann das Kupfersulfat der
Daniellschen Kette mit vollständigem Erfolge durch Brom (das der Lei-
tung wegen in Bromwasserstoffsäure oder Bromkaliumlösung aufgelöst
ist) ersetzen. Dann kann der negative Strom in die Lösung treten, in-
dem das neutrale Brom durch Aufiiahme der elektrischen Ladung in
negative Bromionen übergeht.
Daraus ergiebt sich, dass die wesentliche Reaktion an der Anode
Vermehrung der Kationen oder Verminderung der Anionen ist, während
an der Kathode umgekehrt eine Verminderung der Kationen oder Ver-
mehrung der Anionen eifolgi Damit eine Zusammenstellung von Leitern
erster und zweiter Klasse als Voltasche Kette wirkt, muss an jeder
Elektrode eine von diesen Reaktionen mit den vorhandenen Stoffen mög-
lich sein. Daraus folgt, dass es insgesamt vier Typen solcher Ketten
giebt, nämlich:
Anode Kathode
Bildung von Kationen Bildung von Anionen
Bildung von Kationen Verbrauch von Kationen
Verbrauch von Anionen Bildung von Anionen
Verbrauch von Anionen Verbrauch von Kationen
Gleichwertig der Bildung, bez. dem Verbrauch von Ionen ist die
Vermehrung, bez. Verminderung der Ladung vorhandener Ionen (S. 398).
Beispiele dieser Typen sind
1 . Zink in Zinksulfat, Brom in Bromwasserstoff.
'2, Zink in Zinksulfat, Kupfer in Kupfersulfat.
3. Jod in Jodwasserstoff, Brom in Bromwasserstoff.
4. Jod in Jodwasserstoff, Kupfer in Kupfersulfat ^).
Betrachtet man diese Reaktionen vom chemischen Standpunkte, so er-
scheinen die Vorgänge an der Anode als Oxydationserscheinungen im
') Da Elemente, welche Anionen bilden, in metallisch leitendem Zu-
stande kaum bekannt sind, so müssen Brom und Jod mit Elektroden aus
irgend einem leitenden, aber nicht chemisch angreifbaren Material bethätigt
werden, während dies bei den Metallen nicht nötig ist. Doch entsteht da-
durch kein wesentlicher Unterschied.
Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen. 439
weiteren Sinne^ denen die thätigen Stoffe unterworfen werden, während
an der Kathode die vorhandenen Stoffe reduziert werden. Während
aber bei gewöhnlichen chemischen Vorgängen Oxydation und Reduktion
räumlich ungetrennt verlaufen, indem der oxydierende Stoff mit dem
oxydierbaren oder reduzierenden in unmittelbare Berührung gebradit
werden muss, so sind beide in der Voltaschen Kette räumlich getrennt.
Diese Ti*ennung ist wesentlich, da sonst die Koppelung der che-
mischen und elektrischen Energie nicht ausflüirbar wäre; durch das ge-
trennte Entstehen, bez. Verschwinden der Ionen an den Elektroden wird
die Elektrizität gezwungen, in Gestalt eines Stromes durch den Leiter-
kreis zu gehen.
Man kann somit den chemischen Schluss ziehen, dass wenn ein
Stoff die Tendenz zur Bildung positiver oder zum Verbrauch negativer
Ionen hat, er ein Reduktionsmittel im weiteren Sinne ist, während
Oxydationsmittel umgekehrt an sich negative Ionen zu bilden oder posi-
tive zu vernichten bestrebt sind. Ein Blick auf die oben gegebenen
Beispiele giebt alsbald die anschauliche Überzeugung von der Richtig-
keit dieser Definition. Gleichzeitig erkennt man, dass das, was man
bisher etwas unbestimmt mit dem Ausdruck Oxydation und Reduktion
im weiteren Sinne bezeichnet hat, vollständig und exakt durch die neue
Definition dargestellt wird.
Während bei den oben gewählten einfachen Beispielen diese Ver-
hältnisse sehr klar zu Tage treten, erscheinen sie etwas verwickelter bei
zusammengesetzteren Oxydations- und Reduktionsmittebi. Doch ist es in
jedem Falle ohne Zwang möglich, die gldche Auffassung durchzuführen.
Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse, wenn es sich um die
Vennehrung oder Verminderung vorhandener lonenladungen handelt.
Ein Kation wirkt als Reduktionsmittel, wenn es in ein mehrwertiges
übergeht, als Oxydationsmittel, wenn es die Zahl seiner Einheitsladungen
vermindert Umgekehrt verhält es sich mit einem Anion.
Beispiele för den ersten Fall bieten Eisen und Zinn, sowie die
anderen Metalle, die Kationen von verschiedener Wertigkeit bilden. In-
dem Ferroionen in Ferriionen übergehen, wirken sie reduzierend auf
andere Stoffe und umgekehrt Vermehrt dagegen das dreiwertige Anion
Ferricyan seine negative Ladung, indem es in das vierwertige Fenrocyanion
übergeht, so muss es einen anderen Stoff oxydieren.
Auf diese Form der Vermehning oder Verminderung von lonen-
ladungen lassen sich nun auch die verwickeiteren Oxydations- und Re-
duktionsvorgänge zurückführen. Das Schema besteht darin, dass man
Oxydationsmittel (nötigenfalls unter Mitrechnung der Elemente des Wassers)
als Hydroxylverbindungen , Reduktionsmittel als Wasserstoffverbindungen
formuliert, und an den dadurdi entstehenden Ionen die entsprechenden
Ladungsänderungen vornimmt. Einige Beispiele werden das Verfahren
klar machen.
Salpetersäure ist ein starkes Oxydationsmittel, welches bei seiner
440 IX* Elektrochemie.
Bethätigiing in NO' oder NO übergeht Die Oxydation des Silbers
durch Salpetersäure wird beispielsweise gewöhntich geschrieben:
Ag+ 2HN08 = AgNOj + H^O +NOj.
Hierbei kommt der wesentliche Unterschied in der Wirkung der
beiden Mole Salpetersäure , von denen nur das eine oxydierend wirkt,
nicht zur Darstellung. Nach dem eben angegebenen Schema ist der
Vorgang vielmehr zu schreiben:
Ag + NO-,/OH' + H-/NO'3 = Ag-/NO'3+H30 + NO,.
Hierbei sind die Kationen mit so viel Punkten^ die Anionen mit so
viel Strichen bezeichnet, als ihre Wertigkeit beträgt, und die dissodierten
Bestandteile sind durch einen Strich getrennt. Der Sinn der Gleichung
ist: wenn die Salpetersäure als Oxydationsmittel wirkt, so ist sie als
Hydroxylverbindung des Rations NO* aufzufassen. Wenn auch sicher
diese Spaltung nur in äusserst geringem Betrage erfolgt, so ist es doch
vollkommen statthaft, anzunehmen, dass falls diese wenigen Ionen durch
irgend einen Vorgang verbraucht werden, sie sich mit grosser Geschwindig-
keit wieder bilden. Die Oxydation besteht dann darin, dass die lonea
NOg ihre positive Ladung verlieren, indem sie sie an das Silber ab-
geben, und in neutrales NO, übergdien. Das Hydroxyl verbmdet sich
mit dem Wasserstoffion des anderen Salpetersäuremoles zu nichtdisso-
ciiertem Wasser.
Ähnlich ist die Oxydation unter Bildung von NO aufzu&ssen.
Unter Zutritt des Wassers kann man die Reaktion schreiben:
3Ag + N0-/(0H)'3 + SH'/NO'j = 3 Ag'/NO'j -f 3H«0 + NO.
Hier ist die Bildung des dreiwertigen Kations NO*" neben drei
Hydroxylen angenommen, und die Auflösung des Silbers erfolgt, indem
die drei positiven Ladungen drei Atome metallischen Silbers in Ionen
verwandeln. Die drei Hydroxyle bilden mit den Wasserstoffionen der
drei anderen Mole Salpetersäure Wasser, während deren Anionen mit
den Silberionen Silbemitrat darstellen.
Um auch für ein Reduktionsmittel ein Beispiel zu geben, sei die
Einwü"kung der schwefligen Säure auf Jod im elektrochemischen Sinne
formuliert. Die schweflige Säure ist, da sie als Reduktionsmittel wirkte
als eine Wasserstoffverbindung des vierwertigen Anions SO4"" zu schreiben,
indem die Elemente des Wassers addiert werden und es folgt
SO/"'/H-^ +J, =SO/'/H-, + 2J'/H-
Die Reduktion des Jods zu Jodwasserstoff erfolgt, indem das vierwertige
SO4"" in das zweiwertige, SO4", das Anion der Schwefelsäure, übergeht;
die Ladung wird zur Umwandlung zweier Jodatome in Jodionen verwendet.
Man kann nun diese Formulierung für eine zwar mögliche, aber doch
entbehrliche ansehen. Indessen überzeugt man sich bald, dass sie in der
That das wesentliche der Vorgänge besser zum Ausdruck bringt, als die alte
Schreibweise. Man sieht dies besonders deutlich am Beispiel der Übermangan-
Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen. 441
säure. Schreibt man diese, da sie ein Oxydationsmittel ist, als die Hydroxyl-
verbindung des sieben wertigen Mangans, HMnO« + ^H^O— >Mn(0H)7, so
übersieht man mit einem Blick folgende Beziehungen.
Geht die Übermangansaure in Mangansäure, die Hydroxylverbindung des
sechs wertigen Mangans über, so verliert sie eine positive Einheit, ergiebt
also ein Oxydationsäquivalent
Geht sie in Manganhyperoxyd (Mangan vi er wertig) über, so ergiebt sie
drei Oxydationsäquivalente.
Geht sie in zweiwertiges Manganosalz über, so ergiebt sie fünf Oxy-
dationsäquivalente.
Diese Übersicht ist jedenfalls einfacher, als die gewöhnliche Darstellung
der Oxydationswirkung der Permanganate. Sie ergiebt alsbald für die Oxy-
dation der Ferrosalze zu Ferrisalzen, die so viel als analytische Methode be-
nutzt wird, dass ein Mol Permanganat fünf Ferroionen zu oxydieren vermag,
da für jedes zum Übergang aus dem zweiwertigen Zustande in den drei-
wertigen nur je eine Oxydations- oder Ladungseinheit erforderlich ist
Es kann noch die Berechtigung der Annahme jener vielwertigen Ionen
in Frage gestellt werden, auf welcher diese Betrachtungen beruhen. Nun ist
es möglich, sich hier ganz auf den formalen Standpunkt zu stellen, und diese
Ionen nur als bequeme Rechenhilfsmittel zu betrachten. Ergiebt dies schon
eine Rechtfertigung aus der Zweckmässigkeit, so kann man doch noch weiter
gehen, und auch Gründe für die wirkliche Existenz dieser Ionen, wenn auch
in äusserst geringen Mengen anführen'). Diese liegen in dem Satze, dass
ebenso wie es prinzipiell unmöglich ist, aus einem gegebenen Räume ein
vorhandenes Gas vollständig auszupumpen, auch unendliche Arbeit für die
vollständige Entfernung eines in einer Lösung vorhandenen Stoffes aus
dieser nötig wäre. Daraus folgt umgekehrt, dass die ersten Spuren jedes
Stoffes, der unter gegebenen Umständen überhaupt möglich ist, mit un-
widerstehlicher Gewalt sich bilden müssen. Alle unter gegebenen Umständen
möglichen Stoffe sind demnach auch als wirklich vorhanden anzusehen. Da-
mit ist natürlich noch nichts über die Menge ausgesagt, in der sie vorhanden
sind, und bei der engen Begrenzung unserer analytischen Hilfsmittel müssen
diese in den meisten Fällen versagen. Jede Erweiterung der Hilfsmittel
bringt uns indessen eine neue Bestätigung des obigen Satzes; es ist in dieser
Beziehung nur an die Bemühungen verschiedener Forscher um die Herstellung
sauerstofffreier Räume zu erinnern, welche zu dem Ergebnis geführt haben,
dass jedes empfindlichere Reagens diesen Stoff noch dort nachweist, wo die
früheren Reagentien keinen mehr erkennen Hessen, und eine Grenze sich
nicht absehen lässt
Sind auf diese Weise alle Wirkungen der Oxydations- und Re-
duktionsmittel auf Änderungen von lonenladungen zurückgeführt, so muss
umgekehrt geschlossen werden, dass alle Oxydations- und Reduktions-
^) Bei der Nitrirung aromatischer Verbindungen wirkt die Salpetersäure
im Sinne der Spaltung NOj/OH'.
442 I^* Elektrochemie.
mittel^ wenn sie von unmittelbarer Wechselwirkung geschützt mit Elek-
troden versehen und zu einer Kette angeordnet werden^ einen elektrischen
Strom geben müssen. Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss durchaus;
schon Davy hat in seinen frühesten elektrochemischen Versuchen (1801)
solche Ketten hergestellt und wirksam befunden ^ und später sind zahl-
reiche weitere Zusammenstellungen hergestellt und untersucht worden.
Daraus geht weiter hervor, dass man jeden chemischen Vorgang,
bei welchem ein Stoff auf Kosten eines anderen oxydiert wird, als Volta-
sche Kette anordnen und auf seine elektromotorische Kraft prüfen kann.
Entsprechend dem S. 434 Gesagten wird die elektromotorische Kraft
einer solchen Kette nicht durdi die Wärmetönung des zugehörigen che-
mischen Vorganges bestimmt, sondern es tritt in ihr der Betrag von
Arbeit zu Tage, den der Vorgang leisten kann; dieser kann kleiner oder
auch grösser sein, als die freiwerdende Wärmeenergie. Man erlangt mit
anderen Worten durch die Messung dieser elektromotorischen Kraft ein
Mass für die freie Energie des Vorganges, und darin liegt die besondere
Wichtigkeit solcher Messungen.
Es erhebt sich naturgemäss die Frage, ob nicht auch andere che-
mische Vorgänge sich zu einer Voltaschen Kette anordnen lassen, da-
mit man auf diesem Wege ihre freie Energie messen kann. Die Ant-
wort ist, dass dies allgemein der Fall ist, soweit Elektrolyte in der Re-
aktion vorkommen. Es brauchen keineswegs alle beteiligten Stoffe Elektro-
lyte im gewöhnlichen Sinne zu sein; es genügt, wenn dnige es sind.
Doch gehören zur Beurteilung solcher anderer Fälle noch andere That-
sachen, zu deren Studium wir jetzt übergehen wollen.
Achtes Kapitel.
Konzentrationsketten.
Wenn man zwei Ketten aus Zink, Zinkchloridlösung, Quecksilber-
chlorür und Quecksilber aufbaut, und sie gegeneinander schaltet, so ist
das Ganze symmetrisch, und es geht kein Strom hindurch. Ändert man
nun nichts daran, als dass man die Zinkchloridlösung in der einen Kette
mit Wasser verdünnt, so zeigt sich eine Spannung, die beweist, dass das
Gebilde nicht mehr im Gleichgewichte ist. Lässt man den Strom zu
Stande kommen, so wirkt er in solchem Sinne, dass in der Kette mit
der verdünnteren Lösung Zink gelöst und Quecksilberchlorür zersetzt,
also neues Zinkchlorid gebildet wird, während in der anderen Kette
Zink abgeschieden und Kalomel gebildet wird, die Lösung also an Zink-
chlorid verarmt. Gleichgewicht tritt erst ein, wenn die Konzentrationen
der Zinkchloridlösungen in beiden Ketten gleich geworden sind.
Die Quelle der elektrischen Energie in dieser Kette ist also die
Verschiedenheit der Konzentrationen der Zinksalzlösungen, und der
Eonzentrationsketten. 443
Betrag der auf elektrischem Wege zu gewinnenden Energie muss dem
gleich sein, den man auf irgend einem anderen Wege durch den Aus-
gleich der KonzentrationsYerschiedenheiten erlangen kann.
Solcher Wege giebt es mehrere. Zunächst sind die Dampfdrucke
der beiden Lösungen verschieden, und indem man Wasserdampf aus der
verdünnteren Losung in die konzentriertere überdestillieren lässt, kann
man den vorhandenen Druckunterschied zu einer Arbeitsleistung benutzen.
Berechnet man diese Arbeit f^r den Fall, dass der zu einem Mol Zink-
Chlorid gehörige Wasserüberschuss der verdünnteren Lösung in die kon-
zentriertere überdestilliert wird (wobei man beide Flüssigkeitsmengen so
gross annimmt, dass keine von ihnen eine wesentliche Änderung der
Konzentration hierbei erleidet), und dividiert sie durch die Elektrizitäts-
menge 2F, durch deren Übergang zwischen beiden Ketten das gleiche
Ergebnis erhalten wird, so muss der Quotient die Spannung dieser Kon-
2entrationskette ergeben. Es ist von Helmholtz (1872) gezeigt worden,
•dass die Rechnung mit der Messung vollkommen übereinstimmt.
Man kann aber die Rechnung auch etwas einfacher fähren, wenn
man den Begriff des osmotischen Druckes benutzt (Nemst 1889). Durch
den Übei^ang der Elektrizitätsmenge 2F in der Doppelkette wird ein
Mol Zmkchlorid aus der konzentrierten Lösung fortgenommen, und eben-
soviel in der verdünnteren erzeugt. Die dazu erforderliche osmotische
Arbeit ist identisch mit der, welche eine entsprechende Gasmenge leisten
würde, wenn sie bei konstanter Temperatur (die hier immer vorausgesetzt
wird) sich von dem höheren Drucke bis zum niederen ausdehnte. Nennt
man die osmotischen Drucke der beiden Zinkchloridlösungen p^ und p,,
und bezeichnet mit i die Gesamtzahl der Mole, die durch die elektro-
lytische Dissociation aus einem Mol Zinkchlorid entstanden sind, so wird
diese Arbeit durch iRTln(pi/pg) dargestellt. Da femer die gleichzeitig
in der Doppelkette übergegangene Elektrizitätsmenge 2F ist, so ergiebt
sich die elektromotorische Kraft % der Konzentrationskette zu
iRT . pi
jr= ,_ »In
2F p.
Im Falle einer verdünnten Lösung ist i = 3, da ZnCl^ sich in drei
Ionen spaltet
Die Formel ist identisch mit der, welche man auf Grund der Betrach-
tung der Dampfdrucke des Wassers aus den Lösungen erhalten kann. Dies
ergiebt sich durch die Benutzung der S. 201 entwickelten Beziehungen zwi-
schen dem Dampfdruck und dem osmotischen Druck. Die genauere Ent-
wickelung soll dem Leser überlassen bleiben.
Man kann die gegebene Formel offenbar verallgemeinern, wenn man
statt der bestimmten Zahl 2 den allgemeinen Wert n einsetzt. Sie enthält
nur die Konzentrationen der beiden Salzlösungen und gilt dann fär alle ähn-
lichen Fälle, wo zwei Ketten solcher Art gegeneinander geschaltet sind. Man
kann also das Zink durch jedes andere Metall ersetzen, welches die Herstel-
444 IX. Elektrochemie.
lung einer Elektrode und einer elektrolytischen Lösung gestattet, und ebenso-
kann nicht nur das Quecksilberchlorür durch andere schwerlösliche Salze dea-
Quecksilbers, sondern auch dies Metall und sein Salz selbst durch irgend ein
anderes Metall und sein schwerlösliches Salz ersetzt werden, ohne dass die
grundlegenden Betrachtungen eine Änderung zu erfahren brauchen. Da die
Konstanten R und F unabhängig von der Natur der Stoffe sind, so ergeben
sich auch die elektromotorischen Kräfte als unabhängig von der Natur der
beteiligten Stoffe, wenn die Faktoren n und i dieselben sind, und sie stehen
in einfachen rationalen Verhältnissen, wenn sie verschieden sind.
Alle diese Schlüsse (Ostwald 1892) sind durch die Beobachtung als zu-
treffend erwiesen worden (Goodwin 1893).
Für die zahlenmäfisige Berechnung ist folgendes zu beachten. Die
Konstante R beträgt in absolutem Masse 8-31 X 10^; F ist 96540 CouL
Dividiert man gleichzeitig mit 0*4343 ein, um statt der natürlichen Lo-
garithmen dekadische benutzen zu können, und berücksichtigt, das»
1 VoltX 1 Coul= 10'' Erg ist, so wird der Faktor vor der Gleichung
Q Ol nn
-— -_ — =00001982 T, wofür man mit einem Fehler von
0-4343 X 96450 '
fast genau 1 Prozent 0-0002 T setzen kann. Für Zimmertemperatur^.
18®C = 291<>A ergiebt sich
•
:7r = 0.0570-.log?^ Volt,
n pa
In dem oben erwähnten Falle der Zinkchloridkette ist für verdünnte
Lösungen i = 3, n = 2; nimmt man also ein Verdünnungsverhältnis
1 : 10 an, dessen Logarithmus = 1 ist, so wird eine derartige Doppel -
kette eine Spannung von 0-075 V geben. Man sieht, dass auch sehr
grosse Unterschiede der Konzentration keine besonders hohen Spannungen
ergeben werden, da diese nur mit dem Logarithmus des Verhältnisses-
der osmotischen Drucke oder Konzentrationen wachsen, also viel lang-
samer, als die Verhältnisse selbst.
Man könnte denken, dass an Stelle der beschriebenen Anordnung aus
zwei gegeneinander geschalteten Ketten eine einfachere Platz greifen könnte,
die man aus zwei Zinkelektroden zusammenstellt, deren jede in einer Zink-
salzlösung von anderer Konzentration steht. Solche einfache KonzentrationB-
ketten ergeben allerdings auch eine Spannung in demselben Sinne, wie die
frühere Anordnung; sie ist aber stets kleiner. Dies rührt daher, dass hier
beim Durchgange des Stromes nicht die ganze dem Faradayschen Gesetze
entsprechende Änderung der Konzentration eintritt, wie dies bei der Ent-
Wickelung der Formel angenommen worden war. Die Konzentrationsän-
derungen sind vielmehr geringer, da ausserdem die Überführung in Frage
kommt (S. 388). Dadurch beträgt nach dem Durchgange von nF die Kon-
zentrationsÄnderung nicht ein Mol, sondern nur den Bruch v/(u -|- v) von
einem Mol, wo u die Wanderungsgeschwindigkeit des Kations, v die des An-
ions ist. Um denselben Bruchteil ist die Arbeit, und somit die elektromoto-
Eonzentrationsketteii. 445
Tische Kraft kleiner, so dass fär gewöhnliche Eonzentrationsketten die
Formel gilt
TT —
.i.0.0002Tlog^.
u + V n p.
Beachten wir nun, dasd sich ähnliche Betrachtnngen nicht nur auf
den Ans^eich der Konzentration verschiedener Salzlösungen anwenden
lassen, sondern auf die Vermehrung und Verminderung der Konzentra-
tionen der an dem Zustandekommen des Stromes in der Kette überhaupt
beteiligten Stoffe, so sehen wir, dass sicK durch den gleichen Gedanken-
gang, die Berechnung der osmotischen Arbeiten, die beim Stromdurchgange
in der Kette zu stände kommen, eine Theorie der Voltaschen Ketten über-
haupt gewinnen lässt. Dies ist in der That in weitem Umfange möglich
gewesen (van't Hoff 1885, Nemst 1889), und wir gelangen dazu, wenn
wir die osmotischen Arbeiten bei der elektrolytisdien Auflösung der Me-
talle in Betracht ziehen. Ein fester Stoff verhält sich gegenüber einer
Flüssigkeit, wie ein flüchtiger Stoff gegenüber einem Dampfraume. Je
nach der Konzentration, die in der Lösung herrscht, wird er entweder
in Lösung gehen, oder es wird aus der Ijösung Substanz sich auf ihm
niedersdilagen, beides, bis ein bestimmtes Gleichgewicht erreicht ist und
eine bestimmte Konzentration, die Sättigungskonzentration, sich in der
Lösung hergesteUt hat.
Ist diese von vornherein nicht vorhanden gewesen, so kann durch
die Herstellung der Sättigung Arbeit gewonnen werden. War die Lö-
sung vorher ungesättigt, so ist der Arbeitsgewinn mit der Auflösung des
festen Stoffes verbunden. War umgekehrt die Lösung übersättigt, so
wird Arbeit gewonnen, indem die Konzentration in der Lösung geringer
wird und äch fester Stoff niederschlägt.
Man kann diese Arbeiten berechnen, wenn man es mit einem
flüchtigen Stoffe zu thun hat, dessen Dämpfe den Gasgesetzen unter-
liegen. Ist p,, der Sättigungsdruck und p der ursprünglich vorhandene,
80 kann jedes Mol des Dampfes die Arbeit bei konstanter Temperatur
T die Arbeit RTln(p^j/p) leisten, indem es von dem Drucke p^ zu dem
Drucke p übergeht.
Für Lösungen gilt ganz dieselbe Formel, wenn man unter p den
osmotischen Druck versteht.
Nun ist zu beachten, dass für die Gültigkeit dieser Formel keines-
wegs erforderlich ist, dass der Dampf dieselbe Zusammensetzung habe,
wie die andere Phase. Ein fester Stoff, der gasförmige Zersetzungspro-
dukte ausgiebt, folgt genau demselben Gesetze; alles was zu verlangen
ist, ist die ümkehrbarkeit der Umwandlung. Dasselbe gilt für Lösungen;
was aus dem festen Stoffe wird, wenn er in Lösung geht, ist gleich-
gültig, wenn er nur wieder aus der Lösung zurückerhalten werden kann.
Einen derartigen Fall haben wir in den Metallen vor uns, die
Ionen büden können. Die Zinkionen in der Lösung eines Zinksalzes
sind von einer Lösung des Zinkmetalles sicher verschieden; sie können
446 IX. Elektrochemie.
aber aus Zinkmetall entstehen^ und in dieses übergeführt werden, so das»
man ihre Bildung aus Metall in einer Lösung als mit denselben Arbeits-
beträgen verbunden ansehen muss, wie bei einer gewöhnlichen Lösung.
Unterliegt doch auch die Auflösung eines Salzes den gleichen Gesetzen
(wenn man auf die vermehrte Molenzahl die erforderliche Rücksicht
nimmt), obwohl wir wissen, dass es gleichfalls zum grössten Teil in etwa»
anderes, nämlich in die Ionen übergeht.
Bei dem Übergange eines Metalls in Ionen kommt nun ein neuer
Umstand in Frage. Aus den Erscheinungen der elektrolytischen Leitung
wissen wir, dass mit den Ionen Elektrizitätsmengen wandern und über-
haupt dauernd verbunden sind. Werden ihnen die elektrischen Ladungen
entzogen, so verlieren sie ihre lonennatur und gehen in indifferente oder
neutrale Stoffe über. Bei der Auflösung von Salzen, die ja auch mit
einer lonenbildung verbunden ist, machen sich keine elektrischen Elr-
scheinungen geltend, da sich immer die entgegengesetzten Ionen in
gleicher Menge bilden, also auch die entgegengesetzten Elektrizitätsmengen
in gleichem Betrage gleichzeitig entstehen. Unter solchen Bedingungen
sind elektrische Erscheinungen nach aussen nicht möglich. Wenn aber
ein MetaU in Ionen übergehen soll, so können sich nur Kationen oder
positiv geladene Ionen bilden: damit dies möglich ist, muss eine entsprechende
Zufuhr von positiver oder Abfuhr von negativer Elektrizität stattfinden.
Durch diesen Umstand sind die Auflösungserscheinungen der Me-
talle besonders zur Bildung elektrischer Bewegungen geeignet. Da eine
lonenbildung nicht ohne solche stattfinden kann, lassen sich elektrisdie
und chemische Vorgänge aneinander knüpfen, und man erlangt Maschinen
zur Überführung chemischer Energie in elektrische und umgekehrt.
Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkte die Danielische Kette,
so werden wir dem Zink einen bestimmten Lösungsdruck zuschreiben
können, mit dem es Ionen zu bilden bestrebt ist. Ist dieser Druck
grösser als der osmotische Druck der Zinkionen in der Lösung, so wird
der Übergang aus dem Metall in die Lösung der Möglichkeit einer Arbeits-
abgabe nach aussen entsprechen. Da dieser Übergang aber nur unter
gleichzeitiger Elektrizitätsbewegung erfolgen kann, so kann diese Arbdt
vollständig in Gestalt elektrischer Energie gewonnen werden.
Damit dies aber stattfinden kann, ist es nötig, beständig die Be-
dingung zu erfüllen, dass im Inneren der Leiter sich nie ein Über-
schuss von Elektrizität befinden kann. Ebensoviel positive Elektrizität
als durch die Bildung der Zinkionen in die Flüssigkeit tritt, muss durch
irgend einen entsprechenden Vorgang daraus entfernt werden. Dies ge-
schieht in der Daniellschen Kette dadurch, dass gleichzeitig mit der
Lösung des Zinks ebensoviel Kupferionen die Lösung verkussen und
dieser die gleiche Menge positiver Elektrizität entziehen. Da dies an
zwei getrennten Stellen, der Zink- und der Kupferelektrode geschieht,
so kann der Vorgang erst beginnen, wenn durdi leitende Verbindung
der beiden Pole die Elektrizitätsbewegung ermöglicht wird.
Konzentrationsketten. 447
Auch die Entfernung der Kupferionen aus der Lösung wird nicht
ohne positive oder negative Arbeitsleistung möglich sein^ die auf ganz
dieselbe Weise zu berechnen ist, wie am Zink, nur dass sie mit umge-
kehrtem Zeichen in Rechnung zu bringen ist, da beim Eintritt der Zink-
ionen die Kupferionen austreten müssen. Die an der Kette zu beob-
achtende elektromotorische Kraft wird sich daher als Unterschied der
beiden Werte an den Elektroden erweisen.
Bezeichnet man die Lösungsdrucke des Zinks und des Kupfers mit
Pj und Pg, und die osmotischen Drucke der Zink- bezw. Kupferionen
in den Lösungen, die die Metalle beriihren, mit P| und p^, so wird die
Gesamtarbeit, die der Kette entnommen werden kann, wenn ein Mol
Zink gelöst und em Mol Kupfer niedergeschlagen wird, ausgedrückt sein
durch die Differenz RTln(P, /p,) — RTln(Pj/p^).
Nun lassen sich die osmotischen Drucke der Ionen in den beiden
Lösungen zwar leicht berechnen, wenn man die Konzentrationen und
die Dissociationszustände bestimmt. Für die Messung der Lösungsdrucke
der Metalle haben wir aber noch keinen Anhaltspunkt gewonnen, und
müssen daher die Grössen Pj und Pg zunächst als zwar bestimmt, aber
unbekannt betrachten. Sie hängen in erster Linie von der Natur des
Metalls ab, femer von der Temperatur und schliesslich vom Lösungs-
mittel. Da wir uns aber ausschliesslich mit wässerigen Lösungen be-
schäftigen werden, so können wir diese Veränderlichkeit als ausgeschlossen
ansehen. Arbeiten wir ausserdem bei konstanter Temperatur, so bleibt
als einzige Veränderlichkeit die Natur des Metalls übrig.
Um femer die Arbeit bei dem elektrochemischen Vorgange in mess-
baren Grössen zu haben, erinnem wir uns der Betrachtung, dass die
elektrische Energie durch das Produkt von Elektrizitätsmenge und Span-
nung gegeben ist. Erstere ist durch das Faradaysche Gesetz bestimmt
und beträgt n. 96540 Coul = nF, wo n die Valenz des Ions ist, daß
aus einem Mol des Metalls entsteht. Durch Division der Elektrizitäts-
menge in die Arbeit erhalten wir somit die Spannung an der Elektrode.
RT P
Sie ergeben sich zu jr = —=r In — .
^ nF p
Eine Kette setzt sich aus zwei Elektroden in ihren Lösungen zu-
sammen, welche in entgegengesetzter Reihenfolge geschaltet sind, nämlich
Metall /Elektrolyt und Elektrolyt /Metall. Die Spannung der Kette ist
somit gleich dem Unterschiede der beiden Spannungen an den Elek-
troden. Ausserdem ist noch die Spannung zwischen den beiden Elek-
trolyten und die zwischen beiden Metallen zu berücksichtigen: wir werden
später sehen, dass die erstere fast immer sehr klein, und die letztere
wahrscheinlich Null oder nahezu Null ist. Es soll also vorläufig von
diesen beiden letzten abgesehen werden.
In einer Kette wird demnach die Spannung durch einen Ausdrack
RT /1 P 1 P \
von der Gestalt jt: = Jt^ — jc^ =~^ ( — In-^ hi — ^ ) dargestellt
± \n, pi Uj p^/
448 I^* Elektrochemie.
sein, wo sich die mit 1 und 2 bezeichneten Grössen auf die beiden
zusammensetzenden Elektroden nebst Lösungen beziehen. Die Grösse R/F
ist bereits berechnet und gleich 0'000198 flir den Fall gefunden worden,
dass gleichzeitig statt der natürUchen Logarithmen dekadische eingeführt
/ 1 P
werden. Wir schreiben die Gleichung ;?r = 0000198 T (— log— ^^
1 P \
— log — ^). Ist n, =^n2, so haben wir den einfacheren Ausdruck jt =
0.000198 T , Pi p^
log
n P, pi
Um in der Folge die durch Änderung der p- Grössen eintretenden
Änderungen der Spannung zu bezeichnen, können wir uns kaum der
Worte positiv und negativ bedienen. Aus den Tagen der Voltaschen
Theorie, wo die an den Ketten beobachteten Spannungen irrtümlich an
die Berührungsstellen der Metalle gelegt worden waren, ist die Bezeich-
nung des Zinks als des positiven und des Kupfers als des negativen
Metalls noch vielfach übrig geblieben. Nun zeigt sich aber in der Da-
niellschen Kette das Zink negativ, wenn man das Kupfer (durch Ableiten
zur Erde) auf die Spannung Null bringt, und das Kupfer ist positiv,
wenn das Zink auf Null gebracht wird. Eine unzweideutigere Bezeich-
nung gewinnt man, wenn man die von Faraday eingeftihrte Benennung
der Elektroden benutzt. Kathode ist danach die Elektrode, an welcher sich
aus dem Elektrolyt Kationen entladen, Anode die, an welche sich
Anionen begeben. Man erweitert diese Definition dahin, dass, ebenso wie
die Abscheidung von Kationen aus dem Elektrolyt auch die Bildung von
Anionen in diesem den Kathodencharakter kennzeichnet; ebenso ist eine
Elektrode aiTch Anode, wenn sie, statt Anionen aus der Flüssigkeit auf-
zunehmen (was selten geschieht), Kationen in die Flüssigkeit entsendet.
Eine Elektrode wird also anodischer, wenn die Tendenz der An-
ionen, die Flüssigkeit zu verlassen , oder die Tendenz der Kationen, in
sie einzutreten, zunimmt. Ebenso wu-d eine Elektrode kathodischer, wenn
an ihr die Tendenz der Kationen, aus der Flüssigkeit auf die Elektrode
überzuti-eten grösser, bezw. die Tendenz der Anionen für den gleichen
Übergang kleiner wkd. Eine Kette hat eine um so grössere Spannung,
je kathodischer die Kathode und je anodischer die Anode ist.
Wird eine Elektrode kathodischer, so wächst die positive Spannung
an der Elektrode, wenn man sie von dem Potential der Flüssigkeit ab-
rechnet; umgekehrt wird die negative Spannung der Flüssigkeit grosser
oder die positive kleiner, wenn man die der Elektrode als Ausgangs-
punkt wählt. Umgekehrt verhält sich eine Elektrode, wenn sie anodi-
scher wb:d.
In der Daniellkette ist das Zink Anode, das Kupfer Kathode. Ver-
mehrt man die Konzentration der Zinkionen, so vermindert man die
Tendenz des Zinks, Ionen zu bilden, durch die Erhöhung des osmoti-
Eonzentrationsketten. 449
sehen Gegendruckes. Dadurch wird die Zinkanode weniger anodisch und
die Gesamtspannung der Kette sinkt. Vermehrt man umgekehrt die
Konzentration der Kupferlösung an der Kathode, so wird die Tendenz
der Ionen, an die Elektrode überzutreten; gestdgert Die Kathode wird
kathodischer und dadurch wächst die Gesamtspannung der Kette. Dies
ist natürlich allgemein und somit gilt die Regel: Konzenti*ationsyermeh-
rong der Ionen des Metalls in dem Elektrolyt (der Kationen) macht das
Metall darin kathodischer, foezw. weniger anodisch.
Vergleicht man diese Definitionen mit der Formel för die Spannung
der Kette, so findet man sie in Übereinstimmung, wenn man, wie ge-
schehen, die Spannungen von der Anode ab in die Kette hineinzählt.
Aus der Formel für die Einzelspannungen, sowie der für die Ge-
samtspannung lassen sich viele Schlüsse ziehen. Da die Werte der
Losungsdrucke zunächst unbekannt sind, so müssen die Schlüsse auf
solche Fälle beschränkt werden, in denen diese Grossen entweder kon-
stant sind, oder sich herausheben.
In der Gleichung für die Spannung an einer Elektrode 31=
n
P
log — kommt das Amon nicht vor. Man muss daraus schliessen, dass die
P
Spannung von diesem unabhängig sein muss, und bei allen Salzen des-
selben Metalls bei äquivalenter Konzentration den gleichen Werth hat,
wenn nur deren Dissociation die gleiche ist.
Der Versuch hat diesen Schluss in weitem Umfange bestätigt. Mit 21
verschiedenen Salzen (1/50 — normal) des Thalliums werden in einer Kette,
deren anderes Glied aus Quecksilber nebst Calomel unter Chlorkaliumlösung
bestand, folgende Spannungen beobachtet (Neumann 1894):
Säure
Spannung
Säure
Spannung
Hydroxyd
0-7040
Bernsteinsäure
07040
Fluorwasserstoffsäure
0-7050
Weinsäure
0-7050
Kohlensäure
07050
Citronensäure
0-7055
Schwefelsäure
0-7050
Fumarsäure
0-7040
Salpetersäure
0-7055
Maleinsäure
0-7060
Ameisensäure
0-7045
Itakonsäure
0-7050
Essigsäure
0-7055
Citrakonsäure
07050
Buttersäure
0-7046
Benzoesäure
0-7050
Monochloressigsäure
07050
Salicylsäure
0-7055
Propionsäure
0-7045
Phtalsäure
0-7055
Malonsäure
0-7050
Ebenso hat sich gezeigt, dass die Daniellkette die gleiche Spannung hat,
wenn man die Lösungen der Sulfate durch äquivalente Lösungen mit einem
anderen Anion ersetzt.
An der Daniellkette ist gleichfalls der Schluss geprüft und bestätigt
worden, dass eine Verdünnung des Salzes an der Anode die Spannung ver-
mehrt, an der Kathode sie vermindert. Werden beide Lösungen in gleichem
Ostwald, Grandrias. 8. Aufl. 29
450 IX* Elektrochemie.
Verhältnisse verdünnt oder konzentriert, so ändert sich die Spannung nicht.
Dies ist eine Folge davon, dass beide Metalle zweiwertig sind, so dass in der
Formel n^ *« n, ist.
Durch Veränderung der Konzentration kann man die Spannung
nicht sehr erheblich ändern. Denn nimmt man eine zehnfach normale
Lösung als konzentrierteste^ die sich darstellen lässt^ so bedingt bei
einem zweiwertigen Metall, wie Zink oder Kupfer, die Verdünnung auf
eine 1/1000 — normale Lösung — die verdünnteste, die man mit
Sicherheit handhaben kann — nur eine Änderung der Spannung um
012 V. Dagegen giebt es einige sehr wirksame andere Mittel, die
Konzentration der Kationen auf geringe Beträge herabzusetzen. Die
beiden wichtigsten von ihnen suad die Anwendung schwerlöslicher
Salze der Metalle, und die Anwendung solcher Elektrolyte, in denen
die Metalle komplexe Verbindungen bilden.
Den ersten Fall haben wir bereits in praktischer Anwendung kennen
gelernt: in der Quecksilber-Calomel-Elektrode. Wenn man Quecksilber
mit Quecksilberchlorür überschüttet, und die Lösung u*gend eines Chlorids
als Elektrolyt zufügt, so erhält man eine Elektrode, die sich ähnlich wie
ein Metall in der Lösung seines Salzes verhält, nämlich unpolarisierbar
(für schwache Ströme) ist. Leitet man den positiven Strom aus dem
Quecksilber in die Flüssigkeit, so bildet sich mehr Calomel, leitet
man ihn umgekehrt, so verschwindet Calomel und das Quecksilber ver-
mehrt sich; in beiden Mllen, ohne dass sich die Spannung ändert. Ln
ersten Falle verschwinden Chlorionen aus der Lösung, im zweiten treten
sie hinein, und das Gebilde verhält sich, als wäre es eine Elektrode von
metallischem Chlor, welche Chlorionen aufnehmen und abgeben kann.
Ja auch ein entsprechender Einfluss .der Konzentration der Chlorionen
in der Lösung macht sich geltend: vermehrt man sie, so wird die
Elektrode anodischer und umgekehrt.
Dies Verhalten lässt sich voraussehen, wenn wir von der allgemeinen
Anschauung Gebrauch machen, dass alle Stoffe löslich sind. Das Calonael
geht in Lösung, bis sein Löslichkeitsprodukt erreicht ist, und von der
alsdann vorhandenen Konzentration der Quecksilberionen hängt die
Spannung ab. Da eine Vermehrung der Chlorionen nach dem Massen-
wirkungsgesetze die Quecksilberionen vermindern muss, so wird die
Elektrode weniger kathodisch, d. h. anodischer.
Auch zahlenmässig ergiebt sich der Einfluss, als wenn die Elektrode
einwertiges negatives Chlor aussendete. Die Gleichung für das gelöste Calomel
lautet, wenn man das Quecksilber einwertig annimmt'), a-b = konst., wo a die
Konzentration des Chlors, b die des Quecksilbers als Ion bedeutet. Folglich
*) Es sind in neuerer Zeit dafür Gründe geltend gemacht worden, dass
die Merkuroionen als zweiwertige Doppelionen Hgj* • aufgefasst werden müssen.
Für die gegenwärtige Betrachtung hat dies keinen Einfluss, da die Valenz
des Kations aus der Schlussgleichung herausfällt.
Konzentrationsketten. 451
sind auch die osmotischen Drucke der beiden Ionen einander umgekehrt pro-
portional und bezeichnet man sie mit p und p', so ist log p a» — log p + c,
wo c eine Eonstante ist. Wird dies in die Gleichung für eine Elektrode gesetzt,
0*0001 98 T
so ergiebt sich n^=^ logPp' und der osmotische Druck des Chlors
beeinflusst ähnlich die Spannung wie der des Quecksilbers, nur im umge-
kehrten Sinne.
Die Ketten mit schwerlöslichen Salzen gestatten^ Fällungsresü^tionen
elektromotorisch zu verwerten, und somit die freie Energie dieser che-
mischen Vorgänge elektrometrisch zu messen. Denken wir uns z. B. eine
Kette aus Silber in Silbemitrat, und Silber nebst Chlorsilber in Chlor-
kalinmlösung zusanmiengestellt; damit die beiden Lösungen sich nicht
unmittelbar flUlen, sei eine Lösung von Kaliumnitrat zwischengeschaltet
Eine solche Kette zeigt eine Spannung von 0'51 V in solchem Sinne,
dass die Ghlorsilberseite Anode ist. Lässt man den Strom fliessen, so
geht an der Anode Silber in Chlorsilber über, während an der Kathode
Silber sich metallisch ausscheidet. Gleichzeitig wandert das Kalium nach
der Kathode, und das Nitration entgegen; sie bilden Kaliumnitrat in der
Mitte. Das Resultat ist, da die Menge des einerseits chlorierten Silbers
gleich der des andererseits ausgeschiedenen ist, nur die Verminderung
des Silbemitrats und Chlorkaliums unter Bildung von Chlorsilber und
Kaliumnitrat, d. h. dasselbe, als wenn Silbemitrat und ChlorkaJium un-
mittelbar miteinander in Berührung gebracht wären.
Auf diese Weise lässt sich jede f^lungsreaktion behandeln und die
Möglichkeit, sie zu einer Kette anzuordnen, hängt nur davon ab, dass
man das Metall des Niederschlages als Elektrode anwenden kann^).
Aus der beobachteten elektromotorischen Kraft von 0*51 V lässt sich ein
weiterer Schluss ziehen. Da die fragliche Kette nichts als eine Konzentrations-
kette mit gleichem Metall beiderseits ist, so werden in der Kettengleichung Pj^-Pj,
und da femer n =» 1 ist, so geht die Gleichung über in 0-51 =- 0.000198 T log ^.
Pa
In dieser Formel ist nur noch p^ unbekannt, da die benutzte Silbemitrat-
lösung 1/10 — normal war. Setzen wir deren Drack p^ gleich Ol (auf die
Einheit des Druckes kommt es nicht an, da nur das Verhältnis zweier Dracke
in der Formel erscheint), so folgt, da0O0O198T -= 0-0576, log Pa •= — 9-85, also
Pg «r 1-4 X 10 — 10 . Dies ist die Löslichkeit des Chlorsilbers in der ange-
wandten Normal -Chlorkaliumlösung; um hieraus die Löslichkeit 1 des Chlor-
silbers in reinem Wasser zu finden, benutzen wir das Gesetz von der Konstanz
des lonenprodukts, 1* = 1 x 14 x 10 - 10, also 1 «p« 1-2 x 10 - 6. Thatsächlich
ist mittels elektrischer Leitfähigkeit (S. 407) die Löslichkeit des Chlorsilbers
gleich 1-17 X 10 — 5 Mol im Liter gefunden worden.
Auf solche Weise lässt sich allgemein die Löslichkeit schwerlöslicher
*) Durch besondere Kunstgriffe ist es möglich, sich von dieser Beschränkung
frei zu machen, indem man Elektroden „dritter Art" (Luther 1898) anwendet.
29*
452 IX. Elektrochemie.
Stoffe bestimmen. Das Verfahren gestattet, kleinere Löslichkeiten zu messen
als irgend ein anderes, da die elektromotorische Kraft nur mit dem Logarithmus
der Verdünnung zunimmt, und es giebt thats&chlich keine Grenze für das
Verfahren. Man findet in allen Fällen endliche elektromotorische Kräfte
(Goodwin 1894), und darin liegt ein Beweis, dass es in der That kein unlös-
liches Salz giebt. Denn ein solches müsste eine unendlich grosse elektro-
motorische Kraft geben, wie man unmittelbar aus der Formel ersieht, wenn
man pg^^O setzt.
Ein zweiter Weg, die Konzentration der MetaUionen im Elektrolyt
zu verkleinem, liegt in der Anwendung eines Reagens, durdi welches
die Metallionen in eine komplexe Verbindung übergeführt werden.
Da der osmotische Gegendruck gegen die Auflösung des Metalls in der
Kette nur von dessen Ionen ausgeübt wird, nicht aber von irgend wel-
chen anderen Verbindungen^ in denen es enthalten ist, so können Lö-
sungen^ die beträchtliche Mengen des Metalls enthalten, doch Spannungen
geben^ die einer äusserst geringen Konzentration entsprechen.
Am aufi^gsten haben sich diese Erscheinungen bei Ketten gezeigt,
in denen Cyankalium als Elektrolyt dient. Sehr viele Schwermetalle
bilden mit Gyanalkalimetallen komplexe Verbindungen, in denen das
Schwermetall ein Bestandteil des Anions ist Als Beispiele mögen nur
Ferro- und Ferricyankalium , Silbercyankalium, Goldcyankalium, die Pla-
ündoppelcyanüre u. s. w. genannt werden. Durch die Beobachtung der
Über^ihrungserscheinungen ist nachgewiesen worden, dass in allen diesen
Verbindungen das Schwermetall bei der Elektrolyse nicht nach der Ka-
thode, sondern nach der Anode wandert, also ein Bestandteil des Anions
ist. Ahnliches gilt von den komplexen Ammoniakverbindungen des Ko-
balts, Platins, Kupfers, Silbers. Bei diesen wandert allerdings das Me-
tall auch zur Kathode, weil es ein Bestandteil eines komplexen Kations
ist; doch kann man seine komplexe Natur daran erkennen, dass es nicht
die gewöhnlichen Reaktionen der betreffenden Metallionen zeigt.
Ein ziemlich ausgiebiges Mittel zur Erkennung der Bildung kom-
plexer Verbindungen liegt femer in der anomalen Löslichkeit schwer
löslicher Salze in den betreffenden Reagentien. Wenn sich Chlorsilber
in Ammoniak löst, so kann dies nur dadurch geschehen, dass in der
entstandenen Lösung eines der Ionen des Chlorsilbers verschwindet. Da
dies för das Chlor ausgeschlossen ist, muss es das Silber sein, und so
flihrt auch die Gleichgewichtslehre zu dem Satze, dass in ammonia-
kalischen Silberlösungen Silberionen nur in sehr geringer Menge vor-
handen sein können.
Durch solche Bildung komplexer Metallverbindungen wird die Kon-
zentration der Metallionen in der Lösung immer nur in einem Sinne,
in dem der Verminderung verschoben. Daher kann durch solche
Stoffe ein Metall immer nur anodischer, nie kathodischer werden. Die
Erfahrung hat den gleichen Schluss ergeben, bevor die Theorie ihn auf-
geklärt hatte.
Konzentrationsketten. 453
Diese YersGhiebnng ist häufig sehr gross; so hatte schon Jacobi
(1845) beobachtet^ dass in einer Kette ans Silber in konzentrierter Cyan-
kalinmlösnng nnd Zink in Zinksulfat die Pole sieh umkehren gegen das
gewöhnliche Verhältnis: Zink wird Kathode und Silber Anode. Schliesst
man eine solche Kette, so wird metallisches Zink durch das sich lösende
Silber ausgeschieden.
Aus dem Werte der Spannung, den eine solche Elektrode gegen
dne aus dem gleichen Metall in der Lösung eines gewöhnlichen Salzes
zeigt^ kann man die Konzentrationen der Ionen des Metalls in der kom-
plexen Lösung berechnen; die Rechnung wird genau so geführt, wie
die der Löslichkeit eines schwer löslichen Salzes (S. 451). Man gelangt
hierbei zu dem Ergebnis, dass zwar die Konzentration der Metallionen
ausserordentlich klein werden kann, aber doch niemals gleich Null wird,
denn es entstehen zwar unter Umstanden ziemlich grosse elektromoto-
rische Kräfte, niemals aber unendlich grosse, wie es der Fall sein müsste,
wenn wirklich die Konzentration der Metallionen Null würde.
So ergiöbt beispielsweise eine zehntelnonnale Cyankaliumlösung, die
0,01 Mol Silber enthält, gegen eine gleich starke Silbemitratlösung eine
Spannung von 1-14 V, woraus sich die Konzentration der Silberionen zu 2 x 10—18
im Liter ergiebt Auf Grund der S. 81 mitgeteilten Darlegungen aus der
Molekularhypothese ergiebt sich, dass die Zahl der Molekeln in einem Mol
rund 10^ beträgt Daraus würde folgen, dass in einem Kubikzentimeter
der genannten Lösung von Silber in Cyankalium nicht mehr als zwei Atome
enthalten sind, und dass, wenn man diese Lösung in drei Teile teilt, in einem
dieser Teile kein Silberion mehr enthalten sein könnte. Trotzdem zeigt
auch eine noch kleinere Menge der Lösung ihre endliche Spannung.
Man hat aus diesem Ergebnis Schlüsse gegen die Zulässigkeit der Theorie
der Spannung in solchen Ketten gezogen, indessen mit .Unrecht, denn die
Erscheinungen in diesem Falle sind nicht verschieden von denen, in denen
grössere Konzentrationen der Ionen vorkommen, und beide folgen denselben
quantitativen Gesetzen. Vielmehr müsste man, wenn man den eben gemach-
ten Schluss in Bezug auf die Zahl der Atome anerkennt, in dem experimen-
tellen Ergebnis einen Beweis gegen die Zulässigkeit der Atom- und Mole-
kularhypothese sehen. Doch ist es auch nicht nötig, diesen Schluss zu ziehen.
Das Gleichgewicht zwischen den Ionen des Silbers und dem Komplex Ag(CN),',
n&mlich Ag(CN)3'a= Ag*-|- 2CN', welches zur Bildung von Silberionen aus
dem Komplex fuhrt, ist nicht als ein ruhendes, sondern als ein bewegtes auf-
zufassen ; das Konzentrationsverhältnis stellt nicht das Verhältnis der dauernd
bestehenden Stoffe dar, sondern das Verhältnis, welches bei der unaufhör-
lichen gegenseitigen Umwandlung beider Formen im Durchschnitte besteht.
Somit ist auch eine kleine Flüssigkeitsmenge nicht frei von Silberionen, son-
dern die vorhandenen bestehen nur eine 10—16 maP) kürzere Zeit, als die
komplexen Ionen.
^) Die benutzte Lösung enthielt insgesamt 0-01 Mol Silber im Liter.
454 IX. Elektrochemie.
Hält man diese Ergebnisse mit den auf S. 451 mitgeteilten zu-
sammen, so wird man zu folgendem Schluss geföhrt. Die Bildung eines
schwerlöslichen Salzes verschiebt die Spannung nach der anodischen Seite
entsprechend seiner Löslichkeit. Ein solches Salz löst sich aber unter
Umständen in einem Reagens , in dem das Metallion in eine komplexe
Verbindung übergeht. Damit letzteres möglich ist, muss die Konzen-
tration des Metallions einer solchen Lösung kleiner sein, als in der ge-
sättigten Lösung des schwerlöslichen Salzes. Dann muss aber auch die
Spannung des Metalls in dem betreffenden Reagens anodischer sein, als
in Gegenwart des schwerlöslichen Salzes, und so müssen die Spannungen
mit den Löslichkeitsverhältnissen in einer ganz bestimmten Beziehung
stehen.
Es lösen sich z. B. aUe Silbersalze mit Ausnahme des Sulfids in
Cyankaliumlösung; ihre Lösungen müssen somit alle mehr Silberionen
enthalten, als die silberhaltige Cyankaliumlösung, und die entsprechenden
Zusammenstellungen müssen weniger anodisch sein.
Femer lösen sich Chlor- und Bromsilber in Natriumthiosulfat, Jod-
silber kaum mehr; Chlorsilber löst sich in Ammoniak, Brom- und Jod-
silber kaum. Daher muss die Konzentration der Silberionen in der
nachstehenden Reihenfolge von der kleinsten aufwärts zunehmen: Sulfid,
Cyanid, Jodid, Thiosulfat, Bromid, Ammoniakverbindung, Chlorid. In
gleicher Reihenfolge müssen die Spannungen gegen eine Silberelektrode
in Silbemitrat abnehmen, wie es auch die nachstehenden Messungen zeigen.
Silbemitrat (1/10) gegen Chlorsilber in Chlorkalium 0-51 V
„ in Ammoniak 0*54 ^
Bromsilber in Bromkalium 0-64 ^
„ in Natriumthiosulfat 0-84 „
Jodsilber in Jodkalium 0*91 ^
^ in Cyankalium 1*31 ^
Natriumsulfid 1*36 „
Die Lösungen waren normal und enthielten etwas Silber.
Diese Messungen lassen gleichfalls erkennen, wie man den chemi-
schen Vorgang der Bildung komplexer Ionen zur Erzeugung elektrischer
Energie verwerten, und andererseits das chemische Potential dieser Re-
aktion elektrometrisch messen kann. Nachdem in solchem Sinne bereits
die Konzentrationsänderungen durch blosse Verdünnung und die Fällungen
von schwerlöslichen Salzen behandelt worden waren, bleiben von den
zwischen Ionen möglichen Reaktionen nur die Oxydations- und Reduktion»-
erscheinungen übrig, mit deren Einbeziehung die Aufgabe, jede beliebige
lonenreaktion für die Erzeugung einer elektrischen Spannung zu ver-
werten, vollständig gelöst wäre. Zu der Behandlung dieser Aufgabe gehen
wir nun über.
Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 455
Neuntes Kapitel
Gasketten. Oxydstdons- und Beduktionsketten.
Auch die Ketten^ die in diesem Elapitel behandelt werden sollen,
fallen unter den Begriff der Konzentrationsketten. Doch kommen bei
ihnen einige Eigentümlichkeiten vor, die eine gesonderte Behandlung
rechtfertigen.
An früherer Stelle ist gezeigt worden, dass man den Begriff der
Oxydation und Reduktion erweitem muss, indem Vorgänge vorkommen,
die man traditionell unter diese Bezeichnung bringt, ohne dass doch
Sauerstoff oder Wasserstoff unmittelbar mit ihnen zu thun haben. Es
ergab sich, dass die Vermehrung positiver oder Verminderung negativer
Ladungen als wesentiiches Kennzeichen eines Stoffes, der sich oxydiert,
und Vermehrung negativer oder Verminderung positiver Ladungen als
Kennzeichen eines, der sich reduziert, angenommen werden muss. Da
eine solche Ladungsänderung wegen der Unmöglichkeit des Auftretens
freier Elektrizität im Inneren einer Flüssigkeit mit dner entgegengesetzten
Änderung an einem anderen Stoffe verbunden sein muss, so kann es
keine Oxydation ohne gleichzeitige Reduktion geben und umgekehrt.
Femer wfrd ein derartiger Vorgang unmer in entgegengesetztem Sinne
denkbar sein. Ein Stoff, der als Reduktionsmittel gedient hat, indem er
sich unter Au&ahme positiver Ladungen oxydiert hat, kann nun als
Oxydationsmittel dienen, indem er seine positiven Ladungen an einen
anderen Stoff abgiebt. Es wird daher im allgemeinen zwischen den
Stoffen, die ihre Ladungen wechseln, und dabei eventuell auch andere
chemische Veränderungen erleiden, schliesslich immer ein Gleichgewichts-
zustand sich herstellen, nachdem die ursprünglich vorhandenen Stoffe ihre
Konzentration soweit vermindert, und die entstandenen die ihre soweit
vermehrt haben, dass die entgegengesetzten Reaktionen sich aufheben.
Damit ein derartiger Vorgang elektromotorisch wirksam gemacht
wird, müssen die reagierenden Stoffe voneinander getrennt sein, und es
muss die Möglichkeit vorliegen, dass sich die elektrischen Ladungen,
welche den Zustand bestimmen, ausgleichen können. Bei den bisher be-
sprochenen Ketten mit Elektroden, deren MetaUe chemisch an dem Vor-
gange beteiligt waren, wurden die beiden Funktionen von diesen Me-
tallen erfiillt. Das Zink der Daniellschen Kette dient nicht nur zur
Umwandlung in Zinkionen, also chemisch, sondem auch zur Zuleitung
der erforderlichen positiven Ladungen, also physikalisch. Erfolgen die
chemischen Vorgänge, die Ladung oder Umladung der Ionen an Stoffen,
die nur in der Lösung vorhanden sind, so muss eine besondere Elektrode
zugeschaltet werden, deren Funktion allein in der Leitung der Elektrizi-
tät besteht. Als solche dient ein Metall, das selbst womöglich keine
(d. h. unmerklich geringe) chemische Reaktionen mit dem Elektrolyt
zeigt. Man nimmt dazu meist Platin, doch können je nach der Natur
456 I^' Elektrochemie.
der Reaktion, die an der Elektrode stattfindet oder möglich ist, auch
andere Metalle, oder sonstige Leiter erster Klasse dienen.
Einen sehr einfachen Fall haben wir in einer derartigen Kette,
welche aus irgend einer Säure als Elektrolyt, und zwei mit Wasser-
stoff beladenen Platinplatten besteht. Sind beide Platten gleich stark mit
Wasserstoff beladen, so ist die Anordnung symmetrisch, und die Kette
zeigt keine Spannung: wird jedoch der Druck des Wasserstoffs an bei-
den Seiten verschieden genommen, so entsteht eine Spannung. Der
Sinn derselben ergiebt sich daraus, dass der Strom die vorhandenen
Unterschiede ausgleichen muss: er muss also an der Stelle stärkeren
Druckes das Gas zum Verschwinden bringen und an der Stelle schwächeren
Druckes entstehen lassen. Es muss mit anderen Worten der stärker
gedrückte Wasserstoff Anode sein.
Man kann eine solche Kette auch als eine Konzentrationskette auf-
fassen, welche Elektroden aus metallischem Wasserstoff hat. Dann wird
der Lösungsdruck dieses Wasserstoffe in gleichem Verhältnis zu- und ab-
nehmen, wie der Gasdruck, während der osmotisdie Gegendruck der in
dem Elektrolyt enthaltenen Wasserstoffionen beiderseits der gleiche ist.
An der Elektrode, die den konzentrierteren Wasserstoff enthält, muss
also die Tendenz dieses Stoffes, in Ionen tiberzugehen, die gi'össere
sein, d.h. der stärker gedrückte Wasserstoff ist anodisch dem schwächer
gedrückten gegenüber.
Diese Kette ist umgekehrt angeordnet, wie die früher (S. 443) be-
sprochenen Konzentrationsketten. Bei jenen war der Lösungsdruck des
ElektrodenmetaUs immer konstant, und der osmotische Gegendruck ver-
schieden. Hier ist umgekehrt der letztere konstant, und der Lösungs-
druck verschieden. Doch kann man auch gewöhnliche Ketten mit der
gleichen Eigenschaft hersteUen, wenn man an Stelle der reinen Metalle
Amalgame verschiedenen Gehaltes verwendet. Schaltet man zwei derartige
Elektroden gegeneinander in demselben Elektrolyt, so zeigen sie gleich-
falls eine Spannung in solchem Sinne, dass das reichere Amalgam Metall
verKert, das ärmere welches aufnimmt. Ersteres ist also Anode, letzteres
Kathode, ganz wie in der Wasserstoffkette.
Der Betrag der Spannung solcher Ketten lässt sich berechnen, wenn
man die Arbeiten in Betracht zieht, und zwar kann man die Rechnung
ebensogut auf den gasförmigen, wie den gelösten Wasserstoff beziehen,
indem man die Voraussetzung macht, dass sich an den Elektroden
beiderseits ein Vorrat von Gas unter dem entsprechenden Drucke be-
findet.
Lassen wir einerseits ein Mol Wasserstoff unter dem Drucke q,
verschwinden, so entsteht die gleiche Menge an der anderen Seite unt^
dem kleineren Drucke q^, und die Arbeit, welche durch die Überföhrung
isotherm geleistet werden kann, ist durch RTln(qi/q2) gegeben. Die
zugehörige Elektrizitätsmenge ist, da der gasförmige Wasserstoff die
Gasketten. Oxydations- und Redaktionsketten. 457
Fonnel H^ hat (d. h. da die Arbeit RT sich anf 202 g Wasserstoff
■prp «
bezieht), gleich 2 F, und die Spannung daher jt = — — - In '
2F q.
Wollen wir die osmotische Theorie anf diese Erscheinungen an-
wenden^ so müssen wir einen Punkt in Betracht ziehen^ der bisher nicht
erörtert zu werden brauchte. Wenn eine metallische Elektrode in Ionen
übergeht^ so ist die osmotische Arbeit^ welche dabei geleistet wird, ganz
auf Rechnung der Ionen zu setzen^ da die Yolumänderung des Metalls nur
einen verschwindenden Beitrag dazu liefert. Dies wu*d anders, wenn die
Umwandlung Stoffe betriflft, welche in dem Elektrolyt gelöst sind. Wenn
diese in Ionen übergehen, so ist die osmotische Arbeit bei ihrem Ver-
schwinden in derselben Weise zu berücksichtigen, wie die bei dem Ent-
stehen der Ionen. Beide sind im allgemeinen nicht gldch, da sich die
Zahl der Mole bei dem Übergange ändert So giebt ein Mol Wasser-
stoff H* zwei Mole Wasserstoffionen; ein Mol Sauerstoff giebt in Ver-
bindung mit Wasser gar vier Mole Hydroxyl: 0* + 2H*0 = 40H'.
Formuliert man daher den Vorgang in einer solchen Kette, so
werden an der Anode m| Mole des neutralen Stoffes verschwinden und
nj Mole Ionen entstehen; an der Kathode werden m^ Mole verschwin-
den und n, Mole Ionen entstehen. Dabei wird die Elektrizitätsmenge
sF durch die Kette gegangen sein, wo s sich aus dem Produkt der
Zahlen n mit der Wertigkeit der betreffenden Ionen ergiebt Alsdann
wird die Gleichung für die Spannung einer solchen Kette gegeben
durch den Ausdruck
RT
jr = C -J =- (rnjln V^ — Qi In p^ — m^ In Pg + ^ ^'^ Pa)
^ . RT/, P,~i , Pj™«\
oder jr = C-f -- In -^ In-^— ,
sF \ pi°i pa"« /'
wo P| und Pj die osmotischen Drucke der neutralen Stoffe, p^ und p,
die der ELationen^) sind; C ist eine Konstante, die von der chemischen
Natur der beteiligten Stoffe und von der Temperatur abhängt, von den
osmotischen Drucken aber unabhängig ist.
Der Beweis für diese Fonnel beruht auf denselben Grundlagen, wie sie
S. 447 für die einfachere Formel dargelegt sind, gestaltet sich aber etwas
umständlich, so dass von seiner Durchführung hier abgesehen werden soll.
Für die Ermittelung der Konstanten C wird sich alsbald ein einfacher Gesichts-
punkt ergeben.
Wenden wir die Formel auf den vorliegenden Fall an, so sind die
osmotischen Drucke der Wasserstoffionen beiderseits gleich, also p^ =P2*
Femer sind die osmotischen Drucke des gelösten neutralen Wasserstoffe
gemäss dem Henryschen Gesetze proportional dem Drucke des gasförmigen;
^) Ist pi oder p, auf Anionen zu beziehen, so muss wegen des umge-
kehrten Sinnes der Spannung das + Zeichen umgekehrt werden.
458
IX. Elektrochemie.
dag Verhältnis Pi/Pg der ersteren ist gleich dem Verhältnisse der letzteren
qi /q, und eines kann ftlr das andere gesetzt werden. Die Konstante
C ergiebt sich, wenn man die Drucke des Wasserstoffes beiderseits gleich
setzt; dann wird die Kette symmetrisch und die Spannung Null. Da gleich-
zeitig der Ausdruck unter dem Logarithmus gleich Ems, der Logarithmus
also Null wird, so ergiebt sich auch 0 = 0, und da 0 nicht von den
Konzentrationen abhängt, so gilt dieser Wert auch für die Ketten mit
verschiedenem Druck. Schliesslich ist s = 2, m^ =mj = 1, n^ =nj = 2,
und substituiert man dies alles in die Gleichung, so folgt :7r:^— =ln— ,
die frühere Gleichung. ^^ ^^
Man kommt somit auf einem etwas weiteren Wege zu demselben
Ergebnis, das sich oben fast ohne Rechnung auf Grund unmittelbarer
Überlegungen hinschreiben
liess. Die vollständigere For-
mel ist indessen keineswegs
überflüssig, und wir werden
bald zu FäUen kommen, wo
die unmittelbaren Überlegun-
gen nicht ausreichen, und die
allgemeine Formel benutzt wer-
den muss.
Experimentell liegt noch
keine Prüfung der eben ent-
wickelten Beziehungen in die-
ser einfachen Gestalt vor. Doch
hat bereits Grove, der Ent-
decker der Gasketten (1839), ge-
funden, dass eine Kett«, die
einerseits Stickstoff, anderer-
seits Wasserstoff enthält, eine
Spannung und einen Strom in
solchem Sinne beobachten lässt, dass der Wasserstoff Anode ist. Da der Stick-
stoff sich nachweislich nicht an der Strombildung beteiligt, liegt hier nichts
als eine Wasserstoffkette mit verschiedenem Drucke vor, indem der Teildruck
des Wasserstoffs auf der Stickstoffseite sehr klein war.
Die Anordnung solcher Ketten ist in Fig. 55 gezeigt. Die Platin-
elektroden sind am besten mit Platinschwarz überzogen; sie nehmen dann
viel mehr Gas auf, und die Ketten werden konstanter. Der wirksame Teil
ist das auf der Elektrode beflndliche Gas.
Man erhält eine Konzentrationskette gewöhnlicher Art, wenn man
Wasserstoff von gleichem Druck mit zwei Elektrolyten zusammenbringt^
in denen der osmotische Druck der Wasserstoffionen verschieden ist
Dann muss die Elektrode um so anodischer werden, je verdünnter die
Lösung in Bezug auf Wasserstoffionen ist, und ihre Spannung muss die-
Fig. 55.
Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 459
flelbe sein, wenn die Konzentration der WasBerstoffionen gleich ist un-
abhängig von dem vorhandenen Anion. Alle diese Schlüsse sind von
der Er£Edimng bestätigt worden (Smale 1894).
Ganz ähnliche Betrachtungen lassen sich in Bezug auf eme Sauer-
stoffelektrode anstellen. Man sieht eine mit Sauerstoffgas gesättigte Platin-
elektrode am einfachsten als eine an, welche Hydroxylionen zu bilden
vermag. Hydroxylhaltige Lösungen , d. h. alkalische Flüsagkeiten sind
die entsprechenden Eiektrolyte. Die vorhandenen Möglichkeiten brauchen
nicht wieder aufgezählt zu werden, da sie vollkommen denen an Wasser-
«toffelektroden entsprechen. Ein Unterschied ist nur insofern vorhanden,
als ein Mol Sauerstoff 0^ vier Mole Hydroxyl unter Aufiiahme von
Wasser und vier negativen Einheiten giebt, so dass der Faktor n in der
Oleichung gleich 4 und femer das Zeichen der Spannung umgekehrt wird.
Nun giebt es aber eine besondere Kette, mit der sich schon
Becquerel vor hinger Zeit (1823) beschäftigt hat. Man erhält sie, wenn
man zwei Wasserstoff- oder Sauerstoffelektroden gleichen Drucks herstellt,
von denen die eine in Säure, die andere in Alkali steht Verbindet man
den Elektrolyt durch eine indifferente Flüssigkeit, z. B. das entsprechende
l^eutralsalz, so ergiebt sich eine bedeutende Spannung, die bei normalen
Lösungen auf 0*76 Y steigt. Und zwar erhält man die gleiche Spannung,
ob man zwei Wasserstoff- oder zwei Sauerstoffelektroden anwendet;
die Alkalielektrode ist immer die Anode.
Betrachten wir zunächst die Wasserstoffkette, so wird die Entstehung
einer Spannung an der Säureelektrode keine Schwierigkeit machen, da
sie durch das Vorangegangene vollkommen erklärt ist. Wasserstoff in
Alkali sollte aber auf den ersten Blick dne unendlich grosse Spannung
geben, denn da dort Hydroxylionen in grossem Überschusse sind, so
sollte man glauben, dass keine Wasserstoffionen anwesend sein könnten,
indem sie sich mit den HydroxyUonen zu Wasser verbinden müssten.
Überlegt man aber, dass in der Lösung durch die Vermehrung der
Hydroxylionen nur eine Verminderung der Wasserstoff ionen, nicht
aber ein vollständiges Verschwinden bewirkt werden kann, so wird das
Ergebnis verständUch. In der That sind beide Konzentrationen durch
die Gleichung ho = kc miteinander verbunden, wo h und 0 die Kon-
zentrationen von Wasserstoff und Hydroxyl, c die des Wassers darstellen.
Die letztere ist konstant; folglich muss auch das Produkt ho in allen
wässerigen Lösungen konstant sein').
Wir haben es also auch hier mit einer Konzentrationskette zu tbun,
^) Streng genommen ist c nicht in allen Lösungen das Gleiche, sondern
nimmt in dem Masse ab, als man fremde Stoffe in Wasser auflöst. Denn
das Mass für die wirksame Menge des Wassers ist sein Dampfdruck (S. 319);
dieser aber wird durch die Auflösung anderer Stoffe vermindert. Indessen be-
trägt selbst für normale Lösungen eines Elektrolyts die Verminderung nur
einige Prozent, und kann daher hier ausser Betracht bleiben.
460 I^* Elektrochemie.
in welcher auf der AlkaJiseite die Konzentration der WaflserstofPionen
durch die Gegenwart des Hydroxyls einen sehr kleinen Wert behauptet,
und wo deshalb die entsprechende Spannung einen ziemlich bedeutenden
Wert annimmt.
Offenbar ist diese Spannung von der Dissociationskonstante des Wassers be-
dingt, und man kann umgekehrt diese aus jener berechnen. Die Rechnung
RT P D
wird wieder genau wie S. 451 geführt, denn die Formel 7r — -^ln=^^ er-
giebt, da P^ = Pj, und für die Wasserstoff ionen, deren Konzentration allein
in Betra<5ht kommt, n«=l ist, tt« -x=^\n — = 0'05771og — . Beachtet man
F Pi p,
noch, dass für die Berührung der Säure und Basis eine Spannung von
0»065 V zuzufügen ist (Nemst 1894), so folgt für die Konzentration der Wasser-
stoffionen in der normalen Alkalilösung 0-6 x 10 — i* . Das Produkt ho be-
trägt somit ebensoviel und nennt man a die Konzentration der Wasserstoff- und
Hydroxylionen in reinem Wasser, die beide gleich sind, so ist a*-=ho=«
06x10-14 und a — 0.8x10-7 d. h. es ist in 100000001 Wasser rund
ein Mol Wasserstoff- und Hydroxylionen vorhanden. Auf diese Weise wurde
die Dissociation des Wassers zuerst ermittelt (Ostwald 1893), und das Er-
gebnis stimmt sehr gut überein mit den Werten, die hernach auf andere Weise
(z. B. durch Leitfähigkeit, S. 402) gefunden wurden.
Ftlr die entsprechende Kette mit Sauerstoffelektroden gelten ganz
dieselben Überlegungen. Da beiderseits Sauei-stoff von gleichem Drucke
angewendet wird, hebt sich dessen Lösungsdruck als gleich heraus, und
es hat insbesondere der Umstand keinen Einfluss, dass ein Mol Sauer-
stoff vier Mole Hydroxyl liefert.
Verfolgt man den Vorgang in dieser Kette genauer, so erkennt
man, dass er die elektromotorische Anwendung des Neutralisationsvor-
ganges ist. Wir betrachten der Einfachheit halber wieder die Wasserstoffkette,
und denken die Elektrizitätsmenge 2F durchgesendet. Dann wird an
der Anode ein Mol Wasserstoff verschwunden sein, und an der Kathode
hat sich ebensoviel entwickelt; ein Verbrauch des Gases hat also nicht
stattgefunden. Gleichzeitig hat sich aber an der Anode ein Mol Waaser
gebildet, da die entstandenen Wasserstoffionen sich alsbald mit den vor-
handenen Hydroxylionen vereinigt haben. An der Kathode ist die gleiche
Menge Wasserstoft'ionen verschwunden, um in Gas überzugehen; das
Kation auf der Basisseite und das Anion auf der Säureseite sind dabei
gegeneinander gewandert, und haben das Gemisch gebildet, welches wir
das Neutralsalz der beiden Bestandteile nennen. Folglich hat der Ge-
halt an Basis und Säure beiderseits um zwei Äquivalente abgenommen,
und es hat sich daiur ebensoviel Neutralsalz gebildet, während das Gas
nur eine vermittelnde Rolle gespielt und keine Arbeit geleistet oder auf-
genommen hat. Es ist dies also in der That die Neutralisations-
oder Salzbildungskette.
Die früheren Messungen der Säurealkalikette sind meist angestellt worden,
ohne dass man der Notwendigkeit der Gase für die Erhaltung des Zustandes
Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 461
gewahr geworden wäre. Beim Arbeiten mit Platinelektroden in der Luft ist
indessen freier Sauerstoff in genügender Menge vorhanden, um wenigstens für
die ersten Augenblicke die richtigen Bedingungen herzustellen.
Am längsten bekannt von allen Gasketten ist die Sauerstoff-
Wasserstoffkette, die aus diesen beiden Gasen besteht, welche in
irgend einen Elektrol3^en tauchen. Sie giebt eine konstante Spannung
von 1-08 y bei 17® und Atmosphärendnick, ganz unabhängig von der
Natur und Konzentration des (verdünnten) Elektrolyts. Die einzelnen Span-
nungen an den Elektroden erweisen sich dabei ziemlich verschieden,
während doch die Summe dieselbe bleibt.
Schliesst man die Kette, so verschwinden die beiden Gase, und es
treten an den Elektroden Wasserstoff- bezw. Hydroxylionen auf. Ist als
Elektrolyt eine Säure verwendet worden, so nimmt ihr Gehalt an der
Anode zu, an der Kathode ab; eine basische Flüssigkeit verhält sich um-
gekehrt. War der Elektrolyt anfänglich neutral, so wird er nach dem
Stromdurchgange an der Anode sauer, an der Kathode basisch.
Diese Thatsachen zeigen, dass wir es hier mit dem einfachsten
Typus der Oxydations- und Reduktionskette zu thun haben (S. 455);
da das Reduktionsmittel, der Wasserstoff, vollkommen in Wasserstoffionen
übergeht und das Oxydationsmittel vollständig in Hydroxylionen.
Das genauere Verhalten der Kette ergiebt sich, wenn man die allgemeine
RT / P ™i
Gleichung von S. 457 auf diesen Fall anwendet. In 7t =» C -j =t l ^^ —
® ' sF V p^ni
In— ^ — j sind folgende Substitutionen zu machen: s = 4, mi = 2, n^^^i,
ni^ = l, n,««4; P^ und Pg sind für gegebene Werte von Druck und Tem-
peratur konstant; das Zeichen des zweiten Gliedes der Gleichung ist + zu
nehmen, da der Sauerstoff Anionen bildet. Zwischen den Drucken der beiden
Ionen besteht durch die Dissociationsgleichung des Wassers die Beziehung
p]P2 = con8t. Führt man dies ein, so ergiebt sich der ganze Ausdruck in
der Klammer konstant, und somit ist es auch die Spannung der Kette, so
lange man verdünnte wässerige Lösungen als Elektrolyte anwendet.
Ändert man den Druck über den beiden Gasen, so ändert sich auch die
Spannung, und zwar vermehrt sie sich sowohl durch Druckzunahme beim
Sauerstoff wie beim Wasserstoff. Der Einfluss ist indessen in beiden Fällen
verschieden, und zwar beim Wasserstoff doppelt so gross wie beim Sauerstoff.
Alle diese aus der Formel sich ergebenden Schlüsse stimmen mit der Er-
fahrung überein (Smale 1894).
Diese Betrachtungen ergeben auch die allgemeine Theorie der
Oxydations- und Reduktionsketten, die aus einem Oxydations- und
einem Reduktionsmittel nebst zwei unangreifbaren Elektroden gebildet sind.
Denn da sich die Reduktionsmittel allgemein als Stoffe auffassen lassen,
welche Wasserstoffionen zu bilden bestrebt sind, und Oxydationsmittel
als Stoffe mit der Tendenz zur Bildung von Hydroxylionen, und anderer-
seits diese Tendenzen bei den beiden Gasen mit dem Drucke zu- und
462 IX. Elektrochemie.
abnehmen, so kann man jedes Oxydationsmittel dnrch Sauerstoff ersetzt
denken, dem man den erforderlichen Druck gegeben hat Das gleiche
gilt für Reduktionsmittel gegenüber dem Wasserstoff. Allerdings gehen
diese Drucke bald in das Gebiet des technisch Unmöglichen hinaus, da
die elektrische Spannung nur mit dem Logarithmus des Druckes wächst,
dieser also in geometrischer Reihe zunehmen muss, wenn die Spannung
in arithmetischer zunehmen soll. Theoretisch sieht man aber, dass man
in der That die oben gegebene Gleichung auf alle Ketten anwenden kann,
deren Elektroden von Reduktions- und Oxydationsmitteln irgend welcher
Art gebildet wird.
Die Gleichung lehrt femer, dass die elektromotorische Wirkung
dieser Stoffe bestimmt wird durch den osmotischen Gegendruck, d. h. die
Konzentration der Ionen, die durch die Wirkung entstanden sind. Es
wird also z. B. die Spannung eines Ferrosalzes als Reduktionsmittel auch
bestimmt sein durch die Konzentration der in der Lösung anwesenden
Ferriionen; deren Zunahme bewirkt ein Sinken der anodischen Span-
nung und damit eine Schwächung der Kette. Deshalb wird jedes Mittel,
welches die Konzentration der Ferriionen herabsetzt, die Spannung stei-
gern. Ein solches Mittel liegt in den Fluorverbindungen vor. Die
Fluoride der dreiwertigen Metalle sind sehr wenig dissociiert; setzt man
daher Fluorkalium zu einer Eisenlösung, so verschwindet der grösste
Teil der Ferriionen und die anodische Spannung einer entsprechenden Elek-
trode muss steigen. In der That lässt sich eine solche Wurkung auf das
deutlichste erkennen; massige Zusätze dieses anscheinend ganz elektrisch
indifferenten Stoffes steigern die Spannung einer solchen Elektrode bis um
0-7 V nach der anodischen Seite. (Peters 1898.)
Die Verallgemeinerung dieser Überlegungen liegt auf der Hand.
Insbesondere wird jedes Reduktionsmittel in einer alkalischen Losung,
in der die Konzentration der entgegenwirkenden Wasserstoffiionen be-
sonders klein ist, eine viel stärkere reduzierende Wirkung zeigen, als in
saurer Lösung. Umgekehrt befördert die saure Reaktion die Oxydations-
wirkung eines Oxydationsmittels. Wäre der chemische Vorgang in beiden
Fällen, bei saurer und bei alkalischer Reaktion für einen gegebenen
Stoff ganz derselbe, so könnte man sogar den Unterschied vorausbestim-
men: er müsste m X 0-76 sein (S. 457), wo m durch die aus der Reaktions-
gleichung folgende Konzentrationsänderung der H-Ionen für ein F bestimmt
wird (Luther 1899). Die wuMich beobachteten Unterschiede sind kleiner,
und man überzeugt sich, dass die Umwandlung von Wasserstoff und von
Sauerstoff in die entsprechenden Ionen die einzigen Reaktionen zu
sein scheinen, bei denen durch den Übergang von saurer zu alkalischer
Reaktion keine wesentliche Änderung des chemisdien Vorganges be-
wirkt wird.
Den Ketten dieser Art kommt ein besonderes Interesse durch den Um-
stand zu, dass sie eine bedeutend bessere Ausnutzung der chemischen Energie
für technische Zwecke versprechen, als sie durch die Dampfinaschine bisher
Einzelspannungen und Spannungsreihen. 463
erzielt worden ist. Die Yerbrennungswärme des Knallgases beträgt 286 J;
durch 2 F dividiert würde sie in der Gaskette eine Spannung von 148 V er-
i geb^n, wenn die chemische Energie sich vollständig in elektrische verwandeln
Hesse. Die wirkliche Spannung beträgt 1-07 V; die Yerbrennungswärme ist
also zu 0*72 ausgenutzt, während die Dampfmaschine selten mehr als 0*12,
also nur Ve davon, giebt Ähnlich würden die Verhältnisse liegen, wenn man
statt des Wasserstoffs andere Brennmaterialien, wie Kohle oder das aus ihr
leicht herzustellende Generatorgas verwenden könnte. Die technische Aus-
führung dieses Gedankens ist bisher an dem Umstände gescheitert, dass die
chemischen Vorgänge in solchen Ketten bei gewöhnlicher Temperatur zu
langsam erfolgen, so dass man ungeheuer grosser Apparate zur Gewinnung
massiger Energiemengen bedürfen würde. Um diesem Übelstande abzu-
helfen, giebt es zwei Wege. Es wäre einerseits denkbar, dass man geeig-
nete kataly tische Beschleuniger ausfindig machen könnte, durch welche der
Vorgang bei gewöhnlicher Temperatur die ; nötige Geschwindigkeit erhält.
Andererseits könnte man die durch Temperaturerhöhung allgemein zu be-
wirkende Beschleunigung benutzen und hätte also die Kette so einzurichten,
dass sie bei höherer Temperatur arbeitet. Ist diese einmal erreicht, so würde
sie sich durch die Joulesche Stromwärme in der Kette erhalten, und zwar
um so leichter, je grösser die Anlage ist.
Die bisherigen Versuche, die Aufgabe zu lösen, sind nach beiden Rich-
tungen gegangen, wenn auch nicht immer bewusst. Die zur Zeit erreichten
Erfolge lassen noch nicht vermuten, dass eine entwickelungsfähige Form be-
reits gefunden sei.
Zehntes Kapitel.
Einzelspannungen und Spannungsreihen.
Bereits Volta hatte sich die Aufgabe gestellt^ die in seiner Kette
an den Enden auftretenden Spannungen in ihre Einzelwerte zu zerlegen^
und war durch Versuche; die wir jetzt als fehlerhaft bezeichnen müssen,
zu folgender Anschauung gekommen. In der Kette Kupfer, Zink, feuchter
Leiter, Kupfer, welche zwischen den beiden Endplatten eine Spannung
derart zeigt^ dass das erste Kupfer negativ ^ das letzte positiv ist^ liegt
der Hauptbetrag der Spannung zwischen den beiden Metallen^ indem
Kupfer in Berührung mit Zink negativ, das letztere Metall also positiv
wird*). Zwischen den Metallen und dem feuchten Leiter finden zwar
Spannungen statt, sie sind aber gering und insbesondere bei der An-
wendung von Wasser oder neutralen Salzlösungen gleich Null zu setzen.
Dass man, wenn man die beiden Metalle einfach in Berührung
bringt, am Elektrometer keinen Ausschlag erhält, ftihrte Volta auf ein
') Daher rührt die Bezeichnung des Kupfers als des negativen und des
Zinks als des positiven Metalls.
464 , I^* Elektrochemie.
eigentümliches Gesetz zurück^ das er das Gesetz der Spannungsreihe
nannte. Es lautet dahin, dass die Spannung zwischen zwei Metallen die
gleiche bleibt, wenn man noch beliebige Metalle dazwischen schaltet.
Eis ist mit anderen Worten die Summe der Spannungen an den Be-
rührungsstellen einer Reihe beliebiger Metalle immer gleich der Spannung,
die sich zwischen den Endmetallen der Reihe bei unmittelbarer Berührung
herausstellt. Da die ausschlaggebenden Teile eines Elektrometers aus
metallischen Teilen gleichen Materials bestehen, so muss, wenn man nur
Metalle in beliebiger Anordnung mit ihm in Verbindung bringt, die
Spannung zwischen diesen Teilen (z. B. zwischen den beiden Goldblätt-
chen) nach dem Gesetz gleich Null sein und das Elektrometer kann
keinen Ausschlag geben.
Schaltet man dagegen einen feuchten Leiter zwischen zwei ver-
schiedene Metalle, so bestehen an den beiden Berührungspunkten keine
Spannungsucrterachiede, und das Elektrometer muss den Spannungsunter-
schied der Metalle erkennen lassen.
Die Kette bestehe z. B. aus Gold und Zink und sei durch Gold-
drähte mit den Goldblättchen des Elektrometers verbunden. Dann besteht
nach Volta ein Spannungsunterschied an der BerührungssteUe zwischen
Gold und Zink; da aber eine zweite Berührung im entgegengesetzten
Sinne vorhanden ist, so heben sich beide Wirkungen auf. Das gleiche
ist der Fall, wenn man irgend ein anderes Metall einschaltet.
Wird dagegen zwischen Gold und Zink an einer der beiden Be-
rührungsstellen ein feuchter Leiter gelegt, so wird dort eine Leitung
hergestellt, ohne dass eine neue Spannung in den Kreis gebracht wird.
Das Elektrometer zeigt an der Seite, wo das Goldblättchen mit dem
Zink in metalüscher Verbindung steht, einen positiven Ausschlag.
Während diese Anschauung von dem Zustandekommen der Span-
nung eine formal befriedigende Rechenschaft giebt, kann sie die ein
halbes Jahrhundert später aufgetretene Frage nach der Quelle der elek-
trischen Energie nicht beantworten. Als solche liess sich unzweifelhaft
der chemische Vorgang nachweisen; dieser konnte zwar zwischen Metall
und feuchtem Leiter, nicht aber zwischen beiden MetaUen stattfinden.
In dunkler Weise hatten schon die Zeitgenossen Voltas diesen
Widerspruch empfanden, und die Entdeckung W. Ritters (1798), dass
die Spannungsreihe der MetaUe im Voltaschen Sinne mit ihrer Rieihen-
folge der Oxydierbarkeit oder der chemischen Verwandtschaft zum Sauer-
stoff übereinstimmt, gab der ^chemischen Theorie^ der Kette auch eine
bestimmte Grundlage.
In der That erhält man ganz dieselben Ergebnisse, wie nach der
Voltaschen Theorie, wenn man die umgekehrte Annahme macht, dass
die Metalle aufeinander nicht elektromotorisch wirken, sondern nur auf
feuchte Leiter. Eine beliebige Reihenfolge von Metallen giebt dann
überhaupt keine Spannung, und darum bleibt das Elektrometer in Ruhe,
wenn man es in einen rein metallischen Kreis bringt. Schaltet man da-
Einzelspannungen und Spannungsreihen. 465
gegen einen feuchten Leiter dazwischen, so entstehen an den beiden Be-
rührungsstellen desselben mit den beiden Metallen zwei Spannungen,
deren Unterschied auf das Elektrometer wirkt Gemäss dieser Ansicht
wird das Zink negativ, gegen den fenditen Leiter, das Kupfer positiv.
Für die entstehende Spannung kommen nur die Metalle in Betradit, die
an den feuchten Leiter grenzen, da nur hier Spannungen entstehen; die
sonst im Kreise befindlichen Metalle smd ohne Einfluss.
Mit beiden Theorieen kann man genau denselben Kreis von That-
Sachen erklären (insbesondere wenn man die Luft als einen feuchten
Leiter, wenn auch von sehr geringer Leitfähigkeit betrachtet). Der Um-
stand, dass jede einzelne Thatsache ebenso in dem einen, wie im anderen
Sinne gedeutet werden konnte, war die Ursache des langen Streites
zwischen der Kontakt- und der chemischen Theorie der Voltaschen Kette.
Gegenwärtig kennen wir die engen Beziehungen zwischen der che-
mischen und der elektrischen Energie in der Kette, und sind vollkommen
dar&ber im Klaren, dass die in der Spannung zum Ausdrucke kommende
elektrische Energie nur von den chemischen Vorgängen herrührt. Es
spricht also die grösste Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch die Span-
nungen an den Berührungsstellen der Metalle und der Elektrolyte sitzen.
Doch ist es immerhin möglich, durch künstliche Annahmen ad hoc die
Kontakttheorie formeU zu retten, so dass ein unabhängiger Nachweis der
Spannungen von grosser Bedeutung wäre.
Die Ursache dieser Ungewissheit liegt darin, dass auch die einfachste
Kette mindestens drei verschiedene BerührungssteUen hat, also an drei
Orten Spannungsunterschiede aufweisen kann. Nun kann man allerdings
aus denselben Stoffen andere Ketten zusammensteUen, versucht man aber,
durch Messungen an allen möglichen Zusammenstellungen zwischen einer
begrenzten Zahl von Stoffen so viele Gleichungen zu gewinnen, dass
man jede Spannung einzeln berechnen kann, so erweist es sich, dass
man immer eine Gleichung zu wenig hat, und dass deshalb irgend eine
Spannung beliebig angenommen werden darf, ohne dass man mit der
ibrfahrung in Widerspruch gerät. Der Streit zwischen den beiden
Theorieen hat deshalb so lange gewährt, weil jede von ihnen eine An-
nahme frei hatte, und es daher unmöglich war, die Unrichtigkeit dieser
Annahme formell nachzuweisen.
Die Aufgabe besteht somit darin, auf irgend eine unabhängige
Weise ein Datum über eine der vorkommenden Berührungsspannungen
zu gewinnen. Es giebt gegenwärtig ein einziges unabhängiges Verfahren
dazu, welches die Frage im Sinne der chemischen Theorie entscheidet.
Es wäre sehr erwünscht, ein zweites solches Verfahren zu kennen, um
damit mögliche Irrtümer in der Beurteilung der Ergebnisse der ersten
auszuschliessen, doch ist es bisher nicht gelungen, ein solches zu finden.
Das Verfahren beruht auf folgender Thatsache. Ein Quecksilber-
tropfen unter einem Elektrolyt zeigt eine bestimmte Oberflächenspannung,
welche sich verändert, wenn man die elektrische Spannung zwischen der
Ostwald, Grundrlss. 3. Aufl. 30
466 I^* Elektrochemie.
Flüssigkeit und dem Quecksilber ändert. Und zwar nimmt die Ober-
flächenspannung des Quecksilbers unter Schwefelsäure bei anodischer
Polarisation ab; man kann aber nicht sehr weit gehen, weil bald Elek-
trolyse eintritt, und das Quecksilber sich mit Merkurosulüit bekleidet.
Erzeugt man dagegen eine kathodische Spannung auf dem Quecksilber,
so nimmt bei ilirer allmählichen Steigerung die Oberflächenspannung erst
zu, erreicht bei etwsL 0*9 V ein Maximum, und nimmt dann wieder ab.
Erst nachdem die Abnahme ziemlich bedeutend geworden ist, beginnen
die ersten Wasserstoff blasen infolge der Zersetzung der Schwefelsäure auf-
zutreten.
Die Aufgabe, die Spannung an der Grenze zwischen Quecksilber und
Schwefelsäure in messbarer Weise zu ändern, löst man, indem man mit der
Schwefelsäure eine sehr grosse und eine sehr kleine Quecksilberfläche in Be-
rührung setzt. Bringt man dann zwischen beide Quecksilbermassen eine be-
stimmte elektrische Spannung, so verteilt diese sich im umgekehrten Verhält-
nis der Oberflächen, und die Änderung betrifft daher praktisch nur die
kleine Fläche.
Da also im allgemeinen die Quecksilber-Schwefelsäurefläche der Sitz
eines elektrischen Spannungsunterschiedes ist, so besteht dort eine An-
sammlung elektrischer Energie, wie an den beiden Belegungen einer
Kleistschen Flasche, zwischen denen man einen Spannungsuntersdiied
hergestellt hat Diese Energie wirkt in der Art einer Oberflächenenergie,
indem sie die Oberfläche zu ändern sucht, und zwar lehrt die Elektro-
statik, dass sie die Fläche zu vergrössem strebt, da hiermit eine Ab-
nahme der Spannung verbunden ist Dadurch wirkt die elektrische
Ladung der Oberflächenspannung entgegen, welche die Fläche zu ver-
kleinem besti'ebt ist, und die beobachtete Oberflächenspannung ist d^
Unterschied beider Spannungen.
Daraus folgt unmittelbar folgendes Verhalten. Bestimmen wir für
irgend einen Wert der elektrischen Spannung an der Grenzfläche den
Wert der Oberflächenspannung, so wird die Änderung der ersteren, durch
welche die Oberflächenspannung wächst, in einer Verkleinerung des elek-
trischen Spannungsunterschieds in der Oberfläche bestehen müssen. Ändert man
nun jene immer weiter in demselben Sinne, so muss schliesslich die elektrische
Ladung Null werden. In diesem Augenblicke hat die Oberflächenspannung
ihren höchsten Wert erreicht, denn ändert man den elektrischen Zustand
in gleichem Sinne weiter, so bildet sich wieder eine Ladung aus. Wenn
sie auch nun das umgekehrte Zeichen der früheren hat, so bleibt doch
ihre Eigenschaft bestehen, die Oberflächenspannung zu vermindern, und
diese muss wieder kleiner werden. Dies Verhalten hat auch der Ver-
such erkennen lassen, und daraus ergiebt sich der Schluss: wo die Ober-
flächenspannung der Schwefelsäure ihren grössten Wert hat, da ist der
elektrische Spannungsunterschied an der Grenzfläche gleich Null.
Da dieser Zustand eintritt, wenn zwischen dem Quecksilber und
der (mit Merkurosulfat gesättigten) Schwefelsäure ein Spannungsunter-
Einzelspannungen und Spannungsreihen. 467
sdiied von 0*9 V angebracht wird (der Wert hängt etwas von der Kon-
zentration der Schwefelsäure ab), so mnss geschlossen werden^ dass der
Spannnngsunterschiedy der sich freiwillig zwischen Quecksilber und
Schwefelsäure herstellt, gleich und entgegengesetzt jenem Werte ist Und
da man jene Spannung in kathodischem Sinne anbringen muss, so folgt,
dass man zur Ausgleichung des Unterschiedes die Flüssigkeit positiver
machen muss^ dass also im nattlrlichen Zustande das Quecksilber um
0-9 V positiver ist, als die Flüssigkeit.
Auf diese Weise lässt sich zunächst die Spannung zwischen Queck-
silber und beliebigen Elekti'olyten bestimmen. Damit diese genau definiert
ist, muss der Elektrolyt einen ganz bestimmten Gehalt an Quecksilber-
ionen besitzen; da die meisten Merkurosalze schwer löslich sind, ist dies
der Sättigungsgehalt an der betreffenden Verbindung.
Verbindet man mit einer solchen Quecksilberelektrode ein anderes
Metall in seinem Elektrolyt, indem man beide Flüssigkeiten in Berührung
setzt, so erhält man eine Kette, deren Spannung man messen kann.
Zieht man von dieser den bekannten Wert am Quecksilber ab, so bleibt
die Spannung zwischen dem Metall und dem Elektrolyt übrig. Dies giebt
einen Weg, um auch alle anderen Spannungen einzeln zu bestimmen.
Hierbei sind allerdings zwei Voraussetzungen gemacht, nämlich,
dass sowohl die Spannung zwischen den beiden Elektrolyten, wie auch
die zwischen beiden Metallen Null, oder doch sehr klein sei. Die ersteren
Werte kann man auf Grund von Betrachtungen^ deren Prinzipien ange-
deutet sind, in vielen Fällen berechnen (Nemst 1889 und Planck 1890),
und man kann die Versuche immer so anordnen, dass die Rechnung
möglich wird. Es ergiebt sich, dass in den meisten Fällen diese Spannungen
001 V kaum erreichen und leicht auf noch kleinere Beträge eingeschränkt
werden können.
Was die Spannungen zwischen den MetaUen anlangt, so sprechen
gewichtige Gründe dafür, dass sie, wenn nicht Null, so doch jedenfalls
sehr klein sind. Es ist daher statthaft, hier von beiden abzusehen, und
die Spannungen der Ketten als die Summen der beiden Spannungen an
den Elektroden zu betiachten.
Um wohldefinierte Werte von Einzelspannungen beobachten zu können,
bedient man sich einer „Normalelektrode", die sich leicht in übereinstimmen-
der Weise herstellen lässt. Sie besteht aus Quecksilber mit Quecksilberchlorür
unter zehntelnormaler Lösung von Chlorkalium. Auch abgesehen davon, dass
an dieser der Spannungsunterschied zwischen Metall und Elektrolyt auf Grund
der eben geschilderten Verhältnisse bekannt ist, gestattet die Anwendung
einer solchen Normalelektrode Messungen von Spannungen in Bezug auf jede
einzelne Elektrode vorzunehmen und führt dadurch zu bestimmteren und ein-
dringenderen Ergebnissen, als die früher meist üblich gewesenen Messungen
der Gesamtspannungen der Ketten.
Die Herstellung einer solchen Normalelektrode ist aus der umstehenden
30*
468
IX. Elektrochemie.
Figur 56 ersichtlich; der durch den Quetschhahn verschliessbare Gummischlauch
ist mit der Chlorkaliumlösung gefüllt und dient dazu, die Elektrode bequem
mit der Flüssigkeit der zu messenden Kette in Verbindung zu setzen. Die
Spannung zwischen dem Quecksilber und der Ghlorkaliumlösung beträgt 0*62 Y,
das Quecksilber ist positiv gegen die Flüssigkeit, diese also negativ gegen
das Metall.
Die Spannungen der Metalle gegen den Elektrolyt sind^ wie aus
der Formel S. 448 ersichtlich, von der Konzentration der Ionen im
Elektrolyt abhängig. Will man daher solche angeben so muss diese
Konzentration definiert sein. In der untenstehenden Tabelle ist voraus-
gesetzt, dass die Losungen normal sind, wobei allerdings wegen der ün-
vollständigkeit der Dissodation der Metallsalze die Konzentration der
Ionen geringer, etwa 0'6 bis 0-8 — normal ist. Die Zeichen geben die
Ladung des Elektrolyts an, wenn die des Metalls gleich Null gesetzt ist.
T^HTA
Fig. 56.
Magnesium
+ 1-24
Wasserstoff
0.25
Aluminium
1-03
Antimon*
— 0.38
Mangan
0-82
Wismuth*
-0-50
Zink
0.51
Arsen*
055
Cadmium
016
Kupfer
— 0.59
ThalUum
011
Quecksilber
-1-03
Eisen
009
Süber
— 1.06
Kobalt
— 0.02
Palladium
1-07
Nickel
— 002
Platin*
114
Zinn*
0-09
Gold*
— 1-36
Blei
— 010
Die mit einem Stern versehenen Metalle sind nur angenähert ge-
messen worden, da die Herstellung von Elektrolyten von bekannter
lonenkonzentration nicht thunlich war.
Man erkennt in der Tabelle die alte Spannungsreihe von Volta,
Ritter und Berzelius wieder, nur in besser definierter Gestalt. Die an-
gegebenen Spannungen haben wirklich die Bedeutung, dass sie ein
Einzelspannungen und Spannlingsreihen. 4^:9
Mass der chemischen Affinität der Metalle^ und zwar ihrer Tendenz zur
lonenbildung oder zu ihrem Obergange in salzartige Verbindungen dar-
stellen. Jedes Metall mit grösserem positiven Werte verdrängt das mit
kleinerer Spannung aus seinen Salzen ^ indem es selbst in den lonenzu-
stand übergeht
Gleichzeitig sieht man^ dass diese Reihe nur unter der Bedingung
überemstimmender lonenkonzentration Geltung hat In Elektrolyten,
welche mit den MetaUen komplexe Verbindungen geben, ändern sich die
Verhältnisse entsprechend den Spannungen, welche die Metalle unter
diesen Umständen annehmen (S. 453). Kennt man die lonenkonzen-
trationen aus anderen Versuchen, z. B. aus Löslichkeitsbestimmungen
(S. 407), so kann man auch das chemische Verhalten der Metalle in
Bezug auf gegenseitige Verdrängungen voraussagen.
Ein gewisses Interesse gewährt schliesslich der Vergleich dieser
Spannungsgrössen mit den S. 281 angegebenen Bildungs wärmen der
Ionen. Wie man sieht, bewegen sich die beiden Reihen zwar im
gleichen Sinne, sind aber einander keineswegs proportional. Daraus
folgt, dass bei der lonenbildung die chemische Energie keineswegs ohne
Rest in die elektrische übergeht, es bestehen vielmehr Unterschiede in
beiderlei Sinn. Wären sie nidbit vorhanden, so müssten die Ketten mit
Metallelektroden ihre Spannung unabhängig von der Temperatur behalten
(S. 435), was erfahrnngsmässig nicht der Fall ist^).
An die Spannungsreihe der Metalle sei die auf den gleichen Grundwert
bezogene Spannungsreihe der gebräuchlichsten Oxydations- und Reduktions-
mittel geschlossen. Sie bezieht sich auf die Reagentien, wie sie bei gewöhn-
licher Bereitung erhalten werden. Da die vorhandenen Mengen der Umwand-
lungsprodukte nicht bestimmt worden sind, so ist der Zustand nicht genau
definiert; für die allgemeine Orientierung werden sie indessen ausreichen.
Das Vorzeichen ist wie bei den der vorigen Tabelle: es bezeichnet die Span-
nung der Flüssigkeit wenn die der Elektrode gleich Null gesetzt ist.
Alkalisches Zinnchlorür
-1-0.30
Natriumbisulfit
— 0.66
Schwefelnatriiim
+ 009
Schweflige Säure
— 0.72
Alk. Hydroxylamin
+ 0-06
Ferrosulfat, sauer
— 0-78
Alk. Ghromoacetat
+ 04)3
Ealiumferrioxalat
— 0.85
Alk. Pyrogallol
-^0.08
Jodjodkalium
0-89
Alk. Hydrochinon
-0.23
Ferricyankalium
— 0.98
Wasserstoff
— 0.25
Kaliumbichromat
— 106
ünterschwefl. Zink
— 0.28
Ealiumnitrit
1.14
*) In der That beruht die Ermittelung der Bildungswärmen der Ionen
auf der Messung der an den Elektroden bei deren Entstehung oder Umwand-
lung auftretenden Wärmeerscheinungen. Diese werden durch die gleichzeitigen
Wärmetönungen infolge der elektrischen Spannungsverschiedenheiten beein-
fiusst, und die Kenntnis dieser letzteren führt zur Möglichkeit, die lonen-
bildungswärmen zu berechnen.
ro
•
IX. Elektrochemie.
Kaliomferrooxalat
— 029
Alk. GhlorlOsung
-1.19
Alk. Kaliiimferrocyanid
— 0.48
Eisenchlorid
— 1-24
Alk. Jodlösung
— 049
Salpetersäure
— 126
ZinnchlorOr, sauer
— O-ÖO
Alk. Bromldsung
— 1.32
Kaliumarsenit
-051
Chromsäure
1.40
Kupferchlorür
— 0.66
Chlorsäure
142
Natrinmihiosulfat
-0.58
Brombromkalium
— 1-43
Natriumsulfit
— 0.58
Kaliun^jodat
— 1.49
Ealiumferrocyanid
— 059
Manganhyperoxyd
— 163
Ferrosiil&t, neutral
— 063
Saure ChlorlOsung
— 167
Hydroxylamin, sauer
— 0-64
Kaliumpermanganat
— 1.76
Elftes Kapitel.
Elektrolyse und Polarisation.
Wenn ein elektrischer Strom in einen Elektolyten ein- oder aus-
tritt, 80 erfolgt an der Stelle notwendig ein chemischer Vorgang, der
primär in der Bildung von Ionen ans neutralen Stoffen, oder der
Umwandlung von Ionen in solche, oder endlich in einer Vermehrung,
bez. Verminderung vorhandener lonenladungen besteht. An diesen pri-
mären Vorgang können sich sekundär andere schliessen, die in mannig-
faltigster Weise von der Beschaffenheit der beteiligten Stoffe, sowie von
den begleitenden Umständen abhängen.
Die Notwendigkeit eines solchen Vorganges ergiebt sich daraus,
dass im Elektrolyt die Elektrizität nur gleichzeitig mit den Ionen sich
bewegen kann, während sie ausserhalb des Elektrolyts von diesen unab-
hängig wird. An der Gvenzfläche tritt daher notwendig em Vorgang
ein, der in der Aufnahme oder Abgabe elektrischer Ladungen seitens
vorhandener Stoffe besteht.
Von der Natur des Leiters, der an den Elektrolyten grenzt, hängen
diese Vorgänge nur sekundär ab. Insbesondere ist es nicht nötig, dass
Metalle die Elektroden bilden; schon Davy hat gezeigt, dass auch, wenn
ein Strom aus dem Elektrolyt in Luft (durch Büschelentladung) tritt, an
der Grenzfläche der chemische Vorgang nicht ausbleibt
Man nennt einen solchen Vorgang eine Elektrolyse. Dabei
kommen sowohl die stofflichen wie die energetischen Änderungen in
Betracht.
Die einfachsten stofflichen Änderungen treten ein, wenn die Ionen,
welche den Transport der Elektrizitätsmengen zu den Elektroden besorgt
haben, ohne Änderung ihrer Zusammensetzung in den neutralen Zustand
übergehen können. Ziemlich allgemein ist dies bei den Salzen der
Schwermetalle der Fall, welche an der Kathode die Metalle abscheiden.
Elektrolyge und Polarisation. 471
Dies gesdiieht meist in zusammenhängender Gestalt^ so dass soldie Ab-
sdbddnngen zur Abformung von Gegenständen in Metall und zur Her-
steUung meüülischerüberzüge eine ausgedehnte technische Anwendung finden.
Darauf beruht die Galvanoplastik und Galvanostegie. Für diese Künste
ist es wichtig, dass die abgeschiedenen Metalle möglichst glatt imd zusammen-
hängend auftreten. Man erreicht dies auf mechanischem Wege, indem man
die Oberfläche, welche den Niederschlag auMmmt, möglichst eben und glatt
herstellt, wohl auch während der Fällung mechanisch bearbeitet, um die Bildung
von Unebenheiten zu verhindern. Ist eine solche einmal entstanden, so be-
steht zwischen ihr und der Anode meist eine bessere Strombahn, und sie hat
daher die Tendenz, infolge der Mehrabscheidung des Metalls sich zu ver-
grössem.
Chemische Einflüsse sind gleichfalls thätig, insofern kleine Änderungen
im Zustande des Bades oft die Beschaffenheit des Niederschlages erheblich
ändern. Die Ursachen hiervon sind nur teilweise bekannt. Meist ist es die
gleichzeitige Abscheidung nichtmetaUischer Produkte der Elektrolyse (Gase,
Oxyde), wodurch schlechte Niederschläge entstehen; Zusätze zum Bade, welche
diese Ausscheidungen verhindern, werden also den Niederschlag verbessern.
Ausserdem besteht noch die bisher unerklärte Thatsache, dass Metallabschei-
dungen aus komplexen Salzen, in denen die Konzentration der Metall-
ionen immer sehr klein ist, meist viel glatter erfolgen, als aus gewöhnlichen
Neutralsalzen. Beispiele sind Gold und Silber.
Sind mehrere Metalle gleichzdtig in der Lösung^ so werden sie in
der Ordnung der Tabelle S. 468 ausgeschieden, wie ihre Spannungen
gegen den Elektrolyt aufeinander folgen. Solche, deren anodische Natur
oder Tendenz Ionen zu bilden gering ist, treten zuerst auf, und die
anderen folgen nadi Massgabe ihrer Tendenz nach. Zwar ist die Span-
nung eines Metalls gegen seine Lösung von der Konzentration der
Ionen in dieser abhängig; da aber eine Verminderung der letzteren auf
1/1000, welches die Grenze der meisten analytischen Methoden bildet,
bei einem zweiwertigen Metall nur einen Spannungsunterschied von
008 V ausmacht, so sieht man, dass bereits Metalle getrennt werden
könnten, deren Spannungsunterschiede gegen gleich konzentrierte Lösungen
nicht viel über O«! V hinausgehen.
Diese Ordnung wird geändert, wenn sich die Metalle in Lösungen
komplexer Verbindungen befinden, indem das Metall um so anodischer
wird, je geringer die Konzentration der Metallionen im Komplex ist.
Da die analogen komplexen Verbindungen verschiedener Metalle sich in
dieser Beziehung verschieden verhalten, so werden unter Umständen be-
deutende Verschiebungen der gegenseitigen Stellung bewirkt So bildet
z. B. Zink mit Alkalicyaniden einen ziemlich unbeständigen, Kupfer da-
gegen einen sehr beständigen Komplex; es werden daher beide Metalle
nach der anodischen Seite verschoben, Kupfer aber so viel mehr als
Zink, dass beide einander ganz nahe kommen und bei der Elektrolyse
gleichzeitig (als Messing) ausgeschieden werden.
47S ^^' Elektrochemie.
Vergleicht man die yerschiedenen Metalle in der Beihe aof S. 468
miteinander, so findet man den Wasserstoff zwisclien Blei und Antimon;
man müsste also annehmen, da^s man zwar noch dieses, nicht aber mehr
Blei ans wässeriger Lösung ausscheiden könnte. Doch weiss man, dass
nicht nur Blei, sondern auch Cadmium und Zink sich ausscheiden laas^a,
obwohl die Spannung dieses Metalls um 0*76 V anodischer ist, als die
des Wasserstoffs.
Nun kann man allerdings anführen, dass die Spannung des Wasser-
stofis gegen eine normale Säurelösung gemessen ist, und dass in neutraler
Lösung eine anodische Verschiebung von rund 0-4 V eintitt Dadurch
käme man aber erat bis zum Cadmium^ und Zink steht noch rund 0-3 V
weiter. Die Ursache ist, dass der angegebene Wert des Wasserstoffs
nur Itir das Gleichgewicht gilt Wird bei der Elektrolyse Wasserstoff
ausgeschieden, so tritt vorher eine sehr bedeutende Übersättigung
ein, und es bedarf einer entsprechenden Steigening der Spannung,
um die Entstehung von Gasblasen zu bewirken. Dadurch wird die
Möglichkeit gegeben, Zink elektrolytisch abzuscheiden. Gleichzeitig sieht
man, dass die Lösung des Zinks neutral und möglichst konzentriert sein
muss, damit die gefahrliche Nachbarschaft der Wasseretoffspannung ver-
mieden wird; ebenso wii'd die Abscheidung um so besser gelingen, je
glätter man den Niederschlag zu erzeugen vermag, damit das Auftreten
der ersten Gasblasen hintangehalten wird.
Metalle, welche noch weiter an der anodischen Seite stehen, werden
als solche nicht mehr ausgeschieden. Man erhält indessen sogar noch die
Alkalimetalle, wenn man als Elektrode Quecksilber oder ein anderes
flüssiges Metall anwendet. Dies liegt einerseits daran, dass die Spannung
des im Quecksilber gelösten Metalles weniger anodisch ist, als die des
reinen Metalls, denn es befindet sich dort im Zustande der Lösung, aus
dem es nur unter Arbeitsaufwand entfernt werden könnte. Femer aber
gestattet die Oberfläche eines flüssigen Metalls, die das äusserste an
Glätte und Ebenheit darbietet, was überhaupt herstellbar ist, eme be-
sonders weitgehende Übersättigung an Wasserstoff, dass auch die f(ir die
Abscheidung der genannten Metalle erforderlichen Spannungen hergestellt
werden können, bevor sich Wasserstoffgas entwickelt.
Auch von diesen Vorgängen wird in der Technik für die Gewinnung
der Alkalimetalle bez. von deren Hydroxyden durch Einwirkung von Wasser
auf die Amalgame Anwendung gemacht.
Ähnlich den Metallionen verhalten sich die Ionen der Halogene,
welche durch die Entladung in die freien Elemente übergehen. Auch
hier tritt eine Mitwirkung der Ionen des Wassers ein; während Jod und
Brom weiter keine Besonderheiten aufweisen, ist es bei Chlor dne Frage
der Konzentration, ob Chlor oder Sauerstoff erscheint, und beim Fluor
ist es keine Frage mehr, denn es erscheint nur Sauerstoff. Letzteres
rührt daher, dass die Entladung des Hydroxyls aus dem Wasser, trotz
seiner sehr geringen Konzentration in der Lösung von Muorwasserstoflsäure^
Elektrolyse und Polarisation. 473
bei geringerer Spannung vor sich geht, als die der Fluorionen^ und da-
her nur Sauerstoff auftritt. Bei der Chlorwasserstoffitäure wird die Ent-
ladung des Chlors um so leiditer erfolgen^ je konzentrierter die Lösung
in Bezug auf Ghlorionen und je verdünnter sie in Bezug auf Hydroxyl
ist Beides ist in konzentrierten Lösungen von Salzsäure vorhanden,
da die Wasserstoff ionen der letzteren das Hydroxyl entsprediend zurück-
drängen. Je verdünnter sie wird^ um so mehr sieht man bei der Elektro-
lyse den Sauerstoff hervortreten.
Bei dieser Überlegung macht sich ein Punkt geltend ^ der noch
wiederiiolt in den Yordei^rund treten wird, nämlich die erhebliche Be-
teiligung von Ionen an den Ergebnissen der Elektrolyse, welche nur in
sehr geringer Konzentration vortianden sind. Im allgemeinen beteiligen
sich die verschiedenen Ionen an dem Transport der Elektrizität nach
Massgabe ihrer Konzentration und Wanderungsgesdiwindigkeit; ihre Ent-
ladung an der Elektrode ist aber von ihrer Spannung gegen die neutrale
Form abhängig. Ist ein Ion nur in geringer Konzentration vorhanden, hat
aber eine kleine Entladungsspannung, so werden zunächst die vorhandenen
Mengen sich zu entladen beginnen. Die Konzentration sinkt, die Spannung
steigt, und ist nicht viel von dem Stoff vorhanden, so muss sehr bald
ein neues Ion entladen werden. Hieran ist nichts besonderes. Andere
werden aber die Verhältnisse, wenn die Konzentration eines Ions zwar
an sich gering ist, wenn aber bei stattfindendem Verbrauch die ver-
schwundenen Mengen jalsbald wieder nachgeUefeit werden.
Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Es kann das Ion als
Bestandteil eines schweriösllchen Salzes vorhanden sein, das sich in dem
Masse neu auflöst, als jenes Ion aus der Lösung verschwindet. Ferner^
und dies ist der häufigere und wichtigere Fall, kann ausser dem Ion
eine andere Verbindung vorhanden sein, mit der das Ion im chemischen
Gleichgewichte steht, und welche gleichfalls neue Mengen des Ions
liefert, wenn die vorhandenen auf irgend eine Weise aus der Lösung
verschwinden. Dies geschieht gewöhnlich dadurch, dass eine komplexe
Verbindung vorhanden ist, die mit dem Ion derart im Gleichgewicht
steht, dass einer grossen Konzentration der Verbindung eine kleine des
Ions entspricht.
Ein Beispiel hierfür ist das Cyansilberanion des komplexen Cyansilber-
kaliums K/Ag(€N)*, welches zu einem sehr kleinen Teile im Sinne der
Gleichung Ag(CN)'g =« Ag --1-20 N' zerf'ällt. Trotz der ungemein geringen
Konzentration der Silberionen in dieser Lösung (S. 453) scheidet sie an der
Kathode einen schönen Silberüberzug auch bei ziemlich starkem Strome aus,
denn in dem Masse wie die wenigen Silberionen entladen werden, bilden
sich neue infolge der angegebenen Reaktion und die Flüssigkeit verhält sich
praktisch so, als wäre alles Silber in lonenform vorhanden. Dasselbe gilt für
Wasserstoff und Hydroxyl bez. Sauerstoff in wässerigen Lösungen.
Ein derartiges Verhalten ist also immer möglich, wenn die entsprechende
Reaktion möglich ist. Ob es in einem gegebenen Falle stattfinden wird, hängt
474 I^* Elektrochemie.
einigennassen von der Geschwindigkeit der beteiligten Reaktionen ab. Die
lonenreaktionen sind zwar sehr geschwind, aber jedenfalls nicht unendlich
geschwind, und einige hergehörige Erscheinungen deuten bereits darauf
hin, dass messbare Verschiedenheiten solcher Geschwindigkeiten nachweis-
bar sind.
Statt der volktändigen Entladung der Ionen tritt in solchen Fällen^
wo die entsprechenden Stoffe existenzfähig sind, an den Elektroden auch
eine teilweise Ent- oder Aufladung^ allgemein ein Wedisel der Valenz
ein. So gehen Ferroionen an der Anode in Ferriionen über, nnd diese
verwandeln sich umgekehrt an der Kathode in Ferroionen. Ähnliche
Umladungen sind natürlich bei allen anderen Metallen möglich, welche
Ionen von verschiedener Wertigkeit bilden können. Aber auch zusammen-
gesetzte Anionen sind solcher Umladung fähig, wenn sie verschieden-
wertig auftreten können, so das drei- und vierwertige Ion Fe(GN)Q
und andere.
Einen auffallenderen Charakter nehmen diese Umladungen an, wenn
dabei gleichzeitig Änderungen der Molekulargrösse erfolgen. Die Ionen
erster Stufe der Schwefelsäure SO4" verlieren an der Anode je eine
Ladung und gehen unter gleichzeitiger Kondensation in die Ionen S^Og"
der Überschwefelsäure über. Ebenso verhalten sich die Ionen der Kohlen-
säure. Auch sollte man auf gleidie Weise das Ion der Thiosuhhte
S2 O3" durch Entziehung je einer negativen Ladung in das Tetratiiionate
S^Og" verwandeln können.
Einen Grenzfall in gewissem Sinne bilden die Vorgänge, bei denen die
entiadenen Ionen keinen neutralen Stoff gleicher Zusammensetzung zu bilden
vermögen. Es tritt dann meist dn Zer&ll, häufig unter Bütwurkung des
Lösungswassers ein. So zerfällt das entladene Kation der Ammonium-
salze NH4 an der Kathode in Ammoniak und Wasserstoff, 2NH4 =
H) -|~ ^^H^; das Anion der Essigsäure, GH3CO2, zerMt in Äthan und
Kohlendioxyd, 2 C H3 C Og = C j H^ + ^ C 0 *. Die entladenen Anioneij der
sauerstoffi-eichen anorganischen Säuren reagieren mit dem Lösungswasser
unter Rückbildung der Säure und Entwickelung von Sauerstoff. Sind
sie vermögend, eine sauerstoffreichere Verbindung zu liefern, so gehen
sie unmittelbar in diese über, wie entladene Chlorsäureionen in Über-
chlorsäure, C10« + H*0 = H«C10*.
Schliesslich kann die Beteiligung der in der Lösung vorhandenen
Stoffe die Hauptreaktion werden, und die Elektrolyse wird in diesen
Fällen den mit Oxydations- und Reduktionsmittebi betriebenen Ketten
analog. Allgemein werden die an der Anode befindlichen Stoffe oxydiert,
die an der Kathode reduziert, wie sich unmittelbar ergiebt, wenn man
die Si 438 gegebenen Definitionen auf unseren Fall anwendet Dies
ist das Gebiet, in welchem namentiich die elektrolytische Behandlung
organischer Verbindungen zu einer grossen Zahl von Darstellungs-
methoden geftlhrt hat, welche den Vorzug besitzen, dass die Oxydation
und Reduktion ausgeführt werden kann, ohne dass iremde Stoffe mit
Elektrolyse und PolariBation. 475
dem Versnchsmaterial in BerQhning zu kommen brauchen. Ausserdem
kann man das Ergebnis des Vorganges durch Veränderung der Spannung^
durch Anwendung saurer oder alkalischer Lösungen u. s. w. auf die
mannigfiütigste Weise variieren. Insbesondere hat sich gezeigt^ dass die
Beschaffenheit der Elektroden oft einen sehr bedeutenden katalytischen
Einfiuss auf das Ergebnis der Elektrolyse ausübt
Es ist häufig die Frage aufgeworfen worden, welche von den an den
Elektroden stattfindenden Reaktionen als primär, und welche als sekundär
anzusehen sind. Soweit diese Frage nicht durch die Zusammensetzung der Ionen
und der Produkte sich unmittelbar beantwortet, kommt sie meist auf eine
Unsicherheit darüber hinaus, welche von den gleichzeitig möglichen Keaktionen
wirklich stattfindet. Wenn man z.B. eine wässerige Lösung von Natriumsulfat
elektrolysiert, so erscheint an der Anode Sauerstoff, an der Kathode Wasserstoff,
während die Flüssigkeit sauer, bez. basisch wird, und man hat firüher angenommen,
dass gleichzeitig das Salz in Säure imd Base, und das Wasser in seine Elemente
gespalten wird. Eine solche Annahme widerspricht indessen dem Faraday-
schen Gesetze, imd Hittorf hat bewiesen, dass die Stromleitung durch die
beiden Ionen Ka* und SO/' nach ihren Wanderungsgeschwindigkeiten bewirkt
wird. Nur kann das entladene Anion nicht als neutraler Stoff fortbestehen,
sondern geht in Schwefelsäure und Sauerstoff über; in solchem Sinne ist der
Sauerstoff sekundär. Den Wasserstoff an der Kathode kann man auch als
sekundär auffassen, indem man annimmt, dass sich zuerst Natrium ausscheidet,
welches auf das Wasser unter Entwickelung von Wasserstoff und Bildung von
Natron einwirkt. Überlegt man sich aber, dass in Natron wieder nur Natrium-
Ionen neben Hydroxyl vorhanden sind, so müsste man annehmen, dass die
Natriumionen entladen werden, um wieder in Natriumionen überzugehen.
Man wird also in diesem Falle besser annehmen, dass die Natriumionen
gar nicht entladen werden, sondern an ihrer Stelle die Wasserstoffionen des
Wassers. Obwohl diese in sehr geringer Konzentration vorhanden sind, wer-
den sie doch aus dem Wasser immer wieder neugebildet, so dass stets welche
für die Stromentladung vorhanden sind. Das übrigbleibende Hydroxyl be-
wirkt die alkalische Reaktion.
Bei der Anwendung einer Quecksilberelektrode wird indessen wirklich
Natrium ausgeschieden, das sich im Quecksilber auflöst. Dies rührt einer-
seits daher, dass sich die kathodische Spannung an einer Quecksilberelektrode
viel mehr steigern lässt, als an irgend einer anderen ^S. 472), und anderer-
seits daher, dass die anodische Spannung des Natriums in der Quecksilber-
lösung viel kleiner ist, als die des reinen Metalls. Durch sehr grosse Ver-
dünnung kann sie beliebig klein gemacht werden (S. 457), und daher wird
eine gewisse Menge Natrium vom Quecksilber aufgenommen sein müssen, ehe
der Wert des Wasserstoffs an Quecksilber erreicht ist. Es wird also in diesem
Falle primär Natrium ausgeschieden; nachdem dessen Konzentration im Queck-
silber einen gewissen Wert erreicht hat, tritt als primäres Ausscheidungspro-
dukt an die Stelle des Natriums der Wasserstoff.
In ähnlicher Weise lassen sich die verschiedenen Aufgaben behandeln.
476 IX- Elektrochemie.
Nur kommt noch ein Gesichtspunkt wesentlich in Frage. Die Spannung an
der Elektrode wird nicht von der mittleren Konzentration der Stoffe in der
ganzen Flüssigkeit, sondern ausschliesslich von der Konzentration unmittel-
bar an der Elektrode bestimmt. Wird diese durch die Elektrolyse geändert,
so hängt es von mechanischen Bedingungen, wie Diffusion, Strömungen,
Rühren u. s. w. ab, welche Konzentrationen in jedem Augenblicke an den
Elektroden bestehen. Dazu kommen mit ähnlicher Wirkung die verschiedenen
Geschwindigkeiten, mit denen die Reaktionen stattfinden. Wenn man also
auch den Satz durchführen kann, dass in jedem Augenblicke an der Elektrode
dasjenige Ion ausgeschieden wird, dessen Entladungsspannung die kleinste ist,,
so ist es doch wegen der genannten Umstände oft nicht leicht zu sagen^
welchem der vorhandenen Ionen in einem gegebenen Augenblicke diese
Eigenschaft zukommt
Die zweite Frage, welche betrefls der Erscheinungen der Elektrolyse
zn stellen ist, bezieht sich auf die Arbeiten, welche zur Aus-
scheidung der verschiedenen Stoffe erforderlich sind. Es ist
vor allen Dingen darauf hinzuweisen^ dass diese Arbeiten immer die
Summe zweier Glieder sind, die sich auf die beiden Elektroden beziehen^
und die in ziemlich hohem Grade voneinander unabhängig gemacht
werden können. Es hat die Entwiekeiung unserer Kenntnisse in diesem
Gebiete sehr verzögert, dass die in den meisten Untersuchungen nur die
Summe der Vorgänge an beiden Elektroden zusammen betrachtet wurden^
ohne dass sie in die Summanden gesondert wären.
Die Arbeitsgrössen, welche bei elektrolytischen Umsetzungen aufge-
wendet oder gewonnen werden, gelangen ebenso wie die Arbeiten der
Voltaschen Ketten ausschliesslich in den Spann ungsgrössen zum Aus>
druck, da die Eiektrizitätsmengen unabhängig von diesen durch das
Faradaysche Gesetz geregelt werden. Ist jc diese Spannung in Volt,
n die Valenz der entladenen Ionen, so ist 96540-jrn die Arbeit in
Joule, welche für die Abscheidung von einem Mol des Ions erforderlich ist.
Die Spannung bei der Abscheidung eines Stoffes aus seinen loneu
ist nun gleich der Spannung, welche eben dieser Stoff (als Elektrode oder
an der Elektrode) in einer Voltaschen Kette erzeugt (Le Blanc 1893).
Dabei ist vorausgesetzt, dass die Konzentrationen der beteiligten Stoffe
gleich sind, und dajss die Reaktionen umkehrbar sind. Letzteres ist bei
schnell verlaufenden Vorgängen zwar anscheinend immer der Fall, bei
langsam verlaufenden sekundären Reaktionen an der Elektrode kann in-
dessen die Rückbildungsgeschwindigkeit der Ionen aus den weiteren Pro-
dukten der Elektrolyse so gering werden, dass von einer praktisch
umkehrbaren Kette nicht mehr die Rede ist. Solche falle sollen alsa
ansgesdüossen werden.
In dem Falle, dass das Produkt der Elektrolyse ein fester Stofl^
etwa ein Metall ist, lässt sich der Satz sehr leidit prüfen und beweisen..
Grössere Schwierigkeiten entstehen erst in dem FaUe gasförmiger Pro-
dukte, insbesondere des Wasserstoffe und Sauerstofis.
Elektrolyse und Polarisation. 477
Während nämlich die Spannungen der ersteren StolSe nur noch
von der Konzentration der Ionen im Elektrolyt abhängen, ändern die
der letzteren sich noch im weitesten Umfange durch Übersättigungs-
erscheinungen. Das viel mannigfaltigere Bild, welches dadurch entsteht,
hat die Auffassung der einfachen Verhältnisse auf diesem Gebiete
verzögert, weü man jene verwickeiteren Verbältnkae vorwiegend unter-
sucht und als typisch angesehen hat. Indessen ist nachgewiesen worden,
dass mit derselben, bez. einer nur wenig höheren Spannung, wie
sie die Sauerstoff -Wasserstoffkette (S. 461) giebt, nämlich 1*08 V, auch
ein dauernder Strom durch einen entsprechenden Elektrolyt, eine Säure
oder ein Alkali geleitet werden kann, so dass die Wasserbildung und
Zersetzung unter diesen Umständen ein umkehrbarer Vorgang ist
(Le Blanc 1893).
Mit dem Namen der unpolarisierbaren Elektroden bezeichnet
man gewisse Zusammenstellungen namentlich aus Metallen in ihren
Lösungen, welche die Eigenschaft haben, dass beim Stromdurchgange
keine in entgegengesetzter Richtung wirkende Spannung oder Polarisation
entstdit. Im strengen Sinne unpolarisierbare Elektroden giebt es nicht,
denn durch den Strom wurd stets (ausser in dem einzigen Falle, dass
die beiden Ionen genau gleiche Wanderungsgeschwindigkeit haben) die
Konzentration der Lösung an der Elektrode geändert, und eine ver-
änderte Spannung ist die notwendige Folge hiervon. Wohl aber giebt
es verschiedene Grade der Polarisierbarkeit, und man kann fQi den eben
erwähnten Fall des Metalles in der Lösung eines seiner Salze den Satz
au&tellen, dass das Gebilde um so leichter, d. h. ^ eine um so ge-
ringere Stromstärke zu einem bestimmten Grade polarisierbar ist, je ver-
dünnter die Lösung in Bezug auf das Metall ist. Denn die ausge-
schiedene Metallmenge ist der Stromstärke proportional, die Änderung
der Spannung aber nicht, denn die Spannung ändert sich um gleiche
Beträge^ wenn die Eonzenü-ation sich um gleiche Verhältnisse ge-
ändert hat. Hat also z. B. ein gegebener Strom zwei Drittel vor-
handenen Metalls ausgeschieden, und dadurch eine gewisse Polarisation
erzeugt, so wird hernach ein Drittel jenes Stromes genügen, um die
gleiche Änderung hervorzubringen, und dann ist weiter nur ein Neuntel
des anfanglichen Stromes für den gleichen Effekt erforderlich.
Für die Un polarisierbarkeit ist der Gehalt an Metall in irgend einer Form
wesentlich, und es ist nicht nötig, dass es als Ion vorhanden ist. Denn auch
in solchen Fällen, wo die lonenkonzentration äusserst gering ist, wie z. B.
bei den Silbercyanverbindungen, ergiebt sich eine Silberelektrode als sehr
wenig polarisierbar, da die an der Elektrode verbrauchten Silberionen alsbald
durch den Zerfall des Komplexes ersetzt werden. Wohl ist aber die Spannung
an der Elektrode hiervon abhängig.
Schaltet man einen Elektrolyten zwischen zwei gleiche unpolarisier-
bare Elektroden, so verhält sich das Gebilde gegen durchgehende Ströme
wie ein metallischer Leiter, indem die Spannung an der einen Elektrode
478 I^' Elektrochemie.
durch die entgegengesetzte an der anderen gerade aufgehoben wird.
Dies war vor der Anwendung der Wechselströme fast der einzige Weg,
um die Widerstände von Elektrolyten zu messen.
An den Grenzflächen zweier Elektrolyte entsteht nie eine erhebliche
Polarisation, entsprechend dem Umstände, dass die Spannungen der
Flüssigkeitsketten immer sehr gering sind. Man kann daher beliebige
Flüssigkeiten polarisationsfrei in einen Stromkreis bringen, wenn man sie
zwischen die Flüssigkeiten zweier gleicher unpolarisierbarer Elektroden
schaltet.
Die in polarisierbaren Elektroden f)ir den chemischen Vorgang auf-
zuspeichernde Energie wh^ wiedergewonnen, wenn man die Elektroden
durch einen Leiter verbindet, indem der chemische Vorgang i*ückgängig
wird. Dadurch ist ein jedes derartige Gebilde ein elektrischer Samm-
ler oder Akkumulator. Denn es ist schon bemerkt worden, dass im
Prinzip jeder elektrolytische Vorgang umkehrbar ist, wenigstens ftir den
Fall, dass die Rückbildung sehr bald nach der Elektrolyse erfolgt,
und dass die Elektroden nicht überladen, d. h. zur Abscheidung von
Produkten gebracht wurden, welche sich von den leitenden Iilächen ent-
fernen, und sich dadurch der Rückverwandlung entziehen.
Für praktische Zwecke sind diese Eigenschaften allerdings nicht genügend,
denn hier kommt es gerade darauf an, dass der Sammler seine Energie mög-
lichst lange unverändert erhält, und dass möglichst grosse Mengen Energie in
den Elektroden aufgespeichert werden können. Wenn also auch als Sammler
jede Voltasche Kette, deren chemischen Vorgang man durch einen entgegen-
gesetzten Strom rückgängig machen kann (z. B. eine Danielische Kette),
dienen kann, so wird doch die Auswahl durch die eben ganannten praktischen
Bedingungen so beschränkt, dass bisher nur ein einziger Typus sich als
lebensfähig erwiesen hat. Es ist dies der Bleisammler.
Ein Bleisammler besteht aus zwei Elektroden aus. möglichst porösem,
aber doch hinreichend widerstandsfähigem Blei, welche in verdünnter Schwefel-
säure stehen. Die eine Platte ist vorher als Anode in Schwefelsäure behandelt
worden, nnd das Blei darin ist dadurch in Bleihyperoxyd übergegangen
(s. w. u.). Bei dem Schluss dieser Kette wandern die SO^-Ionen der Schwe-
felsäure an die eine Platte aus metallischem Blei, die H-Ionen an die Hyper-
oxydplatte. An der ersten entsteht nach der Gleichung Pb -}- SO^« PbSO^
Bleisulfat, indem sich die entladenen Ionen SO4 mit dem Bleimetall verbin-
den. An der anderen Elektrode wird das Hyperoxyd durch den entladenen
Wasserstoff zu Oxyd reduziert, welches sich mit der anwesenden Schwefel-
säure zu Bleisulfat verbindet. Das chemische Ergebnis des Stromdurchganges
ist also beiderseits, Bleisulfat. Hierbei wird eine beträchtliche Energie frei,
da die Spannung rund 2 V beträgt.
Sendet man nun einen Strom in entgegengesetzter Richtung durch den
Sammler, nachdem er entladen ist, d. h. nachdem sich an beiden Platten Blei-
sulfat gebildet hat, so wird an der Kathode das Sulfat wieder in Bleimetall
übergeführt, indem der Wasserstoff das Blei aus seinem Sulfate verdrängt
Elektrolyse und PolariBation. 479
und Schwefelsäure bildet. Gegen die Anode wird das Ion SO^" geführt,
welches sich dort entladet, und mit dem Bleisulfat und Wasser im Sinn der
Gleichung PbSO^ + SO^ + 2H«0 — PbO« + 2H*S0^ reagiert. Dort wird
also Bleihyperoxyd wieder gebildet und der Sammler ist in seinem früheren
Zustande.
Durch den glücklichen Umstand, dass dasselbe Metall an den beiden
Elektroden wirken kann, und dass die Verbindungen, die in Frage kommen,
mit Ausnahme der Schwefelsäure schwerlöslich sind, hat der Sammler beson-
dere Vorzüge. Einmal können die reagierenden Stoffe nicht durch Diffusion
sich von den Elektroden entfernen, an denen sie wirken sollen (wie das z. B.
in der Daniellkette das Kupfersulfat thut); dann aber ist die Bildung von
„Lokalströmen'' ausgeschlossen, die dadurch entstehen, dass sich etwas von
dem Eathodenmetall an der Anode' absetzt, und dort eine kurz geschlossene
Kette bildet, die zu einem nutzlosen Verbrauch des Anodenmetalls führt.
HierduiY^ sind zwei wichtige Umstände, die zu einer Verwüstung der auf-
gespeicherten Energie führen, ausgeschlossen. Ein grosser Kachteil des
Sammlers ist dagegen das grosse elektrochemische Äquivalent des Bleis, wo-
durch die auf die Gewichtseinheit der Elektrode aufspeicherbare Energie eine
erhebliche Einschränkung erfährt.
Die Anwendung dieses Sammlers im Grossen hat ergeben, dass man
bestenfalls etwa 0*9 der aufgespeicherten Energie wiedergewinnt Der Verlust
liegt wesentlich an dem Umstände, dass beim Stromdurchgange die Kon-
zentration der Schwefelsäure erhebliche Änderungen erfährt. Beim Anblick
der Gleichungen, welche die chemischen Vorgänge darstellen, sieht man, dass
bei der Arbeit des Sammlers an beiden Elektroden Schwefelsäure verbraucht
wird, d. h. aus der Lösung in die Elektroden übergeht; bei der Ladung werden
diese Mengen wieder frei. Dadurch verdünnt sich bei der Arbeit die Schwefel-
säure an den Elektroden, und dadurch sinkt, wie es die eingehendere Betrachtung
der massgebenden Konzentrationsverhältnisse lehrt, die Spannung. Nur in
dem Masse, wie sich durch Diffusion und Strömung die Schwefelsäure wieder
ersetzt, kann die Spannung bei der Arbeit aufrecht erhalten werden.
Umgekehrt konzentriert sich die Schwefelsäure an beiden Elektroden
durch die Vorgänge bei der Ladung, und dies führt zu einer Erhöhung der
Spannung über das Mass des gewöhnlichen Wertes, so dass eine entsprechend
höhere Energie für die Ladung aufzuwenden ist.
' Gleichzeitig geht aus diesen Betrachtungen hervor, dass der Spannungs-
verlust bei der Arbeit, und die erhöhte Gegenspannung bei der Ladung um
80 bedeutender werden muss, je stärker der Strom ist, weil die Ausgleichung
der Konzentrationen um so unvollkommener erfolgt. Auch dies entspricht der
Erfahrung, dass (innerhalb gewisser Grenzen) der Sammler um so sparsamer
in Bezug auf die Energie arbeitet, je kleiner die auf die Einheit der
Elektrodenfläche berechnete Stromstärke ist.
Ausser diesen Verlusten kommt noch der Widerstand der Kette und
die entsprechende Umwandlung der elektrischen Energie in Wärme als Ver-
lust in Betracht. Er wird dadurch möglichst klein gemacht, dass man die
480 ^* Pilotochemie.
Elektroden plattenförmig atiordnet, ihnen eine möglichst grosse Ausdehnung
giebt, und die Säureschicht zwischen ihnen möglichst dünn macht. Dadurch
ist der innere Widerstand guter Sammler sehr klein, so dass er in den meisten
Fällen nicht mehr in Frage kommt.
Zehntes Buch.
Photochemie.
Erstes Kapitel.
Die stralilende Energie.
In dem allgemeinsten und bestbegründeten Naturgesetz, dem ei'sten
Hauptsatz der Energetik oder dem Gesetz von der Erhaltung der Energie
besteht eine Lücke, deren Vorhandensein uns unaufhörlich entgegentritt,
und bei der nur ihr häufiges Vorkommen uns über ihre sonderbare Be-
schaffenheit beruhigt. Sie besteht darin, dass in zahllosen Fällen vorhandene
Energiemengen vollständig verschwinden, und dann an anderen Stelle wieder
auftreten, ohne dass man inzwischen ihre Existenz durch eine entsprechende
Veränderung des Raumes, in dem sie sich befinden, nachweisen kann. Denn
jede andere Enei'gieart kann man durch besondere Eigentümlichkeiten
an ihrem Orte erkennen, ohne dass man ihre Form zu ändern braucht,
d. h. man kann sie als solche nachweisen. In den hier zu betrachten-
den Fällen ist dies nicht möglich. Man kann nur aus dem Räume, in
welchen hinein die Energie verschwunden ist, den gleichen Energiebetrag
in ü'gend einer anderen Form, am leichtesten wie immer als Wärme,
zurückgewinnen; ausserdem hat sich aber in einem solchen Räume in-
zwischen nichts in messbarer Weise geändert.
So wissen wir, dass mit dem Auftreten der Sonne über dem Horizonte
ein mächtiger Strom von Energie sich von dieser auf die Erde ergiesst. Der
grösste Teil davon erscheint an der Erdoberfläche als Wärme, ein Teil als
mechanische, als chemische, als elektrische Energie. Während der Nacht
hört dieser Strom auf, ja er kehrt an der Erdoberfläche meist sogar seine
Richtung um. Der Raum, durch welchen er sich ergiesst, hat während seiner
Dauer ganz dieselben Eigenschaften, als wenn er nicht durchginge.
Wir nehmen zum Zwecke der Durchführung des ersten Hauptsatzes
an, dass trotz des Verschwindens der Energie sie in diesem Zwischen-
räume dennoch besteht, wenn auch nur in einer Form, die uns unmittel-
bar nicht zugänglich ist. Diese Annahme ist dadurch gestützt, dass das
Verschwinden nur auf Zeit erfolgt; selbst in dem gi'ossen Räume zwischen
Sonne und Erde ist die von ersterer ausgehende Energie nur während
rund 9 Minuten verschwunden, und tiitt nach dieser Zeit auf der Erde
durch Umwandlung in eine der genannten Formen wieder in den Be-
Die strahlende Energie. 43 X
reich der Nadiweisbarkeit und Measbarkeit Femw Ist dies Verschwin-
den und Wiederanftreten an ganz bestimmte Gesetze gebunden, welche
eine so grosse Mannigfoltigkeit erkennen lassen^ dass die Annahme einer
besonderen, an sich nidit, sondern nur durch ihre Umwandlungen er-
kennbaren Energieform in der That die einfachste ist, die zur Zeit ge-
macht werden kann. Man nennt diese Form die strahfende Energie.
Wir erkennen die strahlende Energie vorwiegend an zwd Umwand-
inngen. Die eine bezieht sich auf die Wärme und findet sehr allgemein
in einem wie im anderen Sinne statt Die andere Umwandlung erfolgt
in unserem Auge und ist sehr wahrscheinlich chemischer Natur. Die
auf solche Weise erkennbare strahlende Energie bezeichnen wir als licht,
^t Hilfe der auf diesen Umwandlungen beruhenden Apparate sind
folgende Eigenschaften der strahlenden Enwgie nadigewiesen worden.
Die Bewegung der strahlenden Energie durch den Raum erfolgt
nicht augenblicklich, sondern sie bemtzt eine endliche, wenn auch sehr
grosse Geschwindigkeit Im leeren Räume beträgt diese 3 X 10^^ cm
in der Sekunde. Durch andere Mittel als den leeren Raum geht die
strahlende Energie nicht ohne teilweise Umwandlung, meist in Wärme,
zu erleiden. Doch ist in vielen f^len die Umwandlung so unbeträcht-
lich^ dass man die Strahlung über sehr lange Wege verfolgen kann. Es
erwdst sich, dass in solchen Mitteln ihre Geschwindigkeit immer geringer
ist, als im leeren Räume.
Infolge dieser Verschiedenheiten verbreitet sich die strahlende Energie
geradlinig nur in Gebieten, wo sie gleiche Geschwindigkeit hat; in anderen
wird die Verbreitung geändert Die geometrischen Gesetze dieser Vorgänge
behandelt die Optik; sie sollen hier nicht erörtert werden.
Eine zweite sehr wichtige Eigenschaft der strahlenden Enei^e ist
ihr periodischer Charakter. Die Vorgänge an einem Punkte, der in
einem Räume, durch welchen sich strahlende Energie bewegt, diese auf-
nimmt und umwandelt, ändern sich in regelmässigen Zeiten, die ausser-
ordentlich kurz sind; ebenso erfolgen an nebeneinanderliegenden Punk-
ten eines solchen Raumes in einem bestimmten Augenblicke nicht
die gleichen Vorgänge, sondern sie ändern sich auf sehr kurze Strecken
in regelmässiger Wiederkehr. Man schreibt daher der strahlenden
Energie die Eigenschaft einer Wellen- oder Schwingungsbewegung zu.
Wenn man nur das Nötige ohne hypothetischen Zusatz angeben will,
so wird man zunächst nur sagen, dass die Eigenschaften der strahlen-
den Energie, d. h. ihre Umwandlungsfahigkeit in andere Formen
sich periodisdi im Räume und in der Zeit ändern; die Raumperiode
nennt man die Wellenlänge, die Zeitperiode die Schwingungsdäuer
der Strahlung. Erstere bedeutet die Strecken, die zweite die Zeiten,
nach denen bestimmte Eigenschaften der Strahlung wiederkehren.
Die Erfahrung ergiebt, dass diese Zeiten und Strecken sich von Fall zu
Fall verschieden erweisen. Mit diesen Verschiedenheiten ändert sich auch
m verschiedenen Mitteln die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, und zwar in
Ostwald , Onmdrl80. 8. Anfl. 31
482 X* Photochemie.
wechselnden Verhältnissen; im leeren Räume ist sie von der Wellen-
länge unabhängig. Zwischen den drei Grössen^ der Wellenlänge 1,
der Schwingungsdauer 2, und der Geschwindigkeit v besteht die not-
wendige Beziehung ys = l. Reziprok der Schwingungsdauer oder Pe-
riode s ist die Schwingungszahl n = — : sie bedeutet die Zahl der Pe-
s
rioden in emer Sekunde.
Für die Wellenlängen der als Licht sichtbaren Strahlung sind die
wichtigsten Zahlen bereits früher (S. 132) angegeben worden; sie be-
wegen sich zwischen 40 und 70 X 10~^ cm. Die Grenzen der be-
kannten Wellenlängen sind diese nicht; nach den kürzeren Wellen ist
man bis etwa 10 X 10""* cm hinaufgekommen; für die langen Wellen
lässt sich zur Zeit keine Grenze angeben.
Für mittleres (grünes) licht von 5 X 10"^ cm Wellenlänge ergiebt
sich die Schwingungsdauer s = 5 X 10-^/3 X 101^= 1-67 X 10-^^Sek.,
und die Zahl von 0-6 X 10^^ Schwingungen in der Sekunde.
Die Bedeutung der strahlenden Energie für den Gegenstand
dieses Werkes liegt in der wechselseitigen Umwandlung zwischen ihr
und der chemischen Energie. Eine Betrachtung der von den leben-
den Organismen verbrauchten wie der für technische Zwecke verwert-
baren Energie zeigt, dass die chemische Energie von allen in Betracht
kommenden Arten die wichtigste ist Die weitere Untersuchung der
Herkunft dieser Ener^e ergiebt, dass sie aus der Sonne stammt, von
der sie in Gestalt von Strahlung auf die Erde gelangt. Hier geht sie
zum grössten Teile in Wärme, und mittelbar in mechanische Energie
der meteorologischen Vorgänge über, die sich in bewegten Luft- und
Wassermassen zur Geltung bringt. Ein zweiter Anteil der zugestrahlten
Energie nimmt aber die Dauerform der chemischen Energie unter
der Mitwirkung der Pflanzen an.
Durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen findet in den Pflanzen
eine Reihe von chemischen Vorgängen statt, deren Einzelheiten uns
grösstenteils noch unbekannt sind, deren Endergebnis aber die Spaltung
des Kohlendioxyds der Luft in Sauerstoff, welcher entweicht, und in
kohlenstoffhaltige Verbindungen, namentlich Stärke, welche zurückbleiben,
ist. Da die Verbrennungswärme der Stärke zu Kohlensäure und Wasser
17*24 J ftir jedes Gramm beträgt, so ist dieselbe Energiemenge erforder-
lich, um aus den der Pflanze zugänglichen Stoffen, Kohlendioxyd und
Wasser, Stärke zu bilden. Diese Energie wird ausschliesslich als Strah-
lungsenergie von der Sonne geliefert, denn die Pflanzen vermögen nur
im Sonnenlicht die Reduktion der Kohlensäure auszuführen.
Man übersieht alsbald, wie dieser Vorgang die Energie in weit brauch-
barerer Form liefert, als die meteorologischen Vorgänge, und in der That ist
der Anteil, welchen die letzteren im Betrieb von Wind- und Wassermühlen
liefern, sehr klein im Verhältnis zu dem, welcher durch die Lebensthätigkeit
der Pflanzen aufgespeichert wird. Alles Brennmaterial der Technik hat diesen
Die Btrahlende Energie. 433
Ursprung. Und der menschliche und tierische Organismus kann seinen
Energiebedarf überhaupt nicht anders decken, als auf Kosten der von den
Pflanzen gesammelten Energie.
Eine zweite^ sehr wichtige Eigentümlichkeit der strahlenden Energie
ist die^ dass sie sich mit änsserster Feinheit räumlich verteilen lässt.
In auffallendem Gegensatze zu der an den Stoffen haftenden Wärme^
welche einem beständigen Yermisehungs- oder Diffusionsvorgang unter-
worfen ist, bleiben die räumlichen Verschiedenheiten der strahlenden
Energie auf das genaueste erhalten, auch nachdem sie sich Millionen von
Meilen durch den Raum bewegt hat.
Von dieser Eigenschaft h&ngt zunächst die Fähigkeit des Sehens ab,
die Fähigkeit, welche uns nach Herschels Ausdruck mehr als jede andere die
Eigenschaft der Allgegenwart verleiht. Die zahllosen feinen und feinsten
Unterschiede, mit welchen die strahlende Energie die Objekte verlässt, erzeugen
auf der Netzhaut des Auges entsprechend abgestufte chemische Vorgänge, die
uns ein treueres und vollständigeres Bild der Aussenwelt vermitteln, als jeder
andere Sinn. Auch eine technische Bedeutung hat diese Eigenschaft der
strahlenden Energie gewonnen; in der Photographie werden Vorgänge von
ganz vergleichbarer Beschaffenheit auf der lichtempfindlichen Platte hervor-
gerufen, welche eine dauernde Aufbewahrung augenblicklicher Zustände und
Erscheinungen ermöglichen.
So entwickelt sich denn auch die wissenschaftliche Photochemie wie
die Hiermochemie an den beiden Problemen, dem physiologischen und
dem technischen, und zwar Men beide Anfänge in nicht sehr weit ent-
legene Zeiten zurück. Von Priestley ist 1772 die Beobachtung gemacht
worden, dass grüne Pflanzen im Sonnenlicht die durch Atmen verdorbene
Luft verbessern: Senebier und Ingenhouss erkannten darauf, dass der
Vorgang in einer Zersetzung der Kohlensäure und Abscheidung von
Sauerstoff bestehe. Die wichtige Rolle, welche dieser Prozess im Natur-
haushalt spielt, wurde indessen erst von Liebig (1840) und J. R. Mayer
(1842) genügend erkannt.
Die ältesten Beobachtungen über Lichtbilder mit Hilfe von Chlor-
silber rühren von J. H. Schnitze (1727) her, indessen blieben sie ver-
einzelt. Die Plüiigkeit verschiedener Lichtstrahlen, verschiedene Wirkung
auf diesen lichtempfindlichen Stoff auszuüben, wurde von Scheele (1777)
erkannt, welcher zuerst das Spektrum photographierte; Ritter entdeckte
(1801), dass die chemische Wirkung sogar über das sichtbare Spektrum
hinaus sich erstreckt. WoUaston hat dann die Schwärzung des Chlor-
silbers zum Kopieren von Silhouetten benutzt. Die eigentliche Photo-
graphie nimmt ihren Ausgang von Daguen-e (1838), welcher die Ent-
wickelung der Lichtbilder entdeckte, auf welcher die Möglichkeit, die
Bilder der Camera obscura festzuhalten, und photographische Aufiiahmen
in kürzester Zeit auszuführen, beraht. Dieselbe besteht darin, dass
äusserst schwache chemische Lichtwirkungen, welche für sich keine sicht-
31*
484 X. Photochemie.
bare Veränderung der lichtempfindiichen Fläche henrorgemfen haben,
durch paflsende Behandlung sichtbar gemacht und so in ein Bild über-
geführt werden können. Wiewohl die Mittel später wesentlich andere
geworden sind, ist das Prinzip dasselbe geblieben.
Zweites Kapitel.
EmiBsion und Absorption.
Wiewohl die gegenseitigen Umwandlungen zwischen chemischer
und strahlender Energie den wesentlichsten Teil der hier vorzunehmen-
den Erörterungen zu bilden haben, sind einige von den anderen möglichen
Umwandlungen wenigstens in ihren wesentlichsten Zügen zu schildern,
da sie für chemische Verhältnisse gleichfalls in Betracht kommen.
Am leichtesten erhält man strahlende Energie aus Wärme, und es
ist eine allgemeine Thatsache, dass ein warmer Körper beständig in einer
von seiner Oberfläche, seiner Temperatur und der Beschaffenheit des um-
gebenden Raumes abhängigen Weise strahlende Energie verliert. Diese
Beziehung ist so allgemein, dass man die strahlende Energie früher
strahlende Wärme genannt hat. Da indessen diese Energieform keine
von den besonderen Eigenschaften der Wärme besitzt, und ihre Ent-
stehung auch nicht ausschliesslich an die Wärme gebunden ist, so ist
dieser Name als einseitig und daher irreführend zu verlassen.
Bringt man in einen Raum Körper verschiedener Temperatur, so
brauchen sie nicht in unmittelbarer Berührung zu stehen, damit ihre
Temperatur schliesslich gleich wird; dies wird auch durch ihren Eneipe-
verkehr mittels Strahlung bewirkt. Daraus geht eine bestimmte, sehr
wichtige Beziehung hervor, welche von Kirchhoff (1859) aufgesteUt wor-
den ist. Denkt man sich der Einfachheit wegen zwei gleich grosse
Flächen verschiedener Temperatur und verschiedener Beschaffenheit so
gegeneinander gesteUt, dass sie ihre Strahlung nur gegeneinander senden
können, so wird zunächst ein Austausch der Energie eintreten, und
schliesslich wird die Temperatur beider Körper gleich geworden sein.
Dies folgt notwendig aus dem zweiten Hauptsatze, denn was auf eine
Art, durch Strahlung, im Temperaturgleichgewicht ist, muss auf jede
andere Art, also auch bei unmittelbarer Berührung im Temperatur-
gleichgewicht sein.
In diesem Gleichgewichtszustande ist nun die gegenseitige Strahlung
von der Beschaffenheit, dass jede Fläche durch die Au&ahme der Strahlen
der anderen ebenso viel gewinnt, als sie selbst durch Strahlung verliert.
Nennen wir die in der Sekunde von der ersten Fläche ausgestreute
Energiemenge oder deren Emissionskoeffidenten A, so wird diese nur
zum Teil von der zweiten Fläche aufgenommen werden; wir nennen
diesen Bruchteil bA, wo b der Absorptionskoeffizient der zweiten
Emission und Absorption. 485
Fläche ist; der Teil (1 — b)A gelangt an die erste Fläche zurflck, und
wird von dieser anfgenommen. Die erste Fläche verliert also die Menge
bA. Ferner strahlt die zweite Fläche der ersten die Menge B zu^ von
der der Teil aB aufgenommen wird, den die zweite Fläche thatsächlich
verliert; der Rest kehrt zu ihr zurück. Der gesamte Energieverlust der
ersten Fläche ist also bA — aB, der der zweiten aB — bA. Nun
müssen beim Gleichgewichte, d. h. bei gleicher Temperatur die beiden
Verluste Null sein, und es folgt somit die Gleichung bA = aB oder
A/a = B/b, d. h. das Verhältnis zwischen den Koeffizienten der Ab-
sorption und Emission ist bei allen Stoffen dasselbe, wenn ihre Tempe-
ratur gleich ist.
Da die Gleichheit der durch Strahlung erreichten Temperaturen
auch bestehen bleibt, wenn man an Stelle der betrachteten einfachen
Verhältnisse beliebige andere setzt, so folgt, dass der eben ausgesprochene
Satz für Flächen aller Art, und ebenso für Strahlen aller Art gelten muss.
Insbesondere ist es ausgeschlossen, dass etwa nur die Gesamtabsorption
und Emission proportional sein sollten; das Verhältnis muss vielmehr
für jede einzelne Strahlenart (die durch ihre Periode und eventuell auch
ihre Sohwingungsebene gekennzeichnet ist) dasselbe sein.
Hat also ein Körper die Eigenschaft, irgend welche besonderen
Strahlen reichlich auszusenden, so hat er auch notwendig die Eigenschaft,
ebendiese Strahlen in demselben reichlichen Verhältnisse aus anderen auf-
zunehmen. Umgekehrt würde eine Fläche, die alle auf sie fallenden
Strahlen zurückwirft, ausser stände sein, ihrinrseits Strahlen auszusenden.
Wir können uns als Grenzfall eüien Körper denken, der alle auf
ihn fallenden Strahlen auftiimmt, ohne einen Anteil davon zurückzusenden.
Für einen solchen würde der Absorptionskoeffizient den Wert Eins an-
nehmen. Sei dies der erste Körper; dann würde a=l und B^=B/b
sein, wo S den Emissionskoeffizienten in diesem besonderen Falle be-
zeichnet Wir nennen einen solchen Körper einen schwarzen; die
Gleichung sagt, dass die Emission eines bestimmten Körpers B immer
kleiner sein muss, als die eines schwarzen, und zwar im Verhältnis seines
Absorptionskoeffizienten b. Man erhält mit anderen Worten die Strahlung
eines bestimmten Körpers, wenn man die eines schwarzen mit dem Alh
Sorptionskoeffizienten des Körpers multipliziert
Die Strahlung eines schwarzen Körpers ist somit eine äusserst
wichtige Fundamentalgrösse. Sie ist von der Temperatur abhängig,
und zwar wächst sie proportional der vierten Potenz der absoluten
Temperatur (Stefan 1879, Boltzmann 1884). Die von einem Quadrat-
zentimeter in der Sekunde ausgestrahlte Energiemenge wird in absoluten
Einheiten durch den Ausdruck S = 5-32 X 10"^ T* Erg dargestellt
Da ein sdiwarzer Körper in dem hier definierten Sinne nur eine Ab-
straktion ist, so entsteht die Frage, wie ein solcher experimentell herzu-
stellen ist Die Antwort ergiebt sich dahin, dass eine kleine öflhung
in einem Raume^ dessen Wände von beliebigem Material bei der be^
486 ^ Photochemie.
Stimmten Temperatur gebildet werden^ wie eine schwarze Fläche von
dOT Grösse der Öffiiung wirkt. Der Beweis dafür beruht auf der Be-
trachtung, dass eine in einen solchen Raum eindringende Strahlung in-
folge der vielen Reflexionen an den teilweise absorbirenden Wänden
schliesslich vollständig absorbirt werden wird^ ehe ein Anteil durch die
Öffiiung wieder einen Ausweg findet.- Ein solcher Raum hat also den
Absorptionskoeffizienten Eins^ folglich hat er die Emission einer schwarzen
Fläche (Kirchhoff 1859).
Ausser dem Betrage der Gesamtstrahlung ist auch noch der der einzelnen
Perioden eine allgemeine Temperaturfunktion. Die Untersuchungen hier-.
über haben gleichfalls in letzter Zeit ein allgemeines Resultat ergeben^
doch muss von einem Eingehen darauf hier abgesehen werden.
Eine wichtige Beziehung zwischen der strahlenden Energie und den
Eigenschaften materieller Stoffe liegt nun darin^ dass ihre Entstehung und
Umwandlung an diesen in Bezug auf die Periode gesetzmässig geregelt
ist. In vielen Fällen wird nur Strahlung von bestimmten Perioden ent-
wickelt; bez. umgewandelt ^ und diese Thatsache lässt auf periodische
Eigentümlichkeiten der betreffenden Stoffe schliessen. Umgekehrt wird
die Abwesenheit einer solchen spezifischen Emission oder Absorption dar-
auf schliessen lassen^ dass solche periodische Eigenschaften nicht vor-
handen sind, oder, was hier dasselbe bedeutet, dass die in Frage
kommenden Eigensdiaften alle möglichen Perioden innerhalb der vor-
handenen Grenzen besitzt.
Durch die unmittelbare Beziehung zwischen Emission und Absorption
ist ein zweifaches Verfahren für die Bestimmung dieser Perioden gegeben:
man untersucht entweder die Strahlung, die der betreffende Stoff aus-
sendet, auf ihre Perioden, oder man sendet eine Strahlung, die alle
möglichen Perioden enthält, durch den Stoff, und ermittelt, welche Perio-
den absorbiert werden. Beide Verfahren sind in Gebrauch; in den
Fällen, wo beide unter gleichen Bedingungen auf denselben Stoff haben
angewendet werden können, haben sie übereinstimmende Ergebnisse geüefert
Am einfachsten haben sich die Verhältnisse bei den Gasen gezeigt.
Gase, die durch hohe Temperatur oder auf andere Weise (z. B. durch
elektrische Entladungen) zum Leuchten gebracht werden, senden Strahlen
von ganz bestimmter Periode aus, die von ihrer chemischen Natur ab-
hängen, von der Temperatur aber in weitesten Grenzen unabhängig
sind (Bunsen und Kirchhoff 1859). Die Perioden dieser Strahlungen
sind aUerdings nicht auf eine einzige für jeden Stoff beschränkt; viel-
mehr ist die Zahl der zu emem Stoff gehörenden Perioden, wenn man
die Untersuchung in einem hinreichend weiten Temperaturumfenge durch-
flihrt, ausserordentlich gross; sie sind aber vereinzelt über weite Gebiete
der vorkommenden Perioden gelagert, und alle dazwischen mögüchen
Perioden treten nicht auf.
Um diese nebeneinander sichtbar zu machen, bedient man sich der
i Dispersion durch ein Prisma von Glas oder einem anderen durchsichtigen
Emission und Absorption. 487
Stoffe, oder durch Beugung an einem Gitter. Bringt man die zu untersuchende
Lichtquelle vor einen schmalen Spalt, der im Brennpunkt einer Sammellinse
steht, so erhftlt man ein paralleles Lichtbündel, das man durch dasTrisma
treten Iftsst. In diesem wird das Licht je nach seiner Periode verschieden
stark abgelenkt, und betrachtet man das Lichtbündel durch ein auf Unendlich
eingestelltes Femrohr, so sieht man an Stelle des einfachen Bildes des Spaltes
soviel verschiedene nebeneinander liegende Bilder, als verschiedene Licht-
arten in der Lichtquelle vorhanden sind. Das Licht glühender fester und
flüssiger Körper ist gewöhnlich homogen, d. h. es sind darin alle Perioden
vorhanden. Das Bild erscheint dann als ein stetiges Lichtband, in welchem
alle Farben von rot bis violett vorhanden sind und stetig ineinander übergehen.
Sind dagegen nur einzelne Perioden vertreten, so erscheint an Stelle des
ununterbrochenen Bandes eine Reihe von scharfbegrenzten Linien, von der
optischen Breite des Spaltes. Derartige Lichtbilder, in denen die Lichtarten nach
der Periode nebeneinander geordnet sind, nennt man Spektren, und die zu
ihrer Erzeugung dienenden Apparate Spektralapparate.
Während bei einem durch Zerstreuung in einem Prisma erzeugten
Spektrum kein einfacher Zusammenhang zwischen der Periode und der Ab-
lenkung des Strahls vorhanden ist, besteht ein solcher bei den Spektren, die
durch Beugung an Gittern entstehen. Indem wegen der Entstehung solcher
Spektren auf die Lehrbücher der Physik verwiesen wird, sei hier nur das
Ergebnis angeführt, dass in ihnen der Ablenkungswinkel der Wellenlänge
des abgelenkten Lichtes proportional ist Infolgedessen werden durch Beu-
gung theoretisch einfachere Spektren erhalten. Gleichzeitig gewinnt man
auf diesem' Wege eine weit bedeutendere Dispersion der verschiedenen
Strahlen, so dass die Beugungsgitter eine viel weitergehende Analyse des
Lichtes ermöglichen, als Prismenapparate. Indem man die Bilderzeugung und
die Dispersion durch Anwendung eines auf einem Hohlspiegel von grossem
Radius befindlichen Gitters in einen Apparat vereinigt, erhält man den voll-
kommensten Spektralapparat, über den die Wissenschaft gegenwärtig verfügt.
Um die Spektren leuchtender Gase und Dämpfe zu erhalten, erhitzt man diese
auf passende Weise, und untersucht ihr Licht mittels eines Spektralapparates.
Die einfachste Art der Erhitzung ist die in der fast lichtlosen Flamme eines
Bunsenbrenners, in die man die Stoffe bringt, welche durch Verdampfung
oder Umsetzung die gewünschten Gase liefern. Indessen ist die Temperatur
dieser Flamme nicht so hoch, dass darin alle Gase zum Leuchten kommen.
Um höhere Temperaturen zu erzielen, bedient man sich der elektrischen Ent-
ladung. Man lässt einen Lichtbogen zwischen zwei Kohlepolen zu stände
kommen, und bringt an die positive Kohle, welche die heissere ist, die zu
verdampfenden Stoffe. Dies geschieht am einfachsten, indem man diese Kohle
in Gestalt einer Röhre anwendet, deren Höhlung mit dem Stoffe ausgefüllt
ist; auch kann man, wenn es sich nur um kurze Dauer handelt, den Stoff in
die kraterförmige Vertiefung bringen, die sich an der positiven Kohle ausbildet.
Noch höhere Temperaturen entstehen, wenn man die elektrischen Funken
zwischen Elektroden überspringen lässt, welche aus den betreffenden Stoffen
488 X* Photochemie.
bestehen, oder sie enthalten. Sind die Stoffe bei gewöhnlicher Temperatur
bereits gasförmig, so umgiebt man die Elektroden mit dem Gase.
In allen -diesen Fällen erhält man neben dem Spektrum des zu unter-
suchenden Stoffes das aller anderen anwesenden Stoffe. Man muss daher
eine Untersuchung über letztere vorangehen lassen, um die Zugehörigkeit
der verschiedenen Linien zu kennen. Hierbei treten oft grosse Schwierig-
keiten auf, indem Verunreinigungen, die in sehr geringen Mengen vorhanden
sind, zuweilen sehr starke Spektralerscheinungen geben, ohne dass man
ihrer Anwesenheit auf anderem Wege gewahr geworden ist.
Die allgemeinen Gesetze, welche für die Spektra der verschiedenen Stoffe
bisher gefunden worden sind^ lassen sich folgendermassen zusammenfassen.
Ein bestimmtes Spektrum gehört immer einem bestimmten
Stoffe an, nie haben verschiedenne Stoffe gleiche Spektren.
Das Umgekehrte lässt sich anscheinend nicht aussprechen; denn es
sind zahlreiche FäXie nachgewiesen worden, in denen derselbe Stoff ver-
schiedene Spektren zeigt. Früher hat man diese Unterschiede so auf-
zuessen versucht, dass die verschiedenen Spektren besonderen Molekular-
zuständen der Stoffe angehörten. Indessen ist eine solche Auffassung
nicht durchzuführen, denn mehrere Stoffe, die man nur in einem Zu-
stande kennt, geben verschiedene Spektren. Das auffälligste Beispiel ist
das Argon, das nach den gegenwärtigen Kenntnissen als ein einatomiges
Gas aufgefasst werden muss, überhaupt keine bekannten Verbindungen
bildet, und das dennoch mindestens drei wesentlich verschiedene Spek-
tren zeigt.
Die Ursache der Ausbildung der verschiedenen Spektren scheint
ganz wesentlich die Verschiedenheit der Temperatur zu sein. Doch
gehören sehr grosse Unterschiede derselben dazu, um die Änderung
zu bewirken.
Verbindungen haben Spektren, die von denen ihrer Ele-
mente verschieden sind.
Während die Spektren versdiiedener Stoffe, welche gleichzeitig
nebeneinander entstehen, vondnander ganz unabhängig, also vollkommen
additiv sind (hierauf beruht der grosse analytische Wert der Spektral-
erscheinungen, da keine vorgängige Trennung der Stoffe erforderlich ist),
so sind Beziehungen zwischen den Spektren der Elemente und ihrer
Verbindungen nicht sicher bekannt. Es mag dies zum Teil daher rühren,
dass überhaupt die Zuschreibung von Verbindungsspektren zu bestimmten
Stoffen eine schwierige Sache ist, da über die Natur der bei hohen
Temperaturen aus gegebenen Elementen entstehenden Verbindungen sich
nur wenig mit einiger Sicherheit sagen lässt
Bei den Absorptionsspektren zusammengesetzterer Stoffe sind
Zusammenhänge zwischen der Natur der Verbindung und dem Spektrum
vorhanden, wie weiter unten gezeigt werden soU.
Die verschiedenen Linien desselben Spektrums stehen zu
einander in einem gesetzmässigen Zusammenhange.
Emission nnd Absorption. 439
Die allgemeine Form dieses Zusammenhanges ist noch nicht mit
Sicherheit festgestellt In einzelnen fWen gilt die Beziehung n = A — B/m',
wo n die Schwingungszahl der Linien ist^ A und B Konstanten dar-
stellen und für m die Reihe der ganzen Zahlen gesetzt wird. Beim
Wasserstoff ist diese Beziehung mit ausgezeichneter Annäherung erftUt;
bei den anderen Elementen muss meist noch ein Glied mit 0/m^ hinzu-
genommen werden. Auch zerfallen hier die Linien eines und desselben
Spektrums in verschiedene solche Reihen^ in denen die Konstanten ver-
schiedene Werte haben.
Ähnliche Elemente zeigen einen ähnlichen Bau des
Spektrums.
Eine Ähnlichkeit in den Spektren der Alkalimetalle ist bereits den
ersten Beobachtern aufgefallen, da schon die wenigen Linien in der
Bunsenflamme einen analogen Bau zeigen, derart, dass die entsprechen-
den Linien bei Kalium, Rubidium und Cäsium eine um so langsamere
Schwingung zeigen, je grösser das Verbindungsgewicht des Elements ist.
Auch die viel reicheren Spektren derselben Elemente im elektrischen
Lichtbogen haben ähnliche Beziehungen für die Konstanten der oben
erwähnten Reihen ergeben. Ebenso sind derartige Analogieen für die
zweiwertigen IUemente der Magnesiumreihe gefunden worden.
Die Beziehung zwischen Emission und Absorption hat sich bei
Gasen am genauesten kontrollieren lassen. Sie föhrt zu der Erscheinung
der Umkehrung der Linien. Wird durch die vorhandenen Um-
stände die Bildung eines ununterbrochenen Spektrums bei Gegenwart
der betreffenden Gase befördert, so erscheint an Stelle der hellen Linie
des leuchtenden Gases eine dunkle. Dies tritt ein, wenn das stetige
Gesamtspektrum an Lichtstärke erheblich kräftiger wird als die betreffende
Einzelstrahiung. Muss dann dies Licht durch eine Schicht des Gases gehen,
so verliert es durch Absorption diese Strahlen, und die von dem Gase
ausgehende Strahlung erscheint wegen ihrer geringen Stärke als Dunkel-
heit auf dem hellen Grunde des stetigen Spektrums. Im allgemeinen
kehren sich die hellsten Linien am leichtesten um, da sie die Stellen
stärkster Absorption darstellen.
Verbindungen können meist nicht unverändert durch Erhitzen
zum Leuchten gebracht werden. Man ist daher bei ihnen meist auf die
Absorptionserscheinungen angewiesen. Während hier für Gase nicht
viel bekannt ist, sind flüssige und gelöste Verbindungen in ziemlidi
wdtem Umfange untersucht worden.
Die Absorptionsspektra flüssiger oder gelöster Stoffe unterscheiden
sich wesentlich von denen bei Gasen durch den Umstand, dass niemals
scharf begrenzte Linien auftreten, die der Absorption eines ganz engen
Gebietes entsprechen. Hier sind vielmehr die Absorptionen immer über
ein mehr oder weniger weites Gebiet verbrettet, so dass man nicht mehr
von Linien reden darf; es treten Absorptions banden auf.
490 ^* Fhotochemie.
Wegen des besonderen Interesses an den Absorptionen im sicht-
baren Gebiete, welche zu der Erscheinung der farbigen Stoffe führen,
sind diese besonders dngehend untersucht worden. Dadurch sind unsere
Kenntnisse über diesen Gegenstand einigermassen einseitig geblieben, und
dies macht sich in dem Mangel aUgemeiner Gesetze flihlbar. Allgemein
kann man nur sagen, dass es sich hier um eine vorwiegend konstitutive
Eigenschaft handelt Von den zahheichen organischen Verbindungen
sind die einfachsten Abkömmlinge der gesättigten Kohlenwasserstoffe für
die meisten Strahlen durchlässig, und bestimmte Absorptionen treten erst
ein, wenn besondere Konstitutionsverhältnisse dazutreten. So ist ein
Gehalt an Stickstoff und das Vorhandensein von Doppelbindungen günstig
für das Auftreten von Absorption; noch mehr sind die verschiedenen
Gruppen der sogenannten cyklischen Verbindungen die Bildungs-
stätte absorbierender Stoffe. Diese zeigen in den einfacheren Fällen
meist die Absorption im ultravioletten, und es bedarf besonderer Ver-
hältnisse, dass sie in das sichtbare Gebiet hinüberwandert.
Innerhalb nahverwandter Gruppen lassen sich auch einige besondere
Beziehungen erkennen, insofern gewisse Stoffe beim Eintritte in eine
farbige Verbindung die Absorption in bestimmtem Sinne verschieben.
So drängen Methyl oder Kohlenwasserstoüradikale, im allgemeinen ebenso
Halogene den Streifen nach der Seite der längeren Wellen, während
Amid und auch oft die Nitrogruppe sie nach den kürzeren Weilen ver-
schiebt Die Beträge dieser Änderungen sind gleichfalls mit der Kon-
stitution veränderlich. Daraus haben sich ftir die Technik gewisse
Regeln ergeben, nach denen aus gegebenen Farbstoffen andere von ge-
wünschtem Tone erzeugt werden können.
Ein Beispiel für diese Verhältnisse bieten die Abkömmlinge des Fluores-
celns. Dieses hat einen Absorptionsstreifen im Blau und sieht deshalb (in der
Durchsicht) gelb aus. Durch den Eintritt von Chlor, Brom oder Jod ver-
schiebt sich der Streifen nach dem Grünen zu, und zwar in der angegebenen
Reihenfolge stärker. Der Stoff erscheint dadurch rot, und zwar um so mehr
purpurrot, je weiter der Streifen nach den langen Wellen vorrückt. Dieser
Einfluss der Halogene ist wieder verschieden, je nachdem die Substitution
im Phtalsäurerest oder im Resorcinrest erfolgt; im ersten Falle ist er kleiner.
Femer geht der im Grünen liegende Absorptionsstreifen des Rosanilins
nach dem Orange und Gelb weiter, wenn man Methyl oder Phenyl einführt,
und die entsprechenden Abkömmlinge des Rosanilins sind violett und
blau gefärbt.
Nur in einem Falle lässt sich trotz erheblicher Änderungen eines
Bestandteils gar keine Änderung in der Farbe nachweisen: bei den ver-
dünnten Lösungen der Salze. Eine dahin gerichtete Untersuchung
(Ostwald 1892) hat gezeigt, dass z. B. die fänf recht scharfen Absorpüons-
streifen in den Lösungen der Permanganate ganz dieselbe Stelle be-
halten, welches Salz der Übermangansaure man auch untersuchen mag.
Die Erklärung hierfür liegt wieder in der unabhängigen Existenz der
Emission und Absorption. 491
lonen^ welche in der Unabhängigkeit ihrer Eig^ischaften von denen der
anderen Ionen zum Ansdracke kommt. Bd der grossen Empfindlich-
keit der Lichtabsorption gegen konstitutive Einflüsse ist dieser Nachweis
ein guter Beleg für die Lehre von der unabhängigen Existenz der Ionen.
Die nicht ionisierten Salze haben oft eine andere Farbe, als ihre Ionen. So ist
Eupferehlorid im wasserfreien Zustande gelbbraun, Kupferbromid schwarzviolett,
während beide in rerdünnter Losung die grünblaue Farbe der Eupferionen
zeigen. Indessen muss beachtet werden, dass zwar im allgemeinen eine Ver-
schiedenheit in beiden Fällen zu erwarten ist, dass sie aber nicht notwendig
vorhanden zu sein braucht In den komplexen Salzen des dreiwertigen
Chroms haben wir Verbindungen, welche trotz konstitutiver Verschiedenheiten
der Zusammensetzung doch im grossen und ganzen die gleiche Absorption
zeigen. Welches die konstitutiven Umstände sind, unter denen eine solche
geringe Beeinflussung der Lichtabsorption eintritt, ist noch nicht ausgemacht.
Das Gebiet der Absorptionserschdnungen hat sich in neuerer Zeit
sehr dadurch ausgedehnt, dass auch die elektromagnetische Strahlung
einbezogen werden muss.
Wenn elektrische Schwingungen in einem Leiter erfolgen, so tritt
aus diesem Energie in den umgebenden Raum^ welche dieselben
Eigenschaften, insbesondere dieselbe Verbreitungsgeschwindigkeit besitzt,
wie die gewöhnliche strahlende Energie. Trifft diese Strahlung auf
elektrische Leiter, so wird sie aufgenommen, indem wieder elektrische
Ströme entstehen, welche gemäss dem Jouleschen Gesetz nach Massgabe
der Leitfähigkeit des aufoehmenden Körpers ihre Ener^e in Wärme
verwandeln. Die Untersuchung dieser Erscheinungen hat gezeigt, dass
sich alle wesentlichen Eigenschaften der strahlenden Energie an ihnen
nadiweisen lassen. Daraus hat sich die Vorstellung entwickelt, dass auch
die letztere ihrem Wesen nach eine elektromagnetische Schwingung sei,
und die hierauf gebaute elektromagnetische Theorie des Lichtes
hat sich im wesentlichen im stände gezeigt, die Thatsachen mit genügender
Annäherung darzustellen. Doch muss auch hier betont werden, daas die
aus elektromagnetisdien Schwingungen erhaltene Energie, solange sie sieh
im strahlenden Zustande befindet, keine elektrischen oder magnetisdien
Eigenschaiten besitzt Sie lässt sich nur wieder in elektromagnetische
Energie zurüekverwandeln, wenn man sie durch passende Leiter auf-
fängt, in denen elektromagnetische Schwingungen von gleicher Periode
stattfiiiden können. Für das licht ist wegen der Kleinheit der Wellen
diese Art der Umwandlung noch nicht nachzuweisen gewesen.
Durch den Anschluss der elektromagnetischen Strahlen wird das
Gebiet der strahlenden Energie ausserordentlich vergrössert, da auf diese
Weise Wellenlängen von jeder beliebigen Grösse erzeugt werden können.
Für die Absorption dieser elektromagnetisch erzeugten strahlenden Energie
durch verschiedene Verbindungen haben sich ähnliche konstitutive Be-
ziehungen ergeben, wie sie im Gebiete des sichtbaren Lichtes beobachtet
worden sind (Drude 1897). Von der Mitteilung der Einzelheiten muss
492 X. Photochemie.
bis auf die Untersuchung eines ausgedehnteren Materials abgesehen
werden; nur sei erwähnt, dass insbesondere Hydroxylverbindungen die
f^Uiigkeit zur Absorption von Strahlen von 10 bis 20 cm Wellenlänge
gezeigt haben.
" Was die aUgemeine Bedeutung der Emissions- und Absorptions-
erscheinungen anlangt, so liegt sie darin, dass durch sie das Vorhanden-
sein periodischer Vorgänge in den strahlenden, bez. absorbierenden
Stoffen erkennbar gemacht wird; diese Perioden müssen mit denen der
betreffenden Strahlung entweder identisch sein, ^der doch zu ihnen in
einem multiplen Verhältnisse stehen. Weldier Art diese Erscheinungen
sind, ist noch unbekannt In früherer Zeit, wo man das Licht als die
Schwingung eines hypothetischen elastischen Mittels, des sogenannten
Äthers ansah, fasste man sie als die Schwingung der Atome auf; dabei
entstand die Schwierigkeit, dass einerseits diese Periode von der Tempe-
ratur, also von der Amplitude der Schwingung, in weitestem Masse un-
abhängig war, andererseits die, dass die verschiedenen Strahlen desselben
Spektrums sich unterdnander verhalten 'müssten, wie die Obertöne eines
schwingenden Körpers, was sich mit der Erfahrung nicht vereinigen Hess.
Gegenwärtig sieht man in dem Lichte meist eine elektromagnetische
Schwingung, und hat in den absorbierenden Stoffen entsprechende elek-
trische Vorgänge anzunehmen. Die Versuche, eine solche Theorie zu
entwickehi, haben noch nicht zu Ergebnissen allgemeiner Beschaffenheit
geführt, und der hier eröffaete Blick in den „inneren Bau der Molekdn'^
hat keine entzifferbaren Formen gewahren lassen.
Durch die Absorption wird die strahlende Energie in andere Formen
umgewandelt. Dabei tritt vorwiegend Wärme auf; doch giebt es auch
Fälle, wo andere Formen, insbesondere chemische Energie entstehen.
Diese letzteren sollen uns besonders beschäftigen.
Umgekehrt wandelt sich chemische Energie gleichfalls häufig in
strahlende um. Man darf hier nicht daran denken, dass in den meisten
Lampen (mit Ausnahme der elektrischen) chemische Vorgänge die Quelle
der Lichtenergie liefern; hier handelt es sich vorwiegend um sekundäre
Erscheinungen, indem sich die chemische Energie erst in Wanne ver-
wandelt, von der ein kleiner Teil durch Tempefuturstrahlung in Licht
übergeht. Wohl aber gehören solche Erscheinungen, wie das Leuchten
des Phosphora, mancher Pilze (auf moderndem Hohse und zuweilen auch
auf Fleisch), der Johanniskäfer u. a. m. hieriier. In diesen FSIlen
handelt es sich nicht um das gewöhnliche Temperaturleuchten, da die
leuchtenden Stoffe alle unter 50® sind, sondern um eine unmittelbare
Umwandlung chemischer Energie in strahlende').
^) Die gelegentlich ausgesprochene „Erklärung^^, es könnten einzelne
Molekeln ganz wohl die Glühtemperatur haben, während die mittlere Tempe-
ratur der Gesamtmasse niedrig ist, hat keinen experimentell nachweisbaren
Inhalt, und daher keine wissenschafüiche Bedeutung.
Die chemische Wirkung des Lichtes. 493
Demgemäfis hätte die Photochemie oder die Ldbre yon den gegen-
seitigen Umwandlungen der strahlenden imd der ehemischen Energie in
zwei Abteilungen zu zerfallen; von denen die eine die Bildung chemischer
Energie aus strahlender^ und die andere den entgegengesetzten Vorgang
zu behandeln hätte. Indessen ist nur der erste Teil einigermassen ent-
wickelt Für den zweiten sind nur einige Beobachtungen der eben er-
wähnten Art Toriianden, und zu einer wissenschaftlichen Behandlung des
Gebietes sind kaum die ersten Ansätze vorhanden. Wir werden uns
daher ausschliesslich mit dem ersten Teile zu beschäftigen haben.
Drittes Kapitel.
Die ohemisohe Wirkung des Liohtes.
Die phcytochemischen Erscheinungen bestehen darin ^ dass sich die
chemischen Verhältnisse in einem gegebenen Gebiete verändern, wenn
strahlende Energie in dieses eintritt. Damit die letztere irgend eine
Wirkung äussern kann, muss sie sich in eine andere Form verwandelt
haben, die Absorption ist also eine notwendige Voraussetzung aller photo-
chemischen Wirkung.
Die Art der Veränderungen kann sehr verschieden sein. Allgemein
wird man sagen, dass verschiedene Stoffe unter dem Einflüsse der Strah-
lung andere chemische Eigenschaften annehmen, als sie sie ohnedies be-
sitzen. Dadurch werden vorhandene Gleichgewidite verschoben werden,
und es können Vorgänge eintreten, die ohne die Mitwirkung der Strah-
limg nicht in nachweisbarer Menge stattfinden. Femer können vorhan-
dene Vorgänge beschleunigt oder verzögert werden. Ob letzteres nur
durch die Änderung der chemischen Eigenschaften im Sinne einer Ver-
schiebung des chemischen Potentials bewirkt werden, oder ob die Strah-
lung ausserdem katalytisch, d. h. von der Potentialänderung unabhängig
beschleunigen kann, ist noch nicht ausgemacht, wenn es auch sehr
wahrscheinlich ist.
Man wird also Lichtempfindlichkeit bei allen Stoffen zu erwarten haben,
die absorbieren können, und es wird sich nur um verschiedene Grade
dieser Eigenschaft von Stoff zu Stoff handeln können. In der That ist
das Verzeichnis der Stoffe, die sich durch den Einfluss des Lichtes ändern,
sehr gross und nimmt unaufhörlich zu.
Um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie durch Strahlung der
chemische Zustand eines Gebildes geändert werden kann, denken wir uns yer-
schiedene absorbierende Stoffe in einen Baum von konstanter Temperatur ge-
bracht. Dann werden diese gleiche Temperatur annehmen. Wird nun eine
Strahlung in den Raum gesendet, die von den Stoffen verschieden absorbiert
wird, wobei die absorbierten Strahlen sich in Wärme verwandeln mögen, so
494 X. Photochemie.
nehmen die Stoffe verschiedene Temperaturen an, die sich aus dem Verhält-
nis der Absorption der empfangenen Strahlen zur Emission bei den ent-
standenen Temperaturen^) ergeben. Demgem&ss werden sie sich auch gegen-
einander nicht mehr so rerhalten können, wie vorher im Dunkeln, sondern
nehmen neue gegenseitige Beziehungen an.
Von den sehr vielen photochemischen Vorgängen sind nur wenige
quantitativ untersucht worden. Am eingehendsten ist dies mit einer
von BerthoUet entdeckten Reaktion geschehen, die in der Verbindung des
ChlorknallgaseS; d. h. eines Gemisches aus gleichen Volumen Chlor und
Wasserstoff im Lichte besteht Beide vereinigen sich unter dem Ein-
flüsse der Strahlung zu Chlorwasserstoff. Lässt man ßtarkes licht auf
eine grössere Menge des Gases wirken^ so geschieht die Vereinigung
n^h einigen Augenblicken unter Explosion; mässigt man aber das Licht^
so findet die Bildung des Chlorwasserstoffs in regelmässiger und lang-
samer Weise statt Die letzteren Umstände sind es, unter denen man
die Erscheinung zu messenden Versuchen benutzen kann.
Chlor und Wasserstoff verbinden sich auch im Dunkeln, wenn man ihre
Temperatur genügend steigert, und zwar- genügt die Steigerung an einer
kleinen Stelle, z. B. durch einen elektrischen Funken dazu, um eine beliebig
grosse Menge des Gases zur Explosion zu bringen. Dies rührt daher, dass durch
denVorgang selbst eine grosse Menge Wärme entwickelt wird. Durch diese wird die
Temperatur in der Umgebung der Stelle, wo die erste Verbindung stattfand,
soweit gesteigert, dass auch dort die Verbindung eintritt, und so setzt sich der
Vorgang über die ganze Masse fort. Die gleiche Überlegung gilt für die Ver-
bindung unter der Wirkung des Lichtes. Wird die erzeugte Wärme so lang-
sam abgeführt, dass sich die Temperatur der schnellen Keaktion herstellt, so
tritt die explosive Verbindung ein. Belichtet man dagegen unter Bedingungen,
durch welche diese Temperatursteigerung vermieden wird (am besten unter
solchen, dass eine merkliche Steigerung überhaupt nicht stattfindet), so geht
die Verbindung in stetiger und messbarer Weise vor sich.
Die Messung der chemischen Wirkung des Lichtes auf Chlorknall-
gas beruht nun auf dem Umstände, dass der gebildete Chlorwasserstoff
augenblicklich von Wasser aufgenommen wird, während die Absorption
der Bestandteile gering ist Man belichtet daher Chlorknallgas in Be-
rührung mit Wasser (das mit Chlor und Wasserstoff unter den Umstän-
den des Versuches gesättigt ist) in einem Apparate^ der die Messung der
Volumverminderung gestattet, und hat in letzterer ein Mass flir den Be-
trag der verbundenen Gase.
Em derartiger Apparat wurde zuerst von Draper (1842), später in
^) Man darf nicht etwa hier das Kirchhoffsche Gesetz (S. 484) anwenden
wollen; hier handelt es sich nicht um ein Gleichgewicht gegenseitiger
Strahlung, für welche dieses Gesetz gilt, sondern um die Wirkung einer un-
abhängigen äusseren Strahlungsquelle.
Die chemische Wirkung des Lichtes. 495
vollkommener Gestalt von Bnnsen und Roseoe (1862) konstruiert Der
Hauptteil des letzteren ist untenstehend (Fig. 57) abgebildet
Das elektrolytisch in genau richtigen Verhältnissen dargestellte 6e-
menge^ das Chlorknallgas, wird von h aus durch das ^Insolationsgeföss^
i geleitet, welches in flacher Dosenform aus dünnem Grlase geblasen ist
und in seiner unteren, gesdiwärzten Hälfte Wasser enthält Es steht
durch einen Sdiliff mit dem Skalenrohr k in Verbindung, das in das
gleichfalls mit Wasser gefüllte Oefäss 1 ausläuft.
f^lt Licht auf den oberen Teil von i, so bildet sich Chlorwasser-
stoff, welcher augenblicklich von Wasser aufgenommen wird. Dadurch
entsteht eine Volumverminderung und der Wasserfaden Ik im Skalen-
rohre bewegt sich nach i hin; die durchmessene Strecke wird an der
Teilung abgelesen und ist das Mass der chemischen Wirkung des Lichtes.
Durch diese Einrichtung ist bewiikt, daas das Produkt der Licht-
wirkung, das Chlorwasserstoffgas, in demselben Masse fortgenommen wird,
als es entsteht, und dass somit der Apparat seine Beschaffenheit während
des Versuches unverändert beibehält.
Mittels derartiger Apparate hat nun zuerst Draper und später
Bunsen und Roseoe das Grundgesetz der photochemischen Wu*kung fest-
1 ■ ■ ■ ■ \ H' 1 I I I I I H
I M I I I I I I I I I 1 1 ir
Fig. 57.
gestellt, demzufolge die Wirkung des Lichtes proportional seiner
Stärke ist
Draper (1842) entwarf von einer gieichmässig beleuchteten weissen
Fläche mittels einer grossen Linse dn Bild auf sdnem Apparat, welcher
ihm die Messung der durch die Lichtwirkung aus Chlorknallgas gebildeten
Chlorwasserstoffmenge gestattete, und erhielt, wenn er die Linse durch
Sektoren von bekanntem Winkel teilweise zudeckte, Reaktionsgeschwindig-
keiten, welche der freien Linsenoberfläehe proportional waren. Später
ist derselbe Satz von Hankel (1862), sowie von Bunsen und Roseoe
(1862) geprüft und bestätigt worden.
In der eben ausgesprochenen Form bezieht sich der Satz auf die
in der Zeiteinheit ausgeübte Wirkung einer gleichförmigen Strahlung.
Denkt man sich die Strahlung veränderlidi, so ist die in jedem ZeitteU
erfolgte Wirkung proportion^ der in diesem Augenblicke herrschenden
Strahlung. Multipliziert man daher jede Strahlungsintensität mit der
Zeit, während der sie geherrscht hat, und summiert diese Produkte, so
erhält man eine Grösse, welcher nach dem Grundgesetze die gesamte
chemische Wirkung proportional ist Jene Summengrösse ist aber nichts
als die Gesamtenergie der Strahlung, welche während der ganzen
Zeit eingewirkt hat, und man kann das Grundgesetz daher auch in der
Gestalt aussprechen: für ein gegebenes Gebilde ist die zu- che-
496 ^* Pbotochemie.
mischen Zwecken amgesetzte Strahllingsenergie ein kon-
stanter Bruchteil der Gesamtenergie der Strahlung.
Die Genauigkeit dieses Grundgesetzes ist nur theoretisch eine voll-
kommene, da die Voraussetzung, dass das Gebilde seine Beschaffenheit während
der Strahlung beibehalte, in aller Strenge nicht zu erfüllen ist. Denn es
erfolgt z. B. im Bunsenschen Apparate die Absorption des Chlorwasserstoffs
nicht augenblicklich, sondern nur sehr schnell; es wird also immer während
der Arbeit etwas Chlorwasserstoff im Apparate sein, und zwar, wie eine nahe-
liegende Überlegung zeigt, nicht eine konstante Menge, sondern eine, die der
Beaktionsgeschwindigkeit proportional ist. Ähnliche Einwendungen lassen
sich in allen ähnlichen derartigen Fällen machen.
Femer hat sich gerade bei den Versuchen ron Bunsen und Roscoe gezeigt,
dass der Verbindung des Chlorknallgases gewisse Vorgänge vorausgehen, durch
welche die Reaktionsgeschwindigkeit gesteigert wird, so dass erst nach längerer
Einwirkung einer konstanten Lichtquelle eine konstante Reaktionsgeschwindig-
keit erreicht wird. Derartige Erscheinungen der „photochemischen Induktion'^
finden auch in anderen Fällen statt; sie rühren alle daher, dass unter der
Einwirkung der Strahlung das lichtempfindliche Gebilde selbst ein anderes
werden muss, bevor es in einen stationären Zustand übergeht. Für diese
erste Arbeit sind bestimmte endliche Beträge erforderlich, die einen anderen
Koeffizienten haben, als die Arbeit im stationären Zustande, und die deshalb
eine Abweichung vom einfachen Grundgesetz bewirken.
Es entsteht nun die ^Frage nach dem Bruchteil der Gesamtmenge
der strahlenden Energie, welcher im Chlorknallgas zu chemischer Wirkung
verbraucht wu*d. Bunsen und Roscoe haben eine Antwort auf folgendem
Wege erhalten.
Die Strahlen einer konstanten Leuchtgasflamme wurden zunächst
durch einen Cylinder mit Chlor geschickt, und es wurde der Verlust an
Strahlung (welcher zur Erwärmung des Chlors dient) gemessen. Alsdann
wurde in den Weg derselben Strahlen ein doppelt so langer Cylinder
mit Chlorknallgas eingeschaltet. Da der Wasserstoff nicht in messbarer
Weise die Strsdilen absorbiert, so müsste das Licht, wenn es ohne andere
Arbeit zu leisten, als es im Chlor geleistet, dm*ch das Chlorknallgas ginge,
gerade dieselbe Schwächung erfahren, wie im Chlor allein. Die Schwächung
war aber merklich grösser, so dass die Forscher zu folgendem Er-
gebnis kamen:
^Von den Strahlen einer Leuehtgasflamme, weldie im Ghlorknall-
gase absorbiert werden, dienen zwei Dritte^ zur Erwärmimg des Gases,
und ein Drittel zur Leistung der Arbeit, durch welche die beiden Gase
in den Stand gesetzt werden, sich chemisch zu verbinden."
Untersuchungen über den Anteil des Lichtes, welcher beim Auf-
fallen auf lichtempfindliche Stoffe zur Wirkung gelangt, haben er-
geben, dass derselbe meist sehr klein ist. Nach Pfeffer wird imter den
günstigsten Verhältnissen von einem Quadratcentimeter Oberfläche eines
Oleanderblattes in einer Sekunde 0-0000000537 g Stärke gebildet Die
Die chemische Wirkung des Lichtes. 497
Yerbrennungswärme dieser Menge beträgt nur 9200 Erg^ nnd ebenso
gross ist die Menge der zur Bildung der Stärke aus dem Lichte ver-
bmnchten Energie. Nun beträgt aber die strahlende Energie^ welche
ein Qnadratcenthneter an heiteren Sommertagen empfängt^ 1250000 Erg
in der Sekunde; von dieser Menge kann also die Pflanze noch nicht
den hundertsten Teil zu chemischen Zwecken verbrauchen.
Aus diesem Beispiel ergiebt sich^ dass der Binichteil der strahlen-
den Energie, der zu chemischen Zwecken verbraucht wird, je nach
Umständen ausserordentlich verschieden sein kann. Er kann selbstver-
ständlich nie grösser sein, als der überhaupt absorbierte Teil; zwischen
der Gesamtabsorption und der chemischen besteht aber auch offenbar
kein konstantes Verhältnis, und man kann daher aus der Lichtabsorption
keinen unmittelbaren Schluss auf die chemische Lichtempfindlichkeit ziehen.
Aus dem photochemischen Grundgesetze und den allgemeinen Ge-
setzen, denen die sü'ahlende Energie unterworfen ist, ergeben sich die
einzelnen Gesetze ftlr die chemische Wirkung des Lichtes. So wird diese
im umgekehrten Verhältnisse des Quadrats der Entfernung von einer all-
seitig strahlenden Lichtquelle abnehmen, und bei der Absorption durch
irgend welche Mittel wird die absorbierte Menge in geometrischer Reihe
wachsen, wenn die Schichtdicke in arithmetischer zunimmt.
Dass endlich alle geometrischen Gesetze der strahlenden Energie
auch für die photochemische Wirkung Geltung haben, ergiebt sich daraus,
dass man jede objektive optische Erscheinung photographieren kann.
Diese Gesetze sind durch verschiedene Methoden, insbesondere mit-
tels lichtempfindticher Papiere und Platten geprüft worden, und haben
stets dasselbe Resultat, unabhängig von der Beschaffenheit der prüfen-
den Stoffe, ergeben.
Diese Unabhängigkeit der allgemeinen Gesetze von dem besonderen
photochemischen Vorgange ftlhrt zu einem wichtigen Schlüsse. Betrachtet
man nämlich die mannigfaltigen derartigen Prozesse, so glaubt man sie
in zwei Klassen teilen zu müssen, die dadurch verschieden sind, dass in
der einen die neuen Stoffe unter Energieverlust, in der anderen unter
Energiegewinn entstehen. Ein Beispiel fiir die erste Klasse bildet
die Verbindung des Chlorknallgases zu Chlorwasserstoff, eines füi' die
zweite die Bildung der Stärke in den grünen Pflanzen. Man hat daher
gesagt, dass im ersten Falle das Licht nur auslösend wirke, während es
im zweiten wirklich Arbeit leiste.
Gegen eine derartige Trennung spricht vor allen Dingen der Um-
stand, dass beide Fälle voneinander sich nicht unterscheiden, was die
Gesetze des photochemischen Verlaufes anlangt. Man wu-d daher
gezwungen, in allen Fällen anzunehmen, dass es sich um eine wu-kliche
Arbeitsleistung des Lichtes handelt, d.h. um eine Umwandlung der strahlenden
Energie in chemische. Der Unterschied der beiden Fälle besteht dann
nur darin, dass die durch die Arbeit des Lichtes bewurkten Vorgänge
noch von anderen Vorgängen gefolgt sein können, bei denen ein Energie-
Ostwald, Grondriss. S. Aufl. 32
498 ^- I'hotochemie.
Verlust erfolgt, der grösser ist, als der Gewinn aus der Strahlung. Dies
wäre der Fall des Chlorknallgases. Tritt ein solcher sekundärer Vorgang
nicht ein, so ist das Gesamtergebnis ein Energiegewinn für das betrachtete
Gebilde, dem Falle der photochemischen Wirkung in den grünen Pflanzen
entsprechend.
Auf die Frage, welche Strahlen chemische Wirkungen ausüben, ist
zu antworten, dass dies durch die Schwingungsdauer oder die Wellen-
länge der Strahlen bestimmt wird, derart, dass für jedes liditempfindliche
Gebilde ein Maximum (oder einige) bei bestimmter Periode vorhanden
ist. Durch den Umstand, dass die auffallendsten chemischen Wirkungen
des Lichtes an solchen Stoffen beobachtet worden sind, deren diemisches
Absorptionsgebiet im Blau, Violett und darüber hinaus liegt, hatte sieh
früher die Vorstellung entwickelt, dass die kurzwelligen Strahlen die
eigentlich „chemischen" seien. Die späteren Forschungen haben gezeigt,
dass chemische Wirkungen von allen Strahlen des sichtbaren und un-
sichtbaren Spektrums ausgeübt werden können, und dass es nur von
der Natur der Stoffe abhängt, welche Strahlen als chemisch wirksam
zur Geltung kommen. Die Messungen der „chemischen Intensität des
Lichtes" zuerst oder des „photochemischen Klimas", welche früher vielfach
ausgeführt worden sind, haben daher keine allgemeine Bedeutung, sondern
sie geben nur die zeitlichen Mannigfaltigkeiten in der Stärke der
Strahlenarten wieder, welche auf das benutzte Aktinometer von besonders
grosser Wirkung sind.
Über den Zusammenhang der photochemischen Empfindlichkeit mit
der chemischen Natur der Stoffe hat sich allgemeines noch nicht ermitteln
lassen. Da das chemische Absorptionsgebiet notwendig innerhalb des
optischen liegen muss, so wird man vorwiegend unter den geförbten Stoffen
die fttr die sichtbaren Strahlen empfindlichen zu suchen haben. Doch
genügen sehr geringe Grade der Färbung, um sehr bedeutende lidit-
empfindlichkeit zu ermöglichen, wie sich an dem Beispiele der fast
weissen Halogenverbindungen des Silbers ersehen lässt.
Im übrigen scheinen namentlich Oxydations- und Reduktionsgleicli-
gewichte durch die strahlende Energie beeinflusst zu werden. Daher
sind fast alle Salze der Metalle, die Ionen von mehrfacher Wertigkeit
bilden können, lichtempfindlich. Dies tritt besonders deutiich zu Tage,
wenn gleichzeitig Stoffe zugegen sind, die eme Oxydation, bez. Reduktion
erfahren können.
Viertes Kapitel.
Die Photographie.
Die Methode, mittels deren Daguerre zuerst wirkliche Photogramme
zuwege brachte, bestand darin, dass er eine Silberplatte (oder eine
mit Silber überzogene Kupferplatte) den Dämpfen des Jods aussetzte,
Die Photographie. 499
nnd alsdann das Bild der Camera obscora anf die Platte wirken Hess.
Nach erfolgter Einwirkung (die nur wenige Sekunden erfordert) wird
die Platte, anf welcher kein Bild sichtbar ist, den Dämpfen von schwach
erwärmtem Quecksilber ausgesetzt Diese verdichten sich an der Platte,
und zwar um so reichlicher, je stärker das Licht an der betreffenden
Stelle eingewirkt hat Betrachtet man die Platte so, dass die blanken
Stellen wenig licht in das Auge reflektieren, so erscheinen die Stellen,
an denen ein Niederschlag von Quecksilbertröpfchen erzeugt ist, heller
als der Grund, und zwar um so heller, je reidilicher der Nieder-
schlag ist.
Die Theorie dieses Vorganges beruht zunächst auf der Thatsache,
dass sich Dämpfe an rauhen Stellen im allgemeinen leichter ansetzen,
als an glatten. Wo das Licht auf das Jodsilber eingewirkt hat, ist letzteres
teilweise zerlegt worden und dadurch hat sich an den entsprechenden
Stellen ein besserer Boden für die Anlagerung von Quecksilbertröpfchen
gebildet. Dazu kommt vielleicht noch der Umstand, dass das aus-
geschiedene Silber mehr Verwandtschaft zum Quecksilber hat, und daher
dasselbe reichlicher verdichtet, als das unzerlegte Jodsilber. Überhaupt
ist durch die Forschungen, welche sich an das Bekanntwerden der
Daguerreschen Methode knüpften, erwiesen worden, dass mit der geringsten
örtlichen Änderung in der Oberflächenbeschaffenheit einer polierten Schicht
sich die Art, wie Dämpfe an derselben sich verdichten, in anfälligster
Weise ändert. Es ist dies eine Folge des Einflusses fremder Stoffe auf
die metastabile Grenze (S. 114).
Die Methode von Daguerre ist jetzt allgemein verlassen. Sie wurde
zunächst durch das Kollodionverfahren von Scott Archer verdrängt. Einer
Auflösung von Schiessbaumwolle (Cellulosenitrat) in Äther und Alkohol,
welche beim Verdunsten des letzteren eine glasartige Schicht zurücklässt,
werden Jodverbindungen (Jodcadmium, Jodammonium u. s. w.), die in
der Flüssigkeit löslich sind, zugesetzt Mit derselben wird eine Glas-
platte überzogen, und diese taucht man, nachdem die Hauptmenge des
Äthers verdunstet, in eine Lösung von Silbemitrat. Dadurch bildet sich
in der KoUodionschicht ein Niederschlag von Jodsilber, welcher licht-
empfindlich ist
Bringt man eine solche Platte in die Camera obscura und belichtet
die erforderliche Zeit (einige Sekunden im freien Tageslicht), so kann
man auf der gelblich- weissen Platte keine Spur eines Bildes bemerken.
Ein solches kommt erst zum Vorschein, wenn man die Platte mit einem
Gemenge von Silbemitrat und einer reduzierenden Flüssigkeit, einer
Lösung von Pyrogallol oder von Eisenvitriol u. s. w., tibergiesst. Das
Silber, welches sich aus dem Gemenge ausscheidet, lagert sich vorzugs-
weise an den Stellen an, wo das Licht gewirkt hat, und bringt ein Bild
hervor, in welchem der Silberniederechlag proportional der Lichtstärke
ist Durch Behandeln dieses „entwickelten" Bildes mit einem Lösungs-
mittel des Jodsilbers, z. B. Cyankalium, wird das überschüssige Jodsilber
32*
500 ^- Pliotoclieniie.
entfernt und es bleibt ein Negativ, d. h. ein Bild mit undurchsichtigen
lichtstellen und durchsichtigen Sdiattenstellen zurück.
Die Theorie des Vorganges beruht auf den Eigenschaften über-
sättigter Lösungen gegenüber vorhandenen Keimen. In der mit dem
Entwickler übergossenen Schicht besteht das Bild aus metallischem Silber^),
während das Gemenge von Silbernitrat und Reduktionsmittel, welches
den Entwickler bildet, eine in Bezug auf Silber übergesättigte Lösung
darstellt. Aus dieser Lösung scheidet sich das Silber dort aus, wo
bereits Keime von Silber vorhanden sind, und so entsteht ein sichtbares
Bild. Durch fortgesetzte Einwirkung des Entwicklers kann man diesen
Niederschlag so dicht erhalten, als für den vorliegenden Zweck erforderlich
ist. Dies gelingt ebenso mit dem frischen Bilde in der Jodsilberschieht,
wie mit dem „fixirten", d. h. durch Behandeln mit Oyankaliumlösung
vom Jodsilber befreiten Bilde.
Gegenwärtig wird auch der KoUodiumprozess nur noch fiir bestimmte
Zwecke benutzt, und es dienen fftr den allgemeinen Gebrauch Bromsilber-
gelatineplatten. Diese haben ausser der viel grösseren Lichtempfindheh-
keit den wesentlichen Vorzug, dass sie beliebig lange vor dem Gebrauch
hergestellt werden können, ohne zu verderben, während die Kollodium-
platten unmittelbar nach dem Baden in der Silberlösung verbraucht
werden müssen.
Die Herstellung dieser Platten geschieht, indem zu einer warmen
Lösung von reiner Gelatine und Bromkalium eine ammoniakalische Silber-
lösung gesetzt wird, wobei das Bromid in kleinem Überschusse bleiben
muss. Das Bromsilber scheidet sich dann in kolloidalem Zustande aus
und ist zunächst unempfindlich. Durch längeres Digerieren bei etwas
erhöhter Temperatur wird es empfindlicher, und nach bestimmter Zeit
ist es genügend „gereift*^ Dann lässt man die Masse erstarren, wäscht
das entstandene Kahumnitrat aus, schmilzt, vergiesst die Emulsion auf
Glasplatten und lässt trocknen.
Die Entwickelung dieser Platten erfolgt, indem man sie mit starken
Reduktionsmitteln, Kaliumferrooxalat, alkalischen Lösungen von Hydro-
chinon oder anderen mehrfach hydroxylirten aromatischen Verbindungen
behandelt. Dann wird das Bromsilber vorwiegend an den Stellen redudrt,
wo die Lichtwirkung stattgefunden hatte. Durch Behandeln mit Nati-ium-
^) Durch neuere Versuche von Eder ist sichergestellt worden, dass in
der nicht entwickelten Kollodium -Jodsilberschicht das Bild nicht aus metalli-
schem Silber, sondern aus Silberjodür oder einem ähnlichen Reduktionspro-
dukt des Jodsilbers besteht, da es durch Salpetersäure nicht zerstört wird,
wohl aber durch Jodlösung. Für die Theorie der Entwickelung ist dies an
sich 'wichtige Ergebnis ohne Belang, da sich aus den Subhalogen Verbindungen
des Silbers unter dem Einflüsse des Entwicklers alsbald metallisches Silber
bildet, welches dann die oben geschilderte Rolle übernimmt.
Die Photographie. \ ^,^ ^"^^^^ÄT 5f
thiosulfat wird schliesslich das nicht reduzierte Bromsilber enj
das Bild iixirt.
Die Theorie dieser Entwickelung ist von der der EoUodiumplatten
nicht wesentlich verschieden. Auch hier bildet sich durch die Einwirkung
des reduzierenden Stoffes auf das Bromsilber eine tibersättigte Silberlösung^
welche das Metall an vorhandenen Keimen absetzt.
Auch dieses Verfahren giebt negative Bilder^ d. h. solche, in denen
die lichten Stellen undurchsichtig und die dunklen durchsichtig sind.
Für die Herstellung positiver Bilder nach diesen giebt es sehr verschiedene
Verfahren. Die gebräuchlichsten beruhen auf der Schwärzung der Silber-
salze, die in Berührung mit organischen Stoffen sind, im Lichte. Die
Silbersalze werden unter diesen Umständen zu Silber reducirt, und zwar
im umgekehrten Verhältnis zu der Dichtigkeit des aufgelegten Negativs,
so dass nun ein richtiges Bild zu stände kommt. Durch Natriumthio-
sulfat wird das überschüssige Silbersalz entfernt, und ein aus Silber
bestehendes Bild bleibt zurück. Da dies Silber eine unschöne braune
Farbe hat, so behandelt man das Bild mit einer sehr verdünnten Gold-
lösung, wodurch das Silber des Bildes durch Gold ersetzt wird, dessen
blauviolette Farbe mit dem Braun des Silbers den bekannten „Photo-
graphieton" giebt.
Die Platinotypie beruht auf der Reduktionswirkung, welche die
Ferrisalze im Lichte erfahren. Man benutzt gewöhnlich Ealiumferrioxalat,
dem man eine Lösung von Kaliumpiatinchlorür zufögt. Nach der Be-
lichtung wird das Bild mit einer Lösung von Kah'umoxalat behandelt,
wodurch an den reduzierten Stellen das entstandene Ferrosalz aus dem
Platmsalze metallisches Platin abscheidet.
Eine grosse Anzahl weiterer Verfahren benutzen die Wechselwffkung
zwischen Chromaten und organischen BJebstoffen, wie Leim und Gummi.
In diesen Gemengen wird durch das Licht die Chromsäure reduziert,
und das entstandene Chromoxyd bildet mit dem Klebstoff eine schwer-
lösliche Verbindung. Hierdurch wffd ein Farbstoff, der dem Gemenge
einverleibt war, an den Stellen grösster Lichtwirkung gebunden, und
man erhält nach dem Fortwaschen des unveränderten L^berzuges nach
einem Negative ein Positiv.
Auf der gleichen Reaktion beruhen mehrere photographische Druck-
verfahren. Für letztere wird femer vielfach der Asphalt benutzt, welcher
die Eigenschaft hat, im Lichte seine Löslichkeit in Terpentinöl zu ver-
lieren. Die Einzelheiten dieser sehr mannigfaltigen Methoden entziehen
sich der Berichterstattung an dieser Stelle.
Eine bemerkenswerte Beobachtung ist von H. W. Vogel (1874)
gemacht worden. Die Silbersalze, insbesondere auch das Bromsilber der
gewöhnlichen Negativplatten sind vorherrschend empfindlich flir Strahlen
zwischen blau und ultraviolett, während auf das Auge die grüngelben
Strahlen am stärksten einwirken, für welche die Platten wenig empfind-
lich sind. Die Folge davon ist, dass in photographischen Bildern die
502 XI. Die chemische Verwandtschaft.
Lichtverhältnisse geändert erscheinen; die dunkelanasehenden blauen und
violetten Farben bilden sich hell ab, während helle rote und gelbe
Töne dunkel wiedergegeben werden.
Dieser Übelstand lässt sich nun beseitigen, wenn man dem Brom-
silber der Platten gewisse Farbstoffe, z. B. Eosin oder Cyanin in sehr ge-
ringer Menge zusetzt. Dadurch verschiebt sich das Maximum der
photographisehen Wirkung nach der Seite der längeren Wellen, bez. es
treten in diesem Gebiete neue Maxima auf, und man erhält Bilder mit
richtigerer Abstufung.
Die Theorie dieses Verfahrens ist noch nicht befriedigend entwickelt.
Es lässt sich nicht absehen, wieso die Absorption durch den beigemisch-
ten Farbstoff das aufgenommene Licht zu einer Wirkung auf das Brom-
silber beföhigen soll. Zwar scheint der Farbstoff gleichfalls eine Ver-
bindung mit Silber einzugehen, welche lichtempfindlich ist; doch fttr diese
ist eine Lichtempfindlichkeit von der Ordnung der beim Bromsilber vor-
handenen nicht nadigewiesen worden. Das optische Absorptionsmaximum
der gefärbten Platte stimmt ausserdem nicht mit dem photographisehen
Wirkungsmaximum überein.
So wichtig sich diese Erfindung daher audi fiir die photogra-
phische Technik erwiesen hat und so sicher sie zur Zeit bereits praktisch
gehandhabt wird, so muss doch eine ausreichende Theorie dieser merk-
würdigen Erscheinung erst von der Zukunft erwartet werden.
Die Versuche endlich, Photogramme in natürlichen Farben herzu-
stellen, beruhen, soweit sie nicht wesentlich mechanischer Natur sind,
auf physikalischen Vorgängen ohne besondere chemische Beziehung und
müssen daher hier übergangen werden.
Elftes Buch.
Die chemische Verwandtschaft.
Erstes Kapitel.
Methoden.
Wenn eine Anzahl Stoffe in bestimmten Mengen und unter be-
stimmten Umständen gegeben sind, so kann gefragt werden, was zwischen
ihnen geschieht. Denn sie werden sich im allgemeinen nicht im che-
mischen Gleichgewicht befinden, und es werden daher Umsetzungen,
Verbindungen und Trennungen eintreten, die schliesslich dazu fiihren
werden, dass Gleichgewicht vorhanden ist.
Die formale Seite dieser Aufgabe ist, soweit die gegenwärtige
Entwickelung der chemischen Wissenschaft reicht, in dem zweiten Teile
dieses Werkes behandelt worden, und es sind als allgemeinste Formen der Ant-
wort auf diese Frage die beiden Grundgesetze: das der chemischen
Methoden. 503
Massenwirkung und das der Reaktion gegen zwangsweise Ver-
änderungen erörtert worden. Dabei haben sich diese Vorgänge in ihrem
Verlaufe und in dem schliesslich erreichten Gleichgewichte innerhalb der
genannten Gesetze noch durch Koeffizienten bestimmt gezeigt^ die von
der chemischen Natur der beteiligten Stoffe und den äusseren Umständen
des Vorganges abhängig sind. Diese Koeffizienten waren als gegeben
betrachtet worden und es wurde ihnen gegenüber nur die Frage gestellt,
inwieweit sie als Konstanten behandelt werden können. Gegenwärtig
soll die weitere Frage erörtert werden, wie diese Koeffizienten mit der
chemischen Natur der beteiligten Stoffe und anderen Umständen zu-
sammenhängen. Dadurch erhalten die etwas abstrakt gewordenen Be-
trachtungen der chemischen Energetik wieder einen lebendigen Inhalt,
und die stöchiometrischen Probleme, die den Gegenstand des ersten
Teiles dieses Werkes bildeten, kehren als Zielpunkte der weitergeführten
Entwickelung der allgemeinen CJhemie wieder.
Denn indem diese Koeffizienten den Zustand des Gleichgewichts
zwischen den Stoffen bestimmen, gestatten sie die Aufgabe zu lösen, wie
weit ein gegebenes Gebilde noch vom Gleichgewichte entfernt ist, und
weldie Arbeiten es daher noch leisten kann, bis es diesen Zustand
erreicht. Dies ist aber die Hauptfrage, welche bezüglich aller Anwen-
dungen der chemischen Vorgänge, z. B. im technischen und physiolo-
gischen Gebiet gestellt werden muss, und ihre Beantwortung ist grund-
legend for die Beurteilung der Ergebnisse der Vorgänge.
Ausser der Frage nach dem Gesamtbetrage der Arbeiten, die mit
«in^ bestimmten Zustandsänderung verbunden sind, ist noch die nach
der Geschwindigkeit zu stellen, mit der der endliche Zustand erreicht
wird. Auch diese Frage ist von höchster Bedeutung für alle Anwendungen
der chemischen Vorgänge, denn ebensowenig, wie es für den Techniker
gleichgültig ist, ob er sein Produkt in einem Tage oder einer Woche
herstellen kann, ist jede Bethätigung eines lebenden Organismus in ent-
scheidender Weise dadurch beeinflusst, ob die entsprechende chemische
Eeaktion langsam oder schnell erfolgt.
Es wird also zwei Gruppen von Konstanten geben, deren Kenntnis
zur Beantwortung derartiger Fragen nötig ist: Gleichgewichts- und Ge-
schwindigkeitskonstanten. Zwar stehen beide in dem Zusammenhange,
dass eine Gleichgewichtskonstante sich immer als das Verhältnis zwder
Geschwindigkeitskonstanten darstellen lässt, welche den entgegengesetzten
Reaktionen angehören. Durch diese Beziehung sind aber nur die Werte
der ersteren ableitbar, wenn die letzteren gegeben sind. Umgekehrt sind
aber sehr verschiedene Geschwindigkeitswerte möglich, welche dasselbe
Gleichgewicht ergeben, wenn nur die beiden entgegengesetzten Ge-
schwindigkeiten in gleichem Verhältnisse grösser oder kleiner werden.
In der That kann man för die gleiche Reaktion durch den Einfluss dritter
Stoffe, sogenannter Katalysatoren, die Geschwindigkeit beti'ächtlich ändern,
ohne dass das Gleichgewicht geändert wird.
504 ^* ^16 chemische Verwandtschaft.
Die Bestimmung solcher Konstanten kommt in beiden f^en daranf
hinaus ; dass man in einem gegebenen Augenblicke die Mengen der
verschiedenen Stoffe bestimmt, welche in dem untersuchten Gebilde vor-
handen sind. Dies ist in den einfacheren f^en eine gewöhnliche Auf-
gabe der analytischen Praxis, nämlich immer, wenn es sich um die
Messung eines einzigen Stoffes in einer Phase handelt. Beispiele sind
die Bestimmung des Dissociationsdruckes von Calciumkarbonat oder der
Löslichkeit eines Salzes.
Schwieriger wird die Aufgabe, wenn in derselben Phase mehrere
Stoffe vorhanden sind. Dann reichen die gewöhnliehen Hilfsmittel der
Analyse oft nicht aus, um die gestellten Fragen zu beantworten. Denn
bei der gewöhnlichen chemischen Analyse wird der Stoff, dessen Menge
gemessen werden soll, im allgemeinen in eine andere Form umgewandelt,
welche die Trennung und gesonderte Messung gestattet. Das Verfahren
fuhrt also nur dann zum Ziel, wenn durch diese Operationen die Menge
des Stoffes nicht verändert wird, der gemessen werden soll. Eine solche
Änderung aber tritt immer ein, wenn sich dieser Stoff als Bestandteil eines
Gleichgewichts vorfindet, weldies durch dessen Concentration mitbestimmt
ist, und dessen Reaktionsgeschwindigkeit einen Wert hat, der von gleidier
Ordnung ist, wie die der zur Analyse erforderlichen Vorgänge. Nur
wenn die Geschwindigkeit, mit welcher sich das Gleichgewicht einstellt,
klein genug ist, kann man den daher rührenden Fehler in den zulässigen
Grenzen halten.
Wenn es sich z. B. darum handelt, die Menge der Silberionen in einer
bestimmten Lösung von Silberacetat festzustellen, so kann man sich hierzu
nicht des analytischen Nachweises bedienen, der auf der Fällung der Silber-
ionen durch Chlorionen beruht. Denn wenn man durch Zusatz von Chlor-
ionen in Form von Salzsäure auch zunächst nur die Silberionen ausfällt, so
entstehen aus dem nichtdissociierten Teile des Silberacetats doch alsbald neue
Silberionen, die gleichfalls niedergeschlagen werden, und schliesslich finden
sich im Niederschlage nicht nur die ursprünglich vorhanden gewesenen Silber-
ionen, sondern alle, die sich unter den vorhandenen Umständen vermöge des
Zusatzes des Fällungsreagens haben bilden können.
Dagegen kann man die Menge der Chlorionen, die sich durch die Hydro-
lyse der Monochloressigsäure unter bestimmten Verhältnissen gebildet haben,
ganz gut auf diese Weise bestimmen, denn der Versuch zeigt, dass aus reiner
Monochloressigsäure durch Silberlösung bei Zimmertemperatur kein Chlorsilber
in der Zeit gefällt wird, welche zu einer Analyse nötig ist. Zwar bleibt auch
diese Reaktion auf die Dauer nicht aus; ihre Geschwindigkeit ist aber klein
genug, dass die Menge des daher rührenden Chlorsilbers verschwindend
gemacht werden kann gegen die Menge des aus den vorhandenen Chlorionen
stammenden.
Wenn die während der Analyse eintretende Verschiebung der Menge
des zu bestimmenden Stoffes zu gross ist, als dass sie vernachlässigt
werden kann, so lässt sich ofi; die Analyse dadurch ermögüchen, dass
Methoden. 505
man einen ZnBtand herBtellt^ in welchem die Reaktionsgeschwindigkeit
des Gebildes auf einen sehr kleinen Wert herabgeht^ ohne dass sich
die Menge des zu messenden Stoffes ändert. Da das allgemeinste Mittel
zur Verminderung der Reaktionsgeschwindigkeit in der Erniedrigung der
Temperatur liegt, so lässt sich diese in sehr vielen Fällen mit Erfolg
anwenden. Die Erniedrigung der Temperatur muss allerdings mit so
grosser Geschwindigkeit erfolgen , dass die Verschiebung des Zustandes
in der Zeit der Abkühlung, wo das Gebilde noch in Zuständen end-
licher Reaktionsgeschwindigkeit bleibt, verschwindend gering ist, und
man hat gegebenenfalls besondere Anordnungen (Leiten durch abgekühlte
Röhren u. dergl.) zu treffen, durch welche eine solche Forderung er-
iiiUt wird.
Ein solches Verfahren ist beispielsweise angewendet worden, um die
Reaktion zwischen Wasserstoff und Jod zu studieren (S. 341). Durch längeres
oder kürzeres Erhitzen auf die Versuchstemperatur wurde der zu unter-
suchende Zustand hergestellt, und dann wurde das Gefäss, welches die Gase
enthielt, so schnell wie möglich abgekühlt, um den erreichten Zustand zu
fixieren. Um zu wissen, ob der Zweck erreicht ist, stellt man den Versuch
unter sonst gleichen Umständen so an, dass man die zur Abkühlung erforder-
liche Zeit in einem bekannten Verhältnis vergrössert, und die entsprechende
Verschiebung des Zustandes beobachtet. Auch geben die Beziehungen zwischen
den Reaktionsgeschwindigkeiten bei verschiedenen Temperaturen (S. 302)
Mittel an die Hand, rechnerisch die Beträge der hier möglichen Fehler
zu schätzen.
Ausser dem Fixierverfahren durch Temperaturemiedrigung giebt es
noch verschiedene andere auf chemischem Wege, die sich aus der
Beschaffenheit des vorhandenen Falles ergeben. So kann man Reaktionen,
die durch die Anwesenheit bestimmter Stoffe beschleunigt werden, da-
durch zum Stillstande bringen, dass man diese Stoffe entfernt oder in
andere umwandelt. Umgekehrt kann man durch Zufiigung „negativer
Katalysatoren*^, d. h. solcher Stoffe, welche die Geschwindigkeit der
Reaktion vermindern, das Gleiche erreichen. Während das erste Ver-
fahren vielfach angewendet ist, liegt nodi kein Beispiel praktischen
Gebrauches für das zweite vor.
Ein chemisches Fixierverfahren ist bei der Inversion des Rohrzuckers
durch Säuren (S. 296) oft angewendet worden, indem man die vor-
handene Säure in dem gegebenen Augenblicke durch den Zusatz einer
Base abstumpft. Da die erforderliche Menge der letzteren nicht bequem
zu bemessen ist, und ein Überschuss die Drehung beeinflusst, so ver-
fährt man noch einfacher, indem man Natriumacetat zufügt. Hierdurch
wird wegen des lonengleichgewichts (S. 413) die vorhandene Menge
der Wasserstoffionen sehr stark vermindei*t, so dass die Geschwindigkeit
durch den übrigbleibenden Rest versdiwindend gering wird.
Auch bei der Anwendung dieser Mittel hat man sich durch blinde
506 ^I* I^io chemische Verwandtschaft.
Versuche zu überzeugen, dass sie keinen Einfluss auf die zu messende
Grösse haben.
Versagen auch diese Mittel, so steht man vor der allgemeinen Auf-
gabe, die Menge eines bestimmten Bestandteils in einem Gemenge zu
bestimmen, ohne dieses durch einen Eingriff zu verändern.
Die einfachste Lösung der Aufgabe besteht darin, dass man durch
passende Wahl der Versuchsbedingungen sich die Kenntnis der Mengen
der vorhandenen Stoffe bis auf einen verschafft. Bestimmt man dann
die Gesamtmenge, so ergiebt sich die gesudite Grösse als Unterschied.
Dies Verfahren ist z. B. von Deville bei der Bestimmung des Gleich-
gewichts zwischen Wasserdampf und Eisen angewendet worden. Dadurch,
dass er den Druck des Wasserdampfes durch Umgeben des Wassergefässes
mit einem Bade von konstanter Temperatur auf einen bekannten Wert
brachte, konnte er den Druck des gebildeten Wasserstoffgases ermitteln, in-
dem er von dem gemessenen Gesamtdrucke den dem Wasserdampfe zu-
kommenden abzog.
Sehr häufig ist diese Lösung der Aufgabe nicht möglich, nämlich
wenn mehrere Stoffe gleichzeitig unabhängig ihre Menge ändern. Hier
treten die sogenannten physikalischen Methoden ein.
Streng genommen sind alle analytischen Methoden, welche in der Chemie
Anwendung finden, physikalische, da sie auf der Messung von Gewicht, Volum
oder anderen physikalischen Eigenschaften beruhen. Das Wesen der „che-
mischen*' Methoden besteht darin ^ dass wenn die gewöhnlich angewendeten
physikalischen Methoden der Gewichts- und Volumbestimmung zur Aus-
führung der Messung nicht ausreichen, chemische Vorgänge eingeleitet werden,
welche die physische Trennung des zu messenden Stoffes (oder eines Um-
wandlungsproduktes desselben) und die Anwendung jener Methoden auf den
abgetrennten Stoff gestatten. Die physikalischen Methoden in dem oben
gebrauchten Sinne sind solche, welche durch geeignete Wahl der zur Messung
benutzten Eigenschaft die vorhergehende chemische Einwirkung entbehrlich
machen.
Die physikalischen Methoden beruhen darauf, dass man irgend eine
Eigenschaft an dem vorliegenden Gemenge misst, welche sich gleich-
zeitig mit der Menge des zu bestimmenden Stoffes ändert. Kennt man
den Zusammenhang zwischen dem Betrage dieser Eigenschaft und der
Menge, so kann man von dem einen auf die andere schliessen.
Nun können die in Betracht kommenden Eigenschaften von zweierlei
Art sein. Es sind entweder besondere, die unter den vorhandenen
Stoffen allein dem zu messenden zukommen; dann gewährt die Messung
der Eigenschaft unmittelbar die Möglichkeit eines Schlusses auf die
Menge des fraglichen Stoffes. Oder es handelt sich um eine allgemeine
Eigenschaft, welche mehreren der vorhandenen Stoffe, bez. allen zukommt.
Da der letzte Fall der allgemeinere ist, soll er zuerst betrachtet werden.
Was die Wahl der für einen solchen Zweck zu benutzenden Eigen-
schaft anlangt, so ist sie nur durch die Bedingung beschränkt, dass sie
Methoden. 5Q7
fiir den zu untersuchenden Vorgang konstitutiv ist, d. h. dass die
durch den Vorgang bewirkte Gesamtänderung der Eigenschaft einen
endlichen Wert hat. Additive Eigenschaften sind dadurch gekennzeichnet,
dass die Summe ihrer Änderungen Null ist, wenn sie auch an den
einzelnen Stoffen Änderungen erfahren; solche sind für unseren Zweck
nicht brauchbar.
Da streng genommen ausser der Masse und dem Gewicht genau
additive Eigenschaften nicht vorhanden sind, so müsste schliesslich jede
andere Eigenschaft sich benutzen lassen. Doch sind oft die Abweichungen
von der additiven Beschaffenheit so klein, dass der Einfluss der Versuchs-
fehler einen zu grossen Wert ftir die Anwendbarkeit erreicht.
Im übrigen ist die Wahl der Eigenschaft von der Bequemlichkeit
und Genauigkeit abhängig, mit welcher sie bestimmt werden kann; einen
weiteren sehr wichtigen Umstand bildet die Grösse der Änderung durch
den zu untersuchenden Vorgang.
Eine fiir die Anwendung sehr wichtige Eigenthümlichkeit ist ferner,
dass die Änderung der Eigenschaft dem Betrage der chemischen 'Änderung
proportional ist. Für sehr kleine Mengen trifft eine solche Beziehung
wohl immer zu; allerdings ist die Grenze, wo die Abweichungen nicht mehr
vernachlässigt werden können, von Fall zu Fall festzustellen.
Bei den nachstehenden Betrachtungen ist vorausgesetzt, dass die
Proportionalität besteht.
Die Reaktion sei durch eine chemische Gleichung von der Gestalt
Ai + Äg + A3 + • • • = ^1 + ^2 + ^3 + • • • gegeben. Der Wert der
benutzten Eigenschaft sei fiir ein Mol (bez. för so viel Mole, als in der
Formel erscheinen) der Stoffe A^, A^, Aj, . . . durch «i, «g, «3 ... gegeben;
der der Stoffe Bj, Bj, B3 . . . durch ^1 , ^g, i^s . . . Dann ist «1 + «2 + «3
-|- . . . = 2a der Anteil an dem Gesamtwerte, der den links stehenden
Stoffen zukommt und 2ß der Anteil der Stoffe B. Für den vollständigen
Übergang der Stoffe A in B beträgt daher die Änderung der Eigen-
schaft 2a — 2ß = Ro, und findet nur der Bruchteil x der voll-
ständigen Umsetzung statt, so ist der Betrag der Änderung •s.{2a — 2ß)
oder xRq.
Nun seien beliebige Mengen 2l^, 2l^, 2l^ , , . der Stoffe A und \,\y
bg . . . der Stoffe B gegeben, wo die Mengen a und b durch die Ein-
heiten A und B gemessen werden, so wird ein Gemisch aus diesen
Stoffen den Gesamtbetrag der Eigenschaft a^ «j + a^ «g + % «3 + • • .
+ ^1 /^i + ^2 ^2 + ^s /^3 + • • • gleich 2dia + 2h ß haben. Nachdem
die unbekannte Menge x sich umgesetzt hat, wird der Wert R der
Eigenschaft gemessen, und es wird gefi*agt, wie aus ihm die Unbekannte
X zu berechnen ist.
Nun ist R gegeben durch den Ausdruck R = (a^ -f- x) «1 + (ag + ^) ^2
+ (a3 + x) «3 . . . + (bj — x) i^i + (b2 — x) i^s + (ba — x) ^8 . . . ,^ denn
es sind zu den Mengen ai,a^,a3... die gleichen Beträge x hinzuge-
508 ^I* ^^0 chemische Verwandtschaft.
kommen, und die Mengen b haben sich um ebensoviel vermindert^).
Man kann den Ausdruck umformen in 'R = JSaa-\-x2Ja-^Uhß —
xSß oder R = J^aa + ^^ß + ^ ^o? woraus folgt
H — iüSia + Hhß)
'= K
Überlegt man noch, dass -Za a + 2h ß der Wert der Eigenschaft in
dem ursprünglichen Gemische ist, während R diesen Wert nach erfolgter
Umwandlung des Betrages x darstellt, so sieht man, dass im Zähler dea
Bruches die Änderung der Eigenschaft durch den chemischen Vorgang
steht Wir bezeichnen sie mit JR. Der Nenner Rq ist die Änderung'
für den Fall, dass ein Formelgewicht der Stoffe sich vollständig umge-
setzt hat Das Verhältnis der beobachteten Änderung der
Eigenschaft zu der Gesamtänderung bei vollständiger Um-
setzung giebt also das Mass für den eingetretenen Betrag'
der Umsetzung, und letzterer wird berechnet nach der Gleichung
JR
Der erste Autor, welcher physikalische Methoden auf Affinitätsprobleme
in systematischer Weise angewendet hat, ist Gladstone. Aus dessen For-
schungen ist bereits die grosse Mannigfaltigkeit erkennbar, welche die phy-
sikalischen Methoden je nach Umständen annehmen können. Neben der mit
Vorliebe benutzten Änderung der Farbe sind noch die der Fluorescenz, der
Zirkularpolarisation, sowie Diffusionserscheinungen von ihm für den gleichen
Zweck in Anwendung gebracht worden. Doch ist die quantitative Ausbildung
des Messverfahrens nur teilweise durchgeführt.
In ausgebildeter Form findet sich ein Beispiel der physikalischen
Methode zuerst bei J. Thomsen (1869), welcher zeigte, dass mittels
calorimetrischer Beobachtungen über den Zustand homogener Flüssigkeiten
alle erforderlichen Auskünfte gewonnen werden können.
Die Koeffizienten a und ß bedeuten hier einfsich Energiemengen.
Handelt es sich z. B. um die Wechselwirkung zwischen Fluornatrium
und Chlorwasserstoff unter Bildung von Chlomatrium und Fluorwasser-
stoff, so ist
«1 die Energie von einem Mol Fluomatrium,
«2 „ „ „ „ „ Chlorwasserstoff,
ßi „ „ „ ,, „ Chlornatrium,
/9g „ „ „ „ „ Fluorwasserstoff.
In der Gleichung
JR
Ro
bedeutet nun JR die Änderung der Energie des Anfangszustandes beim
Übergang in den Zustand, bei welchem Gleichgewicht stattfindet; JR ist
^) Der Wert von x kann auch negativ sein.
Methoden. 509
somit die Wärmeentwickelung bei der Reaktion des Chiorwasserstoflfe auf
Flaomatrium. Der Nenner ist die Energiedifferenz Flaomatriam plus
Chlorwasserstoff und Chlomatrium plus Fluorwasserstoff; d. h. der Unter-
schied der Neutralisationswärmen der beiden Säuren.
Nun ist die Neutralisationswärme des Fluorwasserstofis 68-05 J^ die
des Chlorwasserstofis 5748 J; der Unterschied beträgt 10-07 J, und es
ist Rq = — 10-57 J zu setzen. Andererseits wurde bei der Reaktion
von 1 Äq. Chlorwasserstoff auf 1 Äq. Fluomatrium eine Wärmeabsorption
von — 987 beobachtet. Führt man die Werte ein, so ergiebt si(Ä
— 9-87 ^^„„
x = — ——-=0-933.
— 10-57
Bei dem fraglichen Vorgange sind somit 0-933 des Äquivalents, oder
93-3 Prozent der vorhandenen Menge Fluorwasserstoff durch die Salz-
säure in Freiheit gesetzt worden.
Bei der Ableitung ist stillschweigend die Voraussetzung gemacht
worden, dass ausser der Energieänderung durch die Umsetzung der
Salze keine andere stattfindet. Nun trifft dies keineswegs immer zu;
häufig wirken die vorhandenen Stoffe auch nach anderer Richtung, und
man muss dann entsprechende Korrekturen anbringen. Man thut dies,
indem man den thermischen Betrag dieser Nebenreaktionen durch eigene
Versuche bestimmt und ihn von der Differenz JR in Abzug bringt.
Die Formel nimmt dann die Gestalt an
JR — q
In vielen Fällen wird dies Verfahren freilich noch dadurch erschwert,
dass q selbst eine Funktion des Wertes x ist, den man zu bestimmen
beabsichtigt. In solchen Fällen ist es am einfachsten, ftir einige willkür-
lich angenommene Werte von x die Grössen R und q zu berechnen;
hat man jene so gewählt, dass der wirkliche Wert von x zwischen die
angenommenen fällt, so lasst er sich leicht durch Interpolation mit ge-
nügender Genauigkeit berechnen.
In vielen Fällen lassen sich die Einzelwerte 2a und 2ß, aus denen
sich die Grösse Rq zusammensetzt, nicht bequem unmittelbar bestimmen. Für
den hier betrachteten Fall der Salzbildung sind zwar die Neutralisations-
wärmen löslicher Basen experimentell leicht zugänglich, nicht aber die der
unlöslichen. Alsdann ist die Kenntnis eines allgemeinen Verfahrens wichtig,
welches die Bestimmung jener Grösse auf einem anderen Wege gestattet.
Dieser Weg liegt darin, dass man von den beiden Zuständen aus, wie
sie die beiden Seiten der chemischen Gleichung darstellen, zu einem gemein-
samen Zwischenzustand übergeht; die Differenz der beiden Änderungen ist
gleich dem gesuchten Unterschiede für den vollständigen Übergang des Ge-
bildes von dem einen Grenzzustande in den anderen. Geht man dann von
dem ersten Zustande durch die eintretende Reaktion zu dem Gleichgewichts-
zustande über, und für den die Eigenschaft den Wert S annehmen soll, so
510 XI. Die chemische Verwandtschaft.
beobachtet man die Änderung Za — S. Verfährt man ebenso von dem
zweiten Grenzzustande aus, indem man entsprechende Mengen der Produkte
zur Reaktion und zu demselben Gleichgewichte bringt, wie im ersten Falle,
so erhält man den Unterschied 2ß — S. Die Differenz der beiden Änderungen
2'a — S — {2ß — S) «= 2:a — 2^/9 ist der gesuchte Wert.
Die Voraussetzung des Verfahrens ist, dass die Stoffe in dem durch die
Reaktionsgleichung gegebenen Verhältnis angewendet werden, indem jedes-
mal die durch eine Seite der Gleichung gegebenen Mengen zur Reaktion ge-
bracht werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass von beiden Seiten aus
auch wirklich dasselbe Gleichgewicht erreicht wird, worüber bei langsam ver-
laufenden Reaktionen besondere Untersuchungen anzustellen sind.
Im vorliegenden Falle der Neutralisationswärmen besteht das Verfahren
darin, dass man einmal das Salz der ersten Säure mit der zweiten freien
Säure zur Reaktion bringt, und das anderemal den gleichen Versuch mit dem
Salze der zweiten Säure und der ersten Säure im freien Zustande anstellt.
In diesen Versuchen ist dann gleichzeitig das Material zur Berechnung des
„Teilungsverhältnisses** enthalten, da 2a — S »« JR ist.
Ein Verfahren von ähnlichem Umfang der Anwendbarkeit wie das
thermochemische, aber viel leichter und bequemer in der Ausführung, ist
die auf der Bestimmung des spezifischen Volums beruhende vol um che-
mische Methode. Die Anwendung des spezifischen Gewichts zur
Quantitätsbestimmung gelöster Stoffe reicht in das Altertum zurück, und
nimmt bis heute einen wichtigen Platz in der Technik und Wissenschaft
ein. Deshalb ist es immerhin auffällig, dass die Benutzung dieser Eigen-
schaft zur Ermittelung der Anordnung der Stoffe in homogenen Lösungen
so lange hat auf sich warten lassen. Die ersten Versuche hierüber sind
von Tissier (1859) ausgeführt worden. Später smd von W. Ostwald
(1878) zahlreiche Versuche nach dieser Methode ausgeführt worden,
welche die Verteilung verschiedener Basen zwischen je zwei gleichzeitig
einwirkende Säuren zum Gegenstande hatten.
Ist d das spezifische Gewicht einer Flüssigkeit, so ist 1/d ihr spezi-
fisches Volum, d. h. das Volum, welches von der Gewichtseinheit einge-
nommen wird. Multipliziert man dieses mit dem Gewicht der Lösung,
welches ein Mol des betrachteten Stoffes enthält, so erhält man das
Molekularvolum der Lösung. Bringt man verschiedene Lösungen, welche
chemisch aufeinander einwirken können, zusammen, und lässt den Vor-
gang erfolgen, so zeigt sich das Molekularvolum der gemischten Lösung
verschieden von der Summe der Volume der Bestandteile.
Die Änderungen der Molekularvolume durch den Neutralisationsvor-
gang sind ziemlich beträchtlich und viel mannigfaltiger, als die ent-
sprechenden Neutralisationswärmen. Das Prinzip der Methode ist von
dem der tiiermochemischen nicht verschieden und es gilt dieselbe Formel
__JR_
Rq
Methoden. 511
wo nnr die Grössen eine entsprechend geänderte Bedeutung gewinnen. JR
ist die Yolumänderung, welche bei der Einwirkung der einen Säure auf
das Neutralsalz der anderen stattfindet, und Rq ist der Unterschied' der
Volumänderungen bei der Neutralisation jeder der beiden Säuren. Sind
Nebenreaktionen vorhanden^ so gilt die korrigierte Formel
JR — q
wo q die Volumänderung der Nebenreaktionen bedeutet.
Die technische Ausführung der Versuche ist unter Anwendung eines
Pyknometers leicht bis zu einem hohen Grade der Genauigkeit zu bringen.
Das Verfahren ist das der gewöhnlichen Dichtebestimmungen; man hat
sorgfaltig die Temperatur konstant zu halten und erreicht dann leicht
eine Genauigkeit von einigen Einheiten der fünften Dezimale, wenn man
Pyknometer von 20 bis 30 g Inhalt verwendet.
So wurde z. B. das spezifische Volum einer Kalilösung, welche EOH
= 56*lg in einem Kilogramm enthielt, gleich 0*950668 gefunden, das einer
entsprechenden Salpetersäurelösung gleich 0-966623; die Molekularvolume
sind 950-668 und 966-623 ccm. Als gleiche Gewichte beider Lösungen ge-
mischt wurden, ergab sich das spezifische Volum der erhaltenen Salpeterlö-
sung zu 0-968669; das Molekularvolum (dem ein Gewicht von 2000 g ent-
spricht) beträgt daher 1937-338 ccm, während die Summe der Molekularvolume
von Säure und Basis nur 1917'291 ccm ausmacht. Somit ist bei der Neu-
tralisation eine Ausdehnung um 20-047 ccm eingetreten.
Bei anderen Säuren sind die Änderungen meist kleiner; sie gehen auf
6 ccm bei den Fettsäuren herab.
Das volumchemische Verfahren lässt sich leicht auf höhere und
niedere Temperaturen ausdehnen, was bei dem thermochemischen mit
erheblichen Schwierigkeiten verknüpft ist. Man braucht nur die Wärme-
ausdehnung der Flüssigkeiten^ deren Volume man zu vergleichen hat^
mit Hilfe eines Dilatometers zu bestimmen^ um ftir jede andere Tem-
peratur das Material zu gewinnen^ welches den Zustand der Lösung zu
berechnen gestattet.
Von weiteren allgemeinen Eigenschaften, welche ähnliche Anwen-
dung gestatten und in solchem Sinne benutzt worden sind, ist die Licht-
brechung zu nennen. Die Anwendung des Verfahrens bietet grundsätz-
lich nichts neues, so dass Einzelheiten unterbleiben können.
Hiermit ist die Liste der anwendbaren allgemeinen Eigenschaften
nicht abgeschlossen, doch haben die anderen noch keine erhebliche An-
wendung gefunden.
Was die Anwendung der besonderen Eigenschaften anlangt, so
liegt der günstigste Fall vor, wenn es gelingt, eine Eigenschaft ausfindig zu
machen, welche dem zu messenden StofiTe allein zukommt, und deren
Betrag seiner Menge oder Konzentration proportional ist. Dann giebt
die Messung der fraglichen Grösse unmittelbar die gesuchte Menge.
512 XI. Die chemische Verwandtschaft.
Die Möglichkeit von Fehlem liegt hier insofern vor, als entweder
die vorausgesetzte Proportionalität nicht genau vorhanden ist, oder der
Proportionalitätsfaktor durch die Gegenwart anderer Stoffe, die an sich
die iragliche Eigenschaft nicht besitzen, geändert wird. Hier ist es
häufig schwierig, die erforderlichen Kontrollversuche anzustellen, da ach
von vornherein nicht entscheiden lässt, ob eine auf Zusatz eines anderen
Stoffes beobachtete Änderung des Eigenschaftswertes von der Änderung
der Menge des fraglichen Stoffes, oder von der Änderung des Faktors
herrührt. Das einzige Mittel, das in solchen Fällen angewendet werden
kann, ist die Messung mittels einer anderen, unabhängigen Eigenschaft;
aus dem Vergleich der beiderseits erhaltenen Zahlen ergiebt sich dann,
welche von den beiden Möglichkeiten die wahrscheinlichere ist.
Als Beispiel für diese Methode sei die Bestimmung der Zuckermenge
in einer Lösung aus der Drehung der Polarisationsebene genannt. Durch
Messungen an reinen Zuckerlösungen von bekanntem Gehalt hat sich ergeben,
dass die Drehung dem Gehalte keineswegs völlig genau proportional ist; bei
sehr genauen Versuchen wird also hierauf Rücksicht zu nehmen sein. Femer
hat sich ergeben, dass die Anwesenheit anderer Stoffe, wie Salze, Alkohol
u. dergl. die Drehung ein wenig ändert; auch dieser Einfluss ist gering.
Ähnlich verhält sich die Gehaltsbestimmung aus der Färbung, wenn nur
der zu messende Stoff eine merkliche Lichtabsorption zeigt. Gewöhnlich wird
die Geltung des Behrschen Gesetzes, nach welchem der Extinktionskoeffizient
dem Gehalte an färbendem Stoffe proportional ist, ohne weiteres vorausgesetzt;
doch werden auch hier in bestimmten Fällen sich Abweichungen nachweisen
lassen, und eine Prüfung des Geltungsbereiches hat in jedem neuen Falle der
Anwendung vorauszugehen.
Messungen dieser Art werden mittels eines Kolorimeters ausgeführt. Ein
solches besteht aus zwei Röhren, die unten durch ebene Glasplatten ab-
geschlossen sind; in die eine kommt die zu messende Flüssigkeit bis zu einer
bestimmten Höhe, in der anderen vermehrt oder vermindert man die Höhe
einer Vergleichsflüssigkeit von bekanntem Gehalte so lange, bis beide Röhren
bei senkrechter Durchsicht dieselbe Farbe zeigen. Um diesen Vergleich
bequem und genau ausführen zu können, sind verschiedene Mittel angegeben
worden; eines der einfachsten und besten besteht in der Anbringung zweier
paralleler, unter 45° gegen die Rohrachsen geneigter Spiegel. Man entfernt
von dem einen einen Teil der Belegung; blickt man durch die Öffiiung nach dem
anderen Spiegel, so erscheint das durch das zweite Rohr gegangene Licht
inmitten des aus dem ersten Rohr stammenden, das von dem ersten Spiegel
refiektirt wird, und man kann die Färbung beider Flüssigkeitssäulen mit grosser
Schärfe vergleichen. Die von der kleinen ünsymmetrie dieser Anordnung
herrührende Einseitigkeit dieses Apparates kann man durch Vorversuche leicht
bestimmen und rechnerisch eliminiren.
Zwischen den allgemeinen Eigenschaften, die sämtlichen Stoffen
zukommen, und den besonderen, die individuell sind, giebt es noch
Zwischenstufen, welche bei grösseren oder kleineren Gruppen von
Methoden« 513
Stoffen auftreten. Hier sind zunächst die an Gasen und verdünnten
Losungen auftretenden koUigativen Eigenschaften zu nennen^ aus deren
Messung sich oft wichtige Sdilüsse ziehen lassen. Ein Beispiel solcher
Anwendung bieten die Ermittelungen über den Dissodationszustand ge-
wisser Verbindungen, die sich aus der Gasdichte ergeben haben. Der
fiir Phosphorpentachlorid gefundene Wert von rund 140 (S. 74) ist ein
Beweis daftlr, das eine Verbindung PCI5 im Dampfe sicher nicht vor-
handen ist; eine Auskunft, welche Stoffe thatsächlich vorhanden sind,
lässt sich aus dieser Zahl aUerdings nicht entnehmen. Ist aber ander-
weit bekannt, was vorhanden ist, so dient die gefundene Gasdichte zur
Ermittelung der Mengenverhältnisse, wie das im Falle des Stickstoff-
hyperoxyds (S. 308) gezeigt worden ist.
Durch die Erweiterung der Gasgesetze auf verdünnte Lösungen ist
dieser Schlussweise ein sehr ausgedehntes Anwendungsgebiet eröffiiet
worden. Auch ist bereits geschildert worden, wie sie zu einem der
wichtigsten Fortschritte der neueren Chemie, zur Theorie der freien Ionen
geführt hat (S. 214).
Durch den Begriff der freien Ionen selbst ist eine neue Reihe
von Aufgaben entstanden, die sich auf die Beschaffenheit und Menge
derselben beziehen. Was die erste anlangt, so lassen sich die hier ent-
stehenden Fragen nach der Zusammensetzung der Ionen in besonderen
Fällen, namentlich bei der Bildung von komplexen Verbindungen, durch
das Kriterium der Wechselzersetzung beantworten: Stoffgruppen, welche
die Stelle notorischer Ionen in salzartigen Verbindungen einnehmen
können, sind als Ionen anzusehen. Eine weitere Gewähr für die Er-
gebnisse kann man auf dem Wege der Überfuhrungserscheinungen er-
halten: Bestandteile, deren Konzentration sich bei der Elektrolyse an der
Anode vermehrt, gehören dem Anion an und umgekehrt.
Für das Vorhandensein der Ionen selbst ist die Anwesenheit elek-
trolytischer Leitfähigkeit ein sicherer Beweis. Ist man darüber
nicht sicher, ob die Leitung metallisch oder elektrolytisch ist, so giebt
die Erscheinung der Polarisation nach dem Durchgange eines einseitigen
Stromes Auskunft. Einen noch sichereren Nachweis bietet das Entstehen
einer Spannung, wenn der fragliche Stoff zwischen verschiedenen MetaUen
zu einer Kette zusammengestellt wird. Ist der Stoff ein metallischer
Leiter, so zeigt ein eingeschaltetes Elektrometer keine Spannung an;
im andern Falle tritt eine auf. Als einschliessende Metalle nimmt man
am besten solche, die weit voneinander m der Spannungsreihe abstehen,
wie Zink und Platin; um zufällige Kompensationen zu erkennen, wieder-
holt man den Versuch mit anderen Metallpaaren.
Aus der beobachteten elektrolytischen Leitfähigkeit lässt sich ein
annähernder Schluss über die Konzentration vorhandener Ionen ziehen.
Denn die Wanderungsgeschwindigkeit der verschiedenen Ionen (mit Aus-
schluss von Wasserstoff und Hydroxyl, deren Anwesenheit leicht durch
saure oder alkalische Reaktion zu erkennen ist) ist nicht so verschieden,
Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 33
514 XL Die chemische Verwandtschaft.
dass nicht eine annähernde Schätzung mit Hilfe der S. 385 und 397
gegebenen Zahlen und Regeln auszuführen wäre.
Im übrigen ist die Leitfähigkeit nur ein Gruppenreageus auf lonea
überhaupt, welches zwar deren Vorhandensein, nicht aber ihre Natur an-
zugeben vermag. Kennt man diese aber, so ist die Leitfähigkeit ein
ausgezeichnetes Mittel, um die Konzentration der Ionen zu ermitteln,
und es ist an früherer Stelle (S. 390) diese Anwendung in einem besonderen
Falle dargelegt worden.
In manchen Fäüen ist die Mannigfaltigkeit vorhandener Ionen zu
gross, als dass man aus der Leitfähigkeit Schlüsse auf die Mengen einzelner
Arten ziehen könnte. Dann treten die spezifischen Reaktionen auf
einzelne Ionen ein. Diese finden sich in den chemischen Gleich-
gewichten mit festen Phasen (S. 414); durch die Verminderung der
Löslichkeit eines schwerlöslichen Stoffes ergiebt sich das Vorhandensein
und die Konzentration eines seiner Ionen in der zu untersuchenden
Flüssigkeit.
Ein anderes Mittel, das namentlich im Falle sehr kleiner Konzen-
trationen von Ionen Anwendung finden kann, liegt in der Messung der
elektrischen Spannung einer solchen Lösung gegen eine Elektrode, welche
mit diesem Ion im Gleichgewicht steht. Auch hierfür ist früher (S. 453)
ein Beispiel gegeben worden.
Zweites Kapitel.
Beaktionsgeschwindigkeit und Katalyse.
Das chemische Gleichgewicht ist durch die Bedingung gekennzeich-
net, dass die möglichen Verschiebungen des Zustandes unendlich wenig^
Arbeit erfordern oder ausgeben. Hierdurch wird die Bestimmung des-
selben eine Aufgabe der Energetik, und es ist eindeutig festgestellt, wenn
diese Arbeiten in ihrer Abhängigkeit von der relativen Menge der mög-
lichen Stoffe bekannt sind.
Dass eine chemische Reaktion, der eine Geschwindigkeit zukommt^
eintreten wird, wenn die allgemeine Gleichgewichtsbedingung nicht er-
füUt ist, lässt sich gleichfalls energetisch begründen; ferner, dass unter
sonst gleichen Umständen die Geschwindigkeit, mit welcher die Reaktion
bei mangelndem Gleichgewicht stattfinden wird, der Entfernung vom
Gleichgewicht proportional sein wird. Wie diese Entfernung vom Gleich-
gewicht zu messen ist, ergiebt sich aus der Gestalt flir die Gesetze der
Reaktionsgeschwindigkeit (S. 295 u. ff.).
Hierdurch wird festgestellt, dass erstens ein Vorgang mit einer end-
lichen Geschwindigkeit eintritt, und dass zweitens die nacheinander folgen-
den Teile des Vorganges in Zeiten verlaufen, die in gesetzmässiger
Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse. 515
gegenseitiger Abhängigkeit stehen. Dagegen wird nicht festgestellt, welches-
der absolute Betrag der Zeit ist, in welcher sich ein bestimmter Bruch-
teil der Reaktion vollziehen muss. Die genannten Gesetze können be-
friedigt werden, ob die Umwandlung von einem Prozent des Gesamtbe-
trages eine Sekunde oder ein Jahr beansprucht.
Auch durch die Beziehung der Geschwindigkeiten zweier entgegen-
gesetzter Reaktionen, die zu einem Gleichgewicht führen, auf die Verhältnisse
dieses Gleichgewichts wird keine absolute Bestimmung der Geschwindig-
keit erzielt. Ist eine Geschwindigkeit und das Gleichgewicht gegeben,
80 ist auch die andere Geschwindigkeit bestimmt; aus dem Gleichgewicht
allein kann man aber nur das Verhältnis beider Geschwindigkeiten ab-
leiten, und ihr absoluter Wert kann jeden beliebigen Betrag annehmen.
Die Erfahrung entspricht diesen allgemeinen Überlegungen in sehr
auffälliger Weise. Durch Umstände, die auf das Gleichgewicht keinen
oder nur einen geringen Einfluss ausüben, lässt sich die Geschwindigkeit
ausserordentlich verschieben. Ein bekanntes Beispiel liierfür ist die
Bildung der Ester aus Säuren und Alkoholen; während die Reaktions-
geschwindigkeit sich durch eine Temperaturerhöhung von etwa 100^
vertausendfacht, erleidet dadurch das Gleichgewicht infolge der geringen
Reaktionswärme (S. 288) eine so unerhebliche Verschiebung, dass diese
experimentell kaum nachweisbar ist. Ferner besteht der Einfluss der
Temperaturerhöhung immer in der Erhöhung der Geschwindigkeit,
während sie das Gleichgewicht in einem wie im anderen Sinne ver-
schieben kann').
Ausser der Temperatur zeigen noch andere Umstände einen solchen
grossen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit, vor allen Dingen die
Gegenwart anderer Stoffe. Es ist an früherer Stelle (S. 303) dargelegt
worden, dass ein solcher Einfluss immer besteht; nur ist er in vielen
Fällen nicht sehr gross und hat deshalb keine besondere Aufmerksam-
keit erregt. In einzelnen Fällen dagegen gentigen sehr kleine Menge^j
fremder Stoffe, um ausserordentlich beträchtliche Änderungen der Ge-
schwindigkeit hervorzubringen. Diese Änderungen können positiv wie
negativ sein, d. h. sowohl in Erhöhungen, wie Verraindeiningen der Ge-
schwindigkeit bestehen.
Man nennt die Stoffe, welche solche Änderungen der Geschwindig-
keit bewirken, Katalysatoren, und zwar positive und negative, je
nachdem sie Beschleunigungen oder Verzögerungen hervorbringen.
Der Begriff der Katalysatoren hat erst in neuerer Zeit diese bestimmte
Definition erfahren {Ostwald 1894). Früher glaubte man, dass gewisse Stoffe
durch ihre Gegenwart zwischen anderen Stoffen Reaktionen hervorbringen
könnten, die ohnedies überhaupt nicht stattfänden, und „erklärte" sich diese
Erscheinungen durch nichtssagende Annahmen von Atomschwingungen und
^) Dies geschieht insbesondere, wenn die Reaktionswärme durch Null
geht (S. 344).
33*
516 ^* ^i® chemische Verwandtschaft.
dergleichen unkontrollierbaren Dingen. Gegenwärtig, wo man durch die Er-
fahrung zu der allgemeinen Auffassung geführt wird, dass alle aus bestimmten
Stoffen möglichen Produkte auch wirklich entstehen, wenn auch in sehr ver-
sdiiedenen Verhältnissen und mit entsprechend verschiedener Geschwindigkeit,
macht es keine Schwierigkeit, alle derartigen „Berührungswirkungen" als kata-
lytische Beschleunigungen vorhandener, wenn auch quantitativ noch nicht
messbarer Keaktionen aufzufassen. Der Begriff des Beschleunigers oder Ka-
talysators hat dadurch einen bestimmten Inhalt gewonnen, der einer zahlen -
massigen Definition durch den Betrag der Beschleunigung für eine bestimmte
Menge des Katalysators fähig ist.
Das Vorhandensein solcher katalytischer oder Berührungs^irkungen
ist zuerst an zwei technich sehr wichtigen Vorgängen bekannt geworden :
der Schwefelsäurebildung und der Umwandlung der Stärke und anderer
Kohlehydrate in Zucker. Beide sind Entdeckungen des Zufalls.
Schwefelsäure wurde im vorigen Jahrhundert dadurch hergestellt,
dass man das durch Verbrennen von Schwefel erhaltene Schwefeldioxyd
mit Wasser und Luft in grossen Flaschen stehen Hess; durch Oxydation
der schwefligen Säure entstand dann langsam Schwefelsäure. Das Ver-
fahren war wenig ausgiebig und konnte sich kaum neben der anderen
Methode, der Destillation von Eisenvitriol, halten. Um die Verbrennung
des Schwefels und die Oxydation zu begünstigen, mischte man diesem
Salpeter zu. Es ergab sich eine sehr bedeutende Beschleunigung des
Vorganges, und zwar blieb diese bestehen, als die Menge des zugesetzten
Salpeters weit unter den Betrag vermindert wurde, der für die Oxydation
des Schwefels erforderlich gewesen wäre. Clement und Desormes haben
dann (1806) in einer sehr einflussreich gewordenen Untersuchung ge-
zeigt, dass die Wirkung von den entstandenen roten Dämpfen, d. li.
dem Stickstoffhyperoxyd ausging. Denn man konnte die gleiche Be-
schleunigung erzielen, wenn man keinen Salpeter ftir die Verbrennung
des Schwefels benutzte, sondern dem Gemenge von Schwefeldioxyd,
Luft und Wasserdampf gasförmiges Stickstoffhyperoxyd zusetzte. Anf
dieser Bemerkung beruht wesentlich die gegenwärtige Form der Schwefel-
säuregewinnung.
Zur „Erklärung" der von ihnen beobachteten merkwürdigen Ver-
hältnisse nahmen Clement und Desormes an, dass der Sauerstoff im
Hyperoxyd in einer der schwefligen Säure „bequemeren" oder zugäng-
licheren Form vorhanden sei, als in der Luft. Sie stellten daher die noch
heute angenommene Theorie auf, dass erst die Luft ihren Sauerstoff an
vorhandenes Stickoxyd abgebe, um Hyperoxyd zu bilden. Diesem ent-
ziehe die schweflige Säure den Sauerstoff, um in Schwefelsäure überzu-
gehen, und das neu gebildete Stickoxyd wiederhole den Vorgang.
Fragt man sich nach der Stichhaltigkeit dieser Theorie, so sieht man,
dass sie die Hauptsache unberührt und unerklärt lässt. Die Frage ist nicht:
warum geht die schweflige Säure bei Gegenwart von Stickstoffhyperoxyd in
Schwefelsäure über? denn der Übergang erfolgt auch ohne die Gegenwart
Keaktionsgeschwindigkeit nnd Katalyse. 517
dieses Stoffes. Die Frage ist vielmehr: warum geht der Übergang bei Gegen-
wart des Hyperoxyds so viel schneller vor sich, als ohne diese ? und auf diese
Frage giebt die Theorie der abwechselnden Reduktionen und Oxydationen
der Stickstoffverbindung keinen Aufschluss.
Da, wie oben dargelegt, zwischen der Geschwindigkeit der Reaktion und
der Entfernung vom chemischen Gleichgewicht kein notwendiges Verhältnis
besteht, so ist es allerdings ganz wohl möglich, dass jede der beiden ange-
nommenen Zwischenreaktionen schneller erfolgt, als die unmittelbare Oxy-
dation der schwefligen Säure, obwohl die beiden Stufen 0* + 2NO=»2NO*
und H*SO' + NO* «= H*SO* + NO jede einzeln eine geringere Entfernung
vom schli esslichen Gleichgewicht darstellen, als die Stufe 2H*S0*+0* =
2H*S0*. Es ist also auch möglich, dass die Beschleunigung wirklich von dem
Dazwischentreten dieser Reaktionen herrührt. Auch ist es mit den gegen-
wärtigen Mitteln sogar möglich, dieser Frage experimentell näher zu treten.
Dann wäre die Theorie der Beschleunigung damit gegeben, dass die in diesem
Falle vorhandenen Zwischenreaktionen schneller verlaufen, als die unmittel-
bare Reaktion.
Durch eine eigentümliche Verkennung der Fragestellung hat sich aber
die Vorstellung entwickelt, als wäre eine beobachtete Beschleunigung bereits
erklärt, wenn es gelingt, irgend eine Zwischenreaktion aufzustellen. Man hat
mit anderen Worten stillschweigend angenommen, dass alle Zwischenreaktionen
schneller verlaufen müssten, als die unmittelbare Reaktion. Eine solche An-
nahme ist aber in keiner Weise bewiesen, ja auch nur wahrscheinlich, und
somit lässt die Formulierung einer möglichen Zwischenreaktion die Frage
thatsächlich dort, wo sie war.
Femer beruht aber der experimentelle Nachweis einer Zwischenreaktion,
wo er versucht worden ist, auf dem Nachweis einer fassbaren Menge eines der
angenommenen Zwischenstoffe im Reaktionsgemisch. Auch wenn ein solcher
Nachweis gelungen ist, ist dadurch noch nicht bewiesen, dass der Stoff ein
Zwischenprodukt ist. Er kann ebensogut ein Nebenprodukt sein, d.h.
mit der Hauptreaktion überhaupt in keiner Beziehung stehen.
Endlich kann durch die Annahme von Zwischenprodukten die Existenz
negativer Katalysatoren nicht erklärt werden. Denn wenn die Reaktion über
die Zwischenprodukte langsamer geht, als die unmittelbare Reaktion, so ist
kein Grund einzusehen, warum nicht eben die letztere erfolgt, und zwar mit
ihrer normalen Geschwindigkeit.
Die bisher übliche Auffassung der katalytischen Erscheinungen muss
also als ungenügend bezeichnet werden. Durch die neue Auffassung als einer
Änderung der Reaktionsgeschwindigkeit ist etwaiger Mitthätigkeit von Z wischen -
Stoffen nicht vorgegriffen; es ist nur die Frage auf den Boden quantitativer
Messungen anstatt qualitativer Hypothesen gestellt und dadurch der wissen-
schaftlichen Behandlung zugänglich gemacht worden.
Der zweite Fall, in welchem eine katalytische Reaktion von technischer
Bedeutung entdeckt wurde, war die Bildung von Gummi (Dextrin) und
Zucker aus Stärke durch Kochen mit verdünnten Säuren (Kirchhoff 181 !)►
518 XI. Die chemische Verwandtschaft.
Hier trat die typische Eigentümlichkeit solcher Vorgänge, dass der Zu-
satz nötig ist, um die Erscheinung in praktisch anwendbarer Zeit her-
vorzurufen, dass aber in keinem Stadium der Reaktion eine nachweisbare
Verbindung zwischen diesem notwendigen Stoffe und dem vorhanden ist,
der die Veränderung erßlhrt, oder einem seiner Umwandlungsprodukte,
sehr deutlich zu Tage. Auch wurde bereits damals die ftindamentale
Thatsache (allerdings ohne Erkenntnis ihrer Bedeutung) festgestellt, dass
auch ohne die Anwendung von Säuren die Stärke beim Kochen mit
WjEisser in Gummi (d. h. Dextrin) und etwas Zucker übergeht. Gegen-
wärtig erkennen wir aus diesem Umstände, dass es sich wieder um die
Beschleunigung eines ohnedies, nur mit sehr geringer Geschwindigkeit
stattfindenden Vorganges handelt.
Diese und eine Anzahl anderer Thatsachen, insbesondere die Bildung des
Äthyläthers aus Alkohol und Schwefelsäure, wobei die letztere gleichfalls
keine Veränderung erleidet, wurden dann von Mitscherlich und Berzelius
unter den Begriff der katalytischen Erscheinungen oder Berührungswirkungen
zusammengefasst. Der Wissenschaft wurde dadurch ein erheblicher Dienst
erwiesen, da die Aufmerksamkeit auf eine Reihe zusammengehöriger That-
sachen gelenkt wurde, welche der Erforschung bedurften. Der gegebene Name
hatte wie immer in solchen Fällen den Zweck und Nutzen, dass er die Auf-
gabe bestimmter hinstellte und dadurch ihre Lösung vorbereitete.
Indessen wurde durch eine von Liebig aufgestellte Hypothese dieser Gewinn
fast völlig vernichtet. Liebig nahm an, dass ein in Zersetzung oder „chemischer
Bewegung" befindlicher Stoff einen anderen, der zugegen ist und sich seiner-
seits nicht zersetzt, seine „chemische Bewegung" mitteilen und ihn zur Zer-
setzung bringen kann. Diese Ansicht beruht auf einer blossen Analogie; sie
wurde aber von den Zeitgenossen als wissenschaftlicher angesehen, als der
von Mitscherlich und Berzelius ausgeführte klassifikatorische Akt, und infolge
einer hierbei entstandenen Polemik ist noch bis auf den heutigen Tag der
Ausdruck Katalyse wissenschaftlich einigermassen anrüchig.
Der von Liebig erhobene Einwand war, dass durch die Einführung des
Begriffes der Katalyse nichts „erklärt" sei. Vergebens hat Berzelius darauf
hingewiesen, dass eine Erklärung dadurch überhaupt nicht beabsichtigt war,
sondern nur eine Zusammenfassung. Die scheinbare Erklärung durch die
Anstosshypothese hat ihrerseits keinen anderen Erfolg gehabt, als die Er-
forschung des Problems um ein halbes Jahrhundert hinauszuschieben.
Was nun die Zusammenfassung der gegenwärtig bekannten That-
sachen und Verhältnisse anlangt, so ist zunächst festzustellen, dass es
eine gi*osse Anzahl von Stoffen giebt, welche, ohne an dem Endergebnis
einer Reaktion in messbarer Weise beteiligt zu sein, ihren Verlauf in
Bezug auf die Geschwindigkeit in sehr hohem Masse beeinflussen. Die
Vorgänge, welche in solcher Weise beeinflusst werden, müssen
immer solche sein, die auch ohnedies freiwillig verlaufen
könnten; denn wäre dies nicht der Fall, so wären Verletzungen des
zweiten Hauptsatzes möglich. In dieser Beziehung werden noch jetzt
Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse. 519
häufig Irrtümer begangen, indem man z. B. den Katalysatoren des Or-
ganismus gelegentlich die Fähigkeit zuschreibt, chemische Vorgänge zu
bewirken, welche mit Vermehrung der freien Energie oder der Ai'beits-
fähigkeit verbunden sind.
Femer mnss man als eine Folgerung des zweiten Hauptsatzes den
Schluss aussprechen, dass wenn eine zu einem Gleichgewichte
führende Reaktion katalytisch beeinflusst wird, auch die ent-
gegengesetzte Reaktion einen gleichen Einfluss erfahren
muss. Streng genommen gilt dieser Satz nur für den Grenzfall, dass
man theoretisch die Einführung des Katalysators vor, und seine Ent-
fernung nach der Reaktion so ausführen kann, dass die Summe der
dazu erforderlichen, bez. dabei geleisteten Arbeiten gleich NuU ist Da
sich aber übersehen läfist, dass in den meisten Fällen diese Bedingung
mit grosser Annäherung erfüllt ist, so kann man den Satz ohne Schwierig-
keit anwenden.
Als Beispiel kann die Esterbildung aus Säuren und Alkoholen dienen,
welche durch die Gegenwart starker Mineralsäuren, wie Schwefel- oder Salz-
säure, sehr beschleunigt wird. Durch dieselben Katalysatoren wird aber auch
die Verseifung der Ester mit Wasser in gleichem Masse beschleunigt.
Der Beweis für den Satz liegt in dem Umstände, dass durch die Gegen-
wart einer kleinen Menge eines fremden Stoffes, der nicht in Verbindung
tritt, das Gleichgewicht nicht oder nur unerheblich verschoben werden kann.
Da aber das Gleichgewicht durch die Gleichheit der Geschwindigkeiten der
entgegengesetzten Reaktionen gekennzeichnet ist, so muss, wenn die eine Re-
aktion durch den Katalysator beschleunigt wird, auch die entgegengesetzte in
gleichem Verhältnis beschleunigt werden.
Der Betrag der katalytischen Beeinflussung ist in erster
Annäherung derKonzentration des Katalysators proportional.
Für diesen Satz sind in vielen Fällen Belege erbracht worden, insbe-
sondere im Falle der Inversion des Rohrzuckers durch Säuren, die der
Konzentration der vorhandenen Wasserstoffionen proportional ist. Doch
wird man diesen Satz als ein Grenzgesetz zu betrachten haben, welches
über ein gewisses Gebiet von den kleinsten Verdünnungen ab gilt, aber
früher oder später Abweichungen erkennen lassen wird.
Damit ist erschöpft, was sich allgemeines in diesem von der Wissen-
schaft lange vernachlässigten Gebiete sagen lässt. An einzelnen That-
sachen verdienen noch die folgenden angeführt zu werden.
Katalytische Wirkungen können von Stoffen aller Art ausgeübt
werden. Elemente, Verbindungen vom einfachsten bis zum verwickeltsten
Typus, feste, flüssige und gasförmige Stoffe, neutrale Stoffe und Ionen,
alle finden sich unter den Katalysatoren vertreten, so dass diese
Eigenschaft thatsächlich bei allen Arten chemischer Individuen vorzu-
kommen scheint.
Von allen Stoffen zeigt sich am häufigsten katalytisch wirksam der
Wasserstoff im lonenzustande. Die meisten Vorgänge, bei denen die
i
520 ^I* I^i^ chemische Verwandtschaft
Elemente des Wassers aufgenommen und abgeschieden werden, verlaufen
bei Gegenwart von Wasserstoffionen schneller, zum Teil sehr viel schneller,
als in neutraler Lösung. Man hat diese Wirkung der Säuren häufig, z. B.
bei der Esterbildung, in einer Bindung des entstehenden Wassers gesucht.
Da aber der entgegengesetzte Vorgang, der unter Aufnahme von
Wasser erfolgt, durch dieselben Stoffe in gleicher Weise beschleunigt
wird, so ist eine solche Erklärung hinfällig.
Ähnlich wie Wasserstoffionen wirken in manchen Fällen Hydroxyl-
ionen, die in letzter Zeit namentlich in der organischen Chemie vielfach
zu ^Kondensationen" angewendet worden sind. Insofern es sich in
solchen Fällen um Gleichgewichtszustände handelt, muss man erwarten,
dass auch umgekehrt die Spaltungen der I^odukte in gleicher Weise
durch alkalische Katalysatoren beeinflusst werden müssen.
Für OxydatioDS- und Reduktionsvorgänge zeigt sich namentlich das
metallische Platin wirksam; ebenso und zum Teil noch stärker wirken
die anderen Metalle der Platingruppe. Viele derartige Vorgänge werden
femer durch die Gegenwart der Ionen des Eisens, Mangans, Kupfers
u. s. w., femer der Ionen der Chromsäure, der Vanadinsäure, der Molybdän-
säure u. a. m. beschleunigt
Die Untersuchung dieser Vorgänge hat ergeben, dass zwei Kataly-
satoren bei gleichzeitiger Anwesenheit ihre Wirkung nicht einfach addieren;
in den bisher studierten Fällen hat sich die gemeinsame Wirkung be-
deutend grösser gezeigt, als die Summe der Teilwirkungen. Fälle mit
gegenseitiger Verminderung sind noch nicht beobachtet worden, doch
sind unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht noch sehr dürftig.
Reaktionen ähnlicher Art werden durch dieselben Stoffe oft in sehr
verschiedenem Masse katalytisch beeinflusst. Während die Geschwindigkeit
der Oxydation des Jodwasserstoffs d. h. der Jodionen mit Chlorsäure oder
Bromsäure durch Ferrosalze und Chromate ganz ungemein stark be-
schleunigt wird, sind diese Stoffe ohne merklichen Einfluss auf die ent-
sprechende Wirkung der Jodsäure ^).
Die Erscheinungen der negativen Katalyse sind nur äusserst wenig
studiert worden. Einen sehr ausgeprägten Fall bietet die Oxydation
des Natriumsulfits durch gasförmigen Sauerstoff, deren Geschwindigkeit
durch die Anwesenheit ausserordenthch kleiner Spuren organischer Ver-
bindungen, wie Alkohol, Zucker, Aldehyde u. s. w. enorm verkleinert wird.
Eine besondere Klasse von sehr wirksamen Katalysatoren bilden
die in den Organismen vorkommenden Fermente oder Enzyme. Sie
haben die aUgemeinen Eigenschaften der Eiweissstoffe und verlieren
ebenso wie diese ihre spezifischen Eigentümlichkeiten bei Temperaturen
zwischen 60 und 100®. In ihrer Wirkungsweise schliessen sie sich den
anderen Katalysatoren an; es giebt solche, die hydrolytisch und hydro-
^) Es hat den Anschein, dass Reaktionen, die an sich schnell verlaufen,
gegen positive Katalysatoren wenig empfindlich sind.
Stöchiometrische Beziehungen. 521
synthetisch wirken^ andere^ welche spezielle Oxydationen befördern, u. s. w.
Daneben zeigen sie noch eine Anzahl besonderer Wirkungen auf Vor-
gange an organischen Stoffen, wie das Gerinnen von Casein, den Zer-
fall von Zucker in Alkohol und Eohlendioxyd n. a. m., für welche an-
organische Katalysatoren noch nicht bekannt sind.
£s erscheint keinem erheblichen Zweifel unterworfen, dass die
Gesetze, nach denen diese Stoffe wirken, von denen der anorganischen
Katalysatoren nicht wesentlich verschieden sind; insbesondere ist an einem
Maltoseferment gezeigt worden, dass es ebenso diesen Zucker in Glukose
spaltet, wie konzentrierte Lösungen der letzteren in Maltose verwandelt
(HiU 1898).
Die katalytischen Erscheinungen sind von sehr grosser Wichtigkeit
nidht nur für die wissenschaftliche Chemie, sondern für die Physiologie
und die Technik. Ihre Erwähnung an dieser Stelle hat bei dem gegen-
wärtigen Stande unseres Wissens allerdings nicht die Bedeutung der
Schilderung eines vorhandenen geordneten Wissensbestandes, sondern die
eines Hinweises auf das Vorhandensein einer Lücke, deren Ausfüllung
wichtige Ergebnisse nach allen Richtungen verspridht.
Drittes Kapitel.
Stöchiometrische Beziehnngen.
Dass die Affinitätseigenschaften der Stoffe regelmässige und durch-
greifende Beziehungen zu ihrer Zusammensetzung und Konstitution zeigen,
ist ein Satz, dessen Geltung stets angenommen worden ist. Beruht doch
ein ganz wesentlicher Teil der üblichen chemischen Systematik auf dem
Vorhandensein grosser Unterschiede in den Affinitätseigenschaften, zu
deren Erkenntnis quantitative Messungen nicht erforderlich waren; die
spätere messende Forschung hat dann diese allgemeinen Grundzüge mit
der Mannigfaltigkeit exakter Zahlenbestimmungen auszufüllen.
Diese zweite Stufe der Entwickelung ist allerdings nur wenig vor-
geschritten, und insbesondere harrt das vorhandene Material noch viel-
fach der systematischen Bearbeitung und Zusammenstellung. Auch auf
den nachstehenden Seiten ist eine solche Systematik noch nicht durch-
zuftihren versucht worden, und dieses Schlusskapitel des Buches enthält
mehr einen Hinweis auf das, was in dieser Eichtung geschehen könnte
und sollte, als die Ergebnisse abgerundeter Forschungen.
Gemäss der Thatsache, dass vor allen Stoffen die Ionen chemische
Reaktionen am leichtesten und schnellsten beobachten lassen, haben sich
in der geschichtlichen Entwickelung die Affinitätsprobleme zuerst an diese
Erscheinungen geheftet. Die Verwandtschaftstafeln des vorigen Jahr-
hunderts enthielten nur die Salzreaktionen, und als im letzten Viertel
522 XI. Die chemische Verwandtschaft.
dieses Jahrhunderts die messende AfiQnitätslehre sich zu entwickeln begann^
war es wieder das Problem der Salzbiidung, welches zunächst be-
arbeitet wurde.
Neben dem Gebiete der Elektrolyte hat sich aber das der Nicht-
elektrolyte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts der wissenschaft-
lichen Forschung dargeboten. Da die Versuche, die an den ersteren
gewonnenen Anschauungen, wie sie sich im elektrochemischen System
von Berzeiius verkörperten, auf diese neue Klasse von Verbindungen zu
übertragen, scheitern mussten, so entstand zunächst der Irrtum, dass
jene Anschauungen überhaupt falsch seien, und da man die Alkohole
und Kohlenwasserstoffe nicht binär formulieren konnte, wie die Salze,
so formulierte man die SaJze unitär, wie die Kohlenwasserstoffe. Erst
in unserer Zeit ist die Erkenntnis entstanden, dass dies ebenso ein Fehler
ist, wie die Übertragung des elektrochemischen Dualismus auf die or-
ganischen Verbindungen einer war.
Für die Betrachtungen dieses Kapitels wird man also die Chemie
der Ionen von der der Nichtionen zu scheiden haben; beide zeigen
weit verschiedene Eigentümlichkeiten. Dieser Unterschied fällt einiger-
massen mit dem traditionellen zwischen anorganischer und organischer
Chemie zusammen, doch nur teilweise, und es wäre ein Irrtum, wenn
man die anorganische Chemie als die der Ionen auffassen wollte. Denn
nicht nur sind in der anorganischen Chemie zahlreiche Vorgänge vor-
handen, die nicht vom lonenstandpunkte aufgefasst werden können;
auch die organische Chemie enthält zahllose Stoffe in lonenform, und
einige sehr wichtige stöchiometiische Eigenschaften der Ionen sind an
organischem Material entdeckt und entwickelt worden.
Die Geschichte dieser Probleme beginnt mit der Aufetellung von
Verwandtschaftsreihen, d. h. mit der Bestimmung der Reihenfolge, in der
sich die Stoffe gegenseitig aus analogen Verbindungen verdrängen. Nach-
dem schon Stahl der Aufgabe diese Foma gegeben hatte, wurde sie von
Geoflfroy aufgenommen und von T. Bergmann im letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts zum Abschluss gebracht. Diese Verwandtschafts-
tafeln sollten die Grösse der Verwandtschaften der enthaltenen Stoffe
zuerst nur der Reihe nach, später sogar quantitativ ausdrücken. Dass
sie dann so schnell wieder aufgegeben wurden, als sie aufgenommen
worden waren, war eine Folge ihrer ungenügenden Voraussetzungen.
Sie beruhten auf der Ansicht, dass die Verwandtschaft nach Art einer me-
chanischen Kraft anzusehen sei. Wie eine grössere Kraft die kleinere „über-
windet", so dass sich der angegriffene Körper im Sinne der grösseren
bewegt, so sollten auch die chemischen Reaktionen ausschliessUch im
Sinne der grösseren Verwandtschaft staltfinden. Gerade diese Grundlage
wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts durch Berthollet angegriffen, und
wenn es ihm auch nicht gelang, die neu von ihm gegebenen Ansichten
von dem Einti*eten cliemischer Gleichgewichtszustände alsbald in eine
Stöchiometrische Beziehungen. 523
entwickelungsföhige Gestalt zu bringen^ so waren doch nach seinem Auf-
treten auch die Verwandtschaftstafein verschwunden.
Durch die Entdeckung der stödiiometrischen Gesetze zu Begmn
dieses Jahrhunderts und die bald darauf eintretende Entwickelung der
organischen Chemie geriet die Frage nach den Gesetzen der chemischen
Verwandtschaft ganz in den Hintergrund. Die Reaktionen der Kohlenstoff-
verbindungen erschienen so wenig als das Ergebnis grösserer oder ge-
ringerer Verwandtschaftskräfte und so sehr abhängig von der „Anordnung
der Atome ^7 dass Dumas bei seinen ersten Versuchen zur Entwickelung
der Typentheorie nur der letzteren einen Einfluss auf die Vorgänge ein-
räumen wollte. Trat der Irrtum einer solchen radikalen Ansicht auch
bald zu Tage, so blieb doch der Umstand bestehen, dass Aftinitäts-
probleme im engeren Sinne in der organischen Chemie kaum auftauchten.
Selbst als durch Bertlielot und P^n de St Gilles in der Bildung der
Ester aus Säuren und Alkoholen (1862) ein der organischen Chemie
ungehöriger Fall gefunden und studiert worden war, in welchem der
teilweise und bedingte Verlauf der Eeaktionen in der Zeit ungemein
anschaulich experimentell verfolgt werden konnte, dauerte es noch mehrere
Jahre, bevor die Wiederbelebung der Entwickelung der Bertholletschen
Theorie durch Guldberg und Waage (1867) die Grundlegung einer
fiysteraatischen Afßnitätslehre ermöglichte.
Der erste, welcher dann in dieser Richtung vorging, war J. Tliomsen
(1868), dessen therm ochemische Messungen die Verwandtschaftsverhältnisse
zwischen Säuren und Basen zum Gegenstande hatten. Der wesentlichste
Punkt dieser Arbeiten war ausser dem Nachweis der Gültigkeit des
Massenwirkungsgesetzes die Entdeckung, dass die aus den Gleichgewichten
sich ergebenden Aftinitätsgrössen der Säuren sich ganz unabhängig
von ihren Neutralisations wärmen zeigten. Dadurch wurde der Irrtum,
dass beide Grössen einander proportional seien, endgültig beseitigt.
Die sich an Thomsens Forschungen anschliessenden Arbeiten von
Ostwald (seit 1877) ergaben, dass sich die verschiedenartigsten Reaktionen
der Säuren einander proportional zeigten, so dass sich ftir diese Stoffe,
denen sich bald die Basen anschliessen Hessen, spezifische Affinitäts-
koeffizienten aufistellen lassen, die sich zwar mit der Konzentration
und der Temperatur ändern, von der Natur der Reaktion aber unab-
hängig sind.
Die Theorie der freien Ionen von Arrhenius liess diese spezifischen
Koeffizienten als durch die Konzentration der vorhandenen freien Wasser-
stoff-, bez. Hydroxylionen bestimmt erkennen, und die Gleichgewichts-
erscheinungen der Elektrolyte wurden auf die Dissociationskoeffizienten
der beteiligten Stoffe zurückgeführt (S. 403).
Somit ist das Affinitätsproblem ftir die homogenen Gleichgewichte
der Elektrolyte im wesentlichen gelöst, wenn diese Koeffizienten bekannt
sind. Die Forschung hat in dieser Beziehung hauptsächlich das Gebiet
524 XI. Die chemische Verwandtschaft.
der wässerigen Lösungen bearbeitet; andere Lösungsmittel haben noch
nicht überwundene Schwierigkeiten ergeben.
Wie S. 403 angegeben^ ergiebt sich der Dissodationskoeffizient k
a*
aus der Formel ; — = k, wo a der Bruchteil des dissociierten
(1— a)v
Stoffes und v das Volum ist.
Die Formel enthält eine einzige Konstante k, welche von der Natur
des Stoffes bestimmt wird, und diese Konstante ist das gesuchte
Mass der chemischen Verwandtschaft.
Um die Bedeutung dieser Konstanten zu erfassen, denken wir uns.
den Stoff zur Hälfte dissociiert. Wird demgemäss a = 0»5 gesetzt^
so wird
— =kv; 2k= — .
2 ' V
Es ist somit 2 k gleich dem reziproken Wert des Volums oder gleich
der Konzentration, bei welchem der Elektrolyt gerade zur Hälfte disso-
ciiert ist.
Das einfachste und genaueste Hilfsmittel, die Konstante k zu be-
stimmen, ist die Messung der elektrischen Leitfähigkeit. Es ist bereits
gezeigt worden (S. 390), dass der Dissociationsgrad a sich als das Ver-
hältnis zwischen der entsprechenden molekularen Leitfähigkeit [i und dem
Grenzwert derselben ^^^ bei unendlicher Verdünnung ergiebt.
Die stöchiometrischen Beziehungen der Konstanten k treten be-
sonders deutlich an organischen Säuren hervor (Ostwald 1889) und
sollen hier in einigen typischen Fällen erörtert werden. Dabei wird statt
a«
der aus der Formel -- = k sich ergebenden Konstante, welche
(1 — a)v
unbequem kleine Werte hat, die 100 mal grössere Zahl K = 100 k be-
nutzt werden. Sämtliche Zahlen sind bei 25® mittels der Methode der
elektrischen Leitfähigkeit bestimmt worden.
Die Konstanten der Fettsäuren wurden wie folgt gefunden:
K
Ameisensäure HCO^H 0-0214
Esssigsäure OH^CO^H 0-00180
Propionsäure C^H^CO^H 0-00134
Buttersäure C^H'^CO^H 0-00149
Isobuttersäure C^H'CO^H 000144
Isovaleriansäure C^H^CO^H 0-00161
Capronsäure C^Hi^CO-H 0-00145
Die Werte für die drei ersten Glieder der Fettsäurereihe nehmen stetig ab;
der Eintritt von CH^ für Wasserstoff erniedrigt also die Reaktionsfähig-
keit der Säuren. Vom dritten Gliede ab schwanken die folgenden Werte
unregelmässig um kleine Beträge auf und ab. Die weit vom Carboxyl
entfernt erfolgenden Substitutionen von Wasserstoff durch Methyl haben
Stöchiometrische Beziehungen. 525
keinen merklichen Einfluss mehr auf dasselbe, und es machen sich andere
Wirkungen geltend^ die sich zunächst unserer Erkenntnis entziehen.
Bemerkenswert ist, dass die Isomeren Buttersäure und Isobutter-
säure einander sehr nahe gleich sind. Der Fall ist nicht häufig, indem
meist isomere Verbindungen sehr verschiedene Konstanten haben.
Führt man in die Essigsäure an Stelle des Wasserstofis Chlor ein,
so wird die Eonstante bedeutend eriiöht.
Essigsäure 0-00180
Monochloressigsäure 0-155
Dichloressigsäure 5-14
Trichloressigsäure 121
Man kann zunächst fragen, in welcher Weise die Einflttsse von Ver-
änderungen des Komplexes auf das Verhalten des Carboxyls und so-
mit auf die Konstante erfolgen, ob letztere für gleiche Änderungen um
gleiche Werte oder in gleichem Verhältnis zunimmt. Ein Blick
auf die vorstehenden Zahlen lehrt, dass nur die letzte Möglichkeit vor-
handen ist Denn die Differenzen der aufeinanderfolgenden Zahlen be-
tragen 0-153, 4-99 und 116, die Verhältnisse dagegen 86, 33-2 und
23-5. Dass die letzteren Zahlen nicht gleich sind, ist wohl so zu deuten,
dass die drei in Betracht gezogenen Änderungen nicht gleich sind, denn
im ersten Fall tritt Chlor in eine Verbindung, in welcher noch kein
Chlor vorhanden ist, wälirend im zweiten Falle die Substitution in
der Gruppe CH^Cl, im dritten in der Gruppe CHCP erfolgt. Die
drei Änderungen sind in der That nicht gleich, sondern nur ähnlich, und
dementsprechend sind die drei Verhältniszahlen nicht gleich, sondern nur
von gleicher Ordnung.
Der Einfluss des eintretenden Chlors auf die sauren Eigenschaften
der Essigsäure ist ein sehr erheblicher; es müssen dem Chlor also be-
deutende ^ sauermachende ^ Eigenschaften zugeschrieben werden. Auf
welche Weise eine derartige Wirkung zu stände kommt, lässt sich gegen-
wärtig kaum noch hypothetisch angeben. Berzelius nahm an, dass die
Atome des Chlors mit einem ziemlich grossen Überschuss negativer
Elektrizität beladen seien und daher eine starke Anziehung auf positiv
geladene Stoffe, wie Metalle, ausüben. Mit unseren gegenwärtigen Kennt-
nissen über das Verhalten der Elektrizität lässt sich diese Hypothese
nicht in Einklang bringen, doch ist noch die Bezeichnung der Elemente
als positive und negative, je nachdem sich vorwiegend basische oder saure
Verbindungen bilden, herrschend geblieben. Sachgemässer sind die Be-
zeichnungen positivierend und negativierend.
Benutzt man statt des Chlors andere negativierende Substituenten,
so erhält man gleichfalls Verstärkungen in der Wirkung der Essigsäure.
Monobromessigsäure CH«BrCO*H 0-138
Cyanessigsäure CH«(CN)CO«H 0-370
Rhodanessigsäure CH»(SCN)CO«H 0-265
526 XI- 1^16 chemische Verwandtschaft. '
Carbaminthioglykolsäure CH«(SC0NH2)C0«H 00246
Thioglykolsäure CH«(SH)CO«H 0-0225
Glykolsäure CH«(OH)CO«H 0-0152
Die Konstante der Monobromessigsäure, 0-138, ist von der der Mono-
chloressigsäure, 0-155, wenig verschieden, wie sich auch Chlorwasserstoff
und Bromwasserstoff als tibereinstimmend erweisen. Dagegen ist die
Konstante der Gyanessigsäure bedeutend grösser; Cyan ist demgemäss
ein viel „negativerer" Substituent, als Chlor und Brom. Trotzdem ist
Cyanwasserstoff eine so schwache Säure, dass sie den Namen einer
solchen kaum verdient. Dieser Umstand ftlhrt zu dem Schlüsse, dass die
Cyanwasserstoflsäure nicht den Halogenwasserstoflsäuren vergleichbar ist,
sondern wahrscheinlich als eine Imidverbindung aufgefasst werden muss.
Die Einführung von Ehodan bedingt gleichfalls eine viel stärkere
Wirkung als die des. Chlors, doch steht die Konstante hinter der der
Cyanessigsäure zurück. Auch ist Rhodanwasserstoff eine echte Wasser-
stoffsäure und an Stärke der Salzsäure völlig vergleichbar.
Sehr bemerkenswert ist die ungemeine Schwächung, welche diese Säure
erleidet, wenn sie unter Aufnahme der Elemente des Wassers» in die Carba-
minthioglykolsäure, eine Essigsäure, in welcher ein Wasserstoffatom durch den
Rest der Thiocarbaminsäure ersetzt ist, übergeht. Die Konstante vermindert
sich auf weniger als ein Zehntel ihres Wertes. Die Ursache davon ist sehr
wahrscheinlich in der Bethätigung der positivierenden Eigenschaften der ent-
standenen Amidgruppe NH* zu suchen.
Der Ersatz von Wasserstoff der Essigsäure durch Hydroxyl er-
giebt gleichfalls eine Verstärkung der Säm'e; die Konstante der Glykol-
säure ist etwa 8 mal grösser, als die der Essigsäure. Der Schwefel-
wasserstoflrest, SH, an derselben Stelle bedingt eine grössere Wirkung,
ebenso wie Schwefelwasserstoff eine stärkere Säure ist als Wasser.
Wird noch ein weiteres Hydroxyl in die Essigsäure eingeführt, so
entsteht die Gly Oxalsäure:
Glyoxalsäure CH(0H)2C00H 0-0474.
Das Verhältnis zwischen Essigsäure und Glykolsäure ist 1:8, das zwi-
schen dieser und der Glyoxalsäure 1:3. Die zweite Substitution des
Hydroxyls hat also eine geringere Wirkung hervorgebracht, als die erste.
Dies Ergebnis stellt sich ganz dem an den gechlorten Essigsäuren er-
haltenen an die Seite; dort betrugen die beiden Verhältniszahlen 1 : 86
und 1 : 33; sie stehen also in derselben Beziehung zu einander, wie die
an den Oxyessigsäuren beobachteten.
Mit der Thioglykolsäure kann die Thiacetsäure verglichen werden.
Die Konstante ist:
Thiacetsäure CH^.COSH 0-0469.
Thioglykolsäure hat 0-0225, die Zahl der Thiacetsäure ist somit doppelt
so hoch. Die Ursache liegt in der viel unmittelbareren Beziehung zwi-
schen dem eingetretenen „negativen" Schwefelatom und dem Säure-
Stöchiometrische Beziehungen. 527
Wasserstoff, welche in der Thiacetsäure vorhanden ist, und welche die
Wirkung des Schwefels demgemäss viel kräftiger Zustandekommen* lässt.
Ähnliche Verhältnisse, wie die hydroxylierten Elssigsäuren, zeigen
die hydroxylierten Propionsäuren. Es giebt deren zwei mit verschiedener
Stellung des Hydroxyls; ihre Konstanten sind:
Propionsäure CH».CH«.CO*H 000134
Milchsäure CH».CH(OH)CO*H 00138
f^-Oxypropionsäure CH*OH.CH«.CO«H 0003 1 1
Während das in der «-Stellung eingetretene Hydroxyl die Konstante der
Propionsäure auf den zehnfachen Wert erhoben hat, wirkt derselbe Sub-
stituent von der j9-Stelle aus nur mit dem Faktor 2-3. Es ist dies eine
sehr anschauliche Bestätigung des allgemeinen Satzes, dass die Wirkung
der einzelnen Elemente auf die Aflßnitätseigenschaften nicht nur von ihrer
Natur, sondern in massgebender Weise von ihrer „Stellung'^ oder Kon-
stitution abhängt.
Wird in die Milchsäure ein j3-Hydroxyl eingeftihrt, so entsteht die
Glycerinsäure
Glycerinsäure CH«(OH).CH(OH)CO»H 00228.
Das Verhältnis der Konstanten zur Milchsäure ist 1*7, während das
zwischen Propion- und ß-Oxj'propionsäure 2-3 beträgt. Die Änderung
ist in beiden Fällen von gleicher Grössenordnung, aber kleiner in dem
Falle, wo bereits der Substituent einmal vorhanden war. Es ist dies
dieselbe Beziehung, welche bei der gechlorten und hydroxylierten Esi^g-
säure beobachtet wurde.
Em ähnlicher Einfluss der Entfernung des Substituenten lässt sich
bei der Lävulinsäure erkennen.
Lävulinsäure GH8.C0.CH«.CH«.C00H 000255.
Die Säure steht, abgesehen von der Stellung der CG-Gruppe, zu der
Valeriansäure in demselben Verhältnis, wie die Glyoxalsäure zur Essig-
säure. Doch ist sie nur um 1-5 mal stärker als diese, während die
Essigsäure beim Übergang in Glyoxalsäure die Konstante im Verhältnis
1 : 26 erhöht. Der enorme Unterschied ist allein der entfernten Lage dea
Sauerstoffatoms (oder der äquivalenten beiden OH-Gnippen) in der
Lävulinsäure zuzuschreiben.
Weitere Beispiele für diesen Einfluss der Lage bieten folgende Stoffe.
j9- Jodpropionsäure CHy.CH'.CG^H 00090
Trichlormilchsäure CC1».CH0H.C0«H 0465
Trichlorbuttersäure CH^.CHCl.CCl^.CG^H 10
Mononiü-ocapronsäure CH».CH(N02).C(CH»)*.C0«H 0-0123
Dinitrocapronsäure CH3.C(NG2)^C(CH»)^C02H 0-0694
Die Konstante der a-Jodpropionsäure ist nicht bekannt, doch lässt sie sich
mit einiger Sicherheit annähernd gleich 0-12 schätzen. Die der |3-Jod-
propionsäure ist 1 3 mal kleiner. Der grosse Einfluss der Stellung macht
sich um so deutlicher geltend, je stärker die Substituenten selbst wirken»
528 XI- I^ie chemische Verwandtschaft.
Noch erheblicher gestalten sich die Unterachiede bei der Trichlor-
milchsänre. Milchsäure hat die Eonstante 0-0138; die drei Chloratome
haben dieselbe etwa auf den 34 fachen Wert gesteigert Die Essigsäure
dagegen zeigt beim Übergange in die Trichloressigsäure eine Steigerung
von 0-0018 auf 121, also wie 1 : 67000; da« Verhältnis ist somit nicht
weniger als 2000 mal grösser.
Die Mononitrocapronsäure mit der Konstante 0-0123 leitet 8-5 mal
besser, als ihre Muttersubstanz; es kann somit keine a -Verbindung sein.
Denn die Nitrogruppe erweist sich weit stärker negativierend als Chlor,
und Chlor in der «-Stelle bedingt eine Erhöhung der Konstanten auf
etwa den 80 fachen Wert. Hingegen entspricht die Zahl ganz gut der
Annahme, dass die Nitrogruppe in der /^-Stellung steht, welche Annahme
auf Grund der chemischen Verhältnisse für den Stoff gemacht worden
ist. Die zweite Nitrogruppe bedingt eine Zunahme der Konstanten auf
den 5-6 fachen Wert der Monoverbindung. Der Faktor ist für die zweite
Nitrogruppe kleiner, als für die erste, waa den früheren Erfahrungen
vollkommen entspricht.
In noch viel mannigfaltigerer Weise, als bei den Abkömmlingen der
Fettsäuren, lässt sich der Einfluss wechsehider Stellung bei der Substitu-
tion an den Derivaten der Benzoesäure verfolgen. Es sind folgende
Konstanten beobachtet worden:
Benzoesäure C*^H5C0*H 0-0060
o-Oxybenzoesäure C**H*(OH)CO«H 0-102
m-Oxybenzoesäure C^H*(OH)CO*H 0-0087
p-Oxybenzoesäure C ^ H* (0 H) C 0 ^ H 0-0028 6
Benzoesäure selbst ist stärker als die höheren Fettsäuren, auch als Essig-
säure; auch ist Phenyl negativer als Methyl, denn Phenylalkokol oder
Phenol hat den Charakter einer schwachen Säure, was bei Methylalkohol
nicht der Fall ist. Das eintretende Hydroxyl übt, je nachdem es in die
Ortho-, Meta- oder Para-Stellung tritt, ungemein verschiedene Wirkungen aus.
In der o-Stellung beträgt der Einfluss am meisten; die Konstante erschdnt
auf den 1 7 fachen Wert gesteigert. In der m-Stelle beträgt die Änderung
nur das 1-4 fache, und in der p-Stelle bedingt der Eintritt des Hydroxyls
sogar eine Schwächung der Säure, eine Verminderung der Konstante
auf etwas weniger als die Hälfte.
Aus den Einflüssen, welche das Hydroxyl an jedem der drei Orte
des Benzols ausübt, lassen sich nun mit ziemlich grosser Annäherung
die Konstanten aller übrigen mehrfach hydroxylierten Benzoesäuren
schätzen. Die Messungen haben folgende Zahlen ergeben, wobei be-
merkt werden soll, dass die Stellung der Hydroxyle vom Carboxyl ab
gezählt werden soll; dieses ist mit 1 bezeichnet.
Oxysalicylsäure C«H3(OH)«CO«H(2, 3) 0-114
Oxysalicylsäure C«H3(OH)«C02H(2, 5) 0-108
a-Resorcylsäure C6H8(OH)«CO«H(2, 6) 50
Stöchiometrische Beziehungen. 529
jS-Resorcylsäure C«H«(OH)2C02H(2, 4) 0052
Protokatechusäure CßH3(OH)2CO«H(3, 4) 0-0033
symm. Dioxybenzoesäure C^B.^(OliyCO^Rls, 5) 0-0091
Gallussäure C«H«(OH)3C02H(3, 4, 5) 0-0040
PyrogaUolcarbonsäure C«H»(OH)8CO*H(2, 3, 4) 0055
Phloroglucincarbonsäure C«H«(OH)3C02H(2, 4, 6) 22
Die gleichzeitige Wirkung mehrerer Substituenten zeigte sich nach
den bisherigen Erfahrungen meist in dem Sinne ^ dass jeder Substituent
einen von seiner Natur und Stellung abhängigen Faktor zu der Säure-
konstante beitrug. Der Faktor war einigermassen^ aber nicht ganz
unabhängig von dem, was bereits in der Molekel vorhanden war; bis-
her zeigte sich stets eine Abweichung in dem Sinne , dass der zweite,
übereinstimmend eintretende Substituent etwas geringer wirkte, als
der erste.
Nach diesem Satz haben wu- zu erwarten, dass die Oxysalicylsäure
2, 3 etwas stärker sein muss, als die Salicylsäure, weil das hinzuge-
tretene m-Hydroxyl die Konstante etwas vergrössert (S. 528). Salicyl-
säure hat 0-102, Oxysalicylsäure 0-114, die Erwartung findet sich so-
mit bestätigt.
Auch in der anderen Oxysalicylsäure 2, 5 hat das hinzugetretene
Hydroxyl die m-Stelle eingenommen; beide Stoffe enthalten somit beide
Hydroxyle in gleicher Entfernung vom Carboxyl. Trotzdem sind sie
etwas verschieden. Zwar ist die 2, 5 -Säure, der Erwartung gemäss,
gleichfalls etwas stärker, als Salicylsäure, sie ist es aber in geringerem
Masse, als die 2, 3-Säure. Dies ist ein Beweis, dass die Wü-kungen der
einzelnen Substituenten zwar in geringerem, aber doch immerhin merk-
lichem Mass voneinander abhängig sind.
Schreibt man beide Säuren in dem üblichen sechseckigen Benzol-
schema, so zeigt sich, der Erfahrung entsprediend, die Stellung 2, 3
günstiger zum Zusammenwirken, als die Stellung 2, 5.
Die j5f-Resorcylsäure 2, 4 ist aus der Salicylsäure durch Eintritt
eines Hydroxyls in der p- Stelle entstanden; sie muss daher nur etwa
halb so stark sein, wie jene. Ihre Konstante 0-052 ist in der That
gegen die der Salicylsäure 0-102 auf die Hälfte vermindert.
In der a-Resorcylsäure befinden sich zwei Hydroxyle in der Ortho-
stellung. Das erste o- Hydroxyl bewirkt in der Benzoesäure eine Er-
höhung der Konstanten auf den 17 fachen Wert; das zweite, wie aiis
den Zahlen hervorgeht, eine auf den 49 fachen Wert. Hier zeigt sich
ein Gegensatz zu den früher (S. 525) beobachteten Verhältnissen, nach
denen der zweite von zwei gleichen Substituenten schwächer wirkt, als
der erste. Indessen steht die neue Erscheinung nicht vereinzelt da, wie
aus dem folgenden Beispiel hervorgeht:
Gallussäure C«H2(OH)8CO«H 0-0040
Monobromgallussäui-e C « H Br (0 H) » C 0 « H 0-059
Dibromgallussäure C«Br2(OH)8C02H 1-21
Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 34
530 X^> 1^16 chemische Verwandtschaft.
Die Bromatome der gebromten Galliissäuren befinden sich, da die drei
Hydroxyle die Stellen 3, 4, 5 einnehmen, beide in der Orthosteilung.
Das erste Bromatom bewirkt eine Verstärkung um das 15 fache, das
zweite um mehr als das 20 fache. Es wirkt also auch in diesem Falle
der zu zweit einti^etende Substituent stärker, als der zuerst eintretende.
Hieraus geht zunächst hervor, daas die Orthostelle im Benzolkem ganz
andere Wirkungen bedingt, als die a- Stellung in den geraden Ketten.
Eine anschauliche räumliche Erklärung dieser besonderen Verhältnisse
liegt ziemlich nahe, doch soll vou ihrer Auseinandersetzung hier abge-
sehen werden.
Die Protokatechusäure, welche ein Hydroxyl in der Meta- und
eines in der Parastellung enthält, muss wegen des letzteren etwa halb
so stark, als die m-Oxybenzoesäure sein. Auch diese Erwartung findet
sich bestätigt.
Die symmetrische Dioxybenzoesäure besitzt zwei Meta- Hydroxyle
und hat demgemäss die Konstante 0*0091, welche etwas die der m-Oxy-
benzoesäure übertrifft Es entsprechen somit sämtliche zweifach hy^-
oxylierten Benzoesäuren dem Gesetz, dass die Affinitätskonstanten mehr-
fach substituierter Säuren angenähert als Produkte der den einzelnen
Substituenten zukommenden Faktoren erscheinen.
Auch i^r die bisher bekannten Trioxybenzoesäuren lassen sich die
beobachteten Konstanten mit grosser Annäherung vorausberechnen. So
ist die Gallussäure das p-Oxyderivat der symmetrischen Dioxybenzoe-
säure; ihre Konstante muss etwa halb so gross sein, wie die der letzteren.
Die beiden Zahlen sind 0*0091 und 0*0040. Die Pyrogallolcarbonsäure
ist die p-Oxy Verbindung der Oxysalicylsäure; die Konstanten sind 0-055
und 0-114, stehen also wieder in dem erwarteten Verhältnis 1:2.
Phlorogludncarbonsäure endlich ist die p-Oxyverbindung der jS-Resorcyl-
säure; beide Konstanten sind 2*2 und 5-0, der Erwartung gemäss.
Sämtüche Beziehungen treffen mit solcher Sicherheit zu, dass auch für
die drei noch nicht bekannten Trioxybenzoesäuren die Konstanten vor-
ausbestimmt werden können, so dass, wenn sie einmal hergestellt sein
werden, eine Messung der elektrischen Leitföhigkeit genügt, um über
ihre Konstitution zu entscheiden.
Ähnlich wie das Hydroxyl verhalten sich die anderen Substituenten
der Benzoesäure.
o-Chlorbenzoesäure C^H^OICO^H 0-132
m-Chlorbenzoesäure C ^ H * Cl-C 0 ^H 0-0155
p-Chlorbenzoesäure 0«H*C1C0»H 0-0093
o-Brombenzoesäm-e C^H^Br-CO^H 0-145
m-Brombenzoesäure C^H^BrCO^H 00137
m-Fluorbenzoesäure C ^ H * Fl-C 0 ^H 0-0136
m-Cyanbenzoesäure CßH*CN*C0*H 0*0199
o-Nitrobenzoesäure C^ H**(N0 ^C 0 «H 0*6 1 6
m-Nitrobenzoesäure C6H*(NO^C02H 0*0345
Stöchiometrische Beziehungen. 531
p-Nitrobenzoesäuie C«H*(NO*)CO*H 0*0396
o-Nitrosaücylsäure (1,2,3) C6H3(OH)(NO«)C02H 1-57
p-Nitrosalicylßäure (1,2,5) C«H»(OH)(NO*)CO*H 089
Bromiiitrobenzoe8äure(l,2,6) C^H»Br(N02)C0«H 14
Die Zahlen geben wieder zu einer Anzahl von Bemerkungen Anlass.
Das Chlor wirkt, wie man sieht, als Substituent im Benzol ganz anders
als das Hydroxyl. Während o-Chlorbenzoesäure nur wenig stärker ist
als Salicylsäure, sind m- und p-Chlorbenzoesäure den entsprechenden Oxy-
verbindungen bedeutend überlegen. Auch wirkt das Chlor von allen drei Stellen
aus verstärkend. Brom verhält sich ziemlich ähnlich wie Chlor, nur ist
die Orthoverbindung etwas stärker, die m-Verbindung deutlich schwächer
als beim Chlor. Die m - Fluorbenzoesäure schliesst sich der ent-
sprechenden Bromverbindung völlig an, ein Ergebnis, das unerwartet war,
weil Fluorwasserstoff eine weit schwächere Säure ist, als Chlorwasserstoff.
Cyan zeigt dagegen auch im Benzol seinen stark negativierenden Charakter,
der den des Chlors übertiiflft; ebenso wie die Cyan essigsaure erhebüch
stärker ist, als die Chloressigsäure, übertriflft die m-Cyanbenzoesäure die
entsprechende Chlorverbindung.
Dem Cyan zeigt sich indessen die Nitrogruppe an säurebildender
Fähigkeit noch tiberlegen. In der Orthoverbindung ist die Konstante
der Benzoesäure auf mehr als den hundertfachen Wert gesteigert, die
Metasäure weist den 5-7 fachen, die Parasäure den 6*6 fachen Wert auf.
Hier macht sich zudem eine weitere Abweichung von der Analogie
geltend, indem die p-Nitrobenzoesäure etwas stärker erscheint, als die
Metaverbindung, während sonst stets das Gegenteil beobachtet wurde.
Dieser Umstand zeigt, dass man den „Benzolkem" nicht als ein starres
Gebilde auffassen darf.
Die beiden Nitrosalicylsäuren enthalten die Nitrogruppe in der Meta-
stellung zum Carboxyl. Sie sind beide erheblich stärker, als ihre Mutter-
substanz; der Faktor ist aber beide Male grösser, als das Verhältnis
zwischen Benzoesäure und m-Nitrobenzoesäure. Ähnliche Erscheinungen
haben schon früher (S. 530) Erwähnung gefunden.
Die Bromnitrobenzoesäure enthält endlich Nitrjl in der Ortho- und
Brom in der Metastellung. Letzteres bedingt, gemäss den Zahlen für
Benzoe- und m-Brombenzoesäure, eine Vergrösserung der Konstanten um
etwas mehr als das Doppelte. Da o-Nitrobenzoesäure 0-62 hat, so ist
fiir die vorliegende Substanz 1-3 bis 1-4 zu erwarten, wie die Messung
auch thatsächlich ergeben hat.
Bisher sind fast ausschliesslich solche Verbindungen behandelt worden,
welche negativierende oder die sauren Eigenschaften steigernde Sub-
stituenten enthalten. Im Methyl haben wir (S. 524) eine Atomgruppe
kennen gelernt, welche unter Umständen (z. B. beim Übergang von
Ameisen- zu Essigsäure) die Konstante heruntersetzt. Doch ist dies
keineswegs immer der Fall. Beim Einführen von Methyl für den
34*
532 XL Die chemische Verwandtschaft.
Hydroxylwasseretoff der Glykolsäure wird im Gegensatz dazu die Kon-
stante gi'össer. Schwächer als das Methyl wirkt Äthyl.
Glykolsäure CH^OHCO^H 00152
Methylglykoisäure CH^OCH^-CO^H 0-0335
Äthylglykolsäure CH «0 C «H ^ C 0 - H 0.0234.
Da schon früher das Phenyl als dem Methyl in Bezug auf seine
säurebildende Fähigkeit überlegen erkannt wurde, so kann es nicht
Wunder nehmen, dass die Phenylglykolsäure, K = 0-076, der Glykol-
säure stark tiberlegen ist.
Deutlich die sauren Eigenschaften abschwächende Eigenschaften hat
die Amidgruppe, NH^. Führt man sie in die Benzoesäure ein, so hat
man folgende Reihe:
Benzoesäure C^H^CO^H 0-0060
o-Amidobenzoesäure C^H^NH^-CO'H 0-0009 (ungef.)
p-Amidobenzoesäure C«H*NH«.CO*H 0.0010 (ungef.)
m-Amidobenzoesäure C^H^NH^-CO^H 0-0012.
Die Konstanten der Amidobenzoesäure lassen sich wegen experimenteUer
Schwierigkeiten nicht genau bestimmen; sie sind erheblich kleiner, als
die Konstante der Benzoesäure.
Wird in das Amid eine Acetylgruppe eingefühi^t, so werden die
basischen Eigenschaften des Amids nicht nur kompensiert, sondern über-
kompensiert; die Konstanten der o- und p-Acetamidobenzoesäure über-
treffen die der Benzoesäure. Bei der p-Verbindung bewirkt das schwach
negative Radikal eine Verminderung, ganz ähnlich wie beim Eintritt von
Hydroxyl (S. 528).
o-A cetamidobenzoesäure C ^ H * (NHCOCH s) CO « H 0-0236
m-Acetamidobenzoesäure C^H^NHCOCH») CO»H 0-0085
p-Acetamidobenzoesäure C^H^CNHOOCH») CO^H 00052.
Benzoesäure hat 0-0060.
Die vorstehenden Beispiele werden gentigen, um die Beschaffenheit
der Ergebnisse zu zeigen, welche sich durch die Messung der elektro-
lytischen Dissociationskonstanten K gewinnen lassen; für eine vollständige
Aufzählung der nach dieser Richtung bereits erlangten Resultate ist hier
nicht der Ort.
Wenden wir uns von diesem speziellen Gebiete zu allgemeineren
Fragen, so müssen wir den Boden quantitativer Kenntnisse verlassen.
Man kann versuchen, auf die Elemente zurückzugehen, und deren Be-
ziehungen zu den aus ihnen entstehenden Ionen zum Gegenstande der
Untersuchung machen. Es ergiebt sich dabei die Fragestellung nadb der
Tendenz zur lonenbildung, oder, um ein Bild zu brauchen, nach der
Verwandtschaft der elementaren Stoffe zur Elektrizität. Wenn auch hier
keine Zahlen beigebracht werden können, so sind doch so grosse Unter-
schiede vorhanden, dass systematische Zusammenhänge leicht zu er-
kennen sind.
Stöchiometrische Beziehungen. 533
In den natürlichen Familien, wie sie dnrdi das periodische System
der Elemente gegeben sind, besteht eine dentliehe Abstufung der Fähig-
keit, Ionen zu bilden; gleichzeitig ist die Wertigkeit der entstehenden
Ionen von der Reihe abhängig, in der sidi das Element befindet. Be-
trachten wir auf Seite 45 die Reihe I, so bilden die Elemente der
Alkaligruppe sämtlich einwertige Kationen, welche sehr viel beständiger
sind, als die neutralen Elemente; ihre widitigsten Reaktionen bestehen
daher in ihrem Übergange in den lonenzustand oder den nahestehenden
des festen Salzes. Die Elemente der Nebenreihe Cu, Ag, Au zeigen ihre
geringe Verwandtsdiaft mit denen der Hauptreihe durch ihre viel ge-
ringere Tendenz, die der Reihe der wachsenden Verbindungsgewichte
schnell abnimmt. Hiermit ist teilweise die Fähigkeit zur Bildung kom-
plexer Ionen verbunden, die dort auftritt, wo die Tendenz zur Bildung
elementarer Ionen kleiner wird.
In der Reihe II sind die Elemente enthalten, welche zweiwertige
Kationen bilden. Auch hier ist die Tendenz in der Hauptreihe der Erd-
alkalimetalle sehr gross, in der Nebenreihe der Schwermetalle geringer.
Bei dem höchsten Gliede, dem Quecksilber, tritt wieder die Neigung
zur Bildung komplexer Ionen auf.
Ähnliche Verhältnisse finden sich in der dritten Reihe wieder, nur
dafls die Tendenz zur lonenbildung geringer geworden ist. Sie wächst
mit steigendem Verbindungsgewicht bei den Elementen der Hauptreihe,
nimmt aber bei denen der Nebenreihe eher ab. Die höchsten Glieder
zeigen wieder die Fähigkeit, Ionen von verschiedener Wertigkeit zu bilden.
Die gleiche Eigentümlichkeit, dass die Elemente mit kleinstem Ver-
bindungsgewicht die geringste Tendenz zur Bildung elementarer Ionen
haben, ist in der vierten Reihe sehr ausgeprägt, da die niederen Glieder
überhaupt derartige Ionen nicht mehr bilden und nur das höchste Glied,
das Thorium, beständige Salze giebt. Auch verschwindet hier der Gegen-
satz zwischen Haupt- und Nebenreihe, in dem auch in letzterer die
Bildung der Ionen durch die Steigerung des Verbindungsgewichtes be-
günstigt wird.
Als völlig ausgebildete Eigenschaft zeigt sich dagegen bei diesen
Elementen die schon in der vorigen Reihe an den ersten Gliedern aufge-
tretene Fähigkeit, in Verbindung mit Sauerstoff zusammengesetzte Anionen
zu bilden. Gleichzeitig entwickelt sich die Verschiedenwertigkeit der Ionen
noch mehr.
Bei den Elementen der ftinften Reihe treten schon die ersten Spuren
der Fähigkeit auf, elementare Anionen zu bilden, zunächst in der Bildung
salzartiger Verbindungen, in denen diese Elemente den sauren Teil dar-
stellen. Da diese Verbindungen entweder nicht im Wasser löslich sind,
oder durch dieses zersetzt werden, so kommt es allerdings meist nicht
zur Bildung von Ionen in wässeriger Lösung; wohl aber mögen solche
in Schmelzgemischen vorhanden sein. Die sauerstoffhaltigen Anionen
spielen eine grosse Rolle, dagegen ist die Bildung elementarer Kationen
534 ^^* ^^^ chemische Verwandtschaft.
auf die höchsten Glieder beschränkt; sie treten dort dreiwertig auf. Eine
Besonderheit bildet femer das erste Erscheinen sauerstoffhaltiger Kationen
vom Typus der Vanadyls, VdO.
In der sedisten Reihe sind bereits elementare zweiwertige Anionen
unzweifelhaft. Die Bildung sauei-stoffhaltiger Anionen ist typisch ent-
wickelt; Kationen, und zwar elementare wie sauerstoffhaltige^ treten in
den höchsten Gliedern auf.
Die siebente Reihe enthält die t}^ischen anionenblldenden Elemente,
die Halogene. Sie bilden mit Ausnahme des ersten auch sauerstoffhaltige
Anionen; von der Fähigkeit, sauerstoffhaltige Kationen zu bilden, sind
beim liöchsten Gliede, dem Jod, unzweifelhafte Anzeichen vorhanden.
Die Elemente der Aussengruppen des Eisens und Platins zeichnen
sich endlich ausser durch die Fähigkeit, mit sehr verschiedenen Wertig-
keiten aufzutreten, auch noch durch eine ausgeprägte Tendenz aus,
komplexe Ionen zu bilden.
Diese Andeutungen einer lonensystematik der chemischen Elemente
lassen sich sehr erweitem. Hierzu sind in jüngster Zeit hofl&iungsvolle
Ansätze gemacht worden (Abegg und ßodländer 1899).
Wenden wir uns von den Ionen zu den Nichtelektrolyten der
organischen Chemie, so ist schon bemerkt worden, dass ein grosser Teil
der Systematik dieses Gebietes auf Schätzungen der Affinitätseigen-
schaften beraht. Konstitutive Unterschiede, wie die Bezeichnung des
Sauerstoffs als Hydroxyl-, Keton-, Aldehyd-, Äthersauerstoff sind auf
Gmnd von Umsetzungs- und Gleichgewichtsbeobachtungen gemacht worden.
Auch sind hier beachtenswerte Anlange zum messenden Eindringen vor-
handen. Über die Bildung der Ester aus organischen Säuren und Alko-
holen hegen von Menschutkin (1879 u. ff.) zahlreiche und ausgedehnte
Untersuchungen vor, welche wenigstens flir begrenzte Gebiete homologer
und analoger Verbindungen Regelmässigkeiten ergeben haben. So ver-
estem sich die primären normalen Alkohole gleich schnell (mit Ausnahme
des Methylalkohols), die nicht normalen primären, sowie die ungesättigten
Alkohole langsamer, noch langsamer die sekundären Alkohole, welche
auch untereinander Verschiedenheiten aufweisen. Lässt man denselben
Alkohol auf verschiedene Säuren wirken, so zeigen die primären Fett-
säuren mit steigendem Molekulargewicht eine abnehmende Geschwindig-
keit. Bedeutend langsamer wirken die sekundären und am langsamsten
die tertiären Säuren.
Aus neuerer Zeit Hessen sich noch manche anderen Untersuchungen
ähnUcher Tendenz nennen, die bemerkenswerte Resultate ergeben
haben, doch muss auf ein Eingehen verzichtet werden.
Denn es kann in einem Lehrbuche, das der allgemeinen Chemie
gewidmet ist, nicht die eingehende Darstellung soldier Verhältnisse vor-
genommen werden, da diese unzweifelhaft der speziellen anorganischen
und organischen Chemie angehören. Die Entwickelung unserer Wissen-
schaft hat nach dieser Richtung so spät stattgeftmden, dass die Angaben
Stöchiometrische Beziehungen. 535
über derartige Beziehungen nur erst begonnen haben, in derartige Lehrbücher
einzudringen. Doch macht sich bereits überall das Bewusstsein geltend,
dass den Affinitätsbeziehungen für Fragen der chemischen Systematik
ein erhebliches Stimmrecht einzuräumen sei, und 'mit diesem Wachstum
der Bedeutung, das den auf Grundlage der aUgemeinen Chemie ent-
wickelten erforschbaren Verhältm'ssen beigelegt wird, wächst auch die
Pflege dieser Wissenschaft und erfährt sie immer neue Befruchtung.
Denn so erfreulich das Gebiet allgemeiner Wahrheiten hier bereits sich
ausgedehnt hat: die Mannigfaltigkeit der that sächlichen Erscheinungen
kann nie vollständig dargestellt werden, und jeder Versuch, den Aus-
druck dieser allgemeinen Wahrheiten in einem bestimmten FaUe wieder-
zufinden, lässt hinter ihnen endlose weitere Mannigfaltigkeiten erkennen.
Die Natur aber ist überall vollständig, und wo wir in die 'Hefe
graben, sind wir sicher, ihrem Mittelpunkte näher zu kommen.
Namen-Kegister.
Abbe 132.
Abegg 534.
Abrahall 23.
Amagat 55.
Ammermüller 186.
Ampere 72«
Andrews 107, 253.
Arago 55.
Archer, Sc 499.
Arfvedson 30, 37.
Arrhenius 382, 412, 420,
523.
Aston 23.
Auer 26.
Avogadro 65, 72, 188.
Awdejew 23.
Babo 200.
Bahr 30, 39.
Bailey 32, 40.
Baker 74.
Baiard 24.
Baubigny 26, 39.
Baxter 29.
Beckmann 202, 204,208,
230.
Behrend 370.
Bergmann 290, 522.
Beringer 25.
Berlin 26.
Berthelot 135, 253, 257,
258, 261, 283, 365,
371, 523.
BerthoUet 290, 494, 522.
Berzelius 13, 15, 16,
17, 19, 21, 23, 24, 25,
26, 27, 28, 29, 30, 31,
32, 33, 34, 35, 36, 37,
38, 39, 41, 219, 220,
233,234,235,468,518.
Blagden 207.
Blomstrand 32.
Bodländer 534.
Boltzmann 485.
Bongartz 22, 39.
Borch 38.
BouUay 186.
Boussingault 36.
Boyle 48.
Brauner 25, 26, 36.
Bravais 165.
Bredig 397.
Brühl 136.
Buff 62, 129.
Bührig 25.
Bunsen 28, 33, 39, 174,
315,316,486,495,496.
Burton 31, 39.
Bütschli 339.
Cagniard -Latour 107.
Cailletet 55, 99.
Cannizzaro 70, 221.
Carnelley 224.
Camot 119.
Chikagishe 36.
Christensen 27.
Chydenius 37.
Classen 38, 39.
Claus 33.
Clausius 80, 382.
Clement 516.
Cleve 26, 27, 30, 34, 37,
39.
Commaille .29.
Cooke 18, 22.
de Coppet 207.
Couper 238.
Crookes 37.
Cushmann 32.
Daguerre 483, 498.
Dale 132.
Dalton 8, 9, 10, 16, 48,
58, 103, 258, 314.
Daniell 432.
Davy 258, 442.
Debray 23, 350.
Delafontaine 37, 38, 39.
Demoly 37.
D^sormes 516.
Despretz 55, 252, 258.
Deville 63, 75, 506.
Dewar 31, 99.
Dexter 22.
Diehl 30.
Dittmar 18.
Döbereiner 42.
Draper 494, 495.
Drude 491.
Dtihring 103, 117.
Dulong 17, 35, 55, 188,
220, 252, 258.
Dumas 15, 17, 22, 23,
24, 25, 27, 28, 29, 30,
31, 32,34,35,36, 38,
39, 41, 43, 63, 75, 186,
236, 237, 523.
Ebelmen 37.
Ekmann 34.
Eötvös 149.
Erdmann 15, 17, 24, 27,
29, 33, 34, 39.
Eykman 211.
Fahrenheit 176.
Faraday 99, 107, 144,
235, 379.
Favre 39, 253, 258, 876,
433.
Fick 200.
Fourier 200.
Frankenheim 165.
Frankland 144, 238, 259.
Fresnel 169.
Friedel 29.
Frowein 352.
Galvani 430.
Gauss 148.
Namen- Register.
537
Gay-Lussac 20, 28, 30,
48, 58, 63, 65, 85,
87, 93.
Geoffiroy 522.
Gerhardt 70, 221, 237,
238
Gibb8*29, 101,307,434.
Gladstone 39, 43, 132,
136, 137, 138, 508.
Gmelin 30, 220.
Godeffi-oy 24, 33.
Gooch 36.
Goodwin 444, 452.
Graham 156, 197, 253.
Groth 181.
Grove 458.
Guldberg 209, 290, 523.
Guye 231.
Hagen 30.
Halberstadt 33.
Handl 156.
Hankel 495.
Hardin 24, 33.
V. Hauer 24.
Hauer 31, 36.
Hauy 159, 165, 179.
Hebberling 37.
Helm 248.
Helmholtz 434, 443.
Hempel 29.
Henderson 18.
Henry 315, 346.
Herapath 186.
Hermann 25, 26, 30, 36,
37, 188.
Herschel 172.
Hess 252, 255, 275, 278.
Hibbert 39.
Hisinger 25.
Hittorf 387, 388, 391.
van't Hoff 141, 142, 190,
192, 193, 197, 209,
231, 242, 311, 336,
406, 414, 417, 445.
Hofmann 63, 237.
Höglund 39.
Horstmann 348, 363.
Howland 36.
Huntington 24.
Jacobi 453.
Jacquelain 30, 32, 39.
Jahn 435.
Javal 27.
Jegel 25.
Ingenhouss 483.
Joly 28, 32, 34, 90.
Jones 24, 26.
Jörgensen 33.
Joule 87, 188, 378.
Isambert 347.
Jungfleisch 371.
Kämpe 31.
Karsten 186.
Keiser 18, 32.
Kekul6 237, 238, 239.
Keller 32.
Kessler 26.
Kestner 235.
Kirchhoff 484, 486, 517.
Klaproth 179.
Klatzo 23.
Kobbe 33.
Kohlrausch 380, 383, 386,
388, 407.
Kolbe 238.
Konowalow 326.
Kopp 104, 105, 117, 127,
128, 129, 135, 186,
188, 262.
Kralowanszky 30.
Kremers 43.
Krüss 28, 37.
Kundt 93, 95.
Laar 244.
Lagerhjelm 38.
Lamb 32.
Lamy 37.
Landolt 4, 133, 135, 136.
Laplace 252.
Laurent 25, 236, 237.
Laurie 28.
Lavoisier 252.
Le Bei 141, 142.
Le Blanc 476, 477.
Lecocq de Boisbaudran
27.
Leduc 18.
Lee 29.
Lefort 26.
Lehmann 184.
Leidie 32.
Lenssen 24.
Lepierre 37.
Le Royer 186.
Level 28.
Liebig 15, 24, 29, 229,
234, 236, 483, 518.
Liechti 31.
Linde 100.
Lippmann 432.
Lorentz, H. 133.
Lorenz, L. 133.
Lorimer 24.
Louyet 27.
Löwe 38.
de Luca 27.
Luther 462.
Maas 31.
Magnus 58.
Mallet 22, 28, 30.
Marchand 15, 17, 24, 27,
29, 30, 33, 34, 62.
Marignac 19, 23, 24, 25,
26, 27, 28, 29, 30, 31,
36, 38, 39.
Marum 55.
Mathias 110.
Maumen^ 27.
Maxwell 80.
Mayer, J. R. 85, 86, 87,
483.
Meinecke 15, 26, 41.
Mendelejew 15, 43, 46,
97, 149, 224.
Menschutkin 534.
Meyer, L. 15, 43, 44,
224, 225.
Meyer, 0. E. 81.
Meyer, V. 64, 75.
Milien 28, 29, 33.
Mitscherlich 180, 182,
350, 518.
Möbius 165.
Moberg 26.
Morley 18.
Morse 24, 39.
Mulder 39.
Natterer 55, 107.
Nernst 194, 198, 272,
353, 393, 414, 443,
445, 449.
Neumann 169, 188, 262.
Newlands 43.
Newton 92, 132.
Nilson 23, 26, 34, 37
38, 189.
Nordenfeldt 30.
Norlin 26.
Noyes 18.
Ohm 200.
Oersted 55.
538
Namen-Register.
Ostwald 368, 393, 404,
407, 419, 421, 425,
444, 460, 490, 510,
515, 523.
Parker 31.
Parrot 197.
Partridge 24.
Pasteur 140.
P6an de St. Gilles 365,
523.
Pebal 74.
Peligot 37.
Pelouze 20, 23, 31, 32,
35, 36.
Pennington 38.
Penny 21, 25, 31, 35.
Perkin 144.
Peters 462.
Petit 188, 220.
Pettersson 23, 26,34, 189.
Pfeffer 192, 197, 496.
Pfeifer 22.
V. d. Pfordten 31.
Piccard 33.
Pictet 99.
Pierre 37.
van der Plaats 29, 32, 39.
Poggendorff 431.
PoUard 31.
Popper 22.
Pribram 156.
Priestley 483.
Prout 15, 41.
Pulfrich 132.
Bammelsberg 25.
Ramsay 22, 23, 28, 29,
32, 38, 39, 104, 117,
149 231 .
Raoult 201', 207, 317.
Ramson 26.
Rayleigh 18, 22, 380.
Redtenbacher 15, 29.
Regnault 18, 36, 55, 188,
259.
Reich 28.
Rellstab 156.
Remmler 29.
Reynolds 39.
Richards 16, 18, 23, 29,
30, 31, 32, 36, 39, 357.
Richter 28.
Richter, J. B. 42.
Rimbach 23.
Ritter 464, 468.
Rivot 27.
Robinson 25.
Rodger 156.
Rogers 39.
Roozeboom 359.
Roscoe 29, 38, 354, 495,
496.
Rose 32, 36, 37, 407.
Rothoff 29.
Rowland 254.
Rudberg 58.
Rudolphi 406.
Rüdorff 207.
Rumford 97, 252, 258.
Rüssel 29.
Saac 34.
Scheele 26, 483.
Scheerer 30.
Scheibler 38.
Schiel 35.
Schiff 149.
Schneider 22,29,31,38.
Schrauf 134.
Schröder 187, 188.
Schrötter 32, 33.
Schnitze, J. H. 483.
Schützenberger 25.
Scott 18, 31.
Sefström 33.
Senebier 483.
Seubert 28, 31, 32, 33.
Setschenow 317.
Shaw 29.
Shields 149.
Siewert 26.
Silbermann 253, 258.
Smale 459.
Smith 24, 31, 32, 38.
Sohncke 165.
Sommaruga 29.
Stahl 522.
Stas 15, 18, 19, 20, 23,
24, 25, 28, 29, 3ü, 31,
34, 35, 36, 41.
Staudenmayer 36.
Stefan 146, 485.
Steno 158.
Stohmann 253, 259, 283,
288, 289.
Stromeyer 24, 26, 35, 36.
Struve 31, 34.
Svanberg 26, 30, 31, 33.
Thiele 29.
Thilorier 99.
Thomsen 18, 253, 257,
258, 261, 508, 523.
Thomson 41, 174.
Thorpe 28, 35, 37, 156.
Tissier 22, 510.
Travers 38.
Troost 30, 63, 75.
Trouton 231.
Turner 15, 23, 33, 34, 35.
Valson 215.
Vauquelin 30.
Vieille 258.
Ylandeeren 39.
Vogel, H. W. 501.
Volta 430, 463, 468.
Vorce 31.
van der Waals 83, 112,
115, 116, 117.
Waage 290, 523.
Wackenroder 26.
Waddell 38
Wald 374.
Warburg 95.
Warder 299.
Weber 189.
Weeren 23, 31.
Weibull 39.
Weiss 159.
V. Welsbach 26.
Welter 93.
Wenzel 291, 301.
Werther 37.
Wertheim 37.
Weselski 29.
Westen 432.
Wheatstone 383.
Wiedemann 350.
Wildenstein 26.
Wilhelmy 292, 295, 303.
Williamson 229, 237,382.
Wills 36.
Winkler 27, 28, 29.
Wislicenus 242.
Wöhler 234, 236.
Wolf 25.
Wollaston 132, 483.
Wüllner 200.
Wundt 73.
Würtz 237.
Young35, 104,117,147.
Zettnow 38.
Zimmermann 29, 37.
Zschiesche 26.
Sach - Register.
Thch. D, = Thermocbemische Daten. — V. G. = Verbindungsgewicht.
A.
Abscissen 51.
Absolute Temperatur 53.
Absolute Temperaturskala 126.
Absorption 4^.
Absorptionsbanden 489.
Absorptionskoeffizient 315, 484.
Absorptionsspektren 488.
Achsensysteme 159.
Additive Eigenschaften 47.
Adiabatische Vorgänge 92,
Adsorption 338.
Affinitätseigenschaften der Stoffe 521.
Affinitätskoeffizienten, spezifische 523.
Affinitätsmessung, thermocbemische
508.
Affinitätsmessung, volumchemische
510.
Akkumulator 478.
Aktive Krystalle 172.
Aldehyd, Thch. D. 287.
Alkohol, Thch. D. 286.
Ailotrope Form und Löslichkeit 328.
Allotropie 182.
Aluminium, Thch. D. 270.
Aluminium, V. G. 21.
Amalgame, Thch. D. 272.
Ammoniak, Thch. D. 266.
Ammonium, Thch. D. 269.
Ammoniumsulf hydrid , Gleichgewicht
347.
Amorphe Stoffe 157.
Analyse, physikal. Methoden dess.506.
Analytische Chemie, Gleichgewichts-
lehre in ders. 415.
Analytische Reaktionen 427.
Anion, Einfluss dess. auf die Span-
nung 449.
Anionen 217, 382.
Anionen, einwertige und mehrwertige
394.
Anode 448.
Anode, wesentliche Reaktionen an ders.
438.
Antimon, Thch. D. 267.
Antimon, Y. G. 22.
Antimonchlorid, Thch. D. 267.
Antimonchlorür, Thch. D. 267.
Antimonoxyd, Thch. D. 267.
Antimonpentoxyd, Thch. D. 267.
Apparate und Methoden, thermocbe-
mische 257.
Arbeit 5.
Arbeit und Wärme 85.
Arbeitswert einer Kalorie 87.
Argon, Y. G. 22.
Aromatische Verbindungen, Thch. D.
288
Arsen, Thch. D. 267.
Arsen, V. G. 23.
Arsenbromür, Thch. D. 267.
Arsenchlorür, Thch. D. 267.
Arsenige Säure, Thch. D. 267.
Arsenjodür, Thch. D. 267.
Arsensäure, Thch. D. 267.
ArsenwasserstofP, Thch. D. 267.
Asymmetrische Klasse 161.
Asymmetrisches Kohlenstoffatom 141.
Äther, Thch. D. 287.
Ätherbildung 518.
Äthylenreihe, Thch. D. 286.
Atomgewicht 11.
Atomhypothese 10, 233.
Atomrefraktionen 135, 137.
Atomverbindungen 241.
Atomvolum 225.
Atomvolume der Elemente 128.
Atomwärme 188, 220.
Aufladung der Ionen 474.
Ausdehnung der Flüssigkeiten durcJi
die Wärme 96.
Ausdehnungskoeffizient der Gase 49.
Ausdehnungsmodulus 97.
Axen 51.
B.
Baryum, Thch. D. 269.
Baryum, V. G. 23.
Basen, Dissociationswärme ders. 278.
Basizität, Bestimmung ders. 407.
540
Sach- Register.
Begrenzte Löslichkeit 324.
Benzol, Thch. D. 288.
Benzoyl 236.
Berührungswirkungen 516.
Beryllium, V. G. 23.
Bestandteile 7, 306.
Bestandteile, gemeinsame 319.
Bewegungsenergie S, 247.
Bildungswärme *256, 263.
Bildungswftrme der Ionen 281.
Bildungswärme des Wassers aus den
Ionen 276.
Binnendruck 146.
Bipyramidale Klasse 161, 162.
Bisphenoidische Klasse 161.
Bläschen, Bildung ders. in Flüssig-
keiten 318.
Blei, Tchh. D. 273.
Blei, V. G. 23.
Bleisammler 478.
Bombe, kalorimetrische 258.
Bor, Thch. D. *267.
Bor, V. G. 23.
Borchlorid, Thch. D. 267.
Bortrioxyd, Thch. D. 267.
Brechungskoeffizient 131.
Brechungskonstante 132.
Brom, Thch. D. 264.
Brom, V. G. 23.
Bromjod, Thch. D. 264.
Bromsäure, Thch. D. 264
Bromsilbergelatineplatten 500.
Brom Wasserstoff, Thch. D. 264.
C.
Cadmium, Thch. D. 271.
Cadmium, V. G. 24.
Calcium, Thch. D. 270.
Calcium, V. G. 24.
Carbamin8auresAmmon,Gleichgew.348.
Carbonylchlorid, Thch. D. 267.
Carbonylsulfid, Thch. D. 267.
Carnotscher Kreisprozess 122.
Cäsium, V. G. 24.
Cerium, V. G. 25.
Chemische Energie 247, 249.
Chemische Energie, Umwandlung aus
strahlender Energie 482.
Chemische Mechanik 289.
Chemische Strahlen 498.
Chemische Typen 237.
Chemische Wirkung des Lichtes 493.
Chemisches Gleichgewicht des Jod-
wasserstofifs 341.
Chemisches Individuum, Kennzeich-
nung eines 374.
Chemisches Potential 250, 319.
Chlor, Thch. D. 263.
Chlor, V. G. 20, 25.
Chlorammonium, Dampfdichte 74.
Chlorjod, Thch. D. 264.
Chlorknallgas 494.
Chlorsäure, Thch. D. 264.
Chlorsilber, Löslichkeit dess. 4.51.
Chlorwasserstoff, Thch. D. 263.
Chrom, Y. G. 25.
Coulomb 378.
Cyan, Thch. D. 267.
Cyanwasserstoff, Thch. D. 267.
D.
Dampf 98.
Dampfdichte, Bestimmung 62.
Dampfdichten, abnorme 73.
Dampfdruck 99.
Dampfdruck und Oberflächenspannung
152.
Dampfdrucke von Gemengen 321.
Dampfdrucke von Lösungen 200.
Dampfdruckformel 102.
Dampfdruckgleichung 125.
Dampfdruckverminderung, molekulare
201.
Dampfdruckverminderung, relative200.
Dämpfe, gesättigte 101.
Dämpfe und Gase, leuchtende, Spek-
tren ders. 487.
Daniellkette, Einfluss der Verdünnung
449.
Daniellsche Kette 432.
Dialyse 197.
Dichte und Volum der Gase 59.
Didym, V. G. 26.
Diffusion 194.
Diffusion der Elektrolyte 198.
Diffusion der Gase 81.
Diffusionskonstante 195.
Dihexagonal- bipyramidale Klasse 162.
Dihexagonal-pyramidale Klasse 162.
Diosmose 197.
Dispersionsformel 134.
Dissociation, elektrolytische, Grad ders.
390.
Dissociation der Salze in Lösungen 214.
Dissociation des Wassers 401, 460.
Dissociationsdruck 348, 350.
Dissociationskonstante 404.
Dissociationskonstanten organischer
Säuren 524.
Dissociationswärme der Basen 278.
Dissociationswärme der Säuren 278.
Distanzenergie 6, 247.
Sach-Register.
541
Ditetragonal-bipyramidale Klasse 161.
Di tetragonal -pyramidale Klasse 161.
Ditrigonal-bipyramidale Klasse 162.
Ditrigonal- pyramidale Klasse 162.
Ditrigonal-skalenoedrische Klasse 162.
Domatische Klasse 161.
Doppelbildung am Kohlenstoff, Re-
fraktion swert ders. 136.
Doppelsalze 416.
Doppelsalze, Gleichgewicht 369.
Drehspiegelung 160.
Drehung 160.
Drehung der Polarisationsebene 138.
Drehvermögen, molekulares 139.
Drehvermögen, spezifisches 138.
Dreiachsige Krystalle 163.
Dreifache Punkte 176, 179.
Druck 247.
Druck, Einfluss dess. auf die Löslich -
keit 332.
Druck, Einfluss dess. auf die poly-
morphe Umwandlung 183.
Druck, Einfluss dess. auf den Zer-
setzungsgrad 308.
Druck, Einheit 54.
Dmck, Verhalten der Gase 55.
Druck, Verbrennungswärmen bei kon-
stantem 285.
Druck, kritischer 110.
Druckkoeffizient der Gase 49.
Dyakisdodekaedrische Klasse 162.
Dynamik, chemische 290.
£.
Eigenschaften 1.
Eigenschaften, besondere und allge-
gemeine 506.
Einachsige Krystalle (optisch) 170.
Einachsige Krystalle 163.
Einzelspannungen 463.
Eis, Dampfdrucklinie 178.
Eis, Einfluss des Druckes auf den
Schmelzpunkt 175.
Eisen, V. G. 26.
Eisen, Thch. D. 271.
Elastizität 157.
Elektrische Energie, Entstehung in der
Kette 433.
Elektrische Energie, Quelle ders. 430.
Elektrische u. magnetische Energie 247.
Elektrizitätsmenge 376.
Elektrochemie 250, 375.
Elektrochemische Theorie 234.
Elektroden 380.
Elektroden, absoluter Wert der Span-
nung an dens. 467.
Elektroden, unpolarisierbare 477.
Elektroden, Vorgänge aus dens. 473.
Elektrolyse 470.
Elektrolyte 214, 379.
Elektrolyte, Diffusion ders. 198.
Elektrolyte, Zerfall mehrwertiger in
Ionen 408.
Elektrolyte, Messung der Leitfähig-
keit 383.
Elektrol y tischeBehandlung organischer
Verbindungen 474.
Elektrolytische Dissociation,Grad ders.
390.
Elekti*oly tische Gleichgewichte 400.
Elektromagnetische Strahlung 491.
Elektrometer 432.
Elektromotorische Kraft 376.
Elemente 7, 12.
Elemente, periodisches System 43.
Elemente, typische 227.
Emission 484.
Emissionskoeffizient 484.
Enantiomorphe Krystalle 173.
Enantiotrope Stoffe 184.
Energetik, allgemeine 245.
Energie, Definition 246.
Energie, elektrische, Entstehung in
der Kette 433.
Energie, Erhaltung ders. 6, 86.
Energie, strahlende 480.
Energie , Vernutzungserscheinungen
ders. 199.
Energiearten 247.
Entladung der Ionen 474.
Entwickelung der Lichtbilder 483.
Entwickelung, photographische, Theo-
rie ders. 500.
Enzyme 520.
Erbium, V. G. 27.
Erstarren 174.
Ester, Thch. D. 287.
Esterbildung, Gleichgewicht dabei 365.
Eutektischer Punkt 333, 357.
F.
Faraday, Gesetz 378.
Faradaysche Konstante 380.
Farbe der Salze 490.
Fermente 520.
Feste Körper, Molekularvolum 186.
Feste Körper, optische Eigenschaften
169.
Feste Lösungen 231, 336.
Feste Phasen beim chemischen Gleich-
gewicht 312.
Feste Stoffe 156.
542
Sach- Register.
Feste Stoffe, zwei, Gleichgewicht ders.
332.
Feste Stoffe, Lösungen in Flüssig-
keiten 327.
Feste Stoffe, Volume ders. 185.
Feste Stoffe, spez. Wärme ders. 188.
Fettsäuren, Theh. D. 287.
Fixierverfahren, chemisches 505.
Flächenenergie 247.
Fliessen fester Körper 157.
Fluor, Thch. D. 264.
Fluor, V. G. 27.
Fluorwasserstoff, Thch. D, 264.
Flüssige Phasen beim chemischen
Gleichgewicht 312.
Flüssige Stoffe, Volumverhältnisse ders.
127.
Flüssigkeiten, allgemeine Eigenschaf-
ten 96.
Flüssigkeiten, Ausdehnung durch die
Wärme 96.
Flüssigkeiten, homogene, Molekular-
ge¥richt ders. 150.
Flüssigkeiten, Lösungen ders. in Flüs-
sigkeiten 320.
Formeln, chemische 14.
Formenergie 157.
Fortführung 199.
Freiheiten 307.
G.
Gadolinium, V. G. 27.
Gallium, V. G. 27.
Galvanoplastik 471.
Galvanostegie 471.
Gas, ideales 55.
Gase, allgemeine Eigenschaften ders. 47.
Gase, Isothermen ders. 109.
Gase, Haumgesetz
Gase, kinetische Theorie ders. 76.
Gase, Verflüssigung ders. 99.
Gase, Wärmeerscheinungen ders. 83.
Gase und Dämpfe, leuchtende, Spek-
tren ders. 487.
Gasgesetz 54.
Gasketten 455, 458.
Gasphase beim chemischen Gleichge-
wicht 312.
Gefriermethode, Molekulargewichtsbe-
stimmung nach ders. 208.
Gefrierpunkte von Lösungen 207.
Gemenge, konstant siedende 323.
Germanium, V. G. 27.
Geschwindigkeit, chemische 291.
Geschwindigkeit der Reaktionen 503.
Geschwindigkeitskoeffizienten 302.
Gewicht, Erhaltung dess. 4.
Gitterspektrum 487.
Glaubersalz, Schmelzung dess. 356.
Gleichgewicht, chemisches 304.
Gleichgewicht zweier fester Stoffe 332.
Gleichgewichte, chemische, zweiter
Ordnung 313.
Gleichgewichte, elektrolytische 400.
Gleichgewichte, indifferente 306.
Gleichgewichte der Ionen 400.
Gleichgewicht von vier Ionen 420.
Gleichgewichte, kondensierte 356.
Gleichgewichte, labile 306.
Gleichgewichte erster Ordnung 306, 307.
Gleichgewichte zweiter Ordnung 306.
Gleichgewicht zweiter Ordnung, all-
gemeinster Fall dess. 340.
Gleichgewichte höherer Ordnung 360.
Gleichgewichte, stabile 306.
Gleichgewichte, wirkliche und schein-
bare 305.
Gleichgewichtsisotherme 309.
Gleichgewichtskonstante, Änderung mit
der Temperatur 344.
Gold, Thch. D. 273.
Gold, V. G. 27.
Grenzgesetze 54.
Grenzwinkel 148.
Grundgesetze, stöchiometrische 1.
Gruppen, isomorphe 181.
H.
Halbdurchlässige Wände 191.
Hauptsatz, erster, der Wärmetheorie 83.
Hauptsatz, zweiter 118, 121.
Helium, V. G. 28.
Heterogenes Gebilde, Reaktionen eines
301.
Hexakisoktaödrische Klasse 162.
Hexakistetraedrische Klasse 162.
Homologe Reihen, Verbrennungswärme
283.
Homöomorphie 180.
Hydrolyse 423.
Hydroxylamin, Thch. D. 266.
Hydroxylionen 395,
Hyperbel 89.
Hypothesen 10.
I.
Idealer Ketten zustand 435.
Indifferente Gleichgewichte 306.
Indikatoren 425.
Individuen, chemische 1, 374.
Indium, V. G. 28.
Sach-Begister.
543
Induktion 2.
Induktion j photochemische 496.
Inkonstante Kette 486.
Intensitätsgrössen 248.
Inversion des Rohrzuckers 295.
Jod, Thch. D. 264.
Jod, V. G. 28.
Jod, Dampfdichte 75.
Jodsäure, Thch. D. 264.
Jodwasserstoff, Thch. D. 264.
Jodwasserstoff, chemisches Gleichge-
wicht dess. 341.
Ionen 217, 381.
Ionen, Aufladung ders. 474.
Ionen, Bildungswärme ders. 281.
Ionen, Eigenschaften ders. 391.
Ionen, Entladung ders. 474.
Ionen, Leitfähigkeit ein Gruppen-
reagens auf dies. 514.
Ionen, Nachweis ders. 513.
Ionen, Thermochemie ders. 274.
Ionen, Vorgänge zwischen dens. 303.
Ionen , Wanderungsgeschwindigkeit
ders. 386, 397.
Ionen, Zusammensetzung ders. 393.
lonenbildung, Tendenz zu ders. 532.
lonenisomerie 398.
lönenreaktionen 437.
loule 88, 253.
Iridium, V. G. 28.
Isohydrische Lösungen 412.
Isomerie 234, 235.
Isomerie der Ionen 398.
Isomorphe Gemenge 416.
Isomorphe Gruppen 181.
Isomorphie 179, 220.
Isothermen der Gase 109.
Isotrope Kr5'stalle 163, 170.
E.
Kalium, V. G. 20, 28.
Kalium, Thch. D. 268.
Kalorie 253.
Kalorie, Arbeitswert einer 87.
Kalorie, absolutes Mass 88.
Kalorimeter 257.
Kalorimetrische Bombe 258.
KapazitätsgrÖssen 248.
Katalysatoren 303, 515.
Katalyse 514.
Katalyse, Gesetze ders. 518.
Kathode 448.
Kathode, wesentl. Beaktion an ders. 438.
Kationen 217, 381.
Kationen, einwertige 394.
Kationen, zweiwertige 394.
Kationen, dreiwertige 394.
Kette, Entstehung der elektrischen
Energie in ders. 433.
Kette, konstante umkehrbare 436.
Kette, chemische Vorgänge in ders.
437.
Kette mit schwerlöslicheren Salzen 450.
Ketten mit einer komplexen Verbin-
dung 452.
Kilojoule 253.
Kinetik, chemische 291.
Kinetische Theorie der Gase 76.
Kobalt, Thch. D. 271.
Kobalt, V. G. 29.
Koexistenz, Prinzip ders. 301.
Kohlehydrate, Thch. D. 286.
Kohlendioxyd, Isothermen 108.
Kohlenoxyd, Thch. D. 267.
Kohlensäure, Thch. D. 267.
Kohlenstoff, Thch. D. 267.
Kohlenstoff, V. G. 29.
Kohlenstoff, dreifache Bindung an
dems. 136.
Kohlenstoff, Doppelbindung an dems.,
Refraktionswert ders. 136.
Kohlenstoff, yierwertig 238.
Kohlenstoffatom, asymmetrisches 141.
Kohlenstofftetrachlorid, Thch. D. 267.
Kohlenstoffkette, technische Bedeutung
463.
Kohlenwasserstoff, Thch. D. 285.
Kolligative Eigenschaften 73, 228, 230.
KoUigative Eigenschaften bei reinen
Flüssigkeiten 231.
Kollodionverfahren 499.
Kolloldstoffe 196, 339.
Komplexe Verbindung 429.
Komplexe Verbindung, Ketten mit
einer 452.
Kondensationen 520.
Kondensierte Gleichgewichte 356.
Kondensierte Typen 237,
Konjugierte Elektrolyte 422.
Konstitution 105, 229.
Konstitutive Eigenschaften 106.
Konvektion 199.
Konzentration, Einheit ders. 295.
Konzentrationsketten 442.
Konzentrationsketten mit Überführung
444.
Koordinatensystem 51.
Kraft 5.
Kreisprozess, Camotscher 122.
Kreisprozess, umkehrbarer 120.
Kritische Erscheinungen 107.
Kritische Grössen einiger Stoffe 112.
544
Sach-Begister.
Kritische Konzentration 825.
Kritischer Lösungspunkt 325.
Kritischer Punkt 110, 116.
Kryohydratischer Punkt 333.
Krypton, V. G. 29.
Krystallarten 160. .
Krystalle 158.
Kry stalle, optisch aktive 172,
Krystalle, einachsige 163.
Krystalle, dreiachsige 163.
Krystalle, enantiomorphe 173.
Krystalle, isotrope 163.
Krystallinische Stoffe 157.
Krystalloidstoffe 196.
Kry Stallstruktur, Theorien ders. 165.
Kupfer, Thch. D. 272.
Kupfer, V. G. 29.
L.
Lahile Gleichgewichte 306.
Labile Zustände 114, 312.
Labiles Gebiet 177.
Lanthan, V. G. 30.
Leitfähigkeit 382.
Leitfähigkeit, äquivalente 383.
Leitfähigkeit der Elektrolyte, Messung
ders. 383.
Leitfähigkeit ist ein Gruppenreagens
auf Ionen 514.
Leitfähigkeit, molekulare 383.
Leitung, elektrolytische 381.
Licht, chemische Wirkung dess. 493.
Lichtbrechung in Flüssigkeiten 131.
Lichtempfindlichkeit 493.
Lithium, Thch. D. 269.
Lithium, V. G. 21, 30.
Löslichkeit, begrenzte 324.
Löslichkeit, Bestimmung ders. 327.
Löslichkeit des Chlorsilbers 451.
Löslichkeit, Einfluss des Druckes auf
dies. 332.
Löslichkeit allotroper Formen 328.
Ijöslichkeit, Messung mittelst Leit-
fähigkeit 407.
Löslichkeit schwerlöslicher Stoffe 451.
Löslichkeit, Zusammenhang mit der
Lösungswärme 331.
Löslichkeitskoeffizienten 315.
Löslichkeitsprodukt 427.
Lösungen 313.
Lösungen, Dampfdrucke ders. 200.
Lösungen, Dissociation der Salze in
dens. 214.
Lösungen, feste 231.
Lösungen von Flüssigkeiten in Flüs-
sigkeiten 320.
Lösungen in Gasen 314.
Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten
315.
Lösungen, Gefrierpunkte ders. 207.
Lösungen, isohydrische 412.
Lösungen, konzentrierte, Bestimmung
der wirksamen Menge ders. 346.
Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten
327.
Lösungen, übersättigte 328.
Lösungen, verdünnte 189.
Lösungsdruck 446.
Lösungsgleichgewicht 370.
Lösungslinien 330.
Lösungswärme , Zusammenhang mit
der Löslichkeit 331.
Luft, flüssige 100.
M.
Magnesium, Thch. D. 270.
Magnesium, V. G. 30.
Magnetische und elektrische Energie
247. •-
Magnetische Drehung der Polarisa-
tionsebene 144
Mangan, Thch. D. 270.
Mangan, V. G. 31.
Manometer 247.
Masse 3.
Masse, Erhaltung ders. 249.
Massenwirkung, Gesetz ders. 292.
Materie 246.
Materie, Beständigkeit ders. 3.
Mechanik, chemische 289.
Mechanochemie 251.
Menge, wirksame 321.
Messinstrumente, Theorie ders. 248.
Metalle 13.
Metalle, Spannungen ders. 468.
Metalle, Spannungen zwischen dens.
467.
Metalle, Thermochemie ders. 268.
Metamerie 235.
Metastabile Zustände 114, 312.
Metastabiles Gebiet 177.
Metastabiles Gebiet bei Lösungen 329.
Methan, Thch. D. 267.
Methanreihe, Kohlenwasserstoffe ders.
285.
Methode, volumchemische, Affinitäts-
messung 510.
Methoden, thermochemische 253.
Methoden und Apparate, thermoche-
mische 257.
Mischkrystalle 180.
Moduln 215.
Sach- Register.
545
Mol 70.
Molekeln, Dimensionen ders. 82.
Molekeln, Durchmesser ders. 151.
Molekeln, Gesamtraum ders. 81.
Molekeln, Querschnitte ders. 81.
Molekulare Dampfdruckverminderung
201.
Molekularrefraktion 135.
Molekulargewicht, Bestimmung dess.
auf die Siedemethode 202.
Molekulargewicht homogener Flüssig-
keiten 150.
Molekulargewichte 61, 229.
Molekulargewichtsbestimmung nach der
Gefriermethode 208.
Molekulargewichtsbestimmung, Metho-
den ders. 212.
Molekularhypothese 72, 228.
Molekularverbindungen 241.
Molekularvolum 127.
Molekularvolum fester Körper 186.
Molekularvolum, kritisches 110.
Molekularvolum ungesättigter Verbin-
dungen 129.
Molekularwärmen von Gasen 90.
Molenbruch 321.
Molybdän, V. G. 31.
Monotrope Stoffe 184.
Morphotropie 181.
Natrium, Thch. D. 268.
Natrium, V. G. 21, 31.
„Natürliche" Familien 44.
Nebenprodukte 517.
Negativ 500.
Negativierende Substituenten 525.
Neodym, Y. G. 26.
Neon, V. G. 32.
Neutralisationskette 460.
Neutralisationswärme 261.
Nichtmetalle, Thermochemie ders. 262.
Nickel, Thch. D. 271.
Nickel, V. G. 32.
Niobium, V. G. 32.
Normaldruck 51.
Normal elektrode 467.
Normalelement 432.
Normalgas 60.
Normalgewicht der Verbindungen 68.
Normalgewichte 61, 66.
Normaltemperatur 51.
Normalzustand der Gase 59.
0.
Oberflächenenergie 98.
Oberflächenenergie, molekulare 149.
Ostwald, Grundrisa. 8. Aufl.
Oberflächenspannung 145, 147.
Oberflächenspannung und Dampfdruck
152.
Oberflächenspannung, negative 152.
Oberflächenspannung des Quecksilbers,
Einfluss der Polarisation 466.
Ohm 378.
Oktaven, Gesetz der 43
Optisch symmetrische Formen 140.
Optische Achsen 170.
Optische Eigenschaften der festen
Körper 169.
Ordinate 51.
Ordnung, Gleichgewichte erster 306,
307.
Ordnung, Gleichgewichte zweiter 306,
313.
Ordnung, Gleichgewichte höherer 360.
Ordnung, Reaktionen zweiter 298.
Ordnung, Reaktionen höherer 300.
Organische Verbindungen, elektroly-
tische Behandlung ders. 474.
Organische Verbindungen, Thermo-
chemie ders. 282.
Orthochromatische Photographie 502.
Osmium, V. G. 32.
Osmotischer Druck 190, 191.
Oxalsäurereihe, Thch. D. 287.
Oxydation und Reduktion, Begriff
ders. 455.
Oxydationsketten 461.
Oxydationsmittel, Theorie ders. 439.
Oxydationsvorgänge 398.
Oxydations- u. Reduktionsketten 455.
Oxydations- und Reduktionsmittel,
Spannungsreihe ders. 469.
Ozon, Thch. D. 263.
P.
Paarung 236.
Palladium, Thch. D. 274.
Palladium, W. G. 32.
Parallelosterismus 187.
Pentagon-ikositetraedri9cheKlassel62.
Periode 482.
Periodisches Gesetz 224.
Periodisches System der Elemente 43.
Perpetuum mobile 121.
Perpetuum mobile zweiter Art 121.
Phasen 101.
Phasen, Vertretbarkeit ders. 319.
Phasengesetz 101, 304, 307, 324.
Phosphoniumjodür, Thch. D. 266.
Phosphor, Thch. D. 266.
Phosphor, V. G. 32.
Phosphorbromid, Thch. D. 266.
35
546
Sach- Register.
Phosphorbromür, Thch. D. 266.
Phosphorchlorid, Thch. D. 266.
Phosphorchlorür, Thch. D. 266.
Phosphorige Säure, Thch. D. 266.
Phosphorjodür, Thch. D. 266.
Phosphoroxybromid, Thch. D. 266.
Phosphoroxychlorid, Thch. D. 266.
Phosphorpentachlorid, Dampfdichte 74.
Phosphorpentachlorid , Gleichgewicht
842.
Phosphorsäure, Thch. D. 266.
Phosphorwasserstoff, Thch. D. 266.
Photographie 483, 498.
Photographie, orüiochromatische 502.
Photochemie 250, 480.
Photochemische Erscheinungen 493.
Photochemische Induktion 496.
Photochemische Vorgänge 494, 497.
Pinakoidale Klasse 161.
Platin, Thch. D. 274.
Platin, V. G. 33.
Platinierung von Elektroden 385.
Piatino typie 501.
Polare Eigenschaften 164.
Polarisation 383, 470.
Polarisation, Einfluss auf d. Ober-
flächenspannung d. Quecksilbers 466.
Polarisation durch den Wasserstoff 472.
Polarisationsebene, Drehung ders. 138.
Polarisationsebene, magnetische Dreh-
ung ders. 144.
Polymerie 235.
Polymorphe Umwandlung, Einfluss des
Druckes 183.
Polymorphie 179, 182, 232.
Positivierende Substituenten 532.
Positivverfahren, photographisches 501.
Potential 376.
Potential, chemisches 250.
Praseodym, V. G. 26.
Primäre und sekundäre Reaktionen 475.
Prismatische Klasse 161.
Proutsche Hypothese 41.
Pyramidale Klasse 161, 162.
Pyrosulfurylchlorid, Thch. D. 265.
Q.
Quecksilber, Thch. D. 272.
Quecksilber, V. G. 33.
Quecksilber, Einfluss der Polarisation
auf d. Oberflächenspannung 466.
Quecksilber, Zusammendrückbarkeit
dess. 96.
Quecksilberdampf spez. Wärme 95.
Querschnitte der Molekeln 81.
B.
R (Gaskonstante) absoluter Wert 71.
Racemische Verbindungen 140.
Radikaltheorie 236.
Reaktionen, analytische 427.
Reaktionen zweiter Ordnung 298.
Reaktionen höherer Ordnung 300.
Reaktionen, primäre und sekundäre 475.
Reaktionsgeschwindigkeit 514.
Reaktionsgeschwindigkeit, Einfluss der
Temperatur 515.
Reaktionsgeschwindigkeit, Gesetz ders.
295.
Reduktion und Oxydation, Begriff
ders. 455.
Reduktionsketten 461.
Reduktionsmittel, Theorie ders. 439.
Reduktionsvorgänge 399.
Reduktions- und Oxydationsketten 455.
Reduktions- und Oxydationsmittel,
Spannungsreihe ders. 469.
Reflexion, totale 131.
Refraktionskonstante gasförmiger
Stoffe 137.
Refraktometer 132.
Reibung der Gase 81.
Reibung, innere 153.
Reihen, stöchiometrische 42.
Rhodium, V. G. 33.
Rhomboedrische Klasse 162.
Rohrzucker, Inversion dess. 295.
Rotation, spezifische 144.
Rubidium, V. G. 33.
Ruthenium, V. G. 33.
S.
Salpetersäure, Thch. D. 266.
Salpetrige Säure, Thch. D. 266.
Salzbildung 277.
Salzbildung, Thermochemie ders. 274.
Salzbildungskette 460.
Salze 391.
Salze, Dissociation ders. i.Lösungen 214.
Salze, Farbe ders. 490.
Salze, neutrale, Leitfähigkeit ders. 385.
Salze, wasserhaltige, Verwitterungser-
scheinungen ders. 350.
Salzlösungen 214.
Samarium, V. G. 34.
Sammler, elektrischer 478.
Sättigung 327.
Sauerstoff, Thch. D. 263.
Sauerstoffelektrode 459.
Sauerstoff- Wasserstoffkette 461.
Säuren, Dissociationswärme ders. 278.
Scandium, V. G. 34.
Sach -Register.
547
Schallgeschwindigkeit 92.
Schmelzen 174.
Schmelzen der festen Stoffe unter der
Lösung 335.
Schmelzpunkt 226.
Schmelzpunkt, Einfluss des Druckes
auf dens. bei Eis 175.
Schmelzwärme 174«
Schwarzer Körper, Strahlung eines 485.
Schwefel, Thch. D. 265.
Schwefel, V. G. 20, 34.
Schwefel, Dampfdichte 75.
Schwefel, Polymorphie 182.
Schwefelbromttr, Thch. D. 265.
Schwefelchlorür, Thch. D. 265.
Schwefeldioxyd, Verbindungen dess.
mit Wasser 359.
Schwefelige Säure, Thch. D. 265.
Schwefelkohlenstoff, Thch. D. 267.
Schwefelsäure, Thch. D. 265.
Schwefelsäurebildung 516.
Schwefelwasserstoff, Thch. D. 265.
Schwerpunkt, Erhaltung dess. 249.
Schwingungsdauer 481.
Schwingungszahl 482.
Sekundäre und primäre Reaktionen 475.
Selen, Thch. D. 265.
Selen, V. G. 34.
Selenchlorür, Thch. D. 265.
Selenige Säure, Thch. D. 265.
Selensäure, Thch. D. 265.
Selenwasserstoff, Thch. D. 265.
Selentetrachlorid, Thch. D. 265.
Siedemethode, Bestimmung des Mole-
kulargewichts auf dies. 202.
Siedepunktsgesetze 104.
Silber, Thch. D. 273.
Silber, V. G. 19, 34.
Silbersalze, Spannung ders. 454.
Silicium, Thch. D. 268.
Silicium, V. G. 35.
Skalenoedrische Klasse 161.
Spaltung racemischer Formen 141.
Spannung 376.
Spannung, Einheit ders. 378.
Spannung, elektr., Messung ders. 431.
Spannung, Temperaturkoeffizient ders.
435.
Spannung, absoluter Wert ders. an
den Elektroden 467.
Spannungen zwischen den Metallen 467.
Spannungsreihe, Gesetz ders. 464.
Spannungsreihe der Oxydations- und
Reduktionsmittel ders. 469.
Spektra, allgem. Gesetze für dies.
482.
Sphenoidische Klasse 161.
Spiegelung 160.
Stabile Gleichgewichte 306.
Stabile Zustände 114, 312.
Stärke, Hydrolyse ders. 517.
Statik, chemische 291.
Stereochemie 242.
Stickoxyd, Thch. D. 266,
Stickoxydul, Thch. D. 266.
Stickstoff, Thch. D. 266.
Stickstoff, V. G. 21, 35.
Stickstoffhyperoxyd, Thch. D. 266.
Stickstoffhyperoxyd, Gleichgewi cht308.
Stickstoffverbindungen, organische,
Thch. D. 288.
Stöchiometrische Grundgesetze 9.
Stoff, Erhaltung dess. 3.
Stoffe 1.
Stoffmenge 249. '
Strahlen, chemische 498.
Strahlende Energie 247, 480.
Strahlende Energie, Umwandlung in
chemische Energie 482.
Strahlung, elektromagnetische 491.
Strahlung eines schwarzen Körpers 485.
Strom, elektrischer 375.
Strontium, Thch. D. 270.
Strontium, V. G. 36.
Strukturformel, 239.
Substituenten, negativierende 525*
Substituenten, positivierende 532.
Substitution 236.
Sulfurylchlorid, Thch. D. 265.
Symmetrieachse 160.
Symmetrieebene 160.
Symmetriegesetz 159.
System, hexagonales 162.
System, kubisches 162.
System, monoklines 161.
System, rhombisches 161.
System, tetragonales 161.
System, trigonales 162.
System, triklines 161.
Systematik, chemische 218.
T.
Tantal, V. G. 36.
Tautomerie 244.
Teildruck 314.
Teildrucklinien 322.
Teilungskoeffizient 371.
Tellur, Thch. D. 265.
Tellur, V. G. 36.
Tellurige Säure, Thch. D. 265.
Tellursäure, Thch. D. 265.
35*
548
Sach -Register.
Tellurtetrachlorid, Thch. D. 265.
Temperatur, Einfluss auf das Gleich-
gewicht 310, 343.
Temperatur, Einfluss bei thermoche-
mischen Messungen 261.
Temperatur, Einfluss auf den Zer-
setzungsdruck 351.
Temperatur, kritische 110.
Temperatur u. Reaktionsgeschwindig-
keit 515.
Temperaturen, absolute 53.
Temperaturen, vergleichbare 310.
Temperaturkoeffizient d. Spannung435.
Temperaturmessung 259.
Temperaturskala, absolute 126.
Tetraedrisch - pentagondodekaedrische
Klasse 162.
Tetrathionsäure, Thch. D. 265.
ThaDium, Thch. D. 273.
Thallium, V. G. 37.
Thermochemie 250, 251.
Thermochemie der Metalle 268.
Thermochemie der Nichtmetalle 262.
Thermochemische Affinitätsmessung
608.
Thermochemische Apparate und Me-
thoden 257.
Thermochemische Messungen, Einfluss
der Temperatur bei dens. 261.
Thermoneutralität 275.
Thionylchlorid, Thch. D. 265.
Thorium, V. G. 37.
Thulium, V. G. 37.
Titan, V. G. 37.
Trapezoedrische Klasse 161, 162.
Triaden 43.
Typen, chemische 237.
Typen, kondensierte 237.
Typen, zusammengesetzte 237.
Typische Elemente 227.
U.
Überchlorsäure, Thch. D. 264.
Übereinstimmende Zustände, Gesetz
ders. 117.
Überführung, Konzentrationsketten m.
ders. 444.
Überführungsverhältnis 388.
' Überkaltung 176.
Überjodsäure, Thch. D. 264.
Übersättigte Lösungen 328.
Überschreitungserscheinungen 312.
Überschreitungserscheinungen bei Lö-
sungen V.Gasen in Flüssigkeiten 31 7.
Überschwefelsäure, Thch. D. 265.
Umkehrbarer Kreisprozess 120.
Umkehrung der Linien 489.
Umwandlungstemperatur 182.
Unbeständige Formen monotroperStoffe
184.
Ungesättigte Verbindungen 241.
Ungesättigte Verbindungen, Molekular-
volum ders. 129.
Unitäre Konstitution 237.
Unpolarisi erbare Elektroden 477.
Unterbromige Säure, Thch D. 264.
Unterchlorige Säure, Thch. D. 264.
Unterphosphorige Säure, Thch. D. 266.
Unterschwefelsäure, Thch. D. 265.
Unterschweflige Säure, Thch. D. 265.
Uran, V. G. 37.
V.
Valenzlehre 239.
Vanadium, V. G. 38.
Verbindungen, chemische, Theorie ders.
232.
Verbindungsgewicht 9, 14.
Verbindungsgewichte , Beziehungen
zwischen den Zahlenwerten ders. 41.
Verbindungsgewichte, Einheit 16.
Verbindungsgewichte, Wahl ders. 218.
Verbrennungswärme 283.
Verbrennungswärme, homologe Reihen
283.
Verbrennungswärmen bei konstantem
Druck 285.
Verbrennungswärmen bei konstantem
Volum 285.
Verdampfung 98.
Verdampfungswärme 118.
Verdampfungswärme, molekulare 118.
Verdrängung der Säuren aus ihren
Salzen 419.
Verdünnungsgesetz 403.
Verflüssigung 98.
Vemutzungserscheinungen d. Energie
199.
Verseifung, Gesetz ders. 299.
Verteilungssatz 353.
Verwandtschaft, chemische 502.
Verwandtschaftstafeln 521.
Verwitterungserscheinungen wasser-
haltiger Salze 350.
Vierfacher Punkt 358.
Volt 378.
Voltasche Kette 376, 430.
Voltasche Kette, Elektrizitätsentwicke-
lung in ders. 380.
Volum, inkompressibles 57.
Volum, Verbrennungswärmen bei kon-
stantem 285.
Sach- Register.
549
Volum, kritisches 110.
Yolum, spezifisches, der Gase 60.
Volumchemische Methode der Affini -
t&tsmessnng 510.
Volume fester Stoffe 185.
Volumenergie 53, 247.
Volumverhältnisse flüssiger Stoffe 127.
Volum und Dichte der Gase 59.
Vorgänge, chemische 2.
W.
Wabige Struktur 339.
Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen
386, 397.
Wärme 247.
Wärme, spezifische, fester Stoffe 188.
Wärme, spezifische, bei konstantem
Volum 90.
Wärme und Arbeit 85.
Wärmeäquivalent, mechanische 87.
Wärmeausdehnung des Wassers 97.
Wärmeerscheinungen der Gase 83.
Wärmekapazität 84.
Wärmeleitung der Gase 81.
Wärmemenge, Einheit ders. 84.
Wärmen, spezifische 84.
Wärmesummen, Gesetz der konstanten
252.
Wärmetheorie, ersterHauptsatz ders.83.
Wasser, Thch. D. 263.
Wasser, Bildungswärme aus den Ionen
276.
Wasser, Dissociation dess. 401.
Wasser, Verbindungen mit Schwefel-
dioxyd 359.
Wasser, Wärmeausdehnung dess. 97.
Wasser, Zusammendrückbarkeit dess.
96.
Wasserstoff, Thch. D. 263.
Wasserstoff, V. G. 17.
Wasserstoff, Polarisation durch dens.
472
Wasserstoffionen 395.
Wasserstoffkette 456.
Wasserstoffsuperoxyd, Thch. D. 263.
Wasserstoff- Sauerstoff kette 46 1 .
Weglänge, mittlere 81.
Weinsäure, verschiedene Formen 140.
Wellenlänge 481.
Wellenlängen bestimmter Lichtarten
132.
Widerstand R. 377.
Widerstand, Einheit dess. 378.
Widerstand, spezifischer 382.
Wirksame Menge 321.
Wirksame Menge, Bestimmung ders.
in konzentrierten Lösungen 346.
Wismut, Thch. D. 273.
Wismut, V. G. 38.
Wolfram, V. G. 38.
X.
Xenon, V. G. 38.
Y.
Ytterbium, V. G. 38.
Yttrium, V. G. 39.
Z.
Zink, Thch. D. 271.
Zinn, Thch. D. 273.
Zinn, V. G. 39.
Zirkonium, V. G. 39.
Zusammendrückbarkeit des Quecksil-
bers 96.
Zusammendrückbarkeit des Wassers 96.
Zusammengesetzte Typen 237.
Zustandsgieichung nach van der Waals
115.
Zwischenprodukt 517.
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Druck TOQ POschel ä Trepte in Leipzig.
Verlag Ton WILHELM ENeELMANN In Leipzig.
Ostwald's Klassiker
der exakten Wissenschaften
z. Z. herausgegeben
von
Prof. Dr. Arthur von Oettingen.
8. In Leinen gebunden.
Erschienen sind bisher aus den Gebieten der Chemie und Erystallo-
graphie:
Nr. 3. J. Dalton und W. H. WoUaston, Abhandlungen zur Atomtheorie. (1803
bis 1808.) Herausgegeben von W. Ostwald. Mit 1 Tafel. M. —.50.
„ 4. Gay-Lussfte, Über das Jod. (1814.) Herausgegeben von W. Ostwald.
M. —.80.
„ 8. A. Ayofpidro und Ampi^re, Abhandlungen zur Molekulartheorie. (1811
und 1814.) Mit 3 Tafeln. Herausgegeben von W. Ostwald. M. 1.20.
„ 9. H. Hess, Thermochemische Untersuchungen. (1839 — 1842.) Herausge-
geben von W. Ostwald. M. 1.60.
„ 22. Woehler und Liebigr) Untersuchungen über das Radikal der Benzoesäure.
(1832.) Herausgegeben von Herm. Kopp. Mit 1 Taf. M. 1. — .
,y 26. Justas Liebig 9 Über die Konstitution der organischen Säuren. (1838.)
Herausgegeben von Herm. Kopp. M. 1.40.
„ 27. Bobert Bansen, Untersuchungen über die Kakodylreihe. (1837 — 1843.)
Herausgegeben von Adolf v. Baeyer. Mit 3 Fig. im Text. M. 1.80.
„ 28. L. Pasteur, Über die Asymmetrie bei natürlich vorkommenden orga-
nischen Verbindungen. (1860.) Übersetzt und herausgegeben von M. und
A. Ladenburg. M. — .60.
yy 29. Ludw. Willielmy, Über das Gesetz, nach welchem die Einwirkung der
Säuren auf den Rohrzucker stattfindet. (1850.) Herausgegeben von
W. Ostwald. M. —.80.
„ 30. S. Cannizzaro, Abriss eines Lehrganges der theoretischen Chemie, vor-
getragen an der königl. Universität Genua. (1858.) Übersetzt von Dr.
Arthur Miolati. Herausgegeben von Lothar Meyer. M. 1. — .
„ 34. B. Bunsen und H. £• Boscoe, Photochemische Untersuchungen. (1855
bis 1859.) Erste Hälfte. Herausg. von W. Ostwald. Mit 13 Fig. im
Text. M. 1.50.
„ 35. Jaeob Berzelios, Versuch, die bestimmten und einfachen Verhältnisse
aufzufinden, nach welchen die Bestandteile der unorganischen Natur mit
einander verbunden sind. (1811 — 1812.) Herausgegeben von W. Ost-
wald. M. 3.—.
„ 38. B. Bunsen und H. £• Boscoe, Photochemische Untersuchungen. (1855
— 1859.) Zweite Hälfte. Herausgegeben von W. Ostwald. Mit
18 Fig. im Text. M. 1.60.
Verlag Ton WILHELM ENeELMANN In Leipzig.
Nr. 42. Alex. y. Hamboldt und J. F. Gay-Lnssae, Das Yolumgesetz gasförmiger
Verbindungen. Herausgegeben von W. Ostwald. M. — .60.
„ 45. Hamphry Da?y, Electrochemische Untersuchungen. Vorgelesen in der
königl. Societät zu London als Bakerian Lecture am 20. Nov. 1806 und
am 19. Nov. 1807. Herausgegeben von W. Ostwald. Mit 1 Tafel.
M. 1.20.
„ 58. Carl Wilhelm Seheele, Chemische Abhandlung von der Luft und dem
Feuer. (1777.) Herausg. von W. Ostwald. Mit 5 Textfig. M. 1.80.
„ 66. J. W. Doebereiner und Max Pettenkofer, Die Anfänge des natürlichen
Systemes der chemischen Elemente. (1829 und 1850.) Nebst einer ge-
schichtlichen Übersicht der ^eiterentwickelung der Lehre von den
Triaden der Elemente. Herausgegeben von Lothar Meyer. M. — .60.
y, 68. Lotbar Meyer und D. Mendelejeffy Abhandlungen über das natürliche
System der chemischen Elemente. (1864—1869 und 1869—1871.) Heraus-
gegeben von Karl Seubert. Mit 1 Taf. M. 2.40.
„ 72. O. Klrcbhoff und B. Bansen, Chemische Analyse durch Spectralbeob-
aditungen. (1860.) Herausgegeben von W. Ostwald. Mit 2 Taf. und
7 Fig. im Text. M. 1.40.
„ 74. Claude Louis Berthollet, Untersuchungen über die Gesetze der Ver-
wandtschaft. (1801.) Herausgegeben von W. Ostwald. M. 1.80.
„ 75. Axel GadoUn, Abhandlung über die Herleitung aller krystallographischen
Systeme mit ihren Unterabteilungen aus einem einzigen Prinzipe. (Ge-
lesen den 19. März 1867.) Deutsch herausgegeben von P. Groth. Mit
26 Textfig. und 3 Taf M, 1.50.
„ 88. Job. Frledr. Christian Hessel, Erystallometrie, oder Krystallonomie
und Erystallographie, auf eigentümliche Weise und mit Zugrundelegung
neuer allgemeiner Lehren der reinen Gestaltenkunde, sowie mit voll-
ständiger Berücksichtigung der wichtigsten Arbeiten und Methoden an-
derer Krystallographen. (1830.) ErstesBändchen. Mit 8 Taf. Heraus-
gegeben von E. Hess. M. 3. — .
„ 89. — — (1830.) Zweites B&ndchen. Mit 3 Taf. Herausgegeben von
E. Hess. M. 2.80.
,y 92. H. Kolbe, Über den natürlichen Zusammenhang der organischen mit den
unorganischen Verbindungen, die wissenschaftliche Grundlage zu einer
naturgemässen Classification der organischen chemischen Körper. (1859.)
Herausgegeben von Ernst v. Meyer. M. — .70.
„ 94. £• Mitscherlioh, Über das Verhältnis zwischen der chemischen Zu-
sammensetzung und der Krystallform arseniksaurer und phosphorsaurer
Salze. (1821.) Herausg. von P. Groth. Mit 35 Fig. im Text. M. 1.— .
„ 98. Über das Benzin und die Verbindungen desselben. (1834.) Heraus-
gegeben von J. Wislicenus. M. — .70.
„ 104. C. M. Guldberg und F. Waage, Untersuchungen über die chemischen
Affinitäten. Abhandlungen aus den Jahren 1864, 1867, 1879. Übersetzt
und herausgegeben von R. Ab egg. Mit 18 Taf M. 3.—.
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