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Full text of "Grundsätze der Volkswirthschaftspolitik: Mit anhaltender Rü cksicht auf bestehende ..."

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ge 





Lehrbut 


der 


politiſchen Oekonomie 


Dr. Karl Heinrich Hau, 


großh. bad. geb. Rath und Profeffor zu Heidelberg, Comthur des Zähringer Kömenordens 

mit den Stem, Ritter des Preuß. rothen Adlerordend II. Claſſe, Ehrenmitglied der Untverfität 

St. Petersburg und der k. Akademie der Wiffeufhaften in Wien , correfpondirendem Mitglied 

des }. Inftitutd in Paris, det Akademieen der Wiſſenſchaften in Brüffel und Penh, der ftatifti- 

fhen Gommiffion in Brüffel, der ſtatiſtiſchen Geſellſchaft in Paris, Mitglied der f. Leopoldiniſch⸗ 

Garolinifgen Akademie der Naturforfcher und der landwirtbſchaftlichen Bereine in Baiern, 
Wuürtemberg, Großh. Heflen, Florenz und Galizien zc. 


Zweiter Band. 
Hrundfäße der Wolkswirtäfchaftspofitik. 
Erfte Abtheilung. 


Fünfte vermehrte und verbeflerte Ausgabe. 


“ en 
Mit großh. bad. Privilegium. 


——— — — —— 


Leipzig und Heidelberg. 
C. F. Winter'ſche Verlagshandlung. 
1862. 


- — Grundfäße 


der 


Volkswirthſchaftspolitik 


mit 


anhaltender Rückſicht auf beſtehende Staats— 
einrichtungen 


von 


Dr. Karl Heinrich Nau, 


—8 bad. geb. Bath und Profeffor zu Heidelberg, Comthur des Zähringer Löwenorbend 

den Stern, Ritter ded Preuß. rotben Adlerordenẽ nn. Glafte, Ehrenmitglied der Univerfität 

Er. Peteräburg und der f. Afademie der Wiſſenſchaften in Win, sorvelponbirenbem Mitglied 

tes 1. Inftinsts in Barie, der Akademien der Wiſſenſchaften in Brüſſel und Befth, der ſtatiſti⸗ 

iben Commiſſion in Bräflel, der ſtatiſtiſchen Geſellſchaft in Baris, ed der k. Leopoldiniſch⸗ 

Garelimifchen Afademie der Raturforiher und der landwirthſchaft Bereine in Baiern, 
—E Großh. "seiten, Slorenz und Galizien zc. 


Erſte Abtheilung. 


Fünfte vermehrte und verbefferte usgebe. 


— — — — — — 





Mit großh. bad. Brvifeghun, 


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Leipzig und Heidelberg. J 
C. 8. Winter'ſche Verlagshandlung. 
1862. 








Aus der VBorrede zur zweiten Ausgobe. 


Dar Berfafler war in biefem Banbe beftrebt, die Volks⸗ 
wirtbichaftöpflege vollftändiger darzuftellen, als es von feinen 
Borgängern gefchehen war. Ein großer Theil ihrer Gegenftände 
mußte aud der Bolizeiwiffenfchaft herübergenommen werben, in 
ber fie zerftreut und ohme befriedigende Begründung fanden. 
Die Lolföwirthichaftöpflege muß als ein eng verbunbenes, 
eigenthuͤmliches Ganzes anerfannt werben, welches aus einer 
Berbindung der volfswirthfchaftlichen Gefege mit den Zwecken 
des Staated in Bezug auf den Vermögenszuftanb bed Volkes 
entfpringt, fih aus oberfien Grundfägen entwidelt und ſich 
ganz ungezwungen nad) dem Syftem der Volkswirthſchaftslehre 
in wifienfchaftlicher Orbnung geftaltet.. Die Wiffenfchaft von 
ber Bollöwirthichaftöpflege hat der Verf. mit dem Namen 
Boltswirthfhaftspolitik bezeichnet. Mögen Andere fie 
immerhin der Polizeiwiſſenſchaft im weiteren Sinne des Wortes 
zutbeilen; dieß wird, woferne fie nur in diefer einen befonderen 
Hauptabfchnitt bildet, für Theorie und Prarid weniger nach⸗ 
tbeilig fein, ald wenn man ihren Inhalt zerlegen und nur 
einen Theil deſſelben ber Polizei einverleiben wollte. 

In ber Unterfuchung ber einzelnen Zwede, welche die Regie 
rung verfolgen, und ber Mittel, welche fie biebei anwenden 
fol, wird noch lange Zeit eine häufige Meinungsverfchiebenheit 
fRattfinden, und zwar weit mehr, als in der den fogenannten 
eracten Wiflenfchaften näher ftehenden Erforfchung ber volks⸗ 
wirthichaftlichen Gefege, d. h. in ber Volkswirthſchaftslehre 
ober Rationalöfonomie. Die meiften Menfchen können ſich bed 
ſtarken Einflufies einzelner Wahrnehmungen, die ihnen zufällig 





näher vor Augen Behen, nicht erwehren, und es ift ſchon 
darum eine Abweichung ber Anfichten über die von einer 
gewiffen Maafregel zu erwartenden Wirfungen nicht zu ver 
meiden, während man fich bei der Zurüdführung gegenmwärtiger 
oder früherer Erfcheinungen auf ihre Urfachen immer leichter 
vereinigen fann. In einem noch fo neu angebauten Felde 
berichtigen und läutern ſich auch mit jedem Jahre die Erfahs 
rungen, und je weiter man forfcht, defto mehr überzeugt man 
ſich, daß es nöthig ift, auf die in jedem gegebenen Falle obs 
waltenden Berhältniffe verfchiedener Art Nüdficht zu nehmen. 
Die allgemeinen Grundfäge werden darum nicht aufgegeben 
ober verläugnet, man erfennt aber, baß ſie zahlreicher find, 
als man fonft glaubte, daß ſie vielfach, in einander greifen und 
ſich wechjelfeitig befchränfen, Dieß ift in allen praftifchen 
Wiffenfchaften, 3. B. der Mebicin, der Erziehungslehre, der 
Kriegswiſſenſchaft, der Fall; diefelben werden in ihrem Fort⸗ 
gange verwidelter, aber was fie an Einfachheit einbüßen, das 
gewinnen fie an Zuverläffigfeit und Bollftändigfeit. Jeder 
erfahrene Staatsmann wird es beftätigen, daß er bei der Durchs 
führung eines gewiffen Grundſatzes fehr oft wegen der Ein- 
wirfung anderer ‚politischer oder wirthfchaftlicher Erwägungen 
und wegen ber Macht, die dad Beflehende ausübt, Schwierig. 
feiten fand und ſich genöthigt ſah, das theilweife ſich Wider: 
ftreitende durch eine Vermittlung in Einklang zu bringen. 

Die häufigen Hinweifungen auf die Verordnungen und 
Einrichtungen in den wirklichen Staaten, durch die der Verf. 
einem Bebürfniß der Geſchäftsmänner zu entfprechen fuchte, 
konnten nur beifpielöweife gefchehen, ‚ohne einen Anſpruch auf 
Bolftändigkeit zu machen, die mit dem Zwecke dieſes Werkes 
nicht vereinbar wäre. 


Zur fünften Ausgabe. 


Die erfie Ausgabe der Volkswirthſchaftspolitik eiſchien 1828, 
die zweite 1839, nachdem in der Zwifchenzeit die erfte zweimal 
unverändert abgedrudt worden war, bie britte 1844. Da biefe 
ebenfalld fchon einige Jahre vergriffen war und die Bearbeitung 
bed ganzen Bandes viele Zeit in Anfprud nahm, fo wurde 
berfelbe bei der vierten Ausgabe in zwei Abtheilungen zerlegt, 
deren erfte 1854, die zweite erft 1858 erfcheinen konnte. Aus 
gleihem Grunde ift diefe Trennung in zwei Abtheilungen aud) 
jest beibehalten worden, nachdem beide fchon einige Jahre im 
Buchhandel gefehlt Hatten. 

Bei der jegigen neuen Bearbeitung ift die bisherige Ans 
ordnung unverändert geblieben, nur die Beifügung einer neuen 
dritten Abtheilung: „Unternehmungen, im allgemeinen Theil der 
Productionspflege ausgenommen. Auch bie leitenden Haupt: 
fäge glaubte ich fortwährend feithalten zu müſſen, indem ich 
theils viele als ungerechtfertigt erfcheinende Eingriffe der Staats: 
gewalt in bie bürgerliche Gewerbthätigfeit widerrieth, theild aber 
viele fördernde Maaßregeln empfahl und ber bisweilen aufs 
tretenden Anficht, daß die Regierung nur Hinberniffe entfernen, 
fonft aber Alles den Einzelnen überlaffen folle, nicht beipflichten 
fonnte. Die herrfchende Meinung hat in diefer Hinficht mehr- 
mals -zwifchen beiden Ertremen gefchwanft, fo daß Derjenige, 
ber einen Mittelweg betritt, bald mehr gegen die Unthätigfeit 
von Seite der Staatögewalt, bald mehr gegen das. übermäßige 
Bevormunden zu fprechen bat, in ber legten Richtung aber 
häufiger ald in ber erſten. Manche anfangs Tebhaft beftrittene 
Säge find allmälig anerkannt und in ber Praris berüdfichtigt 








— - vm — . 


worben. . In ber Volfswirthfchaftspolitit ift während ber letzten 
Sahrzehende eine große Regſamkeit fowohl der Schriftfteller als 
der Staatöbehörben entftanden, ed find neue Gefehe, Berorb- 
nungen und Anftalten, neue Borfchläge und Erfahrungen zum 
Borfchein gekommen und in Bezug auf die letteren hat bie 
Statiftif .viel beſſeren Beiftand geleiftet als früher. Auch bei der 
gegenwärtigen Ausgabe wie bei den früheren fuchte ich den reichen 
Anwachs des Stoffes zu benugen und zu verarbeiten, auch zus 
folge fortgefeßter Horfchungen die im Texte der Paragraphen 
niedergelegten einzelnen Lehrſaͤtze zu vervolftändigen, beffer zu 
begründen "nnd hie und da zu berichtigen. Es konnte nicht 
ausbleiben, daß bie Bortfchritte, Die unfer Zeitalter in dieſem 
wichtigen Gebiete gemacht bat, ſich in den verfchiedenen Aus⸗ 
gaben des Xehrbuched kundgeben, ohne daß darum der Verf. 
den Vorwurf einer grundfaglofen Wanbelbarfeit befürchten müßte. 

Sch werde mir Mühe geben, die zweite Abtheilung fobalb 
als möglich zu liefern. 

23. April 1862. 

N. 


Inhalt. 


Einleitung, 8. 1. 
1. Buch. Beförderung der unmittelbar hervor— 


bringenben Thätigkeit oder der Stoffarbeiten 
fhnitt. Sorge für die Bedingungen der Gervorbringung 
im Allgemeinen, $. 10 . .. 
1. Abtheilung. Sorge für die Arbeit überhaupt . 
1. Hauptflud. Maaßregeln in Bezug auf die Zahl der 
Arbeiter, $. 11 (Bevoͤlkerungspolitik) 
2. Fr apa Fleiß und orig der Arbeiter, 


2. abiheitung. Sorge für das Gapital "im Agemeinen, 
6. 22. (Insbefondere Brandverficherungen, $. 24 ff.) 
Abtheilung. Unternehmungen, $. 29a 

2. ar chnitt. P ege der einzelnen Claſſen von Stoffarbeiten 

Ginleitung, $. 30 . 

1. Abtheilung. Pflege des Bergbaues, S. 33. 

2. AbtHeilung. Pflege der Lantwirtbichaft . 

Ginleitung, 6.4. 
. Haupftüd. Pflege des iandwirthfchaftlichen Gewerdes 
im Allgemeinen, $. 45 . 
L Maaßregeln in Bezug auf die Ländereien 
A. Rechtliche Verhaͤltniſſe. 
1. Bäuerliches Berhältniß, $. 4 
a. Art des bäuerlichen —— g. 47 
b. Jährliche bäuerliche Laflen . . 
. Im Allgemeinen, $. 52 . 

B. Einzelne ante ber bäuerlichen Läſten 
a. Frohnen, $. 62 
b. Zehnten, 6. 66 . 

c. Bülten und Grundzinſe, s. 11 

. Dienfibarkeiten, $. 72 . 

. Gefepliche Beftimmungen, welche die Veraͤuße⸗ 
rung und Erwerbung von eändereien bes 
treffen, 6. 76 . . 

4. Bemeindeländereien, $. 4... 

. Art der Berpachtungen, 6. 96 . 

B. * und Beſchaffenheit der inbereien 

1. Zufammenhängende Lage, $. 9 

2. Urbarmadhung und Bokenverbefferung, $. 102 


ww. 


Seite 





— x — 


II. Landwirthſchaftliches Capital 


A. Landwirthſchaftliche Berficherungsanftalten, $. 105° 


B. Landwirthichaftliches Greditweien, 6. 110 
ul. Landwirthſchaftliche Arbeitir, F. 1200 . . 
IV. Abfag der Iandwirtbfchaftlichen Erzeugnifle . 
Einleitung, $. 121 . .. 
A. Auswärtiger Handel mit Bodenerzeugniflen, . 123 
B. Innerer Verkehr mit Bodenerzeugniſſen, $. 133 
C. Maafregeln bei ungewöhnlich heben und niederen 
Getreibepreifen, $. 139 . . 
V. Belehrun n9 und Grmunterung, 1 
2. Hauptflü Pflege einzelner Zweige des landwirth 
ſchaftlichen Gewerbes 
Ginleitung, F. 148 . 
I. Feldbau, $. 1488 
II. Gartenbau, $. 151 
III. Waldbau, 6. 153 
IV. Thierzucht, 6. 167 


Einleitung. 


8. 1. 


Die Bolfswirthfhaftspflege (Wohlſtands— 
forge, Wirthſchaftspolizei) if die unmittelbar auf ben 
guten Erfolg der Volkswirthſchaft oder auf den Volkswohlſtand 
gerichtete Thätigkeit der Regierung. Sie bildet vermöge ber 
Eigenthümlichfeit diefed Zweckes fowie der angewandten Mittel 
einen befonderen Theil der Regierungsgefchäfte, einen zufammen- 
bängenten Inbegriff von Regierungsmaaßregeln. Die wiflens 
ſchaftliche Darftelung der Regeln, nach denen diefe Tchätigfeit 
eingerichtet werden fol, ift die Bolfswirthfchaftspolitif (a). 
Die Nothwendigkeit einer Sorge der Staatögewalt für die Volks⸗ 
wirthfchaft ergibt fich aus folgenden Sägen: 

1) Das Wohl des Volkes wie der einzelnen Bürger wird 
zum Theil von einem günftigen Vermoͤgenszuſtande oder von 
tem Wohlftande bedingt. Ie beträchtlicher das Volks⸗ 
einkommen ift und je befler es fich vertheilt, deſto cher kann 
bie Serechtigfeit, die Grundlage der Sittlichfeit, wurzeln, defto 
mehr Mittel zur Erreihung wmanchfaltiger Bortheile und zur 
Beförderung jeder Art von menfchlicher Ausbildung bieten fi 
bar, deſto mehr Sinn für höhere Güter ded Lebens wird herr: 
ſcheud, und deſto reichlichere Hülfsquellen fließen der Regierung 
für ihre eigenen Bebürfniffe zu, 1. Bd. 8. 14. Der Wohl: 
kand des Volkes gehört demnady unter die Bedingungen 
der Staatswohlfahrt, oder unter die Staatözwede (b). 

2) Schon das Beftehen der Staatöverbindung und ber auf 
das allernaͤchſte Bebürfniß derfelben, den Schutz der PBerfonen 


Ran, polit. Dekon. E. 1. Abth. -5. Ausg. 








— 2 —— 


und Sachen, abzielenden Einrichtungen iſt fuͤr den wirthſchaft⸗ 
lichen Zuſtand des Volkes höchſt foͤrderlich. Die Sicherheit 
vor allen inneren und äͤußeren Störungen giebt eine maͤchtige 
Ermunterung zum Fleiße, zur Sparfamfeit und zu vielen Unter- 
nehmungen, bie man unter den entgegengefegten Umftänden 
wegen ber ihnen drohenden Gefahren ſcheuet, $. 18. Alles, 
was die gefegliche Ordnung im Staate befeftiget, wirft daher 
auch mittelbar günftig auf die Volkséwirthſchaft. Indeſſen 
bleiben, aud wenn dieſe Staatseinrichtungen auf bad Beſte 
getroffen find, noch mancherlei Hinderniffe, Schwierigkeiten und 
Mipverhältniffe in der Volfdwirthfchaft übrig, die nur befeitigt 
werben fönnen, wenn bie Regierung ſich näher mit den Bebin- 
gungen des Volkswohlſtandes befannt macht und diefelben, 
ſoweit es nicht von den Einzelnen felbft gefchehen kann, durch 
eine unmittelbare Einwirkung berzuftellen ſucht. 


(s) Andere Benennungen fin? Staatswirthfchaftslehre, worunter 
jedoch Mehrere (3. B. Krug) auch bie Finanzwiſſenſchaft begreifen, 
fowie auch Log unter der angewandten Staatswirthfhafts: 
lehre — Staatswirthſchaftslehre im engern Sinn (v. Rotted), 
— Staatsnationalwirtbfhaftslehre(&r. Soden)— Pflege 
der bürgerlihen Wirthſchaſt (Schön) — Theorie ber 
Wirthſchaftspolizei (Oberndorfer). 

(65) Ueber den Zwed (die Beſtimmung) des Staates find zwar verfchiedene 
Lehren aufgeftellt worden, aber aus jeder berfelben kann die Roth: 
mwendigfeit ber Volkswirthſchaftspflege leicht abgeleitet werden und faſt 
Niemand Hat diefelbe einem Zweifel unterworfen. Die Erfahrung zeigt 
an vielen Beifpielen, daß die Blüthe der Gewerbe und ber Moplhand 
ber Völker duch beharrliche und einfihtsvolle Pflege der Volkswirth⸗ 
ſchaft Schr befördert, duch Vernachlaͤſſigung diefer Sorgfalt aber ge: 
ſchwaͤcht werden. Das Bebürfniß einer ſolchen Thätigfeit der Staats: 
gewalt wird in unferem Zeitalter mit vorzüglicher Klarheit begriffen, 
und die volfswirthfchaftlichen a gelegenpeiten haben angefangen, unter 
ben NRüdfichten der Staatskunſt den gebührenden,, lange verwwelgerten 
Rang einzunehmen. 


$. 2. 


Welcher Zuftand der Volkswirthſchaft für den Staat am 
günftigften ift, bieß läßt fih, wenigftens in feinen allgemeinen 
Umriffen, aus ber Volkswirthſchaftslehre leicht entnehmen: ein 
guted Ebenmaaß und eine vollftändige, zweckmaͤßige Benugung 
aller vorhandenen Güterquellen, — eine kunftmäßig betriebene 
und reichliche Erzeugung manchfaltiger Güter, ſowohl zur eigenen 
Verſorgung des Volkes, als zum Eintaufch fremder Waaren, — 





ein lebhafter innerer und ausmwärtiger Verkehr, — ein leichter 
Geldumlauf, — ein feRbegründeter und wohlbenugter Erebit, — 
ein großes reined Einkommen und eine Bertheilung, die ſowohl 
der Erzeugung als dem Berbrauche ber Güter die nüglichfle 
Richtung gibt und insbefondere die Rage der arbeitenden Elafle 
günftig geftaltet, — eine, die Bebürfniffe des Volfes vollftändig 
befriedigende und in wirtbichaftlihem Sinne geleitete Berzeb- 
rung. Nur dieß ift weiter zu unterfuchen, wie ſich die Regies 
rung in Bezug auf die wirtbfchaftlichen Beftrebungen ber Ein- 
zelnen zu verhalten und in weldyen Fällen fie namentlidy mit 
Zwang zu wirken habe (a). Die Auflöfung aller Einzelwirth⸗ 
haften in eine einzige große, von der Regierung verwaltete 
Wirthſchaft, die nur in einem fehr Eleinen Staate verfucht 
werden und nur bei hoher Sittlichkeit haltbar fein könnte, muß 
bier fogleidy außer Betracht bleiben, weil fie die Grundzüge 
ber ganzen Bolköwirthichaft, die Selbftändigfeit der Yamilien, 
dad Sondereigentyum und die aus dem Erwerbseifer entiprin- 
genden Beftrebungen des Mitwerbens vernichten und ber Res 
gierung eine unendlich ſchwere Aufgabe, fowie eine große, bem 
Mißbrauche zu leicht ausgefehte Gewalt zutheilen würde (5). 
(d) Rau, Ueber g. Beſchrantngen ber Freiheit in der Volkswirthſchaftspflege, 
Heid deib nn in ber Geſchichte der Staaten viele Bei⸗ 


jpiele —8* eines zu weit getriebenen Cingreifens, als einer zu ge⸗ 
ringen Sorgfalt der Regierung in dieſem Gebiete nachweiſen. 


(3) Das von Zachariaͤ fo Iogenannte Syſtem der Grwerbögemeinfhaft, 
nad den Lehren der Socialiften und Gommuniften I, $. 45 a 


$. 3. 


Wenn man, auch ohne foweit zu gehen, ber Regierung 
zumuthen wollte, die ganze Bolfswirthichaft mit Hülfe von 
Zwangsmaaßregeln zu regeln und zu leiten (a), fo müßte 
man vorausfegen, daß entweder 1) die Beftrebungen ber Eins 
zelnen, ihren Bermögenszuftand zu verbeflern, durchgängig nicht 
wirkſam genug feien, ober 2) die Einzelnen, indem fie ihren 
eigenen Bortheil verfolgen, oft dem Gemeinwohle entgegen 
handeln und deßhalb durdy bie Staatögewalt gelenkt und ges 
zagelt werben mäflen. 

Es iſt aber, was 1) betrifft, der Eifer ber Einzelnen, ihr 
Bermögen zu erhalten, zu vermehren und zu Genäflen (perſoͤn⸗ 

. 1* 


. — 4 — 


lichen Gütern) zu verwenden, in ber Volkswirthſchaft bie Haupt⸗ 
triebfeder (I. $. 7. 13), aus welcher ein angeftrengter Fleiß, 
Nachdenken, Auffuchen ver beften Erwerbögelegenheiten und 
Verlangen nad) ben hiezu bienlihen Kenntniſſen von felbft 
hervorgehen. Meiftens weiß ber einzelne Bürger fehr wohl, 
was ihm den größten Bortheil verfpricht, und er wendet bie 
dazu erforderlichen Mittel gerne an, wenn ihm feine Hinbers 
niffe im Wege ftehen. Behlt es an Kenntniffen oder Thatfraft, 
fo ift darum wenigftend fein zwingendes Verfahren nothwendig, 
und ein unnöthiger Zwang wiberftreitet der Gerechtigkeit; über- 
dieß könnte man noch in bie Gefahr fommen, aus Irrthum die 
Gewerbsthaͤtigkeit in eine unvortheilhafte Richtung zu drängen. 
Zu 2) find auch die Bälle eines Widerſtreites zwifchen dem 
allgemeinen und dem PBrivatvortheile nicht für fo häufig zu 
halten, ald e8 bei der früheren Bevormundung der Volkswirth⸗ 
fhaft vorausgefeßt wurde. Der Wetteifer, der fi in der Er- 
zeugung vieler Güter, ‚in der Verbeſſerung ihrer Befchaffenheit 
und in der Verminderung der Erzeugungsfoften äußert, kommt 
zugleidy der Geſammtheit zu flatten, ja nicht felten hat dieſe 
von feinem Erfolge nody mehr Ruben, ald die Einzelnen, von 
denen er audgeht. Zudem wirfen noch andere und höhere 
Triebfedern mit. Wohlthätige Gefinnung und Gemeingeift ber 
Bürger gründen nügliche Anftalten, die von blos felbftfüchtigen 
Antrieben nicht zu Etande gebracht würden, und überheben 
hierdurch die Regierung mancher fchwierigen Beranftaltung, 
I. $. 16 (b). 
(a) Spftem der Erwerbsbevormundung nah Zachariä's Bezeich⸗ 
nung. — Bal. au Schön, Neue Untef. S. 201. — Bülau, 
. Staatswirthichaftslehre, S. 18. — Diefes Syſtem würde noch am 
erſten auf eine ethiſche Anficht der volfswirthfchaftlichen Angelegenheiten 
im Sinne der Alten (I. $. 29) geflüßt werden Eönnen, die aber mit den 
neueren Begriffen von bürgerlicher Freiheit unvereinbar if. Das Ber: 
langen nah freier Bewegung in wirtbfchaftlihen Angele enpeiten ift 
neuerlich bisweilen als tadelnswerthes atomiſtiſches“ Beſtreben, als 
Mangel an Hingebung des Binzelnen an die Gefammtheit, als Selbft: 
ſucht dargeflellt werden, 3. B. bei Dupont-White, L'individu et 
l’etat, P. 1857, f. Journal des Econ. 2. Ser. XIII, 375. Die wirtb: 
Ihaftlihe Wohlfahrt des Volkes muß allerdings mehr gelten, als der 
Vortheil eines Ginzelnen, allein das, was die Mitglieder des Volkes 
zur Vermehrung ihres Vermögens unternehmen, dient in ber Regel zu- 


gleih zur Erhöhung des Volfswohlftandes und es iſt nur eine Aus: 


—5*— wenn dieſer mit den Beſtrebungen Ginzelner in Widerſtreit 
eht, 4. 





8. 4. 


Die Staatögewalt muß demnach darauf verzichten, bie 
ganze Erzeugung, Bertheilung und Verzehrung.dver Sachgüter 
in einem Volke durch Befehle und Verbote zu beherrfchen und 
vielmehr nur da eingreifen, wo ohne ihren Beiftand ein wich- 
tiger volkswirthſchaftlicher Erfolg gar nicht, oder nur fpät oder 
in geringem Maaße erreicht werden würde, fie muß ferner ba, 
wo ihre Mitwirfung Bebürfniß ift, in der Anwendung von 
Zwangsdmitteln bebutfam jein. Doch find Gebote und Verbote 
in manchen Yällen nothwendig, wo bie unbeichränfte Hands 
lungöweife der Einzelnen gemeinſchädlich wirken fann (a). Es 
giebt Gewinnfle, die nicht aus der Vermehrung der Güter, 
jondern aud der Bertheilung derfelben, alfo auf Koften anderer 
Rerionen herfließen und bei benen bisweilen der Schaden für 
einen Theil des Volkes höher anzufchlagen ift, als die Gewinnfte 
Weniger (db). Berner fann der augenblidliche Bortheil Eins 
zelner mit Nachtheilen oder wenigftend mit Beforgniffen für bie 
Zufunft verfnüpft fein (e), endlich können bie gefeblichen Rechte 
Einzelner in Fortgange der Zeit der Einführung oder Ver⸗ 
befferung von Productions oder Verfehrömitteln in dem Grabe 
binderlidy werden, daß eine Beichränfung der erfteren unver; 
meiblih wird (d). 


() Sartorius, Abhandlungen, I, 199—222. — Graf Buquoy, 
1. Radıtrag. — Sismondi, Nouv. prince. I, 196. — Malthus, 
Principles, ©. 18. — Rerne encyclop. Juill 1823. ©. 49. — Quar- 
terly review. Vol. XKVIII. No. 56. ©. 448. — Diejenigen, welde 
alles gebieterifche Gingreifen des Staates aus volfswirthichaftlichen 
Gründen unbedingt verwerfen, haben fidy vielleicht den ganzen Umfang 
der zur „olkamirthichaftenfiege gehörenden Regierungsgeſchaͤfte nicht 
deutlich vergegenmärtiget.. Wie es eine anerkannte efugnig des 
Staates if, die perlönlihe Freiheit und das Gigenthumsreht der 
Bürger aus Gründen der Sicherheit zu beichränfen, fo fann daſſelbe 
auch aus dem nicht minter wichtigen Zwede der Berforgung mit fach: 
lichen Gütern Bedürfniß werten. Man mag bei einzelnen Gegenftänden 
darüber freiten, ob eine Zwangsverordnung entbehrlich fei oder nicht, 
man wird im Zweifel fi immer zu Gunſten der Yreiheit enticheiden 
müflen, im: Vertrauen auf die unberechenbare Kraft und Ginflcht der 
Einzelnen, vermöge deren die Bolfswirthfchaft, gleich einem belebten 
Drganismus, aus ſich ſelbſt im Stande if, Uebel zu heilen; nur darf 
nicht durh einen auf erfahrungswitrige Borausfeßungen gebauten 
allgemeinen Grundfag dasjenige verworfen werden, was fidh aus be: 
fonderen Grünten vollkommen vertheidigen läßt. — Say glaubt, bie 
politifhe Oekonomie dürfe nicht einmal einen Rath geben, fle folle 





— 6 — 


blos den Zuſammenhang von Urſachen und Wirkungen erklaͤren (Lottres 
AM. Malthus, ©. 72); er tadelt, daß die deutichen er die 
Verwaltung (Adminiftration) in bie politifhe Defonomie aufnehmen ; 
jene fei eine Kunft (art), die aus verfchiedenen Wiſſenſchaften ihre 
Regel fchöpfen müfle; Hantbuh, VI, 283. — Senior, Outline of 
the science of political economy, S. 129, verweifet die praftifchen 
Lehren aus der politifchen Defonomie in die Geſetzgebungswiſſen⸗ 
haft. — Die neueren franzöfifhen Schriftfteller brauchen wie Say 
den Nusdrud art für bie aus der Anwendung der volfswirthichaftlichen 
Geſetze auf Zwecke des Staats hergeleiteten Berwaltungsregeln. Sour: 
celle Seneuil erflärt, die politifche Defonomie Pi ſowohl science 
als art und theilt fie in einen theoretifchen Theil, den er ploutologie, 
und einen praftifchen, den er ergonomie nennt (alſo Vollswirthſchafts⸗ 
lehre und Volkswirthſchaftspolitik), f. $. 9 (a). 


(2) 3. 3. bei Privatlotterien, Hafarbfpielen, Zinswucher, erfünftelter Ver: 
thbeuerung. Sartorius, a. a. D. S. 211—218. 


(ce) 3. 8. unzwedmäßige Waldrodung, Raubbau in Bergwerken ; derſelbe 
Grund fpriht für Brfindungspatente, chne welche viele Brfindungen 
unterbleiben würden. 


(d) 3. 3. bei Anlegung von Landftraßen, Canälen, @ifenbahnen, bei Ent⸗ 
mwäflerungen u. dgl., wo das fogenannte jus eminens bes Staates ans 
erkannt iſt; ebenfo bei grundherrlihen Rechten. 


$. 5. 


Demnach ift aud) das Syſtem einer unbefchränktten Er- 
werböfreiheit (a), obſchon das leichtefte, nicht befriedigend. 
Man fol jedoch, weil jedes Zwangsmittel ſchon als ſolches 
ein gewiſſes Uebel ift und zu mandyen Störungen ber Nahrungs⸗ 
verhältniffe Anlaß geben kann, — ſich nicht ohne reifliche Ab⸗ 
wägung der Vortheile und Nachtheile hiezu entichließen. Die 
Bedingungen, unter benen eine zwingende Maaßregel in biefem 
Gebiete gerechtfertigt werden ann, find dieſe: 

1) Es muß außer Zweifel fein, daß biefelbe zur Abwendung 
eines beträchtlichen volfswirthichaftlichen Nachtheils oder zur 
Erzielung eined erheblichen Bortheild nothwendig if. Der 
Nutzen für einzelne Perfonen oder die Entfernung einer vor- 
übergehenden Unbequemlichkeit ift zur Rechtfertigung nicht ges 
nügend. 

2) Zur Befeitigung jeder MWillfür und eined Wechſels in 
den, von Staatdbehörden und Beamten befolgten Grundfägen 
muß, jo weit ed thunlich ift, die Volkswirthſchaftopflege durch 
Geſetze geregelt werben. 

3) Es muß in Fällen, wo Jemand zur Aufgebung eines 
Privatrechtes verpflichtet wird, voller Grfap des Verkehrs⸗ 

















— 17 — 


werthes gegeben und hiezu ein genau geregeltes, vor Mißbrauch 

ihügendes Berfahren vorgefchrieben werben (b). 

4) Die beichränfenden Maaßregeln dürfen nicht weiter aus⸗ 
gebehnt werden, ald ed Bebürfniß ift (c). 

Wo die Privatbefirebungen genügend find, ober wo ein 
geawiffer Zweck mit andern Mitteln ohne Beichränfung ver Frei⸗ 
beit zu erreichen, oder wo derſelbe nicht fo wichtig ift, daß er 
die Beförderung durch Zwang verdiente, da muß biefer vers 
mieden werden (d). 

In der neueſten Zeit find viele Unternehmungen im wirth- 
ſchaftlichen Gebiete, die für die Mittel einzelner Perſonen zu 
groß und fehwierig waren, durch vereinigte Kräfte zu Stande 
gefommen. Die nüglichen Wirkungen foldyer Bereine und Gefell- 
(haften (Affociationen) liegen am Tage. Wenn aber auch auf 
diefem Wege der Staatögewalt manche Bemühung erfpart 
($. 3), ja mancher Zweck befier erreicht wird, fo darf doch 
hieraus nicht gefolgert werden, daß nad) und nad) die ganze 
Bolfewirthfchaftöpflege des Staates entbehrlich werde, denn 
viele gemeinnügige Anordnungen fünnen nur von der Staats, 
gemalt ausgehen und audy bei dem, was in den Wirkungsfreis 
von Brivatvereinen fällt, ift in vielen Hallen eine Thaͤtigkeit 
der erfteren nothwendig, bald zur Unterftübung, bald um aus 
höheren Rüdfichten die auf Gewinn gerichteten Unternehmungen 
in gewiffen Schranfen zu halten. 

(a) Daflelbe iſt aus den Grundfägen bes phnflofratiihen und auch des 
Smithifchen Syitems abgeleitet worden. Zu demjelben neigen fich be: 
ſonders Lotz, Handbuh, LI, 10. der 2. Ausg. — J. Bentham, 
Theorie des peines et des röcompenses, red. par Dumont. II, 246, 


Lond. 1811. — Zachariä, Bierzgig Bücher vom Staate, 2. Ausg. 
VIL 78 ff. (1843), doch mit einigen Ausnahmen, ©. 83. 104. 


(db) Diele Zwangsabtretung für öffentliche Zwede (expropristion pour cause 
d’ntilit& publique) fommt nur bei unbeweglichem DBermögen, bei ding: 
lihen und Gewerbsrechten vor. Die Nothwendigkeit der Abtretung iſt 
nad volfswirthfchaftlichen, wie in anderen gi en nad) militäriihen 
oder polizeilichen Erwägungen nad reiflicher Prüfung von der oberften 
Etaatsbehörde auszufprechen. — Vgl. Courcelle Senemil, Traits, 
u, 22. 


() Shön, N. Untef. ©. 208, räth zur Vermeidung des unnöthigen 
Einmiſchens, daß man der Gemeinde, als einer oͤkonomiſchen a: 
datien, in ber Leitung der wirthchaftlichen Angelegenheiten Vieles 
überlaffe und dem Staate nur das vorbehalte, „was über bie Com⸗ 
munen hinausgeht‘. Allein diefe Gränze ift fchwer zu ziehen; es if 
nicht zu erwarten, daß die Gemeindevorſtände ſich hinreichend auf einen 





— 8 —— 


allgemein⸗volkswirthſchaftlichen Standpunct ſtellen würben, und es wäre 
ſchaͤdlich, wenn in den verſchiedenen Gemeinden nach verſchiedenen An- 
ſichten und Regeln gehandelt würde. 


(d) Viele Meinungsverfchiebenheiten bei, einzelnen Gegenſtaͤnden rühren 

daher, daß man bald von ber Anfhauung ber Volfswirthichaft ale 

- eines Ganzen ausgeht, für welches die Binzelnen mandyes Opfer brins 

gen müflen, bald von den @inzelwirthichaften ale felbftändigen Theilen 

eines Ganzen. Jede von beiden Anfichten hat eine gewifle Berechti- 
gung und beide befchränfen fich gegenfeitig, vol. $. 3 (a). 


$. 5. 


Außer den Verboten und Geboten find in der Volkswirth⸗ 
fchaftöpflege noch mandherlei andere Maaßregeln anwendbar. 
Dahin gehören: 

1) Belehrung, wo die Kenntniß ber Bürger über gewiffe 
gewerbliche Angelegenheiten mangelhaft ift; 

2) Ermunterungen, um ben Gewerbfleiß auf folche Unter- 
nehmungen und 2eiftungen hinzulenfen, zu denen der Erwerbs⸗ 
eifer noch nicht Binreichend antreibt; Hiezu dienen bald ehrende, 
bald Gelbbelohnungen, bald andere Begünftigungen ; 

3) Hinwegräumung von Hinderniffen, welche von den Ein- 
zelnen nicht gehoben werben Fönnen, weil dazu entweder über- 
haupt eine Vereinigung vieler Kräfte, oder indbefondere bie 
Hülfe der Staatdgewalt erfordert wird; 

4) Errihtung, Pflege und Leitung ober Beauffichtigung 
verfchiedener Hülfsanftalten, welche durch die Mitwirfung der 
Regierung erft ihre volle Nüslichfeit erreichen. 


$. 6. 


Die Volkswirthſchaftspolitik iſt, wie es fhon ihr Name 
anbeutet, ein Theil der Staatswiffenfhaft oder Politik 
im weiteren Einne des Wortes (I, 8. 22) und zwar besjenigen 
Theiles derfelben, der ſich mit den Klugheitöregeln für die Ver: 
wirklichung der allgemeinen Bernunftgebote über den Staat in 
gegebenen Zeitz und Raumverbältniffen befchäftigt (Politik 
im engeren Sinne). Die verfchietenen Zweige der Regierungs- 
thätigfeit, deren jedem ein eigener Theil der Bolitif in biefem 
engeren Berftande entfpricht, wie Juſtiz⸗, Militärs Bolitif ıc. 
bilden bie Blieder eined großen Banzen, fie müflen gut ineinander 


_— 9 — 


greifen, fidy wechfelfeitig unterflügen unb nad) gleichförmigen 
höheren Grundfägen geleitet werden. Man darf feinen eins 
zelnen Staatszweck fo ausſchließlich verfolgen, daß man darüber 
andere Seiten bed Staatslebend aus dem Auge verliert und 
vielleicht einen anderen Theil der allgemeinen Wohlfahrt beein» 
träcbtigt. Daher fönnen auch die auf die Erhöhung des Volks⸗ 
wohlfiandes berechneten Regeln bisweilen aus anderen Staats⸗ 
rüdfichten einer Einfchränfung unterliegen. Soldye Fälle, in 
denen ein Widerſtreit zwifchen einzelnen Staatszweden ſtatt⸗ 
findet, find indeß, wenn dieſe richtig aufgefaßt werben, nicht 
häufig und ihr Eintreten muß unter gegebenen Umftänden durch 
genaue Erforſchung dargethan werden, che fie fich geltend 
machen fönnen. 


8. 6 a. 


Die Volkswirthſchaftöpflege iſt ſowohl ihrer Beſtimmung 
als der Beſchaffenheit ihrer Mittel nach weſentlich von der 
Bolizei im engeren Sinne, der Sicherheits⸗ oder Schutz⸗ 
polizei verjcyieden (a). Diefe gehört zu der erhaltenden 
Staatöthätigkeit, welche die dem Staate angehörenden Pers 
tonen (5) im Beſitze ihrer perfönlichen und fachlichen Güter zu 
ihügen ſucht und fowohl eine Beichädigung ald eine Entziehung 
diefer Güter zu verhindern bat. Die Polizei wirft für dieſen 
Zwed durch vorbeugende Maapregeln gegen jede im Innern 
des Staated zu befürchtemde Sicherheitöftörung, d. 5. gegen 
jedes @reigniß, welches die Verfügung einer Perfon über bie 
ihr zuftehenden (in ihr Rechtögebiet fallenden) Güter hemmen 
fann. Solche Störungen fünnen aus menfchlichen Handlungen 
oder aus natürlichen Vorgängen entfichen. Da, wo der Ein- 
zelne fich nicht felbft ebenjogut fidhern kann, muß die befchügende 
Tpätigfeit der Staatdgewalt in den meiften Fällen durch Wachs 
ſamkeit und fraftvolle Gegenmittel geübt werden. Die Volks⸗ 
wirthfchaftöpflege ift dagegen zu den fördernden ober güter- 
mehrenden Regierungsziveigen zu zählen (c). Sie fegt die 
Bolfswirthichaft ald etwas ohne Zuthun der Staatögewalt 
Entftandened voraus und muß gegen dieſelbe fchonend, mit 
großer Behutfamfeit verfahren, auch fowohl bie Geſetze ber 
Bolkswirthichaftslchre als die gewerblichen Betrieböregeln forg- 


fältig berüdfichtigen. Diefe Betrachtungen haben ben Wunſch 
erwedt, baß eigene Behörden und Beamte für die Volföwirth- 
fhaftöpflege angeorbnet werden möchten (d), was jedoch, mit 
Ausnahme der höchften Behörde (6. 7), nicht rathfam ift, weil 
ed die Koften vermehrt und weil manche ©efchäfte diefed Faches 
mit polizeilichen Berridhtungen in genauem Zufammenhange 
ſtehen (e). Aber wenn die Polizei im weiteren Sinne, weldye 
außer der eigentlichen Polizei auch die Volkswirthſchafts⸗ und 
Bolfsbildungspflege in ſich begreift (f), auch noch mit dem 
Richteramte verbunden ift, fo muß nothwendig einer ober der 
andere Theil von Regierungsgefchäften verfürzt werben. 


(a) Rau im Arhiv, Ill, 238. und in der flaatswiffenfchaftlichen Zeitichrift, 
1853, 3. Heft. Auch Andere nehmen die Polizei in dieſem engeren 
Sinne, 3. B. Harl, Handbuch der Polizeiwiffenichaft, 1807. — 
Gr. Soden, Staatspolizeiwifenihaft. ©. 40. (Aarau, 1817.) — 
v. Salza, Handbuh des Polizeirehts, I, 4. (Leipzig, 1825.) — 
Funke, Das Weſen der Polizei, 1844. ©. 28. — Zimmermann, 
Die deutiche Polizei des 19. Jahrh., 1845. I, 133. (Der PVerfafler 
bebient ſich, wie manche ältere Schriftfteller, des unbeflimmten Wortes 
Ordnung, um biefen Zweck zu bezeichnen.) — Behr, Allg. Polizei⸗ 
wiſſenſchaftslehre, I, 28. (1848.) — Im Ganzen genommen gehört 
biehber audy Bart. Fiani, Della polizia considerata come mezzo di 
preventiva difesa. Firenze, 1853. 


(5) Darunter auch die Stantsgewalt felbfl. 


(e) Es giebt wirthichaftlihe Uebel, die darum feinen Gegenftand der 

Sorpoli bilden, weil fie nur in dem ungünſtigen Ausgang eines 

den Erwerb bezwedenden Unternehmens oder in einer unvortheilgaften 
Bertheilungsart des Gütererzeugnifles beftehen. Weder der hohe Preis 
eines nothwendig zu faufenden Gutes, noch die Wohlfeilheit eines ab⸗ 
giecende Erzeugniſſes oder die Unzulaͤnglichkeit des Einkommens einer 
Perſon gehören in die Polizei, wohl aber Diebſtahl, Betrug, Faͤlſchung, 
Feuer: und Waflerfhaden, Thierfrankheiten. 

(d) Gr. Soden, Nationalöfon. VI, 82.. 


(e) Die Aufftellung der fogenannten Bolizeitaren 3. B. bat einen volfss 
wirthfchaftlichen Zweck, aber die Aufficht auf das richtige Gewicht des 
Brodes und Pleifches, auf den Gebrauch vorfchriftsmäßiger Maaße 
u. dgl. ift polizeilih, weil fie Betrug zu verhüten dient. 


Was in diefem weiteren Sinne, der noch jetzt in der Praxis allgemein 
ilt, die Polizei fei, das läßt ſich nicht durch eine förmliche Defini⸗ 
ion fagen, weil unter den dahingerechneten Re ierungsgeihäften feine 
innere Einheit beſteht. Man fann nur —— erklaͤren, wie ſich 
dieſes Geſchaͤftsgebiet gebildet hat und wie man ihm den Namen gab, 
der, als er gegen das Ende bed Mittelalters zuerfi aus dem Brichifihen 
genommen worden war, eine Zeit lang eine unbeflimmte Bedeutung 
ehabt hatte. Rau, Weber die Kameralwiffenihaft, S. 7. — Negativ 
ann man die Polizei der Praris bequem fo begeichnen ‚ daB fie alle 
diejenigen inneren Regierungsangelegenheiten umiaßt, welche weder ins 
Juſtiz⸗ noch ins Finangweren ehören. Soll aber ihr Inhalt ans 
gegeben werben, fo muß man FE mit der Aufzählung der Zwede, für 


07 


—RX 





welche fie wirkt, begnügen. So lange die Wiſſenſchaft ſich ihrer Be: 
fugniß be iebt, aus der Befammtheit der Staatsverwaltungsobjecte den 
Birkungsfreis der Polizei foftematifch zu entwideln, fo lange fle bio® 
aus der Praris die Regel fhöpfen will, was Bolizeifachen feien, kann 
fein geordneter, den Denfgefeßen gemäßer Vegriff von Boligei gegeben 
werben ; daher klagten fhon de la Mare (1729) und Schreber 
(1739) über bie Menge der verfchiedenen Erklärungen, und neuerlich 
baben fidh diefelben vergealt vermehrt, daß es nöthig wurde, fie muͤh⸗ 
fam zu fammeln, 3. B. v. Berg, Handbuch des deutfchen Polizei: 
rechts, I, 4. — Butte, Berfuch der Begründung eines Syſtems ber 
Bolizei, J. VBd. — Gr. Soden, a. a. O. ©. 41. — Bol. Zimmer⸗ 
mann, L 121. 


8. 7. 


Zur wirkfamen Ausübung der Bolfswirthfchaftspflege find 
zwedmaͤßige Organe (Beamte und Behörden) erforderlich (a). 


1) Die oberfte Leitung gefchieht in den meiften Ländern 
vom Minifterium des Innern, in welden häufig eine 
befondere Abtheilung (Section) für diefen Gegenftand gebilbet 
iſt G). Einige Staaten haben den Wirkungskreis, der ſonſt 
dem Minifterium des Innern anzugehören pflegt, unter mehrere 
Miniſterien vertheilt, deren einem dann die Volkswirthſchafts⸗ 
pflege ganz ober (minder zwedmäßig) theilweife zugewieſen 
iſt (c). Auch giebt es Beifpiele von befonderen, unabhängigen 
Oberbehörden (Minifterien), bie blos bie Volkswirthſchafts⸗ 
pflege, oder fogar nur Theile von ihr zu beforgen haben (d). 

2) Als Mittelbehörben in den größeren Abtheilungen des 
Staatögebieted, (Provinzen, Regierungsbezirken, Kreifen) (e), 
dienen bie in vielem Staaten fogenannten Regierungen 
GBezitks⸗ oder Kreisregierungen, Regierungdcollegien), welche 
theild blos für die Bolizei im gewöhnlichen weiteren Verſtande, 
theild auch zugleich für das Finanzweſen beftellt find (f). 
Einige Staaten haben ftatt diefer collegialifchen Behörden ein- 
ine Beamte, welche die Berwaltung eines folchen größeren 
Randeötheiled mit Hülfe von Untergebenen leiten; Büreau- 
verfaflung (9). 

3) Die Ausführung der Regierungsmanßregeln in einem 
feineren Bezirke, mit anfchaulicher Kenntniß der örtlichen Ver⸗ 
hältniffe wird von ben, für die Bolizeiverwaltung im weiteren 
Einne angeordneten Beamten (Ah), mit dem Beiſtande ber 
Semeindevorftände, Armencommifftonen und dgl. beforgt. 


4) Einige Zweige des gefammten Gefchäftögebieted find 


wegen ber erforderlichen technifchen Kenntniffe und bed genauen 
ZJufammenhanged finanzieller und volkswirtbichaftlicher Zwecke 
theil8 den Finanzbehörden (i), theil® einer befonderen kunſt⸗ 
verftändigen (technifchen) Oberbehörbe übertragen (k). 


(a) v. Malchus, Politif der inneren Staatsverwaltung, J. Bd. 2. Abſchn. 


(8) 


(e) 


(1826). — Deff. Statiftif und Staatenkunde, ©. 5086 ff. 

Rußland: Erpebition (Section) ber Staatsölenomie, im Minifterium 
bes Innern. — Diefe Ginrihtung darf in Heineren Staaten ale die 
befte angefehen werden. Die Minifterialfection der Volkswirthſchafts⸗ 
pflege, mit den erforderlichen technifchen Räthen für die Hauptclaſſen 
von Gewerben verieben, würde auch am beften zu ber Leitung der 
ſtatiſtiſchen Arbeiten befähigt fein, fo daß das ſtatiſtiſche Büreau ihr 
untergeben werben könnte. Sie empfindet am meiften das Bedürfniß 
ftatiftiicher Kenntniffe, und if am beflen im Stande, diefelben zu fams 
meln, zu prüfen, und zu verarbeiten. 


Frankreich: Minifterium der Landwirthfchaft und des Handels (dem 
auch die Pflege ter Gewerke übergeben ifl), und Minifterium ber 
öffentlichen Arbeiten (hauptfächlih Winanzgefhäfte); — Niederlande : 
Minifterium des öffentlichen Unterrichts, der Nationalinduftrie und der 
Golenieen. — Baden feit 1860: Handelsminifterium, auch für Land⸗ 
wirtbfchaft, Gewerke und Berkehrsanftalten. -- In Preußen beftand 
1817—25 ein Handels:, 1834—38 ein Minifterium bes Inneren für 
Bewerbeangelegenheiten, und neuerlich ift dort wieder ein Miniftertum 
für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, ferner eines für land⸗ 
wirthfchaftliche Angelegenheiten anzutreffen, ebenfo war in Deflerreidh 
bis 1859 ein Minifterium des Handels und der öffentlihen Bauten 
neben einem Minifterium für Landescuttur und Bergbau. — Baier: 
Minifterium des Handels und der öffentlichen Arbeiten, dem auch die 
Pflege der Landwirthfchaft und der Gewerke obliegt. — Der neuerlich 
in Gebrauch gefummene Ausdrud öffentlihe Arbeiten fann in 
verfchiedenem Einne verftanden werden. Man bezeichnet damit gewöhn⸗ 
lih theils die Betreibung von Staatögewerben, wie bie Bolt, den 
Telegraphen,, die Benugung der Bifenbahnen, den Bergbau, — theils 
die Herfielung großer und foftbarer Verfehrsmittel, den Straßen, 
Mafler- und Gifenbakndau. In Belgien werden alle genannten Ber- 
richtungen zu den travaux publics gerechnet, in Frankreich ift die Poft 
und ber Telegrapyh davon ausgeichloffen und überhaupt bat man fidh 
hiebei weniger durch einen Begriff, als durch bie Zweckmaͤßigkeit der 
Verbindung gewiſſer Geſchaͤfte beſtimmen laflen. 

Sachſen: die frühere Landesöfonomie-, Manufactur- und Commerz⸗ 
deputation. — England: Nath (board) für Handel und Colonieen. — 
Schweden: Handelscollegium. — Toscana: Kammer des Handels, der 
Handwerke und Fabriken. — Spanien: Junta fuͤr alle Zweige des 
Gewerbsweſens, 1824 errichtet. 

Diefe Ausdrücke werden nicht gleicyförmig gebraudt. Was in Baiern, 
Mürtemberg, Baden Kreis genannt wird, das entfpricht dem preußis 
fchen Megterungabegirr, der Furbeffiichen, großh. heffiichen, nieder: 
Tändifhen ıc. Provinz, dem franzöflichen Departement. Der 
Kreis in Breußen und Kurheflen kann mit dein großh. beififchen Rand: 
rathsbezirk, dem baierifchen Landgericht, dem mürtembergifchen Ober: 
amte und dem badiſchen Amte verglichen werben. 








(N) Srieres bei den Regierungen in se ürtermberg , Baden und Kurheflen, 
jo wie bei ben Landtrofteien in Hannover, leßteres bei den üfterreichis 
ihen, preußifchen und baierifchen Regierungen, von denen aber bie 
beiden lepteren 2 Abtheilungen, für Inneres (Polizei) und Yinanz 
weten haben, ein Theil der preußiichen auch mehr als zwei. 


Präfecten in Kranfreih, Amtleute in Dänemark, Landshauptleute in 
Echweten, Gouverneurs in den Niederlanden und in Rußland. 


(A) Lanträthe in Preußen un? Weimar, Kreiehauptleute in Defterreich und 
Eahien, Oberamtmänner in Würtemberg und Baden, Kreisräthe im 
Br. Heflen, Unterpräfeeten in Frankreich, Landeommiflare in ter baler. 
Pfalz. Die Befugniſſe und Gefchäfte diefer Beamten find in ben 
einzelnen Staaten nicht gleihförmig. Die Amtmänner in Hannover 
und Naſſau, fo wie Lie Landrichter in Baiern find zugleich Juſtiz⸗ 
Beamte. — ©. von Nihthofen, Handbuch für Landräthe (d. ß 
preufifche). 2. Aufl. Breslau 1834. 


(i) 3. 3. Pflege des Bergbaus, Zollweſen, Münzweien. 


(4) In einigen Staaten (Baiern, Würtemberg, Baden ıc.) beſteht eine 
Direction der Verkehrsanſtalten, vgl. (e). 


N 


De 


$. 8. 


Allgemeine Bemerkungen über die Bolfswirths 
ſhaftspflege. 

1) Dieſelbe äußert ſich, wie überhaupt bie Regierungs⸗ 
thaͤtigkeit, ſowohl in der Aufſtelluug allgemein verbindlicher 
Vorſchriften (Geſetzgebung), als in der Behandlung ein⸗ 
zelner Faͤlle nach den Geſetzen oder wenigſtens in der geſetzlichen 
Weiſe (Vollziehung). Wo viele einzelne Faͤlle unter eine 
für alle zweckmaͤßige Regel ſich bringen laſſen, da iſt es nuͤtz⸗ 
lich, dieſelbe als Geſetz oder Verordnung aufzuſtellen, fo 
daß im gegebenen Falle nur eine einfache Anwendung ber allges 
meinen Borfchrift nöthig if. Dieß befeitigt die Wilffür und 
fihert ein gleichförmiges Verfahren. Allein bei mandyen Maaß⸗ 
regeln muß für jedes einzelne Gefchäft befonderd unterjucht 
werden, was zwedmäßig jei, weßhalb die Geſetze und Verord⸗ 
nungen nur allgemeine Richtpunete und Gränzen feſtſetzen 
fönnen, den vollziehenden Beamten und Behörden aber mehr 
Epiefraum überlafien werden muß. Dieb ift die verwal- 
tende Thätigfeit im Gegenfage der einfachen Geſetzesvollzie⸗ 
bang (a). 

2) Außer den Gefegen, inrichtungen und Maafregeln, 
welche ausſchließlich auf die Beförderung bes Volkswohlſtandes 
gerichtet find, muß diefer Zweck auch bei foldhen Anorbnungen 


berüdfichtiget werben, bie zunädhft zu anderen Staatözweden 
dienen. So fommen bei ber bürgerlichen Rechtögefebgebung, bei 
ber Polizei im eigentlichen Sinne und bei ber Volksbildungsſorge 
manche Rüdfichten auf die Bebürfniffe der Volkswirthſchaft vor, 
welche die Volkswirthſchaftspolitik gleichfalls zu entwideln hat (d). 

3) Dagegen fann in dem Hinblid auf andere Staatöziwede 
Manches als rathſam erfcheinen, was in ausfchließlicher Bes 
ziehung auf den Wohlftand des Volkes nicht empfehlenswerth 
wäre. Die Bolfswirthfchaftspflege muß ſich als Theil ber 
gefammten Regierungsthätigfeit in den ganzen Staatdorgas 
nismus gut einfügen und allgemein ftaatlihen Erwägungen 
auf ihren eigenen Gang Einfluß geftatten, $. 6. 

4) Die in der Bolköwirthfchaftspolitit zu entwidelnden 
Mittel zur Beförderung der Volkswirthſchaft laſſen fi nicht 
überall und allezeit in gleichem Umfange, in gleicher Stärke 
und Richtung gebrauchen. Es ift vielmehr nothwendig beim 
Vollzuge jener von der Wiflenichaft im Allgemeinen empfohle⸗ 
nen Maaßregeln in gegebenen Staaten und Zeitpuncten auf 
die bejonderen Umftände zu achten, die zwar nicht die oberften 
Grundfäge felbft, wohl aber die Art und den Umfang ihrer 
Befolgung abändern fönnen und deren richtige Beurtheilung 
ebenfo wichtig als fchwierig if. Zu diefen Umftänden find 
hauptſaͤchlich nachftehende zu zählen: 

a) allgemein-ffaatliche: der Grad von Macht oder von 
Gefährdung von Seite anderer Staaten, — die Bebinguns 
gen ber Selbſtſtaͤndigkeit und Beſchuͤtzung des Staates (3.8. 
Schifffahrt zur Berbindung mit den Colonieen), — ber 
herrfchende Grad von geiftiger und fittliher Bildung bes 
Volks, — Neigung und Gefchidlichkeit der Bürger, ihre 
Angelegenheiten in Fleineren ober größeren Bereinen ſelbſt 
zu verwalten, oder Gewohnheit, fich auf die Regierung zu 
verlaflen ıc. 

volkswirthſchaftliche Umſtände: Größe des Landes, 
Beichaffenheit und Mandfaltigkeit feiner Erzeugniffe, — bie 
gewerbliche Entwidelungsftufe, auf der ein Volk im Allge 
meinen ſteht und bie fi in ber mehr ober weniger voll 
Ränbigen Benupung bed Landes, in der Manchfaltigkeit Der 
betriebenen Gewerbe, in bem Grade des barin herrſchenden 


b 


ur 





Kunſtfleißes, in der Bevölferung und der Größe bed Gapis 
tald fund giebt, — Vorherrſchen der einen vder anderen 
Gewerböclafle, ver Erbarbeit, der Gewerke, ded auswärtigen 
Handeld oder einzelner Zweige derſelben, — Vorliebe und 
Hähigkeit der Einwohner zu dem einen ober anderen, — 
Neuheit oder Alter einer Gruppe von Bewerben, — Leich⸗ 
tigfeit oder Schwierigfeit des Verkehrs mit dem Auslande 
und dgl. (ce). Die Bolldwirthichaftspolitif geftaltet ihre 
Regen hauptfählih im Hinblick auf den gegenwärtigen 
Zuftand der Staaten, jedoch ift es lehrreich, auch frühere 
Perioden der Bolfswirthfchaft zu vergleichen und ſich bie 
noch bevorftehenden Schritte in ber ferneren Ausbildung zu 
vergegenwärtigen. Jene Wiflenfchaft bedarf einer genauen 
und volftändigen Statiftif bed ganzen wirtbfchaftlichen Ges 
bieted. Obgleich die Beranftaltungen zum Einziehen, Sam⸗ 
mein, Prüfen und Zufammenftellen ber ftatiftiihen Nady 
richten in einem Staate eine allgemeine, feinem Regierungs- 
zweige ausfchließlid; angehörende Maaßregel bilden, da es 
3. B. eine Juſtiz⸗, Schugpolizeis, Kirchens, Schulftatiftif ıc. 
giebt, fo ift doch die volföwirthfchaftliche Statiftif ein bes 
fonderd reichhaltiger und wichtiger Theil der allgemeinen, 
weßhalb in mehreren Staaten das ftatiftifche Amt (bureau) 
dem Minifterium der Bolkswirthfchaftöpflege zugetheilt wor⸗ 
den ift. 


(*) 3. 3. Erbauung und Wahl der Richtung einer Straße oder Gifens 


bahn, Genehmigung einer Zettelbanf, Grrichtung einer landwirthſchaft⸗ 
ligen Mufteranftalt ıc. 


9 3. 8. Berg:, Handelsrecht sc. 


(e) 


Die Wiſſenſchaft kann nicht alle folche mögliche oder wirkliche Ber: 
fhiedenheiten der gegebenen Umftände, woh er die wichtigften ders 
felben beruͤckſichtigen. Die Erforſchung des Ginflufies, den foldhe, aus 
der Geſchichte und Statiftif zu erkennende Umftände auf bie Volks: 
wirthſchaftspflege üben müflen, verdient Torgfältig fortgelept zu werben, 
indeß wäre es zu weit gegangen, wenn man ber Volkswirthſchafts⸗ 
yolitif wegen der Berfchtedenheit in ben örtlichen und zeitlichen Ver⸗ 
hältniffen bie Berechtigung beftreiten wollte, allgemeine Grundfäge auf: 
zuftellen. Uebrigens iſt die geſchichtlich nachzuweiſende große Verſchie⸗ 
denheit der im Laufe der Zeit angewendeten Regierungsmaaßregeln 
nit allein aus den Veränderungen in jenen Umftänden, jondern aud 
aus dem hoͤchſt ungleihen Maaße von vollswirthichaftlicher Ginficht zu 
erllaͤren. Zwar ih mande Ginrichtung der Staatsgewalt bei einem 
gemifen Zuflande zwedmäßig, bei einem anderen überflüffig oder ſchaͤd⸗ 
ih, aber man barf nicht glauben, daß Alles, was in einer früheren 
Zeit verordnet worden iſt, bamals gut oder fogar nethwendig War. 


—— 16 — 
| 


8. 9. 


Bei den erften Bearbeitern der Staatswiffenfchaft von dem 
Ende ded 16. Jahrhunderts an finden ſich meiftens nur allges 
meine und unbeftimmte Lehren für die Beförderung des Volks⸗ 
wohlftande® (a) und wo einzelne Klugheitsregeln aufgeftellt 
wurden, da waren fie größtentheild den Grundſätzen des Handels⸗ 
fuftemd (I, 8. 37) entiprechend. Später verbreiteten ſich Schrift- 
fieller, die in den Berwaltungsgefchäften bewandert waren, 
etwas mehr über die zur Volkswirthſchaftspflege gehörenden 
Anordnungen, doch fehlte fowohl Vollſtaͤndigkeit als tieferes 
Eindringen in die Gegenſtaͤnde und ein irregeleiteter Eifer 
führte zu einer übermäßigen Einmiſchung in die Gewerbs⸗ 
angelegenheiten nad; vorgefaßten Meinungen (d) Als in 
Deutfchland im 18. Jahrhundert die Kamerahwiffenfchaft, ein 
Inbegriff von Gewerbölehren und Regeln der inneren Staats 
verwaltung (mit Ausfchluß ded Juſtizweſens) eifrig gepflegt 
wurde, fuchte man auch die Regeln der Bolfswirthfchafspflege 
mit mehr Ordnung und Zuſammenhang bdarzuftellen. Da man 
noch feinen Ueberblick des ganzen Gebietes hatte, fo wurde cin 
Theil diefer Regeln in der Polizeiwiffenfchaft eingereiht (8. 6a), 
ein anderer von einigen Schriftftelleen unter vem Ramen Staats: 
Gommercien: und Staatd-Handlungswiffenfhaft 
vorgetragen (ec). Die italieniihen Schriftfteller de8 17. und 
18. Jahrhunderts erläuterten einzelne Abſchnitte und es ift 
in ihnen der Uebergang von dem Handelsſyſtem zu richtigeren 
Anfichten, zur Empfehlung der Handeldfreiheit und einer ſorg⸗ 
fältigen Landwirthſchaftspflege deutlich zu erfennen (d). In 
dem naͤmlichen Sinne wirkten feit der Mitte des 18. Jahr⸗ 
hunberts in Sranfreih und Deutfchland die Phyſiokraten, nas 
mentlich in Bezug auf die Freigebung des Getreidehandels, 
des Handwerksbetriebes u. dgl. I, 8. 38. A. Smith, deffen 
Entwidelung der volfswirthfchaftlichen Grundgeſetze allgemeine 
Anerkennung erlangte, befämpfte in Uebereinftimmung mit den 
Phyftofraten und mit noch größerem Erfolge als diefe die herr⸗ 
fhende Vorliebe zus Bevormundung der ganzen Gewerböthätig« 
feit im Bolfe. Dur ihn wurben viele Zweige ber Volks⸗ 
wirthfchaftöpflege in helleres Licht gejegt und fefte Grundſaͤtze 


für diefelben aufgeftell. Andere Theile erhielten fpäter, vor⸗ 
züglich in Deutfchland, eine weitere Ausbildung. Nach biefer 
Bearbeitung der. ganzen Volkswirthſchaftspolitik erjchien dieſe 
al8 ein angewandter (praftifcher) Theil der politifchen Oekono⸗ 
mie, der fi) an die Volkswirthſchaftslehre als den theoretifchen 
Theil eng anfchließt. Nachdem von Smith und feinen erften 
Nachfolgern, fowie von mehreren Neueren einzelne Abfchnitte 
der Bolföwirthfchaftspolitif in die Volkswirthſchaftslehre an 
verfchiedenen paflend fcheinenden Stellen eingeflochten worden 
waren (e), fing man fpäter an, fie von ber lebteren zu trennen 
und abgefondert ald ein wiffenfchaftliched Ganzes abzuhandeln. 
Dieß ift darum zu empfehlen, weil ber Erforfchung ber ver: 
fhiedenen Regierungdmaaßregeln die Kenntniß aller volkswirth⸗ 
ſchaftlichen Gefege vorausgehen muß, weil den einzelnen Regeln 
allgemeine Grundfäge über dad Berhalten der Stuatögewalt in 
Deziehung auf die Volkswirthſchaft vorangeftellt werben müffen 
($. 3 ff.), weil überhaupt ftaatöwifjenfchaftliche Lehren häufig 
eingreifen und die Slugheitöregeln für die beften Mittel zur 
Deförberung des Volkswohlſtandes nicht die Allgemeingültigfeit 
und bie ftrengen Schlußfolgen der Volkswirthſchaftslehre zu- 
lofien. Außer den, der Bolköwirtäfchaftspolitif ausfchließlich 
gewidmeten Werken (f) und den Schriften über die Polizei-⸗ 
wiffenfchaft im weiteren Sinne (g) ift viel lehrreicher Stoff 
zur Prüfung und zur Erweiterung jener Wiffenfchaft aus ben 
in einzelnen Staaten beftehenden Gefegen und Einrichtungen zu 
Ihöpfen, welche man aus zahlreichen Samınlungen und Ver⸗ 
arbeitungen kennen lernt (A), fowie aud den fehr zahlreichen 
Schriften, über einzelne Gegenftände der Volkswirthſchaftspflege, 
theils mit, theild ohne Beziehung auf beftimmte Länder (i). 
Die Gefchichte der Volkswirthfchaftspolitif ift noch wenig bes 
arbeitet (&). . 


(«) 3. B. Fr. Bodinus, De republica, vgl. I, $. 37 (5). Am ausführs 
lichſten if das Münzweſen behandelt, 6. Buch 3. Cap. — Pa. Paruta 
(Della perfettione della vita politica, Venez. 1579) berührt nur den 
Mugen des Reichthums, hauptlächlih von moraliſcher Seite. — Petr. 
Gregorius Thbolos. De republica, zuerſt 1595. Die Gap. 7—9 im 
4. Bude handeln de mercatoribus et negotiatoribus in rep. conser- 
vandis, de agricolis u. de artificibus in rep. necessariis. — H. Con- 
ring (De civili prudentia, 1672) fpricyt nur darüber, wie ſich die Er⸗ 
werbslehre oder Chrematiſtik zur Politik verhalte. Hier wie in ſeinen 

Mau, polit. Cefon. II. .1. Abth. 5. Ausg. 2 


(2) 


(@) 


(e) 


Differtationen (3. 3. De importandis et exportandis 1665, De vecti- 
galibus 1665, De commerciis et mercatura 1666) geht er immer von 
den Grundgedanken des Arifloteles aus. Die erfigenannte Abhand⸗ 
lung lehrt, die Staatsgewalt müffe die Aus- und Einfuhr genau regeln, 
Gegenflände eines übermäßigen Luxus follen ausgeführt, ihre Ginfuhr 
und ihr Gebrauch foll erfchwert oder verboten werben ıc. 


3. B. 2. von Sedendorf, Der teutiche Fürftenftaat, zuerfi 1656. 
Er lehrt, der Staat folle für Nahrung und Bermögen der Unterthanen 
forgen. Daher folle dahin gewirkt werben, 1) daß es Niemand an 
der Rothdurft fehle, indem Landwirthſchaft und Handwerke befördert 
und der Verkehr erleichtert werden, gute Ordnung gehalten wird, daß 
fein Stand den anderen beeinträcdtige und jedes Gewerbe jo viel Leute 
befchäftige, als nöthig und nützlich ſei, 2) daß aud eine gute Anwen: 
dung bes Ueberflufles ftatt finde. 


v. Zufi (Staatswirthſchaft I, 61) braucht den erſten, v. Sonnen: 
fels (Grundfäge der Polizei, Handlung und Finanz II, 3) den zweiten 
diefer Namen. Der Ausdrud Commercien, Handlung, wird hiebei in 
einem weiteren Sinne genommen, fo daß er den ganzen Berfehr und 
die fämmtlicyen Gewerbe bedeutet. Zufti’s Grumdfefle zu der Macht 
und Glüdijceligfeit der Staaten oder ausführliche Vorſtellung der ge: 
fammten Polizeiwiflenfhaft, Königsberg u. Leipzig, 1760 und 1761, 
U Bode. 4%. enthält im 1. Bande größtentheils eine für die damalige 
Zeit verdienftliche und viel benugte Abhandlung der Volkswirthſchafts⸗ 
politif, der nur wenige fremdartige Gegenflänte (3. B. Medicinal: 
weſen) beigemengt find. Er handelt I, von ter Sorge für die unbe: 
weglihen Güter, den Boden des Landes, 1) von dem Anbau des 
Zandes, 2) von der Vermehrung der Sinwohner, 3) von dem Anbau 
und Wachsthum der Stäbte und Dörfer, 4) von Anflalten zur Bequem: 
lichkeit und Zierde (Landftragen, Po, Fuhrweſen, Ströme, Canaͤle ıc.), 
U, von der Sorge für die beweglichen Güter, — Kabrifen, Hand: 
werfe, Commercien, Abfapmittel, Geld, Credit, — Freiheit des Gewerb⸗ 
fleißes, Taren x. R 


Bol. I, $. 37 (d). 43 (ce). — Berri (1771) hält noch die Geldausfuhr 
für verderblih , verlangt aber ſchon Aufhebung der Zünfte und Frei: 
gebung der Ausfuhr, namentlich von Getreide. Sein Hauptgruntfag 
der Bolkswirthichaftspflege ift, daß man bie Zahl der Berkäufer mehren, 
ber inläntifchen Käufer vermindern fulle, um dadurch niedrigen Preis, 
ftarfe Ausfuhr und Production zu bewirken. Gr wie El angieri 
(1780) nähert fi den Phnfiofraten. 


Hieher gehören die in I, $. 45 angeführten Schriften, befonders 
Smith, Zueder, v. Jakob, Stors, Schön, Riedel, Shüß, 
Roſcher, Ricardo, Will, Say, Simonde de Sismondi, 
Roſſi u. A. — Nah Rofcher’s Tadel der von ihm fogenannten. 
idealiftifhen Methode der Nationalöfonomil im Gegenſate der 
Dior ph finlogit en (Grundlagen I, 33 ff.) wurde eigent⸗ 
ih die DBolfswirtbichaftspolitif ganz aufgegeben werden müflen,; die 
Nationalöfonomif hätte fi darauf zu befchränten, die Naturgefeße der 
Bolfswirthfhaft und den Erfolg der bisherigen Geſetze und Anord⸗ 
nungen ber Staatögeiwalt zu unterfuchen, während e6 dem Praftifer 
überlaffen bliebe, fi hieraus nad den jebesmaligen Umſtänden die 
Regeln für fein Berhalten zu fuchen. Die Berfchiedenheit und ben 
Fra en Wechfel ter Meinungen über das, was bie Regierung erftreben 
oll, towie manche Verirrungen fann man freilich nicht in Abrede ftellen, 
aber darum ift doch das wiſſenſchaftliche Nachdenken über die unter den 





—19 — 


heutigen Berhältniffen zu empfehlenden Gtaatseinrichtungen nicht zu 

verwerfen. Aus gleihem Grunde könnte man allen Zweigen ber Bolitif 

(Volizeiwiſſenſchaft, Iuftizpolitif ꝛc.) ihre Berechtigung beſtreiten, die 

Wiſſenſchaft dürfte nur in die Vergangenheit blicken, ohne ſich mit den 

* zu einer Verbeſſerung des gegenwaͤrtigen Zuſtandes zu beſchaͤf⸗ 
en. 


„N Ehr. v. Schlözer, Anfangsgründe der Staatswirthſchaft, II, 8. 
(Hier trägt die Lehre von der Bolkswirthichaftspflege den Namen 
Induſtriepolitik.) 

Kraus, Staatswirthſchaft. V. Band 1817. 

Gr. Soden, Staatsnationalwirthfchaft, ober VI. Band der National: 
Defonomie 1816. 

A. Costaz, Essai sur l’administretion de l’agricalture, du oommerce, 
des manufactures et des subsistances. Paris, 1818. 

Fr. E. Lotz, Handbuch der Staatswirthfchaft, I. B. 2. Ausg. 1838. 

I. &. Leuchs, Gewerb⸗ und Hanbelsfreiheit. Nürnb. 1827. Zweite 
Ausgabe 1831. 

8. Fr. * k, Die Srundfäge dee Volkswirthſchaftspflege. Stutt⸗ 
gart 1831. 

5. Bülau, Handbuch der Staatswirthichaftslchre, Leipzig, 1836. 

3.0. Ih erndorfer, Theorie der Wirthſchaftspolizei. Sulzbach, 


840. 

Kudler, Grundlehren der Volfswirthichaft, II. Bd. Wien, 1846. 

Coureelle-Seneuil, Traits thöorique et pratique d’dcon. politique 
I. Bd. Ergonomie. P. 1859. 

MN. Birth, Nationalöfonomie, II. Bd. 1859. 

Zum Theile gehören hierher auch: Sartorius, Abhandlungen, Lie 
Sfemente des Nationalreihthums betreffend, I, 199. Rüdiger, 
Stantslehre, S. 277. (Halle, 1795.) 

Auf einzelne Länder fich beziehend find: 

Petro Rodriguez Campomanes, Discurso sobre el fomento de 
la industria popular. Madrid, 1774. — Deutih: Abhandl. von 

- der Unterflüßung der gemeinen Induſtrie in Spanien. Stutt: 

art, 1778. 

Samuel Crumpe, Preisfchrift über die beften Mittel, dem Bolfe 
Arbeit und Verdienſt zu verfchaffen. Ueberf. mit Anmerf. (von 
phyfiokratifcher Richtung) v. Wichmann. eeinig, 1796. 

&. TH. Kleinſchrod, Ueber die Beförderung der Agricultur und 

des Gewerbweſens in Yranfreih. Münden, 1829. 

Derfelbe, Großbritaniens Getehgebung über GewerBe, Handel und 

innere Gommunicationsmittel. Stuttg. 1836. 


() Eifenhbuth, Bolizei oder Staatseinwohnerorbnung, I.B. (Neu: 
marft, 1808.) 

v. Jakob, Grundfäge ber Polizeigefeßgebung. II. B. 1809. 
v. Mohl, Die Polizeiwiſſenſchaft, Tübingen, 1845. 2. Ausg. IL 2. 
er viel hierher Behöriges in Bergius, Boligei und Kameral⸗ 
azin, Yrankfurt a. M. 1767-1777. IX. B. 49%. — Defien Neues 
Bolizei: und Kameral:Magazin, Leipzig, 1775-80. VL B. 4%. — 
©. auch Denfen, Materialien zur Polizei-, Kameral: und Finanz: 

yrasid. Grlangen, 1800-1803. 1. 2. 


(4) Da bisher die Bolkswirthichaftspflege der Polizei einverleibt war, fo 
muß man die zu ihr gehörenden Einrichtungen größtentheils in Samm⸗ 
lungen von Bolizeivorichriften auffuchen. 

2 * 


_— 2 —— 


Bergius, Cammiung teuticher an ee zum Boligei- und 
Sanrzalnch ten, fertgeiegt von Bedmanm, 17851— 179. 
xIV 

v. Ber Bentbus des teutichen Polizeirechts Bent II, VI, zweite 
Abrscilung, unt VIL Hamever, 1508. Be zu bar.) 

Gibenmaier, Lehrbuch über das <taatsölenemieredht. IL DB. Frank⸗ 
furt a RM. 1809. 

Beromeiv. Abriß tes vraftiihen Gameral: und Finanzweſens in 
ten f . ya. Gtasten. 3. Ausg. 1805. Franff. a . O. LLB. 

v. d. Hedte, Reyertorium ter Bolizeigeiege in ven f. yreuf. Staaten. 

ur 3. Berlin, 1820. 

Zel Pe Eyfemat. Lehrbuch ter Bolizeiwifenihaft nah preußiſchen 
Gkriegen. Duetlinburg, 1625 #. XIV. 2. 

v. Rönne und Simon, Das Bolizeiweien bes preuß. Staates. 


1840. I. B. 
Döllinaer, Repertoriumm der Staatoverwaltung tes Könige. Baiern. 
Münden, 1815. 


Boztl, —E bes baier. Verwaltungẽrechts, Münden, 1856 
Rettig, Die Polizeigeſezgebung tes Er. Baten. 4. #. von Gue⸗ 
rillot. Aarlerube, 1853. 
Gigenbreodt, Handb. d. großh. heffiichen Berortuungen, IH. B. 
Darmfatt, 1917. 
v. Etubenraud, Handbuch ter öfterreih. Berwaltungsgeichfunde. 
Wien, 1652. IL 2. Ausg. 1857. 
RBlouin, Trebuchet et Labat, Nouresu dictionnaire de police. 
Paris, 1835. IL ®. 
Block, Dietionnaire de l’administration francaise. Paris, 1856. 
Deifen Annusirg de l’administr. feit 1858. 
(i) Eie find bei den einzelnen Abtheilungen angeführt. 
(k) Dareste de la Chavanne, Histoire de l’administration de France 
depuis le regne de Phil. Auguste jusqu’a la mort de Louis XIV. 
Paris 1848. IL ®. 


Erftes Bud. 


Beförderung der unmittelbar hervorbringenden 
Thätigfeit oder der Stoffarbeiten. 


Erſter Abſchnitt. 


Sorge für die Bedingungen der Hervorbringung im 
Allgemeinen. 


$. 10. 


&; giebt Maaßregeln, welche von der Staatögewalt zur Bes 
förderung der gefammten Gütererzeugung im Allgemeinen, ohne 
Dezug auf einzelne Gewerbszweige, vorgenommen werben. Dies 
felben können theild die Bedingungen jeder Production (die 
®üterquellen, I, $. 85), theild die Benutzung ber letzteren 
in dem Betriebe der Gewerbe oder in ben Unternehmungen 
betreffen. Bei den Güterquellen ift zu unterfuchen, was bie Res 
gierung zur Erhaltung und Mehrung berfelben, zur günftigften 
Beicyaffenheit und dem vortheilhafteften Verhaͤltniß derſelben 
beitragen koͤnne. Die Bolföwirthichaftsichre unterfcheidet vier 
Arten ſolcher Bedingungen der Gütererzeugung, I, $. 85. Da 
jedoch die Raturkräfte für fich allein feine Einwirfung zulaffen, 
fondern erft durch die Arbeit nugbar werden, da ferner daß, 
was in Bezug auf die Grundſtücke gefchehen kann, nicht alle 
Zweige der Production, fondern allein bie Erbarbeit betrifft, 
fo bleiben nur die Arbeit und das Capital als allen Ge⸗ 
werben gleich nothwendig und ald Gegenftände der allgemeinen 
Borforge des Staates übrig. 


— 22 — 


Erſte Abtheilung. 
Sorge für die Arbeit überhaupt. 


Erſtes Hauptſtück. 
Magßregeln in Bezug auf die Zahl der Arbeiter. 


g. 11. 


Eine Bermehrung der mit bersorbringender Arbeit in einem 
Lande befchäftigten Menfchen ift hauptfächlich von der Zunahme 
ber ganzen Bolfömenge zu erwarten, I, 8. 111. Mit dem 
Anwachſe derfelben bei gleichbleibender Größe des Landes fteigt 
auch die Dichtigfeit der Bewohnung, d. h. die Bevölkerung (a). 
Man hat e8 fchon vor längerer Zeit für cine wichtige Aufgabe 
ber Regierung angefehen, auf die Bolfövermehrung eifrig hin⸗ 
zuwirfen, 1) weil mit der Einwohnerzahl zugleich die Anzahl 
der waffenfähigen Männer und fomit die Kriegsmacht bes 
Staated anwähft, 2) weil ſchon dann, wenn bie Gütererzeus 
gung nur in gleichem Schritte mit ber Volfömenge zunimmt, 
die Hülfdquellen für das Staatdeinfommen und folglih für 
die Thätigfeit der Regierung fich erweitern, 3) weil man wahr⸗ 
nahm, daß, wenigftend bis zu einer gewiſſen Oränze mit der 
Volfövermehrung eine Steigerung des Gewerbfleißes und eine 
Erhöhung des Wohlftandes verbunden ifl. Deßhalb glaubte 
man in einer hohen Bevölkerung ſowohl die Urfadhe, als 
das Kennzeichen der Macht und Blüthe eines Staates zu er: 
fennen (d). Die Sorgfalt der Regierung für die Erhaltung 
und Vermehrung der Einwohnerzahl wurde gewöhnlich mit dem 
Namen Bevölferungspolitif oder polizei bezeichnet (c). 
Da indeß die Staatsbürger nit als bloße Mittel für die 
Zwede ber Regierung betrachtet werben bürfen, vielmehr dieſe 
nur dazu beftimmt ift, dad Zufammenleben der erfteren zum 
Behufe einer alfeitigen Entwidelung zu Ienfen, fo darf bie 
Volksvermehrung nicht unbedingt für nüglich angefehen werben, 
fondern nur infoferne, als durch fie der wirthfchaftliche Zuftand 
bes Volkes verbeflert oder minbeftens nicht verfchlechtert wird. 


— 23 — — 


Es iR daher überhaupt ein richtiges Verhaͤltniß zwiſchen ber 
Volksmenge und dem Bolfseinfommen zu wuͤnſchen, und ber 
genannte Theil der Staatsklugheitslehre muß folglich in der 
Bollswirthfchaftäpolitit feine Stelle finden. Die Regeln für 
das Verfahren der Regierung in biefem Gebiete feßen voraus, 
daß man mit Hülfe der Erfahrung erforfcht, in welchem Zu⸗ 
lammenhange die Bevölkerung und die Bollövermehrung mit 
ver Ausbehnung der Gütererzeugung und des Guͤtergenuſſes 


ſtehen (d). 


(e) 


(# 


— 


(e 


— ⸗ 


—8 


Bevolkerung im eigentlichen Sinne (relative Bevölkerung 
nah der Bezeichnung der franz. Shriftiteller, Volksdichtigkeit 
iR das Verhaͤltniß der Cinwohnerzahl zu dem Raume, auf dem fie fi 

befindet. Die Bollsmenge von Baden z. B., gegen 1,360000, getheilt 
turh den Flächeninhalt, 278 Duadratmeilen, giebt die Bevölferun 

von 4805 Menichen auf der Q.⸗Meile. Neuerlih braudht man o 

unpaflend das Wort Bevölkerung, wo man Volksmenge (eines 
Landes) oder Einwohnerzahl (eines Bezirkes oder Ortes) meint. 
Die Mehrzahl Bevölkerungen flatt Einwohner ift undeutſch und 
Rammt aus der Nachahmung des Spaniſchen. 


Vorzüglich verbreiteten v. Juſti und v. Sonnenfels dieſe Anfidt. 
Die hohe ——— lehrte der letztere, ſei zwar nicht ſchon von 
ſelbſt der Staatszweck enthalte aber alle zur Erreichung beffelben dien: 
lichen Mittel. Grundfäge der Polizei, Handlung und Finanz, I, 26—31 
(1.4. 1804.) und deflen Handbuch der inneren Staatsverwaltung, I, 
$. 29 ff. (Wien, 1798.) 


In diefe Hat man auch mande Maafregeln gezählt, die zwar bie Volks⸗ 

vermehrung begünftigen, aber zunächft aus dem Zwecke der Beichügung 

(Siherheit) der Perſonen geboten find, wie die Gefundheitsforge bes 
ates. 


Eine ebenſo ſchätzbare als verdienſtliche Geſchichte der Lehre von ber 
Volksvermehrung giebt R. von Mohl, Geſchichte und Literatur der 
Staatswifienfchaften, III, 411. 1858. — Meltere Schriften über die 
Bolitif der Bolfsvermehrung: Bergius, Magazin, I, Art. Bevölfe: 
rung. — Comte de Herzberg, Huit dissertätions tenues pour l’anni- 
verseire du roi Frederic II. ©. 181. (Berlin, 1787; nur in Beziehung 
auf Preußen lehrreih.) — v. Jufti, Bokzehoiflenthaft, I, 173. — 
Rüdiger, Kurzer Lehrbegriff der perfönlichen Polizei und Finanz⸗ 
wiſſenſchaft. S. 33—40. (Halle, 1795, Anhang zu der in $. 9 ge: 
nannten Schrift.) — v. Berg, Polizeirecht, II, 19. — ®r. Soden, 
Rationalötonemie, I, 175. Defl. Staatspolizei. S. 120. — Weber, 
Handb. der Staatswirthidaft, I. Bo. 2. Abth. ©. 1 ff. (Berlin, 1805.) 

Eine den früheren gewöhnlichen Borftelungen entgegengelehte Rich: 
tung fhlug Malthus ein: Verſuch über die Volksvermehrung, aus 
tem Engl. v. Hegewiſch, Altona, 1807, IL DB. Gr lehrte, daß 
die Bolfsvermehrung nur in gewiſſen Gränzen, foweit fie nämlich mit 
der Zunahme der Nahrungsmittel gleihen Schritt halte, unſchädlich 
fi. Dieß war zwar fchon früher, aber obne Ginfluß auf die Anfichten 
der Zeitgenoffen, von Lodov. Ricci (Riforma degl’ istituti pii della 
eittä de Modena, 1787, in den Serittori classiei di Econ. p., vorzüglicd, 
m Bezug auf unüberlegte Armenunterflüßung) und von Giamm. 





— 24 — 
Ortes, (f. I, $. 43 (e)) behauptet worden. Malthus fand vorzüg- 
lich in England Iebhafte Gegner, unter anderen Gray, Theo happiness 
of states, London, 1815. — Weiland, Principles of population and 
production, London, 1816. — Purves, The principles of population 
and production, L. 1818. — Goodwin, Inquiry on population, 1818. 
II. — Everett, New ideas on population, Boston, 2. ed. 1826. 
franz. von Ferry, Paris, 1826. — Sadler, The law of population, 
London, 1830. II. — Die Malthus’fhen Lehren, obſchon mander 
Berichtigung bebürftig, haben doch im Ganzen Anerkennung gefunden 
und auf die Wiffenichaft mächtigen Ginfluß gewonnen. Bol. Lowe, 
Zuftand von England, übel. v. Jakob, ©. 364. — Sismondi, 
Nouveaux principes, II, 7. Bud). — Wijsgeerige Verhandelingen van 
de hollandsche mastschappij der wetenschappen te Haarlem, I. deel 
2. stuk. 1821. (3 Preisfchriften über die Yrage, ob die Armuth, von 
der mehrere Staaten Europas gebrüdt find, einer Uebervölferung zus 
zufchreiben tft, 1) von Scherenberg und Tydemann, 2) von 
. 9. Rau, 3) von Graf Starbed). — a Encyflopädie von 
Erſch und Gruber, N. Bevölkerung (von Rau). —v.Mohl, 
Bolizeiwiflenfchaft, I, 72. — Bülau, Der Staat und die Induftrie, 
©. I. — Deſſ. Staatswirthfchaftslehre, S. 22. — De Villeneurve- 
Bargemont, Economie politique Chrötienne, P. 1834. (Bruxelles 1837) 
Liv. I. ch. 7. — Hoffmann, Ueber die Beforgnifle, melde die Zu⸗ 
nahme ber Aevölkerung erregt, Berlin, 1835. 4. — Schmidt, Unter 
fuhungen über Bevölferung, Arbeitslohn und Pauperism. 1836. — 
Senior, Outline, ©. 140. — Ch.,Archinard, De la population 
considör6e dans ses rapports avec la societ& civile et le pouvoir qui 
la dirige, Lausanne, 1838. — Oberndorfer, ©. 146. — Roſcher, 
Volksw. I, 434. (Die Unterfcheidung der Verhältnifle bei rohen, bei 
entwidelten und bei finfenden Bölfern iſt fehr lehrreich, wie denn der 
Verf. den Gegenftänden überhaupt viele neue Seiten abgewinnt, wenn 
auch manche theoretifche Betrachtungen für die vorzüglich auf die Be- 
bürfniffe der heutigen europätfchen Staaten gerichtete Bolfswirthfchafts: 
politit weniger ypraftifh anwendbar find.) — A. Messedaglia, 
Della teoria della populazione. I. Verona, 1858. (enthält die Beleuch- 
tung der Malthus’fchen Theorie). 


g. 12. 


Ueber die Bedingungen der Volksvermehrung und bie Urſachen 
der ungleichen Bevölkerung der Staaten können, auf den Grund 
allgemeiner und befonderer Erfahrungen (a), folgende Säge 
aufgeftellt werden: 

1) Die Hinneigung der beiden Gefchlechter zu einander und 
die Stüge ded Familienlebend find fo mädtig, daß fie in ber 
Regel eine ftarfe Vermehrung der Volksmenge verurfachen 
würden, wenn feine äußeren Hinberniffe obwalteten (5). Diefe 
find hauptſaͤchlich wirthfchaftliher Art und Liegen in ber 
Schwierigkeit, für eine vermehrte Zahl von Einwohnern Unter⸗ 
halt zu finden. Sie äußern fi fowohl in der Befonnenheit 
und Vorſicht in Bezug auf Zeugungen, namentlich bei ber 


— 95 — 


Verheirathung (e), als in der größeren Sterblichkeit derjenigen 
Menſchen, deren Beduͤrfniſſe nicht hinreichend befriediget werden 
können. Je weniger jene Ueberlegung verbreitet iſt, deſto uns 
vermeidlicher iſt es, daß auf dieſem gewaltſameren Wege, durch 
Noth, Seuchen x., dad Gleichgewicht der Volksmenge und ber 
Unterhaltungsmittel ſich herftellt (d). 

2) Da die arbeitende Claſſe bei weiten bie zahlreichfte if, 
und in diefer audy jene Hinbemiffe am ftärfften wirken, fo 
hängt das Maaß ber Volfövermehrung am meiften davon ab, 
wie hoch ber Arbeitöverbienft fteht und welche Gütermenge fidh 
der Arbeiter mit jenem verfchaffen kann, worüber wieder das 
beftehende Verhaͤltniß zwifchen der Zahl von Arbeitern und dem 
zur Befichäftigung berfelben beftimmten Gapitale enticheidet, 
I, $. 195. Die Langfamfeit, mit ber ſich der auf den Unter 
halt von Arbeitern verwendbare Gütervorrath von Jahr zu 
Jahr vergrößert, muß nothwendig audy der Zunahme der Volks⸗ 
menge eine Gränze feben. 

3) Mit dem Anwachs der Volksmenge fteigt in gleichem 
Berhältnig der Guͤterbedarf zur Verzehrung, ed ift aber 
nicht gleich ficher, daß audy die Gütererzeugung in bem 
nämlihen Maaße zunehmen werde, weil hiezu auch dad Vor⸗ 
bandenfein ber erforderlichen anderen Güterquellen (Land und 
Capital) und Gelegenheit zum Abſatze gehören (e). Ohne eine 
entfprechenbe Erweiterung der Production würde jener Anwachs 
weber wohlthätig nody dauernd fein. Die Bermehrbarkeit ber 
Lebensmittel in einem Lande, vorzüglich der Nährftoffe, bildet 
jeboch nicht für ſich allein die Bränze der Volksvermehrung (f). 
Wenn die Gewinnung einer größeren Menge von Rährftoffen 
betraͤchtlich Foftbarer wird, fo fann fie dadurch verhindert wers 
den, daß ed an Mitteln zum Ankaufe gebricht, indem z. B. 
die Unternehmer wegen Mangeld an Capital oder Abſatzgelegen⸗ 
beit nicht mehr Arbeit begehrten und fomit der Lohn nicht fleigt. 
Ueberdieß laſſen ſich Nährmittel vom Auslande einführen, wenn 
man im Stande iſt, fie zu bezahlen; man darf daher die Ein- 
wohnerzahl, die ein Land mit feinen eigenen Erzeugniſſen zu 
nähren vermag, nicht mit derjenigen verwechfeln, welche ſich 
bafelbft gut fortbringen kann; doch ift die Abhängigfeit von 
der Zufuhr der nöthigften Rahrungsftoffe mit einiger Gefahr 


verbunden und bie leichte Erweiterung bed Bobenertraged ohne 
ftarfe Vermehrung der Erzeugungsfoften eines Bentners ıc. if 
daher allerdings der Volksvermehrung günſtig. Es läßt ſich 
fein allgemeines Geſetz über dad Zahlenverhädtnig aufftellen, 
in welchem eine folche Vergrößerung bed Erzeugnifies an Lebens⸗ 
mitteln erfolgen fann, weil ed dabei auf dem gegebenen Zu⸗ 
ftand des Landbaues, auf die noch unbenupten Flächen, auf 
bie ©elegenheit zu Verbefierungen des Bodens und Betriebes ıc. 
anfommt (g). 


(a) Die Unterfuhung der allgemeinen Zahlenverhältnifie, welche in den 


(2) 


(d 


(e) 


Geburten, Sterbefällen, Heirathen ıc. ber nfchen, ungeachtet der 
Berfchiedenheiten in einzelnen Zeiten, Ländern, Volksclaſſen sc. zu er⸗ 
fennen find und der Urfachen dieſer Verſchiedenheiten, bildet den In⸗ 
galt einer befonderen Wiflenfchaft, welche neben der Volkswirthſchafts⸗ 
ehre & ftehen verdient und ber Phyſiologie des Menſchen verwandt 
it. Ste nimmt ihren Stoff aus der Statiftif jener zähfbaren Vor⸗ 
gänge im menfchlichen Xeben, der fog. Bewegung ber Bevölkerung. 
Quetelet, Sur l’homme et le developpement de ses facult&s, ou essai 
de physique sociale, 1835. II Bände. — Bernoulli, Bopulatios 
niftif oder Bevölkerungsmwifienihaft, Ulm, 1840, 1841. II B. Radıs 
trag. 1843. — Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsftatiftif. II B. 
Böttingen, 1859. 1860. 


Bei 5 Broc. Geburten und 2 Proc. Todesfällen, was nur unter fehr 
ünftigen Umfländen möglid wäre (I, $. 196 (5)), alſo bei einer jaͤhr⸗ 


ihen Vermehrung von 3 Proc. würde die Berdopplung in nicht voll 
24 Sahren erfolgen. Iſt diefe Vermehrung 


jährlich 2 roc., fo erfordert die Berdopplung 36 Jahre 
” 1 /2 47 ” 
7 1 0 „ 
” ta 150 " 


Das vorbeugende Hemmniß nah Malthus, preventive oheck. 


Das von Malthus fog. pofitive Hemmniß der Webervölferung 
positive check. Es fönnen übrigens noch manche andere Urfachen, die 
mit dem Lohne und dem Borrathe von Lebensmitteln nicht zuſammen⸗ 
hängen, die Sruchtbarkeit der Shen und die Volksvermehrung fchwächen, 
. B. ungefunde Luft, Ausfchmweifungen ꝛc. Muh reihe Familien 
Kerben aus. Hicks (Westminster & foreign quart. Bev. Oct. 1849) 
laubt, daß ein flarfer Zuwachs von einer Bermifhung verfchiedener 
Bölfertämme duch Wanderungen bedingt werde. Doubleday (The 
true law of population, 1840, 3. A. 1854) hatte früher die durch 
Wohlhabenheit entſtehende Wohlgenährtheit der Menſchen für ein Hemm- 
niß der Volksvermehrung angefehen. 


Dieß ift die Meinung ber fog. Populationiften, der Gegner von 
Malthus. 


Malthus glaubte, daß durch Ausdehnung und Bervollfommnung 
des Landbaues die Lebensmittel von Zeit zu Zeit nur etwa ˖ im Ver⸗ 
hältniß der Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, 5, . . . vermehrt werben fönnen, 
während die Volfsmenge, wenn jenes Hinderniß nicht vorhanden wäre, 
in den nämlichen Zeilabſchnitten nad der geometrifhen Progreſſion 


ut — — — — — — 


— — 


1, 2, 4, 8, 16, . . . anwachſen könnte. Als Malthus mit feiner 
Lehre auftrat, fehlte es noch fehr an flatiftifchen Thatfachen über bie 
Bollövermehrung ber verfhiedenen Länder. Die Annahme einer geome- 
triſchen Reihe Air ben Anwachs der Bolfsmenge (I, $. 196 (5)) if 
jedoch der Natur der Sache angemefien, weil die jährliche Zahl ber 
Geburten von ber der Lebenden bebingt wird und alfo, wenn feine 
aufälligen Schwankungen von Jahr zu Jahr einträten, alljährlich nicht 
eine gleiche Anzahl von Menſchen, fondern eine gleihe Quote, 3. B. 
gleichviel Procente ber Lebenden Hinzufommen würde. Wird der Zu: 


wachs der Bollsmenge v mit 206 .v bezeichnet, fo if die Bolfsmenge 


v’ nach n Jahren — (IE 9 "y. 

(4) Schon Juſti (Polizeiwifl. I, 177) ungeachtet feines Cifers für bie 
Boltsvermehrung erkannte, daß dieſelbe, wenn fie nicht mit gutem An- 
bau bes Bodens verbunden iſt, ein Uebel wäre und daß fle durch bie 
Gelegenheit, ſich zu nähren, bebingt ift; er widerlegt aber Mirabeau's 
Behauptung, daß jene insbefondere von dem Getreidebau des Landes 
abhänge. — Die anfehnlihe Vergrößerung des Bodenertrages der 
meiſten europäifchen Länder in den letzten 80 Jahren läßt für bie 
nächſte Zukunft nocd feine Beforgniß auflommen, und ungeadtet ber 
ſtarlen Bolksvermehrung feit 1815 iſt doc das Erzeugniß von Nah: 
rungsmitteln noch völlig zureichend. 





6. 12 a. 


4) Ob eine gewiffe Bevölferung als übermäßig gelten 
müffe, dieß hängt nicht fowohl von ihrem Zahlenausbrud für 
fih, als vielmehr von ihrem Berhältnig zu der Gütererzeugung 
und dem Capitale, alfo zu den vorhandenen Mitteln des Unters 
baltes ab. Eine und biefelbe Zahl fann in dem einen Lande 
oder Zeitpuncte fchon zu groß, in dem anderen noch ſchwach 
ericheinen und ein Üebermaaß der Bevölkerung kann ebenfowohl 
durch gefteigerte Gütererzeugung als durch Verminderung ber 
Volkomenge gehoben werben. Statiftiiche Kennzeichen geben 
hierüber wenigftend Bermuthungen (a). 

5) Die Bolfövermehrung forwohl durch inneren als äußeren 
Zuwachs pflegt da am ſchnellſten zu erfolgen, wo die Belegen» 
beit zur Ausdehnung ber Brobuction und zum Anwachſe bed 
Capitals am günftigften if. Bei hoher Bevölkerung geichieht 
der Anwachs gewöhnlich Tangfamer und es ift eine beruhigende 
Wahrnehmung, daß mit der größeren Bildung der Bölfer und 
der Gewoͤhnung an ein größeres Maaß von Bebürfniffen viele 
Ehen fpäter und behutfamer abgeſchloſſen zu werben pflegen, 
was auch ſchon aus der abnehmenden Zahl von Heirathen zu 
erfennen ift (b). 


— 298 — 


6) Die Bevoͤlkerung iſt, abgeſehen von anderen nicht volks⸗ 

wirthichaftlichen Urfachen, gewöhnlid am niebrigften 

a) da wo bie europäifche Gefittung erft feit Kurzem Wurzel 
gefchlagen hat und folglich die Volksmenge noch nicht Zeit 
hatte, fi) in Gemäßheit ber natürlichen Hülfsquellen zu 
vergrößern; fog. neue Laͤnder. Hier pflegen aber bie 
Fortfchritte am rafcheften zu fein (ec); 

b) da wo bie Erwerbung bed Unterhaltes für eine neue 
Familie am fchwerften if. Dieß Tann hauptfächlich von 
folgenden Urſachen herrühren: 

a) Ungünftige Beichaffenheit und Lage bed Landes. Kältere 
Länder und Gebirgögegenden bringen weniger Nahrungs⸗ 
mittel hervor (I, 8. 87) und werden, befonders, wenn 
fie von den Sammelpuncten bed Verkehrs entlegen find, 
von den Unternehmern nicht häufig zur Anlegung von 
Gapitalen gewählt (d). 

A) Borherrfchende Lanbwirthfchaft, bie zum Theile für den 
auswärtigen Abfag betrieben wird und daher nur eine 
ziemlich gleihbleibende Anzahl von Arbeitern beichäftigt, 
mit geringer Ausdehnung der Gewerfe, I, $. 865. 

y) Eine Regierung, welche ber Betriebfanfeit nicht bie 
nöthige Sorgfalt wibmet oder widmen fann (e). 

T) Abgefehen von großen Städten findet man bie größte 

Bevölkerung 

a) in fehr fruchtbaren und fleißig (intenfto) angebauten Ge⸗ 
genden, 

b) da wo viele Gewerke getrieben werben und ber Berfehr die 
meiften Erleichterungen findet (f). 

(a) Große Sterblichkeit, — kurze Lebensdauer, insbefondere im früheften 
Lebensalter, — größere Anzahl von Kindern in gleicher Anzahl ven 
Lebenden, fo weit diefe Umftände nicht erweidlich von anderen natür: 
fihen Urfachen herfommen, — Häufigkeit des Verarmens ıc. find Merk: 
male eines ungünftigen Zuftandes. — In ben einzelnen Theilen eines 
Landes ift die Benölferung zufolge der natürlihen und wirthfchaftlichen 
Verhältniffe oft fehr verfchieden und bie Randestheile ergänzen einander 


gegenfeitig. 
(5) Freilich Andet fi dieſe Meberlegung bei den Dürftigen und Armen 
am menigften. , 
(ce) Beifpiele: Argentinifche Republit 46, Braftlien 52, Uruguay 64, 
Bolivia 82, Peru 104, Meriko 187, Chile ſchon 689 Einwohner auf 
der Q.⸗Meile, norbamericanifche Union (1860) 243 und zwar Nebrasfa 


Terr. 1,8, Utah 4,5, Oregon 6, Miffuri 383, Obio 1244. 


— 209 — 


(d) Ausnahmen find z. B. mehrere mit Fabriken reichlich nerfepene Gebirge 
länder, wie Appenzell, Neuenburg sc. vgl. I, $. 88 Nr. 2. 


Die ungleiche Bevölkerung ber verfchiedenen Länder und Landestheile 
berußt zwar meiftene auf manderlei zuſammenwirkenden Umfländen, 
doch kann man in vielen Fällen eine ober die andere Urfache als vie 
mädhtigfte angeben. Dieß ıft in ven folgenden Beifpielen durch Beiſatz 
der, den obigen Sägen entfpredgenden Buchftaben «, A, 7 geichehen. 

— Sibirien 16 «a. — Europ. Rußland (1856) 686 «a, f. Gouv. 
Ardangel 17, afraden 103. — Rorwegen 247 a. Finnmarken 43 «a. 
— Schweden 464, Norbotten (min.) 69 «a. — Hochſchottland (1851) 
531 a, Srafihaft Sutherland 290 «. — Salzburg 1127 «. — Tirol 
1626 a. — Dalmatien 1740 «. B. Kärnihen 1845 «a. — Dänemarf 
2155, Sütland 1403 «, B. Island 35 «. — Frankreich, beide Alpen- 
Dep. 1421 a, Dep. Landes 1822 «, — Preußen (1855) R.⸗Bez. Gum: 
binnen 2122 «, R.⸗Bez. Marienwerber 2038 a, R.: Bez. Köslin 
1787 « Ginw. auf bie geogr. D.:M. 


M Beiſpiele mit ähnlicher Bezeichnung dieſer beiden Urfahen: Beibe 
Sicilien 4487 a — Großh. Heflen 5526 a. b. Nheinhefien 9075 a. b. 
— Nordöſtl. Frankreich 4600 a. b. Norbbep. 11770 a. b. — Baieriſche 
Pfalz 5517 a. — Königr. Sachſen 7501 a. b. Kreisbir. Zwidau 9294. b. 
— Würtemberg 5041 a. b. Redarfreis 8274. — Böhmen 4986 b. — 
Naſſau 5402 a. — Baden 4804 a. b. Mittelrheinfreis 6039, Unter: 
theinfreis 5355. — Niederlande 5492 db. Norbholland 11558. — 

elgien (1859) 8705 a. b. Oftflandern 14500, Brabant 13130. Weſt⸗ 
flandern 11866. — Gngland u. Wales (1861) 7313. a. b. Gr, Staf: 
ford 13400. Barwid 13310. Lancafhire 29200. — Preußen, Rhein: 
provinz (1858) 6357 a. b. Reg. Bez. Düffelvorf (1851) 9650. b. Die 
Kreife Lennep, Solingen und Elberfeld insbefondere 159886. Reg.⸗Bez. 
Köln 7013 db. — Benetien 5355 a. 


( 


— 


$. 13. 


Die dauernd hohe Beoölferung eines Landes beutet dem⸗ 
nach in der Regel auf günftige vollöwirthichaftliche Verhaͤlt⸗ 
niffe, auf reichliche Guͤtererzeugung, regen ®ewerbfleiß, Capitals 
anhäufung und lebhaften Verkehr. Sie wirft aber ualen 
wieder auf bie Vollkswirthſchaft vortheilhaft zuruͤck, indem fie 
1) die gute Benugung ded Bodens und der Capitale erleichtert 
und namentlih die Arbeitötheilung befördert, — 2) in ber 
näheren Berührung vieler Menfchen unter einander einen Anftoß 
zur Erweiterung ber Bebürfniffe, zur Steigerung und Verbrei⸗ 
tung ber Kenniniſſe und Einfihten, zur Bervolllommmung ber 
Künfte und zur Verſtaͤrkung bed Fleißes barbietet, — 3) ben 
Umlauf ber Güter befchleunigt und an ben Verſendungskoſten 
etwas erfpart. Deßhalb wird in ſtark bevölferten Ländern und 
Gegenden gewöhnlich den Einzelnen tm Durchſchnitte ein größere® 
Einfommen und ein reichlicherer Gütergenuß zu Theil (a), doch 


- — 30 — 


iſt dieß nicht unbedingt, ſondern nur bis zu einer gewiſſen 
Graͤnze der Fall; denn wenn die Volksmenge ſchneller als das 
Capital angewachſen iſt, ſo muß die Lage der arbeitenden 
Claſſen fi verſchlimmern, wobei dann ein Rüdgang der Bes 
völferung zu erwarten iſt, 1, $. 202 (b). 


(a) Lowe, a. a. O. ©. 367.—Moreau de Jonnts, I, 24. Mohl, 
Bolizei, I, 76. Hiermit flimmen auch bie über die Steuerfähigfeit 
verfchiedener Gegenden eines Staates gemachten Erfahrungen‘ überein, 
vgl. III, $. 280. — Aus den von Purves a. a. O., ©. 455 ge 
fammelten hen über das mittlere Cinkommen in den einzelnen Graf⸗ 
fchaften von England kann man folgendes Brgebniß ziehen (Middleſer 
und Surrey wegen Londons nicht eingerechnet): In den 7 bevölkertſten 
Grafichaften (4900 Einw. auf der geogr. D.-Meile) Hatte sr der 
Einwohner ein Binfommen von 60 2. St., *!/ıos eines von 200 2. und 
die Summe aller Einkünfte über 200 8. auf ter Q.⸗M. war 25118. 
Sn den 7 mittelbevölferten Grafichaften (2230 Ginw. auf der Q.:M.) 
waren biefe Zahlen */s7, Yıoo und 12676; in den 5 fchwachbenölferten 
(1061 Einw.) waren fle Ur, Yan und 2441 8, 


(6) Gin Beifpiel hievon giebt Irland (I, $. 206), deſſen Volkszahl fich 
auch wirllih von 1841—1851 von 8175124 auf 6552300, alfo um 
20 Broc. jener Zahl und bis 1861 wieder auf 5°764500 oder um 
12 Proc. verringert hat. Die mittlere jährliche Abnahme nad der in 
I, $. 196 (8) angegebenen Berechnungsweiſe ift in dem erften Jahrzehend 
2,°, im zweiten 1,37 Proc. 


8. 14. 


Nach diefen Sägen erfcheint eine befondere Beförderung ber 
Bolfövermehrung durch Regierungsmaaßregein als unnöthig. 
Sie kann fogar fhädlich werben, wenn fie einen das Ebenmaaß 
ber Unterhaltömittel überfteigenden Anwachs, alfo Uebervoͤlke⸗ 
rung, zunehmende Dürftigkeit und bäufigere Armuth, verurfacht. 
Es ift hinreichend, wenn bie Regierung überhaupt durch forg« 
fältige ‘Pflege des Gewerbfleißes darauf hinwirkt, daß eine 
größere Anzahl von Menfchen ihr Ausfommen finden kann, 
wenn fie Alles befeitiget, was ben Erwerbseifer lähmen könnte 
(3. B. Benrüdungen jeder Art), und wenn fie zugleich die 
befonderen Hinderniffe entfernt, welche ſich dem natürlichen An⸗ 
wachfe der Volkomenge entgegenftellen. Dann wird biefer von 
felbft in gleihem Schritte mit dem vermehrten Capitale und 
Einfommen des Volkes erfolgen. Hieraus laſſen ſich leicht 
die Regeln abnehmen, nad) denen die Regierung in Hinficht 
auf diejenigen Veraͤnderungen der Volksmenge zu handeln hat, 





— 31 — 


welche in den Bereich des freien Willens fallen (a), alſo in 
Bezug auf die Heirathen, die Einwanderung und Auswande⸗ 
rung. 

(ea) Die Berminderung der Sterbfälle und ber Todtgebornen ift eine Aufs 


gabe ber GSefunpheitspolizei, welche Hierin in der neueren Zeit viel 


geleiftet Hat. ‘ 


$. 15. 


L In Anfehung bed Heirathens ift man 

1) über bie Berwerflichkeit aller geſetzlichen Belaftungen 
bes ehelofen Standes einig (a). 

2) Gebotene Ehelofigfeit zahlreicher Elafien von Staates 
bürgern, 3. B. bed Wehrftandes bei langer Dienftzeit, kann 
burdy geänderte Staatseinrichtungen befeitigt werden (5). 

3) Ausfteuercaflen, welche aus den gefammelten Einlagen 
den angehenden Eheleuten bei ihrer Verheirathung eine Geld» 
fumme zur Ausftattung geben, find zwar nicht von bebeutenber 
Wirkung, verdienen aber wenigftens, als Privatanſtalten, wenn 
der Plan in ber vorgängigen Prüfung kein Bedenken erregt, 
geftattet zu werben (c). Bei einer hohen Bevölkerung würben 
ſolche Anftalten als ein Anreiz zu vermehrten Deirathen nach⸗ 
theilig werden fönnen, bier ift aber auch ihre Errichtung nicht 
wahrſcheinlich. 

4) Die Geſetze, welche die Erwerbung des Grundeigenthums 
und die Betreibung von Handwerken erleichtern (d), find zu⸗ 
gleich wichtige Beförberungsmittel des Eheſtandes. 


(a) Vorſchlag, daß die Ehelofen im Erbrecht mehr befchränkt fein unb 
mehr Abgaben entrichten follen, v. Juſti, Polizeiw. I, 218. 


(5) Der Eölibat der katholiſchen Geiſtlichen iſt dann in vollswirthfchaft- 
licher Hinſicht nadıtbeilig, wenn die Anzahl derfelben über das Be: 
bürfniß der Seelforge beträchtlih hinausgeht, was zugleich wegen 
der Berminderung der gütererzeugenden Arbeit nachtheilig ift, I, $. 111. 
zum Exeingliche auf 1 Mill. Einwohner find nad der Erfahrung zus 
reichen. 


(6) Urfprung in Italien. Nah der gewößnlicen Einrichtung befteht der 
Bortheil der Caſſe darin, daB für jedes Mitglied ſchon von früher 
Zugend an jaͤhrliche Beiträge bezahlt werden, und die Antheile der bie 
u einem gewifien Alter unverheirathet fterbenden Theilnehmerinnen ber 

nftalt Heimfallen, wofür jeber verehelichenden eine unveraͤnderliche, 
oder eine nach der Dauer der Theilnahme abgemeſſene Ausſteuer bezahlt 
und den Ledigbleibenden eine annliche Summe ausgeliefert wird, fo: 
bald fie ein beflimmtes Lebensalter erreihen. Das Gedeihen folder 


Anftalten hängt davon ab, daß fie auf richtige Erfahrungen über bie 
Sterblichkeit und die Zahl der Heirathen gegründet find. — v. Jufti, 
Polizeiw. I, 221. — Bergius, Magazin I, Art. Brautcafie. — 
v. Berg, Polizeirecht, IL, 32. 

(d) ©. den 2. Abſchnitt. 


8. 15 4. 


‘ 


5) Die Beforgniß, daß die Gründung neuer Bamilien 
öfterö ohne Meberlegung und Ausficht auf das Fortkommen ers 
folgen und zur Berarmung führen möchte, hat in vielen Staaten 
Dazu geführt, die Erlaubniß biezu von befonderen Bedingungen 
abhängig zu machen, in Anfehung deren fowohl die Meinungen 
ald die Gefege der einzelnen Staaten fehr von einander abs 
weichen. In fchwachbevölferten Ländern, wo leicht manch⸗ 
faltiger Arbeitöverdienft zu finden ift, find Befchränfungen der 
Anfäffigmahung offenbar überflüffig, ebenfo da, wo unter den 
Lohnarbeitern bie gehörige Befonnenheit herrfchend geworden ift. 
Ferner find in Ländern, bie einen großen, mit wechfelndem 
Erfolge verbundenen Schwung des Fabrikweſens oder ded Hans 
dels zeigen, befchränfende Maafregeln der erwähnten Art ohne 
große Beläftigung nicht anwendbar, vielmehr muß man die 
mit diefem Zuftande verbundenen Gefahren für den Nahrungs- 
ftand vieler Familien ald unvermeibliche Schattenfeite ertragen. 
Unter anderen volfdwirthfchaftlihen Werhältniffen kann eher 
das plögliche Freigeben der Anfäffigmachung fo lange Bedenken 
erregen, bis die Einzelnen fih an die verftändige Ueberlegung 
gewöhnt haben, weil Leichtfinn und Unwiffenheit wenigſtens 
in einzelnen Orten oder Bezirken die häufige Eingehung von 
Ehen ohne geficherten Unterhalt veranlaflen und dann bie 
Gemeinden eine Menge verarmter Samilien, beſonders hülflofer 
Wittwen und Waifen zu verforgen haben (a). Eine ängftliche 
Erſchwerung der Anfälfigmachung bat dagegen ebenfalld ihre 
Hachtheile, ſie hindert die Hortfchritte ber Brobuction und des 
Wohlſtandes, treibt fleißige Arbeiter zur Auswanderung und 
vermehrt die außerehelichen Geburten (a). Die Anfäffigmachung 
darf ohne Zweifel denen nicht verfagt werben, welche eine 
Familie durch Landbau auf eigenen Grundftüden, ein anderes 
Gewerbe oder irgend eine andere Duelle des Einfommend er⸗ 
nähren können. Die bisher eingeführten Befchränfungen bes 


— 33 — 


ziehen ſich bauptfächlich auf Lohnarbeiter, wie Gefellen, Fabrik 
arbeiter, Taglöhner, bei denen in jener Hinfiht mehr Ungewiß- 
beit befteht, es iſt aber ſchwierig, das richtige Maaß der gefors 
berten Bedingungen zu treffen (6). 

a) Die Borfchrift, daß der angehende Bürger in der Regel 
ein gewiffes Alter, wenigſtens von 25 Jahren haben müfle, 
iR in biefer Beziehung zwedmäßig (c). 

b) Ein Nachweis, daß der neue Bürger durch Lohnverdienſt 
oder ein kleines Gewerbe eine Familie erhalten könne, ift in 
vielen Faͤllen nicht moͤglich, fondern nur eine größere ober 
geringere Wahrfcheinlichkeit, deren Grade man nicht meflen 
und über bie man verfchiedener Meinung fein Tann, weil es 
biebei nicht bloß auf die Fähigkeiten und Cigenfchaften des 
Bewerber, fondern auch auf Außere Umftände anfommt. Das 
Berlangen jenes Nachweiſes würde dem Gutbünfen ber Be 
hörden, audy wohl ihrer Gunft oder Ungunft bei der Beurtheis 
lung der Ausficht auf Erwerb in jedem einzelnen Falle ein 
weited Held öffnen, ed würden umftänbliche, langwierige Ders 
handlungen nothwendig und ed wäre fehr brüdend, die Ers 
füllung eines fehnlidhen Wunfches von ber Willkür oder Ans 
fiht einzelner Perſonen abhängen zu fehen (d). 

c) Läßt man ed ganz auf die Entjcheidung der ®emeindes 
vorftände anfommen, fo wird, weil dieſe ungerne volfäwirth- 
fhaftlicyen Rüdfichten zu Liebe eine Gefahr übernehmen, ſolchen 
Perſonen, die in anderen Orten geboren find, die Aufnahme 
zu leicht verfagt (e). 

d) Bordert man den Befig eined gewiffen beträchtlichen 
Bermögend, fo werden leicht fleißige und geſchickte Arbeiter, 
die fi gut würden fortbringen fönnen, ohne Roth zurüd- 
gehalten. Ein Heined Vermögen giebt dagegen feine Sicher 
heit gegen dad Berarmen einer Bamilie. Inzwifchen gewährt 
eine geringe Summe, 3. B. von hundert oder einigen hundert 
Gulden oder Thalern, immer eine gute Stüge zum Anfange 
eined Erwerbögefhäfts und eine Aushülfe in Unglüdsfällen. 
Ein foldyed Berinögen kann leicht durch Erfparniffe der ledigen 
Arbeiter, durch Erbſchaft oder Verheirathung erlangt werben 
und dieſe Bedingung verdient beßhalb vor den anderen er. 


wähnten ven Borzug, weil fie wenigftend cine feſte geſetzliche 
Ran, yolit. Dekon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 





— 34 — 


Megel bildet und Teicht zu erfüllen if. Das erforderliche Kleine 
Bermögen kann für Stadt» und Dorfgemeinden, auch, nad) 
den Umftänven, zwifchen den einzelnen Landestheilen, verſchieden 
beftimmt werden, und man muß ber Umgehung des Gelege 
(durch Borgen der Summe) vorzubeugen fuchen (f). Es ift 
jeboch zwedmäßig, in einzelnen Fällen in Einverftändnig mit 
ber Gemeinde folhen Arbeitern, die jened Vermoͤgen nidyt bes 
figen, dieſe Bedingung zu erlaflen, wenn fie nad ben Um⸗ 
ftänden unzweifelhaft ald unnöthig erfannt wird (9). Unnüsge 
Förmlichfeiten, hohe Gebühren und andere Erfchwerungen müflen 
befeitiget werben (A). . 

Zur Befeitigung einer übermäßigen Anhäufung an einzelnen 
Orten ift ed von großem Nuten, wenn ed den Bürgern einer 
Gemeinde geftattet wird, aud) an anderen Orten Lohnarbeit zu 
verrichten oder ein Gewerbe zu betreiben, freilich mit der Ver⸗ 
pflihtung, an ihrem gewählten Wohnorte zu ben Gemeinde⸗ 
laften beizutragen. Hiedurch wird die Ausgleichung des An⸗ 
geboted und bed Beduͤrfniſſes von Arbeitskräften erleichtert (1). 


(a) Rivet, Ueber die außerehelihen Geburten, in Rau und Hanffen, 
Archiv, VI, 1. 


(5) Ueber die hiebei eintretenden Erwägungen |. Berhandl. der K. der 
Abgeordneten in Baiern, 1834. VI, 231. XI, 276. XV, 46. 246. 316. 
Bel. VI, 254. — Wernher, Ueber Semeindebürgertbum, Darm: 
ſtadt, 1838. ©. 189. — Schübler, Die Gelee über Niederlaflung 
und Verehelichung in den verfchiedenen deutfchen Staaten, Stuttg. 1855. 


(e) Nah v. Mohl (I, 118) lieber 30 Jahre und eine Gebühr von dem 
Nachlaß einzelner Jahre. 


(d) In mehreren deutfhen Ländern beftehen ſolche Vorſchriften für Ber: 
fonen, bei denen nicht fchon durch ein genügendes Vermögen oder das 
Meifterrecht die Wahrfcheinlichfeit eines gewiflen Ginfommens gegeben 
iſt. Das bad. Geſetz v. 9. April 1851 $. 10. 22 fordert allgemein 
ben „Beſitz eines den Unterhalt der Familie fichernten Vermoͤgens oder 
Nahrungszweigs.“ — Baier. Gefeß v. 1. Juli 1834 8. 2: wo nicht 
Grundbefiß oder Gewerböreht vorhanden ifl, wird ein auf andere 
Weiſe „vollftändig und nachhaltig gefänter Rahrungsitand” erfordert. 
Dahin gehört auch der Lohnerwerb, „fofern biefer vermöge des oͤrt⸗ 
lihen Bedarfs und im Gegenhalt zu der Zahl der bereits vorhandenen 
Zohnarbeiter ale nachhaltige Nahrungsquelle betrachtet werden kann.“ 
Hannover, Berfügungen von 1840 (Schübler, ©. 122): wenn der 
Bewerber arbeitöfähig, das Gewerbe nicht überfüllt ift, wenn jener die 
erforderlidhe Häusliche neichtung und die Betriebsmittel beſitzt, auch 
eine Wohnung gefunden hat. — Würtemb. Gef. v. 1833: der Gemeinde: 
bürger oder Beifiger hat vor feiner Verehelihung einen genügenben 
Nahrungoſtand nachzumweifen. 


— 35 — x 


(*) Auch engherzige Rüdfihten lommen bisweilen ins Spiel. Ein Magi« 


ſtrat begleitete die Abweifung eines Dewerbers mit der Bemerkung: 
„der Aufzunehmende ſei ein fehr tüchtiger, geichichter Mann, zwei 
Bürger aber, die das nämliche Geſchaͤft treiben, feien fehr unvoll: 
fommen in ihrer Kunft und würden duch die Aufnahme des Orts⸗ 
fremden zu Grunde gerichtet werden.“ Verhandl. der 2. K. in Baben, 
1831, XII, 241. Gegen das den Gemeinden eingeräumte Wider⸗ 
ferucherecht (veto) fpricht die Betrachtung, daß der Staatsverband über 
ber Gemeinde fieht und die Regierung eine aus höheren Rüdfichten 
imelmäßige Anſaͤſſigmachung nicht durch die zufällige weigerung ber 
Gemeinden, Iemand in ihre Mitte aufzunehmen, ganz vereiteln laſſen 
kann. Die Gemeinde if nicht wie eine ber vielen anderen Geſell⸗ 
Ihaften zn betrachten, denen die Aufnahme neuer Mitglieber freigeftellt 
werden muß. — Schübler, a. a. D. fucht zu zeigen, baß man der 
Gemeindebehörde die Entſcheidung überlafien folle, wie es in mehreren 
Staaten verordnet if. Nach dem würtemb. Gel. v. 5. Mai 1852 kann ber 
Heirathuluftige, wenn ihn die Gemeinde abgewieſen bat, ſich an das 
Bezirtsamt wenden, welches eine von der Amtsverſammlung gewählte 
Commiſſion von 4 Männern befragt und ohne erhebliche Gründe von 
dem Gutachten derfelben nicht abweichen darf, doch ift der Mecurs an 
die Kreisregierung geftattet. 


0) Die kurerzfanz. B. v. 29. März 1805 fordert 200 fl. auf dem Lande, 


0 


u’ 


3—-400 fl. in den Städten, und zwar an Geld oder Grundftüden. 
Abgedr. in v. Berg, VI, 1. Abth. ©. 101. a die f. Löwenftein. 
Bererdnungen von 1804, chend. ©. 111. In Raflau ift man von 
dem $. 2 der Berorbnung vom 2. Febr. 1816, welcher ein gewifles 
Vermögen fordert, in der Praris abgegangen; f. die folg. Note. — 
Baden, Geſetz über die Rechte der Gemeindebürger, 31. Dec. 1831, 
etwas abgeändert im Buͤrgerrechtsgeſ. v. 9. April 1851. Zur Erwer⸗ 
bung des Bürgerrechts durch Aufnahme gehört ein den Unterhalt einer 
Familie ſichernder Nahrungszweig und ein gewiſſes Vermögen, weldes 
in den 4 größeren Städten aus 1000 fl., — in Fleineren aus 700 fl. 
— in Städten unter 3000 Binw. und Landgemeinden aus 500 fl. be: 
ſteht. Ausländer, mit Ausnahme der Unterthanen beutfcher Bundes: 
faaten, müffen den doppelten Betrag nachweifen, die Gemeindebehörde 
darf von der Forderung biefes Vermoͤgensbeſitzes ganz oder theilmeife 
nachſehen. 

Nah dem bair. Geſetz über die Anfäffigmahung vom 1. Juli 1834 
wird die Bürgeraufnahme in ſolchen Faͤllen, wo fie nicht wegen bes 
Borhandenfeins einer der im Gelege näher bezeichneten Bedingungen 
(Rr. I—IEI) bewilligt werden muß, fondern nur nad Unterfuchung 
ber Umſtaͤnde geflattet werden kann (Mr. IV), von der Zuflimmung 
ter Gemeinde abhängig gemacht. Die Anfäfflgmachung wird überhaupt 
b t J. durch einen ſchuldenfreien Grundbeſitz, deſſen Groͤße ſich 
nach dem Steueranſchlage richtet und 1) fuͤr Cingeborne der Gemeinde, 
2) für ortsfremde Inlaͤnder und Unterthanen anderer Staaten, in denen 
aͤhnliche Begünftigung beſteht, 3) für andere Ausländer verfchieden if. 
Das Steuer-minimum ift auf dem Lande ı fl. — 11, — 2fl. Grund: 
feuer:simplum ; in Städten 11/; — 2 — 31/s fl. Grundfleuer- oder 21/8 
—4—9fl. Hausfleuer-simplum; IL durd ein reales oder radicirtes, 
oder IIL ein perfönliches Gewerbsrecht; IV. durch einen auf andere 
Beife gefiherten Nahrungsftand ff Note (d)). Bei Lohnarbeitern foll 
borzäg auf Fleiß und bewährte Tüchtigfeit Midfiht genommen, 
ferner follen unter fonft gleichen Verhältniffen ausgebiente Soldaten 
md vieljäßrige Dienftboten vorgezogen werden, welche Beweiſe von 
häuslichen Sinne, 3. B. durch namhafte Sparkaflen-Ginlagen, gegeben 

3° 


haben. — Gin Simplum von 1 fl. wird neuerlich zu 1200 fl. Verkehrs: 
werth angenommen, auch werben die Wirthichaftsgebäude nicht einge: 
rechnet. Nach dem Geſetze vom 11. Sept. 1825 waren 45 fr. Grund: 
feuer : simplum mit Ginfhluß der Gebäude genügend. — In ben Ber: 
handlungen wurde u. a. bemerkt, daß man da, wo eine Familie auf 
einem Gruntbefige unter dem minimum fich fchon ernähre, auch dem 
Erben die Berehelichung auf demfelben nicht wohl veriagen fönne. 
Ueber die ungünftigen Folgen jenes Geſetzes ſ. Rivet, a. a. O. — 
Sn Würtemberg hat derjenige ein Recht auf Annahme in einer Ge: 
meinde, ber a) die Beräbigung zur Ausübung einer Wiflfenfchaft oder 
freien Runft oder zum felbfifländigen Betriebe eines Handwerks, ber 
Handlung oder der Landwirthfchaft, b) ein fchuldenfreies Bermögen und 
c) rechtliche Unbeicholtenheit befigt; in anderen Faͤllen bängt die Auf: 
nahme von der Gemeinde ab. Bürgergeleb v. 18. April 1828. Das 
neue ®emeinbebürgergefeß v. 4. Dec. 1833 feßt das erforderliche Ber: 
mögen auf 1000— 800 und 600 fl. Ausländer müflen das 1i/afache 
befigen. — Kurheſſ. Gemeinde-D. v. 23. Detober 1834 (in Müller’s 
Archiv für die neuefte Ceiepe: aller d. Staaten, VI, 177) $. 28: 
Bur Aufnahme in das Ortsbürgerrecht gehört, daß man die Kähigfeiten 
darthue, eine Familie zu ernähren, unbefcholtene Aufführung und ein 
nachgewiefenes Bermögen von 150 Rthlr. (in Landgemeinden unter 
1000 Ginw.) bis 1000 Rtihlr. (in Kaflel). Bon dieſen Erforderniffen 
kann die Gemeinde etivas nachlafien. 


(3) Die Aufnabmegebühr ift nad) 8. 7 des a. bair. Gelehes in den 
Städten erfter Claſſe 60— 100 fl., in Landgemeinden zwifchen I und 
25 fl. — Baden, 8. 30 des a. Geſectzes, in den 4 größeren Städten 
120 fl., in andern Gemeinden 10— 8 — 5 Proc. des mittlern auf einen 
Kopf treffenden Steuercapitals des ganzen Ortes, wozu noch eine be⸗ 
fondere Vergütung für den Almendgenuß fommt, $. 34. — Würtem⸗ 
berg: die Gebühr richtet fi nad dem Herkommen, darf aber in ten 
drei Claſſen der Gemeinden nicht über 120 — 50 — 25 fl. betragen. 
Bol. Eigenbrodt, Samml. heſſ. Berortn. UI, 155. 


(d) Dies follte audy zwifchen den einzelnen deutſchen Läntern eingeführt 
werden, wozu eine Gleichförmigfeit der Anſaͤſſigkeitsbedingungen nüßlich 
wäre. Entwurf eines Heimathsgeſetzes für Deutichland in diefem Sinne, 
Berhandl. der d. Neichsverf. II, 693. Für diefe Kreizügigfeit auch 
Wahlkampf, Meber Heimathegeſetze, Frankfurt, 1848. 


8. 16. 


II. Einwanderungen fleißiger Menſchen find nur da 
in beträchtlicher Menge zu erwarten und nüglid, wo wegen 
niedriger Bevölferung und einer Fülle von Productionsmitteln 
ber Lohn hoch und die Ausficht auf guten Erwerb günftig if. 
Hiezu trägt vorzüglid dad Vorhandenſein von vielen unbes 
nugtem fruchtbarem Lande bei (a). Indeß erfcheint doch die 
eifrige Anlodung von Fremden ald fehr bedenklich. Arbeits⸗ 
fheue, unordentlidye und leichtgläubige Leute entfchließen ſich 
am leichteften, im Auslande ihr Glück zu verfuchen, leiften aber 
zu wenig und können fid nicht gut durch Fleiß fortbringen. 


Andere, die ald Unternehmer aufzutreten wünfchen, werben 
duch den Mangel an Gapital gehemmt. Auch madıt bie 
Undefanntfchaft mit dem Klima, der Lebensweife, den Sitten, 
ven Gewerböverhältniffen ıc. den Fremden große Schwierigfeit, 
weßhalb viele Anſtedlungen mißkungen, manche andere nur 
langſam gebiehen find. Es ift alfo große Behutfanfeit in ber 
Auswahl der Perſonen rathfam, wenn man ber Einwanderung 
beträchtliche Begünftigungen, ald Bezahlung von Reiſekoſten, 
Geldvorſchuͤſſe u. dgl. geben will, und es if ficherer, wenn 
man fih darauf befchränft, ihnen nur die Aufnahme in bad 
Land zu erleichtern (5), und hoͤchſtens Unterftügung beim 
Häuferbau, Ueberlaffung von Land unter leichten Bedingungen ıc. 
zu bewilligen (ce). Vorzuͤglich ermunternd ift neben ber güns 
Rign Gewerbögelegenheit der den Einwandernden gewährte 
Rchtöfhug, der die pünctliche Erfüllung aller Zufagen und 
die Sicherheit vor jeder Bebrüdung in fich fchließt. 


(a) 3. B. die niederläntifchen Colonieen im Mittelalter in Norbbeutichs 
land, — Remonftranten aus Holland, die fih 1619 in Schlesw 
niederließen und 1621 Friedrichsſtadt bauten; — bie nad ber Auf, 
bebung des Edicts von Nantes aus Frankreich ausgezogenen Hugenotten, ° 
beren gegen 11000 in die preuß. Staaten famen; Waldenfer aus Pies 
mont, (eit 1806 ebend. angefiebelt. Franzoͤſiſche Hugenotten und 
Niederländer in Mannheim, Schönau, Friedrichsthal sc., in Baden, in 
Erlangen und der Umgegend, — Salzburger Emigranten, bie zum . 
Theil Friedrich Wilhelm I. anfledelte; Pfälzer, zu verfchiedenen Zeiten 
ausgewandert, 3. B. 1745, wo fle (ftatt nach Pennſylvanien zu gehen) 
auf der gocher Heide bei Bleve das Dorf Pfalzdorf gründeten ; deutiche 
Bauern in Südrußland, Spanien, Brafilien,; — ftarfer Zuwachs ın 
Canada, Auftralien und den vereinigten Staaten von Nordamerica. 


() 3. 8. durch Zollfreikeit für das eingebrachte Vermögen, unentgeldliche 
Ertbeilung des Bürgerrehts. Auf lettere befchränft fich die k. franz. 
Declaration v. 13. Aug. 1766, Art. 7. 


(c) Brafilien ertheilt unentgeldlich ein Stüd Land und 10jährige Steuers 
freiheit. Edict v. 16. März 1820 bei Langsdorf, Bemerkungen 
über Brafilien, 1821. Das dort eingeführte Halbpachtſyſtem hat Ki 
nahtheilig erwiefen und ift 1858 aufgehoben, zugleich iſt verboten 
worden, ſich bei einem perſoͤnlichen Dienſtverhäliniß über zwei, bei 
einem Pachtverhaͤltniß über fünf Jahre zu verpflichten. — In Algier 
wird über den Dlangel eines geregelten und einfachen en ge: 
klagt, und die Berfleigerung des öden Landes flatt der üblichen Eon: 

on empfohlen. Duval, Concession et vente des terres de coloni- 
sstion. Paris, 1857. = Journ. des Econ. Juli und Sept. 1857. — 
In Polen zollfreie Einfuhr tes Mobiliars, Freiheit vom Kriegsdienft, 
b jaͤhrige Befreiung von Abgaben; Landivirthe, die wenigfiene 400 fl. 
thein. befigen, erhalten minbeftens 30 preuß. Morgen Domänenland 
m Erbzins, mit 6—12 jähriger Defreiung. Dagegen wird zur Nieder: 
laſſung in Städten und auf Domänen befondere Erlaubnis erfordert, 


— 38 —. 


und auch zur Anfeblung. auf Privatgütern gehört Auswanderunges 
erlaubniß der bisherigen Obrigkeit und Sittenzeugniß. Verordn. vom 
28. April (10. Mai) 1833. — Die norbamericanifchen Breiftaaten ent- 
halten ſich aus obigen Gründen aller Begünftigungen dieſer Art. — 
Sehr bedeutende Ermunterungen gab Friedrih IL; er baute 539 Dörfer 
und Weiler und flebelte 42600 großentheils vom Audlande berbei- 
gezogene Bamilien an. Gin Theil diefer Anfledler ging zu runde, 
wie dies unter Ähnlichen Verhältniffen überall wahrgenommen wird ; 
inländifche Goloniften gediehen im preußifchen Staate befier. Bon den 
deutfchen Eoloniften, welche Ola vides in Spanien einbürgerte, kehr⸗ 
ten die meiften wieder in ihr Vaterland zurüd, aber die Golonieen 
ſelbſt, Barolina in der Sierra Morena, Garlotta und Luiſtana zwifchen 
Cordova und Sevilla, find nad manchem Ungemach in guten Stand 
efommen. — C. de Herzberg, a. a. ©. ©. 191.— Borgftede, 
Befchreibung der Kurmark Brandenburg, I, 301 (Berlin, 1788). — 
Holſche, Der Netzdiſtriet, S. 225 (Königeb. 1792). — Bour⸗ 
going, n. Reife durh Spanien, IL Cap. 248. u. 260. —deVille- 
neuve-Bargemont, Liv. VII. ch. 5. — Nach Auftralien find viele 
europäifche Einwanderer, die gute Zeugniffe vorlegten, unentgeldlidy 
geführt worden. 


$. 17. 


II. Auswanderungen follten nicht mit Zwang vers 
hindert werben, weil diefer weder gerecht, noch mit hinreichens 
dem Erfolge durchzuführen if; doch muß der Auswandernde 
alle feine befonberen Verbinblichfeiten erfüllen, weßhalb Anmel⸗ 
bung bei ber Obrigkeit, Aufruf der Gläubiger, und nad) ber 
Erledigung aller Anftände, die Ertheilung der Erlaubniß zum 
Wegzuge erforderlich ift (a). Der gefepliche Abzug von dem 
Vermögen ber Auswandernden ift faft durchgehends durch Frei⸗ 
zügigfeitöverträge zwifchen den Staaten abgefhafft worden (db). 
Sole Audwanderungen, die durch die Ungleichheit des 
Lohnes und ber Erwerböverhältnifie beider Länder verurfacht 
werden, find ein unvermeidlicher volföwirthichaftlicher Vorgang. 
Gegen andere Beranlaffungen laflen ſich dagegen Verhuͤtungs⸗ 
mittel anwenden, indem 1) Urfachen der Unzufriedenheit, welche 
häufig zur Auswanderung bewegen, 3. B. Bebrüdung durch 
Unterbeamte, religiöfe Unduldfamfeit, zu große Belaftung mit 
Abgaben zc., entfernt werben; 2) der Aufreizung zum Weg- 
ziehen durch Werber, die fich betrügerifcher Borfpiegelungen 
bedienen, entgegengewirft wirb, und bie unrichtigen Borftellun- 
gen von Bortheilen, die den Auswanderer in andern Rändern 
erwarten follen, vermittelt einer auf Thatfachen gegründeten 
Belehrung berichtiget werben (c). 


— 39 — 


(s) Bel. von Berg, Polizeirecht, II, 51. — Merkwürdig die fuͤrſtlich 
ipeiers (bruchlal-) ſche Berordn. v. 2. März 1765, „baß feinem fich 
meldenden Supplicanten, der von gutem Aufführen, ein guter Arbeiter 
und jonft von hinlänglichen Mitteln ift, das gerichtliche Atteit zu feinem 
unzeitigen Borbaben (nämlich auszumwandern) corroborirt werde” (!), 
emeuert 1. Juli 1784. Sammlung ber f. fpeierifchen Geſetze II, 276. 
IV, 328 (1788). 


Auswanderungsfreiheit und Wreiheit von Abzugsgeld (gabella emigra- 
tionis), aber blos innerhalb der deutjchen Bundesttanten, nah Art. 18 
lit. b. u. c. der Bundesacte. 


Berblendungen biefer Art haben beigetragen, viele Auswanderungen 
aus dem fübwelichen Deutfchland zu bewirken. Die Belorgniß, daß 
bie leihtfinnig Wegziehenten verarmt wieder zurüdfehren, fogar ehe fie 
nur ihren Beſtimmungsort erreicht haben, macht es rathſam, den Nach⸗ 
weis des erforderlichen Meifegeldes und ver Aufnahme in dem anderen 
Staate, falls dieſe zweifelhaft if, zu verlangen; auch hat öfters ein 
Staat, um fi vor einem unmwillfommenen Zulaufe zu fhüßen, andere 
Regierungen aufgefordert, den Auswanderungsluftigen nur unter be⸗ 
fonderen Bedingungen, 3. B. Nachweis eines gewiffen Bermögens, 
Paſſe zu ertheilen. Die Androhung, daß man die Zurüdfommenden 
nigt wieder in ihrem alten Baterlande aufnehmen mwerbe, hat fich nicht 
wirffam genug erwiefen, und ift ohne Härte nicht ausführbar. Yürftl. 
fpeierifche Verordnungen hierüber von 1709—1764 a. a. D. — Die 

itung der Auswanderungen zur Unterbringung ber Nahrungslofen 
gehört in die Armenpflege. 


— 
* 
—⸗ 


3 
u 


6. 17 a 


Vo die Zahl der kirchlich gebotenen Yeiertage in einem 
Lande größer ift, als es die Hauptfefte bed Religionsbekennt⸗ 
nifjed und das Bebürfniß der Erholung von den Befchwerben 
der Arbeit erfordern, da liegt in diefem Umftande ein volfd- 
wirthichaftlicher Nachtheil, der nicht blos in einer Verminde⸗ 
rung der Arbeitöleiftungen, wie bei einer Berminderung ber 
Arbeiterzahl, fondern auch in der Verfuchung zu einer flärferen 
Ausgabe an den Feſttagen beſteht. Die Verminderung ber 
Beiertage ift daher als eine erhebliche Beförderung der Güter: 
etzeugung anzufehen (a). Diefe Maaßregel kann ohne Eingriff 
der Staatsgewalt in bie kirchlichen Angelegenheiten audgeführt 
werden, weil zur Außerlichen Beobachtung der Beiertage ein 
obrigfeitlicher Befehl und eine polizeiliche Aufficht erforderlich ift. 
(6) Benediet IV. verminderte die gebotenen Keiertage, an denen man wenig: 

Rens die Kirche beſuchen muß, auf 41, was mit den 52 Sonntagen 

en Biertel des Jahres ausmacht. Diele ſog. halben Feiertage find 

ſchon für den Gewerbfleiß fehr flörend, auch zeigt die Erfahrung, daß 


die Menge der lirchlichen Feiertage zur innerlichen Froͤmmigleit und zur 
Sittlichleit Teineswege beiträgt. In evangelifchen Ländern ſind ungefähr 


58 Sonns und Feiertage oder 15,8 Procent. Der Unterfhieb beträgt 
9 Broe., und wenn man ben Minderertrag der Arbeit unb die vers 
mehrte Verzehrung der Feſttage täglich nur zu %s fl. anfchlägt, fo 
madt dieß für je 100000 Arbeiter 2%/5 Mill. fl. Verluſt. Bergl. I, 
6. 193. 


Zweites Hauptflüd. 
Fleiß und Gefchidlichkeit der Arbeiter. 


$. 18. 


Der Eifer, mit welchem die hervorbringenden Beichäftigungen 
fowohl von Lohnarbeitern, als von Arbeitern auf eigene Rech⸗ 
nung (Unternehmern) betrieben werden, wird verftärft, wenn 
man alle Umftände entfernt, welche die Arbeiter verhindern 
fönnen, die Früchte ihrer Bemühungen in vollem Maaße zu 
genießen, L, $. 112, Nr. 1. Hiezu dient vor Allem die Be⸗ 
feftigung bed Rechts zuſtandes und der gefeglidhen 
Breiheit im Staate. Die Sicherheit der Rechte wirb durch 
Willfür und Gewaltthätigkeit gefährdet, fle mögen von ben 
Regierenden (a) oder von den Unterthanen (5) ausgehen. Wo 
die Rechtöpflege (Iuftizwefen) und die eigentliche Polizei ($. 6) 
ihre Aufgabe unvollflommen löfen, wo bie Sicherheit der ‘Berfon 
und des Eigenthums häufig verlegt wird, da muß ber Erwerbs; 
eifer gelähmt, der Credit zerftört werben, da unterbleiben ſolche 
Unternehmungen, welche ber widerrechtlichen Gewalt am meiften 
auögefegt find, da verbirgt fich der Reichthum, Capitale werden 
ind Ausland gefendet, viele nügliche Bürger verlaffen ihr Vater: 
land, und der hohe Zindfuß (I, $. 226) drückt diejenigen, 
welche genöthigt find, zu borgen (c). Unter folchen Umftänden 
fann ein Volk nicht wohlhabend werden, und wenn bdiefelben 
erft neu eintreten, fo wird ber früher erworbene Wohlftand 
bald zerftört und die Bevölferung nimmt ab (d). 

(a) 3. B. Erpreſſungen der Beamten, wie fie von den türfifchen Pafcha’s 
geübt werben, — partelifche Rechtspflege. 


(6) Raub, Diebftahl, Betrug. Wenn man die vielen Befehbungen im 
Mittelalter, die Beraubungen der Kaufleute durch den Abel ıc. bedenkt, 
fo muß man fih nur wundern, daß der Kandel nicht noch mehr litt. 


Pan ſehe 3. B. die Berichte über bie egefehbungen denen die Rüm: 
berger im 14. und 15. Jahrhundert blos geftellt waren, in Roth, 
Geichichte des Nürnberg. Handels, 1, 58, 236. — Die Regierung 
muß ſtark genug fein, um wiberrehtlihe Unternehmungen ſowohl von 
Ginzelnen, als von Berbindungen, Parteien ıc. zu verhindern. 


Das deutlichfle Beifpiel giebt das türfifche Reich. Heutige Entvoͤlke⸗ 
rung von Kreta, Rhodus, Cypern, Kleinaflen, Syrien; viele Stäbte 
find ganz verfhwunden, die Seidenzudt ift in Verfall x. S. befons 
terd Walpole, Memoirs relating to Europian and Asistio Turkey. 
Lond. 1820 — Minerva, Jan. 1821. — Neuere Bemühungen der 
Bforte, biefe Gebrechen zu heilen, haben noch nicht genug gefruchtet, 
insbefondere find die betriebfameren chriſtlichen Binwohner (Rajahe) 
noch nicht genug geſchützt. 

(d) Die freifinnige, fefl eingewurzelte Berfaflung von Großbritannien wird 
mit Recht unter die Urfahen des Reichthums diefes Landes gezählt. 
Die ungezügelte Willkür, fei es eines Ginzelnen oder einer Volksherr⸗ 
ſchaft, verſcheucht überall den Gewerbfleiß. Weitere Betrachtungen 
hierüber bei Loig, Handbuch, II, 15. — Mac Cullooh, Statistical 


— u, 35. — Lift, Das nationale Syſtem ter polit. Oekon. 
. 110. 


( 


Zn 


8. 19. 


Auch die Unfreiheit der arbeitenden Elaffe ift ber 
Wirkſamkeit der Arbeitöfräfte hinderlich, weil je nach dem Grabe 
der Abhängigfeit von einem Herren auch der Fleiß und Erwerbs⸗ 
siier ded Arbeiterd ſchwaͤcher iſt. Zu den allgemeinen Grund- 
fügen bed Rechts und der Sittlichfeit, die für jedes Mitglied 
des Bolfed ein gewiſſes Rechtögebiet fordern (a), gefellen fich 
deßhalb wichtige volkswirthſchaftliche Gründe, um die Auf 
bebung jeder Art von Unfteiheit dringend zu empfehlen. Geht 
dieſelbe bis zur wahren Sklaverei, fo daß tie Unfreien ohne 
alle Rechtöfähigkeit find und wie Sachgüter betrachtet werben, 
ſo find folche Eflaven zwar wohlfeiler zu unterhalten, Teiften 
aber auch viel weniger ald freie Arbeiter und müflen durch 
totbaren Zufauf ergänzt werben (5). Die plöglicye Aufhebung 
dieſes Verhaͤltniſſes wäre nicht ohne eine fehr Eoftbare Ent 
(häbigung der Herren aus der Staatdcaffe ausführbar und 
ließe auch beſorgen, daß die freigegebenen Sklaven ſich in ihre 
neue Rage nicht zu finden wiffen und bie Lohnarbeit ver 
ſchmaͤhen, es ift daher ein allmäliger Uebergang als Lehrzeit 
tathfam (ec). Leibeigene (Hörige), welche gegen Entrichtung 
eines Zinfes für ſich arbeiten dürfen, oder die ein ihmen zur 
Denugung verlichened Landgut auf eigene Rechnung bewitths 
ſchaften und zu beftimmten Leiftungen, 3. B. Frohnen, an den 


— #1 — 


Gutsherrn verpflichtet find, haben eine viel erträglichere Lage, 
find jedoch noch immer in einer hoöchſt Läftigen Beſchraͤnkung 
und in Gefahr vielfacher Bedrüdungen (d). Es ift alfo nöthig, 
darauf hinzuarbeiten, daß die Unfreiheit ganz aufljöre, wobei 
bie bisherigen Herren für die Verlufte, welche bloß aus biefer 
Urfache, abgefehen von dem Befige von Grundftüden, entftehen, 
aus ber Staatscaſſe entfehäbigt werden, zugleich aber bie bis⸗ 
herigen Leibeigenen Gelegenheit erhalten, Land zu erwerben, 
8. 47a (c). Es finden daher hier die Regeln, welche für bie 
Aufhebung der Frohnen und die Verleihung des Eigenthums 
an die Bauern gelten ($. 47. 62), ihre Anmwenbung. 


(a) Hiezu kommen die in fittliher Hinficht verderbliden Wirkungen auf 
die Gigenthümer der Sflaven, die der großen Berfuhung zur Hart: 
herzigfeit fchwer widerftehen. 


(3) Raynal, Histoire philosophique et politique des ötablissements et du 
commerce des Europeens dans les deux Indes, Liv. XI. Chap. 22—30. 
— 9. Jakob, Ueber die Arbeit leibeigener und freier Bauern. St. 
Petersburg, 1815. — Storch, IL, 276, 462. — In den franzöf. 
Golvnicen wird ein Sflave im Durdfchnitt auf 1163 Fr. (1152 Fr. 
Moreau deJonn?s) geſchaͤtzt, für einen Sklaven von 18—40 Jahren 
kann man (nah Basparim) 1350 Fr. Preis annehmen, nah Moreau 
de Jonn&s 1500 Fr., für ein Kind 500 Fr. 


(6) Noch befteht die Sklaverei in einem Theile von America und einem 
Theile der mweftindifchen Infeln. Der Sklavenhandel ward zuerft 
in Dänemarf, dann 1807 in Gngland verboten, 1811 ward hier Strafe 
der Felonie darauf gefegt. In den norbamericanifchen Breiftaaten war 
fhon 1805 befdhloffen worden, daß 1808 bie Bıinfuhr von Negern 
ganz aufhören ſollte. Gngland bemühte fih, andere Staaten zu 
leihem Gntichlufle zu bewegen, es wurden bierüber Verträge ge⸗ 
Ploffen mit Portugal, mit Frankreich (erfter Parifer Friede 1814, die 
Abichaffung tes Sklavenhandels follte 1820 geicheben), mit Spanien 
1814 (ebenfalld bis 1820), den Niederlanden (1818). In den Ber: 
trägen mit Spanien, Portugal und ben Niederlanden iſt gegenfeitig 
den Kriegsſchiffen das Durchſuchen der Kauffahrer geftattet worben, 
fo auch im Bertrage mit Branfreih 1831, erweitert 1841, und mit 
Neapel 1838. Nordamerica gab dieß nicht zu. Merico und die 
Mepublit am Blata-Strome verboten 1824 den Sklavenhandel. Diefe 
Beichlüffe, fo wie die Wachfamfeit englifcher und americanifcher Schiffe 
haben bisher nody nicht verhindern fünnen, daß dieſer Handel von ber 
afrieanifhen Küfte nad) America und Weflindien inımer fortbauert, 
zum Theil unter franzoͤſiſcher Flagge. Golonicen in Africa, um dort 
den Berfauf der Sklaven durch Bivilifation zu verhindern, und zu⸗ 
Teich den befreiten Sklaven eine Unterfunft zu verfchaffen. Die eng: 
ifche Eolonie in Sierra Leona (feit 1787) hatte 1834 ſchon 33400 Ein: 
wohner, entſprach aber den gehegten Erwartungen nicht, fie ift zugleich 
ſehr Koftbar, und wegen bes Klima’s den Buropäern verderblih. Nor: 
americanifche Colonie Liberia am Gap Mefurado, zu gleichem Zwecke, 
1817 beichloffen, 1821 zu Stande gefommen. Auch der Landtransport 
der afrieanifchen Sklaven nah Marocco, Algier ıc. und Aegypten 


— 48 — 


müßte verhuͤtet werden. Vgl. Bimonde, De l'intérôt de la France 
a l’ögard de la traite des ndgres. Par. 1814. — Wilberforce, Lettre 
& M. le Prince Talleyrand au sujet de la traite des nögres, Trad. de 
Yangl. 1814. — Minerva, Febr. 1815. — Ueberlieferungen, 1818. IX, 
1631. XL— Revne eneyclop. L. 45. p. 538. L. 58, p. 216. — Edinburgh 
Review. Octob. 1824. — Quarterly Rev. Oct. 1825. — Nah einer 
bedeutenden Verbeſſerung in der Lage der Sklaven auf den britifchen 
Antillen durch Regterungsbefchlüffe im 3. 1824, 3. B. mildere Strafen, 
Ermunterung zum Heirathen, Grleichterung des Losfaufens, hob bie 
Barlamentsacte von 1833 (3. u. 4. Will. IV, Gap. 73, bei Mac 
Eulloh, Handb. f. Kaufleute, Suppl. ©. 1080) die Sklaverei der 
britiſchen Befigungen vom 1. Aug. 1834 auf, die Eigenthuͤmer erhielten 
20 Mil. 2. Et. Entihädigung, die Sklaven wurden einflweilen Lehr: 
linge (apprentices), mit der Verpflichtung, den biaherigen Herren noch 
einige Zeit ein beflimihtes Maaß von Nrbeit zu leiften, Tanbbauende 
Sklaven bis 1840, andere bis 1838. Die mit eigenen Ständeverfamm- 
lungen ausgeftatteten Colonieen hoben 1838 die Lehrzeit völlig auf. 
Bis Ende 1841 hatten auf Jamaika fchon 7848 ehemalige Sklaven 
aus ihren Grfparmiffen Grundeigentfum erworben, Stanley im 
Unterhaufe, 22. März 1842. Dagegen hat ſich der Anbau von Zuder 
und Kaffee fehr vermindert. — Die nordbamericanifchen Freiſtaaten 
batten 1850 in 15 Staaten unter 9:613 000 Ginw. 3200000 oder 1/s 
Sklaven. Das in den 16 nörblihen Staaten berrfchende Beſtreben, 
die Aufhebung der Sklaverei zu bewirken, hat eine leidenfchaftliche 
Aufregung in den füblichen Staaten gegen die fog. Abolitioniſten und 
bie Öefabr einer Trennung der Union in 2 Staaten hervorgerufen. 
wii. Jay, Slavery in America, Lond. 1835. — Ch. Dickens, 
American notes, Cap. 17. (Schilderung der Unmenfchlichfeiten, die man 
egen die Sklaven begeht.) — Die ergreifende Darftellung der mit der 

ayerei nothwendig verbundenen Uebel in Uncle Tom's Cabin von 
Fr. Beecher⸗Stowe (1882) mußte einen großen Cindruck Hinterlaffen, 
edenfo die flatiftifchen Nachweifungen über die in vielen faatlichen 
Beziehungen wahrzunehmenden Nachtheile der Sklaverei bei Helper, 
The impending crisis of the South, Newyork 1857. Die Zahl der 
ESflaveneigenthirmer wird nur zu 186500 angegeben, der Berfehröwerth 
der SHaven zu 1280 Mill. D. Der Mittelpreis des Acre ift in den 
Sklavenſtaaten 5*/3, in den anderen 28 Doll. — Man nimmt an, 
daß auf jeden Bent, den das Pfund Baumwolle gilt, ein Negerfflave 
gegen 100 Doll. Verkehrowerth hat, alfo 3. B. bei 10 Et. Baum: 
wollenpreis 1000 D. (1858). — Die franzoͤfiſchen Colonieen hatten 
im 3. 1835 260000 Sflaven, oder 77 Proc. ihrer Einwohnerzahl. 
Vorſchlaͤge zur allmätigen Befreiung der Sklaven in diefen Evlonieen 
durch den ag ber Nebenarbeit bei A. de Gasparin, Esclavage 
et traite. P. 1838. — Moreau de Jonnds, Recherches statistiques 
sur leselavage colonial. P, 1842. — de Montveran, Essai de ata- 
tistique raisonnde sur les colonies europeennes des tropiques, 1833, 
©. 15. 37. Das Gel. v. 18. Zuli 1845 und die V. v. 18. Mai, 
4. und 5. Juni 1846 forgten für beflere Behandlung, Schulunterricht 
der Sklaven und einen freien Mrbeitötag in der Woche. Nach ber 
Februarrevolution wurbe die Sklaverei auf den franzöftihen Befigungen 
aufgehoben (22. April 1848) und durch Geſetz v. 23. April 1849 eine 
Enſchaͤdigung von 90 Mil. Kr. für die bisherigen Cigenthümer be- 
willig. Molinari iu Diotionn. de !’Econ. pol. I, 712 


Kraus, Staatsw. V, 586. — Bol. Mittermaier, d. Privatrecht, 
$. 90 f — lieber die Abfchaffung ber Leibeigenfhaft Storch, III, 
19. 481. Inzwiſchen ift 1820 auch in Medienburg diefer Schritt 


— 44 — 


efchehen. Selbft die gemilderte Leibeigenfchaft, bie fih nur in der 
bgabe des mortuarium (Befthaupt) und der zu dem Wegziehen von 
dem Gut erforderlihen Grlaubniß des Gutsherrn Außert, kann drüdend 
fein, wenn von diefen Befugniſſen und iliger Gebrauch gemadt wird. 
Die Verpflichtung des Gutsheren, den Leibeigenen im Notbfall zu er- 
nähren oder zu unterftügen, bewirkt, daß der Iegtere nicht die Thaͤtig⸗ 
feit entwidelt, welde das Dertrauen auf eigene Kraft hervorruft. 
Uebrigens hängt das bei der Aufhebung der Leibeigenichaft zu beach- 
tende Berfahren zugleih mit den bäuerlichen Verhaͤltniſſen genau zu⸗ 
fammen, f. $. 47a. — In Schleswig und Holftein erfolgte die gänz- 
liche Aufhebung der früher ſchon auf einem Theile der Güter befeitigten 
Leibeigenfchaft am 19. Dec. 1804. Der Gutshere mußte denjenigen 
Leiheigenen, welche nicht auf den biäher benugten Landſtellen blieben, 
eine Iebenslängliche Unterftügung, und denen, welche ihre Pachtſtellen 
verloren oder nicht durch Landſtellen abgefunden waren, freie Wohnung 
mit einem Gemüfegarten geben. Hanifen, Die Aufhebung der Leib: 
eigenfchaft in den 9. Schlewig und Holſtein. Gekroͤnte Preisichrift. 
St. Petersb. 1861. S. 53. — In Würtemberg (Edit v. 18. Nov. 
1817. Nr. II. Gef. v. 29. Oct. 1836), Baden (V. v. 5. Oct. 1820), 
Naffau sc. wird der Gutsherr für die Leibeigenfchaftsgefälle aus der 
Staatscafle entihädiget; in Baiern (Bonftitution v. 1808, Tit. 1. 
6. 3. Edict v. 31. Aug. 1808) und Preußen (Cdict v. 9. Dct. 1807. 
i 12. PBublicandum v. 3. April 1809. $. 8. 9.) find die aus der per- 
Önlichen Unfreiheit herrührenden Laſten (mortuarium, Abzugsgeld sc.) 
ohne Erſatz aufgehoben, während natürlih die auf den Beſitz von 
Grundftüden fich beziehenden fortbeftanden. — Die ungariichen Bauern 
erhielten 1790 die Grlaubniß von ihren Gütern wegzuziehen, und 
hörten alfo auf, Teibeigen zu fein, durften aber nicht in eigenem Namen 
vor Gericht auftreten (welche Beihränfung jedoch in der neueften Seit 
auf eine für fie günftige Art modificirt worden iſt), Fein Grundeigen⸗ 
thum erwerben, und genoflen folglich nicht volles Bürgerrecht. Ihre 
Lage wurbe 1836 und fpäter noch weiter verbefiert. In Oeſterreich ift 
durch das Patent vom 1. Nov. 1781 die Leibeigenſchaft in eine fehr 
gemdPigte Unterthänigfeit verwandelt worden, wobei der Bauer jede 
eliebige Beichäftigung ergreifen und ohne Abfahrtögeld an einen an⸗ 
deren Drt ziehen Eunnte. Das Patent vom 7. Sept. 1848 hob bie 
Unterthänigfeit im ganzen Kaiferftaat auf. Vgl. von Berzeviczy 
in Europ. Annal. 1816, IX, Nr. 2. — Schopf, Landw. bes öfter. 
Kaiferfiants, I, 52 (1835). — Das europäifche Rußland hat ohne 
Polen, die 3 Offeeprovingen und Finnland 52 Mill. Einwohner, die 
Zahl der Leibeigenen ift gegen 21%, Mill. oder 41 Proc., aber fo 
ungleich vertheilt, daß in der Mitte des Landes (3. B. Tula, Smos 
Ienst, Mohilew, Kaluga, Kiew) bis 73, in den Äußeren Gegenden 
viel weniger getroffen werden, 3. B. in Aſtrachan und Gaucafien zwifchen 
3 und 4 Proc. Die Leibeigenen find theils im Haufe des Herm ale . 
unfreies Gefinde, theils fuchen fie gegen einen vom Herrn beliebig feſt⸗ 
geiehten Zins (Obrof) einen Erwerb, vorzüglihd in Städten, theils 
auen fie ein Landgut und haben 3 Tage wöchentlid Krohn zu leiſten 
oder geben ebenfalls Obrof. Der Preis einer „männlichen Serle“ mit 
dem zugehörigen Lande (in der Regel 4 Defljätinen = 12 bad. M.) ift 
egen 60—120 Rub. Die „Kronbauern” auf den Staatsgütern find 
—*— frei und nach dem Ukas vom October 1857 iſt auch die Befreiung 
der jetzigen Leibeigenen Gegenſtand vieler Berathungen geworden, indem 
es als unabweisbare Forderung der Gerechtigkeit und Bildung betrachtet 
wird, die Bauern in einen geſicherten Rechtszuſtand zu verſetzen. Der 
Ukas v. 19. Febr. 1861 und die zugehörigen Geſetze ſtellen die Grund⸗ 
ſaͤtze für den Vollzug dieſer großen Maaßregel auf. Die Bauern 


treten fogleih in den Genuß der allgemeinen bürgerlichen Rechte, ver: 
fügen frei über ihr Cigenthum, koͤnnen nicht mehr verfegt oder in 
fremde Dienjte gegeben werten x. Kleine @igenthümer, d. } die 
unter 21 männl. 2eibeigene und zu wenig ober gar fein Land Haben, 
erhalten, wenn das Bedürfniß nachgemiefen wird, eine Unterftügung 
vom Staat, und wenn ihre Leibeigenen bisher Fein Land hatten, fo 
fönnen fie auf den Etaatslänbereien angefiedelt werden. Die Gerichte: 
barkeit und Polizei geht auf die Vorgefegten der neu zu bildenden 
Gemeinden und Bezirke (Woloſti) über. Die meiſten Borfchriften diefer 
Geſetze beziehen ſich jedoch auf den Lanpbefib der Bauern. Affren- 
ehissement des serfs. Traduction de documents officiels etc. St. Pöters- 
bourg, 1861. 


8. 20. 


Die Geringfhägung der Gewerbtreibenden war lange 
Zeit der Betriebſamkeit nachtheilig, weil fie viele Menfchen, 
befonderd aus den höheren Ständen, abhielt, fich probuctiven 
Beihäftigungen zu wibmen, und inanche begüterte Gewerbs- 
laute bewog, ihr Gewerbe aufzugeben. Die Regierung vermag 
zwar nicht durch Zwang die öffentliche Meinung zu beberrichen, 
aber fie kann die Urfachen jenes fchäblichen Vorurtheild zu ents 
fernen fuhen. Die verfchiedenen Stände der Geſellſchaft müflen 
in ein ſolches WVerhältniß zu einander gefeßt werden, daß nicht 
ein Theil derſelben, 3. B. in ber Gelangung zu Aemtern, 
Würden und Auszeihnungen, ausfchließliche Vorzüge genießt, 
welche für den andern Theil demüthigend find. Auch die eins 
jenen Battungen von Gewerben müffen von Allem befreit 
werden, was eine Abneigung vor ihrem Betriebe unterhalten 
kann (a). Die Theilnahme des Nährftandes an der Gemeinde 
verwaltung und an der Volfövertretung hat viel dazu beiges 
tragen, das Selbftgefühl deſſelben und die Achtung, die er bei 
den andern Ständen genießt, zu verftärfen und in ber neueften 
Zeit hat die Gewerbsarbeit ihre volle Anerfennung gefunden (5). 


(*) 3. 8. die Frohnen der Landleute, die mit der Erlernung eines Hanb- 
werks verbundenen Beichwerden. — Im alten Aegypten Eonnte wegen 
ter Geringfhägung der Schiffer der auswärtige Handel nicht gedeihen. 


(6) Möfer’s Aufſatz: Reicher Leute Kinder follen ein Handwerk, lernen 
in deſſen Batr. Phantaf. I, 27. 


$. 21. 


Die Sefhidlichfeit der Arbeiter wirb von ihren 
Kenntnifien, der Schärfung des Verſtandes und ber eifrigen 





Mebung in Gewerböverrichtungen bedingt. Der Staat beför- 
dert die Bildung der Gewerbtreibenden, wenn er gute Unter- 
richtsanftalten für den. ganzen Arbeiterftand in binreichender 
Anzahl aufftellt. Außer den bei den einzelnen Gewerbsclaſſen 
zu erwähnenden befonderen Schulen für Landwirthſchaft, Forſt⸗ 
weien, Bergbau, Gewerke, Baufunft, Schifffahrt und Handel 
find bieher die Bolfds (Elementars) Schulen zu rechnen, 
deren Güte, wie fie überhaupt auf den fittlichen und geiftigen 
Zuftand eined Volkes mächtigen Einfluß übt, fo auch den vers 
ftändigen Betrieb der Gewerbe, die Empfänglichkeit für jede 
weitere Belehrung, die gefchicte Benugung der Umftände und 
bie Ordnung im Haudhalte der Familien befördert. Bon ihnen 
verfchieden find die hauptfächlich für die Fünftigen Xohnarbeiter 
beftimmten Arbeits⸗ oder fogenannten Induſtrieſchulen, 
in benen ber gewöhnliche Schulunterricht mit der Unterweifung 
und Hebung in Handarbeiten verbunden wird. Die Bortheile 
biefer Einrichtung find: Gewöhnung an nügliche Thaͤtigkeit, — 
Erhöhung der Körperkraft und Gelentigfeit, — frühe Erlernung 
folcher Vorrichtungen, welche die Zöglinge fpäterhin ald Er 
wachfene zu treiben haben. Hiezu kommt der Erwerb aus ben 
Arbeiten, der zwar für die unbegüterten eltern eine will- 
fommene Zugabe ift, aber nicht auf Koflen der förperlichen 
Entwidlung zum SHauptzwede gemacht werden darf. “Die 
Arbeiten müffen mit Rüdfiht auf die Gefundheit der Schüler 
und auf ihr fünftiged Bebürfnig ausgewählt werben, weßhalb 
ſowohl die Verfchiedenheit der Gefchlechter, als der ftäbtifchen 
und Landſchulen beachtet wird (a). 


(a) Die Gefahr des Mißbrauches und die Schwierigkeit, gute Lehrer zu 
finden, fliehen der Verbreitung folcher Schulen entgegen. 
® 





— 


Zweite Abtheilung. 
Sorge für das Kapital im Allgemeinen. 


8. 22. 


Sowohl die Anfammlung von Eapitalen durch Erfparniffe, 
ald das Herbeiziehen berfelben vom Auslande muß in ber 





Regel den Bürgern überlafien bleiben (a) und bad Hinaus⸗ 
fenden von Gapitalen darf nicht verboten werden. Die Bers 
bütung von Berluften an den einzelnen Beftandtheilen bes 
Gapitald durch Zerflörung, 3. B. Feuer⸗ und Wafferfchaben, 
Biehfeuchen, fowie durch Beraubung, durch Diebftahl, Betrug ıc. 
Aufgabe der Schuppolizei. Daß aber die vorhandenen 
Gapitale von denjenigen Eigenthümern, welche fie nicht ſelbſt 
heworbringend anlegen fönnen oder wollen, bereitwillig den 
Unternehmern anvertraut werben, dieß kann durch Staatdmaaß- 
segeln befördert werden, welche die Sicherheit der Gläubiger 
vor Berluften an Zind und Stamm erhöhen und zugleich die 
Gefahr Iangwieriger und befchmwerlicher Streitigfeiten vermin- 
dem. Obgleich hier ein Verluſt der Bläubiger oft den Schuld⸗ 
nee in beſſere Lage fegt und alfo für das VBolfövermögen im 
Ganzen gleichgültig fcheinen fünnte, fo gebietet doch die wirth- 
ſchaftliche Staatsklugheit eben fo jehr wie bie Gerechtigkeit, daß 
man die Zindgläubiger vor Schaden und Beſchwerden beichüge, 
weil dieß fie ermuntert, ihre Capitale bei inländifchen Gewerben 
anzulegen, weil daraus ein größerer Reiz zum Ueberfparen ent- 
fcht und auch Ausländer bewogen werden, bewegliches Ver⸗ 
mögen im Lande anzulegen, woburd die Gewerböthätigfeit 
erweitert und der Zinsfuß ermäßiget wird. 


(2) Eine Ausnahme Hievon, welche bie gefparnife der Lohnarbeiter betrifft, 
findet bei den Sparkaflen fistt, f. 3 Bud). 


8. 23. 


Zu diefer Sicherung der Gläubiger bei Leih⸗ und anderen 
Forderungen dienen vorzüglich (I, $. 226) mehrere Anorb- 
ungen im Gebiete der Rechtöpflege, bei benen die Anfors 
derungen ber Gerechtigkeit durch die angegebenen volkswirth⸗ 
ſchaftlichen Rüdfichten ($. 22) verftärft werden und die letzteren 
auch auf die Wahl der einzelnen Maaßregeln Einfluß äußern. 
Hieher gehören 

1) gute Gefege in Anſehung des Bankbruches (Bankerott), 
welche dahin abzweden, daß kein muthmilliger oder betrügerifcher 
Bankerottirer der gebührenden Strafe entgehe, 

2) firenge Handhabung biefer Geſetze, fo wie überhaupt 


pünctliche Rechtshülfe bei den Klagen ber Glaͤubiger gegen ihre 
Schuldner, 

3) gute Einrichtung des Hypothekenweſens (a). Die 
Haupterforderniſſe deſſelben find: Oeffentlichkeit aller erworbenen 
Unterpfandsrechte, — Specialität, welche darin beſteht, dag nur 
beftimmte Yorberungen und auf beftimmte Grundſtuͤcke einges 
tragen werben, — und die Anordnung der größten Sorgfalt 
bei den Tarationen. | 


(a) Mittermaier, Grundfäbe des Privatrechts, F. 262. 


8. 24. 


IM ein Theil des Bapitald trog der polizeilichen Verhuͤ⸗ 
tungsmaaßregeln zerftört worben, fo läßt fich ber hierin liegende 
Schaden in feinen volkswirthſchaftlichen Folgen ſehr mildern, 
wenn die vernichtete Guͤtermenge vermittelſt der Beitraͤge vieler 
Einzelner dem Eigenthuͤmer verguͤtet wird, ſo daß derſelbe 
im Stande iſt, die verzehrten Capitale wieder herzuſtellen (a). 
Dieß ift bei den, alle Arten von Capitalen bedrohenden Feuer⸗ 
fhäden die Beſtimmung der Keuerverficherungen, Brand» 
affecuranzen (db). Die Beitragenden beftreiten die Ausgabe 
leicht aus ihrem jährlichen Einfommen, jeder Theilnehmer findet 
fi) folgli vermittelt einer geringen jährlichen Ausgabe mit 
einer Gefahr ab, deren Verwirklichung ihn fonft ſchwer treffen 
würde (c). Die Berficherungsanftalten erfcheinen wegen ber 
Größe der dem Feuer ausgeſetzten Gütermaffe ald höchſt wohl- 
thätig und verdienen von Seite des Staats befördert zu wers 
den (d). Sie werden eingetheilt 
1) in Bezug auf die verficherten Öegenftände in Gebäude—⸗ 

und Fahrniß- (Mobiliars) Verfiherungen, doch 

giebt es auch Anftalten, welche bewegliched und unbeweg⸗ 
liches Bermögen zugleich aufnehmen, 

2) nach dem Verhaͤlmiß zur Staatögewalt in reine Privat- 
Verfiherungsanftalten, bei benen nur bie Sapungen 
vor der Genehmigung geprüft werben und die Beobachtung 
berfelben überwacht wirb, bie Verwaltung aber felbftändig 
von gewählten Vorftehern gefchieht, — und in Landes⸗ 
Berfiherungsanfalten, bie fir ein ganzed Staats: 


3) 


(«) 
(8) 


gebiet ober eine ganze Provinz beſtimmt find und unter ber 
näheren Zeitung einer Staatöbehörbe fiehen, auch manche 
Begünftigungen von Seite der Regierung genießen, 3. B.- 
Poſt⸗ und Stempelfreiheit, obne jeboch bie- Natur von 
Brivatanftalten ganz abzulegen (e), 

in Bezug auf das Verhaͤltniß zwifchen ben Berficherten 
und Berficherern in wechfelfeitige und in Prämien⸗ 
Berfiherungen. Bei jenen bilden alle Eigenthümer 
ber zu verfidhernden GBegenftände eine Gefellfchaft, deren 
Mitglieder jährlich den auf einzelne unter ihnen fallenden 
Brandſchaden gemeinfchaftlich durch eine Umlage unter ſich 
vertbeilen. Bei den Prämienverficherungen dagegen ift eine 
Actiengefellfchaft vorhanden, welche mit jedem einzelnen 
Berficherten einen Bertrag abfchließt und gegen eine aus⸗ 
bedungene fefte Bergütung (Prämie) die Feuersgefahr über 
nimmt. Die Gefellfchaft betreibt alfo die Berficherungen 
ald ein Gemwerbögefchäft, um einen Gewinn zu ziehen. 


Das Rämlihe gilt von den verbrannten Genußmitteln. 


Die Entflehung ter Brandverfiherungen ift ins 18. Jahrhundert zu 
feßen, obichon der Gedanke derfelben —*— im Anfang des 17. gehegt 
wurde. Beckmann, Beiträge zur Geſchichte der Erfindungen, I, 219. 
Die von Bedmann erwähnte Parifer Brandcaffe von 1745 iſt jeduch 
nicht die ältefle; ſchon 1705 wurde in der Mark Brandenburg eine 
„Feuercaſſe“ errichtet, und 1706 erging fogar ein Verbot, wider die⸗ 
ſelbe zu fprehen (Mylius, Corpus Constitut. March. V. Ba 1. Abth. 
©. 171. 191.) Die Feuercaffen der damaligen Zeit untericheiden fi 
von ben heutigen wechlelfeitigen Afecurangen blos dadurch, daß ber 
Beitrag von Jahr zu Jahr gleih war. Gine „Feuerfoctetät” von der 
no jeht beſtehenden Art entſtand zu Berlin im Jahr 1718. Ber: 
gine. Rameraliftenbibliothel. S. 151. Deſſ. Magazin III, 40 (in 

etreff der Feuercaſſen). In Sachſen entftand 1729 eine allgemeine 
Brandcafte, in Würtemberg wurde 1754 bie erfle Affecuranz von einer 
Brivatgefellihaft errichtet, in Baden 1758 die Landesaſſecuranz. — 
Ueber dieſe Anfalten fiehe v. Berg, Polizeiveht, ILL, 68—75. — 
Sünther, Berfuh z. e. Sntwurf einer revibirten Ordnung für die 
Ben. Feuercaffe in Hamburg, 1802. 4. — Vincens, De la legis- 
lation commercisle, LU, 337—378. (1831.) — Lotz, Handb. II, 191, 
— Rittermaier, Grundſaͤtze, $. 302. — ol, Polizeiwiſſenſch. 
oO, 90. — Bülau, Staatéwirthſch. S. 402. — Mac⸗Culloch, 
Zanıe- 1, 907. — Rau in f. Ardhiv, II, 408, UI, 142, 320. — 

afius, ee der Berfiherung und flatift. Nachweil. aller Verſich.⸗ 
Anftalten in Deutihland, Leipzig, 1846 (nur die Brivatanftalten bes 
treffend). — Dberländer, Die Peuerverficherungsanftalten vor der 
Ständeverfammlung des K. Sachen. Leipz. 1857. — Biel ſchaͤtzbare 
Beiträge enthalten die Berhandl. der 2. Kammer in Baden, 1837. 
(befonders der Bommifflonsberiht von Negenauer im 3. Beilagen: 
Beft), und bie Berhandl. der beiden bad. K. von 1839, 1840 u. 1851. 


Rau, yolii. Defon. II. 1. Abih. 5. Ausg. 4 


(ce) Diefes Zufammenftehen der Binzelnen gegen eine Gefahr, die Jeder 
zu fürchten hat, ift eine fchöne Frucht des gefellichaftlihen Verbandes. 
Ehe man die fürmlichen Brandverficherungen fannte, ſuchte man den 
nämlichen Zwed durch freiwillige Gaben der Nachbarn oder Standes⸗ 
enofien zu erreichen, welches zwar für die Erregung der Wohlthätig- 
eit vortheilhafter, aber in Anfehung des Erfolges unvollfommener war. 
In Defterreih wurden Sammlungen für Beichäbigte von den Staats: 
behörden bewilligt und veranftaltet. Patent vom 3. April 1750 und 
fpätere Berertn. — Schopf, Landw des öfterr. Kaiferftants, I, 175. 
— Zu den Vortheilen der Bebäudeverficherungen gehört, daß bie Unter: 
pfandgläubiger der Hauseigenthümer weit weniger gefährbet find, daß 
folglich dieſe Leichter unter billigen Bedingungen Darleihen erhalten, 
db. 5. fich eines größeren Credits erfreuen. 


(d) Die verfiherte Summe betrug 1849 im britifchen Reiche 756% Mill. 
8. St. oder 324 fl. auf den Kopf, 1854 aber 941%, Mill. ober 
393,5 fl. auf den Kopf. In Baden belief fi 1849 der Anichlag der 
verfiherten Gebäude auf 340 Mil. fl. oder 250 fl. auf ten Kopf, 
1858/59 nur auf 324,7 Mill., aber da nad dem jeßigen Gefeg nur 
4/5 des Werthes verfichert werden dürfen, fo muß man, um beide Zah: 

len zu vergleichen, der letzteren zuſetzen, ſo daß man 405,8 Mi. 

erhält (302 fl. = 172 Thlr. auf den Kopf) und ber mittlere jährliche 

Zuwachs 1,% Broc. beträgt. — Mafius, a. a. D. ſchlaͤgt die ver: 

fiherte Summe von Gebäuden und Fahrniß in Deutichland auf 

4632 Mill. Thlr. = 8107 Mil. fl. an. — Nah den Angaben bei 

Hübner (Jahrb. 1859 S. 91) war in den beutfchen Bundesflaaten 

1856 die verficherte Summe 8532 Mill. Thlr., worunter ohne Zweifel 

auch Verfiherungen in den nicht deutfchen Provinzen von Oeſterreich 

begriffen find. on jener Summe machen die preußifchen Hausver- 
fiherungen 1203 Dill. Thlr. oder 70,7 The. auf den Kopf aus 

(1828—37 707%/, Mill., 1846 1195 Mill), die baierifchen 393 MIN. 

(83,6 Thlr. auf den Kopf), die fächhfifchen 272 Mill. (128 Thlr. auf 

den Kopf), die würtemberg. 242 Mill- (142 Thlr. auf den Kopf). 

Stant Newyork 1854 617'/5 Dill. Doll. oder 205,7 D. = 273 Thlr. 

auf den Kopf. — In Belgien fhäbte man 1849 die verficherten Ge⸗ 

baude auf 1093, die übrigen auf 2122 Mill. Fr., zufammen 350 fl. 
auf den Kopf. — Die Angaben über bie üfterreihifhen B. : Anftalten 
geftatten Feine Ausfcheidung der Gebäude. 


(e) Ihr Vermögen wird als ein Privatvermögen, wie das einer Gemeinde 
oder Stiftung, betrachtet, was für den Fall eines Kriegeunglüds von 


großem Bortheile if. 


$. 25. 


Die Landes» Verfiherungsanftalten find in den meiften deut⸗ 
ſchen Ländern errichtet worden, aber allein für Gebäude, auf 
welche fich damald die Keuerverficherung befchränfte. Sie waren 
gewöhnlich mit einem Zwang zur Theilnahme für alle Haus⸗ 
eigenthümer verbunden. Die durch fie bewirkte Berficherung 
ift eine wechfelfeitige. Die Bortheile ſolcher Anftalten find 
1) die wohlfeile Verwaltung (a), 2) die günftige Wirkung auf 
ben Credit ber Hausbefiger, weil feine Verſicherung abgelehnt 


— 5 — 


werben darf und bie Entfchädigung unmeigerlich bezahlt wird, 
8) die durch Die große Ausdehnung der Anftalt bewirkte gute 
Audgleichung der Brandſchaͤden, während Eleinere Gefellfchaften 
von einem einzelnen großen Verlufte ſchwer betroffen und ers 
fehüttert werben fönnen; 4) die größere Leichtigkeit, eine einzige 
Anftalt zu beauffichtigen und mancherlei Mißbräuche und Uns 
regelmäßigfeiten zu verhüten, im Bergleich mit ber fchwereren 
Ueberwachung mehrerer theils in⸗, theild ausländifcher Ans 
falten. Auf der anderen Seite muß aber auch bieß erwogen 
werden: Es Tann in den Sagungen und in ber Verwaltung 
der Zandesanftalten eine mangelhafte Einrichtung lange forts 
dauern, ohne daß den Verficherten ein Weg freifteht, Abhülfe 
zu bewirten. Die Erfahrung lehrt, daß bei dieſen Berficher- 
ungen bald die Beiträge im Ganzen höher find, als bei freien 
Privatanftalten, bald wenigftens ein Theil der Berficherten 
höher belaftet wird, als ed nöthig wäre. In mehreren großen 
Staaten, wie Großbritanien, Frankreich, Defterreih, befinden 
fih feine RandessBVerfiherungsanftalten und fie werben dort 
nicht vermißt. Man kann folglich diefelben nicht als Bebürfniß 
anfehen und ed ift nicht rathfam, daß die Regierung bie Bes 
ſchwerde und Berantwortlichfeit einer unnöthigen Einmiſchung 
übernehme (5). Wo jedoch diefe Einrichtung ſchon länger bes 
ſteht, da läͤßt fih die Fortdauer der bisherigen Landesanftalt 
wohl in Schuß nehmen, wenn biefelbe nach dem Beifpiele der 
freien Geſellſchaften vervollfonimnet wirb und fich ohne auds 
fhließliche Berechtigung neben denfelben behauptet. Es müflen 
dann zugleich die Bedingungen aufgeftellt werben, unter benen 
andere Berficherungsanftalten zugelaffen werben follen. Dieß 
fegt eine Prüfung der Sagungen voraus, auch ift eine Kenntniß⸗ 
nahme von der Gefchäftsführung nothwendig, um Mißgriffe 
rügen zu können. Ausländifche Geſellſchaften muͤſſen Geſchaͤfto⸗ 
führer im Lande beftellen, bei denen allein die Berficherungen 
genommen werben bürfen. 


(a) Die Berwaltungskoften der badiſchen Randesanftalt waren von 1846—49 
i. D. gegen 26000 fl. bei 347 Mill. fl. DVerficherungsfumme, 0,074 
per mille, 1858/59 20000 von 325 Mill. fl. oder 0,06% per mille. 
Die Gothaiſche Geſellſchaft dagegen hatte 1843 O,'p. m., 1859 0,1 
p. m. Koſten, die Elberfelder im erfteren Jahre 0,13, der Phönir 0,% 
p. m., die Aachener Geſellſchaft freilich 182643 nur 0,97 p. m. 

4* 


— 52 — 


(5) In Belgien wurde 1846 und 1850 über den Vorſchlag berathen, dem 
Staat das ganze Verficherungsweien ald Monopol (Regal) zu über: 
tragen und daraus eine Duelle von Ginfünften zu machen. Man er 
fannte leicht, daß dies nur bei der Yeuerverfiherung ausführbar fei, 
und fehr wenig Gewinn verfpreche. Bulletin de la commiss. de Statist. 
IV, 240 


6. 25 a. 


Der den Haudeigenthürnern auferlegte Zwang, ihre Gebäube 
verfichern zu lafien, wird theild aus den gemeinnügigen Wir- 
fungen ver Verficherung ($. 24), theild aus ber Abficht, die 
Haußfteuer ungefchmälert zu erhalten, in Schuß genommen (a). 
Die Gründe gegen biefe gefegliche Maaßregel find jedoch im 
Allgemeinen, abgefehen von den befonderen Berhältnifien einer 
fhon beflehenden Landed-Berficherungsanftalt ($. 25), über 
wiegend, indem 1) die Hausbeſttzer felbft am meiften gefährdet 
find und daher aus eigenem Antriebe die WVerficherung fuchen 
iwerden, auch Niemand zu feinem eigenen Beften genöthigt zu 
werden braudt, 2) Hypothefengläubiger die Verficherung zur 
Bedingung der Darleihe machen fönnen und bieß ohne Zweifel 
thun werden, wenn fie nur auf dad Hinwegfallen des allge 
meinen Zwanged aufmerffam gemadt werden (5b), 3) das 
Gebot zum Eintritt leicht durch einen ganz niedrigen Anfchlag 
unwirffam gemacht werden fönnte, wenn man nicht auch bie 
Größe der Verſicherungsſumme in jedem Falle obrigkeitlich feſt⸗ 
ftellte, woburd den Staatöbehörden eine große Bemühung aufs 
erlegt wird, 4) die freie Wahl jedem Hausbeſitzer bie Gelegens 
heit giebt, vom Mitwerben verfchiedener Geſellſchaften Nutzen 
zu ziehen und ſich an diejenige zu wenden, welche ibm bie 
vortheilhafteften Bedingungen anbietet. Bei Berwaltern von 
fremden Bermögen, 3. B. Bormündern, Gemeinde» und Stif 
tungsvorftehern, ferner bei gemeinfchaftlihem Eigenthum ift 
übrigend der Zwang ganz ziwedmäßig. 


(a) v. Berg, Handb. III, TI. Baumgärtner, Bericht in der badi⸗ 
[hen 2. Kammer v. 1839. — Unbedingter Zwang zum Gintritt in die 
Landesanftalt ift } B. in folgenden Berfiherungsordnungen vorge: 
Ihrieben: Kurmark (plattes Land), V. v. 7. Sept. 1765, 11. April 
1771 und 19. Auguft 1825. — Hildesheim, 12. Dec. 1765. — Heflens 
darmftadt, 1. Aug. 1777 und 18. Nov. 1816. — Löwenftein, 1. Oct. 
1803. — Kalenberg-Grubenhagen, 20. Mai 1803 (in v. Berg, VL 
2. Abth. ©. 773), — Großh. Pofen, 5. San. 1836. — Zürid, 
24. San. 1832. — Scaffhaufen, 27. Nov. 1835. — Würtemberg, 





— 53 — - 


14. März 1853. (Die älteren dieſer Geſetze findet man in Ber: 
gius, Samml. beuticher Landeögefege.) — In Baden wurde der Zwang 
erft im Geſ. v. 29. Der. 1907 eingeführt, da nur wenige ‚Demeinben 
ſich noch nicht angeſchloſſen Hatten. — Freie Wahl geftatten 3. 
Kur: Main 5. Sul. 1780. — Bremen Verden, erneuert 23. Du 
1825. — Aus. Rbeinpronin, und Weſtfalen, 5. San. 1836. — Sn 
Baien (23. San. 1811 und 1. Jul. 1834) iſt die Theilnahme an 
einer ausländifchen Berfiherungsanftalt unterfagt, der Vertrag ift 
nichtig und es wird eine Strafe von 5 Proc. der Berfiherungsfumme 
an Gunften ber infändifchen Anftalt angebroht. 


(3) Nach ter heſſ. B. v. 1777, ©. 13, und der furmainz. Art. 1, 15 fol 
auf ein nicht aflecurirtes Haus gar feine Hypothek egeben werden. 
Aber es if genug, wenn der Gläubiger nur weiß, dab der Schuldner 
nicht Schon gefeßlich zur Verſicherung genöthigt ifl. 


$. 26. 


Die wechfelfeitigen Berficherungdgefellfchaften ($. 24, Nr. 3), 
in denen jeder Theilnehmer gegen alle übrigen zugleich Ber: 
ficherter und DBerficherer ift, follen feinen Gewinn abwerfen, 
vielmehr follen die Beiträge nur die Brandfchäben und Ber: 
waltungsfoften deden, daher koͤnnen fie etwas niedriger aus⸗ 
fallen, als bei den Prämiengefellfchaften. Es wird entweber 
jede® Jahr gerade der Bedarf zur Beftreitung jener Ausgaben 
einngeforbert, oder ed wird ein etwas größerer Beitrag von ben 
Mitgliedern erhoben und der in jedem Jahre erübrigte Theil 
zurüderftattet. Ungewöhnlich große Berlufte müflen bie Bei⸗ 
träge beträchtlich erhöhen und dieſer Umftand giebt wieder den 
Brämiengefellfchaften einen Borzug, weil den Berficherten an⸗ 
genehm if, nur bie verabredete gleichbleibende ‘Prämie zu ent- 
richten. Die leßtgenannten Gefellfchaften beftehen nur aus ben 
Actienbefigern, welche leichter burch gewählte Borfteher, einen 
übervacdhenden Ausfhuß u. dgl. für eine gute Einrichtung und 
Berwaltung forgen können. In einer wechfelfeitigen Geſellſchaft 
iR die Bertretung ber einzelnen Mitglieder viel ſchwieriger. 
Hieraus iſt es zu erflären, daß beide Arten von freien Privats 
verfiherungen ſich leicht neben einander erhalten. Ihr Wett⸗ 
eifer kommt den Berficherten zu Gute, indem er dazu antreibt, 
tiefen mehr Bequemlichkeit und Sicherheit zu geben und auch 
die Beiträge mäßig zu ftellen, und dieß Mitwerben hat auch 
vie Brämiengefellfchaften genöthigt, fi mit einer mäßigen 
Dividende zu begnügen (a). 


54 — 


(a) Bernoulli (Ueber die Borzüge ber gegenſeitigen Brandaſſecuranzen 
vor Praͤmiengeſellſchaften, Batel, 1827) fpricht mehr zu Gunſten der 
Iegteren. Diefelben übertreffen auch im Umfange ihrer Geſchaͤfte bie 
wechſelſeitigen. Im Staat Nemwyork hatten 1854 bie 65 Artiengefell 
ſchaften (stock capital comp.) 464',;, die 45 wechlelfeitigen 192%/5 Mill. 
Doll. Verfiherungsfumme, bei jenen betrugen im genannten Jahr bie 
Prämien 0,81, die Schäden 0,5% Proc., bei dieſen die Cchäden 0,9 Proc. 
In Deutſchland beliefen fi) 1856 bie Berfiherungen ber Actiengelell- 
(haften auf 5095, der wechfelfeitigen Mobiliar:Gef. auf 668, Mill. Thlr. 
In Frankreich waren 1852 bei den Prämiengefellfchaften 25667 Mill., 
bei den wechielfeitigen 9706 Mill. Fr. verfihert, zufammen 982,9 Fr. 
= 458 fl. auf den Kopf. 


6. 26 a. 


Es ift gerecht und zwedmäßig, die Beiträge der Berfihherten 
nah der Größe der Gefahr abzuftufen. Die Brämien- 
gefellfchaften ftellen gewöhnlich einen allgemeinen Tarif für ben 
Betrag der Prämie bei verfchiedenen Graden der Feuersgefahr 
auf(a). Dieß follte auch bei den wechielfeitigen Verficherungen 
berüdfichtiget werden, weil fonft die Eigenthümer feuerfefter und 
überhaupt weniger gefährbeter Gebäude übervortheilt werden, 
während die Befiger der ftärfer bebrohten einen unverdienten 
‚Gewinn ziehen. Die Abmeffung der Beiträge nad) der Stärfe 
der Gefahr ermuntert zu einer feuerficheren Bauart und bes 
Ihwichtiget die Beſchwerden derjenigen Landestheile, bie, weil 
eine foldye bei ihnen herrſcht, verhäftnigmäßig weniger Brands 
Ihäbden haben und deßhalb mehr beitragen müflen, als fie an 
Entihädigungen empfangen (db). Gegen diefe Einrichtung ift 
hauptfächlicdy diefed eingewendet worden (e): 

1) Die Größe der Feuersgefahr Hänge von einer Menge 
von Umftänden ab, Bauart, Lage, Verwendung eines Gebäubes, 
Guͤte der Löfhanftalten, VBorficht der Bewohner u. dgl. Da 
ed unmöglidy ift alle diefe Umftände genau in Anfchlag zu 
bringen, fo fei ed willfürlih, wenn man nur den einen ober 
anderen berfelben vorzugsweiſe beachten will (d). Allein eine 
forgfältige Statiftif der Brandfchäden wird fFünftig zu einer 
genaueren Abftufung, ald fie jest möglich ift, den Anhalt 
liefern. inftweilen kann man aber ohne Ungerechtigkeit auf 
bie wichtigften und bauernbften Urfachen ber Berfchiedenheit 
Rüdfiht nehmen, wenn man nur die Stufenfäge der Beitrags. 
pflicht nicht zu ſtark fteigen läßt. 


2) Die nicht feuerfeften Gebäude gehören größtentheild den 
bürftigeren Einwohnern des Landes, den Landleuten und Gebirgs- 
beivohnern, denen eine Erleichterung wohl zu gönnen fei, wäh- 
rend bie Städter mandye andere Vortheile genießen. Jene 
Behauptung ift zwar einigermaßen gegründet, trifft aber doch 
in vielen Fällen nicht zu, aud dürfte eine Begünftigung ber 
minder begüterten Haudeigenthimer wenigftend in einer Anftalt 
mit erzwungenem Beitritte nicht vorfommen, weil bier firenge 
Gerechtigkeit bereichen muß. 


(a) 3. 3. bei der Eiberfelter Geſellſchaft (1825 gegründet) wird bezahlt: 
son maffiven Gebäuden mit fleinernem Dache I—1?/, per mille, mit 
Holzdach 2—3'j,, mit Strohdach 3%/—5 p. m., bei Häufern von 
ausgemauertem Fachwerk mit fleinernem Dach 11/—2 p. m., mit Holz: 
tab 3-5, mit Strohdach 5—8 p. m., bei Fachwerk von Lehm, je 
nah ten Dädhern 11,3 — 3— 31/3 — 51/3 —8!3 p. m. — Franzoͤſiſche 
RPhoͤnirx-Geſellſchaft, 1. Sept. 1819: Steinerne Gebäute mit Stein: 
bach 1 per mille, — von Fachwerk 1°’, mit Holzdach 2/2, maſſiv 
mit Strohdach oder Holzwerk mit Ziegeltach 4, Holzwände mit Holz: 
ober Strohdach 6 p. m. — Sun fire ofüce in London in 3 Claſſen 
3 — 1%4—2!i4 p. m. — Deutfhe Phönir - Brämiengelellihaft, bei 
Wohngebäuden aus Stein 1", p. m., — meiftens aus Stein 1'/., — 
meiftene aus Holz 2, — ganz aus Holz 31/2 p. m. 


(5) Beſchwerden hierüber in den Berhandl. der 2. Kammer in Baiern, 
1619, III, 29. 1822, III, 102. Bgl. Rudhart, über den Zuftand 
des K. Baiern, I, 43. Im jebigen baier. Unterfranten (Bisthum 
Würzburg) waren fonft in 48jährigem Durchſchnitt die Koften jährlich 
nur per mille. Der baierifche Rezatfreis hat im Jahre 1828/29 
19 Proc. aller Beiträge bezahlt und nur 11,4 Proc. empfangen, ber 
Unterdonaufreis bat in dem nämlichen Jahre 8,8 Proc. gegeben und 
10 Proc. empfangen. In Baden war im Durdfchnitt von 1845—49 








Seekreis. Mittelrheinkreis. 

fl. fl. 
Batrayg .... 597874 = 1,8 p. m. 924245 = 1,8 p. m. 
Empfang... . 1079422 = 3,8 : 581081 — 1,8% : 
Unterfhied ... . | + 481548 — 343 164 
oder im Verhaͤlt⸗ 
niß zum Beitrage | + 80 Pror. — 37 Proc. 

In einzelnen Aemtern war die Ungleichheit noch viel größer, 3. B. 

we Entſchaͤdi⸗ 
Beitrag. gung. | Unterfchied 








Äf. fl. fl. . 
Amt Hüfingen . : 40200 258615 | + 218415 = 543 Proc. 
Stadt Freiburg. ' 61483 1 265 — 60218 = 9 > 


Stroh⸗ und Holz: (Schindel:) Dächer Haben nicht allein mehr Brand: 
fälle, fondern es iſt auch der Schaden bei jedem im Durchſchnitt 





547 wegen ber größeren Schwierigkeit des Loͤſchens. Im Durch⸗ 
chnitt 1844—49 war in Baden der Schaden bei einem Brandfall 

mit Ziegeldähern 1302 fl. 

mit Strohdaäͤchern 1786 fl. 

mit Schindeldächern 2292 fl. 
Im Oberrheinfreife find 1833 und 34 12 Menfdhen und 104 Stüd 
Vieh im Feuer umgelommen, fämmtlid in Häufen mit Strohdächern. 
In Würtemberg ermittelte man 1843, daß während eines gewiſſen 
Zeitraums auf dem platten Lande die Befiker verfiherter Mobilien in 
Wohnungen mit Strohdächern 22, mit Ziegeldädhern 8,? p. m. Ent: 
Ihädigung erhalten Haben. Im Canton Bern haben in 23 Jahren 
die Häufer mit Strohtächern 252351 Pr. mehr empfangen, ale bei: 
etragen, die fleinernen Gebäude mit Ziegelbädhern aber 177350, bie 
Pölgernen mit Ziegelbedahungen 47 758, und die Gebäude mit Schindel- 
bähern 28912 Br. mehr bezahlt ald empfangen. Bericht über die 
Staatsverwalt. des Kantons Bern, 1832. ©. 49%. Die Berfchieden- 
heit zwiſchen den Beiträgen und Entſchädigungen der Landestheile, 
welches auch ihre Urfache fein mag, bringt unvermeidlich den Wunſch 
ber zuviel beitragenden Gegenden hervor, daß die allgemeine Landes: 
verfiherungsanftalt aufgelöß und in befondere Provincial:, Kreis: ac. 
Anftalten zertheilt werden möge. Dieb wäre jedoch nur in großen 
Staaten ohne erhebliche Nachtheile, weil in einem Heinen Bezirke, z. B. 
von !/s Mil. Ginw., ein einzelner großer Brandichaden , wie 2. 
der Brand der Stadt Hof im J 1823 mit 1 Mid. fl., die Beiträge 
auf eine läftige Söhe treibt. In einem großen Staate fann bie Ber: 
fchiedenheit in der Bauart, der Yeuerpolizei, den Gewohnheiten sc. Die 
Anordnung von Provincials Berficherungen noihwenbig machen. Sonft 
aber haben große Berfiherungsanftalten entſchiedene Borzüge, weil bie 
Berwaltungskoften bei ihnen niedriger find und die Zahl der Unglücks⸗ 
fälle von Jahr zu Jahr weniger ungleid, iſt. 


(e) S. befonders die Begründung bes bad. Gefekentwurfes von 1839 zu 
$. 12, aub Baumgärtnera. a. D. Depbalb if in Baden, uns 
geachtet des im 3. 1827 von beiden Kammern ausgeſprochenen Wunſches 
einer Glaffeneintheilung, doc das Geſetz von 1840 ohne eine foldye 
vorgelegt und angenommen worden, mit der Ausnahme ($. 2 daß 
Kirchen mit Bligableitern nur %/s, Gebäude mit größeren, beionders 
gefährlihen Ginrichtungen das 2 fahe, mit hoͤchſt gefährlichen Cinrich⸗ 
—5— das 3 fache des auf ihren Anſchlag fallenden Beitrags bezahlen. 
Aufzählung der in beide Claſſen gehörenden Gebaͤude, B. v. 20. März 
1841. Für höchſt gefährlich gelten Theater, Krappfabriten mit Wärmes 
Öfen, Eichorienfabrifen mit Darröfen, Zuderfabrifen ohne Dampffleben, 
Runfelrübentrodnungen, Mafchinenfpinnereien, Bierbrauereien mit Malz: 
darren über offenem Feuer. 


(d) Alte Strobdächer find 3. B. weniger gefährlich als neue. 


8. 26 b. 


Die Berfchiedenheiten der Beuergefährlichkeit find auf mehr⸗ 
fache Weife beachtet worden. 

a) In vielen Affecuranzorbnungen wurden Pulver: und 
Lohmühlen, Schmelz, Ziegel» und Glashütten, Darrhäufer 
und dgl. ganz von ber Theilnahme ausgefchloflen, oder es 


wurde doch bie Berfiherung nicht für ben vollen Preis ges 

Rattet (a). 

b) Angemefiener, obgleich nody immer nicht genügend, war 
die Beflimmung, daß bei den mehr gefährdeten Gebäuden nicht 
der ganze verficherte Anſchlag im alle des Schadens zu vers 
güten fei, was die Folge hatte, daß hier der Beitrag zu der 
zu boffenden Entfchäbigung in einem anderen Berhältniffe fteht, 
ald bei Gebäuden von geringerer Gefahr (B). 

c) Man hat auch verfucht, für verfchiedene Claſſen von 
Gehäuden die Beiträge aus den zugehörigen Beichädigungen 
beionder8 zu ermitteln, fo daß eigentlich mehrere von einander 
getrennte, nur unter einer Verwaltung ftehende Gefellfchaften 
vorhanden find (c). 

d) Am beften ift es, mehrere Elaffen der Gefährlichkeit auf- 
zufellen und Zahlen für die Abftufung der Beiträge feſtzu⸗ 
jegen (d). ES ift hiebei zu erwägen, 

a) wie viele Elaffen man aufftellen, und wie man die Grade 
der Beuergefährlichfeit beftimmen folle, zunächft nach ber 
Beſchaffenheit der Wände und Dächer, — ſodann nad) dem 
Freiſtehen oder Anftoßen an andere Gebäude, — ferner 
allenfalls auch nach ber Beftimmung eines Gebäudes, 3. 2. 
Branntweinbrennereien, Brauereien, oder zur Aufbewahrung 
leichtentzündlicher Stoffe. Hiebei muß man alle vorhan- 
denen Erfahrungen zu Hülfe nehmen, ſich aber hüten, bie 
Sache allzu verwidelt zu machen (e); 

P) in welches Berhältniß man die Beiträge der verfchiedenen 
Claſſen ſetzen fol. Während die Analogie der Prämien» 
Sefellfchaften dafür fpricht, das VBerhältniß genau nad dem 
der Gefahr anzufegen, empfehlen bie obigen Rüdfichten 
($. 263) und bie Neuheit diefer Maaßregel eine geringere 
Abftufung der Elaffenfäge (f). 

() 3. 3. Kalenberg-Grub. 6. 11 und BremensBerden $. 14, daß Häufer 
mit Schindeldädern nur jr * ihres wahren Preiſes eingetragen wer: 
ben dürfen. Dies if unzureichend, denn es überhebt die fämmtlichen 
Theilnehmer nicht der Rothwendigfeit, eine größere Gefahr ohne größeren 
Beitrag zu übernehmen. — Das würtembergifche Geſetz fchließt auch 


Caſernen, Marftälle, Theater, Pulvermühlen, Bifenwerke, Borzellan« 
fabrifen, Biegelhütten, Raltöfen, Braubäufer mit Holzdach ıc. aus. 


(8) —— V. v. 1777, 8. 5. Bei Waſch⸗, Back⸗ und Brau⸗ 
bäufern, Gchmiedes, Shlofer» sc. Werkfätten werten nur 96 der 








(c) 


(4) 


58 — 


Entihädigungsfumme, die font zu bezahlen fein würbe, ausgeliefert. 
Dieb beftatigt tie B. v. 1816, $. A, und fügt Hinzu, daß bei Bulver- 
mühlen, Hüttenwerten, Ziegelöfen ıc. nur 23 ber nad dem Schaden 
ausgemittelten Entihädigungsiumme bezahlt werden. Die Eigenthümer 
bürfen, um tie volle Entichätigung zu erhalten, ihre Gebäute biefer 
Art um 13 oder !'o höher eintragen laften. 


Kurmärf. B. v. 1825 unterfiheidet 4 Claſſen: 1) maffiv mit Stein- 
oder Metalldad), 2) ebenſo, aber mit einer Brauerei oder Brennerei, 
eter auch nicht maffiv, aber mit Stein oter Metall gededt; 3) mit 
Begetabilien getedt, oder nicht maſſiv mit Eteintab und einer 
Brauerei oter Brennerei; 4) Schmieten, Ziegeleien, Mühlen, Ge⸗ 
bäute mit Dampfmaſchinen »c. Jede Glaffe trägt allein die in ihr 
vorfallenten Schaͤden. Die Beiträge beliefen fih 1833 in diefen vier 
Claſſen auf %, per mille, — 22,3 — 41, p.m. — 1", Proc. — 
Schon früher war eine ähnliche Einrihtung im Großh. Poſen getroffen 
worten. 

Spur hHievon in der furmainzifhen B. 5. 13: Häufer mit Stroh: 
und Schinteldächern werden um '« höher eingetragen, als ihr Preis, 
und nur diefer wird vergütet. Nach diefem Grundfage find einge: 
richtet die Geſetze von Weimar (1826), Baiern (1834), Zürih und 
den 3 preuß. Provinzen (1835), ferner die Gejellihaft des Dep. 
Nieterrhein (1520). — Die Erfahrungen der Prämien : Gefellichaften 
fönnen hiebei benugt werten. Co würde man 3. B. mit Nüdfict 
auf den Tarif der franz. Phönir-Gefellihaft die zu verfihernde Summe 
bei einem ganz fleinernen gewöhnlichen Gebäude einfach, bei einem 
majfiven Wirthöhaus 1'/s mal, bei einer maffiven Brauerei 1%/s fach, 
bei einer maffiven Delmühle am Wafler doppelt, bei einer maffiven 
Zuderfieterei Afach in Anfag bringen, um die Summe zu erhalten, 
welche bei einer gegenfeitigen Berfiherung ber Vertheilung der Schäden 
zu Grunde gelegt wird. Cine auf 25,000 fl. geichäßte Zuderfiederei 
hätte alfo den Beitrag nah dem Anfabe von 100,000 fl. zu ent: 
richten c. Rau in Defon. Neuigkeiten, 1825. Nr. 48. — Ber: 
noullia. a. O. ©. 21. 30. 


Der Einfluß der Lage if ſchwer zu beflimmen, indem 3. DB. ſchon ein 
Zwiſchenraum von 10 Fuß die Gefahr mindert, aber die einfame Lage 
das Eintreffen der Hülfe fehr verzögert, f. Verb. d. 1. K. in Baden 
von 1837. In Rüdfiht auf die Bauart find für die preuß. Rhein: 
provinz 7 Claſſen angenommen, teren jede wieder nad der gewöhn: 
lichen oder der befonders gefährlichen Lage oder Benußung 2 Unter: 
abtheilungen hat. Für Weflfalen find 8, für Polen 7 Blaflen auf: 
eftellt,, bei denen auch die ifolirte oder nicht iſolirte Lage mit in 
Betracht fommt. Gin maffives Gebäude ift ifolirt, wenn es 5 Ruthen 
von anderen entfernt liegt, andere bei 10-20 Ruthen Entfernung. — 
Baiern, 4 Elaffen: 1) Wände und Dach maiflv, 2) Wände Fachwerk, 
Dach maffiv, 3) maffive Wände mit Holz: oder Strohdach, 4) nicht 
maffiv mit dergl. Dad. — Weimar, 3 Elaffen. — Zürih: 1. Claffe 
enthält alle Gebäude, welche nicht in die beiden anderen fallen; 2. &I. 
Spinnereien, Kattundrudereien, Ziegelbrennereien; 3. Cl. Rothfär- 
bereien, Trockengebaͤude mit Heizung, chemijche Fabriken, Schmelz =, 
Gieß: und Glashütten. An Würtemberg (f) femmen Häufer mit 
fleinernen Wänden und Dächern in der Regel in die 3. Claffe, aber 
wenn fie mindeflens 20 Fuß von anderen Gebäuden entfernt find, in 
die 2. El. Häufer mit verbrennlihem Dad oder Holzwand gehören 
zur 4. Claffe, außer wenn fie 400 oder mehr Fuße von anderen Ge: 
bäuden abſtehen. Es find hierbei auch nähere Regeln nöthig, was für 
maffiv zu erachten und wie es beim Bufammenftoßen verfchtebenartiger 


Gebäude zu halten fei, ferner wieviel für eine feuergefährliche Beſtim⸗ 
mung zugefeßt werden folle. 

( 9) In Baiern follen fih die Beiträge von gleicher verficherter Summe 
in den 4 Claſſen verhalten wie 9. 10. 11. 12. In vielen Glaflen 
war 1837/35 für ein Gebäude im Durchſchnitt der wirkliche Beitrag 
58,2 Ar. — 25,9 Kr. — 52,8 Kr. — 23 Rr.; ohne Blaffenabitufung 
hätte der allgemeine Beitrag 6,5° Kr. ausgemacht und jedes Gebäude 
der 4 Glaflen hätte bezahlt 1 fl. 16 Kr. — 27,1 Kr. — 50,7 Kr. — 

20,3 Kr. Man ficht, daß zwar die maffiven Gebäude durch die Claſſi⸗ 

ſication eine beträchtliche Erleichterung erhalten, die anderen aber nur 

wenig mehr zu tragen haben. — In der preuß. Nheinprovinz ift das 

Berhältniß der Claſſen: 1—2 u. 3 —3 u 4—4 u 6—6 u. 8—8 

u. 12—10 u. 14, in Weſtfalen 1 bis 7 nad der Zahlenfolge, in 

Poſen 1 — 11/3 — 183 — 2 — 2/5 — 225 — 3 (jene beiden Anord—⸗ 

nungen offenbar mit zu großer Steigerung). — Weimar und Züri: 

1— 11 —2. — Societ& d’assurance mutuelle pour ie 'dep. du Bas- 

Rhin 1,2 und 2 für bie beiden Glaffen. — London insurance corpo- 

ration (feit 1720), jebiger Tarif: gewöhnliche Gefahr 11/5 Schill. 

Proc. — 0,7 p. m., größere 2", Schill. = 1.95 p. m., größte 

41, Schill. = 2,85 p. m. — Würtemb. Geſetz v. 14. März 1853 und 

Bollzugsverorbnung vom nämlihen Tage: 6 Glaflen, in denen das 

Beitragsverbältnig = 3 — Yu — 1 — 5 — 2M/s — 4 it. In die 

I. Claſſe kommen Kirchen mit Bligableiter, fteinernen Wänden und 

unverbrennlichem Dach. Im Banton Bern fand man für die wirkliche 

Größe der Gefahr folgendes Verhältniß: ganz maffive Gebäude 10, 

hölzerne mit Ziegeldad 19,3, fleinerne oder hölzerne mit Schindeldach 

27,8, Häufer mit Strohdach 63,3. Die bad. Bommiffion der zweiten 

Kammer hatte für 3 oder 4 Claſſen folgende Verhältniffe vorgeſchlagen: 

1 — 11:5 — 1Y3 — 2 oder 3 — 4 — 5 — 6. — Das bad. Geſetz 

v. 29. März 1852 6. 62 fchlägt einen ganz neuen Weg ein. 8 

werden 4 Claſſen gebildet, in welchen der einfache Umlageſatz 1 fad 

(3), — !sfah, — 9, und 2 fady entrichtet wird. Jährlich werden 

die Gemeinden neu in biefe 4 Claſſen eingereiht, je nahdem im legten 

Sabre die Brandichäden innerhalb der Gemeinde nicht über 1 p.m., — 

über 1 p. m. bis 2 Proc, — über !z dis 1% Proc., — über 

192 Broc. des verficherten Anſchlages betragen haben. Hat 3. B. die 

bei weitem zablreichite erſte Clafie in einem Sabre 1 p. m. oder 6 Kr. 

von 100 fl. zu entrichten, ſo bezahlen die 3 anteren Claſſen 8 — 

10 — 12 Kr. Hiebei kommt alfo bie ungleiche Gefahr nicht in Be: 

tracht, nur der im vorhergehenden Jahre zufällig eingetretene Schaben. 

Diete Ginrichtung hat für fich, daß fie eine Feiner Meinungsverfchieden: 

heit unterworfene Thatfache der Abſtufung zu Grunde legt, gegen fi 

aber 1) daB das Beitragsverhältnig jährlich wechſelt und neu ermittelt 
werden muß, 2) daß hier dem Zufall ein großer Einfluß eingeräumt 
wird und Orte, in denen ein flarfer Brand war, ſtark getroffen werben, 
währen fie fchon ohnehin fehr leiden, 3) daß für alle Gebänte in 
einer Gemeinde gleichviel beizutragen ift und die DBefiger feuerfefterer 

Häufer die fchlechtere Bauart ihrer Nachbarn büßen, ferner daß auch 

ſehr geiährdete Gebäude in den Sahren, wo es zufällig an einem 

Orte nicht gebrannt hat, nicht mehr entrichten als die ficherften. Die 

nah biefem Gelee wahrgenommene Berminderung der Feuerichäden 

it nicht aus diefem Beitragsverhältniß,, fondern aus anderen Beſtim⸗ 
nungen zu erklären. Sm 8. 1857 hatten die zur 1. Claſſe gehören: 
ten Gemeinden 92,2, die der 2. 9,8, der 3. 1,6, der 4. nur 0,79 Proc. 
aller Berfiherungsanfchläge. 1858/59 beliefen fih die Schäden auf 
0,9 p. m. der Berfiherungen, die 4 Claſſen hatten 4 — 5/, (fatt 
5%) — 7 ſſtatt 62/3) — 8 kr. von 100 fl. au bezahlen. 


8. 27. 


Andere biebei in Betracht kommende Puncte: 

1) Anfchlag des verfiherten Gebäudes. Derfelbe 
darf nicht höher fein, ald der zu feiner Wiederherftellung im 
Halle der gänzlichen Zerftörung erforderliche Koftenaufwand, 
weil fonft eine Verfuhung zur Brandftiftung entfteht (a). Ift 
ein Gebäude nicht mehr neu, fo muß für den durch Abnügung 
zerftörten Theil des Werthes ein verhältnigmäßiger Abzug an 
dem Ueberfchlage ber Erbauungsfoften gemacht werben, ber 
fhon aus dem muthmaßlichen mittleren Kaufpreife (Verkehrs⸗ 
werth) eined Gebäudes erfannt wird. Da die Gebäude ſich 
von Jahr zu Jahr etwas verfchledhtern, wenn nicht beträdht- 
liche Herftellungen vorgenommen werden, fo muß nad) nidyt 
zu langen Zwifchenzeiten eine Prüfung und Berichtigung der 
Anfchläge veranftaltet werden (d). If man hierin vorfichtig, 
fo ift ed unnöthig, die Verficherung auf einen gewiffen Theil 
ber Baufoften, 3. B. */s oder ho derſelben zu befchränfen (c). 
Eine niedrigere Verfiherung fann dem Eigenthümer aus den 
nämlichen Gründen geftattet werden, welche gegen den Zwang 
zur Theilnahme fprehen, $. 25 a, (d). Die VBerficherung 
eined Gebäudes bei zwei verfchiedenen Anftalten ift nur zus 
läffig, wenn die Gefellfchaft, bei ber die fpätere Verficherung 
genommen wird, von der früheren durch den Berficherten benach⸗ 
richtigt wird (e). 

2) Ausmittlung des Schadend. Sogleih nach jedem 
Brande wird die Größe beffelben abgefchägt. Der zu leiftende 
Erfag ift der ebenfovielfte Theil ber verficherten Summe, ale 
der Schaden von dem vollen Preiſe oder Koftenbetrage bes 
Gebäudes, woferne der Brand nicht, nach richterlichem Erfennts 
niß, von dem Eigenthümer verfehuldet ift (f). 

(a) Was unzerftörbar ift, 3. B. der Bauplatz, die Gerechtſamen, die Grund: 
mauern, das darf nicht mit angerechnet werden. — Viele Verordnungen 


braudien den unbeflimmten Ausdrud Werth, wahrer Werth. 
Bauwerth iſt ein unrichtiger Ausdruck für Baufoften. 


(6) Hätte man hinreichende Srfahrungen über die Werthverringerung ber 
Gebäude bei jeder Art ber Baufloffe und in jedem Alter, fo Eönnte 
man eine allgemeine Srniedrigung des Anichlags aller derjenigen Ge⸗ 
bäude, an denen feine fünftlihe Veränderung vorgenommen worden 
ift, etwa alle Jahrzehnte verordnen. — Nah dem bad. Gef. v. 1852 


$. 28 u. 33, fowie nach dem würtemb. Geſ. v. 1853 €. 12 foll ber 
Gemeinderath jährlich unterfuchen, wo eine neue Schäßung nöthig iſt, 
auch werden von Zeit zu Zeit allgemeine Reviſionen im ganzen Lande 
angeordnet. 


(d Nah dem bad. Geſ. v. 1852 $. 35 werden nur %/s des Schadens er. 
fept, es ift jeboch erlaubt, das Iehte %/s bei einer anderen Anftalt zu 
verfihern. 


() Bo der Eintritt frei it, da wird gewöhnlich die Berfiherungsfumme 
von dem Gigenthümer beliebig beftimmt, two Siwang attfindet, da wird 
meiftens auch diefe Summe durch Taration von Sachverſtändigen aus: 
gemittelt; doch muß dem Gigenthümer freiftehen, eine neue Schäßung 
zu verlangen. Bauveränderungen erfordern in biefem alle eine Ab: 
änderung bes Anfchlages. Ausnahmen: Löwenfteiniihe B. $. 6: der 
——* braucht nicht über die Hälfte des Werthes verſichern zu 
laſſen. Nach der heſſ. V. v. 1816, $. 12 darf die verfiherte Summe 
hoͤchſtens 1/3 unter dem Werthe fein, nach dem würtemberg. Gel. $. 6 
um !/; unter bemfelben. 


() 3. B. Bremen:Berden’fhe B.: Strafe von 100 Rthlr. und Berluft 
der Gntihädigung. Baden, F. 11: Strafe bis 500 fl. und Berlufl 
der Entihädigung, doch ohne Nachtheil für die Unterpfandögläubiger, 
§. 13. 


) Das bad. Geſ. v. 1840 6. 6 beſtimmt auch für diefen Fall, daß der, 
den Unterpfandegläubigern zufommende Theil der Entichädigung unge: 
achtet der Berihuldung des GBigentbümers ausbezahlt werben fol, 
vorausgefeßt, Daß diefer nicht andere Mittel hat, die Gläubiger zu 
befriedigen... Ebenſo Belek von 1852. Dieß verorbnen auch die 
Sagungen mehrerer Privatanftalten, 3. B. der Colonia und bes beut- 
hen Phönir, und zwar fo, daß der Anfpruch des befriedigten Glaͤu⸗ 
bigers auf die Geſellſchaft übergeht. 


6. 28. 


3) Schadenerfap. Für die Beichädigten ift es höchft 
müplih, den Erfag bald zu empfangen. Es muß daher bei 
wechſelſeitigen Affecruranzen, wenn fein baarer Vorrath in ber 
Caſſe il, die nöthige Summe cinftweilen verzindlic aufge 
nommen werden, bis fie durch die eingehenden Beiträge wieder 
vergütet wird. Die gewöhnliche Borfchrift, daß die Entjchädis 
gung nur dann ausbezahlt wird, wenn dad zerftörte Gebäude 
wieder aufgebaut wird, wiberftreitet dem Wejen der Verficherung 
und if unnöthig, denn man hat nicht zu beforgen, daß es 
überhaupt an Gebäuden fehlen werde (a). 

4) Die Beiträge werden von Prämiengefellfchaften jähr- 
ih nad) dem ausbedungenen Fuße forterhoben, wobei durch 
eine ungewöhnliche Menge von Brandfchäben das Angreifen 
des zur Sicherheit von den Actionären eingefchoffenen ober vers 


fhriebenen Capitals nöthig werben fann. Bei wechfelfeitigen 
Verficherungen werben bie Beiträge gewöhnlich jährlih aus⸗ 
gefchrieben, fo daß fie die eingetretenen Schäden und die Ver⸗ 
waltungskoſten decken. Die Unbequemlichfit, daß hiebei bie 
jährlichen Zahlungen fehr ungleidy ausfallen (db), läßt fich ver: 
mindern, wenn man einen feflen ordentlichen Beitrag anorbnet, 
von dem in guten Jahren etwas erübrigt wird, um einen 
Hülfsvorrath zu fammeln oder den Mitgliedern einen Theil 
zurüdzuzahfen, $. 26. In ungünftigen Jahren wird nur nad) 
Erihöpfung des Hülfdvorrathed noch ein außerordentlicher Bei⸗ 
trag eingeforbert (c). Defterd hat man in fehr fchweren Jahren, 
um bie Beiträge nicht auf eine läftige Höhe fleigern zu müffen, 
einen Theil des Jahresbebarfed geborgt, in ber Abficht, bie 
Schuld aus den Meberfchüffen der folgenden Jahre zu tilgen, 
ein Verfahren, welches bei mangelhaften Einricdytungen zu einer 
ſchweren Schuldenlaſt Anlaß geben fann (d). 

5) Ueber die Führung der Beuerverficherungsbücher (Katafter) 
fowie über das bei der Entwerfung und Prüfung der Ber- 
fiherungsanfchläge und bei der Abjchägung der Brandfchäben 
zu beobachtende Verfahren find ausführliche Gefchäftsanmweifungen 
(Inftructionen) aufzuftellen (e). 


(a) Auch die Furcht vor der leichtfinnigen Verzehrung der Summe if 
überflüffig.. Der Hauptgrund zur Fefffebung obiger Betingung iſt Die 
Beſorgniß, daß ohne die Nörbigung zum Wiederaufbau mehr Brand: 
ftiftungen aus Gewinnfucht vorfommen möchten, wenn die Hausbefiger 
ihr Bermögen anderweitig anzulegen beabfichtigen. Dieß müßte jedoch 
durch Die Borficht gegen übermäßige Verfiherungsanfchläge verhütet 
werden. — Bon ter Verpflichtung, wieder auf der nämlichen Stelle 
u bauen, wird eine Dispenfation nach billigem Grmeflen geftattet, 

ad. Gel. von 1840 6. 52. 


(6) Der Betrag der Brandichäden und ter Jahresbeiträge in Berhältnig 
zu der verficherten Summe ift fuwohl in verfchiedenen Zeiten als in 
mehreren Gegenden fehr ungleich, was nicht blos von der Bauart und 
Teuerpolizei, jondern auch von den durch mangelhafte Binrichtungen 
begünftigten abfichtlihen Branpftiftungen abhängt. Beifpiele von 
Durdicnitten: Im preußiichen Staat waren die Schäden 1867: 
Schlefien 1,4, Oſtpreußen 2,3, Weftpreußen 4 p. m., Kur: u. Neu: 
marf Etüdte 2,8, Land 4,7, Sachſen Städte 3,2%, Land 4,3, Reg.⸗Bez. 
Gumbinnen Stadt 1,°, Land 5,3 p. m. — Baden, Betrag der Ent⸗ 
fhädigungen 1810—14 i. D. Ya p. m., 1815—19 0,% p. m., 
1820—24 0,9%, 1825—29 1,51, (viele Brandfliftungen!), 1830—34 
1,09, 1835—39 1, 1840—44 1,8, 1845—49 1,76, und zwar in diefen 
5 Jahren durchfchnittlich im Seekreis 3,4, im Oberrheinkreiſe 1,77, 
Unterrh. 1,°, Wittelrh. 1,9 p. m. Im D. 1853— 58 waren Die 
Schäden 0,97 p. m., die Beiträge 0,77 p. m. ber verficherten Summe. 


Sm 3. 1856 beliefen ſich die Schäden nur auf 0,47 p. m. — Oeſter⸗ 
reich, Größe der Beiträge i.D. 1848 u. 49: Mähren u. Schlefien 5, 
Böhmen 4,8, Oeſterr. unter der Enns 4,'%, Steiermarf, Kärnthen, 
Krain 2,7, Tirol 2,27 p. m. — Canton Bern 1807—30 0,9 p. m. — 
Zucern 1817—25 0,5 p. m. — In Franfreich wird der mittlere Belauf 
der Prämien zu 0,85 p. m. angenommen. — Sachſen, wo die Beiträge 
alle 3 Jahre neu ausgeihlagen werden, i. D. 1840—48 2,!p. m. — 
Würtemberg 1842—45 1,2% p. m. — In Belgien Hatten die 7 großen 
Prämiengelellfchaften im 3. 1848 bei einer Berfiherungsfumme von 
1428 Mill. Fr. 0,8 p. m. Prümie, 0,2% Sntihädigungen, 0,2% p. m. 
Koften und 0,09% Gewinn, der alfo 10,8 Proc. ter Brämien ausmachte. 
Das Jahr 1822 zeichnete fich (wegen ber Trockenheit) durch zahlreiche 
Brandfhäbden aus. Sie beliefen ſich im Großh. Bofen auf I1, in 
Dfipreußen auf 9,%, in Baiern auf 4,7, in Baden auf 2,86 p. mille. 


(6) 3. B. Löwenftein, 8 12. Jaͤhrlich wurden 3 Kr. von 100 fl. er: 
boben. Aehnlich die älteren Feuercaſſen, |. $. 24 (a), und Lotz, 
a. a. O. — Der ordentlihe Beitrag ift von 100 rl. in apein 
preußen 5;,, in Weltfalen %s, in Poſen 2 p. m. in der erften Elaffe. 


(4) 3. 3. Kurmarf, 1765, $. 28, und Kur:Mainz, $. 10, daß in feinem 
Jahr über en Proc. aufgelegt werben foll. Bel. Vincens, ©. 572. 
Die bad. Berfiherungsanftalt hatte zu Ende des Jahres 1836 eine 
Schuld von 762.000 fl. bei einem Gebäudeanfchlag von 194!/, Mill. fl., 
es wäre alfo ein Beitrag von 3,9 per mille oder 23,4 Kr. von 100 fl. 
nöthig gewefen, um die Schuld in einem Jahre abzutragen. Sie ift 
feitdem abgezahlt morben. 


(e) Bemerkenswerth ift die Beſtimmung bes würtemb. Gef. $. 49, daß 
alle 3 Jahre aus jedem Oberamte ein Hanseigenthümer gewählt wird 
und die aus biefen Abgeorbneten gebildete Bertammlung über den Zus: 
fand der Landes: Berficherungsanftalt beräth. 


$. 29. . 


Auch die Berfiherung von beweglichem Vermögen 
(Fahrniß) ift von ungweifelhaften Nugen, YBür fie, ald die 
viel neuere, hat man nirgendd allgemeine Landesanftalten für 
nöthig gehalten (8. 24) und auch den Beitritt nie erzwungen. 
Die zur Berficherung kommenden beweglichen Begenftände find 
nad) Menge und Verkehrswerth häufigen Veränderungen unters 
worfen, vweßhalb die Anfchläge leichter als bei den Häufern 
in der Abficht, eine Branbftiftung vorzunchmen, übermäßig er- 
hoͤht werben können, auch kann bei einem Brandichaden leichter 
Betrug vorgehen, indem der Berficherte gerettete Sachen vers 
beimlicht, um größeren Erſatz zu erlangen (a). Außer ven 
auch bei Haudverfiherungen nöthigen Anordnungen, daß den 
Unterthanen nur bei gewiſſen benannten Gefellichaften die Ber: 
fiyerung geftattet ift, daß auswärtige Gefellfchaften verantworts 
liche, unter der Aufficdyt der Staatsbehörden fiehende Gefchäftss 





— 64 — 


führer im Inlande aufftellen müffen, baß fein Gegenfland über 
feinem mittleren Verkehrswerthe angefchlagen, ober ohne Anzeige 
boppelt verfichert werben bürfe, ift ed rathfam noch weiter vor⸗ 
zufchreiben 


1) daß jebe Berfiherung von Fahrniß der Obrigfeit angezeigt 
und der Anfchlag einer Prüfung durch die Gemeinbevorfteher 
unterworfen werde, 


2) daß bei einer eingetretenen Berfchlechterung des verficherten 
Gegenftandes über einen gewifien Betrag hinaus der Bers 
fiherte felbft Anzeige machen und feinen Anfchlag herabs 
fegen folle (b). 


(e) Daher ift die Ausmittlung des Schadens bier weit fchiwieriger. Dieß 
giebt bei der Fahrniß⸗Verſicherung den Deämiengefellihaften ben Bors 
zug, weil es bier den Unternehmern freifteht, ſolche Bedingungen aufs 
ufellen, welche die meiſte Sicherheit verfprechen. Vincens, ©. 576. 

iele Prämien : Gefellihaften verfihern auf Gebäude und beiwegliches 

Vermögen zugleich. Die Barifer Gefellihaften Hatten zu Ende des 

Zahres 1832 eine Summe von 10170 Mill. Fr. verfihert, wovon 

die Schäden 0,8 Brocent betrugen; die Aachen Münchener Gefellz 

fchaft Hatte zu Ende 1843 eine verfiherte Summe von 371824 000 rl., 

Ende 1851 527981 000, 1857 aber 859, Mill. Thlr., die Magde⸗ 

burger 1857 695,2 Mill., die Colonia 540, die Elberfeder 318,5, der 

deutfche Phonir 1843 294 Mil. Thle. — Die 1819 errichtete foges 
nannte Berficherungsbanf zu Gotha ift eine wechfelfeitige, bei 
welcher jährlich ter Ueberfhuß der Prämien über die Koften den Ber: 
ſicherten erflattet wird. Sie hatte 1859 371%, Mill. Thlr. Verfiches 
rungsfumme, erhob in diefem Jahre im D. 3,% p. m. feflen Beitrag 
und vergütele davon wieder aus dem Ueberſchuſſe der Borjahre 10 Proc. 

Die Koften waren O, p. m. — Die NRüderflattung („Dividende“) war 

1821—31 1. D. 37,9, 1843—52 58 Proc., 1854 0 (Brand v. Memel!) 

1857 und 1858 60, 1859 70 Proc. der Beiträge, welche ebenfalls 

Prämien genannt werden. 


(6) Bad. Berordnungen vom 4. Mai 1829, 2. April und 2. Mai 1835, 
und 25. April 1836. Gef. vom 30. Juli 1840. Weber jede Mobiliar 
Verfiherung ift der Gemeinderath zu vernehmen. Auslaͤndiſche Geſell⸗ 
ſchaften muͤſſen eine Caution dafür ſtellen, daß fie im Falle eines 
Streites bei inläntifchen Gerichten Recht nehmen wollen. In Baiern 
dürfen Mobilien nur verfichert werden bei der Aachen: Münchener Geſell⸗ 
fchaft, welche von ihrem Gewinn die Hälfte an gemeinnüßige Anftalter 
abgeben muß, ferner bei der V. ber Bbaierifchen Banf und bei ber 
Nürnberger gegenfeitigen Anftalt. — Das preuß. Geſetz vom 8. Mai 
1837 verbietet Verſicherung über den „gemeinen Werth“, mehrfache 
Verficherung eines Gegenflandes, unmittelbare Verficherung bei einer 
ausländifchen Gefellfchaft ohne Mitwirfung eines inländifchen Agenten ; 
es ift eine Prüfung der Anfchläge fowohl ald der Gntihädigunges 
berechnung durch die Polizeibehörde vorgefchrieben.” Brüggemann, 
Die Mobiliarverfiherung in Preußen nach dem Gel. v. 8. Mai 1837, 
Berlin, 1838. (Enthält auch die Berorbnungen vieler anderer Länder.) 


— 6 — 


Die Brandſchäden bereuen | im 3. 1856: Magbebunger Geſ. 2,' p. m, 
(1857 1,5), — Giberfelo — Golonia 0,%, — Aachen⸗ Münden 
0,% p. m. — Gotha 1856 9,9 1857 0,9%, 1859 0,75 p. m. 


Drittes Hauptflüd. 
Unternehmungen. 


$. 29 a. 


Die zur Betreibung eined jeden und indbefondere auch jebes 
Beroorbringenden Gewerbes erforderlichen fachlichen Mittel und 
Arbeitökräfte werden von dem Unternehmer zufammengebradyt 
und mit einander in Verbindung gefebt, I, $. 136. Die Grün- 
dung von Gewerböunternehmungen, fowohl von fortdauernden 
als von foldhen, die nur auf befchränkte Zeit beabfichtigt find, 
muß in ber Regel dem freien Willen der Bürger überlaffen 
werden, damit jeber biejenige Art und Ausdehnung bed Gewerb⸗ 
betriebed wählen könne, bie feinen Neigungen und Yähigfeiten, 
feinen Mitteln und feinen Erwartungen eined gewiſſen Erfolges 
am meiften entfpriht. Nur bei diefer Wreiheit der Gewerbe 
wird das ganze Gebiet derfelben volftändig angebaut und 
die befte Benutzung der perfönlichen Kräfte bewirkt. Befchräns 
fangen, weldye entweber die Ergreifung eines Gewerbes 
an gewiſſe Bedingungen fnüpfen oder ganz verhindern, oder 
für die Betreibung von Bewerben Verbote und Gebote auf 
fellen, mögen in einzelnen Zweigen ber Gewerbihätigfeit 
durch befonbere Umftände zu rechtfertigen fein, find aber doch 
ale Ausnahmen von obigem Grundfage zu betrachten und 
follen nicht weiter ausgedehnt werben, ald das Bebürfniß for 
dert. Die Staatögewalt fol die freie Bewegung des Gewerb⸗ 
fleißed weder zu Gunften ihrer eigenen Unternehmungen (durch 
Regalien, I, $. 166.) noch audy durch Vorrechte für eins 
zeine Brivatperfonen (Privilegien, Monopole) weiter 
einengen, als ed durch Rüdfichten bes Gemeinwohles rathſam 
gemacht wird. 

8. 29 b. 

Unternebmungen, für welche das Bermögen eines Gewerbs⸗ 
manned nicht zureicht, koͤnnen mit Hülfe des Credits, d. i. mit 
geborgtem Gapitale betrieben werden. Da jedoch ber Credit 

5) 


Rau, wolit. Defon. I. 1. Abth. 5. Ausg. 


des Unternehmers eine Graͤnze hat, ſowie diefer auch nicht geneigt 

if, eine fehr beträchtliche Wagnig auf ſich zu nehmen, fo werben 

die meiften großen Unternehmungen von Mehreren gemeinfchafts 
lidy, mit zufammengelegtem Capitale, veranftaltet, wobei bie 

Theilnehmer ſich auch in irgend einem Grade die Mitwirfung 

zu den Betriebögefchäften ausbedingen. Sie theilen fih in 

den Gewinn, haben dagegen auch die Berlufte zu tragen. Im 

neuerer Zeit find folche gemeinfchaftliche Unternehmungen fehr 

häufig geworden, weil man bie aus ber Anmwenbung eineö 
großen Gapitald zu erzielenden Bortheile aus zahlreichen Er⸗ 
fahrungen kennen gelernt bat. Es haben ſich daher auch vers 
fhiedene Arten der Gemeinfchaft gebildet, zwifchen denen je 
nach der Beichaffenheit der Gewerbe und ben perfönlichen Ver⸗ 
hältniffen der Theilnehmer gewählt werden fann. Das bürger- 
liche (Privat⸗) Rechtsgeſetz hat die bei folchen Gewerbögefell- 
ſchaften eintretenden Rechte und Verbindlichfeiten zu regeln, 

dabei aber auch volkswirthſchaftliche Zwecke zu berüdfichtigen (a). 

Es ift naͤmlich darauf Bedacht zu nehmen, daß 

1) die Theilnehmer einer Geſellſchaft fowie andere, mit ders 
felben in Vertragsverhältniß tretende !Berfonen vor Berluften 
gefhüst werden, die ihnen aus einer fehlenden Handlungs 
weife der Gefchäftsführer zugefügt werden koͤnnen, 

2) daß jedoch die Gründung und Verwaltung foldyer Gefells- 
haften nicht mehr erfchwert werde, als ed zu dem in 1) 
angegebenen Zwecke nöthig fcheint. 

Bei einem Theile der Gefellichaften ift eine gewifle Aufs 
ficht der mit der Volkswirthſchaftspflege beauftragten Staats» 
behörden nöthig, doch foll diefelbe auf das in der Natur der 
Sache begründete Bebürfniß befchränft werben. 


(a) Solche Rechtsbeſtimmungen find zuerfi für die Handels gefellihaften 
aufgeftellt worden, müflen aber von allen Gewerbegefellihaften gelten, 
denn es giebt foldhe für die manchfaltigſten Zwede, 3. B. Berabau, 
Landmwirthichaft (Entwäfferungen ıc.), Gewerke, Berfiherungen,, Fort⸗ 
ſchaffung (Rhederei, ienbahren, Omnibus, Lohnkutſchen ıc.) und Dienſt⸗ 
gewerbe (Theater, Bäder ıc.). 


8.29 0 \ 
Die Hauptformen ber Gewerbögefellfchaften find 
1) Die offene Geſellſchaft, aus einer feinen Zahl 
von Mitgliedern beftehend, welche die Gefchäfte gemeinfchaftlich 


beforgen unb wie ein einzelner Unternehmer mit ihrem ganzen 
Bermögen für die übernommenen Berbindlichkeiten haften. Sie 
erfordern nur die Anzeige des Geſchaääftönamens (Birma) 
und der Mitglieber. 

2) Größere Gefellfchaften, bei denen nicht alle Mitglieder 
an ber Bejorgung des Betriebes Theil nehmen koͤnnen und 
aljo die gefchäftführenden von benen unterfchieben find, welche 
me Gapital eingeſchoſſen haben. Manche Unternehmungen find 
nur vermittelſt ſolcher Geſellſchaften ausführbar oder wenigfiend 
einträglih. Es ift jedoch in den leuten Jahrzehenden viel 
Gapital in diefen großen Gefellichaften verloren gegangen, weil 
die Berwaltung berfelben leichtfinnig, ohne hinreichende Kennts 
nid und Sorgfalt geführt wurde, bisweilen fogar Unreblichkeit 
Einzelner in eigennüßiger Abficht fich einmifchte. Die Staats⸗ 
gewalt bat nicht den Beruf, ſolche Mißgriffe zu verhüten, 
welche die Mitglieder felbft bei gehöriger Aufmerkfamfeit vers 
binden koͤnnen und bie Gapitaliften müflen lerwen, bei ber 
Theilnabme an gewerblichen Unternehmungen bie nöthige Bors 
ſicht und Wachſamkeit auszuüben. Doch ift bier auch eine 
Rärfere Fürforge der Regierung anzuwenden. Die großen 
Geſellſchaften theilen fich wieder in zwei Arten: 

a) Die anonyme oder Actiengefellfchaft, in welcher 
dad einzulegende Bapital in eine Anzahl gleicher Theile zerlegt 
wird und in gleicher Weife auch ber Reinertrag vertheilt wird. 
Hier it ed nothwendig, daß der Gefammheit ber Theilnehmer 
(Acionäre) die wichtigeren Befchlüffe und Handlungen vors 
behalten bleiben und daß von berfelben zur fortlaufenden Fuͤh⸗ 
tung ber Gefchäfte gewifle, der ganzen Gefellichaft verantworts 
liche Perfonen (Borftand, Directoren) beftellt werben. 
Nuͤhlich iſt es, als Mittelglied nody einen größeren Ausſchuß 
(Auffihtsrath) zu ernennen, ber den Vorſtand überwacht 
und die öftere Zufammenkunft aller Mitglieder entbehrlich macht. 
Es ift ein faft allgemein angenommener Grundfaß, daß für bie 
Errichtung einer ſolchen Geſellſchaft befondere Genehmigung 
einer volföwirthfchaftlichen Staatöbehörbe erfordert wird, ber 
eine Prüfung ber vorgelegten Beriragsbeftimmungen (Sapun- 
gen, Statuten) voraudgeht (a). Der Beweggrund zu 
diefer Anordnung . liegt in der Gefahr anjehnlicher Verluſte 

5% 


— 68 — 


von Capital oder anderer volkswirthſchaftlicher Nachtheile, welche 

durch die Stiftung unzweckmaͤßig eingerichteter und verwalteter 

Geſellſchaften verurſacht werden koͤnnten. Die Erlaubniß ſoll 

aber nicht willkuͤrlich oder bloß wegen der Vermuthung, daß 

die Unternehmung nicht eintraͤglich genug ſein werde, verweigert 
werden und es iſt deßhalb rathſam, die Bedingungen bekannt 
zu machen, unter denen neue Actiengeſellſchaften auf Zulaſſung 
rechnen koͤnnen. Es iſt ſtreitig, ob es beſſer ſei, die Theil⸗ 
nehmer nur bis zum Belaufe ihrer Einlagen, oder mit ihrem 
ganzen Vermoͤgen fuͤr die aus dem Betriebe herruͤhrenden Ver⸗ 
bindlichkeiten haftbar zu machen. In den meiſten Staaten iſt 
nach dem Beiſpiel des franzoͤſiſchen Handelsrechtes jene bes 
ſchraͤnkte Haftbarkeit eingefuͤhrt worden, welche eine viel ſtaͤrkere 

Ermunterung zur Errichtung ſolcher Geſellſchaften darbietet, als 

die entgegengeſetzte Anordnung, aber zur Verhuͤtung des Miß⸗ 

brauches der geringeren Verantwortlichkeit zu gewagten Unter⸗ 
nehmungen ſtrengere Vorfichtsmaaßregeln erheifcht (d). Werben 

Actien auf den Inhaber (au porteur) zugelaſſen, ſo iſt dafuͤr 

zu ſorgen, daß nicht die Unterzeichner ihre Abſicht lediglich auf 

den Gewinn am Preiſe der Actien richten und ſich alsbald 

durch den Verkauf ihrer Antheile zurüdziehen (c). 

b) Die gemifchte Gefelichaft, Commandite, in welcher 
neben den gefchäftführenden, unbedingt baftbaren Mitgliedern 
noch andere (ftille) vorhanden find, bie bloß Capital eins 
fhießen und einen Antheil am Gewinn anzufprechen haben, 
aber nur bis zu dem Betrage ihrer Einlagen haften. Yür bie 
ſtillen Geſellſchafter (Commanbitiften) Tann die Theilnahme 
nad) Actien feftgefegt werben (d) (e). 

(a) In Großbritanien ift nur die Ginföreibung des Vertrages in ein Ber: 
— durch einen Beamten des Handelsamtes (board of trade) er: 
orderlih. (Geſetz vom 14. Jul. 1856, 19. und 20. Vict. &. 47), 
mit Ausnahme von Gifenbahn:, Wafler:, Gas: Befellfchaften und 
mehreren anderen. Schwebemeyer, Das Actiengefellihaftse:, Banks 
und Berfiherungsweien in England, 1859. ©. 18. — Aud das 
beutfche Sanbelegciehbud $ 207. 214 fordert in der Megel zur Gr: 
richtung einer folhen Gefellihaft forwie zur Abänderung der Statuten 
bie Stantögenehmigung, geftattet aber den Landesgeſetzen, hievon ab» 
zugehen. — Gewöhnlih bedingt die Stantsgewalt bei ber Ertheilung 
der Erlaubniß, daß ihr Selegenheit gegeben werden muß, von dem 
Bang der Geihäftsführung Kennmiß zu nehmen, um gegen eine Ders 


Letung der Sagungen von Amtswegen einfchreiten zu fönnen. In Groß⸗ 
britanten ift im genannten Gefeße nur beflimmt, daß */s der Mits 


(e) 


lieber, wenn fie zugleich 1/5 ber Actien b , eine Unterfuchung der 
(haftsführung entweder durch befondere Beauftragte oder duch das 
Handelsamt verlangen Tönnen. 


In Großbritannien wurde erſt 1855 geſetzlich geflattet, daß Geſell⸗ 
fhaften von mehr ale 25 Mitgliedern mit einer, auf die Binlagen 
beihränkten Haftbarfeit @imited liebility) geichloffen werden dürfen. 
Dad ang. Geſetz v. 1856 erlaubt dieß fchon bei 7 Mitgliedern, es 
muß aber dann bei jeder Gelegenheit diefe Eigenſchaft der Gefellichaft 
ausgefprochen und in Grinnerung gebracht werden. 


$. 207. 222 des beutfchen Handelsrechtes geftattet Actien auf Inhaber, 
fe werten aber nicht vor vollftändiger Binzahlung ausgegeben, bie 
Interimsfheine müflen auf Namen lauten und bie Unterzeichner ber 
Actien haften unbedingt für die Ginzahlung von 40 Proc. — In 
Sroßbritanien find nur Actien auf Namen zuläffig. 


(d) Das beutfche Handelsrecht 6. 150. 250 unterfcheibet zwiſchen Gommanbit- 


gefellihaften , die eine Gintragung in das Handelsregiſter erfordern, 
und ftillen Geſellſchaften, welche Feine fchriftliche Abfaffung oder andere 
Foͤrmlichkeiten nöthig haben. Bei den erfleren kann mit Staates 
genehmigung das Gapital der Commandiſten in Actien zerlegt werben, 
$. 173. 174. 


(e) Im oͤſterreichiſchen Staat waren 1857 121 Gefellichaften für Gewerke, 


Handel, Bäder u. dgl., von denen 84 ein Actiencapital von 23371 000 fl. 

Gonv. und 6912000 Lire hatten, ferner 27 Geſellſchaften für Gifen- 

bahnen, Brüden ꝛc., deren 16 ein Sapital von 200%, Mill. fl. und 

180 Mill. Lire befaßen, 5 Ereditgefellfchaften mit 263 DEN. H. Eapital, 

dazu die Nationalbank, die Berficherüngsgeiellihaften sc. » Stubens 

and, Statififäe Darftellung des Vereinsweiens im K. Defterreich, 
ien, 1857. 


Zweiter Abfchnitt. 


Dflege der einzelnen Llaffen von Stoffarbeiten. 


&inleitung. 


8. 30. 


Ba ben zu Gunſten einzelner Claffen und Gattungen von 
Gewerben zu ergreifenden Maaßregeln ift eime Abftufung der 
ftärferen und der ſchwaͤcheren Beförderung moͤglich. Wie weit 
man hierin zu gehen babe, bieß follte weder durch den Zufall, 
noch durch eine individuelle Vorliebe beftimmt, fondern nad 
volfdwirthichaftlichen Grunbfägen bemeffen werben. Zunädft 
ift auf dad Ebenmaaß zwiſchen ber Erbarbeit, ben Gewerken 
und dem Handel Bedacht zu nehmen, weil dieſe drei Claſſen 
von Gewerben zur reichlichen Verſorgung des Volkes mit 
Sachguͤtern glei nothwendig find (I, 8. 102—105) und 
einander wechfelfeitig unterflüben. ine Begünftigung bed 
einen Zweiged, die dem Emporfommen der anderen hinderlich 
würde, wäre fehlerhaft und felbft für den bevorzugten Gewerbs⸗ 
zweig auf die Dauer nicht zuträglich, weil fle wie ein Tünfts 
liches Reizmittel mehr Kräfte zu ihm binleitete, al8 er ans 
baltend zu befchäftigen vermag, und weil ihm ver Fräftige 
Beiftand der anderen Gewerbe entginge. In früherer Zeit hat 
man öfterd den Gewerken oder dem Handel einen folchen Bor: 
zug eingeräumt, doch fehlt e8 auch nicht an Beifpielen der ent- 
gegengeiegten Einfeitigfeit, nämlich einer faſt ausfchließlichen 
Vorliebe für die Landwirhfchaft, wobei man überfah, daß diefelbe 
erft dann fiheren und reichlichen Abfag findet, wenn auch bie 
Gewerke und der Handel neben ihr beträchtliche Ausdehnung 
erreicht haben, I, $. 365. 


$. 31. 


Es ift jedoch Feine Verlegung dieſes Ebenmaaßes, wenn 
die Regierung eined Landes fidy eined Theiles der bervors 
bringenden Thätigfeit darum mit befonderem Eifer annimmt, 
weil berfelbe bisher in feiner Ausbildung hinter den anderen 
zurüdgeblieben if. Eine foldye Erfcheinung rührt theils von 
früheren mangelbaften Staatdeinricdhtungen, theils von zufälligen 
Umfländen ber, die in ber Gefchichte und dem Charakter eined 
Bolked oder der natürlichen Ausftattung bed Landes aufzufuchen 
And. Bisweilen erleidet audy ein Gewerbe durch unabmwenbbare 
Ereigniffe, 3. B. Beränderungen in der Ein» und Ausfuhr, 
eine Bedrängniß, deren Ueberwinbung verdoppelte Anftrengungen 
nothiuendig macht. Iſt eine Claſſe von Unternehmungen längere 
Zeit Bindurch blühend gewefen, fo daß die Gefchidlichkeit in 
ihrer Betreibung fidy verbreitete und fteigerte und allmälig bie 
zu ihr erforderlichen Hülfsmittel ſich fammelten, fo bleibt ber 
Regierung, die überall nur die Privatbeftrebungen ergänzen 
jol, weniger für jene zu thun und ſie muß ſich mehr mit den 
noch darniederliegen Bewerben beichäftigen. Dod Tann nicht 
in allen Ländern und Zeiten ein und daſſelbe Verhaͤltniß zwiſchen 
den verjchiedenen Gewerben erftrebt werben, indem bald für 
bad eine bald für das andere günftigere Bedingungen bed 
Betriebes und Abſatzes fich vorfinden, vgl. $. 8a. 


$. 32. 


Die zur Gewerböbeförberung beftimmten Staatseinrichtungen 
bürfen nie blos ben Bortheil einzelner Bürger oder einer Heinen 
Anzahl derfelben zum Zwede haben, fie muͤſſen gemeinnüßig 
wirken und ihre wohlthätige Wirkung muß, fo viel ed moͤglich 
it, dauernd fein. Die Gütererzeugung im Ganzen geht dem 
augenblidlichen Gewinn eined oder des anderen Staatsbürger 
vor. Auch im natürliden Gange der Volkswirthſchaft treten 
bisweilen Störungen in einem Gewerbe, Berlufte einzelner 
Unternehmer, Bebrängnifle von Arbeitern, die ihre gewohnte 
Beihäftigung nicht mehr fortfegen können, und ähnliche Uebel, 
Rände ein. Solche Mißverhältniffe, wenn fie nicht weit um 


Martins, Bemerkungen über bie neueften Bergwerkögefeg s Entwürfe, 
Halle, 1850. — Diotionnaire do l’öcon, polit. Art. Mines (von Legoyt), 


(e) Die belgifchen Bergmwerfe hatten 1858 840 Dampfmafchinen und 
30 Pferdegöpel. Auf jedes der 193 in Betrieb ſtehenden Kohlen: 
bergwerfe famen i. D. 382 Arbeiter jedes Alters und Geſchlechts, 
466 760 Fr. Sahresausgaben, wovon 274000 Arbeitslohn, 536 600 Fr. 
Rohertrag. 


8. 34. 


2) Zur guten Benugung aller Güterquellen eined Landes 
wird erfordert, daß die aufgefundenen Lagerflätten nugbarer 
Mineralftoffe zwedmäßig bearbeitet und auch fpäteren Geſchlech⸗ 
tern zugänglich erhalten werben. Hiezu ift aber ein hoher 
Grad von Kunft und VBorfiht noöthig. Durch fehlerhaftes 
Verfahren fann eine Grube dergeftalt verberbt werben, daß bie 
Fortſetzung ded Baued entweder ganz verhindert oder doch fehr 
foftipielig gemacht wird. Auch ohne ſolche Fehler geräth eine 
Grube ſchon durd die längere Einftelung ber Arbeiten leicht 
wegen des Eindringens des Waſſers oder bed Einftürzend der Zus 
gänge in einen foldhen Zuftand, daß die Wiedereröffnung große 
Schwierigkeiten hat. E& muß daher auf die Erhaltung der 
beftehenden Werke größere Sorgfalt verwendet werden, als fie 
für diefen Zwed bei einem anderen Gewerbe vorkommt (a). 


(a) Wird ein Landgut fchleht bewirthichaftet, oder bleibt es einige Zeit 
unbebaut liegen, fo find die Folgen bei weiten nicht fo ſchädlich und 
dauernd. 


$. 85. 


3) Das Streben eined Unternehmers, von feinem Capitale 
den größten Gewinn zu ziehen, kommt im Bergbau bisweilen 
mit ben allgemeinen volföwirthfchaftlichen Zweden in Wider- 
ftreit. Zwar ift feine Fortſetzung eines Baues nüglich, bei 
welchem die Mineralien höher zu ftehen Tommen, als im Eins 
fauf aus anderen Gegenden, oder der ein für die jegigen Ver⸗ 
mögendverhältniffe ded Volkes zu großes Kapital in Anſpruch 
nimmt; aber ed follte wenigftend die gegenwärtige Nutzung 
nicht der fpäteren Fortſetzung bed Gewerbes hinderlich werden 
und alfo das jegige Gefchlecht nicht des augenblidlidhen Ges 


winnes willen ben Nachkommen die Berforgung mit mineras 
liſchen Schägen erſchweren. Es giebt deßhalb Faͤlle, wo ber 
einzelne Unternehmer, der nur ein gewiſſes beſchraͤnktes Capital 
zur Verfügung hat und feine Berechnung nur auf eine be 
Rimmte Zeit anftelt, abgehalten werben muß, feinen Bortheil 
auf gemeinfchäbdliche Weife zu verfolgen. Wenn aber eine foldye 
Beihränfung weiter ginge, als fich aus dem angegebenen 
Grunde rechtfertigen läßt, fo würde fie mehr ſchaden ald nüßen, 
denn fie mwürbe ben Eifer der Unternehmer lähmen und bie 
Gapitaliftien abgeneigt machen, ihr Vermögen auf den Bergbau 
u verwenden. 


$. 36. 


Daß ber Bergbau fchwer in Aufnahme Fommen würde, 
wenn jeber Grundeigner ausſchließlich über bie unter feinen 
Lindereien enthaltenen nugbaren Mineralien zu verfügen hätte, 
leivet feinen Zweifel, weil es den Orunbeigenthümern an Ger 
Widlichfeit, Capital und Neigung zu bergmännifchen Unter 
nehmungen fehr häufig fehlt, und wo auch dieß nicht der Fall 
iR, doch die Zerftüdelung der Laͤndereien und die Schwierigfeit 
einer Bereinbarung mehrerer Cigenthümer die Betreibung bed 
Bergbaues oft verhindern würde (a). Es war daher zweck⸗ 
mäßig, das Recht auf die Benutzung ber bergmaͤnniſch zu 
geminnenden Mineralien (5) von den Ausflüffen des Grund» 
eigenthums auszufcheiden und den Grundeigenthuͤmern bie Vers 
bindlichkeit aufzulegen, daß fie Anderen, freilich gegen volle 
Entſchaͤdigung, einen Theil der Oberfläche zum Auffuchen von 
Erzen, fowie zur Anlegung von Stollen, Schachten, Tage 
gebäuden, Wafferleitungen ıc. überlaffen (c). Damit aber biefe 
Beläfigung nicht größer werde, ald es der angegebene Zweck 
trforbert, und damit durch fie ein gemeinnügiger Erfolg hervor⸗ 
gebracht werde, barf die Berechtigung zum Betriebe des Berg- 
baued nur durch befondere Erlaubniß der Regierung ertheilt 
werden, und zwar nur unter ſolchen Bedingungen, von benen 
Rh ein guter Betrieb mit Sicherheit erwarten läßt (d). 

(0) Der Srundeigner hat bei tiefen Lagerflätten große Mühe, die Mines 


talien, die unter der ihm gehörenden Oberfläche fi befinden, in feine 
phyſiſche Gewalt zu bringen, 





(3) Diefe Gründe find nur auf Erze, Stein: und Braunfohlen und Stein: 
falz in vollem Maaße anwendbar, nicht auf Mauerfleine, Lehm, Mergel, 
Gyps ıc., weßhalb biefe auch rannte nicht zu dem Bergregale ge: 
hören; doch if das pofltive Staatsrecht nicht überall diefem Grund: 
faße treu geblieben. Das franz. Geſetz v. 21. April 1810 unterſcheidet 
von den mines, bie nur nad einer Berleihung durch die Regierung 
benugt werten, bie minidres, die der Brundeigenthümer nad, erhaltener 
Staatserlaubniß bauen darf (Alluvial : Gifenerze, Schwefelfiefe, Alaun⸗ 
erde) und die dem Gigenthümer ganz frei gegebenen Mineralien 
(earritres), die jedoch bei unterirdifchen Bau ebenfalls unter Staats⸗ 
aufficht geftellt werden. — In England ift der Grundeigenthümer aud) 
Herr über die Mineralien. Dieß ıft dort weniger hinderlich, weil das 
Grundeigenthum meiſtens große Flaͤchen umfaßt und die Unternehmer 
fih nur mit einem einzigen Bigenthümer abzufinden haben, dem fie 
gewöhnlih einen Theil des Rohertrages als Pachtzins zufichern ; 
v. Garnall, Zeitſchr. I, 65. 


(c) Die Geſetze müflen das Rechtsverhältniß zwifchen dem Bergwerks⸗ 
unternehmer und dem Cigenthümer des Grundes genau regeln. Als 
eine beſondere Verguͤtung fuͤr die Beſchraͤnkung des Eigenthumes find 
die Freikure des Grundeigenthümers (Ackertheile, Erbkuxre) an—⸗ 
zuſehen. In Belgien (Geſ. v. 2. Mai 1837) erhält der Grundeigen⸗ 
thümer eine feſte Entſchädigung und 1—3 Proc. des Reinertrags. 


() Daß der Staat die Bergwerke auf eigene Rechnung baue, if zum 
Gedeihen des Bergbaues keineswegs nothwendig, vielmehr genügt es, 
daß von ihm die Genehmigung zu jeder bergmännifchen Unternehmung 
erholt werden muß. — In Belgien darf _die Regierung feine Ber: 
leihung gegen den Antrag des Öberbergcollegiume vornehmen, wohl 
aber gegen benfelben fie verweigern. — Die in den folgenden $$. auf: 
geftellten Regeln flimmen größtentheild mit der deutfchen Bergwerks⸗ 
verfaflung überein, welche, wenn gleich einzelner Berbefferungen rähig, 
doch im Ganzen durch die Erfahrungen von Jahrhunderten als zweck⸗ 
mäßig erprobt if. Auch im Auslande ift ihre Güte anerfannt, vergl. 
3: ®. Journal des mines, Vol. XIX, ©. 277 und Villefosse, 
a. a. D. Die Bergorbnungen einzelner beutfcher Länder gehen bis 
ins 13. Jahrhundert zurück; mährifhe B.:O. von 1248 unter Wences: 
laus I; Salzburgifhe v. 1342; Fiſcher, Geſchichte des teutfchen 
Handels, II, 115. 341. Die böhmifchen und mährifchen Bergiwerfe 
wurben von berbeigezogenen beutfchen Arbeitern gebaut, bie dortigen 
Geſetze aber wieder in anderen bdeutfchen Ländern nachgeafmt. So 
wurden 3. ®. der Stabt Goldkronach ohnweit Baireuth 1365 die 
DBergfreiheiten von Iglau zugefichert, und die baireuthifche B.:O. von 
1506 ift eine Nachahmung ber Iglauiſchen. Dürrfhmidt, Belchrei: 
bung von Goldkronach. Baireuth, 1800, ©. 121. 170. — WMitter: 
mater, $. 242. Später diente die Joachimsthaliſche B.:O. v. 1548 
zum Vorbilde für viele andere, ſelbſt außerdeutihe Begenden. — Die 
neueften Geſetze find: allg. Berggeieh für das Kaiferthum Defterreich 
v. 23. Mai 1854. — Raflauifche Beig⸗O. v. 18. Febr. 1857. 


8. 37. 


Die Entdeckung neuer Lagerftätten von nutzbaren Mineras 
lien wird am beften burdy die Freierflärung bed Bergbaues 
befördert. Die Regierung erlaubt nämlich Jedem auf feine 


_—1 — 


Anmeldung an jeder Stelle nad) Mineralien, die unter das 

Bergwerföregal fallen, zu fuchen, d. 5. zu fhürfen, wenn 

er fih mit dem Grundeigenthuͤmer abgefunden oder wenigftend 

für die Entfchädigung deſſelben Sicherheit geleiftet hat (a), 

und fie giebt dem Binder vor anderen Bewerbern die Erlaubniß 

zur Anlegung eined Bergwerfes, wenn er in kurzer Friſt nad) 
dem Funde darum nachſucht, muthet (5). Zur Belebung des 

Eiferd find ben Findern bisweilen auch befondere Prämien 

verheißen worben (c). Die Bildung von Gefellichaften (Ge⸗ 

wertfhaften, I, $. 353) zum Baue neuer ober älterer vers 
laſſener Gruben verdient Begünftigung (d). Die Erlaubniß 
wird für einen genau beflimmten Raum (Zeche, Gruben» 
feld) ertheilt, wozu befondere Flaͤchenmaaße eingeführt find. 

Bor Alterd beging man häufig den Yehler, die Zechen fo Hein 

feftzufegen, daß große, Foftbare Unternehmungen nicht mit Vor⸗ 

tbeil ausführbar waren (e). 

(e) Der Schürfzettel (die fchriftliche Srlaubnig zum Schürfen) darf alfo 
Riemanden von den Bergämtern verweigert werden, doch iſt es zweck⸗ 
mäßig, nicht mehrere Perfonen nahe an einander fchürfen zu laflen. 
Daß auch der Grundeigenthümer ſelbſt, wenn er graben will, einen 
Shürfihein haben muß, if unnöthig, nur gebt im. wenn er ohne 
diefen Schein Ichürft, ein Anderer, der um die Erlaubnig nachgeſucht 


batte, beiim Muthen vor, Nafl. B.⸗O. $. 6. — In Hausgärten, 
daten, Friedhoͤfen, in der Nähe von Wegen ıc. darf nicht gefchürft 
en. 


( 


Sa? 


3.8. vier Wochen, preuß. Land⸗R. Th. II, Tit. 16. $. 155; drei 
Zage, baier. Berg:D. von 1784, Art. 2. — Der Muthende muß bas 
Dalkın eined Dineralvorrathes (Aufſchluß) nachweiſen. — Nach 
der franz. Berg⸗O. (Loi sur les mines et minidres, 21. April 1810, 
Art. 14— 16) gibt die Regierung die Conceffion nicht gerade dem 
Finder, fondern demjenigen Bewerber, ber in Anfehung bes erforder⸗ 
lihen Bermögene den Borzug zu verdienen fcheint; nur muß ber 
Finder von dem Goncefflonirten entfchädigt werden. Vgl. Karften, 
Archiv a. a. DO. 


(*) Tarif dafür in den Baier. Berg: Privilegien, 1784, Art. 17. 18. 
Bergius, Landesgef. XIIL, 231. 


(4) In Deutfchland ift es üblich, 128 Actien (Kuxe) zu maden. 


le) Ueber die in verfchiedenen Ländern üblichen Grubenmaaße Lempe, 
Ragazin für die Bergbaufunde, VII, 157. — Im 16. Sahrhundert 
war in Sahfen die Fundgrube nur 7 Lehn zu 7 Lacher ins 
Gevierte. — Das preuß. Landreht a. a. O. $. 156, 157 beftimmt 
die Fundgrube nach der Beichaffenheit der Lagerfätte bei Gängen, 
Stodwerten und Lagern von mehr als 159 Fall auf 42 Lachter Längens 
maaß, bei geringerer Steigung auf 42 DO. Lachter (18,400 D. F.); 
bei Floͤtzen auf 60 Lachter ins Gevierte (110,889 DO. %.); daneben 
Tann der Wutbende noch bei Bängen 12 Manfe zu 28 Lahtern 


— 78 — 


Länge oder 20 M. zu 28 O. Lachtern (691,920 DO. F.), bei Flögen 
fogar bis auf 1200 Maaße zu 14 O. Lahtern (10°375,200 D. Fuß 
oder 400 Morgen) erhalten. — Defterreih: wenigſtens ein Gruben⸗ 
maaß von 12,544 D. Klaftern. — Naſſau: Längenfeld 84 >< 7 Lachter, 
Berticallagerungsfeld 84 >< 84 — 7056 D. Lachter. — In Belgien 
hatte 1858 jedes verlichene Kohlenbergwerf i. D. 432 Heft. — Bol. 
auch Bergius, N. Magazin, I, 246. Mittermaier, $. 247. — 
In Frankreich find neuerli viele Kleine Kohlengruben in der Gegend 
von St. Etienne (Rhonethal) durch Ankauf in die Hände einer ein- 
zigen Gefellichaft gefommen, weldhe zwar einen befieren Betrieb ein- 
geführt, aber auch der Beforgniß einer monopoliftifchen Vertheuerung 
der Kohlen Raum gegeben hat, fo daß über den Nutzen und Schaden 
biefer Bereinigung eine Meinungsverfchiedenheit entſtand. Fuͤr biefelbe 
Blanqui, Compte rendu, XVII, 313, Nov. 1850. ine folche 
„Gonfolidation“ fol nit ohne Zuftimmung der Staatöbehörde vor: 
genommen werden dürfen, Gef. 3. Det. 1852. — In Steiermarf bat 
die Bereinigung der Gifenhüttenbefiger (Rabmeifter) im Borbernberg 
zur gemeinfchaftlichen Betreibung des Gifenbergbaues fih ale fehr 
vorteilhaft erwiefen, nachdem vorher die einzelnen Gruben wegen ihrer 
zu Heinen Felder fchlecht betrieben worden waren. Seit 1829 befteht 
eine Bergwerkodirection für fämmtlidhe Gruben. Die Gefellfchaft beſitzt 
41,851 Joh Wald zur Gewinnung der Kohlen für die Hüttenwerfe. 
Roffimall, Eifeninduftrie des H. Steiermarf, 1860. S. 187. 


$. 38. 


Bei der ſchwierigen Frage, wie weit bie Einwirkung ber 
obrigfeitlichen Bergbeamten auf bie Betreibung der ‘Privat- 
bergwerfe ſich erfireden fol, Fann man, abgefehen von ber im 
fitengeren Wortfinne polizeilichen Verhütung von Berlegungen 
der Menfchen (a), eine zweifache Abftufung der Staatsaufficht 
unterfcheiden. 

I. Die niedrigere Stufe derſelben ift allgemein noth- 
wendig; ed muß nämlich dafür geforgt werben, baß bie Privat: 
unternehmungen nicht ihren augenblidlihen Bortheil auf eine, 
ber Volkswirthſchaft fehädliche Weile verfolgen. Die Befugniß 
der Regierung, dieß zu verlangen, beruht auf den allgemeinen 
Bedingungen, unter denen nad) den Geſetzen (Bergorbnuns 
gen) die Belehnung für jede einzelne Grube ertheilt wird, 
denn nach ben obigen Säten ($. 33—35) barf denjenigen, 
welchen die Benukung eined gewiſſen Mineralvorrathed vors 
zugsweife geftattet wird, bie Verpflichtung auferlegt werben, 
fi) in dem Betriebe durch Rüdfichten auf die volkswirthſchaft⸗ 
lihen Zwecke zu befchränfen. Ein ſolches, die Fortdauer bed 
Bergbaued gefährbendes Verfahren, welches aus ben ange 
gebenen Gründen nicht geftattet werben darf, wirb mit bem 


Namen Raubbau bezeichnet. Es iſt nicht leicht, die Merk⸗ 
male eined Raubbaues richtig anzugeben und die Fälle zu 
bezeichnen, in denen durch obrigfeitliche Gebote oder Verbote 
in den Privatbergbau eingegriffen werben darf; dennoch if es 
nöthig, allgemeine Berorbnungen hierüber aufzuftellen, damit 
den Staatobeamten nicht zu viel überlafien werden müfle. Die 
Erfahrung giebt ebenfowohl Beifpiele einer unnöthigen, bie 
Privatunternehmungen beläftigenden und entmuthigenden Eins 
mifhung der Staatsbeamten, ald fchäblicher Mißgriffe von 
Unternehmern, denen ein zu weiter Spielräum gelafien wurbe (). 
Indeß ift heutiged Tages mehr Neigung zu Actienunternehs 
mungen und mehr Geichiclichkeit in der Führung derſelben 
herrſchend geworben, weßhalb den Bergwerksgeſellſchaften eine 
freiere Bewegung verftattet werben fann, wenn ihre Organis 
jation und Berwaltungsweife befiere Bürgfchaften barbieten (c). 
Ohnehin muß ed den Unternehmern zu jeber Zeit freifteben, 
ein Bergwerk ganz aufzugeben, wobei fie dann der Verleihung 
an Andere oder dem Bau auf Staatsrechnung fein Hinderniß 


entgegenfeßen bürfen. 


(6) Rah der franz. Bergwerfsverfafiung fteht den Staatsbeamten wenig 
mehr als jene poligeitiche Vorbeugung zu, und auch nur in fehr 
beengtem Vlaafe. Der ingenieur aux mines darf nur den Präfecten 
des Departements, oder im alle dringender Gefahr die Localbehörde 
auffordern, die Abftellung fchädlicher VBerrichtungen sc. zu bewirfen. 
Die Fälle einer ſolchen Ginfchreitung find: si l’exploitation compromet 
la süretö publique, la conservalion des puits, la soliditö des travaux, 
la süretö des ouvriers mineurs ou des habitations de la surface. Geſ. 
v. 1810, Urt. 50, Deeret v. 3. San. 1813; beide u. a. in Fournel, 
Lois rurales de la France, I, 171. Inzwiſchen ift das Ungenügende 
Biefer Anordnungen auch in Frankreich häufig bemerft worden und man 
Sat durch einzelne Berordnungen theilweife zu helfen gefucht, de Ville- 
fosse, a. a. D. — Kleinfhrod, Ueber die Beförberungsmittel 
der Agricultur in Frankreich, S. 60. — Die Sicherheit erfordert 
mancyerlei Maaßregeln, 3. DB. Anftalten zur Lufterneuerung in ben 
Gruben (Wetterſchachte, Wetteröfen), — zum Wahrnehmen ber nicht 
athembaren Luft in den Gruben (der böfen Wetter), wie die Davy'ſche 
Sicherheitslampe, — Berfertigung zuverläffiger Grubenrifie, — Beob⸗ 
achtung des nöthigen Abflandes zur Verhuͤtung des Cinſturzes, — 
Anbringung von Leitern zum Sin- und Ausfahren flatt des Hinabs 
tafiens u. dgl. — In den britifhen Koblengruben ift der Mangel 
guter Grubenriſſe und Beichreibungen die Urfache vieler Unglücksfaͤlle 
geweſen. Es find neuerlih 6 Öberauffeher in Gngland aufgeftellt 
worden, die aber nicht zureichen um eine wirffame Auffiht zu führen. 
Ge if bemerkenswerth, daß man den Mangel einer thätigen Yürlorge 
der Etaatsgewalt in Großbritanien beutlid empfindet. Edinb. Ber. 
Ar. 185, 62. (Ian. 1860). Dingler, Polyt. 3. CAXVI, 60. 


(5) de Villefosse, I, 463. Hausmann, Ueber ben gegenwärtigen 
Zuftand des hannöv. Harzes, 1832, ©. 110. 


(ec) Preuß. Gel. 12. Mai 1851 über die Verfaſſung der Bergwerksgeſell⸗ 
fchaften,; Abſtimmung nah Antheilen (Actien), — Beſtimmung, wo 
einfache Mehrheit oder 3/4 der Stimmen erforberlih iR, — Berufung 
auf ein Schiedsgericht, — Beitellung eines einzelnen Bevollmächtigten 
oder eines Grubenvorflandes aus mehreren Perfonen zur Leitung der 
ganzen Berwaltung, während das Bergamt bloß überwacht. Snftr 
vom 6. März 1852. — Deſterr. Berggef. $. 144. 


6. 38 a. 


Bon den einzelnen, auf vorftehenden Grundfägen beruhen⸗ 
den Beftimmungen find folgende die wichtigeren (a): 

1) Die Gruben und die Arbeiten dürfen zu jeder Zeit von 
den Bergbeamten bed Staates befichtiget werben und dieß muß 
auch wirklich öfterd gefchehen. 

2) Die Betrieböpläne müfjen den Staatöbeamten zur Prüs 
fung vorgelegt und dürfen nad) erhaltener Genehmigung nicht 
einfeitig abgeändert werben. Die Auffichtsbeamten dürfen foldye 
Maaßregeln unterfagen, weldye die Fünftige Bearbeitung der 
tieferen ober entfernteren Theile einer Grube verhindern ober 
gefährlid machen. Die Eigenthümer koͤnnen bagegen bie 
höheren Staatsbehörden anrufen, aber die eigenmächtige Nichts 
beachtung des Berboted muß mit einer Strafe bedroht wers 
ben (b). 

3) Die Bergorbnungen erklären es gewöhnlich auch für 
Raubbau, wenn man bie reichen oben liegenden Mineralmafien, 
bie mit den geringften Koften zu gewinnen find, zuerft binweg- 
nimmt, woraus dann bie Beſorgniß entfleht, daß fpäterhin 
wegen ber zunehmenden Koften des tieferen Baues die Grube 
befto eher verlaffen werde (c). Würde man jene oberen Theile 
bes Mineralvorrathed nur allmälig angreifen und zugleich 
weiter in bie Viefe dringen, fo wäre der Gewinn anfangs 
fchwächer, dauerte aber deſto länger fort. Indeß wirb das 
Gebot einer folhen nicht auf technifchen, fondern nur auf 
wirthfchaftlihen Erwägungen beruhenden Selbfibefchränfung 
ganz befonders läftig empfunden, es kann die Benügung güns 
ftiger ‘Breife zu einem flärferen Betriebe verhindern und neue 
Capitale von ber Anwendung auf ben Bergbau abwenden. 


Die den Unternehmern bei ber Berleihung auferlegte Berpflich- 
tung, dad ganze Lager volftändig auszubeuten, läßt ſich nicht 
durhführen, wenn die Geſellſchaft befchließt, dad Bergwerk ganz 
aufzugeben, $. 38. Eher ift die Vorſchrift zu rechtfertigen, 
daß von einer reichlichen Dividende ein gewiſſer Theil als 
Huͤlfsvorrath für die Zeit, wo bie Ausbeute flarf abnimmt, 
zurüdgelegt werbe. 


4) Die gewöhnliche Verordnung, daß eine Grube fortgefegt 
bearbeitet werden müfle und daß nad) mehrmaliger Unterbrechung 
dad Recht der bisherigen Eigenthümer verloren gehe, dad Berg- 
wert alfo ind Freie falle, wäre zu ftreng, wenn man nicht 
billige Rüdficht auf folche Hinberniffe nähme, welche die Fort- 
gung des Grubenbaues einftweilen unmöglid oder ſchwierig 
oder fehr unvortheilhaft machen (d). 

5) Das in den tieferen Stellen der Bergwerfe fi fam- 
melnde Waſſer bildet ein großes Hinderniß des Grubenbaues. 
Ein Hauptmittel zur Entwäfferung ift die Anlegung tiefer, ins 
Sreie ausmündender Abzüge (Erbftollen, tiefer Stollen), 
die noch unter den Gruben hinlaufen. Die Anlegung derfelben 
iR oft für die Eigenthümer einer einzelnen Grube zu koſtbar, 
wenn deren Grubenfeld nicht fehr weit und reih if. Eine 
Verbindung mehrerer Grubenbeftger zur gemeinfamen Erbauung 
eines Erbftollend kommt ſchwer zu Stande, und es ift deßhalb 
nüglih, wenn dieſe Maaßregel als eine abgefonderte Unter 
nehmung vom Staate ausgeführt wird, indem die Befiger ber 
entwäflerten Bergwerke gefeblich verpflichtet werden, dem Er⸗ 
bauer des Stollend eine Vergütung abzugeben (e). 

6) Jede Bergwerfögefellfchaft muß einem einzelnen Mit 
gliede oder einem Ausſchuß mehrerer die Leitung der Verwal⸗ 
tungögefchäfte übertragen, damit bie Staatsbeamten demſelben 
die nötigen Weifungen ertheilen Tönnen, $. 38 (e). 

T) Die Ernennung zum Werfführer (technifchen Vorſteher) 
einer Grube (Steiger) muß von der Staatöbehörbe beftätigt 
werden, damit nur Männer von erprobter Geſchicklichkeit ges 
wählt werden (f). 

8) Ueber die bei jeder Grube befcyäftigten Arbeiter wirb 
iin Berzeichniß geführt (9). 


Ran, yolit. Dekon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 6 


(e) 


— 82 —— 


Preuß. Landrecht Th. II, Tit. 16, auch abgebrudt in von Berg, 
Bolizeireht, VII, 410. — Beifpiel einer Eonceffion in Belgien mit 
foldhen Bedingungen: Compte rendu des travaux de l’administrat. des 
mines pendant l’annte 1840, ©. XLVII. 


(8) Hierher gehört 3. B. das Wegnehmen der zur Stüße dienenden Theile 


(4) 


(e) 


bes Geſteins (Bergfelten, Stollenpfeiler), das Berichütten 
(Verſtürzen) oder Berhauen der tieferen Höhlungen in einem Berg: 
werke, wodurch bie Fortſetzung des Baues erfchwert wird, — bas 
Unterhöhlen der horizontalen Zugänge (Stollen, Streden), unte 
denen der Sicherheit wegen eine Erdſchicht (Mittel) von gewifler 
Die (A—6 Lachter, preuß. 2.:R. a. a. D. $. 207) unverfehrt (un: 
verrigt) bleiben muß u. dgl. Näheres bei Martins, ©. 64. — 
Die alten Bergorbnungen waren in diefen Puncten fehr fireng, 3. 2. 
Berg:D. für das Zinnbergwerf zu Altenberg in Sachſen von 1568, 
Art. XV: „Wo e8 aber befchehe, fo follen diefelbigen, welche bie 
Zehen alfo verbauen und verflürzen, gefänglid eingezogen und nidt 
herausgelaflen werden, fie verbürgen denn genugfam, denſelben Bergt 
an Tag zu fürden;” Lempe, ß Magazin, IX, 147. — In den 
englifhen Kohlengruben hat man neuerlid mit großem Bortheile ges 
lernt, die früher ir nöthig erachteten Pfeiler aus Kohlen durch antere 
Stügen entbehrlih zu machen, Porter, Progress of the nation, 
©. 274 der Ausg. v. 1851. — Oeſterr. B.:Gef. F. 170: Der Haupt: 
Grubenbau muß fahrbar erhalten werden, der Abbau möglihft voll: 
fommen und fo gefchehen, daß der weitere Auſſchluß nicht unmöthiger 
Weiſe verhindert oder erfchwert werde. — Naſſauiſche B.:D. $. 76: 
Raubbau ift unterfagt, die Hülfsbaue find zu erhalten, Hülfs- und 
Berfuchsarbeiten zur Ausdehnung des Betriebes befohlen. &6 ift ver 
boten, die obere Teufe auszubauen und die Arbeiten und Anlagen für 
ten Tiefbau zu unterlaflen ıc. 


de Villefosse, I, 576 legt dem Staate die Pfliht auf, de main- 
tenir l’&quilibre entre l’interet des exploitans, qui doit ötre un gain 
prompt, et l’interöt de l’etst, qui doit ötre la conservation des 
sources du gain, c’est-A-dire leur emploi raisonnable.. — Ruͤckſichten 
auf Vorrath und Preis des Brennftoffes oder die Belorgniß einer 
PBreiserniedrigung der Erzeugniſſe haben bisweilen die obrigfeitliche 
Verfügung veranlagt, daß nur ein gewifles Erzquantum jährlich ges 
fördert werben darf, indeß geht diefe Bevormundung zu weit, es müßte 
denn die gewerbliche Cinſicht der Unternehmer nod Fehr mangelhaft fein. 


Preuß. L.⸗R. F. 193: in jeder Fundgrube 1 Hauer und 1 Schlepper 
täglich eine Sfündige Schicht. — Bair. B.:D. Art. 13: 1 Mann. — 
Defterr. B.⸗G. $. 174: eine nach ber Beichaffenheit bes Orts und 
dein Zwede des Betriebes erforderlihe Anzahl von Arbeitern, mit 
sflündiger täglicher Arbeitszeit. — Bei unverfchuldeten Hinderniflen 
wird eine ri gegeben. 

Ueber die Rechte und Verbindlichkeiten folder Stollener f. preuß. 
2.:R. a. a. O. $. 221 ff. 387 Der Unternehmer eines ſolchen 
Stollens erhält 1) nach feiner Wahl den Hieb der in ben Graͤnzen 
des Stollens brechenden nugbaren Geſteine oder den Erſatz von "a 
der Koflen, welde die Treibung bes Stollens durch das Feld einer 
Grube gefoftet hat, 2) %/s von dem ganzen rohen Grtrage ber durch 
den Stollen entwäflerten Gruben, nah Abzug der DBergzehnten. — 
Mittermaier, I, $. 248. — Das Bedürfnig ähnlicher Anord⸗ 
nungen wird auch in Wranfreich empfunden ; der 1837 den Kammern 
vorgelegte Geſetzentwurf beichäftiget no geößtentpeile mit diefen Erb⸗ 
tollen. — Beflimmung über Revierftollen, welche überhaupt den 


Abbau eines ganzen Mevieres irgendwie erleichtern, im öfterr. B.⸗G. 
$. 0-97. Die Berbindlichfeiten der Befiger fchon beflehender Gruben 
erben durch Uebereinfommen mit dem Unternehmer des Revierftollene 
etimmt. 


NN preuß. Inſtruct. Art. V. Minifl. B. 30. Mai 1852. 


(9) Belgifhe B. v. 30. Der. 1840 über bie, von den Bergfnappen zu 
führenden Arbeitsbücher (livrets), in denen ihr Eintritt und Austritt, 
die Bedingungen bei der Annahme und die etiva hinterlaffenen Schul: 
ben eingetragen werben. Das Circular des Minift. der öffentl. Arbeiten 
v. 4. San. 1841 fchildert die Vortheile diefer Binrichtung, welche 
anfangs von ben Arbeitern unmwillig aufgenommen wurde. 


8. 39. 


IL In mancdyen Ländern beftand bisher eine höhere Stufe 
von Einwirfung ber Staatögewalt, nach welcher die Staats» 
beamten an der ganzen Berwaltung fortwährend thätigen Theil 
nahmen. Sie beriethen die Betriebsplane fowie alle Veraͤnde⸗ 
rungen in benfelben, neue Einrichtungen ıc. mit den Unter 
nehmern oder deren Vertretern und ben aufgeftellten Beamten 
terielben, wobei fie jedoch nicht eigenmädhtig Beſchluͤſſe faſſen 
durften, fondern im Einverftänbniß mit jenen handeln mußten, 
ſo weit nicht jene volkswirthſchaftlichen Gründe eines amtlichen 
Einfhreitens ($. 38. 38 a.) vorhanden waren. Diefe Mits 
wirkung ber öffentlichen Bergbeamten kann zugleich die Privat- 
unternehmer vor nadhläffiger oder untreuer Gefchäftsführung 
ihrer Beamten fichern, auch dieſe zur Sparfamfeit und Orb- 
zung anhalten, fie erfpart ferner den Gewerkſchaften, deren 
Mitglieder entfernt wohnen, die Koften einer befonderen Webers 
wahung. Daher werden die Bergbeamten verpflichtet, die Rech⸗ 
rungen der gewerkichaftlichen Verwalter (Schichtmeifter) ſich 
vorlegen zu laffen und zu prüfen, für richtige Leiſtung der Zahs 
lungen Sorge zu tragen, bie Austheilung bes vierteljährigen 
Öminnes (Ausbeute) auf jeben Kur (Actie), oder im 
Mhlimmeren alle des einzufordernden Zufchuffee (Zubuße) 
iu unterfuchen und überhaupt bad Beſte der Gewerkſchaften zu 
befördern (a). Diefe Oberleitung des ganzen Privatbergbaues 
geht jedoch weiter, als der Staat im Allgemeinen in bie 
Ormerböthätigkeit der Bürger eingreifen darf; fie follte baher 
niht geboten, ſondern es follte den PVrivatunternehmern freiges 
Relt werden, ob fie fich berfelben unterorbnen wollen, wofür 

. 6* 





_— 4 — 


fie eine befonbere Bergütung zu entrichten haben. Es ift aljo 
dann feine erzwungene Bevormundung, fondern nur dad Ans 
erbieten des Beiſtandes der vom Staate aufgeftellten Sach⸗ 
fundigen vorhanden. 


(a) Die Bergbeamten haben mehrere Bücher über den gewerkichaftlichen 
Dergbau zu führen, 3. DB. das Gegenbuch, in weldem fämmtliche 
Inhaber der Kure, die Beräußerungen, Berpfändungen ber lebten ıc. 
eingetragen werden, das Schürf-, Muthungs:, Eriften: ($. 37) 
Buch und dgl. — Die mandfaltigen rechtlichen Berhältniffe, 3. B. 
der Kur: Inhaber gegen ihre Berwalter, oder mehrerer Gewerticaften 

egen einander, deren Zehen nahe beifammen liegen und bal., find 
Begenfände der bürgerlichen Rechtögefeßgebung. 


8. 40. 


Der gute Erfolg bed Bergbaues wird zum Theil von dem 
Beiftande der Wiffenfchaft und der Geſchiclichkeit bedingt. 
Von biejer Seite vermag die Regierung auf boppeltem Wege 
fördernd zu wirfen, 

1) indem fie die Erforfchung der geologifhen Befchaffenheit 
des Landes und die Verbreitung der hierdurch gewonnenen 
Kenntniffe veranftaltet (a), 

2) indem fie für die gute Vorbereitung der Staatöberg: 
beamten, der Werfführer (Steiger) und felbfi der unters 
geordneten Arbeiter forgt. Hiezu dienen befondere Lchranftalten 
und zwar fowohl wiffenfchaftliche (höhere) Bergfchulen (6), 
als Unterridhtsanftalten für die Bergfnappen und Steiger (c), 
ferner Reifegelder für ausgezeichnete Zöglinge. In Ländern, 
bie wenig Bergwerfe haben, wären wiffenfchaftliche Lehranftalten 
zu foftfpielig, man muß ſich folglich darauf befchränfen, theile 
hoffnungsvolle junge Leute in auswärtige Anftalten zu fchiden, 
theild aber von Zeit zu Zeit gründlich gebildete Bergbeamte 
vom Auslande herbeizuziehen. 


(a) Geologiſche Reichsanſtalt in Oeſterreich, zur Unterfuchung bes ganzen 
Staatögebietes beſtimmt, mit einer Sammlung (Mufeum) und einem 
Archiv verbunden, um die Brgebniffe dauernd aufzubewahren, 15. Ro: 
vember 1849. v. Stubenraud, Handb. I, 77. — Beranftaltung 
ausführlicher geognoftifcher Landeskarten. 


(6) 3. B. Bergakademie zu Breiberg feit 1765, die Schule bes Berg 
Baues für die ganze Erde; — Clausthal, — Schemnig in Ungarn, — 
cole des mines in Paris; Bergſchule zu Bogota feit 1823. 


Abbau eines ganzen Mebieres irgendwie erleichtern, im öftere. B.⸗G. 
$. 90-97. Die Berbindlichfeiten der Befiter fchon beftehender Gruben 
—7 durch Uebereinkommen mit dem Unternehmer des Revierſtollens 
eftimmt. 


(N %. preuß. Inſtruct. Art. V. Minifl. V. 30. Mai 1852. 


(3) Belgiſche V. v. 30. Dec. 1840 über die, von den Bergfnappen zu 
führenden Arbeitsbücher (livrete), in denen ihr Eintritt und Austritt, 
die Bedingungen bei der Annahme und bie etwa hinterlaſſenen Schul: 
den eingetragen werden. Das Gircular des Minift. der öffentl. Arbeiten 
v. 4. Ian. 1841 fchildert die Vortheile diefer Ginrichtung, welche 
anfangs von den Arbeitern unwillig aufgenommen wurde. 


8. 39, 


1. In manchen Ländern beftand bisher eine Höhere Stufe 
von Einwirkung der Staatögewalt, nach welcher die Staats⸗ 
beamten an der ganzen Berwaltung fortwährend thätigen Theil 
nahmen. Sie beriethen bie Betricböplane fowie alle Veraͤnde⸗ 
rungen in benfelben, neue Einrichtungen ıc. mit den Unter; 
nehmern oder deren Vertretern und den aufgeftellten Beamten 
derfelben, wobei fie jedoch nicht eigenmaͤchtig Befchlüffe faffen 
durften, fonden im Einverftändniß mit jenen handeln mußten, 
fo weit nicht jene volkswirthſchaftlichen Gründe eines amtlichen 
Einfchreitend ($. 38. 38 a.) vorhanden waren. Diefe Mits 
wirfung ber öffentlichen Bergbeamten kann zugleich die Privat: 
unternehmer vor nadjläffiger oder untreuer Gefhäftsführung 
ihrer Beamten fichern, auch diefe zur Sparfamfeit und Ord⸗ 
nung anhalten, fie erfpart ferner den Gewerfichaften, deren 
Mitglieder entfernt wohnen, die Koften einer befonderen Ueber⸗ 
wahung. Daher werden die Bergbeamten verpflichtet, die Rech» 
nungen ber gewerfichaftlichen Verwalter (Schichtmeifter) fi 
vorlegen zu laffen und zu prüfen, für richtige Leiſtung der Zah⸗ 
lungen Sorge zu tragen, bie Austheilung ded vierteljährigen 
Gewinnes (Ausbeute) auf jeden Kur (Actie), oder im 
fhlimmeren alle bed einzufordernden Zuſchuſſes (Zubuße) 
zu unterfucyen und überhaupt dad Befte der Gewerkichaften zu 
beförbern (a). Diefe Oberleitung bed ganzen Privatbergbaues 
gebt jedoch weiter, als der Staat im Allgemeinen in bie 
Gewerböthätigkeit der Bürger eingreifen darf; fie follte daher 
nicht geboten, fonbern es follte den Privatunternehmern freige- 
Rellt werden, ob fie fich berfelben unterorbnen wollen, wofür 

. 6* 





fie eine befonbere Vergütung zu entrichten haben. Es ift alfo 
dann feine erzwungene Bevormundung, fondern nur dad Ans 
erbieten bed Beiftanded der vom Staate aufgeftellten Sach⸗ 
fundigen vorhanden. 


(a) Die Bergbeamten haben mehrere Bücher über ben gewerkichaftlihen 
Bergbau zu führen, 3. B. das Gegenbuch, in weldem fämmtliche 
Inhaber der Kure, die Veräußerungen, Berpfändungen ber lebten 1c. 
eingetragen werden, das Schürf:, Muthungs:, Eriften (8. 37) 
Buch und dgl. — Die mandfaltigen rechtlichen Verhaͤltniſſe, 3. B. 
der Kur: Inhaber gegen ihre Verwalter, ober mehrerer Gevertfdaften 
gegen einander, deren Zechen nahe beifammen liegen und bgl., find 

egenftände der bürgerlichen Rechtsgeſetzgebung. 


8. 40. 


Der gute Erfolg ded Bergbaued wirb zum Theil von dem 
Beiftande ber Wiffenfchaft und der Gefchidlichfeit bedingt. 
Don diefer Seite vermag die Regierung auf doppeltem Wege 
fördernd zu wirken, 

1) indem fie die Erforſchung der geologifchen Beichaffenheit 
des Landes und die Verbreitung der hierdurch gewonnenen 
Kenntniffe veranftaltet (a), 

2) indem fie für die gute Vorbereitung der Staatöberg- 
beamten, der Werfführer (Steiger) und felbft ber unters 
geordneten Arbeiter forgt. Hiezu dienen befondere Lehranftalten 
und zwar fowohl wifjenfchaftliche (höhere) Bergſchulen (2), 
als Unterrichtöanftalten für die Bergknappen und Steiger (c), 
ferner Reifegelder für ausgezeichnete Zöglinge. In Ländern, 
die wenig Bergwerfe haben, wären wiflenfchaftliche Lehranftalten 
zu foftfpielig, man muß ſich folglich darauf befchränfen, theilg 
hoffnungsvolle junge Leute in auswärtige Anftalten zu fchiden, 
theild aber von Zeit zu Zeit grünblidy gebildete Bergbeamte 
vom Auslande herbeizuziehen. 


(a) Geologifhe Reichsanſtalt in Oeſterreich, zur Unterfuchung des ganzen 
Staatsgebietes beſtimmt, mit einer Sammlung (Mufeum) und einem 
Archiv verbunden, um die Ergebniffe dauernd aufzubewahren, 15. No: 
vember 1849. v. Stubenraud, Handb. I, 77. — Beranftaftung 
ausführlicher geognoftifcher Landeskarten. 

(5) 3. B. Bergafademie zu Freiberg feit 1765, die Schule des Berg⸗ 
baues für die ganze Erde; — Clausthal, — Schemnik in Ungarn, — 

cole des mines in Paris; Bergichule zu Bogota feit 1823. 


(c) ine ſolche Schule gründete A. v. Humboldt zu Steben im baier. 
Fichtelgebirge. — Siegen, — St. Etienne in Frankreich sc. — Klagen 
über Die Unwiſſenheit der Uebernehmer von Bergiverfsarbeiten (Con- 
tractors) in Staffordfhire; Report of the commissioners appointed to 
inquire .. . into the state of the population in the mining districts, 
1850. Die Rohheit, Trunkſucht sc. der Bergknappen fügt den eng— 
lifchen Bergwerksbefitzern viel Nachtheil zu, veranlaßt öftere Arbeits: 
einftellungen (strikes, vgl. I, $. 201 b.) und dal. Man fucht durch 
Einführung von Tags: und Abendſchulen mit Leihbibliothefen, Er: 
bauung von Kirchen, Gefangunterricht, Gartenbau ıc. zu helfen. 


8. 41. 


Die Vorliebe für den Bergbau hat zahlreiche Beguͤnſtigun⸗ 
gen (a) deſſelben veranlaßt, um theils die Kapitaliften, theils 
die Arbeiter zu demſelben anzureizen. Solche Mittel wuͤrden 
wahrſcheinlich weniger nöthig erfchienen fein, wenn nicht das 
gegen die Staatdabgaben von den Privatbergwerfen (III, 8. 182) 
fo laͤſtig geweſen wären, daß man das Bebürfnig empfunden 
hätte, ihre nachtheilige Wirkung durch ein Gegengewicht wieber 
aufzuheben. Die Ermäßigung diefer Abgaben, vorzüglich des 
Bergzehnten, macht jene anderen Begünftigungen zum 
Theile entbehrlich, von denen einige mit dem Geiſte der Geſetz⸗ 
gebung in unferem Zeitalter unvereinbar find, 3.8. bie Steuers 
und Gonfcriptiondfreiheit (5) und die eigene Jurisdiction ber 
Bergleute, andere aber, wie bie Lieferung von Holz aus den 
Staatöwaldungen um fehr niedrige Preife, aus finanziellen 
Sründen unpaſſend erfcheinen. 


(*) Bol. WRittermaier, F. 256. — Baier. Bergfreiheiten, 6. Mai 1784, 
in 30 Artifeln. 
(2) Wenn gleid die gänzliche Befreiung ber Bergarbeiter vom Kriegsdienfte 
ber Bleichheit vor dem Geſetze widerftreitet und die Gründe, mit denen 
man fie vertheidigt, auch auf andere Gewerbe paflen würden, fo läßt 
ſich dod die Art des Waffendienftes fo einrichten, daß die Bildung 
gpier Arbeiter durch denfelben nicht unterbrochen wird. Vgl. v. Voith, 
orfchläge zur Berbefierung des Berg: und Hüttenwefens in Baiern, 
Euljb. 1822. ©. 9. 


g. 42. 
Andere Beförderungsmittel, welche jenen Bedenklichkeiten 
($. 41) nicht unterliegen, find (a): 
1) Beranftaltungen‘, die bie Bortfhaffung der Mineralien, 
ber Brennftoffe ꝛc. in der Nähe der Bergwerke erleichtern (6), 
3 B. Kunfifiraßen, Candle; 


2) Uebernahme von Kuren der Zubußgruben, bie von den 
Befigern aufgegeben worben find, auf die Staatdcafle, Falls 
man Hoffnung einer baldigen Vermehrung des Erzeugnifies 
hegen kann; 

3) Vorſchuͤſſe an folche Gruben, deren Ausgaben eine Zeit 
lang eine außergewöhnliche Höhe erreihen. Hiezu if in meh⸗ 
teren Laͤndern eine befondere Bergcaffe vorhanden, welche ihre 
Einfünfte aus den Abgaben der Privatbergwerfe bezieht (c); 
es ift jedoch bei folchen Vorſchuͤſſen große Vorficht rathſam; 

4) die Unternehmung folder Bauten, weldye für mehrere 
Bergwerfe von großem Nugen find, auf Rechnung bed Staates, 
wenn fich Feine Privaten dazu geneigt finden. Hieher ift vors 
züglich die Anlegung von Erbftollen zu zählen ($. 38 a.), 
welche wegen der Koftbarfeit und technifchen Schwierigfeit am 
beften vom Staate gefchehen kann (d). 


(a) Privatvereine vermögen auch bier, der Regierung manden Schritt zu 
erfparen. Geognofliich =montaniftifcher Verein —F Inneroͤſterreich zu 
Grätz, um die Entdeckung von Mineralien zu befördern, das Muthen 
zu erleichtern ac. ; geftiftet 1842. 


(5) Ob diefe Maaßregel vom Staate ausgehen muß, ober den Privat: 
bergwerfen überlaflen werden kann, dieß hängt davon ab, wie groß 
die Bergwerfsunternehmungen find, ob jene Kortichaffungsmittel nur 
einem Werke oder mehreren nüßen, und ob im leßteren Falle ein 
Zuſammenwirken ber Grubenbeflger zu erzielen if. Canal des Herzogs 
von Bridgewater bei Worsley, der in verfchiedenen Armen 24 engl. 
Meilen unter der Erde in die Kohlengruben reiht. — Aehnlicher 
unterirdifher Ganal in der Fuchögrube bei Waldenburg (Schlefien). — 
Schiffbarer Stollen auf dem Harz unter den Glausthaler Gruben, 
Hausmann, a aD. S. 101. — Oſtmann's Preisihr. im 
Hanndv. Magazin, 1824. Nr. 3—5. — Gifenbahnen. 


(ce) Caſſen diefer Art in Frankreich, Sachfen, Hannover. Auf dem Harz 
batte der Staat 1807 eine Forderung von 3408 774 fl. an die Zubußs 
gruben. Villefosse, I, 77. Die unbeibringlichen Borfhüffe wurden 
neuerlih (nach 1834) niedergefchlagen. Lehzen, Hannovers Staats: 
haushalt, I, 115. — In Baden war fonft eine Summe von 10000 fl. 
—8 zu Prämien fuͤr ſolche Privatbergwerke beſtimmt, welche Zubuße 

aben. 


(d) Der tiefe Georgenſtollen auf dem Harze, 1775 —99 erbaut, iſt 9713 
Lachter ober gegen 21/, Meilen lang. Gr EFoftete 762462 fl. Die 
„tiefe Waſſerſtrecke“ (vgl. (8)), 60 Lachter unter dem Georgsftollen, 
wurde 1803—8 ausgeführt und dann bedeutend verlängert. 1851 hat 

der Bau des „tiefiten Stollens“ begonnen, welcher in der Ebene ber 
tiefen Waſſerſtrecke Tiegen und fa 2 Meilen Länge erhalten foll und 
egen 1a Mill. Rthlr. Foften wird. Lehzen, a.a. DO. I, 125. — 
ofeyhi II. Erbſtollen nig koſtete 1 DEN. fl. — Begonnener 
Erbſtollen im preuß. Bergrevier Muͤßen. Vorſchlag von Herders 

zu einem 11360 Lachter langen Erbſtollen, der die Freiberger Gruben 





— 8397 — 


auf Jahrhunderte hinaus truden Iegen aber 3'600 000 Rthlr. koſten 
würde (1841). — Auch die Herbeileitung von Wafler zum Bewegen 
ber Maſchinenraͤder ift bisweilen fo fehwierig, daß fie von Kinzelnen 
nicht wohl unternommen werden fann. Der Rehberger Graben, der 
ben Gruben bei Andreasberg (Harz) das Auſſchlagwaſſer zuführt, iſt 
18828 Fuß lang, und foftete mit dem Damme, der den Oderdeich 
Hildet, in den Jahren 1692—1722 die Summe von 97000 fl. 


8. 43. 


Auch in Hinfiht auf den Zuftand der Arbeiter find mehrere 
Anorbnungen dienlidy (a). 

1) Die öfteren Unglüdsfälle, durch welche Bergarbeiter 
beſchaͤdigt oder getöbtet werden (b), erfordern twegen der Ver⸗ 
mögenßlofigfeit diefer Arbeiter, wegen der Schwierigkeit, andere 
Rahrungsquellen aufzufinden, und wegen des geringen Arbeits: 
lohns im Bergbau (I, 8.354) eine befondere Vorforge. Daher 
wurden fchon in den Älteren Bergorbnungen die Unternehmer 
verpflichtet, den in ihrem Dienfte befchädigten Arbeitern eine 
Zeit lang den Unterhalt zu reichen. Noch wirkſamer iſt Er- 
tihtung von Knappſchafts- oder Bruder-Caſſen, welde 
frante, gebrechliche und fonft arbeitsunfähige Bergleute, fo wie 
deren Wittwen und Waiſen zu unterflügen beftimmt find. Die 
Einnahmen fliegen aus vorfchriftsmäßigen Beiträgen fämnts 
licher Arbeiter, die ihnen fogleih am Lohne abgezogen werden, 
— aus Abgaben ber Unternehmer (c), — aus Strafgeldern, — 
aus verfchiedenen zum Beften der Caſſe betriebenen Unter: 
nehmungen (d). Solche Caſſen find hoͤchſt empfehlenswerth. 
Sie werden gewöhnlih von Bergbeamten unter Aufficht ber 
höheren Behörden verwaltet, es ift aber zwedmäßig, einen 
gewählten Ausfchuß der Arbeiter theilnchmen zu laflen (e). 

2) Wo man voraudficeht, daß die Theuerung ded Holzes, 
die Erjchöpfung ber Lagerftätten, das nachtheilige Mitwerben 
anderer Laͤnder ıc. eine Einfchränfung der Arbeiten nothwendig 
machen werben, da ift es dringend nöthig, bei Zeiten ben 
Arbeitern in dem Auffuchen neuer Nahrungszweige behülflich 
zu fein, damit fie nicht in Noth gerathen (f). 

(s) Auf dem Harze wirb den Arbeitern in den Silber:, Berg: u. Hüttens 
werfen das Getreide aus den Kornhäufern zu DOfterode, Goslar und 


Herzberg um einen billigen Preis, der Himten Roggen zu %s Thlr. 
Gaflengeld (der preuß. Scheffel zu 2 fl. 22 kr.) abgegeben. Den 


m 


2) Uebernahme von Kuren ber Zubußgruben, die von den 
Befigern aufgegeben worben find, auf die Staatscaffe, Yale 
man Hoffnung einer baldigen Vermehrung des Erzeugnified 
hegen kann; 

3) Vorſchuͤſſe an ſolche Gruben, deren Ausgaben eine Zeit 
lang eine außergewöhnliche Höhe erreichen. Hiezu if in meh⸗ 
teren Ländern eine befondere Bergcaffe vorhanden, welche ihre 
Einfünfte aus den Abgaben der Privatbergwerfe bezieht (c); 
es ift jeboch bei folchen Vorſchuͤſſen große Vorſicht rathſam; 

4) die Unternehmung foldher Bauten, weldye für mehrere 
Bergwerfe von großem Nutzen find, auf Rechnung des Staates, 
wenn fic Feine Privaten dazu geneigt finden. Hicher ift vor- 
züglich die Anlegung von Erbftollen zu zählen ($. 38 a.), 
welche wegen ber Koftbarkeit und technifchen Schwierigkeit am 
beften vom Staate gefchehen fann (d). 


(a) Privatvereine vermögen auch bier der Regierung manden Schritt zu 
eriparen. Deognoftig) » montanififcher Verein —F Inneroͤſterreich zu 
Graͤtz, um die Entdeckung von Mineralien zu befördern, das Muthen 
zu erleichtern sc. ; gefliftet 1842. 


(5) Ob diele Maaßregel vom Staate ausgehen muß, oder den Privat: 
bergwerfen überlafien werden kann, dieß hängt davon ab, Wie groß 
die Bergwerfsunternehmungen find, ob jene Fortichaffungsmittel nur 
einem Werke oder mehreren nügen, und ob im leßteren Kalle ein 
Zuſammenwirken der Grubenbefiger zu erzielen if. anal des Herzogs 
von Britgewater bei Morsley, der in verfchiedenen Armen 24 engl. 
Meilen unter der Erde in die Kohlengruben reicht. — Aehnlicher 
unterirdifher Ganal in der Fuchsgrube bei Waldenburg (Schleflen). — 
Schiffbarer Stollen auf dem Harz unter den Glausthaler Gruben, 
Sausmann, a. a. O. © 101. — DOftmann’s Preisfhr. im 
Hanndv. Magazin, 1824. Nr. 3-5. — Eifenbahnen. 


(c) Caſſen biefer Art in Frankreich, Sachfen, Hannover. Auf den Harz 
batte der Staat 1807 eine Forderung von 3°408 774. fl. an die Zubußs 
gruben. Villefosse, I, 77. Die unbeibringlichen Borfhüfle wurden 
neuerlich (nach 1834) niedergefchlagen. Lehzen, Hannovers Staats: 
Haushalt, I, 115. — In Baden war fonft eine Summe von 10000 fi. 
a zu Prämien für jolche Privatbergmwerfe beftimmt, welche Zubuße 

aben. 


(d) Der tiefe Georgenftollen auf dem Harze, 1775—99 erbaut, if 9713 
Lachter oder gegen 2!/e Meilen lang. Gr koſtete 762462 flE Die 
„tiefe Waſſerſtrecke“ (vgl. (4)), 60 Lachter unter dem Georgsftollem, 
wurde 1803—8 ausgeführt und dann bedeutend verlängert. 1851 hat 
ber Bau des „tiefften Stollens“ begonnen, welcher in der Ebene der 
tiefen Waflerftrede Tiegen und faſt 2 Meilen Länge erhalten foll und 
gegen Ya Mil. Rthlr. Eoften wird. Lehzen, a. a. O. I, 125. — 

ofewhi II. Erbftollen ji Schemnig koſtete 1 Mill. fl. — Begonnener 
Erbftollen im preuß. DBergrevir Muͤßen. Borfchlag von Herders 
zu einem 11.360 Lachter langen Grbftollen, der bie Wreiberger Gruben 


auf Yahrhunderte hinaus troden legen, aber 3600000 Rthlr. koſten 
würde (1841). — Auch die Herbeileitung von Waller zum Bewegen 
der Maichinenräder ift bisweilen fo fehwierig, daß fie von Ginzelnen 
nicht wohl unternommen werden Tann. Der Mebberger Graben, der 
den Gruben bei Andreasberg (Harz) das Auſſchlagwaſſer zuführt, it 
18828 Fuß lang, und foflete mit dem Damme, der den Oderdeich 
bildet, in den Jahren 1692—1722 die Summe von 97000 fl. 


8. 43. 


Auch in Hinfiht auf den Zufland der Arbeiter find mehrere 
Anordnungen dienlich (a). 

1) Die öfteren Unglüdsfälle, durch welche Bergarbeiter 
beihädigt oder getöbtet werben (5), erfordern wegen ber Ver⸗ 
mögendlofigfeit diefer Arbeiter, wegen ber Schwierigfeit, andere 
Rahrungsquellen aufzufinden, und wegen bed geringen Arbeits: 
lohns im Bergbau (I, 8.354) eine befondere Vorforge. Daher 
wurden ſchon in ben älteren Bergordnungen bie Unternehmer 
verpflichtet, den in ihrem Dienfte befchädigten Arbeitern eine 
%it lang den Unterhalt zu reichen. Noch wirffamer ift Er 
rihtung von Knappſchafts- oder Bruder-Eaffen, welche 
franfe, gebrechliche und fonft arbeitsunfähige Bergleute, fo wie 
deren Witwen und Waiſen zu unterftügen beſtimmt find. Die 
Einnahmen fließen aus vorfchriftsmäßigen Beiträgen fämmts 
liher Arbeiter, die ihnen fogleih am Lohne abgezogen werden, 
— aus Abgaben der Unternehmer (c), — aus Strafgeldern, — 
aus verfchiedenen zum Beſten der Gafle betriebenen Unter: 
nehmungen (d). Solche Eafien find höchft empfehlenswert. 
Sie werden gewöhnlidd von Bergbeamten unter Aufficht der 
höheren Behörben verwaltet, ed ift aber zvedmäßig, einen 
gewählten Ausſchuß der Arbeiter theilnehmen zu laſſen (e). 

2) Wo man voraudfieht, daß die Theuerung des Holzes, 
die Erichöpfung der Lagerftätten, das nachtheilige Mitwerben 
anterer Laͤnder ıc. eine Einjchränkung der Arbeiten nothwendig 
madyen werben, ba ift ed dringend nöthig, bei Zeiten den 
Arbeitern in dem Auffuchen neuer Nahrungszweige behülflicy 
zu fein, damit fie nicht in Roth gerathen (f). 

(0) Auf dem Harze wird den Arbeitern in den Silber=, Berg: u. Hüttens 
werfen das Getreide aus den Koruhäufern zu Ofterode, Goslar und 
Herzberg um einen billigen Preis, ber Himten Roggen zu %s Thlr. 
Gaftengelb (der preuß. Scheffel zu 2 fl. 22 ir.) abgegeben. Den 


- 


(8) 


(6) 
(d) 
(e) 


(N 


—- 88 — 


hiezu nöthigen Zufhuß trägt größtentheile der Staat, der mit den 
Gewerkfchaften in einem fehr verwidelten Verhaͤltniß ſteht. 1801—19 
betrug dieſer „Magazinfchaden“ im Durchſchnitt jährlich 57000 Thlr. 
Hausmann, ©. 80, 117. — Das Berbot, Kinter und Frauen in 
den Gruben arbeiten zu laflen, iſt mehr aus Gründen der Sittlichkeit 
(Boltsbildungsforge) und Geſundheit abzuleiten. Nach dem brit. Gef. 
v. 10. Aug. 1842 (5. u. 6. Bictor. O. 99.) dürfen nach dem 1. März 
1843 nur männliche Arbeiter von 10. 3. an angeftellt werben. Der 
Lohn darf nicht im Wirthshauſe ausbezahlt werben. 


1858 wurden in ben belgifchen Bergwerken 223 Arbeiter getöbtet, 
48 verwundet. 


Zubußgruben find gewöhnlich von der Entrichtung frei. | 
3. 3. die Benutzung gewiſſer Rüdftände von den gepochten Erzen. 


Bergius, a. a. O. ©. 274. — v. Berg, ©. 401. Diefe Ein: 
rihtung ift alt; ſ. 3. 3. Hannov. Berordnungene für den Harz von 
1524 und 1538, trieriihe V. von 1564, altenbergifche Zinnbergwerfe- 
Ordnung v. 1568, Art. 42: Bon Büchfenpfenntgen, — Brubercaffe 
zu Tarnowig in Schleften v. 1599 2.. In Belgien gab Auguf 
Viſſchers durd die Schrift: De l’&tablissement de caisses de pre- 
voyance en Belgique en faveur des ouvriers mineurs. Lidge, 1838, 
zur Stiftung folder Caſſen den Anfloß. Sie wurden von 1839 an 
in ben verichiebenen Bergwerkobezirken gegründet. Jedem Mrbeiter 
wirde! / Proc. feines Lohnes abgezogen, und gleichen Betrag fchießen 
bie Unternehmer felbft Hinzu (alſo zufainmen 1 Proc.), aud der Staat 
giebt einen Beitrag. Der Berwaltungsrath wird von beiden Theilen 
ewählt. Die Unterflüßungen find ordentliche oder außerordentliche, 
ene wieder fortdauernd oder vorübergehend ıc. Im Anfang des Jahres 
1847 befanden ſich unter 48300 Bergleuten 44697 Theilnehmer einer 
folden Caſſe. Im Jahre 1846 waren die Einkünfte der 6 Gaflen 
325441 Fr., wovon 232993 Fr. in dem 1 Proc. des ohne bes 
flanden, die Ausgaben 203966 Fr., wovon 1903 Berfonen unter 
fügt wurten. Visschers, De Pötat actuel & de l’avenir des 
caisses de prövoyance en faveur des ourriers mineurs en Belgique. 
Bruxelles, 1847. 


Erwägungen biefer Art auf dem Harze, f. I, $. 351 (a). Man hat 
dafelbft auf die „erlertigung von Kinderfpielzeug und anderen Holz: 
Ihnigwaaren, auf die Berarbeitung des Tafel: und @riffelfchiefers 
und og! gerechnet, iudeſſen haben wegen der Abneigung der Bergleute 
dieſe Gewerke noch wenig Verbreitung gefunden. Oftmann, a. a.D. 
Hausmann, ©. 72. 


Zweite Abtheilung. , 
Pflege der Landwirthſchaft. 


@inleitung. 


8. 44. 


Die anfängliche Geftaltung ber Landwirtbfchaft, in welcher 
diefelbe hauptſaͤchlich als Mittel zur eigenen Berforgung ber 
Landbauenden diente, erfcheint als hoͤchſt unvollfommen, wenn 
man fie mit einem Tunftmäßigen Betriebe vergleicht, welcher 
wifienfchaftliche Kenntniffe, reichliche® Capital und großen Fleiß 
zu Hülfe nimmt. Für dad Verhalten der Staatögewalt in 
Bezug auf die Landwirthichaft im Allgemeinen laffen fich fol 
gende einleitende Saͤtze aufftellen. 

1) Die Landwirthfchaft erfüllt ihre Beſtimmung in ber 
Volkswirthſchaft am vollkommenſten, wenn fie dem Lande mit 
Hülfe der Kunft die größte Menge werthvoller, zur Befriedi⸗ 
gung verfchiedener Bebürfniffe dienender Pflanzgens und Thier⸗ 
ſtoffe abgewinnt (a). Ihre Ausbildung ift eine wichtige Bes 
dingung des Bolfswohlftandes (I, 6. 361) und muß daher 
von der Regierung als höchft erwuͤnſcht betrachtet werben. 

2) Die Landwirthſchaft ift nirgends fo volftändig aus⸗ 
gebildet, daß fie nicht bald in einzelnen Zweigen, bald in eins 
zelnen Landestheilen noch beträchtlicher Fortfchritte fähig wäre. 
In vielen Ländern und Gegenden aber wird ſie mit einem 
geringen Grade von Kunft, Fleiß und Gapitalaufvand bes 
trieben, die natürlichen Kräfte werden mangelhaft benugt und 
der Ertrag bed Bodens ift weit kleiner, als er leicht fein 
tönnte (5). 

3) Das wünfchenswerthe Kortfchreiten der Landwirthſchaft 
erfolgt aber, wenn biefelbe fich felbft überlaffen bleibt, ziemlich 
langfam. Manche Hinberniffe ftehen im Wege, die nur burd) 
die Regierung befeitigt werben fönnen. Die Mehrzahl der 
Landwirthe iſt nicht von regem Wetteifer in ber Ausbildung 


ber Betriebsart erfüllt und bei ber maflenhaften Erzeugung 
fällt das angeftrengte Mitwerben hinweg, welches in anderen 
Gewerben zwifchen den einzelnen Unternehmern befteht. Daher 
hängt ber Zuftand der Landwirthfchaft in einem Lande großen 
theil8 von den Regierungsmaaßregeln ab, die ihr Schug und 
Unterftügung gewähren, und bie Erfahrung zeigt, daß nicht 
gerade die von der Natur am meiften gefegneten, fondern die 
am beften regierten Länder am fchönften angebaut find (c). 
Die Pflege der Landwirthſchaft durch die Regierung iſt auch 
in neuerer Zeit in den meiften Laͤndern, namentlich in Deutfch- 
land, mit vorzüglicyer Sorgfalt geübt worden, indem wiflens 
fchaftliche Forſchungen und Erfahrungen von vielen Seiten 
mit einander in Verbindung gefegt wurben (d). 


(a) Die hohe Entwicklung der Landwirthſchaft drüdt ſich ſowohl in ber 
Größe bes rohen als des reinen Ertrages von einer gegebenen Fläche aus. 


(6) Die landwirtsfchaftlihe Statiftif Liefert zu dieſen Sägen zahlreiche 
Belege, 3. B. in der Menge des Brachlandes, in der Größe des Vieh: 
flandes, in bein Ernteertrage eines Morgens Ader und Wiefe. Mehrere 
beutfche Länder Haben 2100—2200 Stüd Rindvieh auf der D.:Meile. 


(0) Sovellanos, a. a. O. ©. 14—16. — Ein auffallendes Beifpiel 
bievon giebt Portugal, wo ungeachtet eines höchft milden Klimas doch 
bie eine Hälfte des Landes übe liegt, die andere großentheile nur 
ſchlechte &emeinweiden enthält. Balbi, Essai statistique sur le 
royaume de Portugal, I, 73, 109, 148, 236. 


(d) 1) Meber die Landwirthichaftspflege im Allgemeinen: Dithmar, 
Bolizei des Aderbaues, herausg. von Schreber. Leipzig, 1770 — 
A. Doung, Politifche Arithmetik, aus dem &. Königeb. 1777 (ge: 
bört dem Inhalte nah hieher). — Frank, Syftem ber landwirth: 
fchaftlihen Polizei. Leipzig, 178991. IL. B. — Rüdiger, Staats 
lehre, UI, 22. — v. Berg, Handbud IH, 243. — Lips, Principien 
der Ackergeſetzgebung, I. 2. Nürnberg, 1811. — de Jovellanos, 
Gutachten der öfonom. Geſellſchaft zu Madrid über bie ihr vorges 
legten Entwürfe zu einer landwirthſchaftlichen Geſetzgebung, überf. von 
5. v. Beguelin. Berlin, 1816 (1825). — Steinlein, Agri- 
culturae laus, incrementa et impedimenta. Landish. 1825. — Bülau, 
Der Staat und der Landbau, Leipzig, 1834. — Elsner, Bolitik 
der Landw. Stuttg. 1835. IL — Rother, Volkswirthſchaft, 2. Bd. 
2) Ueber Geſetze und Einrichtungen einzelner-Staaten: von Berg, 
Handb. VII, 1—410. — Mofer in deflen Rationalöfonomen, IL Jahrg. 
2.3. ©. 449. — Schrader, Agraria der preuß. Monardie, d. 1. 
Sufammenfellung aller über Landescultur...... ergangenen Gefeße und 
Berorbnungen. agreburg, 1821. — Kresfhmer, Concordanz der 
preuß. agrarifchen Geſetze. Danzig, 1830. — Danz, Die agrariichen 
Geſetze des preuß. Staats. Leipzig, 1836—40. VB. in VI Theilen. — 
Hering, Ueber die agrarifche Geſetzgebung in Preußen. Berl. 1837. — 
wönniges, Die Landeulturgefepgebung Preußens. Berl. 1842. — 
Koh, Die Ngrargefehe des preußifhen Staats, 3. Ausg. 1843. — 
Lette und v..Rönne, Die Lanbesculturgefebgebung bed preußifchen 





Staates. Berlin, 1853. III B. — Shopf, Die Landwirthſchaft in 
den deutichen, böhmifchen und galizgifchen Provinzen des öfterr. Kaiſer⸗ 
Raats in ihrer gefeßlihen Berfaflung dargeflellt. Wien, 1835, II. — 
v. Elofen, Krit. Zufammenftellung der baier. Landesculturgeſetze. 
Ründen, 1818. — v. Dasıl, Sendichreiben über den Entwurf des 
Gefehes für landw. Gultur. Münden, 1822. — Rudhart, Ueber 
ten Zuftand des K. Baiern, I, 165. — v. Bofe, Sammlung ber 
wicht. Landesculturgefehe des K. Sachen, Dresb. 1850. (alphabetiich 
geordnet). — Reuning, Die Entwidlung der fähfiihen Landw. in 
den Jahren 1845—54. Dresd. 1856. — Goldmann, Die Geſetz⸗ 
gebung des Gr. Heflen in Beziehung auf Befreiung des Brundeigens 
thums ıc. x. Darmfl. 1831. — Fournel, Lois rurales de la France, 
&L 5me par Rondonneau. Paris, 1823. IIB. — Chevrier- 
Coureelles et Puvis, Observations sur les principales questions 
qui doivent faire partie du code rural. P. 1836. — Gevers Doy- 
noot, De summi imperantis Belgici cura ad promovendam agricul- 
taram. Lugd. 1830. — Stolle, Studien über die Hebung der Landes⸗ 
cultur im K. Belgien, 1850. — Vorzuͤglich lehrreich find die Ber: 
handlungen der landwirthſchaftlichen Congreſſe in Frankreich, welche feit 
1844 jährlich in Paris gehalten werden, 6. 45 (e). — Die Verhand⸗ 
lungen des Congreſſes von Abgeordneten deutfcher Iandwirthichaftlicher 
Bereine zu Frankfurt im Rov. 1848 find in Darmfladt 1849 in Drud 
erfhienen. — v. Lengerke, Bericht über den Gongreß der Vertreter 
der landw. Haupfvereine aller preuß. Provinzen, Berlin, 1850. II 2. 
auh als Supplement von des Verf. Annalen (wird in den folg. 88. 
als Br. Congreßbericht angeführt). 


Erſtes Hauptftüd. 
Pflege des landwirthſchaftlichen Gewerbes im Allgemeinen. 


8. 45. 


Als die allgemeinften Mittel zur Pflege der Landwirthſchaft 
verdienen folgende genannt zu werben: 

1) Errichtung einer oberften Staatöbehörbe für dieß Geſchaͤfts⸗ 

° gebiet (Abtheilung eined Minifteriums), in der Männer von 
gründliher ftaatswiffenfchaftlicher, volfswirthfchaftlicher und 
gewerblicher Kenniniß wirken (a). 

2) Diefer Oberbehörde muß eine Anzahl von Landwirth⸗ 
idaftöfundigen berathend zur Seite ftehen, welche entweder 
von der Regierung ernannt (db), oder von ben Landwirthen 
gewaͤhlt find, ober theild ernannt, theild gewählt werben. 

3) Sehr vortheilhaft hat ſich eine Vertretung bed land» 
wirtbichaftlichen Gewerbes gezeigt, indem von Zeit zu Zeit, 





befonderd wenn Maaßregeln fehr eingreifender Art beabfichtigt 
werben, einfichtövolle, aus den verfchiedenen Landestheilen ges 
wählte Sachverftändige zu einer Berfammlung einberufen wers 
ven (c). Aus diefer können fodann auch Mitglieder in ben 
fortdauernden Rath (2) gewählt werben. 

4) Herftellung einer genauen und vollftändigen landwirth« 
fchaftlichen Statiftif des Landes (d). 

Die befonderen Beförberungsmittel ber Lanbwirthichaft im 
Ganzen laffen fi) in eine georbnete Ueberſicht bringen, wenn 
man die verfchiedenen Erforberniffe diefed Gewerbes, — Land, 
— Gapital, — Arbeitsfräfte, — Abſatz, — ale 
Gegenftände einer flaatlihen Mitwirfung der Reihe nad) bes 
trachtet und hierauf die aus der Vereinigung aller diefer Bedin⸗ 
gungen hervorgehende Richtung der Unternehmungen 
ind Auge faßt. 


(a) In Eleinen Staaten würde allerdings eine befondere Oberbehörde zu 
foftbar und nicht hinreichend befchäftigt fein. In Preußen befteht eın 
eigenes Minifterium der landwirthſchaftlichen Angelegenheiten. 


(5) Als Beifpiel dient das fog. preußiihe Defonomies&ollegium, 
welches theils dem Minifterium als fachkundige Stelle und zur Aus: 
führung von Aufträgen bebülflich if, theils die landw. Vereine unter: 
ſtuͤtzt, Cabinetsbefehl v. 16. San. 1842. DB. des Minifteriums d. 3. 
2. März, Regulativ v. 25. März 1842. Neues Regul. v. 24. Sun. 1859. 
Das Defonomie: Collegium ift die Gentralftelle der landw. Technik 
und hat die Beilimmung, das Minifterium der Landwirthfchaft zu 
unterflüben. Zu den außerorbentlichen Ditgliebern gehören die Praͤ⸗ 
fidenten ber landwirthſchaftlichen PBrovincialvereine. Das Kollegium 
fteht lediglich mit dem genannten Minifterium in Geſchäftsverkehr. 
Die Berhandlungen diefes oberften Lanbwirthichaftsrathes werden regel⸗ 
mäßig mitgetheilt in den Annalen der Landw. ıc. feit 1842, heraus 
gegeben zuerfi von v. Xengerfe, dann von Lüdersdorff, feit 
1860 von v. Salviati. 


(6) Breuß. Congreßbericht, I, 301. 492, II, 344. 413. Sührlicher Congress 
contral d’agriculture in Paris feit 1844. — Belgifcher oberfter Land⸗ 
wirtbfchaftsrath aus 18 Mitgliedern, deren je 2 von jedem landwirth⸗ 
ſchafilichen Provincialausihuß gewählt werden. Berorbn. v. 30. Aug. 
1850. — Saͤchfiſcher Eulturtath 


(d) Preuß. Eongreßberiht, I, 40. I, 91 (Entwurf einer folden Sta- 
tiſtik). — Vorzüglich ſchaͤzbar find die amtlichen landw. Befchreibungen 
einiger franz. Dep. feit 1843 und bie belgifche Statiftif der Landwirth⸗ 
fhart nah dem Zuſtande v. 1846. 


I. Maaßregeln in Bezug auf die Ländereien. 
4. Rechtliche Berhältniffe. 
1. Bäuerlihes Verhbältniß. 


$. 46. 


Die meiften Heineren Landwirthe in Deutfchland und vielen 
anderen europäifchen Ländern befanden ſich feit Jahrhunderten 
in Beziehung auf die Ländereien, bie fie bewirtbfchaften, in 
einem mittleren Zuftande zwifchen bloßer Zeitpacht und vollem 
Eigenthum, indem fie zwar ein dauerndes Recht auf ihr Land 
hatten, aber durch die Befugniffe eines Guts⸗ und Zehntherrn 
mehr oder weniger befchränft waren (a). Ein ſolches Ber: 
hältniß entftand theils in einer Zeit, wo es für die Zeitpacht 
noh an Capital und Geldverfehr fehlte, dadurch, daß reiche 
Grundbefiger einen Theil ihres Landes unter der Bedingung 
gewiffer Leiftungen an Arbeiterfamilien überließen, theild auch, 
indem manche anfangs freigeivefene Grundeigner allmälig in 
Abhängigkeit von mächtigen Grundherren geriethen und folg- 
ih die Lage vieler Bauern fih im Laufe ber Zeit ver 
ſchlimmerte. Mit den privatrechtlihen Befugniflen der Gut 
herren verband fid) eine obrigfeitliche Stellung berfelben, indem 
ihnen namentlih eine ®erichtsbarfeit und Polizeigewalt zus 
fand, auf bie fie ſchon wegen bed mehr geficherten Eingehens 
der bäuerlichen Leiflungen Werth legen mußten (d). Während 
es der Geſchichte und Wiffenfchaft des bürgerlichen Rechte ob» 
liegt, die verfchiedenen Abftufungen und Geftaltungen dieſes 
bäuerlichen VBerhältniffes in einzelnen Ländern, Ge 
genden oder Drtfchaften zu erforfchen (c), muß die Volkswirth⸗ 
Ihaftspolitif dagegen die gegebenen VBerhältniffe der Bauerns 
güter nach ihrem Einfluß auf die Production würdigen und 
den Weg bezeichnen, auf welchem bie darin vorkommenden 
Uebelſtaͤnde in einer gerechten unb zweckmaͤßigen Weife befeitiget 
werben konnen. Diefer großen, wichtigen und fchwierigen 
Maapregel iſt im jegigen Jahrhundert von ben europälfchen - 


q 


Regierungen fehr viel Fleiß und Nachdenken zugewendet worben, 
und in Yolge der auf biefen Zwed gerichteten Geſetze ift das 
alte bäuerliche Verhaͤltniß fchon großentheild verfchwunden. 
Die Kenntniß des Weges, der hiezu in verfchiedenen Ländern 
eingefehlagen worden ift und ber theild wirklich befolgten, 
theild empfehlenswerthen Grunbfäge muß in ber heutigen Volks⸗ 
wirthfchaftspolitif noch eine Stelle einnehmen, wenn glei) das 
Werk größtentheild ſchon ganz vollbracht ift, weil dieß noch 
nicht überall gefchehen ift und weil manche Rachwirfungen ber 
Ablöfung noch eine Zeit lang die Behörden befchäftigen (A). 
Die Abhängigkeit der bäuerlichen Wirthe von anderen Berfonen 
kann fich beziehen 
1) auf die Verfügung über das Gut und befien Vererbung, 
db. i. auf dad Nutzungsrecht, 
2) auf die jährlichen Keiftungen an einen Guts⸗ oder 
Zehntherren, welche beftehen 
a) in der Berrihtung von Arbeiten, — Frohnen, 
b) in Abgaben, welche den Berechtigten zum Theilnehmer 
an dem KReinertrage machen. 
(a) Auh außer Buropa findet fih biefer Zuftand, 3. B. in Mingrelien, 
am Indus, in Canada ıc. 
(6) Namentlich durch Ausbildung der Brbunterthänigfeit. 


() Mittermaier, Grundfäße, $. 80. 480 ff. — Zu den Unterfuhungen 
über die bäuerlichen Berhältniffe von rechtlicher und volkswirtbfchaft- 
licher Seite gebören unter anderen: Stüve, Weber die Laften des 
Grundeigenthums in Rüdfiht auf das Könige. Hannover, 1829. — 
Lünzel, Die bäuerlichen Laſten im — Hildesheim. 1830. — 
v. Hodenberg, Welche Gründe verlangen die Aufhebung bes Zehnts 
Meiernerus? Hannover, 1832. — Sommer, Handbuch über Die 
bäuerlichen Rechteverhältnifle in Mheinland : Weftphalen, I, 1830. — 
Zahariä, Der Kampf des Grundeigenthums gegen die Grundherr⸗ 
lichkeit. Heidelberg, 1832. — Mofer, Die bäuerlichen Xaflen der 
MWürtemberger. Stuttgart, 1832. — Bernhardi, Verſuch einer 
Kritif der Gruͤnde, die für großes und Feines Grunteigenthum an- 
geführt werden. 1847, ©. 522 (Sranfreih) und 577 (Sngland). — 

elſch, Ueber Stetigung und Ablöfung der bäuerlichen Grundlaften. 
Landshut, 1848. — Kette, Ginleitung zum L Bande des $. 44, (d) 
Nr. 2 genannnten Buches. — Rofcher, Volksw. II, 150. 


(d) Die aus diefem Zweck bervorgegangenen gefehlichen Maaßregeln werben 
neuerlich öfters mit dem Namen Agrargefepe belegt. Die in 
F. 44 Note (a) Nr. 2) angeführten Schriften befchäftigen ſich größten- 
theils mit diefem Gegenftande. — In mehreren deutihen Staaten find 
neuerlich Geſetze über bie Umgeftaltung oder Ablöfung aller dieſer 
bäuerlihen Berhältniffe zugleich erlaffen worden. Diefe Hauptgefeke, 
die in den folgenden 65. nur mit den Namen des Landes bezeichnet 


u 


werden, find: Preußen, neues Beieh v. 2. März 1850. (Brübere 
Hauptbeſtimmungen 1) für nicht erblihe Bauerngüter, Woiet vom 
14. Rai 1811, 2. Abſchn. 6. 35 ff., 2) für erbliche aber nicht eigen: 
tgümliche, ebd. 1. Abfchn., 3) für eigentgümliche Güter, Bel. 7. Sun. 
1821.) — Baiern, Gef. 4. Sun. 1848 (GBrläuterung beflelben in 
Dollmann, Die Geſetzgeb. des Könige. Baiern unter Marimil. IL 
2. Heft, 1852). — Württemberg, 14. April 1848. — Hannover, 
Abloͤſungsgeſetz v. 23. Jul. 1833. — Sadfen, 17. März 1832. — 
Weimar, 3. Jun. 1848. — Deflerreih, Patente v. 17. Sept. 
1848 und 4. März 1849 und die Grundentlaftungsgefepe für einzelne 
Provinzen, Böhmen und Mähren 26. Jun. 1849, Sclefien 10. Jul., 
Tirol 15. Aug., Galizien 15. Aug., Iflrien 7. Sept., Steiermatf, 
Kaͤrnthen, Krain, 12. Sept., Deftar. ob der Enns 4. Det. 1849, 
Niederoͤſterr. 13. Febr. 1850. — Oldenburg, Gef. v. 14. Oct. 1848 
(für die aus dem guts⸗ und Ih upberzlichen Berbande berrührenden 
Laſten der Hofhörigen und Heimfallspflichtigen) und 11. Febr. 1851 
(für andere Laflen). — Naffau, 14. April 1849. — In anderen 
Ländern, 3. B. Baden, find mehrere Osithe über einzelne Theile des 
bäuerlihen Berhältnifies zu verfchiedenen Zeiten erlaflen worden. — 
Judeih, Die Grundentlaftung in Deutichland feit 1830 in Leipz. 
Zeitung, Beilage 1859. Nr. 86. 1861 Mr. 23. 


a. Art des bäuerlihen Nutzungsrechts. 


g. 47. 


Das Nugungsredht der Bauern auf ihre Ländereien ift bald 
ein wahres, aber belaftetes Eigenthum, bald fchließt ed nur 
ſolche Beftandtheile deſſelben in fich, die im beutfchen Rechte 
ald Augeigenthum betrachtet und dem Obereigenthbum des Guts⸗ 
bern entgegengefeßt werben (a), — bald endlich kann es nicht 
mehr al8 Eigenthum gelten. In Hinfiht auf Vererbung und 
Berfügungsgewalt laſſen ſich folgende Abftufungen annehmen: 

1) Manche Bauerngüter find dem Rechte nad) nicht erblich 
und werden dem Befiger nur auf Lebenszeit (5), ober auch 
niht einmal fo lange belaflen (c), ohne doch darum bloße 
Pachtgüter zu fein, weil ber Uebergang an die Erben unter 
gewiſſen Läftigen Bedingungen gewöhnlich geftattet wird, weil 
femer kein einfacher Geld» oder Naturalpachtzins, fondern bie 
üblichen bäuerlichen Leiftungen vorfommen (d), und weil das 
Siniehen ber Bauerngüter den Gutsherren meiſtens nicht ers 
aubt iſt. 

2) Es findet Bererbung in eingefchränftem Maaße ftatt, 
+ B. auf eine gewiffe Zahl von Gefchlechtern (e), fo daß 
unter gewifien Umftänden der Heimfall ober die Einziehung 
vorbehalten iſt (f), ober 


N 


8) hie Vererbung ift zwar unbebingt, aber bie Berpfän- 
bung und Veräußerung von ber Genehmigung des Gutsherrn 
abhängig und bei Erbs und Kauffällen bie Entrichtung einer 
in einem gewiſſen Theil des Gutswerthes beflehenden Gebühr 
(Handlohn) vorgefchrieben. 


(a) Mittermaier, Priv. R. I, $. 156. 


(5) Biele norbdeutfche Meier waren bisher. ohne Erbrecht; fo aud die 
baierifchen Leibrechtsgüter, die jedoch nach herlömmlicher Weife auf 
einen Erben gingen. Die Vererbung der bad. Schupflehengüter 
war bisher ebenfalls nicht gefichert, da der Lehenbrief immer den 
Heimfall nady dem Tode des Lehenmannes oder feines nädhften Erben 
ausdrücklich vorbehielt, indeß iſt bievon faft nie Gebrauch gemacht 
worden. von Gaisberg, Beleuchtung ber Rechtsverhältniffe bei 
Schupflehen. Stuttgart, 1823. Berhandlungen der beiden Kammern 
in Baden von 1833. 


(e) Güter auf Herrengunft; Freiſtift in Baiern. 

(d) Sie find entweder fe, oder der Bigenthümer hat Befugniß, fie beim 
Wechſel des Befipers zu fleigern. Bezeichnung biefer Glaffe von 
Gütern im oreußik en Gdict vom 14. Sept. 1811. $. 35. 


(e) 3. 3. die pfälzifchen Erbbeſtaͤnde, die auf drei &enerationen vererbt 
wurden, und die pfälzifhen Leibgebingsgüter, die nur auf einen ein: 
zigen Befiger, oder auf ein Ehepaar, oder auch auf die namentlich 
aufgeführten Kinder -befielben verliehen wurden, und bei deren Verlauf 
oder neuer Berbriefung für ein Kind und deſſen Yamilie 1/s oder 1,3 
des Gutswerthes als Gebuͤhr gefordert wurde, und bisweilen fogar 
die Hälfte, wenn der Heimfall nahe bevorftand. Es waren meiftene 
Meinberge, bei denen ftatt eines feſten Zinfes ein gewifler Theil des 
Rohertrages (1/3) entrichtet wurde. Natürlich iſt es, daß fie in ber 
legten Zeit vor dem Heimfall oder der Erneuerung fehr vernachläſſiget 
wurden. Bogelmann in Rau, Archiv V, 137. — In Medlienburg 
wird der Bauernhof dem älteften Sohne, oder wenn dieſer Fein tüdy: 
tiger Wirth ift, einem jüngeren, oder wein Söhne fehlen, einem 
Tochtermann übertragen, Seitenverwandte werden nicht berüdfichtiget. 
Bollbrügge, Das Landvolf im Großherzogthum —— 1835. 
S. 34. H uneingekauften Bauerngüter in Böhmen, Mähren, 
Galizien, öfterr. Schlefien vererbten ſich nur an Kinder, durften aber 
nicht veräußert oder verfchenft werden. Schopf, I, 82. 


(N) 3. B. in Bremen und Berben durfte der Hof eingezogen werden, 
wenn ihn der Qutsherr zur Wohnung brauchte, und derſelbe hatte 
bei dreijährigem Rückſtande das Gjectionsreht. Stüve, ©. 135. — 
In Mediendurg wird derjenige vom Gehöfte entfegt, welcher eine 
ſchlechte —539— fuͤhrt und ſeine Obliegenheiten nicht erfüllt. — 
Der ungariſche Bauer durfte vertrieben werden, wenn er die auf ſeinem 
Gute oe Abgaben nicht zu tragen vermochte oder wiederholt 
wiberfpenflig ober ausfchweifend war. Der eingezugene Hof mußte 
jebody einem anderen Bauer übergeben werben. 


6. 47 a. 


Der große Nutzen eines geficherten erblichen Beſitzes mit 
genau beftimmten Rechtsverhältniffen kann feinem Zweifel 


mieliegn. Wo ber Bauer fi einer willfürlichen Steigerung 
ber jährlichen Entrichtungen audgefegt fieht (a), oder wo er 
nicht die Gewißheit hat, daß das But auf feine Erben kommen 
werde, oder vollends wo er nicht einmal felbft auf lebens⸗ 
laͤnglichen Befig rechnen kann und im Falle der Vertreibung 
aus demfelben fich nicht als Pachter auf anderen Gütern fort- 
wubringen weiß, da finft er leicht in Muthlofigfeit, Erfchlaffung 
md Müßiggang; er fcheut jede Ausgabe und Bemühung, 
deren Fruͤchte nicht in kurzer Friſt zu reifen verfprechen; er 
wird weder Bäume pflanzen, noch Sümpfe austrodnen, fteile 
Abhaͤnge in Terraſſen bringen, Wafferleitungen anlegen, Erbe 
aufführen, feine Gebäude in befferen Stand feßen ıc. I, 8. 376, 
378 — (6). Diefer Zuftand ift für die Gütererzeugung in 
hohem Grabe nachtheilig, zugleich aber ift bei einem auf erb- 
lihen Gütern anfäffigen Bauernftande mehr Anhänglichkeit an 
dad Vaterland, mehr Sinn für geſetzliche Ordnung, mehr 
Diederfeit und Zuverläffigfeit zu erwarten, fowie berfelbe ſich 
auch eined geficherten, dauernden Wohlftandes erfreut (ec). 
Bährend bei reinen Zeitpachtungen ven @igenthümern nicht 
zugemuthet werden darf, den PBachtern ein über die gewöhnliche 
Pachtzeit hinausreichendes Recht auf die Benutzung des Landes 
zu verleihen (d), ift dieß da zuläffig, wo offenbar ein bäuer- 
liches Verhaͤltniß vorliegt, wo die Vererbung ſchon häufig vor⸗ 
fommt und der Gutsherr dad Bauerngut nicht zu eigener Bes 
mung an fich ziehen darf (e). Unter ſolchen Umfländen barf 
geieglich beftimmt werben, daß von den Bauern für eine 
gewiſſe Entfhäbigung des Gutsherrn dad volle Erbrecht er- 
worden und alle Heimfälligkeit (Cabucität) aufgehoben werben 
* Kimme (f). Iſt nur die Veräußerung und Berpfändung an 
tie Zuftimmung des Gutöheren gebunden ($. 47, 3)), fo muß 
dieß gleichfalls als eine läftige Befchränkung betrachtet werben, 
die jedoch nicht ohme die Ablöfung oder Umwandlung der jährs 
hen bäuerlichen Laſten zu befeitigen ift. Uebrigens fprechen 
obige Bründe auch für die Umwandlung ber Ritterlehen in 
freies Eigentum (Allodificirung), welche nach gleichen 
Regeln geftattet werben fann (9). 

(e) Dei den Meiergütern im Fürſtenthum Göttingen konnte nad 3, 6 


oder 9 Jahren ber Zins gefleigert werden, und dennoch waren fie 
Rau, yolit. Dekon. IL 1. Abih. 5. Audg- 7 


(2) 


(e) 


feine bloßen Pachtguͤter. Stüve, ©. 119. — Achnlih in Medien: 
burg, Bollbrügge, ©. 33. 


Klagen über die Trägheit ber medlenburgifchen Bauern; — „eine 
fortdanernde Indolenz, welche der Ginführung vollfommener Wirth: 
ichaftseinrichtungen und dem Aufblühen eines fiherer begründeten Wohl: 
ftandes in dieſer Claſſe allenthalben in den Weg tritt. Die Urfache 
diefer betrübenden Erſcheinung ıft der Mangel gefeßlicher Normen über 
die bäuerlichen Verhältnifle"; v. Lengerke, Darftellung der Land⸗ 
wirthichaft in dem Großh. Medlenburg. 1831. I, 110. — Boll: 
brügge, ©. 37. 


Die bloße Aufhebung der Leibeigenfchaft, wenn dem Bauer nicht zus 
leih ein Anrecht auf das Gut verfhafft wird, ift eher eine Ver⸗ 


ſchlimmerung als eine Berbeflerung feiner Lage, weil er nun neue, 


vielleicht Täftigere Berträge mit dem Gutsheren eingehen muß und 
diefer nicht mehr ſchuldig ift, den verarmten Bauer zu unterflüßen. 
Bol. v. Eöln, Der Bauer in Preußen, in Gurop. Annal. 1816. 
VI, ©. 239. — Ueber den fchlechten Zuftand der preuß. Laßgüter f. 
Thaer, Ann. des Ackerb. Webr. 1808. — Vgl. Simonde, Nourv. 
prince. I, 158. 165. — Obiger Uebelftand wird auch in den ruffifhen 
Oftfeeprovingen empfunden. Die Bauern find Zeitpachter geworben, 
beren Leiftungen anfänglich in Frohnen beftanden, neuerlic, aber meiftens 
in einen Pachtzins umgewandelt wurden, und ftehen unter der Polizei: 
gewalt des Gutsherrn. Die Schrift: „Zur Gmanecipationsfrage bes 
ruf. Volkes. Die Zuftände des freien Bauernflandes in Kurland“ 


(Leipz. 1860) entwirft ein düfteres Gemälde, deſſen thatſaͤchliche Un— 


rihtigfeiten widerlegt werden von Neumann, Zur Berichtigung einiger 
der auffallendften Unrichtigfeiten sc. Mitau, 1860. — Auch im eigent: 
lihen Rußland ift es als nothwendig anerfannt worden, bei der Auf- 
bebung der Leibeigenfchaft den Bauern zugleich erblihen Grunbbefiß 
für eine angemefiene Gegenleiftung zu verichaffen. Nah den ruffi- 
fhen Gefegen vom 19. Februar 1861 (vgl. $. 19 (d)) erfolgt Die 
Umwandlung des bäuerlihen Verhältniſſes in zwei Schritten nach ein- 
ander. 1) Der Gutsherr behält das Bigenthum, der Bauer erhält aber 
den Hof und eine gewifle Fläche Land zur erblichen Nutzung gegen 
Uebernahme einer beftimmten Menge von Frohnen oder einen Geldzins, 
Obrok. Zum Hof (enelos) gehören Gebäude, Gärten, Hanf» und 
Hopfenftüde, Hofpläße ıc. Die zu überweifende Landfläche ift nach ben 
Landestheilen verfchieden,, es ift ein maximum beftimmt, ?/s beflelben 
bildet das minimum. Das bisher benubte Land bleibt dem Bauern, 
wenn es das max. nicht überfteigt. Beträgt es unter dem min., fo 
wird e8 bis zu dieſem vermehrt oder die Gegenleiftung des Bauern 
vermindert. Dem Gutsherrn foll 4 des ertraggebenden Landes ver: 
bleiben, nur dürfen die Bauern ni P unter das min. fommen. Das 
max. geht in einigen Steppengegenden bis 7, 10 und 12 Defijätinen, 
meiftens iſt es 3—5, nur in 2 Bezirken unter 2 Deſſ. für jede 
männlihe Seele (1 Def. = 3 bad. = 4,%% pr. M.). Dem 
max. des Landes entfpricht ein max. des Obrofs von S—12 Rub. von 
ber männl. Seele oder 40 Manns- und 30 Frauenfrohntagen jährlich, 
und zwar 3/5 diefer Zahl im Sommer. — 2) Der Bauer kann das 
Gigenthum erwerben und damit aus dem Zuflande des proviforifch 
Berpflichteten (temporairement obligo) in den eines freien Bauern 
mit Eigenthum übergehen. Zum Anfauf des Hofe ift er berechtigt, 
wenn er von dem auf diefen Fommenden Theil des Obroks (11, is 
31/a Rub. für die männl. Seele) das 16%yfache bezahlt. Der Anlauf 
des übrigen Landes hängt in der Megel von ber Suftimmung des Guts⸗ 
beren ab. Der Staat übernimmt es, bemfelben das 16° fache bes 














— 09 — ' 


Obrofs in 5proc. Schulbbriefen auszuliefern, wofür bie Bauern 6 Proc. 
der Summe an Zins und Tilgebetrag entrichten. Geht der Bertrag 
ber Gemeinde mit dem Butshern auf eine größere Anfaufsfumme, fo 
iR das Weitere Gegenſtand ter Uebereinfunft beider Theile. 


(4) Die Häufige Bertreibung der Pachter in Schottland und Irland, wie 
früher in England, um bie Güter zu vergrößern und eine andere 
Bodenbenutzung, insbeſondere Schafzucht einzuführen, oder fogar Wild: 
parfe anzulegen, hat zu vielen Klagen Anlab gegeben, wobei jedoch zu 
bedenken ift, daß das Klima des fchottifchen Hodlandes den Aderbau 
ſehr erſchwert und von Alters her dort Armuth einheimiſch war. Edinb. 
Review Nr. 216. .©. 461. — Roſcher, U, 183. Trauriger Zu: 
Rand der Fleinen irländijchen Zeitpachter, teren Mitwerben bei ber 
rafhen Volksvermehrung den Pachtzins unmäßig fleigerte, I, $. 377 (ec). 
Reuerlih if dort ein lebhaftes Verlangen nach einem unveränberlichen 
Bachtzinfe rege geworden. Würten bie Grundeigenthümer in eine 
Maaßregel willigen, welche den Landleuten ein erblihes Nutzungsrecht 
mit feftem Zinſe verfchaffte, fo wäre dieß von unberechenbar wohl 
thätigen Folgen. — Aehnliche Pachtverhältniffe auf den agorifchen und 
ten canariihen Infeln. 


(e) Dieß fog. Niederlegen der Bauernhöfe ift durch viele Landesgefege 
unterfagt. In Schleswig und Hofftein beftimmt das Geſ. v. 19. Dec. 
1604 (über die Aufhebung ber Leibeigenfhaft), daß die Zahl der 
bäuerlichen Stellen auf jedem Gute erhalten werben foll. Um einzelne 
Srundftüde zum Hoffeld zu ſchlagen, iſt obrigfeitlihe Genehmigung 
und ber Beweis erforberlih, daß die verkleinerten Stellen noch ale 
ganze, Halbe sc. Hufen betrieben werden koͤnnen. 


N Bie die Entihädigung des Gutsherrn abzumeflen fei, bieß laßt fich 
nur nach den gegebenen Umſtänden beurtheilen, z. B. nach der Größe 
ber Summe, mit der man den Fortgenuß des Gutes erfaufte. Die 
Gefege müflen genau beflimmen, bei welchen Gütern die Cigenthums⸗ 
perleibung Rattfinden folle, wie die Entihädigungsfumme auszumitteln 
fei x. o von dem Heimfall felten Gebrauch gemacht wurde, fo daß 
feine brauchbaren Anhaltspuncte zur Berechnung vorhanden find, da 
iR aud die in mehreren Staaten neuerlich vorgefommene unentgeldliche 
Aufhebung zu rechtfertigen. — Das baier. Edirt vom 28. Juli 1818 
bob $. 8i—83 die Heimfälligfeit (Kadueität) der Zinsgüter auf und 
räumte dem Gutsherrn blos die Klage auf Schadenerfan ein in Fällen, 
die fonft den Heimfall begründet hatten. Nah der B. v. 27. Juni 
1803 und fpäteren fonnte ber Beſitzer eines Leibrechtögutes (wo nur 
der Grundholde Iebenslänglichen Befig bat), eines Neu: und Freiſtifts⸗ 

tes (in jenem iſt nur her Beſitz auf Lebenszeit des @utsheren ge: 
Ädert, in diefem ift er völlig widerruflich),, wenn ber Staat das Ober: 
eigenthum hat, gegen Entrichtung von !/s bes Gutswerths das Cigen⸗ 

um erlangen und zugleich das Handlohn befeitigen ; übereinflimmenbd 
it 5. 59 des Eulturgefeß- Entwurfes in Rubbart a. a. O. ©. 202. — 
Im preuß. Staate wurde ven Bauern auf den Domänengütern in Oft: 
und Weſwpreußen und Litthauen das Erb⸗ und Dispofitionsreht unents 

blich verliehen, V. v. 27. Zuli 1808. Das Epict über bie Regus 
irung ber bäuerlichen Berhältniffe v. 14. Sept. 1811 und die zugehörige 
Declaration vom 29. Mai 1816 orbnen auch bie Unwandlung ber 
nicht erblichen Bauerngüter in erblihe an, und das @inziehen durch 
den Gutsherrn ift (6. 77 des 2. Edicts) nur erlaubt, wenn ein Bauerns 
hof erledigt if, fo daß feiner Perfon ein rechtlicher Anſpruch auf fie 
zufteht. — * — Verordnungen verbieten das willkuͤrliche Cinziehen 
(Danz, U, 141 ff. Rod, ©. 66). Doch hat ſich ſchon obige 

® 


Befugniß zum Ginziehen aller erledigten Höfe durch den ausgedehnten 
Gebrauch, den man von ihr gemadt hat, als nachtheilig erwieſen. 
Das Edict von 1811 erlaubte nur das Ginziehen der im Kriege ver: 
ddeten Höfe. Hering, Ueber die agrar. Gef. in Pr., ©. 112. 
Uebrigens bezieht ſich das Edict nur auf ſolche Bauerngüter, weldye 
als Adernahrungen gelten, d. 5. deren Hauptbeſtimmung es ift, 
ihren Inhaber als jelbiiftändigen Aderwirth zu ernähren, im egentap 
von Taglöhnerftellen; das Unterfheidungsmerfmal ift, daß Spannvie 
ehalten wird. Declarat. vom 29. Mai 1816. Art. 4. 5. Bei der 
peciellen Nusmittlung der bäuerlichen Verhältniffe wurde der Heimfall 
erblicher Güter mit 5 Proc., nicht erblicher mit 7/3 Proc. vergütet, 
Decl. A. 69. 82, vgl. Mefer. v. 16. Suni 1821, bei Rod, ©. 61. 
Sn den ehemals weitfälifchen und bergifchen Landestheilen wurbe ber 
Heimfall mit einer Rente von 2 Proc. des reinen Grtrages abgelöft, 
Geſ. v. 25. Sept. 1820. Das neue Gef. v. 1850 hebt g. 2 das 
rund= und gutsherrlihe Heimfallsreht und das Obereigenthum bes 
uts⸗, Grund: und Grbzins: Herren, fowie das Gigenthum des Erb: 
verpachters ohne Entihädigung auf und beftimmt, daß pn bei laͤnd⸗ 
lichen Stellen mit einem anderen Nutzungsrechte, ohne Rüdfiht auf 
Umfang und Beichaffenheit der Befigung, das Cigenthum unentgeldlich 
erworben wird, wenn die Regulirung ber übrigen Berhältniffe vor ſich 
geht, F. 74. 87. — In Baden wurde bei den Domanial: Erblehen, 
die auf Leibeserben und Seitenverwanbte des erflen Briverbers geben, 
1 Proc., bei ſolchen, die nur auf Nachkommen gehen, für den Heim⸗ 
fall (außer wenn derfelbe nahe if) 3 Proc. des reinen Gutswerthes 
bezahlt ac. Bei Domanial-Schupflehen richtete fi die Summe nad 
dem Alter des Lehnmannes, V. v. 11. Mai 1826 und 11. San. 1827. 
Die badischen PBrivatfchupflehen werden erblih, wo die Wiederverleihung 
ſchon erweisliche Obſervanz war, aber die jährlihen Leiſtungen des 
Lehenmannes werden auf 3/5 des Reinertrages erhöht, wenn fie noch 
nicht fo viel betiugen; Geſ. v. 15. Nov. 1833. Nah dem Bel. v. 
21. April 1849 werden alle Erblehen (Erbbeftände) und die nach Dem 
Gel. von 1833 der Familie des lebten Befißers wieder zu verleihenden 
Schupflehen allodiflcirt; der Heimfall wird bei Erblehen mit 1—6 Proc. 
je nad der Art der Vererbung, bei Erbbeftänden auf 3 Geſchlechts⸗ 
folgen mit 4, T und 13 Proc. nach der Zahl der noch übrigen Geſchlechts⸗ 
folgen, bei Schupflehen mit 4 Proc. berechnet. — Nach Stuͤve's 
Vorſchlag wären für den Heimfall 1 oder 1'/a Proc. zu bezahlen, je 
nachdem die Vererbung blos auf männliche oder au au weibliche 
Nachkommen und Seitenverwandte geht, a. a. DO: ©. 173. — Hanno: 
ver, $. 50: für den Heimfall bezahlt man eine jährlihe Rente von 
I/g Pıvc. des Reinertrages, wenn bie Wiederverleifung ohne Erhöhung 
der Laſten geichehen mußte, oder von 1 Proc., wenn die Laſten ge: 
fleigert werden durften oder bie Wiederverleihung gar nicht nothwendig 
war ; in beiden Källen wird das Doppelte gegeben, wofern aud in 
Concurſen ein Heimfall fatt fand. — Sachſen: der Erbpachter kann 
das Eigenthum erlangen, wenn er den jäprlichen Kanon um 5 Proc. 
erhöht, ebenio der Erbzinsmann durch Zulage von 3 Proc. des Erb⸗ 
ginfes. — Der ruſſiſche Ukas von 1842 geftattet den Gutsherren, mit 
ihren (leibeigenen) Bauern über ein Grbpachteverhältniß uͤbereinzu⸗ 
fommen und alfo denfelben einen erblichen Beflg zu geben. — Im 
öfterreihiihen Staate war den Befigern ber uneingefauften @üter 
($. 47 (e)) der Einkauf geftattet, und die Regierung ermunterte hiezu. 
er Preis für die Grwerbung bes erblihen Nutznießungsrechts wurde 
durch Mebereinfunft mit dem Gutsheren beflimmt und gewöhnlid uns 
verzinslih in 20 jaͤhrigen Friſten bezahlt, Schopf, TI, 144. Sept 
gehört das Heimfallsredht zu den Beftandtheilen des unentgeldlich auf: 


— 108 — 


und 2 Deräußerungefälle Neues Gef. $. 42: mie über 3 Fälle im 
Jahrhundert. — Bad. Gef. 5. Oct. 1820: alle 30 Jahre ein Fall. — 
Sadien $. 84, wie im preuß. Gef. v. 1821; nie über 8 Fälle im 
Sahrhundert. — Hannover: 3 Erb: und I Beräußerungsfall im Jahr: 
hundert. Gbenfo Oldenburg, 1848, Art. 35, mit mehreren weiteren 
Befimmungen. — Defterreih, Böhmen, $. 65: alle 25 Jahre ein 
Ball; findet das Handlohn nur bei entgeldlicher Webertragung flatt, 
fo wird angenommen, daß auf 3 Befipveränderungen I ſolche komme. 


$. 50. 


Erheblicher ift der Umftand, daß ber Beſitzer eined hands 
fohnpflichtigen Gutes abgeneigt ift, eine jährliche Laſt zu über- 
nehmen, weil er für feine Perſon feinen entfprechenden Vortheil 
davon zu erwarten bat. Das Erbhandlohn trifft ihn in Feinem 
Falle mehr und er unterwirft fi ungern zu Gunften feiner 
Erben einer Aufopferung, zumal ba er; wenn er dad But 
ererbte, fchon einmal Handlohn gegeben hat. Den Eintritt 
eined Berfaufed denft er ſich als ungewiß und entfernt, und 
macht ſich auch wohl nicht Mar, daß bei der Veräußerung fein 
Erloͤs durch das Hanblohn verkürzt werden wird. Wenn bie 
Geſetze auf dieſen Umftand nicht Rüdficht nehmen, fo wird bie 
Umwandlung durch den freien Willen der Betheiligten nicht 
Hufig zu Stande kommen; fle aber zu erzwingen, ift fein 
jureichender Grund vorhanden. 


8. 51. 


Diefed Hinderniß würbe befeitiget, wenn man ben Anfang 
der Ablöfung bei jedem einzelnen Handlohnpflichtigen fo lange 
ausfepte, bid ein Handlohn fällig geworben ift (a). Hiebei 
iſt es jedoch Läftig, daß die Regulirung langfam von Statten 
geht und ihre Beendigung lange hinaudgefchoben wird, wes⸗ 
bald man verfucht hat, die Ablöfungsrente früher beginnen zu 
lafien und felbft Nachzahlungen für verflofiene Jahre anzus 
ordnen (d). Die Befiper werben fich entfchließen, unter billigen 
Bedingungen von jetzt an jährlich eine geringe Entrichtung zu 
übernehmen, um von dem nächften fälligen Hanblohn jchon 
einen Theil zu tilgen, was ihnen wenigftend bei dem Kauf 
handlohne offenbaren Vortheil bringt, wofern die Rente befto 
niedriger gefept wird, je fürzere Zeit feit bem letzten Hands 


— 108% — 


8 „ einigen Gegenden des badifchen Oberlandes, doch beträgt bie 

(e) 3, Drittelögebühr jest nicht überall noch %s. Andere Namen 

laudemium, Lehnwaare, Wäahrfhaft, Heerdredt, — 

untrittögelb, ehemals relevium (franz. relief); das Sterbhandlohn 

heißt aud Sterbfall, Fallgeld x.; Rau in Berhandl. der bab. 

1. 8. v. 1837, Beil. L, 146 — deſſ. Archiv, III, 334. — In Osne: 

brüd zog der Gutsherr beim Tode des Bauern die Hälfte des beweg⸗ 

fihen Bermögens. Stüve, S. 141. — Im ehemaligen Yürftenthum 

Ellwangen gab es Güter, wo der Erbe mit feiner Frau den Beflg mit 

!/; des Gutswerths erfaufen mußte und bei dem Tode des einen She 

gatten verfiel dem Gutsherrn der halbe Werth! Mofer, ©. 254. — 

om Handlohn ift zu unterfcheiden 1) die ehemalige Abgabe vom 

beweglichen Vermögen beim Tode eines Leibeigenen (Befthbaupt), 

2) bie gabe mit der man bie Nachfolge in dem at eines nicht: 

erblichen Gutes erfauft und welche befhalb von dem Gutsherrn belichig 
feftgefeßt wird, 


() Gr. Soden (Staatsnat. W. L., 3. 90 und Baier. Landtag, ©. 308) 
nimmt das Handlohn in Schuß. 


$. 49. 


Aus biefen Gründen ift es für beide Betheiligte und auch 
in volkswirthſchaftlicher Hinficht nüglich, wenn dad Handlohn 
in eine jährliche, gleichförmige Abgabe umgewandelt wird. Es 
muß zu dieſem Behufe aus der Erfahrung eines langen Zeit. 
raums erforfcht werden, wie oft im Durchichnitt jede Art des 
Handlohns fällig wird (a), um hieraus nach Maaßgabe bed 
beftimmten Entrichtungsfußes (Quote) fowie aus dem Preis 
anſchlage des Gutes die jährliche Abgabe berechnen zu können. 
Das Eintreten eines Erbfalles fteht unter natürlichen Geſetzen, 
Kauffälle aber ereignen ſich hoͤchſt unregelmäßig. Die Um: 
wandlung hat jedoch eigenthümliche Schwierigfeiten. Der 
Pflichtige iſt oft ſchon darum berfelben abgeneigt, weil ex hofft, 
daß durch Gunſt der Schäßer bie Abfchägung ded Gutswerthes 
niedrig ausfallen werde, fo baß er z. B. flatt 10 vielleicht nur 
7 oder 8 Brocent des wahren Werthed zu bezahlen hätte. 
Der Berechtigte dagegen hofft, daß günftige Berhälmiffe im 
Allgemeinen und lanbwirthfchaftliche Verbefferungen den Preis 
ber Güter erhöhen werden. Diefe Erwartungen flehen jedoch 
einander bergeftalt entgegen, daß beide Theile bei reifer Ueber: 
legung die Umwandlung für nuͤtzlich anerfennen müffen. 

(a) Würt. 2. Edict vom 18. Nov. 1817, u. Gef. v. 1848: Alle 25 Jahre 


wird ein Handlohn angenommen. — Preuß. Gef. 25. Sept. 1820, 
$. 46, u. Ablöſ. O. 7. Juni 1821, 8. 33: auf 100 Jahre 3 Erbfälle 





(e) 


— 105 — 


fie nach ber feit ber letzten Gnteihtung, verfirichenen Zeit beſtimmen. 
Dieß Hat den Borzug der Binfachheit. enn 3.3. auf alle 30 Sabre 
ein Handlohn trifft, fo ift die immerwährende Mente, welche in 
30 Jahren zu 100 anwähft, 1,71% fl. Hat Jemand vor 13 Jahren. 
ein folches entrichtet, fo giebt die genannte Rente in 17 Jahren erft 
42,0 ſil. es fehlen alfo zum erften Handlohn noch 57,70 f[., deren 
jeiger Werth 29,787 f. iſt und für welche alfo eine Rente von 
1, fl. Dinzufommt, fo daß im Ganzen von jet an 2,908 fl. zu 
entrichten find. Hätte Semand erft vor 3 Jahren bezahlt, fo brauchte 
er nur eine Rente von 1,975 fl, zu übernehmen. So ift die Vorfchrift 
in 6. 12 des a. bad. Gef. v. 5. Dct. 1820, wozu die Verordn. v. 
21. Auguft 1821 gehört, ferner Oldenburg 1851 Art. 23 und Anlage B. 
4) Man könnte auch das Alter des Ablöfenden und feine wahrfchein: 
lihe Lebensdauer zu Grunde legen, um den muthmaßlichen jeßigen 
Werth des nächſten einfallenden Handlohns und der fpäteren auszu⸗ 
mitteln. Dieß ift in Beziehung auf das Erbhandlohn den individuellen 
Berhältniffen in jedem Kalle genauer entfprechend. 100 fl. Hanblohn 
geben demnach, wenn man annimmt, daß vom naͤchſten Eintritte an 
alle 20 Jahre ein weiterer Fall ſich ereignen werbe, 

bei 20 jährigem Alter ein Bapital von 55,, fl. 

s 30 ⸗ u ⸗ FR. 

: 40 ⸗ 95,7 fl. 

s 50 ⸗ ⸗0 ⸗ ⸗126,5 fl. 
Für dieſe Art der Regulirung Gebhard, Grundſätze für die Aus⸗ 
mittlung des Gapitalwerthes der Laudemien. Brlangen, 1828. 

Die kl Pas wäre leichter, wenn man alle Handlohns . 
pflichtigen ohne Ruͤckſicht auf die Zeit der letzten Gntrichtung gleich 
behandeln wollte, auch wäre dieß für die Gutsherren nicht nachtheilig, 
wohl aber für einen Theil der eingelnen Grundholden unbillig. — 
Bergl. die Schrift: Unter welchen Bedingungen iſt die Ablöfung ber 
Bilten sc. vortheilhaft? Nürnberg, 1822. — Steinlein, a. a. O. 
S. 23. — Rudhart, S. 203 u. 221. 


Ang. fühl. Geſ. $. 86: es wird der jeßige übliche Preis zu Brunde 
elegt und davon !/s abgezogen. — Ang. preußifche Geſetze: Durch⸗ 
—* der letzten 6 Zahlungen. Neues Gel. F. 44: Geſchieht die 
Ginrihtung nad Procenten, fo werden */s bes abgefchäßten gemeinen 
Kaufwerthes angenommen, bei Gebäuden und Inventarienflüden die 
Hälfte, — Weimar, 5. 68: 2/5 des abgeichäßten Werthes — Böhmen, 
$. 63: volle Schägung. 


Breuß. Geſetze, namentlich neues Gef. F. 46: Die Rente ift 1 Proc. 
der auf 1 Sahrhundert fallenden Beträge, alfo bei der Annahme von 
3 Sandlohnefällen in 100 Sahren 3 Proc. eines Handlohns. Diefe 
Rente iſt au 4 Broc. Zins) 75 Proc. eines Handlohne wert, und 
ein Gapital von 75 wädhft mit 3. und 3. 8. in 15 Jahren auf 
136,6 an, welches beiläufig der Werth der verfchiedenen Handlohns⸗ 
Ken von je 100 Jahren in bem Augenblide iſt, wo bie erſte 
ällig wird (f. (4)). Nan hat demnach jene Ablöfungsrente aus ber 
Annahme berechnet, daß noch 15 Iahre bis zum nächften Anfalle vers 
Hießen würden. — Ebenfo Hannover 6. 36, Sachſen $. 87, Weimar 
$. 69, Würtemberg, Oldenburg 1848 Art. 34. In Baiern (Gef. $. 15) 
gelacht die Ablöfung des Obereigentbums und des Laudemiums bei 
eibrecht und Neuftift (f. F. 47 (e)) mit dem Doppelten, bei Freiftift 
und Erbrecht mit dem 11/2 fachen Laudemium. 


gs 


—R 


a a 8 


) 3. B. daß nur das unbetvegliche Vermögen berechnet, und nicht über 


eine gewiffe Zahl von Procenten gefordert werben folle. — In Baiern 


lohnsfall verſtrichen iſt. Die Berechnung wird freilich hierdurch 
verwidelt, doch läßt fie ſich mit Hülfe von Tabellen erleich 
tern (ec). Der Preis eined Gutes, von weldem das Hands 
lohn eine Quote ift, follte nicht allein nad) der gegenwärtigen 
Schägung, die oft etwas Zufällige hat, bemeſſen werden, 
fondern aus dem Durchſchnitte derfelben und der Anfäbe von 
mehreren früheren Faͤllen (d). Statt einer Jahreörente Eönnte 
bie Handlohnpfliht auch mit einem entfprechenden Capitale 
abgefauft werden (e). Wo die Umwandlung nicht zu Stande 
fommt, da muß wenigftend dad Maaß und die Berechnungsart 
des Handlohns durch das Gefeg genau und billig beftimmt 
werden (f). 


(a) Wenn alle 33 Jahre eine Entrihtung von 100 fl. angenommen wird, 
fo ift bei einem Zinſe von 4 oder 3 Proc. der jegige Werth aller 
nach 33, 66, 99... . Jahren fälligen Hanblöhne 36%, oder 58%/5 fl., 
und mit dem neu fälligen zufammen 136%/s oder 158%, fl., wovon 
der Zins 5,4160 oder 4,7% fl. beträgt. 


(5) Die preuß. B. v. 25. Eeyt. 1820 und die Abloͤſ.O. von 1821 8. 50 
verlangten Nachzahlungen der Rente feit dem legten Entrichtungsfalle. 
Das neue Gef $. 45 hebt dies wieder auf. — Nach dem fäht Gef. 
$. 89 beginnt die Ablöfungsrente des Handlohns in der Hälfte ber 
angenommenen Zwifchenzeit Bit dem legten Falle (alfo 3.3. 16%e Jahre 
bei dem Erbhandlohn), und wenn diefe Hälfte ſchon verfloffen it, fo 
findet Racyahlung flatt, jedoch nur bis zum Belaufe eines Hand: 
Iohne. — Weimar, $. 71: die Rente beginnt nad dem letzten Kalle 
mit Nachzahlung, jedoch nur des halben Betrages für die verfloflenen 
Jahre, und wenn es über 25 Jahre find, bes vierten Theiles, und 
nicht über ein volles Handlohn. — Baiern: Anfang bei der nüchften 
Befigveränderung, wobei ein ganzer Handlohnsbetrag entrichtet und 
für den Reſt eine 4—5proc. Rente angefeht wird. 


(e) Hiebei laſſen ſich verfchiedene Wege einfchlagen, wenn man bie Lei⸗ 
flungen jedes Einzelnen genau nah dem Seitpuncte der legten Hand: 
Iohnszahlungen abmeſſen will. 1) Man koͤnnte einftweilen eine jähr: 
lihe Rente anordnen und fpäter bei dem nächften Anfall berechnen, 
wieviel durch fie fhon abgezahlt iſt. Dieb ift wegen der Nothwendig: 
feit einer nochmaligen Ausmittlung nicht empfehlenswerth. 2) Man 
kann die gefeglich angenommene durchſchnittliche Zmifchenzeit zu Grunde 
legen und für die vom legten Anfalle an jebt noch fehlenden Jahre 
eine gewiſſe Rente feſtſetzen, worauf dann nach Berfluß der ganzen 
Zwilchenzeit die dauernde Rente eintritt. Sind 3. B. 25 Jahre an: 
enommen und hat Jemand vor 18 Jahren Gandlohn gegeben, fo 
ehlen noch 7 Jahre. Werden für 100 fl. Hanblohn 4 fl. jährlid 
entrichtet, fo wachſen fie in 7 Iahren zu 32,85 fl. an, wovon die 
Zinfen mit 1,9% fl, von der in (a) bereihneten Rente von 5t/a fl. ab: 
eben, fo daß fie von nun an nur 4,185 fl. beträgt. Alle Grund⸗ 
olden, die das letzte Handlohn in einem und demfelben Sahre bezahlt 
haben, müßten in NAnfehung der Rentenzahlung auf gleichen Buß 
efept werben, damit die Berechnung leichter werde. 3) Dan fann bie 
ß rliche Zahlung ſogleich von jet am ſich gleich bleiben laſſen und 


N 


— 105 — 


fe nah der ſeit der letzten Ontrichtung, verfirichenen Zeit beſtimmen. 
Dieß Hat den ug ber Ginfacdhheit. enn 3.23. auf alle 30 Jahre 
ein Handlohn —5 ſo iſt die immerwaͤhrende Rente, welche in 
3% Jahren zu 100 anwächſt, 1,710 fl. Hat Jemand vor 13 Jahren 
ein feldyes entrichtet, fo giebt die genannte Rente in 17 Jahren erfl 
42,90 ſi. es fehlen alfo zum erften Handlohn noch 57,7% fl., deren 
iegiger Werth 29,77 1. iR und für welche alfo eine Rente von 
1, |. Hinzufommt, fo daB im Banzen von jeßt an 2,98 fl. zu 
entrihten find. Hätte Jemand erſt vor 3 Jahren bezahlt, fo brauchte 
er nur eine Mente von 1,975 fl. zu übernehmen. So ift die Borfchrift 
in $ 12 des a. bad. Geſ. v. 5. Oct. 1820, wozu die Berordn. v. 
21. Auguft 1821 gehört, ferner Oldenburg 1851 Art. 23 und Anlage B. 
4) Man könnte auch das Alter des Ablofenden und feine wahrſchein⸗ 
lihe Lebensdauer zu Grunde legen, um ben muthmaßlichen jeßigen 
Beth des nächſten einfallenden Handlohns und der fpäteren auszu⸗ 
mitteln. Dieß ift in Beziehung auf das Erbhandlohn den indivihuellen 


‘ Berhältniffen in jedem alle genauer entiprechend. 100 fl. Handlohn 


= 


geben demnach, wenn man annimmt, daß vom näcdften Gintritte an 
alle 20 Jahre ein weiterer Fall fich ereignen werde, 
bei 20 jährigem Alter ein Bapital von 5,2 4 
s 30 ⸗ ⸗ ⸗ 271,f. 


z 40 ⸗ ⸗0⸗ ⸗ = 98,71. 
: 59 ⸗ Pe ⸗ : 126,5 fl. 

Für diefe Art der Regulirung Gebhard, Grundfäge für bie Aus: 

mittlung des Gapitalwerthes der Laudemien. Brlangen, 1828. 

Die Auseinanderfeßung wäre leichter, wenn man alle Handlohns 
pflichtigen ohne NRüdfiht auf die Zeit der legten Entrichtung gleich 
behandeln wollte, auch wäre dieß für die Gutsherren nicht nachtheilig, 
wohl aber für einen Theil ber eingeinen Grundholden unbillig. — 
Bergl. die Schrift: Unter welchen Bedingungen ift bie Ablöfung ber 
Bilten sc. vortheilhaft? Nürnberg, 1822. — Steinlein, a. a. O. 
©. 23. — Rudhart, ©. 203 u. 221. 


Ang. fühl. Geſ. $. 86: es wird der jebige übliche Preis zu Grunde 
pet und davon !/s abgezogen. — Ang. preußifche Geſetze: Durch 
Anitt der lezten 6 Zahlungen. Neues Bel. $. 44: Gefchieht die 
Einrichtung nah Procenten, fo werden %/s bes abgefchäßten gemeinen 
Raufwerthes angenommen, bei Bebäuden und SInventarienflüden bie 
Hälfte, — Weimar, $. 68: 2/5 des abgeichägten Werthes — Böhmen, 
$. 63: volle Schägung. 


Preuß. Geſetze, namentlich neues Gef. $. 46: Die Rente ift 1 Proc. 
der auf 1 Zahrhundert fallenden Beträge, alfo bei der Annahme von 
3 Sandlohnefällen in 100 Jahren 3 Proc. eines Handlohne. Diefe 
Bente iſt (zu 4 Proc. Zins) 75 Proc. eines Handlohns werth, und 
ein Bapital von 75 wädhft mit 3. und 3. 8. in 15 Jahren auf 
136,06 an, welches beiläufig ber Werth der verfchiedenen Handlohns⸗ 
Khlungen von je 100 Jahren in dem Augenblide iſt, wo bie erfte 
alig wird (f. (a)). Man hat demnach jene Ablöfungsrente aus ber 
Annahme berechnet, daß noch 15 Jahre bis zum nächften Anfalle ver- 
Biegen würden. — Ebenfo Hannover 6. 36, Sachſen 8. 87, Weimar 
$. 69, Mürtemberg, Oldenburg 1848 Art. 34. In Baiern (Gef. $. 15) 
aeidreht die Ablöfung des Obereigenthums und des Laubemiums bei 
eibreht und Neuftift (f. 5. 47 (e)) mit dem Doppelten, bei Freiftift 
und Erbrecht mit dem 1'/e fachen Laudemium. 


V) 3.8. daß nur das unbewegliche Bermögen berechnet, und nicht über 


eine gewifle Zahl von Procenten gefordert werben folle. — In Baiern 


- - 108 — 


auf die allgemeinen gefellfchaftlichen Verhäftniffe als von volte- 
wirthfchaftlicher Seite für nuͤtzlich erachtet werden (a). Die 
Mittel, welche überhaupt von den Pflichtigen für biefen Zwed 
angewendet werben Tönnen, find: 
I. Abfauf 
a) mit einer Gelbfumme; 
b) mit einem Theil der Grunbftüde; 
I. Umwandlung in eine Rente unb zwar 
a) eine dem bisherigen Reinertrage bed Berechtigten 
entfprechende fortbauernde einfache Rente, oder 
b) eine Zeitrente, welche nad einer gewiffen Zeit 
bie Tilgung der ganzen Berbindlichfeit bewirkt. 


(a) Die Gründe, welche man gegen biefe Maaßregel anführt, find ver: 
fhiedener Art. Die politifche Theorie, nach welcher, weil „der Landbau 
die Wurzel der Monarchie” ift, der Gutsherr Vater, Yreund, GErzieher 
und Beſchützer feiner Bauern fein fol (3. B. bei Ad. Müller, Die 
Gewerböpolizei in Beziehung auf den Landbau. Leipzig, 1824.), feht 
eine idealifce Vorftellung von dem gutsherrlihen Berbande voraus, 
welcher ſchon die Erfahrung früherer Zeiten wibderfpricht und die mit 
der heutigen Staatsordnung ganz unverträglich if. Wie manche nord: 
deutiche Anhänger alterthümlicher Berhältnifie, fo Außerten ſich aud 
in Baiern Gr. Seinsheim und Moy in diefem Sinne; möge ber 
landwirthichaftliche Vortheil auch unzweifelhaft fein, fo fei die Ums 
wandlung doch politifh bedenklich, fie hebe die „perfönliche Wechſel⸗ 
beziehung von Gnade und Grgebenheit” auf und feße an ihre Stelle 
ein feftes Rechnungsverhältniß ohne alle perfönliche Beziehungen (DM oy), 
Protokolle der K. d. Abgeordneten in Baiern, 1840, XVII, 250. — 
Grheblicher find die Einwendungen, welche fih auf die Schwierigkeiten 
der Ablöfung beziehen und zeigen follen, daß ber Zuftand der Land: 
wirthſchaft Für biefe noch nicht reif fe. In der That läßt fi kein 
einzelnes DBerfahren als unbedingt anwendbar betrachten, und bie 
Nüdfiht auf die befonderen Umflände, die in jeder Gegend obwalten, 
darf nicht vernachläfftgt werden , doch fallen jene Bebenklichfeiten bei 
den befieren Ablöfungsarten zum Theile hinweg. Vgl. Ge. v. Aretin, 
Die grundderslichen Rechte in Baiern, eine Hauptitüge des öffentlichen 
Wohlſtandes. Regensb. 1819. — Ueber bie bei der Ablöfung vor: 
fommenden Tarationen: v. Honftedt, Anleit. zur Aufftellung unt 
Beurtbeilung Iandwirthfchaftlicher Schäßungen , zunädft in Bezug auf 
die Ablöf. der grund» und gutsh. Laflen im KR. Hannover, 1834. 


8. 54. 


I, a. Der Abfauf vermittelſt einer Geldfumme 
vermeidet alle Schwierigkeiten, bie fich bei ber Feſtſetzung fort 
währender Renten zeigen ($. 58), er ift einfach und fchnell 
auszuführen. Bei einem geringen Betrage ber *eiftungen 








— 107 — 


bier der naͤmliche Grund ein, der eine erzwungene Abtretung 
bed Eigentbums für einen Staatszwed (Exrpropriation) gegen 
volle Schadloshaltung rechifertiget. Die Berechtigten haben 
nichts als dieſe Entfchädigung anzufprehen, wenn fich aber 
ohne Schmälerung derfelben eine Gelegenheit darbietet, bie 
Raften der Bauern zu verringern und ihnen eine Berbeflerung 
ihtes Bermögenftandes zu erleichtern, fo ift es rathfam, eifrig 
auf einen folchen gemeinnügigen Erfolg hinzuwirken. Es wäre 
übrigend fehlerhaft, die Umgeftaltung des bäuerlichen Berhält- 
niſſes zu übereilen und fie ba zu gebieten, wo beide Theile 
mit dem bisherigen Zuftande zufrieden find. Die Regierung 
hat genug getban, wenn fie die Mittel barbietet, um jenen 
Zwed zu erreichen; von benfelben früher ober fpäter Gebrauch 
m machen, muß ben Betheiligten anheim geftellt bleiben. 


$. 53. 


Die gänzliche Löfung bed gutöherrlihen Verbandes wird 
turh den Umſtand erfchwert, daß bäuerlicdhe Landwirthe ges 
wöhnfih nicht genug bewegliches Bermögen befigen, um fos 
gleich die Entfchädigung der Berechtigten bezahlen zu koͤnnen. 
Beil jedoch jene Leiftungen, wie man fie auch umgeftalten 
mag, immer mit Ungleichheiten von Jahr zu Jahr verbunden 
And und die Landleute ein lebhaftes Verlangen nad) der Bes 
eiung von allen folchen Laften empfinden, fo ift es zweck⸗ 
mäßig, auf biefelbe hinzuwirken. Die Ausfiht auf jene Bes 
eiung befeuert den Landmann, feine Kräfte mehr anzuftrengen 
und fein Gewerbe vollfommener zu betreiben. Zudem ift ber 
gutöherrliche Verband, der in früheren Zeiten mwohlthätig ges 
wirft haben mag, in Bezug auf das perfönliche Verhaͤltniß 
zwiſchen den Grundherren und ihren bisherigen Grundholden 
ter heutigen Stellung der Stände gegeneinander nicht mehr 
angemefien; das Schugbebürfniß hat aufgehört und die ſtaats⸗ 
bürgerlichen Rechte, die aus Gründen ber Gerechtigfeit und 
Sitaatoklugheit dem Bauernftande nicht mehr vorenthalten wer⸗ 
den dürfen, find mit einer Unterordnung deſſelben unter eine 
gewiſſe Gewalt anderer Staatöbürger unverträglid. Die Ent 
mung der bäuerlichen Reallaften muß folglih in Hinſicht 





— 16 — 


fonnte (V. v. 19. Juni 1832, Reg.-Bl. Nr. 23) für die Grundholden 
des Staates das Handlohn firirt werben durch lebereinfunft der 
Betheiligten, nad dem Durchſchnitt der lebten 3 Schägungen, und 
zwar fo, daß entweder bei jedem Anfall die feſtgeſetzte Summe bezahlt 
wird, oder regelmäßig nach beftimmten Zeiträumen. ine Grläuterung 
biefer baier. DB. giebt &. Wittmann, Anleitung zur Birirung und 
Abloͤſung des unftändigen Hanblohne. Ansb. 1839. 


b. Jährliche bäuerliche Laften. 
A. Im Allgemeinen. 


$. 52. 


Bei den jährlichen bäuerlichen Entrichtungen ($. 46, Wr. 2), 
die ald Reallaften auf den Ländereien des Landwirthed Liegen, 
muß man bie allgemeine Beſchwerde für denſelben, daß er 
feine Orunds und Hausrente mit einem anderen Berechtigten 
theilen muß, von den einer jeden einzelnen Art folcher Laften 
eigenthümlichen Rachtheilen unterfcheiden. Dieſe beftehen bald 
in einer für den guten Betrieb der Landwirthſchaft fchäblichen 
Befchränfung der freien Benugung des Bodens und ber Zeit, 
bald in der fehr veränderlichen Größe der Zeiftungen und ber 
Art, wie diefelbe bemeſſen wird, bald in einer mit Koften und 
Verluften verbundenen Entrihtungsweife u. dgl. — Während 
bie Befeitigung dieſer Mängel ein dringendes Bebürniß iſt, 
ſteht ed nicht in der Macht der Regierung, die erfigenannte 
allgemeine Wirfung des bäuerlichen Berhältniffed aufzuheben, 
weil daflelbe der beftehenden Vertheilung des Vermögens an- 
gehört und daher fo wenig als die Verfehuldung bed Grunds 
eigenthums ohne Rechtöverlegung gegen die Guts⸗ und Zehnt⸗ 
herren abgeändert werden kann. Die Regierung muß alfo 
zunächft die bäuerlichen Laſten bergeftalt umzuwandeln fuchen, 
daß fie von jenen befonderen Nachtheilen frei find und ben 
guten landwirthfchaftlichen Betrieb nicht beengen. Das Recht 
bed Staates, den Butd- und Zehntheren zu einer folchen Um: 
änderung gegen völlige Entſchaͤdigung anzuhalten, ift bei offenbar 
fhäblichen Arten von Laften darum nothwendig anzuerkennen, 
weil der beabfichtigte Bortheil für die Landwirthe zugleich ber 
ganzen landwirthſchaftlichen Gütererzeugung und bieburch ber 
Gefammtheit der Staatsbürger zu Gute kommt; es tritt aljo 


107 — 


hier der naͤmliche Grund ein, der eine erzwungene Abtretung 
des Eigenthums für einen Staatszweck (Expropriation) gegen 
volle Schadloshaltung rechtfertiget. Die Berechtigten haben 
nihtd als dieſe Entſchaͤdigung anzufprechen, wenn fich aber 
ohne Schmälerung berfelben eine Gelegenheit darbietet, die 
Laften der Bauern zu verringern und ihnen eine Berbeflerung 
ihtes Vermoͤgenſtandes zu erleichtern, fo ift ed rathfam, eifrig 
auf einen folchen gemeinnügigen Erfolg hinzuwirken. Es wäre 
übrigens fehlerhaft, die Umgeftaltung des bäuerlichen Berhälts 
niſſes zu übereilen und fie da zu gebieten, wo beide Theile 
mit dem bisherigen Zuftande zufrieden find. Die Regierung 
hat genug gethan, wenn fie die Mittel darbietet, um jenen 
Zweck zu erreichen; von benfelben früher oder fpäter Gebrauch 
zu machen, muß den Betheiligten anheim geftellt bleiben. 


8. 53. 


Die gänzlicdye Löfung des gutöherrlichen Verbandes wirb 
turh den Umftand erfchwert, daß bäuerlihe Lantwirthe ges 
mwöhnlich nicht genug bewegliche Bermögen befiten, um fos 
gleich die Entfchädigung der Berechtigten bezahlen zu koͤnnen. 
Beil jedoch jene Leiftungen, wie man fie auch umgeftalten 
mag, immer mit Ungleichheiten von Jahr zu Jahr verbunden 
And und die Landleute ein Tebhafted Verlangen nad) ber Bes 
freiung von allen ſolchen Laften empfinden, fo iſt es zwed- 
mäßig, auf biefelbe hinzumirfen. Die Ausſicht auf jene Be 
heiung befeuert den Landmann, feine Kräfte mehr anzuftrengen 
und fein Gewerbe vollfommener zu betreiben. Zudem ift der 
gutöberrliche Verband, der in früheren Zeiten wohlthätig ges 
wirft haben mag, in Bezug auf dad perfönfiche Verhaͤltniß 
zwiſchen den Grundberren und ihren bisherigen Grundholden 
der heutigen Stellung der Stände gegeneinander nicht mehr 
angemefien; das Schugbebürfniß hat aufgehört und die ſtaats⸗ 
bürgerlichen Rechte, die aus Gründen ber Gerechtigfeit und 
Einatöfugheit dem Bauernftande nicht mehr vorenthalten wer: 
den dürfen, And mit einer Unterorbnung beffelben unter eine 
gewiſſe Gewalt anderer Staatsbürger unverträglih. Die Ent 
mung der bäuerlichen Reallaften muß folglich in Hinficht 


— 112 — 


auf einen fleigenden Ertrag und vermeidet bie mit der Auf- 
bringung eines Capitals verbundenen Schwierigfeiten. Allein 
ed find in vielen Fällen auch beträchtliche Nachtheile zu bes 
forgen: 1) Die den Bauern übrig bleibenden Ländereien können 
zur Betreibung einer guten Wirthſchaft und zur vortheilhaften 
Benugung der Arbeitöfräfte jowie ber vorhandenen Gebäude 
zu Flein werben, weshalb dies Mittel hauptfählich nur in 
ſchwach bevölferten Gegenden empfehlenswerth ift, wo die Bauern- 
güter fehr groß find. 2) Es wäre für den Gutsherrn zu bes 
ſchwerlich, wenn er feine einzelnen Entfhäbigungsftüde in ber 
Gemarkung zerftreut annehmen müßte Er Tann alfo nur dann 
auf died Verfahren eingehen, wenn entweder eine ganz neue 
Slureintheilung ftattfindet, oder ihm vermittelfi eines Aus⸗ 
taufches eine zufammenhängende Flaͤche oder doch einige größere 
Mafien von Ländereien zugemwiefen werben. 3) Aber jelbft in 
biefem alle kann es dem Gutsherrn eben fowohl ſchwer fallen, 
bad neu zugewiefene Land gehörig zu bewirthichaften, wenn 
fein Capital, feine Wirthfchaftögebäude 2c. hiezu unzureichend 
find, als es ohne Schaden zu verkaufen. Deßhalb ift es rath⸗ 
fam, die Wahl diefed Mitteld der Vereinbarung beider Theile 
zu überlaflen (a). Die Ländereien müffen von zuverläffigen 
Sachkundigen abgefhägt werden, damit dem Gutsherrn eine 
dem Geldanfchlage der Laften entfprechende Flaͤche zugetheilt 
werden Eönne (b). 


(a) A. Doung empfahl diefe Art des Abkaufes bei dem Zehnten. Bolit. 
Mrithmetil, ©. 29. Ueber diefelbe ſ. vorzüglih Stüve, S. 95. — 
Moser, Die bäuerlichen Laflen, S. 351. — Zachariä, Der 
Kampf ıc., ©. 60: „die dem Berlufte einerfeits und dem Gewinne 
anbererjeits allein volllommen zufagende Gntichäbigung des Grund⸗ 
herrn ift in Grundſtücken.“ — Sie wurbe im preuß. Staate durch 
bas a. Edict von 1811, 6. 13—21 eingeführt. Declaration dieſes 
Edicts vom 29. Mai 1816, $. 15—29. Gel. vom 8. April 1823, 
bie gutsherrl. Verhältniffe im Gr. Poſen betr., $. 40. — In den 
nordoftlihen Provinzen des preuß. Staates war bieg Mittel megen 
der geringeren Bevölkerung und des niedrigeren Verkehrswerthes leichter 
ausführbar, befonders wo die Bauern —* kein Cigenthum hatten und 
ſich eine Zuweiſung anderer Grundſtuͤcke gefallen laſſen mußten. Das 
n. Geſ. erwähnt die Entſchaͤdigung in Land nicht, überläßt fie alſo 
ber freien Webereinkunft. 


(5) In den a. preuß. Geſetzen v. 1811 und 1816 war als Regelans 
genommen, daß der Bauer, je nachdem er — Are 
ober nicht, durch Abtretung von !/; oder der Hälfte eis 
nes Landes an den Butsherrn fi das unbelaftete Cigen⸗ 


— 113 — 


tum bes Ueberreſtes erkaufen Tann. Indeß konnte ber 
Pllihtige bei einem niedrigeren Betrage der Laflen auf eine geringere 
Entſchaͤdigung antragen, wie im entgegengefehten wel ber Guts⸗ 
Berr auf eine Höhere, nnd es wurde dann eine fpecielle Ausmittelung 
vergenommen. Statt der Landabtretung durfte auch eine Geld: oder 
Getreide: Rente, ober ein Geldabkauf gewählt werden. Der Gutsherr 
Batte zu wählen, doch entfchied im Kalle eines Streites die Staates 
behörde.- Die Landabtretung follte zwar in der Megel vorgezogen 
werden, doch nur bei Gütern über 50 Morgen Mittelboden, oder bie 
noch 1 Geſpann Zugochſen beichäftigen. er Berechtigte mußte wo 
möglich ein zufammenhängendes Stüd erhalten, auch konnten nöthigen: 
f einzelne Bauern auf andere Theile der Feldmark, ja felbft auf 
ein benachbartes zugehörige Vorwerk verfept werden; f. beionders 
$. 12. 20. 21. 30 des Bel. v. 1811. Art. 17. 47. 66 ff. der Decla⸗ 
ration 9. 1816. — Hannov. Ablöf.:D. v. 1831, $. 25, Gef. v. 1833, 
$. 87: es darf höchftens !/s des Landes zur Zehntablöfung abgetreten 
werden. Reicht dieß nicht Hin, fo muß mit Capital oder Rente das 
Sehlende ergänzt werben. — Sachſen, $. 31, Weimar, 6. 23: Lands 
abtretung darf von ben Betheiligten gewählt werben. 


8. 57. 


U, a. Die Umwandlung ber bäuerlichen Laſten in 
eine feſtbeſtimmte Rente bat mit ber biöherigen Art ber 
Leiſtung die meifte Achnlichkeit, ift Teicht ausführbar, bringt 
in den DBermögendverhältnifien der Bauern feine Störung hers 
vor und befeitiget Doch zugleich alle fchäblichen Wirkungen, bie 
an ben bisherigen Arten ber bäuerlichen Xaften haften. Es 
it daher angemeflen, diefe Einrichtung als Regel aufzuftellen, 
fo daß fie auf Begehren des Berechtigten ober des ‘Pflichtigen 
angeorbnet werben muß und bie völlige Ablöfung früher ober 
fpäter nachfolgen fann (a). Um eine foldye Rente zu finden, 
werben 

I) die ſchuldigen Leiftungen jeder Art von jedem Grund» 
ſtücke oder ganzem Gute je nad) ihrer Befchaffenheit und ihrem 
Durchfchnittöbetrage während eines gefeglich bezeichneten Zeit 
taumö ausgemittelt. 

2) Um biefen Betrag in Geld auszubrüden, werben bie 
Durchſchnittspreiſe aller Gegenftänbe der Leiftungen aus jenem 
Zeitraum in jeder Gegend aufgeſucht. Wo die Preife der ver- 
fihiedenen Bezirfe wenig von einander abweichen, ba ift ein 
gleichförmiger Preis für das ganze Land hinreichend, zumal bei 
Dingen, die immer nur in kleinen Mengen entrichtet werben, 
wie Geflügel, Eier, Bütter ıc. (5). 


Ras, polit. Deton. II. 1. Abth. 5. Ausg. 8 


— 114 — 


3) Die Gegenleiftungen des Berechtigten werden in ähn⸗ 
licher Weife ermittelt und abgezogen. 

4) Hat derſelbe Erhebungsfoften und Verlufte, z. B. Nach⸗ 
läffe, zu tragen, welche bei einer feften Rente (Grundzins) 
hinwegfallen, fo ift fein Entſchaͤdigungsanſpruch lediglich auf 
den reinen Ertrag beichränft, den ihm dieſe Abzüge übrig 
laffen (8. 52), und es FTönnten nur andere billige Rüdfichten 
einen Beweggrund abgeben, diefe Abzüge nicht nach ihrer vollen 
Größe in Rechnung zu bringen. 


(a) Zum Abkaufe follte der Pflichtige nicht gezwungen werden. Aber bie 
Anfebung einer feſten Nente ändert in den Wirthichaftsverhältnifien 
beider Theile fo wenig, daß man in einem für beide gleihmäßig for: 
genden, gerechten Geſetze auch beiden das Mecht bewilligen kann, die 
Umwandlung zu verlangen (Provocationsredht), befondere Um: 
flände ausgenommen, unter denen die Ausübung dieſes Rechtes gegen 
den einen Theil eine Unbilligfeit wäre. Vgl. Stüve, ©. 88. — 

So * B. das ſaͤchſ. abröfungegeich, 6. 23. 24. Nach der Ablöl.:D. 

für Reallaften im ehemal. K. Weftfalen vom 13. Sul. 1829 flebt 

jedem Theile die Provocation und dann dem anderen Theile die Wahl 
ber Ablöfungsart zu. — Nach der hannov. Ablöſ.O. von 1833 darf 
nur der Pflichtige die Ablöfung fordern, ausgenommen das Hanblohn, 
wo auch der Berechtigte eine Rente verlangen darf. — Nah dem bad.’ 

Zehntgefeß ift 1) von 1833—37 der Abkauf dem freien Uebereinfommen 

beider Theile überlaflen worden, 2) von 1838 an Eonnte fie die zehnt⸗ 

pflihtige Gemeinde, 3) von 1842 an aud der Zehntherr fordern. — 

Nah dem preuß. Edicie von 1811, $. 5. 41 follte, wenn feine güt- 

liche Bereinigung erfolgt, nad 2 Jahren die Auseinanderfegung von 

Amtswegen erfolgen. Die Declaration Art. 9 und 90 hebt dies auf, 

iebt aber jedem der beiden Theile das Provocationsrecht, ebenfo n. 
ei. $. 94, Sachen 6. 3, Weimar $. 9, aber mit der Beichränfung, 
dag mit Ausnahme von Weiderechten und Geldrenten der Berechtigte 
erſt nah 8 Jahren provociren darf. — Nah ben Öfterr. Grund⸗ 
entlaftungsgefegen geichieht die Auseinanderfehung Togleih von Amtes 
wegen und die Berechtigten haben ihre Anfprüche vorzulegen. — Baier. 

Gef. $. 8: Die Umwandlung aller Gefälle in eine Rente (Fixirung) 

it geboten. — Würtemb. 6. 7: Gefälle an Privatberechtigte hören 

fogleih auf und die Verzinfung der Ablöfungsfumme beginnt. Gefäll: 
bfichtine des Staats und der Körperfchaften können die Ablöfung ver: 
langen, fowie die Verwaltungen der Berechtigten. — Da dem But 
heren bei den meiften Leiſtungen nicht zugemuthet werben darf, die 

Ablöfung theilweife zu geftatten, zugleich aber dieſe wohlthätige Maaß⸗ 

regel unuͤberwindliche Hinderniſſe faͤnde, wenn fie nur durch einſtim⸗ 

migen Beſchluß der Pflichtigen in einer Gemeinde zu Stande kommen 
bürfte, fo muß verordnet werben, daß die Mehrheit der Pflichtigen in 
einer Gemeinde die Ablöfung befchließen kann. Preuß. B. über bie 

Organifation der General⸗Commifſionen vom 20. Sun. 1817, $. 82: 

Mehrheit, nad) der Größe der Antheile berechnet. — Bab. * 

$. 23: Ueber 4/; der Zehntpflichtigen, die mindeſtens bie Hälfte der 

zehntbaren Guͤter befigen. — Hannov. Ablöf.«D. v. 1833, $. 223. 

224: Mehrheit der Stimmen, nah dem Umfange des Beitragsverhält: 

niffes zu der Laft bemeflen. — Würt, Beebe: Gef. v. 27. Drt. 1836. 


( 


—f 


— 115 — 


$. 6: die Schuldner von 2/5 ber Abgaben Können beſchließen. Wuͤrt. 
Frohngeſez vom 28. Oct. 1836, $. 20. 21: bei perfönlicen Frohnen 
einfahe Stimmenmehrheit, bei dinglichen %/s der Pflichtigen. 


Preußen: Bruchtleiftungen werden nad) dem 24 jährigen Durchſchnitte 
ber Martinipreife angeſchlagen, wobei die 2 hoͤchſten und bie 2 nies 
drigfen Jahrespreiſc ausgelaflen werben. Wartinipreife werben aus 
dem Durchſchnitt der beiden Wochen gebildet, von denen Martini 
(11. Nov.) die Mitte it. Bei feften Getreideabgaben werden 5 Proc. 
wegen der fchlechteren Beigaffenpeit des Zinsgetreides abgsgoaen, bei 
anderen Begenftänden werden Normalpreife für einzelne Bezirke mit 
Rüdfiht auf die Preife der lebten 20 Jahre angenommen. N. Gef. 
. 19 f. 30. 67 ff. — Sachſen, $. 94: die Preife der lebten 14 Jahre, 
aus denen die 2 böchften und bie 2 niedrigften geflrichen werben, geben 
den Durchſchnitt; 5. 95: bei Setreide wird für jebes Jahr ber —* 
der Martiniwoche und der darauf folgenden zu Grunde gelegt. — 
Bad. Zehntgef. $. 32. 33: bei Betreide der Durchſchnitt der Preiſe 
v. 1818—32, und zwar aus dem Zeitraum vom 1. Nov. bis zum 
1. März jedes Jahres, mit verhältnigmäßigen Abzügen oder Zufchlägen, 
foferne der Preis des nächften Marktortes für eine gewifle Gemeinde, 
j. 3. wegen der Gntfernung, nicht völlig maaßgebend ift, vgl. I, 
$. 177. R. (b). — Hannover, 6. 13. 14: Durchſchnitt der November: 
und Decemberpreife aus den lebten 24 Jahren. — Würt. Beedegeſetz, 
$. 12 und n. Geſ. v. 14. April 1848 8. 11: fire Preife für das 
Km Land. — Weimar, 6. 54. 55: Mittelpreis von October bis 

ember aus 24 Jahren, mit Weglaffung der 2 hoͤchſten und 2 nie: 
drigften Zahrespreife. — Defterr. Patent v. 4. März 1849 $. 9: Die 
bei der Srundfleuerregulirung angenommenen Preiſe. Dieß find die 
ſehr niedrigen Preife des Jahres 1824, Linden, Brundfleuerverfaflung 
der oͤſterr. Monarchie I, 320. 345. 


$. 58. 


Die Abtöfungsrente kann auf mehrfache Weife feftgefegt 
werden 


1) Eine unveraͤnderliche Rente in Bodenerzeugniſſen (Ras 


hiraltente), insbeſondere in Getreide, oder bie Entridhtung bes 
ktrömaligen Marktpreifes einer gewiſſen Menge Getreide (a) 
iR wegen ber Ungleichheit in den Ernten und Bruchtpreifen ber 
einzelnen Jahre nicht zwedmäßig. Im theueren Jahren bildet 
Re einen fo großen Theil des ganzen geminberten Ertrages, 
daß man fie ſchwer erſchwingen fann, während fie in wohl 
kiln Jahren dem Berechtigten eine geringe Geldeinnahme ver 
ſchaff. Diefe BVerfchiebenheiten gleichen ſich zwar in einer 
lingern Jahresreihe aus, aber ihre augenblidlichen Wirkungen 
And dennoch zu beſchwerlich. I, $. 177 (b). 


2) Auch eine unveränberfiche Gelbrente ift nicht frei von 


Rahıtheifen, weil ber Preis ber edlen Metalle ſich mit ber 


8* 


— 16 — 


Zeit verändern kann (I, $. 169. 170), fobann weil in wohl- 
feifen Zeiten der ganze Erlös der Landwirthe fo weit herab⸗ 
finfen kann, daß eine gleiche Geldabgabe fehr beichwerlidy wird, 
1, 8. 160. 

3) Eine jährliche Geldabgabe, welche den Durchſchnitts⸗ 
preis eines Getreidequantumd aus dem nächft vorausgegangenen 
Zeitraume bildet (c), befeitiget den erften jener beiden Nach⸗ 
theile (Nr. 2); es bleibt aber bie Unbequemlichkeit, daß ber 
Marktpreis bed einzelnen Jahres bisweilen von bem Durch⸗ 
fihnitte weit abweicht und daher bald ver Berpflichtete bie 
Zahlung ſchwerer aufbringt, bald der Berechtigte in theuren 
Sahren mit der nach Mittelpreifen abgemefienen Gelbfumme 
wenig ausrichten kann. 


(4) 3. B. großh. heſſ. V. vom 15. Auguft 1816 über bie Ablöfung ber 
Behnten, $. 8. (Gigenbrobt, I, 238.) Baier. V. v. 8. Yebr. 
1825, Umwandlung der Sehnten des Staates betr. $. 4. — Rud⸗ 
hart, ©. 201. 


(5) Gommiffionsberiht v. Kern in den Berhanbl. der bad. 2. Kammer, 
1819, IV, 165. 


(6) Genau genommen müßte es immer ber Durdfchnitt der unmittelbar 
vorhergegangenen Jahre fein, ber Bequemlichkeit willen aber geht man 
meiftene bievon ab und wendet 3. DB. während eines Saprgehnte den 
Durchſchnittspreis der vorigen 10 jährigen Periode an. So wurde es 
nach der beeuß. Declaration von 1816, $. 46 für die unter das Cdict 
von 1811 fallenden Regulicungen gehalten, vgl. $. 57 (B). 


8. 59. 


4) Da bie unter 1) und 3) genannten Arten ber Feft- 
feßung gerade entgegengefeßte Nachtheile haben, iſt es zweck⸗ 
mäßig, beide mit einander zu verbinden, fo daß ein Theil der 
Beldabgabe nad) dem Durchſchnitte des zurüdgelegten Zeit 
taumes, ein anderer Theil nad) dem Marftpreife bed einzelnen 
Sahres angefegt wird. Dieb hat den Vortheil, daß die Rente 
zwar in wohlfeilen Jahren geringer, in thenern größer iſt, 
aber doch nicht mit fo großem Unterfchiebe, wie er fi in den 
Marktpreiſen zeigt; auch bat man bie Wahl, nah Erwägung 
aller örtlichen Umftände die Entrichtung zum größeren Theile 
nad) dem einen oder anderen Preiſe einzurichten (a). 

Wäre zu vermuthen, daß -die Ablöfungsrenten wenigftens 
zum Theile lange fort entrichtet würden, fo würde bad letzt⸗ 


—— 17 — 


genannte Verfahren den Borzug verdienen. In ben neueren 
Geſeten ift jedoch auf die Erleichterung eines baldigen Abs 
kaufes Bedacht genommen worden und wo biefer in Ausficht 
fcht, da kann man fich mit ber Anfegung einer Geldrente 
begnügen, bie offenbar einfadyer iſt. 


() Man könnte 3.3. %s, "a, 3/s oder fogar %/s des feſtgeſetzten Getreide: 
quantums nach dem Durdfchnittspreife und das Webrige nad dem 
Marktpreife entrichten laflen, fo daß ber hieraus ſich ergebende Rormals 
preis ber Jäbeligen Entrihtung zwifchen jenen beiden Preiſen fleht. 
Es fei 3. 3. eine Rente in Körnern auf 10 Scheffel Roggen berechnet 
worden, was nach einem Durchfchnittspreife von 2 fl. die Summe von 
20 fl. ausmadt. Wird fie aber 1) ganz nach den jährlichen Markt: 
preiien, ober 2) zu ®/s nad biefem und */; nad dem Durchſchnitt, 
Wer Ball nad beiden, oder 4) zu %s nah dem Marftpreife ans 
geiept, To i 


Betrag der Rente. 


— einem Preiſe des Scheffels ) 2) 3) 4) 
| 12,5 8. | 15,5 fl. | 16,8fl. | 17 

| 1 Fr 17,5 = | 18,5 s | 18,5%; 19 : 

Ms) 2 220er 25 | 23 s | 225 s 22 5 

ee... 30 26 =:!I|25 = 24 ⸗ 

1 er EEE 40 = | 32 :|30 =ı 28 > 

—A 50 —38 :I\35 s| 32 > 





Es erhellt, daß bei der vierten Berechnungsart die Entrihtung von 
Jahr zu Jahr am wenigften Ungleichheit barbietet. 


8. 60. 


U, b. Eine Zeitrente, welche nad einer Reihe von 
Sahren die ganze Schuldigkeit des Grundholden tilgt, iſt für 
diefen vorzüglich nuͤtzlich, weil er auf bie leichtefte Weife mit 
venutzung des Zinfeszinfes durch eine geringe Mehrausgabe 
ich befreit, ja bisweilen fogar ohne eine ſolche, wenn nämlich 
tie Rente durch Abzüge (8. 57, 2) um fo viel gemindert wird, 
ad der Tilgebetrag ausmacht (a). Dem Berechtigten barf eine 
islhe Art der Abtragung nicht aufgebrungen werben, weil er 
die Entfchädigung in vielen Heinen jährlichen Theilzahlungen 
mpfangen würde, bie mit den Zinfen vermengt find und bie 
a nicht fogleich zwedmäßig anlegen kann. Die Regierung kann 
üb bei den DomanialsGrunbgefällen eine Zeitrente leicht ger 
ſalen laſſen, weil dieſe von ber großen Menge der Pflichtigen 
jähtlich zu einer anfehnlihen Summe anwaͤchſt, für die es an 





— 118 — 


einer guten Anlegung, z. B. zur Schuldentilgung, nicht fehlen 
kann. Daſſelbe gilt von Corporationen, welche viele guts⸗ 
herrliche Gefaͤlle haben. Um auch den Grundholden von Privat⸗ 
perſonen dieſe Abloͤſungsweiſe moͤglich zu machen, ſind Caſſen 
erforderlich, die den Pflichtigen die Geldſummen zur Befriedi⸗ 
gung der Berechtigten vorſtrecken und ihnen die allmaͤlige Til⸗ 
gung nach einem beſtimmten Plane geſtatten. Auf dieſe Weiſe 
wird der Vortheil des Gutsherrn und der Pflichtigen in 
gleichem Maaße gewahrt. Solche Caſſen koͤnnen von Pri⸗ 
vaten (5) oder vom Staat gegründet werben, 8. 61 Nr. 6. 


(a) Es fei das molöfungecapital eine® Bauern auf 1000 fl. beſtimmt, 
wovon der Zins zu 4 Proc. 40 fl. ausmadt. Wenn berfelbe nun 
jährlich entrichtet: 

5 Proc. ober 50 fl., fo wird er frei in Di Sahren. 

8% : 
⸗ 
: 80 


D 


1794 ⸗ 


D 00 1 


. an“ 
%” 


90 15 
Sn der neueften Zeit find die Beitzenten ſehr haͤuſig in mancherlei 
Verhaͤltniſſen angewendet worden. 


(6) 3. B. Creditvereine, die nicht bloß zu dieſem beſonderen Zwecke Bor: 
ſchuͤſſe auf Unterpfand vermitteln, $. 118. Bol. Stüve, ©. 118. 


8. 61. 


Die Ablöfung der bäuerlichen Laften fowie bie Umwand⸗ 
fung ber Bauerngüter in volles Eigenthum ($. 47) Tann 
in verfchiebenem Grabe durch Regierungsmaaßregeln befördert 
werben. 

1) Die Erklärung, daß biefe Veränderung geftattet fein 
folle, pflegt fehr Tangfamen Erfolg zu haben, weil eine ganz 
freiwillige Uebereinkunft ſchwer zu Stande fommt (a). 

2) Wirffamer ift ed, wenn bie Regierung mit ber Ab» 
löfung auf den Staatögütern vorangeht. Sie könnte zwar 
hier leichtere Bedingungen geftatten, als fie ben berechtigten 
Privaten zumuthen darf, indeß läßt fich diefes finanzielle Opfer 
nur dann rechtfertigen, wenn es nöthig ift, um zu einer großen 
Berbefierung die Bahn zu brechen. Ueberdieß bringt die mildere 
Behandlung der Domanials®runbholden zwifchen biefen unb 
ben übrigen bäuerlichen Wirthen eine Rechtsungleichheit hervor, 
die man zu vermeiden fuchen ſollte. 





— 119 —— 


3) Beier iR daher die Aufftelung von Regeln, nad 
weichen bie Ablöfung da, wo feine gütliche Vereinbarung er» 
folgt, und einer von beiden Theilen darauf anträgt, auf amts 
lichen Wege ausgeführt werden muß (B). 


4) Anorbnung befonderer Commiffionen, welche die Regus 
liuung mit Hülfe der aus der Erfahrung gefammelten Zahlen» 
verhäftniffe leiten und die babei entftehenden Streitigkeiten 
ihlihten, wodurch das Geichäft fchneller, gleichförmiger und 
beffer erledigt wird, ald von den gewöhnlichen Beamten. Das 
erfahren iſt einfach, in ber Regel mündlich. Bor der Ents 
ſcheidung beftrittener Puncte wirb ein Verſuch gütlicher Verein⸗ 
derung gemacht (ce). 


5) Wenn die Staatscafle einen Theil der Ablöfungsfumme 
mihießt, fo wird hiedurch bie Befeitigung ber bäuerlichen 
Laſten fehr erleichtert und befchleunigt. Allein es entficht hie 
bei (wie in Ar. 2) der Zweifel, ob es gerecht fei, allen Staats⸗ 
bürgen als Steuerpflichtigen einen Theil ber Laſt aufzulegen. 
Dieß iR nur zu billigen, a) wenn bie aufzuhebende LXaft nicht 
eine rein privatrechtliche ift, fondern nachweislich zum Theile 
aus dem öffentlichen Rechte ſtammt, d. h. aus der landes⸗ 
berrlichen Gewalt aufgelegt wurde, b) wenn ihre Aufhebung 
mit fo großen gemeinnügigen Vortheilen, namentlich für bie 
Vermehrung des Bodenertrages, verbunden ift, daß jenes Opfer 
als ein wohlangewanbtes erfcheint, c) wenn bie ‘Pflichtigen 
emweißlich im Laufe der Zeit, etwa bei dem Hinzufommen von 
Staatsabgaben, überbürbet worden find (d). Hierüber muß 
Nie Natur der bäuerlichen Laſten in jedem Lande, fowohl nadı 
ihrer Gefchichte, als nad) ihrem gegenwärtigen Zuftande ents 
heiten (e). Durch das folgende Mittel (6) hat man in ber 
ncueſten Zeit die Ablöfungen auch ohne Staatözufchuß fehr 
zu erleichtern gewußt. 


6) Sehr nuͤtzlich iſt es, wenn von ber Regierung eine 
kihcaffe errichtet wird, welche den Pflichtigen die Ablöfungs- 
ſumme vorfchießt, 8. 60 — (e). Die Vermittlung durch die 
Staatögewalt kann noch weiter audgebehnt werden, indem dies 
klbe die Befriedigung ber Berechtigten übernimmt und bafür 
durch die Verzinfung und allmälige Abzahlung von Seite ber 





—— 120 — 


Bflichtigen entfchäbigt wird. Dieß ſtellt bie Berechtigten ficher 
und überhebt fie mancher Unbequemlichkeit, erfordert auch dann 
feinen Borfchuß, wenn die Berechtigten nicht baar, ſondern in 
verzinslichen Staatöfchulbbriefen abgefunden werden (f). 


(@) 


(8) 


Bol. Rudhart, a. a. D. ©. 210. — In Defterreih wurde durch 
DB. v. 9. Det. 1819 die Ablöfung grundherrlicer Abgaben geftattet, 
doh mußte der Vertrag von ber Berwaltungsbehörde beflätiget werben, 
damit feine anderen Berechtigten, 3. B. Gläubiger, in Rachtheil 
fommen. Schopf, II, 131. 322. — In Ungern wurde erft 1841 
die Ablöfung erlaubt. 


Hierin ging die 8. weftfälifhe Regierung voran ; Sit v. 18. Aug. 
1809 , aufgehoben durch die Furfürftl. heſſ. B. v. 5. Sept. 1815. — 
Mehrere neuere Geſetze Tprechen fogleih die Aufhebung ber gutsherr⸗ 
lihen Rechte aus und fügen Borfchriften für die Ausmittlung der 
Entihädigung Hinzu, 3. B oͤſterr Patente v. 7. Sept. 1848 und 
4. März 1849. Dieb widerflreitet den in $. 52 aufgeftellten Süßen, 
mag fi jedoch unter befonderen flaatlihen Berhältnifien in Schug 
nehmen laſſen, die ein vorzüglich Traftvolles Verfahren erforbern. 


Preuß. B. vom 20. Juni 1817 über die Grridhtung von General: 
eommiffionen. Die Organifation ift folgende: 1) Das Hauptgeſchaͤft, 
die Unterfuhung an Drt und Stelle und den Entwurf der Auseinanders 
fegung beforgen Special-Gommiffare, zu beren Wirfungsfreife 
eine Dereinigung gründlicher Landiwirthfehaftfider und guter juridifcher 
Kenntniffe gehört. (Es Icheint, als ob jene bisweilen zu wenig be 
achtet worden feien, f. Hering a. aD. ©. 274 ff.) Dan nahm 
hiezu vornehmlich Oekonomie⸗-Commiſſare, doch durften auch (6. 63) 
Suftizbeamte gebraucht werden, die in Grmanglung ber erforderlichen 
Iandwirthfchaftlihen Kenntniffe Sachverſtaͤndige bei flreitigen Faͤllen 
zu Rathe ziehen mußten, wie dagegen zur Unterftügung der Oekonomie⸗ 
Commiſſare in jedem Kreife ein Juftizbeamter aufgeftellt wurde. 2) Für 
die einzelnen Provinzen find General-Commiffionen errichtet 
worden, beflehend aus 1 General⸗Commiſſar, 1 vorzüglich landwirth⸗ 
fhaftsfundigen Ober :Gommiflar und 2 NRechtögelehrten, die aber au 

mit der Iandwirthfchaftlichen Gewerbslehre vertraut fein müflen, neb 

einem Hülfsyerfonal von Aſſeſſoren, Referendaren und Oekonomie⸗ 
Gommiffaren. Hier werden erheblichere Streitigkeiten entichieden und 
bie Nuseinanderfegungs : Berträge beflätiget. Es beſtehen jegt 7 ſolche 
General: Commilftonen. In der Provinz Preußen, in der Mhein⸗ 
provinz und der Neumark vertreten bie Megierungen ihre Stelle. 
3) Als dritte Inſtanz dienten in den einzelnen Provinzen 8 Revi: 
fions-Eollegien. Jetzt (®. v. 22. Nov. 1844) iſt für den ganzen 
Staat ein einziges Revifionscollegium vorhanden, welches Iediglich ale 
Gerichtshof über Streitigfeiten entfcheibet. Koh, ©. 184. Danz, 
II,6. 2ette und v. Rönne, II, 11—26. Streitige Angelegen- 
geiten fönnen auf fchiedsrichterlichem Wege erledigt werden, wozu bie 
3. vom 30. Juni 1834 und bie Inflruction vom 12. Oct. 1835 
dient, Koh, ©. 283. Danz, U, 316. In jebem SKreife werden 
2—6 Sachkundige gewählt, aus denen 2 für jedes Geſchaͤft als Schieds⸗ 
richter mit 1 Obmann ernannt werden. — Obgleich einzelne Mißgriffe 
vorgegangen und einzelne drüdende Wirkungen eingetreten fein mögen, 
fo hat doch im Ganzen dieſe große Maaßregel fehr heilſame Folgen 
gehabt. Ergebniſſe bei Weber, Handb. der ſtaaiswirthſch. Shatthit 








(d 


(e) 


— 11 — 


der preuß. Monarchie, S. 374 u. Fortſ. 1843, ©. 104. — Kotel⸗ 
mann, Die preuß. Landw. S. 204 (1853). Bis Ende 1855 wurden 
auf PBrivatgütern und Domänen 80 704 neue Eigenthümer mit 5'429 000 
Morgen Land angefeßt, daneben bie Leiftungen von 1 Mill. anderen 
Bhidtigen regulirt, 6%/ Mill. Spanns und an 23 Mill. Hand⸗Frohn⸗ 
Tage aufgehoben. Die Entſchaͤdigung beträgt 30845000 Rthlr. Bas 
pital, nebfl 4.894000 Rthlr. Geldrenten, 251000 Scheffel Roggens 
renten und 1608000 Morgen Land. Dieterici. Hanbb. ©. 316. 
(Ohne die Landentfhädigung gegen 136 Mill. Rthlr.) — Zur Ber: 
gleihumg dient das Grgebniß der Grundentlaftung in Oeſterreich. 
nde 1860 war die ganze hiedurch entflandene Schuld 570803 774 fl. 
(380 Mil. Thlr.) mit Sinfhluß von 77 Mill. fl. capitalifirten Ruͤck⸗ 
Ränden x. GEs waren fchon 513-581 660 fl. Obligationen auegegeben 
und hievon 13388300 fl. wieder getilgt; v. Gadenig, tatifl. 
Hantbüdlein für die öfter. Monardie, 1861. — In Sachſen find 
angeordnet: 1) Specialcommilfionen für jedes Auseinanderfehungs: 
geſchaͤft, aus 1 Rechtsgelehrten und 1 Wirthichaftsverfländigen, 2) eine 
Generalcommiffion, aus 1 Bräfidenten, 2 juridifchen und 2 landwirth⸗ 
ſchaftlichen Räthen, 3) in dritter Inftanz enticheiden die Juſtizeollegien. — 
Hannover: 1) Bezirkscommiffionen. ‘Der Gommiflarius if ein Rechts: 
kundiger, die beiderfeitigen Betheiligten Eönnen ihm Beifiger beigeben 
md die Commiffion kann einen äfonomifhen Beifland zu Hülfe 
nehmen, 2) die Landbrofleien, 3) eine von dem Minifterium zu ers 
sennende oberfle Stelle. — NRaflau: @ommilfton für Zehnten und «a. 
Zaſten, ſ. unten $. 70 (0). — Defterreih: in jeder Provinz eine 
Landescommilfion, unter welcher Bezirkscommifflonen ftehen. 


Ein Staatszufhuß kommt in verfchiebenen badifchen Ablöfungsgeiehen 
vor, $. 64-69. — Württemberg. Beede⸗Geſetz v. 27. Oct. 1836: 
Bei gewiflen Abgaben, die zwar bisher noh neben den Steuern 
entrichtet wurden, aber doch einigermaßen den Steuercharalter an fich 
tragen, tragen die Pflichtigen das 10— 16 fache, die Befällberechtigten 
erhalten von der Staatscaffe das 20 — 22!/sfahe. — Defterreih, ſ. 
oben $. 55 (a). Das Deittheil, welches die Provinz übernehmen 
muß, wird nöthigenfalls vom Staate vorgefchoflen. 


Saͤchſiſche Landrentenbant, nah dem Geſetz vom 17. März 1832, am 
1. Ian. 1834 eröffnet. Die Ablöfungsrenten koͤnnen durch die Ders 
mittlung diefer Caſſe bezahlt werden und man zieht fie mit den Steuern 
ein. Die Berechtigten erhalten Mentenbriefe, bie nur 3%, Proc. Zins 
tragen. Die übrigen %3 Proc. follen Koften und Berlufle decken, 
aus daneben einen Tilgefond bilden (dazu betragen fie zu wenig). 
Seder Rentenpflichtige kann in Heinen Poſten bis zu 12%s rl. herab 
feine Schuld abtragen, muß es aber immer 1/s Jahr vorher anzeigen. — 
Befler die bad. Zehntfchuldentilgungscafie, die von dem Perfonal der 
Staatsſchuldentilgungscaſſe verwaltet wird, den zehntpflichtigen Ge⸗ 
mieinden auf Berlangen die Ablöfungscapitale leiht und diefelben hiezu 
nötigenfalls egen unauffündbare Mentenicheine aufnimmt. Die 
Schuldner müflen der Caſſe nicht blos (dev Verwaltungsfoften wegen) 
%/a Proc. Zins mehr bezahlen, als fle ſelbſt zu geben bat, fondern 
noch außerdem mindeſtens 13%, Proc. jährlich zur Tilgung, bie jedoch 
auch beliebig ſchneller veranflaltet werden kann. Sehntgel. $. 78-82. 
B. v. 27. Mai 1836. Der Zinsfuß für neue Anleihen wird von 
Zeit zu Zeit beflimmt, vom Anfang des J. 1852 an iſt er 43/4 Proc., 
folglih haben die Schuldner mindeſtens eh Proc. jährlich zu geben. — 
Großh. heſſ. Belek v. 27. Juni 1836, B. v. 10. Ian. 1837: bie 


#2) 


— 12 — 


Staatscaſſe ſtreckt den Pflichtigen das Gapital gegen eine Seitrente von 
minbdeftens 4 Proc. vor, wobei nur 3 Proc. als Zins berechnet werden, 
alfo die Tilgung in 43 Jahren erfolgt. — Hannov. Ereditanftalt für 
Ablöfungen, 8. Sept. 1840. Die Schuldner zahlen 31/. Proc. Zins, 
%/a für die Verwaltungskoſten, mindeftens 1/s Proc. Tilgung, zufammen 
44a Proc. — Naflau, Landescreditcafle, 22. Ian. 1840, jedoch nicht 
blos zu ben Ablöfungen, fondern für Grundeigentgümer überhaupt 
beftimmt. Tilgung wenigftens 1 Proc. faͤhrlich. Zur Aufbringung 
ber Summen wird auch das Wusgeben von Bapiergeld zu Hülfe ges 
nommen. Rau im Achiv, V, 117. — In Preußen wurden ähnliche 
Tilgecaflen mit einem Staatszufhuß 1835, 1839 und 1845 für einzelne 
Heinere Landestheile errichtet. Nach dem n. Ge. wurden in allen 
Provinzen Mentenbanfen gegründet. Wenn der Pflichtige nicht den 
Abkauf wählt, fo wird von Amtswegen die Ablöfung vorgenommen. 
Der Berechtigte erhält 4 procentige Rentenbriefe für das 20 fache der 
Mente, dem Pflichtigen wird / i der audgemittelten Rente erlaflen, 
Oo derſelben hat derielbe 561/4 Jahre fort zu entrichten und hiedurch 
erlangt er die Befreiung, weil 8/0 Schon die A proc. Zinfen beden und 
das weitere 1/a Proc. in jener Zeit die Schuld tilgt. Will er flatt 
90 die volle Rente bezahlen, fo wird er in 41!/ıs Jahren frei. Er 
fann auch früher abzahlen. Gntrichtet er fogleich das 18 fache an eine 
Staatscafle, jo befreit er fih, der Berechtigte erhält wie im vorigen 
Kalle die Rentenbriefe und der Staat liefert der Rentenbank jährlich 
4!/a Proc. jener eingezahlten Summe, bie zur Tilgung von Staats 
fehulden verwendet wird. Die Nentenbanf hat die Rentenbriefe genau 
nach der Megel zu tilgen. Mit Ende 1869 hörte die Ueberweifung 
neuer Renten auf. Die Pflichtigen, die noch fpäter ablöfen wollen, 
aben das 25fache zu entrichten. Am 1. October 1858 waren 31/ Mill. 

Ir. übernommen (davon 3°115000 Thlr. 90 des vollen Betrages), 
bie Berechtigten hatten 77605000 Thlr. Nentenbriefe und 77.000 Thlr. 
baaren Zuſchuß erhalten, von denen 3:732000 Thle. ſchon getilgt 
waren. Dieterici, Handb. der Statifl. des pr. Stantes, S. 314. — 
MWürtemberg. Gef. v. 14. April 1848. Inſtructionen v. 1. Sept. und 
23. Oct. 1848. Die Ablöfung gefchieht Längftens durch 25 jährige 
Beitrenten an bie Ablöfungscafle, während den Berechtigten 4 peocentige 
Obligationen eingehändigt werden. Beſondere Zehntablöfungscafie, 
Zehntgefeb vom 13. Juni 1849, B. v. 26. Sept. 1850. — Baier: 
a. Gef. v. 4. Juni 1848. Der Berechtigte kann die &efälle an den 
Staat abtreten und empfängt dafür das 20 fache in 4 proc. Schuld: 
briefen, der Pflichtige Hat die A Proc. diefes Capitals an die Staate: 
eafle bis zur Abtragung zu entrichten, es fteht ihm jeboch frei, die in 
Geld beftimmte Rente 34 Jahre hindurch, oder 9/0 derfelben 43 Jahre 
lang an den Staat zu bezahlen und fie durch die Schuld zu filgen. 
Rah Mofer (Die bäuerlichen Laflen, S. 338 ff.) fol der Pflichtige 
!/a, der Staat !/s der Entfchädigungsfumme tragen und ber Berechtigte 
i / nachlaſſen, S. 349. Dieler Nachlaß wäre aber gerechter Weile 
nicht zu verlangen und der Pflichtige gegen die anderen Stände zu 
fehr begünfliget. 


So geſchah es mit den Yeuballeiftungen auf ber Infel Sardinien im 

Jahr 1838, f. v. Raumer, Stalin, I, 365. — Wo ber Gtant 

ohnehin einen beträchtlichen Zuſchuß giebt, da liegt biefe Anord⸗ 

nung nahe. Würtemberg. Beede⸗-Geſetz vom 27. Dectober 1836. 

— Abloͤſungsgeſetze der neueſten Zeit enthalten dieſe Beſtimmung, 
ote (e). 


4 — — 


— a — — 


— 123 — 


B. Einzelne Arten der bäuerlichen Laften. 


& Frohnen. 


$. 62. 


Die Veberlaffung von Rand an bäuerliche Landwirthe gegen 
gut&berrliche oder Herren-Frohnen, Schaarwerfe, 
Dienfte, Robothen war in frühen Zeiten ein gutes Mittel, 
bem Gutsbeſitzer bei der Bewirthichaftung feines in eigener 
Berwaltung ſtehenden Hofgutes die erforderliche Menge von 
Arbeitöträften auf leichte Weife zu liefern, da ed an Tags 
Iöhnern fehlte. Bei einer mehr ausgebildeten Landwirthſchaft 
erſcheint aber dieſe Frohnpflicht als ſchaͤdlich. Die laͤßt fich 
jo nachweifen (a): 

1) Der Landmann wirb burdh bie Berpflichtung zu Hands 
und Spannbienften empfindlich in feinen Wirthſchaftsgeſchaͤften 
gehindert, und zwar oft dann, wenn er benfelben wegen ber 
Ritterung oder anderer Umftände alle Kräfte widmen follte. 
Mit einem funftmäßig betriebenen Landbau ift die Dienftpflicht 
unvereinbar (b). 

2) Da der Frohnarbeiter durch Feine Ausſicht auf einen 
Vortheil angefeuert wird, fo arbeitet er mit Unluft und feiftet 
nicht mehr, al& er durchaus muß, L, $. 112. Daher gewöhnen 
die Srohnen an Trägbeit, die auch Teicht in die uͤbrigen Ver⸗ 
richtungen übergeht. 

3) Deßhalb ſchaden die Frohnen den Dienſtpflichtigen mehr 
als ſie den Berechtigten nuͤtzen, denn es muß zu jeder Ver⸗ 
richtung eine groͤßere Zahl von Frohnleuten aufgeboten werden, 
als man Dienſtboten und Tagloͤhner noͤthig haben wuͤrde. 
Dieſer Unterſchied iſt ein Verluſt an hervorbringenden Kraͤften, 
welcher das Volkseinkommen ſchmaͤlert. Zugleich darf man 
ſolche Geſchaͤfte, bei denen die nachlaͤſſige Verrichtung ſchaden 
kaun, den Frohnleuten wegen ihrer geringen Sorgfalt nicht 
auftragen (c). 

(e) Weſtfeld, Ueber die Abfchaffung bes Herrendienftes. Lemgo, 1773. — 


Gedanken von mößellung ber Naturaldienfte. Göttingen, 1777. — 
Dichmann, Ueber die natürlichen Mittel, bie Frohnbienfte aufs 


— 124 — 


uheben, 1795. — Meyer, Ueber Herrendienfte und deren Aufhebung. 
elle, 1803. — Hüllmann, Hiftor. und flaatswiffenichaftl. Unter: 
fuhungen ber Naturaldienfte der Gutsunterthanen. Berlin, 1803. — 
Ebel, Weber den Urſprung der Frohnen. Gießen, 1823. — Benfen, 
Materialien, I, 303. — Berhandl. ber 2. Kammer des Großh. Baben, 
IV, 8-38. — Floret, Darftellung der Berhandl. der Staͤndeverſ. 
bes Großh. Heflen in den 3. 1820 u. 21. Gießen, 1822, ©. 283. — 
Steinlein, a. a. D. $. 47 ff. — Boldmann, ©. ill. — 
Mofer, ©. 61. — Hering, S. 43. 69 (führt ältere Aeußerungen 
‚an). — Bol. die Literatur in Gfhenmaier, Staatsöfonomieredt, 
I, 147 ff, und Mittermaier, Grundfähe, $. 189 ff. — Ueber bie 
Entftehbung der Frohnen Roſcher, UI, 151. 299. 


(5) Die Zahl der Hand: und Spannfrohntage war oft fo groß, daß 
daraus ein großer Nachtheil entfland. In Rußland hat jedes er» 
wachfene männliche Mitglied einer leibeigenen Kamilie da, wo ber 
Herr ein Landgut befigt, auf demfelben 3 Tage wöchentlich zu arbeiten. 
Bol. $. 64 (B). 


(6) Vgl. Thaer, Rat. Landw., I, 151. — In Deflerreih find auf ben 
Staats:, geiftlihen Gütern und den Befigungen der Stäbte die Frohnen 
in Gemäßheit des Patents v. 1. März 1777 abgelöft, auf denen ber 
gutsherrlichen (Dominien) wurde dieſe Maaßregel anempfohlen. „Bon 
biefer Epoche beginnt eigentlich die merkliche Berbeflerung der Landes⸗ 
eultur, welche dem oͤſterr. Staate feine innere Kraft für immer ſichert.“ 
Schopf, Landw. des oͤſterr. Kaiſerſtaats, I, 75. 


$. 63. 


Die gegen bie Ablöfung der Brohnen erhobenen Bebenfen 
verdienen zwar Berüdfichtigung, find aber. body nicht erheblid 
genug, um im Allgemeinen von jener Maaßregel abhalten zu 
fönnen. 

1) Man wendet ein, ber Bauer leiſte Leichter Arbeit, als 
er Geld abgebe, weil er dieſes erft durch den, biöweilen nicht 
leichten Abfag feiner Erzeugniſſe erwerben müfle, während er 
Zeit übrig habe, um bie Brohnen ohne Nachtheil für feine 
eigenen Gefchäfte zu verrichten (a). Der Verkauf von Boben- 
erzeugnifien iſt jedoch nur in einzelnen Zeitpuncten oder eins 
zelnen Gegenden eines Landes fehwierig und muß um fo leichter 
werden, je mehr Manchfaltigkeit in der landwirthſchaftlichen 
Production bericht, je gleichmäßiger die Bevölkerung in allen 
Theilen eined Staatögebietes vertheilt ift, und je mehr bie 
Fortſchaffungsmittel fich versollfommnen. Man kann fi hierin 
auf dad gejunde Urtheil der Randleute verlaffen, welche auf 
bie Ablöfung der Frohnen nur da eingehen werben, wo fie die 
freie Benugung ber Zeit body genug anzufchlagen wiſſen. Es 





— 1235 — 


genügt alfo, wenn nur bie Umwandlung nicht ohne Einwili- . 
gung der Dienftpflichtigen vorgenommen wird, wie ed ohnehin 
angemefien it (d). Sind die aufgeftellten Bedingungen billig, 
jo werden nur in wenigen Allen die Frohnen bauernd bei⸗ 
behalten werben. 

2) Daß die Beflger großer Güter durch bie plögliche Ab» 
löſung der Frohnen in DBerlegenheit gerathen fönnen, indem 
Ke in ſchwach bevölferten Gegenden nicht genug Zaglöhner 
finden, ift nicht in Abrede zu ftellen. Diefer Uebelftand kann 
jedoch befeitiget werben a) durch die Anfegung von Taglöhner- 
familien, weldyen man kleine Stüde, 3. B. 2—3 Morgen, in 
Zeits oder Erbpacht giebt und die man das ganze Jahr bin- 
durch mit Lohnarbeit befchäftigen kann (0); b) durch befondere 
Uebereinfimft mit den Dienfipflichtigen, daß gewifle Arbeiten 
gegen ausbedungene Vergütung noch eine Zeit lang fortgeleiftet 
werben follen (d). 


() Gr. Soden, VL, 131. 
H Ebel, a. a. O. ©. 139. 


le) Röldehen, Oekonom. und „Naatsmmirtbfih. Briefe über das Nieber- 
oderbrud. Berlin, 1800, ©. 6 aer, Bermifchte Schriften, 
I. 421. — Annalen der neehlenb, Hand. Geſellſch, I, 140. II, 216. — 
Bl. Sinclair, Grundgefege des Aderbaus, &. 93. — Ueber bie 
Inſtleute in Oſt⸗- und Befpreufen: v. 9a rthauf en, Die ländliche 
Berfaffung in der preuß. Monarchie, 1839, I, 108. — Die Inftleute 
in Holfein und Schleswig erhalten 2—3 Tonnen Sand (g. 4/.- 6,7 
pr. Morgen) und werden das ganze Jahr gegen beftimmten Geldlohn 
beſchaͤftigt. Für Wohnung und Land be zahlen fie meiſtens einen Zins 
* Bund Sanı fen, —E der — in Schleswig und 
ein 6. 


(d) Nach den er. Geſetzen kann die General: Kommifflon auf Antrag 
des Gutsherrn ſolche Hülfsdienfte auf 12 Jahre anordnen; Edict vom 
14. Sept. 1811, $. 16. Declaration von 1816. 33—41. Geſetz 
vom 7. Juni 1821, $. 22. Sn der Rege I fo en nur 3 ugelaften 
werben: bei Spannbauern 10 dreilpännige Spann- und 10 Manns⸗ 
Handtage, bei Sanbbienkpflictigen 10 Hanns: und 10 Prauentage. 
Die Bergütung eines Tages iſt für das Pferd 2, für den Mann 2, 
für bie Frau 1! Megen Roggen. Für bie fpätere Ablöfung biefer 
vorbehaltenen Huͤlfsdienſte ſollen feſte Normalpreiſe aufgeſtellt werden, 
B. v. 26. Oct. 1835. — Sachſen, 5 55: Es können neue Verträge 
über Dienfte gefchlofien werben, jedo mit Kundigungsrecht. 


8. 64. 


Ungemeſſene Dienſte, d. i. ſolche, bei welchen die Zahl 
der Arbeitstage in jedem einzelnen Falle von dem Berechtigten 


— 126 — 


abhängt, find für die Pflichtigen fo ſehr brüdend, daß man fle 
vor Allem in ein feftgefegted Maaß bringen muß (a). Diefee 
ergiebt ſich theild aus dem Durchfchnittöbetrage der biöherigen 
Zeiftung, theild aus dem Zwede, zu welchem bie Frohnen an- 
georbnet find (db). Bei den herföümmlich oder durch neue Feſt⸗ 
feßung gemeffenen Frohnen fann fobann die Ablöfung be 
förbert werden, nur muß fie von allen Grundholben eines 
Gutsherrn in einer Gemeinde zugleich gefchehen. Die perfön- 
lichen Srohnen, die nicht auf gewiffen Grunbftüden liegen, 
fondern aus einem Rechte des Butöheren gegen alle Gemeinde 
mitglieder fließen, eignen fi wegen ihres Zuſammenhanges 
mit dem öffentlichen Rechte zu einer Beihülfe ber Staats— 


cafe (e). Auch bei den binglichen ober walzenden 
Frohnen iſt in einigen Staaten aus ähnlichen Nüdfichten ein 
folcher Staatözufhuß, jedoch in geringerem Maaße, bewilligt 
worben (d). Häufig verftändigen fid, beide Theile ganz von . 


felbft über ein Maaß des Abkaufspreifed oder der jährlichen 


Vergütung (Dienftgeld), fo daß aud) beide dabei gewinnen. 


Wo bieß nicht gelingt und daher die Ablöfung einer obrigfeit- 
lichen Entfcheidung bedarf, da muß bie Ablöfungefumme auf 
folgende Weife ermittelt werben: 


1) IR die Zahl ber Tage von Hands und Spannbienften 
beftimmt, fo werden fie nach dem gewöhnlichen Lohne zu Gelb 
angefchlagen, und es wirb wegen ber geringeren Leiſtung ber 
Frohnarbeiten ($. 62) ein Abzug gemacht (e). 


2) Bei foldhen Frohnen, bie zu einem gewiſſen Zwecke, 
indbefondere zu Tandwirthfchaftlichen Verrichtungen auf dem 
Gute des Berechtigten beftimmt find, ift darauf Rüdficht zu 
nehmen, wie viele Lohnarbeiter nad) allgemeinen landwirth⸗ 
fchaftlihen Erfahrungen und den örtlichen Umftänden zur guten 
Erreihung bes Zweckes nöthig fein würden (f). 


3) Bei Bauftohnen wird der Bedarf an Dienften zum 
Unterhalt und zum Neubau nad) Größe und Befchaffenheit der 
Gebäude und dem Maaße der Verpflichtung erforfcht (9). 


4) Sn jedem Kalle wird die vorgefchriebene Gegenleiſtung 
des Berechtigten, 3. B. bie Bekoͤſtigung, abgerechnet. 


| 


| 
| 





— 127 — 


‚() Bande Frohnen, die dem Mißbrauche zu fehr auegefept find, werden 


d 


daher billiger Weife unentgeltlih aufgehoben, 3. nach dem preuß. 
Sf. v. 2. Mär; 1850 $. 3, Nr. 7 u. 8, Frohnen zur Bewachung 
guisberrliher Gebäude und Srundftüde, zu perfönlihen Bebürfniffen 
ter Gutöberren und ihrer Beamten. 


Audbart, a. a. D. ©. 216. — Mittermaier, $. 195. — Sachſen 
$. 174: 6jähriger Durchſchnitt der bisherigen Frohnleiſtungen, doch 
mit der Rüdficht, daß Menſchen und Thiere nicht über Kräfte ange 
Rrengt werden und die Bröhner im Stande bleiben, ihre eigene Wirth: 
(haft fortzuführen. — Baden, Krohn: Befeh v. 28. Dec. 1831, $. 10: 
Durchſchnitt der Leiftung von 1822—31. — Hannover 8. 98 ff.: Iſt 
die bisherige Groͤße der Leiflung im Durchſchnitte der legten 18 Jahre 
nit zu ermitteln, fo wird die Zahl ber Dienfitage von Sachverſtaͤn⸗ 
digen mit Ruͤckſficht auf den Bedarf des Berechtigten und die Leiſtungs⸗ 
Fühigfeit des Pflihtigen feftgejegt. — Würtemberg. Frohnabloͤſungs⸗ 
geſeß vom 28. Oct. 1836, 8. T—10. 29: wenn fein beftimmtes Maaß 
der Krohn zu ermweifen if, fo nimmt man den Durhihnittebeteng der 

ehabten Leiftung ; fehlt diefer, oder ift er wegen einer neuerlichen 
Beranterung nicht paflend, fo entfcheidet eine Saäpung; ein Ueber: 
maaß in Berbältnig zu dem Zweck des Berechtigten oder zu ben 
Kräften des Pflichtigen ift auf Das richtige Maaß zurüdguführen. — 
In dem öfterreihiihen Kaiferftaate wurden fchon durch Watente von 
1771-86 für die einzelnen Provinzen die Frohnen auf ein beftimmtes 
Mans gebracht. Schopf, I, 115. Im öfter. Schleſien und Galizien 
waren für ten Befitzer einer ganzen Hube 156 Frohntage hoͤchſtens 
erlaubt (3 zage wöhentlid), in anberen Provinzen weniger, in Defters 
reih ob der Gns nur 14, in der Bufowina höchftens 12. Springer, 
I, 311. In Ungarn ruhten auf einem ganzen Bauerngute (sessio, 
Anfäffgkeit) von 16-50 Joch (die Joche von 11—1300 D. Klafter) 
52 Spann- oder 104 Handrobottage; der Häusler hatte 18, der Tag: 
loͤner ohne Haus 12 Tage. — Dldenburg $. 59: Entſchädigung 
fält hinweg, wenn in ben lebten 30 Jahren nichts geleiftet worden 
iſt. — Genaue Beftimmung über die nach der Aufhebung ber Leibs 
eigenſchaft von den ruffifchen Bauern zu leiftenden Frohnen im Rigle- 
ment sur V’organisation territoriale des paysans v. 1861 $. 187—236, 
vol. oben 8. 47a. (ec). 


Die preuß. Regierung hat in ven ehemaligen E. weflfälifchen, bergifchen 
md hanfeatifhen Lanbestheilen bie perfönlihen und die ungemeflenen 
Frohnen als Folgen der Leibeigenfchaft oder Erbunterthänigfeit für 
aufgehoben erflärt. Gef. v. 25. Eept. 1820, $. 3. 4. — Bat. Gef. 
vom 28. Dec. 1831, $. 2: der Berechtigte erhält bei perfönlichen 
Frohnen den 12fachen Betrag des mittleren Werth, nad Abzug ber 
ragenleiftungen, wovon nad 8. 4 die eine Hälfte aus der Stante- 

e, die andere aus der Gemeinbecafle beftritten wird. Das Geſetz 
v.5. Det. 1820, 8. 7 hatte nur beflimmt, daß die perfönlichen Frohnen 
1 fach abgelöfet werben Eönnten, ohne einen Staatszufhuß zu ver⸗ 
Seifen. — 9. würt. Gef. $. 14: ber Berehigte erhält das 20 fache, 
und zwar Halb vom Staate, halb von den Pflihtigen. Frohnen, bie 
erweislich aus der Leibeigenfchaft herflammen, werden nad bem Gef. 
v. 29. Det. 1836 ganz vom Staate abgelöf. — Das baier. Gef. v. 
4. Juni 1848 Art. 2 Hebt alle Naturfrohnen ohne Entſchaͤdi⸗ 
gung auf. 


(a Baden, a. Gef. v. 1831: der Berechtigte erhält das 18fache (nach 


Gel. v. 1820 das 20 fache), wovon die Gtaatscafle */s trägt. — 








—— 130 — 


behaltene Entrichtung, bald als Steuer ober als Firchliche 
Abgabe eingeführt worben ift; biefe verfchiedenen Entſtehungs⸗ 
arten find aber für jebe einzelne Gegend nicht mehr nachzu⸗ 
weifen und haben auf bie heutige Natur des Zehnten, ber 
wie bie übrigen Reallaften eine dem Privatrechte angehörende 
Schuldigkeit bildet (c), feinen Einfluß mehr. Abgefehen von 
der Eigenthümlichfeit ded Zehnten, fih nach dem rohen Er- 
trage zu bemeffen, ift er aud eine große Abgabe. If z. 2. 
der Reinertrag der Ländereien ungefähr 20 — 40 Proc. bed 
toben, fo nimmt ber volle Zehnte von 10 Proc. die Hälfte 
ober minbeftend 1! ded reinen Ertraged hinweg, oder wenn 
man für die Einfammlungsfoften 1/s des Zehnten (2 Proc.) 
abzieht, doch wenigſtens 2/; — !/s der Grundrente (d). Diele 
Größe der Zehntlaft bildet zwar eine unerwünfchte Vertheilungd- 
art ded aus den Ländereien fließenden Einfommend, muß aber 
ald eine nicht abzuändernde Thatfache angenommen werben, 
weil die Zehntrechte gleichen Schug wie alle anderen Rechte 
anfprechen koͤnnen. 


(a) Es ift nicht immer gerabe ber zehnte Theil des Rohertrages. In 
den cheingauifchen Mebbergen war er !/ıe, in Naflau hie und ba "is, 
eo bis !/aa. Der ungarifche Bauer giebt !/ıo an die Geiftlichkeit und 
vom Refte 1/o an den Gutsherrn, alfo zufammen %/s. — Weber ben 
Sehnten A. Doung, Bolit. Arithmetif, ©. 24. — Ad. Smith, 
V. 8. 2. Gap. 2. Abth. 1. Abſ. IV, 183 Baf., ©. 377. Ausg. von 
Mac Culloch. — Thaer, Engl. Landw., III, 86. — Sinclair, 
Grundgeſetze des Aderbaues, S. 63. — Lips, Miergeiehb: ©. 109. — 
Craig, Politik, ILL, 57. — Berhandl. des engl. Unterhaufes am 
22. Mai 1816, in Europ. Annalen, 1818, X, 112. — Berhandl. ber 
2. Kammer in Baben, 1819, I, 93, IV, 158, V, 104. Verhandl. 
ber 1. und 2. Kammer v. 1831 und 33. — Verhandl. der naſſauiſchen 
Deput. Berf. 1821, S. 126. 174. — Krönde, Ueber die Nachtheile 
bes Zehnten. Darmſtadt, 1819. vgl. mit Floret, Darftellung ber 
Verhandl. d. heſſ. Ständeverfamml., S. 296. — Klebe, Grundſ. 
ber Gemeinheitstheilung. I, 225. — Weindel, Ueber den Zehnten. 
Heidelb. 1828. — Krönde, Ueber Aufhebung, Ablöfung und Ber 
wandlung der Zehnten. Darmft. 1831. — v. Sensburg, Die Ab 
Ihaffung der Zehnten. Heidelberg, 1831. — 8. S. Zahariä, Die 
nufhebung, Ablöfung und Umwandlung bes Zehnten. Heidelb. 1831. — 
v. Babo und Rau, Ueber die Zehntablöfung ebend. 1831. — Ruef, 
Ueber die Aufhebung des Zehnten. Freiburg, 1831. — Mofer, Die 
bäuerl. Laften, S. 266. — Elsner, Politik der Landw., I, 184. — 
206 und Regenauer in Rau’s Archiv, I, 287. 298. — Mac 
Culloch, Statist. account. II, 403. — Bogelmann, Die Zehnt: 
ablöfung im Gr. Baden. Karleruhe, 1838. — Mathy, Der Zehnte 
wie er war, wie er ift und wie er nicht mehr fein wird. Biel, 1838. — 
Für den Zehnten: Thibaut in Berhandl. der bad. I. Kammer, 1819 
(Meberf. der ftänd. Verbandl. v. 1819, II, 37). — v. Seyfried 


—— 131 — 


und Köhrenbach, in Berhanbl. der 2. Kammer, 1819, V, 110. 
126. — Muͤller, Ginige Worte über den Entwurf der Zehnten⸗ 
Mlöfung, Freiburg, 1831. 


(2) Zehnte bei den Aegyptern, Kartbaginenfern (in den Herkulestempel zu 


( 


Ds 


Tyrus), bei den Hebräern, zum Unterhalte der Leviten, nad 3. Buch 
Mof. Cap. 27. V. 30—33, mit mancherlei Heinlichen Beflimmungen 
der Mifchna, um bie Verkürzung der zehntberechtigten Briefterfafte zu 
verhüten. Jahn, Bibl. Archäologie, III, 417 (1805). — Reynier, 
Econ. public. et rur. des Arabes et des Juifs, ©. 214. Der Zehnte 
der Hebräer bat wahrfcheinlih in den chriftlihen Staaten die Cin⸗ 
führung der nämlichen Abgabe veranlaßt. — Römifche Staatsländereien 
(sger publicus), durch Sroberungen fehr vermehrt, an die Nusnießer 
(possessores) um den zehnten Theil der Weldfrüchte oder 1/5 des Obſts 
und Weine überlaflen; die ſpätere Fortdauer diefes Berhältnifies ift 
jedoch zweifelhaft, da die Grundftüde der Städte im roͤmiſchen Staate 
auf Zins (vectigal) ausgethan wurden und für bie Faiferlichen Privat: 
üter die emphyteuais üblich wurde. Gewiß ift das Vorkommen des 
bnten im oflrömifhen Reiche unter Juſtinian IL Yür die Ablei⸗ 
tung des Zehnten aus den römifchen Ginrihtungen Birnbaum, 
Ueber den Urtprung bes Zehnten, 1831, und deſſen: Die rechtliche 
Natur des Zehnten, 1831, vgl. Vuy, De originibus et natura juris 
emphyteutici. Heidelb. 1838. Im fränkifchen Reiche wird der Zehnte 
hen im Jahre 560 erwähnt, als Abgabe an die Kirche, Birns 
baum, ©. 125. Das Gapitulare von 801 bei Baluz. I, 356, ver: 
ordnet, daß */ des Zehnten ben Biſchöfen, Ya den unteren Geift: 
lihen, 1/4 den Armen zukommen, das lebte 1/, für die Kirchengebäude 
und Zubehör verwendet. werden folle. eben den Ficchlichen kamen 
auch fortbauernd weltlihe Zehnten vor. Kirchenzehnten in England, 
wahricheinlih mit dem Chriftenthum felbft eingeführt, von Offa, 
König von Mercia, zuerft geſetzlich vorgeſchrieben. Erſt nad) der nor⸗ 
mannifhen Groberung hörte bie bisherige Freiheit des Grundeigen⸗ 
thümers auf, den Zehnten jedem Geiftlihen nad Gefallen w eben. 
Yladftone, Handb. des engl. Rechts, überf. von v. Golpiz, 
I, 254, vgl aber Birnbaum, ©. 191, Mac Culloch, a.a.D. — 
Unter der Herrfchaft der Benezianer in Morea (1685 bis 1715) wurden 
Ländereien, Die vorher von ben Türken befeflen worden waren, zum 
eil gegen ben Sehnten auf 5 bis 8 Sahre verpadtet, Ranke, 
Hiſtor. polit. Zeitfchr. IE, 3. 1835. — Außer Feldfruͤchten und Thieren 
wurden bie und da auch andere Dinge dem Sehnten unterworfen, 3.2. 
Srefiihe in einigen Orten von Cornwall, zu Gunften ber Seihlicteit 
die au in Darmouth !/ao der eingefangenen Geringe, nach Abzug ber 
Kofen, bezieht. — —— in Norwegen, 1545 bald nad der 
Ginführung der Sägemühlen angeordnet, Beckmann, Beiträge zur 
Geſchichte der Erfindungen, II, 271. — Bergzehnte. — ©. noch 
(Heder) Kurze Gefchichte der Entfichung bes 8.⸗NRechts, Karls⸗ 
rufe, 1822. — Mofer, Die bäuerl. Rechte, ©. 40. — Kühlen: 
thal, Die Geſchichte des deutſchen Zehnten, Heilbronn, 1837. — 
Rittermaier, D. Privatrecht, $. 181. — Rofcher, II, 295. 


Der Sehnte iſt im Privatverfehre, er wird verkauft, er ift ferner 
umveränberlih und bat die Steuernatur ganz verloren. 


() Auf ſchlechtem Boden, wo die Ausfaat ungefähr nur bdreifältig geerntet 


wird, macht der Zehnte fogar gegen */s des Meinertrages und wird 
daher in einzelnen Faͤllen höher verpachtet, als ber gehntbare Acker. 
Meyer, Gemeinheitstheil. I, 114, ſ. auch Moſer, ©. 268. 

9° 








— 132 — 


8. 67. 


Der Zehnte empfiehlt fich allerdingd wegen feiner großen 
Einfachheit und des ficheren Eingehend, auch fann man ihn feine 
ungerechte Laft nennen, zumal da die zehntbaren Gruntftüde 
verhältnigmäßig wohlfeiler erfauft werden. Er war in früheren 
Zeiten, bei einem funftlofen Betriebe ber Landwirthſchaft und 
ganz fehlendem oder fchwierigem Abſatz der über den eigenen 
Bedarf gewonnenen Bobenerzeugnifle eine zwedmäßige Abgabe, 
aber er hört mit ber Zeit auf, dieß zu fein. Seine Nachtheile 
für den Zehntpflidhtigen und für die Volkswirth— 
[haft find hauptfächlich diefe: 

1) Er ift eine zunehmende Laſt. Steigt fein Geldbetrag 
mit den Preifen der landwirthfchaftlichen Erzeugniffe, fo ift dies 
feine ftärkere Befchwerde für den Zehntpflichtigen, weil befien 
ganze Einnahme gleihmäßig anwaͤchſt. Ruͤhrt aber die Zu 
nahme ded Zehnten von der Vermehrung ded Naturalertraged 
her, fo ift diefe meiftend auch mit -einer Bergrößerung der 
Koften verbunden, wobei von einem gewiflen Zuftande bed 
Anbaus an jeder weitere Ertragszuwachs eine geringere Duote 
bed Reinertrags übrig läßt (I, 8. 215 a), den ber Zehnte 
noch weiter vermindert und endlich ganz aufzehrt (a). Diep 
findet hauptfächlich bei einem folchen Eapitalaufivande ftatt, 
befien Wirkung fi) nur auf fürzere Zeit erftredt, fo daß bie 
jährlich zu erftattenden Koften nicht allein, wie bei bauernden 
Orundverbefferungen, den Zins⸗ und Gewerböverdienft, fonbern 
aud einen Theil oder den ganzen Betrag des verwendeten 
Capitals enthalten und folglich der Zehnte einen Theil dieſes 
Capitalerſatzes verfchlingt (5). Diefer Nachtheil wird deſto 
lebhafter empfunden, je mehr die Landwirthe in ihrem Gewerbe 
ben Ertrag und bie Koften zu berechnen pflegen; er ift erheb- 
licher im großen Betriebe, als bei kleinen ©ütern, wo ber 
Landwirth Zeit übrig behält und feine eigenen Arbeiten nicht 
gerade nach dem Geldlohne in Anfchlag bringt (5); er ift ferner 
größer bei Gewaͤchſen, die viele Arbeit erfordern, als bei 
Getreide und Butterfräutern (ce). Der Neubrudh- (Noval-) 
Zehnte ift in biefer Hinficht der verderblichfte, fo wie auch 


— 133 — 


ber Blutzehnte der Viehzucht fehr ſchaͤdlich if. Manche 
unergiebige Grundftüde bleiben des Zehnten willen unangebaut. 

2) Die mit dem Einfammeln und Heimführen des Zehnten 
verbundenen Koften und Verluſte find eine biefer Art von 
Abgaben eigenthuͤmliche Schmälerung des ganzen Bolfseins 
fommend, welche bei einer anderen Entrichtungdforn hinweg⸗ 
fällt (d). 

3) Die Entrichtung des Zehnten befchränft den Landwirth 
in der Anwendung des beften Verfahrens, da er 3. B. nicht 
auf einzelnen Theilen eines Grundftüdes wegen ber ungleichs 
jeitigen Reife der Gewächfe zu verichiedenen Zeiten ernten barf, 
in der Benugung günftiger Witterung gehindert ift und dgl. 
Ter Weinzehnte veranlagt den Zwang zum gleichzeitigen Leſen 
ter in einem Ylurbezirf liegenden Rebgärten (e). Auch Vers 
änberungen in ber Bodenbenußung (Eulturveränderungen) finden 
in der Einſprache des Zehntherrn oft ein Hinderniß (f). 

4) Der Berluft des Strohed der Zehnigarben fchabet ber 
Düngererzeugung in der Wirthfchaft des Zehntpflichtigen. 


(ce) Beiipiel. Der Gentner eines Pflanzenftoffes gelte 3 fl. In der fols 
genten Tafel bedeutet E Lie Ernte eines Morgens, K die Anbau⸗ 
often eines Gentners, RB den Peinertrag, r benfelben, wenn vom 
Kohertrage der Zehnte entrichtet wird. Es ift daher vielleicht | 








E | K R — r 
14 Etr. 2 f. 14 fl. 9,8 fl. 
16 = 2,15 14,8 = 9,8 ⸗ 
18 ⸗ 2,8⸗ 14,16 ; 8,8 = 
20 2, ⸗ 14 ⸗ 8 : 
22 » 2,5 : | il : 4,8% ⸗- 
24 ⸗ 2,7 ⸗ 1,3 0 : 





Auf zehntfreiem Felde nimmt erft bei mehr als 2,1 fl. Koſten der 
Reinertrag wieder ab, auf dem zehntpflichtigen verfchwindet er bei 
2,’ fl. Koſten und 24 Etr. Ertrag. 


(& 


Su 


Merden 100 fl. auf dauernde Meliorationen gewendet, fo genügt ein 
jährlicher Mehrertrag von 8-10 fl. (I, $. 131), wovon der Zehnte 
nur %/s — 1 fl. wegnimmt. Würden aber die 100 fl. auf flärfere 
Düngung verwendet, fo daß die MWirfung nicht über 3 Jahre dauerte, 
fo müßte der gefammte Mehrertrag in diefem Zeitraum die 100 fl. 
nebt Zinfen und Gewinn einbringen, alfo ungefähr 124 — 130 fl. 
Hievon gehen aber 12,1— 13 fl. für Zehnten ab, woburd ber Ueber: 
Ihuß über die erflatteten 100 fl. auf 3,7—3,9 Procent vermindert 
wird. Wenn vollends die aufgewendeten 100 fl. fih nur in einer 
einzigen Ernte wirkſam zeigten, fo müßte diefe das Capital fammt 
Zinien und Gewinn, b. h. gegen 108 - 110 fl. einbringen. Da aber 








— 134 — 


der Zehnte dieſes Mehrertrages fh auf 10,8—11 fl. beläuft, fo hat 
ber Unternehmer noh Schaden. Es liegt demnah im Interefle ber 
gehntpflichtigen, fih vor ber Vergrößerung ber Sahresauslagen ji 
hüten. In England kam der Krappbau erft auf, nachdem eine Parla⸗ 
mentsarte die Naturalerhebung des Krappzehnten abgefchafft hatte. 
Crumpe, Ueber die Mittel dem Volke Arbeit zu verfhaffen, S. 9. 
In der Pfalz wurde 1778 für Krapp und Hopfen ein fires fehr mäßiges 
Geldſurrogat eingeführt. In Defterreih find die Futtergewaͤchſe, 
welche nah 2 Ernten im dritten (Brach:) Jahre auf einem Felde ge: 
baut werden, zehntfrei. Schopf, II, 357. 


(0) So ertlärt ih, daß der Anbau ungeachtet der Zehntpflicht Fortſchritte 
gemacht a; er mwürbe aber ohne fie noch weit mehr verbeſſert 
worden fein. 


(a) Die fchwäbifhen Bauern verlangten im Bauernkriege, baß ihnen 
fein anderer Zehnte, als von Getreide, auferlegt würde, f. die zwoͤlf 
Actifel bei Sleidanus, De statu religionis etc. Lid. V. ©. 128. 
it theingauifchen Bauern wollten nur ?!/so flatt des Zehnten ent: 
richten. 


(c) Man hat diefe Koften auf wenigftens se, auch wohl auf 1/— "u 
berechnet. Der Körnerverluft beim Zufammentragen der Zehntgarben 
net. Felde wurde im Großh. Baden (zu body!) auf 400000 fl. 
geichäßt. 


(f) Beifviele bit Schopf, LI, 355. In Defterreih muß ſich der Zehnt: 
pflichtige, wenn er zehntfreie Brüchte auf zehntbarem Lande bauen 
will, vorher mit dem Zehntherrn abfinden. 


8. 68. 


In Beziehung auf den Zehntherrn hat ber Zehnte den 
Nachtheil, daß die Zehntpflichtigen ſtets in Verfuchung find, 
dur unrebliches Verfahren den Antheil des erfteren zu ſchmaͤ⸗ 
lern. Die zahlreichen, gegen folche Betrügereien ergangenen 
Verordnungen lafien ſchon auf die Häufigfeit des Uebels 
ſchließen. Eine fefte Rente ift nicht fo gehäfftg wie ber 
Zehnte, weil fie bei einer durch den Fleiß des Landwirthes 
errungenen Bermehrung bed rtraged nicht größer wird. 
Dagegen hat berfelbe auch einige Vorzüge, bie den Zehnt 
bern einer Ablöfung abgeneigt machen; dahin gehört die Aus— 
fiht, ohne alle Mühe durch Erhöhung ber Preife oder Aus: 
behnung des Anbaues eine größere Einnahme zu genießen, 
und der Umftand, daß bei dem Zehnten wegen der Erhebung 
bei der Ernte feine Ausftände vorfommen und der Pflichtige 
immer im Stande tft, die Abgabe zu leiften. Diefe Bortheile 
müflen bei einer Ablöfung gleichfalls berüdfichtiget werben. 








— 135 — 


$. 69. 


Die Größe der Zehntlaft (a) macht ben Abkauf in Geld 
beſonders fchwierig, wenn er nicht von der Regierung erleich- 
tert wird ($. 61), und die Befreiung bed Zehntpflichtigen kann 
teshalb nur langfam erfolgen (d). Die Abtretung von Rand 
wirb aus demfelben Grunde in den meiften Fällen unpaffend, 
weil fie dem Zehntpflichtigen einen zu großen Theil bes 
Bodens entzieht (ce). Es ift alfo auch hier, wie im Allge—⸗ 
meinen ($. 57 ff.), die Umwandlung in eine Rente, befon- 
ders in eine tilgende Zeitrente ($. 62) vorzuziehen. Man 
bat dagegen erinnert, daß beim Zehnten die Entrichtung bes 
Schuldnerd immer im gleichen Verhältniß zu feiner Zahlungs 
tähigfeit ſtehe, indem er bei reichen Ernten viel, bei fchlechten 
wenig gebe, während eine gleiche Rente in theuren Jahren 
böchft drüdend fei (d). Dieß gilt jedoch Hauptfächlich nur 
von einer Rente in Körnern, weniger von einer in Geld oder 
nach Getreidepreifen angelegten Rente (8. 59) und ber Nach—⸗ 
theil hebt fh hier ſchon dadurch auf, daß wegen ber Abzüge 
vom rohen Ertrage, die dem Zehntpflichtigen zu Gute fommen, 
feine fünftige Leiſtung geringer ift, ald der Zehnte, ohne daß 
ter Berechtigte etwas verliert (e). Bei einer nach Getreide⸗ 
preifen regulirten Rente hat berfelbe fogar die Ausfiht, daß 
mit diefen Preiſen auch feine Einnahme zunehmen werde. Auch 
jeigt die Erfahrung den guten Erfolg der Zehntummanblung (f). 
Der gefammte Bodenertrag muß zunehmen, fowohl durch beſſere 
Benugung des bisherigen Aderlandes, ald durdy Urbarmachung 
von Weiden und Dedungen, und hiedurch wird der wachfenden 
Volksmenge der Bedarf an Bodenerzeugniſſen ohne Erhöhung 
des Preiſes geliefert. Eine Preidernievrigung ber Boden» 
erzeugnifie ift dagegen nicht fo ficher und nur in geringem 
Grade zu erwarten, denn fie kann nur flattfinden, wenn man 
im Stande ift, mehr und zugleich mit geringeren Koften zu 
gewinnen (9). 

(«) In Baden wurde vor der Ablöfung ber aut bes Sehnten auf 

2103090 fl. und mit Cinrechnung des Strohes auf 2'/; Mill. Gulden 


angeihlagen, Koſten, Steuem, änge und Binheimfungstoften auf 
3 Proc., alfo der Reinertrag auf 1800000 fl. Bon dem obigen 





— iss — 


Zehntertrage bezogen das Domaͤnen⸗-Aerar die Hälfte, Kirchen nnd 
Schulen über 22 Procent, Standes: und Grundherren 21 Procent, 
f. Berbantl. der 1. Kammer v. 1833, L Beilage. — Die Aufhebung 
des Zehnten ohne Erſatz kann ale widerrechtlih hier nicht in Betracht 
fommen ; Frankreich 1789 (doch nicht alle Zehnten); Spanien, Cortes- 
befhlug vom 29. Juli 1837; der fpaniihe 3. gehörte der Kirche und 
wurde auf 400 Mill. Realen (= 50 Mill. fl.) jaͤhrlich angeſchlagen. 
de ai ‚ Voto Particular y discursos sobre el diesmo. Madrid, 
1840. ©. 16. 


(5) Sn Baden iſt mit der Ausmittlung des Reinertrages ſogleich auch der 


(4) 
(e) 


Abkauf verbunden. Zur Grleihterung dieſer Abloͤſung dienen 1) ter 
Staatszufhuß von %s der Entihädigungsfumme, der noch überdieß 
für die fpäter Ablöfenden vom 1. Jan. 1834 an 10 Jahre hindurch 
zu A Proc. verzinfet wurde. Da übrigens auf die Zehntpflichtigen ein 
großer Theil der Steuern fällt, fo müflen fie von dem Staatszuſchuſſe 
auch einen folder Theil felbft aufbringen. 2) Die Errichtung der 
Zehntfchuldentilgungscafle, |. oben $. 60 (8); vgl. $. 54 (a). . 


Sie it in England öfters vorgelommen, f. Brougham's Rede, 
oben $. 66 (a). — Bgl. Herzog, Staatswirthfchaftlihe Blätter, 
II, 24. (&t. 1820.) — Gegen diefes Mittel: Ueber die Zehntverhält- 
niffe im Fürſtenth. Halberflabt. Quedlinburg, 1839. 


©. bie in $. 66 (a) am Ende angeführten Stellen, und Herzog, 
S. 22, aud die von Mofer S. 287 mitgetheilten Auszüge. 


Daher kann der Zehnte felbft zur Tilgung benugt werben. Betragen 
3. D. die Abzüge 20 Proc., fo bat der Zehntherr von 100 fl. bis⸗ 
heriger Zehntichuldigfeit nur 80 anzufprehen. Werten aber fernerhin 
100 aufgewenbet, fo dienen die letzten 20 zur Abtragung der Ablöfungs= 
fumme von 1600 fl. und mit 1*/s Proc. wird Dietelbe in etwas mehr 
als 32 Jahren getilgt. 


(f) In Schottland iſt unter Karl L die Umwandlung in eine Raturalrente 


() 


vorgenommen worden, mit der man zufrieden iſt, vielleicht weil die 
biebei möglichen Unbequemlichkeiten dort wegen der großen Erweiterung 
des Landbaues nicht empfunden wurden. Im Großh. Heffen wurden 
nach der B. vom 15. Aug. 1816 (Bigenbrodt, III, 236) viele 
Staatszehnten in Körnerrenten umgewandelt, nah dem 18jährigen 
Durchſchnittsertrag und nad Abzug aller Koften. Eine Anzahl von 
gen fonnte mit einer Rente von 106000 fl. die bisherige 
auf 236000 fl. angefchlagene Zehntlaft ablöfen. Bis Ente 1830 
waren in 320 von 604 Gemeinden die Ablöfungen vollzogen. — Ueber 
bie Zehnts Firirungen in Baiern f. III, $. 163. 


I, $. 216. Es jeien die Grzeugungsfoften eines Gentners Waizen in 
vier verfchiedenen Fällen (3. B. Feldern verfchiebener Güte ıc.) 2. — 
24a fl. — 3f. — 34 fl., und der Preis fei 31/5 Hd. Die Aufhebung 
des 8. wirft wie eine Verringerung der Koften um 40 bes Preiſes 
oder Y/z fl, alfo find diefe nunmehr 1%/; — 2/e — 2% — 3 fl. Wird 
nun das Angebot vergrößert, fo kann dadurch der Preis bis auf 31/s fl. 
der abgebruct werden. üßte man aber, um mehr zu erzeugen, zu 
hlechterem oder entlegnerem Lande, oder überhaupt zu einem koſt⸗ 
bareren Anbaue greifen, wobei der Centner mit bem Sehnten etwa auf 
3,7 fl. kaͤme, fo fann bderfelbe auch jeßt nicht unter 34/5 fl. erzielt 
werden. — Eine Srhöhung der Grundrente ift deshalb unausbleiblich. 
Bon einer Gemeinde von Rheinheflen fagt Mofer, ©. 356 nad 
Neeb: „Der größere Theil der Gemarkung liegt auf Höhen bis zu 


— - 137 — 


1 Stunde Entfernung und if von fehr mittelmäßiger Güte. So lange 
ter 3. beitand, wurden biefe entfernten Felder faft niemals gedüngt, 
nur überjährig bebauet und mit leichteren Eommerfrüchten beftellt. 
Die Abfhaffung des 3. änderte das ganze Ackerſyſtem.“ Man büngte 
nun biefe Kelder, ihr Preis flieg und es wurde im Ganzen mehr 
geerntet. 


8. 70. 


Die Umwandlung und Ablöfung des Zehnten ift in einigen 
Ländern abgefondert, in anderen als Beftandtheil bed ganzen 
Ablöfungsgeichäfts der bäuerlichen Laften unternommen worden. 
Tie für fle geltenden befonderen Regeln find Hauptfächlich 
folgende (a): 

1) Die Zehnipflitigen follten zwar nicht zur Ablöfung 
gezwungen werden, aber die Minderzahl derſelben in einer 
Gemeinde muß fih dem Befchluß der Mehrzahl. unterordnen, 
weil man feinem Zehntherrn zumuthen fann, fich die Ummands 
fung anders ald von allen Pflichtigen in einer Gemeinde zus 
gleich gefallen zu laſſen (d). Kommt eine Bereinbarung unter 
den Betheiligten über bie Entfhädigung zu Stande, fo ift 
tieß fehr erwünſcht, weil dabei alle Befchwerden und aller 
Zwang hinwegfallen, auch dad Gefchäft leichter und wohlfeiler 
iR (c). 

2) Es wird ber durchichnittliche Ertrag des Zehnten in dem 
verflofienen Zeitraum berechnet, 8. 57. Muß hiebei der Pacht⸗ 
zins von verpachteten Zehnten benugt werben, fo tft es billig, 
kaß fowohl den Zehntherren als den Pflichtigen geftattet wird, 
Beridtigungen ded PBachtzinfed zu verlangen, indem fie bes 
weiſen, daß er zu niedrig oder zu hoch gewefen fei (d). Wo 
feine zuverläfftgen Aufzeichnungen aus dem beftimmten Zeits 
raum (Rormalperiode) vorhanden find, wird eine Abfchägung 
mit Zuziehung von Sadjverfländigen zu Hülfe genommen (e). 

3) Bon dem rohen Ertrage werden bie Koften und Vers 
Iufte abgezogen, weldye den Zehntherrn treffen, bis ber Zehnte 
in jeinen Beſitz und in eine, die Aufbewahrung geftattenbe 
Form gebracht if, alfo die Ausgaben für die Einfammlung, 
dad Einführen, dad Drefchen, Keltern ıc., für Geräthfchaften, 
Scheunen, Kelten ıc., fodann Abgänge und Nadhläffe (f). 
Der Zehntberr hat nur auf den reinen Ueberſchuß Anſpruch, 


— 138 — 


auch ift zu erwägen, baß der Zehntpflichtige wenigſtens einige 
diefer Koften fünftig felbft zu beftreiten bat, wenn ihm ber 
volle Ertrag verbleibt (g). 


(a) Beifpiele: K. weitfäl. B. vom 18. Auguft 1809. — Großh. heil. 
B. vom 15. Auguft 1816 (fiscalifhe 3.) und vom 13. März 1824 
(Privat:3.). — Preuß. Geſ. v. 7. Juni 1821 über die Laften eigen: 
tbümlicher Grundſt., F. 30 ff. — Baier. B. vom 8. Februar 1825 
Geſ. v. 4. Juni 1848 Nrt. 8 ff. — Bad. Gef. v. 25. Nov. 1833. — 
Hannover, $. 63 ff. — Würtemberg, Geſetz vom 17. Juni 1849. 
SHauptinftruction vom 22. März 1850. — Engl. Gefeb vom 13. Aug. 
1836 (6. und 7. Wild. IV. Cap. 71), dazu einige Nachträge im 
Geſ. v. 15. Juli 1837 (1. Bict. Gap. 69) und Report of the tithe 
Commissioners for England and Wales, i. Mai 1838, f. auch 
Jelinger C. Symons, Plain rules for commutation of tithes. 
London, 1839. Der 3. wird in eine Rente umgewandelt; doch darf 
einem geiftlihen Zehntherrn auch eine Landentihädigung mit feiner 
Zuftimmung gegeben werben, aber nicht über 20 Acres. Die Zehnt: 
Commiſſion in London beſteht aus 3 Mitgliedern, deren eines ber 
Erzbifhef von Ranterbury ernennt. Sie ift befugt, ſich Aſſiſtenten, 
bis auf 10, beizugefellen (assistant commissioners). Peel entwidelte 
fhon im März 1835 feine Anficht, dag man ohne Zwang bie frei: 
willige Ablöfung befördern folle, die ſchon in 2000 Gemeinden ge 
lungen fei, aber wegen ber jedesmal erforderlihen Parlamentsacte 
(private bill) fehr viel Koften verurfadhe. — Die Umwandlung bes 3. 
in Irland ift nad) mehrjährigen vergeblihen Berfuhen duch die 
Parlamentsacte vom 15. Aug. 1838 (1. & 2. Vict. C. 109) beſchloſſen 
worden. Der 3. gehört in Irland der Geiftlichfeit der anglicanifcen 
(biſchoͤflichen) Kirche, und feine Beitreibung von ben meiftens katho⸗ 
lifhen Zehntpflichtigen war ein Anlaß vielfacher Erbitterungen. Die 
roße Zerfplitterung des Landes in Heine Pachtgüter und bie Gewohn⸗ 
hei dem Pachter den Zehnten aufzubürden, machte den Ginzug 
hwierig. Man fand 3. 3. 20 Gemeinden, in denen 7005 Zehnt: 
pflichtige Tebten, und von diefen hatten 2344 unter 9 Pence (27 Kr.) 
zu geben. In der Grafihaft Londonderry war eine Gemeinde von 
1243 Pflichtigen, welche im Durdfchnitt nur 6 Pence entrichteten, 
Littleton, Unterhaus, 20. Februar 1834. Nachdem das Belek von 
1823 nur bie Firirung auf je 2 Jahre zugelaften hatte, forderte das 
von Stanley vorgefchlagene Gele vun 1832 (2. & 3. Will. IV. 
C. 119) eine fortwährende Umwandlung des Zehnten durch Ueberein: 
funft (composition), ſo daß die Entrihtung der Geldrente alle fieben 
Jahre nad den Kornpreifen geregelt würde. Wegen der häufigen 
Verweigerung des Zehnten wurde 1833 ein Staatsvorihuß von 1 Mill. 
Pfd. St. zur Unterflüßung der bedrängten Zehntherren bewilligt. — 
Die Schwierigkeit einer Vereinbarung beider Häufer über eine burd: 
greifende Maaßregel lag in der fog. Appropriations-Glaufel, nad 
welcher die, das Berürfniß der anglicanifhen Kirche überfteigenten 
Einfünfte ohne Rüdfiht auf Eonfeffionen zu Sweden des Unterrichts ır. 
verwendet werden follten. Wegen des Widerfpruches der Tories wurde 
biefe Elaufel, deren Gegenfland ohnehin nicht fehr von Belang war, 
1838 vom Unterhaufe aufgegeben. Der Zehnte wird mit Abzug von 
25 Proc. des nach dem Geſeß von 1832 beftimmten bisherigen Fixums 
in einen feflen Grundzins umgewandelt, ben der Grunbdeigenthümer 
entrichten muß, aber von feinen Pachtern zurüdfordern kann, wenn 
biefe nach dem Pachtvertrage den Zehnten zu tragen haben. Die ber 








() 


(0) 


(d 


—— 139 — 


Seiftlichkeit fett mehreren Sahreu, fo lange bie Zehnterhebung ſtockte, 
veraethofienen Summen wurden unter gewiflen Bedingungen nad: 
gelaflen. 


Bol. $. 57 (a). — Nah der tocftfäl. V. $. 13 follte die ber Ab: 
loͤſung abgeneigte Minorität die Wahl haben, den Uebrigen den Zehnten 
in natura zu entrichten, ober bie Abkaufsſumme zu verzinfen. Baben, 
6. 21. 22: der Wiefen:, Garten, Obſt⸗ und Holzzehnte kann für 
fh allein abgelöft werden, andere Zehntgefälle eines und beflelben 
Berechtigten nur in einer ganzen Gemeinde oder auf einem geſchloſſenen 
Hofgute. Dal. oben 8. 57 (a). — England, Art. 17: Die Eigen: 
thuͤmer von %s bes zehntbaren Landes in einer Kirchengemeinde und 
von %3 bes großen und Heinen Zehnten binden durch ihre Uebereins 
kunft die anderen. — Würtemberg, 8. 2: Domanial: und Kirchen: 
zehnte wird auf Verlangen eines ber beiden Theile, anderer Zehnten 
unbedingt nad) dem Giſctze abgelöfl. F. 6: Bei den Zehntpflichtigen 
entfcheidet der Beichluß der Befiber des größeren Theiles der Wläche. 


In Baden und Würtemberg wird zuerft bie gütliche Vereinbarung 
verfuht, und wenn fie nicht gelingt, auf Berlangen bas gerichtliche 
Berfahren eingeleitet. — In Naſſau findet fein Stvang ftatt, aber 
eine Zehutablöfungs » Coammilfion leitet und vermittelt die Ablöfung 
durch beiderfeitige Ginwilligung der Betheiligten, B. v. 29. San. 1840. 
Medicus in Rau und Hanffens Archiv, N. %. II, 319. — 
England: Wenn bis zum 1. Det. 1838 feine Uebereinkunft zu Stande 
kommt, 10 darf die Zehnt-Commiſſton von Amtswegen die Rente feſt⸗ 
fan. Dan hat jedoch beſchloſſen, dieß nur in gewiflen Fällen zu 
tbun, wo es befonderes Bebürfniß ift. 


Bad. Gef. 6. 30. 31. — Hannov. A.⸗O. ©. 64: der 24 jährige 
Pachtertrag wird gefucht. Jeder von ben beiden Theilen Tann aber 
dieg Mittel verwerfen. — Würtemberg: Grtrag von 18 Jahren. — 
England: Der Sehntertrag in den 7 lebten Jahren. Auf fchriftliche 
Beſchwerde von den Befigern bes halben Zehnten oder zehntbaren 
Landes dürfen die Gommiflare ihren Anfchlag bis t/s höher oder 
niedriger fegen. — Der Pachtzins ift bisweilen zu hoch, bei einem 
jeidenthaftlichen SHinaufbieten ber Steigerer, bisweilen zu niedrig, 
wenn DBeredungen (Gomplotte) unter jenen flattfanben. 


Heſſ. Geſetz v. 1824, 6. 5. Wo foldhe Aufzeichnungen vorhanden 
find, da hat der Zehntherr die Wahl, ob er fie zu Grunde legen oder 
eine Schäßung verlangen will. — Bad. Gel. $. 29. — Ueber das 
bei der Schäßung zu wählende Verfahren f. v. Honftedt, Anleit. 
E. 69. — Bol. 8. 57 0). 


N Dub. Geſetßz $. 36. — Hannover, $. 83. — Dlbenburg, 1. Seh 


) 


.57: auch 1 Brocent für Eintrocknen der Fruͤchte. In Baden i 
man von der Meinung ausgegangen, alle auf die fpätere Verwaltung 
der Behntfrüchte ſich beziehenden Koften gehörten nicht zum Mbs 
just. — England: KRoften des Ginfammelns, Zurichtens zum Ver⸗ 
aufe und bes Berfaufens, Art. 37. — Bei ben Keltern finden bis 
weilen manche verwickelte Berhältnifle ſtatt, Würtemb. Geſetz $. 6, 
Inſtr. 6. 28-36. 


Gr. heſſ. B. 1824: F. 9-11: Bei Privatzehnten wirb nicht blos ter 
Reinertrag für den Sehntheren, fondern and bie Hälfte der Erhebungs⸗ 
koßen erflattet. Gegen dieſe Beſtimmung Goldmann, a. a. O., 
E72. In Rüdfiht auf die dem Zehntherrn entgehende Vermehrung 
des Zehntertrages wäre es zwar billig, ihm an dem Nugen der Koſten⸗ 





140 — 


erſparung einen Antheil zu vergoͤnnen, aber dagegen ſpricht die Noth⸗ 
wendigkeit, jene große und ſchwierige Maaßregel zu erleichtern, und 
die Erwägung, daß ſchon ſeit Jahrhunderten das Zehntrecht viel ein⸗ 
traͤglicher geworden iſt. 


8. 70 a. 


4) Auf dem Zehnten ruhen viele Laften, am häufigften die 
Verbindlichkeit zur baulichen Unterhaltung und zum Neubau 
ber Kirchen» und Schulgebäude (a). Diefe Laft kann nad) ber 
Umwandlung ober Ablöfung fhon darum nicht länger dem 
bisherigen Zehntheren obliegen, weil fie allmälig mit der Zu⸗ 
nahme ber Volfömenge und der Vertheurung der Bauftoffe 2c., 
anwächft, während dad Steigen des Zehntertraged aufhört. 
Es muß alfo ein den Laften entfprechender Theil der Zehnt- 
rente ober ber Ablöfungsfumme von dem Zehntherrn an ben 
jenigen abgegeben werben, welcher Fünftig bie Laft übernimmt, 
3. B. bie Kirchſpiels-Gemeinde. Bei der Verpflichtung zum 
Neubau muß von Bauverftändigen bie muthmaßliche Dauer 
fowohl des jett vorhandenen als des fpäter neu zu erbauenden 
Gebäudes beftimmt und der Betrag der Baufoften nad ben 
gegenwärtigen Preifen angefchlagen werden (5). Aus biefen 
Angaben wird der jegige Werth dieſer fünftigen Ausgaben 
nad) den Regeln des Zinfeszinfes ermittelt, wobei bie Billig- 
feit fordert, einen niedrigen Zindfuß zu Grunde zu legen (c). 

5) Wenn die Rente längere Zeit fortentrichtet werden fol 
(8. 59), fo ift e8 rathfam, fie bei dem Yeldzehnten mit Rüds 
fiht auf die ©etreibepreife anzufegen, der Wein⸗ und Blut- 
zehnte aber wird am beften in eine einfache Gelbrente vers 
wandelt (d). 

6) Die Gefammtheit der Zehntpflichtigen in der Gemeinde 
haftet dem Zehntherrn für die Bezahlung der Rente an einem 
beftimmten Termine bald nad der Ernte und erhält dagegen 
die nöthige Gewalt, die Rentenbeiträge von den einzelnen Mit- 
gliedern einzutreiben (e). 

7) Es fann den Gemeinden freigeftellt werden, dieſe Bei⸗ 
träge unter ihren Mitgliedern nach einem andern Maaßftabe 
umgulegen, als dem Rohertrage der zehntbaren Grundftüde (f). 

8) Nah erfolgter Ummandlung erlifht der Anſpruch auf 
Neubruchzehnten (g). 


— 141 — 


(e) Auf den bad. Zehntrechten hafteten nach dem Icbeſchene im J. 1833 


jähtlih gegen 74662 fl. Baulaſten, 263687 fl. Beſoldungen von 
Biarrern und Schullebrern (Gompetenzen), 22410 fl. Unterhalt von 
Faſelvieh (Zuctftieren und Schweinen) und 14106 fl. antere Ber: 
pñ ichtungen, zulammen 374865 fl. oder 18 Proc. des Mohertrages 
(obne Einfhluß des Strohes.) 


(2) Weil der Breis eines fpäteren Zeitpunetes ganz unerforſchlich ift und 


(e) 


(d 


(e) 


auch ter Zehntertrag nah ten gegenwärtigen Dittelpreifen ange: 
fchlagen wird. 


Ausführlihe Beflimmungen im bad. Gel. $. 38 ff. Inftrucion vom 
25. März 1841. GEs werden Bauverfländige als Taratoren aufgeftellt. 
Beide Theile fullen fih über die Wahl der Echäßer vereinigen. Sf 
3. B. ermittelt, daB etwa nach 40 Jahren eine Kirche neu gebaut 
werden muß, was fie often, und daß fie 200 Jahre dauern wird, fo 
wird berechnet: 1) wie groß die Mente fein muß, die während ber 
Dauer von je 200 Jahren, zu 2%/s Proc. mit Zinſeszins zu dem er: 
forderlihen Baucapitale wählt (Neubaurente, Reäpdificationss 
betrag); 2) wie viel noch wegen tes früheren Gintrittes des nächften 
Baues an Capital zugelegt werden muß, weil nad) den erften 40 Jahren 
der angefammelte Readificationsbetrag noch nicht zureiht, und zwar 
wird ber jebige Werth dieſes Gapitales mit bang von 5 Procent 
Zinfen und 21/5 Proc. Zinſeszinſen gefuht. — Würtemberg. Geſetz 
6. 32 ff. Beilage VII zur Hauptinftruction, ferner Inſtr. des Minift. 
bes Innern v. 28. Suni 1850. Die Neubaurente wird unter An- 
nahme eines Zinsfußes von 3 Proc. berechnet und ebenfo das Gr: 
Aanzungscapital aus dem Anwachs der Neubaurente feit dem legten 
Neubau Man unterfcheidet die Borperiode und die ordentliche 
Bauperiobe. 


Unhoch, NAnfihten über die Ablöfung des Zehnten überhaupt und 
des Meinzehnten insbeiondere. Würzburg, 1825. — In Gngland wird 
die Rente nady dem 7Tjährigen Duchfänitt zu gleihen Theilen in 
Waizen, Gerſte und Haber angefegt und halbjährig nah den Markt: 
preifen bezahlt. A. 57. 67. 

Hei. Gef. v.. 1824, $. 19. — Bad. Gef. $. 16. Bleibt die Gemeinde 
ſelbſt in Rückſtand, fo Hat der Zehntherr oder der Gläubiger, der 
die Ablöfungefumme vorgefchoflen hat, das Recht, wieder den Zehnten 
zu erheben. 


N Dieß if der natürlihfte Maaßſtab. Heil. Geſetz F. 20. Bad. Geſetz 


(g 


u 


F. 15. — Bürtemberg, F. 16: nah Größe und Grtragsfähigfeit der 

hntbaren Gruntftüde, — Sngland: Das Umlegen der Rente ge: 
—* von vereideten Schaͤtzern, entweder nach der von der Verſamm⸗ 
lung ter Zehntpflichtigen beſchloſſenen Regel, oder nach eigenem Er⸗ 
meſſen, mit Rüdficht auf den gehmtbaren Betrag und die Grgiebigfeit 
ter Srundflüde, Art. 33. — der Feldmark von Heidelberg hat 
man auf den Morgen der 5 Bodenclaffen das Ablöfungscapital nad 
Abzug des Staatszufchufles auf 30 — 30 — 20 — 15 — Ta fl. be: 
rechnet, im Durchſchnitt auf 31 fl. 25 fr., oder mit dem Staats: 
zufhuß und defien Verzinfung ungeführ 42 fl. 


Eo beflimmt es auch das preuß. Geſetz v. 2. März 1850 $. 35. Für 
tiefe Maaßregel Floret, Hefl. Ständeverfammi. S. 276. — Auf: 
hebung des Neubruchzehnten ohne Grſatz, bad. Gef. v. 28. Der. 1831, 
würtemb. Gef. v. 14. April 1848 Art. 15. — Der Blutzehnte wurde 
turh ein bad. Bel. vom naͤmlichen Tage gegen Erfag des 15 fachen 
Reinertrages, wovon die Staatscaſſe bie Hälfte übernahm, aufgehoben. 








— 112 — 


ec. Gülten und Grundzinfe. 


$. 71. 


Die verichiedenen unveränderlihen Abgaben von landwirth⸗ 
ſchaftlichen Erzeugniſſen manchfacher Art (Gülten), 3. 2. 
von Früchten, Federvieh, Eiern, Butter x. find für beide 
Theile unbequem, weil fie in feinen Ouantitäten von vielerlei 
Dingen gegeben und empfangen werben, auch ber Pflichtige 
daturch öfter genöthigt wird, eine gewifle Art von Erzeugnifien 
zu bauen, bei der er fein Gapital und feine Ländereien nicht 
auf die vortheilhaftefte Weife benugt. Die Umwandlung ift 


leiht auszuführen, da man nur nöthig hat, die Abgaben nach 


den für jeden Ort ausgemittelten Durdyfchnittöpreifen in Geld 
audzudrüden und die etwa vorfommende Gegenleiftung bee 
Berechtigten und bie demfelben obliegenden Erhebungsfoften 


abzuziehen (a). Sind dieſe Gülten in Gelbrenten, mit oder | 
ohne Bezug auf Getreidepreife, umgewandelt, fo Tann ber Abs | 
fauf den Pflichtigen überlaffen werden. Daffelde gilt von | 


feften Geld » Grundzinfen. 


(0) Wegen der gewöhnlich ſchlechteren Beſchaffenheit des Guͤltgetreides it 
j ; after zuläffig, 3. B. 3 Proc., Hannover $. 18. 


ein Abzug vom 


2. Dienftbarfeiten. 


8. 72. 


Unter den Dienftbarfeiten (Seroituten), bie ber befieren 
Benupung ded Landes im Wege fliehen (a), ift das Weider 


recht auf fremden Grundftüden am meiften verbreitet und als 
eine erhebliche Befchränkung des Eigenthümers in ber Benuhung 
feines Landes ein wichtiger Gegenftand der Volkswirthſchafts⸗ 
pflege (6). Daſſelbe kommt auf verfchiedenen Arten von 
Grundftüden vor. 

1) Die Weide auf Ackerland beftand von Alters her in 
vielen foldhen Gemeinden, wo die Wohnungen nahe beifammen 
und bie Felder der einzelnen Ortsbürger durch einander (im 
Gemenge) lagen, während bei zerftreuten Höfen jeder Eigen 








— 143 — 


thämer feine Ländereien felbft beweiden konnte. Die übliche 
Dreifeldenvirthfchaft und bie ihr entfprechende Abtheilung der 
ganzen Aderfläche eines Dorfes in 3 Fluren gab eine gute 
Öelegenheit, die ©etreidefelder nach der Ernte (bie Stoppels 
felder) und die Brachflur bis zur Ausfaat im Herbfte zu 
beiden (c). Sehr oft fand das Weiderecht der Gemeinde 
m, fo daß die Mitglieder eine gegenfeitige Weidepflicht hatten 
und die Weide entweber für dad ben einzelnen Ortöbürgern 
gehörende, in eine Heerde vereinigte Vieh benutzt, ober von 
ter Gemeinde verpachtet wurde, nicht felten hatte jedoch ein 
größerer Gutsbeſitzer, meiftens ber Gutsherr des Drted, bag 
Beidereht auf der Gemeindemarfung erlangt (d). So lange 
tie erwähnte Fruchtfolge mit Brache (I, 8. 382) befteht, da ift 
die Weide, wenn fie unter gewiffen Einfchränfungen ausgeübt 
wird, für den Feldbau unſchaͤdlich und für die Viehzucht nuͤtz⸗ 
ih; fie wird aber ſchädlich, wenn man die Brache abfchaffen, 
Stoppelfrüchte bauen, überhaupt das Land vollftändiger benugen 
oter eine andere Fruchtfolge einführen will. Wo ſolche Ber- 
beſſerungen durch das Weiderecht verhindert werden, da ift der 
Rahtheil deffelben für den Grundeigenthümer größer, ald ber 
Ruten für den Berechtigten, überdieß giebt die Beweidung 
dielen Anlaß zur Beichädigung ber beftellten Selber, die auch 
durch forgfältige Aufficht nicht ganz zu verhüten if. Am 
ſhaͤdlichſten iſt es, wenn auf ben nämlichen Grunbftüden 
mehrere Weiderechte zufammentreffen, wobei natürlid die Bes 
ötigten in der ſtaͤrkſten Benugung der Weide mit einander 
wetteifern. Das Weiderecht eined außer ber Gemeinde Ans 
Üffigen oder einer anderen Gemeinde (Uebertriebsrecht) 
hat deßhalb große Nachtheile. Die Befürchtungen, die man 
fi der Befeitigung der Weiberechte befonders in Hinficht auf 
Ne Schaafzucht gehegt hat, find unbegründet, denn a) biefelbe 
muß nicht nothwendig leiden, weil die Grundeigenthümer nach 
ter Ablöfung der Dienftbarkeit felbft ihr Land beweiden laſſen 
innen, wobei fie im Stande find, alle Mißbraͤuche zu ver- 
hüten, Weide auf Butterfeldern zu Hülfe zu nehmen und ben 
Dünger ihren Ländereien zuzumwenben, weil ferner die bisherigen 
Veideberechtigten ihren Heerden auf andere Weife eine Nah 
fung verſchaffen können, bie ergiebiger und zuträglicher ifl (e). 








— 144 — 


b) Sollte aber auch die Zahl der Schaafe abnehmen, wie dieß 


bei der Zunahme ber Bevölkerung und ber Sorgfalt in der 
Bodenbenugung überhaupt zu gefchehen pflegt, fo bietet bie 
Vermehrung ded Rindviehftanded einen genügenden Erfaß bar, 
und dad Rindvieh kann mit Hülfe der Stallfütterung leicht 
ohne Weiden erhalten werden. Die älteren Gefege zeigen eine 
zu weit gehende Vorliebe für die Schäfereien. 


(«) 


(2) 


(e) 


(@) 


Außerdem kommt, vorzüglih in Nordbentfchland, ter Heide- und 
Plaggen⸗- (Rafen=) Hieb, ferner der Torfflih vor. — Bon einigen 
Waldſervituten insbefondere f. $. 161, 


Frank, Landw. Bol. I, 196-212. — Lips, ©. 141. — Mofer, 
a. a. O. ©. 30. — Wochenblatt für Lands und Hauswirthfchaft, 
1834, Beil. Nr. 3. (Stuttgart). — Karbe und Knaus, Ueber 
Scanfweideablöfungen. Zwei geedute Abhandlungen. Stuttg. 15840. — 
Seelig, Die Ablöfung der Weideberechtigungen auf fremden Grund⸗ 
ftüden, Gött. 1851. — Rofder, II, $. 85. — Berichte über den 
würtemberg. Gefeßentwurf in Betreff der Weiderehte von M. Mohl 
und v. Barnbüler, 1861. 


Die Brachweide ift fo unergiebig, daß man fie insgemein nur mit 
Schaafen benugt, und auch dieſe finden auf ihr öfters weder geſunde 
noch reichlihe Nahrung. Dieß gilt befonders dann, wenn die Yelder, 
dem Zwede der Brache gemäß, mehrmals bearbeitet werden, wobei ber 
Hauptnugen ter Brachweide nur bis zur erften Pilugarbeit im Fruͤh⸗ 
jahr dauert. — Blod (Landw. Erfahr. III, 410) Ian die Brachz 
weide bis zum 24. Juni auf dem pr. Morgen (0,7 bad...) des beften 
Landes zu 3 Centnern Heuwerth. Die Stoppelweide von demfelben 
Lande wird zu 36 Pfd. Heu angenommen. Nah Thaer kann man 
die Brachweide etwa a %5 der Weide des erften Dreeichjahres (auf 
Aderland, welches zu Weide niedergelegt wird) annehmen, die Stoppel⸗ 
weide nah Meyer etwa g Yo der jährlichen Dreeſchweide. Den 
Ertrag der letzteren fchlägt Bloc auf dem beften Lande zu 1000, auf 
dem fchlechteften zu 25 Pfd. Heu an. Der Bedarf einer Kuh mittlerer 
Größe (von 6 Gentnern) ift 20 Pfd. Heuwerth, eines Schaafes gegen 
2 Pfo. täglich. Nah Block's obigen Zahlen kann, da ein Schaaf 
in drei Monaten 180 Pfd. Heu braucht, eine Yläche von 100 Morgen 
ber beften Brachweide bis zum 24. Juni etwa 238 Scaafe oder 
23—26 Kühe völlig ernähren. Bon Stoppelweide, 2 Monate Hin: 
durch, find wenigftens 3 /3 M. für 1 Schaaf, oder etwa 33 für 1 Kub 
erforderlih. Nah Meyer braudt bei der Stoppelweide, wenn fie 
den Auguft und September Hindurd dauert, auf Boden, der die Aus: 
faat ſechsſach erftattet, 1 Kuh 23,6 preuß. Morgen, auf Land von fünf: 
fahem Körnerertrage 34,8 Morgen. Ueber die Gemeinheitstheilung 
III, 33. — v. Honftedt, ©. 118. 


Die älteren deutichen Geſetze erwähnen fein Weiderecht eines einzelnen 
Gutsbeſitzers auf den Ländereien der Gemeindemitglieder, daflelbe ma 

folglich \päter entftanden fein, hat aber darum nicht weniger Anfpru 

auf die Anerfennung von Seite der Staatögewalt. — In Würtemberg 
befteht in 1502 Ortſchaften Schaafweide, die in 1195 Orten (79/3 Proc.) 
der Gemeinde, in 101 einer Genoſſenſchaft, in 94 (6/4 Proc.) einem 
Dritten zufteht, in 82 Orten getheilt iſt. Mohls a. Bericht. — 
Gine Merfwürbdigfeit war das in Würtenberg geltende fog. Land: 


( 


= 


gefährt, db. i. das Mecht der Kammer: (Domanial:) Shäfereien, 
bie fremden Gemarkungen in der offenen Zeit (vom 11. November bie 
1. Rärz) zu befahren, eine Art Regal, aufgehoben 1828. 


Karbe und Knaus A. Schrift. — Wenn der Berechtigte mit Land 
entſchaͤdigt wird, fo liegt ſchon Hierin ein Mittel, das nöthige Yutter 
zu gewinnen. Das Beſtehen, ja die Blüthe der Schaaf, ut iR in 
kinen Lande an die Brachweide gebunden, weil man, auch abgeſehen 
son ber zwar ausführbaren, aber meiſtens nicht einträglichen Stall; 
oter Hordenfütterung, I) die öden trodenen Weidepläße, bie nicht zur 
Urbarmahung taugen, vorzüglid in Berg- und Hügelgegenden, mit 
Schaafen befeßen Tann und gerade die Gegenden, in benen fich viel 
ſolches Sant findet, für die Schaafzucht am meiften paflen, 2) weil 
man fih auch auf dem Ader duch kuͤnſtlichen Futterbau weit beffere 
Aushülfe verfchaffen fann. 1 bad. Morgen Kiee, nur zu 30 Gentner 
Heu oder 150 Etr. frifhem Futer, giebt, da 8 Pfd. auf ben in für 
I Schaaf zureihen, 1875 Tagsrationen, während ber Morgen Brady 
und Stoppelweide nur hoͤchſtens 480 Pfd. Heu ober ungefähr 300 Tages 
tationen bervorbringt. Im preußifhen Staate hat ſich ungeachtet ber 
vielen Beideablöfungen die Zahl der Schaafe vermehrt und insbefondere 
bat die Menge der feinwolligen zugenommen, wie dieß folgende 
3ablen beweifen: 
| 1816 | 1831 1855 
Merinos und ganz veredelte 
00. 719 200 


afe . . . 2'397 171 | 4'800 392 
halbveredelte . . 2368010 | 5'301 385 | 6°977 466 


grobwollige Landfchaafe . . | 5174186 | 4:053047 | 3-293:567 


Zufommen | 8°261396 11'751 603 |15°071 425 


Beifpiel eines Dorfes Granzow, in welchem nad ber Ablöfung der 
Veideſervitut die eigene Heerbe der Gemeinde um 1842 Stüd, die bes 
derehtigten um 1300 Stüd zugenommen hat und im Ganzen 5829 
Ratt 2657 gehalten wurden, bei Rarbe und Knaus, ©. 52. — 
Ucbermäßige Ausbehnung des Weiderechts (mesta) in Spanien, wo 
die wandernden Schaafheerden ben Sommer in ben Gebirgen, ben 
Binter in den wärmeren Ebenen zubringen; Zovellanos, a.a.D. 
©. 96—118. Tableau de l’Espagne moderne, par J. Fr. Bourgoing, 
L 92 ff. Roſcher, II, $. 85. 8. Das Wandern der Schaafheerden 
im Frühling und Herbfi fam ſchon im Altertbum vor und es wurden 
Öffentliche Triftwege (calles publicae) gehalten, um ben Ecaafen auf 
Ihrem Gange Nahrung zu geben. DMagerfledt, Bilder aus der 
tömifchen Landwirthſchaft IL, 132. In Würtemberg und Baden werden 
viele Schaaf heerden, die in ten Ebenen oder niedrigen Hügelgegenden 

wintern, im Fruͤhling auf die Hochflächen der oberen Donaugegend 
trieben und es befteht deshalb in Würtemberg die Berechtigung biefer 
Banterheerben , untertweges in den Bemarfungen der Orte zu meiden, 
vie fie durchziehen. — In Frankreich wird noch fortwährend fehr über 
die nachtheiligen Folgen der Weiderechte geklagt, 3. B. Congres central 
dagrie. 1844, ©. 410. 








6. 73. 
2) Die Weide auf Wiefen nach der Heuernte verhindert 


ſolhe Verbefierungen, wodurch es möglich wird, noch einen 
Beiteren Grasſchnitt zu nehmen, d. h. die einfchürigen zwei⸗ 


Kam, yolit. Oefon. II. 1. Abih. 5. Ausg. 10 


— 1W6 — 


und bie zweiſchuͤrigen dreiſchuͤig zu machen. Die Fruͤhlings⸗ 
weide, wenn ſie in die warme Jahreszeit fortdauert, verurſacht 
einen betraͤchtlichen Verluſt am Graſe (a). Auf feuchten Wieſen 
iſt dad Weiden von größerem Vieh wegen des Eintretens 
nadıtheilig, fowie auch die Einrichtungen zur Bewäflerung da⸗ 
durch befchäbigt werden. Wenn, wie bei ben Hebertriebsrechten, 
bie Thiere nicht auf den beweideten Flaͤchen übernachten, fo 
entgeht denfelben der Erſatz ber entzogenen Nährftoffe durch 
den Dünger (Pferdy). 

3) Die Waldweide, für die Landwirthe in waldigen 
Gegenden ein ſchwer zu entbehrendes Hülfdmittel zur Ernaͤh⸗ 
rung ihres Viehſtandes, ift zwar nicht unbedingt fchäblidh, 
und ihre gänzliche Befeitigung würde in denjenigen Yällen, 
wo dad Weidevich ohne Nachtheil für die Holzzucht eine Nah⸗ 
rung auf dem Waldboden findet, ein volföwirtäfchaftlicher 
Berluft fein, aber fie kann doch leicht dem Holze verderblich 
werben, fowohl durd die Art des eingetriebenen Viehes (vor- 
züglich Ziegen), als durch das Behüten ver jungen Beftände 
und die Befchädigung an den nicht zum Beweiden beftimmten 
Schlägen. 

(a) Das Abfreffen bes erften Grastriebes bewirkt eine Berfpätung bes 
—* und entzieht dem Gigenthümer mehr, als die dem Weide⸗ 
berechtigten zufommende Futtermenge beträgt. Klebe, Gemeinheits: 

theil. I, 220. — Schent, Abhandl. über den Wieſenbau, ©. 70 


(1826). Wird der ganze jährliche Graswudhs zu 1000 angenommen, 
fo fommen nad) nordbeutfchen Erfahrungen auf die Zeit 


bis zum 1. April . . 3 Theile|v. 15 Mai bis 31. Aug. 770 Theile 
von I-15. =: ...%6 : im September . . 85 : 
:15—30. : . .11 : im October . . . .4T = 
: 3-15. Mi . .60 : vom 1. Nov. an . . 18 = 


v. Honftedt, ©. 121., und hannov. Verordn. v. 27. März 1843, 
6. 46. Nah dem Klima von Süddeutichland werden biefe Zahlen 
einige Abänderung erfordern. (Neltefte Ausmittlung dieſer Art bei 
Meyer, Gemeinh. III, 27.) 


8. 74. 


Nach den vorftehenden Sägen ift e8 ohne Zweifel noth- 
wendig, durch gefeßlihe Anordnungen dafür zu forgen, baß 
die Bervollfommnung des Feldbaus durch die Weiderechte ferner- 
bin nicht mehr gehindert, daß folglich der Weidegang, ber 
bildlich fogenannte „wilde Hirtenftab“, mehr und mehr 


eingeſchraͤnkt werde. Es ift aber in den Fällen, wo das 
Weiderecht einem einzelnen Gutöbefiger zufteht, ſchwierig zu 
entſcheiden, wieweit bafjelbe nach Rechtögrundiägen ohne Ent: 
(hädigung vermindert werben bürfe. Mehrere neuere Geſetze 
haben zu Gunſten des Anbaus beftiimmt, daß die Weiperechte 
ba ohne Erſatz weichen müflen, wo ſie ber beſſeren und voll⸗ 
Rindigeren Benugung bed Bodens im Wege ſtehen (a). Man 
iR hiebei wahrfcheinlich von der Betrachtung geleitet worden, 
daß jene Rechte nur in der Borausfegung zugeftanden, ober 
thatfächlicy angefprochen werben Eonnten, es bleibe ein Theil bed 
Landes von dem Eigenthlimer unbenutzt, daß folglich mit dem 
Wegfallen dieſer Borausfegung das darauf geftügte Weiderecht 
nicht mehr im biöherigen Umfang fortbeftehen koͤnne. Indeſſen 
it man in manchen Ländern von einer anderen rechtlichen Auf⸗ 
faflung ausgegangen, nad) welcher bei Dienftbarfeiten nicht zu 
verlangen if, daß fie dem Pflichtigen gar feine Störung aufs 
erlegen, wenn fie nur, ald Rebennugung, bie dauernde regels 
mäßige Hauptnutzung nicht hindern (6). Man muß alfo bei 
diefem Gegenftande in jedem Lande davon audgehen, mie fidh 
nah dem einen ober anderen Grundfage dad Rechtsverhaͤltniß 
zwifchen den Weibeberechtigten und Verpflichteten geftaltet hat. 
Die vollſtaͤndigſte Benutzung des Landes durch den Eigenthümer 
wird in vielen Fällen nicht ohne Vergütung für den Weide- 
berechtigten auszuführen fein, namentlich folche, bei benen fich 
feine fefte Graͤnze für die Ausübung des Weiderechted als 
landwirthſchaftlich nothwendig bezeichnen läßt. Folgende Bes 
ſchraͤnkungen bürfen wenigftend dem Weideberechtigten ohne Ents 
ſchaͤigung auferlegt werben: 

1) Auf dem Aderlande fol die Weide erft nach der Ernte 
beginnen und man fol dieſe nicht zu übereilen brauchen (c), ber 
Umbruh der Stoppeln im Herbfle, die Düngung und bie 
Bracharbeiten follen ungehindert vorgenommen werben fönnen, 
auch die Kleefelder nicht bei naffer Winterwitterung behütet 
werden (d). 

2) Bei den Wiefen müflen die Tage, an welden bie 
Herbfiweide anfangen, die Frühlingsweide aufhören fol, mit 
Rüdficht auf den Graswuchs und das mehrmalige Mähen bes 
Graſes, nad) dem Klima jeder Gegend feflgefegt, feuchte Wiefen 

10° 


—— 148 — 


von Rindvieh und Pferden gar nicht beweibet, auch Wäfler- 
wiefen gefchont werden (e). 

3) Bei Waldungen muß dem Holzwuchs der unentbehrliche 
Schub gegeben werden, $. 162. 

Andere gefegliche Anorbnungen müſſen beftimmen, a) baß 
Rebland, Gärten, Baumpflanzungen ıc von der Weide frei 
bleiben, b) daß neue Weiderechte nicht mehr verabredet werden 
duͤrfen, c) daß bei ber Beweidung alle Beranlafjungen zur 
Beihädigung der angebauten Gewächſe vermieden werben. 


(a) Nah der baierifhen DB. vom 15. März 1808 wird die Weide „als 
bereits geſetzlich erflärter Mißbrauch“ betrachtet ; übereinfiimmend Rud⸗ 
hart ©. 188. Ebenſo baler. Geſetz v. 4. Juni 1848 Ad. 5 und 
Gef. v. 28. Mai 1852 (Beilage IX) $. 1: Weide auf Aedern wäh: 
rend der Fructifieation und auf Wiefen während der Heegezeit . . . 
wird ohne Entihädigung aufgehoben. Bad. B. v. 12. Mai 1818, 
6. A: Die in ununterbrochener Gultur flehenden Felder dürfen in der 
Megel nur in der Zeit vun der Ernte bie zur neuen Feldbeſtellung 
von den Schaafen betrieben werden. Ausgenommen find Kleefelder, 
deren Beweidung bei trockenem gefrornen Boden vom 16. Det. bis 
zum 1. März erlaubt ift, 6. 5. In der Brachflur muß dem Schäfer 
ein 12 Fuß Breiter Weg frei bleiben, $. 6. — Großh. heil. Geiles 
v. 7. Mai 1849 Art. 2—5. 


() 3. 3. v. Elofen, ©. 74. 68 perfteht fi) übrigens, daß nur für 
bie auf einem erweislihen Rechtstitel (Vertrag, Verjährung ıc.) be⸗ 
ruhenden Weiderechte eine Entſchaͤdigung verlangt werden Tann. Am 
ficherften ift der Anfpruch auf dieſelbe, wenn eine Gegenleiftung des 
Berechtigten vorhanten if. Ob der Eigenthümer neben dem Berech⸗ 
tigten feine Grundſtuͤcke felbft beweiben dürfe, Kr weichen die 
Drechtögeiehe einzelner Länder von einander ab. In Franfreih iſt es 
3. B. geftattet, Block, Annuaire, 1858, ©. 305. — Koburg Geſetz 
vom 2. Jan. 1832, $. 42—47: Gegen eine fire Abgabe darf jeder 
einen Theil feiner Bradhe umbauen (befommern), und zwar, wer in 
jeder Flur über 1/; Hufe befigt, die Hälfte, wer aber weniger befigt, 
die ganze Brache. Die Abgabe wird von ber Negierung beflimmt, 
darf aber 8 Gr. vom Ader nicht überfleigen. 


(c) Würt. Schäfereigefeb vom 9. April 1828, $. 3: der Schäfer muß ſich 
vor dem Befahren ber Stoppeln bei dem Ortsvorfteher melden. — 
Frankreich: erſt 2 volle Tage nach vollendeter Ernte, und hievon ift 
ber Gigenthümer mit feinem Vieh nit ausgenommen, Gel. 6. Dct. 
1791, Gaflationshof 13. San. 1844. Der Srund hievon ift die Be: 
günftigung der Stoppellefe. 


(d) Das nach der a. bad. B. von 1818 geftattete Abweiden berfelben bei 
trodenem Frofte ift ebenfalls nicht ohne Nachtheil. 


(e) Baier. V. v. 15. März 1805 u. Gef. v. 28. Mai 1852 8. 2: Wiefen 
follen nur bis zum 1. April behütet werden, außer wo Thon ein 
fürzerer Termin befteht. Neu angelegte und umgebaute Wielen find 
3 Jahre von der Beweidung mit Schanfen, 5 Jahre mit anderem 
Vieh befreit. — Preuß. V. vom 19. Mai 1770, inBergius, Landes⸗- 
geleb I, 265, daß alle Fruͤhlingeweide auf den Wiefen aufhören folle, 





— 149 — 


egen Entſchaͤdigung des Weibeberechtigten. Preuß. Land: R. Th. I, 
it. 22, 6. 4, Befreiung nafler, durchbrüchiger Wieſen. — Ang. bad. 
3. von 1818, $. 8: vom 11. Nov. an und nicht länger als bis zum 
1. April. Wo Ichon eine kürzere Weidezeit beftcht, wurde deren Auf: 
tehttaltung verordnet (18. Juni 1819), und wo ein örtliches Bepürf: 
niß verbanden war, beichränkte man bie Miefenmweide bis auf den 
I. Maͤrz. — Großh. Heil. Sei. Art. 6: Schaafweide vom 15. Okt. 
bie 22. Febr. oder fo lange harter Froft anhält, Art. 7: anderes Vieh 
nur vom 1. bis 15. Det. — Nach ter Annahme des gregorianifchen 
Galenders if in mehreren Gegenden die Weide ungebührlich bis auf 
ten „alten Maitag“, den jebigen 12. Mai, ausgetehnt worden, in 
anderen Gegenden hielt man fi zum Bortheil des Wiefenbaues an 
den neuen 1. Mai. — Vgl. v. Berg, Handb. III, 297. 


8. 75. 


Die völige Ablöfung der Weiderechte, auch nachdem dies 
ſelben auf ein gewifled Maaß zurüdgeführt worden find, vers 
tient von ber Regierung erleichtert zu werben. Hiebei find 
folgende Hauptregeln zu beobachten (a). 

1) Die Ablöfung kann von beiden Theilen begehrt werben, 
oh von einem einzelnen Grunbeigenthümer nur auf einer 
wiammenhängenden Flaͤche und wenn die Aufhebung ber Weide 
bon feinen Ländereien allein ohne Unbequemlichkeit für den 
Berechtigten iſt, fonft nur für den ganzen Weidebezirk von ber 
Nehrzahl der Belafteten in einer Gemeinde, welche zugleich den 
größeren Theil der weidepflichtigen Grundftüde beſitzen (6). 

2) Damit die Berechtigten in ihren Wirthichaftseinrichtungen 
nit geftört werden, kann man eine längere Frift feftiegen, 
nach welcher erft die Weide aufhören fol, oder anorbnen, daß 
diejelbe nicht auf einmal in der ganzen Kläche aufgehoben 
wird (ce). Webertriebörechte und Weiderechte Mehrerer auf dem 
naͤmlichen Raume ($. 72) follten am fchleunigften befeitigt 
werden (d). 

3) Zum Behufe der Ablöfung iſt zuwörberft die Ausdeh⸗ 
nung und Befchaffenheit des Weiderechtd genau zu erforjchen, 
alio die Dauer der Weidezeit, die Art und Zahl des Viches, 
ſodann die Größe des Weidebezirks. Iſt bie Zahl der von 
em Berechtigten aufzubringenden Vichftüde nicht in ber Bes 
thtigung beftimmt, fo entfcheidet die biöherige Benugung im 
Durchſchnitte eines gewiflen Zeitraums, und wenn biefe nicht 
ju ermitteln wäre, tie Größe bed Biehftandes, für weldje 


— 10 — 


Jeder dad Winterfutter baut (e). Steht die Zahl des aufzu⸗ 
treibenden Viehes fet, fo wird der Nahrungsbedarf für diefelbe 
erforfcht. Weil jedody bisweilen eine Weide zu flarf befegt iſt 
und den Thieren nur eine Färgliche Nahrung gewährt, fo muß 
. man in folchen Fällen auch die Ergiebigkeit der Weide nad) 
Bodenart, Fruchtfolge ıc. abfchägen und auf Heu zurüdführen, 
um nöthigen Falles jedem Berechtigten verhältnigmäßig einen 
Ahzug zu machen. Treffen mehrere Weiderechte auf einer Fläche 
zufammen, fo ift zu unterfcheiden, ob fie fämmtlich bemeſſen 
find oder nur ein Theil berfelben oder feines von ihnen. Im 
erften Falle wird unterfucht, ob bie ganze Zahl von Thieren 
ihre Nahrung findet, im dritten Yale, wie viel Vieh fidh er⸗ 
nähren fann, im zweiten Balle wird zuerſt die Entſchaͤdigung 
für die bemefienen Berechtigungen ausgemittelt und dann er: 
forſcht, wieviel Weide für bie anderen Berechtigten übrig 
bleibt (f). 

4) Bon dem Ertrag der Weide für ben Berechtigten werben 
die von bdemfelben aufzumendenden Koften abgezogen, um ben 
Reinertrag zu finden, welcher mit einer gewiflen Zahl vewiel⸗ 
facht ($. 55) die Ablöfungsfumme bildet. Der Ertrag, ber 
den Berechtigten aus dem Pferche zufließt, wird in gleicher 
Weife ermittelt und bei der Feſtſetzung bed Ablöfungscapitale 
mit berüdftchtigt (g). 

5) Die Abtretung von Land, befonderd eined Weideſtuͤckes, 
iR für den Berechtigten die zwedmäßigfte Ablofungsart, weil 
Re ihn der Nothwendigkeit einer anderen Yeldeintheilung über: 
hebt. If fie nicht anwendbar, fo werden bie anderen oben 
betrachteten Ablöfungsmittel ($. 53) zu Hülfe genommen (%). 

6) Wechfelfeitige Weiderechte der Gemeinbemitglieder auf 
ihren Laͤndereien werben, fo weit fle mit der Größe ber Bes 
fipungen eines Jeden in Berhältniß ftehen, gegen einander auf 
gehoben, infofern fie aber bei Einigen barüber hinaus gehen, 
wie die Weiderechte Auswärtiger behandelt (7). 

7) Die Ablöfung der Waldweide erheifcht noch größere Vor⸗ 
fiht, damit die Landwirthe Feine nachtheilige Störung empfin⸗ 
den, $. 163. 

8) Grundeigenthuͤmer, welche die Weideberechtigung eines 
Einzelnen abgeloͤſt haben, duͤrfen auf ihren Laͤndereien eine 


—— 151 — 


gemeinfchaftliche Weide einführen, wobei e& ihnen frei fteht, 
diefelbe fo einzurichten, daß eine andere Bobdenbenugung nicht 
darunter leidet. Hiezu giebt in futterarmen Gegenden fchon 
der Nutzen der Pferchduͤngung Anlaß. 


(c) Verhandl. d. 2. K. in Baden, 1837. Beil. IV, ©. 27. (Commiſſions⸗ 
beriht von Mittermaier.) — Angef. Berihte von M. Mohl und 
v. Barnbüler. 


(6) Uebereinffimmend fähl. A.PO. F. 109. 110. — Weimar, $. 91. 92: 
Die Stimmen der belafteten Gigenthümer werden nad) der Größe ihres 
Beſitzes berechnet, ebenfo baier. Geſetz v. 1852 6. 8. — Koburg, Gef. 
v. 22. Jan. 1832 8. 1. 2: Mehrzahl der Pflichtigen, ebenſo baier. 
Gel. v. 4. Zuni 1848 Art. 5. — Bad. Gef. v. 1848 G. 4: Die 
Befiper einer Fläche, deren Grundfteueranichlag die Hälfte des ganzen 
Anſchlags der weidepflichtigen Ländereien beträgt. — Hell. Gel. $. 20: 
Die Beliger von mehr als der Hälfte der Flaͤche. — Gegen das dem 
Berechtigten einzuräumende Recht, die Ablöfung zu verlangen Mohl, 
a. a. O. S. 31. — Das Gefep muß auch ausfprechen, nach welchem 
Verhaͤltniß die einzelnen Pflichtigen zu der Ablöfungsiumme beizu: 
tragen haben, wenn fie fi nicht über einen anderen Maaßſtab ver- 
einbaren. Der reine Ertrag der Ländereien ift der gerechtefte Buß; 
übereinft. bad. Gel. v. 31. Luti 1848 6. 30 (nady dem Steuercapital), 
gr. heſſ. Geſ. Art. 34, baier. Bel. 1852 $. 22. 


(c) Rah dem preuß. Eultur: Edict vom 14. Sept. 1811 $. 11 darf einft- 
weilen jede Gemeinde %/, ihrer Yeldmarf gegen Entſchaͤdigung von der 
Meide befreien, f. auch Gemeindeitötheil =D. $. 181 FF. — Wuͤrt. 
Gel. v. 9. April 1828 $. 9 und bad. Gef. v. 31. Juli 1848 $. 2: 
3fährige Frift nad) der Auffündigung. — Hannov. Gel. vom 5. Juli 
1648: Der Weideberechtigte darf die mit AFutterfräutern beftellten 
Felder ı bis 4 Wochen lang vor dem Umbruche beweiden laflen. 
Seelig, ©. 13. — Baier. Gef. v. 1852 $. 24: die Behörde kann 
bie Kortfegung der Weide auf höchitens 3 Jahre geflatten, wenn ber 
Berechtigte es verlangt und Sachverfländige fi) dafür ausfprechen. 


Die Uchertriebsrechte der Gemeinden (parcours) find gewöhnlich wechfel- 
feitig. Nah der A. bad. V. v. 12. Mai 1818 6. 12 follten bie 
Uebertriebsberechtigungen binnen 6 Jahren von ten Betheiligten be 
jeitigt werden, fpäterhin foll auf Anrufen eines Theils die Auseinander: 
fegung obrigfeitlich erfolgen. Als Mittel werden vorgefchlagen: a) Ber: 
pachtung ber Weide am einen Dritten und Theilung des Pachtzinjes, 
b) Abtheilung der Gemarkung unter die Berechtigten zur Beweidung, 
c) Ablöfung in Geld. Diele Bellimmungen waren von geringem Er⸗ 
folge. — Nah dem würt. Gel. $. 6. 8 find ablösbar: Weiderechte 
auf einer fremden Marfung (Lebertrieb), auf einem geſchloſſenen 
Gute in der nämlihen Markung, ferner des Inhabers eines ſolchen 
Gutes auf dem übrigen Theile der Markung. 

(e) Sadfen, $. 122. 124. Weimar, $. 102. 103. 

(N Dur die Unterfcheidung dieſer verfchiedenen Fälle zeichnet fid das 
a. bad. Gef. aus, $. 14—16. 


(9) Eine Gemeinde in Würtemberg (Münfingen) 308 1822 20000 fl. 
iährlih aus Weideyacht und Pferchverfauf, eine andere 11000 ; 1500 
bis 2000 fl. kamen häufig vor. 

(h) Seelig, a. a. DO. zeigt, wie nothwendig es fei, den Abkauf mit 
einer Geldſumme zuzulafien. — Baier. Bel. von 1852 6. 17. eine 


(d 


— 


—- 152 — 


Mente, welche wie die von den bäuerlichen Laflen herrührende behan- 
belt wird. 


() Seelig, a. a. D. ©. 55. — Lüneb. Gemeinheitsth.:D. $. 124. — 
Preuß. Semeinheitstheilungs =D. v. 7. Juni 1821, $. 82. — Baier. 
Geſ. v. 1852 $. 37 ff. — Das Wort Gemeinheitstbeilung, 
engl. inclosure, bezeichnet nicht allein 1) die Aufhebung biefer gemein: 
fchaftlihen Weide und aller anderen Weiderechte fowie der anderen 
Dienftbarfeiten auf den Privatländereien, Sondern auch 2) bie Ber- 
theilung der öden Weidepläße einer Gemeinde (commons, communaux). 
Beide Unternehmungen haben Manches gemein, ihr Ergebniß ift völlig 
weidefreies Grundeigenthum einzelner PBerfonen, fie find aber doch 
wieder fo fehr verfchieden, daß es nüblich if, fle in der Betrachtung 
von einander zu trennen, was in den Schriften über Gemeinheits⸗ 
theilung auf Koften der Deutlichkeit nicht gehörig beobachtet worden 
it, 8. 85 (a). Die Befreiung der Aecker und Wielen von der Weide 
it feine Theilung, man follte fie deßhalb, wie fhon Thaer vor 
flug, zur Vermeidung von Mißverftändnifien ausichließend Ver⸗ 
foppelung nennen. — In Großbritannien erfordert jede ſolche 
Maaßregel einen befonderen Parlamentsbefchluß, deſſen Koften fich 
leiht auf 1000 Pfd. St. belaufen können. Thaer, Gngl. Landw. 
II, 2. Abth. S. 329 ff. 


3. Geſetzliche Befimmungen, weldhe die Beräuße- 
rung und Erwerbung von Ländereien betreffen. 


$. 76. 
Die Vertheilung des Orundeigenthumd in jeden Lande 


wird nicht bloß von ber Naturbefchaffenheit und den allge- 


meinen wirtbfchaftlichen Umftänden beftimmt, ſondern fteht auch 
unter dem Einfluß Ser Staatseinrihtungen. Diefe find theils 
folhe Verfaſſungs⸗ und bürgerliche Rechtögefege, welche, obs 
gleich auf anderen Gründen beruhend, doch audy auf die An⸗ 
zahl von Grundeigenthümern einwirken, z. B. das Erbrecht, — 
theild find es geſetzliche Vorſchriften, welche abfichtlih Dazu 
gegeben worden find, um eine Wirkung bdiefer Art hervors 
zubringen. ine plögliche gewaltſame Veränderung ber be= 
ftehenden Bertheilung ift offenbar mit der Achtung ded Rechts⸗ 
zuftandes unvereinbar, ed können folglich nur ſolche Anord⸗ 
nungen in Betracht fommen, welche gewifle für nachtheilig 
gehaltene Veränderungen zu verhindern oder andere erwünfchte 
zu befördern dienen. Während die Volfdvermehrung, ind 
befondere die Zunahme der Landbauenden und die Gewohnheit 
einer forgfältigen Benugung des Landes zur Verkleinerung ber 
Srundbefigungen antreiben, kann dagegen bie Uebermadht eines 


153° — 


einzelnen Standes, wie fie in früheren Zeiten vorfam, oder 
die Anhäufung des Capitals in den Händen Weniger bie 
Bildung großer Maflen von Grundeigenthum verurfachen. Die 
Staatsgewalt bat, je nachdem bie eine oder andere diefer Er⸗ 
iheinungen mehr Beforgnifie erregte, in verfchiedenen Zeiten 
und Ländern in entgegengefester Richtung gewirkt (a), doch 
it tie Verhütung der Theilungen weit häufiger und dauernder 
Gegenſtand der Staatövorforge geweien. Das wichtigfte in 
tiefer Hinficht angewendete Mittel ift die Gebundenheit 
kr Bauerngüter, d. h. das Gebot, daß lebtere nur im 
Ganzen vererbt oder veräußert werden bürfen (5). Bei bem 
bäuerlichen Berbande ift die Untheilbarfeit der Bauerngüter 
tem Gutöherrn erwünfcht, weil er die ihm gebührenden Reis 
fungen leichter von wenigen größeren Bauern ald von vielen 
Heinen, ficherer von wohlhabenden als von bürftigen beziehen 
fm. Daher war es ſchon frühzeitig allgemein eingeführt, 
tag ohne deſſen Zuftimmung Bauerngüter, die in einem Nutz⸗ 
äigenthumd-, Lehns⸗, Erbpachtd-, oder menigftend einem Zins» 
und SrohnsBerhältniß und dergl. flanden, nicht verkleinert 
werten durften, und dieſe Erlaubniß wurde fehr oft verweis 
get (e). Die Staatdgewalt fand fich fpäterhin in den meiften 
lindern ebenfalld bewogen, die Zertheilung der Bauerngüter 
von befonderer Erlaubniß der Staatsbehörde abhängig zu 
machen ober allgemein zu unterfagen (d). Hiezu beflimmten 
Re hauptfaͤchlich volkswirthſchaftliche Gründe, nämlich 
die Beforgniß, daß durch Theilungen bie Güter zu klein 
würden, um einer Samilie ein guted Ausfommen zu gewähren 
and einen guten Betrieb der Landwirthfchaft zu geftatten, — 
daß die landbauende Claſſe zu zahlreich würde, ber Boden⸗ 
etrag abnähme, Berarmung eintrete und zugleich für bie 
übrigen Bolfsclaffen nicht genug Lebensmittel übrig bleiben. 
Hiezu fam die Rüdficht auf das Steuerwefen. Man ſcheute 
tie beſchwerlichere Einforderung der Grundſteuer von einer ver⸗ 
mehrten Zahl von Grundeigenthuͤmern, und weil dieſe Steuer 
af die Güter im Ganzen gelegt war, fo wollte man die Mühe 
des Umlegens auf die einzelnen Stüde nicht anwenden. Mit 
der gefeplichen Gebundenheit der Bauerngüter ftehen folgende 
Ginrihtungen in Verbindung: 


-— 154 — 


1) Ungleiches Erbrecht, indem derjenige Erbe, der das Gut 
übernimmt, (der Anerbe), geſetzlich oder herkoͤmmlich gegen 
feine Miterben durch einen ermäßigten Gutdanfchlag begünftigt 
wird (e). 

3) Unterfheidung mehrerer Claſſen von Bauerngütern nad) 
ihrer Größe, wobei nad) uralter Gewohnheit ein gewiſſes 
Maaß von Ländereien ald Grundlage einer volftändigen bäuer- 
lihen Rahrung feitgefebt wurde und daneben halbe, auch wohl 
Viertheildgüter ıc. vorfamen, das volle Gut aber nad) Gegenden 
oder Orten verjchiedenen Umfang hatte (f). 

3) Unterfcheidung der zu den gebundenen Gütern gehörenden 
und ber frei veräußerlichen, fogenannten walzenden Stüde, 
welche jedoch nicht überall vorhanden find (g). 


(a) In den alten Freiſtaaten führte das Streben, die Gleichheit des Ber: 
mögens zu erhalten oder felbft neu einzuführen, zu Singriffen in tie 
Privatrechte , welche ben heutigen Borftellungen von den Befugniflen 
der Regierung widerftreiten. Neue Bertheilung der Grundftüde in 
Lacedämon durh Lykurg, mit der Anordnung, baß die erhaltenen 
Antheile unveräußerlich Fin follten (39000 Theile, Plutarch. in 
Lycurgo, Polybius, Histor. VI, 43. 46). Wißlungene Berfuche, 
baflelbe fpäter zu wiederholen (Blutarch im Agis und Gleomenes). 
Auch die Erbtheile von 2 jugeris, bie im römischen Staate ben An- 
fiedfern auf erobertem Lande gegeben wurden, waren unveräußerlich, 
Varro, de re rust. I, 10. Nehnliches Verbot, die Antheile zu ver: 
faufen, in Lokri (Aristot. Politicor. IV, 4), wie in Deutichland 
noch vor den Karolingern (Anton, Geſchichte der d. Landwirthichaft, 
I, 51). — Dagegen kamen auch Berbote vor, mehr als ein gewiſſes 
Maag von Ländereien zu befiken (— et apud alios est lex, quae vetat 
possidere tantum agri, quantum quis velit. Aristot. Polit, II, 5). — 
Die römifchen leges agrariae bezogen ſich nur auf die Staatsländereien 
(ager publicus) in den eroberten Ländern. Es war geflattet, das uns 
bebaute Land ohne Eigenthumsrecht, aber gegen den Zehnten zu benugen, 
was hauptfächlih von ben Batriciern geichah, und dieſe possessores 
follten nicht über 500 jugera befigen, dieß wurde jedoch nicht pünctlich 
beobachtet. Bgl. Laboulaye in Wolowski Revue de lögislat. 
1846, Aug. u. Sept. — Schüz, Ueber den Einfluß der Vertheilung 
bes Grundeigenthums auf das Volks: und Staatsleben, 1836, S. 3. — 
Dupuynade in Foelix, Bevue 6trangere et franc. de legislation 
et d’6conom. polit., IX, 857 (1842). — Roſcher, II, €. 101.— So 
lange ber Bauernfland fein gefichertes Erbrecht hatte, Fam das Eins 
ziehen bäuerlicher Ländereien zur Vergrößerung der Beflbungen bes 
Gutsherrn (das fog. Legen ber Bauern) häufig vor und bie Geſetze 
verſchiedener Länder enthielten Verbote dieſes Mißbrauches. Die als 
volkswirthſchaftlich verderblich geſchilderten Latifundien im roͤmiſchen 
Reich unter den Kaiſern moͤgen wohl nicht ohne Ungerechtigkeiten gegen 
die bisherigen Cigenthuͤmer zuſammengebracht worden ſein. 


(5) Die Untheilbarkeit der Rittergüter beruhte auf der Lehenverfaſſung 
und den in ben Familien errichteten Fideicommiſſen. — Bun ber 
Gebundenheit if die Gefchloffenheit, d. 5. das Beifammen- 


En 1.) ae 


liegen ber zugehörigen Laͤndereien, fo daß fle ein räumliches Ganzes 
bilden, zu unterfcheiben ; beide Ausdrücke werben jedoch von Ginigen 
als gleichbedeutend angeſehen. Die Löfung bes bisherigen Berbandes 
kann 1) eime Zerlegung in zwei ober mehrere fleinere Güter (Theil: 
lung im engeren Sinne), 2) eine Abtrennung einzelner Theile (Ber: 
Heinerung), 3) eine Zerlegung in viele Stüde (Bertrümmes; 
sung, Zerſchlagung, Dismembration) fein. Das Wort 
Therlung if übrigens hier im weiteren Sinne genommen worben. 
Die Unterfuchung über den Ruben der Gebundenheit hat die National: 
ölonomen ſehr viel befchäftiget, und if noch bie auf dielen Tag in 
Iebhafter Anregung. Der Zwielpalt der Meinungen entipringt größten: 
theils aus der Berfchiedenheit der örtlihen Berhältnifle und der davon 
herrührenden Berfuhung, das als allgemeine Regel aufzuflellen, was 
nur befonderen Umfänden entipriht, auch wirken neuerlich allgemeine 
rolitiſche Rüdfichten ein. In PBrankreih wird im Allgemeinen die 
Freiheit, in Großbritanien bie ir und das große Grund⸗ 
eigenthum vorgezogen. Frank, Landw. Polizei II, 240. — Binf: 
leg, Ueber die willkürliche Berfleinerung der Bauerngüter. Leipzig, 
1794. — 9. Benzel, Gedanken über die willfürlihe Bertheilung der 
Bauerngüter. Erfurt, 1795. 49%. — Meermwein, Ueber den Schaden, 
dr aus einer willfürlihen Berfleinerung der Bauerngüter entfichen 
muß. Karlsruhe, 1798. — v. Berg, Poligeireht, IL, 276. — Gr. 
Soden, VI, 70. — Bemerkungen über das BZerichlagen der Bauerns 
güter. Rümb. 1819. — Gebhard, Bemerk. zur Schrift des Gr. 
von Soden: der baier. Landtag vom Sabre 1819. Erlangen, 1822. — 
Audhart, Zuftand des K. Baiern, I, 228. — v. Binde, Bericht 
... die Zerſtuͤckelung der Bauernhöfe... in der Br. Weſtfalen, 
1824 (ale Handſchrift gebrudt). — Morel de Vinde, Considörstions 
sır le moscellement de la proprist# territoriale en France P. 1826. 
= Bibl. univ. Agric. XI, 145. — v. Ulmenftein, Weber die unbe: 
ſchraͤnkte Theilbarkeit des Bodens. 1827. = Mögelin’fhe Annalen, 
IX, 140. — Dros, Econ. poL 89-104. — Stüpe, Ueber die 
Lafen des Grundeigenthums S. 20. Deſſ. Weſen und Berfaffung der 
tantgemeinden und des ländl. Grundbeſitzes in Niederſachſen und 
Beitfalen, Jena, 1851. — Bülau, Der Staat und der Landbau, 
8.21. — Mofer, Die bäuerl. Laflen, S. 26. — Schüz, a. Schrift 
und Rationalöfonomie S. 150. — Hering, Ueber die agrar. Geſ. 
&©. 118. — De Villeneuro-Bargemont, Ec. pol. ehrötienne, 
LI, ch. 10; L. VII, ch. 4 — Hermann in den Ründ. gel. Anz. 
186, Ar. 258 ff. — Riedel, Rationalöfon., II, 58. — Kunte, 
Die aus der unbefchränkten Theilbarkeit des Grundeigentbums hervor: 
gehenden Nachtheile, 1839. Derf., Die Heillofen Folgen der Boden: 
wiplitterung, Göttingen, 1854. — Grävell, Der Baron und ber 
Bauer, 1840. — Kreyßig, Die Bertheilung bes landwirthſchaftlich⸗ 
unpbaren Bodene, 1840. — mogelmann in Rau, Archiv, IV, 1. 
(Ucher die Hofgüter im Schwarzwalde). — Hanffen, ebend. IV, 432. — 
Kofegarten, Betrachtungen über die Beräußerlichkeit und Theilbar- 
keit des Landbeſizes. Bonn, 1842. — v. Sparte, Die Lebensfragen 
m Staate in Beziehung auf das Grundbeſitzthum, I, 1842. — Amts 
licher Bericht über die The Berfammlung deuticher Lands und Forſt⸗ 
wirthe zu Stuttgart, 1842, ©. 151—171. (Berpanblungen über obige 
drage mit Borträgen, in denen bie Anfichten fehr von einander ab: 
weiden.) %. ht über die fiebente Berfamml. 1843, ©. 240. — 
Busaeca, Sulla divisione della proprietä territoriale, Palermo, 1843. — 
Dupsynade, a. a. D. — Kolb m Rau u. Hanffen, Ardiv, 
„8 — Rau, ebend. ©. 116. Schneer, ebend. VIII, 1. (ent⸗ 
hält uch eine reiche Literatur des Gegenſtandes.) — Tebeldi (Beidtel), 


(e) 


(@) 


— 16 — 


Die Geldangelegenheiten Oeflerreihs, Leipzig, 1847, ©. 192. — 
NReihensperger, Die Agrarfrage, Trier, 1847. — Bernharbi, 
Verſuch einer Kritif der Gründe, die für großes und Feines Grund: 
eigenthum aufgeführt werten, St. Petersburg, 1848. — Seelig 
in Beitfchr. für die gef. Staatöwiflenfh., 1851, S. 537. — Helfe: 
rich ebend. 1853, ©. 183. 415. 1854, ©. 123 (mit jorafältiger Be: 
leuchtung der Berhältniffe in Wirtemberg). — Riehl, Die bürgerl. 
Geſellſchaft, Stuttg. 1851. — Schend, Ueber die Folgen der Büter: 
jerfblitterung , Miesb. 1853. — Wißmann im Archiv für Landes: 
unde der preuß. Monarchie III, 78. 1856. — Reichensperger, 
Die freie Agrarverfaflung, Regensb. 1856. — Reuning, Die Ent: 
wielung der fähl. Landw. ©. 21. 1856. — Wolowski in Söances 
et travaux, XXII, 95. 1857. — Roſcher, Bolfsw. U, 369. — 
Lette, Die Bertheilung des Grundeigenthums im Zufanmenhange 
mit der Gefchichte ıc. Berlin, 1858. Derſ., Die Bertheilungsverhält: 
niffe des Grundbefißes und die Geſetzgebung in Betreff der Theil: 
barfeit sc. Berlin, 1859. — Borlagen der landw. Nbtheilung des 
3. Congreſſes deuticher Volkswirthe, Berlin, 1860. (herausgegeben von 
Lette). Unter bdiefen Schriftftellern find Winkler, Sebhart, 
Rudhart, Morelde Binde, v. Ulmenftein, Bülau, Mofer, 
Hering, de Billeneuve, Riedel, Kreyßig, Bufacca, 
Kolb, Shüz, Schneer, Reihensperger, Seelig, Scend, 
Molomski, Lette für die Kreiheit der Berfleinerungen, welder 
Meinung auch die meiften ber im $. 368 Note (a) des I. Bandes an: 
geführten Berfafler beitreten. Für die Gebundenheit oder überbaupt 
für beſchraͤnkende Ginrichtungen fprechen vorzüglich Meerwein, 
v. Binde, Funke, Kofegarten, v. Sparre, Bernbarti, 
Beidtel, Helferih, Riehl, Stüve, Funke, NReuning. 
Ueber die rehtlihen Verhältniffe Mittermaier, II, €. 493. 


Auch der alte Verband mehrerer Höfe mit einem Haupthofe war nah 
dem Hofrechte der Vorzeit ein Hinderniß der Bertheilung, weil dieſe 
von der Gemeinde ungern gefehen wurde. Bei den mit bürgerlidhen 
Laſten belegten Gütern waren es unter anderen die Spannfrohnen, 
die eine Abneigung der Outsheren gegen bie Zertheilungen veranlaßten, 
wegen der Beiorgniß, daß die Erhaltung des erforderlichen Viehſtandes 
gefährdet fei. 


Diefe Verfügung wurde häufig feit dem Erſtarken der Polizeigewalt 
gegen Ende des Mittelalters getroffen. Neuere Landesorbnungen 
wiederholten gewöhnlich die Beflimmungen der älteren in dieſem Gegen: 
ftande. 3. B. gräfl. Erbach'ſche Landes⸗O. v. 1552 Tit. 12, 14 Bei 
Bel und Lauteren, Landredit der Graflhaft C., Darmft. 1824 
S. 98. — Nltenburg. Landes⸗O. v. 1556, Kreffe, Geſch. d. Landw. 
des altenb. Ofterlandes, 1845, ©. 75. 95. — Pfälz. Landes⸗O. von 
1700, Tit. XI Nr. II. nah alten Beftimmungen. — Bad. Landes-O. 
von 1715, ©. 121. — Würtemb. Landes:D. v. 1567 und Lantredt 
von 1610, allein dieſes Verbot fchädlicher Theilungen wurde in der 
Praris nicht beachtet und es ftellte fi allınalig volige Wreibeit ber, 
Helfrich, a. a. D. ©. 242. — Vertrag des Herzogs und der Statt 
Braunfhmweig v. 1553, Lüneburg. Polizei⸗O. v. 1618, bei Struben, 
De jure villicorum, ©. 91. 100. Münfter. Ediet de non dismem- 
brandis praediis dv. 1680. — Altenburg, Landes:D. v. 1705, KRoburg, 
Landes:D. v. 1556. — Den Beamten war in ber Regel geftattet, bie 
Bertheilung in einzelnen Faͤllen nach ihrem Ermeflen zuzugeben, weß⸗ 
halb fich fehr ungleiche Zuftände bildeten. — In mehreren Ländern 
blieb die Zertheilung fortwährend frei, 3. B. in den Marfchgegenden 
des 8. Hannover und in Schleswig : Holflein; in Süpvithmarigen iſt 





| 


O) In Orfterreih werden Haus⸗ und Heberländgründe unterfchieden. . 


— 


— 157 — 


die freie Theilbarkeit 1766 beſtaͤtigt, in Norddithmarſchen 1729 befohlen 
worden, ſoviel Land zu behalten, als zur Weide von 2 Kühen gehoͤrt. 
Im jekigen Jahrhundert wurde in vielen Ländern die Gebundenheit 
aufgehoben ; Preußen (Gef. 9. Det. 1807. 14. Sept. 1811), Baiern, 
Baten, Würtemberg (in ben neuen Landestheilen), Großh. Heflen (B. 
14. Fehr. 1811) sc. 


Wie in Großbritanien fih das Grundeigenthum ab intestato in der 
Erugeburt vererbt und fein Kind einen Bflichttheil fordern kann. 
Inte machen die meiften nicht zum hohen Adel gehörenden Gigen⸗ 
tbümer ein Teſtament, f. $. 81d (a). — Das gebundene Gut pflegt 
dem Erben um eimen Anſchlag übergeben zu werten, ter anſehnlich 
unter dem Verkehrswerthe fieht (kindlicher Anihlag) und meiſtens noch 
son dem Vater feſtgeſetzt wird. Auch wo dad Erbrecht gleiche Thei⸗ 
lung fordert, bildete ſich doch bei gebundenen Höfen eine abweichende 
Gewohnheit. Im Baten wurde durd Be vom 23. März 1808 bei 
geibloffnen Hofgütern die Untheilbarkeit beibehalten und verorbnet, 
daß ba, wo es Drisfitte it und von ber Gemeinde gewünfcht wird, 
das Borzugsrecht des Brben, der das But übernimmt, fortbeftehen 
foll; ter kindliche Anſchlag Toll nicht über 9/10 oder 9,0 des MWerthes 
ſein, darf aber bie 4 herabgeſetzt werben. Dieß ift die fog. Bortelss 
beredtigung der Schwarzwälder. Im Jahre 1837 wurden im bab. 
Überrheinfreife 2488 geichlofiene Hofgüter gezählt. Hier erbt der jüngfte 
Sohn wie in Altenburg (was nah Stüve, Weſen ıc. ©. 240, auch 
im Königreich Hannover oft vorfommt, nah Struben, a. a. D. 
S. 313 in Bremen, Verden und Braunfchweig), im Odenwalde wie 
in Defterreih und vielen anderen ändern der aͤlteſte. Haben bie 
Keltern die Wahl, fo entfieht leicht Unfrieden in der Familie, weßhalb 
eine feſte Regel beliebter ift, obgleich fie dazu beiträgt, daß der künftige 
Anerbe leicht verwöhnt und träge wird. Bol. v. Binde ©. 4. — 
Auf Jerſey hat der älteſte Sohn das Haus und ungefähr 2 Acres des 
nabeliegenden Landes, ferner 1/ıo des ganzen Landes voraus, vom 
Reit erben die Söhne *%s, die Töchter /3. Lelorme in Journal of 
the R. Soc. XX, 35. 


N Sehe gehören die Hufen, Huben (hobae), Höfe, auch Pflüge, Voll⸗ 


: und Biertelögüter. Bei ter Bertheilung des früher gemein: 
ſchaftlich geweſenen Landes pflegte man in jeder Gemeinde die Antheile 
tich groß zu ‚machen, die 3. B. im Odenwald noch jet Huben 
eisen und von Ort zu Drt in der Größe verfchieden find. Die 
Größe der Hufe wurde darnadı beflimmt, wie viel Aderland man mit 
I Beipann verfehen fann, was begreiflich nad der Bewirthſchaftungs⸗ 
art (3. B. mit oder ohne Brache), nah der Lünge des Winters ac. 
nit die nämliche Fläche fein kann ; in Norddeutſchland gegen 30 preuß. 
oder kalenberg. Morgen. Eine Hube von 30 Morgen fommt fchon 
79 vor, Anton, eich. der d. Landw. I, 291. Drei Hufen gaben 
nah dem Eachfenfpiegel die Fähigkeit Echöffe zu werden. Stuͤve, 
Bam u. ©. 24, vgl. au LI, $. 316 (9). Die Anfäffigfeit (sessio) 
in Ungarn begreift 16-50 Joch zu 1100 bie 1300 Q. Klaftern, im 
—** egen 36 Joch — 60/3 pr. M.; es kamen aber fort 
echte Sale ungen bis auf !/s und mehr vor. In Niederoͤſterreich 
echt ein Ganzlehen (Hube) aus 36 öfter. Joh = 81 pr. M. 
Uber Hube und Manfus val. Landau, Die Territorien, ©. 4. 
1954. — v. Maurer, Winleitung zur Gefchichte der Mark, Hofe, 
Dorf: und Stadtverfaflung, S. 127. 1854. — Langethal, Geld. 
der deutichen Landw. I, 139. 1847. 


⸗ 


— 158 — 


8. 77. 


Durch die gefegliche Gebundenheit wird bie gegenwärtige, 
zum Theil aus alten Zeiten herrührende und durch mancdherlei 
zufällige Umftände beflimmte Größe ber Bauerngüter aufredht 
erhalten. Dieſe gebotene Unzertrennlichkeit der Landgüter bildet 
eine auffallende Beichränfung bed Eigenthumsrechtes. Bei 
anderen Bermögentheilen, namentlich beim Gapitale, koͤnnte 
eine ſolche Anordnung nicht einmal verfucht werden. Sie if 
deshalb nach allgemeinen Grundfägen nur dann zu billigen, 
wenn fle zur Verhütung von erheblichen volkswirthſchaftlichen 
Uebelftänden als nothwendig erſcheint. Indeß wird fie in 
manchen 2ändern ober Gegenden durch bie herrſchenden Bor: 
ftelungen und Sitten unterflügt und ihre Fortdauer wirb, wie 
jebe Erhaltung eined althergebrachten Zuflandes, von vielen 
Menihen fehon darum in Schup genommen, weil man an fie 
gewöhnt ift und bie guten wie bie fchlimmen Seiten genau 
fennt, während man bie Folgen ber Theilbarkeit noch nicht 
überfehen kann. Bei einer gründlichen Unterfuchung dieled 
Gegenſtandes Fönnen heutiges Tages eine Menge von Erfah 
rungen zu Hülfe genommen werben, bie zur Berichtigung eins 
feitiger Auffaffungen dienen. Nicht dieß iſt zu unterfucen, 
ob überhaupt oder unter gegebenen Umftänden eine Theilung 
ber Bauerngüter nüglich fei, fondern ob es zuläffig if, bie 
Eigenthümer fo ftarf zu bevormunden, baß ihnen feine Ent 
ſchließung hierüber geftattet if. Es Laffen fidy mehrere Rady 
theile dieſer Gebundenheit angeben, wobei es jeboch in ber 
Ratur der Sache liegt, daß dieſelben in verfchiedenen Zeiten, 
Ländern und einzelnen Hallen in fehr ungleihem Grabe zum 
Borfchein fommen und unter gewiſſen Umftänden 'ganz hinweg⸗ 
fallen können. 

1) Biele Bauerngüter find für das befchränfte Maaß von 
Capital, Umficht, Gefchidlichkeit und Thatkraft der Eigenthümer 
zu groß, fle werden daher mangelhaft benutzt und bringen 
einen geringeren rohen umb reinen Ertrag, als wenn fie ver 
kleinert würben (I, 6.370), überbieß enthält fchon die geficherte 
behagliche Lage des großen Gutsbeſitzers eine Verfuchung zum 
nachläffigen Betriebe des landwirthſchaftlichen Gewerbes, wit 


— 159 — 


dieß nicht felten wahrzunehmen ift, obgleich zahlreiche Beifptele 
des Gegentheild vorhanden find, daß nämlich Die größeren 
Yandwirthe unterrichtet und unternehmend find und ihre Güter 
medmäßig bewirthfchaften (a). 

2) Muß der Anerbe das Gut nach feinem vollen Verkehrs⸗ 
werthe übernehmen, fo bringt ihn die Abfindung mehrerer Mit- 
erben in beträchtliche Schulden, woferne nicht ein ausgeliehenes 
Bermögen vorhanden if. Solche oder auch aus anderen Ber- 
anlaffungen herrührende Echulden könnten, wenn ed nicht 
mterfagt wäre, durch den Verkauf einzelner Stüde, die dann 
vieleicht in anderen Händen befjer benügt würden, am bequemften 
abgetragen werben (b). 

3) Wird Dagegen der Anfchlag für den Anerben niedriger 
gemacht ($. 76 (e)), fo entfleht eine Berkürzung ber Mit- 
erben, namentlidy der Gefchwifter. Freilich wird diefe Bevor⸗ 
waung der Anerben da, wo die Lanbleute einer Gegend an 
tieſelbe als an ein für die Erhaltung des väterlichen Gutes 
nothwendiges Opfer gewöhnt find, nicht ald Unrecht empfunden, 
lo lange fie ein billiges Maaß einhält, aber dieß wird zufolge 
übertriebener Sorgfalt der Aeltern häufig überfchritten und dann 
hat ein Theil der Geſchwiſter Mühe, mit dem geringen Erb» 
teil einen anderen guten Rahrungszweig zu finden, ein Theil 
son ihnen ober wenigftend ihre Nachkommen vermehren bie 
Jehl der dürftigen Lohnarbeiter (ce). Jene Einrichtung ver 
leitet auch oft die Aeltern, ſich durch Uebergabe des Gutes an 
den Anerben zu früh zurüdguzichen, wobei dann ihre lebend» 
lingliche Rente den Antheil der Miterben unnöthig fchmälert (d). 
Vo das herrfchende Rechtögefühl eine gleiche Behandlung ber 
&fhwifter verlangt, da wird die Begünftigung bed Anerben 
wit Widerwillen betrachtet. 

4) Die Gebundenheit erfchwert die Anſtedlung neuer lands 
bauender Familien und verhindert da, wo nicht viele walzende 
Etüde find, Die Taglöhner, Dorfhandwerker ıc., Ländereien an 
id) zu bringen, beren Beſitz fie fleißiger und eifriger machen 
würde. Die Erfahrung beftätigt es, daß In ber Lage ber Felbs 
arbeiter mit der Erwerbung von Grunpbefig nicht blos eine 
wirthfchaftliche, fondern auch eine fittliche Verbefferung vorgeht, 
und es iſt müßlih, wenn es zwifchen ben Eigentümern ans 


— 160 — 


ſehnlicher Hofguͤter und den vermoͤgensloſen Tagloͤhnern eine 
Mittelſtufe giebt (e). Bei freier Theilung kann der Vater 
ſeinen Kindern bei der Verheirathung einſtweilen Theile ſeines 
Gutes eigenthuͤmlich übergeben, bei deren Bewirthſchaftung fie 
fih in Fleiß, Nachdenken und Sparfamfeit üben, bis fie fpäter 
mehr erhalten. 

Hiebei ift endlich zu erwägen, daß der Zwed der Gebunden⸗ 
heit durch Verpachtung eined Gutes in einzelnen Stüden leicht 
vereitelt werben Fann und doch ein Verbot folder Stüd- 
pachtungen allzu läftig fein würde (f). 


(a) Ueber die Wichtigkeit eines zureichenten Capitals und bie daraus zu 
erflärenden Vortheile der Gutöverfleinerung f. die Bemerlung von 
Oasparin in Rau, Arhiv, VI, 120. Man kann viele Erfahrungen 
von ſchlechter Bewirthſchaftung großer Güter nachweilen, f. 3. B. tie 
Auszüge aus den Berichten mehrerer würtemb. Oberämter bei Mofer 
a. a. D. Daher ift die Behauptung, daß allenthalben auf größeren 
Gütern befler gemwirtbichaftet werde (v. Lengerfe, Ann. XIV, 245), 
nicht erweislih. In Wlandern wie in Kranfreih findet man Das 
Begentheil, I, $. 370 (e). Tandis qu’en France la petite propriete, 
riche de ses bras nombreux et d’une connaissance parfaite du terrain, 
quelle cultive, est parvenue à en obtenir ls production la plus &levee, 
la grande propriöt6 menace de disparaitre entierement par lincurie 
profonde de ceux, entre les mains desqueis elle est place. Niviere 
im amtlichen Bericht über die 3. Verfammlung "der deutichen Land⸗ 
wirthe (in Potsdam, 1839) ©. 45. — „ES liegt mehr als eine GSr- 
fahrung vor, daß ein unter zwei Söhne getheilte® Gut doppelten @r- 
trag gegen früher lieferte, und es ift laͤngſt befannt, daß nicht Die 
Größe ber Fläche, ſondern die darauf verivendete Arbeit, der beflere 
Bau als Maaßſtab des Ertrages anzunehmen iſt.“ Jäger, Die Lands 
und Forſtw. des Odenwaldes, ©. 28 (1843). — Rau in der Feſt⸗ 
fehrift für die 2. Verſammlung der deutichen Land: und Forſtwirthe 
©. 395. 1860. — Im Zillertbale (Tirol) wird über die entfittlichenden 
Wirkungen der großen Güter geklagt, „indem fie (die Größe) nur 
wenigen Perſonen häusliches Gluͤck, Häusliche Unabhängigfeit geftattet,“ 
Weber, Das Land Tirol, 1837, Ill, 513. — Dan Andet auch den 
Befiber eines wohlfeil übernommenen großen Gutes feinesivege immer 
in einer guten Lage, weil es nicht felten an Fleiß und Sparfamfeit 
fehlt. Der Wohlitand vieler Hofbauern im Schwarzwalde beruht auf 
dem gefliegenen Holzpreife in ihren Waldungen. Man darf die großen 
Güter nicht betrachten, wie fte behandelt werben könnten, fondern 
wie fle wirklich benußt werden. Gute Bemerfungen hierüber bei Bern: 
bardi, ©. 419. — In der Kurmarf waren 1827 die Rittergüter 
zu ?/o, die Bauerngüter nur zu 21 Proc. ihres Werths verſchuldet, 
überhaupt zeigt die Vergleichung mehrerer Länder, daß die Verſchul⸗ 
dung bes Grundeigenthums deſto größer ift, unter je wenigere Familien 
ſich daſſelbe vertHeilt findet. — A. Doung (Reifen durch Frankreich, 
11, 201 der deutfchen Ueberfeßung 1794) wurbe Kal durch ten 
Anbli der englifhen Güter zu der Vorliebe für grofe andgüter bin: 
gefübet und durch feine Beobachtungen in Frankreich hierin beflärkt. 

t hatte aber bier nur die von Feudallaſten, Straßenfrohnen und 
Steuern gebrüdten Bauern und bie SHalbpachter vor Augen. Seine 


Ü 


(e 


— 2 


(a 


( 


— 161 — 


Ausiprüche find lange Zeit hindurch als unwiderleglich angeſehen 
worden. Vor ihm hatten ſchon bie Phyfiokraten die großen Güter 
vorgezogen, weil fie weniger Bewirtbfchaftungsfoften verurfachen würden ; 
Dueönay (Maximes generales Nr. 15) glaubt fogar, fie feien der 
Bolfsvermehrung günftiger. 


L. Rau, Studien über füddeutiche Landw. 1852, S. 94: „Diefes 
Herauszahlen bürdet dem Uebernehmer eine oft nicht zu erfchwingenbe 
Shuldenlaft auf und veranlaßt ihn, foviel von den überfommenen 
Feldern zu veräußern, bis er fchuldenfrei if; nun erft beginnt er 
munter zu arbeiten und erwirbt endlich wieder mehr Feld, als er 
an —* Bat.“ — Solche Fälle find auch in der badiſchen Pfalz 
nicht felten. 


Im altenburgiföen ift bei den größeren Gütern in 2 Dörfern ber 
Anſchlag i. D. 57, bei den Heineren 72 Proc., nad) den Angaben im 
amtf. Bericht über die 7. Berfamml. der d. Landw. S. 254. — Bei 
13 größeren Gütern im Schwarzwald war der kindliche Anfhlag im 
Durchſchnitt 44, bei 3 Heineren 71 Broc., im Odenwalde bei 20 Gütern 
im Durhfchnitt 45 Proc., in einzelnen Fällen fank er bis !/, bes 
muthmaßlichen Verkehrswerthes herab. Hiebei ift jedoch immer ber 
Auszug zu beachten, f. (d). Bei Gütern von geringerem Umfange 
oder bei vorhandenen Schulden pflegt der Vater den Bortheil des 
Anerben geringer zu machen, weil ſonſt auf die anderen Erben zu 
wenig Eommt. Die Gefchwifter, die nicht auf einen anderen Hof 
beirathen können, ergreifen Handwerke, treiben einen Fleinen Handel 
und dgl. oder bleiben bei dem Anerben, der ihnen auch fonf in Noth⸗ 
fällen Beiftand leiſtet. 


Diefer fog. Auszug, Leibgeding, Altentheil ıc., aus Naturas 
lien, Nußnießung vorbehaltener Gründſtücke, Wohnung und bel. bes 
ſtehend, are nach der mittleren Lebensdauer des Vaters angefchlagen 
werden. Bei 60 Jahren ift diefelbe ungefähr 13,6 J., und ber gegen: 
wärtige Werth einer folchen Rente ift zu 4 Proc. das 10 fadhe, zu 
3 Groc. das 11 fache. Gin Leibgeding eines 60 jaͤhrigen Vaters von 
350 fl. ift demnach 3616—3850 fl. wertb. Iſt der Vater 55 Jahre 
alt, fo beträgt die mittlere Lebensdauer 15 Jahre, bie 15jährige Rente 
R (zu 4 Proc.) das Iit/ofahe werth. Im Odenwald fcheint der 
Auszug im Durchſchnitt einer Anzahl von einzelnen Fällen 2—3 Proc. 
des vollen Gutswerths zu betragen, fein anfängliher anf: iſt alfo 
23—33 Proc. des Gutes. Wenn nun der väterlihe Anfchlag die 
Hälfte ausmacht, fo beläuft fih die ganye Laft des Butserben auf 
173—83 Broc. des Verkehrswerthes und fein Vortheil ift nur 27—17 Proc. 
Da man aus Unfenntniß der Sterblichkeitsgefege insgemein ſolche Be⸗ 
tehnungen nicht vornimmt," fo vermag man die Größe bes Vortheils 
nit genau zu erfennen. Mehrere Landesgeſeße verbieten bie Guts⸗ 
übergabe vor einem gewiffen Alter, wovon jedoch wegen Kraͤnklich⸗ 
keit x. oft abgegangen werden muß. — Im badiihen Odenwalde if 
die Häufigkeit diejer Leibgebinge eine der Urfachen des gefunfenen 
Vohifandes. Im Jahre 1847 zählte man in 8 Ortichaften von uns 
gefähr 2900 Einw. und 538 Bürgern 122 Leibgedinge. — In Alten 
arg wird im Durchſchnitte eine 10jährige Dauer bes Leibgedinges 
eafenommen ‚ die auf eine Gutsübergabe bei 68 jaͤhrigem Niter 
Ihließen laͤßt. 

La tendance des habitans de la France est övidemment celle de possdder 
un toit, une vigne et un champ, c.-A-d. qu’aprts la guerre c’est la vie 
rustique qu’ils pr6fdrent et qu’ils estiment. Lullin de Chateau- 
vieux in Bibl. univ. Gendve, Sept. 1836, ©. 3. Dieß läßt fi, 
Ran, yoltt. Deton. IL. 1. Abth. 5. Ausg. 11 


— 162 — 


mit Ausnahme Großbritaniens, von den meiſten Laͤndern Tagen. — 
Der Vorliebe mancher Staatsmaͤnner fuͤr die Gebundenheit der Bauern⸗ 
uͤter liegt der Wunſch Grunde, lieber eine kleinere Anzahl von 
amilien in ſorgenfreier Lage, als mehrere in mühſamem Ringen um 
den Unterhalt begriffen zu ſehen, ferner die Betrachtung, daß der land⸗ 
wirthſchaftlichen Kunſt auf einem groͤßeren Gute ein weiterer Spiel⸗ 
raum gegeben iſt, ſodann der wohlthaͤtige Cindruck, den der Anblick 
des Bauernſtandes auf untheilbaren großen Befigungen, z. B. in 
Norwegen, Oldenburg, auf den bänifchen Infeln, in Sachſen, manchen 
Theilen des KR. Hannover, im Herzogthum Altenburg ıc. in Bezug auf 
gemächliches Ausfommen, Bildung, Zucht und Sitte, Wohlthätigkeit xc. 
ewährt. Im letztgenannten Lande find Dauerngüter felten feil, fie 
Bleiben lange in einer und der nämlichen Familie, und tie Beſitzer 
erwerben oft noch ausſtehendes bewegliches Vermögen. Güter mit zwei 
Pferden haben dort ungefähr 20—30 Adler (50—75 preuß. == 35—53 bad. 
Morgen). Schmalz, Die altenb. Landw., ©. 218. — Linde, Die 
fähf. und altenburg. Landw., ©. 108, — auf Lift, in D. Biertelj. 
Schr. 1842. IV, 140. — Indeß giebt e8 auch Beifpiele entgegen 
efepter Art, und je größer die Wirtbichaften find, deſto zahlreicher 
nd aud die bloßen aglapner, die fih oft in einer fümmerlichen 
und hoffnungslofen Lage befinden. Man darf weder ven Boden, noch 
eine gewifle Betriebeform des landwirtbichaftlichen Gewerbes ale Haupt: 
ſache anfeben, fondern muß ben wirthbichaftlichen Zuftand ber Staats: 
bürger im Ganzen erwägen. — In Hildesheim Haben 15600 Häusler 
nur 670 Kühe und dagegen 11800 Ziegen, Feſtgabe für die 15. Verf. 
ber deutlichen Landwirthe, Hannover, 1852. S. 152. 


Urberhaupt ift die Bewirthſchaftungsfläche oft von der Eigen: 
thumsfläde verfhieden. Cinzelne irlaͤndiſche Butsbefiger haben hun⸗ 
derte von Keinen Bachtern, dagegen fuchen Kleine Grundeigenthümer ſehr 
häufig durch Pachten fih eine vollftändige Beſchaͤftigung zu bereiten. 
Hierauf ift in der belgiſchen Statiftif genau geachtet worden. Dan zählte 
1846 572550 Landwirthſchaften (exploitations), welche fi fo vers 
theilen: 119312 oder 20,9 Proc. waren ganz von Bigenthümern oder 
Nugniegern betrieben, 234964 oder 41 Proc. ganz von Pachtern, 
91914 oder 14,9 Proc. beflanden über bie Hälfte aus eigenthümlichen 
Stüden der Landwirthe, 136 360 oder 23,9% Proc. über die Hälfte 
aus Pachtſtuͤcken. Die ganz eigenthümlihen Wirtbichaften betrugen in 
Luxemburg 39,8 Proc. (max.), in beiden Flandern nur 12,° und 
12, Proc. (min). Weſtflandern Hatte an 75 Proc. reine Pacht⸗ 
eirtöigaften. Stat. de la Belg. Agric. Recensement gensral. Rösumds, 


U 


Sa 


8. 78. 


Nachdem in mandyen Rändern fchon ange die Freiheit der 
Gütertheilungen eingeführt war, hat man ſich neuerlich unter 
dem Eindrud der vorftehenden Betrachtungen in der Wiffens 
Ihaft, wie in ber Geſetzgebung ber einzelnen Staaten häufig 
für jene Maaßregel entfchieden. Die von berfelben erwarteten 
günftigen Folgen find in vielen Fällen zum Vorſchein ges 
fommen, das Land ift fleißiger angebaut, die Rente beffelben 
erhöht und unter Mehrere vertheilt worden und man bat in 





— 163 — 


ber geößeren Zahl von Kigenthümern bed Bobend einen erw 
wuͤnſchten Zuwachs an Bürgern erhalten, bie bem Vaterlande 
und ber rechtlichen Ordnung anhänglih find (a). In ber 
neueften Zeit find jedoch manche Schriftftelleer und Staats 
beamte bald nad allgemeinen Schlußfolgen, befonderd aus 
allgemein ſtaatswiſſenſchaftlichen Worberfägen, bald von ein 
ieinen Erfahrungen beftimmt worden, bie in 8. 76 angebeuteten 
Beforgniffe nachtheiliger Wirkungen ber Theilungsfreiheit wieder 
mehr hervorzuheben. Es ift behauptet worben, daß biefe reis 
beit unvermeiblich zu einem Uebermaaße, zur Zerfplitterung bes 
Grundeigenthums führen werde (I, $. 372. 373), baß ber 
Viehſtand ſich vermindern und verfchledhtern, flatt ber Bearbeis 
bmg mit Spannvich ber Foftbarere Spatenbau nothwenbig 
werden, der zu raſch anwachſenden Volksmenge Beichäftigung 
und Berbienft fehlen, aus fchlechten Ernten und Unfällen fos 
gleich Berarmung entftehen und bei der herannahenden Noth 
ſelhit Bildung und Rechtöficherheit gefährdet werben müffen (5). 


(c) In Preußen legte fchon das Edict vom 9. October 1807 den Grund 
zur freien ügung über das Lanbeigenifum. Weitere Bervollfiän; 
digung bewirkte das Edict vom 14. September 1811 zur Beförderung 
der Landcultur, defien 8. 1 eine gehaltreihe Begründung beigefügt 
R. — Die Wirkungen waren im Allgemeinen fehr gut (Dieterici, 
Der Bollswohlfand im yreuß. Stante, 1846, S. 45. 251. Defien 
Handbuch der Statiftil des preuß. Staates, 1861, ©. 328. — 
Reihensperger, ©. 337. — Kotelmann, Die preuß. Landw. 
1853, ©. 302) und die Meinungsverfchiebenheit darüber, ob die Theis 
kungen nicht zu weit gegangen feien, bezicht ſich gauntiähtih nur auf 
Theile ter Rbeinprovinz. Yür die verneinende Meinung Schneer, 
aa. D. und Reihensperger a. a. D. ©. 403. — Aus den von 
Dietericigefammelten, au bei Kotelmann abgebrudten Tabellen 
ergiebt fi, daß die Landvertheilung der einzelnen Provinzen überaus 
ungleih if, vgl. 8. 80 (1). Von fämmtlihem Ader:, Wiefen- und 
Weideland kommt auf einen Bigenthümer bie unter A. flehende Morgen: 
Se welcher unter B. bie auf 1 Stüd Rindvieh treffende Zahl von 

gen Ader beigefegt if. 


A. | B. 
Provinz Bommern | 105 M. 11,3 M. 
⸗ eußen 90 ⸗ 10,9 = 
⸗ Weſtfalen 22 = 6,9 > 
⸗ Rheinland 8,15 bt > 


Die Srtreme find: 
Reg. Bezirk Köslin | 122 M. 13 M. 
⸗ Coblenʒ 5,8: 48 ⸗ 
Der Viehſtand iſt alfo verhältnißmäßig deſto flärker, je Heiner die 
Beiigungen; vgl. I, 8. 370 (q. Bon 1837—51 hat fid) zwar bie 
Anzahl der Rittergüter etwas vermindert, aber die anderen Landgüter 
- 1 % 


- 


— 164 — 


mit Spannvich haben fih um etwas über 1 Proc. vermehrt, während 
die Güter ohne Zugvieh fh um 21 Proc. vermehrten. Der mittlere 
Umfang der beiden legten Glaffen von Bütern hat fogar noch etwas 
ugenommen, er war bei den Spanngütern 100,% und 100,70 M., 
ei den Eleineren 8,59 und 8,9 M., was aus neuen Urbarmadhungen 
zu erklären if, Dieterici, Handb. ©. 317. ff. In der badifchen Balz 
fommen bei den Pferbegütern etwa 51/.—7 Morgen, bei den Kuh— 
ütern 4—5 M. auf 1 Stüd Großvieh, Rau in der a. Feſtſchrift 
. 305 ff. — Im Bart Windifhgrag (Steiermarf) famen auf 
1 Pferd, Ochſen, Kuh bei Gütern unter 10 Joh im D. 0,9 Joch 
Ader, bei größeren 1,17 Joh. v. Czörnig, Statift. Darf. der 
PVertheilung des Grundbeflges im Bezirke W. 1860. ©. 39. 54. — 
In Franfreih und Belgien ift vollfommene Freiheit. Si l’on parcourt 
les contröes agricoles de la majeure partie de la France, celles möme 
ou les terres sont le plus divisees, on y trouvera peu d’indigents, peu 
de mendiants, peu de bras inoceupés. Lä encore la population est 
plus robuste, l’instruction n’y est pas moins röpandue et les bonnes 
moeurs sont mieux conserv&es. — Le problöme & rösoudre ost de 
maintenir le prineipe de la division des terres dans de justes bornes. 
N nous semble rösolu par le fait. De Villeneuve-Bargemont, 
L ch. 10. — In Belgien famen 1846 bdurdfchnittlid 3 Hekt. — 
11,7 pr. Morgen Acker, Garten, Wiefe und Weide auf eine Bewirth⸗ 
fhaftung; was die einzelnen Provinzen betrifft, fo ift das Marimum 
in Namur mit 4,1% H., fodann folgen Limburg mit 3,9% und Luxem⸗ 
burg mit 3,7 9., das Minimum ift Oftflandern mit 2,9 H., ſodann 
Hennegau mit 2,5%, Antwerpen mit 2,7595. Der Viehfland im Ber: 
haͤltniß zum Acker ift wirklid in Namur am ſchwaͤchſten, aber in 
Zuremburg ift er wegen der vielen Wieſen noch flärfer ale in Oſt⸗ 
Randern und Antwerpen und in Hennegau ift er ſchwach. — Der 
ſtarke Viehſtand mancher Gegenden, befonders in Gebirgen, rührt 
davon her, daß viel jum Graswuchſe vorzüglich taugliches Land vor- 
handen ift; bie anſehnliche Größe der Güter ift hievon bie Yolge. 
(6) ©. vorzüglid Bernharbi, ©. 474. 


- 


8. 79. 


Diefen Befürchtungen können mehrere Gründe entgegen 
geftellt werben (a). 

1) Die Gefahr einer allgemeinen Zerfplitterung bed Grund⸗ 
eigenthums in Fleine, zur guten Bewirthfchaftung und zur Er⸗ 
nährung einer Yamilie unzureichende Stüde ift in den meiften 
Gegenden ſchon darum entfernt, weil bie Bolfövermehrung 
gewifien Gefegen zufolge einen langfamen Gang hat. Wird 
auch bidweilen ein Gut unter 3 ober 4 Gefchmwifter getheilt, 
fo werden auch wieder Erbtheile durch Verheirathungen und 
Bererbungen in ber Seitenlinie zufammengelegt (b). 

2) Berfchiedene Urfachen mwirfen auf die Erhaltung größerer, 
d. h. folcher Güter bin, die noch ohne Nachtheile verkleinert 
werben könnten. Dahin gehören folgende: 


— 165 — 


a) Die Raturbefchaffenheit des Landes. In Berggegenden 
„B. muß zu ben nöthigen Fuhren flarfe Beipannung (vielleicht 
fogar mit 4 Zugthieren) gehalten werden, die zu einem Hofe 
gehörenden Grunbftüde liegen meiftend beifammen und bie 
höheren dürfen fchon der Wege und Waflerableitung willen 
nicht von dem tieferen getrennt werben, überdieß machen Klima, 
Lage und Bobdenbefchaffenheit einen fchwunghaften (intenfiven) 
Anbau unzwedmäßig. Daher bleiben in folchen Gegenden bie 
Güter durch freien Entfhluß und Gewohnheit in ber Regel 
ungetheilt (c). Im Niederungsland kann dad Beduͤrfniß ftarfer 
Geſpanne für die Unterhaltung der Dämme (Deicye) oder bie 
üblihe Benugung des Graslandes zu Weiden gleiche Wirkung 
außen (d), ſowie anderswo aud dad Vorhandenfein von 
großen Streden eined unfruchtbaren, nur zur Beweidung taugs 
lichen Landes, z. B. Heiben. 

b) Die Gelegenheit und Geſchicklichkeit, große ſtehende 
Eapitale mit Vortheil anzuwenden, 3 B. auf Mafchinen, 
befiere Biehrafien, oder zu Grundverbeflerungen, die im Großen 
mehr Bortheil bringen. 

c) Die Hochſchaͤtzung des großen Grundbeſitzes, weil mit 
ihm Anfehen und Wohlftand verbunden find, und das baraus 
bereorgehende Streben, ihn in ben Yamilien zufammen zu 
halten und felbft noch zu erweitern. Ganz befonders zeigt ſich 
tie in Gegenden, die nicht durch die Nähe größerer Städte 
oder Fabriken in einen lebhaften Verkehr gezogen werben und 
in denen ſich bie alten Gewohnheiten mehr fortpflanzen (e), 
weßhalb man hier auch die Begünftigung des Anerben durch 
einen niedrigen Anfchlag leichter erträgt. Beifpiele von ſchaͤd⸗ 
ih) gewordenen Theilungen dienen zur Warnung, erworbenes 
dewegliche® Vermoͤgen wird mit Borliebe zum Ankauf von 
Land verwendet (f). Daher trifft man faft überall größere 
md mittlere Güter zwifchen ben Fleineren (g) und wenn bie 
Vertheilung nicht nach der Zahl der Eigenthümer, fondern 
nah Procenten der ganzen Fläche berechnet wird, fo erfcheint 
bie Zerftücelung viel weniger ftarf (A). 

3) Je einfichtövoller und unterrichteter die Landwirthe find, 
teho eher vermögen fie zu erfennen, welche Bewirthfchaftungd- 
Aähe unter den gegebenen Verhaͤltniſſen für fie die nüglichfte 


— 166 — 


tft und bei welcher Morgenzahl insbefonbere die Verkleinerung 
anfängt nadhtheilig zu werben. Diefe Einficht muß wenigftens 
zur Verhütung von Mißgriffen dienen, wenn fie gleich für ſich 
allein nicht fchon bie Herſtellung ber vortheilhafteften Größe 
ber Güter bewirken kann. Die Freiheit der Theilungen ruft 
aber erft dad Nachdenken hierüber hervor (1). 

4) Die Verkleinerung eines Gutes iſt fo lange unſchädlich, 
als es den Beflgern an Mitteln, Kenntniß und Neigung zu 
einem guten Anbau, ferner an Abfag und vollfländiger Be 
fhäftigung und folglich auch an einem genügenden Einfommen 
nicht fehlt (kA). Daher fann z. B. ein Spanngut (Gut von 
1 Pflug) ohne Nadıtheil auf einen Fleineren Umfang gebracht 
werden, wenn ein fchwunghafterer Anbau (I, 8. 371) mit 
Nutzen ausdführbar ift und folglih das Geſpann no bins 
veichend zu arbeiten bat; es Tann audy die Theilung nod 
weiter herabgehen, wo bie Arbeit mit Kühen gut ausführbar 
tft (d), wo die Handarbeit einträgliche Anwendung findet (m) 
ober Gelegenheit zu anderem Verdienſte vorhanden ift, 3. B. 
durch Taglohn auf größeren Gütern, Handwerks oder Fabrik 
arbeit, Steinbrechen, Torfftechen, Holzhauen, Lohnfuhren u. dgl. 

5) Wenn mit einer weit gehenden Theilung ungünftige 
Erfcheinungen zufammen treffen, fo find diefe bisweilen anderen 
Urfachen zuzufchreiben, 3. B. einer rafchen Bolfövermehrung, 
die aus einem unabhängig von den Gütertheilungen wirkenden 
Antriebe entfteht und auch bei gebundenen Bütern die Zahl 
der Nahrungsloſen vergrößern würde, befonders wenn ein häufig 
betriebener Rahrungszweig in Verfall geräth (n). 


() Schr oft hat man die Berkleinerung des Grundeigenthums mit der 
Zertheilung der einzelnen Grundſtuͤcke (Stüdtheilung) verrwechfelt, 
welche mit jener nicht nothwendig zufammenbängt und füglich befchränft 
werden fann. Biele der 50 von Sparre a. a. D. ©. 279 nambaft 
gemachten Nachtheile der Verkleinerung betreffen nur dieſe Parcelli⸗ 
rungen. 


(6) Die Annahme, daß 3. B. die jebigen Güter von 40 Morgen in ber 
zweiten Hand durchichnittlih auf 10, in der dritten auf 21/. Morgen 
zerftückt würden u. f. f., if daher unſtatthaft. Denkt man ſich 
1000 Familien mit Gütern von 40 Morgen und nimmt man an, baf 
jene in gleihem Schritt mit ber Bolfsvermehrung jährlih um 
1 Proc. zunehmen, fo würde die Zahl der. Kamilien in 15 Jahren 
erft auf 1160, in 33 auf 1398, in 66 auf 1928, in 100 Jahren auf 
2704 anwachſen und wofern das Land gerade im Befige dieſer Yamilien 
bliebe, würde ber mittlere Umfang eines Gutes in denfelben Zeiträumen 





— 167 — 


auf 34,4, — 28,°, — 20,7, — 14,8 Morgen finten. In der ganz 
vermögenslofen Glaffe pflegt Die Volksvermehrung fehneller zu fein. 


Die oben erwähnten badifhen Hofgüter mit Bortheilsgerechtigkeit 
$. 76 (e)) liegen im Schwarzwalde. Im heffifchen und badiſchen 
denwalde fchneidet der Rand ber Höhen die durch freien Entſchluß 

beifammen bleibenden Güter ab, in mehreren der Ebene nahen Thälern 

wird aber ſchon getheilt (was freilih auch in manden Gebirgsorten 
efhieht), ja ein Dorf (Niederhambach bei Heppenheim) hat im oberen 
heile Hofgüter, im unteren Zertheilung. 


In der Marfchgegend an der Niederelbe hat die Theilbarkeit nicht ges 
ſchadet, weil man von ihr wenig Gebrauch madt. Man fucht A bie 
6 Pferde zu halten. Auch in Offeiesland wird felten ein Hof zerftüdt. 
Feſtgabe H die 15. Verſ. S. 119. 226. Das Nämlihe iſt auch in 
vielen anderen Gegenden wahrgenommen worden. 


—— dafuͤr iſt die Beibehaltung der alterthuͤmlichen Bauern⸗ 
tracht. 


() Beiſpiel: die. ehemaligen Stockgüter in der Eifel (Kreis Prim), 


ur 


mit fehr geringer Abfindung der Miterben und fehr früher ee 
rathung des Anerben (des aͤlteſten Sohnes) ; aber fie werten nachlaͤſſig 
bewirthſchaftet. Schmerz, Beſchreibung ber Landw. in Weitfalen 
und Rheinpreußen, 1836, II, 129. — Reihensperger, ©. 323. — 
Untheilbare Bauerngüter im Kreife Tecklenburg, v. Lengerfe Annal. 
IV, 341. — In Südtirol, unter den Landleuten von italienifcher Ab⸗ 
kunft, wird ebenfalld diefer zufammenhaltende Yamilienfinn bemerft, 
Weber, Tirol, II, 498. — Gbenfo in Belgien und anderen Ländern. 


In Oberbaiern fommen noch jeßt 47 baier, (62%, preuß. — 441/s bab.) 
Morgen Ader, Wiele, Sarten und Weide auf einen Gigenthümer, den 
Wald nicht gerechnet. — Alle ftatiftiihen Nachrichten aus Ländern, in 
denen die Bütertheilung frei ift, liefern Beweiſe hiezu, Kolb,a.a.D. 
und die folgende Rote. — Lambsheim in der baier. Pfalz, ein Dorf 
in blühendem Zuflande und vortrefflihem Anbau, hat unter 436 Fa: 
milien 16 von 50—300 Morgen, 59 von 20—50M., 71 von 10 - 20 M., 
88 von 5-10 M., 202 von 5 M. und weniger. (Dey dortige Morgen 
ft = 24 Aren = 0,7 pr. Morgen.) 


In Belgien betragen die Wirthichaften verſchiedener Größe in Procenten 
(die legte Spalte nur nach ungefährem Anfchlage) 


ae en o aaın Big 


unter 1 Heft. 65,5 7 





von 1—5 > 28,9% 20 
ss 5-10 =: 7,9 18 
s 10—20 ⸗ 4,63 14 
s 20-50 ⸗ 2,68 22 
s 50u. mehr > 0,75 19 


alfo beſtehen 36 Proc. der Fläche aus Gütern von 1 — 4 Pflügen, 
19 Broe. aus noch größeren. In 2 Gemeinden bes Kreifes Bonn 
haben nur an 4 und 6 Proc. der Gigenthümer Güter über 50 Morgen, 
diefe machen aber 42 und 39 Proc. der Kläche aus, Büter von 20 bie 
50 Morgen find 7,9 und 10 Proc. der Anzahl, 21 und 231/s Proc. 
der Fläche; aus den Angaben bei Hartflein, Topographie des Kr. 
Bonn, 1850, S. 199. Im Landeommiflariat Frankenthal (baierifche 


(X) 


(? 


— 


— 


(m 


(*) 


— 168 — 


Pfalz) befinden fih 38 Proc. Befigungen bis zu 1 baier. Morgen, 
welche aber nur 22/5 Broc. des Landes einnehmen, 49 Broc. find 
Büter von 1 bis 10 M. — 30 Proc. der Oberflähe, die Guͤter über 
100 Morgen nehmen 14 Proc. der Flaͤche ein, obgleich fie der Zahl 
nad nur etwas über !/; Proc. find. Ueberſchlag nach den Zahlen bei 
2. Rau, Studin S. 84. — In Sachen haben 45,37 Proc. ber 
Gigenthümer unter 3 Ader — 6'/ pr. M., 20 Proc. 3-10 Ader, 
10,8 Proc. 10—20 Ader, 17,8 Proc. 20—50 Ader, 5,2 Broc. 50 bis 
100 und 1,2 Broc. über 100, mit Ginrechhnung bes Waldes (Reu: 
ning). Allein die drei lebten Claſſen befiben ungefähr 36, und 
23 Proc, zufammen 81 Proc. der Fläche, die Eigenthümer von 21%, 
bie 43,3 pr. M. nur 8,6 Broe. ıc. 


Es wäre lehrreich, die Urfachen zu erforfchen , welchen bie Verſchieden⸗ 
heit in der Größe der Landgüter von einem Ort oder Bezirk zum anbern 
zuzufchreiben iſt. Sie liegen bald in natürlichen Umſtaͤnden, bald in 
der Geſchichte der Anfieblungen, bald in anderen wirthichaftlichen und 
ſtaatlichen Umfländen, die bier dem Antriebe zum Zufammenhalten bes 
Eigentbums, dort der Neigung zum Zertheilen das Uebergewicht geben. 
Indeß Bat ohne Zweifel die —5— Ueberlegung oder das dunkle 
Gefühl des Landwirthſchaftlich⸗-Nuͤtzlichen mitgewirkt. 


Le canton de Vaud tout entier est un pays de petite propriete. Les 
partages 8’y multiplient de plus en plus, et cependant jamais il ne 
fut plus riche et plus prosptre. Sa population s’est accrue et s’augmente 
chaque jour dans une proportion qui n’a rien d’inquidtant, puisque 
Yaisance s’accroit avec elle et que la main d’oeuvre y est tout aussi 
chörement payée qu’autrefois. Cette population est mieux nourrie, 
mieux vötue, mieux logéôe qu’auparavant etc. Biblioth. univers. Agri- 
cult. XI, 95 (Mai, 1826). — Dennody wäre es zu bedauern, wenn 
nicht auch mittlere und größere Güter übrig blieben. 


Diefe Kubgüter find in vielen Begenden in gutem Stande und ihre 
Gigenthümer in günftiger Lage, I, $. 372 und Rau, Ueber ben 
Heinften Umfang eines Bauerngutes, 1851, S. 13, auch im Ardiv, 
N. F. IX. Bd. Die großen Abweichungen in ben Urtheilen über ben 
Zuftand folcher Eleinen Wirtbfchaften können nicht allein aus unrichtiger 
Auffeflung erklärt werben, fondern zeigen an, baß die Erfcheinungen 
wirklich fehr verfchieden find. 


Der Spatenbau tft bei jo Fleinen Gütern nicht nothwendig, weil man 
fi burd) Lohnpflügen oder Zufammenfpannen einzelner Kühe helfen 
fann, aber zum Anbau mancher Gewaͤchſe ift jener vorteilhaft, und 
der Lein (Flachs), Tabak, Hopfen, Krapp, die Nebe, Gemüfe und 
Obſt nehmen viele Hände in Anſpruch. Freilich koͤnnen dieſe Gewaͤchſe 
fowohl des erforberlihen Klimas als des befchränkten Abfages willen 
nicht in einem ganzen Lande gebaut werden, mas fchon von Bernharti 
©. 451 bemerkt worden ifl. — Schilderung ganz Heiner Landſtellen 
mit Spatenbau bei v. Niedefel, Weber parcellenweife Verpachtung 
rößerer Güter, 1846, auch in deſſ. Drei landwirthſchaftl. Abhand⸗ 
ungen, Anklam, 1853. — In der babifhen Pfalz wird für Halm⸗ 
früdte fein Spatenbau angetroffen. 


Nachweiſungen hierüber bei Seelig a. a. O. — Die Schilderungen 
aus Würtemberg bei Helferih a. a. D. rühren aus einem Zeit- 
puncte ber, in dem bie Nachwirfungen ſchlechter Weinjahre und anderer 
Umflände noch fehr fühlbar waren. Der Wohlftand Hat fich feitdem 
wieder gehoben. Bol. Lette, Bertbeil. S. 111 ff. 


— 169 — 


8. 80. 

Die Erfahrungen aus vielen Gegenden beſtätigen das, was 
aus den vorſtehenden Saͤtzen gefolgert werden muß, daß naͤm⸗ 
lich die Freiheit der Theilungen jenes Uebermaaß der Bers 
kleinerungen keineswegs fo häufig, als man befüuͤrchtet hat, 
nach fi) zieht. Die Verſchuldung des Grundeigenthums zeigt 
ſich ſogar oft in Gegenden, die mehr große Güter haben, ſtärker 
ala bei ſtärkerer Zertheilung (a). Indeß läßt ſich nicht bes 
reiten, daß hie und da in einzelnen Orten oder Bezirken eine 
zu große Zertheilung zum Borfchein gefommen ift (6). Hiezu 
tigen folgende Urſachen bei. 

1) Die Gewohnheit gleicher Erbtheilungen unter den Land⸗ 
leuten, die man leicht beibehält, auch wenn man ſchon an ber 
Graͤnze angelangt ift, wo eine weitere Zerlegung nicht mehr 
nüglih if; denn der Uebernehmer eined fo Fleinen Gutes, 
wenn ihm nicht zufällig ein bewegliches Vermögen zu Gebote 
Beht und wenn er nicht mit Hülfe von Berbefferungen den 
Reinertrag au erhöhen vermag, hätte zur Befriedigung der 
Riterben eine allzu ſchwere Schuldenlaft zu tragen. Die Kauf: 
peile einzelner Stüde werben in volfreichen Ortfchaften von 
dem ſtarken Mitwerben fo fehr in bie Höhe getrieben (I, 8. 371), 
daß die Käufer, um ſich nur eine felbfifländige und dauernde 
deihäftigung zu fichern, mit einem fehr niedrigen Gewerbes 
ud Arbeitöverbienft vorlieb nehmen müffen und daher, wenn 
Re verſchuldet find, die Zinfen nur bei höchft fpärlicher Lebens» 
weile oder mit dem Beiftande von Nebenverbienften erſchwingen 
Innen (ec). 

2) Leichtfinn und Unmiflenheit oder dad Beifpiel anderer 
genden, in denen bie Theilungen nüplich gewefen find. Man 
lann bieburdy verleitet werden, bie Bedingungen des guten 
Ausfommend nicht gehörig zu überlegen und ſich die Gteiges 
rung des Bodenertraged oder den Nebenerwerb zu leicht und 
Rher vorzuftellen (d). 

3) Die durch mangelhafte Staatseinrichtungen vermehrte 
Schwierigkeit des Wegziehens aus ber Gemeinde und ded Er- 
greitend neuer Erwerbszweige, woburdh nah und nad bie 
Anfprühe und Bebürfniffe der Landleute auf ein niebrigeres 
Naaß herab gedrängt werden. 


— 10 — 


4) Der gewerbemäßig betriebene Anfauf größerer Güter 
zum Behufe des Wiederverfaufs in Fleineren Maſſen oder eins 
zelnen Stüden wirb ebenfalls hieher gerechnet, weil biefe Unter- 
nehmung nidht aus den eigenen Wirthihaftserfahrungen großer 
Gutsbeſitzer hervorgeht, fondern nur auf dem Preisunterfchiebe 
bed Morgend bei großen und Ffleinen Flächen beruht. Die 
Berfleinerung mag hiedurch befchleunigt werden, aber fie würde, 
wenn gleih Iangfamer, auch ohne Einmifhung von foldyen 
Güterhändlern vor fich gehen, wenn große Güter fih in ben 
Händen folcher Perfonen befinden, welche biefelben nicht gut 
bewirthfchaften wollen oder koͤnnen (e). 

Die natürlihe Abhülfe gegen übermäßige Zertheilungen 
befteht im Zufammenfauf einzelner Stüde, um größere Güter 
neu zu bilden. Dieß feht, den Ball einer Auswanderung in 
andere Länder oder Gegenden ausgenommen, voraus, daß Die 
Kleinbegüterten weniger Rente ziehen, als der Zins des ihnen 
gebotenen Kaufpreifes beträgt und folglich mit Hülfe des letz⸗ 
teren fih von Schulden befreien und einen einträglicheren Er⸗ 
werb ergreifen koͤnnen (f). 


(a) Leite, Bertheil. des Grundeigenthums ©. 81. In Gngland foll die 
Berfhuldung 50 Proc., in Branfreih nur 10 Proc. fein. 


(3) Statiftifche Nachrichten müflen mit Vorfiht benußt werden, weil fie 
nicht felten mit einer vorgefaßten Meinung erhoben oder benußt werden. 
Unbeftimmte,, mehrbeutige oder unerwielene Angaben fünnen nicht ent⸗ 
fheiden. Die Merkmale, aus denen die Weberfchreitung der gemein: 
nüßigen Graͤnze ber Theilungen vermuthet werden fann, find: unvoll⸗ 
ſtaͤndige Beichäftigung der arbeitefähigen Wamilienmitglieder, — Abs 
nahme des Großviehes auf gleicher Wläche, beionderd des Nutzviehes, 
fhlechtere Düngung , geringerer Ertrag des Landes, — Zunahme ber 
Dürftigkeit, der Armuth, der Bergantungen, wenn zugleich Feine fremd⸗ 
artige Urfahe im Spiel if. — Man hat fih oft auf Frankreich 

· als Beifpiel im Großen berufen und den höchft übertriebenen Sag 
wiederholt, den Neichensperger ©. 373 aus dem Journal des 
Debats mittheilt: le territoire francais semble tomber en poussiere. 
Die Unvollfommenbeit des Anbaues in einem Theile des Landes, Die 
weiten unbenußten Debungen, das Fortbeſtehen der Brache in den 
meiften Gegenden ıc. laſſen ſchon vermuthen, daß dort das Uebermaag 
der Zerftüdelung nur theilweile in einzelnen Gegenden beftchen Eönne. 
Man hat die Zahl der Grundeigentgümer bisweilen auf mehr als 
10 Mill. angegeben, was aber ſchon darum unrichtig fein muß, weil 
auf 3! / Köpfe nit Schon 1 Grundbefitzer kommen fönnte. Zwar 
zeigte das Katafler 1815 10 Mill. Befignummern (Cotes foncidres), 
die fih 1855 auf 12822738 vermehrt haben, aber bierunter find 
1) folche Befiger von überbauten Flaͤchen, melde fein anderes Grund⸗ 
eigenthbum haben, mit aufgezählt, 27 diejenigen, welche in zwei oder 
mehr Gemeinden zugleich angeſeſſen find, zwei- ober mehrmals auf: 


— 11 — 


geführt, weshalb jene Zahl unbrauchbar if, Rau, Archiv, IV, 251. 
Wolowski in Böances et travaux Oct. 1857. — Legoyt in Journal 
des Eeon. Sul. 1857. — Man hat früher 4'800 000 (Daru, Moniteur 
von 1826, Mr. 97), oder 4300000 (Lullin de Chatesuvieux, 
BibL univ., Det. 1825) oder 4832998 (f. I, 400) Gigenthümer an» 
genommen, neuerlich rechnet man 5—6 Millionen. De Lavergne, 
Eeonomie rurale de la France, 1860, ©. 433 , rechnet, daß ee 3 Mil. 
Heine Brundeigenthümer, durchſchnittlich von 1 Hektar, 2 Mill. von 
durchſchnittlich 6 Heft. (23,% pr. M.) und I Mill. große und mittlere 
von 25 Heft. 9738 pr. M.) im Durchſchnitt gebe, den Wald nicht 
eingerechnet, alfo im Ganzen 6°%/3 Heft. = 26 pr. M. durchſchnittlich. 
Man glaubt, daß 24—26 Mill. Menſchen der mit Landbau befchäftigten 
Claſſe angehören (Schnitzler, De la eréation de la richesse, I, 15), 
alſo (zu 5 Köpfen) gegen 4%, bis 51/5 Mill. Familien. Das Rebs 
und Sartenland beträgt 4 Mill. Hekt., die fchon viele Arbeitskräfte 
beihäftigen. Die Seidenzuht wird in 12 füdlichen Dep. ſtark be: 
tieben ; fhon der Ertrag der Maulbeerbäume wird auf 42%/, Mill. Fr. 
angeihlagen. Schon vor 1789 war in einzelnen Theilen des Landes 
das Grundeigenthum fehr verkleinert und es wurden Klagen darüber 
vernommen, der Wohlſtand und der Bobdenertrag Hat fih aber im 
Ganzen genommen vermehrt. Uebrigens wird nur etwa bie Hälfte des 
Landes von Gigenthümern angebaut, Bernharbdi, a. a. O. ©. 552. 
Block, Des charges de l'agricult. 1851. ©. 49. Nach dieſem Schrift: 
heller find an 14 Proc. ber Fläche im großen Wirthichaften (grande 
eılture), 59 Proc. in mittleren, an 27 in Hleineren Wirtbfchaften ents 
halten. — Der Biehfland if ſchwach, aber es ift nicht erwielen, daß 
er fonf größer war. Nah der amtl. Statiftil kamen in der Nord⸗ 
hälfte 2,9 Get. — 8,9 pr. Morgen Ader (die Brache eingerechnet), 
Garten⸗ und Rebland auf 1 Stüd Rindvich jedes Alters, in der Süb- 
hälfte 3,1% Heft. — 12,8 pr. Morgen. Bei den Berhandlungen bes 
Iandwirtbihaftlihen Bongrefies in Paris (1844 und 1850) über die 
Berfleinerung ‚der Grundftüde erhob ſich keine Stimme gegen die Frei: 
beit der Beräußerungen und Theilungen des Bigentfums. Nach 
de Lavoergne, Econ. rursale de la France ©. 164 ff. wird im D. 
Niederrhein über zuweit getriebene Theilungen geklagt, die Volksmenge 
ſei fhneller als der Bodenertrag gewachlen,, es herriche eine fureur de 
la propriöt& und es beflehe eine insuffisance de la production par rap- 
port sux bras qu’elle emploie, ©. 166. Zugleich foll die Stüdtheilung 
ehr ins Uebermaaß gehen. — Die Zahl der Grundeigenthümer in 
England if merfwürdiger Weife nicht genau befannt, allein die der 
Landwirthe wird auf etwa 236000 angegeben, was 108 Acres Garten, 
Ader, Wieſe und Weide = 170 pr. M. für jeden Landwirth giebt. 
In dieſer Zahl find 121460, welche Lohnarbeiter befchäftigen und 
zwar 744407, alfo jeder im D. 5,2 Arbeiter. GEs if überhaupt uns 
yafiend, andere Länder gerade nad Sroßbritanien zu beurtheilen, deſſen 
Iandwirthfchaftliche Verhältniffe wegen bes großen Kapitals, der leichten 
Ahfapgelegenheit u. dgl. ganz eigenthuͤmlich find. — Die preuß. Staates 
Behörden fanden nach genauer Unterfuchung, daß die behaupteten Uebels 
Hände im Ganzen nicht vorhanden feien und ber Bauernſtand ſich nicht 
in Berfall befinde, Leite, Vertheil. S. 18. 30. 40. — Helferid 
Loeitie. 1853 S. 215) weiſt allerdings eine größere Zahl von Gant⸗ 
öllen in einigen wuͤrt. Aemtern nad, die eine flärkere Vertheilung 
haben, 1 auf 206 Familien in 2 Amtsbezirken, dagegen 1 auf 337 in 
2 anderen. Sene haben 6100, dieſe 3710 GE. auf dr D. M., vgl. 
aber $. 79 (m). — In Tirol, wo bie Theilungen von ben NAemtern 
bisher fehr bereitwillig zugegeben wurden, foll bie und ba das Ueber: 
maaß derfelben zur Derarmung geführt haben, Klagen aus ber Ums 





(e) 


() 


(ed) 


— 122 — 


gegend des Sfelbergs (bei Inpebruch und aus Vorarlberg, beſonders 
dem Bregenzerwald, bei Weber, Das Land Tirol, III, 158. 581, 
Staffler, Tirol und Borarlberg, 1839, I, 181. In Borarlberg 
werben jedoch viele Fabriken betrieben. — Im K. Hannover wird ber 
Zuftand von Göttingen und Grubenhagen als ungünftig geſchildert, 
Stüve, Wefen und Berfafl. der Landgemeinden, ©. 210 ff. Feftgabe, 
©. 171. 8 foll namentlich zu wenig upvieh vorhanden fein, indem 
3. B. im Amte Duperftadt auf 15 kal. M. 1 Pferd, aber erft auf 
28 M. 1 Kuh fomme und es wird verfichert, daß regelmäßig mit dem 
Umfange des gebundenen Grundbeflges die Menge tes Nutzviehes auf 
gleicher Wlüche feige, vol. $. 79 (a). Verſtaͤndig betriebene Kuh—⸗ 
wirthfchaften würden vielleicht viel ändern. (Verdient genauere Unter 
fuhung!) — Das bei v. Sparre ©. 381 befchriebene arme Dorf 
Hocelheim im Kr. Wetzlar hat erfi auf 10,7 M. Ader 1 Stüd Groß: 
vieh. — Das Dorf Serehof bei Lorſch (Großh. Heflen) mit 1200 heſſ. 
Morgen Land war ehemals im Befitz von 4 Erbpachtern. Nah der 
Ablöjung dieſes Erbpachtsverhältniffes mehrte fih die Zahl der Wa: 
milien bis auf 80, die vielen Eleinen Grundeigenthlümer geriethen in 
Schulden und verfauften ihre Grundflüde an 2 reiche Gapitaliften zum 
Behufe einer Wiefenanlage. Zeller, Zeitfchrift f. d. landw. Vereine, 
1858. ©. 75. Peftgabe für die XXI. Berfammlung der d. Landw. 
1860. ©. 376. — In Baden wie in anderen Räntern enthalten bie 
Berichte der Behörden bisweilen Schilderungen ſchaͤdlicher Folgen aus 
den Theilungen. ine Verringerung des Viehſtandes ift jedoch felten 
nachzuweiſen, eher an einzelnen Orten mangelnde NArbeitsgelegenheit 
und Dürftigkeit. In der Rheinebene insbeſondere, wo bie Landleute 
ungemein fleißig und auf Verbefferungen bedacht find, wo Reben und 
Handelsgewaͤchſe viele Arbeit erfordern und die Befißer zu Fleiner 
Güter durch Pachtungen ihre Arbeitsfläche ergänzen, ift der Zuſtand 
nicht beunruhigend und der Wohlſtand fleigend. Größere und mittlere 
Büter erhalten ſich neben den Fleinen, die Spanngüter nehmen nidt 
ab. Rau in ber Feffchrift für die XXI. Verf. ©. 296. Auf der 
Hochebene des öftlihen Opdenwaldes, zwifchen Nedar und Main, find 
diejenigen Gemeinden wohlhabender geblieben, in denen man bie Güter 
zufammengehalten hat. Hier hat es den Bewohnern bdiefer abgelegenen 
Gegend bisher an Fleiß und Betriebfamfeit gefehlt und zu den Urfachen 
des gefunfenen Wohlſtandes gehört die leichtfinnige Verwüftung ber 
Privatwaldungen. 

Der höhere Preis der einzeln verfauften Grunbftüde hat zwei Urſachen 
(1, $. 371), teren Wirfungen ſchwer zu fondern find, nämlich theile 
den bei guter Eunftmäpiger Benutzung möglichen größeren Reinertrag 
des Landes, theils das ftärfere Mitwerben. Indeß findet die Wirfung 
der zweiten Urfadhe I Orange, weil der. Preis nicht über das Ber: 
hältniß des Bachtzinfes hinausgehen fann, weldhen ber Kleine Land: 
wirth oder Taglöhner noch zu bezahlen im Etande if. Gs jei der 
Nohertrag eined Morgens 70 fl., bie eigene Arbeit der Bamilie 20 fI., 
der übrige Koftenaufwand 30 fl., fo bleibt ein Reinertrag von 20 fl., 
ber einem Preife von 500 fl. (zu 49/0) entſpricht. Es wird offenbar 
einem Heinen Pachter ſchon fchwer werden, 25 fl. zu geben, wobei der 
Preis auf 625 fl. fliege, wohlhabende Käufer werben aber nicht theurer 
faufen, weil fie auf den Pactzins Nücdkficht nehmen. 

Der Taglohnverdienft vermindert fich, fowie die größeren Güter kleiner 
oder ihre Eigenthümer fleißiger und fparfamer werden. Die Einführung 
landwirtsfchaftlicher Mafchinen hat ähnliche Wirfung. 

In Frankreich wird über die „ſchwarze Bande” geflagt, welche abelige 
Güter zerfchlug und alle Beſtandtheile fo einträglih ale möglich zu 





— 13 — 


benugen fuchte. Dieß Gewerbe if die in Würtemberg fngenannte Sof ⸗ 
metzgerei, Hoffhlädterei in Norddeutſchland. o die Erlaub⸗ 
niß zur Zerſchlagung ſchwierig zu erlangen iſt, da verlegen ſich begreif⸗ 
lich gewandte, geſchaͤftskundige Leute auf dieſe Unternehmung, die dann 
beſonders gewinnbringend iſt. Sind die Theilungen frei, ſo werden 
fie unaufhaltſam da erfolgen, wo fie Vortheil bringen, es ſei nun 
tur ten bisherigen Befiter oder durch einen Käufer. — Fr. v. Ried: 
efel (a. a. D. ©. 59) fand, daß auf feinem Gute von 640 pr. M. 
ein Theil der Grundftüde feinen Reinertrag gab und am beiten durch 
Stückverpachtung benupt wurde. Dieß ift ein häufiger Kal, den man 
nur wegen mangelhafter Buchführung nicht leicht herausfindet. 


(N Dieb Zufammenkaufen kommt öfters vor, 3. B. in ber baier. Rhein: 
Malz, Kolb a. a. D. — Bernhardi ©. 481 erinnert an Die 
Entftehfung von Latifundien durch Ausfauf der Eleinen Eigenthümer 
mit dem Untergang des Bauernſtandes in Italien, in zwei verfchie: 
denen Zeitpuncten. Dieß fteht bei den heutigen volfswirthfchaftlichen 
Berbältniffen nicht zu erwarten. In den öftlichen Provinzen bes preuß. 
Staates wie in England find jedoch viele Bauerngüter von den großen 
Butsbefipern ausgefauft worden, |. 3. B. Wentzel in v. Lengerfe, 
Ann. IX, 330. 


$. 81. 


Die gefegliche Untheilbarfeit würde nad) allgemeinen Grund- 
füten (8. 5) in Schup genommen werden fönnen, wenn fie 
erweislich die beflere Bodenbenugung und bie vortheilhaftere 
Rage der Landleute ſicherte. Dieß ift jedoch nicht der Fall. 
Die Gebundenheit ift unter gewiffen Umſtaͤnden unſchaͤdlich, 
nömlih da, wo die Raturbefchaffenheit der Güter fowie die 
perfönlichen igenfchaften und das Capital der Eigenthümer 
der jegigen Ausdehnung ber Befigungen entfprechen und durch 
wahende Stüde auch für die Wenigbegüiterten geforgt ift. 
Allein unter dieſen BVerhäftniffen ift der Zwang auch über: 
Rüffig, der dagegen in vielen anderen Fällen nachtheilig wirft 
und dem geficherten, reichlihen Einfommen einer gewiflen An⸗ 
zahl von Grundbefigern die mögliche Erhöhung des Boben- 
ertrageö und die Zunahme fleißiger, ihr Ausfommen findenber 
Samilin zum Opfer bringt. Wolfövermehrung, Steigerung 
ber landwirthſchaftlichen Kunſt und erleichterter Abſatz erregen 
einen Drang nach Verkleinerung der großen Güter, deſſen 
Befriedigung ganz unbedenklich ift, da ohnehin unter übrigens 
gleichen Berhäftniffen oft ſchon ohne alle üblen Folgen in der 
einen Gegend bie Vertheilung viel weiter fortgefchritten if, ale 
in ber anderen. 


— 114 — 


6. 81a. 


Die Gebundenheit ift ſchon von Alters her feine unbebingte 
gewefen, vielmehr durften die Gutsherren und die Staats 
behörden in einzelnen Fällen auf befondered Nachfuchen Theis 
lungen zugeben, und dieß ift fehr oft wirklich gefchehen. Da 
ed an allgemeinen leitenden Borfchriften hierüber fehlte, fo blich 
dem Ermefien derjenigen, weldye bie Entfcheidung zu geben 
hatten, fehr viel überlaffen und wenn fie auch Sachverſtaͤndige 
zu Rathe zogen (a), fo war doch je nach vorgefaßten Mei- 
nungen, nad) Gunft oder Ungunft und mandjerlei anderen ein- 
wirkenden Umftänden das Verhalten der Obrigfeiten fehr un 
gleichförmig. Durch Aufftellung ber Bedingungen, unter benen 
die Theilung zu erlauben fei, in einer Gefchäftdanweifung 
(Inftruction) wäre biefer Uebelftand nur zum Theil gehoben 
worden, weil bei der Anwendung jolcher Vorfchriften viel von 
ber Beurtheilung ber gegebenen Verhältniffe und der wahrſchein⸗ 
lichen Wirfungen einer gewiflen Veränderung abhängt. Auf 
die Folgen einer einzelnen Theilung bat zum Theil die Per 
fönlichfeit der Landwirthe Einfluß, die fich nicht genau bemefien 
läßt. In einer für das Scidfal der Bamilien fo wichtigen 
Angelegenheit wirb es aber fehr wibrig empfunden, wenn man 
in feinen Entfchließungen Hinderniffe findet, die auf Willfür 
oder Unfunde fchließen laſſen; ohnehin ift dad Gefchäft für bie 
Verwaltungsbehörden mühfanm. Es iſt daher fchon ein Fort 
fchritt, wenn durch gefegliche Beftimmungen die Gebundenheit 
unter gewiſſen Borausfegungen fogleih ganz befeitigt wird. 
Anorbnungen bdiefer Art, die als Uebergang und Vorbereitung 
zur völligen Freigebung ber Theilungen betrachtet werben Fönnen, 
find 3. B. nachſtehende: 

1) Aufhebung aller Beichränfungen in folchen Fällen, wo 
diefelben unzweifelhaft als unnöthig erfcheinen, alfo in ben 
Marfungen der Städte, in der Rähe von großen Yabrifen, 
Bergwerken und dgl., in Orten, wo Rebs, Obſt⸗ und Gemüfe 
bau oder überhaupt ein gartenmäßiger Anbau ded Landes ver 
breitet ift und dgl. Mit ber Zeit wird ſich dann von felöf 
dad Bebürfniß der Erweiterung biefer freien Bezirke geltend 
machen. 


— 15 — 


2) Geſtattung Fleinerer Abtrennungen zur Aufführung von 
Gebaͤuden, für öffentliche Zwede, zum Behufe von landwirth⸗ 
Mbaftlichen Berbefferungen, 3. B. Trodenlegung, Bewäflerung 
md dergl. (b). 

3) Man hat verfucht feftzufegen, daß ein gewifler Theil 
eined gebundenen Gutes ohne befondere Erlaubniß abgetrennt 
werden dürfe. Wegen ber Ungleichartigfeit ded Bodens würde 
eine gewiſſe Quote des Flaͤchenraums unpafiend fein, daher ift 
ker Anfchlag zur Grundſteuer als maaßgebend angenommen 
worden (c). Dieb hat jedoch Manches gegen fih. Die Größe 
der Randgüter ift fo überaus verfchieben, daß 3. B. dad eine 
ohne Nachtheil in 2 oder 3 gleiche Theile zerlegt werben fönnte, 
während bei einem anderen bie Abtrennung von !js ſchon 
mrathiam erfcheint, auch laͤßt fich nicht annehmen, daß eine 
iinmalige Verminderung bed Gutsumfangs fpäter weiter gehenbe 
eränderungen verhüten werbe. 

4) Veräußerungen von einzelnen Stüden, die von anberen 
Eipenthümern erworben werben, könnten freigelaffen werben, 
wenn auch Theilungen bei Gutsübergaben an die Kinder und 
kai Erbfchaften, wo eine Vermehrung ber anfäffigen Bamilien 
Rattfindet, noch einigermaßen erfchwert bleiben ſollten. Im 
ten Galle erfolgt die Verkleinerung durch den freien Entfchluß 
ind Einzigen, der feine Lage zu verbeflern gebenkt, und bie 
frfauften Stüde dienen zur Vergrößerung anderer Güter, im 
ten legteren Fällen dagegen ift der Einzelne, der ein gewiſſes 
Out antritt, durch ben Willen der Aeltern oder Miterben bes 
hränft und bier ift cher Gefahr vorhanden, daß die neuen 
Anſaſſigmachungen nicht gut ausfallen (d). 

d) Die Beftandtheile eined untheilbaren Gutes müflen von 
ven zufällig in bderfelben Hand fich befindenden walzenden 
ktüden genau gefchieben werben (e). 


) 3.8. Gannover, B. vom 9. Mai 1823 für die Grafſchaft Lingen, 
Beiegblatt I, 

) Ed. Beich vom 30. Nov. 1843 8. 4, bie zu !/e des Gutes. 

(d anarl, fächf. Gef. 8. 3: nur %s, nach den Steuereinheiten berechnet, 
darf ein für alle allemal abgetrennt werden. Kür dieß Gefep Reuning, 
na. 

(d ®enn bie Thritungen biefer Art mehr als die anderen erfchwert würden, 
io —5 man a golea feftfeßen, daß ein neu uͤbernommenes But eine 

Zeit lang, 5 Jahre hindu ‚ nicht verkleinert werden duͤrfe, 





— 116 — 


weil fonft die Anorbnung leicht zu umgehen wäre, indem ein Erbe 
das Alterlihe But übernaͤhme und bald Darauf Theile deſſelben ver: 
faufte. Alle folche Borfchriften find jedoch fchon darum von ehr ge: 
ringem Werthe, weil man das Verpachten einzelner Stüde nicht unter: 
fagen fan. — Das preuß. Gef. v. 3. Ian. 1845 enthält Beſtimmungen 
über neue Anfiedlungen mit Errichtung neuer Wohngebäude. Sie können 
unterfagt werden, wenn Gefahr für das Gemeinweſen zu beforgen ift, 
namentlich wenn die Anfteblung entfernt oder fonft unpaflend_ gelegen 
ift und nicht die Mittel zur Ernaͤhrung enthält, $. 27. Dieß ift haupt 
ſaͤchlich eine ſchutzpolizeiliche Nüdfiht. Nach dem Geſetz v. 24. Mai 
1853 aber ift eine neue Anfieblung unzuläffig, wenn bie Ortsobrigkeit 
oder Gemeinde widerfpricht und der Antragende nicht den Beflß eines 
binreichenden Bernögens nachweiſt, $. 11. 


(e) Zu diefem Behufe hat man fi bisher gewöhnlich darnach gs 
—* I Alters, fo weit die Nachrichten reichen, zu dem Gute ge: 
rt bat. 


8. 81 b. 


Da die völlige Untheilbarfeit der jet vorhandenen Güter 
nicht haltbar ift, fo hat man öfterd vorgefchlagen und auch in 
der Ausübung verfudht, eine Untergränze (minimum) 
aufzuftellen, bis zu welder die Berfleinerung unbedingt ge 
ftattet wird, während eine noch weitere Verkleinerung nicht, 
oder doch nur mit befonderer Erlaubniß nach vorausgegangener 
Prüfung der Uıinftände zuläfftg iſt (a). Dieß iſt allerdings 
eine erhebliche Erleichterung, die der freien Verfügung über das 
Grundeigenthum fchon ein ziemlich weites Feld einräumt und 
die Staatöbehörden vieler mühfamen Gefchäfte überhebt. Allein 
es zeigen fich hiebei doch auch mehrere Schwierigfeiten. 

1) Eine einzige Theilungsgränze für Güter jeber Größe 
wäre nicht zweckmaͤßig. Man müßte daher wo nicht mehrere, 
doch wenigftens zwei Claſſen unterfcheiden, nämlich Spann⸗ 
güter, bie noch ein Geſpann erhalten und befchäftigen Fönnen, 
und Fleinere, die einer Bamilie Arbeit geben (db). Aber aud) 
bei diefen wird man, um eine unnoͤthige Härte zu vermeiden, 
oft noch weitere DBerminderungen zulaffen müflen, namentlich 
da wo Nebenverdienft leicht iſt oder Bachtftüde hinzugenommen 
werben fönnen. Fuͤr ganz geringe Befigungen, die fog. Ader 
ftellen, ift jede Befchränkung unzwedmäßig. 

2) Auch bei jeber diefer beiden Claſſen findet zwifchen den 
einzelnen Gegenden eined Landes eine flarfe Verſchiedenheit 
flatt, weßhalb eine und dieſelbe Untergränze hier noch zu groß 
wäre und viele nügliche Theilungen verhindern würde, bort 


— 117 — 


ſchon ‚weiter ginge, als es verflänbige Landwirthe für rathfam 
halten. Sowohl die Heinfte noch vortheilhafte Geſpann⸗ als 
bie Fleinfte Arbeitsfläche if nach Maaßgabe des Klima’s, Bodens, 
ber Abfapgelegenheit, der herrfchenden mehr intenfiven oder exten- 
kom Betriebsart ıc. fo ungleih, daß die gefebliche Unters 
gränge leicht in der einen Gegend zweis ober dreimal fo groß 
beſtimmt werben muß, als in ber anderen (c). Ueberdieß bes 
barf bei den Fortfchritten ded Anbaus daB irgendwo aufgeftellte 
Rinimum bisweilen einer Herabſetzung. Demnach iſt es rath⸗ 
ſam, auf eine einfache geſetzliche Beſtimmung einer Untergraͤnze 
zu verzichten und im Geſetze nur vorzuſchreiben, wie dieſelbe 
unter Mitwirkung fach» und ortskundiger Männer, insbeſondere 
der landwirthſchaftlichen Vereine, der Gemeinderaͤthe und der 
Bezirksausſchuͤſſe, für jeden Landestheil auszumitteln ſei. Hie⸗ 
durch entſteht eine umſtaͤndliche, vielen Anfechtungen ausgeſetzte 
Einrichtung. Man wird immer mehr verſchiedene Säge für 
fleinere Bezirfe und felbft einzelne Orte verlangen, häufige 
Beränderungen begehrten und ed wird endlich das Unnöthige 
ber ganzen befchwerlichen Anorbnung einleucdhten. 

Der Vorſchlag, für jedes einzelne Gut einen untheilbaren 
Stamm oder Kern feftzufegen, neben welchem bie anderen Bes 
Randtheile walzend würden, wie bieß in manchen Gegenden 
ſchon üblich war (d), wäre ebenfalld nur da ausführbar, wo 
biöher die Gebundenheit beftand, wuͤrde große Mühe vers 
urfahen und mit Ausnahme gefchloflener, abgefonberter Güter 
wegen bed Mangels feiter Anhaltspuncte die Grundeigenthümer 
von dem GOutduͤnken der Beamten (8. 81a) abhängig machen. 


(e) Die Morfchläge weichen überaus weit von einander ab; vgl. Stüve, 
Laſten des Grundeigenthums S. 20. — In Schweden barf ein But 
nur fo weit verkleinert werden, daß ed noch 3 Acheiter, 1 Pferd und 
3 Ochien befchäftigt, dabei au noch 3—4 Kühe und 5-6 Schaafe 
oder Ziegen das ganze Jah bindurd ernährt. Hiezu find 9—15 Tonnen 
Land (= 17,°—29 pr. M.) erforderlich, af Forſell, S. 103. — 
Rah dem fähl. Entwurf von 1843 follte bei gebundenen Gütern von 
150 und weniger Steuereinheiten (50 Thlr. — 811/s fl. Grundrente, 
im D „10-12 Ader — 21,6°—24 pr. DM.) nichts abgetrennt werben, 
bei eren höchftens die Hälfte bes Weberfchufles über 150 Binheiten, 
Rau, Archiv, VI, 118; das Geſet ſelbſt lautet anders, $. war — 
Rad dem hannoy. Gel. v. 9. Mai 1823 für die niedere Grafſchaft 
Lingen 6. 27 ift nicht unter 40 kalenb. (41 preuß.) Morgen Po zu 

eben. — Die preußifchen Verordnungen beflimmen zum Behufe_ ber 
Kinanderfegung mit den Butshern, welche Wläche zu einer Acker⸗ 
Ran, yolit. Dekon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 12 


(d) 


(e) 


— 178 — 


nahrung hinreiche. Während man in ben Kreifen Mülheim, Wald⸗ 
bröl, Siegen, Gummersbach ſchon 20 M. genügend findet, fordert 
man in anderen 30, 40, 50, 60, 70, in ben Kt. Paderborn, War: 
burg, Hörter, Hamm, Dortmund ıc. 80, in Bodum und Lüdinge: 
hau en 100, in Koesfeld und Steinfurt 109—150 Morgen f. die Be 
anntmadhungen bei Danz, IL Bd. — In Oeſterreich wird nad ber 
B. vom 16. Juni 1787 die Theilung in ebenen Gegenden bis auf 
40 Metzen Ausfaat (3 M. auf 1 Joch gerechnet, alfo 131/, Joh = 
30 pr. Morgen) geftattet, andere Berordnungen empfehlen indeß bie 
Berüdfihtigung rtlicher Umftände, die älteren Borfchriften beftchen 
auch nach der Aufhebung des grundherrlichen Berbandes fort, B. vom 
23. März 1850, v. Stubenraud, I, 448—52. — Nah Bi: 
mann (Archiv für Landeskunde der preuß. Monarchie III, 78. 1856) 
fol auf die fihere Ernährung einer Familie gefehen, Nebenverdienft 
als zufällig nicht berüdfichtigt werden. Das minimum der Ernährunge: 
fläche, für jeden Ort befonders zu beflimmen, fei in Thüringen im 
Durchſchnitt 20 pr. Morgen. 

Es müßte zu diefem Behufe die Arbeitsfläche ausgemittelt werden, 
auf der etwa 3 Berfonen lohnende Arbeit finden. Die Unterhalts: 
fläche wäre, wenn überhaupt eine Graͤnze feſtgeſetzt werden fol, ſchon 
zu Hein, weil fle einen fehuldenfreien Zuftand vorausfeßt. Werner muß 
man fich darüber verfändigen, ob man in den Zeitpuncten gehäufter 
Arbeit (Heu: und Kornernte u. dgl.) den Beiltand von Taglöhnern 
borausfegen will oder nit. — Winter (Deutiche Vierteljahroſchrift, 
1849, Nr. 45 S. 258) räth, eine größere Anzahl von Claſſen ter 
Güter nad) ihrem Umfange feftzufeßen, etwa 6, deren Ausbehnung ſich 
wie die Zahlen 1— 2 — 4 — 8 — 16 — 32 verhalten, und dahin 
zu arbeiten, daß bie Anzahl der vorhandenen Güter jeder Claſſe gerade 
das umgefehrte Berhältnig babe, alfo 3. B. 32 mal fo viel Eleinfte 
als größte. Allein dieß ware fehr ſchwer ausführbar und die empfohlene 
Bahlenrtgel if nicht aus dem Weſen der Sache zu begründen; eine 
allgemeine Regel dieſer Art giebt es nicht. Meber die Schwierigkeiten 
bei einem minimum f. aud v. Binde ©. 36. 


Meil eine gewiſſe Morgenzahl offenbar nicht überall angemeffen if, fo 
hat man in Baiern den Berfehrewerth oder vielmehr den Steueranfchlag 
des Landes zu Grunde gelegt. Das baier. Gele vom 11. Sept. 1825 
über die Anfäffigmachung verordnet, daß jedes Gut bis auf ein Steuer: 
fimpfum von 45 Kr. (welches einen Verkehrswerth von 600 fl. ans 
deutet) verkleinert werden barf, ludeigene Guͤter auch unbebingt weiter, 
runddare aber nur, wenn ber Gründherr feine Zuftimmung giebt. 
a8 minimum ift zugleich die Bedingung der Anfäffigmasgung auf 
Grundbeſitz, ſ. F. 15. — Das Gefeg Q. vom 11. Juli 1834 erhöht 
mit biefer Bedingung zugleih da® minimum auf 1 fl. Grundfleuer: 
fimplum oder ungefähr 800 fl. Steueranfelag: (Gegen das frühere 
minimum wurde eingewendet, es fei für Taglöhner zu viel, für ben 
Unterhalt einer Bauernfamilie in manchen Gegenden zu wenig.) — 
Allerdings if der Anbau in der Megel deſto ſchwunghafter, je hoͤher 
die Rente und der Preis der Grundfüde ſteigt, doch trifft dieß nicht 
penan zu. Nicht ſelten ift die Bewirtbichaftungeweife von Land ver 
chiedener Güte und Rente die nämliche, fo daß 3. B. ein Spanngute⸗ 
minimum von 30 Morgen bald auf 9000, Bald auf T5000 vter 
18000 fl. anzufchlagen iſt. Ge macht z. DB. einen Unterfchied, ob 
Weiden vorhanden find, ob Handelsgewaͤchſe gebaut werben, Brade 
nöthig iſt. — Die Arbeitsfläche für 3 Erwachſene kann, abgeiehen von 
gartenmäßigem Anbau, bei getwöhnlicher Feldwirthſchaft leicht von 9 pr. 
(6a bad.) M. bie zu 20—25 M. verfhieden fein. Beiſpiele in bem 


—- 179 — 


$. 79 (D) genannten Auffake, Fortſ. in Zeitfchrift f. d. gef. Staat 
wiſſenſchaft, 1866 ©. 213. Rah Reinhardt in Würtemberg 15 bis 
30 Morgen, a. Amtl. Bericht über die 6. Verſamml., ©. 167. Die 
für ein Geſpann nöthige Aderfläche mechfelt von etwa 30—70 preuß. 
Morgen, wozu das Brasland Fommt. 


(d) v. Binde a. a. D. Diefer untheilbare Stamm eines Gutes wirb 
von dem Berf. mit dem weftfälifhen Namen Sohlftelle bezeichnet. 


6. 8lc. 


Wo bie Theilungen fchon längere Zeit hindurch frei waren, 
da würde die Wiedereinführung ber Gebundenheit ober einer 
anderen Art von Beichränfung, felbft wenn die Regierung fie 
für müplich hielte, fehr fchmierig fein und auf das ftärffte 
Viberftreben flogen, weil fie bie herrſchende Gewohnheit ver⸗ 
te und die Meinung ber Landleute gegen fich hätte. Aber 
auch da, wo die Gebundenheit ſich noch erhalten hat, ift es 
tabfem, auf ihre Befeitigung Bedacht zu nehmen, weil fie 

‚ am Zwang in fi mihält, deſſen Bebürfnig nicht ermweislich 
ik Die Aufhebung kann plöglich, oder allmälig, ftufenweife 
geſchehen. Letzteres verdient den Borzug, wo bie beftehenbe 
Eimihtung mit der Denk⸗ und Empfindungsweife ber Land⸗ 
bewohner zufammenhängt, fo daß eine DBorbereitung für ben 
verfländigen Gebrauch ber Freiheit nüglich ift, che dieſelbe 
vollſtaͤndig eintritt. Sind die Theilungsverbote hinmeggefallen, 
io bleibt e8 doch möglich, durch andere Mittel auf die Ber 
huͤnmg imvortheilhafter Verkleinerungen hinzuwirken und es 
And in dieſer Hinficht nachſtehende Maaßregeln in Betrachtung 
ni ziehen. ' ' 

1) Die Beförderung des Zufammenlegens (8. 97 ff.), weil 
ver hoͤchſt einleuchtende Ruben einer größeren zufammenhängens 
Im Fläche oder vollends eines ganzen gefchloffenen Gutes fo 
fühlbar It, daß er eine Abneigung gegen bie Zerftüdung her⸗ 
vorbringt. 

2) Es follte das Nachdenken ber Landleute auf die Frage 
gelenkt werben, welche Größe eines Gutes unter gegebenen 
Berhältniffen die befte ift und wo bie Berminderung unvortheils 
haft zu werben anfängt. Hiezu können die landwirthfchaftlichen 
&hranftalten und Bereine, die Befprechungen in größeren Bers 

 Ammlungen, bie zur Belehrung bed Landmanns beftimmten 

Zeitſchriften, aufgeſtellte Preisfragen und dgl. anregen. Das 

12° 








— 180 — 


Veröffentlichen ftatiftifcher Thatfachen, aus denen ſich warnende 
Lehren ableiten laffen, trägt zur Aufklärung ber herrſchenden 
Meinungen bei. 

3) Die neue freiwillige Errichtung bäuerlicher dauernder 
Stammgüter (Fideicommiffe mit Majorat oder Minorat) follte 
nicht zugelaffen werden, weil ihr die gegen bie Gebundenheit 
und gegen das ungleiche Erbrecht fprechenden Gründe entgegen» 
fiehen. Weniger bebenflich ift die gefeßliche Beſtimmung, daß 
in den Bamilien das Beifammenbleiben eines gewiffen Um 
fangs von Ländereien auf eine gewiſſe Zeit feftgefeßt werben 
darf. Der feltene Gebrauch, der von diefer Anordnung gemadt 
wird, beweift: übrigens, daß fie im Bauernflande nicht ald 
Bebürfniß angefehen wirb (a). 

Bei Beräußerungen von Theilen eined Landgutes find 
gewiſſe Foͤrmlichkeiten nothwendig, um bie Rechte britter ‘Pers 
fonen, 3. B. der Unterpfandögläubiger, der Gefällberedhtigten, 
der Staatdcaffe in Bezug auf Berfaufsabgaben und dgl. ſicher⸗ 
zuftellen und bie Vertragfchließenden vor Uebervortheilungen 
und Rechtöftreitigfeiten zu bewahren (6). Weitere Erſchwe⸗ 
rungen aber, die nur dazu dienen follen, durch Werzögerung 
und Ermüdung einem nicht fehr fetten Borfag entgegen zu 
wirken, find der Staatögewalt nicht würdig und Fönnen noch 
den Nachtheil haben, die Einmiſchung gewanbter Mitteld« 
perfonen zu befördern. Gegen bie fogenannte Hofmeßgerei 
($. 80 b) genügt ed, den Eigenthümern foldyen Beiftand ent 
behrlich zu machen, fo daß fie die Zerſchlagung allenfalls ſelbſt 
veranftalten können. Zu einem Verbote diefer Unternehmung 
ift Fein zureichender Grund vorhanden (c). Die in die Staatds 
cafe zu entrichtende Gebühr von Veräußerungen trägt übrigend 
bei, von gewerblichen Zerfchlagungen abzuhalten, weil fie babei 
zweimal entrichtet werden muß. 


(a) In England befteht feine Gebundenheit, aber jeber Grundeigenthuͤmer 
kann, nad dem Gef. 3. u. 4. Will. IV (1831) CO. 41, welches die 
Fideicommiffe (entails) aufhob, in einem legten Willen verorbnen, daß 
das Gut bis zur DVolljährigfeit des älteflen, bei der Abfaflung des 
Teftaments no nicht geborenen Sohnes des nächften Erben (alfo 
minbeflens 21 Sabre nach dem Tode des letzteren) unvermindert und 
unbelaftet beifammen bleiben folle, und biefe allgemein übliche Beſtim⸗ 
mung (settlement) wird gewöhnlich von dem erwähnten Erben wieder 
erneuert. Für Gefchwifter und andere Berwantte wird aus gutem 


( 


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— 181 — 


VSillen geſorgt. Helferih in der a. Zeitichrift 1854. S. 143. 
Lode King ſchlug vergeblih im Unterhaufe gleiches Erbrecht vor, 
f. deſſen The injustice of the law of succession. 1854. — Nach dem 
baier. Gef. 22. Yebr. 1855 können Erbgüter errichtet werden bei einem 
fAuldenfreien Grundvermögen ven wenigſtens 6 fl. Grundfleuerfimplum 
oder 4500 fl. Grundwerth. Kür bdiefelben befteht eine befondere Erb⸗ 
folge, die nur auf Nachkommen, Geſchwiſter und deren Kinder geht. 
In Grmanglung folcher Erben Hört die Erbguteigenſchaft auf. Ueber 
die Abfindung anderer Erben und den Bortheil de Butserben find 
verwidelte Beſtimmungen aufgeftellt, die das Geſetz Fünftlih und fchwer- 
verfändlih machen. — Aehnlich im Großh. Heſſen, Geſ. 11. Sept. 
1858. Es iſt ein ſchuldfreies Vermoͤgen in Grundftüden von 15000 fl. 
oder 60 Morgen erforberlihd. — Empfehlung folder Anogbnungen von 
meer in Zeller, Zeitſchrift für die landiw. Bereine iM Gr. Heflen. 
. ©. 79. 


Schriftliche Abfaffung vor einem Notar, Kenntnißnahme des Hypotheken: 
und Steueramtes fowie der Pfandgläubiger und anderer Berechtigter, 
damit alle Laften gehörig vertheilt werden, preuß. Gel. v. 3. San. 1845, 
1. Lette und v. Rönne, I, 121. II, 122 ff. — Weitere Bedingungen 
im Gef. v. 24. Mai 1853 für die 6 öftlichen Provinzen, 3. B. daß 
der Vertrag vor dem Gerichte gefchloffen werben, daß bei Verſteige⸗ 
rungen der Richter anmefend fein fol, daß der Veräußernte, wenn er 
nit feinen Beflgtitel ins Hypothekenbuch eintragen ließ, ein Jahr in 
Beſiß geweſen fein muß, ferner über neue Anfiedelungen. — Verbot 
eines gaͤnzlichen Berzichte® auf die Reuzeit u. dgl. im würtemb. Gef. 
v. 23. Juni 1853. 


Aingemeflener verordnet $. 3 des ebengenannten mwürtemb. Geſetzes, daß 
die im Bertrage angegebenen Perfonen als Käufer eingezeichnet werden 
jollen und eine nachträgliche Nennung eines anderen Käufers nicht zu 
beahten fei, d. b. daß dieß einen zweiten Bertrag erforbere. — Aber 
die Beſtimmung ($. 11), daß der Käufer von mindeflens 10 M. aus 
einer Hand vor Verlauf von 3 Jahren dieß Land nur im Ganzen oder 
nit über !,s der Flaͤche verkaufen dürfe, if ſchon eine läflige Be: 
ſchränkung. — Das baier. Geſetz v. 28. Mai 1852, Beil. XV zum 
Landtagsabfchied, feht eine Getängnißflrafe bis zu 3 Monaten und 
eine Geldbuße von 100—1000 IJ. ‚auf die gewerbemäßige Betreibung 
ter parcellenweifen Beräußerung Iandwirthfchaftliher Gutscomplere, ja 
fogar auf jede gewerbemäßige Vorfchubleiftung hiezu! 


g. 82. 
Mehrere frühere Beichränfungen in der Erwerbung liegender 


Gründe find nachtheilig, und zwar fowohl für die Eigenthümer, 
weil biefe zufolge des verengerten Begehred um niebrigeren 
Preid verfaufen müffen, als für die Landwirthſchaft, weil ber 
Uebergang der Ländereien an foldye Berfonen, die fie am beiten 
m benügen im Stande find, erſchwert wird. Dahin gehört 
;d. das Geſetz, daß fläbtifche Handwerker feine Ländereien 
en fih Hringen dürfen (a), daß fein Grunbeigenthümer nod) 
in zweited But (Zubaugut) neben feinem früher befefienen 





— 12 — 


erwerben folle (6), dad Berbot ber Erwerbung abeliger 
Güter durch Bürgerliche oder des Ankauf von Liegenfcaften 
durch Ausländer und dgl. (ec). 


(a) Preuß. Circular vom 5. October 1763, in Bergius, Landesgeſ. 
U, 381. 
(5) Preuß. Eircular vom 24. Dec. 1764, ebend., III, 31. — Baier. V. 
. bei». Elofen, ©. 269. 
(ce) In Preußen find durh das Edict vom 9. Oct. 1807 alle Befchrän: 
tungen biefer Art aufgehoben worden und das Landesculturs Edict vom 
14. Sept. 1811 $. 1 fpriht aus, daß der Grundbeſitzer über fein 
Land fri® verfügen fönne, fo weit nicht Rechte anderer Perfonen ein 
Hindernißg bilden. — In Sahfen wurde das Verbot ber Erwerbung 
von Nittergütern durch Perſonen vom Bauernftande im Gejeb vom 
22. Webr. 1834 6. 5 aufgehoben, und nad dem Gefeß v. 13. Juni 
1837 ift zur Grwerbung bäuerlicher Grundſtücke durch Nichtbauern in 
feinem Falle mehr befondere Genehmigung erforderlih. — Auch in ben 
fübdeutfchen Staaten find ſolche Beichränfungen Iängft befeitigt. — In 
England ift der Verkauf der Grunpftüde noch mit to vielen Foͤrmlich⸗ 
feiten beſchwert, daß verfchuldete Gigenthümer Mühe haben, ſich durch 
ben Berfauf einzelner Theile zu erleichtern und die Anleihen auf Unter: 
pfand wenig beliebt find, Caird, English agric. ©. 496. — Das 
. Die v. 28. Suli 1849 (12. u. 13. Viet. c. 77) geftattet für Irland 
den Berfauf verfchuldeter Güter (encumbered estates) unter erleichterten 
Kormen, unter Auffiht einer Commiſſion, welche auch Theilungen und 
Austaufhungen anordnen darf. Bedingung if, daß die Schulbzinien 
den halben Reinertrag überfleigen. 


8. 83. 


Sehr große Grundbeflgungen bilden zwar eine minber 
günftige Vertheilung bes Vermögens, weil fie bewirken, daß 
bie Grundrente in wenige Hände zufammenfließt und beflo 
mehr andere Familien auf Lohn und Gewerböverbienft befchränft 
find, und weil bei ihnen leichter eine forglofe unergiebige 
Bodenbenutzung flattfindet (a), allein wenn feine anderen Um- 
ftände Hinzutreten (5), fo dient ſchon die Kreiheit ber Zer 
theilung dazu, baß große Güter in mehrere Abtheilungen zer 
trennt werben, wenn fie biebei eine höhere Rente abwerfen (c) 
und mit Vortheil veräußert werben föünnen. Ein Zwang zur 
Berfleinerung großer Flächen wäre ein unzuläffiger Eingriff in 
dad Eigenthumsrecht, forwie auch ein Verbot des Zuſammen⸗ 
faufend nicht gebilligt werben koͤnnte. Hiezu kommt, daß auch 
ohne Veräußerung durch Verpachtung Heinere Bewirthſchaftungs⸗ 
flähen gebildet werden Eönnen (d). Beſondere Manfregeln 
find in gewiffen Fällen erforberlich: 





— 1883 — 


1) bei dem Grunbvermögen ber Körperfchaften (Corpora⸗ 
tionen) und Stiftungen (der tobten Hand, manus mortua), 
falls daſſelbe fo beträchtlich und in fo fchlechter Bewirthichaf- 
tung if, baß daraus ein Verluft für die gefammte Production 
entipringt; unter folchen Umftänden müßte man bie weitere 
Anhäufung von Ländereien in der tobten Hand verbieten und 
die Zertheilung derfelben in Exrbpachtgüter oder den Verkauf 
eines Theiles befördern (e); 

2) in Anfehung der Stammgüter (Bamiliens Fibeicommiffe) 
des Abel. In mehreren Ländern ift bie Ausbehnung ber 
hiedurch untheilbar und unveräußerlid gemachten Ländereien 
iin jo großes Hinderniß des guten Anbaued, daß es nöthig 
wird, die Errichtung neuer Fideicommiſſe zu bejthränfen, bie 
Auflöfung derſelben durch Beſchluß aller Berheiligten zu ers 
kihten, bie Vererbpachtung in einzelnen Abtheilungen zu ges 
Ratten und dgl. (f). 


() &. Soden, Das agrarifche Geſetz. Augsb. 1797. — Defien Nationals 
öfonomie VI, 70. — In Spanien ift wegen ber Unveräußerlichfeit 
eines großen Theile ber Ländereien her Preis berfelben fo fehr ger 
fiegen, daß man fle um das 66 fache des reinen Brirages bezahlen 
mußte. Sovellanos, S. 130. 


9) Wie 5. B. Standesvorrehte der großen Grundeigenthümer die, zu 
Bedruͤckungen anderer Stände Gelegenheit geben oder dieſe fchon für 
fich ſelbſt beläftigen. 

(d) Bon den Waldungen gilt dieß nicht. 

(q Wie in Großbritanien und Irland. 


() Roſcher, Volksw. II, $. 105. 106. — Beifpiele dieſes Uebelſtandes 
in Reapel und Sicilien, Spanien und Portugal. Bei diefem Lande 
nennt Balbi als ein Haupthinterniß der Lundwirtbfchaft immense 
&tendue de terrains incultes, qui... appartiennent sux communes, aux 
grands seigneurs, aux majorats, au clerge et & la couronne, et qui, 
ne pouvant se vendre, restent toujours incultes ou r&duits A n’ötre 
que de mis6rables päturages entre des mains insouciantes. Statistique, 
I, 162. — Aehnliches fchildert Sovellanos in Beziehung auf Spas 
in, 0.0. D. S. 118—154. — Schon die Befteuerung der geiftlichen 
Güter trägt dazu bei, auf eine beffere Behandlung derfelben aufmerkſam 
zu mahen. Wo das Rirchengut zwedmäßig bewirthſchaftet wird, da ift 
deſſen große Ausdehnung nicht in Hinficht auf den Bodenertrag, fons 
ben nur wegen ber Berwendung eines anfehnlichen Theiles ber Grund⸗ 
vente für eine, das Beduͤrfniß der Seeljorge überfleigende Menge von 
Beifllihen u. a. Zwecke nachtheilig. 


N Die Erfahrımg zeigt, daß bie abeligen Gefchlechter durch fideicommiſſa⸗ 
riſche Majorate nicht (here: erhalten werden, als ohne fie. Der 
uptgrund für bie Majorate if in dem günfligen @influfle zu 
üben, den eine begüterte, gebildete und mit gemeinnügigen Beſtre⸗ 
bungen beichäftigte Wlaffe von Grundeigenthümern auf das Staats⸗ 

\ 


leben außen kann, vorausgefeht, daß ihre Stellung fie nicht in Ber: 
fuchung ſetzt, ihren Vortheil auf Koflen der übrigen Glaflen zu ver: 
folgen. Diefe wohlthätigen Wirkungen lafſen fih in Großbritanien 
nicht verfennen. In Staaten mit fändifcher Derfafiung erhalten die 
Majoratsherren die Befugniß, in ber Bolksvertretung eine hervor⸗ 
ragende Stelle einzunehmen, unb dieß ift ein Beweggrund zur Grid: 
tung neuer Stammgüterr. Doch werben biefelben nicht Häuf neu 
gebildet werden, wenn hiezu ein bedeutendes Brundvermögen gefordert 
wird, 3. B. nach dem gr. hefl. Geſ. v. 13. Sept. 1858 ein ſchulden⸗ 
freies Grundeigenthum von wenigftens 75000 fl. Verkehrowerth. — 
Die vorhin (e) genannten Staaten zeigen auch die Nachtheile der vielen 
Majorate auf's deutlichſte. Sicilien hatte bei 1735000 Binwohnern 
50 Fürften, 18 Herzöge, 20 Narcheſen, 2 Grafen und 34 Barone im 
Barlamente. Vgl. Jovellanoe, ©. 154—183. — In Medienburg- 
Schwerin gehören 43.3 Proc. des Landes dem Domanium, 42,7 Pror. 
der Ritterfhaft, 10,8 Proc. den Städten, 3,3 Proc. find Elofteraut, 
äufammen 244 Q.⸗M. Die Bauern find Zeit: oder Erbpachter. Bei: 

äge zur Statiftif Medlenburge. I. 2. H. ©. 121. 1859. — Das 
preuß. Ediet vom 9. Oct. 1807 geftattet $. 5 bie Vererbpachtung mit 
Borwiflen der Landespolizeibehörde, und erlaubt ($. 9) die Auflofung 
des Fideicommiſſes durch Familienbeſchluß. Abweichend das baier. 
@diet über die Familien-Fideicommifle von 1818, nach welchem ($: 48) 
Berpachtungen auf mehr als 9 Jahre den Nachfolger nicht verbinden 
und die Auflöfung fchwieriger ift, $. 97. — Die deutſchen Grundrechte 
(1849, $. 36) wollten die Aufhebung aller Fideicommiffe. 


‘ 4. Gemeinbeländereien. 


8. 84. 


Aus der alten ®emeinfchaft ber Ländereien, bie einer Ges 
meinde zugehörten, traten Ader» und Gartenland und Wiefen 
zuerft in das Sondereigenthum über, weil bei diefen Benutzungs⸗ 
arten das Bepürfniß eines mühfamen Anbaues oder body einer 
gewifien Pflege und Schonung ganz einleuchtend war. Weiden 
und Waldungen blieben dagegen lange im Beflge ber Gemein 
ben, und zwar jene in gemeinfchaftlicher Benugung, während 
biefe auf Rechnung ber Gemeinde verwaltet, jeboch ganz ober 
zum Theile zur unentgeltlihen Berforgung ber Gemeindemit- 
glieder mit Walderzeugniflen verwendet wurben. In manchen 
Fällen waren bi8 auf die neuefte Zeit Weide- und Wald 
bezirfe ein Miteigenthum mehrerer Gemeinden. Durch fpätere 
Urbarmachungen verwandelten fi in vielen Orten dieſe Laͤn⸗ 
bereien in Aders und Wiedland. Es if allgemein anerkannt, 
baß die Staatögewalt über bie Bermögensangelegenheiten ber 
Gemeinden eine Dberaufficht zu führen hat, damit bie letzteren 


— 185 — 


nicht durch Mißgriffe ihrer Borfteher oder Mitglieder in dauernde, 
auf fpätere Befchlechter fich fortpflanzende Verluſte gebracht 
werden. Diefe Oberaufficht fchließt die Befugniß und Bers 
ihtung in fi, dahin zu wirken, daß die Gemeindegrundſtücke 
nicht allen für die Gütererzeugung im Allgemeinen, fonbern 
auch für den Haushalt der Gemeinden und ihrer Mitglieder 
vortheilhaft und nachhaltig benutzt werben, body follen bie 
Srmeinden in ber Benupungsart nur fomweit befchränft werben, 
ald es die Ausführung jened Grundſatzes nothwendig madıt. 
Hiebei iſt zunaͤchft zwifchen den Hauptformen ber Boden» 
benugung, Ader, Wiefe, Weide und Wald zu unterfcheiden (a). 


I. Bei Aderland fällt der Grund, aus dem man fonft 
oft dad Gemeindeland zu Privateigenthum vertheilt hat, hins 
weg, weil die Urbarmachung fchon erfolgt ift, alfo die Hinder⸗ 
aife des Anbaus überwunden find (6). Es ift rathfam den 
Srmeinden ſolches Eigenthum als eine Hülfe für mandherlei 
Hille zu erhalten, baffelbe aber zur Bewirthfchaftung zeitweife 
m Mitglieder der Gemeinde abzugeben. Dieß kann gefchehen 


1) was die Form betrifft, durch Berpachtung. nad) dem 
Neifgebot (ce) oder durch Ueberlafiung der einzelnen Stüde 
an die ſaͤmmtlichen Gemeindeglieder auf eine, für bie gute 
handlung nicht zu kurze Zahl von Jahren (d) ober auf 
kebenszeit unter gleichbleibenden Bedingungen. Hiebei muß, 
wenn nicht freiwillig eine Begünftigung ber Dürftigen bes 
ſhloſen wird oder eine BVerfchiebenheit in den Berechtigungen 
Statt findet, Allen gleichviel zugetheilt werben. Iſt das 
Ömeindegut unzureichend, um jedem Mitglied ein nicht allzu 
lleines Stüd zu geben, fo wird eine Reihenfolge nach dem 
Älter gebildet und bie jüngeren Bürger rüden nad) und nad) 
tin, wie die älteren auöfterben. Ein beträchtliches, auf biefe 
Beife vertheiltes Gemeindeeigenthum giebt auf alle Zeiten den 
n Dürftigfeit oder Rahrungslofigfeit gerathenen älteren Familien⸗ 
item und Wittwwen eine wohlthätige Unterftüpung (e). Es 
R hiebei nuͤtzlich, 

a) mehrere Abtheilungen (Claſſen) zu machen, ſo daß die 
Gemeindeglieder ſchon nach kuͤrzerer Zeit in ben Genuß eines 
Stüdes gelangen und allmälig mehr erhalten (f), - 


— 186 — 


b) für eine flarfe Bermehrung ber Bürgerzahl eine fpätere 
Umänderung der Bertheilungsart vorzubehalten, 

c) bei dem Heimfall nad) dem Tode eined Nuztznießers die 
auf den Nachfolger übergehenden Koftenverwendungen (Düns 
gung, Grundverbefferungen) zu vergüten, damit nicht die An 
theile alter Gemeinbebürger fchlechter bewirthfchaftet werben (9). 

2) Die Entrichtung des Nupnießerd kann von ber Ueber 
nahme der bloßen Grundſteuer bis zu bem vollen Pachtzinſe 
auffteigen. Ihre Höhe iſt in Bezug auf ben Anbau ziemlid 
gleichgültig. Allein je mehr fie beträgt, deſto weniger braucht 
zur Dedung ded Gemeindeaufwandes durch Umlagen nach bem 
Steuerfuße aufgebracht zu werben und befto mehr erfparen bie 
Reichen an ber Umlage, während die Dürftigen mehr Ruben 
haben, wenn fie eine ftärfere Umlage tragen und dagegen ihre 
Almendftüde wohlfeil benugen. Diejenigen, welche noch feinen 
Almendgenuß haben, werben freilich von ber Umlage in vollem 
Maaße getroffen und follten billigerweife eine Erleichterung 
erhalten (A). 

I. Wiefen könnten wegen ber einfachen Bewirthfchaftung 
und der beffer im Großen zu unternehmenden Trodenlegungss 
und Bewäflerungsarbeiten leicht von der Gemeinde felbft ver 
waltet werben, und im Falle ber Meberlaffung zum Genuß ber 
Bürger follten wenigſtens die genannten Berbefierungen von 
ber Gemeinde veranftaltet werben, etwa gegen eine Entſchaͤdi⸗ 
gungsrente der Nugnießer. 

() —— 
Städte) und der einer gemeinſchaftlichen Benutzung hingegebenen 
(Almenden) zu Grunde und verbieten die Verminderung oder gaͤnz⸗ 
liche nd der erfleren. Indeß find beide Verwendungsarten 


nicht fcharf getrennt, indem 3. B. die Abgabe für bie Benugung von 
Almendſtuͤcken höher oder niedriger angefegt werben kann. 


(6) 88 fehlt im füblichen Deutihland nicht an Erfahrungen über die un 
günftigen Folgen der Vertheilung folcher Gemeindeländereien zu @igen: 
thum, indem die Dürftigeren ihre Antheile nicht gehörig duͤngen Fonnten 
und nach wenigen Jahren diefelben um niedrigere Preiſe an die Reicheren 
verfauften ; e8 wurde daher der Armuth nicht abgeholfen. Belege in 
Zeller, Beitichrift für die landw. Vereine des Gr. Heflen, 1848, 
S. 62. 213. 269. — Nah der bad. Gemeinde-O. $. 92 iſt eine 
Bertheilung zu Cigenthum erlaubt, wenn vorher für jeden Bürger 
1 Morgen Ader oder Wiefe zum lebenslänglichen Benuß — 
Kernen worden ift, auch find 3/4 der Stimmen hiezu erforberli 


’ 





— 1897 ° — 


() He iſt nach den Umfländen zu enticheiben, ob auch Auswärtige mit: 
bieten dürfen; in der Megel ift ihre Ausfchließung vorzuziehen. — 
Für die Berpachtung der franz. landw. Congreß von 1847, Zeller, 
Zeitſcht. 1848, ©. 227, ferner ebend. 1849. ©. 283. 


(4) Hierin wurde fonft fehr gefehlt. Reinhard (Bermifchte Schriften, 
6. Etüd, 1767, ©. 823) führt mißbilligend an, daß damals (im 
Badiſchen) Wieſen auf 1 Jahr, Aeder auf 3 Jahre an bie Bürger 
ausgegeben wurden, nah Bergius Mag. IV, 46 pflegte man bie 
Aeder auf 1—3 Jahre nach dem Looſe auegutgeilen. An Baden find 
105012 Morgen Almendgut zum Genuß an die Bürger vertheilt und 
%098 Bürger (einfhlieblih Wittwen) haben Antheil. Die Gemeinde 
waltungen betragen 685374 Morgen, die Holzabgaben 176281 Klafter 
Scheitholz, 12477 Klafter anderes Holz, 7241812 Wellen sc., die 
an 159382 Perſonen vertheilt werben. 522 Orte haben bloß Holz=, 
141 bloß Almendnußungen, 586 beides. Die Zahl aller Gemeinden 
un? Nebenorte mit befonderen Rechnungen ift 1842. Beiträge zur 
Etatiftif der innern Berwalt. IX Heft. 1859. — In Frankreich fommt 
neh ſowohl erblicher ale [ebenelänglicher Almendgenuß vor, welder 
tortbeftehen, aber nicht mehr neu bewilligt werden darf; bie höchfte 
erlaubte Dauer ift 30 Sabre. Block, Dictionn. S. 1209. 


() In Baden ift diefe Einrichtung die gewöhnliche. Die Vertheilungsart 
ter Almenden Tann durch Beihluß von 23 der Beredhtigten mit Ge: 
nesmigung der Regierung abgeändert werden, Gemeinde⸗O. von 1831 
$. 85, doch wird in der Megel darauf gefehen, daß fein Mitglied in 
dem Genufle, den es bisher fchon gehabt Hat, verfürzt werde, B. vom 
16. Juni 1834. In mehreren Drten ber babifchen Rheinebene fleigt 
ver volle Antheil eines älteren Bürgers auf 3, 4, in Hebdesheim und 
Laudenbach auf 5, in Käfertbal auf 7 Morgen, im hefl. Marktflecken 
Virnheim auf 13 heſſ. oder 9 bad. Morgen. 

N Es if fehlerhaft, wenn bie zuerſt erhaltenen Stüde ſpäter beim 
—— anderer wieder abgegeben werden müſſen, weil dieß von ihrer 
guten Behandlung abhält. In manchen Dörfern dauert es fchon 25 
und mehr Jahre, bis der Bürger in den vollen Genuß gelangt. — 
Nah dem großh. heſſ. Gel. v. 21. Juni 1852 follen künftig die An- 
theile nicht unter / heſſ. Morgen betragen und aus einem einzigen 
Stil beftehen. Wenn ein Theil der Ortsbürger mehr berechtigt if 
ald tie anderen, fo findet beim Ausſterben ber erſteren ein Nacdrüden 
neh dem Alter in den größeren Genuß Statt. 


9) Tiefe ungünftige Folge wird allerdings öfters wahrgenommen. 


(A) Bad. Gemeinde⸗O. v. 1831 und Gef. v. 28. Aug. 1835 (Zufammen- 

fellung v. 5. Nov. 1858 $. 69.) Es darf eine Auflage auf bie 

ürg ungen gemacht werden, foweit biefelbe dem MWerthanfchlage 

nah 1 Morgen Ader oder Wieſe und 2 Klafter Gabholz überfteigt, 

nu nuflage arf aber den halben Reinertrag der Nutzung nicht über: 
gen. 


8. 85. 


II. Weideland war ehemals vor der Einführung ber 
Stalffütterung ein nothwendiges Erforberniß, daher beftand ein 
enfehnlicher Theil der Oberfläche jedes Landes aus Weiden 
(Beibeangern), bie einer einzelnen Gemeinde ober mehreren 


— 188 — 


berfelben zugehörten oder auch im Miteigenthum mehrerer 
Privatperfonen fid) befanden (a). Die gemeinfchaftliche Be: 
nugung hat gewöhnlicdy die Folge, daß bie Weidepläge ohne 
Schonung und Pflege bleiben, weil Niemand ed der Mühe 
werth findet, etwas für fie zu thun, jeder vielmehr nur ben 
größten Nuten für ſich ziehen will. Daher find die Gemein: 
weiden meiftend zu flarf und ununterbrochen mit Vieh befeht, 
in fchlechtem Zuftande und deßhalb von geringem Ertrage (b). 
Am nachtheiligftien ift das Miteigentbum mehrerer Gemeinden, 
bie begreiflidy in der übermäßigen Benugung der Weiden mit 
einander metteifern. ine Entfernung dieſer Uebelſtaͤnde ift 
deßhalb mit Recht als eine Aufgabe der Regierung anerkannt 
worden. Es kann jedoch da, wo die Befchaffenheit und Lage 
der Weideflächen ber Ummanblung in eine anbere Art ber 
Bobenbenugung im Wege fteht, wie dieß befonders in Berg 
gegenben oft der Fall ift (8. 87 (c)), weniger wirkſam geholfen 
werden, denn es bleibt hier nichts übrig, als für beffere Be 
handlung der Weiden zu forgen. Es muß ben Gemeinde 
vorftehern aufgetragen werben zu veranftalten, baß die Weiden 
geebnet, gereinigt, in mehrere Abtheilungen gebracht und ab- 
wechſelnd behütet werben, baß die für jedes Weideftüd paſſende 
Art der Thiere beftimmt werde, Schweine und Federvieh nur 
auf die fchlechteften Stellen kommen und dgl. (c). Ein be 
trädytlicher Theil der Gemeinweiden zeigt ſich jeboch bei genauer 
und unbefangener Unterfuchung tauglich, zu Ader ober Wieſen 
gemacht zu werden. Sind nun audy die anderen Bedingungen 
ihres guten ſchwunghaften Anbaus (Arbeitöfräfte, Capital, Ab: 
faß) vorhanden, fo kann durch denſelben mit Hülfe der Stall 
fütterung und bes Futterbaued auf dem Felde, foweit die Wiefen 
nicht zureichen, der Weidegang ganz abgefchafft und eine große 
Vermehrung des Bobenertraged bewirkt werben. 


() Im preuß. Stante wurbe nach längerer Ungewißheit über die Anwen: 
dung des 6. 17 der G.⸗Th.⸗O. durch die Declaration v. 26. Juli 1847 
verordnet, daß dasjenige Gemeindevermögen, deſſen Nutzungen ten 
Mitgliedern vermöge bieler ihrer Gigenfhaft zulommen, fo wenig als 
dasjenige, welches zur Beftreitung ber Gemeindenusgaben dient, durch 
Theilung in Brivatvermögen verwandelt werden darf. Ebenfo G. Th. D. 
für die Mheinprovinz $. 3. (Die Teilung ift demnach nicht bei 
ale N ermögen, ondern nur bei gemeinfchaftlichem Privatvermägen 
zuläffig.) 











— 189 — 


(0) Berfändige Landwirthe laſſen nicht felten die ihnen geftattete Weide 
freiwillig unbenußt, weil fie die fpärliche Nahrung, den Düngerverluft, 
die Gefahren für die Geſundheit ter Thiere ıc. bedenken. Anders 
verhält es ih, wenn Grasland fi im Privateigenthum befindet, wo 
nah Umfländen das Beweiden dem Mähen vorgezogen werden fann, 
wie bei Fettweiden oder den Weideſchlägen der Feldgraswirthſchaft, 
1, $. 382. — Rofder, I, $. 80. — In Franfreid find nad der 
amtlihen Statiftif (Agrieulture, 1841) noch 9'191000 Hekt. Weide⸗ 
land vorhanden, deren Ertrag auf 82 Mill. Sr. (9 Fr. auf 1 Heltar 
oder I fl. auf den preuß. Morgen) angeſchlagen il. Nach Oherrier- 
Coreelles & Puvis, Observations, ©. 10, wurden 6 Mill. Heft. 
oͤdes Land angenommen, wovon mindeftens Als Mill. baufähig. Das 
britifche Reich ſoll nah Couling 1827 noch 15 Mil. Acres baus 
faͤhiges oͤdes Land gehabt haben (wovon 3454000 Acres in England), 
—8 5 Mill. Pfd. St. einbrachte, Porter, Progress of the nation, 
1851, ©. 160. Die find wahrſcheinlich größtentbeilde Gemeinde⸗ 
meiden, commons. Der fchlechte Zufland derfelben ift der Gegenftand 
vieler Magen. Sie find wegen der Behütung bei nafler Witterung 
von Huftritten durchloͤchert, uneben, haben fügen von ſtehendem 
Baffer, ſchlechte Kräuter, Maulmurfshaufen , Kulm e und bergl. 
(Auf den englifhen Gemeinde: Heiden trieben fih aud die Zigeuner 
herum) Man bat angenommen, baß in England ber Acre folder 
Beiden nicht über 4 Schilling Ertrag giebt, und daß durch bie Abs 
ſchaffung des Weidegangs und beffere Benußung ber Rohertrag 40fach, 
vie Rente 15 fach werden könne. — Bergius, Poligey- u. Cameral⸗ 
Nagazin, IV, 48. — Frank, Land. Polizei, II, 195. — Bees 
Cyelopaedie, IX, Art. Common. — Steinmüller, Schweiz. Alpens 
wirthichaft, I, 30. II, 287. 342. 415. — Ueber die beflere Benußung 
bee, größtentheild den Gemeinden gehörenden öden Landes in den Ars 
dennen, welches theils zu Wald, theils zu Wiefen und Weiden gemacht 
werden könnte, |. V. Bronn, Mömoire sur l’utilisation des terrains 
incultes de l’Ardenne. Liöge, 1829. (Der Berfafler räth den Berfauf). 


() Frank, Landw. Polizei, II, 204—207. — Lips, ©. 166. — Bei⸗ 
fpiel forgfältiger Anordnungen hierüber in ber fhwyger „Bauherrn 
oder Oberallmeind⸗ Verordnung,“ gedruckt zu Ginfiebeln, 1818. Durch 
Beihluß von 1816 wurde ein Oberallmeindgeriht aufgeftellt, um. bie 
Beideangelegenheiten zu beforgn. Der Oberallmeind » Sedelmeifter 
wacht, dag die Weiden, Wege, Hütten und Häge in gutem Stande 
bleiben, daß die Allmeinden gefäubert und geichont, der Dünger aus 
den Melfgütten auf die Weide geführt, die Kuhmeiden von Schaafen 
amd Ziegen befreit werden und dgl. — In der Schweiz, Tirol, dem 
bairiſchen Alpenlande sc. find viele Alpen Privateigenthum Ginzelner 
oder Mebrerer. Bei den Gemeindealpen ift ausgemittelt, wie viel 
Stücke Vieh aufgebracht werden dürfen. Die befferen Weiden werden 
für milhgebende Kühe beflimmt und mit Sennhütten verfehen, die 
ſchlechteren (Galtalpen) dem Jungvieh, den Pferden ıc. angewiefen. 
Borfärift, die Almenden mit Bäumen bepflanzen zu lafien, Würtemb. 
Eommun:D. v. 1. Suni 1758, 3. Gap. 4. — 2 Weiden auf 
ſchlechtem Boden koͤnnen auch zu Wald gemacht werden, $. 165. 


8. 86. 


Ein fleißiger Anbau des bisherigen Weidelandes iſt am 
Nöten dann zu erwarten, wenn baffelbe zertheilt wird und 


in bie Hände einzelner Gemeindebürger übergeht. Die Bes 
mühungen vieler Regierungen find baher hierauf gerichtet und 
mit dem beften Erfolge belohnt worden. Wenn jedoch zum 
Urbarmachen fchwierige und koſtbare Unternehmungen gehören, 
die befier und leichter im Großen auszuführen find, fo müflen 
biefelben vor der Zertheilung veranftaltet werden, entweder auf 
Rechnung der Gemeinden, oder von Privatgefelfchaften, oder 
vom Staate. Sollte ed den Gemeinden an Capital und Reis 
gung zu foldhen Unternehmungen fehlen, fo wäre es am ein 
fachften, wenn fie bie Weiden an den Staat verfaufen, ber 
dann dad Land nad den nöthigen Verbeſſerungen wieber ver: 
äußert (a). In ben meiften deutſchen Ländern bat man in ber 
zweiten Hälfte des 18. und noch mehr im 19. Jahrhundert 
nah dem Beifpiel von England (5) die Bertheilung ber 
Gemeinweiden unter die Gemeindebürger zu Eigenthum  beför 
bert und biefe mit großer Vorliebe betrachtete Gemeinheits— 


theilung (ec) ift zum Gegenftande vieler gefeglicher Bor 


fehriften geworden (d). Der Beweggrund hiezu war bie Er 
wägung, daß von den Eigenthümern ber größte Eifer zu 
erwarten ift, die empfangenen Antheile in guten Stand zu 
bringen und einträglid zu benugen. Neuerli hat man an 
gefangen, bie Beibehaltung ded Eigenthums ſolcher Gemeinde: 
ländereien vorzuziehen und fie fo zu behandeln, wie das ſchon 
früherhin urbar gemachte ($. 84), d. h. fle zu verpachten ober 
zum lebenslänglichen Genuß an die Bürger zu- vertheilen. 


(a) Belgifhes Geſet v. 25. März 1847: die Gemeinden und bie Mit 
eigenthümer gemeinfchaftlicher Weideflaͤchen Eönnen zum Berfaufe ders 
felben gezwungen werben, mit Zuflimmung des Provinzialrathes, wobei 
den Käufern die Urbarmadhung zur Bedingung gemacht wird. Auch 
eine Verpachtung zum Anbau HR hoͤchſtens 30 Jahre, aber mit ber 
Ausfiht auf Erneuerung bes Pachtes, iſt zuläffig, Art. 11. Der 
Staat fann ſolche Flaͤchen von den Gemeinden erfaufen und fie wieber 
verfaufen. Schon vor biefem Geſetze Hatten mehrere Gemeinten ber 
Qeibegegenb (Campine) in den Provinzen Antwerpen und Limburg 
Heideland an den Staat abgetreten, der die Bewäflerung vorbereitete 
und das Land als Wäfferwwiefen verkaufte. In einem alle (bei einer 
Fläche von 122 Heft.) war ber Erlös des Heft. 395 Fr., die Koften 
der Bewäflerungsanlagen beliefen fih auf 155 Fr., alfo ber Ueberſchuß 
240 Fr. Man nahm an, daß die Gemeinden 162896 Heft. Heide 
befigen. Hiervon wurben in 3 Jahren nach jenem Geſetze 8626 Hell. 
mit der Verpflichtung zum Anbau verkauft, 803 verpadhtet, 1920 vers 
theilt, 226 von den Gemeinden felbft angebaut und 4600 Heft. zu 
Wald angelegt, zufammen 16180 Heft. Loi sur le döfrichement des 


(d 


— 


8 


— 191 — 


terrains inenltos. Recueil des documens et des discussions, Brux. 
1848. fol. — Bituation du Roy. 1852. IV, 19. — Die Beweggründe 
zu jenem Geſetz Tagen zum Theil in dem Stange an Gapital ın den 
Gemeinden. ollen diete die Urbarmachung felbft beſtreiten, fo fteht 
es ihnen natürlich frei. 

Auf entlegenen Weideplägen ift bie anlegung von Höfen rathfam, 
welche auf lange Zeit verpachtet oder in Erbpacht gegeben werden. 
Vorſchlag diefer Art für die großen Almenden des würtemberg. Heu: 
berge von Reinhardt, Eorrefp. BI. bes w. landw. B. 1847, ©. 1. 
Cherrier-Corcelles et Puvis, Observations, S. 10. (Die Vers 
fafier rathen, das zur Weide nicht erforberliche Gemeindeland den 
bürftigen eldarbeitern gegen einen geringen Zins auf 9 Jahre zu 
überlaffen; für jede folgende Yjährige Pachtperiode müßte der Zins 
erhöht werden, ohne daß die Bamilie aus dem Beſitz vertrieben würde.) 


Ueber die Bedeutung von inclosure und Gemeinheitstheilung 
1. $. 75 (8). Die erfte inclosure bill fam 1710 zu Stande. Seitdem 
ind diefe Unternehmungen fehr zahlreich geworben. Bon 1760—1849 
wurden 1350577 Acres, apeite Gemeinweiden, theile weidepflichtiges 
Privateigenthum, von der Weide befreit (Porter, Progress. S. 157), 
wodurh ein großer Zuwachs des Bobdenertrages bewirkt wurde, auch 
der Biebftand zunahm (Thaer, Engl. Landw. Ib. 357). Die Bes 
forgniß einer Vertheuerung des Fleiſches (3. B. in A political enquiry 
iato the consequenees of enclosing waste lands, 1785, S. 97) war 
unbegründet, denn das von ber gemeinfchaftlichen Weide befreite Land 
wurde zum Theil auch zur Gewinnung von Yutter und felbft zu 
Beidefhlägen verwendet. Nachtheilig war nur der Umfland, daß 
Häusler (oottagers) und Taglühner ohne Brundbefig, welche die Weide 
benugt hatten, feine Antheile erhielten und daher in Bebrängniß ge: 
rietben. Das allgemeine Gef. v. 8. Aug. 1845 (8. u. 9. Vict. c. 118) 
erlaubt, den bürftigeren Arbeitern Stüde bis zu !/a Ac. gegen einen 
Setreidezins zum Bartenbau zu geben, 6. 75, 109. — In Schottland 
iR ſchon 1665 ein Beleg ergangen, nach welchem die Abtheilungen 
leicht erfolgten, Thaer, IIb, 348. 


Möllner, Die Aufhebung ber Bemeinheiten in der Mark Brandens 
burg. Berl. 1766. — Reinhard, Berm. Schriften, VI, 835. — 
(d. Reber) Gedanken eines geübten Auseinanderſetzungs⸗Commiſſarii 
über die fchieklichfte Verfahrungsart ıc. Berl. 1774. — Auszüge aus 
diefen beiden und mehreren anderen Schriften in Bergius, Neues 
Magazin, III, 5. — Fran, Landw. Pol. II, 199. — Meyer, 
Ueber die &emeinheitstheilung. Celle, 1801—1805. II. B. 4%. — 
Gönner, Weber Eultur und VBertheilung ber Gemeindeweiden. Lands: 
but, 1803. — Sturm, Kameralpraris, IL, 1. — Lips, Ackergeſetz⸗ 
—5 — I, 148—168, — Burger und aan, reis⸗ 
hriften über Zertheilung der Gem.⸗W. Peſth, 1818. — Klebe, 
Geundfaͤtze der Gemeinheitstheil. Berlin, 1821. I. Bd. 40. — Ueber 
bie Geſezentwuürfe in Baiern ſ. v. Cloſen, ©. 86. 201. Verhandl. 
der 2. Kammer von 1819, I, 452. (Allgem. Bemerk.) — Verhandl. 
der 2. Kammer von 1822. Beilagen, I, 178 (minifteriellee Entwurf). 
IV, 148 (Gutachten bes Ausichufles). — Rudhart, I, 190. 


Beifpiele: Oeſterr. Batent v. 5. Nov. 1768, Gef. v. 14. Det. 1808. 
Schopf, I, 71, Stubenraud, IL, 475. — Hannov. Gemeinheits- 
theilungs⸗O. für das Fürftenthum Lüneburg, vom 25. Suni 1802, 
Debnungen für die anderen Provinzen v. 30. April 1824 u. 26. Jul 
1825. Gef. v. 30. Suni 1842 über das Verfahren in Gemeinheitds 
tbeilungs s und Verfoppelungsfachen, Berorbn. hiezu v. 27. März 1543, 


— 194 — 


dürfe; De rei agrarise et saltuariae fundamento geologico, ©. 47. — 
Eine feichte Oberfchicht über Steingrund verbietet ebenfalls den Anbau, 
fo wie auch die Kleinheit des auf jedes Mitglied kommenden Antheils 
ein Abhaltungsgrund werden kann. Sädjf. 9.:D. 6. 144: Es muß 
wenigftens bie Hälfte der Theilnehmer jeder 10 Q.-Ruthen = !ıs dr. 
Morgen erhalten fönnen. " 

(d) Sädf. Ablöf.-D. 6. 149. 

() Man Hat alfo zu unterfuchen, welche Sahl von Stüden Vieh jeder 
Art auf jeden Weideplatz berfümmlich geführt werden darf, und melde 
Zeit hindurch. Hierüber werben Hirten und andere unterrichtete Per: 
fonen vernommen, mehrere Arten von Vieh auf eine einzige umge: 
rechnet u. f. w. — Man nennt biefe Abtheilung zwifchen mehreren 
Gemeinden die Generaltheilung, im Gegenfabe der Special: 
theilung innerhalb einer einzelnen Gemeinde. Lüneb. G.⸗Th.⸗O. 
6. 100. 102. 

( Bat. G. ⸗O. $. 96. — Br. Hefl. G.⸗Th.⸗O. $. 42. 


8. 88. 


C. VBertheilungsmaapftab in einer Gemeinde 
Hierüber befteht die größte Meinungsverfchiebenheit und in ber 
gefeglichen Beftimmung beffelben liegt die größte Schwierigkeit, 
jedoch nur da, wo weder in einer einzelnen Gemeinde, nod in 
einem ganzen Landestheile ſchon eine unzweifelhafte Regel bes 
ſteht und auch eine Mebereinfunft unter den Betheiligten nicht 
zu Stande fommt. Der zu wählende Maaßſtab muß nicht blos 
gegen alle Betheiligten gerecht, fondern auch von volkswirth⸗ 
fhaftlicher Seite nüglichy fein, d. h. die Landwirthſchaft beför- 
bern. Die theild empfohlenen, theild wirklich angemwenbeten 
Maapftäbe find hauptfächlich folgende: | 

1) Bertheilung nad dem bisherigen Viehſtande. 
Diefelbe (a) empfiehlt fich vorzüglich dadurch, daß fie der gegem 
wärtigen Nupung bed Weidelandes entſpricht. Allein es ift zu 
erwägen: a) daß der Viehſtand ber einzelnen Gemeinbebürger 
im Zeitpunct der Theilung etwas Zufällige ift, indem leicht 
ber Eine durch Unfälle einen Theil feines Viehes verloren 
hat, der Andere vorübergehend mehr befigt, als er fortbauernd 
halten Eönnte, und felbft eine abfichtliche Vermehrung vor- 
fommen möchte, um nad; berfelben auf bie Thellung anzu 
tragen (6); — b) daß bie Ausmittlung des in mehrjährigen 
Durdyfchnitte vorhandenen Viehſtandes ungemein verwidelt und 
bennody wegen ber vorftehenden Gründe nicht unbedingt an- 
wendbar ift (ec); — c) daß, wenn man deshalb lieber unter 








— 195 — 


fuchen wollte, wie viel Vieh jeder nad) feinen Wirthſchafts⸗ 
verhältniffen halten Fönnte, dieß ſchon einem anderen Maaßs 
Rabe angehört (d). 


(«) Runde, Beitr. zur rörterung, vechtlicher Öegenlände, 1 ‚rt. — 
Meyer, L 23. — Lüneb. Th.⸗O. 6.58 ff. u. a. Bannnoverifche 
D.: 1Ojähriger Duräfänitt; 2 Pferde, die nur bei Tag Weiden, 
gelten für 3 Kuhweiden; 8 Schweine, 10 Halbeble und 7 e le Schaafe 
= I Kuhweide. Diefer Maaßſtab foll in der Regel bei General: und 
in gewiflen Faͤllen auch bei Specialtheilungen gebraucht werden, $. 100. 
102. Sind die Berehtigungen in Anfehung der Hütungszeit unglei, 
fo wird auch dieſe mit berüdfichtiget, 6. 79 ff. — Br. Gem.⸗Thei 
$. 11—14: Sjähr. Durchſchnitt. Alles Vieh wird auf Kühe rebucirt, 
mdem 1 Ochſe oder 2jähr. Stier, 1 Pferd, 8 Schweine, Schaafe, 

Ziegen — 1 Kuh, aber 4 Fohlen oder Stüde Nindvieh unter zwei 

Jahren — — 3 Kühen gerechnet werden. Unglüdsjahre werden aus⸗ 

geſchloſſen. 

Die pr. G.:T5.:D. beſtimmt 8. 33, daß ber Viehſtand verarmter Leute 

auf das in ihrer Claſſe gewöhnliche Maaß erhöht, und ein unverhaͤltniß⸗ 

mäßig großer herabgefeßt werben foll. Viele Borfchriften diefer Art 
in den hannov. Geſe epen. Uebrigens dürfte dasjenige Vieh, welches 
auf Brivehneiten erhalten worden if, nicht eingerechnet werben. Selbft 
bie Berichiedenheit in der Größe, Beſchaffenheit und Yütterungsart der 

Viehſtuͤcke müßte eigentlich in Betracht gezogen werden. 

(e) Bgl. das Gutachten des berliner Rammergerichts von 1791, bei Meyer, 

L, 9. — Be 3. B. vor einem Jahre fein halbes Gut verkauft bat 
* daher jegt viel weniger Vieh sehpt, ale vorher, der erhält nad 
ten Durchſchnitte von 5 Jahren offenbar mehr als ihm gebührt. 


() Gotha, $. 14: Hat Jemand in den 5 Jahren von feinem Recht feinen 
oder einen geringeren Gebrauch gemacht, als er befugt geweſen wäre, 
fo wird auf ihn fo viel Vieh gerechnet, als er durchwintern Kann. 


(b 


— 


8. 89. 


2) Durchwinterungsmaaßſtab (a). Um bie Zufaͤllig⸗ 
fiten bei dem wirklichen Viehſtande zu befeitigen, wird aus 
der Größe und Fruchtbarkeit der einem jeden Weibeberechtigten 
gehörenden Aeder und Wiefen berechnet, wie viel Futter er 
gewinnen und wie viel Vieh er damit den Winter hindurch 
erhalten fönne, und nach diefer Anzahl beftimmt man bie Ans 
heile. Dagegen kann erinnert werden (b): a) Dad Vermeſſen 
und Abfhägen aller Grundftüde (wenn dieß nicht fchon bei der 
Steuerregulirung gefchehen tft), fo wie bie hierauf zu gründens 
den Berechnungen find mühfam und foftbar. b) Auf Gemeinde 
glieder, die blo8 ein Haus ober gar feine Liegenfchaft haben 
und dennoch einen Anfprud auf die von ihnen biöher benußte 


Beide machen koͤnnen, ift diefer Maaßſtab gar nicht anwend⸗ 
13* 





— 1% — 


bar (ce). c) Die Art ber Fütterung und ber Fruchtfolge ift 
fo verfchieden, daß die Grundfäge zur Berechnung ſchwankend 
werden. d) Es giebt Landwirthe und ganze Gemeinden, welde 
Butter zufaufen, und andere, bie einen Theil ihres gewonnenen 
Futter verlaufen. Dieß macht wieder befondere Unterfuchungen 
nothwendig. 

(a) Preuß. Land-R. I, Tit. 32. F. 90. In ber Gem.⸗Th.O. $. 34 ff 


wird ebenfalls diefer Maaßſtab vorgefchrieben, wenn der bisherige Vieh: 
ftand nicht zu ermitteln ift; ebenfo Luͤneburg, $. 105. 

() Meyer, I, 7. 37. — Sturm, I, 18. 

(e) Die pr. 8.:75.:D. $. 41. 42 legt denen, die feine Neder haben, ein 
Nupungsreht von 1923 Kuhweiden bei, weil nämlidy zur Beftiebigung 
der nothiwendigften Bebürfnifle einer Familie fo viel erforderlich fei. 


$. 90. 


3) Die Theilung nah der Größe bes jegigen 
Grundbeſitzes (a) ift folgenden Einwürfen audgefept: 
a) Der bloße Blächenraum bürfte nicht entfcheiden, man müßte 
folglich zugleih auf bie Güte des Landes Rüdfiht nehmen, 
woburd man zu ber Theilung nad) dem Güterertrage geführt 
würde (6). b) Die Benugung ber Weide fteht mit der Größe 


und felbft mit dem Ertrage der Ländereien nicht in gleichem - 


Verhältniß, indem die Befiger ganz Eleiner Güter auf gleicher 
Morgenzahl mehr Vieh halten, als die großen Bauern; aud) 
bie Dorfbewohner ohne Land bieten häufig Alles auf, um ein 
oder einige Stüde Vieh zu überwintern, bie fie dann auf bie 
Weide bringen (ce). c) Wollte man aud zu Gunften folcher 
Weibeberechtigten befondere Fürforge treffen, fo würden doch 
bie Großbegüterten öfterd mehr Land erhalten, als fie bearbeiten 
und bebüngen fönnen, während bie Kleinen fehr geringe An- 
theile empfingen. Es würde daher der gute Anbau bes Landes 
wenig gefördert, und den Kleinbegüterten, beren Rage am meiften 
der Verbeſſerung bedarf, nicht abgeholfen (d). 

(a) Gr. v. Soden, I, 292. — Dberndorfer, Nationalöf., $. 79. 80, 


deſſ. Wirthichaftspoligei. S. 277. — Steinlein, ©. 83. — Schottis 
ſches Geſetz von 1665. 

(6) Benfen, Materialien, II, 332. — Auf diefe Weife entflcht ber 
Contributionsfuß, welcher den Einwendungen b) und c) gleich: 
mäßig unterliegt. Beſſer wäre es, wenn man ſich in jeder Gemeinde 
über bie Seftfegung einiger Claſſen für jede Art von Ländereien vereinigte. 


— 1970 — 


(c) Die hannovy. G.⸗Th.⸗Ordnungen ($. 85 ff. der luͤneb. sc.) ſtellen ale 
dritten Maaßſtab den zur Haushaltung erforderlihen Viehſtand auf, 
für folche Bälle, wo ein Theil ber eibeberechtigten fein Land oder 
noch nicht genug beflgt, um das für das Samilienbebürfnig nöthige 
Bieh ernähren zu fönnen. 


(d) Es feien 3. B. in einem Dorfe 10 große Bauern, welche zufammen 
2000 Morgen, 20 mittlere, welche 1200 Morgen, 30 Eleinere, welche 
300 Morgen, und 50 Köthner, welche 100 Morgen befigen, und es 
fei ein Meideplag von 210 Morgen zu vertheilen, fo erhielte ein großer 
Bauer 10, ein mittlerer 3, ein Heiner 1%, ein Köthner nur ?/ıo 
Morgen. Niemand wird behaupten, daß der Viehſtand der 4 Claſſen 
son Landleuten ſich wirklich wie die Zahlen L: 15: 30: 100 verhalte. 


8. 91. 


4) Das Berhältniß derBeiträge zu den Gemeindelaften 
M darum empfohlen worden, weil ſich nad) bemfelben der 
Antheil jedes Mitgliedes am Gemeindevermögen richten müfle (a). 
Die Annahme dieſes Maapftabes erjcheint aber aus bem Grunde 
bedenklich, weil die Abgaben der Gemeindeglieder zur Bemeindes 
caſſe ſich keineswegs blos nach foldyen Umftänden richten, bie 
auf das Futterbedürfniß Bezug haben, ſondern bald für alle 
Mitglieder gleich, bald auch mit Ruͤckſicht auf Wälder, Häufer, 
Gewerke und andere Ermwerböquellen angefegt find (db). Berner 
bilden die Gemeindemweiden nicht dad ganze Gemeindevermögen; 
die Kämmereigüter,, öffentlihe Gebäude ıc. würden allerdings 
nah andern Berhältniffen zu vertheilen fein. 


() Ruphart, I, 194. — Gommiffionsgutachten ber 2. Kammer in 
Baiem von 1822, Beil. 1V, 161. 


(d) In vielen Ländern werben fie nach den fämmtlichen Schagungen (fog. 
directen Steuern) erhoben. 


$. 92. 


5) Vollige Bleichheit der Antheile, in fo ferne 
niht eine Verſchiedenheit von ganzen, halben, Biertelds ıc. 
Ormeinderechten ftattfindet, in welchem Balle nad) biefem Rechte 
getbeilt werben würde (a). Diefer Maaßſtab entfpriht genau 
dem Rechte der Benugung, weldyed in ber Regel gleich if; 
ferner wird auf diefem Wege am beften für das Aufflommen 
der Dürftigeren geforgt, 8. 90. Dagegen hat es wirthfchaft- 
liche Nachtheile, wenn man bie bisherige Ungleichheit ber 
denugung ganz außer Acht läßt; bie Geringbegüterten werben 


— 1% — 


bar (ce). c) Die Art der Fütterung und ber Fruchtfolge ift 
fo verfchteven, daß die Grundfäbe zur Berechnung ſchwankend 
werben. d) Es giebt Landwirthe und ganze Gemeinden, welche 
Futter zufaufen, und andere, bie einen Theil ihres gewonnenen 
Futters verkaufen. Dieß macht wieder befondere Unterſuchungen 
nothwendig. 

(a) Preuß. Land-R. I, Tit. 32. F. 90. In der Gem.Th.O. F. 34 fi. 


wird ebenfalls diefer Maaßſtab vorgefchrieben, wenn der bisherige Vieh: 
ftand nicht zu ermitteln ift; ebenfo Lüneburg, 6. 105. 

(d) Meyer, 1, 7. 37. — Sturm, I, 18. 

(e) Die pr. ©.:T5.:D. 6. 41. 42 legt denen, die feine Aecker haben, ein 
Nugungsrecht von 11/a Kuhweiden bei, weil nämlich zur Befriedigung 
der nothwendigſten Beduͤrfniſſe einer Familie fo viel erforderlich fei. 


$. 90. 


3) Die Theilung nad der Größe des jepigen 
Grundbefiged (a) ift folgenden Einwürfen ausgejeßt: 
a) Der bloße Flaͤchenraum dürfte nicht entfcheiden, man müßte 
folglich zugleih auf die Güte des Landes Rüdficht nehmen, 
wodurch man zu ber Theilung nady dem Güterertrage geführt 
würde (6). b) Die Benupung ber Weide fteht mit der Größe 
und ſelbſt mit dem Ertrage der Ländereien nicht in gleichem 
Verhaͤltniß, indem die Befiger ganz kleiner Güter auf gleicher 
Morgenzahl mehr Vieh Halten, ald die großen Bauern; aud) 
die Dorfbewohner ohne Land bieten häufig Alles auf, um ein 
oder einige Stüde Vieh zu überwintern, bie fie dann auf bie 
Weide bringen (c). c) Wollte man auch zu Gunſten folder 
MWeideberechtigten befondere Fürforge treffen, fo würden doch 
bie Großbegüterten öfterd mehr Rand erhalten, als fie bearbeiten 
und bedüngen fönnen, während bie Kleinen fehr geringe An- 
theile empfingen. Es würde baher ber gute Anbau bed Landes 
wenig gefördert, und den Kleinbegüterten, deren Lage am meiften 
der Verbeſſerung bedarf, nicht abgeholfen (d). 

(a) Gr. v. Soden, I, 292. — Dberndorfer, Nationaldf., $. 79. 80, 


def. Wirthfchaftspolizei. S. 277. — Steinlein, ©. 83. — Schotti⸗ 
ſches Geſetz von 1665. 

(6) Benfen, Materialien, II, 332. — Auf dieſe Weife entficht ber 
Euntributionsfuß, welcher den Ginwendungen b) und eo) gleid: 
mäßig unterliegt. Beſſer wäre es, wenn man ſich in jeder Gemeinde 
über die Feſtſetzung einiger Claſſen für jede Art von Ländereien vereinigte. 


— 11 — 


le) Die Bannov. &.:Th.- Ordnungen ($. 85 ff. der lüneb. sc.) flellen als 
tritten Maaßſtab den zur Haushaltung erforderlichen Viehſtand auf, 
für ſelche Bälle, mo ein Theil der Weibeberechtigten Fein Land oder 
noch nicht genug befigt, um das für das Bamilienbedürfnig nöthige 
Bieh ernähren zu Fönnen. 


(d) Es feien 3. B. in einem Dorfe 10 große Bauern, welche zufammen 
2000 Morgen, 20 mittlere, welche 1200 Morgen, 30 Eleinere, welche 
900 Morgen, und 50 Köthner, welche 100 Morgen befipen, und es 
fei ein MReideplag von 210 Morgen zu vertheilen, jo erhielte ein großer 
Bauer 10, ein mittlerer 3, ein Heiner 1%a, ein Köthner nur !/ıo 
Morgen. Niemand wird behaupten, daß der Viehſtand der 4 Claſſen 
von Landleuten fih wirflih wie die Zahlen 1: 15: 30: 100 verhalte. 


8. 91. 


4) Das Berhältniß derBeiträge zu den Gemeindelaſten 
itt darum empfohlen worden, weil fi) nach bdemfelben ber 
Antheil jedes Mitgliedes am Gemeindevermögen richten müffe (a). 
Die Annahme dieſes Maapftabes erfcheint aber aus dem Grunde 
betenflich, weil die Abgaben der Gemeindeglieder zur Gemeindes 
caſſe ſich keineswegs blos nach folchen Umftänden richten, bie 
a das Futterbeduͤrfniß Bezug haben, ſondern bald für alle 
Mitglieder gleich, bald auch mit Rüdficht auf Wälder, Häufer, 
Ormerfe und andere Erwerböquellen angelegt find (5). Berner 
bilden die Gemeindeweiden nicht das ganze Gemeindevermoͤgen; 
tie Kämmereigüter, öffentliche Gebäude ꝛc. würden allerdings 
nad andern Berhältniffen zu vertheilen fein. 


(*) Rudhart, I, 194. — Gommiffionsgutadhten der 2. Kammer in 
Baiern von 1822, Beil. IV, 161. 


() In vielen Ländern werben fie nach den fämmtlihen Schagungen (fog. 
tireeten Steuern) erhoben. 


8. 92. 


5) Böllige Gleichheit der Antheile, in fo ferne 
niht eine Verfchiedenheit von ganzen, halben, Biertelds ıc. 
Örmeinderechten ftattfindet, in welchem Falle nach diefem Rechte 
petheilt werben würde (a). Diefer Maaßftab entiprit genau - 
tem Rechte der Benupung, welches in ber Regel glei if; 
mer wird auf biefem Wege am beften für dad Auffommen 
der Dürftigeren geforgt, $. 90. Dagegen hat ed wirthichaft- 
lie Rachtheile, wenn man bie bißherige Ungleichheit ber 
Bergung ganz außer Acht läßt; die Geringbegüterten werben 


— 198 — 


fehr begünftigt, während bie größeren Landwirthe nicht für 
ihren bisherigen Genuß entfchädiget, fondern gezivungen werben, 
ihren Viehftand zu verringern ober Futter zuzufaufen oder einen 
größeren Theil ihres Landes dem Butterbaue zu widmen. Dieß 
ift zwar eine Verbeſſerung, aber bie plögliche Noͤthigung zu 
einer folchen fchwierigen Umänberung führt Störungen mit fi 
und follte vermieden werden. 


(a) Frank, 199. — Hazzi, Ueber das Rechtlihe und Nüpliche bei 
Gulfur und Abteilung der Weiden. Münden, 1802. — Gönner, 
a. O., ©. — Lips, S. 154—158. — Baier. V. vom 4. Juli 


1808, hm Thon früher unter lebhaften Widerſpruch der Lant: 
fände nach vielem Buße N worden war. — Bad. B. v. 24. Juli 
1810. — Gr. $. 86: nad) den Nutzungsrechten. — 
Saͤchſ Abloͤſ.⸗ * IE nah den Benußungsrechten, wenn 
diefe in einer Gemeinde durch Herfommen, Statuten, Vertra ober 
richterliches Erfenntniß beflimmt find. In Ermangelung einer Feten 
Norm wird 1) wo ber größte Theil der Rändereien wa zend if, eim 
Berechtigung nad den Bauftellen angenommen, 2) im enigegen⸗ 
efepten Falle wird nad dem Verhaͤltniß bes, zu jeder Bauſielie ge: 
rigen Ader: und Graslandes, ohne Einrehnung der walzenten 
Stüde, getheilt, „wobei auf jeden Häusler oder Gärtner, der weniger 
ale 2 Aeder beſitzt, 2 Aecker gerechnet werden.“ — Bad. G.⸗O. v. 185% 

. 127: wenn von ber ®emeinde nichts Anderes beflimmt wirb, ohne 

Afiht auf den Genuß, nad Köpfen. Wittwen erhalten den Antheil 
flatt ihres verfiorbenen Ehemannes. 


$. 9, 


Da jeder diefer fünf Maafftäbe für fih allein irgend einem 
Bedenken Raum läßt, fo liegt der Gedanke nahe, mehrere von 
ihnen mit einander zu verbinden, um hiedurch den einen durch 
ben andern zu verbeflern. Dieß wäre auf mandfaltige Weile 
ausführbar (a), am einfadhften fo, daß bie Antheile Aller zwar 
nicht ganz gleich, jeboch weniger ungleich werden, ald es bie 
Grundbeftgungen find. Dan fönnte zu biefem Behufe 

1) einen Theil der Weideftreden nad dem Maaßftabe bed 
Grundbeſitzes ($. 90), den anderen gleichheitlich (8. 92) theis 
Ien, aber fo, daß Jeder feinen Antheil in einem Stüde er 
hielte (d); — ober 

2) die Gemeindeglieber nach ber Ausdehnung und Frucht: 
barkeit ihrer Ländereien in Glaffen ordnen, fo daß auf ein 
Mitglied der unterften Elaffe ein einfacher, auf eines der zweiten 
ein anderthalbfacher ober doppelter Antheil Fäme u. f. f. (c). 


—— 199 — 


le) Reh dem a. Berichte bes preuß. Rammergerichte follen der wirkliche 
a 


B) 


le 


— ⸗ 


Viehſtand und der Durchwinterungsmaaßſtab in Vergleichung mit ein⸗ 
ander angewendet werden. — Deſterr. V. vom 5. Nov. 1768: Halb 
nah den Grundftüden, halb nah den Häufern. — Die bannoverfchen 
8.:35.: Ordnungen ftellen für General: und Specialtheilungen vier 
Maapftäbe auf, zwifchen denen nach den Umftänden gewählt werden foll. 


In tem obigen Beifpiele ($. 90 (c)) wäre, wenn jeder von beiden 
Maaßſtaͤben zur Hälfte angewendet werden follte, die Rechnung bdiefe: 
I) 105 Morgen in 110 gleiche Theile, giebt 0, M.; 2) 105 M. 
nah dem Befitze eines Jeden, welches die Hälfte ber a. a. D. ges 
fundenen Zahlen ausmacht. Demnach erbielte im Durchſchnitt ein 
großer Bauer 5,5 M., ein mittlerer 2,4, ein kleiner 1,7, ein Röthner 
1,6 Morgen. 

3. 3. wer bis 3 Morgen incl. befißt, erhält einen Theil, 3—10 M. 
1a Theile, 10—25 M. 2 Theile, 25—26 M. 218 Theile, .... 
100 und mehr M. 6 Theile. Die Zahl ter Claſſen und die Fort⸗ 
Ihreitung ber Säge geflatten eine große Manchfaltigkeit. Gin Maaß⸗ 
Rab, der allen Wuͤnſchen der Beteiligten entſpraͤche, if nicht denkbar, 
aber die beichriebene Methode vermeidet wenigſtens bie einfeitige Be: 
günſtigung des einen Theils auf Koften des andern. Die Claffenſätze 
tönnten freilich nicht für alle Gemeinden geih fein, es läßt fih aber 
turh Aufftellung allgemeiner Regeln, 3. B. daß das maximum nicht 
über 5 oder 6 Antheile gehen, und bie Unterfchiebe zwifchen den 
Morgenzahlen der Glaflen von unten auffteigen follen, nachhelfen. 
Aehnlich im Würftenthum Neuburg (8. Det. 1771): ein ganzer Hof 
I Theil, ein halber und ein Vierteishof resp. !/s und !/a, ein Sölbner 
Yg Theil. — Baier. B. v. 19. Det. 1795: ganzer, °/ı und halber 
Hof erhalten 3 Theile, Biertels: und Achtelshof 2, die Lleineren Güter 
1 Theil. Verteidigung diefes Geſetzes: Hoppenbichl, Berf. über 
bie anwendbaren Grundſaͤtze bei Bulturprozefien. Münden, 1793 


8. 94. 


D. Verſchiedene Nebenpuncte. 
1) Es iſt üblih und nüglich, einen Antheil zur Benutzung 


des Schullehrerd in jeder Gemeinde vorzubehalten. 


2) Die Antheile werden freies Eigentbum, nur mit einem 


geringen Zinfe zum Beften ber ®emeindecaffe belegt. 


3) Es muß für Wege geforgt werden, um zu ben vers 


theilten Stüden fowie zu dem etwa nod übrig gebliebenen 
Beiveplage bequem gelangen zu können. Am beften ift es, 
zugleich eine allgemeine Zufammenlegung der “Privatlänbereien 
vorzunehmen ($. 98). 


4) Die Koften werben nach dem Berhältnig der Antheile 


umgelegt. Es ift zwedmäßig, die Gebühren für alle dabei 
vorkommenden Geſchaͤfte genau zu regeln (a). 








E. ©rundzüge der Ausführungsart. 

1) Das Theilungsgefchäft erfordert einen rechts⸗ und lands 
wirthfchaftöfundigen Beamten, dem man einen oder einige 
unterrichtete Landwirthe zugefellt (2). 

2) Derfelbe beginnt, nachdem ein Antrag auf Theilung 
erfolgt ift, mit der Unterfuchung, wer betheiliget, und ob bie 
Abtheilung zwedmäßig fei, worüber, nad) WVernehmung ber 
Sintereffenten, eine höhere Berwaltungsbehörbe zu befchließen 
hat (c). 

3) Ergeben ſich ftreitige Rechtsfragen, 3. B. über bie Bes 
fugniß zur Theilnahme, und gelingt es nicht, fie vermittelft 
eines gütlichen Uebereinfommens oder eines fdhiedsrichterlichen 
Verfahrens zu erledigen, fo müflen hierüber die Gerichte ent 
fcheiben. 

4) Die Weide wird vermeflen und, wenn file nicht durch⸗ 
aus von gleicher Beichaffenheit ift, oder wenn es zur Ab- 
findung eined Berechtigten erfordert wird, auch abgeſchaͤtzt 
(bonitirt). | 

5) Hierauf wird mit Rüdficht auf den anzumenbenden 
Vertheilungsmaaßftab ein Theilungsplan entworfen und mit 
den Betheiligten berathen. Es verfteht fih, daß auf Stellen 
geringerer Güte defto größere Antheile gebildet werden. 

6) Iſt der Plan von der Mehrheit angenommen und von 
ber höheren Behörde nach vorgängiger Prüfung ber etwa er 
hobenen Einwendungen beftätigt, fo wird er in Vollzug gefeht, 
bie Theilnehmer werden in ihre Antheile eingewiefen und «6 
wird über dieſe ganze Schlußverhandlung ein ausführliches 
Protofod aufgenommen, welches als Tcheilungs » Urkunde 
(Receß) dient. 

7) Ro man fi) über die Lage der einem eben anzu 
weifenden Stüde nicht vereinigen Tann, läßt man das Loos 
enticheiden (d). 


(a) Hannov. Geſ. v. 30. Juni 1842, $. 150 ff.; Diäten, Meifekoften, 
Schreibgebühren, Lohn der Feldmeſſer ꝛc. 


(6) Angef. hannov. Geſ. F. 1—3: für jedes Geſchaͤft eine Commiſſion 
aus 1 Rechtokundigen und 1 Techniker, d. h. Landesokonomie-Beamten. — 
Sachſen, die auh für Ablöfungen beftellte Specialcommiſſion aus 
1 Rechtsgelehrten und 1 Wirthſchafteverſtäändigen, Ablöf.sO. $. 207. 
Der Rechtsverſtaͤndige wirkt in ber Megel nur bei Streitigkeiten über 

















—— 201 — 


Rechte mit, 8. 213. — Auf dem preuß. linfen Rheinufer wirb ber 
Antrag an die Bezirksregierung gebradht, die, wenn fie ihn begründet 
intet, einen Commiſſar zum Verſuch der Vereinbarung beflellt. Ge: 
lingt biefe nicht, fo muß bas „Seilungsbegehzen als Klage an das 
Ranbgericht gehen, Geſ. v. 19. Mai 1851. Nr. 3405. 


In Hannover hatte da6 1802 errichtete Landesöfonomie: Collegium die 
Cberleitung der Gemeinheitstgeilungen nad beffen Aufhebung durch 
®. v. 18. Sept. 1833 ging dieß Gefchäft auf die Landdroſteien über. 


(d) Ueber den großen Erfolg der Gemeinheitstbeilungen im K. Hannover 
And neuerlich | ftatiftifche Nachweilungen befannt geworden. Bon 1803—31 
wurden auf 1°160 154 Morgen Theilungen durch das Landesökonomie⸗ 
Collegium, auf 285186 M. durch einige Landdroſteien auegeführt, 
jufammen 1445340 M. Bon 1832—1851 gingen in Folge von 
Sperialtheilungen 1019 246 M. in Privatbefiß über, wovon 414845 M. 
allein in der vinz Züneburg, in Hildesheim nur 4044 M. f. Zur 
Etatiſtil des K. Hannover, 3. Heft. 1853, vgl. Feſtgabe für die 
15. Berfammlung, ©. 41. 


m 
—f 


8. 95. 


IV. Bei den Gemeindewaldungen treten andere Rüds 
ſchten ein. Ihre Benutzung iſt nicht gemeinfchaftlich, fondern 
wird von dem &emeindevorftande und der Staats: Borftbehörbe 
geleitet, und die Einzelnen erhalten, foweit der Erlöß aus ben 
Balderzeugniffen nicht für die Gemeindeausgaben nöthig ift, 
fhrlihe Austheilungen von Holz (Gabholz) und Streu nad 
tnem beffimmten Maafftabe, häufig auch Bauholz im Zalle 
td Bedürfniffes. Dad, was bie Gemeinweiden nadhtheilig 
macht, faͤllt demnach hier hinweg. Kleine Walpftreden laſſen 
kine fo gute, geregelte Bewirthichaftung zu, als größere, und 
imwohl darum, als wegen der fehr gewöhnlichen Sorglofigfeit 
Heiner Waldbefiger werden die Antheile meiftend fchlecht bes 
handelt, was die Staatsbehörde nicht fo wirffam verhindern 
Ian, ald bei ben Gemeindewaldungen. Die Erhaltung ders 
eben iR ferner für den ganzen wirthfchaftlichen Zuſtand der 
Gemeinde wohlthätig und gewährt, zumal bei fleigenden Holz 
neifen, für die bürftigeren Mitglieder eine fehr nügliche Hülfe, 
umeldher auch das Raff⸗, Lefe- und Stodholz, die Grass 
fung in trodenen Sommern ıc. gehören. Es ift daher 
wedmäßig, die Gemeindewaldungen ungetheilt zu erhalten (a). 
Anders verhält es fih, wo eine Rodung (Ausſtockung) als 
vortheilhaft erfcheint. Wird eine folche in Antrag gebracht, fo 
mp zuerft die Baumwürbigfeit bed Bodens, die Möglichkeit, 
im mit den vorhandenen Kräften in guten, urbaren Stand zu 











— 202 — 


fegen, bie dabei zu erwartende Ertragdvermehrung, dagegen 
auch der jetzige Holzpreid, die Ausſicht auf fünftige Verforgung 
mit Holz durch Zufuhr und neue Waldanlagen ıc. unterfucht, 
es muß die Forfibehörde gutachtlich vernommen und bie Ges 
nehmigung der höheren Berwaltungsbehörde eingeholt werben. 
Für die Benugung ded Landes zu anderen Zweden treten bie 
oben ($. 84) angegebenen Regeln ein. Der Abtrieb der ganzen 
ftehenden Holzmenge würde dad Stammvermögen ber Gemein: 
den verringern, wenn nicht dieß Holz verfauft und ber Erlös 
zu dauerndem Nugen der Gemeinde, 3.3. zur Schuldentilgung ır. 
angelegt würde (5). Waldungen, an denen mehrere Gemeinden 
Theil haben (c), fönnen eher unter biefelben ohne fchädliche Folgen 
vertheilt werben, weil die Antheile zu einer guten Bewirth— 
Ihaftung gewöhnlich groß genug find, auch das nämliche Per- 
fonal die Verwaltung und Hütung beforgen fann. Zur Ab 
theilung wird eine genaue Ermittlung des bisherigen Rugungs- 
verhältniffes und eine Abſchaͤtzung ded Waldes erforbert. Bei 
der Ausführung iſt darauf zu fehen, daß jede Gemeinde bie ihr 
zunaͤchſt liegenden Stüde, ferner wo möglich einen zufammens 
hängenden Antheil erhalte, daß aber auch nicht bie eine bios 
junge, die andere blos alte, dem Hiebe nahe ftehende Holz 
beftände annehmen müffe. 


(a) 2üneb. G.⸗Th.⸗O. $. 146 und die anderen hannov. D.: Special⸗ 
olztheilungen unter den einzelnen Mitgliedern einer Commune find... 
in der Regel nicht zu geftatten; ausnahmsweiſe Tann auf Antrag bed 
Landesötonomie = Collegium vom Staatsminifterium bie Grlaubnip 
gegeben werden. — Preuß. G.⸗Th.⸗O. 6. 109: „Die Naturaltheilung 
eines gemeinfchaftlichen Waldes ift ganz oder theilweife nur dann zu: 
laifig, wenn entweder bie einzelnen Antheile zur forfimäßigen Benutzung 
geeignet bleiben, oder fie N als Aecker oder Wiefen benupt 
werden Fönnen.” — Baier. Gel. P. v. 1. Juli 1834, $. 6: — „Mur 
behufs der Abtreibung, und infofern als bdiefelben zur Waldeultur nicht 
geeignet erfcheinen, oder als in der betreffenden sgend der Ueberfluß 
an MWaldbeftänden, der Mangel an Nder: und Wiefengründen eine 
Theilung im Intereſſe der Cultur nöthig macht und ber Gemeinde 
für Dedung gemeindlicher Berwaltungsbebürfniffe noch ein angemeflener 
Waldbeſtand verbleibt.” — Bad. B. v. 24. Juli 1810, Gem. :D. v. 
1858 $. 113: Ausgenommen von aller Vertheilung find die Gemeinde: 
waldungen. — Im Obdenwalde wurde in mehreren Gemeinden buch 
Waldvertheilungen der Wohlftand zerftört, 3. B. in Unter-Schönmatten- 
waag (Gr. Heffen), wo der an 3400 heff. Morgen große Wald vorber 
alle Gemeindeausgaben deckte, den altberechtigten Bürgern Gabholz, 
den juͤngeren wenigſtens Leſeholz, Streu und Weide gewaͤhrte. Die 
Antheile (zu 65 Morgen) wurden ſchlecht behandelt, die älteren Holz⸗ 
beſtaͤnde abgetrieben, der Erloͤs wurde verzehrt, die Hälfte der Antheile 





— 203 — 


on einen Auswärtigen verfauft und es iſt nun eine ſchwere Umlage 
ju fragen. 


3 9. baier. Geſ.: ebenfalls muß die Abtreibung zu Gunften der Ge⸗ 
meindecafle gefchehen und ſonach in dieſe der Erlös fließen. 


ih Bie die ehemaligen Marfgenoffenfhafts: und Gent: Waldungen. 


5. Art der Berpadhtungn. 


8. 96. 


Die zwedmäßige Einrichtung des Pachtweſens trägt viel 
tayu bei, daß ‘Berfonen, die zwar landwirthſchaftliche Kenntniſſe 
end einiged Bapital befigen, aber doch nicht begütert genug 
ind, um fi ein hinreichend großes Landgut zu faufen, in ben 
Stand gefegt und geneigt gemacht werben, fi) dem landwirth- 
‘satlihen Gewerbe zu widmen. Auch wird man befto eher 
son übermäßiger Zerftüdelung ber Güter abgehalten, je mehr 
Eiherheit und Vortheil man bei größeren Pachtungen findet (a). 
Chne hierin die Freiheit der einzelnen Orunbeigenthümer zu 
kihränfen, fann die Regierung 

1) biefelben und die Landwirthe über bie Vorzüge längerer 
fahtzeiten zu belehren fuchen, die Einführung berfelben bei 
ten unter ſtaatlicher Oberauffiht ftehenden Gütern, z. B. ber 
Enftungen, befördern und auf den Kammergütern das Beifpiel 
ten (b); 

2) ten Pachter durch Gefege gegen die Nachtheile ſchützen, 
tie er beim Verkaufe des Gutes von dem neuen Eigenthümer 
au beiorgen haben fönnte (c). 

Beiondere örtliche Umftände machen bisweilen noch andere 
Roafregeln in Bezug auf den angegebenen Zwed rathfam (d). 


) Young, Polit. Arithm ©. 21. 186. — Sinclair, Grunbgefeke, 
E. 44. 654. 


i9 Ban erflärt ben befferen Anbau und die höhere Grundrente von 
Ehettland in Bergleih mit England zum Theile aus der längeren 
Pahtzeit. Sehr viele englifhe Bachter find nur von Jahr zu Jahr 
im Beſitz des Guts gefihert und verlaffen fih auf den guten Willen 
ter Cigenthüͤmer, der fie auch gewöhnlich Tange unvertrieben läßt. 
Dieß Verhaltniß verhindert aber doch bedeutende Berbeflerungen. 
Kennedy and Grainger, The present state of the tenancy of land 
in Grest Brit., London, 1828. 30. II. — Edinb. Rev. OXX, 387. — 
(sird, English agrie. 2. Edit. 1852. ©. 508, 





— 204 — 


(6) Zweckmaͤßig hierüber Code Nap. Art. 1743—1750. — Auch bei dem 
Todesfall des Gigenthümers kann der Pachter in Schaden fommen. 
Das brit. Gef. 14. u. 15. Viet. C.25 verordnet, daß der Pachter das 
laufende Jahr hindurch das Gut behalten foll. 


(d) 3. B. die Häufige Afterpacht in Ireland und ber ebenfalls dort üblid 
gewefene Unfug, daß nad dem Tode des Pachters die Kinder deſſelben 
das Pachtgut unter fich zertheilten, auch daß der Unterpachter dem 
Grundherrn noch für den Pachtzins Haftete, wenn er gleich denfelben 
fhon dem Hauptpachter entrichtet hatte und dieſer zu Grunde ging. 
Die 1826 von Parnell vorgeihlagene und vom Parlamente ange: 
nommene Bill (subletting act) befeitigt diefe Mißbräuche, indem fie 
verbietet, ohne fohriftlihe Crlaubniß des Gutsherrn ein But in After: 
pacht zu geben. Vgl. Edinb. Rev., Jan. 1825, Deo. 1826. 


B. Lage und Beſchaffenheit der Ländereien. 


1. Zufammenhängende Lage. 


8. 97. 


Für die gute Bewirthfchaftung eined Landgutes ift e8 am 
beften, wenn bie einzelnen Grundftüde ohne Unterbrechung 
durch fremdes Eigenthum beifammen liegen und die Wirth 
fhaftögebäude fich in ber Mitte oder wenigſtens bei dem Lande 
befinden. In manchen Gegenden, beſonders bei ſchwacher Be 
völferung und großem Grundbeſitz, ift dieſe zerftreute Lage ber 
Höfe von alteröher zu finden, allein meiftend wohnen bie 
Zandleute in Dörfern beifammen, wobei in großen Gemar⸗ 
fungen unvermeiblich ein Theil der Xändereien weit von ben 
Höfen entfernt iſt (a). Hier hat fich zugleich im Laufe der 
Sahrhunderte durdy häufige Veräußerungen fowie durch bie 
Gewohnheit des Zerftüdelnd ber Grundftüde ſowohl bei Erb— 
tbeilungen ald zum Berfauf ber Uebelftand gebilbet, daß faft 
jedes Landgut aus einer Menge zerfireut (im Gemenge) 
umher liegender, durch Befibungen Anderer von einander ge 
trennter Stüde befteht, die in ſtark bewölferten Gegenden oft 
fehr Hein find. Diefer Zuftand hat fehr erhebliche Nachtheile, 
die mit den Fortfchritten des Anbaues in Fleiß und Kunft fih 
fortwährend vergrößern: 

1) Das Gehen und Fahren vom Hofe zu den Grundftüden 
und zurüd, fowie von einem Stüd zum anderen, verurſacht 
einen großen Zeitverluft, der die Wirthfchaftsfoften erhöht, 


— 205 — 


und deſto größer ift, je mehr Arbeit man einem Grundftüde 
‚nvendet (5). 

2) Die Auffiht des Landwirthes auf feine Arbeiter, bie 
medmäßige Behandlung jedes einzelnen Grundſtücks und bie 
ibleunige Abhülfe jedes Uebelſtandes find fehr erfchwert. 

3) Mancherlei Berbefferungen des Bodens und Betriebes, 
tie erft auf einer größeren Bläche die Koften belohnen, 3. 2. 
Enmwählerungd-» und Bewäfferungsgräben, werben verhindert, 
wenn nicht etwa eine Bereinbarung ber Nachbarn zu Stande 
kommt. 


4) Die erforberlihen Wege und die Gränzen nehmen viel 
Raum hinweg, und wo es an jenen fehlt, da tritt ein noch 
empfinblicheres Uebel ein, indem die beliebige Benugung ber 
nicht durch Wege zugänglichen Grundftüde erfchwert und aud) 
ten Befitzern der anftoßenden Stüde manche Beläftigung und 
Schädigung von Feldfrüchten zugefügt wird. Diefer Flur⸗ 
zwang nötbigt ben Einzelnen, fich der Fruchtfolge feiner Nach⸗ 
barn anzuifchließen, wenn fie ihm gleich mangelhaft erfcheint (c). 


(s) Es if Rlreitig, ob die zerfireuten Höfe ober die Dörfer Alter find, val. 
4. B. Rofder, II, $. 75. Wahrſcheinlich kam in der Alteften Zeit 
ın verschiedenen Gegenden beides vor. In vielen Gebirgsthälern ſchei⸗ 
nen bie vereinzelten Anfieblungen uralt zu fein, ebenſo in manchen 
anderen Begenden, wo bie Niederlaflungen auf ausgewählten von ein: 
ander entfernten Stellen ungleichzeitig erfolgten. Der leichteren Bes 
wirtbichaftung willen würde dieß überall gefchehen fein, wenn nicht ber 
Schutz gegen Feinde und Räuber, die Nähe einer Kirche, einer Land: 
firaße, eines Fluffes, eines Schloffes und dgl. einen überwiegenden 
Beweggrund gegeben hätte, das Wohnen in einem Dorfe vorzuziehen. 
Hiezu kam, daß der Grundherr feine Krohn: und Zinsleute gerne im 
Dorfe zuſammenhielt. Wo das Bauland in feſtes Eigenthum ber 
Landwirthe gelangt ift und zerftreut liegt, ba ift es fchwierig, aus dem 
Dorfe hinaus zu ziehen. — In fehr großen Feldmarken ift der Anbau 
weit umber liegender Stüde nur fo lange leicht ausführbar, als dem 
Boden ehr wenig Arbeit zugemwendet wirb (ertenfive Bewirthſchaf⸗ 
tung). Beifpiele bei Mo} her a. a. O. Selbſt in der ſtark bevoͤl⸗ 
ferten Ebene der badiſchen Pfalz fommen Markungen bie zu 5500 bad. 
— 7750 pr. M. Ader und Wiefen vor (Mannheim). 


Gs geht Ihon darum mancher Theil ber Arbeitszeit verloren, weil man 
ten Weg auf ein entlegenes Grundflüd fcheut, wenn man nicht lange 
auf demjelben verweilen fann. Nach einer Berechnung für bie badiſche 
lad find im Durchſchnitt von 3 Sapren (Spelz — Gerſte — Kar: 
teffeln) die Arbeitokoſten auf 1 bad. Morgen bei 1a, Ya, Ya und 
1 Etunbe Entfernung 15,99 — 181, — 20,6 und 23, fl. (Hoff: 
ader) Die Anlage von Feldwegen, ©. 11. 1858. — In dem Dorfe 
Großgottern (Reg.⸗Bez. Erfurt), wo 906 Bauern 4138 pr. Morgen 
in 13200 einzelnen Stüden befaßen, wurde der jährliche Koſtenaufwand 


(£ 


u 





(0) 


—- 206 — 


und Ertragsverluſt zufolge der Zerſtreutheit und Kleinheit der Grund⸗ 
ſtuͤcke auf 10700 Thlr. angeſchlagen. — Eine Berechnung des Zeit: 
verluſtes, den die Entfernung des ganzen Gutes von dem Gehoft ver: 
urfacht, hat v. Thünen verſucht (Der ifolirte Staat. 2. Ausgabe. 
&. 96. 1842) mit Rüdfiht darauf, daß einige landwirthſchafiliche 
Arbeiten mehr dur die Entfernung verzögert werden, als andere. Er 
findet, daß bei einer Flaͤche von 7U000 Q.⸗Ruthen, je 210 Ruthen 
(zu 16 lübeck'ſchen Fußen = 15,5 bab.) Ontfernung die Grundrente 
um 19 Procent vermindern, fo daß fie bei 10:0 Ruthen ganz ver: 
fhwindet, und zwar bei Land von 10 fachem Körnerertrag. Diele Be: 
rechnung feßt voraus, daß man das entlegenere Land ebenfo bebantelt, 
wie das nahe, was allerdings nicht gefchieht, der Unterfchieb in ter 
Sruntrente würde jedoch noch auffallender fein, wenn auch eine zer: 
fireute Lage der einzelnen Stüde angenommen worden wäre. Mad 
Block (Landw. Mittheilungen ILL, 373) nimmt der Meinertrag eines 
pr. Morgens Ader bei je 100 Ruthen (1200 Yu) Entfernung vom 
Mirthichaftshofe bei Land 1. Glaffe um 4,8 pr. Dep. Roggen, 5. Cl. 
um 3IM., 8. El. um 2,6 M., 10. Gl. um 1,9 Metzen ab. Der 
Reinertrag ganz naher Felder wird bei diefen Claſſen auf 5 — 3 — 
11 — ij/z Scheffel Gau 16 Meken) angenommen. 100 Ruthen ver: 
mindern folglich den Reinertrag der 1. Claſſe um 5,7 Proc., der 10. 
um 23%/, PBrocente, und es muß der Reinertrag der 8. Claſſe in einem 
Abftande von 960 Ruthen, der der 10. in 420 Ruthen ganz ver: 
fhwinden. — In Trarbach follen 7129 pr. Morgen in mehr als 
38000 Stüde zerfallen, in mehreren Kreifen des Reg.» Bez. Eobien 
befteben 57183 Morgen Wiefe aus 305000 Stüden. In Schoͤnbrunn, 
auf einer Hochebene der Neckargegend, iſt ein Ackerſtuͤck im Durchſchnitt 
U M., ein Wieſen- und Gartenſtück /20 — Ns; M. groß. In einem 
Dorfe bei Büdingen find 151/82 Proc. der Stüde unter Yı M. — 
Bei Reb⸗ und Gartenland geht die Zerſtuͤckung noch viel weiter, mie 
denn 3. B. in Argenteuil bei Paris Stüdchen von Ya — 1/a Are (unge 
fähr 2 und 1 Proc. eines pr. M.) vorfommen, die nur etwa als 
Semüfebeete nicht zu Elein wären. — In Baiern beträgt 1 Parcelle 
im Ducdfchnitt 1 Morgen, in Oberbaiern 2, in der baier. Balz 
0,45, in Unterfranken nur 0,3° Morgen (0,5 pr. M.), Landſtaͤndiſcher 
Beriht v. Wiedenhofer 1861. In Würtemberg ift 1 Barcelle i. D. 
1,26 M., im Nedarfreife nur 0,5 M. (in 3 Aemtern unter “ M.), 
im Donaukreife dagegen 2,9% Morgen (zu 1,8 pr.). Sid, Beiträge 
3. Statiflif der Land. des K. Würt. 1853, ©. 25. 43. Diefe Zahlen 
bezeichnen aber diefe Zerftücdelung nicht genügend, weil fie and die 
MWaldungen umfaflen. 


Die Anftößer müflen fich das Fahren über ihr Grundftüd und bad 
Umwenden mit dem Pfluge gefallen laſſen, der Gigenthümer des ein: 
eſchloſſenen Stüds darf aber feine Gewächſe bauen, bei tenen er 
einen Nachbarn mehr als die unumgängliche Beſchwerde zufügen müßte. 
Die Gränzftellen der Felder werben fihmächer gedüngt und befäet und 
tragen weniger. — Knaus, Der Flurzwang. Stuttg. 1843. — Liſt, 
in D. Vietelj. Schr. 1842. IV, 132. 


$. 98. 
Das Verbot, Ader- und Wiefenland unter einem gewiſſen 


Betrag, 3. B. Ya Morgen, zu zerflüden, vermag zwar ber 
weiteren Zunahme des Uebeld Einhalt zu thun, aber nicht 





— 207 — 


bafielbe zu entfernen (a). Das einzige gründliche Gegenmittel 
ih die Austaufhung und Zufammenlegung der Grund 
Rüde, indem jeder Eigenthümer auf feine biöherigen Befigungen 
ganz oder theilweiſe verzichtet, um eben fo viel in einer zuſammen⸗ 
bängenden Flaͤche ober in mehreren größeren Maſſen wieder zu 
erhalten. Diefe Maafregel wird auh Zurundung, Arrons 
tirung, Aderumfah, Schiftung, Grundtheilung, 
®onfolidation, Berfoppelung genannt (5). Sie ge 
ichieht weit leichter da, wo ber Gutsheer noch berechtigt ift, 
ſeinen Bauern andere Grunbftüde flatt der bisher bemupten 
anzumeifen (ce), ald da wo bie Lanbwirthe Eigenthümer find 
unb daher ihre Einwilligung erforberlih if. Da gefchloffene 
(gerundete) Landgüter und auch ſchon große Grundftüde mit 
weniger Koften bewirtbichaftet werden, als zerftreute Stüde, 
fo erlangen jene auch einen höheren Preis, und biefer Ueber: 
ihuß, der den Theilnehmern an der Austaufchung zufällt, ift 
ein mächtiger Antrieb zu berfelben (d). Aus demſelben Grunde 
liegt in der Zurundung, wenn fie vollzogen ift, ein Abhaltungs- 
grund vom Berfleinern der Landgüter, $. 81 d. Ueberdieß 
werden Yeldfrevel und Gränzftreitigfeiten verminbert. Die noch 
in vielen Gegenden beftehende Abneigung gegen dieſe Ber: 
befierung rührt von verfchiebenen Urfachen ber, die von ber 
Regierumg erforfcht und berüdfichtigt werden müffen, weil vie 
Zufammenlegung den ©rundeigenthümern nicht aufgedrungen 
werden fol. Dahin gehört: 

1) Untenntniß der Sache und daraus entipringended Miß⸗ 
trauen gegen die Abfichten der Regierung. Gegen joldye Vor⸗ 
urtheile richtet das Beifpiel einer wohlgelungenen Austaufchung 
am meiften aus, obgleich auch eine Leichtverftändliche Belchrung 
Augen leiften wird. 

2) Die Erwägung, baß die Beflger größerer zufammen- 
bängender Flaͤchen ſchwerer von Hagelfchlägen betroffen werden, 
ald wenn ihr Eigentum in allen Theilen der Yeldmarf zer 
ſtreut if. Dieß läßt ſich nicht beftreiten, kann aber durch 
Berfiherung gegen Hagelichaden unfchäblich gemacht werben. 

3) Das Berlangen, an jeber in ber Feldmark vorfommenden 
Bodenart Antheil zu haben und dadurch gegen Mißernten befier 
geſchuͤtzt zu fein. 


— 208 — 


4) Die Beforgniß, daß die Abfchägung der abzutretenden 
Stüde nicht genau genug fein werde. Diefe beiden Abhaltungs⸗ 
gründe verfhwinden, wenn die Borfchriften für das Berfahren 
gut find und gut vollzogen werden. 

5) Die in flarf zertheilten Gemeindemarkungen bei freier 
Iheilbarkeit beftchende Gewöhnung an häufigen Beſiztzwechſel 
und die Befürchtung, daß bie größeren Flaͤchen weniger leicht 
Käufer finden würden. Diefe Erfcheinung würde aber gerade 
bemweifen, daß man bie Vortheile des Zufammenlegend zu 


ſchaͤtzen weiß (e). | 

Biele Erfahrungen laffen über die große Nüglichkeit diefer 
Maafregel im Allgemeinen feinen Zweifel übrig (f), doch ift 
der Bortheil für große Orundeigenthümer am ftärfften, für 
Beſitzer weniger Morgen unerheblich. 


(a) Für eine folde Beflimmung, aber fo, daß fie nur einen Theil ber 
Feldmark jedes Dorfes betrifft und die Größe, bie zu welcher man 
theilen kann, von jeder Gemeinde nad den örtlihen Verhaͤltniſſen fe: 
gefept wird, fpricht der Commiſſionsantrag im Amtl. Bericht der Stutt: 
garter landw. Verfammlung, S. 155, veranlaßt durch den Antrag von 
Knaus, ebend. ©. 94. — Chovrier-Corcelles et Puvis, 
Obserr., ©. 55. fchlagen vor, das minimum foll etwa 15—25 Aren 
(= 0,8 — 0,9 pr. M.) betragen und je nach ben Umftänden für ein: 
zelne Gemeinden und größere Bezirke fefigefegt werben, aber erft nah 
einer gewiflen Zeit eintreten. — Naſſauiſche Verordnungen v. 12. Sept. 
1829 und 16. Aug. 1839: Aderland darf nicht unter 1a Morgen, 
Wieſe nicht unter 1/a Morgen, abgefondert liegendes Gartenland nicht 
unter 15 Ruthen verkleinert werden (1 M. = 100 D.:Ruthen = 
0,8% Bad. = 0,9 yr. M.). Großh. heil. B. vom 18. Dec. 1834: 
Für Ader iſt das min. de nah der Güte !e und I M., für Wieſen 
1a M. (Der heſſiſche Morgen ift bem naflauifchen gleich.) — Bad. 

efeß vd. 6. April 1854: Wald, Reutfeld und Weide foll nicht in 
Stüde unter 10 M., Ader und Wiefe nicht unter 1 M. getheilt 
werden, außer zur Vereinigung mit einem angränzenden Stüd und Io, 
dag fein Stüd unter jener Größe übrig bleibt. 


(5) Leo, Die Vereinbarung der verftreuten Orundflüde in ihrer Nüplic: 
feit und in ihrer Möglichkeit, Coblenz, 1780 — Gphemeriden ber 
MenfchHeit IL, 429. — Lips, Ndergefebg. I, 193—216. — Thaer, 
in f. Annalen der Fortfchritte der Landw. III, 612. — Gebhard, 
Ueber Güterarrondirung. ine gekr. Preisſchrift. Münden, 1817. — 
v. Hazzi, Gekr. Preisfchrift über Güterarrondirung. Münden, 1818 
(nur %,9 des 458 ©. flarfen Buches handeln von ber Arrondirung). — 
v. @lofen, ©. 91. 274. — Späth, Praris der Güterarrondirung. 
Nürnberg. 1819. — Mofer, Die bäuerl. Laflen, ©. 75. — Buͤlau, 
Der Staat und der Landbau, S. 190. — Nebbien, Die Bewegung 
des Bodens oder die Bortheile und Nachtheile der Ablöfungen und 
Bufammenlegungen der Felder. Leipzig, 1836. — Knaus, Der Flur 

dwang, Stuttgart, 1843. — Hanffen im Arhiv, N. F. II, 52. — 

Seelig, Die Verkoppelungsgefeßgebung in Hannover, 1852. — 


— 209 — 


Rifmann, Ueber das Eonfolidationsweien im H. Naffau, Wies⸗ 
baden, 1853. — Schenf in Hamm's Agronem. Beitung, 1853. 
Rr. 4648. — Wilhelmy, Ueber die Zufammenlegung der Grund⸗ 
ftüde in der preuß. Rheinprovinz, Berlin, 1806. — Thudichum, 
Unterfuhungen über die Nachtheile der Bodenzerſplitterung, Senf 
fürt, 1857. — Hoffader, Die Aniage von Feldwegen und die Süters 
zufammenlegung, Lahr, 1858. — Bed, Die Büterconfolidation in 
der pr. Rheinprovinz, Coblenz, 1859. — Schenk im Wochenblatt bes 
Bereins naffauifcher Landwirthe 1860. Nr. 32. 33. 1861. Nr. 15. — 
Amtl. Beriht über die XXI. Berfamml. der d. Landw. ©. 88. 104. 


() Rah dem preuß. egulisungsedict vom 14. Sept. 1811 8. 44 war 
bei nicht erblichen Befigungen der Bauern eine Verlegung ganzer 
Höfe zuläffig. 

(4) Die Erhöhung des Sertehrewerthe gebt bie !/s, Us, Ya oder noch 


mehr, Bifmann, ©. 1 


() Neuere Gegner der Zufammenlegung berufen fih auf den fleißigeren 
Anbau und höheren Reinertrag ber im Gemenge liegenden Dorf: 
marfungen und beforgen hei jener Maaßregel eine von * ſich ein⸗ 
ſtellende Gebundenheit. Aber jene Griheinung, iſt nicht allgemein unb 
Bängt mit anderen Urfachen zufammen, dieje Befürchtung fällt ſogleich 
ganz hinweg, wo bie Zufammenlegung nicht vollftändig if. Vergl. 
R. Mohl, Bericht über die Weiderechte in Würtemberg. S. 102. 


N Im vormaligen Hodftifte Kempten begann fie vermutblih ſchon im 
16. Jahrhundert, denn die frühefte bekannte Jahreszahl bei der Ges 
meinde Moos ift 1576, bei zwei anderen Orten 1614. Im 18. Jahr: 
hundert, vorzüglih von 1770 an, kamen zahlreiche Austaufhungen vor, 
meiftens ohne Einoirfung des Staates. v. geaıi ©. 250 (giebt nur 
das 3. 1614 an). — Wochenbl. des landw. Bereins in DB. Jahrg. V. 
©. 228 (enthält auch die Kempten'ſche Inftruct. v. 1799). Die Regierung 
des Dberbonaufreifes erklärte im Landrathebefcheid vom 19. Det. 1832: 
„Der beruhigende Zufland aller der Arrondirung fi erfreuenden Theile 
des Oberdonaukreiſes, ihr unesfchütterliches Hervortreten in den Jahren 
beifpiellofer Ucberwohlfeilheit, das fchnelle Aufblühen verarmter Bezirke 
hen in dem 1. Jahrzehend ihres Anfchließens an das Arrondirungs⸗ 
ſyſtem, Iaffen den Wunſch des Landraths (Beförderung bes Umlegens) 
als fehr billig und gegründet erfcheinen.” — Auch im würt. Oberamte 
Baldfee und in anderen Theilen von Oberfchwaben, felbit in zwei 
badiſchen Gemeinden bes Amtes deiligenberg (Bad. Landw. Wochen: 
blatt 1844. S. 90) ahmte man das Beifpiel von Kempten nad. „Gin 
aufallender Mohlftand wurde heimifh. Die Ianbwirtbfchaftliche Pros 
tuction hatte fih im Durchſchnitte durch diefe Bereinödung um !/a 
vermehrt,“ ſ. den bei Mofer S. 78 im Auszuge mitgetheilten amts 
lihen Bericht. — In Dänemark erging 1758 eine Berordnung über 
dab Zufammenlegen, 1784 eine neue, in Schleswig 1766 und 1770, 
in Holftein 1768 und 1771 mit dem beften Erfolge. Hanf fen im 
Archiv, N. 5. IL, 59. — Im Naflauifchen rettete die Sufammenlegung 
(feit 1772) mandye Bauern vom Concurs Schlözer, Stantsanzeigen 
II, 129, 1V, 359. NaffausDiep’fche V. und Inftruction von 1784, 
m Bergius Landesgef. IX, 270. (Nah $. 2 ber B. foll von Amts: 
wegen, jelbft beim Widerfpruch der ganzen Gemeinde, bie Zuſammen⸗ 
legung gefchehen.) Diefe „Sonfolidationen“ haben neuerlih in Naffau 
fe guten Kortgang, daß fie fih im 3. 1843 ſchon auf 100000 Morgen 
erſtredten, Anaus, ©. 21. In 10 Bemeinden ift der Heuertrag von 
1415 Morgen Wiefen von 14700 auf 31000 Bentner gefleigert worden, 
Rau, Archiv, V, 298. Wohlgelungene Zurundung der Gemeinde 

Kan, yolit. Dekon. IL 1. Abth. 5. Ansg. 14 


—— 210 — 


Movie im heut. Dep. Meurthe im 9. 1770, veranlaßt durch ben 
dortigen Grundheren Ant. de Chaumont de la Balnifiere, f. 
die Eonigl. Lettres - patentes vom 7. Mai 1771 bei Francois de 
Neufchateau, Dictionnaire d’agriculture prat. 1827. I, ©. XCIV 
der Einleitung. Diele Verfuͤgung fchildert treffend bie bisherigen 
Uebelflände: — que le grand &loignement ne permet pas d’y apporter 
les engrais n&cessaires; que de ce mölange de propriet& naissent la 
facilit6 des usurpations, qui produisent des procds sans nombre, et 
Yimpossibilit&6 de penötrer & un champ, sans passer sur les fonds d'un 
grand nombre de proprittaires, la facultö de ruiner les höritages voisins 
par la direction des eaux, que chaque proprietaire donne & son gre; 
la multiplicit€ des chemins tortueux, qui s’ölargissent & mesure que le 
söjour des eaux les rend impraticables et qui occupent une quantit 
de terrain considerable; que la culture donnée indifföremment en tout 
sens, et le défaut d’observation des pentes dans la direction des sillons, 
produisent des ravins sans nombre et rendent infertiles, par le defaut 
d’6coulement des eaux privöos, des contröes entieres. Der Nuben dieſer 
Unternehmung bat fi) erhalten und bie Wahl Rovilles zum Sige einer 
Mufterwirthfca durch Matth. von Dombasle ift zum Theile bie 
duch beftimmt worden. Es wurde zugleich feſtgeſetzt, daß Fein Grund⸗ 
flüd unter 3 Toiſen Breite herab zertheilt werden ſolle. Aehnliches 
geihah in Rouvres (Dep. Eöte d'or), und einigen andern franzöflihen 
Bemeinden, Chevrier-Corcelles et Puvis, Observat. ©. 54. — 
Neuerlih ift in mehreren Staaten diefe Maaßregel eifrig beförbert 
worden, $. 100 (a). In Sachſen wurde nach dem Gef. von 1834 in 
den Jahren 183554 in 450 Gemeinden die Zufammenlegung verlangt, 
1855 fogar in 55. Die meiflen Anträge (372) zeigte der Kreis Leipzig, 
Dresden nur 66, Bauten 31, Zwidau feine, weil Hier wegen bet 
höheren Lage und ber größeren Gefchloffenheit weniger Beduͤrfniß 
efteht. — Im K. Hannover ift bie Ende 1852 die Berfoppelung In 
1201 Gemeinden ganz, in 155 theilweife ausgeführt, in 391 vorbereitet 
worden, in anderen 1604 Gemeinden wird fie für thunlich gehalten. 
Zur Statifif des K. Hannover, III, 57. — Im Herzogthum Braun: 
fhweig wurden 1840—57 200 Specialfeparationen mit Berfoppelung 
vorgenommen, 113629 Stüde in 36499 zufammengelegt. Die ganze 
betheiligte Fläche war 502760 Morgen. Feſtgabe für die XI. Ber: 
fammlung ber db. Landw. ©. 260. 


8. 99. 


Bei ber befieren Eintheilung ber Feldfluren zur Beſeitigung 
ber erwähnten Mängel find mehrere Abftufungen zu unters 
ſcheiden. 

1) Die Zurundung iſt vollſtaͤndig, wenn jedes Landgut 
ein zuſammenhaͤngendes Ganzes bildet (a). Werden zugleich 
bie Gehoͤfte aus den Dörfern in bie Mitte der gefchloffen beis 
fammen liegenden Güter verlegt, fo ift die Bewirthichaftung 
noch leichter, doch ift das Hinausbauen zu diefem Zwecke nicht 
überall Beduͤrfniß (6). Die Bedenklichkeiten, welche man in 
Hinfiht auf die Benugung - verfchitdener gefelliger Anftalten, 
3. B. der Schulen, oder wegen ber geringeren Sicherheit gegen 


— 213 — 


(Gevanne), deren manche nur aus wenigen Nedern beflanden, wurden 
in 9 große, durch Wege getrennte Maffen verwandelt, aber eine Zu: 
fammenlegung wurde nur innerhalb einer jeden ber 9 Gewanne eines 
229 Morgen großen Ylurtheil6 vorgenommen. 


8. 100. 


Die Zufammenlegung barf da, wo fie nicht mit anderen 
Veränderungen zufammenbängt, nicht befohlen, fie muß bem 
freien Willen der Gemeinden anheimgeftelt, fie kann aber von 
ter Staatsgewalt befördert und erleichtert werden, wozu Geſetze 
und Berordnungen erforderlich find (a). Die nachbrüdlichfte 
Unterftügung dieſes Unternehmens gewährt die gefegliche Bes 
kimmung, daß durdy den Beichluß der Mehrheit ber Grund⸗ 
eigenthümer in einer Gemeinde auch die Minderheit verpflichtet 
werden folle, die Zufammenlegung gefchehen zu laſſen. Es if 
ber Zweifel angeregt worden, ob ein ſolcher Zwang zum Bers 
taufchen eigenthümlicher Grundftüde nad) allgemeinen ſtaats⸗ 
rechtlichen Grundſaͤtzen zuläffig fei (d). Dagegen ift zuvörberft 
zu bemerken, daß durch bie Befeitigung bed Flurzwangs (8. 98) 
die freie Berfügung über dad Eigenthum hergeftelt und alfo 
ine Röthigung vergütet wird. Werner tritt hier ein Kal ein, 
wo bie wiberfirebende Minderheit den Uebrigen ein Hinderniß 
einer großen volfSwirthfchaftlichen Verbefferung in den Weg 
legt, wie die Beranlaffungen zur Zwangsabtretung. Die Bers 
muthung, daß nad dem nämlichen Grundfage andere noch 
trüdendere Eingriffe in das Eigenthumsrecht verfucht werden 
tonnten, ift nicht in Erfüllung gegangen, endlid läßt fi in 
der Ausführung viel thun, um die Wünfche ber Gegner zu 
berückfichtigen und dadurch ihren Widerfpruch zu befeitigen (c). 
Die Hauptregeln find folgende: 

1) Wenn der Antrag auf die Austaufchung gemadt und 
ein vorläufiger Entwurf zu berfelben vorgelegt worden ift, fo 
werden alle Betheiligten amtlidy vernommen. Erflärt ſich biebei 
die Mehrheit für die Unternehmung (d) und ift diefelbe von 
ter Staatöbehörde nady genauer Unterſuchung der Umftände 
fowie der etwa erhobenen Einwendungen zwedmäßig befunden 
worben, fo wird die Ausführung genehmigt. Die Zufammens 
legung Tann auch blos in einem gut abgegränzten Theil ber 
Markung vorgenommen werden. 


— 214 — 


2) Zur Entwerfung des Planes, zur Berathung und zur 
Ausführung deſſelben iſt der Beiſtand eines ſachkundigen und 
geübten Geſchäftsmannes von großem Nutzen. Dieſem wird 
ein von der Gemeinde beſtellter Ausſchuß und ein Feldmeſſer 
beigeſellt (e). 

3) Bauplaͤtze, eingefriedigte Gärten, Rebland, Grundftüde, 
die zur Mineralgewinnung oder zu Gewerken benutzt werden, 
auch Waldungen bleiben ausgenommen. 

4) Die Flur wird hierauf, wenn dieß nicht ſchon früher 
geſchehen iſt, vermeſſen, in Boden⸗Claſſen eingetheilt und jedes 
Grundftüd mit Ruͤckſicht auf alle eigenthümliche Umſtaͤnde nach 
feinem Reinertrag und Verkehrswerth abgefchägt, ILL, 8.332 (f). 

5) Rechnet man den abgeſchaͤtzten Verkehrswerth aller jedem 
Einzelnen zugehörenden Grundftüde zufammen, fo findet man 
bie Summe, für welche er bei der Austaufchung neue Län 
bereien zu fordern bat, d. b. feinen Schätzungs⸗NMRnſchlag. 


(a) Naſſauiſche B. v. 12. Sept. 1829, (Berorbn.:Bl. Ar. 11). Inftrus | 
tion v. 2. Febr. 1830 (B.⸗Bl. Nr. 5). — Großh. Hefi. Inſtruction 
vom 5. Dec. 1834. Reg.⸗Bl. Nr. 88. B. vom 22. März 1852. . 
Gef. v. 24. Dec. 1857. — Sädf. Gef. v. 4. Juni 1834. — Braun: . 

ſchweig. Gef. v. 20. Dec. 1834. — Hannöv. Gef. v. 30. Juni 1842 
über die Zufammenlegung (Berfoppelung) der Grundflüde. — Weimar. 
Geſ. v. 25. Aug. 1848 (größtentheils mit dem fächflichen gleich⸗ 
lautend). — Bad. Gef. v. 5. Mati1856. V. v. 12. Juni 1857. (Die 
Zufammenlegung foll bei der neuen Bermefiung des Landes von den Felt: 
meflern befördert werden.) — Baier. Gef. v. 10. Rov. 1861. — Im preuß. 
Staat wird bei der Aufhebung der Weide und der Theilung der Bemeindes 
weiden auch auf die Zufammenlegung der Grundftüde und eine neue 
Belbeintheilung Bedacht genommen. Bemeinheitsthl.-D. $. 69—72. 
Geſ. v. 7. Juni 1821 über die Ausführung der Gem. Theil. $. 9. 
Verordn. v. 26. Juni 1821 bei Koh, ©. 161. Diefe fogenannten 
Separationen find daher in Preußen in größerer Menge als in jedem 
Lande vorgenommen worden, allein bie angef. Borfhriften gelten nicht 
für diefenigen Gemeinden, in denen feine Dienftbarkfeiten vorfommen, 
wie in ber Rheinprovinz. — Bürtemb. Geſetzentwurf 1861. — Auch 
in England ift durch das Geſetz v. 20. Aug. 1836 (6. & 7. Will. 
IV. C. 115) die Zufammenlegung der in Gemenge liegenden Grund: 
füde (open fields) befördert worden. 


(6) 3. 8. bei Endemann, Ueber Geichloffenheit und Zwangsverfoppe 
lung ber länplichen Güter, Caſſel, 1860. ©. 35. 


(0) Die Geſchicklichkeit der Feldmeſſer hat es z. B. im Algau (bair. Kreis 
Schwaben) dahin gebracht, auch ohne ein ſolches Geſet viele Zu: 
fammenlegungen zu bewirken, indem felbft den Iaunenhaften Korberungen 
Ginzelner nachgegeben wurde. Daraus bürfte jedoch die Entbehrlich⸗ 
feit bes Geſetzes nicht gefolgert werden, denn ohne baffelbe würben 
doch viele — Audtauſchungen unterbleiben. 


— 213 — 


(Gewanne), deren manche nur aus wenigen Nedern beflanden, wurben 
in 9 große, durch Wege getrennte Maſſen verwandelt, aber eine Zus 
fanmenlegung wurde nur innerhalb einer jeden der 9 Gewanne eines 
229 Morgen großen Flurtheils vorgenommen. 


8. 100. 


Die Zufammenlegung darf da, mo fie nicht mit anderen 
Beränderungen zufammenhängt, nicht befohlen, fie muß bem 
freien Willen der Gemeinden anheimgeftelt, fie kann aber von 
der Staatdgewalt befördert und erleichtert werben, wozu Geſetze 
und Berordnungen erforderlich find (a). Die nachdruͤcklichſte 
Unterflügung dieſes Unternehmens gewährt bie gefegliche Bes 
Rimmung, daß durch ben Beſchluß der Mehrheit der Grund⸗ 
eigenthümer in einer Gemeinde auch bie Minderheit verpflichtet 
werden folle, die Zufammenlegung gefchehen zu laſſen. Es ifl 
ber Zweifel angeregt worden, ob ein folcher Zwang zum Bers 
taufhen eigenthümlicher Grundftüde nach allgemeinen ſtaats⸗ 
rechtlichen Grundfägen zuläffig fei (d). Dagegen ift zuvörberft 
zu bemerfen, daß durch die Befeitigung des Flurzwangs ($. 98) 
die freie Verfügung über bad Eigenthum hergeftellt und alfo 
jene Röthigung vergütet wird. Berner tritt bier ein Ball ein, 
wo bie wiberftrebende Minderheit den Uebrigen ein Hinderniß 
einer großen volkswirthſchaftlichen Verbeflerung in den Weg 
legt, wie bie Beranlaffungen zur Zwangsabtretung. Die Vers 
muthbung, daß nach dem nämlihen Grundfage andere noch 
drüdendere Eingriffe in dad Eigenthumsrecht verfucht werben 
fönnten, iſt nicht in Erfüllung gegangen, endlich läßt fi in 
der Ausführung viel thun, um bie Wünfche der Gegner zu 
berüdfichtigen und daburd ihren Widerfpruch zu befeitigen (c). 
Die Hauptregeln find folgende: 

1) Wenn ber Antrag auf die Austaufhung gemacht und 
ein vorläufiger Entwurf zu berfelden vorgelegt worben ift, fo 
werben alle Betheiligten amtlich vernommen. Erklaͤrt ſich hiebei 
die Mehrheit für die Unternehmung (d) und ift diefelbe von 
ber Staatsbehörbe nach genauer ‚Unterfuchung der Umftände 
fowie der etwa erhobenen Einwendungen zwedmäßig befunden 
worden, fo wird bie Ausführung genehmigt. Die Zufammens 
legung kann audy blos in einem gut abgegränzten Theil der 
Narkung vorgenommen werben. 








— 214 — 


2) Zur Entwerfung ded ‘Planes, zur Berathung und zur 
Ausführung beffelben ift ber Beiftand eined ſachkundigen und 
geübten Geichäftömanned von großem Ruben. Diefem wir 
ein von ber Gemeinde beftellter Ausfchuß und ein Feldmeſſer 
beigefellt (e). 

3) Baupläße, eingefriedigte Gärten, Rebland, Grundftüde, 
die zur Mineralgewinnung oder zu Gewerken benutt werden, 
auch Waldungen bleiben ausgenommen. 

4) Die Flur wird hierauf, wenn bieß nicht fchon früher 
gefchehen ift, vermeflen, in Boden» Claffen eingetheilt und jedes 
Grundftüd mit Ruͤckſicht auf alle eigenthümliche Umftände nad) 
feinem Reinertrag und Verkehrswerth abgejchägt, III, $. 332 (f). 

5) Rechnet man den abgeſchaͤtzten Verfehröwerth aller jebem 
Einzelnen zugehörenden Grundftüde zufammen, fo findet man 
bie Summe, für welche er bei der Austaufchung neue Laͤn- 
bereien zu fordern bat, d. 5. feinen Schaätzungs⸗Anſchlag. 


(a) Nafauifhe B. v. 12. Sept. 1829, (Verordn.⸗Bl. Nr. 11). Inſtrue⸗ 
tion v. 2. Febr. 1830 (V.⸗Bl. Nr. 5). — Großh. heff. Inftrucion 
vom 5. Der. 1834. Reg.-Bl. Nr. 88. V. vom 22. März 1852. 
Gef. v. 24. Dee. 1857. — Sädf. Gef. v. 4. Juni 1834. — Braun: 

ſchweig. Gel. v. 20. Dec. 1834. — Hannöv. Gef. v. 30. Juni 1842 
über die Zufammenlegung (Berfoppelung) der Grundflüde. — Weimar. 
Geſ. v. 25. Aug. 1848 (größtentheils mit dem fächflichen gleid: 
lautend). — Bad. Gef. v. 5. Mai 1856. B.v. 12. Suni 1857. (Die | 
Zufammenfegung foll bei ber neuen Bermefiung bes Landes von ben Feld⸗ 
meſſern befördert werden.) — Baier. Geſ. v. 10. Rov. 1861. — Im preuß. 
Staat wird bei der Aufgebung der Weide und der Theilung ber Gemeindes 
weiben us auf die Zufammenlegung der Grundflüde und eine neue 
Belbeinthei ung Bedacht genommen. Gemeinheitsthl.-D. $. 69—72. 

ef. v. 7. Juni 1821 über die Ausführung der Gem. Theil. $. 9. 
Verordn. v. 26. Juni 1821 bei Roh, ©. 161. Diefe fogenannten 
Separationen find daher in Preußen in größerer Menge als in jedem 
Lande vorgenommen worden, allein die angef. Borferitten gelten nicht 
für diefenigen Gemeinden, in denen feine Dienftbarkeiten vorkommen, 
wie in der Mheinprovinz. — Würtemb. Gefepentwurf 1861. — Auch 
in England ift durch das Beleg v. 20. Aug. 1836 (6. & 7. Will. 
IV. C. 115) die Zufammenlegung der in Gemenge liegenden Grunt: 
füde (open fields) befördert worden. 


(6) 3. 3. bei Endemann, Weber Geſchloſſenheit und Zwangeverkoppe⸗ 
fung der ländlihen Güter, Caſſel, 1860. ©. 35. 


(6) Die Geſchicklichkeit der Feldmeſſer hat es 3. B. im Mlgau (bair. Kreid 
Schwaben) dahin gebradht, auch ohne ein ſolches Geſetz viele Zu: 
faınmenlegungen zu bewirken, indem felbft den Iaunenhaften Forderungen 
Binzelner nachgegeben wurde. Daraus dürfte jedoch die Entbehrlich⸗ 
feit des ltr nicht gefolgert werben, benn ohne baffelbe würden 
doch viele wohlthätige Audtaufchungen unterbleiben. 


— 215 — 


(d) Rah dem Herfommen im Fürſtenthum Kempten reichte bie Cinwilli⸗ 


(e) 


gus der Gigenthümer von */3 der Flur bin. — Der Entwurf eines 
er s®efepbuches für Frankreich fordert diefelbe Bedingung, ferner 
die Sinwilligung eines Schiebögerihte von 9 Berfonen und ben zus 
Rimmenden Ausipruch eines Gerichtes erſter Inſtanz; von H 2331, 
S. 440. — Naffau, $.3 der a.B.: %, der fiimmführenden Gemeinde: 
lieder, welche wenigftens die Hälfte des Landes befiken. — Hannov. 
4 2: Mehrheit der Ligenthümer welche wenigſtens */3 des Flaͤchen⸗ 
gehaltes und zugleich */3 des Steueranſchlages befigen. Diejenigen, 
welche nicht über 2 Morgen haben, ſtimmen nicht mit, dagegen bes 
balten fie entweder ihr Land oder empfangen ben Erfaß in einer gleich 
günftigen vage, $. 15. Empfehlung dieler Beftimmungen bei Seelig, 
S. 28. — Sadien, $. 3: %, der Stimmen, welde nad Zahl und 
Sröße der PBarcellen berechnet werden ($. 11); für das bei Dienfibar: 
feiten und Gemeinbeitstheilungen betheiligte Land reicht die einfache 
Mehrheit hin. — Engl. Geſ. v. 1836: %s der Stimmen nah Zahl 
und Beiisftand. — Baden, $. 1: %s der Grundeigenthümer, welche 
zugleich */3 des Steuercapitald haben. — Gr. Heflen, $. 1: über */a 
ter Gigenthümer, welde *%/5 ber Fläche und */s des Steueranfchlages 
beiigen. — Baiern: Beſitzer von %s der Fläche und bes Steuercapitals. 
Hannover: Die Zufammenlegung (Berfoppelung) geichieht unter Lei: 
tung ber für die &emeinheitstheilungen beftellten Bommiffionen und 
nah ähnlihem Berfahren, a. Gef. v. 30. Juni 1842 vgl. oben 
$. 94 (a). — Rah der naflauifhen (fehr ausführlihen) Inftruction , 
werben 3 verpflichtete a häter aufgeteilt, bie mit noch 3 anderen 
Landwirtben zu Rathe gehen. Im Kalle einer Beichwerbe werden drei 
neue, ebenfalls verpflichtete Schäger ernannt, teren Ausfpruh dann 
endgültig if. — Baben, $. 7: Die Commiſſion befleht aus einem von 
der Berwaltungsbehörde ernannten VBorfigenden, dem Feldmeſſer und 
1 oder mehreren Sadverfländigen, welche, wenn die Betheiligten fich 
nicht vereinigen, ebenfalls von der Staatsbehörde ernannt wird. — 
Sr. Heilen, $. 20: ein Regierungscommiffar, der Bürgermeifter, brei 
unbetheiligte Sadverftändige, der Geometer. — Würtemb. Entwurf 
$. 12: Die Bollziehungscommiffion befteht aus einem nretegelehrten, 
einem Technifer und einem von den Brunbdeigenthümern der Gemeinde 
gewählten Landwirthe. Der Commiſſion werben 1 Feldmeſſer, 3 Schäger 
und 1 Berrechner beigegeben. Die Betheiligten ernennen ferner fünf 
Bertreter. 


Grundjäge dafür bei Gebhard, S. 95—119. — Können fi die 
Gemeindemitglieder felbft über bie Claſſenſaͤtze und bie Einſchaͤtzun 
ker Stüde in die Blaffen vereinigen, fo ift dieß das Beſte. Son 
muß wenigftens jeder Betheiligte mit feinen Ginwendungen egen bie 
Hichtigfeit des Anfapes gehört werden. — Je fleißiger eine Flur ans 
ebaut if, je mehr bie einzelnen Stüde durch gepflanzte Bäume, 
odenverbeflerungen und dgl. Gigenthümlichfeit erhalten haben, deſto 
mehr Sorgfalt erfordert die Schäßung. Nach dem hannov. Geſ. $. 14 
wirt daher auch der jebige Düngungsftand, die Mergelung ıc. berüd: 
fichtigt. Das ſachſ. Bel. $. 15 verordnet, daß ber Düngungsftand 
bei der Echägung außer Anfa bleiben, aber mit Geld vergütet werden 
ſolle. Gbenfo wurt. Entwurf 6. 34. 


$. 101. 
6) Der Blan zur neuen Felbeintheilung wirb unter Mits 


wirftung des Feldmeſſers entworfen und durch Berathung und 


— 2116 — 


Uebereinfunft der Gemeindemitglieber ober noͤthigenfalls burd 
ſchiedsrichterliches Erfenntniß feitgefegt. Iſt die Rundung feine 
volfländige, fo muß nad) ber Dertlichkeit beurtheilt werden, 
wie viele Abtheilungen ber Feldmark gemacht werden follen, 
8. 99. Hiebei follten aber nicht ſchon die bisherigen, oft aus 
zufälligen Urſachen entftandenen Kleinen Flurtheile (Gewanne), 
fondern nur beträchtliche Verſchiedenheiten in der Beſchaffenheit 
und Lage entfcheiden (a). Man giebt den einzelnen Antheilen 
regelmäßige Geftalt, forgt für die erforderlichen Fahr» und Fuß 
wege (b), und fucht überhaupt bie ganze Gemarkung auf bie 
vortheilhaftefte Weife zu benutzen (c). Wirb eine größere Ans 
zahl von Ylurbezirfen gemacht, fo läßt man über die Reihen 
folge der einzelnen Antheile in jedem Bezirfe bad Loos ent 
ſcheiden. 

7) Man ˖ſucht wo moͤglich Jedem Land von aͤhnlicher Be: 
ſchaffenheit wiederzugeben, wie feine früheren Beſitzungen waren, 
um feine Störung in den Wirthfchaftöverhältnifien zu ver: 
urfachen (d). Kann ohne Zerreißen der nad dem “Plane ges 
bildeten Abtheilungen nicht Jeder ganz in Grundflüden beftie 
digt werden, fo gleicht man den Unterfchied durch baare Hinaus⸗ 
zahblung aus (e). Krgiebt fi aus ber Verminderung ber 
Wege und Gränzfurden ein Ueberfhuß an Land, fo wird ders 
felbe verhältnigmäßig vertheilt oder zur Beftreitung der Koften 
verwendet. 

8) Die Vertaufchung, foferne nit baare Daraufgaben 
ftattfinden, muß von den gutöherrlihen und Staatdabgaben 
befreit werden, welche fonft von Veräußerungen unbeweglicher 
Güter zu entrichten find, 3. B. Handlohn, Stempel» und 
Regifttirungsgebühr (f). 

9) Denen, welche ihre Wohnungen hinaus verlegen, wirb 
eine Vergütung von ben Uebrigen nad) freier Uebereinfunft 
bewilligt. Man wählt biezu die fchadhafteften oder geringften 
Hofgebäube. 

10) Die Koften werben nad) Berhältniß der Schägungds 
anfchläge auf die Grundeigenthümer umgelegt (9). 

11) Die Weiderechte müffen vorher abgelöft fein, die guts⸗ 
herrlichen Laften und Hypotheken werden auf bie neuen Ans 
theile übertragen, welche überhaupt bie Stelle ber älteren 


— 17 — 


Beflsungen einnehmen. Auch über das Rechtöverhäftniß ber 
Eigenthümer zu den Pachtern find Beflimmungen nöthig. 

12) Die Regierung trägt Sorge, daß dad ganze Gefchäft 
mit dem geringften Koftenaufwand und ohne unnöthige Ver⸗ 
zjögerung vollführt wird, fle fucht die Anerkennung feiner Vor⸗ 
theile zu verbreiten, und ermuntert auch fonft, wie ſich Gelegen⸗ 
heit barbietet, zu demſelben (A). 


(a) Nah dem naffauifhen fog. Sonfolidationsverfahren wird eine 
größere Zahl von Wlurbezirfen gebilbet, nah dem preuß. Separas 
tionsverfahren fuht man wo nicht eine einzige, doch nur eine 
tleine Anzahl von Feld- und Wieſenmaſſen herzuftellen und folglich 
die Zufammenlegung vollfländiger auszuführen. Sind bie Grund: 
eigenthümer Hinreichend belehrt worden, fo muß ihnen die Wahl der 
einen oder anderen Ausführungsart mit Berüdfichtigung ber drtlicheh 
Umftände freigelaflen werden. Streit über bie Borzüge jener beiden 
Berfahrungsarten bei Bed und Schenk a. aD. 


(d) Raf. Inftruction F. 19. 20: Hauptſtraßen 2— 21/5 Ruthen breit, 
Nebenftraßen und Feldwege 1—11/, Ruthen, Fußpfade 3 Fuß. An 
ber Gewanngränge bleiben auf jeder Seite 21/5 Fuß zum Fahren frei. 
(Der naflauilche Eu iſt 1a Meter = 1%, bad. Fuß.) 


(e) Ausfüllung von Hohlwegen, Geradeleitung von Baͤchen, Einrichtungen 
ur Trodenlegung, zur Bewäflerung. — In einigen Dörfern der bad. 
Pfalz Haben die Gemeinden fi entfchloffen, bie Almenpflüde in uns 
regelmäßiger Form anzuucehmen, um ben einzelnen Bürgern beſſer 
getaltete Stüde anweifen zu können. 


(4) Hannov. Bel. $. 19 und wuͤrt. Entwurf 6. 35: Die Abtweihung im 
Blächengehalte des eingeivorfenen und wiedererhaltenen Landes darf 
ohne Binwilligung jedes Betheiligten nicht über 10 Proc. betragen. — 
In der Sllergegend ziehen vie fog. Meinen Leute eine größere Fläche 
von geringerer Bobengüte vor, weil fie Arbeitskräfte genug haben, um 
diefelben zu verbeflern. 


() Sannov. €. 13: ohne Ginmilligung der Betbeiligten darf bie baare 
Entihädigung nicht über 3 Proc. ihres ganzen Schäbungsanfchlages 
betragen. ie wird in Rente oder Bapital (25fach) geleiftet. Wuͤrt. 
Entwurf 5 Proc. 


N a Baten fällt (®. v. 1828) die Immobilienaccife von Arrondirungen 
inweg. 


() In der Gemeinde Echte (Seelig a. a. DO.) wurden die früheren 
3182 Barcellen der 211 Gigenthümer in 549 Antheile (Koppeln) I 
fammengelegt , mit 21/,— 2%/; Thlr. Koften auf den Morgen. — In 
Naffau murden die Koften auf 3 fl. vom Morgen, in Preußen (ohne 
Beganlagen u. dgl.) auf Ya — 1%/s Thlr. vom Morgen angenommen. 
Wilhelmy, ©. 42. 74. — In Braunſchweig waren Tämmtliche 
Eeparationsfoften in den kleinſten Feldmarken 2'/s, in mittleren 1,°, 
in großen von 2600—3000 M. 1,58 Thlr. vom Morgen. 


(4) So könnte 3. B. zugefichert werben, daß eine beflimmte Zahl von 
Jahren bie Grundſteuer, ungeachtet der bewirkten Grhöhung der Grund» 
vente, nicht gefleigert werben folle. Gin anderes Mittel if, daß bie 
Koſten der erſten Zufammenlegungen einer Gegend, bie als Beiſpiele 


— 218 — 


dienen, von der Stantscafle beftritten werben. Landleute und Beamte 
in eine Gegend reifen zu laflen, wo das Verfahren und der gute Gr: 
folg deſſen anſchaulich erfannt werden kann, hat ſich ebenfalls als 
nuͤhlich erwieſen. 


2. Urbarmachung und Bodenverbeſſerung. 
8. 102. 


Die Urbarmachung des öden und die Verbeſſerung des ſchon 
angebauten Landes erfolgen bei dem Anwachſe der Volksmenge, 
der landwirthſchaftlichen Kenntniſſe und der Capitale in vielen 
Faͤllen nach und nach von ſelbſt und koͤnnen in der Regel dem 
Eifer der Grundeigenthümer uͤberlaſſen werben, woferne nur bie 
Hinderniffe, die 3. B. in ben Weiderechten ober dem Gemeinde: 
eigentbum liegen ($. 85) befeitiget werben (a). Belehrung, 
Beifpiel und Aufmunterungen (d) reichen daher für einen Theil 
der Zänbereien bin, auch koͤnnte eine ftärfere Beförderung dee 
Urbarmachens (c) fogar nachtheilig werben, wenn nady den gege⸗ 
benen Berhältniffen Arbeit und Düngemittel beffer auf das ſchon 
urbare Land verwendet würden (d). Indeß treten aud, Fälle 
ein, in denen ein Beiftand der Staatögewalt für biefen Zweck 
erforderlich ift, namentlich 1) wenn die Unternehmung nur im 
Großen, nad) einem einheitlichen Plane durch Kunftmittel und 
mit Hülfe eined beträchtlichen Capitales auszuführen ift, ober 
wenn 2) die Rechte einzelner Grundeigenthümer die Anwendung 
ber zwedmäßigften Mittel verhindern. 


(a) Auch der Povalgehnte verdient hier befonbere Berüdfichtigung ; vergl. 
8. 67. — Die irländiihen Suͤmpfe (bogs) koͤnnen hauptfächlich wegen 
der Weiderechte der anftoßenden Pachter nicht urbar gemacht werben. 

(b) aosägrige Steuerfreiheit des urbar gemachten Landes, bolländ. B. vom 
20. Ian. 1807. Verlängerung auf 50 Jahre, und eben fo lange 
Befreiung vom Novalzehnten, V. vom 16. April 1809; Gevers- 
Deynoot, De summi imper. Belg. cura etc. ©. -114. 


(ec) Bei flarker Entvölferung oder großen Gebrechen der gefelligen Der: 
pe mine fand man es bisweilen rathfam, die Urbarmadhung durd 
eihränfung ber Cigenthumsrechte zu begünftigen. So verorbneten 
Balentinian I. und Theodofius, daß das von dem Gigen: 
thümer unbenußt gelaflene Land nach zweijührigem Anbau dem neuen 
Anbauer verbleiben folle. L. 8. Cod. de omni agro deserto (XI, 58). 
Aehnlich die franz. B. v. 1766. Fournel, Lois rural. I, 106. 


(d) 88 giebt in jedem Lande Streden, welche die Koften der Urbarmachun 
überhaupt oder wenigſtens bei den jetzigen Preifen der Bodenerzeugnifle 
nicht belohnen. Iſt der Humusvorrath des öben Landes gering, fo muß 
bald mit Düngung nadhgeholfen werden, wozu flärferer Viehſtand und 
Butterbau gehören. 





--- 219 — 


g. 103. 


Zu denjenigen Unternehmungen, welche aus einem ber beiden 
angeführten Gründe (8. 102) eine befondere Fürforge der Staats⸗ 
gewalt erheifchen, find hauptſaͤchlich nachftehende zu zählen: 

1) Das Trodenlegen ber Sümpfe, woburd wegen bes 
gewöhnlichen Humusreichthums der naffen Niederungen eine 
Menge bed fruchtbarften Bodend geivonnen wird, weßhalb 
gelungene Entfumpfungen fehr wohlthätige volföwirthichaftliche 
Folgen zu äußern pflegen, zugleich aber auch bie von den Aus⸗ 
Dünftungen der Sümpfe herrührende Gefahr für die Gefundheit 
ter nahen Ortfchaften entfernen (a). Der Erfolg ber Ent 
wäflerung wird vorzüglich durch bie richtige Auswahl ber 
Mittel, je nad) den Urfachen der Näfie, bedingt, die bald von 
angefammeltem Regenmafler, welches auf einer unburchlafienden 
Erdſchicht ſtehen bleibt, bald von Duellen, bald von Ueber- 
ſchwemmungen oder unterirbifcher Verbreitung einer nahen großen 
Waſſermenge (Meer, Strom) herrührt (8). Auch in dem fchon 
befier benusten Lande finden ſich Stellen, bie fortbauernd ober 
zeitweife feucht find und beren Trodenlegung den Bodenertrag 
beträchtlich vergrößert (c). 

2) Die befiere Benutzung des Torflanbes, für bie ed den 
Gemeinden und den einzelnen Grundeigenthümern meiftend an 
Kenntniffen und Capital fehlt, befonberd wo dad Eigenthum 
Rarf zertheilt ift (d). 

3) Die Urbarmadjung und Berbefferung der Heiden. Laßt 
ih fließendes Waſſer in Bandlen Berbeiführen, fo kann das 
Heideland mit großem Ruben in Wäflerwiefen umgemwanbelt 
werden (e). 

4) Die Anlcehung neuer Anflevelungen (Eolonien) auf dem 
urbargemachten ober noch urbar zu madjenden Lande, wenn bie 
Entlegenheit ober die große Ausdehnung befielben den Anbau 
von den vorhandenen Ortfchaften aus verhindert. 

5) Die Herftelung ber zum Bewäflern der Wiefen erforder⸗ 

lihen Einrichtungen, $. 150. 
(a) Die europäifchen Länder enthalten noch viele Sümpfe, und zwar fowohl 
bie niedrig gelegenen Ebenen, 5. B. Norddeutſchland, Ungarn, Bolen, 


Italien, als die @ebirgsthäler wie in Oberbaiern (wenigftend 101/, O.M.) 
und das höhere Ylachland wie Niederbaiern. 


— 220 — 


(5) Kein Volk Hat Hierin fo viel geleitet, ale bie Holländer, deren Ent: 
wäherungen an 200 Mill. fl. gekoſtet Haben follen. Bon 1612—1631 
wurden blos in Norbholland 5 große Binnenfeen von 24474 Morgen, 
neben mehreren Fleinen, ausgetrodnet, v. Wiebeking, Waflerbaus 
funft, II, 276 (1812). Zur Trodenlegung bes 3,7 Duabrat: Meilen 
großen Harlemer Meeres, welches ſich noch fortwährend auf Koften 
bes umliegenten Landes vergrößerte, wurde 1818 ber Plan enttworfen 
und der Koftenaufwand zu 7 Mill. fl. berechnet. van Lynden, 
Over de droogmaking van de Harlemer Meer. s’Grsvenh. 1821. = 
Bibl. univ. Abth. Sciences et arts, XXIII, 156. Neuer Plan biezu: 
B. de Stappers, Me£moire sur le dessöechement du lac de Harlem. 
Brux. 1829. Der Berf. wollte mit 6 Mill. fl. ausreichen und den 
See in einen Wald ummandeln. Die Austrodnung mit Hülfe von 
drei großen Dampfmafchinen wurde 1848—54 ausgeführt und im letzt⸗ 
genannten Sabre die Fläche ſchon mit Raps beſaͤet. — Unter Fried⸗ 
rich IL von Preußen wurde das Oderbruch vermittelft des Durchſtiches 
von Güftebiefe bis Hohenfaaten 1747—1756 troden gelegt, die Sumpf: 
gegend an der Nee und Warthe zwiſchen Küftrin und Driefen 1767— 
1785 mit 1028000 Thlr. Koften entwäflert, wobei man 41, D.:M. 
gewann und 1750 Familien anfebte, das Fiemerbruch bei Magdeburg 
(30000 M.), mehrere Sümpfe an der Stemme und Tanger (87000 M.), 
ein Theil bes Mabue : Sees in Bommern (14000 M.) und viele andere 
urbar gemacht, aud die Austrodnung bes Drömmlings an der Ohre 
im Reg. : Bez. Magdeburg 1778 begonnen (1792 beendigt, 176800 M. 
gewonnen). Das havelländifche Luch war fchon 1718—1724 mittelfl 
des 109/4 Meilen langen Hauptcanals bei Nauen unb mehrerer anderen 
entfumpft worden. De Herzberg, Huit dissertations etc. — Nah: 
richt von der Verwallung und Urbarmahung der Warthebrüche. Berlin, 
1787. — Sntwäfferungen in Baden, v. Drais, Baden unter Karl 
Friedrich, II, Beilage 8. — Die Austrocknung des an 4 D. : Meilen 
großen Donaumoofes in Baiern unter Kurfürft Karl Theodor feit 
1778 geſchah wegen des torfigen Untergrundes nicht mit völlig er 
wünfchten Erfolge, aber doch mit dem Gewinn eines 52000 baier. 
Morgen großen angebauten Landftriches, auf dem eine hl von 
neuen Dörfern angelegt if. Die Dürftigfeit und Nachläffigfeit der 
meiften Goloniften, Unfenntniß des zu ergreifenden Anbauverfahrens 
und verfchiedene Mißgriffe trugen bei, die guten Wirkungen der Urbars 
madhung nicht in vollftändigem Maaße zum Borfchein Eommen zu laflen. 
Die Staatscaffe hat 684.000 fl. auf dieſes Unternehmen verwendet. 
Zu den Nachtheilen der Berfumpfung gehörte auch bie Erſchwerung 
bes Verkehrs. Das Donaumoos nöthigte Die Bewohner einiger Dörfer, 
die 3—4 Stunden von Neuburg entfernt find, einen 7—8 Stunden 
langen Weg dahin zu nehmen; v. Schranf, Briefe über das Donau 
Moor. annheim, 1795. 4%. — ©. von Agetin, Nctenmäßige 
Donaumoos:Eulturgefhichte, ebend. 1795. 49%. — v. Behmann, 
Geſchichte der Austrodnnng und der Eultur des Donau-Moores in 
Baiern. Münden, 1832. — Eolonie Wilhelmsdorf auf einem, mit 
dem Beiftande der würt, Megierung ausgetrodineten Sumpfbezirfe im 
Oberamte Naveneburg , feit 1823. — Die Austrodnung der Sümpfe 
an ber Linth oberhalb des Zürcherfees, welche fchon viele Krankheiten 
verurfacht hatten, wurde 1807—1822 mit mufterhafter Kunſt und er 
freulihem Gemeinfinn ausgeführt. Die Koften betrugen 682000 fl. 
Der neue Lintheanal it 73000 Fuß lang und es wurden gegen 20 000 
Judart gewonnen. Officielles Notizenblatt, die Linthunternehmung 
betr., Zürih, 1827—1828. XXII Hefte in IT B. — Rau, Ueber 
fiht der Entwäflerungsarbeiten an der Linth. Heidelb. 1825. — Be: 
gonnene Austrodnung ber Sumpfftrede bei Laibach in Krain, feit 1819. — 


x 





(«) 


(d 


— 21 — 


Bohlgelungene Entfumpfungen find in den letzten Sahrzehnten in 
Ungarn ausgeführt worden; bei Sarviz 69000, am Sio und Kapos 
86 000, in der Geſpannſchaft Tolna 180000 3. In den Niederungen 
der Theiß (Südungarn) if ein Ueberfhwemmungsgebiet von 1%: Mil. 
Jod der periodiihen Verfumpfung ausgeieht. Zur Theiß-Regulirung 
1856 beichlofien) durch Privatge eifharten follen 15 Mill. i unter 
bürgung des Staates aufgenommen werden. — Frankreich foll noch 
gegen 500 000 Heft. (1'960000 pr. M.) Sumpfland haben. Die am 
meiften einer Verbeflerung bedürfenden Gegenden find: 1) die Sologne, 
(Dep. Cher, Löiret, Loir und Eher) mit undurchlaſſender Erdſchicht 
unter feichter Krumme; die neuerlich begonnenen Arbeiten follen die 
fumpfigen Niederungen entwäflern, das trodene höhere Land bemwäflern, 
auch die Beifchaffung von Mergel erleichtern, mit Hülfe eines Canals, 
ben ſchon Lavoiſier 1786 vorgefchlagen hatte (de Lavergne, Econ. 
rurale de la France ©. 364.), 2) die gleich der Sologne fehr 
ungefunde Brenne (Dep. Indre), 3) die Breffe und Dombes (Dep. 
Yin), 4) die Camargue (Rhonedelta) mit 31260 Heft. Sumpf, 
Becquerel, Des elimats, 1853, ©. 262. — An den pontinifchen 
Eümpfen zwifchen Eifterna und Terracina, 118000 pr. Morgen groß, 
wurde fhon unter dem Gonful Corn. Cethegus (582 a. u. pP; ge: 
arbeitet; Caͤſar, Augufus, Trajanus, Theodorich und viele Babfte 
bemübten fih um ihre Austrodnung; Pius VI. bewirkte fle zum 
Theile mit 3%, Mil. fl. Koſten, doch ift noch viel zu thun übrig. 
Prony, Description hydrographique et historique des marais Pontins. 
Paris, 1822. 4%. — An den Ufern bes Meeres und der in baflelbe 
Hießenden Ströme werden durch Gindeihung bes abgelagerten frucht⸗ 
baren Bodens von Zeit zu Zeit neue Flächen für den Anbau gewonnen ; 
die Bolder in Holland, Belgien, Holftein, Schleswig. Geſchichte 
der Bolder an der Schelte von Kummer {n Annales des travaux 
publies en Belgique, II, 1. 1844. 


Außer dem Gerabeleiten (Rectificiren) eines Fluſſes und der Vertiefung 
bes nah und nach durch Ablagerungen erhöhten Wlußbettes ift Bier 
vorzüglich die Entfernung des über einem waflerbichten Untergrunde 
Rodenden Waſſers durch bedeckte Abzüge Fi erwähnen. Dieb Drai⸗ 
niren if in den legten Jahrzehnten ın England fehr vervollfommnet 
und verbreitet worden. Rau, Die landwirthichaftlihen Geraͤthe der 
Londoner Ausflellung. ©. 83. 155. Auch in Deutfchland und anderen 
Ländern hat die Drainirung neuerlich Bingang gefunden und wird mit 
beionderer Borliebe betrieben, die es wegen feined_großen Erfolges voll: 
fommen verdient. Es find eine Menge von Schriften darüber ex 
fhienen, 3. B. Bincent, Die Drainage, 3. Ausg. 1860. — Dan 
hat angenommen, daß in Frankreich 6/3 — 7 Mill. Hekt. Ader ber 
Drainirung bedürfen, in Würtemberg 350000 w. Morgen. In Groß⸗ 
britanien (ohne Irland) follen 22'890 000 A. feuchtes Land fein, von 
denen 1855 1'365 000 brainirt waren, der A. im D. mit 1,5 8, 
Koften. Tooke, History of prices, V, 189. — In Deutfchland be: 
tragen die Koſten meiſtens zwiſchen 8 und 16 Thlr. auf den preuß. 
= 20 bis 40 fl. bad. Morgen, das dazu verwendete Gapital trägt 
aber reichlihen Gewinn. 


Irland hat über 1%/a Mill. engl. Aeres Torfmoore (bogs), und man 
jweifelt fogar noch, ob fie urbar zu machen fein, Mac Culloch, 
Statist. account, I, 358. — In den Moorcolonien des nordweſtlichen 
Deutihlande werden die Torfmoore entwäflert, der Torf wird aus⸗ 
geſtochen und auf Gandlen zu Markt gebracht, fodann das Land zum 
Anbau zugerihtet.. Die hannov. Moor: G&olonien in Bremen und 
Berden (1720 begonnen) hatten im Jahre 1849 ſchon 13900 Einw. 


und trugen jährlich der Domänencafie 7600, der Steuercafle 7033 Thlr. 
ein, obne den ftarfen Torferlös. Hannover fol 1234000 M. Torf: 
moor haben (v. Raden). Schlözer, Staatsanz. II, 368. — 
Seftgabe für die 15. Verfamml. der Landw. S. 125. 130. — Baiern 
bat 183 700 Tagwerfe Torfgrund, wovon 35582 dem Staate, 141213 
einzelnen Bürgern gehören, f. Die Borftverwaltung Baierns, 1861. 
©. 488. — Ueber die Benupung bes Torfs f. $. 164 (e). 


(e) Entwürfe zur Austrodnung und Urbarmakhun ber Heiden (landes) 
gieifchen Bordeaur und Bayonne, welche als Waldungen einen jähr: 
ichen Ertrag von 20 Mill. Er. geben koͤnnten, — durch mehrere 
Ganäle. Des landes et du canal du Duc de Bordeaux. Bord. 1825. — 
J. B. B., Les landes en 1826. Bord. 1826. Im Jahre 1834 wurde 
eine compagnie d’exploitation et de colonisation für dieſe Heiden ge 
ftiftet. ine zweite Gejellfhaft unternahm 1838 die Führung einer 
Gifenbahn von Bordenur bis la Tefte, eine dritte kaufte 12000 Heft., 
um die Entwäflerung und den Anbau in einzelnen Gütern unter Ber- 
waltern zu bewirten, Rau, Archiv, IV, 283. Die Dep. Landes und 
Gironde haben nady der amtl. Statiſtik 718000 Heft. Dedung (pätis, 
landes & bruyöres), tache immense qui d&shonore notre sol, De La- 
vergne, ©. 311. 8 ift Sand über einer undurchlaſſenden Erd⸗ 
ſchicht. ©. au Becquerel a. a. D., S. 287. — Sandwülle 
Erau in der Nähe der Rhonemündung, mit Kies bedeckt, 12000 Heft. 
groß. De Lavergne, Econ. rurale de la France, ©. 280. — In 
ber belgifchen Heidegegend (Campine) ift in den letzten Jahren viel 
gefchehen f. $. 85 (d). Belgien hat 290000 Heft. (1'157000 pr. M. 
—= 75, D.:M.) Heiden und ddes Land. Auch im nordweſtlichen 
Deutichland befinden fi noch viele Heiden. — Die Urbarmadhung de} 
Flugſandes ift wichtiger, um das benachbarte Land vor dem Ueber: 
wehen zu ſchützen, als wegen des Grtrages der fandigen Streden, die 
nod) am beften ale Wald benugt werben. 


8. 104. 


Dei den für die genannten Zwede bienlihen Maaßrtgeln 
ift e8 die Aufgabe der Staatsgewalt, die befiere Benutzung ded 
Bodend mit ber geringften Beeinträchtigung ded Eigenthund- 
rechtes zu bewirken. 

1) Kann die Verbefferung von den Grunbeigenthümern vor- 
genommen werden, fo laflen fich nachſtehende Beförberungds 
mittel aͤnwenden: 

a) Wenn die Entwäflerung nur durch Einrichtungen mög- 
(ih ift, die fih planmäßig über eine im Eigentum Mehrerer 
befindliche Fläche erftreden, fo ift eine gefegliche Beftimmung 
nothwendig, nach welcher die Beſitzer des Fleineren Theils ſich 
dem Beſchluſſe der Mehrheit unterwerfen und an ber gemein⸗ 
fchaftlichen Unternehmung theilnehmen muͤſſen, wenn fie nidt 
lieber ihre Antheile an die Mehrheit verfaufen (a). In dieſem 


— 23 — 


Galle ift eine Schägung des gegenwärtigen Verkehrswerthes 
erforderlich, für welche eine Anleitung aufzuftellen if. Die 
Zheilnehmer bilden eine Gefellfchaft, welche aus ihrer Mitte 
einen Ausfhuß zur Beforgung der Gefchäfte erwählt (d). Eine 
Berwaltungsbehörde unterfucht in jebem einzelnen Falle bie 
Umftände und fpridht aus, daß das Gefeh auf denfelben anzus 
wenben fei, auch muß ber Plan von kunftverfändigen Staats⸗ 
beamten geprüft und ſodann genehmigt werben (c). 

b) Die Befiger anderer Grundftüde werben geſetzlich ver- 
pflichtet, dad zur Entwaͤſſerung erforderliche Land unter den 
für Zwangsabtretungen beftehenden Borfchriften abzugeben oder 
fih eine Beläftigung in ihrem Eigentum, 3. DB. zufolge bed 
Durchgangs von Abzugsgräben, gegen volle Entjchädigung 
gefallen zu lafien (d). 

e) Zur Erleichterung ſolcher Unternehmungen ift es nuͤtzlich, 
wenn aus ber Staatscafle für biefen Zweck Borfchüfle, die 
nach einer vorgefchriebenen Regel verzinft und allmälig getilgt 
werden, gegeben werben (e). 

d) Bei Kunftmitteln, die noch nicht genug bekannt find, 
iR es bienlih, Kunſtverſtaͤndige aufzuftellen, von benen bie 
Grunbeigenthümer Rath und Beiftand erhalten (f). 

e) Auch fann den Grundeigenthümern die Anfchaffung ber 
nöthigen Hülfsmittel erleichtert werben (g). 

2) Die Arbeiten an den größeren Fluͤſſen und Meeresufern 
zur Berhütung der Ueberfchwemmungen fallen ohnehin dem 
Staate zur Laft, weil jene Gewäffer fih in feinem Eigenthum 
befinden. Auch die Anlegung von größeren Bandlen zur Aus- 
trocknung oder Bewäfferung wird am leichteſten von ber Res 
gierung unternommen, entweder ganz auf Staatöfoften (A), 
oder mit einem Beitrage von denjenigen Orundeigenthümern, 
bie den Vortheil genießen, nachdem fie auf eine gefeglich ge- 
tegelte Weife ihre Zuftimmung gegeben haben (1). 

3) Wenn eine anfehnliche Fläche, bie bis jetzt feinen ober 
nur geringen Ertrag gab, 3. B. Sumpf, Heide, Flugſand ıc., 
durch die Urbarmachung ergiebig zu werben verfpricht, die 
Eigenthümer aber ſich hiezu nicht entfchließen, fo wirb durch 
einen folchen großen volfswirthichaftlichen Vortheil die Er⸗ 
mädtigung einer Actiengefelfchaft zu biefer Unternehmung 


— 14 — 


gerechtfertigt. Das Verhaͤliniß der Geſellſchaft zu den Grund⸗ 
eigenthümern muß für folche Bälle in einem Geſetze genau bes 
ſtimmt werben und es ift darauf zu fehen, baß jene nicht vers 
fürzt werden. Sie müfjen jebody verpflichtet werben, ber 
Geſellſchaft eine Vergütung zu leiften, welche die Koften erfeßt 
und einen ermunternten Gewinn abwirft, aber body den Eigen- 
thümern noch den Vortheil einer weiteren Werthöerhöhung 
übrig läßt, fo daß beide Theile fi in den ganzen Nupen 
theilen. Die Vergütung fann auch in der Abtretung von Land 
befiehben. Eine fachverftändige Staatsbehoͤrde (Waſſerbau⸗ 
Direction) und gewählte Zaratoren wirken bei ber Feſtſetzung 
ber Entridhtung mit (x). Bür die zu Canaͤlen, kleineren 
Gräben ıc. nöthigen Grundftüde findet Zwangsabtretung flatt. 
Wenn übrigend der erwähnte Zweck vermittelft einer Actien⸗ 
geſellſchaft nicht zu erreichen ift, fo bleibt nod) ber Ausweg 
übrig, daß der Staat an bie Stelle derfelben tritt und unter 
ähnlichen Bedingungen das Werk ausführt. 


(a) Branz. Gef. v. 16. Sept. 1807. — Bad. Geſ. v. 13. Febr. 1851. 
$. 1: Befitzer von %/; der Flaͤche haben zu enticheiden. — Gr. hefl. 
Se. v. 2. Jan. 1858 (Diehrheit wie nach dem Zufammenlegungsgeiep). 


(8) Fehlerhaft das franz. Geſetz, nach welchem die Syndies aus ben Theil 
nehmern vom Präferten ernannt werden. 


(c) Dieß ift zweckmaͤßig, weil die Theilnehmer den Vortheil der Zwange⸗ 
abtretung von Anderen genießen. 


(d) Bad. Gef. S. 3. — Hefl. Sei. $. 1. Hofpläpe, Hausgärten und 
überbaute Räume bleiben verfchont. — Franz. Gel. über das Drai⸗ 
niren v. 10. Suni 1854. Irder Grundeigenthümer, der fein Land 
entwäflern will, fann die Leitung des Waflers durch fremdes Land 
egen Entfchädigung verlangen, doch darf er daflelbe ohne befonbere 
rlaubniß nicht in die Gräben der Landſtraßen führen, Verfügung des 
landw. Minift. v. 9. Nov. 1856, Block, Annuaire, 1858. &. 19%. 
Vereine von Grundeigenthümern (ohne Zwang zum Beitritt) koönnen 
vom Staatsrath für gemeinnügige Anftalten (stablissements d’utilit 
publique) erklärt werden und folglich Zwangsabtretungen anfpreden. 


(e) In Großbritanien wurden zum Drainiren 2 Mil. Pfd. St. Vorſchuß 
für Großbritanien und 1 Mill. für Irland beflimmt, durch eine Zeit: 
sente von 61/8 Proc. zu verzinfen und in 32 Jahren zu tilgen, Geſet 
v. 28. Aug. 1846 (9. & 10. Vict. c. 101). Später famen ned 21/, Mil. 
und weitere 800000 Pfd. St. hinzu, alfo zufammen 6 Mil. Ruf 
nießer, die durch Erbberehtigung Anderer in der Verfügung beichränft 
find, erhalten die Erlaubnis, das But für obigen Zweck mit einer 
Unterpfandefchuld zu belaften, indem fie außer hoͤchſtens 5 Proc. Zins 
eine Zeitrente von 12—18 Jahren übernehmen. Auch Bachter können 
die Drainirung fordern gegen eine Zeitrente, die nicht über ihre Pacht⸗ 
zeit hinausreiht. Die Ausführung wird von einer Staatsbehörtt 





— 2233 — 


(Commission) durch beftellte Kunftverftändige (enginsers) beforgt. Geſetze 
feit 1833. Lois et documents relatifs au drainsge (nämlich im brit. 
Reih) Paris, 1854. 4. — Die beigifhe Regierung bewilligte ebenfalls 
mehrmalige Borfhüffe zu ähnlichen Unternehmungen, 3. B. 1851 
450.000 er. zum Urbarmadhen und Wäflern, 75000 Fr. zum Drai- 
niren, 75006 Fr. zur Anfhaffung von Kalk. — Franz. Geſ. vom 
17. Juli 1856: Es find 100 Mill. Fr. zu Vorſchuͤſſen für Draini: 
rungen beflimmt, dur 25 Zeitrenten mit 4 Proc, Zins zu tilgen 
(alfe 6,4 Proc. jährlih). Bon dieter Summe ift jährlich ein Theil zu ver- 
wenden. Der Staat hat ein Borzugsredht auf Die Ernten. — Später 
(298. Mai 1858) wurde verordnet, daß bie societE de oredit foncier 
dieſe Darleihen zu beforgen habe. Es ift von benfelben wegen der 
lãſtigen Yörmlichkeiten wenig Gebrauch gemacht worden, 1859 wurben 
400000, 1860 382 000 Fr. hiezu geliehen. 


N Mehrere Regierungen haben Ingenieure in das Ausland gefchidt, um 
fh dort im Drainiren g unterrichten und dann den Landwirthen 
Beiftand zu leiften, 3. DB. Belgien. — Die franzöflihen Waſſerbau⸗ 
Beamten Änd- zu biefer Beihülfe verpflichtet, Umlaufichreiben des landw. 
Minif. v. 16. Aug. 1854. 


(g) Die zur Derfertigung der Drainröhren dienenden Preſſen find neuerlich 

auf öffentlihe Koften in vielen Ländern eingeführt worden. Die 
Maſchinen von Withehead, Williams und Elayton find vor 
zügli gut. Die beigiihe Negierung bat eine Anzahl Niederlagen 
ven gebranntem Kalk gefliftet, zur Berbeflerung ber Belder. Die Liefe⸗ 
rung in die Riederlagen wird einen Unternehmer um beftimmten Preis 
übertragen und der Staat fhießt zu, um den Verkaufspreis für die 
Landwirthe nietrig zu machen. Nuc im badifhen Odenwalde wurden 
Kalköfen auf Staatskoſten errichtet. 


4) So aloe es in mehreren der $. 103 erwähnten Fälle, 3. B. in 

den Moorcolonien und der beigifhen Bampine, wo der Berbindungs: 
an zwifchen Maaß und Schelde zur Bewäflerung benußt worden 
if, vergl. (i). 


() Bad. Gef. v. 28. Aug. 1835, mach weldhem zur Verhütung von 
Ueberfhwenmungen und zur Berbeflerung des fumpfigen Landes in ber 
Nähe des Raiferftuhls bei Freiburg 2 Wlüfle rectificirt werden und ein 
Sanal angelegt wird, wobei die Koften ungefähr zu ?/7 (300000 fi.) 
vom Staate, zu *%ı von den 16 Gemeinden zu tragen find. Rau, 
Ardiv, II, 113. ‚ 


Beilpiele: Die pfalzbaier. Verordnungen in Anfehung der Donaumoos: 
Cultur, 11. San. 1790, 25. Oct. 1782, 10. Juni 1794, bei von 
Aretin a. a. O. — Nach ber neueiten Beitimmung (B. v. 1794) 
wird 1) von Medern oder zweifchürigen Wieſen, wenn fie a) freies 
Gigenthum find, 10 Jahre lang jährlih 1 fl. vom Morgen bezahlt, 
oder %/g der Fläche abgetreten, b) von lehnbaren Gründen resp. 2 fl. 
oder %/3 der Flaͤche; 2) von einfchürigen Wiefen oder Weiden in aͤhn⸗ 
liher Unterfheidung 1 fl. 30 fr. — 3 i. oder 1/s— !/a des Grundes. — 
Beſchluß der Schweizer: Tagfagung von 1804 in Betreff der Linth: 
Unternehmung: Die gänzlich unter Wafler ſtehenden und folglich für 
bie bisherigen Gigenthlimer verlorenen Ländereien wurden der Actien⸗ 
gefellihaft ganz zugelprohen, von ten übrigen nahm diefelbe den 
ganzen bewirkten Werthüberf[huß in Anſpruch. — Franz. Geſetz vom 
16. Sept. 1807 bei Fournel, Lois rurales, I, 117. — Block, Dict. 
©. 1088. Das Land wird nach feinem jegigen Ertrage mit Ruͤckficht 
auf die verfchietenen Grade der Meberfchwemmung geichäßt, nad voll: 
Ran, yofit. Dekon. U. 1. Abth. 5. Ausg. 15 


(£ 


—R 


— 226 — 


endeter Urbarmachung wird der neue Werth ermittelt. Wie der erzielte 
Werthsüberſchuß zwiſchen der Geſellſchaft und den Grundeigenthümern 
zu vertheilen ſei, dieß ſoll in der jedesmaligen Conceſfion beſtimmt 
werden und ſtatt der Geldabfindung kann Land nach der Tare abge: 
treten werden. — Das belg. Gel. v. 25. März 1847 verpflichtet die 
Gemeinden, ihre öbden Kändereien unter der Bedingung zu verfaufen, 
daß der Käufer die Urbarmahung vornimmt, |. $. 85 (d). Mehrere 
Geſellſchaften haben fulches Land erworben und in Wieſen umgewan- 
delt. Zur Urbarmahung der 17100 Heft. großen Heide von Kalmpthout 
an der holländiichen Gränze, norböftlih von Antwerpen, dachte man 
den Schlamm der Scheide ju benugen, wozu ein anal oder eine 
Eifenbahn in Vorfchlag gekommen find. Defrichement des terres 
incultes, Brux. 1850. fol. — Kummer, Creation de prairies irrigables. 
Brux. 1851. fol. — Munde Gebirgsieen geftatten entweder eine sin 
lihe Trodenlegung oder doch eine Erniedrigung des Waſſerſpiegels 
dur Abzüge, fo daß fruchtbares Land gewonnen wird. Die Tiefer: 
legung des Lungernfees im Kanton Uinterwalden, Abtheilung Obwalden, 
wurde zuerft von den Eigenthümern der anftoßenden Grunditüde unter 
nommen, dann mit dem Beiftande einer Actiengefellichaft durchgeführt, 
welche 17160 Br. dazu verwendete. Die neugeiwonnenen Miefen besten 
aber die großen Koflen der Abzugsftellen nit. In einem größeren 
Staat würde die Staatscafle geholfen haben, hier gefhah es durch 
einen Theil der Actienbefiger, welche auf einen Betrag von 14890 fr. 
(429 Nctien zu 40 Fr.) zu Gunften der Unternehmung und bes Ortes 
verzichteten. Schlußberiht an die Actionäre . . . Luzern, 1841. — 
Beifpiele noch bevorftehender Entjumpfungen im preuß. Staate: bie 
Niederung an der Erft in Nheinpreußen (50000 M., wovon 16000 
faft fortwährend verfumpft, Urfache vieler Wechfelfieber) — die Gegend 
der Unftrut in Thüringen (17594 M. Sumpf), Wurffbain im 
Archiv für Landeskunde der pr. Monarchie, 1856, I, 164. — Gegend 
von Münfter, ebend. II, 306. 


IL. Landwirthſchaftliches Capital. 


4. Landwirthſchaftliche Berficherungs - Anftalten. 


$. 105. 


Wie die Brandverficherungen zur MWiederherflellung des 
Capitals im Allgemeinen dienen ($. 24) fo find auch Anftalten 
errichtet worden, welche die ftärfften in der Landwirthſchaft vor 
kommenden Unfälle durch Berficherungsbeiträge vieler Theil: 
nehmer vergüten follen. Solche Verficherungen find für zwei 
Urſachen von Berluften, naͤmlich Hagelfhlag und Vieh— 
fterben wegen ber Häufigfeit und Größe bed von ihnen vers 
urfachten Schadens vorzüglich wünfchenswerth und auch ſchon 
häufig gegründet worden (a). 


— 227 — 


Eine Verſicherung der Feldfruͤchte gegen Hagel— 
ſchaden (6) iſt in vielen Ländern unternommen worden (c), 
bat aber die erwartete allgemeine Theilnahme der Landwirthe 
noch nicht gefunden. Die Urfachen bievon liegen theild in ber 
Dürftigfeit vieler Eleiner Grundeigenthümer, die den Jahres⸗ 
beitrag ſchwer aufbringen und bei einem Hagelfchlage auf milds 
thätige Unterftügung hoffen (d), theild in ber ungleichen Größe 
der Gefahr, indem manche Gegenden weit öfter betroffen werben 
ald andere und in den legteren weniger Neigung vorhanden ift, 
fi) verfihern zu laflen (e), theild in ber großen Verſchieden⸗ 
heit der Schäden von Jahr zu Jahr und ber Unvollftändigfeit 
der bis jegt bekannten ftatiftifchen Thatfachen über den Hagel: 
ſchaden, theild enblih in den Schwierigfeiten ber Schägung 
eine® eingetretenen Schabend. ine Prämienverficherung wird 
durch ungewöhnlich große Schäden leicht in anfehnlichen Vers 
luft gebracht (f). Gegen ven Borjchlag, die Hagelverficherung 
jur Staatdanftalt zu machen und den Beitritt zu befehlen (g) 
fprechen nicht allein die Gründe, welche einen foldyen Zwang 
im Allgemeinen wiberrathen ($. 5), fondern aud die ange: 
führten Schwierigfeiten diefer Art von Berfiherung und bie 
unvermeibliche Benachtheiligung einzelner Landestheile gegen 
andere (h). 


(6) Bei anderen Unfällen, welche die Ernten bebrohen, iſt es zu fchiver, 
eine Berfiherung zu Stande zu bringen. Ueberſchwemmungen finden 
die Wolkenbrüche ausgenommen) nur in der Nähe größerer Gewäfler 
att; die Folgen des Mäufefraßes find fchwer auszumitteln; Mißwachs 
ift, wenn er ſich ereignet, oft zu allgemein. Borichläge zu einer Affe⸗ 
curanz gegen das Nißrathen bes MWeinbaues, aber unzureichend, in 
9. Berg, Staatsw. Verſ. I, 189. 


(5) Bergius, Kam. Mag. Art. Affecuranz. — Frank, Landw. Polizet, 
I, 255. — v. Berg, Staatswiflenich. Verfuche, I, 59—340 (1795) ; 
deſſ. Polizeirecht, III, 299. — Celliſche Nachrichten für Landwirthe, 
I, 1. St. ©. 52. (1820). — Härlin, Darftell. der Urfachen der 
Berarmung, ©. 51 (Stuttg. 1822). — Hellmuth, Ueber den Zwed 
und die Nothwendigfeit, Hagelfchaden : Verfiherungs : Anftalten zu er: 
rihten, Braunfhw. 1823. — Correſpondenzblatt des würt. landw. 
Bereins, 1831, II, 66. — Wochenblatt des bad. landw. V. 1834, 
©. 57 (Entwurf der Statuten). — Oberndorfer im Gentralblatt 
des baier. landw. B. 1844. ©. 468. — Helferich in der Zeitichrift 
für die Staatswifl. 1847, ©. 243. — Walz in Rau u. Hanffen, 
Archiv, N. F. IX, 325, X, 1. — v. Lengerke, Ann. VIL Suppl. 
©. 84. IX, 230. — Zeller, Wirkfamteit der landw. Bereine ©. 276. 


Beifpiele. Begenfeitige Geiellichaften: Neubrandenburg (Medienburg) 
feit 1794. Naſſau 1813. Holftein 1818. Halberfladt, Leipzig 1820. 


15° 


(« 


— 


— 228 — 


Paris, Orb. v. 29. Ian. 1823. K. Sachfen 1824. Schweiz 9. März 
1825 , erneuerte Sapungen 7. April 1826. Würtemberg 1830. 
Muͤnchen 1833, neue zapung 1859. Freiburg (Baden) 1835, neue 
Sapung 30. März 1841. Güftrow 1842. Darmftadt 1854. — Praͤmien⸗ 
gefellfchaften: Berlin 1842. Baier. Pfalz 1843. Union in Weimar 
1855. Münden 1656. 


(d) Größere Landwirthe find in der Regel mehr geneigt, an ſolchen Geſell⸗ 
fchaften Theil zu nehmen, vgl. Cell. Nachr. a. a. O. ©. 54. 


(e) Die Landwirthe des Cantons Zürih glauben in geringerer Gefahr zu 
fein, als die in den flachen Gegenden von Bern und Aargau, Locher: 
Balber, Bericht über die Verhandl. der naturforfhenden Geſellſchaft 
in Zürih, 1826, ©. 43. Der Canton Waadt trat 1831 aus der 
fchweizeriichen Geſellſchaft, um eine eigene zu gründen, weil er in vier 
Sahren 1/5 mehr bezahlt als empfangen hatte. In Oberbaiern find 
einzelne Striche dergeſtalt Häufig von Hagelihlag Heimgefuht, daß 
man brei folcher Schauerlinien anzugeben im Stande if, in deren einer 
Münden felbft Liegt. In bergigen Gegenden fcheinen überhaupt die 
Hagelfchläge häufiger zu fein als in ebenen, weßhalb im noͤrdlichen 
Deutichland bie Prämien niedriger find als im füdlihen. In 15 Jahren 
hatte der würtemb. Nedarfreis auf !/re, der Sartkreis auf Yes der 
Fläche Hagelihaden. Die baierifhe Geſellſchaft Hatte in 13 Jahren 
durchſchnittlich 1,73, die fächfifche in 19 Jahren im D. 0,89 Broc., die 
bannoverfche im 20jähr. D. nur 0,8 Proc. Schaden. 


(f) Die Berliner Gefellfhaft, 1823 errichtet, wurde im Jahr 1831 auf: 
geloͤſt, 1832 von Neuem errichtet. Die 1854 errichtete Geſellſchaft 
Ceres in Magdeburg wurde 1857 von ber Bezirfsregierung aufgelöft 
und die Theilnehmer mußten auf jede Actie noch 40 Thlr. zulegen. 


(g) Antrag von Loifet in Frankreich, Nationalverf. 31. Dec. 1849. — 
Borfchläge in Belgien, auch für Vieh: und Feuerverficherung. — Nach 
ftarfen Hagelfchlägen pflegt fich diefer Wunfch zu regen. 


(1) Oberndorfer a. a. D. fchlägt vor, ftatt einer Verficherung vielmehr 
aus jährliben Beiträgen eine für jeden Theilnehmer befonders zu bes 
rechnende Summe anzufammeln, aus der denen, die einen Schaden 
leiden, ehe ihr Guthaben ausreicht, ein Borfhuß gegeben würbe. 
Diefer müßte dann durch flärfere Jahresbeiträge erfeßt werden. 


$. 106. 


Für dad Verhalten der Regierung in Bezug auf die Hagels 
fhadenverficherungen gelten ähnliche Srundfäge, wie bei den 
Beuerverficherungen, 8. 24. 8 find hier hauptfächlich folgende 
Regeln maaßgebend: 

1) Die zu biefem Zweck beftinmten Gefellfchaften find 
Privatunternehmungen, die im Allgemeinen dem freien Ents 
fchluffe der Landwirthe anheimfallen. ine Staatserlaubniß 
zu ihrer Errichtung nach vorgängiger Prüfung der Sapungen 
und eine Staatdauffiht auf den Gang ber Verwaltung iſt 
jedoch rathfam 





— 219 — 


a) bei Prämienverficherungen, welche von Actiengefellfchaften 
übernommen werden, 

b) bei auslänbifchen Gefellfchaften, denen bie Annahıne von 
Berficherungen im Lande geftattet wird und die, wenn man 
feine Borfiht anwendet, leicht Webervortheilungen der inläns 
bifchen Theilnehmer nach ſich ziehen fönnen, 

c) ſelbſt bei inlaͤndiſchen wechfelfeitigen Gefellfchaften, wenn 
ne auf Unterflügung durch die Staatögewalt Anfpruch machen. 
Es ift hiebei zu erwägen, daß große Gefellichaften wegen ber 
befieren Audgleihung der Unfälle fich Teichter behaupten ale 
Fleine, baß aber bei jenen bie einzelnen Sheilnehmer noch 
ſchwerer im Stande und geneigt find, durch gewählte Vertreter 
zur Ueberwachung bed Geſchäftsganges mitzuwirken und Miß- 
griffe zu verhüten. 

Für alle dieſe Fälle a bis c ift es zwedmäßig, in einer 
allgemeinen Berordnung diejenigen Orundzüge befannt zu machen, 
weiche die Regierung ald Erforbernig der Genehmigung der 
Eagungen folcher Gefellfchaften betrachtet. 

2) Bei der Prüfung der vorgelegten Sabungen iſt vors 
züglich auf eine gute Verfaffung ver Gefellfchaft (a), auf Bers 
bütung einer eigenmächtigen ober cigennüßgigen Handlungs» 
weiſe einzelner Vorſteher, auf gewifle Bürgfchaften ausländifcher 
Geſellſchaften (d) und auf die Verpflichtung zur regelmäßig 
wiederholten Beröffentlihung ber Rechnungen zu fehen. Die 
Regierung muß ©elegenheit haben, von der Verwaltung fort: 
während Kenntniß zu erlangen. 

3) Den von ber Staatögewalt gebilligten Gefellfchaften wird 
ber Beiftand der Gerichtd- und Gemeindebeamten zu ben 
Schätzungen zugefagt, was jedoch ohne Verwirrung und Bes 
läftigung nur dann ausführbar ift, wenn nicht in einem Lande 
oder Landestheile mehrere Gefellfchaften mit einander in Mit- 
werben ftehen. 

4) Die wohlthätigen Wirfungen dieſer Berficherungen rechts 
fertigen ed, wenn einer Gefellichaft für die erſte Zeit, wo fie 
noch feinen Hülfsvorrath gefammelt hat und durch flarfe Schä- 
den leiht in Berfall gerathen kann, ein Zufchuß aus ber 
Staatdcaffe bewilligt wird, dir aber auswärtigen Mitgliedern 
nicht zu Gute kommen darf (ce). 


* 


— 230 — 


(a) Die berner Geſellſchaft hat 1) einen Ausſchuß, der aus den zwei Hoͤchſt⸗ 
verficherten jedes Bezirkes beſteht und ſich jaͤhrlich einmal verſammelt 
(Art. 17—32), 2) eine Auffichtscommiſſion von 5 Perſonen (Art. 
33—45), 3) eine Berwaltung, welche den Director (zugleich Gaffirer), 
ben Seeretär und einen Gommiflär in jedem Bezirke in fich begreift 
(Art. 43. 52% Hiezu kommen die Taratoren. — Bad. Geſellſchaft in 
Kreiburg: 1) Director, 2) gewählter Ausfhuß zur Ueberwahung des 
Directors, 3) Agenten in den Landesbezirken, 4) die jährliche Generals 
verfammlung. Der Director wird ($. 29) nit von der Geſellſchaft 
gewählt und ift „bei treuer Verwaltung” unabfeßbar, eine fehlerhafte 
Einrihtung, mag auch das PVerdienft des Gründers noch ſo groß fein. 
Gine Geſellſchaft muß ihre Beamten wählen und zwar nur auf be- 
ftiimmte Zeit. 


(5) Dahin gehört die Aufftellung inländiicher Gefchäftsführer (Agenten) 
und die Zuficherung, in Streitigfeiten mit Inländern fid ben Gerichten 
des Landes zu unterwerfen. — Dagegen ift eine Geſellſchaft, welche 
Mitglieder in einem andern Lande annimmt, einigermaßen gefährdet, 
wenn nicht die Regierung defielben ihr Beifland zuſichert. Sie muß 
3. B. Bezirksvorfteher haben und bei ten Tarationen auf die Hülfe 
der Ortsobrigfeiten im Sinne der Statuten rechnen. — In großen 
Staaten fünnen Gefellfhaften für einzelne Landestheile geftiftet werden. 
Die Parifer Affecuranz erfiredt fi) auf 11 Departements. 


(ec) Empfehlung diefer Maapregel bei Helferih a. a. DO. Die würtemb. 
Regierung giebt feit 1843 einen Yahreszufhuß von 15000 fl. — 
Als eine Beförderung ber Theilnahme an der Verficherung ift auch die 
Abichaffung des Grunditenernachlafies bei Beichädigungen angerathen 
worden, die ech in vielen Fällen zu hart wäre, befonders bei tem 
jegigen unvollfommenen Zuftande biefer Berfiherungen. 


$. 107. 


Da die Regierung Gelegenheit hat, zur guten Einrichtung 
der Hagelverficherungen mitzuwirfen (8. 106), fo bedarf fie 
einer Kenntniß ber für biejelben geltenden Regeln, von benen 
in folgenden Sägen ein Ueberblid gegeben wird. 

1) Beftimmung ber Gefahr. Die verfchiedenen Feld⸗ 
und Oartengewächfe find fowohl nach ihrer Beichaffenheit als 
nach der Dauer ihres Standes auf dem Boben fehr ungleich 
geführtet; ed muͤſſen deßhalb, um alle Verficherten mit gleicher 
Gerechtigkeit zu behandeln (a), mehrere Abtheilungen von Ges 
wächfen gemacht werden. Man kann hiebei entweder für jede 
Abtheilung (Elafje) eine abgefounderte Behandlung anwenden, 
fo daß eigentlich mehrere getrennte, nur unter einerlei Ver⸗ 
waltung ftchende Gefellfchaften vorhanden find (5), oder wenig« 
ftend das Beitragsverhältniß jeder Claffe nad) den bisherigen 
Erfahrungen ungleich feftfegen, wobei fortgefegte Beobachtung 
mit der Zeit zu Berichtigungen Anlaß geben wird (ec). 


Daffelbe gilt von der Aufftellung verfchiedener Beitragsanfäge 
für verfchiedene Gegenden, indem erft in längeren Zeiträumen 
die Ungleichheit der Gefahr mit Zuverläffigfeit zu erkennen 
ft (d). 

2) Der Anſchlag der zu verfichernden Gemwächfe wird 
ven Berficherten freigeftellt. Jeder derſelben hat jährlich (e) 
eine Erflärung einzureichen, in welcher Name, Lage und Größe 
jedes Grundftüdes, — Art der auf jedem berfelben ftehenden 
Früchte, — muthmaßlicher Natural» Ertrag, — Geldanfag oder 
verficherte Summe, angegeben werben. 


(a) Sinige Gefellfchaften ſchließen Die mehr gefährdeten Gewächſe ganz aus. 
Medienburg, $. 2: blos Halmfrüchte, Erbſen, Linfen, Widen und 
Buchweizen. — N. Köthen, $. 3: außer diefen auch Bohnen, Rübfen 
und Raps, Mohn, Leindotter. 

() Schweiz, $. 60: 1. Elafle, Halm⸗, Schoten⸗, Delfrücte, Kleefamen, 
Hanf, Lein. 2. Elafie: Neben, Hopfen, Tabat. 


(c) Mailänder Sefellihaft: A Claſſen; bie unterfle für Gras in ber Ebene, 
die höchſte für Reben und Delbäume in Gebirgen; Berhältniß der 
Beiträge in Claſſe 1 und 4 wie 3 zu 16. — Würtemberg: 1) Del: 
gewächte, Hopfen, Neben, Flachs, Hanf, Obſt, 2) Getreide u. a. Ge: 
wächſe; Berbältniß 2 zu 1. — Freiburg, Baden, $. 39: 1) Hanf, 
Flache, Tabak, Hopfen, 2) Neben, Obſt, Rays, Mohn, 3) Halm: und 
Ehren 4) Knollen⸗, Wurzel⸗, Küchen: und Futtergewaäͤchſe. 

as Beitragsverhältniß it I —2 — 3 — 4/5. — Magbeburg: 1) Halm⸗ 
und Hülfenfrüdhte, Kartoffeln, Hadirühte, Koblarten, 2) Del- und 
Handelsgewaͤchſe, 3) Reben und Obſt, 4) Hopfen und Tabaf. Ber: 
bältniß der Beiträge ungefähr 1— 1%, oder 2 —3— 4. — Münden, 
Prämiengefellihaft: Butterfräuter 1/s— 5 Proc., Getreide und Yutters 
wurzeln 9 — 6 Proc., Hülfenfrüchte und Mais 1—7, Del» und 
Handelsgewaͤchſe 142 — 8, Tabak und Hopfen 21/%— 12, Wein und 
Obſt 3 — 15 Proc. 

(d) Wiener Gef. : 4 Elaffen, je nachdem feit 10 Jahren feine ober mehrere 
Hagelſchlaͤge flattfanden. — Freiburg, $. 53. Wenn in einer Gemar⸗ 
fung in ten legten 10 Jahren vor der Aufnahme höchftens einmal 
Steuernahlaß oder Entihädigung Statt fand, fo findet eine Ermäßi- 
gung des Beitrags ſtatt, im Berhiltniß 8 zu 7, in Claſſe 2—4 wie 
5 zu 4. — In Magdeburg bat jede Abtheilung 6 Nbflufungen, in 
weldhe der Berficherte je nach der Gefährlichkeit der Lage eingereiht 
wird. Der hoͤchſte Sab iſt 3. B. bei Getreide: und Delgewächſen 
2 Broc., bei Tabak 4. — Würtemberg: Wird eine Gemeinde in drei 

Bi zweimal (in zwei verfchiedenen Jahren) um 1/s der Ernte oder 

mehr beihätigt, fo fteigt die Prämie drei Jahre lang um !’. — 
Münden, neue Gef. auf Prämien: 11 Abftufungen je nah den in 
den leuten 20 Jahren eingetretenen Hagelichlägen und der aus anderen 
Gründen erfennbaren gefährlichen Lage. 

(e) Bei mehreren Gefellihaften muß man fi fogleih auf einige Jahre 
anheiichig machen. Dieß ift zwar zur befleren Ausgleihung zweckmaͤßig, 
hält aber, wenn die Jahresbeiträge nicht feft find, Leicht von dem Beitritte 
ab. Beſſer ift es die Wahl freizulaſſen, ob man auf I oder auf 5 Jahre 
beitreten will, im zweiten Falle aber einigen Vortheil zu gewähren. 








— 2322 — 


8. 108. 


3) Die Abfhägung des Schadens muß fo bald als 
möglich gefchehen, weil fonft die Beurtheilung erfchwert wird, 
daher hat der Befchädigte unverzüglich Die Anzeige zu machen (a). 
Die wahre Größe ded Schadens ift der Unterfchied des vor 
dem Hagelfchlage zu erwarten gewefenen und bed noch vor 
bandenen Ertraged. Wenn aber jener größer war als die ver 
ficherte Summe, fo fann der Ueberſchuß als nicht verfichert 
auch nicht vergütet werden. Das billigfte Verfahren befteht 
darin, daß die Taratoren ausfprechen, der wievielfte Theil der 
vor dem Unfall vorhanden geweſenen Früchte durdy den Hagel 
zerftört worden ift, und biefe Duote des Verſicherungsanſchlags 
erfegt wird (6). Wenn ed zweifelhaft if, ob ſich die Gewächle 
noch bid zur Ernte ganz ober theilweife erholen können, jo 
muß der Erfolg abgewartet und eine zweite Abfchägung vor 
der Ernte angeorbnet werden. Kann nad dem Gutachten ber 
Schäger noch eine zweite Ausfaat vorgenommen werben, fo 
mindert fich der Schadenerfag um den wirklichen, oder, wenn 
“ der Befchädigte biefe zweite Benugung nicht anwendet, um ben 
muthmaßlichen Ertrag derfelben, nach Abzug ber Beftellungd- 
foften. Entfteht hierüber, oder über die Richtigfeit der Schäßung 
Streit, fo entfcheiden Schiederichter. 

4) Wad den Erfah betrifft, fo müffen die “Prämien 
gejellfchaften denfelben je nach ihren Satzungen ganz oder theil- 
weife leiften. Bei wechfelfeitigen Anftalten kommen zweierlei 
Einrichtungen vor: 

a) Gefelfchaften mit veränderlichen Beiträgen können 
bie Schäben vollftändig vergüten, indem nämlich ber ebenfo- 
vielfte Theil des verficherten Anſchlages erfeßt wird, als welcher 
von der muthmaßlichen Ernte zerftört worden ift, und darnach 
der geforderte Beitrag bemeflen wird. Dieß ift bem Zwecke 
der Anftalt am meiſten entfprechend, allein die Beiträge ers 
reihen in ungünftigen Jahren, beim Mangel eined erfparten 
Hülfsvorrathes, Teicht eine folche Höhe, daß fie ſchwer einzu 
treiben find und viele Mitglieder zum Austritt bewogen werben, 
wie denn überhaupt eine veränderliche Prämie ungern über 
nommen wird. 8 find deßhalb bei den meiften @efellfchaften 





— 233 - 


beichränfenbe Abaͤnderungen angeordnet worden. Man hat ge- 
möhnlich einen gleichen Beitrag ald Regel eingeforbert, das 
von demfelben Uebrigbleibende zurüdgelegt, dagegen bad in 
einen Jahr Fehlende durch einen Nachfchuß gebedt, der aber 
ein gewiffed Maaß nicht überfteigen darf, fo daß, wenn bieß 
nit zureicht, der Erfah ebenfalld unvollftändig bleibt. So 
näbert fich diefe Einrichtung der folgenden (ec). 

b) Andere Gefellichaften haben die Beiträge unveränder- 
lich feftgefegt, weßhalb bei ungewoͤhnlich großen Hagelfchäben 
ter Erfag nicht volftändig ift (d). Der BVerficherte fann bier 
für den Fall eined Schadens auf gar feine gewiſſe Vergütung 
rechnen und hierin liegt ein ſtarker Abhaltungdgrund für 
Biele (e). Man follte alfo den Beitrag fo beftimmen, daß 
menigfiend ein gewiffer Theil jedes Schadens unfehlbar ver: 
gütet wird, und in guten Jahren auf die Sammlung eines 
Huͤlfsvorraths bedacht fein. 

Kür beide Einrichtungen leiftet offenbar ein erfparted ober 
mit Hülfe eines Staatszufchuffes gewonnenes Huͤlfsvermoͤgen 
(Refervefonds) fehr gute Dienfte. 


(a) Die Anzeige wird dem Gefchäftsträger (Agenten) des Bezirkes gemacht 
und von ihm wird hierauf die Abſchätzung veranftaltet; die Schäßer 
fönnen in jeder Gegend, wo bie Gefellichaft viele Mitglieder hat, ſchon 
vorher beitellt werden. In Medlenburg (Stat. $. 10) werden fümmt: 
lihe 4 Taratoren aus den Mitgliedern der Gefellihaft genommen, in 
Bern ftellt die Geſellſchaft die eine Hälfte der Taratoren, der Be: 
ſchädigte die andere (Stat. F. 53), in Baden (Freiburg) werten fie 
von dem Agenten vorgeichlagen und von der Direction genehmigt, $. 55. 


(6) Die verfhiedenen Fälle und Methoden laſſen fih fo erflären. I. Es 
fei der Anſchlag a — 1000 fl., der vor dem Dageliclgg zu hoffende 
Ertrag e = 800 fl., die übrigbleibende Ernte r = 300 fl. Nun 
fönnte der zu vergütende Schaden angefegt werben: 
ty auf a — r — 700 fl., der Beichädigte empfängt alfo mit Ein: 
ſchluß der 300 fl. den vollen Anfchlag, d. i. mehr ald er ohne ben 
Unfall zu erwarten hatte ; 

2) auf e — r—=500fl., «es ift alfo für ihn gerade fo, als wenn 
fein Hagel eingetreten wäre, er hat aber unnöthig hoch verfichert, 


3) u To a. 1000 fl. = 625 il., folglich auf einen 
e 
mittleren Betrag zwifchen 1) und 2). 


IL Es jei bei dem vorgenannten Werthe von a und r bie zu erwarten 
geweiene Ernte e — 1200 fl. Hier wäre 1) wieder 700 fl., 22)e—r 


= 800 fl., der Beichädigte erhielte zuviel; 3) ——.4 750 fl. 
0 


(c) Barifer Geſellſchaft: hoͤchſtens 1! /3 Procent von Halmfruͤchten und 
3 Procent von Wein ꝛc. Ben, Etatut $. 108 und Modificationen 








— 234 — 


Nr. 7: in ber 1. Claſſe nicht übere?, in der 2. nicht über 3 (vorher 4) 
Procent. — Die Berliner Actiengefellichaft hatte im D. 1858-60 

verficherte Summe 18'234 633 Thlr. 

Prämieneinnahme 234811 The. — 1,# Bror. 

Gewinn . . . 79313 Thlr. 
Die Leipziger Gefellichaft Hatte 1841 bei einer PVerficherungsiumme 
von 16693000 Thlr. 1,3% Proc. Schaden, #840 nur 0,9 Proc., wee: 
halb in diefem Jahre über 3,4 des ordentlichen Beitrags (von 3, Proc.) 
zurüdgezahlt, in jenem aber 881,5 Proc. nachgeforbert wurden; 1942 
mußte fie 100 Proc. Nachſchuß verlangen und Fonnte doch bie 
Schäden nicht voll erfeßen. 1855 forderte fie 32 Proc. Nachſchuß, 
bie Gefellichaft zu Schwedt 80, die Altenburger 20 Broc. der Prämie. 
8 gegenfeitige Geſellſchaften in Deutfchland hatten 1859 58 Mill. Thlr. 
verfihert, die Schäden waren 609448 Thlr. — 1,97 Proc., War. 
Neubrandenburg mit 15°377 900 Thlr. Berficherung. 


(d) In Mürtemberg wurden in 16 Jahren durchfchnittlich 40 Proc. des 
ermittelten Schadens vergütet, in einem einzigen Jahre 100, in einem 
anderen nur 10 Proc. Die bad. Gefellichaft zu Freiburg erſetzte in 
13 Sahren im D. der einzelnen Sahre nur 36 Broc. der Schäten, in 
6 Jahren weniger als 30 Proc. Die Prämie für Getreide wurde 
nach und nach von %/3 bis auf 1 Proc. erhöht, wie fie auch in Wir: 
temberg beftimmt iſt. Da die Schäden hier in 16jähr. D. 2,9 Pror., 
in Baden 1834—46 2,9% Broc. der verficherten Summe ausmadıten, 
in Baiern in der nämlichen Zeit 1,79 Proc., fo zeigt fih, daß bie 
Prämien nicht genügen. Man muß fich alfo entiweder mit einem un: 
vollftändigen Erſatze begnügen (in Würtemb. foll er nad) den Sagungen 
3’, nicht uberfleigen) , oder fich zu höheren Beiträgen entichließen. 


(e) Es iſt unbillig, daß von einerlei Betrag des Schadens in einem Jahre 
weniger vergütet wird als in einem anderen. 


$. 109. : 


Eine Berfiherung des Viehſtandes gegen Sterbfälle (a) 
ift, obgleich mit manchen Schwicrigfeiten verbunden, doc) ehr 
häufig ausgeführt worden (5) und für die Landleute, befonderd 
die dürftigere Claſſe derfelben, ſehr wohlthätig (ec); denn fie 
bewahrt diefelben vor der Bedrängniß, in melche fie durch den 
Verluft eined Viehftüdes gerathen würden, und macht es auf 
dem ganz unbegüterten Landmanne möglich, dad zur Anjchaffung 
eined Thiered erforderliche Capital zu borgen, während, fo lange 
die Gefahr des Vichfterbend auf den Gläubiger fällt, gemwöhn- 
liche Darleiher fich vor diefem Geſchäfte ſcheuen und das drin 
gende Beduͤrfniß des Landwirthes von einen Biehverfteller zu 
einem wucherlichen Vertrage gemißbraudht wird. Die Bich- 
verftellungen, bie in vielen Gegenden ein fchwerer Drud für 
die Landbewohner find (d), laſſen fih am leichteften burd) 
Leihcaſſen entbehrlich machen, die aber ohne Berficherungd- 


— 235 — 


anfalten nicht zu Stande kommen können. Große Gefell- 
ſchaften haben mit erheblichen Schwierigfeiten zu fämpfen, zu 


. tenen hauptſächlich die Menge ber entfernten Gefchäftsführer, 


teren Beauffichtigung fehr mühfam if, die verfchiedenen Ber- 
hältmiffe einzelner Gegenden, bie anfehnlichen Berwaltungs- 
often, und die Berfuhung der Berficherten zur nachläffigen 
Behandlung der Thiere gehören. Deßhalb find viele folche 
Perfiherungdgefellfchaften nad) Furzer Dauer eingegangen (e). 
Heine, auf eine Ortfchaft oder doch einen engeren Bezirk bes 
ihränfte Gefellfichaften haben fit) am beiten behauptet (f), 
weil fie eine fehr einfache Verwaltung haben, die Mitglieder 
ih gegenfeitig überwachen und eine Berfammlung aller Theil: 
nehmer leicht zu veranftalten ift, aBein bei flarfem Verluſte 
durch Seuchen genügen fie nicht, weshalb viele Ortsvereine 
dieſe Art von Sterbfällen audfchließen; für größere Landwirthe 
iR jedoch gerade die Verſicherung gegen Seuchen befondere 
miglih. Daher verdient die Gründung großer Gefellfchaften, 
bei denen jene Schwierigfeiten mit Benugung der biöherigen 
Erfahrungen durch gute Einrichtungen befeitigt werben, eifrig 
kefördert zu werben. Die Mitwirkung der Regierung und bie 
allgemeinen Verhaͤltniſſe folcher Gefellichaften find nach den in 
$. 106 aufgeftellten Sägen zu beurtheilen. Die Fleineren Gefell- 
ihaften bleiben jedoch hier außer Betracht, weil fie ganz dem 
ein Entfchluß der Viehbefſitzer, dem Beiftande der Gemeinde- 
vorgeiegten fowie den Belehrungen ber Landwirthfchaftlichen 
Lereine zu überlaffen find. Die Grundzüge für eine folche 
Anfalt find folgende: 

1) Die Berfiherung bei den biöherigen Anftalten ift eine 
gegenjeitige. 

2) Am nöthigften ift fie für Rindvieh und Pferde, dod) 
ind auch bisweilen Schweine und Scaafe aufgenommen 
worten. Für jebe Thierart wird eine abgefonderte Abtheilung 
gebildet, Franfe, zu junge oder zu alte Thiere werben auds 
geſchloſſen. 

3) Der Anſchlag der verſicherten Thiere nach ihrem Ver⸗ 
lehtowerthe wird bei jedem einzelnen Stück durch Sachkundige 
abgeſchaͤtzt, was zwar umſtaͤndlicher, aber genauer iſt, als wenn 
für jedes Geſchlecht und Alter der Thiere mehrere Claſſen 





— 286 — 


gebildet werden, in welche jedes Stück durch Schaͤtzer eingereiht 

wird (g). ' 

4) Jeder Theilnehmer muß feinen ganzen Viehſtand ver- 
fiihern laſſen und die Abſchätzung wird jährlich wiederholt. 

5) Jede Erfranfung eined verficherten Thiered muß ſogleich 
einem Beamten der Gefelfchaft angezeigt werden, damit ber 
Thierarzt beigezogen und eine angemeffene Behandlung ange 
wendet oder das Schlachten beichloffen werden könne Die 
Unterlafjung der Anzeige zieht den Verluft der Entfchäbigung 
nad) ſich. 

6) Um die BViehbefiger nicht zur Vernachläſſigung ihre 
Viehes zu verleiten, ift es zwedmäßig, daß nur etwa 3/4 ober 
4/5 ded Anfchlaged vergütet werde (I). Was von dem ums 
gefommenen Thiere benußt werden fann, namentlich bie Haut 
und in vielen Fälen das Fleiſch, das wird abgefchägt und 
von dem Anfchlage abgezogen. 

7) Die Entfhädigungen werden nad) erfolgter Unterfuchung, 
ob der Unfall nicht etwa verfchuldet fei, ſogleich ausbezahlt, 
wozu ein Gaffenvorrath nöthig if. Die. Beiträge werben fo 
beftimmt, daß fie bei dem gewöhnlichen mittleren Belauf ber 
Schäben einen Ueberfhuß zur Dedung größerer Verluſte ges 
währen (2) und jährlidy oder halbjährlich auf die Theilnehmer 
umgelegt. 

8) Den Berficherten follten fo wenig als möglich Nebens 
abgaben, Gebühren ıc. aufgelegt werden (&). 

9) Der gute Erfolg hängt großentheild davon ab, daß in 
ben einzelnen Bezirken und Orten Ausfchüffe und Vorſteher 
gewählt werden, weldye mit ähnlicher Sorgfalt wie bei ben 
DOrtövereinen thätig find und unter ber Leitung bed Haupt 
vorftandes ftehen. 

(a) Bergius, Magazin. L’Art. Affecuranz. — Benfen, Materialien, 
I, 259. 416. — v. Berg, Handb. III, 332. — Ryß, Ueber Vieh 
Affecuranz : Eredit:Anftalten. Wuͤrzb. 1831. — Bad. landw. Moden: 
blatt 1833, ©. 177, 251 und an vielen fpäteren Stellen. — Zen: 
gerfe, Annal., IX, 238. — Nachrichten über die Wirkjamfeit und 
die Sineichtung Eleiner Bicehverfiherungsvereine im K. Hannover 1853. — 


L. Rau im Amtl. Bericht über die XX. Berfammi. der d. Landw. 
8 181. (Braunfihweig.) — Amtl. Bericht über die XXL. Verſamml. 
. 217. 


(5) In Schlefien wurde eine ſolche Geſellſchaft (gegen die Rindviehpeſt) 
1765, in Oſtfriesland 1782 errichtet. 





— 237 — 


(c) Der Viehſtand iſt ein anſehnlicher Theil des volkswirthſchaftlichen Ca⸗ 
pitals. Man hat z. B. für das Großh. Heſſen den Verkehrswerth der 
Prerde und bed Rindviehs Für 1858 auf 19%; Mill. fl. angeſchlagen 
(v. Dael, Zeitfchr. f. d. landw. Bereine in Heflen, 1860 ©. 2), 
während eine andere soäbung mit Ginfhluß der anderen vierfüßigen 
Hausthiere fogar 25%, Mill. I. giebt (ebend. S. 300), alfo auf Die 
D.:M. 128 — 168000 fl., auf den Kopf der Ginw. 23,3— 30,5 fl. 
Für Sachſen berehnet Reuning ten Berfehrewertb fo: Rindvieh 
21904 000 Thlr., Pferde 9-489 000, Schaafe 1519000 Thlr., zufaınmen 
32-913 000 Thlr., alfo auf die Q.⸗M. 211 912f., auf ten Kopf der Ginw. 
27,19. — In Hannover war in 4jähr. D. (1849—52) der Verluft bei 
Pferden 2,4; bei dem Rindvieh 1,8, bei Schweinen 5 Proc., in Würtem- 
berg war er 1841—46 im D. 2,8 Proc. In ber heil. Provinz Etarfen: 
burg war ber Berficherungsbeitrag für Rindoieh in 1Ojährigem D. 
2,8 Proc. — In einigen medlenburg. Kuhgilden war 1835 — 44 
turdichnittlich der Berluft 3,9 Proc. der Kühe, der Jahresbeitrag 
24 Sgr. von der Kuh, der Erſatz einer folhen 12,8 Thlr. 


(d) Bad. landw. Wochenblatt, 1833, S. 23, 1836, ©. 344. Am häufig: 
fen werten folche Biehverftelungen, deren Nachtheil ter wenig rechnente 
kandwirth nicht durchſchaut, vermittelt des fog. Halbviehes ver 
anſtaltet. in Darleiher giebt dem Bauer ein Stüd Vieh, von dem 
jedem Theile bie Hälfte zugehoͤren foll; nach einiger Zeit wird bie 
Bertdövermehrung und das erzielte Jungvieh getheilt, wobei der Land: 
wirth (Ginfteller), der die Fütterung allein zu beftreiten hatte und 
gensbnlidh feine Hälfte dem Verſteller ſchuldig bleiben mußte, in der 

egel ſehr verfürzt wird. 3. B. ein fünfmonatlidyes Rind wird zu 
10 fJ. angefchlagen und ala Halbvieh eingeftellt. Nach 3 Jahren wird 
geichäßt Die Rub zu 50 fl., das erfte zum Rinde aufgemadiene Kalb 
auf 20 fl., Das 2. Kalb auf 6 fl., Summe 76 fl., wovon der Ber: 
ſteller mit 5 fl. muslage 38 fl. erhält. Der Ginfteller bat aber an 
feiner Hälfte nebſt der Milch- und Düngernußgung feinen vollen Erfag. 
Dieß Berhältnig wird wegen der fi daran Inüpfenden weiteren Weber: 
vortheilungen und Grpreffungen noch verderbliher. Die bad. Vieh: 
verfiherungen nehmen das Halbvich theils gar nicht, theild nur die 
dem Binfteller gehörende Hälfte an. 


(e) Beiſpiele größerer Befellfchaften, die fi erhalten haben: Provinz 
Starfenburg im Großh. Heffen, Statuten v. 24. Febr. 1847, bei 
Zeller, Die Wirkfamfeit ıc. ©. 126 des Anhangs. Baierifche Pfalz 
feit 1849. Dresdener Gelellichaft. 


N In Ehleswig, Holftein und Medienburg beftchen viele Eleine Kuh⸗ 
verſicherungsgeſellſchaften ( Kuhgilden) für einzelne Drtichaften. 
Die Theilnehmer find größtentheild Taglöhner. Die ältefle dieſer 
Gilden wurde 1799 zu Knoop bei Kiel duch NRiren errichtet. 
v. Lengerfe, Annal. X, 342. Im R. Hannover beftanden im Jahre 
1852 474 Verfiherungen, in denen 189 Pferde und 46580 Etüd 
Rindvich eingetragen waren. Im Canton Waadt waren 1837 35 Vieh: 
verficherungsgefellihaften. In Würtemberg zählt man 60 mit fchrift: 
lichen Sagungen und viel mehr ohne folce. 


1) Bei vielen Ortsvereinen wird nur die Zahl der erwachſenen Thiere 
berüdfichtigt und das Jungvieh etwas niedriger angenommen, 3. B. 
an Rind von 1—2 9. zu %s, von 2—3 9. zu %/s der Kuh. 


A) In einigen bad. Gemeinden ?/s. — KRöln-Münfter Y/s, bei dem Auf: 
blähen von Rindvich und Schaafen nur 40 Proc. 


’ — 1 — 


(3) In ben beftehenden Geſellſchaften finden mancherlei Berfchiebenheiten 
ftatt. Bei der Geſellſchaft in Magdeburg zahlte man für Pferde in 
4 Glaflen 21/8 —5 Proc., für Rindvich 21/—3%g Proc. des verficherten 
Werths jährlih voraus. Blieb etwas übrig, fo wurden 5 Proc. der 
Prämien zum Hülfsvorrath gefchlagen, das Weitere den Theilnehmern 
bei ihren fünftigen Prämienzahlungen zu Gute gerechnet. 10 Proc. 
famen jährlih in den Hülfsvorrath. Reichten die Prämien und der 
Huͤlfsvorrath nicht, fo wurde ein Nachſchuß bis auf den Betrag ber 
Rrämien erhoben. — Dresden: Aderpferde 423, Lurus: und Militär: 
pferde 5%/,, Rindvieh nach der Gefundheit der Gegend ıc. Bror. 
j. Brämie, Ueberfchüffe fliegen in den Hülfsvorrath, welcher, fomwie er 
ein gewifles Maaß überfteigt, vertheilt wird ; reicht die Sahreseinnahme 
und der halbe Mefervefonds nicht hin, fo wird der Erſatz unwollftäntig 
geleifet. Derfelbe ift bei gefährlichen Krankheiten und Seuchen voll, 
ei manchen anderen linfällen nur halb. — In der Provinz Starken: 
burg kann ein gewifler Beitrag vorauserhoben werden, man rechnet 
alle halbe Jahre ab und fordert das Fehlende ein. 


(%) Hierin ift bei vielen größeren Gefellfchaften gefehlt worden. Eine 
Vorausbezahlung (Legegeld), zur Sicherheit gegen bie faumfelige Ent: 
rihtung der Beiträge, ift jedoch zu rechtfertigen. 


B. Landwirthſchaftliches Ereditweien. 


$. 110. 


Der Grundeigenthümer ift oft genöthigt, fremdes Capital 
vermittelft einer Anleihe zu Hülfe zu nehmen, wozu ihm bie 
Berpfändung feines Tiegenfchaftlichen Vermögens eine Erleich⸗ 
terung darbietet (a). in folches Bebürfniß zu borgen zeigt 
fih in vielen Bällen 1) ſchon bei ber Erwerbung von Laͤn⸗ 
dereien und Gebäuden durch Ankauf oder Uebernahme bei Erb- 
theilungen, — 2) bei ungewöhnlid großen Ausgaben und 
Verluften in Unglüdsfällen, die ohne die aus dem Credite 
fließende Hülfe zur Beräußerung von Liegenfchaften zwingen 
würden, — 3) zu beabfichtigten Grundverbeflerungen, zu ver 
mehrtem Aufwande für Wirthfchaftsgebäude und im alle der 
Bewirthfehaftung durch den Eigenthümer zur Vermehrung bed 
ftehenden und umlaufenden Bapitald. Bei dem heutigen Etante 
der landwirthfchaftlichen Kunft erfennt man mandherlei An- 
wendımgen eines größeren Capitals, bei denen ber Reinertrag 
beträchtlich gefteigert wird (5), — 4) bei Ablöfungen von 
guts⸗ und zehntherrlichen Laften, wo jedoch die Abkaufs ſummen 
in den Händen ber Berechtigten zugleich ald Angebot zu Liegen 
fchaftsfäufen ober Darlehen erfcheinen. Die Zinfen der Unter 


— 2139 — 


pfandöfchulden (c) zehren in ben beiden erften Faͤllen einen 
Theil der Orundrente auf und fchmälern fowohl den Unter: 
haltöbebarf der Grundeigenthümer, ald die Mittel zur befferen 
Betreibung der Landwirthſchaft. Durch die Anleihen aus ber 
dritten der oben angegebenen Urfachen wird bie allındlige Til- 
gung von ber Steigerung ded reinen Bodenertrages erleichtert. 
Die geborgten Summen fönnen vom Schuldner nicht aus 
jeinee Wirthſchaft zurüdgezogen werden, er geräth daher in 
Bedrängniß, wenn der Gläubiger fündiget und nicht ein anderer 
Gapitalbefiger die ſchuldige Summe vorftreden will (d). Es 
it beöhalb ſowohl für die gute Benugung ded Bodens ale 
für die Erhaltung ded Wohlftandes unter den Orundeigens- 
thümern fehr wohlthätig, wenn die Staatögewalt darauf hinwirkt, 
jener Claffe die Benugung geliehener Bapitale unter leichteren 
Bedingungen möglich zu machen. Die Höhe ded Zindfußes 
beftimmt fich zwar im Allgemeinen aus dem Berhältniß der 
begehrten und angebotenen Menge von Leihfummen (I, 8. 230), 
und ber Unterpfandscredit eined jeden Eigenthümers findet in 
tem muthmaßlichen Berfehröwerth feiner Xiegenfchaften feine 
Graͤnze, allein es giebt boch Mittel, die Bapitaliften mehr 
zu Darleihen auf Unterpfänder geneigt zu machen und hiedurch 
bie Zinfenlaft fowie die Nebenausgaben der borgenden Grund⸗ 
eigenthümer zu vermindern (e). 


(a) Auch der Pachter ift nicht felten ift der Rage, dieß thun zu müffen, 
dieß bleibt aber hier außer Betracht, weil jener Fein Unterpfand be? 


flellen kann. Unterſcheidung des credit foncier und agricole bei Wo: -. 


lowski, f. (e). 


(d) Die Abfindung der Miterben ift da, wo feine Theilung der Ländereien 
Rattfindet,, eine flets wiederkehrende Beranlaffung der Verſchuldung, 
bie, wenn nicht etwa ein neuerworbenes bewegliches Vermögen hinzu⸗ 
fommt, 3. B. durch Heirath, nur durch den fleigenden Reinertrag des 
zanbee während der Lebenszeit des Beſitzers wieder vermindert werben 
ann. 


Beifpiele bei Dünkelberg, Die Landw. und das Gapital, Wies⸗ 
baden, 1860. ' 


(d) In mehreren Ländern iſt daher der Kauf von unauffünbbaren Renten 
eingeführt worden, bie auf einer Liegenfchaft beruhen. Mittermaier, 
Priv.⸗R. 6. 283. Diefe lettres de rente find namentlich im Canton 
Waadt fehr verbreitet, Dietionn. de l’&con. pol. I, 506. = Wolowski, 
Revue, 1852. I, 89 

Es ift merkwürdig, daß der franzöfliche Grundeigenthümer im Allges 
meinen für feine Schulden empfindliche Opfer bringen muß. Nach der 
1846 angeftellten Unterfuchung (Moniteur Nr. 12) ift ber Zinsfuß ſammt 


(e 


—— 


(e 


— ⸗ 


— 40 — 


Provifion sc. in manchen Dep. 8, 10 und mehr Proc. Im Jaht 
1850 wurde angenommen, daß die Unterpfandsanleihen mit enregiatre- 
ment, honoraire, expödition, inscription ete. im Durchſchnitt auf 
8 Proc. fommen. Die Mafle der wirklichen Hypothefenichulden (unter 
den aufgeführten 14000 Mill. find viele nicht aufzurechnende Poſten) 
wird auf 8000 Mil. mit 640 Dil. Fr. Jahreslaſt angefchlagen und 
währt jährlich ungefähr um 600 Mill. oder den beiläufigen Betrag 
der Zinfen. Moniteur 1850, Nr. 61. = Wolowski, Bevue de 
lögislat. et de jurisprud. 1852, I, 302. Unter jenen 8000 Mill. Fr. 
find aber gegen 3500 Mill. auf Gebäude geliehen, deren Verkehrswerth 
zu 30000 Mill. angeichlagen wird, es bleiben alfo nur 2500 Will. 
auf Rändereien ruhend, oder 5 Proc. von dem Verkehrswerthe derfelben. 
Die Zinfen zu 6 Proc. betragen 150 Mill. Sr. De Lavergne, 
Ee. rur. de la France, ©. 468 — In Belgien war 1848 der Verfchrs: 
werth der Ländereien 6649 Dill. Fr., der Betrag der Unterpfande: 
fhulden 440 Mil. — 6,8 Proc., der Verkehrswert der Bebäute 
1658,8 Mill., die Berfchuldung 357,9 Dal. = 21 Proc., Jossean, 
Des institutions de erddit foncier ©. 41l. — In Preußen fand man 
bei den Rittergütern in 6 Kreifen der 6 öftlichen Provinzen, daß der 
Verkehrswerth von 1837—57 von 6'895000 auf 13737000 Thlr., 
die Verfhuldung von 5498000 auf 11°077000 Thlr. geftiegen war, 
fo daß die Schulden anfangs 80, zuleßt 81 Proc. ausmachten. Wenpel 
und v. Lengerfe, Landiv. Calender 1859, II, 220. 


g. 111. 


Es giebt Zeitverhältniffe, in denen der Unterpfandscredit 
der Orundeigenthümer in einem Lande gefchwächt ift und bed 
halb die Hülfe der Staatögewalt in höheren Grade in Ans 
fpruch genommen wird. Dieß ereignet fich bisweilen nad) langen 
fhweren Kriegen, in denen die Berfehuldung ftarf zunahın, 
befonderd wenn zugleich eine ungewöhnliche Wohlfeilheit ber 
Bodenerzeugniffe eintritt, die von fruchtbaren Jahren, oder von 
einer Bermehrung des Angeboted durch verftärften Anbau ber 
rühren kann (a). Große Staatserfchütterungen führen zu aͤhn⸗ 
lichen Zuftänden (6). Werben die Schulbzinfen für bie ge 
funfene Grundrente zu beſchwerlich und ift auch der Preis der 
Ländereien niedriger geworden, fo können viele Orundeigenthümer 
ihr Land bei dem Anbringen der Gläubiger nicht mehr be 
haupten, auch dieſe verlieren einen Theil ihres Vermoͤgens und 
ed entfleht eine Abneigung, auf Unterpfand zu leihen. In folchen 
Umftänvden hat man, von der Hoffnung auf baldige Befferung 
ber Preife geleitet, öfterd die Schuldner durch eine allgemeine 
Verfügung (Moratorium, Indult, sursis) gegen die Auf- 
fündigung der Schulden von Seite der Gläubiger gefchügt (ce). 
Diefe werden hiedurch ſchwer verlegt, und zwar in noch höherem 








Grade, wenn zugleich die Zinszahlung eingeftellt wird. Die 
Dauer der ungünftigen Zeitumftlände läßt fih nicht voraus 
hen, auch Hat die Erfahrung den Erfolg dieſes Nothmittels 
weifelhaft gemacht, denn der Mehrzahl der Schuldner wird 
turh das Moratorium nur augenblicklich geholfen und nad) 
Ablauf deffelben gehen die meiften von ihnen zu Grunde, bie 
ohne eine folche Maaßregel nur etwas früher hätten weichen 
müflen. Haben fie früher ihre Ländereien unbedachtſam zu hoch 
erfauft, haben fie ihren Aufwand nad) dem höheren Betrage 
der Grundrente eingerichtet, ohne auf Erfparnifie für ſchlimmere 
Hille Bedacht zu nehmen, fo kann ihre fpätere Bedraͤngniß 
nur wenig gelindert werden. Wer im Verhaͤltniß zu der neuen 
Abſchaͤzung feined Grundvermögens zu tief verfchuldet ift, deſſen 
Fall läßt fich nicht abiwenden. Eine vortheilhaftere Geftaltung 
der Preiſe, verftärkter Betrieböeifer und Sparſamkeit der Grund» 
eigenthümer laffen mit ber Zeit eine Berbeflerung in dem Zus 
Rande derfelben erwarten, folche Mittel aber, die fchon im ges 
wöhnlichen Gange der Gewerbe nüglich find ben Unterpfands⸗ 
arsit zu befeftigen (8. 110), werden in foldyen Zeitabjchnitten 
vorzüglich wohlthätig. 

() Ehon im Alterthum traten bisweilen folche Umftänte ein und ber 
Druck gegen die Schuldner war bei dem geringen damaligen Gapital- 
vorrathe noch viel fchwerer ale unter den heutigen Berbältniflen. Ber: 
ſchuldung der kleinen Leute (Diafrier) an die reichen Gutsbefiger 
(Pediaͤer) in Athen zu Solon’s Zeit, ber Blebejer an die Patricier 
in Rom um 494 v. Chr. 

Die zeigte fih in Branfreich nad) der Ummwälzung im Februar 1848. 
Auch in Deutſchland gingen aus diefer Urſache die Preife ber iegen: 
fchaften herab, wozu in ben folgenden Jahren die a Vorliebe 
für Unternehmungen im Gebiete der Gewerke, der Fortſchaffungsmittel, 
Verſicherungen ıc. fam, fo daß den Grundeigenthuͤmern bie Erlangung 
ter nötbigen Darleiben erſchwert wurbe und viele der erfteren zu Grunde 
gingen. Angaben aus dem preuß. Staat bei Berndt, Der Grebit 
für den ländlihen Grundbeſitz, Berlin, 1848. — Rodbertus⸗ 
Jagegow, Die Handelsfrifen und die Hppothefennoth der Grund⸗ 
befißer, Berlin, 1858 (ohne thatfachliche Belege). 

Belege geben Friedrichs II. dreijähriges Moratorium für Schlefien nad 
dem fiebenjährigen Rriege, und das preuß. Ediet vom 19. Mai 1807, 


weiches in den Marken, Schleſien und Pommern bis Ende 1818, in 
OR: und Weflpreußen bis Ende 1821 befand. 


$. 112. 


Die auf den Eredit gerichteten Unternehmungen und Regie: 


tungömaafßregein vermögen feine neuen Gapitale zu erzeugen, 
Ren, yolit. Orfon. IL 1. Abıb. 5. Ausg. 16 


( 


= 


— 
m 


fondern nur ben ſchon vorhandenen eine gute Anwendung 
zu verfchaffen, indem bie Befiger verleihbarer Geldfummen (a) 
bewogen werben, dieſelben folchen Perfonen zu leihen, von 
benen biefelben unmittelbar zur Hervorbringung ober zum Ber: 
fehre benußt werben, I, $. 279. Um ben Grundeigenthuͤmern 
einen ihrem Bebürfniß entfprechenden Theil der verleihbaren 
Geld Eapitale zuzuführen, ihnen in Beziehung auf Zins und 
Tilgung die größte mit jenem Zweck vereinbare Erleichterung 
zu verfchaffen, um auch vielleicht folche LXeihfummen vom Auds 
lande herbeizuziehen und zu neuen Erfpamiffen im Lande zu 
ermuntern, ift vor Allem eine gute Einrichtung bed Hppothefen, 
weſens erforderlich, damit den Darleihern für ihre Yorderungen 
volle Sicherheit verfchafft werde $. 23. (6). Da jedoch ber 
Gapitalbefiger, wenn er bem einzelnen borgenden Grundeigen⸗ 
thümer gegenüber fteht, immer noch bisweilen in Schaben, 
ober wenigftend in läftige Benwidelungen kommen fann und 
daraus öfterd eine Scheu vor einer foldhen Anlegung von 
Gelbfummen entfteht, fo find verfchiedene Anftalten erdacht 
worden, welche zur Sicherftellung und Bequemlichfeit der Capi⸗ 
taliften beitragen und hiebucch zugleich den Grundeigenthümern 
nützen. Dahin gehören 

A. die Hypothefenverficherungen. Die erfte Anftalt 
biefer Art ift 1859 in Dresden durch eine Actiengefellfchaft 
gebildet worden, welche es unternimmt, gegen ausbebungene 
Prämien bie Unterpfandsgläubiger gegen bie Verlufte oder Ber 
zögerungen im Zinfenbezuge ficher zu ftellen, denen fie fonft auds 
gefett fein Eönnten. Wird dieſe Anftalt gut verwaltet und die 
Prämie fo niedrig geftelit, als fie nad) ber Größe ber über: 
nommenen ©efahr und ber angewendeten Bemühung fein kann, 
fo läßt fih eine Erfparniß an Zind und Nebenkoften für die 
Borgenden erwarten, indem bie von ihnen zu tragende Prämie 
fammt dem Zinfe weniger betragen wird, ald außerdem wegen 
ber übertriebenen Beforgniffe der Eapitaliften an Zins bezahlt 
werden müßte. Die Grundeigenthuͤmer werden zugleich aus 
gebehnteren Credit erhalten und bie Kündigung weniger zu 
fürdhten haben. Die Gefchäftsführung einer folchen Berfiches 
rungsgeſellſchaft erfordert vorzügliche Gefchidlichfeit unb Kennt 
niß fowohl ber Rechtöverhältnifie als der Abſchaͤtzungsregeln. 


_— 4 — 


Die Genehmigung febt forgfältige Prüfung ber vorgelegten 
Sagungen voraus (c). 

B. Größere Ereditanftalten, welche zwifchen den ein- 
zelnen Grundeigenthümern und ben Gapitaliften die Bermitts 
lung übernehmen und hiedurch den letzteren eine verflärkte 
Eicherheit darbieten, woraus wieder für die Schuldner bie 
Berminberung ber Zinslaft und die Befreiung won der Unan- 
nehmlichkeit der Kündigungen entſpringt. Die Bortheile für 
die Capitaliſten fönnen in ber forgfältigen Abfchäkung ber 
Unterpfandögegenftände, — in ber leichten Einziehung ber 
Zinfen zufolge der firengen Beitreibung ber jährlichen Zah⸗ 
lungen von den Schuldnern, — in ber bie Wagniß bed Dars 
leihers wermindernden Stellung ber Anftalt, welche ald Unters 
pfandsgläubiger vieler Grundeigenthümer die Haftung gegen 
die Capitaliften übernimmt, — in ber großen Ausbehnung 
ver ganzen Anftalt beftchen, hei welcher einzelne Stodungen 
feinen flörenden Einfluß ausüben. Zugleich läßt fich für bie 
Schuldner eine leichte Tilgung in Heinen an bie Grebitanftalt 
pa leiftenden Jahreszahlungen bewirken, von benen fogleich 
Zinfen angerechnet werden, fo baß bie Abzahlung nad) dem 
Geſetz des Zinſes⸗Zinſes fortfchreitet (d). Dagegen wäre es 
ſchaͤdlich, die Grundeigenthümer zum Borgen zu ermuntern, 
weil fonft häufig auch foldhe Schulden gemacht werben würben, 
bie weber nothwendig find, noch zur Erhöhung des Bodens 
ertrages dienen follen. 


(a) Diefe find nicht felbft die unmittelbar zur Bütererzeugung beitragenden 
Gapitale, fondern zeigen das Vorhandenſein der leßteren an und dienen, 
fe zu erwerben, I, $. 230. Gine fünftliche Geldvermehrung durch 
Staats» oder Privatpapiergeld vermag daher die Capitalmenge nicht 
zu vergrößern. Sculpbriefe find feine Umlaufsmittel und können bes: 
Halb nicht zu gewerblichen Unternehmungen benußt werden. Aus biefen 
Gründen erfiheinen mandherlei Entwürfe ald unhaltbar, die aus einer 
Verwechslung von Geld und unmittelbar proburtivem Gapital, oder 
von Berfchreibungen und Papiergeld hervorgegangen find. 


(J In Gropdritanien ift das Hypothekenweſen noch fo mangelhaft, daß 
man wenig auf Unterpfandsrechte (mortgage) darleiht und auch bei deu 
Orundeigenthümern eine Abneigung gegen ſolche Anleihen beftcht. „&e 
iR unmöglid zu willen, daß eine Hypothekenurkunde ſicher if” (that a 
title is safe). Edinb. Rev. Nr. 216, ©. 407. (1857). 


() Die am 12. Sept. 1859 genehmigte Geſellſchaft in Dresden ift bas 
Berk des Dr. Engel, der in feiner Denkſchrift 1858 den Gedanken 
diefes Unternehmens veröffentlicht Hatte. Während der Grundeigenthümer 

16* 








— 244 — 


nicht ohne Mühe und höhere Zinſen Darleihen über die Hälfte bes 
angefchlagenen Verkehrswerthes erhält, follen die nad einanber ge: 
gebenen Sppothefendarleihen bis zu 70 (nach dem anfänglichen Plan 
is 80) Proc. des Anfchlages einander in Anjehung der Gefahr gleich: 
geftellt werben. Der Entwurf bes Urhebers iſt in der Ausführung 
vereinfacht worden. Die Gefellichaft verfihert 1) einzelne Unterpfande: 
forderungen gegen ben bei einer Zwangsverfleigerung möglichen Berluß, 
2) den ganzen ermittelten Berfehrswerth für den Gigenthümer oder 
fämmtliche Hypothefengläubiger, 3) die pünctliche Berzinfung. Bei 2) 
iR 3. DB. die Prämie, wenn die Verſchuldung bis 70 Proc. geht, 
2 p. m. jährlih. Die Gefellfchaft hat für jet 500 000 Thlr. Actien: 
capital. Ende Febr. 1862 waren 5672648 Thlr. verfihert. Es find 
Geihäftsträger in mehreren anderen beutfchen Ländern aufgeftellt, die 
Zeit it jedoch noch zu kurz, um bedeutenden Erfolg erfennen zu laflen. 
Cine Echuldentilgungsanftalt wird beabfihtigt und eine Vermittlung 
son Unterpfandsanleihen (Börfe) ift ſchon veranftaltet. Gngel, 
Beleuchtung der Bedenken gegen die Hypothekenverſicherung. 1858. — 
Lorenz, Geſpräche über Hypothekenverſicherung, Dresden, 1860. — 
Bericht über die dritte Beneralverfammlung . . . 1861. Bericht über 
bie vierte Beneralverfammlung 1862. — Deutfche Bierteljahrsfchrift, 
Nr. v5. ©. 56. 1861. 


cd) Hierüber in Allgemeinen Berhandl. des Congreffes v. Abg. deutſcher 
landiw. Vereine. S. 112. — Preuß. Gongreßbericht, I, 291. LI, 306, 406. 


8. 113. 


Greditanftalten nach jenen Orundzügen (8. 112 B.) können 
auf dreifache Weife zu Stande gebracht werden: 

I. von ber Regierung. Hiezu if im Allgemeinen Fein 
Bebürfnig vorhanden, weil gut eingerichtete Privatanftalten für 
biefen Zwed genügen unb fich auf einen beliebigen Umfang bes 
Geſchaͤfts befchränfen Eönnen, während eine Stantöanftalt, um 
Allen gerecht zu werben, eine große Ausbehnung erhalten müßte 
und bie Berwaltung berfelben fehr mühfam fein würbe. Daher 
find neuerlich Ianbwirthfchaftliche Creditcaſſen des Staates faft 
(a) nur in Berbindung mit ber Ablöfung bäuerliher Laſten 
angelegt worden, theild um biefe große Umwandlung zu bes 
fördern, theild weil die eingehenden Ablöfungscapitale von 
ben Domanialgefällen die erforberlihen Geldſummen liefern (6); 

Il. von den Örunbeigenthümern felbft, welche eine 
Geſellſchaft (Creditverein) bilden. Diefe nimmt von ben 
Gapitaliften Summen auf und leiht diefelben den einzelnen 
Mitgliedern wieder auf Hypothek. Jedes berfelben ift alfo 
nicht blos Unterpfandsfchuldner der Gefellfchaft, ſondern als 
Iheilnehmer an berfelben Mitgläubiger aller anderen Mitglieber 
und Mitfchuldner gegen bie Gapitaliften, f. $. 114. 








— 45 — 


IH. durh Geſellſchaften von Eapitaliften, fo 
daß die auszuleihenden Summen theild aus den Einlagen ber 
Mitglieder genommen, theild geborgt werden und bie Gefell- 
(haft ald eine Leihbank (I, 8. 2928) erfcheint, |. $. 120. 


.... nothwendig . . . . ? Nümberg, 2. 9. 1853. (Entwurf einer 
Etaatsleihanftalt —F Grunbeigenthümer.) 
() . 60 (e). — Die hannov. Creditanſtalt (Gef. v. 9. Jun. 1840) 


. $. 60 (e). 

* hie And welche nicht in eine provincielle Creditgeſe 
(haft aufnahmefähig find, zur AbJöfung von Brundlaften bis zu 2/s 
tes Meinertrags, zu anderen Zwecken gegen verpfändeten boppelten 
Werth, und giebt zinstragende Echuldbriefe aus, die als cedirte 
Obligationen über einen Theil ber Forderung an die Schuldner bes 
trahtet werben Die Staatscaſſe haftet ferner bis zu 1 Mil. Rihlr. 
Bening in Rau.und Hanffen, Archiv, N. %. IX, 272. — Die 
naffauifhe Landesbank trat durch Gel. v. 15. Febr. 1849 an die Stelle 
der 1840 errichteten Landescreditcafle ; Dienflinftruction v. 14. April 1849. 
Diefe Anftalt hat überhaupt die Befchäfte einer Bank. Sie leiht Grund⸗ 
eigenthümern vorzugsmweife zur Ablöfung von Reallaſten, jedoch fomweit 
ihre Mittel reichen auch für andere Zwede, gegen doppelten Werth auf 
Zeitrenten mit wenigfiens 1 Proc. Tilgung, wobei fleinere Grund⸗ 
eigentbümer den Vorzug erhalten. Der höchſte Betrag einer folchen 
Darleihe it 1852 auf 1000 fl. beflimmt worden. Die Darleihen auf 
Unterpfand gegen Zeitrenten beliefen fi Ende 1852 auf 1352933 fl. — 
Die gothaiſche Landescreditanftalt feit 1854 hat ebenfallde Darlehnes 
geiuche zu Ablöfungen vorzüglich zu berüdfihtigen. — Hieher iſt aud 
die von den Provincialftänden der Dberlaufig (8. Sachen) gegründete 
Sovothefenbanf zu rechnen, v. 13. Aug. 1844. Sie {eidt bis zu 
100 Thlr. herab und ift mit einer Tilgung verbunden. Die Borger 
empfangen die Pfandbriefe, um Abnehmer aufjzufuhen. Die Befiker 
der Bfandbriefe dürfen nicht kündigen. 


8. 114. 


Greditvereine ber Grundeigenthümer (Erebits 
infitute, fandfchaftliche Ereditanftalten, 8.113 II) find feit 


— 2146 — 


dem 1770 in Schlefien gegebenen Beifpiele (a) in mehreren 
Ländern errichtet worben (d). Die Berathung und Genchmi- 
gung ihrer Sagungen durch die Staatögewalt und bie fort 
dauernde Staatsauffiht auf die Verwaltuug ber Vereine erfchien 
Ihon darum als unerläßlicy, weil die bei dieſen Anftalten vor 
fommenden Rechtöverhältniffe durch befondere gefegliche Beſtim⸗ 
mungen geregelt werben mußten. Die Einrichtung ber Älteren 
Creditvereine war im Wefentlichen diefe (e): 

1) Die Geſellſchaft der Grundeigenthuͤmer borgt von ben 
Gapitaliften, indem fie ihnen mit dem verpfänbeten Grund» 
vermögen aller Theilnehmer für Stamm und Zinfen haftet (d), 
und giebt wieder Darleihen an ihre Mitglieder auf Verlangen 
berfelben gegen Hypothefarifche Sicherheit... Was zur voll 
ffändigen rechtlichen Sicherung ber ‘Bfandbriefss Inhaber und 
ber Geſellſchaft nöthig ift, dieß ergiebt fi aus dem Hypotheken⸗ 
recht jedes einzelnen Landes. 

2) Nur Befiger größerer, insbeſondere ritterfchaftlicher Güter 
find zur Theilnahme berechtigt. 

3) Jedem wird nur bis auf bie Hälfte ober ?/s des ab- 
geſchaͤtzten Verkehrswerthes feiner Ländereien Credit gegeben, 
bamit bei dem Sinfen ber ‘Breife derfelben fein Verluſt ein 
trete (e). Bür die Abfchägung ber verpfändeten Grundflüde 
werden ausführliche Regeln aufgeftellt, welche von Zeit zu Zeit 
ben veränderten Verhältnifien angepaßt werden müfjen. 

4) Die Bapitaliften erhalten Pfandbriefe, d. b. Schuld» 
Briefe, Obligationen, die im Namen bes Vereins ausgeſtellt find 
und ben Belauf fämmtlicher bypothefarifcher Darleihen an bie 
Mitglieder nicht überfteigen bürfen (f). 

5) Der Berein kann dem einzelnen Schuldner bie Dar 
leihen nicht auffünbigen. Iſt den Pfandbriefbeſitzern die Kün- 
digung geftattet, jo muß, wenn hievon Gebrauch gemacht wird, 
ber Verein dad Geld anderswo aufzunehmen fuchen, es iſt 
aber neuerlich dad Kuͤndigungsrecht der Gläubiger überall be 
feitigt worden, fo daß bie Erwerbung eines Pfandbriefes als 
ein Rentenfauf anzufehen ift (g). 

6) Die Zinfen werden durch die Verwaltung des Bereind 
von ben Schulbnern eingeforbert und an bie Gläubiger ent 
richtet. 








7) IR ein Mitglied durdy Unglüdsfälle in ber Zinszahlung 


gehindert, fo wird Nachficht gegönnt, fonft aber werben keine 
Rückſtaͤnde geduldet, und gegen fäumige Zindzahlung wird von 
dem Berein mit Zwangsmitteln, ald Eequefttation oder Bers 
fauf der verpfändeten Zänbereien, vorgefchritten (A). 


(*) Die ſchweren Leiden des flebenjährigen Krieges und bie nachfolgende 


( 


nn 


(e 


— 


Wohlfeilheit des Getreides drüdten die Grundeigenthuͤmer; bie Leib: 
zinſen wurden auf 10 und mehr Procente hinaufgetrieben, neben 2 bis 
3 Procent Maͤklerlohn. Das Aufhoͤren dieſer Bedraͤngniß darf jedoch 
nicht allein dem Creditverein und dem Moratorium zugeſchrieben wer⸗ 
ten, denn die guten Ernten in Schlefien (1770—1772) bei dem Miß⸗ 
wachſe in anderen Gegenden trugen auch viel dazu bei; v. Struenfee, 
Sammlung von Auffäßen, die größtentheils wichtige Buncte der Staats: 
wirthichaft betr., II, 414 (Liegnig, 1777). = Abhandlungen über 
wichtige Begenflände der Etaatswirthfchaft, I, 1—164, Berlin, 1800. 
(Struenfee betrachtet die damalige Bedrängnig ale Beldmangel, ©. 22). 
Urheber des Plans war der Kaufmann Büring in Berlin. 


Schlefiſcher Erebitverein v. 15. Juli 1770. — Neuer Berein, deſſen 
Pfandbriefe mit B. bezeichnet find, 8. Juli 1835. — Grebitverein der 
Mark Brandenburg, 1777, in Bergius, Behr III, 78 und 
v. Berg, Handbuch des t. Polizeirechts V, 494. — Pommern, 1781. 
Neue (ſehr ausführliche) Sakungen v. 1844, bei Josseau, ©. 113. — 
Hamburg, 1782, in v. Berg, V, 253. — Weflpreußen, 1787, Oft: 
preußen, 1788. — Lüneburg, 1791, inBergius, L.⸗G., XII, 108, 
und v. Berg, V, 869. — Eſthland und Lievland, 1803. — Schleswig 
und Holftein, 1811, auf 16 Jahre gegründet, aber ſchon Ale wieder 
anfgelöft. — Mecklenburg, 1818. Am 19. Dee. wurde biefer Berein 
aufgelöft und fogleich ein neuer errichtet, Statuten in Raabe, Geſetz⸗ 
fammlung für die Nedtenburg. Schwerinfhen Zande, III, 848. — 
Großh. Boten, 1822. Zweiter Breditverein daſelbſt, 13. Mai 1857. — 
Provinz Sröningen, 1823. — Königreich Polen, Geſ. v. 1. (13.) Juni 
1825, neues Gel. vom 9. (21.) April 1838, beide bei Josseau, 
©. 18. 9. — Die Hannov. Fürftenthümer, Kalenberg, Orubenhagen 
und Hildesheim 5. September 1825, Bremen und Verben, 1826, Oſt⸗ 
friesland, 27. Nov. 1828. — Der in Baiern beabfichtigte Verein 
(Gefeß v. 11. Sept. 1825, 6. Beilage des Landtagsabfchieds, Saßungen 
des Vereins, genehmigt 25. April 1826. Geihäftsinftruction, 3. Juli 
1826) if nit zu Stande gekommen, f. jeboh $. 120a (5). — 
Würtemberg, 25. Sevtember 1825, befannt gemadht 13. Dec. 1826. 
Royer, ©. 9%. — Galizien, 1841, ebend. S. 202 (die Sapungen 
gelten als vorzüglid gut). — Sachſen, erbländifcher Erebitverein vom 
13. Mai 1844, ebend. ©. 225. — Dänemart, 20. Juni 1850. — 
Das franz. Geſetz v. 28. Febr. 1852 enthält Vorschriften für Credit⸗ 
gefellfhaften, die den Schuldnern auf Unterpfand und mit Tilgung 
durch Zeitrenten leihen und welde fowohl aus Borgenden (emprunteurs) 
ale aus Darleihern gebildet werben fönnen. Die erftere von beiden 
Arten iſt nicht ausgeführt worden. — Landeserebitanftalt in Gotha, 
25. December 1853. 


Struenfee, a. A. — Krünitz, Encyfl. VIII, Art. Creditſyſtem. — 
Borowsky, I, 217. — Kraus, V, 9i. — ®r. 9. Soden, II, 439. 
Def. Nationalhypothekenbank, Leipzig, 1813. — Lotz, Reviſton, I, 
$. 12—165. — 9. Bülow: Eummerow, Betradht. über Metall- 


* 


(@) 


(e) 


und Papiergeld, ©. 143 (Berlin, 1824). — Derf. Ueber Preußens 
Iandwirthfch. Greditvereine, 2. Aufl. 1813. — (Schellwik) Denk 
fchrift fir Begründung eines Greditvereins der Mittergutsbefiger im 
K. Sachſen, Leipzig, 1841. — v. Voß, Das Creditinſtitut der kur⸗ 
und neumärk. Ritterſchaft. Berlin, 1835. — Weidemann, Krit. 
Beleuchtung des ſchleſ. Landſchaftsſyſtems. Merſeb. 1835. — Bergſoͤe, 
Motiveret Utkaſt til en Creditforening for Danske Grundbefiddere. 
Kjobenhavn, 1839. — Wolowski, De la mobilisation du eredit 
foncier, Paris, 1839. - Defien Abhandl. v. 1848, f. (a). Def. ini. 
Revue de legislation, 1850. II, 97. 1852. I, 62. = Dictionn. de 
l’&con. polit. I, 497. — Kohlſchütter in Rau und Hanffen, 
Archiv; VI, 210. — Amtl. Bericht über die 10. Verſamml. ber d. 
Landwirthe (1846), ©. 123. — Nachrichten über die preuß. Gredits 
vereine in Dieterici, Statift. Mittheilungen, 1849. — Hübner, 
Die Banken, 1853. S. 49. — Berhandlungen der 2 Kammern in 
PBaiern, 1822. Beil. II, 1825. II und III. — Unter ben zahlreichen 
Schriften, welche durch die Verhandlungen der bairifchen Lanbflänte 
veranlaßt wurden (meiftens genannt in Steinlein, ©. 74) fönnen 
als die befieren angeführt werden: v. Aretin, Ausführliche Darſtell. 
der bair. Grebitvereinsanftalt. Münden, 1823 (vgl. jedoch SHeitelb. 
Jahrb. 1824, Nr. 26). — (Bernoulli?) Ueber GEreditvereine. 
Bafel, 1823 (gegen Aretin) — Gr. v. Soden, Gntwurf eines 
allgemeinen Greditvereins. M. 1823. — Beleuchtung einiger Bedenken, 
welche gegen ben von bem Gr. v. Soden entworfenen Plan eines 
Greditvereins geäußert worden (herausgeg. v. Soden). Nürnb. 1824. — 
v. Horntbal, Ueber das Anlehensgeihäft der verein. hair. Gute: 
befiger. Bamberg, 1824. — v. Reindl, An die 5. Kammer der 
Abgeorbneten, 1825. — Gr. v. Arco, Auch ein Wort über Grebit: 
vereine. M. 1825. — (Hagen?) Ueber die Einrichtung eines Credit⸗ 
vereins der Gutsbeſitzer im K. Baiern, v. e. Preußen. Nürnb. 1825 
(vorzüglih). — Fahrmbacher, Entwurf einer Nationalleihankalt. 
Landsh. 1825. — Folgende zwei Schriften gingen aus den von der 
franz. Regierung veranftalteten Grfundigungen hervor und enthalten die 
Satzungen mehrerer Vereine: Boyer, Des institutions de credit 
foncier en Allemagne et en Belgique, Paris, 1845. — Josseau, Des 
institutions de credit foncier et agricole dans les divers &tats de 
l’Europe. Paris, 1851. 


Bei dem würtemberg. Berein findet eine folche gegenfeitige Haftung 
der einzelnen Mitglieder für die Echulden der anderen zwar nicht ftatt, 
aber es kann durch Fortſetzung der Tilgungsrenten auf zwei weitere 
Sabre, als der Plan erfordert, der nöthige Erfah für Berlufte ge: 
leiftet werben. 


Bon den preußifchen Greditgefellfchaften Teiht nur die oftpreußifche *%/s, 
die anteren !/a. — —* Geſetz v. 1852, 8. 7: nicht über 4. — 
Die Pariſer Geſellſchaft (Credit foncier) leiht ſogar auf Rebland und 
Wald nur !/s. 

A. franzöf. Gel. 6. 14: Ein Notar unterzeichnet alle ausgegebenen 
Pfandbriefe (lettres de gage) und überwacht hiedurch deren Betrag. 


In Schlefien ift die Kündigungsbefugniß der Pfandbriefbeſitzer 1830, 
in anderen Provinzen etwas fyäter bei der Herabfeßung der Zinfen 
aufgehoben worden, in Medlenburg durch Gel. v. 19. Juni 1839. 
In Kriegszeiten könnte fie den Verein fehr in Verlegenheit ſetzen; fe 
lange dagegen die Pfandbriefe über 100 ftchen, ift ohnehin feine Kün- 
bigung zu erwarten; von Bülow⸗Cummerow, Ueber Preußens 
landwirthſch. Grebitvereine, ©. 142. 


_— 149 — 


(4) Bei der Gequeftration wird, wenn das Gut in vernadhläffigtem Zus 
ande if, auf deſſen Berbeflerung Bedacht genommen und die Bermals 
tung duch den Berein bis zum Erſatze der Auslagen fort eieät. 
Borſchriften für ben Berfauf, über melden im ftreitigen En e das 
Gericht entfcheidet, im a. franz. Gel. $. 32 ff. 


$. 115. 


Wenn gleich folche Erebitvereine die überfpannten Erwar- 
tungen, die man bisweilen von ihren Wirkungen gehegt hat, 
nicht zu befriedigen vermögen, fo haben fie doch erhebliche Vor⸗ 
tbeile zu Wege gebradit: 

1) Solche Orundeigenthümer, deren Umftände noch nicht 
rettung8los find, erhalten ohne Schwierigkeit und Koften bie 
benöthigten Darleihen, find gegen Auffündigung gefchüßt, ents 
ribten niebrige Zinfen und werben durch bie Strenge, mit 
welher die Vorfteher bed Vereins gegen bie Säumigen vers 
fahren, zur Ordnung und Wirthfchaftlichfeit dringend gemahnt. 

2) Die Gläubiger, die fi nun nicht mehr bloß an einen 
einzelnen Schuldner, fondern an bie ganze Geſellſchaft halten 
fönnen, empfangen ihre Zinfen puͤnctlich. Diefe Sicherheit ber 
Darleiher gründet ſich nicht blos auf das einfache, abgefürzte 
erfahren, mit welchem bie Geſellſchaft gegen unorbentliche 
Ritglieder ihre Rechte verfolgt, ſondern auch auf die Betradh- 
hing, daß, wenn auch zufällig bei einem einzelnen Schuldner 
wegen Unrichtigfeit ber Taxe ıc. etwas verloren werben fann, 
dieß body bei einer großen Anzahl von verbundenen Schulbnern 
viel unwahrfcheinlicder if. Ein Beweis von ber Anerkennung 
dieler Bortheile liegt darin, daß die Erebitvereine für beträchtlidy 
niebrigere Zinfen Capitale aufnehmen fonnten, ald es einzelne 
Örundeigenthümer vermögen (a). 


(e) Die Zinſen fanfen auf das bei Stantspapieren von dem beften Grebit 
fchente Maaß. Die weit: und oflpreußiichen, kurs und neumärfiichen 
und pommerfchen gelandbriefe wurden 1838 und 1839 auf a Proc. 
iabgefeht mit Kündigung für die nicht einwilligenben Gläubiger. 

Die läubiger bezahlen fortwährend 4 Proc. und das überfchießende 

halbe Broc. wird bon ber Bereinscafle zum Behufe fünftiger Tilgung 

verzinslich angelegt. — Der würtembergiiche Greditverein hatte zu Ende 

1859 4341 683 ausgeliehen, feine Schuld an die Darleiher war 

4.073.000 fl., der reine Bermögensftand 430512 fl. Früher war der 

Seidsftsumfang viel größer, 3. B. 1854 10%, Mil. ausſtehend, 

9, Mill. Schuld. 


— 230 — 


$. 116. 


Diefe Crebitvereine waren jeboch in ihrer anfänglichen Ein 
richtung auch nicht frei von Nachtheilen (a). 

1) Da die kleineren Grundeigenthümer nicht theilnehmen 
durften, fo hatten fie Mühe, Darleihen zu erhalten und mußten 
höhere Zinfen bewilligen. Sie famen alfo in eine fchlimmere 
Lage. Es ift deshalb rathfaın, den Kreis der Theilnehmer zu 
erweitern, ober für bie Feineren Grundeigenthuͤmer einen eigenen 
Ereditverein zu gründen, wobei allerdings ber häufige Beſitz⸗ 
wechfel einzelner Stüde die Verwaltung erfchwert (Bd). 

2) Die größere Leichtigkeit ded Borgens ohne Nöthigung 
zum Rüdzahlen verleitete in günftigen Zeitumftänden viele 
Grundeigenthuͤmer, Darleihen zu nehmen, bie fie nicht ver 
ftändig verwendeten. Das Sinken bed Zinsfußed trieb den 
Preis der Landgüter in die Höhe, während bie Grundrente 
unveränbert blieb (1, $. 223); dieß brachte den Schein eines 
größeren Vermögens hervor, durch den man in Verfuchung 
fam, ſich in Schulden zu flürzen und mehr Aufwand zu maden. 
Hiezu fam die Häufigfeit bed Handels mit Landgütern, ber 
nicht blos einen unfruchtbaren Güterumlauf unterhielt (I, 8. 256), 
fondern auch eine nadläffige Behandlung ber zum Wieder: 
verfauf beftimmten Ränbereien veranlaßte und ben Preis ber 
felben fteigerte. Die Berfchuldung bes Grundeigenthums nahm 
deshalb flarf zu (c). 

3) Wurden durch Kriege oder andere Ereigniffe die Grund- 
rente und die Preife ber Grundftüde bedeutend erniebrigt, fo 
geriethen, zumal bei forglofen Abfchägungen, bie Vereine in 
Verlufte und Berlegenheiten, kamen außer Stand, die aufge 
fündigten Darleihen pünctlich abzutragen, und ber Credit ber 
Pfandbriefe wurde geſchwaͤcht (d). 

Die Beſchlagnahme und Berwaltung (Sequeftration) durch 
den Verein ift für den Schuldner drüdend, auch ift es ſchwer, 
über den Betrag hinaus, auf den ber Berein in ®emäßheit 
feiner Abſchaͤtzung Credit giebt, noch weiter gelichen zu ers 
halten (e), dieß find aber unvermeibliche Befchwerben, mit 
benen man die großen Bortheile ver Anftalt erfaufen muß. 


(0) 


(3) 


(‘ 


() 


(‘) 


— 31 — 


Kraus, a. a. O. — Die a. Schrift „Ueber bie Ginrihtung eines 
Greditvereins.“ — Ueber die Mäng el der ——— — nament⸗ 
lich bei dem pommerſchen Grebfiverein v ows@ummerom, 
Ueber Preußens landſchaftl. Trediwereine ©. 29. — 6 wird bort 
Bis auf %/, des Anſchlags geliehen, dieſer aber ſehr niebrig gehalten, 
was um To rastet er ift, weil man fi auch bei anderen ans 
Laflungen, 3. bei Stheilungen, auf die Vereinstare verläßt. Man 
achtet nicht auf die Dopengüte, egt zu niedrige Preife zu runde ıc. — 
Uebrigens dürfte ber Iepiee 9 ute Zufland des Landes, foweit er vers 
gänglid und von dem ebalte en bes Beflbers abhängig if, allerdings 
nidt in en ung gebracht werben. 
dv. Aretin's Plan: Befiger von Gütern, die auf 20000 fl. geihäst 
find. — Satzungen des baier. Bereins, $. 7: einftweilen Güter von 
10000 fl. und darüber. — MWürtemberg, 2 aunächft Butss und 
Gefaͤllherrn, Gemeinden, Rörverfihaften: einere andwirthe bis auf 
1000 #. Butspreis herab, woferne die Gemeinde für die Zinſen 
Baftet. — Oftpreußen, nad k. Genehmi un vom 4. Mai 1849, bis 
zu 500 Thlr. herab. Schlefien: bis au orgen, Anleihe auf ben 
halben Wertb, auf ſechsmonatliche ündigung, f. Ordre vom 11. Mai 
1811. — Kalenberg, Grubenhagen und Hildesheim nad k. V. v. 1838: 
alle vom gutsherrlichen Berbande befreiten oder erſt zu befreienden 
Büter von mindeftens 6000 Thlr. Anſchlag. — Polen: nach dem Geſ. 
v. 1825 bis auf 100 poln. — 28 fübd. fl. Steuer oder bie 5 fadhe 
Rente herab (2800 fl. —— A feit 1838 bis auf die Hälfte 
jenes Betrages. — Der neue Bofen he V. von 1857 nimmt ter 
bis zu 5000 Thle. Grundtare auf. — Saͤchſ. Verein: es wird auf 
Dauer üter bis zu 2400 Steuereinheiten herab geliehen, nach ber B. 
ai 1850 bis auf 1000 — 333 Thlr. Meinertrag. — Na 
Sabrmbaden foll jede Stadt einen ſolchen Berein für die Fleinen 
Grundeigner bilden. — Vorſchlag eines Vereins für Fleine Grund: 
eigenthümer von Schneer, in Rau, Archiv, V, 315. — Für bie 
Ausbehnung ber Greditvereine auf alle Grundei enthämer v. Bülow: 
@ummerow, a. a. S. 46. — In Preußen ſollen die nach dem 
Grit v. 14. Sept. Fr regulirten Bauernguͤter nicht über 1/, ihres 
Berthes mit Hypothekenſchulden belaftet werden ($. 29 jenes Edicts), 
wovon jedoch unter beionberen Umftänden Dispenfation gegeben wurde, 
Ro ch, Agrargefege, S. 32. Jene Befchräntung iſt mit dem Ebicte 


hen. 
Die bier geidäfberten Bolgen geigten rd greitgeite im preuß. Staate, 
befonders in Scleflen; v. Voß, ©. 2; indeß kommt der 
geRiegene Preis der Ländereien jun ei auch auf Rechnung ber 
Pe Fruchtpreiſe. — In Schlefien waren 1776 10 Mill. Täler. 
Bfandbriefe, 1805 24 Mill., ss 30%, 1859 43,8 Mil. Die Pfand⸗ 
briefe fümmtlicher preuß. Grebitgefelfchaften beliefen fih 1855 auf 
118%, Mill, Thlr. Dieterict, Handb. der Statiftif d. pr. St. ©. 575. 
Da das Sinfen ber Güterpreife von Urſachen pereührt, welche nicht 
in menſchlicher Gewalt ſtehen, fo ift der Vorfchlag bes Br. oben. 
die Darleihen bis zu dem vollen Belaufe der Tarfumme zu beivilligen, 
um dadurch jene Preiſe unveränderlih zu machen und das Grund: 
eigen tum zu „mobilifiren“ (d. i. die vollfländige Verfhuldung des⸗ 

en möge zu machen), nicht zuläffig. Gerade diefer Gedanke der 
Nil bat den Ereditonflalten im Allgemeinen manche Gegner 
jugegogen, 3. B. im a. Gratzer amtl. Bericht. — Der preuß. Indult 
der ofl= und weftpreußifchen Bereine (Landſchaften) wurde is Weih⸗ 
nachten 1832 verlängert. — Bedenken gegen bie Annahme einer voll: 
Ränbigen Pfanbfiherheit | bel Kohlſchütter, aa. O. S. 231. 
Kohlſchütter, ©. 


— 292 — 


g. 117. 

Die Wahrnehmung biefer Nachtheile hat zu zweckmaͤßigen 
Berbefierungen Anlaß gegeben. Die neuerlich errichteten ober 
umgeftalteten Wereine zeichnen ſich außer ben firengeren Ab⸗ 
ſchatzungsgrundſätzen (a) befonderd durch die Einrichtung aus, 
daß die Schuldner neben den Zinfen jährlich; noch einen weiteren 
Heinen Zilgungsbeitrag in die Vereinscaſſe entrichten müſſen, 
6.112 B). Diefe Schuldentilgung durch eine Zeitrente ($. 60) 
ift höchft wohlthätig, weil fie eine Verminderung ber Schulden 
auf die leichtefte Weife herbeiführt (d5). Wenn dadurch für den 
Augenblid die Laſt des Schulbners einigermaßen erhöht wird, 
fo dient. dieß zur Abhaltung von leichtfinnigem Borgen, und 
weil der Verein für niebrigere Zinfen geliehen erhält, als eins 
zelne runbeigenthümer, fo verurfacht er faum eine höhere jähr⸗ 
(ihe Ausgabe, ald ohne ihn die bloßen Zinfen fein würden. 
Es wird nun möglich, ſich nad; Verlauf einer gewiffen Zeit 
mit Eleinen Abfchlagdzahlungen von der Schuld ganz zu be 
freien und fomit diefe fich häufig wieberergeugenbe ſchwere Laft 
ber Orundeigenthümer zu befeitigen (c). 


(a) Es ift nörhi die Schägungen zu erneuern, wenn fich in ben lands 
wirthſchaftl. Verhaͤltniſſen dauernde Veränderungen zugetragen haben. 
(6) Diele Maapregel fam fchon bei der Errichtung der älteren preußiſchen 
Greditvereine zur Sprache, wurte 1790 in den Tilgungsplan des fine: 
burgifchen ritterfchaftlichen Greditinftituts (v. Berg, V, 938) auf 
genommen und im preuß. Staate zuerft bei ber Errichtung bes poſen'ſchen 
Ereditvereins (1822), dann (1839) auch in den Älteren Vereinen bei 
Gelegenheit der Zinsherabfegung eingeführt. — Der einzelne Schuldner 
fann feinem Gläubiger feine Abzahlungen von 1 oder l! / 3 Procent an: 
bieten, er muß alfo vie Fleinen Erſparniſſe fammeln und unfrudtbar 
liegen laflen, bis fie auf eine größere Summe, 3. B. von 100 fl., ans 
wachlen. Gine große Caſſe dagegen kann auch jene Eleinen Tilgunges 
beiträge fogleich wieder zur Ginlöfung von Obligationen anwenden, 
fo daß die Tilgung mit ber Benutzung des Zinfeszinfes fchnell fort: 
ruft. Wer jährlih 4 fl. Zinfen und 1 fl. zur Tilgung abgibt, trägt 
damit in 41 Jahren 100 fl. ab und bezahlt während diefer Seit 205 fl.; 
ohne den Beiftand des Bereins hätte er vielleicht in diefen 41 Jahren 
5 Brocent Zinfen, alfo zufammen ebenfoviel bezahlen müflen , ohne 
daß feine Schuld fih gemindert hätte — Gegen die Tilgung in 
Seitrenten: v. Henning, Ueber Smwangsamortifation der Pfand⸗ 
briefe, 1842. — Für biefelde: Grübnau, Die Amortifation ber 
Pfanbbriefe, insbefondere der weitpzeußifchen, Danzig, 1842. — Ob in 
einem ſchon beflehenden Greditverein den Mitgliedern wider ihren Willen 
die Verpflichtung auferlegt werden dürfe, außer den Zinfen noch einen 
Tilgebetrag aufzubringen, die hängt von dem Berhältmiß ab, in 
welchem überhaupt ein Verein ben Geſetzen zufolge zur Staatsgewalt fteht. 
(c) Allerdings erfolgt die völlige Befreiung nicht fo fchnell, als es nad 
dem angenommenen Plane gefchehen foltte, weil die Mitglieder nad 





— 33 — 


Naaßgabe der eingetretenen Schuldenverminderung auch häufig wieder 
neue Darleihen in Anſpruch nehmen ($. 118, Nr. 5), allein fie haben 
dafür auch den Bortheil diefer abermaligen Borfchüfle. 


$. 118. 


Die Verbindung eined Schuldentilgungsplaned® mit ben 
Erditvereinen erfordert folgende Beftimmungen: 

1) Seftfegung des jährlichen Tilgung&betrags der Schuldner. 
Da ein und berfelbe Procentfag nicht für die Bermögensumftänbe 
aller Schuldner gleich paſſend ift, fo fann man mehrere Claſſen, 
+2. von Ya, 1 Proc. ıc. Tilgungdbeitrag neben den Zinfen 
anordnen, doch muß wenigflend eine gewifle Duote jährlich 
gegeben werden. Die hieraus entipringende Bequemlichkeit vers 
gütet die Vermehrung der Geſchaͤfte (a). 

2) Art der Einlöfung von Pfandbriefen. Es ift angemeſſen, 
jährlich zunächft diejenigen Gläubiger abzuzablen, weldye «8 
wünfhen, und mit dem etwa noch vorhandenen Reft nach dem 
Woſe Pfandbriefe einzuziehen (b). 

3) Durch die fortlaufenden Berechnungen if man im Stande, 
in jedem Augenblide anzugeben, wie viel jeded Vereinsmitglied 
noch ſchuldig ſei. Daher kann man auch größere abfchlägliche 
Zahlungen, fo wie die frühere gaͤnzliche Abtragung geftatten (c). 

4) Wie die Tilgung fortrüdt, kann ein Theil der einges 
hagenen Hypotheken jeded Mitgliedes gelöfcht werben (d). 

5) IR dieß nicht begehrt worden, fo fönnen die Mitglieder 
für den befreiten Theil ihres Grundvermögens im Falle neuer 
beduͤrfniſſe wieder neue Anleihen erhalten. Es ift jedoch bes 
denllich, dieß unbedingt zu bewilligen, weil es fonft möglich 
wäre, daß zuletzt, wenn bie meiften Mitglieder ihre Schulden 
Ögetragen haben unb auögetreten find, nur noch wenige übrig 
Bleiben, wobet weder bie nöthige Verbuͤrgung beftünde, noch 
ud die dem Tilgungsplane gemäße, Anwendung ber jährlichen 
diträge ausführbar wäre (e). | 
() Der Zeitraum der Tilgung iſt bei einem Zinsfuße von 
3 Pror. | 31/a Proc. | 4 Proc. | 41a Proc. | 5 Proc. 


mit einer Mente 
von %3 Broc. 579. 53 9. 49 J. 46%. 439. 
Yu 54 : 50 ⸗ 47 ⸗ 44 s 31: 
1 ⸗ 46 > 43 5 4: 38 ⸗ 36 ⸗ 
la = 37 : 35 ⸗ 33 ⸗ 3: 30 = 
2 = 3 = 29 = 28 ⸗ 26 : 25 > 


— u — 


Poſen: jaͤhrlich 1 Proc. zur Tilgung und 4 Proc. (jebt 31/.) Zinfen, 
in 41 Jahren find alle Schulden bezahlt. — Bolen: A Proc. 3. und 
2 Proc. Tilgungsbeitrag, auf 28 Jahre berechnet. — Baiern: wenn 
bie le für Al/s Proc. Zinfen zu erhalten find, fo ift der Tilgungss 
zufhuß 3a Proc., bei 5 Proc. Zinfen !/a Proc. — Würtemberg: der 
Schuldner zahlte anfänglich 51/a Proc., wovon 4'/s Broc. für Zinfen. - 
Megen ber Koften und Gefahren, wurde. die Tilgung auf 52 Jahre 
geſetzt. Da der Berein 1830 die Pfandbriefzinfen auf A Proc. und 1834 
auf 31/a Proc. herabfepte, fo wurden die Bedingungen günftiger. Man 
ann jeßt borgen 1) gegen eine 50 jährige Rente von Afl. 43, Kr. Proc. ; 
2) gegen eine 53jährige Rente von 4 fl. 39,2 Kr. Proc. nebft einer 

ergütung für die Koſten. — Mecklenburg, neuer B. v. 1839: !ıPror. 
Berwaltungskoften und ebenfoviel Tilgung ; Zins einftweilen 31/s Proc. — 

eftpreußen, Gabinetsordre v. 7. Nov. 1841: 31/5 Proc. Zins, Ya Proc. 

ilgung, Ya Proc. zu den Verwaltungskoſten, 1/a Proc. zu einem Huͤlfs⸗ 
vorrathe. If diefer foweit angewachſen, daß feine Zinfen vie Ber: 
waltungsfoften deden, fo wird das volle Proc. zur Tilgung beftimmt. — 
Franzoͤſ. Gef. v. 1852, $. 11: Zins nicht über 5 Proc., Tilgung 
1—2 Proc. 

(6) Sapungen des Baier. V. $. 34. 35. 

(c) Da jedoch der früher Austretende dem Vereine feine Tiheilnahme an 
Verbürgung für Verluſte entzieht, fo ift es angemeflen, ihm bafür eine 
eine Bergätung aufzulegen. Würtemb. 6. 11. 

(d) In biefem Dee wird die Abtheilung der angenommenen Gapitale in 
Serien zu 1 Mill. rl. nach der Beitfolge vorgeichlagen, fo daß immer 
nah der Abtragung jeder Serie die zugehörigen Hypotheken gelöiht 
werden, Schellwig, ©. 58. — Weſtpreußen, a. Cabinetsorbte: 
Wenn die Tilgung 40 Proc. erreicht hat, fo wird diefe Summe ge 
Löfcht und dadurch auch die Verzinfung verringert. 

(e) Diele Beſchränkung iſt nicht nachteilig, weil der Schuldner nad ber 
Loͤſchung eines Theils der Hypothek ſelbſtſtaͤndig ein neues Capital auf: 
nehmen oder fih einer anderen Geſellſchaft anfchließen könnte. Auch 
braucht die Geſellſchaft nur dann die Mitwirkung zu neuen Anleihen 
zu verweigern, wenn diefelben in zu geringer Zahl begehrt würden, 
um eine Fortſetzung bes regelmäßigen Tilgegeihäfts zu geftatten. 


8. 119. 


Als Nebenpuncte bei foldyen Grebitgefellfchaften verdienen 
noch folgende erwähnt zu werben: 

1) Der Zinsfuß der auszugebenden Pfanbbriefe wirb von 
Zeit zu Zeit feftgeftellt und befannt gemacht. Was den Abs 
ſchluß der BVerträge mit den @apitaliften betrifft, fo giebt «6 
2 Arten bed Verfahrens. 

a) Die Verwaltung nimmt felbft die Gelder auf und ftellt 
ben Darleihern die Pfandbriefe zu. Dieß ift für die borgenben 
Grundeigenthümer eine Erleichterung unb bewirkt, daß bie ein. 
zelnen Anleihen unter gleichförmigeren Bedingungen zu Stande 
fommen, weil Begehr und Angebot von Leihfummen in größerer 
Maſſe erfcheinen; 





— 235 — 


b) Es werben den Grunbeigenthümern bie begehrten Pfand⸗ 
briefe eingehändigt, die fie felbft bei den Bapitaliften unterbringen 
müflen. 

Dieß ift bei ben meiften Vereinen wegen ber öfteren Schwans 
tungen des Zinsfußes vorgezogen worden. Steht berfelbe niedrig, 
fo können die Pfandbriefe mit einem Aufgelde verkauft werben, 
im entgegengefeßten Yale muß fie der. Borgende unter dem 
Kennbetrage (Bari) hingeben, und ift es billig, daß er auf diefe 
Beife die Wirfungen ber Zeitumftände empfindet, unter denen 
er eine Anleihe macht (a). 

2) Die Bereindverwaltung bedarf eines baaren Caſſenvor⸗ 
rathed, um auf den Ball des Ausbleibens einzelner Zins⸗ und 
Ulgungszahlungen für ben Augenblict gefichert zu fein (b). 
Die nöthige Baarfchaft kann aufgebracht werben durch Vorſchuß 
aus der Staatöcafle (ce), — durch befondere Anleihen, oder 
buch den Borfchuß eines Banfhaufes in einzelnen Yälen, — 
mdlih auch durch einen Abzug, den man den Schuldnern am 
ven für die Pfandbriefe eingenommenen Summen macht (d). 
Der aus dieſen Abzügen gefammelte Caſſenvorrath fommt, wenn 
die Berlufte ihn nicht erfchöpfen, den Mitgliedern wieder zu Gute. 

8) Um mögliche Berlufte ertragen zu können, iſt ein Huͤlfs⸗ 
vorrath, in Pfanbbriefen nüglich, wozu man in ben erflen Jahren 
dm Zilgungsbeitrag verwenben fann, fo daß dann die Tilgung 
et von einem fpäteren Jahre ihren Anfang nimmt (e). 


(+) Rur wenige Bereine, wie der würtembergifche, haben die unter a) ans 
egebene Binrihtung. Bei dem fächflichen Hatten nur anfänglich bie 
tundeigenthümer die Wahl, ob fie die Geldſumme oder die Pfand: 

briefe annehmen wollten. Für die Ablieferung von Pfanbbriefen an 
die Borgenden ſ. „Ueber Creditvereine“ &. 94. — Dagegen von 
Reindel, ©. 23. Sa. des baier. V. $. 4. 


() Bel. oben $. 114 (a) 


le) Yriedri IL. geb dem fchlefifchen Verein 200 000 Thlr. — In Frankreich 
wurden 10 Dil. Kr. für bie Grebitgefellichaften beſtimmt, Decret v. 
22. Jan. 1852. Mach $. 5 des erwähnten Gefehes dürfen der Staat 
und die Dep. auch zur anfänglichen Srleichterung einen gewiffen Betrag 
von Pfanddriefen übernehmen. 


(d Beier. Eap. $: 8: 3 Procent Abzug, fo daß ber Schuldner 97 fi. 
‚ \ 


erhält und ür 100 verzinfet. 


d ewig, ©. 58: Aus dem Tilgebetrage für die erſten 5 Sabre, 
nach Abzug der Verwaltungskoſten. — Medienburg: die Glaͤubiger 
erhalten 4 Proc. bie Schuloner zahlen 4'/s Proc., und der Unter 
ſchied wird nach Beftreitung ber Koften zum Reſervefond beftimmt. 





— 2356 — 


8. 120. 


4) Die Verwaltungsfoften (beiläufig 1/ Procent) müffen 
ebenfalls aus jährlichen Beiträgen der Mitglieder aufgebracht 
werben. 


5) Es ift nicht nöthig, in jedem Pfandbriefe den einzelnen 
Grundeigenthümer, welcher die Darleihen erhält, und fein Gut 
befonderd zu benennen, weil, unter Vorausſetzung genauer 
Schägung, die fämmtlihen Pfandbriefe durch die von den 
Schuldnern beftelten Unterpfänder im Ganzen hinreichend ver: 
bürgt find (a). 

6) Zur Leitung der Gefchäfte gehört ein von den Mitgliedern 
gewählter, aus einer Kleinen Zahl von PBerfonen beftehender Aus 
ſchuß (Directorium). Die Regierung übt ihr Auffichtöreht 
zunaͤchſt durch einen Bevollmächtigten, der den Berathungen beis 
wohnt. Es iſt nüglich, wenn in dein Ausfchufle des Vereined 
auch die Blaffe der Pfanbbrief-Inhaber (Vereinsgläubiger) ihre 
Vertreter bat (b). 

7) Zur Zuverläffigfeit der Schäpungen dient bie Aufs 
ftellung einer dem jebesmaligen Stande der landwirthſchaft⸗ 
lichen Abſchaͤtzungskunſt entiprechenden Gefchäftsanweifung (In 
ftruction) (c). 


8, Man hat noch) manche künftlichere Einrichtungen in Bors 
fhlag gebracht, bie jedoch entweder bie Feſtigkeit des Credits 
fchwächen, ‚oder fonft der einen oder anderen Claſſe von Theil- 
nehmern Nachtheife bringen würden (d), 


(c) Fahrmbacher, ©. 24. — Baier. ©. 38: Die Hypothefenurkfunten 
werden bei Gericht niedergelegt und von bemfelben wird auf jedem 
Bfandbriefe die fpecielle Deckung bezeugt. 


(3) Bofen, $. 103: ein biezu beftellter Rechtsgelehrten — Wiürtb. 8. 24: 
3 Bfanbbriefbefiker. - 


(6) Borfchläge Hierzu bei v. Bülowsßummerow, ©. 54. 


(d) Mehrere Entwürfe biefer Art in Baiern, unter andern 1) der Vorſchlag, 
mit dem Greditvereine eine Zettelbant (I, $. 304) zu verbinden, teren 
Gewinnfte die Tilgung der Hypothefenfchulden erleichtern oder deren 
Operationen wenigftens den Gurs der Bfanpbriefe hoch erhalten follten, 
9. Aretin, v. Hornthal, ebenfo v. Bülow, ©. 1815 2) der Antrag, 
Iprocentige Pfanbbriefe zu einem niedrigen Eurfe von 75 auszugeben, 
v. Reindel, a. a. DO. Dagegen v. Arco, ©. 14 ır. 


— 257 — 


$. 120a, 


IL ($. 113). Gefellfchaften, die das Darleihen auf Unters 
bfänder gewerblich betreiben, um wo nicht anjehnlichen Gewinn, 
doch fichere Berzinfung ihres eingezablten Capital zu erhalten, 
ind unter dem Ramen ver Hypothekenbanken befannt. Das 
von den Theilnehmern eingefchoflene Capital dient, das Ge⸗ 
wält in Gang zu bringen. Eine ſolche Geſellſchaft ſteht ale 
tritte Perſon zwifchen den Eapitaliften, die ihre ©läubiger, und 
ten Orundeigenthümern, die ihre Schuldner find, in der Mitte 
und hat in den Unterpfandsrechten, welche die lebteren ihr 
einräumen, die Bürgfchaft für die von ihr ausgeftellten Pfand⸗ 
biiefe. Die obigen für die Creditvereine angegebenen Säpe 
4. 113— 120) gelten größtentheil® auch von biefen Unter- 
HMandöbanfen, nur daß bie borgenden Grunbeigenthümer nicht 
Mitglieder der Gefelfchaft find und unter einander in feiner 
Verbindung ſtehen. Kleine Gefellfchaften biefer Art können ohne 
Ritwirfung der Regierung zu Stande fommen (a), größere 


Unternehmungen bebürfen jedoch der Staatögenehmigung und 


tiner Staatsaufficht, die jedoch nicht in eine Leitung übergehen 


md bie freie Bewegung innerhalb ber fagungsmäßigen Befugniffe 


niht hindern darf (5). Im Vergleiche der Hypothefenbanfen 
nit den @rebitvereinen (c) haben biefe darin einen Vorzug, 
daß alle erzielten Gewinnſte und Erſparniſſe den Grundeigen⸗ 
'hümen zu Gute kommen. Dagegen ift, befonders bei ber 
Teilnahme vieler Heiner Grundeigenthümer, bie Vertretung 
verielben in dem Gefellichaftövorftande umftändlich, dagegen bie 
Lerwaltung einer Actiengefellfchaft einfacher, mehr auf Ver⸗ 
befierungen und geſchickte Benutzung ber Umftände bedacht und 
im Stande, andere Banfgefchäfte zu Hülfe zu nehmen, nur 
birfen biefe den Gang ber Zinszahlungen und Tilgungen nicht 
gährden ober flören. In Crmangelung eined Grebitvereind 
ter wo derfelbe den Bebürfniffen der Borgenben nicht genügend 
fpricht (d), iſt daher die Errichtung von Hypothefenbanfen 
nüͤhlich und verdient zugelaffen zu werben. In einem großen 
Staat if von der Gründung mehrerer ſolcher Banken in den 
einzelnen Lanbestheilen mehr Vortheil zu erwarten als von 


finer einzigen großen (e). Zettelbanken genießen in dem Vor⸗ 
Rau, yolit. Delom, IE 1. Abth. 5. Ausg. 17 


— 258 — 


rechte des Ausgebens von Banffcheinen einen großen Bortheil 
und find daher im Stande, den Grundeigenthümern unter billigen 
Bedingungen zu leihen. Manche Banken thun dieß freiwilig(), 
auch kann es ihnen bei der Ertheilung ihres Privilegiums zur 
Pflicht gemacht werben (g). 

(a) In Würtemberg entfland eine Anzahl kleiner Reihanftalten biefer Art, 


Q) 


die aber zu forglos und formlos eingerichtet waren und bald wieder zu 
Grunde gingen. 


Sn Frankreich wird diefem Grundfaße entgegen ber Gouverneur vom 
Kaifer ernannt. 


Beide verhalten ſich zu einander ungefähr wie die Prämien = und wechſel⸗ 
feitigen Brandverficherungen, $. 24. 


Die Theilnahme an den Grebitvereinen ift gewoͤhnlich fo beichränft, 
dag noch viele andere Anleihen auf anderen Megen gefucht werten, 
bejonders von ben Heinen Grundbefigern. In Sachſen waren nah 
v. Bofe (Sammlung der wichtigſten Kanbesculturgefege im Königreich 
Sadjfen, 1850, ©. 31) 50 Ritter: und 13 Bauernguter dem Verein 
beigetreten mit 378702 Thlr. Steuereinheiten, d. 5. 126234 Thlr. 
Reinertrag. Nach Abzug der Reallaften sc. war der abgefchäßte Verkehrs⸗ 
werth 3012 565 Thlr., fie fonnten alfo (zu !/s) 1'506 282 Thlr. Credit 
erhalten, hatten aber nur 1078 850 Thlr. wirklich aufgenommen. Es 
find 971 Rittergüter verhanden. " 


Kür dieſe Anflalten unter anderen Rodbertus⸗Jagetzow und 
Berndta. aD. — Drei foldhe Reihanftalten find 1835 in Belgien 
auf Actien errichtet worden. Caisse hypothecaire (auf 60 Jahre, mit 
12 Mill. Br. Actiencapital; die Zeitrente der Schuldner begreift aud 
eine Bergütung von höchftens 1 Proc. für die Caſſe), C. des propriötaires 
(auf 99 J., mit 2 Mill. Fr. Capital; hoͤchſtens 1 Proc. Vergütung für 
bie Caſſe; Halbjährige Zeitzenten, zu 4 Proc. berechnet; die Gapitaliften, 
welche der Gafle Geld gegen Aproc. Obligationen leihen, erhalten tie 
Drigahlung nach dem Looſe, und Hiebei auch Prämien, für welde !u 
des Neinertrags verwendet wird; die Actionäre empfingen 1835/35 6 Proc., 
18%) 72 Proc), und banque fonciere (Stod von 25 Mil. Fr., auf 
90 J.; halbjähr. Zeitrenten). Die benque d’amortissement (8. $ebr. 1837) 
und die b. immobiliere (1834) zu Paris find wieder eingegangen. Rad 
dem franz. Gef. v. 28. Febr. 1852 ($. 113 (d)) wurde eine Credit⸗ 
gefellichaft als banque fonciere de Paris für die 7 Dep. des Bariler 
Appellhofes gegründet und am 30. Juli jenes Jahres genehmigt, aͤhn⸗ 
lihe Banken entftanden zu Marfeille und Never. Durch Verfrag und 
B. v. 10. Der. 1852 erhielt jene den Namen Credit foncier de France 
und wurde über 80 Dep. ausgedehnt. Don dem beabfichtigten Actiens 
capital von 60 Mill. Er. ift erft die Hälfte ausgegeben, aber nur "ı 
eingezahlt, das andere 1/4 kann eingerufen werden. Die Geſellſchaft 
verſprach, 200 Mill. Er. auszuleihen. Am Schlufle des Jahres 1861 
waren 176384000 Fr. in PBfandbriefen und 14866000 Schuldbriefe 
von Gemeinden ausftehend (en circulation). Die meiften Darleihen find 
gegen 50 jährige Zeitrenten gemadt worden. Hiebei ift zu unterfcheiden 
1) die Leiftung bes Unterpfandfchuldners, welcher bei 5proc. Pfand⸗ 
briefen eine Zettrente von 6,0% Proc. geben muß, bei Aproc. eine Mente 
von 5,5 Proc., bei 3proc. aber 5 Broc. auf 50 Jahre. 2) Die Art 
der Nüdzahlung an den Darleiher. Bei den 5proc. Obligationen wird 
das Capital nad dem Loofe im Nennbetrage abbezahlt, bei ben 4proc. 





— 259 — 


| wirb daſſelbe um */, höher heimbezahlt, alfo 120 für 100 (avec lots 
| ölerds), bei ben 3 proc. werden außerdem nod für einen Theil der aus: 

elooften Bfandbriefe Prämien gegeben. Die 4proc. Darleihen werden am 

häufigßen begehrt. Die ungleiche Bntridytung des Schuldners hängt mit 

ten verfchiebenen Breifen gulammen, die er beim Verkaufe der Pfand: 

briefe erhält, indem 3. D. 1860 die 5 proc. in Pari, die 4proc. zu 
Ä 485 fanden. Bemerkenswerth ift, daß der größte Theil der Anleihen 
Ä im Seine-Dep. gemacht wird, 3. B. 1860 ungefähr %/ı, alfo meiftens 
| nicht zu Ianpwirthichaftlihen Zwecken, fondern zu Bauten. Im Jahre 

1859 wurden 33-887 000, 1860 aber 69.489000 Fr. ausgeliehen, wo: 
| ven die Bommunalobligationen 19 Mill. betrugen. Die Zahlungen ver 
Echuldner erfolgten pünctlid, da in 5 Jahren nur A mal eine Sequeftration 
verhängt und 3 mal ein Zwangsverkauf Ya Herta wurde. 1857 wurde 
die Geſellſchaft ermächtigt, nit Geld, ſondern Pfandbriefe an die 
Schuldner abzuliefern: Offenbar bat diefe Anftalt für die franzoͤſiſche 
Landwirthſchaft noch keinen großen Augen hervorgebracht. Revue des 
denx mondes. XVII, 596. — Toofe, Geſchichte der Preife IL, 370 der 
teutfhen Ueberf. — Sahresberichte in Block et Guillaumin, Annuaire 
de l’&con. poL, der Iekte 1861. ©. 565. Der Staat lieh der Barifer 
Geſellſchaft 9700000 Fr., den beiden anderen 300000 Fr. — Der 
Borfhlag des Englaͤnders Shute (Sconomift. Ian. 1853) weicht darin 
ab, daß 3. DB. bei der Tilgung durch 25 jährige Zeitrente 25 einzelne 
Bandbriefe für die einzelnen Jahrestilgungen ausgegeben werben follen. 


N3.8. die Bank zu Lüttih, die 1850 3434000 Fr. auf Unterpfanb 
unb gegen Zeitrenten ausgeliehen batte. 


(9) Die baierifche Hypotheken⸗ und Wechſelbank tft verpflichtet, 3/5 ihres 
Fonds zu Anleihen auf rund und Boden zu verwenden, fie darf 
höchſtens A Proc. Zins nehmen und muß auf Berlangen Annuitäten 
bewilligen, Geſ. v. 1. Juli 1834. Sie leiht gegen doppeltes Unter: 
pfand und nur gegen Zeitrenten mit mindeflens 1/s Proc. Tilgung, mit 
der Befugniß des Schuldners, flärfere freiwillige Abfchlagszahlungen zu 
machen. Ende 1852 hatte die Bank bei 5703 Hypothelen-Schuldnern 
16191329 fl. ausfiehen. Hübner, die Banken, ©. 28. 42. — Auch 
tie Wiener Nationalbanf foll nah E. V. v. 12. Octbr. 1855, Min. 
Erlaß v. 21. Octbr. 1855 u. v. 20. März 1856 auf Unterpfandsrechte 
keiten, wozu 40 Mil. fl. ihres Bermögens beftimmt find. Sie darf 
bis auf den 5fachen Betrag diefer Summe leihen, baar oder in Pfand⸗ 
briefen, auf die Hälfte des abgeichäßten —— mit nicht weniger 
als ein Jahr Verfallzeit. Czoͤrnig, Neugeſtaltung S. 282. 


8. 120b. 


Leihanſtalten, welche gegen Fauſtpfaͤnder Vorfchüffe auf Fürzere 
Jet geben, vermögen audy den Landwirthen gegen Berpfändung 
son Borräthen ſolche Darleihen unter billigen Bedingungen zu 
bewilligen (a). 

Für die am wenigften begüterten Landwirthe, bie das ers 
terderliche Vieh nicht aus eigenem Vermögen erfaufen können 
und daher beim Berlufte oder der erften Anfchaffung eines Vieh⸗ 

| Rüced haufig ſchwere Bedingungen eingehen müflen und wucher- 
lien Kunſtgriffen anheimfallen ($. 109), find Biehleihcaffen 
17° 


— 260 — 







von großem Nuten. Sie bewahren manchen Ranbbewohner vor 
dem PVerarmen und ftehen vielen beim &mporarbeiten in eine 
beffere Lage bei. Caſſen von dieſer Art find leicht-von Or 
meinden zu unternehmen, deren Vorfteher jeden Einzelnen bin 
reichend im Auge haben, um fi vor Verluſten fügen m 
fönnen; doch find auch größere Anftalten ausführbar, beſonders 
in Verbindung mit Sparcaflen, von denen die nöthigen keit‘ 
fummen erlangt werden. Das vorzüglichfte Sicherungdmittel ter 
Leihcaffe liegt in der Beftimmung, daß das Vieh dem tarım 
nachfuchenden Sandmann nad) feiner Auswahl angefchafft wirt, 
aber bis zur Abtragung bed Preifes nebft Zinfen das Gigen 
thum der Anftalt bleibt. Gegen Unfälle dient die Verficherungds 
anftalt, 8. 109. Der Berfauf des gelehnten Viehes wird nur 
unter dem Bedinge erlaubt, ein anderes Stüd unter Mitwirkung 
der Vorfteher anzufchaffen, oder aus dem Erlöfe die Yorberung 
an die Caſſe abzutragen. Ohne die forgfältige Mitwirkung de 
Gemeindevorftände würden aber ſolche Leihanftalten gefährte, 


fein und deßhalb ift ihr Gedeihen durch eine hierauf gerichtete: 
Regierungsverordnung bedingt (5). 





(a) 3-8. die von ber ſchleſ. Landſchaft 1848 gegründete Darlehneaft. 
Preuß. Congreßbericht, II, 303. 


(5) In Baden waren zu Anfang bes Jahres 1836 32 PViehleihcaffen, tie 
meiftens 6 Proc. Zinfen erhoben. Sie find meiftens wieder eingeganaen. 
Mit der Sparcafle für Landgemeinden zu Heidelberg ift eine Bichleib: 
cafle verbunden, welche eine Zeit lang viel genügt hat, jetzt aber in 

eringer Wirkſamkeit ſteht, weil die Gemeindevorflände die Verbürgung 
ür die ihnen angehörenden Schuldner ablehnen. 


IH. Landwirthſchaftliche Arbeiter. 


6. 120 c. 


Die Zahl der zum Betriebe der Landwirthfchaft mitwirkenbe 
Xohnarbeiter (Gefinde und Tagelöhner) bleibt gewöhnlich nid; 
lange unter dem Bebarf, weil im Balle ihrer Unzulänglichkei 
ber höhere Lohn bald Arbeiter aus anderen Gegenden herbei 
lodt. Größere Grundeigenthümer können Arbeiterfamilien au 
ihren Gütern anſiedeln, indem fie ihnen fortwährende Bi 
ſchaͤftigung und die Nutzung eined Heinen Stüded Land zu 


— 2361 — 


ſichern, auch bieten die neuerlich ſehr vervollkommneten land⸗ 
wirthſchaftlichen Maſchinen viele Gelegenheit dar, Arbeit zu 
eriparen. Die Regierung hat daher in der Regel nicht nöthig, 
tie Bermehrung der eldarbeiter durch befondere Mittel zu bes 
fordern, außer etwa in neu angebauten Ländern (a). Defter 
findet fich das entgegengefehte Mißverhältniß, naͤmlich eine ſolche 
Zunahme der Arbeiter, daß biefelben nicht vollftändig befchäftigt 
ind, woraus dann Dürftigfeit und Berarmung entipringen. 
Reben den blos von Lohnarbeit febenden Familien find hier 
auch diejenigen in Betrachtung zu ziehen, bie ein Fleined Grund⸗ 
tigenthum haben, aber von bemfelben allein ihren Unterhalt 
niht erwerben koͤnnen. Vermag auch die Regierung in ben 
meiften Fällen nicht unmittelbar die fehlende Befchäftigung zu 
geben, fo ift doc ihre Mitwirfung und Anregung ſchon darum 
hr nuͤtzlich, weil fle leichter al der einzelne Landwirth einen 
Ücerblid der in ganzen Landestheilen beftehenden Verhaͤltniſſe 
m erlangen im Stande ift (d). Die Abhülfe gegen eine zu 
große Zahl von Beldarbeitern ift durch folgende Mittel möglich: 

1) Ueberfiedelung eines Theiles derfelben in andere Gegenden, 
wo fie mehr Nahrungsquellen finden. 

2) Ausbehnung ded Baulandes durch Urbarmachungen, wozu 
in Ermangelung anderer Grunpftüde bie nahegelegenen Staats⸗ 
waldungen, wenn ihre Raturbefchaffenheit dazu geeignet ift, bes 
nügt werden koͤnnen (ec). 

3) Anwendung einer größeren Menge von Arbeitsfräften auf 
tem ſchon angebauten Lande, was jedoch nur dann gemeinnügig 
it, wenn die ſchwunghaftere (intenfivere) Bodenbenugung aud) eine 
verhaͤltnißmaͤßige Ertragserhöhung hervorbringt. Die Vermehrung 
der Arbeit gefchieht entweder a) von den größeren Lanbwirthen, 
indem fie zu Grundverbefferungen oder zu den Berrichtungen des 
Monzenbaues, ber Viehzucht und ber weiteren Berarbeitung 
gewonnener Stoffe mehr Menſchen in Thätigkeit fegen. Hier 
Rößt der Landwirth in vielen Fällen auf eine Gränze, weil 
ieldhe Geſchaͤfte, die die meiften Arbeiter erfordern, im Großen 
wihwer zu beauffichtigen find; — b) von ven Feldarbeitern felbft 
für eigene Rechnung, auf eigenem ober gepachtetem Lande (d), 
turh Spatenbau, Dibbeln des Betreides (e), Gemüfe-, Obftbau, 
Anbau von Handelsgewaͤchſen, Seidenzucht ic. 


— 262 — 


4) Einführung von anderen Gefchäften, Fülls oder Neben⸗ 
arbeiten, bie in jeder Gegend nad) den Umftänden audgewählt 
werden müflen. Es gehören hierher hauptfächlich foldhe Gewerke _ 
verrichtungen, bie fich leicht im Kleinen, mit geringem Capital 
und mäßigem Grade von Gefchidlichkeit betreiben laſſen, Holz 
fchnigen, Korb⸗ und Strohfledhten, Weben und bergl. 

(s) In NAuftralien werden europäifche Arbeiter auf Koften der Eolonie 
herbeigeführt. 


(6) Congr&s central d’sgric. 1850, ©. 95. 312. — Preuß. Gongreßbericht, 
I, 143. I, 193. 212. — Rau in Berhandl. des Congreſſes v. Abgeordn. 
d. landw. Vereine, ©. 75. 


(ce) Dieß iſt auch ohne Serftörung des Waldes möglih, 3. B. Hadwalt: 
betrieb, — mehrjähriger Anbau von Getreide und Kartoffeln in den 
Zwiſchenräumen ber reihenweile gepflanzten Waldungen. 


(d) Es ift fehr wohlthätig, wenn den Tagelöhnern etwas Land überlaffen 
wird, wie dieß von den größeren Gutsbefigern oft geichieht. 


(2) Rau, Die landw. Geräthe ©. 50. 


IV. Abſatz der landwirthſchaftlichen Erzeugniffe. 


Einleitung. 


8. 121. 


Wo die Lanbwirthfchaft nicht mehr blos zur eigenen Wer: 
forgung der Landleute mit Bodenerzeugniffen, fondern zugleich 
für den Berfauf derfelben getrieben wird (I, $. 362. 363), da 
ift ihr Ertrag von den Erfcheinungen auf dem Markt abhängig. 
Linden die Landwirthe einen ftarten Begehr von vielerlei toben 
Stoffen, eine leichte Berfendung an den Marftort, einen die 
Koften überfteigenden Preis, einen bequemen und ficheren Berfauf, 
jo werden fie zum fleißigen Anbau bed Bodens mit Hülfe neuer 
Bapitale und befierer Kunftmittel ermuntert. Da Getreide das 
Haupterzeugniß des Landbaues ift, fo wird alles dasjenige, was 
ben vortheilhaften Abfag der Früchte befördert, den Randwirthen 
beſonders nuͤtzlich. Indeß darf man bei der Gefehgebung über 
ben Getreideverfehr eines Landes nicht allein den Vortheil 
biefer Claſſe in Betracht ziehen, fondern muß ſich zugleich huͤten, 


— 263 — 


bie Zehrer dem Mangel an Rährftoffen und einem unerſchwinglich 
hohen oder häufig wechfelnden Getreidepreiſe auszuſetzen. Sowohl 
biefe, biß zu einem gewiflen Grade einander wibderftreitenden Rüd: 
fihten, als die Berfchiedenheiten im Ernteertrage und im Breife 
der Halmfrücte von Jahr zu Jahr machen die Leitung des 
Getreideverkehrs ſchwierig (a). 


(e) 


Diefer Gegenftand pflegt häufig befprocdhen zu werden, wenn Getreide: 
theuerungen einen Anftoß dazu geben, während in der Zwifchenzeit die 
Unterfuchungen hierüber oft ruhen. Bon den fehr zahlreichen Schriften 
find vorzüglich bemerfenswerth: 1) Deutfche: Bergius, Magazin, VI, 
Art. Lebensmittel, Magazinanftalten. — Philippi, Der vertheidigte 
Korn⸗Jude. Berlin, 1765. — Reimarus, Die widhtige Frage von der 
freien Aus: und Binfuhr des Getreides. Hamburg, 1771. Defl. Die 
Freiheit des Getreide-Handels. Frankf., 1791. — v. Muͤnchhauſen, Der 
freie Kornhandel. Hannover, 1772. — Hennings, Kleine öfon. und 
cameral. Schriften. II. Bd. Copenhagen, 1787. — Norrmann, Die 
Freiheit des Setreide-Handels. Hamburg, 1802. — Thaer, Einleitun 

zur engl. Landwirthſchaft, II, 2. Abth. ©. 114. — Heinfe, Gei 

und itik der neueften über Theuerung erichienenen Schriften. 
Zeitz, 1806. — Gr. Soden, Das idealiihe Getreidemagazin. Alten: 
burg, 1813. Dei. Nativnalöfonomie I, 199. Deff. Die annonarifche 
G — Ruͤrnberg, 1828 (mit einer ſehr reichhaltigen Literatur 
bes Gegenſtandes). — (v. Schuckmann) Gutachten über Getreide⸗ 
Ausfuhr: Berbote. Leipzig, 1809. 4. — Weinrich, Die Getreide: 
ſperren und Landmagazine, auch eine Beranlaffung der Theuerung. 
Münden, 1817. — Häder, Ueber die Getreidetheuerung in ben 
Jahren 1816 und 1817. Nürnberg, 1818. — v. Köpfen, Was ift 
Kornwucher? Berlin, 1818. — Log Handbuch, II, 291. — v. Mohl, 
Bol. L, 279. — Roſcher, Ueber Kornhandel und Theuerungspolitif, 
3. Aufl. 1852. — Schulze, Ueber den deutfchen Kornhandel und 
tie deutiche Bolfsbilbung, Jena, 1848. 2) Franzoͤſiſche: Herbert, 
Sur la police des grains. Berlin, 1755. Deutih v. Hall: Berfuh ber 
allg. Kornpolizei, 1756. — (Chamousset) Observations sur la libert& 
du commerce des grains. Paris, 1759. — Bepresentation aux magistrats 
contenants l’exposition raisonnee des faits relatifs à la liberte du com- 
merce des grains. Paris, 1760. — Galiani, Dialogues sur le commerce 
des grains. Paris, 1779. (Der Staliener &. gab dies Buch zuerft franz. 
heraus.) D. v. Beicht. Slogau, 1802. — Necker, Sur la lögislation 
et le commerce des grains. Paris, 1775. — Say, Handb. IV, 323.— 
Dictionn. de lécon. polit. I, 301. Art. Cörsales von Molinari. — 
3) Englifhe: Doung, Polit. Arithm. S. 34. — Ad. Smith, 
IL, 167. — Dirom, An inquiry into the cornlaws and corn-trade of 
Grest-Britain, with a supplem. by. Mackie. Edinb. 1796; im Auszuge 
bei Tha er ca. a. DO. — Campbell, On the proposed alteration of 
the corn-laws. L. 1814. — Jacob, Considerations on the protection 
required by british agriculture. 1814. Defl. Beport on the trade in 
foreign corn. London, 1826. Deutfh: Bericht an den brit. geh. Rath., 
über. von Richard. Nahen, 1826. Dell. Second report. 1828. 
D. Hamb. 1828.— Ricardo, On protection to agriculture. L. 1822. — 
Mill, Elements of pol. econ. ©, 201 der 3. Ausg. (1826). — Rey- 
nolds, Practical observations on M. Ricatd.o’s principles ete. 1822. — 
Whitmore, On the present stste and future prospects of agricul- 


— 214 — 


tre 1822. — Torrens, An essay on the influence of the external 
corn-trade upon the production and distribution of national wealth. 
London, 1820. — Lowe, lieber den gegenwärtigen Zufland von Eng 
land, &. 5. — Edinb. Rev. Dict. 1824. Sept. 1826. Ian. 1834, 
(vermuthlih von Mac⸗Culloch). — Quarterly Review, LXIX, 269 
(Dec. 1826). CI (März 1834). — Mac-⸗Culloch, Handbuch für 
Kaufleute, I, 74. Defl. Statement on corn-laws. 2. edit. 1841. (ine 
Angabe vieler Flugſchriften, fowie eine Grörterung bes Standes ter 
Meinungen bei %. v. Raumer, Die Korngefege Englands. Leipz. 1841. 
Ueber die Brit. Korngefeße f. auch Kleinſchrod, Großbrit. Geſttz⸗ 
gebung über Gewerbe ıc. 1836, S. 375. 4) Ueber die Niederlande: 
Recueil des precis, relatifs & la libert& illimit6ee du comm. des grains, 
a la Haye, 1823. — (Dfiander) Beleuhtung des Kampfes über 
Handelsfreiheit und Verbotſyſteme in den Niederlanden. Amflerdam, 
1828. — den Tex, Twee voorlezingen over graanwetten en graan- 
handel, Amst. 1847. — Chevalier, Le bl& in Söances et travaux 
de l’acad. des sciences morales et polit. XXIX, 335. 1854. — Rodri- 
guez, Observaciones sobre la libertad de importar cereales estranjeros, 
Madrid, 1858. == Journ. des Econ. uni 1858. 


$. 122. 


Wie eine dauernde, die Anbaufoften nicht erfeßende Wohl 
feilheit ded Getreides die Landwirthe in Schaden bringt, fo iſt 
eine beträchtliche Tcheuerung beffelben für die übrigen Volls⸗ 
clafien drüdend und für die Dürftigen die Urfache großer Be 
drängniß, I, $. 191. Liegt es auch nicht in der Macht der 
Regierung, die aus ber Ungleichheit ber Ernten (a) entftehenden 
Preisfchwanfungen im Lande zu verhüten, fo kann fie doch auf 
die Verringerung berfelben und auf die Milderung ihrer Folgen 
hinwirfen. Sie hat hierbei darnach zu ftreben 

1) daß, wo ein Ueberfchuß des einheimifchen Erzeugniffed 
über den Bedarf vorhanden ift, durch Ausfuhr ſowie durch An: 
fauf für längere Aufbewahrung das Angebot vermindert werde, 

2) daß in minder ergiebigen oder völligen Mißjahren die 
Preiserhöhung in gewiſſen Gränzen gehalten werbe (5). Hiezu 
trägt e& bei, wenn a) ber Getreivebau fo ausgedehnt ift, daß 
in guten Jahren Ueberfluß, in fchlechten noch der Landesbedarf 
oder nicht viel weniger gewonnen wird, — b) wenn ber Ber 
braudy zeitig befchränft wird, damit man befto leichter bis zur 
Ergänzung der Vorräthe audreiche, wozu die beginnende Er: 
höhung des Preifes eine fühlbare Mahnung giebt, — c) wenn 
Borräthe aus früheren Jahren zu Hülfe genommen werben 
fönnen und zeitig genügende Einfuhr Statt findet; 


— 23155 — 


3) daß durch Erleichterung bes Verkehres eine Ausgleichung 
ber Borräthe und der reife zwiichen ben einzelnen Landes⸗ 
theilen erfolge. 


() Es fehlt noch an genauen ftatiftifchen Angaben über den Grnteertrag 
verfchiedener Jahre. Nach den Erkundigungen im preußifchen Staat 
fheinen im Jahre 1846, wo bie Mißernte flarfe Theurung verurfachte, 
gegen eine Durchfchnittsernte am Weizen 24, am Roggen 25, an den 

artofeln 47 Proc. gefehlt zu Haben. Im Sachſen berechnete man in 
dem nämlichen Jahre den Ausfall bei Weizen auf 10, Roggen 21/4, 
Kartoffeln 23 Proc. In Belgien (Bulletin de la comm. de stat. IV, 
175) foll der Ausfall beim Waizen 19, Miſchkorn 38, Roggen fogar 
60,0 (7), bei Kartoffeln 32, Proc. geweien fein und am Nahrungs: 
bedarf follen im Ganzen 45 Proc. gefehlt haben. Aus den auf ben 
Heidelberger Markt gebrachten Borräthen wäre der Ausfall von 1816 
auf 40 Proc. anzunehmen. — Die Mißernte von 1855 in Preußen 
wird im Berhältniß zu einer vollen Ernte angegeben bei Weizen zu 61, 
Mogaem 66, Gerſte 95, Haber 98, Kartoffeln 61 Proc., aber ber 
Durdfchnittsertrag von 1848—58 foll von einer vollen Ernte bei diefen 
fünf Gewächſen 0,9 — 0,9% — 0,9% — 0,9% — 0,8 geweſen fein. 
!üderspdorf, Annalen, 1858, I, 52. II, 445. Im Gr. Heflen war 
egen den 10jährigen Durchſchnitt der geringfte Ertrag bei Weizen 82, 
oggen 78,5, Spelz 75, Gerfte 55, Kartoffeln 61 Proc. Zeller, 

itſchrift, 1860 S. 300, 


(b) Ginige Preiserhöhung if zur Entſchaͤdigung des Landwirths noths 
wendig. 


A. YAuswärtiger Handel mit Bodenerzeugnifſen. 
6. 123. 


Man hielt früherhin in Ländern, welche nicht fchon regels 
mäßig einen Ueberfluß an Getreide hervorbringen, die Aus; 
fuhr von folchen Früchten für nadhtheilig, weil dadurch die 
Ernährung des Volkes gefährbet oder mindeftend ber Getreide 
preis gefleigert werde. Bon der Erjchwerung der Ausfuhr 
erwartete man dagegen eine den Zehrern und vorzüglidy den 
Gewerköarbeitern erfprießliche Wohlfeilheit der Lebensmittel. 
Diefe Vorſtellung war irrig. Eine folche Wohlfeilheit, wie 
man fie wünfchte, würde bie Grundrente fehmälern und bie 
Randwirthe beivegen, den Getreidebau einzufchränfen, indem fie 
andere Rubungen ded Bodens. vorziehen und dad unergiebige 
Rand zur Weide liegen lafien. Diefe Verringerung bed Ans 
gebote® hebt mit der Zeit wieder bie Preiſe, unterdefien aber 
iR der Landbau in Verfall gerathen und ber Sandmann vers 
armt. Iſt die Ausfuhr frei, fo bringt die Ausficht auf aus⸗ 
wärtigen Abfag eine Erweiterung des Getreidebaues zu Wege, 


— 206 — 


wie die Erfahrung in vielen Laͤndern bewiefen bat. Den ins 
ländifchen Zehrern entgeht nichts, denn die ind Ausland 
gehenden Maffen würden gar nicht zum Vorſchein gekommen 
fein, wenn die Ausfuhr nicht erlaubt gewelen wäre. Die 
Landiwirthfchaft fommt hierdurch empor, und das tnlänbifche 
Bedürfniß wird leichter befriedigt, auch finden bie ftarfen Schwan⸗ 
fungen von großer Wohlfeilheit und Theuerung nicht mehr 
ftatt, vielmehr bleiben die Preiſe gleichförmiger als zuvor (a). 


(a) Nachdem Sully die Getreibeausfuhr in Frankreich ganz frei gegeben 
hatte (I, $. 22), blübte der Landbau 60 Jahre lang und es wurde 
ein folcher Ueberfluß von Früchten erzeugt, daß England fi regel: 
mäßig damit verſorgte. Colbert's Verbot der Ausfuhr, durch tie 
Hungersnoth von 1662 veranlaßt, und die fpäter von ihm nur be 
Ihränft gegebene Nusfuhrerlaubniß, fo wie feine andern Maaßregeln 
(1, $. 34) brachten es dahin, daß das Land verödete und das jährliche 
Erzeugniß von 70 auf 40 Millionen sötiers fanf. In 113 Jahren, 
während deren der Getreideverfehr beengt war , traten 65 Sen 
jahre ein, Norrmann, ©. 33. — In England gab das Belek 
v. 1689 die Ausfuhr bei einem Breife von 48 Schilling und darunter 
für den Quarter Weizen nicht blos frei, fondern bewilligte fogar eine 
Prämie von 5 Schilling für den ausgeführten Quarter. Die Folgen 
für die Landwirthichaft waren fehr wohlthätig, die PBreife ſchwankten 
wenig und zeigten im Durchfchnitt ein fortwährendes Sinten, bie das 
Mißjahr 1756 eine Theuerung nad ſich zog und ein Ausfuhrverbot 
veranlaßte. Doc kann die angegebene Beichaffenheit ber Getreidepreiſe 
nicht blos aus der Ausfuhrfreiheit erklärt werben. Lowe, ©. 223.— 
Toscana empfand diefelben Vortheile, als Leopold 1766 die Ausfuhr 
frei gab. Die Infchrift der Denkmuͤnze, welche die Bürger von Florenz 
1775 darauf prägen ließen, fagt: libertate frumentaria opes auctae. 
Meimarus, Die Freiheit ıc. ©. 42. Hennings, ©. 205. — 
Bortheile der freien Ausfuhr für Mecklenburg und Hildesheim, |. Norr⸗ 
mann, ©. 263. — Erome, Ueber Aderbau, Getreidehandel, Kom: 
fperre und Landmagazine, S. 8 (Hildesheim, 1808). — Neuerlich hat 
fih in Schmeben und zeigten der Getreidvebau fo fehr gehoben, daß 
noch etwas zur Ausfuhr übrig bleibt. 


8. 124. . 


Nicht alle Länder Fönnen einen Ueberfhuß an Getreide 
erzeugen, wie denn fchon bie Ausfuhr ded einen Landes ein 
anderes einführended vorausſetzt. Wo die Bevölkerung hoch, 
oder die Fruchtbarkeit ded Bodens und Klimas gering ift, ober 
wo vollend& beide Umftände zufammentreffen, da muß die Ein 
fuhr zu Hülfe genommen werden, um dad Volk zu verforgen. 
Unter dieſen Umftänden fteht natürlich ber Getreidepreis höher 
als in Ländern von ben entgegengefegten Berhältnifien, und 
man fann die Zehrer der Nothwenbigfeit nicht überheben, bei 


— 267 — 


der Anfhaffung ihres Bebarfed bie größeren Fracht» ober 
Anbaufoften zu erfegen, I, 8. 178. In folden Faͤllen hat 
man es ehebem für nothwendig erachtet, die Getreideausfuhr 
zu erfchweren, bamit ber Bebarf des eigenen Landes in dem⸗ 
jelben erhalten werde. Allein auch bier fprechen erhebliche 
Gründe für die Freigebung der Ausfuhr, denn 1) diefelbe unters 
bleibt gewöhnlich von felbft, weil in dem angenommenen Falle 
die Preife in der Regel nicht niedrig genug find und außerdem 
die Berfendungsfoften zu beftreiten find, e& müßte denn anderswo 
ein noch höherer Preis Herrchen. 2) Die Gewißheit, daß man 
in fehr ergiebigen Jahren den Ueberfluß ungehindert im Aus⸗ 
lande abfegen Fönne, fichert vor einer periodifchen übermäßigen 
Wohlfeilheit und giebt eine flärfere Ermunterung zum Getreide⸗ 
bau. 3) Man trägt weniger Bedenken, Fruͤchte von außen 
herbei zu holen, wenn man fie erforderlichen Falles auch wieber 
frei hinaus ſenden kann. 


8. 125. 


Der Getreideverkehr hat zufolge ber in der neueften Zeit 
eingeführten Erleichterungen ber Waarenverfendung eine ſolche 
Ausdehnung und Befchleunigung erlangt, die dad Ausgleichen 
des Ueberfluffed und Beduͤrfniſſes felbft zwifchen verfchiedenen 
Edtheilen bewirkt und manche Beforgniffe früherer Zeit bes 
feitigt.. Je mehr die Berfendungsmittel (Land⸗ und Waſſer⸗ 
ragen, Dampfſchifffahrt, Eifenbahnen) vervollfommnet und 
vermehrt werben, befto weniger ift bei ber Freiheit der Ausfuhr 
zu befürchten, weil man ben Bedarf im Nothfalle leicht wieder 
aus andern Laͤndern ergänzen kann (a). Es ift aber billig, 
daß die Landwirthe, die fich die MWohlfeilheit des Getreides 
biöweifen gefallen laſſen müffen, auch den Bortheil höherer 
Preife genießen, die meiftend aus der geringeren Ergiebigfeit 
ber Ernten berrühten. Wo insbefondere mehrere mittlere und 
fleinere Staatögebiete von ähnlichen lanbwirthfchaftlichen Ver⸗ 
hälmiffen an einander grängen, da gewährt bie Wreiheit bes 
Getreidehandels jedem berfelben größere Sicherheit der Ber 
ſorgung, zumal da die Mißernten ſich felten fehr weit erftreden 
und oft der Ueberfluß des einen Landes dem Mangel be 
andern zu Hülfe kommt. Man hat fi deßhalb in neuerer 


— 218 — 


Zeit im Allgemeinen mehr und mehr von der NRüslichfeit einer 
Aufhebung der Ausfuhrbefchränfungen überzeugt. Sie if ba 
am einleuchtendften, wo 

1) dad Land einen fo ausgedehnten Getreidebau und eine 
ſolche Lage der Getreidegegenden hat, daß bie Zehrer fich jebers 
zeit leicht vor den Ausländern verforgen können, oder 

2) wo bie Einfuhr leicht. ift, oder fogar 

3) ein auögebreiteter Handel mit ©etreide getrieben wird, 
wobei immer anſehnliche Vorräthe in Bereitfchaft liegen und 
ſchon des Zwifchenhandeld wegen eine große Einfuhr ftattfindet. 


(ea) Gin merfwürbiges Beifpiel_ giebt 4 ſehr ſtarke Getreideeinfuhr in 
Frankteich aus Ungarn im Herbft 1 


$. 126. 


Es giebt Bälle, bei denen eine ftärfere Befuͤrchtung gehegt 
worden ift, daß durch die Ausfuhr in theuren Jahren die Preife 
hoch gefteigert werden Eönnten und ber hieraus entftehende Radıs 
theil von dem Gewinn der Berfäufer aus dem auswärtigen 
Abfage nicht aufgeiwogen würde. Dieß könnte nur unter eigens 
thümlichen örtlichen Verhältniffen eintreten (a), wenn etwa 
1) ein andered Land, in welchem noch höhere Preife beftehen, 
fo gelegen ift, daß ihm aus den ©etreidegegenden bed Staated 
noch ferner Brotfrüchte zugeführt werden fönnen, während bet 
Vorrat) chen Faum mehr für das inländifche Beduͤrfniß auds 
reicht, und zugleich 2) das Fehlende nicht leicht und fehnel 
durch Einfuhr wieder zu erlangen ift, wovon die Urfache bald 
in den Ausfuhrbefchränfungen der Nachbarländer, bald in ben 
Schwierigfeiten und der Langfamfeit der Zufuhr aus größerer 
Entfernung liegen kann (5), befonderd im nörblichen Europa, 
wo der Winter die Schifffahrt unterbricht und die mangelhaften 
Landftraßen noch weiter verfchlechtert. Bei dem heutigen Zu⸗ 
ftande der Fortfchaffungsmittel find jedoch Nachtheile der unge 
hinderten Ausfuhr unter ſolchen Umftänden nur in viel geriw 
gerem Grade möglidy als zuvor. 


(a) Gifrige Hervorhebung folcher Umftände bei Galiani, a. a. D. 


(5) Das füdwetlihe Deutichland kann auf dem Main, Nedar, Rhein ſebt 
leicht Getreide ausführen, die Zufuhr dagegen war bisher wegen ber 


— 269 — 


ı Alpen, ber Tangfamen Schifffahrt zu Berg und der Entfernung weit 
fhwerer. 1817 fam das beftellte Getreide in den preußiihen Rhein⸗ 
provinzen, zum Theil auch in Würtemberg zu fpat an; aud in Frank⸗ 
reich traf das für 54 Mill. Fr. gekaufte erft nach ter Ernte 1818 ein, 
fo daß es mit Schaden verkauft wurde. Die Dampfihifffahrt und die 
Gifenbahnen haben diefe Schwierigfeit fchon um Vieles vermindert, fo 
dag Getreide nicht allein aus Ungarn, fondern aud von den unteren 
Donauländern leichter herbeilummt. 


:$. 127. 


Da die Nachtheile der erwähnten Art nicht fortvauernd, 
fondern nur in einzelnen theueren Jahren zu befürchten find, 
fo wäre e8 am einfachften, auch in Rändern, bie zu einer folchen 
Beforgniß Anlaß geben, in ber Regel die Ausfuhr frei zu 
laffen und biefelbe nur vorübergehend je nad) Bebürfniß zu 
unterfagen.. So verfuhr man aud) fonft gewöhnlid und ber 
vielfache Wechſel in den Regierungsmanßregeln der angränzens 
den Staaten führte das wirfliche oder vermeintliche Beduͤrfniß 
einer folchen außerordentlichen Einmifchung nicht felten herbei. 
Weil jedoch pilögliche Erfchwerungen des Getreideverkehrs bie 
Unternehmungen ber Kaufleute und Landwirthe durchkreuzen, 
Verlufte verurfachen, eine Abneigung gegen diefen Handel 
bewirfen und hiedurch auch dem Landbau fchaden ($. 139), 
jo it eine fefte Gefepgebung vorzuziehen. Durch diefe Erwäs 
gungen ift die gefeßliche Beftimmung hervorgerufen worden, 
daß eine Beichränkung der Audfuhrfreiheit anfangen folle, wenn 
ber Getreidepreiß eine gewiffe Höhe erreicht hat. Diefer Richt: 
preis darf nicht von einem einzelnen Tage und Orte ent 
nommen werden, weil es fonft möglich wäre, ihn durch Kunfts 
griffe zu leiten, er muß vielmehr der Durchfchnitt mehrerer 
Wochen fein. Für ben Ball, daß das Getreide einen folchen 
Richtpreis erreicht, wird entweber die Ausfuhr ganz verboten (a), 
oder ein mit dem ®etreidepreife fteigender Zoll angeordnet. 
Das letztere iſt angemeflener, weil der Handel dabei weniger 
geftört und den Landwirthen ber Bortheil bed auswärtigen 
Abſatzes nicht entzogen wird, auch dürfte der Zoll nur fo hoch 
geiept werben, daß nad) ben biöherigen Erfahrungen die ins 
ländifchen Zehrer dem benachbarten Auslande gleichgeftellt wer- 
den (6). Indeß hat auch biefer mildere Grad von Befchräns 
fung Manches gegen fidh; es entfichen Verluſte bei den ſchon 


— 270 — 


abgeichloffenen Handelögefchäften und die Nachbarländer werben 
zu Erwiderungdmaaßregein gereizt. Bei einem leichten Ber 
fehre zwifchen den verfchiebenen Landestheilen ift daher bie 
völlige Freigebung der Ausfuhr vorzuziehen. 


(a) In Großbritanien wurde nad oͤfterem Schwanfen zwifchen Freigebung 
und Verbot der Ausfuhr fchon im J. 1436 unter Heinrich VL ver: 
ordnet, daß ber Weizen frei hinausgehen dürfe, wenn fein Preis nicht 
mehr als 6%; Schill. für den Quarter (12 Schill. 10%. B. in heutigem 
Gelde) betrüge. Nach den franzöfiichen Belegen vom 16. Juli 1519 
und 4. Zuli 1821 waren die 39 Grängdepartements und Eorfica in 
4 Claſſen gebracht, in denen die Ausfuhr bei einem Preife von 26 — 
24 — 22 — 20 Fr. für das Heftoliter Weizen unterfagt war. Bal. 
I, $. 178 Note (e). 


(6) Franz. Gef. v. 15. April 1832, f. $. 131 (5) Nr. I. Der Ausfuhr: 
zoll finft bei einem Preife des Weizens unter 25 Fr. auf !/ fr. 
herab, bei 30 Fr. fleigt er ſchon auf 12 Fr. Nach dem Geſetz vom 
Juni 1861 ift die Ausfuhr ganz frei. — Im Kirchenftaat ift nach dem 
Gef. vom 15. Mai 1858 bei einem Weizenpreis des Mubbio unter 
12 Seudi der Ausfuhrzol 1 Bajocco (0, ©e.), bei 12—13 St. 
1 Scudo, bei 13—14 Sc. 2, von 14 Se. an ift die Ausfuhr ver 
boten. — In Belgien hörte der Getreideausfuhrzoll 1857 auf. — Die 
Gefeggebung bes deutſchen Zollvereins laͤßt fehr zweckmäßig bie Aus: 
fuhr ganz frei; nur Baiern erhob bis 1842 einen fleigenden Bell, 
welcher anfing, wenn der Sceffel Weizen 16 fl., Roggen I1 fl. 
Gerite 9 fl., Haber 5 fl. galt. Bei diefen Preifen betrug er rer. 
9 — 6 —6— 3 Kr., fein maximum war 6 fl. — 5 fl. 24 
3 fl. 36 Kr. — 2 fl. 24 Kr. bei einem Preife des Scheffels ter vier 
Bruchtgattungen von 352 fl. — 30%, fl. — 20% fl. — 14 fl. und 
darüber. — Das Zollvereinsgebiet hatte im Durchfchnitt von 1832-57 
jährlich eine Ausfuhr von 9407000 pr. Scheffel und eine Ginfuhr 
von 3'358 000 Scheffel Getreide aller Art und in biefen 25 Jahren 
—F PR ein einziges (1847), in welchem bie Ginfuhr über die Aus 

r flieg. 


$. 128. 


Auch von anderen Bobenerzeugniffen wurden fonft in ben 
meiften Ländern Ausfuhrzölle erhoben, die jedoch nicht fowohl 
die Befriedigung dringender Bebürfniffe fihern, als wielmehr 
nad) den Vorftellungen des Handelsſyſtems die Gewerke befoͤr⸗ 
bern follten, I, 8. 36. Hieher gehören bie Zölle von Wolle, 
Seide, Häuten, Flache, Erzen und bergl. (a). Diefe Maaßregel 
wäre nur unfchäblich, wo ein großer inländifcher Markt fchon 
von felbft die Ausfuhr entbehrlich machte, oder wenn die aud 
wärtigen Käufer den Zoll im höheren ‘Preife der Waaren ver- 
güteten. Dieß gefchieht nicht leicht, weil man gewöhnlich die 
Wahl hat, ein rohes Erzeugnig aus mehreren Ländern zu 





— 271 — 


beziehen. Daher werben durch einen anfehnlichen Ausfuhrzoll 
meiftend bie inländifchen Preife herabgebrüdt, biöweilen um 
ben ganzen Betrag dieſes Zolled, ed wirb die Grundrente nebft 
dem Gewerböverbienft der Erzeuger gefchmälert, die Hervors 
bringung der mit dem Zolle belegten Waare vermindert und 
der Eifer zu Berbefferungen gefhwädt. Um die Gewerke zu 
befördern, follte man nicht der Erbarbeit fchaden. Der ins 
ländifche Gewerfdunternehmer fteht auch fchon gegen den fremden 
dadurch im Vortheil, daß er die Rohftoffe mit geringeren Fracht⸗ 
foften einkaufen fann. Ausfuhrzöle, die jo niedrig find, daß 
fie feine nachtheilige Wirfung auf die Erzeugung toher Stoffe 
äußern fönnen, find im beften Falle al8 eine zweckloſe Bes 
laſtung dieſer Gewerböclafie anzufehen. In der neueften Zeit 
bat man in Anerkennung diefer Grundfäße die meiften Ausfuhrs 
zölle theild ganz aufgehoben, theild wenigſtens fehr verringert; 
bie noch beibehaltenen treffen größtentheild nur Rebenerzeugniffe, 
wie Häute, Haare und bdergl., von denen fie jedoch befier eben- 
falls befeitigt werben follten (B). 


(2) Das Verbot, die Seidengefpinnfte (Cocons) und die rohe Seide aus: 
wuführen, erfolgte in Piemont bei jenen 1651, bei diefer 1697. Die 
Folgen waren für die Seidenzudt in godem Grade Ihäblih. Dan 
nimmt an, daß ohne das Berbot die Cocons um A/s höher verfauft 
würden, die Rohſeide um ?/s höher. Jenes beträgt gegen 5 Mill. 
Lire (Kranken) jährlih, die den Landwirthen entgehen. dieß weitere 
4600000 2ire, G. Giovanetti, Della libera estrazione della seta 
gregia dal Piemonte. 2. edit. Vigevano, 1834. Der heutige Ausfuhrzoll 
von Rohfeide ift 1 Fr. von 200 Pfund. — Das preuß. Zollgefeß von 
1818 belegte die Schaafwolle mit einem Ausfuhrzoll von 3 Thlr., der 
fpätere Zoll des Bereins war 2 Thlr., von 1854 an iſt er auf 1, Thlr. 
berabgejegt und für Heidefhaafwolle an den Gränzen von Hannover 
und Oldenburg auf 21/5 Sgr. Weber ten Nachtheil des erſteren Zoll: 
ſatzes Möglin’fhe Ann. XV, 190. — v. Lengerke, Annalen, 
IV, 12. — In Frankreich war bis auf bie legten Jahre noch eine 
Anzahl von Ausfuhrverboten zu finden, 3. B. Brennholz, Lohrinde, 
Eifenerz, Lumpen, Holzkohlen; der Zoll beträgt von 100 Kilogramm 
300 Fr. für Rohfeide, 200 Fr. gefpulte Seide, — 50 Fr. Biber⸗, 
Haaſen⸗, Dachshaare, — 371/—15 Fr. Maftbäume (das Stüd), — 
30 Kr. Flockſeide, Cocons, — 20 Fr. Horn, — 16 Fr. frifche Haute, — 
10 Fr. große Müplfteine, — 3 Br. Fohlen und junge Stiere, — 
2%/4 Br. Blut, Dünger, Oelkuchen, — 1 Fr. friſche Krappmwurzeln, — 
2 Br. fehr viele Dinge, ale Wolle, Dele, Hopfen, Kleie, Gifen xc. 
Nah Gef. v. 14. und 18. Juli 1860 ift die Ausfuhr von Lohrinde, 
eheitboh,, Holztohlen erlaubt ; Nußholz (ausgenommen Nußbaumholz), 
Steintohlen, Coaks gehen gofffrei hinaus. — Oefterreich (Tarif vom 

8. Dec. 1853) bat mehrere, aber meiftens fehr niedrige Rusfuhrzölle. 

Die beträchtlicheren find vom Bruttocentnee (im 20 fl. Fuß) 30 fl. 

Rohfeide, — 15 fl. Cocons, — 10 fl. gefpulte S., — 4 fl. Lumpen, — 





— 2168 — 


Zeit im Allgemeinen mehr und mehr von ber Nuͤtzlichkeit einer 
Aufhebung der Ausfuhrbefchränfungen überzeugt. Sie ift ba 
am einleuchtendften, wo 

1) dad Land einen fo audgedehnten Getreidebau und eine 
folche Lage ber Getreidegegenden hat, daß die Zehrer fich jebers 
zeit leicht vor den Ausländern verforgen können, ober 

2) wo die Einfuhr leicht ift, oder fogar 

3) ein auögebreiteter Handel mit Getreide getrieben wirb, 
wobei immer anfehnliche WVorräthe in Bereitfchaft Tiegen und 
ſchon des Zwifchenhandeld wegen eine große Einfuhr ftattfindet. 


(a) @in merfwürdiges Beifpiel_ giebt Br ſehr ſtarke Getreideeinfuhr in 
Frankreich aus Ungarn im Herbfl 1 


8. 126. 


Es giebt Fälle, bei denen eine ftärfere Befürchtung gehegt 
worden ift, daß durch die Ausfuhr in theuren Jahren die Preife 
hoch gefteigert werben fönnten und ber hieraus entftehende Nach⸗ 
theil von dem Gewinn der Berfäufer aus bem auswärtigen 
Abfage nicht aufgerwogen würde. Dieß könnte nur unter eigens 
thümlichen örtlichen WBerhältniffen eintreten (a), wenn etwa 
1) ein anderes Land, in weldyem noch höhere Preiſe beftehen, 
fo gelegen ift, daß ihm aus den Getreidegegenden bed Staates 
noch ferner Brotfrücdhte zugeführt werben fönnen, während ber 
Vorrath fchen kaum mehr für das inländifche Beduͤrfniß aus⸗ 
reicht, und zugleich 2) das Fehlende nicht leicht und fchnell 
burch Einfuhr wieder zu erlangen ift, wovon die Urfache bald 
in den Ausfuhrbefchränfungen der Nachbarländer, bald in den 
Schwierigkeiten und ber Langfamfeit ber Zufuhr aus größerer 
Entfernung liegen fann (b), befonderd im nördlichen Europa, 
wo der Winter die Schifffahrt unterbricht und die mangelhaften 
Landftraßen noch weiter verfchlechtert. Bei dem heutigen Zus 
ftande der Bortfchaffungsmittel find jedoch Nachtheile der unge: 
binderten Ausfuhr unter folchen Umftänden nur in viel gerin- 
gerem Grade möglidy als zuvor. 


(a) Kifrige Hervorhebung folder Umftände bei Galiani, a. a. D. 


(5) Das füdmweftliche Deutfchland Fann auf dem Main, Nedar, Rhein fehr 
leicht Getreide ausführen, die Zufuhr dagegen war bisher wegen ber 





— 269 — 


Apen, der langfamen Schifffahrt zu Berg und ber Entfernung weit 
ihwerer. 1817 fam das beftellte Getreide in den preußiichen Rhein: 
provinzen, zum Theil auch in Wuͤrtemberg zu ſpaͤt an; aud in Frank⸗ 
rei traf das für 54 Mill. Ir. gefaufte erit nach ter Ernte 1818 ein, 
jo taß es mit Schaten verfauft wurde. Die Dampfidhifffahrt und Die 
Eifenbahnen haben diefe Schwierigkeit [bon um Bieles vermindert, fo 
daß Getreide nicht allein aus Ungarn, fondern auch von den unteren 
Donauländern leichter herbeifommt. 


8. 127. 


Da die Nachtheile der erwähnten Art nicht fortvauernd, 
iondern nur in einzelnen theueren Jahren zu befürchten find, 
jo wäre ed am einfachften, auch in Ländern, die zu einer folchen 
Beforgniß Anlaß geben, in der Regel die Ausfuhr frei zu 
laſſen und biefelbe nur vorübergehend je nad) Bebürfniß zu 
unterfagen.. So verfuht man auch fonft gewöhnlidy und der 
vielfache Wechſel in den Regierungdmaaßregeln der angränzens 
tn Staaten führte das wirkliche oder vermeintliche Bebürfniß 
einer ſolchen außerordentlichen Einmifchung nicht felten herbei. 
Weil jedoch plögliche Erſchwerungen des Getreideverkehrs bie 
Unternehmungen der Kaufleute und Landwirthe durchfreugen, 
Berlufte verurfachen, eine Abneigung gegen biefen Handel 
bewirfen und hiedurch auch dem Landbau fchaden ($. 139), 
jo it eine fefte Geſetzgebung vorzuziehen. Durch diefe Erwäs 
gungen ift die gefeßliche Beftimmung hervorgerufen worben, 
daß eine Beichränfung der Ausfuhrfreiheit anfangen ſolle, wenn 
ber Getreibepreis eine gewiſſe Höhe erreicht bat. Diefer Richt: 
preis darf nicht von einem einzelnen Tage und Orte ents 
nommen werden, weil ed fonft möglich wäre, ihn durch Kunſt⸗ 
griffe zu leiten, er muß vielmehr der Durdyfchnitt mehrerer 
Wochen fein. Für den Ball, daß das Getreide einen folchen 
Richtpreis erreicht, wird entweder die Ausfuhr ganz verboten (a), 
oder ein mit dem Getreidepreife fteigender Zoll angeordnet. 
Das letztere ift angemefiener, weil ber Handel dabei weniger 
geftört und ben Landwirthen ber Vortheil des auswärtigen 
Abſatzes nicht entzogen wird, auch dürfte der Zoll nur fo hoch 
geiegt werben, daß nach ben bisherigen Erfahrungen die ins 
ländifchen Zehrer dem benachbarten Auslande gleichgeftellt wers 
den (6). Indeß hat auch biefer mildere Grab von Befchrän- 
hung Manches gegen fi); es entfliehen Verlufte bei den fehon 


— 270 — 


abgeichlofienen Hanbelögefchäften und die Nachbarländer werben 
zu Erwiderungsmaaßregeln gereizt. Bei einem leichten Der 
fehre zwifchen ben verjchiebenen Landestheilen ift baher bie 
völlige Freigebung der Ausfuhr vorzuziehen. 


(s) In Großbritanien wurde nach oͤfterem Schwanfen zwifchen Freigebung 
und Berbot der Ausfuhr fhon im J. 1436 unter Heinrich VI. ver 
ordnet, daß der Weizen frei hinausgehen dürfe, wenn fein Preis nicht 
mehr als 6%; Schill. für den Quarter (12 Schill. 10% P. in heutigem 
Gelde) betrüge. Nach den franzöfiihen Geſetzen vom 16. Juli 1819 
und 4, Juli 1821 waren die 39 Grängbepartements und Corſica in 
4 Claſſen gebracht, in denen die Ausfuhr bei einem Preife von 26 — 
24 — 22 — 20 Fr. für das Hektoliter Weizen unterfagt war. Bal. 
I, $. 178 Note (e). 


(5) Franz. Geſ. v. 15. April 1832, f. 6. 131 (2) Nr. IL Der Ausfuhr: 
zoll finft bei einem ‘Preife des Weizens unter 25 Fr. auf !/ Kr. 
herab, bei 30 Fr. fleigt er fchon auf 12 Fr. Nah dem Gefek vom 
Juni 1861 ift die Ausfuhr ganz frei. — Im Kirchenflaat ift nach dem 
Gel. vom 15. Mai 1858 bei einem MWeizenpreis des Rubbio unter 
12 Seudi der Ausfuhrzoll 1 Bajocco (0, Sc), bei 12—13 ©ı. 
1 Scudo, bei 13—14 Sc. 2, von 14 Sc. an ift die Ausfuhr ver: 
boten. — In Belgien hörte der Getreideausfuhrzoll 1857 auf. — Die 
Gefepgebung des deutichen Zollvereins laͤßt fehr zwedmäßig die Auss 
fuhr ganz frei; nur Baiern erhob bis 1842 einen fteigenden Zoll, 
welcher anfing, wenn der Scheffel Weizen 16 fl., Roggen 11 fl., 
Gerſte 9 fl., Haber 5 fl. galt. Bei diefen Preiſen betrug er reſp. 
9 — 6 — 6 — 3 Kr, fein maximum war 6 fl. — 5 fl. 24 Kr. — 
3 fl. 36 Kr. — 2 fl. 24 Kr. bei einem Preife des Scheffels ber vier 
Yruchtgattungen von 35'/4 fl. — 30%, fl. — 2014 fl. — 14 fl. md 
darüber. — Das Zollvereinsgebiet hatte im Durchfchnitt von 1832—57 
jährlih eine Ausfuhr von 9407000 pr. Sceffel und eine Ginfuhr 
von 3°358 000 Scheffel Getreide aller Art und in diefen 25 Sahren 
—F Me ein einziges (1847), in welchem die Einfuhr über die Aus 

r flieg. | 


6. 128. 


Auch von anderen Bobdenerzeugniffen wurden fonft in den 
meiften Ländern Ausfuhrzölle erhoben, die jedoch nicht fowohl 
die Befriedigung dringender Bebürfnifle fichern, als vielmehr 
nad) den Borftellungen des Handelsſyſtems die Gewerke befoͤr⸗ 
bern follten, I, $. 36. Hieher gehören die Zölle von Wolle, 
Seide, Häuten, Flach, Erzen und bergl. (a). Diefe Maaßregel 
wäre nur unfchäblih, wo ein großer inlänbifcher Markt ſchon 
von felbft die Ausfuhr entbehrlid machte, oder wenn die aus⸗ 
wärtigen Käufer den Zoll im höheren Preiſe ver Waaren vers 
güteten. Dieß gefchieht nicht Leicht, weil man gewoͤhnlich die 
Wahl hat, ein rohes Erzeugniß aus mehreren Ländern zu 


. 4 
— 5 — — — 





— MM — 


beziehen. Daher werben durch einen anfehnlichen Ausfuhrzoll 
meiftend die inländifchen Preife herabgebrüdt, bisweilen um 
den ganzen Betrag dieſes Zolles, ed wirb die Grundrente nebft 
tem Gemwerböverdienft ber Erzeuger gefchmälert, die Hervors 
bringung der mit dem Zolle belegten Waare vermindert und 
der Eifer zu Verbeſſerungen geichwäcdt. Um bie Gewerke zu 
befördern, follte man nicht der Erbarbeit ſchaden. Der ins 
ländifche Gewerfäunternehmer ſteht audy ſchon gegen den fremden 
dadurch im Bortheil, daß er bie Rohftoffe mit geringeren Fracht 
often einfaufen fann. Audfuhrzölle, die jo niedrig find, daß 
fie feine nachtheilige Wirkung auf die Erzeugung roher Stoffe 
äußern können, find im beften Falle ald eine zwediofe Bes 
laftung biefer Gewerbsclaſſe anzufehen. In ber neueften Zeit 
bat man in Anerfennung dieſer Örundfäße die meiften Ausfuhr⸗ 
zölle theild ganz aufgehoben, theild wenigftend fehr verringert; 
die noch beibehaltenen treffen größtentheild nur Nebenerzeugniffe, 
wie Haute, Haare und dergl., von benen fie jedoch befler eben» 
falls befeitigt werden follten (2). 


(*) Das Berbot, die Seidengefpinnfle (Cocons) und die rohe Seide aus: 
zuführen, erfolgte in Piemont bei jenen 1651, bei biefer 1697. Die 
Folgen waren Fir die Seidenzucht in hohem Grade fhätlid. Dan 
nimmt an, daß ohne das Berbot die Eocons um te höher verfauft 
würden, die Mohfeide um 1/s höher. Jenes beträgt gegen 5 Mill. 
Lire (Kranken) jährlih, die den Landwirthen entgehen, dieß weitere 
4-600000 Lire, G. Giovanetti, Della libera estrazione della seta 
gregia dal Piemonte. 2. edit. Vigevano, 1834. Der heutige Ausfuhrzoll 
von Rohſeide ift 1 Fr. von 200 Pfund. — Das preuß. Songeieh von 
1818 belegte die Echaafmolle mit einem Ausfuhrzoll von 3 Thle., der 
fpätere Zoll des Vereins war 2 Thlr., von 1854 an ift er auf !/s Thlr. 
herabgefegt und für Heideſchaafwolle an den Bränzen von Hannover 
und Oldenburg auf 2%/ Sur. Weber ten Nachtheil des erfteren Zoll: 
fages Möglin’fhe Ann. XV, 190. — v. Lengerfe, Annalen, 
IV, 12. — In Frankreich war bis auf die letzten Jahre noch eine 
Anzahl von Ausfuhrverboten zu finden, 3. B. Brennholz, Xohrinde, 
Gifenerz, Lumpen, Holzfohlen ; der Zoll beträgt von 100 Kilogramm 
300 für Nohfeide, 200 Fr. gefpulte Seide, — 50 Fr. Bibers, 
Haaſen⸗, Dachshaare, — 371/—15 Fr. Maftbaume (das Stüd), — 
30 Fr. Flockſeide, Cocons, — 20 Fr. Horn, — 16 Fr. frifche Häute, — 
10 Gr. große Mühlfteine, — 3 Fr. Bohlen und junge Stiere, — 
2/4 Br. Blut, Dünger, Oelkuchen. — 1 fr. friſche Krappwurzeln, — 
Ya Br. fehr viele Dinge, als Wolle, Dele, Hopfen, Kleie, Eiſen x. 
Nach Gef. v. 14. und 18. Juli 1860 if die Ausfuhr von Lohrinde, 
eheitheh,, Holztohlen erlaubt ; Nubholz (ausgenommen Nußbaumholz), 
Steintohlen, Coaks gehen golifrei hinaus. — Oeſterreich (Tarif vom 
8. Dec. 1853) Hat mehrere, aber meiftens fehr niedrige Ausfuhrzölle. 
Die beträchtlicheren find vom Bruttocentner (im 20 fl. Fuß) 30 fl. 
Rohfeide, — 15 fl. Eocone, — 10 fl. gefpulte ©., — 4 fl. Lumpen, — 


— 272 — 


3 fl. Kobalt- und Nickelerze, — 214 fl. Felle und Häute, Seiden⸗ 
abfaͤlle, — 1 fl. 30 Kr. Haare, Borſten, — 45 Kr. Knochen, Raul: 
beerblaͤtter, roher Weinſtein. — In Belgien find verboten Lumpen, 
rohes Kochſalz, Seifenfieteraihe. — 50 Kr von 100 Kilogr. geben 
Knochen, — 34 Fr. Roßhaare, — 6 Fr. Menihen:, Rindshaare, 
Heljfoble,, — 4,9 Ar. Wera, — 3,% Fr. Borflen, — 3 Fr. Horn, — 
2 Sr. Oelkuchen, Ylintenihäfte, — ı Fr. Blut, Däarme, — 4 Fr. 
Klauen, Ziegenhäute, Haafenhaare, — 5 Bent. viele Gegenftände. — 
In den Rieterlanten 3 fl. von 200 Pf. Krappmwurzeln. 

(5) Bei ter Zollbelegung ausgeführter abfaue und Üeberbleibſel, wie 
Knochen, Lumpen, alte Fiſchernetze sc. leidet zwar fein Productions⸗ 
zweig, aber es fann ter Eifer im Sammeln gefhwächt werden. — 
Ueber Knochen insbeſ. Preuß. Congreßbericht I, 283. Der Tarif dee 
d. Zollvereind bat noch folgende Ausfuhrzölle: 3 Thlr. Lumpen, — 
1%, Thlr. Häute, Pferdehaare, — !/a Thir. Hafenbälge, Hafenhaare, 
vielerlei Abfalle, — %z Thlr. Holzafche, Holzkohle, Wolle, — !/s Thlr. 
Sallipfel, Korkholz, Ciſenerz, Galmei, Rinds- und Ziegenhaare, ver: 
ſchiedene Etoffe iu chemiichem Gebrauch, Baumwolle, — !lıs Thlr. 
(53:4 fr.) Schwefel, Salpeter, Harze und verfchiedene andere Stoft, 
Rinde und Lohe. 


8. 129. 


Die Einfuhr von Getreide ift unentbehrlich, wo dad 
Landeserzeugniß nicht für den Verbrauch genügt, aber auch da 
wo jener Umftand nicht eintritt, bat bie Freigebung ber Ein 
fuhr die nügliche Folge, daß jede Landesgegend ſich auf die 
wohlfeilfie Weife verforgen fann und dem Getreidehandel bie 
nöthige freie Bewegung gefichert wird. In vielen Faͤllen hat 
der inländifche Landwirth, der fchon wegen ber geringeren Fracht⸗ 
koften im Vortheil fteht, von der Getreideeinfuhr nichts zu bes 
forgen. Es giebt indeß auch Bälle, wo bie inländifchen Lands 
wirthe bei dem unbefchränften Mitwerben bed fremden Getreides 
etwad an ihrem Einkommen einbüßen. Sie verlangen baher 
dur einen Einfuhrzoll oder durch das Verbot der Einfuhr 
gefhügt zu werden. Es liegt in ber Natur der Sache, daß 
dagegen bie anderen Stände im wohlfeiln Einfauf ber 
Rahrungsmittel nicht gehindert zu (ein begehren. Diefer bat 
auch in der That eine fehr gemeinnügige Seite, denn er ver 
Schafft allen Einwohnern eine Erjparniß, verbeflert vorzüglich 
bie Rage der arbeitenden Claſſe (I, $. 192), und wenn in 
Bolge deffen bei der Vermehrung bes Angebots von Arbeit der 
Lohn etwas herabfinkt, fo können bie Kunſtwaaren wohlfeiler 
verkauft werben, wodurch ihr Abfap im Auslande ſich erweitert 
(1, 8. 205) und eine größere Menge von Arbeitern Befchäftis 
gung erhält. 








— 13 — 


$. 130. 


Bei jedem gegebenen Getreidepreife einer Gegend kann das 
ſchlechteſte oder entlegenfte Land nicht zum @etreidebau ver- 
wendet werden, bad in einem gewifien Grade dankbarere bedt 
nur gerade die Anbaufoften, auf noch günftiger befchaffenen 
und gelegenen bleibt eine Rente für ben Eigenthümer übrig. 
Die Annahme, daß es einen Preis gebe, unter dem ber Getreide 
bau nicht mehr lohnend fei, gilt alfo nur von Aderland einer 
gaviffen Art und Rage. Der durchichnittliche Preis, der in 
einem Lande eine Zeit lang beftanden hat, wird bisweilen durch 
die Getreibeeinfuhr erniedrigt, fei ed daß biefelbe bisher durch 
Regierungsmaaßtregeln, die nun aufgehört haben, erſchwert war, 
oder daß aus anderen Urſachen die Einfuhr aus einem anderen 
Rande anfängt, in dem ber Preis niebriger ift, 3. B. wegen 
Rarfer Zunahme des Anbaus in bemfelben, wegen verbefierter 
Fortfhaffungsmittel ꝛc. Die naͤchſte Wirkung ift eine Berrins 
gerung ded Gewerbsverdienſtes ber Landwirthe, aus ber bald 
eine Abnahme der Pachtzinſe, alfo der Grundrente fowie ber 
Breife des Landes folgen muß. Die unergiebigften noch mit 
Getreide beftellten Yelder werden nicht mehr hiezu benugt 
werden. Da biefe jedoch nur einen Fleineren Theil ber ganzen 
Aderflähe ausmachen (a), fo tft keine beträchtliche Verminde⸗ 
rung bed Getreideerzeugnifled zu erwarten, wohl aber eine 
Schmälerung ded Wohlſtandes der Grundeigenthuͤmer, ded von 
ihnen angewendeten Capitales und ihres Gredited. Fuͤr die ſelbſt⸗ 
wirthfchaftenden Eigenthümer, alfo für den Bauernftand, ift ber 
Nachtheil größer, ald für Pachter, die, wenn einmal bie Pacht⸗ 
iinfe herabgegangen find, noch eben fo gut beftehen Fönnen 
als zuvor. Die Urfahen, warım das fremde Getreide um 
niebrigeren Preis geliefert wird, als der bisherige inlaͤndiſche, 
können hauptſaͤchlich folgende fein: 

1) Geringe Bevölkerung, Bruchtbarfeit bed Bobend und 
günftiged Klima eines anderen ausführenden Landes, in wel 
dem nur erft bie ergiebigften Grundftüde mit reihem Humus⸗ 
vorrath angebaut werben und bie Bewirthichaftung noch ſehr 
ertenſiv iſt. 

Rau, polit. Delon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 18 








. — 114 — 


2) Mangelhafter Ianbwirthfchaftlicher Betrieb zufolge der 
Unwifienheit oder Trägheit der Landwirthe, des Capitalmangels 
ober der Fefleln, die in rechtlichen Verhältniffen liegen. 

3) Mangel an.guten Straßen, was die Yolge hat, daß 
die Gränzgegenben ſich vom Auslande wohlfeiler verforgen ale 
aus dem Innern (b). 

4) Höhere Staats - und Gemeinbelaften, wodurch ber Unter: 
halt der Arbeiter und andere zur Betreibung bed Landbaues 
nöthige Gegenſtaͤnde vertheuert werben. 


(a) In Braunfchweig beträgt das Land der unterften (13.) Bodenclafle 
von 5 Ggr. Reinertrag 1 Proc., der 12. von 10 Ggr. 4% Bror., 
der 11. von 17'/a gr. 5,57 Broc., dagegen nehmen bie 6—9. Claſſe 
von 40—100 Ggr. 47 Proc. der ganzen benusten Flaͤche ein. Feſt⸗ 
fhrift für die XX. Berfammlung ©. 74. 


(6) Barcellona verforgt fih wohlfeiler mit americanifhem Getreide, als 
durh Ginkäufe in Lerida. Der 1819 begonnene Canal von Urgel, 
an der Segre, ift beftimmt, diefem Mebelftante agzuhelfen. Jaubert 
de-Passa, Voyage en Espagne, I, 91—113. 


$. 131. 


Dem auf die wohlfeilere Erzeugung und ben niebrigeren 
Preis des Getreided im Auslande ($. 130) geftübten Ber 
langen nad) einem Zollfchuge gegen die Getreibeeinfuhr find 
nachftehende Grimde entgegen zu feßen: 

1) Die Stärfe ver in dem Einfommen der Grundeigenthümer 
und in bem Betriebe der Landiwirthfchaft zu erwartenden Störung 
hängt von dem Unterfchiede des Preifes ab, der vor und nad 
ber Einfuhr flattfindet. Diefen Unterfchied ftellt man fi, ehe 
er eintritt, oft größer vor, als er wirklich geftaltet, denn 

a) der niebrigere Preis im YAuslande geht biöweilen in 
die Höhe, wenn eine beträdhtlihe Ausfuhr beginnt, weil bie 
Veberfchüffe über den dortigen Landesbedarf von befchränkter 
Größe find und zur Befriedigung eines ftarf vermehrten Be 
gehred nicht hinreichen; auch die Schiffsfracht fleigt bei an 
fehnlichen Sendungen ; 

b) der am Einfuhrplage flattfindende Preis wird wegen 
ber Frachtkoſten im Innern ded Landes höher; 

c) bei fortdauernder Wohlfeilheit wird auch ber Lohn ber 
inländifchen Beldtaglöhner und ber für die Landwirthſchaft 
arbeitenden Handwerker geringer. 








— 275 — 


3) Ein großer Theil des Getreibeerzeugnified wird bei ben 
Landwirthen felbft verzehrt. Rur der Erlss aus dem zum 
Berfaufe gelangenden Theile hat auf den Gewerböverbienft 
und die Grundrente Einfluß (a). 


3) Es giebt in der Lanbwirtbichaft mancherlei Mittel, die 
läfligen Wirkungen bed gefunfenen ©etreidepreifed ganz ober 
tbeilweife abzuwenden und es liegt in demfelben, wie bie Er- 
fahrung beweiſt, ein mächtiger Antrieb, folche Mittel in Aus⸗ 
führung zu bringen. Dahin gehören vorzüglich 

a) Berbefferungen, bie dahin zielen, die Erzeugungsfoften 
ju emiedrigen, indem fie den Ertrag bed Landes fleigern ober 
Ne Ausgaben verringern, 3. B. Grundverbeſſerungen, vortheil- 
haftere Anwendung ber ſchon vorhandenen und Einführung neuer 
mohlfeilerer Düngemittel, vollfommenere Bearbeitung des Landes, 
Gebrauch arbeitfparender Mafchinen und bergl. (b). 


b) Aenberung in ber Benugung des Bodens, namentlich 
Rärferer Anbau von Yuttergewächfen zur Vergrößerung ber 
aus dem Biehftande fließenden Einnahmen (Milchwirthſchaft, 
Räfung), ferner von Handels⸗ und Gartengewaͤchſen. 

4) Diefer Eifeg der Lanbwirthe kann mit Hülfe guter 
Rgierungsmanßregeln einen noch größeren Erfolg erlangen, 
indem bie in $. 130 Rr. 2—4 angegebenen Urfachen eines 
höheren Preiſes der inländischen Mehlfrüchte entfernt werben. 

5) Es ift feine Verpflichtung ber Staatögewalt vorhanden, 
ven Grundeigenthuͤmern eine gewiſſe Rente fortbauernd durch 
tine gefegliche Anordnung auf Koften der Zehrer zu fichern und 
eine koſtbarere Gewinnung von Getreide auf undankbarem 
Boden im Gange zu erhalten, befonderd da bie Wohlfeilheit 
des allgemeinften Rährmitteld ſehr wohlthätig ift und bie frei- 
gegebene Einfuhr auch wieder eine Ausfuhr anderer Landes⸗ 
erzeugniſſe nach fi) zu ziehen pflegt. 


() Mac Eullod — II, 94) rechnet fo: Das brit. Reich verzehrt 
gen 52 Mill. Quarter Getreide und erzeugt in Auen Jahren aud 
oviel. Jeder Schilling, um den der Preis Fünflli erhöht wird, 
foRet 2-600 000 Pfr. St. Mehrausgabe, oder mwenigftens die Hälfte, 
wenn nur das halbe Erzeugniß auf den Markt kommt. 7 ESchilliug 
Preiserhöhung koſten lo die Behrer 9100000 Pfr. St., wovon 
etwa * en Grundeignern als Vermehrung ihrer Rente zufließt (zu 
wenig!). 

19° 


— 2716 — 


' 

(2) Das Beilpiel von Großbritanien feit 1849 (6. 131a () zeigt, daß 
gerade die Beleitigung des Zeuſchugee einen ſtarken Antrieb zu Fort: 
fhritten giebt. Das Drainiren 3. B. hat feittem überaus große Ber: 
breitung gefunden, ebenfo der Gebraud neuer Düngemittel wie Guano 
und doppeltphosphorfaurer Kalf und neuer oder verbeflerter landwirth- 
fhaftliher Diafchinen. Diele Belege bei Caird, English agriculture, 
London, 1852. 


6. 131a. 


Die Freiheit der Getreideeinfuhr ift demnach im Allgemeinen 
der nüglichfte Zuftand und bildet das Ziel, nad) weldyem die 
Regierung hinftreben fol. Nur einftweilen ift unter gemiflen 
Umftänden eine Befchränfung zu rathen, 

1) wenn ber ‘Preisunterfchiedb fo groß ift, daß eine ſtarke 
Abnahme ded inländifchen Getreidebaus und des Wohlftandes 
der Zandwirthe zu beforgen, und die Verforgung des Volkes 
mit Nährftoffen mehr ald bisher von ber Einfuhr bedingt, aljo 
weniger gefichert wäre. Dieß müßte ſich befonders in theuren 
Jahren nachtheilig zeigen, weil dann der Einfauf vom Aus- 
lande einen vergrößerten Aufwand erfordern wuͤrde; 

2) wenn die von dem Kunftfleiß der Landwirthe, der Orund- 
eigenthlimer und ber Staatdgewalt zur Verminderung ber Er 
zeugungsfoften anzumwendenden Mittel nur langfam wirken 
fönnen und deßhalb für die erfte Zeit eine Fürſorge gegen bie 
Preiserniebrigung nöthig if. Es verdient aber felbft in dieſem 
Falle erwogen zu werden, ob nicht der Schuß gegen bie freie 
Einfuhr den Eifer lähmen und die gewünfchten Berbefferungen 
verhindern werbe. 

Diefe Borausfegungen werben bei einer unbefangenen Prü- 
fung der Umftände mit Rüdficht auf die in $. 131 aufgeftellten 
Säge felten vorgefunden werden. Hat man fi) ausnahmd- 
weife vg ihrem Dafein überzeugt und für einige Zeit ein 
Schugmittel für den inländifchen Getreidebau als nöthig aner- 


fannt, fo entfieht die Wahl zwifchen einem feften Zolle und - | 


einem foldyen, der fi bei dem Steigen ber Fruchtpreife ver 
mindert. Die letztere Einrichtung ift in mehreren Ländern 
darum vorgezogen worden, weil fie in wohlfeilen Jahren ben 
Landwirthen ben gewünfchten Schug verfpricht, dagegen in Miß- 
jahren ganz von felbft die Zehrer vor übermäßig hoben Preiſen 
fichert, während ein fefter Zoll fich in folchen Zeiten nicht wohl 


— 277 — 


aufrecht halten laͤßt. Für dieſen ſpricht aber, daß ber Getreide⸗ 
handel in einen gleichfoͤrmigen Gang fommt, während die ver⸗ 
änterlihe Stufenleiter des Zolles die Getreidehändler bei nie- 
trigeren ‘Breifen bewegt, ihre Anfäufe im Auslande fo lange 
aufzuſchieben, bis der Preis hoch geftiegen und der Zoll niedrig 
geworden if. Daher darf man von bem feften Zolle gleidys 
mäßigere und zugleich burchfchnittlich niedrigere Preiſe erwarten. 
Sobald jedoch der fchügende Zoll als entbehrlich erfannt if, 
tollte die Aufhebung deſſelben nicht verzögert werben (a). 


() Ueberdie Korngefege einiger Staaten. L Grofbritanien. 
1) In diefem Lande ift die Zweckmaͤßigkeit der Ginfuhrbeichränfungen 
am häufigften verhandelt worden und es hat ein mehrmaliger Wechfel 
ter Regierungsmanßregeln flattgefunden. Die Grundeigenthumer haben 
fertwährenb eifrig behauptet, daß das Getreide im Lande nicht fo 
wohfeil gewonnen werden Eönne, als in anderen Ländern von ſchwacher 
Bevölkerung und frudhtbarem Boden, und die Unentbehrlichkeit eines 
Ginfubrzolles bei mäßigen Preifen wurde lange von der Megierun 
und dem Parlamente anerfannt. Zur Zeit ber Barifer Friedensſchluͤſſe 
galt das Geſetz von 1804, nah welchem 3 Saͤtze des Einfuhrzolles, 
namlich 24%/2, 21/2 und 1/s Schilling beftanden, je nachdem der Quarter 
Meizen unter 63, oder zu 63—66 oder zu 66 und mehr Schilling ver: 
fauft wurde. Die flarfe Ginfuhr in der legten Zeit erregte Beun⸗ 
ruhigung und veranlaßte das Befeß von 1815, nach welchem die Gin- 
fuhr erft bei einem vierteljährigem Mittelpreife von 80 Schilling für 
Meizen und verhältnißmäßig für andere Mehlfrüchte erlaubt war. 
Rehnet man auch wegen ded damaligen Curſes der Banfnoten geaen 
Bold (I, $. 312) %s ab, fo bleibt noch ein Preis von 60 Schill. — 
6fl. 54 fr. für den preuß. Scheffel oder 7 fl. 43 kr. für den Boll: 
centner, für Deutichland ſchon ein hoher. In dem Mißfahre 1816 
war am 1. Auguf der Preis och nicht hoch genug, die Ginfuhr 
fonnte alfo erft am 15. November erlaubt werden und weil die Sen- 
tungen nit vor dem Yrühjahr eintrafen, fo ging unterbeflen ber 
Preis bis auf 5 Pfr. 4 Still. (104 Sch.) in die Höhe. — 2) Das 
Geſetz v. 1822 (3. J. Ge. IV. c. 60) geftattete die Einfuhr bei einem 
Reigenpreife von 70 Schill. der Zoll war bei einem Preife von 70 
bis an 80 Schill. 12 Schill., im erften Bierteljahr der Binfuhr 
17 Ehill., bei 80 bis an 85 Schill. 5 Schill. (anfangs 10), von 
85 Schill. an nur I Schill. Die Einfuhr wurde demnach 1824 für 
Haber, 1825 für Erbfen und Gerfte freigegeben. Im Winter 1825/26 
erhielten die Minifter Erlaubniß, von dem zollfrei gelagerten aus: 
lindifhen Weizen 560000 Quarter in die Confumtion gelangen zu 
laſſen, welches jedoch nur mit 300000 Du. wirklih geſchah. Da 
aber im Herbſt 1826 Beforgnifle gehegt wurden, fo geftattete man bie 
Ginfuhr von Haber und Gerſte gegen Zuficherung geringer Zölle. Es 
lagen bereits große Borräthe in Erwartung der Ginfuhrerlaubniß in 
ten Häfen. — 3) Das Geſetz v. 1828 (9 Ge. IV, co. 60) von Lord 
Blenelg (Eh. Grant) entworfen, geb das Ginfuhrverbot ganz auf 
und ordnete nur fleigende Zölle an. Der Zoll betrug von dem neuen 
(Imperial:) Quarter Weizen 1 Pfd. 8 P. bei einem Preife von 66 
bi8 an 67 Shi. Für jeden Schilling, um den der Preis weiter 
fant, nahm der Zoll um I Schill. zu, aber bei einem höheren Preife 


— 278 — 


verminderte er ſich flärker. Er war 3.8. bei 70 Schill. 10 Sch. S®., 
bei 72 Sch. 2 Sch. 8 ®., bei 73 Sch. 1 Sch. Der Zoll bei einem 
Preife von 66 Schill. ließ dem auswärtigen Berfäufer noch 45 Schill. 
4 2. übrig. 1 Shiling vom Imp. Quarter if fo viel ale 6,5 kr. 
vom pr. Scheffel = 7,3 fr. vom Sollcentner. Daß die engliiche Land: 
wirtbichaft ohme jenen beträchtlichen Zollſchutz nicht beſtehen koͤnnte, 
war eine unrichtige Annahme. Nah den Angaben des zur Erhkundi⸗ 
gung nah dem Feſtlande gefendeten Will. Jacob (f. $- 121) fam 
der polnifche Weizen in London im Durchſchnitt auf 48 Schill. (160 Tr. 
die Lafl), nach neueren Gonfulatsberichten (1841) war ber Preis in 
Danzig 40, die Fracht 4 Schill. In Odeſſa war der Preis des Du. 
mindefiene 24 Schill., die Koften bis London 16 Schill. (nad den 
erwähnten Berichten resp. 26'/s und 10 Schill.) und ber dortige 
auehen ift T—8 Schill. ſchlechter als der englifhe; in Newyork und 
Philadelphia mar der Mittelpreis 1821 — 1831 39 Schill., Fracht 
10 Shil. Man nahm überhaupt an, daß fremder Weizen In größerer 
Menge nicht unter 48 Schill. in London zu haben fei, weshalb der 
Binfuhrzofl ohne Bedenken weit niedriger geftellt werben könnte. Jacob 
— eine Abgabe von 10—12 Schill. werde den Landwirthen ber 
fifeeländer fo wenig Gewinn übrig laflen, baß daraus feine Gr: 
munterung zur Ausdehnung des Getreidebaues entftehen fönne. Die 
eingeführten Maffen waren aug keineswegs fo groß, als man wähnte. 
Vom 15. Juli 1828 bis 5. Juni 1841 wurden 13475 652 Quarter 
Meizen zum inlänbifchen Verbrauche verzollt, alfo jährlich gegen ı Mill. 
Duarter, dabei in den 4 Sahren 1833—1836 i. D. nur 51918 Qu., 
während man die Verzehrung zu 1 Duarter auf den Kopf anſchlug, 
Jacob, Considerstions, &. 18. Jacob fand die Vorräthe aller 
Orten unerwartet gering. Nach feiner Schäßung lagerten von Bremen 
bis St. Petersburg nur 741000 Du. Weizen, wovon 1/a für die Eng: 
länder nicht gut genug war und die übrigen */4 die Ginwohner von 
England nur 10 Tage ernähren Eonnten. Hieraus leitete aber Jacob 
gerade die Unentbehrlichkeit eines Zolles ab, weil, wenn die britiiche 
andwirthſchaft nicht die gehörige Grmunterung und Ausbehnung er 
hielte, in minder reihen Jahren das Fehlende nur ſchwer und Foflbar 
duch Binfuhr beigefchafft werden würde; Zweiter Beriht, S. 8. 
(Seitdem hat die Ausfuhr aus den norbamericanifchen Freiflaaten über: 
aus viel zugenommen.) — Man tadelte an dieſem Geſetze, daß das 
ftarfe Springen im aa den regelmäßigen Gang bes Gekreite: 
handels hindere. Der Kaufmann gewinnt, wenn er feine Vorraͤthe in 
den öffentlichen Niederlagen laͤßt, bis der Preis höher fleigt, nicht blos 
burch dieſen felbft, ſondern zugleih durch die Abnahme des Zelle. 
So flieg 3. B. Sept. 1838 der Preis bis auf 73 Schil., und es 
wurden fodann 1%, Mill. Du. um einen Zoll von 1 und 2%, ill. 
in ben Verkehr gebracht. Die Folgen waren ferner a) eine geringe 
Staatseinnahme aus dem Zolle, indem 3. B. 1828—1840 3°907 901 Du. 
bei dem minimum von 1 Schill., 2788277 Qu. bei 2 Schill. 8 V., 
1'994 102 Du. bei 6 Schill. 8 P. verfleuert wurden, zufammen 76 Brot. 
ber Cinfuhr; db) bie Unmöglichkeit, fo ploͤtzlich, floßweife erfolgende 
Einkäufe mit Waaren dur Wechſel zu bezahlen, weshalb ſtarke Baar: 
fendungen nöthig wurden, die der englifchen Banf einen Theil ihres 
Vorrathes entzogen. — 4) In dem Geſet v. 29. April 1842 (5. Bict. 
c. 11), von Peel beantragt, ward die Stufenfolge der Zollfäge (sliding 
scale) beibehalten, aber gemildert. Fremder Weizen zahlte vom Du. 
bei einem Preife unter 51 Schill. 1 Pfd. St., bei 51—52 Still. 
19 Schill. u. f. f. immer 1 Schill. weniger, bis bei dem Preiſe von 
73 Schill. und darüber der Zoll auf 1 Schill. finkt. Fuͤr jeden von 
290 englifchen Marftorten wurden wöchentliche Preisliften mit Rüdficht 





— 279 — 


auf bie verkauften Duantitäten aufgeftellt und daraus bie ſechswoͤchigen 
Durchſchnitte für das ganze Land gebildet, die man alle Wochen be: 
fannt machte und die den Zoll regelten. Alle biefe Geſetze wirkten 
auf den Landbau der Rord: und Öftfeeländer nachtheilig und nöthigten 
die Betoohner, vom Weizenbau nah und nad abzugeben. Indeß litt 
auch die britifhe Ausfuhr Hierunter, wie denn namentlih nach den 
Berihten Danziger Kaufleute der Verbrauch britifher Waaren in 
Preußen und Bolen um das Jahr 1824 nicht mehr Halb fo groß war, 
ale vor der Stodung des Kornhandels. Yür Deutichland Hatte bie 
sliding scale den Bortheil, daß, fobald die Ginfuhr mit einem nie: 
drigen Zolle geftattet wurde, der Nähe wegen grade von dort große 
Sendungen nah England gemaht wurden. Beel Hatte 56 Shi. 
als einen für den britifhen Landwirth genügenden Preis angenommen. 
Sein Geſetz befriedigte aber die zahlreichen Bertreter des Fabrikweſens 
und Handels nicht, die das Berlangen nach freier Getreideeinfuhr immer 
nahdrüdlicher geltend machten. Hiezu trug vorzüglidh ein 1838 ent- 
flandener Berein (anti-cornlaw-league) bei, in welchem Richard 
Cobden die Fraftvollfte Wirkfamkeit zur Leitung der öffentlichen Mei⸗ 
nung entwidelte. Dieß gelang mehr und mehr und endlich trat felbft 
Rod. Peel auf diefe Seite. 5) Das von ihm vorgefchlagene Geſetz 
v. 26. Juni 1846 (9. 10. Bict. c. 22) beftimmt: a) einen Zwifchen: 
zuſtand mit niebrigen Stufenfägen, wobei der Zoll hoͤchſtens 10 Schill. 
betragen durfte, b) vom 1. Yebr. 1849 an eine feſte Abgabe von 
1 Schill. für den Quarter Weizen, was fo wenig if, DaB es wie eine 
völlige Zollfreiheit angejehen werden darf. Die Mißernte von 1846 
madhte ed nöthig, die Sinfuhr fogleich freizugeben und erſt vom 
1. März 1848 bis zum 1. Yebruar 1849 wurde 1 ein höherer Zoll 
ale 1 Schill. hoben. Manche Stimmen waren für einen niebrigen 
feſten Zoll, der bei einem gewiflen höheren Preife binwegfallen müßte. 
Die Folgen der freien Einfuhr waren aber im Ganzen günftig. Die 
Lage der Lohnarbeiter verbefierte fih. Müflen auch die Weldarbeiter 
fh einen geringeren Lohn gefallen faflen, fo leben fle doch mit dem⸗ 
felben befier als zuvor, die Zahl der Armen nahm ab, die Bewerfe 
find blühend. Zwar blieb die ploͤtzliche Aufhebung bes Zollfchuges 
nicht ganz ohne nachtheilige Wirkungen, denn manche Landwirthe, die 
feine Berbeflerung bes Betriebes zu Hülfe nehmen ($. 130 (d)) oder 
feine anderen Gegenflände des Anbaus wählen Eonnten, gerietben bei 
den niedrigeren chtpreiſen in Berlufte und Berlegenheit, von ber 
fie nur eine Ermäßigung der Pachtzinſe befreien konnte, allein im 
Banzen verwirklichten fih die Befürchtungen für die britifhe Lands 
wirthichaft nicht, auch die Grundrente bob fich theilmeife bald wieder. 
Die Einfuhr von Weizen und Weizenmehl (dieß auf Körner umge: 
rechnet, der Qu. W. zu 392 Pfd. Mehl, alfo der Centner Mehl von 
112 Pd. zu %ı Du.) war im D. 1840—48 jährl. 4703650 Qu., 
im D. 1849-57 8880449 Qu., der Mittelpreis in beiden Perioden 
57 Schill. 3 PB. und 54 Schill. 5 P., die Preiserniebrigung betrug 
alfo nur 5 Proc., und obgleich ſich die Einfuhr faſt verdoppelte, fo 
nahm der Anbau des Landes, der Viehfland, der Getreide: und Fleifch- 
verbrauch ſtark zu. Der Steueranfchlag der Brundrente war 1848 
46,7 Mill., 1857 47,1 Mil. Pfd. St. Unter den vielen englüinen 
Schriften ift der Auffag von Porter in Edind. Rev. Nr. 191 ©. 140 
vorzüglich zu beachten. Ueber den Berein von Manchefler f. M. Bastiat, 
Cobden & la ligue. Paris, 1845. 

IL Frankreich. Im Jahre 1814 fing man an, bie Graͤ 
Departements in mehrere Glaffen zu theilen und für jede einen Preis 
feftzufeßen, bei welchem die Ausfuhr unterfagt fein follte. 1819 wurde 
zugleich eine Stufenleiter für die Ginfuhrzölle aufgeftellt. Im Geſet 





280 — 


vom 4. Zuli 1821 wurde der auswärtige Verkehr noch mehr erſchwert. 
Die Ausfuhr war verboten, wenn das Hektol. Weizen in den 4 Graͤnz⸗ 
bezirten über 25 — 23 — 21 — 19 Fr. ftand, bie Einfuhr, wenn der 
Preis unter 24 — 22 — 20 — 18 Fr. war. Der Beweggrund hiezu 
lag in der flarfen Ginfuhr aus Odeſſa. Seit dem Gel. v. 25. April 
1832 befteht kein Ginfuhrverbot mehr. Es wurden vier Claſſen von 
Graͤnzdepartements feſtgeſetzt, nämlih I, die Dep. am Mittelmeere 
IL, die fübweftlihen und die Gränze gegen Sardinien und bie Schweiz, 
III, Elſaß, Normandie, Picarbie und die Weſtküſte an ber Loire und 
Charente, IV, die Gränzen gegen Baiern, Preußen, Belgien, ferner 
die norbweftlichen Dep. an der Nordfee. In I war der Richtpreis für 
einen gewiflen Zollſat immer am hoͤchſten, iu jeder folgenden Claſſe 
ift er ” um 2 Fr. niedriger, 3. B. I 26 $r., II 24 $r., II 22 Fr., 
IV 20 Fr., weshalb bier nur der Preis von Claſſe I angegeben zu 
werben braudt. 








Einfuhrzoll 
Preis in EI. J. I Sand und in | in fremden | Ausfuhrzoll 
franzdf. Schiffen. Schiffen 

uͤber 28 Fr. 0,8 Fr. 0,8 Fr. *) 
s 27—28 = 0,8 = ‚” : 6 Fr. 
s 26—27 = 0,8 ⸗ 1,0 ⸗ 4 > 
s 25—26 = 1,8 : 2,0 ⸗ 2 s 
s M—25 > 2,5 = 3,0 - 0,8 ; 
s 23—24 ⸗ 3,9% s 4,50 s ⸗2⸗ 
s 2—23 > 4,85 : 6 ⸗ ⸗⸗ 
s 21—22 > 6,8% > 78 ; ⸗⸗ 


Der hoͤchſte Zoll war 21 Fr. 25 C., ber in der erſten Claſſe bei 12 Fr. 
Preis eintrat. Der Zollſatz für andere Getreidenrten richtete ſich gleich: 
falle nady dem Weizenpreife, wobei der Roggen 60, Gerſte 50, Haber 
35 Proc. des Zolles von Weizen zu geben hatten. Dan bemerkte bei der 
Berathung des Geſetzes, es könne Weizen aus Odeſſa mit der Pracht 
nicht unter 14%/s Sr. nach Frankreich kommen, die bort zu verfchifende 
Menge fei nicht über 1800000 Heft. und bei freier Ginfuhr in Mar: 
feille feige fogleich der Preis in Odeſſa. Auch hat vor 1820 bie Eins 
fuhr Feine nachtheiligen Folgen gehabt. Thiers (Disconrs, 1851, 
gegen St. Beuve) glaubte das Hektol. koͤnne aus Odeſſa für 13 fr. 
geliefert werden und unter 20 Fr. könne man es in Frankreich nicht 
bauen. Dieß beträgt 5 fl. 11 Fr. für den pr. Scheffel — 6 fl. 10 fr. 
für den Zolleentner. Mich. Chevalier hatte ſchon früher die Furcht 
vor dem Mitmwerben der Oftfees und Mittelmeer Länder, fowie von 
Rorbamerica beftritten, Des fortes alimentsires des stats eto. P. 1847. 
Die franzöfiiche Landwirthſchaft ift noch großer Berbeflerungen fähig, 
bie zum Theil durch die Halbpacht verhindert werden. Klima und 
Boden find günftig, es müßte ein größeres Erzeugniß erzielt und an 
ven Koſten erfpart werden Eönnen! Der Jahresbedarf (mit Einfluß 
ber Yütterung, Verarbeitung und Saat) wurde 1845 amtlih auf 
120 Mil. Hektol. Weizen, Mengkorn und Roggen ermittelt, das Ex: 
zeugniß nad; der amtlichen Statiftit auf 109%, Dil., wozu aber noch 
85 Mill. Hektol. Gerſte, Haber, Mais, Buchweizen und trodene Hülfen: 
früchte kommen, fo daß alfo in gewöhnlichen Jahren noch Ueberfhuß 
ba if. Moreau de Jonnds (Journ. des Eoon. XXIV, 245) giebt 


) Der Nusfabrzol bei einem Preiſe über 38 Br. IR 2 Br. mehr für jeden gt. Wreißerhöhung. 
ur Vergleichung dient, daB 1 Fr. vom Heltofiter foviel beträ * 
cheffel oder 180, Kr. vom Bollcentner Weizen. ſorlel Deirägt, ale 4,4 Gar. vom pi 





— 2831 —— 


an, daß 1788 ber mittlere Rohertrag eines Heftaren 8 Heftoliter ges 
weſen fei, jeht 13—14; die a. Statifl. von 1841 giebt 12,8, in 
Nordfrankreich 13, in der Süphälfte 10,5 5. Man nimmt an, daß 
eine gewöhnliche Ernte den Nahrungsbebarf für 1 Jahr und 15 zuge, 
eine gute Ernte für 27 Tage, eine ganz reihe 56—60 Tage über 
1 Jahr giebt. Im Durchſchnitt 1815—1835 foll der G@etreideertrag 
174736000 SHeltol., der Verbrauch 169670000 Hektol. geweien fein. 
Schnitzler, De la eréation de la rich. I, 36. — Zufolge bes 
Hanbelsvertrages mit Großbritanien wurde durd das Gel. v. 30. Mai 
1861 die veränderlihe Scala abgeichafft und ein feſter Zoll verordnet, 
welcher von 100 Kil. Weizen beträgt 1) bei der Ginfuhr in franzoͤſ. 
Schiffen von Ländern außer Europa und von ben europäifchen Erzeu- 
sungeländern 1/a Fr., anderswoher oder in fremden Schiffen 1'/s Fr., 
2) zu Land aus europäiichen Erzeugungsländern ?/s Fr. ,, anderswoher 
142 Fr. Anderes Getreide ift frei in den allen, wo der Weizen 
Ya Fr. giebt, fonft zahlt es 1 Fr. 

f g 3 i 

DI. In den Niederlanden führten die 1822 und 1823 ange- 
Reiten Berathungen zu einem Ginfuhrzoll, welcher vom 1. Ian. 1825 
an auf 24 fl. von der Lafl Weizen erhöht wurde. Nach der Trennung 
von Belgien gab Norbniederland die Binfuhr frei, während Belgien 
fie beichränfte. 1835 wurde auch. im erſten Lande ein Zoll wieder: 
hergeſtellt, ungeachtet der Proteftatioen der 52 großen Amfterdamer 
Hundelshäufer. Das Land kann die Ginfuhr nicht entbehren, bie gegen 
4/4 des Berbrauches beit, und ber große Zwifchenhandel mit Getreide 
fihert die eigene Berforgung ; aber man glaubte der Landwirthfchaft 
den Vortheil höherer Breife verfchaffen zu müffen. Der Zoll war vom 
Hektol. (Mudde) Weizen bei einem Breife über 9 fl. Yu fl., bei 8—9 fl. 
Ya fl., bei 5 fl. und weniger 3 fl. Im Jahre 1847 Fam ein neues 
Geſet zu Stande, welches auf die Lafl von 30 Mudden (54,8” pr. Sc.) 
Fr ar feſten G@infuhrzoll von 8 fl., auf Roggen und Mais 
6 fl. ac. ſetzt. 

IV. Belgien, Belek v. 31. Juli 1834: Weizen frei bei dem 
Breife von 20 Fr. für das Heftol., aber bei 15—20 Fr. ein Zoll von 
371/a Fr. für 1000 Kiloge. (20 Eentn.), ein zu flarfer Sprung! 
Das Geſetz v. 22. Jan. 1850 führte einen niedrigen feſten Zoll ein, 
der von 100 Kilogr. Weizen, Spelzfern, Hülfenfrühten 1 Fr., von 
Roggen, Mais, Buchmeizen, Pferdebohnen, Widen 70 Gent., von 
Seht, Spelz, Haber 60 Cent. betrug ıc. Das Gef. vom Januar 1857 
verordnet einen feflen Zoll von !/s Fr. für 100 Kilogr. Das Land 
bedarf noch ber Einfuhr. Von 1841—50 find i. D. 44929566 Ril. 
Weizen, 18214346 Kil. Roggen, 34°890440 Kil. Gerſte und Haber, 
1814 794 Kil. Mehl mehr eins ale ausgeführt morben und nur beim 
Buchweizen war eine Mehrausfuhr von 2233553 Kil. Bine Durch: 
ſchnittsernte diefer Früchte ift gegen 20 Mill. Hektol. oder g. 1284 Mill. 
Kilogr., der Berbrauh alfo ungefähr 1380 Mill. oder 318 Kilogr. 
auf den Kopf, fo daß bie Einfuhr "/«— *ıs des Bedarfes liefert. 

V. Deutfdher Zollverein. Feſter Einfuhrzoll vom preußifchen 
Scheffel aller Mehlfrühte 5 Ser. = 17a fr., an ber fädhf.-böhm. 
Gränze der Dresdner Echeffel Weizen nur 2 Sgr., Roggen ıc. 1 Ser. ; 
m Baiern an der Gränze von Berchtesgaden ter Baier. Sache 24 fr. 
Der bei höheren Preifen abnehmende Ginfuhrzoll, den Baiern nad 
dem Gef. v. 28. Dec. 1826 hatte und auch noch im Zollverein behielt, 
bat aufgehört, wie er denn auch bei dem Getreibereichthum Baierns 
ale überflüffig erfcheinen mußte (1 fl. für den bair. Scheffel entfpricht 
15 fr. für den preuß. Scheffel). 

VI Deflerreidh, Tarif v. 1853: Der Centner Weizen und Kern 
20 fr., Mais, Roggen u. Hüffenfr. 15 kr., Gerfte u. Haber 10 fr. (20f. F.) 


— 22 — 


$. 132. 


Außer dem Getreidefau hat man auch die Gewinnung 
anderer, insbefondere ſehr werthvoller Bobenerzeugnifie durch 
Einfuhrzölle zu begünftigen gefucht (a). Ein folder Zoll ift 
aber, wenn bei vollfommmerem Betriebe die Stoffe im Lande 
eben fo wohlfeil, ald im Auslande gewonnen werben fönnen, 
nicht blos überflüffig, fondern ſchwächt zugleich den Eifer zu 
folhen Verbeſſerungen und zwingt die Zehrer, ihren Bedarf 
theuerer zu Faufen, als es nöthig ifl. Iſt für die Volkswirth— 
haft die inländifche Erzeugung eined Stoffes nicht fo wichtig, 
als die wohlfeilfte Erwerbung befjelben zum Behufe weiterer 
Berarbeitung und zur Befriedigung eined Bebürfnifled, und 
fönnen die Güterquellen des Landes ebenfo leicht auf ambere 
Gewerbe verwendet werden, fo ift es für Fein Uebel anzufehen, 
daß bei der Freigebung der Einfuhr ein einzelner Zweig ber 
Erdarbeit einige Verminderung erleidet. Es mag indeß rathfam 
fein, einen fchon beftehenden Zoll nur allmälig wegzuräumen, 
indem man ihn flufenweife erniedrigt. Demzufolge bleiben nur 
wenige Bälle übrig, in denen die Einführung oder Beibehaltung 
des Zolled gebilligt werden fann, obfchon die Moͤglichkeit folder 
Falle im Allgemeinen nicht ganz in Abrede zu ftellen it. Mandıe 
Einfuhrzöle von Rohftoffen, die dad Land ebenfalld erzeugt, 
find aus der Annahme hervorgegangen, daß bie verzehrten fremden 
Waaren koſtbarer feien und folglich ihr Verbrauch als Lurus 
eine Befteuerung zulaffe, fo daß ſich eine Finanzruͤckſicht ein- 
mifcht (d). 

(a) In England zahlte fonft die fremde Schaafwolle 6 P. vom Pfb., 
1824 warb ber Zoll auf 1 P. (5 fl. 33 fr. vom Zollcentner) herab: 
geſetzt, 1845 ift er ganz befeitigt worden. Der Zoll von lebenden 
Thieren, frifchem und gefalzenem Fleiſch, Häute, Seide ze. hörte nach 
dem Gel. v. 26. Jun. 1846 (9. 10. Vict. c. 23) auf. Nach dem 
Zollgel. v. 28. Aug. 1860 beftehen nur noch Zölle von den verſchiedenen 
Sorten des Nußholzes, wobei die frühere niedrigere Belegung bes Holzes 
aus britifchen Befigungen (vorzüglid Canada zu Gefallen) aufgehört hat. 
Die Abgaben von Hopfen (feit 1862 15 Sch. der Gentner) und Tabak: 
blättern (das Pfund 3 Sch. mit 5 Proc. Zufchlag) find als Steuer: 
zölle zu betrachten. Seitdem ift im Durchſchn. 1847—51 die Einfuhr 
von Ochſen 28176 Stüd, von Schaafen 144 851 Stüd geweſen. Bon 
gefalzenem Rindfleifh gingen 1844 und 1845 im Durchfchnitt nur 


4333 Ctr. zum inneren Berbrauche ein, 1847—51 aber 132 137 Ctr., 
von Speck 1845 2535 Etr., 1847—51 261 363 Etr. 








— 


— 283 — 


Frankreich. Erſt 1820 wurde ein Ginfuhrzoll von 33 Proc. des 
Breifes auf Schanfwolle gelegt, den man 1834 auf 20 Proc. ermäßigte. 
Bei der Binfuhr in fremden Schiffen ober zu Lande, und wenn die 
Volle nit in den Bränzländern erzeugt if, kamen noch 3 Br. auf 
100 Kil. hinzu. Jene Abgabe von 33 Proc. war den Schaafzüdhtern 
noch nicht einmal genug. Die Preiserniedrigung der Wolle, auf welche 
Ah das Begehren eines Binfuhrverbotes flüpte (4. B. Petition des 
Srafen Bolignac, Dey.:K. Mai 1828), wird zum Theile dem Mangel 
an Beihidlichfeit der Franzoſen in ber Wollverebelung beigemeflen. 
Die Breife der Wolle in Frankreich ſtiegen und ſanken ganz unabhängig 
von ten Beränderungen des Zollee (Muret de Bort in Enquöte com- 
merciale de 1834, LIT, 594); aud hat die Zollerhöhung nicht die ges 
wünſchte Abnahme der Einfuhr bewirkt. — Gegen einen in Procenten 
des Breifes beitehenden Zoll hat man mit Recht erinnert, daß es dem 
bei dem Getreide befolgten Grundſatze gerade entgegen fei, die Abgabe 
bei niedrigen Preifen zu erniedrigen. Der hohe Zoll hat der franzoͤſ. 
Tudfabrication fehr geſchadet, ohne der Landwirthſchaft zu nügen. Bericht 
des damaligen Handelsminiſters Duchatel, Monit. 1834. Nr. 192. — 
Dietionn. du commerce, IH, 1225 (1841). — Nah Gef. n. 5. Mai 1860 
if die Einfuhr von Wolle aus den Gryeugungelänbern in franzöflichen 
Schiffen und zu Lande frei, von anderen 2ändern oder in fremden 
Schiffen werden 3 Fr. von 100 Kil. erhoben. Der bisherige franzöf. 
Zolltarif erhielt noch eine Menge von Schupgöllen, die bei gefchickterer 
Betreibung der Landwirthichaft entbehrlich fein würden. Der hohe Vieh⸗ 
zoll (60 Fr. von einem Ochſen, 25 Fr. einer Kuh oder einem Pferde ıc.) 
bat der Viehzucht der Schweiz und bes füdlichen Deutſchlands gefchabet. 
Durch die B. v. 14. Septbr. 1853 ift der Zoll proviforifh von einem 
Ochſen auf 3 Fr., von einer Kuh auf 1 Fr. ıc. herabgeſetzt worden. 
Auf franzöf. Schiffen gab Hopfen (100 KRil.) 60 Fr., trodene Krapp: 
wurzel 10 Fr., gebrechter Hanf 8 Fr. Flache 5 Fr. Mohn: und Raps⸗ 
famen zu Land 7,9% Fr., Sefam 7—14%r., Salzbutter 5, friihe 3 Fr., 
friſche Häute 3,9 Fr. ıc. Zu allen Zollfägen fommt noch ein Zufchlag 
von 10 Proc. Britifcher gehechelter Flachs und Hanf giebt nach dem 
Bertrage v. 18. Juli 1860 nur 3 Gent. 

Zollverein. Der Eentner Wein 14 fl., Butter, Käfe 6 fl. 25 kr., 
Hopfen 4 fl. 22%. kr., Flachs, Hanf 171 kr., Tabalsblätter bisher 
St rl. (O fi. 37% Fr.), von 1854 an 4 rl. —=7fl. — Der pr. Scheffel 
Kleefaamen 17% fr., Delfaamen 4M/ı fr., 1 Ochfe S fl. 45 fr., 1 Kuh 
5 #. 15 kr., 1 Pferd 2 fl. 20 kr., 1 fettes Schwein 1 fl. 45 kr., 
I mageres 1 fl. 10 Er., 1 Hammel 521,2 Er., ein anderes Schaaf 17/5 Er. 

Defterreich. Tarif von 1853. Ein Ochfe A fl.. 1 Pferd, 1 Kuh 2 fl., 
der Bentner Käfe 5 fl., Butter 2. 30 fr., Wachs A fl., Hopfen 2 fl. 30 kr., 
Flachs, Hanf, Delfaamen 3 fr., Wolle frei. 

Belgien. 100Ril. trodene Pflaumen 91/,—13'/. Fr., Oelſaamen 5 Fr., 
Pferdehaare 21/26 Fr., Borften 4,9 Fr., Honig 9,%— 11,50, Sped 5, 
Butter 6,%, Hanf roh 2, gebechelt 6,4% Fri, Flache roh 50 Et., geh. 
10,% Fr., Tabaksblätter 12,0 und mehr, Hopfen 1,90, 1 Pferb 15 Fr. 


Dies gilt von dem Einfuhrzoll von Wein. Iſt jedoch die Abgabe von 
fremdem Wein höher ale die Steuer von inländiihen, fo wirft der 
Unterichied zugleich als Schutzzoll ermunternd auf den Rebbau. Es 
fommt biebet in Grwägung, daß viele an Abhaͤngen liegende Rebgärten 
feine andere einträglihe Benugung zulaffen und daß, wenn im Lande 
guter Wein erzeugt wird, einige DVertheuerung des fremden unſchaͤdlich 
M. Der Rebbau in Preußen ift durch den flarfen Ginfuhrzoll ſehr 
emporgefommen. Der Berbrauh von Rhein: und Mofelwein war in 
den oftlihen Provinzen zwifchen 1810 und 1824 von 116058 auf 





— 2834 — 


161544 Quart gefliegen. Krug, Staatew. Any. L 1. ©. 106. 
Durch die Zollvereinigung mit anderen rebbauenden Staaten änderte 
fich diefes wieder. Es ift überhaupt eine der nachtheiligen Folgen eines 
ftarfen Zollfchuges, daß feine fpätere durch die Umſtände gebotene Auf: 
hebung für die geichügten Gewerbe doppelt verderblih wird. Der 
erwähnte Zoll, der vom franzoͤſ. Liter 19,6 Fr. ausmadt, ift fehr hoch 
und fönnte beträchtlich herabgefeßt werben, ohne (wegen der größeren 
Fracht der frangöfifhen und öfterreihifhen Weine) den Preis ter 
geringeren Meine noch weiter zu erniedrigen, da fie fehon von dem 

zeugniß ber befleren beutfchen Mebgärten leiden. — Hieher gehört 
ferner ber no immer hohe Tabatszoll, der von dem Preife geringerer 
deutſcher Blätter wohl 60-70 Proc. beträgt (a). Diefe Abgabe, «in 
Gegenftand lebhafter Befchwerden von Seite des amerifanifchen Staaten: 
bundes, hat auf den beutichen Tabaksbau günflig gewirkt. Vorzugliche 
Blätter, befonders die zu Cigarrendeden brauchbaren, fowie bie daraus 
verfertigten Gigarren wurben in beträchtlicher Menge ausgeführt. Seit 
der Handelskriſe von 1847 ift jedoch der Preis der inländifchen Blätter 
fo niedrig, daß der Anbau fi flark vermindert hat und eine Zoll 
herabjeßung Feine Beforgniffe mehr erregen wird. 


2. Innerer Berfehr mit Bodenerzeugniffen. 


8. 133. 


Da jede Ernte wenigftend den Getreidebedarf für ein ganzes 
Jahr liefern fol, fo muß von ihr in jedem Zeitpuncte fo viel 
vorräthig gehalten werben, als in dem noch übrigen Theil des 
Jahres zur Verzehrung erforderlich ift, außer wenn man fid 
auf leichte Zufuhr von außen verlaffen fann. Die Zehrer haben 
größtentheild weder Mittel zur Anfchaffung, noh Raum zur 
Aufbewahrung ded Jahresbedarfes. Auch viele Landwirthe, 
befonderd die Fleineren, find genöthigt, ihr Ernteerzeugniß bald 
zu verfaufen. Es ift daher nüglid, wenn eine Glaffe von 
Gewerböleuten, (Kornhaͤndler, Bäder, Müller) zwifchen die Ers 
zeuger und Zehrer in die Mitte tritt, Vorräthe anfchafft und 
biefelben zur Zeit bed Bebürfniffed dem Verbrauch überliefert. 
Ihre Gefchäfte können auf folgende Zwede gerichtet fein: 

1) Anfauf bald nach der Emte, um dann fpäter, bis zur 
nächften Ernte hin, mit Gewinn wieder zu verkaufen. Werben 
hiedurch die Preife erhöht, fo vergütet fich dieß in den legten 
Abfchnitten des Erntejahres, und nad) einer geringen Ernte ift 
ed gut, daß man ſogleich durd einige Preiserhöhung zu einem 
jparfameren Berbrauche gemahnt wird, ohne welchen bie Unzu⸗ 
länglichfeit früher zum Vorſchein Fame und die Theuerung nod) 
_ weiter gehen würde (a); f 





— 285 — 


2) Audgleihung des Ueberfluffes und Mangels verfchiedener 
Gegenden und Länder; 

3) Auffauf in reihen Jahren, um Vorraͤthe anzulegen, die 
ipäterhin nach fpärlichen Ernten eine Aushülfe gewähren. Auch 
dieß iR fowohl ben Landwirthen wegen bed baldigen vortheil- 
hafteren Abſatzes, ald den Zehrern in Mißjahren fehr nuͤtzlich. 

Demnach find die Unternehmungen des Getreidehandeld im 
Ganzen genommen gemeinnügig (6) und bie hiebei gemachten 
Gewinnſte als eine Belohnung für die befiere Verſorgung des 
Volks anzufehen, obgleich es nüßlich iſt, wenn diefer Zwed mit 
dem geringften Aufiwande der Zehrer erreicht wird. 

() Ehon der Umftand macht viel aus, daß man bei niedrigen Preifen 


feineres Mehl verzehrt und deßhalb mehr nahrhafte Stoffe in der Kleie 
läßt, auch tie Viehmaͤſtung mehr mit Körnern betreibt. 


(6) „Mag der Kormipeculant immerhin feine andere Adfichten haben, als 
die feines individuellen Gewinnes, mag er fogar von hoͤchſt eigen: 
füdhtigen und wucerifhen Beweggruͤnden geleitet werden, er if den- 
noch nicht weniger ein Wohlthäter für den Staat, als ber ge 
duldigſte Srforfcher des Wirkens der Natur im menfchlichen Körper ıc.‘‘ 
Jakob, Zweiter Beriht, S. 79. 


$. 134. 


Zu der Beforgniß, daß die Getreidehaͤndler durch eine Fünfte 
lihe Bertheuerung von der Noth ihrer Mitbürger unmäßigen 
Vortheil ziehen koͤnnten (a), ift wenig Grund vorhanden. Denn 
bei einem von fo vielen Menfchen hervorgebradten Gegen, 
Rande, wie dad Getreide, darf man auf ein ausgebehntes Mit- 
werben rechnen, welches dem Gewinn jedes einzelnen Kaufmanns 
Schranken fest. Da eine reihe Ernte unaufhaltfam die Preife 
erniedrigt, fo fieht fi) der Getreidehaͤndler genöthigt zur Ver⸗ 
meidung eined großen Berluftes feine Borräthe nody vorher zu 
rechter Zeit abzufeßen. Sein eigener Bortheil treibt ihn an, 
bafür zu forgen, daß zu jeder Zeit gerade eine verhältnigmäßige 
Menge in den Berbraudy gelange. Allerdings mag hin und 
wieder ein Kornhaͤndler feine Magazine aud) dann nod) ver- 
ſchloſſen halten, wenn die Theuerung bereits einen empfindlichen 
Grad erreicht hat. Allein dieß hat dann eine gute Wirkung, 
wenn die Ernte ober die Zufuhr noch entfernt, alfo eine fehr 
Iyarfame Berzehrung nothwendig ift, und wenn er mit bem 
Berfaufe allzulange zögert, fo beftraft ſich feine Habſucht durch 











— 236 — 


die nachfolgende Wohlfeilheit von ſelbſt. Deßhalb ift ein ſolches 

Berfahren nicht leicht fo häufig, daß daraus nachtheilige Folgen 

im Allgemeinen entfländen. Wenn auch an einzelnen Orten 

durch Auffauf eine gemeinfhäbliche Preiserhöhung verurfacht 

wird, fo beträgt doch diefe nicht viel, weil die Preiſe dem im 

Großen ftattfindenden Berhältnig von Begehr und Angebot 

folgen und einzelne Handeldunternehmungen hierin wenig abzu- 

ändern vermögen. Nur dann, wenn bie Regierung ben Getreide⸗ 
handel Einzelnen ausfchließgend geftatten, ober doch bie Befugniß 
zu feiner Betreibung erheblichen Befchränfungen unterwerfen 
wollte (5), könnte ben gefürchteten wucherlichen Kunftgriffen ein 

Spielraum offen ftehen. 

(a) Dieß find die Merkmale im Begriff des Wucher s. Es ift ein häufiges 
Borurtheil, jeden Getreidehändler darum für einen Wucherer zu halten, 
weil feine Ankäufe die Preife einigermaßen erhöhen, und man ift zu 
fehr geneigt, Theuerungen als Wirkungen wucherliher Maaßregeln an: 


zufeben, während fie genau betrachtet, von einer Abnahme des Angebotes 
oder einem, 3. B. durch die Ausfuhr verftärkten Begehre herrühren. 


(5) Fruͤherhin waren foldhe Monopole nicht felten. In Spanien mar ber 
Getreidehandel nur den Yuhrleuten erlaubt, Jovellanos, ©. 105. 


$. 135. 


Die Unfenntniß ber Gefehe bed Verkehres verleitete in 
früheren Zeiten zu Befchränkungen befielben, deren Unzweckmaͤßig⸗ 
feit heutiged Tages keinem Zweifel mehr unterliegt. Dahin if 
die Verfügung zu rechnen, daß Getreide nicht von einem Landes⸗ 
theil in den anderen gebracht werben durfte, oder daß wenigſtens 
eine Zollabgabe von einer folchen Sendung erhoben wurde. 
Es ift vielmehr neuerlich ein anerlannter Grundſatz, daß dem 
Getreideverkehre durch das ganze Land freie Bewegung geftattet 
werden müfle (a). 

Die Wochenmärkte für Getreide in einzelnen Stäbten 
find von unbeftrittenem Nutzen. Sie gewähren fowohl ben 
Landwirthen ald den Käufern große Bequemlichkeit, zeigen ans 
Ihaulid das obwaltende Verhältniß des Angebotes zum Begehre 
und verfperren hiedurch allen betrüglichen Borfpiegelungen ſo 
wie den zufälligen Täufchungen den Weg. Die Preiſe erhalten 
vermittelt der Märkte eine größere Gleichfoͤrmigkeit. Maaß⸗ 
regeln, welche den Beſuch des Marktes bequem zu machen bienen, 





— 287 — 


find zwedmäßig, aber dad Verbot, außer dem Marfte Getreide 
zu verfaufen (Marftzwang), ift nicht zu billigen (db). Ein 
Markt zieht won felbft Verkäufer herbei, man fann es ihnen 
alfo anheimftellen, ob fie in einzelnen Fällen lieber zu Haufe 
verfaufen wollen, zumal da man ohne eine höchft läftige Bes 
auffichtigung des Verkehrs feine Gelegenheit bat, den Abſchluß 
von Hausverfäufen zu erkennen (c). Anſehnliche Städte ver- 
anlaffen ſchon des eigenen Verbrauchs wegen einen beträchts 
lihen Marktverkehr. Sonft find Orte an jchiffbaren Gewäflern 
over an lebhaften Landflraßen, von denen fruchtbare Ebenen mit 
tarf benölferten Berggegenden verbunden werden, vorzüglid zu 
Märkten geeignet. Die Erfahrung lehrt, Daß unter vielen Markt 
plägen eined Landes eine Fleine Anzahl zufolge ihrer für den 
Getreideverkehr günftigen Lage große Ausbehnung erlangt und 
ſolche Maͤrkte verdienen beſonders forgfältige Beförderung. Die 
nöthigen Einrichtungen find zunächſt von den Gemeindebehörden 
nu treffen, doch muß auch die Staatsbehörbe durch Verordnungen 
und einzelne Verfügungen mitwirken. Die wichtigften Erforber- 
nie find: 

1) ein geräumiger Platz, oder beffer ein paflendes Gebäube, 
in dem auch bie nicht verfauften Vorräthe gelagert werben können 
und für deſſen Benugung eine mäßige Abgabe zu entrichten ift (d); 

2) Anftelung des nöthigen Perfonals zur Beauffichtigung, 
um Meflen, Wägen, Aufladen, Umftechen ıc. (e). Daflelbe 
wird in Pflicht genommen, und erhält eine Dienftanweifung 
(Inftruction) ; | 

3) Feſtſetzung mäßiger Gebühren für alle hiebei vorfommenden 
Berrichtungen; 

4) Verhütung alles deſſen, was die Marktbeſucher ohne Roth 
beſchweren Tann, 3. B. Uebervortheilung beim Meffen; 

9) Schlihtung aller Streitigfeiten und Unterfuchung aller 
veſchwerden durch ein Marktgericht; 

6) Anordnung, daß alle Verkäufe nach Menge und Preis 
genau angegeben und verzeichnet werben, damit hieraus die 
fihtigen Marktpreife ermittelt werben fönnen, I, $. 182 (a). 


(c) In Frankreich wurde diefer Grundfaß fogleich im Anfang der Revolution 
1789 in Ausführung gebracht und nad) manchen Abweichungen durch das 
Gef. v. 20. Prair. V. (1797) wieder hergeftellt. 


— 288 — 


(6) In Frankreich wurde 1390 ein ſolches Berbot erlaſſen, überhaupt bes 
fland dort mit Ausnahme eines Furzen Zeitraums unter Turgot (von 
1776 an) eine Menge von Zwangsvorfchriften. Der Auflauf (accapare- 
ment) wurde 1793 fogar mit Todesftrafe und Dermögensconfiscation 
bedroht! Dictionnaire de l'éc. pol. Art. Céréalos. Noch im Jahre 1794 
(Gef. vom 7. Bendem. V.) wurde verordnet, daß alle Verkäufe auf dem 
Markt geihehen follen, au Eonnte der Maire den Landwirthen befehlen, 
ein gewifles, nach der Zahl der Pflüge zu beftimmendes Quantum auf 
den nädjften Markt zu führen, Fournel, II, 396. Dahend der 
Theuerung von 1812 wurde ter Marktzwang in der B. v. 4. Mai aber 
mald Hergeftellt, jedoch im nämlichen Jahr wieder aufgehoben. — In 
Paris dürfen feine Käufe im Großen außer der Kornhalle (halle aux bike) 
geichlofien werden; man darf den Schiffen oder Fuhrwerken nicht ent: 

egen gehen, um zu kaufen, es if verboten unter Weges, in ben 

irthshäuſern oder Straßen zu verkaufen ıc., V. v. 25. Nov. 1829, 
Elouin, U, 205. Aehnliche Vorſchriften beſtehen faft auf allen Kom: 
märften. 


(6) Beifpiel: St. Gallen'ſche B. über die Kornhausverwaltung in Rorſchah, 
2. März 1833. KornmarftspolizeisB. für Rorfchadh, 24. Juli 1833, 
12. Jan. 1835. Diefer Getreidemarft, auf dem die für die nordwefſtliche 
Schweiz beftimmten Sendungen von onfang, Ueberlingen, Friedrichs⸗ 
hafen und Lindau, alfo aus Baden, Würtembderg und Baiern zuſammen⸗ 
treffen, ift ſehr beträchtlich. 


(d) 3. B. die fhöne Kornhalle mit Hoher Kuppel in Paris; die Halle in 
Mainz, das Kornhaus zu Rorſchach. 


(e) In Rorſchach 1 Kornhausverwalter, 1 Grebmeifter (für die Abfendung 
der verkauften Borräthe), 23 Mefler, 23 Sadaufheber, 16 Träger, 
10 Lader, 23 Kornſchuͤtter, 1 Kornfteller, zufammen 98 Berfonen. — 
Barifer Kornhalle: 1 inspecteur en chef, 1 chef de contröle, um alle 
Berzeichnifle der angefommenen und verkauften Borräthe fammt ten 
Breifen in Ordnung zu halten ıc., 1 Hauemeiſter (concierge). Det 
Verkauf geichieht theild von den Bigenthümern felbft, theils von ihren 
Gommiffionären (facteurs und factrices), beren 23 für Mehl, 16 für 
Betreide und andere Saamen angeflellt find. Elouin, Trebuchet 
et Labat, Dictionn. de Police, II, 203. — Das Berfaufen nach der 
Waage ift dem Meflen vorzuziehen, weil das Gewicht mehr als tus 
Raummaaß ber in dem Getreide enthaltenen Menge nahrbafter Stoffe ent: 
fpricht (nicht genau, wie die Berfuche von Reifet beweiſen, Dingler, 
Pol. 3. CXXIX.). &8 müfjen hiezu von ben Gemeinden gute Waagen 
angefhafft und verpflichtete Wäger angeftellt werden; z. B. V. ber Res. 
in der baier. Pfalz v. 7. Mai 1847. In Baden ift 1861 das Wägen 
auf aller Märkten vorgefchrieben worden. 


$. 136. 


Ehemals hielt man e8 für eine unabweisliche Verpflichtung 
der Regierung, beträchtlihe Kornmagazine zu unterhalten, 
zu denen man bie aud Domänen und großen Grundgefällen 
berfließenden Getreideeinnahmen benügte. Indeß hat man in 
ber neueften Zeit dieſe Maaßregel aufgegeben, gegen bie fi 
auch triftige Gründe geltend machen laflen (a). 


— 289 — 


1) Die Magazine des Staats find mit beträchtlichen Koſten 
verfnüpft, welche in den Zinfen der Anfaufsfumme, — in den 
Ausgaben für die Aufficht, Reinigung des Gebäudes und das 
Umfechen der Borräthe, — in dem Aufwand für die Erhaltung 
der Gebäude, — endlich in dem Abgang durch Beichädigung von 
Mäufen, Komwürmern, Räffe u. dgl. beftehen (6), woran fich 
auch die ſchwer zu vermeidenden Beruntreuungen fchließen. 

2) Um ein ganzes Volk einige Zeit zu ernähren, würden fehr 
große Borräthe erforderlich fein, und bie früheren Magazine, bie 
bei weiten nicht diefen Umfang hatten, konnten alfo feine volls 
Rändige Wirkung haben (ce). Es Tiefe ſich aber nicht vers 
antworten, wenn man nur für einzelne Drte oder Gegenden 
ſorgen wollte. 

3) Das Borhandenfein von Staatdmagazinen macht leicht 
die Zehrer forglo® und hält von Unternehmungen im Getreides 
handel ab, der dagegen die Bebürfniffe des Volkes am beften 
iu befriedigen im Stande iſt (d). 


(e) Log, UI, 347. — Für die Magazine u. a. Weber, Staatswirthic. 
Verſuch über die Theuerung, ©. 165. 

(J Dr Shwand, d.h. die Verringerung bes Raummaafes (Bolumene) 
durch Gintrodnen (ILL, 156), ift fein wahrer Verluft, da nur Wafler 
serdunftet, und das getrocknete Getreide hat deßhalb einen höheren Werth 
und verdient höher bezahlt zu werben, fo wie das mit Ofenhitze aus⸗ 
getrocknete ruſſiſche Getreide in den norddeutſchen und niederländifchen 
Hantelspläßen aus gleicher Urfache höher bezahlt wird, als anderes. — 
Bei den zur Berforgung von Paris befimmten Magazinen wurden ben 
Unternehmern und 2ieferern zur ‚Berguitung ber Koften jährlih un⸗ 
gefähr 6*/s Procent des Anfaufspreifes bemilliget und die Gebäude von 
der Stadt unentgeldlich eingeräumt, fo daß zufammen ein Aufwand 
von 10 Proc. anzunehmen ift, ohne die Zinfen. Say, Hanbb. IV, 334. 


() Bei der Berechnung des Kornbebarfes eines Volkes muß m. ı fih erſt 
darüber verfländigen, ob nur die Verwentung zur Speife, oder auch 
die Fütterung der Hausthiere, der Verbrauch zu Bier und Brannts 
wein ıc. eingerechnet fei. Ferner finden in allen diefen Hinſichten, 

beſonders wegen der ungleihen GErnährungsart verfchiedener Voͤlker 
und Volksclaſſen und des nicht gleichmäßig verbreiteten Kartoffelbaues 
von Land zu Land, große Verfchiedenheiten Statt. Rechnet man mit 
v. Nalchus (Statifil, S. 97) in Weinländern 4'/a, in Bierländern 
54/, preuß. Scheffel Getreide aller Art auf_den Kopf der Einw. und 
b 3/4 der Bierdezapl 40 Scheffel auf das Stüd, ferner auf 1 MIN. 
enfchen 100000 Pferde, fo beträgt beides resp. 7'/a und 8'/s oder 
durchſchnittlich 8 preuß. Scheffel für den Kopf der Binwohner, fo daß 
für Deutfchland (zu 44 Mill. Ginw.) ein Rornbebarf von 352 Mill. Sch. 
heraus kommt. — Der Berbrauh in den mahlfteuerpflihtigen Städten 
des preuß. Staates war nach den Steuerrehnungen auf den Ropf 
1831 65,3% Pfd. Weizen und 240,8 Be. Roggen 
185%/; 97,97 ⸗ ⸗ s 245,% : ⸗ 
Ran, yoltt. Dekon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 19 


— 290 — 


Dieterici nimmt für ben ganzen Staat gegen 85 Pfb. Beijen und 
240 Pfd. Roggen, Handb. der Statiftil des preuß. Staates. S. 258. 
Nach vielen Brfahrungen kann man im ſüdwefßlichen Deutichland den 
Nahrungsbedari eines Menfchen auf 2 bad. Malter — 51: pr. Scheffel 
Halmfrücte (Weizen oder Kern und Roggen) feßen, wozu nod ter 
Bedarf für andere Zwede fommt. Kür Sachfen werden 3 dresd. Scheff. 
(= ? bad. M.) nad Reuning, oder 3,5 dresdn. Scheff. nad) ange! 
angenommen (Sahrb. f. Statiftif, I, 506, 1853). Schulze (a. a. O.) 
fhlägt ten ganzen Bedarf zu 10 preuß. Scheffel auf den Kopf an. — 
Den Berbraub von Frankreich hat man früher auf 60 Mill. setiers 
— 93,9 Mill. Heftol. = 170 Mill. Sch. geihägt (Fournel, Lois 
rurales, II, 445), welches nur 5'/ Sch. für den Kopf ausmacht. Die 
Pferdezahl ift dort für die Mill. Menfhen 68000 und nad Abzug 
ihres Bedarfes bleiben nur 3%, Sch. auf den Kopf für die Nahrung 
übrig. Rach den Recherches statistiques sur la ville de Paris famen 
im Durchſchn. von 1800—1820 auf den Kopf jährlich 335 Pfd. Bro, 
weldyes gerade auch 3%, Sch. Weizen entipriht.. Dureau de Lamalle 
(in der Acad. des sciences, 9. April 1832) ſetzt den Verbraud auf dem 
Lande zu 11; Pfd., in Städten zu 11/e Pfd., oder jährlih zu 6 u. 5 
preuß. Scheffel, in Paris jährlihd auf 343 Pfd. Neufter Ueberichla 
($. 131 (8) Mr. II): 120 Mill. Heft. oder 6 Sch. auf den Kopf. 
Hiezu kommen noch gegen 3 Mill. Helt. für Bier und 23,4 für die Aus 
faat. Für Paris rechnet Husson (Les consommations de Paris, 1856. 
©. 106) täglid 493 Grammen oder jährlih 359 Pfd. Brod, was gegen 
346 Pfd. oder 4 preuß. Scheffel ? gen giebt. Hiezu fommen gegen 
14 Pfd. Kuchen, Nudeln u.dgl — In Großbritanien wird der Nahrungs: 
bedarf der Menfchen, je nachdem fie von der einen oder anderen Getreide⸗ 
art Teben, auf 1 Du. (5% Sceff.) Weizen, oder 1% Du. Gerfe, 
oder 11/5 Du. Roggen oder 27/5 Du. Haber berechnet, vgl. $. 131.— 
In Sardinien werten 4 Hektol. = 7,? pr. Sch. angenommen, außer 
an der Küfte, two man viel Fifche verzehrt, und da wo man bei jedem 
Imbiß Wein trinf. M. Gregor, Commerc. statist. I, 1093. — 
Die für Schweden angenommene Berzehrung von 218 Tonnen auf den 
Kopf (Forſell, ©. 107) giebt T!/s preuß. Sceffel. — In Baier 
wurde die Verzehrung von Getreide aller Art auf 8%, Mill. Echefiel 
ober 2 Scheffel = 8 preuß. Sceffel für ven Kopf gefeßt, ohne Haber 
1,54 Baier. — 6,1 preuß. Scheffel. 


(d) Bgl. den Kommiffionsbericht der franz. Dep.sKammer auf den Borfchlag, 
Magazine in jedem Dep. anzulegen, 16. Juli 1829. 


. $. 137. 


Die obrigkeitlihe Sorge für Kornvorräthe wirb deſto eher 
entbehrlih, je leichter und fchneller noͤthigenfalls Yrüchte vom 
Auslande herbeigebracht werben fönnen und je mehr auf bie 
bei Kornhändlern ($. 133) und begüterten Landwirthen liegende 
Getreidemenge zu rechnen ift (a). Der Getreidehandel war bie 
ber weniger beliebt, als viele andere Handelszweige und dieß 
läßt ſich aus feinen Eigenthümlichfeiten leicht erflären. Außer 
ber Ungunft der öffentlichen Meinung zufolge alter Borurtheife 








— 2391 — 


(6. 134) fanden ihm bie verhältnigmäßig hohen Frachtkoſten, 
die foftbare Aufbewahrung der erforderlichen großen Maſſen und 
bie Möglichkeit ded Verderbens, ferner die große Verſchieden⸗ 
heit der Ernten von Jahr zu Jahr und die Echwierigfeit, das 
Ergebniß derfelben in mehreren Ländern zeitig genug vor dem 
Winter zu erfahren, die öfter verfpätete Ankunft beftellter Vor⸗ 
räthe u. dgl. im Wege (5), auch traten in ihm biöweilen ans 
fehnfihe Verlufte ein. Nur an ſolchen Plägen, welche Waſſer⸗ 
fragen haben, pflegte er fortbauernd im Großen betrieben zu 
werden. Hierin bat ſich jedoch in der neueften Zeit durch die 
Beſchleunigung und die geringeren Koften der Sendungen fowie 
durch die fchnelle Mittheilung von Nachrichten viel geändert (c), 
der Getreidehandel leiftet daher heutiged Tages zur Berforgung 
der Bölfer mehr als ehemals. Gleichwohl läßt fich nicht bes 
haupten, daß die faufmännifchen Beranftaltungen in biefem 
Gebiete andere Magazine ganz überflüffig machen. In früheren 
Zeiten wurden neben ben Borräthen der Domänenännter ($. 136) 
auh von Gutsherren und Berwaltungen geiftlicher Befigungen 
große Maflen von Zins⸗ und Zehntgetreide aufgefpeichert, bie 
in Mißjahren einen Theil des Ausfalls dedten und eine ftarfe 
Bertheuerung verhinderten. Da bieß aufgehört hat, fo fann es 
unter befonderen örtlihen Berhältnifien, 3. B. in Gagenden, 
die regelmäßig einer Zufuhr aus der Kerne bedürfen und bei 
zufälligen Unterbrechungen bderfelben durch ftarfe Korntheuerung 
leiden, wohlthätig fein, wenn von anderen Unternehmern außers 
halb des Getreidehandeld Magazine angelegt und in einem mehr 
gemeinnügigen Sinne verwaltet werden. Sie fönnen dazu dienen, 
in ungünftigen Jahren ein zu ſchwaches Angebot auf den Märften 
ju verftärfen und hiedurch der Theuerung eine Schranke zu ſetzen, 
ne dag dadurch eine, den Getreidehandel entmuthigende ‘Preis, 
emiedrigung bewirkt werden Eönnte. Zu jenem Zwed vermag 
ſchon eine fehr mäßige Menge von feilgebotenem Getreide zu 
genügen. Es fommt in folchen Zeiten viel auf die herrſchende 
Reinung an, und wenn es gelingt, die Beforgniß einer weiteren 
Preiserhöhung zu entfernen, den aus Angft entfiehenden Begehr 
ju vermindern und bie Getreidebeſitzer von unverftändigem Zurüds 
halten ihrer Borräthe abzumahnen, fo ift dieß ſchon fehr vor 
theilhaft. 


19* 


— 22 — 


(a) Wenn / q des Getreidebedarfs von Deutſchland, alſo etwa 58 Mil. 
pr. Scheff. ($. 136), aufgeſpeichert werben ſollten, fo wären dieſe in 
wohlfeilen Iahren für 116—173 Mill. fl. zu kaufen, wovon die Zinfen 
a Fr Proc. fhon 6,—9,% Kr. auf ten Kopf betragen, ohne bie anderen 

often. 


(5) Ausfuͤhrliche Schüderung diefer Umftände bei Rofcher, Ueber Kom: 
handel und Theuerungspolitif, 3. A. ©. 12. 


(e) Großbritanien führte 3. B. 1658 11% Mill. Quarters Mahlfruͤchte ein, 
wozu Rußland, Franfreih, Nordamerica, Preußen, Moldau u. Wallachei, 
Schweden und Dänemark die flärfften Beiträge lieferten. 


$. 138. 


Da wo ed nad den vorftehenden Bemerkungen rathſam if, 
ſich nicht ganz auf die Vorräthe der Getreidehändfer zu ver 
laflen, koͤnnen Magazine, die einen Heinen Theil des Jahres 
bedarfes enthalten (a), auf mehrfache Weife zu Stande ger 
bracht werben. 

1) Einzelne Gemeinden find im Stande, den Einkauf, die 
Aufbewahrung, Verwaltung und Beauffihtigung einfacher und 
wohlfeiler zu bewerffielligen, als die Regierung (5). Unter 
günftigen Umftänden kann der Unterfchied des DVerfaufss und 
Einfaufspreifes die ſaäͤmmtlichen Koften vergüten (c), befonderd 
wenn man, mit NRüdficht auf die vorhandenen und zu biefem 
Zwede.bdienlihen Gebäude, die zwedmäßigfte und wohlfeilfte 
Art der Aufbewahrung anwendet (d). 

2) Der Borfchlag, den Landwirthen von Seite der Staat 
gewalt zu befehlen, daß fie je nad) der Morgenzahl ihrer 
Ländereien eine gewiſſe Menge Getreide bis zur nächften Emte 
altjährlidy aufbewahren und auf obrigkeitliches Begehren für 
einen gewiflen Preis abliefern, wäre mühfam auszuführen und 
für die Landwirthe fehr beläftigend; man könnte aber ohne 
Zwang mit ben Landwirthen übereinfommen, daß ihnen für bie 
Aufbewahrung eine Vergütung gegeben würde (e). 

3) Landwirthe und etreidezehrer könnten fidy verbinden, 
auf gemeinfchaftliche Rechnung Vorräthe zu halten, fo daß jene 
fogleich einen Theil des Anfaufspreifes, 3. B. die Hälfte, bes 
zahlt erhalten (f). 

4) Es liegen fi auch Magazine bilden, deren Inhalt von 
ben einzelnen Zehrern eingeliefert oder mit bem von benfelben 
eingezahlten Gelde angefhafft und ihnen fpäter, gegen Erfah 


— 293 — 


ber Aufbewahrungsfoften, zurüdgegeber würde (9), — ober auch 
von Actiengefelfchaften (Ah). 


(e) 


() 


(Q 


Wo man fehr große Borräthe zu Stande bringen wollte, fcheiterte das 
Unternehmen gewoͤhnlich an der Koftbarkeit und Schwierigfeit. 


In Würtemberg beftanten Magazine diefer Art, die in jeder Gemeinde 
ehalten werden mußten, fchon feit dem 16. Jahrhundert, v. Berg, 
olizeireht, IIL, 172. — In Frankreich befahl 1577 Heinrich III. den 

Stadtgemeinden, wenigflens ben vierteljährigen Ortsbedarf vorräthig zu 

halten, und es wurde ihnen erlaubt, hiezu Geld aufzunehmen. Es iſt 

nicht befannt, wie weit dies in Ausführung fam. Unter Ludwig XV. 

legte die Regierung Magazine und Mühlen zur Berforgung von Paris 

an; dieſe Anftalt hörte 1789 auf, ſowie auch die von dem National: 
convent 1793 verordneten Bezirksmagazine nicht lange befanden. Nach 
der Theuerung von 1801 wurde auf Stantöfoften ein Vorrath aufs 
bewahrt, der in dem Mißjahre 1811 aufgezehrt wurde. 1813 legte man 
aufs Neue in einem biezu beflimmten Gebäude (greniers d’abondance) 
ein Magazin an, welches auf 250000 metrifche (Doppel:) Eentner ge: 
bracht werten follte. Im October 1828 wurde ber Betrag ber Bor: 
räthe zur allgemeinen Beruhigung befannt gemadt. Sie enthielten 

146477 metr. Centner Getreide und 25000 Säde Mehl, zufammen 

foviel ale 202000 Etr. Getreide; dieſer Vorrath war im folgenden 

Sommer aufgezebrt und wurde nicht mehr erneuert. Block, Dictionn. 

©. 149. — Die Pariſer Bäder find verpflichtet, eine gewiffe Menge 

Mehl theils zu Haufe, theils in einem öffentlichen Vorrathsgebaͤude 

liegend zu erhalten, fo daß 1/4 ihres jährlichen Verbrauches dadurch 

gedeckt wird, die 1. Claſſe 540 Säde zu 157 Kil., B. v. 1. Non. 1854, 

nachdem aͤhnliche Borfchriften ſchon im Jahre X. (1802) gegeben worden 

waren. — Nach Lenoir (De la probabilit6 d’une disette prochaine, 1828) 

fol man 1 Mill. Heft. in Silos aufbewahren. Das Helt., in guten 

Jahren zu 16 Br. gekauft, fäme nah 10 Jahren nur auf 26'/. Fr. zu 

fichen (ohne Baufoften), während man 1816 u. 1817 über das Doppelte 

bezahlen mußte. 


Skizze der Gefchichte eines in München beftandenen Getreidemagazins. 
Münden, 1816. — Briegleb, Das Nürnberger ſtaͤdtiſche Getreide: 
PH 1852. (Daflelde bat feiner Beſtimmung bisher nicht ent- 
prodhen.) 


Sauptmethoden: 1) Das Austrodnen durch Ofenhige, wozu Intieri 
und du Hamel bdefondere Vorrichtungen angegeben haben, ift neuer: 
lich wieder von Sedlmayer empfohlen worden (bi 30—36° BR. Wärme 
und felbft noch etwas mehr, wobei die Keimfraft nicht zerflört wird). 
2) Das Auffhütten in niedrigen Lagen auf Böden, die dem Luftzuge 
ausgefeßt find, mit öfterem Umſtechen. Dieß allergewöhnlichte Ver⸗ 
fahren erfordert viel Bodenraum, bei 1 Fuß Höhe ver Haufen ber 
preuß. Scheff. gegen 11 Du. Buß ohne Gänge und Treppen. 3) Das 
Iuftdichte Ginfhliegen in Behälter, vie Feine Feuchtigkeit zulaflen ; 
a) unterirdifche, ausgemauerte oder aud in trodenem Thonboden blos 
gegrabene Höhlungen, die Silos in Spanien (aeıpos, Yarro, de re 
rust. I, 57), und die Matamoren im Orient, beftimmt für Magazine, 
tie längere Zeit, 3. DB. mehrere Jahre, uneröffnet bleiben follen, jedoch 
bedenklich, weil es fchmer hält, Infecten und Beuchtigfeit ganz ab: 
halten. Iſt der Silo forafältig angelegt und wirb das Getreide ziemlich 
trocken eingebracht, fo Balt es fih gut, wie manche Grfahrungen bes 
weiten, 3. B. bei den Silo’s der Grubengewerfihaft in Mansfeld. 


— 29% — 


hatten nicht die gehofften Wirkungen, denn wenn glei bie 
Vorraͤthe im Lande blieben, fo kamen fie doch nicht zu Markte, 
fondern wurden noch eifriger zurüdgehalten, weil die Befiger 
auf noch höhere Preife warteten, auch ward die Sperre von 
anderen Staaten oft erwidert und fo die Hülfe aus der Ein- 
fuhr verhindert (e). Ein mit dem Steigen ber Preife zu: 
nehmender Ausfuhrzoll (8. 127) in folchen Laͤndern, wo die 
Ausfuhr in einzelnen Zeitpuncten Beforgnifle erwedt, ift minder 
gewaltfam und deßhalb der Sperre vorzuziehen, body erſcheint 
auch dieß Mittel in der Regel ald entbehrlih. Das Berbot 
bed Branntweindbrennend aus Getreite und Kartoffeln fönnte 
nur in dringenden NRothfällen gerechtfertigt werben, weil «8 
viele ebenfalls fehr nügliche Anwendungen des Branntweind 
und Weingeiftd verhindert und ein wichtiged Gewerf bebrüdt, 
weßhalb billiger Weife eine Entfhädigung für die Branntwein 
brenner erforderlich wäre. 


(a) Auch bier treffen Nüdfichten auf die Berforgung des Volkes und auf 
die Bewahrung der Landwirthfchaft vor nachtbeiligen Anordnungen ji 
fammen, $. 121. — B. Weber, Staatswirthichafttl. Berfud über 
die Theuerung und Theuerungspoligei. Goͤtt. 1807. — de Tocque- 
ville, Recherches sur les moyens de prevenir le retour des crises 
en matiöre de subsistances. Paris, 1847. — Roſcher, a. Schrift 
Ueber Kornhandel und Theuerungspolitif. 


(5) Elsner, II, 239. — Wo leichtere und ſchwerere Bodenarten ziemlich 
gleichmäßig neben einander vorfommen, da ift ſchon die Gefahr viel 
jeringer, indem bei großer Dürre noch die letzteren, bei großer Näfle 
noch jene einigen Ertrag geben. Die naflen Jahre mie 1816 u. 1617 
find die verberblihften, weshalb ber fleißigere Anbau des Sandbodens 
von vorzüglicher Nüßlichkeit if. 

(e) 3. 3. bei Röffig, Theuerungspolizei, Leipzig, 1802. 

(4) In Frankreich find im Laufe mehrerer Sahrhunderte folche Mittel bei 
Theuerungen angewendet worden, Dictionn. de l’&con. polit. a. a. D. 
Am 4. Mai 1792 wurde ein Marimum des Getrerdepreifes feitgeleht, 
welches anfänglih aus dem Durchfchnitte des Preiſes der vier erflen 
Monate diefes Jahres befand, dann monatlich niedriger werben follte. 
Auch am 8. Mai 1512 wurde ein Marimum vorgeichrieben. — In 
Theuerungszeiten bat man nicht felten Maaßregeln angeordnet, Die 
man felbft nicht für zwedmäßig bielt, blos um die aufgeregten &emüther 
zu beruhigen. @s ıft verfucht worben, bie Kunflarife durch welche 
habfüchtige Getreidehaͤndler den Preis fleigern wollen, mit Verboten 
zu verhuͤten, z. B. das Verbreiten falſcher Nachrichten zu jenem Imede, 
das Angeben fulfcher Preife, das Adfchliegen von heimlichen Käufen’® 
vor Anfang des Marktes fowie von Differenzengefhäften in der Form 
eines Kaufes, das Weberbieten des von dem Berkäufer felbft geforberten 
Preifes ıc. Bair. B. v. 30. Aug. 1857. 

(e) Gin Ausfuhrverbot if zugleich eine Härte gegen ſolche Nachbarländer, 
bei denen der Ueberfluß in befferen Jahren willtommenen Abfap findet. 


— 19 — 


$. 140. 


Demnad bleiben vorzüglich folgende Maaßregeln übrig: 

1) Die Regierung muß bei der Vermuthung einer Miß- 
ernte zeitig genaue Nachrichten über den Getreibeertrag in den 
verjchiedenen Randestheilen einziehen (a), um daraus mit Ruͤck⸗ 
fit auf den Ueberreft von früheren Jahren zu beurtheilen, ob 
eine Zufuhr von außen nöthig fein werde. 

2) Erſcheint eine Einfuhr ald Beduͤrfniß, fo ift es nöthig, 
das Fehlende bald, wo möglich noch vor Winter, auf die wohls 
feitfte Weife anzufaufen und herbeizuführen, wozu geräufchlofe 
Einkäufe in einer für dad Angebot des Einfaufsplages nicht 
unverbältnigmäßigen Menge zu empfehlen find. Es ift am 
einfachften, wenn bieß durch Getreidehändler auf eigene Rech» 
nung geſchieht. If aber die Gefahr dringend und die Zeit 
koſtbar, fo daß die Regierung felbft für diefe Anfchaffung forgen 
zu müflen glaubt, fo wird biefelbe am vortheilhafteften durch 
vertraute inländifche Kaufleute ausgeführt, Die man dazu bevolls 
mächtigt. Weniger zwedmäßig find Anfäufe der einzelnen 
Gemeinden, wobei auch eher ein Preidauffchlag wegen ber 
Vermuthung eined ftärferen Begehres zu fürchten ift (d). Die 
erfauften Vorräthe werben dann nach und nad) um ben Koftens 
betrag oder nad) den Umftänden auch mit Berluft an bie 
Bäder abgegeben, mit benen ein entfprechender Brodpreis vers 
abrebet wird. 

3) Den dürftigen Bamilien, 3. B. den Lohnarbeitern ift es 
beſonders wohlthätig, wenn ihnen aus den von der Regierung 
angeihhafften Kornvorräthen Brod zu einem niedrigen Preiſe 
verihafft wird. 

4) Die Fleineren Landwirthe, welche fich wegen ber Aus- 
faat von Sommergetreide und von Stedfartoffeln in Verlegen 
beit befinden, werden durch einen Vorſchuß von Getreide bis 
zur Ernte unterftüst. Zugleich follte in foldyen Jahren auf 
ſparſameres Berfahren bei ber Ausfaat hingewirft werben (c). 

5) Man ſucht den Rahrungsbebarf durch Berbefferungen 
im Mahlen und Baden zu vermindern (d) und neben ben 
gewöhnlichen noch andere Nährftoffe zu Hülfe zu nehmen (e). 


— 30 — 


feilheit jener Stoffe nicht aus jener allgemeinen Urfache (a), 
fondern aus befonderen Berbältniffen im Landbau zu erklären; 
ed kann das Angebot burd eine Reihe guter Ernten, fowie 
durch die vorausgegangene Erweiterung und Bervollfommnung 
bed Feldbaues ober die erleichterte Einfuhr vergrößert, zugleich 
aud die Nachfrage wegen der Abneigung gegen ben Getreide, 
handel oder wegen bed gehemmten Abſatzes nach anderen Län; 
bern vermindert worden fein (5). Iened Mißverhältnig zwiſchen 
ben Fruchtpreifen und den Koften des Anbaues fowie den 
Preiſen der anderen Güter kann jedoch nicht lange fortdauern 
(I, 8. 168), weil . 

1) die Wohlfeilheit der Lebensmittel eine ftärfere Zunahıne 
ber Volksmenge und damit zugleich einen ftärferen Begehr ber 
erfteren nad) fich zieht (ce), 

2) die Landwirthe fi durch Verbeſſerungen und Wechſel 
ber Betriebsart zu helfen fuchen, $. 131. 3), 


3) der Arbeitölohn (I, 8. 199) fowie die Preife anderer 
inländifcher Güter nach und nach herabgehen, bis das Gleich; 
gewicht wieder hergeftellt ift, endlich auch 

4) Mißjahre in dem einen ober anderen Rande fowie andere 
Urſachen einer Preiserhöhung nicht ausbleiben koͤnnen. 


(a) Die Wohffeilheit der 18207 Jahre wird von ®r. von Soben, 
v. Bülow: Cummerow, v. Seutter u. A. hieraus abgeleitet. 
Nach der Meinung bes Lepten (S. 22) hätte die Geldmenge in Deutſch⸗ 
land abgenommen unb der Ueberreſt zugleih an Werth (Preis) ver: 
Ioren! Es ift zwar mwahrfcheinlih, daß im jenem Zeitraume bie Ber: 
minderung der europäifhen @eldmenge eine allgemeine Wohlfeilbeit 
hervorgebracht hat (I, 8. 171. 277a), allein bei dem Getreide müflen 
noch befondere Urfachen mitgewirkt haben, da baffelbe flärfer im Pretie 
gefunfen war, als andere Dinge. — Alle Gründe, welche blos auf die 
wirtbfchaftlichen Verhältniffe Deutſchlands paflen, ericheinen wegen ber 
Allgemeinheit jenes Uebelftandes ale unzureichend zur Erflärung. 


(5) In dem Seitraum von 1820—30 war zu den fruchtbaren Jahren und 
den Wirfungen einer großen Zunahme des wefteuropäifchen Sant: 
baues das Angebot des fübrufflichen Getreides hinzugefommen. — Der 
Kartoffelbau hatte in mehreren Ländern den Getreidebedarf vermindert 
(I, $. 192), doch war dieß nur eine Nebenurfache, bie im füblichen 
Buropa ganz wegflel (Dagegen Zimmermann, a. a. D.). 


(e) Wenn Deutfchland fährlih 34 Proc. Volfsvermehrung hat, fo macht 
dieß, zu 7 Sch. auf ben Kopf, einen neuen Begehr von 23Mil. Sch. 
wozu gegen 327000 pr. Morgen Getreidefeld oder ungefähr die doppelte 
Flache von Ader und Wieſe erforberlih find. 


— 301 — 


$. 143. 


Die Regierung vermag weder die Preife der Dinge zu 
beherrichen, noch einzelne Clafien von Gewerbtreibenden bei 
ten häufigen Preisveränderungen vor Berluften zu bewahren, 
kann aljo bei einer großen Wohlfeilheit nur darauf binwirfen, 
daß jene natürlichen Gegenwirkungen ($. 142) befördert und 
die Uebelſtaͤnde des Augenblidd gemildert werben. 

1) Die Anlegung von Magazinen verbient zwar Ermun⸗ 
trung, inbeß fann fie nur auf kurze Zeit die Preiſe heben, bis 
die Magazine gefüllt find. 

2) Es ift nöthig auf Erweiterung des Abfapgebietes Bes 
taht zu nehmen, um den am meiften leidenden Gegenden 
behülflich zu fein, 3. B. durch Verbeflerung der Land» und 
Vaſſerſtraßen und Befeitigung der von dem Gebrauche ders 
len zu entricytenden Abgaben. 

d) Die auf die Grundeigenthümer und Landwirthe gelegten 
öfentlichen Laften müflen in richtigem Verhältniß zu dem vers. 
minderten Einfommen berfelben ermäßigt, und dafür die Leis 
Rungen ber anberen, von ben Umftänden mehr begünftigten 
Elaffien vermehrt werben (a). | 


(c) Ginkweilige Verminderung der Grundſteuer, Nachlaß von verfchiebenen 
Staatsabgaben ꝛc. | 


V. Belehrung und Ermunterung. 


$. 144. 


Ein großer Theil der Lanbwirthe betreibt ihr Gewerbe in 
ber hergebrachten Weife, ohne auf Fortfchritte bedacht zu fein, und 
das übliche Verfahren ſowie die Befchaffenheit der dabei ange 
endeten Huͤlfsmittel ift häufig noch ſehr mangelhaft (a). Es 
Acht daher der Regierung ein weites Feld offen, um ohne 
Zwang großen Erfolg zu bewirken, indem ſie die Kenntniß des 
vortbeifhafteften Berfahrene und die Ueberzeugung von ber 
Güte deffelben den einzelnen Landwirthen nahe bringt. Wenn 
fh das Nachdenken über die Gründe ber Verrichtungen, bie 


— 30 — 


genaue Beachtung örtlicher Umftände und manchfaltige Kennt 
niffe mehr und mehr verbreiten, fo läßt fidy eine große Steige 
rung ded Bobdenertragd erwarten, die fowohl zum Unterhalte 
der anwachſenden Volksmenge als zur Bereicherung der Land 
wirthe dient. Werden Cinrichtungen für jenen Zwed ſchon 
von Einzelnen oder von Privatvereinen gegründet, fo hat die 
Regierung nur dazu beizutragen, daß fie bie größte Wirkfamfeit 
erlangen, fonft gehört die Sorge für biefe Belehrung unter bie 
Aufgaben der Regierung. Die landwirthſchaftlichen Verrich⸗ 
tungen und Erfcheinungen find in dem jegigen Jahrhunderte 
mit dem Beiftande der Raturwiffenfchaften fo gruͤndlich erforfcht 
und auf allgemeine Grundfäge zurüdgeführt worden, daß dad 
frühere Mißtrauen gegen die wiflenichaftliche Behandlung dieſes 
Gewerbes fi mehr und mehr verliert. Ein geordneter 
Unterricht eines Theile der Landwirthe ift ein fehr wirk 
fames Mittel, den Betrieb dieſes Gewerbes auf eine höhere 
Stufe zu erheben, während die durch bloße Einübung auf einem 
Landgute erworbene Gefchidlichkeit in vielen Fällen mangelhaft 
bleibt. Diefer Unterricht Außert feinen nützlichen Einfluß nidt 
blos bei denjenigen, die ihn genofien haben, ſondern durch 
Beifpiel, Rat und Beiftand berfelben allmälig in weiterem 
Kreife der Landwirthe. 


(a) Selbſt in England ift von Caird (1851) noch viel Fehlerhaftes 
wahrgenommen worben. 


$. 145. 


Es giebt verfchiedene Arten des landwirthfchaftlichen Unter 
richtö je nad) dem Bildungsgrade und der Stellung berjenigen 
Perſonen, für bie er beftimmt ift (a). 

1) Xehrvorträge-auf Univerfitäten geben zwar ge 
wöhnlich eine auf die Hauptgegenftände befchränfte Kenntniß, 
auch laſſen fihb im Hörfaale Feine eigenen Mebungen ber 
Schüler und weniger Anfchauungen veranftalten, als auf 
einem Landgute, dagegen findet fi) dort eine vorzüglich gule 
Gelegenheit zur Erlernung der Hülfswiflenfchaftn. Dieſes 
Unterrichtömittel iſt zunächft zur Vorbereitung für alle Claſſen 
von Staatsbeamten beftimmt, die in ihrem Wirkungsfreife mit 


— 35 — 


ber Landwirtbfchaft in Berührung kommen, leiftet jedoch auch 
für die wiflenfhaftlidhe Bildung ausübender Landwirthe gute 
Dienfte, beſonders da die fegteren auf der Hochſchule ſich auch 
mit verfhiedenen anderen ®ebieten des Wiſſens befannt machen 
finnen. Der Nutzen ſolcher Borträge für beide Claſſen von 
Schülern iſt durch die Erfahrung hinreichend dargethan (5). 
Ber die allgemeinen Orundfäge und die Hülfslehren erlernt 
bat, kann die ihm noch fehlende Anſchaulichkeit, Bolftänpigfeit 
des Wiffend und eigene Uebung fidy leichter erwerben, und 
diefer Unterricht nügt audy denen, bie mit der Ausübung bes 
Betriebed fchon befannt find. Auf polytechnifchen Schulen läßt 
Ad bie nämliche Einrichtung treffen (c). 

2) Eigene Landwirthſchaftsſchulen, in denen eine 
wöführlihe Unterweifung gegeben und dazu ein wohl eins 
gerichtetes Landgut benutzt wird. Es laſſen fi) drei Glafien 
unterſcheiden: 

a) Höhere Schulen mit einem ganz wiſſenſchaftlichen 
Unterrichte, fogenannte landwirthfchaftliche Inflitute 
der Academieen. Diefe find zwar, wie man neuerlich ans 
aıfennt, nicht im Stande, den Zöglingen zugleich volle Uebung 
md Geſchicklichkeit zu geben (d), indefien haben fie doch ſchon 
ſeht viel Gutes geleiftet, indem fie Landwirthe, die größere 
Güter bewirchfchaften wollen, zu einem rationellen Berfahren 
anleiten (e). Die Regeln des beften Betriebes werden hier 
ausführlich und mit ihrer Begründung durch Raturwiflenfchaften 
und Mathematif entwidelt, zugleich aber wird Anfchauung ber 
Gegenſtaͤnde und Verrichtungen und Gelegenheit gegeben, ſich 
nit den Berbältnifien eines wohlgeorbneten Landgutes vertraut 
m machen. Weil jedoch biefes nothwendig auf gegebene oͤrt⸗ 
lihe Berhältniffe berechnet fein muß und aljo nicht vielfeitig 
genug if, fo erfordert die Vollſtaͤndigkeit, daß auch folde 
Segenftände, Methoden ıc. gezeigt werben, welche in anderen 
Umgebungen Nupen gewähren. Hiezu dienen Bärten, Verſuchs⸗ 
klder, Modells und Raturalienfammlungen, mandfaltige Vieh— 
taflen, Gewerfsanftalten und bgl., weshalb ſolche Anftalten 
ziemlich koſtbar find (4). Forſtſchulen von ähnlicher Beftims 
mung müflen vom Staate in waldreichen Gegenden angelegt 
werben (g). 


— 30 — 


b) Mittlere Landwirthfhaftsfhulen für folde 
Zöglinge, die auf mittleren ober Eleineren Gütern an den 
Arbeiten felbft theilnehmen ſollen und für deren Vorbereitung 
ein Linterriht in den Regeln bes beften Betriebes in einer 
minder ftreng wiflenfchaftlichen Form und mit einem geringeren 
Maaße von Hülfsfenntniffen genügt. Solche Anftalten find 
vorzügli für den wohlhabenden Bauernftand berechnet. Sie 
erfordern nicht eine fo reiche Ausftattung wie bie bei a) ge 
nannten (A). 

c) Niedere Landwirthfchaftsfchulen, unrichtig Aders 
baufhulen genannt (i), in benen ber Xehrunterricht fehr 
abgekürzt ift, bie Zöglinge aber zugleich zur Arbeit im Selbe 
und Hofe angehalten, an Fleiß und Ordnung gewöhnt und in 
allen Verrichtungen genau eingeübt werben. Deßhalb ift ein 
längerer Aufenthalt nöthig als in den mittleren Schulen und 
jede Anftalt fann nur eine gewifle Anzahl von Schülern be 
fhäftigen. Hier werben Kleine, felbftarbeitende Landwirthe, 
ferner Gutsaufſeher, Oberfnechte ꝛc. gebildet. Wegen ber Eleinen 
zuläffigen Schülerzahl find mehrere ſolcher Schulen erforderlich 
und die Erfahrung zeigt, daß fie auch gut als Privatunters 
nehmungen mit einer Staatöunterflügßung zu Stande gebradt 
werden Fönnen (k). Als Staatsanftalten verurfachen fie mehr 
Koften, doch ift der Unterfchieb geringer, wenn ber Borftand 
zugleich Bachter ift, ald wenn bie Bewirthfchaftung auf Staate- 
rechnung geſchieht. Kreipläge auf Staatöfoften machen ed moͤg⸗ 
lich, daß unbegüterte Schüler theilnehmen (2). 

3) Auch die Bolfsfhulen auf den Lande können für 
biefen Zweck benußt werben, indem 3. B. ber Unterricht in ber 
Raturgefchichte und Raturlehre vorzugsweife auf Gegenflände 
der Landwirthſchaft gerichtet wird. Die älteren Knaben werben 
auch mit Nutzen in den fog. Bortbilbungsfchulen mit den wich⸗ 
tigften Regeln bed Betriebes befannt gemacht (m). 

4) Fuͤr einzelne, der Emporbringung vorzüglich bebürfenbe 
Gewerbözweige find befondere Flachsbau⸗ Wiefendaus, Gärtner 
und Schäfer-Schulen ıc. nuͤtzlich (n). 

5) Unterftügungen für einzelne fähige junge Landwirthe, 
um folche Gegenden zu befuchen, wo fie viel Lehrreiches zu 
fehen haben, 3. B. Belgien, oder um fie einige Zeit auf einer 


— 305 — 


Muſterwirthſchaft (9. 147) arbeiten zu laflen, find empfehlens- 
werth. 

6) Leichtfaßliche, fuͤr den Bauernſtand berechnete Schriften 
und Aufſätze können eine ſehr wirkſame Anregung zum Fort⸗ 
ſchreiten geben, vgl. 8. 146. 


(3) Die Meinungen über die beſte Einrichtung dieſes Unterrichtes find noch 
ſehr verfchieten, wie es 3. DB. die Berhandlungen des franzöflichen 
Gentral = Eongrefles Ki en, 1844 ©. 53, 1850 ©. 230. 271. — 
Vabſt, Ueber die Bildung zum Landwirthe. Stuttgart, 1829. — 
Elsner, Die Bildung des Landwirthes. 1838. — Löbe, Die landw. 
Echranftalten Guropas. Stuttgart, 1849. 


(6) Befonters in Deutfdland, wo die Landwirtbfchaftslehre anfangs mit 
ter Botanik verbunten, dann (feit 1727) als Beflandtheil der Kameral: 
wiſſenſchaft ein Lehrgegenfland war. Die deutichen Verwaltungs⸗ 
Beamten zeichnen ſich unter anderen durch privatwirthichaftliche Kennt: 
niffe vor denen des Auslandes aus und haben zur Emporhebung ber 
Landwirthichaft viel beigetragen. Die Wirkfamfeit eines Beckmann 
(Böttingen), Kar ſten (Roftod), Jordan (Wien), Burger (Klagen: 
furt), Weber (Breslau), Schulze (Iena), Sturm (Iena, Bonn), 
Geier (Würzburg), Lowe (Gdinburg) u. A. ift fehr fruchtbar ge⸗ 
wien. Ss ift auch feiht, dem Unterrichte mehr Ausführlichfeit und 
rraftifhe Richtung zu geben, wenn dem dafür angeftellten Lehrer die 
erforderlichen Hülfemittel verfchafft werden. Hanssen, Agriculturae 
doetrina cathedris universitatum vindicata. Altonae, 1832. 4°, 


Braunfchweig, Prag, Wien, Brünn, Kralau, Ofen, Chemnitz, das 
conservatoire des arts et mötiers in Paris, mehrere Gewerbichulen in 
Sadfen, Iohanneum in Grab. 


(d) Das befte Mittel hiezu ift der Aufenthalt bei einem guten Landwirthe, 
ter nur einige Zöglinge hat und fie daher zu allen Berrichtungen an: 
leiten und mit tem ganzen Zufammenhange der Wirthihaft befannt 
machen kann. Nach diefer Art der Erlernung ift aber immer noch ber 
Beſuch einer Lehranftalt zur gründlichen Ausbildung zu empfehlen. 


le 


— 


(e 


— 


Die drei erſten im Anfang des 19. Jahrhunderts gegründeten Anſtalten 
fifteten A. Thaer zu Mögelin bei Breienwalde (Prov. Brandenburg) 
im Jahre 1804. @. v. Fellenberg zu Hofwyl bei Bern und Graf 
Feſteticz zu Keßthelyg in Ungarn. Die erſie derſelben beileht noch. 
Preußen hat an ſolchen Schulen die fog. Ncademieen des Landbaus zu 
Mögelin (Privatanftalt) und Eldena bei Greifswald (Teit 1835), die 
höhere Lehranftalt zu Poppelsdorf bei Bonn (1847), beide leßtere mit 
ten nahen Univerfitäten in Verbindung, Prosfau in Schlefien (1847), 
Raldau in der Provinz Preußen, Regenwalde in Pommern (Privat: 
anftalt). — Oeſterreich: k. Lehranſtalt zu Altenburg in Ungarn (1849). — 
K. ſaͤchſ. Lehranftalt zu Tharand, Privatanitalt zu Lügichena, k. würt. 
zu HSobenheim (1818), k. baierifche zu Weihenſtephan (früher in Schleiß⸗ 
heim). — Die Anftalten in Sena und Göttingen find mit beiden 
Univerfitäten verbunden; hannov. Staatslehranftalt zu Gbſtorf. — 
Ueber Hohenheim f. Die E. würtemb. Lehranflalt für Land: und Forſt⸗ 
wirthfhaft in H. Stuttg. 1842. (9. hat 999 M. Land, welches 
Staatsgut it. Hievon bilden jetzt 824 M. die Flaͤche der eigentlichen 
Gutswirthichaft. Der im Staatsvoranfchlage enthaltene Aufwand für 
tiefe Anflalt war für 1958/61 10532 fl., mozu die Lehrgelder der 
Rau, volit. Oefon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 20 


— 1306 — 


Etubirenden fommen.) — Baumftarf, Ueber flaats: und Iandw. 
Afademieen. Greifew. 1829. — Heinrich, Ueber Zweck und Wirk: 
famfeit landw. Lehrinftitute, Breslau, 1847. — Hartflein, lebe 
Zweck und Ginrihtung höherer landw. Lehranftalten, Bonn, 1552. 
(Enthält auch eine Befchreibung von Boppelsdorf.) — Ueberfiht der 
landw. Unterridtsanftalten in Deutfhland, Mentzel und Luͤders⸗ 
dorff, Landw. Kalender, 1829. II, 273. — Frh. v. Liebig hat 
wiederholt gegen die Anftalten diefer Art einen ſcharfen Tadel auege⸗ 
fprohen (Augsb. allg. Zeitung 1861. Nr. 88 Beil.), der durd tie 
Erfahrung widerlegt wird. Aus jenen Anftalten find fehr viele var: 
g liche Landwirte hervorgegangen und die von jenen gegen mandt 
ehrfäge Liebig's im Gebiete der Tandwirthfchaftlichen Ghemie er⸗ 
hobenen Zweifel find der tieferen Ergruͤndung des Gegenſtandes für: 
derlich. — Eirencefter in England (Grafſch. Gloceſter, Privatanſtalt). — 
Grignon bei Berfaillee (1827, Unternehmen einer Actiengeſellſchaft). 
(Borher war die Thierarzneiihule zu Alfort bei Paris die einzige 
telle in Frankreich, wo man Landwirtbfchaft lehrte.) Im I. 1845 
wurbe beichlofien, in jedem der nah landw. Verhältniffen abzutheilen⸗ 
den Bezirfe von Frankreich (hoͤchſtens 20) eine Lchranftalt (Ecole 
regionale) zu errichten, ferner eine ſehr vollfländige Hauptlehranflalt 
zu Berfaillee. Diefe wurde durh V. vom 17. Sept. 1852 miete 
aufgehoben. — Gentral:Landw. Schule in Aranjuez, feit 1856. — 
Lehranftalt zu Marimont bei Warfchau. 


([/) Hohenheim hat aud verfhiedene Gewerksanſtalten, nämlich eine Yakrit 


(9) 
(A) 


(i) 


(X) 


(2) 


von Ndergeräthen, eine Runftmühle, Branntweinbrennerei, Brauerei, 
Nübenzuder: und Kartoffelſtaͤrke-Fabrik, Sffigfiederei, Seitenhaspelung. 


3. 3. Dreißigader bei Meiningen, Tharand bei Dresden, Neuflatt: 
Eberswalde, Sobenbeim, Nancy 1824. 


Die Bränge zwwifchen biefen und ben höheren Schulen if zwar nict 
leicht zu beflimmen, weil es Webergänge zwiichen beiden giebt, teb 
muß man eine folde Mittelclafie anerkennen, zu welder z. 9. vie 
8 Staatsanflalten diefer Art (Scoles moyennes d’agric.) in Belgien 
gehören, wovon A mit Gymnafien oder Gewerbsſchulen verbunden ent 
Rspport sur l’organisation de l’enseignement industriel en Belgique. 
1852, ©. 86. 188. — Lehranftalt zu Wiesbaden, Landwirthſchafte- 
und Gewerbsfchulen in den 8 baierifchen Kreisftädten sc. Hier if 
auch ſchon eine na lährige Lehrzeit (im Winter, wie in Wieshaten) 
nüglih. — Vorſchlag, durch reifende Lehrer an verfchiedenen Orten 
Unterriht geben zu laflen, Bonnet in Congres central, 1844, ©. 53. 


Unridhtig, weil mehr als bloßer Aderbau gelehrt wird und dieſer Rame 
das Unterfcheidende dieſer Anftalten nicht ausdrückt. Man Tönnte fie, 
um die Bitelfeit zu fchonen, Schulen dritter Claſſe oder landw. Arbeits 
ſchulen, Lehrgüter sc. nennen, fermes- &coles in Frankreich. 


Für diefe Einrichtung preuß. Gongreßberidt, I, 67. In Preußen fin 
es lauter Privatanftalten, die vom „Staale einen Zufchuß erhalten. 
Es waren im Jahre 1859 deren 21 vorhanden. Der Staat verwente 
überhaupt 20000 Rihlr. auf diefe u. a. niedere landw. Schulen. — 
Bier folche Scoles pratiques in Belgien, wu der Staat die Lehrer unt 
ben Unterhalt der Schüler bezahlt. Die Schule zu Haine:St. Pierre 
(wo fid eine Maſchinenfabrik befindet) ift zum Unterricht in ter Be: 
fertigung von landw. Geräthen beftimmt, ang. Rapport, S. 193. 


Hohenheim hat zugleich eine niedere Lchranftalt, worin 25 junge Leute 
zu Unterverwaltern, Aufſehern und zum bäuerlichen Betriebe vorbereitet 
werden. Hier ift praktiſche Cinuͤbung die Hauptfache, doch findet auch 











— 807 — 


Lehrunterricht ſtatt. Diele ſogenannten „Landbaumänner“ find 
theils unenigeldlich aufgenommen, theils bezahlen fie für dreijährigen 
Aufenthalt 100 fl. Da fie für ihre Arbeiten einen Tagelohn, manche 
andere Beihülfe und bei gutem Berhalten eine Jahresprämie erhalten, 
io fönnen fle zur Roth ohne Zufhuß beflehen. Der baare Aufwand 
ift gegen 1900 fl., wovon etwa 400 fl. als Lehrgeld abgehen, f. die 
in (e) genannte Schrift: Die k. w. Lehranftalt gebenkeim, ©. 69. 
Vgl. v. Wedherlin in v. Lengerke's Amtl. Bericht über die Ber: 
fommlung bdeutfcher Land» und Forfiwirthe zu Potsdam, ©. 81. — 
Die guten Wirkungen diefer Schule ernmunterten im Jahre 1842 zur 
Gründung zweier anteren Schulen ähnlicher Art zu Ellwangen und 
Ochſenhauſen, Tyäter kam noch eine vierte in Kirchberg hinzu. Die 

linge (10 bei jeder Schule) zahlen Fein Lehrgeld und erhalten Die 
Kot für ihre Arbeit. Der Borficher erhält Beſoldung und freie Woh⸗ 
nung, ift aber zugleich PBachter der zugehörigen Domäne. Die übrigen 

aben von 1600 fl. für Ellwangen und Ochfenhaufen beftreitet eine 
Stiftung; DB. v. 28. Mai 1842, die Staatscafle fchießt 1858/61 für 
die drei letztgenannten Schulen noch 5825 fl. zu. — Großh. badiſche 
Aderbaufchule Hochburg bei Emmendingen (Öberrheinfreis), Geſetz 
v. 22., Berfügung v. 24. April 1846. Verordnung v. 4. Oct. 1859. 
Feſtſchriſt für die XXL Berfammi. der d. Lantwirthe S. 124. Der 
Unterricht nimmt im Winter, die Uebungsarbeit iim Sommer mehr 
Zeit hinweg. Die Zöglinge bezahlen im 1. Jahr 178, im 2. 109 fl., 
Dürftige, wenn würdig, erhalten aber 40 fl. Nachlaß. Das Gut hat 
332 Morgen. — Empfehlung ter fermes- &coles in Frankreich, B. vom 
23. Zuli 1847. Im Jahr 1848 waren deren fchon 25 vorhanden. — 
Rütti bei Hofwyl (Bern, Priv.). — Schöppenftadt in Braunfchmeig, 
Srauenbreitungen in Meiningen, Trutfch in Böhmen, fämmtlih Priv. — 
Bemerkungen gegen die Aderbaufchulen wegen ihrer Koftbarkeit bei 
Zeller, Bildung des Bauernftandes, 1850, ©. 22. 


(m) Die Erfahrung lehrt, daß die gut unterrichteten Zöglinge ſolcher 


— 


Schulen auch anregend auf ihre Aeltern wirken. Sollte aber dieſe 
Anleitung allgemein werden, fo müßten die Volkeſchullehrer beſonders 
dazu vorbereitet werden. Bol. preuß. Gongreßberiht, I, 47. 473. 
U, 140. 416. — Die auf der XXL Berfammlung der deutſchen Land⸗ 
wirthe zu Heidelberg (1860) abgelente Probe bewies anfchaulich die 
Möglichkeit eines guten landw. Unterrichts durch Volksſchullehrer, 
Amil. Brit S. 131. 


8. Gärtnerſchule zu Schöneberg bei Berlin, 27. Sept. 1823. Drei 
Claſſen: 1) Gemeine Gärtner, 2) Kunfigärtner, welche außer den 
Unterrihtsgegenftänden der erften auch die Treibhäufer und dergl. be: 
handeln lernen, 3) Gartenkuͤnſtler, botanifch und äfthetifch weiter aus⸗ 
gebildet. Außerdem find im preuß. Staat noch 3 Bärtner:, 1 Flachsbau⸗, 
6 Wiefenbau:, 1 Barden: und Krappbau⸗, 1 Schäfer:, I Bienen:Schulen. 
Gartenbaufchule in Karlsruhe feit 1853, ang. Feſtſchrift S. 132. — 
Borfhlag einer Schule für Rebbau und Weinbehandlung, Goͤriz in 
Staatswifl. Zeitichr. 1851. S. 666. 


$. ‘146. 


Landwirthſchaftliche Vereine haben fich längft fehr 
wirfiam erwiefen, dieß Gewerbe zu befördern, beſonders wenn 


fe, wie die neueren Vereine mehrerer Staaten, ſich über das 
20* 


— 308 — 


ganze Land erfireden (a). Sie gedeihen am beften als freie 
Privatanftalten, ohne Täftige Beengung, aber von der Regie 
rung unterflüßt. Zu ihrem Wirkungsfreife gehören Berathungen 
über Verbefferungen im Gewerböbetriebe, — Beranftaltung von 
Berfuchen (6), — Herausgabe von Zeitfehriften, die theild 
für wiffenfchaftlich gebildete, theils für kleinere Landwirthe bes 
ftimmt fein fönnen, nur aber nicht beide Beftimmungen gut 
mit einander verbinden laflen, ferner von gemeinfaßlichen Unter: 
rihtsbüchern (c), — Ankündigung und Ertheilung von Preiſen 
für gewiffe gemeinnügige Unternehmungen, — Befprechungen 
-über landwirthfchaftliche Gegenftände, zu denen viele Landwirthe 
beigegogen werden, zum Ausdtaufche von Erfahrungen und zur 
Belehrung, — Ausftelung von Bobdenerzeugniffen, Vieh, Ge: 
räthen, Mafchinen ıc. — Anſchaffung von Hülfsimitteln zum 
Gebrauche der Mitglieder, als Baum⸗ und Rebfchulen, Bücher, 
Modelle, Geräthe, Sämereien, Samunlungen von Bodenarten, — 
Sammlung und Zufammenftellung von Nachrichten zur Landes⸗ 
funde in landwirtbfchaftlicher Hinficht und dgl. Die Mittel 
fließen aus ben jährlichen Beiträgen der Vereinsmitglieder und 
aus einem Zufchuffe der Staatdcaffe. Diefe benußt die Vereine 
zur Einholung von Gutachten, geftattet ihnen auch Vorſchlaͤge 
zu Maaßregeln im Gebiete der Geſetzgebung und Verwaltung 
zu maden. Ein folder Verein vermag am imeiften zu nügen, 


wenn er eine zwedmäßige Verzweigung hat, fo daß feine Grund: 


lage aus Bezirks⸗ oder felbft Drtövereinen befteht, deren Mit: 
glieder fich leicht öfters verfammeln fönnen. Hier erhalten 
viele Landwirthe eine Anregung und die örtlichen Verhaͤltniſſe 
werden am beften berüdfichtig.. Da jedoch die Vereine Heiner 
Bezirke zum Theil nicht genug vielfeitig und gründlich gebildete 
Landwirthe unter ihren Mitgliedern zählen können, fo ift ed 


rathfam, daß Abgeordnete dieſer Bereine in einem größeren 


Landestheile zufammentreten, wodurch alfo Kreis⸗ oder Provin: 


cialvereine entftehen. In diefen findet ſich nicht nur mehr Ein 


ficht und Umſicht verfammelt,, fondern es iſt auch möglic, 
mehr Hülfsanftalten der oben erwähnten Art zu Stande zu 
bringen. Bon der Größe des Landes wirb ed abhängen, ob 
die Provincialvereine durch gewählte Vertreter fich wieder zu 
einem allgemeinen Landesverein an einander fchließen ober ſelbſt⸗ 





fändig bleiben (d). Im erften Balle wird ber oberfte Vereins⸗ 
ausſchuß mit der oberften volfswirthfchaftlichen Staatsbehoͤrde 
oder bein Landwirthſchaftsrathe ($. 45 Nr. 2.) in Verbindung 
gefegt. Er bedarf zur fortdauernden Beforgung ber Gefchäfte 
eined angeftellten Perfonald. Soweit ein Tandwirthichaftlicher 
Berein aus Staatömitteln unterftügt wird, ift eine Mitwirkung 
ed betreffenden Minifteriumd angemeflen, um für gute Ber 
waltung jener Summe zu forgen (e). Auch Bereine für eins 
jene Zweige der Landwirthſchaft verbienen Begünftigung (f). 


() v. Bededorff inv. Lengerfe, Ann. I, 221. — Preuß. Congreß⸗ 
bericht, I, 34. 1I, 289. — Großbritanien und Frankreich haben Fon 
länger viele folche Vereine, worunter die 1761 geftiftete Sociéto royale 
d’agriculture zu Purid. Die Royal society of agrieulture in England 
Bat überaus viel geleiftet. — Werk ber älteren beutfchen Geſell⸗ 
fchaften in Beckmann, Landwirthichaft, 6. 10. — Neuere, mit den 
Regierungen in lee Verbindung ſtehend: landw. Verein in Baiern, 
9. Det. 1810, maͤhriſch-ſchleſ. Gel. 29. Aug. 1811, Wiener landw. 
Gel. (Statuten v. 18. Juni 1812), würtemb. landw. Berein, 30. Suni 
1817, fleiermärf. Geſ., v. Febr. 1819 (mit 25 zugehörigen Filial⸗ 
vereinen), badiſcher landw. Verein, 1. Aug. 1819, furheffifcer 29. Juni 
1821, Gef. zu Goͤrz, 9. Nov. 1825 sc. — Im preuß. Staate zählte 
man 456 Bereine, worunter 11 für ganze Regierungsbezirfe und 
5 SProvincialvereine. In Oeſterreich befinden fih 12 ſelbſtſtaͤndige 
Hauptvereine in den Provinzen. In Baiern befteht ein Beneral-Eomits 
mit 8 Kreis: &omites, — in Sachlen 4 Kreisvereine mit einem gemein: 
ſchaftlichen Generaljerretär und 21 Zweigvereinen, — in Würtemberg 
62 Dberamtövereine, die fih zu 11 Gauvereinen verbunden haben, — 
im Großh. Heflen 3 Provincialvereine.. Baden hatte bis jebt nur 
Bezirke⸗ (Amts:) Vereine. — In Belgien find 69 Bezirksvereine 
(eomices agricoles), aus deren jedem ein Mitglied in dem landwirth⸗ 
ſchaftlichen Provincialrathe (commission provinc. d’agrie.) fit. Diefer 
verfammelt fih wenigftens zweimal jährlich. Jede Provincialcommiſſton 
ernennt 2 Mitglieder in den oberften Landw. Rath, conseil superieur 
d’sgrie. ($. 45 (e)). Außerdem 30 nicht in diefer Gliederung einge: 
fügte Iandw. Vereine. Situation de la Belg. IV, 3. Die Statuten 
der genannten öfterr. Bereine bei Schopf, I. Bd. 


Die Leipziger öfon. Gel. hat ein eigenes Verſuchsgut eingerichtet, auf 
welchem ein geſchickter Chemiker angeftellt if. 


Pabſt und Schweiger, Amtl. Bericht über die Verſammlung deut: 
fcher Landwirthe zu Dresden, 1838. ©. 44. 


() In Preußen, Sahfen und Großh. Heflen hat man es zweckmaͤßig ge: 
funden, daß jede Provinz einen felbfiftändigen Verein mit einem geſchaͤft⸗ 
leitenten Ausſchuffe bilde. In diefem Kalle ift jedoch eine Verbindung 
der Provineialvereine nöthig, die der oberfte Landwirthichaftsrath be: 
wirken fann. 


Die in einigen fübdeutfhen Staaten errichteten fog. landwirthſchaft⸗ 
lichen Gentralftellen find eigentlih Staatsbehörden zur Bejorgung 
genifier Theile der Landwirthichaftspflege, aber fe handeln zugleich als 

orſtaͤnde der Ianbwirthfchaftlihen Vereine, ohne von biefen hiezu 


(b 


— 


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—⸗ 


(e 


et 


—— 310 — 


gewählt zu fein. Sie haben demnach eine nicht gehörig geordnete 
oppelftellung, worunter die freie DBereinsthätigkeit leidet. Diefer 
Mebelftand würde befeitigt, wenn jene Stelle mit ben gewählten Ber: 
tretern der Vereine zuſammenwirkte. 


(I Schaafzüchter:, Bienen⸗, Garten⸗, Obft:, Rebbau⸗, Weinveredelunge: 
vereine ıC, 


g. 147. 


But eingerichtete und verwaltete Landgüter, auf denen bie 
Kunftregeln in ihrer Verwirklichung fichtbar werben, geben einen 
ftarfen Antrieb zur Nachahmung und vernögen in der Um- 
gegend die Landwirthfchaft auf eine höhere Stufe zu erheben. 
Es ift deßhalb nüglih, in foldyen Gegenden, wo bie Land: 
wirthſchaft noch am meiften zurüd ift, wo ed an gründlid ge 
bildeten wohlhabenden Landwirthen fehlt, Muftergüter anzu 
legen, welche Männern von erprobter Kenntniß und Geldhid 
lichfeit anvertraut werben (a). Der Anblick ded guten Erfolges 
verfhafft ben Verbeſſerungen bed Betriebes leichter Eingang, 
als der Unterricht, und zerftreut allmälig die Vorurtheile ber 
Landleute. Zu ſolchen Muftergütern könnnen Domänen benugt 
werben, es hat fich jedoch auch ausführbar gezeigt, für biefen 
Zwed Privatgüter zu benugen, beren Beſitzer eine Geldunter⸗ 
ftügung empfangen und in ihrer Wirthfchaftsführung unter eine 
Auffihtöcommiffton geftellt werben (b). 

Ein ber neueften Zeit angehörendes Hülfsmittel find bie 
fog. Berfuhsftationen, d. h. Landgüter, auf benen mit 
Hülfe von Männern, welche in ben Naturwifienfchaften ganz 
einheimifch find, Verſuche zur Erweiterung bed landwirthſchaft⸗ 
lichen Wiſſens angeftellt werden (c). Sie werben entweder 
von ber Regierung oder von Vereinen gegründet. 


(a) Ferme exemplaire zu Roville (Dep. Meurthe), unter der Bewirthſchaf⸗ 
tung von Math. de Dombasle (+ 1843), mit Hülfe einer Actıen: 
gefellichaft, welche ein Bapital von 45000 Fr. zufammenfchoß und das 

t für 6000 Fr. pachtete. (Bal. $. 98.) ftergüter von Rapo: 
leon IIL zu Vincennes und Fouilleufe. — Mufterwirtbfchaft bei Dala- 
manara in Griehenlant, auf einem Staatsgute, feit 1829. Revue encyel, 
März 1830. S. 751. — Kleine Muftergüter in Rußland, mit Zoͤg⸗ 
lingen ter Ackerbauſchulen befeßt, jedes Gut unter 1 Vorſteher und 
3—4 Gehülfen, die eine fechsjährige Lehrzeit befanden haben. Beyer, 
Allg. Zeit, für Land» und Hauswirthe, 1841. Ar. 31. 


(d) Dieg if im preuß. Staate gefhehen. In den Provinzen Preußen und 
Poſen waren 1859 73 bäuerlihe Mufterwirthichaften, von denen 12 in 





— 3ll — 


der Provinz Preußen ſoweit burhgeführt waren, daß fle keiner Aufficht 
mehr beburften. v. Lengerfe, Ann. XI, 5. Suppl. ©. 55. — 
Nentzel u. Bübersdorft, Landw. Galender 1859. II, 279. 


() 3. 8. demifche Unterfuhungen des Bodens, der Düngemittel und 
Futterſtoffe, Duͤnge⸗, und Yütterungsverfucdhe und dgl. 


Zweites Hauptflüd. 
Hilege einzelner Zweige des landwirthfchaftlichen Gewerbes. 


Einleitung. 


$. 148, 


Die frühere Unbeutlichkeit ded Begriffs von ‘Polizei ($. 6a) 
war die Urſache fchädlicher Mißgriffe. Wan unterfchieb nicht 
gehörig zwifchen den Gegenſtaͤnden ber eigentlichen ober Schutz⸗ 
polizei und der Volkswirthſchaftspflege. Bei jenen find zur 
Verhütung bebeutender Gefahren für Perfon oder Eigenthum 
viele Gebote und Verbote mit Strafandrohung nothwendig, 
während bei ben volföwirthfchaftlihen Zweden nach Hinweg⸗ 
raumung ber Hinderniffe dem Erwerböeifer freier Spielraum 
gelaffen werben fann und nur wenige Zwangsvorſchriften nöthig 
And. Zufolge der Vermengung beider Gebiete hat man oft 
ah die Vervollkommnung der Landwirthfchaft durch Befehle 
u erzwingen verfucht, die bei genauer Prüfung meiftens als 
unnöthig, oft auch fchäblich erfcheinen. In der fog. Feld⸗ 
rolizei finden fich noch bisweilen rein polizeiliche Vorfchriften 
mit anderen gemifcht, bie auf volföwirthichaftlichen Gründen 
beruhen und daher von ben erfteren ausgeſchieden werben 
ſollten. 


I. Feldbau. 


6. 148 a. 


Der Feldbau, d. 5. die Berbindung bed Nders und 
Wieſenbaues, wozu auch bie Behandlung der Weiden gehört, 
wenn biefelben vorhanden find, fleht in genauem Zuſammen⸗ 


— 312 — 


hange mit der Viehzucht (IV.), und beide zuſammen bilden 

die Hauptbeſchaͤftigung des eigentlich ſogenannten Landwirthes. 

Auf fie beziehen ſich zunaͤchſt die zur Verbeſſerung der land: 

wirthfhaftliden Gebäude und der Dorfwege, ferner zu 

Beförderung der Zurundungen ($. 98) zu treffenden Maaß— 

regeln. In Anfehung der Gebäude ift ed nüglich, daß Mufter 

einer zwedmäßigen und wohlfeilen Bauart mit Rüdficht auf 
die örtlichen Bebürfniffe jeder Gegend aufgeftelt und die Bau: 
meifter zur Ausführung derfelben ermuntert werden (a). Sind 
befondere Fehler in einer Gegend uͤblich, fo wird auf die Ver: 
meidung bderfelben bei Neubauten hingewirkt. KRegelmäßigfeit 
und Zierlichfeit bei landwirthfchaftlichen Bauten Fönnen zwar 
nur eine untergeordnete Ruͤckſicht erhalten, verdienen aber 
dennoch da, wo andere Zwecke nicht darunter leiden, befördert 
zu werben, weil fle günftig auf die Gewohnheiten und bie 

Selbftachtung ded Bauernftandes wirken. Die Herftellung und 

Erhaltung der Dorfwege wird von ben Gemeindevorſtehern 

geleitet und kann nicht ohne einigen Zwang zur guten Aus— 

führung fommen (b). 

(a) Die Einrihtung der zu einem Gehöft gehörigen Gebäude muß nad 
Elimatifchen und Betriebsverhältnifien, 3. B. im Gebirge oder in der 
Ebene und je nad dem Umfang der Wirthfchaft verfchieden fein, und 
ed ift auf Bequemlichkeit, Holziparung , Feuerfeftigkeit, Geſundheit ber 
Mohnungen und Ställe rs zu achten. Der Bau aus Lehm: 


ziegeln (Lehmpatzen) oder geltampfter Erde verdient für Beringbegüterte 
Empfehlung. | 


Berbindungsmege zwifchen den Ortfchaften erfordern die Mitwirfung 
der Straßenbaubeamten des Staats, damit fle gut in einander geilen 
Den Gemeindemitgliedern follte es frei geftellt werden, ihren Antheil 
an dem Wegbau zu bezahlen oder durch eigene Arbeit zu leiften. 
Cafparfon, Wie fann der Landmann feine Dorfwege verbeflem?! 
2. Aufl. Eaflel, 1822. 


(d 


— 


8. 149. 


Was in Bezug auf einzelne Verbeſſerungen bed Acker⸗ 
baues von der Regierung zu thun fei, dieß ift aus bem 
Zuftande des in jedem Landestheile üblichen Betriebes in Ber: 
gleih mit den Regeln ber Landwirthſchaftslehre abzunehmen. 
Manche frühere Maafregeln erfcheinen nach geläuterten Grund: 
fägen ald unnöthig und ſelbſt unzwedmäßig (a). Sind bie 
fandwirthfchaftlichen Vereine in eifriger und einfichtövoller Wirk- 





— 313 - - 


famfeit, -fo können ihnen manche Maaßregeln überlafien werben, 
zu benen fie dann nur befondere Unterftügung erhalten (b). 
Bon einzelnen Beförberungsmitteln find unter anderen zu 
nennen (c): 

1) Sorge für Einführung der beiten Werkzeuge und Ma- 
ihinen, die man nöthigenfalld® vom Auslande kommen läßt. 
Ausftellungen, Wettverfuche und ‘Prämien dienen zur Ermuns 
terung der Verfertiger und zur Verbreitung ber erprobten Ge⸗ 
räthe im Lande (d). 

2) Anregung zur zweckmaͤßigſten Benutzung ber Düngenben 
Stoffe, 3. B. zur guten Einrichtung der Miftftätten (e), 
Prämien für Auffindung von Mergel, Zufchüfle zur Erbauung 
von Kalköfen ıc. 

3) Mitwirfung zur Einführung eines beſſeren Verfahrens 
im Anbau und ber Behandlung einzelner Arten von Gewaͤchſen, 
1. B. des Leins und Flachſes, des Tabaks, Hopfens ıc. 


(a) Beifpiele: die fürftl. fpeier. B. v. 6. Mai 1653, daß die Aecker flur: 
weile gebaut werden follen, v. 3. Juli 1764 und 9. Juni 1765, daß 
bei Strafe die Aeder und Weinberge nicht nachläfftg gebaut oder öde 
gelaffen werben, vielmehr alle Arbeiten zu rechter Zeit gefchehen follen ; 
v. 22. März 1768, Berbot des Gypſens, auf Privatländereien zurüd: 
genommen, 4. Zuni ej.; v. 3. Aug. 1769, Berbot des Krappbaues. 


(4) Im bad. Odenwald zeigte fi unter den Urfachen der Berarmung eine 
auffallende Nacläffigkeit in der Betreibung des Feldbaues. Die Re: 
gierung flattete die Bereinsabtheilung im Unterrheinkreiſe mit Geld: 
mitteln aus, um bort die Sandwirthiehnft nachdruͤcklich emporzuheben 
und dieß brachte bald gute Früchte. 


(e) Die für Urbarmahung und Bodenverbeflerungen dienlihen Maaß⸗ 
reaeln ($- 102) beziehen fi ebenfalls größtentheilg auf Acker- und 
iesland. 


(d Die Anwendung guter Pflüge bat eine große volkswirthſchaftliche 
Wichtigkeit wegen ber dadurch entſtehenden Griparung an Arbeitskraft 
und des zugleih erhöhten Bodenertragee; Mac Culloch, Statist. 
sccount, II, 464. — Gori : in Zeitſchr. für die gefammte Staats: 
wiffenfhaft 1846. I, 97. — Rau, Die lantw. Geräthe ©. 6. 


() Mopdelle, Belohnungen, Einfluß der Ortsvorgefehten richten viel aus. 
Strafandrohungen find nur zuläffig, wo Rüdfichten der Geſundheits⸗ 
polizei hinzutreten, wie bei dem Ueberlauf der Miſtjauche (Pfuhl) auf 
die Dorfgaflen. 


8. 150. 


Dr Wiefenbau (a) nimmt eine vorzüglicdhe Sorgfalt 
der Staatögewalt in Anſpruch, weil 





— 314 — 


1) viele Wieſen bisher nachlaͤſſig behandelt worden find und 
von einer befleren Benutzungsweiſe derſelben eine große Ber 
mehrung des Bobdenertraged zu erwarten iſt. Naͤchſt ber Ent: 
fernung bed ftodenden Waſſers ($. 103) wird ein flarfer Wuchs 
der Wiefenpflanzen befonderd durch wieberholte® Traͤnken mit 
fließendem Wafler befördert und es iſt befier, dieß durch zwed- 
mäßig geleitete Bewaͤſſerung hervorzubringen, ald ed bem 
Zufall zu überlaflen (6). Gute Bewäflerung vermag den Heu 
ertrag der Wiefen fehr zu vergrößern (c) und macht die Düngung 
berfelben zum Theil entbehrlich, befonderd wenn das benupte 
Waſſer an organischen Stoffen reich ift (d). Wo fie befteht, 
da fann der Stallmift größtentheild den Aeckern und Gärten 
zugeivendet werden, auf denen er mehr fruchtet, und ed Fann 
ein größered Yuttererzeugniß, welches jur Berftärfung bes Vieh⸗ 
ftanded dient, mit geringeren Koften erzielt werben. 

2) Die Bewäflerung läßt fid in vielen Bällen nicht durch 
den Eigenthümer einer einzelnen Wieſe allein zu Stande bringen, 
benn er bebarf hiezu der freien Verfügung über das nöthige 
fließende Waffer, er wird, wenn er das Ufer befist, oft burd 
Berechtigungen Anderer gehindert, und darf die Zu- und Abd 
leitung des Waſſers nicht über fremde Grundftüde bewirken. 
Sehr oft muß der Zufeitungdgraben an einer höheren Stelle 
bed Fluſſes oder Baches angebracht werben, um bad Wafler 
mit dem gehörigen Gefälle auf die Wiefen zu führen, auch find 
häufig Foftbare Einrichtungen (Schleufen zc.) erforderlich. Gelingt 
eine freiwillige Verabredung aller Eigenthümer der anftoßenden 
Ländereien nicht, fo kann die gewünfchte Verbefferung nicht ohne 
Beiftand gefeplicher Anordnungen zur Ausführung kommen. 

Diefer Gegenftand ift in der neueften Zeit mit Eifer be 
handelt worden, (e) wobei die Geſetze und anderen Maafregeln 
derjenigen Ränder, welche die hoͤchſte Ausbildung ber Bes 
waͤſſerungskunſt zeigen, als Vorbilder benußt werben Finnen (f). 
Außer der Gefchilichkeit in der guten Benutzung bed Waſſers 
erheifchen die Bewäflerungen auch ein anfehnliches Capital, 
daher kommen viele Unternehmungen erft in fpäteren Entwid» 
lungsperioden der Volkswirthſchaft zur Ausführung. 


(a) Schwerz, MAnleit. zum praft. Aderbau, I, 281. — v. Lengerfe, 
Anleitung zum praft. Wiefenbau, 2. Aufl, 1843. — Bincent, De 





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— 305 - - 


rationelle Wiefenbau, 1846. — Häfener, Der Wieſenbau, 1847. — 
Gries, Lehrb. des Wieſenbaus, 1850. — Ueber Bewäflerungen find 
mehrere befondere Schriften vorhanden, 3. B. Bagig, Der praftifche 
Riefelwirth, 1840. — Lauter, Anleitung zur Behandlung der Waͤſſer⸗ 
wieien, 1851. — Nach de Lavergne, Bat Großbritanien (wegen des 
feuhteren Klima's) 8 Mill. Hekt. Wiefen auf 11 Mill. Heft. Nder, 
Frankreich A Mil. Hekt. Wieſe und 26 Mill. Heft. Ader. 


Biefen an Strömen erhalten durch bie unregelmäßig eintretenden Ueber; 
fhwemmungen von felbft die nöthige Befeuchtung. 
Es läßt fich für diefe Grtragsvermehrung feine allgemeine Megel ans 
geben, aber fie wird durch viele Grfahrungen nagewielen. Ein preuß. 
orgen guter Wäflerwiefe kann leicht von zwei Schnitten 30 Ctr. Heu 
geben, bei drei Schnitten noch beträchtlidy mehr. Dagegen trifft man 
viele fehlechte Wielen, die nur *4 jenes Grtrage oder noch weniger 
geben; bald find fie fumpfig, bald zu trocken, und in diefem Kalle 
wäre die Umwandlung in Aeder vorzuziehen, wenn fich feine Bewäflerun 
einrichten läßt. In Branfreich ift der mittlere Grtrag auf 25 Doppel: 
(metrifche) Eentner von Heft. = 12,7 Etr. v. pr. M. angeichlagen, 
aber in 9 Dep., die meiftens gebirgig find, in denen wahrfcheinlich Fein 
Mangel an Waflergefälle it, foll jener 16/3 m. Etr. = 8 Etr. vom 
pr. Morgen fein (Amtl. Statifti). In Belgien dagegen werben 43,4 ın. 
Etr. = 22 Etr. v. pr. M. angegeben (Amtlih). — In Baden if von 
H100H0OM. Wiefen nur 1/ı gut bewaͤſſert,! / fumpfig, !/s ohne Wäflerung, 
Bogelmann, ©. 7. — Im Gr. Heflen wurden von 1840 — 1856 
13309 M. Wiefen verbeflert, was eine Werthserhoͤhung von 
1231000 fl. bewirkte, Zeller, Die Wirkſamkeit der landwirthſch. B. 
©. 167. — In Südfrankreich und Piemont fhägt man bie Erhöhung 
des Neinertrags durch die Wäflerung auf 50 Fr. für den Hektar, in 
ter 2ombarbei auf 76 Fr. (6 u. 8. 1 auf den pr. M.), woraus ſich 
dort 51/, Mill., bier 23940000 Br. ſchon bewirkte Zunahme der Rente 
berechnet. Die für das Wafler bezahlten Preiſe geben feinen ficheren 
Maaßſtab, weil fie bei geringem örtlihem Begehr weit unter dem 
Werthe bleiben können. In Sübdfranfreich werden für ben Hektar jaͤhr⸗ 
ih 12, 24, 33, ja 40—50 #r. bezahlt, in Piemont 12—26 Fr., in 
ber Lombardei ift die Abgabe 20 dr und mehr, bis 40 Fr., ober für 
1 Liter Wafler (!/ bad. Bub. F.) in der Secunde 24 Sr. Nadault 
de Buffon, III, 159. 473. 


(d) Die iR bei dem Quellwaſſer am ef bei manchen Fluͤſſen mit 


le 


— 


geringem Fall, ferner bei Baͤchen und Fluͤſſen nach ſtarkem Regen oder 
nad der Schneeſchmelze am meiſten der Fall; die fog. Trübwaͤſſerung. — 
Die Wäfferwiefen geben ein minder nahrhaftes Heu als die mit thierifchen 
Auswürfen gebüngten, aber doch ein viel befieres als bie fumpfigen, und 
jener Unterfchied wird durch die größere Menge überwogen. 


v. Elofen, ©. 190-201. — Schenk, Abh. über den Wieſenbau. 
Bulda, 1826. ©. 33—98. — Amtl. Bericht uber die 6. (Stuttgart.) 
Berl. deutſch. Lands und Forſtw. ©. 256. — Zeller, Das Wiefens 
kulturgeſetz. Darmft. 1843. — Volz, Entwurf eines Gefepes über bie 
Benugung der Bewäfler für Landwirtbfchaft u. Gewerbe. Tüb. 1843. — 
Niebuhr in Rau u. Hanffen, Archiv, N. F. U, 29. — Hirfd: 
feld, Gin Beitrag zur Beflimmung der rechtl. VBerhältnifie des Waflers, 
Altona, 1846. — ogelmann, Das Geſetz über die Bewäflerungss 
und Entwäflerungs- Anlagen im Gr. Baden, 1851. — Beifpiele neuer 
Belege: Er. Helen v. 7. Octbr. 1830 bei Zeller, a. a. O. — 
Preuß. Gef. v. 15. Nov. 1811 (über Aufflauen bei Mühlen ıc.) u. v. 
28, Kebr. 1843 (über die Privatflüffe). — Bad. ©. v. 13. Febr. 1851 
bi Boaelmann a. a. D. — Baier. Gef. I. v. 28. Mai 1852 








— 318 — 


den Canaͤlen, Schleuſen u. dal. erkennt. Jaubert de P. IL, 114. — 
—— (Ausfhüfle, Borkände) der neueren franzoͤſ. Waͤſſerungs⸗ 
geiellichaften von Bauclufe, St. Bons sc. von 1841, 1842, 1843, 
Nadault de Buffon III, 352. — Aehnliche Genoſſenſchaft der An: 
wohner am Linthranal, F. 103 (a). — Genoflenfchaften, welche drei 
Bevollmaͤchtigte und einen Berrechner wählen, bad. Bel. $. 14 fi. — 
Aehnlich Baier. Geſ. IL $. 2. 
(d) Dieß ift die wichtigfte Beftimmung, ohne welche viele Berbefferungen 
unterbleiben müflen. Sie fommt daber in allen angeführten Geſetzen vor. 
(e) Nah dem venezianifhen Gef. v. 1455 mußte man dem Bigenthümer 
das zu einer Waflerleitung nöthige Land um den doppelten Werth ver: 
üten. Die mailändifhen Geſeße v. 1502 und 1541 verlangen ten 
faß des Werthes und */ darüber, ferner die Vergütung des ander: 
weitigen Schabens. Gbenfo franzöf. Gef. v. 20. April 1804. Sarbin. 
Gefeßb. v. 1837 6. 627: 5 darüber. Der Grund hiezu fcheint darin 
zu liegen, daß bei der eingeräumten Dienftbarfeit der Gigenthümer die 
Steuern und anderen Laften des zur Waflerleitung verwendeten Landes 
zu tragen bat. Nadault de Buffon IL, 58. 123. — Nach tem 
preuß. Gef. v. 1843 6.25. 26 kann der Unternehmer der Bemwäflerungs: 
anlage die Servitut auf einem fremden Grundftüd verlangen, der Eigen: 
thümer deflelben aber auch das Eigenthum des erforderlidhen Landes 
felbft gegen Entfhädigung abtreten. Diefe befteht in dem abgeichägten 
Betrage unter Zuſatz von 1a beflelben, $. 45. — Bad. Geſ. $. 3: 
es Kann Abtretung oder Dienfibarkeit gefordert werben. — Daß baier. 
Geſ. $. S9 giebt mehrere Bedingungen, unter denen die Dienflbarkeit 
angefprochen werden darf, 3. B. daß die Leitung nicht durch Gebaͤude, 
Höfe oder Gärten geht, wie es auch im franz. Se v. 29. April 1845 
vorgefchrieben ift. 


$. 150 b. 

5) Die größte Schwierigfeit liegt in den fchon beftehenden 
Berechtigungen zur Benutzung bed Waſſers für gemerbliche 
Zwede, hauptfählih für Mühlen u. a. Babrifen und Berg 
werfe, zumal da folche Berechtigte meiften® fich im Beſitze einer 
größeren Waffermenge befinden als fie gerade nöthig hätten. 
Diefe Rechte haben allerdings, wie alle anderen im Staat, 
Anfpruh auf Befhügung, fowie zugleich die auf fie geftügten 
Gewerböunternehinungen als Zweige ber Hervorbringung ge 
fchont zu werben verdienen (a), auch giebt ed Bälle, in denen 
eine Gewerfsanftalt volföwirthfchaftlich höher anzufchlagen if 
als die Vermehrung ded Heuerzeugniffes, allein es treten aud) 
viele Bälle entgegengefegter Art ein (6). Es iſt die Eigen 
tbümlichfeit des fließenden Waſſers, daß an ihm Seber nur 
ein befchränftes Nutzungsrecht Haben kann, weil Viele auf den 
Gebrauch des nämlichen Waflerlaufes angewiefen find, und 
daß daher die gemeinnügigfte Verwendung erftrebt werben muß. 
Mo der Gebraud einer Waſſermaſſe für den landwirthſchaft⸗ 





— 319 — 


lichen Zweck einen weit größeren Vortheil verſpricht, da läßt 
fi) eine Zwangsabtretung bed Waflerrechtd rechtfertigen (c). 
Es ift daher bei einem folhen Widerftreite der gewerblichen 
Zwecke eine unbefangene und gründliche Unterfuchung und Ab- 
wägung bed auf beiden Seiten anzunehmenden Bortheild und 
Rachtheils nöthig, wobei nicht allein die Größe des Erzeug- 
niffed, fondern auch die Menge bed angemwenbeten Capitals, der 
beihäftigten Arbeiter und andere wirthfchaftliche Umftände, ſowie 
auh die von ben Betheiligten geltend gemachten Gründe in 
Betracht kommen müflen (d). Eine erzwungene Einjchränfung 
oder gänzliche Entziehung folder Berechtigungen ift, wie fidh 
von jelbft verfieht, nur gegen volftändige Entſchaͤdigung zu- 
läfig, und wenn dieje richtig ausgemittelt wird, jo unterbleiben 
ſchon folche Bewäfferungen, welche bei jener Schabloshaltung 
kinen Gewinn mehr verfprechen, auch würde ein geringer Mehr- 
etrag zur Anwendung eined Zwanges feinen genügenden Grund 
geben. Gefammelte Erfahrungen werden fpäterhin zu einer 
gerehten und volföwirthichaftlih zweckmäßigen Entfcheidung 
ſolcher Wiperftreitöfälle ficherere Anhaltöpuncte geben, ald man 
fe biß jegt hat. Es laſſen ſich hiebei folgende Unterfchiebe 
auffteflen. 

a) Hat der Berechtigte über mehr Waſſer zu verfügen, als 
er jept benußt, fo entgeht ihm nur die Gelegenheit zur künftigen 
leichten Vergrößerung feines Werkes und die Sicherheit vor 
Störungen, z. B. in großer Trodenheitz die Enfchäbigung für 
die Abtretung des Ueberfluffes ift alfo nach diefen Umftänden 
zu bemefien (e). 

b) If der Berechtigte im Stande, durch beffere Werks 
eintihtungen mit einer geringeren Waflermenge fein Gewerbe 
ungeichmälert fortzufegen, jo müflen ihm alle Koften und Be⸗ 
(hiverden vergütet werden, bie eine foldhe Veränderung nad) 
id) zieht (f). 

c) Iſt diefelbe ſchwierig oder unausführbar, fo daß das 
Gewerbe beeinträchtigt werben würde, fo bleibt, wenn feine 
andere Vereinbarung gelingt, nur die Abtretung der ganzen 
Gewerksanlage übrig (g). 

6) Für die Beiträge der Oenofienfchaftömitglieder zur 
Beftreitung der SKoften ift der Antheil eined jeden an ber 


-- 320 —— 


bewaͤſſerten Släche der einfachfte Vertheilungsmaaßſtab. Da aber 
derfelbe in einzelnen Fällen zur Unbilligkeit führt, wenn 3. 2. 
der Nugen zu ungleich ift, oder ein Theil der Ländereien viel 
größere Koflen verurfadht, fo fol es geftattet fein, einen anderen 
Maapftab zu wählen, 3. B. nad Claffen der Grunpftüde (A). 

7) Das bei der Ausführung eines Entwäflerungsplaned 
zu beobadhtende Verfahren wird gefeglich geregelt. Die Re: 
gierung fchreidt bei der Genehmigung folche Bedingungen vor, 
welche zur Verbürgung bed guten Erfolges nothwendig find. 

8) Die Gefelfchaft muß zur Beforgung der Wäflerungen 
und überhaupt zum Schutze der Wiejen einen oder mehrere 
Wärter halten, auch eine Wäfferungsorbnung aufftellen, welche 
bie Zeit und Art ded Waſſergebrauches genau regelt (i). 


(a) Eine lebhafte Schugrete für die Gewerke gegen die Forderungen ber 
Wielenbefiper ift die a. Echrift von Volz, ferner: Gutachten des Aus: 
fchufles der würtemb. Waflerwerfbeiiger über Tit. 12 und 13 des Ent: 
wurfs eines une hurgelches, Stuttg. 1853. — Bergleichung ber 
beiderjeitigen Anfprüche bei Bogelmann, ©. 17—31. 


(5) Bei Drange (Dep. Bauclufe) haben die Triebwerke 6 Tage wöchentlich 
das Mafler eines Flufies, 1 Tag die Wiefen und es werben 258 Heft. 
bewäflert. Man könnte alfo in den 6 Tagen noch 1548 Heft. bewäflern 
und zu 126 fr. (?) einen Mehrertrag von 195000 Sr. ziehen, während 
jene Werfe nicht voll 30000 Fr. einbringen. De Gasparin, Cours 
d’agric. I, 482. (Der Unterfchied bleibt anſehnlich, auch wenn man nur 
die Hälfte, 63 Fr., Mehrertrag annimmt.) 


(ce) Unter gewiffen Umftänden fönnte dieſelbe auch gegen die Wiefenbefiger 
zu Gunften einer Gewerfsanlage bewilligt werten. 


(d) Die Vortheile der Bewäflerung find in tem angef. Gutachten (a) zu 
niedrig angefchlagen worden, vgl. $. 150 (c). — Die meiften Angaben 
über den Waſſerbedarf zu einer guten Waͤſſerung Ind zu unbeflimmt, 
auch macht die Art der Wäflerung, des Bodens, Klima’s ıc. großen 
Unterfhied. Man muß fich ferner verfländigen, ob man das auf die 
Wieſe wirklich fließende, oder das für bdiefelbe von einem Fluſſe ab: 
eleitete Wafler im Sinne hat, weil von diefem noch ein anfehnlicer 
Berluft abgeht, ferner ob nur das wirflich von der Wiefe feftgehaltene, 
oder das darauf geführte und dann wieder ablaufende Waſſer gemeint 
it. Nach mailändiihen Srfahrungen reiht 1 Eub. F. Wafler in ber 
Secunde zur Bewäflerung von ungefihr 210 pr. M. das Jahr hin: 
Ba bin. In Belgien braucht ı Hektar 21,2—3 Liter fortwährenden 
Waſſerzufluß, (Defrichement des terres incultes ©. 32), alfo reiht ınan 
mit 1 Gub. Buß (27 Liter) auf 10,8—-13,5 Het. = 42—52%', pr. M. — 
Auch deutſche Erfahrungen führen auf 40 bad. — 56 pr. M., wobei 
jedoch der größte Theil des Waflers wieder in den Bach zurückehrt 
(Abwaffer). Die Sahlen bei Bogelmann ©. 43 zeigen 91 bat. 
— 128 pr. M. au. Dagegen geben 17— 20 Eub. %. Waſſer in ter 
Secunde bei 3—5 F. Geſchwindigkeit eine ununterbrochene Pferdekraft 
(aus den Sätzen bei Wallace, The Practical mechanies pocket ‚guide 
©. 22 berechnet), womit 3. B. 200 Water: oter 300 Muleſpindeln 


(e 


— 


— 321 — 


ſammt den Vorbereitungsmaſchinen bewegt werben, Karmarſch, 
Handb. IL, 1104. 1108. — Bei den älteren Mühlen iſt das Waſſer 
viel unvolländiger benugt als bei neueren mit befieren Räderwerfen. 
Als Triebkraft wirft allerdings das Wafler das ganze Jahr hindurch, 
zur Bewäflerung nur einen Theil des Jahrs, dagegen giebt es enge 
<häler mit ſtarkem Waflergefäll, in denen feine Wieſen Raum finden, 
folglich die Anwendung für Gewerke freien Spielraum findet. 


Rad) dem Baier. Gef. I, 8. 62 kann dasjenige Waller in Aniprud ge: 
nommen werden, welches der Ufereigenthüimer oder Berechtigte nicht 
ſelbſt benutzt, und die Befiger von Triebwerken fünnen verpflichtet werden, 
gegen Entſchaͤdigung Wafler abzugeben, infoferne für dr Gewerbe fein 
erheblicher Nachtheil daraus entfteht. — Das preuß. Gel. v. 1843 6. 16 
giebt den Befigern der Triebwerke gegen die Uferbefiger nur da ein 
Widerſpruchsrecht, wo fie einen fpeciellen Rechtstitel auf das ganze 
Waſſer oder eine Quote befielben Haben, ober wo ihr Gewerbe leiden 
würde. Dieß wird von Bolza.a.D. mit Recht getadelt, indem auch 
die Berjährung den Berechtigten Schuß geben follte. 


N Bad. Gef. 6. A: Entziehung des einem Anderen zuftehenden Waflers 


Ü 


— 


(A) 


() 


gegen öntthäbigung | nur dann erlaubt, wenn „der Berechtigte fein 
ewerbe etwa mit Verbefierung feiner Binrihtungen, in gleihem Um⸗ 
fang wie bisher‘’ forttreiben Tann. Aber fchon die bad. Mühlenordnung 
v. 18. März 1822 hatte die Befiker von Waſſerwerken verpflichtet, folche 
Sinrihtungen zu treffen, daß die größte Wirkung hervorgebracht und 
tem Wafler der möglichft freie Lauf gelaflen wird. — Preuß. Geſetz 
v. 1843 6. 34 ff.: Der Triebwerksbefiter kann nicht zu Veraͤnderungen 
der inneren Vorrichtungen, wohl aber zur Umgeftaltung der Stauwerfe, 
vb erinnes und Waflerrades auf Koften der PBrovoranten angehalten 
werden, 


Uebereinftimmend das bad. Ge. 6. 4. — Der Ankauf der Mühle ic. 
iR in folchen Fällen das einfachfte Mittel. Sie kann fodann mit ge: 
mindertem Waflerrechte wieder verfauft werden. Vgl. Schenk, ©. 42. 
Ucbereinftimmend baier. Gef. II, 6. 13. — Für die Umlegung nad 
der Morgenzahl Stuttg. landw. Berfammlung. S. 265 des Amtl. 
Berichts. — Feſtſetzung durch Schiedsrichter, bad. Gef. $. 18. 


Beifp. bei Zeller a. a. O. — Baier. IL Gef. $. 10: der Ausſchuß 
der Senoflenfchaft bildet den Wiefenvorftand, der fogar Strafen bis 
10 fl. androhen darf. 


6. 150 c. 


Bon anderen Beförberungsmitteln des Wiefenbaues find vors 


jüglich zu nennen: 


1) Herbeizichung und Anſtellung von kundigen Wiefenbaus 


meiftern, die den Wiefenbefigern Rath, und Beiftand leiften. 


2) Anordnung eines Unterrichted im Wiefenbau, um fowohl 


unter den Eleineren Landwirthen dieſe Gefchidlichkeit zu verbreiten, 
als auch Wiefenbaumeifter und Auffeher zu bilden (a). 


3) Aufftelung mufterhafter Wiefenanlagen auf Stantögütern, 


ald Vorbilder. 


Rau, yolit. Oelon. TI. 1. Abth. 5. Ausg. 21 


— 522 — 


4) Borfhüfle an Gemeinden und Genoflenfchaften, welche 
größere Unternehmungen der im $. 150 erwähnten Art an 
fangen (b). 

5) Anlegung größerer Bewäfferungscanäle, befonberd wenn 
fie zugleich zur Schifffahrt dienen, auf Staatöfoften, wobei dann 
eine Abgabe für dad zu Bermäfferungen benugte Wafler erhoben 
wird (c). 

(a) Diefer Unterricht wird mit Uebungen bei neuen Wiefenanlagen in Ber: 
bindung gefest. Er muß fich fowohl auf das Abmwägen (Nivelliren) 
und Feldmeſſen, ale auf bie Umgeftaltung ber Wieſen zum Behufe der 
Waͤſſerung und auf die gute Benu ung ber Wieſen beziehen. Gin 
foIcher Unterricht ift mit gutem Erfolge in Darmſtadt gegeben worden, 


Zamminer im Amtl. Bericht über die Berf. zu Karlsruhe, S. 58. — 
Bol. $. 145. 


(5) Dieß if 3. B. in Belgien gefchehen. Das baier. ®ef. II. v. 28. Mai 
1852 8. 15 ftellt ebenfalls folche Borfchüffe aus Central⸗ oder Kreis: 
fonds in Ausficht. 


(e) Die großen Candle in der Lombardei gehören ſaͤmmtlich dem Staate. 
Sn diefem alle wird ber für eine gewi e Waſſermenge zu entrichtende 
Preis feſtgeſetzt und fuͤr jeden Grundeigenthümer durch forgrältige Waſſer⸗ 
meſſung ermittelt; in der Lombardei gegen 20 Fr. für 1 Heft. jaͤhrlich. — 
Belgifche Ganäle, f. $. 104. Auch Bier ift eine Abgabe von der Be 
nußung des Waſſers bei einem neuen Banale angeorbnnet worden, 
Kummer, Cr£ation de prairies irrigables, 1851 ©. 94. — Nach den 
Borfchlägen von R. Baird Smith (Agricultural resources of the 
Punjab, London, 1849) würden in biefer jet britifhen Provinz neue 
Candle mit einer Abgabe von I Rupee (2 Schill.) für den Acre großen 
Augen fiften, wie die fhon vorhandenen Wäflerungen fchließen laflen. 


I. Gartenbau. 


$. 151. 


Der Bau ber Oartenfräuter (I, 8. 379) nüßt nicht allein 
feiner Erzeugniffe willen, fondern giebt manche Gelegenheit, durch 
Nachahmung einzelner in ihm angewenbeter Runftmittel den Ader- 
bau zu vervollflommnen. Indeß erfordert jener wenig Pflege ber 
Regierung, weil die Freiheit in der Benußung bed Landes und 
bie Leichtigkeit bes Abfapes, welche theild gute Straßen, theild 
bie Nähe voffreicher Städte gewährt, ſchon eine ftarfe Ermunterung 
geben. Doc find Gartenbauſchulen nüslich ($. 145 (a) ), be 
fonderö wenn der Gemüfebau in einem Rande noch weniger gut 
betrieben wird. Die Obſtzucht (1, $. 381) bedarf mehr ber 
Aufhülfe, da fie meiftens nicht von befonderen Gärtnern, fonden 
von gewöhnlichen Landwirthen und zwar von Befigern Eleiner 








Güter getrieben wirb und gerade in biefer Verbindung mit dem 
Feldbau ihr größter Vortheil Liegt. In vielen Gegenden ift bie 
Beihaffenheit der Obftforten fo wie die Berwenbung der Früchte 
einer Berbefierung fähig, in anderen iſt zunächft eine größere 
Ausdehnung des Obſtbaues zu erftreben. Beförberungsmittel 
ind (a): 

1) Unterweifung in ber Obſtzucht. Die Dorfſchullehrer können 
für diefen Zwed benugt und in den Landgemeinden Schulgärten 
angelegt, auch einzelne vorzügliche Lehrer dieſes Zweiges an⸗ 
gefellt werben (2). 

2) Anlegung von Baumjchulen aufBeranftaltung ded Staats, 
wenn die Privatbaumfchulen nicht genügen, um Stämme von 
guten, den örtlichen Berhäftniffen am meiften entfprechenden Obft- 
jorten wohlfeil in bie Hände der Landwirthe zu bringen (c). 
Die Borfteher biefer Baumſchulen können auch beauftragt werden, 
den Gemeinden und ben einzelnen Landwirthen in der Obſtbaum⸗ 
sucht behilflich zu fein. 

3) Verordnung, daß öbe Gemeindepläge, bie ſich zu feiner 
anderen einträglicheren Benusung eignen, mit Obftbäumen be 
[et werben follen. | 

4) Sorge für Anpflanzung ſolcher Bäume längs ber Land» 
fragen. Für ihre Erhaltung if neben ben nöthigen polizeilichen 
Berhütungsmitteln des Baumfreveld die Einrichtung bienlich, 
daß fie nicht auf der Straße ſelbſt, fondern auf den anftoßenden 
Orunbftüden gefeßt werben und den Eigenthümern berfelben 
gehören. 

5) Prämien für diejenigen, welche bie meiften und beften 
Anpflanzungen machen. 


(e) Die älteren Berordnungen nahmen, ohne fonderlihen Erfolg, Swangss 

ebote zu Hülfe, z. B. preuß. Edit von 1764 und 1766, in Bergius, 
ndeögef. I, 35. II, 201. — Die neueren fuchen mehr vermittelft der 

Grmunterung zu wirfen, 3. B. baier. B.v. 20. Juni 1826, in Jaup's 
Staatsboten, 1826. I, 22. 

(6) Kreisgärtner in der Kurmark feit 1770, zum Unterricht der Landleute. 

(e) Preuß. Landesbaumfchule zu Botsdam, 1823. Zur leichteren Beftreitung 
des Aufwandes werben Zuſchuͤfſe von Actionären angenommen, welche 
dafür die veredelten Stämme um niedrigere Breife erhalten. — Man 
muß die Sorten für das Klima jeder Gegend auswählen, ferner die 
feinen Zafelforten von denjenigen unterfcheiden, welche weniger empfindlich 
und für den Verbrauch der arbeitenden Claſſen vorzäglidy geeignet find. — 
Der Empfänger unentgeldlich vertheilter Obſtſtaͤmme darf zur guten 
Behandlung derfelben angehalten werden. 

21° 


— 34 — 


$. 152. 


Der Erfolg des Rebbaues (I, 8. 379, 380) wirb zwar 
zunächft von ber Befchaffenheit ded Klimas und Bodens be 
bingt, hängt aber doch auch fehr von der fleißigen und zwech 
mäßigen Behandlung ab (a) und fann durch verfchiedene Maaf- 
regeln verftärft werden, zu benen die Regierung deſto mehr 
mitwirken muß, je weniger in einer Gegend durch Bereine ober 
wohlhabende und eifrige Rebbefiger geſchieht. 

1) Die Anlegung neuer Rebgärten überhaupt zu erfchweren, 
ober indbefondere da zu verbieten, wo man ber Bodenbefchaffen- 
heit wegen feinen Bortheil bavon erwartete, ift ein nicht zu 
rechtfertigender Zwang (5). 

2) Um die Anpflanzung folcher Rebenforten weldye in jeder 
Gegend ald die angemeflenften erfannt werden (b) zu beförbern, 
find Rebſchulen nüglich, die nöthigenfalld auf Staatöfoften an- 
gelegt werben, auch bie Austheilung von Sehlingen (ec). Zur 
Verdrängung von Sorten, welche zwar vielen, aber fchlechten 
Wein geben, genügt eine Warnung (d). 

3) Die befferen Methoden der Anlegung von Rebgärten, bed 
Schnittes und der Befeftigung der Reben an Pfähle, Rahmen x. 
werden am beften durch Beifpiel verbreitet, wozu, wenn es 
an anderen Muftern fehlt, Domanialrebgärten benugt werben 
können (e). 

4) Für die Gewinnung wohlfeiler und dauerhafter Rebpfähle 
läßt fi von Seite der Forftbeamten Sorge tragen (f). 

5) Die Lefe mußte, fo lange der Weinzehnte beftand ($. 67), 
in jedem Flurbezirk gleichzeitig vorgenommen werben, und biebei 
hatte man darauf zu fehen, daß nicht vor der eingetretenen Reife 
ber meiften Trauben, und überhaupt fo fpät gelefen werde, ald 
es Jahreszeit, Wetter und Beichaffenheit der Trauben nur 
irgend zulaffen. Nach der Ablöfung des Zehnten fann jedem 
“ Eigenthümer die Zeit der Lefe frei geftellt werben, welches darum 
großen Bortheil gewährt, weil bie Reife bei Verfchiedenheiten 
ber Sraubenforten, der Lage, ber Erdart ꝛc. nicht zu gleicher 
Zeit erfolgt (g). 

6) Bei dem Keltern und ber Leitung ber Gährung werden 
aus Unkunde Fehler begangen, zu deren Vermeidung gemein 





3 — 


verftänbliche Belchrungen dienlich find (A). Der Zwang, fi 
gewiffer Keltern bedienen zu müflen (Bannkfeltern), ift 
ihädlich (i). 


(2) Metzger, Der rheinifhe Weinbau, Heidelb. 1827.— v. Babo, Der 
Weinbau, Frankfurt, 1842. — Dornfeld, Die Weins und Obft- 
producenten Deutichlands, 1852. Auch die Schriften über den Rebbau 
einzelner Länder find fehr lehrreich, z. B. Härter über bie Rheingegend, 
Schams über Ungarn, Lullin über das Wandtland, Brönner über 
Süddeutfchland und Frankreich. 


Alte badifche und würtemb. Verordnungen, v. Berg, ILL, 290. Franf: 
reich, Arröt des Staatsrathes von 1731. Fournel, I, 242. — Man 
fücchtete theils die Schmälerung des Getreide:, Kutter: und Waldbaues, 
theils die Wohlfeilheit des Weins und den Nachtheil für den guten Ruf 
deſſelben. Noch gewaltfamer ift es, Nebland von Amtsiwegen aushauen 
zu laflen, was Bombal in Portugal gethan haben foll und Domi⸗ 
tianus beabfichtigte: Ad summam quondam ubertatem vini, frumenti 
vero inopiam existimans nimio vinearum studio negligi arva, edixit, 
ne quis in Italia novellaret, utque provinciis vineta succiderentur relicta, 
ubi plurimum, dimidia parte; nec exsequi rem persevorarit. Sueton. 
in Domitiano C. 7. 


() Die Sorten müflen mit Rüdfiht auf Boden, öÖrtliches Klima, ebene 
oder abhängige Lage, Richtung des Abhanges gegen die Himmels: 
gegenden sc. ausgewählt werden, worin man häufig noch jehr zurüd ift. 

eben von ungleicher Reife follten nicht durch einander gepflanzt werben. 
Bergl. Schübler im Gorrefpondenzblatt des würtemb. I. B. 1826. 
U, 228. — Dornfeld, ©. 145. 


(d) Speierifche Verordnungen von 1783 (Samml. IV, 310. 318.) geboten 
die Ausrottung. 

() Reynier (Kcon. publ. & rurale des Greos, ©. 445) bemerft, daß die 
Griechen überall die Reben niedrig sogen, die Römer hoch, wie es in 
Stalien geſchieht. Die hochgezogenen Neben find wenigftens im deutſchen 
Klima unvortheilgaft. — Nachtheile ftark fchattender Bäume in gutem 
Meblande; Befehl, fie auszurotten (zu gewaltfam), f. fpeierifche B. vom 
16. März 1772, gemildert den 7. Dec. eod. Samml. IV, 177. 186. 

) Anbau der Akazie, welde fi durch ihre Schnellwuͤchſigkeit zu diefeM 
Behufe empfiehlt und in dem Weinklima an gefchügten Orten woh 

gebeiht. — Weiden zu Anbinden der Meben. 

Je fpäter gelefen wird, deſto zuderreicher wird der Moft, defto geiftiger 

ter Wein. Schübler fand das fperififche Gewicht des Moftes von 

Drollingertrauben am 22. Oct. 1825 zu 1,05 am 8 Nov. zu 1,1%, 

ein für Deutfchland feltener Grad der Dichtigfeit. Aehnliche Erfahrungen 

mahte Walz, f. Dornfeld ©. 349. — Auch da, wo fein Zehnte 
gegeben wird, findet man angemeflen, das zu frühe Lefen vor der 

Reife zu verbieten, theils damit nicht der fchlechtere hiebei gewonnene 

Wein den Ruf guter Weinorte verderbe, theils weil, wenn bie Lefe 

einmal angefangen Hat, der Zugang zu den benachbarten Rebgürten 

offen fteht und Diebflähle fchwer zu verhüten find. Letzteres iſt der 

Hauptgrund, und deßhalb werden die mit Mauern ganz eingeichloflenen 

Rebgärten von dem Banne ausgenommen. Fournel, II, 77. — Der 

Anfang der Leſe wird durch den Gemeinderath beftimmt. Späteres Leſen 

fteht jedem frei. Dornfeld S. 281. — Daß von tem Eintritt der 

Reife an’ auch dem Gigenthümer der Zugang in die Rebgärten verwehrt 

wird, it hHauptfächlich zur Sicherung des Zehntherrn angeorbnet worden. 


(b 


— 





— 326 — 


(4) 2. des Stuttgarter Stadtraths vom 10. Aug. 1826, daß die Bütten, 
in denen der Wein auf den zerflampften Trauben ſtehen bleibt, bedeckt 
werden müflen. Die Empfehlung offener Bährbütten durch Liebig 
fcheint fh nicht bewährt zu haben. — Abionderung fauler Beeren, 
forgfältige Zerquetſchung; Binfeßen einer in Wafler geleiteten Röhre in 
den Spund bes Fafles, um die Kohlenfäure ohne Luftzutritt entweiden 
u laflen sc. — Den Fehlern, welche bei ber Gaͤhrung begangen werben, 
iſt die geringe Haltbarkeit der meiften italienischen Weine zuguichreiben. -- 
% ©. Gmelin, Grundfäße der richt. Behandlung der Trauben bei 
der Bereitung der Weine in Würtemb. 1822. — Serpiere, Die 
RT Kranffurt, 1824. — Hörter I, 138. — Dorn: 
eld ©. 311. 


(d Magßregeln der Sicherheitspolizei in Bezug auf ben Weinbau find bie 
Auffiht zur Verhütung des Diebflahles und die Veranſtaltung ven 
Räucherungen, um dem Schaden von Spätfröften vorzubeugen. 


II. Waldbau. 


$. 153. 


Die Sorgfalt der Regierung für die Waldungen bezieht ſich, 
abgefehen von den Domanialforften, theild auf die Befchügung 
berfelben gegen mancherlei Befhäbigungen (Borftfchug, eigent 
liche Forftpolizei), theils aber auf die in volfdwirthichaftlicyer 
Hinſicht gute Benugung derfelben. In den Forſtordnungen älterer 
und neuerer Zeit find die auf dieſe beiden Zwecke gerichteten 
Maafregeln mit einander verfehmolzen. Im den Alteften Zeiten 
waltete eine große Sorglofigfeit in Bezug auf Erzeugung und 
Verbrauch des Holzes, fowie fie noch jegt in waldreichen fehr 
gering bevölferten Ländern Statt findet. Als die fchäblichen 
Folgen diefer Vernachlaͤſſigung fühlbar wurden, hielt man es 
für nothwendig, die Bewirthfchaftung der ‘Privatwaldungen einer 
ftarfen Bevormundung zu unterwerfen, ungefähr wie bie Privat- 
bergwerfe ($. 33), fo daß jene zum Theil wie die Staatöwalbungen 
behandelt und von den Korftbeamten beauffichtigt wurben. Erfl 
in der neueften Zeit hat man ſich die Aufgabe gefebt, das richtige 
Maag der flaatlihen Einwirkung auf die Forſtwirthſchaft ber 
- Bürger aufzufuchen und unnöthige Einfchränktungen ber Tegteren 
aufzuheben (a). 

In den meiften Staaten iſt die Oberaufficht auf die Privat: 
forftwirthfchaft und bie Leitung des Domanialforftiwefens einer 
und ber nämlichen Dberbehörbe übertragen. Diefe Verbindung 
zweier ihrem Zwecke nach verfchiedener Thätigkeiten if im Bezug 








— 327 — 


auf bie erforderliche Sachkenntniß nüglich, bringt aber eine Gefahr 
mit ih, daß Rüdfichten auf den Vortheil der Stantöcaffe ſich 
in die Berfolgung jener polizeilichen und volföwirthfchaftlichen 
Zwede zu fehr einmifchen (d). 


(0) v. Berg, IH, 134. — ®r. Soden, L, 109. — Murhard, Ipeen 
über wichtige Degenit aus dem Gebiete der Nation.sDef. S. 180. — 
v. Jakob, Polizeigefeß. II, $. 191. — Hundeshagen, Forſt⸗ 
polizei, 1831. 3. Ausg. v. Klauprecht, 1840. — Pfeil, Grund; 
füge der Forſtwirthſchaft in Bezug auf Nationalökonomie und Binanz- 
wiſſenſch. L. Bd. 1822. Deſſ. Forſtſchutz und Korftpolizeilehre, 1831. 
Defi. Die Forſtpolizeigeſetze Deutihlands und Frankreichs, 1834. — 
Müller, Berf. zur Begründ. eines allgem. Borfipoligeigefehee, Nuͤrn⸗ 
berg, 1825. — Schenk, Volkswirthſchaftspflege, I. — G. L. Hartig, 
Entwurf einer Forſt- und Jagdordnung. Berlin, 1833. — Krauſe, 
Ueher Borfgeiebgehung in Deutfchland, 1834. — Arnsperger, Die 
polizeilihe Beauffichtigung der PBrivatwaldungen im Gr. Baden, 1838. 
= Arnsperger u. Gebhard, Forfil. Zeitichrift, I, 3.— v. Mohl, 
Bolizei, UI, 229. — Grebe, Die Beauffihtigung der Privatwaldungen 
von Seite des Staats, Eifenah, 1845. (vorzüglich gehaltreih). — 
v. Berg, Die Staatsforfiwirthichaftslcehre, 1850. S. 244. — Ueber 
die Forſtwirthſchaft einzelner Länder: Hannover, Feſtgabe für die Mits 
glieder der 15. Berfammlung deuticher Land: und Forſtwirthe, 1852, 
2. Theil. — Die Forftverwaltung Badens, Karlsruhe, 1851 (Amtlid). — 
Braunfhiweig: Weilgabe für die 20. Berfammlung. 1858. ©. 171. — 
Die Foritverwaltung Balerns, München, 1861 (Amtlich, fehr ausführlich). 
Beifpiele neuer Forfigefege: Frankreich, Code forestier v. 31. Juli 1827 
Ordonnance d’ex&cution v. I. Aug. 1827. (Die Ausgabe des Code von 
de Vaux und Foelix, P. 1827, II.Bd., enthält zugleich die Kammer: 
verhandlungen und die älteren Geſetze.) — Baden, 28. Dec. 1833 und 
Geſetz vom 27. April 1854. — Ganton Waadt, 12. Juni 1835. — 
Baiern, 28. März 1852, Vollzugs⸗V. v. 29. Juni 1852. — Defterreich, 
3. Dec. 1852. 

(3) @ine unter dem Minifterium des Innern flehende Forſtpolizeidirection 
wurde in Baden duch V. v. 1. Mai 1834 errichtet, aber durch V. v. 
10. April 1849 wieder aufgehoben. 


6. 153 a. 

Die Forftwirtbfchaftöpflege unterfcheidet fich in Unfehung der 
in ihr herrſchenden Regeln beträchtlich von ben Maaßregeln für 
andere Zweige der Landwirthſchaft. Die Gründe dieſer Ab» 
weihung find aus folgenden Umftänden abzuleiten: 

1) Das Holz ift zum Brennen, zum Bauen und mandherlei 
anderen DBerwendungen von großem Werthe und eine fchnelle 
Vertheurung beffelben wird deßhalb läftig empfunden, 1, $. 385. 

2) Die Waͤlder wirken in gewifien Faͤllen günftig auf bie 
Raturbefchaffenheit und Fruchtbarkeit der Ränder ($. 157), 

8) Ihre Erzeugnifie (Grad, Streu, Maft) vermögen bem 
Feldbau eine Hülfe zu gewähren, 





— 324 — 


8. 152. 


Der Erfolg des Rebbaues (I, 8. 379, 380) wird zwar 
zunächft von der Befchaffenheit des Klimas und Bodens be 
dingt, hängt aber doc) auch fehr von ber fleißigen und zwed⸗ 
mäßigen Behandlung ab (a) und kann durch verfchichene Maaß⸗ 
regeln verftärft werden, zu benen bie Regierung deſto mehr 
mitwirken muß, je weniger in einer Gegend durch Dereine ober 
wohlhabende und eifrige NRebbefiger gefchieht. 

1) Die Anlegung neuer Rebgärten überhaupt zu erfchweren, 
oder indbefondere ba zu verbieten, wo man ber Bodenbeſchaffen⸗ 
heit wegen feinen Bortheil davon erwartete, ift ein nicht zu 
rechtfertigender Zwang (5). 

2) Um die Anpflanzung folcher Rebenforten welche in jeber 
Gegend als die angemeffenften erfannt werden (5) zu befördern, 
find Rebſchulen nuͤtzlich, die nöthigenfalld auf Staatskoſten an 
gelegt werben, auch die Austheilung von Sehlingen (ce). Zur 
Verdrängung von Sorten, welche zwar vielen, aber ſchlechten 
Wein geben, genügt eine Warnung (d). 

3) Die befferen Methoden der Anlegung von Rebgärten, bed 
Scnitted und der Befeftigung der Reben an Pfähle, Rahnıen ıe. 
werden am beiten durch Beifpiel verbreitet, wozu, wenn td 
an anderen Muftern fehlt, Domanialtebgärten benutzt werben 
fönnen (e). 


4) Für die Gewinnung wohlfeiler und dauerhafter Rebpfähle 


läßt fi) von Seite der Forftbeamten Sorge tragen (f). 


5) Die Lefe mußte, fo lange der Weinzehnte beftand ($. 67), 


in jebem Flurbezirk gleichzeitig vorgenommen werden, und hiebei 
hatte man darauf zu fehen, daß nicht vor der eingetretenen Reife 
der meiften Trauben, und überhaupt fo fpät gelefen werbe, als 
es Jahreszeit, Wetter und Befchaffenheit der Trauben nur 
irgend zulaffen. Nach der Ablöfung bed Zchnten fann jedem 
“ Eigenthümer die Zeit der Leſe frei geftellt werben, welches darum 
großen Bortheil gewährt, weil die Reife bei Verfchiedenheiten 
ber Traubenforten, ber Lage, der Erbart ıc. nicht zu gleicher 
Zeit erfolgt (9). 

6) Bei dem Kelten unb ber Leitung der Gährung werben 


aus Unfunde Fehler begangen, zu deren Vermeidung gemein 


35 — 


verflänbliche Belchrungen bdienlich find (A). Der Zwang, ſich 
gewiffer Keltern bedienen zu müflen (Bannfeltern), ift 


ſchaͤdlich (2). 


(1) Metzger, Der rheiniihe Weinbau, Heidelb. 1827.— v. Babo, Der 
Weinbau, Yrankfurt, 1842. — Dornfeld, Die Wein⸗ und Obſt⸗ 
producenten Deutichlands, 1852. Auch die Schriften über den Rebbau 
einzelner Länder find fehr lehrreich, z. B. Härter Über die Nheingegend, 
Shams über Ungarn, Lullin über das Waadtland, Brönner über 
Südteutichland und Frankreich. 


Alte badifche und würtemb. Verordnungen, v. Berg, III, 290. Frank⸗ 
teih, Arröt des Staatsrathes von 1731. Fournel, I, 242. — Man 
fürchtete theils die Schmälerung bes Getreide, Yutter: und Waldbaues, 
theils die Wohlfeilheit des Weins und den Nachtheil für den guten Ruf 
tefielben. Noch gewaltfamer ift es, Neblant von Amtswegen aushauen 
zu lafien, was Bombal in Portugal gethan haben fol und Domi: 
tianus beabfichtigte: Ad summam quondam ubertatem vini, frumenti 
vero inopiam existimans nimio vinearum studio negligi arva, edixit, 
ne quis in Italia novellaret, utquo provinciis vineta succiderentur relicta, 
abi plurimum, dimidia parte; nec exsequi rem persoverarit. Sueton. 
in Domitiano C. 7. 


Die Sorten müflen mit Rüdfiht auf Boden, örtlidhes Klima, ebene 
oder abhängige Lage, Richtung des Abhanges gegen die Himmels: 
gegenten sc. ausgewaͤhlt werden, worin man häufig noch fehr zurüd ift. 
Reben von ungleicher Reife follten nicht durch einander gepflanzt werden. 
Vergl. Schübler im Gorreipondenzblatt des würtemb. I. V. 1826 
U, 228. — Dornfeld, ©. 145. 


(d) Speierifche Berorbnungen von 1783 (Samml. IV, 310. 318.) geboten 
die Ausrottung. 
() Reynier (Econ. publ. & rurale des Grecs, S. 445) bemerft, daß bie 
Griechen überall die Reben niedrig zogen, die Römer hoch, wie es in 
Italien gefchieht. Die hochgezogenen Neben find wenigſtens im deutfchen 
Klima unvortheilbaft. — Nachtheile ftark Ichattender Bäume in gutem 
Reblande; Berehl, fie auszurotten (zu gewaltiam), f. fpeierifche B. vom 
16. März 1772, gemildert den 7. Dec. eod. Samml. IV, 177. 186. 
(f) Anbau der Akazie, welche ſich dur ihre Schnellwüchfigfeit zu diefeM 
Behufe empfiehlt und in dem Weinflima an gefchügten Orten woh 
gedeiht. — Weiden zu Anbinden der Neben. 


Je fpäter gelefen wird, beflo zuderreicher wird der Moft, deſto geiftiger 
ter Wein. Schübler fand das fpecifiiche Gewicht des Moſtes von 
Drollingertrauben am 22. Dct. 1825 zu 1,05 am 8 Nov. zu 1,10%, 
ein für Deutichland feltener Grad der Dichtigfeit. Achnliche Erfahrungen 
mabte Malz, ſ. Dornfeld S. 349. — Auch da, wo fein Zehnte 
gegeben wird, findet man angemeflen, das zu frühe Lefen vor der 
Reife zu verbieten, theild damit nicht der ſchlechtere biebei gewonnene 
Bein ten Ruf guter Weinorte verderbe, theils weil, wenn bie Leſe 
einmal angefangen hat, der Zugang zu den benachbarten Rebgärten 
ofen fleht und Diebftähle ſchwer zu verhüten find. Leßteres iſt ber 
Hauptgrund, und deßhalb werden die mit Mauern ganz eingefchloflenen 
Rebgärten von dem Banne ausgenommen. Fournel, II, 77. — Der 
Anfang der Leſe wird durch den Gemeinberath beſtimmt. Späteres Leſen 
fieht jedem frei. Dornfeld ©. 281. — Daß von dem Gintritt der 
Heife an’ auch dem Kigenthümer der Zugang in die Rebgärten verwehrt 
wird, if hauptjächlich zur Sicherung Des Zehntheren angeordnet worden. 


(6 


— 


—2 


—* 


— 


— 330 — 


daß dieſe koͤrperſchaftlichen Waldungen im Weſentlichen nach 
aͤhnlichen Regeln behandelt werden, wie bie Staatsforſten. 
Se größer alfo der Theil der ganzen Waldfläche ift, ber fi 
im @igenthume des Staates und der Corporationen befindet, 
deſto mehr ift auch abgefehen von ber Handlungsweife einzelner 
waldbefigender Bürger die Herrichaft der Grunpfäge einer guten 
Forſtwirthſchaft gefichert (). Die Stantdauffiht auf bie 
Gemeinde» und Stiftungswaldungen ift in folgender Weife 
anzuordnen: 


1) Die zur Bewirthfchaftung derfelben von den Vermwaltern 
dieſes Vermögend beftellten Hörfter bedürfen der Staatögenehmi: 
gung, zu welcher der Nachweis ver erforderlichen Kenntniffe 
gehört. Die Gemeinde» und Stiftungd-Borfteher koͤnnen die 
Bewirthfchaftung ihrer Waldungen auch den Staatöforftbeamten 
nad) befonderer Uebereinkunft übertragen. 


2) Die Betriebs- und ulturplane werden auf Beranftals 
tung und unter der Mitwirkung ber Vorfteher von Forſtmaͤnnern 
entworfen, von den Staatsbehörden geprüft und genehmigt. 
Es muß hiebei foweit, ald ed mit der Nachhaltigfeit vereinbar 
ift, auf die jedesmaligen Holzbebürfniffe und ben DBermögend 
zuftand der Gemeinden und anderen Körperfchaften Ruͤckſicht 
genommen werden (c). 


3) Für die ganze Behandlung biefer Walbungen werben 
Verordnungen und Dienftanweifungen aufgeftellt, um bie forfts 
wirthfchaftlihen Kunftregeln zu verbindlichen Vorfchriften zu 
erheben (d). Deftere Belichtigung durch höhere Yorftbeamte 
dient den Vollzug biefer Borfchriften zu überwachen. Dagegen 
fann die Verwendung ber Walderzeugnifle, 3. B. der Berfauf, 
den ®emeindes und Stiftungsverwaltungen überlaffen werben. 


4) Die Audroduug erfordert Staatserlaubniß, vgl. $. 157. 
5) Ueber die Theilung folder Waldungen f. 8. 95. 


„Fuͤr die planmäßige Bewirtbichaftung von Gemeinde: und Corporations⸗ 
waldungen ift wenig Sinn vorhanden, an vielen Orten wurben bie 
angewiefenen Schläge überfchritten,, für die Bepflanzung ausgebehnter 
Bloͤßen nichts getan, die früheren Kulturen nicht gepflegt, ja eine 
Gemeinde ſchlug fogar eine früher gemadhte Pflanzung 
mit der Senfe ab!” Zweiter Medhenfchaftäbericht bes Regierungs: 
rathes an den großen Rath von Züri für 1832, ©. 18. 


(a 


—f 


( 


() 


— 331 — 


Die Waldflaͤche ift nach Procenten fo vertbeilt: 


Gemeinden u.! 
! Staat | Stiftungen |  @inzelne 

Braunfhweig 1858 . . 60 23 7,8 
Kurhefl. (Hildebrand), 69,7 20,9 I 18 
Hannover 1852 . . . | 53,0 23,6 22,8 
Baiern IL. . . .i 34 16 50 
Wuͤrtb. (Memminger) 31,6 37,8 30,* 
Gr. Scfen . . .. 31,6 | 38,? 29,? 
Sranfreih 1850 . . .| 13,8 21, 65 
Baden 1856 . . . . 17,8 | 50,7 32,! 
Defterreichifche Alpenlaͤn⸗ | 

der, 1853 (Weſſely) | 16 26 | 58 
Belgien 1846. . . le 68,8 


In Baden find 13 Proc. der ganzen Waldflaͤche oder 38 Proc. der 
Privatwaldungen im Beſitze der Standes- und Grundherren. Auf 
1 Kopf der Einwohner fommt etwas über 1 Morgen Waldfläche. Das 
Holgerzeugniß auf den Kopf ift zu 0,85 Klaftern geihäbt. Arns- 
perger, a. a. O. ©. 66. 


Man hat nicht wenig Mühe, gegen die oft fehr dringenden und ges 
gründeten Anforderungen der Gemeinden auf jeßigen Genuß ber Haupt 
und Nebennußungen die Brunbfäße einer nachhaltigen Bewirthichaftung 
durchzufuͤhren. C. for. Art. 90: Diejenigen Forſten der Gemeinden 
oder &tablissements publics werden unter das r&ögime forestier geftellt, 
die man einer nachtheiligen Behandlung fühig erachtet, auf den An: 
trag der Forſtbehoͤrden und nad) Vernehmung ber Gemeinde⸗ oder 
Stiftungsraͤthe. Nach der Ord. von 1669 wurbe 1/s jeder Gemeindes 
waldung auf dem beften Boden zum Hochmalde (futaie) beftimmt, das 
Uebrige zum Niederwalde (taillis). — Bad. Forſtg. 6. 73 ff.: Wörfter 
und Gemeinderath entwerfen den Plan gemeinfchaftlih, das Yorftamt 
prüft und genehmigt ihn. Der Gemeinterath übergiebt im April das 
Berzeihniß Feines Gofzbevarfs, im Auguft muß der Beihluß erfolgen. 
Beiondere Geſuche um einen Holzhieb im Laufe bes Jahre werben nicht 
berüdfihtiget, mit Ausnahme dringender Fälle. Der Börfter nimmt 
bis Ende Octobers die Anweifung des zu fällenden Holzes vor, er 
—— das aufgearbeitete und zugerichtete Holz. Bon allen Ge⸗ 
ſchaͤften, die er im Walde vornimmt, die bloße Aufficht ausgenommen, 
giebt er dem Gemeinderathe vorher Nachricht, damit biefer eine Mits 
wirkung anorbnen fönne. Bol. die Auszüge aus anderen Korfigelegen 
bei Pfeil, Die Koftpolizeigelege, und bater. Forſtgeſ. v. 28. März 
1852 Art. 6 f. Baier. B. v. 29. Suni 1852. — Im Ganton Waadt 
bewirtbichaften die Gemeinden ihre Wälder felbft, die Betriebsplane 
werden aber vom Staatsrathe genehmigt und die Korftinfpectoren jehen 
tarauf, daß die Hiebe nicht jenes erlaubte Man überfchreiten. Ges 
fhieht dieß dennoh, fo können fie ſogleich vorläufig Ginhakt thun; 
auch ift den Gemeinden unterfagt, einen Kahlhieb vorzunehmen. Die: 
jenigen &emeinderäthe, welde die Vorfchriften des Forſtgeſetzes vers 
legen, oder ihre Wälder duch zu flarfe oder übel eingerichtete Hiebe 
verderben würden, werben von der Korftcommilfion dem Staatsrathe 
angezeigt, Geſ. $. 56 ff. 127 ff. 


Das bad. Forſtgeſetz enthält viele folche technifche Worfchriften tiber 
das Gaubarteitsalter und dgl. Für die Staatswaldungen find geſetz⸗ 
liche Befimmungen Wr weil hier Berwaltungsvorfchriften hin⸗ 


reihen, für Privaten find ſie größtentheils nicht bindend, fie nüsen 





— 332 — 


daher hauptſaͤchlich in Bezug auf die Gemeindeforſten, damit die Förſter 
gegen die Zumuthungen der Gemeindevorſteher Vrch die geſetzliche Regel 
—2 feien. Die von Pfeil (a. a. O. ©. 2 und 49) getabelte 
Aufnahme Tolcher technifcher Bellimmungen, die mit den Foriſchritten 
der Wiſſenſchaft bald unverträglich werden koͤnnen, hat auch bei ter 
Berathung des Geſetzes ſchon Widerſpruch gefunden, Verhandl. der 
1. Kammer von 1833, Protokoll I, 108. 


8. 156. 


Einzelne Staatöbürger dürfen in der Bewirthſchaf— 
tung ihrer Waldungen feiner fo flarfen Bevormundung unter: 
worfen werden, ald Körperfchaften, denn die Eigenthümer follen 
in der Verfügung über ihr Vermögen nicht weiter bejchränft 
werben, als es wichtige höhere Rüdfichten gebieten, auch ift es 
zwedmäßig, den Staatöforftbeamten unnöthige Gefchäfte zu er 
fparen. Es kann daher in der Regel den Einzelnen die Wahl 
bes Hoch⸗, Mittels und Niederwaldbetriebes, die Umtriebözeit, 
Stärke und Einrichtung des Hiebes ıc. überlaffen werben. Mag 
auch eine einzelne Betriebdart unter gewiffen Umftänben ale 
bie gemeinnüßigere erfcheinen (I, $. 391), fo ift dieß doch 
fein binreichender Grund, den Eigenthümern eine andere Bewirth⸗ 
Ihaftungsweife zu unterfagen, die fie für vortheilhafter Halten, 
und ein folcher Zwang würde läftige Verwicklungen, Berfuche 
zur Umgehung der Borfchriften und Unluft am Waldbeſizz ver 
urfachen (a). Die älteren Anordnungen, welche den Walb- 
eigenthümer bei vielen Maaßregeln von dem Staatöforftbeamten 
abhängig machten und ihn fogar verpflichteten, bie einzelnen zu 
hauenden Bäume von dem Beamten bezeichnen zu laſſen (An- 
weifungsredt), find daher nicht mehr zu rechtfertigen. 

Dennoch läßt die Aufhebung aller Befchränfungen mande 
in Hinfiht auf die oben genannten Zwede ($. 154) gemeins 
ſchaͤdliche Folgen befürchten, die nur nicht in allen Zeiten und 
Ländern in gleicher Stärfe zum Borfchein kommen (d). Die 
Handlungsweife des einzelnen Walpbefigers, mag fie nun auf 
Berechnung bes in furzer Frift zu ziehenden Gewinne an 
Capital und Zins, oder auf Reichtfinn und Unwiſſenheit bes 
ruhen, zieht bisweilen den Untergang von Waldungen nad) 
ſich, deren Erhaltung für die Volfswirthfchaft Bebürfniß ift, 
und ift dann ungefähr wie ber Raubbau in ben Bergwerfen 


— 33 — 


zu betradhten ($. 38). Die Staatögewalt, da fie das Ganze 
der Bolföwirtbfchaft überblidt und nicht blos die Gegenwart, 
fondern auch die kommenden Geſchlechter in Bezug auf Erzeus 
gung und Verzehrung des Holzes zu berüdfichtigen hat (c), 
darf daher auch den einzelnen Waldbefigern zum Wohle ber 
Gefammtheit einige "Einfchränfungen auferlegen. Wieweit fie 
biebei eingreifen duͤrfe, dies hängt zum Theile von veränber- 
lihen Umftänden ab. Dahin gehört unter anderen die Größe 
der im Eigenthume der Einzelnen befindlichen Walpfläche ($. 155) 
und die Entbehrlichfeit oder Unentbehrlichkeit derfelben zur Be⸗ 
friedbigung des inländifchen Holzbedürfniſſes, ferner der Grad 
von Kenntniß, Sorgfalt und Vorficht diefer Waldeigenthümer. 
Bo PBrivatwaldungen ſich großentheild in den Händen folcher 
begüterter Familien befinden, in denen eine nachhaltige Bewirth- 
Ihaftung zur Gewohnheitsregel geworden ift, da ift ein freierer 
Spielraum unfhädlih. Bei fleinen Walpftüden ift es dagegen 
nicht der Mühe werth, fie in Aufficht zu nehmen. 


() Arnsperger, ©. 31. — Grebe, ©. 76. — Bed, Die Wald: 
fhußfrage in Preußen, Berlin, 1860 (gegen unnöthige Beichränkungen 
der Gigenthuͤmer). — Neltere Forſtgeſetze unterwarfen oft die Privat: 
walpbefiber den nämlichen Borfehriften, welde in Foßnr Ausfuͤhrlich⸗ 
keit für die Staatswaldungen gegeben waren, z. B. die würtemberg. 
Forſtordnungen des 16. Jahrhunderts und die franz. Ordonnance sur 
le fait des esux et forets 13. Aug. 1669. Tit. 26 $. 1 ac. fowie 
viele fpätere Verordnungen in ber Sammlung Ordonnances do Louis XIV 
sur le fait etc. 1753. 


Das preuß. Edict zur Beförderung der Landescultur v. 14. Sept 1811 
6. 4—6 verordnet die unbedingte Freiheit in der Benugung und Urbar- 
mahung des Waldes. — Das bad. Korftgefeß v. 1833 führte feine 
völlige Freiheit der Privatwaldungen ein, dennoch verleitete die plöß: 
liche Aufhebung der gewohnten Bevormundung zu manchen beflagene: 
werthen Mißgriffen, die das Belek von 1854 hervorriefen. 


() Le gouvernement a le droit de garantir des caprices d’une generation 
Pouvrage des göenerations pr&cödentes et l’espoir de celles A venir. 
Motive des Geſ. vom 9. Flor. XI (1803) im Me&morial forestier, 
1803. ©. 168. 


(b 


u 


$. 157. 


Welche Beichränfungen der Privatforftwirthfchaft durch ein 
volkswirthſchaftliches Bebürfniß gerechtfertiget feien, dieß muß 
durch nähere Prüfung ber einzelnen Auffichtsmaaßregeln nach⸗ 
gewiefen werden. Unter benfelben find hauptfächlich diejenigen 


— 334 — 


in Erwägung zu ziehen, welche bie Erhaltung ber Wälder 
betreffen. 

1) Es ift nicht nöthig, daß die ganze Waldfläche beibe⸗ 
halten werde, denn bie zunehmende Bevölkerung bebarf einer 
größeren Menge von Bauland und es koͤnnen ohne Nachtheil 
folche Wälder, deren Boden gut zum Feldbau tauglich ift, in 
Aders oder Grasland umgewandelt werben, befonder® in ber 
Nähe der DOrtfchaften, wenn zugleich die übrigbleibenden Wal 
dungen gut gepflegt und die öden nicht beffer zu benugenden - 
Streden zur Holzzucht verwendet werden, auch bie Verſendung 
ded Holzes wohlfeiler und im Verbrauche beffelben mehr Spar» 
famfeit berrfchend wird. Diele einzelne Rodungen find baher 
zmedmäßig, allein andere ziehen folche dauernde Nachtheile nad) 
fi, daß es nicht rathfam ift, die Zerfiörung der Wälder ganz 
dem Belieben der Eigenthümer zu überlaffen. Dieß ift befon- 
ders da einleuchtend, wo fich ſchutzpolizeiliche Rüdfichten mit 
ben volföwirthfchaftlichen verbinden, indem bie Rodungen Ger 
fahren für die Perfonen und das igenthum herbeiführen 
fönnen. Zwar liegt es in ben meiften bieher gehörenden 
Fällen fhon im Bortheil der Eigenthümer, den Wald fort 
beftehen zu laſſen, allein es ift feine genügende Beruhigung, 
dag Mißgriffe dieſer Art fih an ihren Urhebern ſelbſt betrafen 
und dann Andern zur Warnung dienen, benn der Schaden 
fann von der Art fein, daß es der Regierung vielmehr zus 
fommt ihn zu verhüten. Die Erfahrung bat namentlich nach⸗ 
fiehende Regeln begründet: 

a) Waldungen auf hohen Bergrüden dienen fowohl zur 
Abhaltung Falter Winde und hiedurch zur Milderung des 
Klima’s, ald zur fortdauernden Anziehung und Feſthaltung ber 
atmofphärifchen Feuchtigkeit, wodurch fie den Bächen und Fluͤſſen 
fortdauernde Nahrung verfchaffen, während von entwaldeten 
Bergen in einzelnen Zeitpuncten verheerende Gießbäche herabs 
flürzen (a). Auch in Ebenen geben Waldungen Schuß vor 
rauhen Winden (b). 

b) An Abhängen wird durch die Zerfiörung der Wälder 
das Hinabſchwemmen des entblößten Bodens, das Ueberfchütten 
und Berwüften ber unteren Grundſtuͤcke, auch bie Erhöhung 
und Berfandung ber Flußbetten verurfacht (c). 





— 335 — 


e) Auf loſem Sandboben if, wenn fi} noch Feine Humus⸗ 
tede gebildet bat, dad Hinwegwehen bed Sandes und ba 
Ueberdecken benachbarter Grundftüde zu beforgen (d). 


d) Es giebt Stellen, auf benen feine andere Benutzung 
[0 zwedmäßig ift, als zum Holzwuchs, wo aber der zerftörte 
Wald aus örtlichen Urfachen ſchwer wieber herzuftellen ift (e). 

Aus diefen Gründen ift ed nöthig, zu verorbnen, daß Wald» 
rodungen mit Ausnahme Feiner Waldflächen nicht ohne eine 
borausgegangene Staatderlaubniß für jeden einzelnen Ball vor: 
genommen werden bürfen, eine Befchränfung, die ziemlich allges 
mein ald unumgänglich anerfannt wird (f). Es wäre zur 
Beförderung eines gleichförmigen Verfahrens der Staatöbehörden 
und zur Sicherung gegen die Willfür der Beamten und Be« 
hörten nüslich, wenn bie verfchiedenen Fälle, in denen die Er⸗ 
laybniß zu einer Rodung verfagt werden darf, im Gefege näher 
bezeichnet würden; aber es ift ſchwer, fie vollftändig anzugeben, 
und eine Unterfuchung über den Grad bed zu beforgenden Nach⸗ 
theils iſt bei den einzelnen Geſuchen meiftens nicht zu vers 
meiden (9). Manche Rodungen werden nur dazu beabfichtigt, 
um aus dem Verkaufe des ganzen Holzvorrathed ein Capital 
zu ziehen, wozu befonder® dann eine Verſuchung vorhanden 
if, wenn ber Wald erft Fürzlich wohlfeil erfauft worden ift (A). 
In ſolchen Faͤllen wird öfters der entholzte Boden ganz vers 
nachläffigt, ed entfliehen Debungen und der Ertrag ded Landes 
wird fortdauernd vermindert. Es ift deshalb zwedmäßig, zu 
beſtimmen, daß bie gerodeten Stellen in einer gewifien Zeit 
entweder zu einer anderen Art des Anbaues benutzt oder wieder 
zu Wald angelegt werden müflen (7). 


(e) Italien iR durch unvorfihtiges Roden Fälter geworden, es hat mehr 
Dreane und Hagelwetter. Die Hochebene von Mexiko zeigt daſſelbe. 
In mehreren Gegenden von Sübfranfreidy hat der Del- und Weinbau 
duch Lie Entbloßung der Gipfel gelitten, weil diefe Gewächle jetzt 
öfter erfrieren. Manche Flüffe Haben jetzt einen viel veränderlicheren 
Baflerftand als fonft, find im Sommer fehr feicht und ſchwellen nad 
Regen ſtark an. Island Hatte vor Alters Wälder und Getreibebau, 
beide find aber verfhwunden. Korfu bat aus greicher Urfache größere 
Ungleihheit der Temperatur, Kleinafien und Syrien find wallerarm 
geworben, weil Table Berge die Wolken nicht jo ſtark anziehen ale 

ldete. Dieß beweifen auch die baumleeren und im Sommer ver: 
dorrten Hochebenen in Gaftilien. Aehnliche Erfahrungen vom Verfiegen 
der Duellen und der Zunahme ber Trockenheit hat man auf Teneriffa, 


(2) 
(e) 


(2) 
(e) 


— 3356 — 


Afcenfion, Trinidad, Martinique, Hayti, Mauritius, in Norbamerica 
u. f. w. gemadt. Der See Tacarigua in Benezuela, der feinen Aus: 
fluß bat, wurde bei der fortfchreitenden Entwaldung immer Feiner, 
und flieg wieder, als jene ftillftand und die gerodeten Flaͤchen ſich mit 
Holz überzogen (Bouff ingauft). Das fortgefehte Roden wird 
alfo mit der Zeit wieder fehadlih, nachdem die anfangende Lichtung 
ber großen Waldungen vortheilhaft gewirkt hat. Große Vernachlaͤſſi⸗ 
gung der Wälder in ber Türkei und ahnlice Folgen (Bou& in Berg: 
haus, Annalen, CLXX, 48); fo auch in Neapel 1807-1811, als 
dort die Rodungen freigegeben waren, v. Raumer. — Bannforftn 
egen Lawinen in den Hocgebirgen. — Reichhaltige Sammlung von 
tfahrungen giebt Bronn, Geſchichte der Natur II, 466 (1843), 
viele Beiträge auch bei Hohenftein, Der Wald, Wien, 1860. — 
Ginzelne Belege unter anderen bei Delabergerie, Histoire de 
Pagricult. franc. Paris, 1815. ©. 74—77. — Gautieri, Dello in- 
fiusso de’ boschi sullo stato fisico de’ paesi, e sulla prosperitä della 
nazioni, Mil. 1817. — Rauch, Rögeneration de la nature vegetale, 
Paris, 1818. — Castellani, Dell’ immediata influenza delle selve 
sul corso dell’ acqua. Torino, 1819. IL. — SHefperus, 1825. Nr. 224. — 
Congrös central, 1844 ©. 427. — Kafthofer, Bemerkungen auf 
einer Alpenreife, ©. 271. — Pfeil, I, 425. — Moreau de Jonn&s, 
Recherches sur les changemens produits dans l’etat physique des con- 
trôos par la destruction des foröts, Brux. 1825, deutſch von Widen: 
mann, Tübingen, 1828. — Hundeshagen, Forftpoligei, ©. 294. — 
Comte, Traite de la propriete, 1834. Cap. 13. — Becquerel, Des 
climats et de l’infiuence qu’exercent les sols boisös et non boisés. 
Paris, 1853. 


Es ift daher öfters vorgefchlagen worden, große Gbenen mit Walt: 
ftreifen zu durchziehen, 3. B. von E. M. Arndt. 


Schon Leonardo da Binci-bemerkte, daß die Flüffe in — 
Gegenden mehr Erde fortfuͤhren und niederfallen laſſen, als in menſchen⸗ 
leeren. Allgemeine Klagen über das Verſanden ber Flußbetten in 
unferem SBeitalter. Die Grhöhung des Linthbettes ($. 103) nahm 
ftärfer zu, feittem im Canton Glarus die Baummollenfabrication 
eınporfam, welche die Volkszahl vergrößerte und die Rodungen ver 
mehrte. — Grdfälle; Eſcher in v. Leonhard's Mineralog. Taſchen⸗ 
buh 1821. ©. 631. — Klagen über zahlreiche Bafferrife (ravins) 
in vielen Gegenden von Frankreich, wo 3. B. in den beiden Alpen 
Departements die öfter wiederholten Waflergüffe alle gute Erde von 
den fleilen entwaldeten Abhängen hinwegnehmen uud faft das ganze 
Land unfruchtbar machen. — Giornale dell’ Istituto Lombardo, AIV, 
65 (1846). — Becquerel ©. 316. — ». Berg, ©. 310. — 
de Lavergne, Econ. rurale de la France. &. 290. (Gmpfiehlt, bie 
neu zu bewaldende Gegend unter befondere Aufficht zu ftellen, Rodungen 
und Schaafweide zu unterfagen und paflende Holzarten anzufäen ; ter 
größte Theil des faft ertraglofen Landes gehöre armen Gemeinden.) 


3. B. an den Küften ber Oſtſee, und noch neuerlich bei Alzenau im 
Baier. Unterfranfen, Müller, ©. 21. 

Die Hige an mittäglihen Abhängen, die Kälte und ter Wind in frei: 
und hHochliegenden Gegenden fünnen bie Urſache hievon fein. In 
Schottland waren vor Alters, wie bie in allen Theilen des Landes 
noch fichtbaren Reſte bezeugen, viele Waldungen, beren Stelle jeht 
weite Haiden einnehmen. Auch Srland war fonft fchön bewalbet, 
Mac Culloch, Stat. aco. I, 526. — Klagen in Frankreich: Pour 
une ou deux röcoltes on röduit des terres propres aux bois en landes 





— 337 — 


steriles, Delabergerie, S. 77 aus den Dep. Ober⸗Garonne und 
dem ehemaligen Dep. Montblanc; im Dep. Bauclufe 130000 Heft. 
Ledung. Die vielen Waldzerförungen rührten zum Theile auch von 
polizeilichen Abfichten ber, indem man Räuber sc. vertreiben wollte, 
wie noch 1796 ein franz. General vorihlug, alle Wälder in Süps 
franfreih ale Schlupfmwinfel der Royaliften und Nriftofraten zu ver: 
nihten. Der Minifter des Innern erflärte, bieß fei ein expedient 
fächeux, welches man indeß den Gemeinden anheim ftellen müfle! 
Delabergerie, a. a. O. 


(N Eine Geldſtrafe würde bei einer großen Flaͤche nicht genug abhalten, 


(9) 


wenn nicht die Berpflihtung zur Miederherftellung des Waldes hinzu: 
füme. — Die früheren firengen Berbote des Rodens in Frankreich 
wurden durch das Belek v. 29. Sept. 1791 aufgehoben. Die jhäb: 
lihen Folgen deffelben wurden ſehr fühlbar, weshalb das Geſetz vom 
9. Flor. XI (1803) das Einholen der Erlaubniß auf 20 Jahre wieder 
einführte; doch waren Waldungen unter 2 Heftaren frei, wenn fie 
niht auf dem Gipfel oder Abhang eines Berges lagen; ebenfo neu 
angelegte Waldungen bie zum 20. Jahre. (Dieß ift billig, weil in 
einem ſolchen Kalle noch fein binreichender Grund vorhanten ift, ben 
Gigentbümer zur Erhaltung zu verpflichten.) Der Code forestier 
Art. 219. 220 verlängert das Verbot auf weitere 20 Jahre, und es 
beñeht noch jetzt. Man muß !/g Jahr zuvor die Anzeige bei dem Unter: 
präfeeten machen, daB ınan roden wolle. Grhält man in diefer Zeit 
feine Antwort, fo it die Rodung erlaubt. Der Buwiderhantelnte 
verfällt in eine Geldſtrafe von 500—1500 Fr. für den Hektar und muß 
ten Wald wieder herfiellen. Ausgenommen find (Art. 223) junge 
Wälder bis zum 20. Jahre, — geichloflene Parfe, — Wälder unter 
4 Heft. (15,° pr. M.). — Nebnlihe Anordnungen in Bern, 7. Jan. 
1824. Luzern, 25. Aug. 1824. Bündten, 30. Dec. 1824. Neapolit. 
Geſetze v. 18. Oct. 1819 und 21. Aug: 1836. Defterr. Forſtgeſetz 
$. 2 (15 fl. Strafe vom Joh). — Bad. Forſigeſetz F. 89: „Die 
Zerftörung oder Ausrodung eines Waldes ift unterfagt, wenn nicht der 
Gigenthämer zuvor die, ohme Angabe der Gründe nie zu verfagende 
Grlaubniß zur Eulturveränderung von der Staatsforftbehörbe erhalten 
at.” Nusgenommen find abgelonderte Waldungen unter 25 M. — 
er Vorſchlag, von jeder Maltrodung eine Abgabe von mindeftens 
120 Fr. auf den Heft. zu erheben, wurde vom Congrös central 15650 
mit Recht verworfen, ungeachtet der Klagen über die Abnahme ber 
Baldungen S. 254, 289, 376 der Verb. 


Forftgeieb bes Banton Maadt 6. 170: Die Ausrodungen und ber Kahl: 
bieb ſolcher Waldungen find verboten, deren Boden zu jeder anderen 
Benugung untauglich if (impropre), oder die auf fleilen Abhängen 
liegen und deren Rodung oder unvorfichtige Berwirthichaftung Nach: 
theil für den Waldboden felbft oder für benachbarte Grundſtücke haben 
fann, es fei durch Erdfälle oder Lamwinen oder durch Begünftigung von 
ſchäädlichen Waflerftrömungen. — Baier. Forſtgeſetz F. 35: Rodungen 
werden erlaubt, wenn 1) das Land zu einer befieren Benutzung taugt, 
2) der Wald nicht zum Schupe gegen Naturereignifle nörbig ift, 3) die 
er zuftimmen. Als Schutzwaldungen, deren Rodung un: 
zuläffig ift, werden in $. 36 folche bezeichnet, welche auf hohen Bergen 
und an Abhängen, auf Steingeröll des Hochgebirges liegen, zur Ber: 
bütung von Bergftürzgen und Kawinen oder gegen Sturmwind und Ber: 
fandung, Sowie zur Grhaltung der Quellen und Flußufer dienen. — 
In Frankreih trug Aniſſon-Duperron in den Jahren 1833, 1834 
und 1836 auf ein ähnliches Gefep an. Nach dem Berichte von Gillon 


Ran, polit. Delon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 22 


— 838° — 


(Dep.⸗K. 15. Ian. 1835) follten aufgeführt werden 1) Gefahr bes 
Hinabſchwemmens der Erde, 2) Berfiegen der Quellen, bie zur Ber 
forgung eines Wohnplages dienen, 3) Schuß gegen Ylugfand, See 
winde, Sturzbähe und Lawinen. 1836 beichränkte A. D. den Antrag 
auf die Waldungen auf Bergen und Sanddünen, aber auch dieß ging 
nicht durch, wegen ber Verfchiedenheit der Anfichten und ber Beforgnig, 
bag theils das Verfahren zu umfländlih, theils überhaupt die große 
Grieichterung des Rodens noch nit rathfam fei. — Eben fo wenig 
würde es zureichend fein, nach dem Rathe des franz. Congres central 
(1850 ©. 57), ſogleich jeßt alle diejenigen Waldungen im Lande zu 
bezeichnen, die nicht ausgeflodt werden bürften (Bannmwälder). 
Grebe, ©. 100. Auf dem franz. landw. Kongreß von 1849 war 
beantragt worden, daß in jedem Departement der Neigungswinfel ber 
Abhänge feigefept werben folle, bei dem die Rodung unbedingt zu 
verbieten ſei. VBorfchläge von Collot (Journal des Econom. Wär; 
und April 1854): DBerbot des Rodens von Wäldern, die bis 1000 Met. 
von den DOrtichaften entfernt find in Gemeinden von weniger als 
5 Proc. Waldflaͤche, — oder die unter 1000 M. von einer Duelle, 
einem Bad) oder Fluß entfernt find und mehr als 100 DM. über tem 
Waflerfpiegel liegen, oder bei 15—20 Proc. Steigung (d. i. 8% bis 
11%/5 Grad), oder auf Boden, der nicht zu den beiden erften Claſſen 
der Güte gehört. — In Franfreich find von 1791—1850 1115277 9. 
gerodet und nur 385541 H. neu angelegt worden. — Gine Entihäti: 
gung für die verweigerte Erlaubniß kann nicht angefprochen werden. 


(1) Bfeil, I, 437. „Es kann nichts Verderblicheres geben, als diejenigen 
Maldveräußerungen, wo blos die Beftände der Gegenftand der Specus 
lation find, indem das ganze Grundſtuͤck niedriger verfauft wird, als 
der Werth des Holzes beträgt sc.” — Le vandalisme, qui a sp£cule 
sur la destruction de nos foräts, ... (im Dep. ber oberen Bienne), 
Revue encyclop. März 1829, ©. 592. — Die VBerfuchung zu einem 
folhen Berfabren ift auch bei hohen Holzpreifen vorhanden, teil dann 
der Holzbeftand auch höher verkauft werden kann. 


() Bad. Gef. v. 27. April 1854 6. 89: Die ausgeftodte Fläche muß 
innerhalb der bei Grtheilung der Genehmigung zu beflimmenden Friſt 
in Ianbwirthfchaftliches Geländ umgewandelt werben. 


$. 157 a. 


2) Eine ſolche Behandlung eines Waldes, die benjelben 
nad und nach unfehlbar zerftören würde (Waldverwüftung, 
Abfhwendung, Devaftation) darf fhon darum nidt 
geftattet werben, weil fie, nur langfamer, die Wirkung einer 
Rodung haben und eine Umgehung ber in $. 157 angegebenen 
gefeglichen Borfchrift bilden würde. Bei Waldungen, deren 
Rodung aus den angegebenen Gründen ($. 157) nicht unter 
fagt werden würde, fällt allerdings biefer Grund einer Ein 
fprache gegen die Verwüftung hinweg, doch müßte jener Ums 
ftand erft in bem einzelnen Falle nachgewiefen und anerkannt 
werben. Ueberdieß läßt fi annehmen, daß aus einer ver 





— 3399 — 


wüftenden Behandlung wegen ihrer Dauernden Folgen ber Volko⸗ 
wirthſchaft ein weit größerer Nachtheil zugefügt wirb, als ber 
dem Eigenthümer daraus zufließende Nupen beträgt, denn es 
wird auf lange die Holzerzeugung und ber Ertrag einer ges 
wiffen Hläche vermindert. Die Erwägung, daß ein ſolches 
Verfahren oft nur von ber Unwiffenheit ober Nachläffigkeit des 
Eigenthümers berrührt, muß zur Empfehlung bes erwähnten 
Berboteß beitragen (a). Das Geſetz muß den Begriff ber 
Holzverwüftung fo bezeichnen, daß feine verfchiedene Auslegung 
ded Verbotes eintreten Tann, obſchon eine Aufzählung aller 
unter jenen Begriff fallenden Mißgriffe ſchwierig if (d). Wenn 
ber Waldeigenthuͤmer trop ber ihm gegebenen Mahnung bie 
verwüftende Behandlung fortfest, fo macht er ſich firaffällig (c). 
IR der von einer VBerwüftung zu beforgende Nachtheil wegen 
ker örtlichen Umftände groß und hat ber Eigenthümer ſchon 
den bevorftehenden Borfchriften zumiber gehandelt, jo fann aud) 
eine vorübergehende ftärfere Beauffichtigung zum Bebürfniß 
werden (d). 

3) Größere Blößen, db. h. Flächen, auf denen der Wald 
zerflört ift und die öde liegen bleiben, verurfachen einen forts 
dauernden Verluſt am Volfseinfommen. Entftehen fie erft neu 
durch Berlegung ber beftehenden Borfchriften über die Walb- 
verwüfung, fo iſt der Zwang zur Wiederherftelung bed Waldes 
duch Saat oder Pflanzung ohne Zweifel zuläffig. Rühren 
aber Blößen aud einer früheren Zeit ber, in welcher feine 
geſetzliche Verbindlichkeit befand, ihre Entftehung zu verhüten, 
[0 geht die Nöthigung zu einem Gapitalaufwande für ben 
Holzanbau, ben der Eigenthümer nicht aus eigenem Antriebe 
unternehmen will, zu weit. Eher ift eine für ſolche Faͤlle an- 
geordnete Zmangsabtretung der mit großen Blößen vermengten 
Waldungen an die Gemeinde oder ben Staat zu billigen, 
wenn biefe den Anbau der Blößen bewirken wollen und ber 
Eigenthümer fidy nicht felbft zu demfelben entfchließt und ihm 
nicht in Berüdfichtigung befonderer Umftände Friſt gegeben 
wird (e). 

4) Auch die Zertheilung eined Waldes unter mehrere 
Eigenthümer ſoll von befonderer Staatögenehmigung abhängig 


gemacht werden, denn wenn bie einzelnen Antheile jo klein 
22° 


— 340 — 


werben, daß fie feine gute Bewirtbichaftung geftatten, fo leibet 


bie 


Holzerzeugung. Solche Theilungen pflegen auch nur ba 


vorzufommen, wo ein Wald fi) im gemeinfchaftlichen Eigen⸗ 
thum Mehrerer befindet (f). 


(«) 


(2) 


(e) 


(d) 


(e) 


Nach den Ermittelungen der Forſtbehörden ift in Baden !/ıs der Wald: 
fläche verödet oder duch ſchlechte Bewirtbichaftung herunter gefommen. 
Im bad. Odenwalde betragen dieſe verborbenen Waldungen über die 
Hälfte aller derjenigen, die fi) im Befipe einzelner Berfonen mit Aus: 
fhluß der Standes: und Grundherren befinten. Begründung tes 
Geſetzentwurfs v. 1854. — Ueber die Sofgpermüftung in Norwegen 
Niemann, orfiftatiftif des dan. Staats ©. 145. 


Man rechnet dahin auch den Kablbieb in Waldungen, bie ber Be: 
fhüßung wegen nicht gerodet werden dürfen (baier. Forſtgeſ. $. 40, 
öfterr. Forfigef. $. 6, bad. Forſtgeſ. neuer F. 90 von 1854), das 
Uebermaaß der Nebennugungen und dgl. — Arnsperger, ©. 19. 
Brebe, ©. 105. 


Bad. Gef. v. 27. April 1854, neuer 6. 90 bes Forfigef.: „wenn bie 
Bewirthſchaftung eines Waldes die Zerflörung deſſeiben befürchten läßt, 
insbefondere wenn berielbe auf eine Weife abgetrieben wird, daß die 
fofortige Wiedererziehung eines jungen Waldes durch natürlichen Saamen: 
abfall oder uch Stodausfchlag nicht erwartet werden kann, oder 
wenn bie Borfinebennugungen beharrlich auf eine Art ausgeübt werden, 
daß eine Waldzerflörung zu beforgen ift, fo Hat bie Forſtbehoͤrde ein 
ſolches Verfahren fofort einzuftellen.” — Oeſterr. Yorfigel. $. 4. Die 
Strafe der Verwuͤſtung ift höhe, wenn die Holzzucht ganz unmöglich 
gemadt, ale wenn fie nur gefährbet if. 


Nah den neuen $6. 30—90b des bad. Forfigef. kann bei gewiflen 
Megelwidrigfeiten ein Waldeigenthuͤmer auf Antrag der Forſibehoͤrde 
nad Erkenntniß des Bezirfsamtes auf mindeſtens 10 Jahre unter 
DBeförfterung geftellt werden. 


Bal. $. 157 (a). — Baier. Forſtgeſ. F. 42: Walpblößen, welche nad 
Berfündigung des gegenwärtigen Geſetzes entfiehen und nicht cultur: 
fähig find, müflen aufgeforflet . . . werten. — In Frankreich wurde 
vom conseil gen. d’agric. vorgeichlagen, ter Staat möge bie Stellen 
durch Zwangsabtretung an fih bringen, nad 6 Jahren aber die Zurüd: 
nahme gegen Koftenerfab dem früheren Gigenthümer geftatten. Nach 
Lacaves2aplagne waren 1846 über 21, Mill. Heft. Warlpblößen, 
wovon über 11/. Mill. den Gemeinden gehörten. Nach Abzug ter 


‚nadten Felſen oder der auf andere Art zu benußenden Flächen bleiben 


1%/ Mill., die fih zur Waldanlage eignen, wobei die Koſten berfelben 
ungefähr 76 Fr. p. Heft. (gegen 9 Fr. ter pr. M.) betragen würden. 
Es ift billig, dem Gigenthümer, wenn es ihm an Mitteln fehlt, einen 
Borfhuß zu geben, wie dieß in der Bifel durch die preuß. Megierung 
eſchieht. — Bad. Forſtgeſ. neuer 6. 90a von 1854: „Alle cultur: 
Fähigen Waldflächen, welche ſich in einem Zuſtande befinden, der bie 
Bomahme von Bulturen erfordert, um eine vollftändige Beſtockung 
herbeizuführen, fowie die ausgeftocdten, aber innerhalb der beflimmten 
Friſt nicht in Iandwirthfchaftliches Gelaͤnd umgewandelten Flaͤchen 
müflen durch Culturen wieder in Waldbeſtand gebracht werden.“ 
Wenn der Bigenthümer den Anbau ungeachtet der Mahnung nicht 
vornimmt, fo gefchieht dicfer von Amtswegen, ber Staat fhießt tie 





— 341 — 


Koſten vor und ber Cigenthuͤmer hat fie zu verzinſen, auch fpäter zu 
vergüten. 


(f) Schar. Forſtgeſ. Ss 21. — Baier. Borfigef. F. 20. Die Zuflimmung 
Ss 5. Polizeiftelle) darf nicht verweigert werten, wenn bie einzelnen 
eile auch noch nach der Bertheilung einer regelmäßigen Berwirtbfchaf: 

tung fühig bleiben. 


6. 158. 


Die frühere Verwechslung von Holztheuerung und Holz 
mangel bat in der Pflege der Forſtwirthſchaft eine Aengftlichkeit 
hervorgebracht, von der man in nenerer Zeit zurüdgelommen 
ft. Das Steigen bed Holzpreifes ift eine nothwendige Folge 
solföwirthfchaftlicher Borgänge, e8 hängt mit ber Volksvermeh⸗ 
rung und ber allgemeinen Erhöhung der Örundrente zuſammen 
und Fönnte daher ohne einen nicht zu rechtfertigenden Zwang 
nicht verhindert werden (a). Obſchon diefe Holzvertheuerung, 
wenn fie rafch erfolgt, von läftigen Wirkungen begleitet ift 
(I, 8. 385), fo läßt fie doch feinen wahren Holzmangel bes 
forgen, weil mit dieſem augenblidlicyen Uebel von felbft vers 
ſchiedene Milderungs⸗ oder Heilmittel eintreten: 

1) Die Waldeigenthümer erhalten einen Antrieb, ihre 
Forſten zu erhalten, gut zu benugen und zu vermehrten, alfo 
die Holzerzeugung zu erweitern, vorzüglid” auf unbebingtem 
Waldboden, wo die Wahl zwifchen mehreren Benußgungen 
binwegfällt. Je mehr ein Land von ſolchem Waldboden hat, 
deſto cher findet dad Steigen des Holzpreifes eine Graͤnze, 
tie dagegen in fruchtbaren Ebenen viel entfernter ift, I, $. 386. 

2) Es erfolgen Zufuhren aus Gegenden, in denen bie 
Waldrente niedriger fleht (I, 8. 214), und zwar aus befto 
größerer Entfernung, je beffer bie Land» und Waſſerſtraßen 
find. Durch Verbefferung bdiefer Straßen werden die Holz 
preife in den verfchiedenen Gegenden einigermaßen auögeglichen 
und die Zehrer in den waldarmen Landestheilen haben bievon 
ebenfoviel Ruben ald die Waldeigenthümer in bolzreichen Be: 
zitken, $. 166. Freilich wird hiedurch auch die Ausfuhr des 
Holzes erleichtert, wad dann wenigftens das Einfommen ber 
Waldbefiger vermehrt. 

3) Man bemüht ſich, holzfparende Einrichtungen zu treffen 
und Erfagmittel des Holzes zu Hülfe zu nehmen, $. 164. 


(a) Die Holzvertheuerung im ſüdlichen Deutſchland, bie etwa feit 1836 
die ſtaͤrkſten Fortichritte gemacht hat, ift als die Folge mehrerer zufammen: 
wirfender Umftände anzufeben, wohin die fchonendere Behandlung vieler 
Gemeindeforften, die härtere Ausfuhr von Baus und Nußholz auf den 
Waſſerſtraßen (3. B. nad Südfrankreich auf dem Rhonecanal), die 
von dem ftarfen Anwachſe der Volfsinenge und ben vermehrten Zabrifen 
herrührende Ausdehnung des Begehres, die fortgeſetzten Rodungen, 
der Bedarf für die Bitenbahnen sc. gehören. Der befunders zufolge 
der Eifenbahnen zunehmende Verbrauch der Steintohlen hat dem fort: 
bauernden Steigen der Holgpreife Einhalt gethan. Juſti (Polizeiwiſſ. 
I, 85 ff.) bemerft ſchon 1760, das Holz gelte 6—8 mal foviel als 
vor 100 Jahren. Bei der Theilung der vier anhaltifchen Linien erhielt 
Bernburg die Harzwaldungen mit 6000 Thlr. angefchlagenem Rein⸗ 
ertrag, der 1747 ichon 66000 Thlr. betragen habe und zu Jufti’e 
Zeit wohl 100000 Thlr. fei! Der Verf. erkennt, daß bei zu geringem 
Holzpreis alle Ermunterungen zu Anpflanzungen vergeblich ſeien. Der 
Preis müfle fo fein, daß ein „Ackerholz, wenn man die Nutzung von 
30—50 Jahren zufammenrechnet, ebentontel jährlich einträgt, ale ein 
Ader von der 3. oder geringeren Glafle“ im Durchſchnitt. Gr glaubt, 

‚ ein Preis von 2 Thlr. für die Klafter (216 C.⸗Fuß) weiches und 
3 Thlr. für hartes im Walde fei ein richtiges Verhaͤltniß. 


$. 159. 


Da die erwähnten natürlichen Gegenmittel ber Holjver- 
theuerung nur langſam wirken, fo koͤnnte bei einem raſchen 
Fortfchreiten berfelben wenigftend vorübergehend eine Bedraͤngniß 
ber bürftigeren Einwohner, bie Lähmung nüßlicher holzverzeh⸗ 
render Gewerke und eine Zunahme bed Holzdiebſtahls, der bie 
vorhandenen Waldungen gefährdet, eintreten I, $. 385. Unter 
folhen Umftänvden find zur einftweiligen Minderung dieſet 
Nachtheile hauptſaͤchlich nachſtehende Regierungdmaaßregeln zu 
empfehlen: 

1) Eifrige Befoͤrderung neuer Waldanlagen auf Staats 
gütern (III, $. 147) und Gemeinbelänbereien, 

2) Erleichterung der Holgverfendung 8. 166. 

3) Ermunterung zum Gebrauche anderer SHeizftoffe, $. 164 
Nr. 2. 

Als Mittel für ben Nothfall, zu denen bie Regierung nicht 
leicht ihre Zuflucht zu nehmen braucht, koͤnnen noch genannt 
werden: 

a) Die weitere Ausbehnung ber in $. 157 a genannten 
Aufſichtsmaaßregeln auf einige Zeit, fo lange die Ungewohnt- 
heit der freien Bewirthichaftung zu größeren Yehlgriffen ver- 
leitet (a). 


— 343 — 


b) Die Anlegung eines Audfuhrzolles auf Holz, ald vors 
übergehende Maaßregel. Ein foldher Zoll fowie eine andere 
Erſchwerung der Holzausfuhr ift im Allgemeinen nicht rathfam, 
weil dadurch die Rente des Waldbodend herabgebrüdt wird, 
befonderd in entlegenen Wäldern, und meil die fünftliche Ers 
niedrigung bed SHolzpreifed den Eifer zur guten Bewirthſchaf⸗ 
tung ber Waldungen ſchwaͤcht (5). 


(a) Pfeil (Korftpolizeigefege, S. 166) zeigt, daß in ben weftlihen Pro- 
vinzen des preußiſchen Staates nicht die nämliche Freiheit der Wald; 
wirtbfchaft rathfam fei, wie in den öftlichen, wozu fchon der Umftand 

« viel beiträgt, daß in biefen die Waldungen größtenteils aus Nadelholz 
beſtehen und daher weit leichter zu behandeln find. 


Waadtl. Gef. v. 21. Mai 1835: So lange nicht der Betrieb aller 
Wälder nach dem Gelege regulirt ift, darf die Holzausfuhr nur mit 
beionderer Genehmigung der Forftcommilflon auf den Bericht des Forſt⸗ 
Infpectors gefchehen. Der Ausfuhrzoll wird alle 5 Jahre nad ben 
Holzpreifen regulirt. Die Erlaubniß kann einem Privaten verfagt 
werten, wenn er heimlih Holz ausgeführt, oder den Grlaubnißfchein 
auf einen Anderen übertragen oder zuviel begehrt hat (qui auraient 
exagere leurs demandes). — Auch in Unterwalden ift die Holzausfuhr 
an die Staatögenehmigung gebunden. 


(6 


— 


8. 160. 


Die Maaßregeln der Regierung zur Beſchuͤtzung ber Wal⸗ 
dungen gegen wiberrechtliche Handlungen und Raturübel (Borft- 
(bug) gehören ihrem Zwede nad) in das Gebiet der eigent- 
lihen oder Schugpoligei (a), ftehen aber mit ber aud volfs- 
wirthfchaftlichen Gründen angeorbneten Staatsauffiht ($. 157. 
157 a) in enger Verbindung und werden wegen ber bazu 
nöthigen Kenntniß ber forftwirthfchaftlichen Kunftregeln nicht 
von den gewöhnlichen Organen der Polizei, fondern von bem 
Forſtperſonal ausgeübt. ES find hiebei nicht allein fchädliche 
Handlungen folcher Berfonen zu verhüten, denen die Waldungen 
ganz fremd find, fondern auch die Uebergriffe der zu Nebens 
nugungen verfchiedener Art Berechtigten, 8. 161 ff. Die nädhfte 
Bewachung der Waldungen gefchieht von den Waldhütern, 
weiche durch die Eigenthümer beftellt werben, unter Aufficht 
der Bezirköförfter und der höheren Borftbeamten, III, 8. 145. 
Obgleich in der Regel bie Staatögewalt nur ba für den Schuß 
des Privateigenthums forgt, wo bie Einzelnen fich nicht felbft 
die nöthige Sicherheit verfehaffen können, fo hat es ſich bo 





— 348 — 


(4) Wenn ber Berechtigte ſelbſt gerade fo viel erhält, als der Zuwachs be: 
trägt, fo bleiben dem Gigenthiimer doch die Nebennugungen und bie 
Ausfiht auf den, bei forgfältiger Bewirtbfchaftung möglichen Mehr: 
ertrag. — Das bad. %.:@. g. 107 behält bei diefer Beſchraͤnkung dem 
Berechtigten nur dann eine Entſchädigung vor, „wenn ber Waldeigen: 
thümer durch Verminderung des nachhaltigen Beftandes den Grtrag 
unter das Maaß der Berechtigung herabgebracdht hat.“ Gbenfo baier. 
F.G. f. $. 161 0). 

(e) Code forest., Art. 80. 120 (bois mort, sec et gisant). Bad. %.:@. $. 119: 
fein abgeftorbenes Holz über 5 Zoll Die. — Schneiteln (Abnehmen von 
Aeften der Nadelbäume zur Streu) in Oeſterreich, %.:©. $. 12. 


(f) 50jährige Stämme, Feſtſetzung der Zahl von Einfchnitten durch den 
Förfter, Wiederholung nur nah 2 Jahren, bad. Forſtgeſ. $. 49. 50. 


$. 162. 


II. Rechte zur Benugung anderer auf dem Waldboden 
befindlidher.Begenftände. 

1) Ueber die Waldweide, ($. 74.) gelten nachftehende 
Erfahrungsregeln: a) Das junge Holz bedarf fo lange, bis «6 
bein weidenden Vieh entwachfen ift, nothwendig ber Schonung. 
Eine einfache gefegliche Beftiinmung der Schonungszeit ift nicht 
überall zwedmäßig, und wenn fie für alle Fälle die erforderliche 
Sicherheit geben fol, fo entzieht fie in manchen Waldungen 
den Berechtigten mehr Weideraum, ald nöthig wäre (a). Daher 
follte das Gefeg nicht blos auf verfchiedene Holz» und Betriebs⸗ 
arten Rüdfiht nehmen, fondern audy bei einer jeden berfelben 
ftatt einer unveränderlihen Zahl von Jahren ein maximum 
und minimum beftimmen (d). Die Weideplaͤtze werben jährlid 
angewiefen. Wenn ber Eigenthümer die Betriebsart oder bie 
Holzart abändert, fo darf er ohne Entfchäbigung Feine längere 
Schonungszeit anfprechen, als der frühere Zuftand mit ſich brachte. 
b) Die Zahl des einzutreibenvden Viehes wird zufolge örtlicher 
Unterfuchung beftimmt (c). c) Das Vieh darf nicht ohne Auf 
ficht, nicht vereinzelt weiden, und ed muß auf einem Wege zu 
den Weideplaͤtzen geführt werden, wo ed Feine jüngeren Schläge 
berühren fann. d) Die Weide follte nicht vor dem Mai an- 
fangen (d). e) Ziegen follten nicht in den Wäldern gebulbet 
werden, in Anfehung der Schaafe aber geht bie in mehreren 
Forftgefegen enthaltene unbedingte Ausſchließung derſelben auch 
von Holzbeftänden, die dem Viehe „aus dem Maule gewachſen 
find‘‘, weiter, ald es nöthig iſt; dad Holz wird fogar ben 





— 349 — 


Schaafen eher unerreichbar (e); doch ſollte das Eintreiben von 
Rindvieh und Schaafen zugleich nicht erlaubt ſein. 

2) Das Hinwegnehmen der Waldſtreu fuͤr die Duͤnger⸗ 
gewinnung ſchwächt den Holzwuchs, indem es bie für denſelben 
nüglihe Humusdede des Bodens vermindert oder ganz zerſtoͤrt. 
Bei ſtarker Streubenugung wird fogar der Bortbeftand ber 
Baldungen gefährbet (fl. Es iſt aber hier ſchwer, bei ben 
verichiedenen Abftufungen des Nachtheils gerade dasjenige Maaß 
der Einfchränfung zu bezeichnen, welches ohne Entfchädigung 
feftgefeßt werben barf. Geht die Berechtigung gewiſſer Orts 
ſchaften oder einzelner Haußbefiter auf die Streumenge, bie fie 
zur Bereitung des für ihre Belbwirthfchaft erforderlichen Stall- 
mifted bedürfen, fo muß jene aus dem mittleren Viehſtande nach 
Abzug des durchfchnittlichen Stroherzeugnifled ermittelt werden, 
was jedoch ſchwierig ift (9). Bei undeftimmten Berechtigungen 
muß man fich begnügen, die nöthigften Schonungsregeln vor⸗ 
zuihreiben, welche die Wälder in gutem Stande erhalten, und 
dadurch auch den Berechtigten die Fortdauer ihrer Streugewinnung 
Ahern. Es wird deshalb das Streufammeln erft in den Wäldern 
von einem gewiffen Alter (A), nicht mehrere Jahre nach einander 
auf demfelben Plage (i) geftattet und einige Jahre vor dem 
Hiebe ausgeſetzt; auf magern Boden oder fteilen Abhängen 
muß es bisweilen eine Zeit lang ganz unterfagt werben, eiferne 
Verfjeuge werben verboten und beſtimmte Tage zum Streus 
ſammeln feftgefeßt (k). 

3) Die Benußung des Graſes follte in ganz jungen und 
tihten Beftänten nur ohne den Gebrauch fehneidender Werks 
zeuge, durch Ausraufen, gefchehen (2). Ä 

4) Maft und Sammeln ber Eicheln und Buchnüſſe. 
Dieß darf nur da gefchehen, wo die Früchte nicht zur Befaamung 
nothwendig find. Die Zahl der einzutreibenden Schweine wirb 
jährlich nach der Ergiebigkeit der Maft von dem Forfibeamten 
feſtgeſezt und die Benubung einige Monate unter fleter Aufficht 
eined Hirten geftattet (m). 


(«) Pfeil, Forſtpolizeigeſ. S. 251. Auf gutem Boden fann die Weide 
früher beginnen, weil das Holz fchneller aufwaͤchſt. 


() Im Hochwalde ift mehr Raum für bie unfchädliche Weide als im Nieder: 
walde, im Fehmelbetriebe ift das Bintreiben des Viehes überall nach» 


(e) 


(d) 


— 3550 — 


theilig und dieß erklärt fchon den fchlechten Zuftand vieler Wälder 
früherer Zeit. — Nach der franzöf. Orbonanz von 1669 Tit. 19 $. 1 
darf fein Schlag beweidet werden, den nicht das Forſt⸗Amt für hin- 
reichend erwachſen (döfensable) erklärt hat. Ebenſo Code forestier Art. 67, 
nur daß der Recurs an den Präfecturrath frei ſteht. Sährlich wird vor 
dem 1. März bekannt gemacht, welche Waldbezirke zur Weide geöffnet 
find, Art. 69. — Bat. F.⸗G. $. 31. 121: Die Schonungszeiten gehen 
im Hochwalde bei Laubholz bis zum 35., bei Nadelholz bis zum 30., 
im Niederwalde bei hartem Holze bis zum 25., bei weichem bis zum 
12. Jahre. — Die überfteigt das Bebürfniß, wie es gewoͤhnlich an: 
enommen wird, 3. B. Pfeil, (Forſtſchutz ©. 294): Hocqwald, 

ihen 15— 30 Jahre, Buchen 15— 25, Fichten, Tannen 16— 25, 
Kiefern 16 — 20, Niederwald, Bien 10—16, Birken 8—12 ı. 
Hundeshagen (MWaldweide und Waldfireu, ©. 61): Buchen: und 
Gihenhohwald für Rindvieh und Pferde 18—24, für Schaafe 14 — 18 J., 
Kiefern resp. 12—16 und 9— 12 Jahre u. Cotta: Buchen und 
Tannen Y/s— !/a der Fläche, Eichen Y— !’s, Kiefern, Fichten Yyno— !/s. 
Dafür ift in dem angeführten bad. &ef. dem Berechtigten ein Ent⸗ 
ſchaͤdigungsanſpruch eingeräumt, wenn fein Rechtstitel einen größeren 
Umfang der Beredtigung enthält, $. 106. — Nach dem breub, Edict 
vom 14. Sept. 1811 $. 27. 28 ſoll die Schonungsfläche hauptſächlich 
durch das Bedürfniß der Wiedercultur beftimmt werden. — Deit. %.:®. 
6. 10: Hochwald mindeftens !/e, Mittel: und Niederwald minbeftens '/s. 


Code for. Art. 68. — Die Thiere erhalten ein Zeichen und eine Glocke, 
Art. 73. 75, wie in ber Ord. a. a. D.$. 6.7, f. au Fournel I, 500. 
IL, 150. 


Bad. Forſtg. $. 33: nur vom Mai bis zum October. 


Schon die franz. Orb. v. 1669 Tit. 19 6. 13 verbietet das Eintreiben 
beider Ihiergattungen bei Strafe von 3 Lip. vom Stüd und Confiscation 
ber Thiere. Der Saffationshof hat erkannt, daß die Erlaubniß des Eigen⸗ 
thümers die Strafbarkeit des Sintreibens nicht aufhebt; Fournel, Lois 
rurales, II, 152. Mebereinflimmend Code for. Art. 78. Doch ift hier 
dem Meideberechtigten eine Bntichädigung vorbehalten, und es Fann das 
Gintreiben in einzelnen Dertlichfeiten von dem Könige erlaubt werden. — 
Ebenfo bad. F.⸗Geſ. 6. 36. Dagegen Pfeil, F.⸗Polizeigeſ. S. 217, 
F.⸗Polizeigeſ. S. 241, wo audy die Ziegen einigermaßen in Schuß ge 
nommen werden. — E. Andres in Oekon. Neuigkeiten, 1831. Nr. 70.— 
Im Fichtenwalde ift von den Schaafen wenig zu beforgen, v. Berg ©. 221. 


(f) Die aus dem Blätterabfall entfiehende Humusihicht ſchũtzt ben Boden 


por dem Austrodenen durch Sonnenwärme und Winde, zieht Feuchtig⸗ 
feit an, verbünftet Koblenfäure und erfeßt dem Boden einen (allerdings 
fleinen) Theil der ihm entzogenen Dlineralftoffe. — Hundeshagen 
(Die Waldweide und Maldireu, ©. 9 ff.) nimmt an, daß 1 Gentner 
Streu, die man im Buchenhochwalde jährlih wegnimmt, ten Zuwachs 
um 3—7 Eubiffuße vermindere. Sorgfältige Berechnungen mit Rüdfidt 
auf das Alter, in welchem die Streubenugung beginnt, und auf bie 
gaufigere oder feltenere Wiederholung, v. Wedekind, in Karler. amtl. 

eriht, ©. 188. — Aehnliche Nachrichten bei Jäger, Die Land: unb 
Forſtw. im Odenwalde, S. 226. — Ueber die Nachtheile der Streu: 
berehtigung v. Berlepfch im Amtl. Bericht über die XX. Berfammlung 
d. Landw. (Braunfchweig, 1858) ©. 102. — Preuß. Gem.⸗Theil.O. 
$. 140: „Von Berechtigungen, Streu zu rechen, kann der Werth 
niemals höher berechnet werben, als bie Beredtigung bei Beobachtung 
der Forſtpolizeigeſetze hat benubt werben können. ‘' 





— 351 — 


(9) Der Iandwirthichaftlihe Werth der Laubftreu ift ungefähr 1/s— !/s, ber 
der Nabelftzeu !/a— 3/4 des gleichen Gewichtes Stroh. Ob der Land: 
wirtb bei der Beflimmung des -Streubebarfes fi) fein Stroberzeugniß 
abziehen laſſen, oder ob ihm beflen Verkauf geftattet fein folle? Pfeil, 
Forkihup, S. 305. 

(1) Bat. F.⸗G. $. 41: Im Hochwalde das Laubholz mit 40, das Nadel: 
bolz mit 30 Jahren, im Niederwalde das harte mit 15, das weiche 
mit 12 Jahren. — Nah Waldmann (Amtl. Bericht über die XV. Verſ. 
S. 103) follen die jungen Beftände bis zur Hälfte der Haubarkeit 
eihont werten. Oeſt. F.⸗G. 6. 11: nidt in Durchforſtungs⸗ und 
Berfüngungsfchlägen. 

G) Waldmann: alle 4—5 Jahre. — Dies ift nicht einmal ben Bes 

rechtigten nethwendig fchädli, weil durch die fchonendere Streunugung 

der Holzwuchs und fomit die Erzeugung von Blättern verftärkt wird. — 

Dei. F.⸗G. 5. 13: höchftens alle 3 Jahre. 

Bemerkenswerth ift der Derihlag, das Streurechen durch Lohnarbeiter 

vornehmen, das Grgebnig zu Gunſten der beredhtigten Gemeinde ver: 

fleigern zu laffen, und fodann den Erlös unter die Mitglieder zu vers 
tbeilen. Die Abſicht ift Hiebei, die üblihe Verſchwendung ber Streu 
zu verhüten, die allerdings wegfällt, wenn man dieſen Stoff nicht mehr 

unentgeltli erlangt; v. Wedekind in Karler. amtl. Bericht, ©. 97. 


() Bad. F.⸗G. $. 39: nur in Schlägen außer der Schonungszeit. 
(u) Code for., Art. 66 fi. Bad. F.⸗G. $. 44 fi. 


(k 


— 


8. 163. 


Sind die Waldberechtigungen in gewiſſe Graͤnzen gebracht, 
fo iſt ihre gaͤnzliche Abloͤſung bei ben einzelnen Arten nicht in 
gleihem Grade dringend. 

1) Das Beholzungsredht kann am leichteften durch 
Abtretung eined Stüded Wald abgelöft werden, indem man 
nad) genauer Abſchaͤtzung diejenige Fläche ermittelt, auf welcher 
gerade ein ber Berechtigung entfprechender Reinertrag an Haupts 
und Rebennugungen jährlich erzeugt wird (a). Da jedoch Kleine 
Waldſtrecken Feine gute Bewirthfchaftung zulaſſen, fo iſt dieſes 
Mittel nur da ganz unfchählih, wo eine beträcdhtlihe Wald» 
fläde abgetreten wird, bie, wie bei einer Gemeinde, unter einer 
einzigen Verwaltung bleibt, oder wo etwa ber Antheil bed 
Berechtigten an einen Wald beffelben anftößt. In anderen 
Fällen treten die von einer Zerftüdung der Borften geltenden 
Rüdfihten (8. 159) auch hier ein, und es follte daher wenigftens 
nicht ber Antrag ded Waldeigenthümerd allein biefe Art ber 
Abfindung bewirken können. . 

2) Die Benupung des abgängigen und abfälligen 
Holzes ift für den Eigenthümer darum läftig, weil beim Sammeln 


— 352 — 


jener Holzarten auch Entiwendungen anderer ſchwer zu verhindern 
find. Ein Abfauf durch Waldabtretung wird von dem Eigen: 
thümer nicht Teicht gewählt, eine Geldentſchädigung aber if 
wegen der Wahrjcheinlichfeit einer fortdauernden Holzvertheurung 
für die Berechtigten fein befriedigender Erfag, weshalb eine 
Holzabgabe (Holzbeputat), 3.3. von Reisholz, die angemeflenfte 
Entfhädigungsart fein würbe. 

3) Die Berechtigung zum Harzſcharren ift zur Schonung 
bed Nahrungsftanded der Pechfteder nur allmälig zu entfernen, 
wegen der fchädlichen Wirkungen auf die Güte ded Holzes ift 


aber die Ablöfung bei höheren Holzpreifen unvermeidlich. 

(a) C. for. Art. 63. 118: Die Beholzungsrechte (droits d’usage en bois) 
fönnen durch cantonnement (Waldabtretung) entfernt werden, und bie 
Größe des abzugebenden Waldes wird in GSrmanglung einer Berein: 
barung durch die Gerichte beffimmt. Diele Verfügung flammt aus dem 
Geſetz vom 19— 27. Sept. 1790 her. Der Iandw. Congreß von 1850 
trug nad Chevandier's Vorſchlag darauf an, daß zur Ermittlung 
der Entfchädigungsfumme für den Berechtigten (usager) nicht das 20:, 
ſondern das 25 fache bes Verkehrswerths der Holzabgabe genommen 
werde. Die Ablöjung geichieht daun durch Hingabe einer Waldfläce 
von gleihem Werthe. — Bad. %.:&. $. 134: Der Entfchädigungstheil 
darf gegen den Willen des Berechtigten nicht aus getrennten Stüden 
beftehen. — Waadtländ. F.⸗G. $. 193: Der Berechtigte hat die Wahl 
zwifchen dem 20 fachen Geldbetrage und einem Waldſtuͤcke. — Weber vie 
Ausmittlung ſ. vorzüglid Hundeshagen, Borfipolizei, ©. 169 fi. 


6. 163a. 


4) Die Streuberedhtigung verurfadht auch nad ber 
ohne Entfhädigung zuläffigen Befchränfung (8. 162) eine Ber: 
minderung des Holzwuchſes und aud die auf jened Maaß 
zurüdgeführte Weideberechtigung bleibt noch mit Nach— 
theilen verbunden, zumal da man durch fie bei der Wahl ber 
Wirthfchaftsinethode beengt wird. Die weitere Verminderung 
oder gänzliche Entfernung beider Dienftbarkeiten ift alfo für bie 
Holzerzeugung offenbar vortheilhaft (a); dagegen leiften aber 
Streu und Weide für die Düngergewinnung und Bichzudt 
gute Dienfte. In früheren Zeiten, ald das Holz faft preidlod 
war, gemwöhnten fidy die Landwirthe an dieſen Beiftand der 
‚nahen Wälder und die ganze Wirthfchaftseinrichtung in walde 
reichen Gegenden fügte fi) darauf, weßhalb das plögliche Auf- 
hören dieſer Hülfe läftige Störungen hervorbringen, namentlich 
ben Viehſtand fowie den Bodenertrag fchmälern würbe (5), 





— 3853 — 


obgleich es feinem Zweifel unterliegt, daß bie Landwirthfchaft 
bei guter Einrichtung die Weide und Waldftreu entbehren kann. 
Es läßt fi) annehmen, daß bei einer richtigen Schäßung bes 
Verkehrswerthes von Streu und Weide für bie Beldwirthfchaft 
der Waldeigenthümer nur dann die Ablöfung verlangen wir, 
wenn ber höhere Holzpreis ihm biefelbe noch vortheilhaft macht 
und ihn in den Stand feht, eine genügende Entfchädigung ans 
zubieten. Doch fönnten felbft bei biefer Borausfegung bie 
Berechtigten bisweilen in Verlegenheit gerathen, wenn fie mit 
der Geldentſchädigung in ihrer Nähe keine Gelegenheit finden, 
den Heus und Strohbebarf einzufaufen und wenn fie die Weide 
nicht fogleich durch Stallffütterung erſetzen fünnen. Es ift deß⸗ 
halb zwedinäßig, unter folchen Umftänden den Landwirthen zu 
den nöthigen Veränderungen Zeit zu laffen, zu denen der Futter: 
bau auf dem Felde, die Anwendung von Erfagmitteln der Wald⸗ 
freu (3. B. Torf, Erbftreu), die Berbefierung ver Wiefen und 
der Düngerbehandlung, die Urbarmachung von Ländereien u. dgl. 
gehören (c). Wenn alfo eine Ablöfung jener Berechtigungen 
von dem Waldbeſitzer begehrt wird und die Berechtigten verfelben 
widerfprechen, fo muß dad Gutachten von Sadjverftändigen 
darüber erhoben werben, ob dem Antrage ohne Racıtheil für 
den Feldbau und bie Viehzucht Bolge gegeben werben Eann. 
Im Berneinungsfalle wird dann die Befreiung (PBurification) 
der Waldungen um einige Jahre verſchoben und unterbefien 
darauf hingewirkt, daß jene Umänderungen im landwirthfchaft- 
lihen Betriebe ausgeführt werden. Man Fönnte auch eine 
allmaͤlige Abſchaffung der genannten Nebennupungen verabs 
eben. Eine freie Vereinbarung beider Theile ift das befte Aus, 
funftömittel (d) und die Abfindung in Land hat für die Bes 
rechtigten vor der Ablöfung mit einer Geldfumme Vorzüge. 

5) Die Maftgerechtigfeit verhindert die Umwandlung in 
Nieder» oder in Nadelwald und verdient daher ebenfalls, wie 
die Weides und StreusServitut behandelt zu werben. 

(a) Gründe für die Unzulänglichfeit einer Beſchraͤnkung biefer Dienftbar- 


keiten und für die Ablöfung derſelben in Amtl. Bericht über die XX. Ders 
fanmlung a. a. O. 
(5) Qunbeehagen. Waldweide, S. 110. — pfeit, Forſtw. I, 151. — 
Werth der ung, in Sa bitgen, Rath gut Anlegung von Butter: 
wäldern: Kafthofer, B 129 — 134 
Rau, yoltt. Deton. II. 1. Abth. r an 23 


— 4 — 


(e) Knaus, Ueber die Mittel, um die Waldſtteu für die Landwirthſchaft 
möglichft entbehrlih zu machen. Amorbach, 1839. — Walz, Ueber 
die Waldftren, Stuttg. 1852. — Seelig im Archiv, N. F. X, 103. 
Die Erdſtreu hat in den legten Jahrzehnten große Aufmertfamfelt erreg 
und ihre Vorzüge werden buch Payen's neueſte Verſuche über die 
Einſaugung des Harns buch verfchiebene Körper beftätigt. Dingler, 
Bol. 3. OXAX, 224. 


(d) Nah dem C. for. $. 64. 120 können alle Servituten außer bem Be: 
holzungsrechte in Geld abgelöft werden. Aber die Weide if ba un: 
abloͤsbar, wo fie für eine Gemeinde zur „‚abfoluten Nothwendigkeit 
geworden iſt“; wenn der Waldeigentbümer dieß beftreitet, fo entſcheidet 
er Präfeeturrath, nachdem er eine Unterfuchung de commodo et in- 
commodo veranftaltet hat. — Bat. %.:®. $. 135: Die Abloͤſung findet 
da nicht ſtatt, wo durch fie „‚ber Nahrungsitand des Berechtigten weſent⸗ 
lich gefährtet wird.” Nah 6. 136 entfcheidet hierüber das Staats: 
mintiterium. — Das wanbtländ. %.:8. 5. 194 enthält Feine Befchräntung 
diefer Art. Bei Servituten außer dem Bebolzungsrechte hat aber ber 
Berechtigte zwifchen Eapital und Land die Wall. 


$. 161. 


Während im Allgemeinen Maaßregeln, welche die Sparſam⸗ 
feit beförbern, mit der Pflege ber Hervorbringenben Gewerbe nicht 
zufammenhängen und einem anderen Abfchnitt ber Volkswirth⸗ 
ſchaftspolitik angehören (8. 357), greift die Holzfparung (a) 
in die Zwecke ber Forftwirthfchaftspflege ein, macht einen Theil 
der Waldfläche entbehrlich und mindert die Folgen der Holr 
vertheuerung, fie ift daher hier zu betrachten. Zwangẽemaaß⸗ 
regeln find nur gerechtfertigt, wo zugleich polizeiliche Zwecke, 
9. B. Feuerverſicherung, in Betracht kommen, ober wo bie 
Semeindewalbungen beiheiligt find. Dagegen ift es biemlid, 
zum Auffinden von Mitteln zur Holzerfparung zu ermuntern, 
3. B. durch Breidaufgaben, Beranftaltung von Verſuthen u. dgl., 
fobann die beſten Mittel zur allgemeinen Belehrung bekannt zu 
michen, auch in ihrer Anwenbung bei ben öffentlürhen Anſtalten 
und in den Staatögewerben verauszugehen. Diefe Mittel finden 
Anwendung 

1) beim Zugutenachen bed Holzes: — Gebrauch der Säge 
beim Yällen und beim BZertheilen ber Stämme, 

2) beim Berbrennen, wobei noch fehr viel ausgerichtet werben 
kann. Dahin gehören hauptſaͤchlich: Verbefferung der Defen und 
Herde (6); — zweckmäßige Einrichtung der Meiler und Ber 
fohlungdöfen; — Einführung der Gemeindebadhäufer auf dem 
Lande; — Verbannung der zur Beleuchtung dienenden Späne 





— 5 — 


(Schleigen); — Ermimterung zum Gebrauche anderer Heitz⸗ 
ſtoffe, die oft bei unzweifelhafter Nuͤtzlichkeit aus Vorurtheil 
oder Unwiſſenheit wenige Verbreitung finden (c); 

3) beim Bauen und Berarbeiten: Berbot, neue Häufer aus 
über einander gelegten Balfen und neue Holzdächer zu errichten, 
ewa mit Ausnahme einzeln ftehender Häufer in walbreichen 
Gebirgsgegenden; — Empfehlung ber fteinernen ober Lehmziegel⸗ 
Wände, ded fleinernen Fußes der Häufer, damit die Schwelle 
troden zu liegen komme; — Abſchaffung der hölzernen Wafler- 
söhren, der Zäune von gutem Spaltholze, ber Knüppelwege; — 
feinerne Tröge, Krippen (biefe auch wohl irden); — Vermeidung 
einer für die erforderliche Tragkraft unnöthigen Dide der Balken, 
worauf viele Regeln der Baufunft gerichtet find; — Erziehung 
gehümmter Hölzer, um zum Schiffbau, zu Rabfelgen ıc. bie 
Krümmung nit durch Ausfchneiden bilden zu müflen, wobei 
viel verloren geht; — Schu bed in die Erbe ober in das 
Waſſer kommenden Holzes vor dem Modern durch Eins 
beigen (d); — häufigerer Gebrauch des Eifend zu Gelänbern, 
Thorflügeln, Brüden, Räbderwerfen und andern Mafchinens 
theilen ⁊c. 


(a) Büttner, Ueber Holgerfparung. Berlin, 1830. 


() Kröncke's Nath, daß der Staat eine Commiſſion zur Ausmittlung ber 
beften Art von Defen und Herden anordnen folle (Unterſ. über den 
Werth des Holzes, S. 26), iſt nicht beachtet worden, indeß bat man 
die Feuerungen neuerlich ſehr vervolllommnet. — Benußung der heißen 
Luft zum Gebläfe, — gebörrtes Holz. 


(2) Die Torf: und Steinfohlenfeuerung in Stubenöfen, Herden, Siegel 
und Kalfbrennereien u. dgl. erfordert einige Abaͤnderungen im Baue, 
die aber leicht zu treffen ind. Auch die Auffindung neuer Torflager, 
die richtige Behandlung der Torfflihe, die Anwendung der Torffohle, 
das Preſſen des frifchgeflochenen Torfes verdienen befördert zu werden. 
Die Torfflihe der Gemeinden werden unter Auffiht der Forftbeamten 
geftellt, damit fie in regelmäßigen Betrieb kommen. Sin der neueften 
Zeit iR in mehreren Ländern Bieles geichehen, um die Torfbereitung 
zu.verbeflern. Dahin gehört vorzüglich Das Verfahren von Weber in 
Staltah am Starnberger See in Oberbaiern und von Exter am 
Haspelmoor ohnweit Augsburg. Der Torf ift übrigens von fehr uns 

leiher Süte. Die badifchen Sorten zeigen von 40—60 Proc. Kohlen⸗ 
Kor und von 0,9— 14,7 Proc. Aſche. Ciſelen, Anleit. zum Ziegelbrennen 
mit Torf. Berlin, 1802. — Mofer, Die Lorfinirtöfcaft im Fichtels 
ebirge. Nürnberg, 1826. — Bogel, Der Torf, feine Natur und 
edeutung. Braunſchweig, 1859. — Dullo, Torfverwerthungen in 
Europa, 1861. — Die Eorfverwaltun Baierns, 1861. ©. 487. — 
Replerim bad. landw. Gorrefponbenzbl., 1860. &. 142. 1861. ©. 78. 


23* 


— 356 — 


(d) Früheres Kyanifiren des Holzes (nah Kyan) mit Eublimatlöfung 
(Doppelt:Chlorquedfilber), — Ginlaffen einer Auflöfung von holzfaurem 
Eifenorydb in die Gefäße des Holzes (nah Boucherie), Beiken mit 
Chlorzink (Burnett), Theeroͤl Gethell). 


8. 165. 

Zur Beförderung der Holzzucht durch einzelne Grundeigen⸗ 
thümer dient: 

1) Berbreitung von Senntniffen hierüber, wozu die zunaͤchſt 
für die Bildung von Staats Korftbeamten beflimmten York: 
ſchulen (8. 145) beitragen Fönnen. 

2) Prämien für Saat und Pflanzung von Forſtgewaͤchſen 
in folchen Gegenden, wo eine Vergrößerung der Waldflaͤche zu 
wünfchen ift, Erleichterung de8 Anfchaffens von Saamen, An- 
(egung von Pflanzichulen, wo bie Pflänzlinge nicht aus ben jungen 
Beftänden in hinreichender Menge genommen werben können (a). 

3) Aufftelung von Muftern folder Anlagen auf Staate- 
(änbereien, befonderd auf Blächen, die für den Feldbau wenig 
Werth haben, 3. B. Sanpftreden, Flußufern, ferner auf den 
öden ®emeinbelänbereien, woferne der Boben nicht befier zur 
Obſtzucht benupt werben fann (b). 

4) Um die inländifchen Gerbereien mehr in Aufnahme zu 
bringen, ift die Anfegung und der gute Betrieb von Eichenſchaͤl⸗ 
waldungen erforderlih, wozu in Bezug auf Privatwaldungen 
außer einer Belehrung und Ermunterung audy die Anlegung 
von Rindenmärften nüglich ift (c). 


(a) Sin Beifpiel giebt Großbritanien, Prämien von der Geſellſchaft zur 
Beförderung ber Gewerbe. ww in Sranfreich wurden (22. Fruct. 3. V) 
GShrenmünzen von Gold und Silber für Pflanzungen von Obftbäumen, 
Eichen, Rüftern, Buchen sc. verſprochen. 

(5) Circular des franzöf. Miniftere des Innern (Francois de Neuf: 
chateau) vom 25. Vend. VII bei Fleurigeon, Code administratif. 
Section de l’sdministr. IL 1001. 

(c) In Norbdeutfchland Hat ber Gerberverein für die Herftellung von Schäl: 
waldungen mit ungefähr 15 jährigem Uintriebe mit Erfolg gewirkt. Im 
ſüdweſtlichen Deutichland, 3. 3. in der Nedar: und Saargegenb find 
ſolche ſchon zahlreich zu finden. Rindenmaͤrkte zu Hirſchhorn (Großh. 
Heſſen) und Heilbronn (Wuͤrtemberg). 


8. 166. 
In Ländern ober Gegenden, bie mehr unbebingten Holz 
boden haben, ald zur Befriedigung des jetzigen Holzbebürfnifiee 
erforderlich ift, muß man dem Holze Abfak und eine vortheil- 


— 357 ° — 


bafte Verwendung zu verfchaffen fuchen, weil dadurch nicht 
allein der Bobdenertrag erhöht, fondern auch die eifrigere ‘Pflege 
der Waldungen von Seite ihrer Eigenthümer befördert wird. 
Hieher gehören: 

1) die Begünftigung folder Gewerke, welche viel Holz ale 
Verwandlungs⸗ oder ald Hülfsftoff (zum Verbrennen) verzehren, 
UL $. 149 (a). 

2) Die Erleichterung der Fortfchaffung des Holzes, fowohl 
im Sande, um bad Holz aus den waldreichen Gegenden mit 
geringen Frachtkoſten in andere Lanbestheile zu bringen, als 
zur Ausfuhr. Die erforderlichen Landſtraßen und Scifffahrts- 
canaͤle müfjen in der Regel von der Regierung hergeftellt werben. 
Aud andere Mittel, al Leitungen zum Hinabgleiten von Bergen 
(Holzriefen, Rutfchen), hölzerne Bahrbahnen, Bloßgräben ıc., 
werden, wenn fie zum Bortheil der Staatöwaldungen beflimmt 
find, auf Koften der Staatscaſſe eingerichtet, III, 8. 149. Nr. J. 
Wo fi) große Privatwaldungen befinden, können jene Anftalten 
von einzelnen Befitern berfelben oder von Privatgefellichaften 
zu Stande gebradyt werden (db); hat dieß aber Schwierigfeiten, 
jo iſt es zweckmäßig, wenn die Regierung bie Einrichtungen 
herftellt und die Benugung gegen eine Gebühr geftattet. In 
Ermanglung größerer Gewaͤſſer werden Bäche benupt, deren Ufer 
noͤthigenfalls eine Befeftigung erhalten und die mit Sammel⸗ 
teihen und Schwellungen verfehen werben, ober neu gegrabene 
Sloßcanäle gute Dienfte leiften. Das Flößen von Langholz 
erfordert eine größere Waflermenge und einen geraderen Lauf 
des Aluffed als das Scheitholsflößen. 

(e) Das Berkohlen im Walde giebt zur VBerforgung ber Hüttenwerfe eine 
anſehnliche Erfparung an Brachtfofen, da die Kohlen nur 1/u—!/s vom 
Gewichte tes Holzes haben. Die Köhlerei kann verbefiert werben. 
Schübler, die Holinoth, 1861. ©. 32. 
Befhreibung der großen Schweınmanftalt auf der Herrfhaft Krummau 
in Böhmen. Wien, 1831. (20000 Klafter langer Flößcanal, den ber 
Für von Schwarzenberg erbauen Tief.) — Baiern hat viele gute 
Triftungs⸗(Floß⸗) Anflalten in der Alpengegend und im baierifchen Walde, 
die zum Theil von BPrivatperfonen in beftimmter Meihenfolge nach dem 
Berflößen des Holzes aus den Staatswaldungen benutzt werden. Ueber 
die oberbaierfhen Seen wird das Floßholz in großen Balkenrahmen 
(Bien) gebracht. Die Forfiverwaltung Baierns. S. 275. fi. — 
riftanftalten an der Salzach, Enns, Traun, dem Inn cc. im öfters 
reihifchen Gebirgslande, an der Murg im bad. Schwarzwalde. — 


Jägerfhmidt, Handb. für Holztransports und Floßwefen. Karls: 
rube, 1827. IL — Ueber die Triften: öfter. F. ©. 6. 26 ff. 


(6 


— 


— z358 — 


IV. Thierzucht. 
8. 167. 


Die Zucht ber größeren Hausthiere (Viehzucht) verdient 
die Aufmerkfamfeit fowohl wegen des betraͤchtlichen Gebrauchs⸗ 
werthes ber thierifchen Stoffe, die auch meiſtens leicht fortzu⸗ 
fhaffen find (a), ald wegen ihre® Eingreifens in den Landbau 
durch die Arbeitskräfte der Pferde und des Rindviches und 
durch den Erfaß, den der Boden im Mifte für einen Theil ver 
ihm entzogenen Rährftoffe der Gewaͤchſe erhält (5). Durch die 
Viehzucht erhält das Grasland und das Yutterfeld feine Rente. 
Der Biehftand laͤßt fich leichter als andere Theile des landwirth⸗ 
ſchaftlichen Eapitald vermehren, wenn nur eine größere Menge 
von Futter gewonnen wird (c). Da aber bei jeder Thierart 
bie zugehörigen Unterarten (Raflen, Stämme, Schläge ıc.) von 
ungleihem Werthe für bie lanbwirthichaftlichen Zwecke find, 
fo ift e8 für den Reinertrag wichtig, daß überall die nüßlichften 
Raſſen gehalten werben, die ungefähr wie befiere Werkzeuge 
und Mafchinen zu betrachten find. Die meiften Landwirthe 
haben nit die Mittel, fich dieſe guten Raffen felbft zu ver 
(Hafen, und aud die Kenntniß berfelden ift nicht allgemein 
verbreitet, während bie Regierung durch Beranftaltungen im 
Großen mit verhälmigmäßig geringem Aufwande darauf hin 
wirken fann (d). Die Anftalten zur Bildung gefchidter Thier⸗ 
ärzte (Beterinärfchulen) und die Sorge für die Anfleblung 
folcher Aerzte in den verfchiebenen Gegenden des Lanbe6 ge: 
hören zwar zur beſchuͤtzenden Staatsthätigkeit (Polizei), ver 
bienen aber hier wegen ihres großen volfswirthfchaftlichen 
Erfolges erwähnt zu werben. 

(a) Ausgenommen Mil, weßhalb in ber Nähe größerer Etäbte die Rint: 


viehzucht, fo weit es ter Milchverbrauch erfordert, eben fo große Rente 
abwerfen muß, als der Anbau und Berlauf von Pflanzenftoffen. 


(5) Werden die thierifchen Stoffe, Fleifch, Fett ıc. im Lande verzehrt und 
bie menfchlihen Auswürfe gut benupt, fo iſt der Erſatz, den der Boten 
für das gebaute Futter bedarf, im Ganzen genommen vollftändig. Das: 
jelbe gilt von Getreide. Bei guten Vichraflen und gutem Betriebe ber 
Viehzücht müflen bie Arbeit, die Erzeugniſſe und die Auswürfe der 
Thiere zufammen die KRoften ihres Unterhaltes vergüten, fo daß bie 
Viehzucht nicht ale ein nothiwendiges Uebel betrachtet zu werben verdient. 


— 359 — 


Aber eıne foldye Ausdehnung derfelben, woburd fie zum vorherrſchenden 
Steige der Landwirthſchaft wird, iſt nicht unter allen oͤrtlichen Ber: 
bältnifien vortheilhaft. 


(e) Für 1 Eentner lebendes oder Geſammtgewicht der Thiere find täglich 
gegen 3 Pfd. Heu oder anderes auf Heuwerth umgerechnetes Futter 
nötbig, jährlich alfo ungefähr 11 Ctr. 1 Stüd Großvieh von 8 Etr. 
reicht bin, 4,5 pr. M. gut zu büngen, wozu aber gegen 90 Etr. Heu⸗ 
werth Butter gehören. 


(d) v. Hazzi, Ueber die Beredlung bes landw. Viehſtandes. Münd. 1924. — 
Schmalz, Thiervereblungskunde. Rönipeberg, 1832. — Die ältere, 
türlih noh von Menzel (Landw. Hülfscalender für 1859, IL, 171) 
und v. Medherlin (Thierproduction, I, 26) in Schuß genommene 
Anfiht, daß nur Thiere aus ‚‚conflant‘’ gewordenen Raflen zur Ber: 
edlung tauglich feien, ift neuerlih auf den Grund vieler Grfahrungen 
erfehüttert und es if dargethan tworden, daß auch vorzügliche Thiere, 
bie nicht einer ſolchen in —* ausgebildeten Rafie angehören, ihre guten 
Eigenſchaften vererben fünnen, f. v. Rathuſius in Amtl. Bericht über 
tie XX. Berfammfung (Braunfchweig) ©. 254, Derſ., Die Raflen des 
Ehweins, 1860. ©. 26. Settegaft, Ueber Thierzüchtung, 1859. 


$. 168. 


Die Emporbringung der Pferdezucht (a) nügt nicht allein 
ber Landwirthſchaft, fondern auch der Staatövertheidigung, weil 
ju biefer gute Reit» und Zugpferbe erforberlih find und bie 
einheimifche Aufzucht eine weit fichere Duelle der Berforgung 
iR al8 der Ankauf von außen IL, 8. 76. Zu den verſchiedenen 
Arten des Gebrauches find theils ſtaͤrkere (ſchwere), theils leichter 
gebaute Pferde noͤthig. Gute Pferde leiſten mehr und ſind 
dauerhafter als ſchlechtere (d). Ebenen und Huͤgel⸗Gegenden, 
die an trodenen Weibeplägen reich find, und in benen bie 
Grundrente noch niedrig fteht, eignen ſich am beften zur Pferde⸗ 
wicht, die nicht allein auf größeren Landgütern, fondern audy 
auf mittleren und Fleinen ausführbar ift und auch einen eins 
täglichen Gegenftand der Ausfuhr geben kann (c). Um vor: 
zügliche Pferde zu ziehen, muß die einheimifche (Land⸗) Raſſe, 
bie in den meiften Ländern noch viel zu wuͤnſchen übrig läßt, 
durch Befchäler (Hengfte) einer befieren Rafle veredelt werden. 
Mo nicht begüterte Landwirthe die Aufzucht ausgezeichneter 
Pferde in ſolcher Ausdehnung betreiben, daß jeder Landwirth 
Gelegenheit hat, gute Beichäler zu benugen (d), da if eine 
Beihülfe der Regierung noͤthig. Zu biefem Zwede dienen: 

1) Etammgeftüte, wo Pferde der befleren Raſſen aufs 
gezogen werden. Hier ift forgfältig auf gute YUuswahl und 


— 360 — 


Reinhaltung ded Stammes fowie auf naturgemäße Behandlung 
zu fehen, um ſtets die erforderliche Anzahl von edlen Beichälern 
zu gewinnen. Solche Geftüte erfordern große Weideflächen, 
gute Stallungen, wohlunterrichtete Verwalter ıc., und find deß⸗ 
halb im Vergleich mit dem Erlöfe aus dem Verkaufe der heran: 
gezogenen Thiere ziemlidy foftbar (e). 

2) Zandgeftüte, d. h. die Einrichtung, daß Beichälhengfte 
zum Gebrauche der Pferdezuͤchter gehalten und in den verſchiedenen 
Landestheilen aufgeftellt werben, III, $. 79. Der Nutzen eines 
guten Landgeſtütes zur Verbefferung des Pferdefchlages ift durch 
die Erfahrungen mehrerer Ränder zur Genüge dargethan. Es 
gehört hiezu (f), a) daß die Veredlung nad) einem feften Plane 
mit Befchälern eines, den örtlichen Berhältniffen am beften ent- 
ſprechenden Schlages betrieben werde, was dur den Beiftand 
eined guten Stammgeftüted fehr erleichtert wird (9); b) daß 
nur bie beſſeren Landftuten mit den Befchälern des Geſtütes 
gepaart werden, nad) vorgängiger Befichtigung und Auswahl (A); 
c) daß die Benugung der Beichäler unentgeltlid, oder doc) gegen 
ein mäßiged Sprunggeld und ohne andere läftige Bedingungen 
geftattet werde, die eine Abneigung gegen bie Pferdezucht erregen 
fönnen (ti). 


(a) Huzard, Instruction sur l’am&lioration des chevaux en France, Paris, 
a. X. (1802). — v. Hazzi, ©. 16. 73. — Ammon, Handb. der 
gef. Geſtuͤtskunde und Pferdezuht. Königsb. 1833. — de Girardin 
in Congr&s central 1844. ©. 375. — Genauere Statiftif der Pferde: 
uch! in Engel, Statift. Jahrb. 1,29, vgl. auh KRotelmann, Preuß. 
andw. ©. 96, Sid, Beiträge z. Statiftif d. Landw. des Königreich 
Mürtemb. ©. 160. In Sachſen waren 1853 82,5 Proc. der erwachtenen 
Pferde mit Ausnahme der Militärpferde zur Landwirthichaft, 10,5 zum 
Lohnfuhrwerk, 6,8 zum Lurus verwendet. — Bei !/ıa oder */ıs jähr: 
‚lihem Abgang der erwachfenen Pferde müßten, ta menigftens erft mit 
3 Jahren die Arbeitsfähigfeit beginnt, zur Brgängung immer 20—25 Pror. 
Fohlen vorhanden fein. Im preuß. Staate betrugen 1849 die Kohlen 
bis zu 3 Jahren 20 Proc. der erwahfenen Dferde, in der Brov. 
Preußen 26,7 Proc. (max.), in der Rheinprovinz 13,5 Proc. (min.), in 
Süpdfranfreid 12, Nordfrankreih 14,8 Proc. in Sachſen nur 6,? Broc., 
im öfterreih. Staate 1861 und zmar in Siebenbürgen 23, Ungarn 21, 
Galizien 20, Böhmen und Mähren 19 Broc., dagegen in Oeſterreich 
ob der Enns 9,8, unter der Enns nur 5,7 Proc. (Gzörnig) In 
Baden waren 1855 die Fohlen unter 3 Jahren zwifchen 14,9 (Seekreis) 
und 7,8 (Oberrheinkreis) Proc. der erwachſenen Pferde, im Mittelrhein: 
freie 11,3, Unterrheinkreis 8 Proc. Dieß zeigt die Unzulänglichfeit der 
inländifhen Aufzudt in vielen Ländern. 


(6) In Deutfchland nimmt man eine mittlere Lebensdauer des Pferdes von 
18 Jahren an (Rleemann, Landw. Berh. S. 206. Engel, a. aO. 





(ed) 


(0) 


02) 


4 


— 


— 361 — 


S. 301.), in England mehr (25 nah Girardin), in Belgien und 
Franfreih nur 12, Congres de 1844. ©. 385. Dieß rührt von der 
minder guten Raſſe, von den fchlehteren Straßen, der großen An: 
frengung sc. her und verurfacht einen anfehnlichen Unterfchied in den 
Koften der Nachſchaffung. 


Weiden find übrigens fein unbedingtes Erforderniß, fle können durch 
Zummelpläpe erfeßt werden. In Baden hatten im Jahr 1840 84 Ge: 
meinden foldhe Yohlengärten. 


3. 8. in England, wo es feine eigentlichen Geſtüte giebt und blos 
von Landwirthen die ierdequcht auf einer hohen Stufe erhalten wird. 
Gr. v. Beltbeim, Bemerkungen über die engl. Pferdezucht. Braun: 
fhweig, 1820. Def. Abhandl. über die Pferdezucht Englands, 1833 
(neue Bearbeitung des erfleren Buches). — v. Knobelsdorf, Ueber 
die Pferdezucht in England. Berlin, 1820. — Auch Holftein hat feine 
öffentlichen Geftüte. 


Die edelſten Raſſen find die orientalifchen, vorzüglich die arabifchen, 
fodann die englifchen Bollblutpferde (races - horses) von nachweislicher 
rein arabifcher, perfiſcher oder afrifanifcher Abflammung , feit Karl II. 
häufig gezogen. Da man bei ihrer Züchtung vorzüglich auf die Schnellig: 
feit für Wettrennen Rüdfiht nahm, ſo wurden andere Gigenichaften, 
die zur Güte eines Arbeitspferdes gehören, weniger beachtet. Die Bors 
züglihfeit der Bollblutpferde zur Veredlung ift faft allgemein aner: 
annt und fie wird durdh den Einfluß bes Landgeftütes zu Belle auf 
die Pferdeguht im R. Hannover überzeugend nachgewieſen. Indeß 
find in jeder Gegend ſolche Beichäler zu wählen, beren GBigenichaften 
auch für die Ausdauer in ber Arbeit günftig find. Durch Kreuzung 
mit ten Landraſſen entftehen gute DMittelichläge , die theils für fchmwere, 
theil für leichtere Arbeit zwedmäßig find. Solche Mittelraffen find 
3. B. die englifhen Jagd: und Kutichenpferde, die franz. Percherons 
und andere. Bergl. v. Spoͤrken im Amtl. Bericht über die 15. Verf. 
©. 197. — Priefiihe und normannifche Pferde zur Zucht großer, 
ſtarkknochiger Zugpferde. — Die zahlreichflen Geftüte hat ber öfter: 
reichiſche Kaiſerſtaat, wo ſich jebt (1853) 5 landesherrliche Militär: 
und 2 Hofgeftüte befinden, jene 1837—46 mit ungefähr 1400 Zucht: 
ſtuten, neben (1829) 64 ungarifchen, 160 fiebenbürgiichen, 20 galizifchen 
Privatgeftüten sc. Die größten Geſtuͤte des Stantes find Mezöhegyes 
in Ungarn und Radauz in Siebenbürgen. v. Erdelyi, Befchreibung 
der einzelnen Geftüte des öſterr. Kaiferftantes. Wien, 1829. — Hain, 
Handb. d. Stat. des öfterr. Kaiferftaates. II, 98. — Franfreih hat 
3 Geſtüte, le Bin, Bompadour und Roflöres. — Preuß. Hauptgeftüte 
zu Trafehnen (Oftpreugen), Neuftadt an der Doſſa und Graditz bei 
Torgau. — Medlenburg, Geftüte zu Redevin. — In Würtemberg 
erſetzen Fönigliche Privatgüter die öffentlichen Geftüte. 


v, Gemmingen, Ueber Landgeftüte. Karlsruhe, 1831. — Ammon, 
S. 185. — (Bogelmann) Die Pferdezucht im Gr. Baden. 1843. 
4%. (Bertbeidigung des badischen Landgeftütes.) — Haubner in 
v. Lengerfe’s Annal. XXIL, 29. — v. Ruͤdt in Peftichrift für 
die XXL Verſamml. S. 165. — Neue Drganifation des baier. Lands 
geftütes, B. vom 27. Sept. 1829. — Neue B. für das bad. Land: 
geftüte, 25. März 1836. . 


Die vielen Mißgriffe, die man fonft beging, namentlich das planlofe 
Kreuzen mit Hengften aus mancherlei Raflen, machten allen Aufwand 
unnüg. Hieraus erklärt fi) der Streit über die SZwechnäßigfeit der 
Landgeftüte überhaupt. Vgl. 3. B. Gorrefpondenzs Blatt des Würt. 
landw. Bereins 1822, II, 83. 1823, L, 1. Der Anfauf von Hengft: 


(4) 


(i) 


— 362 — 


fohlen, wenn er mit der noͤthigen Umſicht vorgenommen wird, kann 
neben der Aufzucht in Stammgeſtüten mit Nutzen zu Hülfe genommen 
werden. — Die ſchlechte Behandlung der von den Geſtuͤtsbeſchaͤlern 
bedeckten Stuten ift nicht felten eine Urſache des geringeren Erfolges, 
der jedoch auch in fehlerhaften Ginrichtungen bei dem Landgeftüt be 
uindet fein kann und deſſen Urfachen genaue Erforſchung verdienen, 

an Hält ein mäßiges Sprunggeld für zwedinäßig, um bie Befiker 
von Zuchtſtuten zur größeren Sorgfalt zu ermuntern. In Baden find, 
den Aufzeichnungen zufolge, 1833—1842 von den bededten Stuten 
37 Proc., 1854—58 3613 Proc. Fohlen gefallen. Statt des Sprung: 
geldes wird jeßt von jedem lebensfähig gebornen Fohlen eine —* 
von 3 fl. 30 fr. erhoben. Im öfterr. Staate erhielt man von den 
belegten Stuten in Benedig 68, Lombardei 67, Siebenbürgen 63, 
Mähren 62,7, Böhmen 56,7, Ungarn 47,6 Proc. Fohlen (Hain). 
Preußen 1852: von 41821 gebeten Stuten 21512 lebende Wohlen 
— 51 Proc., v. Lengerfe, Annal. XXIII, 216, in Sachſen 1851 
nur 30 Proc. lebende Kohlen, f. aber Haubner a. a. D. ©. 4. 
Sprunggeld 1 Thlr. — In Belgien famen 184049 jährlih 42 be 
legte Stuten auf 1 Beichäler aus dem Landgeflüt und man erhielt von 
den Stuten nur 31 Proc. Kohlen, von Privatbefhäleren in Brabant 
und DOfiflandern aber 78 Broc. — In Bannover wurden 1850 von 
100 gededten Stuten an 60 Fohlen erhalten. Hier if das Sprung: 
geld 16 Ggr., bei Vollbluthengſten höher, außerdem werben für jedes 
erhaltene Kohlen 2%/; Rthlr. entrichtet. In Frankreich brachten 1848 
und 1849 die von Geftütsbefhälern bedeckten Stuten 48 Proc. Kohlen, 
die von PBrivatbeichälern bedeckten 1847 33 Bror. 


Kür die übrigen Stuten bleiben die von Privaten (Baureitern) 
gehaltenen Hengſte, bei denen ebenfalls, wo es fidy nöthig zeigt, ans 
georbnet werden kann, daß fie nur nad vorgängiger amtlicher Beſichti⸗ 
gung und Bezeichnung gebraucht werden dürfen. Baier. B. vom 
18. Juni 1818, 6. 9. — N. bad. ®. von 1836, $. 16. Nah ber 
bad. V. v. 21. Aug. 1860 wird in Gegenden, wo feine Beichälftelle 
des Landgeftüts beiteht, zum Ankauf eines guten Privatbefchälers bie 
Hälfte des Preifes unverzinslich vorgefchoffen und in jedem ber erften 
5 Jahre */so hievon abgefchrieben. — Franz. B. v. 16. Jan. 1825: 
Die Befichtigung ift nicht nothwendig, fie giebt aber Anſpruch auf eine 
jährliche Prämie von 1—300 Fr. für die gut befundenen Sengfte. _ 
Nah Ammon darf man in der Beichälzeit (gewöhnlid März bis 
Zuni) in Sandgeftüten 50, hoͤchſtens 70 Stuten auf 1 Hengſt rechnen. — 
Frankreich Hatte 1849 1259 Geſtüts- und 414 von ben Behörden zu: 
gelaſſene Privatbefchäler. Zum Erſatz der 2%/ Mill. erwachfener Pferde 
wären jaͤhrlich 250000 neugeborne Fohlen erforderlih, die gegen 
4000 Hengſte erforberten. — Hannover 1852: 211 Hengſte im Land⸗ 
geftüt, wovon 48 Vollblut, gegen 260 Privathengfle, die von einer 
„Köhrungscommifflon“ geprüft werden. — Belgien 63 Beichäler ın 
25 Stationen, aus dem Geſtuͤt Tervueren. Der Sprung iſt unents 
geltlih. 1850 waren 848 approbirte Beichäler vorhanden. — Preußen 
1852: 1030 Beſchaͤler; 3,% und 1 Rthlr. Eprunggeld. — Defterreih 
1837—46: 1817 Befchäler. — Baden 1654-58: im D. 106 Hengſte 
des Landgeſtüts, auf jeden 47 belegte Stuten; 1860 waren 46 Privat: 
beſchaͤler zugelafien. 

Ehemals mußten die, durch herrfchaftliche Beichäler erzielten Pferde 
an den Staat um einen feften Preis abgeliefert, ober burften bed 
nicht ohne Erlaubniß andermeitig berfauft werben. In Baden bildeten 
fon die in der Nähe von Karleruhe Tiegenden Gemeinden einen 
Bezirk, in dem die Landwirthe an dem Beflüteverbande Theil nehmen 


— 3863 — 


fonnten. Sie durften nur: bie Befchäler des Landgeftütes brauchen 
und ihre Zuchtſtuten fowie die Mutterfohlen nicht außerhalb des Bes 
zirkes verfaufen, wenigſtens nicht ohne bejondere Grlaubniß; aud 
mußten fie alle Hengſtfohlen, die nicht in das Landgeflüt gefauft 
werden, verfchneiten laflen, hatten aber auf jährliche Prämien Antpruch. 


8. 169. 


Andere Ermunterungsmittel der Pferdezucht find: 

1) Ausftelungen und Brämien, welche jährlih für bie 
Aufzucht der vollfommenften Pferde jedes Gefchlechte und 
Schlaged nad genauer Befichtigung aller vorgeführten Thiere 
ertheilt werben (a). . 

2) Borforge, daß in Berggegenden, wo ſich Ueberfluß an 
guten nicht zu fteilen Weideplaͤtzen findet, Fohlenweiden mit 
den nöthigen Gebäuden, der erforderlichen Wartung und Arzt 
lichen Aufficht eingerichtet werden, bamit die Landwirthe in den 
Rärfer bevölferten Gegenden ihre Bohlen gegen mäßiges Weibe- 
geld daſelbſt bequem und fiher den Sommer hindurch unters 
bringen können (b). 

3) Anregung zur Anlegung von Hleineren Fohlenweiden 
buch die Gemeinden, um ben jungen Pferden wenigftens die 
nöthige Bewegung zu verfchaffen. 

4) Einkauf der für Reiterei, Geſchuͤtz⸗ und Fuhrweſen ers 
forderlihen “Pferde im Lande, falls dieß ohne beträchtliche Vers 
mehrung ber Ausgabe gefchehen fann. 

5) Wettrennen für inländifche Pferde, um unter den be: 
güterten Grundeigenthümern die Luft zur Aufzucht von Pferden 
edler Raffe zu erhalten. Da indeß die Erziehung und Vor⸗ 
übung (Zrainirung) von Rennpferden foftbar ift, alfo anſehn⸗ 
fihe Preife und Wetten erforberlich find, um eine gemügende 
Ermunterung zur Theilnahme zu geben, fo ift diefelbe für 
Kennen nad englifcher Weile nothwendig nur ziemlich bes 
ſchraͤnkt, auch hängt die hoͤchſte Gefchmindigfeit mit der Arbeits- 
fähigkeit und Dauerhaftigfeit der ‘Pferde nicht ganz zufammen, 
weshalb bie Rennen jene große Wichtigkeit nicht haben, bie 
ihnen öfter® beigelegt worben ift (ec). 

(«) Angef. baier. B. von 1818 und 1829. Es werden im Lande Bezirke 


gebildet, hoͤchſtens 20, und in jedem findet eine jährliche Vertheilung 
von Hengſt⸗ und Stutenpreifen (10—20 baier. Thaler) Hatt. — 


(4) 


— 362 — 


fohlen, wenn er mit ber nöthigen Umficht vorgenommen wird, kann 
neben der Aufzucht in Stammgeflüten mit Augen zu Hülfe genommen 
werden. — Die fchlechte Behandlung der von den Geſtuͤtsbeſchälern 
bedeckten Stuten ift nicht felten eine Urfache des geringeren Erfolges, 
ber jedoch auh in fehlerhaften GBinrichtungen bei dem Landgeflüt bes 
ründet fein kann und deſſen Urfachen genaue Erforſchung verdienen, 

an hält ein mäßiges Sprunggeld für zwedmäßig, um die Befiker 
von Zuctfluten zur größeren Sorgfalt zu ermuntern. In Baden find, 
den Aufzeihnungen zufolge, 1833—1842 von den bedrdten Stuten 
37 Proc., 1854—58 36%’ Proc. Kohlen gefallen. Statt des Sprung⸗ 
gelbes wird jept von jebem lebensfähig gebornen Fohlen eine Gebüßr 
von 3 fl. 30 fr. erhoben. Im öfter. Staate erhielt man von ben 
belegten Stuten in Venedig 68, Lombardei 67, Siebenbürgen 63, 
Mähren 62,7, Böhmen 56,7, Ungarn 47,6 Proc. Bohlen (Hain). 
Preußen 1852: von 41821 gebeten Stuten 21512 lebende Kohlen 
— 51 Proe., v. Lengerfe, Annal. XXI, 216, in Sadfen 1851 
nur 30 Proc. lebende Kohlen, f. abee Haubner a. a. O. ©. 34. 
Sprunggeld 1 Thlr. — In Belgien famen 1840—49 jährlih 42 be⸗ 
legte Stuten auf 1 Beichäler aus dem Landgeflüt und man erhielt von 
den Stuten nur 31 Proc. Kohlen, von Privatbefchälern in Brabant 
und Oſtflandern aber 78 Broc. — In Hannover wurden 1950 von 
100 gededten Stuten an 60 Fohlen erhalten. Hier iſt das Sprung: 
geld 16 Ggr., bei Bollbluthengften höher, außerdem merben für jedes 
erhaltene Kohlen 2°%/s Mthle. entrichtet. In Frankreich brachten 1848 
und 1849 die von Geftütsbelhälern bebedten Stuten 48 Broc. Kohlen, 
die von PBrivatbeichälern bebediten 1847 33 Proc. 


Für die übrigen Stuten bleiben die von Privaten (Baureitern) 
gehaltenen Hengfte, bei denen ebenfalle, wo es ſich nöthig zeigt, an⸗ 
geordnet werden kann, daß ſie nur nach vorgaͤngiger amtlicher Beſichti⸗ 
gung und Bezeichnung gebraucht werden dürfen. Baier. V. vom 
18. Juni 1818, 6. 9. — A. bad. V. von 1836, $. 16. Nah ber 
bad. V. v. 21. Nug. 1860 wirb in Gegenden, wo feine Beichälftelle 
bes Landgeftüts befteht, zum Ankauf eines guten Privatbefchälers bie 
Hälfte des Preifee unvergin lid vorgefhoffen und in jedem ber erflen 
5 Jahre */o hievon abgeichrieben. — Franz. B. v. 16. Ian. 1825: 
Die Befihtigung ift nicht nothwendig, fie giebt aber Anſpruch auf eine 
jährlihe Prämie von 1—300 Fr. für die gut befundenen Senafe. — 
Nah Ammon darf man in der Beſchaͤlzeit (gewöhnlih März bis 
Juni) in Landgeſtüten 50, höchſtens 70 Stuten au 1 Hengft rechnen. — 
Frankreich hatte 1849 1259 Geſtüts- und 414 von ben Behörden zu⸗ 
gelaflene Privatbefchäler. Zum Erſatz der 2%/ Mil. erwachfener Pferbe 
wären jährlih 250000 neugeborne Wohlen erforberlih, die gegen 
4000 Hengſte erforderten. — Hannover 1852: 211 Hengſte im Sands 
geftüt, wovon 48 Vollblut, gegen 260 Privathengſte, die von einer 
„Köhrungscommifflon” geprüft werden. — Belgien 63 Befchäler in 
25 Stationen, aus dem Geftüt Tervueren. Der Sprung ift unents 
geltlih. 1850 waren 848 approbirte Beichäler vorhanden. — Preußen 
1852: 1030 Befchäler; 3,2 und 1 Rthlr. Sprunggeld. — Oeſterreich 
1837—46: 1817 Beichäler. — Baden 1654-58: im D. 106 Hengſte 
bes Landgeftüts, auf jeden 47 belegte Stuten; 1860 waren 46 Privat: 
beichäler zugelaflen. 

Ehemals mußten die, durch Herrfchaftliche Beichäler erzielten Pferde 
an den Staat um einen feften Preis abgeliefert, oder burften doch 
nit ohne Erlaubniß anderweitig verkauf werden. In Baden bildeten 
fonft die in der Nähe von Karleruhe Iiegenden Gemeinden einen 
Bet, in dem die Landwirthe an dem Geſtuͤteverbande Theil nehmen 


— 863 — 


fonnten. Gie durften nur: die Beſchaͤler des Landgeftütes brauchen 
und ihre Zuchtſtuten fowie die Mutterfohlen nicht außerhalb bes Bes 
zirkes verkaufen, wenigſtens nit ohne beſondere Grlaubniß; aud 
mußten fie alle Henaftfohlen, die nicht in das Lanbgeflüt gefauft 
werben, verfchneiten laſſen, hatten aber auf jährliche Prämien Anſpruch. 


8. 169. 


Andere Ermunterungsmittel der Pferdezucht find: 

1) Ausftelungen und Prämien, welche jährli für bie 
Aufzucht der vollfommenften Pferde jedes Gefchlechtes und 
Schlaged nad) genauer Befichtigung "aller vorgeführten Thiere 
ertheilt werden (a). 

2) Borforge, daß in Berggegenden, wo ſich Ueberfluß an 
guten nicht zu fteilen Weibeplägen findet, Fohlenweiden mit 
den nöthigen Gebäuden, der erforderlichen Wartung und ärzte 


lichen Aufficht eingerichtet werben, damit bie Landwirthe in ben 


Rärfer bevölferten Gegenden ihre Bohlen gegen mäßiged Weide: 
geld dafelbft bequem und ficher den Sommer hindurch unter: 
bringen können (b). 

3) Anregung zur Anlegung von kleineren Fohlenweiden 
dur die Gemeinden, um ben jungen Pferden wenigftens bie 
nöthige Bewegung zu verfchaffen. 

4) Einkauf der für Reiterei, Geſchütz⸗ und Fuhrweſen er 
forderlihen Pferde im Lande, falls dieß ohne beträchtliche Ver 
mehrung ber Ausgabe geſchehen Fann. 

5) Wettrennen für inländifche Pferde, um unter ben be- 
güterten Grundeigenthümern die Luft zur Aufzucht von Pferben 
edler Raſſe zu erhalten. Da indeß die Erziehung und Bors 
übung (Trainirung) von Rennpferbden Eoftbar ift, alfo anfehn» 
fihe Preife und Wetten erforderlich find, um eine gemügenbe 
Ermunterung zur Theilnahme zu geben, fo ift biefelbe für 
Rennen nad englifcher Weife nothwendig nur ziemlich bes 
(hränft, auch hängt die höchfte Geſchwindigkeit mit der Arbeits- 
fähigkeit und Dauerhaftigfeit der Pferde nicht ganz zufammen, 
weshalb bie Rennen jene große Wichtigkeit nicht haben, bie 
ihnen öfter8 beigelegt worben iſt (c). 

(0) Angef. baier. B. von 1818 und 1829. Es werben im Lande Bezuͤle 


gebildet, hoͤchſtens 20, und in jedem findet eine jährliche Vertheilung 
von Hengſt⸗ und Stutenpreifen (10 — 20 baier. Thaler) Kalt. — 


— 364 — 


Baben (ehemals nah a. V. von 1535 im erflen Geſtütsbezirke in ber 
Nähe von Karlsruhe) 4 Stutenpreife jährlich zu 50 fl., 6 Breife für 
Stutenfohlen zu 22 fl. — Belgien, in jedem NArrondifiement jährlich 
3 Preife von 500, 400 und 200 Fr., in jeder Provinz 2 von 300 
und 400 Fr. 


(6) Beiſpiele feit 1823 in Wuͤrtemberg. S. Correfponbenzblatt, 1823, 
I, 119. 178. 1824, I, 98. 


(6) v. Hazzi, Ueber die Pferderennen. Münden, 1826. — Baiern und 
Defterreih nahmen die Nennen nach dem Beifpiele der Staliener ſchon 
frübe an, zur bei Kirchenfeften; ſchon 1436 ward ein ſolches ale 
Hoffe in Münden gehalten. In Großbritanien erhielten fe ihre 
Ausbiltung ; die franzöfiichen Vorfchriften Eommen den englifchen noch 
am nächften. Neuerlih hat man in Mecklenburg, Preußen und Frank⸗ 
reih, auch in Würtemberg, die englifhen Rennen nacgeahmt, ohne 
baß fie bis jet eine große Wirkung geäußert hätten. Die Preife find 
theild von den Landesfürften geftiftet,, theild von ben Theilnehmern 
aufgebradht. Die baierifhen Rennen find, nah Hazzi's Darftellung, 
fehr unvollfommen eingerichtet und von geringem Nugen. Auch ift die 
mittlere Geſchwindigkeit der baierifhen Pferde nur 283%, baier. = 
26%. engl. Fuß in der Secunde, die der englifhen durchſchnittlich 
44 Fuß, (der Childers durcheilte fogar bisweilen 82°/, Fuß). Doch 
ift in Ländern, die viele große Gutäbefiper haben, eine vortheilhafte 
Einmwirfung der Rennen nicht zu läugnen. 


$. 170. 


Die Zucht des Rindviches verdient eine forgfältigere 
Beförderung von Seite der Staatögewalt, als fie gemöhnlid 
erhält, weil daſſelbe bei feiner mehrfachen Rüslichkeit auf Land- 
gütern jeder Größe gehalten wird, baher in größerer Zahl vor- 
handen ift, als die ‘Pferde (a), und folglid die Wahl ber 
beften Stämme (Schläge, Raffen) auf das Einkommen ber 
Landwirthe großen Einfluß ausübt, der mittlere und kleine 
Landwirth aber ſich ohne fremde Hülfe nicht mit guten Zucht: 
flieren verforgen kann. Bei ber hierauf gerichteten Sorgfalt 
ift genau darauf Rüdficht zu nehmen, welcher der drei Zwede: 
Milchnutzung, Mäftung und Arbeit, in jeder Gegend vorzüglich) 
hervortritt, weil fein einzelner Stamm zu allen diefen Zweden 
gleich tauglich ift (d). Die zu empfehlenden Maaßregeln find 
hauptſaͤchlich: 

1) Anſchaffung und Aufſtellung vorzuͤglicher Staͤmme auf 
den Staatsguͤtern, um fie in der Umgegend zu verbreiten, ober 
Staatszuſchuß zu der Anfhaffung durch Privatperfonen. 

2) Belehrung über die Fehler, welche bei der Aufzucht am 
häufigen begangen werben (ce). 








— 36 — 


3) Oeftere Ausſtellungen in kleineren und größeren Landes⸗ 
bezirken und fuͤr das ganze Land, mit Ertheilung von Praͤmien 
fuͤr die Beſitzer der beſten Zuchtſtiere, Ochſen und Kuͤhe, und 
mit Vergütung für das Hins und Herbringen der Thiere. 
Diefe Ausftellungen haben fi) zur Anregung des Wetteifere 
und zum Bekanntwerden ber vorzüglichfien Raſſen und Unter- 
abtheilungen berfelben (Stämme) fehr nüplich gezeigt. Sie er⸗ 
fordern Mitwirtung der Regierung, wo nicht bie lanbwirth- 
ihaftlichen Bereine hinreichend dafür forgen (d). 

4) Berpflichtung der Gemeinden, gute Zuchtfliere in hin⸗ 
reichender Anzahl zu erhalten, mit der Anordnung, daß diefelben 
von Sachverſtaͤndigen befichtiget werben (e). . 


(«) Preußen 3. B. hatte 1849 3,°, Frankreich 1845 3,5, Belgien 4mal 
foviel Rindvieh als Pferde, Sachſen 1853 an 6,5, Baden 1855 Ymal 
foviel; es kommen auf 1 Pferd in Galizien 1,?, in Böhmen 4,7, 
Siebenbürgen 1,5, Ungarn 8, Mähren 13,6 Stüd Rindvieh. Es 
famen auf 1 Stüd Rindvieh pr. M. Ader, Garten und Grasland: 
in Oeſterreich ob der Enns 3,9%, unter der Enns 4,1, Steiermark 4,8, 
Böhmen 5,%, Salizien 5,7, Mähren 7,3, Ungarn 7,9, Benezien 8, — 
im preuß. Rheinland 7,5, Weſtfalen 8,8, pr. Sadien 12, Branden⸗ 
burg 14, Preußen und Poſen 16,%, — Baden 1855 5,7, — Sadjien 
61/5, — Belgien 7,%. Dan erkennt hieraus, welcher Zunahme ber 
Viehſtand noch fähig ift, wenn die Futtergewinnnng flärfer wird. — 
Auf 1000 Ginwohner kommen Stüde Rindvieh im Zollverein 396 
(max. 600 in Baiern), in Deutfch= Oefterreih 278, Ungarn 391, 
in Baden 443 (max. 631, Seekreis). Es ift auch lehrreich, das 
Maag der Vermehrung bes Nindviehflandes zu erforfchen und es mit 
der Bolkövermehrung zu vergleichen. 


() Zur Mildgewinnung find in Großbritanien die Raſſen von Alderney 

and Airfhire, in Deutichland die algauer, montafuner, ſchwyzer und 
friefifhe Raſſe, in Frankreich die race Cotentine (Dep. Manche) vor: 
züglich geſchaͤtzt. Zur Mäftung zeichnet fi) am meiflen die Durham: 
Mafle (shortkorns) durch ihre auffallende Schnellwüchfigfeit aus, welche 
eine große Griparung an Fuͤtterungskoſten möglid macht. Diele Rafle 
verbreitet fich neuerlih vafh in Brankreih und Deutfchland, zumal da 
es innerhalb derfelben auch milchreihe Stämme giebt. 2. Rau, 
Abh. über das Durbampich, 1857. Die Rafle von Devonfhire ift zur 
Arbeit vorzüglih gut, aber auch ju den beiden anderen Zwecken wohl 
eeignet, fowie die Raſſe von Salers in Franfreih. In Deutfchland 
nd Kreuzungen des einheimifchen Rindviehes (Landrafle) ſowohl mit 
der Gebirgs⸗ (Alpen :) ale mit der Niederungs: (friefiichen) Rafle vor: 
genommen worden und es entftehen hiedurch gute Dlittelichläge, welche 
man leicht erhalten und noch verbeflern kann, während man bei ber 
Ginführung einer fremden Raſſe wegen der Berfchiedenheit des Klimas, 
Futters sc. bisweilen Schwierigkeiten findet. 


Hauptſaͤchlich das zu frühe Anfpannen und die magere Fütterung. — 
Vorzüge der Stallfütterung. — Prämien für die Anwendung der Kühe 
um Biehen, wo man noch Borurtheile dagegen hegt, 3. B. durch die 
andwirthfchaftögefellichaft zu elle. 


(e 


— 


(d) In Großbritanien ift das Leptere der Fall und bie. Cattleſhows haben 
viel genügt. — Große Piehausftellungen in Frankreich mit Staats: 
unterflüßung. — Im Canton Zürich wurben 1854 Breife an bie Ber 
figer von 122 guten Zuchtſtieren und 200 Zuchtſchweinen ertheilt, für 
jene von 18—45 Fr. 

(ed) Daß die Gemeinde für die erforderlichen Zuchiftiere forgt, ift ein Bei- 
fpiel einer nüglihen Gemeinſchaft (Afioeiation), aber es wird oft aus 
Unverfiand und übelangewendeter Sparfamfeit der Zweck nur unvoll: 
fommen erreiht. 8 ſollten ungefähr nur 60—80 Kühe auf einen 
ftarfen, gegen 30 auf einen jungen oder alternden Stier fommen, die 
Stiere aftvon und gut unterhalten fein, wozu wenigſtens iR Er: 
munterung, Beifpiel und Belehrung viel geichehen Tann. Jährliche 
Defchligung durch den Ahierangt, nach der aargauiihen B. v. 14. Mai 
1819 (bei Hazzi, Ueber die Veredlung sc. ©. 90), Bern, B. vom 
11. San. 1826, gr. bel. V. v. 2. Det. 1839, — oder dur ein 
Schauamt, an weldem neben dem Thierarzte auch erfahrene Landwirthe 
theilnehmen, vheinpreuß. V. v. 16. Febr. 1848. Der Unterhalt ber 
Zuchtſtiere follte nicht dem Wenigſtfordernden, fondern einem zuver: 
Läffgen Landwirthe übertragen werden. Dieß iR in der bad. B. vom 
8. Sept. 1860 ausdrüdlih beflimmt worden, die Gemeinde fol fih 
das Recht vorbehalten, die Entfernung eines unbrauchbaren Stieres 
zu verlangen. Höchſtens 80 Kühe auf 1 Stier. Wo die Haltung 
eines Zuchtſtieres Reallaſt eines Grundeigenthümers ift, da ift von 
diefem in der Regel nicht zu erwarten, daß er mehr tut, als wozu 
er angehalten werden kann, es ift daher rathſam, bie Laſt ablöfen und 
bie Verpflichtung an bie Gemeinde übergehen zu laflen, welche bafür 
bie Entſchaͤdigungsſumme erhält, Bad. Sei. vom 3. Aug. 1837. 


$. 171. 


Schaafzudht. Seit der Einführung ber feinmwolligen 
Schaafe in Deutſchland (a) entfland eine Borliebe der Regie: 
rungen für biefen Gegenfland, die zwar im Allgemeinen nüglich 
war, jedoch zu einer zu großen Begünftigung der Weiderechte 
($. 72) Anlaß gab, und dennoch wegen der Unkunde in ber 
richtigen Behandlung ber Merinosheerden anfangs wenig fruch⸗ 
tete. Neuerlich, nachdem man einen funftmäßigeren Weg ein 
geichlagen hat, machte die Schaafzucht ohne alle Läftigen Zwangs⸗ 
mittel gute Fortſchritte. Sie wirb vermöge bed großen Ber 
brauchs von feiner Wolle vortheilhaft für Gegenden, in benen 
fid) große Landgüter befinden und bie Grundrente nicht hoch 
ift (6), obſchon fie den hohen Gewinn, dem fie unter günftigen 
Abfapverhältniffen einige Zeit Tang trug, nit fortdauernd ab» 
werfen fann (ce). Sie bat ohne Zweifel eine Mitwirkung ber 
Regierung anzufprechen, indeß macht die hohe Ausbildung, 
welche fie neuerlich in Deutfchland durch den Wetteifer ber 
größeren Lanbwirthe erreicht hat, manches Beförberungsmittel 








— 8567 — 


entbehrlich, welches in andern Rändern oder Zeiten noch Bes 
bürfniß fein mag. 


(«) 


Ned dem mißlungenen Verſuche AR U. (1748) wurben bie 
ſpaniſchen Schaafe zuerft in Sachſen (1765), dann in Oeſterreich 
1775), Würtemberg (1186). Baden und Ansbach (1789) eingebürgert. 
ad Schweden famen die Merinos fchon 1723, nad Frankreich (Ram: 
bouillet) 1786. 


(1) Start bevölkerte Länder mit Heinen Brundbeigungen haben wenig 


(©) 


Schaafe, weil diefelben Weide erfordern und vortheilhafter im Großen 
ezogen werden, befonders bie feinwolligen, welche in Züdtung und 
handlung viele Sorgfalt heiſchen und empfindlicher find. Gebirge: 
länder find für Scharf am wenigften, trodene Hügel und Hochebenen 
am meiften paflend. Im preuß. Staat hatte 1855 die Provinz Pom⸗ 
mern gegen 4600, Bofen 4100, Sachſen 4000, Schleſten 3250, Bran- 
benburg .3190, dagegen Weflfalen 1250, Rheinland nur 1010 Schafe 
auf ter Duadratmeile und bier hatte feit 1816 eine Abnahme flatt: 
efunden, im ganzen Staat eine Bermehrung von !/s Proc. der ans 
änglichen oder 58 Broc. der mittleren Zahl. In Deflerreih hatten 
auf der öfterr. Duadratmeile im 3. 1857 Ungarn 2149 Schaafe (max), 
Siebenbürgen 1988, Böhmen 1407, Mähren 1215, Defterr. unter der 
&uns 1023, ob der Enns 724, Steiermark, Kärntben, Krain 576, 
Tirol 519 (min). Das Königreih Sachſen hatte 2012 Schaafe auf 
der Duadratmeile (abnehmend wegen der Ablöfıngen), Wuͤrtembetg 
nar 1300. In England und Wales follen —A (Porter, 
Progress ©. 174) 1828 gegen 25 Mill. Schaafe gemefen fein, alfo 
9160 auf der Duadratmelle! überdieß find es zum Theile große lang: 
wollige Schaafe. Zweifel gegen dieſe Angabe im Amel. Bericht über 
die Induftrie-Ausftellung II, 51. Lavergne (Essai sur l’&con. rur. 
de YAnglet. 1854 &. 17) nimmt für England 30 Mill. an. Hier 
t die Rückſicht auf den flarten inlänbifihen Fleiſchverbrauch mehr 
influß als anderswo. 


Bei der MWohlfeilheit des Getreides in den 1820 Jahren war bie 
Schaafzucht eine Bauptflühße der Landwirthichaft auf größerm Be⸗ 
gungen. Die Borliebe für hoöchſt geſchmeidige und feine Tücher 
und Zeuge gab vorzüglich der Wolle der Glectoralfchaafe (fanftwolligen 
Merinoe, am vollkonnnenſten in Sachfen und Breugen, und in 

Heerde von Naz in Frankreich) einen hohen Preis. Die hoͤchſte Fein⸗ 
heit iſt ſo ſchwer zu erreichen und zu erhalten, daß nur der kleinſte 
Theil der Landwirthe es dahin brachte, weßhalb dieſe Richtung ber 
Schaafzucht die einträglihfle war. So lange Las Pfund g iner 
Wolle 22/, bis 3 fl. galt, war der Gewinn anſehnlich. Thaer be 
rechnete für eime Heerde von 1200 Stuͤck ſtemmtliche Koſten auf 
1786 Thlr. den Rohertrag bei mittelfeineer Wolle (12 Thlr. für den 
Stein oder 22 Pfd.) auf 2586 Thlr., bei feiner (den Stein zu 20 Thlr.) 
auf 4233 Thlr. ao war im Iehten Malle der Reinertrag dreimal fo 
groß. Mögelin’she Annal. XVII, 355. Neuerlih hat man ge- 
ent, durch befiere Tuchbereitung aus Mittelwolle geichmeidigere ımd 
ſchoͤnere Tücher gu machen, ats ſonſt, weßhalb von 1846 an die hoch⸗ 
fene und feine Wolle im fe ſank, die ordinaͤre aber noch flieg. 
Die raſch anwachſende Zufahr von aufralifcher und ſüdafricaniſcher 
Wolle nach Großbritanien hat den dortigen Abſatz ber deutſchen an⸗ 
ſehnlich gemindert. Großbritanien erhielt 1830 nicht wol 2 Mill., 
1839 10, 1850 ſchon 39 und 1860 59 Bill. Pd. Wolle von Auſtra⸗ 
lim, aus Deutfchland dagegen wurden 1836—40 i. D. 24925900 Pfb., 


— 868 — 


1859 nur noch 12 Mill. Pfd. eingeführt, fo daß Deutſchland im let: 
genannten Jahr nur 9 Proc. ter britifhen Wolleinfuhr lieferte. Tables 
of Revenue, XX A ©. 128. v. Batow, Die Wollprotuction des 
deutfchen Zollvereins, 1851. Indeß if die deutſche hochfeine Wolle 
die befte, ihr Preis in London war früher gegen 50 Proc. "und if 
jetzt no %s gone als der auftraliihen und daher die Zucht fein 
wolliger Schaafe noch immer belohnend. Man hat neuerlich gelernt, 

neben der Wollfeinheit zugleih auf den MollreihtHum und auf den 
Fleiſchertrag der Schaafe mehr zu achten, und die früher am höchſten 
geichägte Wlectoralrafie ift duch Eunftmäßige Züchtun mit Rüdfiht 
auf die beiden leßteren Zwecke verändert worden, überhaupt hat man 
die Raſſen nad den örtlihen Berhältnifien forgfältiger ausgewählt. 
Zur Mäftung gelten, da bie langwolligen Leicefterichaafe in dem, deut: 
fhen Klima nicht gut gedeihen, die englifhen Southdowns für bie 
vortheilhafteften. ie Abnahme der deutſchen Woll-Ausfuhr wird 
durch die zunehmende inländifche Verarbeitung aufgewogen. 


8. 172, 


Zur Beförderung ber Schaaafzucht in Ländern, wo ein Auf 
ſchwung derfelben zu erwarten ift, dienen außer ber Yreigebung 
ber Wollausfuhr ($. 128) vorzüglich: 

1) Anlegung von Stammfchäfereien der nüglichften Raffen, 
welche rein erhalten, mit forgfältiger Auswahl bei der Paarung 
fortgepflanzt und zur Veredlung ber infändifchen Heerden durch 
Ausleihen oder Verkauf von Zuchtwiddern (Stören) ſowie von 
Zuchtſchaafen um mäßige Preife benußt werden, doch nur ba, 
wo nicht ſchon Privatfchäfereien in biefer Hinficht genügen (a). 

. 2) Belehrung über die Grundfäge, nad) welchen die ver 
ſchiedenen Schaaftaffen behandelt werben müflen, am beften in 
der Form eines leichtfaßlichen Katechismus (d). Prämien find 
minder nothiwendig, weil der nad dem Yeinheitögrade abs 
geftufte Wollpreid und ber gute Fleifchverfauf die Stelle ber 
jelben vertreten (ec). 

3) Anlegung von Wollmärkten, verbunden mit Waſch⸗ und 
Sortirungsanftalten, welche auch dazu benugt werben können, 
den Schaafzüchtern Vorſchuͤſſe auf die Wollenvorräthe zu geben (d). 


(a) Im vorigen Jahrhundert wurden die Merinosheerben nicht genug vor 
ber Bermifchung mit deutichen Landfchanfen bewahrt, indem man 
glaubte, es könnten ſchon nad einigen Generationen Zuchtwidder aus 
den Blendlingen (Baftarden) gebraudt werden. Reine Stammbeerden - 

. haben zur Nachzucht von Widdern für die Vereblung der einheimifchen 
grobmwolligen Schaafe viel genügt und werden erft entbehrlid, wenn 
bie verebelten Heerden die Fähigkeit erlangt haben, fich durch ſich ſelbſt 
(Inzucht) in gleicher Vollkommenheit zu erhalten. Treffliche Schäfereien 


— 369 — 


auf den fähl. Domänen zu Lohmen, Stolpen, Rennersborf ıc., auf bem 
preuß. Staatögute Frankenfelde. Franz. Staatsichäfereien zu Ram: 
bouillet, Montcavrel, Perpignan, Lahayevaur (Bogefen). — Ueber bie 
Bermehrung der Schaafe und befonders der Beredlung im preußifchen 
Staate ſ. $. 72 (e). 


(3) Schriften diefer Art von Daubenton, Teffier. Thaer (Handb. 
für die feinwoll. Schaafzudt, Berl. 1811), Schmalz (Anleit. zur 
Zudt, Pflege und Wartung edler und veredelter Schaafe. Könige: 
berg, 1825). — Elsner, Schäferfatehismus, 1832. — Auh Schäfer: 
ſchulen, 6. 145. 


(e) Dieß ſetzt jedoch zollfreie Wollauefuhr voraus. 


(d) Zum Vorbilde dient die Pariſer Anſtalt; ſ. Verhandl. des Vereins 
zur Beförderung des Gewerbfl. im preuß. Staate, 1822, ©. 65. — 
v. Hazzi, ©. 85. 


8. 173. 


In Anfehung der Fleineren Haudthiere befchränft fich 
die Theilnahme der Regierung darauf, daß fie für bie Herbeis 
Ihaffung beflerer Raflen Sorge trägt, die Landwirthe mit deren 
Vorzügen und ber Art, fie zu behandeln, befannt macht, fehler: 
bafte Gewohnheiten zu verbannen fucht, und ebenfalls ben 
Eifer mit Hülfe von Prämien belebt. Die Schweinezudt 
hat vorzügliche volkswirthſchaftliche Wichtigkeit, auch für die 
feinen Landwirthe (a), während die Ziegenzucht hauptfäd- 
lih in WBerggegenden und für die unterfte Elaffe der Land» 
bewohner Ruten leiftet (d). — Die Emporbringung der Bienens 
zucht farın den DBereinen überlaffen werben, da biefer Betriebs: 
zweig in Gegenden, wo ed an Bienenpflanzen nicht fehlt, feine 
Shwierigkeiten hat. — Die früheren Berfuche, die Seiden⸗ 
zucht in Deutfchland einheimifch zu machen, brachten feinen 
dauerndern Erfolg zu Wege. Dieß Mißlingen rührte zum Theil 
von zufälligen Urfachen ber, 3. B. von Fehlern im Verfahren, 
Mangel an gutem Abfap und gehäffigen Eindrüden der ge 
brauchten Zwangsmittel (c), indeß ftehen in Deutichland auch 
klimatiſche Schwierigkeiten der Seidenzucht im Wege, bie kaum 
erwarten laſſen, daß dieſe eine beträchtliche Ausdehnung 
gewinnen werde (d). Sie kann jedoch als Nebenbeſchaͤftigung 
in Arbeiterfamilien, von Weibern und Kindern, betrieben wer⸗ 
den, die Wartung der Raupen fuͤllt nur einige Monate im 
Jahre aus und wenn feine übeln Zufälle eintreten, fo iſt ber 


Reinertrag ermunternd (e). Daher ift es rathfam, ber Seidens 
Rau, polit. Delon. II. 1. Abth. 5. Ausg. 24 


— 310 — 


zucht foviel Ermunterung zu geben, daß biejenigen Perſonen, 
für die fie eine nügliche Beichäftigung darbietet, ſich ihr leicht 
zuwenden fönnen. Die hiezu dienlihen Mittel, welche in Er: 
mangelung von Privatvereinen (f) durch die Regierung ans 
zuwenden find, beftehen außer der auch hier ſehr wirffamen 
Belehrung (g) in folgenden: 

1) Verbreitung der weißen Maulbeerbäume durch Verthei⸗ 
lung von jungen Stämmen und Prämien, Anpflanzung an 
Eifenbahnen ıc. (Ah); 

2) Anfhaffung und BVertheilung von Eiern, fog. Grains; 

3) Erleichterung des Abſatzes von Gefpinnften (cocons), 
wozu die Anlegung von Haßpelungsanftalten (filande) gute 
Dienfte leiftet. 


(a) Ueber die Beförderung der Schweinezudt in Sachſen, Hanffen im 
Archiv, N. F. IV, 185. — Engel, Jahrbuch, I, 336. — Vorzüglide 
engliihe Schweinerafien. 


(5) In Sachen haben fi) 1847—50 die Biegen bei ten ®rundeigenthümern 
um 7, bei ten Unangefeflenen um 35 Proc. vermehrt, aber freilid 
befaßen diefe 1850 nicht voll 61/8 Proc. aller Ziegen. Gngel, 
S. 358. — Tibetaniſche Ziegen, deren feiner, unter den Haaren 
ftehender Flaum zu den Kafhmirs Shawls gebrauht wird, wurden 
1819 durch Ternaur nad Frankreich gebracht, nachdem die Regierung 
für den Ball des Gelingens die Mebernahme von 100 Stüd um an: 
fehnlihen Preis zugefagt hatte. Obfchon diefe Thiere nicht fo vortbeil: 
haft find als bie Merinos, fo fönnten fie doch an ber Stelle ter 
gemeinen Ziege Nutzen bringen, oter mit bderfelben gefreuzt werben. 

ie hielten bei Unterfeen im Canton Bern das Klima einer Höhe von 
1800 Fuß über dem Meere aus. 


(c) In der Rheinpfalz wurden 1774: 45725 Pfd. und 1769: 37137 Pfr. 
Eocons gewonnen. Man mußte fie an die privilegirte Seitenbau: 
Geſellſchaft zu Heidelberg für beftimmten Preis (30 fr. das Pfd.) ab» 
liefern. Die erzwungenen Maulbeerpflanzungen erregten Unzufrieten: 
peit, zumal da die genannte Gefellfchaft ten Aleinbandel mit Maul: 
eerflämmen führte, und dieß trug vielleicht mehr ale ter Krieg zum 
Untergange der Seidencultur bei. Wundt, Gelchichte der Stadt 
Heidelberg, I, 98. (1805). — Berhandl. des bad. landw. Vereins 
XVI, 167. — Am eifrigften wurde das Emporfommen dieſes Gewerb⸗ 
jeeiges im preuß. Staate unter Friedri IL. betrieben. Es ergingen 
efehle zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen,. vorzüglich auf ben 
Kirhhöfen, wo die Geiftlihen und die Schullehrer dazu angehalten 
wurden, ferner auf den Ländereien der Gemeinden und Stiftungen. 
Es wurden Plantagen = Infpectoren ernannt, Prämien gegeben, Bor: 
räthe von Ciern beigefchafft und Haspel: (Tirages) Anftalten errichtet, 
aber diefe reichten nicht hin und die fchlecht gehaspelte Seide fand feinen 
Abfap. 1788 wurde eine f. Immediat:Randfeidenbau:&ommilffton errichtet. 
Dennody verfiel der Seidenbau, als fpäterhin die Prämien aufbörten. 
Borowsky, II, 452. — In Oeſterreich wurde unter Maria Therefia 
und Sofepb IL, in Baiern 1609 und dann nochmals unter Karl 


(@) 


- -—- 39 — 


Theodor, in Baden: Durlah 1766 Achnliches verſucht, aber ohne blei- 
benden Erfolg. — In England fcheiterten unter Jacob L und Karl L 
die Berfuche, weil man die Blätter des fchwarzen Maulbeerbaums an: 
wendete. — Die neuerdings in Deutichland und England wieder be: 
lebten Beſtrebungen fünnen mehr fruchten, weil man fuwohl von 
technifcher Seite ale in Anfehung ter Regierungsmaaßregeln mit mehr 
Einfiht zu Werke geht. 

Die Raupen werben vom flarfen Temperaturwedlel, 3. B. nad Ge 
wittern, leicht getöbtet. Das Bebürfniß gebeizter Etuben erfchwert 
das Unternehmen. Wohleingerichtete, mit Lüftungsmitteln sc. aus: 
geftattete Gebaͤude (magnaneries), wie fie in Frankreich ſchon beftehen 
nun auch bie und da in Deutſchland), fcheinen das beſte Mittel zu 
ein, welches aber nur im Großen anwendbar ift. 

Im preuß. Staate werden jährlih 20—30 Gentner Seide gewonnen, 
auptfählihd von Schullehrern. In einem befannt gewordenen Kalle 
erechnete ſich der Verdienſt für Gewinnung von 38 Pfd. Eeite bei 
einem Preiſe von 1 Täler. für den Gentner Blätter nad) Abzug der 
Auslagen auf 114 Thlr. v. Türk in v. Lengerfe, Annal. I, 128. 
Bol. v. Nagel, Die ermunterte Seidenzucht in Baiern. München, 1826. 


(/) Berein zur Beförderung des Seitenbaues in Preußen jeit 1845 und 


(9) 


(A) 


aͤhnliche Vereine in den einzelnen Provinzen. 


Conte Dandolo (berühmter Kenner und Beförderer der Seiden⸗ 
zucht), Dell’ arte di governar i bachi da seta. Milano, 1819. 3. Ausg., 
franz. von Bonafous. Lyon, 1821. — v. Hazzi, Lehrbuch des 
Sei denbaus für Deutfchland. Münden, 1826. — v. Kees, Darſtell. 
bes Kabrifweiens, I, 410. — v. Türk, Bollftändige eng zur 
zwecdmäßigen Behandlung bes Geidenbaus. Potsdam, 1829. IIIB. — 
Kurze Anleitung zur Grziehung des Maulbeerrbaums und zum Seiden; 
bau, Berlin, 1851. — Netz, Anleitung zur Erziehung der Seiden: 
rauıpen, Darmfladt, 1855. 

Baier. B. vom 11. San. 1826: Bewilligung von 6000 fl. für 2 Jahre 
zu dieſem Zwede. — Der weiße Maulbeerbaum kommt auf fleinigem 
und magerem Boten fort. Wo die Seidenzucht verbreitet ift, da wird 
es einträglih, Pflanzungen zum Berkaufe dieſer Blätter anzulegen. 
Es if bis jeßt Fein anderes glei brauchbares Nahrungsmittel der 
Seidenraupen aufgefunden worden. Die Srfahrung, daß man ſchon 
von 2jährigen Stämmen die Blätter verfüttern kann (Jahresbericht 
über die Wirkfamfeit des preuß. Seidenbau:Bereine, 1853 ©. 10), 
ift ſehr nüglih. In Oftindien werben fogar die Maulbeerbäume wie 
Futterpflanzen gejäet und gemäht. 


8. 174. 
In ber Jagd zeigt ſich ber geringfte Grad von Sorgfalt 


des Menfchen für die fortdauernde Gewinnung von Thieren, 
body macht bei zunehmender Bevölkerung die Abnahme des 
Wildſtandes dad Bebürfniß einiger Pflege deſſelben fühlbar. 
Durch dieſe unterfcheidet fich die fogenannte za hme Jagd von 
ber wilden, 1, 8. 356. Jene ift feines derjenigen Gewerbe, 
die mit Hülfe von Regierungdmaaßregeln emporgehoben werden 
fönnen, vielmehr nimmt ihr Ertrag bei der Verminderung ber 


24* 


— 312 — 


MWaldungen ab, zumal da man das Wild nur in foldyer Anzahl 
erhalten darf, daß die Gefahr von Beichädigungen ber Feld⸗ 
früchte wegfält. Im biefer Gränge liefert jedoch bie Jagd eine 
nugbare Zugabe zu den Nahrungsmitteln und Berwandlungss 
ftoffen (a), weßhalb ihre gänzliche Zerftörung dem Volksein⸗ 
fommen einen Berluft zufügen würde. Die hergebrachte Ein- 
richtung, daß das Jagdrecht nicht ald Ausflug des Grund 
eigenthums galt, fondern bem Staate oder einzelnen größeren 
Butsbefigern zuftand (III, 8. 192), war für die Erhaltung ber 
Jagd zwedmäßig, jedoch für die Grunbeigenthümer nicht ohne 
Nachtheil, weil das Wild ſowie die Ausübung ber Jagd oft 
Schaden an den Gewächlen anrichtete. Bei ber neueren Auf 
hebung der Sagbberechtigungen (III, 8. 193) hat man für nöthig 
erachtet, zu verorbnen, baß die Jagd nicht von jedem Grund: 
eigenthümer auf feinen Grundſtücken jelbft ausgeübt werden 
dürfe, vielmehr in einer ganzen Gemeindemarfung zu Gunften 
der fämmtlichen Grundeigenthuͤmer verpachtet werden müfle. 
. Den bisherigen Berechtigten gebührt eine Entſchaͤdigung, welche 
gefeglich geregelt werden muß. igenthümer einer größeren zus 
fammenhängenben Yläche dürfen die Jagd felbft benuken (d). 


(a) Pelze, Haare, 3. B. von Hafenbälgen, Häute, Geweihe ıc. 


(5) Die Geſetze vieler Staaten feit 1848 flimmten in der Hauptfache überein. 
In Oeſterreich (Patent v. 7. März 1849) bilden 200 Jod, in Preußen 
(Gef. v. 31. Oct. 1848, 7. März 1850) 300 M., in Baiern (Bel. 
v. 30. er 1850) 240 T. in flachem Lande, 400 im Hochgebirge, in 
Baden (Gef. v. 2. Dec. 1850) 200 M. die Flaͤche, welche zur ſelbſt⸗ 
fändigen Ausübung berechtigt. — Neuerlich ift in einigen Linden das 
Sagbredt wieder hergeftellt und nur eine Ablöfung deſſelben befürbert 
worden. 


8. 175. 


Die Regierung übt über die Jagden (a) eine Aufficht aus, 
weldhe man ben Wildbann nennt. Dieß beruht nicht allein 
auf einem polizeilichen Grunde (Verhütung des Wilddiebſtahls, 
des Wildſchadens an Feldfrüchten, fo wie ber Beichäbigung von 
Menfchen und Thieren), fondern auch auf einem volkswirth⸗ 
fhaftlihen. Die Erhaltung bed Wildſtandes wird nämlid 
dadurch bedingt, daß gewiffe Regeln bei der Ausübung ber 
Jagd allgemein beobachtet werden, denn das unwirthfchaftliche 
Verfahren des Einen würde die Vorficht der andern unnüß 


— 3713 — 


machen; «6 muß baher bie nöthige Gleichfoͤrmigkeit anbefohlen 
werben. Doc follten die Vorfchriften fich nicht weiter erftreden, 
als es zur Erreichung der angegebenen Zwede nothwendig ift. 
Dahin gehören von volköwirthfchaftlicher Seite: 

1) Borfhrift einer gewiffen Hegezeit für jede Art des 
Wildes, mit Rüdficht auf Geſchlecht und Alter, die ſchaͤdlichen 
Thiere ausgenommen, deren Audrottung begünftigt werben 
muß (a). Die Jagd auf eine einzelne Art des Wildes kann, 
wenn Gefahr ihrer gänzlichen Austottung vorhanden ift, einige 
Zeit lang ganz unterfagt werben. 

2) Berbot folcher Arten, die Thiere zu erlegen oder zu fangen, 

welche dem Wildſtande mehr fchaden, als fie eintragen (b). 
(a) Beilpiele Bergius, Mag. V, 172. — Meyer, Forſtdirectionslehre, 
$. 501. — Die Forfiverwaltung Baierns. ©. 508. — Bgl. Mitter: 
maier, $. 213. — Die Feldjagd fchließt fh in Baiern und Baden 


mit dem 2. Febr., ihr Anfang wird dort, zwifchen dem 15. Aug. bis 
8. Sept. von ter Kreisregierung feflgefeßt, hier if er am 23. Augufl. 


(5) 3. B. lärmende Arten der Jagd in der Seh: und Hedzeit, Ausnehmen 
der Gier u. dgl. — Man if in foldhen Berboten zu weit gegangen, 
weil man ben Tea Jagden zu Liebe die Privatjagden auf 
alle Weiſe einzuengen ſuchte. — Anorbnungen zur Verhütung der Jagd⸗ 
frevel, 3. B. die Jagbpäfle, find polizeilicher Art. 


g. 176. 


Auch für die Fifcherei in Gewäflern, deren Benubung nicht 
einem Einzigen allein zufteht (a), find Einfchränfungen noth- 
wendig, damit nicht einzelne Berechtigte zum Nachtheil für 
andere und für bie ganze Volkswirthſchaft durch rüdfichtölofen 
Betrieb des Fiſchfanges die Wiebererzeugung der Fiſche ver 
mindern oder verhindern (db). Dahin ift zu rechnen: 

1) Berbot des Fanges in ber Laichzeit (c); 

2) Schonung ber Brut, weßhalb die Größe der Mafchen in 
den Netzen vorgefchrieben und der Verkauf von Fifchen unter 
einem gewiffen Maaße unterfagt wird (d); 

2) Berbot folcher Mittel zum Fifchfange, woburd die Ge⸗ 
wäfler verödet werben würden (e). 

Die fünftliche Fiſchzucht verdient von ber Regierung nad) 
drüdlich befördert zu werben, wozu beſonders bie Errichtung 
von Mufteranftalten auf Staatöfoften ober eine Unterflügung 
fundiger Privatunternehmer nüglidy fein wird (S). 


— 3014 — 


(a) Fiſchteiche, Gewerbscanaͤle u. dgL bebürfen feiner Staate-Auffiht, weil 


(2) 


(e) 


(@) 


(e) 
(f 


bier die Handlungsweife des Eigenthümers Anderen nicht jchadet. 


Bergius, ag. II, 111. — v. Berg, IH, 380. - Mittermaier, 
F. 233.— Zeller, Polizeiw. IX, 1. — Diele Ginfäränfungen gelten 
für alle Arten bes Betriebs, ſei es durch die Berechtigten ſelbſt, oder 
durch deren Pachter oder durch mehrere in einem Staats: oder Gemeinde: 
Gewaͤſſer zugelaffene Fiſcher. Die Fiſchereiordnungen enthalten nicht 
bloß Beftimmungen der hier bezeichneten Art, fondern auch ſchutzpolizei⸗ 
lihe Borfchriften, um Entwendungen und Beſchaͤdigungen zu verhüten, 
3. B. Verbot, in Forellenbaͤche oder Teiche Enten zu laſſen, die Rechen 
zum Aufpalten der Fiſche wegzunehmen ꝛc. Gr. hei. Fiſcherei⸗Ordn. 
v. 13. Nov. 1860. — Es ift übrigens unvermeidlih, daß wegen ber 
Dampfichifffahrt und der vermehrten Waflerwerfe, aud) wegen des Waſſer⸗ 
ablaufes aus chemifchen Fabriken die Fiſche in den fließenden Bewäflern 
fih vermindern. 


Ausgenommen etwa foldhe Seefiſche, die nur während ber Laichzeit in 
gewiſſe Gewaͤſſer fommen und deren Sprößlinge wieder in das Meer 
zurückkehren, wie der Maifiſch (clupes alosa) im Mai den Rhein und 
unteren Nedar befuht. Kür Forellen fann die ehonungereit vom 
1. April bis 1. Jun. gefeßt werden, für Karpfen, Hechte sc. März bie 
Zunius, Salmen Sept. bis Dee. — Vorſchlag, vom Det. bis Der. 
nur die leicht Eenntlichen männlichen Lachſe und Forellen auf den Marft 
zu bringen. Wochenbl. zu den Annalen db. preuß. Landw. 1861. S. 30. 


Franz. Orb. v. 1669: bei den einzelnen Arten der Fifhe 5—6 Zoll 
Länge zwifchen Auge und Schwanz. — B. ber Regierung bes bad. 
Unterrheinfreifes v. 8. Sul. 1859: Mafchen mindeftens 1%/, Zoll — 


4 Gentimeter ins OD. Fiſche unter 3% Pfd. und Aale unter 1 Bio. 


— 


dürfen nicht verkauft, ſondern muͤſſen aus dem Netze wieder in das 
Mafler geworfen werden. — Kleine Bifcharten bleiben natürlich aus: 
genommen. 


Nachtfifchen, betäubenne Mittel, Stechgabeln ıc. 


Diefe deutfche Brfindung verbreitet fich feit 1852 von Frankreich aus. 
Sowohl die Bier (Rogen) als der Saame (Milch) werben durch ges 
lindes Streichen der Fiſche ausgeichieden und mit einander gemifcht, 
dann bie befruchteten Gier in Gefäße gebracht, die mit fliegendem Wafler 
in Berbindung fichen. Die Brut wird dann in Teiche oder fließende 
Gewäfler gefegt. Anleitung zur künſtl. Vermehrung der Fifche, a. d. 
Holländ. Darmfladt, 1854. — Zeller, Zeitfär. 1855. S. 223. — 
Bad. landw. Gentralbl. 1860. ©. 229. 


Nachtrag zu * 147 Note (a): Napoleon ILL errichtete Muſterhoͤfe zu 
Vincennes (aut bish 


er ddem Lande) und Fouilleufe bei St. Cloud (aus 


vielen zufammengelauften Stüden). 


Berichtigung. Auf S. 284 iſt zur Ueberfhrift: „Innerer Verkehr 


mit Bodenerzeugniffen“ ſtatt 1) zu feßen: B). 


Gedruckt bei C. Poly in Leipzig. 





Lehrbuch 


der 


politiſchen Oekonomie 


von 


Dr. Karl Heinrich Rau, 


großh. bad. geb. Rath und Brofeffor zu Heidelberg, onient des Zähringer Loͤwenordens mit 

dem Stern, Bitter des preuß. rothen Adlerordend II. le, Sbrenmikel eb Der Univerfitäten 

St. een und Kafan, der k. Atademie ber Wie en ha ten in Bien, correipondirendem 

Mitgliede des !. Inftituts in Paris, der Alademieen der Wiſſenſcha ften in Braͤffei und Beh, 

der ſtatiſtiſchen Commiſſion in Brüffel, der flatitifhen Geſellſchaft in Paris, tatied der k. 

geopoldinif  Garoliuifayen Akademie der Raturforfcher umd der landwirtöfchaft ihen Bereine 
in Baiern, ürtembderg, Großh. Hefien, Florenz und Galizien zc. 


Zweiter Band. 
Hrundfäße der Wolkswirtäfchaftspotitiß. 
Zweite Abtbeilung. 


Fünfte nermehrte uud verbeſſerte Ausgabe. 


Mit großb. bad. Privilegium. 


— — — — 


Leipzig und Heibelberg. 
C. 8. Winter’fhe Verlagshanplung. 
1863. 


Grundſätze 


der 


Volkswirthſchaftspolitik 


mit 


anhaltender Rückſicht auf beſtehende Staats— 
einrichtungen 


von 


r. Karl Heinrich Nau, 


großh. bad. geh. Rath und Brofeffor zu —— Comthur des —86 Löwenordens mit 

tem Stern, Ritter des preuß. rotben Adlerordens Glaffe, Ehrenmitglied der Univerfitäten 

Et. Beteröburg und Rafan, der 2. Akademie der Wiſſenſchaften in Wien, correfoonbirenbem 

Bit liede des ?. Inftituts in Baris, der Alademieen der Wiſſenſchaften in Brüffel und Peſth, 

atiſtiſchen Gommiffion in Brüffel, ver Hatiftifhen Geſeliſchaft in Paris, Mitglied der k. 

—— —— Akademie der Naturforſcher und der —6 en Vereine 
in Batern, Würtemberg, Großh. Heſſen, Florenz und Galizien ꝛe. 


Zweite Abtheilung. 


Fünfte vermehrte und verbeſſerte Ausgabe. 


Mit großh. bad. Privilegium. 


—— — —— 


Leipzig und Heidelberg. 
C. F. Winter'ſche Verlagshandlung. 
1863. 














VDorrede, 


— — — 


Dei der Beendigung und Ausſendung dieſer zweiten Ab⸗ 
theilung ber Volkswirthſchaftopolitik iſt zuvoörderſt aus dem Vor⸗ 
wort zur vierten Ausgabe bie Anzeige der zwei erheblichften in 
berfelben gemachten Veränderungen zu wiederholen, nämlich ber 
Hinzufügung eined neuen Abfchnittes „Ereditanftalten”, 
$. 3i2a—c, und ber Umſtellung des erfien Abfchnittes im 
zweiten Buche. Es fchien zwedmäßig, die Beförderung des 
Zaufchverfehred im Allgemeinen, der fehr häufig ohne Vermitt⸗ 
lung des Kaufmanns geradezu zwifchen ben Erzeugern und 
Zehrern gepflogen wird, von den Maaßregeln zu trennen, bie 
fi) auf den Handel als abgefondertes Tauſchgewerbe beziehen. 
Auf diefe Trennung war ſchon in 8. 229 der früheren Ausgaben 
hingebeutet worden. | 

In Hinfiht auf die Veränderungen und Zufäge in biefer 
fünften Ausgabe ift der Borrede der erften Abtheilung nur noch 
Weniges beizufügen. Nachdem bie älteren Schriftfteller und bie 
Regierungen bis vor Kurzem in ber Leitung der Volkswirthſchaft 
mit Hülfe von Zwangdvorfchriften wenig bedenklich geweſen 
waren, ift man neuerlich mehr und mehr bedacht geworden, bie 
Zuläffigfeit folcher gefeglicher Beſchraͤnkungen nach allgemeinen 
Grundfägen zu prüfen, ungefähr wie biefe in $. 5 der erften 
Abtheilung aufgeftelt worden find. Manche bisher für noth⸗ 
wenbig gehaltene, buch die Macht der Gewohnheit geftübte 
gefegliche Anordnungen find zufolge folcher Unterfuchungen ganz 
ober zum Theile als entbehrlich erfannt worden, fowohl in ber 
öffentlichen Meinung, wie in ber Ueberzeugung ber Regierungen. 


—— TV 





Die Berwirklichung beffen, was nad) allgemeinen wiſſenſchaft⸗ 
lichen Grundſaͤtzen ald das Vollkommenſte erfannt worben war, 
it nun weit näher gerüdt, zum Theil ſchon ausgeführt worden, 
und bei biefer heutigen Lage ber Dinge fönnen mandye Rüds 
ſichts⸗ und Vorſichtsmaaßregeln, die den Uebergang zu einem 
befferen Zuftand vorbereiten follten, leicht aufgegeben werben. 
Der Berf. bat diefe Vorgänge als Kortfchritte in einer, auch von 
ihm in den früheren Ausgaben ber Bolköwirtbfchaftspolitif em⸗ 
pfohlenen, von Bielen dagegen lebhaft befämpften Richtung mit 
Freude begrüßt und in ber jegigen Ausgabe ald Errungenfchaften 
behanbelt, weil dieſe Wiffenfchaft ven Bebürfniffen ber Gegenwart 
entfprechen fol. Dieß gilt vorzüglid von ber Aufhebung des 
Zunftzwanges, bei der dad von ber öfterreichifchen Regierung 
gegebene Beifpiel einen flarfen Eindruck hervorgebracht und zur 
Nachfolge ermuntert bat. Auch in der noch nicht zum Abſchluß 
gelangten Streitfrage über den Zollſchutz ift der Stand der beider⸗ 
feitigen Anfichten nicht mehr berfelbe, denn bie Vertheidiger bes 
Schutzſyſtems haben, bad Gewicht ber entgegenftehenden Gründe 
und Thatſachen fühlend, ſchon erhebliche Zugeftänbniffe gemacht. 

Während der Inhalt der Volkswirthſchaftspolitik zum Theile 
in der Bekaͤmpfung älterer Zwangseinrichtungen befteht, befchäf« 
tigt fih ein anderer Theil der Lehrfäße mit der Erforfchung ber 
Art und Weife, wie gewifie Maaßregeln, die nothwendig von 
der Staatögewalt auögehen müflen, am beften in Ausführung 
zu bringen feien, und es thut Roth vor der Ueberftürzung zu 
warnen, zu der eine in ihrer Allgemeinheit nicht gerechtfertigte 
Abneigung gegen alles Einwirfen ber Regierung auf volkswirth⸗ 
ſchaftliche Angelegenheiten leicht verleiten koͤnnte. 


9. October 1863. 


Inhalt. 


— — — — 


Seit 
1. Buch, Fortſetzung. 
2. Abſchnitt, Fortſetzung. 
3. Abtheilung. Pflege der Gewerke. 


Einleitung, $. 177.... 1 
1. Hauptſtück. Geſeztzliche Bedingungen dee Gewerks 
betriebes. 
I. Verfaſſung der Handwerke, F. 18 . . 2 2.2.2. 2 
U. Sabrifen, $. 202. . . . 55 


2. Hauptftüd. Manfregeln, bie den abſab von Gewerke 
waaren betreffen. 


I. Erfindungsvorredhte, F. 2038 . 2 2 2 2 22.68 
II. Swangs: und Bannrechte, F. 2004 . . .... 05 
III. @infuhrbefchränfungen, 6. 205. . . . 78 

3. Hauptſtuͤck. Maaßregeln, welche fich auf die tunftmäßige 
Betreibung der Gewerfsarbeiten beziehen, $. 216 . . 122 

L Gicerungsmittel gegen ſchlechte Veſchaffeneit ber 
Waaren, $. 217 . . 123 
U. Unterrichtsmittel, 6. 220 .- : 2 2 2 220020. 128 
II. Grmunterungsmittel, $. 225 . . . 138 

2. Bud. Beförderung der Bertheilung des Guͤ— 

tererzeugniſſes. 

Einleitung, $. 220.... 222.0. 148 


1. Abſchnitt. Beförderung bes Tauſchverkehro. 
1. Abtheilung. Maaßregeln für den Tauſchverkehr im All⸗ 


gemeinen. 
Ginleitung, $. 220 . . . 22020... 180 
1. Sauptflüd. Maaßweſen, s. 230 .... } 3 | 
2. Sauptfild. Gelbweien. 

L Müngweien, 8. 22. . . 2 2 2 2 22 0020.19 


HM. Bapiergeld, 6 241.» 2. 2 2 0 2 2 nen 10 


3. Hauptſtück. Grleidterung der Waerenſortſchafuns. 
I. Herſtellung der Straßen, 8. 25 . . . 
A. Landſtraßen, $. 256 .. 
B. @ifenbahnen, F. 258 
C. Brüden, $. 264 . . . 
D. Waflerfiraßen, 6. 265 . . . . 
II. Mittel zur Benutzung ber Straßen, s. 268 . 
2. Abtheilung. Handelspflege. 
Ginleitung, $. 273... . 
1. Hauptflüd. Maaßregeln für den Handelsbetrieb im 
Allgemeinen, $. 274 .. 
2. Hauptſtück. Maaßregeln für. einzelne Handelszweige. 
L Beförderung des Waarenhandels. 
A. Anordnungen für den Binnenhandel, 8. 286 
B. Aus⸗ und Ginfuhrhandel, 6. 293 . 
C. Zwiſchenhandel, 5. 306 ... 
II. Maaßregeln in Bezug auf den Papierhandel, 5. 312 
2. Abſchnitt. Greditanftalten, 6. 312 . . 
3. Abfchnitt. Einwirkung ber Staetegewali auf bie © Bei, 
$. 313 .. 
4. Abſchnitt. Armenweſen, F. 324. . . 
1. Abtheilung. Allgemeine Betrachtung ber Armuth, 8. 325 
2. Abtheilung. Berhütung ber Armuth, 8. 331 . . 
3. Abtheilung. Berforgung der Armen. 
L Allgemeine Brunbfäße, 8.335... 2 2 20 2 
U. Berforgung verfchiedener Arten von Armen. 
A. Für erwachfene arbeitsfähige Arme, $. 342. 
B. Für arme Kinder, $. 353 . 
C. Für Grwerbsunfähige, 8. 356 .. 
3. Buch. Maaßregeln, welche die Veize hruns 
ber Güter betreffen— 5: 857 , 
Hachträge .-. 2» 2 2 2.2. 


Seite 


217 
219 
225 
257 
259 
267 


284 


286 


307 
315 
341 
349 
351 


364 
381 
385 
401 


421 
445 


475 
482 


491 
527 





Dritte Abtheilung. 
Pflege der Gewerke. 


Einleitung. 
8. 177. 


Die Gewerksarbeit (a) bietet nicht, wie die Erdarbeit, den 
Anblid einiger großen Hauptgewerbe dar, deren jedes von vie 
fen Menfchen betrieben wird, fie zerfällt vielmehr in fehr viele 
einzelne Gewerbszweige, die ſich Häufig durch neue Spaltungen 
noch weiter vermehren. Obgleich in Hinfiht auf Gegenſtand, 
Kunftregeln, Betriebdumfang ıc. von einander verfchieden, kom⸗ 
men dieſe zahlreichen Gewerke doch in Anfehung der von ber 
Regierung wegzuräumenden Hinderniffe, fo wie ber von der⸗ 
felben anzuwendenden Beförberungsmittel größtentheild mit ein» 
ander überein. Daher ift die Regierung der Mühe überhoben, 
für jedes einzelne Gewerk auf ähnliche Weife zu forgen, wie 
ed bei den Zweigen ber Landwirthſchaft Bebürfniß ifl, auch 
würde dieß ein unabfehbar großes Feld der Staatsthätigfeit 
jein. Indeſſen bleiben mandye Fälle übrig, in denen bald die 
Wichtigkeit eined Gewerkes, bald die Eigenthümlichkeit der ihm 
im Wege fehenden Hemmniffe die Regierung auffordert, ſich 
mit feiner Emporbringung insbefondere zu beichäftigen (db). 

(«) Die Gewerke werden in der gewöhnlichen Gelhäftsiprache noch immer 
Gewerbe genannt, obgleidy auch die weitere Bereutung dieſes Wortes 
wohlbefannt ift und Jedermann den Bergbau fo wie die Landwirthicaft 
als Gewerbe anerkennt. 

(6) Namentlich iſt dieß bei den Binfuhzzöllen von Kunſtwaaren häufig ges 
ſchehen. — Schriften über Gewerispflege: Bülau, Der Staat und 


die Induſtrie. Leipz. 1834. Nach dem größten Theile des Inhalts 
Rau, yolit. Defon. TI. 2. Abth. 5. Ausg. 1 





— 2 — 


gehören hierher Gampomanes ($. 9) u. 3. C. Leuchs Bewerb: 
und Handelsfreiheit. Nürnb. 1827. — Becher, Die Organifation 
des Gewerbeweſens. Wien 1851. — Rüdiger, Staatslehre. ©. 64 
bis 90. — v. Berg, III, 439. — Gr. Soden, VI, 164. — Ueber 
Ginrihtungen einzelner Staaten: Zeller, Die Gewerbepoligei in den 
preuß. Staaten, I, 1834. — v. Rönne, Die Gewerbepolizei des 
preuß. Staates, II Bde. 1851. — Eggert, Das heutige Gewerbe: 
weien in den preuß. Staaten. 1852. — Maſcher, Die GewerbeD. 
Preußens in ihrer neueften Geftalt. Potsdam 1862. — Billich, 
Das württemb. Gewerberecht. Stuttg. 1851. — Kopetz, Allgemeine 
öfterreichiiche Gewerbsegeſetzkunde. ien 1829. 1830. IT B. — von 
Steinbeis, Die Blemente der Gewerbebeförderung , nachgewieſen an 
der belgifchen Indufrie. Stuttg. 1851. — Mirus, Ueber Gewerbe: 
förderung und Gewerbsthätigfeit im K. Württemberg. Leipz. 1861. — 
Biel hieher Gehöriges bei Briavroinne, De l’industrie en Belgigue. 
Brux. 1839. II B. 


Erſtes Hauptftüd. 
Gejetlihe Bedingungen des Gewertöbetriebes. 


I. Berfaffung der Handwerke. 


$. 178, 


In Beziehung auf die geſetzlichen Bebingungen, an welde 
die Ergreifung und Ausübung eined Gewerkszweiges geknüpft 
it, müflen die Handwerke (I, $. 398) von dem großen 
Gewerföbetriebe (Fabriken und Manufacturen) unterfchieden 
werben. Während die Ergreifung des letzteren wenig befchränft, 
ja fogar begünftigt wurde, ftanden feit einer Reihe von Jahr 
hunderten die am frühften ausgebildeten und von ber größten 
Zahl von Unternehmern betriebenen Handwerke umter ber 
Zunftverfaffung und waren zufolge berfelben mandherlei 
Beichränkungen unterworfen (a). Die Zünfte find feine Schoͤ⸗ 
pfung der Regierungen, wurden aber von benjelben anerkannt, 
mit Rechten ausgeftattet und beſchuͤtzt. Späterbin fand fid 
die Staatögewalt durch Gründe ded allgemeinen Wohles be- 
wogen, die Zünfte mehr und mehr von den Regierungsbehörden 
abhängig zu machen, fo baß ihre frühere Gewalt bedeutend 
eingefchränft wurde. In neuerer Zeit ift die Srage, ob dieſelben 
beizubehalten und zu verbeflern oder dagegen gänzlich aufzu- 


— 3 — 


heben ſeien, ſehr vielfältig verhandelt worden. Waren auch 
die Meinungen noch getheilt, fo hat man doch die Mängel bes 
älteren Zunftwefens allgemein anerfannt und ift der Berfläns 
digung bedeutend näher gefommen. In den lebten Jahren hat 
das ältere Zunftwefen die meiften Bertheibiger verloren (b). 


(e) Die Zunftverfaffung erfiredite ſich nicht allein auf die meiften Hand: 


(d) 


werke, fondern wurde zufolge der berrfchenden Vorliebe für ſolche Ein- 
rihtungen auch bei manden anderen gewerblichen Belchäftigungen ein⸗ 
gerührt ($. 179 (a.), doch nicht in gleihförmiger Weile. Die neueren 
werbögefeße vermeiden eine Grflärung der zünftigen Erwerbsarten 
und geben nur an, auf welche Befchäfte dieſe Geſetze Leinen Bezug 
haben, wie Bergbau, Landwirthſchaft, Schifffahrt und bie höheren 
Dienfte, 3. B. ſaͤchſ. Gef. v. 15. October 1861 $. 1, bad. Bel. vom 
20. Sept. 1862 $. 33. 
Dei der nachfolgenden Aufzählung von Schriften find zwar die Ber: 
theidiger und Gegner unterfchieden worden, allein jene nehmen nicht 
alle Gebrechen bes älteren Zunftwefens in u und dieſe find zum 
Theil nicht gegen ſolche Zünfte, die nad) den heutigen Verhaͤltniſſen 
abgeändert werben. 

L Für die bisherigen Zünfte: 8. (Bienbaber), Hiſtor. 
polit. Betrachtung der Innungen. Hannover 1782. — Mohl und 
Drtloff, Ueber das Wandern der Handwerksgeſellen. Erlangen 
1789. — Weiß, Ueber das Zunftwefen. Yranff. 1798. (Hamburg. 
Breisichr.) — Soden, Nat.sDef. II, 3.256, VI, 205 (in der legten 
Stelle weniger günflig für die 3.). — Luden, Handbuch d. Staats: 
weisheit I, $. 114 (1811). — Mömoire sur la necessit6 du rötablisse- 
mont des maitrises et corporations. Par. 1815. — Reingruber, 
Ueber die Natur der Gewerbe, über Gewerböbefugnifie und Gewerbes 
freiheit. Landeh. 1815. — Rau, Ueber das Zunftwefen und die 
Folgen feiner Aufhebung. Leipzig 1816. (Preisichrift der Göttinger 
Societät. Der Bf. Hat in Folge neuerer Erfahrungen manche feiner 
Anfihten geändert.) — Langsdorf, Wie kann in Deutfchland bie 
Aunftverfolung am zwedmäßigften modificirt werden? Gießen 1817. 
(Sötting. Preisfchrift.) — Tenzel, Wie fann in Deutfchland ac. ıc. 
Landshut 1817. — Rehfues, Ueber das 3.:W. Beherzigung für 
Wiederherftellung der 3. Bonn 1818. — Si egier, Ueber Gewerbe 
freiheit und deren Folgen. Berlin 1819. — Schulz, Ueber die Be: 
deutung der Gewerbe im Staat. Hamm 1821. — dv. R. in Bud: 
bolz, Neue Monatsihrift, Jan. 1825. ©. 64. — Stuhlmüller, 
Berſuch einer bedingten Gewerbofreiheit in befonderer Beziehung auf 
Bayerns Staatsverhältniffe. Kulmb. (Nürnb.) 1825. — Albredt, 
Unfere ehemalige Zunfts und Innungseinrihtung und bie Gewerbe: 
feeipeit in Preußen. Danzig 1825. — Gyſi⸗Schinz, Das Zunft 
und Innungsweſen gegenüber ber &ewerbefreiheit. Zürich 1831. — 
Wolbach, Die Ueberflevelungs- und Gewerbefreiheit, zunähft in 
Bürtemberg. Ulm 1831. — Beisler, Betrachtungen über Gemeinde⸗ 
verfaffung und Gewerbsweſen. Augsb. 1831. — Peterfen, Beants 
wortung der jebt wichtigen Brage: Ob und wie dem Landbaue, den 
techniſchen Bewerben und dem Handel mehr Wreiheiten zu geben. Goͤtt. 
1831. ©. 13. 106. — Hagen, Ueber das Gewerbsweſen in Bayern. 
Baireuth 1832. — Defterley, If es rathfam, die Zunftverfafiun 
aufzugeben? Göttingen 183. — Schick, Das Innungswefen nad 
feinem Zwede und Nugen, Leipzig 1834. — Die Innungen und bie 


1* 


— 4 — 


Gewerbefreiheit in ihren Beziehungen auf ben Handwerksſtand. Magde⸗ 
burg 1834 (gehaltreich). — Ueber Gewerbemweien, Gewerbefreiheit und 
Anfäffigmahung. Augsb. 1834. — Reich, Bericht über die Frage: 
Worin liegen die Urfachen zur Klage, daß der Gewerbefland in unferer 
Zeit immer mehr zurüdfomme? Karler. 1834. — Humwald, Ueber 
Gewerbefreiheit und Gewerbeordnung. Altona 1834. — Neumann, 
Ueber Gewerbefreiheit und deren Graͤnzen im Staate. Berlin 1837 
(nur für fehr mobificirte Zünfte,. — Oberndorfer, Wirthichafte- 
polizei, ©. 419 ff. — Kleinfhrod, Beiträge zu einer beutjchen 
Gewerbeordnung. Augsb. 1840. — I. &. Hoffmann, Die Be 
fugnig zum Gewerbbetriebe, zur Berichtigung der Meinungen über Ge⸗ 
werbefreiheit und Gewerbezwang, Berlin 1841. — Riſch, Zünfte, 
Gewerbefreifeit und gewerbliche Bereine. Berlin 1853. Deſſelben, 
Die allg. (preuß.) Gewerbe-D. vom 17. Jan. 1845. Berlin 1846. 
Defl., Die Innungen, wie fie fich geflalten müflen. 1849. Defl., Die 
Handwerfögefeßgebung Preußens und der größeren Staaten Deutſch⸗ 
lande, 1861. (Der Berf. nähert fih in diefer Schrift den unter IL 
genannten Echriftfiellem.) — Rettig, Motion in ber bad. 2. Kam⸗ 
mer. Verh. v. 1842, Beil. II, 173. — Ueber das Innungswefen und 
die Verhältnifie der ſtaͤdtiſchen Handwerfe überhaupt von M. M. Gie- 
Ben 1843. — Bericht des volksw. Ausichuffes der (Frankfurter) deutich. 
Nationalverfammlung, Prot. U, 853. Als Vorarbeit hiezu: v. Re⸗ 
den, Die Gewerbegeſetzgebungen Deutfchlande. 49. (verdienftliche Dar: 
fiellung der Handwerfsverfaffung in ben beutfchen Staaten.) — Ent: 
wurf einer allgem. Handwerker: und Bewerbe:D. für Deutfchland, von 
dem beutfchen Handwerker⸗Congreß, 1848 (befämpft von &. Pid: 
ford: Beleuchfung des .... Entwurfs einer allg. Handw.: u. Gew.⸗ 
Ordn., Heidelb. 1849). — v. Mohl, Polizei, 1I, 281 (jedod mit 
Anerkennung des Grundfages der Gewerbefreibeit). 


II. Gegen das Zunftwefen: Der Holländer P. de la Court 
(tr 1685) fchilderte fhon 1659 in einem erft fpäter gebrudten Auflage 
über, den wirthichaftlihen Zuftand der Stadt Leyden tie Gebrechen ber 
Zunftverfaffung und empfahl völlige Preiheit der Gewerbe. Gr wandte 
diefen Satz auch auf die damalige Verfaffung der dortigen Univerfität 
an. Diefelben Anfihten find in ben 1662 u. ff. gebrudten Schriften 
biefes Schriftftellers ausgefprochen. Laspeyres, Gefchichte der volks⸗ 
wirthichaftlihen Anfchauungen der Niederländer, 1833. ©. 17. 184. — 
DB. 2% v. Sedendorf, Deuticher Bürftenflaat, 5. Ausg. (1698) 
Additiones, ©. 169. — v. Horned, Defterreih über Alles x. ©. 
184. (f. J. S. 37) — v. Schröder, Fürſtl. Schatz⸗ und Rentlams 
Mer, ©. 165. 301. — Considerations sur le commerce et en particu- 
culier sur les compagnies, soci6tös et maitrises. Amsterd. 1758 (ſehr 
lehrreih). — Campomanes, 3. d. Unterflügung d. gem. Induftrie 
in Span., ©. 146. — Enceyclopedie méthodique, Abthl. Finances, 
Art. maitrises IIL. 15. (Par. 1787). — 9. Smith, 1.195. — Si- 
monde, De la rich. commerce. II, 250. — (3. G. Hoffmann), 
Das Interefie des Menfchen und Bürgers bei der beftebenten Zunftverf. 
Königeb. 1803. — Kraus, Staatew. II, 46. — Maier, Gntwidl. 
ber relativen Anfichten des Zunfiw. Augsb. 1814. — Niebler, 
Ueber das 3.:M. und die Gew.:Freiheit. Grl. 1816. — Chaptal, 
De l'industrie frang. II, 299 — 340. — Lotz, Handb. UI, 189. — 
Bernoulli, Ueber den nachtheil. Ginfluß der 3 :Verf. auf die Ins 
duſtrie. Bafel 1822 (fehr gut). — Ebers, Ueber Gewerbe. Breslau 
1826. — Leuchs, Gewerbe- und Handelsfreiheit, S. 94. — Neue 
Verhandl. d. ſchweiz. gemeinnüßigen Gefellfh. V, 159. (1829. Bericht 
von Beftalug-Hirzel.) VI, 63 (1830. Bericht von Wyß). — Fr. 


— 5 — 


Schmidt, Betrachtungen über das Innungsweſen. Zittau 1834. — 
Bülau, Der Staat und die Induſtrie. ©. 100 ff. — Benediet, 
Der Sanftgimang und die Bannrechte. Leipzig 1835. — Digel en, 
Ueber Zunftzwang und Gewerbefreiheit. Guͤftrow 1837. (Bülan und 
Michelſen find in den praftiihen Ergebnifien von Neumannu. N. 
wenig verfihieden.) — Hahndorf, ©ewerbefreiheit und Zunftzwang. 
Kaflel 1840. — M. Mohl, Aus den gewerbswifienichaftlichen Er eb. 
niffen einer Reife in Frankreich, 1845, & 5. — Friedmann, Die 
Gewerbefreiheit. 4. Aufl. Leipzig 1856. — Meißner, Bine Gew.: 
Orden. für Deutihland. Leipzig 1848. — Braun, Für Gewerbe: 
freiheit und Freizügigfeit. Frankf. 1860. — Pidford, Zunftwefen, 
Gewerbeordnung und Gewerbefreiheit. Mannheim 1860. 


Zur Bergleihung verfchiedener Anfihten: Benfen, Materialien, 
I, 505. 


8. 179. 


Die bisherigen Handwerfszünfte (a), d. h. Vereine 
von Unternehmern, die ein und daſſelbe Gewerf an einem Orte 
oder in einem gewiſſen Bezirfe handwerksmaͤßig betreiben, übten 
ein Ausfchließungsrecht gegen folche Perfonen, welche nicht 
Mitglieder waren, und hielten gewifle, die Ergreifung und Bes 
treibung ihres Gewerkszweiges betreffende Regeln aufrecht. — 
Der Inbegriff diefer zu Gunſten der Zünfte beftehenden Bes 
fhränfungen ber Freiheit, der Zunftzwang, gehört weſentlich 
zu der altsherfömmlicdhen Berfaffung diefer Genoffenfchaften. 
Den Zuftand, in welchem fein Zunftzwang befteht, pflegt man 
Gewerbefreiheit zu nennen. Diele fann jedoch feine ganz 
unbedingte fein, und ber Gegenſatz zwifchen ihr und dem Zunft- 
jwange wird durch verfchiedene Abftufungen, die einen Ueber⸗ 
gang von dem einen Ertrem zu bem andern bilden, vermittelt. 
Da die Handwerfszünfte als politifche Körperfchaften, in Bezug 
auf Gemeinde- und Staatöverfaffung, ihre frühere Bedeutung 
verloren haben und durch andere Einrichtungen erfegt worden 
find, fo fommen fie bier zunächft nach ihrer volkswirth⸗— 
ſchaftlichen Seite, neben welcher die moralifche und bür- 
gerliche nicht zu überfehen ift, in Betracht (2). 

(c) Auch bei Dienfigewerben (3. B. Haarkräuslern, Bartfcheerern), bei 
Handelszweigen und Hülfsgeichäften des Handels, fowie bei der Fiſche⸗ 
rei und felbit bei der Särtnerei (mie noch jept in Bamberg) und bem 
Bergbau fand häufig eine Zunftverfafiung Statt, auch giebt es Zünfte, 
welche nicdhtgewerbliche Zwecke haben. Dan fönnte das Wort Zunft 
ausichlieglih den bisherigen, mit Zwangseinrichtungen verbundenen 


Gewerkövereinen vorbehalten. — Bergl. Firnhaber, ©. 1.— Rau, 
©. 21. — Rittermaier, $. 502. — Hoffmann nennt die Ber: 


— 6 — 


einigung ber Unternehmer in einem Handwerke an einem einzelnen Orte 
Gewerk und verftebt unter Zunft iene Berbindung der Gewerke 
eines und befielben Handwerks, bie fich über das ganze Staatsgebiet 
und wohl noch in das Ausland erftredt. 


(5) Collegia im alten Rom. — ine allgemein verbreitete Neigung, ſich 
durch Berbindung mit Anderen Schub und leichtere Erreichung gemein⸗ 
famer Zwede zu verfchaffen, rief im Mittelalter vielerlei Bereine, 
Gilden (geldonise, confratriae) hervor. Meligiöfe Brübderfchaften bes 
ftanden ſchon im 8. Jahrhundert; zu ihnen Famen die von Wilda 
fogenannten Schupgilden, aus denen fih dann, indem Genoſſen 
eines und deſſelben Gewerbes fih näher an einander fchloffen, die 
Gem erbogi! den oder Zünfte der Handwerfer und Kaufleute ent⸗ 
widelten; Wilda, Das Gildewefen im Mittelalter. Halle, 1831. — 
Foͤrmliche Handwerksgilden erfchienen im 12. Jahrhundert, 4. B. Tuch⸗ 
mader in Quedlinburg 1134, Schufler in Magdeburg, Privilegium 
von 1157. Diefe Bereine gaben dem ftäbtifchen Bürgerflande, der 
von dem Hofrechte und der damit verbundenen Leibeigenfchaft frei ge⸗ 
worden war, fefle Haltung, Schuß und Anfehen und errangen ihm 
fpäterhin Theilnahme an der ftädtiichen Verwaltung, Häufig die aus: 
fchließlihe Führung berfelben, in den Keinen Wreiftaaten auch Theil: 
nahme an ber Regierung. Sie ordneten, ba die Staatsgewalt nicht 
eingriff, felbftändig die Verhältniffe der Handwerke und der in ihnen 
befchäftigten Arbeiter, übten eine Sittenzucht über biefelben und forgten 
für Wittwen und Waiſen. Zugleich regelte fi der Kriegsdienft nach 
ber Abtheilung der Fürger in Sünfte. Weber den Urfprung derfelben 
Fiſcher, Geſch. des teutfchen Handels, I, 605 der 2. Ausgabe. — 
HSüllmann, Gefchichte des Urfprungs der Stände in Deutichlanp, 
III. Bd. (Frankf. 1808). — Deſſ. Städtewefen des Mittelalters, I, 
315 (erflärt die Handwerkszünfte für die urfprünglichen, und leitet 
ine Entftehung aus den, zum Berfaufe von Gewerkswaaren beftimmten 

änfen und Hallen oder Lauben her). — Rau, ©. 13. — Mitter: 
maier, a. a. O. — Bilda, ©. 289 — Schüz, in Beitichr. f. 
die gef. Staatswiflenfch. 1850, 259 (ältere würtemb. Zunftverfafl.) — 
Böhmert, Beiträge 3. Geſchichte des Zunftweſens. Leipzig, 1862 
(Preisichrift der Jablonowskiſchen Geſellſchaft). — Die 4 älteften 
Zünfte feinen die der Bäder, Brauer, Fleiſcher und Schuhmacher 
geweien zu fein, Bogel, Hiftor. Erläuterungen über den Urfprung 
und Fortgang des Zunftwefens bei ben Bäder: Innungen. Reipzig, 
1843, ©. 26. — In Großbritanien beftanden feither ın den älteren 
Orten noch Zünfte, die zur Wahl der Stadtvorgefepten und Parla- 
mentsmitglieder vorzugsweiſe berechtigt waren, aber dieſe Vorrechte find 
duch das neue Municipalgefeh v. 9. Sept. 1835 (5. u. 6. Wilh. IV. 
Gap. 76) abgeihafft worden, auch braucht man nah Art. 14 nicht 
mehr Bollbürger (freeman) einer Stadt oder Mitglied einer Zunft 
(guild) zu fein, um daſelbſt ein Sewerbegeichäft betreiben zu bürfen. — 
Kleinfhrod, Großbritaniens Geſetzgeb., S. 119. Ueber den frühes 
ren Zuftand ſ. auh Rau, Ueber das 3.:W., ©. 127. 


8. 180. 


Die Zunftverfaffung war unftreitig im Mittelalter dem Aufs 
fommen der Handwerfe nüglih. Schon ihre allgemeine Bers 
breitung und lange Dauer laſſen vermuthen, daß fie einem 
Bebürfniffe entfprach, woraus man jedoch nicht fehließen barf, 


— 7 — 


daß fie auch bei den ſehr veränderten heutigen Verhaͤltniſſen 
noch zwedmäßig fei. In den älteren Zunfteinrichtungen laffen 
fi) drei gemeinnügige Zwecke erkennen, allein durch die fpäter- 
bin immer flärfer bervortretende Einmiſchung eigennüßiger 
Abſichten der Meifter wurden mancherlei Mißbraͤuche herbei⸗ 
geführt und die guten Wirkungen gefchwächt. 

1. Man bezwedte die Sicherheit des Unterhaltes für 
die Unternehmer (Meifter) in jedem Handwerke und jeder 
Ortſchaft und fuchte deshalb die Anzahl berfelben zu beichrän- 
fen, fo daß ed den vorhandenen an Beichäftigung und Abfag 
nicht fehlen Fönnte. Hierauf beziehen ſich mehrere Anordnungen, 
welhe das Mitwerben bed Angebotes einzuengen und die Ber 
fertiger von Handwerföwanren gegen die Käufer in Bortheil 
zu fegen bienen. 

U. Man hielt es für nöthig, dem Verfall der Gewerkskunſt 
fo wie der Verkürzung der Befteller und Käufer von Gewerks⸗ 
waaren durch fchlechte Arbeit vorzubeugen und war beöhalb 
darauf bedacht, die Fortpflanzung der Gefhidlichkeit 
in jedem Handwerke zu fihern, indem man von jedem Arbeiter 
eine vorfchriftsmäßige Vorbereitung und zur Erlangung bes 
Meifterrechtö den Nachweis ber nöthigen Kenntniffe und Fer⸗ 
tigfeiten forderte. 

UI. Es follte zugleich eine fittlihe Wirfung auf bie 
zünftigen Arbeiter hervorgebradyt, die Ehre bed Handwerker: 
ſtandes aufrecht erhalten, auch den bürftigen Genoſſen, befon- 
ders den Wittwen ber Meifter, eine wohlthätige Hülfe darge 
boten werben. 


$. 181. 


Bon den einzelnen Einrichtungen - bed älteren Zunftweſens 
find nachſtehende die wichtigften (a). 

1) Die Meifter eined Handwerfö bilden in jeder Stadt oder 
jedem Amtöbezirfe eine Körperfchaft, welche ihre eignen Bors 
eher mit einer Zunftcaffe hat und in ihren Verfammlungen 
über bie Angelegenheiten der Zunft beräth. Fuͤr bie Zünfte 
eined einzelnen Ortes find oft von ber Obrigkeit befondere Orb- 
nungen (Saßungen, Statuten) aufgeftellt worben. 


— 8 — 


2) Die Verrichtungen ber verſchiedenen Handwerke find ges 
nau gegen einander abgegränzt, fo daß fein Genoſſe des einen 
in den Arbeitöfreis ded anderen eingreifen darf. 

3) Bei den von einem zünftigen Meifter befchäftigten Ar- 
beitern werden 2 Claſſen unterfhieden. Die untere Stufe neh⸗ 
men die Lehrlinge ein, deren Aufnahme nur in einem ges 
wiſſen jugendlichen Alter erlaubt ift und bie eine Lehrzeit von 
beftimmter Dauer aushalten müffen. Rad) Beendigung ber- 
felben werben fie ald Geſellen ledig geſprochen. 

4) Der Gefelle muß beftimmte Zeit in diefem Stande bleis 
ben und einige Jahre in anderen Gegenden arbeiten (wan- 
bern), ehe er dad Meifterrecht erwerben fann. Auf der Wan- 
derung wird der Gefelle bei den meiften Handwerkern durch 
Gaben der Meifter unterftügt, er ift aber in ber Wahl bes. 
Meiftere, bei dem er als Gehülfe eintritt, nicht überall unbes 
ſchraͤnkt (6). 


(a) Mittermaier, g. 508 ff. 
(d) Bernoulli, ©. 4. 


8. 182. 


5) Die Erlangung bed Meiſterrechts ift außer ben vorfte- 
henden Bedingungen (Nr. 3 und 4) noch fonft erfchwert: 

a) Es gab gefchloffene Hanbwerfe, die an jedem Orte nur 
eine beftimmte Zahl von Meiftern haben durften, dody kam dieß 
felten vor. 

b) Auch bei anderen Handwerken fonnte bie Zunft einer 
Vermehrung der Meifterzahl widerſprechen. Allındlig haben 
fi) zwar die Landesbehörden von dieſem Widerfpruche unabs 
hängig gemacht und troß demfelben nad) Gutdünken neue 
Meifterrechte ertheilt, doch wirb menigftens die Zunft in jedem 
ſolchen alle gutachtlid vernommen. Hiebei hat fich oft ger 
zeigt, daß bie Zünfte parteiifch verfuhren, gegen die Annahme 
eined Meifterfohnes u. dgl. nichts einwendeten, gegen einen 
anderen aber, befonderd wenn er nicht im Orte gebürtig war, 
die angebliche Ueberfegung des Gewerbes geltend machten. 

c) Der Bewerber muß, auch wenn feine Anfäffigmachung 
von ber Staatöbehörde genehmigt ift, noch in ben meiften Hands 


— s — 


werken ſeine Geſchicklichkeit durch Verfertigung eines von der 

Zunft aufgegebenen Meiſterſtuͤcks darthun, auch wohl noch an⸗ 

dere Ausgaben, z. B. fuͤr Feſtlichkeiten, beſtreiten. 

6) Mehrere Beſtimmungen zielen dahin, daß der einzelne 
Meiſter feine Genoſſen nicht beeintraͤchtige, indem z. B. feiner 
die Arbeit der anderen tabeln, ihnen Geſellen ober Kunden abs 
wendig machen darf; bisweilen war fogar vorgefchrieben, daß 
Jeder nur eine beftimmte Zahl von Gefellen halten darf, und 
die Annahme von Lehrlingen war befchränft (a). 

7) Jedem, der nicht Meifter ift, wirb die Verfertigung ber 
in den Wirfungsfreis einer Zunft fallenden Waaren und die 
Betreibung der zugehörigen Verrichtungen auf eigene Rechnung 
bei Strafe unterfagt. Ehemald durften die Zunftgenoffen felbft 
ſolchen Pfuſchern (Bönhafen) ihr Handwerkszeug abs 
nehmen (b). 

(a) Nah ten Bafeler Geſetzen durfte fein Meifter 2 Lehrlinge zugleich hal: 
ten, außer wenn der eine ein Ausländer ober der eigene Sohn war; 
ein angehender Meifter durfte erfi nach Berfluß von 3 Jahren einen 
Zehrling annehmen, nach der Ledigfprechung eines ſolchen mußten einige 
Jahre verftreichen, bis wieder ein anderer in die Lehre genommen ers 
den durfte. Bernoulli, ©. 2. Auch in Frankreich war nur in 
wenigen Handwerfen die Annahme zweier Lehrlinge erlaubt. — Gin 
Bantoffels«(„Tüffel“)macher in Bremen durfte nur 1 @efellen und 2 
Lehrlinge oder in Srmangelung ter letzteren 2 Geſellen Halten, doc 
galt diefe Beihränfung nicht von ben Kindern des Meifters. Ordnung 
v. 1589 bei Böhmert a. a. DO. ©. 84. — Bisweilen war fogar 
den Meiftern unterfagt, ihre Waaren fo mwohlfeil zu verkaufen, daß bie 
Anderen nicht dabei beftehen fünnten, 3. B. bei den Möbellagern der 
Schreiner in Bremen. 

(5) Die hatte begreifliher Weile zu manden Gewalttbätigfeiten Anlaß 
gegeben. — In früheren Zeiten wurde in einzelnen Zünften aud) 
darauf gefehen, daß die Meifter micht fchlechte Waaren lieferten; es 
befland eine Befihtigung durch die Zunftvorfteher und es wurten Stra- 
fen auf nadyläffige oder betrügeriiche Arbeit gelept. — Im Mittelalter 
mußten mehrere Handwerfe an der Straße betrieben werden, damit 


tie Borübergehenden fih von der Güte der Arbeit überzeugen konn⸗ 
ten. — Levaſſeur in Journ. des Econ. XX, 413 (1858). . 


$. 183. 


Die Umftände, unter denen die Zunftverfafiung mit ihren 
Zwangsvorfchriften entftand und ſich ausbildete, haben fidy im 
Kaufe der Zeit bedeutend verändert und hierdurch ift das Bes 
bürfniß einer Umgeftaltung hervorgerufen worden. 

1) In einem Theile der Handwerfe hat bie Kunſt große 
Bortfchritte gemacht, der Einfluß der Wiffenfchaften, vorzüglid) 


ber Mechanik und ber Chemie, bat zu befieren Arten bed Do 
triebe® geführt und die hergebradhten, von Geſchlecht zu Ge 
ſchlecht fi fortpflanzenten Regeln find nicht mehr zureichend. 
Daher werden diejenigen Einrichtungen ſchäbdlich, welche bie 
Empfänglicdyfeit und den Eifer für Fortichritte ſchwächen ober 
diefelben erfchweren. 

2) Diefe Kunftmittel erweiſen fid) meiften® im großen Be- 
triebe vortheilhafter ald im kleinen, zugleidy giebt die Anhäu⸗ 
fung der Gapitale Gelegenheit, große Unternehmungen (Habrifen) 
zu beginnen, daher werben unvermeidlich die Hanbwerfe in ihrem 
Abfape durdy die wohlfeileren, oft auch befferen Erzeugnifie der 
Zabrifen befchränft. Die letzteren, zu denen auch die von Res 
gierungen betriebenen Gewerfsanftalten, z. B. Eiſenbahnwerk⸗ 
ftätten, Gewehrfabrifen, Hüttenwerfe u. tgl. gehören, find gleich 
den Handwerfen Schulen der Geſchicklichkeit geworben und lei» 
ften hierin felbf mehr als jene. 

3) Die große Erweiterung ded Verkehrs, hauptſaͤchlich zus 
folge der wohlfeileren, leichteren und weniger gefährbeten Bers 
fendung, gewährt ben Erzeugern guter und wohlfeiler Waaren 
Abſatz in bie Herne und ſetzt durch bieß weitere Mitwerben Dies 
jenigen in Radıtheil, welche für die Wünfche der Zehrer weniger 
leiften (a). 

4) Es finden zugleich im Begehr und Berbraudy der vers 
fchiedenen Kunftwaaren häufige Veränderungen ftatt, deren Urs 
fadhen in ven wechjelnden Neigungen, Gewohnheiten und Ab: 
fidhten der Käufer, fo wie in den neuen Leiftungen und Erfin⸗ 
dungen des Kunftfleißed liegen. Alle diefe Umftände bringen 
in einen Theil der Gewerke eine Beweglichfeit, welche gegen 
ben ruhigen Zuftand berfelben in früheren Zeiten einen großen 
Abkand bildet (6). Doch giebt e& eine Anzahl von Handwer- 
fen, die wegen ihrer Einfachheit oder wegen ihres örtlich bes 
fchränften Abfaged von jenen mächtigen Yortfchritten und Aen⸗ 
berungen weniger berührt werden und mehr in älterer Weiſe 
fortbeftehen. 

5) Die volföwirthichaftlichen Xehren haben angefangen, ſich 
zu verbreiten. Man hat eingefehen, daß es nicht zu rechtfer⸗ 
tigen fei, wenn durch Zwangsverorbnungen auf Koften vieler 
Anderer fowie der gefammten Erzeugung und Verzehrung von 














Sahgütern den Einzelnen ein Bortheil verfhafft wird, daß 
ferner ber im Mitbewerben liegende Antrieb zur Erhöhung bes 
Kunftfleißed und zur Verforgung ber Käufer mit guten und 
wohlfeilen Waaren durch Feine andere Einrichtung erfeßt werben 
fann und daher in volle Wirkſamkeit gebracht werden muß. 


(a) Man bemerkt neuerlih, daß viele Handwerker neben ihrem Gewerbe 
auch einen Kleinhandel mit Waaren, bie mit jenen in einiger Bezie- 
bung fliehen, zu betreiben angefangen haben. Sıe ziehen dieſe Benugung 
ihres Gapitales der Erweiterung ihres eigentlichen Gewerksgeſchaͤftes 
vor und kaufen die feilgebotenen Gegenftände größtentheild aus Fabriken. 


(d) Beifpiele: Untergang der Neftelmader, Bfeilfchifter, Armbrufts und 
Harniſchmacher. Die Zinngießer haben wegen des häufigen Gebrauchs 
von Steingut, die Perückenmacher wegen des beflern Geſchmacks im 
Kopfpuge, die Strumpfwirker und Schnallenmacdher wegen der @inführung 
langer Beinkleider, die Sämifchgerber wegen der Entwöhnung von den 
mwafchledernen Beinkleidern ter Bauern, Meiter ıc., die Pofamentirer 
wegen der Metallfnöpfe und ber Abichaffung der Borten an den Männers 
Kleidern, die Hutmacher wegen des häufigen Gebrauches anderer Kopfs 
bedeckungen, die Schwertfeger wegen der Abfchaffung bes Degentragens, 
die Horndrecheler wegen des häufigen Cigarrenrauchens viel gelitten. 
Dagegen kommen vielleicht für einen finfenden Zweig brei oder mehr 
ganz neue Gewerbe auf, bei denen Niemand daran benft, fie zünftig 
zu maden, 3. B. Steindrud, Stahlſtich, Photographie, Berfertigung 
von Briefdeden, Federhaltern, Drahtgeweben, Verarbeitung des Kaut: 
ſchuk sc., auch haben viele Gewerbe in unverhofften Maaße zugenommen, 
3. DB. Strohflechterei, Berfertigung von Lampen, feineren Seifen, ver: 

oldeten Bilderrahmen u. a. Zierrathen, künſtlichen Blumen, feinen 
der= und Bappwaaren, Tapeten sc. Bgl. Hoffmann, Das Ins 
texefle ıc., S. 62. — Bernoulli, ©. 119. 


6. 1832. 


Es ift nun zu unterfuchen, in wieferne bad Zunftwefen 
die beabfichtigten Bortheile wirklich gewährt, und wie fich bie 
weientlich mit ihm verbundenen Nachtheile zu feinen nüblichen 
Wirfungen verhalten. 

3u I. ($. 180). Die Sicherung bed Unterhaltes der ein» 
zelnen Deeifter konnte felbft bei der älteren Zunftverfaffung nicht 
vollftändig hergeftellt werben. In der Regel durften die Zünfte 
einem Bewerber, der alle vorgefchriebenen Bedingungen erfüllt 
hatte, dad Meifterrecht nicht venveigern und fie fonnten nur 
mittelbar auf die Verhütung einer zu flarfen Beſetzung ber 
Handwerfe im Orte hinwirken, indem fie dem Bewerber unter 
allerfei Borwänden Schwierigfeiten machten oder bie Orts⸗Obrig⸗ 
feit zur Verfagung des Bürgerrechtö zu bewegen fuchten. Unter 
den vorhin ($. 183) dargeftellten heutigen Verhältniffen aber 





1} 

ließe fc jene Sicherung des Unterhaltes für die einzelnen 
Handwerfömeifter nur durch folche Befchränfungen des Mits 
werbens aufrecht halten, die man für gemeinſchaͤdlich erachten 
müßte, $. 183. 5). Die Gewerke fönnen ihrem Weſen nad) 
den Unternehmern nicht jenen feften Rahrungsftand gewähren, 
wie er in der Landwirthſchaft vermöge bed Beſitzes von Laͤn⸗ 
bereien befteht. Gefahren für den Abfag Einzelner und bie 
Nothwendigkeit, ſich durch” Betrieböverbefferungen im Mit: 
: werben zu behaupten, können den Handwerksmeiſtern nicht ab- 
genommen werden, wenn nicht für die Bolkswirthfchaft im 
Ganzen größere Nachtheile entftehen follen (a). Dieß Täßt 
ſich durch folgende Säge näher nachweifen. 

1) Bei vielen Handwerfen erftredt ſich der Abfap entweder 
regelmäßig in die Ferne oder kann wenigftend bei guter Bes 
treibung des Gewerbes über den Wohnort und die nächfte Um⸗ 
gebung hinaus erweitert werben. Selbft diejenigen Gewerke, 
welche zunaͤchſt blos für biefen engen Kreis arbeiten, laffen 
manche Ausdehnung und Bervollfommnung zu. Es ift daher 
in den meiften Fällen nicht zu beflimmen, wie viel Meifter eines 
gewiffen Handwerfes fich irgendwo fortbringen werden. Wollte 
man die Anzahl der Unternehmer fo niedrig fetfegen, daß fie 
auch im ungünftigften alle noch Abſatz fänden, fo würbe ber 
Gewerbfleiß überaus gehemmt (2). 

2) Wenn auch ein Gewerf im Berhältniß zu dem Begehre 
feiner Waaren nur gerade zureichend befegt ift, fo wird doch 
Derienige verarmen, der in Fleiß, Geſchicklichkeit oder Zuvers 
Läfftgfeit feinen Genoſſen nachſteht. Der Zunftzwang felbft ift 
an dem Untergange Einzelner fhuld, die im Vertrauen auf 
ihre gefchüste Lage den Anforderungen der Käufer nicht genügen. 

3) Wenn’ auch in einem Handwerfözweige die Zahl von 
Meiftern, die fi) jeht gerade ernähren kann, auszumitteln ift, 
fo liegt darin doch feine Bürgfchaft für die Zufunft, vergl. 
8. 183 (b). 

4) Das Zunftwefen hat in der neueften Zeit nicht verhüten 
fönnen, daß durch die Veränderungen im Betriebe und im aus⸗ 
wärtigen Cinfaufe viele Handwerker eine Abnahme ihres Ab- 
fage® erlitten, in Bedrängnig und felbft in Verarmung geriethen, 
ed hat aber zugleich dad Ergreifen anderer Beichäftigungen und 








anderer Gegenmittel erfchwert. Daher wird die Klage über 
ben Berfall der Handwerfe in allen Ländern, wo die Zünfte 
fortbeftehen, nicht weniger vernommen, ald da, wo fie aufge- 
hoben find. 


(«) Man ging bierin noch vor einigen Jahrzehnden zu weit. Die baier. 
Inftruction von 1825 verordnete in 6. 10: bei Gewerben, „welche 
tarirte und andere rohe oder zubereitete Lebensmittel nad, dem Maaße 
des örtlichen und täglichen Gebrauches liefern, gemeine Hausbebürfnifie 
zum freien Sinfaufe feilhaben, offene Wirthichaft führen,“ bei „nur 
auf den Wohnort beichränften Dienften, oder deren Verdienſt auf Ar: 
beiten in %olge unmittelbarer Beftellung der Ortsbewohner nothiwendig 
befchräntt ift,“ fol zugleih auf die bisherige Beſetzung und das ört: 
liche Bedürfniß Rüde genommen werden. Aehnliche Vorfchläge in 
&r. Soden, N.⸗Oek. IV, 211. — Stuhlmüller, 14, 97. — Auf 
ten Zandtagen v. 1831 und 1834 wurde die erwähnte, aud im letzt⸗ 
genannten Jahre aufgehobene Inftruction fugar noch vielfach darum ge: 
tadelt, weil fie nicht einmal bei den localen Bewerben allgemein bie 
Berüdfihtigung der Rahrungsverhältniffe vorfchreibe.. Es wurte ba- 
gegen verlangt, daß bei ſolchen örtlichen Bewerben nicht blos das Fort: 
kommen des Bewerbers, fondern auch der Nahrungsfland der fchon 
vorhandenen Meifter erwogen werde, und daß den Bewwerbövereinen ein 
Recht der Berufung gegen eine, ihres Brachtens fchädliche Gonceffione: 
ertheilung eingeräumt werde. In diefem Sinne erfolgten auch wirklich 
verſchiedene Berordnungen, die den Zutritt zu den Sandwerfen mehr 
erfchwerten. Die Inftruction vom 17. Dec. 1853 zeigt ſchon den Ans 
fang einer Wendung. Aber aud die Vollzugs⸗Inſtruction vom 21. April 
1862 verlangt nody in den Fällen, wo mit der Conceſſion die Anfäßigs 
feit erworben wird (was in ber Regel ftattfindet), noch die Unterfuchung, 
ob ter Umfang der Gewerbebefugniß und der mit ihr in Verbindung 
fiehende Marft und Abſatz das Kortlommen eines tüchtigen Bewerbers 
erwarten läßt. Bei Gewerben, deren Verkehr ſich nicht über eine be: 
fimmte Gemeinde hinaus erflredt, ift die Berückſichtigung der örtlichen 
u. a. Berbältnifle vorbehalten, €. 25. 


(5) Ueber die Unmöglichkeit, den Bedarf an Waaren und an Ürzeugern 
derfelben zu berechnen, f. auh Gyſi-Schinz, ©. 42. . 


g. 184. 


5) Die Erfehwerungen des Meifterwerdend verengern das 
Angebot von Gewerföwaaren und nöthigen die Käufer, ihren 
Bedarf unter läftigeren Bedingungen anzufchaffen, als es bei 
freierem Betriebe gefchehen würde, I. $. 182. 

a) Die Handwerkderzeugniffe werden vertheuert, zumal ba 
die Zunftverfafiung den Meiſtern auch mancherlei befondere 
Ausgaben verurſacht und überdieß jene ſich nicht felten über 
bie Preife bereden (a). Dieß gilt vorzüglich von denjenigen 
Handwerfen, wo dad Meifterreht wie ein Eigenthum ber 
Meifterfamilie angefehen und von ihr förmlich verkauft werben 
darf; Realgewerbe, $. 194. 


— 14 — 


b) Viele Waaren werden mangelhaft gefertigt, weil die 
Meiſter, ſtatt zum Fortſchreiten angetrieben zu werden, ſich auf 
ihren geſicherten Abſatz verlaſſen und an dem gewohnten alten 
Betriebsverfahren feſthalten, während dem Aufſtreben Anderer 
Hinderniſſe in den Weg geſtellt werden. Der geſchicktere Meiſter 
findet bisweilen Schwierigkeiten, wenn er die Zahl ſeiner Ge⸗ 
huͤlfen vermehren will (d). Es fehlt deßhalb ſogar nicht an 
Beiſpielen von der Abnahme der Geſchicklichkeit in den zuͤnftigen 
Handwerfen (ce). Neuen Zweigen bed Gewerbfleißes, insbes 
fondere folhen, die im Großen (fabrifmäßig) betrieben werben 
müffen, werden von ber Einfpradhe der Zunftmeifter Hinderniffe 
bereitet, wenn fie in ein zünftiged Gewerbe eingreifen. Die 
Bevölferung fo wie bie Sittlichfeit leidet bei den fpäten Hei⸗ 
rathen (d) und den häufigen Ehen ohne Neigung und zwifchen 
Perfonen von fehr ungleichem Alter. Biele vom Zunftzwange 
befreite Gewerbe haben in Vergleich mit den zünftigen größere 
Hortfchritte gemadht.- 

6) Die feharfe Trennung ber einzelnen Handwerfe verurfacht 
ben Zehrern vielerlei unnöthige Ausgaben und Beläftigungen 
und hemmt die Unternehmer in der vwortheilhaften Einrichtung 
ihred Betriebes, daher fommen häufige Ueberfchreitungen ber 
vorgefchriebenen Schranken und Streitigfeiten über Gewerbs⸗ 
beeinträchtigung vor. Der Gewerfömann fann oft feine Er⸗ 
zeugnifje wohlfeiler abgeben und noch Gewinn ziehen, wenn er 
mehrere Arten von Waaren zugleich verfertigt. Die Arbeits: 
theilung ift zwar im Allgemeinen fehr vwortheilhaft, aber fie 
follte nicht durch Zwang aufrecht erhalten werden, weil es 
Fälle giebt, in denen aus anderen Gründen die Verbindung 
verfchiedener hervorbringender Gefchäfte dem Unternehmer Nutzen 
gewährt, daher ift e8 dieſem freizuflellen, wie er den Umfang 
feine® Gewerböbetriebes feftfeben will. Bei manden Hands 
werfen ift die Theilung bis zur höchften Verkehrtheit gegangen (e). 
(a) Sieg tragen ſchon die Koften der Brlernung, des Wanderns, die mit 

er Grlangung des Meifterrehts verbundenen Ausgaben, die Beiträge 

m die Zunfteaffe se. bei. — Diefe tee Bertheuerung wird auch 

von den — des bioherigen Zunftweſens zugegeben und getadelt, 

—*— Gyſi-Schinz, 167. — Oeſterley, S. 4. 16. — 

ichelſen, ©. 25. — Samint, ©. 49. — In Frankreich ſchaͤtzte 


man die nfefhnibin auf 80 MIN. Liv. Die Aufnahmegelder waren 
daſelbſt unmäßig hoch. Als die Schneiderzunft in Lyon um Grhöhung 











(6) 


(e) 


(@ 
(e) 


diefer Abgabe bat, führte fie an, diefelbe betrage in Paris 1000, in 
vielen andern Städten 500, in 2yon aber nur 100 Liv., und begrün- 
bete ihr Geſuch fo: „On comprend bien, que cette augmentation des 
droits, rendant l’entr&e & la maitrise un pen plus difficile, pourra di- 
minuer & l’avenir le nombre des maitres, ils seront plus experts, plus 
aises etc. So unverholen fpricht fich der Monopolgeift aus! Encyclop. 
meth. a. a. O., ©. 3. 


Bol. 5. 182. Nr. 6. — Binzelne Züge bei Neumann, ©. 25. 
Reiheſchlachten ber Fleiſcher in den meiſten Eleinen Städten bes Hrz. 
Sahfen — Reihebraun — Backwoche. 


Viele einzelne Thatfachen beweifen, daB die Zunftmeifter die Vervoll⸗ 
fommnungen der Gewerkskunſt fi nur wibderfirebend und langſam an⸗ 
eignen, ja nicht felten ihrer Binführung eifrig entgegenftreben. Belege 
bei Leuchs, S. 111. Schmidt, ©. 47. Ueber die Sedanfenlofigkeit 
der Handwerker Michelſen, S. 66. 


In Baiern hatten 1849—51 die 7 dieffeits des Rheins liegenden Kreife 
14—28 Proc. unebelihe Geburten, die baier. Pfalz nur 8—9. 


3. B. Unterfchieb der Sattler und Riemer, Weiß: und Schwarzriemer, 
Schwarz: und Weißbäder, Küfer und Kübler, Huf- und Senfen: 
ſchmiede, Sau): und PBantoffelmader. Diefe Grenzen find in neuerer 
Zeit zum Theil aufgehoben worden. Der Tüncher durfte fein Loch in 
der Dauer verftreihen, der Schreiner fein eifernes Beichläg anheften 
und in der Werkftätte feine eilernen Nägel brauchen, der Maurer 
feine Defen feßen, ber Schneider fein Leber verarbeiten und feine 
Belzbefeßungen machen, der Bäder feine Kuchen baden, der Schmied 
die Feile rigt brauchen und ſeine Naͤgel nicht ſelbſt verfertigen, der 
Seckler die Felle nur mit dem Pinſel färben, die Kappen nicht mit 
wilden Pelz verbrämen ꝛc. Auch die Abgraͤnzung zwiſchen Zimmer: 
leuten und ———— in Anſehung der Treppen u. dergl., zwiſchen 
Schreinern und Glaſern in Betreff der Fenſterrahmen, der verſchie⸗ 
denen Zweige von Gerberei und Schmiedearbeit sc. war hinderlich. 
Vgl. Zeller, Gewerbepolizei in den pr. Staaten, L, 182. — Würt. 
Berortn. v. 20. Febr. 1830. — In Branfreih, wo die Grtheilung 
der Meifterrechte Finanzfpeculation war, gab es 6 Abtheilungen ber 
Tapezierer, eine eigene Sunft von limonadiers und fogar von Hauſitern 
mit altem Eifengeräthe (crieurs de vieux fers). Considerations, ©. 123. 
Die Zünfte der Speifewirthe (traitenrs), Bratenföche (rotisseurs) und 
Baftetenbäder (patissiers) wurben 1776 vereinigt. Es gab bis zu bie: 
fem Jahre zwei Zünfte von Näherinnen (couturieres und decoupeuses), 
die Putzmacherinnen waren von den Yederzurichterinnen (plumassitres) 
getrennt ; ſelbſt Straugbinderinnen, Haubenmacherinnen (coiffeuses de 
femme), Blahsfrämerinnen, Strohmattenmacer, Bogelfteller, Tanzs 
meifter und Kloafenfeger hatten ihre eigenen Zuͤnfte. — In Bremen 
wurden 1388 die zwei Zünfte der Schuhmacher in eine einzige verbunden, 
nämlich ber Corduaner und derjenigen, welche Ichmarze Schuhe machten. 
Bis 1635 beftand dort nody eine befondere Zunft der Rantoffelmacher. — 
Die bisherige ausichließliche Berechtigung der Tapezierer zum Auffleben 
der Bapiertapeten rührte daher, daß man ehemals gewobene oder Teterne 
Tapeten hatte, war aber unzwedmäßig. 


$. 185. 
3u D. ($. 180) Den zur Erhaltung der Geſchick— 


lichkeit dienenden Zunfteinrichtungen kann zwar eine gewifle 


— 16 — 


Zmwedmäßigfeit nicht abgefprochen werden, allein fie find body 
theils unzulänglic, und mangelhaft, theils durch ihre Ausfchließs 
lichfeit heinmend und ſchaͤdlich, fo daß fie, wenn ſie aud an 
fange zuträglicy gemejen fein mögen, wenigftend ben heutigen 
Gewerböverhältniflen nicht mehr entfprechen. 

1) Die Lehrzeit (6. 181. Nr. 3) ift bei einem Theile ber 
Handwerker unnöthig lang angefegt worden (a). Dieß vers 
urfachte einen Zeitverderb in dem Eoftbarfien Jugendalter, ent 
muthigte die begabteren Lehrlinge und ſchwächte die Luft zur 
Ergreifung eined Handiwerfes, fo daß die Regierungen zeitig 
auf die Verfürzung des Termind Bedacht nahmen. Eine und 
diefelbe Lehrzeit ift nicht bei allen Lehrlingen eined Handwerkes 
angemeflen, weil der unbegüterte, der fein Lehrgeld geben Fann, 
länger ohne Lohn bei dein Meifter arbeiten muß, um ihn für 
die erfte Zeit zu entfchädigen, wo er noch feinen Nutzen gab, 
und weil der fähigere oder beffer vorbereitete Lehrling fich fchneller 
ausbildet. Man kann deßhalb die Dauer ber Lehre füglich ber 
Hebereinfunft beider Theile überlaflen. 

2) Die Lehrlinge werden oft unvollftändig unterwiefen, wozu 
ber Beweggrund theild in der Macht des Herkommens, theild 
in ber Nachläffigfeit der Meifter ober in der Scheu derſelben 
liegen mag, ihren fünftigen Mitbewerbern bie wolle Kunftreife 
zu ertheilen (d). Die Einfiht in die Gründe, auf denen bie 
Kunfttegeln eined guten Betriebes beruhen, fonnten bie Meifter 
nicht mittheilen, weil ihnen biefelbe fehlte, es wurde daher in 
neuefter Zeit durch Schulen für Lehrlinge und Gefellen eine 
befiere Vorbereitung berfelben veranftaltet, $. 222. Auch bie 
Behandlung der Lehrlinge im Haufe der Meifter gab zu vielen 
Klagen Anlaß (c). Diefe Mipbräuche hielten meiftend junge 
Leute aus wohlhabenden und gebildeten Bamilien von der Er 
lernung eined Handwerkes ab (d), und trugen dazu bei, daß 
viele Geſellen untüdhtig wurden. 

(a) In Frankreich vormals bei manchen Gewerben bis zu 10 Jahren, 3.8. 
Strumpfiwirfer in Paris (Reglem. von 1608); 7 Jahre die Faßbinder 
in &yon (Regl. von 1720). Bei den MWebern, welche Gold: und Eil: 
berftoff (drap d’or und d’argent) fertigen, mußte man 5 Sahre lernen 
und 3 Jahre Gefelle bleiben (Regl. von 1666. — In Fabriken und bei 
unzünftigen Gewerfen werben oft junge ungeübte Leute fogleich gegen 


Lohn angenommen und fie erwerben in furzer Zeit die erforderliche 
Brauchbarfeit. — Allerdings ift es nicht gut, wenn alle jungen Leute 


— 17 — 


in einem zu fruͤhen Alter, welches noch die Unterordnung unter eine 
Erziehungsgewalt erfordert, z. B. vor 18 Jahren aus der Lehre ent⸗ 
laſſen werden (Hoffmann, Die Berechtigung ıc., ©. 99), allein man 
kann die Lehrzeit etwas fpäter anfangen oder auch den theoretifchen 
Unterricht noch während ihrer Dauer fortgeben laflen. 


(5) Da e8 fchwer ift, fi) außerhalb des Geburtsortes anzufiedeln, fo fehen 
die Lehrherren in jedem Funpigen Gefellen, der aus ihrer Werklätte 
hervorgeht, einen künftigen Nebenbubler und halten nicht felten die 
wichtigeren Kunftregeln geheim. 


(ec) Mißbrauch der Lehrlinge zu häuslichen Dienſten flatt des Geſindes 
oder zu bloßer Handlangerarbeit, bei der nichts zu lernen ifl, 3. 2. 
Raddrehen bei Selen. — Willkürliche Härte der Meifter, ſelbſt der 
Gefellen gegen die Lehrlinge. In diefer Hinfiht ift es allerdings neuer: 
dinge beffer geworben. 


(d) Dieß ift eine der Urfachen des flarfen Budranges zu dem Staatsdienfte 
in Deutihland. — Schmidt, S. 75. — Michelſen, ©. 22. 49. — 
Bol. Hoffmann, Die Befugniß ıc., ©. 105. 


$. 186. 


3) Die Erlernung bei einem Meifter wird immer der ges 
wöhnlichfte Weg der Vorbereitung für die Betreibung eines 
Handwerkes bleiben, aber es ift unnöthig und ſchaͤdlich, jenen 
Weg für den einzigen zuläffigen zu erklären. 

a) Was die Gehülfen betrifft, fo ift das Verbot, fich 
anderer als zunftmäßig nad) überftandener Lehrzeit freigefpros 
hener Gefellen zu bedienen, unzweckmaͤßig. Es hindert den 
Meifter, wohlfeilere Hülfsarbeiter anzunehmen, die oft für leich⸗ 
tere Gefchäfte gute Dienfte leiften und ſich allmählig einüben 
würden. In mandyen Gewerfen fönnten weibliche Gehülfen 
gut angewendet werden, was zur Berforgung unbegüterter und 
unverehelichter Frauensperſonen wohlthätig iſt. Man kann es 
folglich dem Meiſter uͤberlaſſen, welche Art von Gehuͤlfen er 
annehmen will. 

b) Auch Meifter müffen nicht gerade foͤrmlich in der Lehre 
gewefen fein und als Zunftgefellen gearbeitet haben, um ein 
Gewerk gut zu betreiben; fie können auf mancherlei Weife bie 
erforderliche Geſchicklichkeit erworben (a), oder in einer Lehranftalt 
fogar ein höheres Maaß von gewerblicher Bildung erlangt 
haben. So lange dad Meifterreht von jenen Bedingungen 
abhängig ift, wirb dafjelbe manchem Arbeiter unzugänglich, der 
es mit Nugen für ſich und die Zehrer ausüben koͤnnte. Ins⸗ 


befondere wird durch diefen Zwang die Entftehung großer. Ges 
Ran, polit. Dekon. DI. 2. Abth. 5. Ausg. 2 


— 18 — 


werksunternehmungen (Fabriken) in dem Gebiete einer Zunft 
erſchwert, weil derjenige, welcher im Stande iſt, eine Fabrik zu 
errichten, ſich nicht leicht entſchließt, in die Lehre zu treten. Der 
Fabrikbetrieb erheiſcht gründlichere Gewerks⸗ und Handels⸗Kennt⸗ 
niſſe, als ſte der Handwerker gewoͤhnlich beſitzt. Zudem fordert 
das anſehnliche Capital, welches auf das Spiel geſetzt werden 
muß, ſchon zu reifer Ueberlegung auf, und es kann deshalb 
dem Unternehmer freigeſtellt werden, ob und wie er ſich auch 
mit den mechaniſchen Verrichtungen vertraut machen wolle. Die 
meiſten Zweige des Fabrikweſens fallen ohnehin außer den 
Bereich des Zunftzwanges. 


(a) 8. B. eigene Bemühungen in Nebenſtunden, Abfehen im aͤlterlichen 
Haufe, Arbeiten in einer Fabrik ıc. 


$. 187, 


4) Das Wandern der Handwerkögefellen vermag in dop⸗ 
pelter Hinficht zu nügen. 

a) Der Arbeiter fann die in verfchiedenen Gegenden übliche 
Art des Betriebes kennen lernen, Vergleichungen anftellen und 
fi) das befte Verfahren aneignen. Diefer Vortheil tritt bes 
fonderd dann ein, wenn ber Wandernde folche Orte befucht, wo 
fein Handwerk gut ausgeübt wird, wenn er. bei gefchidten 
Meiftern arbeitet und ſich mit Eifer auszubilden fucht. IR er 
dagegen träge und fchlecht vorbereitet, und wählt er bie Orte 
nicht zwedmäßig, fo fann ihm ber bloße Wechfel des Aufent- 
halted wenig nuͤtzen. Bel manchen Gewerben macht guter 
Unterricht an Ort und Stelle dad Wandern überflüffig, bei 
anderen wäre ber Befuch der Hauptftäbte ober einer gewiflen 
Gegend allein fruchtbringend, aber die große Zahl won Wanbers 
gejellen erſchwert das Unterfommen an folchen Orten, wo fie 
am meiften lernen könnten. Obgleich daher dad Wandern bei 
ven beftehenden Berhältniffen im Ganzen zuträglich war, fo ift 
doch das unbebingte Gebot deſſelben und die planlofe Art, wie 
viele Geſellen demfelben Genüge leiften, nicht zu billigen. 

b) Das Reifen erhöht die allgemeine Bildung bed Hands 
werkers, weil es ihn aus der Befchränftheit ber gewohnten 
Umgebung reißt und in manchfaltige Zebensverhältniffe führt. 
Diefe Wirfung ift in dem ganzen Stande der Handwerker un. 


verfennbar. Dagegen wird vielfältig auch über Sittenverberben, 
Berwilderung und Arbeitsſcheu der wandernden Geſellen geflagt, 
woraus ebenfalld gefolgert werden kann, daß wenigftens bie 
Allgemeinheit des Wandernd nicht rathſam iſt. 


6. 188. 


5) Das Meifterftüd fol beweifen, daß der angehende Meifter 
bie erforderliche Geſchicklichkeit beſitze. Daſſelbe ift aber in vielen 
Fällen nicht zwedmäßig, weil theils aus ber Berfertigung eines 
einzelnen Stüde® der Umfang von Kenntniffen des Bewerbers 
nicht beurtheilt werden Tann, theils auch oft der Gegenftand 
für Die Forderungen, welche nad) der heutigen Ausbildung ber 
Gewerbskunſt an ben Hanbwerfer gemacht werben müflen, uns 
paffend gewählt wurde (a). Man hat deßhalb in manchen 
Ländern dad Meifterftüd durch eine beffere Art der Prüfung 
erſetzt, $. 195. Es unterliegt aber überhaupt einem Zweifel, 
ob ein Bedürfniß vorhanden fei, einen Nachweis ber Geſchick, 
lichkeit zu verlangen, auögenommen bei foldyen Gewerken, in 
denen die Ungefchidlichkeit Gefahren für die Sicherheit der ‘Ber 
fonen oder des Eigenthums befürchten läßt und folglich einen 
polizeilichen Grund hat (d). Bon volfdwirtbfchaftlicher Seite 
wird fie barum in Schub genommen, weil fonft ein Mangel 
an tüchtigen Meiftern zu befürchten fei oder wenigftend ber uns 
gefchicdte Unternehmer viele DBefteller oder Käufer ber Waaren 
in Berluft bringe, endlich aber, wenn feine Unfähigkeit allgemein 
befannt wird, feine Nahrung verliere und verarmt mit feiner 
Gamilie von ber Gemeinde erhalten werben müfle Dagegen 
ift aber zu bedenken (c): 

a) Eine Prüfung, die ihrem Zwecke völlig entſpricht, ift 
umftändlidy und befchmwerlich, eine mangelhafte iſt unnüg und gibt 
zu Streitigfeiten, auch zu ‘Barteilichfeiten Anlaß, wie fie fehr 
häufig vorgelommen find, indem die Zunftmeifter gegen Fremde 
ungerechtsfireng, gegen Ortsangehoͤrige zu nachfichtig waren (d). 

4) In manchen Gewerfen ift zu der Berfertigung minder 
vollfommener, aber auch wohlfeiler Waaren, welche den wenig⸗ 
begüterten Käufern genügen, geringere Geſchicklichkeit nöthig, 
als für Fünftlichere Waaren; man braucht folglich nicht überall 
ein gleiches Maaß von Gefchidlichkeit zu fordern. 

2% 


. — 20 — 


y) Die Käufer und Beſteller ſuchen ſich bei der Annahme 
eines Handwerkers ſchon ſelbſt von ſeiner Faͤhigkeit zu uͤber⸗ 
zeugen, und bei ſolchen Waaren, denen man die mangelhafte 
Beſchaffenheit nicht ſogleich anſehen kann, ſind ſie deshalb auch 
deſto behutſamer. Der geſchickte Gewerbsmann empfiehlt ſich 
in Kurzem durch feine Leiſtungen. Nur bei wenigen Hand—⸗ 
werten, die am Wohnorte der Käufer betrieben werben müflen, 
fönnte an Eleinen Orten der Ball eintreten, daß man fich eine 
Zeit lang auf unwiflende Meifter befchränft jähe. 

d) Es läßt ſich in feinem Zweige menfchlicher Befchäftigungen 
verhüten, daß Einzelne aus Ungefchidlichfeit oder Rachläffigkeit 
zu runde gehen; die Gewerbefreiheit bietet aber viele Aus⸗ 
wege dar, ſich anf andere Weife fortzubringen. 

Ob Prüfungen, die nicht geboten find, denen fidy vielmehr 
ber angehende Meifter freiwillig unterzieht, um fich bei den Ab⸗ 
nehmern oder Beftellern befler zu empfehlen, Vertrauen erweden 
und daher in häufigen Gebrauch kommen werden, müßte bie 
Erfahrung lehren. Diefe Einrichtung, welche feinen Nach⸗ 
theil mit ſich bringt ald die Mühe für die Prüfenden, Tann 
auf Antrag der Gewerkövereine von der Regierung befördert 
werden (e). 


(a) 3. 3. ein Dredesler in Wien mußte ein Dugend ganz dünne Holzteller 
machen. Ginem Beilenhauer gab man 2 große Beilen, 20 und 10 Pfd. 
ſchwer, einem Häfner einen Topf und einen Krug, jeden 1 Elle hoch, 
dem Schreiner ein Stück Hausrath von veralteter Form, dem Peruͤken⸗ 
macher eine Allonge-, eine ſpaniſche und eine Beutelperüke zu fertigen 
auf. Ein Schuhmacher hatte ein Baar Courierfiefel zu machen. Miß⸗ 
griffe Diefer Art wurden auch wohl abfihtlih begangen, weil man dem 
Bewerber durch ein koſibares und ſchwer abqufegenbee Stüd das Meifters 
werden erichweren wollte. Sirnhaber, ©. 293. — Leuchs, ©. 108. 
— Gin häufiger Unfug war es, bie Fehler am Meifterftüde mit Gelb: 
firafen büßen zu lafien, anftatt es, wenn es fchlecht ift, ganz zu ver- 
werfen. — Diefe Mängel find allerdings vermeidlid. 


(6) Solche Gefahren finden 3. B. Statt bei Maurern, Hauss und Schiffs: 
zimmerleuten, Bauunternehmern, bei Huffchmieden, Apothekern, in ges 
ringerem Maaße auch bei Fleifchern (um ſchaͤdliche Befchaffenheit des 
Kleifches zu erkennen), Mühlenbaumeiftern, Brunnenmachern, orn⸗ 
ſteinfegern (in Bezug auf Feuersgefahr), Häfnern (wegen ber Glaſur, 
die bei fehlerhaften Verfahren vermöge ihres Bleigehalts ungefund 
wird). Bei den Baugewerfen ſpricht noch der Grund für die Pruͤfung, 
daß man das Gewerkserzeugniß nicht fertig kaufen kann, ſondern e6 
beſtellen muß, und daſſelbe gewoͤhnlich ſehr koſtbat if. — Auch bei 
mehreren Handels⸗ und Dienftgeiwerben darf die Gonceifion nicht ohne 
den Beweis der Gejhidlichfeit und Unbefcholtenheit, wenn dieſe des 
befonderen Vertrauens willen erforderlich if, ertheilt werben; 3. B. 








Dollmetiher, Mäkler, Lohnbediente, Lootfen, Schiffer, Mefler, Todten⸗ 
gräber, Schenk: und Gaſtwirthe. Vgl. preuß. Edict v. 2. Nov. 1810, 
und Edict v. 7. Et. 1811, $. 82 ff. Prüfungsinftructionen bes 
preuß. Handelsminifteriums für die das Meifterreht nachfuchenden 
Zimmer:, Maurer, Brunnen und Röhrenmacder-Gefellen und Mühl 
ärzte v. 28. Juni 1821, v. Kamp, Annalen d. innern preuß. Staats: 
verwaltung, V, 592. Zeller, Gemwerbspolizei in den preuß. Staaten, 
I, 14. für jedes diefer Gewerfe werben in den Städten Prüfungs: 
Eommifflonen gebildet, worin 1 Polizeibeamter, 1—2 Baubeamte, 
2—3 Meifter. Das Verfahren ift folgendes: 1) Borläufige Prüfung 
(Tentamen) im Leſen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen. 2) Schriftliche 
Brobearbeit, mit Zeihnungen und Anjchlägen. 3) Mündliche Prüfung, 
deren Hauptinhalt in der Inftruction vorgezeichnet if. 4) Auftrag, 
einen Bau (Meifterbau) auszuführen. — Hannov. Prüfungs: D. fur 
Maurer, Dachdecker, Zimmerleute, Ofenfeger und Steinhauer v. 7. Kebr. 
1850. — Borfchriften für die Prüfung in den mebdicinifch = polizeilichen 
Bewerben, in ten Handwerfen, Baus und Handelögewerben, baier. 
Inſtruct. v. 21. April 1862. — Das fühl. Gewerbegeſ. v. 15. Det. 
1861 behält ($. 16) den Nachweis beionderer Befähigung bei der Auss 
übung des Hufbefchlags und ter felbitändigen Ausführung und Leitung 
von Bauten bei. Bat. Vollzugsverordnung vom nämlihen Tage 
$. 24. 25. — In anderen Staaten find mit dem Zunftzwange aud 
alle Prüfungen, ausgenemmen bei Apothefern, abgefchafft worden. Die 
Erfahrung wird lehren, ob den erwähnten Gefahren durch polizeiliche 
Vorſchriften und Auffichtsmaaßregeln hinreichend vorgebeugt werben kann. 


(e) Gründe gegen die Brüfungen aus den Erfahrungen in Naſſau bei 


Brauna.a.D. ©. 32. Auch in anderen Ländern haben die Pruͤ⸗ 
fungen ben anfänglichen@rwartungen nicht entfprochen. Vgl. $. 195 (B). 
Die Prüfung wird oft umgangen, indem ber Handwerfer feinem Ge⸗ 
werbe einen anderen Namen giebt. 


(e) Die engliſche Soeiety of arts hat ſolche freiwillige Prüfungen ange: 


ordnet, die guten Erfolg haben. Wer gut befteht, erhält noch eine 
Belohnung. Empfehlung einer folhen Anordnung, die von einer 
oberften Commiſſion geleitet würde, in Würtemberg: Anträge zur Um⸗ 
geftaltung der Bewerbe:D. des K. W., geftellt von der Gentralftelle 
für Gewerbe und Handel, 1860, ©. 23. 33. — Naflaufhe V. v. 1819: 
Wer bei der Bewerbung um eine Conceſſion ein Prüfungszeugniß bei- 
bringt, erhält das Prädicat Meifter und die Befugniß, Lehrlinge an: 
zunehmen. 


$. 189. 
3u III (8. 180.). Die fittlihen Wirfungen be 


Zunftwefend waren günftig. Es bildete fi) ein emeinfinn 
und jeder Einzelne erhielt vermöge bed Verbandes mit Anderen, 
an deren Achtung ihm Alles Tiegen mußte, einen mächtigen 
Antrieb, von einem ehrenhaften Lebenswandel nicht abzuweichen. 
Gehltritte der Meifter und Gefellen wurden von den Genoflen 
ſtreng gerügt und auch die Lehrlinge von jenen beiden Claſſen 
von Arbeitern beauffihtigt. Die Hülfe, welche den verarmten 
Meiftern oder den Franken Gefellen von ihren Genofien, und 


. — 20 — 


y) Die Käufer und Beſteller ſuchen ſich bei der Annahme 
eines Handwerkers ſchon ſelbſt von feiner Fähigkeit zu übers 
zeugen, und bei foldhen Waaren, denen ınan bie mangelhafte 
Beichaffenheit nicht ſogleich anfehen kann, find fle deshalb auch 
defto behutfamer. Der geſchickte Gewerbsmann empfiehlt fi 
in Kurzem durch feine 2eiftungen. Nur bei wenigen Hands 
werfen, die am Wohnorte der Käufer betrieben werben müflen, 
fönnte an fleinen Orten der Kal eintreten, daß man ſich eine 
Zeit lang auf unmiffende Meifter beſchraͤnkt fähe. 

5) Es läßt fich in feinem Zweige menfchlicher Beichäftigungen 
verhüten, daß Einzelne aus Ungeſchicklichkeit oder Rachläffigkeit 
zu Grunde gehen; die Gewerbefreiheit bietet aber viele Au 
wege dar, fid) auf andere Weife fortzubringen. 

Ob Prüfungen, die nicht geboten find, denen ſich vielmehr 
ber angehende Meifter freiwillig unterzieht, um ſich bei ben Ab- 
nehmern oder Beftellern befler zu einpfehlen, Vertrauen erweden 
und daher in häufigen Gebrauch foınmen werden, müßte bie 
Erfahrung lehren. Diefe Einrichtung, welche feinen Rad 
theil mit fi bringt als die Mühe für die Prüfenden, kann 
auf Antrag der Gewerfövereine von der Regierung befördert 
werden (e). 


(a) 3. 3. ein Drechsler in Wien mußte ein Dugend ganz dünne Holzteller 
machen. Ginem Feilenhauer gab man 2 große Feilen, 20 und 10 Pit. 
ſchwer, einem Häfner einen Topf und einen Krug, jeden 1 Elle hoch, 
dem Schreiner ein Stüd Hausrath von veralteter Form, dem Berüfens 
macher eine Allonge-, eine fpanifche und eine Beutelperüfe zu fertigen 
auf. Bin Schuhmacher hatte ein Paar Eourierfiefel zu machen. Rip: 
griffe diefer Art wurden auch wohl abfichtlidh begangen, weil man dem 
Bewerber duch ein foRbares und ſchwer abzufegendes Stüd das Meier: 
werden erfchweren wollte. Firnhaber, S. 293. — Leuchs, ©. 108. 
— Gin häufiger Unfug war es, die Fehler am Meifterftüde mit Selb: 
firafen buͤßen zu laflen, anftatt es, wenn es ſchlecht ift, ganz zu ver: 
werfen. — Diefe Mängel find allerdings vermeidlid. 


(5) Solche Gefahren finden z. B. Statt bei Maurern, Hauss und Schiffs⸗ 
zimmerleuten, Bauunternehmern, bei Huffchmieden, Apothekern, in ges 
ringerem Maaße auch bei Fleiſchern (um fchädliche Beichaffenheit des 
Fleifches zu erkennen), Mühlenbaumeiftern, Brunnenmadern, Sem 
fteinfegern (in Bezug auf Feuersgefahr), Häfnern (wegen der Glafur, 
bie bei jehlerhaftem Verfahren vermöge ihres Bleigehalts ungejund 
wird). Bei den Baugeiverfen fpriht nod der Grund für die Brufung, 
dag man das Gewerkserzeugniß nicht fertig Faufen kann, fondern «6 
beftellen muß, und daſſelbe gewöhnlich fehr Eoftbar it. — Auch bei 
mehreren Handels⸗ und Dienftgewerben darf die Conceſſion nicht ohne 
den Beweis der Geſchicklichkeit und Unbefcholtenheit, wenn dieſe tes 

- befonderen Bertrauens willen erforderlich ift, eriheilt werben; 3. B. 








(6) Die Autonomie der Zünfte führte nicht felten zu Unorbnungen und Se: 
waltthätigkeiten, indem man die eingeräumten Defugnifie überfchritt. 
Große Aufflände der Befellen, Verruf gegen einzelne Orte kamen öfters 
vor. Bin folcher Auffland der Gefellen in Augsburg im 3. 1721 vers 
anlaßte das eben genannte Reichsgeſetz von 1731. Die eigenmächtige 
Beſtrafung der Benoffen für manderlei Fehltritte gab ebenfalls vielen 
Millführlichkeiten die Entſtehung. Noch in den legten Sahrzehnten 
traten in ten Hanfeltädten Unordnungen obiger Art ein; namentlich 
fprachen die norbdeutfhen Maurergeiellen 1841 einen Berruf gegen 
Hamburg aus, und es zeigte fich, daß die Geſellen in Lübel, Bremen 
und Hamburg in einer genauen Berbindung fanden, die fie zu man: 
cherlei Bedrüdungen für einzelne Meifter ıc. mißbraudten. — Der 
blaue Montag ift noch jept nicht ganz abgeſchafft. Schon im Bro: 
ject von 1672 für einen Neichstagsabjchied wegen der Handwerfsmißs 
bräuche wird das Yeiern der Gefellen am Montage erwähnt. Preußen 
trug 1771 auf einen Reichsfhluß Hierüber an und der Kaifer genchs 
migte am 30. April 1772 das hierauf gerichtete Reichsgutachten, doch 
unterblieb die Ausführung. In Preußen ergiengen 1636, 1723 und 
1783 Edicte gegen diefen Unfug. Nah dem Iepten follen die Meifter 
bei 2 Thlr. Strafe bie feieenden Gefellen anzeigen und diefe im 
1. Falle 8 Tage bei Wafler und Brot eingefperrt werden, im 2. Kalle 
14 Tage ıc. Der volkswirthſchaftliche Nachtheil ift bedeutend, denn 
es wird !/6 weniger erzeugt und ed wirb mehr als an Arbeitstagen 
verzehrt. Die Meifter müffen den Berluft an Arbeit und Zins auf 
die Breife der Waaren zu fchlagen fuchen, welches begreifli oft 
nicht gelingt. Indeſſen wird bie on, nur durch Verabredung 
der Meifter eines Landes gelingen, wozu die Gewerbövereine am meiften 
beitragen können. Strafandrohungen helfen nichts, weil die Meifter 
fih fcheuen, die feiernden Geſellen anzuzeigen. In den Babrifen hat 
diefer Mißbrauch Feine Verbreitung gefunden. — Merkwürdig ift, daß 
ſich unter den franzöflichen Handwerfsgefellen auch nad der Aufhebung 
des Zunftwefens die alten Bereine ber Gefellen erhalten haben. Es find 
3 große PVerbrüderungen (enfants de Salomon, e. du Maitre Jacques, 
e. du père Soubise), welche die einzelnen Handwerke (Corps) unter fi 
begreifen. Diefe find bie und da feindlich gegen einander. Jeder 
Verein hat feine Ordnung, devoir. Arbeiter aus verfchiedenen devoirs 
vertragen fih nit in einer Werfftlätte. Journ. des Econ, März und 
Mai 1860. . 


(e) Manche neuere Lobredner der Zünfte fehen den früheren Zufland ber: 
jelben in einem alzugünftigen Lichte und verfennen, daß bie öfters 
begehrte Bliederung des Staates in geichlofiene Körperfchaften Teicht 
dazu verleitet, den eigenen Bortheil berielben auf Koften der Liebe und 
Hingebung für den ganzen Staat zu verfolgen, wenn jenen engeren 
Kreiten zuviel Selbftftländigfeit eingeräumt wird. 


$. 190. 


Die Mängel des bisherigen Zunftweiens find ſchon längft 
anerfannt worden und die Regierungen haben fi) bemüht, dies 
felben abzuftellen (a). In vielen Staaten war man feit geraus 
mer Zeit bedacht, durch Geſetze und Verordnungen den Zunfts 
zwang zu befchränfen, die Täftigften Aeußerungen vefjelben zu 
entfernen und ber Regierung größere Gewalt einzuräumen. 


— 24 — 


Wie dieß in einzelnen Punkten ſchon zu verſchiedenen Zeiten 
geſchehen war, ſo wurden in dieſem Sinne neuerlich in mehre⸗ 
reren Staaten neue „Gewerbsordnungen“ aufgeſtellt, welche 
theils manche Zwangsvorſchriften zu Gunſten einer freieren 
Bewegung im Betriebe der Gewerke und im Verkehre mit den 
Erzeugniſſen derſelben aufhoben (6), theils die Zulaſſung von 
Gewerktreibenden in bie Hände der landesherrlichen Gewalt 
gaben (ec). In anderen Staaten bat man den Zunftzwang 
gänzlich entfernt, fo daß Jedem ohne Rüdficht auf die Beſetzung 
bed Gewerbes, und ohne darnach zu fragen, ob er bie erforders 
lihe Geſchicklichkeit befige und wie er fie erlangt habe, das 
Betriebörecht auf fein Anmelden ertheilt wird (d). Dieſe Ges 
werbefreiheit ($. 179) ift, den Erfahrungen mehrerer Länder 
zufolge, zwar von mandyen ungünftigen Erfcheinungen nicht 
ganz frei, jedody im Ganzen überwiegend vortheilhaft gewefen, 
- wie dieß fchon die Betrachtung der im Zunftzwange enthaltenen 
Nachtheile (f. beſonders 8. 184. 185) vermuthen läßt (e). Sie 
hatte meiftend die Folge, daß 1) dad audgebehntere Mitwerben, 
die freiere Annahme von Behülfen, die Berbinbung mehrerer 
Gewerbe den Käufern beffere und wohlfeilere Gewerkswaaren 
und überhaupt beſſere Bedienung verfchaffen ($. 184. Nr. 4, a), 
2) die Gewerke, wenigftens theilweife, mit mehr Kunft und 
Nachdenken betrieben werden und dem Talente ein weiterer 
Spielraum eröffnet wird (f), 3) die Zahl der Gewerksarbeiter 
fowie dad ganze Gütererzeugniß vergrößert wird und manche 
bisher unbenugte Nahrungszweige durch den freieren Wetteifer 
aufgefunden werden. 


(a) 9. Reichsgeſetz von 1731. Hier wird fogar die Drohun ausgeibrochen, 
daß, wenn die Mißbraͤuche nit aufhörten, eine völlige Aufhebung 
aller Zünfte nothwendig werden würde. 


(5) Im öfterreih. Staate wurde ſchon 1669 (Hofrefeript für Böhmen vom 
17. Mai) die Frage geftellt, ob die Hantwerkszünfte „ad imitationem 
anderer Königreihe, Republifen und Länder, wo die Commercien im 
beften Flor find, die Zünfte aber gar nicht üblich, oder doch nicht wie 
im roͤmiſchen Reiche privilegirt find, abzufhaffen oder zu reflringiren 
wären.” Doch find bedeutende Verbeſſerungen erft im 18. Jahrhun⸗ 
dert, hauptlählih dur das Hofderret vom 30. März 1776 und ſpaͤ⸗ 
tere Gefeße angeordnet worden. Schußbecrete, Wwoburd geſchickten und 
erprobten Gefellen, die das Meifterrecht nicht förmlich erwerben Fönnen, 
doch der felbfiftändige Betrieb geftattet wird, find feit 1725 eingeführt. 
Kopetz, I, 19. — Weimar, Gef. v. 15. Mai 1821. — Wurtemb. 
Gewerbeordnung vom 22. April 1828. Revidirte Gewerbe⸗Ordnung 


(d) 


(d) 


vom 5. Aug. 1836. BollziehungesInftruction vom 12. Oct. 1837. 
Revidirte Inſtr. v. 20. März 1851 bei Billih, a. a. O. Hannov. 
Gewerbe:D. v. 1. Aug. 1847 ſ. (4). Manche der freien Bewegung günftige 
Beitimmungen dieſes Gefepes wurden buch Geſ. v. 15. Juni 1848 
einftweilen außer Wirkung gefeßt, fo daß der Zunftzwang wieder ver- 
ftärft wurde. Heinrichs, Die Gewerbe:D. des KR. Hannover, 3. N. 
von Show, Hann. 1862. — Manche neuere Vorſchlaͤge, namentlich 
1848 bei Gelegenheit der Krankfurter Nationalverfammlung, gehen auf 
Beibehaltung oder fogar auf Berfhärfung des Zunftzwanges, wie ber 
Entwurf einer allg. Sandiverfer- und @ewerbe:D., berathen und bes 
ihloflen von dem teutichen Hantwerfer: und Gewerbe⸗Congreß zu 
Frankfurt, Juli und Aug. 1856. 4%. Bon den im volfswirthfchaft: 
lichen Ausihuß der Nationalverfammlung aufgeftellten Entwürfen will 
der eine den Lehrzwang und die Meifterprüfung, der andere nur ben 
Nachweis der Befähigung beibehalten. ' 


Naffau, Gef. v. 15. Mai 1819. Baiern, Gef. v. 11. Sept. 1825, 
von den Ständen per acclamationem ohne Berathung angenommen. 
Nach diefem Bei hängt die Zulaffung neuer Gewerksunternehmer 
letiglich von der Regierung ab, ohne eine Mitwirkung der Zünfte. In 
der Regel iſt die Ertheilung der Bonceffion dadurch bedingt, daß der 
Bewerber feine Fähigkeit nachweiſe und die Unterfuchung über den er: 
forderlihen Rahrungsftand für ihn günftig ausfalle. Gewiſſe Gewerbe 
find von den obigen Bedingungen frei. Die Zünfte beftehen fort als 
Berverbvereine zur Berbreitung von Kenntniflen, zur Auffiht auf Lehr: 
linge und Gehülfen, zur Unterflügung ꝛc. Durch fypätere Verordnun⸗ 
gen wurden manche Befchränfungen hinzugefügt. Auf dem 2andtage 
von 1861 wurden die Anträge auf Einführung ter @ewerbefreiheit 
nicht genehmigt, aber doch der Wunſch einer neuen minder belaͤſtigen⸗ 
den Vollzugsinſtruction beſchloſſen, die auch am 21. April 1862 er⸗ 
laſſen wurde. Bericht von Bözl, Beil. CIII der Verh. der K. ber 
Abgeordneten, Beil. VI, 224. — Hauff, Das Gewerbegeſ. für das 
K. Baiern. Münden, 1862. 


Schon 1614 wurde auf dem lebten franzöfiichen Reichstage von dem 
britten Stande auf die Nbfchaffung der Zünfte angetragen und in 
Deutfchland wurde diefelbe 1672 auf dem Reichstage befprocdhen, f. von 
Dohm, Ueber die bürgerlihe Verbeſſerung ber Juden, II, 285. Berl. 
1783. Sie wurde im Februar 1776 in Pranfreih auf Betrieb des 
(phyſtokratiſchen) Miniftere Turgot ausgeführt, aber nad 6 Monaten 
ward ber König bewogen, diefe Verordnung zurüdzunehmen, doch nicht 
ohne viele Gebrechen zu verbefiern; es wurben 3. B. von den bishe: 
rigen 110 Zünften 21 ganz aufgehoben und die 89 anderen in 44 ver: 
einigt, die Aufnahmegebühren fehr vermindert, aber zum Theil für die 
Staatscaffe in Anfpruch genommen; f. den Tert des Edicts in ber 
Eneyel. meth., a. a. D. ©. 93. Die assembl&e constituante vernich: 
tete das Zunftweſen und feßte an deflen Stelle jährliche Gewerbepatente, 
17. März 1791. Daſſelbe geihah im Königreich Weltfalen, 5. Aug. 
1808. In Spanien erfolgte die Aufhebung des Zunftwelens durch die 
Cortes, 3. Juni 1813, und abermals 16. Mai 1820 (beidemale wurde 
aber durch den König ber gefchehene Schritt zurüdgetban), in Renpel 
20. Nov. 1826, in Züri 26. Sept. 1837, in Norwegen 1839. Sn 
Naffau wurde am 15. Mai 1819 der Zunftverband befeitigt und der 
Betrieb der Handwerke freigegeben. Das Geſ. v. 3. April 1849 führte 
die Prüfung durch eine von den Sandwerfsmeiftern bes Amtes gewählte 
Eommilfion von 3 Bewerbtreibenden, aud eine Prüfung der Geſellen 
nad Beendigung der Lehrzeit ein, aber das Gel. v. 9. Suni 1860 
bob diefe Bedingung des ſelbſtaͤndigen Betriebes wieder auf. Im den 





— 24 — 


Wie dieß in einzelnen Punkten ſchon zu verſchiedenen Zeiten 
geſchehen war, ſo wurden in dieſem Sinne neuerlich in mehre⸗ 
reren Staaten neue „Gewerbsordnungen“ aufgeſtellt, welche 
theils manche Zwangsvorſchriften zu Gunſten einer freieten 
Bewegung im Betriebe der Gewerke und im Verkehre mit den 
Erzeugniſſen derſelben aufhoben (6), theils bie Zulaffung von 
Gewerktreibenden in die Hände der landesherrlichen Gewalt 
gaben (c). In anderen Staaten hat man ben Zunftzwang 
gänzlich entfernt, fo daß Jedem ohne Rüdficht auf die Befegung 
bed Gewerbes, und ohne darnach zu fragen, ob er bie erforders 
liche Geſchicklichkeit befige und wie er ſie erlangt habe, das 
Betriebsrecht auf fein Anmelden ertheilt wird (d). Diefe Ge⸗ 
werbefreiheit ($. 179) ift, den Erfahrungen mehrerer Länder 
zufolge, zwar von manden ungünftigen Erfcheinungen nicht 
ganz frei, jedoch im Ganzen überwiegend vortheilhaft geweien, 
‚wie dieß fehon die Betrachtung der im Zunftzwange enthaltenen 
Nachtheile (f. befonders $. 184. 185) vermuthen läßt (e). Sie 
hatte meiften® die Folge, daß 1) das ausgebehntere Mitwerben, 
die freiere Annahme von Gehülfen, bie Verbindung mehrerer 
Gewerbe den Käufern beffere und wohlfeilere Gewerkswaaren 
und überhaupt befiere Bedienung verfchaffen ($. 184. Nr. 4, a), 
2) die Gewerke, wenigftend theilweife, mit mehr Kunft und 
Nachdenken betrieben werden und ben Talente ein weiterer 
Spielraum eröffnet wirb (f), 3) die Zahl der Gewerksarbeiter 
ſowie dad ganze Gütererzeugniß vergrößert wird und manche 
bisher unbenugte Nahrungszweige durch den freieren Wetteifer 
aufgefunden werben. 


(a) 9. Reichsgefeg von 1731. Hier wird fogar die Drohung ausgelproden, 
daß, wenn die Mißbraͤuche nicht aufhörten, eine völlige Aufhebung 
aller Zünfte nothwendig werden würte. 


(5) Im öfterreih. Staate wurde ſchon 1669 (Hofrefeript für Böhmen vom 
17. Mai) die Frage geftellt, ob die Handwerkszünfte „ad imitationem 
anderer Koͤnigreiche, Republiken und Länder, wo die Gommercien im 
beften Flor find, die Zünfte aber gar nicht üblich, oder doch nicht wie 
im römifchen Reiche privilegirt find, abzufhaffen oder zu refiringiren 
wären.“ Doch find bedeutende Verbeſſerungen erft im 18. Jahrhun⸗ 
dert, bauptfächlich durch das Hofderret vom 30. März 1776 und fpäs 
tere Gelege angeordnet worden. Schupbecrete, wodurd) geſchickten und 
erprobten Sefellen, die das Meifterrecht nicht förmlich erwerben Eönnen, 
doch der felbfiitändige Betrieb geftattet wird, find feit 1725 eingeführt. 
Kopep, II, 19. — Weimar, Gef. v. 15. Mat 1821. — Würtemb,. 
Gewerbeordnung vom 22. April 1828. Mevidirte Gewerbes Ordnung 





(e) 


(e) 


vom 5. Aug. 1836. Vollziehungs⸗Inſtruction vom 12. Dct. 1837. 
Revidirte Inſtr. v. 20. März 1851 bei Billih, a. a. O. Hannov. 
GewerbesD. v. 1.Aug. 1847 ſ. (4). Manche der freien Bewegung günflige 
Beftimmungen dieſes Geſetzes wurden durch Geſ. v. 15. Juni 1848 
einftweilen außer Wirkung gelebt, To daß der Zunftzwang wieder ver- 
ftärft wurde. Heinrihs, Die Gewerbe: D. des KR. Hannover, 3. N. 
von Show, Kann. 1862. — Manche neuere Borfchläge, namentlich 
1848 bei Gelegenheit der Frankfurter Nativnalverfammlung, gehen auf 
Beibehaltung oder fogar auf Verfchärfung des Zunftzwanges, wie ber 
Entwurf einer allg. Sandiwerfer und @ewerbe:D., berathen und be⸗ 
ihloffen von dem deutſchen Handwerker: und GewerbesGongreß zu 
Frankfurt, Juli und Aug. 1856. 4%. Bon den im volfswirthfchaft: 
lihen Ausſchuß der Nationalverfammlung aufgeftellten Entwürfen will 
der eine den Lehrzwang und die Meifterprüfung, der andere nur den 
Nachweis der Befähigung beibehalten. ' 


Nafſau, Gef. v. 15. Mai 1819. Baiern, Geſ. v. 11. Sept. 1825, 
von den Ständen per acclamationem ohne Berathung angenommen. 
Nah diefem Gefeb hängt die Zulaflung neuer Gewerksunternehmer 
lediglich von der Regierung ab, ohne eine Mitwirkung der Zünfte. In 
der Regel ift die Ertheilung der Eonceffion dadurch bedingt, daß ber 
Bewerber feine Fähigfeit nachweile und bie Unterfuchung über den er: 
forderlihen Nahrungeftand für ihn günftig ausfalle. Gewiſſe Gewerbe 
find von den obigen Bedingungen frei. Die Zünfte beftehen fort ale 
Berwerbvereine zur Berbreitung von Kenntniflen, zur Auffiht auf Lehr: 
linge und Gehülfen, zur Unterflüßung ꝛc. Durch fpätere Berordnuns 
gen wurden mande Beichränfungen hinzugefügt. Auf dem Landtage 
von 1861 wurden die Anträge auf Einführung ter Bewerbefreiheit 
nicht genehmigt, aber doch der Wunſch einer neuen minder beläftigen: 
den Bollzugsinitruction bejchloffen, die auh am 21. April 1862 er: 
laffen wurde. Beriht von Poͤzl, Beil. CHI der Verh. der K. der 
Abgeordneten, Beil. VI, 224. — Hauff, Das Gewerbegeſ. für bas 
K. Baiern.. Münden, 1862. 


Schon 1614 wurde auf dem letzten franzöfifchen Reichstage von dem 
dritten Stande auf bie Abſchaffung ber Zünfte angetragen und in 
Deutfchland wurde diefelbe 1672 auf dem Meichstage befprochen, f. von 
Dohm, Ueber die bürgerliche Verbefferung der Juden, II, 285, Berl, 
1783. Sie wurde im Februar 1776 in Frankreich auf Betrieb des 
(phyſtiokratiſchen) Miniſters T ur get ausgeführt, aber nah 6 Monaten 
ward der König bewogen, diefe Verordnung zurüdzunchmen, doch nicht 
ohne viele Gebrechen zu verbeflern; es wurden 3. B. von ben bishe⸗ 
rigen 110 Zünften 21 ganz aufgehoben und die 89 anderen in 44 vers 
einigt, die Aufnahmsgebühren fehr vermindert, aber zum Theil für die 
Staatscaffe in Anfpruch genommen; f. den Tert des Edicts in der 
Eneyel. möth., a. a. D. & 93. Die assemblde constituante vernich: 
tete das Zunftweien und ſetzte an deflen Stelle jährliche Gewerbspatente, 
17. März 1791. Daffelbe geihah im Königreih Weflfalen, 5. Aug. 
1808. In Spanien erfolgte die Aufhebung des Zunftwelens durch Die 
Gortes, 3. Iuni 1813, und abermals 16. Mai 1820 (beidemale wurde 
aber durch den König der geihehene Schritt zurüdgethan), in Neapel 
20. Rov. 1826, in Züri 26. Sept. 1837, in Norwegen 1839. In 
Nafſſau wurde am 15. Mai 1819 der Zunftverband befeitigt und der 
Betrieb der Hantwerfe freigegeben. Das Bel. v. 3. April 1849 führte 
die Prüfung durch eine von den Sandwerfsmeiftern des Amtes gewählte 
Eommilfion von 3 Bewerbtreibenden, auch eine Prüfung der Gefellen 
nah Beendigung der Lehrzeit ein, aber das Gef. v. 9. Juni 1860 
hob dieſe Bedingung des eiöRändigen Betriebes wieder auf. In den 





— — 26 — 


letzten Jahren iſt bie Aufhebung des Zunftzwanges in einem Theile 
der deutfchen Länder fchon erfolgt, auch muß das gegebene Beifpiel 
zur Nachahmung auffordern, well funft bei freiem Verkehre der Ge: 
werfäbetrieb derlenigen Länder, in denen die Zünfte noch beftehen, in 
Nachtheil geräth. Defterreich ging, dur das Gel. v. 20. Dec. 1859 
voran, worauf Naffau (f. oben), Bremen (B. v. 27. März u. 4. April 
1861), Oldenburg (Gef. v. 11. Zuli 1861), Sachſen (©. v. 15. Oct. 
1861), Würtemberg (Gel. v. 12. Febr. 18562) und Baden (Gel. vom 
20. Sept. 1862) folgten, Die badiſche Vollzugsverordnung ift vom 
24. September 1862, f. Turban, Getverbegei. für das Er. Baden. 
Karler. 1862. — In Preußen mwurbe verordnet (Edict vom 2. Nov. 
1810), daß die Löfung eines jährlichen Bewerbfcheines (PBatentes) hin⸗ 
reichend fei, um die Befugniß zur Betreibung eines Gewerbes zu geben. 
Sodann beftimmte das Edict vom 7. Sept. 1811, daß die Bünfte 
zwar fortbeftehen, dürfen, aber die Inhaber von Gewerbfcheinen nicht 
verpflichtet feien, in bdiefelben zu treten, und dennoch Lehrlinge und 
Gefellen halten können (NR. 6. 7.), daß jeder aus der Zunft treten 
(A. 14.), jede Zunft ſich felbft auflöfen (A. 19.), auch von ber Dbrig- 
feit aufgelöfet werden dürfe (A. 29.). Zufolge dieſes Edit! waren 
an vielen Drten die Zünfte noch vorhanden, und in denjenigen im 9. 
1815 neuerworbenen Lanbestheilen, wo das Zunftwefen noch befand, 
ift e8 beibehalten worden. Die allg. Gewerbe:D. v. 17. San. 1845 
verorbnet die Erhaltung der beftehenden und die Errihtung neuer Ins 
nungen, jedoch find bie Meifter nicht verpflichtet einzutreten. Bei einer 
großen Anzahl von Handwerfen, und zwar den am meiften verbreiteten, 
darf nur derjenige Lehrlinge annehmen, welcher Befähigung nachweiſt 
und der Innung angehört. Noch weiter geht die DBerorbnung vom 
9. Febr. 1849, nach welcher bei mehr als 50 Gewerken, zum Theile 
ganzen Claſſen, der Betrieb nur gegen Nachweis der Befähigung ent: 
weder vor der Innung und mit Aufnahme in diefelbe, oder vor einer 
Commiſſion ihres Handwerks geftattet iſt. Wer fi der Innung nicht 
anfchließen will, kann fi fogleich an die Kreis: Prüfungs : Commilfton 
wenden. Die Meifter dürfen nur Geſellen, Gehülfen und Lehrlinge 
ihres Handwerfes annehmen, doch ift die Beiziehung weiblicher Gehüls: 
fen unbefchränft, $ 47. — In Hannover wurden die Zünfte im Sabre 
1815 wieberbergeftellt, in Kurheſſen am 5. März 1816, in Oftfries- 
fand am 11. Auguft 1817, in Dfvenburg am 28. Ian. 1830. Vor⸗ 
ſchlag zu ihrer Wiederherflellung in Bern: Vortrag der Handw.-Poliz.⸗ 
Commilfion. Bern, 1821. — Die hannov. Gew.⸗O. v. 1. Auguft 
1847 geht in ber Miederherftellung des Zunftwefens weiter. Zünftige 
Gewerbe bürfen da, wo 3 beſtehen, nur von Mitgliedern derfelben 
betrieben werden. Das Meifterreht wird durch zünftige Grlernung, 
Geſellen- und Wanderjahre und das Neiſterſtück bedingt, auch find 
geichloffene Zünfte zuläfftg ($. 169). — In Großbritanien war in den 
neu aufgefommenen Städten, wie Mancheſter, Birmingham ꝛc., gar 
fein Zunftwefen. Nah dem Statut von 1814 (54. Georgs ILL. E&. 96) 
ift auch in den älteren Orten bie fiebenjährige Lehr: und Gefellenzeit 
nicht mehr erforberlih. Kleinfhrod, ©. 85, vgl. 89. 


(e) Einzelne vom Zunftzwange freie Drte und Gegenden, wie Fürth, Giber: 
feld und Barmen, zeigten dieß fchon früher. 


(F) Diele Wirkung ift freilich nicht allgemein. Gin Theil der Handiwerfer 
ſetzt auch nad der Beſeitigung des Zunftswanges das lange gewohnte 
Verfahren fort, ohne fih die neueren Kortfchritte der Kunft anzueignen 
und geräth deshalb durch das Mitwerben des jüngeren, befler unter: 
richteten Geſchlechts in Nachtheil. 








— 171 — 


$. 191. 


Die Aufhebung bed Zunftzwanges zieht die Nachtheile, die 
man früherhin als Folgen diefer Maaßregel befürchtete, gar 
nicht oder nur in geringem Grade nad) fid) (a). Es wurden 
hauptſächlich nachftehende Wirkungen vermuthet: 

1) Uebermäßige Befegung der Gewerke Dieß 
wird bei folchen Gewerken, die einen beträchtlichen Capitalauf- 
wand fordern, darum nicht eintreten, weil man befto vorfich- 
tiger ift, je mehr man zu verlieren hat, und weil die Anzahl 
begüterter Unternehmer ohnehin nicht fo groß iſt. Bei anderen 
Handwerfen, die mit geringem Gapitale unternommen werben 
fönnen, ift ein übermäßiger Andrang, vorzüglicdy in der erften 
Zeit, allerdings bie und da wahrgenommen worden. Junge 
Leute, ohne gründliche Kenntniß und ohne Ausficht auf Unter- 
fommen, wagen e8 leichtfinniger Weife nicht felten, als Unters 
nehmer aufzutreten, mweßhalb dann eine Anzahl bürftiger oder 
felbft arıner Familien entfteht. Ein foldyes Mißverhältnig findet 
am leichteften bei foldyen Gewerken flatt, die nur für die Bes 
wohner ded Ortes oder der naͤchſten Umgegend arbeiten (ört- 
liche, locale Gewerke, 8. 195 a Nr. 3) (b), was aud von 
mandyen bisher zünftigen Handels⸗ und Dienftgewerben gilt, 
wie Krämerei, Schenfwirthfchaften u. dgl. Indeß wird biefer 
Vebelftand bald aufhören, wenn die gewerbtreibende Claſſe 
mehr und mehr begreift, daß ber Abſatz in vielen Gewerfen 
ziemlich fefte Graͤnzen bat, und daß bei einer übergroßen Zahl 
von Unternehmern diejenigen zu Grunde gehen, welche wenigee 
geichickt, fleißig und haushälterifch find, ober wegen des mans 
genden Vertrauens der Abnehmer oder Befteller keinen hinrei⸗ 
chenden Abſatz finden. Diejenigen, welche ſich in dem ergriffenen 
Gewerke nicht fortbringen können, werben andere Nahrungs» 
zweige aufjuchen, und dieß gelingt leichter als früherhin, weil 
fih zugleich eine Menge Feiner neuer Gewerbe bildet (c). 

(a) Die Eingaben an die Frauffurter Nationalverfammlung von 1848 aue 
der bairiihen Pfalz brüden die Vorliebe der *5 für die ſeit 
der franzöflihen Herrſchaft dort beftehende Bewerbefreibeit aus, Bericht 
des volksw. Ausſchuſſes, IL, 853 der Verhandlungen. — Man führt 


oft den Sittenverfall und die Noth der Arbeiter in London und Paris 
ale Kolge von der Aufhebung des Zunftweiens an, ohne zu bebenfen, 


— 28 — 


daß jene Uebel neben der unaufhaltſamen Vermehrung der Fabriken 
ſchon von der Größe beider Städte herrühten, in denen der Zufluß 
nabrungslofer Menſchen, der Wechfel im Grtrage der Beichäftigungen 
und in den Bermögensumftänden überhaupt, der grelle Abftand nifden 
Reichthum und Armuth, die verführerifchen Beifpiele der Verſchwendung 
und Schwelgerei ıc. auf feine Weife verhütet werben könnten. 


(5) Ueber den Unterfchieb der Iocalen und der auf einen weiteren Kreis 
wirfenden Gewerbe (fogen. Handelsgewerbe) Rau, Ueber das 
Z.⸗W. ©. 152 (Aufftellung von 4 Elaffen), Wolbach, ©. 34. — 
Hagen, ©. 100. — Bemerkungen über die Schwierigfeit einer all: 
gemeinen Scheidung bdiefer beiden Claſſen in den Verhandl. der Baier. 
Dep.⸗K. 1834, IX, 202 (Blatner), 262 (Rudhart). — In 
Defterreih wurden die örtlihen mit dem Namen Bolizeigewerbe 
belegt, im Gegenfaße der freier behandelten GEommercialgemwerbe. 
Das im 3. 1809 (Hofberret v. 2. Mai) aufgeftellte Verein giebt 
97 Bolizeigewerbe an (morunter viele Handels: und Dienfigewerbe 
neben den Handwerken), während die Anzahl aller in Wien beftehenden 
günftigen gewerbe 141 mar, in Prag nur 65 u. Kopetz, a. a. O., 
I, 106. 132. 


(e) Berfchiedene feit der 1. Ausgabe diefes Bandes bekannt gewordene Er⸗ 
fahrungen zeigen allerdings, daß eine zu flarfe Befeßung einzelner Ge⸗ 
werbe in einzelnen Städten nicht ausgeblieben ift, doc fcheint das 
Uebel im Ganzen betrachtet nicht fo groß, als es oft geſchildert worden 
ift, und die Hoffnung, daß es auch ohne befondere @egenanftalten abs 
nehmen würde, wird durch den Hinblick auf bie Länder, wo die Ges 
werbefreiheit länger befteht, ſehr unterftüßt. Gs ift nicht leicht, eine 
wirklich eingetretene Ueberſetzung zu beweifen. Die ſtarke Zunahme ber 
Meiſterzahl allein reicht Hiezu nicht bin, denn dieſe Fönnte daher kom: 
men, daß bisher zu wenige Unternehmer für bie vorhandene Abſatz⸗ 
gelegenheit da waren, oder daß der erhöhte Wohlſtand den Berbraud 
von Gewerfswaaren fleigert. Die häufigere Berarmung iſt nur dann 
beweifend, wenn fie gerade unter den Handwerksmeiſtern flattfindet. — — 
Iſt die Ungeſchicklichkeit oder Trägheit der älteren Meiſter daran ſchuld, 
daß diefe von den neuen Bewerbern in Schatten geftellt werden, fo 
deutet dieß nur die Unbeauemlichfeiten des Ueberganges zur Gewerbe: 
freiheit an. Gin vorzüglich beuchtenswerthes Kennzeichen liegt in tem 
Berhältnig der Zahl der Meifter zu der der Gehülfen, nur muß dabei 
wieder zwilchen den Städten und dem platten Rande unterfchieden wer; 
den, weil bier unvermeidlich eine größere Menge von Meiftern ohne 
Geſellen und Lehrlinge zu finden ift, als in jenen, fowie auch die vew 
Ichiedenen Handwerfe hierin von einander abweichen. In Preußen kom: 
men auf 100 Meifter bei Webern 98, Sclofiern 96, Schreinern 68, 
Böttchern 45, Wagnern 42, Slafern nur 39 Gehülfen und Lehrlinge, 
dagegen bei Flaſchnern (Klempneen) 103, Töpfern 105, Zimmerleuten 
809, Maurern 1175, und zwar bei legteren in Rheinland 395, Wels 
falen 628, aber in Brandenburg 2635, Schlefien 3275, woraus eine 
fehr ungleiche Betriebsart diefes Gewerbes hervorgeht. Dieterici, 
Handb. d. Stat. dt. pr. St. ©. 403 (1861). In Belgien ift bie 
Zahl der Gehülfen meiſtens arößer, es kamen 3. B. 1849 auf 100 
Meifter bei Boͤtichern 163, Schreinern 109, Schneidern 99, Schub: 
machern 94, Bädern 91 Gehülfen. Nach I, $. 398 a ift in Preußen 
im Ganzen noch ein günftigeres Verhaͤltniß als in mehreren anderen 
Ländern, wo die Zünfte unverändert geblieben find. 


Die bairifche Pfalz (Rheinkreis) war im Bergleih mit den älteren 
Kreifen, To lange in biefen der volle Zunftzwang befand, nicht mit 








Meiſtern überfegt, wenn man nämlich diefe mit der ganzen Cinwohner⸗ 
zahl zufammenhält. Es famen nämlid 1852 


in der b. Pfalz in 6 älteren Kreifen 
auf 1 et 175 €. 187 ©. 
s 1 Schneider 300 ⸗ 300 ⸗ 
:s I Schmied 456 ⸗ 427 ⸗ 
s 1 Scheine 470 ⸗ 593 ⸗ 
s 1 Bäder 588 ⸗ 473 ⸗ 
s 1 $leifcher 590 ⸗ 397 ⸗ 
s 1 Wagner 194 ⸗ 186 ⸗ 
s 1 Sclofler 978 > 994 ⸗ 
:s 1 Safe 1666 ⸗ 2532 = 
s 1 Sattler 2537 > 1817 ⸗ 
s 1 Töpfer 3661 = 1990 ⸗ 


Bözl, a. Bericht ©. 288. 


Im Königreich Weflfalen waren, als die Zünfte aufgehoben wur: 
den, 100— 110,000 Handwerksmeiſter. Yür das Jahr 1809 wurden 
140,000 Batente begehrt, aber nur über 136,000 wirklich ertheilt, weil 
den übrigen Bewerbern polizeiliche Gründe im Wege flanden: für 1810 
wurden 136,000, für jedes der folgenden Jahre nur 130,000 Patente 
verlangt, ungeachtet der im 3. 1810 angeordneten beträchtlichen Brnies 
drigung der Patentgebühr. Der Ertrag biefer Gebühr war von da aıı 
ziemlih gleihförmig, naͤmlich 1810: 978,127 Franken. — 1811: 
973,775 Fr. — 1812: 1,034,495 Fr. (Privatinittheilung des Präs 
fitenten von Malchuo.) Wan flieht Hieraus, daß ſchon in zwei Jah⸗ 
ven eine lid Stetigkeit eintrat und die Zahl der Batentirten nur 
um 18 Proc. höher war, als die Menge der Zunftwmeifter. In den 
beiden erften Jahren war die Concurrenz um 5 Broc. ftärfer als nachs 
ber. — Im preuß. Staate bat in ten Jahren 1811 — 1814, wo fremte 
Heere, Kriegsrüftungen und Feldzüge am DBermögen bes Volkes zehrten, 
die Zahl der nachgeſuchten und ertheilten Patente fi) von 286,000 auf 
212,700, alfo um 15!/5 Proc. der erfieren Zahl vermintert. In den 
Jahren 1816-1820 trat eine Bermehrung ein, fo daß die Patentzahl 
des letzten Jahres gegen die des erflen (1816) um 13 Proc. ans 
wuchs, gegen die von 1814 — 1815 aber um 20 Pror., was bei ber 
Rarfen Aunahme der Bolfsmenge nicht unpaflend erſcheint. Demnach 
fheint im Ganzen die Beiegung der Gewerbe den äußeren Umſtaͤnden 
zu entiprechen, ‘ die Angaben bei Schulze, Bedeutung der Gewerbe, 
S. 225, aus der pr. Staatszeitung. — Das Berhältniß der Meifter 
zu ben Gehülfen änderte fi neuerlih in Preußen auf eine vortheils 
bafte Weile. Die Gchülfen betrugen 3. B. auf 100 Meifter: 


1822 1837 1855 


bei den Schuhmadern 49 53 56 
bei den Schneidern 38 47 53 
bei den Fleiſchern 32 41 52 
bei den Bädern 34 44 69 


Daß an einzelnen Orten die Zahl der Meifter allzugroß geworden fei, 
{ft aus den Klagen der Provinzialftände in mehreren Landestheilen und 
aus den Schilderungen mehrerer Schriftfieler zu fchließen, f. 4. 2. 
bie Meußerungen der brandenburgifchen, pommerfchen und preußifchen 
Stände von 1824 und ber weftfälifchen von 1826 bei Hagen, ©. 9, 
die Schilderungen von Biegler, Bleffon, aa. O. — 1831 zählıe 
man in Berlin 1068 Schreiner, von denen 640 feine Gewerbſteuer 
phlten, weil fie dürftig waren oder doch nur 1 Gefellen hielten. — 

einer preuß. Stadt find, während bie Cinwohnerzahl von 22,600 


— 30 — * 


auf 34,000 ieg, die Tifchler von 40 auf 145, die Schneider von 70 
auf 229, die Schuhmacher von 80 auf 241 (1 auf 141 Einw.), die 
Schenfwirthe von 80 auf 258 angewachſen, fo daß nur 1/5 der Meifter 
Geſellen halten kann, Defterley, S. 122. — In Baiern Ei fid 
die Zahl der Unternehmer in Folge bes Geſetzes von 1825 befonders 
ftarf vermehrt, unb bieß fcheint aus eigenthümlichen Urfachen Hier leid: 
ter ins Uebermaaß gegangen fein, ale anderwaͤrts. Die Zahl ber rea- 
len und conceffionirten Gewerbe war im ganzen Lande 1824: 201,482, 
aber im au 1833: 237,772, was alfo in 10 Jahren einen Zuwachs 
von 164/a Proc, der mittleren Anzahl (219,626) oder 18 Proc. ber 
anfinglichen Zahl anzeigt. Nach der lepteren Berechnungsart war die 
Vermehrung im Untermainkreife 25 Proc. (max.), im Unterdonaufteife 
nur %/e Broc., f. Berhandl. der Dep.:K. v. 1834, Beil. V. Ueber bie 
Wirkungen in ben erften 5 Jahren Hagen, a. a. D. 1844 war bie 
Zahl wieder auf 220,115 Herabgegangen. Im Jahre 1840 zählte man 
in Baiern 24,564 radicirte, 44,613 reale und 137,876 yperfönliche Ge: 
werberechte, nebft 55,625 Unternehmern in ganz freien ®ewerben. Die 
drei erften Glaffen, nah Abzug von 2089 Fabriken, geben 260,589 
Handwerksmeifter, fo daß gegen 1833 ein Zuwachs von 9,' Proc. oder 
1,9 Proc. jährlich erfcheint. Beil. LV zu den Verhandl. d. Dep.sk. 
von 1843. — Aus ben ftatiftiihen Angaben über die Zahl der Hand: 
werker ergiebt ſich, daß, die Länder mit firenger Zunftverfaflung nicht 
regelmäßig weniger felbftftäntige Unternehmer Baben. Es kamen neuers 
[ie Ginwohner 











| Betgien | Breuen| Baden | Kurpefl.' Sagſen 

1846 | 1852 1844 1846 | 1849 

auf 1 Shuhmadr . . .| 409 ı 186 | 149 | 176 | 158 
Schneider . . . .. | 352 234 232 212 205 
Scobfhmid . . . .ı 624 447 425 322 4716 
Hiemer und Sattler . .! 352 1602 | 2004 | 1403 
Schreiner . . . . ..| 853 380 | 383 302 509 
Wagner . . . . ..ı 1118 | 900 ! 59 | 529 ! 012 
Schloſſe. » ...1 2586 1788 1559 540 482 
Drechsler . .) 4466 | 2521 | 1570 | 1666 | 2785 


Klempner (Flafiner) .| 6713 | 3070 | 5404 | 5755 | 2725 
Slaft . - . . . .| 7127 | 3347 | 1399 | 3113 |24007 


Belgien hat feine Zünfte, in Preußen ift noch die Nachwirkung der 
früheren Gewerbefreiheit in den meiften Landestheilen. Webrigens darf 
man bei Bergleichungen biefer Art nicht vergeflen, daß ein und baffelbe 
Gewerbe in mehreren Ländern in Bezug auf den Umfang der zugehöri: 
gen Arbeiten und mande andere Berbältniffe große Berfchiedenheiten 
wahrnehmen läßt. In Belgien 3. B. find neben den Sattlern noch 
befondere Rummetmacher, welche hier mit eingerechnet worden find, ſo 
wie zu den Schreinern auch die Kunftfchreiner (6benistes). 


8. 192, 


2) Man beforgte eine minder gute Betreibung ber 
Gewerbe, und insbeſondere eine nacyläffige Vorbereitung, — 
eine Neigung, fih in allerlei Beichäftigungen ohne gediegene 





Kenniniffe zu verfuchen, — Unguverläffigkeit der Arbeiter und 
Abnahme der Gefchidlichkeit. In diefer Hinfiht Hat die Ers 
fahrung nody offenbarer zu Gunſten ber Gewerbefreiheit ents 
ſchieden. 


a) Das Bedbuͤrfniß ſorgfältiger Erlernung macht ſich ſtets 
fühlbar, da es nie an vorzüglichen Handwerkern fehlt, denen 
Die jüngeren ihres Fortkommens willen nacheifern müflen, und 
da der geſchickte durch Feine Schranken gehindert wird, von 
feinen Faͤhigkeiten vollen Gebrauch zu machen (a). 


b) Der Uebergang von einem Gewerbe zu einem anderen 
fommt nicht oft vor, denn es find damit Ausgaben für die 
neue Einrihtung und manche andere Schwierigfeiten verbunden 
und einzelne Beijpiele des Mißlingend dienen zur Warnung, 
auch bindet Gewohnheit an das zuerft ergriffene Geſchaͤft. 

c) Wenn dad Wandern weniger allgemein wird, fo ift dieß 
noch fein Uebel ($. 116, Rr. 1), auch fann für Erleichterung 
befielben befonderd geforgt werden. 

d) Unter den Zunftweiftern findet man ebenfalls folche, die 
aus Ungeſchicklichkeit, Leichtfinn ober Unreblichkeit fchlechte Arbeit 
liefern, und die Käufer find daran gewöhnt, ſich nach Meiftern 
von gutem Rufe zu erkundigen (b). 

e) Auf dem platten Lande können zwar wegen ber geringeren 
Zahl von Handwerkern leichter ungefchidte Unternehmer aufs 
treten, aber theild find bie Landbewohner in der Beichaffenheit 
der Waaren genügfamer, wenn fie nur biefelben wohlfeil er 
langen können, theild können fie fi) in den Städten ober auf 
den Jahrmaͤrkten verforgen, und leidhtfinnige Speculanten pfles 
gen fich lieber in den Städten als in ben Dörfern anzuflebeln. 


(a) Personne ne prötendra sans doute, qu’on fait moins bien les habits, 
les souliers, les chapeaux etc. depuis la suppression des maitrises: & 
conp sür, un particulier qui a besoin d’un macon, d’un serrurier ou 
d’un charpentier, ne va pas sinformer s’ils sont maitres; il se borne 
& savoir qu'ils sont habiles, et les juge par leur röputation et leurs 
ouyrages. — Aucun genre d’industrie n’a retrograde de- 
puis que les maitrises ont &t6 abolies; au contraire 
tous se sont perfectionnds, il en a été cr&& ou importé 
un grand nombre etc. Worte des völlig fachfundigen Chaptal, 
De Yindustrie frang., 1I, 322, — Mehrere Berfuche, bie Zünfte in 
Frankreich wieder einzuführen, regten heftigen MWiderfland auf, 1821 
wurde ber hierauf gerichtete Antrag vom Ranufacturratbe verivorfen 
und in der Deputirtenfammer felbft von den Miniſtern gemißbilligt. — 


Die Zunfthandwerker widerfirebten nicht felten neueren Kortichritten ber 
Kunft, wie z. B. die Bärber den Gebraud des Indigos, als derfelbe 
befannt geworden war, auf alle Weiſe zu verhindern fuchten. Wenn 
die unbedingten Lobredner des Zunftzwanges Recht hätten, fo müßten 
in Franfreich, Serien sc. die Handiwerfe längft in den tiefften Verjall 
gerathen fein. Allerdings find in dieſen Ländern deutſche Handwerks: 
gefellen beliebt, allein Hiezu trägt der ruhigere, beharrliche deutiche Cha: 
takter und das gute Schulwefen viel bei und die nämliche Erſcheinung 
zeigt fih auch in anderen Zweigen der Thätigkeit. 


(d) Man Hat die redliche und unredliche Concurrenz unterfchieden und 

gehoft; diefe werde durch firenge Zunfteinrichtungen verhütet werben. 

er ſtaͤrkſte Abhaltungsgrund von ſchlechten Mitteln zum Gewinn liegt 

aber in der Weberzeugung, daß man durch Gebrauch derfelben das 
Bertrauen der Käufer und fomit feine Nahrung verliere. 


8. 19. 


3) Unterdbrüdung der Fleinen Unternehmer burd 
die großen (Babricanten). Daß durch jene große Maaßregel bie 
Entftehung größerer Unternehmungen erleichtert wird ($. 187) 
und daß ein Theil der Handwerker durch das Mitwerben ber 
Babrifen empfindlich Teidet, ift nicht zu verhindern, aber unge 
achtet der vorübergehenden Nachtheile ift dieſe Wirfung im 
Ganzen genommen nuͤtzlich, weil die Gütererzeugung verbeflert 
und vergrößert, das Volkseinkommen vermehrt wird und weil 
das Bolf fi hiedurch in dem Mitwerben mit dem Auslande 
leichter behaupten kann, I, $. 399. 403. Zur Beruhigung 
dient biebei außer den allgemeinen volkswirthſchaftlichen Er—⸗ 
wägungen noch inöbefondere, daß die &ewerbefreiheit eine 
Menge von Auswegen darbietet, auf denen man fich neue Ers 
werbsquellen fuchen kann, — ferner daß in vielen Gewerbs⸗ 
zweigen die Handwerker ſich mit verftärktem Kunftfleiße neben 
den Babricanten zu erhalten vermögen (I, $. 399), zumal 
wenn fie durch gute Lehranftalten fich eine höhere gewerbliche 
Bildung aneignen ($. 222), oder durch Vereine (Affociationen) 
ſich manche Bortheile verfchafferr, die fonft nur den Fabriken 
eigen find, $. 199. 


$. 194, 


Bei der Einführung eines größeren Maaßes von Gewerbes 
freiheit find einige, in ben beftchenden Rechtöverhäftniffen lies 
gende Schwierigkeiten zu befeitigen. 








—y — 


1) &8 giebt fog. reale, d. i. übertragbare (verfäufs 
liche und vererbliche) Gewerbsrechte, welche als Brivatrechte und 
folglich als Theile des “Privatvermögend angeſehen werben, 
nicht des Bolfövermögens, I, 8. 49 a. Sie entftanden zuerft 
bei ſolchen Gewerben, deren Betrieb ein Gebäude mit einer 
bejonderen Einrichtung fordert, 3. B. bei Brauereien, Mühlen, 
Gafthäufern, und bei denen baber geftattet wurde, daß mit dem 
Gebäude zugleich das zugehörige Gewerberecht an den Käufer 
überging, nur mit dem Vorbehalte, daß der neue Erwerber 
feine perfönliche Befähigung darthue; — radicirte, dings 
lihe Gewerbsrechte (a). Späterhin Famen auch folche 
reale Gewerbe auf, die nicht an Häufern haften (nicht rabicirt 
find), 3. B. in Folge der feften Zahl von Berkaufsplägen, wie 
bei den Fleiſcherbaͤnken. Diefe übertragbaren Gewerborechte 
waren audfchließlich, d. h. Niemand konnte das Gewerbe be- 
treiben, ohne eine Berechtigung erfauft oder anderweitig er: 
worben zu haben, die ihn jedoch des Nachweifed der erforder: 
lichen Faͤhigkeit nicht überhob. Hatte fi) auch hie und da 
die Regierung vorbehalten, im Falle des Bedürfniffed neue 
Gewerbörechte verleihen zu dürfen (db), fo wurde doch hievon 
fo felten Gebrauch gemacht, daß man beim Kaufe eines Redys 
te8 hierauf nicht achtete. Diefe Einrichtung erfchwerte ben 
Zutritt zu den Gewerben, indem fie dem angehenden Meifter, 
der ohnehin ein Capital in fein Gefchäft zu wenden hat, nod 
eine weitere Ausgabe auferlegte. Mit der Breigebung der Ges 
werfe fällt der Grund weg, aus dem man biöher ein Gewerbs⸗ 
recht Faufte, daher können die jegigen Inhaber eines ſolchen 
und deren Familien die dafür bezahlte Summe nicht mehr burd) 
ven Verkauf zurüderhalten. Ob biefer Verluft einen Anfprud) 
auf Entfchädigung begründe, die ift ſtreitig. Die verneinende 
Beantwortung wird barauf geflügt, daß ber Berechtigte nad) 
der Einführung ber Gewerbefreiheit nicht aufhöre, dad Gewerbe 
zu betreiben und eine Abnahme des Ertraged zufolge dieſer 
gefeglichen Veränderung oft gar nicht eintrete, auch fehr ſchwer 
zu bemweifen fein, — daß bei längerem Betriebe der anfaͤnglich 
entrichtete Raufpreid in dem bezogenen Gewinn feine Vergütung 
gefunden habe (c). Allein wenn auch dieſe anfängliche Aus⸗ 


lage in dem Gewerböverdienft genügende Zinfen und "nod) 
Rau, yolit. Dekon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 3 


— 31 — 


weiteren Ueberfchuß getragen hat, fo bleibt doch ber Nachtheil 
. der aufbörenden Rüderftattung, die auch bei unvollftändiger 
oder ganz ausbleibender Berzinfung theilmeife zu erwarten war. 
Bei einträglihen Gewerben durfte fogar auf das Steigen bed 
Preiſes der Berechtigung gehofft werden (d). Diefe Betrach⸗ 
tung führt zu folgenden Sägen: 

a) Eine Entihädigung fann nicht angefprodyen werben, 
wenn bei einem Gewerbe Feine Zuficherung der Ausſchließlich⸗ 
feit gegeben, jondern nur bie Uebertragung zugelaffen wor: 
den if. Der Käufer erwarb die Berechtigung mit einer Gelb: 
fumme, weil in biefem Galle die Weberlegung, ob ber neue 
Bürger eine geficherte Nahrung haben werde, hinwegfiel, es 
fteht aber in der Befugniß der Regierung, diefe ‘Prüfung ber 
MWahrfcheinlichkeit ded Fortkommens allgemein abzufchaffen (e). 

b) Bei radicirten Gewerben fann oft bie Entfchädigung 
ganz oder theilmeife unnöthig fein, wenn wegen der günfligen 
Befchaffenheit und Lage des Gebäubed, auf dem dad Recht 
ruht, und bed verinehrten Abſatzes auch fpäter ein gleich hoher 
oder wenig erniebrigter “Preis zu vermuthen ift (f). Diefe 
Gewerbsrechte find die zahlreichften und ihr Anfchlag bildet 
ten größten Theil des gefammten Betrages, ed ift aber ſchwer 
zu fehäßen, welcher Theil des biöherigen Preifed muthmaaßlich 
verloren gehe, wa® genau genommen bei jeder einzelnen Be: 
rechtigung erforfcht werden müßte (9). 

c) Bei Gewerbsrechten, die nach a auf eine Vergütung An- 
fpruch geben, ift diefelbe mit Rüdficht auf die legten Kaufpreiſe 
und auf die in jedem Ort und Gewerbe obwaltenden Amftände 
auszumitteln, wozu eine ausführliche Anweifung aufgeftellt und 
eine fachkundige, unparteiiſche Schägungscommilfion für jede 
Stadt und jeden Bezirk zu beftellen ift (A). 

d) Bon der Entfhädigung kann ein Theil von ber Staats⸗ 
cafe übernommen, ein Theil aus Abgaben der neu hinzutres 
tenden Meifter allmälig getilgt, auch bei Gewerben von haupt: 
fächlich Srtlihem Abfag ($. 191), ein Theil der Gemeinde aufs 
erlegt werden (k). 

2) Bei dein Aufhören ber bisherigen Zünfte ift auch für 
die Bermögensverhältniffe derfelben zu forgen. Ihr reines Ber- 
mögen barf nicht unter die Mitglieder vertheilt, es fann aber 





nach Beſchluß berfelben einem neu entſtehenden Berein, welcher 
die Genoſſen des betreffenden Gewerbes aufnimmt, oder einem 
anderen gemeinnüßigen Zwede mit obrigfeitlicher Genehmigung 
zugewendet werden (k). Ueberfteigen die Schulden einer Zunft 
dad Bermögen, fo ift die Haftung der bisherigen Mitglieder 
nicht ungerecht, aber fie mag in einzelnen Faͤllen unbillig er- 
fheinen, weßhalb die Uebernahme auf die Staatscaffe den 
Vorzug verdient (2). 


(a) Solche Gewerbörechte werden 3. B. in Defterreih und Baiern aus: 
fhließlih reale genannt und den radicirten entgegengefebt. Kopetz 
I, 184. Die hannov. &.:D. v. 1847 nennt fie übertragbare. 


(2) 3. 3. bannov. ©.:D. 6. 27. 28: Es fünnen neue Betriebsrechte er: 
theilt werden, wenn die vorhandenen ausfchließlihen gar nicht oder 
mangelhaft ausgeübt werten, oder wenn fie für das Bedürfniß nach⸗ 
haitg nicht genuͤgen. — In Baden werden nicht ſelten neue Apotheken 

an Orten zugelaſſen, die bisher in das Abſatzgebiet der Apotheker be 
nachbarter groͤßerer Staͤdte gehoͤrt hatten. ird eine neue Apotheke 
in einer Stadt erlaubt, wo ſich ſchon eine oder mehrere befanden, ſo 
muß der Bewerber die Haͤlfte des Preiſes, den eine Berechtigung am 
Orte hat, in die Staatocaſſe entrichten. Für die Beibehaltung der 
Realgerechtigkeiten und den Verkauf neuer Meifterrechte zum Beflen der 
Staatscaffe: Beicheidene Anfichten über eine mögliche Verbefferung des 
öffentlichen Credits durch WModification des jebigen Gewerbeweſens, 
Berlin, 1827. — Ueber die Geſetzgebung mehrerer Staaten in diefem 
Bunete vgl. Kleinfhrod, Beiträge, ©. 183. — In Oeſterreich iſt 
fhon früher viel zur Ginfchränfung diefer Mechte geſchehen. Es dürfen 
feine neuen ertbeilt und die beftehenden Fünftig nicht höher ale bei dem 
Iepten Veräußerungsfalle verkauft werden (Normalpreis; für Nieder 
öflerreih von 1782 und 1783 verordnet). Auch if die Grtheilung 
neuer perfönlicher Rechte geftattet, nur daß der Preis ber verfäuflichen 
nicht zu fehr berabgebrüt werden darf. Kopotz, I, 203 ff. — In 
Baiern follte nah V. v. 1. Dec. 1804 feine Veräußerung ohne obrig- 
feitliche Genehmigung gefchehen. Das Gef. v. 11. Sept. 1825 fichert 
dagegen ben rechtmäßigen Erwerbern eines realen Gewerbsrechtes die 
Eonceffion zu und feittem wurden viele folde Rechte wieder zur An: 
erfennung angemeldet. Man zählte 1855: 74619 reale und rabiciıte 
Rechte mit einem Anfchlage von 688416318 fl.! — Die 7 Sünfte ra: 
dicirter und realer Gewerbe in Nürnberg berechneten (f. deren Bor: 
ſtellung v. 1831) die Anfaufspreife der 100 Gaſtwirthſchaftsrechte Ir 
und ?r Glafle auf 700000 fl., der 81 Mehlhaͤndler⸗ (Bragner:) Bere: 
tigungen auf mehr als !/s Mill. fl., auf denen über die Hälfte mit 
Hypotheken belaftet find, der 10 Eſſigmacher (Hefner) zu 102000 fl., 
ber 12 Goldfhläger zu 30000 fl., der 29 Barbiere zu 60— 70000 fl., 
allein die fpäteren Preife waren viel niedriger. Die Nürnberger Reals 
rechte der Wärber wurden preislos, weil den Fabriken das eigene Färben 
ihrer Erzeugniſſe geftattet werben mußte. 

(ec) PBözl a. Beriht S. 253, doc giebt der Df. zu, daß eine Entichä- 
digung der Billigfeit entipreche, ©. 256. — Bülhau a. a. O. ©. 149. 
Zweifel bei Lotz IL, 140. — Bei der Menge der Realrechte in Baiern 
Hat dieſe Streitfrage befondere Wichtigfeit, während 3. B. in Baden 
nur bei Apothekern und Wirthshäufern reale Nechte, bei letzteren aber 
nur zum Theile, vorfommen. 

3* 


(d) Auch die Hypothefengläubiger der Berechtigten find betheiligt. 


(e) 


02) 


Das ſaͤchſiſche Entſchädigungsgeſ. v. 15. Dct. 1861 läßt nur eine Ber: 

ütung zu, wenn ein Berbietungsrecht gewifler Gewerbsleute gegen 
Andere durch beflätigte Innungsartifel begründet, durch die Regierunge- 
bebörde oder rechtliche Entſcheidung anerfannt und mit dem Befig eines 
Grundftüdes verbunden ober fonft im Grund: und Hypothekenbuche 
eingetragen iſt, ober wenn es auf einem Privilegium beruht. — Das 
würtemberg. Gefeg vom 8. Juni 1849 fordert ($. 17) als Bedingung 
der Entſchaͤdigung eine ausichliegliche Berechtigung durch einen privat: 
rechtlichen Tıtel, weldyer die Obrigkeit verpflichtete, „feinen mit den Be 
rehtigungsinhabern concurrienden Gewerbebetrieb in dem Orte oder 
Bezirke zu verwilligen oder zuzulaſſen.“ 


Es könnte auch bei einem nicht an ein Haus, gefnüpften Rechte, wo: 
ferne es ein betraͤchtliches Capital erfordert, vorfommen, taß die Ge 


raͤthe, Maſchinen, Borräthe ıc. und die Hoffnung des Geſchaͤftonach⸗ 


() 


(A) 


() 


folgers, den Abfag feines Vorgängers zu erhalten, diefem einen ebenio 
en Verkauſ möglih machen, als zur Zeit der beftehenden 
ealrechte. 


Unter den baierifchen übertragenen Gewerbsrechten machen die in ben 
10 (radicirten) Gewerben der Müller, Bierbrauer, Gaſtwirthe, Tafern: 
wirthe, Bäder, Schmiede, Bierwirthe, Krämer, Mebger und Kaufleute 
beftehenden 55 Proc. der Anzahl, aber 71 Proc. des angeichlagenen 
Verwerkehrswerthes, naͤmlich 49 Mill. fl. aus, die der Muͤller allein 
12 Mil. fl. Unter den nit rabieirten find die der Schuhmacher 
(1 Mill. fl.) und Schneider (740496 fl.) die beträcdhtlihften. Im 
Durchſchnitt ift der Anſchlag eines Rechtes bei den obigen 10 @ewerben 
1183 fl., und zwar bei Handelsleuten 3476 fl., Bierbrauem 1905 |l., 
Saftwirthen 1366 fl., Müllern 1266 fl., bei Schmieden nur 519 |. 
Unter den übrigen Gewerben befinden ſich jedoch auch noch radicirte, 
3. 8 3 leichen zuſammen zu 27000 fl., eine einzige Pfannenſchmiede 
zu 7000 Al. 


Mo eine Entihädigung verlangt werden kann, da beſteht der Schaben 
ber Realberechtigten nad ben obigen Sägen nicht bloß in der gerin- 
geren Dersinfung des Grwerböpreiles, fondern auch in dem Betrage 
des letzteren ſelbſt. Die wirklich bezahlten Preiſe find zu wechielnd 
und von zufälligen Umftänden bedingt, um ganz maafgebend fein zu 
fönnen. Die Schäßung iſt fchwierig und umſtaͤndlich, doch wird man 
bei genauer Unterfuchung der Umflände Anhaltepuncte zur Gileichterung 
finden. Pözl a. a. O. fchlägt vor, die Eäbe der Gewerbfleuer zu 
enugen. 


Preuß. Edict v. 7. Sept. 1811, $. 32 ff. Die Berechtigungen wer: 
den nach dem Preife, den fie am Tage vor der Ginführung der Gewerb⸗ 
heine hatten, mit 4'/s Proc. verginfet und allmälig getilgt, und zwar 
uerſt diejenigen, welche noch unter jenem Preife angeboten werten. 
ür jede einzelne Berechtigung müffen jährlid 6 Proc. biejes Preifes 
von fämmtlichen Unternehmern des betreffenden Gewerbes aufgebracht 
werden, fo dag nad Abzug der Zinfen noch 11/s Broc. zur Tilgung 
bleiben, wozu aud das Zunftvermögen verwendet wird. Der Bollzug 
dieſes Geſetzes fand große Schwierigfeiten und Dergögerungen- Die 
Declaration v. 11. Juli 1822 fchreibt eine nachdruͤckliche etreibung 
ber Sade vor, fo daß in 30 Jahren die Ablöfung beendet wird; bie 
Magiftrate müflen das Geſchaͤft beforgen, es ift auch den Gemeinden 
geftattet, den Erfolg durch Zufchüfle zu beichleunigen, fo wie fie ohnehin 
den auf die Berechtigten fallenden Theil der Abgaben (den dieſe nicht 





zu tragen ſchuldig find) aus Hädtifhen Mitteln decken müflen. Zeller, 
Gewerbe⸗Pol. I, 331. — Hoffmann, Die Befugniß ıc. S. 68.81. — 
In Breslau wurden bie realen Gewerbsrechte 1810 auf 1165320 Rthlr. 
geſchätzt und von der Stadtgemeinde vergütet. — In Würtemberg wird 
bei ausfchließlihen Realtechten die Hälfte des Erſatzes von der Staates 
caffe, die andere Hälfte von der Gemeinde geleiftet. Gef. v. 8. Juni 
1849 8. 16. Billih, S. 96. — N. fähf. Gef. von 1861 $. 11: 
Im Kal eines Privilegiums bat der Staat, fonft die Stadtgemeinde 
Die Entihädigung für das VBerbietungsreht in 3 proc. Schuldbriefen 
zu feiften, welde binnen 10 Jahren zu tilgen find. Die Staatscaffe 
fhießt der Stadtgemeinde in diefen 10 Jahren 9 Proc. des Geſammt⸗ 
betrages zu. Die Gemeinde kann biezu das Zunftvermögen unb Bei: 
träge von den Gewerbtreibenden zu Hülfe nehmen. 


Sächſ. Gel. $. 94: an die Gemeinde, wenn fi die Innung auflöfl, 
ohne fich mit einer anderen zu vereinigen. — Würt. $. Baden 
$. 27 wie in obigem Vorſchlage. — Reyſcher (Zünfte oder freie 
Senofienihaften? Wem foll das Zunftvermögen zufallen? Stuttg. 1861) 
befämpft den würtemberg. Beiegentwuf, nad) weldyem das Vermögen 
der Amtsförperfchaft oder der Gemeinde zufallen fol und zeigt, daß 
daflelbe der Zunft gebühre, wenn fie ald freier Verein fortbefteht. 


() Im Raffau wurde 1822 die Liquidation der Zunftichulden beendet, welche 
fammt den rüdftändigen Binfen mit 8336 fl. von der Landesſteuercaſſe 
übernommen wurden. Protoc. der Deput.:Berfammi. 1822. ©. 218 ff. 
— In Breußen darf feine Zunft fih auflöfen, ohne nachzuweiſen, wie 

‚ ihre Schulden bezahlt werden follen. Ed. v. 7. Sept. 1811, $.21. — 
Würt. Gew.-G. 6. 59: nöthigenfalle eine Auflage auf die bisherigen 
Bunftmitglieder nach der Gewerbſteuer. 


(k 


— 


8. 195. 


Auch bei voller Anerkennung ber Hemmniſſe, welche ber bis⸗ 
berige Zunftzwang dem Gewerbfleiße in den Weg ftellte, und 
der Bortheile einer freien Bewegung bed legteren läßt fich doch 
bezweifeln, ob es unter allen Umftänden rathfam fei, bisherige 
Beihränkfungen, die theild in der Zunftverfafiung, theild in 
Regierungsverorbnungen begründet find, plöglich und vollfländig 
aufzuheben. Es find Berhältniffe denkbar, unter denen es zur 
Vorbereitung einer gänzlichen Freiheit und zur Beſchwichtigung 
herrſchender Beforgnifie befier fein mag, mit ber Entfernung ber 
häblichften Zwangseinrichtungen den Anfang zu machen und 
et fpäter auch den Reft derfelben hinwegzunehmen. Ein ſolcher 
Rufenweife erfolgender Uebergang zur Gewerbefreiheit Eönnte fo 
geihehen, daß 

1) ein Theil der Handwerke ſogleich dem Zunftzwange ent 
hoben würde, namentlich folche, die ein anfehnliches Capital 
erfordern, oder für auswärtigen Abfag arbeiten, ober die nur 
eine Heine Zahl von Meiftern und Gehülfen befchäftigen 





oder als landwirthſchaftliche Nebenbefchäftigungen anzuſehen 
find (a). . 

2) Daß auch bei den noch bleibenden Gewerken ein Theil 
ber Vorfchriften, 3. B. der Zwang zur Lehrzeit und zum Wans 
dern der Gehülfen entfernt, die Annahme von Hülfsarbeitern 
beliebiger Art freigegeben und nur noch bei cinem Theile der 
Handwerke eine zwedmäßig eingerichtete Prüfung beibehalten 
würde. Allmälig wird dieſe als unnöthig erfannt werden und 
ed fteht dann ihrer Abichaffung nichts mehr im Wege (b). 

In Deutſchland Hat fi) in ben legten Jahren die Aner⸗ 
fennung ber Vortheile der Gewerbefreiheit unter dem Bürgers 
ftande in ſolchem Maaße verbreitet, und das Bedürmiß, dem 
Heinen Betriebe der Gewerke durch Wegräumung ber herkoͤmm⸗ 
lihen Befchränfungen zu Hülfe zu kommen, ift fo lebhaft em- 
pfunden worden, daß bie Regierungen, die Ständeverfammlungen 
und felbft die Vereine von Gewerbtreibenden großentheild eine 
weitere Vorbereitung ber oben bezeichneten Art nicht mehr für 
nöthig erachtet haben. 


(a) In Baiern find frei: die Leinweberei, Gewerbe, welche wiflenfchaftliche 
Kenntniß oder höhere Kunſtfertigkeit erheifchen, Verfertigung von Frauen: 
fleidern und Frauenputz duch Wrauensperfonen, von Barfümerie-, 
Galanteries und Modewaaren, von einzelnen Theilen gewifler Hant: 
werfswaaren, 3. B. Uhrrädern, von hölzernen Geräthichaften. ei. 
v. 1825. 6. 8. — Oſtfrieſ. Zunftordnung, $. 16 ff. : Leinweben, Bier: 
brauen, Branntweinbrennen. — Kurheſſ. 3.:D8. $. 12 ff.: Weberei und 
Tuchbereitung , Berfertigung von Kleidung und zug für das weibliche 
Gefchlecht Durch rauen, und auf den Dörfern noch Schmiede, Wagner, 
Zimmerleute, Maurer, Dachdeder, Töpfer, Schuhflicker, Bauernfchneider: 
aber diefe unzünftigen Dorfhandiwerfer dürfen Feine Gefellen und Lehr: 
linge halten. — Die würt. Gew.-Ordnung von 1828, revidirt 5. Aug. 
1836, ſtellte 44 zünftige Handwerker auf.- Dod war die Berfertigung 
der in diefelben einichlagenden Waaren frei, wenn fie für eigenen Haus: 
gebraud, in einer Shar: oder Wohlthätigfeits:, oder für eine Staats⸗ 
anftalt, oder fabeifmäßig (in Folge beſonderer Conceſſion) geſchieht. 
Die Leinweberei iſt als Nebengeſchaͤft erlaubt, doch ohne Geſellen und 
Lehrlinge, und die Berfertigung weiblicher Kleidungsſtücke durch Frauens⸗ 
perionen ebenfalls freigegeben, 8. 71 —73. Die Zunftmeifter hatten 
freie Wahl der Gehülien, ohne Rüdfiht auf Geſchlecht, Stand ıc., 
$. 57. — In Deflerreich unterihied man bei den nicht zünftigen Nah: 
rungszweigen 1) freie Gewerbe, die Jedermann offenftehen, 2) unzünf: 
tige Gewerbe im engern Sinne, die von den Staatsbehörden überwacht 
werden. Bei diefen wurde in Wien eine Probearbeit, in Böhmen nur 
irgend ein Nachweis der Beichiclichkeit gefordert. Kopetz, I, 106. 
— Borfchläge für die Feſtſetzung der freien Gewerbe bei Kleinfchrod, 
S. 160. — Rettiga. a. D., S. 175. 

(8) Die würbe A| B. bei ſolchen Gewerken geſchehen, wo die Mangelbafr 
tigkeit der Waare nicht fogleih zu erkennen ifl. Bei den Prüfungen 





müßte jede Barteilichfeit verhütet werden. Sie würden von Behörden 
(Sommiffionen) angeftellt werden, vie theils aus vorzüglich gefchulten 
Gewerbsleuten, theils aus wiflenfchaftlich gebildeten Slännern (Techno: 
Iogen) beftehen, auch müßte eine Berufung an eine höhere Behörde ge: 
fattet fein. — Das baier. Gewerbegeſetz v. 11. Sept. 1825 Art. 5. 
erfordert zu jeder Gewerbs⸗Conceſſion die perfönlihe Faͤhigkeit des Be: 
werbere. Nach der Bollziehungsinftruetion hiezu vom 28. Dec. 1825 
(Reg.:Bl. 1825. Nr. IV.) wurden Prüfungs-&ommiffionen gebildet, 
vor denen ber Bewerber feine Befähigung auf mandhfaltige Art dars 
thun Eonnte ($. 52.), 3. B. wenn er einer Unternehmung mehrere Sabre 
mit gutem Grfolge flatt eines Meifters vorſtand, wenn er gute Zeug: 
nifle vorlegt, ſich auf einzelne gelungene Arbeiten beruft 1c. Es war 
in jedem alle der Cemmiſſion geftattet, noch weitere Proben zu ver: 
langen. Zwei Beflimmungen hierüber find vielfach getabelt worben, 
naͤmlich daß es dem Bewerber frei ftand, bei welcher Commiſſton er 
fih prüfen laſſen wollte ($. 61. Nr..3), und daß er auch nach dem 
verwerfenten Urtheil der einen fih nod an eine andere wenden durfte’ 
($. 62. Rr. 6.). Dan glaubte ſchon ohnehin den Bewerber gegen 
jede Bedrückung geſchützt, da berfelbe zwei Sachverſtändige vorſchlagen 
fonnte, die in der Bommifflon mitflimmten, und da ter Vorſtand der: 
felben fein Mitglied des Gewerkvereines war, $. 61., Untertb. Bor: 
ſtellung der Gewerksvorſteher Ansbachs, 1831, Ar. X. Hagen, ©. 110. 
Deffen Bericht in den Verhandl. d. K. d. Abgeordneten v. 1834, Bei: 
lage V, 159. Man verlangte dagegen, daß Jeder nur von der Com: 
milfton feines Ortes geprüft werden fönne. Die erwähnte Inflruction 
wurde aufgehoben, Landtagsabſchied vom 1. Juli 1834, Mr. I. lit. Q. 
— Neue Bollzugs:B. v. 17. Dec. 1853. Die Wahl der Prüfungs: 
Commiſſion bleibt Dem Bewerber freigeftellt. Commiſſionen der 1. Glafle 
werden in unmittelbaren Städten errichtet, wo fih eine polytechnifche 
oder eine Gewerbeſchule befindet, von der ein Lehrer beigezogen wird. 
Die Prüfungszeugnifle dieſer Commiſſionen ermächtigen zum Gewerbe: 
betriche in allen Orten, die der Eommiffionen 2. Claſſe (an allen 
Sigen einer Bezirköpolizeibehörbe) nur zum Betriebe in Fleinen Städten 
und Dörfern. — Denefte Pollzuge:I. v. 21. April 1862: In der Regel 
ift eine Prüfung erforderlih. In jeder Stadt, weldye eine technifche 
Lehranftalt Hat, wird eine Prüfungscommilfion errichtet, deren Vorſtand 
ein Mitglied ter Gewerbspolizeibehoͤrde iſt; Theilnehmer find: ein Ab⸗ 
geordneter tes Gewerberaths, ein Lehrer der polytechnifchen ober Ge: 
werbsihule, 2 Gewerbsleute des betreffenden Gewerbezweiges aus ber 
Stadt. Mer beteht fann in allen Gemeinden Bonceffionen nachſuchen 
und die Wahl der Brüfungscommilfionen fteht jedem Bewerber frei. — 
Preuß. V. v. 9. Febr. 1849. $. 37—39: bei jeder Zrnung eine Prü- 
fungscommifflon aus i Mitgliede der Bemeindebehörde als Vorfigenden, 
2 gewählten Meiftern und 2 Gefellen. Man kann gegen eine ungün: 
Rige Entſcheidung Berufung an bie Kreis + Prüfungs Commiffion ein: 
legen, welche einen von der Megierung ernannten Gommiflär und 
ine 4 Mitglieder wie die Ortscommiſſion in fi begreift. — Nach 
dem würt. Bel. v. 5. Aug. 1836 $. 48 beftand die Sommilfion aus 
dem Obmann ber Zunft, 2 Zunftmeiltern und 2 vom Amte beigegebenen 
Mitgliedern. Der Bewerber konnte nody einen Meifter hinzufügen, bie 
Beiziehung wiflenihaftlic gebildeter Männer wird den Aemtern em⸗ 
pfohlen. Inflruct. v. 20. März 1851 $: 55. Die Prüfung beftand 
aus Fragen zur mündlichen oder fchriftlichen Beantwortung und aus 
Arbeitsaufgaben, ebd. $. 60. — Die hannov. Gewerbe: D. v. 1. Aug. 
1847 und Vollzugsverordnung v. 15. Det. 1847 $. 86 führt das 
Neifterftäd wieder ein. 


— 4 — 


8. 196. 


Bei der Herſtellung einer vollſtaͤndigen Freiheit des Be⸗ 
triebes von Gewerken, Hanbeld= und Dienſtgewerben find vers 
ſchiedene geſetzliche Beſtimmungen nöthig, um dieſe große Ver⸗ 
änderung in zwedmäßiger Weiſe auszufuͤhren. Die wichtigſten 
biefer, in die neueflen Gewerbegefebe aufgenommenen nord: 
nungen betreffen nachſtehende Gegenftände: 

1) Die Bedingungen, unter denen die Ergreifung eines 
Gewerbes geftattet ift, müflen im Geſetz genau bezeichnet werben. 
Sie find in der Regel fo einfady und leicht zu. erkennen, daß 
in ben einzelnen Allen Feine Erlaubniß ertheilt, fondern nur 
eine Anzeige gemacht und darauf die Anerkennung der Berech⸗ 
tigung bezeugt zu werden braucht (a). Es ift 

a) feinesweged nöthig, daß der angehende Gewerbömann 
das Bürgerrecht in der Gemeinde befiße, in ber er fein Gewerbe 
betreiben will, vielmehr ift die Freiheit, fich an einem anderen 
Orte niederzufaflen, fehr nüglih, um eine Ausgleichung von 
Begehr und Angebot zu befördern und der übermäßigen Be 
feßung eined Gewerbes an einem einzelnen Orte abzuhelfen (b). 
Es if auch nicht einmal nöthig, daß der neue Meifter dad 
Bürgerrecht irgendwo erworben habe, wenn er nur in eine 
Gemeinde feine Heimath hat und fomit den Anfpruch auf Ber 
forgung im Falle der Berarmung befigt (c). Unter biefer Bor: 
ausfegung und wenn ed in anderen Staaten ebenfo gehalten 
wird, ift auch die Zulaffung von Ausländern zwedmäßig (d). 

b) Das erforderliche Alter ift mit Rüdfiht auf andere ge 
fegliche Alterövorfchriften, insbeſondere für Volljaͤhrigkeit (e) 
und Bürgerrecht (Anfäpigfeit) feftzufegen. Wo das lebtere 
durch ein höheres Alter bedingt iſt, ald die Volljährigfeit, da 
fann bie legtere aud) ald zum Gewerböbetriebe genügend ange 
nommen werden, weil doch meiftend nur in befonberen Um⸗ 
fländen, die eine Dispenfation rechtfertigen würden, bavon 
Gebraudy gemacht werben wirb (f). 

c) Es ift im Allgemeinen fein Grund vorhanden, zwifchen 
beiden Gefchledytern einen Unterjchieb zu machen (g). 

(a) Eine Anmeldung bei der Orts⸗ oder Bezirksbehoͤrde iſt unerlaͤßlich fo: 


wohl der Gewerbfteuer willen, als darum, weil fonft nicht unterfucht 
werden Eönnte, ob der Niederlaffung an einem anderen ald dem Hei: 








(6) 


(e) 


(d) 


(e) 


— 4 — 


mathsorte nichts im Wege Recht und ob bie befonderen, bei verfchies 
benen Gewerben vortommenden Bedingungen (6. 197 a) erfüllt find. 
Dem Bewerber wird ein Gewerbſchein (öfter. Gef. 5. 14. 15, ſächſ. 
Ge. $. 7, würt. Gef. 5. 4, bad. Vollzugs⸗V. $. 10) ausgeflellt. 


Diefe Beſtimmung ift den neueſten beutichen Gewerbsgeſetzen gemein, 
3. B. Oeſterreich F. 16, Sadfen $. 3, Würtemberg $. 5, Baden 
$. 1. 2. — Uebrigens gelten Hiebei die allgemeinen Landesgeſetze, nad) 
denen die Riederlaffung in einem anderen als dem Heimathöorte wegen 
der Armuth oder verübter Vergehen ıc. unterfagt oder wieber aufge 
fünbigt werden kann; 3. DB. bad. Geſ. 4. Dct. 1862. 


Der dep des Bürgerrehts gewährt fo viele Bortheile, daß die meiften 
Sand baffelbe da, wo fie ihren Wohnfis fortdauernd zu nehmen 
gedenken, von felbft erwerben werben, wenn dieß nicht zu fehr erſchwert if. 


Der Gewerbsbetrieb der Fremden ift in den neueften Geſetzen bald von 
befonderer Staatserlaubnig (Oeſterreich F. 10, Naſſau $. 7, Sachſen 
$. 17. 18), bald von der vertragsmäßigen Gegenſeitigkeit bedingt 
(Defterreih F. 10, Oldenburg $. 14). In Baden iR derfelbe frei, doch 
fann durch Verordnung eine Ausnahme feitgefeßt werden gegen Staaten, 
in denen Befchränfungen beflehen, F. 3. 


Das bad. Gef. $. 1 fordert nicht einmal Solljäbrigfeit. Ein Rinder: 
jähriger if ohnegin an den Beiſtand feines Bormundes gebunden und 
in einzelnen Faͤllen, 3. B. nach dem Tode ber Neltern, kann die Be⸗ 
treibung eines Bewerbes für einen Minderjährigen wünfchenswerth fein ; 
in der Regel kommt fie nicht vor. 


) Hierüber ift viel geftritten worden, 3. B. in Baden, Berhandlungen 


der Beiräthe zur 2. Lefung des Entwurfes und der 2. Kammer. 0 
die Volljährigkeit erft mit dem zurü eegten 24. oder 25. Sahre ein- 
tritt, da haben die Gewerbs⸗Geſetze dieß Alter aufgeftellt, — Defterreidh, 
Württemberg, Oldenburg, Bremen. — In Sachſen, wo die Volljährig: 
feit mit 21 Jahren eintritt, iſt doch der Gewerbebetrieb erft nad 
24 Jahren erlaubt, außer wenn ein Gewerbe geerbt wird. — In Baden 
wird man mit 21 I. volljährig, darf erft mit 25 3. Bürger werden 
und Heiratben. Für dieß höhere Alter fpricht die größere Meife bes 
Charaktere und der gewerblichen Ausbildung, die Schwierigfeit bes 
Sewerböbetriebes für einen Unverheiratheten und die Benachtheilung 
der zum Waffendienſt Gingereibten, bie erſt mit 26 I. frei werden. 
Dagegen wurde hauptſaͤchlich geltend gemacht, daß es feinen hinreichenben 
Grund gebe, von den Rechten des VBolljährigen nur in dieſem einzigen 
Buncte eine Ausnahme zu machen. 


Die Borichriften der neuen Befehe, nach denen eine efrefung, wegen 
gewiffer Verbrehen oder Vergehen zur Betreibung beflimmter Gewerbe 
unfähig macht, bezieht fidh weniger auf Gewerke, als auf Handel: und 
Dienftgewerbe , ; 3. Commiſſions⸗ oder Geſchaͤftsbureaus, Makler, 
Pfandverleiher, Sefindeverbinger, Gaſtgeber, Tanzichulensce. Bat. G.⸗G. 
6. 5. 


8. 197. 
2) Was den Gegenftand und Umfang der Gewerbsberech⸗ 


tigung betrifft, fo war es ſowohl bei dem Zunftzwange, als bei 
der nach dem Beweife der Fähigkeit ertheilten Staatderlaubniß 
nothwendig, daß jeder angehende Gewerbömann einen gewifien 


—4 — 


Gewerbzweig bezeichnete, dem er ſich widmen wollte. Jeder 

Zweig bildete ein beftimmtes Gebiet von gewerblichen Verrich⸗ 

tungen unter einem gewiflen Namen. Um bie vielen Streitig⸗ 

feiten und Unbequemlichfeiten, die mit einer ſolchen Scheidung 
ber Gefchäfte verbunden waren ($. 184), zu befeitigen, wurden 
zunächft manche Berrichtungen mehreren Gewerben zugleich ges 
ftattet; noch wirffamer war es, verwandte Gewerbe zu ver: 
einigen, fo daß es dem Unternehmer frei ftand, fich innerhalb 

bed größeren Ganzen feinen Wirfungdfreis zu wählen (a). 

Wird aber der Zutritt von den bisherigen befchränfenden_ Be: 

flimmungen befreit, fo fällt der Grund einer fcharfen Abgränzung 

hinweg und ed fann Jedem überlaffen werden, welche Verrich⸗ 
tungen der Umgeftaltung und Bereblung von Stoffen fowie 
bed Handels mit Gegenftänben dieſer Thätigfeit er betreiben 
will, um feine Gefcdhidlichkeit und fein Capital am vortheil 
hafteften zu benugen. Der Gewerbömann ift nicht gehindert, 
zwei oder mehrere biöher getrennte Gewerfe mit einander zu 
verbinden und Hülfsarbeiter aus benfelben anzunehmen, auch 
fein Gefchäft an mehreren Orten audzuüben. Der beftehenden 

Gewerbfteuergefege wegen müflen die in denfelben aufgeführten 

Namen der Gewerbszweige einftweilen beibehalten werben, es 

ift aber zwedmäßig, biefelben fo umzuänbern, daß fie einen 

weiteren Kreis von Geſchaͤften umfaflen und die Befteuerung 

vereinfacht wird (5). 

(a) Es gab fihon bisher Hie und da fehr ausgedehnte Zünfte, 3. B. bie 
Bauzunft, zu welder in Die (Herz. Naſſau) Maurer, Zimmerleute, 
Steinhauer, Schloffer, Dredsler, Schmiede ıc. gehören; ferner die 
Hammerzunft sc. Bgl. Sikungsprotofolle der naflauifchen Herrenbanf, 
1819, Beil. S. 372. — Nah dem preuß. CEdict v. 7. Sept. 1811 
6. 65 ff. umfaßt der Gewerbſchein auf feine Holzarbeit Tifchler-, Stuhl: 
macher⸗, Gbeniften:, Drechsler: und Holzfchnigarbeit, der Schmiebe: 
gewerbſchein begreift die Arbeiten der Huf: und Waffen⸗, Zeug⸗, Zirkel:, 
Säge:, Bohr:, Mefferfchmiete, Schloſſer, Sporer, Windenmacher, 


Büchfenfchmiede, Feilenhauer, Gürtler, Schwertfeger, Nagelfchmiebde, 
Klempner und Kupferichmiebe. 

(6) Es ift eine Kolge bes Grundſatzes der Gewerbefreiheit, daß es Jedem 
erlaubt iſt, fein Geſchaͤft mit einem anderen zu vertauſchen oder noch 
ein anderes mit jenem zu verbinden. Um bie Steuererhebung nicht 
zu befhwerlich zu machen, muß die neue Gewerbfleuer in ſolchen Zällen 
in der Regel von dem Anfang des Kalenderjahres an entrichtet werben, 
ohne daß es darım nöthig wäre, ten Gewerbichein immer nur auf 
ı Jahr auszufertigen, wodurch die Gewerbsleute in flärfere Berfuhung 
u ae verfeßt werben, wie bei der franzöfifchen Batenteinrichtung, 

„S. 374. 





6. 197 a. 


3) Bei manchen Gewerben treten befonbere, meiftens nicht 
volkswirthſchaftliche Rüdfichten ein, aus denen es rathfam wer: 
den fann, den ©ewerböbetrieb in jebem einzelnen Kalle von 
einer obrigfeitliden Erlaubniß (Bonceffion) abhängig zu 
mahen. Dieß findet ftatt 

a) bei der Ergreifung eined Gewerbes, indem biefelbe nur 
unter gewiflen, die Perfon des Bewerbers betreffenden Bebin- 
gungen zugegeben wird. Man ift bisher in dieſer Beichränfung 
der Gewerbefreiheit weiter gegangen, ald ed Bebürfniß des all: 
gemeinen Wohles war, und die Berweigerung der Erlaubniß 
iſt nicht felten auf willfürliche Weife gefchehen, weßhalb in ber 
neueften Zeit eine Ungunft gegen dieß ganze Bonceffionsweien 
entftanden ift (a). Xäßt fi) daffelbe auch aus Gründen der 
Sicherheitspflege (Schuppolizei) oder Sittenzucht bei einzelnen 
Gewerben nicht befeitigen, fo fann es doch bei vielen anderen 
aufgehoben werben. Dieß kommt übrigend meiftens nicht bei 
Bewerten, fondern bei anderen Gewerbszweigen vor (b). 

b) bei der Wahl der Stelle, wo ſich die Werfftätte (fog. 
Betriebs oder Gewerbsanlage) befindet. Diefe kann bei manchen 
Gewerken die Nachbarn in Bezug auf Leben, Gefunbheit und 
Eigenthum gefährden und folglich fchugpolizeiliche Beſchraͤn⸗ 
fungen nothwendig maden, 3. B. wegen ber Feuerögefahr, 
der Entladung (Erplofion) von Dampf oder Luftarten, ber 
ungefunden Dünfte, des Rauches, des ruheflörenden Laͤrms, 
oder wegen ber bei der Benugung von fließenden Waſſer leicht 
zu beforgenden Beeinträchtigung anderer Berechtigten (c). Wenn 
eine Gewerksunternehmung dieſer Art beabfichtigt wird, fo 
muß die Zufäffigfeit der gewählten Stelle mit Beiziehung von 
Kunftverftändigen geprüft, auch ven Betheiligten und ber Ges 
meinde ®elegenheit gegeben werden, Einfprache zu erheben und 
zu begründen, worauf dann die Polizeibehörbe entfcheidet. Die- 
ienigen Gewerke, bei denen dieß Verfahren ftattfindet, werben 
gefeßlich beftimmt, auch ift es gut, allgemeine. Borfchriften für 
bie Bedingungen ber Zuläffigfeit aufzuftellen (d). 

(a) Daß einem Gewerbe befondere Verpflichtungen auferlegt werten, 3. 2. 


ten Schlofiern zur Verhütung des Nißbrauches von Schluͤſſeln, iſt 
no& fein Grund, bafjelbe von einer Eonceffion abhängig zu maden. 


(55 Bon Bewerten waren bisher gewöhnlih an eine Conceſſion gebunten: 

aus Beforgniffen für die Staatsfiherheit die Herausgabe von Seitungen, 

"Die Buch: und Steindruderei, — wegen ber erforderlidhen Kenntnifle 

in vielen Ländern das Baugewerbe und ber Hufbeſchlag, $. 188), und 

wegen ber eigenthümlichen polizeilihen Anordnungen das Apotheker: 
gewerbe und die Reinigung der Schornfteine. 


(ec) Bei Fluͤſſen, die dem Staate gehören, verfteht fi die Nothwendigkeit 
einer befonderen Erlaubniß zur Anlegung eines Waflerwerfes von felbf. 
Bei Privatflüffen, an deren Lauf mehrere Grundeigenthümer Theil 
haben, ift das Benupungsrecht eines jeden durch die Rechte der andern 
befchränft. Seder bat nur über das in den Graͤnzen feines Ufereigen: 

thums enthaltene Waffergefälle Fr oerfügen und muß das Wafler an 
der unteren Gränze deſſelben abfließen laflen. Wenn beide Ufer ver: 
fhiedene Bigenthümer haben, fo find biefelben auh im Gebraud 
der MWaflermenge gegenfeitig beſchraͤnkt. Es iſt deßhalb fchon laͤngſt 
angeordnet worden, daß vor der Anlegung eines neuen Waſſerwerkes 
eine Unterſuchung vorgenommen wird, wobei die anderen an dem 
Waſſer betheiligten Perſonen ihre Rechte wahren fünnen und das Be⸗ 
nutzungsrecht des neuen Werkbefigers feftgeftellt wird. Mittermaier, 
d. Privatrecht $. 238. Dieß Verfahren, weldes zur Verhütung ver: 
widelter Nechtöftreitigkeiten und koſtbarer Entfhädigungen gute Dienfte 
leiftet, hat Aehnlichkeit mit der Regelung der bei Berlafienichaften und 
insbefondere bei Teflamenten vorfommenden Rechtsverhältniffe und ift 
daher der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Mechtöpolizei) verwandt, wird 
aber von den Polizeibeamten beforgt. Die Höhe, bis zu der bei einem 
Waſſerwerke das Wafler gefchwellt (geftaut) werden darf, d. i. bie 
Höhe des Wehr: oder Fachbaums wird auf eine deutliche und dauernde 
Meife amtlich bezeichnet, wozu flatt des Eichpfahles ein Zeichen am 
Mauerwerk den Borzug verbient. 


(d) In Frankreich beſteht eine Menge von Bejegen und Verordnungen 
über die gefährlichen und gefundheitswidrigen Gewerbe. — Das öfter. 
G.⸗G. $. 31 führt 31 hieher gehdrige Gewerbe auf, das fühl. G.⸗G. 
6. 22 nennt 58, die bad. Vollzugd:B. F. 13 56, daneben alle Wafler: 
werke und Gewerbe mit Dampffeflein. Die größte Schwierigfeit vers 
urfacht die fpäter eingetretene oder wahrgenommene Schäblichkeit bei 
Gewerbsleuten, deren Betrieb ſchon im Gange ift. 


8. 198. 


Vereine oder Innungen von Meiftern bed nämlichen 
Handwerfed (a) können audy nad) der Aufhebung des Zunft: 
zwanges fortbeftehen oder neu errichtet werden, und laſſen ſich 
als Zünfte im Geifte der neueren Zeit betrachten. Der aner- 
fannte Grundſatz, daß den Bürgern die Gründung von Ber 
einen für erlaubte Zwecke freiftehen folle, gebietet, den Vereinen 
von Handwerkern fein Hinderniß in den Weg zu legen. In 
welchem Grade ed möglich fei, einen Theil des Guten, welches 
das alte Zunftwefen in ſich trug, vermittelt folcher Vereine 
fortdauernd zu erhalten, auch biefelben zur Belebung bes Kunſt⸗ 
fleißed und zu mandyen anderen nüglichen Einrichtungen zu 





— 45 — 
benutzen, hieruͤber gebricht es noch an zureichenden Erfahrungen, 
body wird ed wahrſcheinlich an vortheilhaften Wirkungen nicht 
fehlen. Es ift deshalb rathſam, die Reugeftaltung von In⸗ 
nungen ber oben erwähnten Art zu befördern, indem ihnen, 
wenn fie gewiffe von der Regierung aufgeftellte Bedingungen 
erfüllen, auch entfprechende Befugniſſe bewilligt werden (b). 
Hiezu dienen folgende Regeln: 

1) Jeder Meifter eined Gewerfes, in welchem an einem 
gewiflen Orte oder in einem gewiflen Bezirke eine Innung er: 
richtet wird, kann derfelben beitreten. Hiedurch übernimmt er 
die Verpflichtung fich denjenigen Anordnungen zu unterwerfen, 
welche für die Innungen obrigfeitlidy feftgefeßt worden find (c). 
Bei Angelegenheiten, weldye die Gehülfen nahe berühren, koͤn⸗ 
nen auch biefe durch Abgeordnete vertreten werden. 

2) Die Sapungen (Statuten) werden von der Staatöbes 
hoͤrde nach vorgängiger Prüfung genehmigt. Innungen biefer 
Art erhalten die Rechte juridifcher Perſonen. 

3) Iede Innung wählt ſich Borfteher, die den Vortheil der 
Genoſſen bei den Staatd» und Gemeindebehörden vertreten 
innen (d). Es werden Berfammlungen gehalten, Beiträge 
von den Meiftern erhoben und Ausgaben vorgenommen, wie 
bei den alten Zünften. 

4) Es fteht den Theilnehmern frei zu beflimmen, über 
welche Zweige der Gewerföarbeit ſich eine Innung erftreden foll. 

5) Der Wirfungskreid diefer Innungen muß fo geordnet 
werden, daß er den Mitgliedern nicht bloß Laften auflegt, ſon⸗ 
den auch Nutzen verjpricht und hiedurch einen hinreichenden 
Beweggrund giebt, an der Verbindung Theil zu nehmen. Die 
Aufgaben der Innungen find nachftehende: 

a) Unterftügung der verarmten Meifter, der wanbernden 
Befellen "und der arbeitdunfähig gewordenen Gehülfen, wozu 
für die beiden lebteren Zwede Beiträge von den fämmtlichen 
Gehülfen eingeführt werben koͤnnen. Auch die Unterbringung 
der Wandernden bei den Meiftern fann man durch den Ins» 
nungsverband fehr erleichtern (e). 

b) Aufftelung von Borfchriften über dad Verhaͤltniß zwis 
(hen den Meiftern und ihren Gehülfen und Rehrlingen, ſoweit 


biefe Anordnungen den Landesgeſeten über biefen Gegenſtand 
nicht widerftreiten. 

c) Auffiht auf die angemefiene Behandlung und linterwei- 
fung der Lehrlinge, $. 199. Ohne eine Strafgewalt zu haben, 
bürfen die Vorſteher rügen und ermahnen. 

d) Beilegung von Streitigkeiten, die ſich zwiſchen Lehrlingen 
und Gefellen einerfeitd und den Meiſtern anbererfeitö erheben, 
durch Bermittelung ober nöthigenfalls durch Enticheidung (/). 

e) WMitwirfung zur Gründung von Handwerfsfchulen für 
die Schülfen, $. 222. 

f) Beranftaltungen, die zur Verbreitung und Erhöhung ber 
Gewerkskunſt dienen, 3. B. Anfhaffung von Schriften, Mo 
dellen, Mafchinen u. dgl. Für diefen Zweck ift jedoch von grös 
Beren Bereinen ($. 222, Nr. 3.) mehr zu erwarten. 

g) Gemeinſchaftliche Einrichtungen, weldye den einzelnen 
Meiftern in ihrem Gewerbögeichäfte zu Gute fommen (g). Hie 
her gehören a) Berfaufshallen, wo die Handwerkserzeugniſſe 
nach vorgängiger ‘Brüfung der Güte zum Berfaufe ausgeftellt 
werden. Soldye Magazine ziehen mehr Kaufluftige herbei und 
find leichter zu verwalten, ald wenn jeder Einzelne einen feils 
gebotenen Vorrath hält, auch kann Denen, welche Waaren eins 
liefern, ein Vorſchuß auf diefelben unter der nöthigen Vorſicht 
bewilligt werden (h), — 4) Mafchinen, die auf gemeinfchafte 
liche Koften angefchaft werben (i), — y) Durlehen an einzelne 
bedrängte Meifter, — d) Anfchaffung von Verwandlungs⸗ und 
Hülfsftoffen im Großen, um fie den Theilnehmern wohlfeiler 
zu liefern, als fic beim Einkauf eined Fleinen Borrathed zu 
erhalten find, für Meifter, bie mit geringem Gapitale arbeiten, 
in hohem Grave wohlthätig (k). 

h) Theilnahme an den freiwilligen oder gebotenen Pruͤfun⸗ 
gen angehender Meifter. 

i) Mitwirfung zur Umlegung der ®ewerbfteuer. 

4) Kür manche der genannten Zwecke fönnen auch mehrere 
Innungen durch ihre Borfteher zu gemeinfchaftlichen Anftalten 
in Berbindung treten (2). 


(a) Sie können freie heißen, weil der Zwang bei ihnen megfällt und der 
Zutritt nit an die früheren läfligen Bedingungen gefnüpft ift, aber 
dafür auch Feine Vorrechte mehr gewährt. 


— — 


(4) Hiermit ſtimmen mehrere feit tem Grfcheinen der 1. Ausgabe dieſes 
Bandes erſchienene Schriften überein, nachdem auch fhon Bernoulli 
a. a. D., ©. 136 geäußert hatte, daß nach der Aufhebung der Zünfte 
andere Winrichtungen an ihre Stelle treten follen, welde „das Befte 
des Gewerbfiandes nicht minder ald das des Bublicums bezweden“, — 
ohne fih darüber näher zu erflären. — Beterfen, ©. 127. — Ueber 
die Innungen, ©. 36 (zu viel Zwang!). — Neumann, ©. 28. -- 
Reiha.a.9D. — Bülau, S. 170. — Michelſen, ©. 65. — 
Hoffmann, Die Befugniß ıc., S. 156, Kleinfhrod, ©. 133 
und Nettig, a. a. D., nehmen mehr von dem bisherigen Zunftweſen 
auf, als die im $. gemachten Vorſchläge. — Graf Petitti di Ro- 
reto {f. fardin. Etaaterath) bemerkt, die Herftellung des freien Mit⸗ 
werdens habe einen unermeßlichen Kortichritt des Gewerbfleißes hervor: 
gebracht, man hätte jedody diefen Vortheil auch ohne völlige Zerflörun 
der Zünfte durch eine Umbildung derfelben bewirfen können, ſo : 
einige Zucdt, Unterordnung unter die Vorſteher und brüberlihe Hülfe 
in Nothfällen beibehalten worden wären. Bul lavoro de’ fanciulli, 
€. 8. — Der amtlihe Entwurf eines Gewerbsgeſetzes für Oeſterreich 
iR in diefem Sinne abgefaßt, |. Die Gewerbefreiheit in Oeſtert. Prag 
1856. — Die neueften Gewerbsgeſetze enthalten ziemlich übereinftim: 
mend die Verwirklichung dieſes Vorſchlages. Das üfterr. &.:&. belegt 
($. 106) foldhe Innungen mit dem Namen Genoffenfhaften, 
den auch das fähi. und das bad. G.G. annehmen. 

(ec) Es if flreitig, ob die Theilnahme an Dielen Vereinen freiwillig oter 

ezwungen fein fol. Der Zwang Fann feine nüglidhe thätige Mitwir⸗ 
Fung zumwegebringen, und ift entbebrlih, wenn tie neuen Innungen 
einleuchtende Bortheile für jedes Mitgliet in Ausficht ftellen. Dapin 
gehört fhon die Wahlfähigfeit und Wählbarfeit zu den Stellen ter 
orfteher, Sewerbörichter, Abgeorbnieten zur Bertretung des Bewer: 
bes u. dgl. 


(d) In Frankreich haben Fleiſcher und Bäder ihre gewählten Gewerbsvor⸗ 
fieher (syndics), und man gätt es für wünichenswerth, daß diefe Gin: 
rihtung auc bei anderen Gewerbszweigen getroffen werte. In Paris 
werden von dem Polizei-Präfeeten 24 Bäder zu Wahlmännern er: 
nannt, weldye 4 syndies wählen (Berorbn. v. 19. Vendem. X), ferner 
30 Fleiſcher, welche 1 syndic und 6 adjoints (Adjuncten, Beigeordnete) 
zu wählen haben (Drdn. v. 18. Dct. 1829). Dieß Eyndicat erfennt 
über Dischplinarangelegenheiten des zum Fleiſchergewerbe gehörenden 
Perſonals und enticheidet auf VBermittlungswege (par voie de concilia- 
tion) über Streitigfeiten zwifchen den Wleifchern oder zwiſchen dieſen 
und den Viehhändlern, Elonin ete. N. dict. I, 218. — Für die Aufs 
flellung ſolcher Handwerlsvorftcher (eyndics) auch bei anderen Bewerben 
it de G&örando, De la bienfaisance publique, III, 318. 


(e) Umfchau bei den Meiſtern, ob fie feine neuen Arbeiter brauchen koͤn⸗ 
nen, — Anmeldung derjenigen, die ein folches Bebürfniß Haben, bei 
dem Vorſteher. 


(f) Die franzöflihen Gewerbsgerichte, conseils de prud’hommes, mwurben 
1806 angeorbnet, zuerft für die Lyoner Seidenmweberei. Gef. v. 18. März, 
Sie find zur Hälfte aus Unternehmern (patrons), nämlid aus Fabrik⸗ 
herrn und Handwerfsmeiftern, zur Hälfte (feit 1848) aus Lohnarbeitern, 
naͤmlich Façonmeiſtern (chefs d’atelier), Werfmeiftern (contremaitres) 
und Lohngehülfen zufammengeleßt. Jede Hälfte wird von den zugehö⸗ 
rigen Berfonen gewählt. Ihre Beſtimmung ift, das gute Binverftändnif 
wiſchen Lohnherrn und Arbeitern zu erhalten und die zwifchen Den: 
elben entflandenen Etreitigfeiten zu ſchlichten. Weber Streitſachen bie 


— 


(9 


(4) 


(X) 


(d 


— 48 — 


zu 200 Fr. erkennen fie endgültig (ohne ven. auch ift ihnen 
die Aufficht über die unerlaubte Nachahmung der Yabrikzeichen jedes 
Unternehmers und verfchiedenes andere übertragen. Dergeben ber Lehr⸗ 
linge gegen bie Meifter, fowie Störungen der Ordnung und Zucht 
in den Werkftätten koͤnnen fie mit 3tägiger Giniperrung beftrafen. Diefe 
Gonfeils umfaflen bald wenige, bald viele Gewerbe und bie unter fie 
fallenden Gewerbezweige werden durch entſprechende Mitglieder vertreten. 
Im Dep. Seine 3. 3. find 4 Gonfeils, 1) für Metallgewerbe, 2) für 
Weberei, 3) für chemifche Gewerke, 4) für verfchiedene Gewerbe, als 
Maurer, Bimmerleute, Schreiner ıc. Jedes Conſ. hat 13 patrons und 
ebenfoviele Lohnarbeiter. Bei einem Streit wird der Bergleih von 
dem bureau particulier (aus 1 Mitgliede jeter Hälfte) verſucht, ſodann 
das Erkenntniß von dem bureau göneral gefällt, welches mindeſtens bie 
doppelte Zahl von Beiflgern dat. — Kleinfhrod, Ueber die Beförs 
derungsmittel x., ©. 60. — Villerm&, Tableau de l’etat physique et 
moral des ouvriers, Il, 143. — Toussaint, Manuel des patrons 
et ouvriers justiciables des conseils de prudhommes, P. 1851. — 
Blook, Dictionnaire de l’administr. frang. Art. prudhomme. — Sin 
Belgien find diefe Gewerbegerichte beibehalten und durch neuere Ge⸗ 
feße vervollfommnet worten, Steinbeis, ©. 220. Aehnlich die 
preuß. Gewerbegerichte, Geſ. v. 9. Febr. 1849. Hier iſt immer die 
Zahl der beiſitzenden Unternehmer um 1 größer, als die der Lohnarbei⸗ 
ter. Der Bergleihsansfhuß befleht aus 2 Mitglietern, Strafgewalt 
haben dieſe Gerichte nicht, außer gegen Deleibigungen und Ruheſtoͤ⸗ 
rungen. Die von de G&rando (HI, 330) vorgefchlagenen Gewerks⸗ 
räthe (conseils de patronage) in jeder Stadt oder Gegend, wo viele 
Gewerke betrieben werden, nähern fi den Gewerbsvereinen (6. 225, 
Nr. 1), da fie gar Feine amtliche Gewalt haben, vielmehr nur eine 
berathende und fördernde Thaͤtigkeit ausüben follen. 


Hiedurdy entfiehen wahre Genoflenihaften oder Geſellſchaften, Aſſo⸗ 
ciationen, eine erfreuliche Frucht der legten Jahrzehende, von der 
jedoch fchon Ältere Beifpiele vorfommen. Die Ordnung der PBantoffel- 
macher in Bremen von 1589 fpricht fchon davon, daß aus der gemeins 
fhaftlihen Lade (Bafle) Korn, Leter, Korf oder andere Gegenftände 
gefauft und unter bie Meifter vertheilt werden fönnten, bei Böhmert 

. 83. — Hat einmal diefer Gedanfe Wurzeln geihlagen, fo wird 
man nad und nad mehr Anwendungen von ihm machen fernen. 


Solide Gewerbshallen find an vielen Orten mit dem beiten Grfolge 
errichtet worden. Böhmert, Briefe zweier Handwerfer, 1854, ©. 51. 
— DI, Die gewerbliche Aflociation, 1856, ©. 28. 


Beifpiele: Die vom Wafler getriebenen Drehbänfe für Meifingwaaren 
im Befide der Notbgießermeifter in Nürnberg, in 2 großen Bebäuten, 
die auf gemeinfhaftliche Rechnung angeihafften Maichinen zum Walfen, 
Rauhen, Scheerren und Zurichten der Wollentücher in St. Lambreht 
bei Neuftadt (buierifche Pfalz) und Schönau bei Heidelberg. 


Die Nohftoffvereine nah Schul e⸗Delitzſch, 3. B. zum Anz 
fauf von Leder für Schuhmacher, von Holz für Schreiner. Die Mittel 
werben aus Beiträgen der Mitglieder genommen oder geburgt. Ber: 
eine zum Ginfauf von Nahrungsmitteln, Heisftoffen ıc. (fog. Conſum⸗ 
vereine) gehören nicht hieher, weil fie vorzüglich für Lohnarbeiter 
beſtimmt find. 

Entwürfe zu allgemeinen Bereinigungen der @ewerbeleute mit einer 
Gliederung nad Bewerbszweigen find in neuefter Zeit von mehreren 
Schriftſtellern aufgeftellt worden, 3. B. de Pinheiro-Ferreira, 
Projecto d’assooiscao para o melhoramento da sorte das olasses in- 


4 


dustriosas. Paris, 1840, und Buret, II, 527. (Der Erfigeninnte bat 
die Verfaffung und Veiwaltung diefer Vereine (gremios) ausführlich 
entwidelt. Die NAflociation der Bemwerbsleute foll u. a. eine große 

Bantk befigen, in der alle Mitglieder des Vereins eingefchrieben find, 
und der fie entweder als Beitragende (contribuentes) oder Unterflüßte 
(pensionarios), oder als Gläubiger (fiadores) angehören ; die Banf giebt 
Scheine aus, maht Borfchüfle ıc. — Vorſchlag eines allgemeinen Hand: 
werfervereins für den Gant. Bern bei Bogt, Die Hebung des Hands» 
werferflandes, gefrönte Preisſchrift. Bern, 1850, ©. 125. — Wie 
weit diefe Plane ausführbar find, ohne große Nachtbeile in ihrem Ges 
folge zu führen, dieß muß erft noch durch fernere Berathungen und 
Wahrnehmungen ausgemittelt werben. 


8. 199. 


Ueber die Berhältniffe der von ben Meiftern angenommenen 
Hülfsarbeiter find folgende obrigkeitliche Vorfchriften rathfam: 

1) In Anfehung der Lehrlinge (a): a) Die Lehrvers 
träge werden von den Vorſtehern der Gewerkövereine ($. 108, 
Nr. 4, b) oder den Polizeibehörden aufgezeichnet (protofollirt) 
und müflen Alles enthalten, was zur Feſtſetzung bed Rechts⸗ 
verhältnifies gehört (d). Es ift gut, wenn eine etwa vier 
wöchige Probezeit der Anmeldung des Bertrages voraudgeht. 
b) Die Lehrlinge müflen von ben Lehrherren gut behanbelt 
und gehörig zu den Gewerföverrichtungen angewiefen, aud) 
darf ihnen der Befuh der Sonntags» und Handiwerföfchulen 
nicht verwehrt werben. c) Der Lehrherr, obgleich er ſich eine 
Härte gegen den Lehrling nicht erlauben barf (8. 185, b), 
muß doch einige Zuchtgewalt über denfelben erhalten, der ſich 
diefer, wenn er nicht gegründete Beſchwerden vorbringen fann, 
nicht beliebig entziehen darf (c). Ohne diefe Anorbnung wuͤr⸗ 
ben viele LXehrlinge durch Zügellofigkeit ſittlich und wirthfchaft- 
(ih) zu Grunde gehen. d) Es wird beftiinmt, in welchen Faͤl⸗ 
(en eine Auflöfung des Vertrages durch Schuld des einen ober 
anderen Theiles oder durch andere Umftände eintreten fann, 
und wie es dann mit dem Lehrgelde zu halten ift (d). e) Am 
Ende der Lehrzeit kann eine Prüfung des Lehrlingd oder eine 
Brobearbeit bei einem anderen Meifter veranftaltet werben, 
wenn ed von dem Lehrling oder deſſen Aeltern oder Vormuͤn⸗ 
bern verlangt wird, um jenem eine befiere Empfehlung zu ver 
fhaffen ober den Beweis zu liefern, daß die Lehrzeit ihre Bes 
fimmung erfüllt hat. 


Rau, polit. Defon. DI. 2. Abth. 5. Ausg. 4 


2) In Anfehung der in Lohn ftehenden Gehülfen (Ge⸗ 
fellen (e): a) Die Wahl ded Meifterd, bei dem fie arbeiten 
wollen, fteht ihnen frei, fie können auch in Fabriken und bei 
Unternehmern in anderen Gewerben Arbeit annehmen. b) Sie 
dürfen nicht ohne vorgängige Kündigung nad) einer ausbedun⸗ 
genen ober allgemein feftgefegten Friſt aus ber Arbeit treten, 
auch nicht ohne ſolche Kündigung entlaffen werden, und haben 
vor dein Austritt ihre gegen ben Dienſtherrn eingegangenen 
Verbindlichkeiten zu erfüllen. c) Behlerhaftes Verhalten der 
Gehülfen oder der Meifter macht ein Entlaffen oder Austreten 
ohne Kündigung zuläfftg, worüber in ftreitigen Faͤllen das Ger 
werbögericht entfcheidet. d) Die Gefellen erhalten Arbeitsbücher 
(Wanderbücher), in denen die Zeugniffe über ihr Betragen bei 
jedem Dienftherrn und an jedem Orte genau der Wahrheit ges 
mäß eingetragen werden müflen (f). e) Der Zehrpfennig ber 
wandernden Gefellen follte aus der Innungs- oder Gemeindes 
Caſſe abgereicht werden, ohne daß er bei den einzelnen Meiftern 
abgeholt werden darf (g). | 

Es ift übrigens zwedinäßig, bei ber Beftftelung der Bebin- 
gungen ber Anfäffignahung ($. 15) darauf Bedacht zu neh» 
men, daß älteren Geſellen die Berehelichung geftattet werde (A). 
(a) Franzöſ. Gef. vom 22. Febr. 1851. — Kleinfhrod, Broßbritan. 

Sefg. ©. 86. — Sädf. ©.:G. $. 77. — Würt. ©.-©. $. 17. 

(6) Dauer der Lehrzeit, Groͤße des Lehrgelbes, Berlängerung ter Lehrzeit 


* Irſabmittel des Lehrgeldes ꝛc. — In England vor zwei Friedens⸗ 

richtern. 

(e) Rah dem wuͤrtemb. G.⸗G. $. 22 hat ber Lehrherr außer dem verfalle⸗ 
nen Theile des Lehrgeldes noch eine befondere Entſchädigung anzu: 
ſprechen, wenn der Lehrling „ohne gegründete Urſache“ aus ber Lehre 
tritt. — Nah dem ſaͤchſ. &.:@. $. 83 kann der austretende Lehrling 
ohne Zuftimmung feiner rechtlichen Vertreter (eltern 2c.) nicht zur 
and der Lehrzeit genöthigt werden, der Lehrherr kann aber dann 
feinen Ent hädigungsanfprud ausführen. 

(c) Längere Kranfheit, — Berufs oder Drtsveränderung, — Verſchulden 
des einen oder underen Theiles ıc. 

(e) Ciniges Hichergehörige enthielt die nafl. Verordnung v_ 15. Mai 1819, 
die ienftverhältniffe des Befindes und der Handwerksgehuͤlfen betr., 
wobei die Gleichſtellung der Iegteren mit dem Geſinde einen üblen 
Lindrna machen muß. — Siehe übrigens oben $. 186. c. 4. und 


(f) —8 Vorſchriften über das livret ber Gehülfen bei Toussaint, 
Manuel, ©. 24. — QAudiganne, Die franzdf. Geſetzgeb. in Betreff 
Fa ...d.9 Wied, Leipzig 1853, S. 8. — Saͤchſ. G.G. 


(9) Der Wandernde darf fih an einem Orte, wo er feine Arbeit.erhäft, 
nicht länger ale nöthig aufhalten, er empfängt fein Gefchent, wenn er 
fi weigert, die angebotene Arbeit anzunehmen, und biefer Umſtand 
wird in dem Wanderbuche bemerkt ꝛc. — Der bisherige Zwang zum 
Binfehren in der Herberge jeder Zunft fällt hinweg. 


(4) Hoffmann, Die Befugniß ıc., ©. 125. 141. Der Berf. zeigt, daß 
die Handwerksmeiſter ohne Gehuͤlfen nicht gut beftehen können und daß, 
wenn die Zahl der letzteren zur Unterflügung der Meifter hinreichend 
groß iR, ein Theil der Bejellen keine Ausficht bat, ſelbſt zum Meiſter⸗ 
recht zu gelangen. In neun der Bäufigften Handwerfe waren im preuß. 
Staate im Jahre 1837 

















- Gehülfen 
Meifter Gehũlfen. auf je 

1000 Meiſter. 
in den zehn größten Staͤdten | 16 056 25 696 1 600 
in dreißig anſehnlichen Städten 15 086 15 864 1 051 
in den übrigen Städten | 98353 | 62896 639 
auf dem Lane . . . 2... | 153 170 44 707 291 
im Ganzen . | 282665 | 149 163 527 

$. 200. 


Die Zünfte bildeten fi) am früheften und volftändigften in 
den Städten aus. Diefe waren lange Zeit hindurdy die Haupt- 
fige der Gewerke und lieferten den 2andbemohnern zum Aus⸗ 
taufche gegen die zu Marft gebrachten Rohſtoffe den Bedarf 
an Gewerföwaaren. Die Städte haben auch für den Betrieb 
der Gewerke mancherlei natürliche Borzüge. Die Menge ber 
dort wohnenden Zehrer und Handeldleute erleichtert den Abſatz, 
auch zieht der Käufer oder Beſteller einer Arbeit der Bequem⸗ 
lichkeit willen meiftend den nahewohnenden Handwerksmeiſter 
dem entfernten vor; in den Städten ift ferner mehr Gelegen- 
heit, bie Bortfchritte der Gewerkskunſt, die Bebürfniffe und 
Wuͤnſche der Käufer fennen zu lernen, mandjerlei Hülfsanftalten 
fowie den Beiftand anderer Gewerfe ıc. zu benugen, dad Ers 
forderliche an Stoffen u. dgl. einzufaufen u. ſ. f. Hiezu kam 
in früheren Zeiten die größere Sicherheit, die ein ummauerter 
Wohnort darbot. Die Stadtbewohner begnügten fid) aber mit 
biefen Bortheilen nicht, fondern verfchafften fi von der Staates 
gewalt künftliche Begünftigunger, zu denen hauptſaͤchlich (a) 
die gefegliche Anordnung gehörte, daß entweder überhaupt auf 
dem Lande, oder wenigitend in einem gewiſſen Umkreiſe um 

4* 





bie Stadt (Bannmeile), nur folche Handwerke gebuldet wurden, 
welche für den nächften Bedarf der Landbewohner arbeiten (6), 
auch feine Handwerfderzeugniffe oder nur bie jchon von einem 
Stabtbewohner beftellten vom Lande in die Stadt eingebracht 
werden durften. 


(a) Gewiſſe Handwerke in einer Stadt waren auch bisweilen ausfchließlich 
zum Anfaufe der Rohftoffe in einem um die Stadt liegenden Bezirke, 
3. B. Gerber in Hinfiht auf Häute, Tuchmacher in Bezug auf Wolle ıc. 
berechtigt, Benedict ©. 89. 

(5) Medienburgifcher Exrbvergleih von 1755: nur @lashütten, Ziegels und 
Kalköfen, Mahlmühplen, Säger find auf dem Lande erlaubt, auf jedem 
Bute 1 Grobſchmied mit 1 efellen, 1 Wagner und 1 Maurer, Schreis 
ner, Schuhflider ohne Geſellen. Die Landhandwerfer dürfen feine Ars 
beit aus den Städten übernehmen und nichts in diejelben bringen. — 
Oſtfrieſ. 3.:D. $. 11: nur Grobſchmiede, Zimmerleute, Wagner, 
Schneider, Schufter, Bäder, Böttcher, Maurer, Tifchler, Dachdecker, 
Drechsler und Lichterzieher. — Weimar, $. 15: auch noch Tünder, 
Mepger, Sattler, Glaſer und Leinweber. — Sachſen, Geſ. v. 9. Oct. 
1840 (bei Schaffrath, Codex saxonic. II, 1328): in jeder Land: 

emeinde darf 1 Schneider, Schuhmacher, Weißpäder, Fleifcher, Schmied, 

agner, Sattler, Glaſer, Seiler und Böttcher angefegt werden, eine 
größere Anzahl oder andere Handwerke Tann nur bie Regierungsbehörte 
eftatien. Maurer, Zimmerleute, Schornfleinfeger, Strumpfwirfer und 

eber (mit nahme der Tuchmacher), wo beide Gewerbe fabrifmäßig 
betrieben werden, jo wie die unzünftigen Gewerbe find audy auf dem 
Lande zuläffig. Leinweberei auf dem Lande ift ganz frei. Hier und 
in Weimar durften die Landmeifter feine anderen Lehrlinge men 
als Söhne und Enkel. — Für ſolche Beichränkungen PBeterjen, 
a. a. O. ©. 117. (Der Berf. will, daß die jeßigen Landmeifter mit 
einer Rente für das Nufgeben ihrer Gewerbe entihädigt werden.) — 
Huwald, ©. 8. 53. — Defterley, ©. 73. — Hagen, ©. 85. 
— Kleinfhrod, ©. 144. — Dagegen Lotz, II, 96. — Schmidt, 
Betracht. über das Innungsweien, ©. 90. — Hoffmann, Die Ber 
fugniß ꝛc., ©. 21. 


6. 200 a. 


Zur Bertheidigung diefer Maaßregeln führte man an a) daß 
die Handwerfe auf dem Lande aus Mangel an Gefchidlichkeit, 
Arbeitstheilung, guten Werkzeugen, Borbildern 2c. nicht fo gut 
betrieben werben könnten, b) daß die Lanbleute fonft an einen 
unnöthigen, ja verderblichen Aufwand gewöhnt würden, c) daß 
bie Städte bei voller Freiheit durd, dad Mitwerben der wohl 
feiler lebenden Dorfhandwerker einen Theil ihrer Nahrung ein 
büßen und in Berfall gerathen. 

Der erfte dieſer Gründe ift wenigften® bei einem Theile der 
Handwerfe unrichtig und wird felbft durch den dritten Grund 


— 53 — 


widerlegt. Die Wohlfeilheit der Nahrungsmittel, der Wohs 
nung, bed Heitzſtoffes, fowie die Gelegenheit, fih in Neben- 
flunden mit Feld» oder Gartenbau zu befchäftigen (I, $. 397), 
auch die gefunbere Luft des platten Landes macht baffelbe zum 
Sige eined Theiles ber Gewerke fehr geeignet, und viele der 
felben fönnen bort in gleicher Vollfommenheit geübt werden, 
wie in der Stadt. Man muß alfo ben natürlichen Gang ber 
Betriebfamfeit walten laflen, in welchem jedes Gewerbe die 
zweckmäßigſte Dertlichfeit auflucht. Die Verbreitung der Ge 
werfe auf den Dörfern hat den Wohlftand berfelben unverfenn- 
bar befördert. Zwar hat der Landmeiſter außer den erwähnten 
geringeren Unterhaltökoften noch darin einen Vortheil gegen 


ben fläbtifchen, daß er weniger mit Gemeindeabgaben belaftet ° 


ift, weil in der Stadt mancherlei Anftalten größere Ausgaben 
ber Gemeindecaffe verurfachen. Allein dagegen find andere 
oben genannte Umftände wieber den Stadtineiftern günftig, und 
die Ießteren haben häufig nur durch Nachläffigfeit oder Webers 
theuerung die Käufer dahin gebracht, fich zu den genügfameren 
Landmeiſtern zu wenden. Leiften bie Handwerfer Alles, mas 
in ihrer Macht fteht, fo ift feine Verarmung der Städte zu bes 
fürdhten (a), höchſtens eine vorübergehende Störung für ein⸗ 
zelne Gewerbe; dieß reicht aber nicht hin, um die Beibehaltung 
jener Beichränfungen zu rechtfertigen (5). Bei Babrifen beftan- 
den fie ohnehin nicht. 


(a) Der Verfall vieler mittleren Städte rührt aus anderen Urſachen her, 
wozu bie Leichtigfeit des Meilens und der Waarenverfendung, und 
folglid) des Ginfaufs von Kunftwaaren in größeren Städten, fodann 
auch die Veränderung des Länderbeftandes gehört. So lange es in 
Deutfchland viele Fleine Gebiete und zerftreute Beflpungen eines Herrn 
gab, hatten die Städte in den Sigen der Höfe, der Behörden oder 
Aemter eine Hülfe, die neuerlich weggefallen if, da die unproductive 
Berzehrung ſich größtentbeils in den SHauptflädten zufammendrängt. 
Ebenſo Haben die Reichsſtaͤdte mit ihrer Unmittelbarfeit große wirth⸗ 
fhaftlihe Vortheile verloren. Die Regierung vermag in bieler Hins 
ſicht keine andere Berzütuns zu geben, als daß fie einen Theil jener 
Berzehrung ſolchen Staͤdten zuwendet, durch Behoͤrden, Lehranſtalten 
und dergl., LIE, $. 38. 

(3) Dan tönnte nur etwa dieß zugeben, daß, wo die Bevorzugung ber 


Städte fih in ihrer vollen Stärke erhalten bat, bie Abſchaffung der⸗ 
felben nicht plößlich erfolgen foll. 








8. 201. 


Von den für einzelne Gewerkszweige gegebenen obrigfeit- 
lichen Vorſchriften (a) fallen diejenigen, welche fih auf bie 
Abgränzung der verfchiedenen Beichäftigungen beziehen ($. 197 a), 
mit der Einführung der Gewerbefreibeit hinweg. Die kunſt⸗ 
gemäße Einrichtung des Gewerbebetriebes fowie die Beichaffen- 
heit ber Kunftwaaren fann in der Regel den Unternehmern 
überlafjen werben, indem das Mitwerben und die Unterrichts- 
anftalten allen Zwang überflüfftg machen. Die Oründe, aus 
denen Berordnungen in Bezug auf verfchiedene Gewerke noch 
‚fernerhin als Bebürfniß angefehen werben, find folgende: 


.1) Berforgung ber Ortsbewohner mit den nöthigften und 
allgemeinften Nährmitteln, welche ihrer baldigen Verfchlechterung 
wegen innerhalb des Ortes zubereitet werden müffen, wie Brot 
und Fleiſch. Bei der früheren Einrichtung, nad) der die Zahl 
der Bäder und Fleifcher in jeder Stadt feftbeftimmt war oder 
wenigftend die Berechtigung zu biefen Gewerben nur mit Rück 
ficht auf örtliche Verhältniffe ertheilt wurde, auch das Einbrins 
gen jener beiden Nährmittel von außen unterfagt war, erfchien 
ed ganz angemefien, den vorhandenen Meiftern zu befehlen, 
daß fie ftetd einen hinreichenden Vorrath von Brot und Fleifch 
halten müſſen und feinen Käufer abweifen dürfen (5). Diefe 
Verordnung bing mit der obrigfeitlichen ‘Preisbeftimmung (Tare) 
beider Gegenftände ($. 293) zufammen. Aber auch nach ber 
Aufhebung jener Beichränfungen ift es zu rechtfertigen, wenn 
ben Meiftern in beiden Gewerben eine folche Verpflichtung von 
der Ortöbehörbe auferlegt wird. Der Abſatz berjenigen Brot⸗ 
und Sleifchforten, die in der größten Menge begehrt werden, 
ift nicht fo wechjelnd, daß der Bäder und Fleifcher ſich nicht 
leicht mit dem Bedarfe verfehen Fönnte (c). 


2) Polizeiliche Zwecke, welche eine fortdauernde Aufficht 
auf gewiſſe Gewerbe gebieten. Dahin gehört Verhütung des 
Betruged durch Maaß und Gewicht oder eine ſchwer zu ers 
fennende Berfchlechterung von Waaren (3. B. Gold» und Silber⸗ 
gemifche), — Verhütung von Gefahren für die Gejundheit durch 
fchlechte Beichaffenheit der Nährmittel und Gefäße u. dgl. 


3) Finanzielle Gründe, die fi auf die Verhütung von 


Steuerbetrug beziehen. Solche Maaßregeln werden vorzüglich 
zur Sicherftellung der Trankfteuern, der Mahlaccife u. dgl. ges 
troffen (d), follten aber ftetS mit der Envägung angeordnet 
werden, daß die Production nicht beeinträchtiget und ber inläns 
diſche Erzeuger nicht durch folche Belaͤſtigungen verhindert wer⸗ 
ben darf, dad Mitwerben ded Auslanded auszuhalten. 


(a) 
(6) 


(e) 


(4) 


Beifpiele in Billih, Würt. Gewerberecht, S. 179. 


In Dörfern und Lanpdflädten, wo bie meiften Haushaltungen felbft 
baden oder auch fchlachten, war diefe Verordnung nicht Bebürfniß und 
auch ſchwer ausjuführen. 


In Paris war von 1801 an die Zahl der Fleiſchbaͤnke (oͤtaux) unbe⸗ 
flimmt. Im $. 1811 wurde verordnet, daß fie nach und nad bis auf 
300 vermindert werden follten. 1822 wurde dieß wieder abgeflellt und 
Die Ordonn. v. 12. Ian. 1825 beflimmte, daß von 1828 an alle Bes 
fchränfungen aufhören und bis dahin jährlid” 100 neue Eonceffionen, 
wenn fo viele begehrt werten, ertheilt werden follen. Die Ordonn. v. 
18. Oct. 1829 ſetzt wieder die Zahl der Fleiſcher auf 400 fefl. Jeder 
angehende Meifter muß gute Aufführung, Lehrzeit und Kenntniß des 
Gewerbes nachtoeilen und 3000 Frances Caution gegen Berzinfung er: 
legen. Wer 3 Tage lang kein Fleiſch Hat, muß fich Halbjährige Suſpen⸗ 
ſion gefallen laſſen. Elouin ete. N. Diet. I, 216. Bon 1832 an 
iſt die Zahl auf 500 feftgefeßt. Seitdem trat noch ein mehrmaliger 
Wechſel in diefen Borfchriften ein. — Auch bei den Bädern war bis: 
ber fowohl in Paris (bis 1862) als in einigen anderen Städten eine 
beftimmte Zahl der Meifter feſtgeſetzt. Die Ortspolizeibehörde (der 
Buürgermeifter) Tann bei Strafe befehlen, daß der Laden eines jeden für 
den Bedarf der Käufer hinlänglich (convenablement, sufßsamment) befegt 
fei, und die Gntfcheidungen des Baflationshofes haben mandherlei Aus- 
reden verworfen, mit denen man die Verlegung bes Gebotes zu ent: 
fhuldigen verfuhtee Grün, Traité de la police administrative, 
©. 355. 369. — Es kamen in Frankreich verfchiedene unnöthige Bor: 
ihriften vor, 3. B. daB das Baden des in den Haudhaltungen bereis 
teten Brotes gegen Badlohn nicht von den für den Verkauf arbeitens 
den Bädern geichehen dürfe, und das Verbot, älteres, fchon auf der 
Tafel gewefenes Brot (3. B. aus Gafthöfen), den fog. regrat, zu ver: 
faufen, Grün, ©. 354. 


3. B. die preuß. Berfügung, daß nur folde Orunbbefüger Brauereien 
und Branntweinbrennereien anlegen dürfen, die ein &rundvermögen 
von 15 000 Thlr. nachweifen. Zeller, Gew.:Pol. I, 439. 


U. Fabriken. 


6. 202. 
Die Errihtung von Fabrifen erforderte nach der bisher ges 


wöhnlichen Einrichtung in jedem einzelnen Falle eine befondere 
Erlaubniß, welche nad) forgfältiger Erwägung der Umftände 


ertheilt wurde (a). Die Gründe, aus denen nicht felten biefe 
Erlaubniß verweigert wurde, waren hauptſaͤchlich folgende: 

1) Früher bewilligte Privilegien für einzelne Fabrikunter⸗ 
nehmer. Solche Vorrechte follten wegen ihrer hemmenden Wir—⸗ 
fung auf die Betriebfamfeit nicht mehr neu ertheilt werden, Er⸗ 
findungspatente ausgenommen ($. 204), und die beftehenden 
müffen entfernt werden, wenn fie der Entwidlung des Gewerb- 
fleißes feindlich zu werden anfangen. 

2) Die Rechte der Zunftineifter in einem verwandten Hand⸗ 
werke. Diefe dem Auffhwung des Gewerbfleißes fchädliche 
Erfchwerung der Fabrifen (9. 184) wurde ſchon während bes 
Beſtehens des Zunftzwanges von der Regierung oft befeitigt 
und hört nad) ber Aufhebung beflelben ganz auf (db). 

3) Die Beforgniß für den Abfag des neuen Fabrikherrn 
oder der fehon vorhandenen Gewerksleute. Es kann jedoch 
jenem füglidy überlaffen werben, zu bebenfen, ob er Nahrung 
finden werde, und was bie zweite Rüdficht betrifft, fo ift es 
überhaupt weder möglich noch in der Aufgabe der Staatdgewalt 
enthalten, die Gewerböunternehmer vor einem läftigen Mitwer- 
ber zu befchügen. 

4) Die Bermuthung, daß e6 dem Bewerber an ben erfor 
berfihen perfönlidhen Bähigfeiten und dem nöthigen apitale 
fehle. Diefe Rüdficht war vornehmlich da üblih, wo die Ers 
werbung bed Meifterrehtd in einem Handwerke durch den 
Nachweis der Gefchiclichkeit bedingt war und biefe Borfchrift 
unter dem Vorwande, eine Babrif in dem nämlichen Gewerks⸗ 
zweige errichten zu wollen, leicht umgangen werden fonnte. — 
Uebrigens ift eine ſolche Unterſuchung überflüffig, zumal da 
der unfundige Unternehmer ſich der Hülfe gefchicter Werfmeifter 
bedienen kann. 

5) Die Befürchtung einer Holzvertheuerung bei folchen Ges 
werfen, bie einen ftarfen Holzverbraudy haben, wie Glas⸗, 
Porzellan⸗, Schmelzwerfe u. dgl. Diefe vermögen aber nur 
da, wo bad Holz wohlfeil oder anderer Brennftoff vorhanden 
if, das Mitwerben anderer Gegenden auszuhalten, weßhalb 
die Unternehmer bei der Wahl ded Ortes von felbft auf diefen 
Umftand achten. Oft gehen Babrifen ein, wenn der Holgpreis 
zu body wird. 





Daher fann die Anlegung von Babrifen Jedem, der bie 
eingeführten Gebühren und Abgaben entrichtet, in ber Regel 
ohne Weitered geftattet werden (c). In den Staaten, bie 
beträdhtlihe Ein» und Ausfuhrzölle haben, bat man ed nöthig 
gefunden, in der Nähe der Gränze bie Entftehung folcher 
Babrifen, die den Schleihhandel erleichtern würden, zu bes 
ſchränken. 

(«) In ODeſterreich unterfhied man 1) einfache fabrikemäßige Befugniſſe, 

2) förmlidye Landesfabrifsbefugnifie, welche die Fuͤhrung der Birma: 

„i. 8. privilegiite Fabrik“ und die Aufftellung des f. Ädlers, ferner 

das Halten ordentliher Niederlagen in ſich fchließen. Beide find in 

der Wahl ihrer Arbeiter unbeichränft, doch dürfen nur die Landes; 

fabriten felbf Lehrlinge aufnehmen und freiſprechen. Kopetz, L 114. 
(5) Hiezu dient fchon eine von jeder Fabrik zu entrichtende Bewerbfteuer, 

die unter der Borausfegung eines gewillen Umfangs bes Betriebes 

feſtgeſetzt wird. 
(ce) SInfoweit feine Ruͤckſichten der Sicherheitspoligei eintreten. 


6. 202 a. 


MWährend der Nupen großer Yabrifunternehmungen für die 
ausgedehnte, funftmäßige und mohlfeile Herftellung von Kunft- 
waaren, alfo für dad Bolfseinfommen im Ganzen, feinem 
Zweifel unterliegt, find die Fabriken audy nicht frei von mans 
chen nacıtheiligen Wirkungen (I, $. 398 a), befonderd ba, wo 
in einer Stabt oder Gegend viele Yabrifen beftehen, wo viele 
Arbeiter von verfchiedenem Alter und Geſchlecht in einer Ges 
werfsanftalt verfammelt find und wo ber Abfag der Erzeug- 
niffe ind Ausland geht, alfo von den häufigen Schwanfungen 
und Stodungen ded auswärtigen Handels bedroht wird (a). 
Die neuere ſtarke Zunahme der großen Gewerfdunternehmungen 
hat die Aufmerkfamfeit der Menfchenfreunde und der Regierun- 
gen auf diefe Schattenfeiten gezogen, von denen ſich wenigftene 
einige durch Borfehrungen der Staatögewalt vermindern lafjen. 
Dahin gehört vor Allem die hauptfählid in den Mafchinen- 
fpinnereien, jedoch auch bei manchen anderen Berrichtungen 
üblihe Beichäftigung von Kindern in Fabriken (d). Die 
Kinderarbeit hat manche Bortheile, weil fie wohlfeiler ift, weil 
manche Berrichtungen von Kindern leichter und befler ausge⸗ 
führt werden, der Verdienſt der Kinder eine wohlthätige Ver⸗ 
mehrung des Einfommend vieler bürftiger Familien bildet, auch 


bie Kinder frühzeitig an Fleiß gewöhnt werden und in manchen 
Gefchäften größere Geichiclichkeit erlangen, als Arbeiter, bie 
erft eintreten, wenn fle erwachſen find. Dagegen ift Gefahr 
vorhanden, daß den Kindern zu große Anftrengung zugemuthet 
wird, die, fowie andere ungünftige Umftände, 3. B. erhöhte 
Wärme und unreine Luft der Arbeitdzimmer, der Gefunpheit 
und der förperlihen und geiftigen Entwidlung fehadet (c). — 
Da man fi hierin auf die Sorgfalt der Neltern und ber 
Sabrikherren nicht verlaffen Fann, fo ift zum Echuße der Kinder 
eine obrigfeitlihe Einwirkung noͤthig. Der Zweck berfelben 
fällt zunächft in das Gebiet der Gefundheitöpolizei, indeß ges 
fellen fi, vorzüglich wegen des Schulbeſuchs und der Gefahr 
einer frühen fittlihen Verderbniß, Rüdfichten der Volfsbildung 
hinzu, und weil man zugleich darauf bedacht fein muß, den 
Babrifbetrieb vor jeder unnöthigen Beläftigung zu bewahren, 
fo berührt diefer Gegenftand auch die Volkswirthſchaftspolitik; 
ed fommt aber für dieſe noch weiter in Erwägung, daß nicht 
alfe diejenigen, welche als Kinder in den Babrifen Beichäftigung 
fanden, auch als Erwachfene in denſelben Nahrung erhalten 
fönnen und die aus diefer Urfache Entlaffenen Fein anderes 
Gefchäft gelernt haben (d). Die den Babrifherren aufzulegenden 
Beichränfungen (e) beftehen vornehmlidy darin: 


1) daß in allen oder in gewifien Arten von Fabrifen () 
Kinder unter einem gewiffen Alter gar nicht gebraucht werben 
bürfen (9), weßhalb bei der Aufnahme das Taufzeugniß ein- 
gefehen und in ber Babrif ein genaues Verzeichniß der Kinder 
mit Angabe des Alter geführt werden muß, 


2) daß von diefem Alter an bis zu dem Jahre der in ber 
Regel erreichten vollen Arbeitskraft die Kinder fchonend, nur 
eine gewiffe Zahl von Arbeitöftunden täglich, und mit Unter- 
brehung durch Ruheſtunden, zur Arbeit angehalten werden 
dürfen (Ah), 

3) daß ihnen ber Beſuch einer Schule geftattet werden 
muß (8), 

4) daß die Räume, in denen fie arbeiten, gehörig ge⸗ 
tüftet und überhaupt der Geſundheit zuträglich eingerichtet 
werden (k). 














Den Staatsbehörden mug Ermächtigung gegeben werben, 
für einzelne befonberd angreifende ober irgenbwie nachtheilige 
Arten von Gewerföverrichtungen in Betreff des Alterd und ber 
Arbeitöftunden noch weitere Beichränfungen anzuorbnen oder 
die Anwendung jüngerer Arbeiter in gewiflen Berrichtungen 
ganz zu unterfagen, ferner einzelne Anordnungen zur Berhü- 
tung von Mißbräuchen, zur Beförderung ber Zucht und Orb- 
nung 2c. zu treffen. Zur pünctliden Handhabung dieſer 
Borichriften wird die Aufftelung von Babrifauffehern, denen 
überall freier Zutritt geflattet werden muß, gute Dienfte 
leiten (D). 


(a) Ein höchſt betrübendes Beifpiel giebt die Roth der europäifchen Baum: 
aa eikr während bes Bürgerfrieges in den vereinigten Staaten, 
eit 1861. 


(6) Conte Petitti di Roreto, Sul lavoro de’ fanciulli nelle mani- 
fatture. Torino, 1841, 49. (ſehr gut, auch reich an literarifhen Nach⸗ 
weifungen). — NReihhaltig und fchägbar find ferner Ed. Ducpe- 
tiaux, De la condition physique et morale des jeunes ouvriers et 
des moyens de l’ameliorer. Brux. 1843. IT B. — Enquöte sur la 
condition des classes ouvriöres et sur le travail des enfants. Brux. 
1848. LIEB. — Considerant, Du travail des enfants dans les 
manufactures et dans les ateliers de la petite industrie. Brux. et 
Leipz. 1863. 


(e) In den Brit. Fabrifen für Gelpinnfle und Gewebe waren 1835 unter 
395 373 Arbeitern (ohme die Handweber, Druder, Faͤrber, Bleicher ıc.) 
20 588 oder 5,° Proc. von 8—12 J., 35 867 (10,1 Broc.) von 12 
bie 13 3., 108 208 (30,% Broc.) von 13— 18 Jahren, alfo 190 710 
(53,7 Broe.) Erwachſene. Ducpetiaur, I, 15. In den Baum: 
wollenfabrifen allein waren 1839 4,7 Proc. Kinder bie zu 13 Jahren, 
37 Broc. junge Leute bis zu 18 Jahren, die ganze beichäftigte Zahl 
war 289 336. Porter, Progr. ©. 193. Zu Anfang des 3. 1862 
waren in den 2715 engl. Baummollenfabrifen unter den 407598 Ars 
beitern 39 156 oder 9,° Proc. Kinder unter 13 J., in fämmtlichen 
dem Fabrikgeſetz unterworfenen 6378 Babrifen unter 775 524 Arbeitern 
54 411 oder 7 Broc. Kinder jenes Alters. — In Belgien rechnet man, 
daß bei den Baumwollenfabrifen %s, bei den Tuchfabriken 1/o—t/, der 
Arbeiter aus Kindern befteht, Enqu. II, 326. 327. III, 356. — In 
ten farbinifchen Landestheilen auf dem Feſtlande zählte man 964 Fa⸗ 
brifen in Seide, Baumwolle und Wolle (ohne die Seidenhafpelungen, 
filande) mit 37200 Arbeitern, worunter 7186 Rinder, ober über 19 Proc. 
Bon den Kindern gehen 1493 in die Schule, 829 find durch bie Arbeit 
gebrechlich oder kraͤnklich geworden, rhachitiſch, ferophulös c. Petitti, 
©. 88 f. — Die Angaben über die Förperlihen Wirkungen der Fabrik⸗ 
arbeit auf die jüngeren Arbeiter find zwar keineswegs übereinftimmend, 
indeß ſteht doch Soviel fe, daß eine zu lange fortgeiegte Beichäftigung 
in hohem Grade ermübet und daß bei (hwähligeren Kindern, oder 
bei binzutretender ungelunder Luft, harter Behandlung sc. die ſchlim⸗ 
men Folgen nicht ausbleiben können. Qal. Ducpetiaux, I, 57 bie 
86. — Enqu. IL, 334. — Auch die Häufigkeit des frühzeitigen Sitten: 


(a) 


(d) 


— 60 — 


verderbens, der Vernachlaͤſſigung des Unterrichts sc. find da, mo 

feine ®egenanftalten getroffen werden, nicht zu bezweifeln; vergl. 

Pad Juvenile delinqguency in Manchester. 1840 — Athen. Nr. 152. 
. 605. 


Der Abgang der erwachlenen Arbeiter in den Spinnereien reicht nicht 
bin, um allen Heranwachfenden eine Unterfunft zu verfchaffen, die ſich 
deshalb zum Theile zur Weberei und beral. wenden. So lange bie 
Baummollenverarbeitung im Zunehmen ifl, wird dieſer Webelftand 
wenig empfunten. Vgl. Buret, De la misere des classes laborieuses 
IL, 38. j 


In Großbritanien wurde zum erftenmale auf Antrag Rob. Neel's 
(des Baters) durch den Parlamentsbefhluß von 1802 (42. Geo. IT) 
für die Gefundheit der Kinder in den Spinnereien geforgt, ſodann 
nach Peel's (des nachherigen Miniftere) Borfchlag durch ein Belek 
von 1819 (59. ®e. III. ®. 66), Hierauf in dem Geſ. v. 1825 (1. und 
2. Georg IV. C. 39, Hobhoufe’6 Acte) und dur das Belek vom 
29. Auguft 1833 (3. und 4. Will. IV. C. 103), gemeinhin factory 
act genannt. Nach demfelben dürfen in einer Baummollen-, Flachs⸗, 
Mollen- und Seidenfabrif, wo Waſſer oder Dampf die Triebfraft ift, 
Berfonen unter 18 Jahren nicht des Nachts, ferner nicht über 12 Stunden 
täglih oder über 69 Stunden wöchentlich arbeiten. Unter 9 Jahren 
darf, Seidenfabrifen ausgenommen, fein Kind angenommen werden, 
die Arbeitsftunden werden nad und nach verringert und von 1837 an 
fol fein Kind unter 13 Jahren über 9 Stunden täglidd und über 
48 Stunden wöchentlih arbeiten. Täalih 1. St. Ruhe zum Eſſen 
und 2 Stunden Schulbefuh. 4 Kabrifinfpectoren zur Vollziehung des 
Geſetzes. Das Geſetz 6. Juni 1844 (7. Bit. Cap. 15) giebt eine 
Menge von Beſtimmungen für die Ueberwachung der Fabriken. Kinder 
von 8 Jahren dürfen angenommen werden mit ärztlihem Zeugniß, aber 
nur 617 St. täglib, Kinder und junge Leute nicht über 5 St. obne 
eine halbflündige Ruhezeit arbeiten. Nachtarbeit derfelben, 5 Stunden 
lang, ift auf befondere Anzeige erlaubt, um eine Störung in ben Ma: 
fhinen wieder einzubringen. Das Gefeb 8. Juni 1847 (10. Bid. 
€. 29) beichränft die Arbeitszeit aller Berfonen unter 18 I. fürs Erſte 
auf 11 St. tägli und 63 Stunden woͤchentlich aber vom 1. Ian. 
1848 an auf 10 St. täglich oder 58 wödhentlih. Im Gef. 5. Aug. 
1850 (13. 14. Bict. C. 54) iſt verordnet, daß junge PBerfonen und 
Frauen über 18 Jahre nur zwiſchen 6 Uhr Moraens und 6 Uhr Abends 
arbeiten, auch zum Cinholen verlorner Zeit nicht über 7 Uhr Abende 
und nicht über 1 St. täglich beichäftigt werben dürfen. Geſ. 20. Aug. 
1853 (16. 17. Bit. &. 104): Kinder dürfen in feiner Fabrik vor 
6 Uhr Morgens und nad 6 Uhr Abends arbeiten, außer um Zeit eins 
ubringen, im Winterhalbjahr aber Tann, nach vorheriger Anzeige, die 
eit von 7 bis 7 Uhr gewählt werden. Gef. 6. Aug. 1861 — 24. 
25. V. €. 117, daB junge Leute von 16 — 18 3. in Spigenfabrifen 
von 4 Uhr M. bie 10 Uhr A. befchäftigt werben bürfen, aber nicht 
über 9 Stunden lang. Die Fabricanten Flagen über die läfligen For- 
malitäten, die den Unfchufdigen leicht fraffällig machen können, doch 
gewöhnt man fih allmälig daran. Durch Wechſel der arbeitenden 
Kinder, fo daß 2 Gruppen berfelben einander ablöfen (relay system) 
kann eine längere Zeit für die Bewegung der Mafchinen erreicht werben. 
Die Erfahrung hat den Nutzen der factory act beutlich bewieſen. Die 
geringere Anftrengung der Kinder und der Arbeiterinnen bat auf die 
Kraft und Rührigkeit derfelben günftig gewirkt. — Aehnliche Anorbds 
nungen enthalten: preuß. V. v. 6. April 1839, — bair. V. v. 15. Jan. 
1840, — bab. B. v. 4. März 1840, — franzdf. G. v. 22. April 








— 


) 


(4) 


() 


— 61 — 


1841, Monit. Nr. 83. Die Beſtellung ˖unbeſoldeter Bürger zur Aufficht 
auf den Bollzug des Gefeges in Frankreich hat wenig gefruchtet, weit 
mehr die englithen Fabrikinſpectoren für größere Bezirke des Landes. 
— Eine gefegtiche Beflimmung der Arbeitsftunden für Erwachfene ift öfter 
vorgefchlagen und in dem franzöf. Geſ. 9. Sept. 1848 ausgeführt worden. 
Es find 12 Stunden geftattet, aber im Gel. 17. Mai 1851 verfchiedene 
Ausnahmen gemaht worden, für Defen, Trodenfluben, Dampf: 
maſchinen, Tuchzurichtung (Decatiren), Buchbrudereien, für Unfälle, 
ferner wird das Reinigen der Maſchinen nicht eingerechnet. Kattun⸗ 
drud und Bleichen düreen 13, Zuderfiedereien, Zärbereien, Zeuchzurich⸗ 
tung 14 Stunden arbeiten, aber nur 120 Tage im Jahr. Wie fehr 
es auch zu wünfchen ifl, Daß den Arbeitern eine folche Brleichterung 
a Theil werde, fo ift doch von dieſen Anordnungen, wie von allen 

erfuchen, in das Berhältnig zwiſchen dem Lohnherrn und feinen 
Zohnarbeitern einzugreifen, fein Vortheil für die Arbeiter zu erwarten, 
weil man nıcht verhindern fann, daß bei ungünfligem Mitwerben bie 
Unternehmer für die geringere Stundenzahl den Lohn berabfegen, und 
weil in den verfchiedenften Gewerben nicht zu verhüten iſt, daß Arbeiter 
fih zu angefirengter Arbeit entichliegen. Dei flarf vermehrtem Begehr 
einer Art von Kunftwaaren liegt es ebenfofehr im Wortheil der Fabrik⸗ 
herren, die Arbeit zu verlängern, ald es den Arbeitern in dem ers 
höhten Lohne zu Bute kommt. Die unfirengung ift bei den verſchie⸗ 
denen Gewerbeverrihtungen hoͤchſt ungleich. erftändige Lohnherren 
müflen aud einjehen, daß eine fehr lange Arbeitsdauer die Arbeiter 
entkräftet und die Leiftungen berfelben vermindert. Bei Gewerten mit 
foftbarem ſtehenden Capital iſt die kürzere Arbeitszeit Urfache eines 
Sinfenverluftes, dem man durch Annahme von Hülfsarbeitern für wei- 
tere Tagesflunden nur fchwer und ungenügend abhelfen fann, weßhalb 
man Belorgniffe für die Spinnereien geäußert bat. Senior, Lettres 
on the factory -act, as it affects the cotton manufacture. Lond. 1837. 
©. 12. (Hier werden verſchiedene Mängel des Gef. v. 1833 zur Spradhe 
gebracht, die nicht den Zwed ſelbſt, ſondern nur einzelne Beilimmungen 
etreffien, Horner, in dem beigedrudten Briefe, fpricht zu Gunften 
des Geſetzes.) 


Frankreich: Fäbriken mit einer Mafchinentriebfraft (moteur mécaniquo) 
oder mit fortbauerndem Feuer, oder von mehr als 20 Arbeitern in 
1 Werkftätte; — Baiern: Fabrifen, Berg:, Hütten: und Schlagwerfe. 
— Barden: Fabriken ohne Unterfcheibung. 


Großbritanien, Frankreich 8 Jahre alt; Baiern, Preußen 9 Jahre. — 
Ducpetiaux und Gonfiderant a. a. DO. wollen die Arbeit erft 
vom zurüdgelegten zehnten Jahre an geftatten. In Baiern ift, wie in 
Großbritanien, ein Zeugniß des Gerichtsarztes nöthig, daß die Ger 
fundheit durch die Arbeit nicht gefährdet werde und des Schulinfpectors 
über ben Befitz der für das neunte Jahr vorgefchriebenen Kenntniſſe. 


Sranfreih: von 8—12 Jahren 8 Stunden täglih, von 12—16 3. 
12 &t.; Baiern: von 9—12 3. 10 St.; Preußen: von 9—16 9. 
10 St. — Nah Ducpetiaur von 10—15 Jahren nur 10 St. täg- 
lih. — Baten: Arbeit und Schule zufammen bie zum Schulentlaflungs: 
alter nicht über 12 St., doch mit einigen Ausnahmen. — Bon ber 
Arbeitszeit find in diefen B. die Stunden von 8 oder 9 Uhr Abents 
bis 5 oder 6 Uhr Morgens ausgefchloffen. 

Frankreich: bie zum 12. 3. — Preußen: 3jähriger vorausgegangener 
Beſuch der Schule. — Baiern: tägl. 2 Stunden. — Baden: orbent- 
liher Schulbefuh, doh find Fabrikſchulen geftattet, vom 11. J. an, 
täglih 2 Stunden. — Das brit. Gel. von 1843 (Graham's Bill) 





— 64 — 


drang, die Volfsvermehrung und bie Gefahr ber Verarmung 
fteigen (f). Zu der Verwaltung folder Hülfdcaffen find ges 
wählte Arbeiter beizuziehen (g). 

2) Die Einführung von Arbeitsbüchern, wie bei ben 
Handwerfögehülfen, $. 199. Es wird darin auch beim Aus: 
tritt deö Arbeiter angegeben, baß berfelbe feine Verpflichtungen 
gegen den Unternehmer erfüllt hat, oder im entgegengefegten 
alle der Betrag feiner Schuld. Zugleich müflen in den Fa⸗ 
brifen genaue Berzeichniffe über alle angenommenen Ülrbeiter, 
ihr Betragen ıc. geführt werben (h). Diefe Einrichtungen dienen, 
die Arbeiter zu einem geregelten Betragen anzuhalten. 

3) Geſetzliche Beſtimmungen gegen dad fogenannte Trud- 
foftem (I, 8. 389 b (a), d. 5. das Aufbringen von Waaren 
als Theil des Lohnes, weil hierin eine verbedte Schmälerung 
bed zugeficherten Lohnes enthalten if. Es fol jedoch nicht 
verhindert werden, daß der Fabrikherr den Arbeitern Gelegen- 
heit anbietet, Wohnung, Koft u. dgl. um niedrigeren Preis 
oder in beflerer Befchaffenheit als es fonft gefchehen Fönnte, 
gegen baare Bergütung zu erlangen und es ift nicht leicht, 
bierin den Mißbrauch von dem Nüplichen zu fcheiden (?). 

Manches kann von der menfchenfreundlichen Gefinnung der 
Fabrikherren und von Privatvereinen gefchehen, was fid) von 
der Staatdgewalt nicht vorfchreiben, nur etwa anregen und bes 
fördern läßt, 3. B. die Ueberlaſſung von Stüden Ader oder 
Garten an die Arbeiter um mäßigen Pachtzinsd und die Er 
richtung von Gebäuden, um den Arbeitern gefunde Wohnungen 
ohne höhere Ausgabe zu verfchaffen (K). Die Sparcafien 
($. 365) und andere zur Bürforge für das fpätere Alter dies 
nende Anftalten (8. 368) follten den Babrifarbeitern befonderd 
empfohlen und leicht zugänglich, gemacht werden. “Die Umge⸗ 
ftaltung der Lage der Arbeiter, wodurch dieſe einen Antheil 
an dem NReinertrage erhalten, oder fogar die Babrifunters 
nehmungen ganz auf eigene Rechnung führen und fie burdy 
einen aus ihrer Mitte gewählten Ausfhuß verwalten laffen 
(I, $. 202 a), fol nicht erfchwert, eher begünftigt, aber übrigens 
dem freien Willen der Arbeiter anheimgeftellt werden (MD). Daſſelbe 
gilt von den Vereinen zur vortheilhafteren Anfchaffung ber 
Nahrung, Kleidung u. dgl. im Großen, I, $. 202 a (e). 





(a) Die Nahtheile find bisweilen mit Webertreibungen bargeftellt worden, 


weßhalb dann Andere die Kabrilen in Schug nahmen, 3. B. Taylor 
a. 0. D. Daß namentlih die Baummollenfabrifen nicht auf die Häus 
figfeit der Lungenſchwindſucht wirken, iſt burch die von Noble gelams 
melten Zahlen wahricheinlid geworden, Athenseum, 1842, Mr. 175, 
©. 595, auch bei Ducpetiaur, I, 80. Die Zahlenangaben von 
Shuttleworth (aus den Nahforfhungen der Fabrikencommiſſionen) 
und Mitchell zeigen ebenfalld, daß die Baummollenarbeiter weniger 
als andere durch Krankheiten in ihren Berrichtungen geflört werben, 
Ath. a. a. D. und Ducpetiaur, L 75. — Dennod ſprechen ſehr 
viele Thatfahen bei Billerme, Buret (De la misdre des classes 
laborieuses, 1841), Ducpetiaur a. a. O. und in ber belg. Enquäte 
(1848) zu entichieden für das Dafein grober Uebel, um an demſelben 
überhaupt zweifeln zu können. Das Bild, welches mehrere Reifende 
von der Lage der gut bezahlten Yabrifarbeiterinnen zu Lowell (Staat 
Maflachufete, Nordamerica) entwerfen, ift fo erfreulih, daß man be⸗ 
dauern muß, es nur als eine feltene Ausnahme betrachten zu können, 
Ghevalier, Briefe über Norbamerica, II, 72. — Diekens, American 
Notes, Eap. 4, ©. 71 (Tauchnitz). — Auch mehrere andere jehr lobens⸗ 
werthe Beilpiele führt Ducpetiaur an, II, 261. 


3) Namentlich die gefunbheitswidrigen Umgebungen, in benen die Arbeiter 


(e) 


(@) 
(e) 


ihre Gefchäfte verrichten und wohnen, — das Zufammendrängen vieler 
Menichen in großen Städten, beſonders da, wo flarfer Begehr von 
kunſtloſer Handarbeit zu finden if. Auf lebtgenannten Umftand legt 
Taylor (Tour in the manufacturing distriet of Lancashire, 1842) 
vorzügliches Gewicht und erinnert an ben Zudrang von Lohnarbeitern 
in Liverpool bei GBifenbahnbauten u. dgl., f. auch Edingb. Review, 
Mr. 155. ©. 190 (1843). 


Bol. Schüg, Nationalölon. S. 212 und Ramon de la Sagra 
in der Acad. des sciences morales et polit., 6. u. 20. Aug. 1842. — 
Man hat fich in der neueften Zeit öfters, zumal in Frankreich, des 
unbeflimmten und vieldeutigen Ausdruds Organifation ber Arbeit 
bedient, um bamit das au bezeichnen, was in obiger Hinfiht Bedürf: 
niß fe. Hierunter denten fih Ginige focialiftifhe (Gemeinſchafts⸗) 
Anordnungen, etwa nad St. Simon oder Fourier, Andere wenig: 
fiens foldye Ginrichtungen, welde das Uebergewicht ber in den Händen 
der Unternehmer vereinigten Mittel (Capital, Ginfiht, Geichidlichkeit 
in der Sefchäftsleitung) vermindern und die Lohnarbeiter in eine beflere 
Stellung, den Unternehmern gegenüber, bringen ſollten; wieder Andere 
verbinden mit jenen Worten Feine deutlichen Begriffe. Die vorgefchlas 
genen Zwangsmittel, welche die Unternehmer zu einem höheren Lohne, 
zur dauernden Verforgung ihrer Arbeiter u. dgl. nöthigen fullen, bleiben 
entiweder gegen die Macht eines ungünfligen Mitwerbens unwirkfam, 
oder gefährden die Fortſezung der Gewerke wegen der daran gefnüpften 
zu jchweren Bedingungen. 


Es ift zu wünfchen, daß auch für die Bildung ber erwachienen Yabrif- 
arbeiter etwas geichehen koͤnne. 


Der von Chadwik verfaßte Bericht über den Geſundheitszuſtand der 
Arbeiter in Sroßbritanien (Report from the Poor -law-commissioners 
on an inquiry into the sanitary condition of the labouring population 
of Great Britain, 1842) zeigt, wie viel in biefer Hinficht noch zu thun 
it, vgl. L, $. 398 b (d). Im drei Theilen von London, wo die Sterb⸗ 
lichkeit jährlih 3,32— 2,81 — 2,16 Proc. beträgt, und namentlich ber 
Typhus 0,9-0,%—0,1 Proc. tödtet, kommen auf jeden Kopf 58— 
78—217 Oyards, man fieht alfo hier den Einfluß des engen Beiſammen⸗ 


Rau, polit. DOefon. II. 2. Abth. 5. Audg. 5 





N 


(9) 
(%) 


() 
(%) 


0) 


—28 In Nottingham ſteigt die Sterblichkeit in den dichteſt be⸗ 
wohnten Bezirken bis auf Yu, in den am geraͤumigſten bewohnten 
Bezirken finkt fie auf Ya, ja auf Yo. Warr im First report of the 
Registrar General, 1839. — Companion to the almanac 1840, ©. 29. — 
Quarterly Review, Nr. 121, ©. 117. — Buret a. a. D. I, 315. — 
Health of towns an verfchiedenen Stellen. — Ducpetiaux, De la 
mortalit& & Bruxelles, 1844. — Annales du conseil central de salubrit& 
publique de Bruxelles, I, 68 (1841). — Die Bolizeigewalt bat daher 
neuerlich angefangen, den Hauseigenthümern vorzufchreiben, daß fie 
nur folche Wohnungen vermiethen dürfen, die nad) dem Ausſpruche von 
Sachverſtaͤndigen nicht ungefund find, fowie auch die Entfernung ber 
fauligen Pfügen, die Berlegung von Briedhöfen u. bgl. ben Stadt: 
gemeinden empfohlen worben ifl. Brit. Geſetze über Miethwohnungen: 
U. 12. Victor. &. 63 (31. Aug. 1848), 14. 15. Bit. C. 28 (24. Juli 
1851), 16. 17. Biet. €. 41 (4. Aug. 1853), 18. 19. Bit. 6. 88 
(14. Aug: 1855) für Schottland. — Franzöf. Gel. 13. April 1850. 
— Der Nutzen der wohlfeilen Bade: und Wafchhäufer und der befleren 
Berforgung der großen Städte mit gutem Wafler ift unzweifelhaft. 
Die Reinlichkeit Hängt mit der fittlihen Orbnung genau zufammen, 
fie HA blos ein Kennzeichen, fondern auch ein Beförberungsmittel 
derfelben. 


Die erwähnte Abgabe könnte durch das Beifpiel der Knappſchaftscaſſen 
empfohlen werben. Sie wäre minder läftig ale die Zumuthung, daß 
aaa gapherten ihre Arbeiter eine gewifle Zeit lang nach dem Gntlaflen 
verforgen. 


Diefe Hülfscaffen für Fälle der Krankheiten, der Verwundung ıc. 
gränzen ſchon an das Gebiet der Armenpflege. 


Franzöſ. Geſetze über bie livrets 22. Germin. XI. (1803), 22. Juni 
1854, Berordn. 30. April 1855. — Block, Dictionn. de l’Administrat. 
franc. ©. 1076. 


Saͤchſ. Verbot des Truckſyſtems, 18. Dec. 1855. 


Für diefen Zweck ift in neuefter Zeit viel gefchehen. Die Anordnungen 
beichränten fi, nicht gerade auf die Yabrifarbeiter, allein da dieſe bie 
ablreichften find, fo fließt ihnen von felbft der größte Bortheil zu. 
In England find viele Arbeiterwohnungen von Geſellſchaften erbaut 
worden, welche den Miethzins einnehmen und den Bewohnern gewiſſe, 
die gute Ordnung betreffende Berpflichtungen auferlegen. Am meiften 


‚bat die 1844 gegründete Society for improving the condition of the 


labouring classes geleiftet. Die Berliner gemeinnügige Baugefellichaft 
hat das Bigenthümliche, daß die geforderten Miethen außer den Verwal: 
tungsfoften 6 Proc. der Baufoflen betragen und hiebei die Actien durch 
eine jährliche Tilgung (mozu 2 Proc. verwendet werben) heimbezahlt 
werden, alfo bie iu er in 30 Jahren den Miethern eigenthümlicy zu: 
fallen, ein in der Ausführung fchwieriger Plan! Roberts, The 
dwellings of the labouring classes, Lond. 1850. — Gäbler, Ipee 
und Bebeutung der Berl. gemeinnügigen Baugefellfhaft, 1848. — 
Hoffmann, Die Wohnungen der Arbeiter und Armen, B. 1862. 


In Frankreich erhielten fi die aus der Staatscafle unterflügten 
(1, $. 202 a (e) Nrbeitergejellihaften weniger als andere allein auf 
ſich ſelbſt angewieſene. Cinzelne derfelben haben guten Kortgang. Außer 
den angeführten Schriften |. noch Courcelle-Seneuil in J. des 
Econ. 2. Ser. XI, 321. — Huber, Neifeberichte aus Belgien, Frank⸗ 
reih und England. 1855. IL. Bd. — Schulze⸗Delitzſch, die ars 
beitenden @laflen, ©. 69. 1858. 





— 67 — 


Zweites Hauptflüd. 
Manfregeln, die den Abjak von Gewerlswanren betreffen. 


I. Erfindungsvorrechte. 


6. 203 a. 


Die Ausbildung der Kunft in allen Bewerben erfolgt durch 
den WBetteifer Vieler, wobei jeder Einzelne bald ben Anderen 
in einem Bortfchritte vorangeht, bald das nachahmt und benußt, 
was fie erdacht und ausgeführt haben. Es wäre eine uner⸗ 
träglicdye Beläftigung, wenn Niemandem eine ſolche Rachahmung 
erlaubt fein follte, auch ift die Freiheit derfelben in einer Menge 
von Beichäftigungen in allgemeiner Uebung. Daher ift e8 eine 
Ausnahme, wenn man in gewiflen Yällen dem, der eine neue 
Erfindung in der Production in Anwendung bringen will, bie 
ausfchließlihe Benutzung derſelben auf beſtimmte Zeit geftattet, 
worauf fie ſodann ald Gemeingut dem allgemeinen Gebraudye 
anheimfältt. Solche Erfindungsſchutzrechte, Erfindungs— 
privilegien, Öewerböpatente, patents, brevets d’inven- 
tion, werden in der Abficht bewilligt, die Koften und Bes 
mühungen zu vergüten, die auf eine neue Erfindung verwendet 
werden mußten, und durch biefe Ausficht auf Erfap und Gewinn 
Andere zu weiteren Erfindungen zu ermuntern. Diefer Grund 
fann nur bei ſolchen Erfindungen vorfommen, bei denen zu befor- 
gen ift, daß deren baldige Benutzung durch Andere den Urheber - 
um den gehofften Vortheil bringen werde, bei denen die Rad): 
ahmung leicht kenntlich und erweislih, auch das einftweilige 
Berbot derfelben mit geringen Nachtheilen verbunden iſt. Diefe 
Bedingungen finden hauptſaͤchlich im Gebiet der Gewerke ftatt (d). 
Ein gutes Patentgefeg fol die Gegenftände, auf welche ein 
Schutzrecht für eine Erfindung angefprochen werben fann, ges 
nau beftimmen, um ben Yortfchritten bed Gewerbfleißes nicht 
mehr Hinderniffe entgegenzuftellen, ald e8 aus dem angegebenen 
Grunde für nothwendig zu erachten ift (e). Die zu fchügende 
Erfindung kann beflchen 

1) in der Erzeugung einer in Art und Geftalt neuen Kunfts 
waare; in biefem Falle darf der Berechtigte allein den erwähnten 

b* 








— 68 — 


Gegenſtand fertigen und verkaufen, ſoweit nicht Andere von 
ihm die Erlaubniß hiezu erwerben; 

2) in einem neuen Verfahren oder einem neuen Mittel, um 
einen ſchon bekannten Zweck der Hervorbringung vortheilhafter 
zu erreichen, als auf dem bisherigen Wege. Ein ſolches Schutz⸗ 
recht Hindert andere Gewerböleute, das neue Verfahren anzus 
wenden, wenn fle ſich nicht darüber mit dem Berechtigten abs 
gefunden haben. Diele Arten des Verfahrens, die in einer 
abgeänderten Anwendung ſchon befannter Mittel befichen, find 
nicht zur Befchügung geeignet, weil fie fich nicht leicht erfennen 
laflen, weil eine Ueberwachung der Werkftätten nicht zu recht⸗ 
fertigen wäre und der Beweid der Nachahmung nicht zu führen 
ft (f). Die bloße Entdeckung von neuen Naturgefegen oder 
neuen Eigenfchaften der Körper ift ohnehin ausgeſchloſſen, weil 
nur gewerbliche BVerrichtungen ein Schugrecht verdienen. Da 
aber dieſes feine weitere Bejchränfung verurjacdhen fol, als dem 
Derdienfte ded Erfinderd gebührt, fo darf nicht fchon für ein 
neued Berfahren in feinen allgemeinen Orundzügen, ſondern 
nur für die befondere vollftändige Ausführung deſſelben ein 
Patent gegeben werben, wobei alfo andere Methoden, den an⸗ 
gewendeten Hauptgebanfen auszuführen, frei bleiben (g). 


(a) Man bat dieß bei der Lehre von den Patenten nicht genug beachtet. 
Nerzte, Baumeifter, Landwirthe, Gaftwirtbe, Handwerfsmeifter, Kaufs 
leute, Gifenbahn oder PBoltverwaltungen, Schaufpieldizectionen sc. ſehen 
ihren Mitwerbern Bieles ab, ohne daß es diefen einfiele, fi) zu bes 
ſchweren oder ein Berbot vom Staate anzufprecdyen. Cigene und fremde 
Gedanfen milhen fih in allen menſchlichen Verrichtungen mit einander 
und find vft in der Ausführung nicht mehr zu unterfceiden. 


(5) Chaptal, De l’industrie francaise, II, 371. — Stordh, Handb. ILL, 
159. — Wolf, Die Lehre von den Gewerbsprivilegien. Muͤnch. 1829. 
— Weinlig in Rau, Archiv VI, 247. (Der Berfafler geht von 
der Anficht aus, jeder Grfinder habe ein Recht auf die Benugung feiner 
Erfindung.) ebd. R. 5. VI, 44. — Mac-Eullodh, Handb. für 
Kaufleute, 1, 633. — v. Krauß, Geift der öfterreich. Gefepgebung 
zur Aufmunterung der Grfindungen im Fache der Induftrie. Wien 1838. 
— Schuller, Handb. der Geſete über ausfchliegende Privilegien, 
Mien 1843. — Et. Blanc et A. Beaume, Code general de la pro- 
pri6t& industrielle, lit6raire et artistique. P. 1854. — v. Kleinſchrod, 
Die internationale Patentgefepgebung, Erl. 1855. — Stolle, Die 
einheim. u. ausländ. —— herausgeg. von O. Hübener, 
Leipz. 1855. — Ueber die brit. Patentgeſetze bie 1851: Report and 
minutes of evidence ... House of Lords, 4. Juli 1851. fol — Bel 
gien: Steinbeis a. a. O. — Frankreich: Block, Diction. ©. 229. 
— Defeneig: Makowiczka in Rau u. Hanffen Archiv, N. 8. 
x, 213. 





(ed) 


(4) 


(e) 


2) 


() 


— 691 — 


Obgleich manche wichtige Erfindungen zufällig gemacht werden, fo 
würben doch andere ohne beharrlihen, vieljährigen Fleiß nit zu 
Stande gekommen fein, und diefe Aufopferungen würde man in vielen 
Faͤllen nicht machen, wenn man nicht hoffte, einige Zeit vor dem Mit: 
werben gejchüßt zu fein. La fameux Bernard de Palissy, qui nous 
a fait connaitre l’art de fabriquer la falence, avait fait pendant 40 ans 
de travaux pönibles, employ& sa fortune, et brulé, dans ses fourneaux, 
jusqu’aux planchers de sa maison, avant de parvenir à enrichir la 
France de cette decouverte, Chaptal. — No very complex machine 
would ever be brought to maturity except the inventor were in ex- 
pectation of some considerable remuneration for his labour. Roberts 
im ang. Report, Nr. 1277, 1302. R. führt als Beifpiel die von ihm 
erfundene selfacting mule an. @inige ber von der englifhen Com⸗ 
miffion vernommenen Sadfundigen, wie @ubitt und Brunel, 
halten allerdings die Patente für unnötbig und zählen auf den inneren 
Drang der Männer von fchöpferifchem Geife. — Biele Beiträge zu 
der Streitfrage über bie Zwerktmäßigfeit der Patente enthält der ang. 
Report und die Schrift von Stolte — Derfelbe Grund gilt aud 
von Drudichriften. Es ift nicht gelungen, zu -beweilen, daß der Nach⸗ 
drud dem natürlidben und pofitiven Recht widerftreite, aber es laßt 
fih von wirthſchaftlicher Seite darthun, daß es nöthig fei, die Verleger 
durch ein Geſetz vor den Nachdruckern zu ſchuüͤtzen, indem fie fonft Fein 
Honorar zahlen, ohne Honorar aber die meiften Bücher nicht gefchrieben 
werden fünnten. — Die Belohnung des Finters von Mineralfchägen 
($. 37) Hat mit den Grfindungsprivilegien Achnlichkeit. Vergleichung 
beider bei Stolle, ©. 231. — Der Erfinder bat nur foweit ein 
Recht auf ein Patent, als ihm baflelbe durch das, nadı Gründen volks⸗ 
wirtbichaftlicher Iwechmäßigfeit verfaßte Geſetz zugefichert wird. Die 
Grundfäße von Gigenthum find auf die gewerbliche Benukung einer 
Erfindung nicht anwendbar und die Nachahmung ift Fein Unrecht, außer 
wo fie ausnahmeweife dur ein Belek dafür erklärt wird. Jobard 
(Nouvelle &conomie sociale ou monautopole industriel, artistique, com- 
meroial et lit6raire, Brux. 1844) verlangt fogar ein fortdauerndes 
Schutzrecht des Erfinders. 


Alſo z. B. nicht für eine neue Art, die Hausthiere zu füttern u. dal. 
Das Ueberdeden des Miftes mit Gips oder das Düngen mit Würfel: 
falpeter ift eine Srfindung wie das Leimen des Papiers in ber Bütte, 
aber ber Landwirth wird durch die Nachahmung eines neuerfonnenen 
Verfahrens nicht im Abſatze beeinträchtigt. 


Die beſtehenden Geſetze bezeichnen das Feld, in welchem Batente er: 
theilt werden dürfen, nicht feharf genug. Franzoͤſ. Bel. 5. Juli 1844, 
Art. 1: Toute nouvelle decouverte ou invention dans tous les genres 
d’industrie. Ausgenommen find nur Heilmittel, Grebit= und Finanz 
geihäfte, Art. 3. 


3. B. Abänderung in der Zeitfolge ber Verrihtungen, im Wärmegrade 
u. dgl., Flachsſpinnen mit faltem oder warmem Wafler, Berhüten ber 
Zerbrechlichkeit der Becken zur tuͤrkiſchen Mufif dur Abſchrecken in 
foltem Wafler nah dem Erhigen ꝛc. 


Man bat diefen Sag fo ausgebrüdt: es darf fein PBatent für ein 
bloßes PBrincip gegeben werden. Branz. Gel. Art. 30: Die Nichtigkeit 
tritt ein 3) si les brevets portent sur des principes, möthodes, systömes, 
d&couvertes et conceptions th&oriques dont on n’a pas indiqu& les appli- 
eations industrielle. Der lebte Zufap wurde von Arago vorge 
ſchlagen. 





— 10 — 


$. 204. 


Grundzüge der Gefeßgebung über Erfinbungsredhte (a). 

1) In Bezug auf die Leiftung des Patentbewerbers unter 
ſcheidet man 

a) Belohnung einer ganz neuen Erfindung; Erfindungs— 
patente im engeren Sinne (6); 

b) Patente für bie weitere Berbefferung einer von 
einem Anderen gemachten Erfindung, wobei aber, fo lange 
befien Privilegium dauert, der Inhaber des zweiten (Verbeſſe⸗ 
rungs⸗) Patents den Gegenfland des erfteren nicht nachahmen, 
fondern nur das, was er hinzufügte, vornehmen darf (c); 

c) Patente für die Einführung einer im Audlande bes 
fannt gewordenen Erfindung, brevet d’importation. Dieß 
Berpflanzen in das Staatögebiet erfolgt aber bei den vielfachen 
Berbindungen ber Länder fo leicht, Daß es Fein ‘Privilegium 
verdient. Ein Patent für einen Fremden, welcher fchon in 
einem anderen Lande durch ein Patent den Schuß für feine 
Erfindung erhalten hat (d), verdient obigen Namen nidt, 
fondern ift eine ausgedehnte Anwendung des Grunbfages, auf 
dem überhaupt das Patentweſen beruht, fo daß alle gebildeten 
Völfer ald verbunden und einander unterftügend angefehen 
werben. 

2) Ein Batent fol nur für ein neued und eigenthüms> 
liches Kunftmittel ertheilt werden. Es ift nicht nothwendig, dab 
die Regierung vor der Ertheilung eined Patents die Neuheit 
der Erfindung felbft unterfucht, doch ift es zweckmäßig, dad 
Patent zu verweigern, wenn die Staatsbehoͤrde weiß, daß ber 
Gegenftand fchon befannt ift, auch kann jeder Bürger fpäterhin 
den Beweis hievon führen und dadurch ein fchon gegebened 
Patent nichtig machen (e). Hiezu ift ein von Zeit zu Zeit 
veröffentlichted amtliches Verzeichniß aller ertheilten Patente 
nützlich, damit Jeder fich unterrichten könne, welche Erfindungen 
ſchon früher gemacht worden find (f). Der PBatentbewerber 
fann nur für dasjenige, was wirklich neu ift, dad Schugredt 
in Anfpruch nehmen, und muß den Theil des ganzen Gewerbd 
gefchäftes, für welchen er dad Privilegium begehrt, genau be: 
zeichnen. 





3) Die Batente find nicht ohne einige Nachtheile. Andere 
Sewerbtreibende, die auf dem Wege waren, bie nämliche Ders 
volllommnung des Betriebed zu finden, werben gehindert, von 
ihren Bemühungen Vortheil zu ziehen, auch werben die Gegen⸗ 
fände, für welche ein Patent ertheilt worben ift, vertheuert. 
Diefe Uebel find deſto ftärfer, je geringfügiger die gefchüßte 
Erfindung und je größer die Zahl der begehrten Patente ift (g). 
Zur Verminderung dieſer Nachtheile find mehrere Mittel ange 
wendet worden, namentlich 

a) die der Patentertheilung voraudgehende, aus Auftrag 
der Regierung durch Sachverfländige angeftellte Unterfuchung, 
ob die Erfindung erheblih und nütlid genug fei, um ein 
Schuprecht zu verdienen (Ah). Allein in großen Staaten, wo 
die Batente des ausgebehnteren Abfapes wegen mehr Gewinn 
verfprechen und daher verhältnigmäßig häufiger begehrt werben, 
it eine folche in jedem Falle angeftellte Unterfuchung ſehr müh— 
fam, ihr Ergebniß ift nicht zuverläffig, weil die Kunftverftän- 
digen irren fönnen und der Geheimhaltung willen nicht viele 
Berfonen befragt werben bürfen, und doch übernimmt die Re 
gierung für dad in ihrem Namen ausgeſprochene Urtheil eine 
Berantwortlichfeit; deßhalb hat dieſe Einrichtung im Ganzen 
genommen mehr gegen ſich als für ſich. 

b) Die Erhebung einer Gebühr (Patenttare). Iſt dieſelbe 
hoch, fo hält fie undegüterte Erfinder ab, ein Patent zu neh- 
men ober nöthigt fie, anderen Perfonen einen anfehnlichen Ans 
theil am Gewinn für dad bargebotene Capital zu bewilligen (i). 
Die unentgeldlihe Ertheilung würde aber die Patentgeſuche 
allzufehr vermehren, befonderd wenn die erwähnte Unterfuchung 5) 
binwegfällt (k). Es ift daher rathfam, eine mäßige Gebühr 
anzufegen und fie während ber Dauer des Patents jährlich, 
oder doch in mehreren Zeitpuncten entrichten zu laffen, fo daß 
der Inhaber eines nicht zu feinem Vortheil ausgefallenen Pa⸗ 
tentd auf die Fortdauer veffelben verzichten kann und bie fpäte- 
ten Zahlungen erfpart (D. 

c) Die Feftfegung eines furzen Zeitraumes für die Dauer 
ber Patente (m). 

4) Wer fih um ein ‘Batent bewirbt, muß eine beutliche 
.und vollfändige Befchreibung der Erfindung übergeben, bie, 


wenn mechaniſche oder chemifche Vorrichtungen in berfelben 
vorkommen, mit Zeichnungen begleitet it. Um den Bewerber 
vor der Gefahr zu fchügen, daß Andere feine Erfindung aus⸗ 
fpähen und ihm zuvorfommen, hat man es als nüplich aner- 
fannt, daß das Patent vorläufig ſchon auf eine Fürzere Be⸗ 
ſchreibung ertheilt wird, welcher aber dann die ausführliche in 
einer beftimmten Friſt nachfolgen muß (n). Die frühere ober 
fpätere Bekanntmachung dieſer Befchreibung trägt viel dazu 
bei, die Erfindung nad dem Berfluß der Schußzeit gemein- 
nuͤtzig zu machen (0). 

5) Die Einfuhr folcher Kunftwaaren, auf deren Verfertigung 
Jemand ein Patent befigt, vom Auslande ift ſchwer zu verhin- 
dern, und da, wo ohnehin Schußzölle beftehen, kann ein Ein» 
fuhrverbot um fo eher unterbleiben (p). 

6) Wo polizeiliche oder andere NRüdfichten des Gemein 
wohles im Wege ftehen, wird das Patent verweigert (9). 

7) Durch Nichtgebrauch in gewifler Friſt geht ein bewillig- 
tes Patent verloren (r). 

8) Die Beeinträchtigung bed Privilegiums iſt bei Strafe 
verboten (8). 


() England: das Grundgeſetz iſt v. 2. Nov. 1623 (2. Jak. I, Cap. 3.). 
an der Stelle der früher üblichen, willfürlich ertheilten und fehr fchäds 
lichen Monopole. Neueftes Gel. 15. 16. Bict. Gap. 83 (1. Juli 
1852). — Frankreich: Gef. v. 7. San. 1791. N. &. 5. Juni 1854. 
— Preußen: ®. v. 17. Nov. 1815. — Defterreih: Geſetz v. 1821, 
neues (revidirtes) Patent v. 31. März 1832, bei v. Krauß, a.a. D. 
Neueftes Gef. 15. Aug. 1852. — Baiern: Gewerbögel. v. 11. Sept. 
1825, Art. 9. Inftruct. v. 21. Apr. 1862 $. 91 ff. — Würtemberg: 
Mevidirte Gewerbe-Ordn. v. 1836. $. 141 ff. — Norbamerica: Haupt: 
efeb ift die Bongreßacde vom 4. Juli 1836 bei Shuller, ©. 1. 

nftr. vom 11. Oct. 1851. — Belgien: Gef. vom 25. Jan. 1817. 
Briavoinne, De l’industrie en Belgique, II. 120. NR. Geſetz 
24. Mai 1854. 


(d) Es giebt auch Patente für das Wiederaufnehmen einer älteren unbes 
nubt gebliebenen und vergefienen Grfindtung: Entdeckungspa— 
tente. — In Art. 2. des engl. Gel. v. 1835 ift verordnet, daß bem, 
welcher im guten Glauben, er fei Erfinder, ein Patent nahm, auch 
dann, wenn man das Gegentheil erfährt, woferne nur die Erfindung 
nicht allgemein benußt war (not generally used), nach befonderer Un: 
terfuhung fein Patent beftätigt werden kann. — Auch neu erfundene 
Mufter oder Zeichnungen (patterns, dessins) bei gemufterten ober ges 
drudten Zeuchen, Tapeten, Glas: und Thongefäßen u. a. Gewerks⸗ 
waaren Fönnen durch Eintragung in ein Verzeichniß auf erfolgte Ans 
meldung auf gewifle Zeit (9 Monate bis 3 Jahre in Großbritanien) 
vor dem Nachahmen gefchügt werben. Geſectze in Großbritanien bei 











Blanc et Beaume, ©. 37, in Franfreih ebd. S. 329, Belgien 
©. 202. Man nimmt an, daß von 6 Zeichnungen, bie ein Fabrik 
herr entwerfen läßt, nur eine im Durchſchnitt zur Ausführung kommt 
und von 5 ausgeführten nur eine aut einfchlägt. Diele muß alfo die 
Koften der übrigen 29 vergüten, was aber nicht möglich if, wenn es 
Anderen frei flieht, die beliebten Mufter fogleih nachzumachen, Senior 
im Report on the hand loom weavers, 1841, ©. 82. 


(ce) Oeſterr. Gel. 1832, $. 11, Sei. v. 1852, $. 4. übereinflimmend mit 


(d) 


ben englifhen und franzöfiihen Geſetzen, v. Krauß, ©. 27. Es 
fommen daher Fälle vor, in denen das Verbefferungspatent fo lange 
unnüg ift, als das ältere Patent befteht; auch entitehen aus biefem 
Widerſtreite mehrerer Patente oft fchwer zu loͤſende Verwidlungen. In 
Frankreich wird ein Berbefferungspatent einem Anderen et 1 Jahr 
nah der Ertheilung des Patents für den Erfinder der Hauptſache er: 
theilt. Diefer fein bat für feine fpäteren Verbeſſerungen fein neues 
EA nur eine nachträgliche Ausfertigung nöthig, welche bloß 25 Fr. 
oftet. 


Defterr. Patentgel. $. 2, v. Krauß, S. 33 ff. N. Gel. $. 3. Bair. 
B. F. 92. — Nach dem engl. Gef. v. 1852 8. 25 erlifcht das engl. 
Patent, fobald das in irgend einem anderen Staate für die auslaͤn⸗ 
diſche Erfindung ertheilte Patent abgelaufen ifl. — Branzöf. Gel. v. 
1844 6 29; IL’auteur d’une decouverte déja brevatee à l’ötranger 
pourra obtenir un brevet en France, mais la durée de ce br. ne pourra 
exc&der celle des brevets anterieurement pris à l’&tranger. — In Bel: 
gien wird ein @inführungsvatent dann verweigert, wenn man glaubt, 
die Erfindung werde ohnehin bald Bingang finden. 


(e) In Nordamerica muß der Bittfteller eidlich erhärten, doß die Erfindung 


\ 


feines Willens neu fei. — Der halbjährige proviforifhe Schup in 
England (») dient auch dazu, daß unterbeflen @inwendungen gegen 
die Neuheit gemacht werben fönnen. @ine amtliche Unterfuhung über 
die Neuheit der Erfindung findet in Großbritanien, Frankreich, Bel: 
gien, Spanien, Neapel, Oeſterreich nicht Statt, wohl aber in Preußen, 
Hannover, Würtemberg, Rußland, Nordamerika; Stolle, ©. 35. — 
Die Anfechtung eines Patents aus dem Grunde, daß es nicht neu ift, 
fann dem Anfehen der Regierung nicht fehaden, wenn fie geſetzlich er⸗ 
Härt, daß fie über die Neuheit feinen Ausſpruch thue. Es iſt aber 
ein einfaches Verfahren für biefe Anfechtung anzuordnen. 


(f) Der Mangel einer foldhen Lifte wurbe in England fehr läftig empfuns 


(9) 


(A) 


den. Ginzelne Perfonen fahen fi) genöthigt, fie mit großer Mühe zu 
ihrem Gebrauche zu verfertigen. Das engl. Gel. v. 1852 $. 34 vers 
ordnet die Fuͤhrung eines fortlaufenden Verzeichniſſes im Gerichtshofe 
der Ghancery. Baiern: bei dem Handeldminifterium. 


In England find von 1623 bis zum Mai im 3. 1851 13,716 Patente 
ertheilt worden, von denen an diefem Zeitpuncte 7321 noch im Laufe 
waren. MWoodceroft im a. Report Nr. 1763. — Defterreih: 1820 
bie 32 zuf. 17219, 1833—52 4959 Patente, alfo in diefem Zeitraume 
ij. 248. — Preußen: 1815—53 zuſ. 1378 und zwar in den 3 18jaͤh⸗ 
rigen Zeitabfchnitten jährlih i. D. 10 — 26 — 68. — Nordamerica: 
1790—1819 1366 ober jährl. 45, 1820—49 14,060 oder jährl. 468, 
uf. 15,426. Rep. ©. 306. Frankreich: 1791 — 1816 jährl. 32, 1817 
i6 36 jährl. 229, 1837—52 jährl. 956. Die ganze Zahl iſt 23,152. 
Stolle, ©. 228. 

In Preußen, Baiern und Baden findet die Unterſuchung noch Statt. 
Für diefelbe fann man anführen, daß bei Erfindungen, die wenig 





() 


(X) 


( 


(m) 


(r) 


(0) 


(p) 


(2) 
(r) 


— U — 


Schwierigkeiten bdarboten, ein Patent eine zu große Belohnung if, in: 
bem es Andere von der nämlichen Verbeflerung abhält. — Die a. bair. 
V. $. 91 fordert als Bedingung, die Erfindung müfle fo bedeutend 
fein, daß fie einen gemeinnüßigen wefentlichen olg zu Außern ver: 
möge. — BZufammenftellung der Gründe für und gegen in dem Um⸗ 
laufsfchreiben des preuß. Handelsminifteriums v. 8. Suli 1853 bei 
Stolle ©. 210 und Kleinihrod ©. 172. Auf Veranlaflung die 
ſes Schreibens fprachen ſich 18 von 25 Bezirfsregierungen und 22 von 
41 Handelsfammern zu Gunften der Vorunterfuhung aus. — GEs wer: 
den in Preußen jährl. 400 — 500 Patente verlangt und gegen 70—80 
bewilligt, Wedding im a. Report Nr. 2184. 


Die Koftbarkeit der Patente in Großbritanien, wo die Ausgabe im 
Ganzen für alle 3 Königreiche auf 350 2. St. angegeben wurde, war 
Begenftand vieler Klagen. 


Unentgeldlihe Patente in Preußen. Für biefe Einrihtung Klein⸗ 
fhrod, ©. 59, befonders weil die Patente in ihrer Ginträglichkeit 
für den Berechtigten überaus verfchieden find. 

Großbritanien: 10 &. Tare und Stempel bei der vorläufigen Anmel⸗ 
dung, 20 2. bei der Grtheilung bes Patents, 50 8. am Ende bes 
3. Jahres, 100 2. beim Ablauf des 7. Jahres, zufammen 175 2. — 
Defterreich : in jedem ber 5 erften Jahre 20 fl., dann 30, 35 fl. u. f. f., 
für das 15. oder letzte Jahr 100 fl. — Franfreih: auf 5 Jahre 500, 
auf 10 Jahre 1000, auf 15 Jahr 1500 Fr. — Belgien: 1. Jahr 
10 Fr., 2. 20,.... 20. 200 Fr. — Baiern für ein Jahr 25 fl., zwei 
Sabre 30, drei 3. 40 fl..... ‚für 14 3. 250, für 15 I. 275 fl. 
Großbritanien 14 J., Preußen Ye — 15 J., aber meiftene 5 J., Sad: 
fen, Hannover, MWürtemberg nicht über 10 J., Frankreich, Niederlande 
5, 10 oder 15 J., Rußland 3, 5 oder 10 J., Belgien 20, Norbame: 
rica 14 3., Baiern nicht über 15 9. 

Brit. Gef. v. 1852 $ 8 f. — Vorher konnte der, welcher ſich mit 
einer Grfindung beichäftigte, eine vorläufige Anzeige (caveat) machen, 
um fih das Patent zu fihern, allein dieß wurde oft gemißbraudht, den 
wahren Erfinder um das Patent zu bringen, weil bei dem caveat der 
Inhalt der Erfindung nicht angegeben zu werden brauchte, fondern nur 
der Gegenftand im Allgemeinen. 


In Branfreih, Belgien, Rußland, Broßbritanien, Defterreih (in der 
Megel) wird die Beichreibung fogleih oder nad einiger Zeit befannt 
gemacht, in Baiern und Sardinien nad Ablauf des Privilegiums, in 
Hannover ift die Beröffentlihung zu biefer Zeit geftattet. 

Das Bekanntwerden einer geihüßten Erfindung fann die Benußung 
derfelben im Auslande veranlaffen. fo daß die dort verfertigten Waaren 
zum Schaden bes Erſinders eingeführt werden. Es ift aber auch moͤg⸗ 
lih, daß die nämliche Erfindung im Auslande gemadht wird. — Gin 
Einfuhrverbot befteht in Frankreich, Großbritanien, Defterreih, Bel- 
gien, Nordamerica, in Preußen in Bezug auf Mafchinen und Werk: 
zeuge. In Rußland ift der Verkauf eingeführter Kunftwaaren, für die 
ein Patent beftebt, unterfagt. — Nach der Uebereinfunft der Zollvers 
einsſtaaten v. 21. Sept. 1842 darf die Ertheilung eines Patents die 
Ginfuhr, den Berfauf und Gebrauch ähnlicher Begenflände nicht ver: 
hindern, mit Ausnahme von Maſchinen und Werkzeugen. 

3. 3. aus Gruͤnden der Geſundheitspolizei. 

6 Monate Preußen, Hannover, — Sahresfrift Defterreih, Belgien, 
2 Jahr Wranfreih, Niederlande, 3 Jahr Baiern, in Defterreich bat 
einjährige Unterbrechung gleiche Folge. 


(s) Der deutiche Zollverein bedarf einer Verabredung über das Patents 
weien. Der Erfinder ift durd ein Patent in einem einzelnen Vereins⸗ 
ftaate nicht gehörig gefhüßt, fo lange er nicht in allen einzelnen Ber: 
einsftaaten Patente erhalten bat, was bei ber Berichiedenheit der Ge 
feßgebungen und Berwaltungsgruntfäge überaus mühfam und Foftfpieli 
if. Schon die Annahme gleicher Grundfäge wäre ein Vortheil; no 
befier wäre es, die Erlangung von Patenten im ganzen Zollvereine 
oder wenigflens in einer Gruppe von Bereinsftaaten möglich zu machen, 
wozu ein gemeinfchaftliher ſtehender Ausihuß (Patent : Commiffion) 
nöthig wäre, um die Meldungen zu empfangen und zu prüfen. Der 
Widerſpruch einer Regierung aus allgemeinen, 3. B. polizeilichen 
Gründen müßte bie Briheilung verhindern. Wenn aber aud über die 
Zweckmaͤßigkeit und Berdienftlichfeit ein übereinftimmendes Urtheil aller 
Staaten gefordert würde, fo fünnten wenige Patente zu Stande fom: 
men. Die erwähnte Uebereinkunft (p) ift ein Anfang gemeinfchaftlicher 
Beftimmungen. Es fell nur für neue und eigenthümliche Gegenflände 
ein Patent gegeben und für die bereits patentirte Erfindung eines vers 
einsländifchen Unterthans in anderen Bereinsftanten Niemand als dem 
Gifinder oder deſſen Rechtsnachfolger ein Patent ertheilt werden (1), 
die Unterthanen anderer Vereins Staaten follen überall den eigenen 
gleich behandelt (5), es follen alle neuen Patente öffentlich verfüntigt 
(7) und gegenfeitig jährliche Verzeichniſſe mitgetheilt werden (8). — 
Kleinihrod S. 196. 


IL Zwangs- und Bannredte. 


6. 2042. 


Die Zwangs- und Bannrechte, vermöge deren ber 
Eigenthümer einer gewiffen Gewerfdeinrichtung den Bewohnern 
beflimmter Drte verwehren darf, Waaren einer gewiſſen Art 
anderdwoher als von ihm zu erfaufen, oder gewifle Arbeiten 
anderdwo verrichten zu laflen (a), mögen urfprünglid für das 
Emporfommen foldyer Unternehmungen zuträgli geweſen 
fein (d). Mit der Zeit aber, wenn ed an Mitwerben nicht 
fehlt, treten mehrere nachtheilige Wirfungen hervor, fowohl für 
die Hervorbringung im Allgemeinen, als für die Zehrer. Es 
werden nämlich die Beſitzer des Bannrechts verleitet, ihr Ges 
werbe forglo® und mangelhaft zu betreiben, und da biefelben 
andere Unternehmungen nicht zu Stande fommen lafien, fo 
find die Abnehmer gezwungen, fehlechte oder theure Waaren zu 
faufen, ober ſich überhaupt eine minder gute und ſchnelle Be⸗ 
bienung gefallen zu laſſen, wie bei Bannfeltern, aud) ſich öftere 
an einem entfernteren Orte zu verforgen, als es bei freier 
Wahl geichehen würde. Die Aufhebung bdiefer Bannrechte ift 


! 


 .— 76 — 


deßhalb offenbar ein Beduͤrfniß. Die Berechtigten haben zwar 

billiger Weife bei einem rechtlich begründeten und unbedingten 

Bannrecht einen Anſpruch auf Erfag des aus der Aufhebung 

deffelben erweislich entftehenden Berluftes, der entweder in einem 

niedrigeren Preife zufolge des freigegebenen Mitwerbens, ober 
auch in einer Abnahme des Abſatzes beftehen kann. Allein 
biefer Verluſt ift fchwer nachzuweiſen. Es Täßt fidh, wenn das 

Bannrecht aufhört, nicht genau voraudfehen, wie ſich der Er- 

trag des Gewerbes geftalten wird, und auch nady dem Verflufie 

mehrerer Jahre, wenn man etwa einen jener Nachtheile oder 
beide wahrnimmt, bleibt ed ungewiß, ob der Befſitzer des ches 
maligen Bannrechts nicht im Stande war, burdy guten Betrieb 
den Berluft abzuwenden. In vielen Fällen ift gar Fein Schas 
den zu erwarten, 3. B. wenn die Beredytigten einen durch Die 
örtliche Rage geficherten Abfab haben, wenn fie bisher fchon 
nicht mehr alle Bannpflichtigen verforgen Fonnten, wenn ber 

Begehr ftarf zugenommen hat ıc. Die Regierung war fowohl 

nad der Natur der Sache, ald nad) den pofitiven Gefeßen 

vieler Känder befugt, die Ausübungsart der Bannrecdhte zu 
beauffichtigen und den Mißbrauch berfelben zur Bebrüdung der 

Bannpflichtigen zu unterfagen, wodurd der Gewinn des Bann- 

bern ſchon feine Graͤnze erhielt (c). Die Schwierigfeit ber 

Ermittelung bed Schadens und die Annahme, daß derfelbe nur 

gering fein fönne, haben in mehreren Staaten einen Beweg- 

grund gegeben, Feine Entfhädigung zu geben (d). Wo nad 
den Umftänben (rechtliche Grundlage, Umfang und Gegenftand 
bed Bannrechtes) eine Entfchädigung als Forderung ber Ge 
rechtigkeit erfcheint, da muß biefelbe durch eine Schägung mit 

Beiziehung von Sachverftändigen audgemittelt werden (e). Sie 

ift zunächft von den, dem Bannrecht unterworfenen Gemeinden 

zu leiften, aber die gemeinfchäblichen Folgen diefer Rechte rechts 

fertigen einen Beitrag aus der Staatdcafle (f). 

(a) Mittermaier, $. 528 fe — Benedict, Der Zunftiwang und 
die Bannrechte, ©. 173. — Hoffmann, Die Befugniß zum Ges 
werbbetriebe, S. 28. — Berbantlungen der badifhen 1. Kammer von 
1835. I, 73. II, 100. Beilagen, I, 25. 52. — Jahn, in Rauer 
Gameralift. Seitung, 1837, Nr. 252. 278. 317. 346. 372. — Die 
bäufigften Bannrechte kommen bei Mühlen, Brauereien und Brannt: 


weinbrennereien vor. In Baden beftanden 1835 außer den im näm: 
lihen Jahre aufgehobenen aͤrariſchen Bannrechten noch 114 Bann: 


(8) 


(ec) 
(@) 


(e) 


mühlen,, 59 Bannteltern, 13 Wirthſchaftobannrechte, 1 Brauerei und 
1 Ziegelbrennerei mit ſolchen Rechten. — ine noch härtere Verpflich⸗ 
tung als die oben bezeichnete fand bei den fogen. Bann-Weinanlagen 
ſtatt, wo ter Berechtigte die Ortsbewohner zwingen durfte, ihm feinen 
Wein um einen gewilien Preis abzufaufen, wie dieß in Baden bei 9 
Bannherren vorfam. Es gab auch einen Badofen:, Schmiede: Zwang 
u. del. Sämmtliche Bannrechte wurden in Baden 1835 auf 200,000 fl. 
angeflagen, jetoh wahrſcheinlich viel zu Hoch, da dieß zuni Theil 
die eigene Schäßung der Berechtigten ift. — Auch die Rechte der Städte, 
den Betrieb —8 Gewerke auf dem platten Lande zu verbieten 
($. 200), werden Bannrechte genannt. 


Das Bannredyt wurde bisweilen vertragemäßig bewilligt, um Jemand 
a apung eines gewiflen Gewerks, 3. B. zur Errichtung einer 
ühle, Schmiede ıc. zu ermuntern. 


Mittermaier, a. a. O. — Bad. Landredt. Art. 710. he—he. 


Defterreich : unentgeldliche Aufhebung des Bier- und Branntweinzwangs, 
Geſ. T. Sept. 1848. — Baden: Aufhebung der Bannrechte ohne Er⸗ 
ja. Gef. 10. April 1848. 


Das preuß. Epict vom 28. October 1810 hebt den Mühlen:, Brau⸗, 
Branntweins und Schenk-Zwang (in dem damaligen Gebiete des Staa: 
tes) auf. Die Zwangspflihtigen, Berpächter ıc. find zu feiner Ent: 
fhadigung verbunden, „ba die Theorie und die Erfahrung beweilen, 
daß dıe Aufhebung der Zwangs⸗ und Bannrechte in der Regel Feines: 
wegs die Binnahmen der früher Berechtigten mindert, fondern bei ber 
gewöhnlich vermehrten Bonfumtion erhöht.“ Wo jedoch ausnahms⸗ 
weile ein Schaden zu erweilen iſt, da on er 4 Jahre nach der Auf: 
hebung dargethan werden, indem man den Grtrag in bielen Jahren 
mit dem ber 10 früheren vergleiht. Doc, ift nur diejenige Abnahme 
des Abfapes zu vergüten, die ohne Verſchulden des Berechtigten und 
lediglich in Folge des aufgehobenen Bannes eintritt. Ausführliche 
Borjchriften über das hiebei anzumendende ſchiedsrichterliche Verfahren 
in der Inftruction v. 31. Dct. 1825, aud bei Zeller, ©. 312. — 
Auf die fpäter hinzugelommenen Landestheile hat die Beflimmung des 
Epicts v. 1810 feine Anwendung, Eab.:D. 23. März 1836. — Nad 
der Gewerbe:D. v. 17. Ian. 1845 6. 4 ift der Mahl:, Branntwein- 
und Brauzwang, ferner das Zwangsrecht ſtaͤdtiſcher Bäder und Flei⸗ 
fher in Stadt, Borftadt und Bannmeile aufgehoben, foferne viele 
echte nicht auf einem Bertrage beruhen; ferner alle Bannrechte des 
Fiscus, der Gemeinden und Worporationen von Gewerbtreibenden. 
Andere Bannrechte find ablösbar (6. 5). Die Entſchaͤdigungsanſprüche 
der Berechtigten find übrigens bedeutend flärfer geworden, als man 
geglaubt hatte, und man hat deßhalb die Vermehrung der Gewerbes 
echte mehr beichräntt, als anfangs, Hoffmann, a. a. O. — Sädji. 
Seien vom 27. Maͤrz 1838, nach welchem der Mahlzwang von den 
Swangspflihtigen abgelöjet werden fann. Die Enrkhädinungsrente 
darf nicht über */s und nicht unter !/s des Meinertrags des Mahlver⸗ 
kehrs mit den Ablöfenden betragen. Der Bierzwang, ınfoferne ſaͤmmt⸗ 
lie Städte die Brauereien auf dem Lande, und eine einzelne Stadt 
dıefes Gewerbe im Umkreiſe einer Meile, ferner das Ginlegen von 
fremdem Bier verbieten können, wird aus der Staatscafle vergütet; 
man beredynet !/ıo des in Ajährigem Durchſchnitt von dem Brauberech⸗ 
tigten verfleuerten Malzes, und fept für jenen Gentner Malz eine 
Rente von 6 Gr. an. — Würtemberg, Gel. 8. Juni 1849: Diele 
Ausfchliegungsrechte hören auf, begründen aber einen Anſpruch auf 


— 78 — 


Entſchaͤdigung. — Saͤchſiſches G.⸗G. von 1861 $. 43 und Geſetz vom 
15. Oct. 1861 über Entfhädigung der Verbietungsrechte. 


(f) Preußen, a. Edit. — Nah dem bad. Entwurf von 1835 follte die 
eine Hälfte der Entichädigung von der Staatscaffe, die andere von 
den Gemeinden getragen werden. Wollen diefe ihren Antheil nicht bes 
zahlen, fo fönnen de das Bannreht noch 14 Jahre beftehen laſſen, 
wodurdh ed dann vermittelft der fogleich bezahlten anderen Hälfte ge⸗ 
tilgt wird. Die 1. Kammer verwarf diefes Geſetz. — Württemberg, 
a. Gef. : !/a von der Staatscafle, '/s von der Gemeinde. — N. fühl. 
Ge. $. 11: vom Staate. 


II. Einfuhrbeſchränkungen. 


8. 205. 


Seit mehreren Jahrhunderten haben ed bie meiften Regie- 
rungen für nothwendig erachtet, zur Beförderung der einheimis 
fhen Gewerfe die Einfuhr vieler Arten Gewerkswaaren ent⸗ 
weber zu verbieten, oder durch Zölle zu erfchweren, wie bieß 
auch zu Gunſten der Landwirthe bei einzelnen Arten von Robs 
ftoffen oͤfters gefchehen ift, $. 129. 132 (a). Sole Zölle, 
dur die man ein inlänbifches Gewerbe in den Stand fegen 
will, im Mitwerben mit dem Auslande leichter zu beftchen, 
werden Schußzölle genannt (db). Sie unterfcheiden fich 
durch diefe ihre Beftimmung von folden Zöllen, welde eine 
Staatdeinnahme aus ber Waarenverfendung über die Landes⸗ 
gränze gewähren follen und nur als Steuern geredhtfertigt wer⸗ 
ben fönnen, db. b. von Steuerzöllen, II, $. 445. Bei 
jenen ift der Ertrag für die Staatscaſſe Nebenſache und feine 
Abnahme erwünfcht, wenn fie mit einer Ausdehnung der innes 
ren Erzeugung zufammenhängt (ce). Die Schupzölle zur Be- 
förderung der Gewerke müffen in der Lehre von der Gewerks⸗ 
pflege betrachtet werden, denn ob fie gleich bei dem Berfehre 
mit dem Ausdlande gefordert werden, fo find fie boch dieſem 
Zweige des Handeld eher hinderlich als nüglich und gehören 
daher nicht unter die Maaßregeln der Hanbelöpflege. Diefe 
Schupzölle fowie die Einfuhrverbote wurden in einer Zeit ein 
geführt, in der man die Geſetze der Volfswirthfchaft noch nicht 
fannte und von ben irrigen Lehren des Handelsſyſtems (I, 8. 34 
bis 36) befangen war. Sie find bis zur gegenwärtigen Zeit 
fat überall, wo fie beftanden hatten, indbefondere in ben gro⸗ 

















9 — 


Ben Staaten beibehalten worben, body zeigt ſich in ben legten 
Jahrzehnden überall eine Richtung zur Verminderung ber Schuß» 
maaßregeln. Auf dem wifienfchaftlichen Gebiete ift nach dem 
» Borgange der Phyfiofraten das Schupfuflen von A. Smith 
und feiner Schule beharrlich befämpft, jedoch der beharrliche 
Wipderftreit zwifchen den Bertheibigern der Handelsfreiheit 
und der Schupzölle in vielen Schriften fortgeführt worden 
und noch feinedweged beendigt (d). Die Bortbauer dieſes 
Kampfes entgegengefegter Meinungen erklärt ſich 1) aus dem 
verfchiedenen Standpuncte der Streitenden, indem Einige von 
allgemeinen volfswirthichaftlichen LXehrfägen ausgehen und bas 
Ganze der Volkswirthichaft ind Auge faflen, Andere dagegen 
von ber Betrachtung einzelner Erfcheinungen in den Gewerben 
beftimmt werden und auf jene Schlußfolgen der Wiflenfchaft 
fein Bertrauen fegen, 2) aus der Gewoͤhnung an das Beftehenbe, 
bie eine Scheu vor großen Veränderungen erzeugt und von 
denſelben ſchlimme Folgen befürdytet, 3) aus der Schwierigfeit 
eined auf Erfahrungen geftügten Beweiſes, weil bei den hiezu 
benugten Erfcheinungen mandherlei Urfachen zuſammenwirken, 
fo daß feine einzelne derfelben in ihrem Walten unzweifelhaft 
erfannt wird; 4) daraus, daß die von einem Zolle bewirkte 
Zunahme eined Gewerbszweiges viel leichter wahrzunehmen ift, 
als die Rachtheile, welche andere Volksclaſſen dadurch erleiden. 


(a) Die Zölle von aus» und eingehenden Waaren dienten lange Zeit bin: 
durh nur ald Quelle einer Staatseinnahme. Verbote waren aber 
lediglih Schutzmaaßregeln und famen ſchon im Mittelalter vor. In 
Zanguedoe wurde 1305 die Ausfuhr von Wolle und Farbefloffen, in 
ganz Kranfreih unter Ludwig XI. die Cinfuhr von indifchen Seidens 
zeuhen, unter Franz L die Einfuhr fpanifcher Tücher verboten. In 
Benedig, England und unter Karl V. in Spanien wurden Berbote 
und Zölle als Mittel zur Beförderung der Gewerbe gebraudt. — Ein 
dem britifhen Staate wegen feiner Ueberlegenheit im Maſchinenweſen 
eigentgümlidhes Mittel befand in bem Ausfuhrverbote für die meiften 
Maſchinen, doch nicht die Dampfmaſchinen; den Anfang machte das 
Berbot, den Strumpfwirferftuhl auszuführen, im 3. 1696. Die Ber: 
bote wurden mehrmals weiter ausgedehnt, endlich aber im Geſetz vom 
22. Aug. 1843 (6. 7. Bict. 85) ganz aufgehoben. 


() Bianchini nennt fie Differenzialzölle, weil fie den Unterfchieb 
ber ins und ausländifchen Erzeugungskoften ausgleichen follen. Diefer 
Name wird aber insgemein in einem anderen Sinne gebraudt. 


(e) Man hat den Begenfab ber Schutzzoͤlle Häufig mit dem Ausdrucke 
Binanzzölle bezeichnet und den Unterfchied beider Arten bloß in 
die Höhe der Abgabe gefeßt. Der americanifche Praͤſident Bolf ging 


() 


davon aus, daß es einen gewiflen Zollfag für jede Waare gebe, bei 
dem die gelammte Zolleinnahme am größten fei. Werde ber Zoll noch 
weiter erhöht, fo daß alfo die Staatscafle etwas verliert, fo werde die 
Abgabe zu einem Scupzoll. Aber abgefehen davon, daß man bie 
finanziell s vortheilhaftefte Höhe des Zolles oft nicht kennt und dieſelbe 
auch nicht gleich bleibt, ift es auch nicht richtig, nur auf die Größe 
des Betrages zu achten. Bei Dingen, die das eigene Land nidt er⸗ 
zeugen faun und foll, ift jeder Zoll ein Steuerzoll, er fei hoch oder 
niedrig, 3. DB. bei Reis und Kaffee. Bei Kunftwaaren, in denen das 
Inland mit dem Auslande wetteifert, und die nicht zu einer Luxus⸗ 
befteuerung geeignet find, ift der Zoll, wie niedrig aud immer, ſtets 
Schugzoll, 3. B. von Eifen oder Garn. Dagegen können beide Arten 
mit eitander verbunden fein, wie 3. B. bei dem Ginfuhrzoll von Rohr⸗ 
zuder der Betrag, welcher über die Abgabe von Nübenzuder hinaus 
geht, ale Schupzoll angefehen werden muß. 


Da viele Anhänger der Handelsfreiheit die Unthunlichkeit einer plöglichen 
Aufhebung aller Zölle, und viele Gegner die Vorzüglichfeit der Hans 
deisfreiheit im Allgemeinen zugeben, fo: ift das ftreitige Feld fchon 
einigermaßen begränzt worden. — I. Für die Binfuhrzölle fpre 
den, abgejehen von ben älteren Anhängern des Handeleſyſtems (I, 
$. 37), rolgende Schriftfteller: Büfh, Darftellung der Handlung, 
V. Bub, 8. Cap. — Ferrier, Du gouvernement consider dans 
ses rapports avec le commerce, 1805 (vgl. I, $. 37 (0)). — Chap- 
tal, De l’ind. franc. II, 412. — Moreau de Jonnds, Le comm. 
du 19. s. I, 126. 330. — Hopf, Weinungen von der Handelsfreiheit 
und dem Prohibitivſyſten. Wien, 1823. — Stublmüller, Bef. 
3. dem Entw. eines, Baierns Staatöverhältniffen angemeflenen Bolls 
ſyſtems, 1825 (vgl. Heidelberg. Jahrb. 1826, Nov.). — Freih. Gans 
zu Butlig, Syſtem der Staatswirthſch. Leipz. 1826, ©. 56. — 
Kaufmann, De falsa A. Smithii circa bilanciam mercatoriam theo- 
ria. Heidelb. 1827. — Einige Worte über Handel und Induftrie in 
Deutichland. Münden, 1830. — Denkichrift über Zollweien. Stuttg. 
1831. — Branzl, Ueber Zölle, Handelöfreiheit u. Handelsvereine. 
Wien, 1834. — N. Briavoinne, De l’industrie en Belgique, 11, 
15. — (Torrens) The budget: a series of letiers on financial, com- 
mercial and colonial policy. Lond. 1841. Torrens, A letter to 
the R. H. Sir R. Peel on the condition of England and the means 
of removing the causes of distress. 1843. — Schröter, Die Hans 
delspolitit im Allgemeinen und die Handelsfreiheit insbef. Leipzig, 
1843. — NIS eifriger Bertheidiger des Schutzſyſtems und Gegner 9. 
Smith's fowie der ganzen neueren Smith'ihen Schule trat Fr. 
Lift auf: Das nationale Eyflem der polit. Defonomie, I. B. 1841, 
n. A. 1844, und Sollvereinsblatt, feit 1843. Durch unermübdlide 
Wiederholung feiner Lehren und bie Lebhaftigfeit, ja bie Heftigfeit 
feiner Schreibart wurden viele Perſonen für feine Anfichten gewonnen 
oder in denfelben beftärkt und insbefondere die Gewerfsunternehmer 
daran gewöhnt, die ihnen vortheilhaften Schupmaaßregeln unbedingt 
für gemeinnügig zu halten. Die Streitfrage wurde feitdem vorzuͤglich 
in Deutfchland mit verboppeltem Eifer von beiden Parteien verhandelt. 
An Lift ſchließt fich vorzüglich, jedoch nicht unbedingt und mit mehr 
Mäßigung, G. Höfken, Der deutihe Zollverein in feiner Fortbil⸗ 
dung. Stuttg. 1842. — Glaſer, Ueber die Bedeutung der Indus 
firie und die Nothwendigf. v. Schugmaaßregeln. Berl. 1845. — 
Kudler, Grunplehren d. Bolfswirthichaft 1846. IL, 154. — Her⸗ 
mann, in Muͤnch. Gel. Anz. 1847 Rr. 191 —199 (gegen Dönni» 
ges). — Goldenberg, Libre öchange et protection, Paris, 1847, 





tefl. De l’avenir de notre sociötö, Paris et Strassb. 1856. — Zoͤpp⸗- 
ritz, Der Rüdichritt des Bollvereins, Frankf. 1848. — Dentichrift 
über die künft. Hanbelspolitif und Zoflverfaflung Deutichlande, Sie: 
gen 1848. — Bolltarif für Deutfchl., vorgefchlagen vom allgem. d. 
Berein zum Schuße der vaterländ. Arbeit, Frankf. 1848. Zur Frage 
des deutſchen Gewerbsſchutzes, 1850 (v. dem genannten Bereine). — 
Becher, Die deutſch. Zolls und Handelsverh. Leipz. 1850. — Chriſt, 
Ueber den gegemwärt. Stand db. Frage der Schupzölle, Frankf. 1851. 
— Thieors, Discours sur le rögime commercial de la France, Paris 
1851. — Miſchler, Das deutfhe Bifenhüttengewerbe, Stuttg. 1852, 
I, 96. — Mimoerel, Rapport au conseil gentral du Nord, Session 
de 1856. — Rittinghausen, Le syst&me protecteur et le libre &change. 
Brux. 1856. — Carey, Letters to the president on the foreign et 
domestio policy of the union. Philad. 1858 Defj. Principles of social 
seience, Phil 1858. II B. — W. Atkinson, Principles of social and 
political economy. I. Bd. Lond. 1858. — Du Mesnil-Marigny, 
Les libre $changistes et les proteotionnistes concili6s. 2me Edit, P. 
1860. Defl. Solution des problömes relatifs à la protection et au 
libre &change. P. 1861. (Auszug aus dem erflgenannten Buche.) — 
Protin, Les &conomistes appröcies ou nöcessit6 de la protection. 
P. 1862. — U. Für die Handeldfreihbeit: Smith, LI, 265. 
Simonde, Rich. comm. IL, 156. — Brunner, Was find Mauth- 
und Zollanftalten der Nationalwohlfahrt und dem Staatsinterefle? 
Nürmb. 1816. — Lotz, Handb. II, 251. — Beier, Charakteriſtik 
bes Handels, ©. 113. 137. — Weber, Beiträge zur Bewerbe> und 
Handelstunde, U, 4. IH, 7. (Berlin, 1826. 1827.) — Leuchs, Ges 
werbes und Handelsfreiheit, S. 249 (Nürnb. 1826). — Allg. Encys 
elop. Art. Handelsfreiheit von Rau. — Murhard, Theorie 
und Bolitif des Handels, IL 34. — Mac⸗Gulloch, Ueber Hantel 
und SHandelsfreiheit, deutih von Gambihler, Nürnb. 1834. ©. 
64 ff. — Bülau, Der Staat und die Induſtrie, ©. 203. — 
Schön, Neue Untef., ©. 249. — Bowring, Beridt über den 
Handel, die Fabriken und Gewerbe der Schweiz, deutſch von D. 9., 
Zürich, 1837. — 9. F. DOfiander, Ueber den Handelöverfehr der 
Voölker. Stuttg. 1840. IL. — Report of the select committee of the 
House of Commons on import duties, 1840 (ſehr gehaltreih). — 
Edinb. Review, Nr. 148, ©. 503 (Juli 1841). — Bergius, Ueber 
Schußzölle mit befond. Beziehung auf den preuß. Staat und den 
Bollverein, 1841. — Kupfer, Sendfchreiben an einen Gutöbefiger 
Aber das Syſtem der Handelsbalance. Berlin 1841. — Rossi, 
Cours d’sconomie polit. II, 270. 1841. — 3. G. Hoffmann, Die 
Lehre v. den Steuern, ©. 375. — ®raf Petitti di Roreto, Delle 
associazione doganali fra varj Stati. Firenze, 1842. — v Prittwig, 
Ueber Steuern und Zölle, ©. 327. 1842. — Dunoyer im Journal 
des Econ. VI, 113. — Jungbanns, Beleuhtung der Bittichrift 
der Handelsfammer in Elberfeld. Leipz. 1843. Dei. Der Kortichritt 
des Zollvereins, 1849. — 3. Brince:Smith, Ueber Handelsfeind- 
feligkeit. Königsb. 1843. Derſ. Ueber die Nachtheile für die Induftrie 
durch Erhöhung der Binfuhrzölle. Elbing 1845. — Gegen Fr. Lift 
insbef.: Dfiander, GEnttäufhung bes PBublicums oder ıc. Stuttg. 
1842. elggemann, Liſt's nationales Syftem der polit. Defon. 
1842. Die vollf. Hanvelsfreiheit.... . aus dem Edinb. Ber. von Mo⸗ 
riarty, 1842. Rau, Zur Kritif über Liſt's nationales Syftem ber 
polit. Defon. Heidelb. 1843 (aus dem Archiv der polit. Def. V. B.), 
Wiener Jahrbücher der Literatur, CI. 104. 1843. — Gegen Torrens 
(Senior) in Edinb. Bev. Nr. 157, Juli 1843. — v. Buͤlow⸗;Cum⸗ 
Ran, polit. Deton. II, 2. Abth. 5. Ausg. 6 





merow, Der Zollverein, fein Syſtem und deſſen Gegner, Berl. 1843. 
— Hagen, Die Nothwendigkeit d. Handelsfreiheit..... mathematifch 
nachgewieſen, Königsb. 1844. — Brüggemann, Der beutiche Zoll: 
verein und das Schutzſyſtem, Berl. 1845. — G. Clermont, De la 
libert€ commercisale et d’autres r&formes urgentes, Liöge 1846. — 
Congr&ös des Economistes röuni à Bruxelles par les soins de l’associa- 
tion Belge pour la libert6 commerciale 1847. — Dönniges, Das 
Syſtem des freien Handels und der Schußzölle, Berl. 1847. — Bas 
fiat, Die Trugfhlüfle der Schußzöllner, deutih von Noback, Berl. 
1847 (gemeinfaßlich, beredt und —— daher von bedeutender 
Wirkung). — Mothes, Der Ackerbau und der Schutzzoll, Leipzig 
1848. — Die Yabrikinduftrie des Zollvereine. Leipzig, 1848. — 
Gutachten americanifher Staatsmänner über Ginfuhrzölle. Frankfurt, 
1848. — Mill, Grundſaͤtze der polit. Del. d. v. Soetbeer, IL, 
393. — M. Ohevalier, Examen du systöme commercial connn sous 
le nom de systöme protecteur, 2. Ed. Paris 1852. Derf. in Revue 
des 2 mondes, 2 Ser. YI, 616. — J. Dollfuss, De la levéo des 
prohibitions douanitres. 2. Ausg. P. 1860. — Schäffle, Rational: 
öfonomie ©. 253. 1861. — IE. Biele der in I genannten Schrifts 
fteller geben die Zuläffigfeit von une unter gewiffen Umſtaͤnden 
und in gewiflen Gränzen zu. Ginen ſolchen vermittelnden Standpunct 
nehmen ferner ein: (Bierfad) Ueber Schupzölle u.a... . Schuß 
maaßregeln, Frankf. 1843. — Nebenius in D. Bierteljahrsfchrift, 
1842, IV, 327. — Bianchini, Della riforma doganale della Gran- 
Bretagna, Palermo 1846. Defi. Principj della scienza del ben vivere 
sociale, Nap. 1855. ©. 308. — PRegenauer, Beleuchtung des... 
Entwurfs zu e. SBollverein für das vereinte D. Karler. 1849. — 
Lavollse in Journal des Econom. XXIII. 30. Aug. 1849 und in 
Revue des 2 mondes, April 1856 ©. 639. — Wappaäus, Gelegent 
lihe Gedanken über nationale H. BPolitif, Gött 1851. Sehr viel 
Material enthalten tie Berhandlungen ter früheren franzöfifchen De: 
putirtenfammer von Jahr zu Jahr und die von dem damaligen Han: 
belsminifter Gr. Duch at el veranftaltete Engqu6te relative & diverses 
prohibitions ötablies A l’entree des produits &trangers, commencse le 
8. Octob. 1834. Paris 1835, III B. 4°, 


$. 206. 


Das Schupfyftem.ift Kauptfächlich auf folgende Säge ge- 
fügt worben: 

1) Die Häufige Betreibung der Gewerke erhebe bie Voͤlker 
zu dem höchften Wohlftande, mache die ftärffte Bevölkerung 
möglich und ſei überhaupt ber flaatlichen Entwidlung am meis 
ftien günftig, insbefondere werde von ihr auch die Blüthe der 
Landwirthfchaft mehr als durch jede andere Urfache beförbert. 
Im Kindesalter ber Volkswirthſchaft könne man zwar nicht 
umbin, rohe Stoffe aus» und ©ewerföwaaren einzuführen, 
aber im Yortgange trete ein Zeitpunc ein, wo bie eifrige Bes 
förderung bed Gewerkoweſens durch Schugmittel Bebürfniß 
werde, um Bolf und Staat auf eine höhere Stufe des Reich- 


e 











— 83 — 


thums, der Macht und Bildung zu bringen, bis dann endlich 
eine ſo hohe Ausbildung der Gewerke erreicht werde, daß man 
die Beſchraͤnkungen der Einſuhr wieder aufheben und die Han⸗ 
delsfreiheit herſtellen koͤnne (a), Schon die volkswirthſchaft⸗ 
liche Unabhängigfeit erfordere es, daß diejenigen Gewerkswaa⸗ 
ren, welche dad Volk in größter Menge verzehrt (d), durch bie 
Arbeit feiner eigenen Bürger hervorgebracht werben. 

Die vortheilhaften Wirkungen zahlreicher und gut betriebes 
ner Gewerke find unbeftreitbar (1, 8. 392— 393), und felbft 
der gartenmäßige Anbau des Landes vermag nicht die nämliche 
Bolfömenge auf gleihem Raume zu erhalten, als das Fabrik: 
weien. Indeſſen fönnen fi) auch Völker mit vorherrfchender 
Landwirthſchaft in einem günftigen Zuftande befinden, fo daß 
ber Uebergang zu einem flärferen Gewerksbetriebe nicht kuͤnſt⸗ 
li befchleunigt zu werben braucht. Derfelbe wird durch Meh—⸗ 
rung der Gapitale und der Volksmenge, alfo durch größeres 
Angebot von Arbeit und niedrigen Lohn bei einem reichlichen 
Vorrath von Verwandlungs⸗- und Hülfsftoffen von felbft vor- 
bereitet und durch einen lebhaften Unternehmungdgeift, der nur 
der freien Bewegung bedarf, zu Stande gebradt. Wie in den 
einzelnen Theilen eines großen Staated bald die eine, bald 
die andere Hauptelaffe von Bewerben (Bergbau, Holzzucht, 
Aders, Rebbau, Viehzucht, Gewerke, Seehandel und Schiffs 
fahrt) vorherrſcht und hiedurch ein nügliche® gegenfeitiges Er⸗ 
gänzen, ein vortheilhafter Verkehr zwifchen dieſen Landestheilen 
veranlaßt wird, fo geftaltet fi, naturgemäß aud) von Land zu 
Land das Berhältniß der Hauptgewerbe zu einander verfchieben. 
Es wäre nicht zwedimäßig, die hierauf einwirkenden befonderen 
Urfahen, die 3. B. in der natürlichen Befchaffenheit des Lan- 
des oder in früheren Ereigniffen liegen, unbeachtet zu laflen 
und überall einen gleichen Gang des ganzen Gewerbeweſens 
bewirken zu wollen. Ein Theil der zur Verforgung der Ein- 
wohner dienenden Kunſtwaaren fann ohne Schwierigkeit von 
augen eingetaufcht werden, wenn ed nicht an Gegenftänben 
fehlt, die ald Gegenwerth dem Auslande dargeboten werben. 
Der Zuftand der eigentlichen Sabrifländer zeigt bei ben befann- 
ten Bortheilen auch manche erhebliche Schattenfeiten, weßhalb 
wenigftens bie Zunahme der Gewerke über das Gleichgewicht 

6* 


berfelben gegen bie Erbarbeit keinesweges allgemein wünfchend- 
wertb ift, I, 8. 395 (c). 


(a) Lift (S. 25 ff.) räumt ein, daß diefe im Allgemeinen das Beſte fei, 
laubt aber, man müfle wegen der feindfeligen Maaßregeln anderer 
egierungen und ber größeren Entwidelung der Gewerke in anderen 

Ländern in der erwähnten mittleren Periode des Bewerbewefens jedes 
Volkes einen Zollihug zu Hülfe nehmen, um jenen vollflommentten 
Zuftand Herbeizuführen. Bor Lift ſchon Hatte Fränzel a. a. O. 
&. 47 daflelbe ausgefprocen. 

(5) &6 find diefes die Kunftwaaren vom höchſten volkswirthſchaftlichen 
Werthe. I, $. 59. 

(e) Goldenbexg (De lavenir ete. ©. 124 ff.) beruft fich bei der Schil⸗ 
derung des Nutzens, den die Gewerke in der Volkswirthſchaft leiften, 
auf den höheren Lohn der Arbeiter in denfelben im Vergleich mit den 
Seldarbeitern, ferner darauf, daß das Gewerfserzeugniß dem angewen⸗ 
beten Gapital gleid oder fogar größer fei, während der Bobdenertrag 
nur 5 — !/s des Capitals ausmache. Br verficht hierunter das Sand. 
Allein die Lage vieler Gewerföarbeiter ift im Ganzen, wenn man tie 
Koften des lUinterhaltes, die mangelnden Nebenverdienfle ıc. mit in 
Anſchlag bringt, nicht beffer als die der Tagelöhner auf dem Lande. 
Der Boden i fein erzeugtes und übergeipartes Capital und müßte, 
wenn man ihn zum Gapital im weiteren Sinne zäblen wollte, wenigs 
ftens ald ftehendes angefehen werden. — Du Mesnil-Marigny 

al bon” bie Gewerfsarbeiter erzeugten 5 mal fo viel als gleihe An: 

ar von 2andleuten. Solution S. 9. Die Berechnung ift aber un: 
richtig. 


6. 206 a. 


2) Die Gewerke kommen in einem Lande, wo fie bisher 
noch wenig betrieben worden find, nur empor, wenn fie vor 
dem freien Mitwerben anderer Länder gefchügt werben, in benen 
fie ſchon lange einheimifch und ausgebildet find. Die Einfüh- 
rung neuer Zweige ber Stoffverarbeitung fei mit Schwierig- 
feiten und mit einem Koftenaufwande verbunden, ber, wie ein 
Lehrgeld, den Unternehmern durch einen angemeflenen Preis 
ihrer Erzeugnifle vergütet werden muß, damit fie eine hinrei⸗ 
chende Ermunterung finden. Es fei daher die Pflicht der Re⸗ 
gierung, nicht allein den fchon beftehenden Schug fortdauern 
zu laffen, um bie inländifcyen Gewerke vor dem Verfall zu bes 
wahren, fondern jenen auch zu verftärfen, wenn er fih als 
unzureichend erweißt, um die Capitale, die Arbeitökräfte und 
ben Kunfteifer in erhöhtem Maaße auf dieſe Gewerke Hinzu 
fenfen. Auf dieſe Weife werbe eine Ausbreitung und Bervolls 
fommnung der legteren zu Wege gebracht, fo daß fie fpäter 
das freie Mitwerben im auswärtigen Verkehre ertragen fönnen(a). 


._— 85 — 


Es verfteht ſich von ſelbſt, daß der obige Satz nicht in 
feiner Allgemeinheit, fondern nur in Bezug auf gegebene Laͤn⸗ 
ber, 3. DB. das Feflland von Europa im Vergleich mit Groß- 
britanien, und auf einzelne Zweige ber Gewerke gelten kann (5), 
auch ift er gewöhnlich nur in dieſem befchränften Sinne vers 
fanden worden. Es giebt aber viele Beifpiele von Gewerken, 
weiche ſchon vor längerer Zeit oder auch neuerlich ohne Zoll 
(Hug zur Blüthe gekommen find, fo baß ihre Erzeugniffe in 
Menge und nach mehreren Richtungen bin ausgeführt wer: 
ben (c). Sole Gewerke, weldye die natürlichen und gewerb⸗ 
lihen Bebingungen ihres Gedeihens vorfanden, und durch bie 
Bemühungen eifriger und einfichtövoller Unternehmer bei freiem 
Mitwerben erftarkten, ftehen fefter als bie Fünftlich hervorgeru⸗ 
fenen, und vermögen fid, auch beim Eintritt ungünftiger Um⸗ 
fände aus eigener Kraft befier zu behaupten. Die anhaltende 
und häufige Ausfuhr von Gewerkswaaren aus einem Lande 
beweift, daß die Hervorbringung berfelben hier mit gutem Er⸗ 
folge betrieben wird und eine Beſchuͤtzung für den inländifchen 
Marft überflüffig ift, zumal da auf dieſem die fremden Waas 
ten höhere Bracdhtfoften zu tragen haben. Mögen bei voller 
Freiheit einzelne Sorten noch eingeführt werben, fo ift dieß, 
einer großen Ausfuhr gegenüber, nicht zu beklagen. In jedem 
Lande giebt ed eine Menge von Gewerköwaaren, bei denen 
wegen ber fchwierigeren Berfendung in bie Berne bie inländis 
ſchen Berfertiger einen geficherten Abfag haben. Es kann 
baher, auch wenn die Zwedmäßigfeit des Mitteld im Allgemei⸗ 
nen zugegeben wird, ein Schußbebürfniß überall nur für gewiffe 
Zweige der Gewerksarbeit behauptet werben, die in anderen 
Ländern befjere oder wohlfeilere Erzeugniffe liefern. 


(e) Lift bezeichnet diefe von ihm empfohlene Staatsfürforge mit bem Na: 
men „induftrielle Erziehung der Nation“, „Pflanzung 
der Manufacturfraft.“ Gr flieht den Reichthum ber Voͤlker nicht 
fowohl in der Hervorbringung vieler Sahgüter, als vielmehr in einem 
großen Umfang der Productivfräfte, d. 5. der Mittel zu einer 
reihlihen Hervorbringung. Obgleih nun die zu dieſen Mitteln gehö- 
renden perfönlichen Fahigfeiten und Eigenschaften nicht zu den Behand: 
theilen, fondern nur zu den Urfachen des Reichthums gerechnet wer: 
den dürfen (I, $. 46), fo ift doch ihr Vorhandenſein ohne Zweifel 
ſehr nüßlih, und es bleibt nur die Frage übrig, ob fie nicht ohne ein 
fo ſtarkes Eingreifen der Staatsgewalt zum Borfchein kommen Fönnen. 
— Ginen eigenthümlichen Sebanfengang findet man bei Atfinfon 


-- — 86 — 


a. a. O. ($. 205 (d)). Gr ftellt es als eine Pfliht der Einzelnen 
gegen ihre Mitbürger dar, ihnen abzufaufen, damit alle Gewerbe ein 
ander wechlelfeitig erhalten und die Erzeugung aller Waaren im rich⸗ 
tigen Verhältniß bleibe. Die allgemeine Anerkennung dieſer Pflicht 
werde die Zölle künftig entbehrlich machen. 


(5) Weil nämlich die gebrauchten Gründe da hinwegfallen, wo in einem 
—* Fabrikweſens die Ueberlegenheit gegen andere Laͤnder vor⸗ 
anden iſt. 


(e) Schon im Alterthume und Mittelalter finden ſich zahlreiche Beifpiele. 
Tuchmweberei in Florenz und Mailand, am deutlichen Niederrhein (Köln, 
Aachen ıc.), befonders in Flandern, — Tüher und Wollenzeuche in 
Sachſen, — Seidenweberei in Genua u. a. italienifchen Städten, — 
Glas⸗ u. a. Kabriten in Benedig, — Mandfaltigfeit von Kunſt⸗ 
erzeugniflen in Nürnberg und Augsburg, — Eifen: und Stahlmaaren 
in der Grafichaft Marf und dem Herzogthum Berg (Bagen, Solingen, 
Remſcheid), ferner in Schmalfalden, — Leinwand in Schlefien, Weit 
falen und Oberſchwaben, — Rothgarn (fog. türfifches), Schnürriemen 
und Bänder in Biberfeld und Barmen, — Spiegel und Spiegelfolie 
fowie mancdherlei kurze Waaren in Fürth, — Schießgewehre in Suhl 
und Lüttihb, — Eeidenwaaren im Canton Zürih, — Baumwollen⸗ 
waaren im Baireuthifchen (Hof, Münchberg), in Elberfeld, in Aargau, 
St. Gallen, Appenzell, Sachſen, — Holzſchnitzwaaren in Berchtes⸗ 
gaden, fonft als „Salzburger Waaren“ befannt, ferner in Tirol (Oro: 
den) und Sonneberg, — Uhren in Genf und Neuenburg, — Holz: 
uhren im Schwarzwald, — Glaswaaren in Böhmen, — Porzellan in 
Thüringen, — Strumpfwaaren in einigen deutichen Städten (Grlan⸗ 
gen, thüringifche Orte), — Geigen in Mittenwald (Öberbaiern), — 
Seidenbänder in Bafel. — Die große Anzahl der Gegenflände, in 
denen fih Nürnberg auszeichnete und zum Theil noch jet auszeichnet, 
überblidt man bei Roth, Geſchichte des Nürnberger Handels, 2. und 
3. Bd. In den vorfiehenden Beifpielen find engliſche und franzöfifche 
Gewerfsleiftungen ausgefchloflen worden, weil bei dieſen feit Jahrhun⸗ 
derten Staatsmaaßregeln einwirkten. 


$. 207. 


Die näcfte Folge eines neuangelegten Einfuhrzollee, wos 
ferne derfelbe nicht überflüffig und wirkungslos ift, befteht in 
ber Bertbeuerung ber von ihm betroffenen Kunftwaaren, 
auch wird biefe Preiserhöhung bei jener Maaßregel beabſich⸗ 
tigt. Hiedurch wird den inlänbifchen Käufern eine größere 
Ausgabe auferlegt, die fie zur Einſchraͤnkung ihres Gütergenuffes 
in dem zolfpflidytigen Gegenftande felbft oder in anderen Ber: 
wendungen ihres Einfommend nöthiget. Diefer Nachtheil bie⸗ 
tet einen ber flärfften Gründe für die Sreigebung bed Handels 
dar (a). Man bat fid) bemüht, ihn zu entfräften, indem man 
anführte: 

a) daß bie höheren Preife nicht lange dauern, weil burd) 
die Kortfchritte der Kunft die Erzeugungskoſten verringert wer- 








— 87 — 


den und bei ber Zunahme bed Angebots die inländifchen Unters _ 

nehmer fidy bald gezwungen fehen, bie Preiſe niedriger zu ftellen; 

hierüber ſ. $. 208; 

b) daß aus biefer Ausdehnung ber Production, aus ber 
vollftändigeren Benugung der Gapitale und Arbeitöfräfte, fer- 
ner aus der Erhöhung des Lohnes, des Gewerbverdienſtes, ber 
Grund⸗ und Eapitaltente die Mittel zur Bezahlung des hoͤhe⸗ 
ren Waarenpreifes dargeboten würden und baß eine Wohlfeils 
heit von ®enußmitteln nicht zu wünfchen fei, die mit Entbeh- 
rungen ber 2ohnarbeiter (5) und dem Darnieberliegen eines 
Theiles der hervorbringenden Gewerbe erfauft werde (c). 

Ein Aufwand von Seite ber Staatögefammtheit zur Bes 
förderung eined Zweiges ber hervorbringenden Gewerbe Täßt 
ſich unter gewiffen Umftänden ohne Zweifel rechtfertigen (III, 
$. 79). Nur ſollte die in ihm enthaltene Beſchwerde, wie 
iede Staatölaft, gerecht vertheilt fein (III, $. 11. 250), auch 
müßte fie, wenn ein Zoll zuläffig fein fol, durch die von ihm 
beroorgebrachten volkswirthſchaftlichen Vortheile vergütet werben 
und zur Erhöhung des Volkswohlſtandes unentbehrlich fein. 
Dieß führt zu der folgenden Betrachtung ber weiteren Wirkun- 
gen bes Zollſchutzes auf bie befchüsten Gewerbszweige, $. 208. 
Es giebt übrigend noch andere Wirkungen , indem ver erhöhte 
Preis einer Kunftwaare nicht felten einem anderen Gewerke, zu 
welchem jene wieder gebraucht wird, binberlid wird (8. 213 a), 
und bie verminderte Einfuhr eine Abnahme der Ausfuhr von 
Landederzeugniflen zur Folge bat. 

(a) Prince-Smith a. a. D. nennt deßhalb die Schußzölle Theue⸗ 
rungszölle. Der American Walfer nimmt an, die Einwohner 
abiten 27 Mill. Ginfuhrzoll und die doppelte Summe in den erhöhten 

eifen an inländifche Gewerbsleute, Gutachten sc. S. 25. — I have 
always considered that the increase of price in consequence of protec- 
tion amounts to a tax... I conceive the actual money paid for the 
protecting system and the evil effect produced would be more than 
the whole revenue of the country. Mac Gregor, 1840. — Bei dem 

Zoll von 30 Proc. auf Seidenwaaren nahm man an, daß bie engli: 

fhen Käufer an 4 Mill. L. St. jährlih für diefe Waare mehr aus: 

geben, als bei freier Binfuhr, Porter, Progress. ©. 222. — Man 
eruft fi zwar darauf, daß die Mehrausgabe nicht aus dem Capitale, 
fondern nur aus den Berbrauchsvorräthen beftritten werde und folglich 
nur auf die Sehrer falle, Kränzl, ©. 16. 21. Aber dies gilt nur 
von Zöllen, die auf leicht entbehrlihe Lurusgegenftände gelegt werden, 


und felbft bei diefen muß doc ein befonderer Bortheil vorauszufehen 
fein, wenn der Zoll als zuläifig ericheinen fol. 


(6) Das eine Wohlfeilheit, die durch Gmiebrigung tes Lohnes entſteht, 
nicht gemeinnägig fei, iſt ſchon I, $. 172 gezeigt und aud von Her: 
mann a. a. D. bemerkt worden. 


() Rah Hermann a. a. D. if ungeadhtet der Bertheurung der en 
überwiegend, wenn tie Mebrausgabe der Käufer nicht fo viel beträgt, 
ald die Bergrößerung des Ginkommens ber Arbeiter, Grundeigenthü⸗ 
mer, Gapitaliften und Gewerbsunternehmer. Wenn z. B. die Käufer 
1 Mill. FH. mehr ausgeben müßten, tamit aber eine neue Hervorbrins 

ung von 5 Mill, bewirkt und nad Mbaug tee Berbraudes von Stof- 
en ıc. den genannten Glafien ein um 2 ill. vermebrtes Cinkommen 
zugeleitet wird, fo wäre allerdings im Ganzen Gewinn vorhanden. 
Allein es bliebe doch noch ber Zweifel übrig, ob ohne das Opfer ber 
Zehrer eine ſolche Ausdehnung der Production nicht flattfinden Fönnte 
und ob nicht auch andere Nachtheile zu beforgen wären. 


$. 208. 


Die im Berlaufe der Zeit eintretenden Wirkungen ber 
Schußzölle werden von den Anhängern der entgegengefehten 
Meinungen (8. 205) in fehr verfchiedener Weiſe angenommen. 
Die Erfahrung beftätigt weder die günfligen nody die ungün- 
ftigen Borberfagungen in ihrer Allgemeinheit, fie lehrt viel 
mehr, daß die Bolgen nicht unter allen Umftänden gleichartig 
geweſen fin. 

1) Biöweilen waren die einem Gewerkszweige entgegens 
fiehenden Schwierigkeiten fo groß, daß er ungeadjtet ded Ein: 
fuhrzolle® nidyt emporfam, die Einfuhr fortbauerte und Die 
Zehrer zwar zu Gunften der Staatöcaffe, aber ohne einen ge 
meinnügigen Erfolg belaftet wurden (III, $. 443. 1.). 

2) Biöweilen haben ſich die gehegten Hoffnungen für bie 
befhügten Gewerke erfüllt, indem dieſe nicht allein an Umfang 
zunahmen, fonbern zugleich fich vervollfommneten, die Preiſe 
ihrer Erzeugniffe nady und nach niedriger ftellen fonnten und 
ſelbſt bis zu einer anfehnlichen Ausfuhr gelangten, fo daß end⸗ 
li) der Zoll ganz überflüffig wurde. In ſolchen Fällen haben 
gewöhnlich neben den Zöllen noch andere, der Entwidelung 
einzelner Gewerkszweige günftige Umftände mitgewirkt (a). 

3) In vielen anderen Faͤllen veranlaßte der ftarfe Zoll zwar 
eine häufige Betreibung der begünftigten Gewerke, aber mit 
unvollftändigen Erfolge, fo daß andere Länder immer noch in 
Wohlfeilheit oder Güte der Kunſtwaaren voran ftanden. 

a) Nahınm die inländifche Erzeugung foweit zu, daß fie ben 
ganzen Bedarf lieferte, fo hörte die Einfuhr faft ganz auf, bie 








— - 89 _ — 


Zehrer mußten fih aber fortwährend um höheren Preis ver 
forgen, wenn aud) vielleicht das Mitwerben der einheimifchen 
Erzeuger wenigftens ben Preis niedriger ftellte, als die An- 
Ihaffungsfoften der fremden Waaren mit Einrechnung bes 
Zolles und der Fracht gewefen wären. Die gefchügten Unter 
nehmer nahmen begreiflich die Fortdauer des Schuges dringend 
in Anſpruch (D). 

b) Dehnte ſich die Hervorbringung des Landes nicht forweit 
aus, fo mußte immer noch die Einfuhr zu Hülfe genommen 
werben, ber ‘Preis ber eingeführten Waaren kam auch den im 
Inlande hervorgebrachten zu Gute und die einheimifchen Ver⸗ 
fertiger bezogen entweder einen anfehnlihen Gewinn (c) oder 
wurden ber Mühe überhoben, mit ben Ausländern durch befie- 
ven Betrieb zu woetteifern, weßhalb fie gleichfalls einer Zoll, 
erniebrigung eifrig wibderfirebten. In beiden Fällen hatten bie 
Zehrer ein Opfer zu bringen, um eine minber vollfommene 
Production aufrecht zu halten. 


(ea) Die Blüthe der britifchen Fabriken, die von Bielen für eine Frucht 
des Schupfyftems gehalten wird (Lift, S. 77), ift ohne Zweifel meh: 
reren Urfachen zuaufchreiben, I, $. 394. Ducos, Kommiffionsbericht, 
Moniteur 1837 Nr. 97. — Rau, Zur Kitif ©. 9. — Wiener 
Jahrb. a. a. O. — Aehnliches wird fib auch in manden anderen 
Fällen zeigen, in welden ber Zollfhug von einem fo günftigen Er⸗ 
folge begleitet war. Bei den Gewerfen des Zollvereins mußte fchon 
die große Erweiterung des Abfapgebietes, fowie die leichte Verbin⸗ 
dung duch Gifenbahnen eine vortheilhafte Wirkung Außen. Die 
Mollentüher von Deutichland, Belgien und England find ungefähr 
von gleicher Güte und die Deutichen haben die niebrigiten Hreife, 
Amtl. Bericht über die Lond. Ausſt. II, 83. Amtl. Bericht über die 
Barifer Ausft. ©. 514. Der GEinfuhrzoll vom Gentner ift im Zoll: 
verein 30 Thle., in Belgien 125 Fr. (33'/; Thle.), in Großbritanien 
neuerlih 0. Die 3 Länder haben offenbar in diefem Zweige gleichen 
Schritt aehalten. Die Aufhebung des Zolles würde auch den beiden 
erften nicht ſchaden und die Fabrifherren nur noch flärfer wachſam ers 
halten, um nicht zurüdzubfeiben. Der Zollverein Hatte 1860 


Einfuhr Ausfuhr 
von Wollenwaaren 6°079 000 Thlr. 48°768 000 Thlr. 
Baummollenwaaren 1629000 = 36.345500 ⸗ 
Seidenwaaren 8.461000 = 53479000 = 


(5) Die Erwartungen, daß ein Auefuhrzoll in Kurzem wieder entbehrlich 
werde, haben fi in einer großen Anzahl von Fällen als irrig erwie⸗ 
fen und nad einer Reihe von Jahrzehnden werden von den Fabrik⸗ 
herren noch die nämlichen Anforderungen erhoben. In Oeſterreich be: 
ftehen Grfchwerungen der Einfuhr von Kunftwaaren ſchon lange. — 
Leopold I. verbot 1774 die franzöftihen Waaren. Im 18. Jahrhun: 
dert erfchienen mehrere ſtrenge Zollpatente, die jebod lebhafte Klagen 


(e) 


veranlaßten und durch fpätere Berorbnungen, 4. B. das Patent vom 
14. October 1774 (aus Rüdfiht für den inländifhen Confumenten 
und Handelsmann) wieder gemildert wurden. Bidermann, Die 
technifhe Bildung im K. Oeſterreich S. 27 ff. Die Mauth:D. für 
das Erzh. Defterreih v. 2. April 1755 enthält ſchon @infuhrzölle von 
18 fr. vom Gulden (30 Proc.) für mufikal. Snflrumente, Wollentuch, 
Wollenzeuche, Bürſten-, Zinn⸗, Glas:, Klempner-, Tiſchler⸗, Seiler, 
Poſamentir-Waaren, Schreibpapier, Spiegel, Teppiche, — von 12 Fr. 
(20 Proc.) für Leinenwaaren, von 9 fr. (15 Broc.) für Galanterie⸗ 
Waaren, Batift, baumwollene Zeuche, Sattler:, Schloſſer⸗, Schubs 


macher-Waaren, von 2 fl. 6 und A fl. 48 für das Pfd. Seidenband, 


3 f.—7 fl. 12 für das Pfd. Seidenzeuhe. Das Gef. 27. Aug. 1784 
verbietet eine Menge von ausländifchen Kunftwaaren als Handels: 
negenflände und geftattet nur für eigenen Gebrauch gegen Paß die 
Einfuhr unter einem Bonfumozoll, der von Galanterie⸗- feinen Glass, 
Meifing-, Bofamentir-, Stable, Schmud-Waaren, Uhren, Porzellan, 
Spieneln, Kleidern ıc. 36 Fr. vom fl. (60 Proc.), von Waffen, muſi⸗ 
cal. Inftrumenten, Wagen ıc. 12 Er. (20 Proc.), vom Pfd. Wollentuch 
3 fl., Wollenzeuh 3 fl. 24 beitrug. Leinwand zahlte vom Pfb. 1 fl. 
36 fr. Einfuhrzoll, Baummollenzeudy 10 Fr. bis 3 fl. 36 kr., Seiden: 
zeuh 10 fl. 48 — 14 fl. 24 fr., ferner der Gentner Stabeifen 3 fl. 
36 kr., viele Eifenwaaren 4 fl., Benfterglas A fl., Hohlglas 6 fl., 
baumw. Garn 10 fl., Meſſingdraht, Senfen ıc. 12 fl., Kupferdrabt 
20 fl., Klempnerwaaren (ebenfalls außer bem Handel gelebt) 24 fl. sc. 
Die Härte diefes Gefepes zog einen fehr auögebreiteten Schleichhandel 
an ben Landesgraͤnzen nach fih. Cine Zunahme mehrerer inlänpdifcher 
Gewerke Eonnte freilich nicht ausbleiben. Dabin gehörte namentlich 
die Tuchweberei, Bidermann, a. a. D. ©. 64. Auch wurden 
ohne Zweifel Kortfchritte in der Gewerkskunſt gemacht, dennoch blieb 
diefe in vielen Zweigen im Bergleih mit dem Auslande zurüd, weil 
fie ganz abgefchloflen war, und es erhellt, daß ein gegen hundert Jahre 
fortgeleßtes Schutzſyſtem bie gehofften Wrüchte nicht getragen hat. 
Auch noch 1862 erflären die öfterreichifchen Yabricanten die Fortdauer 
des jehigen Schupzolles für unentbehrlih. — Auch im preuß. Staate 
war ſchon unter Friedrich II. die Einfuhr vieler MWaaren darum ver: 
boten worden, weil fie im Lande hervorgebradht würden. Nach dem 
Accitetarif von 1787 gehörten dahin afle Wollen:, Leder⸗, Seiden⸗, 
Baumwollen- und Leinenwaaren, Porzellan, Steingut, Metalls und 
Glaswaaren. 

Es ſeien z. B. die Ankaufs- und Beiſchaffungskoſten vom Auslande 
100 fl., die inlaͤndiſchen Erzeugungskoſten 115 fl., ber Zoll 24, alſo 
ber lie Preis 124 fl., fo gewinnt der Fabrikherr noch 9 fl. 
oder Proc. 


$. 209. 
Die frühere Meinung, daß der Zollſchutz ein unfehlbares Mittel 


fei, die inländifchen Gewerke zu größerer Ausdehnung und auf eine 
höhere Stufe ver Kunft zu bringen, wird durd) die Wahrnehmungen 
widerlegt, nach denen jene Maaßregel bisweilen unwirffam, oft 
wenigftend von unvollftändigem Erfolge geweſen ift, $. 208. 
Die Urfache diefer Erfcheinung liegt darin, daß die Blüthe ber 
verfchiedenen Gewerkszweige in einem Lande von Bedingungen 








— 9 — . 
abhängt, deren Mangel burdy die Erfchwerung ber Einfuhr 
fremder Kunſtwaaren nicht erfeßt wird. Dahin gehören haupts 
fächlich folgende: 

1) Gelegenheit, die erfowderlichen Berwandlungs- und Hülfe- 
ftoffe in der erwünfchten Menge, Mandhfaltigfeit zur Auswahl, 
Güte und Wohlfeilheit zu erlangen. Länder, bie deßhalb an- 
deren in Hinficht auf gewiffe Gewerkozweige nachftehen, haben 
eine Schwierigkeit zu überwinden, die bei ber allmäligen Ber- 
minderung ber Frachtkoſten, 3. B. durch Dampfichifffahrt und 
Eifenbahnen, zwar verringert, aber nicht völlig befeitigt wird (a). 
Daber fiedeln ſich folche Gewerke, weldye im Verhältniß zur Arbeit 
eine große Menge von Stoffen erfordern, von jelbft in folchen 
Ländern und Gegenden an, wo fie in diefer Hinfidht die größ- 
ten Bortheile finden, L, $. 404. Bei Stoffen, die vom Aus 
lande bezogen werben müffen, ift bie leichte und wohlfeile Zu- 
fuhr von Wichtigkeit (5). Uebrigend wirb nicht felten bie 
Wirkung diefer ungünfligen natürlichen Umftände durdy andere 
Bortheile aufgewogen (c). 

2) Die Befchränktheit ded apitald in einem Volke und 
der höhere Zinsfuß Halten oft von foldyen Gewerkögefchäften 
ab, die nur in beträchtlihem Umfange betrieben werben fönnen 
und ein anfehnliches fichendes Capital erfordern (d). Im 
Sortgange ded Wohlftanded fommen biefelben von felbft an 
Die Reihe (e). 

3) Der hohe Arbeitslohn eined Landes macht foldye Ge⸗ 
werfözweige weniger vortheilhaft, in denen die Lohnausgabe 
einen großen Theil der jämmtlihen Koflen ausmacht. Eine 
ſtark angewachfene Benölferung ohne gleichmäßige Zunahme des 
Capitales ift Dagegen jener Elaffe von Gewerken günftig. 

4) Der Mangel an geichidten Arbeitern ift gleichfalls eine 
Schwierigkeit. Sie laͤßt ſich mit der Zeit heben, wenn man 
auf dad Heranziehen folcher Arbeiter gehörige Mühe verwendet 
und wenn überhaupt die Neigung zu gewifien &ewerfen bei 
den Lohnarbeitern vorhanden ift. Fehlt es aber an bdiefer, jo 
ift fürd Erſte wenig auszurichten (f). 

5) Der beharrliche Eifer, die Thatkraft und die Geſchicklich⸗ 
feit der Unternehmer find zum Gedeihen ber Gewerke erforber- 
ih. Die Fortfchritte, welche die Gewerkskunſt in einem Zeit 


— — 92 — 


alter mit dem Beiſtande der Wiſſenſchaften gemacht hat, müflen 
von ben Unternehmern gefannt und benugt, ed müflen zu⸗ 
gleih alle Mittel zur Vergrößerung ded Erlöfe® und zur 
Erfparung an den Koften zu Hülfe genommen werden. Der 
Mangel an diefen Kenntniffen und diefer Rührigfeit kann von 
dem Charakter eined ganzen Bolfed oder von ber niebrigen 
Stufe gewerblicher Ausbildung bei den Handwerkern und Fabrik⸗ 
herren indbejondere herrühten. Dieſes Hinderniß fann unter 
dem Einfluffe der von der Staatögewwalt ausgehenden Anre⸗ 
gungen, fowie der Anfieblung von Fremden allmälig entfernt 
werben, indeß lehrt die Erfahrung, daß die Schußzölle felbft in 
diefer Hinficht bisweilen ungünftig wirken. Die Unternehmer 
werben durch dad Vertrauen auf geficherten Abfag zur Sorg- 
Lofigfeit verleitet. Es werden leicht Babrifen an Orten anges 
legt, wo die Umftände für ihren Betrieb ungünftig find, bie 
Gebäude, Mafchinen ıc. werden in mangelbafter Beichaffenheit 
hergeftellt, die Babrifen werden von Männern geleitet, bie nicht 
dazu fähig find (9). War auch anfangd der Eifer lebhaft 
genug, fo wird berfelbe doch leicht fpäterhin fchwächer, wenn 
bei der Vergrößerung des einheimifchen Mitwerbend die Ge- 
winnfte ſchon auf das übliche Maag herabgefunfen find und 
ber weitere Zudrang aufhört. Wie durch eine ſtillſchweigende 
Uebereinfunft bleiben dann die Unternehmer aus Bequemlichkeit 
hinter denen des Auslandes zurüd, von deren Mitwerben fie 
befreit find, und fie erreichen deßhalb nicht die letzte Höhe, auf 
der fie durch die Ausfuhr ihrer Kunftwaaren ſich belohnt fehen 
würden (A). Die Menge ber erzeugten SKunflwaaren wird 
durch einen ftarfen Schuß leichter zu Wege gebracht, als ihre 
vollfommene Güte und ihre Wohlfeilheit, und das inländifche 
Mitwerben giebt feinen hinreichend mächtigen Antrieb, mit den 
Zeiftungen ber Kunft im Auslande zu wetteifern. Aus biefer 
Urſache bat die Herabfegung oder Aufhebung eined Zolles öfters 
bie nüglichften Folgen hervorgebracht, weil fie einen flärferen 
Sporm zur Anftrengung gab (?). 

6) Die verfchiedenen Zweige ber Stoffvereblung find nit 
mit gleicher Leichtigfeit neu in Gang zu bringen. Manche 
fommen eher dann empor, wenn andere ſchon ausgebildet find, 
von denen jene nöthige Hülfsmittel, namentlich Mafchinen, 








— s3 — 


erhalten. Muß man dieſe Hülfsmittel von außen herbeiholen, 
fo vermehrt dieß nicht allein die Koften, fondern zieht aud) 
manche Störungen nad fi. Daher ift 3. B. die Gefchidlich- 
feit der Handwerker, welche. Metalle verarbeiten, und die Güte 
der Mafchinenfabrifen eine große Erleichterung für Spinnereien, 
Kunftweberei, Kattun= und Papierfabrifen c. Wo ſchon ıneh- 
rere Gewerke in Blüthe ftehen, da ift e8 weniger ſchwer, noch 
ein anderes in Aumahme zu bringen. 


(a) Großbritanien Hat duch feine reihen Lager von Steinfohlen und 
Gifenerzen große Bortheile (I, $. 120 (e)), ferner durh die Menge 
langwolliger Schaafe, welche die Kämmwolle für glatte Zeuche liefern. 
Die Lager von gutem eifenfreien Borzellanthon und Quarz in Stafford- 
fhire in Berbindung mit der Wohleilheit der Steinfohlen haben bie 
vielen Fabriken von Steingut hervorgerufen, weßhalb man in Franf: 
rei einen Schu von 50 Proc. für diefe Waare anfprah. (Fabry 
und Ugfchneider in der a. Enquöte, II, 67), während in der Ber: 
fertigung des eigentlichen Porzellans England nachſteht. Vergl. I, 
$. 404 (d)). — Wijenwerfe und Stlashütten in der Steinfohlengegend 
bei Saarbrüden. — Reichliche Waflerkräfte haben für mechaniſche Ge: 
werfe eine ähnliche Wirkung. 

(5) Die lebhafte Handelsfgifffahrt der Engländer erleichtert die Verſorgung 
mit Baumwolle aus den Ländern, wo bdiefelbe gebaut wird. Die 
Nähe von Liverpool, wu die meiften Sendungen anfommen, macht ben 
Spinnereien in Mancheſter und der Umgegend die Anfchaffung dieſes 
Berwandlungesftoffes fehr leicht. Wabrifen, die weit von einem See: 
bafen liegen, müflen ſtets einen beträchtlichen Borrath von Stoffen 
gelten und daher einen Theil ihres Gapitals hierauf verwenden. — 

ie Schweiz bezieht die Seide bequem aus dem nahen Italien. Dal. 
IL, $. 404 (e)). Der belgiiche Flachsbau ift eine Stüge der dortigen 
Flachsverarbeitung. 

(c) Das franzöf. Dep. Oberrhein mußte vor der Erbauung der Giſenbah⸗ 
nen für feine Baumwolle und Steinlohlen hohe Frachtkoſten bezahlen, 
gleihwohl kamen die Spinnereien und Kattunfabrifen dort in ausges 
zeichnete Blüthe. Oſtindien fendet Baumwolle nah Großbritanien 
und empfängt von da die aus jener verfertigten Gewebe. 


(d) Tegoborski macht auf die Beichränfteit des Capitals in Rußland 
aufmertfam. Dance Fabritherren müflen für ihre Berwandlungsfoffe 
12 oder 15 Proc. über den Marktpreis bei der Baarzahlung geben. 
Forces productives de la Russie, I. — Man hat auf den niedrigen 
Zinsfuß in Großbritanien zu viel Gewicht gest. Große Bapitale 
geftatten aber auch einen fehr ausgedehnten Betrieb, bei dem manche 
Koftlen geringer werden. Die englifhen Spinnmafchinen brauden 
wegen des großen Abfages nur je auf eine oder einige Barnnummern 
eingerichtet zu werben. 

(e) Gapitale werden auch oft aus reicheren Ländern in folche Gegenden 
ebraht, wo zur Betreibung gewifler Gewerke gute Gelegenheit if. 
ieh gefchieht heutiges Tages viel häufiger als ehedem. 

(f) ®oldenberg (Libre Echange et protection, S. 31) beruft fih, um 
die Nothwendigkeit des Schuges für Frankreich zu beweilen, auf ben 
genügfameren und beharrlicheren Gharafter der Deutfchen im Vergleich 


(9) 


(%) 


— 4 — 


mit den anfpruchsvolleren, heftigeren, zum Zufammenhalten gegen die 
Fabrifherren mehr geneigten Franzoſen. Reybaud (Seances et tra- 
vaux ete. Febr. 1858) macht eine ähnliche Bemerkung, ohne den näm: 
lihen Schluß daraus zu ziehen. En aucun pays l’esprit de l’industrie 
n’est plus developpe et pour ainsi dire plus naturel (als in Deutſch⸗ 
fand). L’Allemand a genie du travail manuel; il prend gout & ce 
qu’il fait, il a la conscience et la patience, l’application et l'instinet 
du travail, qualites dont l’influence est sure. 


— iſt z. B. bei einem Theile ber Rübenzuckerfabriken und Maſchi⸗ 
nenſpinnereien in Deutſchland wahrgenommen worden. Auch in Ruß— 
land findet man nah v. Tegoborski ſchlecht geleitete Baummollen: 
fpinnereien neben gut verwalteten. 


Graf Beugnot (franz. Pairsfammer, 25. Ian. 1843) fagt vom 
Schutzſyſtem: Dans presque toutes les circonstanccs il a ce facheux 
resultat d’engourdir, d’enerver en quelque sorte l’industrie et de lui 
retirer toute confiance en elle mẽmo. — Gin franzöfifcher Yabrik: 
herr ſprach vor dem Unterjuhungsausfhuß: Warum follte i 
mich um das befümmern, was in den englifchen Werfitätten geichicht! 
Ich bin geihügt. — Mehrere einzelne Belege bei Rau, Zur Kritik x. 
— Ma maison a une filature de 25000 broches. Elle pourrait, en 
remplacant ses mötiers, dont une partie date de pres de 40 ans, filer 
le kilog. & 20 Cent. meilleur marché qu’aujourdhui, mais la concur- 
rence interieure n’est pas assez puissante pour l'y contraindre. J. 
Dollfuss bei Chevalier, ©. 398. Später faufte ein franzöfticher 
Fabricant wohlfeil von 3. Dollfuß ſolche veraltete, fchlechte Spinn⸗ 
maſchinen und fagte: sous le systeme prohibitif je gagnerai encore de 
Vargent avec ces mötiers. Die franzöfifchen Spinnereien gewannen 
1850— 53 bei den gewöhnlichen Nummern nicht unter 60 Cent. vom 
Kilogr., bei feinen bie und da bis 40 Broc. — Frankreich hat nur 
3 Spiegel: und wenige Steingutfabrifen, daher blieben die Preiſe 
diefer Waaren hoch. Granzöfifihe Spiegel find fogar im NAuslante 
wohlfeiler als im Frankreich, wo das Cinfuhrverbot den Fabrikherren 
zu Gute fommt. Chevalier a. a. O. ©. 107, Amtl. Bericht über 
die Lond. Ausftellung, II, 291. — Les fabricantse de poterie ont be 
soin d’ötre stimulés, il faut les obliger & faire quelques efforts pour 
sortir de la routine. Il y a inertie de leur part. Leur position a éêtè 
trop favorable. Enquöte, II, 48. Nah Goldenberg haben ſelbſt 
die am meiſten ausgedehnten Gewerke Frankreichs von dem freien Wit 
werben viel zu fürchten, Gifenbereitung, Wollen und Leinenverarbei⸗ 
tung, Meſſerſchmied⸗ und furze Waaren, Wafchinenfabriten sc. Gt 
beforgt (wohl mit übertriebener Wengftlichkeit), daß bei freiem Handel 
3/a der franzöflichen Yabrikzweige (industries) zu Grunde gehen würden. 
De lavenir ete. S. 133. Dagegen zeigt Chevaliera.a. D. ©. 340, 
daß ein Theil der franzöf. Bewerte ohne Schuß beftehen kann. Der 
feit 1815 ununterbrochen beftehende Schuß, der aber auch unter dem 
Kaiferreiche vorhanden war, hat alfo alle dieſe Gewerbe nicht flarf ge 
nug gemadt. — Daß Rußland duch feine Hohen Zölle und ferne 
Ginfuhrverbote eine Vermehrung feiner Gerwerfe erzwungen bat, if 
natuͤrlich, aber es iſt auch allgemein befannt, daß dieje meiftens nur 
eringe Ausbildung erlangt haben und die Gewerkswaaren von ben 
Zehrern, foweit dieje fich nicht durch ben Saleihbenıe verforgen fön: 
nen, fehr theuer bezahlt werden müffen, |. auch v. Reben, Das 
Kaiferreih Rußland, ©. 587. — Defterreih it in der langen Befol⸗ 
ung des Prohibitivſyſtems ($. 208 (3)) nicht jomweit gekommen, ta6 
Fremde Mitwerben ertragen zu fünnen. Es fandte 1847 bei einer 
Bolfsmenge von 37%. Mill. nur für 39 Mill. fl. (des 20 fl.⸗F.), der 





(N) 


— 9886 — 


Zollverein bei 30 Mill. Ginw. 1852 für beinahe 102, 1853 aber für 
140 Mill. Thle (178%, und 245 Mil. fl.) Kunftwaaren ins Aus⸗ 
land. Im 3. 1861 war die Ausfuhr Deflerreihs von ganz fertigen 
Kunftwaaren 138-490 000 fl. oder 3,9% J. — 2,% Thlr. auf den Kopf, 
im Zollverein 1860 239 Mill. Thle. oder 7 Thle. a. d. K. 9. Rau, 
Bergleichende Statiftif des Handels der beutichen Staaten ©. 64. 132 
(1863). — Aus den Grgebniffen der Pariſer Ausftellung von 1855 
fieht man, daß die deutichen Baummollenfpinnereien neuerlich gegen 
die einiger anderer Länder zurüdgeblieben find. Auch bei den Webe⸗ 
reien ift ein größerer Gifer zu wünfchen. „Das Drängen nad höherem 
Schub und die unnügen Zobhudeleien müflen aufhören und dem Drange 
nach Veredlung und Berbeflerung Blag machen, dann wird die Aner- 
fennung im Innern und nah Außen nit fehlen.” Amtl. Bericht, 
©. 476. Auch bei Selegenheit der Kammmollipinnereien wird ebendaf. 
©. 505 bemerkt, daß ein unnöthig hoher Zoll meiſtens Stillfand oder 
gar Rüdichritt herbeifuͤhrt. 


In Großbritanien wurde der Zoll auf geipulte Seide 1824 von 14 ©. 
8 P. auf 71/ ©. vom Pfd. herabgefept, der Zoll auf Rohſeide (ein 
Steuerzoll!) von * auf 3 ©. Der Schuzt für Spulereien ſank alſo 
von 9 ©. 2 P. auf 4a ©. Die Fabricanten brachten es aber dahin, 
die :Koften des Spulens, welde vorher 10 ©. betragen hatten, auf 
3—5 ©. je nad der Güte der Seide zu verringern, Porter, Pro- 
gress, ©. 217. — Die Seidenfabrication in England hob fih im 
Zaufe des 17. Jahrhunderts. Schon 1666 waren 40,000 eiter in 
ihr beichäftiget, wozu noch die nady der Aufhebung des Gdictd v. Nans 
te6 (1685) ausgewanderten Franzoſen kamen. Dieje erwirkten 1697 
das WBinfuhrverbot der fremden Sedenwaaren. Huskiſſon fprad 
darüber im Unterhaufe am 8. März 1824 Folgendes: „Wan behaups 
tet, daß die Propibitionen (Einfuhrerfchwerungen) die Gewerke befür: 
dern, allein wo es feinen Wetteifer mehr giebt, da verfinft der Gewerb⸗ 
fleiß in Traͤgheit und Schlaffheit, nichts Ichreitet fort, man fchläft ein, 
in der Zuverfiht auf die fchügenden Maaßregeln. Was eine Regie: 
rung der Nationalinduftrie fchuldig ift, das ift blos, fie auf einen zum 
Wettlampfe mit dem Auslande günftigen Boden zu flellen. Die frans 
zöſ. Seidenwaaren haben vor den unjrigen nur Eines voraus, fie find 
um 15 Proc. wohlfeiler. Man muß auch auf den verfehrten Geſchmack 
Einzelner Rüdfiht nehmen, weldye Alles, was verboten ift, für ſchoͤner 
erflären. Gin Zoll von 30 Proc. ift hinreichend, das Gleichgewicht 
herzuſtellen.“ Diefe Abgabe von 30 Broc. wurde am 25. März 1826 
von Huskiffon des Scleichhandels willen noch für zu body erklärt 
und 1846 auf 15 Proc. heruntergefept. Als 1825 das Einfuhrverbot 
aufgehoben und ein (nody immer beträchtliher) Bull von 30 Procent 
aufgelegt wurde, machte die Seidenfabrication raſche Zortichritte Mac⸗ 
Culloch, Weber Handelsfreiheit S. 77. 79. Die Belorgnifle der 
Seidenfabricanten gingen fo wenig in Erfüllung, daß die Binfuhr von 
Seidenwaaren abs, die Ausfuhr derfelben zunahm, und felbft nad) 
Frankreich englifhe Seidenwaaren geſendet werden; 1827 betrug biefe 
Ausfuhr nad Frankreich 4661 2. St., im Durdichnitt von 1832 bis 
34 aber 72,000 2. St., und in den franzöf. Zolliften dieſer Jahre ift 
ebenfalls eine Quantität von 6— 7000 Kil. aufgeführt worden. Die 
Ginfuhr yon Rohſeide it im Zunchmen. Auch die Zollermüßigung 
der meiften Seidenwaaren auf 15 WBrocent erwies fih als zuträglid. 
Die Cinfuhr der Nohleide war 1842 — 1846 in D. 5659871 Pfd., 
1853 aber 7% und 1854 S!/s Mill. Pfd. An Eeidenwanreu wurde 
1845 für 766,405 &. St., 1854 ſchon für 1691812 2. ausgeführt. 
&. Porter (Progress, ©. 222) glaubt, daß die englifchen Seiden⸗ 







— 96 — 


fabriken nur in der Schoͤnheit der Zeichnungen und der Farben den 
franzoͤſiſchen nachſtehen und daß die Fabrikherren nur von der lähmen⸗ 
den (enervating) Wirkung des Schuges abgebalten werden, in dieſem 
Buncte mehr in leiſten. Wie der von den Seidenfabricanten vorher: 
gefagte Berfall ihres Gewerbes nicht eintrat, fo geſchah es aud mit 
den Gerbereien, Hantichubfabrifen ıc. 1843 kam der Zoll der gewöhn: 
lihen Seidenzeuhe auf 9 Schill. vom Pfd., nah dem Geſetz vom 
28. Aug. 1860 hörte er gänzlid auf. — „Die Bandweberei von Go: 
ventry, früher im Verhaͤltniß 2 zu 3 gegen St. Gtienne, fteht mit 
einemmale zu dieſer wie 3 zu 2. Die freie Concurrenz bat fie geno: 
thigt zu allen Hülfsmitteln zu greifen, die fie früher vernachläſſigt 
hatte, und jest find ihre Bänder jo geichmadvoll wie die franzöfifchen. 
(Aus einem amtlihen Berichte von 1862.) — Als in Frankreich das 
Ginfuhrverbot für Baummollengarn üter Mr. 143 aufgehoben wurde 
($. 213 a), vermehrte fich die inländifche Oervorbringung diefes Garns 
auf das 10fahe (Chevalier). — Bor der Zollvereinigung_ vieler 
deutfcher Länder beiorgte man von ber Herftellung der freien Goncur: 
renz mancherlei Nachtheile, namentlich begte man in Baiern und Würs 
temberg gegenfeitig Befürchtungen, die einander fchon aufheben mußten 
und die fi fpäterhin, als die Bereinigung zu Stande fam, als un: 
begründet erwiefen. Als die preuß. Regierung 1818 die Binfuhr von 
Baumwollenwaaren gegen einen noch immer hoben Zoll erlaubte, heg: 
ten mande Berfonen folche Beforgnifle, daß man 50000 Thlr. zur 
Unterflügung der etwa bedrohten Yabrifen ausfepte; allein Niemand 
melggte ſich dazu: — In Frankreich und Belgien jürdtete man gegen: 
feitig das Mitwerben des anderen Landes. Die franzöſ. Tuchfabricans 
ten glaubten 30— 40 Proc. Schug gegen die belgifchen anfprecdhen zu 
bürfen, biefe wollten einen höheren Zoll gegen jene, beite fürchteten 
die Engländer, und diefe hatten damals noch 15 Proc. Zoll zu ihren 
Gunften. Offenbar war alfo die Beſorgniß großentheils überflüſſig. 
Dunoyer im Journal des öcon. VI, 123. 


$. 210. 


Man hat zur Empfehlung bed Zollfchuges außer den obigen 
allgemeinen Gründen noch mehrere befondere zu Hülfe 
genommen, die ſich auf einzelne Zeitpuncte, Länder und Ge 
werbözmweige beziehen. Dahin find vorzüglich zu rechnen: 

1) Die in anderen Ländern fhon beftehenden 
Schupzölle Seit Jahrhunderten haben biefelben den natürs 
lihen Gang des Gewerbfleißed abgeändert, gewiſſe Gewerke da 
hervorgerufen, wo fie außerdem nicht fobald betrieben worben 
wären, den auswärtigen Verkehr gefchwächt und bie innere, 
wenn gleich oft foftbare Gütererzeugung an bie Stelle der Ein- 
fuhr geſetzt. Hiedurch wurden andere Völker in ihrer Ausfuhr 
befchränft (8. 209) und diefe Hemmung ihrer vortheilhafteften 
Gewerbözweige erregte einen Unwillen, ber öfterd zur Erwide⸗ 
rung (Retorfion) ber Zollmaagregeln antrieb. Die Regie: 
rungen fahen fich Hiezu bewogen, theild weil fie ſich unter bem 














Zollverein bei 30 Mil. Ginw. 1852 für beinahe 102, 1853 aber für 
140 Mill. Thle (178%, und 245 Mill. fl.) Kunftwaaren ins Auss 
land. Im 3. 1861 war die Ausfuhr Defterreihs von ganz fertigen 
Kunftwaaren 133-490 000 fl. oder 3,% Hl. — 2,% Thlr. auf den Kopf, 
im Zollverein 1860 239 Bill. Thlr. oder 7 Thlr. a. d. K., 9. Rau, 
Bergleichende Statiftif des Handels der deutichen Staaten ©. 64. 132 
(1863). — Aus den Grgebnifien der Pariſer Ausftellung von 1855 
fieht man, daß die beutichen Baummollenfpinnereien neuerlich gegen 
die einiger anderer Länder zurüdgeblieben find. Auch bei den Webe: 
reien ift ein größerer Gifer zu wünfchen. „Das Drängen nad höherem 
Schuß und die unnügen Lobhudeleien müflen aufhören und dem Drange 
nach Veredlung und Berbefferung Platz machen, dann wird die Aner: 
fennung im Innern und nad Außen nicht fehlen.“ Amtl. Bericht, 
©. 476. Auch bei Gelegenheit der Kammmollipinnereien wird ebendaſ. 
©. 505 bemerft, daß ein unnöthig hoher Zoll meiftens Stillfand oder 
gar Ruͤckſchritt herbeiführt. 


In Großbritanien wurde der Zoll auf geſpulte Seide 1824 von 14 ©. 
8 P. auf 7/3 S. vom Pfd. berabgejegt, der Zoll auf Rohſeide (ein 
Steuerzol!) von a auf 3 S. Der Syug für Spulereien fanf alfo 
von 9 ©. 2 P. auf 442 ©. Die Babricanten brachten es aber dahin, 
bie :Koften des Spulens, weldye vorher 10 ©. betragen hatten, auf 
3—5 ©. je nad der Güte der Seide zu verringern, Porter, Pro- 
gress, ©. 217. — Die GSeidenfabrication in England bob fih im 
Kaufe des 17. Jahrhunderts. Schon 1666 waren 40,000 eiter in 
ihr befchäftiget, wozu noch die nady der Aufhebung des Edictẽ v. Nan⸗ 
te6 (1685) ausgewanderten Franzoſen famen. Dieje erwirften 1697 
das Winfuhrverbot der fremden Sedenwaaren. Huskiffon fprad 
darüber im Unterhauſe am 8. März 1824 Folgendes: „Wan behaup: 
tet, daß die Prohibitionen (Ginfuhrerfchwerungen) die Gewerke beför: 
dern, allein wo es feinen Wetteifer mehr giebt, da verfinft der Gewerb⸗ 
fleiß in Trägheit und Schlaffheit, nichts Ichreitet fort, man fchläft ein, 
in Der Zuverfiht auf die jchügenden Maaßregeln. Was eine Regie: 
rung der Nationalinduftrie ſchuldig ift, das ift blos, fie auf einen zum 
Wettkampfe mit dem Auslande günftigen Boden zu fiellen. Die fran- 
zöf. Seidenwaaren haben vor den unfrigen nur Eines voraus, fie find 
um 15 ®roc. wohlfeiler. Man muß aud auf den verkehrten Geſchmack 
Einzelner Rüdfiht nehmen, weldye Alles, was verboten ift, für jchüner 
erflären. Gin Zoll von 30 Proc. ift hinreichend, das Gleichgewicht 
herzuſtellen.“ Diefe Abgabe von 30 Proc. wurde am 25. März 1826 
von Huskiffon des Scleichhandels willen noch für zu hoch erklärt 
und 1846 auf 15 Proc. heruntergeſetzt. Als 1825 das Einfuhrverbot 
aufgehoben und ein (noch immer beträchtlicher) Zoll von 30 Brocent 
aufgelegt wurde, machte die Seidenfabrication rafche Fortſchtitte Mac: 
Culloch, Ueber Handelsfraheit S. 77. 79. Die Beforgnifle der 
Seidenfabricanten gingen fo wenig in &rfüllung, daß die Cinfuhr von 
Seidenwaaren ab:, die Ausfuhr derfelben zunahm, und felbft nach 
Frankreich englifhe Seidenwaaren gefendet werden; 1827 betrug dieſe 
Ausfuhr nah Frankreich 4661 8. St., im Durchſchnitt von 1832 bis 
34 aber 72,000 2. St., und in den frangöf. Zolllitten diefer Jahre ift 
ebenfalls eine Quantität von 6— 7000 Ril. aufgeführt worden. Die 
Sinfuhe von Rohſeide ift im Zunehmen. Auch die Zollermäßigung 
der meiften Seidenwaaren auf 15 Procent erwies fi als zuträglid. 
Die Einfuhr der Rohſeide war 1842 — 1846 in D 5659871 Pfd., 
1853 aber 7% und 1854 81/a Mill. Pfr. An ESeidenwaareu wurde 
1845 für 766,405 2. St., 1854 ſchon für 1°691812 2. ausgeführt. 
G. Porter (Progress, ©. 222) glaubt, daß die englifchen Seiden⸗ 


— 6 — 


fabriten nur in der Schönheit der Zeichnungen und der Farben ben 
franzoͤſiſchen nachſtehen und daß die Fabrikherren nur von der lähmen: 
den (enervating) Wirfung des Schupes abgehalten werden, in diefem 
Buncte mehr wu leiſten. Wie der von den Seidenfabricanten vorher: 
gelagte Verfall ihres Gewerbes nicht eintrat, fo gefchah es auch mit 
den Gerbereien, Handichuhfabrifen ꝛc. 1843 kam der Zoll der gewöhn: 
lihen Seidenzeuche auf 9 Schill. vom Pfd., nach dem Geſetz vom 
28. Aug. 1860 hörte er gänzlih auf. — „Die Bandweberei von Eos 
ventry, früher im Berhältniß 2 zu 3 gegen St. Etienne, fteht mit 
einemmale zu bdiefer wie 3 zu 2. Die freie Concurrenz bat fie gend: 
thigt zu allen Huülfsmitteln zu greifen, die fie früher vernadlaffigt 
hatte, und jegt find ihre Bänder jo geichmadvoll wie die frangöflfchen. 
(Aus einem amtlichen Berichte von 1862.) — Als in Frankreich das 
Ginfuhrverbot für Baumwollengarn üter Nr. 143 aufgehoben wurde 
($. 213 a), vermehrte fi die inländifche Hervorbringung diejes Garne 
auf das 10fahe (Chevalier). — Bor der Hol vereinigung vieler 
deutfcher Länder beforgte man von ber Herftellung der freien Concur⸗ 
renz mancherlei Nachtheile, namentlich hegte man in Baiern und Wuͤr⸗ 
temberg gegenfeitig Befürchtungen, die einander ſchon aufheben mußten 
und die fih fpäterhin, als die Vereinigung zu Stande fam, als un: 
begründet erwiefen. NIS die preuß. Regierung 1818 die Ginfuhr von 
Baummwollenwaaren gegen einen noch immer hohen Zul erlaubte, heg⸗ 
ten manche Berfonen folche Beforgniffe, daß man 50000 Thlr. zur 
Unterflügung der etwa bedrohten Fabrifen ausfegte; allein Niemand 
melgste fih dazu! — In Frankreich und Belgien fürchtete man gegen: 
feitig das Mitwerben des anderen Landes. Die franzoͤſ. Tuchfabrican⸗ 
ten glaubten 30— 40 Proc. Schuß gegen die belgiihen anfprechen zu 
bürfen, dieſe wollten einen höheren Zoll gegen jene, beide fürdhteten 
die Engländer, und diefe hatten damals noch 15 Proc. Zoll zu ihren 
Gunften. Offenbar war alſo die Beſorgniß großentheils überflüffig. 
Dunoyer im Journal des écon. VI, 123. 


$. 210. 


Man hat zur Empfehlung des Zollfchuges außer den obigen 
allgemeinen Gründen noch mehrere befondere zu Hülfe 
genommen, die fich auf einzelne Zeitpuncte, Länder und Ge: 
werbszweige beziehen. Dahin find vorzüglich zu rechnen: 

1) Die in anderen Ländern fhon beftehenden 
Schupzölle. Seit Jahrhunderten haben diefelben den natürs 
lichen Bang des Gewerbfleißed abgeändert, gewifie Gewerke da 
hervorgerufen, wo fie außerdem nicht fobald betrieben worden 
wären, den auswärtigen Verkehr geſchwaͤcht und bie innere, 
wenn gleich oft Foftbare Gütererzeugung an die Stelle ber Ein- 
fuhr gefegt. Hiedurch wurden andere Völker in ihrer Ausfuhr 
befchränft ($. 209) und biefe Hemmung ihrer vortheilhafteften 
Gewerbözweige erregte einen Unwillen, ber öfterd zur Erwide 
rung (Retorfion) ber Zollmaaßregeln antrieb. Die Regie: 
rungen fahen ſich Hiezu bewogen, theils weil fie ſich unter dem 


—— — — — — — — — — — — — 


— 97 — 


Eindruck des Beiſpiels den Grundſatz der Gewerböbeförberung 
durch Zollſchutz aneigneten, theils wegen der Klagen ihrer un⸗ 
ter fremden Zoͤllen leidenden Gewerbsleute, theils weil das Vers 
fahren anderer Regierungen überhaupt verletzend und heraus⸗ 
fordernd erſchien (a). Indeß iſt zu ber letzteren Meinung nur 
dann Grund vorhanden, wenn die Zoͤlle gegen die Einfuhr 
aus einem einzelnen Lande, nicht wenn ſie allgemein angeord⸗ 
net werden. Auch ſollte man die Retorfion nicht beſchließen, 
um einen andern Staat zu züchtigen (5), fondern nur, wenn 
und foweit ed ber Wohlftand des eigenen Landes erfordert, 
db. h. wenn durch fie die von einer auswärtigen Zollgeſetzgebung 
verurfachten Uebel befier als auf anderen Wegen geheilt wer⸗ 
den koͤnnen. Es ift alfo zu überlegen, ob der Abnahme ber 
Ausfuhr nicht durdy andere Abfapwege vorgebeugt werden kann, 
oder wie bie aus ihrer Wirkfamfeit gebrängten Productions 
mittel in andere Unternehmungen hinüber geleitet werben koͤn⸗ 
nen und ob bie einen Einfuhrzoll verlangenden Gewerfe den 
vortheilhafteften Erfag der geftörten bilden. In ben meiften 
Fällen wird bei einer unbefangenen Unterfuhung die Zollerwi⸗ 
derung ald unzwedmäßig erkannt werden. Auch für den Zwed, 
die anderen Staaten zur Zurüdnahme ihrer Zölle zu bewegen, 
iſt die Retorfion von zweifelhaften Nuten, fie führt vielmehr 
weiter in einer Richtung, von der man nur ſchwer wieber ab⸗ 
gehen kann, während das erfolgreiche Vorangehen in der Ans 
näherung an bie Handelsfreiheit leichter zur Nachahmung aufs 
fordert (c). 

(a) Rußland wurde zu der beträchtlichen Grhöhung feiner Sinfuhrzölle im 
Jahre 1821 zum Theile dadurch veranlaßt, daß feine Ausfuhr von 
Sandiwirtbfchaftserzeugniffen, Leinwand u. dgl. von den britifchen und 
franzöfifchen Zollfägen fehr befhränft wurde. — Bei denjenigen Waas 
ren, deren Ausfuhr durch die Zölle anderer Laͤnder leidet, ift die Retor⸗ 
fion unnüg, denn man bat ohnehin Feine nachtheilige Sinfuhr derfelben 
zu beforgen, weil das ausführende Land in ihrer Gervorbringung eine 
Meberlegenheit Hat. Daher ift auch bei SHantelöverträgen auf bie 
Gleichheit der beiderfeitigen Zollſätze (MReciprocität) nicht foviel Werth 
zu legen, als es bei oberflädyliher Betrachtung oft geichieht. Bringt 
das Land A eine gewiſſe Waare wohlfeiler hervor ale B, fo muß jenem 
daran liegen, daß der Ginfuhrzoll in B herabgefegt werte, es kann 
aber unbedenklich ten eigenen Zoll noch niedriger feſtſetzen. Sm fran- 
Öftich-belgifchen Bertrage vom I. Mai 1861 war Belgien damit zus 
Frieden, daß Frankreich manche belgiſche Waaren unter geringeren Abs 
aben zuließ al6 zuvor, ſetzte aber feine Zölle von den nämlichen aus 


ankreich kommenden Waaren niedriger an; blanfe und Schußwaffen 
Rau, polit. Defon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 7 


— 10 — 


meiftend die Urfache eined häufigen Verbrauchs, wie bei ben 
zur Kleidung dienenden Zeuchen, dem Leder, den Thon⸗, Glas⸗ 
ſowie vielen Metallwaaren. E8 ift allerdings nützlich, wenn 
folhe Sachguͤter innerhalb ded Landes (a) erzeugt werden, fo 
daß die Verforgung der Einwohner nicht von zufälliger Ber: 
tbeuerung, Stodung der Zufuhr u. dgl. bedroht wird. Indeß 
findet dieß bei einem Theile der Kunftwaaren fchon von felbft 
Statt (Nr. 1), und bei der heutigen Leichtigkeit bed Verkehrs 
von Land zu Rand ift es nicht für ein fonderliches Uebel zu 
halten, wenn ein oder der andere unentbehrlidye Gegenftand 
fortwährend vom Auslande geliefert wird, auch ift die hierauf 
beruhende Abhängigkeit der Völker gewöhnlich eine gegenfeitige. 
Die inländifche Erzeugung verdient wenigftend nicht mit großen 
und langwierigen Opfern erfauft zu werden, wie fie bei einem 
großen Unterfchiede der beiderfeitigen Erzeugungsfoften erforbers 
lid fein würden. 

b) Die lohnende Beichäftigung vieler Arbeiter, zu ber bie 
unter a) bezeichneten Gewerke die audgebehntefte Gelegenheit zu 
geben pflegen. Wo viele Gewerközweige betrieben werben, ba 
finden leicht Perfonen beider Geſchlechter, ſowohl erwachfene 
als jüngere und von verfchiebener Förperlicher Befchaffenheit 
einen Lohnerwerb, was bei der Landwirthfchaft und den ges 
meinften Handwerfen nicht der Fall if. Die Errichtung neuer 
Fabriken vergrößert fo lange dad Einfommen der Arbeiterfamis 
lien, ald die Volksmenge nicht über dad Maaß des vermehrten 
Arbeitöbegehred hinaus anwächft, auch wird dadurch ein vors 
theilhafterer Abfag der inländifchen Rohftoffe bewirkt, als ihn 
die Ausfuhr gewährt. Deßhalb hat man öfters in Ländern 
mit vorherrfhendem Landbau das Emporfommen von Fabriken 
fünftlich befördern zu müffen geglaubt, weil man annahm, ohne 
ein folches in ber “Preiserhöhung der Kunftwaaren liegendes 
Reizmittel würden neue Gewerkszweige wegen ber anfänglichen 
Schwierigfeiten und Opfer in dem natürlichen Gange ber Ges 
werbe nur fpät entitehen (5). Uebrigens ftellen fich bie An- 
hänger des Schutzſyſtems die Anzahl ber bisher unbefchäftigten 
Menſchen zu groß vor. Eine fchnelle und ftarfe Ausdehnung 
der Gewerke lenkt Arbeiter von anderen Gewerken ab, bie viel 
leicht gemeinnügiger find, und verurfacht leicht eine fo betraͤcht⸗ 











— 11 — 


liche Bolkövermehrung, daß viele Menfchen nahrungslos wer- 
den, wenn bie neuen Fabriken abnehmen oder wenn bie Regies 
rung den begünftigten Gewerken fpAter aus allgemeinen Grün- 
ben den Schuß ganz oder theilweife wieder entziehen muß. — 
Auch bleibt immer der Zweifel, ob nicht die neuen Babrifzweige, 
welche in obiger Hinfiht wohlthätig wirken, ohne den Zollſchutz 
almälig und dann viel gebeihlidher zum Vorſchein kommen 
würden, 3. B. vermöge ded niedrigen Lohnes und der Wohls 
feilheit der Bodenerzeugniffe oder mit Hülfe einer anderen Art 
von Beförderung durch die Staatdgewalt. 


c) Die vollftändigere Benupung ber Gapitale. Dieß würde 
voraudfegen, daß ein “Theil derfelben aus Mangel an Gelegen- 
heit müßig ober in wenig ergiebiger Weife angelegt wäre. 
Allein wo fich ein Weberfluß von Capital findet und folglich 
der Zindfuß niedrig if, audy übrigend die Staatögewalt ben 
Gewerben Sicherheit, Yreiheit und manchfaltige Erleichterung 
gewährt, da wird der Unternehmungdgeift jenen günftigen Ums 
fand nicht unbenugt laſſen und neue Gebiete der bervorbrin- 
genden Thätigfeit auffuchen (c). 


4) Die Gefahr von Störungen im Fortgange eines 
inlänbifchen Gewerbes, wenn aus einem anderen Sande in eins 
zelnen Zeitpuncten wegen ber übermäßigen Ausdehnung ber 
Production eine flete vermehrte Einfuhr bei niedrigen Preiſen 
eintritt, fo daß die einheimifchen Unternehmer durch dieß Mit 
werben in Schaden gebracht, zum Theile felbft zu Grunde ges 
richtet werden. Solche Vorgänge find bei einzelnen Waaren⸗ 
gattungen wirklich vorgefommen. Die vorübergehende Wohl: 
feilheit der eingeführten Kunftiwaaren vergütet nicht bad ber 
inländifchen Hervorbringung zugefügte Uebel. Es wäre baher 
ein Zoll, ber fie vor Erfchütterungen in Zeitpuncten einer un- 
gewöhnlichen Preiserniebrigung ber Erzeugniffe bewahrt, wohl 
zufäffig, wenn nicht öftere Veränderungen der Zollfäge Nach⸗ 
theil brächten und bie länger fortbauernde infuhrabgabe bei 
anderen PBreifen die oben angegebenen Wirkungen eined unnö- 
thigen Schutzes äußerte. Es ift alfo erft zu unterfuchen, wie 
groß die Wahrfcheinlichkeit einer folchen wicderholten Ueber⸗ 
fülung des Marktes ift, die der Natur der Sache nach nicht 











— 112 — 


lange fortbeftehen kann, weil die Erzeugung bald wieder bes 
fhränft wird ($. 213 a). 


(a) Wenigflens eines großen Landes, denn nur in einem foldhen ift einige 
Unabhängigkeit des Nahrungsweſens möglich. 

(5) Auf diefem Grunde, der auch von Liſt befonders hervorgehoben wird, 
beruben die flarfen huppölle in Rußland und in Nordamerica, wo 
die Zolltarife mehrmals abwechfelnd erhöht und erniedrigt worden find. 
Carey, Social science (II, 225) ſucht den Nutzen ber hohen Schup- 
le von 1824—33 und 1842— 46 nachzuweiſen. Waͤhrend ihrer 

auer war der Erlös aus verkauften Staatsländereien geringer als in 
den darauf folgenden Zwiſchenzeiten (1816—24 i. D. 1, Mill. D. — 
1825—34 2,7 M. — 1835—42 6, Mil. — 184346 2 Mil. — 
1847—55 3, Mil), weil durch die beſſere Gelegenheit zum Berbienft 
die Auswanderungen nah dem Weften vermindert wurben. 


(c) Die obige Vorausfegung tft der Annahme, daß andere Länder, nament: 
lih England, wegen des Gapitalreihthums in Vortheil leben, ganz 
Keen et; es ift daher in jedem gegebenen Falle nur die eine von 
beiden zuläfiig. Wo in beträchtlichem Umfang neue Gewerbe eröffnet 
werden, da miüflen Gapitale aus den älteren ſich heruͤberziehen, und 
wenn jene nur durch Tünftliche Grmunterung zu Stande fommen, fo 
ift au beforgen, daß bei diefem Wechſel der Anmwendungsart die her⸗ 
vorbringende Wirfung der Gapitale abnehme. Die Vermehrung bes 
Gejammtcapitals durch Erſparniſſe geht bekanntlich langſam von Stat: 
ten. Chriſt a. a. D. ©. 39 beruft fi zwar darauf, daß durch 
Natur und Arbeit die Gapitale vergrößert werden Fönnen; allein es 
müflen von der Zunahme des Erzeugniſſes immer erſt die Koften abges 
ogen werden und auch vom Reinertrage ift noch die Berzehrung der 

apitaliften und Grundeigenthuͤmer zu beftreiten. 


$. 213. 


5) Der ſchon vorhandene Betrieb eined Gewerkes 
in einem Lande. Beruht berfelbe auf früher angelegten Ein» 
fuhrzöllen, ohne weldye erweislich die Unternehmer nicht beftehen 
fönnen, ſo haben biefe zwar nicht gerade auf unveränderte Fort⸗ 
bauer, aber wenigftend auf fchonende Berüdfichtigung Anſpruch. 
Bisweilen haben geänderte Umftände die Wirkung, daß das 
Aufhören des Schubed einem inländifchen Gewerke noch mehr 
fchaden würde, als außerdem, 3. DB. durch die höhere Ausbils 
dung und Ausdehnung ded nämlichen Gewerbes in einem ans 
deren Lande, wo die Bedingungen für das Aufblühen vefjelben 
günftiger find, oder durdy eine flarfe Verminderung der Berfens 
dungskoſten, die den entfernteren Gegenden das Mitwerben ges 
ftattet. Sind viele Familien und große Eapitale in dem bes 
drohten Gewerkszweige befchäftigt, fo würde ber Verfall deſſelben 
bie Verarmung vieler Arbeiter und anfehnlichen Verluſt ber 


— 18 — 


Gewerböfeute, vieleicht auch ber betheiligten Capitaliften nach 
fi ziehen. Wenn ſich feine anderen ©egenmittel barbieten, 
fo fann unter foldyen Umftänden die einftweilige Beibehaltung 
bed Zolles rathfam werden, um eine Erfchütterung des Gewerbes 
weiend zu verhüten. Diefe augenblidliche Hülfe darf jedoch 
nicht dauernd fein. Man fönnte es nicht verantworten, wenn 
man ein fortwährend fchugbebürftiges, alfo volfdwirthfchaftlich 
unvortheilhafte® Gewerbe durch Zölle aufrecht halten wollte; 
man muß vielmehr, wenn die Hoffnungslofigfeit unzweifelhaft 
it, darauf binwirfen, daß dad Gewerbe nach und nad) vers 

laflen werde (a). 

(a) O laut, aprös avoir declarE solennellement le principe de la liberts 
commereiale, accorder simplement un r&gime transitoire, aveo des con- 
ditions et des delais invariablement firds d’avance, afıin que les inté- 
röts exceptionnels, qui luttent contre cette libert€, soient contraints & 
se fondre sans secousse dans l’intörät gönsral de Létat. Eommilfton 
der Kaufleute von Borbeaur, Enquöte I, 61. — Bol. Rau, Com⸗ 


mifftonsberiht in den Berhandlungen der bad. Kammer von 1845, 
Beil. I, 197. 


6. 213 a. 


Eine eigenthümliche Schwierigkeit findet der Zollſchutz bei 
folhen Waaren, die zwei entgegengefegte Eigenfchaften in ſich 
vereinigen, indem fie zwar Erzeugniſſe einer Stoffoerarbeitung, 
alfo Kunftwaaren find, zugleidy aber wieder ald Verwandlungs⸗ 
ftoff bei einer weiteren Berarbeitung dienen; bie fogenannten 
Halbfabricate, halbfertige Waaren, die auh Kunft- 
ftoffe genannt werben koͤnnen (a). Hier ftehen die Anfprüche 
der beiden Gewerfözweige, die den nämlichen Stoff nad) einan- 
ber bearbeiten, in einem Wibderftreit, der der Regierung bie 
Hortfegung der Schupmaaßregeln fchwierig macht. Iſt das 
zweite, die vollendete Waare erzeugende Gewerk ausgebreitet, 
fo darf man ed nit in Gefahr feben, wegen ber Bertheuerung 
des Venvandlungsftoffed eine Störung zu erleiden, beſonders 
wenn es zum Theil für die Ausfuhr arbeitet und auf auswär- 
tigen Märkten feinen Abſatz nur bei ber Fortdauer bed bishe⸗ 
rigen Preifes behaupten kann. Ein folcher Nachtheil wäre für 
biefe zweite Verarbeitung zu beforgen, wenn ein Schußzoll auf 
den Kunſtſtoff gelegt würbe, um beffen Verfertigung im Lande 
zu erhalten oder emporzubringen (6). Es Fönnte geraume Zeit 


mit Holzkohle ausgefchmelzte Ciſen bloß zu folden Zwecken verwendet 
wird, bei denen man bie größere Güte auch höher bezahlen Tann, 
wenn der Betrieb mit mehr und mehr Kunk geſchieht (ba z. B. die 
Benugung der Hocofengafe einen großen Berluf an Brennftch er- 
ſpart). fo läßt ſich hoffen, daß man ben Ginfuhrzoll zur Erniedrigung 
des Breifes aufheben könne, ohne das Bergwerks⸗ und Giienhütten- 
ewerbe einer Grigütterung auszufegen. Für bie Fortdauer des Zolle 
prechen: Loſſen, Der Schub ber Gileninduftrie, 1845. — Miſch⸗ 
ler, Das beutfche Bifenhüttengewerbe, Stuttg. 1852. 54. IL B. — 
Dehelbäufer, Bergleichende Statiftif der Gifenindufrie aller Län: 
der, Berlin 1852. — Viele ſtatiſtiſche Thatſachen giebt Hartmann, 
Steintohlen und Gijen, Weimar 1856. 46. — Bon Gtabeifen, 
Schienen und Stabl hob ſich im Zollverein bie Einfuhr in der Zeit 
der vielen Ciſenbahnanlagen. Cie war nah Abzug der Ausfuhr 


184248 i. D. 973110 Er. 


184954 ⸗ 190 866 s 
1855 ⸗ 274998 ⸗ 
1858 ⸗ 809784 ⸗ 

59 ⸗ 215923 = 


Die neuerliche Abnahme rührt außer dem ſchwächeren Bedarf auch von 
der Bermehrung ber Buttelöfen und Walzwerke im Zollvereinegebiete 
ber. Der Zoll auf Stäbe von 1; Duabratzoll Dide und darüber, 
fowie auf Bahnfchienen und Stahl it 1", 38 Die Stabeiſenberei⸗ 
tung im Zollverein wird ſo angegeben: 


1834 1534 588 Etr. 

42 2306801 

56 3429054 : Dehelbäufer S. 100. 
53 5056486 = 


wovon 3%, Mil. mit Steinkohlen bereitet, Hartmann, ©. 19. 
Alfo eine flarke Zunahme! 


Da eine Meile boppeltgeleifige Ciſenbahn bei ber neueren ſchwereren 
Bauart wohl 26000, einfahe g. 14400 Etr. Stabeifen (oder bie 
1,4fadhe Menge Roheifen) erfordert, fo kann man fich die Größe bes 
Gifenverbrauhs für die deutichen Bahnen und die Mebrausgabe für 
den Zoll leicht vorſtellen. Das Stabeifen von Wales, von Ichlechter 
Beichaffenheit, ſank in einzelnen Jahren bie auf 5 ober fogar 41, 2. Et. 
die Tonne ober der Zollcentner auf 1% — 1%/s Thlr. in den nächſten 
engliihen Häfen herab, flieg in den 1850r Jahren auf ungefähr 
82. St. — 22/, Thle. der Gentner, 1862 fiel e6 wieder auf 5 bis 
5i/a &. (13 — 1,8 Thlr.), befleres „britiiches“ Ciſen ſteht gegen ?/a 
2. St. höher. Der Zoll und die Frachtkoſten ſtellen jenen Breis von 
2%/, Thle. in Deutfchland fchon auf 4,5 Thlr. und mit biefem Auf: 
wande fann in deutfchen Süttenwerfen das beffere Stabeifen hergeſtellt 
werben, weßhalb der Zoll ale binreihend anerkannt wird. Die Yrage 
it daher nur, ob derſelbe auf der jepigen Höhe bleiben muͤſſe. Die 
Erzeugungefoften find fchon beträchtlich vermindert worben (3. B. nad) 
den Angaben bei Mifchler, IL, 197) und Iaflen fi noch weiter ver⸗ 
ringern ; ein Theil der Ciſenwerke könnte wahricheinlich ſchon ip mi 
einem ermäßigten Zolle beſtehen, auch iſt 1856 wenigftene eine Herab⸗ 
fegung auf 1 Thlr. in Borfchlag gelommen. Bon den 1%, Thlr. Bin» 
fuhrzoll auf 1 Etr. Stabeifen ift übrigens ein Theil ſchon darum 
Oi, weil das Roheiſen eine Zollabgabe trägt. Hiezu ges 

ren 


— 107° — 


14 Gar. ale Zoll von 140 Pfd. Moheifen, die zur Erzeugung jenes 
Gentners erforderlich find, 
4,8 s beiläufig ale Kracht der 40 Pfb., die man in Roheiſen zu 
1 Er. noch weiter anfchaffen muß, 
18,° Egr., welche von 1'/s Thlr. noch 26,% Sgr. eigentlihen Schup 
- für die Stabeifenerzgeugung übrig laflen. Nah dem Hanbelsvertrag 
zwifchen Preußen und Frankreich follte ter Zoll von Stabeifen 1862 
auf 1Na Thlr., 1866 auf %/s Thlr. herabgeſeßt werden, was man auch 
für die Ginfuhr von belgiſchem Giſen als genügend anfieht, da es gegen 
20 Proc. ausmacht. 


In Franfreih wurden die Ciſenhütten durch einen anjehnlichen 
Zoll in Bortheil geſetzt. Das Stabeifen galt zu Anfang bes Jahres 
1826 in Kranfreid 54 — 76 Fr. für 100 Kilogr. (200 Pfund), in 
Deutichland und Belgien 45 Fr., in Schweden und Rußland 32—33, 
in Gngland 23%, Fr., Roheifen in Frankreich 24, in England 12%, Fr. 
Der Zoll betrug von Roheifen an den verfchiedenen Binfuhrplägen 
4-9 Fr., von Stabeifen nad der Dicke und Breite der Stangen 25, 
36 und 50 Fr. Inzwiſchen würde man in Frankreich das Gifen mit 
Hülfe der Coaks viel wohlfeiler liefern können. Bor 1526 fchmelzten 
noh 375 Hochoͤfen mit Holztohlen und nur 4 mit Coakls, von den 
1297 Friſchfeuern aber bedienten fihb 172 der Steinfohlen. Daher 
hatte der Zoll die Wirkung, den Waldbeflpern eine Grundrente von 
2815 Mill. Fr. abzumerfen, welche faft '/s von dem Preife des ganzen 
Gifenerzeugnifles ift (73 Mil. F.). Im Jahre 1834 arbeiteten Dreißig 
Hohöfen ganz oder zum Theil mit Steinfohlen oder Coaks, und lie: 
ferten 471572 metr. &. Roheiſen oder 14 Proc. des ganzen Erzeug: 
niſſes, Dictionn. du commerce, 1, 948. Im 3. 1847 arbeiteten von 
den 625 Hodhöfen 495 bloß mit Holzkohle, 65 mit diefer und mit 
Coaks zugleih, 65 allein mit diefen. Man bereitet alfo 3 Sorten des 
Roheiſens, deren jede zu gewiflen Verwendungen tauglich iſt. Nah 
Thiers (S. 47) waren 1826 bie Preife von 100 Kil. (2 Etr.) von 
Solztohleneifen 56, von Boafseifen 52, im J. 1851 aber 36—38 und 
22 Fr. 1861 wurden 2980000 M. Etr. Roheifen mit Holzkohlen, 
5900000 ®. mit Steinfohlen bearbeitet. Gin niedriger Zoll hätte 
allerdings eine minder rafhe Zunahme der Gifenproduction hervor: 
gebracht, aber er hätte vielleicht den Gebrauch der Steinfohlen befchleu: 
nigt. Vgl. Chaptal, Ind. franc. II, '413. De Villefosse, 
Recherches statistiques sur l’&tat actuel des usines à fer de la Pr., in 
Gay-Lussac und Arsgo, Annales de chimie et de phys., Fevr. 
1827. — Das erzeugte Roheifen betrug 1787 nur 1 Mill., 1818 erft 
114 Mill., 1834 fhon 269, 1839 aber 350 und 1843 fhon 400 M., 
1846 über 522 DH. Kilogr. — 10'447 700 Gentner. Auch find in 
der leßten Zeit bebeutende Fortfchritte im Betriebe vorgenommen wor: 
den, Benugung der heißen @ebläfeluft, Berbeflerung der Geblaͤſe, 
befiere Anwendung der Waflerfräfte sc., nur fleht nod die Koftbarkeit 
ber Berfendung im Wege. Der bisherige Zoll befand aus vielen ein: 
jenen Saͤtzen; Roheifen in Mafleln, je nach der Stelle tes Bingangs, 
4— 7,7 $r. von 100 Kil., Stabeifen mit Holzfohlen und dem Hammer 
bereitet, das dickſte (458 Q.⸗Millim.) zu Land oder in franz. Schiffen 
eingehend 15 Fr., in den bünnften Stäben bis 49 Fr., Walzeiſen 
18%, — 87/2 Fr., Bahnfchienen, nach dem Sap von 22 D.:Millim., 
183/, Fr. und mit dem allgemeinen Zufhlag der 10 Proc. 20,8 Fr. 
— Die Ginfuhr von Roheifen hat ch von 1827—36 mehr als ver: 
doppelt und im 3. 1836 ſchon beinahe 19 Mill. Kil. betragen, nebfl 
5 Mill. Kil. Schmiede » und Walzeifen, 1846 war fie 1'933 000 Etr. 
Bifen jeder Art. Im J. 1842 bezahlte die Regierung die Schienen zu 


— 108 — 


Nimes mit 22 Fr., während fie in Belgien um etwa 19 Fr. ge haben 
waren. Durch das Bel. 22. Nov. 1853 wurde eine ſtarke Verminde⸗ 
derung bes Zolles yerorbnet, Mobeifen in Maſſeln je nach der Verſen⸗ 
dungsart und Graͤnze A— 5%: Fr., von 1853 an 4—4,9 Fr. von 
100 Kil. (2 Etr.), Stabeifen in den dickſten Stangen und Schienen 
12, non 1855 an 10 Fr., das dünnfte 16 refp. 14 Fr. 1858 litten 
die franzoͤſiſchen Eifenwerke fehr in Folge der Handelsfrife bes hervor: 
gehenden Jahres und bes geringen GCiſenbahnbaues; die Tonne von 
ihottifhem Gußeifen fam in Baris auf 148 Fr., franzöftfches auf 
210 Fr., allein die franzöfifchen Werke werden unvollfommen betrieben. 
Nah dem Bertrage mit Großbritanien ift der franzöfifche Zoll von 
Stabeifen und Schienen bei der Einfuhr in franzäftfchen oder englifchen 
Schiffen von 1860 an 7, von 1864 an 6 Fr. von 100 Kil. oder 
1,1 fl. vom Gentner. 

Das Baummollengarn ift in den meiften Staaten des euros 
päifchen Feſtlandes niedrig belegt, Hauptfähli weil man ben Fort: 
ang der Webereien nicht flören will, die das wohlfeile britiſche 

afhinengarn nöthig haben. Im beutfchen Zollverein ift das unges 
bleichte 1- und 2vrähtige Garn feit 1843 zu 3 Thlr., vorher war es 
zu 2 Thle. vom Gentner angefeht. Der Zollverein hatte im jährlichen 


Durchſchnitt 
1841—50 | 1851—55 | 1856—58 
Ctr. Ctr. Er. 


Mehreinfuhr von roher Baummw. | 302373 ' 548983 7137 081 


von Baumtwollen-Garn . . .| 415596 | 473785 | 404696 
Mehrausfuhr von Baumwollens 
aaren en 175361 179457 216857 





Demnah hat fih in diefer Zeit die Ausfuhr von Bw. sWaaren auf 
287 Proc. der Verbrauch rober Bw. auf 244 Broc. vermehrt, bie 
Garneinfuhr ift auf 97 Proc. gefunfen, woraus die ftarfe Zunahme 
der Spinnereien erhellt. Nimmt man an, daß von der verbraucdten 
Baumwolle %/5 und zwar mit einem Abgang von 10 Proc. verfponnen 
werden, fo ift die erzeugte Garnmenge 72 Proc. der Bw.:Binfuhr und 


es war folglih ungefähr 
1841—50 | 1851—55 | 185658 


inländifches Gelpinnft . . . .|217708 Etr.|395 268 Etr.|530 696 Ctr. 
hiezu Garneinfuht . . . . .1415596 = 1473785 = 1404696 > 





Ganzer Sarnverbrauh . . . ‚633304 Etr.|869 053 Etr.|935 392 Str. 
hievon betrug die Einfuhr . . 65 Br. 47 Br. 43 Pr. 
Verhaͤltniß des Garnverbraude . 100 : 135 ⸗ 147 ⸗ 


Die Denkfhrift des Gr. Bernftorff v. 3. April 1862 rechnet, daß 
das Garn 70 Proc. der Baumwolle ausmaht und giebt für den D. 
1858 —60 den ganzen Garnverbrauch zu 1259902 Etr. an, wovon 
die Einfuhr 502102 Etr. oder 39,9 Proc. lieferte; die verwendete 
Garnmenge hat fich folglich verdoppelt, die Garneinfuhr iſt um 21, 
die inländifche Spinnerei um 247 Broc. angewachſen. Der Zwiſchen⸗ 
zoll gegen Defterreich ift 12/4 Thlr., ber öfterreihiiche Einfuhrzoll vom 
toben Garn feit 1854 6 fl. = 4,3 Thlr. — Der obenerwähnte Zoll 
von 3 Thlr. ift bald ale zu Hoch, bald als unzureichend dargeftellt 
worden. Mehrere Stimmen verlangten je nach den Feinheitsnummern 
4—8 Thlr. oder wenigftens durchgängig 4 Thlr. (preußifche Anträge 
auf dem Sollvereinstage von 1850), dagegen wurde in dem Tarif: 
entwurfe des Handelsſtandes von 1848 Bis Nr. 20 ein Zoll von 
1/s Thlr., darüber 1 Thlr. geratben. Zur Empfehlung eines höheren 
Zolls hat man die verfhhiedenen Bortheile geltend gemacht, welche die 


— 109 — 


britifhen Spinnereien genießen, im infauf des Verwandlungeſtoffes, 
in der Wohlfeilheit des Ciſens und der Steintohlen, in der Menge der 
Bapitale und der Größe der Fabritunternehmungen, in der Nähe vor: 
trefflicher Mafchinenfabrifen u. dgl. Dan hat darauf hingewielen, daß 
die Engländer bisweilen, wenn der Garnabſatz flodt, große Maflen 
von Twift auf den deutfchen Markt werfen und dadurch die deutfchen 
Fabrifen zu Grunde richten. GEs ift ferner angeführt worden, ber 
Zollſchutz der Gewebe, nämlid 50 Thlr., fei zu hoch (mas auch richtig 
if) und es Fönne ohne Schaden ein Theil deffelben auf die Spinnerei 
übertragen werben, biefe verbiene aber eine nachdruͤckliche Beförderung, 
da fie einer großen Ausbehnun ſabig ſei, wenigſtens bis zur vollftän- 
digen Verſorgung des inländifihen arftes, und einen fiheren Nah: 
rungszweig bilde; ferner daß die Spinnereien zur Vervollkommnung 
der Dafchinenfabrifen und der zugehörigen Gewerke den Anftoß geben. 
Es find zahlreiche Berechnungen aufgeftellt worden, welche zeigen jollen, 
um wieviel die yeugungsfoften für die deutfche, Spinnerei —* ſeien 
als die Koſten, mit denen engliſcher Twiſt beigeſchafft werden kann. 
Nach ſorgfältigen Ermittlungen in Berlin wurden die beiderſeitigen 
Koſten (halb Kettengarn Nr. 30, Halb Cinſchuß Nr. 40) fo ange⸗ 
geben : 


1) 1 Pfd. Twiſt in Magbeburg gefponnen: Be: 
nn. . 


triebskoſt een. 0. A Ser. 1,3 Pf. 
Beifhaffung der Baumwolle mit 10°, 
Man 2 een db 11,20 ⸗ 


10 Sgr. 1, Pf. 
I Pfd. Twiſt in Mancheſter: Betriebstoflen Sgr. om pf. 


Baumwollee , 
Sendung bis Magdeburg mit Zoll (zu 
2 ce) > ren s 3,35 s 


9 Sgr. 1,89 Pf. 
Zur Frage des deutfchen Gewerbſchutzes S. 34. Nach der Erhoͤhun 
bes Zolle auf 3 Thlr. kommen in 2) auf das Pfund noch 3,9 * 
hinzu, ſo daß der Mehrbetrag der Dagbeburger Spinnerei fihb auf 
2. Sgr. vermindert. Solche Berehnungen können indeß feine allge: 
meine Gültigkeit anfprechen , weil manche der in ihnen vorfommenden 
Theile auf befonderen Borausfehungen beruhen. Die höheren Garn⸗ 
nummern find viel theurer. Nach den Angaben ven 1862 iſt das Ver⸗ 
hältnig fo anzunehmen: 


Keinheit Nr. 8-18 20 30 40 80 100 
Preis des Centners 60 fl. 65 80 105 150 200 


3 Thlr. machen von dem Breife von Nr. 20 8 Broc., von Ar. 40 5, 
von Nr. 80 3,5 Proc. Allein es wird in Deutfchland meiftens nur bie 
Nr. 40 oder 60 geiponnen und der Uebergang von gröberen zu etwas 
feineren Sorten hat wenige Schwierigkeit. Es ift nicht allgemein rich⸗ 
tig, daß feinere und foftbarere Sorten einer Waare ein verhältnigmäßig 
oberes Schugbedürfniß haben, F. 214 (a). Die Bermehrung ber 

pinnereien und bie reichlihe Dividende vieler Spinnfabrifen zeigt, 
daß der jegige Schuß eine hinreichende Srmunterung darbietet. Die 
fortfchreitende Verbeſſerung ber zur Öarnverfertigung dienenden Maſchi⸗ 
nen iſt früherhin in vielen deuttchen Spinnereien nicht gehörig beachtet 
worden und dieſe haben ſchon wegen ihrer veralteten Mafchinen mit 
den engliihen Fabriken nicht gleichen Saritt halten können, weßhalb 
bie befiere Kenntnig und der größere Wetteifer der Unternehmer jetzt 
günfligere Brgebniffe erwarten läßt, wie fle bei einzelnen vorzüglichen 


— 114 — 


Bedingungen haben und deren innerer Abfag zu wenig loh⸗ 
nend ift, würde eine Beförderung berjelben durch Zollichug 
größtentheild unfruchtbar jein und alfo eine Belaͤſtigung ohne 
entiprechente Bortheile verurfadhen; fie kann alfo nur in größes 
ren Staaten ober Staatenvereinen unternommen werben, $. 301. 


(«) 


(8) 


Dieß it in ten Zollgeiegen mehrerer Länder ausgeführt und es iſt 
neuerlich in Deutſchland öfter verlangt werden, daß, je mehr Arbeit 
eine Waare erfortert, deo mehr ihr gegen auswärtige Mitwerben 
Schutz gegeben werten folle.. Diefer Austrud bat zu einem Mißver⸗ 
Rändnig Anlaß gegeben, indem man ben Rechtsihup, welden jeder 
Staatsbürger anſprechen darf, mit der Beihügung der Gewerbsunter⸗ 
nehmungen verwechſelte. Dieje werten nach freier Wahl ergriffen und 
fortgeführt, die Staatsgewalt ift aber im Allgemeinen nicht verpflichtet, 
ihren Erfolg zu fihern. — Es if flreitig, wie tie im Breife ſehr vers 
fhiedenen Sorten einer Kunftwaare, von ten gröbften und wohlfeilften 
bis zu den feinften, im Berhältniß zu einanter mit Zöllen zu belegen 
feien. In mehreren Ländern fleigt der Zoll mit tem Keinheitögrape, 
3. DB. öflerreih. Zolltarif von 1854: Baummollengewebe 40, ı5, 100, 
250 fl., Leinens®. 15, 45, 75, 100, 250 f., Wollen⸗W. 7". bis 
250 fl. vom Gentner. Die gröberen Waaren baben jedoch ſchon in 
den größeren Frachtkoſten mehr Schug vor fremtem Witwerben. 6 
niebt Feine allgemeine Regel für die Schwierigkeiten, welde mit der 
Hervorbringung der verfchietenen Sorten einer Waare verbunten find. 
Wenn die fojbareren nur größere Kunſt erfordern, in ten anteren 
Bedingungen aber ten geringeren gleichſtehen, fo fann man es den 
Unternehmern anheimftellen , bei einerlei Zollfag nah unt nad zu ten 
befieren Sorten überzugehen, wobei allertinge ter Schuß in Procenten 
des Verkehrswerthes abnimmt. Die einfacheren gewöhnlichen Sorten 
find meiflens für den Berarf ber zahlreichen mittleren und unteren 
Belksclafle beflimmt, werten in ber größten Menge begehrt, fie finten 
den fchnellften Abfag und ihre Erzeugung ift daher volfewirthichaftlich 
die nüglichfte. 


Sm preuß. Zollgefeß von 1818 wurte die Abfiht ausgelprodhen, nicht 
über 10 Proc. des Verkehrswerthes hinaufzugehen und Liefer Sag if 
taher neuerdings öfters als die zuläffige Obergränge betrachtet worten. 
Stublmüller a. a. D. fordert 50 — 200 Procent. — Lift (Das 
nat. Syſtem ꝛc., ©. 433) glaubt, daß wenn ein anfänglider Zoll von 
40—60 Proc. und ein fpäterer von 20—30 Proc. bei einem Gewerks⸗ 
zweige nicht zureiche, derſelbe dann vermuthlich nicht für das Land 
paffe — Bierfad ©. 56 will als Regel 10— 20 Proc. — Mac 
Gregor verlangte 1840 in Gngland für Seidens, Leinen:, lass 
Waaren und Bapier 20 Broc., für alle anderen Kunflwaaren nur 
10 Proc. Wo ein flarfer Schuß 3. B. von 30 und mehr Proc. erfor: 
derlich fcheint, da ift wahricheintich Das Gewerbe überhaupt oter unter 
den jegigen Verhältnifien für das Land nicht zweckmäßig. — Im frans 
zöftfch-britifchen Vertrage von 1860 bat Frankreich zugeſagt, alle Gin: 
fuhrverbote aufzuheben und nicht über 30 Proc. Zull von brit. Waaren 
(mit Ginfchluß der 20 Zufcdlagsprocente) zu erheben. — Zölle, tie 
nah einer Gewichtseinheit (Centner) erhoben werden, nehmen einen 
verhältnigmäßig höheren Betrag in Procenten an, wenn die zollpflichs 
tigen Waaren im Preiſe finfen, wie 3. DB. bei verfchietenen englifchen 
Baummollen: und Wollenwaaren von 1818—48 eine Preisvermindes 
rung um 47— 82 Proc. eingetreten if, Entwurf zu einem Zolltarif 








(e) 


(8) 


—— 115 — 


für das vereinte Deutihland, 1848, ©. 89. — Wenn zwei Ränder, 
3. B. England und Deutichland, den Berwanblungsftoff aus einerlei 
Duelle beziehen, fo ift in Anfehung deſſelben die Lage der Fabrifherren 
wenig verichieden und der Schug fann nur wegen ber anderen Auss 
gaben verlangt werden; er ift nur auf biefen Theil der Koften zu bes 
re und beträgt von benfelben mehr Procente, als von bem ganzen 
reife. Der Serbondlungefof verurfacht nur infofern etwas mehr Srachts 
foften, als bei ihm ein Abgang ftattfindet. Wenn biefer bei einer ges 
wifien Waare 25 Proc. und die Fracht des Gentnere vom Lande A 
nad B 2 fl. betrüge, und der Gentner der Kunftwaare in A 60 fl. 
älte, fo käme derfelbe in B auf 62 fl., ließe aber B den Stoff aus A 
ommen, fo müßte es 133 Pfo. kaufen und alfo 2%s fl. Fracht bezah⸗ 
len, um 1 Etr. Kunſtwaaren zu verfertigen. Gin Soll von 10 fl. vom 
Gentner oder 16 Proe. gäbe alfo für die Verarbeitung einen Schuß 
von 9/5 fl., der von den 40 fl. Berarbeitungsfoflen in A 23%/5 Proc. 
ausmadhte. 


Diefe Mittel werden an anderen Stellen dieſes Bantes erklärt... Es 
gehört dahin aud 3. B. die Berbefierung der Straßen im Lande, bie 
Megräumung hemmender Abgaben, wie der 1845 aufgehobene englifche 
Einfuhrzell von roher Baumwolle u. dgl. Selbft eine Unterftigung 
der Staatscafle würde weniger gegen fi Haben als ein Ginfuhrzoll, 
bei dem ſich die Größe und Dauer der den Käufern zugemutheten Mehr⸗ 
ausgabe nicht vorausfehen läßt. 


Ein Gewerk, deſſen Emporhebung in Deutfchland ganz befonders er- 
firebt zu werben verdient, iſt die Verarbeitung des Lein⸗EFlachs⸗)ſtengels 
mit Binfchluß der Spinnerei, $. 228 (2). 


(e) Beifpiele, engl. Zollgef. v. 14. Aug. 1853: Wenfterglas, der Gentner 


von jest an 21/2 Sch., vom 5. April 1855 an It/s Sch., v. 5. April 
1857 an frei. Der frangöf.ebritifhe und franzöf.spreußifche Handels⸗ 
vertrag enthalten ähnliche Beftimmungen. Biöweilen ift es noch uns 
gewiß, ob ein gewifler Zweig ter Gewerke fid im Lande foweit werde 
ausbilden Fönnen, daß er den Zollfbuß entbehren Fann. In folden 
Fällen könnte eine zu raſche Zurüdnahme beflelben das Gewerbe zer: 
ftören. Dagegen würde auch die erwünfchte Wirfung vielleicht aus⸗ 
bleiben, wenn bie Unternehmer ſich fortwährend vor dem fremden Mits 
werben ficher glaubten. 


Gin wichtiges und Ichrreichee Beifpiel für diefe Betrachtung giebt 
die Steuergefeßgebung in Bezug auf den Zuder. Die auf ten Roh: 
zuder gelegte Abgabe war urfprünglih nur ein Steuerzoll. Als aber 
die zuerſt von Achard 1796 in Schleſien unternommene Zuckerberei⸗ 
tung aus MRunfelrüben Gingang fant, wirfte der Zoll von Golonies 
zuder zugleih als Schutzzoll für die Rübenzuckerſiedereien, wobei das, 
was der Zehrer bisher als Steuer in die Staatscafle bezahlte, nun 
theild den größeren Koftenaufwand einer minder ergiebigen Production 
vergütet, theild die Grundrente und den landwirthfchaftlichen Gewerbs⸗ 
verdient in der Umgegend der Fabriken vermehrt. Wollte man diefe 
Belaftung ter Zehrer ohne Nugen für das Staatseinfommen vermeiden, 
fo mußte man den Munfelrübenzuder einer Steuer unterwerfen, die 
dem Zoll des Rohr: (Eolonie:) zuders gleich kommt. Wenn die Fort⸗ 
fhritie der praftifchen Chemie dahin führen, daß man aus Runfelrüben 
eben fo wohlfeilen Zuder bereitet als aus dem Zuderrobre, fo ift dieß 
Pa erwünſcht, und ale Mittel biezu, fo lange fich dieſer Grfolg 
offen läßt, if die Fortdauer eines Schutzes für die Rübenzuderfabrifen 
zu billigen, der aber mäßig fein und bei der Vervollkommnung derſel⸗ 
ben allmälig vermindert werden muß, fo daß die Rübenzuckerſteuer 


8* 


— 116 — 


fteigt. In Frankreich war das Auffommen der Rübenzuderfabrifen 
durch den hoben Boll (42%: Fr. von 100 Kil. aus den franzöfiichen 
Colonien jenfeit des Gaps, A9'/a Fr. diesſeit des Kaps) fehr befördert, 
und während dieſer Gewerkszweig fich bob, litten die Colonien und die 
franzöftfche Staatscafle. Der Zullertrag nahm ab und der Preis des 
Goloniezuders ſank unter den Koftenbetrag. Während 1828 nicht voll 
3 Mill. Kil. Rübenzuder erzeugt wurden, betrug der Verbrauch deſſel⸗ 
ben 1836 49 Mill. Kil. (max), 1839 nur 22, 1841 wieder 31 Mill., 
1842 über 41 Mil. An Colonie- und fremdem Zuder wurden 1832 
82%, Mill., 1836 nur 671, Mill. Kil. verzollt, 1841 ſchon wieder 
7413 Mil. Kil. Das Bel. vom 18. Juli 1837 legte einftweilen eine 
eringe Steuer auf ben NRübenzuder, die vom 1. Juli 1839 an nad 

aaßgabe des Grades der Güte 15 — 20 Fr. für 100 Kil., und mit 
dem Folien Zufchlage von Yo, 161/a— 22 Br. betrug. Das Belek 
vom 3. Juli 1840 feßte den Zoll von nit weißem Zuder aus Ame⸗ 
rica auf 45, aus Bourbon auf 381,2 Fr. vom metr. Centner, von 
weißem auf resp. 5l!/s und 46 Fr., von NRübenzuder auf 25—33,% Fr., 
wozu beiderfeits der Zufchlag von 10 Proc. kommt. Der Schutz des 
Nübenzuders betrug alfo gegen 20 Sr. Da hiedurch das Mißverhält: 
niß noch nicht befeitigt war, fu fchlug die Regierung 1842 vor, die 
Hübenzuderfabricanten dur eine Geltfumme von 40 Dill. Fr. zu 
entihädigen und ihnen bie Kortfegung ihres Gewerbes zu unterfagen ; 
die Dep.:K. nahm dieß aber nicht an, vielmehr wurde 1843 beiojloffen, 
die Steuer von Ruͤbenzucker allmälig (in 5 Jahren) auf den Betra 
des Zolls von franzöfifchem Coloniezucker zu erhöhen. Vom 1. Augu 
1849 an fland die Rübenzuderfteuer dem Ginfuhrzoll gleich, aber der 
Zoll von nicht franzöſ. Goloniezuder war fortdauernd höher. Das 
Geſ. 27. März 1852 beſtimmt, daß der Zuder aus franzöf. Colonien 
4 Jahre lang 7 Br. weniger von 100 Kil. geben folle, als ber 
Müben: oder inländifche Zuder (s. indigene). Die Steuer ift bei der 
gewöbnlicen Sorte für 100 Kil. Robzuder 38 Fr. von franzöfifchen 

olonien, 45 Fr. von Runfelrüben, 45— 60 Fr. von fremden Laͤn⸗ 
dern, durchgängig mit 10 Proc. Zufhlag. Nach Verlauf der 4 Jahre 
wurde am 28. Juni 1856 beflimmt, daß der Colonialzuder nur alls 
mälig dem Rübenzucker gleichgeftellt werden folle. Zufolge des Hans 
delsvertrages mit Großbritanien wurden 1860 die Abgaben georbnet: 
Nübenzuder und franzöſ. Eolonial3. 25 Fr., doch genießt Liefer nody 
bis 1866 eine Ermäßigung von 3 Fr für 1008. Der metrifche Cent. 
(100 Kil.) Eolonieguder (bonne quatriöme) war 1822—1838 in Havre 
u. a. Seeftätten um 123 Br. zu faufen, 1843 um 104—112 Fr. — 
Der Roftenbetrag wurde nad und nad immer niedriger angegeben. 
Im Jahre 1843 vechnete man 47 Sr. Grzeugungsfoften, 27 Fr. Ber: 
fendung nah Curopa, 49%. Br. Zoll, zuf. 1231 Fr. (1828 noch 
1421/ Fr.). Die Koften des metr. C. Rübenzuder follen 1840 im 
Norddepart. 78 Wr. geweſen fein, dazu Fracht nach Paris 20, Steuer 
mit dem Zufchlag 27,2 Fr., zuf. 12518 Fr. (29 fl. 17 fr. für ten 
Bolleentner). Dumas glaubte 1838, die Koften des Goloniezuders 
fünnten bis auf 59 Fr. herabgehen, wodurd ein Theil der Ruͤbenzucker⸗ 
fabrifen zu Grunde gerichtet werden müßte. Im 9. 1843 wurden nur 
noch 10643800 Kil. Rübenzuder verfteuert, 1844 wieder 35'/, Mill., 
1844 an 60 Mill., 185% 76 Wil. Kil. und der Boranfchlag für 1856, 
da er 38 Mill. Fr. Ginnahme aus dem — anſetzt, deutet bei 
der Abgabe von 49,5 Fr. ebenfalls auf 76 Mill. Kil. Die Bereitung 
des Rübenzuders hat ſich alfo bei der beflehenden Art der Belleuerung 
zu erhalten vermodht. 


— 17 — 


Wegen ber nothwendigen NRüdfiht auf die Colonien ift dieſe An⸗ 
gelegenheit in Frankreich noch ſchwieriger, ale im deutfchen Zollvers 
ein. Doch treffen auch bier mehrere Umftände zufammen. Der Zuder 
ift 1) Gegenſtand einer Aufwandsſteuer, und von diefer darf auch der 
Rübenzucker nicht befreit bleiben, 2) die Fabriken für letzteren haben 
lange Zeit gar feine Abgaben getragen, find hierdurch fehr begünfligt 
worden und machen nun auf fortdauernden Schuß gegen den Robzuder 
Anſpruch. 3) Zur Grmunterung der einheimifchen Siedereien hat man 
den eingehenden Robzuder niedriger belegt als ben daraus bereiteten 
geläuterten (raffinirten). Der jebige Zoll für Hutzuder, Candis ıc. 
in 10 Thlr., für NRobzuder zum Gebrauch inländiicher Siedereien 
5 Thlr, und wenn man annimmt, daß 100 Pfund Raffinade aus 
etwa 133 Pfund Rohzucker erhalten werden, fu geben dieſe 6%, Thlr., 
der Schuß beträgt aldo 31/5 Thlr. auf den Gentner Laͤuterzucker, oder 
33 Proc. des ganzen Zolles. Der mittlere Zuderpreis von 1851—55 
in Hamburg vom Zollcentmer war für Robzuder 7 Thlr. 161/s Sgr., 
von geläuterten Zuder 9 Täler. 11,8 Sgr. Gin Mittelding zwiſchen 
rohem und geläutertem Zuder find die Lumpen (lumps, holl. lompen), 
die fchon foweit raffinirt find, daB fie nur noch einmal verfotten zu 
werden brauchen. So lange fie in Gemäßheit eines Bertrages mit der 
niederlänviichen Regierung um niedrigen Zoll zugelafien wurden, wur⸗ 
den fie in Dienge aus Holland eingeführt. Den Wechſel in den Zolls 
fägen fann man fo überbliden: 


Rohzucker 1832 1837 1839 1842 1843 
für Siederein . . 5 Thlr. 5 Thlr. 5 Thlr. 5 The. 5 Thlr. 
für anderen Gebrauch 11 9 9 9 8 

Lumpen . . 2... 11 5! / 2 11 10 

raffinirter Zuder . . 11 11 11 11 10 


Hiebei ift bis 1837 der preuß., von 1839 der um 2,9 Proc. Eleinere 
Zolleentner gemeint. — Die Bereitung des Rübenzuckers war nad) ber 
Aufhebung des franzöflihen Continentaliyflems in Berfall gerathen, 
bob ſich aber nah 1830 wieder. Man fand es fpäter für nothmenbig, 
auch den Rübenzucker zu befteuern. Gr wurde nad dem Zollvertrage 
vom 8. Mai 1841 mit 10 Sgr. (35 fr.) vom Zollcentner belegt, dem: 
nach blieb dem rohen Rübenzuder noch ein Schug von 4%, Thlr. — 
8 fl. 10 fr., und da der Gentner Colonieguder um 13 — 14 fl. in den 
Serftädten zu kaufen war, fo machte der Schuß 60 Proc. des inläns 
bifchen Preiſes; er war alfo fehr hoch. Die Rübenzuderfieuer im 
Zollverein wird von den rohen Runfelrüben erhoben, wobei man an« 
nimmt, daß 20 Gentner derfelben 1 Centner Rohzuder geben (5 Pr.), 
was jetzt nicht mehr antrifft, da wohl 6—7 Proc. feſter (Kofellinifger) 
Mohzuder gewonnen werden. Im I. 1844 wurde bie Steuer auf 
u! / Sgr. vom Gentner Runfelrüben beſtimmt, wobei nad jener Vor⸗ 
ausfegung 1 Thlr. auf den Gentner Rohzucker kommen follte. 1850 
wurde diefe Steuer auf 3 Sgr., 1853 au 6 Ser. = 21 Er. erhöht. 
Bei einem Zuderertrage von 6 Proc. trafen auf den Gtr. Zuder nur 
30/5, bei 7 Broc. nur’ 25/6, bei 8 Proc. nur 21a Thlr., fo daß alſo 
gegen den Zollfaß von 5 Thlr. für Goloniezuder noch 1%/— 21/8 Thlr. 
Schug übrig blieben. An rohem Golonieguder wurden eingeführt (den 
geläuterten auf Rohzuder umgerechnet): 


1841—50 i. D. 1'253 073 Etr. 


1851 —54 119739 ⸗ 
1855—57 621446 ⸗ 
1858—59 188888 ⸗ 
1860/41. 61/, 139136 ⸗ 





—— 118 — 


Dagegen verarbeitete Rüben: 

D. 184014 49/0 5°996471 Er. 
1850/,—54/5 18523104 ⸗ 
1855/6—59/ı5 30'214323 ⸗ 
1860/,—61/a 30'826 708 ⸗ 


Leptere Zahl zeiat, den Ertrag zu 7 Pror. angenommen, 2157800 E. 
Nohzuder an. Da diefer Zweig der Yabrifarbeit fortwährend im Zu: 
nehmen war, fo vermochte er offenbar eine höhere Beitenerung zu ers 
tragen... Sn ten 9 Sahren von 1850 — 58 haben die 207,56 Mill. Ctr. 
Müben 37 Mil. Thlr. Steuer eingebradt, während der daraus berei- 
tete Rohzuder als Coloniezuder 72%; Mil. Thle. Zoll getragen hätte, 
die Zehrer bezahlten daher 35%, Mill. Thlr. zur Unterflügung ber 
Rübenzuderfabrifen, deren volfswirthichaftlihe Wichtigkeit ein folches 
Opfer nicht zu vergüten vermag. Wenn der preuß. Morgen 130 Etr. 
RR., alio 8— 9 Etr. Nohzuder giebt, fo würde ein Zuderverbraud 
von 2 Mill. Etr. nur 222 000—250 000 pr. M. erfordern. Die An: 
baukoften für Geſpann⸗ und Handarbeit werden auf 11—14 Thlr. vom 
M. angegeben, Weyhe in Lengerfe Annal. XVII, 180. Zur Bes 
reitung des Mohzuders find auf den Gtr. 2 fl. Arbeitslohn exrforders 
lih. — Die deutichen Fabriken famen in den letzten Jahren wegen des 
niedrigen Preifes des Rohzuckers (8 /3 — 10 Thlr. der Etr.) in eine 
fhlimme Lage, befonders ta fie den durch tie Steuer vertheuerten 
Zuder nicht ins Ausland abfegen und daher ihren Betrieb nicht erweis 
teen fonnten. Die gegründeten Klagen der Fabrikherren veranlaßten 
die Uebereinktunft der Boflvereinsftaaten vom 25. April 1861, nad 
welcher von allem ausgeführten Rohzuder eine der Rübenſteuer ents 
fprehende Ruͤckvergütung gegeben wird. Diefe beträgt jetzt 2%, Thlr, 
vom Gentner, es ift mithin ein Zuderertrag von 9 Proc. angenommen. 
Zugleih ift vom 1. Sept. 1861 an ter Soll von Rohzucker für inläns 
bifche Siedereien von 5 auf 41/4 Thlr. herabgefeht worten, woburd 
der Schuß des Rübenzuckers ungefähr auf 1 Thlr. Herabgeht. — Die 
Rübenzuderbereitung, bie in großen Yabrifen vortheilhafter betrieben 
wird als im Kleinen, hat große Bortichritte gemacht, if aber in Ges 
fahr wieder zu finfen, wenn in ben heißen Laͤndern der Erde die Ge: 
winnung bes Zuders aus dem Zuderrohre einft mit mehr Sorgfalt 
und Kunft betrieben wird. (Jakob e) Meber die Zudererzgeugung in 
den Zollvereinsftanten.. Potsd. 1840. — Koppe, Ueber die GErieu⸗ 
gung des Rübenzuckers. Berlin 1841. — Nebenius, in D. Biers 
teljahrsſchr. 1842. IV, 336. (Hier wird vorgeichlagen, die beftehenden 
Babrifen nur in dem bisherigen Umfange ihres Betriebes zu fchüßen.) 
— 9. Zengerfe, Annalen der Sandw. II, 18. 218. 241. — Dies 
terici, Statiſt. Ueberf. I. Kortf. S. 74. 4. F. ©. 180. 5. F. ©. 251. 
— 9. Hagemeifter, Des Rohrzuckers Erzeugung, Berbraud und 
Berhältnig zum Rübenzucker. Berl. 1843. — Stölzel, Die Ents 
ftehung und Kortentwidelung der Nübenzuderfabrication. Berl. 1851. 
— Kögel, Die landw. Verhältniffe der NR.:Zuderfabrication. Berl. 
1853. — Die Nübenzuderfabrication im Zollvereine. Stuttg. 1861. 
— In Belgien ift die Nccife des toben Rohr: und Rübenzuders gleich. 
nämlih 45 $r. von 10 Kil. Bertrag mit Branfreih v. 1861. $. 9. 


(f) Dieß iR auch von Thiers, dem neueren eifrigen Bertheidiger des 
Schutzſyſtems, früherhin zugeflanden worden. Bortrag in der Depus 
tirtenfammer, 3. Febr. 1824 (Moniteur Nr. 42): Employd comme re- 
pressailles, il (le tarif) est funeste; comme favenr, il est abusif; 
comme encouragement & une industrie exotique, qui n’est pas impor- 
table, il est impuissant et inutile.e Employ& pour protöger un pro- 
duit, qui a chance de röussir, il est bon, mais il est bon temporaire- 


— 19 — 


ment; il doit finir, quand l’&ducation de Y'industrie est finie, quand 
elle est adulte. — Il faut, après avoir declar& solennellement le prin- 
eipe de la libertö commerciale, accorder simplement un regime transi- 
toire, avec des conditions et des delais invariablement fixds d’avance, 
afin que les interöts exceptionnels, qui luttent contre cette liberte, 
soient contraints à se fondre sans secousse dans l'intörät genöral de 
Yötat. Commiſſion der Kaufleute v. Bordeaur, Enquete I, 61. — 
Bol. Rau, Bommiffionsberiht in den Verhandl. d. bad. 1. K. von 
1835, Beil. I, 197. 


Selbft Hohe Zölle find noch beſſer ale das Verbot, weil fie doch für 
einzelne foftbare Sorten noch eine Ginfuhr möglid machen und weil 
man leichter von einem übermäßigen zu einem niedrigeren Zollſatze 
übergeben Tann. 


Die franzöfiihen Steingutfabricanten verlangten bald 15 Fr. Zoll auf 

100 Ril. Teller (Lebeuf, Enqu. comm. II, 58), bald 30—40 Fr. 

3 Grieq, ebd. ©. 30), bald 50 Fr. (Fabry und Utzſcheider, 
. 1). 


() Es ift 3. B. Fürzlid darauf aufmerkſam gemacht worden, daß man bie 
Garne wegen ber leichteren Auswahl, die Mafchinen wegen der beques 
meren Beltellung und Ausbeflerung, das Tafelglas wegen der Gefahr 
des Zerbrechens bei der Berfendung gerne in der Nähe bezieht. 


8. 215. 


Prüft man bie in den meiften europäifchen und americanis 
hen Staaten beftehenden Tarife der Einfuhrzölfe (a) nad) den 
vorftehenden Grundfägen und mit NRüdficht auf die eigenthüms 
lihen Gewerböverhältniffe der Länder, fo muß man erkennen, 
daß ein großer Theil der Zolfäge nicht auf einer genauen 
Unterfuchung des Schugbebürfniffes und der Schutzwuͤrdigkeit, 
fondern auf einfeitigen Annahmen und unbegründeten Regeln 
berußt, weßhalb viele jener Säbe ganz entbehrlich oder doch 
übermäßig body find. Indeß läßt fich in den legten Jahrzehens 
ben ein wetteifernded Beftreben mehrerer Regierungen wahrneh⸗ 
men, die Verbote zu befeitigen (5) und die Einfuhrzölle nicht 
allein von rohen Stoffen, fondern aud von Kunſtwaaren zu 
verringern. Großbritanien hat hierin ein folgenreiches Beifpiel 
gegeben (c). Die von der geringeren Belaftung bed fremden 
Mitwerbend befürchteten Nachtheile find felten zum Vorſchein 
gekommen, häufiger aber günftige Bolgen, die zum Bortfchreiten 
auf diefer Bahn ermuntern und andere Regierungen zur Nach⸗ 
ahmung auffordern müflen. Dan darf nad) -diefen Vorgängen 
die Hoffnung fchöpfen, daß die Lehren der Wiflenfchaft über 
die Vorzüge der Hanbeldfreiheit im Allgemeinen auch in den 
Zollgefegen der einzelnen Staaten mehr und mehr werben 


@ 


— 


(A 


— 


— 120 — 


beachtet werden. Die Steuerzoͤlle werden aus finanziellen 
Gründen noch lange nicht zu entbehren ſein, und auch die 
gaͤnzliche Entfernung der Schutzzoͤlle laͤßt ſich in denjenigen 
groͤßeren Staaten, wo dieſelben ſeit lange beſtehen, nicht in 
Kurzem ausführen, ed wäre aber nuͤtzlich, wenn man bei jedem 
Zollfage ſich deutlich machte, ob er zu der erfteren Art ober zu 
ben befchügenden Abgaben gehöre. 


(a) D. Hübener, Die Zolltarife aller Länder, Leipz. 1842. — Ale Beis 


(2) 


fpiele dienen einige Zollfäge von folhen Gewerkswaaren, die zu allge 
meinem Gebraude dienen, aus dem Zollverein (3ZB.), Defterreih (D.), 
Frankreich (%.), Rußland (24. Juni 1857) (R.), auf den Zollcentner, 
in Gulden des 24,5 fl. Fußes oder Franfen, in Nordamerica (NA.) 
feit I. Juli 1857 nah Brocenten. Der Zwifhenzol an der Zollver: 
einsgraͤnze gegen Deflerreich if unter Zw. beigefügt. Die franzoͤſiſchen 
Süße beziehen ſich auf die Einfuhr in Franpöhffehen Schiffen, während 
zu Lande oder in fremden Schiffen etwas mehr (ungefähr 10 Procent) 
bezahlt wird. Ohnehin wird bei allen frangöftfchen Zollfägen nod ein 
Zuſchlag von 20 Procent erhoben, indeß gelten die angegebenen Säpe 
nicht von englifchen und beigifhen Waaren. 

Baummwollengarn. #. v. Nr. 143 an 700 Fr., M. 12/, fl., 
D. 7,5 fl., 8B. 5,5 fl., Zw. 3 fl. 

Baumw. Gewebe. NR. 92 — 322 fl., O. 46 — 122,5 fl., 38. 
871. fl., Zw. 521,2 fl., NA. 19—20 Br. 

Keinengarn. %. 38—287 Fr, DO. 3,56 fl., ZB. Handgefpinnft 
0,2 f., Maſchineng. 3,5 fl., Zw. 521/2 Er. 

Leinwand. F. 60—980 Fr., R. 139—695 fl., O. 18% —306%/4 fl, 
8V. 35 fl., Zw. alle Sorten Leinwand 52° fl, rohe an einem 
Theile der Gränze frei, NA. 15 Br. 

Wollengarn. R. Kamıng. 22,?, Streihg. 66,°f., DO. 7,5 f., 
ZB. und Zw. 52/2 Kr., weißes Ifaches oder gefärbtes 14fl., NA. 19 Br. 

MWollenwaaren. R. 161—322 fl., DO. 61'/4— 306% fl., 38. 
und Zw. 5214 fl., NA. 20 Br. 

Seidenwaaren. %. 300-950 Fr., R. 920 fl., O. 183°, bie 
306% fl., ZB. 19214 fl., NA. 20 Br. 

Fenſterglas und ähnliche Sorten, R. 10 fl., ©. 614 fl., 38. 
51, 3m. 3 fl, NA. 15 Pr. 

Weißes Porzellan. F. 82—163'’, Fr., R. 30 fl., O. 18% fl, 
SB. 1712 fl., Zw. 5A Hl. NN. 20 Pr. 

Sohlleder. F. 435 —120 Fr., DO. 9, fi., 33. 101 fl., Im. 
3 fl., R. 23 f., NA. 15 Pr. 

Geleimtes Bapier. %. 90 Fr., D. 9, fl. 38. 83, f., 
3w. 134 fl., R. 30 fl., NA. 20 Pr. 

In Frankreich beftehen für Leingarn 30 Saͤtze, je nachdem es uns 
gebleiht, gebleicht, gefärbt, einfach oder zum Nähen gezwirnt if 
(retors) und nah 5 Yeinheitögraten, der unterfte bis zu 6000 Met. 
auf das Kil., der höchſte über 36000 M. Auch bei der Leinwand 
fommen viele Säge vor. In Anfehung der Feinheit hat ber unterfle 
Grad bis zu 8 Baden auf 5 Q.:Millimeter, der böchfte über 20. Kür 
das gebleichte gemufterte Zeuch (damasse) find die Saͤtze 300—980 Fr. 
In Preußen find diefelben im Zollgefeß von 1818, in Oeſterreich 1838 
aufgehoben worden. Fn Frankreich if der darauf und auf Zollermäs 
Bigungen gerichtete Geſetzentwurf 1856 einflweilen zurüdgelegt worden. 





— 121 — 


Berboten ift 3. B. die Einfuhr von raffinirtem Zucker, chemifchen Pros 
bucten, vielen Glaswaaren, feinem Steingut, feiner Bayence, Baums 
wollengarn unter Nr. 143, Wollengarı, ausgenommen das aus Kamm: 
wolle verfertigte, TUN, Baumwoll⸗ und Wollenzeuhen, mit Ausnahme 
der Teppiche, Fenſterglas, Zinnwaaren mit Ausnahme der Gefäße 
(poterie), Zinf:, Ciſenguß⸗, Schloffer:, groben Schmiebeeifen:, Meſſer⸗ 
fchmiedes, Blech⸗, Stahl, Leder⸗, Schreinerwaaren sc. In den neues 
ſten Handelsvertraͤgen hat Frankreich gt en die benannten anberen 
Länder die Berbote aufgegeben. In Rußland find nur fehr wenige 
Berbote übrig geblieben. 


(6) Dieß geihah zuerft 1824 Durch die Bemühungen Huskiſſons, der 
van Ganning unterflüßt wurde. Das Verbot ber Binfuhr von Sei: 
denwaaren wurde aufgehoben und durch einen Zoll von 30 Proc. des 
Preiſes (ad valorem) erfeßt, zugleich auch der Ginfuhrzoll von Rohſeide 
fehr ermäßigt, fowie von vielen Kunftwaaren, fo daß er z. B. für 
Glaswaaren von ungefähr 86 auf 20, für Leinenwaaren von 40—180 
auf 25, für Baummwollenwaaren von 50—75 auf 10, für Wollenwaa: 
ten von 50 auf 15 Proc. herabſank. Die Handelskriſis von 1826 
wurde zwar von den Seidenwebern befonders ſchwer empfunden und 
regte Zweifel über die Zweckmaͤßigkeit der getroffenen Maaßregel an, 
allein die Bedrängniß ging vorüber und die Seidenoerarbeitung erhielt 
fih in gutem Stande. Der qute Erfolg der erften @infuhrerleichterung 
wirkte günflig auf die öffentliche Meinung und ermunterte zu weiteren 
Schritten, zu benen befonders der Rath zweier fachkundiger Männer, 
des erfahrenen Zollbeamten Deacon Hume und des Statiftifers 
Mac Gregor förderlich war. Bin Ausfhuß des Unterhaujes ſprach 
fi) 1840 eifrig gegen» bie Schußzölle aus; Report of the Committee 
appointed to enquire into the several duties levied on Imports, 1840 
fol, vgl Edinb. Rev. 146, ©. 418. Monthiy Rev. Febr. 1841 ©. 
148. Im 3. 1842 (5. 6. Victor. C. AT) folgten wieder viele Zoll: 
erniedrigungen, wobei z. B. munderlei Metalle, Wollens, Lederwaaren 
von 30, 25 oder 20 Proc. auf 15 Proc., gewoͤhnliches Papier v. 9 
auf Al/ PB. das Pfd., Zenfterglas von 8 &. 6% Sch. auf 1'/s 2. der 
Gentner gefeßt wurden. Außer einzelnen Veränderungen in der Zwiſchen⸗ 
zeit wurde auf Rob. Peels Betrieb 1853 (16. und 17. Vict. C. 54) 
wieder eine große Wrleichterung im Solltarif zu Stande gebradt. 
Manche Kunftwaaren wurben ganz frei, bei vielen die Preiszölle (3. 
ad valorem) in fefte und mäßige Gewichtszoͤlle verwandelt, bei anderen 
die bisherigen Gewichtszoͤlle vermindert, 3. DB. feidene Tafchentücher 
gaben vorher 5 und 15 Procent, von nun an das Stüd bis zu 
9 Dards Länge 1%: Sch., von 9— 18 Darbs 3 Sch., Filz: und Seidens 
hüte ftatt 2 nur 1 Sch. das Stüd ıc., Benfterglas, Lampengläfer, der 
Gentner ftatt 3%, nur 21/, Sch., vom 5. April 1855 an nur 11% S., 
v. 5. April 1857 an frei; Strobhüte flatt 5 nur 21/ Sch. das Pfd. sc. 
Durch dieß allmälige Herabiehen wurde die Beunrubigung und ber 
Widerfland vermieden, die bei einem rafcheren Gange zum Borfchein 
gelommen wären. Bianchini, Della riforma ete., 1. 6. 205. In 
dem Brit. Zollgefeß 23. 24. Viet. C. 110 (28. Aug. 1860) find nur 
noch 26 Zollfäge, unter denen nur die Abgabe von verarbeitetem Rauch: 
tabaf und Gigarren (9 B. vom Bd.) ale Schupzoll gelten fann, da 
rohe Blätter bloß 3 B. geben. — Auch in Franfreid wird unter dem 
Einfluffe der wiffenfchaftlihen Borfhungen die ehemalige Vorliebe für 
das Prohibitivſyſtem von Jahr zu Jahr mehr geſchwächt, wie fhon die 
Berhandlungen ber vormaligen Deputirtenfammer zeigen. Borzügliche 
Beachtung verdienen die berebten Schilderungen der Handelsfammern 
in den Seeflädten, vorzüglid von Borbeaur, Nantes, Havre, Bou⸗ 


— 124 — 


Ordn. vom 10. Aug. 1754, in Bergius, Neu. Mag. VL, 194. 
Kurmärk. revid. Tuch- und 3.:Reglem. vom 22. Nov. 1772, ebent. 
S. 209. — Auch in Anfehung ter Xeinweberei find viele Verordnungen 
egeben worden. Unter andern murde häufig den Webern verboten, 
Plätter unter einer gewiflen Breite in die Lade ihres Stuhles zu ſetzen, 
und fogar der Blattmacher wurde vereidet. Diele fo wie mehre andere 
die Berfertigung und den Verkauf der Leinwand betreffende Beſtimmun⸗ 
gen find eigentlich polizeilih, indem fle den Betrug oder die Selbf: 
täufhung der Käufer zu verhüten dienen. Daher ift in Schleflen 
neuerlih das Gebot eines gleihförmigen, geaichten Hafpels von 3,% 
pr. Ellen und die Borfchrift einer, bei feilgebotenem Garne zu beob: 
achtenden Zahl von Fäden, Gebinten sc. beibehalten, in Anfehung ber 
Meberblätter aber nur befohlen worden, daß auf ihnen die Breite, 
Zahl der Gänge, die Art der Zeuche und der Name des Blattmachers 
beutlich eingebrannt fein folle, auch die Rohrſtifte (Miete) gleich weit 
von einander abflehen müflen. Schlef. Leinwand: und Scleierortn. 
vom 27. Juli 1742, Bergius N. Mag. IV, 63. Neuere, 6. April 
1788, neuefle 2. Juni 1827, Gef.:Samml. Nr. 15. — Aehnlich die 
„Dualitätens und Fabricirungsordnungen“ in Oeſterreich, meiftens 
zwifchen 1750 und 1760 erlaflen, für Garn, Leinwand, Schleier, Pa: 
pier, Wollentuch , Seidenzeuche, Spigen, Borden. Sie wurden fyäter 
aufgehoben, mit Ausnahme der aufrecht erhaltenen böhmifben Tuch. 
macherordnung von 1758. Kopetz, II, 204. — Der Indigo wurde 
anfangs auf Antrieb der Färber, und weil er den Abfaß des Waids 
beeinträchtigte, in mehreren Rändern verboten, fowie das Campeche⸗ 
oder Blaubolz unter Elifabeth in England. — Das Berfahren Col; 
berts wird durch v. Zufti (Polizeiwiſſ. I, 459—61) empfohlen. „Es 
ift befländig einem oder zwei Mitgliedern der Akademie zu Paris von 
der Megierung aufgegeben worben, in denen Karben Berfuche anzu: 
fielen, um dasjenige, was fie aur Verfchönerung und größerer Dauer 
haftigfeit der Karben herausbringen, in denen Reglements geſetzlich 
vorzufchreiben.“ (Das Vorichreiben war offenbar unnöthig, die Unter 
fuhung ſelbſt aber fehr nuͤtzlich.) 


6. 218. 


Schauanftalten, in denen auf obrigfeitliche Anordnung 
gewiffe Gewerföwaaren vor dem Verkaufe von Kennern unter 
fucht und, wenn fie gut befunden worden find, mit einem Stems 
pel bezeichnet werben, waren vor Alters bei vielerlei Arten von 
Erzeugniffen im Gebraud) (a). Sie wurden nad und nad 
als entbehrlih und läftig erfannt und aufgehoben. Der Käufer 
ift in ber Regel der beſte Richter über bie Güte der Waaren, 
und indem er das Schlechte zurüdweift, zwingt er den Bers 
fäufer von felbft, Beſſeres hervorzubringen, überdieß ift bie 
amtliche Befichtigung zu umftänblih, um häufig angewendet 
werden zu Fönnen (6). Cine Ausnahme findet bei Waaren 
ftatt, die von vielen Fleinen Unternehmern verfertigt und von 
Kaufleuten zur Berfendung ind Ausland aufgefauft werden. 





— 125 — 


Leptere würden große Mühe haben, fi) von der Güte jedes 
einzelnen Stüded zu überzeugen, und die Berfendung von 
Waaren, deren ſchlechte Befchaffenheit erfi von dem auswaͤr⸗ 
tigen Käufer entdedt wird, koͤnnte leicht den Abfag einer gan- 
zen Gegend zerftören. Werden bei cinem Gewerkszweige joldye 
. Wahrnehmungen gemacht, fo ift es rathſam, für Anftalten zu 
forgen, die zur Erhaltung des Bertrauend auf die Gewerks⸗ 
leute eined Landes dienen. Im Leinwandhandel haben fich die 
Schauanftalten (Xeinwandleggen) ale’ nüglich bewährt (c), 
ed ift jedoch nicht nöthig, Die Benugung derſelben zu befehlen 
und den Verkauf ungefteinpelter Leinwand zu verbieten (d). — 
Jedes vom Weber zum Verkaufe beftimmte Stüd wird von 
beftellten und verpflichteten Kunftverftändigen gemeffen, die Güte 
unterjucht, und fowohl diefe als die Länge mit einen Stempel 
bezeichnet (e), worauf dann fogleich der Verkauf an der Legge 
durch Meiftbieten gejchehen kann (f). Die Befihtigung follte 
wenig Zeitverluft verurfachen und gegen ganz geringe Gebuͤh⸗ 
ten oder auch unentgeldlich gefchehen (g). Auch bei den zur 
Ausfuhr beftimmten gefärbten Zeuchen wäre eine Schau, um 
die Haltbarkeit der Farbe zu prüfen und zu bezeugen, von 
Augen (h). Wenn bei anderen SKunftwaaren ein ähnliches 
Bedürfniß einer Schauanftalt zur Erleichterung der Käufer ein 
träte, jo koͤnnte dieſelbe auf Verlangen der lebteren von Ge⸗ 
werfövereinen als ‘PBrivatanftalt ohne Zwang errichtet werden. 


() Bol. Leuchs, Gew. u. Handelsfreih. ©. 105. 


(6) Aus polizeilihen Gründen find öftere hot nöthig, um eine 
gefundneitswidrige Verfälihung oder Beichaflenheit der Waaren zu 
entteden, 3. B. Bermengung des Mehls mit mineralifchen Stoffen. — 
Je mehr man aber foldyer Unterſuchungen anorbnet, deſto größer wird 
die Verſuchung für das Berfonal, fie nachläffig vorzunehmen und fih 
beftehen zu laſſen. 


(E) Die Tedienburger Leggen find aus dem 17. Jahrhundert. Das Königs 
reih Hannover hat jeßt zwei Infpectionen (Münden, vorher Göttingen, 
und Osnabrüd), unter denen die Al einzelnen Leggen fliehen. Weber 
tie hannöv. Leggen |. v. Berg, IL, 447. — Nemnid, Tagebud 
einer, d. Eultur u. Induftrie gewidmeten Reife. 1, 11 (1809). — 
Rau, Anfihten, S. 114. — v. Reden, Das K. Hannover. I, 50U. 
— Preuß. Leggen befinden ſich in Bielefeld, Tedienburg, Ibbenbühren, 
Rhaden, Bersmold sc. sc., auch in dem fdhlefiichen „LXeinenmanufacturs 
Bezirke“, |. Ichlef. Leinen-O. v. 27. Juni 1827, $. 20. Hier find 
außer den einzelnen Stempelmeiftern auch Schauämter, um die zwilchen 
den Webern, Kaufleuten und Stempelmeiftern entſtehenden Streitigs 





— 126 — 
le beizulegen, auch auf bie Beobachtung der Schausrbnung zu 
achten. 


(d) Diefer bei den hanndv. Leggen eingeführte Zwang fcheint überflüffg, 
weil es zureicht, wenn nur der Käufer von dem afein einer Schau: 
anftalt unterrichtet if. Will er auf feine Gefahr ungeftempelte Waas 
ren kaufen, fo kann dieß Sedermann Keihenltig fein. — Die a. ſchleſ. 
V. von 1827 fagt in $. 25, es folle fein Zwang beflehen, weil man 
erwarten könne, daß die Weber von diefer, nur ihren Bortheil beab⸗ 
fihtigenden Anftalt von felbft Gebrauch machen würden. — Aud in 
mehreren Provinzen von Defterreich befteht die Leinenfchau ohne Zwang 
fort, Hofderret vom 14. Febr. 1816, Kopetz, LI, 206. 


(0) Das Meffen gefchieht fehr ſchnell und in Berbindung mit dem Unter⸗ 
ſuchen der gleihförmigen Beichaffenheit, mit Hülfe eines langen, nad 
Ellen ab etbeilten Tiihes. Entdeckt man, daß mit Kalk gebleicht wor: 
den ift, fo wird der Berkäufer geftraft. Die Stüde müflen eine gewifle 
Gllenzahl haben, 3. B. in Duderſtadt 20, 30, 40, 60, 80 u. 100 GI, ; 
was über eine dieſer Zahlen hinaus geht und die nächſte nicht erreicht, 
wird abgefchnitten und dem Verkäufer zurüdgegeben. Auch dieß fcheint 
unnöthig, außer wenn man gewiß wäre, * die Kaufleute gerade nur 
Stuͤcke von ſolcher beſtimmten Länge begehrten. 


So bei den hannoͤverſchen Leggen. Das Verſteigern iſt für diejenigen 
Weber, welche von den Kaufleuten bereits Vorſchuß erhalten haben, 
ſehr vortheilhaft, weil ſonſt der Gläubiger dieß Verhältniß benutzen 
könnte, fich niedrige Preiſe zu erzwingen. 


(g) Leggen der Infpection Münden, (Oöttingen): unentgeldlich. Inſp. 
Osnabrück: 3/ . —4 Ggr. vom Stüd nad der Länge. Duderſtadt: /, 
bis 2); gr. r jede 60 Ellen nad ber Breite. Duadenbrüd: 2 Ggr. 
vom Stuͤck. — Schlef. Leggen: Ya—1 Sgr. vom Stüd. 


() Chaptal, Il, 279. Der Berfafler räth auch, daß bei Zeuchen, bie 
zum inländifhen Gebrauch beflimmt find, die Haltbarfeit der Farbe 
wenigftens dur einen bejonders gefärbten Rand angezeigt werben 
ſollte. — Im Weftdiftrict der Grafſch. York, wo die Tuchverfertigung 
am ausgedehnteften betrieben wird, find Aufſeher beftellt, die das Tus 
vor und nach dem Walken meflen und flempeln, um zu verhüten, daß 
es bei dem nachfolgenden Ausipannen im Rahmen zu ſtark gebehnt 
werte. Kleinfhrod, Großbrit. Bel. S. 206. — Lob der älteren 
englifhen Schauanftalten bei v. Juſti, Polizeiwifl. I, 462. 


07 


—RX 


8. 219. 


Bei ſolchen Gewerkswaaren, deren Beſchaffenheit nicht ohne 
eine umſtaͤndliche Pruͤfung zu erkunden iſt, dagegen aber leicht 
durch Zahlen bezeichnet werden kann, iſt es rathſam, dem Ber 
fertiger aufzuerlegen, daß er ſelbſt die Bezeichnung jenes Grades 
der Guͤte vornimmt. Dieß hat zunaͤchſt einen polizeilichen 
Zweck, um die Kaͤufer vor Betrug zu ſchuͤtzen, ſodann aber 
auch den volkswirthſchaftlichen, den Abſatz ſolcher Gewerks⸗ 
waaren vermoͤge bed größeren Zutrauens, welches bie Käufer 
in fie ſetzen können, zu befördern (a). Unterlaffene und unrichtig 














— 121 — 


befundene Bezeichnung macht firaffällig. Findet ein Gewerks⸗ 
mann ed angemefien, feinen Ramen ober ein beliebig gewähltes 
Fabrikzeichen auf feine Erzeugniffe zu ſetzen (6), um hiedurch 
eine Bürgfchaft für ihre Güte zu geben, fo muß ihn der Staat 
durch Strafgefege davor ſchuͤtzen, daß fein anderer Bürger dieſe 
Bezeichnung nachmacht (c). 


(a) Dieß ift gewöhnlih bei Gold: und Silhers, auch bei Zinnwaaren. 


(8) 


(e) 


Der Bereinfahung willen, und um das Ginfchmelzen der Landesmünzen 
u verhindern, werden nur gewifle Mifhungsverhältniffe geftattet. 
Blottirte Waaren müflen gleihfall® zur Untericheidung von folchen, 
die durchaus von edlem Metalle find, ein befonberes Zeichen erhalten. 
— Die bad. Zinngießer dürfen nur zweierlei Zinn, mit 1/s und !/ıo 
Areigufaß, verarbeiten. Rettig, ©. 315. In Frankreich wurden bie 
älteren Borfchriften 1791 aufge oben, aber wegen ber daraus entflans 
denen Mißbraͤuche durch das Ge 

geführt. Die Silberwaaren müſſen 95 oder 80 Proc., die Goldwaaren 
92 oder 84 oder 75 Proc. edles Metall enthalten. Dieß beträgt 22, 
20 und 18 Karat nach beutfcher Degeicpnung ber Goldgemifche und if 
dem Abſatze der deutichen Goldwaaren in Frankreich hinderlich, weil in 
Deutfchland diefe Beſchränkung nicht befteht. Alle Gold» und Sülber⸗ 
waaren müflen in Frankreich unterjucht und geftempelt werben, wofür 
eine Gebühr (droit de garantie) bezahlt wird, 20 Fr. für 100 Grammen 
Bold, 1 Fr. vom Silber, nebfl 10 Broc. fpäterem Zufhlag und 
10 weiteren (döcime de guerre) feit 1855. Es befteht eine umſtaͤndliche 
Geſetzgebung über diefen Gegenftand. — In Baden dürfen Goldwaaren 
nicht unter 17/3 Karat (72,9 Proc.) ohne Bezeihnung bes Gehaltes 
haben, Silberwaaren nicht unter 131/, Loth (84,7 Broc.). 


In Frankreich erhrelt 1810 die Stadt Louviers von Neuem die Brlaubs 
ni, den blau= und gelbgefärbten Rand bei ihren Tüchern zu führen. 
1812 erhielt jede Stadt die Befugniß, fich eine eigene Randfarbe beis 
zulegen, die aber dann von jedem ihrer Einwohner gebraucht werden 
muß. — In Frankreich war es beim Berfauf des Naͤhzwirns üblich 
geworden, den Strängen betrüglid geringere Länge zu geben; ein 
Fabrikherr machte den Anfang, die Yabenlänge genau berzuftellen und 
fein Zeichen beizufegen, und bieß nöthigte feine Mitwerber zu gleichem 
Berfahren. Hieraus erhellt Der Nutzen folder Zeichen. Briavoinne, 
u, 188 


Franzöf. Geſetzgebung hierüber bei Elouin oto., Dictionnaire, II, 117. 
Nachmachen ber Yabrikzeihen wird im Code penal der Fälſchung von 
Privaturfunden gleichgeleßt, Ebenfo würtemb. Gew.⸗D. 1836, Akt. 6. 
— Das preuß. Geſ. 4. Juli 1840 iept Sefängnißftrafe bie 1 Jahr 
und Geldfirafe bis 1000 Täler. darauf, wenn Semand Maaren oder 
deren Berpadung fälichlih mit dem Namen oder der Firma und mit 
dem Wohn⸗ oder Yabriforte eines inländifchen Fabrikunternehmers, Pros 
tucenten, bezeichnet sc. Dieß Geſetz findet auch auf die Fabrikzeichen 
der Gifen: und Stahlwaaren in Wellfalen und der Mheinprovinz 
Anwendung, wenn diefelben gehörig angemeldet und eingetragen find, 
2. 18. Aug. 1847, v. Rönne, emerbevolig 1, 271. Das Nadıs 
mahen ausländifcher Fabrikzeichen iR ein ſehr häufiger Kunftgriff, 
den man damit entfchulbigt, daß die Käufer fehr oft von Borurtheilen 
befangen jeien und an dem gewohnten Namen hängen, ohne ſich über 
zeugen zu laflen, daß Waaren gleiher Güte aud anderswo erzeugt 


ſ. v. 19. Brum. VI (1798) wieder ein: 





— 12383 — 


werden können. Insbefondere in Deutſchland if die Vorliebe für bas 
Ausländifche ein mächtiger Antrieb zu jener Unreblichkeit, deren gaͤnz⸗ 
liches Berfchwinden zu wünfdhen if. Sie fann durch Staatöverträge 
gegenfeitig verboten werden. Die Einfuhr von Gewerkswaaren, melde 
buch falfche Zeichen für inländifche ausgegeben werden, follte nicht 
geduldet werden. Großbritanien hat fie 1838 verboten. 


II. Unterridtsmittel. 


$. 220. 


Lehranftalten für Fünftige Unternehmer und Gehülfen in 
den Gewerfen vermögen ohne Zweifel zu der Vervollfommnung 
biefer Gewerbe viel beizutragen und verdienen daher von ber 
Staatsgewalt errichtet zu werben (a). Sie dienen hauptfädhlich, 
die Gewerktreibenden mit den Gründen befannt zu machen, auf 
benen die Regeln eines guten Betriebes beruhen, und hiedurch 
zum Nachdenfen über die Verrichtungen, ald dem Wege zur 
weiteren Ausbildung der Gewerke anzuleiten. Jene Gruͤnde 
beruhen hauptfächlicy auf den Eigenfchaften der zur Bearbeitung 
benugten Stoffe, worüber aus der Naturgeſchichte, Phyſik und 
Ehemie Belehrung zu fchöpfen ift, ſodann auf mathematifchen 
Lchren, namentlich Arithinetit, Geometrie, Mechanik und allges 
meiner Mafchinenlehre. Hiezu fommt die Anleitung zum Zeich⸗ 
nen und Modelliren. Der Unterriht kann fich auf diefe allges 
meinen Vorkenntniſſe befchränfen, oder fid) auf bie einzelnen 
Gewerföverrichtungen, wenigftend nad) ihren Hauptclaflen vers 
breiten; er fann bloß im Lehrvortrage beſtehen (theoretiſch), 
oder mit der Uebung in den Oewerföverrichtungen verbunden 
fein (praftifcy); er kann kurz oder ausführlih und volftändig 
eingerichtet werden. Es find daher in der Einrichtung ber ges 
werklichen (technifchen) Lehranftalten manche Berfchiedenheiten 
möglich, deren jebe für cine gewiſſe Elaffe von Schülern und 
Gewerkszweigen zweckdienlich if. Lehranſtalten diefer Art wers 
den befto befieren Erfolg haben, je mehr fchon gute Volks⸗ 
fehulen auf den gewerblichen Unterricht vorbereiten und je mehr 
Einfiht in das Bepürfnig deffelben unter den Gewerksleuten 
verbreitet if. Diefe Vorbedingungen laflen fih, wo fie noch 
fehlen, zwar nicht augenblidlich hervorrufen, aber mit Beharr⸗ 
lichkeit allmälig herbeiführen. 


— 129 — 


#) Hermann, Ueber polytechniſche Inſtitute. Nürnb. 1826. 2. Abth. 
1828. — Köhler, Ueber bie zwedmäßigfte Cinrichtung der Gewerbs⸗ 
ſchulen und der polytechn. Inſtitute. Bötting. 1830. (Preioſchrift). — 
Kriegftötter, Ueber die Wichtigkeit techniſcher Bildungsanftalten. 
züb. 1831. — Nebenius, Ueber technilche Lehranftalten. Karler. 
1833. — Hagen, Weber induftriele Bildung. Baireuth 1834. — 
Preusfer, Andeutungen über Sonntage, Real: und Sewerbsfchulen. 
2. Aufl. Leipz. 1835. III Theile. (Enthält auch viele literariſche Nach⸗ 
weifungen.) — Rreugberd, Ideen über die Nothwendigkeit einer 
gründlichen, mehr wiſſenſch. Berufsbildung der Gewerbtreibenden. Prag 
1838. — Jacobi, Nachrichten über das Gewerbeſchulweſen in Preußen 
und Sachſen. Leipz. 1842. — (Vischers) Rapport sur Yorganisation 
de l’enseignement industriel, Brux. 1852. — Weber andere Schriften 
v. Reden, Deutfhland, S. 318. — Ueber franzöf. Anftalten Block, 
Dietionn. d’admin. 776. — Bidermann, Die techniſche Bildung im 
Kaiſerthum Defterr., Wien 1854. (Lehrreiche geichichtliche Nachrichten.) — 
Koritfa, Der höhere polytechn. Unterriht, Gotha 1863. 

8. 221. 

Die Lehranftalten für die Gewerke müfjen den verfchiedenen 
Glaffen der in dieſen befchäftigten Perfonen angepaßt werben. 
Die Handwerfögehülfen, aus benen bie Meifter hervorgehen, 
fowie die Babrifarbeiter, find zu Förperlichen Verrichtungen bes 
rufen, zu denen Ausdauer und Fertigkeit, zum Theil auch Koͤr⸗ 
perftärfe erfordert wird. Sie müflen deßhalb fchon frühe, nad) 
der Entlaffung aus der Bolköfchule, noch ehe der Körper ganz 
ausgebildet ift, in ihr Gewerbe eintreten, um bie volle Geſchick⸗ 
lichkeit zu erlangen. Bielen jungen Leuten fehlen die Mittel, 
um ein ober mehrere Jahre ihre ganze Zeit der Borbereitung 
in einer 2ehranftalt zu widmen, auch würde ein ausführlicher 
wiffenfchaftlicher Unterricht leicht eine Abneigung gegen die bes 
barrlihe Körperliche Anftrengung und gegen die genügfame 
Lebensart, die in biefem Beruf nothwendig find, hervorbringen. 
Daher bleibt für den Beſuch von Lehrſtunden nur furze Zeit 
übrig und man muß fid auf die Mittheilung ber nöthigften 
Kenntniffe befchränfen. Die mehr Begabten oder Begüterten 
werden hiedurch angeregt, weitere Belehrung zu fuchen. Biele 
Sabrifarbeiter haben bloß einfache Verrichtungen zu vollbringen, 
bei denen Uebung und Aufmerffamfeit genügen, anderen find 
aber ſchwerere Gefchäfte übertragen, bei denen der vorausgehende 


oder gleichzeitige Unterricht fehr förderlich ift. Ä 
8. 222. 


Für den Handwerföftand und die Zabrifgehülfen find baher 
folgende Anftalten dienlich (a): 


Rau, yolit. Dekon. II. 2. Abth. 5. Andg. 9 


— 130 —., 


1) eine ſolche Einrichtung der ftäbtifchen Bürgerfchulen, 
daß neben den allgemein bildenden LXehrgegenfländen auf die 
dem Gewerksmann nöthigen Vorkenntniſſe beforidere Rüdficht 
genommen wird, wohin die Anfangsgründe der Arithmetif, 
Geometrie, Naturlehre und das Zeichnen gehören (5); 

2) ein in den Zeierflunden und an Feiertagen eintretender 
furggefaßter Unterricht der Handwerfslchrlinge, an 
dem auch ältere Gehülfen Theil nehmen können. Diefe 
Handwerfsfhulen bauen auf bie in den Bürgerfchulen in 
ber erwähnten Ridytung empfangene Grundlage, helfen aber 
auch foldyen Schülern nad), die einen unvollftändigeren Unter: 
richt in Dorffchulen genoffen haben. Der gute Erfolg ber an 
mehreren Orten fchon länger beftehenden Eonntagsfchulen für 
Handwerfögehülfen, hauptfählic für Bauhandwerker, deutet 
ſchon an, wie viel auf diefem Wege auszurichten if. Fuͤr alle 
Gewerksarbeiter ift eine fortgefeßte Unterweifung in der Arith- 
metif und Geometrie, in der Phnfif und Naturgefchichte und 
im Zeichnen, fowie eine fortgefegte Uebung in fchriftlichen Aufs 
fägen nüglih. Die Grundlehren der Mechanik und Mafchinen- 
lehre werben für bie vorherrfchend mechaniſchen, die Elemente 
der Chemie dagegen für die mehr chemifchen Gewerke gelehrt 
und foviel moͤglich anfchaulidy erläutert (c). Es giebt wenige 
Handwerfe, in benen nicht der denfende Arbeiter von jenem 
Unterrichte eine nügliche Anwendung zu machen im Stande 
wäre. Lehrvorträge für erwachſene Gehülfen und felbft für 
Meifter find dann von vollftändigerem Nutzen, wenn fchon 
in den 2ehrlingsjahren eine gute Vorbereitung gegeben worden 
ift (d). An größeren Orten kann auch für einzelne Claſſen 
von Bewerben insbeſondere ein technologifcher Unterricht ertheilt 
werden, 3. B. für Metallarbeiter, Gerber ic. (e). Die Meifter 
müffen aber gefeglich verpflichtet werben, nicht allein ihren Lehr⸗ 
lingen den Befuch dieſer Schulen zu erlauben, fondern fie zu 
demſelben anzuhalten. 

3) Bereine zur Beförderung des Gewerböfleißed (8. 225) 
wirken für den Zwed der Belehrung, wenn fie nützliche Bücher 
und Zeitfchriften anfchaffen, biefelben unter den Mitgliedern 
umlaufen laffen, aud) Befprechungen und Vorträge über gemeins 
nügige Gegenftände veranftalten. Zur Zeitung folcher Vereine 














-— 131 — - 


dient ein von ben Mitgliedern erwählter Ausſchuß (f). Um 
bie Hülfömittel nicht zu zerfplittern, ift ed gut, wenn an fleineren 
Orten nur ein folder Berein befteht; da aber dieſer das Bes 
dürfniß der einzelnen Gewerksclaſſen nicht gehörig berüdfichtigen 
fann, jo bleibt den in $. 198 erwähnten freien Zünften immer 
noch viel zu thun übrig (g). 


(2) Ducpötiaux, De la condition physique et morale des jeunes onvriers, 


1843. II, 117. 


(5) Hermann, Ueber polytechnifche Inftitute, ©. 69 ff. — Das Zeichnen 


(e) 


it für jeden Zweig der Stoffarbeiten von erheblichem Nugen, weil es 
in der Auffaflung der Raumverhältniffe übt und zuerſt das Nachbilden 
erleichtert, dann aber das Erfinden anregt. Die zu biefem erweiterten 
Sculunterrichte erforderliche Zeit kann theils durch beflere, abfürzende 
Unterrihtsmethoden erübrigt, theils durch vermehrte Stundenzahl für 
die älteren Knaben oder Verlängerung der ganzen Schulzeit gewonnen 
werben, und es wäre ſchon viel gewonnen, wenn bie Knaben etwa bis 
zum 15. Jahr diefen Unterricht genöflen. 


Außer einigen Stunden an Sonn» und Yeiertagen, die vorzüglih zum 
Zeichnen benußt werden, 'ift ein täglicher Abend-Unterricht — 
Handwerksſchulen im preuß. Staate, Reſer. des Handelsminiſter. vom 
27. Dec. 1821 in von Kamptz Annalen, 1821, 4. Heft, ©. 862. 
Schüler von 12 Jahren an, 2 Stunden täglih, 3 jaͤhriger Eurfus. 
Anterrichtögegenfände : 1) Seometrie, ohne Beweife, mit Zeichnen und 
Mopdelliren, 2) Handzeichnen, 3) Rechnen, bis zu den Decimalbrücden, 
4) Medyanif und Chemie. — Bad. Gewerbihulen, Verordnung vom 
15. Mai 1834. Alle hinreichend vorbereiteten Lehrlinge vom 14. Jahre 
an; Geſellen und antere Perfonen können beliebig Antheil nehmen; 
Unterrichtegeit in der Regel: täglih 1 Abendfiunde, ferner im Sommer 
2—2!/e, im Rinter 1—1!/s Sonn: und Feiertagsftunden. Gegenftände: 
Handzeichnen, Arithmetik und algebraifhe Grundbegriffe, Geometrie 
und geom. Zeichnen, induftrielle Wirthfchaftsiehre und einfache Buch⸗ 
haltung, Webungen in fchriftlihen Auflagen und im mündlichen Bors 
trage; wo Bebürfnig und Mittel vorhanden find, auch Naturfunde und 
Mehanit und Beichreibung, Conftruction und Berechnung einzelner 
Mafchinen. — Sonntagsfchulen in Deflerreih (ſchon lange beſtehend), 
Baiern, in Stuttgart, in vielen Städten des K. Sachſen, wovon bie 
rößte in Chemnitz, in Koburg, Sonntages und Gewerboſchule in 
—** a. M. ꝛc., ſ. die Nachrichten bei Preusker und Kreutz⸗ 
berg a. a. O. — Die fog. kleine Schule am conservatoire des 
arts et mötiers zu Paris hat ſeit der neuen Organifation v. 14. Dec. 
1838 den Namen Scole pr&paratoire des arts et mötiers und if für 
400 zu Handwerkern beflimmte Knaben berechnet, die zwilchen dem 10. 
und 14. 3. aufgenommen werben. — Ecoles industrielles zum Unter⸗ 
richt in den Abendflunden für Gehülfen in Verviers, Lüttih, Brüffel, 
Gent, Eharleroi, Mons und Huy. Steinbeis, Blemente ber Ge⸗ 
werbebeförd. ©. 191. Ueber die Lüttiher Sch. insbefondere Rapport 
©. 201. Ueber die Lchrgegenflände und deren Behandlung in folden 
Säulen f. Köhler a. a. D. (Nah dem Berf. foll den Lehrlingen 
1 Tag wöchentlih für den Schulbeſuch freigelaflen werden.) — Nies 
mand zweifelt daran, daß zum Färben, Ladiren, Bierbrauen, Bleichen, 
Seifenfieden, Gerben ıc. die Ghemie, für ben Maurer, Zimmermann, 
Drechsler, Schloffer, Uhrmacher, Schreiner, Wagner ıc. bie Mechanik 
g* 


—— 134 — 
0 


2) Werkſtätten für Tafchen: und Stockuhrenmacher. Auch für die Neben⸗ 
efchäfte (Mahlen der Uhrenichilde oder Zifferblätter, Gmailliren der⸗ 
felben, Berfertigen der Gehaͤuſe, Holzichnigarbeit ꝛc. wird Unterricht ers 
theilt ; f. Organifation d. Uhrmacherfchule in Furtwangen. Karler. 1858. 


g. 223. 


Für Berwalter eigener oder frember Yabrifen (I, $. 899) 
ift ein gründlicher Unterricht noͤthig. Man hat in ber neueften 
Zeit die Wiffenfchaften zur Erklärung ber Verrichtungen in den 
Bewerten fhon fo häufig und mit fo günftigem Erfolge zu 
Hülfe gerufen, daß die Fabrifherrn, wenn fie nicht zurüdbleiben 
und in dem Mitwerben von Anderen verbrängt werben wollen, 
jenen Weg des Hortfchritts ebenfalls betreten müfjen (a). Die 
Lehranflalten, in welchen die Raturwifienfchaften und die Ma⸗ 
thematif in ihrer Anwendung auf gewerbliche Zwede gelehrt 
werden, fönnen zugleich andere, zur Führung größerer Unter- 
nehmungen bienliche Kenntniffe und Geſchicklichkeiten mittheilen, 
3. B. Grundlehren der Volfswirthfchaft, neuere Sprachen, Buch: 
haltung, Kunft des fchriftlichen Auspruds. Man fann von 
ſolchen Gewerks⸗- oder polytehnifhen Schulen, wenn 
fie gut eingerichtet find, in Kurzem eine große Wirkung auf 
die Betriebfamfeit erwarten. Es laſſen ſich bei ihnen wieder 
zwei Abftufungen unterfcheiden (2). 

1) Höhere polygtehnifhe Schulen, die einen fehr 
volftändigen wiffenfchaftlichen Unterricht in den genannten %ä- 
chern bezweden und hiezu mit Hülfsmitteln aller Art reichlich) 
ausgeftattet find, daher auch die Zöglinge längere Zeit, z. 2. 
bis ind 18. oder 20. Jahr befchäftigen (ce). Da die nämlichen 
Borfenntniffe auch zu verfchiebenen anderen Berufszweigen gleich 
nöthig find, fo Können Anftalten dieſer Art durch Beifügung 
mehrerer neben einander flehenden Abtheilungen, welche fi an 
die gemeinfchaftlichen Borbereitungsclaffen anfchließen, eine Manch⸗ 
faltigfeit von Fächern umfaſſen. Solche Lehranftalten find fo 
foftbar, daß kleinere und mittlere Staaten ſich auf eine einzige 
berfelben befchränfen müffen, die auch hinreichend ift. 

2) Mittlere Gewerksſchulen, zwifchen den erfigenann- 
ten und den Hanbwerföfchulen in der Mitte ftehend, um Zoͤg⸗ 
linge einige Jahre über das Alter hinaus, in welchem man 
ein Handwerk zu ergreifen pflegt, zu unterrichten. Hier werden 





— 15 — 


zwar bie Lehrgegenftäfne nicht fo tief und vollſtaͤndig behanbelt, 
es wirb aber das Wiffenswerthefte und dad gewerblich Anwend⸗ 
bare herausgehoben und der Schüler angeregt, nach dem Ueber- 
gange in ein Gewerk fein Nachdenken fortwährend auf baffelbe 
zu richten. Auch Söhne wohlhabender Handwerfömeifter koͤn⸗ 
nen in folden Schulen einige Zeit hinbringen, um eine beffere 
Borbildung zu erlangen, als es ber Mehrzahl ihrer Genoffen 
möglic iſt. Die Nüglichkeit folcher mittlerer Gewerksſchulen 
ft fon vielfältig erprobt, und fie find mit viel geringerem 
Aufwande Herzuftellen, als die höheren, allein es ift ſchwer, in 
ihnen das rechte Maag der Unterrichtögegenftände zu treffen, 
und man muß in der Auswahl der Lehrer, welche bie Aufgabe 
ber Anftalt richtig zu erfennen und gut zu erfüllen wiflen, fehr 
vorfichtig fein (d). 


(s) Die langfame Verbreitung mancher wichtiger Erfindungen rührt großen: 
theild davon her, daß die Fabrikherrn zu wenig unterrichtet find. Biele 
von ihnen haben fi nur kaufmaͤnniſche Kenntniffe angeeignet und 
betreiben ihr Gewerbe nad herfümmlicher Weife fort. Deutichland 
ſtand wie Frankreich noch in Hinfiht auf die Vollkommenheit der me: 
chaniſchen Künfte hinter Großbritanien zurüd, wo e6 zwar feine Ge⸗ 
werfsfchulen,, aber vorzügliche fog. Eivilingenieure giebt, während in 
den chemifchen Bewerten Frankreich andere Länder übertrifft. Mancher 
talentoolle und aufftrebende Mechaniker ift in Deutfchland untergegangen, 
weil er beim Mangel einer guten Anleitung einfeitig wurde, die ges 
werbliche (mercantilifche) Seite über der techniichen vernadläffigte ıc. 
Doch if es in den beiden letzten Jahrzehenten fhon um Bieles beſſer 

emorden, in vielen Fabriken find Chemiker angeftellt worden, die Fa⸗ 
ifherren haben fich eine beflere Vorbildung erworben und bie deuticheg 
Betriebfamteit it in kraftvoller Entwicklung begriffen. 


(5) Gintheilung der möglihen Anfalten diefer Art (zu fünftlih) bei Preus⸗ 
ter, L, 68. Bei ven beftehenden Anftalten ift es bisweilen zweifelhaft, 
ob fie zu den höheren oder mittleren zu zählen feien, weil zwiſchen 
beiten Abtheilungen ein Uebergang Statt findet. 


(e) Diefer Rame fam zuerft an der Pariſer Lehranftalt vor, bei ber bald 
nad ihrer Grrihtung die anfänglihe Benennung 6cole centrale des 
travaux publics in s#cole polytechnique umgewandelt wurde. Diefe 
Anftalt, 1794 gegründet, wurde, nachdem ter erſte Borfchlag zu ihrer 
Errichtung von Lamblardie ausgefprohen worden war, hauptfählid 
duch Monge zu Stande gebracht und geleitet. 1804 erhielt fie mili⸗ 
täriiche Einrichtung. Sie ift nicht FE für Gewerbtreibende be: 
ſtimmt, fondern giebt die theoretifche Vorbildung für Artillerie, Genie 
weien, Schiffbau, Straßen, Wafler- und Bergbau Bon den 110 bis 
120 Zöglingen, bie fie jährlich entläßt, treten etwa 20— 25 in biefe 
Civilfäcer, die anderen gehen zum Geſchützweſen und zum Geniecorps. 
Sie zeichnet fi daturch aus, daß man bei ihr tiefer in die reine Mas 
thematif eindringt, als aufden anderen verwandten Anflalten. Fourcy, 
Histoire de l’&cole polyt. P. 1828. — Am conserratoire des arts et 
metiers in Baris ($. 225) wurde fhon 1806 von dem Minifter Cham⸗ 


— 136 — 


pagny Unterricht im Mafchinenzeichnen und Ger zeichnenden Geometrie 
veranftaltet. Nach der Ordonn. vom 25. Nov. 1819 (unter dem Mi: 
nifter Decazes) wird bafelbft ein Unterricht in der Weife ber deutſchen 
polytechnifchen Schulen gegeben. Nachdem derfelbe einige Zeit lang 
ohne feften Plan und inneren Zufammenhang war, ifl er durch V. v. 
15. Dec. 1838, fpäter durch mehrere Berorbnungen, zuletzt v. 10. Dec. 
1853 und 19. Ian. 1855 geregelt worden. Gr umfaßt 14 Lehrfaͤcher 
(cours), worunter aud mehrere befondere Gewerbszweige r wie Land⸗ 
wirthichaft (daneben Iandwirthichaftliche Chemie und Zoologie), Spinnen 
und Weben, Färben, Druden und Zurichten der Zeuche, Berfertigung 
von Irdenwaaren (arts cöramiques). — Die 1829 geftiftete beole centrale 
des arts et manufactures in Paris, eine wahre höhere Gewerksſchule, 
ift eine Privatunternefmung, die nur infoferne vom Staate unterflüßt 
wird, als derfelbe eine Anzahl von Schülern ganz ober theilweiſe unter: 
halt, jebt mit 30000 Fr. Aufwand. Aufnahme nicht vor 16 Jahren, 
3 tähriger Unterriht. Im 2. und 3. Jahre theilen fidh die Zöglinge, 
nicht in Bezug auf den Unterricht, aber für die Zeichnen: u. a. Uebuns 
gen in 4 @laffen: 1) Mafchinenlehre, 2) Baufunft, Straßenbau, Eifen- 
ahnen ıc., 3) angewandte Chemie, 4) Bergbau und Hüttenweien. 
Die entlaffenen Söglinge, wenn fie allen Anforderungen Genüge ge 
leiftet haben, erhalten ein Diplom ale ingenieurs civils. (Vischers) 
Rapport ©. 159. — Höhere technifhe Schule (&cole des arts et ma- 
nufactures et des mines) in Luͤttich, mit ber Univerfität verbunden, 
für Bergbau und für ingönieurs civils des arte et mötiers. (ine 
Maſchinenfabrik ſteht mit der Schule in Berbindung. Steinbeis, 
©. 198. Rapport ©. 176. — Gent: Ecole prepar. und &c. speeiale 
du genie civil, bei der Univerfität. — Das volntehnifhe Inſtitut 
zu Prag wurde fhon 1806 eröfmet (ein Werk der böhmifchen 
Stände, ausgeführt buch v. Gerſtner), das zu Wien von der 
faiferliben Regierung 1815 (v. Prechtl). Beide find fehr reich 
ausgeftattet und haben viel geleiftet. Kleinere Anftalten in (rag, 
Brunn, Lemberg, Krakau, Peſih, Trieſt. Alle 8 Schulen batten 1853 
negen 4170 Schüler. — K. Gewerb:SInftitut in Berlin (von Beuth 
eingerichtet). Es befteht aus 2 Glaffen. Die in den Hauptorten ber 
MRegierungsbezirfe angelegten Gewerbsſchulen kommen mit der unteren 
Claſſe der Berliner überein, Hermann, a. a. O. LR 9. — Preus⸗ 
fer, II, 20. Jacobi, ©. 6. — Polytehnifche Schule in Karleruke, 
B. vom 7. Det. 1825. Diefelbe hat 1) zwei mathematifche Glaflen, 
bie als allgemeine Vorbereitung dienen; 2) eine Ingenieurſchule, für 
Straßens und Waſſerbau, Mafchinenweien, Technologie, 3 Iahrescurfe; 
3) eine Baufchule; 4) eine Forſtſchule, 2 Sabre; 5) eine höhere Ge 
werbsfhule, 2 Jahre; 6) eine Handelsfchule, die allenfalls in 1 Jahre 
durchlaufen werden fann und nicht nothwendig die beiten mathema- 
tifhen Glaflen vorausfeßt; Nebenius, a. a. O. — Techniiche Lehr: 
anflalt in Zürich, Privat-Anftalt, feit 1827; f. Ankünd. und Statuten 
ber ıc. 3. 1826. 1855 ift diefe Anftalt zu einer eidgenöfftfchen polytechn. 
Schule erweitert worden. 1. Mathem. Voxelaſſe. 2. Baufchule. 3. Ingen⸗ 
Schule. 4A. Mechan. technifhe Schule. 5. Chemiſch technifhe Schule. 
6. Forſtſchule. 7. Philof. ſtaatswirthſch Schule. — Bair. Verordn. 
v. 27. Sept. 1827, die Brrichtung einer polyt. Schule in München 
betr., Reg. Bl. Nr. 39. Grrichtung dreier polyt. Schulen, in Münden, 
Nürnberg, Augsburg, Verordn. v. 28. März 1833. — Techniſche Bils 
dungsankalt in Dresden, 1828, neu organifirt 1835; eine untere und 
obere Abtheilung, welche Iehtere nur von einem Theile der Schüler bes 
ſucht wird; jene mit 4, dieſe mit 2jährigem Lehrgange. Preusker, 
IL, 22. Bekanntmachung über die Organifation des Unterrichts der k. 








(4) 


— 137 — 


techn. Bildungsanftalt zu Dresden, 1846. — Die heutige polytechnifche 
Schule in Hannover wurde 1831 ale „höhere Gewerbeſchule“ errichtet. 
— Höhere techniihe Lehranftalt in Braunfchweig, 1835. — Polytech⸗ 
nifhe Schule in Stuttgart ıc. 
Gewerbſchulen in Baiern, in jedem Kreife wenigftens eine, V. vom 
16. Febr. 1833. 88 find deren gegen 24. — Gewerbichulen im preuß. 
Staate ebenfalls 24, zum Theile mit den Realſchulen combinirt. So 
Bat 3. B. die Gewerbſchule in Elberfeld 3 Glaſſen, deren Schüler 
einen Theil der Lehrftunden mit denen der 3 oberſten Realſchul⸗Claſſen 
gemein haben, jedoch mehr praftiich befchäftigt werben als dieſe. — 
ächf. Gewerbichulen in Chemnig, Plauen, Zittau. — Gewerbfchule 
in Darmfladt. — In Baden geben die höheren Bürgerfchulen (B. v. 
15. Mai 1834), die den fog. Realfchulen vieler Länder entfprechen, 
eine für alle Gewerbe nüglice Vorbildung, die insbefondere für Ge: 
werke fehr wohlthätig if, fo daß man bie oberen Claffen mit den Ges 
werbichulen anderer Länder in Vergleich ſetzen kann; diefe haben indeß 
gewöhnlidy eine praftifchere Richtung, indem fie 3. B. Maſchinenlehre, 
mehr Uebungen im Mobdelliren u. dgl. aufnehmen. — Die franzöfifchen 
&coles des arts et méêtiers find für Handwerker beflimmt, geben ihnen 
aber eine ſolche Ausbildung, die mehr dem Betriebe im Örofen ents 
fpriht. Zu den zwei Schulen diefer Art in Chalons an der Marne 
(gefiftet 1802 zu Compiegne, 1806 an jenen Drt verlegt) und Angers 
(feit 1815, vorher feit 1811 zu Beaupreau) fam 1843 eine dritte in 
Air. Neue Organiſ. v. 23. Sept. 1832. Jeder Sasling muß 15—17 
J. alt fein und 1 Jahr als Lehrling in einer Werfflätte zugebracht 
haben. Der Staat unterhält in jeder Schule 75 volle Breipläße, eben 
Soviel 3/4 freie und foviel_halbfreie Pläge. Dreijährige Lehrzeit. Die 
Uebungen betreffen das Schmieden, Gießen und Kormen, Zurichten 
(ajuster), die Echlofferarbeit, das Drehen, die Berfertigung der Modelle, 
die Schreinerei. Es werden aud Kunſtwaaren in beichränkter Menge 
für den Berfauf gemadt. Die Staatsausgabe für diefe 3 Schulen ıft 
991000 Fr. (1856). Ungünftige Schilderung derfelben im angef. 
Repport S. 164. — Schule de la Martiniöre zu yon, Privatanftalt 
für Knaben, welche als Lehrlinge in eine Werfftätte eintreten wollen, 
mit 2jährigem Lehrgange, a. Rapport ©. 166. — In der Ecole in- 
dustrielle zu Gent ıft ein gründlicher Unterriht in franzöf. Sprache 
—** erren, und ein einfacherer in flaͤmiſcher Sprache fuͤr Werk⸗ 
meiſter ıc. 


8. 224. 


Hauptregeln zur Einrichtung ſolcher Gewerksſchulen (a): 
1) Der Unterricht muß zwar im Allgemeinen mit Hinficht 


auf die gewerbliche Anwendung ber Lehren gegeben werben, 
ohne fich jedoch ängftlid auf das gegenwärtig unmittelbar 
Brauchbare zu befchränfen. Er darf, um die Kräfte nicht zu 
zerfplittern, nicht auf vielerlei Gegenftände erftredt werben. 
Mathematik bleibt der Mittelpunet ded Unterrichts und ed muͤſ⸗ 
fen audy die höheren Theile derfelben gelehrt werben. 


2) Da nicht die Kunftregeln für jebes einzelne Gewerk 


volfländig vorgetragen werden fönnen, jo muß man ſich bes 


— 138 — 


gnügen, bie allgemeinen Grundfäge für bie medyanifchen und 
chemifchen Verrichtungen zu lehren, und fie nur in Beziehung 
auf einzelne vorzüglich wichtige Gewerke weiter auszuführen, 
weßhalb zwei Abtheilungen zu bilden find. Auch die Baufunft 
erfordert eine befondere Claſſe. 

3) Mit den Lehrvorträgen werben Arbeiten in den Werk 
ftätten verbunden, bei denen man ſolche Gewerke am meiften 
berüdfichtiget, welche für da® Land oder bie Gegend befondere 
Wichtigkeit Haben oder der Aufhülfe vorzüglich bedürfen (6). 

4) Sammlungen von Büchern, Modellen, Werkzeugen, 
Raturalien und Gewerkserzeugnifien werden zu Hülfe genom- 
men (c). 

(a) Jetzige Zahl der Lehrer, — der Schüler — SJahresausgabe: Zürich 56 

— 468 — 93400 fl. — Karlarube 47 — 787 — 85.000 fl. — Stutt- 

gent 33 — 270 — 47200 fl. — Dresden 23 — 270 — 45500 I. — 


erlin 22 — 374 — 87500 fl. — Hannover 24 — 432 — 57 100 fl. 
Koritka S. 167. 


(6) Die polytehn. Schule in Augsburg fol vorzüglih auf Weberei, die 
in Nürnberg auf Metallarbeiten, die Münchner auf Baumwelen Rüd: 
fiht nehmen. — In den Werfftätten der franzoͤſ. Gewerksſchulen wird 
Hufbeihlag, Schmieden, Drechſeln in Holz und Metall, gemeine und 
feine Schreinerarbeit, Zimmern, Biegen in Gifen und Rupfer, Ma: 
fhinenbau, Eifeliren und Vergolden der Metalle, Berfertigung mathe: 
matifcher Inftrumente gelehrt. — In einzelnen Yällen werden Stipen- 
bien an vorzüglihe Schüler zu Reiſen ins Nusland, um weniger 
befannte Gewerke an ihren Hauptfigen kennen zu lernen, gute Dienfe 
leiſten, ein Mittel, welches man auch bei anderen jungen Leuten ans 
wenden Tann. 


(e) Das Wiener Inſtitut bat ein National⸗Fabriksproducten⸗ 
Gabinet, weldes 30 Säle füllt und über 20000 Nummern enthält, 
daneben eine fehr reichhaltige Sammlung von Werkzeugen, von welcher 
—2 Altmütter 1825 eine beſondere Beſchreibung herausge⸗ 
geben hat. 


IU. Ermunterungsmittel. 


8. 225. 


In ber Bemühung, den Eifer der Gewerföunternehmer zu 
beleben, wird die Regierung jehr unterftüßt, wenn ſich in grös 
Beren Städten Vereine zur Beförberung ber Gewerke, fogen. 
Gewerbsvereine, bilden, an benen fowohl Unternehmer 
als andere Freunde des Kunftfleißes Theil nehmen und die mit 
Hülfe von jährlihen Beiträgen anregend und belehrend zu 














— 139 — 


wirfen fuchen ($. 223. 3). Sie werben von einem gewählten 
Ausſchuß geleitet. Die einzelnen örtlichen Vereine dieſer Art 
Fönnen ſich durch ihre Abgeorbneten zu einem über das ganze Land 
fi) erftredenden Hauptvereine an einander fchließen, welcher 
glei den Iandwirthfchaftlichen Vereinen ($. 146) von der Res 
gierung Schuß und Beiftand erhält, Anträge an biefelbe bringt 
und in einzelnen Allen gutachtlich vernommen wird (a). 

Als einzelne Mittel für den genannten Zwed find haupt- 
ſaͤchlich anzuführen: 

1) Preisaufgaben für vorzügliche Leiftungen im Gebiete 
der Gewerke (5). Man muß biebei den Wetteifer gerade auf 
©egenftände lenfen, in denen biöher der Kunftfleiß des Inlans 
ded noch weniger leiftete, es fei nun eine neue Erfindung in 
einem wichtigen Gewerke, ober die Hervorbringung ber beften 
Waaren einer gewiffen Art, ober ber größten Menge ıc. 

2) Verbreitung nüglidher Erfindungen (c), fo wie 
fiy überhaupt manche Gelegenheit ergiebt, die Gewerksleute auf 
erhebliche Berbeflerungen, deren ihr Betrieb fähig iſt, aufmerk⸗ 
fam zu madıen. 

3) Mopdell»Sammlungen in den betriebfamften 
Städten (d), auch fortvauernde Ausftelung vorzüglicher Erzeug⸗ 
nifle, die den Gewerftreibenden als Mufter dienen (e). 

4) Deftere Ausftellungen von Gewerks⸗Erzeugniſſen, 
von Zeit zu Zeit veranflaltet, mit der Ertheilung von Beloh⸗ 
nungen für bie vorzüglichften Waaren verbunden (f). Sie 
find fehr wirffam, den Gewerksleuten alle Kortfchritte und Leis 
ftungen der Kunft in ber Gegenwart anfchaulich zu zeigen und 
fie dadurch zur Nacheiferung anzufeuern, den Stand bed inlän- 
difchen Gewerföfleißes mit feinen Vorzuͤgen und Schwächen in 
einem Gefammtbilde deutlich zu machen, Borurtheile gegen den⸗ 
felben zu widerlegen, auch hierburdy den Erzeugern zur Eröffs 
nung von Abſatzwegen Anlaß zu geben. Anfangs bejchränfte 
man fih auf Erzeugniffe des einzelnen Landes oder Landes⸗ 
theild (9). Hierauf ging man zu Ausftellungen für mehrere, 
mit einander in Bundesverhaͤltniß fiehende Gebiete über (A). 
In der neueften Zeit wurde ber Gedanke einer allgemeinen, 
fämmtlicye Laͤnder der Erde umfchließenden Ausftelung gefaßt 
und ausgeführt (3. Ein Unternehmen von dieſem Umfange 


— 140 — 


fann nur an wenigen, biezu befonderd geeigneten Orten zu 
Stande gebradht und ber Koftbarfeit wegen nicht oft wiederholt 
werben, bat aber wie für die Technologie im Allgemeinen, ſo 
auch für jedes theilnehmende Land großen Ruben, indem es 
ihm zeigt, was es im Vergleiche mit anderen im Gebiete ber 
Stoffvereblung vermag und was ihm noch fehlt. Die bei 
einer großen Ausftellung vorkommenden Gefchäfte beziehen ſich 
vorzüglich auf folgende Gegenftände: Ernennung einer Com 
miffion von ſachkundigen Beamten, Gelehrten und Gewerbs⸗ 
männern — Beichaffung des nöthigen Raumes in einem ſchon 
vorhandenen oder neuen Gebäude, mit Rüdfiht auf Bequem 
lichkeit, Helle, Sicherheit ı.. — Anordnungen für bie Anmel 
dungen und deren Prüfung durch Ausfchüfle von Sachverftän 
digen in ben einzelnen Lanbestheilen, — Beftimmung, ob bie 
Sendungsfoften ganz ober zum Theile von ber Staatscaſſe ges 
tragen werden, ferner daß bei Sendungen vom Auslande für 
bie ein» und wieder zurüdgehenden Gegenftlände die Befreiung 
vom Einfuhrzoll ftattfindet, ferner über bie Erfatzleiſtung bei 
Beichädigungen oder Berluften; — genaue Bezeichnung bei 
aufzunehmenden Gattungen von Waaren, Eintheilung berfelben 
in Haupt= und Unterabtheilungen (Elaflen), die der Aufftellung 
und dem Verzeichniß zu Grunde gelegt werden, ohne jedoch 
auszufchließgen, daß die Einfendungen aus größeren Ländern fo 
viel ald möglich beifammen bleiben, — Veröffentlichung eined 
guten und wohlfeilen Verzeichnifies (Kataloge) (k). — Bors 
fchriften über Eintrittöpreife, Tage und Stunden des geftatteten 
Beſuches, — Sorge für Orbnung und Sicherheit in bem 
Gebäude, Zahl und Obliegenheiten des angeftellten Perſo⸗ 
nals (I), — Beftellung von Preisrichtern, Feſtſetzung ber Preiſc, 
bie gewöhnlich in Denkmünzen und ehrenvollen Erwähnungen 
beftehen (m). 


(a) Beifpiele: Society for the encouragement of Arts zu London, feit 
1753 


53. — Société d’encouragement pour l’industrie nationale zu Parts, 
1802 geftiftet. — Polytechn. Verein in Baiern, 22. Aug. 1816. — 
Preuß. Gewerböverein, 24. Nov. 1820. — Kurheſſ. Handels: un 


Gewerbeverein, 29. Suni 1821. Mit Ausnahme der leßtgenannten 
geben dieſe Bereine technologifhe Zeitfchriften heraus. Die beiten 
erften befchäftigen fih auch mit dem Landbau. Böhm. Verein zur Gr 
munterung des Gewerbsgeiſtes, 1829, erft feit 1833 von gräßertr 
Wirkfamkeit. — Großh. heſſiſcher Gewerbeverein feit 1837. — Die 











— 141 — 


Hamburg. Geſellſch. z. Beförderung d. Kuͤnſte und nuͤtzlichen Gewerbe, 
15. April 1765 ale Bripatverein gegründet, 8. April 1767 vom Rath 
als öffentliche Geſellſchaft beftätigt, hat neben den Gewerken mande 
andere gemeinnügige Angelegenheiten mit gutem Grfolge in ihren Wir⸗ 
fungsfreis gezogen, f. Drei Neben, welche bei der 2djähr. Stiftungss 
feier der H. Gef. gehalten worden. Samburg (1790). — Geſellſchaft 
zur Beförderung vaterländifcher Induftrie in Nürnberg, 1792. 


(5) Der Breis muß wenigftene fo anfehnlih fein, daß er mit den aufzus 
wendenden Koften in richtigem Verhaͤltniß Re fonft wird nichts aus; 
gerichtet. Napoleon's Preis von 1 Mill. für eine Flachsſpinn⸗ 
mafhine wurde zwar nicht ertheilt, gab aber doch eine nüßliche 

ntegung. 


(2) So Hat das preuß. Handelsminifterium die Nachbildung und Binfüh- 
rung des Jacquard⸗Stuhles (I, $. 126 ()) befördert, und derfelbe 
bat fih am Niederrhein, befonders in Biberfeld und Barmen, fehr 
verbreitet, vergl. Weber, Beiträge zur Gewerbskunde, I, 416. — Die 
würtemberg. Gentralftelle für Gewerbe und Handel veranflaltete 1861 
eine Ausftellung von Nähmafchinen, Faufte mehrere derfelben an und 
ließ Unterweifung in ihrem @ebrauche ertheilen, um fie im Lande ein- 
heimiſch zu machen. 


(d) Das Pariſer conservatoire des arts et mötiers begreift Mafchinen, 
Werkzeuge 2c., theils in natürlicher Größe, theils in Modellen, Fabrik⸗ 
producte, Abbildungen, Bücher u. dgl. (vgl. $. 223). Den Stamm 
dieſer Anftalt bildete die von Baucanfon 1755 angelegte, 1782 
dem Staat vermachte Sammlung. Der erite Gedanke rührte von Des: 
cartes ber. Diefe Anftalt wurde durch Ord. v. 16. April 1817 neu 
organifirt. Gin großer Theil der Sammlung ift veraltet und wird 
nicht benugt. Aufwand dafür in den legten Jahren (1855 und 56) 
jährlich 239000 Fr. Dietionnaire technologique, V. 515.; — Maca- 
rel et Boulstignier, De la fortune publique en France, I, 638. 
— Bolytehn. Sammlung in Münden, dur Verord. vom 15. März 
1822 gegründet. — Musee d’industrie in Brüflel. 


(e) Muſterlager in Stuttgart, fortwährend durch Ankäufe ausgezeichneter 
Stüde im Auslande bereichert, von Unternehmern und @ehülfen häufig 
und mit fihtbarem Nutzen befudt. 


() In Paris Ehrenmünzen von Gold, Silber und Bronze. 


(9) Solche Ausftellungen brauchen nur etwa alle 5 Jahre wiederholt zu 
werden. In Sranfreich waren 1798, 1801, 1802, 1806, 1819, 1823, 
1827, 1834, 1839, 1844 und 1849 Ausftellungen, mit fortwährend 
fteigender Zahl der Ausfteller, welche ſich in den 4 be Malen auf 
2447 —32381—3960—4510 beliefen. In der lebten belief fih der Raum 
auf 22391 D.:Metr. Hermann, Die InduftriesAusftellung zu 
Paris im 3. 1839. Nümb. 1840. — In Belgien waren 1835, 1841 
und 1847 fehr gut eingerichtete Ausftellungen zu Brüffel. An ber 
Austellung von 1841 nahmen 975 Unternehiner Theil. Perrot, Be- 
vue de l’exposition des produits de l’industrie nationale de 1841, 
Brux. 1841. — Rößler, Die Gewerbausttellung in Brüffel, Darmfl. 
1842. — Heeren, Zufammenftellung technifcheftatiftifcher Bemerkungen 
über die Ind. des K. Belgien und die Tebtjähr. Gewerb⸗Ausſtellung in 
Brüfſel. Hannov. 1842. (Alle 3 Schriften mit feißiger Benutzung 
von Briavroinne.) In Preußen kamen 1822 und 1828 allgemeine Aus⸗ 
RRellungen in Berlin vor, fowie A biefelben in verfchiedenen anderen 
deutfhen Staaten mehrmals veranftaltet wurden. Im öfterreichifchen 


(A 


us 


() 


— 142 — 


Staate waren 1835, 1839 und 1845 zu Wien Ausſtellungen, deren 
legte von 1868 Gewerktreibenden beſchickt wurde. Bericht über d. britte 
allg. öfterr. Gewerbe⸗Ausſtellung. Wien 1846, IIL DB. 


Der Borfchlag einer Ausft. für den ganzen beutfhen Zollverein wurde 
1841 auf dem SZollvereinstage in Berlin von dem baieriihen Bevoll 
mädtigten gemacht und 1842 Fam eine Uebereinkunft der Regierungen 
hierüber zu Stande. Die im nämlidhen Jahre zu Mainz gehaltene 
allgemeine deutfche Aueftellung war nur von dem hefftihen Bewerb: 
verein veranflaltet worden, fiel aber fehr gut aus und machte das Be 
ei einer ähnlichen, von den Regierungen unterſtützten Beranftal: 
tung ehr fühlbar. In Mainz waren Gegenflände von 715 @infendern 
aufgeftellt, darunter 222 vom Gr. Heflen, 94 von Würtemberg, 86 
von Baiern, 52 von Sachſen, 39 von Defterreih, 36 von Baden sc. 
Rößler, Ausführl. Bericht über die... allgem. deutſche Induftrie 
Ausftellung zu Mainz. Darmſt. 1843. — Hierauf folgte fhon 1844 
die A. für die gefammten deutſchen Buntesflaaten in Berlin. Die 
Zahl der Ausfteller flieg auf 3040, wovon 1932 aus Preußen, 75 aus 
Defterreih. Amtliher Bericht über die allg. Gewerbe#. zu Berlin, 
1845, III. Bd. — An der deutfchen A. zu Münden im 9. 1854 nab- 
men 6588 Ausftellee Theil, und zwar 2331 aus Baiern, 1477 aus 
Oefterreih, 767 aus Breußen, 462 aus Sachſen, 443 aus Mürtemberg, 
180 aus Baden, 158 aus Hannover ıc. 


Die mit mufterhafter Ordnung veranftaltete allgemeine Austellung zu 
London im Sommer 1851 ging von ber Society of arts aus, deren 
Borfigender (Prinz Albert) den Vorſchlag gemacht hatte, der 9. 
jene große Ausdehnung zu geben. Sie begriff rohe Stoffe, Mafchinen, 
Gewerkserzeugniſſe und Werfe der bildenden Kunfl. Die Zahl der 
Ausfteller war 17062, wovon 7200 britifche, 1296 aus den britifchen 
Golonien, 1760 aus Pranfreih, 1720 aus dem d. Sollverein, 748 
aus Oefterreih, 700 aus der Türkei, 566 aus Nordamerica, 512 aus 
Belgien, 391 aus Aegypten, 385 aus Rußland ꝛc. Das im Hydepark 
nah Barton’s Plan von For u. Henderfon für 142780 8. Et. 
hergeftellte Gebäude (Glaspalaſt) war 1848 Buß lang, in der Mitte 
456 %. breit, das Querſchiff (transept) 108 %. hoch, der für Die Aus 
ftellung verwendete Raum (ohne die Geichäftszimmer u. dgl.) betrug 
936 000 D.:$. Die Ausftellung dauerte 6 Monate. Man zahlte von 
Tag zu Tag im Ganzen 6 Mill. Beſucher. Die ganze Ausgabe von 
292794 2. wurde fchon von den Gintrittsgeldern (423 782 2.) übers 
wogen. Die Staatscafle hatte nichts beizutragen, aber durch freiwillige 
Beiträge vor der Eröffnung gingen 67896 8. ein. In den einzelnen 
Ländern wurden von den Megierungen Gommiffionen für die Ginfen- 
dungen gebildet, der Zollverein ernannte aud eine Berichterftattunge: 
commiffton. Die 318 Preisrichter (juries) wurden aus ten Laͤndern 
enommen, von denen die Ausflellung befchieft worden war. Haupt: 
riften: Official descriptive and illustrated Catalogue of the Great 
Exhibition of the works of industry of all nations, 1851. V B. — 
Exhibition ..... Report of the Juries. London 1852. — Hunt’s 
Handbook to the official catalogues, Lond. 1851. (Gut zum Ueberblid.) 
Amtl. Bericht über die InduſtrieA. zu London im Jahre 1851 von 
der Berichterftattungscommiffton der d. Zollvereinsregierungen. Berlin 
1852. 111 B. (Borfieher diejer Gommilfion war der preußifche geb. 
Finanzrath von Biebahn.) — Die ebenfalls für alle Länder ber 
ſtimmte Ausftellung zu New-Dorf im I. 19852 war Privatunternehmung 
und fland der Londoner weit nah. — Die allg. Ausftelung zu Paris 
1855 (15. Mai— 1. Nov.) übertraf an Menge der Gegenflänbe Die 








— - 143 — 


Londoner. Es find 21921 Ausfteller aufgeführt, wobei aber die Eins 
fendungen ber orientalifhen und der Kolonial-Regietungen nur einfach 

ezählt find. Der Ausftellungsraum in dem (von Stein erbauten) 

auptgebäube fammt der Iangen Gallerie (annexe), dem Berbindungss 
theile (panorama) und den Nebenräumen beitrug 123390 D. : Meter, 
md zwar der überdachte Raum 953000, der zur Ausfteflung benugte 
Raum im Freien 547000, zul. 1'535 000 engl. Q.⸗F., Bauaufwand 
19 Mil. Fr. Gin Borzug diefer A. war, daß den ausgeftellten Ge⸗ 
genftänden die Preife beigefügt werden burften, was in London verboten 
war. Tresca, Visite à l’exposition universelle de Paris en 1855 
(Beriht, an dem viele andere acfunbige mitgearbeitet haben). — 
v. Biebahn u. Schubart, Amtl. Bericht über die allgem. Barifer 
Ausftelung. Berlin, 1856. — Allg. Austellung in London, Sommer 
1862. Das Gebäude Hatte 988000 engl. Q.⸗Fuß (66 Mill. Eub.:%.) 
nebft 35000 O.⸗F. benugten Raum im Freien, wegen des ungünfligen 
Klimas viel weniger ale in Paris, zuf. 1023000 D.s. — M. Che: 
valier, Die heutige Induſtrie ... Weltausftellung v. 1862. Deutich, 
Berlin 1863. — 8. Bucher, Die Lond. Ind „Aush. v. 1862. Berl. 
1863. — The international exhibition of 1862. The illustrated cate- 
logue of the industrial department. British division. II B. 49, 


(k) London 1851: von dem Eleinen Kataloge (322 Seiten Elein 4°.) wur 
—F In 854 engl. Bremplare, 13355 franz. und deutfche, zu 1 Sch. 
verkauft. 


(d %8ondon 1851: 782 Berfonen ohne die Polizeibedienten, die an 400 be» 
trugen. Größte Zahl der Befuchenden an einem Tage 109915. 

(m) London 1851: 169 große, 2952 Tleine Denkmünzen, 2142 Ermwäh: 
nungen. — Paris: 112 große, 252 kleine goldene, 2300 filberne, 3900 
bronzene Denfmünzen, 4000 Erwähnungen. Wleichzeitig war in einem 
anderen Gebäude eine Ausftellung von Werken ber Nöten Kunſt. 


8. 226. 


Die Gruͤndung neuer, ſowie die Erweiterung der ſchon be⸗ 
gonnenen Gewerksunternehmungen wird von einem entſprechen⸗ 
den Capitalvorrathe bedingt. Die Regierung iſt nicht verpflich⸗ 
tet, die hiezu erforderlichen Capitale herbeiſchaffen zu helfen, 
was, wenn nur die Geſetzgebung und Rechtspflege zur Befeſti⸗ 
gung des Credites das Noͤthige thut, im Privawerkehre ſchon 
von ſelbſt zu erwarten iſt (I, 8. 280) (a). Giebt die Regie⸗ 
rung für einen ſolchen Zweck Vorſchuͤſſe, fo iſt fie einer zweds 
mäßigen Berwenbung nicht fiher; wenn fie audy nicht, wie | 
bieß bisweilen vorgefommen iſt, von unreblichen oder unfähigen 
Männern gemißbraucht wird, fo find doch die gelichenen Sums 
men ſchwer wieder zu erlangen, weil die Empfänger im voraus 
auf Nachſicht rechnen. Zufchüfle ohne Erfagverbindlichkeit, bie 
nur in geringem Maaße und in feltenen Bällen gegeben werden 
fönnen, erfordern vollends die höchfte Behutfamkeit (5). Leich⸗ 


— 136 — 


pagny Unterricht im Naſchinenzeichnen und Der zeichnenden Geometrie 
veranftaltet. Nach der Ordonn. vom 25. Rov. 1819 (unter dem Mi⸗ 
niſter Decazes) wird daſelbſt ein Unterricht in ber Weiſe ber deutſchen 
polytechnifchen ulen gegeben. Nachdem berfelbe einige Zeit lang 
ohne feiten Plan und inneren Zufammenhang war, ii er turh ®. v. 
15. Dec. 1838, ſpäter durch mehrere Berortnungen, zulegt v. 10. Der. 
1853 und 19. San. 1855 geregelt worten. Gr umfaßt 14 Lehifächer 
(cours), worunter aud mehrere befondere Gewerbszweige, wie Land: 
wirthfchaft (daneben landwirthſchaftliche Chemie und Zoologie), Spinnen 
und Weben, Färben, Druden und Zuridten der Zeuche, Berfertigung 
von Irdenwaaren (arts cöramiques). — Die 1829 geftiftete scole centrale 
des arts et manufactures in Paris, eine wahre höhere Gewerksſchule, 
ift eine Privatunternehmung, die nur infoferne vom Gtaate unterftügt 
wird, als berfelbe eine Anzahl von Schülern ganz oder theilweile unter: 
halt, jezt mit 30000 Fr. Aufwand. Aufnahme nicht vor 16 Jahren, 
Zjähriger Unterricht. Im 2. und 3. Jahre theilen fi) die Zöglinge, 
nicht in Bezug auf den Unterricht, aber für die Zeichnen: u. a. Uebun: 

en in 4 Glaffen: 1) Mafchinenichre, 2) Baufunft, Straßenbau, Eiſen⸗ 
ahnen :c., 3) angewandte Chemie, 4) Bergbau und Hüttenweien. 
Die emtlaffenen Zöglinge, wenn fie allen Anforderungen Benüge ge 
leiflet haben, erhalten ein Diplom als ingenieurs civils. (Vischers) 
Rapport ©. 159. — Höhere technifhe Schule (Ecole des arts et ma- 
nufactures et des mines) in 2üttih, mit ber Univerfität verbunten, 
für Bergbau und für ingenieurs civils des arts et mötiers. (ine 
Mafchinenfabrit flieht mit der Schule in Verbindung. Steinbeis, 
©. 198. Rapport ©. 176. — Gent: Ecole prepar. und &c. speeiale 
du genie civil, bei der Univerfität. — Das polntechnifche Inftitut 
zu Prag wurde fchon 1806 eröffnet (ein Werk ter böhmiſchen 
Stände, ausgeführt durh v. Gerfiner), das zu Wien von ber 
kaiferlihen Regierung 1815 (v. Prechtl). Beide find fehr reidh 
ausgeftattet und haben viel geleitet. Kleinere Anflalten in rag, 
Brünn, Lemberg, Krakau, Peſth, Trieſt. Alle 8 Schulen hatten 1853 
gegen 4170 Schüler. — K. Gewerb-Inſtitut in Berlin (von Beuth 
eingerichtet). Es beſteht aus 2 Glaffen. Die in den Hauptorten ber 
Regierungsbezirke angelegten Gewerbsfchulen kommen mit ber unteren 
Claſſe der Berliner überein, Hermann, a. a. O. J. H. — Preus: 
fer, II, 20. Jacobi, ©. 6. — Polytehnifhe Schule in Karlsruhe, 
DB. vom 7. Det. 1825. Diefelbe bat 1) zwei mathematifhe Glafien, 
bie als allgemeine Vorbereitung dienen; 2) eine Ingenieurfhule, für 
Straßen: und Waflerbau, Maſchinenweſen, Technologie, 3 Jahreseurſe; 
3) eine Baufchule; 4) eine Korftihule, 2 Jahre; 5) eine höhere Ge⸗ 
werbsſchule, 2 Jahre; 6) eine Handelsfchule, die allenfalls in 1 Jahre 
durchlaufen werden fann und nicht nothiwendig bie beiden mathema- 
tiſchen Glaffen vorausieht; Nebenius, a. a. DO. — Tehnifche Lehr: 
anftalt in Zürich, Privat:Anftalt, feit 1827; ſ. Ankünd. und Statuten 
der sc. 3. 1826. 1855 ift diefe Anftalt zu einer eidgenöfftfhen polytechn. 
Schule erweitert worden. 1. Mathem. Borclafle. 2. Baufchule. 3. Ingen.s 
Schule. 4. Mehan. tehnifhe Schule. 5. Ehemifch technifche Schule. 
6. Forſtſchule. 7. Philoſ. ſtaatswirthſch Schule. — Bair. Berordn. 
v. 27. Sept. 1827, die Brrichtung einer polyt. Schule in Münden 
beir., Reg.⸗Bl. Nr. 39. Grrichtung dreier polyt. Schulen, in München, 
Nürnberg, Augsburg, Verorbn. v. 28. März 1833. — Techniſche Bil- 
dungsanjtalt in Dresden, 1828, neu organifirt 1835; eine untere unb 
obere Abtheilung, welche lebtere nur von einem Theile der Schüler bes 
ſucht wird; jene mit 4=, dieſe mit 2jährigem Lehrgange. Preusfer, 
I, 22. Befanntmachung über die Organifation des Unterrichts der k. 


— 157 — 


techn. Bildungsanflalt zu Dresden, 1846. — Die heutige polytechnifche 
Edule in Hannover wurde 1831 als „höhere —S errichtet. 
— Höhere techniſche Lehranſtalt in Braunſchweig, 1835. — Polytech⸗ 
niſche Schule in Stuttgart ıc. 

(d) Gewerbſchulen in Baien, in jedem Kreife wenigftens eine, B. vom 
16. Febr. 1833. Es find deren gegen 24. — Gewerbfchulen im preuß. 
Staate ebenfalld 24, zum Theile mit den Mealfchulen combinirt. So 
bat 3. B. die Gewerbfchule in Elberfeld 3 Glaſſen, deren Schüler 
einen Theil der Lehrſtunden mit denen der 3 oberſten Realſchul⸗Claſſen 
gemein haben, jedoch mehr praktiſch beichäftigt werben als dieſe. — 

ächſ. Gewerbſchulen in Chemnitz, Plauen, Zittau. — Gewerbfchule 
in Darmftadt. — In Baden geben bie höheren Dirgerihulen (B. v. 
15. Mai 1834), bie den fog. Realfchulen vieler Länder entfprechen, 
eine für alle Gewerbe nüglice Borbildung, die insbefondere für Ge⸗ 
werke fehr wohlthätig ift, fo daß man die oberen @laflen mit den Ges 
werbichulen anderer Länder in Vergleich ſetzen kann; diefe haben indeß 
gewoͤhnlich eine praftifchere Richtung, indem fie z. B. Mafchinenlehre, 
mehr Uebungen im Modelliren u. dgl. aufnehmen. — Die franzöfifchen 
$coles des arts et metiers find für Handwerker beflimmt, geben ihnen 
aber eine ſolche Ausbildung, die mehr dem Betriebe im Großen ents 
fpriht. Zu den zwei Schulen diefer Art in Ehalons an der Marne 
(gefiftet 1802 zu Compiegne, 1806 an jenen Ort verlegt) und Angers 
(feit 1815, vorber feit 1811 zu Beaupreau) fam 1843 eine dritte in 
Air. Neue Organif. v. 23. Sept. 1832. Jeder Zögling muß 15—17 
I. alt fein und 1 Jahr als Lehrling in einer Werfflätte zugebracht 
haben. Der Staat unterhält in jeder Schule 75 volle Freiplaͤtze, eben 
foviel 3/g freie und foviel_halbfreie Plaͤtze. Dreifährige Lehrzeit. Die 
Uebungen betreffen das Schmieden, Gießen und Formen, Zurichten 
(ajuster), die Schlofferarbeit, das Drehen, bie Verfertigung der Modelle, 
die Schreinerei. Es werden auch Kunftwaaren in beichränfter Menge 
für den Verkauf gemaht. Die Staatsausgabe für diefe 3 Schulen iſt 
991 000 Fr. (1856). Ungünflige Schilderung berfelben im angef. 
Rapport ©. 164. — Schule de la Martinidre zu ®yon, Brivatanfalt 
für Knaben, welche als Lehrlinge in eine Werfflätte eintreten wollen, 
mit 2jährigem Lehrgange, a. Rapport ©. 166. — In ter Ecole in- 
dustrielle zu Gent iſt ein gründlicher Unterricht in franzöf. Sprache 
—— erren, und ein einfacherer in flaͤmiſcher Sprache fuͤr Werk⸗ 
meiſter ıc. 


8. 224. 


Hauptregeln zur Einrichtung ſolcher Gewerksſchulen (a): 

1) Der Unterricht muß zwar im Allgemeinen mit Hinficht 
auf die gewerbliche Anwendung der Lehren gegeben werben, 
ohne ſich jedoch Angftlid auf dad gegenwärtig unmittelbar 
Brauchbare zu beichränfen. Er darf, um bie Kräfte nicht zu 
zerfplittern, nicht auf vielerlei @egenftände erftredt werben. 
Mathematik bleibt der Mittelpunct des Unterrichts und ed müjs 
ſen auch die höheren Theile derfelben gelehrt werben. 

2) Da nicht die Kunftregeln für jedes einzelne Gewerk 
volfländig vorgetragen werden fönnen, fo muß man fid) bes 


— 10 — 


fann nur an wenigen, hiezu befonberd geeigneten Orten zu 
Stande gebracht und der Koftbarkeit wegen nicht oft wiederholt 
werben, hat aber wie für die Technologie im Allgemeinen, fo 
auch für jedes theilnehmende Land großen Nuten, indem «8 
ihm zeigt, was ed im Bergleiche mit anderen im Gebiete ber 
Stoffvereblung vermag und was ihm noch fehlt. Die bei 
einer großen Ausftelung vortommenden Gefchäfte beziehen fich 
vorzüglich auf folgende Gegenftände: Ernennung einer Com⸗ 
miffton von fachfundigen Beamten, Gelehrten und Gewerbb- 
männern — Beichaffung des nötbigen Raumes in einem ſchon 
vorhandenen oder neuen Gebäude, mit Rüdficht auf Bequem⸗ 
lichkeit, Helle, Sicherheit ıc.. — Anordnungen für die Anmel⸗ 
dungen und deren Prüfung durch Ausfchüfle von Sachverftän- 
digen in den einzelnen 2andeötheilen, — Beftimmung, ob bie 
Sendungsfoften ganz oder zum Theile von der Staatdcafje ge 
tragen werben, ferner daß bei Sendungen vom Ausdlande für 
bie ein» und wieder zurüdgehenden Gegenftände die Befreiung 
vom Einfuhrzoll ftattfindet, ferner über die Erfagleiftung bei 
Befhädigungen oder Berluften; — genaue Bezeichnung ber 
aufzunehmenden Gattungen von Waaren, Eintheilung derfelben 
in Haupts und Unterabtheilungen (Claflen), die der Aufftellung 
und dem Berzeichniß zu Grunde gelegt werben, ohne jebod) 
auszufchließen, daß bie Einfendungen aus größeren Ländern fo 
viel als möglidy beifammen bleiben, — Beröffentlihung eines 
guten und wohlfellen Berzeichnifies (Kataloge) (x). — Bor: 
fhriften über Eintrittöpreife, Tage und Stunden des geftatteten 
Beſuches, — Sorge für Ordnung und Sicherheit in bem 
Gebäude, Zahl und hliegenheiten des angeftellten Perſo⸗ 
nals (ID), — Beftellung von Vreisrichtern, Feftfegung der Preife, 
die gewöhnlich in Denkmuͤnzen und ehrenvollen Erwähnungen 


befichen (m). 


(a) Beiſpiele: Society for tbe encouragement of Arts zu London, feit 
1753. — Societ& d’encouragement pour l’industrie nationale zu Paris, 
1802 geftiftet. — Polytechn. Berein in Baiern, 22. Aug. 1816. — 
Preuß. Gewerbeverein, 24. Nov. 1820. — Kurheſſ. Handels⸗ und 
Gewerbsverein, 29. Juni 1821. Mit Ausnahme der lebtgenannten 
geben dieſe Vereine technologifche Zeitfchriften heraus. Die beiden 
erften befchäftigen fi aud mit dem Landbau. Böhm. Berein zur Er⸗ 
munterung bed Gewerbsgeiftes, 1829, erſt feit 1833 von größerer 
Wirkſamkeit. — Großh. heffifcher Gewerbsverein feit 1837. — Die 














— 141 — 


Hamburg. Geſellſch. 4. Beförderung d. Künfte und nüplichen Gewerbe, 
15. April 1765 als Privatverein gegründet, 8. April 1767 vom Rath 
als öffentliche Geſellſchaft beftätigt, hat neben den Gewerken mande 
andere gemeinnüßige Angelegenheiten mit gutem Grfolge in ihren Wirs 
kungskreis gezogen, |. Drei Reden, welde bei der 25jähr. Stiftunge- 
feier der 5. Gef. gehalten worben. Samburg (1790). — Geſellſchaft 
zur Beförderung vaterländifcher Induſtrie in Nürnberg, 1792. 


Der Preis muß wenigſtens fo anfehnlich fein, daß er mit den aufzu- 
wendenden Koften in richtigem Berhältniß Re fonft wird nichts aus⸗ 
gerichtet. Napoleons Preis von 1 Mill. Fr. für eine Flachseſpinn⸗ 
zalhine wurde zwar nicht ertheilt, gab aber doch eine nügliche 
nregung. 


() So Hat das preuß. Handelsminifterium bie Hacpbilbung und Einfuͤh⸗ 
rung des Jacquard⸗Stuhles (I, $. 126 (f)) befördert, und berfelbe 
hat fih am Miebershein, befonders in Elberfeld und Barmen, fehr 
verbreitet, vergl. Weber, Beiträge zur Gewerbsfunde, I, 416. — Die 
würtemberg. Wentralftelle für Gewerbe und Handel veranflaltete 1861 
eine Ausftellung von Nähmafchinen, kaufte mehrere derfelben an und 
ließ Uinterweifung in ihrem Gebrauche ertheilen, um fle im Lande ein- 
heimiſch zu machen. 


(d) Das Pariſer conservatoire des arts ot mötiers begreift Maſchinen, 
Werkzeuge 2c., theils in natuͤrlicher Größe, theils in Modellen, Fabrik⸗ 
producte, Abbildungen, Bücher u. dgl. (vgl. F. 223). Den Stamm 
dieſer Anftalt bildete die von Baucanfon 1755 angelegte, 1782 
den Staat vermachte Sammlung. Der erfte Gedanke rührte von Des: 
cartes ber. Diefe Anftalt wurde durch Ord. v. 16. April 1817 neu 
organifict. Gin großer Theil der Sammlung ift veraltet und wird 
nicht benugt. Aufwand dafür in ben lebten Jahren (1855 und 56) 
jährlich 239000 Fr. Dictionnaire technologique, V. 515.; — Maca- 
rel et Boulatignier, De la fortune publique en France, I, 638. 
— Bolytehn. Sammlung in Münden, dur Verord. vom 15. März 
1822 gegründet. — Mus6e d’industrie in Brüflel. 


(e) Mufterlager in Stuttgart, fortwährend durch Ankaͤufe ausgezeichneter 
Stüde im Auslande bereichert, von Unternehmern und Gehuͤlfen häufig 
und mit füchtbarem Nutzen befucht. 


U) In Baris Shrenmünzen von Gold, Silber und Bronze. 


(9) Solche Ausftellungen brauchen nur etwa alle 5 Jahre wiederholt zu 
werden. In Frankreich waren 1798, 1801, 1802, 1806, 1819, 1823, 
1827, 1834, 1839, 1844 und 1849 Ausftellungen, mit fortwährend 
fleigender Zahl der Ausfteller, welche fih in den 4 legten Malen auf 
2447 — 3281 —3960—4510 beliefen. In der lebten belief fi der Raum 
auf 22391 Q.⸗Meter. Hermann, Die InduftriesAusftellung zu 
Paris im 3. 1839. Nümb. 1840. — In Belgien waren 1835, 1841 
und 1847 fehr gut eingerichtete Ausftellungen zu Brüffel. An der 
Ausftellung von 1841 nahmen 975 Unternehmer Theil. Perrot, Be- 
vue de l’exposition des produits de l’industrie nationale de 1841, 
Brux. 1841. — Rößler, Die Sewerbausttellung in Brüffel, Darmſt. 
1842. — Heeren, Bufammenftellung technifchsftatiftifcher Bemerkungen 
über die Ind. des K. Belgien und die letztjaͤhr. Gewerb⸗Ausſtellung in 
Brüfſel. Hannov. 1842. (Alle 3 Schriften mit fleißiger Benutzung 
von Briavroinne.) In Preußen famen 1822 und 1828 allgemeine Aus⸗ 
flellungen in Berlin vor, fowie nt diefelben in verfchiedenen anderen 
deutfchen Staaten mehrmals veranftaltet wurden, Im öfterreidhifchen 


(b 


u. 


(A) 


G) 


— 1442 —— 


Staate waren 1835, 1839 und 1845 zu Wien Ausfellungen, deren 
legte von 1868 Gewerktreibenden befhidt wurde. Bericht über d. dritte 
allg. oͤſterr. Sewerbe-Ausfiellung. Wien 1846, IIL 2. 


Der Borichlag einer Ausft. für den ganzen beutfchen Zollverein wurbe 
1841 auf dem Zollvereinstage in Berlin von dem baieriſchen Bevoll⸗ 
mädhtigten gemacht und 1842 kam eine Uebereinfunft der Regierungen 
hierüber zu Stande. Die im nämlihen Jahre zu Mainz gehaltene 
allgemeine deutſche Ausftellung war nur von bem beffiihen Gewerb⸗ 
verein veranftaltet worden, fiel aber fehr gut aus und machte das Be 
bürfniß einer äbnlihen, von den Regierungen unterflüßten Beranftals 
tung fehr fühlbar. In Mainz waren Gegenflände von 715 Ginfendern 
aufgeftellt, darunter 222 vom Gr. Heflen, 94 von Würtemberg, 86 
von Baiern, 52 von Sadfen, 39 vor Defterreih, 36 von Baten ac. 
Rößler, Ausführl. Bericht über die .. . allgem. deutſche Induſtrie⸗ 
Ausftellung zu Mainz. Darmſt. 1843. — Hierauf folgte ſchon 1844 
Die A. für die gefammten deutſchen Buntesflaaten in Berlin. Die 
Zahl der Ausfteller ftieg auf 3040, wovon 1932 aus Preußen, 75 aus 
Defterreih. Amtlicher Bericht über die allg. Gewerbe. zu Berlin, 
1845, III. Bd. — An der beutichen A. zu München im 9. 1854 nah⸗ 
men 6588 Nusfteller Theil, und zwar 2331 aus Baiern, 1477 aus 
Defterreih, 767 aus Preußen, 462 aus Sachſen, 443 aus Würtemberg, 
180 aus Baden, 158 aus Hannover ıc. 


Die mit mufterhafter Ordnung veranflaltete allgemeine Ausftellung zu 
London im Sommer 1851 ging von der Bociety of arts aus, deren 
Borfigender (Prinz Albert) den Borfhlag gemacht hatte, der A. 
jene große Ausdehnung zu geben. Sie begriff rohe Stoffe, Mafchinen, 
Gewerkserzeugniſſe und Werfe der bildenden Kunſt. Die Zahl der 
Ausfteller war 17062, wovon 7200 britifche, 1296 aus den britiichen 
Colonien, 1760 aus Frankreich, 1720 aus dem d. Zollverein, 748 
aus Defterreih, 700 aus der Türfei, 566 aus Nordamerica, 512 aus 
Belgien, 391 aus Aegypten, 385 aus Rußland sc. Das im Hyteparf 
nah Parton's Plan von For u. Henderfon für 142780 2. St. 
bergeftellte Gebäude (Glaspalaſt) war 1848 Fuß lang, in der Mitte 
456 %. breit, das Querſchiff (transept) 108 F. hoch, der für die Aus⸗ 
ftellung verwendete Raum (ohne die Befchäftszimmer u. dgl.) betrug 
936 000 D.:5. Die Ausftellung dauerte 6 Monate. Man zählte von 
Tag zu Tag im Ganzen 6 Mill. Befucher. Die ganze Ausgabe von 
292794 2. wurde ſchon von den Gintrittsgeldern (423782 8.) übers 
wogen. Die Staatscafje hatte nichts beizutragen, aber durch freiwillige 
Beiträge vor der Eröffnung gingen 67 896 ge ein. In den einzelnen 
Ländern wurden von den Regierungen Commiſſionen für die Ginfen- 
dungen gebildet, der Zollverein ernannte auch eine Berichteritattunge: 
commiffion. Die 318 Preisrichter (juries) wurden aus den Ländern 
enommen, von denen die Ausflellung beichidt worden war. Haupt⸗ 
hriften: Official descriptive and illustrated Catalogue of the Great 
Exhibition of the works of industry of all nations. 1851. VB. — 
Exhibition . .. . Beport of the Juries. London 1852. — Hunt’s 
Handbook to the official catalogues, Lond. 1851. (Gut zum Ueberblid.) 
Amtl. Bericht über die InduftrieM. zu London im Jahre 1851 von 
der Berichterftattungscommiffton der d. Zollvereinsregierungen. Berlin 
1852. 111 B. (Vorſteher diefer Bommilflon war der preußifche geh. 
Finanzrath von Biebahn.) — Die ebenfalld für alle Länder be: 
Rimmte Ausftellung zu New⸗Pork im 3. 1852 war PBrivatunternehmung 
und fland der Londoner weit nah. — Die allg. Ausfiellung zu Paris 
1855 (15. Mai— 1. Nov.) übertraf an Menge der Gegenflände die 


18 — 


Londoner. Es find 21921 Ausfteller aufgeführt, wobei aber die Gin- 
fendungen ber orientaliihen und der GolonialsRegietungen nur einfach 

ezaͤhlt find. Der Ausftellungsraum in dem (von Stein erbauten) 
—* fanıınt der langen Gallerie (annexe), dem Verbindungs⸗ 
theile (panorama) und ben Rebenräumen beitrug 123390 D.. : Meter, 
und zwar der überdachte Raum 953000, der zur Ausftellung benußte 
Kaum im Freien 547000, zul. 1'535 000 ‚engl. Q.⸗F., Bauaufwand 
19 Mil. Gr. Gin Borzug diefer 9. war, daß den ausgeftellten Ge⸗ 
genfländen die Preife beigefügt werden durften, was in London verboten 
war. Tresea, Visite à l’exposition universelle de Paris en 1855 
(Beriht, an dem viele andere Sadfundige mitgearbeitet haben). — 
v. Biebahn u. Shubart, Amtl. Bericht über die allgem. Parifer 
Austellung. Berlin, 1856. — Allg. Ausftellung in London, Sommer 
1862. Das Gebäude Hatte 988000 engl. Q.⸗Fuß (66 Mill. Cub.⸗F.) 
nebft 35000 Q.⸗F. benugten Raum im freien, wegen des ungünfligen 
Klimas viel aveniger ale in Baris, zuf. 1023 000 8.8. — M. Che: 
valier, Die heutige Induſtrie... Weltausfiellung v. 1862. Deutic, 
Berlin 1863. — 8. Bucher, Die Lond. Ind. Aust. v. 1862. Berl. 
1863. — The international exhibition of 1862. The illustrated cate- 
logue of the industrial department. British division. II B. 40, 


(%) London 1851: von dem Eleinen Kataloge (322 Seiten Elein 49%.) wur 
ven a: 854 engl. Eremplare, 13355 franz. und deutſche, zu 1 Sc. 
verkauft. 


(HD London 1851: 782 Berfonen ohne die Polizeibedienten, die an 400 be 
trugen. Größte Zahl der Befucdyenden an einem Tage 109915. 

(m) London 1851: 169 große, 2952 Heine Denfmünzen, 2142 Erwäh- 
nungen. — Paris: 112 große, 252 Eleine goldene, 2300 filberne, 3900 
bronzene Denfmünzen, 4000 Erwähnungen. Bleichzeitig war in einem 
anderen Gebäude eine Ausftellung von Werfen der (hönen Kunft. 


$. 226. 


Die Gründung neuer, fowie die Erweiterung ber fchon bes 
gonnenen Gewerföunternehmungen wird von einem entfpredyens 
ben Gapitalvorrathe bedingt. Die Regierung ift nicht verpflidy- 
tet, die hiezu erforderlichen Capitale herbeifchaffen zu helfen, 
was, wenn nur die Geſetzgebung und Rechtspflege zur Befefti- 
gung des Eredited dad Nöthige thut, im Privatverfehre fchon 
von felbft zu erwarten ift (I, $. 280) (a). Giebt die Regie 
rung für einen ſolchen Zweck Vorſchuͤſſe, fo ift fie einer zweds 
mäßigen Verwendung nicht ficher; wenn fie auch nicht, wie _ 
bieß bisweilen vorgefommen ift, von unreblichen ober unfähigen 
Männern gemißbraucht wird, fo finb body bie geliehenen Sum⸗ 
men fihmer wieder zu erlangen, meil die Empfänger im voraus 
auf Nachſicht rechnen. Zufchüffe ohne Erfagverbindlichkeit, bie 
nur in geringem Maaße und in feltenen Fällen gegeben werben 
fönnen, erfordern vollends die höchfte Behutfamfeit (5). Leiche 


— 10 — 


Erfter Abſchuitt. 
Beförderung des Tanſchverkehrs. 


Erfte Abtheilung. 
Maafregeln für den Tauſchverkehr im Allgemeinen. 


Einleitung. 


$. 229 a. „ 


Der gefammte Taufchverleht umfaßt weit mehr als das 
Taufchvermittlungdgewerbe oder der Handel. Wie alle Gr 
werböunternehmer ihres Abfages willen verkaufen und Er 
forberniffe des Betriebes einkaufen, fo müſſen aud alk 
Einwohner zu ihrer Berforgung mit Gegenftänden ihres Ge⸗ 
brauches Bieled erfaufen. Ein großer Theil dieſer Geſchaͤfte 
fommt ohne den vermittelnden Beiftand der Handelslente zu 
Stande (a) und es ift nüglich, wenn auf diefem Fürzeren Wege 
die erwähnten Zwede eben fo gut erreicht werden, was freilich 
in vielen Fällen der Entfernung ober anderer Schwierigkeiten 
wegen nicht angeht (I, $. 104). Es giebt eine Reihe hoͤchft 
nüßlicher Staatseinrihtungen, welche dieſen Zaufchverfehr im 
Allgemeinen befördern. Sie werben zwar von den Handeb 
treibenden vorzüglich häufig benugt und leiſten benfelben großen 
Nutzen, kommen jedoch auch den anderen Elaflen von Bürgem 
zu Gute, wenn fie kaufen oder verfaufen. Daher trägt es zut 
beutlicheren Erfenntniß ber in biefem Gebiete anzumendenden 
Regierungdmaaßregeln bei, wenn diejenigen, welche nicht beſon⸗ 
ber8 auf die Handeldunternehmungen gerichtet find, von ben 
Anordnungen ber eigentlichen Handelöpflege unterfchieden und 
zufammengeftellt werben (5). Jene beziehen fidy 

1) auf die Maaßeinheiten, nad) denen bie Waarenınengen 
beftimmt werben. Fir 

2) auf dad allgemeine -Preismanß und Umlaufsmittel, 

3) auf die Fortſchaffung (Transport) (c). 














— 147 — 


vervolllommneten Yladye-Mafchinenfpinnerei in England. Um nur ben 
Anbau und die erfte Zubereitung des Flachſes und das Weben den 
beutfchen Arbeitern zu erhalten, muß man ſich gefallen laflen, daß das 
Spinnen, welches bisher eine Nebenarbeit der Landleute war, von nun 
an größtentheild auf Maſchinen geichieht. Hiedurch wird eine Erwei⸗ 
terung des Abſatzes möglih, die wieder mehr Menfchen in Nahrung 
fegt. Mit einem höheren Einfuhrzolle wäre noch nicht geholfen, wenn 
man nicht dahin gelangte, auch auf auswärtigen Märkten mit den 
englifchen Fabriken Preis zu halten. Die Errihtung großer Mafchinen- 
fpinnereien in Deutſchland, in Verbindung mit ter befleren erften Zu: 
bereitung des Flachſes (Röten und Brechen) veripriht guten Erfolg. 
Es ift zwedimäßig, nach belgifcher Art dieſe Zubereitung von dem Ans 
bau des Leines zu trennen und in großen Anftalten funftmäßig zu be: 
treiben. Im Zollverein war im Jahresdurchſchnitt von Leinenwaaren: 


Einfuhr Ausfuhr 
Eir Etr 


Mafcinengaın . 1849-53 33806 7626 + @. 26180 
1854-59 52296 18321 4 E. 33975 
Leinwand jeber Art 185459 35435 172924 + 9. 137489 


Großbritanien führte i. D. aus: 


1852. 53 1855. 56 1860. 61 
Leinwand ıc. für 41103982. 45074228. 4004359 2. 
Zeinengarn für 1'144 834 2. 1149318 2. 1'708 363 2. 


v. Reden, Der Leinwand: u. Garnhandel Nordbeutichlands. Hannov. 
1838. — Breunlin, Ueber mechanifche Leinen-Spinnereien. Stuttg. 
1838 (aud in technifcher Hinfiht), 2. Ausgabe. 1844. — 8. v. Orth, 
Ueber die mechaniſche Flachsſpinnerei in Deutichland, 1841. — v. Vie⸗ 
bahn, lieber Leinen» und Wollenmanufacturen in Deutichland, Berl. 
1846. — Sehr viel Lehrreiches enthält die belg. Kinquöte sur. l’indu- 
strie liniöre, 1841, II Bde. 49. 


10* 


Zweites Buch. 


Beförderung der Vertheilung des 
Gütererzeugniffes. 


Einleitung. 
8. 229. 


Die innerhalb ded Landes erzeugten und die von dem Aus— 
ande erworbenen Gütermafien (Einfuhr) liefern den Borrath, 
welcher großentheild im Berfehre (I, 8. 252 (6)) durch Tauſch 
u. a. Verträge feine Beflger wechfelt und in einer, den Ge 
brauchözweden und den Bermögendverhältniffen aller einzelnen 
Staatöbürger entfprechenden Menge an die leßteren gelangt. 
Die nach den volföwirthichaftlichen Verkehrsgeſetzen ſich bilden- 
den Antheile der -verfchiedenen Volksclaſſen und der einzelnen 
Mitglieder derſelben an jener Gütermafle, d. i. ihre Ein- 
fünfte, werben nad) den Preifen der Güter und ber anderen 
vertragsmäßigen *eiftungen in Geldfummen audgebrüdt und 
meiftend aud den im Berfehre entfichenden Geldeinnahmen ent- 
richtet, ausgenommen die Theile des Erzeugnifies, welche die 
Erzeuger ſogleich für eigenen Gebraudy zurüdbehalten, wie bie 
von den Landwirthen gewonnenen und verzehrten Lebensmittel. 
Da jedoch diefe Geldfummen wieder in andere Sachgüter um: 
gefegt werden müffen, fo bemißt fi) das Einkommen eines jeden 
Mitgliedes der Gefellfchaft zulegt nach der ihm zufließenden 
Werthmenge. I, 8. 64. Der Verkehr bewirft demnach bie 
Vertheilung fowohl der Vorräthe jenes einzelnen Sachgutes 








-— 149 — 


ald der ganzen Preis- und Werthmenge aller neuerworbenen 
Güter. Die Aufgabe der Regierung in Hinfiht auf die Ber: 
theilung ift daher eine doppelte: 

1) Beförderung der verſchiedenen Berfehrögefchäfte, damit 
es Jedem leicht werde, durch Webereinfunft mit Anderen in 
den Befig derjenigen Sachgüter zu gelangen, die zur Erreichung 
feiner Abfichten bienlich find. Die hiezu beftimmten Anord⸗ 
nungen der Staatögewalt betreffen vorzüglid 

a) den Taufchverfehr, ber nad) der Einführung des Gel⸗ 
bed bei dem einen Bertragfchließenden ald Kauf, bei 
dem anderen ald Verkauf erfcheint; 1. Abfchnitt; 

b) die MWebertragung von Capital ohne eine gleichzeitige 
Gegenleiftung in’ anderen Sachgütern, alfo mit Hülfe 
des Credites; 2. Abfchnitt. 

2) Einwirkung auf die Vertheilung, damit diefelbe ihrer 
Beſtimmung entfpreche, d. h. damit der Erfolg ber einzelnen 
Vorgänge für die Befriedigung der Bebürfniffe im Volke güns 
fig fei. Es kann nicht Beruf der Regierung fein, den Verkehr, 
der auf der Freiheit der Einzelnen und dem Mitwerben beruht, 
überhaupt durch Zwangsvorſchriften zu leiten und auf biefe 
Weife die Vertheilung zwedmäßig einzurichten. Sie muß ſich 
vielmehr mit Vorſicht auf eine ſolche Einwirkung befchränfen, 
weiche die größten Mängel der Vertheilung befeitigt und ven 
freien Verkehr nicht mehr beeinträchtigt, als es zu der Erreis 
hung dieſes Zieled nothwendig if. Die hiezu angemendeten 
Mittel, deren Zwedmäßigfeit zu unterfuchen ift, können gerich⸗ 
tet fein 

a) auf dad Maaß ber vertragemäßig ausbedungenen *eis 
ftungen, obrigfeitlihe PBreisbeftimmungen; 
3. Abfchnitt; 

b) auf die Ergänzung bed unzulänglichen Einkommens ein- 
zelner Bürger; Armenwefen; 4. Abfchnitt. 


(@) 


— 154 — 


pfahl den 12theiligen Maaßſtab, Bericht vom 24. Juni 1819, bie 
neuere Commiſſion ſprach fih 1842 für das Decimalfyflem aus. Gs 
wird nicht ſchwer fein, in den Volksſchulen bie Jugend an die mit dem 
Weſen des dekadiſchen Zahlenſyſtems zufammenhängende Zehntheilung 
u gewöhnen. Bei dem Pfunde zeigt die übliche Eintheilung in 32 
otbe. dag man auf die Leichtigkeit des Halbtheilens Werth gelegt Bat. 
Man könnte die Zehntheilung als Regel aufftellen, daneben aber bie 
Halbirung der gewöhnlichften Ginheiten (Manag, Pfund) bis etwa auf 
1/2 oder %s fortwährend geftatten. — Läftig ift, daß der Centner in 
vielen Ländern über 100 Pfd. Kat, 3. B. 110 oder 112. 


Der Fuß, Zoll, die Ehe, das Pfund und das Loth find allgemein be 
fannt und dieſe Größen weichen überall nicht fehr von einander ab, 
wie 3. DB. die meiften Pfunde zwifchen 0,93 und 1,1% des Zollpfuntes 
fallen, die deutfchen Zolle zwiſchen „4.5 und 24,2 des Meters. Hätte 
man nur ein einzelnes größeres Land im Auge, fo würde es nüklid 
ericheinen, bei jenen Binheiten zu bleiben. Dan follte auch die Namen 
Scheffel, Malter, Eimer, Maaß, Morgen, nicht verbannen. In dieſer 
Hinficht ift das neue franzöfliche Maaßſyſtem (nach Bel. v. 18. Germin. 
II, 19. Frim. VIII u. a. Gefegen), welches man insgemein mit dem 
Namen des metrifchen belegt, mangelhaft. Es macht Mühe, fh 
in eine Länge von etwa 3 Fußen (Meter) zu finden, dagegen iſt 1 Gramme 
als Gewichiseinheit zu klein. Die griechifhen Namen Gramme, Better, 
Liter finden zwar leicht Cingang, ſchwerer aber bie Berbinbungen ber: 
felben mit griehifihen und lateinifchen Zahlwörtern,, indem bie latei⸗ 
nifchen die Abtheilungen, die griechiſchen die Vervielfachung ber Einheit 
ausdrüden, 3. B. Decis, Centis, Milligramm „,, 1tz. ray; Hramme, 
Defa:, Hekto⸗, Kilogramm 10, 100, 1000 ®r., wobei auch Deri und 
Defa leicht verwechlelt werden. Diele Mängel werben in Yranfırid 
felbft keinesweges verfannt, 3. B. Dupuit in Journ. des Econom. 
XXXIV, 143. Später (28. März 1812) wurde geflattet, bie alten 
eingewurzelten Ausbrüde fortzuführen, indem man unter toise 2 Meter, 
unter Yuß %/s Meter, unter boissenu ?/s Hektoliter zu verfiehen habt. 
Das Beleg v. 4. Zuli 1837 verbot aber vom 1. San. 1840 an ben 
Gebrauch der alten Benennungen gänzlich bei 10—20 Fr. Strafe. In 
ben Niederlanden (Geſetz 21. Auguf 1816) find die franzöflichen Be 
zeichnungen durch befannte einheimifche erjeßt worden, z. B. Meter 
durch Elle, Hektoliter durch Müdde. Daſſelbe geſchah in Mailand. — 
Die neuen badifchen und fchweizerifchen Maaße find an die franzoͤſiſchen 
unter bequemen Berhältniffen angefnüpft, 1 Fuß — 0,3 Meter, 1 Pfd. 
= 14, Rilogr., 1 Maaß — 1'/a Liter, alfo 1 Ohm oder Malter von 
100 Maaß — 1!/5 Heftoliter, 1 Morgen 36 Ares (0,3 Hekt.). Der 
Verſuch, das Pfund in Baden zehntheilig einzutheilen, gelang nicht. 
Das bad. Syſtem wurde in der Schweiz eingefuͤhrt, das badiſche Pfund 
zuerſt in einigen Nachbarſtaaten, dann in dem deutſchen Jollweſen, 
endlich faſt in allen deutſchen Ländern eingeführt. — Der im Großh. 
Heflen eingeführte Fuß von 1/s Meter ift gegen die gewöhnlichen beub 
ſchen Laͤngenmaaße ſchon zu Klein, fo daß %/s und 0,? Meter den Bor: 
zug verdienten. Ge ift aber zu bedenken, daß bie alten Namen für 
neue, von jenen nur wenig abweichende Ginheiten viele Bif- 
verfländniffe verurfachen. Wird 3. B. ein anderer Fuß eingeführt, 
fo muß man immer das Jahr der Ginführung im Gedächtniß haben, 
um ältere Angaben richtig zu verftehen und bie Ungewißheit, ob ter 
alte oder neue Fuß gemeint fei, bringt Nachtheile zu Wege. Segnib 
in Seitichr. f. die gef. Staatswiſſ. XVIL Jahrg. ©. 346. 


In früheren Zeiten fanden die Maaße der größeren Handelsplaͤtze häuf 
in einem, durch bie Gefchäftsverbindung mit ihnen beftimmten Kreile 


vr 


—R 


(9) 


— 155 ° — 


Eingang, 3. 3. die Lölnifhe Mark, die Mark und das Pfund von 
Troyes, die Nürnberger Maaße, die Brabanter Elle. In Deutſchland 
wurde aber eine große Anzahl von Maaßen einzelner Landichaften 
und Städte angetroffen, und es war ſchon ein großer Fortſchritt, baß 
diefelben im jetzigen Jahrhundert in jedem Staate durch ein allgemeines 
Landesmanß verdrängt wurden. In den einzelnen Theilen von Eng⸗ 
Iand giebt es noch eine Anzahl verfchiedener Getreidemaaße. 


Ueber die Ginführung eines neuen Maaßſyſtems in Baben Nebenius 
in Rau, Archiv, IV, 226. Es hat fehr gut gewirkt, daß die Regie⸗ 
rung bis zu einem gewiflen Tage bie Aichungsfoften für die neu ange 
fhafften Maaße und Gewichte beftritt und die Berfertiger von Maaßen 
aufforderte, ihre Preife befannt zu machen. In jedem Amtebezirke 
wurde im Laufe bes Jahres 1830 ein Tag zur Binführung bes neuen 
Maaßes feſtgeſetzt. 
Selbſt in Deutſchland hat faſt noch jeder Staat ſeine eigenen Maaße. 
Bei der Einfuͤhrung derſelben uͤberſah man den Vortheil, den eine 
Bereinbarung zwiſchen mehreren Regierungen gewähren würde, und 
ſcheute fih, das in einem Nachbarlande gegebene Beifpiel nachzuahmen. 
Erft der Zollverein und die in den Berträgen ausgeiprochene Abſicht, 
auf Bleichheit der Maaße und Münzen hinzuwirken, gab zu einer an- 
beren Ganblungemeite den Anftoß. Hätte man fich einmal über allge 
meine Maaße verftändiget,, jo fönnte man menigftens anfangen, dies 
felben in wiflenfhaftlihen Werten, Belanntmadhungen sc. neben ben 
Zandesmanßen anzuführen und fo die Binführung vorzubereiten. Da 
das franzöftihe Syflem in Belgien, den Niederlanden, im K. Italien, 
dem öfter. Oberitalien (zufammen alfo ungefähr 80 Mill. Einw.) bes 
ſteht, von den Phyſikern, Ingenieuren und manchen Handwerkern fchon 
häufig gebraucht wird und allgemein befannt iſt, auch wegen feines 
gleihmäßig durchgeführten Baues viele innere Vorzüge befikt, fo wird 
die Annahme beflelben mehr und mehr für rathfam erfannt und die 
frühere Abneigung gegen diefe Maaßregel allmälig überwunden. Das 
Gewicht if mit dem Raummaaße aut in Berbindung gefebt, indem 
das Kilogramm dem Gewicht eines Cubicdecimeter von reinem Wafler 
leichfommt. Kennt man das fpecifiihe Gewicht eines Körpers (3. B. 
ußeifen 7,2, das Wafler als 1 gerechnet), fo findet man ſogleich das 
Gewicht eines Gubicmeters zu 7200 Kil. Nachdem eine Zeit lang 
ein an das franzöftiche fich anlehnendes Syſtem wie das badiſche für 
Deutichland als rathfam angefehen wurde (mie noch in der 4. Ausg. 
bes Lehrbuchs), ferner bei Karften (Borfchläge 3. allg. d. Maaß:, 
Gewichtes und Münzregulirung, Berlin 1848) und Haufhild (Bor: 
flag zu einem allgem. beutfchen Maaß⸗, Gewichts: und Münzfnflem, 
Frankfurt 1849), fo hat neuerdings die Brweiterung des Blickes über 
gen Guropa eine andere Anficht hervorgebracht. In Kolge der Parifer 
usſtellung von 1855 bildete fi ein Verein für die Binführung eines 
allgemeinen Maaßſyſtems (international association for obtaining a uni- 
form decimal system of measures, weights & coins), zu weldem man 
das franzöftfche auserlor, und die Bemühungen giengen von England 
aus. Fuͤr dieß Syſtem: W. Nördlinger, die Zukunft des metrifchen 
Syſtems. Stuttg. 1860 und Segnig a. a. D. Die Verſammlung 
deutſcher Ingenieure in Hannover im 3. 1860, die ton einer Anzahl 
deutfcher Regierungen veranftaltete Verfammlung von Kunftverfländigen 
zu Frankfurt 1861 und der 1. deutiche Handelstag iu Heidelberg 1861 
(Berichterftatter Dr. Soetbeer) ſprachen fih in gleihem Sinne aus 
und e6 iſt daher die Binführung des Meters (Stabes), des Litres (ale 
Maaß), des Heftoliters (ale Scheffel) früher oder fpäter zu erwarten, 
weil fein anderer Borfhlag auch nur entfernte Ausfiht auf Berwirk: 


— 156 — 


fihung bat. Die Abtheilungen und Vervielfachungen bes Meters können 
mit pafienden Namen bezeichnet werden. Das Pfund als halbes Kilo: 
ramm wird in Gebrauch bleiben. Aus Rüdfiht auf das Gewohnte 
önnen manche unmefentliche Zugefländnifle gemacht werben, 3. B. bie 
Halbtheilung des Meters für Gewebe, 4 Cubicmeter ald Klafter, 3 Deci⸗ 
meter einftweilen noh als Fuß zu gebrauchen sc. — Hagen (Zur 
Frage über das deutſche Maaß, 1861) räth die Annahme des englifchen 
Syſtems. — Kreuper, Ueber die Binführung allgemeiner Maaße, - 
Gewichte und Münzen, Wien 1863, if gegen das franzoͤſiſche Syſtem 
wegen der Unzuverläffigfeit feiner mthemaliäegeographien Unterlage 


und feiner unbequemen Ginheiten, flellt ihm 


n aber fein anderes Syſtem 
gegenüber. 


$. 231. [248.] 


3) Unveränderlidhfeit. Dad öftere Nachmachen von 
Meßgeraͤthen (Maapftäben, Gefäßen, Gewichten), wenn biefelben 
nicht immer wieber forgfältig mit einerlei Urbild verglichen 
werden, bewirft, wie die Erfahrung bezeugt, baß die Maaße 
mehrerer Orte nad) und nad) eine Fleine Abweichung von eins 
ander erhalten, die ſich im Verlaufe längerer Zeit fortwährend 
vergrößert (a). Daher muß man Urs oder Muttermaaße (eta- 
lons) mit der größten Genauigfeit verfertigen und biefelben 
forgfältig aufbewahren laſſen (6). Da der Verluſt diefer Ur⸗ 
maaße immer möglich bleibt, fo hat man öfter, bejonderd in 
neuerer Zeit, ben Gedanken gefaßt, dem Maaßſyſteme eine fo 
unmanbelbare Grundlage in ber Natur zu geben, daß man bie 
Urmaaße jederzeit mit Sicherheit wieder neu zu Stande bringen 
fönnte (c). In Branfreich wurde deßhalb die Laͤnge eines Mies 
ridiangrades auf ber Erde dem Maaßſyſteme zu Grunde ges 
legt (d), was jedoch für jenen Zwed nicht Hinreicht, weil die 
wirkliche Meſſung eined Theiled des Erbumfreifes eine hoͤchſt 
foftbare, fehwierige, und wegen ber ungleichen Beichaffenheit 
der Inftrumente, Methoden und Kenntniffe in ihren Ergeb⸗ 
nifjen wanbelbare Unternehmung ift. Eher läßt fid die Laͤnge 
des GSecundenpenbeld in die Hauptftabt des Landes benugen, 
doch ift auch diefes Mittel unficher und überhaupt muß man 
auf einen ſolchen natürlihen Stuͤtzpunct verzichten (e). 

4) Fortgeſetzte Aufficht auf die im Handel gebrauchten 
Meßgeräthe. Hiezu dient 

a) Niederlegung von genauen Nachbildungen ber Urmaaße 

in den einzelnen Zandestheilen, und fodann wieder von 
Gopieen ber erſten in ben einzelnen Amtöbezirken, fo 


— 157 — 


daß hiedurch alle im Lande gebrauchten Maaße und Ge 
wichte berichtigt werben koͤnnen. 

b) Aufftellung von ſachkundigen Aihungsbeamten, de 
ren Unterordnung jener Abftufung der Urmaaße und der 
2 Claſſen von Nachbildungen entfpridt (f). 

c) Verbot, Maaße und Gewichte, die nicht geprüft und ge- 
fiempelt find, für den Verkauf zu verfertigen oder beim 
Berfaufe von Waaren zu gebrauchen. 

d) Anorbnung öfterer Unterfuchungen aller Handeldmaaße, 
um fi) von ber Richtigfeit derfelben zu überzeugen. 

e) Verbot folcher Maaße und Gewichte, die ungenau find, 
oder Betrug begünftigen, ober die ſich auf alte abgefchaffte 
Einheiten beziehen (g). 


(a) Die in verfchiedenen europäifchen DMünzftätten aufbewahrten Exemplare 


(2) 


ber köln. Mark, deren Original verloren gegangen ift, weichen bis zu 
5 Proc. von einander ab. Die brabanter Eile ift in Hamburg 306,5, 
in Brüflel 307,*, in Frankfurt a/M. 309,% Barif. Linien groß. — 
Schon sin dem neuen franzöflihen Maaßſyſteme find wieder Ungleich⸗ 
heiten wahrgenommen worden. Die Petersburger Gommiffion fand 
das Kilogramm — 0,195 zuffifchen Pfunden, das Holländifche Pfund 
— 0,4093, das neue italienische Pfd. — 0,1995 zuff. Pfb., und diefe 
3 follten doch gleid, fein. Solche Abweichungen find zwar für den 
Hantel unerheblih, dürfen aber bei wiffenfchaftlichen Unterfuhungen 
nicht vernadhläfftgt werden. 


Man hat hierin neuerlich, zuerſt in Frankreich, eine Genauigkeit ange: 
wendet, von der man früherhin weit entfernt war. Sie iſt den Phy⸗ 
fifern zu verdanten, welde die Unterfudyungen vornahmen. Die Wiener 
NormalsKlafter befteht aus einer eilernen Stange, auf welder ein 
Silberftreifen mit der Gintheilung eingelaffen if. Zur Bergleichung 
eines gegebenen Maaßſtabes mit dem Urmaaße dient ein bewegliches 
Mikroſfop. Argberger in Prechtl's Jahrbüchern des polyt. Inftis 
tuts, U, ©. XXIV. — Das Urmaaß des Mieters ift von Blatin. Die 
neuen englifchen Urmaaße follten in der Londoner Schaßfammer und 
auf den Rathhäufern zu London, Edinburgh und Dublin niedergelegt 
werden. Da fe indeß bei dem Brande des Parlamentshaufes zu 
Grunde gegangen find, fo wurden fie in 4 Gremplaren wieder berge- 
fiel. — Beſchreibung ter hoͤchſt forgfältigen VBerfahrungsart und der 
Merkzeuge, die in Rußland bei der Bergleihung der einheimiſchen mit 
den ausländifhen Maaßen angewendet worden find, bei Kupfer, 
Travaux de la commission pour fixer les mesures et les poids de l’em- 
pire de Russie. St. Petersb. 1841. II Bde. 4°. mit 1 Kupferheft. — 
Die bad. Urmaaße find der Straßen: und Waflerbaudirection übers 
geben. — Bol. Wild, Meber allgemeines Maaß und Gewicht. reis 
burg, 1809. II Bde. — Zfhode, Ueberlieferungen, 1822. VOL — 
Quarterly Review. LXX1. June 1827, Edinb. Rev. CLV, 228. (Febr. 
1843.) — Im Alterthbum wurden die Urmaaße in den Tempeln auf: 
bewahrt, namentlidy bei den Hebräern und in dem Tempel des Jupiters 
auf dem römifchen Capitol; in Athen waren fie in tem Gewahrfam 
der Maaßaufſeher (zergorduo). Auch im Mittelalter fam es vor, daß 


— 160 — 


und unter bie Aufficht derfelben geftelt wird. Nur vermöge 
diefer Einrichtung erhalten fie bie Gleichfoͤrmigkeit und bie das 
Zutrauen ber Bürger bewirfende Beglaubigung, von welcher 
ihre bereitwillige Annahme im Verkehre bedingt wird. Wenn 
es bieran fehlte, fo müßte man wenigfiend bei größeren Zah—⸗ 
lungen jebed Stüd vor der Annahme erft genau unterfuchen, 
was ben Umlauf ungemein verzögern würde (a). Die Leitung 
des Münzwefend gehört daher unter die widhtigften Aufgaben 
der Volkswirthſchaftspflege. Man hat fie indgemein der ober; 
ſten Sinangbehörde übertragen, weil die ‘Prägung ale Staates 
gewerbe betrieben wird, obſchon der daraus zu ziehende Rein: 
ertrag (II, $. 196 ff.) nie zur Hauptſache gemadyt werben 
darf und in mandyen Fällen ganz verjchwindet (5). “Die in 
Bezug auf die Güte des Münzwefend zu befolgenden Grund» 
fäge, deren Inbegriff Münzpolitif genannt wird, fallen 
daher größtentheild in das Gebiet der Volkswirthichaftspolitif. 
Sie beruhen theild auf volfdwirchichaftlichen Lehren, theild auf 
den Kunftregeln der Münzverfertigung (c). Die Münzen eines 
jeden Staated werben zwar in der Regel auf Beranftaltung 
ber Staatögewalt verfertiget und ausgegeben; diefe ift jedod) 
in Fleinen und mittleren Staaten wegen der nöthigen Rüdlicht 
auf andere Länder und wegen des Umlaufes ausländifcher Sor⸗ 
ten in der Auswahl der zu ergreifenden Maaßregeln beichränft 
und zu großer Vorſicht genöthigt (d). 


(a) Die großen Bertirrungen im älteren deutſchen Muͤnzweſen entiprangen 
aus der häufigen Verleihung des Münzrechts an Reichsflände. 


(6) Buͤſch, Grundfäge der Münzpoliti. Hamburg 1779. — Deflelben 
Kleine Schriften über Banken und Müngzwefen, 1801. 9. Anhang, 
©. 445. — Buffe, Kenntniffe und VBerrachtungen des neueren Muͤnz⸗ 
weſens. Leipz. 1795. I. — Böllinger, Lehrgebäude über Geld⸗, 
Bank: und Wechfelivefen. Heidelb. 1798. — Krünig, Enchyklop. 
Bd. XCVIL (auch unter tem Titel: Floͤrke, Münzfunft und WMünz- 
wifienfchaft, 1805.) — Stord, 1, 427. — (Eleynmann) Apbe: 
rismen aus dem Fache der M.⸗Geſetzgeb. Frankfurt, 1817. — Defien 
Materialien für Münggefebgeb., ebd. 1822. — Klüber, Deffentl. 
Recht, II, $. 335. Defien Das Münzwefen in Deutfchland. Frankf. 
1828. — Brüel, Materialien für die zu erwartende Reform des deut: 
fhen Münzwefens, 2. Aufl., Hannov. 1831. — (Hoffmann) Drei 
Auffäge Aber das Münzweien. Berlin 1832. — Knoph, Anfidten 
über die Beichaffenheit der jeßt courfirenden Münzen. Hamb. 1834. 
— Hermann in Rau, Archiv der polit. Defon. I, 58. 141. — 
Flor, Münzzufände. Altona 1838. — I. G. Hoffmann, Die 





— 161 — 


Lehre vom Gelde. Berlin 1838. Deſſ. Die Zeichen der Zeit im deut: 
fhen Münzweien, 1841. — Oppenheim, Die Natur des Geldes, 
Mainz 1855. — Karmarſch, Beiträge zur Technik des Muͤnzweſens, 
Sannov. 1856. — Rapvit, Beiträge zur Lehre vom Gelde. Luͤbeck 
1862. — Zur Geſchichte des Muͤnzweſens: von Braun, Grünpdliche 
Nachricht von dem Münzweſen insgemein, insbefondere aber v. d. deut: 
(gen Münzw. 3. Aufl. (von Klotz ſch) Leipz. 1784. — Becher, Das 
öfterr. Muͤnzweſen vom J. 1524 bis 1838. Wien 1838, II ®. 


(e) Diefe Regeln find ein M ra ber Technologie. Sie find vorzüglid gut 
dargeftellt in Karmarſch, Handbuch der mechanischen Tehn. 2. N. 
1851. 


(d) Ss if zweckmäßig, doch nicht unbedingt nothwendig, daß die Regierun 
auf eigene Rechnung prägen laͤßt; unter gehöriger Vorficht Eönnte dieh 
aud von Privatperionen gefchehen, IL, $. 202. In Rußland burften 
bis auf Iwan Waflljewitih die Goldſchmiede Münzen prägen, aber 
nah gejeßlicher Vorſchrift. Storch, I, 427. — In Nordearolina 
(Nordamerica) prägte von 1831 an Bechtler Goldmünzen aus dort 
gewonnenem Waſchgold und in Galifornien wurde 1849, als es noch 
an einer Münzanftalt des Staates fehlte, ebenfalls eine PBrivatmünzs 
Hätte für Gold errichtet. 


8. 233. [250]. 


Um bie Abftufungen größerer, mittlerer und Kleiner Preis: 
mengen durch Münzen darzuftellen, werben von dieſen gewöhns 
li verfchiedene Sorten aus Gold, Silber und Kupfer 
oder Kupfergemifchen verfertigt. Hiebei drängt fich fogleich die 
Brage auf, wie das Berhältniß ber aus biefen verfchiebenen 
Metallen geprägten Münzen feftzufegen fei. Kupfermuͤnzen find 
wegen bed niedrigen Preiſes ded Kupfer gegen dad Silber 
(beiläufig */ıoo, bidweilen !/oo oder !jso) nur zur Bezahlung 
der Heinflen Gegenwerthe tauglich und zur Berfendung nicht 
geeignet (a). Ihr Preisverhältniß gegen Silber» ober Gold⸗ 
münzen muß unveränderlich feftgefebt fein, weil fonft in dem 
täglichen Heinen Verkehre die beichwerlichfte Verwirrung ent 
Reben würde, und bei ihrem geringfügigen Betrage if es uns 
ſchaͤdlich, wenn eine Kupfermünge höher gerechnet wird, als fie 
nah ihrem Gehalt an Kupfer verbiente (d). Anders ift es 
bei den beiden edlen Metallen, die wegen ber verhältnißmäßig 
geringen Frachtkoſten in die größten Entfernungen verjenbet 
werben und beren Preis fich deßhalb im gefammten Welthandel 
ziemlich gleihförmig von Land zu Land ftellt, I, 8. 277 b. 
Wenn nun von der Regierung ein gewiſſes Preisverhältnig 


jwifchen den Gold- und Silbermünzen vorgefchrieben wird und 
Ran, polit. Dekon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 11 


(d) 


— 14 — 


toben Goldes und ber G.⸗Muͤnzen zu Anfang des März 1863 geben 
15,7.) Gin gemeinfchaftlider Beſchluß würde allerdings mehr Gewalt 
haben, als die Berfügung einer einzelnen Regierung, weil bei jener 
Maaßregel das Hinausführen des einen Metall in ein anderes Land, 
wo das nämliche gefeßlihe Preisverhältnig befteht, Teinen Gewinn 
eben würde und nur die DBerfendung in größere Entfernung übrig 
liebe. Das Ginverftändniß einiger größerer Staaten würde die ande: 
ren bewegen, nachzufolgen. Indeß haben die Regierungen berjenigen 
Länder, in denen die Silberwährung befteht, weniger Beweggründe, 
eine folche Feflfebung vorzunehmen, und bei einem flarfen Sinfen bes 
Goldes in anderen Gegenden der Erde Zönnte dennoch eine zu große 
Silberausfuhr aus Buropa eintreten. — Die franzöfliche Regierung 
bat die doppelte Währung bis jept beibehalten. In den Niederlanden 
wurde fie dur das Gef. v. 26. Nov. 1847 aufgehoben, fo daß Nies 
mand bei Zahlungen Bold anzunehmen fchuldig if. diet Geſetz trat 
1860 in Vollzug. Belgien folgte 1850 dieſem Beiſpiel, ſowie Neapel 
1854, daher floß aus beiden Ländern viel Gold aus, wodurch der 
Goldpreis enrtibergehend flarf erniedrigt wurde. Die Schweiz folgte 
1860 dem Beifpiel von Frankreich. ie franzoͤſ. ——— follen 
fo lange der ihrer Benennung entiprechenden Menge von Silberfranfen 
gleichgelten, ale dieß in Frankreich vorgeichrieben iſt. 


Sn Großbritanien wurde unter Cduard ILL. (} 1377) zuerft Gold aue- 
gemüngt. Das Preisverhältnig von Bold» und Silbermünzen wurde 
von Seit zu Zeit von der Regierung vorgeichrieben, den Zeitraum von 
1664— 1717 ausgenommen, wo es frei war. Im Jahre 1611 firömte 
foviel Silber herbei, daß das Gold größtentheils hinausging; man 
jegte nach einigen Jahren daflelbe um 10 Proc. höher, worauf alsbald 
viel Gold eingeführt wurde und Silber hinausging. Im Jahre 1717 
wurde die Guinea als geiehliches Zahlmittel zu 21 Schill. beflimmt ; 
de Morgan in Companion to the Almanak, 1856, 5. 1857, 5. — 
Graf Liverpool (Treatise on the coins of the Realm, in a letter to 
the King. Lond. 1805. ®gl. Edinb. Rev. VII, 265 — Fortſchritte 
der nationalöf. Wiffenfhaft in England, ©. 157) ſuchte zu zeigen, 
dag das Bold in Großbritanien fchon vorzugsmweife als Preismaaß ge: 
braucht werde und daß es ausfchließlih dazu gemacht werben jollte, 
weil fein Preis weniger wandelbar fei. — Schulin, Niederländ. u. 
großbritan. Wechiel- und Muͤnzgeſetze, 1827. Das brit, Gefeb vom 
22. Juni 1816 (56. Georg ILL, Cap. 68) bringt Liverpool’s Bor 
Ichläge in Ausführung, Um die englifhen ®eldpreife genau zu wuͤr⸗ 
bigen, muß man unter dem Pfund Sterling nicht den in 20 Schillin⸗ 
gen enthaltenen Silbergehalt, fondern den Bolngehalt des Sovereigu, 
welcher 2%. der ebemal. Guinea ift, verftehen. Der heutige Preis des 
zovereign in Sübdeutfchland ift gegen 11 fl. 48 fr., während das 
Pfund St. in Silber (20 Scillinge) nur auf 10 fl. 56 fr. zu würs 
digen wäre. Daher werben die Scillinge fo geringhaltig ausgeprägt, 
dag ihre Ausfuhr unterbleibt, ed werden nämlich aus dem Pfund Troy 
Dünzfilber (von 37/p Korn) 66 Schill. geprägt, das rohe Silber wird 
aber zu 62 Schill. angenommen, alſo find die Münzen 6 Proc. then: 
ver als ber Verwandlungsſtoff. Auf dem Feſtlande von Curopa iſt 
nur in Bremen das Gold als vorherrſchendes Preismang eingeführt 
und der fogenannte Thaler Gold Feine Silbermünze, fondern ts der 
Piftole. In den vereinigten Staaten ift ebenfalls die Goldwährung 
eingeführt worden, indem nach dem Geſetz vom 21. Febr. 1853 feine 
ganzen Dollars De in Silber geprägt werden, nur halbe, dagegen 
neben den 10 Dollar-Stüden (eagle, Adler) auh Dollars in Colt. 
Hiedurch hat ſich der Verkehrswerth des Dollars gegen Silbermünze 





(e) 


— 165 — 


erheblich verringert, er ift jept ungefähr 2 fl. 24 fr., während ber 
Silberdbollar auf 2 fl. 31 Fr. zu feßen war. Diefer hat 500,96 As 
Silber, der halbe aber feit 1853 nur 231 98. — In der Schweiz follen 
nah dem a. Gef. v. 1860 die Silbermünzen von 2 Fr. an abwärts 
in einer Mifhung von 0,8 flatt 0,9 Silber geprägt werden, der Frank 
bat alfo in ihnen !/; weniger Silber als in den älteren gleichnamigen 
und in den 5 $r.-Stüden, fo baß er nicht voll auf 25 fr. zu fegen 
it. — In Frankreich iſt ebenfalls, um dem Hinausgehen der Scheide: 
münzen Ginhalt zu thun, von ber zur Berattung über das Muͤnzweſen 
niebergefeßten Commiſſton (Beriht v. 10. Juli 1861) vorgefchlagen 
worden, die Silbermüngen unter 5 $r. mit dem bisherigen Schrot zu 
einem Korn von 0,8—0,8, etwa zu 0,88 zu verfertigen, fo daß ke 
8,8 Broc. geringhaltiger würden ale bisher. Der ganze Betrag fol: 
her filberner Theilmuͤnzen (m. divisionnaires) fol 250 Mill. nicht übers 
fleigen. Journ. des Econ. XXX, 46. 


Auch für Deutihland iR fhon von Hoffmann (Die Lehre v. Gelde, 
©. 94 und in befielben Zeichen der Zeit) angerathen worben, allmälig 
zum Gebrauche bes Boldes als geſetzlichen Zahlungsmittel überzu: 
geben. Bemerfungen hierüber von Hermann, a.a.D., ©. 141. 

in neuer Borfhlag, die Goldwährung anzunehmen, geht von Soet: 
beer aus, Denkſchrift, betreffend die Ginführung der Soldwährung in 
Deutſchland, Octob. 1856. Fol. (Hamburg). Die Gründe für diefe 
Maaßregel werden vorzüglich daher genommen, 1) daß bielelbe in 
Großbritanien und Rordamerica gefeklih, in Frankreich thatfächlid, 
Ihon befteht und für den auswärtigen Handel der Gebrauch eines und 
deſſelben Metalle fehr erleichternd ift, 2) aus den viel geringeren Präge: 
foften, 3) aus dem großen Abflug des Silbers nad DOftindien und 
China und ber Belorgniß einer Yortdaner diefer Strömung, alfo einer 
Preiserhöhung des Silbers; hiezu kommt 4) die Bermuthung, daß eine 
fortgefeßte Zunahme der Soldgewinnung in Californien und Auftralien 
den Preis des Goldes gegen Silber weniger herabdrüden werde, wenn 
jenes überall als Hauptumlaufsmittel diene und daher in fehr großer 
Mafle feine Anwendung finde. Allerdings geht die Goldvermehrung 
durch Zufuhr aus jenen beiden Rändern noch fort, welche jährlich 
über 80 Mil. Doll. = 192 Mill. fl. Gold ausführen, auch der Ab: 
zug bes Silberse nah dem öftlihen Afien hat noch nicht aufgehört 
(1851 —57 1. D. 8 Mil. 2. St.). — Die Bertbeurung des Silbers 
wurde aber dadurch beichränft, das in Frankreich große Maflen deſſel⸗ 
ben durch das Bold verdrängt und binausgeführt worden find (1853 
bis 60 ungefähr 1460 Mill. Fr. mehr aus: als eingeführt). Der 
Silberbergbau im norbamerican. Territorium Nevada (1862 über 
5 Mill. Doll.) ift ſtark im Zunehmen. Der Preis des Silbers gegen 
Gold ift in den letzten Jahren wieder etwas gelunfen. Yür 1856 nahm 
man 14 Mill. &. St. Silberausfuhr aus England nad Oſtindien und 
China an. Rau in ber Zeitfchrift Germania, 1856 Nr. 43. Econo- 
mist 27. Dec. 1856. — Aus Franfreih ift auch nad Neapel viel Sil: 
ber neferidet worden. — Die lange Gewöhnung an die Gilberwährung 
in Deutihland hängt mit dem anfehnlichen Erzeugniß der deutichen 
Silberbergwerke zufammen. In ben Gränzgegenden bat ſich jetzt ſchon 
ziemlih viel Bold eingefunden,, befonderd von Frankreich und Groß⸗ 
dritanien aus, aber im Innern des Landes ift daflelbe vermuthlich 
weniger verbreitet und es befleht eine Abneigung gegen das Aufgeben 
der Silberwährung, wozu noch fein Bebürfniß hindrängt, während in 
ben Seeflädten ein foldyes eher empfunden wird. Das Gold ift einer 
flärferen Vermehrung fähig ale das Silber, weil es aus dem Gold⸗ 
jande leicht zu gewinnen ift und das Ausnützen befielben auch noch 


— 16 — 


fortgefeßt werden fann, wenn das Bold gegen alle Waaren im Breife 
gefunfen ift, während der Silberbergbau bei einer ſolchen Preisvermin- 
derung bes Silber in den minder ergiebigen Desgwerten aufhören 
müßte. Aus diefem Grunde laßt fich ein- ferneres Sinken des Goldes 
ge en Silber erwarten, wobei die allgemeine Preiserhöhung der kaͤuf⸗ 
iden Gegenftände in den Silberwährungsländern geringer fein wird 
ald gegen Gold. Mllein es it nicht vorauszufehen, ob die Strömung 
des Sılbers nach dem Oſten fortbauern und wie fich die Silbergemwin: 
nung verändern werde, während freilich die franzöfiiche Silberausfuhr 
aufhören wird. Ginftweilen fann jedoch durch Erleichterung des Gold⸗ 
umlaufs (f) da6 Ergreifen der Goldwährung, wenn fie nöthig werben 
follte, vorbereitet werden. Die Abnubung ift bei Silbermüngen unge: 
fähr 5— 6 mal fo groß ale bei Goldmuͤnzen gleiher Größe (Kar: 
marſch), allein dieß ift dem ſchnelleren Umlaufe der erften zuzuſchrei⸗ 
ben. Gin Goldftüd verlieit bei gleiher Zahl der Umfäpe nicht foviel 
am Gewicht ale die ihm gleichgeltenden Silberftüde (3. B. 1 Piſtole 
und 5%, Thlr.), aber ein verlornese As Gold ift auch 15mal foviel 
werth ale 1 As Silber, es kommt alfo in dieſer Hinfiht dem Golde 
fein Vorzug zu. — Der erfle deutſche Ganbeistag (1861) bat die Bei- 
behaltung der Silberwährung unter den gegenwärtigen Umflänten für 
zweckmaͤßig erflärt. — Für die Silberwährung: O. K. (Klingel: 
höfer) Ueber Gold: u. Silberwährung, Frankf. 1855. — Kolb in 
Staatswiſſ. Zeitfchrift, 1856, ©. 486. — Peſchel, ebd. 1857. ©. 92. 


(f) In Deutihland bat die Verſchiedenheit in ben Piſtolen und Ducaten 
der einzelnen Staaten dem Gebrauch des Goldes geichadet. Bine ganz 
leihförmig beichaffene Goldmuͤnze mit freiem Umlaufe würde mehr 
ingang finden und bie Schwankungen ihres Preiſes gegen Silber von 
Jahr zu Jahr würden nicht von flörendem Belaufe fein. Der Wiener 
Münzvertrag v. 24. San. 1857 beftimmt daher, daß in allen beutfchen 
Ländern eine Goldkrone von %,, Pfd. Bold u. eine Halbfrone von 
0,0% Pfd. geprägt werden follen, dagegen die Berfertigung aller an⸗ 
deren Goldmünzen (Ducaten, Piftolen) aufhört. Diele Krone von 200 
beutfchen oder 208,1? Holl. As Gold kommt bem älteren Souverain 
nahe, welcher im öfterr. Italien zu 212,59 holl. As Feingehalt geprägt 
wird (Batent 1. Nov. 1823). Ihr Preis in Silbermünge wird dem 
Berfehre überlaflen,, ne darf jede Dregierung auf höchitene 1/, Jahr 
einen Breis befannt machen, um welchen die Krone in den öffentlichen 
Baflen angenommen wird, — Baffencurs Indeß if die Krone 
nur in geringer Menge geichlagen worden. — Die früher in Preußen 
eingeführte Goldrechnung, nad der ein Theil der Zahlungen in bie 
öffentlihen Caſſen und aus benfelben beflimmt wurde, nämlich den 
Friedrichsd'or zu 5 Thlr., war läflig. Hoffmann ©. 87. 


$: 234. [251.] 


Die Geftalt der Münzen muß fo eingerichtet werden, baß 
ſie für den Gebrauch die meiften Vortheile gewährt und bie 
geringfte Abnugung veranlaßt. Dahin gehört 

1) Schönheit des Gepraͤges, als ein Mittel, das Falſch⸗ 
münzen zu erfchweren (a). 

2) Vermeidung einer läftigen Größe und einer unbequemen 
Kleinheit (d). 














— 167 — 


3) Eine im Berhältniß zum Durchmeſſer nicht zu geringe 
Dide, weil dünne Münzen bei gleicher Mafle cine größere 
Dberflähe zum Abreiben barbieten (c). Didere Münzen laffen 
auch eine beutlichere Prägung des Randes zu, was dad Bes 
fehneiden verhindert und die Erkennung falfher Stüde er 
feichtert (d). 

4) Ein nicht ſtark erhöhtes Bepräge, welches auch die Höhe 
bed Randes nicht erreicht, ebenfalls der geringeren Abnugung 
wegen. 

5) Eine leicht verftändliche Bezeichnung in der Auffchrift. 

6) Vorfehrung gegen die Gefahr der Verwechfelung, indem 
feine Silbermünze mit einer Golbmünze einerlei Größe und 
Dide hat. 


(a) Auch die Gleichfoͤrmigkeit des Gepraͤges trägt Hiezu viel bei. Wo man 
gewohnt ift, daſſelbe oft veränvert zu en da werden Berfäl- 
ungen weniger leicht bemerkt. Cine vollfommene Gleichfoͤrmigkeit 
gewährt ber Gebrauch eines erhabenen Urſtempels (Batrize), von 
bem die eigentlihen Prägeftempel nur fpäter gehärtete Abbrüde find. 
2008, Die Kunft, falfhe Münzen zu erfennen. Berl. 1828, ©. 111. 
Soffmann, ©. 36. — Man follte deßhalb wenigſtens bie eine 
Seite (WWappenfeite, revers) immer gleich bleiben laflen, während in der 
Bildfeite (avers) Veränderungen, wenigftens in Monarchieen, nicht zu 
vermeiden find. 

(8) Letzteres 3. B. bei den ehemaligen Silberpfennigen mehrerer Länder, 
vor allem bei dem Frankfurter Silberheller, dem „Zaunfönig unter den 
beutfchen Münzen” (Buffe). — Eine oftindifhe Goldmuͤnze, Fanon, 
bat nur 7,% boll. As (0,% Gramme) Gewicht oder ungefähr */ıo des 
Ducatens. Die 10 Louisflüde von Ludwig XIIL wiegen 1393 Us 
(67 ®r.), oder ungefähr 10 Friedrichsd'or. Das nur an einigen 
Stellen geftempelte ovale japaniihe Goldſtuͤck Kobang im Barıfer 
Münzcabinet bat 3392 As (163,2 Gr.). — Die bequeme Größe fällt 
ungefähr zwifchen 15 Millimeter (5 bad. Lin., Durchmeſſer der franzof. 
%/a Sranten) und 40 Mill. (13%, Linien, Durchmeſſer d. Kronenthaler). 
Karmarſch empfiehlt für grobe Silbermünzen 34— 38 Millimeter 
(1,2 —1,% badifhe Zoll). Silberfüde follten nicht über %; Mark 
(Yır Pfd.) fchwer fein. Die neuen deutſchen Bereinsthaler haben an 
33 Millimeter, die Doppelthaler 41 Millimeter Durchmefler, Bertrag 
v. 24. Ian. 1857 $. 10. 

(ed) Wenn zwei Münzen gleich ſchwer find, jede 3. B. von 100,5 ubiclin. 
Körperinhalt, die eine aber 8 Linien Halbmeſſer und */s Lin. Dide, die 
andere 6 Linien Halbmefler und %, Lin. Dicke bat, fo verhalten fi 
die Oberflächen beider wie 31 zu 51. Deßhalb waren bie gem dünnen 
Bracteaten im Mittelalter Höhn fehlerhaft. Man Hat mit Recht neuer: 
lich angefangen, die Münzen dider und im Umfange Fleiner zu madıen. 
Nah Karmarfch fol der Durchmefler bei groben Silbermünzen bie 
14—15fache Dide, bei Heinen die 19—21?/sfache, bei den Fleinflen die 
22, 26fache, bei Kupfermünzen bie 15fache fein. 

(d) Das Ringgepräge der neueren Münzen erfpart das befondere Mänbeln, 
Klüber, ©. 163. 


— 168 — 


8. 235. [252.] 


Gewöhnlich werden Gold=- und Silbermänzen nicht aus 
ganz reinem Metall geprägt, ſondern erhalten einen Zufag eines 
minder Eoftbaren Metalled (Legirung, Beſchickung). Dieß 
beruht auf folgenden Gründen: 

1) Silber wirb dur einen Kupferzuſatz, Gold aber ſowohl 
durch Kupfer als durch Silber etwas härter (a). 

2) Geringe Silbermünzen würden ohne Zufag von Kupfer 
zu dünn oder zu klein werben. 

3) Da die edlen Metalle gewöhnlich nicht ganz rein aus 
ben Erzen gewonnen werden und auch zu anderen Verarbei⸗ 
tungen ein Kupferzufag üblich ift, um Geräthe ıc. minder koſt⸗ 
bar zu. madyen, fo erfpart man die Reinigungsfoften, wenn 
man die Münzen aud einem Gemiſche verfertigt (db). 

Außerdem lag früherhin ein nicht zu billigender Nebengrund 
für die Beihidung darin, daß er die Ausprägung ſchlechterer 
Münzen erleichtert, weil eine Aenderung im Mifchungsverhälts 
niß bei gleichbleibendem Gewicht nicht fo leicht wahrgenommen 
wird, als eine Gewichtsverminderung. 


(a) Dan unterfcheidet bei den Goldmünzen die weiße, rothe und vermiſchte 
Legirung. Nah Hatchett (I, $. 262 (ec) und Krünig, XCVI, 
133) if Gold mit !/ıs Silber oder Kupfer legirt der Abnugung am 

menigfien ausgeſetzt. Am nuͤtzlichſten fcheint es, Die Legirung aus 

ar Silber und !/ss Kupfer ſu machen, doch ſteht die Miſchung von 

11 Theilen Gold und 1 Theil Kupfer wenig nah. Für grobe Silber: 

münzen ift O,! Rupfer im Gemifch zu wenig, !/s fcheint am beiten, 

weil bei einem ſtaͤrkeren Betrage des Kupfers bie Farbe minder weiß 
it, auch mit der Menge deſſelben die Koften wachſen, Karmarſch, 

Beitr. ©. 15. (Doch wird von Levol (Dingler, Bol. Journal, 

CXXX, 128) ein Korn von 0,719 empfohlen, weil bieß Gemifch allein 

beim Grfalten ganz gleihförmig bleibe.) Silber in der in England 

üblihen Mifhung mit ungefähr 7 Proc. Kupfer nupt fi etwa fo ſtark 
ab als reines Gold. — Gin Beifpiel einer vermifchten Legirung- geben 
die älteren Hanndv. Ducaten und die Napoleonsd’or. Die Plorentiner, 

Savoyiſchen, Genueler und Benetianer Ducaten haben nur 1/ıo Legi⸗ 

rung, bie Lüneburger Zweidrittelſtuͤcke nur 1/as« Kupfer. — Gine und 

biefelbe Gold⸗ oder Sitbermenge hat einen etwas geringeren Werth 
und Preis, wenn fie flärfer mit Kupfer befchict ift, weil es mehr Koſten 
verurfacht, ſie von biefem Zuſatze theilweife wieder zu trennen (Ab⸗ 

treibefoften). Diefe Koften betragen von der rauhen Marf bei 3— 

4löthigem Silber ungefähr 48 Fr., bei 6—8 loͤthigem 32 fr., bei 11— 

13löthigem 22 fr. Eleinmann, Aphor. ©. 105. Bine Maffe von 

geringerer 2egirung iſt beghalb im Handel beliebter. Nah Bleibtreu 

(Sontorwiflenid., S. 30) wurde in Berlin die Köln. Mark reines 

Silber bezahlt 











— 169 — 


bei Yue—%ıs Kupferzufah mit 131/44 Thlr. 
% 1 34 /e ⸗ 


/-/.0 ⸗ ⸗ ⸗ 
/0-b/ ⸗ :s 13% =: 
E—!ıs ⸗ : 13H = 

4/0 —1!/ıs £ 3 1314/a4 5 


alfo in der ftärffien Beſchickung um 2, Proc. niedriger. Wenn alfo 
Stüde von gleihem Silbergehalte, aber ungleicher Legirung neben 
einander umlaufen, fo werden bie weniger beichidten leicht von ben 
ſtaͤrker legirten verbrängt. Zu diefen Betrahtungen hat insbefondere 
bie ſtarke Legirung der bisherigen preuß. Thaler, die nur 3/s fein haben, 
öfter Anregung gegeben, 3. DB. Hermann a. a. O. ©. 195. — 
Lotz, Handb. II, 377. — In dem deutfchen Eonventionsfuße von 1753 
und ben fpäteren Berabrebungen waren vier Miſchungsverhaͤltniſſe ange- 
nommen : 1) für ganze, halbe u. Biertele-Speciesthaler 0,.., 2) für 
Kopfſtücke 0,5844, 3) für Halbe Kopfflüde 0,5, 4) für 6 fr. Stüde 0,437, 
(5) Gediegen Gold ift bisweilen in Kupfererzen eingefprengt, hat auch ges 
wöhnlih etwas Silber in feiner Miſchung (gegen 2 Pror.). Das 
Schhrift-Tellurerz enthält Gold und Silber, das Blätter-Tellurerz über: 
dieß noch Kupfer; güldifch gebiegen Silber hat 72 Proc. Silber und 
28 Proc. Gold, Schwarzgüldigerz 31/2 Proc. Kupfer bei dem Silber, 
dagegen Fahlerz einige Broc. Silber bei dem Kupfer. Das aus fllber: 
baltigem Bleiglanze geſchiedene Silber ift wegen des häufig beigemengten 
Kupferkiefes gewöhnlich Fupferhaltig. — Die franzöf. 6 Livre⸗(Laub⸗) 
Thaler haben einen Goldgebalt von 29 Milligr. (0,0 As), den man 
noch mit einem Fleinen Gewinn herauszicehen kann. Man bezahlt für 
das im Kilogramm Silber aus folhen Thalern enthaltene Gold 1, Fr. 
Die Unterfuhung des Mifchungsverhältnifies eines beſchickten 
Silbers geihah bisher auf trodnem Wege (auf der Bapelle), wobei 
man aber fein genaues Ergebniß erhielt. Gay Luſſac gab ein Prü- 
fungsverfahren auf naffem Wege an, wobei das in Salpeterfäure ge: 
Löfte Silber mit Kochfalzlöfung niedergefchlagen wird. Dieß iſt genauer 
und man findet Hiernady die Silbermenge in einem Gemiſche etwas 
größer weßhalb die franzöf. B. vom 6. Juni 1830, ber Dresdener 
inzvertrag von 1838, Art. 6 und der Wiener Vertrag von 1857 
6. 7 dieß Verfahren vorfchreiben. 


$. 236. (253.1 . 


Die bei der Beichidung vorlommenden Berhältniffe haben 
mehrere dem Münziwefen eigenthümliche Kunftausbrüde veran- 
laßt, durch welche man im Stande ift, die Befchaffenheit der 
Stüde kurz und beftimmt zu bezeichnen. 

1) Eine gewiffe Gewichtömenge von reinem Metall wird 
fein, von gemifchten raub genannt, 3. B. eine rauhe oder 
feine Marf. 

2) Das Gewicht einer Münze heißt Schrot. Man be- 
darf zur genauen Beftimmung beffelben eined in jehr Eleine 
Einheiten abgetheilten Münzgewichted (a). 

3) Die Gewichtämenge des befferen Metalles in einer Münze 
ift ber Seingehalt berfelben. Er ift um ben Betrag ber Be⸗ 
ſchickung (Xegirung) Feiner, ald dad Schrot (b). 





—— 112 — 


bem gefeglichen Feingehalte auszuprägen, wie bieß mißbräudhlidy 
oft gefchehen ift (d). 


(a) Im weiteren Berftande bedeutet dieß Wort überhaupt eine Muͤnzord⸗ 


0) 


(e) 


nung, d. 5. die gefeßliche Binrichtung des ganzen Münzweiens. Bol. 
ur e I, 145. Das Gefeh beftimmt gewöhnlih Schrot und Kom 
nicht geradezu in Gewichtseinheiten, fondern giebt an, wie viel Stüde 
jeder Art aus der feinen und befchichten Mark p. geprägt werben follen, 
franz. taille. 


Daher ift es fehlerhaft, nicht die einzelnen Stüde zur Brüfung abzu 
wägen, fondern nur eine Anzahl zufammen (Adjuflirung al marco), 
weil dabei leicht zu fchwere und zu leichte Stüde einander ausgleichen 
fönnen. Beifpiel bei den Rubeln, deren Gehalt deßhalb fehr ſchwan⸗ 
end ift, Kraus, Abb. II, 97. 


Gleynmann, Materialin, S. 137. Klüber, ©. 115. Dan 
muß unterfcheiden 1) den gefeßlichen Feingehalt, 2) den um das Me- 
medium verringerten (die um baflelbe befferen Stüde verſchwinden 
aus dem Umlaufe), 3) den mittleren, durchfchnittsmäßigen, wie er bei 
ber Mehrzahl der nicht mehr ganz neuen Stüde fih finde. Es if 
bauptfäcdhlich das „Weißfleden” der Silbermüngen in verbünnter Schwefel: 
fäure, wobei leicht Fehler entfichen. — Da es zwei Nemedien, nämlich 
in Schrot und Korn, giebt, fo find verfchiedene Kombinationen der 
Abweichungen vom gefehlichen Feingehalte möglih. Iſt 3. B. das 
Schrotremedium 5 Taufendtheile, fo bat das fchwerfte zuläffige Stüd 
1,08, das Leichtefte 0,9% des geſetzlichen Schrotes. If das Kornreme: 
dium 3 p. m. und das geſetzliche Korn 0,9, fo hat das nerinafthaltige 
Stüd 0,997 des geſetzlichen Feingehaltes. Treffen beide Nemedien voll: 
fländig zufammen, fo kann ein Stüd vorfommen, welches nur 0,9% >< 
0,97 — 0,8935 des vorichriftsmäßigen Schrotes flatt 0,9 hat und folg- 
lid um 7 p. m. zu wenig Edelmetall enthält. Es kann aber au das 
eine Remedium in plus, das andere in minus flattfinden, fo daß beibe 
fih ganz oder zum Theile aufheben. Die deutfche Probirordnung von 
1559 geftattete nur ein Remedium am Korn, welches bei Ducaten 1, 
Taufendtheile, bei Goldgulden 2,7, bei Reichsqulden 3,7 Taufendtheile 
betrug. Am Schrot war fein Remedium erlaubt, und auch das ange: 
gebene wurde 1570 geſetzlich abgefchafft, obichon man in ber Praris 
nadhfichtiger war. In Frankreich war bis auf die Revolution das Re: 
medium (nur im minus, nicht im plus erlaubt) am Korn (remöde de 
loi) beim Louisd’or 14,2 Taufendtheile, beim Laubthaler 11,%, am 
Schrot aber (remède de poids) resp. 3,% u. 7,8! Taufendtheile, Necker, 
Admin. des finances, IIF, Cap. 2. Nach dem franzöi. Muͤnzgeſetz vom 
28. März 1803 ift das Remedium in plus und minus am Korn bei 
Goldmünzen 2 per mille (0,00%) des ganzen Gewichtes, bei Silber 
3 p. m., fo daß alfo ftatt des vorgefchriebenen Korns von 0,9 die zus 
läffigen Gränzen bei Silbermüngen 0,9% und 0,89, bei Goldmünzen 
0,9% und 0,88 find. Am Schrote haben Goldmünzen 2, Künffranfen: 
ftüde 3, Zwei: und Ginfranfenftüde 5 p. mille Nachſicht. Der fchwerfie 
Fünffranfenthaler wiegt demnach 25,05 Gr. flatt 25, der leichtefte 
24, Gr. Treffen zufällig beide Remedien zufammen, fo könnte ein 
folcher Thaler vorfommen, der flatt 22,5 nur 22,357 Srammen fein 
bielte, folalih um 6,° p. m. zu wenig. — Dieß Remedium ber fran: 
zöftfchen Silbermünzen gewährt den Bortheil, daB man das fpanifche 
Biafterfilber, welches neuerlich 131/5 Loth (0,8%) hat, zur Umprägung 
brauhen kann. Man rechnete dabei darauf, daß beim Umfchmelgen 
eines Metallgemifches das Korn immer etwas hoͤher wird; Eleynmann, 








— 13 — 


Aphorismen, S. 100. — Nach ben brit. Münzgefehen ift das Reme⸗ 
dium an Schrot und Korn zufammen bei Quineen 1,% p. m., bei Sil⸗ 
berftücken 8,% p. m. — Das preuß. Münzgeſetz vom 30. Sept. 1821 
verorbnet ($. 17), daß alle Sorgfalt auf Ausprägung nach dem Geſetz 
angewendet werden folle, geftattet indeß $. 18 ff. bei Goldflüden ein 
Hemedium von te Proc., bloß am Kor, bei Thalern am Korn 1 Gran 
(d. 9. nicht am einzelnen Thalerſtücke, ſondern an der beſchickten Mark, 
alfo / as des ganzen Berichts oder Ya == 4,63 Taufendtheile des 
Gilbergehalts, Eleynmann, Mat. ©. 439), am Schrot !/a Proc., 
bei %;s Thalern resp. 1! Srän (1 Proc.) und 1 Proc. — Mündıner 
Bertrag v. 25. Aug. 1837, Art. 11: für ganze und halbe Buldenflüde 
3 p. m. im Kom und 5 p. m. im Schrot, und zwar fowohl bei eins 
einen Stüden als bei der ganzen Mark; für Scheidemüngen nad dem 
efunderen Bertrage vom gleihen Tage 7 p. m. im Kom und 15 p.m. 
im Schrot. — Der Wiener Vertrag geflattet 3 p. m. im Korn (der 
Bertrag braucht flatt Korn den Ausdrud Feingehalt) und im Schrot 
bei Thalern 4, bei Doppelthalern nur 3 p. m. — Sädf. Geſetz vom 
20. Juli 1840: Bei 2 Thlr.-Stüden 3 p. m. in Kom und Schrot, 
bei Thalern 1 ran auf die Marf im Korn, a Proc. im Schrot, 
bei den 1,6 Thlr.:Stüden 11/a Graͤn (0,52 Broc.) im Korn und 1 Proc. 
im Schrot. — In Norbamerica (18. Ian. 1837) Korn⸗Remedium bei 
Silber 3, bei Gold 2 p. m. — Niederlande (26. Nov. 1847) Schrot- 
Remedium am Bulten 3, Thaler (2%. fl.) 2, Goldwilhelm 1%. p. m., 
Korn. 11a p. m. — Schweiz (7. Mai 1850) Schrot:Remedium bei 
5 Franken 3, bei 2 und 1 Franken 5 p. m., halben Franken 7 p. m,, 
Korn R. 2 p. m. 

(d) Hoffmann, ©. 40. — Wan hat für jenen Mißbraud ben Ausdrud 
ebraucht: chatouiller le remtde. — Der Sup des niederländifchen 
duͤnzgeſ. v. 28. Sept. 1816 Art. 4 und 6: le tout & la rigueur et 

sans tolerance ni de poids ni de titre war nicht ausführbar. — Die 
Dresd. Müngconvention vom 30. Juli 1838 ftellt (Art. 5) wie das 
ange. preuß. Befep den Grundſatz auf: „daß unter dem Vorwande 
eines ſ. g. Remediums an dem Gehalte oder Gewichte der Münzen 

nichts getürzt, vielmehr eine Abweichung von dem, ben legten zufoms 
menden Gehalte oder Gewichte nur infoweit nachgefehen werden dürfe, 
als ſolche durch die Unerreicybarfeit einer abjoluten Benauigfeit bedingt 
wird.” Aehnlich: Wiener Vertrag $. 6. 


6. 238. [254 a.] 


Achnlihe Wirkungen, wie der Mißbrauch oder die allzu 
weite Feſtſetzung ded Remediums, hat die unvermeidliche alls 
mälige Abnugung der umlaufenden Stüde, befonderd der Eleis 
neren Silbermünzen (a), fowie bei den größeren Stüden bie 
abfichtlichen Berfchlechterungen, 3. B. Abfeilen. If ein Theil 
der Stüde ſehr verringert, fo werben bie befieren aus dem 
Umlaufe gezogen (8. 237) und der Durchichnittöfeingehalt finft 
merklich unter die im Münzfuße aufgeftellte Regel herab, weß- 
halb auch die ‘Breife der rohen Metalle gegen das geringhals 
tigere Geld in die Höhe gehen, fo daß die Regierung eine 
Einbuße hat, wenn fie neue richtig geprägte Stüde aud anges 


— 114 — 


fauftem Metall fertigen laſſen will. Diefer Mebelftand hat oft 
die Regierungen verleitet, geringhaltigere Münzen auszuprägen, 
wodurd dann die Verwirrung noch vergrößert wurde (6). Es 
giebt Fein andered Verhütungsmittel ald die genaue Ausprägung 
und dad öftere Einzicehen der älteren abgenusten Stüde, um 
fie durch neue zu erfegen, was freilih auch die Ausgaben 
vermehrt (c). 

(a) Erfahrungen über die jährliche mittlere Abnutzung der Münzen werben 


durch Abwägungen vieler Stüde aus verfhiebenen Jahren erlangt. 
Man Hat fle ermittelt für 


a zu 0, p. m. 
albe ⸗ 0, ⸗ 
engl. halbe Kronen 1,0  ; Engl. Verſuche 
⸗ ⸗ESchillinge : 2,1 ⸗ 
preuß. Thaler ⸗0, : 
⸗ 1 ⸗ ⸗ 0,88 5 
= 4a s ältere :0,8 : 
⸗ ⸗neuere : 0,9 ; 
DOefterreih. Zwanziger :0,#8 : Karmaſch 
Hannoͤv. gute —2 2% = 
5 Fr. Thaler :0, = 
2 s Stüde : 0,49 = 
1 2 2 0,5 ® 
Deutſche Gulden 0,8 : Rau 


Leptere Zahl ergab ſich aus der Vergleihung von älteren Quldenftüden mit 

dem gefeßlichen Feingehalte, Rau im Archiv, N. F. X, 254. Wenn 

man aber die Gulden aus mehreren Jahren unter fi vergleicht, 

fo erhält man nur 0,%% p. m. 

(5) Gruͤndlich erörtert von Hoffmann, Die Lehre vom Gelbe. . 

(e) Der Wiener Vertrag von 1857 enthält im 7. Separatartifel das erſte 
Beijpiel einer Borthrift hierüber. Die Ginziehung der abgenupten 
Stüde fol bei Thalern erfolgen, wenn fie über 2 Proc., bei Doppels 
thalern, wenn fie über 1%/2 Proc. von dem gefeßlihen Schrot ab: 
weichen. — Ueber den Vorſchlag, die Koften einer ſolchen Umprägung 
durch Ausgeben von Papiergeld, welches nach einem halben Jahre mit 
den neuen Münzen wieder eingezogen würde, und unterdeß Zinfen ers 
fparte, zu deden, wie dieß in ben Niederlanden gefchehen it, Her: 
mann a. a. O. ©. 167. 


8. 239. [255.] 


Für die Stüdelung der Münzforten (8. 254) gelten biefelben 
Grundfäge, wie bei ben Maaßen nnd Gewichten, $. 230. Man 
bat auch hier auf bequeme Zahfenverhältniffe zu fehen (a), 
eine für den Verkehr Hinreichende Anzahl von Sorten feſtzu⸗ 
. fegen, und biefelben fo einzurichten, daß fie gerade die am haus 
figften vorfommenden Fleineren Preismengen bdarftellen (5); ed 
ift rathfam, fi an die gewohnten Benennungen zu halten, im 








— 175 — 


ganzen Lande Gleichförmigkeit einzuführen und darauf bebadyt 
zu fein, daß burch Mebereinfunft mit anderen Regierungen eine 
GSleihförmigfeit des Münzfußes in mehreren angränzenden 
Ländern zu Stande gebracht wird (ec). Ein Münzfuß wird 
ſchwer oder leicht genannt, je nachdem aus einer beftimmten 
Gewichtsmenge von Gold oder Silber weniger oder mehr 
Stüde einer gewiffen Benennung, 3. B. Thaler oder Gulden, 
geihlagen werden (d). Die Meinung, daß in einem Lande 
die kaͤuflichen Gegenflände gegen Edelmetall deſto wohlfeiler 
feien, je Heiner die zur Bezeichnung der Preiſe dienende Münz- 
forte fei, if nicht haltbar, denn die Geldpreiſe ver Waaren in 
einem Lande richten ſich nach dem :PBreidverhältniß der edlen 
Metalle zu den Waaren. Gilt 3. B. der Gentner Waizen 
1/ıo Pfund Silber, fo wird ſich der Geldpreis beflelben je nad) 
der Zahl der Münzftüde richten, die aus jener Silbermenge 
geprägt werben (e). 


(s) Bei Münzen ſtreitet man wie bei Maaßen ($. 230) über die Borzüge 
der 10: und 12-Theilung. Das Beifpiel von Frankreich, Rordamerica, 
ben Niederlanden und der Schweiz fpricht für die erfle und bemeift, 
daß man fih nicht ſchwer an fie gewöhnt. Yür fchriftliche Rechnungen 
ift Re ſehr erleihternd, auch im Kleinen Besteht eiftet fie in Verbin⸗ 
dung mit dem 10theiligen Maaßſyſteme gute Dienfle, wenn 3. B. das 
Pfund oder die Maaß foviel Gente gilt, als ber Gentner oder die Ohm 
Franken, Gulden ꝛc. In Großbritanien ſprechen fich fehr viele Stimmen 
für die Theilung des Pfundes St. in 10 Florins, 100 Gents und 
und 1000 mils aus, Companion to the Almanak, 1854, ©. 5, 1857, 
©. 6. — In Deſterreich wird der neue Gulden (1857) in 100 Gents 
geteilt. 

(5) Bon der größten Silbermünze bis zur kleinſten Kupfermünze und mit 
Sinferluß beider find 9— 10 Abſtufungen erforderlih. Für den Klein» 
verkehr bebarf man einer Gorte, die ungefäbt Uun—NYın des Pfundes 
Eilber enthält, wie das Kopfſtück, der halbe Gulden, der Frank, ber 
englifche Schilling, der preuß. %y Thaler. Jede Art follte 2, 21/2 oder 
3mal genommen die nähf höhere ausmachen, 3. B. in Frankreich 
1, — 2, — 5, — 10, — 20, — 50 Gentimes, 1, — 2, — 5 Franfen. 
FIR diejenige Art, die ale Preismaaß gebraucht wird und in der man 
folglich rehnet (Gulden, Thaler, Frank) von mäßige: Größe, fo hat 
die den Vorteil, daB man nur eine zweite Heine Münze in den Rech⸗ 
nungen zu Hülfe zu nehmen braucht, 3. B. Gulden und Kreuzer, 
Franken und Gentimen, während man bei den Groſchen noch Pfennige, 
alfo drei Arten angeben muß, 3.8. 5 fl. 48 Kr. — 12 Yr. 43 Eent. 
— 3 Thle. 9 Ser. 5 Pf. — In Suͤddeutſchland iſt feit langer Zeit 
die Gulden⸗ und Kreugerwährung herrſchend, in Rorddeutſchland Thaler 
und Grofhen. — In Rorbamerica wird der Mangel eines Viertel⸗ 
bollare (25 Cents) empfumden. 


(c) Die Schweiz hat 1850 den franzöflihen Fuß angenommen, der auch 
in Belgien und Sardinien befteht und im ganzen K. Italien einges 


— 18 —- 


Aeberſicht der wictigken Münzen nad ihrer geſetzlichen SBefchaffenheit. 

















’ Beingeh Schrot | Seingeh. Werth 
Ko | nn 
a hol. As n. deutfhe As mn Beretnäthit. 
ec 
I. @tiber : Münzen. 
Deutihland. 
Speziestbalr . . .| 0,833 486,1, 1560,9 1467,48 | 2] 27,9 | 1| 12,6% 
Bisher. preuß. Thlr. 0,75 347, oA 4415, 2 1334,075| || 45,39 | ı| 0,% 
Vereinsthaler feit 1857 0,9 346, 202 370, 2ꝛ 333, 2 148 1 — 
Cour fl. (20 fi.⸗Fuß) 0,58 243,° 280,4 233,7 1| 13,4 — 21,9 
ur öfterreichifcher fi. 
5 fu) . . .) 0,9  |231,5% 1246,91 1222,99 | 1| 10 — | 201, 
— * des 24 fl. %. .| — 202,00 — 194, | 1, 17, 
= 24. 0,9 age 212,0 190m | ı| 0, | 17% 
Sübbeutfcher fl. (des 
(5245 R.-Bußee). .| 0,9  |198,2° |211,68 1190,00] | — |—| 1115 
Hamburger Gour.:Mef.| 0,9 1143 183,% 137,0 — | 43,8: —12,* 
Royfttüd (Zwan .| 0,582 | 81 133,45 77,8 |—| 25,501 | 7, 
Kronthaler unge REM .| 0,968 1534 |591 813, is 2 41,4 | 1) 16,8 
Großbritanien. | 
Schill. (12 9 Bet .| 0,05 |108,5% |113,0° 104,305) | 32,85 || 9, 
Branteeh, el: | 
ien, weiz 
s K. Italien. | 
Frank 100 Gentim. .| 0,9 93,65 |100 90 |—| 28,3 —| 8, 
Niederland. 
Bulden 100 Gents . .| 0,3% [196,87 ‚200 189 |—| 59,595 |—| 17, 
Spanien. 
Biafter 20 Nealen . .| 0,903 492, |625,65 473, 20 21 29 1] 12,59 
Bortugal. 
Krone (corone) = 1 mil 
reis. . ...| 0,9% 564, 1592, 1542,65 | 2] 50,8 | 1 18,8 
Nea pel. 
Ducato di Regno.0, 222 397,79 458,2 1382,85 | 2] 4,4141 4, 
Dänemarf. | 
N. Bankthaler . . .! 0,818 [263,08 |288,5% 1252,81 | 1] 19,2 — 22, 
Schweden. | 
M. Thaler, 1854 . ., 0,7% 132,7 1170,08 1127,98 — 40, vs 11, 
Rußland. | 
Mubel 100 Kopefen .| 0,008 !374,5 |a14,% |359,88 | 1] 53,0 1 2,* 
Nordamerica. | 
Dollar 100 Cents . .| 0,9 500,80 1534,97 Iagı,i® | 2] 31,55 | 1 13,3 
I. ®old - Münzen. _ Kronen | Sim. fl 
Deutfche —* 0,88 | 71,0 69,8 | 68,91 | 0, 51 32,” 
Friedrichsd'or. 0,90 125,5 133,54 120,555) 0,0087 | 9 42,° 
Neue Krone, 1857 . 0,9 1208,19 297,2 200 | 16| 6 
Engl. Sovereign . 0,916 152,2 1159,70 1146, | 0,78 a1] 47," 


Franzoͤſ. 20 Fr.⸗Stuͤck 0,9 [120,88 129,0 ı16,®8| 0,58 9; 20,% 
Nordameric. Cagle 10) 
Dollar. . . 0,9 1313, 1334,39 |300,%| 1,5 24) 5, 
Nordameric. Bold:D. . 0, 31,3 | 38, K 30,8 0,8% 2 24,5 

Die Goldſtücke find unter der Annahme eines Boldpreifeh von 151 gegen Gilber or 
eines Preiſes von 16,1 fl. für die Krone in Gulden ausgebrudt 








— 111 — 


$. 240. [256.] 


Aenderungen des Münzfußes, eine in früheren Zeiten fehr 
oft gebrauchte Finanzmaaßregel (a), find nur unfhäblich, wenn 
fie öffentlich ausgefprochen und ohne Berfürzung ber Privat- 
interefjen ausgeführt werben, III, $. 199. 200. Hiezu gehört, 
daß die aus früheren Verfügungen und Berträgen berrührenden 
Beldleiftungen nah dem Berhältnig der Feingehalte in die 
neue Münze umgerechnet und die außer Umlauf zu feßenben 
älteren Münzen nad) dem nämlichen Berhältniffe von der Res 
gierung eingewechfelt werden (6). Wird die Münze eines 
Landes verfchlechtert und bei den Staatscaſſen noch eben fo 
gerechnet wie früher die beffere, fo bleibt dies nicht lange un- 
bemerft, auch wenn es in Geheim geſchah. Sobald man es 
wahrnimmt, fo werben bie befferen älteren Stüde aus dem 
Berfehre zurüdgezogen und die Waarenpreife gegen die gering- 
haltigere Münze gefteigert. Diefe Preisveränderung zeigt fidy 
zuerf im auswärtigen Handel, weil man im Auslande bie 
Münzen nur nah ihrem Seingehalte annimmt, ohne ſich um 
den Preid und die Benennung zu kümmern, welche ihnen die 
Regierung geben mag. Die Inländer würden bei ihren Zah— 
lungen in andere Länder einen Berluft erleiden, wenn fle nicht 
auch im inneren Verkehre in der verfchlechterten Münze höhere 
Breife verlangten. Daher pflanzt fich diefe Wirfung allmälig 
auf alle Berhältnifie des Verkehrs fort, aber anfangs entſtehen 
Störungen im Gleichgewichte der Preife, und die früher aus⸗ 
bedungenen Zahlungen müffen in dem bisherigen Maaße zum 
Schaden der Empfänger fortgehen, auch tritt ein Mißtrauen 
gegen bie Landesmuͤnze ein, welche® im Handel mit dem Aus» 
lande fchabet (e). 

(a) Man meinte fonft, folde Veränderungen könnten unbemerft geſchehen, 
was aber die Erfahrung widerlegt. Die vielen, bald offen, bald im 
Stillen erfolgten Beränderungen des Beingehalts der Stüde im Ber: 
laufe lätigerer Zeiträume haben zwifchen Gen Namen und deren Be- 
deutung einen großen Abſtand hervorgebradht. So mwogen unter Wil⸗ 
helm I. dem Groberer 20 Schillinge, die man 1 Liv. St. nannte, 
wirklich ein Tower: Pfund, aber jebt machen erſt 66 Sch. ein folches 
Pfund legirtes Silber, und ber heutige Schilling it nur 0,9 des das 
maligen. In Frankreich bezeichnete ebenfalls 1 Livre urfprüngli eine 
Anzahl Münzen, bie zufammen 1 Pfund Silber enthielten, ſeit 1773 
gingen aber 53 Liores 9 Sous 2 Den. auf die Mark (1/z Pfd.). Ge 

12* 


— 180 — 


ehen 8!/s Bulden bes 24/3 fi.⸗Fußes auf ben aͤlteſten die Lira im 
erzogthum Parma fanf bis auf yo ihres urfprünglichen Gehalte, 
die ruffiſche Griwna auf Yo, die Hamburger Gourantmark if nur 
I/ss der Kölnifchen Dark, der fie vielleicht ehemals glei, war. Stord, 
I, 432. Rau zu Stord, II, 379. — Es iR merkwürdig, daj 
ſchon der franzöftiche Bilchof von Lifieur, Ric. Dresme (Oresmius, 
+ 1382) in der Schrift: Tractatus de origine et jure nec non et de 
mutationibus monetarum richtige Lehren über das Weſen des Geldes 
und die Grundfäge der Münzpolitit mit ſcharfer Rüge der aus Ge: 
winnſucht vorgenommenen Münzverfchlechterungen ausgeſprochen den ſ. 
Fiſcher, Geſchichte des teutſchen Handels, IV, 583. — Roſcher in 
Zeitſchrift für die gef. Staatswiſſ. XIX, 315. — Wolowski in 
Söances et travaux de l’acad. des sciences morales et politiques, Oxtob. 
u. Nov. 1862. ©. 297. 


(5) Ginziehung der frangöf. 12theiligen Münzen (6 Livresthaler, Caro: 
lin ıc.), welche bis zum 1. Detober 1834 bei den öffentlichen Gaflen 
für voll genommen wurden, von da an nur als rohes Metall, das 
Kit. beſchicktes Gold zu 3091, Silber zu 199,4 Fr. — Als Sachſen 
durh das Gef. v. 20. Juli 1840 den 14 Thaler: Buß angenommen 
hatte, wurden nach dem Gef. v. 21. Zuli 1840 alle älteren Berbint: 
lichkeiten mit einem Aufgelde von 27/5 Proc. in die neue Währung 
übertragen. (13%. und 14 Thlr. verhalten fid, zwar wie 100 zu 109, 
aber der 14 Thlr.⸗Fuß war fhon eingedrungen gewefen.) 


(e) Büſch, ©. 518. 629. — John Prince Smith, Elements of the 
science of money, ©. 104. — Bergl. Log, Handb. II, 363. — 
Baumfarf, Staatswifl. Berfuhe, S. Ill. — Bei manden Ge 
fchäften kann die Gewohnheit bewirken, daß man noch eine Zeit lang 
die alten Preiſe fortbeftehen läßt, auch iſt nicht zu läugnen, taß an 
fangs die Regierung von einer folhen Operation Gewinn ziehen fann, 
und dies gilt in geringerem Grade felbft von einer öffentlichen Ber: 
änderung. Galiani bdefinirt deßhalb die Müngverfchlechterung, slze- 
mento (Erhöhung, infoferne als ein gewifles Metallquantum in tem 
leichteren Gelde Höher ausgeprägt wird) fo: Es ift ein Gewinn, ten 
der Kürft und der Staat aus der Langſamkeit ziehen, mit welder die 
Menihen die Speenverbindung zwifchen ten Preifen der Waaren und 
ber Münze umändern. Delle monets, S. 222 ter Ausg. v. 1780. 


$. 241. [257.] 


Die Münze, ald ein Gewerfderzeugniß, hat einen höheren 
Werth, ald der rohe Stoff, aus dem fie beſteht. Dieß rührt 
hauptfächlich von ihrer Nüglichkeit zum Geldgebrauche ber, indeß 
zieht man fie auch zu verfchiedenen Verarbeitungen vor, weil 
ihr Mifchungsverhältnig ſchon befannt und immer gleichförmig 
if. Daher kann die Regierung ihre Münzen auch um einen 
etwas höheren Preis anfegen, ald die darin enthaltenen Metalk. 
Dieß äußert fi bei dem Einkauf der rohen Metalle, indem 
bie Münzftätte für eine gewifle Gewichtömenge berfelben ewas 
weniger geprägtes Metall hingiebt. Diefer Unterfchied heißt 





—- 181 — 


Schlagſchatz (a). Wo die Regierung auf läftige Zwangs⸗ 
mittel verzichtet (III, $. 183), da muß fie freifich erft abwars 
ten, ob fie Muͤnzmetalle um den angefesten Preis zu Faufen 
finden werde, was bisweilen nicht gefchieht. Inzwifchen ift in 
einem größeren Staate, bei einem beträchtlichen Münzbedarfe, 
und wenn feine ſchlechten Stüde mit den befleren unterlaufen 
($. 254 a), ein folcher Schlagfchag, der wenigftend bie Praͤge⸗ 
foften dedt, in der Regel wirflich zu erlangen, und eine Münze, 
von der man weiß, daß fie immer gut und gleichförmig bes 
fhaffen ift, wird auch öfter im Auslande mit Einrechnung des 
Schlagfchages, d. h. höher ald das rohe Metall angenonmen. 
Es iſt nicht nöthig und nicht einmal rathfam, daß die Regie⸗ 
rung die Prägefoften aus der Staatdcaffe beftreite und alfo 
den Einzelnen, welche ihr Muͤnzmetall übergeben, daſſelbe ges 
prägt ohne einen Abzug zurüdliefere (5), denn eine folche un- 
entgeldlich geprägte Münze wird Häufig von Goldfchmieden ıc. 
eingefhmolzen ober außer Landes geführt, fo daß ein Theil 
ber aufgewendeten Prägefoften verloren geht, III, 8. 197. Das 
Remedium befchleunigt umvermeidlih das infchmelzen aller 
befieren Münzen (c). 


(e) III, $. 196 ff. — Beifpiele: Münzvereine von Mainz, Trier, Pfalz, 
Heflen : Darmftadt und Frankfurt von 1765, Art. 9: 20 fr. von der 
köln. Mark fein. Dieß iR 1,69 Broc. — In der preuß. Vergleichungs⸗ 
tabelle der fremden Münzen v. 27. Nov. 1821 ergiebt die Würdigung 
ter Kronen⸗, Convention s und Fünffranfenthaler einen Ehlagihap 
von resp. 1,855 — 1,91 und 1,% Proc. — Frankreich, Münzgeleb von 
1803, Art. Il: I ne pourra ötre exige de ceux qui porteront les 
matiöres d’or ou d’argent & la monnaie, que les frais de fabrication. 
Ces frais sont fixös ä 9 francs par kil. d’or et A 3 fr. par kil. d’er- 
gent (alfo 2,9 p. m. und 1,5 Proc). Die Berorbn. v. 22. Februar 
1835 verminderte den Abzug vom Kil. Münzgold (zu 0,9 Rom) auf 
6 Fr, vom K_ WMünzfilber auf 2 Fr. Der heutige Betrag iſt von 
Gold 6,7 Kr. (2,1% p. m.) nah V. 22. März 1854, von Silber 
1,5 Fr. (3/s Proc.) nah V. 22. Mai 1849. Es wird demnach 1 Kilo⸗ 
gramm 


Gold Silber 
rauh fein rauh ein 
gekauft für . . 3094 Fr. 3437 Fr. 198,5 Fr. 220, fr. 
ausgeprägt zu . 3100 Fr. 3444,“ Fr. 200 Fr. 222,3 Ir. 


Hat das gelaufte Metaflgemiich nicht das vorgefchriebene Kom 0,°, fo 
muß auch eine Vergütung für die Reinigung (affinage) bezahlt werben. 
Bei jenem Abzuge find die Koflen der den Münzunternehmern unents 
geldlich überlafienen Gebäude und Geräthe (IL, $. 202 (4)) nicht mit 
berechnet. — Das papſtliche Münzgefeb vom 11. Jan. 1835 fegt den 
Schlagſchatz bei Silbermünzen auf 2 Proc, (vorher 25/.), bei Bold auf 


Teer X X cr Swing som 6,% Broc. ($. 233 (4) 


u x — -: Br - 2i er Beberihuß über bie Bräge 
ne m Seren wrrwuter werten Dieſe Koflen wurden in 
2.22 em zz mu ı t = bei Gold und Eilber 


me := Sic 

mar 2 Breite, um weldye dad rohe 

: Jr u mw erhoͤhen müflen. Eeit 

me z m mug u u! 12 3 Proc. abgezogen. 
-ı _ı x. En: == — nie Brügefoften fo an: 

r Zur su Sur .. zul SGulten und Ropfüden 2, 

sem 2 zen Crriude 3 ,. Beimeren Stüden 5 Pro. 


Sr ıeer ı Moe 2 or »iH = (Stord, I, 46), 
i83 


2... E 674. — Buffe, LW. 
nn —_ 23: T. — Sapeilden wird dech 
tes Beitver 


Semem-zes = = emumt. üh Hänge fatt der Barrın 
. ed im Breife beider veran: 


we. 1 [258.] 


Se fo zen Sn-:re Mürzen (a) pflegt mar 
rer al mr mr gmeRem Werhidumg ($. 252), ſondem 
ur mrummmiss gerrmibulnger ald bie größeren Sortm 
u mu m 2 vom men ein Rürkerer Schlagſchatz genom: 
mer zım Tier Et hen darum angemefien, weil bie Koſten 
jriger Int, zum me zemife Meialimenge in viele Eleine, 
als u mwerigere zrece Snicke audgemmimjt wird, ſowie auch ein 
Meslljem:h som zerımgerem Korm, falld man es wieder bit 
‚u tem Porre ter größeren Sorten reinigen will, noch beiow 
dere Abmebefstien vermute, & 252. Inzwiſchen hat mar 
meinten die Sceiiemän;e um toviel geringhaltiger gemalt, 
raß nach Beitreisumg ker grögeren Koften noch ein Gewinn 
bleibt. Man bielt dieß tarım für zuläjfig, weil die Scheite 
münze nidı jo leicht in untere Laͤnder gebt (5), im innerm 
Berfehre bloß zur Ausgleichung Fleinerer Summen dient un 
hiezu ohne fonkerlihe Beachtung ihres Feingehalted angenon- 
men wird, 

(a) Klüber, ©. 61 ff. 


(k) Auegenommen, wenn mehrere benachbarte Länder gleichen oder ie 
lichen Mänzfus habın. * gleich 


— 183 - — 


$. 248. (259.] 


Die fchlechte Befchaffenheit der Scheidemünzen hat in vielen 
Staaten Nachtheile verurfacht, aus deren Beobachtung folgende 
Regeln aufzuftellen find: 

1) Die geringhaltigere Ausprägung follte nur bei benjenis 
gen Stüden gefchehen, welche ganz Fleine Preismengen vorftellen 
und bei denen ber Minderbetrag des Feingehaltes ganz unbes 
beutend iſt (a). 

2) Solche Sorten dürfen nur in mäßiger Menge verfertigt 
und ed muß verordnet werben, baß man fie bei größeren Zah—⸗ 
lungen nur foweit zu nehmen verbunden ift, ald eine gewiſſe 
Summe nicht ganz in gröberen Sorten audgebrüdt werden 
fann, oder wenigftend nur für einen gewiflen Eleinen Theil ber 
Summe (6). Sind fie in zu großer Menge vorhanden, fo ift 
zu beforgen, daß bie befieren groben Stüde eingefchmolzen oder 
binweggeführt werden. Dieß wäre im Berfehr fehr läftig und 
fönnte dahin führen, daß man die groben Sorten mit einem 
Aufgelde einmwechfeln müßte, ed würde hiedurch ber mittlere 
Sehalt der zum Preismaaße angenommenen Münzeinheit (3. 2. 
Gulden, Thaler) in der ganzen umlaufenden Geldmenge vers 
ringert, auch würde felbft in die Waarenpreife einige Unbes 
ſtimmtheit kommen. 

3) Die Scheidemuͤnze iſt überhaupt dem Falſchmuͤnzen mehr 
ausgeſetzt als die grobe, weil man bei ihrer Annahme weniger 
aufmerkſam iſt und ein fehlerhaftes Gepräaͤge weniger in bie 
Augen fällt. Wird nun. die Scheidemünge mit großem Schlag» 
Ihage geprägt, fo vermehrt dieß ben Reiz zum Berfertigen fals 
her Stüde (ce). Deßhalb follte man den Unterfchied im 
Schlagſchatze nicht erheblich machen (d). 

4) Die Eleinften Scheidemüngen prägt man am beflen aus 
Kupfer oder einem Fupferhaltigen Gemiſch (e). Zu den naͤchſt 
größeren pflegt man ein ®emifch zu wählen, welches über bie 
Hälfte Kupfer hält (billon). Da jedoch ein ſolches wegen 
der hohen Abtreibefoften im Preiſe niedriger zu ftehen pflegt, 
als fein Feingehalt anbeutet, fo follte der Gebrauch des billon 
nur auf wenige Sorten befchränft bleiben (/). 


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4, 


— 15 — 


(F) Das dur das fogenannte Weißfieden bewirkte reine, filberartige Aus: 
fehen geht durch das Abnügen im Umlaufe fehr bald verloren, während 
die weniger legirten Münzen fich eher gleich bleiben. — Die franzöf. 
2 Sousflüde vor der Revolution hatten gegen 0,1? Kom; nad dem 
Geſetze waren fie noch etwas beſſer als Laubthaler (!), nach dem Ne: 
medium aber, welches man gewöhnlich eintreten ließ, 7,19 Proc. ſchlech⸗ 
ter. 1803 wurde das billon abgefhafft, 1807 aber wieder eingeführt, 
nämli die 10 Centimes⸗Stuͤcke von 0,? Loth Kom, mit 4/5 Procent 
Remedium, und bei halben Remedien 12,7 Proc. fchlechter als Yünf: 
Frankenthaler. Das Gef. 10. Suli 1845 fchaffte diefe billon- Stüde 
ab, fowie auch die 11/; und Ye Fr.:Stüde (30 und 15 Sous) von 
1791, von 2/5 Kom. — Die ſuͤddeutſchen Vereinsftaaten haben für 6 
und 3 fr.:Stüde ein Korn von ?/s (51/3 Loth) angenommen, und es 
follen 27 fl. auf die Mark fein geben, alſo 10,2 Broe. mehr. — Die 
preuß. Silbergrofchen (feit 1821) Haben ein Korn von 35/ Loth (0,%); 
die Mark fein wird zu 16 Thle. ausgebracht, alfo 142/ Proc. höher 
ale in groben Sorten. Grwägt man, daß die Prägefoflen gegen 
4 Proc. mehr betragen, als bei Thalern ($. 257 (a)), und die Ab- 
treibeloften gegen 8%, Broc., fo zeigt fih,, daß diefe Stüde, wenn die 
Regierung beim Wiedereinfchmelzen feinen Schaden haben foll, wenig 
befier fein dürften. — Sachſen, Gef. v. 1840: !/e Thlr. 81/slöthig 
oder zu 0,598 Korn. Diele und die Scheidemüngen (Meugrofchen und 
Pfennige), zu 16 Thlr. auf die köln. Mark, oder 14%, Proc. gering: 
baltiger. — Wiener Vertrag $. 14: Bei Silberfcheidemünge darf das 
Pfund fein nicht Höher als zu 34!/e Thlr., 512/4 fl. und 60%, fl. der 
3 Fuße ausgebracht werben, alfo gegen 20 Proc. geringhaltiger als 
Thaler und Qulden. — Die neuen billon-Müngen der Schweiz (20, 10 
und 5 Rappen) enthalten neben Silber und Kupfer noch 10 Procent 
Nidel und 25 Sinn. Das Silber beträgt 15, 10 und 5 Proc., alfo 
das Kupfer 50, 55 und 60 Proc. Dieß ift zweckmaͤßig, um auf wohl: 
feilere Weife als durch Silber ein weißliches Ausſehen hervorzubringen. 
In 20 Rappenftüden (0,15 Korn) wird das Pfd. fein zu 205 Fr. aus: 
gebracht, in groben Stüden zu 111,1 Fr. Zwanzig 5 Rappenftüde 
haben zuſammen 33%, Grammen Schrot und 1%, Gr. Feingehalt, 
alfo nur 0,37 der groben Stüde. Auch in Belgien wird den Scheide: 
münzen Nickel zugefebt. 


§. 244. [260.] 


In Hinfiht auf den Umlauf der Münzen hat bie 
Regierung nicht blos polizeiliche Maaßregeln zur Entdedung 
falfcher Stüde zu ergreifen, fondern auch das Erfcheinen aus» 
wärtiger Münzen zu beauffichtigen. In einem größeren Staate 
oder bei geringem auswärtigen Berfehre kann man biefelben 
ganz vom inneren Berfehre abhalten, indem man ihre Annahme 
bei den öffentlichen Caffen unterfagt (a), was den Bortheil 
gewährt, daß die Regierung für fortdauernd gute Beichaffenheit 
des Umlaufsmitteld zu forgen vermag. Fremde Goldmünzen 
dürfen cher zugelaflen werben, befonderd da, wo die Silbers 
währung befteht, weil fie, auch eher gleihförmig, von den 


eben 8!/s Bulden des 2415 fi.⸗Fußes auf den Alteflen, bie Lira im 
— * Parma ſank bis auf 0 ihres urſpruͤnglichen Gehaltes, 
die rujſiſche Griwna auf!/ ico, die Hamburger Courantmark iſt nur 
sa der Koͤlniſchen Mark, der fie vielleicht ehemals gleich war. Storch, 
I, 432. Rau zu Storch, Ul, 379. — Es iR merfwürbig, daß 
ſchon der franzoͤſiſche Biſchof von Lifieur, Nic. Dresme (Oreemius, 
+ 1382) in der Schrift: Tractatus de origine et jure nec non et de 
mutationibus monetarum richtige Lehren über das Weſen des Geldes 
und die Grundfäge der Münzpolitit mit fcharfer Rüge der aus Ge 
winnfucht vorgenommenen Müngverichlechterungen ausgeſprochen hat, |. 
Fiſſcher, Geſchichte des teutichen Handels, IV, 583. — Rofder in 
Zeitfchrift für die gef. Staatswiſſ. XIX, 315. — Wolowski in 
Seances et travaux de l’scad. des sciences morales et politiques, Ortob. 
u. Nov. 1862. ©. 297. 


(6) Ginziehung der franzöf. 12theiligen Münzen (6 Livresthaler, Caro 
lin ıc.), welche bie zum 1. October 1834 bei dem öffentlichen Gaflen 
für voll genommen wurden, von da an nur als rohes Metall, das 
Kil. beichichtee Gold zu 3091, Silber zu 199,1 ir. — Als Sadien 
turh das Bel. v. 20. Zuli 1840 den 14 Thaler⸗Fuß angenommen 
hatte, wurden nad dem Gef. v. 21. Zuli 1840 alle älteren Berbind: 
lichfeiten mit einem Aufgelde von 27/5 Proc. in die neue Währung 
übertragen. (131/s und 14 Thlr. verhalten ſich zwar wie 100 zu 105, 
aber ter 14 Thlr.⸗Fuß war fchon eingedrungen gewefen.) 


(c) Büſch, ©. 518. 629. — John Prince Smith, Elements of the 
science of money, S. 104. — Bergl. Log, Handb. II, 363. — 
Baumftarf, Staatswiſſ. Berfuhe, S. Ill. — Bei manden Se 
fhäften kann die Gewohnheit bewirken, daß man noch eine Zeit lang 
die alten Preiſe foribeflehen läßt, auch ift nicht zu läugnen, taß an: 
fangs die Regierung von einer folden Operation Gewinn ziehen fann, 
und dies gilt in geringerem Grade felbft von einer öffentlichen Ber: 
änderung. Galiani bdefinirt deßhalb die Müngverfchlechterung, alza- 
mento (Erhöhung, infoferne als ein gewiſſes SRetallguantum in dem 
leichteren Gelde Höher ausgeprägt wird) fo: Es ift ein Gewinn, den 
der Fuͤrſt und der Staat aus der Langſamkeit ziehen, mit welder die 
Menihen die SIpeenverbindung zwifchen ten Preifen der Waaren und 
der Münze umändern. Della moneta, ©. 222 ter Ausg. v. 1780. 


g. 241. [257] 


Die Münze, ald ein Gewerfderzeugniß, bat einen höheren 
Werth, als der rohe Stoff, aus bem fie beſteht. Dieß rührt 
hauptfächlich von ihrer Rüglichfeit zum Geldgebrauche Her, indep 
zieht man fie auch zu verfchiedenen VBerarbeitungen vor, weil 
ihre Mifchungsverhäftnig fchon befannt und immer gleichförmig 
it. Daher fann die Regierung ihre Münzen auch um einen 
etwas höheren Preis anfeken, als die darin enthaltenen Metalle. 
Dieß äußert fich bei dem Einkauf der rohen Metalle, indem 
bie Münzftätte für eine gewiffe Gewichtömenge berfelben etwas 
weniger geprägtes Metall bingiebt. Diefer Unterfchieb heißt 








— 181 — 


Schlagſchatz (a). Wo die Regierung auf laͤſtige Zwangs⸗ 
mittel verzichtet (III, $. 183), da muß fie freilich erft abwars 
ten, ob fie Müngzmetalle um ben angefeßten Preis zu Faufen 
finden werde, was bisweilen nicht gefchieht. Inzwifchen ift in 
einem größeren Staate, bei einem beträchtlichen Münzbebarfe, 
und wenn feine ſchlechten Stüde mit den befleren unterlaufen 
($. 254 a), ein folder Schlagſchatz, der wenigftens die Präge- 
foften dedt, in ber Regel wirflich zu erlangen, und eine Münze, 
von der man weiß, daß fie immer gut und gleichförmig be—⸗ 
ſchaffen ift, wird aud öfter im Auslande mit Einrechnung des 
Schlagſchatzes, d. h. höher als das rohe Metall angenommen. 
Es iſt nicht nöthig und nicht einmal rathfam, daß die Regies 
rung bie Prägefoften aus ber Staatscaffe beftreite und alfo 
den Einzelnen, welche ihr Münzmetall übergeben, daſſelbe ges 
prägt ohme einen Abzug zurüdliefere (5), denn eine ſolche un⸗ 
entgeldlich geprägte Münze wird häufig von Goldfchmieden ꝛc. 
eingefhmolzen oder außer Landes geführt, fo daß ein Theil 
der aufgewendeten Prägefoften verloren gebt, III, $. 197. Das 
Remebium befchleunigt unvermeidlich dad infchmelzen aller 
befieren Münzen (ec). 


(a) III, $. 196 ff. — Beifpiele: Münzvereine von Mainz, Trier, Pfalz, 
Heflen = Darmfladt und Kranffurt von 1765, Art. 9: 20 fr. von der 
köln. Mark fein. Dieß if 1,9 Proc. — In ber preuß. Dergleihunge: 
tabelle der fremden Münzen v. 27. Nov. 1821 ergiebt die Würdigung 
ter Kronen:, Conventions⸗ und Fünffrantenthaler einen Schlagſchatz 
von resp. 1,5— 1,9 und 1,% Proc. — Yranfreih, Münzgeleß von 
1803, Art. 11: ID ne pourra ötre exige de ceux qui porteront les 
matidres d’or ou d’argent & la monnaie, que les frais de fabrication. 
Cos frais sont fix6s & 9 francs par kil. d’or et A 3 fr. par kil. d’ar- 
gent (alfo 2,9 p. m. und 1,5 Proc.). Die Verordn. v. 22. Februar 
1835 verminderte den Abzug vom Kil. Münzgold (zu 0,9 Kom) auf 
6 Fr, vom K Münzfilber auf 2 Sr. Der heutige Betrag iſt von 
Gold 6,? Fr. (2,1% p. m.) nah V. 22. März 1854, von Silber 
1,5 Fr. (%s Proc.) nah B. 22. Mai 1849. Es wird demnach 1 Kilo: 
gramm 


Gold Silber 
rau fein rauh fein 
gekauft für . . 3094 Fr. 3437 Fr. 198,5 Fr. 220,60 Fr. 
ausgeprägt zu . 3100 Fr. 3444, Fr. 200 Fr. 222,7 Fr. 


Dat das gekaufte Metallgemilch nicht das vorgeichriebene Korn 0,9, fo 
muß aud eine Vergütung für die Reinigung (aflinage) bezahlt werben. 
Bei jenem Abzuge find die Koften der den Stünzunternehmern unents 
geldlich überlafienen Gebäude und Geräthe (III, $. 202 (a)) nicht mit 
berechnet. — Das päpftlihe Münzgefeb vom 11. Jan. 1835 fept den 
Schlagſchatz bei Silbermünzen auf 2 Proc, (vorher 25/8), bei Gold auf 


(«) 


(5) 


(e) 


(d) 


(e) 


— 14 — 


Wiener Muͤnzvertrag F. 5: die! / Thlr.⸗Stuͤcke nad dem 30 Thlr.⸗ 
Fuß und die 1/4 Guldenſtücke nad dem 45 und 52%/ fl.» Fuß werben 
nod in dem Berbältniß der größeren Münzen geprägt. In Branfreich 
find noch die 20 Bent. im verhältnißmäßigen Schrot mit gleihem Korn 
wie die groben Sorten. 


Preuß. MünzGef. v. 1821, Art. 7: Zahlungen, die mit ganzen, 9/3 
und !/s Thlr.:Stüden geleiftet werden können, ift Niemand verpflichtet, 
in Silbergrofhen anzunehmen. — Bergl. Eleynmann, Mater. 
S. 330. — Bad. 3. v. 19. Sept. 1826: bei Zahlungen bis zu 10 fl. 
braucht man nicht über !/s, bie 100 fl. nicht über !/so, über 100 fl. 
nicht mehr als 10 fl. Scheidemünze zu nehmen. — Das befle Eiche 
eungemite! gegen ten Mißbrauch der Scheidemünge befieht darin, Daß 
die Regierung die Verpflichtung übernimmt, ihre eigenen Sceidemünzen 
auf Derlangen gegen grobe Sorten umzuwechſeln, wie dieß in dem 
Müncyener Bertrage von 1837 für Summen von 100 fl. an zugefihert 
worden ift, und im Wiener Vertrage $. 15 bei Silbermünzen für 
Summen von 20 Thle. oder 40 fl. aufwärts, für Kupfermünge Bei 
5 Thlr. oder 10 fl. Merkwuͤrdig ift die Beſtimmung des 8. Geparat- 
artifeld, daß in den Staaten der Thlr.: Währung nicht über ®/e Thlr., 
in Defterreich nicht über 19/4 fl. Scheidemünge auf den Kopf der Cin⸗ 
wohner in Umlauf fein follen, und aud die Staaten ber fübdeutfhen 
Währung bis zu einer anderen Berabredung jenes Maaß (alſo vers 
muthlid 1%. fl.) bei der Befchränkung der Scheidemünge zu Grunde 
legen werden. (Dies beträgt gegen 5 Proc. der umlaufenden Geld⸗ 
menge, I, $. 266 (a)). 


Nachmachen der älteren preuß. Brofhen in Birmingbam, von 
Jakob, Binanzwifl. I, 309. Ebenſo in Sardinien. In Bolen fand 
man einft flatt der 2 Mill. ſchlechter Münze, die man geprägt hatte, 
20 Mill, umlaufende. Gleynmann, Mater. ©. 35. Bergl. deſſen 
Aphorismen, ©. 68. — Als in Rußland die Kupfermünze fo hoch ae 
rechnet wurde, Daß ein Mubel in Kupfer flatt 100 nur 15 Kopefen 
werth war, famen zu den 4 Mill., die im Lande aeprägt worden wa⸗ 
ten, noh 6 Mil. vom Auslande Hinzu, für welche Silber oder Waaren 
hinausgegangen waren. Stord, II, 55. 


In der Mark Brandenburg waren im I. 1623 Grofchen in Umlauf, 
von denen 1792 auf die Marf gingen (flatt 216) und biefelbe zu 
714%/5 Thlr. ausgebracht wurde, während fie in Thalerftüden nur 9 Thlr. 
alt. Hoffmann, ©. 55. — In foburgifchen 6 und 3 Kreuzer: 
üden von 1825 gingen resp. 36 fl. 46 fx. und 47 fl. 4 kr. auf die 
feine Mark. Klüber, S. 73. — Im fiebenjährigen Kriege ſchlugen 
die preuß Müngvacıter Ephraim, 268 & Comp. mit den in Dresden 
vorgefundenen Stempeln fchlechteres Geld. Die 1761 und 1762 ges 
prägten 2 Groſchenſtücke waren fo geringbaltig, daß bie föln. Marf 
bis zu 40—45 Thlr. ausgebracht wurte. Fruͤherhin (1621) hatte auch 
Sachſen Groſchen fchlagen laflen, die Marf zu 40 Thlr., Krünig, 
©. 378. 410. — In den filddeutihen Scheidemüngen hielten bioher 
ungefähr 26— 28 fl. eine Marf fein, in den neuen hanndv. Scheide: 
muͤngen ſeit 1835 gehen 16/5 ſtatt 14 Thlr., Flör, a.a.D., ©. 112. 
— Dei der englifhen Kupfermuͤnze werden 180 Proc. gewonnen, daher 
das häufige Rahmünzen, ungeachtet der nicht felten verhängten Todes: 
ftrafe. tor, I, 419. 


In Pranfreih war zur Zeit der Revolution ein Theil der 1 und 
2 Suusftüde aus Glodenmetall. Jetzt find 10, 5, 2 und 1 Gentimes 
aus Bronze von 95 Kupfer, 4 Zinn und 1 Zink, Geſ. 19. April 1852. 








— 185 — 


(F) Das dur das fogenannte Weißfieden bewirkte reine, filberartige Aus⸗ 
ſehen geht durch das Abnügen im Umlaufe fehr bald verloren, während 
die weniger legirten Münzen fi eher gleich bleiben. — Die franzöf. 
2 Sousflüde vor der Revolution hatten gegen 0,2? Kom; nad dem 
Geſetze waren fie noch etwas befler als Laubthaler (!), nad dem Me: 
medium aber, welches man gewöhnlich eintreten ließ, 7,19 Proc. fchlech: 
ter. 1803 wurde das billon abgefhafft, 1807 aber wieder eingeführt, 
nämlich die 10 Gentimes-Stüde von 0,9 Loth Kom, mit 4'/; Procent 
Remedium, und bei halben Memedien 12,7 Proc. fchlechter als Fünf: 
Frankenthaler. Das Gel. 10. Suli 1845 fchaffte dieſe billon- Stüde 
ab, ſowie auch Die 1%, und %s Fr.:Stüde (30 und 15 Sous) von 
1791, von 2/3 Kom. — Die füddeutfchen Vereinsſtaaten haben für 6 
und 3 fr.:Stüde ein Korn von */s (51/5 Loth) angenommen, und e6 
follen 27 fl. auf die Mark fein gehen, alfo 10,2 Proc. mehr. — Die 
preuß. Silbergrofchen (jeit 1821) haben ein Rorn von 38/ Loth (0,3%); 
die Mark fein wird zu 16 Thlr. ausgebraht, alfo 142/; Proc. höher 
als in groben Sorten. Erwaͤgt man, daß die Prägefoften gegen 
4 Proc. mehr betragen, als bei Thalern ($. 257 (a)), und die Ab- 
treibefoften gegen 81/3 Broc., fo zeigt ih, daß dieſe Stüde, wenn bie 
Regierung beim Wiebereinfchmelgen feinen Schaden haben fol, wenig 
befler fein dürften. — Sachſen, Geſ. v. 1840: 1/5 Thle. 81/s Löthig 
oder zu 0,598 Korn. Diefe und die Scheidemünzgen (Neugrofchen und 
Pfennige), zu 16 Thlr. auf die köln. Mark, oder 14%, Proc. gering: 
baltigr. — Wiener Bertrag 6. 14: Bei Silberfcheidemünge darf das 
Pfund fein nicht Höher als zu 34'/ Thlr., 512/4 fl. und 60%, fl. ber 
3 Fuße ausgebracht werden, alfv gegen 20 Proc. geringhaltiger als 
Thaler und Gulden. — Die neuen billon-Münzen der Schweiz (20, 10 
und 5 Mappen) enthalten neben Silber und Kupfer noch 10 Procent 
Midel und 25 Sinn. Das Silber beträgt 15, 10 und 5 Proc., alio 
das Kupfer 50, 55 und 60 Proc. Dieß iſt zwedmäßig, um auf wohl: 
feilere Weile als durch Silber ein weißliches Ausfehen hervorzubringen. 
In 20 Rappenftüden (0,15 Korn) wird das Pfd. fein zu 205 Fr. aus⸗ 
gebracht, in groben Stüden zu 111, Fr. Zwanzig 5 Rappenitüde 
baben 'zufammen 33%, Grammen Schrot und 1% Gr. Feingehalt, 
alfo nur 0,7 der groben Stüde. Auch in Belgien wird den Eceides 
münzen Nickel zugefeßt. 


g. 244. [260.] 


In Hinfiht auf den Umlauf der Münzen hat bie 
Regierung nicht blos polizeiliche Maafregeln zur Entdedung 
falfcher Stüde zu ergreifen, fondern aud dad Erfcheinen aus⸗ 
wärtiger Münzen zu beauffichtigen. In einem größeren Staate 
oder bei geringem auswärtigen Berfehre Tann man biefelben 
ganz vom inneren Berfehre abhalten, indem man ihre Annahme 
bei den öffentlichen Caſſen unterfagt (a), was den Vortheil 
gewährt, daß die Regierung für fortdauernd gute Befchaffenheit 
des Umlaufsmitteld zu forgen vermag. Fremde Goldmünzen 
bürfen eher zugelaſſen werben, befonderd da, wo bie Silber; 
währung befteht, weil fie, auch eher gleichförmig, von den 


— 1% — 


dieß geichehen,, wenn unter 50 Gtäden 10 mehr ala die erlaubte 
Sehlergränge unter ter geſetzlichen Hegel befunden werden. Die oben- 
angegebene Beſtimmung des Münchener B. iſt vermuthlich neben der 
neuen nod gültig. — Das Müngeoncordat der 7 Cantone Bern, Lu⸗ 
zern, Breiburg, Solothurn, Bafel, Aarau, Waadt (18. April 1825), 
erkannte den Schweizerfranf von 125,50 franzöfiihen Brain ober 
138,7° Aß fein als gemeinſchaftliche Münze. Die vorhandene über: 
roße Menge der Scheidemünge follte allmälig eingezogen und ter zum 
Eneren Umlaufe beftimmte Reft derfelben geftempelt werten. Dielen 
Betrag bat man auf 3°-816-000 Fr. (2'607 600 Fl.) berechnet. Zwans 
ig Jahre lang follte Feine neue Scheidemünze gefchlagen werden. 
Diefer Vertrag brachte jedoch die völlige Gleichfoͤrmigkeit des ſchweize⸗ 
rifhen Münzweiens noch nicht zu Wege, die erfi das Bundesgeſ. vom 
1. Mai 1850 bewirkte. Das Münzweſen wird von nun an von dem 
Bundesrathe geleitet. Kür die Binlöfung aller älteren Münzen if ein 
Tarif aufgeſtellt. Die in obigem of befchloflene Prägung neuer 
Münzen umfaßte 12 Mill. iR wovon 7/3 Mil. in Silber-M. (bis 
zu %s Fr.), 4, Mil. in Billon, % Mill. in Kupfer. Ginige Can⸗ 
tone hatten indefien ſchon vorher Münzen nad dem franzdf. Fuße. 


I. Bapiergeld. 


$. 247. 


Unter Bapiergelb im weiteren Sinne verſteht man 
Scheine, welche dazu beflimmt und durch ihre rechtlichen Eigen⸗ 
fheften dazu tauglich find, wie Münze in Umlauf zu fein und 
daher bdiefelbe zu vertreten (a). So lange fie ein richtiges 
Zeichen der auf ihnen benannten Muͤnzmenge bilden, gewähren 
fie im Verkehre Vortheile, inden fie die Zahlungen erleichtern 
und mit geringen Koften zu verfenden find, I, 8. 296. Indeß 
kiegt der Berweggrund, aus welchem Papiergeld in Umlauf ge 
bracht wird, nicht in biefer Wirkung, fondern in bem Mugen, 
den ber Ausgeber (5) foldyer mit Außerfi geringen Koften her 
zuftellenden Münzzeichen bezieht, indem er fich derſelben zw fei- 
nen Ausgaben ftatt der Münze bedienen kann und ſich folglich 
wenigftend eine Zeitlang bie Verfügung über eine gewifie 
Preismenge ohne Zinfen verfchaffl. Der Reiz dieſes Nutzens 
fowie die aus der Kindheit der Volkswirthſchaftslehre Leicht 
erflärlichen SIrrthümer in Bezug auf Gelb» und Grebitweien 
haben öfters zu einem Mißbrauche des Papiergeldes verleitet, 
ber, wie manche Erfahrungen im 18. und 19. Jahrhundert 
zeigen, fürs den Bermögendftand vieler Einzelner, felbR für dem 
Wohlftand ganzer Völker fchädlich geworben if (c). Zwar 


(a) 


(e) 
() 


iſt 


— 187 — 


2 Bf. oder 2 fl. 349%, kr. beſtimmt. Die Folge hievon war, daß fie 
nah dem ſuͤdweſtlichen Deutfchland zogen, die gröberen Sorten bes 
24 PR. Fußes, hauptſaͤchlich die Kopfflüde, verbrängten und zum herr⸗ 
ſchenden Umlaufsmittel in dieſen Gegenden wurden. Bei einem Curſe 
von 2 fl. 42 fr. für dieſe Thaler würde die f. Mark fein zu 24% fl. 
ausgebracht werden. Da feine einzelne deutſche Regierung der Macht 
biefer Umfände widerſtehen fonnte, fo entihloß man fih in den ſüd⸗ 
beutfhen Staaten (1810 u. f. Jahre), nit blos ebenfalls Kronen: 
thaler als Landesmünge, fondern auch 1 und 2 fl. -Stüde nad dem 
nämlidhen 24%/4 n,; Buße auszuprägen, 3. B. Baben jeit 1821. An 
die Stelle diefes 24%/44 A. Zußes trat 1837 der 241/80 fl.-Fuß, 8. 255. 
Bol. Gleynmann, Aphorism. 176. — Klüber, S. 44. — Herz 
mann, a a. O. — Beder, Das öfter. Münzw. 1, 126, — Als 
im Herzogthum Braunſchweig der preußifche flatt des Eonventionsfußes 
eingeführt wurde, und hiebei die inländischen Scheidemünzen in dem 
Berhältniß von 13%, zu 14 niedriger geieht wurden, erlitten nicht 
blos Inländer, fondern auch Bewohner anderer Länder, in denen jene 
Städe umliefen, einen fühlbaren Berluf, und die erhobenen Beſchwer⸗ 
den veranlaßten endlich die braunfchweigifhe Regierung, diefe Münzen 
nach dem bisherigen Preife einzuziehen. 


So wurden in Sachen eine Zeit lang bie preuß. Thaler den fächflichen 
(13%/5 auf die Mark) gleih angenommen, obſchon fie 17, Ag Silber 
weniger enthalten. In Rußland nahm man eine Zeit lang 20 Franken⸗ 
ftüde ſtatt der halben Imperialen, welche 4 5. AB Gold mehr enthals 
ten und folglih 18,4 fr. mehr werth find. 


Die älteren unbedingten Verbote der Geldausfuhr entfprangen aus Irrs 
thümern des Handelsſyſtems; I, $. 36. 


3. 3. frühere Beſtimmung in Baden: „Der Auflauf grober Münzs 
forten zur Ausfuhr gegen Scheibemünge it bei Confiscation des außs 
ewechfelten Geldes verboten.” Rettig, 2. Ausg, ©. 379. — Die 
aͤchſiſchen Berorbnungen beflimmen namentlih, daB auf die auswärs 
tigen Ginfäufer inlanbifger Münzen und bie Lieferanten "fremder 

ünzflätten ein wachfames Auge zu richten fei; v. Salza und Lid: 
tenau, Handbuch des Pol.:Rechts, I, $. 36. 


$. 245. [261.] 


Ein wirffamered ®egenmittel in Bällen der erwähnten Art 
bie obrigfeitliche Preisbeftimmung, Würdigung (Bals 


vation, Tarifirung) ber fremden Sorten. Es würde ver 
geblih fein, zu befehlen, welchen Preis biefelben im bürger- 
lichen Berkehre gegen die Landesmünzen haben follen, mehr 
Erfolg aber hat die Belehrung der Bürger über den Feingehalt 
und den ihm entfprechenden Preis der fremden Münzen, für 
welchen fie auch bei den Staats, Gemeindes und Stiftungs- 
cafjen angenommen werden follen. Im Allgemeinen iſt es 
rathfam, fie hiebei nur als rohes Metall in Gemäßhelt ihres 
Feingehaltes ($. 244 (a)) zu würdigen, weil man feine Buͤrg⸗ 


— 192 — 


ihnen ausgegebene Umlaufsmittel in Betracht kommen, während 
die Staatdaufficht auf die Banfen überhaupt an einer anderen 
Stelle vorgetragen werben muß, $. 312 b (a). Es ift jedoch 
auch darauf Rüdficht zu nehmen, wie weit in einem Lande ber 
Gebraud der Erebitmittel und insbeſondere dad Banfwefen 
entwidelt und folglicy auch die richtige Kenntniß von demfelben 
verbreitet if. Manche Vorſichtsmaaßregeln, die bei der erften 
Errihtung von Banfen als Bebürfniß anzufehen find, koͤnnen 
in einer fpäteren ‘Periode als überflüffig erfcheinen. 

1) Das Recht zum Ausgeben von Bankſcheinen wird nur 
ſolchen Geſellſchaften oder Anftalten bewilligt, welche für bie 
Erfüllung ihrer Berbindlichkeiten genügende Sicherheit gewähren. 
Die Sagungen neuer Zettelbanfen werden deßhalb erſt nad) 
forgfältiger Prüfung genehmigt und es werben benfelben ſolche 
Bedingungen vorgefchrieben, welche dazu dienen, bie Inhaber 
von Bankſcheinen vor Verluften zu fchügen; doch follen, um 
bie freie Bewegung ber Banken nicht zu hemmen, die Befchräns 
fungen nicht weiter gehen, ald es für den angegebenen Zwed 
nöthig if. Es ift zwedmäßig, wenn in einem größeren Staate 
bie Bedingungen, unter denen Banken zugelaffen werden follen, 
geſetzlich bekannt gemacht werden, bamit diejenigen Perſonen, 
welche eine ſolche Anftalt gründen wollen, fi) bei der Entwers 
fung des Planes fogleih darnach richten fünnen (b). 

2) Es ift flreitig, ob e6 in einem größeren Staate nuͤtzlich 
ift, mehrere Zettelbanfen zuzulafien. Eine einzige Hauptbank 
mit einer Berzweigung von Unterbanten (Filialen, Succurfalen, 
Zweigbanfen) in den lebhafteren Handels- und Fabrifftädten, 
fann von der Regierung leichter und wirkſamer beauffichtigt 
werden, und läßt nicht die Unbefonnenheiten beforgen, zu denen 
da, wo viele Banfen neben einander ftehen, das ftarfe Mits 
werben bderfelben und das Beltreben, ihre Gejchäfte auszudeh—⸗ 
nen, oft Anlaß gegeben hat (ce). Wenn jedoch die einzige 
Bank Mißgriffe begeht, fo find die nachtheiligen Folgen defto 
ſtaͤrker; es ift ferner Gefahr vorhanden, daß fie mit der Regie 
rung in zu enge Verbindung tritt und, um bie Verlängerung 
ihres Monopold zu erlangen, der Staatdcaffe zu bereitwillig 
Borfchüffe macht, wodurch fie außer Stand kommt, ihre Ber 
bindlichfeiten zu erfüllen; fie kann ferner ihre großen Mittel 





—— 198 —- 


und ihre ausfchließliche Berechtigung zu einer eigennügigen 
oder parteiifchen Verwaltung mißbraudhen, fo daß fie dem Ber- 
fehre die Dienfte, die in ihrer Beftimmung liegen, nicht voll- 
fändig leiftet, I, $. 309. Deßhalb follte die Errichtung meh⸗ 
rerer mit einander wetteifernder Banken nicht verhindert wer⸗ 
den (d), doch bürfen dieſe nicht fo zahlreich fein, wie in 
Großbritanien und Norbamerica, I, $. 308. Sn EHeineren 
Staaten ift eine einzige Zettelbanf hinreichend. In Ländern, 
beren Einwohnerzahl einer ſolchen Banf feinen genügenden 
Spielraum darbietet, müßte biefelbe auf die Annahme ihrer 
Scheine in ben Nachbarſtaaten rechnen, die jedoch keineswegs 
gefichert ift, denn die Regierungen, welche in ihren Gebieten 
feine eigenen Banfen geftattet haben, muͤſſen forgfältig bedacht 
fein, ihre Untertanen vor Schaden durch fremde Banken zu 
bewahren, bie ganz außer ihrer Einwirkung ftehen. Für eine 
Bank, die ihren Scheinen auch in Nachbarländern Umlauf vers 
ſchaffen will, bleibt daher nichts übrig, ald daß mehrere Regie⸗ 
rungen fich hierüber verabreden und der Bank die erforderlichen 
Bedingungen auferlegen, jo daß das Vereindgebiet ihren Ges 
Ihäften offen fteht (e). 


(a) Neuere Schriften neben den in I, 6. 304 (e) genannten: Actenſtücke, 
die Grrichtung einer Gredit- und Girobank für das Großh. Baden 
betreffend, 1847. 40. (niht im Buchhandel). — Ueber Metall: und 
Papiergeld und bie Täufhungen des Banfnotenfyflems, nad dem 
Englifhen von Allbufen, Leipz. 1850. — Das Papiergeld und bie 
Wirfungen der Papiergeldwirthichaft, Wranff. 1852. — Bruns, Zur 
Banffrage Hannovers, 1853. — Aphorismen über Papiergeld und 
Bankweſen, Jena 1855. — Ueber Hantelsbanfen in Heinen Staaten, 
Karlsruhe 1856. — (Befften?) Zur Banffrage. Hamburg 1856 
(gegen die Zulaffung einer Zettelbanf). — Kurze Beleuchtung der 

rochure: Zur Banffrage, ebd. 1856. — Tellfampf, Ueber bie 
neuere Entwidelung des Bankweſens in Deutfhland, 3. Aufl. Bresl. 
1856. — Schuͤbler, Metalls oder Zeitelbanf, Stuttgart 1856. — 
Zugfhwerdt, Die neuen Bankmaaßregeln, Wien 1856. — Th. 
Tooke, History of prices. V, 485. Lond. 1857. — 9. Wagner, 
Beiträge zur Lehre von den Banken, Leipz. 1857. Deſſ. Die Gelb: 
und Gredittheorie der Peel'ſchen Banfacte. Wien 1862. Defi. Die 
Herftellung der öfterreih. Nationalbanf. 1862. — M’Eullod, 
Seld und Banken. Deutfh von Bergius und Tellfampf. Leipz. 
1859. 


(d 


— 


Als Beiſpiel dienen die in Preußen aufgeſtellten „Normativbedingun⸗ 

en“ v. 25. Sept. 1848 (bei Hübener, Die Banken, 1, 30), die 
—* ale zu läſtig angeſehen werden. Molinari, Commiſſionsbe⸗ 
richt im Haufe der pr. Abgeordneten, 28. April 1856. Eine ſolche 
geiegliche Borfchrift bedarf daher von Zeit zu Zeit der Umarbeitung. 
Rau, polit. Defon. II. 2, Abth. 5. Ausg. 13 


— 14 — 


(6) Daher war 3. B. Robert Beel im Hinblid auf — der Mei⸗ 


—2 


nung, es ſei beſſer, wenn nur eine einzige Anftalt Bankſcheine ausgebe 
(ee Eamof im Anhang u M'Culloch a. aD. ©. 268, ebenio 

ellEampf in der a. Ärift ©. 37) und auch in Rortamerica ik 
dieß öfter gewünfcht worden. 


Magner, Beiträge S. 226. — Für Dellerreih wird von Graf 
Defemwffy (Ueber die fhwebenden öfterr. Finanzfragen ©. 109) vor: 
gefhlagen, neben der Nationalbant Banken für die einzelnen Provin⸗ 
zen zu geftatten, welde zufammen 101%, Mill. fi. Scheine ausgeben 
dürfen. — Nah den preuß. Normativbeflimmungen fol feine Bank 
über 1 Mill. Thaler Stammcapital haben; eine zu weit gehende Bes 
fhränfung, wenn die in den folgenden Nummern angegebenen Regeln 
befolgt werben. 


(6) In den 4 füblichiten deutſchen Staaten find nur die Zettelbanfen zu 


Mien und Münden mit ihren Unterbanfen. Aber in dem mittleren 
und nörblihen Theile von Deutfchland befinden fih zu viele ſolche 
Anftalten, Darmfladt („ſüddeutſche B.“), Frankfurt, Homburg, Weis 
mar, Gotha, Gera, Sondershaufen („thüringifhe Bant“), Meiningen 
(„mitteldeutfche Creditbank“), Köln, Magdeburg, Dortmund, . 
Leipzig, Bautzen, Deflau, Braunfchmweig, Hannover, Bremen, Lübeck, 
Roftod, Breslau, Stettin und die 2 Berliner Banken (die „preußifche“ 
und die Bank des Berliner Caſſenvereins). Die Genehmigung fcheint 
von den einzelnen Regierungen ohne Rüdfiht auf andere Länder er- 
theilt worden zu fein. Es konnte die Abweifung der Scheine eines 
Theiles diefer Banfen in anderen Staaten nit ausbleiben, und bie 
aus entftehende Verwirrung muß zu einer vertragsmäßigen Regelung 
ühren. Es Fönnte 3. B. die thüringifche Ländergruppe im Zollverein 
auh in Hinficht auf die Zettelbanfen ald ein Ganzes behandelt wer: 
den, fo daß die dortigen Banken in eine einzige verfi moljen und für 
diefe gewiſſe Schranfen der Menge von Scheinen aufgeſtellt würden. 
Rau in Germania, 1856. Nr. 4. — Im Sabre 1857 find von Baiern 
(28. Sanuar) nur die Scheine der baierifchen, preußifchen und öfters 
teichifchen Nationalbank (nah dem jedesmaligen Curſe) im Berfehre 
erlaubt worden; in Preußen ift es vom 1. Dct. 1857 an verboten, auf 
den Inhaber lautende Schuldverſchreibungen ausländiicher Gorpora- 
tionen, Gefellfchaften und Privatperfonen zu Zahlungen zu gebrauchen, 
jevod bleiben a ei nad Vereinbarungen vorbehalten; Sachſen 
erlaubte die Scheine folder Banken, welche im Lande Auswechelungs- 
caflen errichten. — Borfchlag eines Banfcongrefies von Für Hoben: 
lohe, Berfammi. d. Darmfl. Bank, 4. Mai 1857. — In ten ver 
einigten Staaten von Nordamerica waren zu Anfang 1860 1562 
Haupt= und Unterbanfen mit 421°880000 D. ein eahltem Gapital, 
207 Mil. D. umiaufenden Scheinen und 83%/, Mil. Metallvorrath. 
Man nahm an, daß 200 Mil. Scheine fih im Umlauf halten können, 
es ift aber viel Staatspapiergeld vorhanden. — Nüglih ifl das im 
Gropbritanien übliche Auetaufhen ber Scheine verichiedener Baulen, 
fo daß jeder die ihrigen wieder zufließen. 


8. 248. [263.) 
3) Die Berfaffung einer Zettelbanf ift fo einzurichten, daß 


bie Gefhäftsführer (Verwalter, Directoren) gehörig überwacht 
und verantwortlich gemacht werben, und weber die Theilhaber 





— 1$ —- 


(Actionäre) noch die Befiger von Banffcheinen gefährbet find. 
Eine Actiengefelfchaft, bei welcher die Mitglieder nur bis zu 
dem Belauf ihrer Actien haftbar find, erfordert ſchon deßhalb 
eine forgfältig erwogene Anordnung. Zu biefer gehört ein 
Berwaltungsrath (Direction), ein zur Öberleitung beftells 
ter Auffihtsrath (a) und eine allgemeine Verfamms 
lung ber Theilhaber, die den Auffichtörath ernennt und bie 
wichtigeren, nicht dringenden Beichlüffe faßt (5). Den Gründern 
einer folchen Gefellfchaft follten Feine Vorzüge eingeräumt wers 
den, weldye ihnen auf die Dauer eine größere Macht geben, 
als anderen Theilhabern (ce). 

4) Einer Zettelbanf dürfen Feine ſolchen Gefchäfte geftattet 
werben, die mit einer ſtarken Wagniß verbunden find und bie 
Fähigkeit zum Einlöfen der Scheine mwenigfiend vorübergehend 
aufheben koͤnnen. Dahin gehört bie Betreibung des Handels 
mit Derfchreibungen (Effecten, I, 8. 293) und die Betheiligung 
bei anderen gewerblichen Unternehmungen, 3. B. Bergwerken, 
Sabriten, Waarenhandel, Eifenbahnen u. dgl. (d). Darleihen 
auf Unterpfänder (Hypothefen) bürfen wegen ber langfamen 
Erftattung wenigftend nur in einem beflimmten, verhältnißs 
mäßig begränzten Umfang gegeben werden. Zu dem Wirkungs⸗ 
freife der Zettelbanken (MWechfelankauf, Pfandparleihen u. dgl., 
I, $. 306) gehört wefentlih auch der Empfang von Gelb- 
fümmen als verzinsliches oder unverzinsliched Darlehen (Depos 
fitum), gegen Berpflichtung der Rüdzahlung auf Verlangen 
oder mit einer Kündigungsfrift, woburd bie Bank eine Schuld 
eingeht, wie bei der Ausgabe von Scheinen (f). 

5) Es muß ein Actiencapital zufammengelegt werben, wels 
ches theils in Münze, theild in guten inlaͤndiſchen Vetſchrei⸗ 
bungen beftehben kann (9). 

6) Die auszugebenden Banffcheine follten nicht bis auf 
bie Preismenge herabgehen, bie durch eine Silbermünze darge⸗ 
ftellt werben fann, weil fonft zuviel Münze aus dem Umlaufe 
verdrängt wird und bei dem Feineren Berfehre der Gebtauch 
des Papiergeldes minder zwedmäßig ift (A). 

7) Es fol nicht allein die Verbindlichkeit zum augenblid- 
lichen Einlöfen der vorgelegten Scheine und zur Rüdgabe ber 
Darlehen ohne Kündigungsfrift (4) beſtimmt ausgeſprochen, 

13* 


— 1% — 


fonbern auch bie Unterlaffung mit Rechtönachtheilen bedroht 
werben (ti). 


(e) 


Gewöhnlich trägt diefer den Namen Berwaltungsrath; da er aber 
mit der Verwaltung felbft nichts zu thun hat, fo verdient er mehr bie 
obige Bezeichnung. Er bat die Beamten zu ernennen und zu beaufs 
fihtigen und feine Mitglieder müſſen fi von Zeit zu Zeit am Sitze 
ber Ban verfammeln. 


5) In der fog. Beneralverfammlung giebt nad üblicher Cinrichtung eine 
c 


(e) 


(d) 


(e) 


rößere Zahl von Antheilen (Ackien) ihrem Beſitzer einen größeren 
Gindug auf die Beichlüffe; 3. B. Banf zu Weimar: . 


10—20 Actien geben 1 Stimme, 


21-40 ⸗ ⸗ 2 ⸗ 
41—60 ⸗ :s 3 ⸗ 
61—80 ⸗ 24 ⸗ 
8st—100 > ⸗ 5 ⸗ 
101—150 ⸗ ⸗6 ⸗ 
über 1000 = = 24 = uf. f 


Es find Halbe (Partial:) Actien zu 100 Thle., deren 50,000 ausge⸗ 
geben werden follen. 


In den Satzungen vieler neuer Actiengefellichaften bemerft man Bes 
ftimmungen, welde aus obigem Grunde zu mißbilligen find, weil fie 
die Gründer in den Stand ſetzen, ihren Bortheil auf Koften der übri- 
gen Theilnehmer zu vergrößern. Es it nit unbillig, daß die Stifter 
der Gefellfchaft für ihre Mühe und ihre anfänglichen Koften eine Ber: 
gütung erhalten, diefe follte aber eher in Geld ale in Gewalt beftchen 
und die Öberleitung follte fo bald als möglih in die Hände des von 
allen Mitgliedern gewählten Auffichtsrathes übergehen. 


Dagegen 3. B. die in viele Gewerksunternehmungen verwidelte bels 
ifhe Bank, die während der Gewerbeftodung, welche durch die Unters 
Banblung wegen ber Gebietsabtretung an Holland veranlaßt wurbe, 
am 13. Dec. 1838 ihre Zahlungen auf einige Zeit einftellen mußte, 
I, $. 317 (@. 


3. B. baierifhe Bank, I,$. 317 (f). — Der öfterreichiichen Nationale 
bank ift 1855 auferlegt worden, Darleihen auf Unterpfanbereht zu 
geben, wozu 50,000 neue Actien zu 700 fl. in Silber oder in Roten 
nah dem Gurfe ausgegeben werden follten. Ges find 40 Mil. Al. 
Noten (Banfvaluta) zu diefer Verwendung beſtimmt. Die auszugeben⸗ 
den Pfandbriefe dürfen das 5 fache diefed neuen Actiencapitald oder 
175 Mill. erreihen.. Die moldauifche Bank in Jaſſy verwendet 
3350 000 Thlr. zu folhen Darleihen gegen 7 Proc. Zins und 3 Pr⸗ 
Tilgung auf 17 Jahre. Ihr Actiencapital ift 10 Mil. Thlr. preuß.. 
Stat. v. 1856 $. 14.15. — Die Banken zu Weimar und Gera follen 
auch als Mentenbanfen zur Ablöfung gutsherrlicher Abgaben Vorſchuͤffe 
geben, II, $. 120. 


(f) Die preußischen Norm.:B. erlauben nur unverzinslich hinterlegtes Geld 


4) 


anzunehmen. Der Gommifi.= Bericht befchränft die Annahme verzins⸗ 
et Gelder fo, daB die Kündigungsfrift nicht unter 2 Monaten fein 
arf. 


In England war man fonft hierin überaus forglos; es wurden Bans 
fen von unbegüterten Perſonen gefliftet, die fich dadurch Credit zu vers 
haften fuchten, es wurden bisweilen nur 5— 10 Bror. vom Setrage 











(4) 


— 197 —- 


ber Actien wirflih eingezahlt und es fehlte bei einem üblen Musgange 
der Unternehmungen an Mitteln, um die Noten zu beden. Auch in 
Nordamerica herrſchte ein ähnlicher Leichtfinn, bi6 man neuerlich die⸗ 
fem Mißbrauche abgeholfen und ein in Schufdfcheinen eingeliefertes 
Actiencapital gefordert hat. Schlimm war aber, daß die hinterlegten 
Staatsfchuldbriefe mancher americanifchen Staaten fehr im Curſe fielen, 
weil die Zinszahlung ſtockte, weßhalb 1839 und 1840 manche Banfen 
brachen. New: Dorf (Bel. v. 1840) erlaubt daher neben Hypotheken: 
fhuldbriefen nur Schuldfcheine des eigenen Staates und ber Union, 
Louiſiana (1853) nur Schuldbriefe des eigenen Staats, der Union und 
New :Drleand. Nach einem neuen Gefeß der Union (1862) muß das 
Gapital in Schuldbriefen derfelben hinterlegt werden. — Biele neue 
Banken in Buropa haben ähnliche Vorfchriften erhalten, 3. B. preuß. 
Normativbeflimmungen: %s baar, wenigftens */, qute biscentirte Wech⸗ 
fel, Reit in inländifchen verzinslichen Schuldbriefen bes Staats oder 
von Gorporationen. Nach dem erwähnten Commiſſionsvorſchlage foll 
das ganze Gapital baar eingezahlt werden, allein da es nicht nöthi 
if, es fortwährend in diefer Korm bereit zu halten, fo läßt fi 3 
die Anlegung eines Theiles in Schuldbriefen nicht verhindern. 


I, S. 298. Unter 5 Thlr. oder 10 fl. ſollte man nicht herabgehen. 
Die in I, $. 311 — 17 mitgeteilten Nachrichten zeigen, daß die Bes 
flimmungen hierüber fehr verfchieden find. Die öſterreichiſche Banf hat 
neuerlih Scheine bis auf 1 fl. herab ausgegeben. Es foll aber nady 
ben neuen Satzungen v. 10. Jan. 1863 fünftig der Fleinfte Betrag 
10 fl. = 11% fl. füpd. fein, der Zeitpunct zur Befeitigung der klei⸗ 
neren Noten von 1 und 5 fl. ift noch nicht feſtgeſetzt. Der Heinfle 
Detrag eines Scheine ift 3. B. 


sh (58. St.), England, 
46%, fl. (100 Fr.). Frankreich, 
437, f (25 Thle.), Berliner Banf, 
1744 fl. (10 Thlr.), Preuß. Normativbeſt. Weimar, Gotha, 
16 A. (40 Swanziger),  SIaffn, 
1afl. (18. ©t.), Schottland, Irland, 
10 . Münden, Frankfurt, 
2fl. 24. (1 Dollar), die meiften nordamerican. Banfen, 
12/4 fl. (1 Thle.), Deffau, Gera, aber es dürfen nur 
Ya Mil. folder Scheine ausgegeben 
werben. 
In Preußen ift aber Staatspapiergeld bis auf 1 Thle. vorhanden. 
Bei den Berathungen der badifhen Sachverfländigen von 1847 wurbe 
ein Betrag von 25 Gulden mit 8 gegen 7 Stimmen gemißbilligt, 
50 fl. mit 13 gegen 2 Stimmen für zutäffg erklärt. — Nach vielen 
Berorbnungen ift der zuläffige Belauf der Eleineren Scheine im Gan⸗ 
zen feflgefeßt worden, 3. B. preuß. Norm «B. nur 1 in 10 Thlr.⸗ 
Sheinen, Yıo in 20 Thlr.⸗, 3/0 in 50 Thle.sScheinen. Commiſſions⸗ 
vorſchlag: 1a in 10 Thlr.sScheinen. 


(i) Dahn gehört die Verpflichtung, anfehnliche Berzugszinfen zu entrichten, 
3. B. 


taat Illinois, Connecticut 12 Proc. In dieſen Staaten, ſo 
wie in Indiana sc. iſt verordnet, daß, wenn die lung verweigert 
wird, von der Megierung die binterlegten Staatöpapiere 2 verfteigert 
und davon die umlaufenden Scheine bezahlt, zugleich die Banfgeichäfte 
eingeftellt werden. — De. Statuten von 1863 8. 13: Unterlaſſene 
Ginlöfung bei der Hauptcaffe in Wien zieht Verluſt des Brivilegiums 
der Nationalbank nach fih, ben Fall einer gefeßlich verfügten zeitwei- 
ligen Ginftellung der Zahlungen ausgenommen. 


— 1% — 


8. 249. 


8) Bei ben vielen in ber neueften Zeit errichteten Banken 
hat man verfchiebene Beftimmungen theild von Seite der 
Staatögewalt verfucht, theild vorgefhlagen, um bie Menge ber 
umlaufenden Scheine in gewiflen Gränzen zu erhalten, wobei 
man voraudfegt, daß ohne eine ſolche Borfchrift ein Weber: 
maaß der audgegebenen Scheine zu bejorgen fei. Gegen biefe 
Beitimmungen find jedoch auch Einwendungen erhoben worben, 
welche bauptfächlich in folgenden Sägen beftehen (a): 

a) Eine Beichränfung der Notenmenge fei entbehrlich, wenn 
nur bie Verpflichtung zur Einlöfung fireng aufrecht erhalten 
wird, weil die Banken hiedurch von felbft angetrieben werden, 
vorfichtig zu handeln, um ſtets in der Rage zu fein, ihre Ver⸗ 
bindlichfeiten zu erfüllen. 

b) Iene Maaßregel fei zugleich darum unnöthig, weil es 
nicht in ber Gewalt der Banken flieht, die Menge der umlau⸗ 
fenden Scheine beliebig zu vermehren, indem fie in ber Aus⸗ 
gabe derſelben lediglich dem Begehr von Darleihen und Wechfel- 
disconten folgen müffen (B). 

c) Es fei ungwedmäßig, nur auf die Menge der im Ber: 
fehre befindlichen Scheine zu adyten, ohne die aus Darleihen 
(Depofiten) entftehende Schuld zu berüdfichtigen. 

Hiebei ift zu bemerfen: 

Zu a) Diefer Sap hat deſto mehr Geltung, je mehr Er- 
fahrungen und SKenntniß von den Orunbdfägen einer guten 
Bankverwaltung die Regierung bei den Bankvorftehern voraus; 
fegen fann, während da, wo dieſe Anftalten noch nicht fange 
genug beftehen, ober wo bie Anzahl derfelben beträchtlich ift, 
auf die verftändige Selbftbefchränftung weniger gerechnet wers 
den darf. 

Zu b) In einem Lande, wo bie Banffcheine noch einen 
nicht großen Theil der Umlaufsmittel ausmachen, ift für bie 
Ausgabe von Banffcheinen noch ein weiter Spielraum, bie 
Vermehrung derſelben fliegt im Bortheil der Banktheilnehmer 
und fie ift ausführbar, wenn die Banf in ben mit Scheinen 
betriebenen Leib» und Discontogeichäften erleichternde Bebin- 
gungen anwendet, befonderd in Zeiten einer aufgeregten Unters 








— 19 —-. 


nehmungsluſt; überhaupt fehlt es nicht an Beifpielen einer 
übermäßigen Rotenaudgabe, die freilich zunähft die Banken 
ſelbſt in Berlegenheit fegte, jedoch auch die Beſitzer der Scheine 
gefährdete (c). 


Zu c) Dieß verdient Berüdfichtigung, I, $. 306. 3). 
Demnach ift ed wenigflend auf dem europälfchen Feſtlande 


nicht rathfam, alle befchränfenden Vorſchriften binmwegzulaffen. 
Es ift aber über die Wahl berfelben eine weitere Unterfuchung 
nöthig. 


(«) 


(2) 


Dieß ift die Anflcht der Anhänger des fog. banking principle (I, $. 307) 
ober des Grundſatzes der bankmäßigen Dedung der ausgegebenen 
Scheine durch leicht einzugiehenbe Forderungen und einen nad der Er: 
fahrung und den jebesmaligen Umfländen von ber Banfverwaltüng zu 
beRimmenben Baarvorrath. Wagner, Die Geldz und Grebittheos 
tie x. ©. 


Auf diefen Sag legt To oke großes Gewicht, f. 3. B. beflen History 
of prices from 1839—47, ©. 77, auh Wilson, Capital, currency & 
banking, 1847. — Wagner a. a. O. ©. 135. 


Biele Erfahrungen zeigen, daß die Banken die nöthige Vorſchrift nicht 
immer anwenden und aud nicht vollftändig darüber unterrichtet find. 
Bei der in Großbritanien umlaufenden Notenmenge (im Sept. 1862 
36 Mill. 2& — 423 Mill. fl. oder 14,° fl. auf den Kopf), bei den 
überhaupt dort fehr entwidelten Grebitanftalten, welche den Bedarf 
an Umlaufsmitteln vermindern, mag eher die Bränze der Summe von 
Scheinen, bie fih im Umlaufe erhalten fann, ſchon erreicht fein, fo 
daß eine das Bebürfnig überfleigende Menge alsbald in der Form der 
Rüdzablung einer Schuld, einer Einlage (depositum), oder zur Gin: 
löfung von Münze gn die Bank zuruͤckkehrt. Dieß iſt in anderen 
Ländern weniger der Fall. Jede neue errichtete Banf muß darauf 
bedacht fein, ihre Scheine neben den fchon vorhandenen Umlaufsmitteln 
in den Verkehr zu bringen, indem fie denjenigen Beriomen, die mit ihr 
Geſchaͤfte mahen, mehr Bortheile oder Bequemlichkeiten gewährt, ale 
andere ähnliche Anflalten. Niedriger Satz des Disconto, Annahme 
mandhfaltiger Arten von Fauſtpfändern, 3. DB. ausländifhen Staats: 
fhuldbriefen, Vorſchuͤſſe auf längere Zeit u. dgl. tragen hiezu bei. — 
Wenn viele neue gewerblihe Unternehmungen gemacht werben, wie 
bieß von Zeit zu Zeit mit verboppeltem Eifer geſchieht, fo entfteht ein 
größeres Beduͤrfniß nach Anleihen und die Borgenden nehmen biefelben 
erne in Scheinen von ber Bank, wenn dieſe bereitwilliger leiht ale 
rivatperfonen. Die Vermehrung ber Gewerbsgeſchaͤfte hält auch die 
neubinzugefommenen Scheine wenigftens eine Zeit lang im Berfehre. 
Man tadelt, daß die norbamericanifchen Banken im Grebitgeben weit 
über ihre Mittel hinausgegangen find, indem fie 3. DB. auf Waaren 
Vorſchuͤſſe mit 6, 12, ja 18 Monaten Frift gaben, während man nur 
4 Monate für ratbfam erachtet. — Die Gtreitfrage über bie beliebige 
Bermiehrbarkeit der Bankſcheine ift viel behandelt worden und die Art 
ihrer Beantwortung bildet eine Brundlage für die Regeln der Banf: 
politi. Die Anhänger des banking principle flügen ſich hauptſaͤchlich 





= — 20 — 


auf die Ausfagen heutiger englifcher Banknorſteher, welche mit großer 
Umfiht zu Werke gehen, was aber in anderen Zeiten und Ländern oft 
nicht gefchehen ift. 


$. 2492. 


Die Beftimmungen, welche den Banken in Bezug auf die 
Menge der audzugebenden Scheine vorgefchrieben werben Fön 
nen, find hauptfächlich von dreifacher Art. 

a) Unbedingte Feftfegung der größten erlaubten Summe 
der Scheine (a). Dieß wäre da, wo ſich mehrere Banken im 
Lande befinden, die mit einander in Mitwerben ftehen und deren 
Geſchaͤftsumfang veränderlih und nicht voraus zu erfennen ift, 
ganz unpaſſend, es ift aber überhaupt, wenn fonft die Bank 
verwältung an die nöthigen Vorfichtöregeln gebunden wird, im 
Allgemeinen Lin Bebürfniß, fie in ihrem Wirkungsfreife in 
ber angegebenen Weife einzufchränfen. Um die Maſſe dei 
umlaufenden Papiergeldes im Berhältniß zur Münzmenge bee 
Landes mäßig zu erhalten, reicht die unter Nr. 6) angegebene 
Beltimmung bin. Anders verhielte es fidh, wenn durch Staat 
verträge die Bankfcheine jedes Landes in den Nachbarftaaten 
Umlauf erhalten follen und bafür zu forgen ift, bag nicht im 
Vertrauen hierauf eine einzelne Bank ihre Noten zu fehr ver 
mehrt, $. 247. 

b) Feſtſetzung der Notenmenge im Berhältniß zu dem 
Actiencapital. Das neuerlich oft aufgeftellte Gebot, daß 
nicht mehr Scheine auszugeben fein, als das Actiencapital 
beträgt, ift empfehlenswerth, weil ed auch für ben Außerfien 
Tal, wenn die aus der Verwendung der Scheine entflanbenen 
Borderungen nicht einzuziehen wären, benfelben eine zweite 
Bürgichaft verleiht. Nur muß das Capital auch wohl erhalten 
und daher ficher angelegt werben (b). 

c) Beftimmung bed Berhältniffes der Notenmenge zu 
dem Baarvorratbe. ES ift im Allgemeinen nicht anzus 
geben, welcher Theil der umlaufenden Scheine durch bereit ge- 
haltene Münze oder ungeprägted® Edelmetall gebedt werben 
müfle, damit die Bank ſtets im Stande fei, die vorgelegten 
Scheine einzulöfen, weil dad Verlangen ber Einlöfung unter 
dem Einfluß mehrerer Urfachen veränderlih if. Es wird 
3. B. ftärfer, wenn man Evelmetall in ungewöhnlicher Menge 














— 201 — 
zu Sendungen ind Ausland braucht, wenn bie Roten zu fehr 
vermehrt worden find, wenn bad Vertrauen zur Bank erfchüts 
tert ift u. dgl. Eine für alle Kalle vollkommen fichernde Bes 
flimmung ift überhaupt nicht möglid, wenn man ben Baars 
fhab nicht der Notenmenge gleich halten will, woburd ber 
Bortheil für die Actionäre großentheild zerftört würbe (c). Es 
ift jedoch darauf zu rechnen, daß nicht alle in einem Lande 
zerftreuten Scheine plößlich vorgelegt werben. Folgende geſetz⸗ 
liche Beftimmungen find vorzüglich bemerfenswerth: «) Vielen 
neueren Banfen ift vorgefchrieben worden, einen baaren Vor⸗ 
rat) zu halten, der dem britten Theile der umlaufenden Scheine 
gleichfommt, und für die anderen 2/3 fichere Wechfel oder leicht 
zu verfaufende Fauſtpfaͤnder vorräthig zu haben (d). Diefe 
Metalidedung von !/s der Rotenmenge ald Regel der biöheri- 
gen Bankfpolitif hat zwar im Ganzen genommen zur Verhütung 
großer Fehler in der Verwaltung ber Banfen gedient und ift 
auch in ruhigen Zeiten vollfommen genügend, ericheint jedoch 
bei genauer Prüfung als ein unvollfommened Sicherungs⸗ 
mittel, denn aa) die auf Berlangen rüdzahlbaren Darleihen 
(Depofiten) machen bei manden Banfen einen anfehnlidyen 
Theil der Schuld, und eine Banf kann durch diefelben in Ver⸗ 
fegenheit gerathen, wenn fie auch jene Borfchrift beobachtet; 
ed follte alfo für bie erwähnten Darleihfchulden ebenfalls ein 
entfprechender Dedungsvorrath verlangt werben (e). bb) Die 
Borfchrift verleitet Leicht zu der Meinung, es fei unter allen 
Umftänden hinreichend, nur das 1/s in Baarfchaft liegen zu 
faflen, während oft der wirkliche Bedarf zur Erfüllung der Vers 
bindlichkeiten beträchtlich größer if. cc) Nach jeder Ders 
minderung des Baarvorraths, 3. B. um 1 Mil., muß bie 
Notenmenge verhältnigmäßig, alfo um 3 Mill. verringert wer⸗ 
ben, wenn die Bank nicht mit vermehrten Koften den Münz- 
fhag wieder ergänzen will. Dieß ift in manchen Fällen offen- 
bar nadıtheilig, wenn 3. B. der Baarvorrath ohne eine vor⸗ 
ausgegangene Notenvermehrung nur darum abnimmt, weil 
man zum Behufe plößlich nothwendig gewwordener Zahlungen 
ind Ausland viel Münze aus der Bank zieht und folglidy 
durch die Befchränfung der umlaufenden Notenmenge bie Um⸗ 
laufsmittel unzulänglich werden (f) ober auch nad) einer 


— 202 — 


Grediterfchütterung (Krife), wo Diejenigen, welche ihr Vermögen 
erhalten haben, auf andere Weife fchwerer als fonft Erebit 
finden (g). — Wegen biefer bisweilen eintretenden ungünftigen 
Folgen ift ed rathfam, da, wo in der Verwaltung der Banken 
auf gehörige Einficht und Vorſicht gerechnet werden kann, bie 
Drittel» Dedung oder überhaupt die Vorſchrift einer gleichbleis 
benden Quote, 3. B. 1a, ?/s ıc. zu befeitigen (h). — 2) Das 
noch beftehende, durch Rob. Peel vorgefchlagene und beßhalb 
gewöhnlih nad ihm benannte englifhe Geſetz von 1844 
(I, $. 312) ftellt eine andere Regel auf. Die erlaubte Roten 
menge fest fi) aud 2 Summen zufammen, nämlidy einer uns 
veränderlihen (14 Mill. 2.) und dem jebeömaligen Betrage 
des Baarvorrathed (2). Wie diefer abnimmt, muß die Menge 
ber Scheine um die nämliche Summe vermindert werden, wenn 
fie biöher die erlaubte Höhe erreicht hatte (k). Dieſe Vorfchrift 
ift den nämlichen Bedenken unterworfen, welche gegen bie 
Dritteldedung fprechen, nur baß, was ben unter @. cc. anges 
führten Nachtheil betrifft, gleiche Abnahme des Baarjchages 
eine geringere Verminderung der Notenmenge nothwendig macht 
und jener, fowie er abnimmt, einen immer Fleineren heil 
(Bruch, Quote) der leßteren bildet, alfo die Wirfung auf bie 
Menge der Umlaufsmittel und in den angegebenen Fällen wes 
niger ftörend ift (2). 


9) Um eine vorfchriftswinrige Notenvermehrung zu verbin- 
dern, laſſen fich verfchiedene Anordnungen treffen, wie die Mit 
unterfchrift eines landesherrlichen Beamten und die Beifügung 
einer fortlaufenden Zahl auf jedem Scheine, — amtliche Ber: 
ftegelung ber Kupferplatten außer ber Zeit des Gebrauchs und 
Aufficht auf ven Drud, — Ablieferung der unter der Leitung 
von Staatöbeamten verfertigten Scheine an bie Bank (m) 
u. dergl. 

(a) Preuß. Banf frühere Borfchrift: hoͤchſtens 21 Mil. Thlr. Scheine, 
B.⸗O. v. 1846. Nah Gef. v. 26. Mai 1857 Hört diefe Beichränfung 
auf. — Baier. Bank: bis 8 Mil. fe — Naſſau, Landesbank: bis 
1 Mid. fl. — Nimmt man an, baß von einer Geldmenge von 30 fl. 
auf den Kopf (17 Thlr.) !, in Bapier beſtehen dürfe, fo fönnten auf 
bie Mill. Einw. 6 Mill. fl. oder 3%, Mill. Thlr. kommen. Die deut: 
fhen Staaten ohne Defterreich hatten Bude 1858 106 Mill. Thlr. um- 


laufende Scheine, alſo gegen 3 Thlr. — 5%, fl. auf den K., wozu 
aber 32% Mill. Thlr. Staatspapiergeld kommen, zufammen g. 4 Thle. 





(d) 


(e) 


(e) 


— 203 — 


a. d. 8 Im preuß. Staate liefen 1858 78,9 Mil. Thlr. Scheine 
um, aljo mit dem Staatspapiergeld 5,2 Thlr. — 9 fl. a. d. Kopf. 
In Defterreih waren im April 1859 361 Mill. 6. fl. = 260%, Mill. 
Thlr. Scheine, oder (mit Ausfchlug von Oberitalien) 8 Thlr. = 14 fl, 
füdd. auf den Kopf, vermuthlih über die Hälfte der ganzen Gelb: 
menge, ohne Zweifel zuviel! Die Schrift: Aphorismen ıc. will ans 
fange 10-15 Proc. der Geldmenge, in einen größeren Staat 20 Pr. 
Papiergeld zulaflen. 


Das Beifpiel der neueren Bankgeſetze in ben einzelnen nordamericas 
niihen Staaten ift Hierin bei vielen neu errichteten europäifchen Ban⸗ 
fen nachgeahmt worden, 3. B. Lübeck, Sondershaufen (thüringer B.), 
Hamburg (norddeutihe B.). Münden: nur bie 40 Proc. des Capi⸗ 
tale. — Dagegen Frankfurt, neue Statuten: bis zum 3fachen bes eins 
gezahlten Grundeapitals. 


Borichlag einer folhen Bank ohne Ausgabe von Scheinen für Wuͤr⸗ 
temberg bei Schübler, Detall- oder Zettelbanf, 1856. — In ber 
Schrift: Zur Banffrage, Hamb. 1856, wird die dortige Sinterlegungss 
banf als hinreihend für die @rleichterung des Verkehrs dargeſtellt. 
Allerdings Könnte der Baarvorrath durch einmaliges Umfchreiben an 
jedem Tage 300 mal umgeſetzt werden, allein bieß geichieht bei weitem 
nicht und ohne Zweifel ift der Amlauf der Scheine viel bequemer als 
diefes Umfchreiben. 


3. 3. Preuß. Bank, Berliner Gaffenverein, Weimar, Büdeburg, 
Jaſſy. In Gera if ber Bankſchatz größer, nämlih für die erflen 
3 Mil, %,, für die weitere Rotenausgabe / 2. — Muͤnchen: nur '/s 
ber Notenmenge. Hamburg: %/a derfelben. ' 


Luzern, Stat. v. 11. Juli 1856 $. 18: Die Schuld der B. auf laus 
fende Rechnung, die umlaufenden Noten, die innerhalb 5 Tagen fällis 
gen Gaflenicheine auf Ordre und bie rüdzahlbaren verzinslidhen Gelder 
bürfen zufammen nicht über das 3 fache des Baarbeftandes gehen. — 
Die Stadtbanfen in New⸗Vork verabredeten, %/s aller ihrer Verbind⸗ 
lichfeiten (Scheine u. Depof.) baar zu halten. 


(/) In Mißjahren, wo viele Nahrungsmittel eingeführt werden müflen, in 


(9) 
(%) 


@) 


Kriegszeiten, zum Anfauf auswärtiger Staatsfhuldbriefe, Actien u. dal. 
kommen öfter flarfe Sendungen von Edelmetall ins Ausland vor, 
welche den Baarvorratä der Bank ftarf verringern. Muß nun fogleich 
das Ausgeben von Sceinen beſchränkt werben, fo entſteht durch die 
Berfagung gewohnter Vorſchuͤſſe und Wechſelankaͤufe eine Berlegenheit. 
In der öflerreih. Nationalbank fanf im Dec. 1840 megen der Gefahr 
eines Krieges mit Frankreich (Thiers) der Schag auf 15,0% Mil. 
oder unter !/ıo der Noten, obichon diefe fih nur um wenige Millionen 
vermehrt hatten. Im Aug. 1841 war ber Baarvorrath ſchon wieder 
auf %/3 angewahfen. Hätte man die Noten vermindern müflen, 3. B. 
auf das 5fache des Schatzes, fo würde die Einziehung einer flarfen 
Menge von Scheinen fehr ſtörend gewefen fein. 


Wagner, Die Seld- und Eredittheorie x. ©. 169. 


Ebend. S. 3. — In Nordamerica fügen fih die Banken der kleineren 
Drte (country b.) auf die Baarvorräthe der B. in den großen Han: 
belsftädten, jene haben daher wenig Münze zum Ginlöfen nöthig, letz⸗ 
tere mehr, und eine allgemeine Regel läßt ſich deßhalb nicht auiftellen. 
Hunt, Merchants mag. Febr. 1862. ©. 113. 


Diefe Summe war der damalige Betrag der Schuld ber Regierung an 
bie Banf. Es wurben zwar fpäter 3 Mill. abgetragen und verzinslich 


(&) 


& 


— 204 — 


angelegt, aber jene geſetzliche Beſtimmung blieb fiehen. GEs fehlt dem: 
nah für den nicht in Metall verbürgten Theil ber Scheine an einer 
guten banfınäßigen Dedung, was jedoch nicht nothwendig mit obiger 
Hauptbefiimmung zufammenhängt und bier nicht weiter in Betracht 
fommt. Bon der zuläffigen enge der auszugebenden Scheine liegt 
immer ein Theil (Referve) vorräthig für den Ball eines gefteigerten 
Umlaufsbebürfnifles. 


Dieß Geſetz iſt aus ber unter dem Namen currency principle belann: 
ten Lehre von dem PBapiergelde hervorgegangen (I, $. 307 (5)),. nad 
welcher die Menge des Raviergeldes (der Banficheine) immer ben Bers 
änderungen des Metallichages folgen foll, bamit eine übermäßige 


‚Bermehrung des erfteren verhütet werde. Vertheidigung dieſes Geſetzes 


bei Mac Culloch, Geld und Banfen ©. 169 und Telltampf 
ebd. ©. 246. Wine ähnliche Vorfchrift ift auch fürzlich für Deflerreid 
empfohlen worten, fo 3. B. Er. Defewffy a. a. O. — Für daſſelbe 
Schwebemayer, Das Actien:, Gefellichafte:, Bank» u. Verſicherungs⸗ 
weſen in England, 1857. ©. 112. Die forgfältige Bekämpfung die 
fer Lehre hat unftreitig zur befleren Aufbellung des Bankweſens beige: 
tragen, ſ. vorzüalih Toofe IL, 245 ber d. Ueberf. von Aſher. — 
Magner, Die Belds u. GEredittbeorie der Peel’ihen Bankacte S. 92. 
— In den beiden Kriſen von 1847 und 1857 mußte das Geſetz von 
1844 von der Regierung zeitweilig außer Wirffamfeit gefeßt und bie 
Bank zu einer Vermehrung der Scheine über das geſetzlich erlaukte 
Man ermächtigt werden, um den bebrängten Geichäftsleuten beizu: 
fteben. Die Trennung der B. von England in 2 Abtheilungen für 
Notenausgabe und Geihhäftsbetrieb fol dazu dienen, dag das erfiges 
nannte Geſchaͤft fireng nach der gefeplihen Vorſchrift, ohne Hüdfict 
auf andere Verkehrsbeduͤrfniſſe, geführt wird. Diele Ginrichtung hat 
aber die Folge, daß bei beiden Abtheilungen ein Baarvorrath gehalten 
wird und der bei der Betriebsabtheilung (banking dep.) liegende in der 
Berechnung der zuläffigen Notenmenge nicht eingerechnet wird, was in 
fhwierigen Zeitumftänden Hinderlih iſt. Diefe Abtheilung Hält übris 
gens aud einen anfehnlihen Vorrath von Bankicheinen (Referve) bes 
reit, welcher bei vermehrtem Begehr von Anleihen sc. verwendet wird. 
— Die neuen Statuten ber öfter. B. v. 10. San. 1863 enthalten 
6. 14 eine ähnliche Borfchrift. Zwar it im Allgemeinen die Direction 
verpflichtet, für ein geeignetes Verhältnis des Metallſchatzes au forgen, 
aber der über 200 Mill. fl. hinausgehende Betrag der Noten fol 
durch einen gleihen Silbervorrath gebedit werden. Die überhaupt ben 
jedesmaligen Baarſchatz überfleigenden Noten follen dur discontirte 
oder beliehene (verpfändete) Effecten, durch eingelöfle Coupons von 
Grundentlaftungsobligationen und bis zu 20 DAN. A. durch verfäufliche 
Pfandbriefe (aus dem Hnpothefenleihgefchäft) gebedt fein. 


Dieß laͤßt fih durch folgende Tabelle nachweiſen, wobei unter ber 
Borausfegung, daß ber unveränderlihe Theil ber erlaubten Roten: 
menge 15 Mill. betrüge, die Wirkung der Beel’fhen Regel unter P, 
der Dritteldeckung unter Dr. für bie verfchiedene Größe des Baarvor⸗ 
raths dargeftellt if. 








1. — — 




















8. b. 

8 j 2. 4, 

aarſchad Rotenmenge. ** vun. Ä Rotenmenge. nn 
15 Mil. | 30 MM | 50 Bro. | 45 Mil. 
12 2 | 27» 4 =: | 38: 

10 ⸗ 25 ⸗ 40 ⸗ I 30 > 

8 | 93 : 34 : | 24 =  'f 33 Proc. 
6 1: a: | 8». | 

5 | 20 = | 25 > I 15 ⸗ | 


Die Dritteldedung giebt bei einem flarfen Müngvorrath einen weiteren 
Spielraum für die Ausgabe von Scheinen, von dem aber fchwerlidh 
Gebrauch gemacht wird, bei einer flarfen Verminderung der Baarfumme 
fchränft fie dagegen die Notenmenge mehr ein. Würde der unveräns 
berliche Theil Fon 18 Mill. beſtimmt, fo wäre der Baarvorrath bei den 
obigen 6 Beträgen beflelben 45, — 40 — 38,8 — 30 — 25 — 21,?Pro:. der 
Noten. Mit diefer Beſtimmungsweiſe fommt in der Wirkung die Vor⸗ 
fchrift des Tardinifhen Gel. v. 6. Nov. 1856 überein. Wenn die 
umlaufenden Scheine fammt dem auf Sicht zahlbaren Gredit auf lau: 
fende Rechnungen (Buchcredit) betragen : jo foll der Baarſchat 


fein: 
über 60 Mill. Fr. Ale 
30—60 ⸗ ⸗ 45 


bie 30 ⸗ ⸗ — 
30 Mill. Fr. machen 68/3, 60 Mill. 13/3 Fr. auf den Kopf ber da⸗ 
maligen Boltemenge von 4%. Mill. Binw. ohne die Infel Sardinien. 


(m) So wird es in einem Theile der norbamericanifchen Staaten gehalten. 
Der Staatscaffirer übergiebt den Banken fo viele Scheine, als fie 
Staatspapiere hinterlegt haben. 


8. 250. 


10) Es ift dienlih, die Genehmigung nur auf einen ges 
wiffen Zeitraum von mäßiger Zange zu geben, damit man 
nad Berlauf deffelben nad) den inzwifchen gemachten Erfahs 
rungen und ben vielleicht veränderten Umftänden bie Bebins 
gungen abändern fönne (a). 

11) Es muß einer Staatöbehörde die Aufficht auf die Vers 
waltung der Banf übertragen werden, fo daß ein Staatd- 
beamter (Banfcommiflar) von den Berhanblungen und Gefchäfs 
ten Kenntniß nehmen darf und bei einem vorfchriftöwidrigen 
Verfahren ber Borfteher, wenn feine Einfprache nicht beachtet 
wird, Anzeige erftattet. Es ſoll aber hiedurch blos bie Beob⸗ 
achtung der Sagungen gefichert werben ohne eine weitere Eins 
mifchung in die Verwaltung, weil eine Banf als Privatanftalt 
in ihrem Wirkungskreiſe ſelbſtſtaͤndig fein muß (2). 


— 3060 — 


12) Die Vorſchrift, daß jede Zettelbank von Zeit zu Zeit 
den Stand ihrer Geichäfte, namentlich Rotenmenge, Baarvor⸗ 
rath, biscontirte Wechfel, Darleihen auf Unterpfänder, hinter⸗ 
legte Gelder ıc.,"befannt machen, auch ihre Jahresrechnung im 
Auszuge veröffentlichen fol, ift zweckmaͤßig, um ihr das Ver 
trauen zu gewinnen und fie von Yehlgriffen abzuhalten, welche 
in der öffentlichen Meinung fogleicd Tadel finden würden, I, 
8. 309. — (ce) 

13) Die Annahme der Bankſcheine im Privatverkehre 
braucht nicht gefeglich befohlen zu werben, weil ein Zwang 
nicht nöthig ift, um benfelben Umlauf zu verfchaffen. Mans 
chen großen Banken ift die Begünftigung gegeben worben, daß 
ihre Scheine zu einem gefeglichen Zahlungsmittel erflärt und 
in den Staatscaffen angenommen werden. Dieß iſt zwar von 
großem Bortheile für die Ausdehnung der Banfgefchäfte, weil 
nun eine größere Menge von Scheinen umlaufen kann, würde 
aber die Staatöcaffe bei einer mangelhaften Banfverwaltung 
in Berlufte verwideln. Diefe Anordnung ift daher im Al 
gemeinen nicht zu empfehlen und nur da zu billigen, wo 
eine Banf ver Regierung ganz beſondere Bürgfchaften ober 
Vortheile gewährt, fo daß dieſer Vorzug ald gefahrlos er 
ſcheint (d). 

(a) 100 Jahre Meiningen, 99 I. Münden, Braunſchweig, Gera, Lurem: 
burg, Weimar, — 90 3. Gotha, — 50 I. Hannover, Homburg, — 

25 4 Darmftadt, Frankfurt, — 10 93. Leipzig, Lübed, Roſtock, die 


Vorſchrift der preuß. Normative. (Harkort’s Antrag 1825 25 3. 
Gommifflonsberiht 15 3.) 


(5) Der Gouverneur der Barifer Bank (60 000 Fr. Befoldung) und ber 
Wiener Nationalbank werden von der Regierung ernannt. Dieß iſt 
der nöthigen Aufficht willen keineswegs erforderlih. Bei der preuß. 
Banf befteht diefelbe Anordnung, die aber hier wegen der Betheiligung 
des Staates gerechtfertigt if, 1, $. 317 05). 


(e) Wo viele Heine Banfen beftehen, ifl dieſes Gebot nicht ausführbar. — 
Wöchentliche oder monatliche Angaben find bei mehreren B. verordnet. 
Der Wiener Bank hat das Beheimhalten ihrer VBerhältniffe bie 1848 
in der öffentlichen Meinung gefchadet, I, $. 316 (1). 


(4) Dieß iſt vorzüglich bei ſolchen Banken gefchehen, welche bie einzigen 
im Staat6gebiete und mit der Regierung näher verbunden find. Reue 
Sagungen der Wiener Bank v. 1. Juli 1841, $. 15: „Die Banknoten 
find im Umlaufe ein durch die Geſetze begünfligtes Zahlungsmittel, zu 
deren Annahme jwat im Privatverfehre kein Zwang flattfindet, benen 
jedoch Peſchieß ih die Begünftigung zugeſtanden iſt, daß fie bei allen 
Öffentlichen Gaffen nad ihrem Rennbetrage als bankmaͤßige Silber: 








— 207 — 


münze angenommen werden müflen.” Später erhielten bie Scheine 
Zwangsumlauf und nad den neueftlen Sopungen von 1863 $. 16 
müflen fie von Jedermann file voll angenemmen werden. — Gbenfo 
Drbnung der preuß. Bank 5. Det. 1846 6. 33 und bei der baierifchen 
Bank. Auch die Scheine der Banf von England find feit der Erneue⸗ 
rung des Privilegiums von 1833 geſetzliches Zahlungsmittel. 


$. 250 a. [264.] 
Mehrere große bevorrechtete Banken find dadurch in ſchlimme 
Umflände gerathen, daß die Regierungen ihnen beträchtliche 
Summen ald Darleihen abforderten und bie Vorſteher biefer 
Zumuthung nicht widerfiehen formten, weil die Banken mit 
den Regierungen in mandyerlei Verbindung flanden und gegen 
fle verpflichtet waren (a). Mögen dieſe Borfchüffe in Münze 
oder in Scheinen geleiftet werben, fo entfteht aus ihnen leicht 
ein Mißverhälmiß zwiſchen der Rotenmenge und dem Baar: 
fchape, fo daß bie Banf bei ungünftigen Umftänden außer 
Stand gefebt wird, die zurüdftrömenden Scheine einzuldfen. 
Die Regierung, welche hieran Schuld if, und doch die erhal 
tenen Darleiben nicht zu erftatten vermag, kann in folden 
Fällen nicht umhin, die Bank auf einige Zeit von der Ber 
bindlichkeit zur Einwecholung ihrer Scheine ledig zu fprechen 
und zugleich denfelben einen Zwangsumlauf zu geben, db. h. 
zu verordnen, daß fie gleich der Münze von ben Bürgern bei 
Zahlungen angenommen werden follen. Nach einer foldhen 
Berfügung ift die Bank nicht mehr als eine bloße Privatunters 
nehmung anzufehen, die auf ihrem eigenen Eredite ruht, ſon⸗ 
dern fteht unter beſonderem Schuge ber Regierung, faſt wie 
eine Staatsanflalt, und wird von dem allgemeinen Staats⸗ 
erebite gehalten (5). Bankſcheine, welche auf biefe Weiſe ihre 
Eintösbarfeit verloren haben, fommen in ihren Wirkungen mit 
dem nichteinlöslihen Staatöpapiergelde (I, $. 300) überein, 
daher gelten bie in den folgenden 88. aufgeftellten Säge auch 
von ihnen. 
(a) Die franzöfiihe Bank erhielt 1857 die Erlaubniß, ihre Actien (bisher 
- 91250) zu verdoppeln und die neuen zu 1100 Fr. an die Actionäre 
abzugeben, mußte aber 100 Mil. Br. an bie Staatseafle abliefern 
wofür fie 3proc. Renten zu 75 erhielt, alfo im Ganzen 133%; id. 
N riefe, fo daß diefe Darleihe 4 Proc. Zins trägt. Diele Bers 
zinſung iſt nit unbillig, aber die ganze Vertoppelung des Capitals 


wurde bis auf 375000 Fr. von biefer Darleige binweggenommen und 
den Geſchaͤften entzogen. 


— 208 — 


(6) Wie diefer Schritt bei verichiedenen Banken gefchah, zeigt die Geſchichte 
der Settelbanfen, L, 8. 311 ff. — 6 giebt auch Zettelbanfen, deren 
Unternehmer der Staat felbit ift, 3. B. I, $. 317 (a), (e), (9). Die 
Dorfihtsregeln für die Privatbanfen finden natürlidy auch auf folde 
Anftalten ihre volle Anwendung, und ihre Scheine find, fo lange fie 
ihre unbedingte Einlösbarfeit behaupten, in ihren Wirkungen (factiſch) 
von dem Privatpapiergelde nicht verfchieden. Sie unterfcheiden fid 
von dem Staatöpapiergelde dadurch, Daß fie zum Betriebe gewinn: 
bringender Geihäfte in Umlauf gefeßt werden, während dieſes zu ben 
Staatsausgaben flatt des baaren Geldes verwendet wird. 


$. 251. [265.] 


Eine Regierung, welde Staatöpapiergeld (Baifen- 
ſcheine) ausgiebt, ift verpflichtet dafür zu forgen, daß bafjelbe 
im Berfehre der Münze gleich gelte (im Bari ftehe), weil es 
nur dann feine Beftimmung vollfommen erfüllt und fein Ums 
lauf von Nachtheilen frei bleibt (a). Dieß wird am ſicher⸗ 
fien bewirkt, wenn das Bapiergeld auf Begehren jedes Inhabers 
bei einer Staatscaffe eingelöft wird, wobei die größere Häufig: 
keit dieſes Verlangens fogleich ein warnendes Kennzeichen giebt, 
wenn dad rechte Maaß in ber Menge des audgegebenen Papiers 
geldes überfchritten worden ift, I, 6. 299. 307. Obſchon aud 
ein nicht einlößliched Papiergeld in ‘Bari ftehen fann (db), fo 
ift doch bei deinfelben Gefahr vorhanden, daß die erforderliche 
Borficht verabfaumt werde, woraus dann, bejonderd wenn dad 
Zutrauen gegen die Regierung erfchüttert ift, leicht eine Eures 
verfchiedenheit zwifchen Münze und Papiergeld entfteht. Eine 
mäßige Menge des Staatöpapiergeldes kann allerdings ſchon 
dadurch in Bari erhalten werden, daß daſſelbe in den Staats 
cafien bei der Entrihtung von Steuern und Gebühren, von 
Pacht- und Kauffchillingen u. dgl. angenommen wird. Bon 
der zugeficherten Einlöfung der Caſſenſcheine wird bei einem 
geringen Betrage derfelben fo wenig Gebrauch gemacht, daß fie 
als ganz überflüffig angefehen werben könnte. Allein jene Ans 
nahme (die fog. Steuerfundation) genügt nicht, ben Staatspapier⸗ 
gelde Bleichgeltung gegen Münze zu fihern, wenn bie Menge 
befielben fo groß ift, daß nur ein Theil von ihr auf biefe Weile 
feine Verwendung findet, während ohnehin die öffentlichen Laſten 
das eingenomniene ‘Papier fogleich wieder bei ihren Ausgaben in 
Umlauf bringen (c). Diefe Rüdkehr des Staatöpapiergeldes burd) 
Steuerzahlungen u. bergl. ift ein ähnlicher Vorgang wie bad 





— 209 — 


Eingehen der von einer Bank ausgegebenen Scheine bei der 
Erſtattung ber Darleihen oder der Ausbezahlung discontirter 
Wechſel, nur daß eine Zettelbank durch Beſchraͤnkung ihrer 
Geſchaͤfte leicht das abermalige Ausgeben eines Theiles der 
eingegangenen Scheine unterlaſſen kann, wenn ſie die Menge 
derſelben für zu groß hält, während die Regierung ihre Aus⸗ 
gaben nie fehr zu vermindern im Stande ift und daher, wenn 
fie dad Papiergeld vermindern will, fidy erft einen entſprechen⸗ 
den Münzvorrath verfchaffen muß. Das Ausgeben des Staats, 
papiergeldes ift eine Finanzmaaßregel, durch welche eine unver⸗ 
zinsliche Staatsfchuld entfteht, II, $. 487. 


(a) Ehitti’s (I, $. 303 (d)) Borfchlag eines Staatspapiergeldes, welches 
an die Stelle ter Münzen treten und burd die bejchränfte Menge, in 
der man es ausgiebt, in dem nämlichen :Breife gegen rohe Metalle ges 
halten werden full, wie die Münze, — ift großen Bedenken ausgelegt. 
Die Regierung müßte flets einen Borrath von Silberbarren haben, 
um burcd deren Verkauf nöthigenfalle den Preis des Silbers gegen 
das Papiergeld herabzudrüden. Der Bi. glaubt, die Regierung würde 
fehr gewinnen, indem die ganze umlaufende Müngmenge (von ihm auf 
300 Mill. Fr. in Belgien angeihlagen) in die Qände der Wegierung 
fäme. Ginlöfung fände hier nicht ftatt. 


(5) 3. 3. vormals die fächftichen Gaffenbillets. Neuerlid fing man an, 
fie bei den Staatscaflen auszuwechſeln mit einem Abzuge, der zuerft 
9 Pfenn. vom Thlr. betrug, 1819 auf 6 und hiernach auf 3 Pfennige 
vermindert wurde (resp. 3, 2 und 1 Proc.), 1834 aber ganz aufhörte. 
Im Privatverfehre fanden die &.:B fchon früher im Pari. Der dem 
Königreich Sachſen verbliebene Antheil von 2'/s Mill. wurde 1819 
ftatt der bisherigen 5 Thlr.:Stüde in 1 und 1! Thlr.:Stüde umge: 
wechſelt. 3. vom 1. Oct. 1818. — Nach dem Gef. v. 16. April 
1840 wurden flatt der bisherigen B.:B. 3 Mil. Thlr. neue im 14 Thlr.⸗ 
Fuße ausgegeben, zu 1, 5 und 10 Thlr. (resp. 1 600 000—18U 000 
und 50000 Stüd). Die Umwechslung geihah mit 27/5 Proc. Auf: 
geb, vgl. 6. 256 (8). Seit 1846 find 7 Mill. Thlr. in Umlauf. — 

a8 preußifche Papiergeld fanf 1809 bis auf 36, im Juni 1813 auf 
26%/8 Proc., doch nur auf kurze Zeit. 


(c) Nach Poͤlitz (Staatewifl. IL, 246) fol das Papiergeld nicht mehr als 
die Hälfte der jährlichen Staatseinnahme betragen. Dies ift für mande 
Länder ſchon zu viel. — Stein (Binanzwifl. S. 510) will 1/2 — Y/s. 
Es ift fogar bisweilen vorgefchrieben worden, daß gewifle Entrichtungen 
an die Etaatscaffe ganz oder zum Theil in Papiergeld gefhehen 
mußten, wie 3. B. nad dem uff. Gef. v. 29. Dec. 1768, welches 
len” von je 500 Rub. Steuer 25 (5 Proc.) in Affignaten zu bes 
zahlen. 


8. 252. [266.] 


Ein einlösliches ‘Bapiergeld kann, wenn feine Menge zu 


groß if, gegen Münze umgewechſelt werben, bie, woferne fie 
#an, polit. Octon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 14 


— 210 — 


im Lande feine Anwendung findet, hinauſsgeſendet wird. Muß 
aber zufolge einer übermäßigen Papiergeldausgabe oder ungüns 
fliger Umftände die Einlöslichkeit aufgehoben werben, fo hört 
jenes Mittel zur MWieberherftellung bed richtigen Maaßes auf 
und die Bermehrung bed Papiergeldes hat feine äußere Schranfe 
mehr. Wird die Einftellung (Suspenfion) des Einlöfens und 
die Erflärung des Papiergeldes zu einem gefeglichen Zahlungs: 
mittel (Jwangscurs) nur durdy eine augenblidlidye Unzu⸗ 
länglicyfeit ded Baarvorrathes veranlaßt, fo kann diefe Maaß⸗ 
regel bald wieder aufhören. Iſt fie aber fchon bie Folge einer 
zu großen Vermehrung des Papiergeldes, fo tritt gewöhnlid 
ein Sinfen beffelben gegen Münze oder gegen Edelmetall ein 
und biefe Erfcheinung ift im Verkehre von ähnlichen Nachtbeilen 
begleitet, wie eine Müngverfchlechterung ($. 246), nur in viel 
höherem Grade. Die Wirkungen find hauptſaͤchlich diefe (a): 

1) Die Preife aller Waaren und 2eiftungen fteigen gegen 
Papiergeld, aber bei den verfchiedenen Arten derſelben weder 
gleichförmig noch gleichzeitig, weil dad vermehrte Papiergeld 
den Begehr berfelben nicht in gleihem Maaße fteigert. IR 
ein Bebürfniß vorhanden, Zahlungen im Auslande zu machen, 
3. B. wegen der dorthin zu entrichtenden Schuldzinfen, fo wird 
durch den ftarfen Bedarf von Münze zu diefem Behufe bie 
Preiserhöhung derfelben gegen Papiergeld und das Steigen bed 
Wechſelcurſes befchleunigt. Einzelne Waarengattungen, welde 
ben Gegenftand verftärkter Speculationen bilden, werben mehr 
vertheuert, als andere, deren Verbrauch unveränbert bleibt. 
Biele Berfäufer verfuhhen aus Gewinnſucht fogar noch mehr 
zu fordern, als fie nad) dem Curſe des Papiergeldes follten (b). 
Es tritt deßhalb eine Störung in den gewohnten Preisverhaͤlt⸗ 
niffen ein, bei welcher ein Theil der Gewerbe leidet und fowohl 
bie Verzehrung als die Erzeugung vieler Dinge vermindert 
wird. In den ſchwach bevölferten Gegenden eined Landes, wo 
audy ber Geldverfehr weniger lebendig ift, kann es ziemlid 
lange dauern, bis bie Erhöhung der Preife ſich vollſtaͤndig 
burchgefegt hat (ec). Zu dieſen Urfachen einer ungleichen Preis⸗ 
erniedrigung kommt, daß auch die herrfchende Meinung von 
ben bevorfichenden Creignifien je nach den obwaltenden Um 
ſtaͤnden jehr verſchieden fein kann; es wirb bald für leichter, 








— 211 — 


bald für ſchwerer gehalten, eine weitere Bermehzung bes Papier: 
gelded zu vermeiden, einen Theil befielben aus dem Umflaufe 
zu ziehen, mehr baares Geld herbeizufchaffen und alle Verbind⸗ 
lichfeiten zu erfüllen. Daher laßt fich Feine allgemeine Regel 
barüber auffinden, in welchem Zahlenverhältniß durch eine ges 
wifle Zunahme des Papiergelded der Preis beffelben erniedrigt 
werben müfle (d). 

2) Diejenigen Bolföclaflen, deren Einkünfte in feften Gelb- 
fummen beftchen, wie die von Leihzinſen lebenden (die fogen. 
Eapitaliften) und die Beamten, müffen ihre Ausgaben beträchts 
ih einſchraͤnken und fönnen zum Theile nicht mehr auskom⸗ 
men. Den Schuldnern wird es leichter, ihre Schulden in dem 
gefunfenen Papiergelde zu verzinfen und abzutragen, jeboch ift 
biefer unverhoffte Vortheil im Ganzen betrachtet fein Erfag für 
bie Bebrängniß der Gläubiger (e). 


(a) Außer den in I, $. 293 (a) genannten Schriften noh van Evever: 
den, Berl. einer Entwicklung der nacdhtheiligen Folgen einer gar Mu 
großen Maſſe Staatspapiergeldes. Goͤtt. 1805. — Krünig, Encykl. 
CVLL, 248. — Stord, U, 134. — Lotz, U, 388. — v. Sacob, 
Neber Ruplands Papiergeb- Halle, 1817. — Baumftarf, Staatem. 
Verſ. S. 249. — Helferih, Die öflerreih. Valuta ſeit 1848, in 
Staatswifl. Zeitichrift, 1855 S. 259, 1856 ©. 85. 403. — Bag: 
ner, Art. Papiergeld. — Brüdner, über das rufl. Papiergeld in 
Hildebrandt, Jahrbücher ter Nationalöfon. u. Statiftil, I, 48 
(nah Gorlow). 


(5) Nur in der allererften Zeit, bevor dieſe Preiserhöhung merklich einge: 
treten if, kann die vermehrte Geldmenge den Schein eines größeren 
Wohlſtandes hervorbringen und zu neuen Jnternehmungen reizen, bie 
jedoch fehr bald ihre Bränzen finden, Jacob, a. a. D., ©. 22. 
@benio ift die anfängliche iedrigung des Zinsfußes, welche aus der 
irrigen Annahme einer Capitalvermehrung entfieht, fowie bei einem 
vlöglihen Anwachſe ber Münzmenge (1, $. 236), nicht von Dauer. — 
Sn Franfreih ging man am 3. Mai 1793 fo weit, die Bertheuerung 
der Waaren gegen Papier durch eine geießliche Preisbeftiimmung (das 
fog. maximum) verhindern zu wollen, wovon man jedoch wegen der 
verderblichen Folgen für den Verkehr bald zurüd fam, III, $. 488 (5). 
— Zur Zeit der Affignaten war ein allgemeiner Speculationes und 
Wuchergeiſt in Frankreich; 1 Pfd. Weißbrod wurde mit 25— 30 Br. 
bezahlt. Thiers, Hist. de la rövolut. franc. V, 441 (4. Aug.). 


(6) v. Jacob, a.a.D., ©. 25. Stord, ILL, 147. — So lange bie 
Münzmetalle ſtaͤrker gefliegen find, als ein Theil der Waaren, koͤnnen 
biefe von Fremden wohlfeil gekauft werden. Sf 3. B. die Münze 
gegen Papiergeld um 25 Proc. gefliegen, während manche Waaren nur 
18 Proc. theurer geworden find, ſo fann der Ausländer mit gleicher 
Baarfumme 6 Proc. mehr Waaren einfaufen. — So lange das Sin: 
fen des Papiers gegen Münze no fortwährt, koͤnnen begreiflich bie 
Breife der Waaren nicht fchnell genug diefer Veränderung folgen. In 

14* 


(2) 


— 22 — 


Rußland fanten die Affignaten von 1803 an beträdjtlih, aber ber 
Preis des Getreides gegen Papier erhob ſich langfamer, ale der ber 
Silbermünzge. Selbſt 1814, vier Jahre nach der legten Vermehrung 
der Affignatin, war der Roggen gegen ben Preise von 1803 erſt um 
120 Proc., Silber aber um 218 Proc. grigen- Stord, IL, 141 
und Taf. IX. — Brüdnera a. O. ©. 54. 


Man kann deßhalb nicht annehmen, daß die Menge bes umlaufenden 
Papieres, mit dem jedesmaligen Curſe multiplicirt, genau die naͤmliche 
Summe Münze darftellt. Nach ber Tabelle bei Helferih a. a. D. 
1856 S. 124 war in Deflerreih vom October 1849 bis Ende 1855 
i. D. das Papiergeld, nad dem Gurfe auf Münze zurüdgeführt, — 
292 Mill. fl., aber in einzelnen Zeitpunkten ſchwankte die Zahl von 
251—337 Mil. — Befeftigt fi) im Nuslande das Vertrauen zu ber 
Finanzverwaltung des Staates, Der an einem geſunkenen Papiergelde 
leidet, und werden zum Anfaufe der gleichfalls im Curſe herabgeganges 
nen Gtaatefchulobriefe, Actien ıc. Baarfummen eingeführt, fo befiert 
fih der Curs des Papiergeldes. Vermehrte Zahlungen in das Aus 
land fowie alle Umftände, welche ſolche Sendungen als bevorſtehend 
vermuthen laffen, drüden ihn dagegen herab. Wrläuternte Thatſachen 
hiezu aus Rußland bei Stord, II; 128. — Die Berfchiepenpeit 
der Meinungen über die Wirkungen der 1797 in Grofbritanien anges 
ordneien Ginftellung der Noten: Binlöfung (1, 6. 312) laßt fhon ver: 
muthen, daß hier verfchiedene Umflände zufammengetroffen fein und 
ganz eigenthümliche Berhältniffe obgemwaltet haben müflen. Gewiß ift, 
daß erft nad einigen Jahren ein ſchwaches Sinken der Scheine gegen 
Gpdelmetalle erfolgte und die ftärfere Erniedrigung, die 1814 fogar bis 
auf 75 Proc. Herabging, erft 1808 anfing und nad dem Frieden, um 
1817, von felbft wieder aufhört. Wan gewöhnte fih daran, bie 
Banfficheine als das wahre Preismaag zu betrachten und Las Gold wie 
eine im Preife geftiegene Waare anzufehen. Drüdt man die im Bapier: 
ga angegebenen Breife der Waaren in Gold nad deſſen jedesmaligem 

urfe aus, fo find fie beträchtlich niedriger. Wenn teflenungeachtet 
die „Depreciation“ geläugnet wird, fo ift dieß nur fo zu verſtehen, 
dag man das Sinfen der Scheine nicht aus einer übermäßigen Ver⸗ 
mebrung berjelben erklärt, wofür fchon ter Umftand fpricht, daß bie 
Notenmenge erft 1817 ihr Mar. (30 Mill. L. St.) erreihte, als Lie 
Scheine fhon wieder höher gegen Metall fanden. Nachdem ſchon in 
den erften Jahren nad 1797 viel Edelmetall ausgeführt worden mar 
(man glaubt gegen 20 Mill. 2.), trat die anfehnlichere Bertheurung 
defielben gegen Scheine in der Zeit ein, als für den fpanifchen und 
oͤſterreichiſchen Krieg, ſowie für Getreideläufe neue große Zahlungen 
ins Ausland nötbig wurden. Die Continentaljperre verhinderte die 
Abhülfe, welche außerdem nicht Hätte ausbleiben können, nämlich bie 
vermehrte Ausfuhr britifcher Waaren nad dem Fefllande und die Gin; 
fuhr von Gold von dieſem. Die Abnahme des americanifchen Berg: 
baus (I, $. 272 a (5) I, 3) fam Hinzu. Die Preife der verfchiedenen 
Waarengattungen veränderten fi aber in ſo ungleiher Weile, daß 
man feine einzige Haupturfache der Erfcheinungen auf tem Waarens 
marfte herausfand. Es ift der deutlichen Grfenntniß Hinterlich, daß 
die Menge der Scheine der anderen Banken außer der „DB. von Eng⸗ 
land” nicht befannt iſt; ihre ſtarle Vermehrung kann jedoch nicht bes 
zioeifelt werden. Um 1814 wurde die Summe aller Banffcheine auf 
65 Dil. 2. angeichlagen (Bolquhoun, Ueber den Wohiſtand x. 
des Brit. Reiche, I, 79), alfo gegen 3,8 &. auf den Kopf, während 
im Dec. 1856 für 28 Mill. Binw. nur 39 Mill. L. St. Bankſcheine 
oder 1,4 2. auf den Kopf unliefen. Wird jene Zahl von 65 Mill. 














— 213 — 


angenommen, fo ergeben fih, da die B. von E. damals gegen 29 Mil. 
umlaufend hatte, für die übrigen Banfen 36 Mill. Hievon hatten bie 
englifchen gegen 22, die B. von Irland über 4 Mil. (Mac:Eul: 
loch Handb. I, 102. 112), von den fchottifchen und den übrigen ir 
ländifchen fehlen die Angaben. Man darf wohl vermuthen, daß ſaͤmmt⸗ 
lihe B. außer ber B. von E. 1797 nicht über !/a jener 36, d. 6. 
hoͤchſtens 9 Mil. Noten gebabt haben, fo daß der ganze Notenumlauf 
von 1797 18 Mill. nicht überfliegen bat. Ein Theil des Zuwachſes 
fand durch die 1797 geichehene Ginführung der Scheine unter 5 2. 
feine Verwendung. Hätte man bie Maafregel von 1797 (Reftriction) 
vermeiden fönnen, fo wäre mehr Münze in Großbritanien geblieben, 
man hätte die großen Sendungen von 1808 cher beftreiten koͤnnen und 
wenn auch dann eine Zahlungseinftellung notbwendig geworden wäre, 
fo wäre doch wahriheinlih der Curs nicht fo weit von Bari abges 
wichen. — In Rußland ift eine bemerfensivertbe Erfcheinung einges 
treten. Während bie Regierung ben Rubel Silber zu 3,0 R. Bank⸗ 
affignaten rechnete, ſtand berfelbe im Verkehre höher, 3. B. 1839 zu 
4,%_4,%, aber felbft der PBapierrubel wurde zu 1,7 R. in einem fin- 
girten noch geringeren DM. gerechnet (vermuthlich demjenigen, in welchem 
der Silber-R. gegen 4, galt). Brüdner a. a. O. 


(e) Stord, U, 139; LIU, 143. 


$. 253. 


3) Die Münzen, wenigftend die groben Sorten und bie 
guten Stüde, verfehwinden aus dem Umlaufe, weil man mit 
ihnen zufolge bed Zwangscurſes bed Papiergeldes nicht mehr 
ausrichten kann, ald mit dieſem; man legt fie theild zurüd, 
um fpäter von ihnen Nugen zu ziehen, theild führt man fie 
aus (a). Hiedurch wird den Kaufleuten das Mittel entzogen, 
fpäterhin zu einträglichen Unternehmungen Geld ind Ausland 
zu fenden, aud wird der Gränzverfehr nothwendig unters 
brochen. | 

4) Die eingeführten MWaaren werden am früheften um den 
ganzen Betrag der Eurdverfchiedenheit vertheuert (6) und fogar 
noch darüber, wegen der Furcht weiterer Erniedrigung im Preife 
des Papiergelded. Deßhalb, und weil viele Einzelne ihren 
Aufwand befchränfen müffen, wird der Begehr jener Waaren 
fhwächer, die Einfuhr verringert ſich, dieß zieht aber bald eine 
Verminderung der Ausfuhr und eine Schwädhung ber Probucs 
tion nad) ſich (ec). 

5) Da unter ſolchen Umftänden Jedermann ſich auf neue 
Vermehrung bed Papiergeldes und need Sinfen deſſen im 
Gurfe gefaßt halten muß, fo entfteht ein allgemeines Miß⸗ 
trauen, welched den Credit lähmt. Viele Unternehmungen 


— 214 — 


‚ bleiben ausgefest, viele Capitale liegen unthätig, der Zindfuß 
fteigt wegen ber Unficherheit und es tritt eine peinlicye Zers 
rüttung ber wirthfchaftlichen Verhäftniffe ein (d). Das fid 
leicht einfchleichende falfche ‘Bapiergeld (e) verftärft dieſe Er- 
fheinungen, wofern nicht die größte Vorſicht dagegen aufge 
boten wird (f). 


(«) 


(8) 


(e) 


(@) 


Wird in mehreren Ländern gleichzeitig eine beträchtlihe Menge von 
Papiergeld in Umlauf gefept, fo kann die den anderen Ländern zus 
firömende Mafle von Müngzmetall die Wirkung haben, daß allgemein 
die Preife der Waaren gegen baflelbe fleigen, I, 266 (a). Rad Ne: 
benius find von 1780 an in Deflerreih, Großbritanien, Spanien 
und Rußland gegen 1980 Mill. Franken Papiergeld Hinzu gefommen, 
und die bedeutende Verringerung des Papiergelbes feit 1814 mußte 
dagegen ein Steigen der Metalle gegen Waaren nad fih ziehen. — 
Deff. Eredit, 1. Ausg. Anh., S. 191. 255. 2. Ausg. I, 150. 155. 


Menn 100 fl. Münze oder die barin enthaltene Menge von robem 
Metall 130 fl. in Papier gelten, fo wird derjenige, welcher im Auss 
lande 100 fl. Münze zu feiner Berfügung bat, d. i. der Berfäufer 
eines Wechſels, denfelben nicht für weniger als 130 fl. Papier hingeben 
wollen. Man betrachtet deßhalb mit Mecht den Wechſelcurs ale ein 
Kennzeichen für die Herabwürdigung des Papiergeldes, vgl. I, $. 312 
(d). Der Wechſeleurs nah und von einem Lande, in welchem bloß 
Papiergeld umläuft, ift übrigens nothwendig fehr flarten Schwanfun: 
en ausgelegt, je nachdem aniehnliche Baarzahlungen von dem Aus: 
ande en oder nach demfelben hinaus vorfommen. — v. Jacob 
a. a. O. ©. 41. 


In Frankreich, Schweden und Oeſterreich iſt der Zinsfuß in die Höhe 

gegangen, ohne Zweifel wegen diefer Unficherheit,, welche die Gapitas 

en abgeneigt madte, ihr Bermögen auszuleifen. — v. Jacob, 
. 40. 


Je tiefer_da8 Papiergeld ſchon gefunfen ift, deſto nachtheiliger if ein 
gleiches Sinfen des Eurfes, weil es dann einen deſto größeren Theil 
der ganzen Summe ausmadt. Kommt 3. B. der Curs von 30 auf 
20, jo beträgt dieß */s, fällt er erft von 80 auf 70, fo ift dieß nur !/s. 
Stord, II, 141. 


Zur Seit der franzöfifchen Nifignaten wurde in Deutichland fehr viel 
ſolches Papier nacgemadt, welches befonters die Ausgewanderten bei 
dem Feldzuge der Verbündeten im Sabre 1793 nad Frankreich zu 
bringen bedaht waren. ine PBapiermühle in der Rheingegend mar 
zur Verfertigung des hiezu erforderlichen Papieres angelauft worden. 
— Nachmachen der preußiichen Treforfcheine in London (1822, die 12 
Oberrihter von Großbritanien erfannten diefe Nachahmung bes aus: 
ländifhen Bapiergeldes für felony, nad der Parlaments: Acte vom 
11. Aug. 1803, Hitzzig, Zeitfchrift für die Crim.⸗R.⸗Pfl. in ten 
preuß. Staaten, 1827, X. Heft), und der preuß. Kaflenfheine in 
Avignon (1827). Falſche Wiener Banknoten wurden in Gngland ver 
fertigt und nach Defterreich gebracht. Dal. I, $. 317 (eo) 


(f) Man nimmt gewöhnlich Papier mit befonderem Wafferzeichen, bebient 


fi) mehrerer bunter und trodener Stempel, läßt die Kupferplatten mit 
fehr vielen feinen verfchlungenen Linien ſtechen u. dgl. — Der Bors 








— 215 — 


fhlag von Balmer, das Bapier mit einem Gemiſche verfchiedener 
Farbſtoffe zu färben und die Farbe dadurch unnahahmlih zu machen, 
daß man, ohne tie Mifhung nah Regeln vorzunehmen, die Karbfloffe 
aus einem Gluͤcksrade zöge (Buſch, Handbuch der Erſind. IX, 655), 
iR nit beiriebigend, weil die Karben bleichen und auch immer nach⸗ 


gemacht werden können. Molard rieth, geübte Platten von damas⸗ 


eirtem Stahl zu benutzen, welche regellofe und höchſt fchwierig nach: 
pahmende Zeihnungen geben; vgl. Prechtl, Jahrbücher des polyt. 

nflitute, IV, 462, wo auch Abdrüde foldyer Platten zu finden find, 
und Archives des dsconvertes, 1822, S. 221. — Bin geheimes, nur 
wenigen Staatsbeamten bekanntes Kennzeichen der Aechtheit und das 
öftere Cinwechſeln empfiehlt v. Jacob, Polizeigefeßgeb. II, 638. — 
Hiermit ift aber den Befigern falfcher Scheine nicht geholfen, weil fie 
fh vor der Annahme nicht hüten können. 


6. 254. [268.] 


Wenn eine Regierung ſich ihres eigenen Papiergeldes oder 
der geborgten Scheine einer Bank als eined Hülfsmitteld in 
einer Finanzverlegenheit bedient, fo wird biefer Zweck nur uns 
vollſtaͤndig erreicht, weil bei dem Steigen der Waarenpreife 
gegen Papier audy ein Theil der Staatdausgaben größer wird. 
Hiedurdy ift man faft in allen ſolchen Faͤllen zu einer weiteren 
Vermehrung der umlaufenden PBapiermenge bewogen worben, 
woraus dann ein abermaliged Sinfen des Curſes und eine 
wieberholte Vergrößerung bed Staatöbebarfes hervor ging (a). 
Es ift nicht leicht, ſich aus dieſem Kreislaufe zu retten und 
dem Uebel Einhalt zu thun. Iſt dieß durch günftige Umftände 
oder geſchickte Finanzmaaßregeln ausführbar geworden, fo muß 
vor Allem der Vermehrung und dem weiteren Sinfen bed Pa- 
pierd gefteuert werden. Wenn ber Curs befielben noch nicht 
lange und nicht tief unter Pari gefunfen ift, fo daß bie Hoff 
nung und Erwartung einer wieberfehrenden Gleichgeltung mit 
Münze die vorherrfchende Meinung bildet, fo ift es für den 
Ffünftigen Erebit der Banf (wenn das Papiergeld ganz ober 
zum Theile aus Scheinen berfelben beſteht) und ber Regierung 
zuträglich, es ift gerecht und ehrenhaft, darauf Kinzuarbeiten, 
baß der Eurs des PBapiergeldes auf Pari gehoben und die Eins 
Löslichkeit wiederhergeftellt werde, wenn gleidy dazu ein beträchts 
licher Aufwand der Staatscaſſe erfordert wird und bie Berlufte, 
die von ben Staatöbürgern burd das allmälige Herabgehen 
des Eurfes erlitten wurden, von dem Steigen beflelben nicht 
genau vergütet werden (6). Unter ven entgegengefepten Umfländen 


— 216 — 


würden zur Emporhebung des Bapiergeldcurfed unerſchwingliche 
Mittel nöthig werden und gleichwohl würde der große hieraus 
für die jegigen Befiger von Papiergeld entfiehende Gewinn noch 
weniger an diejenigen Perfonen gelangen, die beim Sinfen des 
Eurjes verloren. In einem foldyen Falle muß man fid) damit 
begnügen, einen gewiffen Curs feftzuftellen, den man durch 
wieberbegonnene Einlöfung aufrecht zu erhalten im Stande ifl, 
um dem Gewerbeweſen wieder eftigfeit und Credit zu geben 
und zu bewirken, daß das Metallgeld wieder zum Borfchein 
fomme (c). Je weniger wegen bed häufigen Umlaufes ber 
Papiere von einer Hand in bie andere eine Entſchädigung 
möglich ift, deſto eifriger foll man darauf bedacht fein, folde 
Störungen zu verhüten und, wenn fie eingetreten find, ihnen 
ein Ende zu ſetzen. 


(a) Während ber franzöfifchen Revolution sing bie Anhäufung des Papier: 
geldes ins Unfinnige. An Affignaten, welche 1790 — 1796 im Umlauf 
waren, wurden 45578 Mill. Liv. ausgegeben. Der Louisd'or, welder 
in Silbermünge 24 Franken gegolten hatte, flieg in Affianaten im 
November 1791 über 30, im Dee. 1794 über 100, im Wärz 1795 
über 200, im Juni über 800, im October über 2000, im Jan. 17% 
über 5000 u. f. f. Der höchfte aufgezeichnete Eurs war am 4. Juni 
1796, nämlich 17925 Fr., fo daß an diefem Tage die Affignaten auf 
as ihres uriprünglichen Preiſes gefunfen waren. Nur 12744 Mil. 
Fr. Affignaten wurten aus dem Umlaufe zurüdgezogen, die übrigen 
wurden theils zu einem Gurfe von 1 Proc. angenommen, theils für 
1/30 des Nennwerthes gegen Mandaten ausgewechielt, von denen 2400 
Mill. in Umlauf famen. Diele Diandaten fanden anfangs, im Febr. 
1796, zu 60 Proc., im Auguft befielben Jahres zwifhen 2 u. 3 Proc. 
und fie hoben fi nicht mehr dauernd über 4 Broc. Stordy, UI, 
107—111. — Collection des papiers-monnsies qui ont eu cours depuis 
1789 jusque Yan 1796. 1 Blatt Fol. — Die ruffifhe Regierung er 
höhte mehrmals die Steuern, weil die in Papiergeld eingehenden ins 
fünfte für den Aufwand nicht mehr zureihten. Brüdner S. 54. — 
In Norbamerica galt im Mai 1781 der Silberbollar 200 D. Papier. 

(6) Helferih, a. a. D. ©. 436 des Jahrg. 1856. — Gin Beiſpiel 

giebt ber von dem öfterreihifchen Miniſter von Blener entworfene 

orihlag, den der Reichstag mit einigen Abänderungen angenommen 
bat, Geſ. v. 27. Dec. 1862, Neichögef.: Blatt 1863, Nr. U. Die 
gone Schuld des Staates an die Bank beträgt 221°%/, Mill. fl. — 

Diele Summe wird bis 1866 oder 1867 abgetragen, die Banf hat 

allmälig ihre Scheine zu vermindern, fo daß bie ftatutenmäßige Dedung 

hergeftellt wird und 1867 die Ginlöfung der Scheine beginnt. Die 

Annahme dieſes Planes hat fogleich günftig auf die öffentlihe Meinung 

gewirkt. Vertheidigung derfelden (vor dem Beſchluß des Reichstages) 

in Wagner, Die Herftelung der Nationalbanf, Wien 1862. 


(e) DBgl. III, $. 529 und die dort (5) (e) gegebenen Beifpiele. — Cinen 
Mittelme Ihlug die ruffiihe Regierung 1862 ein. K. DBerfügung v. 
14. April, Erlaß dee Fin.-Miniſt. v. 25. April: Die Meichsereditbillets 











— 217 — 


(weiche bisher über 10 Proc. unter Edelmetall fanden) werben mit 
dem durch eine neue Anleihe verftärften Baarvorrathe eingelöft, anfangs 
(v. 1. Mai 1862) wird der Silberrubel zu 110%. Kop. (ftatt 100) 
berechnet, vom 1. Auguſt an zu 108%, vom I. Sanuar 1863 an zu 
106, fo dag man ein Steigen des @urfes auf Pari erwartet, wobei 
- dann zufolge der flarfen Berminderung dieſes Papiergeldes von der 
Ginidslichket wenig Gebrauch gemadyt werden wird. Bei der ziemlich 
geringen Abmeldung bes Curſes von Pari hätte mit mäßigem Mehr: 
aufwande die Binlöfung tegleid in Bari veranftaltet und bie gute 


Ordnung hergeftellt werden koͤnnen. 


Drittes Hauptftüd. 
Erleichterung der Waarenfortſchaffung. 
I. Herftellung der Straßen. 


8. 255. [269.] 


Die Güte der für dieſen Zwed beftimmten Anftalten hat 
auf den Berfehr und mittelbar auf die ganze Erzeugung und 
BVerzehrung von Sachgütern in einem Volke einen mächtigen 
Einfluß (a). Eine Erfparung an den Frachtkoſten und an ber 
Verfendungszeit wirkt ebenfo, wie eine Verminderung der Er⸗ 
zeugungsfoften (I, 8. 120), fie efmweitert den Abjag, vermehrt 
den Gütergenuß, regt zu einer Iebhafteren Gütererzeugung an, 
befchäftigt mehr Arbeiter and Gapitale und bewirkt bie beffere 
Benusung ber Grundftüde.. Am meiften nüßt fie den entlege- 
nen Landestheilen und der Hervorbringung folcher Waaren, 
bie bei gleichem Gewicht den niebrigften ‘Preis haben. So 
lange e8 an guten Straßen fehlt, bleiben viele andere Befoͤr⸗ 
berungsmittel der Gewerbe fruchtlos und die Erfahrung zeigt, 
daß der Wohlftand der Länder und Landestheile, der Fleiß und 
Unternehmungsgeift, felbft zum Theile die geiftige Bildung mit 
der Menge und Güte der Verbindungdwege zunehmen (b). 
Deßhalb gehört die Sorge der Regierung für die Straßen unter 
die wichtigften Theile der Volfdwirthfchaftöpflege, und der dafür 
gemachte Staatsaufwand ift ald ein ergiebig angelegted Capi⸗ 
tal zu betrachten (ce). Mögen auch die Land- und Waſſer⸗ 


— 218 — 


firaßen durch die bei ihrer Benutzung errichteten Abgaben eine 
Duelle von Einkünften fein, fo darf diefer Umftand body nicht 
über die" anzumendenden Maaßregeln enticheiden, und dieſe 
finanzielle Seite darf nie zur Hauptfache gemadyt werben, viel 
mehr ift die Ermäßigung oder Aufhebung jener Abgaben, wo 
fie fein großes Opfer erheiicht, eine nügliche Maaßregel. In 
dem jegigen Jahrhundert ift biefem Zweige ber Regierungds 
thätigfeit der ihm gebührende Eifer zugewenbet und ein gegen 
frühere Zeiten fehr großer Erfolg erreicht worden. Die biebei 
zu überwindenden Schwierigfeiten waren fehr ungleich, weil 
mandye Länder durch ihre Naturbefchaffenheit in Bezug auf 
die Fortſchaffung der Waaren viel mehr begünftigt find ale 
anbere. 


(a) Vgl. Moreau de Jonnds, Le comm. du 19. Sidcle, II, 20. — 
Mich. Chevalier, Des intöröts matöriels en France. Travaux pu- 
blics P. 1838. 


(5) In traversing & country covered with farms and in a high state of 
cultivation, showing every sign of a good soil and of ample-remuners- 
ting produce, it becomes difficult to credit the fact, that 10 or 12 
years since the whole was a barren waste, the asylum of a miserable 
and lawless peasantry, who were talculated to be a burthen rather 
than a-benefit to the nation, and that this improvement may entirely 
be attributed to the expenditure of a few 1000 pounds in carrying 8 
good road of communication through the district. Bericht d. Straßen 
baus&ommilfion für Irland bei Porter, Progress.S. 295, wo man 
mehrere ähnliche Belege des obigen Satzes findet. Die Statiftif hat 
ih bisher um die Menge dee Straßen zu wenig befümmert, obgleich 
die Geforigung derielben zu mancherlei anziehenden Zufammenftellungen 
führt; man flößt jedoch auch hiebei auf befondere Schwierigfeiten, weil 
theild die Straßenlänge überhaupt nach nicht befannt geworben if, 
theil® die Unterfcheidung mehrerer Glaflen von Straßen nicht überall 
in gleihem Sinne üblih if. Nah Dupin (Forces productirves et 
commeroiales de la France. Paris, 1827. II, 249) läßt ſich der Zu⸗ 
fammenhang zwiſchen der Straßenlänge (in Metern) und anderen wirtd. 
ſchaftlichen PVerhäftniffen nad den damaligen Annahmen fo nachweilen: 


Nördlicher Südlicher 





Ganzes 
Sranfreid. Theil. 
Bolfsmenge . . . . . 80.461187 |19:167166 17284021 
Bevölkerung auf 1 deutfche DM. 3125 3870 2726 
Grundrente auf 1 Sectare . 30,8 Fr. 42,8 Fr. 23,% Fr. 
Länge der routes royales . .|32°077061 M.|13868 552 M.|18-208 509 M. 
Straßenlänge auf 1 DOM. . 3291 > 4076 ⸗ 2871 ⸗ 


Länge der ſchiffbaren Füße u. 


Canaͤle uf I O 954 = 1330 ⸗ 7152 ⸗ 





— 219 — 


Es ift Hiebei auffallend, daß die Länge der Straßen nach Metern 
(zu 0,° bad. Yußen) mit der Zahl der Einwohner ungefähr zufammens 
fallt. Neuere Berhättniffe find folgende: 


Kilometer Meilen auf 1 d. DM. 
Staatsſtraßen 34381 0,18 
Sanäle 2.4416 0,% o⸗ 
Gifenbahnen . . 6497 0,° 
Dumont in Journ. des Eoon. XXXIV, 38. (Jan. 1853.) 
Im preuß. Staate waren 1859 auf 1 TIM. 
3572 Meilen Lanpflragen . TM. 


7716 : ſchiffbare Ylüffe und Gandle . . . 0,85: 

669 =: Gifenfraßen . . 200.0. 

6017 Meilen, » 2 2 2 nd 
wozu noch 491 M. floͤßbare Gewäfler kommen. 

Belgien (Situation etc. bie 1850) auf 1 DMeile 

841,7 Meilen Landfrafen -. -. 2: 2 1, EM. 

228,8 s  fchiffbare Flüffe und Bande . . . 0,8 > 

116,8 s Gifenfiragen . 2220. 08 5 

1186,8 Meilen, . . > 2 2 2 2 nee. ZADM. 
wofür 1830—50 an 286 Mill. Br. verwendet worden find. 

Defterreih 1859: 2951 d. Meilen Staatss, 9733,5M. Be 
zirföftraßen, 1861 722 M. Gifenbahnen, julammen 13406 öfter. — 
13674 d. Meilen oder 0,96 M. auf die DM. 

Spanien und Bortugal find fehr arm an Straßen. Auch bie 
neuen americanifchen Staaten leiden fehr an bdiefem Mangel; nad 
Bogota können die Waaren nur auf Maulefeln gebracht werben, wo⸗ 
Durch die Preife überaus erhöht werden. — Hohe Gebirge verurfaden 
Die größten Schiwierigfeiten. Mufterhafte Straßen über den Simplon, 
Eplügen, St. Gotthard, das Stilffer Joh (von Tirol gegen Mailand, 
8600 %. über dem Meere an der hödften Stelle). 


(e) Dupin, Großbritaniens Handelemadt, deutſch, Stuttg. 1825, 1. Bb. 
Brüdens und Straßenweien. — Trieft bezog bisher für feinen Korn⸗ 
handel mehr Früchte von der Donaumündung und Odeſſa, ale von 
dem nahen Ungarn, wo das Getreide in Ueberfluß zu finden ift, weil 
es bisher an mwohlfeiler Berfendung fehlte. 


A. Landſtraßen. 


8. 256. [270.] 


Die Anlegung zahlreicher guter Landſtraßen mit Stein- 
unterlage (Stein, Kunſtſtraßen, Chauffeen), bed ein- 
zigen unter allen örtlidyen Umftänden anwendbaren Berbin- 
dungsmittels, muß eifrigft von ber Regierung betrieben werben, 
II, $. 79. Mit der zunehmenden Bevölkerung und Wohls 
habenheit einer Gegend wird auch eine weitere Entwidlung bes 
Straßenneped und eine Berbefierung der vorhandenen Straßen 


— 220 — 


Beduͤrfniß, welche dann wieber auf jene Umftänbe eine vor 
theilhafte Rüdwirfung ausübt (a). Die Koften der Herftellung 
guter Straßen find wegen ber ungleichen Entfernung und Be 
fchaffenheit der dazu anwendbaren ®efteine, der verfchiedenen 
Preife der anzufaufenden Grundftüde, ber ebenen oder gebirgi: 
gen Lage u. dgl. fehr ungleid (db). Bei der Anlegung neuer 
Landſtraßen ift die Richtung derfelben fo zu wählen, daß fie 
den größten Bortheil gewährt. Dieſer beftimmt fich theils 
nad) ber Menge der in einer gewiflen Richtung fortzufchaffen 
ben Waaren, theils nach der Größe der Erfparung an Fracht⸗ 
foften. Sener Umftand empflehlt vorzüglich den Straßenbau in 
ben bevölfertften und gewerbfamften Lanbestheilen, dieſer da⸗ 
gegen macht neue Straßenanlagen da rathfani, wo noch bie 
größten Flächen ohne gute Berbindungsmittel find, und es 
müffen daher beide Rüdfichten gleichmäßig beachtet werben (ec). 
Bei der Ausführung des Straßenbaues find die Kunftregeln (d) 
zu beobachten, welche ſich auf die Art der Steinverbindung (e), 
bie Breite (f), die Steigung (g), die Wölbung, die Fußwege, 
Gräben, die Richtung bed Straßenzuges, die Art des Auf 
ſchuͤttens u. dgl., ferner auf die Begebung an Privatunter- 
nehmer nad) dem mindeften Gebot ober freier Uebereinkunft 
(aus der Hand) beziehen. Zur Schonung der Straßen bient bie 
Begünftigung breiter Radfelgen (Ah), dad Verbot übermäßiger 
Belaftung der Wägen (i), ber vorgefchriebene Gebrauch bed 
Hemmſchuhes 2c. Mebrigend trägt auch die gänzliche Aufhebung 
oder wenigftend die Mäßigfeit und bequeme Erhebungsart bed 
Weg- (Chauffees) Geldes dazu bei, den Gebrauch der Straßen 
für den Verkehr zu erleichtern. 


(a) Im preuß. Staate 3. B. kam 1859 eine Meile Landftraße auf 


DMeilen Einwohner 

in Preußen 3,8 7184 
Bommern 2,0 4830 
Brandenburg 1,97 6247 
Bofen 1,9 5268 
Schleſien 1,3 5386 
Sachſen 1,14 4127 
Meftfalen 0,% 3216 
Rheinland 0,68 4139 
Durchſchnitt 1,9 5124 


im 3. 1852 erft auf 2,9% IM. und 6914 Ew. 








4 


(8) 


— 21 — 


Hannover hatte 1854 551 M. Straßen mit Steinbahn und es kam 
I Meile Straße in der Landdroſtei Aurih auf 3,1 OM., Lüneburg 
1,7%, Stade 1,%, Hannover 0,%, Osnabrück 0,%, Hildesheim 0,73, im 
Duchihnitt auf 1,9 DOM. Lehzen, Hannovers Staatshaushalt, LI, 
465. — Barden hatte 1852 365 Meilen Staatsfiraße oder 1 auf 
0,” HM. — In England find gegen 20000 miles Straßen, auf denen 
Weggeld erhoben wird (turnpıke-roads), oder 0,%® ge. DM. auf 1 M. 
enge. Nimmt man aud die fog. Hochwege (highways) oder unent⸗ 

Idlih benugten Straßen dazu 7 fommen 120 000 miles — 26000 

eilen heraus oder 1 M. auf 0,16 OM. — In Oefſterreich treffen 
auf 1 öfl. M. Straßen 3,6 OM., und zwar in der Lombardei 0,9%, 
in Böhmen 1,@, in Nieder⸗Oeſterr. 2,%, Mähren 3,%, Steiermark 
3,8% Ungarn 85 OM. von Meden, Deutichland und das übrige 
@uropa S. 780. 


In fleinarmen Sandgegenden und in ber Nähe großer Städte koſtet 
die Anlegung am meiften. ine im guten ©tande befindliche Straße 
fann wohlfeiler erhalten werden als eine fchledhte, auch macht es 
einen großen Unterſchied, ob Straßenbaufrohnen noch beflehen oder 


nidt. 


(ce) Wenn auf der einen Straße 100000 Er. mit !/s Kr. Koftenerfparung, 


(@) 


(0) 


auf der anderen 50000 Gtr. mit 1 Kr. Erſparung auf der Meile vers 
fendet werden, fo ift der Bortheil glei groß. Im lepteren Kalle ift 
aber eine größere Zunahme der fortzufchaffenden Waarenmafle zu ers 
warten, woferne im Bereich der Straße eine anſehnliche Erweiterung 
der Gütererzeugung möglid if. — In Deutichland fönnen für die 
Meile durchſchnittlich ungefähr 30000 fl. Anlegungsfoften angenommen 
werden, wovon aber unter befonderen Umfländen große Abweichungen 
vorfommen. In Franfreih wurde 1843 der Aufwand angegeben: 
für die lieue von 4000 Met. für die deutſche Meile 

Staatöftraßen 80000 Fr. 69 135 fl. 

Departem.:Str. 50000 ⸗ 43209 ⸗ 

Vicinial⸗Str. 30000 ⸗ 25925 ⸗ 
In Belgien koſtet die Anlage auf die lieue von 5000 Met. 93331 Tr. 
oder 64000 fl. auf die Meile, in der Provinz Luremburg nur 40800, 
im Hennegau aber 95 660 fl. 


v. Langsdorf, Bemeinfaßliche Anleitung zum Straßens u. Brüdens 
bau. Heidelberg 1817. — Essais sur la construction des routes, des 
ponts suspendus ete., extraits de divers ouvrages Anglais, traduit ‘par 
Cordier. Lille, 1823. — Arnd, Der Straßen: und Wegebau. 
Darmfl. 1827. — Umpfenbadh, Thevrie des Meubaus, ver Hers 
ftellung und Erhaltung der Kunfiftraßen. Berlin 1830. — N. Par- 
nell, A treatise on roads, 1833. 


Nach der viel beſprochenen Methode Mac⸗Adam's fallen die großen 
Grundſteine ganz weg und es wird bloß eine 10 Zoll dide Schicht 
Heiner Steine angebracht, deren dichter Berband das Wafler abhalten 
fol. Es iſt zweifelhaft, ob auf loderem Grunde und auf flark bes 
nugten, auch mit fchweren Fuhrwerken befahrenen Straßen bie großen 
Steine entbehrlich find, — und ob nicht durch dieſelben eine nüßliche 
Erſparung an Arbeitslohn erzielt wird; aber es ift jchon viel werth, 
die biöherige Dide von 15— 18 Sollen als überflüffig zu erfennen. — 
Mac-Adam, Bemarks on the.present system of road-making. Lond. 
1819 bie 1822 in 6 Auflagen, deutſch: Bemerkungen über das gegens 
wärtige Syſtem des Ghauffeebauss. Darmſt. 1825, vgl. Dupin, 
Großbr. Handelsmacht, I, 204. Arnd, Straßenbau, ©. 114 ff. — 


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(9) 


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— 2122 — 


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Ueberflüffige Breite if fehr foftbar, fowohl wegen des Anfaufs ber 
Brundfläde, als wegen der Echaltungskoften. 20—24 Fuß find für 
den Fahrweg hinzeichend, neben 8—16 Fuß für die Fußwege. Baten, 
Entwurf von 1839 und 1843: Bezirkoſtraßen 14—16 Fuß Fahrbahn, 
dazu 4 %. für beite Fußwege. — In_ Frankreich war ehemals eine 
zweckloſe Breite; jeßt find die 28 Straßen bes eriten Ranges, welde 
von Paris aus an die Graͤnzen führen, 42, bie 97 des zweiten Ran: 
ges 36 Fuß breit. In England Schreibt eine Parlamentsacte vor, daß 
die Zollfixaßen in der Nähe großer Städte 58 Fuß breit fein follen; 
an vielen Stellen haben fie aber nur 17% Fuß; Dupin, ©. 191. 
Stord, I, 211. 


Die älteren Straßen hatten flarfe Steigungen, welche wegen bes nös 
thigen Borfpanne oder der ſchwachen Ladung die Fortihaffung fehr 
vertheuerten. Bollfommene Straßen follten nicht mehr als 4 Bror. 
Steigung oder 2 Brad Reigungswinfel haben, wie, die von Telford 
duch Wales angelegte Straße. Barnell will nur 3 Broc. — In 
Deutfchland betradgtet man */ıs der Länge als die größte zuläffige 
Steigung, wobei ſchon horigontale Ruheplaͤtze (Raften) nöthig find. 
Dupin, ©. 181. Arnd, ©. 14. 


Die ſchmalen Räder fchaden fehr dur das leichte Ginfchneiden eines 
tiefen Geleifes, welches zugleich den Pferden ben Zug erfchwert, weil 
der Wagen immer eine kleine Erhöhung zu erfteigen hat; dagegen wird 
freilich auch das Gewicht der Wagen durch breite Felgen bedeutend 
vergrößert. Um die Fuhrleute zur Anfchaffung breiter Felgen zu be 
wegen, wird das Weggeld bei breiten Rädern niedriger beflimmt oter 
eine Strafe für fchmale gefeßt, Doc nur bis zu einer mäßigen Breite. 
Räder mit hervorragenden Schraubens oder Nagelköpfen verderben bie - 
Straßen am ftärfften und müflen deßhalb unterfagt oder durch einen 
höhern Weggeldſatz verbrängt werden. Das bad. Belek v. 3. Auguſt 
1837 fchreibt die Breite für Fracht- und Poſtwaͤgen vor: 


1) Bei 2 Rädern mit ) 1 Oder 2 Bugthieren 31. Soll. 
3 =: 4 653 + 

2) bei 4 Rädern mit | 3 oder 4 Zugthieren 3%/ Zoll. 
5 — 8 ⸗ 53 > 


3) bei Poftwigen . 2. 2.2. 21/5 Zoll. 

Kür den Gebrauch fehmalerer Räder wird auf jede Stunde Weges von 
jedem Zugthiere eine Strafe von 4 fr. erhoben, für bervorftehente 
Nägel 1/5 kr., für unebene Nadfelgen !/a fr., und beide letztere Be 
flimmungen gelten von allen Fuhrwerken. — Das franzöi. Geleh 
v. 7. Vent. XIL (1804) ſchrieb für Fuhrwägen je nach der Zahl ber 
Pferde und je nachdem 2 oder 4 Mäder vorhanden waren, 11 —22 Gentim. 
(3773 == 71/3 bad. Zoll) vor, Poſtwaͤgen mußten wenigftens 6 Gent. 
haben. Strafe 50 Fr. Elouin &e. N. Dictionn. de police, II, 832, 
vgl. aber (1). — Preuß. Chaufleegeldtarif v. 28. April 1828: Auf 
bie Meile von jedem Zugthiere bei Arädrigen Fuhrwerken bis zu 4 Zug: 
tbieren 1 Sgr., bei 5 oder 6 Thieren 2, bei 7 oder mehr 3 Sgr., 
aber wenn die Mäder 6 Zoll Breite und feine Hervorragung haben, 
auch bei 5 oder 6 Thieren nur 1 Ser. DB. v. 30. Mai 1839: Bel: 
gen aller Srachtwägen nicht unter 4 Zoll breit. Hannover, Geſ. vom 
4. Dec. 1834, für 4 Mäder bei 8—10 Bullen vom Zugthiere 1/, ®r., 
bei 6—8 Zoll 1 Gr., bei weniger als 6 Zollen je nach der Zahl ber 
Thiere bis zu 2 Gr. 








(H Die neuerlich in allen Staaten begonnene Berbefferung ber Straßen 
wird von den Yuhrleuten dazu gemißbraudt, die Wägen viel fchwerer 
zu belaften, wodurd die Unterhaftungsfoften auffallend vermehrt wers 
den. „GEs iſt mir ein Fall vorgefommen, daß ein einziger Müller 
durch die fehr ſtarke Belaftung feiner Mehlwagen bie Wege einer gans 
en Gegend unfahrbar machte. Arnd, ©. 218. — ®in mit 200 
entnern belabdener Wagen richtete in einem Tage einen Schaden von 
502 Fr. an (Bordier) Gin Würfel von %s Zoll wird im Durds 
ſchnitt verfchietener Geſteine von 56 Etr. zerbrüdt, man darf aljo die 
La für jedes Rad nicht fo groß werden laflen, Commiſſtonsbericht im 
Moniteur, 1829, Nr. 35— 37. Deßhalb ift es nützlich, das zuläffige 
Gewicht zu beichränten, indem die damit bewirfte Koflenerfparung weit 
größer ift, als ber Mehraufwand für Fracht bei geringerer Beladung 
der Fuhrwerke. Nur feßt die bequeme Vollziehung folder Vorfchriften 
voraus, daß fih an den Straßen Wägebrüden (ponts à bascule) be: 
finden, auf denen das Gewicht beladener Fuhrwerke in fürzefter Zeit 
gefunden werden fann. Das franzöflfhe Gele vom 23. Juni 1506 
(3. 8. bei Fournel, Lois rurales, I, 477 und Elouin, II, 833) 
tRattete für Ladung und Fuhrwerk bei Arädrigen Fuhrwaͤgen bei einer 
elgenbreite von 11 — 14— 17— 22 Gentim. im Sommer ein Gewicht 
von 66—94—134— 174 deutihen Gentnern, in den 5 Wintermonaten 
ungefähr ?/s weniger. Für Boflmägen- und Landkutſchen war das ers 
laubte Gewicht ohne Rüdfiht auf die Jahreszeit bei 4 Raͤdern von 
7—10 Emtim. Breite 60—90 Etr., bei 2 Rädern Halbfoviel. Ordon. 
v. 9. Dict. 1843. Das Gel. 30. Mai 1851 hebt aber alle Borfchrifs 
ten über Gewicht und Welgenbreite auf und behält nur Beſtimmungen 
über die Form der Felgen und die Ragelköpfe vor. — Aehnliche Bors 
fohriften in vielen Ländern, 3. B. Hannover, Geſ. 4. Dec. 1834, bei 
4 Nädern unter 6 Zoll Breite nicht über 130 Ctr., bei 10 und mehr 
Zoll 160 Etr. Baſel, B. v. 13. Dec. 1823: ein vierrädriger Wagen 
darf bei 5 Zoll nicht über 70 Etr., bei 6 Zoll Breite hoͤchſtens 80 Etr. 
Laft haben. — Freiburg, V. vom 18. San. 1826: vierrädrige Fuhr⸗ 
wagen von 7 Zoll Felgenbreite hoöchſtens 120 Centner. — Auf den 
en Schlagbaumftraßen if das erlaubte Gewicht für vierrädrige 
uhrwerke: 


Sommer Winter 

bei 9 Zoll Breite 130 Etr. 120 Etr. 
s 6 ⸗ ⸗ 95 ⸗ ‚85 > 
s Alle s ⸗ 85 > 75 ⸗ 
weniger als 4/ 28.⸗ 76 = 65 ⸗ 


Iſt das Gewicht groͤßer, ſo muß ein hoͤheres Weggeld nach einem mit 
der Centner an fleigenden Satze bezahlt werden. Kleinfhrod, 
Großbr. Sei. S. 462. — Wo e6 an Beranftaltungen zum Abwägen 
fehlt, da kann man nur durch die Feſtſetzung einer hoͤchſtens erlaubten 
Anzahl von Zugthieren einigermaßen helfen. — Bad. Gef. v. 1837: 
zieirädrige Fuhrwerke dürfen höchftens 4, vierräbrige hoͤchſtens 8 Zug⸗ 
thiere haben, ausgenommen bei fchweren untheilbaren Gegenftänden, 
Steigen, unwegfamen Straßen ıc. GEbenſo öfter. V. 30. April 1840. 


8 257. [271.] 


Der Bau und bie Erhaltung der Staatöftraßen wird in 
ber Regel durch Kunftverfländige (Techniker) im Dienfle des 
Stanted geleitet. Man ordnet zu biefem Behufe Stragenbezirke 


— 224 — 


an, deren Beamte (Infpectoren, Ingenieure) unter eine techniſche 
Oberbehörbe geftellt find. Die in Großbritanien übliche Ein- 
richtung, den Straßenbau ben Gemeinden oder größeren Ber: 
einen zu übergeben (a), ift felbft da, wo bie Bürger Tängft 
eine größere Theilnahme an öffentlichen Angelegenheiten geübt 
haben und wo ein lebhafter Gemeinſtun herrſcht, nicht ohne 
Nachtheile. Den unbefoldeten, aus der Mitte der Gemeindes 
glieder genommenen Straßenauffehern fehlen großentheild bie 
nöthigen Kenntniffe des Straßenbaues, und bei der Aufftellung 
bezahlter Baufundiger fAlt Teicht die Wahl auf Perfonen von 
geringen Fähigkeiten. Auch kommen bei folchen Straßen, die 
für das ganze Staatögebiet oder einen beträchtlichen Theil 
deſſelben wichtig find, allgemeine Rüdfichten vor, die weder im 
Gefichtöfreife einer Gemeinde noch in dem der Bewohner eines 
Amts- oder Regierungsbezirkes ıc. liegen. Es ift daher beffer, 
ben Straßenbau, etwa mit Ausnahme der kürzeren Verbindun⸗ 
gen von Ort zu Ort (Bicinalwege), den vom Staate bes 
ftellten Straßenbaumeiftern zu übertragen. Indeſſen fünnen 
auch bei diefer Leitung des Straßenbaues durch die Regierung 
Mißgriffe vorfallen, welche vermieden werden, wenn man bie 
MWünfche der Bürger in einzelnen Theilen beachtet (6). Daher 
. follte man ſolche Straßenzüge, welche einem einzelnen Landes⸗ 
theile allein oder vorzugsweife Nupen geben (Bezirföftra- 
Ben), ganz ober größtentheild auf Koften der Bewohner beffels 
ben und unter Mitwirkung ber Vertretung deſſelben (Provins 
cials, Kreiöftände), wo dieſe beftehen (III, $. 53 ff.) anlegen 
und unterhalten laffen (c). Auch bei den Staatéſtraßen, 
bie für dad ganze Rand wichtig find und alfo auf Koften ber 
Gefammtheit angelegt und unterhalten werben müflen, ift es 
nuͤtzlich, die Anfichten ber Vertreter derjenigen Landestheile zu 
vernehmen, burch welche der Straßenzug gehen fol (d). 


(a) Der größte Theil (8/6) aller Straßen wird dort von den einzelnen 
Kirchipielen durch Frohnen und @eldbeiträge unterhalten und fleht unter 
den von bdiefen Kirchengemeinden beftellten Aufſehern. Gin anderer 
Theil wird aus dem Getvage des Weggeldes unterhalten, hat Schlag⸗ 
bäume zur Grhebung deſſelben und trägt daher den Namen lags 
baumftraßen, turnpike-roads, $. 256 (a). Es gehört eine Parlaments: 
acte dazu, um einer Straße diefe Eigenfhaft zu geben, und fie wird 
dann unter einen Verwaltungsrath (trustees) geftellt, deſſen Mitglieder 
ein gewiſſes Vermoͤgen befigen müflen und in ber Acte beſonders 


(8) 


(e) 


(@) 


— 226 — 


bezeichnet find. Die Gemeinden, durch welche eine ſolche Straße zieht, 
muͤſſen ebenfall® etwas beitragen, allein die Cinkünfte reihen nit und 
es beftand 1833 Schon eine Schuld von 8 Mill. &. St. — Längere 
Straßen find unter mehrere Bereine von trustees vertheilt. Klein⸗ 
fhrod, a. a. D. — Mac Culloch, Statist. account, II, 176. — 
Der 1819 gemachte Vorſchlag, eine oberfle Straßenbaubehörbe zu er: 
richten, fand Feine Biligung. Dupin, I, 64. 79. 109. 


Die Karolinerfiraße, unter Kaiſer Karl VI. von Karlftadt nach Fiume 
und Buccari geführt, ift von geringem Nutzen geweien, weil der Baus 
meifter aus Haß gegen einen benachbarten Butsbefiger den Straßenbau 
burch die unmegfamften Derggegenden führte, fo daß die Waaren ges 
wöhnlih auf biefer 18 Meilen langen Strede 9 Tage zubrachten. 
Daher wurde fpäter eine andere, die Marie⸗Louiſenſtraße, von Karlſtadt 
Fl Fiume angelegt, v. Liehtenftern in der Hertha, II, 3. H., 
. 551. 


Man kann demnah 1) Staats, 2) Bezirks- (3. B. Provincial⸗, 
Kreis⸗), 3) Straßen, welche mehrere Ortſchaften verbinden (Bicinals 
firaßen) und 4) bloße Gemarkungswege unterfcheiden. Es Fönnen 
aber auch mehrere Gemeinden oder Bezirke fih vereinigen, um eine 
ihnen allen nügliche Straße zu bauen und zu unterhalten, wobei der 
Beitrag nad dem Grade des Nupens für jede Gemeinde oder jeben 
Bezirk eingerichtet und das Techniſche von einem Staatsbeamten beiorgt 
wird; 3. 8 die rheinheſfiſchen Straßenverbaͤnde, Heſſe, Rheinheſſen 
in ſeiner Gntwidlung von 1798 bis Ende 1834. Mainz, 1835. 
©. 159 f. — Aehnlich der (nicht angenommene) badifche Geſetzentw. 
von 1839 u. 1843, nach welchem die Drte, welche einer nicht zu dem 
Netze der Staatsſtraßen gehörenden Straße nahe liegen, zu derjelben 
beifteuern follen, und zwar mit folgender Abflufung: a) Gemeinden, 
deren Ortſchaft von der Straße berührt wird, b) die bie !/a Stunde 
entfernt find, c) von !/a—ı St. Der Beitrag ber auf dieſe Weile 
betheiligten Gemeinden follte auf die Ruthe zur Unterhaltung 20 fr., 
zum Neubau nicht über 5 fl. beitragen. 


Der in II, $. 243 für billig erflärte Bor-Beitrag (praecipuum) der an 
einer Staatsftraße liegenden Gemeinden, welche jene fonft unentgeldlich 


als Bicinalweg benugen würden, ift in dem erwähnten bad. Entwurfe 
vorgeichlagen worden, bis zu 16 Er. jährlich auf die Ruthe. 


B. Eifenbahnen. 


$. 258. [272.] 
Die Eifenbahnen (a) find während des zweiten Viertels 


des gegenwärtigen Jahrhunderts in vielen Staaten zu einer 

großen Ausdehnung gelangt und es iſt auf ihre Vervollkomm⸗ 

nung fehr viele Kunft verwendet worden. Sie nehmen unter 

ben Fortfhaffungsmitteln eine wichtige Stelle ein, find zu einem 

bedeutenden Gegenftande der Staatöfürforge geworden und bie 

ten auch einen neuen Stoff für die Statiftif dar. Sie laffen 
15 


Rau, polit. Dekon. II. 2. Abıh. 5. Ausg. 


— 2 — 


fih als hoͤchſt volllummene Landftraßen mit zugehörigen Fuhr⸗ 
werfen betrachten. Ihre Haupteigenfchaften find folgende: 

1) Die Laften werben wegen der verminderten Reibung mit 
fehr geringem Kraftaufiwande fortbewegt (b); 

2) die Benugung ber Dampfmafchinen geftattet eine Schnel 
ligfeit, welche bei feinem anderen Fortſchaffungsmittel zu er 
reichen ift (c); 

3) fie erfordern ein fehr beträchtliches ſtehendes Capital für 
Bahn, Gebäude, Mafchinen, Fuhrwerke ıc. (d) und bilden daher 
große Unternehmungen, von benen bie einzelnen Eleinen Unter 
nehmer, Buhrleute, Kutfcher, Schiffer ıc. ebenfo im Mitwerben 
verdrängt werden, wie mandye Handwerke von ben großen 
Fabriken. Wegen dieſes anfehnlichen Bapitales kann bie Hort 
ſchaffung deſto wohlfeiler bewirkt, das Fahrgeld und die Fracht 
befto niedriger geftellt und zugleich ein befto größerer Gewerbse⸗ 
gewinn für die Unternehmung erzielt werben, fe häufiger eine 
Bahn benukt wird. 


(e) Diefelben find ſchon feit 1767 in den englifchen Kohlenbergwerfen an 
der Stelle der Holzbahnen eingeführt worden. Man nannte fie damals 
tramroads und fie ‚hatten meiftens einen vorfiehenden Rand, um bas 
Abgleiten ter Wagenräder zu verhindern. Sie verbreiteten ſich allmälig 
auf Bifenbergwerke, Kalle und GSteinbrühe u. dgl. Zu Anfang des 
jeßigen Sabrhunderts fing man an, fle zur geiwerbemäßigen Kortihaf: 
fung von Bradhtflüden zu verwenden. Dr. Anderfon flellte 1800 ben 
Plan eines größeren Gifenbahniyflems auf. 1813 wurde zuerſt von 
dem Ingenieur Georg Stephenfon ein Dampfimagen auf einer 

Bahn gebraucht, was man lange für unmöglich gehalten hatte, indem 

man glaubte, die Reibung wäre zu gering. 1824 legte man zuerk 

Schienen von Schmiedeeifen ftatt der gußeifernen. Das wichtigfie Er⸗ 

eigniß mar die Anwendung vervolllommneter Dampfwägen auf ber 

neuen Manchefter: Liverpool: Bahn. Zwar Hatte man fhon 1826 auf 
der DarlingtonsStodton-Bahn (eröffnet 27. Sept. 1825) einen Dampf: 
mafchinenwagen eingeführt, aber biefe Neuerung war wenig beachtet 
worden und bie oben erwähnte Bahn gab zuerft ein eindringliches 

Beifpiel der Bortihaffung von Berfonen durch Locomotive. Diele 

Liverpool Manchefter:Bahn wurde 1826 angefangen und am 15. Sept. 

1830 eröffnet. Die Probe für die Dampfwägen (2ocomotive) fand am 

8. October 1829 Statt. Man hatte bei dem PreissAusfchreiben eine 

Geſchwindigkeit von 10 engl. Meilen in der Stunde verlangt, aber 

Beorg Stephenfon’s Rocket legte beladen 24, leer 30 Meilen 

zuruck! Der unverhofft günfige Erfolg diefer Bahn regte einen allges 

meinen G@ifer zur Anlegung von Bahnen mit Dampfmafcdinenbetrieb 
an. Auf dem europaͤiſchen Feſtlande waren bie erften eröffneten Bah⸗ 
nen diefer Art: 1835 Brüffel:Mecheln, RürnbergsFürth, — 1837 Paris; 

St. Sermain, — 1838 PeteröburgsZarsfoefelo, — 1839 Berlin⸗Pots⸗ 

dam, — LeipzigsDrespen, — Amfterdam:Harlen, — 1840 Wien-Brünn, 

— Mailand Monza, — MannheimsHeibelberg ıc. — Die älteften Bah⸗ 











(2) 


— 217 — 


nen des Feſtlandes, Budweisſs⸗Linz, durch v. Gerſtner (Leber bie 
Vortheile der Anlage einer Eifenbahn zwifhen Budweis und Linz, 1825) 
vorgefehlagen, 1828 theilweife, 1832 ganz vollendet, und Prag⸗Lahn 
(1826— 30) waren für Pferde eingerichtet. — Die Gifenbahnen Haben 
eine Menge von Schriften, fowohl in technifcher ale fRaatsöfonomifcher 
Beziehung, veranlaßt, deren Bergleihung beutlich bemerken läßt, welche 
Hortichritte die Kenntniffe über diefen Gegenſtand in den lebten 30 
Jahren in Folge vermehrter Brfahrungen gemacht haben. Vgl. unter 
andern: Diotionnaire technolog., V. 145. — Purkinje in Bredtl, 
Jahrbücher des polytechn. Inftituts, IV, 99. — v. Deynhaufen u. 
vd. Dechen, Ueber Schienenwege in England. Berl. 1829. — Coste 
et Perdonnet, Mömoire sur les chemins à ornières. P. 1830. — 
Surville, Die Eifend. als financielle Speculationen betrachtet, 
aus dem Franzoͤſ. Köln, 1836. — Lift, Gifenbahn:Sournal, feit 
1835. Deil. Das deutfche Rational-Transport:Syflem. Altona, 1838 
(aus dem Staats :Lerilon).. Deſſ. Das beutiche Eifenbahn » Syftem. 

tuttg. 1841. — Erelle, Biniges allgemein Berftändliche über Eiſenb. 
Berl. 1835. Defl. Ueber verichiedene Arten von Gifenbahnfcdienen, 
1837. Deff. Siniges in Zahlen über Gifenbahnen, 1838. — Che- 
valier, Des intöräts materiels, ©. 205. — v9. Reden, Die Gifen: 
bahnen Deutichlande. Berl. 1843. — Railway reform, its expediency 
& practicability considered. Lond. 1843. — Quarterly Rev. Mr. 147. 
uni 1844. — Steinle, Techniſches Handbuch bes Gifenbahnwefens, 
Nördl. 1848. — Knies, Die Bifenbahnen und ihre Wirkungen, 
Braunfhw. 1853 (vorzüglich fhäßbar). — Michaelis, Deutfchlands 
Gifenbahnen, Leipz. 1854. — v. Reden, Deutfhland. ©. 804. — 
Audiganne in Revue des 2 mondes, Aug. 1856. ©. 743. — Hüb⸗ 
ner, Jahrb. f. Volkow. u. Statifl. 1856-61 in jedem Jahrgang. — 
v. Weber, Die Schule des Ciſenbahnweſens, 2.9. Leipz. 1862. 


Nah Erelle (Giniges allg. Verf. S. 12) zieht ein Pferd bei 3%, 
Fuß Geſchwindigkeit in der Secunte auf einer guten Kunftfiraße 24, 
auf einer Bifenbahn 240 Eeniner und bie Reibung ift in beiden Fällen 
Up und U, nach Anderen finkt fie auf Gifenbahnen bisweilen auf 
Üjgeo—!/aoo herab. Tredgold's Zahlen geben bei 3 e. Meilen Ge: 
fhwindigfeit in der Stunde 27 und 207 BollsGentner. GEs ift hiebei 
ständige Arbeit im Tage gerechnet. Beim Anfteigen ift der Borzu 
der Bitenbahnen geringer, weil bet beiden Arten von Straßen * 
ein gleicher Kraftaufwand hinzukommt, der ſich zur genen Laft verhält 
wie die Höhe der Steigung zur Länge. Wenn 3. B. 240 Gentner auf 
der wagrechten Straße und Bahn 10 und 1 Gentner Zugkraft erfor: 
dern, fo fommen bei 1 Proc. Steigung bei beiden Mitteln 2,* Gtr. 
hinzu, alſo find 12,° Etr. und 3,1 Etr. nötig und die Bahn leiftet 
nur noch 3,%mal foviel als die Straße. 


(e) Die gewöhnliche Befchtwindigkeit der Dampfwägen auf Gifenbahnen if 


bei Perfonenzügen g. 5 geogr. Meilen oder 8 Wegitunden in 1 Stunde, 
während gemeinigli (auper Großbritanien) die PoRwägen und Lands 
futichen nur 1— 1% Meile zurüdlegen. ine beträchtlich größere 
Geſchwindigkeit vermehrt die Koflen und bie Gefahr. In Gngland 
wird auf den breitfpurigen Bahnen nicht felten 1 engl. Meile in der 
Minute gefahren, alfo 13 g. Meilen in der Stunde. In Rordame 
begnügt man fi oft mit 15 engl. M. — 3%, 9. M. Manche Ba 
nen werden mit Pferden betrieben, wobei bie Anlegungsfoften viel ges 
ringer find. (Rings Yubweis 1,1% Meile in der Stunde.) Man fann 
für diefen Zweck die Ciſenſchienen auf eine Steinſtraße legen, was ſehr 
viel Aufwand erfpyart. Solche fog. Giſenſtraßen (voies ferröes) find, 


15 ® 





(4) 


— 228 — 


wo die Kunſtſtraße ſchon vorhanden if, mit ungefähr 70000 fl. auf 
die Meile herzufiellen. Bad. Gentralblatt. 1856. Nr. 48. 

Der auf die Bahnen gemachte Aufwand ift von flaunenswerther Größe. 
Die nachfiehenden Angaben gefatten feine gen genaue Ermittelung ver 
Koften einer Meile, weil dabei au zum Theile Ausgaben für bie noch 
nicht eröffneten Bahnen vorfommen, namentlih bei Frankreich. Die 
Länge bezieht ſich auf die in Betrieb fichenden Bahnen. 

toßhritanien, Anfang 1862 2362 d. M., 4257 Mi. R. 
s 


Frankreich, 1860 1247 ⸗ 1680 = = 
Defterreich, ⸗ 1861 739 = 670 = = 
Preußen, ⸗ 1859 723 ⸗ 612 =: = 
Deutichland, ohne 

Preuß. u. ODeſtr., ⸗ 1859 679 ⸗ 540 ss 3 
Delgien, ⸗ 1859 268 ⸗ 239 s = 
Rordamerica, ⸗ 1860 6778 ⸗ 2827 = s 


m 


Summe diefer Länder: 12796 g.M. 10825 Mill. fl. 


Zu den hier angegebenen kommen nody die Bahnen in Rußland, Sta: 
lien, NRiederland, Schweiz, Spanien, Schweden, Dänemarf, zufammen 
gegen 1370 Meilen, fo daß Guropa ungefähr 7388 Meilen bat, weldye 
egen 9100 Mill. gekoftet Haben mögen. In den nordamericaniſchen 
Ereiftanten waren in Betrieb 
184 3382 e. M. (Gerfiner) 

1850 8664 

1855 21440 

1860 31179, 
ein erſtaunlich rafcher Kortfchritt! — Bon 1850—55 wurden 314,7 
Mil. D. dazu verwendet. Nah Viereck (Hübener Jahrb. 1857) 
waren in Guropa 5003 Meilen vollendet und 4010 M. im Bau, oder 
genehmigt. Audiganne rechnet für 1856 5135 M. (2500 Kilom.), 
wahrfcheinlich als eröffnet, und mit Cinſchluß der vereinigten Staaten 
(4460 M.), fowie von anderen Theilen America's und Ofindien auf 
der ganzen Erde 27000 Kil — 10405 M. Die 1856 beichloffenen 
neuen Bahnen im ruffifhen Reiche follten 562,* d. M. umfaflen und 
das ſchwarze Meer (Theodofia) mit Moskau (und Petersburg), Niſchnei⸗ 
Nowogorod (an der Wolga), Liebau (an der Oſtſee), Königsberg und 
Warſchau verbinden. Man fchlug die Baukoſten auf 273650 Franken 
a. d. Kilometer = 948000 fl. a. d. Meile an und es wurde hiezu 
eine Actiengefellichaft gebildet, der Blan wurde jedoch nicht vollftändig 
ausgeführt. — Die Kofen ber Anlage einer Bahn find überaus ver- 
f&hieden, je nach der Bauart, — den örtlichen Hinderniflen, 3. B. ter 
aenge von NAuffüllungen oder Abtragın en, bem Bebürfniß von 
Brüden, Durchläſſen, Ginfhnitten, Stollen (tunnels), Uebers und 
Durhgängen, — den Preifen ber Grundftüde u. dgl. Je größere 
Bollfommenheit man benbfichtigt, befto mehr muß man aufiventen. 
Dei der Bauart kommt vorzüglid in Betraht, ob 1) man 1 oder 2 
Geleiſe anbringen will; bei den Verkehr ift eines mit den nöthis 
gen Ausweichpläßen (gares) hinreichend; 2) welche Steigung man höch⸗ 
ens der Bahn geben will, indem ein ſchwaches Gefälle, 3. B. nicht 
über 3 per mille, weit fchwierigere Auffüllungen sc. nöthig macht. Sn 
Frankreich wirb neuerlich 1%/s Broc. erlaubt. Gebirgsübergänge machen 
da weit flärfere Steigungen nothwendig, wo Stollen (tunnele) zu lang 
fein müßten und Umirege & Ichtpierig anzulegen find; 3) welche Krüms 
mungen geftattet find. Solde, die mit einem Eleineren Halbmeſſer 
gezogen find, erheifchen Feine jo groben und Eoftbaren Umwege, vers 
mehren aber bie Meibung und Gefahr. In America findet man 
Bögen bis zu 400 F. Halbmeſſer, in Frankreich wurben fon 1000 





— 29 — 


Meter (3333 bad. F.) gefordert, doch geftattele man ber Straßburg⸗ 
Baf. Bahn ausnahmsweife 2 Stellen von 200 und 300 Meter und 
neuerlich hat man öfters 350 M. zugegeben. In Preußen werden in 
ber Regel 50 Ruthen verlangt, in Großbritanien (Bel. 8. Mai 1845) 
t / engl. Meile. Auf der bad. Bahn hat der Eleinfte Bogen 580 Fuß 
Halbmefler. Lardner verlangt 1 engl. Meile (g. 5300 F.). — 
Chevalier, ©. 288. — Gtollen (tannels) ’erhöhen ebenfalle bie 
Koften beträchtlih. Die Brent: Weftern s Bahn hat zwifhen Bath und 
Ghippenham den Bertunnel von 9680 %. (9833 bad. F. —= ?/, Wegſt. 

Laͤnge, 39 F. Höhe und 35 F. Weite. Gr erforderte 30 Mil. Badı 
feine, beichäftigte 21/2 3. lang 1100 Menſchen mit 250 Pferden und 
Eoftete wöchentlih 1 Tonne Scießpulver und 1 Tonne Lichter. Die 
Bahn hat im Stollen 1 Proc. Fall. Yearbook for 1842, ©. 62. — 
Der im Bau begriffene Stollen durch den Mont: Eenis wird 12700 
Meter eänge haben. Der 2600 Fuß lange Stollen unter dem Heibels 
berger Schloß (Heidelberg « Würzburger Bahn) Eoflete 217 fl. für den 
laufenden Buß. — Bei den Angaben über die Koften muß man dar» 
auf achten, ob Lie Anfchaffung der beweglichen Hülfsmittel (Mafchinen:, 
Kohlen-, Fortfhaffungswägen u. dgl.) oder des fogen. Betriebs: 
materiales mit eingerechnet iſt oder nicht, auch iſt die Ausgabe für 
die noch nicht in Betrieb ſtehenden Bahnen auszuicheiden. — In 
Großbritanien Foflete die d. Meile aller bis 1859 gebauten Bah⸗ 
nen 1839000 fl. London und Northweftern (518%/ e. M.) fam auf 
55400, Great: Weflern (2627, M.) auf 51333, Edinburg⸗Glasgow 
57%, M.) auf 49814, Goutheaftern (234 M.) auf 42500, dagegen 
amen andere auch nur auf 17, 18 und 198000 8. f. die e. M.— Die 
öfterreihifhen B. Eofleten bis 1861 auf die M. 920500 ſüdd. fl., 
die Ling Budweifer Pferdebahn nur 118000 fe — Breußen 1859: 
die Meile 483000 Thle. — Die anderen deutfhen Bahnen koſten 
i. D. gegen 454000 Thlr. = 795000 fl auf die M. Unter den 
Bahnen der deutichen Staaten unb ber Schweiz befanden fich 1860 
468,7 Meilen, die a. d. Meile über 1 Mill. fl. fofteten, und zwar 
über 1% M. die folgenden: 


Deft. Eliſabethen⸗B. 43,7 M. zu 1675081 fl. 
MRhein⸗Nahe⸗B. 19,1 s s 1593025 = 
fächl. niedererggebirg. DB. 18,8 = s 1520907 = 
rhein. B. Herbisthals 
AachensBingen 32,1 = s 1385303 = 
ſaͤchſ.⸗boͤhmiſche 8,8 = = 13658906 ⸗ u. f. w. 
1448 M. Eofteten zwifchen 500000 u. 1 Mill. fl., 3. 2. 
badiſche Stanteb. 47,7 M. zu 980178 fl. 
thüringifche B. 37,3 = = 966229 = 
ſchweiz. Nordb. 23,7 = = 932696 ⸗ 
verein. omeig, B. 36,6 = s 919919 s 
MainsWefer 2. 26,5 = = 914114 = 
oberfchlefliche Hauptb._ 34,0 » = 900209 = 
niederfchlef. märf. 51,6 = = 895158 ⸗ 
würtemb. 45,0 : : 882322 : 
öfterreichifche Staateb. 178 = = 876406 ⸗ 
baier. Staateb. 150,5 = = 799478 ⸗ 
Baier. Oſtb. 50,2 =: s 739089 : 
bannov. Staateb. 110,4 = s 647458 ⸗ 
Berlin Anhalt 414 = s 572318 ⸗ 


— 230 — 


5 kurze Bahnen zuſ. von 46,7 DR sofen unter Ya Dill 8., 48. 
i 14 M. 


Altona:Riel 455 108 fl. 
Dppeln-TZarnowis 10,! 416106 = 
PMendsb.-Reumünfter 4,9 244914 s 


Sn Baiern insbefondere fam 1861 die M. auf 800000 fl., wovon dae 
Betriebsmaterial 13,2 Proc. ausmachte. In Hannover Toflete 1853 
die Meile 322740 Thlr. und zwar Land 7,71 Broc., Bahn 48,7%, Ge 
bäude 18,9%, Betriebsmittel 19,9, andere Ausgaben 6 Bro. — In 
Baden war bis Ende 1860 bie ganze Ausgabe 46°744686 fl. ober 
a. d. M. 942000 fl., es haben aber 36,8 M. oder über ?/. der gan: 
gen Länge boppeltes Beleife. Die Koften zerlegen fih fo: 5 Procent 
orarbeiten ıc., — 9,5 Broc. Ankauf des Landes, — 30,8 Herfiellung des 
Bahnkörpers mit Einfchluß der Stollen, Brüden ꝛc, — 30,5 Procent 
. DOberbau (Schienen, Schwellen, Drehſcheiben sc.),, — 10,1 Broc. Ge 
bäude, — 14,5 Broc. Betriebematerial. — Der Gedanke einer Bahn 
von Dannheim nad Bafel wurde zuerft von 2. Newhoufe ausge 
ſprochen: Vorſchlag zur Herftellung einer Bijenbahfn im Br. Baden 
von Mannheim bis Bafel, 1833. Gutachten hierüber (von Rau) in 
den Verhandl. d. 1. 8. v. 1833, Beil. 1I, 176. — Auszug aus ben 
„Verhandl. des Komitees für Gifend. im Großh. Baden, Karler. 1837 
(von Nebentius). — Auszug aus dem techniſchen Gutachten tes Co⸗ 
mitoͤs ıc. ebd. 1837. — Berhandl. d bad. Ständeverf. v. 1838 [aus: 
fhlieglih der Ciſenbahn gewidmet; Gommiffionsberihte vo. Hoff⸗ 
mann (2. 8.) und Rau (1. K.)] — Ausfügrlide Nachweiſung über 
den &.:3.:Bau im Gr. Baden, Karler. 1844, mit einem Atlas. — 
Bon den Nacmweifungen über den Betrieb der Großherz. badiſchen 
Gifenbahn ift die 20ſte für 1860 erihienen. Die Ausführung wurde 
duch das Gel. v. 29. März 1838 angeordnet, die Fortſetzung von 
Heidelberg nady Frankfurt wurde 1843 durch einen Staatsvertrag von 
Baden, Großh. Heflen und Frankfurt beichloflen. — Belgifhe Bas 
nen bis 1859: 88342 fl. (255562 Wr.) p. Kilom. Bei den einzel 
nen Streden ift die Koftenverfchiedenheit fehr groß. Für das hack 
fchwierige und mit ungemeiner Kunft zu Stande gebrachte Stüd von 
Ans (bei Lüttich) nach der preuß. Graͤnze (bei naden) iſt die belgiſche 
lieue von 5 Kil. auf 3813 000 Fr. berechnet (die g. M. 2 633 000 ſi.), 
während von Gent nach Cortryk (einfaches Geleiſe) die lieue nur 
555000 Fr., die M. 388000 fl. koſtet. Chemin de fer. Compte 
rendu etc. Brux. 1842. — Frankreich: Der durchſchn. Aufwand 
für den Kilometer iR 389821 Fr. = 1347529 fl. für die g. M. 


5. 258 a. [272] 


Bei näherer Unterfuchung der aus ben Eifenbahnen ent 
fiehendeu Bortheile ergiebt fich Folgendes: 

1) Bei den Perfonen tft fchon die Schnelligkeit und 
Pünctlichkeit der Bahnzüge wegen des bei betriebfamen Men 
fhen hoch anzufchlagenden Zeitgewinnes, wegen ber größerm 
Annehmlichkeit und Bequemlichkeit, der Erfparung an Zehrungs⸗ 
foften ıc. von großem Nutzen, den aber bie MWohlfeilheit bes 
Fahrgeldes in Vergleich mit anderen NReifegelegenheiten noch 
fehr verftärkt. Die Erleichterung des Reiſens trägt nicht allein 





— 231 — 


in wirtbfchaftlicher Beziehung zur Belebung bed Güterverfehre 
und zur Ausdehnung der Production Vieles bei, fondern bringt 
auch die Menfchen in vielfache Verbindungen, macht ein Zus 
fammenwirfen für die mandjfaltigften Zwede möglid und übt 
auf bie verſchiedenen Zweige der Bildung einen günftigen Eins 
fluß (a). Die Eifenbahnen mit ihrem Betriebe find von dies 
fer Seite wie vervollkommnete Poften anzufehen, und auch ber 
Regierung insbeſondere ift diefe Anftalt fehr nüglich, indem 
diefelbe die entfernteren Zanbestheile mit dem Mittelpuncte ber 
Staatsthätigfeit verknüpft und eine fchnellere, Fraftvollere Wirk 
famfeit in jebem Theile des Landes geftattet (5). 

2) Bei den Waaren ift eine fchnellere Verfendung vors 
theilhaft (8. 255), weil fie die Umlaufözeit ded Capitals ab» 
fürzt, weil manche Güter bei langſamer Fortſchaffung verberben 
ober ſich verfchlechtern (ce), endlich weil günftige Preife und 
Abfapgelegenheiten von dem Berfäufer zu feinem Vortheil beffer 
benußt werden Fönnen. Es ift jedoch, befondere Bälle ausge⸗ 
nommen, bie Gefchmwindigfeit, mit welcher die Perfonen fortges 
bracht werben, für die Waarenbewegung überflüffig und eine 
etwas langfamere Bortfhaffung, welche aber bie der anderen 
Berfendungsmittel noch immer weit übertrifft, und geringere 
Koften verurfacht, genügend, um in Verbindung mit einer Bers 
minderung der Frachtausgabe und ber genauen Regelmäßigfeit 
ber Züge diefer neuen Anſtalt eine große volfdwirthfchaftliche 
Nuͤtzlichkeit zu geben (d). Die Wohtfeilheit der Fracht fchwächt 
den Einfluß der örtlichen Lage auf die Koften und ben Preis 
ber Waaren „und giebt anderen Beftimmgründen beffelben eine 
verhältnigmäßig größere Macht. Dieß Tann fo erläutert 
werben: 

a) Für jeden Ort, an weldhem ein Zweig der Hervorbrins 
gung durch Hülfe natürlicher Vortheile, größerer Kunft ıc. mit 
vorzüglihem Erfolge getrieben, d. h. ein Sachgut gut und 
wohlfeil erzeugt wird, entfteht ein weiteres Abſatzgebiet und ein 
Antrieb, folche Gewerbe in größerem Umfang mit vermehrtem 
Capital zu betreiben, während freilich ſolche Unternehmungen, 
welche weniger leiften und nur in der Koftbarfeit der Zufuhr 
von entfernten Puncten biöher einen Schuß fanden, eingehen 
oder große Bortfchritte machen muͤſſen; 








— 232 — 


b) für jeden Ort, an weldyem ein beträchtlicher Begebr einer 
gewifien Waare befleht, bildet fich ein weiteres Markt⸗ ober 
Zufuhrgebiet und die reichlichere Berforgung wird mit niebris 
geren Preiſen möglich (e); 

c) die Preife der Erzeugungs⸗ und der Marktorte find we 
niger verfchieden, bie bisherige Wohlfeilheit abgelegener Gegen: 
den hört auf, fowie zugleich die Theuerung flarfbevölferter Orte 
oder Bezirke. 


(a) Zufammenkünfte für gemeinfchaftlihe Beförderung der Wiflenichaften, 
der ſchoͤnen Künſte, Air kirchliche Zwecke — Reifen für Forſchungen 
in einem dieſer Faͤcher. — Erweiterter Wirkungskreis der geifigen 
Kräfte (Lehrer, Kuͤnſtler, Aerzte sc.), auf mehrere Orte. — Ablegung 
o BVorurtheilen, weldhe die Bölfer aus Unfenntniß gegen einander 
egen. 

(3) Dahin gehört die fchnelle Kortihaffung ber bewaffneten Macht, ber 
Geſchuͤtze sc. int Staatövertheidigung. — Eherbuliez, ber bicde 
Wirkungen ſchildert, beforgt den Untergang der freien Gemeinbeverfai: 
fung bei der Verftärfung des Staatsverwaltungsmechanismus. 

(c) GEs wird viel Schlahtvieh auf den Bahnen verfendet, weil man bie 
Fütterung und die Abmagerung während des Transportes zu Fuß er: 
fpart; daflelbe geht 3. B. aus den norbwefll. Staaten von Nordamerica 
mit großem Vortheil nach Boflon oder Newyorf, und Bei der Fleiſch⸗ 
theurung von 1843 kam Schlahtvich aus der Schweiz bis in tie 
Nedargegend auf der elfäfler und der badifchen Bahn. — Wild, Auftern, 
Fiſche, Geflügel, Wildpret sc. können wegen ber ſchnellen und leichten 
Berfendung viel weiter fortgebracht werden ale früher. Das Zufuhr 
gebiet von Milch für den Parifer Marft reicht jetzt gegen Dften 94 Ki: 
ometer, gegen Weften 40 Ril. weit (12,7 und 5,1 d. M.). 

(A) Man läßt deßhalb gemöhnlih die bloß für Waaren beflimmten Züge 
(Büterzüge) langſamer gehen als die Perfonenzüge. 


(e) Mehl kommt auf den Bahnen 100 Kil. weit nah Paris, felbR ven 
5 Mühlen in dem Dep. Gironde und 1 aus Belgien. Ungariides 
Getreide und Münchener Mehl kommt bis in die Rheingegend, ebenie 
feines Gemuͤſe aus Algier. . 


5.259. (273,] 


Aus den biöherigen Erfahrungen laſſen ſich ferner nad» 
ſtehende Ergebnifle aufftellen: 

1) Die Eifenbahnen haben in ihren Wirfungen bie anfäng- 
lichen Erwartungen weit übertroffen (a). Nachdem einmal ihre 
großen Vortheile erfannt worden waren, wurde ihre Anlegung 
mit Hülfe der in der Friedenszeit feit 1815 erfolgten Capital 
vermehrung im Wetteifer ber verjchiebenen Länder unternommen, 
weil man weber ben Nupen bed erleichterten inneren Verkehrs 


— 233 — 


entbehren, noch auch in ber Theilnahme am auswärtigen Hans 
dei und in Bezug auf die Richtung ber Waarenbewegung bem 
Audlande einen Vorzug überlafien wollte. Die reihfien, am 
bichteften bevölterten und zugleich am beften regierten Länder 
wurden zuerft mit Bahnen audgeftattet (5), andere ſchwachbe⸗ 
völferte nahmen zu biefem Zwede fremde Capitale zu Hülfe (c). 

2) Anfänglich waren bie Eifenbahnen nur zur Berbindung 
einzelner Orte beflimmt, zwifchen benen beſonders lebhafter 
Verkehr fchon befland ober zu erwarten war. Als dieß ſehr 
gut gelang, erweiterten ſich die Entwürfe und man fing an, 
längere Bahnen anzulegen, welche ein ganzes Land in vers 
ihiedenen Richtungen durchfchneiden und an die Stelle ber 
Haupt⸗Landſtraßen treten. Das. fo eniflandene Neb wurde 
nach und nad durdy Zwifchenbahnen vervollftändigt. Am meis 
fien vermögen aber diefe Bahnen fowohl für den Verfehr im 
Allgemeinen, als für den Nutzen ber Eigenthüner zu leiften, 
wenn fie über die Gränzen des einzelnen Staates hinaus fort 
geſetzt werden, fo daß fie audy entfernte Ränder mit einander 
verfnüpfen. Deutfchland iſt vermöge feiner Lage zum Mittel 
gliede des Eifenbahnfpflemd auf dem europäifchen Feſtlande 
beflimmt und wirb nad) der Vollendung ber großen Bahnftreden 
die Bortheile des leichten ‘Berfonens und Waarenverfehrö nad 
allen Richtungen hin im hoͤchſten Maaße genießen. 

3) Die Fortfchaffung der ‘Berfonen bat nach ber Anwen⸗ 
dung der fahrbaren Dampfmafchinen (Rocomotive) fo große 
Ausdehnung erreiht, baß fie eine Zeit lang als der gemein- 
nüßigfle und einträglichfte Theil des Eifenbahnbetriebes betrach⸗ 
tet wurbe (d). Diele Reifende legen nur einen furzen Weg 
auf der Bahn zurüd. Werden die Bahnen fo angelegt, baß 
fie volfreihe Städte und flarfbewölferte Gegenden berühren, fo 
liefert der Verkehr zwiſchen Buncten, die wenig von einander 
entfernt find, einen flarfen Beitrag zu ber ganzen Zahl von 
Reifenden (e). Die minder begüterten Vollksclaſſen (Landleute, 
Handwerker, Xohnarbeiter) bringen bei zwedmäßiger Riebrigfeit 
des Fahrgeldes auf den für fie beflimmten Wägen den größten 
Antheil an der Einnahme aus Perſonen (f). 

3) Die Waarenverfendung fommt mit Ausnahme folcyer 
Bahnen, die befonderd auf einen gewiflen großen Zweig ber 


— 1 — 


Erzeugung, 3. B. eine Bergwerksgegend, berechnet find, erſt 
allmälig in Aufnahme. Es gehört einige Zeit dazu, bis bie 
Unternehmungen ſich nach biefem neuen Berbindungsmittel ein» 
richten, auch belohnt fi dad Hin» und Herfchaffen zu und 
von ber Bahn erfl, wenn biefe einige Länge hat. Bei ben 
meiften Bahnen nimmt beßhalb einige Jahre nach ihrer Voll 
endung die Sracht- Einnahme flärfer zu als der Ertrag des 
Fahrgeldes unb überfteigt endlich ben legteren. Bei ber Ber: 
längerung einer Bahn tritt biefe Beränderung im Zuwachs 
beider Einnahmen im verflärften Grade ein (9). 


(a) Zwicſchen Liverpool und Manchefter fuhren früher Kutihen, die täglich 
im Durchſchnitt 450 Plaͤtze Hatten. Man zahlte i. D. 7% Sch. und 
die Roheinnahme der Kutfhen war 61320 2%. St. jährlihd. Auf ber 
Bahn dagegen fuhren fhon 1835 über 1500 Menfchen täglih für 
5 Sch. und dieß trug jährlih 120334 2. ein. Die Fracht von der 
Tonne Waare wurde um 21/s Sch., von Kohlen um 2 Sch. erniedrigt, 
und das Publicum erfparte an Fracht und Fahrgeld für PBerfonen im 
I. 1835 241750 2. gegen das, was bei gleicher Frequenz nad ten 
früheren Breifen hätte bezahlt werden müſſen. Im Sahre 1844 
wurden auf biefer Bahn fchon 652346 Perſonen, 103738 Stüd 
Vieh, 201832 Tonnen Waaren und 115922 Tonnen Gteinfoblen 
fortgeſchafft. — Bon St. Etienne und Rive de Gier wurden früher 
251/, Mill. Kit. Steintohlen nah Lyon gebracht, auf der Bahn 350 
Mill. (über 13fach), und es reifen 165000 Menſchen auf derfelben, 
worauf man fidh gar feine Rechnung gemacht hatte. Die Tonne (20 Str.) 
zahlt nur 20%a Tr. auf die Meile (9,8 Gent. auf den Kilometer). Diele 

ahn Bat wegen des gleichförmigen Gefälles, weldes die Wägen in 
der Richtung ber haäufigſten Transporte von ſelbſt hinabrollen läßt, 
und ber großen Menge von Frachtgütern höchſt günfige Umflände. 
Die Regierung hatte beim Nusichreiben der Concurrenz im 3. 1826 
ale den hoͤchſten zuläffigen Frachtſaz 15 Gent. per Tonne und Kilom. 
aufgeftellt. — Für die badifche Eifenbahn wurde in dem erften hierüber 
1833 erftatteten Bericht (L Kammer, von Rau) auf 900000 — 1 M. 
Gtr. Waaren und 73— 91000 Reifende fährlih auf ber ganzen Bahn 
gerechnet. Das techniihe Gutachten geht davon aus, daß 100000 
fReifende und 300 000 Etr. Waaren zu verführen fein. Die wirkliche 
Menge war 1860 225205 Berfonen und 2802941 Gtr. Waaren auf 
die ganze Bahn. 


(6) Auf 1 geogr. Meile Bahnlänge kommen nad den obigen Zahlen 
($. 2588 (d)) in 


Snoland und Wales. . . .„ 1,9 OMeilen 
Belgien . > 2 0 222 2 ⸗ 
Brit. Könige. . 2000. 2,8 ⸗ 
Deutſchland ohne Oeſt. u. Pr. 68 = 
Preußen. » : 2 2200.07 ⸗ 
Kruanfiihb - » 2 2 48 ⸗ 
Oeſterreih..14,8 ⸗ 
Nordamer. Freiſtaaten190 ⸗ 


Der überaus große Capitalaufwand für die Bahnen geſchah in fo kurs 





(e) 


(d 


(e) 


— 35 — 


zer Seit, daß eine Steigerung bes Zinsfußes und Störungen der Ges 
werbe nicht ausbleiben Ionnten. In Großbritanien wurden 1801 bis 
40 299 PBarlamentsacten über &. B. im Belauf von 69 Mill. 2. ans 
genommen, 1841 —44 113 Arten für 18 Mill., 1845 allein 120 Acten 
für 59 Mi, 1846 fogar 272 9. f. 121 Mil., 1847 184 9. für 
35 Mil. zu Stande gebracht und in diefem Jahre 42 Mill. 2. Actien- 
einzablungen gefordert. In Folge dieſes fogen. Ciſenbahnſchwindels 
(manis) trat ein ſtarkes Sinken der Actien ein. Diefe ſtanden im 
October 1848 zu 36 Proc. des Preifes, den fie im Aug. 1845 gehab 
hatten. Bgl. I, $. 2328 (e). 


Rordamericanifche Freiftaaten en B. die im Bau befindliche B. über das 
Gebiet Utah und die Sierra Nevada nah Kalifornien), Rußland, — 
B. über die Landenge von Banama, Bahnen in Britiſch⸗Oſtindien ıc. 
Im lepteren Lande waren bis 1856 fhon 298 engl. Meilen eröffnet, 
2896 im Bau und man erwartet, daß ber Gewinn für die britifchen 
Geſellſchaften als Unternehmer fowie der volkswirthſchaftliche Erfolg 
ſehr groß fein werde. ine Linie wird von Calcutta gegen Delhi und 
Labore, eine zweite von Bombay norbwärts geführt, in Mirgapore 
treffen beide zufammen. Oftindien hat 9 Gefellichaften für Eiſenbah⸗ 
nen, 1 für Bewäflerung und Schifffahrtscanäle, 1 für die Beſchiffung 
des Indus, und bielelben ‚hatten bis 1860 (April) über 7'/ Mill. 
2. St. ausgegeben. — Bigenthümlih ift in ben norbamericanifchen 
Freiftanten die Verbindung der Gifenbahnen mit der Schifffahrt auf 
Flüffen und Gandlen, wodurd mit viel geringeren Koften eine immer 
noch ſehr mügliche Geſchwindigkeit erreicht wird. Chevalier, Briefe 
de Nordamerica, Leipzig 1837, III, 29— 107. Deſſ. Interöte mat, 
.410 


Bei den belgiihen Bahnen rechnete man auf 500000 Reiſende jährs 
lid. Die wirkliche Zahl der Bingefchriebenen belief fih 1837 bei einer 
Bahnnlänge von 141 Kil. auf 1384577, 1840 bei 330 Kil. Länge 
auf 2199319, 1850 bei 624,° Kil. Länge auf 4188614, 1853/4 
auf 4839686, die freilich zum Theile nur kurze Streden burchreiften. 


Auf der bad. Bahn bdurchreifte eine Berfon im J. 1860 in den drei 
Magenelaffen I. 9,8%, II. 6,%, IIL 3,1% Meilen, auf den baierifchen 
B. 1860/1 auf den Gilzügen I. 26,75 M., II. 14,%, auf den gewoͤhn⸗ 
lihen Zügen I. El. 14,%, II. 8,%, III. 4,9 M. Anfehnlide Städte 
oder Drte, die in Geſchaͤften oder zum Bergnügen ıc. am meiften be- 
fuht werden, oder an denen lebhafte Geitenftraßen einmünden, find 
am einträglichten, wie dieß die Rechnungen beweilen. Die monatliche 
Zahl der Reifenden war i. D. der Monate April bis October 260.099 
(max. 289460 im Auguf), im D. der 5 Monate November bie März 
173298 (min. 159113 Januar). — Belgien 1853/4 Juli, Auguſt, 
September zufammen 35,5 Proc., Decbr. bis Febr. 16,0 Procent der 
Ginnahme. 


() Die verschiedenen Wagenclaſſen entipreden ben Abftufungen des Gin, 


fommens in den wirtbichaftlichen Claſſen des Volkes, UI, 8. 219 6. 
Auf der bad. Bahn wurde 1853 die 4. Claſſe (Stehwagen) aufgehoben 
und das Fahrgeld der 3. Elafie ermäßigt. Dieb hatte die Folge, daß 
bie Zahl der Meifenden fi verminderte, die Einnahme aber zunahm. 
Die Säpe find auf die M. bei gewöhnlichen Zügen LJ. El. 18%, kr. 
d. &. 12,5 ft, IIL El. 8 fr., in Baiern 186, 12 und 8 fr., bei 
Gilzügen (I. u. IL Cl.) ! mehr. Die Ergebniffe der Perfonenforts 
ſchaffung waren in Baiern 1860/1: 


. 








— 236 — 


Schnellzuͤge gewoͤhnliche Zuͤge 
N — 

J. IL I. IL UL 
Zahl der Reifenden 0,9 Proc. 7,8 0,7 10,9 81,97 Proc. 
@innahme 88 24, 86 1,9 18,9 52 

In Baden 1860: 

Sahl der Meifenden 1,51 10,2 0,8 11, 75,8 
Einnahme . . . 88 31,0 1,9 13,95 44,4 


Nah Weber ©. 321 if die Zahl der Reifenden in Broe. 
in Großbritanien . . . L135 IL31,5 WUL55 
in Branfeih . . .» . 10 26 64 
in Belgien . . . .. 9 16 75 


Diefe Procentverhältniffe werden außer dem Grabe von Wohlhabenheit 
bes Bolfes auch von dem Betrage des Wahrgelves in ben verfchiedenen 
Claſſen, ferner von der Annehmlichkeit der Plaͤtze in denfelben beflimmt, 
weßhalb in Deutichland die 1. Claſſe weniger benugt wird ale in 
England sc. Die Einrichtung, nad welcher man bei weiten Fahrten 
enöthigt ift den Gilzug zu benugen, vermehrt die Zahl ber mit den⸗ 
elben fahrenden Meifenden der EI. I und II. Jede Perfon legte 
im D. in Baien 6, in Baden 4 M. zurüd und bradte dort 
1 fl., Bier 45,2 fr. Kahrgeld ein. Die Fracht von Mannheim bis 
Waldshut (44 M. Bahnlänge) von 1 Gentner und Meile berechnet 
fh aus dem Tarif bei gewöhnlichen Waaren (I. EL.) zu 1,3 fr., 
aber auf der oberen Strede Offenburg: Walvchut 1,% fr., auf ber 
unteren er sOffenburg) nur 1,1%. Waaren von geringes 
tem Breije] (IL Cl.) bezahlen g. 1 &. (1, und 0,9 auf beiden 
Strecken) vom Gentner, aber auf der oberen Strede (Bafel-DOffenburg) 
1,9, auf der unteren 1,21% fr. In Nordamerica (Neus England und 
News Dorf) war nah Lardnner das mittlere Fahrgeld eines Reifenden 
auf die deutfche Meile 20%/ kr., die Fracht vom Ctr. 1,9 fr. Im 
Frankreich ift der Höchfle erlaubte Sak 


auf den Kilom. auf die d. M. 
10 Gent 20,7% fr. 


A. Fahrgeld L EL. Gent. 0, 
s IL : 15 s 15,9% s 
⸗ UL = 5,5 s 11,8 : 
B. Fracht für 1 Stüd Großvieh 10 ⸗ 2,8 ⸗ 
⸗ 1 Tonne Waaren I EI. 18 = 1 Gtr. 1,8 > 
° ⸗ ⸗ ⸗ II. Cl. 16 ⸗ ⸗ 1, e2 ⸗ 
⸗ ⸗ ⸗ DI. El. 14 = s 1,10 5 
⸗ Eilgut 36 ⸗ : 3,9. 
⸗ Auftern und Fiſche 50 ⸗ : 5% 5 


Die IL EL. begreift Getreide, Holz, Kohlen, Kalt, Gips, Gußeiſen 
und Blei in Blöden sc., bie IIL Steine, Sand, Biegelfleine, Schie⸗ 
fer sc., Die I. alle anderen Waaren. 

In Großbritanien überfleigt das Fahrgeld der L GI. nicht leicht 
31/0 P. auf die engl. M. = 44, fr. a. d. M., es ift auf der IIL 
nit unter 0,2 P. — 4 fr. auf die d. M. Die III EI. wird all 
mälig flärker benußt, die J. ſchwaͤcher. Während in Gjährigem D. 
(1845 — 50) die II. 40 Proc. der Reifenden aufnahm unt 40 Proc. 
bes ganzen Fahrgeldes einbrachte, war dagegen in der ILL EI. 

1845 1850 
Zahl der Neifenden 40 Proc. 52 Proc. 
Einnahme . . -. 19 s 30 s 
Das mittlere Fahrgeld (1'/ P. p. mile) kommt ungefähr mit ber 
Fracht der Tonne (20 Ctr.) überein. Im 3. 1851 bezahlte man von 











69) 


— 237 — 


Lonton nad Beinen über Birmingbam (407'/z miles) auf die engl. 
DM. expresstrain 2,56 3. (auf die d. M. 35,% fr.), I. Cl. 2,% $ 
(31,% fr.), IL. El. 1%; P. (22,9 i.), II ©. 0,5582. (12,4 fr. a. 
d. d. M.) — In Bengalen und Madras find niedrigere Preiſe ber 
unteren Glaflen und für Waaren gejept worden, nämlich für Perfonen 
auf die deutjche Meile I. 31 fr., IL. 15,5 kr., III. 6,9 kr., für den Etr. 
Waaren 0,65—1,8 fr. — Auf den belg. Bahnen ifl das Fahrgeld öfters 
verändert worden, Der Tarif vom 13. April 1841 forderte für bie 
belg. Stunde der 3 Wagenclaffen 40—25—15 Gent., der neuere vom 
17. Aug. 1841 42- 30—18 Cent., was eine Erhöhung der Cinnahme 
bewirkte. Belg. Gel. 17. April 1851: die Preife der 3 Pläpe müflen 
das Berhältniß 4:3:2 Haben. Bei dem Sape von 4 Gent. a. d. 
Kilom, der III. El. bei geringerer Geſchwindigkeit fommen auf bie 
g. M. I. El. 16,57, IL 12,%, IIL 8,4 fi. Die erfle Wagenclafle 
wird, wenn fie zu theuer if, wenig benußt. Auf der Bahn von Baris 
nah St. Germain benugten ?/« der Reijenden den wohlfeilftien Platz, 
und die Herabjeßung des Yahrgeldes von 1 auf 3/4 Br. bewirkte eine 
flarfte Zunahme des Gebrauches, fo dag man im Sanuar 1839 von 
130 889 NReifenden 104413 Fr. einnahm, während im San. 1838 nur 
91614 Menſchen gefahren waren und 96708 Yr. bezahlt hatten. Auf 
der Greenwich Bahn brachte die Steigerung des Kahrgeldes um 30 Pr. 
eine Year der Reifenden von 41 Proc. und des Ertrages von 
17 Broc. hervor. 


Auf der badifhen Bahn betrug von der unmittelbaren Ginnahme das 
Fahrgeld mit der Kracht für das Meifegepäd 
1844 bei 21,3 Meilen Länge 80 Broc. 


51 = 39% > ⸗ 52,5 s 
53 =: =: ⸗ ⸗ 45 ⸗ 
D. 1858—60 > 48 s ⸗ 46 ⸗ 


aber mit Cinſchluß der Fracht für Vieh. 

Auf der Berdinands-Nordbahn trugen die Perfonen 1840 no 
65,8 Bror., 1846 unter der Hälfte, 1852 nur noch 31,3 Proc. — 
Hannov. Bahn 1843/4 Perf. Binnahme 87,8 Broc., 1846/7 62, 1847/8 
58, 1848/9 48, 1852/3 41,9 Proc, 1859 38 Pr. — Nbgefehen von 
Nebeneinnahmen der Bahnen betrug das Fahrgeld im Jahre 1859 in 
Preußen und Würtemberg 36, in Sadfen fogar nur 30 Proc. In 
Baieın machte das Fahrgeld der Perfonen 1850/1 noch 52 Proc. in 
den 3 folgenden Jahren 45, dann 44, 42, 39, 37, 39, 38 u. 1860/1 
37 Proc. — Dieß Ueberwiegen der Frachteinnahme über das Fahrgeld 
trat in Belgien, wo erſt feit 1838 Yrachtftüde angenommen werden, 
fhon 1845, auf der TaunussBahn 1846, auf der fädf. Bahn und 
Diagbeburg-Beryaig 1847, Leipzig s Dresden 1852, Würtemberg 1851/2 
ein. In Großbritanien war das Yahrgeld 1848 noch 57 Proc., 1850 
50, 1855 im 1. Halbjahr nur noch 42 Proc., in Gngland insbeſon⸗ 
bere in ben Jahren 1860 u. 61 46 u. 42 Proc., in Schottland 39,3 
u. 31 Proc., in Irland aber noch 65 und 58 Proc. Auf der rhein. 
Bahn betrug es noch 1853 56,5 Proc. der Einnahme. In Belgien 
war 1850 bas Yahrgeld auf 48, 1852/3 ſchon auf 45,8 Proc. der 
Ginnahme gefunlen. 


$. 259 a. [263.] 
5) Der rohe Ertrag einer Bahn pflegt auch bei gleichbleis 


bender Länge und abgefehen von ber Fortfegung in ben ans 


— 238 — 


graͤnzenden Ländern anhaltend zu ſteigen, weil bie Benugung 
vollftändiger wird (4) und bie von der Bahn verurfachte Zus 
nahme der Erzeugung und Berzehrung ihr wieder mehr Gegen- 
ftände zuführt. Auch ber reine Ertrag fleigt in der Regel mit 
dem rohen (a). Zweigbahnen nüben gewöhnlich der Haupt: 
bahn (8). Wenn jedoch neue Bahnen in’ ungefähr gleicher 
Richtung wie die Älteren entſtehen (PBarallelbahnen), fo entziehen 
fie diefen einen Theil des Zufluffes. Die Bervollländigung 
des Bahnneged in einem Lande bringt zwar im Ganzen eine 
fortwährende Vermehrung der fortgefchafften Perfonen und 
Waaren zu Wege, kann jedoch, wenn fie einen gewiflen Stand 
erreicht hat, den durchfchnittlichen rohen und reinen Ertrag ber 
Meile vermindern (c). IA eine vollftändige Berzinfung nicht 
ferner zu erwarten, fo feßt dieß ben weiteren Bauunternehmun- 
gen eine Graͤnze. Es werben immer viele Straßen übrig blei- 
ben, auf denen eine Eifenbahn feinen genügenden Reinertrag 
verfpricht (d). 

6) Gebirge vermehren die Baufoften der Bahnen im hoben 
Grade und wenn flarfe Steigungen unvermeidlich find, fo wer- 
den auch die Fortſchaffungskoſten flarf vergrößert. Deßhalb 
find weite Ebenen und Hügelgegenben für bie Anlegung von 
Bahnen vorzüglid günftig (e). Doc, hat man bei der Aus; 
bildung der Kunft auch gelernt, beträchtliche Höhen zu über: 
fhreiten oder zu durchichneiben (f). 

7) Eine Bahn, befonders mit Dampfwägen, fann nur von 
einer einzigen Berwaltung betrieben werden und hiedurch uns 
terſcheiden fi die E⸗B. wefentlih von den Land» und Wafler 
ftraßen, die der allgemeinen Benutzung offen fiehen. Der Be 
trieb gefchieht gewöhnlich, jedoch nicht nothwendig, auf Rech: 
nung der Bahneigenthümer. Die Koften ded Betriebes werden 
befto geringer, je größer die einer Verwaltung untergebene 
Strede iR und mit der Länge berfelben nimmt auch bie Bes 
quemlichkeit der Benutzung zu Reifen und Berfenbungen zu. 

8) Die Koften des Betriebes, des Unterhalts der Bahn 
wit ihren Zubehörungen und ber Oberleitung nehmen bei dem 
gewöhnlichen Betrage ded Fahrgeldes und ber Fracht ungefähr 
die Hälfte der Einnahme hinweg, fo daß die andere Hälfte den 
Zins und reinen Gewerböverbienf bildet. Unter günftigen 











— 239 — 


Umftänden Tann biefer Theil des Rohertrags bie Hälfte noch 
beträchtlich überfleigen (g). 


(e) 


(2) 


(0) 


Die flatikifchen Ausmittelungen find theils für bie Meile der Bahn, 
theils für die von den Zügen zurüdgelegte (Fahrmeile) angeflellt wor 
den, bei welcher die Zahl der täglichen Züge mit einwirft. Nach der 
Meile Bahnlänge war die jährlihe Sefammteinnahme 3. B. 


Frankreich 1856 165680 fl. (47977 Er. d. Ril.) 
und zwar Paris⸗Lyon 255306 14328 ⸗ 
aber Suͤdbahn 61562 = 17827 s 


⸗ D. 1860/1 143516 2644 s 
und zwar England 167 365 ⸗ 3083 = 
auf einem Theil der B. in Deutihland 1860: 

K. Gerdinand:Rorbbahn 224492 fl. (mazx.) 


s 
2 
Großbritanien 1850 112324 =» (a. d. e. M. 2093 2.) 
5 3 
8 


Leipzig Dresben 211671 > 
Köln:Minden 204. 169 ⸗ 
Mien⸗Trieſt 186 141 ⸗ 
Oeſterr. Nordbahn 171061 > 
Oberſchleſiſche Bahn 159 625 s 
Saͤchſiſch⸗baieriſche 154450 > 
Mheinifche Bahn 115867 
Pfaͤlz. Ludwigsbahn 113787 s 
erlinHamburg 111658 > 
Thüringiſche 104.055 - 
Bapifche 95434 = 
Mürtemberg. Staatsbahn 93905 » 
Baieriſche 87677 ⸗ 
Hannoveriſche 17268 = 
Preuß. Oſtbahn 58312 > 
Weſtfaͤliſche 56 243⸗ 
Saarbrüd-Trier 40677 s 
Tiroler 39910 
Niederſchleſ. Zweigbahn 33164 » 
DOppelnsTarnowiß 19049 « (min 


f. Zehnter Nachweis der baier. Verkehrsanſtalten © 50. 


Menn fie namlich lang genug find, um ihr Perfonen und Waaren zus 
zuführen, die ihr nicht ſchon vorher zufließen. Um Bortheil zu beins 
en, darf ihre Richtung mit der Hauptbahn feinen fpigen Winfel 
ilden. 


In England Hatte der durchſchnittliche rohe Bahnertrag der Meile feis 
nen hoͤchſten Stand 1845, nämlich 3280 8. auf bie englifche — 
176 023 fl. auf die d. Meile. Gr fiel hierauf bis 1850 und bob fi 

dann wieder, doch nicht bis zu jenem maximum. Dan flagt, da 

manche mitwerbende Seitenbahnen Ausſauger (suckers) einer älteren 
Bahn ſind, flatt Srnährer (foeders) zu fein. 

Sn Preußen war der rohe Ertrag der Meile: 
1844 28977 Thlr. 


8 
48 28217 s (politifhe Aufregung) 


2 — 
mb 
a 
[= 
sn u u u 


(4) 


(e) 


_— U — 


Der Reinertrag (Dividende) der beutfhen Bahnen war von dem Baus 
capitale 1853 höchftens 13,5 Proc. (Ferdinands⸗Nordb.), 11,6 Brocent 
Coberfchlef. B., Magdeburg Leipzig), 11, Proc. (Leipzig: Dresden), bei 
einigen nur 2 und I Proc. — Die badilhe B. trug 1851 3,9, 1852 
4,17, 1853 4,4 Broc., im D. 1857 —60 5,8 und nad Abzug ber 
außerordentlihen Ausgaben für Ergänzung und Erweiterung der Bahn, 
ber Gebäude, des Materials ıc. 4,73 Bror., — die baier. Staatsebahn 
1869/60 4,5, 1860/1 5,% ®r., die würtemb. 5,55, bie fämmtlichen 
preußifchen 1853 5,15 Br., 1855 6,5 Pr., die hbannov. B. 1844,5 bis 
1849/51 i. D. 4,9, 1860 5,57 Proc. Dieſer Brocentfab wird nicht 
allein von der Größe der Ginnahmen und Betriebsausgaben, ſon dern 
auch von den Koften der Anlegung bedingt. Auch in Sroßbritanien 
giebt es Bahnen, die 1856 nur 1 oder 1%, Broc. abwarfen. Das 
max. war 8 Proc. (kleine Bahn Dublin — Kingston), ſodaun 7 
(Lancafter — Carlisle). — In Frankreich trug 1851 Paris — Orleans 
12,7 Broc., Nordb. 9, Straßburg — Bafel 3,3 PBroc., 1850 Havre — 
Dieppe nur 1,5 Proc. — Der Meinertrag des Kilom. der franzoͤſ. B. 
war 1847 22000 Fr., 1848 13600, 1852 21600, 1854 26400, 1855 
(Ausſtellung!) 30300, 1855 (aus den 3 erften Duartalen berechnet) 
28000 Fr. — Wenn eine Bahn auf die Meile 700000 fl. Eoftet umb 
4 Proc. — 28000 fl. Reinertrag bringen foll, fo erfordert dieß unge⸗ 
fähr 51000 fl. Roheinnahme. Nimmt man das Kahrgeld i. D. zum 
12 kr., die Fracht vom Centner zu 1,5 fr. an, fo daß ein Reilender 
und 8 Gentner gleich viel einbringen, jo find 2040 000 Gentner oder 
deren Erſatz in Reifenden auf die ganze Bahn nöthig, 3. B. 120000 
Reifende = 24000 fl. und 1°080000 Etr. = 27000 fl., um 51000 fl. 
auf die Meile abzuwerfen. Hiebei fommen auf jeden Tag 328 Ber: 
fonen und 2958 Gentner. Grelle (Biniges in Zahlen S. 50) nahm 
an, eine B. gebe dann Gewinn, wenn fie jährlich */ Mill. Centner 
oder ftatt derſelben! / der Centnerzahl Perfonen zu verbringen habe. 
Dieß genügt offenbar nur bei jehr mäßigen Anlegungsfoften. 


Man Hat in Sngland bemerkt, daß die Eifenbahnen ben alten Römer: 
fraßen folgen. — Die Bahnftrede von Laibach nah Trieſt iſt das 
erſte Beifpiel des Ueberganges einer Bahn über die Alpen, das zweite 
wird die Mont⸗Cenisbahn geben. 


() Man nahm anfangs bei beträchtlichen Steigungen ſtehende Dampf: 
e. 


mafchinen zum Ziehen der Wägen zu Mn Auf der Bahn von ter 
gettonunoh engrube nad Sunderland befinden ſich 6 ſolcher Mafchinen. 
ie Seile, an benen man die Laftwägen aufzieht, laufen über Rollen 
und find fehr groß, 3. B. 3600 Fuß lang und ungefähr eben fo viele 
Pfund fhwer, v. ee Glan und v. Dechen, ©. 74. 205. — 
Der ſteile Abhang („Ichiefe Ebene“) von Erkrath auf der Düffeldorfs 
Elberfelder B. Ha Us Fall und ift 2350 Meter (1833 bad. %.) lang. 
Er hat eine ſtehende Mafchine, doch wird geiwöhn ich ber fteigende Zu 
von bem hinabgehenden gezogen; auch der Abhang bei Aachen, ts Ya 
und 2500 Met. (8333 %.) Lange, hat eine febende Maſchine, ſowie 
die beiden — Abhaͤnge zwiſchen Ans und Lüttich, jeder von se 
und 1980 Met. (6600 F.) Länge. — Neuerlich bedient man fich lieber 
flärker gebauter fahrbarer Mafchinen (Dampfivägen, 2ocomotive). Auf 
der Liverpool:Manchefter B. werden 2 Abhänge, der eine von !/sg Stei⸗ 
ung und 2300 Met. (7666 bad. %.), der andere von /gs und 2400 
et. (8000 8.) mit Mafchinenwägen betrieben; ja auf ber Birmingham: 
Bloucefter ein Abhang von ?/., bei 3300 M. (11000 %.) mit Borlpanns 
Fahrmaſchinen. Der aan von Dolhain, zwifchen Verviers und 
Aachen, hat / axs bei 4077 M. (13590 $.) Länge. Die würtemberg. 





— 1 — 


Bahn über die rauhe Alp von Geißlingen bis Ulm hat eine 18000 $. 
lange Steigung von *e. Auf der baierifchen Staatebahn ift eine 
0,% St. lange fchiefe Ebene von Neuenmarft bie Marftt:Schorguft von 
/e Steigung und 485 Bar. Fuß Hoͤhenunterſchied. — Auch die Gteige 
über den Semmering wird mit flarfen Dampfwägen befahren. 

(9) Die Koften betrugen 1860 im Berbältniß zum Rohertrage: Bei 2 EHleis 
nen deutichen B. über 90 Broc., bei 5 B. 70—80, bei 6 B. 60—70, 
bei 14 B. 50—60, bei 25 B. 40-50, bei 7 B. 30—40 Bror. Bei 
einer Anzahl der längften Bahnen machten die Koſten aus: 30,7% Pr. 
öfterr. Nordbahn, 37,° baier. Oſtbahn, 37,7 Ferdinande⸗Rordb., 44 
Wien:Triefl, 46 baier. Staatebahn, 46,5% preuß. Ofb., 47,77 würtem: 
berg. B., 48,91 bannov. — Nah den Zahlen bei Hübner (Jahrb. 
VII.) waren 1859 die Koſten aller öfterreichifhen B. 45, aller preuß. 
47, aller anderen deutfchen 52,3 Proc. — Bei der bad. B. wechfelte 
1857—60 ter Koftenbetrag zwifchen 38,7% Proc. (1858) und 43 Proc. 
(1860), D. 41,9% Brocent. Der jährlide Aufwand wurde 1860 fo 
zerlegt: 

Berwaltungstoften 2,1 Proc. 

Unterhalt der Bahn x. 16,9 - 

allgem. Betrieböfoften 1,9 ⸗ 

Bortfchaffung 22,1 > 

43,13 Broc. 
In Großbritanien waren 1860 und 61 die Koflen 48 Proc., in 

Frankreich 1850 44,8%. — Bei den Roften der Fortihaffung ift zu 
beachten, daß zu dem Gewichte der Berfonen und Frachtſtuͤcke (Nub- 
oder Nettolaft, available load) noch das viel größere Gewicht der Fort: 
Ihaffungswägen (tudte Laft, dead load) hinzufommt. Aus beiden feßt 
ſich die gefammte oder Bruttolaft zufammen. Auf der bad. Bahn be- 
rechnete man 1860 die Nutzlaſt nur zu 18,9 Broc. der gefammten 
(Brutto:) Laſt. Diefe betrug bei einem Zuge im D. 2940 Eir., wo⸗ 
von die Nuglaft 556, die Kortichaffungswägen 1614, ber Maſchinen⸗ 
und Kohlenwagen 771 Etr. ausmachten. Bin Reiſender verurſacht an 
13 Ctr. Geſammtlaſt, 1 Etr. gewöhnlicher Frachtgüͤter 339 Pfſd., Eil⸗ 
güter ſogar 14,0 Ctr. — In England wurde ermittelt: ein Zug von 
9 Berjonenwägen und 1440 Etr. Laſt hat bei engem Geleiſe 190 Reis 
fende — 288 Etr. oder '/s Nuplalt, bei weiter Spur und größerer 
Schnelle 128 R. oder 182 Etr. oder 12,6 Proc. Nutzlaſt, während 
biefe-bei einem 4 fpännigen Poftwagen und 19 Berfonen (53 Etr. Laſt) 
egen 70 Proc. ausmadht. ine Verbefferung hierin würde viel ers 
paren. — Auf der bannov. B. Eoftet ein Mafchinenwagen 20490, ein 
Kohblenwagen (tender) 350, ein Berfonenwagen 4020, ein bedeckter 
Frachtwagen 2490, ein offener 920 fe — Preuß. Bahnen 1853: 
Maſchinenwagen wiegt i. D. 439 Etr., Kohlenwagen 85,79 Etr., beide 
foften zufammen 14268 Thlr. Bin Perfonenwagen von 150 tr. Ge⸗ 
wicht koſtet 2400 Thlr., ein Frachtwagen von 88 Etr. 860 Thlr. 
Statift. Nachrichten von den preuß. &.:B. Berlin 1855. — In Baden 
fommt ein Mafchinenwagen mit dem Koblenwagen auf 26970 fl., ein 
Perfonenwagen auf 3096, ein Wagen für Waaren, Vieh x. auf 
1880 fl. zu flehen. 


8. 260. [273 a.] 


Die älteften und auch viele neuere Eifenbahnen find von 
Gefellfchaften ausgeführt worden. Eine Staatsgenehmigung ift 


fhon darum nothiwendig, weil die Unternehmung des Baued 
Rau, yolit. Ockon. TI. 2. Abth. 5. Ausg. 16 


[4 


und Betriebes in ben Händen einer Actiengefellfchaft ift, und 
weil diefe den Boden nicht unter mäßigen Bedingungen ankau⸗ 
fen könnte, wenn ihr nicht geftattet würde, von dem Zwangs⸗ 
abtretungdgefege Gebrauch zu machen (a). Die Regierung 
muß jedoch bie Genehmigung an Bedingungen knüpfen, welde 
dazu dienen, den Bahnen die gemeinnügigfte Wirkung zu fihern 
und manche Uebelflände zu vermeiden. Die Erfahrungen, bie 
man bei den älteren Bahnen zu maden Gelegenheit fant, 
haben viele Borfihtöregein ergeben, die bei fpäteren Bahn 
unternehmungen benußt werben fönnen. In mehreren Zändern 
hat man in einem Gejege die Beflimmungen aufgeflellt, unter 
welchen allein Ffünftig die Erlaubnig ertheilt werben folle (B). 
Dieb hat den Bortheil, daß die Gefellichaften bei der Entwer⸗ 
fung ihres Planed und bei ihren Berechnungen ſchon auf bie 
allgemein vorgefchriebenen Bedingungen Rüdfiht nehmen koͤn⸗ 
nen, daß die Verhandlungen vereinfacht, die Einrichtungen 
gleichförmig gemacht werden. Allein es ift auch Gefahr vor- 
handen, daß neuere Erfahrungen und Bortfchritte der Kunſt 
nicht gehörig beachtet werden und mandye ald unzwedmäßig 
erfannte Vorſchrift noch ferner in Ausführung gebracht wirt; 
daher find von Zeit zu Zeit Veränderungen in dem Gelege 
unvermeidlih. Es ift fchwer, die Bedingungen gut abzumefien. 
Geht man in den einer Gefellfchaft aufzulegenden Verpflich⸗ 
‘ tungen (c) zu weit, fo werben leicht die Eapitalbefiger von ter 
Theilnahme abgehalten und nügliche Unternehmungen verbin- 
bert oder verzögert. Dagegen ift auch nicht darauf zu rechnen, 
bag bie Gefellfchaften, da fie einen gewerblichen Zwed verfolgen 
und den größten Reinertrag des eingezahlten Capital beab- 
fihtigen, aus eigenem Antriebe durchgängig fo verfahren, wie 
ed nad) höheren volföwirthfchaftlichen und allgemein» ftaatlichen 
Zweden zu wünfcen ifl. Einrichtungen, welche diefen Zweden 
wiberftreiten, find um fo nachtheiliger, weil, auch ohne ein 
förmliches Ausfchließungsreht (Privilegium), eine Bahn nidt 
leicht dem Mitwerben einer zweiten in ganz gleicher Richtung 
ausgeſetzt ift und folglich fchon einen geficherten Zufluß hat, 
wenn fie nur in Bezug auf Schnelle, Wohlfeilheit ıc. im Gan⸗ 
zen mehr leiftet, als Fuhrleute, Schiffer, Kutfcher ꝛc. Es fint 
daher manche Befchränfungen nothwendig und es iſt aud für 





eine fortdauernde Staatsauffiht zu forgen, welche jebe Ver⸗ 
letzung ber vorgefchriebenen Bebingungen rügt und unter 
tagt (d). 


(a) Ohne ein foldes Geſeßz find Bahnunternehmungen überaus ſchwer aus⸗ 
uführen. Die Regierung muß genau bezeichnen, wie weit dieß Belek 
ei einer Bahn zu Hülfe genommen werden bürfe. Preuß. Gel. vom 

3. Nov. 1838, $. 8. 9: nur für diefenigen Anftalten, welche im öffent: 
lihen SIntereffe liegen, 3. B. für Waarenmagazine, nit zum Thon: 
graben und Steinbrehen, jedoch ſonſt auch zur vorübergehenden Be: 
nußung eines Grundftüdes. Nach dem fächl. Gef. vom 3. Juli 1836 
$- 3 kann auch die temporäre Abtretung zum Wegnehmen ber erforder: 
ihen Materialien, Stein, Kies, Eand oder Erdboden, gefordert wer: 
den. — v. Reden, L 33. 


(8) Preuß. Gel. 3. Nov. 1838. — Deflerr. Gef. 18. Sept. 1854. — 
Bair. B. 20. Juni 1855. — Die in Franfreih üblichen Regeln bei 
Block, Dictionn. de l’administration fr., 1856, Art. Chemins de fer. 
rg Ginige hieher gehörige Borfchriften im brit. Gef. 8. Mai 1845 — 

. Vict. C. 20. 


(ec) Der Inbegriff derfelden wird in Frankreich cahier des charges (Laſten⸗ 
heft) genannt. — Sehr fehlerhaft ift es, daß in Großbritanien die 
Staatserlaubniß durch einen Parlamentsbefhluß und bie gerichtlichen 
Berhandlungen große Koften verurladen. Dis 1856 hatten diefe Koften 
mit Ginfchluß des Aufwandes für Vermeſſung und GEntwerfung des 
Planes (engineering) 14 Mill. 2. St. betragen, 3. 2. 


Gerichts⸗ Parlaments: Ingenieure. 


' foflen £often often 
Galedon. Geſellſchaft KB1510 2. 150 029 2. 322152. 
Gaftern Gounties 109347 = 333003 > 221207 - 
Lancaſhire u. Dorkfhire 18947 ⸗ 514505 » 187999 = 


Bon diefen 3 Bahnen erforderte die eiſte 15, bie zweite auch 15, bie 
dritte 35 Parlamentsacten. Bei der Midland (43 Acten) betrugen bie 
Berichts: und Parlamentskoſten 600990 &. Companion to the Alma- 
nak, 1856. ©. 143. 


(d) In Sroßbritanien wurde eine eigene Oberbehörbe errichtet, Comissioners 
of railways, aus hoͤchſtens 5 Mitgliedern. 9. 10. Vict. C., 108 — 
28. Auguſt 1846. 


$. 261. [273 a.] 


Bon den einzelnen Anorbnungen in Bezug auf bie ‘Brivats 
bahnen find nachftehende die wichtigeren (a): 

I. Borfchriften, welche die volkswirthſchaftliche Nuͤtzlichkeit 
bezweden. | 

1) Richtung der anzulegenden Bahnen. Es iſt nicht allein 
darauf zu fehen, daß fie volfreiche Orte und Gegenden und 
Sitze einer großen Gütererzeugung berühren, fondern baß fie 
auch mit anderen ſchon vorhandenen oder noch zu hoffenden 


Bahnen ded Ins und Auslandes in guten Zufammenhang 
16” 


— 24 — 


treten, alſo in das ganze zu erzielende Netz ſich wohl einfügen. 
Orten, bie von ber Hauptrichtung abgelegen find, aber doch 
eine Bahnverbindung verdienen, kann mit einer Zweigbahn ges 
holfen werden. 

2) Zahl und Auswahl der Haltftellen (Stationen). An 
den minder wichtigen kann ein Theil der täglichen Züge zur 
Zeiterfparung vorübergehen. 

3) Bauart (5), wobei vorzüglich fchußpolizeiliche Rüdfihten 
zur Verhütung von Unfällen eintreten, 3. B. in Anfehung der 
Steigungen und Krümmungen ($. 272 a), Brüden (c), Thals 
übergänge (Biaducte), Straßenübergänge (d), Einfriedigungen 
und dergl. 

4) Die Zahl, Einrichtung und Abgangszeit ber täglichen 
Perfonens, Güter: und gemifchten Züge fann nicht auf längere 
Zeit beftimmt werden, es ift daher eine Mitwirkung der Re= 
gierung bei der wiederholten Feſtſetzung ber Yahrtenplane vor- 
zubehalten, damit der Verkehr gehörig erleichtert und der Zus 
fammenhang mit anderen in» und ausländifchen Bahnen erhalten 
werde. 

5) Vorfchriften für die Bahrs und Frachtgelder (9. 223 a 
(f) und II, $. 219e). Auch dieſe Tariffäge koͤnnen nicht 
unverändert bleiben. Wenn ver fleigende Zufluß den Reins 
ertrag der Gefellichaft erhöht, fo iſt es zwedmäßig, daß der⸗ 
felbe auch dazu benugt werde, den Reifenden und Waarenvers 
fendern den Bortheil einer mäßigeren Gebühr zu verfchaffen. 
"Die Feſtſetzung einer allgemeinen Obergränze (maximum) ifl 
nicht hinreichend, weil diefe fo beftimmt werden muß, daß auch 
minder ergiebige Bahnen bie Zinfen abwerfen und weil hier: 
nach Feine fpätere Herabfegung gefordert werden kann. Befler 
ift die Verfügung, daß eine Ermäßigung erfolgen foll, wenn 
ber Reinertrag einen gewiflen Procentfag überfteigt (e), ober 
daß von Zeit zu Zeit, mit Rüdficht auf den Ertrag ber legten 
Sahre, ein neuer Tarif aufgeftelt und zur Staatögenehmigung 
vorgelegt werden muß (/). Der Tarif beftimmt die Preife 
der verfchiedenen Wagen- und Waarenclaffen (g). Für Eils 
jüge (express trains) und Eilgüter wird ein höheres Fahrgeld 
geftattet, oder ed nehmen wenigftend nur bie höheren Wagens 
claffen (I oder I und U) an Ihnen Theil. Es ift aber darauf 











— 248 — 


zu ſehen, daß auch bie wohlfeileren Züge mehrmals taäͤglich 
gehen und die Eilzüge nicht zu ſehr bevorzugt werden (A). 
Herner follte den Gefellfchaften unterfagt werben, einzelnen Ge⸗ 
werbsunternehmern durch Bewilligung niebrigerer Gebühren 
eine Begünftigung zu geben, die anderen das Mitwerben ers 
fhwert (8). 

6) Die Gefellfchaften bedürfen eines genügenden Capitals 
nicht allein für die Anlegung, fondern aud für den guten Be 
trieb der Bahnen. Die Eigenthümer von Capital fönnen ent 
weder ald Actieninhaber, mit Hoffnung auf Gewinn, aber 
auch mit einiger Gefahr der Einbuße, oder als Zindgläubiger 
gegen feften Zins theilnchmen. Beide Arten der Betheiligung 
find zweckmäßig und die Eapitaliften ziehen je nach ihren Ber: 
mögensumftänden und Neigungen bald die eine, bald die andere 
vor. Erhalten die Darleiher neben dem Unterpfandrecht auf 
die unbeweglichen Beftandtheile des angefchafften Vermögens 
noch bie Zuficherung, daß ihre Zinfen vom Reinertrag vorweg 
bezahlt werden, ehe ein Gemwinnantheil (Dividende) audgeliefert 
wird (Prioritätds oder Borzugsd-Anleihen), fo find 
die gefuhten Summen unter mäßigen Zinfen zu erhalten und 
die Dividende für den in Actienform eingelegten Theil des 
Gapitald fann im Fall eines einträglichen Betriebes deſto grös 
Ber ausfallen. Die Gefellichaften fünnen im Berhältniß zum 
Actiencapital feine zu große Summe durch Prioritätöanleihen 
aufbringen, weil fonft jener Vorzug an feinem Werth verlöre 
und die Darleiher für den Zinfenbezug beforgt werben würden. 
Es ift daher rathfam, ber Geſellſchaft ſowohl zur Fortſetzung, 
als zur Bervollfommnung der Bahnen, Gebäude und Betriebe: 
mittel die Ausgabe neuer Actien fowie die Aufnahme von Vor⸗ 
zugdanleihen zu geftatten, foweit eine gute Verwendung biefer 
neuen Capitale gefichert erſcheint. Die Dividende darf nur 
vom wahren Reinertrage, nicht aus dem Capital genommen 
werden, auch ift wegen ber flarfen Abnügung, die neben den 
jährlichen Ausgaben für die Unterhaltung mit ber Zeit eine 
foftbare Erneuerung nothwendig macht (k), auf Anfammlung 
eined Hülfdvorrathed Rüdficht zu nehmen. In Anfehung der 
den Gründern einer Gefellfchaft einzuräumenden Vortheile gelten 
die 8. 248 (c) aufgeftellten. Regeln (2). 


— 246 — 


7) Die Geſellſchaften ſollen verpflichtet werden, fuͤr ihre 


Angeſtellten Sorge zu tragen durch Unterſtuͤtzung bei Verletzun⸗ 
gen ober Krankheiten, Beförderung von Spars und Hülfdcaffen . 
u. dergl. Während des Baues macht die Menge der beidhäf- 
tigten Lohnarbeiter befondere Maaßregeln zur Beherbergung, 
Bekoͤſtigung ıc. zum Bebürfniß (m). 


. (a) 
(2) 


(e) 
(4) 


©. vorzüglih: Auszug aus den Verhandlungen des Eomitss für Bifen- 
bahnen im Großh. Baden, ©. 64. 


Die Unterlage, Form und Befefligung ber Schienen kann den Unter: 
nehmern überlaffen werben. Weber die beſte Weite der Geleife (Spur: 
weite, gauge) find die Meinungen getheilt. Georg Stepbenfon 
wählte 1826 für die Manchefter: Bahn die Weite von 4 Fuß 81, Zoll 
engl, — 1,15 Met. — 4,78 bad. %. im Lichten, die ſeitdem ale 
Regel angenommen worben if. Der jüngere Brunel empfahl 1835 
für die Greats Wehern- Bahn 2, UM. = 7,113 bad. F. und Diefe 
Meite wurde nachher aud auf anderen angränzenden Bahnen ange: 
nommen. Dan machte für fie geltend, daß die Mafchinen flärfer ge 
baut werben können und die erforberliche größere Geſchwindigkeit der 
Büge mit weniger Gefahr zu erreichen if. it Rüdfiht hierauf wurde 
in Baden 1840 die Weite von 5/5 F. im Lichten eingeführt. In Ir⸗ 
land wurde 1843 eben diefe Weite (1,° Met.) angenommen. Die 
Sache wurde in England mehrmals durch Parlamentscommilfionen 
unterſucht. Das Bel. 9. 10. Bict. E. 57 flellt für die Zufunft Die 
erwähnte fchmale Spur ale Regel auf, geftattet aber die Beibehaltung 
des weiten Geleifes auf der Great⸗Weſtern und deren Berlängerungen, 
behält auch anderswo bie Zulaflung der breiten Spur ausnahmeweife 
vor. Zwar find feitdem die Mafchinen für das fchmale Beleife ver: 
befiert worden, aber dennoch wird das breitere, wenigfiens 1,6 M. oder 
ba6 bad. Geleiſe, von einem Theile der Kunflverfländigen vorgezogen, 
wie es 3. 3. für PFranfreih von Bineau (vergeblih) angerathen 
wurde. Le Ghatelier (Annales des mines, 5. Ser. I, 20 (1852)) 
gaust, bei reiferer Unterfuhung würde man wohl in Frankreich diefe 

auart vorgezogen haben und bemerft: L’Allemagne, qui n’a pas pu 
&tre entrainde par l’exemple isold du duch6 de Bade, aurait pu l’ötre 
par le nötre. Zur Gleichfoͤrmigkeit mit den benadhbarten Bahnen if 
in Baden 1855 das Weleife mit einem Aufwande von 1°061 758 fl. 
auf die Weite von 4,73 Zuß umgewandelt worden, welde als die alls 
gemein angewenbete feine Veränderung mehr geflattet. Die Gleichfoͤr⸗ 
migfeit des Geleiſes hat den Vortheil, daß die Wägen auch auf andre 
Bahnen übergehen Eönnen. Auch die Stärke ber Schienen if oft Ge⸗ 
genftan einer obrigfeitlichen Borfchrift geworden, weil fie zur Feſtig⸗ 
eit beiträgt. Man ift nah und nad zu fchwereren Schienen über: 
gegangen. Im Frankreich waren anfangs 30, jebt find 35 Kil. auf 
den Meter vorgefchrieben — 21 Pfd. a. d. bad. %. Die neuen bad. 
Bignoles:Schienen haben 22,5 Pfr. 


 nunbernomürbige Brüden einiger britifhen Gifenbahnen (ſiehe 
$. 264 (e)). — Schöne Brüden bei Köln, Mainz, Kehl. 


Anfangs unterfagte man, daß Landſtraßen in gleicher Ebene die Bahn 
überfchritten, allein man ift weniger ängftlid, geworden und die Kreu⸗ 
zungen auf biefe Weile find bedeutend wohlfeiler, ale wenn fle über 
oder unter der Bahn angelegt werben. . 








(e) 


— 247 — 


Dieß kann allervings die Geſellſchaft verleiten, die Ausgaben, 3. B. 
für &ebäude und Befoldungen, zu vermehren, damit der Reinertrag 
nicht den Betrag überfleige, der eine Brniedrigung des Tarifs nothwen⸗ 
dig macht. Man hat dieß früherhin bei der Liverpool-Manchefter:B. 
bemerkt, die 15 Proc. vertbeilen konnte, aber, weil ihr nur 10 Proc. 
eftattet find, den Ueberfchuß auf Verbefferungen sc. verwendete. Die 

rand⸗Junction-Comp. Hat die Yahrpreife um 27 Proc. Dinaufgefebt, 
obihon fie eine Dividende von 10 Proc. bezog. Der Bortheil, den 
ihr jene Erhöhung bringen kann, ift ohne Zweifel in Bergleich mit 
der Beſchwerde, die dadurch den Meifenden zugefügt wird, fehr gering. 
Die britifhen Bahngeſellſchaften pflegen das Fahrgeld nicht niedriger 
zu feßen, ale es bisher bei ten Landfutfchen war. Man hat berechnet, 
daß bei gleicher Art der Wägen für eine Strede von 112 engl. M. in 
Belgien 14 Fr. (6 fl. 32 fr.), von London nah Birmingham 1 2. St. 
Di Sch. (17%. fl.), alſo faft 3mal fo viel bezahlt wird. — Defterr. 
Geſ. $. 10e: bei mehr ale 15 Proc. Reinertrag foll die Regierung 
auf eine billige Herabſetzung der Preiſe einwirken. 


(f) Es iſt hiebei rathſam, die Beſorgniß einer willfürlichen Behandlung 


(„) 
(A) 


@) 


(X) 


63) 


von Seite der Regierung zu entfernen, indem man Grundfäge für bie 
Entwerfung des neuen Tarife angiebt. — Oeſterr. Geſ. a. a. D. und 
bair. Geſ. $. 10 Nr. 5: alle 3 Jahre ift der Tarif einer Reviſion zu 
unteriwerfen. — Das a. preuß. Gel. 6. 29—35 zerlegt die Ginnahme 
der Geſellſchaft in 2 Theile: 1) Bahngeld, weldhes aud von einem 
anderen Unternehmer der Kortichafftung beim Gebrauch der Bahn ents 
richtet werden muß. (Dieß ift wohl nicht vorgefommen und wäre ſehr 
ſtoͤrend.) Die Dahngen det die Unterhaltungsfofen der Bahn 
fammt Zubehör, die Laften, die Sammlung einer Hülfefumme und 
einen Gewinn von 6—10 Proc. des Anlegungscapitald. Es wird afle 
3—10 3. feſtgeſetzt. 2) Fuhrlohn, deilen Geſammtbetrag 10 Proc. 
des im Transport slinternehmen angelegten Capitals nicht überfteigen 
darf. — Auch in Pranfreid werden in ähnlicher Weile psage und 
transport als die beiden Beſtandtheile der Gebühr unterſchieden. — 
Sich über die beiden Berfailler Bahnen (1836): Das maximum bes 
Preiſes der niederften Pläbe wird jährlich auf den Borfchlag der Ge⸗ 
fellihaft von dem Praͤfecten feſtgeſetzt. 


Für Steinkohlen it eine befonders niedrige Kracht rathſam. 


Hierüber wird in Frankreich viel geklagt. Die Reifenden werden durch 
unbequeme Abgangszeiten, Verzögerungen ıc. ber fog Omnibuszüge 
(für alle 3 Elaffen) auf die Eoftdareren Bilgüge bingebrängt. In io: 
britanien muß wenigftens einmal des Tages ein Zug für 1 P. auf bie 
e. Meile = 13,8 fr. auf die d. Meile geben, fogen. parliamentary 
class. 


Sog. Differential: Tarif. Es ift jedoch zuläffig, bei der Verſendung 
größerer Maflen eine Brmäßigung zu bewilligen. — In Rorbamerica 
eben die Gefellichaften bisweilen foldhe Streden, auf denen fie ein 
Sitwerben befürchten, einen niedrigeren Tarif. 


Nah Weber (S. 313) verliert die Meile Schienen unter jedem Zuge 
2, alfo täglih ungefähr 20 Pfb., jährl. 73 Etr. Gifen. Der Roft 
an den Schienen und ihrer Befefligung verzehrt eben fo viel. Die 
Schwellen, wenn fie nicht in einer Salzlöfung gebeizt find, verfaulen 
nah 7 Sahren. 


Beifpiel einer fehlerhaften Beflimmung: Verkauf der Warfchau: Wiener 
Bahn durch die polnische Regierung im 3. 1858: 10 Pro@ des Bein- 


ertrags jührlih an tie A Brünter auszubezahlen, welche zugleih 23 
der tpäter auszugebenden Actien um den Rennpreis übernehmen dür⸗ 
fen. Gın foldyer Borzug vor den übrigen Actionären ift bisweilen Die 
Belohnung dafür geweien, daß bie fellichaft verleitet wurde, die 
Bahn oter einzelne Gegenftände um einen zu heben Preis zu über: 
nehmen. 


(m) Angef. Barkdau: Wiener Bahngelellihaft: jährlih werten 12 Rubel 
von 1 Werft der Hauptbahn ter Unterftügungscafle zugewendet. 


$. 262. 273 b.] 


I) Berfügungen, weldye die Bahnunternehmungen ber 
Actiengefellfchaften befördern, indem fie die zu übernehmende 
Wagniß oder dad aufzubringende Gapital vermindern. Dazu 
find verfchiedene Wege eingefchlagen worden. 

1) Berbürgung (Garantie) eined gewiflen Zinfes für das 
Actiencapital, jo daß dad am Reinertrage Fehlende aus ber 
Staatdcaffe zugeichoflen wird. Dieß ift fehr ermunternd, weil 
die Theilnehmer (Actionäre) im fchlimmeren alle gefichert find 
und body die Ausſicht auf größeren Ertrag haben, allein es 
fann für die Steuerpflichtigen eine Laft nad) ſich ziehen, die 
ſich nur dann rechefertigen läßt, wenn die neue Bahn große 
volkswirthſchaftliche Vortheile verfpricht oder zur Abwendung 
eined jchädlichen Mitwerbens Beduͤrfniß ift und doch ohne eine 
folche Zuficherung nicht fo bald zu Stande fommen würde (a). 
Auch ift ed billig, daß der wegen ber Zinsbürgfchaft geleiftete 
Zufhuß fpäter aus dem höheren Reinertrage der Bahn all» 
mälig erftattet wirb (5). 

2) Uebernahme eines Theiles der Actien durch den Staat, 
wobei biefer in der Verzinfung fo lange den anderen Theils 
nehmern nachfteht, bis dieſe eine genügende Berzinfung als 
Dividende erhalten. Diefe Anorbnung empfiehlt fi) dadurch, 
daß fie die Gränze des von ber Staatdcaffe zu bringenden 
Opfers genau erfennen läßt. 

3) Vorſchuß eines Theiled des nöthigen Capitaled aus ber 
Staatdcaffe, mit billigen Bedingungen für die Verzinfung (wie 
bei 2) und allmälige Tilgung (c). 

4) Zufhuß einer beflimmten Summe (subvention) aus ber 
Staatscaffe ohne Zind und Rüderfag, oder Uebernahme eines 
Theiles Ber Anlegungsfoften auf jene Cafle (d), ein für die 





- -— 949 — — 


Erlangung wuͤnſchenswerther Bahnen in der Regel nicht nöthi- 
ger und daher nicht zu billigender Aufwand. 


UI) Beftimmungen, weldye dem Staate Bortheile von den 
Bahnunternehmungen zuwenden und daher Laften für die Theils 
nehmer begründen. Hiebei ift Borfiht und Mäßigung zu 
empfehlen, um nicht von der Anlegung, Verlängerung und 
Vervollkommnung ber Bahnen abzufchreden. Bon ſolchen Be- 
dingungen ift die Befteuerung bed Reinertrages der Actien⸗ 
geſellſchaften zu unterfcheiden, welche ald eine nicht bloß mit 
ber Gerechtigkeit vereinbare, ſondern felbft durch diefelbe gebos 
tene Maaßregel der allgemeinen Steuergefeggebung angehört, 
III, $. 251. 

1) Die Betrieb8-Befchränfungen und Leiftungen der Geſell⸗ 
Ihaften zu Gunften ber Poſtanſtalt find fo zu regeln, daß fie 
ienen einen hinreichend belohnenden Wirkungsfreis freilafien 
und ihnen nur eine folche Beihülfe zumuthen, die Feinen erheb- 
lihen Koftenaufwand oder Berluft verurfadht (ID, 8. 219 a). 
Die Pot hat daher für die Benupung der Bahn eine billig 
bemeffene Vergütung zu leiften (e). Die Vorrechte der Poſt 
in Bezug auf Bortfchaffung durch Pferdewechſel dürfen nicht 
gegen die Eifenbahn, ald ein neues Verfehrömittel anderer Art, 
geltend gemacht werben. 

2) Die Privatbahnen müffen die für Staatözwede nöthige 
Hortfchaffung von Perfonen und Sachen ‚gegen eine feftgefebte 
Vergütung fchleunig nad dem Maaße ihrer Mittel ausführen, 
z. D. bewaffnete Macht, Gefangene (f). 

3) Man hat darauf Bedacht genommen, den Uebergang ber 
Privatbahnen in dad Eigenthum des Staatd vorzubereiten. 
Geſchieht dieß 

a) durch Feſtſetzung einer Friſt, nach welcher das Recht 
der Geſellſchaft auf die Bahn von ſelbſt erliſcht, ſo muß dieſer 
Zeitraum lang genug ſein, um waͤhrend deſſelben einen Erſatz 
des angewendeten Capitales aus dem jährlichen Reinertrage 
erwarten zu laſſen, auch iſt zu beſorgen, daß wenn der Heim⸗ 
fall ſich nähert, die Verwaltung immer weniger auf Gemein⸗ 
mügigfeit und die Erhaltung der Bahn, dagegen mehr auf die 
Gewinnſte der Theilnehmer gerichtet werde (g). 


— 2590 — 


b) Es iſt auch häufig der Staatsgewalt dad Recht vorbe⸗ 
halten worden, nach Ablauf einer gewiſſen Zahl von Jahren 
die Bahn an ſich zu kaufen. Die Umſtaͤnde koͤnnen ed ſpäter⸗ 
bin rathſam machen, fich diefed Rechtes zu bedienen und dieſe 
Beftimmung läßt fi) daher billigen, wenn die Anfaufsbedin> 
gungen ben Theilnehmern einen Erſatz der Vortheile fiyern, 
bie fie aud der Bahn zu erwarten haben, indem der Kaufpreis 
nach der mittleren Dividende eines gewiflen Zeitraumes feftge- 
febt wird (A). 


IV) Die Eiſenbahn⸗Unternehmungen haben ben überhaupt 
bei Actiengefellfchaften vorfommenden Uebelftand häufig zum 
Borfchein gebracht, daß manche Perfonen nur in der Abdficht 
fih ald Abnehmer von Actien unterzeichnen, um diefe dann 
für fünftlich gefteigerte Preife wieder zu verfaufen und fih auf 
biefe Weife mit Gewinn zurüdzuziehen, fo daß andere Eapita- 
liften durch blendende Anlodungen fogar zur Theilnahme an 
unergiebigen Unternehmungen verleitet werben, in denen Capi- 
tale verloren gehen (i). Maaßregeln, welche folche eigennügige 
Kunftgriffe erfchweren, erregen zwar bie Unzufriedenheit derer, 
welche dadurch in ihren Abfichten gehindert werben, verınögen 
aber der Ausführung verftändig ausgedachter Entwürfe nicht 
zu fchaden, nur barf nicht aller Verkehr mit Actien verhindert 
‚werden, weil bieß die Neigung zur Theilnahme ſchwächen 
würde. Es kann zu jenem Zwecke angeordnet werden a) daß 
den Unterzeichnern feine auf den Inhaber lautenden, fondern 
nur auf Namen geftellte Interimdfcheine außgeliefert, ober 
b) daß die auf den Inhaber lautenden Actien erft nach ber 
Einzahlung ihres vollen Betrages oder eined großen Theile 
defielben ausgegeben werben (k), c) daß die Unterzeichner einen 
gewiffen Theil des Betrages einer Actie fogleich einzahlen und 
auch nöthigen Falle für die Einzahlung des Neftes haften 
müflen, wenn biefelbe von den fpäteren Befigern ber Actien 
nicht erfolgt (2), d) daß Feine Dividende bezahlt wirb, ebe 
wirflidy ein Ertrag ftattfindet, weil fie fonft aus dem Gapital 
beftritten werden muß und Täufchungen bervorbringt.. Das 
Austheilen von unentgeldlichen Actien, ald Belohnung u. dgl., 
follte ebenfalld unterfagt werben (m). 














(a) Biele deutfche und andere europäifche Privatbahnen Haben foldhe Zins⸗ 
verbürgung erhalten, aud für die in Britiſch⸗Oſtindien unter Lord 
Dalhouſie ſchon angelegten und no in Bau befindliden Bahnen 
(19 Mill. 2. St. Gapital) bat die oflindifche Gompagnie 5 Proc. Bin; 
fen verbürgt. Man pflegt diefe Zuficherung auf eine gewifle, dem An- 
ſchlage entiprehende Summe zu beihränfen. In @roßbritanien fommt 
dieß Beförderungsmittel nicht vor. In Frankreich ift es einigen Bah- 
nen gewährt worden (3. B. 4 Proc. auf 47 3. für Paris: Orleans, 
Geſ. 15. Juli 1840), anderen hat man andere Arten ber Unterfügung 
geleifet, f. (ec) und (d). 


(6) Bei einigen franzöflfhen Bahnen nimmt der Staat zur Vergütung 
heit Beiſtandes an dem Weberfchuffe des Reinertrages über 8 Proc. 
eil. 


(c) In Frankreich if dieß öfters gefchehen, 3. B. Paris⸗Rouen (Geſetz 
15. Juli 1840) 14 Mill. Fr. zu 3 Proc. und mft Abtragung von !/o 
jährlich, aber erſt 3 Jahr nad der Bollendung anfangend. Die Dar: 
leide wird erft ausbezahlt, wenn die Geſellſchaft 36 Mill. verwendet 
Bat. — Straßburg-Bafel (Gef. 15. Zuli 1840) 3780000 Fr. Darleihe 
zu 4 Proc. und 1 Proc. Tilgung, aber die Berzinfung geſchieht erft, 
wenn die Theilnehmer ſchon 4 Proc. ihrer Einlage erhalten Haben. — 
Die RouensHavre-B. erhielt 10 Mill. Fr., deren Berzinfung zu 3 Pr. 
ebenfalls erſt 3 Jahre nach dem zur Bollenbung feftgefeßten Zeitpuncte 
beginnt und die Heimzahlung dädelich Yg) fangt 10 3. fpäter an. 
Hiegu kommen 8 Mill. Staatszufchuß. 


(4) Audy der Geldzuſchuß ift in Frankreich bisweilen gegeben worden. — 
Rah dem franzöf. Geſ. 11. Juni 1842 wurde zur Ausführung des 
großen beabfidhtigten Bahnnetzes, welches von Paris nad dem Ganal, 
dem atlantifhen Meere, dem Mittelmeere und nad Straßburg führen 
follte, den Gefellihaften nur der Aufwand für das Schienenlager und 
die beweglichen Betriebsmittel zugemuthet, der Staat übernahm bie 
Herftellung des Bahnkörpers, die Brüden u. a. Bauwerke (travaux 
d’art) und die Gebäude. Der Ankauf des Bodens follte zu */s von 
der Staatscafle, zu %s von den Departements und Gemeinden getragen 
werden, body iſt dieß fpäter (16. Juli 1845) aufgehoben worden. — 
Diefes Bel. bat man indeß nicht auf alle fpäter genehmigten Bahnen 
angewendet. Die ganze aus jenem Gefeke und aus anderen, feit- 
„dem eingegangenen Berbindlichkeiten für die Stanatscafle erwachfene 
Ausgabe wurde zu Ende 1855 auf 811 Mill. Br. angefchlagen, 
wovon 691 Mill. ihon verwendet waren. Im I. 1862 wurde einigen 
neuzuerrichtenden franzöflihen B. ein Zufhuß von hochſtens 27 Mill. 
Fr. zugefagt und eine Verfleigerung angeordnet, um denjenigen 2 Ges 
lifdahten die beiden Bahnunternehmungen zuzufchlagen, welche bie 

eringfte Staatshülfe (alſo unter dem max. von 22 und 5 Mil.) an: 
prechen würden. — Gigenthümlicher Art iſt das Verfahren der Regie: 
rung von Illinois, Sie hat der Ciſenbahngeſellſchaft große Streden 
oͤdes Land in der Nähe der zu erbauenden Bahn verliehen, ſich aber 
bafür 8 Broc. des fünftigen Reinertrages ausbebungen. Dieß war von 
guter Wirkung und geſchah auch in anderen amer. Staaten. 


(0) Der Mangel einer Beftimmung hierüber Hat der britifchen Poſtverwal⸗ 
tung eine ſchwere Ausgabe für die Kortichaffung der Briefe auf den 
Bahnen zugezogen. Wo Feine fo große Zahl von Briefen zufammens 
fommt, wie in London u. a. volfreihen Städten, da fann bie Geſell⸗ 
fhaft leicht die Verpflichtung zur umentgeldlihen Beförderung des 
Briefpoftiwagens eingehen, III, $. 219 a 2). Ueber Fahrpoſtſtuͤch fiche 











— 252 — 


ebend. 3). — Deflerr. B. v. 18. Junt 1838: Die Bahnunternehmen: 
gen müfen für die Poſt Briefe, Schriften und Amtspafete unentgeldlich 
übernehmen, für andere Poftftüde wird eine Vergütung ausbebungen, 
die Voſt darf aber von Privatperfonen, die ihr etwas übergeben, nicht 
mehr Berto forden, als man bei der unmittelbaren Aufgabe an ter 
Gifenbahn begablen würde, und Lie Bahnunternehmung muß ber Po 
4 Broc. ihrer Bruttoeinnahme hieraus überlafien. — In dem preuß. 
®. v. 3. Nov. 1838 wird den Privatbahnen bie unenigeldlide Fort: 
Ichaffung der Briefe, Gelder u. a. dem Poſtzwange unterliegender 
Güter, fowie der Poſtwägen auferlegt. — Baiern, V. 20. Suni 1855 
6. 10 Nr. 8: Briefe, Zeitungspafete, amtlihe Fahrpoſtſendungen und 
die begleitenden Poftbedienten unentgeldlich, zablbare Yahrpoftftüde 
nach tem Gefammtgewichte und der gewöhnlichen Gütertare. — Wranl: 
reich, neuere Beftimmungen: Unentgeldlihe Kortihaffung ber Briefe 
und amtlihen Sendungen in 2 Abtbeilungen eines Wagens II. EI. 
oder in einem won der Regierung zu ftellenden Wagen. Bermiethung 
eines Gemaches in gewiflen Haltplägen für den Poſtdienſt x. Block, 
a. a. O. ©. 351. Das NRedtsverhältnig gwifhen der Tarıs’ichen 
Poſt und den Staatseilenbahnen beleuchtet v. Mohl in der Zeittchrift 
für die gefammte Staatewifl. I, 7, 1844. 


(f) Frankreich: unentgeldlih Poft- und Zullbeamte im Dienfte, Ange 


(9) 


() 


ftellte für die indirecten Steuern, Sellenwägen zur Kortbringung von 
Orfangenen ; diefe felbft und ihre Wächter zahlen tie halbe Tare 
III. Cl. 


Frankreich: anfangs 99, dann 70 J., hierauf kuͤrzere Zeiträume, die 
man aus dem muthmaßlichen Rohertrage berechnete, indem man 45 
Proc. Koſten und 6 Proc. des Anlagecapitale ale Zinfen abzog und 
ermittelte, in welcher Zeit aus dem Weberreft des Reinertrages Tas 
Gapital getilgt fein koͤnne. Als aber nad 1848 eine Abneigung ter 
Gapitaliften zu neuen Anlagen bemerkbar wurde, kehrte man wieder zu 
der YHjährigen Dauer der Conceſſionen zuruͤck und verflattete tie Ber: 
einigungen mehrerer Gefellichaften in eine einzige. — Deſterr. a. B. 
v. 1838: in der Megel höchſtens 50 J., Gel. 14. Sept. 1854: nicht 
über 90 3. Die zum Transportgeihäft beffimmten Gegenflänte blei⸗ 
ben jedoch der Geſellſchaft. — Baier. B. 1855: nicht über 99 I. — 
Taunusbahn 1838: 90 Jahre. — Angef. Berfauf der Warſchau⸗Wiener 
B. von der polnifhen Regierung an eine Gelellihaft: nad 75 Jahren 
wird die B. zurücigegeben und nur der Mebrbetrag des Mobiliars 
vergütet. 


Kranfreih, nach Berlauf der erften 15 Jahre; man nimmt den Rein: 
ertrag der 7 legten Jahre, zieht die 2 fehwächften ab, ſucht den Durch⸗ 
fchnitt der 5 andern und bildet daraus eine Zeitrente von ber Dauer 
der noch Übrigen Conceſſionszeit. Betriebsmaterial und Borräthe wer 
den befonders vergütet. — Preußen, a. Gef. 8. 42: nad ten erſten 
30 J., der Antaufspreis ift das 25 fache der mittleren Divibente der 
legten 5 Sahre nebft Uebernahme der Schulten. — Oefterreih, Batern 
feine Beſtimmung im Gelege. — Der Ankauf nach dem Gurie ter 
Actien wäre wegen ber verfchiedenen Zufälle, die auf diefen einwirken, 
und ter Möglichkeit, denſelben abfichtlich zu erhöhen, nicht zweckmaͤßig. 
die Ginlölung der Actien nad ihrem urjprünglichen Betrage aber un: 
billig. Vgl. Schattenmann, Pötition adressee & la chambre des 
d$putös le 20. Mai 1837. Strassb. 1837, und Allg. Zeit. 1835, a. 
Beil. 118. 119. 


&e. Hudfon, der fog. Gifenbahnkönig, gelangte durch Klugheit unt 
Khätigfeit im Gründen von Bahngefelichaften zu großem Anſehen 


— 233 -— 


und Reichthum, fo daß er 1845 Bei 1016 e. M. Bahnen betheiligt 
war. Dan gab ihm, als er fpäter ſtürzte, Echuld, zu der Grregung 
bes Gifenbahnfchwindels beigetragen zu haben. 


Preuß. Gef. v. 3. Nov. 1838, 6. 2: erft wenn die volle Zahlun 
gelegen if. — Großbritanien: eine Gefellfchaft, die um eine Bi 
vom Parlamente nachſucht, muß vorher 10 Proc. des gezeichneten 
Capitals in der Bank von GEngland niederlegen. 


(4) Ang. preuß. Geſ.: der Unterzeichner muß nothwendig 40 Proc. felbft 

u en. — Hamburg: Bergedorf: 10 Proc. — Statuten der öfterr. 

ord= und der Wien-Raaber B.: vor gänzlicher Binzahlung dürfen 

die Interimsfcheine und Actien nur mit Genehmigung der Direction 
veräußert werben. 


(m) Die fogen. actions industrielles, ſ. den a. Commiſſionébericht von 
rago. 


(k 


— 


8. 263. [273 e.] 


Ob es zwecmaͤßiger fei, die Eifenbahnen Privatgefellfchaften 
zu überlaffen, oder fie auf Stantörechnung zu bauen und zu 
betreiben, ift ftreitig (a). Die Erfahrung lehrt, daß auf jedem 
diefer beiden Wege ein guter Erfolg erzielt werden kann und 
beide Arten von Bahnen in Hinfiht auf funftmäßige Anlage, 
Koftenerfparung, wohlgeorbneten Betrieb ꝛc. mit einander zu 
wetteifern vermögen. Die von den Staatöbahnen verurfachte 
Vermehrung ber Staatöfchuld ift nicht zu fcheuen, weil biefer 
ein dauernded Capital im Staatdeigentbum entſpricht (III, 
g. 474), und die Wagniß für die Staatscaſſe ift befonders da 
fein Abhaltungdgrund, wo man ſich bewogen fehen würde, fie 
auch bei ‘Brivatbahnen durch Zinsbürgfchaft zu übernehmen. 
Manche Gründe, die man zu Gunften ver Staats⸗ ober der 
SBrivatbahnen geltend gemacht hat, find von einzelnen Fällen 
hergenommen oder doch nur unter gewiflen Umftänden rich⸗ 
tig (d). Doch lafien fich folgende DVerfchiedenheiten als im 
Weſen der Sache begründet bezeichnen. 


1) Bei den Actienbahnen ift der gewerbliche Sefichtöpunct 
vorherrfchend. Es werden gewöhnlich Männer aus der Mitte 
der Actionäre an die Spige geftellt, weldye den Verkehr genau 
fennen und fich die fähigften Kunſtverſtändigen beigefellen. 
Sie find eifrig auf Koftenerfparung im Baue und Betriebe, 
fowie auf Bermehrung der Einnahmen bedacht, um den größten 
Reinertrag zu bewirfen. 


3) Bei Staatöbahnen if es zwar möglid, den naͤmlichen 
Reinertrag zu Wege zu bringen, aber die vorgefeßten Beamten 
nehmen zugleih mehr Rüdfiht auf die Gemeinmüsigfeit ber 
B. und auf ihre Dauerhaftigfeit, durdy welche au wieder 
Sefahren bei der Benutzung der Bahn befier vermieden und 
fpätere Auöbeflerungen eripart werden. In Eleineren Ländern 
erlangen bei den leitenden Oberbeamten leicht vorgefaßte Mei- 
nungen Einzelner einen ungünftigen Einfluß, während bei 
Privatbahnen ficherer darauf zu rechnen ift, daß alle Fortſchritte 
ber Kunſt, foweit fie gewinnbringend find, fchnel in Anwen- 
bung fommen. 


3) Staatsbahnen Fönnen leichter nach höheren volfswirth- 
fchaftlichen und anderen Staatsrüdfihten eingerichtet und zu 
einem dad ganze Staatögebiet durchziehenden Ganzen geftaltet 
werben (c). Die Regierung ift cher im Stande, für alle 
Landestheile zu forgen, während Gefellfchaften diejenigen Strecken 
vorziehen, welche für die nächfte Zeit den größten Gewinn ver⸗ 
iprechen. Man kann ihnen bei der Ertheilung der Erlaubniß 
die Bedingung auferlegen, auch gewiffe minder einträglidhe 
Bahnen zu bauen und zu betreiben, aber dieß läßt fich fpäter 
nicht mehr verlangen, wenn ed anfangs nicht gefchehen ift. 


4) Die Regierung kann fid) allenfalls mit einem dem übs 
lichen Zindfuße entfprechenden Reinertrage, ja fogar mit einem 
noch etwa® geringeren begnügen, weil ihr aus der Bahn 
manche Erfparung an anderen Staatdausgaben und mancher 
Vortheil durch Zunahme anderer Staatdeinfünfte zu Gute 
fommt (d). Sie vermag baher in ben Einrichtungen des Bes 
triebe8 mehr für den Vortheil der Reifenden und der Berfenber 
von Waaren zu forgen, namentlih in ber höchft wuͤnſchens⸗ 
werthen Ermäßigung ber Tariffäge und manchen anderen Er- 
feihterungen. Solche Berbeflerungen find bei den Privatbahnen 
fchwer einzuführen (8. 261), beſonders ba fich bei der Ertheis 
lung der Genehmigung nicht ſchon alled das vorausfehen und 
audbedingen läßt, was fpäter ald Bebürfniß erkannt wirb. 
Hiezu kommt die Gefahr, daß auswärtige Actienbeflger einen 
Einfluß gewinnen, der dem Wohl des Landes nachtheilig wer« 
ben fann. 


“ 


% 
— 2668 — 


5) Auch in Laͤndern von ſchwacher Bevoͤlkerung und gerin⸗ 
gem Kunftfleiß fönnen durch fremde apitaliften und Kunftvers 
Händige Privatbahnen hergeftellt werben, fo daß felbft Hier der 
Bau und Betrieb durd die Regierung nicht gerade nothwendig 
if. Allein bei jenem Berhältnig müflen den Unternehmern 
folhe Rechte eingeräumt werden, die der Staatsgewalt bie 
Verhinderung von Mißgriffen und die Wahrung ber volkswirth⸗ 
ſchaftlichen Rüdfichten erfchweren. 

6) Bei einem großen Staatöbahnfyftem find Erfparnifle in 
Verwaltung und Betrieb möglich, die bei mehreren getrennten 
Privatbahnen hinwegfallen. Hiezu trägt auch die Verbindung 
mit ber Boftanftalt bei, wo biefelbe fih in den Händen ber 
Regierung befindet, und der MWiberftreit zwifchen beiden Anftal- 
ten ($. 262) wird vollftändig gehoben. 

7) Die im Dienfte ded Staates herrichende Gewöhnung 
an Ordnung, Gehorfam und Treue erleichtert die gute Verwal⸗ 
tung der Bahnen (e). Auf den Staatdbahnen fommen daher 
auch gewöhnlich weniger Unfälle vor. 

8) Die Verlufte aus der erfünftelten Steigerung bes Actien- 
preifed fallen bei ben Staatöbahnen von felbft hinweg, 
$. 262 IV. 

9) Reue Bahngefelfchaften fprechen gewöhnlidy die Zins: - 
bürgfchaft ded Staates an, der hiedurch die Wagniß auf ſich 
nimmt ($. 262), ohne dafür von den hohen Dividenden der 
einträglich gewordenen Bahnen einen Vortheil zu erhalten. — 
Bei Staatdbahnen würde derfelbe der Staatscaffe oder den bie 
Bahn benugenden Berfonen zu Gute kommen (f). 

Nach diefen Erwägungen wird die Entfcheidung im Allge- 
meinen mehr zu Gunften ber Staatöbahnen ausfallen. Doch 
iſt auch auf befondere Umftände zu achten, die in gegebenen 
Sallen einen anderen Entfchlug begründen fönnen, z. B. in 
einem Sande, wo bloß. oder größtentheild Privatbahnen beftehen, 
ober in einem großen Reiche, wo bie Oberleitung ber Staatds 
bahnen allzufchwer fein würde Sind in einem Lande bie 
Hauptbahnen vom Staate angelegt, fo ift es zuläffig, minder 
wichtige Streden an Privatgefellfchaften zu geben, bamit dem 
Unternehmungdgeifte der Bürger ebenfalls ein Spielraum vers 
gönnt werbe. 








- 


- 26 — 


Die Anlegung auf Staatöfoften iſt beſonders da votzu— 


ziehen, wo die dafür angeführten Gründe in voller Stärfe ein 
treten, 3. B. wo eine Bahn für ein ganzes Land große Wid- 
tigkeit bat, oder wo eine Unternehmung, die vielleicht für jetzt 
noch feinen belohnenden Reinertrag verfpricht, ihrer volkswirth⸗ 
Ichaftlihen Nuͤtzlichkeit willen nidt verſchoben werden darf ıc. 


(«) 


(2) 


(e) 


(2) 
(e) 


©. auh Erelle, Giniges allgemein Verfländlihe, S. 57. — Ueber 
Gifenbahnen auf Stantsrehnung, 1836. — v. Wedekind, ce 
Anlehen für Eifenbahnen, 1836. — Hanlemann, Die Eifenbahnen 
und deren Actionäre in ihrem Verhältniß zum Staat. Leipz. 1837. — 
Für die Anlegung auf Staatsfoften, aber in Verding durch Baumeiktr, 
welhe nad den aufgeflellten Bedingungen am wenigften fortem: 
I. Seguin (franzöf. Ingenieur): Chemins de fer, de leur execution 
par. Yindustrie particulitre. Paris et Lyon, 1838. — Beifpiele tee 
Baues durch die Regierung gaben zuerft die beigifchen, mehrere ameri: 
caniſche Bahnen, die badifche, die neapolitanifche und braunſchweigiſche, 
und mehrere andere deutiche Bahnen z. B. in Preußen, Oefſterreich 
und Sachſen, die baierifhe, würtembergifhe und hannov. Bahn ıc. 
In Defterreich find fämmtlihe Staatsbahnen an Gefellichaften verfauft 
worden. Man berechnete, daß 1859 in Preußen die Staatsbahnen 23 
Bror., in den rein deutichen Staaten 53 Brot. aller vorhandenen B. 
ausmadhten; Angaben bei Hübner Sahrb. VII, ©. 186. Groß 
britanien, Branfreih und die Schweiz haben nur Privatbahnen. ©. 
vorzüglib Knies a. a. O. ©. 37 f — In Großbritanien if de 
Vorſchlag gemacht worden, der Staat folle Bahnen um den Marktpreis 
der Actien an fi Faufen und dann fehr niedrige Fahrpreiſe fepen, und 
zwar fo, daß zweierlei Züge von 25 und von 15 miles Geſchwindigkeit 
angeortnet würden. Das Fahrgeld bei den erſten ſollte 1 P. und 
3/4 P. auf 1 mile (13,8 und 12,8 fr. a. d. M.), bei den zweiten %s 
und !s P. (6,9 und 3,8 fr. a. d. M.) fein; Railway reform etc, 
Lond. 1843 = Monthly Rev. Sept. 1843. ©. 59. 

In dem Procentfap der Berzinfung ſtehen in Deutihland und dem 
nichtdeutfchen Theil von Defterreih im Ganzen bie Brivatbahnen voran. 
Bon 18 der längften Actienbahnefi tragen 4 über 10 Proc., 4 geben 
8—10, 8 tragen 5—8, 2 unter 5 Proc. Unter 11 Staatsbahnen find 
3 unter 5, 6 von 5—8, 2 über 8, von 8,% und 9,8 Proc. (Bram 
fhweig) ; Angaben für 1860. Dieſer Unterfchied kann aber zum Theil 
von der feſteren Bauart und von dem Umflande herruͤhren, baf bie 
Geſellſchaften fih die am meiſten verfprechenden B. ausfuhen und im 
Betriebe mehr auf ihren Nugen als auf die Brmäßigung der Fahr: 
gelder und Frachten ſehen. 

In England wurde bei der nad und nach erteilten Genehmigung vie 
ler Brivatbahnen fein foldher das ganze Land umfaflender Blan zu 
Grunde gelegt, weßhalb das heutige Bahnnetz mehr koſtete und weniger 
zweckmäßig wurde, als wenn man fchon die heutigen Erfahrungen ge 
habt und mit mehr Umfiht gehandelt hätte, wie es in anderen Län 
dern geſchah, wo man ſpaͤter an das Werk ging. 

Es if jedoh gut, wenn der Reinertrag den Zins etwas überfeigt, 
damit eine allmälige Tilgung flattfinden koͤnne. 

Diefer Grund gilt freilid nur von Staaten, die gute Geſetze und gute 
Regierung haben und in denen Unredlichfeit von Beamten eine feltene 
Ausnahme ift, wie in Deutſchland. 


— 257 — 


(f) Die Zinsverbürgung Hat allerdings nur in wenigen Fällen eine‘ Aus: 
gabe der Staatscafle nach ſich gezogen und hat hauptlächlich dazu ges 
dient, den Bapitaliften anfangs eine größere Beruhigung zu geben. 


) 3.3. um ein nadtheiliges Mitwerben einer ausländiichen Bahn zu 
befeitigen. 


©. Brüden. 


8. 264. [274] 


Eine Häufige Verbindung der Flußufer durch VBrüden ges 
ftattet den Landſtraßen die Eürzefte Richtung zu geben, vermin- 
bert dadurch die Frachtkoſten und ift beſonders für den Verkehr 
ber Üferbewohner von großem Nugen, weßhalb der für Brüden 
gemachte Aufwand ald ein fehr wirkſames ftehendes Capital 
angejehen werden kann und mit ber volfswirthichaftlichen Ents 
wicklung ber Länder vermehrt zu werben pflegt (a). Die Ber 
. mehrung ber Brüden findet jedoch ihre Gränze, wenn der von 
ihnen hervorgebradhte Vortheil den Zins der Baufoften und bie 
Unterbaltöfoften nicht mehr vergütet. Dieß wirb am beutliche 
fen erfannt, wenn ber Aufwand lediglich durch dad Brüden- 
geld gebedt werben muß und zu erwarten ift, baß der Ertrag 
defielben zu jenem Behufe nicht genügen wird. Bei großen 
Strömen gehört ein fehr lebhafter Berfehr dazu, um jene 
Ausgaben zu erftatten. Die Errichtung neuer Brüden fann 
geſchehen: 

1) an Stellen, wo ſchon viel Verkehr iſt, durch Privatge⸗ 
ſellſchaften, welche ein Bruͤckengeld erheben; hiebei iſt es rath⸗ 
ſam, entweder den Satz .ded Brückengeldes je nach Verlauf 
einer gewiſſen Zahl von Jahren neu zu beſtimmen oder zu ver⸗ 
ordnen, daß der Ueberſchuß des Reinertrages über eine gewiſſe 
Dividende zum Theil auf gemeinnützige Art verwendet werden 
ſolle, z. B. zur Herabſetzung des Bruͤckengeldes oder allmäligen 
Tilgung der Actien, fo daß nach deren gänzlicher Abtragung 
das Eigenthum der Brüde an den Staat übergeht, welcher fo- 
dann nur eine geringe Abgabe bei der Benutzung der Brüde 
erhebt, oder ganz darauf verzichtet (6); | 

2) von Gemeinden, nach den nämlichen Grundfägen; doch 


ift in diefem Falle, da die Gemeinde Feine Gewerbögefellfchaft 
Rau, polit. Delon. II. 23. Abth. 5. Ausg. 17 


— 260 — 


India-Docks, eröffnet 1802, Capital anfangs 500000 2. St., dann 
bie auf 1380000 8. St. vermehrt. Bis 1818 war neben der Divi 
dende von 10 Broc. eine Summe von 800000 8. St. erfpart. — 
East-India- Docks, feit 1801; Capital an 500000 2., Dividende 
4 Proc. — Bor der Errichtung diefer Dode wurden nah Colquhoun 
auf und an der Theme jährlich für etwa 500000 2. Waaren geſtohlen. 
Die Londoner Dods koſteten 1800 — 1850 8 Mill. 2. 


5.266. [276] 


Im Innern der Länder find fchiffbare Flüffe und 
Seen für die Fortſchaffung der Waaren höchſt nützlich (a). 
Bei jenen ift erforderlich, daß durch Maaßregeln des Wafler: 
baues (b) dad Bette und die Ufer in gutem Zuftande erhalten, 
Berfandungen verhütet, gute Ziehmege (Leinpfade (c)), Landes 
pläge mit Krahnen u. dgl. hergeftellt werben. Können Fluͤſſe 
fchiffbar gemacht werben, die es noch nicht waren, fo verbreitet 
ſich der Nutzen der wohlfeilen Fortſchaffung noch weiter durch 
bad Land. Inge legen auf manchen Slüffen die ftarfen Krüm- 
mungen, bie große Ungleichheit des Waſſerſtandes in den ver: 
fchiedenen Jahreszeiten, die Höhe und Steilheit der Ufer, ferner 
MWafferfälle, Stromfchnellen, Veränderungen des Bettes u. dgl. 
ber Beihiffung viele Schwierigfeiten in den Weg (d), fo daß 
die Schiffbarmachung bald ganz unausführbar, bald wenigſtens 
wegen ber langfamen, befchwerlichen, oft unterbrocdhenen Fahrt 
von geringem Nugen if. In ſolchen Faͤllen leiften Canäle, 
bie in der Nähe eines Fluſſes und längs defielben binlaufen, 
aus ihm mit Waſſer gefpeift werben und mit ihm ungefähr 
gleiched Gefälle haben, gute Dienfte. Aber auch zur Berbin- 
dung mehrerer Stromgebiete find Candle nüglich, welche Lie 
Waſſerſcheiden überfchreiten und zwiſchen zwei fchiffbaren Klüffen 
die MWafferftraße vervollftändigen (I, $. 119) — (e). 

(a) H. Meidinger, Die deutfhen Ströme in ihren Berfehre: unt 
Handelsverhältniffen. Leipz. 1853. IV. B. — Die Donau if für den 
deutfchen Handel viel weniger nüglih, al aus der Länge bes ſchif⸗ 
baren Laufes (339 M.) vermuthet werben ſollte. Die Strommirbel 
und Felſen bei Grein und Drfova und die Berlandungen ber Sulima: 
münbdung laflen fih durch Kunft und Kapital befeitigen, durch die Ab: 
tretung des unteren Donauufers von Rußland an die Türfei iR em 
großes Hindernig gehoben worden. Die fhiffbare Strecke des Rheins 
von Gonftanz an ift 125, von Bafel an 104 Meilen, die der Eike 
115%/g, der Weſer (ohne Fulda und Werra) 39 Meilen. — Auch blos 
flegbare Fluͤſſe find Schon nuͤtzlich. 

Der Maflerbau Hat nicht nur den Zwed, die Schifffahrt auf ten 
Flüffen zu erleichtern, fondern fol auch Beihädigungen des Landes 


— 


—— 261 — 


durch Ueberſchwemmungen, ober Veränderungen des Stromlaufes, die 
Berfumpfung, das aufquellende Horizontalwafler sc. verhüten (ſchutz⸗ 
polizeiliher Bwed) und die Entwäflerung befördern. Diele Aufyabe 
Bat bei Sränzftrömen noch eine befondere Schwierigkeit, die nur durch 
GEinverfländnig der beiderfeitigen Regierungen zu überwinden if. Am 
Mein ift der großartige Gedanfe einer dauerhaften Regelung dieſes 
Stromes, deſſen Bette zwifchen Bafel und Mannheim hoͤchſt ungeords 
net war, duch Dberft v. Tulla ansgeſprochen, mit Hülfe von 
Staatsverträgen Badens mit Franfreih und Baiern größtentheils und 
mit dem beften Grfolge in rung gelommen. Der Lauf des 
Rheins ift um 12 Wegflunden (7/5 d. M.) abgefürzt, der Waflerfland 
fhon zu Knielingen bei Karlsruhe bei Mittelmafler um 7,5 Zuß er: 
niedrigt und es ift aus den Altwaflern viel gutes Land gewonnen wors 
ben, |. Die Eorrection des Rheins bis zur Or. heſſ. Gränge. Karler. 
1862. 4°. mit I Chartenheft. Bei manchen anderen Strömen iſt für 
obige Zwede nod viel zu thun. 

(e) Die Grundeigenthümer müflen längs des Ylufies einen Streifen für 
den Leinpfad frei laflen, Code Nap. Art. 650. Die vorgeichriebene 
Breite ift in der Regel 9%/; Meter — 32,° F. bad. Wird ein Fluß 
erſt ſchiffbar gemacht, fo gebührt den Cigenthuͤmern eine Entſchaͤdigung 
für den abzutretenden Raum. 

(d) Auch die Mühlmwehre zum Anfchwellen des Waflers vor den Rädern 
machen eine Schwierigfeit, die am leichteften entfernt wird, wenn der 
Staat die Mühlen fauft und abtragen läßt, oder wenn er die Ans 
legung befonderer Mühlgräben bewirkt. Vgl. Rubhart, II. 199. — 
Bei Heilbronn mußte 1818 wegen der bedeutenden Dlühlwerfe am 
Nedar ein Banal gegraben werden, welcher um die Stadt führt. 

(e) Diefe Canaͤle müflen an ber hödften Stelle (point de partage) mit 
Waſſer geipeift werden, welches aus Baͤchen herbeigeleitet wird. Gie 
erfordern zum Meberfleigen der Anhöhen Schleufen, haben daher Fein 
Gefälle und machen dad Ziehen der Fahrzeuge nötbig. Die Kammers 
fchleufen wurden erſt im 15. Jahrhundert erfunden. Es giebt übrigens 
auch Ganäle, die nur zur Bewäflerung oder Entwäflerung dienen, 
$. 103. — Meber Schifffahrts = Candle überhaupt f.: Geogra⸗ 
phiſch⸗hiſtoriſche Beſchreibung der Ganäle, Köln 1802. — v. Wie: 
befing, Theoretifch = praftiiche Waſſerbaukunſt, II, 1— 220. 
(Münden, 1814). IV, 133 — 165 (1817). — v. Maillard, Anleit. 
zu dem Gntwurfe und ter Ausführung fchiffbarer Ganäle.. Peſth, 
1817. — Huerne de Pommeuse, Des canaux navigables. P. 1822. 
— Girard, Considörations sur les canaux et sur le mode de leur 
concession. P. 1824. — Dupin, Großbrit. Handelemadt, I, 133 ff. 
— MacsEulloh, Handb. I, 3it. — Dutens, Histoire de la 
navigation intörienre de la France, 1829. II. — Chevalier, a. a. O. 
©. 42. — Man fcheint in der Vorliebe für Candle im Bergleidh mit 
den Flüffen zu weit gegangen zu fein, Chevalier, ©. 180. 


8. 267. | (277.] 


Große Bandle für Seefchiffe find nur in feltenen Fällen mit 
Nutzen ausführbar, um nahe Handelöftäbte mit dem Meere 
zu verbinden ober die Seefahrt vermittelt des Durchſtiches 
einer Zandenge zu verfürzen (a). Kleinere, blos dem inneren 
Verkehr dienende Candle haben gegen bie Eifenbahnen den Vorzug 


— 262 — 


ber wohlfeileren Kracht, auch können fie von Jedermann mit 
Fahrzeugen verfchiedener Größe beliebig befahren werben, während 
die Benugung der Bahnen in den Händen einer einzigen Ber 
waltung ift. Indem fie die fhiffbaren Ströme und Ylüffe mit 
einander verfnüpfen ($. 266), ftellen fie Waflerfiraßen ber, bie 
in verfchiedener Richtung durch dad ganze Land gehen. 
Dagegen ftehen fie wegen ber Langfamfeit der Yahrt, der Roth: 
wenbigfeit des Schiffszugs durch Pferde und auch in anderen 
Hinfichten den Eifenbahnen fo fehr nad) (db), daß man ed nad) 
ber Belanntfchaft mit biefen nicht leicht mehr nuͤtzlich findet, 
neue Ganäle anzulegen. Yrüher und noch im erften Viertheil 
des jetigen Jahrhunderts wurden die Ganäle hoch geſchaͤtzt und 
fie hatten auch auf den Wohlftand der von ihnen durchzogenen 
Landestheile einen fehr günftigen Einfluß (c), befonderd für bie 
Verſendung von Gütern, die einen niebrigen Preid haben und 
nur bei niederen Frachtkoften auf entfernten Märkten Abſatz finden. 
Unter Unfländen, die freilich nicht oft angetroffen werben, 
3. 2. zur Vervollftändigung einer fhon vorhandenen Waſſerver⸗ 
bindung auf einer furzen Strede, Fönnen immer noch Ganal- 
bauten rathfam fein, und die ſchon vorhandenen Candle werben 
fortwährend mit Bortheil zur Sortfchaffung eines Theiles der 
Waaren benutzt (d). Wo es weder an Gapitalien nody an 
- lebhaften Unternehmungsgeift und richtigem Urtheil über Hans 
deldangelegenheiten unter den Bürgern fehlte, da konnten Canal 
bauten durch Actiengefellfchaften ausgeführt werden (e), unter 
ben entgegengefeßten Umftänden mußte bieß von ber Regierung 
geichehen, weldye die nöthigen Capitale borgte und ihre Waffer: 
und Straßenbau-Beamten zur Ausführung gebrauchte. Das 
erfte Verfahren erfordert folgende Regierungsmanßregeln: 

1) Prüfung und Genehmigung ber vorgelegten Sapungen 
der Geſellſchaft, ſowie 

2) des Planes für die Richtung, die Länge und Tiefe, 
Bauart und die zugehörigen Baumerfe des Canals, 

3) Anwendung bed Zwangsabtretungsgeſetzes auf bie in 
die Ganallinie fallenden Ländereien, 

4) Beitimmungen über dad von ber Gefellfchaft zu er⸗ 
hebende Canal⸗ und Echleufengelb. 





5) Bortgefebte Aufficht, um bie Gefelfchaft zur Erfüllung 
ihrer Obliegenheiten anzuhalten. | 

Bei allen Schiffahrtscanaͤlen find obrigfeitliche Vorfchriften 
nöthig, theils polizeiliche zum Schutze ber Bauanlagen und 
zur Verhütung von widerredhtlichen Störungen der Sciffahrt, 
theild zur Erhaltung der guten Orbnung bei berfelben, zur 
Regelung der Thätigfeit des angeftellten Perfonald und dgl. 
Uebrigens finden bie in Bezug auf Eifenbahnen angegebenen 
Regeln ($. 261 ff.) zum Theil auch hier ihre Anwendung. 


(a) Hiezu gehören gegen 50 Fuß Bodenbreite und 20 Fuß Tiefe. — Der 
Canal von Norbholland von 120 Fuß oberer Breite und 25 Fuß Tiefe 
und 15 Meilen Länge (gegen 12 Mill. Koften) dient dazu, bag Schiffe 
jeder Größe vom Helber fogleih in ben Amfterdamer Hafen gelangen 
fönnen, ohne den befhwerliden Umweg durch bie Zuyder⸗See nehmen 
zu müflen; indefien wied bie Fahrt von den Schleufen u. Krümmungen 
verzögert und dauert durchichnittlic 36 Stunden. Der 1862 befchloflene 
Canal von Amflerdam nach Wykaan-Zee wird nur 5 St. lang u. ver: 
fpriht große Grleihterung; Koftenanfhlag 15 MIN. fl., wovon aber 
12 Mill. durch das eingebämmte Land gededt werden follen. Die Regie: 
rung verbürgt der Actiengefellich. 4'/e Proc. Zins bis zu 15 Mil. fl. — 
Der caledoniſche Banal durch Schottland, 1822 beenbet, ift 20%. tief und 
unten 50, oben 122 %. breit. — In Deutichland ift der größte Kanal 
nad Breite u. Tiefe der holfteinifche, der vermittelft der Eider die Nord⸗ 
u. Öftfee verbindet, bei Rendsburg, 5 M. lang, mit 96 F. oberer, 56%. 
Boden:Breite ; er wurde 1777—1785 angelegt. Die Gnge ber Schleu⸗ 
fen geftattet jedoch nur Schiffe bis zu 100 Tonnen Ladung. Der 
Ganal wurde 1853 v. 3997 Schiffen befahren. — Begonnener Suezcanal, 
um das rothe Meer mit dem Mittelmeer zu verbinden, wegen ber zu 
durchſchneidenden Sandwüfle fehr ſchwierig. Die Fahrt von London 
über das ‚Borgebirge ber guten Hoffnung nad Bombay ift 11500 See 
meilen (zu %ı d. M.) lang, über Suez würde fie nur 6000 Seemeilen 
etragen. 

(5) Die ſchnelle Fortſchaffung auf dem Waſſer erfordert nah dem New: 
ton’fchen Geſetze des Widerftandes ber Mittel eine im Quadrate ber 
Geſchwindigkeit zunehmende Kraft, fo daß 3. DB. doppelte Schnelligkeit 
die Afache Kraft erheiſcht. Dieß wird von der Erfahrung annähernd 

- beflätigt. Bei 3, Bar. F. Gefchwindigfeit werden nah Rennie 
auf dem Wafler 30 Tonnen fo leicht gezogen, als auf der Gifenbahn 
7,5 %., bei 5,5 F. if fchon der Kraftbebarf gleih. Daher find Waf: 
ferfiraßen nicht für betrachtlide Schnelligkeit Ei net. Munde in 
Gehler, Phyſik. Wörterb. X, 1836. — Die abıt von Marfeille 
bis Baris dauert 10 Wochen, der Weg ift 2800 Kilom. lang, wäh: 
rend die Ciſenbahn nur 870 KR. lang ift und in 3 Tagen die Waaren 
abliefert. Die auf ben meiften franzöflihen Ganälen Berzfhhende über: 
aus große Langfamfeit ift jedoch keineswegs unvermeiblih. Auf meh: 
reren britifhen Ganälen hat man Schnellböte für Reifende, bie in ber 
Stunte 2 — 22/2 M. zurüdlegen, die Schleuſendurchfahrt eingerechnet; 
viele americaniſche Canalboͤte fahren wenigſtens 0,9 M. und die Poſt⸗ 
böte auf dem oanal du midi an 11/; M. (11 Kilometer). Chevas 
lier, ©. 223. Für die Waarenverfendung ift dieß hinreichend. Mit 
Hülfe des Pferbewechfels Tann man auch Tag und Nacht fortfahren. 
— Sonſt kommt in Betracht, daß in fälteren Ländern ber Winter die 


(e) 


(2) 


— 2164 — 


Canalſchifffahrt unterbricht, daß die Ueberfchreitung von Anhöhen tot: 
bare und zeitraubende Schleufen erfordert, daß wegen der Gefahr ter 
Uferbefhäbigung keine Dampfichiffe auf Ganälen gehen dürfen, wenn 
diefe nicht —* Ufer haben u. dgl. Der c. du midi bat 64 
Schleufen und 138 Brüden, der canal de Bourgogne 139 Schleufen. 


Die Koflen der Banäle find fehr verſchieden. Im Durchſchnitte von 
77 großbritanifhen kommt bie M. auf 465000 fl., beim great tranc 
nur auf 168300 fl. zu ſtehen (Huerne de Pommeuſe). De 
caledonifche Kanal koſtete 986924 8. St. oder 11843 000 fl. ; feine 
anze Länge ift 58% e. M. (12,7 d. M.), allein nur 21/4 miles 
And ausgegraben, das Uebrige befteht aus 3 Lanpfeen. Berechnet man 
alfo nur die eigentliche Canalſtrecke, fo kommen 2531000 a. d. M. 
Die franzöfifchen, in den Jahren 1821 und 1822 unternommenen Ga: 
näle foften 474300 Br. auf die lieue (409600 fl. die M.), die ameri: 
eanifchen im Durdfchnitt gegen 300000 fl. — Uebrigens fehlt es auch 
nicht an Beifpielen mißlungener Speculationen, wenn gleich diefelben 
für die Bewohner der Gegend immer noch nüglich geworden fein moͤ⸗ 
gen. Nach dem Berzeichniß bei Mac-Eullod (Stat. acc. II, 189) 
iſt die Einträglichkeit der Brit. Canaͤle überaus ungleich. Manche Nc 
tien haben gar feinen Breis, andere einen fehr niedrigen. Die Actien 
bes grand western C. fanden im Febr. 1836 nur zu 17 Proc., bie 
des Birmingham and Liverpool junction zu 28 Proc, bed Bridgewater 
and Taunton zu 65, dagegen bed Coventry 807 Proc., de6 Mersey and 
Irwell zu 560, des Stafford and Worcester zu 480, bed Neath zu 
300 Proc. ıc. 


Das größte Canalſyſtem befist Ehina. Der Kaifercanal wird auf 
einer Strede von 250 Meilen beichifft, it bald 200, bald 1000 F. 
breit unb verbindet viele fchiffbare Flüfle, fo daß durch ihn der Verkehr 
in einem großen Theile des Neiches belebt wird. Blos für die Regie: 
rung find an 10000 Fahrzeuge auf ihm in Bewegung. Witter, 
Erdkunde, L, 655. — In Europa hat England tas vollfummenfte 
Canalſyſtem, welches man mit Recht als eine feite Stüße feines Wohl: 
ftandes betrachtet hat. Die verfchiedenen Stromgebiete find durch bie 
zahlreichen Canaͤle in mehrfache Verbindung gebraht und es ift ein 
anßerordentlic großes Capital auf diefe Weile verwendet worden. — 
Die 103, von Huerne de Bommeufe (au bei Chevalier, ©. 
403) aufgeführten Candle im brit. Neiche haben 700 M. Länge; Eng⸗ 
land allein hat nah Mac-Eulloh 2400 engl, Meilen (521 M.), 
alfo 0,1% M. Länge auf die Meile, und bie englifchen &. foſteten 
bie 1834 20 Mill. L. St. Der ältefle in @roßbritanien ift der des 
Herzogs von Bridgemwater, ohnweit Manchefter, von Brinpley 
gebaut (1759— 71, 29 e. M. lang), welcher gegen 270000 2. Et. 
oftete und jetzt 80 — 100000 2. jährlich über die Koſten einbringt. 
Die vielen englifchen Ganäle, größtenine ke das Werk der großen Bau: 
meifter Nennie und Telford, find mit großer Kunft angelegt. Am 
meiften Grftaunen erregt die 1007 Fuß lange eiferne Leitung des Elles⸗ 
mere:Ganals, die auf 19 eifernen Bogen ruht; dennoch ift diefer Canal 
nicht fehr vortheilhaft. Der Fleine Canal von Loughborough erforderte 
auf die Nctie eine Ginzahlung von 142 2. 17 Sch., die Dividente 
aber war 1831: 180 2., 1836: 110 2., daher der Preis einer Actie 
in beiden Jahren 2100 und 1250 2. betrug. 


Die Staaten der norbamericanifchen Union haben feit dem 4. Juli 
1817, wo die Arbeiten am Erie⸗C. anfingen, ſehr viel geleiftet. Der 
ebengenannte Canal, auch Hudſon⸗C. genannt, verbindet den See Grie 
mit dem atlantifchen Deere vermittelft des Fluffes Hubfon, den er bei 


— 235 — 


Albany erreiht. Er wurde vom Staate New⸗VYork unternommen, 1825 
vollendet, Foftete 21 Mill. fl. (nach Lift 7'800 000 Doll. = 19'630 000 fl.), 
und iſt 108 M. lang. Seine obere Breite ift 40, die untere 28 Fuß, 
die Tiefe 4 Fuß, feine ganze Steigung in 3 Abfägen if 662 Fuß, 
wozu 83 Scleufen dienen; die Mündung bei Albany liegt 564 Fuß 
unter dem Spiegel des Grie. Der Verkehr auf diefem Banale ift fo 
lebhaft (1835 fchon beinahe 500000 Tonnen), daß man ihm eine 
Bifenbahn beigeiellt und beichloffen hat, Breite und Tiefe um bie 
Hälfte zu vergrößern. Chevalier, Briefe über Norbamerica. ILL, 
49. — Dieß wohlgelungene Beifpiel fand häufige Nachahmung ; felbft 
neue Staaten, wie Ohio, welder 1820 erft 581000, 1860 aber 
24/5, Mil. Einw. zählte, übernahmen große Werfe, namentlich diefer 
Staat den 65 M. langen C. von Portsmouth am Ohio zum Erie, 
u. m. a. Mehrere biefer kuͤnſtlichen Waflerftraßen find mit Eiſenbah⸗ 
nen, bie über die Berggegenben führen, in Verbindung gefebt, und 
das weite, 'noch ſchwach bevölferte Gebiet der inneren Staaten erlangt 
durch diefe vortrefflihden Gommunicationsmittel die Vortheile, die fonft 
nur eine dichtere penölferung gewähren fann. Die Länge aller Eanäle 
wird 1850 auf 3814 engl. M. (829 M.) angegeben, Fleiſchmann, 
Gewerbszweige sc. der v. St. 1850, ©. 440. Chevalier (Les inter. 
mat. ©. 417) nennt 1465 lieues (879 M.), welche 238%, Mill. fl. 
gefofet haben follen. In Frankreich waren 1856 4926 Kil. = 675 M. 

anäle vollendet, 139 M. im Bau. Bon jenen find 3231 Kil. — 
43614 M. im Belt des Staates. Kür die bis 1836 vollendeten oder 
im Bau befindlichen 3700 Kil. wurden die Koflen auf 700 Mill. Fr. 
angeſchlagen. Der längfte ift Nantes: Brefl von 501% M. In ber 
neueften Beit bat die franzöf. Regierung große Summen für biefen 
Zwed bewilligt und mehrere große Bauten beichlofien, z. B. einen 
Canal von Paris nad Straßbutg vol, III, $. 79. Der neue Rheins 
Marnes®. von 318 Kil. = 43 M. Länge fol 75 Mil. Fr. Eoften, 
die Meile alfo 1739000 Fr. Gr bat 180 Schleufen und feine hoͤchſte 
Stelle liegt 936 %. über dem Meere. — Der Canal du midi oder von 
Zanguedoe im fübweftlichen Frankreich (33 Meilen lang) erfpart jähr: 
lid 4900000 $r., welche die Landfracht der verfendeten 1'200 000 Etr. 
mehr koſten würde, und bringt den Landwirthen noch 5100000 Fr. 
Gewinn. Er wurde 1662 — 1681 von Privatunternehmern erbaut. 
Seine Unterhaltung verurfadhte 1686 — 1791 einen Aufwand von 
25670000 Liv., er trug in bdiefer Zeit 57044000 Liv. ein. Der 
Bau koſtete 17% Mill. Liv. (in heutigem Gelde 33 Mill.), fo daß 
allerdings der Reinertrag nur 1,7 Prot. des Capitals ausmacht. Sept 
wirft er jährli 800000 Fr. über die Unterhaltungskoften ab. Wie: 
befing, III, 5. 168 Gin Ganal, der in Berbindung mit bem 
Rhein⸗Marne⸗Canal die Steinfohlen aus der Gegend von Saarbrüden 
preuß. Rheinprovinz) nad dem Oberelſaß (Mülhaufen) bringen fol, 
iR von der Regierung beabfihtigt. Die Tonne Kohlen foftet auf der 
Eifenbahn von Saarbrüden bis Bafel gegen 30,° Fr. Fracht, man 
hofft fie auf dem Ganal für 19 Fr. dahin zu bringen. Der ältefte 
frangöfifche Kanal von Briare ward ſchon von Sully 1605 begon- 
nen, aber erſt unter Richelieu 1642 vollendet. — Trefflihe Canaͤle 
in den Niederlanden, fchon feit mehreren Jahrhunderten. — Rußland 
Hat durch die Flachheit des Landes, welches größtentbeile aus Diluvial⸗ 
und Alluvialboden befteht, befondere Leichtigkeit, feine Ströme in Ber: 
bindung zu feßen, und es ift hierin ſchon weit fortgefchritten, nur lei⸗ 
den die Flüffe öfters an Waflermangel und bie Fahrt geht fehr lang⸗ 
fam. Der Anfang wurde unter Beter I. burh die Verbindung der 
Molga mit dem finnifchen Meerbufen vermittelt des C. von Nilchnei: 


(e) 


— 2146 — 


Molotihod gemacht. Drei Ganalfyfteme verbinten die obere Wolga 
mit St. Petersburg, zwei die Wolga mit der Divina (weißes Ber), 
drei C. flellen den Zufammenhang zwifchen dem Dniepr und ten ın 
bie Oſtſee fallenden Strömen, Düna, Weichſel und Niemen ber ı. 
Der Canal zwiſchen Don und Wolga ift noch nidht ausgeführt; v. 
MWittenheim, Allg. Ueberblid der verfchiedenen Arrondiflements, in 
welche das rufl. Reich binfichtlich feiner Land» und Waflerverbindungen 
eingetheilt if. Riga, 1833. — Schwediſche Candle zur Verbindung 
der Nord: u. Oſtſee: Trollhaͤtta⸗Canal (1794—1800), um bie Wafler: 
fälle der Götha⸗Elf zu vermeiden, 1 M. lang, Gôtha⸗Canal (1811 
bis 1826), vom Wener: See bis in die Öftfee, durch mehrere in ter 
Mitte liegende Seen, 12 Meilen lang, größtentheile von Soldaten 
erbaut. . 

Deutichland bat wenige Canaͤle. Die Gebirgszüge zwiſchen der 
norddeutfchen Ebene, dem Donaubeden und dem WMittelmeere, ſowie 
die Bielheit der lange Zeit nicht näher verbundenen @ebiete haben ten 
Ganalbau verzögert, die Capitale Eonnten baher befto rafcher dem Bau 
von Bifenbahnen gewidmet werben. Belonders bemerkenswert if der 
Ludwigs-C., der die Donau und den Rhein vermittelfi der Altmühl 
und des Mains verbindet, 1836 angefangen, 1845 vollſtändig eröffnet. 
Er hat mit Einfchluß des benugten Altmühllaufes 23%, M., mit 100 
Schleufen, 54 F. obere, 34 F. Bodenbreite und 5 Fuß Tiefe. Ban 
hat bei ihm eine DBerminderung bes Kraftbebarfes aus ber Weite det 
Canaldurchſchnittes erwartet, weil nach der Erfahrung bie Kortichaffung 
auf Canaͤlen am leichteften erfolgt, wenn der Duerfchnitt berfelben 
weniaftens Amal fo groß ’ift ale der der Schiffe. Dieß Unternehmen 
ift eine Ausführung des Untwurfes, den fchon Karl ter Große gefaßt 
hatte. Nah dem Gel. v. 1. Zuli 1834 übernahm der Staat !/, der 
Actien. Die Ganalfradht fol %, der Landfraht nicht überfleigen. 
Das Haus M. A. von Rothſchild und Söhne übernahm die Bildung 
einer Actiengefellichaft, deren Statuten am 22. März 1836 genehmigt 
wurden. Der Koftenanichlag war 8530000 fl., das Actien s Bapital 
10 Mill., der wirkliche Aufwand nad) der 1860 abgefchloffenen Red: 
nung 16°294 000 fl., wobei der Mehrbetrag über das Nctien:Gapital 
der Staatscaſſe zur Laſt fiel, fowie die Berzinfung der Actien vom 
Ablauf der 6 Jahre an bie zur Vollendung des ganzen Werkes, Prot. 
d. K. d. Abg. v. 1843, Beil. LXXXIV (Braf von Buttler). Durch 
Vertrag v. 19. Mai 1851 wurde der Antheil der Privattheilhaber vom 
Staate für 8 Mill. fl. in Schulpbriefen zu 31/. Broc. übernommen. 
Seit 1850 überfleigt die Ginnahme aus Banalgebühren ıc. den jähr: 
lihen Aufwand. Die neuerliche Belebung der Donaufdifffahrt ift für 
biefen Canal ohne Zweifel von günftigen Bolgen. Graf Soden, 
Der Marimilians » Canal, 1822. — v. Behmann, Untwur 
für den C. zur Verbindung der Donau mit dem Main. München, 
1832. 4%. Derſ. Der Ludwigs⸗C. 1846. — Kleinfhrod, Die 
Ganalverbindung des Rheins mit der Donau. Münden, 1834. — 
Bol. Chevalier, Des int. mat. ©. 173. 


Alle engl. Eanäle, der canal du midi und eine Anzahl anderer in 
Frankreich, viele americanifche, die ſchwediſchen Canaͤle zum Theil. — 
Ueber das in England übliche Verfahren f. Dupin, Großbr. Handels 
madt, I, 133— 170. 








— 267 — 


I. Mittel zur Benugung ber Straßen. 


8. 268. [242] 


Die ſchnelle Fortpflanzung und Berbreitung 
von Nachrichten ift für den Verkehr nuͤtzlich, weil fie bie 
gefchidte Benugung günftiger Umftände, fowie die Vermeidung 
von Berluften erleichtert und ben Umlauf des Gapitales be- 
fhleunigt. Die Gewerbsleute und ganz vorzüglich die Kauf- 
leute find deßhalb eifrig bedacht, von allen auf ihre Unterneh» 
mungen ſich beziehenden Ereigniffen ſchnell unterrichtet zu wer⸗ 
ben und auch ihre Beftellungen ober Anerbietungen fchleunig 
an ben Beftimmungsort zu bringen. Daß bie Regierung hiezu 
beitrage, ift ſchon darum rathfam, weil fonft bie wohlhabenden 
großen Unternehmer, bie leichter den Aufwand für befondere 
Benachrichtigung machen können, zu fehr im Vortheil flüns 
den (a). Den von ben Kaufleuten der Hanbeldftädte gewählten 
Vorſtehern kann es überlaffen werben, für bie Aufzeichnung 
der Preife (Eurfe) von Geldforten, Wechfeln, Staatsfchuld- 
briefen und Actien an den Börfentagen fowie von Waaren zu 
forgen, durch Beauftragte, welche ſich von den Mäflern bie 
abgeichloffenen Käufe fammt den Preifen angeben laffen, und 
nad) gefchehener Prüfung und Zufammenftellung berfelben die 
Preisverzeichniffe (Curszettel) veröffentlichen (5). Daffelbe gilt 
von der Errihtung von Verfammlungsplägen, wo fowohl bie 
Einzelnen als die Obrigkeit eingehende Handeld» und Schiff: 
fahrts-Rachrichten durch Anfchlag oder Eintragung in offene 
Bücher mittheilen (ce). In ben Wirkungskreis der Regierung - 
fallt dagegen 


1) die gute Einrichtung ber Briefpofl. Diefe Anftalt ges 
hört unter bie Urfachen, denen ber Verkehr feine heutige Leb⸗ 
haftigfeit verbankt, fie muß baher ſtets mit Rüdficht auf bie 
Bedürfniffe ber Gewerböleute verwaltet und zu einem vollfoms 
men zwedmäßigen Organ ber Mittheilungen ausgebildet wers 
den. Sie fol Briefe, Zeitungen und Drudfchriften fchnell, 
fiher und wohlfeil verfenden, III, 8. 205. 208. 


— 268 — 


2) bie Anlegung von Linien eleftrifcher Telegraphen, an 
welche die nämlichen Anforterungen gemacht werben, wie an 
die Briefpoft, II. 219 b. 

(«) Taubenpoſt. Cigene Couriere der großen Wechſelhaͤuſer. Vielleicht 
trugen Gründe dieſer Art bei, bie franzöſiſche Regierung 1621 zu be: 
flimmen, daß fie einer Gefellihaft von Kaufleuten die Anlegung ven 
Telegraphen, ungeachtet ber angebotenen Entihädigung von !iz Mil. 
Sranfen an die Poſt, nicht geflattete. — Signale an Hajenorten, um 
die Ankunft von Schiffen zu melden. Telegraphenlinie von Curhaven 
nah Hamburg mit 8 Stationen für den naämlichen Zweck, noch ver 
der Erfindung des eleftrifchen Telegraphen. 


(6) Die Aufzeihnung der Getreide: und Viehpreiſe muß in geregelter 
Weiſe an den Getreide: und Biehmärften geichehen, die Preiſe fämmt: 
licher Marktorte find dann in jedem größeren Landestheile und für das 
ganze Land zufammenzuftellen und in furzen Zwifchenzeiten befannt zu 
maden, wozu das ftatiflifche Amt (Bureau) mitwirken kann. 


(c) Mufterhaft die Hamburger Börfenhalle, welcher wieter Lloyd’s Kaffee: 
- Haus in London zum Vorbilde diente. 


$. 268 8. [243.] 


Die Fahrpoſt (II, 8. 212.), fie werde nun von der Re: 
gierung ober von Privatunternehmern verwaltet, muß ebenfalls 
als ein wirkſames Beförderungsmittel des Verkehrs betrachten 
und für dieſen Zwed geleitet werden. Sie nüpt hauptfächlid 
zur Erleichterung des Reifend und fomit der Erfundigungen, 
Anerbietungen, Beftellungen u. dgl. (a). Für die Verfendung 
von Waaren zeichnet fie ſich zwar durch größere Schnelligkeit 
vor anberen Yuhrgelegenheiten aus, iſt aber wegen des öfteren 
regelmäßigen Abgangs zu beflimmten Zeiten, des häufigen 
Pferbewechfeld 2c. ſoviel Foftbarer, daß beträchtliche Vorräte 
auf dieſem Wege nicht leicht verfendet werden und nur Gegen 
„ fände von hohem Verkehrswerthe, oder folde, an deren baldi⸗ 

ger Ankunft befonders viel gelegen ift, wie Mufter, oft auf die 
Bahrpoft gelangen. Wo diefe auf Staatsrechnung verwaltet 
wird, da ift ed bie Aufgabe ber Regierung, der Poſt die gemein 
nügigfte Einrichtung zu geben (II, $. 214 ff.), auch follte der 
Gebrauch anderer Reifegelegenheiten nicht erfchiwert werben, 
weil die Erleichterung bed Berfehrd in feinen verſchiedenen 
Richtungen ein viel wichtigerer Zweck iſt, als die Bermehrung 
ber Staatseinkuͤnfte. Wo cinzelne Privat Poftwägen (Lands 
kutſchen, diligences) beftchen, da find Vorfchriften und Auf 


— 269 —— 


ſichtsmaaßregeln nöthig, um bie erforderliche Sicherheit und 
Bequemlichkeit ded Gebrauches zu bewirken (6). Padetboote 
gewähren zu Waſſer diefelben Vortheile, wie die Poftiwägen. 


(a) In neuerer Zeit it das Reiſen ungemein erleichtert worden. Der Ans 
trieb hiezu lag zum Theile in dem jehr fühlbaren Bedürfniß bes ſchwung⸗ 
hafter betriebenen Handels; die Befriedigung dieſes Bedürfniftes mit 
Hülfe der Regierungen hat aber unftreitig wieder günftig auf den Han: 
bel gewirkt. Die Berbeflerung der Landſtraßen bat Hiezu viel beige 
tragen. Im Jahre 1764 war die Anzahl der täglih in Paris ankom⸗ 
menden und wieder abgehenden Landfutfchen (diligences) 27, jede im 
Durchſchnitt mit 10 Reiſenden beſetzt; bagegen war file 1838 fchon 
an 1000, mit beinahe 10000 Menihen. Um bie Mitte des vorigen 
Jahrhunderts brauchten diefe Kutichen 10 Tage von Baris bis Lyon 
und 3 von Paris bis Rouen, jetzt zu jenem Wege 70, zu bdiefem 
12 Stunden. — In Manchefter wurde 1751 eine Randkutfche einge: 
richtet, von der es in der Ankündigung hieß, daß fie, „fo unglaublid 
es auch fcheinen möge, in 4! /3 Tagen London erreichen ſolle.“ Neuer: 
ih fuhren die Landkutſchen dieſen Weg In 27 Stunten. 


() 3. B. franzöf. Ordonn. v. 16. Juli 1828, Elouin, Nouv. dictionn. 
II, 841. ie vorgefchriebenen Regeln beziehen fich großentheils auf 
bie Erhebung der den Meflagerien aufgelegten Abgabe. Jeder Wagen, 
der diefe Beflimmung Hat, wird vor dem Gebrauche unterfuht. Die 
Angabe über Zahl und Preis der Pläge, fowie der Drte, zwifchen 
denen der Wagen Hin und her geht, wird in ihn angefchlagen. Die 
Spur foll 1,92 Meter (5,4 bad. %.) breit, der höchfte Bunct der Dede 
nicht mehr als 3 Meter (10 F.) über den Boten erhöht fein u. f. w., 
die Boftfnechte werden nur auf den Nachweis ihrer Geſchicklichkeit und 
guten Aufführung, mit Wiflen des Bürgermeifterse, angenommen 
und dergl. 


$. 269. [278.) 


Die Benupung der Waflerftraßen darf nicht durch laͤſtige 
Berchränkungen ober Abgaben erſchwert werden, wie fie ehemals 
bei der Flußſchifffahrt eingeführt waren. Hieher gehören bie 
Stapels, Umſchlagsrechte und die Wafferzölle (a). Das Sta⸗ 
pelrecht einer Stadt befand barin, daß die auf dem Fluſſe 
an ihr vorübergehenden oder auch die in gewiffer Entfernung 
von demfelben zu Lande verfendeten Güter eine Zeit lang in 
ber Stadt zum Berfaufe audgeftellt werben mußten. ine ſolche, 
bie Handeldunternehinungen in hohem Grabe flörende Bes 
günftigung eines einzelnen Hanbelöplages fonnte nur in früheren 
Jahrhunderten bei dem Mangel volkswirthſchaftlicher Einficht 
entftehen und ift neuerlich durchgehends abgeichafft worden (5). 
Das Umſchlagsrecht (c) einer Stabt, nad) weldem Fahr⸗ 
jeuge von anderen Orten nicht vorbeifahren dürfen, fondern 


— 268 — 


2) die Anlegung von Linien elektrifcher Telegraphen, an 
welche die nämlichen Anforderungen gemacht werben, wie an 
die Briefpoft, III. 219 b. 

(a) Taubenpofl. Eigene Couriere der großen Wechſelhaͤuſer. Bielleicht 
trugen Gründe biefer Art bei, die franzöftfche Megierung 1621 zu be- 
flimmen, daß fle einer Gelellihaft von Kaufleuten die Anlegung von 
Telegraphen, ungeachtet der angebotenen Entichädigung von !js Mil. 
Franfen an die Boft, nicht geftattete. — Signale an Hafenorten, um 
die Ankunft von Schiffen zu melden. Telegraphenlinie von Gurhaven 


nach Hamburg mit 8 Stationen für den nämlidhen Zweck, nody vor 
ber Erfindung bes eleftrifchen Telegraphen. 


(6) Die Aufzeihnung ber Getreide: und Viehpreiſe muß in geregelter 
Weiſe an den Getreides und Viehmärften gefchehen, die Preiſe fämmt- 
licher Marktorte find dann in jedem größeren Zanbestheile und für das 
ganze Land zufammenzuftellen und in furzen Zwiſchenzeiten befannt zu 
Haben, wozu das ftatiftifche Amt (Bureau) mitwirken kann. 


(c) Mufterhaft die Hamburger Börfenhalle, welcher wieder Lloyd’s Kaffee⸗ 
haus in London zum Vorbilde diente. 


$. 2688. | [243.] 


Die Bahrpoft (II, 8. 212.), fie werde nun von ber Re: 
gierung oder von !Privatunternehmern verwaltet, muß ebenfalls 
als ein wirkſames Beförderungsmittel ded Verkehrs betrachtet 
und für dieſen Zwed geleitet werben. Sie nüßt hauptfächlich 
zur Erleichterung des Reifens und fomit der Erfundigungen, 
Anerbietungen, Beftellungen u. dgl. (a). Für die Verfendung 
von Waaren zeichnet fie ſich zwar durch größere Schnelligkeit 
vor anderen Buhrgelegenheiten aus, ift aber wegen bed öfteren 
regelmäßigen Abgangs zu beflimmten Zeiten, des häufigen 
Pferdewechſels 2c. foviel Foftbarer, daß beträchtliche Vorräthe 
auf diefem Wege nicht leicht verfendet werden und nur Gegen; 
ftände von hohem PVerfehröwerthe, oder ſolche, an beren baldi⸗ 
ger Ankunft befonders viel gelegen ift, wie Mufter, oft auf bie 
Fahrpoſt gelangen. Wo dieſe auf Staatsrechnung verwaltet 
wird, ba ift ed die Aufgabe ber Regierung, der Poſt die gemein 
nügigfte Einrichtung zu geben (III, $. 214 ff.), auch follte ber 
Gebrauch anderer Reifegelegenheiten nicht erjchwert werben, 
weil die Erleichterung bed Verkehrs in feinen verfchiedenen 
Richtungen ein viel wichtigerer Zwed ift, ald bie Vermehrung 
der Staatdeinfünfte. Wo einzelne Privat» Poftwägen (Lan ds 


kutſchen, diligences) beftchen, da find Vorſchriften und Aufs 


— 269 —— 


ſichtsmaaßregeln noͤthig, um bie erforberliche Sicherheit und 
Bequemlichkeit ded Gebrauches zu bewirken (d). Packetboote 
gewähren zu Wafler diefelben Bortheile, wie die Poſtwaͤgen. 


(a) In neuerer Zeit ift das Reifen ungemein erleichtert worden. Der An: 
trieb hiezu lag zum Theile in dem fehr fühlbaren Bebürfniß des ſchwung⸗ 
hafter betriebenen Handels; die Befriedigung dieſes Bedürfnifles mit 
Hülfe der Regierungen hat aber unftreitig wieder günftig auf den Han: 
del gewirkt. Die Berbeflerung der Landſtraßen hat hiezu viel beige: 
tragen. Im Jahre 1764 war die Anzahl der täglich in Paris anfoms 
menden und wieber abgehenden Landfutfchen (diligences) 27, jede im 
Durchſchnitt mit 10 Reiſenden befeßt; dagegen war fie 1838 fchon 
an 1000, mit beinahe 10000 Menichen. Um vie Mitte des vorigen 
Jahrhunderts brauchten diefe Kutichen 10 Tage von Paris bis Lyon 
und 3 von Paris bis Rouen, jebt zu jenem Wege 70, zu bdiefem 
12 Stunden. — In Mancheſter wurde 1751 eine Landkutſche einge: 
richtet, von der es in der Ankündigung hieß, daß fle, „fo unglaublich 
es auch fcheinen möge, in 4!/s Tagen London erreichen ſolle.“ Neuer: 
lich fuhren die Landkutſchen diefen Weg in 27 Stunden. 


(6) 3. 3. frangöf. Ordonn. v. 16. Juli 1828, Elouin, Nourv. dictionn. 
II, 841. Die vorgefchriebenen Regeln beziehen fich großentheils auf 
die Schebung der den Meffagerien aufgelegten Abgabe. Jeder Wagen, 
der biefe Beflimmung hat, wird vor dem Gebrauche unterfuht. Die 
Angabe über Zahl und Preis der Pläße, fowie der Orte, zwifchen 
denen der Wagen Hin und ber geht, wird in ihm angelchlagen. Die 
Spur fol 1,% Meter (5,% bad. %.) breit, der hoͤchſte Bunet der Dede 
nicht mehr als 3 Meter (10 %.) über den Boten erhöht fein u. f. w., 
die Poftfnechte werden nur auf den Nachweis ihrer Geſchicklichkeit un 
guten Aufführung, mit Willen des Bürgermeifters, angenommen 
und dergl. 


$. 269. [278.) 


Die Benugung ber Waflerfiraßen darf nicht durch laͤſtige 
Berchränfungen oder Abgaben erfchwert werben, wie fie ehemals 
bei der Hlußfchifffahrt eingeführt waren. Hieher gehören bie 
Stapel, Umſchlagsrechte und die Wafferzölle (a). Das Sta⸗ 
pelrecht einer Stabt befand barin, daß die auf dem Fluffe 
an ihr vorübergehenden ober audy die in gewifler Entfernung 
von bdemfelben zu Lande verfendeten Güter eine Zeit lang in 
der Stadt zum Berfaufe ausgeftellt werden mußten. ine folche, 
bie SHandeldunternehmungen in hohem Grabe flörende Bes 
günftigung eines einzelnen Handelsplatzes fonnte nur in früheren 
Sahrhunderten bei dem Mangel volföwirthichaftlicher Einficht 
entſtehen und ift neuerlich durchgehends abgeichafft worden (5). 
Das Umſchlagsrecht (c) einer Stadt, nad welchem Fahr⸗ 
zeuge von anderen Orten nicht vorbeifahren dürfen, fondern 


— 270 — 


ausfaden und zurüdfehren müffen, begünftiget bie Schifffahrt 
und das Spebitiondgefchäft einer ſolchen Stadt, während bie 
Schifffahrt der anderen Uferbewohner beengt bleibt. Hiemit 
hängt die Anordnung zufammen, daß die anfommenben Fracht⸗ 
flüde blos durch die Mitglieder der Schiffergilde (d), welche 
nach einer beftimmten Reihenfolge abfahren, weiter verfchifft 
werben bürfen Rangfahrt). Zur Aufnahme in die Schiffer: 
gilde gehört bie Leiftung einer Bürgfchaft (Kaution) und ber 
Beweis, daß man einige Jahre als Oberfnecht gebient habe 
und hinreichende Gefchidlichfeit, Hauptfächlich genaue Kenntniß 
der beftimmten Stromftrede, beſitze (e). 


(a) ©. vorzüglihd Klüber, Def. Recht, II, Cap. 22. 


(5) Solche Rechte Hatten fonft Köln, Mainz, Trier, Regensburg, Baflau, 
Bremen, Magdeburg, Hamburg, Breslau, Yranffırt a. D. u. a. — 
Dergl. Bergius, Mag., Art. Stapelgerechtigfeit (VIII, 198) unt 
Buſch, Zufäge 3. f. Darftell. der Handlung, II, 150. — Der Main⸗ 
er Stapel wurbe 1495 von Marimilian I. auf das Borgeben, daß er 
Kon länger beftebe, beftätigt. Viele ältere Streitigkeiten wegen tes 
Mainzer Stapelvechtes Hatten erft 1749 durch den Vertrag zwiſchen 
Mainz und Kurpfalz ihre Ende erreiht, indem nun der Stapel von 
— 538 Seite anerkannt, dabei aber den Nfälzer Schiffern das Bor: 
beifahren bis Frankfurt geflattet und die Nedarhiffahtt ausſchließlich 
vorbehalten wurde. Erſt die Rheinſchifffahrtsacte v. 1804 (Art. 8. 9) 
hob den Mainzer und Kölner Stapel auf. Frankf. 1793. — (Baum) 
Bemerkungen über den DetroisBertrag, ©. 21. Heibelb. 1806. — 
Klüber, Acten des Wiener Gongrefles, I, 3. Heft. S. 1. (betrifft 
aber mehr den Umschlag). — In der neueren Zeit Hat man, noch che 
das eigentlide Stapelrecht aufgehoben wurde, insgemein die Strenge 
der Vollziehung gemildert und ſich mit ber Grhedung einer Abgabe 

- (Rrahngeld) begnügt. 


(0) Daſſelbe wird nicht felten ebeufalld Stapelvecht genannt, fo daß beide 
Berechtigungen vermengt und verwechlelt werben. 


(d) Diefe Gilden entftanden fehr früh im Mittelalter, fie erſtreckten ſich 
nicht bloß auf einzelne Orte, fondern auch auf ganze Flußbezirke, wie 
die Heidelberger Zunft der Nedarfchiffe, welche unter dem Nedargrafen 
zu Heidelberg fland. 


(6) Rheinichifffahrts-ANcte v. 1804, Art. 15. — Die Acte v. 1831 hebt bie 
Shhiffergilden auf (Mrt. 44), forbert aber zur Ertheilung bed Schiffer: 
patentes Erfahrung und Ortokenntniß (Met. 42). 


6. 269 a. [279.] 


Die Gründe, aus denen man bie Umfchlagdrechte in Schus 
genommen hat, waren: 

1) bie Raturbefchaffenheit eined Stromes, nady welcher nicht 
bie nämlichen Bahrzeuge auf den verfchiedenen Theilen deſſelben 











— 271 — 


mit gleicher Sicherheit oder Bequemlichkeit fahren koͤnnen und 

daher audy ohne Zwang eine Umlabung nöthig wird (a). 

Diefer Grund if wenigftend auf Fahrten, die nicht weit über 

ben Umfchlagsort hinaus gehen, nicht anwenbbar (d), überhaupt 

kann e8 aber den Schiffern und Kaufleuten frei gelafien werben, 
die Fahrten nady Qutbefinden einzurichten; 

2) die ſchnelle und fichere Beförderung berjenigen Fracht⸗ 
ftüde, welche aus ber Kerne fommen und durch die Spediteure 
übernommen unb weiter gefendet werben (Tranfitogüter). 
Man befürchtete, daß bei ihnen nad) ber Aufhebung ber Stationen, 
wo fie fich regelmäßig anfammelten, Unordnung, Verzögerung, 
und wegen ber häufigen Speditionen durch unftchere Perſonen 
an Heinen Orten (Winfelfpebitionen) auch nicht felten Berlufte 
eintreten möchten (ec). Dieß betrifft weder den Ball, wo ein 
ganzes Schiff von einem einzigen Abfender befradytet wird, noch 
den Berfehr der Uferbemohner ſelbſt. Bei Tranfitogütern kann 
die Rangfchifffahrt auch ohne Umfchlag beibehalten werben, weil 
fie die Verfendung befchleunigt (d), auch ließe ſich der Winfel- 
fpedition dadurch entgegenwirken, daß man gewiffe Orte für bie 
einzigen zuläffigen Ein» und Ausladungspläge für Tranfitogüter 
erlärte (e). Das Umfchlagsrecht felbft ift zu Täftig, um durch 
den angegebenen Grund hinreichend vertheidiget werben zu 
können (f). 

(a) Man nahm fonft an, daß auf dem Rheine bie größten bolländifchen 
Schiffe von 4— 8000 Etr. Ladungsfähigfeit nur bis Koͤln aufwärts 
eben koͤnnen, da fie 8— 9 Fuß Waffertiefe erfordern, daß zwiſchen 
öln und Mainz wegen mehrerer fchwieriger Stellen die Fahrzeuge 
nit über 3500 Etr. haben dürfen, oberhalb Mainz aber nicht mebr 
ale 2500 Etr. So mwurdg der deutiche Rhein durch Köln und Mainz 
in drei natürliche Abtheilungen zerfchnitten. — Bol. Daniels, Ueber 
das Stapelrecht zu Köln und Mainz, S. 33 (Köln, 1804). — Neuer: 


lih, nachdem 3. B. das Bingener Loch vertieft worden if, gehen bie 
größeren Shi weiter aufwärts. 


Deshalb wurde nad vielen Bwiftigfeiten für Frankfurt am Main 

wenigfiend in ber Meßzeit eine Befreiung vom Mainzer Umfchlag zu 

gegeben. 

() Baum, If eine Spedition in Mannheim notzwendig ©. 4. (Mann: 
heim, 1808). — Ockhart, Der Mhein nad der Länge feines Raus 

fe6 ıc. ©. 98. 197. ainz 1816). — Deſſelben Geſchichtliche Dar: 

Kellung Ne 1a) eebung über Zölle und Handelsfchifffahrt des Rheins, 

. 355 (1 . 


() Bei der Rangichifffahrt fährt jeder Schiffer ab, fo wie die Reihe an 
ihn fommt, und alle vorhandenen Frachtſtücke werben dem erfien, der 


(8 


De 2 





22 — 


abfährt, mitgegeben. Würde jeder Schiffer Güter für fi in Bmpfany 
nehmen und warten, bis fie eine Fahrt verlohnen, fo entſtünde eine 
Zerfplitterung der Ladungen, welche den Abgang fehr verjpätete. Die 
Rheinſchiff.⸗Acte v. 1831 ri 49 ff.) geftattet einzelnen Handelsflädten 
die Ginführung ter Rangichifffahrt, doch ohne Zwang für die Schiffet 
und Kaufleute, die fich der Uebereinkunft nicht angefchloffen haben. 


(e) In Baden waren ausichließlih Mannheim, Schröd, Freiſtadt und außer 
dem Dttenheim für die nach Lahr beftimmten Güter als ſolche Plaͤtze 
erflärt, alle Berladungen an andere Orte verboten, aud war den Fuhr⸗ 
leuten der Landtransport von und zu anderen verboten, ausgenommen 
den eigenen Bedarf der Zwifchenorte, B. v. 28. Jan. 1808, 8. Yuli 
1825; jest alle Haupt: u. Nebenzollämter 1. Claſſe. 


Man fand es fogar zur Erfparung ber mit dem Umfchlage verbuntenen 
Abgaben vortheilhaft, Waaren vor dem Stationsplape auszuladen unb 
zu Lande um vdenfelben herumzuführen, wie 3. 3. bei Köln oft Güter 
von Zündorf bis Mühlheim !/. Stunde weit auf der Achſe verſendet 
wurden, Nemnich, Tagebuch einer der Gultur und Induſtrie gewid⸗ 
meten Meife, II, 279. — Aufhebung des Mannheimer Umſchlags, bat. 
B. v. 15. Febr. 1827. Die Aufhebung bes Köln. und Mainz. Um: 
ſchlages ift durch die Wiener Rheinfhifffahrtö-Ncte v. 1815 ausgeſpro⸗ 
hen, aber erft in Folge der neuen Rheinihifffahrts sNcte v. 31. März 
1831 ausgeführt worden, und die Folgen bievon waren günftig. 


Nut 


U 


8. 270. | [280.] 


Die bei der Verfendung zu Waſſer zu entrichtenden Fluß⸗ 
zölle, Canal» und Schleufengelder find wie bie Weg: 
gelder auf Landſtraßen ($. 256) zu betrachten, III, 8. 238. 
Sie dürfen weber durch die mit der Erhebung verbundenen zeit 
raubenden Börmlichkeiten, noch durch die Größe ber Abgaben 
bie Schifffahrt beläftigen; ed iſt alfo nötbig, gleichmäßige, 
niebrige, leicht zu berechnende Säbe ded Waſſerzolles und eine 
Kleine Zahl von Hebeftellen, welche an dem Strome zwedmäßig 
vertheilt find, anzuordnen (a). Befinden fi) Waflerzölle im 
Befige von Stadtgemeinden, fo müffen biefe für ben Verluſt, 
ben fle bei der Aufhebung oder Abänderung des Jolles erleiden, 
aus ber Staatdcaffe entfchädiget werben (5). Noch nuͤßlicher 
ift die in der neueften Zeit fchon häufig angeordnete gänzliche 
Aufhebung der Waflerzölle, befonders da die Schifffahrt durch dad 
Mitwerben der Eifenbahnen leidet und daher eine Erleichterung 
verdient; nur erfordert biefe Maaßregel ein Opfer ber, Staatds 
caffe, zumal da die Waflerbauten an ben Strömen große Koſten 
verurfadhen (ce). Bei Bandlen und Schleußen iſt wegen ber 
beträchtlichen Erhaltungsfoften und der nöthigen Schleußenwärter 
eine mäßige Abgabe nicht leicht zu entbehren. 


— 213 — 


(e) In Frankreich waren ehemals viele läftige Flußzölle im Beſitze von 
Grundherren. Man fhägte ihren Belauf 1758 auf 2%/. Mid. Liv. 
1790 wurden alle Zlußzölle aufgehoben, 1804 wurden fle als octroi 
de navigation wieder eingeführt, ale Bergütung für die Koften, 
welche jede Waflerftraße der Staatscafle verurfacht. Daher wurde für 
jeden Fluß und Canal ein befonderer Tarif aufgeeit und es entfland 
hieraus eine große Ungleichheit der Abgaben. Es gaben 3. B. 20 Etr. 
für 5 Kilometer auf der Maas 1, Cent., auf der Somme 6,35 und 
auf der Sevre von Niort 151/, Cent. Rad dem Bel. vom 9. Zuli 
1836 und ber B. v. 27. Oct. 1837 iſt die Abgabe nun auf allen 
Flüffen gleih, bei der Bergfahrt fo Hoch als zu Thal, fie wird nicht 
mehr nad ber Ladungefähigkeit der Yahrzeuge, fondern nad der wirk⸗ 
lihen Ladung erhoben. Zufolge V. v. 3. Juli 1839 beträgt fie bei 
den 2 Glafien von Waaren 3'/. und 1'/g Gent. für die Tonne und 
10 Kilom. Zur 2. El. gehören Holz, Kohlen, Aſche, Rinde, Steine, 
Bips, Ziegel ıc. 


Breuß. B. vom 11. Suni 1816, $. 6. Die Inhaber von Privat: 

zöllen müflen den Reinertrag im Durafhnitt ber legten 6 Jahre nach⸗ 

—5— und werden darnach durch Renten ober Heimzahlung ents 
gt. 


(e) Angef. preuß. B. v. 1816. 


(6) 


g. 271. [281.] 


Bei Strömen, welche mehrere Staaten burchfließen, fanden 
fi) ehemals die Regierungen berfelben bewogen, höhere Waſſer⸗ 
zölfe nad Art der Durchgangszoͤlle (IH, $. 457) mit einiger 
Rückſicht auf bie Art der Waaren anzulegen, weil fie auf bie 
Unterthanen der anderen Uferftaaten Feine fchonende Rüdficht 
nahmen. Da jedoch von biefen Abgaben mit den Fremden zus 
gleich die Inländer getroffen und diefe auch wieder von ben 
ähnlichen Zöllen in den Nachbarländern beläftigt werben, fo ift 
ed fehr rathfam, daß burdy Uebereinfunft der Uferftaaten bie 
Abgaben auf einer ſolchen Waſſerſtraße gut geregelt und niedrig 
angefeßt werben (a), wie bieß in Deutſchland auf mehreren 
Flüſſen (5) gefchehen if. Eine gänzliche Aufhebung würbe 
zur Belebung der Flußſchifffahrt das Befte fein. Die Haupt- 
beftimmungen eines ſolchen Echifffahrtövertrages find folgende: 

1) Geringe Anzahl paſſend gelegener Hebftellen (c). 

2) Beflimmung des Zollfages für die einzelnen Streden (d). 

3) Milderung deſſelben für Waaren, bie wegen ihres ges 
ringen Preifes eine niedrige Belegung erforbern (e). 

4) Art, die Menge der verfchifften Waaren auszumitteln. 
In der Regel kann man fich zu dieſem Behufe mit dem Las 
dungöverzeichniß (Manifeft) des Schiffer begnügen. 


Ram, yolit. Delon. IL 2. Abth. 5. Ausg. 18 


— #14 — 


5) Umrechnungs- (Rebuctionds) fäge für bie in den Ufer 
flaaten beſtehenden Maaße, Gewichte und Münzforten, aud 
Gewichtöfäge für Waaren, deren Menge in Raummaaßen aud: 
gebrüdt wirb, 3. B. Holz. 

6) Maapftab für die Vertheilung des Reinertrages unter 
bie einzelnen Staaten. Einerlei Uferlänge giebt in dem unteren 
Stromlaufe wegen ber häufigeren Beichiffung, der größeren 
Fahrzeuge und ber foftbaren Strombauten auf größere Einnahme 
Anſpruch, ald in den mittleren und oberen Gegenden (f). 


(a) Cremer van den Bergh, Disputatio historica juris gentium con- 
tinens historiam novarım legum de fluminum communium navigatione. 
Lugduni, 1835. 


(5) Der Rhein Hatte 1794 bloß von Germersheim abwärts 53 Zollftellen! 
Der* Reihedeputationsabfchied von 1803 ordnete im $. 39 an, daß 
die Rheinzoͤlle in hoͤchſtens 15 Stellen erhoben und nad Abzug ter 
Koften gleichheitlich zwiſchen Yranfreih und Deutfchland getheilt wer: 
ben follten. In legtgenanntem Lande diente der Reinertrag zu ver: 
fchiedenen Entichädigungen. Die weitere Ausführung enthält der Rhein⸗ 
ſchifffahrts⸗Octroi-Vertrag v. 5. Aug. 1804. Die Wiener RMheinſchiff⸗ 
fahrts:Acte v. 24. März 1815 giebt die von den nunmehrigen fieben 
Uferftaaten (Franfreih, Baden, Baiern, Gr. Hefien, Naſſau, Preußen, 
Niederlande) verabreteten Beſtimmungen, welche vervollfändigt wurden 
durch den neuen NRheinichifffahrtss Vertrag v. 31. März 1831. — Die 
Mißhelligkeiten mit der niederländifchen Regierung über die bei ber 
Nündung des Rheins in das Meer zu erhebenden Tranfitzölle, welde 
dem vertragsmäßig aufgeftellten Grundſatze: „la navigstion du Rhin 
sera libre jusqu’a la mer‘ (Parifer Frieden v. 30. März 1814, Art. 5) 
widerftritten und die Schifffahrt der deutichen Uferftaaten fehr beläftig- 
ten, find erſt durch den Bertrag von 1831 gefhlichtet worden, indem 
nun nicht mehr allein der Led, fondern auch die Waal als Kortfegung 
des Mheins betrachtet und nach den Grundſaͤtzen ter Wiener Eonven- 
tion behandelt werden foll, audy die von dem Rhein in das Meer oder 
umgefehrt gehenden Schiffe Feine andere Abgabe als einen Durhgange- 
zoll von 13%/4 Cents vom niederländifhen Gentner (100 Kil., alfo 
nahebei 4 ft. von 100 Bfd.) zu Berg und 9 Gents zu Thal (2! fr. 
v. Er.) zu entrichten haben. Die neueften Streitfchriften waren: Op 
ben Hoof, Etwas über die Rheinſchifffahrt, a. d. Holländ. Mainz, 
1826 (für das nieberländ. Intereſſe) — Ueber bie Handelsſchifffahrt 
auf dem Rheinſtrome. Heilbronn, 1827. (Widerlegung der vorigen.) 
Dp den Hooff, Bemerkungen gegen die beutfhe Schrift: Ueber bie 
Handelsſchifffahrt ꝛc. Aus dem Miederländifchen. Amſterdam, 1828. 
— Ginige Worte über die Gntftehung, den Zwed und die Wirkung 
des... 1831... abgeichlof. Mfeinthifffahrte + Vertrages. Amſterd. 
1835. — ©. auch Cremer v. d. Bergh, ©. 70. — Oppenheim, 
Der freie deutſche Rhein. Stuttg. 1842. — Die Wiener Schlußacte 
enthält nicht allein Beftimmungen über die Zuflüfle des Rheins (Nedar, 
Main, Mofel sc.), fondern aus über Ems, Weſer und Elbe. — Elb⸗ 
ſchifffahris⸗Acte v. 23. Juni 1821. Revifion derſ. v. 21. Dec. 1825. 
Im Sollvereinsverteage v. 4. April 1853 wurde verabredet, über die 
Ermäßigung oder „Suspenfion“ der Weferzölle zu verhandeln, und 
dieß hatte die Aufhebung berfelben vom I. Jan, 1857 an zur Folge. 








(@) 





1 — 


Die Zölle auf der Ems haben vom 1. April 1851 an aufgehört. — 
Ueber die Mainzölle ift 1846 zwifchen den Wferflaaten eine Vereinba⸗ 


. rung getroffen worden. Bad. B. 19. Juni 1846. Neuer Bertrag 


v. 16. Mai 1861. Gine empfindliche Beläfiigung der Elbſchifffahri 
war der zu Brunshafen bei Stade von Hannover erhobene fog. Stader 
Zoll, welcher fih nach den verfchiedenen Waarengattungen richtete. 
Nah einem Vertrage mit Großbritanien follte er von Gewerkswaaren 
nit über A gGr. vom Etr. betragen, Kaffee, Raudtabaf, Baum: 
wollengarne gaben 1 gGr. p. Etr. x. Rau u. Hanffen, Archiv, 
N. F. III, 275. — Soetbeer, Des Stader GElbzolles Urfprung, 
Fortgang und Beſtand. Hamb. 1839. — Kürzlicdy (1863) ift die A: 
hebung dieſes Zolles beichloffen worden, indem die Regierungen der 
berheiligten Länder übereinfamen, die hannov. Regierung für die auf 
30000 2. St. angeſchlagene Cinnahme zu entfchädigen. Der Abfauf 
foll wie bei dem Sundzoll mit dem 15" fachen Betrage gefchehen, 
wovon Großbritanien und Hamburg je %/3, die anderen Regierungen 
zufammen ebenfalls */s zu tragen haben. — Auf dem Nedar erhebt 
bioß Baden Zoll; Berträge mit Württemberg und Großh. Heflen von 
1835 ; bad. Geſetz vom 31. Auguft 1835. — Bertrag über die Schiff: 
fahrt auf dem Po, v. 3. Febr. 1851 eintretend. Ablöfung des nieder: 
ländifchen Scheldezolle 1863. 


4 
* 


Am en find, weil die Niederlande feinen Zoll mehr erheben, von 
Altbreiladh bis Lobith 9 Hebeftellen, während früher bis zur hollän- 
diſchen Graͤnze 32 waren; nad Webereinfunft v. 21. April 1862 kann 
die Abgabe —5 bei der erſten Hebeſtelle, die ein Schiff beruͤhrt, 
für die ganze Kahrt entrichtet werden. An der Elbe waren 14 ftatt 
35, an der Weſer waren 11 ftatt 24 beflimmt. 


Auf dem Rhein zahlte der Bentner im Ganzen nad dem Tarif von 
1831 von Breiſach bie Krimpen zu Berg 2,6% Fr., zu Thal 1,97 Fr. 
Der ermäßigte Tarif von 1851 für die Strede von Straßburg bis Rotter: 
dam ift zu Berg 96,48, zu Thal 73,97 Gent. (vorher 1,7% u. 1,185 C.). 
Snländifhe Waaren haben eine beträchtlihe Wrleihterung. Sie be: 
zahlen von Ruhrort bis Straßburg zu Berg 18,4% flatt der 83,11 E., 
welche von ausländifchen gegeben werden. Hierzu kommt eine Recogni- 
tionsgebühr von den Yahrzeugen, auf jeder Station bei Schiffen von 
5000 Gentner Ladungsfähigfeit und darüber 15 Fr., von 4500 bie 
5000 Gtr. 13,5, von 40004500 Etr. 12 Fr., von 2000-2500 Etr. 
6 Br. sc. Gegen den vielfach ausgejpruchenen Wunſch einer weiteren 
Verringerung oder gänzlihen Befeitigung des Rheinzou⸗ wird die 
neuerliche bedeutende Zunahme der Rheinſchifffahrt, beſonders durch 
Dampfſchleppſchiffe, geltend gemacht, ſ. Der Güter: und Schiffsverkehr 
auf dem Rhein. Berlin 1856. Gleichwohl würde wenigftens eine 
Herabfegung ſehr zuträglich fein. Die Kölner und Düffeldorfer Ges 
tellfehaften haben 1854 52184 Thlr. für einen Recognitionsgeld, 
Brüdengeld sc. bezahlt, wovon 31.090 Thlr. Zoll von den Abjendern 
oder Empfängern ber Waaren erfeßt wurden. Die Frachteinnahme 
war 225367 Thlr. ohne jene Vergütung von 31090 Thlr. Die ganze 
Ausgabe war alio 256457 Thlr., wovon die Entrichtung an bie 
MRheinzollcaſſe 23,4 Proc. hinwegnahmen. Bei den neueren Berhands 
Iungen ift die völlige Beleitigung des Mheinzolles nicht gelungen, 
jedoch durch Vertrag v. 12. Decemb. 1860 eine Herabfigung für bie 
Strede von ber Lauter bis Emmerih zu Stande gefommen. Der 
ganze Zoll, welcher von nun an dem bisherigen '/s Zoll gleich fteht, 
beträgt zu Berg Wie & Thal auf diefer Strede nur 20,59 Gent. — 
5%, ir. — Auf der Elbe wurde 1843 die Schiffsgebühr aufgehoben. 


18* 


* 


— 26 — 


Der Elbzoll nad dem Tarif von 1845 war 1 Thlr. 3 Ser. 11 Bf. 
f. d. Gentner, Defterreich hat aber 1850 feinen Elbzoll (2 Sr. t $f.) 
aufgehoben, Preußen und Sachſen haben ihre Zollläße für Durchgange⸗ 
giiter um 1/3 herabgeſetzt, dennoch bleibt ein läftiger Zoll, zu deflen 
efeitigung die Binwi igung aller Uferftaaten nody nicht zu erlangen 
war. — Der Mainzoll zu Berg und Thal war feit 1846 bei allen 
5 Stellen zufammen 6°. fr., er ift feit 1861 11a fr., bei gewiſſen 
Waaren nur 1 &. (1 Pfennig) und fällt bei anderen Waaren von 
niedrigem Preife ganz Binweg. — Der Nedarzoll (bloß von Baden 
erhoben) war 6 fr. zu Berg, A fr. zu Thal, wurde fpäter ermäßigt 
und für beite Richtungen der Fahrt auf 1 fr. v. Gentner berabgefeht, 
bad. B. v. 20. Febr. 1861. — Der bad. Bafleuoll auf dem Ober: 
thein an der Schweizergränge von Conſtanz bis Bafel wurde bei der 
— der Gifenbahn auf dieſer Strecke gaͤnzlich aufgehoben, 
unit 1863. 


(e) Gewifle Waaren von niedrigem Preife geben nur Theile des Zollſatzes, 
. B. auf dem Rhein gaben !/s des Tarifes: Afche, behauene Steine, 
Eohrinde, Getreide, Mehl, Gußeifen, all, Bed, Theer ac.; No deb 


Tarifs; Brennholz, Steinfohlen, Gips, Grze, Töpfertvaaren_sc.; für 


Erde, Stroh, Heu, Dünger sc. wird nur foviel, als die Echiffögebühr 
beträgt, entridtet. Auf der Elbe geht die Brmäßigung bis auf a 
des allgemeinen Satzes. — Mainzoll: %Ys zahlen Gifen, Hanf und 
Flachs, Getreide, Lumpen, Beh, Salz, Steine sc., '/so Brennholz, 
Erze, Torf, gemeine Töpferwaare, gebrannter Kalf und Gips ıc. 


(f) Wenn die Stromlänge in mehrere einzelne Streden getheilt wird, fo 
fann ohne Schwierigfeit in jeder der Zoll nach der Uferlänge vertheilt 
werden, nur nicht für den Stromlauf im Ganzen. Der Vertrag von 
1804 ordnete für die Rheinzoͤlle eine gemeinfchaftlihe Grhebung an. 
Mad, der Acte von 1815, fo wie auf der Elbe gefchieht bie Erhebung 
durch Aemter, die von den einzelnen Regierungen angeordnet find, wit 
einem beflimmten Berhältniß der Bertheilung. 


$. 272. [282.] 


ALS Mittel zur Beförderung der Schifffahrt find 
anzuführen: 

1) Maaßregeln zu Gunften der Dampfichifffahrt, welche für 
ben Perſonen⸗ und Waarenverfehr der Segelſchifffahrt in Ge 
fhwindigfeit und Puͤnctlichkeit fo fehr überlegen if, daß fie 
diefelbe mehr und mehr verdrängt (a). Sie erfordert wegen der 
Koftbarkeit der Schiffe und der Vorzüge regelmäßiger, oft wieder 
holter Fahrten mehrer Dampfſchiffe den Betrieb durch Actiengefell- 
haften mit anfehnlichem Capitale, welche daher einer Ge— 
nehmigung und Auffiht von Seite des Staates bedürfen (b), 
auch ſind zur Verhütung von Gefahren für Perfonen und 
Eigenthum fehugpolizeiliche Anordnungen nothwendig. Anfaͤng⸗ 
ih hat man es dienlich gefunden, ihnen, ungefähr nach ben 
für Erfindungspatente geltenden Grunbfägen ($. 203), ein 








— 27 — 


Privilegium auf beftinnmte Zeitzu bewilligen (ce). Auf Gewäffern, 
die in dem Gebiete mehrerer Staaten fchiffbar find, muß jedoch 
bie gegenfeitige Zulaffung fremder Dampfboote ausbedungen 
werben. Daß ein Theil ber Segelfchiffer durd die Dampffahr- 
zeuge um ihre Beichäftigung gebracht wird, ift nicht zu vermeiden, 
aber diefer ohnehin vorübergehende Nachtheil hat ſich glüdlicher 

Weiſe geringer gezeigt, ald man beforgte, weil die Dampf: 

Schifffahrt dem Verkehre eine unerwartete Regfamkeit giebt, bie 

mehr Arbeiter in Thätigfeit ſetzt (d). 

2) Herftelung des freien Mitwerbens unter ben inländifchen 
Schiffen, ohne daß eine Bilde oder ein Ort ıc. befonbere 
Vorrechte genoͤſſe. Hiedurch ift jedoch nicht ausgefchloflen, daß 
man von einem Schiffer den Nachweis einer gewiffen Gefchid: 
fichfeit und Kenntniß bed Stromes verlangt (8. 269) und 
folglich Niemand die Führung eines Schiffes übernehmen barf, 
ohne die Zulaffung (Schifferpatent) erhalten zu haben. 

3) Schifffahrtsſchulen, worin Diejenigen, welche Steuer: 
männer oder Schiffscapitäne auf Seefchiffen werben wollen, 
bie nöthigen wiſſenſchaftlichen, vorzüglich mathematifchen und 
geographifchen Kenntnifle erhalten. 

4) Die Handelsfchifffahrt eines Volkes auf den Meere bes 
darf eines Schutzes von Kriegsfchiffen gegen Seeraub, feindliche 
Angriffe oder Bebrüdungen in andern Laͤndern, III, $. 73. Es 
muß daher eine hinreichende Anzahl von bewaffneten Bahrzeugen 
gerüftet erhalten werben, um theil® durch Begleitung (Eonvoi), 
theils durch Aufftelung in ben häufig befahrenen Meeren ben 
Hanbelsichiffen ihrer Flage beizuftehen (e). 

(a) Die zeitige Ankunft der Waaren ift in vielen Faͤllen von großem 
Nupen. Seit der Ginführung der Dampfichiffe kommen in theuren 
Jahren die Getreidegufuhren von überleeifhen Ländern viel fchneller in 
das Innere der Länder. Einem türfifhen Kaufmann verfaulte eine 
aanze Schiffsladung von Drangen auf dem Wege von Smyrna nad 


Konftantinopel während einer Windſtille, Griſebach, Reife durch 
Aumelien, I, 183. 


(8) Die befonderen den Dampfichifffahrtögefelichaften auferlegten Bedin⸗ 
gungen beziehen fi insgemein auf die Anzeige, welche fie von allen 
erträgen mit anderen Regierungen vor dem völligen Abichluffe zu ers 
ftatten Haben, auf die den inländifchen Schiffern zu machende Anerbie- 
tung von Actien u. dgl. — Merfwürbig iſt die Rührigfeit des öfter: 
reihifchen Lloyd in Trieft, einer Sefelifcaft für Seeverfiherungen und 
Dampfihifffahrt auf dem Mittelmeere. Sie Hatte fhon 1856 68 Dam: 

pfer und 94 Schleppfchiffe im Gang. Ihr Nctiencapital ift auf 20 





— 280 — 


angewendet wurden. Zu dem volkswirthſchaftlichen Zwecke ges 
ſellte fich eine andere Staatsrüdficht, die Erwaͤgung bed Nugend, 
den eine bluͤhende Handelsſchifffahrt fuͤr die Kriegsſeemacht ge⸗ 
währt, indem fie zahlreiche und geübte Seeleute befchäftigt, welche 
noͤthigenfalls in den Dienft auf Kriegsfahrzeugen gezogen werben 
fönnen, und indem fie auch bie Vermehrung ber leßteren er: 
leichtert. Jene Geſetze find deßhalb lange ald unentbehrlich für 
die Seemacht eined Staated angefehen worden. In Hinfidt 
auf den Berfehr ift aber zu beforgen, daß die Ausfchließung 
oder größere Abgabenbelaftung ber fremden Schiffe ſowohl für 
den Abfab der Landeserzeugniffe als für den Einkauf fremder 
Waaren nachtheilig werde, weil die Kaufleute in der Wahl der 
wohlfeilftien und bequemften Berfendungsart befchränft werben, 
während das Einlaufen ausländifcher Schiffe zu manchen neuen 
Handelöverbindungen Belegenheit giebt. Hiezu kommt, baß der 
aud ſolchen Anordnungen zu erwartende Rugen durch Ers 
widerung berfelben (Retorfion) in andern Staaten fehr ge 
fchmälert wurde, weshalb man häufig durch Staatöverträge bie 
Strenge jener Geſetze gegenfeitig gemildert hat, $. 308. Die 
Aufhebung derſelben ift bem Verfehre mit dem Auslande im 
Allgemeinen zuträglid, indem fie allgemeines Mitwerben ber 
Schiffe, alfo wohlfeile, fchnelle und leichte Verſendung bewirkt. 
Die eigene Schifffahrt des Landes leidet auch hiebei nicht noth- 
wendig. Wenn andere Länder in der Wohlfeilheit des Sciff- 
bauholzes und des Arbeitslohnes Borzüge befigen, fo kann 
dagegen burdy größere Kunft im Schiffbau und in der Stew 
rung dad Mitwerben wieder auf gleichen Buß geftellt werben (d). 

6) Die Gefahr von Unglüdsfällen ift die Schattenfeite der 
Schifffahrt neben den großen Bortheilen derfelben. Zur Ber: 
minderung diefer Gefahr dienen außer der größeren Gefchidlid- 
feit bes Scifföperfonald und ber befleren Bauart der Schiffe 
verfchiedene polizeiliche Maaßregeln (e). Ein höhft wohlthätige® 
Mittel, die Reder und Waarenverfender vor großen Berluften 
zu bewahren, befteht in den Seeverficherungen(f), welde 
von Geſellſchaften (9) auf Prämien gegeben werden. Das 
Mitwerben der Berficherungsgefellfchaften ftellt von felbft die 
Prämien fo niedrig, als es die Größe der übernommenen Ge 
fahr geftattet (A). Die Regierung bat hiebei nur bie bei ber 


— 2831 — 


Errihtung von Actiengefellfchaften überhaupt vorfommenbe Auf 
fiht anzuwenden. Die zahlreichen Rechtöftreitigfeiten, zu denen 
bie Seeverficherungen Anlaß geben, machen «8 nöthig der Auf 
ftellung zwedmäßiger Beitimmungen über die Rechtöverhältnifie 
bei Berfiherungen große Sorgfalt zu widmen. 


(a) Zuerf 1384 von Richard II. Am berühmteften die hauptſächlich gegen 


(8) 


(e) 


(4) 


die Holländer gerichtete Navigationsacte Erommwell’s von 
1651, fpäter von Karl IL. beftätigt und erweitert (1660). Nach ders 
felben durften die Erzeugnifle eines jeden Landes nur auf defien eigenen 
oder britifchen Shifen nad Großbritanien oder deflen Colonieen ge- 
führt werben. 


Seit 1814 in Frankreich. Der Einfuhrzoll ift noch jebt Höher, wenn 
bie Waaren nicht auf franzöfiihen Schiffen ankommen, und biefer 
Differenzialgoll wird im brit.-franzöf. Handelsvertrag v. 23. Ian. 1860 
Art. 3 ausdrüdlich als fortbeftehend anerkannt. In britiid Dflindien 
(Gef. 21. Mai 1845) zahlen nicht britiſche Waaren in brit. Schiffen 
10, in fremden Schiffen 20 Proc Ginfuhrzell. — Nah dem rufflichen 
Geſ. 19. Zuli 1845 iſt der Ginfuhrzoll bei der Ankunft auf fremden 
Schiffen 50 Pr. höher, ausgenommen Schiffe folder Länder, in denen 
bie ruſſiſche Flagge der einheimifchen gleich behandelt wird. 


Das britiſche Schifffahrtögefeb von 1834 (3 u. A Will, IV. c. 54) 
nennt in Art. 2 eine Anzahl wichtiger Waaren (die og. enumerated 
goods, Getreide, Del, Bauholz, Tabak, Wein, Wolle, Flachs, Hanf ıc.), 
die nur in britifchen oder in Schiffen des Erzeugungs- oder des eins 
führenden Landes nach Großbritanien gebracht werden durften. Er⸗ 
zeugnifle von Afla, Africa und America durfte man nicht aus einem 
europ. Lande, und nicht auf anderen Schiffen ale des Productions: 
landes einführen (Art. 3. 4), die Einfuhr von den Inſeln Jerſey, 
Buernfey, Alderney, Sarf und Man ift nur in brit. Schiffen erlaubt, 
ebenfo der ganze Küflenhandel zwifchen brit. Orten und die Ausfuhr 
nad brit. Befigungen. Gin Schiff gilt für britiih, wenn es gehörig 
regiſtrirt ift (meuefte registry act, 3 u. 4 Will IV. c. 55), einen brit. 
Unterthanen zum Gapitän (master) hat und wenigftens zu %/s mit bri⸗ 
tifchen Seeleuten bemannt if (in Cromwell's Acte %); Clement’s 
Customs guide for 1836 u. 1837, ©. 18, und Mac:Gullod, I, 
609. Das Gef. 4. Aug. 1845 (8. 9. Viet. c. 88) erlaubt, die enu- 
mersted goods auch auf Schiffen des Landes einzuführen, in welchem 
fie fih befinden, wenn fle auch nicht dort erzeugt find. 


Großbritanien hat fich neuerlich zur Milderung der Schifffahrtsgeſetze 
enöthiget gefehen, wegen ber in anderen Ländern angewendeten Retor⸗ 
onen, hauptfächlich wegen ber preuß. Cabinets-⸗O. v. 20. Juni 1822, 

nad welcher Schiffe folcher Länder, in denen preußiiche Schiffe nicht 

ben inländiihen oder den Fahrzeugen ber am meiften begünftigten 

Nationen gleihbehandelt werben, ein erhöhtes Hafengeld von 1 und 

2 Thle. für die La vom Auss und Eingang entrichten mußten. Den 

nordamericanifchen Yreiftaaten mußte ſchon 1815 einige Gegenfeitigfeit 

bewilligt werden. Das Gef. vom 24. Juni 1822 (3. Ge, III. c. 43) 

geftattet, Daß europäifche PBrobucte aus jedem Lande und auf Fahrzeu⸗ 
en jeder Flagge nach Großbritanien gebracht werden duͤrfen. Später⸗ 

Din wurden durch Verträge mehrerer Staaten die Begünftigungen ber 

einheimifhen Schifffahrt und des Activhandels aufgehoben, $. 308. 

©o verordnet 3. B. der Sandelsvertrag zwiſchen Frankreich und Groß⸗ 








— 


— 232 — 


britanien v. 1826, daß die Schiffe des einen Volkes in dem anderen 
Lande feine höheren Tonnen=, Hafens, Leuchtthurmgelder ıc. bezablen, 
als die einheimifchen (Mrt. 1. 2), und daß die unter britifcher Flagge 
in Frankreich eingeführten englifchen Waaren feinen höheren Zoll geben, 
als wenn fie unter franzöfticher Ylagge ankamen (Art. 3). In Groß 
britanien wurden alle Borrechte der einheimifchen Schiffe mit Ausnahme 
der Küftenfhifffahrt und des Berfchre deiiäsen den brit. Befisumgen 
in Afta, Africa und America, dur Gef. 26. Juni 1849 (12. 13. 
Viet. 0. 29) vom Anfang 1850 an aufgehoben und auch der Küſten⸗ 
handel fpäter freigegeben, doc mit der Befugniß, Beſchraͤnkungen, bie 
in anderen Ländern beftehen, zu erwidern, Gef. 23. März 1854 = 
17. Viet. c. 5). _ Jene Manfregel von 1849 wurde in Norbamerica 
raſch nachgeahmt, fo daß auch hier die Freiheit der fremden Schifffahrt 
im Sahre 1850 eintrat. Auch Niederland folgte im nämlichen Jahre 
nad. Nach dem preuß. Gef. 5. Febr. 1855 darf die Küftenfrachtfahrt 
den Schiffen folcher Länder geftattet werden, in benen bie nämlide 
Zufaffung befteht, was alfo bei britifchen und niederländifchen gefchehen 
ift. — Die britifchen Schiffsherren (Meder) Hatten bei der allmäligen 
Entfernung der Schifffahrtsaefege große Befuͤrchtungen, vorzüglich 
wegen des koſtbareren Sciffsbaues in Grofbritanien. Man nahm 
1847 an, daß für ein Schiff von 500 Tonnen mit Kupferbeſchlag der 
Bau auf die T. in Großbritanien 17, in Rordamerica und Niederland 
14, Frankreich 13,5, Dänemark und Norwegen 12, den Hanfeflädten 
und Schweden 11, Preußen 8,5 2. St. koſte. In Norwegen und den 
Oftfeeländern find die Schiffe zwar ebenfalls mwohlfeiler, aber megen 
des weichen Holzes auch von geringer Dauer. Die Engländer fegeln 
um foviel fchneller, daß ein seh viermal nad Oſtindien geben fann, 
bis ein dänifches, franzöftiches ıc. 3 Reifen dahin macht. Vgl. Quar- 
terly Beview, July 1823. Art. VII. — Edinb. Review, March 1827, 
©. 446. — Die Erfahrung hat jedoch ergeben , daß, wenn gleich ter 
Ginlauf fremder Schiffe in den britifchen Häfen flärfer anwuchs, tod 
auch die britifhe Schifffahrt noch zunahm und alfo bei dem freien 
Mitwerben nicht litt. Die fämmtlichen Seeichiffe von Großbritanien 
und Irland betrugen 


—— 


1850 








| Segelſchiffe | Tonnen Dampyfſchiffe | Tonnen 


— ——— 


24799. 3-396791 15 | 17308 


1855 24 274 2'968 699 1674 380 693 
1861 25 905 4°300 518 2133 506 308 














und zwar im leßteren Jahre 9866 Segelichiffe unter 50 Tonnen mit 
301 885 T., 16039 über 50 %. mit 3°998633 T. (durchſchnittlich 
249 T.), Mit Einihluß der auswärtigen Befigungen beliefen fid tie 
fämmtlihen Sandelsihiffe des brit. Reichs auf 36958 mit 5°606 4967. 
In folgenden Zahlen ift der Cinlauf von Seeſchiffen aus fremden 
Häfen (alfo mit Ausnahme des Küftenhandele) und mit Ausnahme 
der leer (in Ballaft) ankommenden Schiffe aufgeführt. Der Auss 
lauf britifher Schiffe war bis 1851 beträchtlich ſchwaͤcher, weil ein 
—* derſelben unbeladen abgehen mußte, um Ginfuhrgegenſtaͤnde ab: 
zuholen. 


— 238 — 














Britiſche Schiffe Fremde Schiffe Die fremden 

| Zonnen be 

Zahl | Lommm || Baht | Tonnen | tragm Proc. 
D. 1847—49 | 19070 | 4216582 10335 | 1697678 28 
50—55 | 19669 | 4648859 15658 | 2'991 515 39 
Jahr 1561 | 29907 | 7721035 25356 | 5458554 al 




















In der Kuͤſtenſchifffahrt if die Theilnahme der Fremden ganz gering. 
Es liefen bei derfelben ein im D. 9 
1854—56 12791 britifhe Sch. mit 12°497 783 T. 
311 fremde = ⸗ 143785 = 
1859—61 152155 britiihe = = 16874510 ⸗ 
546 fremde ⸗ ⸗ 89304 ⸗ 


wobei mehrere Fahrten eines Schiffes mehrfach gezählt find. — Ueber 
bie frühere englifhe Befeggebung und die Berfchiedenheit ber Meinun: 
gen ift Ichrreih Afher, Aus den Berbhandl. der Specialcommiffion 
des Parlaments über die Navigationsacte, Berlin 1848. — In Deutſch⸗ 
land fam neuerlid ein Differentialzoll zu Gunften der einheimifchen 
Schifffahrt in lebhafte Anregung. Dazu gaben Anträge auf dem preuß. 
Landtage von 1847 Anlaß. 86 wurde der Borfchlag eines allgemeinen 
deutfchen Handels⸗ und Schifffahrtsbundes emacht. Da viele Gin 
fuhrgegenftände aus niederländifchen und belgiichen Häfen nach Deutſch⸗ 
land fommen, jo hätte in diefen Vorländern die Flagge, unter welcher 
fie in den Häfen eintreffen, nachgewiefen werden müflen. Das erwähnte 
rit. Gef. v. 1849 und defien Nachahmung in anderen Ländern Rellten 
jedoch die gerünfäte, @egenfeitigkeit ber und machten weitere Maaß⸗ 
regeln unnöthig. ©. 3. B. Dudwig, Der beutiche Handels- und 
Schifffahrtsbund, Bremen 1847. 2. Ausg. 1848. — Bertheidigung 
des für den Zollverein in Vorſchlag gebrachten Differentialzollgefeßes, 
Berlin 1848. — Schneer, GentralsArhiv für das deutfche Gewerbe⸗, 
Handels» und Finanzweſen. L Jena 1848. (Schäßbare Sanımlun 

von Actenftüden für und wider.) — Dönniges, Die beutfche a ⸗ 
fahrtsacte und die Differential⸗Zollfrage. Berl. 1848. — Der Schiff⸗ 
fabrtövertrag zwifchen Preußen (für den Zollverein) und Frankreich 
v. 2. Aug. 1862 beſtimmt die Gleichheit der Schifffahrtsabgaben (aber 
nicht der Differentialzölle, f. (8)) der beiderfeitigen Schiffe in den 
Häfen beiter Gebiete, nur mit einer Ausnahme. ie Zollvereinsftaa- 
ten erheben noch‘ ein Tonnengeld von ihren eigenen Schiffen, Frankreich 
nicht. So lange nun jene Ginrihtung dauert, wird Frankreich von 
den Schiffen des Zollvereins für Bins und Auslauf zufammen ein 
Zonnengeld von 1 Fr. auf die Tonne erheben, Art. 1.; die Reber 
des Zollvereins ftehen folglich im Nachtheil. 


(e) In alten Zeiten befland der Unfug bes Strandrechts. — Stranborb- 
nungen, 3. B. oldenburgifche v. 25. Mai 1775 (Bergelohn wird nad 
ben Umfländen beflimmt), dänifche vom 30. Dec. 1803 (Bergelohn 
nah 6. 37 /5— /3 oder noch weniger von dem Preife der geborgenen 
Sit) beide in v. Berg, Handbud, V, 211. 220. Preuß. 3. v. 

31. Dec. 1801 für Weflpreußen (Bergelohn außer tem Koftenerfaß 

hödftene !/s nad $. 7), in v. d. Heyde, Repertor. I, 213. — 

Lootieneinrichtungen, Leuchtthürme, Bezeichnung der Untiefen u. dgl. — 

Neuerlich find vortrefflihe Rettungsanftalten an den Küften von Privats 

vereinen gegründet worden, vorzüglih in Sroßbritanien. 








— 1 — 


(f) Urfprung in Stalien, im 14. oder 15. Jahrhundert. Das ältefle vor: 

—5 Aſſecuranzgeſetz von 1435 aus Barcellona bezieht ſich auf noch 

ühere, Benecke, Syſtem des Aſſecuranz ⸗ und Bodmereiweſens. I, 10 

(2. Ausg. 1810). — Mittermaier, Grundſaͤtze, F. 303 ff. — 
Mac⸗Culloch, Handb. II, 885. 


(g) Bisweilen auch von einzelnen Capitaliſten. Gegenſeitige Verſicherung 
iſt hier unthunlich. 


() Die große Ausdehnung, welche in neuerer Zeit das Ger: Ber 
fiherungswelen erreicht Bat, beweift, wie nüglich daſſelbe für den in 
Schiffen betriebenen Verkehr if. In Hamburg war bie jährlich ver: 
fiherte Summe (Schiffe und Ladung) feit 1824 nicht mehr unter 
100, feit 1836 nicht unter 200 Millionen Marf Banco. Gie betrug 
m D. 


41—49 . . 280 Mill. M. 

46 —50... 301 = ⸗ 

BI—-55 ,„ . . 424 5 ⸗ 
1856—60 . . . 625 > ⸗ 


Die mittlere Prämie war im letzten Jahrzehent 1,97 Proc. Seit 1827 
at fie nur einmal (1848) 2 Proc. erreiht. In Bremen war bie ver 
herte Summe 


D. 18530—55. . . 36 Mil. Louisd. 
56 —61 . . 70 ⸗ ⸗ 


wobei der Louisd'or = 5 Thlr. Gold zu 5,49 Thlr. = 9,% fl. ſuͤdd. 
anzunehmen if. 70 Mil. 2. betragen alfo 384 Mill. The. = 
768 Mill. Mark B. Die preußifchen Seeverficherungen, meiſtens in 
Stettin, beliefen fih 1859 auf 44% Mil. Thlr. 

68 giebt auch Verſicherungen auf Strömen, wobei bie Gefahr 
fowie die Prämie viel niedriger if. Die Mainzer Rheinſchifffahrte⸗ 
Berfiherungsanftalt 3. B. Hatte 1859 eine Prämien - @innahme von 
153000 Thlr. bei mehr ald 33 Mill. verfichertem Werthe, was alle 
ungefähr 3,5 p. mille Prämie anzeigt. Auch Stettin, Welel, Köln, 
Berlin, Heilbronn, Frankfurt u. a. Städte haben Stromverfidherungen, 
welche mit Ginfchluß von Mainz 1859 über 30 Mill. Thlr. mit Pr 
mien von 3—3 p. m. verficherten. 


Zweiter Abſchuitt. 
Handelspflege 


. Einleitung. 
8. 273. 230) 


Die Handelspflege iſt die Befoͤrderung des Handels als des 
abgeſonderten Tauſchgewerbes (I. 8. 104, II, $. 229 a) (a). 
Die gemeinnüßigen Wirfungen bed Hanbels, b. i. fein mächtiger 








— 2383 — 


Einfluß auf bie Blüthe der bervorbringenden Gewerbe und bie 
durch ihn erleichterte Verforgung der Bürger mit den zum Ge 
brauche dienenden Sachgütern beftimmen fowohl die Richtung 
ald dad Maaß der anzumendenden Beförderungsmittel, nicht 
ber Gewinn ber Handelsleute, dem jedoch die Beförberungsinittel 
von felbft großentheild zu Gute fommen. Der Theil der Volks, 
wirthfchaftspolitif, welcher die Regeln der Hanbelöpflege ent: 
widelt, ift die Hanbelspolitif (5). Die Regierung hat, 
um den Handel in Aufnahme zu bringen ober ihn in feiner 
Blüthe zu erhalten, felten nöthig, Ermunterungen zu geben und 
auf die zwedmäßige Richtung der Handelögefchäfte einzuwirken, 
denn es fehlt den Handelnden gewöhnlich weder an Kenntniſſen 
und Erfahrung, noch an Eifer, um jede Gelegenheit zu eins 
träglichen Unternehmungen lebhaft zu ergreifen und vortheilhaft 
zu benugen. Ihre Thätigkeit ift ganz vorzüglich auf dieſes Ziel. 
hingewendet, weil fie Feine Veränderungen an ben Sachgütern 
vorzunehmen haben, vielmehr nur Ueberfluß und Bebürfniß 
derfelben auszugleichen und aus dem Unterſchiede der Einfaufs- 
und Berfaufspreife zu gewinnen fuchen. Die Umftände, welche 
hiezu Gelegenheit geben, find fehr veränderlic und zum Theile 
ſchwer zu erfennen, die Handelögefchäfte daher mandhfaltigem 
Wechſel unterworfen. Die Anfprüche der Kaufleute an den Staat 
find daher zunächft auf Freiheit von Befchränfungen und Hinder⸗ 
niſſen aller Art gerichtet, ſodann auf ſolche Hülfsmittel, für 
welche die Kräfte und Befugniſſe des Einzelnen unzureichend 
find und welche deßhalb den Beiftand der Staatögewalt erfordern, 
jo daß von diefer Seite die dem Handel zu widmende Regierungs- 
thätigfeit doch fehr beträchtlich ift und anfehnliche Mittel in 
Anfprud nimmt (c). 


(a) Während die Handelspflege unmittelbar den Zwed hat, den Erfolg ber 
Handelsunternehmungen zu befördern, beichäftigen fich auch die Rechts⸗ 
pflege (Juftiz) und —* mit dem Handel, aber zunaͤchſt in der Ab⸗ 
fiht, demſelben Sicherheit zu geben, welche mittelbar ebenfalls zur 
Berflärfung feines Grfolges und zur Ausdehnung feines Betriebes 
beiträgt. Bon Seite der Sußizvermaltung wird zuvoͤrderſt für 
genaue Beflimmungen über die privatrechtlichen ehältnife im Handel 
(Handelsrecht) geforgt, wozu, da die Nechtsgewohnheiten und flatu: - 
tarifchen Rechte nicht ausreichen, ein befonderes Handelsgeſetzbuch nöthig 
if. Diefes muß theils Zufäße zu dem gemeinen Rechte ih fogar 
Abweichungen von bemfelben enthalten, und die Zwedmäßigfeit ber 
gefehlihen Beflimmungen muß außer ten in Anwendung kommenden 





— 1 — 


(5) In der angef. V. v. 1801 wurde auch angeorbnet, daß ein Ausihuf 
von Kaufleuten und Fabrikherren bei einzelnen Beranlaflungen zu 
Berathung wichtiger Gegenſtaͤnde in Paris verfammelt werden Tell, 
conseil gönsral du commerce et des manufactures. Später wurden jmei 
getrennte Berfammlungen hieraus gebildet. Der oberfle Handelerath 
(ec. gön. du commerce) befteht aus 8 vom Minifterium ernannten Rit 

liedern u. aus den Abgeordneten der Handelskammern. — In Drutid- 
and trat 1861 der erfle allgemeine Handelstag aus Abgeordneten 
ber Handelsfammern in allen deutfchen Ländern in Heidelberg zufammen, 
ohne Mitwirkung der Regierungen; zweiter 1862 in Münden. 


8. 275. [232.] 


Der Handel in feinen 2 Hauptzweigen, Großs und Klein 
handel, war ehemald in vielen Rändern gleich den Handwerken 
ein zünftiges Gewerbe, doc) fand ein Theil bed Zunftzwanged 
auf ihn feine Anwendung, es wurde bei dem Beginn eined 
Geſchaͤftes nur eine gewiffe Lehrzeit, hie und da auch eine bes 
flimmte Zeit, in der der angehende Kaufmann als Gehülfe gearbeitet 
haben mußte, und eine Prüfung in den nöthigen Kenntniffen 
geforbert (a). Das Gebot, daß jeder Kaufmann an einer Zunft 
(Innung) theilnehmen müffe, ift offenbar ganz unnöthig. Die 
Gründe, aus denen neuerlich in vielen Staaten bie Betreibung 
ber Handwerfe frei gegeben worden ift, laflen ſich auch auf den 
Handel anwenden und es find baher in ben neueren Gewerbe 
gefegen auch die erwähnten Bedingungen hinmeggefallen, an 
welche bie Erlaubnig zur Eröffnung eines faufmännifchen Ge 
fchäftes gefnüpft war, fo baß eine bloße Anmeldung und eine 
Eintragung in das Handelsregiſter (d) zureicht. Cine Trennung 
mehrerer einzelner Zweige des Waarenhandeld, fo daß für jeden 
eine befondere Berechtigung ertheilt wird, ift nicht zmedmäßig, 
weil ed unbedenklich den Unternehmern überlafien werden kam, 
mit welchen Waaren ſie handeln wollen, weil der Umfang ber 
Gegenftände, in welchen man mit Bortheil Gefchäfte machen 
fann, von örtlichen und perfönlichen Umfländen abhängt und bie 
Theilung ber Handelszweige von ſelbſt da fortfchreitet, wo biele 
in ihrer Abfonderung für die Unternehmer und ihr Capital Be 
Ihäftigung genug barbieten, auch oft ber Uebergang zu anderen 
Gegenftänden Vortheil bringt. 

(«) Dahin gehörte vorzüglich ber Nachweis her Bähigfeit, — 


Handelsbücher, z. Code de commereo, Art. 8— 11 
oder die fehlerhafte Befchaffenheit der vorgefchriebenen Handelsbuͤcher 











— 289 — 


Deutfches Handelsrecht F. 28— 36) ſetzt den Kaufmann fo fehr in 

efahr, Schaden zu leiden oder auch im Falle einer Bergantung (Bon: 
curs) ftraffällig zu werben, daß derfelbe das Bebürfniß einer Kenntniß 
der Taufmännilchen Buchführung felbft empfinden muß. Die in dieſem 
Geſetze ausgefprochene Berpflihtung zur Führung ſolcher Bücher ifl 
mit feiner Strafandrohung verbunden und zunähft ale warnende Bes 
lehrung anzufehen. 


(5) Dieß Regifter wird bei jedem Handelsgericht geführt, die Bintragungen 
werben in öffentlichen Blättern befannt gemacht, auch die gewählte 
Firma. D. Handels. 5. 12 ff. — Ueber die befonderen Rüdfichten 
ge zu Gribeilung ber Bonceffion zum Kram⸗ und Haufichandel fiche 


$. 276. [233.] 


In früheren Zeiten fuchte man öfterd einen Handelszweig 
dadurch in Aufnahme zu bringen, daB man Einzelnen das 
ausſchließliche Recht zu deſſen Betreibung (Monopol) zus 
theilte. Da jedoch folche Monopole das aus dem Mitwerben 
hervorgehende Streben nad) der wohlfeilften und beften Ber- 
forgung der Käufer lähmen und vielmehr den Berechtigten 
Gelegenheit geben, fidy auf Koften der Zehrer zu bereichern, da 
fie andere Bürger von einem Gefchäfte abhalten, welches von 
ihnen zu größerer Ausdehnung und Gemeinnuͤtzigkeit gebradht 
werden Fönnte, enblidy die Erzeuger im Abfage ihrer Producte 
auf läflige Weile bejchränfen, fo ift die DVerwerflichfeit dieſes 
Mittels einleuchtend und neuerlich auch allgemein anerfannt (a). 
Am drüdendften werben bie Monopole, wenn die Regierung felbft 
fich diefelben beilegt und fie mit allen ihr zu Gebote ſtehenden 
Mitteln ohne Rüdficht auf die Volkswirthfchaft bloß zur Ers 
langung des größten Reinertrages für die Staatscaſſe betreibt (db). 
Solche Staatömonopole gehören zu den Yinanzregalien unb 
es ift eine Aufgabe der Finanzwiſſenſchaft zu unterfuchen, ob 
und unter welchen Bedingungen fie zuläfftg feien, III. 8.167.168. 


(a) Monopol der Weinhandelsgefellihaft zu Borto, feit 1755, Mac: 
Culloch, Handb. U, 972. — Schwefelmonopol einer franzdi. Han: 
delsgeſellſchaft in GSicilien, 1838, im 3. 1840 auf die Beſchwerde von 
Großbritanien aufgehoben gegen Entſchaͤdigung. 


(5) Monopol der bänifchen Regierung für den Handel der Warder mit 
dem Muslande, Marmier in Revue des deux mondes, XX, 61 
(Octob. 1839). 

Ran, polit. Oeton. II. 2. Abth. 5. Ausg. 19 





5. 277. [234.] 


Große Handeldgefellihaften (öffentlihe Han: 
dbeldcompagnieen), durch die man einen Zweig des Handels, 
hauptfächlich nach entfernten Ländern, emporzuheben beabfichtigte, 
wurden nad) dem Beifpiele der holländifch = oftindifchen Com: 
pagnie (geftiftet 1602) im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderis 
in vielen Staaten gegründet und von den Regierungen auf 
manchfache Weife begünftigt (a). Allerdings bat eine Geſell⸗ 
fchaft, die mit großem Gapitale den Handel betreibt, vor den 
Einzelnen darin erhebliche Bortheile, daß fie Verluſte leichter 
ertragen, einen langfamen Erſatz der Auslagen fidy gefallen laſſen, 
foftbarere Anftalten zur Sicherung bed Erfolges treffen, die 
Berfendung wohlfeiler bewirken kann u. dgl. Daher wurden 
manche Handelögefchäfte, mit denen einzelne Kaufleute ſich nit 
wohl befafien konnten, von ſolchen Geſellſchaften ohne Schwierig: 
feit in Gang gebradt. Aus foldhen Erfahrungen entftand eine 
Vorliebe für die großen Compagnien (d), bie man allzufreigebig 
mit Privilegien ausftattete. 

(a) Sie gehören nah dem neueren Hantelsrecht zu ten anonymen Ge— 
fellichaften, weil ihre Geichäftsname (firma) nicht von einzelnen Per: 
fonen bergenommen if, $. 286 (4). 6. 291 0. — Büfch, Ueber bie 
öffentlihen Handelscompagnien, 1785, in defien fämmtlichen Echriften, 


XIV, 263 ter Wiener Ausgabe. — Simonde, Rich. commere. II, 
299. — Allgem. Encyklop., Art. Handelögelellfhaft, von Rau. 


(3) Selbft bedeutende Geldſummen wurden bisweilen von den Regierungen 
aufgeopfert, $. 279 (a) 5. 


8. 278, [235.] 


Die Vorrechte der Handelögefellfchaften flammen aus einer 
Zeit her, wo man nod) wenig an große Actienunternehmungen 
gewöhnt war, wo ber Unternehmungsgeift fchwächer, bie Kennt 
niß anderer Länder mangelhaft war und bie Handelsgeſchaͤfte 
in weite Enfernung mit mehr Gefahren verbunden waren. 
Bei den heutigen VBerhältnifien find fie aus folgenden Gründen 
zu mißbilligen: Wenn die Vortheile, die eine Geſellſchaft fhon 
zufolge ihres großen Capitales in dem Betriebe einer gewiflen 
Art von Unternehmungen erwarten fann ($. 277), die Capi⸗ 
taliften nicht hinreichend zur Theilnahme ermuntern, fo muß 
man annehmen, daß bie beabfichtigten Handelsgeſchaͤfte für das 


— 291 — 


Gewerbeweſen des Landes noch nicht nuͤtzlich genug find und 
baß es für die Capitale einträglichere Anwendungen giebt. Es 
it daher nicht zweckmäͤßig, mit Hülfe von befonderen Vorrechten 
einen Erfolg zu bewirken, der bie Kräfte von ihrer natürlichen 
Richtung ablenft; es wird dabei den Staatöbürgern eine größere 
Aufopferung auferlegt, ald es zur Erreichung ihrer Tauſchzwecke 
nöthig gewefen wäre, und das Volkseinkommen wird verringert, 
indem der begünftigte Handelszweig nicht fo günftig auf bie 
Production wirft, als es bie anderen zurüdgejegten thun würden, 
vgl. I, 8. 105. 163. 


8. 279. [236.] 


Der Befig eines Monopoled gereicht überbieß Teicht ber 
Geſellſchaft felbft, die es befigt, zum Schaben, weil er ein über 
mäßiged Vertrauen auf feine Wirkungen erzeugt und dadurch 
zu Nachläffigfeit verleitet. Einer großen Geſellſchaft, welche 
ihre Gefchäftsführer (Agenten) und Niederlagen an mehreren 
entlegenen Plätzen bat und ihre Waarenfendungen einzelnen 
begleitenden Bedienten anvertrauen muß, wirb es fehr ſchwer, 
Rrenge Aufficht zu führen. Der gute Erfolg ber Gefchäfte hängt 
bauptfächlih von der Gerwifienhaftigfeit und dem Fleiß ber 
Dedienfteten, von der Thätigkeit der Vorſteher und ber Ges 
nauigfeit der Ueberwachung ab. Faͤllt nun zu Folge eines Mo⸗ 
nopols der rege Eifer hinweg, welcher fonft aus dem Mitwerben 
Vieler hervorgeht, fo gefchieht es leicht, daß Schlaffheit und 
Selöftfucht in der Verwaltung überhandnehmen, die’ Beamten 
mehr auf ihre Bereicherung, ald auf den Nuten der Gefellfchaft 
ſehen, Berlufte aus Nachläffigfeit oder Untreue entfiehen, Schulden 
gemacht werben und der Vermögendftand fi mehr und meht 
verſchlechtert. Viele Geſellſchaften, wenn fie auch unter günftigen 
Umſtaͤnden eine Zeit lang anfehnliche Gewinnſte abwarfen, haben 
dieſem Schickſale nicht entgehen können, find in Schulden und 
Verfall gerathen und früher ober fpäter aufgelöft worden (a). 
(e) Erläuterungen aus der Geſchichte einiger Handelsgefellfchaften. 

1. Der bolländifce Seefahrer Gornelius Houtmann wurde 1595 
von einer Privatgefellihaft (Compagnie von Veere) nah Oſtindien 
gefenbet, defien Erzeugniffe bisher bloß durch die Portugiefen nad 

uropa gebracht worden waren. Diefe Reife erregte wenigftens viele 


Hoffnungen, und bald folgten andere Unternehmungen nadı, fo daß in 
19 ® 


— 2% — 


den naͤchſten 6 Jahren 84 Schiffe von verfchiebenen hollaͤndiſchen Ge⸗ 
fellfchaften dahin geſchickt wurden. Da das große Mitwerben derſelben 
die Preiſe der oſtindiſchen Waaren erhöhte und die Gewinnſte ſchmaͤ⸗ 
lerte, fo wurde 1602 die „allgemeine holländiſch-oſtindiſche 
Handelsgefellfhaft“ geftiftet und die früheren Geſellſchaften 
wurden ihr einverleibt. Sie erhielt das Monopol des vflindiichen Han: 
dels, die Befugniß, militäriihe Unternehmungen und diplomatiiche 
Verhandlungen in Oftindien zu führen, und die Bewilligung geringer 
Ginfuhrzölle für die oftindiihen Waaren , alles anfangs auf 21 Jahre 
(Privil. v. 20. März 1602). Ihr Capital betrug gegen 6%, Mil, d., 
in 2153 NActien; jede Erneuerung der Privilegien mußte bei der Re 
gierung mit einer anfehnlichen Geldſamme ausgewirft werden. Die 

toberung der portugiefifhen Niederlaffungen und Fahrzeuge (über 
300, Raynal, LI, 246) und das natürliche Monopol des Gewüuͤrz⸗ 
handele gaben anfangs hohe Gewinnfte, Lie in den erften 21 Jahren 
zulammen 425 Proc. des Capitals betrugen. Die Dividende von 1606 
war 75, die von 1616 war 62',g Procent! Indeß fanden folde Aut: 
theilungen nicht jedes Jahr flatt und die mittlere Dividende bis 1646 
fol nur 20 Proc. geweien fein (Raspeyres ©. 68). Bon 1602 
bis 1648 beliefen ſich fämmtliche Austheilungen auf 63°537510 A. 
von 1694 — 1720 auf 105°040000 fil. Die Actien waren im leßteren 
Sahre auf 1250 Procent geftiegen. — Gründung von Batavia (1621), 
Eroberung der Moluden, Fehfegung auf Eeylon (um 1641), Binnahme 
von Malada (1641). — Mittel, den Gewinn zu vermehren; Gewür 
nelfenbäume nur auf Amboina geduldet, Vorräthe verbrannt, um kit 
Preife zu erhöhen. Zeichen des Berfalle, feit 1720, mehr von de 
Schlaffpeit der Apminiftration und der Habſucht der Angeftellten, als 
von Äußeren Greignifien verurfadht. Bis 1650 war die Sittenftrenyt 
fo groß gewefen, daß fein Einzelner in Oftindien fich bereichert hatte. 
Die Dividende war 1715 — 20 jährlih 40, 1721 noch 3315 Procent, 
1749—52 zum legtenmale 25 Broc., 1771-79 nur 12%/2. 1715 ward 
das Vermögen der Compagnie in Oftindien nad Abzug der 36 Kill. 
oftind. und europ. Schulden auf 56 Mill. fl. gefchägt, worunter aber 
10 Mil. fl. unfichere Forderungen, ferner —28 Munition x. be⸗ 
griffen waren. Die Uebermacht Englands drüdte ten Gewinn immer 
mehr herunter. 1794 betrugen die Schulden 112 Mill. fl., und der 
Nevolutionsfrieg beichleunigte den Untergang, der am 16. Oct. 17% 
ausgefprochen werben mußte. Savary, Dietiounsire universel de 
commerce, IV, 1127 (®enfer Ausg. v. 1750). — Baynal, Histoire 
philos. et polit. des etablissements et du comm. des Europ. dans les 
deux Indes, II. Bud, Gay. 21. 22. 38—40 (I, 163. 241 der Macht. 
Ausgabe v. 1777). — Luzac, Betrachtungen über den Urfprung dei 
Handels und der Macht der Hollänter, deutjch, Greifew. 1788, L, 26. 
II, 98. — Lueder, Geſchichte des Holländ. Handels, nach Luzat. 
Leipz. 1788, ©. 96. 215. 662. — Salfeld, Geh. d. holländiſchen 
Eolonialwefens in Dftindien, II. B. Gött. 1812. 1813. — Las— 
Bey ! sr Geſchichte der volkswirthſch. Anfchauungen der Niederländer, 


2. Holländifh-weftindifhe Comp., 1621 mit 7 Mill. ſ. 
Capital errichtet (vorzüglich auf Betreiben von Willem Uffeliner) in 
der Abficht, Spanien zu ſchwächen, welches auch gelang, befonders nad 
ber Sroberung von Brafilien. Indeß hatte die Gründung biefer eben: 
falls bevorrechteten Geſellſchaft viele Gegner, und in den 1630r Jah: 
ren wurde der americanifche Handel nad und nach freigegeben. Die 
Comp. wurde durch unmäßige Groberungspläne ins Verderben gebradt, 
war nah 15 Jahren fchon mit 18 Mil. fl. verfhuldet und wur 





— 293 — 


1674 aufgeboben. Dagegen wurde eine neue @efellfchaft gebildet, an 

welcher die Mitglieder und Gläubiger ber älteren Theil nehmen muß⸗ 

ten; jene verloren dabei 85 Proc. ihrer Ginlagen, diefe 70 Proc. ihres 

Guthabens. Diefe neue Geſellſchaft erhielt niemals Wichtigfeit, gab 

im Durchſchnitt von 1679—1779 nur 2 Proc. Dividende und ging in 

a Revolution gleichfalls ein. Lueder, ©. 135. 280. Laspeyres 
. 712. 


3. Britiſch-oſtindiſche Bompagnie, eine Geſellſchaft von fo 
riefenmäßiger Macht, wie es nie eine andere gab, errichtet 1599 von 
Londoner Kaufleuten, die an dem gewinnreichen oſtindiſchen Handel 
Theil zu nehmen begierig waren, privilegirt 1600. Das anfängliche 
Gapital betrug 369989 2. St. Die Verfaſſung war fo, daß die Mit- 
glieder in ihren Hanbelöunternehmungen einigermaßen unabhängig 
waren, bis 1613 eine mehr einheitlihe Geſchaͤftsfuͤhrung angeorbnet 
wurde. Allmälig wurden Factoreien an verfchiedenen Plaͤtzen von 
Dftindien gebildet. Das Hauptprivilegium, in der Charte v. 3. April 
1662 enthalten, erſtreckt fi über alle Länder zwifchen dem Gay und 
der magellanifhen Straße. Art. 16 verbietet bei Strafe der Confis⸗ 
cation denen, welche nicht der Compagnie angehören, die Theilnahme 
an biefem Handel, welcher aber zufolge Töniglicher fperieller Erlaubniß 
noch fortbauerte, im Jahre 1682 den Curs ber Actien um 100 Proc. 
herabdrüdte und erſt foäter dur bie Charte vom 1. April 1685 ganz 
verhindert wurde. Die Actien betrugen anfangs 50%. St., aber 1676 
wurden fie durch Anlegung ber erfparten Summen auf das Doppelte 
gebraht. 1685 wurde das Vermoͤgen der Geſellſchaft auf 1703422 2. 

erechnet, welches 230 Broc. des Actienbelaufes von 739782 2. aus: 
machte. Verfchiedene Ungfüdsfälle fügten um diefe Zeit der Gompagnie 
großen Schaben zu, die Ausfchließlichkeit ihres Privilegiums erregte ihr 
viele Gegner und die Regierung entihloß fih 1698 in einer Geldver⸗ 
legenheit, bie Srrichtung einer zweiten Geſellſchaft mit gleichen Bors 
rechten zu geftatten, bie ihr fogleih 2 Mill. 2. St. gegen 8 Procent 
Zinfen leihen mußte, aber 1703 mit der älteren vereinigt wurde, nad: 
dem das Mitwerben beider die Preife der oftindifchen Grzeugniffe zu 
fehr gefteigert hatte. Das Capital betrug nun 6 Mill. 2. St., in 
Actien zu 500 L., und ift auf dieſem Betrage geblieben. Seit der 
Mitte des 18. Jahrhunderts wurden beträchtliche Landftriche erobert, 
und 1765 erhielt die Compagnie die Binfünfte von Bengalen. Sie 
wurde nad und nad, zu einer großen Landmacht, fo daß fie zuleßt gegen 
128 Millionen Unterthanen, ohne bie 48 Mill. in ten Ländern ihrer 
Bafallen und Verbündeten, beſaß. Diele beifpiellofe Macht gereichte 
ihre dennoch nicht zu fonderlihen Gewinn, da die Beruntreuungen, 
Erprefiungen und Mißgriffe der Beamten fi tem äßig vermehrten. 
Die wucerlihe Bertheuerung von Salz, Tabaf und Betelnüflen, deren 
inneren Berfauf die Gompagnie an fih riß, laſtete fchwer auf den 
Gingebormen, man fchlug fIchlechteres Geld und in der Qungersnoth 
von 1770 famen einige Millionen Hindus um. Dennoch bereicherte 
fih die Weſellſchaft nicht, fo daß 400000 2. Et., welche fie 1767 an 
die britiſche Regierung jährlich gegen die Ueberlaflung der bengalifchen 
Sandeinfünfte zu entrihten übernahm, nicht fortwährend bezahlt werben 
fonnten und 1773 fogar 1400000 Pf. vom Staate geborgt werden 
müßten. Der unzwedmäßige Einfauf von 18 Mill. Pfund Thee aus 
China, der wegen des Scleichhantels und des Widerftrebens der Ame: 
ricaner größtentheild unverfauft blieb, verurfachte insbefondere empfind⸗ 
lihen Scharen. Um den Gebrechen der Verwaltung abzuhelfen, wurde 
im Jahre 1773 verordnet, daß nur die Befiber von 2 Actien in ber 
Generalverfammlung Stimme Haben dürfen (6 Actien gaben 2 Stim⸗ 








— 24 — 


men, 12 Act. 3 €Et.), taf von den 24 Diredtoren jährlib 6 austreten 
und duch Neugewählte, tie aber wenigitens 4 Actien bergen müflen, 
ergänzt werten, daß in Oſtindien, art ber bisherigen 4 Gouverneurs, 
die von einander unabbängigq waren, ein Generalgcuverneur ernannt 
und ein Obergericht in Galcutta errichtet werten iolle. Die Lage ter 
Bauern wurde nicht verbeſſert, weil man tie bisherigen erblich gewor⸗ 
tenen, mit ten Gutsberren in Europa veraleichbaren Grhebes ter 
Gruntgefälle (Zemintars) beibebielt unt Eteigerungen des Zinies tem 
Geſetze zuwider oft vorfamen. Da bie Berwirrung fertbauerte, ſo 
wurte 1754 auf Pitt's Betrieb (East Indis-bill tefielten) eine Auf: 
fiihtebehörde (board of control) yom Etaate aebiltet, welche in Allem, 
was nicht ten Handel betiifft, über ter Tirection ſteht und ſo die 
Bermaltung in tie Hänte Ter Regierung brachte. Hierturd wurte viel 
gebeilert, aber nicht ter wirtbichartlihe Zuftant. Der oftindiſche Han- 
del warf 1793 bis 1813 im Durdicnitt ungefähr nur 4 Proc. rein 
ab, bloß ter dinefiicbe war wegen des Thees einträglich, gegen 39 Br. 
Reinertrag. Bei ber 10jährigen Grneuerung bes Privilegiums im 3. 
1613 wurde auf drinientes Begehren ter Briraten ter Handel nad 
Dflindien frei gegeben und nur der dinefiihe ter Gompaanie aus 
ſchließlich gelaſſen. Jenes uneraiebige Moncpol hatte doch Lie Breiie 
bergeitalt bech erhalten, Laß nach ter Freigebung tie Musfatnüfle ven 
11 Sch. 32, B. auf 2 Sch. 11 B., und die Maris (WMusfat: Blütbe) 
ven 14 Sch. 4'153 V. auf 5 Ch. 1 B. herabfanten. Im Durkicnitt 
v. 1815 — 1820 bat die Gompagnie jährlih 126 Schiffe von 59805 
Zonnen, die Ginzelnen haben 88 Schiffe mit 40 833 Tonnen nah Oñ⸗ 
indien gefendet. Die Erweiterung bes Hantels in Folge feiner Frei: 
gebung erfolgte in einem unerwartet hohen Grade. Im Durdichnitt 
von 1829—32 war in Großbritanien 
von der Bompagnie von Ginzelnen 
Einfuhr aus Oftindien 1434792 2. St. 4558774 2, St. 
Ausfuhr nad Oſtindien 231413 = 3661815 = 


Der Thee war wegen des fortdauernden Privilegiums in England viel 
theurer als in Nordamerica und Deutichland, ungeachtet die Engländer 
Kunftwaaren, namentlih für ungefähr 600000 2. Et. Wollenzeuche 
und Opium (1824 ſchon 5488 Kiften zu 1000 Dollars Preis) nad 
China führen, die anteren Bölfer aber baar dort einkaufen müflen. 
Der Congou⸗Thee wurde gemwöhnli von der Gompagnie zu Lonten 
um 2 Sh. 1—3 B. das Pfd. verfauft, in Hamburg galt er aber 
gleichzeitig nur etwa 1 Sch. 21, B., in Newyorf nur 7%, PB. Diede 
inflliche Vertheuerung beläftigte die Zehrer und hinterte ten Abſatz 
in andere Länder, ohne einen Bortheil für England zu bewirken. Bei 
der legten Erneuerung des Privilegiums bie 1854 im Sabre 1833 
(3. und 4. Will. IV, Gap. 85) wurde der Handel mit China vom 
1. Avril 1834 an ganz freigegeben und die Compagnie mußte folglich 
alle ihre Sanbelegeichäfte aufgeben. Die Folge war, daß die Thee⸗ 
Einfuhr in Großdritanien, die 1833/4 fih auf 29-592 000 Pit. be 
laufen Hatte, im folgenden Sahre ſchon 42 Mill. Pfd. betrug. Weber: 
haupt ift der Verkehr des britifchen Dflindiens neuerlich fehr im Zus 
nehmen. 68 betrug 3. B. 


1834 1850 
die Einfuhr 4261000 2. 10299000 2. 
die Ausfuhr 7993000 = 17312000 : 


Auch ift in den leuten Jahren viel für Bifenbahnen und andere nüg- 
lihe Anftalten aefchehen. Die Sompagnie war bloß auf die Verwaltung 
ihres Landgebietes unter der Auffiht der Regierung beichränft und tie 
Dividende für das Actiencapital von 5 Mill. 2. feit 1793 auf 








— 29 — 


10%/a Broc. feftgeftellt. Die Landeseinkünfte von DOftindien trugen ber 
Gompagnie 1814— 1820 i. D. jährlihd 18133000 L., i. D. von 
1821 — 24 21751369 2, 1837—49 i. D. 18328000 2. St. Shr 
böchfter Stand war 1822, nämlich 23171701 %., fie fanten 1824 auf 
203,4 Mill. bei einer um 3 Mill. größeren Ausgabe. 1827/8 waren 
fie 22°992000 2., die Ausgaben dagegen 26°139 000 2. 1833 wurde 
gefeglich verorbnet, dag 2 Mill. &, dazu beftimmt merten follen, aus 
ben Zinfen die Actien abzutragen. 1837—47 waren die Ausgaben i. D. 
19-498000 &. Die fog. eingetragene Schuld (registered debt) kelief 
fih 1815 auf 22°, 1933 auf 31%: Mill. L., 1840 auf 26,° Milt., 
und mit Einfhluß anterer Echulden in leßtgenanntem Zeitpuncte auf 
30,7 Mill. & Gegen den völligen Uebergang ter Lanbesherrichaft an 
den Staat hatte man Berenfen wegen ter großen Macht, die dem 
WDiinifterium dadurch zuwachſen würte, und megen der Beforgniffe einer 
geringeren Berüdfichtigung des oflindifchen Interefles, es wurde jedoch 
der Einfluß der Regierung auf die oftindifhen Angelegenheiten immer 
ſtaͤrker. Ben 1854 an follten die Nctionäre ihr Bapital zurückfordern 
fönnen, und nad 1874 follte die Regierung jede Actie nach 3 jähriger 
Kündigungsfrift ablöfen Fönnen für tas Doppelte des Nennwerthes, 
alto zu 100 2. St. für je 51/4 2. der Divitende. Das Gef. 20. Aug. 
1853 (16. u. 17. Vict. c. 95) verlängerte auf unbeflimmte Zeit die 
Regierungsgewalt der Geſellſchaft. Die Nctien (India stock) flanden 
vom Nov. 1855—56 i. D. zu 228 für 100. 1856 wurde das König: 
reich Oude den britifhen Befißungen einverleibt. 1857 brach ein Auf: 
fand bes eingebornen Heeres aus, es entitand ein ſchwerer Krieg, ber 
nur mit großen Anfttengungen für Großbritanien glücklich beendet wer- 
den konnte und aud die Schulden der Compagnie vermehrte. (Im 
J. 1858 8 Mil. L. zu 4 Proc. aufgenommen.) Während befjelben 
(Bel. 21. 22. Vict. c. 106 = 2. Aug. 1858) wurde befchlofien, daß 
Das ganze Beſitzthum ber Comp. mit allen Einkünften an den Staat 
übergeben folle. Der Gefellfchaft blieb nur ihr Actiencapital und die 
Dividende wurde für ablösbar erflärt, F. 73 des Gel. Die Actien 
fanden April 1863 zu ungefähr 228. Bavary, a.a. DO. — Taube, 
Abſchild. der engliſchen Manuf., LI, 57. — Hiftor. Ueberf. der neueren 
Bolitit und Staatsverw., a. d. Engl. von Spifer, I, 225, I, 67 
(Berlin 1815). — Observations on the trade with China. Lond. 1822 
== Edinb. Bev. Vol. XXXIX, 458. — H. Saint-George Tucker, A 
review of the financial situation of the East India Comp. in 1824. 
Lond. 1825. — Caes. Moreau, Tables with respect to the revenue, 
expenditure, debts, assets, trade etc. of the E. L. C. Lond. 1825. — 
Edinb. Rev. Nr. XQ. 340. — Moreau de Jonnds, Le commerce 
du 19me Biecle, II, 157. — J. Crawford, Anfiht von dem gegen: 
wärt. Zuflande und den Fünft. Ausfichten des freien Handels und der 
freien Golonifirung, aus dem ®. v. Fick. Leipz. 1830. — Mac: 
Culloch, Handb. II, 390 und Supplem. ©. 845. 


4. Britifhsafricanifhe Geſellſchaft, Privilegium (auf 
1000 Jahre, d. 5. immerwährend) von 1663. Art. 12 verbietet allen 
Privaten den Handel mit der Weflfüfle von Africa. Die Gelellichaft 
fonnte von Anfang an die Eoncurrenz ber, troß des Verbotes dahin 
handelnden Ginzelnen nicht aushalten, daher wurde 1697 ber Privat: 
handel gegen 10 Proc. Abgabe, 1710 ganz freigegeben. Die Compagnie 
fanf fortwährend und wurde 1752 aufgehoben. Savary, IV, 1160. 
— Taube, II, 44. 

5. Sranzöfifhsofindifhe Eompagnie, 26. Mai 1664, 
vom Staate kräftig unterflügt durch einen Borfhuß von A Mill. Liv. 
(der ihr 1675 geichenft wurde), ferner buch eine Prämie auf jede 











“ —— 300 — 


yon und Rouen. — Hanbelsiehranftalt in Leipzig, feit 1831. Die 
höhere Abtheilung bat einen jährigen Eurfus. — Hanbelsfchulen in 
Hannover und Minden 1837 von der Kaufmannfchaft errichtet, in Ber: 
lin 1843, in Frankfurt 1862, 1863 zur H. Akademie erweitert. — Hau 
bels-Afademie in Wien 1858, von einem Brivatverein gegründet. 


$. 282. [239] 


Es giebt eine Art von Gehülfen bei den Hanbeldgefchäften, 
für die eine befondere Aufficht ded Staates angeorbnnet worden 
ift, weil durch diefe die Gefahr von Unredlichkeiten vermindert 
und das Bertrauen verftärft wird, welches jene Gehülfen nad 
der Beichaffenheit ihrer Berrichtungen genießen müffen. Dieß 
find die Mäfler (Makler) over Senfalen, d. h. Mittel& 
perfonen, die man zur Abfchließung von Kauf» und anderen 
Hanbelsgefchäften beizieht, um ihre Kenntniß der Perfonen unt 
Waaren zu benugen, um Zeit zu fparen, um beim Begehre 
oder Angebote während ber Berhandlungen die Perfonen ber 
Betheiligten geheim zu Balten, endlich um einen Zeugen und 
eine Beglaubigung der Verträge zu haben (a). An größerm 
Drten theilen fich die Maͤkler in die vorkommenden Gefchäfte, 
fo daß es befondere Mäfler für Geld» und Effectens Hantıl 
(agens de change), für Waaren (courtiers de marchandises 
“ oder de commerce) und auch für einzelne Gattungen berfelben, 
für Verſicherungen, für Schiffsbefrachtung (Schiffs Mäfter) 
und Landfuhr (Schaffner, Güterbeftätter) giebt (Bd). Die Er 
laubniß zum Mäflergefchäft (Mäfelei) wurbe bisher nur unbe 
fholtenen Perſonen ertheilt, welche erweislich bie zu ihren Dienfs 
geichäften erforderlichen Kenntniffe haben, wobei den Handels⸗ 
fammern eine Mitwirfung geftattet werben Tann. Sie werden 
auf die Beobachtung der ihre Wirffamfeit betreffenden gefeplichen 
Beftimmungen (Mäflerorbnung) eidlich verpflichtet (c). Zufolge 
der neuerlich herrfchenden Abneigung gegen alled Conceſſions⸗ 
wefen ift der Wunfch entftanden, daß aud) das Mäflergerwerbe 
frei gegeben werben möge, wobei man eine fohnellere und wohl 
feilere Bedienung der Kaufleute hoffte. Die übliche Feſtſetzung 
einer gewiffen Zahl beftellter Mäfter in jeder Handelsſtadt bat 
zu Beichwerden Anlaß gegeben, weil die Zahl oft zu Flein war 
und bie Mäfler Gehülfen annehmen mußten, die den Kaufleuten 
nicht genug Sicherheit gewährten. Dieß ift daher zu unter 








— 219 — oo. 


$. 281. [238.] 


Handelsfhulen koͤnnen die Erlernung der Gefchäfte in 
einer Handlung nicht entbehrlich machen, weil die Eigenfchaften 
des guten Kaufmanns, 3. B. Scharfblid, die Gefchidlichkeit in 
der Benugung der Umſtände, die Gewandtheit und Vorſicht, 
die Ordnung 2c. nur aus eigenen Erfahrungen und Uebungen 
im Betriebe gewonnen werden. Dennoch ift ber Unterricht in 
einer Lehranftalt nützlich, da er die Betrieböregeln in wiſſen⸗ 
Ihaftliher Ordnung lehrt und wichtige Huülfsfenntniffe giebt, 
jo daß die Schüler befjer vorbereitet in die Gefchäfte eintreten. 
Zu den Hülfsfächern gehören neuere Sprachen, Rechenkunſt in 
ihrer Anwendung auf die Tunjchgegenftände, Maaß» und Gelds 
funte, Lehre von Wechfeln und Berfchreibungen, Gefchichte 
und Statiftif des Handeld, Handelörecht, ferner Waarenfunde, 
welche aus einer Verbindung von Lehren der Naturgejchichte, 
Phyſik, Chemie, Landwirthichaftslchre und Technologie befteht (a). 
Für Handelsgehülfen, die fi zu großen Gefchäften ausbilden, 
ift auch ein volföwirthfchaftlicher Unterricht, der ihren Geſichts⸗ 
freiß erweitert und fie tiefer in bie Geſetze des Verkehrs bliden 
läßt, fehr fruchtbar (5). Die meiften Handelsſchulen find Pris 
vatanftalten, welche nur einer Genehmigung und Oberaufſicht 
ber Regierung bedürfen. Werben fie aber von der letzteren ers 
richtet, fo koͤnnen fie reichlicher auögeftattet fein und find weniger 
von der Perfönlichfeit des Vorſtehers abhängig (c). 


(a) Am auffallendflen iſt dieß Bedürfnig bei dem Handel mit Material: 
oder DrogueriesWBaaren, in welchem ohne nafurbiftoriiche und chemifche 
Ind ri gen Forderungen der gegenwaͤrtigen Zeit nicht mehr Genuͤge 
zu leiſten iſt. 


(5) Um auch denen, die frühzeitig in die Lehre gehen müflen, einigen Uns 
terricht zu verfchaffen, jollte man in größeren Städten Anftalten nad) 
Art der Handwerksfchulen ($. 222) errichten, two die Lehrlinge in den 
Freiſtunden in ben nöthigen Kenntniflen unterwiefen werben. So bie 
untere Abtheilung der Leipziger Lehranftalt. 


Eine Handelsſchule wurde fhon 1767 von 3. &. Büfch in Hamburg 
mit gutem Grfolge errichtet. — Raiferlihe Commerzſchule in St. Pe 
erebung 60 Zöglinge, unter denen inländiiche Kaufmanneföhne auf 
Staatefoften erhalten werden. 4 Glafien mit 2jährigen Curſen. — 
Handelsſchulen an den polytechnifchen Snfituten zu Wien und Karls: 
ruhe, $. 223. 224. — Handelsſchule (Scole spseiale du commerce) in 
Paris (feit 1820, blühend und mit Huülfsmitteln gut ausgeſtattet), in 


(e 


N? 


— 30 — 


2) Die Maͤkler duͤrfen auf eigene Rechnung keine Handels⸗ 
geſchaͤfte unternehmen, weil ſonſt ihre Unparteilichkeit zu ſehr 
gefaͤhrdet waͤre. 

3) Sie müſſen Jedem nad) beſtem Wiſſen mit Eifer und 
Redlichkeit dienen und Aufträge von unficheren Perfonen ab 
lehnen, auch 

4) die erhaltenen Aufträge und Gefchäfte geheim halten, 
fomweit ed die Befchaffenheit der letzteren zuläßt. 

5) Alle von ihnen vollzogenen Gefchäfte werben fogleidh in 
einem Tafchenbuche aufgezeichnet, fodann aber in ein regelmäßig 
geführtes Berzeichniß eingetragen; jedem Gontrahenten wird ein 
fein Gejchäft betreffender, die Bedingungen enthaltender Schluß 
zettel eingehänbiget. \ 

6) Sie müffen regelmäßig auf der Börfe erfcheinen und zur 
- Aufzeichnung der @urfe die von ihnen vermittelten Gefchäfte 
richtig augeben. 

7) Die Schiffe - und Fuhr- Mäfler haben audy die beftehenben 
Zollorbnungen zu beobadhten und zur Verhütung bes Zollbes 
truged mitzuwirken. 

8) Die MäflersGebühr (sensarie, courtage) wird für 
die Hauptzweige der Gefchäfte im Verhältnig zu bem Gelbbe 
trage derſelben geſetzlich vorgeichrieben (db). 

(a) Bergl. Deutfches Handelsrecht 8. 69. 


(8) Ausführlicher Tarif für verfchiedene Waarengefchäfte in der Hamburger 
Mäkler-Orpn. Bei den mehrften Artikeln %/o Proc., die der Verkäufer 
bezahlt, bei Wechfeln 1 per mille von jedem Gontrahenten, bei Schiffs 
frachten nach der Entfernung 3, 4 oder 6 Proc. der Frachtſumme. — 

Freuß Landrecht: bei Waaren 1 Proc. Wechſeln 2 p. m. — Bien: 

bei Wechſeln nur 1 p. m. vom Käufer. — Frankreich: bei Waaren 

1/4 Proc. von jedem Theil, bei Wechſeln u. a. Bapieren %g Proc., ki 

Berfiherungen 1 p. mille der verficherten Summe. 


$. 288. [244] 


Börfen find tägliche Berfammlungen von Kaufleuten, Schiffern 
und Mäflern einer Stadt, an einem beftimmten Orte zu ge 
wiffen Stunden, um Gefchäfte zu verhandeln und abzufchließen (a). 
Nur an Orten, wo der Großhandel oder die Schifffahrt leb⸗ 
haft betrieben wird, findet man es vortheilhafter, täglich einige 
Zeit auf der Börfe Hinzubringen, als in ben Häufern herum 
zugehen. Ein Zwang zum Befuche ber Börfe wäre unziweds 








— 303 — — 


mäßig (d). Die Errichtung einer Boͤrſe kann unbedenklich ge⸗ 
ftattet werben, wo fi) das Bebürfniß zeigt, doch erfordert bie 
aufzuftellende Börfenordnung die Genehmigung der Stantöbes 
hoͤrde, welche auch die Beobachtung der Vorſchriften überwacht. 
Die Koftlen werben von den Kaufleuten der Stabt, unter ber 
Leitung der Vorſteher bed Handelsſtandes (Hanbeldfammer, 
$. 247) getragen. Zur guten Einrichtung gehört (c) 1) ein 
geräumiged und bequemed Gebäude (d), 2) Feſtſetzung bequemer 
Tageöftunden für Anfang und Ende der Börfenzeit (e), 3) Aufs 
ftellung von Beamten, welche für Aufrechthaltung der Ordnung 
forgen (Börfen»Commiffare) 4) Anweſenheit von Börfen- 
fchreibern, um die verfchiedenen Bekanntmachungen und Aufzeich« 
nungen zu beforgen, bad Berzeichniß aller Kaufleute des Ortes, 
ihrer Birma und der Bollmadhten (Brocuren) zu führen ıc. 


(a) Vincens, I, 44—52. Art. Börfe von v. Boffe in Erf unt 
Bruber’s allg. Enc. IX. B. — Die Wechſelhändler in Italien haben 
uerft Börfen an einem angemeflenen Blake angeorbnet. Die gewöhn: 
iche Erflärung des Namens rührt von L. Quicciardini (nicht mit dem 
berühmten Berfafler der historia d’Italia, Francesco G., zu verwechſeln) 
ber. Est Brugis Flandrorum plates quaedam s. forum, omnibus urbis 
partibus valde accommodatum, et in ejus fronte ampla quaedam et 
vetus domus, structa ab nobili illa familia Borsiorum, von der Beurfe, 
quorum in lapide serto praefert insignia, tres videlicet Bursss s. mar: 
supia. Atque ab hac domo et gentilitiis hujus gentis insigniis nomen 
aceepit ipsum forum etc. Belgicae deseriptio, Amstel. 1652, ©. 141. 
— Dagegen Hüllmann, Städteweien, IL, 302. — In Frankreich 
nannte man die B. anfänglid) change oder place du change, wie in 
England noch jetzt exchange Die ältefte B. in Brankreih war zu 
Zouloufe, 1549. — In der neueflen Zeit find an mehreren lebhaften 
ganbelopläpen wöchentliche oder nach noch längeren Zwiſchenzeiten ſtatt⸗ 
findende Borfen für Kunftwaaren oder landwirthfchaftliche Erzeugniffe 
(fog. Induftries und Producten-B.) eingeführt worden, auf 
denen nah Muftern und Proben gekauft wird, um die Märkte zu er: 


fegen. 

(5) Verbot von Winfelbörfen, des Staatspapierhandels willen angemefien. 
Befondere B. für Stods und Kohlen in London. 

(e) Börfenordnungen ber Städte Berlin und Wien mit einem Vorwort 
v. Liebhold. Franfkf. 1826. 

(d) Dienlid ift es, wenn zugleich die Geſchäftszimmer der Mäkler und das 
Handelsgericht in demfel en Gebäude find, wie bei der am 4. Novbr. 
1826 eröffneten neuen Parifer Börfe, deren 116 %. langer und 76 F. 
breiter Saal ohne die Seitengallerie 2000 Menfchen Habt. Er bat 
einen mit Echranfen umgebenen Raum (parquet), den nur Maͤkler und 
Ausrufer betreten und der dazu dient, daß jene leicht von den Kauf: 
leuten, die ihnen Aufträge geben wollen, zu treffen find; der größere 
übrige Raum ringsum heißt coulisse. Dieß Gebaͤude Foflete 8 Mill 
Fr., welche von der Staatscaſſe und der Stadt beftritten wurden. 

(e) Paris: für Staatspapiere von 1*/s bis 3%/,, für andere Handelsgefchäfte 
von 2 bis 5 Uhr. 


$. 284. [245.] 


Unter Meffen verfieht man die in gewifien Zeiten unb 
Orten ftattfindenden Berfammlungen von Käufern und Ber 
fäufern für vielerlei Waaren und in einer dem Großhanbel 
entfprechenden Dienge (a). Am Angebot nehmen fowohl Er- 
zeuger (Babrikherren ıc.) als Kaufleute Theil. Der Nugen ber 
Meffen befteht (d): 

1) in der Bequemlichkeit des Beftellend, Abrechnens, Bes 
zahlens, Berathens ıc. bei der Anweſenheit vieler Kaufleute; 

2) in der Auswahl, die dem Käufer durch das große An- 
gebot dargeboten wird. Diefer Vortheil fommt vorzüglich ben 
Handwerkern bei ber Anjchaffung von Verwandlungsſtoffen und 
ven Kleinhändlern bei dem Einkaufe von Gewerföwaaren zu 
Gtatten ; 

3) in der Erleichterung des Abſatzes für die Berkäufer. 
Deshalb find die Meſſen auch dem Zwiſchenhandel günftig, fie 
locken Käufer und PVerfäufer aus fremden Xändern herbei und 
dieß giebt wieder zur Ausdehnung des Abſatzes von manchen 
Landesderzeugnifien Gelegenheit; 

4) in ber. Kenntniß, welche die Gewerbsleute von ber jedes— 
maligen Richtung ded Begehrs nnd Berbrauches erhalten, wo⸗ 
durch fie in den Stand gefeßt werben, die Erzeugung ben Rei: 
gungen ber Zehrer und der Gelegenheit zum Abfage anzupafien. 
Auch dieß zeigt ſich vernehmlich bei den Gewerkswaaren und 
am meiften wieder bei denen, welche den Veränderungen der 
Mode unterworfen find. 

(a) Die Wochen: und Jahrmärfte unterfcheiden fi von den Meſſen daurch 
bie geringeren Vorräthe, welche Hauptiächlich zur unmittelbaren Beier: 
gun der Zehrer dienen. Es giebt Märkte, in denen zwar große 

afien, aber nur von einer oder wenigen Arten von Waaren zum 

Berkaufe ausgeftellt werden, wie mande Wollen: und Hopfenmärkiz, 


ber Seidenmarkt in Trient, der Lämmermarkt in Ipewich (über 100 000 
Stück) ıc. 


() Soben, IV, 3. 236. 


5. 285. [246] 


Der Meßbeſuch und das Herbeiführen der Waaren ift jedoch 
zeitraubend und mit anfehnlichen Koften verbunden, bie entweder 
ben Gewerböverbienft bed Kaufmanns fchmälern oder den Zehrern 


— 805 — 


die Waaren vertheuern. Wo daher ein lebhafter Verkehr ohne 
Meſſen befteht, da ift die Abweſenheit oder ber Verfall derfelben 
nicht zu beflagen (a). In früheren Zeiten, bei ber ſchwachen 
Bevölkerung und den Schwierigfeiten, mit benen das Reifen, 
die schriftlichen Mittheilungen und die Waarenverfendung vers 
bunden waren, hatten die Meflen ald Bereinigungspuncte eine 
Wichtigkeit, welche fie jetzt nicht mehr befigen. «Große Handels⸗ 
fRädte im Innern ded Landes, insbefondere die den großen 
Hauptflädten eigene Anhäufung manchfaltiger Gewerköerzeugnifle, 
fowie das häufige Umherreifen anbietender Kaufmanndgehülfen, 
vertreten großentheils die Stelle der Mefien (d), auch wird durch 
das Vorzeigen von Muftern wenigftend dad Zuführen ber 
MWaarenvorräthe zum Theil entbehrlich gemacht, wenn auch bie 
Kaufleute aud dem in $. 284 Wr. 1 angegebenen Grunde fort 
fahren, fih auf den Meſſen einzufinden. Manche derjelben 
gingen ein, ohne daß darunter der Handel im Ganzen gelitten 
hätte (c), und die Gründung einer neuen Mefle gelingt deßhalb 
nur in wenigen Faͤllen (d). Die Begünftigung einer Meffe 
durch den Zollnadhlaß für die ausländiichen Waaren tft nicht 
zu billigen, vorausgeſetzt baß der Einfuhrzoll ſchon ohnehin nad) 
richtigen Grundfägen angelegt iſt; dagegen ift es zweckmaͤßig, 
dag man den Zoll für die unverfauft oder im Zwijchen- 
handel wieder hinaus gejendeten Waaren wieder zurüdgiebt, 
oder aud überhaupt feine Entrichtung fo lange hinausſchiebt, 
bis die Waaren in die innere Berzehrung übergehen (e). Die 
beftehenden Mefien (J) verdienen foweit unterftügt zu werben, 
als es ohne einen Zwang oder eine Belaftung ded Handels 
außerhalb der Mefien geichehen kann. Dahin gehören: geringe 
örtliche Abgaben von den Meßfremden, — bequeme Plaͤtze mit 
Abtheilungen für die verfchiedenen Gattungen von Waaren, — 
Meßgerichte zur ſchnellen Schlichtung von Streitigkeiten, — 
Beftellung verpflichteter Träger und Gehülfen für verjchiedene 
Gefchäfte, — Sorge für wohlfeiled und bequemes Unterfommen 
der Fremden, — verftärfte Maaßregeln der Schugpolizei zur 
Berhütung von Diebftahl und Betrug u. dgl. 


(a) Rüdiger, Staatslehre, LI, 108. — Leuchs, Handelsw. II, 409. — 
v. Jakob, Bolizeigef. ©. 591. — Schmalz, Encyil. $. 995. — 
Vincens, I, 28—34. — 3. C. Leuchs, Gewerbes und Handels 
freiheit, ©. 343, 

Rau, polit. Deton. IL 2. Abth. 5. Ausg. 20 


— 3106 — 


(6) Großbeitanien, die Niederlande und Belgien haben feine Meſſen 
Frankreich hat nur eine im füdlihen Theile, aber London und Paris 
find als fortdauernde Mefien anzufehben. Die vielen fleineren Landes 
gebiete in Deutfchland erklären es, daß bier mehr namhafte Meſſen fd 
erhalten haben. 


(e) 3. 3. die 4 Meflen im Jahre zu London und die berühmten Mefien 
zu Rovi bei Genua, auf denen bauptfäclid das Abrehnen und Ueber: 
weifen (I, $. 292) in außerordentlihem Umfange geſchah. 


(d) Auf die vortheilhafte Lage eines Blages in Nüdfiht auf ben Haubels 
zug kommt biebei fehr viel an. Gin Beifpiel des @elingens im ter 
neueften Zeit giebt die Warfchauer Meſſe. — Neue Meſſe zu Lüneburg, 
feit 1839. — Neue Meflen im britifhen Dftindien zu Kurrachee — 
Sitiur, 1852 errichtet, um den Handelszug auf dem Indus zu be 
eben. 


(e) Weber diefe Gontirung (Stundumg) des Zolles III, $. 461. 


() In Deutichland vorzüglich Leipzig, Frankfurt a. M., Frankfurt a. D. 
Draunföhneig. Leipzig hatte font Privilegien, welche dem Handel un: 
gemein läftig wurden, * B. das Stapelrecht, nach welchem durchgehente 
oder auch nur in der Nähe vorbeigeführte Waaren dort zum Bertanie 

ausgefegt werden mußten Büuſch, BZufäge zu feiner Darſtellung ter 

Handlung, II, 158. Im D. von 6 Jahren von 1842 — 54 famm 

jährlih auf diefe Weiten 701343 Etr. inländiiche und 44522 Et. 

ausl. Waaren, aber legtere regelmäßig abnehmend. Auf Leipzig famen 

46 Proc. der Vereins: und 44 Proc. der fremden Waaren. — Stra⸗ 

Benzwang fand jedoch auch zur Degünftigung folder Drte Ratt, am 

denen feine Meflen waren, vgl. Leuch s, ©. 328. — Schweiz: Zur: 

ah. — Frankreich: Beaucaire, am Rhone; Umſatz gegen 10 Will. 

* — Italien: Sinigaglia im Kirchenſtaate, Umfag 1834 82 Mil 

Fr. — Rußland: Niſchnej-Nowogorod, vorher (bie 1817) in Malz 

riew. Die Lage beider Städte an der Wolga ift fehr günſtig; Fluß 

verbindungen erleichtern die Zufuhr von der Öftfee, von Moskwa (turb 
die Oka), vom Ural (durch die Kama) und vom faspifhen Deere, unt 
der Karamanenhandel mit Berfien und Indien über Orenburg unt 

Bochara bringt eine Yülle aftatiicher Waaren herbei, ſowie audy dyine: 

fiiche Producte duch Sibirien (über Kiachta) ſich einfinden und gegen 

Grzeugniffe des weitlihen Buropa vertaufcht werden. 1823 wurten 

für 94 Mil. Rub. Waaren dafelbft verfauft, 1834 für 105%, 1835 

für 117%, Mil. Rub. (zu 32,% kr.), bagegen 1840 für 39-421 000, 

1841 für 45°619000 R. Silber (100 R. Silber find = 350% 

Affignaten, alfo ift der Umfang der Geſchaͤfte fehr gefliegen), 1853 für 

56% Mil. R., wovon für 6° 834000 R. Thee. 


—R 











— 507 — 


Zweite Abtheilung. 
Maaßregeln für einzelne Handelszweige. 


Erftes Hauptſtuͤck , 
Beförderung des Waarenhanvels, 


1. Anordnungen für den Binnenhbandel, 


$. 286. 


Der Nugen der zahlreihen Kram⸗ und Sahrmärfte, 
welde in den Städten und Marktfleden, meiftens "mehrmals 
im Iahre, gehalten werben, ift öfterd in Zweifel gezogen worden, 
weil.man theild eine Beeinträchtigung der an diefen Orten ans 
jaffigen Handwerker, theild eine Beförderung bed Berbrauchs 
ausländifcher Waaren befürchtete (a). Beide Gründe find nicht 
zureichend, denn es ift eher für nüblich zu halten, daß die Hand⸗ 
werfer des Ortes bisweilen dem Mitwerben fremder Berfäufer 
audgefegt und Hiedurdy gezwungen werben, ihre Waaren wohls 
feil zu liefern (5), und dad Einbringen auslänbifcher Waaren 
ift Gegenftand der Zollgefepgebung. Die Bewohner des platten 
Landes und der Eleinen Städte fönnen ſich mit Hülfe der reifenden 
Marktverkaͤufer leicht mit allen nöthigen Gewerföwaaren verforgen, 
die fie fonft an ihren Wohnorten nicht in folder Auswahl und 
Wohffeilheit finden würden, und biefe Erleichterung bed Abs 
ſatzes beförbert auch den Großhandel und bie Stoffarbeiten. 
Daher verdienen die Krammaͤrkte wenigftend eine ähnliche Bes 
günftigung, wie die Meſſen (8. 246), obſchon, wegen ber mit 
ihnen verbundenen Berfuhung zum Aufivande für Luftbarfeiten, 
ihre Zahl einigen Beichränfungen unterliegen muß und neue 
Marktrechte neuer Drte nicht ohne 'vorgängige Prüfung ber 
örtlichen Berhältnifie berilligt werben. Der Gemeinde wird 
es überlaffen, für Buben ꝛc. zu forgen und bafür ein gewifles 
Marftgeld von ven Verkäufern zu erheben. Die Wahl ber 
Tage und bie Dauer bed Marktes hängt von bes Berwaltunge« 


Behörde ab. 
20° 


— 308 — 


Befondere Märkte für einzelne Waarengattungen, ind 
befondere für landwirthſchaftliche Erzeugnifle, wie Vieh, Wolle 
($. 172), Flachs und Hanf, Hopfen, ferner Leinwand ıc. fm 
in den Gegenden, wo folde Waaren häufig hervorgebracht 
werben, ein ſehr gutes Mittel, den Abſatz zu befördern und 
fowohl die Erzeuger, ald die entfernter wohnenden Käufer und 
bie Zehrer aus der Abhängigfeit von einzelnen Auffäufern zu 
befreien. Die Maaßregeln der Regierung beichränfen fi au 
die Audwahl der bequemften Orte und die Beftimmung de 
paflendften Jahreszeit, ferner auf die allgemeinen Veranfaltungen, 
zur Bequemlichkeit der Marftgäfte (8. 285), wie 3. B. Beſtellung 
einer hinreichenden Anzahl verpflichteter Meſſer oder Wagmeir. 
(a) 3 B. dv. uhianeiber im bair. Kunſt- und Gewerbeblatt, 1521, 

33. — In Baiern find jährlih zufammengenommen 20% 

— — — Die wohlfeilen Marktwaaren end freilid uud 

bisweilen ſchlecht, nur auf den Schein gearbeitet, allein feweit nidt 

förmlicher Betrug. ftattfindet, muß es den Käufern überlaffen bleiben, 
beim Ginfaufe vorfihtig zu fein. Wer ohne Ucberlegung nur auf tn 
niedrigen Preis achtet, kommt nothwendig oft in Schaden, in mandrı 


Faͤllen ift aber eine wohlfeile, wenn glei in Schönheit oder Daurt: 
baftigfeit nachflehende Waare für die Zwede des Käufers gemügent. 


(5) Die fremden Verkäufer fliehen wegen der Reife: und Frachtkoſten, mega 
ber Abneigung der Zehrer, fi) Borräthe für längere Zeit anzuigaten, 
wegen der genaueren Berbindung ber Producenten bes Orts mit ihren 
Abnehmern u. dgl. auch wieder im Nachtheil. 


8. 287. 


Die Wochenmärfte (a) find hauptfächlich beftimmt, den 
Verkehr zwifchen ben Lands und Stabtbewohnern mit den rohen 
Erzeugnifien der erfteren, hbauptfächli mit Rahrungsmitteln 
(Getreide, Obſt, Gemüfe, Eiern, Butter, Mitch, kleineren 
Vieh), Holz, Heu, Stroh ıc. zu erleichtern und den Zehrem 
den unmittelbaren Einkauf von den Erzeugern möglich zu maden. 
Hiezu fommt an kleineren Orten das Feilbieten von Gewalt 
waaren, um wiederum ben Lanbbewohnern gute Gelegenheit 
zum Einfaufe zu verfchaffen. Das örtliche Bebürfnig hat in 
den Einrichtungen diefer Märkte viele Verſchiedenheiten hervor 
gebracht, weßhalb gewöhnlich den Orts⸗ und Bezirköbehörtr 
in biefer Hinfiht die näheren Anorbnungen überlaffen werben. 
In großen Stäbten ift für ben täglichen Kleinverfauf an do 
fimmten, wo moͤglich bedeckten Plaͤtzen zu forgen, von denen 











aber bie zum Berfauf größerer Ouantitäten beſtimmten Märkte 
verfchieden find (5). Die allgemeinen Mittel, folche Wochen⸗ 
märfte zu beförbern, find: 

1) Anmweifung zmedmäßiger Pläge, wobei jede Art von 
MWaaren eine befondere Stelle erhält; 

2) Vorfchriften, welche die Reinhaltung des Plage, die 
Wege und Haltpläpe der Fuhrwerke, das Freihalten der Zus 
gänge ıc. betreffen ; 

3) Verbot, an anderen Pläben feil zu halten, ober mit ben 
Verfäufern ſchon unterwegs Berträge zu fchließen, bie wenigs 
ſtens für ungültig erflärt werben; 

4) Verbot, baß Dritte fi) in einen angefangenen Handel 
mifchen, um den Käufer oder Verkäufer von demfelben abzu- 
ziehen (c); 

5) Beftelung verpflichteter Marktgehülfen zum Tragen, 
Meſſen, Abladen ıc. (d); 

6) polizeiliche Auffiht, um Betrug in Maaß und Gewicht 
ober durch fchlechte Befchaffenheit der Waaren zu verhüten. 

(a) Rüdiger, Staatslehre, II, 104. — Vinoens, Lögisl. comm. I, 39. 


— Baumfart, Ueber ben MWocenmarktöverfehr. Mann. 1836. 
— Mohl, polij. II, 479. 


(8) Neber bie in Paris getroffenen Maaßregeln Elouin, N. dictionn. II, 
190. Die Märkte zum Berfauf im Großen (march&s d’spprovisionne- 
ment) werden fowohl von den ftädtifchen Händlern, als von ſolchen 
Gonfumenten befucht, die einen beträchtlichen Vorrath brauchen, z. B. 
Speiſewirthe. — In den Markthallen hat jeder Kleinverkaͤufer Einen 
beftimmten Plag, den er aber durch Nichtbenugung verliert. 


(e) a eilpide fehlerhafter Beflimmungen : Ciſenachiſche Markt⸗O. v. 1757, 

A. 12: „der Fruchtpreis ſoll waͤhrend der Marktzeit von keinem erfiei⸗ 

gert, ſondern wie er im Anfang geweſen, gelaſſen werden“, Bergius, 
Landesgeſ. V, 221. 


(d) Sie tragen ein Abzeichen und es wird ihnen eine Tare vorgefchrieben. 


8. 288. 


Die Marktorbnungen enthalten gewöhnlih auch Beftims 
mungen, welche die Kleinhändler mit Lebensmitteln (Höfer) 
im Einfaufe auf dem Marfte befchränfen, namentlich ift den⸗ 
felben insgemein unterfagt, in den erflen Stunden bed Marktes 
etwas einzufaufen (a). Hierin liegt eine Begünftigung der 
ftäbtifchen Zehrer auf Koften der Landleute, denn dieſe legen 
oft ſolchen Werth .auf die Zeiterfparniß, daß fie, um fchnell 


$. 284. [245.] 


Unter Meffen verfieht man bie in gewifien Zeiten und 
Orten ftattfindenden Berfammlungen von Käufern und Ber 
fäufern für vielerlei Waaren und in einer dem Großhanbel 
entfprechenden Dienge (a). Am Angebot nehmen fowohl Er 
zeuger (Babrifherren ıc.) als Kaufleute Theil. Der Rugen ber 
Meffen befteht (8): 

1) in der Bequemlichkeit des Beftellens, Abrechnens, Be 
zahlens, Berathens ꝛc. bei der Anweſenheit vieler Kaufleute; 

2) in der Auswahl, die dem Käufer durch dad große Ans 
gebot dargeboten wird. Diefer Vortheil kommt vorzüglich ben 
Handwerkern bei der Anfchaffung von Verwandlungdftoffen und 
ben Kleinhändlern bei dem Einfaufe von Gewerkswaaren zu 
Gtatten; 

3) in ber Erleichterung bes Abfages für die Verkäufer. 
Deshalb find die Meflen auch dem Zwifchenhandel günftig, fie 
loden Käufer und Berfäufer aus fremden Ländern herbei und 
bieß giebt wieder zur Ausbehnung des Abfages von mandıen 
Zandeserzeugniffen Gelegenheit; 

4) in der Kenntniß, welche die Gewerböleute von ber jedes⸗ 
maligen Richtung des Begehrs nnd Verbrauches erhalten, wo 
burch fie in den Stand gefegt werden, die Erzeugung ben Rei- 
gungen ber Zehrer und ber Gelegenheit zum Abfage anzupajien. 
Auch dieß zeigt ſich vernehmlich bei den Gewerkswaaren und 
am meiften wieder bei denen, welche ben Beränderungen bt 
Mode unterworfen find. 

(a) Die Wochen: und Zahrmärkte unterfcheiden fi) von den Meſſen durch 
die geringeren Vorräthe, welche bauptiächlich zur unmittelbaren Berlor: 

ung ber Sehrer dienen. Es giebt Märkte, in denen zwar großt 
aften, aber nur von einer oder wenigen Arten von Waaren zum 

Berfaufe ausgeftellt werden, wie mande Wollen: und Hopfenmärktt, 


der Seidenmarkt in Trient, der Lämmermarft in Ipswich (über 100 000 
Stüd) x. 


(4) Soden, IV, 3. 236. 


$. 285. [246.] 


Der Meßbeſuch und das Herbeiführen der Waaren ift jedoch 
zeitraubend und mit anfehnlichen Koften verbunden, die entwedet 
ben Gewerböverbienft des Kaufmanns fchmälern oder ben Jehremn 


— 305 — 


die Waaren vertheuern. Wo daher ein lebhafter Verkehr ohne 
Meſſen beſteht, da iſt die Abweſenheit oder der Verfall derſelben 
nicht zu beklagen (a). In früheren Zeiten, bei der ſchwachen 
Bevölkerung und den Schwierigfeiten, mit denen dad Reifen, 
die fchriftlihen Mittheilungen und bie Waarenverfendung vers 
bunden waren, hatten die Meſſen ald Bereinigungspuncte eine 
Wichtigkeit, welche fie jegt nicht mehr befigen. «Große Handels⸗ 
Hädte im Innern des Landes, insbejondere bie den großen 
Hauptſtaͤdten eigene Anhäufung manchfaltiger Gewerfserzeugnifie, 
fowie dad häufige Umbherreifen anbietender Kaufmannsgehülfen, 
vertreten großentheild die Stelle der Mefien (5), auch wird durch 
das Borzeigen von Muftern wenigftend das Zuführen ber 
Waarenvorräthe zum Theil entbehrlich gemacht, wenn audy die 
Kaufleute aus dem in $. 284 Nr. 1 angegebenen Grunde fort 
fahren, fih auf den Meflen einzufinden. Manche berjelben 
gingen ein, ohne daß barunter der Handel im Ganzen gelitten 
hätte (c), und die Gründung einer neuen Meſſe gelingt beßhalb 
nur in wenigen Fällen (d). Die Begünftigung einer Meſſe 
durch den Zollnachlaß für die ausländiichen Waaren ift nicht 
zu billigen, vorausgeſetzt daß der Einfuhrzoll ſchon ohnehin nad 
richtigen Grundſaͤtzen angelegt ift; dagegen ift es zmwedmäßig, 
dag man den Zoll für bie unverfauft oder im Zwiſchen⸗ 
handel wieder hinaus gejendeten Waaren wieder zurüdgiebt, 
oder auch überhaupt feine Entrichtung fo lange hinausſchiebt, 
bis die Waaren in die innere Verzehrung übergehen (e). Die 
beitehbenden Meſſen (f) verdienen foweit unterftügt zu werben, 
als ed ohne einen Zwang oder eine Belaftung des Handels 
außerhalb der Meflen geichehen kann. Dahin gehören: geringe 
örtliche Abgaben von den Meßfremden, — bequeme Plaͤtze mit 
Abtheilungen für die verjchiedenen Gattungen von Waaren, — 
Mepgerichte zur fchnellen Schlihtung von Streitigkeiten, — 
Beſtellung verpflichteter Träger und Gehülfen für verſchiedene 
Geſchaͤfte, — Sorge für wohlfeiled und bequemes Unterfommen 
ber Fremden, — verftärfte Maaßregeln der Schußpolizei zur 
Berhürung von Diebftahl und Betrug u. dgl. 


(a) Rüdiger, Stantslehre, IL, 108. — Leuchs, Handelsw. IL, 409. — 
v. Jakob, Polizeigef. ©. 591. — Schmalz, Encykl. $. 995. — 
Vincens, I, 2383-34. — 53. 6. Leuchs, Gewerbes und Handels⸗ 
freiheit, S. 343. 

Rau, polit. Deton. II. 2. Abth. 5. Ausg. 20 


— 308 — 


Befondere Märkte für einzelne Waarengattungen, ine 
befonvere für lanbwirtbfchaftliche Erzeugniffe, wie Vieh, Wolle 
($. 172), Flachs und Hanf, Hopfen, ferner Leinwand ıc. find 
in ben Gegenden, wo folhe Waaren häufig hervorgebracht 
werden, ein fehr gutes Mittel, den Abfag zu befördern und 
fowohl die Erzeuger, als die entfernter wohnenden Käufer und 
bie Zehrer aus der Abhängigkeit von einzelnen Auffäufern zu 
befreien. Die Maaßregeln der Regierung bejchränfen fih auf 
die Auswahl der bequemften Drte und die Beftimmung der 
paflenbften Jahreszeit, ferner auf bie allgemeinen Beranftaltungen, 
zur Bequemlichfeit der Marftgäfte (8. 285), wie 3. B. Beftellung 
einer hinreichenden Anzahl verpflichteter Mefier oder Wagmeifter. 
(a) 3. 3. v. Utzſchneider im bair. Kunſt- und Gewerbeblatt, 1821, 

Nr. 33. 34. — In Baiern find jährlih zufammengenommen 204 

folge Sahrmärfte.e — Die wohlfeilen Markiwaaren End freilich auch 

bisweilen ſchlecht, nur auf den Schein gearbeitet, allein ſoweit nicht 
foͤrmlicher Betrug ſtattſindet, muß es den Käufern überlaſſen bleiben, 
beim Einkaufe vorfüchtig zu fein. Wer ohne Weberlegung nur auf ten 
niedrigen Preis achtet, Fommt nothmwendig oft in Schaden, in mandın 


Faͤllen ift aber eine wohlfeile, wenn gleich in Schönheit oder Dauer: 
haftigfeit nachſtehende Waare für die Zwede des Käufers genügend. 


(5) Die fremden Berfäufer flehen wegen der Reifes und Frachtkoſten, wegen 
der Abneigung der Zehrer, ſich Borräthe für längere Zeit anzuſchaffen, 
wegen der genaueren Berbindung der Producenten bes Orts mit ihren 
Abnehmern u. dgl. auch wieder im Rachtheil. 


8. 287, 


Die Wochenmaärkte (a) find hauptfächlicy beftimmt, den 
Berfehr zwifchen den Lands und Stadtbewohnern mit ben rohen 
Erzeugnifien der erfteren, bauptfählih mit Rahrungdmitteln 
(Getreide, Obſt, Gemüfe, Eiern, Butter, Milch, kleinerem 
Vieh), Holz, Heu, Stroh ıc. zu erleichtern und dem Zehrern 
ben unmittelbaren Einfauf von den Erzeugern möglich zu machen. 
Hiezu fommt an Fleineren Drten bad Feilbieten von Geweils⸗ 
waaren, um wieberum ben Landbewohnern gute Gelegenheit 
zum Einfaufe zu verfchaffen. Das örtliche Bebürfnig hat in 
ben Einrichtungen biefer Märkte viele Berfchiedenheiten hervor 
gebracht, weßhalb gewöhnlich den Orts⸗ und Bezirksbehoͤrden 
in biefer Hinſicht bie näheren Anorbnungen überlaffen werben. 
In großen Städten iſt für ben täglichen Kleinverfauf an be 
flimmten, wo möglich bebedten Plägen zu forgen, von denen 








— 53009 — 


aber die zum Verkauf größerer Quantitäten beftimmten Märfte 
verfchieden find (6). Die allgemeinen Mittel, folche Wochen» 
märfte zu befördern, find: 

1) Anweifung zwedmäßiger Pläbe, wobei jede Art von 
Waaren eine befondere Stelle erhält; 

2) Borfchriften, welche die NReinhaltung bed Platzes, bie 
Wege und Haltpläge der Fuhrwerke, das Freihalten der Zus 
gänge ıc. betreffen; 

3) Verbot, an anderen Plaͤtzen feil zu halten, ober mit den 
Berfäufern ſchon unterwegs Berträge zu fchließen, bie wenig⸗ 
ſtens für ungültig erklärt werben; 

4) Verbot, daß Dritte fi) in einen angefangenen Handel 
mifchen, um ben Käufer oder Verkaͤufer von bemfelben abzu⸗ 
ziehen (c); 

5) Beftellung verpflichteter Marktgehülfen zum Tragen, 
Meſſen, Abladen ıc. (d); 

6) polizeiliche Auffiht, um Betrug in Maaß und Gewicht 
oder durch fchlechte Befchaffenheit der Waaren zu verhüten. 

(a) Rüdiger, Gtaatölehre, II, 104. — Vincens, Lögisl. comm. I, 39. 


— Baumftark, Ueber den Wochenmarktsverkehr. Mannh. 1836. 
— Mohl, Poli. II, 479. 


(5) Ueber die in Paris getroffenen Maaßregeln Elouin, N. dictionn. II, 
199. Die Märkte zum Verfauf im Großen (marches d’approvisionne- 
ment) werden fowohl von den ftäbtifchen Händlern, als von folchen 
Conſumenten befucht, die einen beträchtlichen Borrath braudyen, 3. B 
Speifewirthe.. — In den Markthallen hat jeder Kleinverkäufer Kinen 
beftimmten Blag, den er aber durch Nichtbenutzung verliert. 


(c) Beilpiele fehlerhafter Beſtimmungen: Eiſenachiſche Markt⸗O. v. 1757, 
9. 12: „ber Fruchtpreis fol während der Marktzeit von keinem erſtei⸗ 
aert, Sondern wie er im Anfang gewelen, gelaflen werden“, Bergius, 
Zandesgef. V, 221. 


(d) Sie tragen ein Abzeichen und es wird ihnen eine Tare vorgefchrieben. 


$. 288. 


Die Marktorbnungen enthalten gewöhnlih auch Beftims 
mungen, weldye die Kleinhaͤndler mit Lebensmitteln (Höfer) 
im Einfaufe auf dem Marfte befchränten, namentlich iſt den⸗ 
felben insgemein unterfagt, in ben erflen Stunden bes Marktes 
etwas einzufaufen (a). Hierin liegt eine Begünftigung ber 
ftäbtifchen Zehrer auf Koften der Landleute, denn biefe legen 
oft folchen Werth .auf bie Zeiterfparniß, daß fie, um fchnell 


— 312 — 


ferung,, in der Kindheit bed Nahrungswelend, war biefe Form 
des Handels häufig und zur Berforgung der Bewohner ab; 
gelegener Gegenden ganz zwedmäßig, fie wird aber allmälig 
durch die Vermehrung der Kaufleute mit fehlen Wohnfigen ver 
drängt. Die Kramläden ber Kleinen Städte und Marktfleden 
werben immer vollftändiger mit verfchiebenen Arten von Waaren 
verfehen, felbft auf den Dörfern entftehen folche Käden, in denen 
wenigſtens das augenblidliche Beduͤrfniß befriedigt wirb, und 
die Sahrmärfte erleichtern ebenfalls die Verforgung mit vielerlei 
Dingen. Der Kreis von Gegenftänden, bei denen ber Hauſirer 
mit feinen verhältnißmäßig hohen Reifekoften noch einen lohnen, 
den Gewerböverbienft ziehen ann, wirb daher mehr und mehr 
verengert und ohnehin iſt er nur auf ſolche Waaren angewiefen, 
welche in Tleinen Gewichtsmengen verbraucht werben. Indeß 
erhalten fih auch fpäterhin noch einzelne Zweige des Haufir 
handel, und obgleidy hiebei nicht felten Ueberredung zum An: 
faufe unnöthiger Dinge oder Betrug mit ſchlechten Waaren (b) 
vorfommt, fo verdient doch im Ganzen genommen das Dafein 
folcher wandernder Kleinhänbler nicht die Ungunft, welche neuer 
lich, befonderd aud dem Stanbpunct der Befißer von Kramlaͤden, 
gegen biefelben rege geworben ift. 

1) Es ift dem Käufer oft willfommen, wenn ihm ein 
Waare ind Hand gebracht wird, befonderd auf bem Lande, 
ber Abſatz wird daher erweitert. 

2) Biele Dinge find nicht fortwährend bei Krämern zu 
faufen, weil fie 3. B. nur felten, zufällig, oder in Heinen 
Duantitäten gebraucht, oder nicht regelmäßig hervorgebradt 
werden, oder wenigitend nur an größeren Orten fortwährent 
zu haben find Ce). 

3) Borzügliche durch Arbeitötheilung entſtandene Gefchidlic- 
feit, oder Fleiß und Genügfamfeit fegen die Hauſirer bei ein 
zelnen Waarengattungen in den Stand, fi) im Mitwerben 
neben ben anfäfligen Kaufleuten zu behaupten. 

4) Manche Waaren müffen, weil fie bald verberben, fchnell 
abgefeßt werben, 3. B. viele Nahrungsmittel. 


(a) Bergius, Magaz. IV, 311. — Rüdiger, a. a. D. ©. 101 (gegen 
alle Sinfhränfungen). — Benfen, Materialien, L 99. — Berbant: 
lungen der 2. Kammer in Baiern, 1819, V, 137. 248. VI, 219. — 
Verhandl. der 2. Kammer in Baden, 1819, VI, 138. 154. Sitzunge⸗ 











— 313 — 


prot. der naflauifchen Deput. Berl. 1822. S. 241. — Leuchs, ©. 
350. — dv. Ulmenflein in Rau, Ardiv ber polit. Defon. L 207 
(eifrige Vertheidigung dieſes Handelsbetriebes). 


(5), In Nähnabelfabrifen wird der Ausſchuß, Nadeln mit ausgebrochenem 
Oehr u. dgl. enthaltend. an die Haufirer verkauft, welche ihn unter 
andere Nadeln mengen. Belonders bei den Landleuten gelingen ſolche 
Mittel. — Haufirer, welche die nämlichen Orte öfter beſuchen, müflen 
fih dur aute Waaren die Kundfchaft zu erhalten fuchen, mährend 
FA Unbefannten in Folge übler Erfahrungen ein Mißtrauen 
entftebt. 

(e) Lange war dieß 3. B. bei Beuteltuch für Mühlen, Teppichen, Hand⸗ 
fhuben, Brillen, Barometern nebft anderen optifchen und phnflcalifchen 
Inftrumenten, Landcharten, Kupferftichen, Rofenfrängen und Grucifiren, 
Gypsfiguren, Citronen, Tinte, Obſtſtaͤmmchen ıc. ber Ball. — ' Bei 
fhwarzmwälder Uhren und Bürften, Maufefallen (befonders durch ungas 
riſche Slovaken), Eanarienvögeln, Sämereien (3. B. von Bönningen, 
Zeisfam), Blumenzwiebeln u. dal. kommt es noch häufig vor. Unter 
die nämlichen Regeln fällt der für die Kabrifen nüglihe Auflauf durch 
wandernde Bewerbsleute, 3. B. von Aſche, Knochen, Zumpen, ®lass 
fherben. — Bon dem Haufirhandel verfchieden iſt die neuerlich in 
Bang gekommene Art des Handels, bei welcher Lager von Kunſtwaaren 
in Städten, in denen der Gigenthümer nicht anfäfflg ift, auf kurze 
Zeit zum Kleinverfaufe ausgelegt werden. Diele Benußung der neues 
ren Gewerbsgeſetze kann nicht unterfagt, es kann nur durch angemeflene 
Befteuerung die den anfäffigen Kaufleuten gebüßrende Gerechtigkeit ges 
wahrt werden. 


$. 291. 


Es giebt jedoch noch einige andere Rüdfichten, bie eine 
unbedingte Geftattung des Hauftrhanbeld verbieten. 

) In Laͤndern, welche Einfuhrzöffe haben, ermuntert er bis⸗ 

weilen zu dem Einfchwärzen und beeinträchtigt dadurch die in⸗ 
ländifhen Kaufleute, welche den Zoll für ihre Hanbelsartifel 
entrichten. 

2) Er verleitet bisweilen zu einer unorbentlichen fittenlofen 
!ebensweife und dient leicht zum Vorwande, unter bem fich 
Diebe, Betrüger oder Räuber oder deren Kunbfchafter einfchleichen 
und die Gelegenheit zur Begehung von Verbrechen erfpähen (a), 
fo wie auch 

3) mandje von ber Hauftrern umgeſetzte Waaren neben ber 
betrügerifch verheimlichten fchlechten Beichaffenheit aus Rüds 
fihten der Geſundheitspolizei als gefährlich erfcheinen (6). 


(a) In England gaben fich, fonft diefe Haufirer (pedlars) häufig damit ab, 
falfhes Geld in Umlauf zu feßen; vgl. Colquhoun, Police of the 


metropolis, ©. 118. 
(5) Befonders Apothekerwaaren (von den fog. DlitätenRrämern abgefebt), 


aber auch Pomaden, Schminken, Zahnpulver, Schnupftabal ıc. 


— 3l6 — 


die Guütererzeugung und den Verbrauch der Buͤrger ſchaͤdlich. 
Wenn Aus⸗ und Einfuhrzölle aus anderen Rüdfichten ber 
wirtbfchaftlihen Staatöflugheit angelegt oder beibehalten wer- 
den, fo fol man fie fo einridhten, daß fie dem Handel am 
wenigften ſchaden. Die Gründe, welde für dad Jollweſen 
geltend gemacht werben (a), liegen theil3 in einem Yinany 
zwede, foweit nämlich bie Zölle, vorzüglich die auf die Einfuhr 
gelegten, als Aufwanböfteuern vom Verbrauche ausländifcher 
Erzeugniffe, d. i. als Steuerzölle erfcheinen (III, $. 443), 
theild in Zwecken der Volkswirthſchaftspflege. Dahin gehört 
1) die Berhütung einer nachtheiligen Handelsbilanz, 2) bie 
Beihügung des inlänbifchen Gewerbfleißes. 
(s) Außer den in $. 205 (e) genannten Schriften f. noch Kuhn, Spe- 
cimen oeconomico -politicum inaugurale, quo arguments exhibentur ad 
rejiciendam vel commendandam industriae et mercaturae libertatem 


valgo allata, Amstelod. 1835 (nur die Gründe für und gegen, ohne 
Enticheidung). 


$. 294. [8. 298.] 


Zu 1). Es wird oft befürdtet, daß, wenn bie Einfuhr 
größer if ald die Ausfuhr und ber Ueberfchuß ber erften baar 
bezahlt wird, hierdurch eine fchädliche Verminderung bes inlän 
bifchen Geldvorrathes entfiche. Diefe Beſorgniß iſt jedoch 
nicht begruͤndet, weil nach der Natur des auswärtigen Handels 
(I, $. 418— 30) Baarſendungen auf die Dauer und in be 
trächtlicher Menge zur Vergütung. ber Einfuhr nicht brauchbar 
find. Eine fortgefeßte Geldausfuhr würde eine Vertheuerung 
ber edlen Metalle und ein Sinfen im Gelbpreife der Waaren 
nach fidy ziehen und dieß erfchwert fobann ben Anfauf auslän 
bifcher Erzeugniffe, während es zur häufigen Ausfuhr der wohl. 
feilen inlänbifchen ermuntert, I, 8. 422. Schon ber ungünftige 
Wechfelcurs, den ein Mehrbetrag ber Einfuhr über die Ausfuhr 
verurſacht, äußert eine Ahnliche Wirkung, nur in geringerem 
Maaße. Es mögen wohl geringe Unterfchiede der Aus⸗ und 
Einfuhr mit Münze oder Münzmetall ausgeglichen werben, aber 
bei einer großen Handelsbilanz geht dieß nicht an, und eine 
ſolche zerftört fih in Furzer Zeit felbft, wenn nicht zufällig 
Sendungen von Land zu Land aus anderen, dem Handel frem⸗ 
den Zweden, z. B. Darleihen (I, $. 420) hinzufommen. Daher 








— 317 — 


bemerkt man auch in denjenigen Ländern, deren Handelsbilanz 
ungünftig zu fein fcheint, nicht eine ſolche Wohlfeilheit, wie fie 
bei einer fortbauernden Geldſtroͤmung nach dem Auslande herr⸗ 
fhen müßte (a). Ebenfowenig wird ein Ueberſchuß der Ein- 
fuhr über die Ausfuhr regelmäßig mit Schulden erfauft, I, 
8. 421. Zwar find Darleihen des capitalreicheren Volkes an 
dad ärmere nicht felten und fie pflegen audy mittelbar oder uns 
mittelbar in Waaren übermadt zu werben (I, $. 425), allein 
fie find dann nicht die Wirkung, fondern die Urfache einer vers 
mehrten Einfuhr; biefe muß, infoferne fie aus Darleihen ents 
ftand, bei den Bortfchritten ded MWohlftandes abnehmen und 
fpäter, wenn man zum Abtragen der Schulden fommt, muß 
fi) eine fogenannte günftige Bilanz zeigen. 


(a) Der Wunſch, daß Deutfchland feinen Bedarf von Erzeugniffen anderer 
Erdtheile unmittelbar aus benjelben beziehe und 2 mit feinen Kunſt⸗ 
waaren erlaufe, iſt allerdings begründet,. aber hauptſächlich darum, 
weil bei einem ſolchen Verkehre mehr Handelögewinn bezogen würde 
und die Ausfuhr fi weiter ausdehnen fönnte, als wenn man jene 
Waaren durch Bermittelung anderer europäifcher Bölter erhält. — 
Man täufcht fich leicht über den Stand des auswärtigen Handels, ins 
dem die Binfuhrgegenftände uns taͤglich vor die Augen treten, die Aus⸗ 
fuhr aber an den Graͤnzen erfolgt Und im Innern wenig bemerft wird. 
— Im Canton Waadt ergaben die Kiften einen jährlihen Mehrbetrag 
ber Cinfuhr von 1—1Y/a Mill. Fr., obgleich augenſcheinlich die Geld⸗ 
menge und der Wohlſtand des Landes nicht abnehmen. Bernoulli, 
Schweizerifhes Archiv für Statiftif und Nationalöfonomie, 1, 151. — 
Es ift merfwürdig, daß Spanien nicht bloß von den Bertheidigern des 
Handelsſyſtems, fondern auch von den Bekennern ber Smithiſchen 
Theorie, folglih als Beifpiel für beide Anfichten angeführt wird. — 
Hustiffon, Unterhaus, 23. Yebr. 1826: „Spanien ift das befle 
Beifpiel des Prohibitivſyſtemo, das vollfommenfte Bild gefallener 
Größe und inneren Glends, welches die neuere Bivilifation aufzuweiſen 
bat, — die Handelspolitit Spaniens iſt ganz einfach diefe: nichts von 
anderen Ländern zuzulaflen, als was der Smuggler einfchwärzt.” — 
Spanien fonnte darum mehr einführen, als es auszuführen hatte, weil 
es jährlih Gold und Silber unentgelblih aus America begog Um 
damit feine Waarenkäufe berichtigte. Es war unmöglid, die Metall 
flüffe im Lande zurückzuhalten, hätte man dieß aber vermocht, fo hätte 
man einen unproductiven Gütervorrath angehäuft, der einer befleren 
Anwendung fähig war, Gine freiere Ginfuhr hätte vielleicht beigetras 
gen, die erfchlaffte Betriebſamkeit zu beleben. 


$. 295. _ [299.) 


Zu 2). Die Schupzölle in ihrer Beziehung auf Zweige 
ber Erdarbeit und der Gewerke find fchon an früheren Stellen 
(8. 123. 205 ff.) beleuchtet worden und es ift baher hier nur 





— 38 — 


noch die gebrängte Zujammenfafiung ber Grgebnifie nöthig. 
Man würde auf bie Bortheile, welche der auswärtige Handel 
zufolge der Verſchiedenheit der Natur⸗ und Kunfterzeugniffe ver 
Zänder gewährt (I, $. 412), ganz verzichten, wenn man burd 
ſtarke Einfuhrzölle bewirken wolte, daß alle Begenftände bes 
Verbrauches innerhalb des Landes hervorgebracht würden. 
Berlegt ſich ein Bolt vielmehr auf diejenigen Zweige ber Stoff: 
arbeit, die ed mit beftem Erfolge betreiben kann, und tauſcht 
ed gegen feine Ausfuhr ſolche Waaren ein, bie es befier und 
wohlfeiler von außen beziehen kann, fo giebt dieß ber Güter 
erzeugung und dem Handel ben freieften Spielraum, dem Bolfe 
das reichfte Maaß von Gütergenuß und dem Gewerbeweſen 
bie natürlichfte und ficherfte Beftaltung. Den künftlich hemor 
getriebenen Gewerben find in ber Regel diejenigen vorzuziehen, 
welche bei voller Freiheit aufiprießen. Andere Beförberunge- 
mittel der Stoffarbeiten geben keinen Anlaß zu jenen Beforg- 
niffen, denn dad Mitwerben des Auslandes forgt von jelbit 
dafür, baß ſie bei folchen Gewerben ohne Erfolg bleiben, bie 
ben ‘Broductionsverhältniffen des Landes nicht entfprechen. Die 
Handeldfreiheit erfheint demnach im Allgemeinen als dad Bors 
zügliche, auch haben zahlreiche Erfahrungen die Bortheile ber 
Annäherung an dieſelbe bargetjan (a). Indeſſen liegen in 
manchen gegebenen Umfländen Gründe, weldye eine plöglice 
Entfernung aller Schupzölle in einem einzelnen Staate zur Zeit 
unrathfam machen und eine allmälige Sreigebung ber Aus⸗ und 
Einfuhr empfehlen, $. 125. 131. 208 a. 209—12. 


(a) Namentlich in Sroßbritanien, wo man die Zunahme ter Ginfuhr und 
Ausfuhr und eine geringere Schwankung der Preiſe deutlich wahrnahm. 
Dieje wichtigen Handelserleichterungen wurden hauptfädhlidh von Hue⸗ 
tiffon (1822 —26) und von Peel (1842 ff.) eingeleitet; |. 3. B. 
Tooke, History of prices, V, 391. 


5.296.  . [300.] 


Es ift zur Beurtheilung ber aus ben Zöllen hervorgehen 
den Wirfungen nicht hinreichend, nur auf den einzelnen Ges 
werbözweig zu achten, zu befien Beförderung ein Zoll befteht, 
man muß auch ben Einfluß befielben auf den ausmärtigen 
Verkehr im Banzen in Erwägung ziehen. infuhrzölle von 
Gewerkowaaren vermindern oder zerflören bie Einfuhr derſelben, 


— 319 — 


wenn fie hiezu body genug find. Kur rohe Stoffe werben noch 
in gleicher und bisweilen (wenn fie ald Berwandlungds und 
Huülföftoffe zur Verarbeitung dienen) jelbR in vermehrter Menge 
vom Auslande herbeigebradht. Nimmt die Einfuhr im Ganzen 
beträchtlich ab, fo ift wegen bed innigen Zuſammenhanges zwi⸗ 
fen der Ein» und Ausfuhr (I, 8. 424) zu erwarten, daß 
auch die legtere fich vermindere, weil mit der Stodung in den 
Gewerfözweigen bed Auslandes die Fähigkeit defielben zum 
Einfaufe fremder Erzeugniffe abnimmt und die Bezahlung durch 
Baarfendungen oder Wechfel den Ankauf vertheuert, 8. 294. 
Stellt fi nun dad Gleichgewicht zwifchen der Ein⸗ und Aus⸗ 
fuhr des Landes, in welchem der Einfuhrzoll befteht, dadurch 
ber, daß zufolge der verringerten Einfuhr der auswärtige Ab: 
fag ber Landederzeugnifle Fleiner wird (a), fo leiden darunter 
diejenigen Gewerbe, welche für die Ausfuhr arbeiten. Diefe 
find aber gerade ganz beſonders vortheilhaft. Ihre Schwächung 
it ein Nachtheil, ven man dem von den Zöllen gehofften Nutzen 
gegmüberhalten muß, wenn man die Zwedmäßigfeit ber letz⸗ 
teren im Ganzen richtig beurtheilen will. Es gefchieht zwar 
auch im natürlichen Bortgange des Gewerbfleißes, daß einzelne 
Zeige ber Ausfuhr abnehmen oder aufhören, weil bie Gegen 
ftände derfelben innerhalb des Landes ftärfer begehrt und höher 
bezahlt werben, allein dieß ift in folchen Bällen von jeber Seite 
nügli, weil ed von der Ausbreitung und Vervollkommnung 
anderer Zweige der Gütererzeugung herrührt. 


(a) Als im 17. Jahrhundert der König von Polen die zu Danzig und 
Billau eingeführten Waaren einem flarfen Zoll zu unterwerfen beichlofe 
fen hatte, erklärten die niederlaͤndiſchen Generalſtaaten, fie würden fich 
genöthigt fehen, fatt des polnischen Lieber zuffifches und anderes Be: 
treide fommen zu laſſen. Boxhorn, Disquisitiones politicae, S. 240 
(in befien Varii tractatus politici, Amstelod. 1663). — Als 1809 in 
Großbritanien ein beträchtlicher Einfuhrzoll auf das von europäifchen 
Ländern kommende Bauholz gelegt wurde, um den Abſatz des canadis 
fhen Holzes zu befördern, bemerkte man bald, daß mit der Holzeinfuhr 
von den Afeeländern auch die Ausfuhr nach benjelben flarf abnahm. 
Der Handel mit ihnen befchäftigte 1809 noch britifche Schiffe von 
428000 Tonnen Gefammtladung, 1816 nur noch 181000 Tonnen. 
Die Ausfuhr nah Schweden war im Durchſchnitt von 1808— 1810 
nah den Zollpreiſen I584276 2. ©t., von 1816 —1822 aber nur 
145217 2. St. Die Berforgung mit Bauholz geihieht aus Europa 
viel leichter, da ein britiſches Schiff jährlich fehemal nad Norwegen, 
dreis bis wiermal nad Preußen, aber nur zweimal nach Canada fahren 
fann, Edinb, Rev. Ar. 86 (Febr. 1826) und Tabelle von C&sar Mo- 


— 320 — 


reau, I, $. 425. — Seitdem Frankreich wegen ber Ginfuhrzölle 
weniger Holz aus dem nördlichen Guropa kauft, ift feine Ausfuhr von 
Mein, Brannwein und sing nad diefen Gegenden geiumfen, auch 
Nr es das im Lande jelbfi gewonnene Holz theurer ale das ners 
iſche. 


$. 297. [301] 


Adgefehen von den befonderen Gründen, welde in dem 
einen Lande die Beibehaltung von Zöllen mehr oder weniger 
eınpfehlen mögen, ift in Bezug auf die Vortheile und Rad: 
theile berfelben auch die Größe bed mit einer Zollgränze ums 
fchlofjenen Gebietes in Betracht zu ziehen. In einem fleinen 
Lande ift nicht allein der Aufwand für die Erhebung und 
Ueberwahung der Zolleinnahme verhältnigmäßig größer (EL, 
$. 452), fondern aud der durch den Zollſchutz beabfichtigte 
Nutzen Heiner ($. 214. Nr. 10) und der Rachtheil einer Stös 
rung ded auswärtigen Handeld ftärfer. Ein kleines Land bie 
tet nicht für vielerlei Zweige ber Gütererzeugung bie nöthigen 
Bedingungen dar, fein Gewerbfleiß ift nothwendig einfeitiger, 
ein größerer Theil des Verzehrungsbedarfes wird von außen 
bezogen und ber Austaufch mit anderen Ländern ſowohl nad 
Menge ald nah den Arten der Handelögegenftände iſt auss 
gedehnter. Die Zolffäge müflen daher ſchon wegen des kleine⸗ 
ren Blächenraumesd niedriger beftimmt und auf mwenigere Gegen 
fände bejchränft werben. Es ift ein großer, Fortfchritt, wenn 
mehrere benachbarte Staaten in Bezug auf die Gränzölle in 
Gemeinfchaft treten und dadurch ihren Unterthanen im ganzen 
BVereindgebiete die Wortheile des freien Verkehrs verjchaffen. 
Se größer der Umfang ber auf folche Weife verbundenen Staa 
ten ift, ein defto weiterer Spielraum bietet ſich für alle gewerb⸗ 
lichen Unternehmungen dar und defto mehr werden die Bortheile 
bes freien Mitwerbens fihibar ($. 211 (d)). Ein folches vor 
einbarted Zollfyften Tann auch zu anderen gemeinfchaftlichen 
Maafregeln die Anregung geben (a) und die zugehörigen Laͤn⸗ 
der mehr und mehr zu einem volföwirthichaftlichen Ganzen 
verbinden (5), jo daß eine fpätere Auflöfung der Gemeinſchaft 
für viele Gewerböunternehmungen fowie für bie gute Verſor⸗ 
gung ber Zehrer hoͤchſt fchäblich fein würde (c). Die Grunds 
züge eined ſolchen Zollvereind, wie ber jeßige deutſche, find 
folgende: 











— 31 —-- 

1) Das ganze Gebiet des Vereines erhält eine Zollgränze 
gegen bad Ausland, mit gleidhförmigem Tarif und gleichen 
Erhebungsformen. Obgleich hiedurch für die Gefammtheit ber 
BVereindftaaten die nämlichen Berhältnifie entftehen, wie für 
einzelne große Staaten, fo ift ed body rathfam, ſich hievon 
nicht zu höheren Schugzöllen verleiten zu laſſen, als fie mit 
den geläuterten Grundfägen der Volkswirthſchaftspolitik verein« 
bar find. 

2) Der Ertrag ber Zölle wird nach Abzug der Erhebungs- 
foften unter bie vereinigten Staaten nach einem verabrebeten 
Maapftabe, am leichteften nady der Volksmenge, vertheilt. Es 
enifteht hieraus eine gemeinfchaftliche Betheiligung an der Zoll 
einnahme, die jeder einzelne Staat an feiner Bränze gegen das 
Ausland erhebt (d). 

3) Alle Abänderungen und neuen Einrichtungen, fowie bie 
Leitung ded ganzen Zollweſens, hängen von ber Uebereinkunft 
der verbundenen Staaten ab, die zu diefem Behufe periodifche 
Berfammlungen ihrer Abgeorbneten veranftalten (e). 

4) Zwifchen ben Bereinsftaaten fallen alle Zölle weg. 
Wenn jedoch eine DBerfchiedenheit in ven inneren Aufwands⸗ 
fteuern (Acciſe) beftcht, fo ift ed unvermeidlich, daß jeder Staat 
die aus einem anderen Bereindlande eingeführten Waaren ders 
felben Steuer unterwerfe, welche er von feinen inländifcyen Ers 


zeugniflen erhebt (f). 


(a) Berabredungen diefer Art find in dem beutfchen Zollvereine für meh⸗ 
tere GBegenttände getroffen worden, namentlich über das Maaß der 
Weggelder (höchftens nach dem preußifchen Tarif von 1828) und der 
Bar ölle (hoͤchſtens 1 fr. per Gentner und Meile, wo keine beſon⸗ 
deren Vertraͤge beſtehen), bie Abfchaffung der- Thorfperrgelder sc. Die 
Deünzverträge von Münden und Dresden find gleichfalls Kolgen der 
Zollvereinigung. — Wanches andere ift der Zukunft überlaflen, 3. 2. 
in Betreff der Srfindungspatente, Der Handelsmaaße, ber Poſt ꝛc. 


(6) In einem Boflvereinsgebiete if die gefammte Aus- und Ginfuhr gegen 
andere Länder (Vereins: Ausland) Heiner, als die Gin⸗ und Ausfuhr 
der zugehörigen Länder vor der Vereinigung war, weil ein Theil der- 
felben jest zum inneren Berfehre wird und diefer mehr Umfang erhält. 
Der Vorſchlag eines allgemeinen Reichszollweſene in Deutichland, mit 
einem an der Reichsgraͤnze zu erhebenden Zoll von 4 Proc. bei der 
Ginfuhr und Ausfuhr und mit Zollfreiheit für Getreide, Wein, Bier, 
Vieh und Leder wurde 1522 vom Reichstage berathen, aber von den 
Städten vereitelt, Sid, a. a. D. ©. 3. — Nach der Errichtung des 
beutfchen Bundes gab befonder6 im Jahre 1818 der Drud der in den 
einzelnen Staaten beflehenden Zölle zu vielen Klagen Anlaß. Nieder. 

Ran, yolit. Deton. 1I. 2. Abth. 5. Ausg. 21 


— 322 — 


cheinifche Fabrikherren brachten (27. April) an die preuß. Regierung 
ben Wunſch, daß die Zölle im Innern von Deutſchland aufgehoben 
und nur Zölle gegen das Ausland beibehalten werden möchten. Aud 
die Schrift von Fr. Nebenius —— über den Zuſtand Bro 
britaniens, 1818) leitete auf diefen Gedanken bin. Gin. Berein von 
Gewerbtreibenden (deutfcher Handelsverein, April 1819) betrieb Bei 
dem YBundestage und ben einzelnen Regierungen den Plan, Handels 
freiheit im Innern und ein auf Metorkon gegründetes Zollfyftem an 
der deutſchen Gränge zu errichten. Borzüglic eifrig wirkte in biefem 
Sinne Fr. Lift als GBonfulent jenes Vereins und Herausgeber der 
Zeitichrift „Organ“. Die Söreierigkeiten der Ausführung fchienen 
jedoch unüberfteiglih. Erſt duch Nebenius wurde im nämlichen 
Jahre in einer Denkfchrift gezeigt, wie diefer Gedanke in Ausführung 
gebracht werden könne, haupfſachlich in Hinficht auf die inneren Auf: 
wandsfteuern, und feine Vorſchlaͤge wurden fpäterhin größtentheils be 
folgt. Berhandlungen zwifchen mehreren fübdeutfhen Staaten in ben 
folgenden Jahren (in Darmftadt) hatten feinen anderen unmittelbaren 
Erfolg, als die Vereinbarung zwifhen Baden und dem Großh. Heſſen 
v. 18. Sept. 1824 zu gegenfeitigen SZollerleichterungen,, die mit dem 
Jahre 1825 wieder zu Ende ging. Baiern und Würtemberg verab⸗ 
redeten im Bertrage vom 12. April 1827 die Bildung eines gemein 
fchaftlihen Zoll⸗ und Handelsiyftems, wozu fie fogleich einige vorbe: 
reitende Schritte thaten, und welches durch den Vertrag vom 18. Jan. 
1828 feine vollftändige Entwidlung erhielt. Gleichzeitig ſchloß Bra 
Ben mit dem Großh. Heflen einen ähnlichen Vertrag ab, 14. Febt. 1828. 
Am 16. April 1831 trat MWalded, am 25. Aug. 1831 das Kurfürken: 
tum Heffen dem preußifchzheffifchen Vereine bei, auch befchloflen beite 
Bereine wechlelfeitige Zollerleichterungen für den Verkehr ihrer Unter: 
thanen. Der Vertrag .v. 27. Mai 1833 ſprach die Verſchmelzung die 
fer beiden Vereine in einen einzigen aus, nachdem ſchon Sachſen (Bert. 
vom 30. März 1833) und 10 thüringifche Länder und Lanbestheile 
(10. Mai) fih dem preußifch-hefftichen Zollverbande angejchloffen hatten. 
Späterhin traten Baden (12. Mai 1835), Naffau (10. Decbr. 1835), 
Frankfurt a. M. (2. Jan. 1836), Lippe (18. October 1841), Braun 
Ihweig (19. Oct. 1841), euremburg (8. Febr. 1842) Hinzu. Die 
Dauer des Vereins wurde am 8. Mai 1841 auf weitere 12 Jahre bis 
zu Ende 1853 verlängert. Neben diefem großen band auch ein klei⸗ 
ner deutfcher, der fog. Steuerverein, im April 1835 zwilchen Han 
nover ‚und Braunfchweig gefchloflen und 1836 durch den Beitritt 
Dldenburgs verflärft. (K. v. Berg) Ueber den Beitritt Oldenburge 
in dem bannöv.sbraunfgw. Zollverb. Oldenb. 1835. Braunſchweig 
ft jedoch zu dem größeren Vereine übergegangen und feit 1844 iſt bie 
Zollgränge zwifchen diefem Lande und Hannover wieder hergeftellt wor 
den. — Gine Berfchiedenheit der Meinungen über die nüßliche Höhe 
des Zollſchutzes und über allgemein flaatliche Verhaͤltniſſe bedrohte ſpaͤ⸗ 
ter die Fortdauer des Vereins. Als Preußen am 1. Sept. 1851 einen 
Vertrag mit Hannover zur Zollvereinigung mit dieſem Staate ſchloß 
und zum Behufe der hierdurch nöthig gewordenen Beränderumgen den 
bisherigen Zollvereind: Vertrag Fündigte, traf ein Theil der Vereins⸗ 
ſtaaten in Wien und Darmftadt eine Verabredung, um auf den Ein: 
teitt der ganzen oͤſterreichiſchen Monarchie Hinzuwirfen und die Gr 
neuerung des Bereins mit bloßem Zutritt von Hannover und Dlten 
burg zu verhindern. Die a en ber Berliner Zollvereinscon⸗ 
feren; im Sommer 1852 führten zu feiner DVerftändigung und die 
Sefahr einer Spaltung des Zollvereins trat näher. Dechelhäufer, 
Der Fortbeftand des ZB. und die Handelseinigung mit ODefſterreich. 





—— 828° — 


Frankf. 1851. — WBappäus, Belegentlihe Gedanken über nationale 
Handelspolitif. Göttingen 1851. — Hanffen, Gin Beitrag zu den 
Debatten über die Didenburgifche Zollanſchluß⸗Frage. Didenb. 1852. 
— (*) Die Zollconferenz in Wien... Leipz. 1852. — Rau, Ueber 
die Krifis des 3B. im Sommer 1852. = Rau und Hanfien, Archiv 
N. 8. X. Bi. — (Kühne) Zur handelspolitiſchen Frage. Berlin 
1852. — (*) Zum Berftändnig der Zollvereinskriſis. Gießen 1852. — 
Unter diefen Schriften find die beiden mit (*) bezeichneten zu Gunſten 
ber Wiener und Darmiladter Verträge. (ine Sammlung der Acten- 
- Rüde enthält die Schrift: Beiträge zur Beurtheilung der ZV.⸗Frage. 
Berlin 1852. Die Gefahr wurde jedoch, 018 Defterreich ſelbſt die er: 
reigung des Bollvereins als ſchädlich erfannte, durch die neuen Bers 
träge befeitigt, nad) welchen der Zollverein durch den Zutritt von Hans 
noyer und Oldenburg erweitert und bie Ende 1865 verlängert wurde 
(4. April 1853), auch zwiſchen demſelben und Defterreich gegenfeitige 
erhebliche Zollerleichterungen eintraten und eine fernere Annäherung 
beider Gebiete in Ausfiht geftellt ik (19. Febr. 1853). Der Berein 
umfaßt jeßt 9112 Geviertmeilen mit 34'855 000 Binwohnern (Zählung 
im Dec. 1861). — Für foldye Staaten, die vorher niedrigere Zölle 
hatten als der Bereinstarif, bildet die Annahme des lepieren eine neue 
Belaflung ber Unterthanen, dieß vergütet fidh aber im Ganzen theils 
duch die reichlichere Staatseinnahme, welche eine Herabiegung anderer 
Steuern möglidy macht, theile durch die Bortheile tes größeren Mark 
tes für alle Gewerbserzeugniſſe. Die Bereinigung bat auf bie Betriebs 
ſamkeit und den Wohlſtand der Bereinslande fehr wohlthätig gewirkt, 
viele neue Gewerbsunternehmungen hervorgerufen, .dvem Binnenhandel 
und damit auch der @ütererzeugung größere Lebhaftigfeit gegeben, ein 
Beifpiel mäßiger Schußzölle aufgeftellt, deren weitere Werringerung ſich 
vorbereitet, dem Selbftgefühl und der Vaterlandsliebe der Deutichen 
eine Befriedigung gewährt und die Möglichkeit gemeinfamer Ginrich⸗ 
tungen dur freie Vereinbarung anfchaulid gemacht. Der Zollverein 
als volkswirthſchaftliche Macht hat die Achtung des Auslandes erworben 
und andere Regierungen haben die Nothwendigkeit einer Ermäßigung 
ihrer Handelöbeichränfungen einzufehen angefangen. Eine Ausdehnung 
des Bereind auf ganz Deutfchland (d. h. das Gebiet des veutfchen 
Bundes) wäre ſowohl in volfswirthichaftlicher Hinfiht nuͤtzlich, ale 
aus Bründen ter Staatsfunft, um dem teutichen Bunde mehr Feſtig⸗ 
feit, eine größere Wirkfamkeit und mehr Vertrauen und Anhaͤnglichkeit 
auf Seite feiner Ang forigen zu verſchaffen. Inzwiſchen ſtehen dieſem 
Ziele große Hinderniſſe im Wege, zu denen u. a. die Beſorgniß der 
Hanfeftädte, daß ihr großer Fa eine Störung erleiden 
möchte, und die Borliebe derfelben für freie Bewegung in den Handels⸗ 
unternehmungen, ferner das Berhältnig zu Oeſterreich, deflen deutſche 
Zande mit den aufßerdeutfchen eng verbunden find und ein eignes Zoll: 
foftem haben, zu rechnen find. Bgl. Aſher, Meber das Verlangen 
des Anfchlufles Hamburgs an den Zollverein, 1837. — Wurm, Die 
Sandelspolitit der Hanſeſtaͤdte. Hamb. 1839. — Während ber Frank⸗ 
furter Nationalverfammlung wurden fowohl in diefer, als unter dem 
Reiheminifterium über ein zu errichtendes Reichszollweſen Berhands 
Lungen gepflogen, die mit jener Berfammlung 1849 ihr Ende erreichten, 
f. Die Reſultate der Berathungen der Regierungs » Sommiflaire in 
Frankf. 1848/9 zur Herflellung der Zoll: Einheit im deutlichen Reiche, 
Halle 1851. — Schriften üb. den Zollverein: (Speyerer) Die Frage 
von der Zollvereinigung deutſcher Staaten, Heidelberg, 1831. — Lind- 
ner, Considerations sur le traitö d’union commerciale entre la Prusse, 
la Bavitre .... Munic, 1829. — Dentfchrift über Zollwefen und 


21 * 








— 326 — 


difcher Seide, fowohl im inneren Verbrauch, als bei der Ausfukt, in 
der Hoffnung, daß dieſer Zoll von den ausländiihen Käufern würt 
getragen werden. Der Erfolg war aber für die Seidenzucht des Lan 
des ſehr nachtheilig. Boxhorn, Disquisitiones politiese, cams 28. 
©. 238. Gine Ausfuhrerfchwerung bei Lumpen u. a. Weberrefen ter 
Verzehrung, fo aud bei manden Mebenerzeugniflen, z. B. Kucden, 
iR ohne Nachtheil für die Erdarbeit. Daher iſt in vielen Staaten die 
Ausfuhr der Lumpen zur Beförderung der inländiichen Papierbercitung 
verboten worden. Dieß hat man jedoch wieder oft umgangen, indem 
man Lumpen gröblicy zu Pappdeckel verarbeitete und dieſen ausfühtt. 
Wo das Ausfuhrverbot den Preis der Lumpen niedrig hält, ba wırt 
dad Sammeln berfelben vernadhläffiget. Gin Ausfuhrzoll if wegen 
der ähnlihen Maaßregeln in den anderen Staaten nicht wohl zu nt 
behren und gerade bei diefem Stoffe am wenigiten nadtheilig, vermig 
jedoch auch die Heutige allgemeine Vertheuerung der auten (leinenen) 
Lumpen nicht p verhindern, welche zu dem eifrigen Aufſuchen von Cr 
ſatzmitteln auffordert. Der Ausfuhrzoll im deutſchen Zollverein (3 Thlr. 
= 5fl. 15 fr.) trifft auch die ſchon verkleinerten und gewalcdenen 
„macerirten“ Lumpen, fowie bie alten Kifcherneße, Taue und Stride. 
Letztgenannte Gegenſtaͤnde zahlen jedoch bei der Ausfuhr aus preußiſchen 
Serhäfen nur 10 Sgr. — Deflerr. Tarif von 1845: 4 fl. Ausfukt: 
zoll, aus Ungarn und ben angränzenden Provinzen nur 2 fl. 


(5) Hieher gehören auch gute Strafbeftimmungen, bei benen zwiſchen wirt: 
licher Defraudation und bloßer Berlegung der fichernden Borfäriften 
(Gontrolvergehen) unterfchieden wird. 


8. 299. | [303] 


Man hat bisweilen eine für beſonders nüslidy gehalten: 
Ausfuhr von Aandederzeugniflen oder bie Einfuhr folder rohe 
Stoffe, die für den inneren Verbrauch vorzügliche Wichtigkeit 
haben, durch Prämien zu ermuntern geſucht. Dieſe erfortem 
ſchon darum große Vorficht, weil fie auf Koften der Steurs 
pflichtigen gegeben werben, auch haben fie auf den Umfang It 
Handeld weniger Einfluß, als auf die Stoffarbeiten und die 
Verzehrung. Eine Ausfuhrprämie ermuntert gewöhnlich zu tm 
häufigeren inländifchen Erzeugung der Waare, für welde ſit 
gegeben wird. Das verftärkte Mitwerben dauert fo lange fer. 
bis die begünftigte Waare feinen höhern Preis behält, ald dit 
Koften nach Abzug der Prämie betragen, fo bag bann bie Ber 
fäufer feinen größeren Gewinn beziehen, ald in anderen & 
werben (a). Diefe nachdruͤckliche Unterflügung eines Zeige 
der Stoffarbeiten ift wohl zu entbehren, wenn man nur üb 
gend alle Hinderniffe des Gewerbfleißes befeitiget und die oben 
(1. Buch) dargeftellten Beförderungsmittel nicht vernachlaͤſſigtt 
Wo jedoch ein Verwandlungsftoff einem beträchtlichen Einfuhr 





— 325 — 


1833* fuchte man dieſe Gleichſtellung dadurch zu erreichen, 
Bereinsftaat bei der Binfuhr gewiffer Berbraudsgegenftände 
anderen Bereinslande eine Abgabe zu erheben freifland, die 
‚zug, als der Unterfhieb, um welchen feine eigenen Erzeug⸗ 
„amlihen Art höher befteuert waren, als im Lande ihrer Gr: 
Diefe Ausgleihungsabgaben wurden im Erneuerungs⸗ 
‚on 1841 aufgehoben, es wurde aber jedem Staate erlaubt, 
übrten Erzeugniſſe anderer Bereinsländer eben fo hoch zu be: 
18 feine eigenen (Webergangsabgabe) und dagegen die 
en erhobene Steuer bei der Ausfuhr in einen anderen Theil 


insgebietes zurüderflatten zu laflen. 


$. 298. [302.] 


in einem Staate ober Staatenvereine die Aufhebung 
ıbzölle nody nicht für rathfam erachtet, oder find we 
die Steuerzölle für die Staatscaffe unentbehrlich, wie 
der heutigen Lage des Staatöhaushaltes in den meis 
aten angenommen werden muß, fo fann der auswärs 
„del von ber Beläftigung durch Zölle für jest nicht 
verden. Es follen jedoch in Erwägung der mit diefen 
enen Rachtheile die den Handel befchränfenden Maaß⸗ 
nicht weiter ausgedehnt werden, ald es gerade bie bes 
a Umftände und die angebeuteten Rüdfichten erheifchen. 
lusfuhr kann ganz frei gegeben werden, und dieß ift 
in, damit die Erdarbeit nicht den Gewerfen zu Liebe be⸗ 
werde (a). Bei den Einfuhrzöllen muß man, abges 
von ihrer Höhe, dafür forgen: 
) daß die Tarife beftimmt und leicht verftändlich abgefaßt 
en und ohne Willführ oder befchwerliche Yörmlichkeiten 
wendet werben können, wozu aud) eine billige Rüdficht auf 
Badhülle der Frachtftüde gehört, II, $. 458; 
2) daß die Entrichtung des Zolles und bie zur Verhütung 
Zollbetruges (Defraudation) angeordneten Sicherungsmittel 
die Kaufleute, Fuhrleute und Schiffer fo wenig als moͤglich 
itverluft, Befchwerbe, Nebenausgaben und Gefahr von Be- 
üdung verurfachen (b). 
Die befonderen Regeln für die befte Einrichtung bed in 
euerer Zeit von formeller Seite fehr weit ausgebildeten Zoll 
weſens find ein Gegenſtand der Finanzwiflenfchaft, III, 8. 458. 


(a) 8. 127. 128, II, $. 454. — Der fpanifche Vicefönig in Reapel iepte 
im 16. Sahrhundert eine Abgabe von 1 Barlino auf das Pfund inlän: 


— 32383 — 


lichen Sinne Eolonieen genannt, body begreift man biswei⸗ 
[en unter diefem Ausdruck auch andere entfernte Nebenlaänder, 
die zivar von Beamten bed Hauptlandes verwaltet werben, in 
denen aber die Gewerbe größtentheild fich in den Händen ber 
- Eingebornen befinden (a). Diefe Colonieen fönnen meiftene 
jhon der weiten Entfernung wegen mit bein Zanbe, unter deſſen 
Herrfchaft fie ftehen, nicht fo eng volfswirthfchaftlich verbunden 
fein, als: die Theile des fegteren, fowie auch ihr Beſitz mehr 
gefährdet ift al der Zufammenhang bed Staatögebieted, allein 
fie find doc auch nicht als Ausland anzufehen und der Colo⸗ 
niehandel fteht daher zwifchen dem Binnen» und auöwärtigen 
- Handel in ber Mitte. Bei der Verwaltung bdiefer Eolonieen 
ift früherhin in der Regel die Sorge für die Wohlfahrt und 
alffeitige Entwidlung verfelben mehr oder weniger durch bie 
Rüdfiht auf den Vortheil, insbefondere auf die Macht und 
den Wohlftand des Haupts (Mutters) Landes befchränft worden. 
Der wirthfchaftliche Theil der Eolonialpolitif (5) ſetzte fich da⸗ 
her die Aufgabe, die Gütererzeugung, ben Handel und bie Bes 
reiherung der Colonien fo zu leiten, daß die Handelsſchifffahrt 
des Mutterlandes einträgliche Beichäftigung, die Kaufleute 
befielben anfehnlichen Handelsgewinn, die hervorbringenden Ge⸗ 
werbe lohnenden und großen Abſatz, alle Staatsbürger aber 
Gelegenheit zum wohlfeilen Einfaufe von Erzeugniffen des ents 
legenen Himmelftriches finden Fönnten. Aber eine Handlungs⸗ 
weife, welche die Colonieen zu Mitteln für dad Wohl dee 
Hauptlandes madıt, ohne ihnen für biefe Unterordnung eine 
Vergütung in Bortheilen anderer Art zu geben, ift weber ge 
recht noch ſtaatskllug. Die Bewohner der Eolonieen können 
eine für ihr Beſtes nach allen Beziehungen forgende Regierung 
nad) allgemeinen ſtaatsrechtlichen Grundfägen anſprechen. Die 
Berfagung biefer Forderung zerftört die Anhänglichfeit an das 
Mutterland und führt die Gefahr des Losreißens herbei, da⸗ 
gegen verfpricht die weile und gerechte Verwaltung der Golos 
nieen auch wieder den Bürgern des Hauptlandes viele wirth⸗ 
Ihaftliche und andere Vortheile. 


(a) Es giebt verfchiedene Arten von Eolonieen im allgemeineren Simne, 
d. i. von mafienhaften Anſiedlungen. 1) Sie entflehen in dem Staat 
gebiete ſelbſt, durch Ginheimifche oder Fremde. Dahin gehören tie 

rmen⸗, Walds, Movrcolonieen, die NAnfietlungen niederländiſcher 


(b 


— 


— 329 — 


Landwirthe in Deutſchland während des Mittelalters, deutſcher Lands 
leute in Südrußland, Ungarn, Polen, Braſtlien, Auſtralien. (Die 
bloße Einwanderung bildet Feine Colonieen, wenn bie Bingewanderten 
nicht wenigftens in einzelnen Gemeinden beilfammen bleiben, ſondern 
fih unter die fhon vorhandenen Einwohner miſchen) 2) Sie bilden 
fih in einem anderen Lande (d. h. durch Auswanderung) und "halten 
fih von der Staatögewalt ihres Heimathlandes unabhängig, wie viele 
alte griehiiche Golonien. So war Island eine norwegifche Eolonie, 
die erft 387 Jahre nach ihrer Gründung ſich der Herrichaft Norwegens 
unterwarf, Karthago übertraf an Macht weit das Mutterland Phoͤ⸗ 
nieten. Breußen, eine beutfche Nieberlafiung , wurde nicht vom beuts 
fhen Reiche regiert, fondern vom deutſchen Orden, und gerieth fpäter 
theild unter die Dberherrlichkeit von Bolen, theils wurde es biefem 
Staate einverleibt (Weltpreußen). 3) Sie bleiben in dem anderen 
Lande unter der Staatsgewalt bes Mutterlandes, theils weil fie auf 


‚Beranftaltung derfelben Dr worden find (die Klerucdhieen der Gries 


hen im Gegenſatz der Brivatanfiedelungen, Apoikieen, Rofcher, 
©. 52), theil8 wegen bes Schugbebürfnifles. So die römifchen und 
farthagifchen Colonieen, bie daͤniſchen Anfleblungen in Grönland und 
die Golonialbefigungen in anderen Erdtheilen in Kolge der geographi: 
fhen Entdedungen von 1486 und 1492. 

Es ift bisweilen nicht leicht zu enticheiden, ob eine Befibung Eos 
lonie zu nennen fei. Algier (Seit 1830) wird nicht fo genannt. Die 
fpäteren G@roberungen im Innern von Britiſch-Oſtindien werden faft 
nur von Beamten und bewaffneter Macht aus dem Hauptlande behauptet 
und regiert, weßhalb man in England zwifchen (einentlichen) Colonien 
und (anderen) Beflgungen (possessions) unterſcheidet. — Heeren 
(Handbuch d. Geſchichte des europ. Staatenſyſtems, I. Periode, I. A. 2) 
unterfcheidet Ackerbau⸗ Pflanzungs:, Bergbau: und Handels: Eolon., 
Rofcher (a. a. D.) Eroberungs:, Handels, Aderbau: u. Pflanzunges 
Eolonieen. Niederlaffungen zum Behufe des Landbaues nehmen ein 
ganz verfchiedenes Gepräge an, jenachdem das Klima des Landes auf 
die Landwirthſchaft in europäifcher Weife (Gewinnung von Halmfrüds 
ten, Handelsgewaͤchſen, Biehzucht) oder auf den Anbau von Gewaͤchſen, 
die große Wärme und höchft befchwerliche Arbeit erfordern (Baumwolle, 
Zuder, Kaffee sc.) binweifet (die fog. Pflanzungscolonien). Es giebt 
auch Niederlaflungen zum Fiſchfang. Handelsniederlaffungen beftehen 
oft nur aus einzelnen Städten. — Die volkswirthſchaftlichen Raturs 
geſetze der Eolonieen entwidelt fcharffinnig Roſcher a. a. D. 


Diefer Gegenſtand, da er die beutfchen Staaten nicht unmittelbar be 
rührt, wird Hier nur ganz kurz abgehandelt. — A. Smith, II, 416. 
429. — Simonde;, Rich. commerc.,, II, 223. — Moreau de Jon- 
ns, II, 202. — Roſcher, Golonieen, Colonialpolitif und Auswan⸗ 
derung, 2. Ausg. 1856. — Biele ältere Nachrichten bei Baynel, 
Histoire philosophique et politigue des Etablissements et du commerce 
des Europ&ens dans les 2 Indes, 1771 und in mehreren fpäteren Aus⸗ 
gaben, VII oder X Bde. 


8. 301. (305.] 
In der älteren nur die Bereicherung des Hauptlandes bes 


abfichtigenden Golonialpolitif trat fehr häufig das Streben her 
vor, die Colonien in ihren Bewerben zu befchränfen, um bem 
Mutterlande volköwirthfchaftliche Vortheile zu fichern (a). Sie 


durften weder ihre Ausfuhrgegenftände an fremde Voͤlker ver 
kaufen, noch von denfelben ihren Bedarf von Kunftwaaren ein, 
taufchen, fondern allein mit dem Mutterlande handeln, fo daß 
daffelbe für den Abſatz feiner Erzeugniffe in den Eolonieen ein 
Monopol genoß und die Colonialproducte ſowohl für den eigenen 
Bedarf, ald zu einem vortheilhaften Verkaufe in andere Länder 
wohlfeil anfaufte (5). Gewiſſe Zweige der Erd» und Gewerbes 
arbeit wurden fogar den Goloniften bisweilen ganz unterfagt, 
um biefe fortwährend in wirthichaftlidyer Beziehung ganz vom 
Mutterlande abhängig zu halten (ce). Dagegen erhielten die 
Eolonien öfterd die Begünftigung, daß ihre eigenthümlichen Er- 
zeugniffe im Mutterlande unter geringeren Zöllen zugelaflen 
wurden, als wenn fie aud fremden Gegenden eingingen (d). 
Die gehofften Früchte jened Zwangſyſtems wurben durch den 
auögebreiteten und unvertilgbaren Schleichhandel fehr verringert, 
durch die Fünftlichen Hemmniffe wurden ber Erwerbseifer, bie 
. Gütererzeugung, folglihd auch die Mittel zur Verzehrung ges 
ſchwaͤcht, zugleich verurfadhte die Verwaltung der Colonien und 
ber Schuß gegen innere Sicherheitöftörungen fowie für den Fall 
eines Seekrieges großen Aufwand. Neuerli hat man ange: 
fangen die ſchädlichen Folgen diefer Anordnungen und bie Bor 
theile einer freifinnigeren Colonie⸗Geſetzgebung zu erfennen, 
wozu die Erfahrung viel beitrug, daß England durch ben 
Abfall feiner meiften norbamerifanifchen Befigungen nichts vers 
loren, fondern neben der Erfparung beträchtlicher Ausgaben’ eine 
große Erweiterung feined Aus» und Einfuhrhandeld gewonnen 
hat (e). Je forgfältiger man ben Zuftand ber Golonieen von 
allen Seiten zu verbeffern fucht, je eifriger man die in ihrer 
Bodenbefchaffenheit und Lage enthaltenen Bortheile benügt, ihre 
Production und ihren Handel befördert, je mehr man barauf 
bedacht ift, ihre Oberleitung wohlgefinnten und gutunterrichteten 
Männern anzuvertrauen, auch die Wünfche und Anträge ber 
Bewohner zu berüdfichtigen und ihnen einen Antheil an be 
Ausübung der Regierungdgewalt einzuräumen, befto mehr wird 
bie Zunahme ihrer Bevölkerung, ihres Reichthums und ihrer 
alffeitigen Entwicklung auch dem Mutterlande zu Gute 
fommen. 


(«) 


(8) 


(4) 


— 3831 — 


Bertheidigung berfelben: Montesquieu, Baprit des lois, XXI. 
Gap. 21. — Doch muß auch der fchöne Ausſpruch ebend. Gap. 22 ans 
geführt werden: C’est une mauvaise eepèoo de richesse qu’un tribut 
d’sceident et qui ne döpend pas de l’industrie de la nation, du nombre 
de ses habitens, ni de la culture de ses terres. Le roi d’Espagne, 
qui recoit de grandes sommes de sa douane de Cadix, n'est à cet 
&gard qu’un particulier tres-riche dans un &tat trös-pauvre. 


Lange Zeit hindurch durfte die Einfuhr in die fpanifchen Eolonieen nur 
von Sevilla, fpäter nur von Cadix aus geichehen, fo daß 3. DB. die 
deutfche Leinwand über diefen Hafen gehen mußte. 


Sn den fvanifhzamericanifhen Colonieen war der Tabafsbau fehr 
beengt, in Ehili war derfelbe und der Bau des Zuderrohrs ganz uns 
terfagt, fo wie die Anlegung von Fabriken. In den engliihen ©. 
durften feine Wollenwaaren ausgeführt, nach dem Gef. v. 1719 feine 
Eifenwaaren verfertigt werden. — Aus diefer Urfache befanden fich 
nicht Selten die vom Mutterlande vernachläffigten Bolonieen, wie die 
franzöſiſchen Antillen 1628 — 1684, am beflen. 


Dieß war hauptſaͤchlich bei dem EolonialsZuder von großem Belang. 
Die höhere Belaftung bes fremden Rohzuckers legte den Zehrern zu 
Qunften der Pflanger in den britiſchen und frangöflfhen Befigungen 
ein empfindliches Opfer auf. In Frankreich bat die Gleichſtellung des 
3. aus den digenen Golonieen mit dem Mübenzuder jenen Borzug uns 


wirkſam gemacht und es ift aus Rüdfiht auf jene Golonieen eine flär: 


(e) 


U) 


fere Befteuerung bes Rübenzuders für nothwendig erachtet worden, V. 
v. 27. März 1862, f. $. 214 (e). In Sroßbritanien wurde nach dem 
Zollgef. v. 1853 Rohzucker folcher britifcher Solonieen, in denen bie 
@infuhr von fremdem Zuder verboten ift, nach dem Grade der Reini: 
gung mit 10 und 11%, Sch., 3. anderer Col. mit 11/2 — 13 Sc. 
5 D., fremder Länder mit 13 — 15 Sch. 2 D. belegt, auch das Baus 
und Nutzholz britifcher Beflgungen weit niebriger befteuert ale fremdes. 
Bei einigen Holaforten find die Zölle ı Sch. 0,6D. und 12 Sch. von 
gleiher Menge! 


In dem Handel Großbritaniens mit den vereinigten Staaten war ber 


Jahres durchſchnitt 
1763 - 1774 1816— 1822 
der Einfuhr . . . 1202911 2. St. 2.341 712 2. St. 
ber Ausfuhr . . . 3267488 ⸗ 6393956 ⸗ 


Die meiften Colonieen bieten noch einen weiten Spielraum zu Berbef: 
ferungen dar. Ein Beweis hievon liegt in den Fortſchritten, welche 
Irland gemacht Hat, feitdem man aufhörte (1780), daſſelbe wie eine 
Eolonie in feinem Handel zu befchranfen. Die britifhen Colonieen 
genießen Seit den DBeränderungen in ber PN, ebung (1822 zwei Bille 
von Robinfon; 1825 Bill von Husfi —* große Freiheit im 
Verkehre mit anderen Laͤndern, es geſchieht viel fuͤr die Befoͤrderung 
ihres Gewerbfleißes, ihrer Rechtspflege, ihrer Polizei sc. und fie erhal⸗ 
ten, wenn fie hinreichend entwickelt find, eine landſtaͤndiſche Verfaſſung 
(Colonialparlament). — Bon den franzöftihen &. dürfen Jamaika u. 
Buadeloupe nur Arrak (tafie) und Sirop in frembe Länder verfenden, 
Reunion aber alle eigenen Grzeugniſſe außer Zuder, Kaffee u. Baum: 
wolle. Die @infuhr in diefe Bolonieen aus anderen Ländern iſt auf 
gewifle Waarengattungen befhränft und mit Böllen belegt. Nach dem 
Senatusconfultum v. 3. Mai 1854 bat jede der 3 genannten Infeln 
einen faiferlihen Statthalter und eine allgemeine Ratheverfammlung 
(oonseil göneral), zur Hälfte von dem Gouverneur, zur Hälfte von ben 


— 332 — 


Gemeinderäthen ernannt. Sie Hat berathende Stimme bei mancherlei 
Landesangelegenheiten und befchließt über Ausgaben für gewiſſe örtliche 
Zwede. Dem See: und GEolonialminifterium ift ebenfalls ein bera- 
thender Ausſchuß (eomits) aus 7 Mitgliedern beigegeben, von benen 3 
durch die Bolonieen ernannt werden. B. v. 26. Juli 1854. — Cuba 
ift feit der Zulaſſung von Schiffen anderer Völker unerwartet aufge 
blüht. Der Handel ber europ. Staaten mit ihren eigenen Golonieen 
wurde von Moreau de Jonnds (I, FR geichäßt : 
6 


usfuhr Einfuhr 
Sroßbritanin .- - -» 300 Mil. Fr. 342 Mill. Er. 
Frankreich. 34 = ⸗ 40 3 
Miederlnte -. . > 2 2. 27» ⸗ 30 s ⸗ 
Portugal . . oo 00. Me 5 1595 5 
Spanien . -. . 2 2.2... 10 5: ⸗ 20 ⸗ ⸗ 
Dänemarktk 7 ⸗ ⸗ 2 ⸗2 
60 


395%/, 4 
Im Sahre 1854 war bie Ausfuhr Or äbritaniene von deſſen eigenen 
Graeugnifien nach feinen außereuropäifchen Befitungen 31°450000 8. 
St. (nah der Preisangabe der Kaufleute, declared value), nad den 
Befigungen in. Guropa (Canal⸗Inſeln, Gibraltar, Malta, joniſche 3.) 
1555000, in fremde Länder 65927000 L., die Golonieen erbielten 
folglih 31,7 Procent der ganzen Ausfuhr. 1860 war die Ausfuhr nad 
den auswärtigen Beflgungen 46533 000 L., insbefondere nach Oftindien 
20°114000, nad Auftral. 10599000, nach brit. Nordamer. 4986 0008. 
Die Einfuhr von den Beflgungen nad Großbritanien belief ſich auf 
42959 000 2., aus Oftindien (mit Sincapore und Geylon) insbeſon⸗ 
dere 18°435000 2. — Der Berfehr mit allen Ländern war im Jahre 


1859: 
Ausfuhr Ginfußr 

in britiſch Oflindien . 30532000 2. 34-545 000 2. 

Auftral. Provinz Victoria 13867000 = 15°623000 = 
- Canada . -. » 2. 33551 000 Doll. 24167000 Doll. 
Das britifche DOftindien bat 132 Mill. (ohne die Schupländer), Ca⸗ 
nada 2'/; Mill., Victoria 544 600 Ew., ganz Auftralien 1211000 6. 
Bon der brit. Kaffeeeinfuhr von 56%/ Mil. Pfd. im J. 1854 famen 
an 48 Mil. aus brit. Beflgungen. Die Wiederausfuhr betrug 32,° 
MIN. Pfd. Bon dem aus brit. Colon, eingeführten Zucker (5876000 
Etr.) gingen nur 369 000 Etr. roh wieder ins Ausland. 


$. 302. [306 .] 


Die Aufftellung von Handelsconſuln in auswärtigen 
Handelöplägen, nach denen von ben Bürgern bed Staates des 
beutender Handel getrieben wird, hat ſich als nuͤtzliches Beförs 
berungsmittel deſſelben bewährt. Die Conſuln haben die Aufgabe, 

1) ihren Angehörigen bei beren Gefchäften in dem fremden 
Orte und Lande bei allen Schwierigkeiten, Unfällen (. B. 
Schiffbruch) Beiftand zu leiften und namentlich deren Angelegen- 
heiten bei den Behörden des Landes zu vertreten, 

2) die Handlungen ber freiwilligen Gerichtöbarfeit, namen! 
liche Teftamente und Regelung ber PBerlaffenfchaften, Be 








— 33 — 


glaubigung von Urkunden, und verfchiedene andere Amtögefchäfte 

in Beziehung auf ihre Landsleute z. B. Entfcheidung von 

Streitigfeiten über Seefchäden (Haferei) und zwifchen der Schiffe» 

mannſchaft zu beforgen (a), 

3) den Gang des Handels ihres Landes mit dem fremden 
Lande im Ganzen zu beobachten, auf die Erweiterung beffelben, 
hauptſaͤchlich auf die Zunahme der Ausfuhr nad) demfelben, ſo⸗ 
wie auf die Abwendung von Gefahren hinzumwirfen und hier⸗ 
über mit ihrer Regierung durch Berichte, Vorfchläge und abver- 
langte Gutachten zu verhandeln. 

Ohne einen gefandtfchaftlidyen (diplomatifchen) Charakter zu 
haben, d. 5. ohne im Ramen bed Staats, von welchem fie 
beftellt find, aufzutreten (zu repräfentiren), leiften fie body manch⸗ 
faltigen Rugen. Der Wirkungskreis eines onfuld erfordert 
eine Bereinigung vieler Kenntnifle, fowohl bes Handels ald ber 
volköwirthichaftlichen Statiftif, der Geſetze und Einrichtungen 
bed eigenen. und des fremden Landes. Daher werben zu ben 
wichtigeren onfulaten gerne gut vorbereitete Staatöbeamte 
gewählt, welche eine Befoldung erhalten und wegen ihrer Richt 
betheiligung bei den Handeldunternehmungen in höherem Grabe 
gemeinnügig wirfen fönnen (d). Viele Confuln find jedoch Kauf 
leute, die in der fremden Handelöftadt wohnen und nur Ges 
bühren von einzelnen Berrichtungen empfangen (c). Die Eon» 
julate werden gewöhnlidd dem Minifterium der auswärtigen 
Angelegenheiten untergeordnet, müffen jedody auch mit demjenigen 
Minifterium in Berbindung ftehen, weldyem die Hanbdelöpflege 
anvertraut if. Die Regierung des Landes, in welchem fidy bie 
Conſuln befinden, muß ihre Zuftimmung (dad exequatur) zu 
ihrer Ernennung ertheilt haben, ehe fie ihre Verrichtungen bes 
ginnen fünnen (d) 

(a) Berner Vermittlung von, Streitigfeiten zwifchen ihren ‚Xandeleuten, 
polizeiliche Auffiht auf die Seeleute ihres Landes, Mitwirkung zu ben 
Ausgaben für die Kriegsfchiffe in dem fremden Hafen ıc. 

(5) An einem Orte, wo fi fein Gefandter feines Staates befindet, hat 
der Gonful feine Mitbürger auch in anderen, nicht den Handel betrefs 
fenden Angelegenheiten zu unterflügen. In den SHandelspläßen bes 
türkifhen Reiche (Schelles) find den Conſuln der chriftlihen Mächte 

ößere Befugniſſe, namentlih die volle Gerichtsbarkeit in bürgerlichen 

Ehreitfagen Hr ihre Angehörigen, bewilliget. 


(ec) In den Hauptfigen des Handels werben Beneralconfuln angeftellt, denen 
die Gonfuln und Biceconfuln anderer Orte untergeorbnet find. In 


— 84 — 


Frankreich find alle Generalconfuln und Conſuln beſoldete Beamte, die 
mit geringeren Befugniffen ausgeflatteien Biceconfuln und Gonjular: 
agenten flehen unter Venen. Die franzoͤſ. Biceconfuln und C.⸗Agenten 
fönnen aud, wenn die faif. Negierung Ermächtigung dazu giebt, von 
den Geſandten oder Conſuln ernannt werden. — Yür den Zollverein 
würde die Beftellung gemeinfchaftlicher Eonfuln viele Koften der Eon: 
fuln einzelner Länder erfparen und zur Anftellung volllommen befähig: 
ter Männer Mittel gewähren, wenn eine dauernde Oberbehörde vor- 
handen wäre. 


(d) 3. B. Biftren der Paͤſſe. Man wählt zu folden Conſuln womoͤglich 
Bingeborne des Landes, welchem fie dienen follen. 


(e) Frankreich Hatte (1856) 25 Generals und 58 einfache Conſuln, Orfter 
reich beſatz 1853 128 Conſuln, wovon 31 Beneral:G. u. 78 Gonfular: 
agenten, Belgien fol (nah Steinbeif) 250 &. und Biceconfuln 
haben, von denen nur wenige beſoldet find. 


$. 303. [307.] 


Für den Handel zwifchen zwei Yändern kann durch Ueber 
einfunft beider Regierungen den beiderfeitigen Kaufleuten eine 
Milderung oder Befreiung der beftehenden Befchränfungen, fowie 


manche andere Erleichterung ihrer Unternehmungen verfchafft 
werden. Sole Hanbdeldverträge (a) find im neuerer 


Zeit fehr häufig zu Stande gebracht worden. Sie haben bem 
auswärtigen Handel viel genügt, ihm neue Richtungen eröffnet 
und eine Annäherung an feine Freigebung bewirkt, fie wurden 
aber nicht felten auch zufolge von Kurzfichtigkeit und Unkennmiß 
fowie dagegen von liſtigem Eigennup fo abgefaßt, daß fie we 
niger Bortheile brachten, als man erwartete, und oft jogat 
einem ber vertragichließenden Staaten Unbequemlichkeit ober 
Verluſt zuzogen (5). Ohne beßhalb dieſes Mittel zu verwer 
fen, muß man doch rathen, von ihn vorfichtigen Gebrauch zu 
madjyen, fo daß ed den wahren volfdwirthichaftlichen Zweden 
entfpricht. Da die Folgen ber vertragsmäßigen Zugeftänbnifle 
fich oft nicht völlig vorherfehen lafien, aud dad Nügliche fid 
fpäterhin zum Nachtheil wenden fann, fo ift es zmedmäßig, 
ſolche Verträge nur auf eine beftimmte Zahl von Jahren abzw 
ſchließen, wie dieß neuerlich allgemein geichehen if. 


(a) A. Smith, II, 398. — Bimonde, Rich. comm. II, 378. — Gt. 
Soden, I, 283. VI, 351. — 2op, Mevif. IL $. 106. — Chap- 
tal, Ind. frang. II, 238. Ueber die bis 1740 gelchloflenen Handels⸗ 
verträge Mably, Staatöreht von Europa, herausgeg. v. Rouffet, 
&. 567 der deutichen Ueberſ. v. 1749. 


(5) Schon die alten Römer fchloffen zwei ſolche Verträge mit den Kartha⸗ 
gern ab. Polybius, lib. IIL cap. 22—24. — In den Utrechter 





Hanbelövertzägen von 1713 verſprach Spanien ben andern Contrahenten 
(Großbritanien, Portugal, Niederlande), Feiner europäifchen Macht ben 
Handel nad feinen americanifchen Befibungen zu geflatten. Ban 
wollte nämlich Feiner die großen Bortheile gönnen, bie aue diefer Ber 
willigung entipringen würden. 


$. 304. [308.) 


Verabredungen, welche wechſelſeitig den Buͤrgern des einen 
vertragſchließenden Staates überhaupt den Aufenthalt und bie 
Betreibung des Handels in dem anberen ficherer und leichter 
machen, find in ber neueften Zeit fehr häufig zu Stande ges 
fommen und müflen für durchaus nüglic gehalten werben, 
wenn fie auf die Herbeiführung eines gleichen rechtlichen Zus 
Randed auf beiden Seiten gerichtet find. Sie dienen die Ab- 
geihloffenheit der Länder aufzuheben und bie Forderungen bed 
Bölferrechtes zu verwirklichen. Dahin gehören: 

1) Feſtſetzung der Rechte, melde jede Regierung ben in 
ihrem Sande verweilenden Unterthanen ber anderen zugefteht. 
Sie können fi) zwar nicht bis zu dem vollen Staatöbürgers 
techte erfireden, aber doch außer dem allgemeinen Schutze für 
Perfon und Eigenthum auch die Benugung verfchiedener Staats» 
anftalten und die Ausübung von Gewerben in ſich begreifen (a). 
Verträge mit Staaten, bie auf einer niebrigeren Entwidlungs« 
fufe ftehen, pflegen ausführlicher zu fein, weil man auf dem 
Wege der Uebereinfunft Zugeftänpniffe von Rechten erlangt, 
die fonft fchon durch die Landesgeſetze fichergeftellt find, 3. B. 
Religionsfreiheit, Aufenthalt im anderen Lande, Erwerbung von 
kiegenfchaften, Befreiung von Kriegspienft, Zwangsanleihen 
u. dgl. (6). 

3) Zulaffung fremder Käufer und Berfäufer in ben inläns 
diſchen Handeldplägen (c). 

3) Gleichſtellung der beiberfeitigen Untertanen in Hinficht 
auf Steuern und andere Öffentliche Laften. 

4) Feſtſetzung der Rechte und Berbindlichkeiten ber Eon, 
juln, $. 306. — (d). 

5) Beftimmungen über den Schuß..der Fabrikzeichen und 
Mufter (8. 204 (d)), ferner 

6) über gleichmäßige Orundfäge in Bezug auf den Schup 
der neutralen Völker in einem Seekriege (d), fowie 


7) über die Auslieferung der Seeleute, die von ben in 


Häfen des anderen Landes liegenden Schiffen entwichen find 
(Deferteure) (e). 


(«) 


(2) 


(e) 


(4) 


(0 


Mehrere Hanbelsverträge treffen felbft für den Fall eines Krieges zwi⸗ 
[hen den vertragfhliegenden Mächten die Borjorge, daß die Bürger 
des anderen Staates fich mit ihrem Bermögen während einer gewiflen 
Friſt unangefochten urüdgiehen fönnen,, 3. B. Bertrag zwiſchen ng: 
land und Hort al, 29. Dec. 1642, Art. 18, 2 Jahre. — V. zwiſchen 
Portugal und Spanien zu Utrecht, 1713, Art. 21, 6 Monate. — 3. 
zwilchen Sranfreih und Peru, 9. März 1861: Im Falle eines Krie 
ges zwiſchen beiden Staaten fönnen die Bürger des einen in dem 
anderen unangefochten bleiben, wenn fie ſich ruhig verhalten, im ent: 
egengefehten Kalle haben fle eine Jahresfrift zum Ordnen ihrer Ge⸗ 
laäte Brfteres auch im DB. des Zollvereins mit Paraguay 1. Augufl 
1860. 


Der Hauptvertrag zwifchen Großbritanien und Maroffo v. 9. Dechr. 
1856 befagt u. A., daß fein Unterthan des einen, Staates in dem an 
deren angehalten werden dürfe, die Schulden einer anderen Perſon 
feiner Nation zu bezahlen! — Die Verträge mit China und Japan 
find wegen der ängftlihen und mißtrauiichen Sinnesart diefer beiden 
Regierungen befonders reich an Beflimmungen dieſer Art. Es iR z. V. 
feſtgeſezt, bi® zu welcher Entfernung von den geftatteten Aufenthalte 
orten die Fremden ſich in das Land begeben dürfen. 


Nur in den Eolonieen wird dieß nody nicht allgemein geftattet, $. 305. 
— Japan bewilligte im Bertrag v. 31. März 1854 den nordamerica 
nifhen Schiffen den Zugang in 2 Häfen, im B. v. 20. Suli 1858 
und im B. zwifchen Großbritanien u. Japan wurden 5 Häfen zuge 
flanden, ebento in den Berträgen mit den Niederlanden von 1856 
und 1858. Die Niederländer dürfen daſelbſt Ländereien pachten und 
Häufer faufen. — In den neueren Verträgen der Türfei mit Krank 
reich, Großbritanien, Italien und Belgien von 1861 ift beftimmt, daß 
die Unterthbanen diefer Staaten beim Cinkauf türkiiher Waaren feine 
Grlaubnißfcheine (Teskeres) von den Ortsbehörden mehr nöthig haben. 


Beifpiele anderer Bertragsbeflimmungen : Großbritanien und vereinigte 
Staaten von Nordamerica, 19. April 1850, über gleiche Berechtigung 
beider Bölfer zur Benutzung des beabfidhtigten Canals durch die Land: 
enge beim See von Nicaragua, — Dereinigte Staaten und Werito 
über die Erbauung der Ciſenbahn von Tehuantepek. — B. der Rhein 
uferftaaten v. 7. Mai 1858 über die Scifffahrtsabgaben an der flchen: 
den Rheinbrüde bei Köln, vom 3. April 1860 in Betreff der flehenden 
Brüde bei Mainz. — B. von Baden und Frankreich vom 16. Rovbr. 
1857 über die Erbauung einer Bifenbahnbrüde über den Rhein bei 
Kehl, — der nämlichen Regierungen vom 30. Decbr. 1860 über bie 
16 Rheinüberfahrten (baos). 


7 europäifche Regierungen haben auf dem Friedenscongreß zu Paris 
am 16. April 1856 4 Grundſaͤtze des Voͤlkerſeerechts angenommen, 
Dede auch in dem Handelsvertrag zwifchen Frankreich und Peru vom 
H aͤrz 1861 von dem leptgenannten Staate anerkannt worden 
nd 





— 337 — 


* 
$. 305. (309.] 


In näherer Beziehung auf die einzelnen Handelsunterneh⸗ 
mungen fann hauptſaͤchlich Folgendes vertragsmaͤßig beſtimmt 
werben: 

1) Gegenfeitige Aufhebung der Abgaben, welche den Aus« 
(ändern zur Begünftigung der einheimifchen Handelsſchifffahrt 
aufgelegt wurden (8. 272 a), fo daß nunmehr eine gleiche Bes 
handlung der freinden und ber Schiffe des eigenen Landes ein- 
tritt (a). 

2) ©egenfeitige Aufhebung der Verbote der Ein⸗ und Aus⸗ 
fuhr (d) und Feſtſetzung der bei dem Handel zwifchen beiden 
Ländern zu erhebenden Zölle. Zwar fordert fehon der eigene 
Bortheil des Landes dazu auf, die Verbote zu entfernen, bie 
hohen Zollfäge und die läftigen Börmlichfeiten zu mildern, ins 
deß ift es doppelt nüglih, wenn man buch Verträge zugleich 
die Ausführung ähnlicher Grundfäge in anderen Staaten bes 
wirfen, alfo theild den inländifchen Erzeugern einen ausgedehn⸗ 
teren Abſatz, theild den Zehrern eine wohlfeilere Berforgung 
mit fremden Waaren verichaffen kann. Nur darf man, indem 
man bie Einfuhr-, Ausfuhr» und Durdigangszölle in beider: 
feitigem Einverſtaͤndniß erniedrigt oder ganz befeitigt, dem ans 
den Staate feinen Borzug einräumen, welcder, ald monopos 
liſtiſch, die Unterthanen in der Auswahl der vortheilhafteften 
Art des Einkaufs befchränfen würde. Selbft wenn dagegen eine 
Begünftigung gleicher Art in dem anderen Staate erlangt wird, 
"vergütet dieß dad Nachtheilige nicht, weil fie die Gewerbe bed 
Inlandes in eine Richtung binlodt, in der fie leicht fpäter, 
wenn biefer Vortheil wieder hinmwegfällt, eine Erfchütterung zu 
erleiden haben. Man darf alfo nicht verfprechen, die Einfuhr 
aus dem anderen Staate mit geringeren Zöllen zu belegen, als 
die aus den übrigen Ländern fommenden Waaren gleicher Art, 
man muß fich vielmehr vorbehalten, gleiche Erleichterung andes 
ten Staaten gervähren zu bürfen, auch ausbebingen, an allen 
Zollermäßigungen u. a. Bewilligungen Theil zu nehmen, welche 
der andere Staat fpäter dritten Staaten zufagen wird (c). 
Die neueren Handelöverträge find größtentheild in biefem Sinne 
abgefchloffen worden, fo daß fie, flatt Monopole au ‚gervähgn, 


Ran, polit. Defon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 


— 838 — 


vielmehr als vorbereitende Schritte zur allmählichen Freigebung 
bed Verkehrs erfcheinen (d). Zur Eingehung eines folden 
Vertrages wird die genauefte ftatiftifche und technifche Keuntnik 
des einheimiſchen Gewerbeweſens erforbert, damit die erlangten 
Zugeftänpnifle in Vergleich mit den dafür gegebenen Bewilli⸗ 
gungen erheblich genug fein. Man muß aber biebei nicht 
einzelne Bertragäbeftimmungen, fondern die Geſammtheit der 
felben in Betracht ziehen, auch die zu erſtrebende Gegenſeitig 
feit nicht gerade in ber Gleichheit der beiderfeitigen Zollläge 
erblidden ($. 210 (a)), denn ber Staat, welcher ſich ſchon mehr 
als ein anderer von dem älteren Schutzzollſyſtem entfernt hat 
und noch einen weiteren Schritt in diefer Richtung thun wil, 
fann ſich damit begnügen, daß ber andere Bertragstheil (Bu 
eifcent) feine Verbote aufgiebt und feine Zölle beträchtlid er 
niedrigt (e). Mit der Zeit werben bie Staaten, in benen bie 
Grundfäge der Hanbelöfreiheit mehr und mehr Eingang ge 
wonnen haben, feine Beranlaffung mehr finden, durch einzeln 
Handelöverträge dad zu verabreden, was fchon im ben allye 
meinen Zollgefeßen feine Stelle gefunden hat. 

3) Berabredungen zur gegenfeitigen Verhinderung des 
Schleichhandels (f). 


(a) 3. B. England mit Preußen (2. April 1824), den Hanfeflätten 
(29. Sept. 1825), mit Frankreich und Schweden (1826) — Ruflan 
mit Preußen (11. März 1825), — Frankreich mit Brafilien (8. Ian 
1826), mit Medllenburg : Schwerin (19. Juli 1836), — Belgien mit 
Nordamerica, 10. Roy. 1845 (worin u. a. Belgien fogar ben rief 
des Holländifchen Tonnengeldes auf der Schelde für die americaniſches 
Schiffe zufagt), — Großbritanien mit Neapel, 29. April 1845, — 
Preußen mit Neapel, 27. Sanuar 1847, — Grobbritanien mit Er: 
dinien, 23. Jan. 1851, mit ben Niederlanden, 27. März 1851, mi 
Belgien, 27. Oct. 1861. — Boflverein (durch Preußen) und Riebe- 
lande, 31. Dec. 1851. — Rußland und Belgien 9. Juni 1858: die 
Küflenfchifffahrt bleibt jedem der beiden Länder allein vorbehalten. — 
-Sollverein und Paraguay 1. Aug. 1860. 


(5) Die Entbehrlichkeit und Schädlichkeit folcher Verbote wird neuerlich 
iemlich allgemein anerkannt. In Anfehung des Getreides hat mar 

h zwar Sperren in Mißjahren vorbehalten zu müflen geglaubt ($. 139), 
— mit der Milderung, daß man dem Staate, —8* feinen Be 
darf von dem anderen bezieht, die Ausfußr eines gewiſſen, die Ernib 
sung fihernden Quantums auch im Falle einer Sperre bewilligte: 
3. B. Vertrag zwifchen Würtemberg und der Schweiz, 30. Septenbe 
1825. Art. 5. — Den Norwegern if durch Artitel 12 des Bertraget 
zwilhen Rußland und Schweden vom 29. Auguf 1817 die Rusiubr 
einer gewiffen Getreidemenge vom weißen Meere erlaubt, nur müld 
of von ihrem eingelauften Borrathe %s gegen Koflenerfag in Archaugt! 





(e) 


(4) 


— 8389 — 


cklaſſen, de Martens, Rosueil des traitds. Supplément IK — 

a verfprad im Vertrage mit Kranfreih (27. Febr. 1864) bas 
Ausfuhrverbot von Schwefelfies durch 1 Proc. Zoll zu erfepen. — 
Im V. zwiſchen Stoßbritanien und Matokko v. 9. Dec. 1856 find 
von letzterem Lande noch die ‚Sinfubroerbote von Tabak, Tadakspfeifen, 
Dpium, Scießpulver, Salpeter, Schwefel, Blei, Waffen vorbehalten 
worden, auch einige Monopole, unter denen jedoch das Blutegelmono⸗ 
pol fpäter aufgehoben werben if. — In Japan (Verträge mit den 
Niederlanden 1856 und 1857) dürfen Getreide, Steinfohlen, Bücher, 
Karten se. nur von einer Finanzbehoͤrde bezogen werden. — Frankreich 
Bat im B. mit Sroßbritanien v. 1860 auf alle Ginfuhrverbote verzich- 
tet und verfprochen, v. 1. Det. 1861 nicht über 30, nad 3 Jahren 
micht über 25 Broc. Zoll zu erheben. 


Beifpiele: Bertrag zwifchen Großbritanien und Portugal, 27. October 
1703 (Methuens Vertrag, Methuen-treaty), daß portugieftfche Weine 
in Großbritanien 1/5 weniger Zoll bezahlen follen, als andere, dafür 
aber britiihe Wollenwaaren in Bortugal zugelaffen werden; de Mar- 
tens, Suppl&öment, I. 41. Rau, Zur Kritif x. ©. 95. — Rußland 
und Schweden, 13. März 1801, daß gewiſſe Grzeugniſſe beider Laͤnder 
gegenieitig für halben Boll eingeführt werden dürfen, de Martens, 
upplöment, II, 307. — Rußland und Portugal, 27. Dec. 1799, daß 
von gewifien Graeugniffen beider Länder in jedem von beiden nur bie 
Hälfte des jeßigen oder fünftigen Ginfuhrzolles (der nämlich von Bro: 
bueten anderer Zänder erhoben wird) gefordert werden folle, de Mar- 
tens, Rec. VII, 256. — Preußen (für ben Zollverein) und Neapel, 
27. San. 1847, nach weldem BZollvereinswaaren in Neapel 10 Proc. 
Zoll weniger als Waaren aus anderen Ländern bezahlen. Neapel 
Hatte aber (29. April 1845) Großbritanien zugelagt, Fein anderes Volk 
mehr pi beglinfigen. — Frankreich und Belgien bewilligten einander 
ermäßigte infuhrgöfle von gewiflen Waaren, 27. Febr. 1854. Frank⸗ 
reih erhob 3. B. von belgifhem Leingarn bis zu einer Ginfuhr von 
2 Mid. Kil. jährlid den am 26. Juni 1842 verabredeten niedrigen 
Zoll, von 2—I Mill. Kil. noch den halben Unterfchied deſſelben gegen 
den allgemeinen Zoll weiter, von mehr ale 3 Mill. K. %/« dieſes Un« 
terfchiebes ; für beigifche Irdenwaaren nad der Feinheit 33 — 165 Fr. 
von 100 kil. und wenn dieſe Bollſätze allgemein eingeführt werden, 
erhält Belgien 15 Proc. Nachlaß sc. — Neuere Verträge Frankreichs 
mit Großbritanien 23. San. 1860, mit Belgien 1. Mai 1861, mit 
Preußen für den Zollverein 2. Aug. 1862, no) nicht von den anderen 
Bereinsfiaaten genehmigt, vgl. 8: 297 (5). — B. zwifchen Belgien u. 
Schweiz 1862, nad welchem Ichweizeriihe Waaren in Belgien’ nad 
dem franzoͤſ. belg. Bertrage behandelt werben und nur einige Arten 
von Geweben noch 2 Jahre eine etwas höhere Abgabe entrichten, da⸗ 
gegen einige belgiſche Waaren in der Schweiz etwas weniger entrichten 
als der dortige allgemeine Tarif beiagt. 


Les Japonsis ne commercent qu’svec deux nations, la Chinoise et la 
Hollandaise. Les Chinois geguent 100 pour cent sur le sucre, et 
quelguefois autant sur les retours; les Hollandais font des profits à 
peu prös pareils. Toute nation qui se conduira sur les maximes Ja- 
ponaises, sera nöcessaitement trompée; co’est la coneurrence qui met un 
prix juste aux marchandises, et qui #tablit les vrais rapports entre 
elles.. Montesquieu, Esprit des lois, XX, 9. — „Der oberſte 
GSrundſatz für allen Handelsvetlehr zwiſchen unabhängigen Völtern ift 
das wechielfeitige Intereſſe beider ile. Dieb iſt der Lebenshaud 
des Handels ven, auch läßt es Ab nicht mit der Ratur des Menfchen 
und mit den erften Gefeben der menſchlichen Geſellſchaft vereinigen, 
22 * 


— 838 — 


vielmehr als vorbereitende Schritte zur allmählichen Freigebung 
bed Verkehrs erfcheinen (d). Zur Eingehung eines folden 
Vertrages wird die genauefte ftatiftifche und technifche Kenntniß 
des einheimifchen Gewerbeweſens erfordert, damit bie erlangten 
Zugeftändniffe in Vergleich) mit den dafür gegebenen Bewilli⸗ 
gungen erheblich genug fein. Man muß aber Hiebei nicht 
einzelne Vertragsbeſtimmungen, fondern bie Gefammtheit der- 
felben in Betracht ziehen, auch bie zu erftrebende Gegenſeitig⸗ 
feit nicht gerade in ber Gleichheit der beiderfeitigen Zollſaͤtze 
erbliden ($. 210 (a)), denn der Staat, welcher fich ſchon mehr 
als ein anderer von dem äfteren Schupzollfyftem entfernt hat 
und noch einen weiteren Schritt in biefer Richtung thun will, 
fann fi) damit begnügen, baß der andere Vertragstheil (Pu 
eifcent) feine Berbote aufgiebt und feine Zölle beträchtlich er⸗ 
niebrigt (e). Mit der Zeit werden bie Staaten, in benen bie 
Grundfäge der Handelöfreiheit mehr und mehr Eingang ge 
wonnen haben, feine Beranlafjung mehr finden, durch einzelne 
Hanbelöverträge dad zu verabreden, was ſchon in ben allge 
meinen Zollgefegen feine Stelle gefunden hat. 

3) Verabredungen zur gegenfeitigen Verhinderung bed 
Schleichhandels (f). 


(a) 3. B. England mit Preußen (2. April 1824), den Hanſeſtädten 
(29. Sept. 1825), mit Franfreih und Schweden (1826) — Rußland 
mit Preußen (11. März 1825), — Brankreid mit Brafilien (8. Juni 
1826), mit Medlenburg - Schwerin (19. Juli 1836), — Belgien mit 
Nordamerica, 10. Roy. 1845 (worin u. a. Belgien fogar den GSriah 
des holländifchen Tonnengeldes auf der Schelde für die americaniſchen 
Schiffe zufagt), — Großbritanien mit Neapel, 29. April 1845, — 
Preußen mit Neapel, 27. Januar 1847, — Großbritanien mit Sar: 
dinien, 23. Jan. 1851, mit ben Niederlanden, 27. März 1851, mit 
Belgien, 27. Oct. 1851. — Sollverein (durch Preußen) und Nieder: 
lande, 31. Dec. 1851. — Rußland und Belgien 9. Juni 1858; die 
Küfenfhifffahrt bleibt jedem der beiden Länder allein vorbehalten. — 
-Sollverein und Paraguay 1. Aug. 1860. 


(6) Die Entbehrlichkeit und Schaͤdlichkeit folcher Verbote wird 'neuerlih 
iemlih allgemein anerkannt. In Anfehung des Getreides hat man 
id zwar Sperren in Mißjahren vorbehalten zu müflen geglaubt (& 139), 
jedoch mit der Milderung, daß man dem Staate, welcher feinen Be: 
darf von dem anderen bezieht, die Ausfuhr eines gewiflen, die Ernaͤh⸗ 
rung fihernden Quantums auch im Falle einer Sperre bewilligte; 
3. B. Vertrag zwifchen Würtemberg und der Schweiz, 30. September 
1825. Art. 5. — Den Norwegern iſt durch Artikel 12 des Vertrages 
zwiſchen Rußland und Schweden vom 29. Auguf 1817 die Ausfuhr 
einer gewiffen Getreibemenge vom weißen Meere erlaubt, nur müflen 

go von ihrem eingefauften Borrathe %/s gegen Koflenerfag in Archangel 








(e) 


(d) 


— 38859 — 


cklaſſen, de Martens, Boeueil des traitse. Supplimmt IK — 
— vetſprach im Vertrage mit Frankreich (27. Febr. 1864) das 
Aus eebot von Schwefelkies duch 1 Proc. Zoll zu erſetzen. — 
Sm 8. zwiſchen Sroßbritanien und Narokko v. 9. Dec. 1856 find 
von leßterem Lande noch die Binfuhrverbote von Tabak, Tadakspfeifen, 
Opium, Scießpulver, Salpeter, Schwefel, Blei, Waffen vorbehalten 
worden, auch einige Monopole, unter denen jedoch bad Blutegelmono⸗ 
ol fpäter aufgehoben worden if. — In Japan (Berträge mit ben 
iederlanden 1856 und 1857) dürfen Getreide, Steinfohlen, Bücher, 
Karten sc. nur von einer Finanzbehörde bezogen werden. — Frankreich 
hat im 3. mit Großbritanien v. 1860 auf alle Ginfuhrverbote verzich⸗ 
tet und verfprochen, v. 1. Det. 1861 nicht Aber 30, nah 3 Jahren 
nicht über 25 Proc. Zoll zu erheben. 


Beifpiele: Bertrag zwifchen Sroßbritanien und Portugal, 27. October 
1703 (Methuens DBertrag, Methuen-treaty), daß portugiefiiche Weine 
in Großbritanien _%/; weniger Zoll bezahlen follen, als andere, dafür 
aber britifhe Wollenwaaren in Portugal zugelaffen werden; de Mar- 
tens, Supplöment, L 41. Rau, Zur Ktitif ac. ©. 95. — Rußland 
und Schweden, 13. März 1801, daß gewifle Erzeugniffe beider Länder 
gegenjeitig für halben Zoll eingeführt werden dürfen, de Martens, 
upplöment, II, 307. — Rußland und Bortugal, 27. Dec. 1798, daß 
von gewiflen Graeugnifien beider Länder in jedem von beiden nur bie 
Hälfte des jebigen oder fünftigen Ginfuhrzolles (dee nämlich von Pro⸗ 
dueten anderer Ränder erhoben wird) gefordert werben folle, de Mar- 
tens, Rec. VII, 256. — Preußen (für den Zollverein) und Neapel, 
27. San. 1847, nah weldem Bollvereinswaaren in Neapel 10 Proc. 
Zoll weniger als Waaren aus anderen Ländern bezahlen. Neapel 
batte aber (29. April 1845) Großbritanien zugelagt, fein anderes Bolf 
mehr zu begünftigen. — Frankreich und Belgien bewilligten einander 
ermäßigte Binfuhrzölle von gewifien Waaren, 27. Febr. 1854. Frank: 
reich erhob 3. B. von belgiſchem Leingam bis zu einer Ginfuhr von 
2 Mil. Kil. jährlih den am 26. Imi 1842 verabredeten niedrigen 
Zoll, von 2—3I Mill. Kil. noch den halben Unterichied deflelben gegen 
den allgemeinen Zoll weiter, von mehr ale 3 Mill. K. %. diefes Un- 
terfchiebes ; für beigiiche Irdenwaaren nad der Feinheit 33 — 165 Fr. 
von 100 Kil. und wenn dieſe Bollfäge allgemein eingeführt werden, 
erhält Belgien 15 Proc. Nachlaß ꝛc. — Neuere Berträge Frankreichs 
mit GSroßbritanien 23. Ian. 1860, mit Belgien 1. Mai 1861, mit 
Preußen für den Zollverein 2. Aug. 1862, nody nicht von den anderen 
Bereinsfiaaten genehmigt, vgl. 8: 297 0b). — B. zwifchen Belgien u. 
Schweiz 1862, mad welchem jchweizerifche Waaren in Belgien" nad 
dem franzoͤſ. belg. Bertrage behandelt werden und nur einige Arten 
von Geweben noch 2 Jahre eine etwas höhere Abgabe entrichten, da⸗ 
gegen einige belgiſche Waaren in der Schweiz etwas weniger entrichten 
als der dortige allgemeine Tarif befagt. 


Les Jsponais ne commercent qu’svec deux nations, la Chinoise et la 
Hollandaise. Les Chinois gegnent 100 pour oent sur le sucre, et 
quelguefois autant sur les retours; les Hollandais font des profits à 
peu prös pareils. Toute nation qui se conduira sur les maximes Ja- 
ponaises, sera nöcessaitement ttompöe; o’est la coneurrence qui met un 
prix juste aux marchandises, et qui #tablit les vrais rapports entre 
elles. Montesquien, Esprit des lois, XX, 9. — „Der eoberfie 
Grundſatz für allen Handelsverkehr zifhen unabhängigen Voͤlkern iſt 
das wechſelſeitige Intereſſe beider Theile. Dieß iſt der Lebenshauch 
des Handels ſelbſt, auch laͤßt es ſich nicht mit der Natur des Nenſchen 
und mit den erſten Geſetzen der menſchlichen Geſellſchaft vereinigen, 
22* 


—— 342 — 


erichtet werden Fönnten, daß man namentlich 7 dann wie⸗ 
Drechölermanten, franzöftfche Seidenzeuce , fer P ıt, ©. 267. 
difche Wollenmaaren und dgl. nicht entbehr.. 7 Sn Frankreich 
Gonfumenten diefe Dinge auf anderen Weg“ :: ablung ber aus: 
Bgl. Quarterly Review, Juli 1823, Nr. " stionen zur lehten 


akreich durch Zeug: 
afung hinzukommen, 
Sachkun digen nieder 
vezahlten Gingangszoll 


(6) Den größten Zwifchenhandel führen di 72 
uvörderft die Briten, fodann die Nr . 
ind in biefem Zweige des Handel‘. . 


haben auch fie bisweilen ihrer ⸗ee . # 
Serinnfte in ihm zu made, "el Befrägt, als man ai 
erleichterte Handel Leipzigs mi tönnte, ber Mehrbetrag der 


Waaren, nordiſchem Pelzur dird, Die Einſchiffung und ber 
der Uebergang über bie Landgränge 
.fonals gefchehen. 


Beträchtliche Ei $. 308. [312.] 


ganz zerſtoͤen, " n Plaͤtzen, in welchen bie fremden Waaren 
willigte, auf bir ‚gebt gelagert werben dürfen, um bann entweber 
benen man ° pet, ober erſt beim Uebergange in bie inner 
geführten. m Einfuhrzole unterworfen zu werden. Diefe 
mehrere „a mörverthe Einrichtung gewährt dann den größten 
nüplid Am der Kaufmann in größter Freiheit mit den Ban 
sen, fe umpaden, fortiren kann u. dgl. ine folde 
ſo⸗ Kehl fann in größerem und fleinerem Maaßſtabe aus⸗ 
zug WEIDEN. 
* Freihäfen oder Freiquartiere (a) find ganze 
dte oder Stadtbezirke, welche, ohne den Einfuhrzoͤllen unter— 
„orſen zu fein, frei mit dem Auslande Verkehr treiben Fönnen, 
pagegen aber durch eine bewachte Zollgränze von bem übrigen 
Staatögebiete getrennt jind. Hiezu find Seeftäbte am meiften 
geeignet. Diefe Einrichtung iſt für die Zunahme des Handel 
folher Plaͤtze vortheilhaft, wenn deren Lage und andere Um 
fände günftig find, auch ziehen ſich Ausländer mit ihren Eas 
pitalen häufig herbei, die fie in verfchiebene Gewerbe verwen 
den, dagegen ift der zollfreie Verbraud, des Platzes und ber 
erfchwerte Verkehr deſſelben mit dem Inlande nachtheilig (b). 
Aehnliche Dienfte leiften ben feefahrenden Völfern bie vom 
Hauptlande entfernten, den Zwifchenhandel erleichternden Be 
fitungen (e). 
(a) Simonde, Rich. comm. UI, 419. — Chaptal, De l’ind. franc. I], 


(5) Duͤnkirchen wurbe fhon 1170, Bayonne 1483 zum Freihafen. Grfee 
Stadt hatte nicht ganz dieſe Bigenfchaft, nur der obere Theil. Unter 








wurden 11 Kreibäfen angeordnet, biefelben dienten aber bloß 


2, >» zum Behufe der Wiederausfuhr. Was zum inneren Ber: 


* war, mußte fogleich verzollt werden. Diefe Freihaͤfen 
aehoben. Im anderen europäifchen Ländern haben fie 
“tt, und das Aufblüben von Trieft, Genus, Bothens 


g 4 hlſtand von Livorno, Porto, Cadix sc. beweiſen 
nedig iſt 1829 zum Freihafen erklaͤrt und nad 

4 iſt derſelbe 1852 wieder hergeſtellt worten. 
‚9 von Venedig. Wien, 1831. — Die Hanſe⸗ 

. 7% »ößeren beutichen Gebieten ungefähr wie 

», 4* oß früher die Stadt Conſtanz wegen ibrer 

> ‚nufer volle Zollfreiheit (PBrivil. v. 24. Mai 


2 Kreutzlinger Vorſtadt (auf der ſchweizer Seite). 


mit ausgezeichneter Klugheit ſich in den Beſitz vie 

„erlagspläße in verfchiedenen Gegenden ber Erde geieht. 

„oren Helgoland an der Elbmündung, Jerſey, Guernſey, 

y und Sarf an der franzöflfhen Küfte, Malta, Gibraltar, St. 

.na, das Borgebirge der guten Hoffnung, Ormus im . perfiichen 

Neerbufen, Sincapore an ber traße von Malacca, Aden im arabifchen 

Meerbufen (feit 1838), Hongkong in Ghina (feit 1842) ıc., vgl. Mo- 
reau de Jonnds, I, 226. 


8. 309. [313.] 


5) Oeffentliche Riederlagen, Lagerhäufer, Pad; 
böfe (warehouses, entrepöts und zwar r&els im Gegenſatze 
der in c) angeführten,) Eönnen auch im Innern ber Länder an 
Iebhaften Handelsplaͤtzen errichtet werden (a). Ein folcyer 
Raum fleht unter dem Mitverfchluß der Zollbeamten. Die 
Baaren, wie fie vom Auslande anlangen, werben fogleich in 
ihm abgeladen und in Gemäßheit einer fchriftlichen Erflärung 
des Eigenthümers in ein DVerzeichniß eingetragen. Die Eigen- 
tbümer haben den ungehinderten Zugang zu ihnen ($. 312), 
nur darf durch bie mit ihnen vorgenommenen Arbeiten das 
Gewicht der Waaren nicht vermindert werben, einen billigen 
Abzug für Audtrodnen und dgl. ausgenommen (b). Eine bes 
fimmte Zeit hindurch, 3. B. 2 bis 3 Jahre, darf jede Waare 
gegen geringes Lagergeld Liegen bleiben, nach Verlauf berfelben 
muß fie zur Ausfuhr oder Verzullung herausgenommen wers 
den (ec). 

c) Privatlager (entrepöts fictifs), indem nämlidy bie 
angefommenen Waaren dem Kaufmanne, für ben fle beftimmt 
find, zur eigenen Aufbewahrung überlaflen werden, gegen Haf- 
tung für den Einfuhrzoll auf den Fall, daß biefelben nad) Vers 
lauf ver feftgefegten Friſt nicht wieder ausgeführt werden. Dieſe 





wegen viele Baummwollentücher (Bandanos) ausgeführt und dann wie 
ber eingelchwärzt; Le uchs, Gewerbs⸗ und KHandelsfreibeit, ©. 267. 
Bol. Friedländer, Das brit. Zollſyſtem, ©. 19. — Sn Frankreich 
find gewiſſe Zollämter benannt, bei denen die Zollbehandlung der aus: 
zuführenden Güter allein erlaubt ift, und gewifle Stationen zur leßten 
Controlirung. Man muß die Verarbeitung in Frankreich durch Zeug: 
nifie beweifen, und beim Zuder muß noch eine Prüfung binzulommen, 
wofür in 19 Städten befondere Gommiffionen von Sachkundigen nieder 
gefegt find. Die vorgelegte Quittung über den bezahlten Bingangszoll 
von Rohzucker ift nur 1/s Jahr gültig, bei jedem Rückzolle aber if 
geftattet, daß, wenn die Ausfuhr nicht fo viel beträgt, ale man mit 
der Quittung des Ginfuhrzolles belegen Fönnte, der Mehrbetrag der 
legteren künftig zu Gute gefchrieben wird. Die Binfchiffung und der 
Abgang der Wahren zu Waffer oder der Uebergang über die Landgränge 
muß unter den Augen bes Zollperfonals gefchehen. 


$. 308. [312.] 


2) Geftattung von Pläßen, in welchen die fremden Waaren 
einfiweilen unverzollt gelagert werden dürfen, um dann entweder 
wieder audgeführt, oder erft beim Uebergange in bie innere 
Berzehrung dem Einfuhrzolle unterworfen zu werden. Diele 
ſehr empfehlenswerthe Einrichtung gewährt dann den größten 
Nutzen, wenn ber Kaufmann in größter Freiheit mit den Waa⸗ 
ren umgeben, fie umpaden, fortiren fann u. bgl. Eine foldhe 
Veranftaltung kann in größerem und Fleinerem Maaßſtabe aus 
geführt werden. 

a) Freihäfen oder Freiquartiere (a) find ganze 
Städte oder Stadtbezirke, welche, ohne den Einfuhrzöllen unter 
worfen zu fein, frei mit dem Auslande Verkehr treiben Fönnen, 
dagegen aber durch eine bewachte Zollgränze von dem übrigen 
Staatögebiete getrennt find. Hiezu find Seeftädte am meiften 
geeignet. Diefe Einrichtung iſt für die Zunahme des Hanbeld 
ſolcher Pläge vortheilhaft, wenn deren Lage und andere Um 
fände günftig find, auch ziehen ſich Ausländer mit ihren Ca 
pitalen häufig herbei, die fle in verfchiedene Gewerbe verwen 
den, dagegen ift der zollfreie Verbrauch bed Platzes und ber 
erfchwerte Verkehr vefjelben mit dem Inlande nadjtheilig (d). 
Aehnliche Dienfte leiften den feefahrenden Völfern bie vom 
Hauptlande entfernten, den Zwiſchenhandel erleichternden Be 
fitungen (ec). 

(4) Simonde, Rich. comm. II, 419. — Chaptal, De !’ind. franc. I, 


388. 
(5) Duͤnkirchen wurde fhon 1170, Bayonne 1483 zum Wreihafen. Erſtere 
Stadt hatte nicht ganz dieſe Bigenfchaft, nur der obere Theil. Unter 








Colbert wurden 11 Freihäfen angeordnet, biefelben dienten aber bloß 
jur Lagerung zum Behufe der Wiederausfuhr. Was zum inneren Ber: 
rauch beflimmt war, mußte fogleich verzollt werden. Diele Kreihäfen 
wurden 1795 aufgehoben. Im anderen europäifchen Ländern haben fie 
fih neuerlich vermehrt, und das Aufblüben von Trieft, Genus, Gothen⸗ 
burg, fowie der Wohlſtand von Livorno, Porto, Badir ıc. beweifen 
den großen Nutzen. Venedig if 1829 zum Freihafen erflärt und nad 
dem Aufflande von 1848 ift derfelbe 1852 wieder hergeftellt worden. 
Czoernig, Der Freihafen von Benedig. Wien, 1831. — Die Hanfe 
ſtaͤdte verhalten ſich zu den größeren deutfchen @ebieten ungefähr wie 
Freihäfen. — In Baden genoß früher bie Stadt Conſtanz wegen ibrer 
Lage am jenfeitigen Rheinufer volle Zolfreibeit (Privil. v. 24. Mai 
1813), fpäter nur die Kreuglinger Borftabt (auf der fchweizer Seite). 


(c) Großbritanien hat mit ausgezeichneter Klugheit fih in ben Beflg vie 
ler folder Niederlagspläge in verfchiedenen Gegenden ber Erde geſetzt. 
Dahin gehören Helgoland an der Elbmündung, Ierfen, Guernſey, 
Alderney und Sarf an der franzöflichen Küfte, Malta, Gibraltar, St. 
Selena, das Vorgebirge ber guten Hoffnung, Ormus im perfiichen 

eerbufen, Sincapore an der traße von Malacca, Aden im arabiichen 
Meerbufen (feit 1838), Hongkong in China (feit 1842) sc., vgl. Mo- 
reau de Jonnös, ], . 


8. 309. [313.] 


5) Oeffentlihe Niederlagen, Lagerhäufer, Pads 
böfe (warehouses, entrepöts und zwar reels im Gegenfage 
der in c) angeführten,) können auch im Innern ber Länder an 
(ebhaften Handelöplägen errichtet werben (a). Ein folder 
Raum fleht unter dem Mitverfchluß der Zollbeamten. Die 
Waaren, wie fie vom Auslande anlangen, werben ſogleich in 
ihm abgeladen und in Gemäßheit einer fchriftlichen Erklärung 
bed Eigenthümers in ein Verzeichniß eingetragen. Die Eigen- 
thümer haben den ungebinderten Zugang zu ihnen ($. 312), 
nur darf durch die mit ihnen vorgenommenen Arbeiten das 
Gewicht der Waaren nicht vermindert werden, einen billigen 
Abzug für Austrodnen und dgl. ausgenommen (6). Eine bes 
fimmte Zeit hindurch, 3. B. 2 bis 3 Jahre, darf jede Waare 
gegen geringes Lagergeld liegen bleiben, nad) Verlauf derjelben 
muß fie zur Ausfuhr oder Verzollung herausgenommen wer⸗ 
ben (ec). 

c) Privatlager (entrepöts fictifs), indem nämlich die 
angefommenen Waaren dem Kaufmanne, für den fie beftimmt 
find, zur eigenen Aufbewahrung überlaffen werben, gegen Hafs 
tung für den Einfuhrzoll auf den Ball, daß biefelben nach Vers 
lauf der feftgefegten Friſt nicht wieder ausgeführt werben. “Diele 


— 36 — 


bequeme Einrichtung ift allerdings auf Waarengattungen, bei 
benen man fich nicht leicht von der Einerleiheit der eingebrachten 
und der audgeführten Duantitäten überzeugen kann, nicht wohl 
anmwenbbar (d). 


(e) 


Befinden fie fih an einen Strome oder am Meere, fo nennt man fie 
ebenfalle Freihäfen, dieſe find aber nicht, wie die im vorigen $. 
beichriebenen, bewohnt. Sie haben zu Wafler freien Verkehr mit dem 
ea ihre Verbindungen mit tem übrigen Inlande find forgfältig 
ewacht. 


(6) In den schen warehouses geftattet man bei Kaffee, Nüſſen, Biefer 


(ed) 


(d) 


jährlich 2 Broc. Abgang, bei Wein gegen 3 Proc. ; Yriedländer, 
S. 47. Die Padhof:Ordnung ift erſt v. 1825 (6. Ge. VL Gap. 112.), 
1803 war bie zollfreie Lagerung nur bei den meiften rohen Stoffen 
bewilligt worden. Neue warehousing act, 3 und 4. Will. IV. c. 57. 


Die Bereins:Zollordnung v. 1837, $. 59 ff. unterfcheidet 1) Packhöfe 
oder Lagerhäufer und Freihäfen, wo Kaufleute, Spebditeure und Babri- 
canten Waaren bis auf 2 Sabre, unter Haftung für den Eingangszofll, 
und für eine Gebühr von höchflens 3 fr. per Gentner und Monat (von 
flüffigen Dingen 41’, fr.) niederlegen dürfen; 2) Zolllager, bei den 
Hauptzollämtern der Gränze, nur von den Kaufleuten und Spebiteuren 
des Ortes, auf hödftens 6 Monate gu benugen, und wobei das Um: 
paden nur infoweit zuläffig if, als es zur Erhaltung ter W. erfordert 
wird; 3) öffentliche Greditlager für W., die zum inländifchen Berbraud 
beſtimmt, und fchon zollamtlic behandelt find, deren Zoll aber erft 
am Orte des Empfängers bezahlt werben fol (Waaren unter ter 
weiten Art von Begleitfcheinen); 4) Brivatlager, f. (d). — In 
ranfreic wurden 1803 in 13 Seeftädten, ſpaͤter in vielen anteren, 
1832 aud in Städten an ber Landgränze (Straßburg) und im June 
ven (Meg, Mülhaufen, Paris, Orleans, Touloufe, Nimes, Avignon, 
Lyon, St. Etienne) folhe Niederlagen gegründet. Das Behäude, 
paflend gelegen, ficher und unter boppeltem Verſchluſſe des Zollamtes 
und der Kaufleute, muß von ber Stadt, bie eine Niederlage begehrt, 
gefellt werden. Dauer 3 Jahre. Umfüllung sc. erfordert befonbere 
rlaubniß und Anweſenheit eines Aufſehers. 9 Seeftädte haben Nie 
berlagen für verbotene Waaren; ferner find in 10 Häfen des Ganale 
entrepöts pour le smoglage, für Branntwein,, Rofinen, Thee, Tabad 
und Seidenzeuge, wobei es erlaubt Ift, diefe Waaren in Feine Balete ıc., 
zur leichteren Ausfuhr abzutheilen ! 


Berein:3.:D. v. 1837, 6. 7275. Es giebt Privat:Erebitlager, für 
Waaren, die im Lande bleiben follen, und Tranfitlager zur Wieder⸗ 
ausfuhr. Lebtere finden für Wanren, bei welchen es auf die Feſthal⸗ 
tung der Identitaͤt ankommt, in der Regel nicht flatt. Friſt 6 Me: 
nate. — In Frankreich if der Nutzen tiefer Ginrichtung durch allzu 
viele Beichränfungen verfümmert, Chaptal, a. a. D. Rur für ge 
wife Erzeugniffe franzöfifcher Colonieen und andere Artikel, meiſtens 
von niedrigem Preife, wie Häute, Bauholz, Schiefer, Drüblfteine, Pech, 
Natrum ıc., ferner Baumwolle und Schwefel find Privatlager erlaubt. 
Umpaden u. dgl. fordert befondere Genehmigung und Wuffiht. Baum: 
wolle darf gar nicht umgepadt werden. Die Waaren werden alle 
ae von einem Zollbeamten eingefehen. Dauer in der Regel 
1 Jahr. 


— 47 — 


$. 810. [314.] 


Einem Durchgangs⸗(Tranſito⸗) Zoll werben in vielen 
Ländern diejenigen Waaren unterworfen, welche eins» und nad 
kurzer Zeit wieder audgeführt werden, wobei zwei Ale zu 
unterfcheiden find. 1) Die Waaren gelangen ald Gegenftände 
bes Zwifchenhanbels in das Eigenthum eines inländifchen Kaufs 
manns, ber fie anfauft und wieder ind Ausland verfauft, oder 
3) fie nehmen nur auf Beranftaltung auswärtiger Kaufleute 
ihren Weg durch das Land (Tranfitogüter), und zwar 
fo, daß fie a) ohne Aufenthalt hindurch geführt werden (Trans 
fitogüter im engern Sinne), ober b) von einem inländifchen 
Spebiteur aus Auftrag fremder Hanbelsleute übernommen und 
weiter beförbert werben (Spebitionsgüter). Die Spebdis 
tion if fein eigener Zweig, aber wohl ein nuͤtzliches Huͤlfs⸗ 
geſchaͤft des Handels (a), welches zwar mäßigen, aber bafür 
aud) fihhern Gewinn bringt und an Pläben, wo bie Waaren 
zegelmäßig umgeladen werden müflen, fehr einträglich iſt (vgl. 
8. 269 a), auch leicht andere Unternehmungen von Aus» und 
Einfuhr veranlaßt. Selbft die bloße Durdfuhr (Tranfito) 
iR für die Volkswirthſchaft nicht unerheblich, denn bie durch⸗ 
gehenden Fuhrwerke verurfachen längs ber Straße eine Ber» 
zehrung von Nahrungsmitteln, Butter, Wagner», Schmiede, 
Seiler Waaren u. dgl., welches im geringeren Grade audy von 
dem Tranfito auf Strömen gilt; auch giebt die Verſendung 
häufig inländifchen Fuhrleuten oder Schiffern Beichäftigung (6). 
(e) Die oft gebrauchte Benennung Tranfitohandel ift unrichtig, denn 

ber Eranfto it fein Handel, höchftens veranlaßt er Speditionsgeſchaͤfte; 

man verfieht aber darunter oft den Zwifchenhandel, eine Begriffsver: 
wirrung, die forgfältig vermieden werden follte. 

(5) Was ein Bolt auf diefe Weife vom Auslande verdient, das muß in 
der Regel fo gut wie die Ausfuhr durch ae al Waaren vergütet 


werden (1, 8. 418), foweit nicht een Ir ai Pd ‚auswärtiger 
. ⸗ 


zu ſchaͤzen. Im preuß. Staate berechnete man 1819 
bie Cinfuhr U 2 2 2 2 0. 23°007 000 Thlr. 
Dagegen bie Aufubr - - > 2 2 2.2. 19346000 ⸗ 
gölle von Ausländern hoben . . . . . 1279000 : 
Berbiente Kraht . - - > 2 202000. 8°2370000 ⸗ 
Handelsgewinn und Speditionserwerb . . . 3419000 = 
Die ganze Leitung für das Auslann . . . 25314000 + 


Bermuibeter Ueberſchuß über die Einfuße . . 2307000 





$. 311. [315.) 


Die Durchgangszoͤlle haben feinen volkswirthſchaftlichen 
Nugen, fondern follen bloß von den Ausländern eine Staats 
einnahme zu Wege bringen, III, 8. 457. Inſofern fie von 
dem Zwifchenhandel erhoben werden, fallen fie oft den Unter 
nehmern befjelben zur Laſt, weil biefe, um ihren Abfag nicht 
einzubüßen und das Mitwerben fremder Kaufleute zu beftchen, 
den Zoll nicht auf die Berfaufspreife fchlagen dürfen. Der 
Zwifchenhandel ift aber dem ftärfften Mitwerben und den mei⸗ 
ften Veränderungen unterworfen, weßhalb man ihn nicht mit 
Zoͤllen belaften follte, welche ihn in eine andere Richtung dran 
gen fönnten. Ebenſo ift die Erhebung eines Zolled von Spe- 
ditions⸗ und von bloß durchgehenden Waaren bedenklich, weil 
man nicht ficher ift, daß der Waarenzug auöfchließlich auf einer 
beftimmten Straße ſich bewegen muͤſſe. Die Regierungen weit 
eifern, ihn durch Anlegung guter Straßen und geringe Abgabe 
fäge in ihre Gebiete zu ziehen, und bie Buhrleute ſowohl ale 
die Spebiteure find fehr bedacht, den wohlfeilften und bequem 
fin Weg, wäre er auch nicht der Fürzefte, vorzuziehen (a). 
Diefes Mitwerben mehrerer Straßenzüge muß die Regierungen 
ermuntern, die Durchgangszoͤlle aufzuheben, oder doch bis zu 
bem Betrag einer geringen Gebühr für die Grängbehandlung 
zu erniedrigen, wobei man dann nur die nöthigen Sicherheite- 
maaßregeln anzuordnen hat, um die Umgehung bed Einfuhr: 
zolled unter dem Vorwande der Durchfuhr zu verhüten (b). 
(a) In Baiern betrug der Durchgangszoll im 3. 1817/18 350628 fl., im 

Sahre 1823/24 aber nur noch 125716 fl., weil Waaren, welche vom 

nördlihen Deutſchland nach der Schweiz und Italien gingen, ihren 

Weg durch Würtemberg, Baden oder über Prag, Wien und Trief 


nahmen und franzöfifche Waaren über Frankfurt nach Leipzig gebracht 
wurden 0. Rudhart, IL, 248. 


(5) Bgl. III, $. 457 (a). $. 462, Nr. 8. — In Frankreich war bie auf 
das Bel. v. 9. Febr. 1832 der Durchgang folder Waaren, beren ins 
fuhr zur inneren Verzehrung verboten ıf, ganz unterfagt. Seitdem if 
er unter den zur Verhütung des Schleihhandels erforderlichen Foͤrm⸗ 
lichkeiten in einer Anzahl von Häfen und Landflationen geftattet. _ 
Berichiedene Waaren, 1 B. lebende Thiere, Fleiſch, raffinirter Zucer, 
Kochſalz, auch alle F üffigfeiten find ausgeſchloſſen, wenn ſie nicht in 
Flaſchen oder Kruͤge gefüllt find. — Die Staatseiſenbahnen machen 
e6 leicht, Durchgangewaaren unter folchen Verſchluß zu halten, daß 
eine Umgehung tes Ginfuhrzolles durch heimliches Hinübernehmen in 
den inländifchen Verbrauch nicht zu beforgen iſt. Daher iR in Belgien 














— 59 — 


auf der Staatsbahn ber Durchgang mancher Waaren erlaubt, während 
es auf anderen Wegen verboten iR. Aus den öffentlihen Niederlagen 
(entrep6ts) dürfen alle Waaren ohne eine Abgabe wieder ausgeführt 
werden, auch diejenigen, deren Durchgang fonft nicht erlaubt iſt. — 
In den Niederlanden find Feine Durchgangszölle. Im Sollverein wur: 
den Durdgangsgüter bei der Ginfuhr unterfuht und verbleiet oder 
verfiegelt, es wurde Siherheitsleiftung für den Eingangszoll gefordert 
und ein Begleitfchein No. I. ausgefertigt (acquit a caution nach der 
franzöf. Kunſtſprache), der unter andern auch die zum Ausgange be: 
Rimmte Zollftätte und die geflattete Friſt ausſprach. Die Haftung 
aus dem Begleitſcheine hörte erſt auf, wenn bei der Stelle, die ıhn 
ausgefertiget hat, die Wiederausfuhr dargethan ward. Der Durch⸗ 
gangszoll war in der Regel 10 Sgr. vom Bir. (allgemeiner Einfuhr: 
ol für die nicht befonders benannten Waaren), oder der Betrag des 
ins oder Ausgangszolle, falle er niedriger mar als jene Summe. Auf 
vielen Straßen find Grmäßigungen eingetreten, vorzüglich auf folchen, 
die das Bereinsgebiet in geringer Länge durchſchneiden und daher dem 
Mitwerben auslandiicher trafen ausgeſetzt find. Zufolge einer Ueber: 
einkunft der Bereinsftaaten von 1860 wurden fänmtlihe Durchgangs⸗ 
ölle vom 1. März 1861 an aufgehoben. — In Defterreih (Meuer 
arif vom 1. San. 1854) find befreit alle W., die über die Seefüfte 
ein= und irgendwo ausgehen, ferner die durch Tirol nad Stalien 
gehen, ober bie auf der Splügenftraße eins oder austreten, die auf 
der Donau oder dem Bo durchgehen, auch folde, die aus einer amts 
lichen Niederlage binnen 6 Monaten wieder bei dem nämlichen Zoll 
amte ausgeführt werden. Der allgemeine Sag des Durdgangszolls if 
hoͤchſtens 15 Fr. vom Brutto:Gir. von den meiften Gewerlswaaren und 
den foflbareren rohen Stoffen (Wein, Bier, Branntwein, Hopfen, 
Butter, Käfe, Kakao, Kaffee, Duedfilber, Seide ıc.), 6 fr. von den 
meiften Rohftoffen ; viele Gegenflände find ganz frei. 


Zweites Hauptflüd. 
Maafregeln in Bezug auf den PBapierhanbel. 


$. 312. [316.] 


Unter den Berfchreibungen bilden Wechſel, vorzüglich 
häufig aber Staatöpapiere und Actien einen Gegenftand 
des Handels, I, 8. 437. Bei jenen ift, außer der Einrichtung 
von Börfen (8. 283), der Aufftelung von Mäflern (8. 282) 
und der zwedmäßigen Seftfegung der vorfommenden privatrecht- 
lihen Berhältniffe nichts Befondered zu thun nöthig, zumal da 
ber Wechfelverfehr feinem Weſen nad) fich immer in engen 
Gränzen halten muß. Der Staatöpapier- und Actiens 
Handel kann eine nachtheilige Wirfung haben, wenn er in 
ein Wettfpiel ausartet, I, $. 438— 441. Da indeß nicht ver- 


— 350 — 


bütet werben Tann, daß ihm die Finanzoperationen fletö neue 
Nahrung geben, da bie wahren Käufe, fowohl bie ſogleich zu 
vollziehenden, als bie auf Zeit gefchloffenen, nicht erfchwert 
werden bürfen, und ba dieſe von dem fogleich anfangs beab: 
fichtigten ober erft fpäter verabredeten Ausgleichen der bloßen 
Cursdifferenz (der Jobberei) nicht leicht zu unterfcheiden find, 
fo muß man fich darauf befchränfen, den erweislichen Jobberei⸗ 
gefchäften, denen auch das Vermiethen (Berheuern) der zu Prä 
mienverloofungen gehörenden Obligationen oder dad Promeſſen⸗ 
gefehäft (IH, 8. 503) gleich geſetzt werben bürfte, bie Klag: 
barfeit abzufprechen (a), ferner das Anbieten der Promeſſen in 
den öffentlichen Blättern zu unterfagen, unb vor biefem Ge⸗ 
(häfte zu warnen. Auch Tann jebe Regierung wenigftend bei 
ihren eigenen Schulden darauf Bedacht nehmen, daß bie Obli⸗ 
gationen für dad Wettfpiel fo wenig als möglidy lockend ges 
macht werben (5). Die verfchiedenen Ermunterungdmittel dee 
Gewerbfleißed tragen ebenfalls dazu bei, bie Bapitafe mehr zu 
gemeinnügigen und weniger gefährlichen Unternehmungen bin 
zulenfen. 


(a) Auguftin und Augufl. Etwas zur Bertheidigung des Handels mit 
Staatspapieren. Leipzig 1825. — — Gutachten uͤber 
die Frage: ob die — den Lieferungshandel mit Staatspapie⸗ 
ten verbieten ſolle? Leipzig 1825. — Die von Schmalz (I, $. 440 (0)) 
vorgeſchlagene Zuchthausſtrafe für Jobber if, abgefehen von der Schwie: 
rigfeit des Beweifes, viel zu fireng, befondere da Lotterien, Staates 
anleihen mit Pramien, Brivat-Berloofungen u. dgl. die Spielludt 
aufregen und die Zobberei an und für fih nichts ale ein unbefonnenee 
Wageſpiel if. Much die Verſchwendung ift ſchädlich, ohne bag darum 
Geſetze gegen fie gegeben werben duͤrfen. — Preuß. Babinetsorbre vom 
27. Juni 1837, daß der Verkauf von Bromeflenfcheinen zu den mit 
Prämien verbundenen Berloofungen von Obligationen verboten ifl. — 
Die engliichen Geſetze gehen zu weit, indem fie allen Käufen von 
Staatspapleren ıc. auf Beit die Alagbarfeit abiprehen. — Franzoͤſ. 
Strafgefepgeb. Art. 421: Alle Wetten (paris) auf das Gteigen oder 
Fallen der öffentlihen ‚Berihreibungen (efföts publics) find ftrafbar. 
Art. 422: Jeder Berfaufsvertrag gilt als folge Wette, wenn ber Bers 
kaͤufer nicht beweift, daß er bie verkauften Papiere beim Abſchluß bes 
Bertrags zu feiner Verfügung hatte oder zur Kieferungszeit haben 
mußte (avoir du s’y trouver). 


(5) 1, 6. 495. 


— 81 — 


Zweiter Abſchnitt. 
Creditanſtalten. 


6. 312a. 


Nähft dem Kauf und Berfauf (Zaufchverfehr), welcher den 
größten Theil der Berkehrögeichäfte ausmacht, muß der Ueber: 
gang ber in Geldform gefammelten Bapitale in andere Hände 
mit Vorbehalt einer Borderung des biöherigen Eigenthümers 
die Aufmerkfamfeit der Regierung auf fich ziehen (a). Wenn 
ber Eigenthümer eines Capitales nicht felbft ein Gewerbe bes 
treiben will, fo ftehen ihm verfchiedene Wege offen, jenes Ders 
mögen anderen Perfonen zu übergeben und fich dafür eine Ver⸗ 
gütung (Leihzins) zufihern zu laflen. Die Vorbedingung 
einer folchen Uebereinkunft ift der Eredit Desjenigen, welcher 
fremdes Capital zur Benugung empfängt, I, 8. 278. Der 
Erebit, d. i. dad Vertrauen, welches der Borgende genießt, 
beruht entweder auf einer Pfandficherheit (Bfand-Eredit), 
bei welcher perfönliche Berhältnifie wenig in Betracht kommen, 
oder auf der Meinung, welche der Bapitalbefiger von ben per- 
fönlihen Eigenfchaften und von ben Bermögensdumfländen oder 
dem Einfommen des Borgenden ih Allgemeinen hegt (b). 
Außer der allgemeinen Beförderung bed Credits, welche ſchon 
in guten Rechtsanftalten und einer guten Einrichtung des Uns 
terpfandwefend liegt (8. 23), wird für die apitalbebürfnifie 
der Grundeigenthümer durch befondere Xeihanftalten ges 
forgt, 8. 110. Das Leihen auf Fauftpfänder fowie übers 
haupt die Unterflügung mit Heinen Darleihen in Fällen augen 
blidlicher Bebrängniß gehört zum Theile zu den Verhuͤtungs⸗ 
mitteln der Armuth, 8. 328 ff. Yür die gegenwärtige Betrachtung 
bleiven daher vorzüglich ſolche Gefellihaften übrig, welche das 
Ausleihen in verfchiedenen Formen gewerbemäßig betreiben, 
ohne zu einer der erwähnten befonderen Arten von Leihanftalten 
zu gehören. Die Erleichterung des Leihens und Borgens ift 
volkswirthſchaftlich nüglich, weil fie den Gewerben reichlichere 
Mittel zur Erweiterung ber Gütererzeugung zuführt und zugleich 
die Bapitaliften in ber einträglichen und ficheren Anlegung 





— 3552 — 


ihres Vermögens unterflügt, fo baß fie nunmehr Geldſummen 
nicht bloß aus Mangel an Gelegenheit brach liegen zu laflen 
brauchen und eine flärfere Ermunterung zum Ueberfparen em 
pfinden, I, 8. 280. Der Credit ift jedoch dem Mißbrauch 
audgefegt (I, 8. 281 (d)), wenn Täufchungen, z. B. durch 
verdeckende Formen bed Borgend, zu Hülfe genommen oder 
wenn Gapitale zu minder ficheren ober nicht gemeinnügigen 
Anwendungen aus den für die Volkswirthſchaft vortheilhafteren 
gütererzeugenden Bewerben herübergelodt werden und alſo das 
gefammte Capital des Volfed, eine gegebene, nicht beliebig ver- 
mehrbare Größe, für die Hervorbringung nicht foviel Leiftet, als 
e8 feinem Umfange nach fönnte (ce). Die Gefahr, daß Geſell⸗ 
Ichaften, die aus Leihgefchäften einen Gewerbögewinn ziehen, 
in jenen Mißbraud) verfallen, liegt fo nahe, daß eine Staats 
aufficht wenigftend auf die größeren Unternehmungen biefer Art 
nicht fehlen darf (d). 

Die nämlichen Umftände, welche einer größeren Gewerbs⸗ 
geſellſchaft Credit zum Borgen verfchaffen, dienen auch dazu, 
Bapitaliften zur Theilnahme an berfelben geneigt zu machen, 
führen ihr bei ihrer Errichtung und Erweiterung die Capitale 
neuer Mitglieder zu und machen ihre Antheilfcheine (Actien) 
zu einer beliebten Art, Gelbfummen anzulegen. Zwiſchen den 
einzelnen Actienbefigern und ber Gefellichaft im Ganzen findet 
jedoch fein Leihs und Borgeverhältniß ftatt, denn jene find 
Theilhaber an der Unternehmung und haben Berlufte zu tragen, 
wie fie die Gewinnfte genießen. Die Actiengefelfchaften im 
Allgemeinen find daher nicht unter die Erebitanftalten zu red 
nen, fo wenig als Eleinere Gefellfchaften, bei denen Capitale 
mehrerer Theilnehmer zuſammengelegt werben. 


(a) Das Dingen und Bezahlen von Arbeitern ſetzt zwar eine fehr große 
Gütermafle in Umlauf, giebt abet zu feiner Maaßregel ber Staats 
—5— Anlaß, weil hiezu feine Vermittelung und Erleichterung nd 
thig if. 

(8) Beide Rüdfihten müffen in der Regel zufammenwirfen, um dem Dar: 
feiher die MWahrfcheinlichfeit zu geben, daß er nichts verlieren werde. 


(e) Daß die Leiter ber Geſellſchaften nur von privatwirthſchaftlichem Stand; 
puncte aus urtbeilen und auf ben größten Gewinn Hinzielen, liegt im 
Mefen der Sache. Allein auch mande Schriftfteller, welche ſich von 
volfswirthichaftlicher Seite über diefe Unternehmungen geäußert haben, 
Inflen richtige Ginficht in die Natur des Credits, in die Bedingungen 
und Gränzen feiner Wirkungen vermiflen. 





— 853 — 


(d) Dan kann nur in einem uneigentliden, bildlichen Sinne fagen, der 
Actienbefiger Leibe fein Geld der Geſellſchaft. — Aus obigen Säßen 
folgt, daB das Berhalten der Staatsgewalt gegen Gewerbsgeſellſchaften 
überhaupt nicht in den gegenwärtigen Abfchnitt der Vollkswirthſchafts⸗ 
politif, fondern in den allgemeinen Theil der Pflege der Production 
gehört, wo fie in ber gegenwärtigen 5. Ausgabe in 6. 29 a ff. ihre 

telle gefunden haben. i8 vor Kurzem waren folde Geſellſchaften 
fat nur für Berfiherungen, für den Bergbau ($: 37), den Handel 
($. 77) und die Banf eihäfte beftimmt, weßhalb fie vorzüglih als 
Gegenftand des Handelsrehts und der Handelspolitif betrachtet wurs 
den; neuerlih haben fie fih auf Fabrikweſen, Gifenbahnen, Banäle, 
Dienfigewerbe (3. B. Theater, Omnibus) ausgedehnt und bdergeftalt 
vermehrt, daß die für fie anzuorbnenden Maaßregeln einen wichtigen 
Abfchnitt der Staatsfunft bilden, in welchen die Rüdfichten der Sufige 
und Bolkswirthfchaftspolitif zufammentreffen. 


$. 312 b. 

Eine wifienfhaftlihe Eintheilung derjenigen Unternehmuns 
gen, welche ausſchließlich ober großentheild auf Leihgeichäfte 
gerichtet find, ift darum fchwierig, weil die Wirkungskreiſe fols 
her Gefellfchaften auf manchfaltige Weife feftgefeht werden 
fönnen, wie man ed gerade für bequem und zwedmäßig erach⸗ 
tet, fo daß ein einzelnes ausgewähltes Unterfcheidungsmerfmal 
nicht die Berfchiedenheit in dem ganzen eigenthümlichen Wefen 
anzeigt. Doch laſſen fi) in den heutigen Leih⸗-Geſellſchaften 
diefer Art zwei Gattungen unterfcheiden. 

I) Leihbanken ber älteren Art, mit ſolchen Berrichtuns 
gen, die anfänglich von einzelnen Bankhäufern betrieben wurden 
und daher gewöhnlid mit dem Namen Banfgeihäfte be 
zeichnet werden, I, $. 292 a. Infoferne foldhe Banfen Scheine 
ausgeben, bie auf ben Inhaber lauten, auf Sicht einzus 
töfen find und deßhalb leicht wie Münze umlaufen (Banfs 
Iheine, B.:Roten), gehören die auf jene fich bezichenden 
Regierungsmaaßtegeln zu ber Sorge für dad Geldweſen eines 
Lanbed, 8. 247. Rad) einem biöher ziemlich allgemein ange- 
nommenen Grundfage bebürfen reine Actiengeſellſchaften (a) 
einer befonderen Staatserlaubnig, während fonft für neue Ges 
werbsunternehmungen nur die amtlidhe Eintragung und bie 
Veröffentlichung des Geſellſchaftsvertrages erforderlih ift (2). 
Wenn auch nad dem neueren Orundfage, daß dem Gewerb⸗ 
fleiß foviel Breiheit eingeräumt werden fol, als ed mit dem 
allgemeinen Wohle verträglich ift, die Errichtung von Xctiens 
gefellfchaften im Allgemeinen freigegeben wird, fo ift doch hei 

23 


Rau, polit. Delon. IL. 2. Abth. 5. Ausg. 


— 84 — 


ActiensBanfen, auch wenn fie feine Geldfcheine ausgeben, 
wegen bed zu ihren Leihgefchäften erforberlihen Vertrauens 
und bed Bebürfnified einer Sicherftellung anderer Perſonen, bie 
mit jenen in Verkehr treten, bie Beibehaltung ber bisherigen 
Vorſchrift und eine fortgefegte Aufficht rathfam. Hieraus find 
nachfichende Regeln abzuleiten: 

1) In ben zur Genehmigung vorzulegenden Sagungen müffen 
bie DVerfaffung der Gefellfchaft, die zu betreibenden Gefchäfte, 
bie Ausmittlungsart des Reinertrags, die Bezahlungsweife ber 
Oewinnsantheile ıc. enthalten fein (c). 

2) Es ift nüglich, wenn der Stand der Geſchaͤfte in regel 
mäßigen Zeitabfehnitten veröffentlicht wird, bamit nicht allein 
die Theilhaber, ſondern auch andere Perſonen fich hierüber be 
lehren und darnach richten fünnen. 

3) Die Größe des ganzen aufzubringenden Capitals wird 
in den Sagungen audgefprocdhen. Dieß kann fo gefcheben, daß 
für den Anfang eine gewifle Summe feftgefegt und eine jp& 
tere Vergrößerung bis auf einen beftimmten Belauf geftattet 
wird. Weitere Vermehrung erfordert eine befonbere Staatd 
erlaubniß. Es ift hiebei darauf zu fehen, daß bad Actien⸗ 
capital, mit dem muthmaaßlichen Umfang der Geſchaͤfte ver: 
glichen, der Bank nicht die Macht gebe, die einzelnen Bank 
häufer zu verdrängen. 

4) Der Betrag einer Actie follte nicht fo Flein fein, daß 
auch gering begüterte ‘Berfonen, für welche eine folche Anwen 
bung ihres Fleinen Vermögens nicht zwedmäßig ift, verſucht 
find, Actien zu erwerben. 

5) Man follte in jedem Staate je nach der Bolfömenge nur 
eine Eleine Zahl von Banken, und zwar an lebhaften Handeld 
pläßen, zulaſſen, dagegen ift die Errichtung von Unterbanfen 
(Silialen) in anderen Städten feinem Bedenken ausgeſetzt. 

6) Als Bankgefchäfte find vorzüglich dad Ankaufen von 
Wechfeln zur Einziehung (Discontiren) (d), — das Ausleihen 
gegen gehörige Sicherheit in gewiſſen Arten von Yauftpfänbern 
(inländifchen Schulbbriefen des Staates, der Gorporationen, in 
ber Regel nicht Actien) oder gute Bürgfchaft, in einmaligen 
Zahlungen oder durch Geftattung eined Credits auf laufende 
Rechnung (conto corrente), — dad Annehmen von verzinslihen 


oder unverzinslichen @infagen, — bad Ausftellen von Wed 
jeln und Anweifungen u. dgl. (I, 8. 306) zwedmäßig. Das 
Darleihben auf Waarenvorräthe ift nur mit Borficht, etwa bei 
rohen Stoffen und in Beihränfung auf einen Theil ihres Preis 
ſes, zuzulaflen (f). 

(a) Ueber die diefen Banfen verwandten Borfchußvereine |. $. 3328. 


(5) Nicht Sommanditen, wenn gleich die Antheile der flillen Geſellſchafter 
in Actien getheilt find, Code de comm. $. 38. 


() Das breit. Geſetz von 1856 ($. 312 (d) hebt das Brforderniß einer 

befonderen Genehmigung auf, aber nicht für Banken und Berficherungss 
ejelihaften. — Deutiches Handelsrecht F. 208: Netiengefellfchaften 

önnen nur mit ſtaatlicher Genehmigung errichtet werden. Das bad. 
Sinführungsgefep vom 6. Auguft 1862 hebt dieſe Befimmung in der 
Regel auf, behält fie aber ausnahmemeile für Banken, Gredits und 
Berfigerungsgefchäfte bei. 

(4) Auf diefe Beftimmungen find die oben, in den $. 312 (d) angeführten 
Stellen, aufgeführten Saͤtze anwendbar. 

(*) Das Discontiren if rechtlich betrachtet Fein Darleihen, fondern ber 
Kauf einer Korderung, allein von wiribfchaftlicher Seite fommt es mit 
bem Ausleihen überein, benn e6 wird eine Geldſumme gegen eine, nad 
der Zwifchenzeit bemeflene Vergütung dem Verkäufer des Wechſels auf 
furze Friſt zur Verfügung überlaflen. 

(f) Für das Berpfänden von Waaren ift durch das franz. Geſetz vom 
28. Mai 1858 eine Anordnung getroffen worden. Es werden „Generals 
magazine“ unter Staatsaufficht errichtet, in denen von Fabrik- und 
Kaufherrn Waaren hinterlegt werden koͤnnen. Die Bigenthümer er: 
halten einen Empfangs und einen Pfandſchein (billet de gage oder 
warrant), den fie dem Darleiher einhändigen. Der Pfandſchein enthält 
Die gelichene Summe, Berfalltag, Zinsfuß, Name des Gläubigers. 
Der letztere kann, wenn die Ruͤckzahlung nit gu rechter Zeit erfolgt, 
nah erfolgtem Proteft die Waare verkaufen laflen. Beide Scheine 
fönnen an andere Berfonen übertragen (inboffitt) werden, der Beflger 
bes Bmpfangfcheines barf aber Die Waare nur an fi) nehmen, wenn 
er bie darauf baftende Schuld bezahlt Hat. 


8. 312 c. 


IH) Banfen mit flärferer Beiheiligung an Ge— 
werben, gewerblihe Banken, fog. Ereditgefellfchaf- 
ten, eine Schöpfung ber erften Jahre nach 1850, in benen 
eine ungewöhnlich lebhafte Unternehmungsluft herrſchte und 
öfterd das durch Beionnenheit gebotene Maaß im Gebrauch 
des Credites überfchritten wurde (a). Sie find aus dem Bes 
fireben hervorgegangen, von einem großen Gapitale in manch⸗ 
faltiger Weife Bortheil zu ziehen, dad Mitwerben kleinerer 
Unternehmungen zu befeitigen und hiedurch eine gewiſſe Madıt 

23% 


— 556 — 


zu erlangen, die zur Vergrößerung bed Gewinnes benußt wer 
ben kann. Indem fie Leihfummen der Einzelnen berbeiziehen, 
bie fonft zum Theile müßig gelegen wären, und für biefelben 
eine einträglide Anwendung auffuchen, bewerfftelligen fie eine 
nügliche Vermittlung zwifchen den Gapitalbefigern und den 
hervorbringenden Gewerben, indeß gefchieht dieß aud ſchon 
von den Banfhäufern und von den Leihbanken (8. 312b), und 
es ift daher für diefen Zwed eine andere Art von Ereditanftal- 
ten nicht Beduͤrfniß. Während die LXeihbanfen darauf bedacht 
fein müffen, die ausgeliehenen Summen bald wieder erftattet 
zu erhalten, um bie ihnen anvertrauten Gelder auf Berlangen 
zurüdzahlen zu fönnen, fcheuen es bie gewerblichen Banten 
nicht, Geld auch zu dauernden Verwendungen als ſtehendes 
Capital darzuleihen (6). Sie find daher im Stande, weit 
größere Summen zu verwenden und flärfer in das Gewerbe 
weſen einzugreifen. Ihre Geichäftöführer können mit Hülfe 
ihrer Erfahrung, Gefhäftsübung, Kenntniß und aufmerffamen 
Beobachtung aller gewerblichen Berhältniffe günftige Erwerbs⸗ 
gelegenheiten rafch, kraftvoll und erfolgreich benutzen. Indeß 
haben folche Gefelfchaften aud) nachtheilige oder wenigftend 
bedenkliche Seiten gezeigt, aus denen für die Regierungen eine 
Mahnung zur Behutfamfeit hervorgeht. Dieß rührt daher, 
daß das Streben diefer Creditgefellfchaften nach dem größten 
Reinertrag nicht nothwendig auf Bortheile für die ganze Bolld- 
wirthfchaft des Landes gerichtet ifl. Der weite Spielraum, ber 
ihnen eröffnet ift, macht es möglid, daß fie Gefchäfte unter 
nehmen, die nicht gemeinnüßig, ja volföwirthfchaftlich nachtheis 
lig find, zumal da es ihnen frei fteht, die zu ihrer Verfuͤgung 
ftehenden Mittel auch in anderen Ländern anzulegen, wenn 
dieß mehr Gewinn verfpricht. 

(a) Diefer Name bezeichnet die Bigenthümlichkeit folcher Anftalten gar nicht. 
Der Ausdruck Mobiliarsßreditgefellihaft befagt nur, daß 
Darleigen auf Liegenihaften ausgefchloflen find. Weber dieſe Geſell⸗ 
ſchaften f. vorzüglid Forcade in Revue des deux mondes, 1856, 
III, 377 und 606 (gegen den Parifer Cred. mob., fehr gehaltreih). — 
Morig Mohl, zerfireute Auffäpe im Jahrg. 1856 des ſchwäbiſchen 
Merkurs (eifrig gegen die Greditgefellichaften , ‚insbefondere gegen 
Seybold's Banfentwurf). — Deutſche Bierteljahrsfchrift Mr. 75, 
©. 254, Rr. 76, ©. I und 258 (v. Schäfflen), Nr. 77, ©. ! 


(von 2. Stein). Bon biefen 4 Auffäpen ber Bierteljahrsfchrift if 
der zweite gegen dieſe Gefellfchaften, die 3 anderen find mehr oder 








— 357 — 


weniger benfelben günftig. — Tooke, History of Prices, VL, 104 
(bauptfächlich gegen den Pariſer Cred. mob.). — Ale Vorbilder werden 
Betrachtet die preuß. Gechandlung ($. 227 (a), die jedoch feine Börfens 
efchäfte betrieben hat, und die belgiſche SocistE generale, L, 6. 317. — 
Die Barifer Societe generale du credit mobilier, abgekürzt indgemein 
er&dit mob. genannt, iſt durch Sfaaf und Emil Pereire, Fould 
und Fould⸗Oppenheim gegründet worden. Genehmigung der 
Regierung v. 18. Nov. 1852. as Rapital befleht aus 60 Mill. Fr. 
in 120000 Actien zu 500 Fr. — Darmftäbter Banf für Handel und 
Snduflrie 1853, mit 25 Mill. fl. in Actien zu 250 fl. — DOcfter: 
reichilche Ereditgefellihaft 1855, einftweilen mit 60 Mill. fl., die auf 
100 M. vermehrt werden bürfen, in Actien zu 200 fl. — Drei Geſell⸗ 
fhaften in Madrid, 2 in Barcelona — Im 3. 1856 entflanden 
folgende Geſellſchaften: Allgem. deutiche Creditgeſellſchaft in Leipzi 

(17. $ebr.), einflweilen mit 10 Mill. Thle. — Deffauer Eredit-Anftalt 
für Induſtrie und Handel (12. März), 8 Mill. Thlr. — Koburger 
Er.⸗Geſ. (anfangs 1700000 Thlr.; auf 15 Mill. berechnet), — Dei: 
ningifche (mitteldeutfche) Er.⸗“Geſ., 8 Mil. Thlr. — Nordveutfche Bant 
in Hamburg, 20 Mill. Mark Banco, — Creditgeſellſchaften in Zürich, 
Genf und St. Gallen. — Niederländifche Credit- und Depofitenbanf 
zu Amflerdam, zur Unterflüßung von Gewerbsunternehmungen, April 1863. 
Hiezu fommen die in der Korm von Commanditen errichteten Anflalten : 
Berliner Discontogefellihaft 1851, neue Sapungen 1856. (Außer den 
@ommanditären giebt es noch Mitbetheiligte, welche bis auf den Betrag 
ihrer Cinzahlung Gredit erhalten können. 16 Mill. Thlr. Gapital.) — 
Berliner Handelegefellihaft, 2296000 Thlr. Schlefiiher Bankverein, 
2.050000 Thlr. Die genannten deutfchen Geſellſchaften befchäftigen 
fhon jetzt 116 Mill. Thir. Actiencapital. — Sammlung von Angaben 
über biefelben in Hübener, Jahrbuch für Volksw. und Statifif, 
V, 206. 1857. — Mofer, Die Capitalanlage in Wertbpapieren 1860. 
©. 2 ff. — Nobad, Die Actien und Fonds. 1861. ©. 192. 
213 fl. 


(5) Hiermit fommt Forcade's Unterfcheidung eines Credit commercial 
und commanditaire überein. 


$. 312d. 


Außer den Berrichtungen, bie die @rebitgefellfchaften mit 
den Leihbanten wetteifernd beforgen ($. 312 b), find ihnen 
hauptſaͤchlich folgende geftattet worden: 

1) Handel mit Berfchreibungen aller Art (Effecten, ſoge⸗ 
nannten Werthpapieren), um aus bem Wechfel der Eurfe zu 
gewinnen, ein in großem Umfang von dieſen Gejellfchaften bes 
triebenes, biöweilen ſehr einträgliches, aber auch gefährliches, 
volföwirthichaftlich unfruchtbares und zu unfittlihen Mitteln 
verleitendes Gefchäft, welches feine Begünftigung von Seite 
ber Regierung verdient (a). 

2) Darleiben auf Sauftpfänder, namentli auch auf Actien, 
für fog. Reporigefchäfte (5). Die Hieraus entfichende Leichtig- 





— 88 — 


keit des Borgens ift für viele Perſonen nuüͤtzlich, verleitet jedoch 
auch Manche, in zu ausgedehntem Maaße davon Gebrauch zu 
machen, regt bie Gewinnſucht ſtaͤrker auf und lenkt fie auf 
MWege, welche für die Hervorbringung nicht foͤrderlich find (c). 

3) Gründung neuer gewerblicher Actienunternehmungen, 
indem man das erforberliche Capital zum Theile einfchießt und 
bie Actien nach und nad) verkauft, wodurd dann die Leitung 
bed Betriebes an die neue Actiengefellichaft übergeht. In ähn- 
licher Weife werden auch ſchon beftehende Gerverböeinrichtungen 
angefauft, wobei man befonderd auf bie Verfchmelzung meh: 
rerer mit einander wetteifernden gleichartigen Unternehmungen 
bebacht ift (die fog. Fuſion), um an den Berwaltungdfoften 
zu fparen und das Mitwerben zu entfernen, alfo bie Preiſe 
einigermaaßen zu beberrfchen. Die Erebitgefellfchaft übt auf 
biefe Weife eine Oberleitung (Patronat) über wichtige Zweige 
bed Gemwerbfleißed aus (d). Während fie hiedurch die Aus 
fiht auf größere Gewinnſte erlangt, wächft auch die Gefahr 
von Verluſten und Beruntreuungen fowie die Scwierigfeit 
einer guten Verwaltung vieler und großer Gefchäfte, bie nur 
von vorzüglich fähigen und rechtlichen Männern und bei gehoͤ⸗ 
tiger Ueberwachung in gebeihlihen Gange gehalten werben 
fönnen. Eine Erfohütterung durch Fehlgriffe oder unverſchul⸗ 
dete Unfälle würde weit verbreitete Rachtheile verurfachen. — 
Wird bei der Anregung zu neueren Actiengefellfchaften nicht 
auf die überhaupt vorhandene Bapitalmenge Rüdfidht genom⸗ 
men, fo fehlen den Unterzeichnern die Mittel zur Bortfeßung 
ber Einzahlungen, die hieburch veranlaßten Verfäufe von Actien 
erniebrigen den Preis berfelben und ber Zinsfuß geht zum 
Schaden für andere Gewerböleute in bie Höhe. Da ınan der 
Geſellſchaft nicht auferlegen fann, und fie, um iht Capital 
nicht feftzubinden, nicht geneigt ift, die ihr gehörenden Actien 
ber neuen Gewerbsgeſellſchaften zu Behalten, fo beabſichtigt fie 
nur einen einträglichen Verkauf dieſer Actien, worauf ihr das 
Schidfal der neuen Unternehmungen gleichgültig if, und das 
Streben geht vorzüglich dahin, denfelden anfangs Zutrauen zu 
verichaffen und ben Curs der Actim zu fleigen. Es Tann 
leicht vorkommen, daß zu diefem Zwede große Actiengefellichaf- 
ten für Gewerbe gebildet werben, bie befler von einzelnen 


— 359 — — 


Unternehmern betrieben würben und daß ber Gewerbfleiß Ein- 
zelner durch die Gewalt des großen Capitals erbrüdt wird, 
ohne daß ein gemeinnügiger Erfolg zu Stande fommt, 8. 226. 

4) Zur Ausführung diejer Entwürfe bedarf die Geſellſchaft 
größerer Mittel, als ihr eigenes Actiencapital barbietet. Weil 
aber dad Audgeben von Banfnoten ihr aud guten Gründen 
nicht geftattet wird (e), fo muß fie Gelbfummen genen verzind- 
lihe Schuldbriefe aufnehmen, bie fie allmälig einlöft, wie die _ 
in ihrem Befige befindlichen Actien der neuen Unternehmungen 
Abfag finden und manche Vorſchüſſe heimgezahlt werden. Dieſe 
Darleihen gegen Schulbbriefe haben feine befondere Pfandver⸗ 
bürgung, fondern beruhen im Allgemeinen auf dem Bertrauen 
der Gapitaliften zu der Geſellſchaft (f). Ihre ES chulpbriefe 
follen durch die Verſchreibungen gedeckt werben, bie fie ale 
Eigentbum ober Fauftpfand in Händen hat. Es iſt jedoch 
nicht genug, daß ber Geldbetrag dieſer vorräthigen Deckungs⸗ 
mittel der Summe der audgegebenen eigenen Schulbbriefe gleich» 
fommt, jene können unficher fein, geringe Dividende erhalten, 
im @urfe finfen und baburdy die Dedung zu einer bloß fchein- 
baren machen. Treten folche Berlufte ein, fo wird nicht bloß 
ber Gewinn gefchmälert, fondern es koͤnnen audy die Gläubiger 
und Theilbaber in Schaden fommen (g). 


(a) $. 312. — In dem Auffag in Nr. 75 der d. Vierteljahrsfchrift wird 
diefer Handel als das Mittel dargeftellt, den einzelnen Arten von Ber: 
ſchreibungen einen ihrem Werthe entiprechenden Preis zu vericaffen, 
indem die Käufer ein zu niedrig Rehendes Papier zum Steinen bringen, 
die Berfäufer (baissiers) dagegen ein überfchägtes im Curſe herab: 
drüden. Bine folde zuträglihe Wirkung muß man zugeben, fie ver: 
gütet aber nicht die Nachtheile und ber Curs würde Fr auch von felbfl 
gehörig einrichten. Die Greditgefellfchaften haben 3. B. aus dem Ans 
aufe öfterreichifcher Staatsſchuldbriefe im I. 1856 große Gewinnſte 
gemadt. Daß fie auch Differenzengefchäfte unternommen hatten, iſt 
nicht anzunehmen , weil es ihnen an Mitteln zum Bollzuge der Käufe 
und Berkäufe nicht fehlte und die Wagniß zu groß geworden waͤre. 
Der Koburger Geſellſchaft ſind ſie ausdrücklich verboten — Der Pariſer 
eredit mobilier bat einen Theil der neuen Staatsanleihen übernommen, 
ohne Zweifel in der Mbficht, die Staatsfchulpbriefe mit Gewinn zu 
verfaufen. Ungededte Verkäufe von Sculobriefen auf Zeit (ventes & 
deeouvert) und Käufe auf Prämien find ihm unterfagt, ebenfo Theils 
nahme an ausländifhen Staatsanleihen ohne befondere Erlaubniß. 


(5) Der Befiger einer Verſchreibung, der diefelbe nicht veräußern und doch 
einftweilen die ihrem Preiſe entiprehente Geldſumme zur Berfügung 
erlangen will, verfauft fie unter dem Beding des Ruͤcktaufes nach bes 
flimmter Zeit um einen feftgefegten höhern Preis, der eine dem Zinfe 





(e) 


(@) 


— 360 — 


ähnliche Vergütung in ſich ſchließt, I, 8.440 (eo). Dieß IR ungeachtet 
ber verfchiedenen Form doch der Sache nady einer Pfanddarleihe ähnlid. 
Das Meportgefhäft fchließt ſich meiftens an einen Zeitlauf an durd 
Verlängerung ber Friſt. 


Wer 3. B. für 10000 fl. Actien befigt, Tann etwa 3’, ihres Betrages 
borgen, indem er fie verpfändet. Für die 7500 fl. kauft er weitere 
Actten, auf die er wieder 2, oder 5625 fl. borgt, um damit noch mehr 
Actien zu kaufen. Aus biefen verichafft er ſich eine dritte Darleiße 
von 4218 fl. und wendet fie in gleicher Weife an. Er if nun Eigen: 
tbümer von 27343 fl. in Actien, auf die er aber 17343 fl. ſchuldig 
if. Bezieht er 7 Proc. Dividende, während er nur 5 Proc. Zins zu 
geben Hat, fo gewinnt er 346,85 fl. außer der Dividende von den erſten 
10000 fl. Solche Speculationen laflen fih, wenn überhaupt auf 
Actien geliehen wirb, nicht verhindern; es ift aber nicht gut, daß eine 
Geſellſchaft aus ihrem Actien- Eapitale hiezu Beiftand leiftet. Ueber⸗ 
haupt ifl es nicht zu wünfchen, daß die Menichen daran gewöhnt wer: 
den, ihren Grebit fo weit ald möglich zu benugen, da bie Menge ber 
vorhandenen Gapitale eine begränzte Größe ift und gemeinnüßige An: 
wendungen hiedurch beeinträchtigt werden fönnen. enn man e6 für 
nügli erklärt hat, eine künftige forttauernde Ginnahme (3. B. Divi: 
bende) fchon jeßt zu einem Gapital zu machen, fo if bieß nur in 
privatwirtbichaftlihdem Sinne richtig, denn ein folder Vorſchuß muß 
aus tem gegebenen Gapitalvorrathe des Bolfes genommen werden. — 
Daß den Gewerbsleuten im Ball des Bedürfnifies Darleihen um 
niedrigen Leibzins gegeben würden, läßt fidy nicht erwarten und es if 
auch nicht geichehen. 

Der Pariſer credit mobilier unterftügte bie Baugefellichaft der Riveli 
ftraße in Baris, welche überhaupt in diefer Stadt neue Gebäude er: 
rihten und verfaufen will, — die Bergwerksgeſellſchaft im Departement 
Loire, — die Omnibus: und die Gasgefellfchaft in Paris, — die 
Salzwerkögefellihaft in den öftlihen Dep., — die Geſ. zum Anfaufe 
der öfterr. Gifenbahnen. Er übernahm 1856 für 115 Mill. Gifenbahn: 
actien und ſchoß mehreren Gifenbahngefellfhaften 38 Mill. vor. Er 
beförderte die Erbauung von Gifenbahnen in Deflerreih, Spanien und 
Rußland, eine Dampfichifffahrtegefellfchaft, für welche ausgedehnte Ent: 
würfe gehegt werden, Anfteblungen, Auswanderungen, Wifcguanc: 
bereitung,, Berpflanzung oftindifcher Arbeiter (Eulis) nach Weſtindien, 
einen Ganal am Ebro sc. — Die öfterreihifche Greditanftalt übernahm 
für 20 Mil. fl. Actien ter Stifabethenbahn, von denen fie einen Theil 
mit Bortheil verkaufte, für 50 Mill. Lire Actien und Schuldhriefe der 
lombard. Bahn, für 10 Mill. fl. Artien der Theißbahn, bie det 
ungünftigen Curſes wegen Ende 1856 noch unverfauft waren, für 
31a Mill. fi. A. der Harbubigs Reichenberger, für 91, Mill. A. ter 
oftgalizifhen Bahn, 6 Mill. fl. von der „Auftria” für landwirthſchaft⸗ 
liche Verbeſſerungen, 3Mill. von der oͤſterr. Seehandlungsgefellicaft ıc. 
Sie leiht zu 5 Proc. auf Actien der von ihr unterflüßten Geſellſchaften. 
Hübener a. a. D. ©. 219. — Die Darmfädter Bank gründete 
1856 bie dortige Zettelbanf, nahm Theil an der Cliſabethen⸗ und 
Theißbahn, errichtete die Mannheimer Gef. für Wollenmanufactur (aus 
Schuddy⸗Wolle), die wuͤrtemb. Kattunfabrit zu Heidenheim (beide 
durch Ankauf fchon beftehender Fabriken) c. Die Meining. Erebitgel. 
nahm Theil an einer Schaumweinfabrif in Hochheim (nüglih), an 
einem Hüttenwerf bei Biedenkopf und einer Sigarrenfabrif in Waſungen 
(beide unvortheilhaft). Es if, wie bie Erfahrung früherer Handels 
geſellſchaften beweiſt, ſehr fchwer, daß fo riefenhafte Unternehmungen 
auf die Dauer in gutem Zuſtande bleiben. 





— 361 — 


(*) Ausnahme: Greditbant in Meiningen, welche ($. 14 der Statuten) bis 


zu %/s ihres Actiencapitales (von 8 Mil. Thlr.) Bankfcheine ausgeben 
darf, aber deren vollen Betrag baar vorräthig Halten muß. ine 
ſolche Anftalt Hat ohnehin immer einen gewiflen Baarvorrath nöthig, 
biefer geht alfo von ben geforderten 33'/; Proc. ab. Betrüge berfelbe 
3. B. 10 Proc. des Capitales, fo ift Die Summe, bie fie nod weiter 
ın Münze zu halten verpflichtet it, nur 23%/5 Proc. und fie vermehrt 
alfo die Umlaufsmittel um jene 10 Proc. — Der Entwurf, einer 
würtemb. Banf von Maanus nnd Seybold verlangt ebenfalls die 
Erlaubniß, für 3/, des Capitals von 6 Mill. fie Scheine auszugeben. 


(N Solche Schuldbriefe Heben an Sicherheit den Prioritäts - Obligationen 


(9) 


ber Bifenbahngefelichaften weit nah. — Die Barifer Gelellichaft 
arbeitet außer ihrem Actien:Bapital noch mit den ihr auf Eontocorrent 
übergebenen Summen, die bis auf das Doppelte jenes Capitals geben 
dürfen. Außerdem darf fie bis auf den 10fachen Betrag bes Actien⸗ 
capital® (alfo bis 600 Mill.!) Sculdbriefe ausflellen, die nicht unter 
45 Tagen nad Sicht Verfallzeit haben und den Belauf der vorräthigen 
Berfchreibungen nicht überfleigen follen. Zu Ende 1856 War fie 
101 Mi. auf laufende Rechnungen fchuldig. Die Regierung unter: 
fagte ihr 1855 aus Gründen, die in den Zeitumftänden lagen, bas 
Ausgeben von 240000 weiteren Schuldbriefen, das Stüd zu 250 Br. 
Bon dem Abgeben von Sculdbriefen auf Eeine Beträge mit kurzer 
Berfallzeit hat die Gefellichaft noch feinen Gebrauch gemacht, weil die 
Bortheile derfelben von den Ginwohnern noch nicht begriffen werben, 
Jahresbericht für 1856. Die von den Gruͤndern ausgelprochene Er: 
wartung, daß die verzinslichen Obligationen der Geſellſchaft lieber ale 
Geld bei Zahlungen angenommen werben würden, weil biefes dem 
Befiger, der es liegen läßt, Feine Binfen trägt, findet ſich ſchon in den 
Lehren der St. Simoniften und namentlih in der Schrift von Iſaak 
Pereire (eines der Gründer des Credit mobilier): Lecons sur l’in- 
dustrie et les finances, P. 1832. Ueberhaupt gehört dem St. Simo- 
nismus der Gedanke einer großen Bank, in der ſich alle großen Unters 
nehmungen vereinigten und deren Schulbbriefe (damals bons, jeht 
obligations genannt) nah und nah an die Stelle aller Actien einzelner 
Unternehmungen treten follen. Offenbar fönnen ſolche Schuldſcheine 
nicht den Dienft des Geldes veriehen und es ift nicht zu vermeiden, 
daß fie je nah dem augenbliclichen Geldbedürfniß, dem günftigen 
Far ungünfligen Stande der Geſchaͤfte ıc. eimen veränderlichen Eure 
aben. 


Es Hat fi) mehrmals gezeigt, daß wenn die fämmtlidhen im Umlauf 
befindlichen Berfchreibungen aus einer allgemeinen Urfahe z. B. einer 
Kriegögefahr, einer Erediterfhütterung u. dgl. im Preife finten, gerade 
die Antheilfcheine der Creditgeſellſchaften vorzüglih ſtark im urfe 
berabgehen. — Bei der Barifer Greditgefelfchaft war die Dividende 
(einfhließlih 5 Proc. Zins) 
von 1854 11,8 Proc. 1858. 59 nur 5 Proc. Zins. 

55 40,75 ⸗ 61 10 ⸗ ⸗ 
56 23 ⸗ 62 25 ⸗ 2 


Die Actien von 500 Fr. galten nach dem Frieden vom 30. Maͤr 
1856 1977, im Aug. 1856 1640, im Novbr. 12—1300, im Augu 
1857 gegen 900 Fr., Anfang 1862 716—732, Anfang 1863 1168, 
April 1863 1426. 

Die Wiener Ereditanflalt.gab 1856 5 Proc. Zins und 12 Proc. 
Superdividende, alfp 17 Proc. 1862 8,5 Proc., Tiähr. Durchſchnitt 
7,5 Proc. Preis der Actie von 200 fl. im April 1856 320 fl., Januar 


2 * 








— 362 — 


1857 293, Okt. 1861 153,5 A., Juli 1863 204—205. Die große 
Beränderlichkeit des Actiencurfes erklärt fih zum Theil aus den äfteren 
Berluften aus gewagten Geſchaͤften 

Darmftädter Bank für Hantel und SInduftrie: 1855 1025 Proc., 
1856 16 Proc. Dividende, D. 57—60 4,5% Proc. Im Januar 1857 
wurde eine Berdopplung tes Capitals von 25 auf 50 Mil. fl. be: 
ſchloſſen. Sie gelang aber nur in geringem Maaße und 1860 fing 
man an, die eigenen Actien um einen Gurs unter Part zurüdzufaufen. 
Es waren fchwere Berlufle eingetreten. Preis der älteren Stammactien 
von 250 fl. im Ian. 1856 g. 300 fl., Ian. 1859 350, Aug. 266, 
Det, 1861 200, Suli 1863 239—40. 

Koburg-Gothaiſche Er.“G. Das Gapital war auf 10 Mill. Thir. 
berechnet, e8 wurden aber nur für 1'300 000 Thlr. Actien untergebracht 
und davon wieder 300 000 Thlr. zurüdgefauft. Wegen großer Berlufte 
war die Divitende 1859 nur 2 Proc., 1860 0. Die Actien fanfen 
vorübergehend bis auf 50 Proc. 

Die Deffauer Greditanftalt it durch mißlungene Gewerbsunterneh⸗ 
mungen in fchlimme Lage gefommen. Sie zahlte 1852—60 feine 
Biene. Actien:Eurs April 1859 21, Det. 1860 11%, Det. 1861 
57,5 Proc. 

Reipziger Er.:Anftalt.e Das Capital von 10 Mill. Thlr. wurde 
durch Nüdfäufe von 30000 Actien unter Bari auf 7 Mill. vermindert. 
Anfehnlihe Verluſte. 1858 —60 je 3 Proc. Dividente, doch iR bie 
Berwaltung umfidhtiger geworten. Curs 1859 bis 43 Proc. gefunfen, 
fpäter wieder höher; 1863 etwa zwifchen 83 und 87 Proc. 


6. 312 0. 


Die beſchriebenen gewerblichen Banken ſind noch ſo neu, 
daß nicht genug Erfahrungen geſammelt find, um fie im Als 
gemeinen für empfehlenswertb oder für ſchaͤdlich zu erklären 
und für dad Berhalten der Regierung gegen fie fefte Regeln 
abzuleiten. Als Actiengeſellſchaften mit fehr großen Mitteln 
und ausgedehnter Benügung bed Credites bebürfen fie beſon⸗ 
derer Genehmigung und der für bie Freigebung ihrer Errid» 
tung geltend gemachte Grund, daß die Eigenthümer von Capi— 
tat in der Benugungsweife deſſelben nicht befchränft werben 
bürfen, ift nicht zureichend (a), Man muß ed anerkennen, daß 
dieſe Grebitgefellfchaften manche vortheilhafte Wirfung geäußert 
haben, 3. 3. die Aufmerffamfeit auf alle noch unbetretenen 
Bahnen im Gewerbeweien, bie Anregung zur Betreibung von 
Gewerben in großem Maapftabe, zur Anlegung von Eiſenbah— 
nen u. dgl. Allein es ift auch bie Anwendung des großen 
Capitals zu Gefchäften, welche nicht gemeinnügig find und nur 
den Theilhabern Nutzen bringen, ſchwer zu verhindern. Würde 
man ben Erebditgefellfchaften alle biejenigen Unternehmungen 
verbieten, in benen Gelegenheit zu jenem Mißbrauch vorhanden 





— 363 — 


iſt, ſo wuͤrde ihr Wirkungskreis ſehr verengert werden, ſo daß 
fie ſchwerlich zu Stande fämen. Ihre Errichtung iſt aber auch 
kein Beduͤrfniß, weil auch ohne fie Geſellſchaften für nügliche 
Unternehmungen entftchen, wenn e8 an Sicherheit, Capital und 
Sinn für Speculationen nicht fehlt (8). Den fchon zugelaffe- 
nen Grebitgefellfchaften darf man während der Zeit, auf welche 
fih die Genehmigung erftredt, Feine neuen Beichränfungen aufs 
erlegen. In Deutfchland insbefondere befteht fchon eine viel 
feicht zu große Anzahl ſolcher Anftalten, eine Vermehrung ders 
felben wird bei der herrfchenden Stimmung gegen biefelben 
wahrfcheinlich nicht verlangt werben und wäre fürs Erſte nicht 
ratbfam, befonderd fo lange, bis etwa eine Verabredung ber 
deutfchen Regierungen über diefen Gegenftand getroffen worden 
if. Erfcheint es als zwedmäßig, in einen Lande eine neue 
Greditgefelifchaft zu geftatten, um einen rafcheren Aufſchwung 
mandyer im Großen zu betreibenden Gewerbe zu bewirken, fo 
it hauptfächlidy Folgendes zu beobachten: 

1) Das Gapital follte von mäßiger, nach den volkswirth⸗ 
ſchaftlichen Berhältniffen des Landes zu bemefiender Größe 
fein, da Anlegungen außer Xandes nicht zu wünfchen find. 

2) Die Actien bürfen nicht auf weniger als einige hundert 
Gulden oder Thaler und nicht auf den Inhaber lauten. 

3) Bon den auszugebenden Schuldbriefen gilt dad Näm- 
liche. Auch ift dafür zu forgen, daß biefelben mit dem Ver⸗ 
kaufe ber zu ihrer Dedung dienenden Berfchreibungen oder ber 
Heimzahlung von Borfhüflen gleihmäßig abgezahlt werben, 
und daß von Zeit zu Zeit der Vorrat von Verfchreibungen 
unterfuht, auch ihr wahrer Verkehrswerth je nach der Größe 
der Actiendividende abgefchägt werde. 

4) Eigener Gewerböbetrieb und Differenzgefchäfte find nicht 
zu erlauben. 

5) Die Regierung fol fich Feine Vortheile und Feine Des 
theiligung vorbehalten, weil fonft leicht die Staatdaufficht zu 
nachgiebig werden fönnte. 

6) In Bezug auf die gute Verfafiung der Geſellſchaft, bie 
Bertretung ber Theilhaber in einem Ausſchuß, bie Bortheile 
der Gründer, die Beröffentlihung der Berwaltungsberichte und 


— 364 — 


Rechnungsergebniffe treten die oben aufgeftellten Regeln (8. 312 a 
(d)) ein. 


(a) Abweihend Hübener, Bremer Handelsblatt 1856 S. 504. 


(5) Bergl 8. 226. — Nach ber Berechnung der Stuttgarter Handelsfammer, 
welche übrigens der Errichtung einer Greditgefelfchaft nit abgeneigt 
if, beirugen die Binzablungen zu großen gewerblichen Unternehmungen 
in "Deutfeland 1856 und 57 zufammen 3471, Mill. fl., wovon an 
16 Proc. für Eifenbahnen, 17,* Broc. A Banten, 4,3 Broc. für 
Bergwerke. Schwäb. Mercur 1856 Nr. 


Dritter Abſchuitt. 
Einwirkung der Staatsgewalt auf die Preife. 


8. 313. [293.] 


Daß im Allgemeinen die Preife der in den Berfehr tretens 
den Sachgüter dem freien Mitwerben zu überlaflen find und 
eine von der Regierung ausgehende Feſtſetzung der Preiſe ent 
weber überflüffig oder nachtheilig ift, folgt aus den volkswirth⸗ 
ſchaftlichen Lehrſätzen über bie Beftimmgründe bes Preiſes, L 
8. 152. 157. Es Fönnte alfo nur ausnahmsweiſe bei einzels 
nen Gattungen von Waaren ein ſolches Eingreifen der Staats: 
gewalt in Schuß genommen werben. Die fogenannten Boli, 
zeitaren (a), d. h. obrigfeitlicy vworgefchriebene Preisſätze für 
gewiffe Waaren, find Hbauptfächlid bei den gemeinften und 
nothiwendigften Nahrungsmitteln angewendet worden, um für 
biefe einen ben Koften entfprechenden für beide Theile billigen 
Preis aufrecht zu halten, und befonders eine plögliche Vertheu⸗ 
rung, bie für bie unterſte Bolföclaffe fehr Läftig iſt, zu ver 
hüten. Bei den zur Nahrung dienenden rohen Stoffen wäre 
eine ſolche Taxe offenbar unausführbar und unpaflend, weil 
die Preiſe jener Gegenftände dur das Ergebniß der Ernten x. 
und den Begehr im Großen an gewiflen Marktorten beſtimmt 
werden und an anderen Orten fi) nach ben Koften der Ber 
fendung nad) jenen oder von jenen aus richten (5). Bei Brot 


— 35 — 


und Fleiſch dagegen, die man jeden Tag friſch einzukaufen 
pflegt, find die an Ort und Stelle wohnenden Verkäufer faft 
ausfchließlic im Befite des Abſatzes (c). Die Zunftverfaffung 
erhöhte dieſen Vortheil, indem fie die Vermehrung der Meifter- 
zahl in den Städten, bie Anfebung von Dorfhandwerkern und 
dad Einbringen der Waaren vom Lande in die Städte ers 
fchwerte, fo daß bie fläbtifchen Meifter leicht eine Verabredung 
über die Preiſe ihrer Waaren treffen Eonnten. Daher waren 
die obrigfeitlihen Taren ehemals eine unentbehrliche Maaßregel 
der fäbtifchen Polizeiverwaltung, um die Bewohner davor zu 
fhügen, daß bie Verkäufer nicht jene Vortheile zur Erzmingung 
hoher Preiſe mißbrauchten. In Ländern, wo Bier das allges 
meinfte geiftige Getränf if, wurde auch eine geſetzliche Biertare 
eingeführt, die beſonders ba Bebürfniß fchien, wo wenige Braus 
gerechtigfeiten beftanben. 


(4) v. Juſti, Polizeiwiſſ. J. 715. — Richter, Beiträge 3. Fin. Litera⸗ 
tur in den preuß. Staaten, IL, 77. — Rüdiger, I, 127. — Loh, 
Handb. IL, 278. 


(6) Es fommen zwar auch Taren roher Stoffe vor, aber dieß find nur 
die mittleren Marktpreife, die man zur Belehrung beider Theile regel: 
mäßig befannt maht Taren des Talgs, der Talglichter, der Seife 
u. dgl. find überfläffig. — Gegen die Taren von Rohſtoffen fpricht 
ſchon ausführlih v. Juflia. a. D. 

(e) Auf dem Lande fommt oft ein Haufichandel mit Weißbrod aus nahen 
Städten vor. Fleiſch kann auf den Eifenbahnen bei Falter Witterung 
oder mit Cisverpackung fortgebracht werden. 


8. 314. | [294.] 


Die Polizeitaren feßen eine genaue Berechnung der Koften 
mit Einfchluß des mittleren, zuläffigen Gewerbsverdienſtes vors 
aus und müflen von Zeit zu Zeit abgeändert werben (a). Sie 
werden aus zwei Haupttheilen zufammengefebt. 

1) Der veränderliche Beftandtheil wird von den Preiſen ber 
Bermandlungsftoffe (Zuthaten) beftimmt. Hiezu gehören a) zus 
verläffige Angaben über die zur Hervorbringung einer gewiflen 
Menge Mehl, Brot und Bier von gemwifler Befchaffenheit ers 
forderlihe Menge von Getreide jeder Art, Gerfte und Hopfen. 
Nöthigenfalls wird ein Probemahlen, “Brobebaden und Probe⸗ 
brauen zu Hülfe genommen, inzwifchen ift e& den zur Aufficht 
bei dieſen Berfuchen berufenen Beamten ſchwer, abfichtliche Feh⸗ 


— 366 — 


fer oder zufällige Störungen zu verhüten (5); b) Angaben ber 
Markipreife von Woche zu Woche von gewiffen maaßgebenben 
Marftorten. 

2) Der unveränderliche Theil befteht in den Ausgaben für 
Arbeitölohn, Berbraud) von Hülfsftoffen (3. B. Brennftofl), 
Abnuͤtzung des flehenden, Zinfen bed ganzen Capitals, Bor 
ſchuß der Aufwandsfteuer, und in bem üblichen Gewerböverbienft 
(der fogenannten Mannsnahrung). Diele Ausgaben müfs 
fen nach einem gewiflen mittleren Umfange des Gewerbsbetrie⸗ 
bed jeded Ortes oder Bezirkes im Ganzen berechnet und auf 
jedes einzelne Pfund Brot oder Bleifh oder die Maaß Bier 
ausgefchlagen werden (c), wobei offenbar größere Unternehmer, 
deren Betrieb jened angenommene Maaß überfteigt, gewinnen, 
fleinere aber einigermaaßen im Nachtheil flehen. 


(a) Meiftens werden die Brottaren alle Monat, die Biertaren etwa halb: 
jährlich erneuert, in Frankreich gefhah es bei der DBrotiare alle 
14 Tage. In London machten die Gemeinde: Vorficher (sldermen) 
wöchentlich den Brotfaß, bis 1815. — Bei der Brottare in Baris 
fuchte man neuerlich flarfe Preisveränderungen der gewöhnlichen Arten 
des Brotes dadurch zu vermeiden, daß man bei hohem @etreidepreife 
den Bädern aus einer gewiflen Gafle einen Zufhuß gab, in mohlfeiten 
Zeiten aber, wo die Tare nicht ganz nach Verhältniß erniedrigt wurde, 
von ihnen eine Vergütung erhob. Diele Bädercafle Hatte für alle 
Getreide: oder Dre aufe der Bäder auf deren Anweifung bie Zahlung 
zu leiften. Jeder Bäder mußte nad) dem Umfang feines chäftes eine 
beftimmte Sunme einlegen, in der I Glafle (täglih 5 Säde — 157 Kil. 
Mehl verbadend) 6000 Fr., in der VI. (unter 2 Säden taͤglich) 
2000 Fr. Ber. v. 27. Dec. 1853. Die Zahl der Bäder war auf 
601 beftimmt. 


(5) Die Staatsbeamten muͤſſen fidy hiebei gewoͤhnlich wegen des Mangels 
eigener Grfahrungen auf die Angaben ber Gewerbsleute verlaflen. 
8 nun 
I. die Brottare betrifft, fo ift es bei den Mahlproben ſchwer, alle 
Berftäubungen fo vollftändig zu verhindern, daB man aus einem 
einzigen Verſuche die Gewichtsmenge des Mehlerzeugniſſes, der Kleie 
und den Abgang richtig finden könne, zudem ift das Gewicht und ber 
Mehlertrag des Getreides in verfchiedenen Jahren und von verfchiebenem 
Boden ungleich, auch giebt es verfchiedene Sorten des Mehles, die fih 
durch den Grad von Weiße unterfheiden, und man erhält mehr Mehl, 
wenn man Öfter auffchüttet, wobei ein Theil der Hülfen zermalmt wird, 
endlich find auch die Mableinrichtungen ungleih. Daher ift das Er: 
gebniß der Mahlproben fehr abweichend geweien. Die Annahme, daß 
man von Roggen und Weizen 80 Proc. Mehl erhalte. (Boromely, 
IL, 498), ift zu gering. Nach der Heidelberger Probe rechnet man 
beim Roggen (ohne Abzug von Mahllohn) 85,* Broc. Mehl, 12 Pror. 
Kleie, 2,9 Proc. Abgang, nach anderen Angaben von Weizen, Spelz⸗ 
fen und Roggen 81 — 87 Proc., mit 2—9 Proc. Beruf, alfo im 
D. 84 Broc. Mehl, g. 11 Kleie und 5 Abgang. Die Koften des 


— 367 — 


Mahlens (Ye) werben fogleih von dem Kömergewicht abgezogen. 
Ginfacher iR es, fogleidh von dem Mehle auszugehen, defien Preis eben: 
falle leicht zu erheben if. Aus Weizenmehl erhält man ungefähr 126 
(gegen °/ı), aus NRoggenmehl 136 Proc. @ 4/3) Brot, alfo wird man 
aus 100 Pfd. Roggenkörnern 112 Bd. Brot erwarten fönnen. In 
Paris rechnet man auf den Sad Weizenmehl von 157 Kilogr. 100 vier: 
pfündige Brote, alfo aus 100 Pfd. Mehl 127 Brot. Kleine Brote 
haben verhältnigmäßig mehr Rinde und geben deshalb weniger Procente 
Gewichtsvermehrung. 


1. Für Bier wird gerechnet in Berlin (Boromsfy, II, 505): 
aus 16 Scheffeln Weizen und 11/s Scheffel Hopfen 16 Tonnen zu 
100 Duart; in Baiern (DB. vom 25. April 1811): aus 1 Scheffel 
teodienem Malz und 3 Pfd. Hopfen 7 Eimer Winterbier, aus 1 Gcheffel 
Malz und 5 Pfd. Hopfen 6 Eimer Sommers oder Lagerbier (vgl. 
III, $. 436). Es ift jedoch möglich, aus diefem Quantum etwas mehr 
Bier zu rauen. 


IIL Beim Pleifche wird das mittlere Fleifchergewicht jeder Art von 
Schlachtvieh, wie e8 an einem Orte vorkommt, und der mittlere (allexs 
dings ſehr ſchwankende) Einfaufspreis in jedem Zeitpuncte erforicht, der 
Ertrag der Nebentheile abgezogen und ein Zufap für Rebenausgaben 
und Gewerböverbienft beige blagen, d B. in Ocfterreih 15 Proc. bes 
Fleiſchertrages. Beifpiel von dem Berliner Probeichlachten, 9. Juli 
1772 bei Borowsky, II, 516. Im Durdichnitt von 4 Ochſen ber 
beten und 4 ber leichteften Art gab das Etüd 525%/, Pfd. Fleiſch und 
10%, Pfd. Talg. Der Kaufpreis fammt Abgaben war im Durchſchnitt 
44 Thlr. 16%, Sr. Hievon gingen für die Haut, den Talg, den Kopf, 
die Füße, Bingeweide sc. und die Zunge 7 Thlr. 5% ®r. ab, alfo 
blieben no für Fleifh 35 Thlr. 94 Er. Diefe Summe gab auf 
Das Pfd. Fleiſch 1% Gr., nachdem von den 525'/s Pfd. 12 Pfd. für 
Eintrodnen ıc. abgezogen wurden. 


Diefe Berechnungen find meiftens ziemlih oberflählih. Nach ber 
jebigen Parifer Regel (Joum. des Econ. 2. Ser. VIII, 236) fommen 
auf das Berbaden eines Sads Mehl 10 Fr. allgemeine Koflen und 
Verdienſt, alfo auf das Pfd. Brot 0,7 Kr., in Deutfhland wird uns 
gefähr /e—1 Kr. gerechnet, fo daß durchſchnittlich auch gegen 0,7 eſetzt 
werden moͤgen. Das minder weiße Brot (pain bie-blaze) ſteht in Paris 
15 Gent. für den Laib niedriger ale das beſte. Große Bäckereien mit 
fparfamerem Holzverbraude arbeiten wohlfeiler. — Die a. bair. V. 
v. 1811 geht für den Bierfaß von der Annahme aus, daß in einem 
Brauhauſe gewöhnlicher Größe 450 Scheffel trodnes Malz verbraucht, 
alfo gegen 3000 Eimer Bier gebraut werden; fie fchlägt die Koflen 
der Gebäude und Geräthfchaften, den Arbeitslohn, die Pferde, das 
arelibrehen, Veh, Holz, Licht und die Zinſen auf 3397'/a fl. an, 
welches für die Maaß Bier 4,9 Pf. beträgt. Die Mannsnahrung 
wird auf 10024/. fl. (ungefähr 6— 7 Proc. der rohen Sinnahme) ge: 
feßt, oder 1, Pf. von ber Maaß; zufammen 1°. fr., wozu noch bie 

alzfteuer, die Gerſte und der Hopfen kommen. Ueber die Richtigkeit 
diefer Anfäge find 1821 mehrere Streitichriften erſchienen: Geſpraͤche in 
ber Schenke zu Rulldorf. — Schlupper, Bemerkungen über bie 
Biertare. — GBinige Worte über den tarifmäßigen Gewinn ber Bier: 
brauer. — Gründliche Bemerkungen über die gegenw. Verhaͤltniſſe der 
Brauereien. Münden. — Die Berliner Tare für Beenbie, nad 
ber DB. v. 21. Yan. 1772 berechnet, giebt dem Brauer für jeden Sub 
(Bebräude) von 21*/5 Tonnen 5 Thlr. für Mannsnahrung und Unter: 
haltung des Brauhaufes, welches 72/. Proc. der rohen Ginnahme 


— 368 — 


macht. — Bei der Berliner Fleifhtare wurden auf das Pfund Fleiſch 
3 Bf. für das Gewerbseinkommen bes Fleiſchers gerechnet. 


8. 315. (295. 


Die Polizeitaren haben mehrere wefentlihe Mängel. 

1) Ihre Feſtſetzung iſt mühlam und zeitraubend, zumal 
wegen ber vielen Streitigkeiten, in welche die Behörbe mit den 
Berfäufern ber taxirten Waaren verwidelt wirb. 

2) Es ift ſchwer, fie richtig zu befimmen. Die &ewerbs- 
leute verlangen gewöhnlidy höhere Preisfäge, ald dem Beamten 
billig erfcheint, und fuchen ihre Anfprüche zu rechtfertigen. Eie 
fhlagen gern die Koften fo body, den Ertrag an Pfunden an 
Brot, Bier und Fleifh aus einer gewifien Gewichtömenge Ge 
treide oder einem Stüd Vieh in der Regel fo niebrig an, wie fie 
im ungünftigften Falle fein würden (a). Bei dem Schlacht⸗ 
vieh ift ein fo befimmter Marktpreis, wie bei dem Getreide, 
nicht vorhanden, weil bie VBerfäufe meiftend nicht auf bem 
Markte, fondern bei den einzelnen Landwirthen, oft in weiterm 
Umfreife, gefchloflen, die Thiere beim Verkaufe felten gewogen 
werden und felbft bei befanntem Gewicht der Fleiſch⸗ und Fett 
gehalt verfhieden fein fann. Gelingt ed den Berfäufern, den 
Beamten zu überzeugen, fo fällt zum Nachtheil der Zehrer bie 
Tare höher aus, als fie beim freien Mitwerben fein wuͤrde, 
und bieß ift in der Mehrzahl der Zälle anzunehmen. Treibt 
bisweilen dad Mißtrauen gegen bie Berfäufer zu einer fo 
niedrigen Preisbefimmung, daß diefelben in Schaden fommen, 
fo entftehen Befchwerben, oder bie Verkäufer ſuchen durch Ber: 
minberung ber täglichen feilgebotenen Menge von Nahrung 
mitteln eine höhere Tare zu erzwingen, fo daß fie mit Strafs 
androhung angehalten werben müflen, eine dem Ortsbedarfe 
entfprechende Menge von Brot ıc. in den Berfehr zu liefern. 
Auf ein freivvilliged Herabfegen des Verfauföpreifes unter bie 
Tare ift nicht ficher- zu rechnen, wenn nicht dad Mitwerben ſehr 
verftärft wird (b). 

3) Es wäre angemeffen, für die Bebürfniffe ber Zehrer eine 
Abftufung von befferen und fchlechteren Sorten von Nahrungs» 
mitteln zu veranftalten und namentlid) ben unteren Glafien 
wohlfeilere, den Wohlhabenden außerlefene und etwas theuere 








— 369 — 


Waaren zu verkaufen. Es follten 3. B. die beſten Stüde 
Fleiſch etwas höher verkauft werden dürfen, ald die mittleren 
und geringeren Sorten (c), dieß wird aber verhindert, wenn 
die Taxe Feine folche Unterfchiede annimmt. Bei Brot und 
Bier läßt fi wenigftend einige Abhülfe anwenden, wenn man 
nur bie für den Verbrauch der arbeitenden Claſſe hauptſaͤchlich 
beſtimmte Sorte der Tare unterwirft und daneben die “Preife 
der befferen Sorten dem freien Mitwerben überläßt. 

4) Da die Berfäufer nicht felten durch fchlechtere Befchaffen- 
heit der verkäuflichen Rahrungsmittel ſich für eine ihnen läftige 
Tare zu entfchäbigen juchen, jo ift die Berwaltungsbehörbe ge 
nöthigt, diefem Mißbrauch durch Aufficht und fogar durch Bes 
Rrafung entgegenzuwirfen (d). Bei freiem und lebhaftem Mit 
werben ift auch dieſes laͤſtige Geſchaͤft unnöthig. 


(c) Hiezu werden bie und da manchfaltige Kunſtgriffe angewendet, z. B 


indem man eine hoͤhere Aufzeichnung der Fruchtpreiſe zu bewirken fucht. 

(6) Wie durch die neuen großen Actien s®ädereien. 

(d) Die Bleifcher pflegen, um der un wehmäßigen gleichen Taxe für Fleiſch 
von ungleiyem the auszumweichen, den befieren Sorten mehr Knochen 
beizugeben. — Es giebt Bier von verfchiedener Stärke. 


(d) Die Biertare hat in Baiern viele Bemühungen veranlaßt, um für bie 
Güte des Bieres juverläffige Kennzeichen zu erlangen, bie man theils 
von der Strahlenbrechung Steinheil), theils von der Menge des 
vom Bier aufgelöften Salzes (Fuchs) bergenommen hat. Nach der 
Aufhebung des obrigkeitlihen Preisfages iſt nur noch die Aufficht 
gegen ge und peitewibzige Befchaffenheit noͤthig. Wer unichmadhaftes 
oder theures Bier verkauft, fleht alsbald feinen Abfag abnehmen und 
biefe Warnung durch die Zehrer if von hinreichender Wirkſamkeit. — 
Bei dem Fleiiche hat man die zuläffige Gewichtsmenge der beigefügten 
Knochen (der fogen. Zumwage) vorgefchrieben. Diefe obrigfeitliche 
Regel iR ohne die befchwerlichfle Strenge nicht durchzuführen und es 
kann unbedenklich ben Käufern überlaflen werben, hierüber mit dem 


Fleiſcher zu verhandeln. 


$. 316. [296.] 


Die Taren der Rahrungsmittel find da entbehrlich, wo das 
Mitwerben ver Verkäufer mächtig genug ift, die Preiſe dem 
wirklichen mittleren Koftenfage nahe zu erhalten. Unter dem 
Walten dieſes Mitwerbens können auch bie Zehrer vor haͤu⸗ 
figen Preisſchwankungen einigermaßen bewahrt bleiben, weil 
die Berfäufer wifien, wie wibrig biefelben empfunden werben 
und deßhalb in Rüdficht auf ihre Abnehmer nicht fogleich bei 

24 


R « u f} yollt. Delon. Io. 2. Abth. 6. Ausg. 


— 370 — 


jeber vorübergehenden Beränverung einen höheren Preis ver: 
langen. An vielen Orten bat die Aufhebung der Taren gute 
Folgen gehabt. Diefe würden jeboch nicht eintreten, wenn die 
Zahl ber Berfäufer zu befchränft, der Zutritt neuer Erzeuger 
oder Berfäufer erfchwert, auch das Kinbringen verkäuflider 
Zebensmittel von underen Orten, 3. B. vom Lande, unterfagt 
wäre, $. 201 a. Wo diefe Einrichtungen noch beftehen, da 
wird durch die Aufhebung der Taren cher eine Bertheurung 
bewirkt, indem nun die DBerkäufer die Preife durch Berabrebung 
beliebig feflfeßen Eönnen; deßhalb hat man unter folden Um⸗ 
fänden öfterd zu einer Wiedereinführung ber Taxen fchreiten 
müflen. In fleineren Städten und in Marftfleden if das 
Mitwerben gering, weßhalb man hier cher die Taren für Be 
bürfniß hält, indeß iſt auch bier auf das Zuführen von benad; 
barten Orten zu redjnen und die Erzeuger fehen fich wenigſtens 
genöthigt, die Preiſe nicht zu überfchreiten, die in nahen grö- 
Beren Städten durch bie Concurrenz feflgeftellt werben. In 
den Dörfern macht das eigene Baden in ben Yamilien und 
dad Hausfchlachten die meiften Bewohner von den Bädern und 
Bleifchern einigermaßen unabhängig. Es werden daher felten 
nod Fälle vorfommen, in denen die Beibehaltung ber Taren 
aus örtlichen Gründen für nothwendig zu erachten iſt (5). Im ber 
Regel genügt es, die Verkäufer der genannten Arten von Le⸗ 
bensmitteln anzubalten, daß fie, etwa auf je 4 ober 2 Wochen, 
ben ‘Preis, um ben fie zu verkaufen gefonnen find, angeben, 
ber fodann durch dad Wochenblatt des Ortes und Anfchlag 
am Laden bekannt gemacht wird. Diefer Preis muß während 
bes beftimmten Zeitraumes eingehalten werden (a). 


(a) 3. B. Berord. des Berliner Polizeidirectoriums vom 24. San. 1816 
in von der Heyde, Repertor. IIL 197. 


(5) Aufhebung der Brottaren in Frankreich, k. Verordn. v. 22. Juni 1863. 


8. 317. 


Auch auf das Maaß der ausbebungenen Vergütung für die 
Benutzung gewiffer Probuctionsmittel, nämlich der Arbeit und 
bes werbenden Vermögens, hat die Einwirkung der Regierun 
gen fich erftredt. Da jedoch ber Verſuch, die Pacht⸗ und 
Miethrente obrigfeitlich feftzufeßen, ſogleich als unausführbar 








— 31 — 


und fruchtlos erfchien, fo waren es nur Arbeitslohn und 
Gapitalrente, mit deren Regelung man fidy mehr ober 
weniger befchäftigte. ine obrigkeitliche Beftimmung des Ars 
beitslohnes Hat man in früheren Zeiten oft für nöthig 
gehalten (a), weil man, burdy bie Vorſtellungen und Anträge 
der Lohnherren verleitet, nur auf den Bortheil derfelben Bedacht 
nahm und die wohlthätigen Folgen eined hohen Lohne für den 
Zufland der zahlreichen arbeitenden Claſſe überfah (I, 8. 209), 
aud wohl hoffte, die Wohlfeifheit der Waaren und fomit ben 
Abſatz derſelben zu befördern. Die Furcht vor Beredungen 
unter den Lohnarbeitern unterflügte diefe Maafregeln, obſchon 
die Lohnherren weit leichter in Kinverftändniß treten Eönnen, 
um den Lohn herabzufegen, oder doch auf gleicher Höhe zu 
halten (5). Berabredungen der Lohnherren in Betreff des 
Lohnſatzes laſſen ſich durch Verbote nicht verhindern, weil fie 
leicht zu verheimlichen find, und Gleiches kann auch den Ars 
beitern geftattet werben, fo lange keine Drohungen und Gewalt⸗ 
thätigfeiten gegen diejenigen, bie fich der Uebereinkunft nicht 
anfchließen, und überhaupt feine unerlaubten Mittel angewen- 
det werden; eine ploͤtzliche Entlaffung aller Arbeiter oder eine 
plögliche Einftellung der Arbeit von Seite ber lepteren iſt je 
doch wegen ber Gefahr von Sicherheitöflörungen aus polizei 
fihen Gründen bedenklich und fchon wegen der für beide Theile 
vorgefehriebenen Künbigungdfriften (9. 199) unzuläffig (ec). . 
Uebrigens haben die Lohnarbeiter wenig Audficht, fich auf bie 
ſem Wege höheren Lohn zu verjchaffen, ald ihn das Mitwerben 
überhaupt beftimmt, I, $. 201 a (a). 


(0) Reich6-Bolizei-Orbnung von 1577, Tit. 25. 6. 2, daß jede Obrigfeit 
für den Lohn ter Dientboten, Handwerker und Taglöhner eine Sagung 
aufrichten Tolle. — RNeichsgutachten in Handwerksſachen von 1672, 
$. 15: „Nachdem auch fonften insgemein vielfältige Klagen vorkom⸗ 
men, was maßen nidyt allein bie Sandwerker, fo nicht um den taͤg⸗ 
lichen Lohn arbeiten, fondern ihre Arbeit überhaupt anſchlagen, die 
Leute nad ihren Gefallen mit der Ma Arbeit übernehmen, 
fondern auch faſt jedermänniglich durch des Gefinds und ber Tagmwerfer 
übermäßigen Lohn hoch befchwert wird; ale folle nicht nur ein Breies 
Etand mit dem andern, fondern auch jeder Breis mit einem andern 
benachbarten Greis zu correfpondiren, und ſich einer billigmäßigen bes 
fländigen Tar- und Gefindeorbnung zu vergleichen haben.” — Bol. 
v. Berg, Handb. I, 352. — Nehnliche Berordnungen beflanden feit 
Eduard I. in England. Das Parlament beſchloß 1350, der Lohn folle 
nicht höher fein, als er im Durchſchnitte vor der Peft 1348 geweſen 


24* 


— 31 — 


wäre. — Vorſchlag einer Lohntare in Raffau, Brotocolle ber Herren: 
bant, 1821 ©. 12. 


(5) Die 10 Schriftgießer in London Haben feit 1770 jede Gxchöhung tes 
Lohnes ihrer Arbeiter zu verhindern gewußt. 1799 beſchloſen tie 
fhottifhen PBapierfabricanten, ihren Arbeitern wöhentlid 2 Schill. ab: 
uziehen, und wirklid wurden an einem Tage alle Geſellen, weil ſit 
he weigerten, außer Brot gefebt, doch mußte man fie nach drei Mo- 
naten für den alten Lohn wieder annehmen. 1807 verbanden fih die 
ſchottiſchen Papierfabricanten in ähnlichen Abfichten mit ben engliſchen. 
Edinb. Bev. San. 1824. ©. 315. 

(0) In England wurden 1425 die Berabredungen der Maurergefellen für 
Felonie erflärt. Noch das Gel. 39 und 40 Geo. IIL E. 106 wieder⸗ 
golte das Berbot aller Beredungen dieſer Art, aber 1824 (6. Seo. IV. 

. 29) wurden diefelben für erlaubt erklärt, nur mit bem Berbote ter 
obenerwähnten Mißbraͤuche. ES bildeten fi in Folge dieſes Geſetes 
zahlreiche Bereine von Arbeitern, um eine Herabfeßung des Lohnes zu 
verhindern und, wo möglih, auf defien Erhöhung hinzuarbeiten 
(trades-unions). Ob verichiedene Unruhen unter den Fabrikarbeitern, 
die man öftere auf Rechnung biefes neuen Geſetzes gefchrieben hat, 
ohne daffelbe nicht eingetreten wären, ift fehr ungeiß. Bel. Monthly 
Bev. Januar, 1836. Kleinfhrod, Großbr. Geſ. ©. 93. 


8. 318. 


Oprigkeitliche Lohntaren find im Allgemeinen verwerflid. 
Wegen der großen Berfchiebenheit in den erforderlichen Faͤhig⸗ 
feiten und in dem beiberfeitigen Mitwerben können fie bei den 
fünftlicheren Gewerbsarbeiten nicht angewendet werben, fie 
bleiben alfo nur bei ber unterften Claſſe der Rohnarbeiter, ale 
Taglöhner und Gefinde, möglich, aber auch bei dieſen find fie 
wegen bed großen Angebots unnöthig, und fie werben fogar 
ſchaͤdlich, weil fie diefer zahlreichen Claſſe eine Berbefferung 
ihrer Lage erfchiweren. Eine Ausnahme findet ftatt bei ſolchen 
Dienftgewerben, wo durch die Ratur der Sache oder burdy be 
fondere Staatdeinrichtungen dad Mitwerben befchränft wirb und 
wo bie Arbeiter das Bebürfniß des Beftellerd zu unmäßigen 
Forderungen mißbrauden könnten (a). 


(a) Diefe Fälle treten nur bei Dienften von furzer Dauer ein, wo bie fehr 
Tare, ohne die Arbeiter zu verkürzen, eine große Bequemlichkeit ber 
Lohngeber iſt und wieder zu dem Häufigeren Gebraud des Di 
ermuntert. Die Tarirung erfcheint ale eine der zahlreichen oͤrtlichen 
Maafregeln, die der guten Ordnung willen getroffen werden, char 
erade für ben Mohlfand nothwendig zu fein. Beilpiele geben tee 
*— und fliegenden Bruͤcken, die Landkutſchen, die Träger bei Zoll⸗ 
ätten, die Fremdenfuͤhrer, Dienfimänner, Padträger u. dgl. 





— 393 — 


$. 319. 


Schwieriger iſt die Unterfuchung über die Zweckmaͤßigkeit 
ver geſetzlichen Vorſchriften, welche die Bedingungen 
bei Darleihen betreffen. Das frühere Verbot des Zinsneh⸗ 
mens entfprang aus der Unbefanntichaft mit ber werbenden 
Befchaffenheit des Capitales und ber Vorſtellung, daß das 
Darleihen bloß eine Handlung der Menfchenliebe fei, wofür 
man feine Bergütung annehmen bürfe (a). Dieß Verbot fonnte 
nicht burchgefegt werden und erhöhte nur bie Laft für die Bors 
genden, weil nun bie Gläubiger wegen ber Gefahr ber Ent 
deckung deſto höhere Zinfen forderten, auch wurbe es durch bie 
Errichtung obrigfeitlicher Leihhäufer Häufig umgangen, $. 332. 
Ran hat fih daher fpäterhin begnügt, nur dem Wucher bei 
Darleihen gefeglich entgegen zu wirken, um ben Zindfuß zum 
Beflen ber Borger und ber Betriebfamkeit niedrig zu halten. 
Unter Wucher verfland man hierbei eine folche Beftfegung des 
Leihvertrages, wobei der Darleiher dem Schuldner allzu ſchwere 
und unbillige Bedingungen auffegt. Die Gefege beftimmten 
näher, wad zum Wucher zu rechnen fet, namentlich (6) 

1) die Ueberfchreitung des erlaubten Zinsfußes (Wucher 
am Zins), wohin audy gehört, wenn man bie Zinfen fogleid) 
von der geliehenen Summe abzieht (c); man geftattete gewoͤhn⸗ 
lih nur 5 oder 6 Procente (d); 

2) das Berfürzen der gelichenen Summe, z. 3. durch Aufs 
dringen von Waaren ſtatt des Geldes nad) einem übermäßis 
gen Anfchlage, durch verlangte Berfchreibung einer größeren 
Summe als wirklich gegeben wirb u. dgl. (Wucher am 
Stamm); 

3) dad Fordern von Zinfen für die rüdftändigen Zinfen 
(Zinfeszinfen, Anatocismus); 

4) dad Nehmen von Zinfen, deren Gefammtbetrag in dem 
Laufe der Zeit die Leihfumme überfteigt; 

5) das Beifügen läftiger Nebenbebingungen, 3. B. das 
Verabreden einer Provifton. 

(«) De mofaifche Verbot, daß Juden von einander Zins von Darleihen 


d oder Waaren nehmen, flammt aus einer frühen Zeit, in der 
noch wenig Verkehr und Gewerbſieiß vorkam. Reynier, Arabes et 


(8) 
(0) 


() 


— 3874 — 


Juifs, ©. 343. Wie der Koran, fo unterſagte auch das kanoniſche 
Recht, mit Berufung auf die mofailhe Geſezgebung, das Zinenehmen 
gänzlich, Gin ſolches gegen bie Natur der Dinge flreitendes Verbot 
onnte jedoch nicht aufrecht erhalten werden und Fam außer Uebung. 
Dal. die in I, F. 236 genannte Abhandlung von Müller. — Em 
anderer Grund, den 3. B. noch Pothier brauchte, if diefer: Der 
Borgende erwirbt das Bigenthum der geborgten Sade; bie Benupung 
berfelben ift eine Folge des Eigenthumsrechtes, alfo ift es ungerecht. 
dafür noch eine befondere Vergütung zu fordern, die nur bei nicht 
fungibeln Dingen angemeflen ift, weil ſolche gebraucht werden fdnnen, 
ohne dadurch eine Zerftörung zu erleiden. — Diele Shlußfolge zeigt 
bie damalige Unkunde der wirthſchaftlichen Begriffe. Bgl. die unten 
angef. Abb. v. Turgot, $. 26. 27. 


v. Berg, Handb. I, 368. 


Mer 100 fl. für 6 Proc. leiht, aber diefen Betrag fogleih auf ein 
a Pr nimmt eigentlih 6,% Broc., weil er im Stunde nur 
94 fl. leiht. 


Die deutfchen Landesgeſetze geftatten bald 5, bald auch 6 Prorenl. 
Mittermaier, Privatreht $. 275. Deflerreih. Wuchergeſetz vom 
2. Decbr. 1803 $. 4: Bei Darleihen mit Unterpfand Brot, ki 
andern 6, ebenio nad) $. 5 bei Darleihen der Kaufleute unter einan⸗ 
der. — In Württemberg ift durch Gefeh vom 26. Febr. 1836 ber bie 
Sinsgulden erlaubt worden. — Das franzöfiiche bürgerliche Recht (Code 
eivil Art. 1907) beflimmt bloß, daß höhere als die gefeglichen Zinien 
fchriftlih bebungen werden müflen. Das Geſ. v. 3. Eept. 1861 be 
fimmt ſowohl für bedungene als gefegliche Zinien in bürgerlichen An: 
gelegenheiten 5, im Handel 6 Proc. Das Gefeh vom 19. Dec. 1850 
verordnet, daß höhere bedungene Zinfen an den fchuldigen Zinien un 
am Capital abgerechnet, oder wenn dieß abgetragen iſt, mit Zins u 
rücgegeben werben müflen. Gewerbes oder Gewohnheitswucher ik 
flrafbar. — Das badiſche Landrecht verbietet nicht, höhere Zinſen ald 
6 Proc. zu nehmen, erklärt aber, daß diefelben nie Pfands oder Bor 
zugsrecht Haben follen, daß fle nie gegen eine Concursmaſſe geferdat 
werben dürfen, und daß der Schuldner alle Monate auffünden dar; 
Zuf. a—f. zum Code Napoleon, Art. 1907. Klagen über die Folgen 
diefer Beftimmungen: Verhandl. der zweiten Kammer von 1819, IV, 
58. Das bad. Strafgefeb $. 533 erflärt das Ausbedingen übermäf: 
ee Vortheile bei Darlehen und anderen belafleten Berträgen alt 

ucher für flrafbar, wenn 1) der Bläubiger die ihm belannte Rett 
oder den ihm befannten Leichiſinn des Andern zu deſſen Uebervorthei— 
lung benußt und fih die bedungenen wucheriihen Bortheile in te 
PVertragsurfunde verfchleiert zufichern ließ, 2) wenn er, um ben’ Inte 
ren zu täufhen, den Vertrag fo einkleitete, daß berfelbe daraus tat 
wahre Berhältniß feiner Leiftung zur Gegenleiftung nicht erfannte wm? 
nah dem Grabe feiner Binfihten nicht erkennen konnte, 3) wenn ft 
einem Minderjährigen . . . bei Berträgen ber bezeichneten Art 
ohne Mitwirfung eines VBormundes .. . einen wirklichen Bermögens 
nachtheil zufügte. 


6. 320. 
Gegen bie gefegliche Beftimmung bed Zinsfußes fpreden 


folgende Gründe (a): 





— 3795 — 


1) Da ber Zindfuß in jeber Zeit und Dertlichfeit von bem 
Berhältniß zwifchen dem Begehre und Angebote von Leihſum⸗ 
men geregelt wird (I, 8. 230), fo kann ihn ein Gefeb nicht 
niedriger halten, als ihn das Mitwerben von felbft ftellen 
würde (6). Die Eapitaliften wiberfireben einer folchen Ver⸗ 
fügung und verleßen oder umgehen fie auf mancherlei Weiſe 
häufig, was ihnen darum gelingt, weil fie gegen die Borges 
luftigen im Vortheile find (ec). ine große Anzahl von Leih⸗ 
verträgen bleibt den Staatöbehörden unbefannt, man gewöhnt 
fi) daran, die Zinsgefeße unbeachtet zu laffen und einzelne 
Berurtheilungen fügen nur denen, bie von ihnen zufällig ges 
troffen werden, ſchwere Verlufte zu, ohne im Ganzen viel aus⸗ 
zurichten. ine verboppelte Strenge ber Bollziehung würde 
bewirfen, daß man weniger audleiht, und bieß ift wieber für 
die Volkswirthſchaft nachteilig. 


2) Der Zinsfug kann nicht bei allen Darleihen berfelbe 
fein (d). Bei Darleihen ohne Pfandſicherheit muß ber Dars 
leiher wegen ber größeren Gefahr einen höheren Zins begehren, 
ber fich nach dem Grabe ber Wagniß richtet, I, 8. 226. Dars 
leihen auf kurze Zeit und in Heinen Summen müffen wegen 
‚ der größeren Bemühung für die Gläubiger mehr Zins tragen, 
als andere, weil fonft Niemand fidy zu dieſem Leihgewerbe ent⸗ 
fchließen würbe, I, 8. 100. Wird nun ber erlaubte Zindfuß 
nur fo hoch geſetzt, als ihn das Mitwerben bei guter Pfand» 
fiherheit und größeren Summen regelt, fo Fönnen alle dies 
jenigen Borgelufligen, welche feine Hypothek oder Fein Kauft» 
pfand anzubieten haben, oder nur Eleine Beträge brauchen, ohne 
Verletzung des Geſetzes Feine Anleihen erlangen (e). Yür bie 
verfchiedenen Grade der Gefahr bejondere erlaubte Zindfäge 
aufzuftellen, ift nicht thunlich, weil jene nicht hinreichend genau 
bezeichnet werden fönnen. Wollte man aber den zuläffigen 
Zins fo hoch feßen, baß berfelbe auch für die größte Gefahr 
und Bemühung noch ausreichte, fo wäre dieß für die meiften 
Fälle von Darleihen ganz unnüg. 


3) Die Staatsgewalt felbft ift bisweilen genöthigt, gegen 
bie Zindgefege zu handeln, indem fie bei neuen Anleihen unter 
ungünftigen Umftänden höhere Zinfen verfprechen muß. Dan 


— 316 — 


fucht dieß zu verhülfen, allein bie wahre Bewandtniß der Sache 
blidt doch hindurch, IIL, 8. 495. 


(e) 


(5) 


(4) 


Turgot, Mömoire sur le pröt & interöt, Paris 1789 (ifl 1769 geſchrie⸗ 
ben, ſteht auch in Oeuvres de T., Par. 1808, V, 262.) — Jeremiah 
Bentham, Defense of usury, Lond. 1787. Ate Ausg. 1827. Deutſch: 
Bertheidigung des Wuchers, überf. v. Er Halle, 1188. 
Franzoͤſ. Paris, 1828. — Günther, Verſuch einer vollfändigen 
Unterfuhung über Wucher und Wuchergeſetze. Hamburg, 1790. — 
v. Kees, Ueber die Aufhebung ber Wuchergeſetze. Wien, 1791. — 
Say, Handb. IV, 185. — v. Jakob, Poltgeigefepgebung, no, 521. 
Storch, IL, 25. — Log, Handbuch, IL, 282. — Kudler, Vollew. 
uU, 350. — Braun und Wirth, Die Sinswuchergefepe. Mainz 
1856. — Für die Zinsgeſetze: Rizy, Ueber Sinstaren und Wucher⸗ 
geſetze. Wien 1859. — In Großbritanien find im Geſ. v. 10. Aug. 
1854 — 17. 18. Bit. C. 90 die Wuchergefehe aufgehoben worden, 
nur die Gefebe für Pfandverleiher ausgenommen. o aus einem 
Geſetze oder aus einem Vertrage, ber ie auf den gefeßlichen Zinefuß 
bezieht, Bine zu zahlen if, da find die bisherigen Geſeße maaßgebend. 
Auch im K. Sardinien wurben 1857 jene Geſetze aufgehoben. Dars 
leihen mit höherem ale dem bisherigen geichlidhen Zinfe dürfen nad 
Berlauf von 5 Jahren zurüdgegabtt werden. — In Frankreich wurde 
der Antrag von Lherbette auf Abfchaffung ber Wuchergeiehe 1836 
von der franzdf. Deputirtenlammer verworfen. — In Preußen fand 
man während der Grediterfchätterung für noͤthig, die Zinsgefehe vor: 
übergebend (B. v. 27. Rov. 1857) außer Wirkung zu feßen, fle traten 
aber nah 3 Monaten wieder in ihre Beltung ein. 86 waren in die 
fem Beitraum nur fehr wenige Anleihen um höheren Zins vorgefoms 
men. — Aufhebung der Binsgefepe in Bremen, von Anfang 1859 an. 


Bemerkenswerth iſt die Beflimmung Juftinians in ber (nicht gloſ⸗ 
firten) Nov. 121, nach weldyer illustres personae nur 4, Kaufleute - 
8 Proc. nehmen bürfen, bei dem Seezins (trajectitia pecunia ober nau- 
tieum foenus) und bei Darleihen in anderen Dingen ale Geld 12 Bror. 
erlaubt find, ſonſt aber nur 6 Proc. 


Dahin gehören unter anderen die Verkäufe von Waaren, die der Kaͤu⸗ 
fer wieder verfaufen muß, um fi) das bendthigte Gelb zu verſchaffen, 
und bie er zu theuer übernimmt, auch erdichtete Berfäufe. In Gar: 

alien famen bie fo verdeckten Anleihen oft auf 15, ja 20 Procent zu 
eben. 


Dieß hat man in früherer Zeit oft beabfihtigt. Sully ſetzte den ge 
feglih erlaubten Zins bei Hypothefenanleiben auf !/ıs (6% Brocent), 
weil viele Gutebefiger durch die Schulden, bie fle zu 8% — 10 Bror. 
aufnahmen, fi ruinirten und die Kaufleute wegen diefer einträglicden 
Anwendung bed DBermögens den Handel vernachläffigten. Eeprit de 
Bully, ©. 257. Perefixe, Histoire du roi Henri le grand, ©. 287 
der Ausg, v. 1662. Bermuthlih war diefe Maaßregel überflüffig, 
weil die Befeftigung der arte hen Ordnung buch Heinrich IV. von 
feld eine Erniedrigung des Zinsfußes bewirkt haben würde. — Thos 
mas Eulpeper (1621) und Joſias Childe empfehlen ebenfalle 
dringend die gelehliche Sindernietrigung weil der niedrige Zins ein 
Zeichen des Reichthums und von twohlthätigen Folgen fer; Childe 
beruft fi) auf Holland, und dagegen auf Länder, in denen hobe Ga 
pitalzinien mit den Kennzeichen der Dürftigfeit girfanmment hen; er 
leitet ferner die großen Fortſchritte, welche der Wohlſtand Englands 


— 3717 — 


im 17. Jahrhundert gemacht hat, aus den gefeplichen Binserniebriguns 
gen (I, $. 233 9 her. „Auf welche Seite wir auch blicken moͤgen, 
wir werden überall den Beweis finden, daß feit ber erſten Zinsherab⸗ 
feßung (1535) bei uns der Reichthum und ber Glanz biejes Königs 
reiches 6mal fo hoch gefliegen find, als fie vorher waren.’ (Eul: 
pepers Schrift gegen den Wucher iſt bei Ehilde abgebrudt. Dis- 
course on trade. London, 1666. Pranzdf. 1775. Amflerd.) 


(e) Als in Lienland 1786 der gefehl. Zins von 6 auf 5 Proc. erniedrigt 
wurde, flieg wegen der Gefahr der Entdeckung der wirfliche Sins auf 
7 und mehr Bro. Stord, IL, 26. 


$. 321. 


4) Wenn e8 ber allgemeinen Wohlfahrt wegen nothwendig 
wäre, ben Beſtitzer eined Capitales in ber 'einträglichften Bes 
nugung feined Vermoͤgens zu befchränfen, fo würde biefe Ans 
ordnung nicht für ungerecht zu halten fein (a). Allein jene 
Vorausſetzung iſt nicht erweißlich und ed wirb dem Borgenben 
in vielen Yälen nachtheilig, daB bad Geſetz ihn hindert, 
höhere Zinfen zu verfprechen; bald muß er eine einträgliche 
Unternehmung unterlafien, aus deren Ertrage er einen anfehn- 
lihen Zins hätte abgeben Fönnen, bald wird er durch bie 
Schwierigkeit, einen Darleiher zu finden, in Berluft und Roth 
geftürzt (6). Die hohen Zinfen bei manchen Nothſchulden 
rühren zum Theil davon ber, daß der Schuldner Feine Sicher 
heit geben fann. 

5) Die beabfichtigte Borforge für leichtfinnige oder thörigte 
Menſchen ift unzureichend, weil man biefelben, fo lange ihnen 
nicht gerichtlich die Verfügung über ihr Bermögen entzogen 
worden ift, doch nicht verhindern fann, auf andere Weife, durch 
Verfäufe u. dgl., fi zu Grunde zu richten. 


(a) Das Gegentheil behauptet 3. B. von Rees, a. a. D., ©. 46. 


(5) Beifpiele von Fällen, wo es für Jemand, der fi in Verlegenheit be: 
findet, nüglicher if, um hoben Zins zu borgen, ale zum Berfaufe 
eines Bermögenstheild u. dgl. gezwungen zu fein, bei Bentbam, 
©. 30 ff. der deutfchen Ueberſ. — Turgot erzählt, daß ſich in einem 
Wucherproceß diejenigen, welche für ungeſetzlich hohen Zins von dem 
Angeklagten geborgt hatten, eifrigſt für denſelben verwendeten. Le 
eontraste d'un homme poursuivi eriminellement pour avoir fait A des 
pertieuliers un tort, dont ceux-ci non seulement ne se plaignaient pas, 
mais möme tsmoignaient de la reconnaissance, me parut singulier et 
me fit faire bien des röflexions. Oeurvr. V, 331 


—- 318 — 


8. 322. 


Obgleich aus diefen Gründen die Beibehaltung der biöhes 
rigen Wuchergefege nicht rathfam if, fo bleiben doch einige 
Beforgniffe übrig (a). Der Begriff des Wuchers bei Darleihen 
ift keineswegs erft durd das Geſetz entftanden (5), fonbern 
ſtammt aus der Ueberzeugung ber, daß es unfittlidy fei, bie 
Noth Anderer zu einem ganz unverhältnißmäßig hohen Gewinne 
zu mißbrauchen. Dieß würde gar nicht vorfommen, wenn ber 
Zinsfuß ſich unfehlbar in jedem Falle nad) dem allgemeinen 
Verhältnig des Angebots und Begehrd von Capitalen, und 
nad dem Grade von Gefahr und Bemühung für den Dar 
leiher richtete. Hierauf ift aber nicht mit Sicherheit zu rechnen, 
denn 

1) dad Ausleihen Heiner Summen gegen Fauftpfänber oder 
auf bloßen Credit für kurze Zeit ift fehr mühfam und erfordert 
eine genaue Aufmerkfamfeit auf die Schuldner, es iſt ein laͤſti⸗ 
ges und widriges Gefchäft, welches nad) ber tief eingewurzelten 
allgemeinen Meinung für unanftändig und unedel gilt, und zu 
welcheın ſich immer nur Wenige entfchließen. 

2) Anleihen für Erwerbszwede kann der Borgende unter 
lafien, wenn er die geforderten Zinfen zu hoch findet (I, 8. 236), 
bei Nothfchulden aber hat er Feine Wahl und muß auf fihlew 
nige Hülfe, oft auch auf Geheimhaltung großen Werth legen. 
Deßhalb und wegen der geringen Anzahl von Darleihern ift 
hier dad Mitwerben viel befchränkter. Die abgefchloffenen Leit 
contracte ftehen mehr vereinzelt und ber ausbebungene Zins 
beftimmt ſich oft in jebem einzelnen Balle bloß nady der Roth 
ded Borgenden und ber rüdfichtölofen Gewinnfucht bed Capi⸗ 
taliften (c). 

3) Viele Borger, insbefonbere aus dem Stande der Land» 
leute, find bed Rechnens fo unfundig, daß fie bei Darleihen 
auf Furze Zeit und bei verwidelten Bebingungen die Größe ber 
Laft, die fie auf ſich nehmen, nicht zu überfchauen vermögen (d). 
(a) Ale Sofeph II. am 29. Jan. 1787 im oͤſterreichiſchen Staate alle 

Wuchergeſehe aufgehoben hatte, waren die Folgen ſehr unguͤnſtig 


Alle Schriftfteller geben zu, daß der Wucher häufiger geworden und 
der Zinsfuß geftiegen iſt, obſchon hiezu auch andere gleichzeitige Um⸗ 


6 
(d) 


er 


(4) 


-—— 379 — 


Rände, welche den Begehr von Gapitalieri vergrößerten, mitgewirkt 
haben mögen, 3. B. die Staatsanleihen, bie gebotene Anlegung ber 
Etiftungss und Pupillengelver bei den öffentlihen Gaflen und der 
Verkauf vieler Glofergüter. Die lauten Klagen über das Zunehmen 
des Wuchere veranlaßten, daß von der Regierung eine Breisfrage über 
diefen Gegenſtand ausgeichrieben wurde. Ss erſchienen viele Schriften, 
unter denen die Guͤntherſche ($. 320 (a)), welche ſich gegen die 
W.⸗Geſ. erflärte, im J. 1790 gefrönt wurde. 1803 erfolgte das 
($. 319) erwähnte Geſetz; ſ. vorzüglih v. Sonnenfels, Ueber 
Wucher und R.: Belege. Win 1789. Defi.: Zu Sm. Hofrath v. 
Keeß Abhandlung über die Aufhebung d. W.:&. 1791. — v. Beils 
ler, Zährlicher Beitrag zur Geſetzkunde und Rechtswiſſenſchaft in den 
öfterreichifchen Erblanden, II, 158. III, 1. (Wien, 1807. 1808.) 


Wie Bentham ©. 5 annimmt. 


Die bei den franzoͤſiſchen Zuchtpolizeigerichten vorgefommenen Faͤlle, 
wo 3. DB. einmal der Darleiber 48 Bror. genommen hatte, der von 
Eifenlohr (bad. Verhandlungen der 2. 8. a. a. D.) vorgezeigte 
Schuldſchein, nah welchem für 200 fl. monatlih 5 fl. 24 kr., alfo 
32 Proc. im Jahr zu entrichten waren, und viele andere Beilpiele 
beweifen obige Säge. Es möchte ſchwer fein, darzuthun, daß 32 oder 
48 Proc. nicht über alles Verhältniß zur Wagniß und Bemühung des 
Darleihers hinausgehen. Wenn Baring (Unterhaus, 27. Yebruar 
1824) fagte: „Der Borger ift jo wenig in der Hand bes Gläubigers, 
als ber Setreidefäufer in der Gewalt des Verkaͤufers“, fo vergaß er, 
daß Getreide regelmäßig zu Markt kommt, daß alle Berkäufer wetts 
eifernd fih um Abfap bemühen und Seder, der Geld in der Hand Bat, 
mitbieten kann, während jeder Borger, ber feine Sicherheit zu leiften 
vermag, in ganz eigenthümlicen erhaͤltniſſen ſteht. Die Analogie 
anderer Berträge, wie fie von Bentham (S. 9. 53) geltend gemacht 
wird, enticheidet nichts, weil bei feinem bie Goncurrenz fo fehr eins 
gerngt it, weßhalb Sonnenfels (Ueber Wucher, ©. 40) die Lage 
e. Pr Noth Borgenden einem unmittelbaren phyfiſchen Zwange vers 
gleicht. - 


Auch in den Städten finden fi folche unwiſſende Menfchen, I, $. 232. 
Schon Golquhoun (Police of the metropolis S. 67) erzählt, daß 
es in London Weiber giebt, welche den Berfäuferinnen von Obſt, 
Fifhen, Gemüfe sc. Tag für Tag 5 Schill. leihen, und jeden Abend 
s Schilling Zins einziehen, alfo im Jahr zu 300 Geſchaͤftstagen 3000 
Brocent. — In Paris lieb man bisweilen zu 2 Sole wöchentlich von 
3 Livres, d. h. für 173%; Proc. jährlih, pröt & la petite semaine. 
Turgot, angef. M&m. $. 14. V. 282. 


8. 323. 
Diefe und andere auf Thatfachen beruhende Beforgniffe (a) 


machen es zwedmäßig, folche gefepliche Vorfchriften über Zins- 
darleihen beizubehalten, welche dazu dienen, die Bürger vor 
den Runftgriffen gewiffenlofer Wucherer zu bewahren (db). Es 
find daher nachſtehende Beftimmungen zu empfehlen: 


— 380 — 


1) Alle: Leihvertraͤge, die eine gewiſſe kleine Summe über 
fteigen, müſſen ſchriftlich abgefaßt und die Schuldurkunden 
müflen auf die einfachfte, verftänblichfte Weife, mit Bezeichnung 
der auf ein Jahr gerechneten Zahl von Procenten und ohne 
Kebenentrihtungen, ald etwa eine mäßige Proviflon, ausge⸗ 
brüdt werben. Die in 8. 319, Nr. 2 erwähnte Verkürzung 
des Gapitaled kann unbedenklich unterfagt werben, weil ber 
einzige Grund, aus dem man fie in Schug nehmen möchte, 
durch die Yreigebung des Zinsfußes hinwegfaͤllt (c). 

2) Es muß immer ein geſetzlicher Zinsfuß für ſolche Faͤlle 
bleiben, wo die Gerichte Zinſen zuerkennen. Man regelt ihn 
nad) dem Marktpreiſe der Zinſen bei guter Sicherheit (d). 

3) Kür folche Anleihen, bei welchen diefer Sab beträchtlich, 
z. B. um 2 ober 3 Procente, überfchritten wird, follte monat 
lie Auffünbbarkeit auf Seite bed Schulpnerd verorbnet wers 
den (e). 

Diefe Anordnungen werben bann einen vollftändigeren Er⸗ 
folg haben, wenn zugleid ein guter Schulunterridyt die arbeis 
tenden Stände in den Stand febt, gegen Uebervortheilungen 
auf ihrer Hut zu fein, und für gute Leihanftalten zum Gebraude 
bedrängter Einwohner geforgt wird, $. 334. 


(a) A. Smith hielt eine den Marktpreis der Zinfen bei hypothekariſcher 
Sicherheit nur wenig überfleigende geſetliche Zinstare darum für noth⸗ 
wendig, weil font leichtfinnige Menfhen und Projectmacher ten bes 
fonnenen Borgen die Gapitale wegnehmen würden, Unterf. LI, 133. 
Nah von Zeiller ift in Oeſterreich wirklich durch Verſchwender und 
Speculanten der Zins zum Nachtheil der befieren Wirthe gefeigert 
worden. Da jedoch die unzuverläffigen Borger von den tüchtigen, ber 
Unterflügung würdigen Unternehmern im Allgemeinen nicht gefondert 
werden fönnen, fo gränzt bier das Nuͤtzliche und Schädliche zu nahe 
an einander, und man muß es dem gefunden Urtheile der Bapitaliflen 
anheimftellen, wie fie, allenfalle durch Schaben belehrt, fi vor un: 
fiheren Anlegungen ihres Bermögens hüten wollen. u die Ber 
us der Projectmader. gegen Smith, bei entbam, 

. 83 ff. 


(5) Hiebei i-vorgüglich lehrreich Günther, a. a. D. 


(0) Das Verbot des Zwifchen : oder Zinſes⸗Zinſes (6. 319, 3)) iR nicht 
durchzuführen, weil der bedrängte Schuldner den Gläubiger nicht ans 
ders zur Nachficht bewegen fann, auch ift eine Zinsvergütung für die 
rüdftändigen Zinfen nicht unbillig und dem allgemeinen Rechtsgrund⸗ 
fage gemäß, daß jeder Berzug in der Erfuͤllung einer Verbindlichkeit 
zu einer Schadloshaltung verpflichte. Nur der Mißbrauch if zu ver 





_— 331 — 


hüten. Nah dem franzöfifchen bürgerl. Recht, Art. 1154, fann ein 
Zinsrückſtand, der Höher ift ale ein Jahresbetrag, durch Ginklagung 
oder befondere Uebereinkunft zinstragend werben. 


(d) Man wird hiezu 5 Proc. und unter Kaufleuten 6 Broc. feſtſetzen 
en. Lehteres wird bei Braun und Wirth vorgefchlagen, 
ite 231. 


(e) Bie in Baden, f. $. 322 (a). Sardinien: nad 5 Jahren. 


Bierter Abſchnitt. 
Armenwejfen. 


8. 324. 


Die jährliche Gütervertheilung in einem Bolfe (I, 8.141 ff.) 
entjpricht der Beflimmung der Volköwirthfchaft und den Zweden 
des Staates deſto befier, je volftändiger fie jeden Bebürfniffe 
die erforderlichen Befriedigungsmittel zuführt. Es gehört zu 
dem Grundbau einer auf perfönliche Freiheit (a) geftüßten 
Volkswirthſchaft, daß diejenigen Familien, denen nicht ein Ein- 
fommen aud Renten zufließt, ſich durdy Gewerböverdienft ober 
Arbeitdlohn ihren Unterhalt verfchaffen und daß durch verftän« 
dige Wahl der Beichäftigungen die vorhandenen Arbeitöfräfte 
fi) gut unter bie verfchiedenen Zweige ber Thaͤtigkeit vertheis- 
In, fo daß alle auf Arbeitöverbienft angewiefenen Mitglieder 
des Volkes ihr Ausfommen erhalten. Diefe Bertheilung wird 
mangelhaft, wenn Einzelne in Armuth gerathen, d. i. uns 
fähig werden, den nöthigften Unterhalt aus eigenem Einkom⸗ 
men zu beftreiten (5). Diefer Zuftand, ver ihnen Entbehrun- 
gen, Roth und Sorgen auferlegt, auch ihre Lebensdauer vers 
fürzt und fie von fremder Hülfe abhängig macht, ift zugleich 
für die ganze Gefellfchaft ein Uebel, wegen der nachtheiligen 
Folgen für bie rechtliche Ordnung, für bie fittliche und geiftige 
Bildung und die Erziehung des jüngeren Geſchlechtes, und 
weil die Ausgabe für die Armen an dem Wohlftande des Vol⸗ 
kes zehrt. Die Unterftüpung der Armen gefchieht häufig von 
Brivatperfonen, auch die Kirche ift für diefen Zweck mehr oder 
weniger thätig, inbeß iſt auch eine Mitwirkung der Staatds 





gewalt hiezu unentbehrlih. Die von biefer ausgehende Thaͤ⸗ 
tigfeit für das Armenweien (öffentlihe Armenpflege, 
öfterd Armenpolizei genannt) bildet deßhalb einen fehr wich. 
tigen Theil der Volfswirthichaftspflege, der dad igenthümliche 
bat, daß bei ihm wirthfchaftliche und moralifche Betrachtungen 
ſich beſonders innig durchdringen (c). 


(a) Den Unfreien hat der Herr zu erhalten, auch wenn die Arbeitsleiſtung 


des erſteren nicht ſoviel abwirft, als er braucht. 


() 1, $. 77. Dem Aueédruck Armuth in dem obigen Sinne entſpricht. 


(ed) 


nah De G&rando’s Grflärung (De la bienfaisance publique, I, 5) 
das franzöfifhe Wort indigence,; es if! Mangel am Nothiwendigen, 
dönument absolu. Dürftigfeit if pauvrets, ein Zufland, wo Jemand 
feine Beduͤrfniſſe nicht vollkäudig befriedigen fann, — qui n's pas de 
quoi subsister convenablement suivant sa condition. Dod wird unter 
pauvret& im weitern Sinne auch bie indigence mit begriffen, und bas 
Wort pauvre hat immer bdiefe allgemeinere Bedeutung , ebd. ©. 6. — 
Der in England und Pranfreih neuerlih aufgefommene Ausdrud 
Bauperismus ift im Deutfchen bei dem Reichthum unferer Sprade 
und der Leichtigkeit, für jeden Begriff einen bezeihnenden Ausdrud zu 
finden, nicht allein überflüffig, fondern auch wegen feiner Mehrdeutig⸗ 
feit verwirrend. Dan verfteht unter Pauperismus bald Armenweſen 
überhaupt, bald den Stand der Armuth in einem gewiflen Lande und 
Zeitpuncet, bald eine ungewöhnlid Häufige (maflenhafte) Verarmung 
aus Mangel an Erwerbeverdienſt (Grwerblofigfeit), In Gngland 
braudt man auch pauper und poor als gleichbedeutenv. 


Die größere Sterblichkeit der Armen if eine befannte Thatſache, vgl. 
I, $. 201 (8) (e). 

Unterfuhungen über die Urfachen ber Berarmung und bie beſten 
Maafregeln der NArmenpflege fowohl im Allgemeinen, ale in Bezug 
auf einzelne Länder, find befonders in ben Iepten Jahrzehnden mit 
Vorliebe angefellt worden. Auswahl aus ber ſehr reihen Literatur: 

L Deutſchland. Refewig, Weber die Berforgung ber Armen. 
Kopenh. 1769. — Breufhen, Polit. Armenöfonomie. Leipzig, 
1783. — v. Rochow, Berfuh über Armmanflalten und —28 
aller Bettelei. Berlin 1789. — Wagemann, Goͤtting. Magazin 
für SInduftrie und Armenpflege. 1789-1808. VI. Br. — Wille, 
Ueber Entflehung, Behandlung und Grwehrung ber Armuth. Halle, 
1792. — Ranft, Berfuch über die Armenpflege. Wreiberg, 1799. — 
v. Berg, Handbuch des t. Polizeirechts, IH, 178—242. — Bilat, 
Ueber Arme und Armenpflege. Berl. 1804. — Weber, Staatswirtk 
ſchaftlicher Verſuch uͤber das Armenweſen und die A.⸗Polizei. Goͤtt. 
1807. — Baum, Prakt. Anleit. z. vollſtänd. Armenpolizei : @inrids 
tungen. Heidelberg, 1807. — v. Jakob, Polizei⸗Geſetzgebung, IL 
652. — Lamäg, Ueber die Sorge des Staats für feine Armen. 
Altona 1815. — Allg. Enchelopädie von Erf und Gruber, Kt. 
Arme (von Fifcher) und Armenpolizei on Rau) — Rede, 


UI, 47. — Hanffen, Kritif des Armenweſens. Nltona, 1834. — 
Heiberg, Mittheilungen über das Armenweien. Altona, 1835. — 
Sodeffroy, Theorie der Armuth. Hamb. 1834. 2. A. 1836. — 
Beiträge 3. Theorie des Armenweſens, Hamb. 1834. (Gegen Godef⸗ 





— 383 — 


froy). — Schmidt, Unterſuchungen über Bevölkerung, Arbeitslohn 
und Bauperismus. Leipz. 1836. ©. 319 ff. — v. Türk, Bon der 
Borforge für Waifen, Arme und Nothleidende, Berlin 1839. — Bü: 
lau, in der Deutfchen Bierteljahrsfchrift, 1838, IL, 79. — Schmitts 
benner, Ueber Bauperismus und PBroletariat, Frankfurt 1848. — 
Bleibtreu, Induſtrie und Broletariat, Frankf. 1848. — Mitthei⸗ 
lungen des Gentralvereins für das Wohl der arbeitenden Claſſen, 
Berlin 1848 ff. 2 Bde. Neue Bolge bie 1856 2 Bde. — Schnell, 
Sehr. Preisfchrift. Borfchläge zur Berbeflerung der Arbeiterverhältnifie, 
namentlich auf dem Lande. Berl. 1849. — Bon ben Mitteln, den 
Zuſtand der Arbeiter gründlich und auf die Dauer zu verbeſſern. Ber: 
lin 1849. — v. Holafhuher, Die materielle Roth der unteren 
Volksclaſſen und ihre Urſachen. Behr. Preisſchrift. Augsb. 1850. — 
Eſcherich, Borichläge zur Milderung der materiellen Noth der unte- 
zen Volkaclaſſen. Stuttg. 1850. — Megner, Die materielle Noth 
der unteren Bolksclaffen ın Baiern, Würzb. 1850. — Runge, Mit: 
tpeilungen des Localvereins für das Wohl der arbeitenden Claſſen, 

erlin 1851. IT 3. — v. PBrittwig, Die Schanzer in Ulm. 1850. 
— Zahlreihe Schriften über Armenanftalten einzelner Länder u. Orte, 
3. B. (Biandi) Hiſtor. Darftellung der Hamburger Anftalt zur Un⸗ 
terfüßung der Dürftigen. Hamburg 1802. — Bon Voght, Geſam⸗ 
meltes aus der Geſchichte der Hamburger Armenanftalt. Hamb. 1838. 
— Gmmermann, Die Armenpflege im H. Naffau, Wiesb. 1817. 
— Knolz, Darfellung der Humanitäts- und Heilanftalten im Erzh. 
Deferreih unter der Enns. Wien 1840. — Kratochwill, Die 
Armenpflege der F. k. Haupt⸗ und Refivenzftadt Wien, 1846 (mit einer 
Ginleitung über Armenpflege im Allgemeinen). — Anführung vieler 
anderer Schriften bei v. Salza und Lichtenau, Polizeirecht, IL, 

4. 


IL Sroßbritanien. Macfarlan, Unterfuhungen über bie 
Armuth, a. d. Englifhen v. Garve. Leipzig 1785. Hiezu gehört 
Garve, Anhang einiger Betrachtungen über Joh. Macfarlans 
Unterfuchungen, ib, eod. — Ruggle, History of the Poor. Lond. 
1793. Neue Ausg. 1797. — Morton Eden, The state of the Poor 
or & history of the labouring classes in England. London, 1797. IL 
B. — Malthus, Berfuh über die Bolfsvermehrung, IL, 51 ff. — 
Craig, Grundzüge der Politik, überfept v. Hegewiſch, IL, 223. 
Leipzig, 1816. — Senior, Statement of the provision of the Poor, 
1835. — Ueber das neue engl. Armengefeg Rau in deſſen Archiv, LI, 
214; sl. 6.341. — Kleinfhrod, Der Pauperismus in England, 
Megensb. 1845. Defi. Die neue Airmengefeggebung Gnglande und 

ande in ihrem tOjährigen Bollzuge, ale Fortſ. des „Bauperismus 
in E.“ 1859. Def. Paup. in &. 2. Fortſ. 1849. — Pashley, 
Pauperism and poor laws, Lond. 1852. — Jährlih ein Bericht der 
Armencommiffion (Annual report of the Poor law commissioners) feit 
1836, je 1 Band. Neue Folge nah dem Gef. 29. Juli 1847: An- 
nusl report of the Poor law board, feit 1848. — Ferner feit 1848 
jährlich ein Annual report of the commissioners for administering the 
laws for relief %f the poor in Ireland. 


IH. $ranfreid. Fodéré, Essai historique et moral sur la 
pauvret& des nations. P. 1829. — de Görando, Le visiteur du 
pauvre, 1829, deutih von Schelle, Quedlinburg 1831. De la bien- 
faisance publique, IV Bde. Par. 1839 (vorzüglid). Deutfh im Aus: 
uge von Buß: Die öffentl. Armenpflege Stuttg. 1843. — de 

orogues, Du pauperisme, de la mendicit€ et des moyens d’en pré- 
venir les funestes effets, P. 1834. — de Villeneuve-Bargemont, 


— 384 — 


Eeonomie politique chrötienne ou recherches sur la nature et les est- 
ses du pauperisme en France et en Europe. P. 1834. III Be. Brax. 
1837, in 1 Bd. — T. Duochatel, Considörations d'économis poli- 
tique sur is bienfaisance, 2te 9. P. 1836. (Grfle Ausg.: De la ch 
rite, 1829.) — Die Schriften von Duchatel u. Raville (V.) find 
Iulammen im Auszuge überfeßt: Das Armenweien nad allen feinen 

ihtungen. Weimar 1837. — Du pauperisme et de la charitd 1- 
gale, lettre adressee & MM. les prefets du royaume, par M. Ch. Re- 
musat.... Paris, 1840. — Bonnardet, De la mendicits. Lyon, 
1841. — Moreau-Christophe, Du probläme de la mistre, P. 
1852. III Bde. — Böchard, De l’ötat du paupsrisme en France, 
Paris 1853. — Oherbulies, Etude sur les causes de la misire... 
et sur les moyens d’y porter remöde, P. 1853. — de Watteville, 
Rapport à 8. Exe. le Ministre de l’Interieur sur l’administration des 
bureaux de bienfaisance et sur la situation du pauperisme en France. 
P. —F 40. (Hier find auch ©. 31 — 34 viele franzoͤſiſche Schriften 
genannt. Ä 


IV. Belgien. de Kevorberg, Essai sur lindigence dans Is 
Flandre orientale.. Gand, 1819. — Travaux de la commission royale 
pour Y’ameliorement du sort des classes ouvriöres et indigentes du 
pays. Brux. 1847. — Duopötisux, Memoire sur le paupferisme 
dans les Flandres, Brux. 1850. — Mofer, Der Pauperismus in 
Slandern. Berlin 1853. 


V. Schweiz. Naville, De la charits legale, de ses eflets et 
de ses causes. Genöve, 1836. — Neue Verhandl. ber ſchweiz. gemein: 
nüg. Gefellfhaft. L V. — Berger, Du pauperisme dans le C. de 
Vaud. Laus. 1836. — Enquöte sur le paupfrisme dans le oanton de 
Vaud. Lausanne, 1841. — Vogt, Das Armenwefen und die dießfäl 
ligen Staatsanflalten. Bern, 1853. 54. II B. — Oramer, Etude 
sur les causes du pauperisme dans le Canton de Gendre, 1856. 


VL Ztalien. (Graf Pralormo) Situasione economics degli 
instituti di carit&. Turino, 1841 = Bibl. univ. de Genere, XIVI, 
217. — Les .pieuses institutions Dömidoff & Florence. 1848. 


Bon bedeutendem Nutzen für diefen Gegenftand it das öftere Zu 
fammentxeten von Freunden der Wohlthätigkeit aus verichiedenen Län- 
bern, zum 1. mal in Brüflel, Sept. 1856, fodann in Frankfurt, Sept. 
1857, in London Sept. 1862. Dan rechnet jedoch zur Wohlthaͤtig⸗ 
feit (bienfaisance) als Gegenſtand diefer Congreſſe nicht allein das 
Armenweſen, fondern auch verfchiedene andere Angelegenheiten, in denen 
den in ungünftiger Lage befindlichen Bürgern ein Beiſtand aus mens 
fchenfreundlicher Abficht geleiftet werben kann, 3. 3. im Unterricht und 
der Erziehung, in der Sorge für die Gefundheit, in ben Strafanflal 
ten u. dgl. Congrts international de Bienfaisance à Bruxelles. Ses- 
sion de 1856. II. B. Brux. 1857. — Congres int... de Frane- 
fort, Session de 1857. IL 1858. — Congrts int... de Londres, Ses- 
sion de 1862. II B. Lond. 1863. 














— 35 — 


Erfte Abtheilung. 
Allgemeine Betrachtung der Armuth. 


$. 325. 


Die Grundfäge der Armenpflege muͤſſen auf bie Unter 
fuchung der Urfachen gegrünbet werden, aus benen bie Armuth 
gewöhnlich entfleht (a), und zu diefem Behufe find vorzüglich 
bie Berhältniffe der Xohnarbeiter und ber Eleinen Unternehmer 
zu erforfchen, $. 324. Diejenigen, welche von Renten leben 
oder leben fönnen, find nad) dem Berlufte ihred Vermögens erft 
dann arm, wenn fie fich nicht durch ihre Arbeit fortzubringen 
vermögen. Es ift unter allen Umftänden, felbft bei dem höchften 
und beftvertheilten Wohlftande, dem fleißigften und fittlichften 
Bolfe, bei der weifeften Regierung unvermeidlich, daß bin und 
wieder Einzelne verarmen; bie wirkliche Zahl der Armen übers 
fteigt aber in jebem Lande dieſe ganz unvermeidliche geringfle 
Größe, weil nirgends alle jene genannten günftigen Umftänbe 
in vollfommenftem Maaße vereinigt angetroffen werben. Die 
Armuth einer Bamilie rührt entweder von Umftänden ber, welche 
durch Liefelbe nicht abgerwendet werben fönnen und wieber in 
fortdauernde oder vorübergehende zerfallen, ober von ber eigenen 
Schuld ber Armen. Da ferner bie Armuth in einem Miß⸗ 
verhältniß zwifchen dem Einfommen und dem Unterhaltöbebarfe 
befteht, fo kann fie ſowohl durch die Verringerung des erften 
unter das mittlere Maag, ald durch die Vergrößerung des 
zweiten uͤber den Durchſchnittsbetrag entſtehen. 

(a) gel: aacfarlen, ©. 5. — Beber, ©. 24. — v. Jakob, 
6. — de Kererberg, S. 50. — Dudatel, ©. 1 der 

— Bearbeit. — de Villeneuve, Liv. . — de Gérando, 
1,139. — v Summelauer, Ueber die Verarmung der ackerbauenden 


Glaffe. Wien, 1836. — Reboul-Deneyrol, Paupériseme et bien- 
faisance dans le Bas-Rhin. P. 1858. ©. 146. 


8. 326. 


L Unverfchhuldete Urſachen der Armuth. 
1) Der gänzlihe Mangel oder die Unzulänglichfeit 


bed Arbeitöverdienftes ift abzuleiten entweder 
Ran, pyolit. Delon. TI. 2. Abth. 5. Ausg. 25 


— BB — 


a) von Erwerbsunfaähigkeit, d. i. einem koͤrperlichen 
oder geiftigen Zuftande (a), welcher die Folge hat, daß die von 
ihm betroffenen Perfonen nichts ober nicht genug verdienen 
fönnen (6). Dahin gehören Kranfe, Schwache, Gebrechliche, 
Geifteöfranfe, Kinder und Greife, vorausgefept, baß nicht nahe 
Verwandte im Stande find, fie zu erhalten (ce); — ober 

b) von äußern Umftänden, burdy welche Arbeitöfähige 
verhindert werben, fich den Unterhalt zu erwerben. Bei ben 
Unternehmern (3. B. den Handwerfömeiftern) erfcheint dieß 
Uebel als Mangel an Abfag oder Beftellungen, bei den Lohn⸗ 
arbeitern ald Mangel an zureichenver Befchäftigung ober aud 
ald zu tief herabgefunfener Lohn. Der Zuftand foldyer Arbeis 
ter, welche durch den Druck Außerer Umftände wider Willen 
und Neigung in Unthätigfeit verfeßt werten, if die Berdienft- 
oder Erwerblofigfeit. Es ift unvermeidlich, daß bald bei 
der Wahl eined Gewerbes das obwaltende Verhältniß zwiſchen 
Begehr und Angebot unrichtig beurtheilt wird, bald fpäterhin 
Veränderungen in demfelben eintreten, bei denen der Abſatz abs 
nimmt ober das Angebot zu fehr anwächft. Die lehtgenannte 
Erfcheinung ift oft Folge einer zu ſtarken Bolfsvermehrung 
($. 330). Die Berminderung ded Begehrd von Arbeit könnte 
von einer Verringerung ber im Lande angelegten @apitale her: 
rühren, fällt aber meiftens mit der Störung im Abſatze einer 
Waare oder mehrerer Arten von folchen zufammen. Se mehr 
ber Abfa in die Gerne geht, deſto weniger läßt fi, fein Um⸗ 
fang ermefien und befto leichter erfolgen Berminderungen beis 
felben, aber auch bei den Gewerben, die zur Berforgung nahe 
wohnender Käufer dienen, fehen Einzelne im Mitwerben ihre 
Erwartungen fehlfchlagen. Dad Berarmen aus folchen Urfachen 
fommt vereinzelt in allen Gewerben vor. In größerer Menge 
zeigt es fich 

aa) gewöhnlich in Städten in Vergleich mit dem platten 
Zande, weil die Landwirthfchaft wenigeren Erfchütterungen aus⸗ 
gefept ift und bie Ausfichten auf das Fortlommen in einem 
Dorfe leichter zu beurtheilen find (d), 

bb) an gewifien Orten, bie einen Theil ihrer Ewerbe⸗ 
quellen verloren und einen Erfah dafür noch nicht aufgefunden 
haben (e), 


— 8897 — 


ce) in ſolchen Gewerbszweigen, die von vielen Menfchen 
betrieben werben und in benen ber Abfab fehr veränberlich ift 
oder ein Theil der Arbeiter durch die Einführung von Mafchis 
nen ıc. außer Beichäftigung geräth. Biswellen iſt es bie Ein 
träglichkeit eined Gewerbes, die einen zu großen Andrang nad 
Rh zieht und dann zu einem Ruͤckſchlage führt, dagegen kommt 
auch In ſolchen Gewerben, die mit dem geringften Gapitale 
ergriffen werden Eönnen, feicht eine Veberfegung zum Vor⸗ 
ſchein (4). Sehr ausgedehnte Zweige des Babrifweiens find 
in biefer Hinfiht am meiften gefährdet, indem eine Unter 
brehung der Ausfuhr eine Menge von Menfchen außer Thätig- 
feit feßt und das Unterfommen berfelben in anderen Befchäfti- 
gungen erfchwert, während eine Feine Zahl von Erwerblofen 
fi) leichter andere Wege zum Verdienſte eröffnen könnte (g), 

dd) in ver auf die Landwirthſchaft angewiefenen Volks⸗ 
claffe, wenn bie Beldarbeit nicht den ganzen Zuwachs ber 
Einwohnerzahl beſchaͤftigen kann und andere Erwerbözweige 
fehlen (A). 

2) Bermehrte Ausgaben, weldhe aus dem mittleren 
Einfommen nicht beftritten werben können und daher Berarmung 
veranlafien, find entweder beſonderen Unfällen zuzufchreiben, 
wie Krankheiten, Todesfällen, Feuer⸗, Waſſer⸗ und Kriegs⸗ 
ſchaden u. dgl., ober erfireden ſich über ein ganzed Land, wie 
die Theuerung der Nahrungsmittel durch Mißernten (i). Nur 
berimige kann ſolche Umflände ertragen, weldyer ein übergefpars 
ted Vermögen zuzufesen hat. Eine ungewöhnlich große Anzahl 
von Rindern ober anbern hülflofen Mitgliedern einer Bamilie 
Bat die nämlihe Wirfung und ift gerabe bei den bürftigen 
tohnarbeitern häufiger anzutreffen, al8 in andern Elaffen ber 
Geſellſchaft. 

(a) Indigens invali des. — Im britiſchen Koͤnigreich befanden ſich 1859 
unter den Armen 43810 Geiſteskranke. 

() Bent ham's travailleurs imparfaits; de Gerando, I, 63. Man 
rechnet Hieher auch ungeſchickte, unwiflende oder einfältige Arbeiter, die 
indeß wenigftens in ſolchen Berrihtungen, welche geringe Fertigkeit 
erfordern, fih nody müßten fortbringen fönnen. — Im Canton Waadt 
waren 1834 unter fämmtlichen Armen 16,° @reife über 60 Jahre, wos 
von 9 Proc. noch einigermaaßen arbeitsfähig, ferner 47,* Kinder unter 
16 Jahren. Enqudte, ©. 36, 

(c) Hat der Arme foldhe Verwandte, die vermögend genug und gefeßlich 
verpflichtet find, Ihn zu unterflügen, fo fällt er der Öffentlichen Armen: 
pflege nicht anheim, außer infoferne die Verwandten obrigkeitlich anges 

25 * 


(a) 


(f) 


J) 


— 388 — 


halten werben muͤſſen, ihre Pflicht zu thun. — Orte, in deren Nähe 
ch große, Steinbrüche befinden, haben wegen der hoben Sterblidfeit 
d Steinfaue viele arme Wittwen und Waiſen. Daffelbe gilt von 
den Familien der Lootfen. 


Nah den Angaben für den preußifchen Staat für 1849 bei Di ete⸗ 
rict (Tabellen, IV, 434) waren in den Städten 10,3, auf dem Lande 
2,° Proc. Arme. Sn Belgien giebt der Zjährige Durchſchnitt von 
1848 bie 50 27,7 Proc. in den Städten, 20 Proc. auf dem Lande, 
nämlich eingefhriebene Arme, f. $. 228 (e). — Die Provinz 
Namur hatte in den Städten 26, auf dem Lande 13,7 Bror., nur Of 
flandern hatte mehr Arme auf den Dörfern. 


In Preußen hatten 1849 die 60 großen Städte 1 Armen auf 5,° Gw. 
(18 Proc.), die 238 mittleren 1 auf 13,5% (7,3 Proc.), die 672 Heinen 
Städte 1 auf 20,9 Binw. (4,9 Proc.). Ginzelne Städte zeigen eine 
überaus große Verarmung, 3. DB. wenn ein Theil der wohlhabenden 
Zehrer hinwegzieht (Berlegung eines Würflens oder Amtsfipes, einer 
rogen Staatsanfalt ıc.), der Fremdenbeſuch aufhört. Handels⸗ und 
Fabrifgefchäfte floden, wenn das Zuſtroͤmen Arbeitſuchender von ber 
Umgegenb zu groß, die Armenunterflügung zu reichlih und forgloe if, 
wenn bie Sanbiwertsmeifer fih die Fortichritte der Kunſt nicht aneig: 
nen und bie wohlhabenden Bewohner ihren Bedarf von Kunftwaaren 
in den größeren Städten einfaufen u. dgl. Breslau foll 1849 1 Un 
terflüßten auf 1,9 Ginw., Greifswald auf 2,7, Prenzlau auf 2,9, 
Muͤhlhauſen 3, Köln 3,2, Trier 3,%, Magdeburg 3,8%, Elberfeld 3,%, 
Potsdam auf 4 Einw. gehabt haben ꝛc. In Lille (Norddep.) zählte 
man früher 30 Proc. Arme (Villerm6, I, 83), neuerlid 33 * 
in Cortryk (Courtray in Belgien) ſogar 44, in Brügge 43 Proc. — 
Große Armuth der Stadt Orb im baieriichen Unterfranken, Berh. d. 
baier. Deputirtenk. 1837, Beil. IX, 420. 


Bei den Angaben hierüber müßte man auch wiffen, welcher Theil der 
Einwohner überhaupt in jedem Gewerbe beichäftiget ift, denn es muß 
3. B. darum fhon mehr arme Schuhmader ale Goldſchmiede geben, 
weil bie ganze var} der Schuhmacher viel größer if, ferner macht es 
einen großen Unterfchied , ob die Armuthsfälle, die Kamilien, oder bie 
Köpfe gezählt werden. In Oflflandern waren zu Ende bes 9. 1848 
unter ben 201706 Armen 49512 Spinnerinnen, 45300 Taglöhner, 
18616 Weber (gegen 38 Proc. der für 1846 angegebenen Zahl), 14578 
Spipenflöpplerinnen (78 Proc. !), 5806 Wäfcherinnen, Näherinnen ıc. 
(42 Proc.), 3207 Schreiner und Zimmerleute (22 PBroc.), 1170 Schub 
mader (12 Proc.) c. Ducpötiaux, Möm. ©. 22. (88 if zwei⸗ 
felhaft, ob bie aus den Ergebniſſen der Volkszählung beigefegten Pros 
centzahlen richtig find, d. h. ob die Zählung nad gleichen Regeln 
angegeben if.) — In Barie waren im D. der Jahre 1829, 1832, 
1835 und 1838 unter den Armen 2208 Näherinnen und Köcinnen, 
1387 Trödlerinnen, 1372 Laftträger ıc. (commissionaires), 1170 Thuͤr⸗ 
wärter (portiers), 900 Schuhmader, 737 Trödler, 666 Wäfcherinnen 
.... de Gerando, I, 116. In Gngland machten bie erwachſenen 
arbeitsfähigen Armen (adult ablebodied poor), unter denen jedoch auf 
vorübergehend franfe vorfommen, 1842—46 29 Proc., in den Jahren 
von 1850—55 gegen 16 Proc. aller Armen aus. 

In Bordeaur find in den 1850r Jahren durch die Traubenkranlheit 
Taufende von Küfern verdienftlos geworben. — Gin Beifpiel in gre- 
— Maaßſtabe giebt die durch den americaniſchen Buͤrgerkrieg ſeit 1861 
art verminderte Zufuhr von Baumwolle, wodurd viele europäifde 
Arbeiter ganz oder zum Theil außer Thätigfeit gefeht wurden. In der 





(4) 


@) 


— 389 — 


englifhen Grafſchaft Lancasfhire, two g. 400 000 Arbeiter unmittelbar 
mit der Baumwolle befchäftigt und überhaupt 800 000 von dieſem Ges 
werbe abhängig waren, befanden fich im Herbſt 1862 150000 ganz, 
120000 je einen Theil der Zeit außer Arbeit, was ſoviel ausmachte, 
als 210000 ganz Müßige, und woburd 105000 8. wöchentliche Lohn: 
einnahme hinwegfielen. Diefe Grafſchaft hat 28 Mil. Beinfpindeln 
und 300 Webſtühle. Die Yamilien mußten ihre früheren Erfparnifie 
zufegen und es waren große Summen poͤthig um der Noth einiger⸗ 
maßen abzuhelfen. Lehrreicher Aufſatz von Plummer im Companion 
to the Almanak für 1863. 


Die Verkleinerung der Landgüter ift öfters ale Urfache der zunehmen 
ben Berarmung betrachtet worden, 3. B. Ducpettiaux, Mem. ©. 63 
in Bezug auf die beiden flandrifhen Provinzen. Allerdings zeigt bie 
amtliche Statiftif (Agric. S. LIII), daß in Oftflandern 44,8, ın Wet: 
flandern 57,42 Broc aller Landwirte nicht über !/a Heft. bauen, allein 
offenbar fuchen diefe ihren Unterhalt nicht allein auf einer fo gerin en 
Fläche Landes, fondern zugleich in Taglohn und Bewerfsarbeit. Die 
Stellen von /2 — 1 und von 1— 5 Hekt. find ſchon nicht zahlreicher 
als in mehreren anderen Provinzen. Es ift alfo anzunehmen, daß bie 
Haupturſache in der durch die frühere Blüthe der Leinenverarbeitung 
veranlaßten Bolfevermehrung "liegt, $. 428 (5). Gine Derfleinerung 
der Güter, welche nicht unter das Maaß der Unterhaltsfläche hinabgeh 
(I, $. 372), pflegt mit einer Steigerung des Anbaues und alfo auch 
des Brirages verbunden zu fein. Dan trifft dagegen nicht felten da, 
wo viele große Güter find, eine Menge duͤrftiger Taglähnerfamilien, 
die flets in Gefahr find zu verarmen und denen die Gelegenheit fehlt, 
auf eigene Rechnung mit verboppeltem Fleiße zu arbeiten, wie dieß in 
England wahrzunehmen ift, $. 328 (5). Auch das Beilpiel anderer 
Länder, wie verfchiebener Gegenten ber Schweiz, zeigt, Daß vorher 
fhender Landbau feineswegs ganz vor häufiger Armuth fhüpt. Dal. 
Wolowski, in Congres international de bienfais. de Brux. I, 205. — 
Sn Irland find die ungünftige Vertheilung des Grundeigenthums unter 
eine Heine Anzahl von Reihen, die Betreibung der Tandwirthichaft 
durch ganz vermögenslofe Pachter und die Sorglofigfeit in der Ver⸗ 
beirathung die Haupturfachen der unter den Landleuten herrichenden 
Dürftigkeit, die leicht und häufig in Armuth übergeht. Der Wahn, 
daß es Segen bringe, den Bettlern zu geben, trug bei, bie Zahl ber 
legteren zu vergrößern. — Im Canton Waadt haben die Weinbau: 
gegenden in der Nähe des Sees gegen 6,8—7,7 Pror., bie Berggegen⸗ 
den bis 19 Proc. Arme (Bezirk Oron). 


Bolge der Theurung: In England waren Arme 


Durchſchn. 1842—46 1.449459 = 8,8 Proc. 
47 1721350 = 10,1 =: 
48 1876541 = 10,8 ⸗ 
Die eriwachfenen arbeitsfähigen hatten ſich flärfer vermehrt als bie 
fämmtlihen Armen, fie machten 1847 32,0 Proc., 1848 aber 35, Pr. 
der Ießteren aus. 


6. 327. 
IL Die verfhuldete Armuth (a) ift ein vermeidliches 


Uebel und zeigt befonders deutlich den Zufammenhang volfe- 
wirthfchaftlicher Erfcheinungen mit fittlichen Verhaͤltniſſen. Sie 


— 390 — 


wird allmaͤlig abnehmen, wenn überall Schule, Kirche, Ges 
meinbeobrigfeit, gute Beifpiele, Einfluß ber Lohnherren x. 
beharrlich zufammenmwirfen und das jüngere Geſchlecht beffer 
erzögen wird. Die Fehler, durdy welche die Berarmung vers 
urfacht wird, find bauptfächlich 

1) Gewöhnung an ein Uebermaaß unnöthiger Audgaben. 
Prunffucht, Hang nad) finnlichen Vergnügungen, inobeſondere 
zum Trunke (d), Spielfuht, wie fle 3. B. durch das Rotto 
genährt wird, Berfchwendung aus Leichtfinn x. flürzen viele 
Familien in Armuth, befonderd da Werirrungen biefer Art 
meiften® zugleich ben Fleiß lähmen. Zu frühzeitige ober über 
ag leichtfinnig gefchloffene Ehen ziehen ähnliche Folgen 
nach ſich. 
2) Traͤgheit (c), meiſtens die Folge einer ſchlechten Er- 
ziehung. Obgleich jede Elafie von Armen, wenn fie nidt 
verforgt ift, durch die Roth zum Betteln hingebrängt wird, 
fo giebt es doch eine befondere Blaffe von Bettlern, bie fi 
ohne foldye Roth aus Scheu vor auddauernder Arbeit und 
Hang zu einem abenteuerlichen Leben biefer Ernährungsart zus 
wenden. In ihnen zeigt fich die Armuth von ihrer verderb⸗ 
lichften Seite, verbrübert mit Rohheit und Ausfchweifung, 
zu Diebftahl und Raub verleitend, durch ben Reiz eines mühe 
(08 erlangten, oft reichlichen Einkommens ſelbſt fleißige Bürger 
in Berfuchung febend, den Weg eined chrenhaften Erwerbes 
zu verlaſſen (d). Die in neuerer Zeit angeordneten polizei- 
lichen Vorkehrungen, wodurch die Bettler verhindert werben, 
bie Perfonen und das Eigenthum ihrer Mitbürger zu gefähr⸗ 
ben, und indbefondere die berumfchweifenden Bettler in Straf 
oder Arbeitsanftalten gebracht werden, find zwar unentbehrlich, 
fönnen jedoch ohne den Beiltand einer guten Armenpflege feine 
gründliche Heilung biefes Gebrechens bewirken. Richt die Ars 
muth, wohl aber dad Betteln kann vermittelfi guter Anftalten 
verhütet werden (e). 


(a) Shüz in Tüb. Staatswifl. Beitfchr. 1851. S. 356. 
(5) * irerunß der Trunſucht im Norddep. bei Villeneuve, I, IL ch. 
3 (au bei Schmidt, S. 291), und in England, Schmidt ©. 430. 
— Biele hieher gehörige Thatfachen bei Ducpetiaux, De Ia condi- 
tion physique et morale des jeunee ouvriers, I, 361. Yillerms, 
Etat physique et moral etc. 33. und Egeling in Co 
Brux. I, 287. Wie viele Arbeiter richten fh in den eitifihen —*8 

















(0) 


(d) 


— 391 — 


weinfchenten (gin shops) koͤrperlich, geiftig und wirthſchaftlich Fa runde! 
Borter berechnete, daB um 1849 der Berbraudh von Branntwein 
aller Art im britiihen Königreich nach den Preiſen beim Ausfchenfen 
gegen 24, von Bier g. 251/ Mill. 2. St. beirage, alfo zufammen 
127. 8%. oder 21 fl. auf den Kopf. In den Niederlanden wirb bie Aus: 
gabe zu 30—35 Mil. Fr. jährlid angenommen. Congrds de Brux. I, 
294. 6 if nachgewieſen worden, daß ein betraͤchtlicher Theil ber 
Berbredhen mit ber Trunkſucht zufammenbängt unb ber abnehmende 
Branntweinverbrauh aud in biefer Hinfiht vortheilhaft wirft. Con- 
grös de Brux. II, 264 (2ee6), 274 —88 Congrös de Fraxcf. I, 
228 (Auefage englifcher Richter; Crfahrung, daß 30 Proc. bes Almo⸗ 
ſens am naͤmlichen Tage in den englifhen Branntweinläben verthan 
wird). Dieß Uebel ift am größten im nördlichen Europa, 3. B. Groß⸗ 
britanien, Heiner im mittleren Theile, wo Bier und Wein wohlfeil 
find, wie in Süpdvdeutfchland, am Eleinflen im Süden. Auch in der 
Soweiz wird lebhaft hierüber geklagt, 3. B. Congrös de Brux. 1, 334. — 
Uedermaaß ber zänge, bes — — — ber Putzſucht, Beboul- 
Deneyrol ©. 200. 205. 

Gramer a.a. D. ©. 22 klagt über den Mangel an Fleiß und Er⸗ 
werbseifer bei den Arbeitern in Genf in Bergleih mit Frankreich. — 
Die Berarmung bes badiſchen und hefflihen Obenmwalbes mwirb zum 
Theile geigf⸗ s dieſer Urſache zugeſchrieben. — Nach Duepétiaux 
Mm. ©. 96 bat der deutſche und englihe Arbeiter weit mehr Thats 
fraft, bei berannahender Grwerblofigfeit fih um andere Rahrungss 
quellen zu bemühen. IL lutte jusqu’au bout. L’ouvrier flamand, au 
contraire, se rösigne sur place aux plus dures privations; sans rien 
changer dans ses habitudes, il reduit son ordinaire; victime de la rou- 
tine, il sueccombe sur son mötier sans avoir penss& möme & l’abandonner. 
In Auftralien erhalten die beutfchen Arbeiter in dieſer Hinfiht vor⸗ 
zügliches Lob. Trägheit, fchlechter Schulbeſuch ıc. Reboul ©. 208.210. 


Die gewerbemäßigen Bettler gränzen nahe an die Sauner, und ber 
Uebergang zu bdiefen zeigt Pr; fhon in den Lügen und Kunflgriffen, 
mit denen fie Spenden zu erhaſchen fuchen. Oft If das Betteln nur 
der Borwand, um eine verbrecheriiche Lebensweiſe zu verdeden. Diefe 
arbeitsfcheuen Bettler pflegen weit umher zu ziehen, fie fiehen unter 
einander in Verbrüderung, haben ihre Herbergen, fprechen die Gauner⸗ 
ſprache und werden hiedurch für die Sicherheit doppelt gefährlih. Die 
Schilderung vom Leben der Bettler in Möfer, Patriot. Phantaf. I, 
x. Abh., mag no Heutiges Tages viele Wahrheit haben; vgl. 
(Schoͤll) Abriß des Gauner⸗ und Bettelweſens in Schwaben, 1793. 
== First report of the commissioners appointed to inquire as to the 
best means of establishing an effcient constebulary force, 1839, ©. 56. 
Bdind. Ber. Nr.. 152, ©. 467 (Juli 1842). — In den früheren Jahr: 
underten, und noch in einem Theile des achtzehnten, gab es in Deutſch⸗ 
and u. a. europäilchen Ländern ganze Schaaren foldyer Bettler, dic 
wegen ihrer Dreifigfeit, Berwilderung und Machfucht bie Bewohner 
bes platten Landes in Furcht festen und oft @ewaltthätigfeiten be: 
gingen. Unter ihnen befanden fid Häufig ehemalige, nad Beendigung 
eines Krieges entlaffene Soldaten. Lehrreiche Schilderungen bei Dies 
bermann, Deutichlande politifche, materielle und fociale Zuſtaͤnde 
im 18. Zahl: I, 401. 1854. — Die Angaben über die heutige An⸗ 
zahl der Bettler in den europäifchen Staaten bei de Billeneuve, 
0.0. D. beruhen nur auf ungefähren Schägungen und verbienen wenig 
Bertrauen. Es kam nad feinen Vermuthungen 1 Bettler auf 102 Ein: 
wohner in den Niederlanden (vor der Trennung), — 117 im britiſchen 
Reich, — 121 in Portugal, — 126 in Stalien, — 150 in der Schweiz, 


— 892 — 


154 in Spanien, — 166 in Frankreich, — 200 in Oeſterreich, — 202 
in Preußen, — 243 in Schweten, — 250 in Dänemarf, — 666 in 
der Türkei, — 1000 in Rußland. — In Franfreih nahm de Bille: 
neuve 1829 198000 Bettler an, und unter 8 Armen follte fi ein 
Bettler befinden. Nach der Aufzählung von de Wattenille (Rep- 
port ©. 58) Hatte aber Frankreich 1847 337800 Bettler oder I auf 
104 Einw. oder auf 8%, Arme. In den 15 öfll. Depart. kam einer 
auf 181 Einw. oder auf 13 Arme, in ben 14 nördlichen einer auf 62 
Einw. oder auf 7 Arme In Belgien wurden 1839 11734 Bettler 
geübt! In England hat man 25000 Bettlerfamilien mit 150000 

öpfen angenommen, die jährlich etwa 1'375000 2. St. (zu 35 8. Et. 
bie Yamilie) erwerben. Ed. Rev., a. a. D. — Zigeuner im Dep. 
Niederrhein, Reboul, ©. 109. 


(se) Die Statiſtik der Armuth giebt Über die Häufigkeit dieſer verfchiedenen 
Urfachen noch Feine genügenden Aufihlüfle. Stellt man die Rachrichten 
über die Provinz Oflflandern von 1818 nah v. Keverberg und 
1848 nah Ducvetiaur, ferner über das franzöf. Norbbepartement 
von 1829 (962800 Einwohner) und das Departement der @ironde 
(554 225 Ginwohner) nah Billeneuve zufammen, fo ergiebt fid: 


| Oftflandern. 
m | Rord: Dep. | Gironde. 
18 | 188 | 


nn nn — — — 





| Proc. | Proc. | Proc. Proc. 
1) Berhältn. d. Armen. Volksmenge/ 10,7 26, ! 17 9,8 
2) Berbältniß d. verichied. Urfachen : 


a) hohes Alter . 5,6 6,? 3,6 3,8 
db) Rränklilet . . . . . 11,3 6,9 | 9,8 9,® 
e) Unglüdefälle. . . . . 7 8,t 7,3 5,1 
d) zu viele Rinder. . . . || 48,9 23,3 | 30,5 51,9 
e) erblofigleit . . . . 22,8 44 9 27 21,' 
f) eigene Shud . . . . 4,5 2, 21,7 7,8 


Eine unvermeidliche Untergränge (minimum) in ber Zahl der Armen 
läßt fih nicht angeben, denn wenn aud die aus natürlichen Urſachen 
Grwerbsunfähigen ein gewifies Verhaͤltniß zur Einwohnerzahl haben, 
fo bängt es doch zugleih von dem wirtbräaftlihen Zuftanbe ihrer 
Berwanbten ab, ob fie durch diefe verforgt werben können. Die Zahl 
der weiblichen Armen war in Oftflanden um 15 Proc. größer als die 
der männlihen. Bgl. Barve zu Macfarlan, ©. 90. — Im €. 
Waadt waren nach der angef. Enquöte, ©. 41, unter 6159 genau be: 
leuchteten Faͤllen bei 40 Bor. derſelben Alter, Krankheit, wirthichafts 
liche Unfälle ıc., bei 38%/. Proc. Leichtfinn, Trägheit, Trunkſucht ıc., 
bei 15 Broc. Verlaſſen der Kinder dur bie Meltern oder umgelehrt, 
endlich bei 6/5 Proc. eine zu große Zahl von Kindern als Urſachen 
aufgezeichnet worden. 


8. 328. 

Die Zahl der Armen ift in verfchiebenen Ländern und 
Gegenden ein fehr ungleicher Theil der Volksmenge. Dieß 
erklärt fi aus der ungleichen Stärfe der angegebenen Urs 
fahen des Verarmens, $. 326. 327. Eine größere Menge 





— 39% — 


von Armen in einem Lande rührt vorzüglich von folgenden 
Umftänden her: 

1) Hohe Bevölkerung, bei welcher dad Mitwerben in allen 
Bewerben groß, der Lohn gering, die weitere Steigerung der 
Gütererzeugung langfamer und das Unterfommen neuer Arbeiter 
fhwierig ifl. Bei einer niebrigen Bevölkerung pflegt noch mehr 
Gelegenheit zur Betreibung folcher Gewerbe da zu fein, die 
weniger Wechfelfällen ausgeſetzt find (a). 

2) Eine Richtung ber Betriebfamfeit , die mehr zufälligen 
Beränderungen unterworfen ift, namentlich ein ausgedehntes 
Fabrikweſen und ein lebhafter auswärtiger Handel, während 
bei ber Erzeugung der nöthigften Güter für den inlänbifchen 
Bedarf feltener erhebliche Störungen eintreten, und bie Wahrs 
ſcheinlichkeit, fih in einem gewiflen Geſchaͤft fortzubringen, 
leichter zu beurtheilen ifl. In Babrifgegenben wechfeln Zeiten 
des MWohlftanded und ber Bebrängniß in flärferem Abflande 
mit einander ab, als in Gegenden mit vorherrfchhendem Land⸗ 
bau ober einem Gleichgewichte biefer beiden Hauptzweige bed 
Gewerbeweſens, I, 8. 395. — (db). Eine hohe Ausbildung 
bes Gewerbeweſens bringt zwar immer eine bäufigere Ver⸗ 
armung mit ſich und macht eine eifrigere Armenpflege noth- 
wendig, bietet aber zugleich durch dad größere Volkseinkommen 
im Ganzen audy reichlicyere Hülfsmittel zur Verſorgung ber 
Armen dar. 

3) Niedrige geiflige und fittlihe Bildung ber unteren 
Stände. 

4) Mandyerlei Staatdeinrichtungen, die dem Gewerbfleiße 
oder dem Ausgleichen zwiſchen Bedarf und Angebot von Ars 
beit in ben verſchiedenen Landestheilen oder Gewerbözweigen 
im Wege ftehen und bisweilen den Arbeiter abhalten, eine 
Beſchaͤftigung zu finden. 

5) Unbedachtſame Mildthätigkeit, welche zum Muͤſſiggange 
verleitet. 

Es iſt ſchwer, die Zahl der Armen genau zu ermitteln, 
weil diejenigen, welche von Privatperſonen unterflügt werben, 
nicht zur amtlichen Aufzeichnung gelangen und bei biefer die 
dauernd und vorübergehend unterflügten unterfchieden werben 
müflen. Sind die Einrichtungen in mehreren Ländern vers 


— 394 — 


ſchieden, fo laſſen ſich die Ergebniſſe der Armenſtatiſtik nicht 
mit Sicherheit vergleichen, fuͤr ein einzelnes Land aber kann 
man auch bei einer mangelhaften Aufzeichnung, wenn nur die⸗ 
ſelbe nach gleichen Regeln geſchieht, wenigſtens die Zu» und 
Abnahme der Menge von Armen erkennen und fchon dieß if 
lehrreich (c). 


(a) Im preuß. Staat beirugen 1849 die unterflüßten Armen 4,9 Rrocent, 


(8) 


(0) 


und zwar 
1,58 Bros. in Bofen, 
2,7% ss Preußen, bei einer Bevölkerung von 22— 2600. 
3,7 = = Bommen, 
4A : ss Weftfalen, 
4,1 : = Sachen, ⸗ ⸗ ⸗ s  4000—4300. 
5,9% = = GScleflen, 
5,8 = z Brandenburg =: = ⸗ ⸗3000. 
8,07, ss  s Rheinland ⸗ ⸗ ⸗ ⸗ 


5800. 
Die erſten 3 Provinzen haben die wenigſten Gewerke. In Branden: 
burg ohne Berlin waren’ 2,9 Proc. Arme. 


Sn den belgifhen Provinzen Oſt⸗ und Weſtflandern bat ber vermin⸗ 
derte Abſatz der Leinenwaaren bei einer ungewöhnlich angewachſenen 
Bevoͤlkerung eine große Verarmung veranlaßt. Man zählte 1846 in 
Oftflandern 11,9 Proc., in Wellflandern 21,6 Broc. fortbauernd Unter: 
fügte. Die ganze Zahl der Unterflübten belief fih 1847 auf 37, 1848 
auf 84 Proc, in den Bezirken Roulers und Xhielt war fle in ben 
beiden Sabren gegen 42 Proc. und Hier war 184648 bie Zahl der 
Geftorbenen doppelt fo groß als die der Beborenen (15287 und 7492 
in 3 Jahren), fo daß die Einwohnerzahl von 184650 ınn 9370 ab: 
nahm. Gine ähnliche Erſcheinung Hat ſich im fchlefiihen Gebirge ges 
zeigt, wo zu ber algemeinen Abnahme des Berbrauhs von Leinwand 
wegen der Rärteren erbeeitung der Baummwollenzenche das Zurückblei⸗ 
ben des Leinbaues, der Flachsbereitung und ber Spinnerei hinter ben 
Leiftungen bes britifchen und belgifchen @ewerbfleißes Dinautraf. &s 
zeigte ih, baß bei dem beſtehenden SKleinbetriebe dieſer Gewerbe weder 
die Verarbeiter des Flachſes, noch die Auffäufer und Berfender ber 
Zeinenwaaren den %ortichritten der Gewerbsfunft gefolgt waren. Der 
verminderte Abſatz bdrüdte den Berbienft der Spinner und Weber herab 
und die Armuth nahm in beunruhigendem Daapıe 3 Kries, Ueber 
die Derhältniffe der Spinnerei und Weberei in Schleflen, Breslau, 
1845. — v. Minutoli, Die Lage der Weber und Spinner im 
ſchleſ. Gebirge, Berlin 1851. — In Frankreich haben 9 fabrikreidge 
Dep. 12/4 Fibe 16 vorzuͤglich landbauende 7 Proc. Arme. — In 
England verhält es ſich aber anders. Im D. von 1850 u. 51 betru⸗ 
gen die Armen ungefähr 

4,% Proc. in 5 Grafſchaften, In denen die Metallverarbeitung vor- 

zügli verbreitet ift, “ 
5,85 sim den Kae Cr. Durham und Northumberland, 
5,1% in 6 Srafichaften, in denen viel gefponnen, gewoben unb 
ewirkt wird, . 
7 s in 18 verfchiebenen Ianbbauenden Grafichaften. 


Die amtliche Armenzahl kann weit hinter der wirklichen zurüdhleiben, 
wenn aus Öffentlichen Baflen aus Mangel an Hülfsmitteln oder an 
Gifer wenig geſchieht. Der Beitpunct, Nr welden bie Aufzeichnung 











— 89 — 


ie dauernd beſtehende u. f. w. 


Sn Sngland und Wales nahm man für 1803 12, für 1815 
13 Proc. Arme an. Die neueren amtlichen Angaben find ziemlich zu⸗ 
verläfflg, weil die Armenpflege zufolge geießlicher Verpflichtung von ben 
in jedem Kirchſpiel und größeren Armenbezirkte (Union) beflellten Be 
börden geübt wird, doch flehen nicht alle Drte unter der durch bie 
neuen Geſetze geftalteten Armenpflege und die Nachrichten werden nicht 
immer von allen Bezirken gegeben. In 580 Unionen waren am 1. Juli 
1848 893 743 Arme, im nämlichen Zeitpunct 1849 827919 Arme. — 
Rah der Binmwohnerzahl diefer Bezirke in Dergleih mit der ganzen 
Volksmenge vermutbete man, daß in den übrigen Theilen von Gngland 
und Wales an beiden Beitpuncen noch 183359 und 169877 Arme, 
alfo 20,5 Proc. weiter vorhanden geweien feien, fo daß die gefammte 
Menge der Armen 1077102 und 997 796 ober ungefähr 6,° und 6,2 
Proc. det Volksmenge betrug. In 602 Unionen war die Armenzahl 
zu Anfang des Jahres im D. von 1849 und 50 956334. Die Zahl 
im ganzen Lande war muthmaßlih durchſchnittlich noch größer unb 
beliet fi) demnach auf 6,87 Proc. der Volksmenge. Second annuäl 
report of the poor law board. 1849. ©. 9. Man fleht Hieraus, daß 
bie zu verfchiedenen Zeiten und aus einer verfchiedenen Zahl von Unionen 
angegebene Armenzahl nicht ein gleicher Theil des ganzen Armenflandes 
iſt. Dagegen if au die Zahl der Unionen nicht volig maßgebend, 
denn ed werden von Jahr zu Jahr Ältere Unionen gefpalten und dar⸗ 
aus neue gebildet. Daher bürfen bie Häufig benugten Angaben über 
bie engliihen Armen nur als annähernd richtig angefehen werden. 
Ganz genau find Nachrichten über die Beränderungen in einer gleichen 
Zahl von Unionen, 3. B. 
606 U. 1. San. 1850 931328 9.| 623 U. 1. San. 1854 796081 9. 

51 


genommen wird, giebt oft zufällig eine größere ober Fleinere Zahl, als 


862749 > 55 810983 ⸗ 

alſo Abnahme 68579 = Bunahme 14902 > 

616 U. 1. San. 1852 800172 s | 624 U. 1. San. 1855 812954 » 
63 743649 > 56 795111 = 

Abnahme 56523 ⸗ Abnahme 17843 > 


Wenn in bdiefen Angaben die Bezirke ungeachtet ihrer vermehrten 
Anzahl ganz diefelbe Flaͤche umfaflen, wie es wohl zu vermuthen ifl, 
fo ıft im Ganzen eine Verringerung von ungefähr 15 Procent des an⸗ 
fänglichen Standes von 1850 anzunehmen, und da bie Abweichungen 
nicht ge fein koͤnnen, fo ift eine Harfe Berminderung außer Zweifel. 
Der D. 185558 giebt gegm 4, Proc. 1862 erſtreckte fich die Ar- 
menpflege des neuen Syſtems auf 647 Unionen und einzelne Kirchfpiele 
ober im Ganzen auf 14451 Kirchſpiele, und es gab noch 286 nicht 
inbegriffene mit 269790 Ew. Die Zahlen für 1862 zeigen 4,7 Proc. 
Arme in Gngland, 4 in Schottland, 1,5 in Irland, 3,9 Proc. im gan: 
zen Reiche. 


In Schottland waren 1849—61 i. D. 78487 Arme oder 2,6 Pr. 
der Bollömenge. In Srland zählte man 
Anfang 1849 620747 m 9,5 Proc. 
50 307970 47 5 
51 209187 3,3 ⸗ 
54 106802 1,6 ⸗ 
55 86819 1,3 s 
der Bol von 1851. Im D. 185964 waren nur 46 806 Arme 
ober 0,8 Proc. der Beilszagl von 1861. 


— 396 — 


Ä Aus Frankreich giebt de Watteville, Rapport à 8. Exe. 
‚le Ministre de l’interieur sur l’administration des bureanx de bienfai- 
sance, Paris. 1854, ausführliche Nachrichten, allein fle beziehen fih nur 
auf diejenigen Gemeinden, in denen Armencaflen und amtlihe Armen: 
pflegen (bureaux de bienfaisance) beflehen und welche zufammen 
16°522000 Binwohner haben. Der Verfaſſer betrachtet daher die auf: 
gezeichneten Armen im Verhaͤltniß zu der Ginwohnerzahl der Orte, in 
welchen eine Armenverwaltung eingerichtet ift, während man früher die 
amtlih angegebene Armenzahl mit der ganzen Bolfsmenge verglichen 
hatte. Wie viel Arme in den übrigen Gemeinden angetroffen werden, 
bieß if gänzlich unbefannt, allein wahrfcheinlich find fie weniger zahl: 
reich, weil ſich annehmen taßt, daß da ein Bureau errichtet wird, wo 
fih ein flarfes Bebürfniß zeigt. Watteville wendet die Verhältnig: 
gahten, welche für bie aufgeführten Gemeinden gefunden find, auf ganze 

epartements und ganz Franfreih an, wofür fie offenbar zu hoch find. 
Dagegen würde man ein zu geringes Berhältniß erhalten, wenn man 
die aufgezeichneten Armen als die einzigen annehmen und als Duote 
der ganzen Ginwohnerzahl berechnen wollte. Die Wahrheit liegt offen: 
bar in der Mitte. Beifpiel: Eotes du Nord Hatte 1847 628526 Gw., 
wovon in den Gemeinden mit Armenpflege nur 123576 Ew. waren. 
Diefe hatten 19954 Arme oder 16, Proc. Bon der ganzen Gin: 
wohneraaht betragen diefe Armen nur 3,17 Proc. Wollte man, da die 
erfte Zahl für das ganze Dep. wahrfcheinlih zu groß, die 2. offenbar 
zu Klein ifl, das Mittel nehmen, fo erhielte man 9,6 Proc. 


Für ganz Frankreich giebt Watteville's Ausmittlung 8,9 Proc, 
Die bekannte Armenzahl beträgt von der ganzen Volkomenge 3,9% : 


Mittel 5,59% Proc. 


Gewiß if alfo nur die Armenquote in einem Theil von Frankreich, 
unter ber Hälfte der Ginwohner, und in Ermangelung weiterer Rad 
rihten muß man fich hiermit begnügen. Die Gemeinden , weldye Ar: 
menpflegen befigen, find auch fehr ungleich vertheilt; fie enthalten 3: B. 
im Dep. Nord 96, Bar 70, Arritge 59, Cure 29, Cotes du Nord 
19 Proc. aller Einwohner und diefe Reihenfolge der 5 Dep. trifft mit 
der Armenquote nicht überein, indem diefe in den genannten Dep. 's, 
Yan, Yo, Yo und 95 beträgt. 


Nah de Watteville (S. 63) findet fih 1 Armer 
auf 9 Einw. in 14 noͤrdlichen Dep. 
11 : s 17 weftlihen Dep. ; 
4 ⸗ s 15 öftlihen und 21 mittleren Dep. 
⸗ s 18 füdlidhen Dep. 


Die beiden Grängpuncte bilden 1 auf 42 im Dep. Bar, 1 auf 5 im 
Dep. Nord. Allgemeiner Durchſchnitt ift 1/ıa oder 81/5 Proc., ganze 
Armenzahl 1329659. De BilleneuvesBargemont fehte diefelbe 
1829 auf 1586340, und weil er fie auf die gefammte Bolfsmenge 
bezog, erhielt ex ao. — Dep. Niederrhein 8,2 Proc. Arme, Reboul. 


Auch in Belgien bietet die ausführliche Armenftatiftik keine völlige 
Genauigkeit, denn manche Perſonen lafien ſich in die Liſten eintragen, 
ohne Unterflügung anzufprechen, bloß weil fie dadurch Erleichterung 
von ande Ausgaben erlangen, au find die Unterflüßungen im 
Berhältniß zur angegebenen Armenzahl fo Hein, daß fie Feine weſent⸗ 
fihe Huͤlfe gewähren fönnen, in ber Prov. Namur 3,30 Fr., im gan: 
zen Lande 71/, Fr. Man erachtet daher die Zahlen für zu groß unt 
hält fid lieber an die Zahl ter wirklich und das ganze Jahr hindurch 
unterflüßten. Nach dieſer betragen die Armen 














— 397 — 


21,1% Proc. Beftflandern, 6,77 Proc. Lüttich, 

11,8 = Oftflandern, " 4,9% = Antwerpen, 

783 = Hennegau, 3,2% =: Namur, 

7,4% = Brabant, 0,53 = Luremburg, 

7,® = Limburg, 9,16 s im ganzen Gtaate. 


Situation, III, 262. 
he rreid (ohne Ungam) hatte 1850 g. 2,' Proc. (v. Stuben; 
rauch). 


Im preußiſchen Staate wird die Unzulaͤnglichkeit der ſtatiſti⸗ 
ſchen Angaben gleichfalls anerkannt, weil die beſonders in groͤßeren 
Städten betraͤchtlichen Leiſtungen ber freien Wohlthaͤtigkeit durch Ein⸗ 

ne und Vereine nicht aufgenommen werden können, auch in den oͤſt⸗ 
ihen Theilen bie unvolllommene Armenpflege bie Urſache ift, daß ein 
Theil der Armen nicht unterflügt und folglich nicht aufgezeichnet wird. 
Die Hauptergebniffe der amtlichen Armenpflege find in (a) mitgetheilt, 
der allgemeine Durdfchnitt war 1 auf 20,% oder 4,% Proc. In den 
einzelnen Regierungsbezirfen haben die wenigften A. Bromberg (0,86 Br.), 
Marienwerber (1,7, Köslin (1,n, Boten (1,%), Gumbiunen und 
Frankfurt (2,9), die meiften Berlin (15,3), Köln (11,6), die 4 andes 
ren rheinifhen Bezirke (zwiſchen 8,? und 7,1 Proc... Dieterici, 
Tabellen, IV, 434. 

In Sardinien (Belland) war 1839 die Zahl der außer den 
Armenbäufern Unterflügten 6,% Proc. der Bollsmenge. — Im dänis 
fhen Staate waren nach den Bolfszählungen von 1845 u. 1855 3,39 
und 2,! Proc. von Almofen Lebende, insbefondere in Holflein 3,74 u. 
2.5, Schleswig 5,% und 2,3, im eigentlichen Dänemark 2,8 und 2 Pr., 
im ganzen Staate 1855 in den Stadten 1,%, auf dem Lande 2,17 Pr. 
(David) Ginleit. zu dem flatiftifchen Tabellenwerfe, ©. 55, Kopenh. 
1857. — RNaſſau hatte im 3. 1818 3 Pr., Waadt nah Berger 
12,3 Pr., nach der Enquäte 10,° Br. 


$. 829. 


Auch die Zeitereigniffe haben auf die Armuth mächtigen 
Einfluß, indem biöweilen in dem Gewerbeweſen große Verän- 
derungen vorgehen, die einem Theil ber Arbeiter ihre Beſchaͤf⸗ 
tigungen entziehen. Im 16. Jahrhundert fcheint dieß in bes 
trächtlihem Grade der Ball geweſen zu fein, wie man aus ben 
in mehreren Laͤndern gleichzeitig neu ergriffenen Maaßregeln 
fhließen Tann (a); die Urfache diefer Erfeheinung ift aber nicht 
fowohl in der Aufhebung der Clöfter, ald darin zu fuchen, daß 
bei dem Steigen aller Waarenpreife gegen dad in Europa ſich 
mehr anhäufende Geld der Arbeitslohn nicht verhältnigmäßig 
in die Höhe ging und deßhalb die Lage der arbeitenden Claſſe 
fi) verfchlimmerte (6). In England gab die Zufammenziehung 
der in vielen kleinen Stüden zerftreut gewefenen Ländereien zu 
größeren Befigungen noch eine befonvere Beranlaffung, die ſich 
im 19. Jahrhundert in Irland wiederholte (c). Die großen 


— 358 — 


Bewegungen, welche feit der franzöfifhen Revolution bie euro: 
paifchen Staaten erfchütterten, mit den überaus Foftbaren Krie 
gen, den vermehrten Staatölaften, ben Veränderungen im 
Länderbeftande und im Gange des Hanbeld haben auf ähnliche 
Weiſe gewirkt und dad Bebürfniß einer doppelt forgfältigen 
Armenpflege hervorgerufen. Die Friedenszeit feit 1815 hat bie 
Gütererzeugung und den Wohlftand ber europäifchen Bölfer 
unverfennbar erhöht, indeß wurde durch ben rafchen Anwachs 
der Volksmenge, dad freiere und regere Mitwerben in allen 
Geſchaͤftszweigen mit Hülfe einer hochgefteigerten Gewerbskunſt, 
durch die Anhäufung großer Capitale in den Händen Weniger, 
buch die fihnelle Ausdehnung mandyer Gewerkszweige unter 
dem Einfluffe des Maſchinenweſens, durch bie von ben Zoll: 
einrichtungen bewirften Störungen im Abſatze ꝛc., in manchen 
Ländern auch zugleich eine auffallende Vermehrung ver Armen 
veranlaßt (d). Auch die Ereignifle der Jahre 1848 und 1849 
haben in einem Theile von Europa, indem fie Stodungen bes 
Abfaged und Lähmung des Bredited verurſachten, ungünftig 
auf den Stand bed Armenweſens gewirkt, befonderd da das 
öftere Mißrathen der Kartoffeln und der Halmfrüchte feit 1845 
zugleih den Unterhalt vertheuerte. Die lebten Jahre brachten 
durch die Vermehrung der Gewerböunternehmungen einen ftärs 
feren Begehr von Arbeit hervor, ber die Erwerblofigfeit bes 
trädhtlich verminderte. Bon Jahr zu Jahr treten im Armen: 
ftande Schwanfungen ein, die hauptjächlich den Preiſen ber 
Kabrungsmittel und dem wechfelnden Abſatze ber Gewerbe zus 
zufchreiben find, vgl. 8. 426 (A). 

(a) In Spanien erfhienen 1545 Streitfchriften über bie Brundfähe ter 
rmenpflege, von dem BenebictinersAbte Joh. von Medina in Gala: 
manca und dem Prior Dominicus de Soto, f. de Görando, |], 
XIV. Sn Spanien und den Niederlanden dachte man unter Karl V. 
zuerfi an Nrbeitshäufer, fie wurden im erſteren Lande 1598 — 
nachdem ſtrenge Maaßregeln gegen das Ueberhandnehmen des eins 
getroffen worden waren. — Heinrich VIIL erließ in demſelben Jahre 
(1536) eine nachdruͤckliche Berordnung ageaen bartnädige Bettler und 
für die Berforgung der Armen durch Almofen, in weldem fpäter bie 
Aufhebung der Slöher befchlofien wurde. Edinburgh Review, XXII. 
184. (1814). 1562 wurde zuerſt in England eine Zwangsabgabe für 


die Armen gefordert. — Aehnliche Beſtimmungen in ber Beiche:Boli 
Ordnung von 1577, Tit. 27. s ’ * 


(6) In Getreide ausgedrückt, war der Arbeitslohn in England unter Blifa 
beth nicht Halb fo hoch, ale in der Mitte des 15. Jahrhunderte. 


() 


(d) 


— 39 — 


Unter Heinrich VIL und VII. eiferten mehrere Verordnungen egen 
bas Nicherlegen von Ader zur Weide und bie Berflörung ber 5 fe. 
1535 verbot Seinrih VIII, daß SIemand über 2000 Schafe Hielte. 
Slifabeth gab die Zufammenlegung der Ländereien frei, woburd eine 
Anzahl von Landleuten nahrungelos wurde und fih a niblig zu ben 
Bewerten hinwendete. Vgl. Quarterly Ber, März; 1826, ©. 249. 
Edinb, Bev. XLV, 48. (Dee. 1826.) 


Bei dem Streite, ob in unferem Seitalter, namentlih in Deutfchland, 
eine zunehmende Derarmung fattfinde, muß man zuvörberft anerfennen, 
dag das Bolfseinlommen im Ganzen vermehrt bat, fo daß auf 
jeden Kopf ein größeres Guͤtererzeugniß kommt, als vorher, obfchon 
die Bolfsmenge in Deutidhland jeit 1815 bis 1852 von ungefähr 28 
bis 29 auf 43, Mill., alfo um 52 Proc. angewachſen if. Bin fo 
Rarker, ununterbrochener Fortfchritt ber Ginnehneget ift in früheren 
Beiten wohl felten vorgelommen , und dennoch fcheint, aus dem größes 
ven Verbrauche und Genuffe zu fchließen, das Guͤtererzeugniß fi noch 
ſtaͤrker erweitert zu haben. Es ik ſchwer, verfchiebene Zeitalter in Be: 
zug auf die Ausdehnung und Bertheitung des Bütergenufles zu vers 
gieiden. Sn früheren Zeiten verballten viele Seufzer der Armen und 

edrüdten ungehört. Manche Thatjachen führen jedoch auf bie Vers 


. mutgung, daß bie Zahl der Armen ehemals Hie und da fehr anfehnlich 


geweſen fei, und von der Menge der Bettler und Landftreicher ift dieß 
nicht zu bezweifeln, f. $. 327 (d) und Biedermann a. a. O. — 
Die vielen Fehden, Bedrüdungen und Gewaltthätigfeiten, der Mangel 
an polizeilichem aa egen vielerlei Unfälle, bie Schwierigkeiten und 
Gefahren ber Fo hafınz von Waaren und aljo des Arbeitens für 
entfernten Abfaß ıc. mußten viele Familien nahrungslos machen. In 
England fhägten Ring und Davenant die Armen auf mehr als 1, 
der Einwohner. Die Armenfteuer flieg auf Ye ihres Keutigen Beitrags, 
die Bolfsmenge war unter 1/5 ber jehigen, und nad dem Lohnſatze zu 
Schließen, empfin ein Armer ungefähr halb foyiel ale heutiges Tages, 
es ift alfo eine Härfere Armenquote zu vermitben, Mac Aulay, Hist. 
of E, I. 414, Zaudhnig. Die geringe Kenntniß des Älteren Armens 
weſens erklärt ih aus ber derfplitterten und regellos geübten Armens 
pflege, die Menge der wohlthätigen Stüitungen deutet aber ſchon auf 
ein lebhaft empfundenes Bebürfniß. Durch forgfältiges Sammeln zer⸗ 
fireuter Nachrichten wird vielleicht die Meinung, daß die häufige Armuth 
ein Uebel neuerer Zeit fei, voRfländiger widerlegt werden fönnen. Sin: 
deß if das gewohnte Maaß der Beduͤrfniſſe größer geworden und eine 
Gntbehrung erregt jetzt fchon Klagen, die man fonft leichter ertrug. 
Daß die Anzahl der Armen fich ebenfalls vermehrt hat, ift ſehr natürs 
lich und nicht beunruhigend. Zwar läßt fi ohne mühjame Unter 
fuhungen nicht angeben, in welchem Verhaͤltniß bieß geichehen if, 
aber im Allgemeinen, abgeiehen von Erſcheinungen in einzelnen Gegen⸗ 
den, darf man darauf bauen, daß die Eapitale und die Gewerbes 
efchicklichkeit hinreichend zugenommen haben, um die Mittel zur Bes 
—*— ung aller —* darzubieten. Gleichwohl iſt viele geiſtige 
und ſittliche Kraft der Cinzelnen und viele Sorgfalt der Regierungen 
nöthig, um bei der künſtlichen Ausbildung des Nahrungsweſens, wobei 
das — — vieler Familien von ſehr unficheren Erwerbsquellen und 
einer hoͤchſt haushaͤlteriſchen Lebensweiſe bedingt wird, die heutige Ber 
völferung vor den Leiden der Armuth fo viel als möglich zu bewahren. 
Bl. Baur, Sf die Klage über zunehmende Berarmung und Nabe 
rungslofigkeit in Deutſchland gegründet ıe.? Gekroͤnte Preisihr. Erfurt . 
1838. — Kolb, JR die Klage u. |. w.? 2te A. Speyer, 1837. — 
Benedict, IR die Klage u. f. w.? Leipzig, 1838. — Schmitt, 


— 405 —— 


Ueber die Zuftände d. Verarmung in Deutfhl. Zittau, 1837. — von 
Poſeck, Denkſchrift über die zunehmende Nahrungsloſigkeit und die 
Mittel zu deren Abhülfe. Eſſen 1841. — Unläugbar find mande 
fleinere Städte in Deutihland im Berarmen, $. 327 (e). Solde 
partielle Störungen bei allgemeiner Bunahme des Wohlſtandes find zu 
allen Seiten wahrgenommen worden ; fie verdienen indeß darum, weil 
im Ganzen eine Ausgleihung zu erwarten ift, nicht minder eine hoͤchſt 
forgfältige Erwägung, um die pafiendften Heilmittel des Leidens aus: 
fnbig au machen. I. Gans, Ueber die Urfahen und Wirkungen 
der ETarmUNg der tädte und des Landmanns im nördl. Deutid: 


land, 1831. e letzten Jahre zeigen günftigere Erſcheinungen. 


330. 


Ein Zuftand, in welchem zwifchen der Volksmenge eine} 
Landes und den vorhandenen Mitteln zur Ermwerbung bed Un 
terhalts ein Mißverhältnig befteht und deßhalb ungewöhnlid 
viele Arme, namentlich viele erwerblofe, vorhanden find, fo daß 
die Güterquellen nicht zureihen, allen Einwohnern Beſchaͤfti⸗ 
gung und genügended Einfommen zu gewähren, fann auf 
doppelte Weife eintreten, nämlich eben ſowohl durch eine Vers 
minderung der Gütererzeugung (3. B. durch Abfabftodung, Ab⸗ 
nahme bed Capitals ıc.) und folglich des gefammten Einkom⸗ 
mens, als durch eine allzu rafche Volkövermehrung. Der erfle 
Hal ift die Folge von großen Unfällen (3. B. ſchweren Kriegen 
ober bürgerlichen Unruhen, Berfchließung auswärtiger Abfap- 
wege ıc.), woburd ber Wohlftand zerftört wird, indeß werben 
die nachtheiligen Wirkungen folcher Ereigniffe durch den Ge⸗ 
werbfleiß ber Bürger unter einer guten Regierung mit ber Zeit 
wieder aufgehoben. Im zweiten Bale wird biefer Zuftand 
Webersölferung genannt (a). Er dauert fo lange fort, 
bid die zu ſtark angewachfene Volksmenge durch Auswande⸗ 
rungen, erhöhte Sterblichkeit oder Abnahme der Heirathen und 
Geburten wieder auf dad nüglicdhe Maaß zurüdgebradht ift, oder 
neue Erwerböwege in hinreichendem Umfange angebahnt werben. 
Indeß waͤchſt die Volfdmenge in ber Regel nur in gleichem 
Schritte mit der Gelegenheit, Unterhalt zu finden ($. 12. 13), 
und wird von der zunehmenden Schwierigkeit, eine Yamilie 
durch Arbeitöverbienft zu ernähren, in einer gewifien &ränze 
gehalten. Se verfländiger die Arbeiter find und je mehr fie 
fih an einen Brad von Wohlleben gewöhnt haben, ber fie vom 
leichtfinnigen Heirathen abhält (I, $. 196), deſto mehr bient 








bad Berarmen Einzelner Anderen zur Warnung, und ein Leber 
maaf der Bolfövermehrung ift deßhalb nur ausnahmömeife, 
etwa bei zu eifriger Einmifchung der Regierung ($. 14) ober 
großer Unwifienheit, Genuͤgſamkeit und ſtarkem Leichtfinn in 
ber arbeitenden Claffe zu beforgen. Findet fidy die Ueber⸗ 
völferung nur in einem einzelnen Landestheile, fo ift eine Ab⸗ 
bülfe leichter. 


(«) Bol. die in $. 11 (0) genannten holländifchen Preisfchriften. 


Zweite Abtheilung. 
Berbütung der Armuth. 


$. 331. 


Daß es der Stantöflugheit fo wie ber Menfchenliebe mehr 
entipreche, die Armuth zu verhüten, als fie, wenn fie ſchon 
eingetreten ift, zu mildern, ift hoͤchſt einfeuchtend. Es ift auch 
in vielen Faͤllen leichter und mit geringeren Koſten verbunden, 
dem Uebel vorzubeugen, als es zu heilen, und oft gelingt «8 
nicht, alle verberblichen Holgen ber Armuth wieder zu entfernen. 
Diefe Wahrheit hat, ungeachtet ihrer hohen Wichtigkeit, erſt in 
ber neueften Zeit ihre völlige Anerkennung gefunden. Nachdem 
bieß gefchehen war, fühlte 'man fich aufgefordert, den weiten 
Kreis von Maafregeln und Einrichtungen zu überbliden, welche 
zur Verhütung der Armuth irgendwie beitragen. Eine Anleis 
tung zu bdiefer Unterfuchung ergiebt fi aus ber obigen Auf 
führung der Armuthsurſachen, 8. 326 ff. Viele Schriftfteller 
und viele wohlthätige Vereine (a) haben ſich mit diefer Auf 
gabe beſchaͤftigt. Es kann aber nicht alled basjenige, was ſich 
in Bezug auf diefen Zweck zufammenfaflen läßt, in einer geords 
neten Darftellung der Volkswirthſchaftopflege bei biefem Abs 
fchnitt abgehandelt werben, weil darunter viele Manpregeln bes 
griffen find, die zunaͤchſt auf einen anderen Zweck gerichtet find 
und nur mittelbar ihre Wirkungen auch auf die Bermindes 


rung bed Verarmens erflreden. Solche entferntere, Ber, 
Rau, yolit. Defon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 


— 402 — 


bütungsmittel, bie bier nur überfihtlich genannt werben 
tönnen, find von verfchiebener Art und liegen in verſchiedenen 
Gebieten der Thätigfeit. 

1) Die Sorge für die Bildung bed Volkes durch An 
ftalten des Staats, der Kirche und der Privatvereine ift von 
großem Einfluß auf den Stand der Armuth, indem durch Ent 
widlung des Berftandes, Mittheilung nütlicher Kenntnifle, 
Befeſtigung fittlicher Grundfäge und aufrichtiger Gottesfurcht 
die Urfachen der verfchuldeten Armuth (8. 327) wirkfam bes 
fampft, dagegen Fleiß, Mäsßigfeit, Sparfamfeit zc. befördert 
werben (b). 

2) Die Schuppolizei befördert Gefundheit und Lebens 
dauer der arbeitenden Claſſen auf manchfaltige Weife, verftärkt 
hieburch deren Erwerbethätigfeit und überhebt fie vieler beſchwer⸗ 
licher Ausgaben, $. 326 Nr. 2. — (ec). 

3) Manche Anordnungen der Volkswirthſchaftspflege 
zur Beförderung der Gütererzgeugung, der Vertheilung unb ber 
zwedmäßigen Verzehrung ‚tragen neben ber Grreichung dee 
nächften Zweckes auch dazu bei, die Zahl der Armen zu ver 
mindern. Wirb der Zutritt zu den Gewerben und ber Ber 
fehr erleichtert, der Anbau des Landes befördert, die Geſchid⸗ 
lichkeit und Kenntniß ber Arbeiter vermehrt, neuen Unterneh 
mungen eine Ermunterung gegeben, bie DBerficherung gegen 
verfchiedene Unfälle gut geleitet ıc., fo entficht daraus auch 
eine ausgebehntere Gelegenheit, durch die Arbeit fich ein zu 
reichendes Einkommen zu verfchaffen (dFy. Was bie Gefahr 
eines übermäßigen Anwachſes der Volksmenge betrifft, fo kön 
nen leichtfinnig gefchloffene Ehen nie ganz verhütet werben, 
wenn man nicht auf Koften der Sittlichfeit und der Production 
das Heirathen allzufehr erfchweren will, 8.15. Die Beſonnen⸗ 
beit der Heirathsluſtigen ſchuͤtzt am beften gegen jenes Uebel, 
diefe Herrfchaft des ruhigen Verſtandes über bie Leidenſchaft 
befeftigt fih aber nur langfam bei ber Zunahme der allgemeinen 
Bildung des Volkes, $. 330 — (e). Auch die Ermunterung zum 
Sparen, welche zunächft zu der Sorge für bie Berzehrung 
(3. Buch) gehört, trägt viel bei, um die Armuth abzuhalten, 
da die Freude an Erfpamifien ben Fleiß fleigert und bie er 
übrigten Summen bei einer Stodung des Erwerbes ober ver- 


größerten Ausgaben in Folge von Unfällen ıc. eine erwünfchte 
Hülfe gewähren. Die Spars und Berforgungscafien erſtrecken 
zum Theile ihre Wirkfamfeit über verfchiebene Volköclaffen, zum 
Theile find fie vorzüglich für diejenigen beflimmt, welche am 
meiften in ber Gefahr des Berarmend ftehen, wie bie Lohn 
arbeiter ohne werbendes Vermögen. Soldye Anftalten Fönnten 
daher füglich hier in Betracht gezogen werben, body erfcheint 
es ziwedmäßiger, ſaͤmmtliche Caſſen, welche Erſparniſſe aufneh- 
men und zum Vortheil der Theilnehmer verwenden, mit Aus⸗ 
nahme ber Huͤlfocaſſen (ß. 334 a) im Zuſammenhang mit ein⸗ 
ander im 3. Buche abzuhandeln. 


(a) Namentlich auch die Congreſſe in Brüflel und Frankfurt, F. 324 (4). 


(6) Laͤnder, in denen fein Schulzwang eingeführt iſt, ſtehen in Anſehung 
der allgemeinen Bolkebildung denjenigen nad, welche jene geiegliche 
Anordnung befißen, wie die deutihen Staaten. — Hieher gehören audy 
bie Vereine gegen das Branntweintrinken, nachdem zuerſt Hufeland 
(Ueber die Vergiftung durch Branntwein, 1802) die Ichlimmen Folgen 
diefes Getraͤnkes eindringlich geichildert hatte, vgl. $. 327 (2). Ent: 
baltfamfeitsvereine durch Pater Mathew in Irland und @roßbrita- 
nien, — Bereine im 8. Hannover und im preuß. Staat (feit 1837), 
Schreibershau und Berlin, mit vorherrfchend religiöfer Richtung, vergl. 
UL, $. 438 (a). In Irland verminderte fih i. D. 1840—44 durch die 
Bemühungen des Mathew der Branntweinverbraud auf 61 Proecent 
der in den 5 früheren Jahren verzehrten Menge, zugleih minderten 
fih die ſchwereren Verbrechen auf 72, die ſchwerſten auf 50 Broc. 
2ees, Congrös de Brux. IL, 264. — Diefer Begenfland Bat zugleich 
eine wichtige polizeilihe Seite, nämlid in Hinfiht auf Geſundheit. 
Mehrere Staaten der norbamericanifchen Union (zuerfi Maine, 2. Suni 
1852) haben den Verkauf des Branntweins zu verbieten gefucht, jedoch 
mit fehr unvollfländigem Erfolge. Minder gewaltfam und wirffamer 
find die Beſtrafung der öffentlich erfcheinenden Trunkenheit, die Ber 
fhränftung in der Zahl der Branntweinfchenfen, das Berbot, den Lohn 
in der Schenke auszubezahlen oder über einen gewiflen nievrigen Be 
tung geiftige Getränke auf Borg zu "verabreichen, oder wenigftens bie 
Unflagbarteit folher Schulden. Das in der Schweiz vorlommende 
Berbot, daß Trunkfüchtige die Schenke befuchen, ift ſchwer zu vollziehen. 
Enquete ... dans le C. de Vaud, II, 220. 239. — Ueber bie Maaßs 
segeln gegen Berfchwender |. $. 361. — Das würtemb. Bolizei-Strafs 
—**8 rt. 21 ff., enthält Beſtimmungen gegen bie Aſotie, d. h. 

eine Lebensweiſe, durch die man ſich wirthſchaftlich zu Grunde richtet, 

Trunf, Spiel und Müffiggang ꝛc. Vgl. Congrös de Brux. I, 21. 287. 

488. IE, 274. Auch der Frankf. Eongreß empfahl nur im Allgemeinen 

diefen Begenftand der Sorgfalt der Staatsbehörden. 


(e) Sorge für gute Beſchaffenheit ber Nahrungsmittel der Miethwoh⸗ 
nungen, der Luft in den Wohnplägen ıc. (vgl. $. 203), — gute Krans 
kenanſtalten. 


(d) Celui qui n’a rien, et qui a un metier, n’est pas plus pauvre que 
celui, qui a dix arpens de terre en propre et qui doit les travailler 
pour subsister. L’ouvrier, qui a donnö à ses enfans son art pour hé- 

26* 


— 44 — 


ritage, leur a laiss& un bien, qui s’est multipli£ & proportion de leur 
nombre. Il n’en est pas de möme de celui qui a 10 arpens de fonds 
pour vivre et qui les partage & ses enfants. Montesquien, 
Esprit des lois, XXIIL 29. — Bgl. Behandlungen der ſchweizeriſchen 
gemeinnüg. Geſellſch. IL, 88. 


(e) Malthus behauptet mit Recht (a. a. D., II, 174), man müfle Jedem 
begreiflih zu machen ſuchen, es ſei pflichtwidrig, zu heirathen, wenn 
man nicht die Wahrſcheinlichkeit des Fortkommens für eine Familie 
vor fih ſehe; aber er geht zu weit, wenn er verlangt N 225), ba 
man diejenigen, welche ungeachtet diefer Warnung leidhtfinnig geh 
rathet haben und veramt find, ihrem Schickſale, alfo der freiwilligen 
Beinahe ätigeit, überlaflen und auch ihre Kinder für die Unklugs 
heit der Aeltern mitleiden laflen folle. Die wäre eine unverantiworts 
ie und unzwedmäßige Härte. — In Frankreich Tlagt man bagegm . 
darüber, daß die Ghelofigkeit unter den Lohnarbeitern zu haͤufig if, 
weil fie in ledigem Stande fh mehr Bütergenuß verfhaffen fönnen. 
Es ift bemerfenswerth, daß in manden Familien die Armuth fih meh 
tere Menfchenalter hindurch fortfept, was bei volllommener Freiheit des 
Heiratbene am leichteſten geſchieht. Im C. Waadt fanb man unter 
den armen Familien 36,9 dene. unter den einzelnen Armen 34,° Bror. 

. Bälle erbliher Armuth, Enquöte, 1,37. — Bel. Reboul, ©. 191. 


8. 352. 


Zu ben näheren Berhbütungsmitteln bed Verar⸗ 
mens ($. 331) gehören vorzüglich die Leihanſtalten, welde 
den in Bebrängniß gerathenen Bamilien durch einen Borfchuß 
unter billigeren Bebingungen, als man fie in Notbfällen von 
Darleibern gewöhnlich erlangt (8. 323), zu Hülfe kommen. 
Wenn die Berlegenheit nur eine vorübergehende ift, bie Er 
werböfähigfeit und Ermwerbögelegenheit nicht aufhört ober wenig⸗ 
ftend wieder eintritt, fo ift jene Hülfe zur Aufrechthaltung bed 
Rahrungsftandes hinreichend. Die Yamilie wird der Nothwen⸗ 
digfeit überhoben, eine Armenunterftügung anzufprechen, ihr 
Ehrgefühl bleibt gefchont, fie behält das Bertrauen auf ihre 
eigenen Kräfte und wird angefpornt, mit verboppelter Anftten 
gung bie eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. In ande 
ten Gallen vermag freilich eine folche Darleihe die Armuth nur 
furze Zeit zu verzögern. Die Leihanftalten für Dürftige theilen 
fih in Pfanphäufer und Hülfsleihcaffen, je nachdem 
gegen fichere Fauftpfänber, ober auf Erebit geliehen wird (a). 

Die nächfte Hülfe für eine bebrängte Familie wird aus ben 
entbehrlichen Theilen ber beweglichen Habe (Fahrniß, Mobis 
liar) gefhöpft, welche in Zeiten eines reichlichen Einkommens 
vermehrt, in ſchlimmen Umftänden verpfändet ober verkauft 


— 400 — 


werden und die Stelle eines Sparpfennigs vertreten. Das 
Leihen auf Fauſtpfaͤnder, wenn es als Gewerbe betrieben wird, 
giebt jedoch gewinnfüchtigen Perfonen bie Gelegenheit, den 
Borgenden brüdende Bebingungen aufzuerlegen. Daher find 
öffentliche Leihs oder Pfandhäuſer oder Lombarde (d) 
fehr wohlthätig, indem fie dem Borgenden, weldyer noch eine 
Pfandficherheit darbieten kann, einen Vorfchuß gegen geringere 
Zinfen und mit geringeren Berluften geben und dadurch bie 
Berarmung bald ganz abwenven, bald wenigſtens eine Zeit 
lang aufhalten. Als Schattenfeiten der Pfanphäufer betrachtet 
man, baß fie eine Ermunterung zum Diebflahl bilden, weil 
bei vielen Anftalten, um den Borgenden dad Schaamgefühl zu 
eriparen, nicht nach Ramen und Eigenthumsrecht des Ueber⸗ 
bringerd einer zu verpfändenden Sache gefragt wird, — und 
baß fie wegen ber Leichtigkeit bed Borgens eine flarfe Vers 
ſuchung geben, für unnöthige Ausgaben, zu Prunf und Ver 
gnügungen, Schulden zu machen (c). Diefe Nachtheile find 
unläugbar vorhanden, indeß laäßt ſich ber erftere vermindern und 
ber zweite wird von dem Nuten biefer Anftalten für die in 
Roth gerathenen Yamilien überwogen. Es wäre ſchwer zu 
rechtfertigen, wenn man diefen eine große Erleichterung ver 
fagen woüte, um ben 2eichtfinnigen bie Verſchwendung zu er 
ſchweren. Ueberhaupt giebt e8 wenige wohlthätige Einrichtun⸗ 
gen, bie nicht aud) zu einem Mißbrauche Gelegenheit darbieten. 
Diefen muß man, fo gut ed angeht, zu verhindern fuchen, aber 
feine Möglichkeit darf nicht von ber ganzen Cinridhtung ab» 
halten (d). Die Regierung hat folglich dafür zu forgen, daß 
in allen großen und mittleren Stäbten, wo dad Bebvuͤrfniß 
fühlbar wird, ſolche Leihhäufer errichtet und daß für biefelben 
allgemeine Borfchriften aufgeflellt werben, wobei jedoch den 
Ortsbehoͤrden geflattet bleiben fann, über einzelne minder we 
ſentliche Puncte verfchiedene Regeln zu geben. Einzelne gewerb- 
lihe Pfanpverleiher müflen, wenn fie gebuldet find, gewiſſen 
Borfchriften und einer forgfältigen Aufficht unterworfen werben, 
es ift jedoch befier, wenn ſolche Darleiher durch öffentliche Leih⸗ 
haͤuſer entbehrlidh gemacht werden (e). Die Grundzüge eined 
öffentlichen Leihhaufes find folgende (f): 


— 406 — 


1) Die Anſtalt ſteht entweder unter der Leitung und Ver⸗ 
bürgung‘ der Stadtgemeinde ober einer wohlthätigen Stiftung, 
oder auch einer Staatsbehoͤrde. Don dieſer vorgefehten Stelle 
wird dad nöthige Perfonal ernannt (9). Die reinen Ueber 
fchüffe werben einem wohlthätigen Zwecke zugewiefen (h). Es 
ift jedoch rathfam, fie auch zur Anfammlung eined Hülfever: 
mögend und zur Ermäßigung ber Leihzinfen zu benugen. 

2) Die erforderlichen Eapitale werden aud bein DBermögen 
einer gemeinnügigen Anftalt, 3. B. einer Spar» und Wittwen⸗ 
cafie, oder aus dem fläbtifchen Vermögen, ober von Privats 
perfonen verzindlidh aufgenommen. | 

3) Jedes übergebene Pfand wird von verpflichteten Schägern 
abgefhäst und man leiht dem Meberbringer befielben einen 
gerifien Theil von dem angefchlagenen Verkehrswerthe. Leicht 
verderbliche oder fchwer zu fchägende und aufzubewahrende 
Dinge werden nicht angenommen (3). Auf Waaren von fehr 
wandelbarem Marktpreife wirb ein Fleinerer Theil deſſelben 
gelichen (k). 


(a) Die VBorfhußvereine, um beren Ginführung und Nuebiltung 
Schulze⸗Delitz ſch fih ein großes Verdienſt erworben Hat, find von 
anterer Art. Ihre Beftimmung ift, daß Eleine Gewerbsleute, vorzüglid 
Handwerfsmeifter, durch Zuſammenwirken und gegenfeitige Haftbarkeit 
in den Stand gejeßt werden follen, Borfchüfle zu gewerblichen Zweden 
zu erhalten, fo daß fie von ber Beſchraͤnktheit ihres eigenen Capitals 
weniger in der Ausdehnung ihres Gewerbsbetriebes gehindert wer⸗ 
den, ohne die Wohlthätigfeit in Anfprud nehmen zu müflen; rund; 
fap der Selbſthülfe. Die Mitglieder zahlen regelmäßig Feine Bei 
trage (monatlich in Eleinen Stäbten mindeftens 5, in größeren 10 Sgr.), 
aus denen ihnen ein Guthaben anwähfl. Diefe und die Haftbarfeit 
Aller für Alle (Solidarität) geben den nöthigen Credit, um auch Geld⸗ 
fummen zu borgen ; es werden den Mitgliedern Borfchüffe gegeben, für 
die, wenn fie den Belauf des Buthabene (Befhäftsantheile) 
überfleigen, bei Kleineren Summen auf die Zuverläffigfeit des Nachſuchen⸗ 
den geachtet, bei größeren Pfandficherheit oder Bürgfehaft verlangt 
wird. Für die Vorſchuͤſſe wird ein den Iandüblichen Fuß überfeigens 
ber Zins gefordert, dagegen ber jährliche Reinertrag des Vereins nad 
—* eines zum Hülfsvermögen (Reſervefonds) beſtimmten Theils den 
Mitgliedern ale Dividende gut gefchrieben, jo daß dadurch ihr Ge 

fhättsantheil anwähfl. In Deligfch 3. B. werden für. die Vorſchuͤſſe 

5 Proc. Jahreszins und */ı Proc. monatlih als Provifion gefordert, 

bie DBerzugszinfen find 10 Proc. jährlih. Diefe Bereine find alſo 

Leibbanten für die Mitglieder, mit Wechielfeitigkeit, und unter 

fheiden fih biedurh von ten Grebitgefellfchaften ($. 312 c), die das 

Ausleihen an Nichtmitglieder und mancherlei andere Verwendungen des 

Gapitals als SGewerbögeichäft betreiben. Die Borfchußvereine find für 

ben Handwerker von großem Nutzen, befonders ba fie auch eine Er⸗ 

munterung zu Grfparen darbieten und das Selbfigefühl des Gewerbe⸗ 


(2) 


mannes erhöhen. Die Zahl folcher Bereine in Deutfchland beträgt 
an 400. Bei 188 berfelben war 1861 das Buthaben der Mitglieder 
zufammen gegen 800000 Thlr., das Bermögen ber Vereine gegen 
102000 Thlr., die geborgten Summen betrugen 4637000 Thlr., bie 
im Laufe des Sahres gegebenen Borfchüfle 16°816000 Thlr. Diefe 
Ergebnifle erfcheinen befonders darum als ſehr erfreulich, weil der ältefle 
Berein zu Delitzſch erſt im J. 1850 entfland und von den erwähnten 
188 Gefellichaften 32 erft 1861 errichtet wurden. Als Brivatvereine 
bedürfen fie feiner Staatshülfe, indeß ift es nöthig, ihre Rechtsverhaͤlt⸗ 
nifje in Gemaͤßheit der Gigenthümlichkeiten folder Bereine geſetzlich zu 
regeln, indem die Beflimmungen bes beutichen KHanbelsrechtes über 
offene Geſellſchaften nicht ganz auf fie anwendbar find. Schulze: 
Delisfh, SIahresbericht für 1861 über die auf Selbſthülfe gegrün- 
beten beutfhen Grwerbss und Wirtbichaftsgenoflenfchaften. Leipzig 
1862. Def. Borfhußs und Greditvereine als Volksbanken. 3. N. 
1862. (Der Verf. theilt in beiden Schriften auch den Entwurf eines 
biefe Vereine betreffenden Staatsgeſetzes mit.) — Die preußifchen Dar- 
lehnscaſſen, nah der B. v. 15. April 1848 errichtet in Berlin und in 
Städten, wo eine Geihhäftsftelle der preuß. Bank befteht, follten Dar: 
leihen „zur Beförderung des Handels⸗ und Gewerbsbetriebes gegen 
Sicherheit“ geben, auf Waaren und inländifche Berfchreibungen, in 
Beträgen von minbeftens 100 Thle., in ber Regel nicht über 3, aus- 
nahmsweiſe bi6 auf 6 Monate. Diefe Caſſen waren alfo wie die er: 
wähnten Borfchußvereine zu Vorſchuͤſſen für gewerbliche Zwecke beſtimmt, 
giengen aber nidt aus dem Stande der Gewerbsleute hervor und 
waren eine Staatsanſtalt. Fuͤr den Belauf der Darleihen wurbe ein 
Staatspapiergeld ohne Zwangsumlauf ausgegeben, tie Darlehn- 
eaffenfheine, nicht über 10 Mil. Thlr. Diefe Caſſen wurden zu 
Ende 1852 geſchloſſen und fchon vom 30. Ayril 1851 an wurden feine 
Darleiben mehr gegeben, Geſetz vom 30. April 1851. 


Bergius, Poligeis und Gameralmagszin. IV, 188 (mit Notizen über 
verfchiebene ältere Leihcaflen). — v. Berg, Hanbb. des Bol. M. I, 
379. — Saum, a. a. D., ©. 254. — de Görando, III, 13. — 
Arnould, Situation administrative et financidre des monts de piöts en 
Belgique, Brux. 1845. Defi. Statistique des m. d. p. de Belgique 
1847. — Exposition de la situation du royaume de Belgique, III, 
303. — de Watterville, Situation administrative et financ. des m. 
d. p. en France, P. 1846. — H. Say in Journ. des Econ. XIX, 165. 
XXVL 303. — A. Blaise, Des monts de piôté et des banques de pröt 
sur gage. P. 1856, II B. (erſte Ausg. 1843, ausführlich). —Lamarque, 
Traits des &tablissements de bienfaisance. P. 1862. ©. 274. Ueber das 
Geſchichtliche: Belmann, Beiträge zur Geſchichte der Erfindungen, 
III, 320, de G6rando a. a. OÖ. Bilaisze, I, 63. — Nach der Ans 
Kalt des Biſchofs de Northburg von London zum unverzinslichen 
Ausleihen auf Pfänder im Jahre 1361 wurde ein förmliches Leihhaus 
(mons pietatis, monte di pietä, ein noch heutiges Tapes üblicher Name) 
um 1464 auf Antrieb des Minoritenmönde Barnabas von Terni zu 
Perugia errichtet, worauf bald ähnliche Anftalten zu Orvieto, Viterbo, 
Savona und Bologna folgten, Sodann Mailand 1483, Florenz 1493, 
Turin 1519, Rom 1539, Avignon 1577 ic. (Hebrigens lente man ben 
Namen mons pietatis auch anderen Anftalten bei, welche Geld aufnah: 
men und Gewerbsgeſchäfte trieben, Gregor. Tholossnus, De re- 
publice, Buch 13, Gap. 16.) Die Franciscaner firitten für, bie Dos 
minicaner gegen die Zuläffigfeit der Leihhäufer, bis 1514 bie latera⸗ 
niſche Kirchenverſammlung für die erfte Meinung entfhieb. Der Name 
Lombard kommt von den italienischen Kaufleuten, welche vom 13ten 


— 408 — — 


Jahrhundert an in den Niederlanden, Kranfreih und England Bel 
efchäfte trieben und auch auf Pfänder lieben. In Belgien wurde von 
zherzog Albert und Sfabella im Jahre 1618 Wenzeslaus Koberger 
beauftragt, ſtaͤdtiſche Leihhäufer zu gründen, und zum Aufſeher derſel⸗ 
ben beftellt, Arnould, Situat Seite 5. Solche flädtifche Leihhäufer 
zu verzinslichen Darleihen wurden 1611 zu Amſterdam, 1618 zu Nürn⸗ 
berg, 1619 zu Brüffel, 1620 zu Antwerpen, 1620 zu ent errichtet, 
das Wiener Verfagamt 1707, der mont de piets zu Baris erſt 1777 
weil die Sorbonne fortwährend das Binsnehmen mißbilligte. — Fran 
reich hat 42 Öffentliche Leihhaͤuſer. Sardinien hatte 1848 in den Pros 
vinzen des Fefllandes 128 Xeihhäufer, von denen 75 Borihüfle in Ge 
treide gaben, monti frumentariü. 


(e) Man bemerkt eine flarfe Zunahme der Berpfänbungen zur Zeit ber 
Volkofeſte, der Faſchingszeit (Carneval). 


(d) Die Meinungen über dieſen Gegenſtand find getheilt. Fuͤr ben Nutzen 
ber Leihhäufer fpriht die Vermehrung der Pfanddarleiher in theuren 
Jahren und die geringe Zahl der uneingelöften Pfänder. In Belgien 
wurde 1850 in mehreren Leibhäufern mehr zurüdgezahlt als geborgt, 

- alfo wurden mehr vorjährige Schulden abgetragen als neue gemadt. 
— Le mont de piôté, sans donte, recoit de temps en temps les dépt⸗ 
de quelgues missrables, qui pour le prix de quelques heures d'orgie 
mettent & nu le r&öduit od s’sbritent leur femme et leurs enfanta. 
Mais si le vice, si le defaut de calcul et l’impr&övoyance composent une 
certaine portion de sa olientäle, o’est le besoin qui en constitue la plus 
grande partie, et la plupart de ses pröts sont réelamés par des nece- 
— respoctables, Bichelot bei Block, Dicet. de Yadmin. Fr. 

. 115 


(6) 3. 3. engl. Geſ. 28. Juli 1800, Blaize, D, 411. Es if beſondere 
Grlaubnig zur Betreibung diefes Gefchäftes erforberlid. Es müllen 
enaue Berzeichnifie gehalten werden, die ber Kriedensrichter zu jeder 
eit einfehen kann. Der Sins wird monatlich berechnet. Für 1 2. 
St. beträgt er monatlich 4 B. — 17/5 Proc., über 10 8. für jedes 8. 
14/4 Proc. Der Pfandverleiher darf das Pfand nicht an ſich ziehen, 
fondern muß es Öffentlich verfleigern. Es giebt in England neben ben 
vielen zugelaffenen Berleihern (1852 in London 350, in den Graf 
ſchaften 1450) noch viele heimliche, wee-pawnbrokers, die dem Schein 
nach die Gegenſtaͤnde kaufen, unter ber ftillfchweigenden Bedingung des 
Nüdlaufes. Sie nehmen auch geringfügige Begenflände qn, Führen 
feine regelmäßigen Berzeichniffe und begünftigen die Gntwendungen, 
indem fie auf den Rechtstitel des Befipers gar nicht achten. In Franb⸗ 
reich war 12 Jahre lang dieß Gewerbe freigegeben, aber wegen vieler 
Uebellände wurde es im a. Gef. v. 1804 wieder verboten. Auch in 
mebreren anderen Länbern ift es unterfagt. Die preuß. Cabinets⸗O. 
v. 28. Juni 1826 beſtimmt in Ne. 15, daß ba, wo öffentl. ſtaͤdtiſche 
Leibanftalten beftehen, bie bem Bebürfnig genügen und zu begründeten 
Beihwerden feine Veranlafiung geben, neue Conceſſtonen für Privat 
pfänberverleiher nicht ertheilt werben follen. — Gute oͤffentliche Leib: 
bäufer haben das Mitwerben der einzelnen Pfandverleiher nicht zu 
fürchten, die Abhaltung derſelben if} aber wegen des leichteren Riß⸗ 
brauches zum Berpfänden geſtohlener Sachen zweckmaͤßig. 
() Beifpiele einzelner Berordnungen: Dresden, 24. Geptember 1768. 
Afchexsleben, 18. Mai 1776. Gotha, 19. März 1783, fämmtlid bei 
v. Berg, V, 948. — Köln, 27. December 1818. — Giberfeld, 
26. Juli 1821. — Baireuth, 20. Juni 1822. — Preuß. GabinetsD. 
v. 28. Juni 1826, Gef.-Samml. Rr. 13. — Heidelberg, 25. Auguf 


(9) 


(A) 


() 


(&) 


— 409 — 


1831. 5. Jan. 1856. — Trier, 15. Sept. 1835. — Pranzdf. Geſet 
v. 6. Febr. 1804 u. a. V. Elouin, N. dietionn. II, 476. Neues 
Se. v. 24. Juni 1851. Die Leihhäufer werden mit Zuflimmung der 
Gemeindebehörde von der Megierung errichtet. — Belg. Geſ. 30. April 
1848. — Niederlande 1854: 94 Leibhäufer, wovon 32 von der Wohl 
thätigfeit verwaltet, 62 verpachtet oder Privatunternehmern gehörend. 
Diefe befinden fih in Fleinen Städten und in Dörfern. Ihre Ein- 
nahmen waren im genannten Jahre 1064466 fl., die Ginn. der Häus 
fer der erfteren Art 5982974 fl., alfo über das b fache; v. Baum: 
bauer in Congrös de Brux. II, 82. 


Jedes Leihhaus erfordert wenigftens 1 Verwalter, 1 Rechnungs⸗ und 
Gaffenführer, 1 Tarator. Größere Anftalten haben mehrere Taratoren 
und Diener, auch find bei ihnen Magazinverwalter, Gaffirer und 
Buchhalter verfchiedene Perfonen. Die Bedienten leiften Gaution. Der 
Mont de pists zu Paris hat 282 Angeftellte. 


Angef. franzöf. Gef. von 1804, Art. 1 und a. preuß. Gabinetsordre: 
zur Armencafle des Orts; die Leihhäufer werden von den Stadigemeins 
den verwaltet und verbürgt. Ebenſo Kölner Reglement, 8. 1. Franz. 
Gef. v. 1851: Der Neinertrag dient zunaͤchſt zur Bildung eines eiges 
nen Bermögene und zur Srmäßigung der Zinfen, ber Ueberfhuß wirb 
den Armenbäufern (hospices) oder anderen mohlthätigen Anftalten zus 
ewendet. — Dresden, $. 1: zur Waiſenhaus⸗Caſſe. — Das Kölner 
eihhaus ift einem Privat= Unternehmer gegen eine ausbebungene Abs 
abe an bie Armencafle übertragen worden, was auch in den Biber 
elder Statuten ($. 45) vorbehalten wird. — Die 22 beigiichen Leihs 
häufer find ſtaͤdtiſche Anftalten und werben zum Beflen der Armen: 
caffen und Armenhäufer verwaltet, nur das zu Oftende giebt feinen 
Ueberſchuß in die Stadtcaſſe. — Bei der Ausmittlung des Reinertrags 
werben neben den Berwaltungsfoften auch die Zinfen der verwendeten 
Gapitale abgezogen. 


3. 3. Pelzwaaren, Gemälde, Kupferftiche, Bücher, Ylüffigkeiten; Bai⸗ 
reuther Leih⸗Ordn. $. 8. — Befondere Vorſichtsmaaßregeln find nöthig, 
um die Annahme geflohlener Dinge zu verbinden. Kindern barf nicht 
eliehen werden, Dienflboten und Soldaten nur mit Erlaubniß ihrer 
Borgefepten. Sn Belgien wird in Fällen eines Verdachts ber Ueber: 
bringer des Pfandes ausführlich vernommen und nöthigenfalls bei dem 
Bolizeiamte angefragt. Daher fcheuen die Diebe gewöhnlich das Leib; 
Haus. Borfhlag von Arnould, Situst. S. 330: @eftohlene ober 
verlorene Pfandftücde werden unentgeldlich zurüdigegeben, die Beamten 
haften aber für den Berluft, wenn fie das Band von einem Unbelanns 
ten ohne bie vorgefchriebenen Vorfichtöregeln oder nach erhaltener Ans 
zeige von dem Diebflahl oder DVerluft angenommen haben. — Nah 
den Statuten mehrerer Anflalten wird nur von benannten anfäffigen 
Berfonen, oder von denen, für die fih eine ſolche Perfon verbürgt, ein 
Dfand angenommen; Frankreich, Trier. Lamarque, Traits ©. 285. 


Afchersieben, $. 9, Trier, $. 20: auf Metallmaaren, die nicht vers 
derben, %5 der Tare, auf andere Dinge die Hälfte. Baireuth, $. 9: 
ebenfo, aber auf Papiere au porteur Yu. — Köln, $. 7, Giberfeld, 

. 8: resp. %5 und %, — Heidelberg: inländifche Staatspapiere und 
edle Metalle 3/4. Sumelen */3, andere Dinge !/s. — Baris: Gold: 
und Gilberwaaren (vaisselle) und Kleinode (bijoux) %s, andere 
Dinge %,. 32 Anfalten in Frankreich leihen %s, 7 nur !/s. 


— 40 — 


6. 333. 


4) Um das Ehrgefühl mancher Borgenden zu fchonen, wer 
den WMittelöperfonen (Pfandmäller, commissionaires) zuge: 
faffen, deren Gebühren man obrigfeitlich beſtimmt und deren 
Beftellung mit vorfichtiger Auswahl und Rrengen Verpflichtun⸗ 
gen geſchieht (a). 

5) Der Zins wirb bei ber Rüczahlung oder Berlängerung 
ber Darleihe entrichtet. Der feftgefegte Zinsfuß der Leihhäufer 
überfteigt gewöhnlid den landüblichen Fuß und beträgt meis 
fiend ungefähr dad Doppelte beffelben. Es ift billig, von klei⸗ 
nen Darleihen und auf furze Zeit etwas mehr Zins zu nehmen, 
weil fie mehr Mühe und folglich mehr Koften verurfachen (b). 
Gegen Entrihtung des verfallenen Jahreszinſes Tann die Ber 
Pfändung erneuert werden. 

6) Der Borgende erhält einen Pfandfchein, auf welchem 
das Pfand befchrieben und die geliehene Summe mit ben 
fämmtlichen Bedingungen audgefprocdhen ift (c). Wer biefen 
Pfandfchein dem Haufe wieder vorlegt, wirb zur Einlöfung des 
Pfandes zugelaflen (d). 

T) Rad) Berlauf der ausbebungenen oder gefeglich beftimm- 
ten Friſt werden die nicht eingelöflen Pfänder verfleigert, nad 
vorgängiger öffentlicher Ankündigung. Der Inhaber des Pfand⸗ 
ſcheins kann den Mehrerlös nady Abzug der Zinfen und Koften 
eine Zeit lang in Anſpruch nehmen, dann if berfelbe dem 
Haufe verfallen (e). 

8) Der Schäger bed Leihhauſes haftet dafür, daß bad 
Pfand wenigſtens fo viel, als auf baffelbe gelichen worben if, 
einbringt. 

9) Die Pfänder werden genau bezeichnet und an einem 
fiheren Orte verwahrt (f); über fle, fowie über bie Ausgaben 
und Einnahmen wird forgfältig Rechnung geführt. 

10) Es wird ein hoͤchſter und niebrigfter Betrag ber zu 
leihenden Summe vorgefchrieben (9). 

11) Die Jahresrechnungen werben ber Auffichtsbehörbe vor⸗ 
gelegt, welche auch einen Beamten zur öfteren Nachſchau beauf- 
tragt (A). 


— 41 — 


(6) Blaize, II, 192. — Paris, V. v. 16. März 1824: früher 3, jebt 
2 Broc. der geliebenen oder erneuerten Summe, bei der Ginlöfung 
1 Broc., ebentoviel vom Mehrerlöfe beim Berfaufe. Die Barifer Com⸗ 
miffionäre ſchießen auch in eiligen Fallen felbft die Summe vor, die 
dann vom Leihhaufe bezogen wird. Geben fie dem Borgenden mehr, 
als das Leihhaus vorfiredt, fo gebühren ihnen vom Mehrbetrage 11/2 Pr. 
monatliche Zinfen. Im D. 1831 — 53 betrugen die von den Commiſ⸗ 
fionären beforgten Geſchaͤfte in Procenten: 


nah den Nummern nach den Summen 
von allen Berpfändungen . 84 13 

s = Emmerungen . . . 55 45,9 

= : Binlöfungen. . . . 48 40 


Die Einfünfte der Eommiffionäre (Pfandmäller) machten i. D. jaͤhr⸗ 
lih 374718 Fr. aus, im 3. 1847 fogar 444000, 1843 und 1846 
437000 Fr. GEs ift rathſam, in größeren Städten bie Geſchaͤftsſtellen 
bureaux) zu vermehren, damit man weniger auf ben Beifland ber 
ommiffionäre angewiefen fei; dieß ift 3. B. im Haag gefchehen. — 
Das a. belg. Gerep fordert die Abfchaffung der Commiffionäre, bie 
aber ſchwerlich durchzuführen fein wird. 


(5) Die Berwaltungskoflen eines Pfandes find die nämlichen, dieſes mag 
groß ober Fein, lange oder Furze Zeit aufbewahrt werben, nur ber von 
der Anftalt zu vergütende Capitalzins iſt von dieſen Umſtaͤnden abhäns 
gig. Kleine Darleihen auf kurze geit verurfachen daher verhältnigmäßig 
die größten Koflen. In Belgien macht durdfchnittlih ein Bfand 17 
Gent. Berwaltungskoflen. Nimmt man 5 Broc. Zins für das von der 
Anſtalt benugte Bapital und 15 Proc. Zins für die Borgenden an, fo 
ift bei einer ‘Darleihe 












von 1 Fr. von 100 Fr. 
J ft Monat auf 1 Jahr auf 1 Monat | auf 1 Jahr 
Einnahme. .I 1,8 Cent. 15 Gent. 1Fr. 25 Gent. 15 &r. — Gent. 


Ausg.: Koften| 17 s 17 ⸗ —⸗ 17: |—: 17 s 
Bins..... 0,116 ; 5 > —⸗ 41%: |bs — ⸗ 
aufammen ..| 17,46 - 22 = —: 585: |5s 17 > 
Gewinn ... — — — ⸗ 66,1: |9s 83 =: 
Berluf .. . .| 16,16 ⸗ 7 ⸗ — | — 


Bol. Arnould, Sit. ©. 87. — In Paris koſtet jede Darleihe ohne 
die Zinfen 53 Gent. und mit Ginrechnung der Zinfen findet man, daß 
bie Kleinen Darleiben bis ungefähr 15 er. der Anftalt noch Schaden 
bringen und nur die größeren, welche %/s der ganzen geliehenen Summe 
ausmachen, einen Reinertrag abwerfen. Blaize, II, 292. — Dres: 
den, $. 13: 8 Proc. — Gotha, $. 10: von 1 Thlr. monatl. 2 Dig. 
(81/5 Proe.), mit ber (fehferhaften) Beflimmung, daß die Zinfen prä- 
numerirt werben. — Baireuth, 6. 7: von 1 fl. wöchentlich !/s Pfg.. 
weiches gegen 10 Proc. beträgt. — Köln, $. 17, Elberfeld, $. A: 
monatlih 1 Proc., dazu noch beim @inbringen des Pfandes eine ges 
ringe Schreib: und eine Tarationsgebühr von !/s Procent. — Trier, 
. 22: 12 Proc. und 6 Pfennige Zettelgeld. Preuß. Cabin.O.: bie 

egierungen können ben Gemeinden 8 Broc. geflatten, das Miniflerium 
höcftens 121/8 Broc. — Heidelberg bis zu 100 fl. 10 Pror., barüber 
6 Proc. — Frankreich: der Zinsfuß wird alle Jahre neu feftgefegt. 


(e) 


(a) 


— 42 — 


Die Sociöt# du pröt charitable et gratuit zu Touloufe (1828) fowie 
die Anftalten zu Grenoble, Montpellier und Angers bis zu 5 Fr. leihen 
ohne Zins aus Pfänter, Angers von 5 Br. an für 1 Proc, 2 Anflal- 
ten zu 4 ®roc., 6 für 5, 7 für 6, 5 für 8 Proc, 7 (worunter Paris 
unt Borbeaur) für 9, 2 für 10, 6 für 12 Proc. In einigen Anftalten iſt 
ber Zins Heiner Summen höher. Lamarque, ©. 296.—Blaize (I, 305) 
empfiehlt Heine Beträge unverzinslich zu leihen. — Die meiften beigifchen 
Zeihhäufer nehmen von größeren Summen niedrigeren Zins. Der von 
ihnen geforderte Zins ift bei 4 Anflalten S—15, bei 2 berielben 7 bie 
15, bei anderen 6—15, 6—14, 10—15, 8—12, bei einigen obne Un- 
terfchied 10, 12 und 15 Proc. — Niederlande: öffentliche Leihhaͤuſer 
7195 - 16 Proc. 


Am beſten tabellariſch, etwa mit folgenden Rubriken: 1) Nummer. 
2) Name des Pfandbeſitzers (kann leer bleiben). 3) Beſchreibung des 
Pfandes. 4) Tare defielben. 5) Dargeliehene Summe. 6) Tag des 
Darleibens. 7) Termin zur Rüdzahlung. 


Mer den Pfandſchein verliert, muß fogleih Anzeige erflatten, das 
Gigenthum beweifen, und erforderlichen Falle Bürathaft leiſten. Um 
zu verhüten, daß der Borger, wenn er noch ferner in Berlegenheit iſt, 
den Rfandfchein mit Verluſt (d. 5. um weniger als den mutbmaßlicdhen 
Mehrwert des Pfandes über bie Darleibfumme) verkaufe, ift im angef. 
franzöf. Gef. von 1851 verordnet, daß der Schuldner nad Berlauf 
von %a Jahr auch vor der Berfallzeit den Berkauf bes Pfandes ver 
langen und den Mehrerlös anfprechen Tann. 


(e) Paris: nah 3 Jahren. Preußen: Weberfchüffe unter 10 Thlr. nur 6 


Wochen lang, bei größeren wird 1 Jahr nach der erften Aufforderung 
eine zweite mit vierteljähriger Friſt erlaffen. Wien: 14 Monate. — 
Sn den franzöflfchen Leihhäufern betrugen 1842—53 bie verkauften 
Pfaͤnder 6,58 Proc. aller Berpfändungen, in Strasburg 1851 — 55 
3%/g Proc. In Paris wurden 1851 —53 I. D. 

geliehen für 16°913 304 Fr. 

abgezablt 15501136 ⸗ 

verkauft 1325106 ⸗ 
oder 7,8 Brocent. Die erneuerten Pfanddarleihen beliefen fich auf 
6016277 Fr. Der Mehrerlös beim Berkaufe ift 30— 38 Proc. Fuͤr 
die Verkaufskoſten werden 31/5 Proc. berechnet. — Sn Sardinien wurs 
den 1839 91 Proc. von der Zahl der Pfaͤnder eingelöfl, 4,! erneuert 
und 4,8 verfaufl. Annuario economico-politico, Torino 1852 ©. 82. 
— Sn Belgien wurden 1850 95,8 Proc. der Pfänder eingelöfl. — 
Deffentliche Leihhäufer in den Niederlanden 1854: Berpfändungen und 
Grneuerungen 2033 393 fl., Ginlöfungen 1'941 253 fl. (95 ent), 
Verkauf 82413 fl. (4 Proc.). 


(f) Der Sigenthümer kann fie ſelbſt zeichnen oder fiegeln. Den Bebienten 


(9) 


(A) 


ift fireng verboten, bie interiegten Begenftände zu gebrauchen. Rüps 
lich if die Verfügung im Kölner Reglement, $. 9, daß die Anflalt 
ihre Pfänder gegen Feuerſchaden verfihern laffen muß. 


Nach den mehrſten Berorbnungen wird fein Pfand angenommen, wel: 

ches auf weniger ale 1 Thlr. geihägt il. Baireuth G. 13: feine 

Darleihe auf ein einzelnes Pfand über 300 fl. — Trier: nicht unter 

1a Thle. — Paris: nicht unter 3 Br. — Die Termine find gewoͤhn⸗ 

lich nicht unter 1 Monat und nicht über Y/s oder 1 Jahr. 

Das Parifer Leihhaus lieh i. D. v. 1777-82 jährl. 15000000 Fr. 
1817—22 : 18300000 ⸗ 
1832—37 s 20°803008 ⸗ 


— 43 — 


Der Mittelbetrag einer Pfanbbarleihe war von 1815—44 in Baris 
17,5 Fr. — in Lyon 17,8 $r., — in Borbeaur 1812—33 14,9 Fr., 
— in Meg 1 1801-—33 11, ” Fr., in She nt 1818—34 6,0 $r., — 
in Rom 1839 3 Scudi = 10 fl. — in Sardinien 1839 
12 Fr., — in Belgien 1839 6,% —8*— — in den Niederlaͤnd. oͤffentl. 
Leihhaͤuſern 2,90 fl., Privatt. 8. 1,8 A. — Bon 1831 — 53 war in 
Paris der mittlere" Betrag einer Darleihe 15,8, einer Erneuerung 
23,9 Fr. Bon der Summe der neuen und erneuerten Darleihen made 
ten bie legteren 19 Proc. der Rummern und 26 Proc. des Oerobetzage 
aus. Die ganze gelichene Summe war 1844 in Frankreich 42'220 6 
Fr. auf 3072 765 Pfänder, 1853 in Baris 18.341468 Fr. auf 
1131548 Pfänder, und bie Smeuerungen betrugen 6530454 Fr. bei 
300027 Pfänden. Im D. 1845 —47 en bie Darleihen von 3 
bis 5 $r. 9,6 Proc., von 6— 10 Fr. 11,6 Proc. von 11—30 Fr. 
19,9 Proc., von 31—100 Fr. 34,% Br., von 101-500 Fr. 19,5 Pr., 
über 500 Fr. 5,5 Proc. der ganzen Summe aus. GEs famen 474 
Nummern von 10015000 Fr. und 36 über 5001 Fr. vor. Im J. 
1840 war durchſchnittlich Die Zahl der 


Berpfändungen Grneuerungen Abzahlungen 
Montag . . . 4022 938 3576 
Sonnabend . . 3633 599 4638 


Blaize, I, 481. — In Belgien betrug die ganze g geliehene Summe 
t. D. von 1822—44 nicht unter 7 und nicht über 8°561 000 Fr., im 
Sabre 1850 7775000 Fr. und der Mittelbetrag einer Darleibe in dies 
fer Be — zwiſchen 5 und 62/, Fr. 1852 erreichte die Summe ſogar 


8. 334. 


Hülfsleiheaffen (Rettungs-E., Bürger- Rets 
tungs-Inftitute) (a), welde ohne Pfandficherheit leihen, 
find mit erheblichen Koften und Schwierigkeiten verbunden und 
erfordern eine behutfame Verwaltung, haben aber eine höchft 
wohlthätige Wirkung. ine zu rechter Zett gegebene Unter 
ftügung, die e8 dem Bebrängten möglich macht, fein Gewerbe 
fortzufegen und durch Fleiß und Sparfamtfeit fi) von den er 
littenen Berluften wieber zu erholen, vermag viele Familien in 
ſelbſtſtaͤndigem Erwerbe zu erhalten. Die erforderlichen Koften 
und bie unvermeiblichen Berlufte find in Vergleich mit dem 
dadurch verhüteten Uebel nicht groß. Solche Caſſen find ent 
weber ftäbtifche Anftalten, ober fie werden von ber Staats⸗ 
gewalt (5) oder von ‘Privatvereinen (c) gegründet. Für ihre 
Berwaltung find folgende Regeln zu beobachten: 

1) Nur derjenige erhält Vorfchuß, der arbeitsfähig ift, in 
gutem Rufe ſteht und von dem fich hoffen läßt, daß er ſich 
werde emporarbeiten können. Zur Erweiterung eines in gutem 
Bortgange befindlichen Gewerbes, ober zur Hülfe gegen forts 


‘ 


— 44 — 


dauernde Arbeitsunfähigfeit dürfen dieſe Cafſen nicht gebraucht 
werben. 

2) Der Vorſchuß wird erft bewilligt, wenn bie perfönlichen 
Umftände des Bebrängten, allenfal8 mit Hülfe der ſtaͤdtiſchen 
Bezirfövorfteher (Viertelmeifter), forgfältig erforfcht find. 

3) Die bewilligte Summe wird, wo Mißbrauch zu beforgen 
it, fo viel ald möglich von den Borftehern der Anftalt ſelbſt 
zur Beftreitung der nöthigften Ausgaben, 3. B. Bezahlung der 
Hausmiethe, Tilgung dringender Schulden, Einlöfung verpfän 
deter Gegenftände, Anfchaffung von rohen Stoffen u. bergl. 
verwenbei. 

4) Es wird bie Abtragung in ganz Fleinen Summen ge 
ftattet, der Schuldner aber zugleich genau beobachtet, nöthigens 
falls ermahnt, gewarnt, und falls er in Müffiggang, Aus 
fhweifung oder Luxus verfällt, gerichtlich zur Rückzahlung an 
gehalten (d). 

Die Leihanftalten, welche die Beftellung von Bürgen ober 
von Dfandficherheit erfordern, find von ben in dieſen Säten 
befchriebenen Huͤlfsleihcaſſen infoferne verfchieden, als fe die in 
Nr. 1—8 erwähnten Vorfichtsmaaßregeln nicht anzumenden 
brauchen, aber auch nur foldyen Perſonen leihen, beren wirth⸗ 
fchaftliche Umſtaͤnde noch nicht zerrüttet find. Sie find ald 
Leihbanken in Heinem Maapftabe anzufehen (6. 312 a) und 
fehr empfehlenswerth (e). 


(G) v. Berg, II, 199. — Gaum, ©. 252. — Weber, ©. 161. — 
Zu den älteften Anftalten diefer Art gehören: Berliner Rettungsinftitut, 
Batent v. 30. Nov. 1796, — Kieler Keihcafle, 1796, — Hamburger 
Gafle, 1797. Genaue Nachricht Hievon in der angef. Hiflor. Darkel 
lung, S. 113—148. 


(d) Stiftung von Hülfscaflen in jedem Rreife von Baiern, Berorbn. vom 
6. Juli 1828. Jeder Kreis erhielt hiezu eine Ausflattung von 
10000 fl. und 1833 noch weitere 4000 fl. aus der abinetscafke, die 
aber durch Zufchüfle der Kreife und einzeinen Städte fehr vermehrt 
wurde. Die Darleihen find nicht unentgeldlid und es foll wo möglid 
auf Sicherheit, 3. B. durch Hypothek, geiehen werben. Die Zinien 
dienen zur Vermehrung bes Gapitales. Die Darleihen durfen nicht 
unter 100 und nicht über 300 fl. betragen unb werben in jedem ein 
zelnen alle von der Kreisregierun genehmigt, Die Bedingungen 
einer Darleihe find Rechtlichkeit, Sittlichkeit und Fleiß des Bewerbets. 
ein unverfchuldeter Notbfall, die Wahrfcheinlichkeit fih mit Hülfe des 
Borfchufles im Erwerbſtande zu erhalten und die Unmöglichkeit, ſich 
auf anderem Wege die nöthigen Mittel zu verfchaffen. 


— 45 — 


(e) Su Anfang des I. 1862 waren in England und Wales 504 ſolche 


(d) 


(«) 


ihvereine (loan societies) bekannt, deren 224 allein in Mitdlefer. 
Der Betrag der Vorihüfle im 3. 1861 war 713018 %., die von Actios 
nären und Ginlegern (depositors) vorgefchoffene Summe 194279 2., 
der mittlere Betrag einer Darleibe nicht voll 5%. Nachdem die Koften 
und 24632 %. Sins an bie Actionäre und Gläubiger bezahlt waren, 
blieb noch ein Ueberſchuß von 5936 2. Diele Geſellſchaften haben ſich 
ſchnell vermehrt, denn zu Anfang 1859 waren erſt 230 eingetragen 
(registered), mit 473222 2. jährlihem Gejhäftsumfang. — In Wefls 
minfter waren in 2 Jahren 500 Familien mit Borfchüflen von 5 Sc. 
bis 2 2. St. unterflügt worden und fein einziger unerflattet geblieben, 
de G&rando, III, 36. - 


In Hamburg haben in 3/, Jahren (1797--1800) 941 Familien die 
erhaltenen Vorſchuͤſſe richtig abgetragen. 156 Familien zahlten fo lang» 
fam ab, taß man an ber guten Wirkung ber Unterfügung zweifeln 
mußte, 180 mußten eingeflagt werten, weil fie wenigflens zum Theil 
der Hülfe unwürdig waren, bei 105 anderen war dieß ganz entichieben. 
Der Berluft an nicht einzutreibenden Vorfchüffen betrug 20 787 Marf 
(14 672 fl.) oder 22%/5 Proc. der ganzen Ausgabe; indeß kommt jede 
gerettete Familie mit Cinrechnung ber Zinfen doch nur auf 17 fl. 23 fr. 
zu ſtehen. Was würden fie nicht bei völligem Verarmen gefoftet haben, 
und wieviel iſt nicht in vielen anderen Hinfihten gewonnen! Hamburg 
bat jegt 2 Borfhußanftalten für Bebürftige, die 1831 und 1837 ges 
ndet wurden. Die ältere ruht auf Actien zu 50 ME. Gour. und 
eiht unverzinslih 5—50 Thlr. an Gewerbsleute, welche einen zürgen 
ſtellen, gegen Abtragung von 1 Schill. wöchentlich für jeden Thaler. 
Sie lieh 1831 — 50 an 15398 Perfonen 7815605 ME. und büßte in 
diefen 20 3. nur 3228 ME. oder 0,% Proc. ein. Die zweite Anftalt 
Er größere Vorſchuͤſſe, verlangt aber 2 fichere Bürgen und verfhafft 
& die Ueberzeugung, daß das gelichene Geld wirflid in das Gewerbe 
des Borgenden verwendet wird. — Ueber bie Vieh⸗Leihcaſſen fiche 
$. 120 a 
Handwerkerbank in Mannheim, durch eine Actiengefellichaft mit 
6000 Actien zu 25.fl., welche einſtweilen unverzinslich find; felt 1855 
unter dem Ramen Darleihbank. Sie darf nad den neuen Sapuns 
en von 1855 auch verzinsliche @elder zum Ausleihen aufnehmen. 
ie giebt Vorſchüſſe bie 500 fl. zu 5%/5 Proc, größere zu 4/3 Proc. 
und gegen Stellung von Bürgen ober auf Fauſtpfaͤnder in guten Bers 
Ian ungen oder Waaren. ird 1 Bürge geſtellt, fo leiht fle auf 6 
nate bis 400 fl., bei 2 und 3 fammtverbindlidhen Bürgen auf 12 
Monate oder auf laufende Rechnung bis 800 und 1200 fl., auch auf 
Liegenfhaften im Orte bis zu 1200 fl. Die Rüdzahlung erfolgt in 
mehreren Zielen. Diefe Anſtalt Hat feine Berlufte erlitten, weil die 
Geſuche um Darleihen von einer Brüfungscommiffion forgfältig geprüft 
werden. Ber fih durch Stellung von Bürgen einen Gredit auf lau⸗ 
fende Rechnung erwirbt, kann im Kalle des Bebürfniffes augenblicklich 
einen Borfhup erhalten. Die Bank gab 1854 62463 fl. Darleihen 
und erhielt 56285 fl. Ruͤckzahlung. Ste Hatte zu Ende jenes Jahres 
4477 fl. eigenes Bermögen gefammelt. — Leihcaſſe in Baireuth 1857, 
bis 600 fl. gegen 6 Broc. und 2 Bürgen. — Das frangdf. Miniftes 
rium bed Innern fuchte 1850 ſolche Reihanftalten (banques de pröts 
d’honneur) zu Stande zu bringen durch Befellfchaften, deren Mitglieber 
wenigſtens 500 Fr. einlegen würden. Die Vorſchuͤſſe an brave und 
fleißige Bürger follten 200 Fr. nicht überfleigen und mit 5 Procent 
Sin fpäteftens in 10 Iahreszielen erflattet werden. Monit. 26. Febr. 
1850. 


— 46 — 


8. 334 4. 


Hülfscaffen für ſolche Fälle, in denen Arbeitsunfaͤhig⸗ 
feit den Arbeiter und feine Yamilie, ober der Tod bes erſteren 
bie legtere in Bebrängniß bringt, müfien hauptſaͤchlich auf bie 
Beiträge ber Arbeiter felbft gegründet werben. Sie laflen fid 
als Berfiherungsanftalten -gegen ſolche reigniffe betrachten, 
deren Eintreten nad) Wahrfcheinlichfeitögefegen zu berechnen if. 
Ein Zufhug, auf den man durch eigene Zahlungen ein Recht 
erworben Hat, ift nicht demüthigend, ficher und geregelt, er hat 
folglih) große Vorzüge vor dem Almofen. Die Bereine ber 
Arbeiter für dieſen Zweck follten fo allgemein fein, daß ber 
Beitrag zur Hülfscaffe zu den nothwendigen Ausgaben gerech⸗ 
net und durch freien Entfchluß nöthigenfals auch mit Anſtren⸗ 
gung und Entbehrung fortgefeßt wird, Iſt dieſes herrfchender 
Grundfag unter ben Lohnarbeitern geworben, fo muß biele 
regelmäßige Ausgabe fo wie ber gewohnte Unterhaltsbebarf auf 
die Höhe des Lohnes einigermaßen einwirken, indem er das 
Widerſtreben gegen einen unzulänglichen Lohnſatz anregt, wozu 
Auswanderung oder Wegzug in eine andere Gegend, fpätere 
Verheirathung ober gänzliche Ehelofigfeit, Ergreifen einer ande 
ten Beichäftigung, Steigerung des Fleißes und der Geſchiclich—⸗ 
feit ıc. wirkffame und untadelhafte Mittel find, I, 8. 191. — 
Wollte die Staatögewalt den Lohnherren auferlegen, einen ges 
wiffen Betrag von dem Lohne für die Huͤlfscaſſe zurüdzubehals 
ten (a), fo wäre bei der Macht bed Mitwerbens über den 
Lohn und der Unzuläffigfeit einer obrigfeitlichen Lohnbeſtimmung 
($. 318) nicht zu verhindern, daß ber wirklich auöbezahlte 
Meberreft des Lohnes bisweilen für dad Rahrungsbebürfniß un 
zureichend würbe, auch läßt fich Fein Maaß ber nöthigen Unter 
flügung und des dazu erforderlichen Beitrages ermitteln, fo daß 
auch bie Größe beffelben nicht vworgefchrieben werben bürfte. 
Der Zutritt zu ben genannten Hüffsvereinen und bad Maaß 
der Theilnahme muß daher dem freien Willen der Arbeiter 
überlaffen werden, doch können bie Lohnherren bei der Annahme 
von Arbeitern zur Bedingung machen, daß biefe fich einen bes 
ſtimmten Heinen Theil des Lohns für die Huͤlfscaſſe abziehen 
faffen (5). Bon Seite der Staatögewalt kann Manches ge 





— 41 — 


fhehen, um zur Gründung folcher Gaflen zu ermuntern unb 
auf bie gute Verwaltung berfelben hinzuwirfen. Diefe find am 
früheften zu @unften ber Bergleute errichtet worden (8. 43), 
baden ſodann auch in Babrifgegenden häufige Nachahmung 
gefunden ($. 203) und können für Lohnarbeiter fowie für uns 
begüterte Gewerböleute (Eleine Unternehmer) in allen Gewerben 
zu Stande gebracht werden. Die Ereigniffe, für welche fie 
vorzüglich Fürforge treffen können, find Krankheiten, Schwaͤch⸗ 
lichkeit ober Gebrechlichkeit und Todesfälle mit den dadurch ver- 
urfachten Ausgaben ber Familien. Das Alter bringt ebenfalls 
eine Arbeitsunfähigfeit mit fi und viele Hülfsvereine erſtrecken 
ihre Wirffamfeit auf biefe häufige Urfache der Armuth, indem 
fie den Theilnehmern von einem beflimmten Alter an eine ber 
Größe und Dauer der Beiträge entfprechende jährlihe Summe 
zufichern. Daffelbe gilt von der den Kindern während beflimm- 
ter Jahre ihres Alters und den Wittwen zu entrichtenden jähr- 
lichen Zahlung. Allein da hiezu weit anfehnlichere Beiträge 
erforderlich find und auch Berfonen, bie fich in befieren Der 
mögendumftänden befinden, bievon Gebrauch machen, fo ſchließt 
fi diefe Art der Berforgung den verfchiedenen Formen ber auf 
Erfparnifien ruhenden Rentenanftalten au, 8. 368 a. 


(a) Dies flug 3. B. von Hirfc vor, 10—20 Proc. des Lohne. Con- 
grös de Frankf. 1, 171. 


(5) Dieß iR in einzelnen großen Fabriken, die ihre eigene Hülfscafie haben, 
häufig gefchehen, und bie Lohnherren haben zugleich ſelbſt Beiträge zu⸗ 
gefagt, auch werden Binnahmöquellen zugemiefen, 3. B. Gelofirafen, 
die auf die Berlegung der aufgeftellten Fabrikordnung geſetzt find. 


$. 334. 


Die Erfahrungen führen zu folgenden Regeln in Bezug auf 
die Hülfscafien (a): 

1) Die Gründung folcher Hülfsvereine kann von Arbeitern 
oder von Xohnherren oder auch von ben Gemeinbevorftehern 
audgehen, weil für die Gemeinde dieß Mittel zur Verminderung 
der Armuth fehr wünfchenswerth if (6). Es ift nicht nöthig, 
einem einzelnen Derein” ausfchließliche Berechtigung für einen 
Ort oder Bezirk zu geben, vielmehr fol den Arbeitern, die fich 
überhaupt zur Theilnahme entichließen, die Wahl freigelaflen 

27 


Ran, polit. Delon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 


— 48 — 


werden. Ein Berein kann Zweigſtellen (Biliale) an anderen 
Orten anlegen. 

2) Die Sapungen werben einer Staatsbehörbe vorgelegt 
und von berfelben geprüft, worauf bann bie Genehmigung er 
folgen fann (c). Auch für diefe Bereine ift es nuͤhlich, allges 
meine Borfchriften aufzuftellen über foldye Beftimmungen, bie 
in den Sagungen enthalten fein müflen, weil fie zur ficheren 
Erreihung der Huͤlfozwecke für nothwendig erachtet werben (d). 
Dahin gehören vor Allem die genaue Bezeichnung der Zwecke, 
welche ſich der Verein vorfegt (e), fodann Regeln für die Wahl 
der Vorfteher und affenführer, für die Obliegenheiten und bie 
Berantwortlichkeit berfelben, über die Anlegung der überſchüſſi⸗ 
gen Gelder, über Schlichtung von Streitigkeiten durch Schieds⸗ 
gerichte u. dgl. 

3) Es ift nüslich, wenn die Jahresrechnungen einer Staats⸗ 
behoͤrde zugeftellt werden, bamit biefe unterfuchen kann, ob bie 
Berwaltung vorfchriftsmäßig geführt wird (f). 

4) Um ben Erfolg zu verftärfen und eine lebhaftere Er 
munterung zur Theilnahme zu geben, find verfchievene Begins 
fligungen biefer Hülfövereine nüglid, 3 B. 

a) die Befreiung von gewifien Abgaben, wie Stempel 

gebühren u. dgl. (9); 

b) bie Erklärung der genehmigten Bereine für juridiſche 
Perſonen, fo daß fie Vermögen erwerben, Vermaͤchtniſſe 
annehmen bürfen 2c. (A); 

c) bie Berpflichtung ber Gemeinden, ihnen einen gemilfen 
Beifland zu leiften (9). 


Die englifchen Hülfsvereine (friendly societies) umfaflen meiftens meh 
exe Zwede, indem fie zugleich Verficherungen gegen Feuer und Renten 
ankalten find. Man findet ihren Uriprung in den Gilden des Mittel: 
alter, die in verfchiedenen Rändern beflanden und ihren Mitgliedern 
fowohl RNehtöfhug ale Beiſtand in ſchlimmen Lagen gewährten, 
Wilda, Gildewelen im WMittelaltr, ©. 42. Ansell ©. 5. Die 
jetzigen @efellichaften diefer Art find im vorigen Jahrhundert entſtan⸗ 
den. Die ältefte geſetzliche Beſtimmung über dieſelben iſt das nad 
feinem Urheber Ge. Rofe benannte Gef. von 1793. Das heutige 
Sauptgef. iR v. 15. Aug. 1850 (13. 14. Vict. C. 115, an act to 
amend the laws relsting to friendly societies), theilweife abgeändert 
durch das Gef. v. 23. Juli 1855 (18. 19. Bit. &. 63), Man zäblie 
1847 in England und Wales 10433 Befellfchaften mit 781 722 Mit: 
gliedern und 518978 2. Jahresausgabe. Von 1793 bis Ende 1858 
wurden 28550 folcher Geſellſchaften eingefhrieben und anerkannt (em 


Ss 


( 


— 419 — 


rolled and certified), von denen aber an 7000 wieder eingegangen find, 
weil fie zu wenige und meiftens bejahrte Theilnehmer hatten. Bei 
einer ziemlihen Anzahl ift die Cinzeichnung und Anerkennung ber 
Sagungen nicht erfolgt, fie fallen daher nicht unter die für bie fr. soc. 
beſtehenden Geſetze und ihre Mitglieder haben nicht die gefeßlichen An: 
ſpruͤche auf das Sefellichaftsvermögen. Die Zahl der beftehennen Ber: 
eine if nicht befannt. —** gab 1851 dieſelbe mit Ginſchluß der 
nit eingetragenen auf 33223 an, mit 8 Mill. Mitgliedern und 
4980000 2. Jahresbeiträgen.) Die anerfannten Bereine geben ungern 
ihren Bermögensfland an. Der an 20700 Gefellichaften ergangenen 
Aufforderung hiezu entfprachen nur 7000, von denen 1400 als mangel- 
haft und nußlos erfhienen. (Die Zahl der Geſellſchaften ſcheint zu 
roß zu fein, weßhalb ein Theil derfelben nicht gut beftchen fann.) 

ehrere Bereine nennen fi) Orden (orders), haben geheime Gaßungen 
und find in einzelne Abtheilungen (Logen, lodges) gegliedert. Die 
Manchester Unity of Odd Fellows } DB. Hatte 1858 276254 Mitglie: 
der. Becher, The constitution of friendly soeieties, 5. Edit. Lond. 
1829 (mit einer ausführlichen Befchreibung der Southwell fr. institu- 
tion). — Ansell, A treatise on fr. soc. L. 1835 (Theil ber library 
of usefull knowledge), — James, Guide to the formation and ma- 
nagement of fr. societies. L. 1851. — Sahresberichte von Tidd 
Bratt. — Die franzöf. Sociétés de secours mutuels flehen unter dem 
Geſetz vom 15. Juli 1850 und ber Berorbnung vom 26. März 1852. 
Block, Dictionn. ©. 1480. — Es war in Frankreich 


Ende 1862 Ende 1856 
Zahl der Sefellihaften. . . 2438 3402 
Zahl der Mitglidr . . . 271.077 426.453 
darunter zahlende Ehrenmitglieder 21635 47 281 
Refervecapital Fr. . . . . 10714877 16'832 210 


In den bdeutfchen Staaten find diefe Bereine Hauptfählih in Berg 
werks⸗ und Fabrifgegenden anzutreffen und nicht unter allgemeine Ges 
ſetze geftellt. — Beilpiele einer guten Cinrichtung: Kranfencaffe für die 
Keftungsarbeiter in Ulm, bei v. Brittwig, Die Schanzer in Mim, 
S. 20. Die Caſſe wird verwaltet von 1 Ingenieuroffizier, 1 Gaffen- 
führer, 3 Arbeitern und 1 Cinnehmer. Die Ginfünfte find ?/s Proc. 
des Verdienſtes, Eonventionalftrafen, Koftenerfag aus der Baucafle für 
Berunglüdte und Zufhuß aus diefer Caſſe. — Huͤlfscaſſe ber Arbeiter 
an den belgifhen Staatseifenbahnen. Bahl ber Theilnehmer 6538. 
Beitrag feit 1851 21/2 Pror. des Lohne. Im D. 1838—56 Waren 
die Ginnahmen: 


Beiträge der Arbeiter . . © » 2... 52191 Fr. 
Zins ausgeliehener Gelder . . . » . . 5125 ⸗ 
Stufgeler . 2 > 2 20 en. 3081 + 
Staatöbeiträge . nn 254 > 


verſchiedene nnabmen . . . .. 2772 ⸗ 
zuſammen 66613 Fr. 
die Ausgaben: 


Unterftügung der Kranken und Berwunbeten 21074 Fr. 
Sellung, Begräbnfle  -. . . 2. . 11812 

Unterlügung der Arbeitsunfähigen . . . 8082 
Unterftüßung dev Wittwen und Waifen.. . 11312 
Berwaltungstoften . . - - ... 639 


zufammen 52789 Kr. 


Im 3. 1851 —55 waren jährlih 1521 Kranke und Berwundete (von 
leßteren 358) unterflügt worden. Moreau in Oongrös de Brux. II, 


27°% 


ww un 


= 


(2) 


(4) 
(e) 


— 40 — 


49. — Die große Sintgefellfhaft Vieille montagne in Belgien zieht 
ihren Arbeiten 1%. Procent für die Kranken und Berwundeten ab 
(caisse de secours), 1 Proc. für Arbeitsunfähige und Wittiven (caise 
de prövoyance), fie giebt felbft beträchtliche Zuſchüſſe; ebd. IL, 28. - 
Vorſchlaͤge zu ähnlihen Anftalten bei Harkort, Weber Armenweſen, 
Kranken⸗ und Invalidencaflen, Hagen 1856. 


In Frankreich foll durch den Bürgermeifter und Pfarrer eine folde Ge 
fellihaft in jeder Gemeinde gebildet werden, für welde ver Prüfen 
nach dem Gutachten des Gemeinderathes es als nützlich erkannt hat, 
V. v. 26. März 1852. 


Im britiihen Reiche ift hiezu ein Oberbeamter (registrar of fr. soc.) in 
jedem der 3 Königreiche behent. Giebt die Hülfecaffe auch Leibrenten, 
fo werden die Berechnungen und Tabellen von einem Fachkundigen ge 
prüft. Iſt dieß geichehen, fo heißt die Gefellihaft beglaubigt (eer- 
tiied) und ihre @elder dürfen an die englifche Bank zur Ablieferung 
an bie Schuldentilgungscafle zu 3 Proc. Zins bezahlt werden (6. 3 
des Gef. von 1850); im entgegengefehten Falle wird die Gelellihaft 
nur eingetragen (registered) genannt, $. 7 dal. Die Verwaltung 
der Staatsfhuld darf LKeibrenten von 4—30 %. jährlidy bewilligen. — 
In Frankreich find zu unterfheiden 1) freie @efellfchaften, welde ın 
Folge des Vereinsgeſ. v. 25. März 1852 Grlaubnig des Praͤfecten 
nachſuchen müflen, wenn fie über 20 Mitglieder zählen, und welde in 
ihren Befugniflen befhrähft find; 2) vollberehtigte Gel. (er 
reconnues), denen die Befugniffe wohlthätiger Anflalten verliehen int; 
3) gebilligte Gef. (s. approuvdes), zwifchen 1) und 2) in der Witte 
fiehend, ohne für stablissements d’utilitd publique erflärt zu fein, weil 
hiezu viele Förmlichkeiten erforderlich find. In Paris befteht eine Gem 
milflon, um ben Zuſtand diefer Anftalten zu beobachten. Erſter Be 
richt derfelben über 5 Jahre, Moniteur 1858 Mr. 234. Zu Ende 15% 
waren 1406 soc. approuvdes mit 167568 Mitgliedern. Dep. Rieber: 
rhein 1856: 18 soc. approuvdes und 125 soc. privees, dieſe mit 11954 
Theilnehmern. 
Angef. engl. Gel. v. 1850 mit angehängten Formularen. 
Den engliſchen Hülfsgefellichaften find geflattet (Geſetz von 155) 
1) Zufiderung einer Summe bei der Geburt eines Kindes eines Kt: 
gliebes oder bei dem Tode eines Mitgliedes, oder zur Beerbigung der 

hefrau oder eines Kindes, aber nicht über 20 2. in jedem einzelnes 
Falle, für ein verftorbenes Kind unter 5 Jahren nicht über 6 £., bei 
5—10 Jahren hoͤchſtens 10 2. 2) Unterflüßung (relief) oder Unterbalt 
(maintenance) der Mitglieder oder ihrer Angehörigen in Kindheit, Alter, 
Krankheit, Wittmenftand u. a. Ballen, bie eine Wahrſcheinlichkeitt- 
berehnung zulaflen. Aber Feine Leibrente darf über 30 2. jührlih Fe 
tragen. 3) Andere vom attorney general von England für geſeplich 
erklärte Zwede. Das ältere Geſetz von 1850 erwähnte noch jener ın 
8. 2: 4) Berficherung der Fahrniß gegen euer, Wafler ıc. 5) Ir 
legung von Grfparnifien zum Anfauf von Lebensmitteln. 6) Unter 
Rügung- jur Auswanderung. — 88 find viele fehlerhafte Binrichtungen 
bei einzelnen Bereinen vorgefommen, 3. B. daß der Ueberſchuß jührlik 
vertheilt wird, wodurd in der Folge, wenn viele Mitglieder alt un! 
hinfällig wurden, die Erfüllung der Anſpruͤche unmöglidy wurde, ſerner 
daß aus den Beiträgen Eoftbare Feſtlichkeiten beftritten, daß die Zuiam 
menlünfte in den Wirthshäufern gehalten wurden sc. 

Die franzöfifchen Gefellfchaften haben Schulen errichtet, Schul 

prämien ertheilt, ben aͤrmſten Mitgliedern in Krankheiten Leibwäld: 
angefchafft, Bücherfammiungen angelegt, Darleihen gegeben (pris 








— 421 — 


d’honnenr), Waiſen verforgt, Lebensmittel angefauft, auch Summen 
angelegt, um den älteflen Mitgliedern einen regelmäßigen Zufchuß zu 
geben (fonds de retraite). — In Frankreich find mancherlei —* 
ten gegeben worden, welche von der großen Aengſtlichkeit der Regieru 
und ihrer Neigung, ſich überall einzumifchen, herrühten; dahin gehoͤ 
bie geforterte Angabe eines namentlichen Verzeichniſſes der Mitglieder, 
die Berpflihtung, Ghrenmitglieder aufzunehmen, welche Beiträge geben 
ohne Unterflügungen anzuſprechen und zu Gefellichaftsämtern wählbar 
find, Ernennung des Borfigenden dur die Regierung ꝛc. — Uebrigens 
it e6 zwedmäßig, wenn fi die Regierung im alle einer Ausartung 
der Geſellſchaft das Recht vorbehält, dieſelbe aufzulöfen. 

In Deutichland beſtehen viele Sterbecaflen für die Begräbnißkoften. 
Zür Krankencaffen hat man genaue Berechnungen über die Zahl und 
Dauer ter Grfranfungen bei verfchiedenen Lebensaltern und Beſchaͤf⸗ 
gungen angeftellt. Heym, Die Kranken: und Invalidenverfiherung. 

eipz. 1863. 


( ) In Großbritanien an den registrar (5), der auch auf Verlangen der 
Geſellſchaft oder einzelner Mitglieder fummarifh gegen die Verwal: 
tungsbeamten (trustees und treasurer) berfelben einfchreiten darf, 
$. 15. 28. 


(s) In Frankreich auch vom enregistrement, ferner ein Staatszuſchuß. 
(4) Bal. (eo). 


() In Frankreich muß fie ein Geichäftszimmer für die gebilligten Geſell⸗ 
haften ſtellen und bie Drudkoflen tragen. 


Dritte Abtheilung. 
Berforgung der Armen. 


L Allgemeine Grundfüge, 
6. 335. 


Die Wohlthätigfeit der Einzelnen fol von der Armenpflege 
bed Staats nicht entbehrlich gemacht oder gelähmt werben, fie 
muß vielmehr die reichfte Duelle bleiben, aus welcher die Mittel 
zur Milderung der Armuth fließen. Inzwifchen ift fie leicht 
dem Mißbrauche ausgeſetzt. Milde Spenden ohne Auswahl 
der unterftügten Perfonen und der Verwendungsart, wenn auch 
aus guter Abficht gegeben, bewirken leicht mehr Uebel, als 
Butes, weil fie die Trägheit und den Müffiggang, bisweilen 
fogar dad Wohlleben begünftigen und bie Zahl der Hülfe- 
fuchenden vergrößern. Kann ſich der Arme leicht Unterftügung 


— 411 — 


verfhaffen oder fogar mit berfelben befier leben, als wenn er 
feine frühere Erwerbethätigkeit fortfegt, fo wirb er geneigt, ſich 
ben Anftrengungen ber Arbeit zu entziehen. Viele fleißige Ars 
beiter, die mit Rabrungeforgen zu fämpfen haben, werben nur 
durch das Ehrgefühl: und die Furcht vor größeren Entbehrungen 
abgehalten, ſich ald arm zu melden. Wenn aber bie übel an 
gewendete Yreigebigfeit der Begüterten biefe Furcht befeitiget, fo 
werben bie Antriebe zum Fleiße und zur Sparfamfeit fo wie 
die Ehrliebe gefchwächt (a). Die Erfahrung zeigt, daß es in 
ſolchen Ländern oder Orten bie meiften Armen giebt, wo man 
am bereitwilligften ihren Bebürfnifien entgegen fommt (b). 


(s) DO y a dans la nombreuse classe des pauvres ouvriers une tentation 
perp6tuelle de passer dans la classe des mendians. Il faut entre ces 
deux olasses &lever une barridre, qui previenne la dösertion du travail 
& la paresse; de Bonnstetten, Pensses sur divers objets du bien 
pubHe, ©. 183. (Gendve, 1815.) — Bol. Möfer, Das Slüd der 
Bettler, in defien Patriot. Phantaflen, L 70. der Ausg. v. 1780. 


(3) Religidfe Beiveggründe haben bäuflg tiefe Hanblungsweife hervorge⸗ 
bracht. Wegen ber rüdfichtslofen Baflfreiheit der Elöfter ift noch jeht 
in Suͤdeuropa bie Menge der Bettler größer, als fle fonft bei ber 
Leichtigfeit, ſich dort den Unterhalt zu gewinnen, fein würbe. Henri VIIL 
... detruisit les moines, nation paresseuse elle-möme, et qui entrete- 
nait la paresse des autres, parceque, pratiquant l’hospitalits, une infinits 
de gens oisifs, gentilhommes et bourgeois, passaient leur vie & oourir 
de couvent en couvent. Montesquieu, Esprit des lois, XXIIL 
Gap. 29. — Die mohamedanifchen Staaten haben überaus viele Arme, 
wegen der in ihren Meligionsgefeßen begründeten Berpflichtung zu einer 
gr ngenlofen Freigebigkeit gegen Arme. In Berfien fchreiben, ohne 

8 der Staat ſich irgend einmifchte, die heiligen Bücher vor, melde 
Duote man den Armen fpenden müfle, 3. B. 10 oder 5 Procent der 
eernteten Früchte, je nachdem fie von bewäflertem ober nicht beiwäflen 
em Lande gewonnen find, nad) Abzug ber Koſten, 21/5 Procent des 
baaren @eldes, welches eine gewifle Summe überfleigt und wenigftens 

11 Monate im Gedel gelegen at; von 5—20 Kameelen wird 1 Schaaf 

abgegeben sc. Auf diefe Spenden hat nicht allein der mißhanbelte 

Sklave, der Profelyt, der unfchuldig Berfolgte, ſondern überhaupt 

jeder Bettler, jeder Dürftige Anſpruch, deſſen Unterhaltsmittel nicht für 

ein Jahr zureihen. Chardin, Voyage, VII, 329. — Auf aͤhnliche 

Weile mußten bie Hebräer alle 3 Jahre den Zehnten ihrer Ernte für 

die Wittwen und Waiſen abgeben, ohne in der Wahl der Berfonen 

befhränft zu fein, wodurch notäwwenbig bie gute Wirkung vieles Ge 
ſetzes ſehr gefchwächt wurde. Hieher laͤßt fih auch die Verpflichtung 
der jübifchen Grundeigner zählen, einen beflimmten Theil der Früchte, 
den man fpäterhin auf wenigftens i / beſtimmte, für die Armen auf 

dem Felde ftehen zu laflen. Bei dem Abernten biefes Theile fcheint «6 

fo flürmifch hergegangen zu fein, daß man den Gebrauch der Sicheln 

wegen bes leichten Verwundens verbieten mußte. Reynior, Econ. 
pubL et rurale des Arabes et des Juifs, ©. 278. — In Hindoſtan, 
wo man noch weiter gebt, iſt auch die Anzahl der Hülfefuchenden grö 

- Die Befugniß der Armen zur Nachleſe der nad ber Grnte 


— 423 — 


zurüdgebliebenen Aehren, Zrauben c. iſt aus ber mofaifhen Geſetz⸗ 
gebung nad) Curopa übergegangen Lubwig IX. verbot, das Vieh eher 
ale am dritten Tage nach der nte in die Stoppen zu treiben, bamit 
die Armen Zeit zur Achrenleſe haben möchten. Indeß ifl dieſe Cin⸗ 
richtung ſowohl landwirthſchaftlich als poligeilig bedenklich. Vergl. 
—— a. a. O., ©. 281, — Fournel, Lois rurales de la Fr. 

18. — Ein gewifler Wood fliftete zu argo in Schottland ein 
Bofpital für AU. bie feinen Namen führen ieß hatte bie Bolge, 
baß es, ungeachtet der Seltenheit diefes Namens in der Gegend, nie 
an Bewerbern fehlte, und um das Jahr 1785 ein Wood im Haufe 
wohnte, beflen Bater, Großvater und Urgroßvater auch darin gelebt 
hatten. Marfarlan, ©. 181. 


$. 336. 


Zergliedert man die Wirkungen einer ungeregelten Wohls 
thätigfeit näher, fo findet man (a): 

1) daß fie die Zahl der Arbeiter vermindert und bie un- 
fruchtbare Verzehrung unnöthig vergrößert, alfo den Anwachs 
bed Capitales verzögert, ohne hiebei durch perfönliche Güter 
irgenb einen Erfag zu leiften (L, 8. 336); es entfteht eine Laſt 
für ale übrigen Staatsbürger, die unter ungünftigen Umſtaͤnden 
unerfcehwinglic werden kann; 

2) daß fie in der Ausfpendung von Gaben na bie Stufen 
folge ber Bebürfniffe berüdfichtigt, indem fie 3. B. ben breiften 
Bettler, welcher erlogene Gebrechen ober — gelten macht, 
eher unterftügt, ald ben reblichen, befcheidenen Armen, und 
dem Einen mehr giebt, als er braucht, den Anbern aber bars 
ben läßt; 

3) daß fie fich felbft theilweife vernichtet, indem Erfahrungen 
über den Mißbrauch bed ertheilten Almofend oder über bie 
Unwürbigfeit der Unterflügten im Allgemeinen bie Neigung 
zur Mildthätigfeit bei vielen Menfchen ſchwaͤchen oder gänzlich 
aufheben ; 

4) daß fie zufällig, Lüdenhaft und ungleichförmig wirft. 

(s) De Görando, I, 440; das 7. Gapitel des 2. Buches iſt über 
fhrieben: Comment les erreurs de la bienfaisance multiplient leg in- 
digens. 

$. 3837. 

Nur eine planmäßige, auf richtige Erkenntniß gegrünbete 
und nad) feften Grunbfägen wirkende Armenverforgung kann 
ihrer Beftimmung entſprechen. Es iſt hiebei, ehe von den eins 


MB 


— 424 — 


zelnen Maapregeln für bie verfchiebenen Elafien von Armen 
die Rede fein fann, im Allgemeinen zu unterfuchen 

I. von wem die Armenpflege audgeübt werden folle, 

II. auf welche Zwecke dieſelbe zu richten fei, 
DI. welche Mittel dafür zu Hülfe genommen werben Fönnen. 

Zu I. Die geordnete Armenpflege kann überhaupt von fols 
genden Organen verwaltet werden (a): 

1) von PBrivatvereinen. Dur die Verbindung vieler 
von Menfchenliebe angetriebenen &leichgefinnten wird ed mög: 
(ich, einen guten Gefammterfolg weit vollftändiger und leichter 
hervorzubringen, als durch die zerfplitterte Thätigfeit und ben 
Aufwand Einzelner, die von verfchiedenen, oft nicht richtigen 
Anfichten und von unficheren Gefühlen geleitet werben. Ver⸗ 
eine zur Armenpflege, fie mögen biefe in ihrem ganzen Umfange 
ober nur in einzelnen Zweigen zu ihrer Aufgabe machen, find 
in hohem Grabe nüglidh: 

8) Sie nähren die Tugend der Wohlthätigfeit, beren Aus⸗ 
übung zugleich biejenigen verebelt, welche fich mit ihr befchäf- 
tigen. 

b) Sie nehmen Mittel und Kräfte zu Hülfe, bie fonft für 
biefe Angelegenheit verloren gehen würben, nämlich bie freis 
willigen Beiträge der Begüterten in einem Umfange, der nicht 
erzwungen werben Eönnte, und den eifrigen, mühevollen Bei 
fand mwohlthätiger Perfonen, welche ihre Muße jenem Berufe 
widmen. Es wirb hiedurch eine größere Anzahl von Mitwir- 
fenden gewonnen und von biefen wirb eine Hingebung unb 
gewifienhafte Sorgfalt angewendet, wie fie von angeftellten Be 
foldeten nicht zu erwarten wäre. 

c) Sie Enüpfen die Armen durch Bande bed Vertrauend 
und der Dankbarkeit an ihre Wohlthäter und geben jenen 
einen Antrieb, fi) der gewährten Unterftügung würdig zu bes 
weifen. 

d)-Sie haben in ber Verwendung ber ihnen anvertrauten 
freiwilligen Beiträge einen weiteren Spielraum, können über 
das augenblidliche dringende Bebürfniß hinausgehen, den Armen 
in der Erhaltung oder Wieberherftellung ihres Erwerbszweiges 
beiftehen ıc., auch nehmen fie fich folcher Armen an, bie in ber 
Gemeinde kein Heimathörecht haben, 8. 339 b.! 


— 435 — 


Es wäre ein großer Berluft, wenn durch die amtliche Armen, 
pflege diefe freiwilligen Leiftungen verbrängt würden, bie ſich 
auf andere Weife nicht erfepen laſſen. Gleichwohl find fle für 
fich allein nicht zureichend. Ihre Wirkungen hängen von ber 
PBerfönlichfeit der Vorſteher ſolcher Vereine ab und find daher 
in Richtung und Stärke veränderlih, auch in einzelnen Orten 
fehr ungleih. Größere und mittlere Städte zeigen meiftene 
die ſtaͤrkſten Erfolge dieſer Bereine, während in Eleineren Ort 
haften zu wenige Perfonen angetroffen werden, in benen bie 
erforderlichen Eigenfchaften fich vereinigen, auch fünnen manche 
Anftalten durch bloße Privatthätigfeit nicht zu Stande gebracht 
werben. 


(a) Schüz in der Zeitfchrift für die gefammte Staatswifl. 1856, S. 610. 


6. 337a. 


2) Die Kirche bat fhon in der früheften Zeit des Ehri« 
ſtenthums die Wohlthätigfeit als eine ihrer wefentlichften Auf- 
gaben betrachtet, für welche unter dem Ramen ber Diafonen 
befondere Armenpfleger in ben Kirchengemeinden beftellt wur 
ben (a). Später hörte bie Mitwirfung ber weltlichen Gemeinde⸗ 
älteften lange Zeit hindurch auf und bie planlofe Verwendung 
ber ben Geiſtlichen, beſonders den @löftern zu Gebote ſtehenden 
Mittel trat an ihre Stelle. Nach der Reformation wurden in 
vielen Gegenden die Firchlichen Armenpfleger aus der Mitte ber 
Gemeinden wieder hergeftellt (5). Da benfelben bie religiöfe 
und fittlihe Wirkſamkeit der Geiftlichen und die Einkünfte des 
firchlichen Stiftungsvermögend zu Hülfe fommen, und ba neben 
der Abhülfe der augenblidlihen Noth auch die fittlichen Urs 
ſachen ber Armuth (8. 327) auf diefem Wege beſſer als auf 
jedem anderen befämpft werben, fo wird mit Recht auf bie 
Armenpflege der Kirche großer Werth gelegt (ec). Es vereinigen 
fich hiebei die Bortheile der Bereindthätigfeit (8. 337) und ber 
Seelſorge. Doch ift auch biefe Art der Armenpflege erfah- 
rungemäßig nicht frei von Unvolllommenheiten. 

a) Vo Anhänger verfchiebener Belenntniffe neben einander 
wohnen, zwiſchen benen es an gegenfeitiger Anerkennung und 





Eintradht fehlt, fommen gemeinfame Anftalten ſchwer zu Stande, 
der Erfolg ift ungleihförmig und unvollfändig. 

b) Es ift Gefahr vorhanden, daß in der Berwaltung bie 
volföwirthfchaftlihen Grundfäge hintan gefegt und deßhalb 
bie vorhandenen Mittel nicht ganz zwedimäßig verwendet werben. 

c) In einem Theile der Kicchfpiele find die zur Armenpflege 
verwendbaren Einfünfte unzulaͤnglich. 

d) Wie andere Privatvereine ($. 337) bedarf auch bie Thaͤ⸗ 
tigkeit der Kirchlichen Armenpfleger bed Beiftandes einer Gewalt, 
welche befchlen und verbieten kann. 

(a) Lechler, Ganbbädilein. für, Aeltefte und Diakonen der evangelifhen 

Kirche, Franff. 1857. 

(5) Borzäglih in der —— Kirche von Frankreich und Schottland. 


(c) v. Rochow und Reche in den oben ($. 324 (q)) anaefäfrinn 
Schriften. — Ghalmers, Die kirchliche Armenpflege, D. von D. 
v. Gerlach, Berlin 1847. — Plitt und Rau, Die Hriftl. Armens 
pflege, herausgeg. v. Sundeshagen, Franff. 1855. 


$. 338. 


3) Die Ortögemeinde (fog. politifhe Gemeinde), 
da fie die nachtheiligen Folgen der Armuth ($. 324) am ſtaͤrk⸗ 
fien empfindet, bat nidyt allein eine fehr nahe liegende Auffor⸗ 
derung, fondern auch gute Gelegenheit, ſich ihrer armen Mit⸗ 
glieder anzunehmen. Die Mitglieder der Gemeinbebehörbe find 
mit den örtlichen Urfachen bed Verarmens, mit den Mitteln 
zur Verhütung befielben und zur Verforgung der Nothleidenden 
am beften befannt, vermögen für beide Zwecke nachdruͤcklich zu 
wirfen, die vorhandenen ©emeinbeanftalten dazu zu benugen, 
auch die Geichäfte der Armenpflege mit anderen Zweigen ber 
Gemeindeverwaltung in gute Verbindung zu feben. Eine uns 
überlegte allzu freigebige Unterflügung ift von den Gemeinde 
beamten nicht zu beforgen. Aus biefen Gründen hat in den 
meiften Ländern die Staatögewalt den Gemeinden die Pflicht 
auferlegt, ihre Armen zu verforgen, foweit bieß nicht von ben 
unter -1) und 2) befprochenen Organen gefchieht. Gleichwohl 
hat auch diefe Einrichtung ihrer Natur nach Gebrechen, welde 
bald mehr, bald weniger wahrgenommen werden. Dahin ift 
zu rechnen: 





— 427 — 


3) Die Beſchraͤnktheit der Mittel in folchen Gemeinden, die 
im Berhältniß zu der Zahl der Begüterten viele Arme haben, 
befonder® auf dem Lande; 

b) der Mangel einer fittlichen Einwirkung und einer ben 
Zuftand ber einzelnen Bamilien ind Auge faflenden Sorgfalt, 
weßhalb bie nach gewiffen angenommenen Regeln und einer 
amtlichen Geſchaͤftsform ertheilten Unterſtuͤtzungen oft für ihre 
Beſtimmung unzureichend find; 

c) der Umftand, daß Gemeindebeamte gewöhnlich weder 
befugt noch geneigt find, aus ©emeinbemitteln etwas für ſolche 
arme Einwohner zu thun, die nicht das Ortsheimathörecht bes 
figen, fowie für ſolche, deren Armuth nicht aus einer unzweis 
felhaft erkennbaren Urſache, wie die Arbeitsunfähigfeit aus koͤr⸗ 
perlichen Urfachen, entfpringt; 

d) die Berfchiedenheit der Grundſaͤtze, nah denen beim 
Mangel einer höheren Leitung in den einzelnen Gemeinden vers 
fahren wird. 

Aus den Umftänden a— co erflärt es fi, daß an vielen 
Drten neben ber Gemeinde»Armenbehörbe noch freie Vereine 
entftanden find, bie fich eine weiter gehenbe Unterſtuͤtzung aller 
Armen ober einer einzelnen Claſſe von ihnen zum Ziele ſetzen, 
aber bei dem Mangel an Zufammenhang unter ben verfchiedes 
nen Anftalten wieder die Gefahr der mehrfachen oder wenigftens 
ungleichen Hülfe herbeiführen. 


$. 338 a. 


4) Die Staatsgewalt barf fih aus biefen Gründen 
(8. 338) nicht darauf befchränken, die Armenpflege den Ges 
meinden aufzuerlegen, fle muß vielmehr fortbauernd zu berfelben 
mitwirten, weil dieſe auf einen wichtigen Theil der wirthfchaft- 
lichen Staatözwede gerichtet it und weil der wuͤnſchenswerthe 
und erreichbare Erfolg ohne den Beiftand ber Regierung nicht 
zu Stande fommen würde. Es ift nämlich nur durch biefen 
moͤglich: 

a) bie nöthige Gleichfoͤrmigkeit der zu befolgenden Grund» 

fäge im Ganzen und fortdauernd bervorzubringen, wobei 
jedoch Berfchiebenheiten im Einzelnen nad Maaßgabe 


— 48 - -- 


örtlicher und zeitlicher Umftänte nicht ausgeſchloſſen zu 
werden brauchen, 

b) folhe Anordnungen zu treffen, die mit poligeilicyen 
Zweden zufammenhängen und einen gefeglichen Zwang 
erfordern, 

c) einzelne örtlihe WMißverhältniffe zwiſchen dem Bebarfe 
und den vorhandenen Mitteln zu befeitigen, 

d) Anftalten zu Wege zu bringen, die nicht für einzelne Orte, 
fondern für ganze Bezirke beftimmt find, 

e) einer ungewöhnlidy großen, durch bejondere Ereignifle ent 
ftandenen Roth abzuhelfen, gegen welche bie früher er 
wähnten Organe der Armenverforgung nicht genug aus 
richten können. 

Da es offenbar nicht rathfam if, die in Nr. 1—3 
(8. 337 — 39) erwähnten Organe durch Staatöbeamte zu ers 
feßen, weil diefe viel weniger ausrichten Fönnen als jene, fo 
bleibt für die Regierung nur die Aufgabe, dasjenige zu thun, 
was allein von ihr gefchehen fann. Ihre Thätigfeit äußert 
fi) daher 

a) in ber Aufftelung allgemeiner gefeplicher Borfchriften 
für die Zufammenfegung, die Pflichten und Rechte der Armen: 
behörben, für die Gründung und Berwaltung ber ald unents 
behrlich anzufehenden Armenanflalten, endlich für die Aufbringung 
von Beiträgen, wenn bie übrigen infünfte den nothwendigen 
Bedarf nicht deden; 

b) in ber Errichtung einer befonderen Oberbehörbe, welche 
bie ganze Armenpflege des Landes überwacht und leitet, aud) 
alle Zahlenangaben über diefen Gegenftand fammelt (a); 

c) in ber Beihülfe, welche verfchiedene Staatöverwaltungs- 
behörben und einzelne Beamte für die Zwede ber Armenverfor 
gung zu leiften haben. 


(a) Oberfle Commiſſtion in England, Poor law commission, Geſetz vom 
14. Aug. 1834 (4. 5. Wild. IV. &. 76). — Nah dem Bel. vom 
23. Juli 1847 (10. 11. Bict. &. 109) müflen ber Präfident des ges 
heimen Raths, der Giegelbewahrer, der Staatsferretär (Minifter) des 
Innern und der Schatzcanzler (Finanzminifter) Mitglieder fein. Die 
Commiſſion flellt Infpectoren an, welde bie einzelnen Bezirke und 
Orte befuhen. — In Würtemberg befteht eine tem Minifierium bes 
Innern untergeorbnete Armencommiffion und ein oberfler Ausfchuß bes 
Wohlthätigkeitövereins, 1817 von der Königin Katharina gegründet, 
mit einer Berzweigung nad Aemtern und thaften. 


— 429 — 


$. 338 b. 


Weder die amtlich vorgefchriebene und geregelte Wirkfam- 
feit der Staatds und ©emeindebeamten, noch die kirchliche 
und die frehvillige Bereinsthätigfeit ift zur beften Armen- 
verforgung entbehrlihd. Es wäre aber auch nicht gut, wenn 
diefe verfchiebenen Organe für fi) und ohne Rüdficht auf ein- 
ander handelten, vielmehr ift ein Zuſammenwirken berjelben an 
jedem Orte zu wünjden. Hiezu dient die Anordnung von 
Armenpflegen (Armencommiffionen, Pflegichafts- 
räthen), die aus Abgeordneten der Ortd> und der Kirchen» 
gemeinde und aus Beiftlichen beftehen und bei deren Zufammen- 
fegung darauf gejehen wird, daß ihre Mitglieder die erforderlichen 
perfönlichen Eigenfchaften (8. 337) in fidy vereinigen (a). Diefe 
Commiſſionen fönnen ſich noch weitere freiwillige Gehülfen beis 
gejellen, auch mit den ſchon vorhandenen wohlthätigen Privat- 
vereinen in Derbindung treten, jo daß von biefen einzelne 
Geſchaͤftszweige uͤbernommen werden, oder daß wenigftend im 
Ganzen guted Zufammenwirfen und Ordnung hergeftellt wird (D). 
Für dad Nähere der Organifation der Armenverforgung laflen 
fi nicht wohl allgemeine Regeln aufftellen, weil man auf bie 
in jedem ande oder an jedem Orte ſchon vorhandenen Eins 
richtungen, foweit fie ſich als nützlich bewährt haben, Rüdficht 
nehmen muß. Neben den Ortscommiſſtonen find, beſonders 
für Landgemeinden, Bezirföpflegen (Bezirkscommiſ— 
fionen) nüglih. Der Wirkungskreis derſelben ift in verfchies 
denen Ländern auf ungleiche Weife beftimmt worden, fo baß 
fie bald die Hauptorgane bilden (c), bald nur dasjenige ergäns 
zen, was die Ortsbehoörden nicht zu thun vermögen und ſich 
folglich auf gewiffe zugewiefene Berrichtungen befchränfen (d). 
(a) Der Orts: Pflegichaftsrath in Baiern befteht aus dem Bürgermeifter, 

einigen Abgeordneten bes Gemeinderaths, den Pfarrern, dem Gerichts: 

arzt oder einem andern Arzt und mehreren von dem größeren Gemeinde: 
collegium (Bevollmächtigte) gewählten Einwohnern. In fog. unmittel: 
baren Städten fommt der f. Kommiflar als Vorfigender und ber zweite 

Bürgermeifter hinzu. — Baden: Die nädhfte Behörde find die Kirchen: 

älteflen (Kirchengemeinderäthe, presbyteri) mit den Drtögeifllihen. Wo 

fih milde Stiftungen befinden, da befleht eine Armencommiffion aus 
ben Beiftlihen, dem Amtsarzt, dem erſten Bürgermeifter und einigen 


Einwohnern aus den fämmtlihen Kirchengemeinden. — Frankreich: 
Der Gemeinderat ernennt ein bureau de bienfaisance von 5 Mitglie⸗ 


— 430 — 


dern, ober nach Beduͤrfniß mehrere buresux. Der Verwalter (Gaffier) 
wird auf Vorſchlag des bureau vom Präfeeten ernannt. . 7. Fri⸗ 
maire V (1797), V. 6. Juni 1830. Im 3. 1837 befanden fih in 
9336 Gemeinden foldye Bommiffionen, in 27484 Bemeinden fehlten fie 
noh! Im Dep. Oftpyrenden Hatte 1 Gemeinde auf je 32, im Dep. 
Loire 1 auf 31, in Gorflca fogar 1 auf 71 Gemeinden ein bureau! 
de Watteville, Rapp. ©. 39. — 1853 beftanden 11409 bureaux, 


(5) Beichlüfle des Frankfurter Gongrefies (I, 161) auf Antrag der Com⸗ 


() 


miffton (vorzüglid von Ducpetiaur): „Die Armenpflege ift öffent: 
liche oder private; jene wird von der Gemeinde, den Provinzen oder 
dem Staate geübt, dieſe von weltlichen (Isiques) oder teligiölen Ver⸗ 
einen oder von einzelnen Berfonen. — In ber Regel foll die Austheis 
lung von zeitweiligen einzelnen Unterflüßungen (secours individuels et 
momentands), al® Almofen oder unter jeder anderen Form, der öffent: 
lien Armenpflege fremd bleiben, außer im alle der Außerfien Roth 
und als vorübergehende Maafregel; dieſe Unterflüßungen und Almofen 
gehören weientlih in das Gebiet der Brivatwohltgätigfeit. — Die 
Öffentliche Armenpflege fol grundfäßlich beſchraͤnkt fein auf die Linde: 
rung der Armuth, die von der vollfommenen Arbeitsunfähigfeit her⸗ 
rührt, aus Alter und förperlichen oder geiRigen Uebeln (infirmites), .... 
foweit nicht ſchon durch Privatwohlthätigkeit dafuͤr geforgt ft.” — 
Für diefe Beichränkung der öffentlichen Armenpflege fpricht der Grund, 
daß die Arbeitsunfähigfeit am leichteften erfennbar, von dem Berhalten 
der Arınen unabhängig, alfo das Hülfsbedürniß am meiflen außer 
Zweifel it. Indeß muß man doc von diefer Megel viele Ausnahmen 
machen, ba 3. DB. ſelbſt die Schuld des Hausvaters nicht von einer 
Unterflügung feiner Angehörigen abhalten darf und die Erwerbloſigkeit 
nicht felten eben fo — Noth verurſacht ale die natürliche Unfähigkeit 
jum Erwerbe. — Gin Privatverein von ungewöhnlih großem Umfang 
R der St. Johannisverein in Baiern, eine Schöpfung des Königs 
Mar I, im Jahre 1863 gegründet. Gr Hat eine vielfeitige Wirkſam⸗ 
feit und fleht mit den Organen der Staatsarmenpflege in Verbindung. 
Der Hauptverein fleht unter einem vom König ernannten „Gapitel“ 
und bat Bmweigvereine unter fih, welche an das Gentralcapitel Berichte 
erftatten und von ihm nöthigenfalls Rath und Beiſtand erbitten. 1856 
hatte der Hauptverein 3546, die 607 Zweigvereine hatten 81429 Mits 
glieder, auch Hatten ſich 147 verwantte Bereine mit 29668 Mitglies 
dern angeichloflen. Im J. 1859/60 waren bie Binnahmen 758000, bie 
Ausgaben 685000 fl., das Bermögen war 1215150, die Schulden 
532580 fl. Congrös de Francf. II, 64. 


So in England nah dem Gef. von 1834. Weil es dort an einer 
Eintheilung des Landes für die Staatsverwaltung unter die Grafſchaft 
dead fehlt, fo wurden befondere Armenverwaltungsbezirfe (Unions) ges 
ildet ($. 328 (e)), deren Anzahl im 3. 1862 649 war (mit Ginreds 
nung vereingelter Kicchfpiele), mit durchſchnittlich 25— 26000 Einw., 
ber Fleinfte mit 2500, der größte (Liverpool) mit 255000 Ew. ons 
don enthält zwiihen 20 und 30 Unionen, von 12000 — 139000 Gm. 
Sr Die einzelnen Kirchfpiele tragen nach dem Verhältniß ihrer 
heren Armenausgaben zu der Bezirkscafle bei (®ef. v. 1834 $. 26), 
es kann jedoch aud eine ganz gleichmäßige Beiſteuer eingeführt wers 
den ($. 34). Jeder Bezirk hat einen Pflegſchaftsrath (board of guar- 
diens), jedes zugehörige Kirchfpiel (parish) feine Armenauffeher ober 
Pfleger (overseers). 


In Baiern rw die Gemeinden eines Polizeibezirkes (Landgerichtes) 
einen gemeinjchaftlichen Diftricts-MArmenpflegichaftsrath, der fich nur ein 


— 41 — 


mal im Jahre vollkändig (als Plenum) verfammelt und für die lau⸗ 
fenden Geſchäfte einen Nusihuß von 5—9 Mitgliedern beftellt. Die 
Beſtimmung diefes DBezirferathes if, die mit Armen überladenen Ge⸗ 
meinden zu unterflügen und für Bebürfniffe nicht örtlicher Art mit 
vereinigten Kräften zu wirken, B. v. 17. Nov. 1816. Inftruction v. 
24. Dechr. 1833, 8. 55. — Bezirks: Eommilflon in Sachſen, Armen: 
Ordnung vom 22. Ditober 1840 bei Schaffrath, Codex Baxonic. 
II, 1334, 


8. 339. [337 b.] 


Zu I. Was bie durch die Armenpflege zu erreichenden 
Zwede betrifft (8. 337), fo ift zunächft das rechtliche Ver⸗ 
haͤltniß der Armen zur Staatögewalt in Betracht zu ziehen. 
Man hat öfter ein Recht der Armen angenommen, aus öffent- 
lichen Mitteln verforgt zu werden. Died würde die Regierung 
verpflichten, zur Beftreitung der Unterhaltungsfoften der Armen 
das, was nicht aus anderen Mitteln gebedt wird, burdy er- 
zwungene Abgaben (Armenfteuern) von den Bürgern zu erheben. 
Diefem Grundfag der fogenannten geſetzlichen Armen- 
verforgung (charite l&gale) (a) ftehen gewichtige Gründe 
entgegen. 

1) Das erwähnte Recht des Armen, feinen Unterhalt vom 
Staate anzufprechen, iſt aus dem Weſen und der Beilimmung 
des letzteren nicht zu erweifen, weil die Volkswirthſchaft auf 
dem freien Willen der Bürger in ber Wahl ihrer Erwerbs⸗ 
wege, ihrer Rieberlafiung und Verehelichung ıc. beruht ($. 324) 
und ber Geſammtheit Feine Haftbarfeit für den Erfolg biefer 
Entfchlüffe und Beftrebungen zugemuthet werden Tann. Bei 
ber verfchuldeten Armuth ($. 327) ift dieß ganz unzweifelhaft, 
aber ed läßt ſich auch bei der unverfchuldeten behaupten und 
felbft bei der entgegengefegten Anficht müßte doch immer erft 
erforfcht werden, ob die Armen nicht früher verfäumt haben, 
einen Rothpfennig zu jammeln ıc. (6). 

2) Das Zugeftehen eines folchen Rechtes hat fehr nachthei⸗ 
lige Folgen, denn 

a) ed überhebt die Dürftigen ber eigenen, eifrigen Sorge 
für ihren Unterhalt und die Ernährung ihrer Familie, gewöhnt 
fie daran, fi auf den Staat zu verlafien, verleitet fie zum 
Unfleige, zum 2eichtfinne, zur Verſchwendung, bringt folglicy 
eine Bermehrung der Armen hervor (c); 


— 42 — 


b) es nährt unter benfelben den Trotz auf ihre Anfprüce 
und dad Widerftreben gegen die auf ihre Beflerung gerichteten 
Maapregeln ; 

c) ed ift fehr foftbar und legt den Steuerpflichtigen eine 
empfindliche Laſt auf; 

d) es zerftört großentheild die Privatvohlthätigfeit. 

Wenn jedoch gleich, die Regierung ben Armen gegenüber 
feine rechtliche Verbindlichkeit hat, diefelben zu verforgen, jo if 
doch in ihrer allgemeinen volföwirthfchaftlichen Aufgabe bie 
Pflicht enthalten, auf die Milderung des in der Armuth lie 
genden Uebeld bedacht zu fein und bazu beizutragen, daß fein 
Rothleidender hülflos bleibe ($. 340), ed mag bieß unmitte- 
bar von ihr oder durch andere Organe bewerfftelliget werben, 
bie mit ihr in Uebereinftimmung handeln. Der Arme, der eine 
Unterftügung nachſucht, kann nicht eine beftimmte Art und 
Größe derfelben verlangen, fonden muß erwarten, was nad 
der Erforfchung feiner Rage und der Umftände im Allgemein 
für ihn geſchehen kann, auch muß er fi ben Bebingungen 
unterwerfen, mit weldyen bie ihm gewährte Hülfe zur Verhütung 
ded Mißbrauch verbunden wird (d). Yür den immer mög 
lichen Sal, daß die Armenpfleger ihre Obliegenheit verabjäu 
men, ift es bienlich, daß der Arme eine vorgefegte volkswicth⸗ 
ſchaftliche Behörde anrufen barf. 


(a) Diefer Ausprud ift von der Malthus’schen Schule gebraudt werten. 
Navflle a. a. O ($. 324 (ec) 4.) bezeichnet die befchriebene Richtung 
der Megierungsthätigfeit mit dem Namen: unbefhränfte gelch: 
lihe Armenpflege oder Syflem der Armenfteuer, und nen 
als weſentliche BeftandtHeile derfelben 1) die Feſtſehung der Hemalhk 
rechte, 2) die gefehliche Befimmung, wann Jemand als arm gelte, 
3) das Hecht der Armen, wegen verfagter Unterfiügung eine hoher 

ehörde anzurufen, 4) die @rgänzung der vorhandenen Hüffsmitkl 
durch eine Steuer. Gr bemüht ſich in der angeführten Schrift, te 
Gebrehen dieſes Syſtems zu fhildern, geht aber zu weit, indem a 
auch foldhe Binzichtungen tadelt, die nicht allein aus jenem @runtiaf 
herzuleiten und deren Bortheile überwiegend find; auch ift dieſes Gufkem 
in feiner Bolltändigfeit weniger verbreitet, ale NR. glaubt, unt me: 
ſtens nur einige Annäherung an baflelbe zu finten. — Die a. Eaqute 
des K. Waadt (vorzüglich daf. II, 71) flimmt mit den Hier aufgze⸗ 
ftellten Grundfäßen überein, giebt die Gebrechen der fog. charits legale 
zu, zeigt aber fehr gut, daß man darum nicht die ganze Armenpilegt 
des Staats fallen laſſen dürfe, daß die in dem genannten Ganten be 

Ir Pr Einrichtungen nicht das fchroffe Gepräge des von Naville 

eihilderten Crirems an ſich tragen, und daß e6 befler fei, fir ven 
ihren Mängeln zu befreien, als fle ganz aufzugeben. — Programm mr 








— 433 — 


den Frankfurter Songeh (von der Brüffeler Organiſationscommiſſion 
entworfen) S. 5: „In Widerſpruch hiermit (nämlich dem Grundfag, 
daß öffentlihe und Privatwohlthätigfeit zufammenmwirfen, auch nidt 
bloß die augenblickliche Roth lindern, ſondern auf die Verhütung ber: 
felben bedacht fein follen) ſteht, wenn durch öffentliche Anftalten ven N. 
die eigene Sorge für ihr Schidfal abgenommen oder das Bewußtfein 
der Nothwendigkeit diefer eigenen Fürhor e gefhwädht wird. Es darf 
daher fein Recht auf die Unterſtuͤtzung öffentlicher Anftalten anerkannt 
werden, wenn fchon die NRotbwendigfeit erfordert, daß von Seite des 
Staats gewiflen Außerfien Notbfällen begegnet werde.” 


(5) Das angeblihe Recht könnte auch bei arbeitsfähigen Armen nicht bar- 
auf gehen, müßig erhalten, fondern nur in eine den Unterhalt gewäh: 
rende Beichäftigung gelebt zu werden. 


(e) Diele Nachtheile find außer England befonders im Canton Bern zum 
Vorſchein gefommen, wo ungeadhtet der Wohlhabenheit im Ganzen und 
vieler angewendeter Gegenmittel die Armuth ſich fehr vermehrt hat. 


(d) Die Hier bezeichnete Art der Staatsarmenpflege wird von de Görando 
(I, 492) im Gegenfaße der fog. charit& lögale mit den Ramen bien- 
faisance publique bezeichnet. Ueber die in verfchiedenen Ländern be 
fiehenden gefeglihen Borfchriften (Senior) Preface to the foreign 
communications relative to the support and maintenance of the poor, 
1834. fol. 


6. 339. 


Aus den voraudgefhidten Sägen find folgende Hauptregeln 
für die Armenpflege abzuleiten: 

1) Rur wirklich hülflofe Arme find der Gegenſtand derſel⸗ 
ben, alfo nicht folche, die von Verwandten (a), von befonderen 
Stiftungen u. dgl. unterflügt werben, oder bie arbeitöfähig find 
und zugleidy ®elegenheit finden Eönnen, den Unterhalt zu vers 
dienen. Es ift viele Sorgfalt nöthig, um von fämmtlichen 
Hülfefuchenden diejenigen audzufcheiden, welchen der Beiftand 
aus einem der angegebenen Gründe verfagt werden muß. 

2) Den Armen fol nicht mehr gewährt werden, ald der 
nöthigfte Unterhalt, fo daß unter den Arbeitern die Antriebe 
zur eigenen Anftrengung, zur Erhaltung des Vermoͤgens und 
zur Sparjamfeit nicht gefchwächt und bie bürftigen Arbeiter⸗ 
familien nicht in Berfuchung gefegt werden, in Zrägheit zu 
verfinfen und ohne Roth fremde Hülfe anzufprecdhen, 8. 335. (b). 

3) Arbeitsunfähige werden nad) Maaßgabe ihred Zuſtandes 
und ihrer Samilienverhältniffe in Armenhäufern erhalten oder 
bei ihren Angehörigen unterftüßt. 

4) Soweit die Armen nod) arbeitsfähig find, follen fie nicht 


müffig erhalten werden. Dieß ift notwendig, theild um an 
Rau, polit. Delon. II. 2. Abıh. 5. Ausg. 28 


— 434 — 


ben Koſten zu ſparen und feine Kraft unbenutzt zu laſſen, 
theils um die Armen ſowohl in ihrem eigenen Gefuͤhl als in 
der Achtung ihrer Mitbürger emporzuheben und der demuthigen⸗ 
den Abhängigkeit von fremder Wohlthätigfeit ganz oder zum 
Theile zu entheben. Hiezu gehört: 

a) daß denen, die ſich im Beſitze voller Arbeitöfähigfeit bes 
finden, Gelegenheit verfchafft wird, ſich zu erhalten, 

b) daß diejenigen, welche aus Trägheit und Hang zu einer 
ausfchweifenden Lebensweife, 3. B. dem Bettel, von ber bar 
gebotenen Gelegenheit feinen Gebraud) machen, durch Zwang 
dazu angehalten werben, 

c) daß auch foldhe Arme, welche ſich nicht ganz ernähren 
können, noch foweit, ald es ohne Nachtheil für ihre Geſundheit 
gefchehen kann, beſchaͤftiget werben. 

5) Die nothwendige Vorbedingung einer guten Armenpflege 
ift deghalb die genaue Kenntniß von dem Zuftande ber armen 
Familien. Nur durch fie wird es möglich, die noch unverforg- 
ten (hülflofen) Armen zu erkennen, fie in verfchiedene Elaffen 
zu theilen (3), und in jedem einzelnen Yalle die beſten Mittel 
zur Verforgung audfindig zu machen. Um bie Richtigkeit ber 
bei der Anmeldung gemachten Angaben zu prüfen und die ganze 
Lage der Familien in wirthfchaftlicher und fittlicher Hinfidht zu 
erforfchen, auch in beiden Beziehungen vortheilhaft einzuwirken, 
find wiederholte Beſuche in den Wohnungen der Armen 
nöthig (c) und damit ber hiezu erforderliche Zeitaufwand nicht 
zu läftig werbe, muß eine ſolche Anzahl von Gehülfen beider 
Gefchlechter (Diakonen, Diakonifien) der Armenpflege gewonnen 
werben, daß jede einzelne ‘PBerfon nur wenige Samilien zu bes 
forgen hat (d). Durd öfteren Wechſel zwifchen den Bezirken 
biefer Armenpfleger läßt fih bewirken, daß mehrere berfelben mit 
jeber armen Yamilie bekannt werben und der Abgang eined 
Einzelnen weniger förend wird. Die erlangte Kenntniß kann 
in einer ausführlich tabellarifch eingerichteten Armenbefchrei- 
bung niedergelegt werben, die zugleich als Grundlage ber 
Armenftatiftif dient (e). 


(a) Fir bürgerlihe Met muß hierüber die nöthigen Beſtimmungen mit 
Müdfiht auf das Grbreht enthalten. Die Verbindlichkeit (unter ber 
Vorausfegung, daß die DBermögensumflände ihre Erfüllung möglich 








— 433 — 


den Frankfurter Gengreß (von der Brüffeler Organifationscommifkon 
entworfen) S. 5: „In Widerfpruh hiermit (nämlich dem Grundſatz, 
dag öffentlihe und Privatwohlthätigfeit zuſammenwirken, auch nicht 
bloß die augenblidlidhe Roth lindern, fontern auf die Verhütung der⸗ 
felben bedacht fein follen) ſteht, wenn durch öffentliche Anftalten den A. 
die eigene Sorge für ihr Schidjal abgenommen oder das Bewußtfein 
der Nothwendigkeit diefer eigenen Fuͤrforge gefchwächt wird. Es barf 
daher fein Recht auf die Unterflüpung öffentlicher Anftalten anerfannt 
werden, wenn fchon die Notbwendigfeit erfordert, daß von Seite bes 
Staats gewiffen aͤußerſten Nothfaͤllen begegnet werde.“ 


(4) Das angeblidhe Recht könnte auch bei arbeitsfähigen Armen nicht dar⸗ 
auf gehen, müßig erhalten, fondern nur in eine den Unterhalt gewäh: 
rende Beichäftigung gefeßt zu werden. 


(ec) Diele Nachtheile find außer England beionders im Ganton Bern zum 
Borfchein gefommen, wo ungeachtet der Wohlhabenheit im Ganzen und 
vieler angewendeter Gegenmittel die Armuth fich fehr vermehrt hat. 


(I) Die hier bezeichnete Art der Staatsarmenpflege wird von de Görando 
(I, 492) im Gegenfabe der fog. charit& lögale mit dem Namen bien- 
faisance publique bezeichnet. Ueber die in verfchiedenen Ländern bes 
fiehenden gefeplihen Vorſchriften (Senior) Preface to the foreign 
communications relative to the support and maintenance of the poor, 
1834. fol. 


8. 3398. 


Aus den vorausgefchidten Sägen find folgende Hauptregeln 
für die Armenpflege abzuleiten: 

1) Rur wirklich hülflofe Arme find der Gegenſtand berfel- 
ben, alfo nicht folche, die von Verwandten (a), von befonderen 
Stiftungen u. dgl. unterflügt werden, oder bie arbeitöfähig find 
und zugleich Gelegenheit finden können, den Unterhalt zu vers 
dienen. Es ift viele Sorgfalt nöthig, um von fämmtlichen 
Hülfefuchenden diejenigen auszuſcheiden, welchen der Beiftand 
aus einem der angegebenen Gründe verfagt werden muß. 

2) Den Armen fol nidyt mehr gewährt werben, ald ber 
nöthigfte Unterhalt, jo daß unter den Arbeitern die Antriebe 
zur eigenen Anftrengung, zur Erhaltung bed DBermögend und 
zur Sparjamfeit nicht gefhwädt ‚und die bürftigen Arbeiter 
familien nicht in Verſuchung gefeßt werden, in Trägheit zu 
verfinfen und ohne Roth fremde Hülfe anzufprechen, 8. 335. (2). 

3) Arbeitsunfähige werden nach Maaßgabe ihres Zuftandes 
und ihrer Samilienverhältniffe in Armenhäufern erhalten oder 
bei ihren Angehörigen unterftügt. 

4) Soweit die Armen noch arbeitsfähig find, follen fie nicht 


mäüfftg erhalten werden. Dieß iſt nothwendig, theild um an 
Rau, yolit. Dekon II. 3. Abıh. 5. Ausg. 28 


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— 485 — 


machen) ſollte außer der abs und aufſteigenden Linie auch auf Ge 
ſchwiſter erſtreckt werben. 


„Der Hauptgrundſaß in Bezug auf die geſetzliche Armenpflege (togal 
relief of the poor) it, daß bie Lage ber Armen im Ganzen minder 
angenehm (less eligible) ſei, als die der unabhängigen Arbeiter. Wird 
dieß nicht beobachtet, fo zerilört das Geſetz bie Rärtflen Antriebe zu 
guter Aufführung, beharrlihem Fleiße, Borausfiht und Sparſamkeit 
unter den arbeitenden Glaflen, und verleitet Berionen, durch Muͤſſig⸗ 
gang oder Lüge der Armencafje zur Laſt zu fallen.“... Beport of the 
poor &” commissioners on the continuance of the poor law commis- 
sion ©. 4b. 


(e) Mit Recht legt de Gérando hierauf großen Werth, f. deſſen a. Bud: 
Le visiteur du pauvre, 3 B. Gap. 2, 20 u. 21. 


(d) Das fog. Armenpatronat, patronage. Solche Armenpfleger haben Ges 
legenheit, auf Reinlichfeit, Ordnung, Fleiß, Grziehung der Kinder, 
Sparjamfeit sc. einen guten Ginflug auszuüben. 


(e) In diefer Beichreibung iR enthalten: Rame, Wohnung, Alter aller 
Bamilienmitglieder, Sefundheitszuftand, Beſchaͤftigung, Urfache der Ar: 
muth, Schulden, Betragen, bisherige Unterftügung ıc. Diefe Angaben 
müffen von Zeit zu Zeit ergänzt werten. Man fcheut oft die Mühe, welche 
eine ſolche Armenbefegreibung erfordert und verläßt fi auf das Ge: 
daͤchtniß der Armenpfleger, allein dieſe flerben oder treten mit der Zeit 
zunid. Ges if nüglih, die Schidfale der armen Familien im Laufe 
der Jahre aufgezeihnet zu finden. — In Baiern wird jährlih im 
Herbſt eine Hauptarmenbeſchreibung aufgeftellt. 


(Ö 


ur 


8. 339b. 


Die wohlthätigen Bereine find in ber Wahl der zu unter- 
ftügenden PBerfonen frei. Bei Stiftungen ift nicht felten eine 
hierauf fich beziehende Beſtimmung des Stifterd ausgeſprochen. 
Für die Unterflügungspflicht der Gemeinden muß gefeglich vor- 
gefchrieben werden, auf welche Berfonen ſich jene Pflicht und 
die Befugniß zur Verwendung der vorhandenen Mittel erftrede. 
Die Gemeinde, welche für einen verarmten Staatöbürger zu 
forgen hat, kann bie Unterfitügungsheimath, domicile 
de secours, genannt werden. Begründet dieſes Berhältniß 
auch nicht ein Recht des Armen ($. 339), fo brüdt es doch 
aus, daß berfelbe von Feiner anderen Gemeinde Beiftand zu 
erwarten habe und daher der Sorgfalt feiner Unterftügungss 
heimath zugewiefen ſei. Gewöhnlich fällt diefe mit dem buͤr⸗ 
gerlihen Heimathörechte zufammen. Je häufiger aber Bür⸗ 
ger einer Gemeinde ihren Aufenthalt in einer anderen nehmen, 
befto mehr Nachtheile kommen bei jener Einrichtung zum Vor⸗ 


ihein. Sie hat die Folge, daß die Gemeinde des Wohnortes, 
28* 





— — 438 — 


der Armen hinwegfallen und die Unterſtüßzungsheimath ber Wohnort 
fein. — Gef. 24. 25. Viet. 0.55. (1. Aug. 1861): Wer in einem cter 
mehreren Kicchfpielen einer Union 3 Jahre gelebt hat, ohne Armen; 
Unterftügung zu erhalten, darf aus ber Union nicht mehr fortgewieien 
werden. Es gilt folglich jeßt von dem Armenbezirk, was nad) dem 
Gef. von 1846 für die einzelne Kirchgemeinde’ feftgefebt war. IM ber 
Pater irremovable geworden, fo gilt dieß aud von feinen Kindern 
unter 16 Jahren. 


(5) Bad. DB. v. 16. Febr. 1838: Dienfiboten und Handwerksgehülfen wer- 
den 4 Wochen lang, wenn die Kranfenbeiträge, Zunftcaflen und Stif⸗ 
tungen nicht zureihen. auf Koften der Gemeinde bes Aufenthaltsortes 
verpflegt. Grfranfen Reiſende, fo ift die Heimathsgemeinde haftbar, 
im alle ter Unbeibringlichkeit die Amtscafle. Die Heimathsgemeinde 
muß fogleidy benachrichtigt werden. 


(0) Bertrag mehrerer deutfcher Regierungen zu Gifenah, 11. Juli 1853, 
bad. Reg. Bl. 1954, ©. 229. 


(d) In Preußen 1 Jahr. — Belgien, Gef. 18. Febr. 1848: Die nähe 
Unterflügungsheimath (domicile de secours primitiß) ift der Geburtsort, 
oder, wenn Jemand zufällig an einem anderen Drte zur Welt fam, 
der tamalige Wohnort der Neltern. Hat aber Jemand 8 Jahre anderswo 
gelebt, fo ift dort feine Unterſtuͤtzungoheimath. In dringenden Fällen 
Hilft die Semeinte des Wohnortes, mit Vorbehalt des Erſatzes ber 
Heimaths⸗Gemeinde. Frankreich: 1jähriger Aufenthalt, Gef. 24. Bend. IL 


8. 340. 

3u II ($. 337). $ür bie Beftreitung der Koften der Ar 
menpflege bieten fi) in ben einzelnen Gemeinden folgenbe 
Hülfsquellen dar: 

1) Ertrag des zu diefem Zwecke befimmten Stiftung; 
vermögend Die Regierung muß wegen ihrer obervormund⸗ 
fhaftlichen Pflichten und Rechte für die Erhaltung, gute Ber 
waltung und ftiftungsmäßige Verwendung dieſes Bermögene 
Sorge tragen (a). Die Verwaltung des für die Armen eines 
einzelnen Drtes beftimmten Stiftungdvermögen® fleht ber bürs 
gerlichen oder der Firchlichen Gemeinde zu, je nachdem jene ober 
diefe die Armen zu verforgen verpflichtet ift und der Stifter bie 
eine oder andere bedacht hat (d). Die befonderen Beſtimmun⸗ 
gen, welche die Stifter ihren Gaben beifügten, erfchweren häufig 
die Armenpflege, indem fie die Hülfsmittel zerfplittern und tie 
Befolgung gleicher Grundfäge verhindern; man muß daher 
darnach ftreben, die wuͤnſchenswerthe Uebereinſtimmung der ver 
fchiedenen wohlthätigen Anftalten herzuftellen, 8. 338 a (a). 

2) Freiwillige Beiträge von Einzelnen, ald Geſchenke, Ber- 
maͤchtniſſe, — Sammlungen bei Luftbarkeiten, Ertrag ber Ar: 








— 437° — 


wenn fie vorher in Kenntniß geſetzt worden iſt und alfo Ges 
legenbeit hatte, den Armen felbft zu verpflegen. 

4) Es ift zwedmäßig, einen nicht langen Zeitraum, 3. 8. 
1 oder 2 Jahre, feftzufegen, nach beflen Verlauf ber Aufents 
haltsort zur Unterflügungsheimath wird (d). Zugleich muß 
dann dem Ausweichen der Unterftügungspflicht durch will 
fürliche Sortweifung vor dem Ende biefer Frift gefeblich vor- 
gebeugt werden. 

5) Die aus bdiefer Verpflichtung entipringende Laſt wirb 
gemilbert, wenn für die ortöfremden Arbeiter duch Hülfscaffen 
unter Mitwirkung ber Babrifherren ꝛc. geforgt wird, ober bie 
Koften auf einen ganzen Bezirk gelegt werben, vgl. (a). 


(a) Die englifche Barlamentsacte von 1601 (43 3. Elifab. Cap. 2) wurde 
in dieſer Hinfiht für fehr nachtheilig gehalten, weil fie den Ueberzug 
aus anderen Gemeinden und bie neue Anfäffigmahung zu fehr ers 
ſchwerte. Malthus, U, 72. — Graig, II, 237. — Das Ans 
fiedlungsgefeß (law of settlement) 13. und 14, 3. Karls IL Gap. 12 
(1662), verorbnete, daß, wer fih in einer fremden Gemeinde anflebelt 
mit einer Miete oder Pachtung (tenement) unter 10 &. St., inner: 
alb ber erfien AO Tage wieder fortgewielen werben fünne. Hieraus 
eitete man ab, daß ein Aufenthalt von mehr als AO Tagen oder eine 
Pachtung von 10 2. St. eine Heimath (settlement) gebe und daß man 
hiedurch zugleich fein Heimatherecht in dem Orte, wo man es früher 
befaß, verliere. Beport from h. Maj. Commissioners for inquiring into 
the administration and practical operation of the poor laws, ©. 152. 
Das neue Armengeleh von 1834 verordnet (A. 33), daß die zur Armens 
pflege in Berein getretenen Kirchipiele auch in Beziehung auf Nieders 
lafjung ein Ganzes bilden können, — ferner daß durch Annahme als 
Dienflbote, durch eine Pachtung (außer wenn der Pachter 1 Jahr lang 
Armenfteuer bezahlt hat) oder durch Bintritt ale Lehrling bei der See: 
ſchifffahrt die anaſſigen nicht mehr erworben wird, Art. 64—66. Die 
Bellimmungen des Geſetzes von 1662 wegen des A0tägigen Aufent⸗ 
Fa wurden durch mehrere fpätere Geſetze noch verfchärft, fo daß in 
ehr vielen Faͤllen die Fortweiſung (removal) der Armen zuläffig war 
und die Arbeiter häufig genöthigt waren, an ihrem @eburtsorte zu 
bleiben, wenn fie gleih ſich daſelbſt nicht fortbringen konnten. Die 
poor-removal-act vom 26. Aug. 1846 (9. 10. Vict. C. 66) verordnet, 
daß ein 5jähriger Aufenthalt durchaus vor ber Hinwegweiſung fchüße. 
Nah Geſ. v. 23. Zuli 1847 (10. 11. Vict. @. 110) follen die aus 
dem vorigen Geſetze entflehenden Ausgaben von bem ganzen Armen 
bezirfe (union) geire en werden. Die oberfte Armenbehörde beauftragte 
1848 mehrere Sachkundige, über die Wirkung des Anfleblungsgefepes 
von 1662 in einzelnen Zandestheilen genaue Erfundigungen anzuftellen. 
Giner der Beauftragten, Ge. Coode, erftattete 1851 feinen gründ⸗ 
lihen Bericht: Report to the poor law board on the law of settlement 
and removal of the poor, Ar. 101 der PBarlamentspapiere von 1851, 
352 Seiten 8%, worin die gänzlihe Aufhebung des Geſetzes gerathen 
wird. Der Berfafler empfiehlt eine Gleichſtellung der Armenfteuer in 
allen Kirchfpielen einer Union durch allmälige Verminderung der jekigen 
Berſchiedenheit. Nach feinem Vorſchlage würde alſo die Fortweiſung 


— 488 — 


der Armen hinwegfallen und die Unterſtuͤzungsheimath der Wohnort 
fein. — &ef. 24. 25. Viet. 0.55. (1. Aug. 1861): Wer in einem oder 
mehreren Kirchfpielen einer Union 3 Jahre gelcht hat, ohne Armen⸗ 
Unterftügung zu erhalten, darf aus der Union nicht mehr fortgewieien 
werden. Gs gilt folglid jeßt von dem Armenbezirf, was nad) dem 
Gef. von 1846 für die einzelne Kirchgemeinde‘ feftgefeßt war. SM der 
Bater irremovable geworden, fo gilt dieß auch von feinen Kindem 
unter 16 Sahren. 


(5) Bab. B. v. 16. Febr. 1838: Dienftboten und Handwerksgehülfen wer 
ben 4 Boden lang, wenn die Kranfenbeiträge, Zunftcaflen und Gtif: 
tungen nicht zureichen, auf Koften der Gemeinde des Aufenthaltsortes 
verpflegt. Erkranken Reiſende, fo ift die Heimathsgemeinde haftbar, 
im alle ter Unbeibringlichkeit die Amtscaſſe. Die Heimathsgemeinde 
muß fogleich benachrichtigt werden. 


(0) Bertrag mehrerer beutfcher Regierungen zu Gifenah, 11. Juli 1853, 
bad. Reg. Bl. 1954, ©. 229. 


(d) In Preußen 1 Jahr. — Belgien, Gef. 18. Febr. 1848: Die naͤchſte 
Unterftügungsheimath (domicile de secours primiti) it der Geburtsort, 
oder, wenn Jemand zufällig an einem anderen Orte zur Welt fam, 
der bamalige Wohnort der Aeltern. Hat aber Jemand 8 Jahre anderswo 
gelebt, fo ift dort feine Unterftüßungsheimath. In dringenden Fällen 
bilft die Bemeinte des Wohnortes, mit Vorbehalt des Erſatzes ber 
Heimaths⸗Gemeinde. Frankreich: 1jähriger Aufenthalt, Gef. 24. Vend. IL 


8. 340. 


3u II ($. 337). $ür die Beftreitung der Koften der Ars 
menpflege bieten fi in ben einzelnen @emeinben folgende 
Hülfsquellen dar: 

1) Ertrag des zu diefem Zwecke beftimmten Stiftung®- 
vermögensd Die Regierung muß wegen ihrer obervormund⸗ 
ſchaftlichen Pflichten und Rechte für die Erhaltung, gute Ber 
waltung und ftiftungsmäßige Verwendung dieſes Vermoͤgens 
Sorge tragen (a). Die Verwaltung des für die Armen eines 
einzelnen Ortes beftimmten Stiftungsvermögend ſteht der buͤr⸗ 
gerlichen oder der kirchlichen Gemeinde zu, je nachdem jene ober 
diefe die Armen zu verforgen verpflichtet ift und der Stifter die 
eine oder andere bedacht hat (d). Die befonderen Beftimmuns 
gen, welche bie Stifter ihren Gaben beifügten, erfchweren häufig 
die Armenpflege, indem fie die Hülfsmittel zerfplittern und die 
Befolgung gleicher Grundſaͤtze verhindern; man muß daher 
darnach fireben, die wünfchenswerthe Uebereinftiimmung ber vers 
fchiedenen wohlthätigen Anftalten herzuftellen, 8. 338 a (a). 

2) Freiwillige Beiträge von Einzelnen, ald Gefchente, Ber- 
mächtnifie, — Sammlungen bei Luftbarkeiten, Ertrag ber Ar 





menbüchfen in den Kirchen und Wirthshaͤuſern; — außerordent- 
liche Sammlungen in Zeiten eined befonderen Rothftandes; — 
regelmäßige Beiträge, welche in ®emäßheit freiwilliger Ein- 
zeichnung vierteljährlich, oder wo möglich noch öfter eingefams 
melt werden. Wenn diefe Einnahmsquelle nicht ergiebig genug 
it, fo liegt bie Urfache meiftend darin, daß die Einwohner 
nicht gehörig gegen ben Ueberlauf von einheimifchen oder freins 
ben Bettlern gefhüst find, oder fonft nicht volled Zutrauen 
zu dem Berfahren der Armen⸗Commiſſfion hegen und baher 
ihre Gaben Lieber den Privatvereinen zuwenden ober nach eiges 
nem Ermeflen vertheilen. 

3) Zugewiefene Einkünfte aus einzelnen Beranlaflungen, 
3. B. gewiffe Geldftrafen, Abgaben von Luftbarfeiten (c), gebotene 
Beiträge von Dienftboten ıc. " 

4) Zufchüfle aus ber Gemeindecaſſe oder auch befondere 
Gemeindeumlagen für diefen Zwed, $. 341. 

5) Erfag aus dem Bermögen der unterftüßten Armen, 
3. DB. aus dem Nachlaß der im Armenhaufe Berftorbenen, aus 
zufällig angefallener Habe u. dgl. (d). 


(a) An manchen Drten ift eine Vereinbarung zu Stande gefommen, nad 
welcher der reine Ertrag des für die Armen gewibmeten Stiftungsvers 
mögen® beider Gonfeffionen einer allgemeinen Armencommilfion zufließt. 
— In Belgien bat der am 25. Ian. 1856 vorgelegte Entwurf eines 
Geſetzes über die Armenanflalten großen Widerſpruch gefunden und if 
1857 zurüdgenommen worden. Den meiften Anftoß fand der 6. 78: 
Les fondateurs penvent reserver pour eux-mömes ou pour des tiers 
Yadministration de leurs fondations, ou instituer comme administrateurs 
epeciaux les membres de leurs famille & titre hereditaire, on les titu- 
laires qui ocenperont successivement des fonctions determindes, soit 
eiviles soit ocelosiastiques. Man tadelte nicht fowohl, daß andere Ber: 
waltungsarten, wie 3. B. dur einen unabhängigen, nach anfünglicher 
Grnennung fi ſelbſt ergänzenden Auffihteratb (3. B. Aftorhaus zu 
Malldorf bei Heidelberg) ausgeichloffen find, als vielmehr, daß ber 
Geiftlichkeit ein zu ſtarker Einfluß, eine Gelegenheit zur Verfolgung 
von Zweden außerhalb ber Wohlthätigfeit und eine Ermunterung zur 
Erlangung von Bermächtniffen von Sterbenden ac. gegeben werde, — 
Beforgnifle, die nicht aus dem Weſen der Sache, fontern den in Bel: 
gien obmwaltenden Berhältniffen zu beurtbeilen find. — Das Stiftungss 
vermögen für mwohlthätige Zwede in Belgien an Liegenichaften Bat 
einen fleuerbaren Reinertrag von 4786456 Fr., ohne die bourses 
d’ötndon (135292 Fr.), Rapport de la section contrale, 20. December 
1856, ©. 24. 


(5) Bo mehrere kirchliche Bemeinden an einem Orte find, da kann bie 
Armenpflege derfelben getrennt ober einer gemeinfhaftlichen Armenpflege 
übertragen fein. Lebteres ift für bie gleichmäßige Geſchaͤftsfuͤhrung und 





gebenben Mittelweg find fehr erheblich. — Sächſ. U. D. $. 16: 
enn einzelne Perfonen den freiwilligen Beitrag gang verweigern, 
oder fih nur zu einer im Bergleih zu ihren Mitteln und zu den Be 
bürfnifien der Armen auffallend geringen Babe verfichen wollen, ts 
fann ter von denſelben zu entridytende Beitrag von Obrigfeitswegen 
feftgefegt werben. Aehnlih die würtemb. Gelehe, v. Mohl, Staats- 
recht des 8. W. IL 365. - Im älteren Zeiten madte die kirchliche 
Wohlinätigleit eine Staatshülfe entbehrlich. Nah einem Garitulare 
Karls des Gkoßen von 801 war !/s des an die Kirche zu entrichtenden 
Zehnten für die Armen beſtimmt. Balus, I, 356. Bel. Möier, 
a. a. O. Nr. XI, S. 801. 


(8) Dieter Fehler war bei der englifhen Armentare (Poor’s rate) 
durh die Schuld ter Kirchipieldauficher üblih geworden. Man gab 
feit den 1790r Jahren den Taglöhnern nach der Sröße ihrer Gamilten 
einen Zufchuß (allowance) zu ıhrem Lohne, wodurch eine ben Preiſen 
ber Lebensmittel entfprechende Grhöhung des Lohnes verhintert wurde 
Dieß Hatte ſchädliche Folgen, Trägheit und Liederlihfeit nahmen über: 
band und die Armentaren fliegen zu einer läfligen Höhe. Ueberhaupt 
war das ganze Armenweſen in Gngland fehr fehlerhaft. Dahin gebört 
u. a. 1) daß jedes Kirchipiel für fih fland und die auf 1 Jahr ex 
nannten Armenvorflcher (overseers) häufig ſehr nadhläffig verfuhren, 
2) daß die in den Werkhäufern unterhaltenen Armen ju gut lebten 
und zuviel Eofteten, 3) daß nur die Grund⸗ und Hauseigenthümer kie 
Armentare zu geben fehuldig waren. Hieraus entfland eine große Us 
gleichbeit der Belaftung, fo daß hie und ta fogar die Hälfte der Grund; 
und Häuferrente oder noch mehr abgegeben werden mußte. 

In England waren 


1801 1813 1815 
1) fortdauernd unterftügt | 
a) in Armenhäufern . 83 468 97 222 88 115 
b) buch Almofen . . 336 199 434 293 406748 
2) vorübergehend .. . . . 305 899 439735 | 400473 
Zufammen ... . 125566 971250 ı 895336 
l 


Dieſe Zahlen find jedoch nicht zureichend, weil ſie großentbeile 
ganze Familien, nicht Köpfe anzeigen. Im J. 1801 hatten allein tie 
unter 1, b aufgeführten Armen 315150 Kinder, es famen ferner 
194 025 unterflüßte Perfonen Hinzu, die außer ihrer Heimath lebten 
(non perishioners), und man berechnete die KRopfzahl aller Arınen auf 
2:468000 oder 28 Broc. der Bollsmenge, Marshall, Digest, I, 33. 
So erklärt fih die große Laſt der Armenfleuer in manden Gegenden. 
Sie betrug 1831 auf den Kopf der Einw. in 14 vorzüglih lantbauen- 
den Grafichaften 14 Schill. (8,4 fl.), in 5 Gr., die viele Gilengewerte 
haben, 8 Sch. (4,° fl.), in den 6 Er. mit flarfer Weberei nd Bir 
ferei 5 Sch. (3 fl.) In Gholesbury (Bustingbamft. ) gaben die 
Grundeigenthümer ihre Befigungen auf, um bie entare nicht mehr 
bezahlen zu müflen! Es war unverfennbar, daß zufolge dieſer fehler 
haften Ginrihtungen die arbeitende Glafle weniger auf das Grfparen 
bedacht war und früher und leichtſinniger heirathete, als es ſonß ter 
Fall geweſen fein würde. Der für die Armen verwendete Theil ber 
Parochial rate beirug 











— 41 — 


b) die Beforgniß, daß die Armen wiberfpenftig, unlenkſam 
und leichtfinnig werden, wenn fie wiflen, daß ihre Verſorgung 
nicht mehr von dem freien Willen ihrer Mitbürger abhängt und 
daß fie denfelben nichts mehr zu verdanken haben (c); 

c) die Gefahr, daß durd die Zwangsabgabe, die immer 
eine unangenehme Empfindung erregt, das Mitleiden mit ben 
Armen erftidt und die wohlthätige Gefinnung zerftört werde. 

Diefe Einwürfe treffen jedoch nicht jede Zwangsabgabe 
ihrem Wefen nad, fondern nur das fehlerhafte Verfahren bei 
derſelben. Wo die übrigen Hülfsmittel (8. 340. Nr. 1—3) 
unzulänglich find, um der Noth zu feuern, wo inöbefondere 
die Wohlhabenden aus Engherzigfeit oder Irrthum zu geringe 
freiwillige Beiträge geben, ba läßt fich eine Auflage nicht um» 
gehen, und fie ift überhaupt eine Folge der den Gemeinden 
auferlegten Pflicht, fich der nicht ſchon fonft verforgten Armen 
anzunehmen. Wenn jedody die Armenpflege allen Anforderun- 
gen entfpricht, fo wird ber zu fordernde Beitrag meiftend gering, 
bei einem beträchtlichen Stiftungsvermögen an vielen Orten 
ganz entbehrlich fein. Auch wird der nachtheilige Einprud, 
ben das Beftehen einer Zwangsabgabe auf die Armen äußern 
fann, ſchon dadurch fehr vermindert, daß biefelbe nicht abges 
fondert aufgelegt und erhoben wird, fondern die Gemeindecaſſe 
das Fehlende in die Armencaffe zuſchießt (8. 340. Nr. 4) und 
zur Dedung ihrer Ausgaben überhaupt eine Umlage zu Hülfe 
nimmt (d). 


(a) Die englifhen Schriftfteller, welche fih gegen diefe Manfregel erklaͤr⸗ 
ten, unterfchieden nicht gehörig das Weſen berfelben von den in Eng: 
land eingeriffenen Mißbraͤuchen; 3. B. Malthus a. a. O., IL. B. 
4. 5. Gap., und Ricardo, Principles, I, 152. der franz. Ueberſ. — 
Für die Zwangsabgabe im Nothfalle: Möfer, Patriot. Phantaf. I, 

e. XI. ©. 79. — Graig, I, 229. — Pilat, S. 28. — Gaum, 
©. 267. — 9. Berg, IU, 232. — de Keverberg, Sur Yindi- 
genoo , ©. 36. — Neue Verhandlungen der Schweiz. gemeinnüßigen 
Gefellſch. I, 55—93 (Zürih, 1825). — de Görando, IV, 596. — 
Segen fie Weber, ©. 82 und befondere Naville a.a.D. — Bes 
bandlungen über die naffauifche B. v. 2. Dec. 1818, nah ber, wenn 
Einzelne unverhältnigmäßig wenig Almofen unterzeichnen, und auch 
auf Ermahnung ihren Gntihluß nicht ändern, ein Gemeindeausſchuß 
den Anſatz nad pflihtmäßigem Ermeſſen erhöhen fol, welcher fodann, 
nah der Bernehmung der Widerfpenftigen, von ber Landesregierung 
für executoriſch erklärt werden kann — in den Protof. der Herrenbanf, 
1819, vorzüglich Beilage 21, und der Deput. Verſamml. hauptſaͤchlich 
©. 33. Die Gründe gegen dieſen, der Willkuͤhr zu vielen Raum 


(e) 
(4) 


— 444 — 


bedeutend abgenommen. Sie waren in den Jahren bis Michaelis 
(29. September) 


1845 1 287621 &. (Kleinfhrod) 
48 1835 634 
49 2177651 Tpeuerung 
50 1430108 
51 1141647 
D. 1852-56 765154 
D. 1857-61 468094 


Eine empfindliche Lüde ift der Mangel einer gefeßlichen Vorkehr gegen 
arbeitsicheue Bettler, und dieß fteht dem guten Erfolge der Maaßregel 
in Irland im Wege, Edind. Rev. Nr. 156, ©. 391 (Mpril 1843). 
Einzelne Bezirke brauchten Zufchüfle aus Privatvereinen umd aus ber 
Staatscafie. — Schottland Hat fih von den Mängeln des englifchen 
Armenweiens freigehalten. Zmwangsbeiträge wurden nad dem Statut 
12. Jak. VI Gap. 74 (1579) nur für Alte, Gebrechliche ıc. erhoben; 
man unterfchied genau die fortwährend und vorübergehend Unterflügten 
und war bemüht, jedem nur foviel beizufchießen, als er neben feinen 
eigenen Hülfsmitteln noch braudt. &ewohnheitsbettler werden geftraft. 
Kür Nahrungslofe war freilich Feine Sorge getroffen. Die Mittel zur 
Beitreitung der Koften beftanden aus Umlagen und freiwilligen Bei- 
trägen, vorzäglid Sammlungen an ber Kirchthür. Monypenny, 
Remarks on the poor laws and on the method of providing for poor 
in Scotland, Edinb. 1834. — Edinb. Rev. Jul. 1834. — Mac Cal- 
loch, Stat. acc. II. 656. Das Gef. A. zug. 1845 (poor law amend- 
ment, 8. 9. Vict. C. 83) ordnet eine Oberbehörde für das ſchottiſche 
Arınenwefen (board of supervision) an und verfügt, daß diefelbe meh⸗ 
rere Kicchipiele in Bezug auf Armenverwaltung zu einem Ganzen vers 
einigen dürfe. Der Dec afteratt (parochial board) für ein Kirch⸗ 
fpiel oder einen ganzen Bezirk darf eine Auflage ausfchreiben, für 
welche ($. 52) die Wahl zwifhen 3 Methoden geflattet ik: 1) bie 
Hälfte der erforderlihen Summe von den Grundeigenthümern,, die an⸗ 
dere Hälfte von den PBachtern, 2) die eine Hälfte wie bei 1), die andere 
von allen Einwohnern, 3) das Ganze nach gleichem Fuß (peroentage) 
von fämmtlidem Ginfommen von 30 2. an. Im 3. 1845 flanten 
erft 230 Kirchfpiele unter dem Geſttz, während nod in 650 anderen 
nur freiwillige Beiträge flattfanden, 1861 Hatten fich jene auf 752 
vermehrt, dieſe auf 131 vermindert. Die Ausgaben in den Kirchfpielen 
mit Zwangsabgabe (rate) war 1858/9 644115 2., 1860/1 683 901. — 
Sm I. 1858/9 waren 134598 A. unterflüßt worden, wovon 32312 
fog. casmal poor, nur augenblidlich bedrängte. Die Ausgabe war im 
Sahr bis 14. Mai 1850 581553 8., 1851 535943 2. für 141870 
Arme, von denen 42093 nur vorübergehend unterflügt wurden. — 
Man fieht, daß in Großbritanien die Armenpflege in ganzen Bezirken 
für fehr vortheilhaft gehalten wird, weil fie nicht allein auf Irland, 
fondern auch auf Schottland angewendet worden if. 


Macfarlan, S. 173. 


dv. Jakob, II, 684. — Naflauifhes Bel. v. 19. Oct. 1816, 5. 13: 
Wenn das Stiftungsvermögen, bie Gollecten und der Betrag ber frei: 
willigen Subfeription nicht ausreihen, fo foll das Fehlende zunächſt 
aus ber Gemeindecaffe zugefchoflen werden. — Aehnlich das preußifche 
Reſcer. vom 7. April 1826 und das franzöf. Gef. vom 3. Frim. VII. 
(23. Nov. 1798). — Nah den baier. Geſetzen ift ebenfalls eine Ge⸗ 
meindeumlage als das letzte Hülfsmittel bei ber Unzulänglichkeit aller 
anderen bingeflellt, Inſtr. F. 24. — Bad. Gef. über die Rechte der 


Semeindebür er, 31. Dec. 1831, $. 1: Au dieſen Rechten gehört ber 
Anfpru Unterftüßung aus den Gemeindemitteln in Bällen der 
— it. — Armenſteuern (Zellen) in den Schweizer - Gantonen, 

eig. Hier wurden im D. von 1831 — 34 361 695 Fr. ver: 
—8 wozu 99 269 Fr. aus den Gemeindecaſſen zugeſchoſſen wurden, 
Enquöte, II, 59 und Tab. IIL 


6. 341. 


Wenn auch in Bezug auf die Armenpflege jede einzelne 
Gemeinde zunaͤchſt für ſich fteht, fo ift es doch zweckmaͤßig, 
auch für ganze Bezirke Ausgaben anzuorbnen, zu deren 
Dedung Bezirksabgaben nad dem Steuerfuße erhoben, oder 
auch Zufhüffe aus der Staatöcaffe gegeben werden. Die 
Zwecke folder Ausgaben find 

1) die Unterflügung einzelner Gemeinden, welche nad) 
ihrer Einwohnerzahl und ihrem Bermögensftande eine fo große 
Zahl von Armen haben, daß fie die Verforgung nicht beftreiten 
fönnen und baher einer Erleichterung bedürfen, $. 338. 

2) die Unterhaltung folcher Anftalten, welche die Bebürf- 
niffe forwie die Hülfsmittel der einzelnen Gemeinden überfteigen 
und daher beffer für einen Bezirf gemeinfchaftlicdy errichtet wer- 
ven, 3. B. Arbeits» und Armenhäufer, Erziehungsanftalten für 
arme Kinder ıc. 


DI. Berforguug verfhiedener Arten von Armen. 
A. Für erwachſene arbeitsfähige Arme. 


$. 342. 


Bei der Aufführung mehrerer Elaffen von Armen, bie 
auf verfchiedene Weife zu behandeln find, muß immer berüd- 
fichtigt werben, daß nicht fchon die Dürftigen (I, $. 77), fons 
dern nur bie Armen, die ungeachtet aller Einfchränfung und . 
Senügfamfeit nicht beftehen fönnen, ber Gegenſtand ber Fürs 
forge find. Bei der nachfolgenden Darftelung werben bie zu 
empfehlenden Maaßregeln angegeben, ohne Unterfcheidung, von 
welchen Drganen ($. 337) fie am beften auszuführen feien, 
wofür auch wegen ber Verſchiedenheit der Umftänvde feine ganz 
feften Regeln gegeben werben können. 








— 46 — 


Unter den Armen befindet ſich eine beträchtliche Zahl ſol⸗ 
her Perſonen, die zwar arbeiten, aber dennoch fi unb bie 
Ihrigen nicht erhalten Eönnen, weil ihr Berdienft unter ungüns 
fligen Erwerböverhältnifien, z. B. bei häufigen Unterbredyungen, 
unzureichend ift ($. 326), oder weil fie aus Eörperlidhen Urs 
ſachen nicht genug leiften fönnen, oder wegen ungewöhnlidy 
vermehrter Ausgaben, $. 326, 2. Man fann biefe Claſſe die 
Halbarmen nennen. Bei einer wenig entwidelten Armen 
pflege oder einer großen Zahl von ganz enwerblofen Armen 
werben jene meiftend ihrem Schidfal überlaffen. Sie verdienen 
aber einen Beiftand, weil es fehr zu wuͤnſchen if, daß fie in 
ihrem Erwerbsgefchäfte erhalten werben, und es muß deßhalb 
bei der Grforfhung ded Armuthözuftandes auf foldye Arme 
forgfältig geachtet werden (a). Die nöthige Hülfe ift, wie 
bie Bebrängniß, bald eine vorübergehende, bald eine dauernte. 


1) In mandyen Yällen gelingt es, ſolche Arme, die fi 
durch ihre Beichäftigung nicht ernähren können, in anderen 
ihren Kräften und Yähigfeiten entjprechenden ergiebigeren Nah⸗ 
rungszweigen ober an anderen Orten unterzubringen ($. 344); 
jenes ift befonderd oft bei Frauensperſonen ausführbar. Ueber⸗ 
haupt giebt es mancherlei Geſchaͤfte, welche eben fo gut ober 
noch beſſer von weiblichen, als von männlichen Arbeitern bes 
forgt werden und bie große Zahl ber unvermögenden unvers 
ehelicht bleibenden Mädchen aller Stände macht eine Borforge 
für ihr Fortkommen dringend nöthig (2). 

2) Oft find die eltern bei fpärlichem Verdienſte nicht im 
Stande, ihre Kinder zu unterhalten, zumal da durch die Bes 
forgung berfelben die Mutter im Lohnerwerbe gehindert wird. 
Dagegen dienen 


a) Anftalten, in denen die Heinen Kinder ben Tag über 
verpflegt werden, um ben Müttern die Zeit zur Arbeit frei zu 
laſſen. Diefen Bortheil gewähren für das frühefte Alter bie 
Krippen (cröches), für bie weitere Zeit bis zum Schulalter 
die Kleinkinderfhulen ober Kleinfinderbewahrs 
anftalten (salles d’asyles, infant schools), in benen mit 
ber leiblichen ‘Pflege und der Erziehung fchon Anfänge des 
Unterrichtö verbunden find (c). 


b) Aufnahme ber Kinder in Armen» Erziehungsanftalten, 
8. 355 ff. Wenn bie eltern fih nicht ftraffällig gemacht 
baben, fo ift ihre Zuſtimmung zu diefer Verfegung ber Kinder 
nothwendig, die am meiften in folchen Faͤllen zu befördern 
ft, wo man einen nachtheiligen fittlihen Einfluß der Aeltern 
beforgt. 

3) Eine gute Hülfe beficht darin, daß man ſolchen Halb- 
armen Gelegenheit verfhafft, ihre dringenden Bebürfniffe mit 
geringerem Aufwande zu befriedigen. Dieß iſt fogar möglich, 
ohne daß von anderer Seite ein Zufchuß gegeben werbe, 
wenn bie Mittel ber Gewerfötunft bei ben Einrichtungen 
benugt werden. Sole Anſtalten fommen nicht allein ben 
Halbarmen, fondern auch den gänzlih Verarmten fo wie 
dem zahlreichen dürftigen Theile der Lohnarbeiter, vorzüglich 
ben Babrifarbeitern zu Gute ($. 203), weßhalb fie zugleich 
zu den Berhütungsmitteln der Armuth gerechnet werben 
fönnen, $. 334 b (e). In Thenerungsjahren oder Gewerbes 
ſtockungen ift dad Beduͤrfniß dieſer Maaßregeln befonders 
groß (d). 

a) Um ben Dürftigen die Lebensmittel wohlfeil, ohne bie 
durch den Kleinverfauf nothwendige Vertheuerung zu verichaffen, 
it es nüglih, im Großen anzufaufen und die Waaren im 
Kleinen gegen niedrigen Preis abzugeben. Dieſe Beranftaltung 
ift mit gutem Erfolg von den zur Armenpflege beftellten Com⸗ 
miffionen ober von ‘Privatvereinen ausgegangen (e). Gleicher 
Zwed wird durch bie fog. Eonfumvereine von Lohnarbeitern 
und kleinen Gewerbsleuten, die nicht arm find, erreicht, 
$. 865 (g). 

b) Große Speifeanftalten liefern eine gefunde Nahrung 
mit verminderten Koften, wenn fie gut eingerichtet find, weil 
außer dem wohlfeileren Ankauf anfehnlicherer VBorräthe an Heis 
zungsfoften, Arbeitslohn ıc. viel erfpart wird und die Naͤhr⸗ 
ftoffe befier benugt werden Eönnen. Diefe Erfahrung, die man 
in ben @afernen (fog. menage), Zuchthaäͤufern ıc. gemadyt hat, 
it auch auf die Bereitung einer nahrhaften Koſt (Rumfors 
diſche Ruppe) für zerfireut wohnende Arbeiter mit Boribeil 
angewendet worden, bald vorübergehend in Mißiahren, bald 
dauernd an Orten, wo ſich viele dürftige und halbarme Familien 


befinden. Um die Koft wohlfeiler zu machen, ift es gut, wenn 
die ftehenden Einrichtungen von einer amtlichen oder Privat- 
armenpflege befiritten und bei der Feftfiellung bes Preiſes einer 
Portion nicht eingerechnet werden (f). | 

e) Einrihtung erwaͤrmter und beleuchteter Etuben, in 
denen die Armen im Winter fi mit ihrer Arbeit aufhalten 
fönnen (g). 

4) Als letztes Mitiel in Ermangelung oder bei der Unzu⸗ 
länglichfeit anderer ift bie Unterflügung mit Geld oder befier 
mit Nahrung ı. zu nennen, wobei die für Arbeitöunfähige 
aufgeftellten Regeln zu beachten find, $. 3506 a. 


(a) In Gent traf man 1860 in 500 armen Familien von 1308 Köpfen 
492 arbeitende Perſonen, die jährlich gegen 86000 Fr. verdienten. 
aber wegen Körperfchwäche ıc. die Männer im D. nur 1'/s Fr., die 
rauen 8/, Fr. Der nöthigfte Unterhaltsbebarf diefer Familien wurte 
auf 182000 Fr. berechnet, bei magerer Koft ohne Fleiſch, es fehlten 
alfo jährlid 96000 Fr. Congres de Londres, I, 243. 


(5) Abfchreiben, Lithographiren, Schriftfegen, Faufmännifche Gefchäfte in Laden 
und Screibftube, Telegraphiren, Unterriht in Schulfenntniflen, Mufif 
und Zeichnen, Weben, Buchbinden, Handſchuhmachen, Bortenwirfen, Tape: 
zier- und Zuderbäderarbeit, Schneider = und Schuhmacherarbeit für das 
weibliche Gefchlecht u. dgl. — Vgl. Dupin, Forces de la France, I, 
86. — Bevue enoycloped. XXII, 727. — Eurtman, Gewerbeichulen 
für das weibliche Geſchlecht, Offen. 1836. 


(ce) Eine ſolche Anftalt in Detmold befchreibt ſchon Krüde a. a. Drie. 
Weit früher hatte der trefflihe Oberlin (} 1826) im Steinthal (Ban 
de la Roche, Dep. Niederrhein) eine ähnliche geyrünbet, und zu Ans 
fang des jekigen Sahrhunderts hatte die Marquife von Baftoret zu 
Baris daflelde unternommen. Neuerlich hat das Beilpiel von Groß: 
britanien (erſte infant school zu New⸗Lanark, um 1819) zur häufigen 
Einführung der Kleinkinderfhulen beigetragen. Shre Gründung und 
Beauffihtigung if großentheile mit Nuben von den Wrauenvereinen 
unternommen worden. Der Unterricht wirb zum Theil in das Spiel 
verflohten (Wröbels Kindergärten). Die Koften fallen bei ten meis 
fen Schulen in Deutfhland nur zum Theile, 3. B. in Anfehung der 
Räumlichkeit, den Bemeinden zur Lafl. Der "günftige fittlidhe und 
förperliche Einfluß diefer Anftalten auf die Jugend ift augenſcheinlich, 
man bat in Folge derfelben eine Abnahme der Sterblichleit wahrges 
nommen und es findet fogar eine vortheilhafte Rüdwirkung auf bie 
Sitten der Neltern flat. Die Befürhtung, daB aus diefen Schulen 
eine Bermehrung ber unehelihen Geburten wegen ber erleichterten Auf: 
erziehung hervorgehen möchte, ift wenig begründet und wird in man: 
hen Anftalten dadurd ganz befeitigt, daß man nur ehelihe Kinder 
aufnimmt, was aber dann andere Maaßregeln für die unehelihen nöthig 
maht. Die zweite Beforgniß, dag die Kleinen an eine beflere Lebens 
weife gewöhnt werden mochten, fo daß fie fpäter die Dürftigkeit des 
Nelternhaufes ſchwer ertragen, muß allerdings bei ber Behandlung ber 
Kinder berüdfichtigt werden, fällt aber bei einer guten Ginrichtun 
hinweg. Die Güte dieſer Anftalten beruht hauptſächlich darauf, dab 


( 


(d 


für die Ausbildung von Auffeherinnen geforgt wird. — Die Krippen 
find von neuerem Urfprung. Meber ſie, über Kleinfinderfchulen und 
Kindergärten f. Congrös de Francfort I, 226. 294. 321. 


Zu diefem Zwecke dient auch bie Herabfegung der Gifenbahnfracdht für 
Kartoffeln u. dal., ferner bie Ausftellungen foldyer Segenftände, die 
—* Lebensbedarfe der gopnarkeiter gehören, um einen Wetteifer der 

erfertiger in Guͤte und Wohlfeilheit zu erregen, zuerſt 1855 bei der 
allgem. Gewerbsausftellung in Parie, 1856 bei dem Wohlthätigfeits- 
congreß in Bruͤſſel. Man legt jedoch mehr Werth auf fortdauernde 
Ausftellungen, musses permanente d’&conomie domestique et d’hygidne, 
v. Biebabn und Schubart, Amtl. Bericht über die PBarifer Auss 
Rellung i. 3. 1855, ©. 732. — Ducpötiaux in Congrös de Bruxelles, 
II, 323. — Der Gedanke rührt von T. Twining dem jüng. in 
London ber, nad beflen Borfchlägen die dortige Society of arts eine 
folhe hauswirthfchaftlide Sammlung (economic museum) anzulegen 
beabfihtigt. Brief account of the provisional arrangement and proposed 
development of the Soc. of a collection of illustrations of every-day 
üfe for the working olasses. Lond. 1857. 


Brennholz wird öfters aus Bemeindewaltungen der Stäbte ſchon Fein: 
gemadit n fleinen Abtheilungen (3. B. pfundweife, büfchelweife) um 
illigen Breis abgegeben, LEI, 147. — In Brüffel wurde im Winter 
1845/46 vom @emeinderatbe eine Gommilfion ernannt, welche mit 
Hülfe eines Vorſchuſſes aus der Stadt: und Staatscafle Ankäufe machte 
und wöcentlih den Abgabspreis für Brot, Suppe, Kartoffeln, Stein: 
toblen ıc. bekannt madte. Diefe Commiſſion (agence centrale) war 
beſtimmt für ſolche Lohnarbeiter, „deren Lohn zufolge der Bertheurung 
der Lebensmittel nicht mehr zureigt, um fie und ihre Angehörigen zu 
ernähren“, und überhaupt für toutes familles peu aisees, es war aber 
Nachweis der Bebürftigkeit erforderlich (en justifiant leur position). 
Die ganze Ausgabe war 522997 Fr., die Binnahme 466 297, alfo der 
Zufhug an Koften und Berluft am Preife 56700 Fr. Ducpötiaux 
in Congr&ös de Brux. II, 90. — Berbeflerte Mahl» und Bad Binrich- 
tungen können wohlfeileres gefundes Brot liefern, ebd. I, 361. In 
Genf wurde 1851 eine Schlachterei (Etal des agriculteurs) gegründet, 
um den Biehzüchtern befferen Abſatz und den Dürftigen mäßige Fleiſch⸗ 
preife zu fichern, ebd. II, 154. — Auch von großen Fabrikherren iſt 
öfters dafür geforgt worden, daß ihre Arbeiter das Nöthige wohlfeiler 
als bei den Krämern, Bädern sc. einlaufen fönnen, 8. 203. Dieß 
wirft für alle Arbeiter wie eine Lohnerhöhung, für die bedrängten Fa⸗ 
milien fällt es unter den @efihtspunct der Armenunterftüßung. Es 
iebt mehrere Beifpiele wohlthätiger Einrichtungen, die je nad dem 
ußande ber Betheiligten zum Theile in die Armenpflege gehören, zum 
Theile außer berfelben liegen. — Das Magazin ber Yabrif zu Seraing 
. B. verkauft Lebensmittel um ben Preis der Anſchaffung im Großen. 
Im 1. Halbjahr 1856 erhielten die Arbeiter das für 346490 Fr., was 
fie in den Kramläden 389801 Fr. gefoftet Hätte, allein man büßte 
hierbei 12983 Fr. ein und mußte deshalb die Preife etwas erhöhen, 
body blieb auch nach dieſem Abzuge noch eine Erfparniß von 8 Proc. 
Congrös, II, 41. — Aehnliches in anderen Anftalten, wie die Flachs⸗ 
fpinnerei von Scrive ıc. 


(I) Die Nahrhaftigkeit diefee Suppe beruht auf der Berbindung ber feften 


Rährfioffe mit dem Wafler. 2 Pfd. find zur Stärkung eines Menichen 
im Durdfchnitte Hinreihenn. Nah Gr. Rumford if bei einem 
Preife von 4 fl. für die Klafter Nadelholz der Holzaufwand für 1000 
Portionen nur 12 fr. Essays, I, 58; v. Keverberg berechnet den 


Rau, yolit. Deton. II. 2. Abth. 5. Ausg. 29 


— 450 — 


Verbrauch von Steinkohlen zu 1200 Suppenportionen auf 2 Gentner ; 
Essai sur l’indigence, ©. 147. GEgeſtorf Gi unten) bereitet 2000 
Portionen mit ungefähr 672 Pd. Steinfohlen. Sole mahrhafte 
Suppen waren Inge befannt, aber Gr. Rumford hat das Verdienſt, 


Mehl, ferner 10—13 Maaß Habergrüge oder Hirfe, oder Gries aus 
Spelzten, oder 14 Maaß Meis, b) 2%s Pfd. geichmolzene Butter, 
2—4 M. Mehl, 22—24 M. Bohnen, c) 21/8 is Butter, 25 Pfd. 
Kartoffeln, 16 Pfd. Brot. — 3) Brüffel, 1845/46: auf 100 Liter 
Kleifchfuppe 12,5 Pfd. Fleiſch, ebenſoviel Brot, 82/4 Pfd. Reis, 6t/s 
Pfd. Semüfe, 1,95 Bid. Salz, 0,94 Pfd. Pfeffer, — je Gerſtenſuppe 
12,5 Pfd. Gerſte, ebenſoviel Brot, ebenſoviel Gemuͤſe, 1,87 Br. 
Butter; Salz und Pfeffer wie oben. Das Liter wurde für 10 Gent. 
abgegeben. — 4) Egeftorf: 16% Bid. Fleiſch, dazu a) 10 Bid. 
Pete oder Berfiengraupen, 0,8 Pfd. Mehl, 2 Himpten = 0,° Heftol. 
en b) 14 Pr weiße Bohnen, 2 Bd. Mehl, c) A Yimpt. 
Kartoffeln, 0,8 Mehl. &. braucht zu 2000 Portionen 333 Pfd. Fleiſch 
ohne Knochen und liefert die Port. von 1 Duartier (0,7 ai) oder 
2 Tellern dieleer Suppe für 1 Bar. — 4,7 Kr., ohne Zinfen bes 
ftebenden Gapitald von 8000 Thlr. und ohne Ausbeflerungsfoften zu 
berechnen. Beſchreibung der Speifeanflalt von Ge. gehorf, 
Sannov. 1855. Fol. — Die Speifegefellichaft zu Grenoble giebt ihren 
Theilnehmern Suppe, Gemüfe, Fleifch, */a Lit. Wein, 0,9 br. rot 
und Nachtiſch für 62,5 Bent. — 17'/s Kr. Congres de Brux. LI, 98. 
105. — Andere Borfhriften bei Dingler, Beſchreib. und Abbildun 
mehrerer Dampfapparate, S. 58. (Augsb. 1818). — Ausführli 
Fournier, L’art de preparer, de conserver et dösinfeeter les sub- 
stances alimentaires, Nouv. &d. par Lenormand, P. 1832, ©. 190—409. 
— In Stasburg wird von einem Brivatverein die Portion nahrhafter 
Suppe zu 10 Gent. (2,3 Kr.) abgegeben, fe Eoftet aber 12 t. 
Reboul-Deneyrol, ©. 459. — Auf die PVernadhläffigung ber 
Knochen mahte Plouquet in Tübingen in ber Theurung 1771 zuerfl 
aufmerffam, fpäterhin Cadet de Baur. Die Knochen geben unges 
fähr 27—30 Proc. feſte Sallerte (Leim) und 7—10 Proc. Bett. Ws 
follte daher bei jeder Armenanftalt, jedem Zuchthaufe x. ein Dampf: 
keffel zum Auskochen der zerfleinerten Knochen mit Wafferdampf vors 
anden fein. Nah Cadet de Baur giebt ein Pfd. Knochen 4 Pfd. 
üffige Gallerte; d'Arcet berechnet aus 1 Pb. Knochen 15 Suppen: 
portionen zu 1 Pfd.; Schubert, Techn. Ghemie, U, 625. Daſſelbe 
wirb aus dem Kranfenhaufe St. Louis in Paris angegeben, Dingler, 
B. 3. LXXU, 239. Man bat auch empfohlen, mit Hülfe der Kno⸗ 
hengallerte das Armenbrot nahrhafter zu machen, wozu dann Haber⸗ 
und Kartoffelmehl gebraucht werden kann. Bornand in BibL unir. 
Juli 1828. — Kerften in Erdmann’s Journ. für techn. u. öfon. 
@hem., XIII, 64. — Die von dem Baron Ternaur erfundene, nad 
ihm und feinem Gute (St.-Ouen bei Paris) benannte Speife (Ter-Ouen) 
befieht aus nubelartig gepreßten, getrocknetem und zu be gemah⸗ 
lenem Kartoffelbrei mit ®allerte von zerfloßenen Knochen. 1 Pfd. des 
trodenen Terouen giebt 8 Suppen und wird für 70 Gent. (19 fr.) 
verfauft, Bibl. univ. N. Ser. Abth. Agrio. VI, 187. — Beißen: 


— 451 — 


born, Reues und Nupbares, II, 161 (Weimar, 1826). — Nach 
neueren Erfahrungen Kat ſich gear t, daß bie Nährkraft der organifchen 
Knochenbeſtandtheile bisher ü —2 — worden war und daß fie das 
Fleiſch micht erfeßen, man gebt jebody zu weit, wenn man ihre Nahr⸗ 
haftigkeit gar läugnet, weil der Leim ftidftoffhaltig if und auch das 
Fett nährt. Bin Zufak von zerfochten Knochen ift daher immer nuͤtlich. 

(9) 3. 8. in Detmold, wo bie Armen auch von der Anftalt Beichäftigung 
erhalten koͤnnen und mit Rumfordiiher Suppe beföfligt werben, 
Krüde, Die Pfleganftalt in Detmold, Lemgo 1813. 


8. 343. 


Die arbeitsfähigen Erwerblofen ($. 326) bilden 
unter gewöhnlichen Umftänden im Ganzen feinen großen Theil 
der Armen. Die meiften von ihnen find, wenn fie in einem 
gewiflen. Zweige ber Thätigfeit nicht fortkommen, bei gehö- 
rigem Eifer im Stande, eine andere Beſchaͤftigung aufzufinden, 
beſonders wenn dieß burch die Gewerbsgeſetzgebung nicht erfchwert 
iſt. Die Armenpflege darf dieß angeftrengte Bemühen ber Ein- 
zelnen, neue Erwerböwege aufzufuchen, nicht lähmen, weil es 
in mehrfacher Hinficht viel beffer if, wenn fie fi) durch eigene 
Kräfte erhalten, auch der Armenpflege hieburdy eine große Ber 
färwerde abgenommen wird. Indeß trifft man ſchon zu allen 
Zeiten einzelne Rahrungdlofe, denen ed an ber erforberlichen 
Thatkraft und Einficht gebricht oder denen dieß Beftreben aus 
äußeren Urfachen mißlingt und bie man nit in Noth laſſen 
barf; biöweilen aber führen ungewöhnliche Stodungen im Gange 
gewifler Gewerbe ober im Nahrungdftande einzelner Orte ein 
färferes Beduͤrfniß der Mitwirkung für den genannten Zweck 
hervor. Würbe man bdiefe unterlaffen, fo würben unvermeidlich, 
wo nicht durch die öffentliche Armenpflege, body wenigftens durch 
Privatmildthaͤtigkeit viele folche unbefchäftigte Arme mit großem 
Aufwande durch Almofen ıc. erhalten werden müffen, wie bieß 
fhon Bisher und mit fehr nachtheiligen Folgen häufig gefchehen 
iſt. Die Mittel, weldye überhaupt für biefe Elaffe von Armen 
angewendet werben können, find hauptfäkhlich (a): 

1) Beiftand beim Auffuchen einer Unterkunft, $. 344. 

2) Eigene Beranftaltung von Belchäftigungen, $. 345. 

3) Arbeitöhäufer, $. 348. 

4) Armencolonieen im Lande, $. 349. 

5) Beförderung des Auswanderns, $. 350. 


(a) Bol. vorzüglich die a. bair. Inſtruct. 8. 20. 
29* 


— 452 — 


8. 344. 

1) Eine höchft mütliche, bisher zu wenig vorkommende Ein- 
richtung ift die Beftelung einer Arbeitscommiſſion an 
jedem Orte, wo es eine beträchtliche Anzahl von Erwerbslofen 
giebt (a). 

” 8) Diefe hat ein Verzeichniß aller ſich anmeldenden ober 
auf andere Weife zu ihrer Kenntniß gelangenden arbeitöfähigen 
Armen mit ber Angabe, was jeber leiften kann, zu führen. 

b) Sie geht mit ihnen über bie Wege zu Rathe, bie fie 
einfhlagen fönnen, um einen Erwerbözweig zu erlangen, ſucht 
bie ihnen im Wege ftehenden Schwierigkeiten zu befeitigen und 
fteht ihnen durch Verwendung bei, wobei es oft nöthig if, fe 
zum $leiße zu ermahnen. | 

c) Borzügliche Aufmerkfamkeit verdient die Einführung neuer 
Gewerböbefchäftigungen, wozu man einzelne Unternehmer anzus 
regen und nöthigenfall® zu unterftügen fucht. Bei Gewerbden, 
bie wenig Capital erfordern, ift dieß am leichteften auszuführen. 

d) Die Einwohner werben ermuntert, fid) an die Commiſſion 
zu wenden, wenn fie Lohnarbeiter brauchen, ſowohl in Gewerben 
als zur Aushülfe in häuslichen Dienften. 

e) Man verfhafft den Armen bei den von ber Gemeinde 
veranftalteten Arbeiten Befchäftigung (B), 3. B. Wegbau (ec), 
Holzmachen, Kranfenwartung u. dgl. 

f) Da man indeß nicht den Armen zu Gefallen andere Ar- 
beiter aus ihrem Erwerbe verbrängen darf, fo ift die Wirkſam⸗ 
feit der Gommiffionen an jedem Orte darauf befchränft, dad 
Angebot jeder Art von Arbeit mit dem jebesmaligen örtlichen 
Begehr in Verbindung zu bringen. Ein größerer Erfolg wird 
erreicht, wenn man zwifchen mehreren Orten einen Berfeht 
anfnüpft,. um einen Theil der Erwerblofen an einen anderen 
Platz zu verfeben, wo ed an Arbeitern fehlt. Die gefchieht 
am leichteften bei den Unverheiratheten. Die heutige Leichtigkeit 
bes Reifend giebt biefer Maaßregel eine viel größere Ausdeh⸗ 
nung als früher. Die Bezirks» und Provinzialbehoͤrden können 
aus den bei ihnen zufammentreffenden Nachrichten beurtheilen, 
ob zu ſolchen Ueberfievlungen Gelegenheit vorhanden fei, und 
dazu Beftand leiften. Die Umzugsfoften werden aus ber Ar 
mencaſſe beftritten (d). 


— 453 — 


(a) Lehrreich hierüber  Schmidlin, Die würt. Armen »Induftrie, in 


(8) 


(e) 


(4) 


Menminger, W. Jahrbüder, 1833. I, 25. — Die Drespner Anflalt 
für Arbeitsnachweifungen wurde 1840 gegründet und diente mehreren 
anderen als Mufter. Die Leipziger bat vom 1. Febr. 1844 an in 
23 Monaten 2936 Anmeldungen von Arbeitern erhalten. Im J. 1845 
wurde 902 Perfonen Beihäftigung zugewiefen. — Die 1848 (duch 
mann) angelegte Hamburger Anſtalt erhielt 1848-51 3482 
Arbeiter s Anmeldungen, verihaffte 526 Perfonen fee Beichäftigung und 
beforgte die Ausführung von 5457 ehelungen, freilih zum Theil nur 
furze Zeit. Die Koften, durch milde Beiträge nededt, beliefen ſich i. 
D. jährlich auf 2339 ME. Cour. — Hieher gehören auch die an meh⸗ 
teren Orten von wohlihätigen Bereinen errichteten Kaufläden, um die 
Arbeitserzeugniffe der Armen abzufeßen. 


Strohflebten, Striden oder Flechten von wollenen Schuhen ober 
Ueberſchuhen ıc. Beifpiele von dem Ruben folcher Feiner Gewerbezweige 
bei Reboul-Deneyron. — De Gö6rando, III, 457, 500. — Sn 
England kam es oft vor, daß jeder Grundeigner eines Kirchfpieles, um 
weniger Almofen geben zu müflen, fi anheiſchig machte, eine gewifle 
Anzahl von Nahrungsloſen zu beihäftigen, was hoͤchſt läflig war und 
zu einer Verſchwendung von Arbeitsfräften führte, das fog. labour- 
rate-system, Beport ... for inquiring into . . the poor laws, ©. 42. 
54. 195. — VBerfchieden hievon war das roundsman system, indem 
das Kirchſpiel mit einem Landwirthe übereinfam, daß er eine Anzahl 
von Armen in Arbeit feste und die Armencaffe zu dem Lohne, den 
er ihnen gab, einen Zufhuß, je nad der Groͤße des Familienbebarfes 
bezahlte, Report, S. 31—35. 


Hier iR wegen der Schwierigkeit einer unausgefehten Aufficht die Vers 
fuhung zum Unfleiß groß. In England hat man die Bemerkung 
gemacht, daß zwei Jahre Arbeit beim Wegbau den fleißigften Mann 
verderben. — „Die Sandgrube, in welche die Armenpfleger unter dem 
alten Syſtem der Armengefehe bie arbeitsfähigen Armen zu fenden 
pflegten, war wenig mehr als ein Berfammlungsplag, wo man plauberte 
und den Tag faft ganz müſſig hinbrachte.“ Report... on the further 
eontinuanee ete. ©. 46. 


Sn England find neuerdings mit fehr gutem Grfolge nahrungslofe 
Familien aus dem füdlichen Theile des Landes in die nördliche Fabrik: 
egend verfeht worden, wo fie reichlichen Erwerb fanden. Rau, Ars 
iv, I, 241. — Für diefen Zwed if die von M. Wirth unter 
nommene Beitichrift: „Der Arbeitgeber” beftimmt. 


8. 345. 
2) Wenn die Armenanftalt auf eigene Rechnung bie Armen 


gegen Lohn arbeiten läßt ($. 343, Ar. 2), fo ift damit Häufig 
Verluſt verbunden, weil bei einer größeren öffentlihen Ver⸗ 
waltung nicht fo gut für fparfame Einrichtung der Ausgaben 
und vortheilhaften Abfag geforgt werben fann, wie von einem 
Privatuntenehmer. Es bat ſich meiftend gezeigt, daß man 
bald mit den einzelnen Gewerböleuten beim Berkaufe ber Ers 


— 44 — 


zeugnifle nicht Preis Halten konnte ohne Schaben zu leiben, 
bald die Vorräthe wegen fchledhter oder unpaflender Beſchaffen⸗ 
heit gar nicht abfegen konnte. Man follte fi) deßhalb erſt 
dann zu jenem Mittel entfchließen, wenn fidy fein anderes bars 
bietet, wie dieß befonbers bei älteren oder ſchwaͤchlichen Perſonen 
oft der Fall if. Da jedoch die Armen, wenn fie müffig blieben, 
noch mehr foften würden und da es viel werth ift, daß fie in 
regelmäßiger Thaͤtigkeit erhalten werben, fo darf man nöthigen- 
falls einen geringen Zufhuß aus ber Armencafle nicht fheuen (a). 
Einzelne Beifpiele lehren, daß man bei der Anwendung befon- 
derer Sorgfalt viel ausrichten kann (6). Der Erfolg hängt 
vorzüglich von der Auswahl der Berwalter ab, bei denen volls 
fommene Redtlichfeit mit genauer Kenntniß der Gewerbe und 
lebhaften Eifer fi, vereinigen muß. In einer großen Anftalt 
ift es nothwendig, diefe Verwalter zu befolden, doch dürfen fie 
auf feine Weife an ben Unternehmungen eigenen Antheil haben, 
ausgenommen etwa einen ihnen zugufichernden Theil des erzielten 
Gewinnes. Sobald fi eine Gelegenheit für die Armen zeigt, 
fi felbfiftändig fortzubringen, fo ift es rathfam, bie von ber 
Armenpflege veranftalteten Arbeiten einzuftellen. 


(a) „Man nehme in feine Hand 2 Thlr. und gebe einigen Armen davon 
6 Mgr., ſo find 12 Berfonen verforgt. Man lafie aber diefe 12 Ber 
fonen jede 2 Stüde Garn, welde zufammen 4 Mar. wert find, 
fpinnen, und bezahle ihnen ſolche mit 8 Mgr.: fo emährt man a) mit 
eben biefen 2 Thlr. 18 Berfonen; jebe davon befommt db) 2 Bar. 
mehr; es bleiben c) die Armen durch die Arbeit gefund; fie genießen 
d) ihr Brod nicht umfonfl, Ioden alfo e) andere nicht zum Unſleiße, 
und laufen nit herum.“ Möfer, Batriot. Bhant. I, 77. — 
Biele vorgeblih Arme geben ihre Anfprühe an die Armenanflalt auf, 
wenn man- ihnen Arbeit anbietet, und dieß beweift, daß fle nicht in 
wahrer Hülfslofigfeit waren. — Sn den beiden flandrifchen Provinzen 
wurden 1843 Beihäftigungausfchüffe gebildet, welche ſpinnen, weben, 
Spigen Elöppeln ließen, aber nicht —3*— verfuhren und viel Zu⸗ 
ſ verbrauchten. Sie hörten größten eile 1848 wieder auf. 

teinbeis, Glemente ber Gewerbebeförberung, S. 4951. — 
Wenn man- in den Anflalten zu Gent und Antwerpen vom Grlöfe 
ber gefertigten Waaren den gelauften Stoff, den ausbezablten Lohn 
und bie anderen Ausgaben abziebt, fo koſtete 1850 ber Arbeitstag 
* und I m. (16, un Krk —8 Sit, BE 296. — Sn land 
iſt vorgefchrieben, daß Arbeitsfähige, wenn ſie unterflügt werben, 
8 Stunden täglich Beäftieun. erhalten follen. 


(5) Das von dem Grafen Rumford in Münden errichtete Arbeitshaus, 

in dem jedoch die Armen bloß den Tag über zubrachten, trug innerhalb 

* Jahren 100.000 fl. rein, f. befien Experimentel essays, I, 85. 
nd. . 





— 45) - — 


6. 346. 


Für dieſe zur Befchäftigung der Armen unternommenen Ars 
beiten gelteri folgende Regeln (a): 

a) Die Auswahl der Berrichtungen muß fo gefchehen, baß 
biefelben den Fähigkeiten der Armen entfprechen, baß feine an- 
beren Bürger in ihren Gewerben beeinträchtigt werben, daß 
die Verwaltung einfach ift, daß Feine Eoftbaren Geräthe, Mar 
fhinen ꝛc. erfordert werben, und daß ficherer Abſatz zu hoffen 
ift; zugleich muß auf die örtlichen Umftände Rüdficht genommen 
werden (5). Für alte und fchwädhliche ‘Berfonen muß man 
Geſchaͤfte auffuchen, in denen biefelben ohne Befchwerde Ruten 
leiften können. 

b) Fehlt ed den Armen an Geſchiclichkeit zu jeder Arbeit, 
ſo muͤſſen ſie von den dazu beſtellten Werkmeiſtern unterwieſen 
werden. 

ec) Die rohen Stoffe und bie Werkzeuge werben auf Rech⸗ 
nung ber Armenanftalt angefchafft und ben Armen übergeben, 
mit ber nöthigen Auffiht auf bie Ablieferung der fertigen 
Waaren und auf die Schonung der Werkzeuge. 

d) Es ift für manche Berrihtungen vortheilhaft, wenn bie 
Armen in großen Zimmern beifammen arbeiten, nur muß dann 
fireng auf Reinlichfeit und Anftändigfeit gefehen werben. 

e) Der audbezahlte Lohn darf nicht fo hoch fein, als der 
bei Privaten zu erlangende, damit immer ein Antrieb bleibe, 
den Beiftand der Armenanftalt wieder aufzugeben, 8. 337. 
Stüdlohn. nöthiget mehr zum Fleiße, ald Taglohn (c). 

f) Für Arme, die zum Feldbau taugen, ift berfelbe zweck⸗ 
mäßig, entweber auf Rechnung ber Armenpflege, ober zum Vor⸗ 
tbeil der Armen, welche allenfalls eine Vergütung für das Land 
zu geben haben (d). 

g) Auf Abrechnung von dem Lohne kann den Armen Kleis 
dung, welche die Anftalt felbft verfertigen läßt, und Koft 
gereicht werben, wozu die in $. 842 mitgetheilten Säge dienen. 
(s) v 2 Fr Oejemmeltee aus ber Geſchichte der Hamburger Armen: 

n 
(8) reg Kat, Bf über die Armenpflege, S. 120. — Hiftor. Dars 


6. — Das Spinnen ber Wolle und Baumwolle fan 
zu diefem Behufe nicht mehr gewählt werben, auch das Flachoſpinnen 





— 456 —— 


auf bem Rabe hört allmälig auf, wie denn überhaupt ber zunehmenbe 
Gebrauch ber Maſchinen in ben manchfaltigſten Bewerben das Auf⸗ 
—— paſſenden Beſchaͤftigung für die Armen immer mehr 


(e) In Hamburg verminderte ih 1806 die Anzahl ber beichäftigten Armen 
in Folge des eingeführten Stüdlohne buch freiwilligen Rudtritt von 
150 auf 35, v. Bogt, a. a. O. ©. 


(d) Beiipiel: Die (muferhafte) —— für Bedürftige in Sotha 
hatte 1856 ein reines Vermoͤgen von 1858 Thlr., io daß von ben 
10jährigen milten Beiträgen von 1888 Thlr. nur 30 Thlr. zugeiegt 
worten waren. Sie übergab 1855 unter anderen Beidhäftigungsarten 
33 Acker gedüngtes Land nebſt ten Steckkartoffeln an 24 Taglöhner 

egen ben halben Ertrag. (Im J. 1855.56 gab fie außerdem 982 

Er. Arbeitslohn aus.) — Auch in Berlin if dieß Mittel feit 1837 
mit gutem Erfolge angewendet worden. Man bat dort der Familie 
ungefähr 1 Morgen Kartoffelland übergeben und einen Theil des 
Pachtzinſes aus der Armencaſſe bezahlt. 


8. 347. 


Die Hülfsmittel, die einer Armenanftalt zur Beftellung 
von Arbeiten zu Gebote fiehen, find nothwendig fo befchränft, 
daß fie auf baldigen Erfag ber aufgewendeten Summen fehen 
muß und biefelben nicht für Gegenflände verwenden kann, 
welche zwar fortdauernden Rugen leiften, aber bie Auslagen 
nur langfam vergüten. Es muß folglidy den Gemeinden ober 
ber Regierung ſelbſt überlaffen werden, folche Unternehmungen 
zu machen, was vorzüglich dann zu rathen ift, wenn bie An- 
zahl der Rahrungslofen ungewöhnlid groß if. Es wird nie 
an Gelegenheit fehlen, die beiden Zwede mit einander zu vers 
binden, dag man bebrängte Arbeiter befchäftiget und zugleich 
mit ben dazu angewendeten Summen einen gemeinnüßigen 
Erfolg hervorbringt, indem man öffentliche Werfe, wie Stras 
.Ben, Candle, Häfen, Seftungen, Urbarmahung von Sümpfen 
u. dgl. unternimmt. Man follte alfo, wenn man den Armen 
in Zeiten befonberer Bedrängniß eine Hülfe geben will, 
darum doch Feine unnüpen ober blos dem Luxus dienenden 
Bauten aufführen laffen, fondern nur etwa bad überhaupt 
Bortheilhafte früher zur Ausführung bringen, ald es ohne 
dad Hinzufommen jener Rüdfiht gefcheben würbe, IIE, 
$. 31. — (a). 

0 Be ga Set 


— 457° — 


8. 348. 


3) In die freien Arbeitshäufer werben bie Armen 
auf Berlangen aufgenommen, fie empfangen Unterhalt, werben 
zur Arbeit für die Anftalt angehalten, koͤnnen aber biefelbe 
beliebig wieber verlaflen (a). Die gegen dieſe Häufer vor 
gebrachten Gründe find zwar zum Theile nur von Beifpielen 
einer mangelhaften Einrichtung hergenommen und überhaupt 
nicht entſcheidend, aber Icehrreih, um vor Mißbraͤuchen und 
Ueberfhägung dieſes immer ſchwierig anzumendenden Mittels 
zu warnen. Die Haupteinwendungen betreffen: 

a) bie koſtbare Unterhaltung, welche anfehnliche Zufchüfle 
erfordert. Dieß rührt von den wirthfchaftlichen Schwierigkeiten 
ber Verwaltung ber, denn man bat große Mühe, angemeflene 
Beichäftigungen zu finden — die Arbeiten werben oft nadys 
läffig betrieben —, bie Erzeugnifle finden wegen ihrer gerin⸗ 
geren Güte ober der unzwedmäßigen Wahl ber Gegenftände 
oͤfters keinen Abſatz, — auch eniftehen aus ber unvollftändigen 
Aufficht und ber umfländlichen Berwaltung manche Berlufte; 

b) die Nachtheile für bürgerliche Gewerbsunternehmer, denen 
die Arbeitöhäufer die Preife und den Abfag verberben; 

e) die Armen felbft, weil ihre Familienleben geftört, ferner 
ihe Eifer, einen ſelbſtſtaͤndigen Erwerb zu fuchen, gefchwächt 
oder aufgehoben wird, auch in Bolge bed Beilammenlebens 
vieler Armen bie Sittlichfeit leiden Tann. 

(a) Dan Hat die freien nicht immer forgfältig genug von den Iwangs: 
arbeitshäufern unterfchieden. ie engliihen Werthäufer, 
work -houses, gehören zu Inn, dienen aber zugleich und größtentheile 
zur Verpflegung arbeitsunfähiger Armen, find alfo überhaupt Armens 

äufer, wie viele ſolche Anftalten in anderen Ländern. Die belgiichen 
rbeitshäufer heißen ateliors de oharitE und nehmen auch Kinder, bie 
bei ihren eltern wohnen, zum Schul: und Bewerfsunterriht an. — 

Ueber die Arbeitshäufer f. Muratori, a. a. O., ©. 55. — Macs 

farlan, ©. 90 (gegen die A.“H.). — Rulffs, Ueber die 

Preisfrage v. d. vortbeilhafteften Einrichtung b. Werl: u. Zuchthaͤuſer, 

2te A., Bött. 1785. — Saum, ©. 86 8 — Weber, ©. 110. 

— Ranfft, ©. 112. Der eifrigfte Gegner biefer Anftalten ift Na⸗ 

ville, a. a. D. Eine Wiberlegung feiner Gründe Haben verfucht 

de Görando, III, 558. — Hand, Das Nrbeitshaus ale das vor 
züglichfie Hälfsmittel in der Berwaltung des Armenweiens. Sena 

1839, befonders S. 25. — Sonft fprechen fih u. a. für biefe Häufer 

aus: Zeyſe, Borfchläge zur Errichtung von Nrbeitsanflalten, 

Altona 1833. — Heiberg, Mittheilungen, ©. 75. — Bonnardet, 

a. ©. De la mendicits. Für die englifchen Workhouses vorzüglich 


— 458 — 


port of the further amendment etc, ©. 45. Ueber dieſe engliſchen 
— Kleinſchrod, Paup in E1i62. — Kries, Engl. 
en ©. 17. — Ueber Belgien | Situation, III, 296. — v. Stein: 
ei 


$. 3482. 


Die Erwägung der vorfiehenden Einwürfe führt zu folgenden 
Bemerkungen: 

1) Wenn man eine große Zahl von Ermwerblöfen fort: 
während in Arbeitöhäufern unterbringen wollte, ſo würbe dieß 
die Koſten und Schwierigfeiten ber Verwaltung allerdings fehr 
läftig machen. Jene Häufer follten deßhalb nur als eine 
Aushülfe betrachtet werden, theils fortbauernd: fir: ‘Berfonen, 
bie man auf andere Weife gar nicht ober nur mit' mehr-Koften 
beſchaͤftigen und erhalten Fönnte, 3. B. im: Yale koͤrperlicher 
Schwädlichfeit oder Gebrechlichkeit, theils vorübergehend ale 
Zuflucht und um zu erfahren, ob diejenigen, welche um Unter 
ſtuͤzung nachſuchen, wirklich huͤlflos, oder nur träge und’ aus⸗ 
ichweifend find (a). Bei einer Eleineren Anzahl von Aufs 
genommenen iſt es Leichter, angemeſſene Bersichtüngen für 
Alle zu finden, ohne bie felbfiftändigen Ortsarbeiter zu ver⸗ 
fürzen, da fchon bie eigenen Bebürfniffe bes Haufes einen 
Theil der Arbeitsfräfte beichäftigen und' bie Gewerbsunter⸗ 
nehmer bed Drted: bei gutem Willen nuͤdlichen Beiſtund leiſten 
koͤnnen (b). 

2) Das Beiſammenleben einer Anzahl von Menſchen giebt 
in Bezug auf Speiſung, Heizung, Bekleidung ꝛc. zu anſehn⸗ 
lichen Erſparungen Gelegenheit, mit deren Hülfe (c) bie 
erforderlichen Zuſchuͤſſe ziemlich ermäßigt werben, und man 
erlangt doch den Bortheil, daß nun Fein Arbeitsfähiger müffig 
erhalten zu werben braucht. 

8) Mit Ausnahme größerer und mittlerer Stäbte ift nicht 
für jeden Ort, fondern nur für jeden Bezirk ein Arbeitshaus 
nöthig (d). 

4) Durch eine ſtrenge Hausorbnung und fleißige Ueber: 
wachung ihres Bollzuges läßt ſich dafür forgen, daß im Haufe 
Ordnung, Friede, Anftand, Mäßigkeit und Fleiß herrichen und 
die Armen von ühlen Gewohnheiten abgebtacht werden (e). 
Diefe.gute Zucht und die zwar geſunde, aber keinesweges reich⸗ 


— 459 — 


liche und behagliche Art des Unterhaltes dient zugleich als 
Schutzmittel, damit Niemand ohne Noth die Aufnahme begehre, 
oder den Aufenthalt verlaͤngere (f). 


(a) Diefer rund iR in England ganz vorzüglich berüdfichtiget worden 
und eine Menge von Grfahrungen zeigte, daß viele Perſonen, die um 
Unterflägung Daten, fih zurüdgogen, ale man ihnen Arbeit oder beſon⸗ 
ders die Sufnaßme in das Werfhaus anbot. Berfonen, die troßig um 
Almofen angehalten und im Müffiggangl gelebt Hatten, fingen nun 
an, in Arbeit zu geben, weil fie ſahen, daß fie es im Arbeitshaufe 
nicht befier Haben würden. — Bernehmung bes I. ©. Tatem zu 
Wycombe: Fr. Haben Sie Ihon verfudht, Unterflüßung vermittelt bes 
Werkhauſes anzubieten? 9. Ja, wir haben ungefähr 83 Menſchen 
dahin gewieſen. — Br. Wie viele von ihnen find eingetreten? N. 
Nicht einer, wir Hielten dafür, daß in allen biefen Fällen bie Armuth 
nur erlogen war und brauchten das Werkhaus als ein Prüfungsmittel 
(test). Ohne ein Haus hätten wir diefen Leuten Geld oder Brot 
eben müflen. — Fleet zu Iver: Im vorigen Winter (1834/35) 
Fachten mehr als 100 Arbeitsfähige um Hülfe nad. Wir wiefen bie 
meiften in das Haus, und Leuten von bem beften Charakter mit Fa⸗ 
milien gaben wir außer dem Haufe Arbeit. Aber im ganzen Winter 
ingen nur etwa 12 in das Arbeitshaus und nicht über 10 nahmen 

beit außer bdemfelben an. First annual report of the poor law 
commissioners, 1835, ©. 153. 161. \ 


Im Bezirk der Union von Yaringbon Hatte man zu unterflügen: 
19884 288 Arbeitsfähige, 887 Kinder, a6 Invalide 
320 21 


1835 33 „ " „ 


undädie Ausgaben fanten von 759 auf 367 2. ©t. herab. — Das 
englifche A. Geſetz von 1834 fiellt den Grundſatz auf, daß Arbeits- 
fähige wo moͤglich in das Arbeitshaus gewieſen werden follen, meil 
man glaubte, fie außer demſelben nicht gehörig zur Arbeit anhalten 
zu Eönnen. Beichäftigung außer dem Haufe würde dort zu koſtbar 
und ſchwierig fein, man Hat alfo nur die Wahl zwiſchen dem Arbeits 
baufe und dem Almofen (out-door relief), welches letztere man für bie 
Arbeitsfähigen (able-bodied) wegen der vielen Mißbraͤuche als ſchaͤdlich 
betrachtet und ſchon in einem Theile der Brafichaften ganz unterfagt 
bat, Dieß ließ ſich jedoch nicht durchführen. Bom 1. Jan. 1849—50 
waren nur 11 Proc. der Unterflüßten in den Werfhäufern, am 1. San. 
1858 aber 13,9 Broc. oder 126481 Perfonen, welche jo zuſammen⸗ 


geſeht waren: 
23281 arbeitsfähige Erwachfene 
19 308 Kinder berfelben unter 16 93. 
44.214 nicht arbeitsfähige Erwachſene 
31227 Kinder derfelben u. a. Kinder 
6947 Geiſteskranke 
1504 Lanbflreicher, Bettler (Vagrante) 


126 481 


In Wales waren 1852 nur 4,2 der Armen, in Durham 6,9, in Devonfh. 
8,8, in Lancafh. 11, in Middlefer (London) 28 Proc. (maz.) im Werks 
hauſe. Die geringe Zahl der Landflreicher erklärt fih daraus, daß man 
in den größeren Städten befondere Haͤuſer eingerichtet hat, in denen 
wandernde Arme über Nacht beherbergt werben und am folgenden 





— 462 — 


worden (a). Sie empfehlen ſich durch die Zutraͤglichkeit ber 
ländlichen Arbeiten für Eörperliches und geiſtiges Wohlbefinden, 
durch das fichere Ausfommen, welches die Lanbwirthfchaft ges 
währen kann und ben Antrieb zum Fleiß und zur Sparfamteit, 
den die Ausficht auf Selbfifländigfeit anzuregen vermag. In⸗ 
befien hat ber Untergang der im heutigen Belgien gelegenen 
Eolonieen und ber nicht befriedigende Zuftanb derjenigen, bie 
fih in dem jegigen nieberländiichen Gebiete befinden (d), gezeigt, 
daß es ſchwer iſt, dieſe Anftalten zum Gebeihen zu bringen. 
Hieraus läßt fi zwar nicht auf die Unausführbarfeit biefer 
Eolonieen im Allgemeinen fließen, aber da das in ben beiden 
Ländern angewenbete Berfahren nicht zur Erreichung des vor⸗ 
gefegten Zieles geführt hat, fo ift e8, wenn neue Berfuche an- 
geftellt werben follen, rathfam, die aus ben bisherigen Erfah- 
rungen abgeleiteten Borfichtöregeln zu beachten. 

a) Man muß ficher fein, daß der Boden folcher Anfieblungen 
und bie nad dem heutigen Stande ber landwirthſchaftlichen 
Kunft gewählte Art der Urbarmahung und Bewirtbichaftung 
einen lohnenden Ertrag verfprechen, 3. B. durch zwedmäßige 
Entwäflerung, Bewäflerung, Sruchtfolge ı. (ec). 

b) Es muß ein hinreichendes Gapital zur Urbarmachung 
und zum Anfange ber Bewirthichaftung aufgebracht werben, 
weiches aus dem erzielten Ertrage verzinfet, und foweit es 
aufgezehrt wird, auch erftattet werden muß. Der Umfang ber 
Unternehmungen ift nad) Maaßgabe des vorhandenen Capitales 
zu beichränfen (d). 

0) Die Bewirthichaftung ber Landgüter foll nur foldyen 
armen Bamilien übertragen werben, die hiezu durch Körper 
befchaffenheit, Gewöhnung und Kenntniß der landwirthſchaft⸗ 
lichen Verrichtungen geeignet find. Stäbtifhe Arme haben 
biefe Eigenfchaften gewoͤhnlich nicht und erwerben ſich diefelben 
nicht leicht (e). 

d) Die einzelnen Güter follen eine ſolche Größe Haben, 
daß fie je nach Bodenbeſchaffenheit, Abfabgelegenheit ıc. eine 
landbauende Familie ernähren und es ihr möglich machen, bie 
erforderlichen Leiftungen zu tragen (f). 

e) Die angefiebelten Landwirthe müflen wegen bes ihnen 
anvertrauten Eapitales unter Aufficht geftellt werben. 





— 463 — 


f) Nur dann iſt auf angeftrengten Fleiß zu rechnen, wenn 
die Anfiebler Ausficht erhalten, mit ber Zeit das Eigenthum 
der Güter zu erwerben und ganz felbfifländig zu werben (g). 
Hierdurch Hört aber bie Gelegenheit auf, fpäterhin andere Arme 
auf denſelben Stellen unterzubringen. Beide Zwede laflen ſich 
daher nicht vereinigen und man muß ſich für den einen ober 
anderen entfcheiden. Indeß ift auch die Beichäftigung von 
Taglöhnern auf neuangebauten Flaͤchen ſchon nüslih und für 
Berfonen, die man zur Yührung einer eigenen Wirthfchaft nicht 
für fähig hält, verdient dieſe Anorbnung ſchon deßhalb ben 
Vorzug (A). 


(a) Urheber des Planes und erfler Director der Bolonieen war General 
van den Boſch. Schriften über biefelben: De is eoolonie de 
Rrederiks Oord et des moyens de subrenir aux besoins de Yindigence 
par le döfriehement des terres vagnes et incunltes, traduction d’un 
manuscrit du Gen. van den Bosch, par le B. de Keverberg, 
aveo une pröface du Traducteur. Gand, 1821. Wuszug aus der Bor: 
rede in der Biblioth. univers. Abtb. Literst. XVI, 357. XVII, Bi. 156. 
— Die ausihließlih für diefen Gegenſtand beſtimmten niederländifchen 
Beitfchriften de Star und le Philanthrope. — v9. Grouner, Beſchreib. 
einer Reiſe duch das K. d. Niederlande, I, 242 (Paſſau, 1826). — 
de Kirckhoff, Memoire sur les colonies de bisnfaisance de Fr&- 
deriks-Oord et Wortel. Bruxelles, 1827. — Duopétiaux in Revue 
enceyelop. Dec. 1832, LVI, 572. — Preface to the foreign commu- 
niestions ... ., ©. 471. 62 (befondere nad ben Berichten von dem 
Grafen Arrivabene und von Ducpetiaur) und hieraus bei 
Schmidt, Ueber Bevöllerung, ©. 464. — Ramon de Sagra, 
Voyage en Hollande et en Belgique, 1839, I, 163. 222. — Heusch- 
ling, Stat. © 379. — Comte J. Arrivgbene, Situation écono- 
mique de la Belgique, 1843, ©. 22. — Staring, Les oolonies agri- 
a. de la soc. n$erlandaise de bienfaisanee, Arnheim, 1849. — 

oppe in v. Lengerfe, Annalen der Landw. XIII, 209. — Duo- 
p6stisux, Colonies agricoles, Brux. 1851, ©. 127 ff. — de Lu- 
rieu et Romand, Etudes sur les colon. agricoles . . . en Hollande, 
Paris 1851. — Ueber den Gegenſtand im Allgemeinen: Lawätz, 
Ueber Armencolonieen. Altona, 1821. — Des colonies d’indigens et 
des moyens d’en #tablir sur les landes du Dep. de la Gironde. Bor- 
desux, 1825 (vgl. 8. 103). — Kafthofer, Beiträge zur Beurtheilung 
ber Bortheile der Bolonijation eines Theils der Alpenweiden. Leipzig, 
1827. — de Villeneuvre-Bargemont, Econ. pol. chret. Liv. VII. 
— Huerne de Pommeuse, Des colonies agricoles et de leurs 
avantages. P. 1832. 


(5) Die nieberländifchen A. -Eolonieen wurden von Wohlihätigfeitsvereinen 
mit dem Beiſtande der Regierung gefiftet. Sie umfaßten breierlei 
Anftalten, 1) Anfleblungen von Armen auf Heinen Landgütern, 
2) Ianbekthichaftlihe Armenfchulen, 3) Zwangsanftalten für Bettler 
und Landſtreicher. Die Bertheilung war folgende: 1) Im nördlichen 
Theile (heutiges K. Niederlande), fett 1818: Frederiks⸗Oord 
(Provinz Drenthe, bei Steenwyd), freie Golonieen in 3 Oriſchaften, 
— Ommerſchanée (PBrov. Obernfiel) und Beenhuizen (Prov. 


(ed) 


(@) 


— #464 — 


Drenthe), Bettlerhäufer, — Beenhuizen und Bateren ohnweit 
Frederiksoord, Armenfhulen. II) Im heutigen Belgien waren feit 
1822 die freien Armencolonieen Bortel umb die nahe beilammen- 
liegenden Bettleranflalten Merrplas und RNykevorſel (Prev. 
Antwerpen). 

Die Wohlthaͤtigkeitsgeſellſchaft in den nördlichen Provinzen und 
nach ihrem Borbild die Societ de bienfaisance in den belg. Provinzen 
brachten duch die große Zahl der Mitglieder (jene bis 50000, dieſe 
1823 42000), welde einen Fleinen Jahresbeitrag leifleten (5 Gents 
woͤch. — 2,% fl. jährl.), anſehnliche Mittel zufammen, um Land zu 
faufen und die Höfe einzurihten. Die noͤrdliche (fog. hollaͤndiſche) 
Geſellſchaft erwarb 9400 Het. In Kreberilsoord wurden 418 Güter 
zu 3 Heft. angelegt, mit 1700 fl. Aufwand für jedes, wobei das Land 
100 fl., das Haus 500 fl., Geräthe und 2 Kühe 250, Kleider 150, 
Urbarmahung und Ausfaat 400, Vorſchuß für das erfte Jahr 100, 
Anfauf von ade und Wolle zum Spinnen 200 fl. koſteten. Dafür 
follte der freie Coloniſt jährlih 50 fl. Pachtzins, 16 fl. Zins für 2 
Kühe, 25 fl. Beitrag zu den Adminiftrationstoften bezahlen und jährlich 
einen Theil des Borfchufles abtragen. Yür eine Einlage von 1700 Hi. 
oder eine I6jährige Rente von 125 fl. fonnte eine Gemeinde oter 
Stiftung eine Familie, für 60 fl. eine einzelne Perfon unterbringen 


‚und das Recht erwerben, nad Abgang oder Tod der Familie die Stelle 


neu zu beſetzen. Für einen arbeitsfähigen Bettler x. waren 35 fl. 
jährlih und 15 fl. beim Gintritt zu entrichten, für einen ganz arbeits 
unfähigen jährl. 85 dl. Im 9. 1827 wurden die Bergütungen ber 
Regierung für Kinder und Invalide erhöht. Nach Ablauf der 16 Jahre 
war die Geſellſchaft außer Stand, ohne Zufhuß die Kolonien zu 
erhalten, der Staat verſprach daher 1843 von Neuem 322000 fl. jähr: 
lich gegen das Recht, 9200 Perfonen unterzubringen. Die Beiträge 
der Geſellſchaftsmitglieder verminderten fih allmalig. Die Anfiedler 
entrihteten ihre Zahlungen nicht, die Urbarmahung fchritt nicht fort 
und es entfland eine Schuld, die man nicht einmal verzinfen fonnte. 
Zu Ende 1849 betrug diefelbe über 8-300 000 fl., das ganze Bermögen 
nur etwas über 3 Mill. fl. und die Fortführung der Golonieen wurde 
für die Staatscafle fehr beſchwerlich. Doch if neuerlich der Staates 
zufhuß vermindert werden. Er betrug 1857 182000, 1858 160 000, 
1859 nur 130 000 fi. 


Die belgifhen Colonieen wurden, als die Beiträge fih eben 
falls verminderten und bie Rentenzahlung des Staats 1842 aufhörte, 
h 846 wegen ber Schulden verkauft und verloren ihre bisherige Bes 

immung. 


Man glaubt, es wäre befler geweien, ben Heibeboden zuvor durch 
Bemäflerungscandle u. a. Mittel zu verbeflern und dann erf unter 
die Anſiedler zu vertheilen. Ducpsötiaux, Col. agrie. ©. 148. 
Zu Ende 1849 waren in den bolländ. C. nur gegen 2000 Hekt. als 
Ader, Wiefe und Garten, 1029 H. als Weide oder Binfterpflanzun 

ur Gründüngung) benußt, der Viehſtand befand aus 1146 Stuͤ 

roßvieh und 1942 Schanfen, alfo famen gegen 1,5 Heft. = 5,# 
pr. M. Acker, Wieſe und Garten auf 1 Stüd Grofvieh oder 10 
Schaafe. Die belgiihen Col. hatten 1845 auf 1083 Heft. nur 125 
Heft. Ader, aber 406 Heft. Kiefernwalb und 497 Heft. Heibe. 


In den nieberländifchen Colonieen hatte man fogleih anfangs zuviel 
unternommen und konnte die Bewirthſchaftung nicht (ömungbe be 
treiben. Um die vielen Menfchen zu befhäftigen, die ben Golonieen 
übergeben worben waren (1842 9523, Ende 1848 11859, 1. Juli 


— 45 — 


1850 10478 Ginw. in den hollaͤndiſchen E.), mußte man Gewerks⸗ 
arbeiten zu Hülfe nehmen (Spinnen und Weben, namentlih von Kaffees 
fäden aus Jute für Java), wobei die Koften ebenfalls nicht ganz 
erfeht werben. 


(ec) Diefer Umfland war in ben nieberländifchen Colonieen ein fehr fühl: 


U 


ur 


barer Nachtheil. Binzelne Beifpiele des guten Brfolges waren Aus⸗ 
nahmen. Deux colons, envoyts parmi d’autres par la ville de Louvain, 
/’un boulanger et l’autre coöffeur, sont parvenus, en assez peu de temps, 
à devenir de bons cultivateurs. Lc philanthrope, Annde IL, ©. 75. 
(Bruxelles, 1823). — Die fieien Anftedler zeigten im Ganzen genom- 
men fo wenig Fleiß und Sorgfalt, Das Vieh wurde fo ſchlecht ehalten %., 
daß man fi bald genöthigt fah, die Bewirthſchaftung aut echnung 
der Golonieen zu Pihren und den Anfiedlern Taglohn in Geld, Nah: 
rung und Kleidung zu geben, nebft einem Garten von 30 Aren (/s pr. 
M.), für melden ihnen ein Wochentag frei bleibt. Fuͤr jede Kuh 
follen fie 100 Pfd. Butter jährlih an die NAnflalt abliefeen. Der 
Wochenlohn einer Familie von 6 Perfonen macht 6 fl. Der Geldlohn 
wird in einem hiezu allein beflimmten Bleigelde bezahlt, wofür die 
Arbeiter fi) von der Berwaltung fogleih Nahrungsmittel faufen können. 
Nah Mac Neill (8. Report of the poor law board, Scotland) waren 
1853 nur 16 freie Anftedler, welche die ausbebungenen nen 
machen konnten und daher eine eigene Wirthfchaft wie Bachter führten. 
In den belgiichen Golonieen Hatten fih 1832 nur 4 ſolche ſelbſtſtaͤndige 
Landwirthe erhalten. Ein Theil ber neuerbauten Höfe fand Feine Bes 
wohner und mußte wieder abgetragen werten. Uebrigens ift die Lage 
jener hollaͤndiſchen Arbeiterfamilien in fittlicher Hinfiht günftig, f. vors 
züglid Koppe a. a. D. — Da die Zahl der erwerbloten Feldarbeiter 
ewoͤhnlich gering ift und Anfledlungen auf neuurbargemadhten Boden 
deißige und ordentliche Leute erfordern, fo ergiebt ‚daß überhaupt 
diefe Grweiterung des Anbaus und die Armenverforgung zwei Zwecke 
find, die fih nicht fo leicht und häufig, als man anfangs glaubte, mit 
einander verbinten laflen. 


3 Heft. in Frederiksoord und 3%, Het. in Wortel waren für eine 
bäuerlihe Nahrung mit 2 Kühen unter den dortigen Berhältniffen vers 
muthlich zu wenig. 


(9) In den niederländifchen Colonieen können fi die Anſiedler bewegliches 


() 


Vermoͤgen erübrigen, aber die Ländereien dürfen nicht in ihr Gigenthum 
übergeben, weil nk die Gelegenheit aufhören würde, nad ihrem Tode 
andere Arme anzufledeln. Die Kinder können durch gute Grziehung 
foweit gebracht werden, daß fie fid als geſchickte Arbeiter überall fort: 
ubringen vermögen. Man hat bemalt (Mac Reilla. a. D.), daß 
* in der Nähe von Frederiksoord felbAfländige Leute anfiedelten, die 
den geforderten Pachtzins regelmäßig bezahlen. Dieß erklärt man 
daraus, daß fie ganz auf fich ſelbſt angewielen find, während die Bes 
wohner ber Golonieen fidy darauf verlaflen, von der Berwaltung in 
allen Fällen unterfügt zu werden, wodurch fie forglos werden. — 
Nah Kaſt hofer (Beitr. S. 18) follen die Anſiedler fih das Gigen- 
thum erfaufen, indem fle nach Berlauf von etwa 15 Jahren anfangen, 
einen Zins zu entrichten, der fpäterhin fleigt, bis er die Auslage ganz 
getilgt hat. 
Die Stadt Straßburg legte 1841 auf einem ihr gehörenden Baldgrunde 
von 147 Helt. = 573 preuß. M. die Armencolonie Oftwald an, bie 
auf 110 Köpfe berechnet war. Es wurbe eine einzige große Wirthſchaft 
eführt. Die Kofen der Gebäude fchlug man auf 112000 Br. an. 
Die Stadt hatte diefe Summe (nebf dem übrigen Betriebecapitale) 


Rau, yolit. Defon. IL 2. Abth. 5. Ausg. 30 


— 466 — 


beizuſchießen und auf die Grundrente des Bodens zu verzichten. 

die Unterhaltstoften eines armen Arbeiters nahm man jährlich 127 Fr. 
an, fie waren aber 1843 237 Fr. (täglich 65 Gent.), 1844 219 Fr. 
Die Verſetzung in die Colonie aus dem Bettlerhaufe (maison de refuge) 
follte fhon durch gutes Betragen in jenem erfauft werden; jeder Ar 
beiter der Colonie erhielt ein Stüd Gartenland zu eigener Benutzung; 
f. den Vortrag des Bürgermeiſters Schügenberger in Budget de 
is ville de Strasbourg pour l’an 18541. Str. 1840. ©. 219 f. Rad 
dem Rapport du maire au conseil municipal sur la colonie agricole 
d’Ostwald, 1844, fand man, Laß der Berfehröwerth tes Landes bis 
dahin um 21487 Fr., der Viehſtand um 990 Fr. vermehrt worden 
war. Die Iahresergebnifle waren jedoch fortwährend ungünftig und im 
3. 1847 erhielt die Bolonie eine andere Beitimmung, nämlid einer 
Beſſerungsanſtalt für junge Züchtlinge mit landwirthſchaftlicher Beihäf: 
tigung berfelben. Der Rohertrag der Landwirthichaft von 96,* Heft. 
Ader und Wieſe flieg 1851—58 von 23556 auf 42889 Fr. und im 
3. 1858 zeigte fi ein Ueberfhuß von 17332 Fr., weil der Staat für 
jeden Aufenthaltstag eines jungen Züdtlinges 70 Gent. vergütet. 
Reboul-Deneyrol ©. 296. — Bapport du maire: Colonie pöni- 
tentiaire d’Ostwald. Compte de 1858 et Budg. de 1859. 


$. 350. 


5) Beförderung des Audwandernd Die Aus 
wanderung fann in wirthfchaftliher Beziehung betrachtet wer: 
den (a): 

A) als eine volkswirthſchaftliche Erſcheinung, 
bie nad) ihren Urſachen und Wirfungen erforfcht zu werden 
verdient. Bei ber heutigen Wohlfeitheit und Leichtigkeit bes 
Reiſens, fowie des Briefwechſels, in Verbindung mit der Ber 
breitung genauerer Kenntniß von anderen Ländern reichen fchon 
viel ſchwaͤchere Antriebe Hin, Perſonen zum Wegzuge zu bewegen, 
ald vormald. Die große Ungleichheit in der Zahl ber Aus: 
wanderungen aus verfchiedenen Ländern ift aus mandherlei theils 
wirthichaftlichen, theild anderen Urſachen zu erklären, vergl. 
$. 17. Zu den legteren gehört die Unzufriedenheit mit den 
ftaatlichen oder kirchlichen Berhältnifien des Landes, fie fei 
begründet oder nicht, auch der ungleiche Trieb der verſchiedenen 
Völker zu wandern und andere Wohnfige aufzufuchen (5). 
Unter den wirthfchaftlihen Urfachen nahm die bisherige Er- 
ſchwerung der Anfäffigmahung ($. 15d) und ber Ergreifung 
eined Gewerbes (8. 190) eine wichtige Stelle ein, ift aber bei 
den neueften Veränderungen ver hierauf fich beziehenden Gefege 
größtentheild hinmweggefallen. In vielen Faͤllen ift dad Aus 
wandern in ähnlicher Weife wie das Hinausgehen des Capitals 


— 467 — 


eine Folge von ber Berfchiebenheit bed Lohnes (I, 6. 199) 
und der Ermwerbögelegenheit mehrerer Länder, beſonders ber 
flärfer bevölferten und dagegen der noch in rafchem Auffdywunge 
begriffenen, wie die neu in bie europäifche Geſittung getretenen 
Länder in anderen Erbtheilen (ce). Ueberfpannte Erwartungen 
und fünftliche Anreizungen wirken dazu mit. Das Hinaus- 
ziehen von ‘Berfonen mit voller Arbeitöfraft, die in ihrem Va⸗ 
terlande eine lohnende Beichäftigung finden Tönnten, ift ein 
volföwirthfchaftlicher Verluft, weil die Auswandernden mit einem 
gewiflen Koftenaufiwante erzogen und ausgebildet worden find, 
und weil die Früchte ihrer Arbeit dem Volkseinkommen ent- 
gehen (d), wozu noch die Koften der Ueberſtedelung und das 
mitgenommene Gapital fommen (e). Staaten mit Colonieen, 
in welchen fidy die Auswanderer nieberlaflen, erhalten in ber 
Bereicherung dieſer Befibungen einen Erfaß, der bei der Aus- 
wanderung aus anderen Laͤndern hinwegfält (4). Auch ganz 
Dürftige, welche die Reifekoften nicht erfchwingen fönnen, wer- 
ben oft durch die Geldſendungen ihrer vorausgegangenen Ber: 
wandten ober durdy die Regierungen der Länder, in denen man 
die Einwanderung befördert, in den Stand gejebt, hinweg zu 
zieben (9). Obgleih nun die Auswanderung nicht unterfagt 
werben darf, fo verdient fie doch im Allgemeinen feine Begün- 
fligung und es ift darauf hinzuwirken, daß Lodungen unters 
bleiben ($. 17), daß die Ausmwandernden nicht die Beute der 
Gewinnſucht werden (%) und bie inländifchen Niederlaffungen, 
beſonders in Gegenden, bie nody einen Zuwachs von Capital 
und Arbeit in lohnender Weife bejchäftigen,- 3. B. vermöge 
unbenugter Laͤndereien, Mineralfchäge u. dergl, Ermunterung 
finden, $. 104. Schmanfungen in der Stärfe der Auswans 
derung rühren theils von bem wechfelnden volföwirthfchafts 
lichen Zuftande des eigenen Landes, theild von den Beräns 
derungen in denjenigen Ländern ber, nad) denen hauptfächlich 
ber Zug geht, fowie von der Berichtigung der gangbaren Urs 
theile über biefelben (2). 
(a) Roſcher, EColonieen ©. 342. — Congrös de Brux. I, 213—247. — 
Neueſte flatiftifche Angaben bei Hübner, Sabrbud IV, 288 (1856), 
V, 284 (1857), VI, 206 (1858), VII, 143 (1861). — 9. $röbel, 


Die deutſche Auswanderung. Leipzig 1858. — E. Lehmann, Die 
deutfche Auswanderung. erlin 1861. — Legoyt, L’&migration 


30* 


() 


(ed) 


(d) 


(A) 


(6) 


— 468 — 


suropdenne. Paris sine anno (1862). — 3. 3. Sturz, Die Krifis 
der deutfchen Auswanderung. Berlin 1862. 

Diefer Trieb ift am flärkfien bei den Deutfchen, denen daher der Ber 
ruf zugelchrieben wird, deutſche Befittung und &ewerböfunft in antere 
Länder zu verpflanzen. Die romanifhen Bölker Haben dieſe Reigung 
in fegr geringem Grade. Legoyt ©. XXI und 199. 

Hiezu trägt bie Leichtigkeit, oͤdes Land zur Urbarmadhung zu erlangen 
und fpäter aus dem höheren Breife defielben Gewinn zu ziehen, Bieles 
bei. Zandleute, die fih in undetwohnten Gegenden von Rordamerica an- 
fiedeln, übernehmen große Anftrengungen und Gntbebrungen, um ihren 
Wohlſtand zu begründen. 

Hierüber laſſen fi Berechnungen anftellen. Wenn z. B. ein 20jäßr. 
Auswanderer 1200 oder 1500 fl. gefo ſtet Bat, fo geht diefe Summe 
für da6 Volk verloren. Biel großer iR aber der Werth des Aus: 


-wanderers, auch wenn man biefen nur als Mittel zur Gütererzgeugung 


anfchlägt. Würde er 30 Jahre hindurch nur das Doppelte feines Lohn; 

perbienies, 3. 3. 600 oder 800 fl. erzeugen, fo büßt das ganze Güter: 

erzeugniß des Bolfes jährlich diefe Summe ein, deren jeßiger 

u 4, Broc. das 16,%%fache, alfo 9772 oder 11030 fl. beiträge. — 
achtheile der Auswanderung unter den Basfen für das Dep. der: 

Pyrenaͤen, Blandin in Congrös de Brux. ©. 240. 


Das mitgenommene Bermögen ift nur annähernd zu ermitteln. In 
Baden war nah den erhaltenen Angaben 184049 der mittlere Be 
trag 237 fl., 1865055 120 fl. auf den Kopf, ohne die zur Auswans 
derung gegebene Unterlügung, in Preußen 1844—58 bei 179000 Aus 
wanderern, die ihr Bermögen angaben, im D. 239 Thlr., in Baiern 
185 i. D. 312 fl. Hübner VII, 145. 


Der Wunſch, daB die Auswanderer in ihrem neuen Baterlande ſich 
aneinanderfchließen, die Sitte und Sprache der Heimath feitbalten 
und mit derfelben einen lebhaften Berfehr pflegen , der beiden ilen 
leich vortheilhaft wäre, ift fehr natürlich, aber es läßt ſich = einer 
erwirklihung wenig thun, außer in den Fällen von 6. 350 a Note (3). 
Vorzüglih in Auftralien. 
Auffiht auf Diejenigen, weldhe das Fortfchaffen der Auswanderer ge 
werbmäßig (als Agenten“) betreiben, Borfchriften für die zur Reife 
berfelben dienenden Schiffe sc. Brit. Gel. 13. Juli 1849 (Passenger's 
act, 12. 13. Bict. &. 33) über die Auswanderer⸗Schiffe, den nötbigen 
Raum, die Borräthe von Nahrung und Wafler, die Ginrichtung ber 
Schiffe sc. Bremiihe V. v. 9. April 1849 und 14. Suli 1854, Hamb. 
V. v. 3. Juni 1850 und 26. Febr. 1855, nordameric. Gel. 2. Mär 
1855, Hübner, Jahrb. IV, 290. — Bad. B. 11. Febr. 1853 über 
bie Auswanderungsagenten. 
Die Auswanderung aus Deutihland betrug i. D. 184659 jährlich 
109706. Der höchfle Stand berfelben war 1854, mit ungefähr 252 000 
Berfonen, 1855 gahtte man 81700, 1856 98600, 1858 53266, 1859 
nur 45100. Hübner VIL, 143. In Großbritanien und Irland war 
der j. Durchſchnitt 1847—54 305602, 1855—57 188245, 1858—61 
113661. Die größte Zahl fiel in das J. 1852, nämlid 368 700. 
Im D. 1851—54 gingen 233892 nah den verein. Staaten, 63513 
nah Auftralien und Neufeeland, 38440 nad dem Brit. Norbamerica. 
Nach den Zahlen bei Legoyt ©. 39 war im D. 1851-60 die Aus 
wanderung aus Irland (121626) an 54 Proc. von ber des ganzen 
brit. Staates (228720); es kommen jedoch in Betreff der irländifi 
dpanderuggeiahl verſchiedene Angaben vor, Companion to the Almanak 
1863, ©. 186. 





— 469 — 


$. 3508. 


B) Als ein Gegenftand der Staatsfürforge. In ber 
Regel ift es zwar zwedmäßig, der Auswanderung durch die in 
8. 17 angegebenen Mittel entgegenzuwirken, doch muß es als 
Pfliht gegen die Staatsbürger und zugleih als Klugheits⸗ 
maaßregel (a) angefehen werben, benen, bie zum Auswandern 
entfchlofien find, durch Abhaltung unzuverläffiger Mittelöper- 
fonen (Agenten), durch den Beiftand der Conſuln u. dergl. 
nüglichen Beiftand zu leiften. Am meiften iſt die Auswans 
derung aus dem Geſichtspunct der Armenverforgung in 
Betracht gezogen worden. In Ländern mit anfehnlicher Bevoͤl⸗ 
ferung bat man öfterd in ber regelmäßig fortdauernden Aus⸗ 
wanderung ein Berhütungsmittel der Verarmung zu fehen 
geglaubt, indem man annahm, daß auf biefem Wege eine zu 
fchnelle VBolfövermehrung verhindert und dad Ebenmaaß zwifchen 
der Bollömenge und den Mitteln zur Beichäftigung und Ers 
nährung derſelben bergeftellt werde. Dagegen ift zu bebenfen, 
daß dad gewuͤnſchte Gleichgewicht ſich ohnehin allmälig her, 
ftellt, wenn die Regierung zur Beförderung der Gütererzeugung 
und bed Berfehrd mit Einfiht und Eifer wirft, audy durch 
verfländige Ueberlegung ber Bürger die Heirathen und Geburten 
das ben volfswirthichaftlichen Berhältniffen entfpredhende Maaß 
nicht überfchreiten (8. 12 ff.); ferner, daß wenn bie übrigen 
Umſtaͤnde ſich nicht verändern, der Abflug der Volksmenge fich 
wegen ber dadurch bewirkten Lohnerhöhung wieder durch die 
Geburten erfeßen muß, — endlid daß ein folcher Ueberſchuß 
der Geburten über bie Sterbefälle, der nur durch Auswan⸗ 
berungen unſchaͤdlich gemacht würbe, mit großen Koften ver 
bunden wäre ($. 350) und den Anwachs bed gefammten Gas 
pitaled hemmen, vieleicht fogar daſſelbe vermindern würde, 
zumal da gerade bie rüftigften Perſonen hinauszugehen pflegen. 
Es wäre daher offenbar fehlerhaft, wenn die Regierung einen 
folchen fortbauernden Abfluß der Einwohner beabfichtigen ober 
befördern wollte. Anders verhält ed ſich in einzelnen Zeit⸗ 
puncten, wo bie Berarmung aus Enverblofigkeit in Fleineren 
oder größeren Abfchnitten bed Landes eine beunruhigende 
Höhe erreicht hat und zu einer gebeihlichen Verſetzung 


— 41 -- - 


ber Armen in andere inländifche Gegenden feine Gelegen- 
heit vorhanden if. In foldhen Fällen ift bauptfächlich dieß 
zu. beachten: 

a) Die Entfernung eined Theiles der Armen fann von 
Privatvereinen, Gemeinden, Bezirken oder von der Regierung 
auögehen, die Iebtere hat jedoch immer einigermaaßen mitzu- 
wirfen und ein Staatözufchuß ift bei einer großen Menge von 
Armen unentbehrlidy (a). 

b) Ein Zwang zum Auswandern wäre nicht zu recht⸗ 
fertigen, aber auch überflüffig, denn die Armen hoffen von 
ihrer Berpflanzung in ein entfernted Land eher zu viel ale zu 
wenig. 

c) Nur foldye Familien follen binweggeführt werben, deren 
Arbeitöfräfte ein gutes Fortkommen mit Sicherheit erwarten 
laſſen, audy einzelne Perfonen nur dann, wenn fie ſich in einem 
hiezu geeigneten Alter und Zuftande befinden (2). 

d) Da bei maffenhaften Ausmwanderungen bie Wahl bes 
Beflimmungsorted nicht jedem Einzelnen freigeftellt werden 
fann, fo hat die Regierung zu dieſer Wahl mitzuwirken und 
hierbei die Naturbefchaffenheit, die volfswirtäfchaftlichen und 
ſtaatlichen Verhaͤltniſſe des Landes, nach dem bie Ueberfieblung 
zu richten ift, reiflichft in Betracht zu ziehen (c). 

e) In Fällen diefer Art iſt es nützlich, gut zufammen- 
gefeßte Gruppen zu bilden, die in der neuen Heimath wie ganze 
Gemeinden beifammenbleiben und einander zu Schug und Beis 
fland dienen, was jedoch nur in einer noch ganz ſchwach bevöl- 
ferten Gegend auszuführen if. 

f) Es wird mit Hülfe der Konfuln oder befonderer Beaufs 
tragter für die Reife und das erfte Unterfommen geforgt. 

g) Die Erleichterung wäre von furzer Dauer, wenn nidht 
zugleich die Urfachen der vermehrten Armuth befeitigt und 
Borbeugungsmittel gegen bie Wiederkehr des Uebels angewendet 
würden. Was in biefer Hinficht zu thun fei, dieß hängt von 
den befonderen Umftänden bed Landes ab. 

(ea) In Baden wurde 3. B. 1850 die Gemeinde Rined im Odenwald 
aufgehoben und die @inwohner wurden mit ihrer Einwilligung auf 

Staatskoften nad America geiendet. Der Drt war in wirthichaft: 


lihen und moralifchen Verfall gerathen. Die Fortihaffung Eoftete bei 
einer größeren Anzahl 92 fl. a. d. Kopf. — Nah dem engl. Armens 


— 471 


geſetz von 1834 $. 62 darf unter Zuflimmung der Armenfteuerpflichtigen 
eines Kirchfpiels eine Summe bis zu dem Salben Durchſchnittsbetrage 
der Armenſteuer in den 3 letzten Jahren aufgenommen werden, um die 
Auswanderung der zugehörigen Armen zu befördern. — Nirgends iſt 
die Auswanderung mit Staatshülfe in größerem Maapflabe vor fich 
gegangen als in Irland feit 1847 und die Wirkungen waren günflig. 

(5) Diefe wichtige Regel iſt oft auf eine gewifienlofe Weife vernadhläffigt 
worden, fo daß man die Auswandernden dem Blend preisgegeben bat. 
Dies Berfahren muß dahin führen, daß in den Sinmanberungeländern 
immer firengere Maaßregeln bei der Aufnahme von Anlömmlingen an⸗ 
gewentet werden. — In Irland hat man Auswanderer aus den Armen 
gewählt, die 1 Jahr im Armenhaufe zugebracht hatten. - 


(ce) Die vereinigten Staaten, das britifche Nortamerica, Auftralien, Neu: 
feeland, das Cap und Algier fommen am meiften in Betracht. Gegen 
die Wahl von Algier Hirſch, Skizze der volkswirthfchaftl. Zuflände 
von Algerien, Gott. 1857. Die Infel Sardinien, Ungarn, die unteren 
Donaugegenden und Rußland fönnten noch viele Auswanderer aufs 
nehmen, wenn die Lage terfelben völlig chert wuͤrde. — Ueber die 
Loge der deutſchen Auswanderer in Brofllien find hoͤchſt ungünftige 
Schilderungen verbreitet worden und ein Theil der Uebelftände fcheint 
nicht beflritien werben Rn fönnen, doch hat die dortige Regierung fchon 
Manches zu der Abftellung derfelben getban, val. $. 16 (e). Gegen 
Brafilien bauptfählid Sturz a. a. O. Die Bolonieen in den ſuͤd⸗ 
lihen Provinzen befinden fich bagegen in gedeihlihem Zuſtande. Schil⸗ 
derungen günfliger und ungünftiger Berhältniffe in Brafilien bei Legoyt, 
©. 125. Neuerlidy zieht Uruguay die Aufmerfiamfeit auf fih, wo 
ſchon Schweizer und Deutfhe mit gutem Grfolge angeflebelt find, 
Sturz ©. 160. 


8. 351. 


Solche Arme, die aus Arbeitöfcheu und der Macht übler 
Gewohnheiten gewerbemäßige Bettler, Landſtreicher, auch wohl 
Diebe und Betrüger geworden find ($. 326), und bie deßhalb 
von ber dargebotenen Gelegenheit zum Berbienft feinen Gebraud) 
machen, fönnen nur durch kraftvolle Gegenanftalten in nuͤtzliche 
Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft umgewandelt werden, 
indem man fie zur Arbeit anhält, ihnen ſtreng die Rothwendig- 
feit einer geordneten, gefitteten Lebensweiſe auflegt, alle Aus: 
brüche ihrer Rohheit nachdruͤcklich ahndet, zugleich aber darauf 
hinwirft, daß fie auch innerlich veredelt und zum Wiebereintritt 
in bürgerliche Berhältnifie reif gemacht werben. Dieß ift bie 
Beftimmung der Zmangsarbeitshäufer (a), welche zwifchen 
den freien Arbeitöhäufern (8. 348) und den Zuchthäufern in 
der Mitte fiehen, in ber ganzen Einrichtung mit ben legteren 
viel gemein haben, fidy aber doch weſentlich von ihnen unter 
fcheiden, indem fle feine Strafanftalten, fondern blos Berwahs 





— 42 — 


rungsmittel find, weßhalb der Aufenthalt in ihnen nicht recht⸗ 
lich entehrend if. Es verbindet fi bier mit dem volks⸗ 
wirthſchaftlichen Zwecke (Armenverforgung) ein polizei- 
licher, Sicherung vor Gefahren, die, obgleih in Anfehung 
des gefährdeten Gegenſtandes unbeflimmt, body unzweifelhaft 
aus der Lebensweiſe gewiſſer Perſonen entipringen (d). Die 
Befugniß ded Stanted, die Freiheit folcher Perſonen, die ſich 
durch eigened Verfehulden auf die angegebene Weife als gefährs 
lich oder doch verdächtig gezeigt haben, vorübergehend zu bes 
fhränfen, ift nicht zu bezweifeln (c). Um Feiner Willkür Raum 
zu laſſen, muß ein Geſetz die Umftände, welche die Berwahrung 
in einem folchen Arbeitöhaufe bedingen, 3. B. wiederholte Bes 
ftrafung wegen Betteln® oder Landſtreichens, Trunkfucht ıc., und 
die Bormen, unter denen die Verurtheilung in baffelbe gefchehen 
fol, genau vorfchreiben. 


(a) Bergius, Magazin, Art. Zucht: und Arbeitshaus, V. B. — Rulffs 
a. a. O. — Weber, ©. 140. — Gaum, S. 100. — 808, Ueber 
öffentl. Arbeitshäufer. Hildburgh. 1810. — v. Sensburg in Harl’s 
Allg. Archiv für die gefammten Staatswiffenfchaften, 1827, ILL, 20. — 
Riſtelhueber, Beichreibung des Landarbeitshaufes zu Brauweiler. 
Köln, 1828. — Larenz, Reflerionen über öffentl. Anflalten. Goblenz, 
1833. — Verordnungen für die preuß. Wrbeitöhäufer in Königsberg 

1756), Strausberg, Brandenburg, Tangermünde, Wittſtock und Brenz: 

w (1791), Tapiau (1793), Udermünde und Neuftettin (1799), Prenz⸗ 
low (neue V. v. 1803), Graudenz (1804), Großenfalza (1804), 
Landöberg an der Warthe (neue B. v. 1814) in v. Berg, Handb. VI, 
2. Abth. ©. 921 ff., von der Heyde, Repertor. II, 225 — Braus 
weiler (Be .⸗Bez. Köln), ſchon unter der franz. Herrfchaft errichtet, 
Bennig aufen Meftfalen) 1821, Ludau (Laufis). — Sidi. A.H. zu 
Goldiz, f. v. Salza und Lihtenau, BolizeisR. I, 48. — Bair. 
B. v. 18. Nov. 1816. — Bad. Arbeitshaus zu Pforzheim, 1826, feit 
1857 in Bruchſal. Neues Gef. v. 3. Juli 1840. — Ueber die franz. 
maisons de röpression, Fleurigeon, Code administratif III, 2. Abt. 
©. 433. Napoleon verorbnete (Decret vom 5. Juli 1808) da im 
jedem Dep. ein foldhes Haus (auch depôt de mendicits genannt) blos 
für Bettler, nicht für Landftreicher, errichtet werden folle, aber es be= 
ſtehen nur 20, von denen einige für mehrere Dep. zugleich beftimmt 
find. Die Häufer zu Lyon, Nantes, Bordeaur und Berfailles werden 
von den Bemeinden biefer Städte, die übrigen von den betreffenden 
Dep. unterhalten. de G&rando, I, 589. Gifrige Empfehlung der 
ausichließfih für Bettler beflimmten Häufer mit einer Schilderung der 
fehr gut eingerichteten Anfalten zu Lyon und Turin bei Bonnardet, 
De la mendicits, ©. 65. 133. — In ben Niederlanden find folde 
Häufer mit den Armencolonieen in Verbindung, $. 349. — Fünf Ans 
falten in Belgien, in denen i. D. 1849 und 1850 3582 Gefangene 
waren. 


(5) Wegen der Verbindung der beiden obengenannten Zwede finden biefe 
Andalten auch eine Stelle in der Polizeiwiffenfchaft im engeren Sinne. 


— 413 — 


Sie dürfen jedoch bier nit übergangen werben, weil fie eine unents 
behrliche Ergaͤnzung der übrigen Armenanfalten bilden. 


(c) Auch Berbreher nad überflandener Strafzeit in folden Faͤllen, wo 
auf einen Hang zu fließen iR, 3. B. bei wiederholter Begehung von 
Diebflahl, Betrug, Faͤlſchung, belonbers wenn der Beſtrafie ih nicht 
felbR fortbringen kann sc. — Nach mehreren Berorbnungen follen aud 
diejenigen, welche geringe Redteverlepungen begangen haben und dafür 


einer bloß polizeilichen Befrafung unterliegen müflen, unter gewiflen 


Umfländen aufgenommen werben, 3. B. untreues Geſinde sc. 


6. 352. 


Hauptregeln für die Zwangsarbeitshaͤuſer: 

1) Ieder größere Landeötheil (Kreis, Regierungsbezirk ıc.) 
bat eine ſolche Anftalt noͤthig. Die Koften werben, wo biefe 
Bezirke ihre eigenen Umlagen haben, durch ſolche aufgebracht, 
font müffen fie aus der Staatscaffe beftritten werben, jedoch 
fann man auch den Gemeinden, auf deren Antrag Bettler ıc. 
aufgenommen werben, Beiträge auferlegen. 

2) Kinder, Greife und Kränkliche eignen ſich nicht für biefe 
Anftalten. 

3) Die Einfperrung in bad Arbeitöhaus erfolgt nad) vor⸗ 
audgegangener forgfältiger Unterfuhung und dem Erfenntniß 
eined Polizeigerichts. 

4) Die Arbeiten werben theild für ben eigenen Bedarf des 
Haufe (a), theild für den Verkauf vorgenommen, ober für 
Privatunternehmer, welche ſowohl die Stoffe ald die Werkzeuge 
oder Mafchinen liefern und der Anftalt eine ausbedungene Ber 
gütung für jeden Arbeitstag leiften. Bei den Arbeiten zum 
Berfauf kommen die oben (8. 348) gegebenen Regeln in An- 
wendung, mit der Rüdfidht, daß die Hausordnung nicht geftört 
werde (b). | 

5) Damit die Zwangsarbeiter zum Fleiße ermuntert werben 
und für bie Zeit ihrer Entlaffung eine Summe erfparen koͤn⸗ 
nen, wird Jedem nad) feiner Bähigfeit ein gewiſſes Maaß von 
Arbeitöleiftung (Penfum) aufgegeben, und wenn er mehr lei⸗ 
ftet, fo wird ihm ein Ueberverdienſt gutgefchrieben oder audges 
liefert (c). Man bringt ed jedoch felbft bei guter Verwaltung 
fchwer dahin, daß dad Penſum zureiht, die Koften des Unter⸗ 
halts zu erſetzen. 


— 44 — 


6) Beſondere Vorſchriften werden in jeder Anſtalt aufge⸗ 
ſtellt für die Trennung beider Geſchlechter, wenn nicht ſchon 
ganz geſchiedene Anſtalten für dieſelben beſtehen, — für die 
Zeit des Aufſtehens, Ruhens, Eſſens, Niederlegens, — für bie 
ſtrenge Beobachtung der Reinlichkeit, des Anſtandes, des Ge⸗ 
horſams, — fuͤr die auf die Verletzung dieſer Vorſchriften ge⸗ 
ſetzten Strafen und die Formen der Strafzuerkennung, — für 
die Sicherungsmittel gegen das Entweichen oder die Empoͤrung 
der Zwangsarbeiter. 

7) Die Dauer des Aufenthaltes eines Jeden wird in dem 
Erkenntniß über feine Einſperrung beſtimmt und muß fo lang 
fein, daß ſich in der Regel eine Gewöhnung an Fleiß und 
Ordnung hoffen läßt (d). Bei gutem Betragen fann eine 
frühere Entlaffung erfolgen. 

8) E& hat fi) ald zuträglicy gezeigt, daß außer ben vor: 
gefegten Staatsbehörden an dem Drte, wo fi) dad Zwangs⸗ 
arbeitshaus befindet, ein beionderer Auffichtörath beftelt wird, 
der aus achtbaren Einwohnern mit Zuziehung von Geifllichen 
und Aerzten befteht. 


(a) 3. 3. Gartenarbeit, Mahlen, Baden, Spinnen, Beben, Kleider: und 
Schubmaden, Holzhauen, Waſchen, Kochen xc. 


(5) Es kommt hiebei fehr auf die Geſchicklichkeit und ben Eifer der Ber: 
walter und Werfmeifter an. Wollenverarbeitung, 3. B. Berfertigung 
von Armeetühern, iſt in vielen Anflalten mit Rußen eingeführt wor: 
ten, in anderen Warmorfchleifen, Berfertigung von Epieldyarten, 
Ehleifen von Brillengläfen, Korbflehten u. tergl. In ten von ker 
Hamburgifhen Preisfrage veranlaßten Auffä von Wilken und 
Keller wurde hauptfächlich Das Raspeln des Farbholzes und tie Ber 
fertigung von Deden aus Kuhhaaren empfohlen; legtere Arbeit bört 
auf ungefund zu fein, wenn die Haare naß verarbeitet werten; Ber: 
handl. u. Schriften ter Hamburg. Geſellſch. 3. Beförd. d. Kuͤnſte und 
nüßl. Gewerbe. 1, 177. (1792). — Um feinen bürgerliden Gewerbe 
zweig zu flören, follte man, wenn es nit mö lid if, die Arbeiter 
von Privatunternehmern beichäftigen zu laflen, auf die Eröffnung neuer 
Gewerbsarten Betracht nehmen, indem man nügliche Productionen vom 
Auslande nahahmt. Bal. v. Sensburg, a. a. D. — Inte zeigt 
die Betrachtung der befiehenden Arbeitsanflalten, daß ter Erwerb zu 
den Koſten in ſehr verfchiedenen Berhältnifien fliehen fann, was von 
ten Schwierigkeiten einer fo zufammengefegten Berwaltung, von den 
örtlichen Gewerbsverhaͤlmiſſen und der Indivitualität der Vorſteher 
herrührt. — Die Benupurig der Zwangsarbeiter zur Feldarbeit in den 
nieberläntifben Armencolonıen ($. 349) ift wohl gelungen. Ommer⸗ 
fhanz unt Beenhuizen hatten 1649 gegen 1200 Bettler mit Cinſchluß 
der Strafeolonie. Die Armen haben 30 Schlafiäle mit Hängmatten, 
tie am Tage aufgezogen werden, fo daß die Sale zugleih zum Eſſen x. 
dienen, daneben Werkfluben x. Die beiten Geſchlechter getrennt. 


— 45 — 


Im Umfreife find 21 und 8 Sandgüter von 36—43 Bonder (Heftaren), 
auf welde die Zwangsarbeiter zur Wrbeit geführt werden. Diele er: 
halten Taglohn, müflen aber ihren Unterhalt vergüten. Vom Ueber: 
fyuffe wird ihnen */s aufgefpart. — Die vielfach beiprochene Tret: 
mübhle (treadmill) if bei den Erfundigungen in der PBarlamentsfigung 
von 1824 als unfhädlih anerfannt worden, wenn fie nur nicht für 
ſchwaͤchliche Perſonen gebraucht und die Geſchwindigkeit des Rades 
nicht uͤbermaͤßig gemacht wird. Sie kann zur Bewegung von mancher⸗ 
lei Maſchinen angewendet werden. Die zugleid von technifcher und 
wirthichaftliher Seite gegen fie erhobenen Binwürfe, namentlich von 
Dumont (Rapport sur le projet de loi pour le rögime interieur des 
prisons. Gentve, 1825. — Biblioth. univ. Abtb. Litérat. XXVIII, 
1813) werben durd viele Erfahrungen widerlegt, wie 3. B. im Zucht⸗ 
baufe zu News: Dorf mit diefer Binrihtung die 2000 Do. eripart wur: 
den, die bisher das Mahlen gekoftet hatte, Revue encycl. 1824, Mars, 
©. 592. — Inzwiſchen iſt das Treten des Rades eine gedanfenlofe, 
faſt bloß thierifche Arbeit, welche alle höheren Anlagen eher erſtickt als 
entwidelt, weßhalb fie nur auf kürzere Zeit, als Strafmittel, benußt 
werden follte. Bgl. Weber, Beiträge zur Gewerbs- und Handels 
zus 8 138, H, 122. — Schilling, Archiv für Kameralrecht, I, 
2.9. ©. 22. 


(e) Der Ueberverdienft wird dem Arbeiter theils bis zur Entlaſſung aufbe⸗ 
wahrt, theils eingehändigt, um ſich Fleine zuläffige Genüfle zu ver- 
fhaffen. In den Niederlanden hat Jeder fein Abrehnungsbüdlein, in 
welches ihm aufgezeichnet wird, was er taͤglich an Lohn verdient, an 
Verpflegung und PBapier= (Bleis) Geld erhalten hat. 


(d) Man beftimmt gewöhnlich ein Minimum, 3. B. nach der a. Baier. V., 
8. 6, vier Monate, Wer zum zweiten: oder brittenmale eingebracht 
wird, muß länger bleiben. — Frankreich, Baden, niederländifche Co⸗ 
lonieen: mindeftens 1 Jahre. In diefen Golonieen muß der zu Gnt- 
laſſende mindeſtens 25 fl. erfpart Haben. 


B. Kür arme Kinder. 
$. 353. 


Bei der Fürforge für hülfsbebürftige Kinder ift nicht bloß 
auf den Unterhalt, fondern aud auf gute Erziehung Bedadıt 
zu nehmen, wodurch zugleidy eine der mächtigften Urfachen ber 
fpäteren Berarmung entfernt wird. Ohne ſolche Maaßregeln 
würden biefe Kinder größtentheild unter dem Einfluß einer 
fhlechten Umgebung in Trägheit, Unmiffenheit, Rohheit und 
Unfittlichfeit heranwachfen. Wo die auf die Erziehung armer 
Kinder gerichteten hoͤchſt lobenswerthen Beftrebungen von Ein- 
zelnen und von Privatvereinen nicht zureichen, da muß bie 
Mitwirkung der örtliden, und in Bezug auf größere Anftalten, 
der Bezirks⸗Armenpflege Hinzufommen. Es bient nicht bloß 


— 46 — 


zur Verminderung ber Koflen folder Erziehungsanftalten, fons 
dern auch zur frühzeitigen Gewöhnung an die Arbeit, wenn 
bie Zöglinge, fobald und foweit ed ohne Nachtheil für ihren 
Körper möglih ift, 3. B. in einem Alter von acht bis neun 
Sahren, zu leichten Gewerbsverrichtungen angehalten werben, 
body darf man nicht erwarten, daß fich hieburd) eine Armen- 
fchule ohne Zufchüffe felbft erhalte. Die der Armenpflege an 
heimfallenden Claſſen von Zöglingen find: | 

1) arme Waiſen, Findlinge, verlafiene Kinder (a), 

2) Kinder folcher Aeltern, die in Strafs, Zwangds ober 
freien Arbeitö- und Armenhäufern untergebradht worben find, 
ober denen bie Kinder wegen übler Behandlung abgenommen 
werden müffen, J 

3) Kinder armer Aeltern, die ihre Zuſtimmung zur Auf 
nahme geben, $. 342. 

4) Kinder, welche fchon gerihtlih zu einer Strafe verurs 
theilt worden find (junge Sträflinge), gehören in ber 
Regel ebenfalls unter die Armen. Fuͤr folche frühzeitig ver 
berbte Kinder, deren Jugend die Beflerung erleichtert, find neuer 
ih unter Mitwirkung der Regierungen befondere Anftalten 
(Befferungshäufer, Ecoles de r&forme) errichtet worben, 
in denen fie durdy Unterricht, Arbeit und forgfältige Erziehung 
von dem betretenen Wege abgelenkt werden, währenb in ben 
Zuchthäufern eine ſolche Behandlung nicht ausführbar ifl. Die 
Nettungshäufer dienen zur Aufnahme fchledht erzogener, 
verwilberter und verberbter Kinder aus anderen obigen Abtheis 
lungen, beſonders bei 1), — fogenannte verwahrlofte 
Kinder (e). 

Es iſt eine erfreuliche Erfcheinung, daß in der neueften Zeit 
bie Erziehung armer Kinder in der Wiffenfchaft wie in ber 
Ausübung mit Vorliebe behandelt und daß in biefem Gebiete 
fehr viel geleiftet worden if. Es treffen hiebei mehrere eins 
zelne Staatözwede zufammen. Die Volkswirthſchaftspolitik hat 
biefen Gegenſtand als Beftandtheil der Armenanftalten nur 
nah feinen Grundzügen zu betrachten, dad Nähere aber ber 
Lehre von der Volksbildung zu überlaffen, die Befferungshäufer 
für junge Sträflinge aber fallen zugleich unter die Zwede ber 
Rechtöpflege (Iuftizweien). 


— 41 — 


+4 


(a) Riſtelhneber, Ueber die Nothwendigkeit der Errichtung von Arbeits: 


und Erziehungsanſtalten für fittlih verwahrlofte Kinder. Stuttgart 
1828. 46. — v. Türk, Ueber die Borforge für Waifen, Arme und 
Rothleidende, ©. 164. — Kröker, Die Wailenfrage, 2. Ausgabe. 
Hamb. 1852. — Ducpdtiaux, Colonies agricoles, &coles rurales et 
teoles de röforme, Brux. 1851. 4°. 


(6) Die Unterfuhung über die Zwedmäßigkeit der Findelhaͤuſer gehört in 


(e) 


die Polizeiwiffenihaft, weil dieſe Häufer zur Berhütung ter Kinder⸗ 
morde beftimmt find. Die Aufnahme der Kinder wird dur die Dreh⸗ 
late (tours, torno) erleichtert, in die man ein Kind ungejehen legen 
fann. Die franzöftfchen Schriftfteller nehmen die Findelhaͤuſer in Schuß, 
f. die Nachmeifungen bei Mohl, Bolizeiwifl. I, 385, ferner Gail- 


.lard, Becherches sur les enfants trouves, les enfants naturels et les 


orphelins en France. P. 1827. — RBemacle, Des hospices d’enfans 
trouv6s en Europe. Paris, 1838. — de G&örando, U, 135 ff. In 
Deutihland, wo man glüdliher Weile feine Fiudelhaͤuſer hat, ift die 
entaegengefegte Ueberzeugung herrichend, die fid auf die große Sterb⸗ 
lichkeit der Findlinge und auf die flarfe Berfuhung der Mütter zum 
gewiflenlofen Abgeben der Kinder und zur Ausichweifung flüge. “Die 
neueften Raaregeln in Frankreich zeigen ein Beſtreben, jene Mängel 
wenigftens zu mildern. Dahin gehört die Aufhebung eines Theiles der 
Aufnahmsladen (tours), — ferner 1837 die Anordnung, baß man die 
Berfonen, welde ein Kind überbringen, durch eine Unterflügung zum 
Behalten deffelben zu bewegen fucht und auch die unehelichen Mütter 
in den Gebärhäufern hiezu ermuntert. Es find jegt in 40 Dep. feine 
Drebladen, in 17 Dep. nur foldhe, bei denen die Uebergabe des Kindes 
mit einer Anmeldung verbunden ifl, tours aurveillos. Block, Diot. 
153. — Die Zahl der aufgenommenen Kinder if neuerlih im Ab⸗ 
nehmen, fie fanf von 56 (D. 1815—24) auf 29,8 (1845—52) jährlich 
auf je 10000 @inwohner. Sm Jahre 1853 wurden 72472 Winplinge, 
25842 fpäter verlafiene Kinder (enfans abandonnds) in Frankreich ers 
halten. Die Bindlinge werden fobald als möglih zu Säugammen, 
dann mit 6 Jahren zu Landfeuten oder Handwerkern in die Koſt ges 
geben. In jedem Dep. ift ein Beamter zur Aufficht beftellt (inspecteur 
döpartemental). Ausführliche Vorfchriften bei Lamarque, Traitö des 
ötabliss. de bienfais. S. 214. — In Belgien haben noch 5 Findel⸗ 
bäufer eine Drehlade. Sardinien hatte 1858 32 Yindeldäufer. Hügel, 
Die Findelhäufer und das Findelwefen Guropas. Wien, 1863. 


Heutige Tages beſteht in Deutichland eine große Anzahl folcher 
Rettungshäufer, faſt fammtlih von Privatvereinen angelegt und unters 
halten. ürtemberg ift reih an folchen. Baiern bat (1857) 60 mit 
1659 Zöglingen, während 1853 erſt 27 vorhanden waren; bie flarfe 
Vermehrung ift großentheild ein Verdienſt der St. Iohannisvereine. 
Der bad. Verein zur Rettung fittlih verwahrlof'ter Kinder hat zwei 
grobe Rettungshäufer für beide Bonfeffionen und cinige Feine. Im 

. 1851—55 war die Ginnahme aus freiwilligen Spenden, Staate- 
zufhuß (4251 fl.), Koftgeldern (1245 fl.) und Zinfen (1146 fl.) 15062, 
die Ausgabe 14455 fl., f. 12. Nechenfchaftsberiht, 1857. Auch in 
anderen europälfchen Laͤndern if ein Wetteifer für Anftalten diefer Art 
rege geworden. Als befonders bemerienswerth find folgende zu nennen: 
Soh. Half gründete 1813 in Weimar eine Anftalt für fittlich vers 
wahrlof’te Kinder, etwas fpäter Graf von der Recke zu Düffelthal bei 
Düffeldorf. Das rauhe Haus zu Hom bei Hamburg, das Werk des 
Dr. Wich ern (feit 1833) dient zugleih als Bildungsanftalt für Lehrer 
und Hausväter ſolcher Häufer. In Frankreich hat die Staatsanftalt 
für jugendliche Sträflinge Mettray bei Tours, 1839 von de Meg 


— 48 — 


angelegt, ein nüßliches Vorbild gegeben. Oftwalb bei Strasburg, f. 
$. 349 (A). Niederländiih-Mettray zu Ryſſelt bei Zütphen, durch An- 
regung von Suringar 1851 angelegt. Ecole agricole de r&forme zu 
Nuyſſelede in Weſtflandern, eine 1849 gegründete Staatsanftalt mit 
zwei getrennten Abtheilungen für beide Geſchlechter. Durchſchnittsſtand 
1868 593 Knaben, 248 Maͤdchen, meiſtens wegen Bettelns oder Land⸗ 
ſtreicherei verurtheilt. Die Regierung gab im 10j. Durchſchn. 229 850 Fr. 
dafür aus, es ift aber auch eine Schule für Fünftige Seeleute (mousses) 
damit verbunden. Ducpetiaux, Expose da la situation des &coles 
de reforme de Ruysselede, de Wynghene et de Beernem. Brux. 1861. 
4°. — In England find mehrere Privatanftalten als Nahahmungen 
von Mettray entflanden, vorzüglih Ned - Hill, und das Belek 
17. 18. Bict. €. 86 (10. Aug. 1854) geftattet, Sträflinge unter 16 
Jahren in eine als gut erkannte Privatbeflerungsanftalt (reformatory 
school for juvenile offenders) zu fenden. Congres de Frankf. II, 580. 


$. 354. 
Die Anforderungen an eine Armen - Erziehungdanftalt find 


hauptſaͤchlich: 

1) Sorgfaͤltige Aufſicht, ſtrenge Sittenzucht und Pflege 
wahrer Froͤmmigkeit, wodurch die von den früheren Umgebungen 
herruͤhrenden üblen Gewohnheiten befämpft werden, weßhalb 
auch die Zöglinge von älteren Armen ganz getrennt und über- 
haupt fo viel als möglid von flörenden Einflüffen frei gehalten 
werden müffen. Die gute Erziehung ſetzt nicht nur bie nöthigen 
Eigenſchaften des Borfteherd, ſondern auch eine ſolche Einrich⸗ 
tung voraus, die es demſelben moͤglich macht, jeden Zoͤgling 
genau zu beobachten, ſein Vertrauen zu gewinnen und auf ihn 
jo einzuwirken, wie es feine Perſoͤnlichkeit erfordert. 

2) Verbindung des Unterrichts mit der Anleitung zur 
Arbeit, um die Kinder mit Fleiß, Kenntniſſen, Uebung im 
Denken und überhaupt mit ſolchen Faähigkeiten auszurüften, 
mit deren Hülfe fte ſich als Lohnarbeiter gut fortbringen fönnen. 
Sie müffen einfach, genügfam erzogen und abgehärtet werden. 

3) Zwedinäßige Wahrung, Befchäftigung und Zeiteintheis 
fung, fo daß die Ausbildung ded Körpers befördert wird, daß 
man bie Kräfte nicht zu fehr anftrengt, Bewegung und Leibes⸗ 
übung im Freien, Erholungsftunden und Arbeit zwedmäßig mit 
einander abwechſeln ıc. 


$. 359. 


Die Waifenhäufer, die ältefte und häufigſte Art folder 
Armen-Erziehungsanftalten in den Städten, entfprachen früher: 


— 419 — 


bin den obigen Anforderungen gemeiniglich nicht. Die Zög- 
linge wurden oft ſchwaͤchlich, geiftig befchränft, und felbft fittlich 
verborben, audy war bie Sterblichfeit zu groß, weil bie Ber 
walter und Auffeher die vorftehenden Grundfäbe ($. 354) bald 
aus Unfenntniß, bald aus eigennügiger Abficht oder Trägheit 
nicht befolgten, die Kinder fchleht nährten, auf Koften ihrer 
Gefundheit zu viel arbeiten ließen, zu hart behandelten u. dgl., 
auch bie Oberauffiht zu nachlaͤſſig geführt wurde. Deßhalb 
bat man es in neuerer Zeit vielfältig vorgezogen, die armen 
Kinder bei einzelnen Familien, befonderd auf dem Rande, gegen 
Koftgeld in die Pflege zu geben, wobei man nicht allein an 
den Koften erfparte, fondern auch die Lebensdauer und Gefunds 
heit der Kinder beförderte und den Vortheil erreichte, daß bie 
felben den bildenden Einfluß des Familienlebens genofien (a). 
Allein es ift in vielen Gegenden fehr fchwer, gewifienhafte und 
fähige Pflegeältern zu finden, die Annahme der Kinder gefchieht 
oft aus Gewinnſucht und fie werben dann fchlecht behanbelt. 
Dagegen ift es möglich, mit Eifer und Beharrlichfeit jene 
Mängel der älteren Erziehungsanflalten zu vermeiden und biefe 
ihrer Beftimmung gemäß einzurichten, wie Dieß zahlreiche neuere 
Beifpiele darthun. Man erreiht dann den großen Bortheil 
einer planmäßigen Ausbildung der Kinder, während fonft ihre 
Erziehung durch die Pflegeältern dem Zufalle überlaffen ift. 
Nur für Heine Kinder ſcheint das Ausgeben an Randleute gegen 
Koftgeld nody immer das Beflere (6). So lange dieß Verfahren 
beibehalten wird, muß durch aufgeftellte Wailenpfleger dafür 
geforgt werden, daß bie Kinder zweckmaͤßig behandelt werben. 
Für verwahrlofte Kinder, deren Beflerung ganz vorzügliche 
Sorgfalt erheifcht, find eigene Erziehungsanftalten durchaus 
unentbehrlich; aber auch für andere arme Kinder verdienen fie 
den Borzug, wenn fie gut eingerichtet und nicht zu groß find, 
fo daß die Pfleglinge wie in einer Familie ihren Erziehern 
nahe ftehen (c). Gewerksarbeiten gewähren in biefen Erziehungs» 
anftalten weniger Rugen ald landwirthſchaftliche, weil biefe der 
Gefundheit und ber körperlichen Entwidelung zuträglicher find, 
leicht nad) den Kräften der einzelnen Zöglinge abgefluft, mit 
dem Unterrichte verfchmolzen und zur. Anregung des Nachdenkens 
benügt werben fönnen, überdieß bie Abgefchiedenheit der laͤnd⸗ 


—— 480 °—— 


lichen Umgebung bie Erziehung erleichtert. Deßhalb find für 
Knaben die landwirthichaftlichen Armenfchulen Wehrlifehulen) 
vorzüglich zu empfehlen (d), obgleich man aus Rüdfiht auf 
das leichte Fortkommen der Zöglinge, befonderd in den fläbti- 
(hen Waifenhäufern die Kinder zu Handwerks» und Fabrik⸗ 
arbeit und zu Dienftboten beftimmen muß (e) und felbft in den 
landwirthfchaftlihen rziehungsanftalten Gewerföverrichtungen 
zu Hülfe genommen werben müflen (f). Die Mädchen ers 
fernen bie häuslichen Verrichtungen in ber Küche, beim Waſchen, 
Striden, Nähen, Kleivermachen und vergl. Die Zöglinge wers 
ben, wenn fie das paflende Alter erreicht haben, als Lehrlinge 
oder Dienftboten guten Samilien anvertraut, und ed ift von 
großen Nugen, wenn fie auch nach ihrer Entlaffung aus der 
Anftalt mit diefer in einiger Berbindung und unter Aufficht 
ber Vorſteher bleiben (9). Auf die Auswahl folder Hauss 
väter und Lehrer, die zu ihrem Berufe vollfommen tüchtig find, 
ift vorzügliche Sorgfalt zu richten. — Für blinde und taubs 
ftumme Kinder find befondere Anftalten nothiwendig, in denen 
zugleich die Kinder nichtarmer Familien gegen Koftgeld aufge: 
nommen werben. 


(a) Ueber die Borzüge dieſer Maaßregel v. Türk, ©. 4. — Dagegen 
Kröger. a. O. 


(d) v. Türk ©. 16 zieht dieß auch für Mädchen überhaupt vor. Seine 
Gründe gelten jedoch nicht von Heinen Anftalten mit einer guten Hauss 
mutter. ©. auh Kröger S. 180. 


(e) Im Rauben Haufe werden je 12 Kinder in ein abgefondertes Kleines 
Haus unter 1 „Bruder“ (Schwefter) gebracht, dem noch einige antere 
Brüder zur Seite ftehen. 


(d) Nachdem Peſtalozzi fchon früher eine ſolche Anftalt errichtet hatte, 
welde von der helvetifchen Regierung unterftügt worden war, aber 
nicht fortbeftand, unternahm Bmanuel v. Fellenberg 1810 bie 

Gruͤndung der landwirthfchaftlichen Armenfhule zu Hofwyl bei Bern, 
welche zum Borbilde für andere Schulen biefer Art gedient bat. Ihr 
uter og ift großentheild dem trefflihen Lehrer Wehrli zuzus 
hreiben. ie Kinder waren fafl ununterbroden unter ver u. t 
bes Lehrers, der auch an den Feldarbeiten thätigen Antheil nahm, jo 
wie er, felbft bis auf die Kleidung, ihre einfache Lebensweiſe theilte 
und auf diefe Weiſe einen mächtigen Cinfluß auf die Böglinge erlangte. 
In — Durchſchnitte waren die Koſten eines Söglings 152 
Schweizerfranfen, der Nrbeitsverdienft 61 Fr., alfo bleiben 91 Fr. 
(63 fl. 42 fr.) reine Ausgabe. Bei Riecke's Berechnung, daß no 
ein Ueberfhuß von 17 Proc. über die Koften erzielt werden koͤnne, 
ſcheint der Arbeitslohn zu Hoch angefchlagen worden zu fein. Zullin 
de Ehateauvieur rechnet die Koſten für 1 Kind taͤglich auf 79 Gent., 


(e) 


den Arheitsertrag auf 26%/, Gent., alſo betrüge ber reine Aufwand 
521/4 Gent. — 14/5 fi. ober jährlihd 88 fl. Rad den Erfahrungen 
vieler Waifens und Rettungshaͤuſer kann tie durchſchnittliche Ausgabe 
für ein Kind auf 60-70 fl jährlich angenommen werten, vgl. bie 
Angaben bei Kröger ©. 304. In Neuhof bei Straßburg (gute land» 
wirtbfchaftliche Armenſchule von ungefähr 100 proteftantiichen Zöglingen) 
fommt ein Kind auf ungefähr 220 Fr. jährlih. Diele Anftalten find 
jest ſchon zahlreih in Deutichland und anderen europäiſchen Ländern 
anzutreffen. Ueber diefelben: v. Yellenberg, Darflellung ber Armen: 
Grziehungsanttalt in Hofwyl, Aarau, 1813 (auch im 4. Hefte der 
landwirthſch. Blatter von Hofwyl). — Rengger, Beriht über bie 
Armen-Erziehungs-Anfalten in Hofwyl, Tübingen. 1815 (ausführlich 
umd anziehend). — Crud, Notice sur les #tablissemens de Hofwyl, 
Gendve, 1816. ©. 12. — Riede, Ueber Armenerziehungsanftalten im 
Geifte der Wehrli⸗Anſtalt zu Hofwyl, Tüb. 1823. — v. Treskow, 
Grfter Jahresbericht über die Landſchule zu Briedrichsfelde. Berl 1823. — 
Faits concernans l'éb6Ale rurale place & Carra, befonderer Abdrud aus 
der Biblioth. univ., Abth. Liter. XXIII, 329 (Auguft 1823). Bergl. 
ebendaf. XXV, 335 (April 1824). — Reue Verhandl. der Schweiz. 
emeinnüg. Gefellihaft 1, 141-170. (Zürih 1825). — Bronn, 
tgebnifie meiner Reifen, I, 71 (über Carra bei Genf). — Lullin 
de Chatesuvieux in Bibl. univ. Mai 1830. — Annuaire de lécon. 
pol. 1844, ©. 179. — Reid an Nachrichten hierüber ift Das genannte 
Werk von Ducpetiaur. — Auch in England hat man fi von ber 
Nothwendigkeit überzeugt, die Kinder aus den Werkhäuſern zu entfernen 
und in beionderen Bezirfsanftalten (distriet-schools) zu erziehen, mit 
Anleitung zum Garten, Obfibau und dergl. Bei den hierüber anges 
ſtellten Erkundigungen iſt der Nugen eines guten Schulunterrichtes für 
Sewerköarbeiter deutlidh geworden. Zwei Hülfscommiflare (assistant- 
eommissioners) des oberften Armenrathe, Kay und Tufnell, haben 
mit Berüdfidytigung ber fchweizerifchen Anftalten (Born rc.) ein Schul⸗ 
lehrerſeminar für die Bedürfniffe der Armenſchulen in Batterfea geftiftet. 
Lehrreich hierüber der Report from the poor law commissioners on the 
training of pauper children, London, 1841. Außer den bei Duc⸗ 
petiaur ©. 109 genannten englifchen Armenfchulen verdient die von 
der Armenverwaltung von Mancheſter gegründete GErziehungsanftalt zu 
Swinton (Swinton school) erwähnt zu werden. Sie hatte im Sommer 
1851 gegen 650 Kinder aus Arbeiterfamilien jener Stadt von 1'/e 
Jahren an, weßhalb auch eine Kleinfinderfchule errichtet wurde. Gs find 
18 Neres Land vorhanden, auch lernen alle Knaben Schuhe und Kleider 
mahen. Der Unterhalt eines Kindes foll gegen 6 2. foften, die Ges 
fanmtausgabe nady Abzug des Arbeitsertrages belief fidh aber 1850/51 
auf 9685 %., wovon 2336 2, für Lohn und Unterhalt der Angeftellten 
und 1209 2. Zins der Anleihe für den Bau. — Die Grfuntigungen 
der engl. Armencommiflare haben ergeben, daß es für die Auebildung 
von Feldarbeitern gut if, wenn Knaben zeitig auf Landgüter kommen, 
nur leidet hiebei der Schulunterricht. Beporta of special assistent poor 
law commissioners on the employment of women et ehildren in agri- 
eulture, London, 1843. — Oſterhaus zu Walldorf bei Heidelberg. 


Die britiſchen ragged (zerlumpte) oder industrial schools haben dieſe 
Befimmung. Durch Aufnahme verwahrlof’ter Kinder ohne Zwang 
Haben fie die Zahl der jugendlichen Verbrecher ſchon beteutend ver: 
mindert. Die ragged school in Edinburgh hatte 1850 im Durdfchnitt 
246 Böglinge, welche (ohne Baufoften, Zins und Sammlergebühr) 
5,6 L. auf den Kopf koſteten. Die Knaben lernen Schneider: und 
Schuhmaderarbeit, Weben, mahen Netze, Schnüre (brace), Haubens 


Rau, polit. DOelon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 31 


bänder (eap-stzaps), Fämmen Haare. The ragged industrial se. is the 
most efloctive home mission, and it is the most powerfull preventive 
police. It catches the young british heathen, — the matrieulated 
criminal eto. Ath. Ann. rep. of the Edinb. original ragged or industrial 
schools. 1851. (Wan jagt in &. bald ragged or industrial sehools, 
bald läßt man das or hinweg). Rehnliche Anftalten in Gugland, ferner 

u St. Nicolas bei Baris beihreibt Ducpetiaur &. 112. 115. 98. 
In Jahre 1857 Hatte London mit der Umgegend ſchon 352 folder 
Schulen mit 21517 Schülern. Aus denen, bie fi gut befragen, wer- 
ben eaunpußer ergelelliaften gebildet, deren reiner Erttag für 
wohlthätige Zwecke verwendet, theils den Mitgliedern zu Gute gefchrieben 
wird. Congrös de Fr. II, 597. — G arbeiten ſtehen zwar den 
Landwicthfchafttichen n in Sinfiht auf die guten Wirkungen auf Lie Zög- 
linge im Allgemeinen nach, doc können mandherlei Befodftigungen Ir jener 
Art, wenn nicht zu lange Zeit an jedem Tage auf fie verwendet wirt 
und wenn fte mit Gartenarbeit und Turnen wechieln, ohne Rachtheil 
in den ftädtifchen Waifenhäufern eingeführt werden. 


(f) 3. B. zur Beihäftigung im Winter, bei ſchlechter Witterung ꝛc. 


(9) Hiezu dient unter anderen, daß das aus Belohnungen, Geſchenken x. 
er nah Kleine Bermögen, welches man in einer Sparcaſſe anlegt, 
hnen erſt nah Berfügung der Borfteher ansgehänbigt wird, damit 
man einer guten Verwendung ficher fein könne. 


N 


C. Für Erwerbsunfähige. 


8. 356. 


Bet den Armen biefer Abtheilung if die Hülfsbebürftigkeit 
am einleuchtenbften, fie haben von jeher das Mitleid umb bie 
Wohlthätigfeit am melften angeregt und für ihre Berforgung 
find auch die Mittel am leichteften zu finden, weil nach ter 
genauen Ausſcheidung der Arbeitöfähigen ihre Zahl im Ber: 
hältniß zu dem reinen Bolfdeinfommen mäßig if, überbieh 
gerade für dieſen Theil der Armen an vielen Orten durch ein 
geftiftetes Vermögen geforgt ift, 8. 340. Die öffentliche Armen 
pflege, foferne fle neben dem Reinertrage biefe® Vermögens noch 
Zufhüfle des Staats, ber Bezirks⸗ und Gemeinbecafien, oder 
befondere zugemiefene Steuern und Gebühren (a) zu Hülfe 
nehmen muß, darf jenen Armen nur ben nöthigften Unterhalt 
gewähren. Der Privatwohlthätigfeit ſteht es frei, weiter zu 
gehen und ihnen auch zum Theil zur Befriedigung ber gewohnten 
fRandesmäßigen Bebürfniffe zu verhelfen (d). Es fann dieſer 
Elafle von Armen auf doppelte Weife Hülfe gegeben werten: 

1) durch Almofen. Dieß hat dad Gute, taß die Armen 
fortwährend in ihren Familien leben unb von bem SJhrigen 


gepflegt werben, auch bie Koften geringer find, weil die Ange⸗ 
hörigen fich Häufig mit einem geringen Zufchuffe begnügen (c), 
aber ed ift Borficht gegen Mißbrauch nöthig, 

2) durch Aufnahme In eine Verpflegungscanftalt, was 
in ſolchen Fällen den Vorzug verdient, wo die Armen Feine 
Verwandten haben ober bei denfelben feine gute Unterkunft finden 
können (d). Sind fie alt oder fonft gebrechlich oder ſchwaͤchlich 
Arm, jo werben fie in Armenhäufern untergebracht (e). Bes 
bürfen fie einer ärztlichen Beforgung, fo werden fie, je nad) 
ihrem Zuftande, vorübergehend oder dauernd, einem Kranken⸗ 
(8. 856c) oder Irrenhaufe übergeben, arme Schwangere in 
eine Gebäranftalt gebracht (f). 


(a) In Frankreich erhalten die Ortsarmencaſſen 10 Proc. Zufchlag auf die 
Gintrittögelder von Schaufpielen, Opern, Goncerten, Panorama's, 
Bantomimen, Reitkünſten ıc., 1a der Ginnahme von Feuerwerken, 
Fanzbelnfligungen und dergl., Antheil an den @eldfirafen ber Buch⸗ 
bruder und Buchhändler, Auch dürfen den Armenhäufern Antheile an 
den ftädtifchen Berbrauchsfteuern (Octrois) bewilligt werden. Lamarque, 
Traitö, ©. 99 ff. Diefe Ginkünfte werden von der Gemeindebehörde 
zwilchen der Armenhaus⸗ und Almoſencaſſe getheilt. 


(3) Wie bei den verfhämten Armen. 


(c) Nah dem neuen engl. Syflem der Armenpflege follen auch die Arbeits: 
unfähigen in der Regel in das Werkhaus gewielen werden ($. 341. 
3488), doch ift unter fchriftlicher Grlaubnig zweier Sriedensrichter bie 
Grtheilung von Hausalmofen zuläffig, Art. 27 des Gef. v. 1834. 


(d) Die gilt au von Franken Reiſenden, wenn fie hülflos find ($. 3396). 


(e) Die Reihenverpflegung von Haus zu Haus ift fehr fäflig und mangels 
haft. In Sachſen ift diefer „Reihenzug“ für den Fall, daß man fonft 
den Armen gar feine Wohnung verigaffen könnte, mit der Beichräns 
fung zugelafien, daß biefelben nicht vor Ablauf von 8 Tagen in ein 
anderes Haus gewielen werden dürfen, Geſetz vom 22. October 1840, 
$. 52-55. | 


Y) Die Statiſtik hat ſich wie mit dem Stande der Armuth, fo aud mit 
ben Grgebniffen der Armenpflege noch wenig beichäftiget, weil in den: 
jenigen Staaten, bie feinen Wittelpunct für die Meberficht und Ober: 
leitung der Armenpflege haben, auch das Cinziehen von Nachrichten 
meiftens verabläumt wird. Beilpiele: 

Preuß. Staat. Nach den von Dieterici (Tabellen, IV, 2 
gegebenen Nachrichten von 1849 empfingen 567659 Arme (73 Proc. 
3537485 Thlr. Almofen oder 6,% Thlr. auf den Kopf, 209223 Per: 
fonen 127 Proc.) befanden fich in Anftalten und fofteten 1'943 831 Thlr. 
oder 9,% Thlr. a. d. 8. Die Mittel zur Beftteitung diefer Ausgaben 
floffen zu 60,69 Broc. aus Gemeinde: und Staatscaflen, zu 25,8 Proc. 
aus Stiftungen, zu 18,% Broc. aus der Brivatwohltpätigfeit. Die 
Stiftungen lieferten im R.sB. Gumbinnen nur 7,87 Proc., Bofen 12,%, 
dagegen Münfter 56,% und Erfurt 46,17 Proc. der ganzen Binnahme. 
Wieviel außerdem durch Brivatperfonen geleiftet wurde, ift unerforfchlich. 

31* 


Sene beiden Eummen machen zufammen 5'481 316 Thlr. oter 0,% Thlr, 
— 0,° fl. auf jeten Ginw. In Berlin betrug der Zufhuß der Gtatt- 
caffe zur Armenverwaltung 1831—35 17 Egr., — 1836—46 28,9 Gar., 
1847—49 29, — 1850—53 fogar 33,? Sgr. auf ten Einw., in Breslau 
bie ganze Armenpflege 1851—53 26,* Sgr. auf jeden Ginw. 

Frankreich, D. 1633—52: 868000 Arme in den bureaux de b. 
mit Almofen unterflüßt, auf die Perſon 10,% Fr., aber Reigenb in ben 
5jährigen Zeitabfchnitten von 9, bie 11,5% Sr. In die Armen: umd 
Kranfenhäufer aufgenommen i. D. 551160 B. Ginfünfte Liefer An: 
falten: 1833 51'222 000 Fr., 1853 85699000 Fr. Die in den Ans 
ftalten verpflegten Armen betragen demnach 38 Proc. Lamarque, 
Traite, ©. 36. 210. 

Belgien. Die Armenpflegen gaben 1848-50 i. D. an 414605 Ber 
fonen Almofen für 6'834 560 Fr. oder 7,8 Fr. auf ten Kopf, in den 
Armen: und Krankenhäuſern waren 1850 29208 Berfonen, Ausgabe 
6600 739 Fr. oder 226 Fr. auf den Kopf, ferner verurfacdhten 7574 Fintel 
und verlafiene Kinter einen Aufwand von 556843 Ar. = 77 Fr. ter 
Kopf, 4519 Bettler Eofteten 1849 1'190 703 Ir. — 263 Fr. ter Kopf. 
Diefe Ausgaben betragen gegen 15,7 Mill. Fr. oder 3,5 Fr. = 1,9 4. 
auf jeden Einwohner. Diele Zahl Iäßt fi indeß mit der für Preußen 
angegebenen nicht vergleichen, weil in dieſer manche Anſtalten nicht 
inbegriffen find. 

England, nah dem 3. und 4. anunual report of the poor law 
board, für die Jahre vom 29. Sept. (Michaelis) an. 

184950 | 185051 


Ausgabe für die Werffäufer . -. . . 8. 691666 642 246 
ungefähre Zahl der Bewohner. . . . 98 745 95 662 
alfo auf den Kopf beiläufig - . . . & 7 6,7 
Ausgabe an Almoien -. -. . . .. 2. 2778191 | 2.646 944 
Zahl der Unterflügten gegen . . . . 746 755 699 793 
auf den Kopf ungefähr .. 3,7 31 


Das Verhältnig tes Aufmandes für Armenhäufer zu tem Hausalmoſen 
ift im Ganzen ungefähr wie 1 : 4, in Mitdleier wie 100 : 126, aber 
in Wales wie 1 : 16, in Bedford, Berks, Dudingbam Gambritge, 
Devon und Dorfet zufammen wie 1 : 6, weil die erfhäufer nicht in 
leihen Berhältnig zur Cinwohnerzahl fliehen. Hiebei ift noch zu 
Bemerfen: 1) Die Zahl der Unterftügten if nicht genau befannt. Man 
müßte den Durdfchnitt aller Tage oder doch aller Wochen nehmen, allein 
die Berichte geben nur den Stand am 1. Ian. und 1. Juli, aus tenen 
bier das Mittel genommen if. 2) Es fommen noch viele andere Aus: 
aben hinzu, denn die ganze Armenausgabe war in den Jahren bis 
B5. März 1850 und 1851 i. D. 5178863 2. 3) Es find nur die 
unter dem Armengeſetz ftehenden Unionen berüdfidtigt. 4) Auch in 
England geichieht außer der amtlichen Armenpflege fehr viel durch freie 
Wohlthaͤtigkeit. Im D. ber vier legten Winterhalbjahre bis 1862 
Zofteten die Armenhäufer 529546 2., die Hausalmofen 1-484678 2., 
alfo jene 26 Proc. der Ausgabe. Im Winter 1856/57 kam der Kopf 
bei beiden Arten der Unterflügung im D. auf ungefähr 2,3 2. 
Irland. Die Angaben find bier volltändiger. Grgebnifle aus 
dem 4. annual report, Dublin 1851: Im D. des Sahres vom Mai 
1850/51 waren g. 218000 Perſonen in den Werfhäufern, g. 41000 
außerhalb derfelben unterflüßt, und zwar im Juni 1850 bis 140000, 
im October nur g. 1400, im April 1851 wieder g. 10000. Der Unter: 
halt einer Perſon im Armenhaufe ohne Kleidung kam ungefähr auf 
1 Schill. wöchentlih, ein Hausarmer koſtete nur ungefähr 0,4 &d). 
Im Jahr von Michaelis 1849/50 Eofteten die Werfhausarmen 7109442.8t., 





— 485 — 


bie Hausarmen 120772 2., die Angeftellten bei der Armenverwaltung 
151 055 2., die anderen Ausgaben 447334 2. Die gefammte Ausgabe 
macht auf den Kopf der Ginwohner 4,9 Sch. — 2,65 fl. Der während 
des Jahres Unterflüßten waren in den Werfhäufern 805 702, außerhalb 
368565, und es Eoftete die Perfon auf beiden Wegen der Berforgung 
0,88 und 0,9 %., allein dieß zeigt nicht die jedesmalige oder die mitts 
lere Menge der Armen an, welche, wie obige Zahlen zeigen, viel Keiner 
war, und man muß fchließen, daß das Berfonal in den Armenhäufern 
jährlih ungefähr viermal gewechſelt hat (alfo etwa I3monatliche mittlere 
Aufenthaltszeit), bei den Hausarmen faſt 9 mal (alfo gegen 40 Tage 
mittlere Unterflügungszeit). Im D. 1857—60 waren in den Armens 
häufern 171 924 Köpfe, Almofenempfänger nur 6214 oder gegen 3 Proc. 


6. 356.8. 


Bei der Austheilung von Almofen an die Hausarmen 
ift vorzüglich Folgendes zu beobachten (a): 

1) Man darf Jedem nur fo lange Hülfe bewilligen, als 
er derfelben dringend bedarf, baher find die dauernd und vors 
übergehend Unterflügten forgfältig zu unterfcheiden, und es muß 
bei den letzteren durch genaue Erfundigung erforjcht werben, 
wann die Umftände dad ZJurüdziehen des Almoſens geftatten. 

2) Das Almofen fol in der Regel wegen ber Berfuchung 
zu unnöthigen Ausgaben nicht aus Geld, fondern aus Verbrauchs⸗ 
gegenftänden beftehen, wie hauptſaͤchlich Brot, Suppe, Heizftoff, 
Kleidung (5); bie Hausmiethe wird, wenn fie gewährt werden 
fol, von der Armencaffe felbft bezahlt. Die Armen erhalten 
Anweifungen auf die drei erfigenannten Lebensmittel, nachdem 
man mit den Verkaͤufern derſelben (Bädern, Suppenanftalten, 
Holzhändlern) Verträge über Preis und Befchaffenheit biefer 
Gegenſtaͤnde abgefchloflen hat. Auch Privatperfonen und wohls 
thätige Vereine werben ermuntert, nicht Geld, fondern ſolche 
Anweifungen auszutheilen. 

3) Die Größe des Almofend wird nad dem durch Alter, 
Geſundheitszuſtand ıc. zu bemeflenden Bedarfe der Einzelnen 
oder der Familien und mit Rüdfiht darauf beftimmt, ob bie 
Armen noch aus irgend einer Duelle eine Einnahme beziehen (c). 

4) Wie bei vielen arbeitsfähigen (8. 351), fo iſt auch bei 
manchen invaliden Armen Sittenlofigfeit und Ausfchweifung 
anzutreffen. Hiedurch machen fie ſich ber Unterflügung uns 
würdig, die zugleich gerade aus biefer Urfache oft unzureichend 
wird, fo daß fle ungeachtet derfelben zum Betteln ihre Zuflucht 





nehmen (d). Bel ungweifelhafter Roth darf man audy bie 
Unwuͤrdigen nicht Külflos laſſen, man muß aber theild das 
Betten auf polizeilichen Wege zu verhüten fuchen, theild aber 
vermittelt einer forgfältigen Aufmerffamfeit auf jebe einzelne 
arme Yamilie, mit Rath, Ermahnung, Tadel, und im Außerften 
Halle mit Zurüdziehung des Almoſens und Verweiſung in das 
Armenhaus, jene fittlichen Unorbnungen zu befämpfen ſuchen (e). 

Für Arme in einzelnen Berufszweigen, Ständen x. giebt 
ed viele Privatvereine und Stiftungen, 3. B. für alte Dienft- 
boten, arme MWöchnerinnen. Diefe Arbeitötheilung in ber 
Armenpflege ift für den Erfolg vortheilhaft, nur follte eine 
rädfichtölofe Bereinzelung ber PBrivatanftalten verhütet werben, 
8. 338 b. 


(a) Borfchriften für die bureaux de bienfaisance in Frankreich bei La- 
marque ©. 199. 


(5) Un dem Berkaufen oder Berpfänden der — zu ſteuern, 
hat man verſucht, fie zu ſtempeln und den Ankauf derſelben zu ver 
bieten, 3. B. angef. fühl. Geſ. $. 63. 132. 


(c) Bien: fefte Stufenfäße von 3—8 Kr. Conv. täglich für Erwachſene. 


(d) Im Jahre 1832 waren in Hamburg 2969 zu fefter wöchentlicher Unter: 
Rügung eingegeiäinete Arme, welde 176121 Mark ECour. (126000 fl.) 
erhielten. an glaubte unter den erwachfenen Armen gegen 25 Proc. 
ſchuldlos Verarmte annehmen zu dürfen, ferner gegen 56 Proc. ſolche, 
„über die weder beflimmter Tadel noch Lob ausgefvrodhen if“ und bie 
nod einige Hoffnung zur Beſſerung geben, endlich gegen 18 Vroc. 
Berfonen von übler Aufführung, von denen etwa 8 “Proc. gänzlich 
verfunten find. v. Voght, Gefammeltes ıc., S. 142. 


(e) Die bair. Inftr. 6. 39 muthet den Armenpflegihaften in Beziehung 
auf diefe Beauffihtigung überaus viel zu. — In Sachſen iſt den Armen 
der Befuch der Bergnügungsorte und das Halten von Hunten unter: 
fagt, Geſ. $. 64. 133. 


6. 356 b. 


In den Armen» oder Berforgungshäufern (a) follen 
die Armen zwar nicht reichlich, aber doch auf eine der Geſund⸗ 
heit zuträgliche Weife, und ohne zu darben, unterhalten werden, 
e8 fol Ordnung, Anftand und Sitte herrfchen und zugleich auf 
fparfame Einrichtungen gejehen werben. Hiebei ift hauptſaͤchlich 
Nachftehendes zu beachten: 

1) Bei neuen Anftalten wird auf gefunde Lage des Haufes 
mit einem geräumigen arten Bedacht genommen. 


2) Es iſt zweckmaͤßig, für bad angefteflte Berfonal und bie 
Verwaltungsgeſchaͤfte dieſer Anftalten allgemeine Borfchriften 
zu geben, 3. B. für die Berwaltung bed werbenden Stiftungs⸗ 
vermögend, — für bie Erhaltung der Gebäude, — für bie 
Ankaͤufe von Lebensmitteln, Wäfche und dergl., — für Caſſen⸗ 
und Rechnungsweſen, — Obliegenheiten des Hausverwalterd 
und Eaffirers, — Aufnahme der Armen ıc. (Bd). 

3) Bereitung einer hinreichenden, nahrhaften und wohlfeilen 
Koft (8. 846), welche bei Greifen und Schwachen ftärkender 
fein folfte, al8 bei andern Armen (c). Für die Belöftigung hat 
man bei dieſen wie bei anderen großen Anftalten zwiſchen ber 
Bereitung auf Rechnung des Haufes und ber Ueberlaffung an 
einen Koftgeber zu wählen. Jedes von beiden hat Manches 
für fih. Die Annahme eines Koftgebers vereinfacht bie Ges 
fhäfte fehr und befeitigt die Gefahr von Beruntreuung und 
Verfchwendung, allein man hat Mühe zu verhindern, baß bie 
Koft ſchlecht und zu fpärlich ausgetheilt wird. Hat man rebs 
liche Berwalter und forgfältige Ueberwachung, fo ift bie eigene 
Speifewirthfchaft vortheilhafter (d). Im Bertrage mit dem 
Koftgeber wird feftgefegt, daß ber ihm zu vergütende ‘Preis für 
jede Art der Koft von Zeit zu Zeit nad) den Brots und Fleiſch⸗ 
preifen abgeändert werben fol. 

4) Austheilung von Kleibungsftüden nad) dem durch Ers 
fahrungen ausgemittelten Bebürfniß. 

5) Die Räume müflen forgfältig rein gehalten und gelfftet, 
auch nicht zu fehr mit Bewohnern angefüllt werden (e). reife 
Ehepaare erhalten eigene Zimmer. 

6) Für kleine Bebürfniffe wird eine gewiffe Gelbfumme in 
feftgefegten Zeitpuncten vertheilt. Gefchenfe von einzelnen 
Wohlthätern werden zum Theile für Zulagen zu biefem Zweck 
verwendet. 

7) Es wird eine hinreichende Zahl von Wärtern aufgeftellt, 
um bie größte Reinlichkeit zu erhalten und Jedem bie nöthige 
Pflege zu wibmen. 

8) Die Hausbewohner, die noch eine leichte Arbeit vers 
richten können, werben mit ber gehörigen Schonung hiezu ans 


gehalten (f). 


8) Die regelmäßige Oberaufficht über die in tem Armen: 


hauſe angeftellten Bermwalter, Rechnungsführer, Wärter x. wirt 
durch häufige Befichtigungen und Erfundigungen, Prüfung ber 
Beichwerden, Einfiht der Rechnungsauszüge und periobilchen 
Berichte und dergl. geübt. 


(«) 


uf 


(ö 


o) 


(4) 


In Franfreid heißen tiefe Anflaften hospiees. Eie find bäufig zugleidh 
Krantenbäufer, höpiteux. Die Anzahl ter hospices, höpitaux und 
Perbindungen beiter war 1833 1324 — Ausgezeichnet ſchön iR das 
flädtiiche hospice für alte oder Fränklihe Arme, auch für Pfrüntner, 
in Brüflel. Bicdtre und Salpetriere für Männer und Frauen in Baris. — 
Auf dem Lande fehlt es meiftens noch an Armenbäufern. Hie und ta 
werden die Armen an den Wenigflfordernden in tie Koft gegeben, oder 
in einem der Gemeinde gehörenden Haufe untergebracht und mit Almoſen 
unterflügt. Bezirksarmenhäufer würden viel nüglicher fein als jene 
Maaßregeln. 


Ausführlihe Regeln, meiſtens für Armen: und Krankenhäuſer zualeich, 
in Frankreich Lamarque ©. 38 ff. — Vergl. Kratochwill 
S. 265. — Das franzöfifhe Minifterium des Innern empfahl 1658 
ben Präfecten darauf binzuwirfen, daß das liegenſchaftliche Bermöa 
der MWohlthätigfeitsanftalten,, da es im Durdfchnitt nur 2—2' BoP 
eintrage,, lieber verfauft und in Staatsfchuldfcheinen angelegt werde. 
Eine Befigung, die 2000 Fr. Grundrente einbringt, fönne man für 
100000 Fr. verfaufen und mit diefer Summe 4284 Fr. 3 procentige 
Renten ervoerben. Der Mehrertrag fei fo groß, daß man leiht 10 Proc. 
ber Mente — 428 Br. jährlich zurüdlegen fünne, um das Sinfen bes 
Zinsfußes und das Steigen der Örundrente zu vergüten. Aber warum 
nicht lieber für befiere Bewirtbfchaftung forgen, um den Anflalten das 
viel ficherere unbewegliche Vermögen zu erhalten? 
In den Wiener Berlorgungshäufern erhalten bie ganz erwerbsunfühigen 
Armen täglid 1 Pid. weißes oder 11’ Pid. fchwarzes Brot und 5 Kr. 
gonv., wofür fle fidy bei dem Speifewirthe eine genügende Koſt faufen 
nnen. 
Man rechnet ungefähr 36 Geviertfuß Zimmerraum auf den Kopf in 
den Schlaffälen. 


(e) Dan ift neuerlich bei mehreren Anftalten zu ihr zurüdgefehrt. 
(f) In Wien erhalten fie dafür einen Heinen Lohn, aber dagegen nur 
4 


Kr. täglihes Koſtgeld. — Die fermes-hospices in Flandern find 
Armenhäufer für alte oder fhwäcdlicdhe Arme und arme Kinder, mit 
einem LZandgute, weldes den Hausbewohnern Gelegenheit giebt, ſich 
noch nuͤtzlich zu befchäftigen. Ducpätiaux, Colon. ©. 158. 


6. 356. 


Mas die kranken Armen (a) betrifft, fo ift 
1) bei leichteren Uebeln oder folden Kranken, welche in 


ihren Wohnungen gehörige Pflege genießen Eönnen, nur für 
unentgeldliche ärztliche Behandlung und Lieferung von Heil 


— 489 — 


mitteln zu forgen. Es werden Armenärzte beftellt, benen Ge⸗ 
hülfen (Affiftenten) zur Seite fiehen. Diejenigen Kranfen, 
welche ausgehen fönnen, finden zu einer feftgefegten Stunde in 
einem biezu beftimmten Gebäude vie Aerzte anmwefend, andere 
werden in ihren Wohnungen befucht. Die Armenpflege bezeich- 
net dem Armenarzte die Armen, welche auf Behandlung in 
dieſer ambulatorifchen oder Poliklinik Anfpruh haben 
und bezahlt die verorbneten Arzneimittel 2c., wobei den Aerzten 
empfohlen wird, die wohlfeileren Mittel zu wählen, foweit es 
ohne Nachtheil für die Heilung gefchehen kann (B). 

2) Andere Kranke werden in die Kranfenhäufer auf 
genommen, wobei ebenfalld, mit Ausnahme dringender Fälle, 
die Zuweiſung der Armenbehörde vorausgehen muß. Diefe 
Anftalten nehmen auch Kranke auf, deren Berpflegung von 
ihnen felbft oder anderen Perſonen beftritten wird, ferner folche, 

die von der Polizeibehörde gegen Koftenerfag zugewieſen werben, 
auch die Mitglieder der Arbeiter» Kranken »Bereine gegen Ber: 
gütung der in jedem einzelnen Kranfheitöfalle entfiehenden 
Koften (c), oder gegen fefte Monats⸗ oder Bierteljahröbeiträge 
als Berficherungsprämien, wobei dann die Erfranften ohne bes 
fondere Bezahlung verpflegt werden (d). Audy andere Berfonen 
erlangen Aufnahme als zahlende Kranke, wenn Raum frei ift. 
Die auf die Heilung fi beziehenden Einrichtungen werden in 
ber Arzneiwiffenfchaft erflärt. Zur wirthichaftlichen Verwaltung 
gehört außer den, allen ähnlichen großen Hauswirthichaften 
gemeinfchaftlichen Regeln, die ftrenge Verpflichtung und Ueber: 
wachung der Kranfenwärter, die Anfchaffung einfacher Heilmittel 
im Großen, die Aufftellung verfchiebener Arten von Koft für 
Kranke und Genefende, die Borfchriften für die Aufnahme von 
Kranken und dergl. 


(a) Diefe verurfahen einen erheblihen Theil der ganzen Armenausgabe, 
In Breslau betrug 1853—55 der Aufwand Air Hauskranke i. D. 
22 Sgr. für jeden Kranfen oder 1,2 Sgr. auf den Kopf ber Ginw., 
für das große fRädtiiche Krankenhaus zu Allerheiligen auf 1 Kranken 
täglich 9,9% Sgr., auf jeden aufgenommenen Kranfen 18,5 Thlr., 
auf den Kopf der Cinw. 11,7 Sgr. oder 52 Proc. der ganzen Armen: 
verwaltung. 


(8) Das Nämlicge gilt auch von den Aerzten der Kranfenhäufer. In ber 


Berliner Poliklinik hat man eine große Ungleichheit der Arzneifoften 
bemerkt, die i. D. 184548 25,% Sgr., 185054 19 Sgr. auf jeden 


— 488 — 


8) Die regelmäßige Oberauffiht über die in dem Armen: 
hauſe angeftellten Verwalter, Rechnungsführer, Wärter ıc. wird 
durch häufige Befichtigungen und Erfundigungen, ‘Prüfung der 
Befchwerden, Einfiht der Rechnungsauszüge und periobifchen 
Berichte und dergl. geübt. 


(a) In Branfreich heißen dieſe Anftalten hospices. Eie find häufig zugleich 
Kranfenhäufer, höpitaux. Die Anzahl der hospices, höpitaux und 
Verbindungen beider war 1833 1324 — Ausgezeichnet fchön iR das 
flädtifche hospice für alte oder Fränflihe Arme, auch für Pfrüntner, 
in Brüffel. Bicötre unb Salpstriere für Männer und Frauen in Paris. — 
Auf dem Rande fehlt es meiſtens noh an Armenhäufern. Hie und da 
werden die Armen an ben WBenigftfordernden in tie Koſt gegeben, oder 
in einem der Gemeinde gehörenden Haufe untergebracht und mit Almofen 
unterflügt. Bezirksarmenhäufer würden viel nüglicher fein ale jene 
Maaßregeln. 


(5) Ausführliche Regeln, meiftens für Armen: und Kranfenhäufer zugleich, 
in Frankreichh. Lamarque S. 383 ff. — Berg. Kratochwill 
S. 265. — Das franzöfiihe Miniflerium des Innern empfahl 1658 
den Präfecten darauf hinzuwirken, daß das Liegenfchaftlihe Bermöa 
der Wohlthätigkeitsanftalten,, da es im Durchſchnitt nur 2— 2", Bro 
eintrage , lieber verkauft und in Staatsfchuldfcheinen angelegt werde. 
Gine Befigung, die 2000 Br. Grundrente einbringt, fönne man für 
100000 Fr. verkaufen und mit diefer Summe 4284 Fr. 3 procentige 
Renten erwerben. Der Mehrertrag fei fo groß, daß man leicht 10 Bror. 
der Mente — 428 Br. jährlich zurüdlegen könne, um das Sinfen bes 
Binsfußes und das Steigen der Grundrente zu vergüten. Aber warum 
nicht lieber für beflere Bewirtbfchaftung forgen, um den Anflalten das 
viel ficherere unbewegliche Vermögen zu erhalten? 


0) In den Wiener Berlorgungshäufern erhalten die ganz erwerbsüunfähigen 
Armen täglih 1 Pid. weißes oder 1%’. Bid. fchwarzes Brot und 5 Kr. 
ons, wofür fle fi bei dem Speifewirthe eine genügende Koft kaufen 

nnen. 


(d) Man redinet ungefähr 36 Geviertfuß Zimmerraum auf den Kopf in 
den Schlaffälen. 


(e) Dan ift neuerli bei mehreren Anftalten zu ihr zurüdgefehtt. 


(f) In Wien erhalten fie dafür einen Heinen Lohn, aber dagegen nur 
4 Kr. tägliches Koſtgeld. — Die fermes-hospices in Flandern find 
Armenhäufer für alte oder fchwächlidhe Arme und arme Kinder, mit 
einem Landgute, weldhes den Hausbewohnern Gelegenheit giebt, ſich 
noch nüglich zu befchäftigen. Duopétiaux, Colon. ©, 158. 


6. 356. 


Mas die Franken Armen (a) betrifft, fo iſt 

1) bei leichteren Uebeln oder folchen Kranken, welche in 
ihren Wohnungen gekt--- MAfsne genießen fönnen, nur für 
unentgelbliche Arztli 7 und Lieferung von Heil- 


4 \ 


— 489 —-- 


mitteln zu forgen. Es werben Armenärzte beſtellt, denen Ge— 
huͤlfen (Affiftenten) zur Seite fichen. Diejenigen Kranlen 

welche ausgehen Fönnen, finden zu einer fefgefepten Stunde in 
einem biezu beflimmten Gebäude die Aerzte anmefend, andere 
werden in ihren Wohnungen beſucht. Die Armenpflege bezeich⸗ 
net dem Armenarzte die Armen, welche auf Behandlung in 
dieſer ambulatoriſchen oder Poliklinik Anſpruch haben 
und bezahlt die verordneten Arzneimittel 2c., wobei den Aerzten 
empfohlen wird, die wohlfeileren Mittel zu wählen, foweit es 
ohne Radıtheil für die Heilung gefchehen fann (2). 

2) Andere Kranke werben in bie Krankenhäuſer auf- 
genommen, wobei ebenfalls, mit Ausnahme dringender Ale, 
die Zuweifung ber Armenbehörbe vorausgehen muß. Diele 
Anftalten nehmen auch Kranfe auf, deren Berpflegung An 
ihnen felbft oder anderen Perfonen beftritten wirb, ferner ſolche, 

die von der Polizeibehoͤrde gegen Koſtenerſatz zugewieſen woersen, \ 
auch die Mitglieder der Arbeiter» Kranken s Bereine gegen — 
gütung der in jedem einzelnen SKranfheitöfalle enfiehett 
Koften (c), oder gegen feſte Monats⸗ oder Bierteljahr®D<T vn 
als Berfiherungsprämien, wobei dann die Erfranftert oT ont 
fondere Bezahlung verpflegt werden (d). Auch andere per i iR 
erlangen Aufnahme als zahlende Kranke, wenn Rautıt! fre . 
Die auf die Heilung ſich beziehenden Einrichtungen werden Rn 
der Arzneiwiffenfchaft erklärt. Zur wirthſchaftlichn Bere“ tung 
gehört außer den, allen ähnlichen großen Hauewirthſchaften 
gemeinſchaftlichen Regeln, die ſtrenge Verpflichtung unD ‚Ueber, 
wachung ber Kranfenwärter, die Anfchaffung einfacher Heilm ter 
im Großen, die Aufftelung verfchiedener Arten von oft fi 
Kranke und Genefende, die Borfchriften für die Aufnahme vor 
Kranken und bergl. 

—* 


* . 
(a) Dieſe verurſachen einen erheblichen Theil ber rin — — 
In Breslau betrug 1853—55 der Aufwand der⸗ —— 
22 Ser. für jeden Kranten oder 1,% Sgr. auf ten ET. FDir., 
für das große ſtaͤdtiſche Krankenhaus zu Allerheiliget » "Ten: 
täglih 9,* Sgr., auf jeden aufgenommenen "u 
auf den Kopf der Binw. 11,7 gr. ober 52 Pr m Im der 
verwaltung. 7 Er. dur hen 
(5) Das Rämlie gilt aud von ben Merzten 77” jeher 
Berliner Boliflinit hat man eine ger, 
bemerkt, die i. D. 184548 25,° Ex 


— 490 — 


Kranken betrugen, aber bei den einzelnen Armenärzten i. D. beider 
Zeitabſchnitte zwiſchen 14 und 31 Sgr. ſchwankten, woraus man die 
Möglichkeit einer anſehnlichen Erſparung ableitete Reumann, Der 
Arznelverbrauch in der ſtaͤdtiſchen Armen⸗Krankenpflege, Berlin 1855 
fol. (fand Iebhaften Widerſpruch). 


(c) 3. B. der Gewerks⸗Krankenverein in Berlin, Statut v. 26. Fehr. 


(4) 


1855. Für den ärztlichen Beiftand bezahlt jedes Mitglieb monatlich 
Yes Sgr., Arznei, Bäder ıc. werden einzeln berechnet und erflattet. — 
Im dortigen Gefundheitspflege- Verein mit einem Monatöbeitrage von 
1Y/s Sgr. für Arzthonorar, Arznelen ıc. war bei ungefähr 10000 theil⸗ 
nehmenden Arbeitern die Zahl der neuen Erkrankungen 1851 20,%, 
1852 fogar 24,8 Procent. 


In vielen deutfchen Städten befteht bie Einrichtung, daß Dienflboten 
und Lohngehülfen zu einem geringen Verficherungsbeitrag an die Caſſe 
des Krankenhauſes verpflichtet find. 


Drittes Buch. 
Maaßregeln, welche die Verzehrung ver Güter 
betreffen. 


8. 357. 


Die Berzehrung ber Bürger (bed Volkes) ift derjenige Zweig 
wirtbichaftlicher Berrichtungen, für weldyen bie Regierung am 
wenigften forgen fann und zu forgen braucht. Insbeſondere 
wäre eine Beförderung bes Guͤterverbrauchs hoͤchſt überflüffig, 
weil, woferne nur bie Hervorbringung und die Bertheilung- ber 
Sachgüter in gutem Yortgange find, nichts bie Einzelnen hin⸗ 
dert, dad Erworbene ihren Neigungen gemäß zu gebrauchen, 
weil ferner die Bedürfniffe fi mit der zunehmenden Bildung 
bed Volkes fortwährend von felbft vermehren und das Bers 
langen der Menfchen nad) Gütergenuß ein hinreichender Antrieb 
ift, fo viel zu verzehren, ald die Größe ihres Einkommens 
geftattet, I, 8. 330. Die Bertheilung des Oütererzeugnifles 
bedingt von ſelbſt das Maaß der Verzehrung, die jedem Ein- 
zelnen und jeber Volkscaſſe möglich ift. 


8. 358. 


Eher Eönnte es ſcheinen, daß die Regierung verpflichtet fei, 
die nicht hervorbringende (unproductive) Berzehrung im Ber 
hältniffe zur gütererzeugenben in gemifien Graͤnzen zu halten 
und fo zu leiten, daß fie die meiften Bortheile für die Gefell- 
ſchaft hervorbringe und bie wichtigften Bebürfniffe des Volkes 
befriedige, I, 8. 341. — (a). Es Rechen jedoch ſolchen Zwanges 





— 44 — 


Anmeldung unb Cinzeichnung die Grlaubnig, — Neeife yon 8 ir. pe 
Pfd.), Hildesheim, 4. Ian. 1768 Ag bei 6 fl. Strafe für Buͤrger, 
Hanbdwerksgeſellen und Bauersleute) in Bergius, Landesgeſ. IV, 174. 


(5) Tot a majoribus repertae leges, tot quas Divus Augustus tulit, illas 
oblivione, hae (quod flagitiosius est) confemtu abolitae, securiorem 
luxum feceree — Quantulum istud est, de quo aediles admonent! 
quam si cetera respicias, in levi habendum! Tacit. Annal III, 54, 
Mede bes Tiperius bei dem Antrag des C. Bibulus, die Belege über 
das Maaß der Geräthe wieder Gerzuftellen. 


8. 360. 


Wenn, was allerdings benfbar if}, eine ganze Volksclaſſe 
fi) einer fo großen unproductiven Verzehrung überläßt, daß 
nicht bloß die Anfammlung neuer Gapitale verhindert, fontern 
felbft die vorhandenen angegriffen merben, fo laͤßt fich bieler 
unwirthichaftlihen Handlungsweiſe nicht ynmittelbar, durch 
Zwangsgefege Einhalt than, vielmehr fann man nur mittelbor 
den Urſachen dieſes Uebelftandes entgegenwirken. Oft if dad 
jelbe nur eine Folge der Schwierigkeit, bad Erworbene nüp- 
licher anzuwenden, und dann kann man am leichteften helfen, 
weil man nur bem Verkehr mehr Lebenvigfeit und Sicherheit 
zu geben braucht (a). Liegt die Urfache in der ungleichen Ber 
theilung des VBermögend, fo vermag man nichts zu thun, als 
allen Ständen die Benugung ber Güterquellen zu erleichtern 
und die Hinderniffe des allgemeinen Erwerbseiferd zu entfernen, 
um fo allmälig eine größere Anzahl von Familien des Wohl 
ftandes theilhaftig werden zu laffen. If die Urfache im dem 
Leichtfinn, der Eitelkeit und Schwelgerei zu fuchen, fo muß von 
ben Anftalten der Volfsbildungsforge eine Verbeſſerung erwar⸗ 
tet werden, bie aber ihrer Natur nach nicht ſchnell eintreten 
fann (5). Uebel, welche im Geifte und Charakter der Menfchen 
gegründet find, weichen auch nur einer geiftigen und füttlichen 
Einwirkung, wohin unter anderen das Beifpiel bed Hofes in 
monarchifchen Staaten und der höheren Stände gehört (ec). 
Uebrigens bringt jeded Zeitalter, jede Aenderung in den Grund 
verhältniffen bed Rahrungswefens neue Formen des Güter 
genuffed hervor, und man muß ſich hüten, hierin Angflid an 
ber alten Gewohnheit fefthalten zu wollen, während die Pro⸗ 
buction und Vertheilung fih unaufhaltſam umgefalten. 














— 495 — 


() „Die Hedemarker (Bropinz Hedemarlen in Norwegen) uͤherlaſſen fi 


() 


ern einem thörichten, fchädlichen und verderblichen Luxus, hört man 
o oft. Die Männer verzehren den Ueberfluß in Baflereien, die Frauen 
pußen fich wie KRaufmannstöcter in Brügge . . . . Sie würden barauf 
guverläffig ihren Weberfluß nicht verwenden, wenn eine Stadt in der 
ähe und nicht 20 Meilen über Berge und Thäler entfernt, dieſem mit 
Leichtigkeit einen Ablauf anwieſe“ v. Buch, Meile durch Norwegen 
und Lappland I, 166 (Berlin, 1810). Dan bat aud) wirklich öfter 
daran gedacht, die 1567 zerftörte Stadt am Midiens See wieder herzu⸗ 
ftellen, und bieß neuerlich, jedorh wit geringem Grfolge verſucht. 


Die Lappen im noͤrdlichen Norwegen, dert Finnen genannt, ſtad, wie 
andere robe Bölfer, dem Branntwein fo ergeben, daß fie wohl über 
die Hälfte Ihres Sahreseintommene vertrinten, währen bie fleißigen, 
betriebfamen Finnlaͤnder Quaͤner) in ihrer Mitte ein Beiſpiel der 
Mäßigkeit geben. v. Buch erklärt dieß treffend aus der Verfchiedengeit 
des Gulturgrades, a. a. D., II, 112—124. 


(6) Tiberius bei Taeit. A. ILI, 54: Intra animum medendum est. Nos 


pudor, pguperes necessitas, divites satiss in mallus mutet. Der Purus 
in Rom nahm aud von Tiberius bis auf Galba merklih von ſelbſt 
ab; Ginige richteten fich zu Grunde, Andere wurben Flüger; die von 
anderen en und den Provinzen nach Rom gelommenen Senatoren 
brachten wirtbichaftliche Gewohnheiten mit. Sed praecipuus, berichtet 
Tarttus (Gap. 55), adstrieti moris auctor Vespasianus fuit, antiquo 
ipse cultu viotuque. Obsequium inda in principem et aemulandi amor 
validior quam poena ex legibus et metus. Nisi forte rebus cunclis 
mest quidam velut orbis, ut quemadmodum tomporum vices, ita morum 
vertaniur; nee omnia apud priores meliore, sed nostra quoque getan 
multa laudis et artium imitanda posteris tulit. — Heinrich IV. von 
Frankreich kleidete ſich Höhf einfach, ermahnte den Adel, es ihm nach⸗ 
zuthun, und fpottete über die, qui portsient, disait-il, leura mouling 
et leurs bois de haute futaie sur leurs dos. Perefixe, Histoire du 
roi Henri le grand, ©. 218 der Ausgabe von 1662, Paris. — Bereine 
gegen den Luxus laflen geringen Erfolg erwarten, doc können fie bie 

ufmerkfamfeit auf diefen Gegenſtand richten und zur Berichtigung der 
irrigen Meinungen von der voltswirthichaftlihen Unſchaͤdlichkeit des 
weitgetriebenen Lurus beitragen. In Berlin ift ein Verein vorgefchlagen 
worden, deſſen Mitglieder fi verpflichten würben, ein beflimmtes Maaß 
in Nahrung, Tabakverbrauh, Kleidung, Wohnung und Vergnügungen 
einzuhalten und das Briparte für gemeinnügige und wohlthätige Zwecke 
nach freier Wahl anzuwenden ; f. Bereine gegen den Luxus unter den 
höheren Ständen, Berlin 1856. 


8. 361. 
Nur die Bevormundung offenbarer Berfchwender (Mund: 


tobtmachung) enthält ein zuläffiges unmittelbares Ein- 
fchreiten ber Obrigkeit zur Berhütung eines fchäplichen Aufs 
wandes. Die Anzahl folcher Unbefonnenen, die, den Geifted- 
kranken vergleichbar (a), ihr Vermögen raſch vergeuben, ift 
in feinem Lande fo Häufig, baß ihre Bevormundung durch 
allgemein svolföwirthichaftliche Rüdfichten geboten würde, fie 
ift aber dienlih, um ben Samilien dad Bermögen zu erhalten 


— 46 — 


und das Verarmen der unordentlichen Wirthe zu verhuͤten, die 
ſonſt den Ihrigen und det Gemeinde zur Laſt fallen müßten. 
Um feiner Willkür Raum zu geben, muß die Maagaßregel in 
gewiffen Sormen von den Gerichten ausgeführt werden (6). — 
Außerdem dienen mehrere, eine Mitwirkung der Staatögewalt 
erfordernde Vorkehrungen mittelbar dazu, die Berzehrung der 
Bürger von einer ſchaͤdlichen Richtung abzulenken. 

1) Aufwandsfteuern (HI, $. 406), indem fie den Preis 
gewiffer entbehrlicher Gegenftände erhöhen, vermögen einen 
Theil der Bürger von ihrem Ankaufe abzuhalten. Es kommt 
jedoch bei ihnen der Zwed hinzu, eine Einnahme für bie 
Staatöcaffe zu erhalten, und diefer würde zu wenig erreicht 
werden, wenn die Auflage den befteuerten Aufwand in hohem 
Maaße verminderte. Soll die Steuer einträglich fein, fo muß 
man fie fo mäßig anfegen, daß fie ald Einfchränfung des Lurus 
von geringer Wirfung ift, z. B. fo, daß die ganze Ausgabe 
ber Bürger für den befteuerten Gegenfland nody gleich groß 
bleibt und nur etwa fo viel weniger für den Genuß verwendet 
wird, ald die Steuer hinwegnimmt. Es ift jedoch ſchon nüglich, 
daß wenigftend immer der eine oder andere Zwed erreicht wird, 
und man muß bei jedem gegebenen Gegenftande befondere 
beurtheilen, auf welchen von beiden Erfolgen mehr hinzuwirken 
fei, vergl. III, $. 417. 

(a) Solent hodie praetores vel praesides, si talem hominem invenerint, qui 
nequem finem expensarum habet, sed bons sua dilacerando et dissi- 


pando profudit, curatorem ei dare exemplo furiosi. Ulpian in 
L. 1. D. de curator. fur. (XXVII, 10.). 


(5) Nach badischen Recht giebt es zwei Grade; im höheren wird ber Ber 
fhwender ganz wie ein Minderfähriger behandelt. Landr., Art. 513 
und 5134. — Der Antrag der Familie muß immer vorausgehen. 


$. 362. 


2) Es ift zwedmäßig, mandherlei Berfuchungen und 
Anreizungen zu einer unwirthichaftlidhen Berzehrung zu ver- 
mindern. Dahin gehört 

a) die Verhinderung von Stüfsfpielen, gegen welche 
der gefunde Berftand der Bürger nicht zureicht ($. 358), weil 
die Spielfucht viele Menſchen mit der Gewalt der Leidenfchaft 
fortreißt (a). Die Spielgeivinnfte, die man meiftens leichtfinnig 


— 497 — 


verwendet, find in volkswirthſchaftlicher Hinſicht keine Vergütung 
für den Schaden, den die Spieler in ihren Bermögendumftänden 
leiden. Die im engeren Sinne fogenannten Hazardfpiele, 
befonderd wenn fie von Brivatunternehmern veranftaltet werben, 
find zugleich polizeilich gefährlich, weil fle leichte Gelegenheit 
zum Betruge darbieten, und verdienen aus beiden Gründen ganz 
unterfagt zu werden. Die vom Staate unternommenen ober 
verpadhteten Zotterieen, auch wenn durch ihre Einrichtungen 
bie nachtheiligen Folgen gemilbert werden, bilden doch eine 
volfswirthfchaftlich fchädliche Duelle von Staatdeinkünften (III, 
$. 220 ff.) Auch Privarverloofungen (Ausjpielungen) 
find aus dem eben angegebenen Grunde nicht ohne Nachtheile, 
obgleich hier die regelmäßige Wiederholung hinwegfaͤllt, die den 
Rotterieen eigenthümli if. Die Häufigfeit der unter man⸗ 
cherlei Lodenden Bedingungen angekündigten Ausfpielungen 
giebt der Spielſucht eine zu große Nahrung und hält vom 
Erfparen ab, befonderd wenn die Gewinnfte in Geldſummen 
beftehen, welche man am leichteften unbedachtfam verzehrt (5). 
Man follte daher folche Verloofungen, deren Gegenftand über 
einen beflimmten geringen Betrag binaudgeht (c), nur unter 
gewiſſen Beichränfungen geftatten, fo daß «) der zu verloofende 
Gegenftand nicht über feinen gerichtlich abgefchägten Mittelpreis, 
mit Einrechnung eined billigen Erfages der Verloofungsfoften, 
angefchlagen werben darf (d), A) daß keine Geldgewinnſte neben 
dem verlooften Gegenſtande vorfommen, y) für feine ausländifche 
Unternehmung dieſer Art oͤffentlich gefammelt werden darf, 
d) die Erlaubniß verfagt wird, wenn der Zwed der Berloofung 
die Anwendung dieſes Mitteld nicht rechtfertigt (e) oder wenn 
man bemerkt, daß ungeachtet jener Befchränfungen zu viele 
Unternehmungen dieſer Art beabfichtigt werben. 

b) Die Vorforge, daß die Zahl der Schentwirthähäus 
fer und Bergnügungsorte nicht zu fehr vermehrt werbe, 
weßhalb man bei ber Ertheilung neuer Berechtigungen auf bie 
bereitö vorhandenen Weins, Bier» und Branntwein s Schenlen 
im Bergleih mit der Einwohnerzahl Rüdficht zu nehmen hat, 
vergl. $. 331. 

c) Die Aufmerkfamteit auf die Menge von Beiertagen 
($. 17a) und Öffentlichen Luſtbarkeiten. Diefelben find in 

2 


Rau, yolit. Defon. II. 2. Abth. 5. Ausg. 3 


— 498 — 


doppelter Hinficht koſtbar, weil nicht blos bie Arbeit unterbleibt, 
fondern auch die Verzehrung weit mehr beträgt, ald an ben 
Arbeitötagen. Obgleich ed unbillig wäre, der arbeitenden Claſſe 
alle Freuden zu entziehen und fie ganz zu dem Werkzeuge für 
die Unternehmer, Capitaliften und Grundeigner herabzuwürdigen, 
fo dürfte man doch auch dem Hange nach finnlichen Bergnügungen 
nicht ganz freien Spielraum geben, weil fonft Schwelgerei unb 
Ausfhweifung zum Nachtheile fowohl des Yanıilienglüdd als 
ber Betriebfamkeit überhand nehmen möchten. “Daher bedarf die 
Zahl der Volksfeſte, Kirchweihen ıc. einer obrigfeitlidhen Bes 
fchränfung. 

(a) Kapff, Das Hazartfpiel und die Nothwendigfeit feiner Aufhebung. 

Stuttg. 1854. 
(3) Rau, Ueber die Kameralwifl. ©. 83. 


(ed Solche Dinge, 3. B. bis zu 50 oder 100 fl., werben oft verlonfet, 
um vürftigen Familien, von denen fie verfertigt worden find, einen 
guten Erlds zu verfchaffen. Hiezu kann die untere Polizeibehösde tie 

tlaubniß geben, während die Ausfpielung größerer Bermögenstbeile 
nur von der oberfien Staatebehörde geftattet werden darf. 


(d) Man hat auch bisweilen die Bedingung beigefügt, daß ein gewiſſer 
Theil des durch Verlooſungen eingehenden Berfauföpreifes für einen 
wohlthätigen Bwed abgegeben werben muß. 


) Dan fucht öfters eine Berloofung zu Hülfe zu nehmen, um ein Land⸗ 
ut, ein Schloß, eine mißlungene Fabrik ıc. um einen fehr überfpannten 
reis abzufeßen. 


$. 363. 


3) Von vorzüglihem Nutzen find Sparanftalten, welde 
eine Gelegenheit darbieten, Geldſummen in Heinen Beträgen 
mit Sicherheit fo anzulegen, daß dadurch der Bortheil ber Ber- 
zinfung in irgend einer Borm erworben wird. Sie find für 
Faͤlle beftimmt, in denen ber Beliger eine Geldfumme nicht 
feicht in einem Gewerbe, oder zum Anfauf von Liegenfchaften 
anwenden ober felbft auf Unterpfand ausleihen fann, weil etwa 


jene zu Hein ift ober ihm Gelegenheit ober Kenntniß zu biefer 


Benutzungsart fehlt. Der Nupen ber genannten Sparanfalten 
zeigt fich 

1) für bie Theilnehmer, indem fie der Gefahr des Berlufted 
durch unfichere Anlegung ihrer Eleinen Gelbvorräthe (a) und 
auch der Verſuchung überhoben werben, biefelben in ber Zwi⸗ 





— 49 — 


fchenzeit bis zu einer vortheilhaften Unterbringung zu Ber 
gnügungen u. bergl. auszugeben, indem ferner die Gewißheit, 
einen Zins zu erhalten, die Luft zum Ueberfparen erhöht und 
daher die Arbeiter ermuntert, durch fortgeſetztes Erübrigen für 
fih und ihre Familie eine Hülfe gegen Nothfälle forwie über, 
haupt die wohlthätigen Brüchte eined Kleinen Vermogens zu 
gewinnen, 

2) für die ganze Volkswirthſchaft, indem nicht bloß die 
Verarmung vermindert ($. 331), fondern auch eine Vergrößerung 
des gefammten Eapitaled bewirkt wird, zumal ba diefer Zuwachs 
fih auf günftige Weife unter Biele vertheilt. Werden aud) 
die den Sparanftalten zufließenden Geldfummen zum Theile 
nicht unmittelbar zur Gütererzgeugung angewendet, fo befördern 
fie diefelbe doch auf mittelbarem Wege, 3. B. indem fie andere 
Geldcapitale ablöfen, die dann ber Production gewidmet werben, 
wie bei dem Anfaufe von Staatsjchulbbriefen. 

(u) Die unteren Claſſen find hierin oft fehr unerfahren ; bald wollen fie 
hohe Zinfen beziehen und gerathen in die Haͤnde betrügerifcher Schulds 
ner, bald verlieren fie ihre vergrabenen oder fonft aufbewahrten Sums 
men oder werden beftoblen, bald bringt ihnen das Vertrauen zu an⸗ 
gelehenen Perſonen Verluſt, denen fie zu forglos lichen, wie 3. B. 


ienftboten, die ihren Lohn lange bei ihrer Herrfchaft ftehen laffen und 
ihn dann einbüßen. 


$. 364. 


Diefe Sparanftalten werden gewöhnlich von Privat⸗-Geſell⸗ 
fhaften oder Gemeinden gegründet und Haben beßhalb ale 
Privatunternehmungen in Kriegsfällen auf größeren Schub zu 
rechnen, als wenn fie Staatsanftalten wären, auch wird hier 
duch die Laft und Wagniß der Verwaltung ber Regierung 
erfpart. Diefe darf fich jedoch den genannten Anftalten gegen⸗ 
über nicht unthätig verhalten und ihre Mitwirkung trägt we⸗ 
fentlich dazu bei, biefelben fo gemeinnügig als moͤglich zu 
machen. Die Aufgabe der Staatögewalt ift in diefer Beziehung 
theild die Genehmigung und fortgefegte Ueberwachung ber Spars 
anftalten, damit fie nach richtigen Grundſaͤtzen eingerichtet und 
in ®emäßheit berfelben verwaltet werben, — theild bie Ans 
regung zur Grrichtung folcher Anflalten und bie Beförderung 


ihre Gedeihens durch verfchiedene Erleichterungsmittel., Es 
32 * 


— 500 — 


find in ber neueften Zeit viele ſolche Sparanftalten von mandy 
faltiger Beichaffenheit errichtet und bisweilen Anorbnungen für 
verfchiedene Zwede mit einander in Verbindung gefegt worben (a). 
Doc laſſen fich zunächft zwei Gattungen unterfcheiden: 

I. einfahe Sparcaffen, welde die Einlagen jedes 
Theilnehmerd aufnehmen und bis zur Rüdzahlung verzinfen, 
fie alfo ganz abgefondert behandeln und feinen anderen Bor: 
theil al8 den Genuß ber Zinfen und bie Leichtigkeit bes Eins 
fchießend und Zurüdziehene ganz Eleiner Summen barbieten, 
6. 365; 

D. Caſſen, bei denen eine Anzahl von Theilnehmern in 
eine gewiffe Gemeinfchaft eintritt, fo daß ber jedem Einzelnen 
zufallende Vortheil nicht allein von der Größe und bem Zeit 
punet feiner Einlagen, fondern zugleich von Lebensereigniſſen 
beftimmt wird und folglich eine auf die legteren gerichtete 
MWahrfcheinlichfeitöberehnung zu Hülfe genommen wird; ges 
meinfhaftlihe Sparanftalten. Bei diefen hängt es 
von Sterbs und anderen Fällen ab, ob die Betheiligten aus 
ihren Einzahlungen Gewinn oder Berluft haben, ber leßtere 
fommt aber nur dann vor, wenn ein gewifled ungünftiges 
Ereigniß erft fpät erfolgt und baher eine Zubuße leicht zu 
ertragen ift. - 

(a) Hermann, Ueber Sparanftalten im Allgemeinen, insbefondere über 

Sparcaſſen. Münd. 1835, ©. 17. 


$. 365. 


I Die Sparcaffen (Sparbanfen, caisses d’Epargne, 
saving banks) haben fidy nach zahlreichen und vieljährigen 
Erfahrungen als hoͤchſt nügli bewährt (a). Da fie au 
geringfügige Summen annehmen und verzinfen, ohne die Ein 
feger zu weiteren Einzahlungen zu verpflichten, fo können fie 
von einer größeren Zahl von Menfchen benugt werben, ald bie 
unter II (8. 364) erwähnten Anſtalten. Sie vermögen bie 
Lohnarbeiter zur Mäßigfeit, Sparfamfeit und zu verftärftem 
Fleiße anzufpornen, dad Bertrauen auf eigene Kraft zu erhöhen 
und ben Beifland ber Armenanftalten entbehrlich zu machen 
($. 331); die gefammelten Gapitale machen ed fogar manchen 
Berfonen möglich, als felbftfländige Unternehmer aufzutreten. 


— 501 — 


Die Wirkungen dieſer Caſſen find nicht allein nach der Größe 
des in ihnen angefammelten Bermögend zu bemeflen, fondern 
Außern ſich auch in dem guten Einfluffe auf die Xebendweife 
und Geſinnung ber arbeitenden Claſſen (5), weßhalb ihre Ber 
breitung und bie Ausbehnung der Theilnahme an ihnen von 
ber Staatögewalt eifrig befördert zu werben verdient. Sie find 
vorzüglich in den Städten Bebürfniß, weil hier die Menge der 
Dienftboten, Gewerbögehülfen und Taglöhner und bie Bers 
fuhung zu übermäßigem Aufwande flärfer ift, indeß leiften fie 
auch auf dem platten Lande fehr gute Dienſte. Sie unterfcheis 
ben fi von den Leihbanken (8. 312b) nicht allein durch die 
Kleinheit der Einlagen, fondern auch dadurch, daß bei ihnen 
nicht eine beftimmte Verwendungsart ber eingelegten Summen 
beabfidhtigt, fondern nur auf Eicherheit und angemeffene Bers 
zinfung gefehen wird, damit die Einleger einen erinunternden 
Zins empfangen fönnen. Diefe flehen unter einander in feiner 
Verbindung, auch findet durdy Zutritt neuer Theilnehmer und 
Zurüdnahme der Erfparniffe älterer Einleger ftetd ein Wechfel 
ftatt. Eine Sparcafle hat dann auf dad vollfte Vertrauen zu 
rechnen, wenn von irgend einer Seite die Verbürgung für bie 
eingelegten Gelder übernommen wird, wobei aber dem Bürgen 
auch geftattet werden muß, auf die Leitung der Gefchäfte foweit 
einzumwirfen, daß er Sehler verhütet, die ihn in Schaden bringen 
fönnten. Die meiften Sparcaffen find von Gemeinden und 
unter der Haftbarfeit des Gemeindevermögend errichtet worben 
und werden unter Aufficht der Gemeindebehörde von Angeftellten 
verwaltet, welche diefe ernennt (c). Daffelbe fann von ganzen 
Bezirken (d) oder wohlthätigen ‘Privatvereinen gefchehen (e). 
Bei diefen ift jedoch die Fortdauer nicht gefichert, und der Eifer 
ber Mitglieder nicht gleichbleibend, weßhalb die Theilnahme der 
Gemeinden oder Bezirfe den Borzug verdient. Diefen fteht 
dann auch die Beſetzung des zur Leitung und Weberwachung 
der Gefhäftsführung beftimmten Aufſichtsraths zu. Damit 
zugleich die Rechte und der Vortheil der inleger gehörig bes 
rüdfichtigt werden, ift die Oberaufficht einer Staatöbehörbe 
nothwendig, von welcher auch ein Theil des Auffichtsraths 
ernannt werden fann. Die Sapungen werben vor der Gench- 
migung geprüft, und hier wie bei anderen Anftalten iſt es gut, 








— 502 — 


allgemeine Borfchriften für die Grundzüge berfelben aufzus 
ftellen (f). Ein Zwang zum Einlegen ift weder zu rechtfertigen 
noch ausführbar (g), doch läßt fi) ohne ihn auf mandherle 
Weife für das Gebeihen ber Sparcaflen wirken, 3. B. indem 
man bie Kenntniß von ihren Bortheilen verbreitet, Worurtheile 
zerftreut, große Gewerböunternehmer auffordert, ihre Kohnarbeiter 
zu Einlagen zu ermuntern, ferner die Einrichtungen bequem und 
einladend macht (Ah). 


(a) Obgleich erſt feit einem halben Jahrhundert näher gefannt und höher 
gewürdiget, find die Sparcafien doch fchon älter. ie entitanden an 
verfchiedenen Orten unabhängig von einander und bildeten fid von 
unvollftommenem Anfange an nah und nah aus. Das ältefte Beilpiel 
fheint die 9te ganz IerfRändige Glaffe der Hamburgiſchen Verſorgunge⸗ 
anftalt von 1778 zu fein, welche aber Feine Summen unter 15 Mark 
(10,8 fl.) annahm, f. Revidirte Anorbnung der in der k. fr. Reichel. 
Hamburg im 3. 1778 errichteten allgem. Berforgungsanftalt, 1805; 
bierauf folgte die Erfparungscaffe im Herzogthume Divenburg vom 1. 
Auguft 1786, in Bergius, Landesgeſ. IX, 265, die Dienften : Zine: 
cafle in Bern, 1787 für Dienftboten, bie Zinscaſſe in Bafel 1792 (feine 
Beiträge unter 60 Fr.), die Caſſen in Kiel 1796, Göttingen u. Altona 
1801, im Ganton Zürih 1805, in Bafel 1809, Aarau 1811. Man 
cherlei ähnliche Verfuche wurden in Großbritanien gemadt, 3. B. 1804 
zu Tottenham (charitable bank von Frau Wafefield), 1807 zu 
Met: Balder, 1808 zu Bath. Die im Sabre 1810 von dem Pfarrer - 
Duncan zu Ruthwell (Grafichaft Dumfries in Schottland) errichtete 
Caſſe wurde das Vorbild aller fpäteren, obſchon ihre Grundzüge ſich 
auch in den früheren deutichen und fchweizerifchen NAnftalten finden. 
Bon diefer Zeit an wurden fie Häufig nachgeahmt. In Deutichland 
folgten zuerſt Stuttgart und Berlin, 1818, in Frankteich Baris in dem 
nämlichen Sabre dem von England ausgegangenen Beiſpiele. (Ni⸗ 
hardfon) Annalen der Sparcafien, a. d. Engl. v. Kraufe, Bresl. 
1821 (fehr lehrreich, doch viele eniederholungen). — Krug, Staats 
wirtbih. Anzeigen, I, 1—30. — Bernoulli, Schweizeriiches Archiv, 
Il, 1—28. — Prevost, Notice sur les caisses d’epargne. Paris 1832. 

: — A. de Candolle, Les caisses d’öp. de la Suisse. Gendre 1838. 
— v. Malchus, Die Sparcaffen in Europa. Heibelb. 1838 (ehr 
reichhaltig). — Porter, Progress of the nation, 611. — v. Mohl, 
Polizeiwifl. II, 86. — v. Ma ngalbt, Ueber die Aufgabe, Stellung 
und Ginrihtung der Sparcaffen, Tübingen 1847 (Doctor: Differtation). 
2 0 Schmid, Das Sparcafienwefen. L Deflerreih und Preußen. 

erlin 1863. 


(5) Combien de vertus cachdes, combien d’empire sur soi-meme, combien 
de resistance aux seductions du plaisir,. aux entrainements de la d& 
bauche, combien d’amour filial, combien d’amour paternel et maternel, 
combien d’inspirations providentielles et de seutiments religieux sont 
cachös sous ce trösor de 100 millions épargnés oentime & centime, et 
gagnes & la sueur du front des classes laborieuses! Ch. Dupin, La 
caisse d’e£pargne, P. 1837. ©. 33. — Georg Stephenfon fing an 
u erübrigen, als er woͤch. 20 Sch. verbiente (vorher hatte er —* 
eine Aeltern unterſtützt). Man bemerkt, dag faſt nie Jemand verarmt, 
ber auch nur 1 2. St. erfpart hat. Aber es giebt Gifenarbeiter von 


(3) 


2—300 2. Jahresverdienſt, die nichts zurüdlegen. 131 Männer in 
einer Fabrik zu Prefton verdienten woͤch. 144%, 2%. St. und vertranfen 
bievon 34%/4 2. Quart. Rev. Nr. 215. ©. 102. 


Durd eine Regierungeverorbinung iR zu beflimmen, wie der Beſchluß 
hiezu in den @emeinden zu Stande gebracht werden foll. 


Solde Sparcaflen für ganıe Oberamtsbezirke find 3. B. in Würtem: 
berg zu finden, v. Malchus, S. 25. — In Preußen if die Errich⸗ 
tung von Kreisiparcaflen unter Berbürgung der Kreisflände empfohlen 
worden, Minifl.:B. 27. April 1850. — Merkwürdig ift die neue eng: 
liſche Einrihtung, daß jebes (nämlich Brief) Boftamt von der Ober: 
poftbebörde zu einer Sparcaffe unter Saftuna ber Megierung gemacht 
werden Tann, Gef. 24. Viet. C. 14 = 22. März 1861. Am 31. März 
1862 beftanden im brit. Neid Ihon 2532 ſolche Poſtſparcaſſen. (Man 
muß erfannt haben, daß es ben Poftbeamten nicht an Zeit zu biefem 
Geſchaͤft fehlt.) — Die von der Heidelberger Kreisftelle des bad. lands 
wirtbfchaftlichen Vereins 1838 geftiftete Sparcafle für die Landgemeinden 
bes zugehörenden Bezirkes hat Feine Berbürgung, wird alfo auf Gefahr 
ber Ginleger verwaltet. Sie hat einen Berwaltungsrath und einen 
beauffihtigenden Ausfhuß. Die allgemeine Berfammlung der Theil 
nehmer ift wegen des Ausbleibens derjelben nie förmlich zu ©tande 
gelommen. 


(e) 3. 3. die von der Aachener Yeuerverficherungs: Gefellfchaft und bie 


#3 


(9) 


(%) 


von einer Actiengelelihaft zu Heppenheim gegründete Sp.⸗C. (Gr. 
Heften), v. Malchus, Anh. S. 29. 74, aud die britifhen und bie 
in Belgien von der Sociôté gendrale pour favoriser l’industrie nationale 
angelegten Sparcafien. — Gine Privatgeſellſchaft muß zur Sicherſtellung 
der Einleger ein gewiſſes Buͤrgſchaftsvermoͤgen nachweiſen. 


3. B. Brit. Geſ. 28. Juli 1828 (9. Ge. IV. C. 92), b. Malchus 
©. 335. — Franzoͤſ. Gel. 5. Juni 1835. — Preuß. Reglem. 12. De: 
cemiber 1838, Geſetz⸗ Sammlung 1839 Nr. 1. — Bair. B. 30. Ian. 
1843. — Oeſterr. V. v. 26. Sept. 1846, bei Schmid a. a. O. ©. 7. 


———— den Zwang dadurch zu bewirken, daß der Lohnherr einen 
kleinen Theil des Lohnes zurückbehält und an die Sparcaſſe abliefert 
(in Quarterly Rev. LXXII. 484. October 1827, ſ. auch Hermann, 
a. a. O. S. 11, de Villeneuve, L. V. ch. 18). Als Beifpiel 
wird angeführt, daß den römischen Soldaten von Geſchenken die Hälfte 
vorbehalten wurde, ne per luxum aut inanium rerum comparationem & 
contubernalibus possit absumi. Veget. De re milit. II, 20. — Nur 
bei Arbeitern im Dienfte des Staates oder unter näherer Aufficht des⸗ 
felben, wie bei Bergknappen, ift dieß ohne große Schwierigkeit durch: 
zuführen, und bie Freibeit, die Binlagen zu jeder Zeit wieder zurüd: 
zuziehen, zerftört größtentheils den erwarteten Nugen. Die Erwartung, 
dag die Arbeiter aus Bequemlichkeit einen Theil des von den Lohn⸗ 
herren für fie abgelieferten Lohnabzuges flehen laflen würden (De 
Gandolle a. a. D. ©. 52), rechtfertiget die Maaßregel nicht. Uebri- 
ens ift eine mittelbare Hinwirkung auf diefen Zwed nicht ausgeichlofien, 
indem, wo die Heirathserlaubnig vom Beſitze eines gewiflen Bermögens 
bedingt wird (6. 15), der Vermögenslofe darauf hingewieſen wird, ſich 
etwas zu eriparen und bei der Ertheilung biefer Erlaubniß auf den 
Beftp eines Buthabens in der Sparcaffe beſonders Rüdfiht genommen 
wird. 
Einfuß der Geiſtlichen; gemeinverfländliche Belehrung, wie 3. B. CB. 
Dupin’s a. fleine Schrift, ein Bortrag im Conservatoire des arts et 
manufactures am 22. März 1833, zum Beſten der nahrungslofen Ars 


beiter fehr wohlfeil verkauft. — Lohns und Dienfiherrfchaften follten 
bei der Annahme von Arbeitern auf das buch wahre Erſparniſſe all- 
mälig gefammelte Guthaben in dem Sparcafienbüdlein achten. Ber: 
noulli, ©. 18. — In Franfreih hat man die Fabrifherren befhul 
biget, der Errichtung von Sparcaflen fogar entgegen geweſen zu 
fein, weil fie befürdhteten, die Arbeiter würden weniger von ihnen ab- 
hängig werden, Gommifftonsberiht von Eh. Dupin, Dep. R. 16. 
Mai 1834. — Es giebt Sparcaflen, welche von den gewöhnlichen durch 
beigefügte befondere Bedingungen abweichen. Diefetben find ihrem 
Weſen nad, Feiner großen Ausdehnung fähig und koͤnnen ganz ber 
Brivatvereinbarung überlaffen werden. Dabin gehören 1) Sparvereine, 
bei denen man fich zu einer beflimmten regelmäßigen @inzahlung ver: 
pflichtet, 3. B. der würtemb. Privatiparverein (1827) mit 8 Glaflen; 
der regelmäßige Beitrag ift in der 1. Glafle vierteljägrlih 5—20 fi., 
in der Sten 40—160 fl., v. Malchus, ©. 20; ferner die Brivatipar- 
geielichaft in Karleruhe (1832), in bie jedes Mitglied monatlih mins 
deftens 30 Fr. legen muß und hoͤchſtens 10 fl. legefi darf; Statuten 
bei v. Malchus, Anh, S. 41. — 2) Vereine, welche die eingelegten 
Summen zum Anlauf von Lebensmitteln verwenten und jedem Theils 
nehmer nah Maaßgabe feines Guthabens einen entſprechenden Vorrath 
übergeben, eine zuerſt von Liedtfe in Berlin veranflaltete Cinrichtung, 
die beſonders darauf Hinzielt, daß Arbeiter im Summer für die größeren 
Ausgaben der Winterzeit etwas zurüdiegen. Sole Bereine find auf 
Anregung von Menfchenfreunden an vielen Orten entftanden, in Defters 
reich unter dem Namen Nahrungsvereine, in Norddeutichland als 
Gonfumovereine. — Die englifchen Hülfsvereine wirfen ebenfalls 
in biefer Weife ($. 334b (e)), indem fie Erſparniſſe der Mitglieder 
zum Ankauf nöthiger Dinge oder zur Erziehung der Kinder annehmen, 
da6 fog. frugal investment, James, Guide ©. 14. 


8. 366. 


Hauptregeln für die Einrichtung einer Sparcaffe. 

1) Es ift nüglih, wenn man recht oft Gelegenheit hat, 
Erfparnifle einzulegen, weßhalb die Eaffe wenigftend jede 
Woche einmal, oder, wo es fih als Bebürfniß zeigt, mehrmals 
geöffnet fein ſollt. An großen Orten, fowie bei Bezirks⸗ 
Sparcafien ift die Anftelung mehrerer Untereinnehmer bien- 
ih (a). . 

2) Die Caſſe nimmt kleine Einlagen an, bis zu einer nad) 
ben Lohn» und Bermögensverhältniflen des Ortes beftimmten 
ganz geringen Untergränze (Minimum), oder auch unbedingt. 
Größere Summen, die über eine beflimmte Obergränze hinaus- 
gehen, fol fie abweiſen, weil es nicht ihre Aufgabe ift, die 
Unterbringung von Capitalen begüterter Perfonen zu erleichtern, 
weil dieß die Mühe und die Koften der Verwaltung vergrößern 
würbe und weil zu jenem Zwede andere Anftalten, 3. B. Bank 
häufer, vorhanden find (B). 





— 505 — 


3) Da aus vielen Heinen Einlagen ſich immer bald größere 
Summen bilden, fo ift die Caſſe im Stande, ſchon von gerin- 
gen Erfparniffen, die ber Einzelne fonft nicht werbend zu bes 
nußen vermag, Zinfen zu bezahlen. Der Betrag, bei welchem 
eine Berzinfung beginnt, ift jedoch höher als die Fleinfte zu⸗ 
läffige Einlage. Der Zinsfuß für die Einleger wird fo hoch 
geſetzt, als es in Hinficht auf die beim Ausleihen zu bezichen- 
den Zinfen und die davon zu beftreitenden Koſten gefchehen 
fann, und er wird auf eine leicht verftändliche Weife aus⸗ 
gebrüdt (c). 

4) Werden die Berwaltungsfoften aus ber Gemeindecafle (d), 
aus milden Stiftungen, oder von Privatvereinen beftritten, fo 
fann man den Einlegern höhere Zinfen und überhaupt guͤn⸗ 
ftigere Bedingungen bewilligen. Ein Bortheil für die Caſſe 
wird bei vielen Anftalten dadurch zu Wege gebracht, daß bie 
Zinfen erft einige Zeit nach ber Einzahlung zu laufen anfangen 
und folglich die in der Zwilchenzeit eingebrachten Summen uns 
entgeldlich benußt werben (e). 

5) Es iſt nicht rathfam, das Recht der Theilnahme auf 
gewifle Stände zu befchränfen (f)- 


(sa) Die Binrihtung zu Romont (Cant. Freiburg), wo Jeder in eine für 
ihn beflimmte numerirte Büchfe das Geld beliebig einwirft und dieſe 
alle Monate eröffnet wird (Bernoulli, ©. 22) ift nur bei einer 
Heinen Zahl von Theilnehmern ausführbar. — Ueber den Nutzen einer 
Bermehrung der Binnahmeftellen de Candolle, ©. 25. — Die 
britifhen Sparcafien hatten bisher meiftens nur 1 Wochentag zur Ans 
nahme und im Durdfchnitt war jede wöchentlih 4,7 Stunden offen, 
bie neuen Poſtſparcaſſen find woͤchentlich 48 St. geöffnet. 


(5) Die Untergränze ift in Preußen meiftens 5, 10, 15 Sgr., doch aud 
bei vielen Gaflen 1 Thlr. Bei dem Mar. fommt es u. a. darauf an, 
welche andere Gelegenheiten fih zur Unterbringung größerer Summen 
darbieten. Das gefeblihe Marimum kann allerdings durch Vertheilung 
größerer Summen in mehrere Poften oter durch Anlegung auf mehrere 
Namen von Ginlegern umgangen werden, indeß ift dieß Berfahren für 
die Bapitaliften ſchon zu umfändlid. Für den allmäligen Anwachs 
der Binlagen und der zugefchlagenen Zinſen wird ebenfalle eine Ober: 
graͤnze beftimmt, die jedoch höher fein fann. In Preußen haben 245 
von den 642 Gaflen, die 1859 beftanden, feine Borfchrift einer oberen 
Graänze; 34 beflimmen 300 Thlr., 26 200 Thlr., 20 100 Thlr., 17 
300 Thle. Mar. Beifpiele: Berlin 1/„—300 Thlr., Dresden !/s—30 
Thlr., Nürnberg 1—300 fl, Stuttgart 1--50 fl., Elberfeld 1—200 
Thlr., Baireuth 15 Fr. bie 100 fl., Frankfurt von 1 Hl. an, Heidelberg 
24 ke. bis 100 fl., Mannheim und Freiburg 1—100 fl., Mainz 1 bis 
200 f., Münden 1—300 fl., Heidelberg. Landgemeinden 12 fr. bie 
100 #., Karlsruhe 5—100 fl., Baiern 30 fr. bis 100 fl. bei der eins 


(e) 


(@) 


(e) 


(N 


maligen Ginlage, 300 fl. ift Mar. für die Ginlagen eines Sahres, 
400 fl. für das ganze Guthaben. Großbritanien: 1 Sch. bis 30 2. 
©&t. bei der einzelnen Ginlage; von angewachjenen Summen über 200 
2. hört der Zins auf. Wien: 25 Er. bis 50 fl. Gomv. 


Preußen: faſt allgeinein von 1 Thle. an, ber Sinsfuß if jetzt (1859) 
meiſtens 3%/a, bei 41 Caſſen 3, bei 53 nur 21/ Proc. — Dresden: 
von 1 Thle. an 4A!/s Proc. oder monatlih 1 Pf. vom Thaler. — 
Nürnberg: von 1—24 fl. 2 fr. vom Gulden (31/5 Proe.), Summen 
von 25, 50, 75 fl. u. f. w. tragen 4 Proc. — Elberfeld, von 5 Thlr. 
an 4 Proc. — Baireuth, von 30 fr. an 31/5 Proc. — Frankfurt von 
ı fl. an, ebenfo; — Mannheim, Freiburg, Geibelberg, von 5 fl. an 
3 Proc. — Darmfladt, von 1 fl. an 3 Proc. — Heidel er9h Landgem., 
von t fl. an, Karlsruhe 31/5 Proc. oder 2 fr. vom Gulden. Groß—⸗ 
britanien täglih 2% B. vom 2. St. = 3, Proc. jährlid. — 
Branfreih: Berzinfung von 1 Franc an. Die Ginteger erhalten den 
nämlichen Zins, welden die Caſſe von der Anlegung bei der Staats⸗ 
cafe empfängt, jebt 4 Proc. Mehrere fchottiihe Sparcafien geben noch 
befondere Prämien für die Summen, welche längere Zeit fliehen bleiben. 
Richard ſon, ©. 158. — Die Aachener Eafle giebt im Allgemeinen 
bis zu 600 Thle. 31/5 Proc. oder 1 Sgr. vom Thlr., aber die Hand: 
arbeiter, namentlih Handwerker ohne Gefellen, Handwerksgehülfen, 
Fabrik- und Bergwerksarbeiter, Taglöhner, Dienftboten, erhalten einen 
höheren Zins (Zinsprämie) von 5 Pror. bis zu 200 Thlr., ferner 
von ben erften 20 Thle. des Buthabens eine Srtras Prämie von 4's 
Sagr. per Thlr. (15 Proc.), jedoh nur ein für allemal, f. die Sta: 
tuten bei v. Malhus, Anhang. Diefe Einrichtung ift neuerlich wegen 
ihres guten Erfolges häufig nachgeahmt worden und feit 1854 wird 
!/a des Reinertrags der ftändifchen Hülfscaffen zu biefen Zulagen ver: 
wendet. — Gin britifches Gel. v. 1833 bewilligt Jedem, der vom 20. 
bis 30. Lebensjahre woͤchentlich 5 Schill. in eine Sparcafie einlegt, 
vom 60. Jahre an eine Leibrente von 20 2. St. 


Die 3. B. in Frankreich, foweit die Koften nicht anderweitig gebedt 
find. Nach dem a. preuß. Reglement darf ber Gemeindehaushalt durch 
die Sparcafie nicht zerrüttet, e8 muß daher der Zins für die Ginlagen 
fo angeordnet werben, daß von ben durch Ausleihen eingehenden Zinfen 
nod ein Ueberfhuß für Koften, Zinsverluft ıc. bleibt. Art. 9. 


Sranfreih, vom 7. Tage nach der Einzahlung. Berlin, und Breußen 
meiftens, Dresden, Hamburg ıc. vom Anfang des nächften Wonats an, 
Elberfeld von 14 zu 14 Tagen, Nürnberg, Baireuth, vom Anfang jedes 
Quartals an, v. Malchus, Binleit., S. XXIY. — Gin Bierteljahr 
ift ſchon zu Tange! 


Dieß macht die Berwaltung verwidelt und ſchwaͤcht den Nutzen ber 
Sparcaſſe. Mehrere Cafſen laflen nur Dienfiboten, Gewerbsgehuͤlfen, 
Taglöhner sc. Theil nehmen, 3. B. Carleruhe (1834). Bon Gemein 
den und Stiftungen follten feine Gapitale angenommen werden. In 
Großbritanien ift es erlaubt, Gelder von den Hülfsvereinen (friendly 
— anzunehmen, und wegen ber Anlegung in der Staatscaſſe macht 
bieß feine Beſchwerde. — Bei verfchiedenen Anftalten ift der Zinsfuß 
nicht für alle Claſſen von Theilnehmern gleih, 3. B. Heppenheim: 
1) Soldaten, Dienftboten, Taglöhner für Erfparniffe bis zu 100 |. 
jährl. 5 Proc, 2) andere Perfonen bis zu 500 fl. 4 Broc., 3) höhere 
Beträge, ferner Concursmaflen, 3 Broc. — Höhere Summen flärker 
zu verzinfen, widerftreitet dem Zwecke der Sp.⸗C. fo fehr, daß eher das 
Begentheil zu empfehlen if, 3. B. Merfeburg (1834) bis 50 Täler. 


—— 507 — 


a Bm. , von 50%/—100 Thlr. 3 Broc., darüber 21/2 Proc., v. 
r lchus, ©. 221. 


$. 367. 


6) Die Zinfen der Einlagen bleiben in ber Regel ftehen 
und werden jährlich zu dem Stamme gefchlagen, fo daß fie 
wieder Zins tragen, bis der Einleger fein Guthaben ganz 
oder theilweife zurüdzieht (a). Um jedoch ben Theilnehmern 
fo viel ald möglich Breiheit zu vergönnen, ift es angemeflen, 
ihnen auf Begehren die Zinfen auszubezahlen. Die Rüdzahlung 
bed Guthabens follte ohne Schwierigkeit und bei Fleinen Sum- 
men fogleich, bei größeren fo bald ald möglid) nad ber Kuͤn⸗ 
digung erfolgen (a). " 

7) Zur ficheren und zugleich einträglichen Anlegung der 
eingezahlten Summen bieten ſich hauptfächlid drei Wege dar: 
a) Verbindung der Sparcaffe mit einer LXeihcaffe, fo daß bie 
bei jener eingehenden Summen bei diefer ihre Berwendung zum 
Ausleihen finden. Hiezu find häufig die Leihhäufer benugt 
worden ($. 332), bisweilen auch Xeihanftalten anderer Art (B). 
b) Ankauf von inländifchen ftädtifchen, Staatsfchufbbriefen oder 
anderen ficheren Verſchreibungen. Dieß hat zwar den Bortheil, 
daß das Geſchaͤft fehr vereinfacht wird und die Summen zu 
jeder Zeit unverzüglich untergebracht werben können (c), aber 
auch die Rachtheile, daß der Zinsfuß bei Staatsfchulden nies 
driger zu fein pflegt, ald bei anderen Darleihen (d), — daß 
ferner Erfchütterungen im Staate, Yinanzverkegenheiten ıc. bie 
Sparcafien mit berühren, wad in großen Staaten mehr zu 
fürchten ift, ald in Heinen (e). Diefe Umftände machen es 
rathſam, wenigftend nicht dad ganze Vermögen der Sparcafien 
in die Staatsfchuld zu verwenden (f). c) Audleihen auf gute 
Unterpfänder in Liegenfchaften, dad mühfamere, aber bei guter 
Hypothefenverfaffung zugleich ficherfie Mittel, ferner Darleihen 
auf gute inländifche Schuldbriefe, die als Fauftpfänder dienen (g). 

8) Jeder Einleger erhält außer dem Eintrage feined Guts 
habend in dad Rechnungsbuch der Caſſe ein befondered Buͤch⸗ 
fein, in welches feine Einlagen und bie Zindberechnung ein 
gefchrieben werden (Rh). Die Rüdzahlung gefchieht an ben 
Inhaber des Buͤchleins (). Yür den Ball, daß baffelbe vers 


— 508 — 


foren geht, muß Anzeige bei der Caſſe und Ausfchreiben in ben 
öffentlichen Blättern angeordnet werden. 

9, Man muß fuchen, aus Kleinen Ueberſchuͤſſen und anderen 
Quellen einen Hülfövorrath zur Dedung möglicher Verlufte zu 
bilden. 

10) Es if gut, zur Caffenverwaltung mehrere Perfonen 
zufammenwirfen zu lafien (A). ‘Der Eaffter bat überdieß Sicher: 
heit zu leiften. 

11) Der Aufſichtsrath laͤßt öfterd eine Unterfuchung ber 
Rechnungsbücher, der Schuldurkunden und der Eaffe vornehmen, 
auch ift die Veröffentlihung ber jährlichen Rechnungsauszüge 
und Berichte zu empfehlen (2). 


(a) In Defterreih Hört die Derzinfung auf, wenn das Zinsguthaben ber 
Hauptſchuld gleich ſteht und der Ginleger fid in ber Zwiſchenzeit nicht 
bei der Caſſe gemeldet hat, a. B. $. 18. — Daflelbe unter gleicher 
Bedingung tritt in Preußen nah 30 Jahren ein, a. B. 5. 16. 

(aa) Nürnberg und Baireuth 3. B. zahlen die Zinfen in der Regel nur 
mit den zurüdgeforderten Einlagen zugleih aus; die meiften Eaflen 
bewilligen jährlihe oder auch halbjährige Zinszahlungen. Für dıe 
Rüczablung beflimmen die Saßungen der Sp.:&. fehr ungleiche Friften. 
Nach dem preuß. Reglement von 1838 Art. 10 werden fleine Summen 
(bei vielen Sp.⸗C. bis 10 Thlr.) fogleih zurüdbezahlt, für größere 
wird eine kurze Friſt vorbehalten, von der man aber nur Gebraud 
machen foll, wenn es nöthig if. Preuß. Sp.⸗C.: die Künbigungsfrik 
richtet ſich meiftens nach der Größe der Summe, fo daB 3. 3. für 
Beträge über 100 Thlr. 4, 6, 8 Wochen und bei 137 Caſſen 3 Monate 
vorher gefündigt werden muß. Münden, Mannheim, Berlin ꝛc. zahlen 
fogleih auf Berlangen, Hamburg, Heidelberg (bei Summen von 100 |. 
an), Baden ıc. nah 8 Tagen, Stuttgart nach 14 Tagen, Darmftadt 
(unter 100 fl.), Wangen und Heppenheim (beide bis zu 25 fl.) nah 
4 Boden, Genf, Balingen (Würtemb.), Darmfadt, Heppenheim, 
Wangen über jener Gränze nach %s Jahr, Karlsruhe (neue Stat. von 
1839) von 200—400 fl. nah 1 Monat, größere Summen nad drei 
Monaten. 

(6) 3. B. Heppenheim und Heidelberg, Sp.⸗C. der Landgemeinden, zum 
Ankaufe von Bieh in Unglüdsfällen, unter Berbürgung der Gemeinde. 
Bedenken gegen bie Berbindung der Leihs und Sparcafle bei v. Maldhus, 
S. XXXVI und v. Mangolbdt, ©. 46. Die Iwede beider find 
allerdings verfchieben, da 3. B. die erftere fidh beftreben foll für niedrige 
Binfen darzuleihen, die leßtere, ihren Bläubigern mehr Zins zu geben. 
Allein e6 wird auch nicht eine Verfchmelzung beider empfohlen, fondern 
nur eine foldhe Berbindung, daß die Sparcafle der Leihcafle die bes 
nöthigten Gelpfummen im Ganzen überläßt und biebei eine fichere An: 
legung findet. Beide Anftalten können freie Wahl behalten, auch auf 
anderen Wegen Summen aufgunegmen und anzulegen und ber zwiſchen 
ihnen feitzufeßende Zinsfuß Tann vertragsmäßig von Zeit zu Zeit feſt⸗ 
geſetzt werden. 

(6) In Frankreich werden die Einlagen nach dem Geſetz vom 31. März 1837 
an die caisse des depots et consignations abgeliefert, die fie auf 


(@) 


() 


0) 


—_— 509 — 


laufende Rechnung ober in bons royaux & Echsance fire bei der Staates 
caffe gegen 4 Proc. Zinfen anlegt. Cine vortbeilhafte Einrichtung ifl 
es, daß man foftenfrei ein Guthaben an eine Sparcafle auf eine andere 
übertragen laflen fann, v. Malchus, Anh. ©. 52 ff. —, In Groß: 
britanien müflen (9. I. George IV. Kap. 92. 1828) die Ginlagen von 
den Commiſſaͤren der Schuldentilgungscafle an die Banken zu London 
oder Dublin gewieſen und von diefen in Banf-Annuitäten oder Schatz⸗ 
kammerfcheine umgefeßt werden. Die Binleger erhalten 3 L. St. 8 Sc. 
514 8. Proc. ($. 366 (0)), die Banten aber bezahlen den Sparcaffen 
32. St. 16 Sch. (3,9) Proc. Neuerli hat die Regierung angefangen, 
den Binlegern Leibrenten, die fogleich jegt laufen oder auch noch hinaus⸗ 
geichoben werben (deferred annuities) auf die Staatscafle zu verkaufen, 
$. 3664. — Man hat den Bortheil hoch angefchlagen, daß die Bins 
leger bei ber Anlegung der Erſparniſſe in der Staatsſchuld deſto leb⸗ 
hafteres Interefle haben, die ae Ordnung im Staate aufrecht zu 
erhalten (III, 6. 480), allein dieß ift auch der Kal, wenn die Summen 
eine andere Berwendung erhalten haben, de Candolle, ©. 40. — 
Bei einem großen Belauf der Sparcaflengelder kann die Kündigun 

vieler Ginleger die Staatscafle in Berlegendeit fegen. In Baiern (St 
4. Juni 1848) wurden die bei der Schuldentilgecafle angelegten Spars 
nelder allmälig (1 Mil. j.) an die Sparcaffen zurüdgezahlt. Diefen 
Rebt ee jedoch natürlich frei, Staatsfchuldbriefe nah dem Eurfe ans 
zufaufen. 


Es müßte denn der Staat, um die Sparcaffen zu begünftigen, ihnen 
einen etwas höheren Zins bewilligen, vgl. (ec). Das brit. Geſetz vom 
12. Juli 1817 hatte verorbnet, daß die @inlagen in Staatspapieren 
angelegt werden und zu 4 Proc. verzinfet werden follten. Dieß zog 
ber Regierung einen Berluft zu, weil in den legten Jahren die Staates 
papiere fo ſehr im Eurfe fliegen, daß fie weniger ald 4 Procent trugen. 


Gegen diefe Anlegung und für das dritte Mittel der Verwendung 
fpriht eifrig de Candolle, ©. 34, der diefe beiden Methoden ale 
die englifche und fchweizerifche bezeichnet. 


v. Malhus, S. XXXVIIL Dagegen de Berando, III, 220. 


In den preuß. Sparcaflen waren 1860 angelegt: auf Hypotheken 
47,3 Broc., in Berfchreibungen, die auf den Inhaber geftellt find, 
24,8% Broc., in Darlehen gegen Bürgichaft auverlälfiger Berfonen 
11,2 Broc., bei Gemeinden, Öffentlichen Anftalten und Körperfchaften 
10,4% Proc., gegen Zauftpfänder 6,° Proc. Schmid, ©. 301. 


Diefe Büchlein werden gewöhnlich auf den Namen bes Einlegers geflellt 
und dieß macht das oben angegebene Verfahren beim Berluft des Büch⸗ 
leins erſt moͤglich. nedtigen⸗ kann man bei großen Caſſen die mühſame 
Unterfuhung nicht anftellen, ob der angegebene Name der richtige und 
ob der Inhaber des Büchleins wirklich die darin benannte Berfon fei. 
v. Mangoldt, ©. 60. 


Der Einleger kann in dem Sparbüclein den ‚Borbehatt eintragen, baß 
die Zins- und Ruͤckzahlung nur an ihn gefchehen folle; in diefem Falle 
ift die Abtretung an einen Anderen nur mit gewiflen Foͤrmlichkeiten 
möglih. — Nah den franzöflichen Geſetzen dürfen die Büchlein nicht 
an andere Berfonen abgetreten werden (les livrets sont incesaibles), auch 
ift keine Beichlagnahme bderfelben erlaubt (insaisibles). — Das brit. 
Ya niet, dag Jemand in mehreren Sparcaflen zugleid‘ bes 
theiligt fei. 


— 510 — 


(x) Die Gefahr von Beruntreinungen if viel größer, wenn ein einzelner 


(9 


Caſſier das Empfangen und Rüdzahlen allein beforgt, de Candolle, 
©. 23. — In England famen 1844—57 29 Fälle foldyer Unredlich⸗ 
feiten vor, wobei die Sparcaflen 229482 2. einbüßten. 
Die Statiſtik der Sparcaffen bietet mancherlei Lehrreihes dar. Es 
fommen biebei zunaͤchſt folgende Umfände in Betracht: 

1) Zahl der Sparcafien und Betrag ter angefammelten Gapitale. 
Bei v. Malchus, ©. 352 wurten in Europa 1160 Sparcaflen mit 
495 Mill. fl. Einlagen berechnet, davon 201 mit 23°920000 fl. in ten 
rein⸗deutſchen Staaten, 80 mit 9542000 fl. im preuß. Staate, 58 mit 
71'891 000 fl. in der Schweiz, 50 mit 2°771.000 fl. in den Niederlanden. 
In ganz Deutichland waren 60293000 fl. Sparcafien: Guthaben an 
zunehmen. — Neuere Angaben: 

Brit. Reich, 1861 638 Sparcaffen ober 1 auf 43 000 Einwohner. 
Am 20. Rov. jenes Jahres beliefen ſich die Einlagen von 1'560 359 
Berfonen auf 38697205 8. St. (Nov. 15653 33'351 574 2. St.), 
wozu noch 1°965710 2. der Hülfsgefellichaften kamen. Durch die 
Pot: Sparcafien trat eine Bermehrung der Binlagen ein. 1830 war in 
England die Summe 12°287606 2. Zweimal trat eine Ausnahme von 
der regelmäßigen Bermehrung von Jahr zu Jahr ein, nämlih ein 
Rüdgang 1832, ferner 1847—49 wegen der Theuerung. 

Sranfreich, Ende 1845 383 Will. Br. (wovon Paris 100 Mill), 
Ende 1850 138-649 000 (Baris 37259000), im Juni 1851 172 Mill., 
1852 gegen 200 Mill., 1855 391, 1856 272 Mill. Fr., Ente 1857 
273-921 000 Fr., Ente 1859 336461 000 Fr. Das Jahr 1848, bei 
befien Anfang die Barifer Caſſe über 80 Mill. an die Ginleger ſchuldete, 
brachte berfelben große Badtapgriß Wegen ber häufigen Zuruͤckforde⸗ 
rungen erhöhte man am 7. März den Zins von 4 auf 5 Proc., aber 
denne mußte fhon am 9. März die baare Rüdzahlung mit Ausnahme 
von 100 Fr. für jedes Büchlein eingeftellt werden, die Binleger mußten 
Schapfcheine, die damals 30 bis AO Proc. verloren, und 5 proc. Renten, 
die zu 50 fanden, für voll annehmen und dieſer offenbare Banterott 
war für viele Theilnehmer Höhft drüdend. Das Geſetz v. 7. Juli 1848 
verordnete, daß bei ber Nüdzahlung die Nenten mur zu 80 angenommen 
werben müßten, aber da fie bald wieder auf einen niedrigeren Stand 
ſanken, fo erhielten die Ginleger, welche Bezahlung verlangten, noch 
eine Bergütung von 8,9 Wr. auf je 100 zugeichriebenes Rentencapital 
oder 5 Fr. Renten. Am Schlufle des Jahres 1848 war nur noch ein 
Guthaben von 10151440 Fr. übrig. Deleffert, Beridt vom 
23. Aug. 1849. Zu Ende 1850 betrug das Buthaben bei der Barifer 
Gafle wieder 373/, Mil., 1853 über 54, 1856 45%, Mill. Fr., Anfan 
1860 48668000 Fr. oder 205 Fr. auf eine Einlage. — De errei 
1842 25, 1850 52, 1860 110 Sparcaflen. Betrag ber Binlagen im 
legten Sabre, ohne Ungarn, Wojwodſchaft, Eroatien und Sieben: 
bürgen 107985000 fl. öft. von 627500 Ginlegern. Ezörnig, Statifl. 
Handbuͤchlein 1861, S. 116. Die erfte oͤſterr. Sparcafle zu Bien 
wurde 1819 gegründet. Sie Hatte 1856 ein Ginlagevermögen von 
29 Min. fl. und einen Refervefond von 3%/; Mil. Zahl der Einleger 
156589, alfo Nittelbetrag eines Guthabens 185%, fl. Der hoͤchſte 
Stand des Buthabens der Theilnehmer war 34584000 fl. im 3. 1853, 
worauf eine Abnahme erfolgte. Sm 3. 1848 nahm die Summe um 
8 Mill. fl. oder 25 Proc. gegen den Stand von 1847 ab. Tabelle bei 


Schmid ©. 38. 

Preußen. 1839 1849 1859 1861 
Zahl der Sparcaflen 85 211 462 478 
Einleger — 261714 564 386 676101 
Buthaben, Thlr. 6076788 116557390 45281087 | 58350674 














\ 


— 511 — 


Hübner, Jahrb. fı Volksw. u. Statiſtik, VIII, 164. — Sadfen, 
1849 3,9 Mil., 1859 15,* Mill. Thle. Guthaben. — Hannover, 
Ende 1852 3.153937 Thlr. in 81 Gaflen, 1861 9992971 Thlr. in 
119 Gaflen. — Baden, Ente 1852 4918376 fl. in 48 Caſſen. — 
Medlenburg: Schwerin, Anfang 1853 4.393031 Thle. — Bel: 

ien. Die Ginlagen der Ginzelnen vermehrten fi bis 1842, wo die 

umme 45'363 000 Fr. erreihte. Die Theurung brachte diefelbe Ende 
1847 auf 37 Mill., die Erfchütterungen des Jahres 1848 verminderten 
fle bis auf 14.862000 Fr.! Ende 1850 war fie wieder 17 Mill. Das 
Buthaben verfchiedener öffentlicher Verwaltungen beitrug daneben 53/4 
Mill. Ende 1855 Guthaben Binzelner 14318000, der Berwaltungen 
4-530 000. Congrös de Brux. I, 186. — Dänemarl. Die 153 Spar; 
eafien hatten zu Ende 1855 34 Mill, Thlr. Guthaben. Congrös II, 87.— 
Schweiz. Ente 1852 60368759 Fr. in 167 Caſſen. 


2) Berhältnigmäaßige Stärke der Theilnahme. Diefelbe wird nicht 
allein durch die Größe des Einkommens derjenigen Bolfsclaflen, von 
denen die meiften Einlagen Herzurühren pflegen, und durch den wirths 
fchaftlihen Sinn derfelben bedingt, fondern zugleich durch die Menge 
der Sparcaflen, deren Bertheilung in einem Lande und bie den Gin- 
fegern dargebotenen Bequemlichfeiten, felbft durch das längere oder 
fürzere Beichen der Caſſen und die ungleihe Befanntichaft mit ben 
Bortheilen derjelben, fowie durch das Dafein oder den Mangel anderer 
Sparanftalten, weßhalb man die ungleihen Zahlenverhältniffe nicht ganz 
aus einem der beiden erflen Umflände ableiten kann. Es kann hiebei 
ermittelt werben 


a) wieviel auf jeben Kopf der Einwohner von ber eingelegten 
Summe trifft; brit. Reich 1861 16,2 fl., Sachen 1559 12,7 fl., 
Hannover 1861 9,1 fl., Baden 1853 3,6 fl., Preußen 1849 
1,5 fl., 1859 4, fl. (und zwar Reg.⸗B. Aachen 19,%% (max.) 
Arnsberg 17,6, Merfeburg 10,8, Minden 8,5, Magdeburg 6,9, 
Frankfurt 6,19, Dagegen Gumbinnen 0,2! (min.), Marienwerber 0,8, 
Trier 0,4, Königsberg 0,57, Poſen 0,53 fl.), Oeſterreich 1860 
5,7 8., Frankreich 1860 2,% fi. 

d) Auf wieviel Einwohner ein Ginleger kommt; 3. B. auf 8 in 
Sadfen, 18 brit. Reih, 17,3 Hannover, 31 Preußen (und zwar 
Meg.:B. Merfeburg 13,%, Arnsberg 16,2, Frankfurt, Magde⸗ 
burg 18, dagegen Trier 342, Bromberg 927), 33 Frankreich, 
35 Defterreich (ohne Ungarn ıc.), Baden 49. 


e) Mittelbetrag einer Binlage; diefe Zahl fleht im Vergleiche meh⸗ 
rerer Gegenden und Länder nicht in dem nämlichen Berbältniß, 
wie die unter a und d angegebenen Zahlen, und es laſſen fich 
über diefe Abweichungen weitere Betrachtungen anftellen. G@ine 
Ginlage beträgt 3. B. im Durchſchnitt im brit. Reiche 287 fl., 
in Baden 180 E in Oeſterreich 172 fl., in Frankreich uud 
Preußen 140 fl., (und zwar Reg.⸗B. Minden 314 fl. max., 
Aachen 309, Arnsberg 286, ... Gumbinnen 52 fl. min., Bots: 
dam mit Berlin 66, Königsberg 70, Stralfund 72, Erfurt 87 fl.) 
in Hannover 160, Sachſen 104 fl. 


d) Theilnahme der verfhiedenen Volksclaſſen, 3. B. Frankreich im 
Sabre 1842 nach Ch. Dupin, (Comptes rendus des söances de 
Vacad. des sciences, 6. Nov. 1843) waren 24 Proc. der Binleger 

a 21 Broc. Dienfiboten, 19 Proc. Minderjährige, 

6 Proc. Soldaten und Seeleute, 5,4 Angeftellte. Im preuß. 

Neg.:B. Arnsberg waren 1859 51,4% Proc. der Binleger Hands» 

arbeiter und bejaßen 32,97 Proc. des eingelegten Bermögens. 


— 513 — 


e) Berhältnig der großen, mittleren unb kleinen Guthaben zu 
ander; 3. B. in Preußen 1859, Büchlein bis 20 Thlr. 35 
der ganzen Zahl, von 20-50 Thlr. 23,0, 50—100 Thlr. 18,8, 
von 100-200 Thir. 14 Vror., über 200 Thlr. 8 Prec., und 
war von den fleinften Beträgen bie 20 Thlr. in Rheinland 
ier 21,7 Broc. (min), in Bommern 29, Polen 46, Preußen 46, 
Schleſien 51,’ Proc. Schmid, ©. 324. — In England be 
trugen 1861 die @inlagen von 1-5 2. Et. nur 2 Proc., da⸗ 
gegen von 50-75 2. 16, von 150—200 2. 13,% Proc. des 
ganzen Guthabens. 


2) Jaͤhrliche Zu: und Abnahme der Tinlagen (mit Ginihiuß bes 
Zinfenzuwachſes) und Rüdzahlungen und Berhältnif beider zu einanter. 


Als Beifpiel dienen folgende Berhältnißzahlen: 





Neue Einlagen, Verhältniß Zurüdgenommen in Berhält: 
zu dem Betrag d. 1. Jahres. niß zu den neuen @inlagen. 


Sachſen 1845 | 100 13 Proc. 
48 | 137 116 ⸗ 
49 | 169 67 = 
52 339 64 = 
59 641 85 5 
Breußen 1839 100 5 2 
29 67 
58 185 80 s 





Berhaͤltniſſe im franz. Dep. Niederrhein, NReboul:Deneyrol ©. 380: 
1 Einleger auf 9 Ginwohner. Bine Einlage beträgt im D. 4 Fr. 
auf den Kopf der Binw., 310 Br. auf den Ginleger. Handarbeiter 
(mit Cinſchluß der Dienkboten) befigen 44 Proc. der Büchlein, 40 Br. 
der Summe. Die Binlagen folgender Summen betragen 
von der Zahl von dem ganzen Buthaben 
bis 500 Fr. 70 Proc. 32 Proc. 
von 501—1000 Fr. 18,9 : 45 > 


$. 868. 


HI. Gemeinſchaftliche, auf die Wahrfcheinlichfeit im 
Leben und Sterben der Menfchen gebaute Sparanftalten 
(8. 364) find in der neueften Zeit häufig und zwar für mandherlei 
Zwede und unter mancherlei Bedingungen errichtet worden. 
Diefe Manchfaltigfeit bietet Jedem Gelegenheit dar, fich ber 
jenigen Anftalt anzufchließen, die ihm nach feinen Vermoͤgens⸗ und 
Samilienverhältniffen die vortheilhaftefte fcheint. “Die meiſten 
diefer Anftalten (a) find felbfifländige Privatunternehnnungen, 
die aber unter Staatdaufficht geftellt werben müflen. Bei ber 
Prüfung des Planes ift darauf zu fehen, daß berfelbe auf 
richtige Berechnung der Sterblichkeit geftügt, alfo nachhaltig (5), 


daß er leicht verfländlich, gemeinnüßig fei und weder die Theil- 
nehmer, noch irgend eine Clafje derſelben, es fei eine frühere 
oder fpätere, einer unbilligen Berfürzung oder vollends einer 
Mebervortheilung ausſetze, daß auch die Verfaſſung ber Gefells 
[haft die Bürgfchaft für eine gute Verwaltung darbiete. Der 
Anfpruh auf eine Zahlung aus einer Caſſe diefer Art kann 
fowohl durch einen jährlichen Beitrag („auf Eontribu- 
tionsfuß“), ald durch einmaligen Einfauf („auf 
Gapitalfuß”) erworben werden. Jenes giebt eine Ermunte⸗ 
rung, zur Vorſorge für die Zukunft fortdauernd etwas über- 
zufparen, und ift zwedmäßig für PBerfonen, die ein beträchtliches 
Einfommen aus Arbeitöverdienft beziehen; dieſes hält von dem 
leichtfinnigen Aufzehren des Capitales ab und giebt demfelben 
eine fefte Widmung zur Hülfe in jpäteren Jahren. 


(a) ine Ausnahme machen die in mehreren Ländern mit den Regierungen 
in näherer Verbindung flehenden Wittwencafien für Stuatsriener, LLL, 
6. 64, eine andere Ausnahme bilden die franzöfifchen Arbeiter Renten: 
caflen, 6. 3688 (f). on 

(5) Das Nähere diefer Berechnungen gehört in tie Staatsrechenkunft oder 
politifche Arithmetif (ILI,$. 14, Nr. 3), welche babei Die zuverläffigften aus 
Erfahrungen im Großen abgrleiteten Zahlengefege über die Sterblichkeit 
der verfchiedenen Alter, Geſchlechter, Stände ıc. zu Grunde zu legen 
hat. Die älteren Sterblichkeitetabellen von Süßmild, Kerfeboom x. 
find nicht mehr völlig brauchbar, weıl in jenen Brfahrungsfägen zufolge 
der befiecen Geſundheitspolizei und mancher anderer Urſachen günftige 
Beränderungen eingetreten And und überhaupt die Lebensdauer heutiges 
Tages länger iſt, I, $. 209. Die neuefte Sterblichfeitsorpnung iſt von 
Duetelet aus den beigiihen Zahlen von 1856 entworfen worden. 
Biele Menfchen Haben von den Gewinnften, die aus Caſſen jener Art 
herrühren können, ſehr unklare und überjpannte Vorftellungen, die ſich 
berichtigen, wenn man erwägt, daß die Anflalten nur aus dem Heim: 
fallen eines Theiles ver Cinlagen, aus Zinserfparungen und tergl. bie 
Mittel bezichen können, um ihre Zuficherungen zu erfüllen. — Belondere 
Schriften über diefen Gegenſtand: Tetens, Anleit. zur Berechnung 
der Leibrenten und Anwartichaften, 1785. Neue Bearbeitung: Meyer, 
Allg. Anleit. 3. Berechn. der Zeibrenten und Anwartichaiten, Kopen⸗ 
hagen 1823.— Gremilliet, Neue Theorie der Pereönung zuſammen⸗ 
gefeßter Zinfe, überfegt von Deyhle, Ulm 1835. — Littrow, Ueber 
Xebensverfiherungen u. a. Verforgungsanftalten, Wien 1832. — Mofer, 
die Geſetze der Lebensdauer, Berlin -1839, ©. 331. — Bailey, Theorie 
der Lebensrenten, Lebensverficherungen, Mittwencaflen ıc. Deutfch von 
Schnufe. Weimar 1839. — Wild, Die Leibrenten;, Lebensverſicherungs⸗ 
und Rentenanſtalten. München 1862. 


8. 368 4. 


Die hiehergehoͤrigen Anſtalten (a) laſſen ſich unter folgende 
Abtheilungen bringen: 


Rau, polit. Delon. U. 2. Abth. 5. Ausg. 33 








— 514 — 


1) Leibrentenanſtalten, die einer gewiſſen Perſon ein 
lebenslaͤngliches jaͤhrliches Einkommen zuſichern. Wird daſſelbe 
durch einmaligen Einkauf erworben (8. 368), fo giebt das 
Gapital eine den gewöhnlichen Zinsfuß überfleigende Rente, 
wirb aber in diefer allmälig zurüdgezahlt, zum Unterhalte vers 
wendet und von dem Rentenempfänger aufgezehrt, III, 8. 499. 
Dieß ift nicht allein für die Erben defielben, fondern auch für 
die ganze Volkswirthſchaft nachtheilig, weil Capitale zerflört 
werben. Man darf jedoch annehmen, daß faft nur finderlofe 
Perſonen Hievon Gebraudy machen, der apitalverluft im Ganzen 
ift unbeträchtlich, er fohügt die Rentenempfänger vor Berarmung 
und wirb durch die Erfparniffe, die gleichzeitig von Anderen zu 
jährlichen Einzahlungen gemacht werden, weit überwogen. Man 
muß daher dieje Anwendung der Bapitale geftatten, die ohnehin 
noch viel beffer ift ald die Verſchwendung derſelben. Das Er- 
werben von Leibrenten durch jährliche Beiträge ift jedoch vortheils 
hafter und verdient mehr ermuntert zu werden. Man hat bier 
bei diefer Gattung wieder zu unterfcheiden: 

a) Einfache Xeibrentenanftalten, bei denen der eins 
zelne Rentenberechtigte der ganzen Anftalt gegenüber fleht und 
für eine beftimmte bedungene Leiſtung von Jahresbeiträgen oder 
einmaliger Einlage dad Recht auf eine gewifie Rente erwirbt. 
Wie viel für diefe zu entrichten fei, bieß wird aus den Sterb⸗ 
lichfeitögefegen (8. 368 (d)) abgeleitet. Das Mitwerben meh- 
rerer ſolcher Anftalten nöthiget jede einzelne derfelben, den Theil 
nehmern fo günftige Bedingungen zuzufichern, ald ed mit dem 
nachhaltigen Beftehen der Caſſe vereinbar ifl. Diefer kommt 
ed zu Gute, wenn in einzelnen Faͤllen eine Rente früher er 
licht, ald nad allgemeinen Wahrfcheinlichfeitsregeln zu er⸗ 
warten und folglid die Einzahlung höher war, als ed nöthig 
gewefen wäre, dagegen hat die Caſſe in entgegengefegten Fällen 
den Mehraufwand zu tragen.. Solhe Anftalten können wie 
bie Beuerverficherungen (8. 24) auf Öegenfeitigfeit beruhen, 
wobei die Ueberfchüffe almälig zur Erhöhung der Renten Gelegens 
heit geben, oder fie find Unternehmungen von Actiengefellfchaften, 
und jede diefer beiden Einrichtungsarten hat ihre Vortheile und 
Schyattenfeiten. Bei Actiengefellfchaften ift ein ftärferer Antrieb 
vorhanden, eine ftreng geregelte Verwaltung einzuführen und 


— 515 — 


fichere Berechnungen zu Grunde zu legen, weil ein etwa ein⸗ 
tretender Ausfall von den Wctienbeftgern getragen werben muß. 
Bei gegenfeitigen Anftalten muß für foldhe ungünftige Yälle 
eine Dedung von den Theilnehmern aufgebracht werben, bas 
gegen wird das erfpart, was die Actionäre ald Gewinnsantheil 
von ihrem Capital anfprehen. Der Einzahlende fann eine 
Zeibrente erwerben 

«) für ſich felbft, und zwar entweder fogleich von feinem 
Beitritte an; gewöhnliche Keibrenten (5), — ober wenn 
er ein gewiſſes Alter erreicht Hatz Altersrenten (ec) In 
einigen Ländern find in neuefter Zeit Anflalten biefer Art er- 
richtet worden, weldye den unbegüterten Arbeitern ein gefichertes 
Einfommen für die Zeit ber Arbeitdunfähigkeit verfchaffen (d). 

A) für andere Perſonen. In diefe Abtheilung find bie 
Wittwen⸗- und Waifencaffen zu rechnen, die in Bezug 
auf das Erlöfchen der Rente eigenthümliche Verhältniffe haben (e), 
indeß giebt es auch Anftalten, die dem Einleger eine Rente 
überhaupt für eine andere benannte Perſon zufihern (f). 

b) Gefellfhaften mit einer durch Pererbung 
feigenden Rente, Berforgung ds oder Rentenanftals 
ten im engeren Einne, Tontinen (UI, 8. 500), wobei bie 
gleichzeitig eintretenden Mitglieder jeder Alteröclaffe eine bes 
fondere Geſellſchaft bilden und ben überlebenden Mitgliedern 
der durch den Tod der andern freigeworbene Antheil, alfo eine 
fortwährend zunehmende Rente zufält. Die Rente fteigt aber 
zugleidh aus dem Mehrertrage, den die Anlegung der einges 
zahlten Summen über den angenommenen Zinsfuß einbringt. 
Diele Eaffen find in der neueften Zeit öfter und unter mancdherlei 
näheren Beftimmungen in Ausführung gefommen (9). Im 
Allgemeinen ift die Einrichtung folgende: 1) Die Mitglieder 
jeder Jahresgeſellſchaft theilen fi in eine Anzahl von Alters- 
clafien; in jeber derſelben fleigt die Rente der Weberlebenden 
bis zu einem gewiſſen Hoͤchſtbetrage. Jede Claſſe eines und 
deſſelben Jahres erhaͤlt eine deſto hoͤhere Rente, je hoͤher ihr 
Alter iſt. 2) Nach dem Ausſterben einer Claſſe erbt die naͤchſt⸗ 
jüngere das noch uͤbrige Vermoͤgen, nach dem Ausſterben einer 
ganzen Geſellſchaft erbt die des nächften Jahres u. ſ. f. 8) Die 
Theilnahme gefchieht durch Einlagen von gleichem Betrage. 

33* 





(e) 


— — 518 — — 


nicht genug Verbreitung gefunden hat. Im Dep. Niederrhein befand 
fi} 1858 unter 366 Theilnehmern feiner aus der Glafle der gewöbn: 
lihen Lohnarbeiter, die meiften waren Straßenaufieber, Polizeibediente, 
Scullehrer oder Wohlhabente.e Reboul-Deneyrol, TraitE ©. 398. 

Belgien, Caisse de retraite, von der Regierung verbürgt, Gel. 
8. Mai 1850 bei v. Steinbeiß S. 96, Renten mit 50, 60 ober 
65 3. anfangend, mit ähnlicher Ausnahme wie in Frankreich; Renten 
bis 730 Fr., Eintrittsalter nicht unter 18 3. Beim Tode tes Renten: 
empfängers wird nichts zurüdgezablt, auch finden feine jäbrlihen Bei⸗ 
träge flatt. Der Tarif iſt noch günfliger ale der franzöfiihe. Bis 
Ende 1855 waren 1384 livrets ausgegeben, 354437 Fr. eingezahlt und 
105 924 Fr. Renten erworben, Congr&s de Brux. I, 184. Am 31. Det. 
1862 war die Zahl der Ginleger 1723, die eingezgahlte Summe 469 721 Fr., 
der Betrag der erworbenen Leibrenten 152496 Fr., wovon 92052 Fr. 
mit dem Alter von 55 Jahren anfangen follen. Die Caſſe hatte 
1151000 Fr. belgiſcher 2'/2 proc. Staatsfchuldicheine um den mittleren 
Preis von 54 für 100 erworben, weldhe 621 808 Fr. kofleten. Annuaire 
de l’observatoire de Brux. für 1863, ©. 120. 


Die Kölner Lebensverfiherungsanftalt Concordia gründete 1854 
eine aͤhnliche Penfionsanftalt für Lohnarbeiter, die aber nit über 
100 Thlr. Renten giebt. 5 Thlr. Ginzahlung bei 30 jährigem Alter 
bewirken für den 6Ojührigen 2,27% Thlr. Leibrente, alfo erfordern 10 Thlr. 
Rente eine Einlage von 21,9 Thlr. 


Wittweneaſſen gewinnen außer dem frühen Tode einer Ehefrau ober 
Wittwe aud im Falle der Wiederverheirathung der letzteren. Wenn ter 
zweite Ehemann der Wittwe ebenfalls früher verſtirbt, fo tritt fie, auch 
ohne daß diefer beizutragen brauchte, in den Genuß der Benfion wieder 
ein. In Hamburg (6. 63) erhält die Wittwe bei ihrer Wiederverhei⸗ 
rathung einen Sahresbetrag ale Geſchenk. — Bei der Amfterdamer 
Compagnie erhält der Ehemann, wenn feine Frau vor ihm flirbt, so 
aller Einlagen zurüd. GEs verſteht fih, daß diefe Erftattungen auf bie 
Berechnung der Einlage Einfluß erhalten. Aber die Wittwencaſſen 
übernehmen eine zu große Lafl, wenn fie die Penſion auch auf die zweite 
und dritte Frau übertragen laflen, Littrow, ©. 36. — Ueberhaupt 
find viele ältere Wittwencaflen untergegangen, weil fie Berpflichtungen 
übernahmen, deren Erfüllung nad) dem Maaße ber geforderten Beiträge 
unmöglih war, III, $. 64. Man hat öfter den Gedanfen gehegt. die 
Arbeiter zur Theilnahme an einer folhen Berforgungscafle zu nöthigen, 
um fie dadurch von zu frühem leichtfinnigen Heirathen abzuhalten, 
ihnen die Sparfamkeit zur Nothwendigkeit au machen und bie @emeinten 
vor der Laft von hülflofen Wittwen und Waiſen zu bewahren. Ueber 
Akland's Plan diefer Art f. Richardſon, ©. 15. Nah 2. Krug 
(Die Armenaflecuranz, das einzige Mittel zur Verbannung ber Armut, 
Berlin, 1810) fol Niemand getraut werden, bevor er feiner Frau eine 
Penflon von 30 Thlr. jährlich erfauft hat, für jedes Kind fol ebenfalls 
der Beitrag zur Waifencafle erzwungen werden. Achnlih Eraig, 
Politif, II, 244. — Diefen Borfchlägen ſteht jedody fehr viel entgegen. 
Die Shen würden auf Koften der Sittlichfeit allzuiehr erfhwert, es ifl 
ohne Härte und Willfür nicht zu beflimmen, weldhen Beitrag ber 
Arbeiter geben müfle, für Neltern vieler Kinder wären die Summen 
unerſchwinglich sc. 


(f) Dieß iR für die Berforgung von Kindern befonders nüplidh; 3. 2. 


Iduna, Tab. IX: Eine 50 jährige Perſon bezahlt jährlich 8, Thle., 
um nad ihrem Tode einem jebt 15jährigen Kinde 10 Thlr. jährlich zu 
verjhaffen. Die 1835 in London errichtete family endowment and life 


9) 


— 519 —— 


assurance and annuity society fichert u. a. einem neuen Ehepaare für 
einen jährlihen Beitrag die Zahlung für jedes fünftige Kind in einem 
gewifien Alter. Bin 25 jähriger Ehemann mit einer 19fjährigen Frau 
zahlt 15 Jahre hindurch jährlih 16,* fl., damit jedes ber fünftigen 
Kinder mit 14 Jahren 100 fl. ausgeliefert erhalte. 


Krönde, Ueber Rentenanftalten, Darmfl. 1840 (fucht zu zeigen, daß 
die Bortheile diefer Anftalten geringer find, als man gewöhnlich an- 
nimmt). Rüffler, Widerlegung der von dem Hrn. Dr. Krönde 
gegen die Rentenanſtalten herausgegebenen Schrift, Leipzig 1840. 


Deifpiele: Wiener Berforgungsanftalt, feit 1825, f. 
Die mit ber 1. öſterr. Sparcafle vereinigte allgemeine Verſorgungs⸗ 
anftalt für Unterthanen des öflerreih. Kaiſerſtaats, Wien. 1829. — 
Eine volle Einlage ift 200 fl. des 20 fl. F.; es find 7 Altersclaflen 
jeder Jahresgeſellſchaft. Jährlich findet eine Verlooſung von Ueber: 
ſchüſſen fat. — Stuttaarter Rentenanftalt, 1833. Gine 
Arie beträgt 100 fl., Höchfkbetrag der Nente 300 fl.; 6 Glaflen. 
Einige Eigenthämlichfeiten dieſer Anſtalt find lebhaft getadelt worden, 
insbefondere das Verhaͤltniß der Dirertoren zu der Geſellſchaft; jene 
leifteten Gaution, verwalteten die Anftalt und bezogen Bortheile, bie 
befier der Geſammtheit der Theilnehmer vorbehalten bleiben follten; R. 
v. Mohl, Grörterungen über die allgem. Rentenanflalt in St., Tüb. 
1838 und viele durch diefe Abhandlung veranlaßten Stereitichriften, in 
denen auch die erregte Erwartung einer Rente von 300 fl. für die 1. 
Altersclaſſe nah 48 bie 50 Sahren mit Recht fehr beftritten worben 
it. Das richterlihe Erkenntniß gegen die Directoren in ber Schrift: 
Die allgem. Rentenanflalt in St. vor den Schranken der Gerichte, 
St. 1843. Nenderung der Statuten, San. 1843, von der E. Regie: 
rung genehmigt 2. April 1844. — Badiſche Berforgungsanftalt, 
feit 1835. Volle Ginlage 200 fl., maxim. der Rente 300 fl., 6 Al- 
tersclaſſen (feit 1842 mit Unterabtheilungen von je 5 Iahrgängen des 
Alters), nämlich 

I) bi zum 10. Jahre, Anfangerente 6 fl. 24 Er. 
U) vom 10. bis zum 20. 3. 5 6,, 48, 


IH) „ 20. [7 v 35. 2 „ 7 " 12 „ 
IV) „ 35. nn 50. [Z, „ 7 27 36 „ 
y V) „ 60. mn 60. „ » 8 „ 48 „ 
VD , 60. Sabre an, 10 ,, 24 „, 


Das Rentencapital jeder Glafle ift das 25fache diefer Anfangsrente. Der 
anfängliche Fehler, auf Koften des jebigen Gefchlechtes eine fortbauernde 
Anhäufung des Capitales anzuordnen, welche den fpäteren Jahres⸗ 
gelellfchaften einen unverbienten großen Gewinn zuwenden würde, iſt 
im 3. 1842 befeitigt und das allmälige Aufzehren des apitales (Ca: 
pitalauflöfung) jeder Iahresgefellfchaft eingeführt worden, wodurd nun 
die Jahresrenten beträchtlih höher werden. — Zur Vermehrung bes 
Gewinnes hat diefe Anftalt noch 2 Geſchaͤfte unternomnen, fie nimmt 
hinterlegte Summen an und verzinfet fie zu 3 Broc., und fie leiht 
gegen volle Sicherheit mit der Geſtattung einer Tilgung durch Zeit⸗ 
renten. Die Anleihen dieſer Art beliefen ſich zu GEnde 1856 auf 
1'853 008 fl., die hinterlegten Summen 1856 auf 1'902 155 fl., welche 
54974 fl. Zins Eofleten, 1862 auf 2309640 fl. mit 70385 fl. Jahres: 
ins. Dagegen waren 1856 6228909 fl., 1862 7951452 fl. verzins⸗ 
lih angelegt. — Ende 1856 betrug das Buthaben der 20 Iahresgefells 
haften 4.902913 fl., Ende 1862 5803 108 fl., die ſaͤmmtlichen Jahres» 
renten machen 1857 222631 fl. aus, nebit 11991 fl. Dividende, für 
1863 betragen fämmtlihe Renten und Dividenden 271755 fl. In den 


520 — 


3 erfien Befellfchaftsiahren (1835—37) erreichten bie Jabresrenten ber 
älteften Mitglieder fhon das max. von 300 fl. Die Verwaltungskoſten 

waren 1856 20781 fl.. 1862 21430 fl. Nach bem neueflen Statuten: 
Entwurf von 1863 wird eine Erweiterung ber Geſchaͤfte beabfichtigt. 
indem einfache, aufgefchobene Leibrenten, Ausfteuerverträge, verſchiedene 
Arten von Lebensverfiherungen und bergl. eingeführt werden follen. 
Beger, Ueber die allgem. Verforgungsanftalt im Gr. Baden, Karler. 
1835. Kühlentbal, Die allgem. Berforgungs -Anftalt im Gr. 
Baden, Karlör. 1840. — Breuß. Renten: Berfiherungsanftalt 
in Berlin, Statuten am 9. Oct. 1838 genehmigt, haupftſächlich ber 
bad. nachgebildet. Cinlage 100 Thle., Anfangsrente in den 6 @I. 
3 She. — 31/5 Thlr. — 3% The. — 4 Thlr. — 41) Thlr. — 
5i/s Thlr. Bermögen im 3. 1855 7411420 Thlr. — Renten: 
anftalt der baier. Hypothefen= und Wehfelbanf, 22. aug- 
1839, ebenfalls der badiſchen ähnlich. Die volle Einlage if 100 #. 
Sieben. Altersclafien nah Decennien mit einer Anfangsrente, welche in 
den erften A Claſſen die Hälfte des entfprechenden badifchen Claſſen⸗ 
faßes it, V. 61. A fl. 12 fr., VI. Cl. A fl. 36 fr, VII. Cl. 5 fl. 
12 kr. Hoͤchſte Rente 200 fe — R.⸗A. zu Dresden, Hannover, 
Darmftadt. — Ginfachere Tontinen älterer Art befinden fih au Ham⸗ 
burg, Noftod sc. Die Hamburger PBerforaungstontine bat A Claſſen, 
deren lebte 1825 errichtet und 1828 mit 670 Actien gefchloffen wurde, 
die erfle 1822 bis 1825 mit 2170 Actien. 


8. 369, 


2) Lebensverficherungen (a), durch die Jemand feinen 
Erben überhaupt oder einer befonberd benannten Perſon bie 
Ausbezahlung einer Geldfumme auf feinen Todesfall zufichert (2). 
Dieb kann für dad ganze Xeben, ober für eine beftimmte Zeit, 
3. B. ein Jahr (c), oder allenfalls für eine einzelne Reife ges 
ſchehen (d). Auch ſolche Anftalten werben entweber von Actien- 
gefelfchaften unternommen, oder auf Wechielfeitigfeit gegründet, 
fo daß die Gewinnfte theild zur Anfammlung eines Hülfövor- 
rathes, theild zur Berminderung der SYahreöbeiträge verwendet 
werben (e). Diefe Xebenöverfiherungen haben in Vergleich mit 
den Sparcaffen den Vorzug, daß man unfehldar feinen Erben 
eine gewifle Summe zumwendet, auch wenn man frühe fterben 
follte; dagegen ift es läftig, daß man ſich zur Entrichtung eines 
feften Jahresbeitrages verpflichten muß und von ben Einlagen 
für fich felbft- feinen Nutzen zieht, während man über ein Spars 
caflenguthaben beliebig verfügen fann. Lebt der Berficherte 
lange, fo ift die Berfiherung mit einem Verluſt verbunden, 
weil man dann bei einfachem verzindlichen Ausleihen mehr 
erwerben würde (f). Hieraus erhellt, daß bie Lebensverſiche⸗ 
rungen keinesweges bie Stelle der Sparcaflen vertreten koͤnnen, 


J⸗. 
— 521 — 


ſondern eine andere Art des Nutzens leiſten. Sie find für 
ſolche Umftände vortheilhaft, wo man viel Werth darauf legen 
muß, die Erben für den Kal eined baldigen Abfterbens bes 
Berforgerd in Befig eines gewiſſen Capital zu ſetzen und wo 
man den jährlichen Beitrag (Prämie) aus feinen Einfünften 
feicht beftreiten Fann, alfo namentlih da, wo ber PVerficherte 
während feined Lebens eine reichliche Einnahme bezieht, aber 
noch fein Bermögen gefammelt hat (9). Im Allgemeinen bes 
trachtet vereinigen bie Lebensverficherungen zwei günftige Wir- 
fungen, nämlich die Bildung von Gapitalen aus jährlichen Er⸗ 
fparnifien und die Ausgleichung ber Berfchiebenheiten, welche 
das längere ober Fürzere Xeben der Kamilienhäupter und anderer 
Verforger für die Lage ber Angehörigen äußert (A). 


(a) In Großbritanien ift eine große Anzahl folder Anfalten. Die 
amicable society for the insurance of life zu London entflanb fchon 
1706, die London -Union-society 1714, aber biefe und mehrere andere 
waren noch mangelhaft, bis die Equitable society 1762 das Muſter 
einer befferen Binrichtung gab. In Deutfchland ift unter ten beflehens 
den die Gothaifche die Altefle, von 1829. Großbritanien hatte 1852 
172 Lebensverfiherungen, wovon 42 mwechlelfeitia, 1855 im Ganzen 185 
Sefellichaften, in denen 60 Mill. &. St. verfihert waren. Joumal de 
la soc. de statist. de Paris. Suni 1861. Nah Porter, Progress 
S. 598 war 1850 das angefammelte Bermögen bei den britiichen 
Anftalten wenigftens 40 Mill. 2. — Die deutichen Leichens oder Sterb- 
Sorietäten find eine Art Lehensverficheruna, bloß für die Bearäbnißfoften. 
— Leber biefe Anftalten Babbage, Bergleichende Darftell. der ver- 
fchiedenen Lebensverfiherungsaefellfhaften. ans d. Enal. Weimar, 1827. 
— Bleibtreu, Zweck und Einrichtung ter Lebensverficherungsanftalten, 
Karler. 1832. — Littrow, a. S. — Warum, warn und wie foll 
man fein Leben verfihern? Gotha, 1835. — v. Yroriep, Ueber 
Lebensverficherungsanftalten, Weimar 1837. — Urbain, Des insti- 
tutions de pr&voyance et partieulierement des assurances, P. 1838. — 
v. Mohl, Boliz. 1,90. — Hopf, Die Lebensverfiherungsanftalten 
Deutfchlands, in der D. Bierteljahrefchrift Nr. 58. Derf. Die weſent⸗ 
lihen Ergebniffe der Gothaer Lebensverfiherungebanf. Leipzig, 1855. 
— Wild a. aD. ©. 73. — Bremiler, Das Riſico bei Lebens: 
verficherungen. Berlin 1859. — Fuchs, Beiträge zur Kenntniß der 
Zebensverfiherung. Berlin 1861. 


(5) Es giebt auch Verſicherungen für Perfonen, bie ein gewiſſes Alter 
erreiben. Hievon wird gewöhnlich für Kinder Gebrauch gemadt. Die 
franzöftiche Gefellfchaft 1a Concorde (genehm. 12. März 1842, auch in 
GEnaland unter dem Namen Defender zugelafien) nimmt Binlagen für 
Kinder bis zum 10. Sabre an und bezahlt denen, die das 21. Jahr 

. zurüdgeleat haben, ein GBapital aus, welches durch die Einlaaen ber 
Fruͤherverſtorbenen größer ausfällt, als aus den bloßen Binzahlungen 
und dem Zinszuwachs. Kür 100 Fr. von der Geburt an jährlih ein: 
gelegt oder 978 Fr. auf einmal erhält man nad 21 Jahren 12500 
Sr. ausgeliefert. Kür den all des früheren Todes fann man eine 
Lebensverficherung bei dem defender nehmen. Die Gef. Iduna vers 


— 522 — 


fprit Auszahlungen nah dem 18., 21. ober 24. Jahre. 1N0 Thlr. 
nad dem 21. Sabre Eoften 29,97 Thlr. bei der Geburt oter 2,7% Thlr. 
jährlich, bei Crown life ins. in 2ondon und ljährigem Alter des Kintes 
36,5 Thle., oder wenn die Binlage bei dem früheren Tote zurüds 
gegeben wird, 55,37 Thlr. Diefe Einrichtung weiht von ten oben 
($. 15) erwähnten Ausfteuercafien ab. — Die Gothaiſche 8.8. bietet 
u ſolchen Sweden eine andere Ginrihtung dar. Bin Bater (ober eine 

utter) kann, indem er fein Leben verfichert, vermittelt einer Zuſatz⸗ 
prämie bewirken, daß ihm die verficherte Summe in einem gewiflen 
Alter eingehäntigt wirt, woferne er nicht ſchon vorher geftorben if. 
Beim Eintritt mit 36 3. 3. B. ift die allgemeine lebenslängliche Prämie 
für 100 Thlr. Derfiherung 3, Thlr. Durch Zufa von 4,1% Thlr. 
erhält man die Sewißheit, die 100 Thlr. mit 50 3. zu empfangen. Im 
biefen 15 Jahren würden die jährlichen 7,197 Täler. zu 3 Proc. mit 
Zinfeszins zwar auf 137 Thlr. anwadfen, und fhon nad 12 IS. wür- 


. ben fie 100 Thlr. überfeigen, allein es ift ungewiß, ob ber Berforger 


(ed) 


(9) 


fo lange lebt. 


Brüffeler Geſellſchaft: eine 24jährige Perfon 3. B. bezahlt auf 1 Jahr 
1,4% Proc., auf 5 Jahre jährlih 1, Proc, auf 10 Sabre 1,% und 
auf Lebenszeit 2,1% PBrocent. Der Grund bes Steigens ift, weil die 
Gefahr der Geſellſchaft mit jedem Lebensjahre des Berfiherten zunimmt 
und die Prämie dem Durchfchnitt der ganzen Verſicherungsperiode ent- 
Iprechen muß. 

Beifpiel für Seereifen, Amfterdam: ein 20—25jähriger Hann bezahlt 
jährlih während ber Hinreife, des Aufenthaltes und der Nüdkehr: 
mittellandifches Meer 3 Broc., Amerika 5%;,, Oſtindien 7%, Proc. — 
Brüflel: bei 30—40 Jahren America 4—5 Broc., Oftindien, Africa, 
levantifche Pläge 5—6, China, Japan 6—7, Antillen, Surinam, Bas 
tavia ıc. wegen bes ungefunden Klimas 10 Proc, nad der Afflimati- 
rung aber weniger. — Gin Engländer, der 21 Jahr alt nah OR- 
indien geht, zahlt bei lebenslänglicher Berfiherung im Civildienſt 3,67 
Proc., im Peilitärdienft 4,3% Broc. jährlih. — Man bat auch Ber: 
fiherungen für G@ifenbahnreifente (einzelne Fahrten oder längere Zeits 
räume), und für Angeflellte bei den Gifenbahnen find fie ebenfalls 
wohlthätig; v. Weber, Die Lebeneverfiherung der Bifenbahnpaflagiere 


0. . Leipzig 1855. 


(e) 


Die Anfalten zu Gotha, Leipzig, Hannover, Wien, Braunfchweig, 
Stuttgart find gegenfeitig, die Anflalten zu Münden, Frankfurt, Trieft, 
Concordia in Göln, Iduna in Halle ıc. find in den Händen von 
Actiengefellfchaften, die zu Berlin, Lübel und ber Janus (Hamburg) 
haben ebenfalls Actionäre, überlaffen aber den Berfiherten einen Theil 
der Ueberſchüſſe. 

Wer 18 Jahre lang alljährlich 10 fl. in eine Sparcafle legt, erwirbt 
dadurch bei einem Zinsfuße von 4 Prpe. eine Summe von 266 fl. 
Ein 5Ojähriger Mann Hat auf ungefähr 17—19 weitere Lebensjahre 
zu rechnen. Wenn er fih nun anheifchig macht, jährlih 10 fl. in eine 
Lebensverficherungscafle zu bezahlen, fo erhalten feine Erben aus der 
Gothaifchen Eafle 211, aus der Münchner 221, aus der Crown Gel. 
224 fl. ausbezahlt. Die Erben würden fi demnach bei der Sparcafle 
befier ſtehen, wenn der Ginleger wirklich nod 18 Jahre lebt. Stigbt 
er aber fhon nad 10 Jahren, fo haben fie in der letzteren Caſſe nur 
124 fl. erworben und in diefem alle ift ihnen die Lehensverfiherung 
weit nüßliher. Hiezu kommt, taß ber Antrieb, die Berfiherunges 
prämie fortwährend zu entrichten, viel ftärker ift, als die Neigung zum 
Einlegen in die Sparcaffe. 


— 523 — 


(9) Auch andere Perfonen können ein Leben verfihdern, z. B. ein Bläubiger, 
deſſen Sicherheit an das Leben des Schuldners gefnüpft ifl, oder Je⸗ 
mand, der von einem Anderen, fo lange diejer lebt, eine Rente zu 
fordern bat. Die Buchhandlung, ber Balzac alle feine jeßigen 
und künftigen Werfe für eine beftinmte Summe und eine Sahresrente 
verkaufte, ließ fich teilen Leben zu 50000 Fr. verfihen. In England 
wurde durh Scratchley bie Lebensverfiherung auf diejenigen Per⸗ 
fonen angewendet, welche ſich gegen eine Baugefellfchaft zur Erwerbung 
eines Haufes zu einer Zeitrente verpflichten, James, Guide ©. XVIIL 


Nach den Erfahrungen bei der Bothaifchen L.⸗V. if die Theilnahme 
Rärfer 1) in Nord- als in Süddeutſchland, 2) in proteftantiichen als 
in Fatholifchen Ländern, 3) in Gegenden von größerer Bevölkerung, 
d. 5. Dichtheit der Bewohnung. Hopf in der Bierteljahröfihr. 


(Ah 


— 


8. 370. 


Die Staatsgewalt hat ſich nicht auf die Genehmigung der 
Satzungen für eine Lebensverſicherungsanſtalt, nachdem dieſelben 
als zwedmäßig anerkannt, oder nad) Verlangen abgeändert 
worden find, zu befchränfen, fie fol aud) fortwährend von dem 
Gange ber Gefhhäfte und dem Zuftande der Anftalt Kenntniß 
nehmen und auf Anträge von Betheiligten oder aud eigenem 
Antriebe die ihr fundgewordenen Mißgriffe und vorſchriftswidrigen 
Maapregeln rügen und abftelen (a). Die Grundzüge einer 
Lebenöverficherungsgefellfchaft find in nachftehenden Sägen ent: 
halten. 

1) Beim Eintritt einer Perfon wirb ihr Alter und ihr 
Gefundheitözuftand nachgewiefen. Da gerade Eränkliche Perfonen 
die Berficherung am eifrigften nachfuchen, fo ift große Vorficht 
nothiwendig, um mit Hülfe ärztlicher Unterſuchung folche Bes 
werber abzumweifen, weldye an einem dad Leben verfürzenden 
Uebel leiden, oder deren Zuftand eine befondere Gefahr erfennen 
läßt, 3. B. wenn ber Nachſuchende gewiſſe Kinderfrankheiten 
noch nicht gehabt hat. Hätte man fichere Erfahrungen über 
den Einfluß folcher Uebel auf die wahrfcheinliche Lebensdauer, 
fo könnte die Aufnahme gegen höhere Prämien geftattet werben. 
Seeleute und Militairperfonen werden meiftend auögefchloffen (d). 

2) Es werden auch PVerficherungen auf zwei Perſonen zus 
gleich gegeben, entweder fo, daß die Summe überhaupt dem» 
jenigen ausbezahlt wird, welcher den Anderen überlebt, ober dem 
A. wenn ber B. ftirbt, aber nicht umgefehrt, oder endlich, daß 
fie nach dem Tode des letzten von beiden fällig wird (c). 


— 524 — 


3) Die Berfiherung wirb durch eine jährliche Praͤmie ober 
eine einmalige Zahlung erworben (d). 

4) Der Austritt aus der Geſellſchaft ift erlaubt, aber es 
werben dann bie erworbenen Vortheile nicht vollſtaͤndig vergütet. 
Dieß ift ſchon darum billig, weil die Ausfcheidenden in der 
Regel gefunde Perfonen find (e). 

5) Die Prämie wird nad) zuverläffigen Erfahrungen über 
die wahrfcheinliche Lchensbauer in jedem Alter (f) unter Ans 
nahme eines gewiflen Zinsfußes und mit einem Zufchlage für 
Koften und Verlufte feftgefebt. 

6) Die Zahlung erfolgt auf den Nachweis des Todes und 
ber Erbberechtigung. Bei verfchuldeten Todesfällen findet feine 
Ausbezahlung ftatt (g). 

7) Die Ueberfchüffe, die beſonders in ber erſten Zeit beträcht- 
lich find, werben bis auf den nöthigen Gaflenvorrath verzinslich 
unb ficher angelegt. Da die Sterblichkeit bei den Eintretenden 
jebed Alterd anfangs geringer ift ald die angenommene mitt 
lere Zahl, fpäterhin aber größer als dieſe, fo muß ein zur 
Dedung biefer zunehmenden Ausgaben dienendes Capital ges 
fammelt werben (Rh). 

8) Bon den weiteren Weberfchüffen wirb nach einer feften 
Regel ein Theil vorbehalten, ein anderer bei gegenfeitigen An⸗ 
falten den Mitgliedern zugetheilt (1). 

9) Für die Berfaffung einer foldhen Gefellfchaft gelten die 
für Zettelbanfen aufgeftellten Regeln, 8. 248 — (k). 


(a) Das britifche Unterhaus nahm 8. März 1853 Wilfon’s Antrag auf 
eine Unterfuchung über den Zuftand der Lebensverficherungen an. 

(5) Der Berfiherte darf größere Seereifen sc. nicht ohne Genehmigung der 
Geſellſchaft unternehmen, welche entweder eine Zulchlagsprämie fordern 
oder die Berfiherung während der Reife unterbredhen kann, Berfaflung 
der Gothaiſchen 2%.:B.: Bank 8. 69. Vgl. Janus $. 9. — Gotha 
nimmt nur Berfiherte von 15—60 Jahren an. — Die Ginlage if ges 
ringer, wenn bie Berfiherung nur zum Vortheil einer gewiſſen Perfen 
genommen if, weil fie mit deren Tode erlifcht. Nach den Tabellen ber 

mflerdamer Comp. ift 3. B. ber Sahbresbeitrag eines Mannes von 
35—40 Jahren, wenn die Geldfumme einer benannten Berfon von 
25—30 Jahren zu Theil werden fol, 2%: Proc., fol aber in jedem 
alle die Summe an die Erben gelangen, fo bezahlt er, wenn er mit 
36 Jahren eintritt, 3%, mit 38 Jahren 35/s Broc. 

(e) Der Janus hat alle diefe Fälle, Gotha nur den zweiten. 

(d) Gotha: nur jährlihe Prämien, am Anfang des Jahres vorauszuzahlen. 
Unterbleibt die Zahlung 4 Wochen lang, fo wird die neue Police nicht 
ausgeliefert. 


— 5268 — 


(e) Bei manchen engtüichen Geſellſchaften iſt der Austritt wohl 2—Imal fo 
er 


(N 


g) 
(A) 


() 


häufig als die efälle. Gotha hatte in 25 Jahren 4264 Austritte 
und NAusfchliegungen und 4519 Todesfälle. Die Vergütung an den 
Austretenden iſt die Hälfte der auf ihn kommenden Referve oder un⸗ 
gefähr! / der eingezahlten Prämien. 


Manche britiſche Geſellſchaften find auf fehlerhafte Tarife gebaut. Das 
egen haben die vieljährigen Erfahrungen der älteren Geſellſchaften zur 
erichtigung ber Sterblichkeits⸗ Tabellen Thatfachen an die Hand ges 

geben. Beiſpiel der jährlichen Brämie für 100 fl. bei Iebenslänglicyer 

Berfiherung, wenn man eintritt 


| mit 25 J. | mit 35 9. | mit 45 93, 





Equitable society . . . . . 2,40 2,% 3,8 
Eagle society, für Männer . . 2,376 2,8 3,78 
„ „ für Frauen .. 1,97 2,129 3,166 
Sothaifhe Sefelihft - . - 2,355 2,9 3,01 
Amſterdamer ... 2,318 3,8 4,5 
Union zu Paris (1829) . . . 2,3 2,4 3,8, 
Crown socitYy _ . . . 2... 2,6 2,837 3,75 
Hunm -» >» 2 2 2 2 2 0. 2,861 2,837 3,75 
Englifche Royal ins. Comp. . . 2,308 2,908 3,785 
Seankfurt, Brovidentia . . . 1,883 2,135 3,39 
Köln, Eoncoordia . .» ... 1,783 2,58 3,417 
Stettin, Germania (1857) . . 1,89 2,5 3,75 





Bei der Gothaiſchen L.⸗V. treffen die wirklichen mit den angenommenen 
Sterbfällen ;ziemlih nahe überein, Hopf, Grgebniffe S. 8. — Bei 
einigen Geſellſchaften ift der Tarif verihieden, jenachdem der Berficherte 
eine Dividende anfpricht oder nicht. Bei der Gothaiſchen geht von ber 
Prämie die Dividende ab. Vgl. Hübener, Jahrb. V, 52. VII, 156. 


Selbſtmord, Hinrichtung, Zweilampf. 


Die fog. Referve. Sie muß zu feber Zeit wenigftens fo Be fein ale 
der jegige Werth aller von jegt an auszubezahlenden Verficherungs⸗ 
fummen, die man nad der Zeit ihrer wahrfcheinlihen Entrichtung be: 
rechnet. Bei der Gothaifhen Geſellſchaft wurde diefe Schuld nad 
ihrem Wertbe zu Ende 1862 auf 8441414 Thlr. ermittelt, und mit 
anderen Verpflihtungen zufammen auf 9349 070 Thlr., das gefammelte 
Vermögen betrug aber 11503611 Thlr. (oder 28 Proc. der Verſiche⸗ 
rungen), alfo über 2 Mill. mehr. Die Auszahlungen nahmen im 1. 
Jahr (1829) nur 10,7 ®roc., im 10. 3. 33,8, im 20. 55,4% im 25. 
60,3, im 28. (1856) 62,% Proc., 1862 58 Proc. der Brämien-Einnahme 
hinweg. — Die Hannov. Geſellſchaft Täßt die Prämie mit dem Alter 
der Mitglieder fleigen, was für die Berficherten ſehr beſchwerlich if. 


Die englifhen Prämiengefellihaften thun bieß meiſtens nur nad) läns 
geren Perioden durch Grhöhung der Berfiherungsfumme ober durch 
Herabfegung der Prämie. Gotha: Die Ueberfhüffe eines Jahres 
werden nach Verlauf von 5 Jahren, während welcher fie ald Sichers 
heitsfonde dienten, als Dividende an die Verficherten ausbezahlt, welche 
in jenem Jahre ſchon Theilnehmer waren. Die 1886 vertheilte Divi⸗ 





(A) 


“ verwendet werden. Dieß B 
p 


— 526 — 


dende von 1851 war 308821 Thlr. und betrug 33 Proc. der damaligen 
Berfiherungen. 1857 wurden 30 Proc. aus dem 3. 1852 vertbeilt, 
1862 29 Proc. aus dem 3. 1857. Hauptergebnifle: 


1856 18623 
Ganze verfiherte Summe . . . 32059400 Thlr. | 40841 200 Thlr. 
davon auf Lebenszeit . -. „. . 31709600 „ 40514300 „ 
Mittelbetrag einer Werficherung . 1595 „ | 1671 „ 
Mittelbetrag eines  vergüteten 


Sterbefall. . . . 1718 „ 1624 „ 
Prämieneinnahme. -. . » . . 1132979 „ 1'433 165 „ 
bezahlte Sterbfälle incl, Rüdftand 7110250 „ 813700 „ 
Berwaltungstoflen . . . . . 26328 „ 45220 „ 
Sahreögewinn . . . 554414 „ 


Germania in Stettin 1862 29,6 Mil. fl. verfidhert, 5%, Mil. R. 
Actiencapital. 


Sm J. 1859 waren bei 19 deutichen Befellfhaften 101243 Berfonen 
mit einer Summe von 109687 250 Thlr. verfichert, die jährlihe Cin⸗ 
nahme aus Prämien und Zinfen betrug 4732834 Thlr., die ausbe 
zahlten Summen nad Todesfällen 2152256 Thlr. Hühner Jahrb. 
Vu, 152, 


GEigenthümlih iſt bei der Gothaiſchen Gefellihaft, daß bloß die Mit: 
glieder im thüringifchen Ländergebiet wahlbereihfigt find. Dieb Gebiet 
ft in 3 Bezirke getheilt, deren jeder einen Ausihuß wählt. Diele 3 
Ausſchuͤſſe bilden das größere Collegium. Jeder Austhuß erwählt aus 
feiner Mitte einen Vorfteher und diefe 3 Vorſteher mahen den Ber 
fland aus, von welchem der Director und die anderen Beamten, bie 
Ausleihungss und bie Reviſtons-Commiſſion ernannt werden. — Die 
in den fämmtlihen Sparanftalten (8. 364—370) der europäifchen Laͤn⸗ 
der, namentlich von Deutichland eingelieferten und von benfelben vers 
inslih angelegten Summen bilden eine große Mafle von erfpartem 
ermögen, durch welches im jegigen Jahrhundert die Lage der auf 
Nrbeitsperdienft angewiefenen Familien bedeutend verbeflert worden if, 
fei es durch ein jährliches Cinkommen, fei es durch eine einmalige Gins 
nahme in einem Augenblid, wo fie beſonders erwuͤnſcht ifl. ie bei 
biefen Anſtalten fich jährlidy fammelnden Gelvfummen, da fie zum Aus 
leihen beftimmt find, wirken auf Erniedrigung des Zinefußes. Da 
aber Forderungen, denen die Schulden anderer Staatsbürger gegenüber 
fiehen, an und für fih im ganzen Boulfsvermögen nicht mitgezählt 
werben können (I, $. 54), fo entfteht die Brage, inwiefern den Spars 
fummen beftimmte Theile des Volkevermoͤgens entiprehen. Obgleich 
bieß nicht genau erweislich ift, jo läßt fih doch annehmen, daß die in 
Beldform angelegten, aus Erſparnifſen entitandenen Summen größten: 
theils zur Guͤtererzeugung, alfo zu Bapitalen oder Grundverbeflerungen 
ſchieht nicht immer fogleih in ber erken 
Sand, aber doch in einer fpäteren. Es wird 3. DB. zum Ankauf eines 
Grundſtuͤckes der halbe Preis gegen Unterpfandsrecdht geliehen, der Ber: 
Fäufer leiht den erhaltenen Raufidilling aus und zwar an einen pros 
buctiven Gewerbsmann u. dgl. Wird ein Theil diefes Sparvermögens 
dem Staate zu einer nicht productiven Ausgabe geliehen, fo entipricht 
freilich der Worderung fein neues ſachliches Gut, aber wenn die Aus: 
gabe nothwendig oder mwenigftene beſchloſſen war, fo ift es doch nuͤtzlich, 
daß die Sparenden Leihfummen gefammelt und die Anwendung anterer 
Gapitale gu dieſen Zwecke unnöthig gemacht haben. 


Nachträge. 


Zu 8. 190 (d). Die Gewerbefreiheit iR im jeßigen Jahre (1863) in 
folgenden deutfchen Ländern eingetreten: Am 1. Jan. in Sacfen - Weimar, 
S.- Meiningen, Walde, am 1. Juli in Gotha und Koburg, Altenburg, 
Reuß jüngere Linie, f. Bericht über den Stand ber deutichen Gewerbefrei⸗ 

eits⸗ und Wreizügigfeitöfrage im Sept. 1863 (zum 6. Gongreß beutfcher 
olföwirthe von Dr. Böhmert) — In Branffurt Bat im Sept. 1863 
der Senat den Entwurf eines ähnlichen Geſetzes und eines zweiten über bie 
Ablöfung der Realgerechtigfeiten vorgelegt und beide find am 14. Det. vom 
geſezgebenden Körper angenommen worden mit der Bedingung, daß bie 
Gewerbefreiheit mit dem Anfang des Jahres 1864 eintrete. 


Zu $. 282 Note (e). Mach dem preußifchen Binführungsgefek vom 
24. Juni 1861 zum beutichen Handelsgeſetzbuch, zu Art. 9 beffelben, werden 
die Handelsmäkler von den Handelskammern oder faufmännifchen Cor: 
porationen ernannt, wo folche beftehen, und von der Regierung beftätigt, 
an anderen Orten ernennt fie die Regierung. Gaution ift nicht erforderlidy, 
aber Beeidigung. Die Hanbelsmäfler haben jedoh Fein ausſchließ⸗ 
liches Recht zur Bermittlung von Handelsgefchäften. 


Zu $. 309 (e). Die öffentlihen Niederlagen Haben in London zu 
einer für den Handel nüslichen Cinrichtung Beranlaffung gegeben. Wer 
Waaren in einem Dod niederlegt, empfängt dafür einen ausführlichen Nies 
berlagsfchein (warrant), den er ım alle des DVerfaufes an den Käufer übers 
tragen (indoffiren) Fann, und dieß geichieht oft, ohne daß die Waaren aus 
der Niederlage gezogen zu werden brauchten. Um ben Berfäufer bis zum 
Gmpfang des Raufpreifes ficher zu ftellen, wird auf Verlangen noch ein zweiter 
Schein (Wagſchein, weight-note) ausgefertigt, der dann indoffirt dem Käufer 
eingehändigt wird und von ihm weiter indoiftrt werden fann, während der 
Derfäufer den warrant behält. Der Inhaber des Wagfcheins kann gegen 
Bezahlung des Kaufpreifes den warrant vom erflen Derfäufer verlangen und 
mit beiden in der Hand bie Auslieferung der Waare bewirken. Nach Ablauf 
der bedungenen Zahlfriſt ift aber der Wagfchein ungültig. Bol. $. 312b (f). 


Zu $. 316 (a). Die Berortnung vom 22. Juni 1863 hebt _die Brots 
tare in Frankreich auf. Der wöchentliche Preis wird in lesbarer Schrift am 
Laden angefchlagen. Das zur Nahrung der großen Mehrzahl der Cinwohner 
beflimmte Brot (pain de grande consommation) muß aus £aiben von 3 und 
1'/s Kil. beſtehen. 


$. 324 (S. 383) Note (e) zu L Doͤhl, Die Armenpflege des preuß. 
Staats, Berlin (Sammlung ber Verordnungen). — Zu I. Kries, Die 
englifche Armenpflege, herausgeg. von Frh. von Richthofen. Berlin 1863 
(umfaßt auch Schottland und Fand). 


Zu $. 327 (ce) ©. 397. In Baiern wurde die Zahl ber Armen anges 
eben: 1840/41 zu 18, 1852/53 20, 1858/59 21 pro mille; im lepteren 
ahre max. baier. Pfalz 36, min. Unterfranfen 13 p. m. 


Zu $. 334a Anmerf. (e). Der Actuar des Staatsfchuldenamtes Aler. 
Glen Finlaifon Hat aus den Rechnungen der englifchen Hülfsgefells 
fhaften mit großer Mühe Erfahrungen über die mittlere Zahl der Erkran⸗ 
fungen unter Arbeitern jedes Alters fowie über die mittlere Dauer der 
Krankheiten gefammelt und daraus Tabellen aufgeftellt. Ga ergiebt fich 
daraus, daß die Krankheiten unter ſolchen Umfländen, wo bie Zahl ber 
Erkrankungen die Fleinfte if, in ber Regel deſto laͤnger dauern, 3. ®. 


. — BB — 


nördliche Mitte von : Allgemeiner 
GSrafigarten Gngland Durchſchnitt 
von 100 werben jährlich frank | 19, 29,2* 24,9 
mittlere Kranfhgitstauer . „| 50,3% Tage | 36,77 Tage | 40,% Tage 
alio fommen aMP100 Arbeiter 
Rrantheitstage. - . . . | 9, 10,8 10, 


In den Tabellen wird ferner leichte und ſchwere Arbeit, Beſchaͤftigung 
im Freien und unter Obdach, in großen, Heinen Städten und auf dem 
Lande unterfchieden. Man findet z. B., daß ein Arbeiter, um bis zum 70. 
Jahre in einer Krankheit woöchentlich 1 2. ©t. zu erhalten, monatlıd bei- 
tragen muß 


vom 20. 3.arn | 30. 3. 40. 3. 
bei leichter Arbeit . - . . 0, 8, 0,18 2, 0,48 2, 
bei jchwerer Arbeit . . . . 0,2 2, 0,49 2, RX, 
duchihnittih . - - - . 0,1%. | 0,186 £, | u, 2, eo 


f. Return: Friendly societies. Sickness and mortality. Mr. Alex. Gien 
Finlaison’s report. Ordered by the House of Commons to be printed, 16. 
Aug. 1853. — Second part, . . 12. Aug. 1594. fol. 


Zu $. 334b Note (c) und (9). Die frangöfifhen Societes de secours 
mutuels approuv6es fliehen unter Staatsaufficht, es wird ſogar ler Prä⸗ 
fident jeder Sefellihaft vom Kaijer ernannt (!). Dieſe Geſellſchaften dürfen 
Liegenſchaften miethen und bewegliche Süter befigen, auch mit Genehmigung 
des Praͤſecten Geſchenke und Bermächtniffe in beweglichem Bermögen bis zu 
500U Fr. annehmen, fie find frei von Stempel: und Regiſtergebühr. Ihr 
gejammeltes Berinögen (fonds reunis) wird, foweit es 3000 Fr. überfleigt 
(bei weniger als 100 Mitgliedern ſchon der Mehrbetrag über 1000 %r.), in 
Die öffentlihe Hinterlegungscafle (c. de d&pöts et consignations) abgeliefert 
und mit 4%8 Broc. verzinget. Cine Summe von 10 Vi. Fr. it von der 
Regierung zur Unterftugung diefer Hülfscaflen beſtimmt und zum Anfauf 
von Staatsichuldicheinen (rentes perpetuelles) verwendet worden, fo daß eıne 
jährliche Rente von 437500 Fr. erworben wurde, aus ter ſolchen Baflen, 
die befonwers viele Kranke haben, auch neu errichteten Gefellichaften und 
den Leibrentencaflen für bejahrte Arbeiter ($. 3682 (d)) Unterflügungen bes 
willigt werden. Organiſches Decret v. 26. März 1862. B. v. 24. März 
1863. Bobert, Guide pour l’organisation et l’administration des soc. de 
soecours mutuels. 2. Ed. Paris 1863 (handelt nur von den soc. approuvees). 


Zu $. 334b (ce). Nach dem preuß. Geſ. v. 3. April 1854 fann durch 
Drtsftatuten für Geſellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter die Verpflichtung 
feßgeftellt werden, Caſſen und Verbindungen zu gegenjeitiger Unterftügung 
zu bilden oder bereits befiehenden Binrschtungen Diejer Art beizutreten. Denn 
jelbiiftändige Gewerbetreibende an Orten, wo für ihre Gewerbe keine Innung 
befteht, zur Bildung von Hülfscaflen zujammengetteten find, fo können Alle, 
welche gleiche oder verwandte Gewerbe betreiben, durch Ortoſtatuten zum 
* verpflichtet werden. Solche Caſſen ſtehen unter Aufſicht der Gemeinde⸗ 
behoͤrde. 


- i Gedrudt bei &. Polz iu Leipzig.