1
HANDBOLND
AT THE
LNI\ T.RSITY OF
TORONTO PRESS
FORTSCHPilTTE
DER MATHEMATISCHEN WISSENSCHAFTEN
IN MONOÜKAPHIEN
HERAUSGEGEBEN VON OTTO BLUMENTHAL
^==^^^==1 HEFT 3 r=i=z=^ii=^=
GRUNDZÜGE
EINER ALLGEMEINEN THEORIE DER
LINEAREN INTEGRALGLEICHUNGEN
VON
DAVID HILBERT
LEIPZIG UND BERLIN ^ j^
DRÜCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER
1912
ALLK RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Vorwort.
Im vorliegenden Buche bringe ich meine sechs Mitteilungen „Grund-
züge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen" im
wesentlichen so, wie ich sie während der Jahre 1904 — 1910 in den
Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ver-
öflFentlicht habe, zum Wiederabdruck.^) Die in diesen Mitteilungen ent-
haltene Theorie ist seitdem von meinen Schülern und anderen jüngeren
Mathematikern durch wertvolle Untersuchungen ergänzt und in wesent-
lichen Punkten weitergeführt worden. Ich sehe von allen besonderen An-
gaben hinsichtlich der an meine Mitteilungen anknüpfenden Literatur ab
und erwähne nur, daß Herr 0. Toeplitz ein umfassendes Lehrbuch der
Theorie der linearen Integralgleichungen und der unendlichvielen Variabein
gegenwärtig bearbeitet.
Neu hinzugefügt habe ich zum Schluß ein Kapitel über kinetische
Ga.stheorie. Während es bisher bei allen zahlreichen Anwendungen der
Theorie der Integralgleichungen stets eine Differentialgleichung gewesen
ist, die die Theorie der Integralgleichungen vermittelte, erscheint in der
•Gastheorie die lineare Integralgleichung primär als direkte Folgerung aus
der Stoßforme], und da sich überdies die Theorie der Integralgleichungen
zur systematischen Begründung der Gastheorie als unentbehrlich heraus-
stellt, so erblicke ich in der Gastheorie die glänzendste Anwendung der
■die Auflösung der Integralgleichungen betreffenden Theoreme.
Die vorausgeschickte sachlich geordnete Inhaltsangabe^) soll zu-
gleich als ein Leitfaden für die gesamte Theorie der Integral-
gleichungen und ihrer Anwendungen dienen, wie sich diese gegenwärtig
systematisch aufbauen und am übersichtlichsten darstellen läßt.
Göttingen, Juni 1912.
David Hilbert.
1) Erste Mitteilung (Gott. Nachr. 1904, S. 49—91), zweite Mitteilung rGött.
Nachr. 1904, S. 213—259), dritte Mitteilung (Gott. Nachr. 1905, S. 307—338), vierte
Mitteilung ((iött. Nachr. 1906, S. 157—227), fünfte Mitteilung (Gott. Nachr. 1906,
S. 439—480), sechste Mitteilung (Gott. Nachr. 1910, S. 355—417): den sechs Mit-
teilungen entsprechen die sechs Abschnitte dieses Buches.
2; Gott. Nachr. 1910, S. 595—618.
a*
Sachlich geordnete Inhaltsangabe.
(Die riiiiiisclieii Zahleu bezt-ichuen di»- Kapitelnummern.)
Hauptteile A — F:
A. Tlieorie der Funktionen unendlich vieler Veränderlicher (l.— l.).
B. Tfieorie der linearen Intcgralgldehimgen fS. — 11.^.
C. Annendunii auf f/eNÖhnJiche Bifj'ermtialgleidimujen (\2. — 19.^.
D. Anaendung auf partielle Ditfcrentialgleichungen (20. — 2b.).
E. Anivendung auf die Theori<: der Fmiktionen einer komplexen Variabein
(2Q.—28,)^
F. Anivtndnng auf Variationsrechnung, Geometrie, Hydrodynamik und
Gastheorie (29.-32.).
A. Theorie der Funktionen unendlich Tieler Teränderlicher.
1. Definition der Beschränktheit. Eine Funktion von unendlich vielen
Veränderlichen Fix^, x^, x^, . . .) heißt beschränkt, wenn ihr w-ter Ab-
schnitt FiXy, x^, . . . x^, 0, 0, . . .) dem absoluten Betrage nach für alle
Wertsysteme x^, x^, . . ., für die
(P=l, 2, •■)
•ist, unterhalb einer festen, von n unabhängigen Schranke M liegt. Speziell
ist eine Linearform
a^x^ -\- «o.To + • • •
dann und nur dann beschränkt, wenn
Ol Ol
a^- + af -\
konvergiert; eine Bilinearform
(p, 9 = 1, 2/.\.f
wenn
p, 7 = 1,2,...«
unterhalb einer von n unabhängigen Grenze 31 liegt.
Eine lineare Transformation
Vp = ^^^y, (P = 1, 2, . . .)
Iv = 1,2,. .':/
A. Theorie der Funktionen unendlich vieler Veränderlicher. 2. — 4. V
heißt beschränkt, wenn die zugehörige Bilinearform
(J>,q=l, 2, . A) '^
beschränkt ist. Eine solche Transformation führt jedes Wertsystem mit
konvergenter Quadratsumme in ein ebensolches über. (XI. S. 125 — 126.)
2. Die FaUungssätze besagen, daß die sukzessive Ausführung, d. h.
„Faltung", zweier oder mehrerer beschränkter Transformationen selbst
wieder eine beschränkte lineare Transformation ergibt, (XL S. 128) und
ferner, daß dieser Zusammensetzungsprozeß assoziativ ist (XL S. 129).
Wendet mau auf die Yariabeln einer beschränkten linearen, quadratischen
oder bilinearen Form eine beschränkte lineare Transformation an, so ist
das Resultat eine beschränkte Form derselben Art.
3. Eine orthogonale Transformation ist eine solche lineare Trans-
formation
yp = ^o^^x^, [p = 1, 2, ...),
(v)
■die den beiden Bedingungen
0, ?^ + g
^0 0
(r) ^ ' {1, p = q
^0 0 =
genügt (XL S. 129—130). Zwei Linearformen
(p) ip)
heißen zueinander orthogonal, wenn
ist. Unendlich viele Linearformen bilden ein vollständiges Orthogonal-
system, wenn ihr Koeffizientenschema dasjenige einer orthogonalen
Transformation ist. Ein System von endlich oder unendlich vielen ortho-
gonalen Linearformen kann durch Hinzufügung von endlich oder abzähl-
bar vielen Linearformen zu einem vollständigen Orthogonalsystem ergänzt
werden. (XL S. 141—143.)
Die Faltunor zweier Bilinearformen ist orthogonalen Transformationen
gegenüber kovariant. (XL S. *131.)
4. VollsfetigJceit. Es seien
^ (1) ^ (1) ^ (1)
■^1 7 '*'2 1 '''Z } ' • •
VI A. Theorie der Funktionen unendlich vieler Veränderlicher. 5.
unendlich viele Wertsysteme, deren Quadratsumme kleiner als 1 ist und
die die ,,Häufungsstelle" x^, x^, x^, ... besitzen in dem Sinne, daß
Lx;"^ = x^
n = 00
ist: dann heißt eine Funktion F{Xi, x^, . . .) vollstetig, wenn für jede
Folge solcher Wertsysteme
LF{x,^"\x,^"\ ..:) = F(x„ x„ ...)
n = 00
ist (XL S. 147, XIU. S. 174—175.) Jede beschränkte Linearform ist voU-
stetig, indessen nicht jede beschränkte quadratische oder bilineare Form;
so ist
v^x^^ + ^2^2' H
dann und nur dann vollstetig, wenn
7| = 00
während diese Form z. B. für
v^ = l, J'2 = 1 j • • ■
noch beschränkt bleibt. (XL S. 148.) Die Bilinearform
(P- 9)
ist jedenfalls dann voUstetig, wenn
(P, 9)
konvergiert (XL S. 150—151, XIL S. 164).
Weitere hinreichende Kriterien für Vollstetigkeit beschränkter quadra-
tischer Formen (XL S. 151. Satz 36).
Für vollstetige Funktionen gilt, wie bei endlicher Variabeinzahl, der
Satz von der Existenz des Maximums (XL S. 148). Weiteres über voll-
stetige Funktionen (XIII. S. 175 — 177).
5. Theorie der voUsfetigen Formen. Jede vollstetige quadratische
Form läßt sich durch orthogonale Transformation ihrer Veränderlicheii
auf die Form bringen
wobei
n = OB
ist; die k^^ sind die reziproken Eigenwerte (XL S. 148, Satz 35). Direkter
independenter Beweis dieses Satzes (XL S. 148 — 150).
Analoge Sätze gelten für die simultane Transformation zweier
quadratischer Formen, deren eine vollstetig und definit ist, während die
andere die Form v^x^^ -\- v^x^^ -\- ■ • ■ hat — unter r„ die Werte + 1 ver-
standen — (XIII. S. 156 — 162 Satz 38, 38*), sowie für die Transformation
A. Theorie der Funktionen unendlich vieler Veränderlicher. 6. — 7. VII
der Hermiteschen und der schiefsymmetrischen Form auf eine Normal-
form (XII. S. 162—164, Satz 39).
6. Vollstetige lineare Gleichungssysteme. Ist
eine vollstetige ßilinearform, so hat das Gleichungssystem
(1 + a^^)x^ + a^^x, + a^^x^ -\ = a^,
^21 "^1 I i^ I ^22) "^2 I ^23 "^3 ~r ■ ' ■ ^^ ^2>
alle wesentlichen Eigenschaften der linearen Gleichungen mit endlich
A'ielen Unbekannten; d. h. dieses Gleichungssystem hat entweder für jedes
Wertsystem a^, a^, ... mit konvergenter Quadratsumme eine und nur
eine Lösung x^, x^, ... von konvergenter Quadratsumme, oder das homo-
gene Gleichungssystem, das aus ihm entsteht, wenn man
a^ =0, »2 = 0, . . .
setzt, besitzt eine endliche Anzahl linear unabhängiger solcher Lösungen;
im letzteren Falle besitzt das „transponierte" Gleichungssystem
i'j)
genau ebenso viele linear unabhängige Lösungen, und das ursprüngliche
inhomogene Gleichungssystem ist dann und nur dann auflösbar, wenn die
rechten Seiten a^, a^, ... ebenso vielen linearen Bedingungen genügen
(XII. S. 164—174, Satz 70).
7. Theorie der heschränMen quadratischen Farmen. Im Gegensatz zu
den voUstetigen Formen bieten die nicht vollstetigen beschränkten Formen
Verhältnisse dar, die denen bei endlicher Variabeinzahl nicht analog sind;
doch gilt das folgende Theorem, das durch Grenzübergang vom algebrai-
schen Problem (XL S. 111—112) aus gewonnen wird (XL S. 113ff.): In
einer nicht vollstetigen beschränkten quadratischen Form
K{x) = K{x^, Ä'o, . . .)
lassen sich die Variabein x^, x^, . . . stets so orthogonal in x^, x.^, . . .
£j, I2; • • • transformieren, daß
ir(.)=^.„.;^+/^^
I)
(»)
wird. Dabei ist das Integral (im Stieltjesschen Sinne) über eine perfekte
Punktnienge s der u- Achse, das „Streckenspektrum", zu erstrecken, und die
Spektralform öf«; I) =^<yp/.«)l^l,^ bedeutet eine vom Parameter ju.
(p, ?)
VIII A. Theorie der Funktionen unendlich vieler Veränderlicher. 7.
abhängige positiv definite quadratische Form, deren Wert für jedes feste
Wertsystem der t als Funktion von // von 0 bis ^b„" monoton wächst
und die die zu ihrer Charakterisierung hinreichenden Relationen
(r) (^) (») W
{') {1»
identisch für alle stetigen Funktionen t<(iii) erfüllt (XI. S. 145 — 146, Satz 33).
Die aus dem Streckenspektrum, den Eigenwerten , , , , . . . d. h. dem
„Pi(nli.^peltru))i^' (XI. S. 119) und ihren Häufungsstellen bestehende Punkt-
menge heißt das Speldrum von K{x) (XI. S. 122); für jedes dem Spektrum
nicht angehörige X haben die aus der Form
(p)
entspringenden inhomogenen Gleichungen
(7)
für jedes Wertsystem y von konvergenter Quadratsumme eine eindeutig
bestimmte Lösung x^, x^, x^, ... von konvergenter Quadratsumme; diese
wird mit Hilfe einer beschränkten quadratischen Form
K(A; X) = >;'^..W^Ä=2™ +
'rfg(^; I)
{P,<J) /- = 1,2,... J 1- —
(■>■)
der „Resolvente" von K{x), dargestellt durch die Formeln
(7)
Für jedes Wertsystem der x ist K(A;a;) eine analytische Funktion von A.
(XI. S. 137 — 138, Satz 32.) Die homogenen Gleichungen
^,~^2^,x,=0 (2>=1, 2, ...)
(7)
haben dann und nur dann eine Lösung von konvergenter Quadratsumme,
wenn X ein Eigenwert ist, und so viele unabhängige Lösungen, als dessen
Yielfachheit angibt (XL S. 147, Satz 34).
Ein Beispiel einer beschränkten Form mit Streckenspektrum
(XL S. 153— ir)5).
Die Resolvente gewisser nicht beschränkter Formen (XL S. 124 bis
125, Satz 31).
B. Theorie der linoaren Tntegralgleichuugeii. 8.-9. IX
B. Theorie der linearen lutegralä^Ieichuiififeii.
8. Der Zusammenhang zivisclien unendlich vielen Variahein und Intefjral-
gleichimgen wird vermittelt durch eiu vollständiges orthogonales
Funktionensystem 0^{s), ^^i^), ... für das Intervall a^s-^h, d. h.
ein System von abzählbar vielen Funktionen, die den Bedingungen genügen
f^(s)<^(s)ds=\ ^,(Orthogonalitätsrelationen),
^1 fu{s)0^^{s)ds\ -=Ju{s)-ds, {VollständifjJceitsrelafion)-
dabei muß die letztere Relation für jede stetige Funktion u(s) gelten.
(XIII. S. 177 — 178.) Jeder endlichen und stetigen Funktion f(s) sind in
bezug auf dieses System unendlich viele Größen, ihre „Foiirierkoeffisienten^' a
zugeordnet vermöge der Gleichungen
o o o
b
a
jeder endlichen und stetigen Punktion K(s, f) von zwei Variabein s, f
ebenso zweifach unendlich viele Größen
6 6
%'i -JS^^'^ 0 %{^) ^,{i)ds dt {p, ry = 1, 2, . . .) .
a a
Die a sind Koeffizienten einer beschränkten Linearform, die a Koeffi-
zienten einer beschränkten und sogar vollstetigen Biliuearform (XIII. S. 181).
Ist K(s,t) symmetrisch, so sind %q= ciqp'^ ^^'n.j Koeffizienten einer voll-
stetigen quadratischen Form (XIV. S. 186).
9. Lineare Integralgleichungen zweiter Art. Setzt man
b
a
SO liefert jede stetige Lösung der unhomogenen bzw. homogenen Integral-
gleichung mit dem „Kern" K{s, /)
h
f{s)=^cp{s)+fK(s,t)cpit)dt
a
bzw.
b
0 = (p{s) + jK{s,t)(p{t)dt
a
eine und nur eine Lösung des inhomogenen bzw. homogenen Gleichungs-
systemes
X , B. Theorie der linearen Integralgleichungen. 10.
(»)
bzw. \ (}i = 1, 2, . . .).
(v) >
Umgekehrt orehört zu jeder Lösung von konvergenter Quadratsumme des
einen dieser Gleichungssysteme mit unendlich vielen Variabein eine und
nur eine stetige Lösung der entsprechenden Integralgleichung, nämlich:
cp{s) = f{s)-2xjK{s, f)0/t)dt-
demnach liefern die Sätze von 6. die Fredholmschen Sätze über die Auf-
lösung der unhomogenen und homogenen Litegralgleichung (XIIL S. 180
bis 185).
Ableitung der Lösungsformeln (Fredholmsche Formeln) unab-
hängig von der Theorie unendlich vieler Variabler durch Grenzübergang
vom algebraischen Problem aus fll. S. 8 — 13; IX. S. 68.)
Sätze über die aus K zusammengesetzten Kerne (IX. S. 67 — 70).
Ausdehnung auf unstetige Kerne (XV. S. 204; IX. S. 68).
Zusammenfassung zweier simultaner Integralgleichungen in eine
Integralgleichung (XVI. S. 210).
10. Orthogonale lineare Integralgleichnny. In gleicher Weise liefern
die Sätze von 5. die Theorie der Integralgleichung mit stetigem symmetri-
schen Kern K{s,l) = K{t, s) und einem Parameter X (XIV. S. 185—194).
h
f{s) = (p{s)- xjK(s, t)(f{t)dt.
a
Jeder nicht identisch verschwindende Kern K(s, t) hat mindestens einen
„Eigenicetf A, für den die gzuehörige homogene Integralgleichung [f = 0}
eine nicht identisch verschwindende Lösung, die zugehörige „EigenfimJition'\
besitzt. (XIV. S. 188; zum ersten Male bewiesen III. S. 16.) Jeder Eigen-
wert hat endliche Vielfachheit, d. h. es gibt nur endlich viele zu-
gehörige linear unabhängige Eigenfunktionen. Falls der stetige Kern K(^s, ty
nicht eine Summe von endlich vielen Produkten (Pp{s)(p (t) ist, so gibt es
unendlich viele Eigenwerte, die sich nur gegen co häufen (XIV. S. 192^
IV. S. 22). Ist X kein Eigenwert, so hat die homogene Integralgleichung
keine, die unhomogene eine und nur eine Lösung, die sich durch eine^
vom Parameter X analytisch abhängende „Resolvente" K(.s, t] X) in der Form
cp{s) = f(s)-hXfK{s,t;X)f{t)dt
a
ausdrückt (II. S. 12).
B. Theorie der linearen Integralgleichungen. 10. XI
Das zugehörige „Gaußsclie" Variationsproblem: das Maximum der
Werte, die das Doppelintegral
h b
J{u) =JJK{s, t)u{s)u{t)dsdt,
a a
die „quadratische Integralfortn", für alle der Bedingung
h
f(u{s)yds = 1
a
genügenden stetigen Funktionen u annimmt, ist gleich dem kleinsten
positiven Eigenwert, die zugehörige Funktion u ist irgend eine der zum
betreffenden Eigenwert gehörigen Eigenfunktionen; die weiteren Eigen-
werte und Eigenfunktionen erhält man, indem man zu diesem Variations-
problem noch sukzessive lineare Nebenbedingungen hinzufügt (XIV. S. 193;
V. S. 28 — 30). Ist stets J{u) > 0, so heißt der Kern definit. Alle Eigen-
werte sind dann positiv (V. S. 28).
Die sämtlichen Eigenfunktionen cp^{s), (f2{s), ■ ■ ■ bilden ein orthogo-
nales Funktionensystem (XIV. S. 187); unter Umständen ist es zugleich
ein voUständiges (XIV. S. 193—194).
Jede durch Vermittlung einer stetigen Funktion g in der Gestalt
f{s)=^lK(s,t)g(t)dt
darstellbare Funktion f[s) läßt sich auf Fouriersche Weise in eine nach
den Eigenfunktionen (p-^, (p^, ... fortschreitende, gleichmäßig und absolut;
konvergente Reihe
b
(p) {p) «
b
(p) ^p ^
a
entwickeln. (XIV. S.190.) Speziellere Entwicklungssätze über „a&^esc/iZossme''
und „allgemeine^'' Kerne. (IV. S. 24 — 25.)
Die quadratische Integralform Jiii) gestattet für aUe stetigen Funk-
tionen u{s) die Entwicklung
t
dieselbe konvergiert für alle u{s), für die Ju^ds unterhalb einer Schranke
a
bleibt, absolut und gleichmäßig. (IIL, S. 19—20.)
XII C. Anwendung auf gewöhnliche Differentialgleichungen. 12—13.
Ableitung dieser Theorie unabhängig von der Theorie der Funktionen
unendlich vieler Variabeln durch Grenzübergang vom entsprechenden
algebraischen Problem aus (III. S 13—21; das algebraische Problem:
I. s. 4 — 8). Darstellung der Resolvente K(s, f; l) als Quotient zweier
ganzer transzendenter Funktionen von k, d. h. die Fredliohnschen Formeln
(II. S. 11 — 13). Ergänzung betreffend mehrfache Eigenwerte (VI. S. 35 — 38).
Ausdehnung auf unstetige Kerne (VI. S. 30 — 35); (XV. S. 204).
Anwendung der Theorie auf die adjungierten Eigenfunktionen eines
unsymmetrischen Kernes (XIV. S. 194).
11. Polare lineare Integralgleichungen.
Entwickhing der analogen Eigenwert- und Eigenfunktionentheorie
für die Integralgleichung
I)
f{s) = V{s)ip{s) - xjK{s, tMt)df,
a
vro Vis) stückweise + 1 oder — 1 ist und K{s, t) einen symmetrischen
positiv-definiten Kern bedeutet (XV. S. 195—204).
C. Anweiiduiig: auf gewöhnliche Ditt'ereutialgleiehimgeu.
12. Die Greensche Formel.
Für die allgemeinste sich selb.st adjungierte Differentialgleichung
zweiter Ordnung
i(") - J. (p 1^) + J» = 0 ü'>0)
lautet die Greensche Formel, wie folgt (VII. S. 40):
J{vL{u) - uL{v) } dx = [p[v "^ - u '^.) |-
a
Die Grundlösung y{x, ^) ist in bezug auf x zweimal stetig differen-
zierbar und genügt für alle von t, verschiedenen Werte x innerhalb des
Intervalles a bis h der Gleichung L('u) -= 0; für x = 'g ist sie stetig,
während ihre erste Ableitung den Abfall — 1 aufweist. Sind ii^ix), Mgf^)
zwei unabhängige Lösungen von L{ii) = 0, so stellt sich eine Grundlösung
in der Gestalt dar:
(VII. S. 40).
13. Bandbedingungen.
Es kommen fünf Arten von homogenen Randbedingungen in Be-
tracht (VII. S. 41—42):
C. Anwendung auf gewöhnliche Differentialgleichungen. 14. — 15. XIII
I. /•(«) - 0, m - 0;
V. f{x) soll in der Nähe des Randpunktes x = a sich in der Form
{x — aY e{x) darstellen lassen, wo e{x) eine für x = a endlich bleibende
Funktion bedeutet;
V*. f{x) soU bei der Annäherung an den Randpunkt x = a endlich
bleiben.
14. Die Greensclie Funliion G{x, |).
Eine Grundlösung g{x, |) für das Intervall (a, h), die in bezug auf x
und identisch in | an den Randpunkten zwei homogene Randbedingungen,
befriedigt, heißt die zu diesen Randbedingungen gehörige Greensche Funk-
tion der Differentialgleichung L{ii) = 0: ferner heißt der Quotient
G(x, h) = ,L die Greensche Funktion des Differentialausdruckes L(u)-
(VII. S. 42—43).
Wenn eine Greensche Funktion nicht existiert, so besitzt die Differen-
tialgleichung L{ii) = 0 eine nicht identisch verschwindende stetig differen-
zierbare Lösung ■^^{x), die die betreffenden Randbedingungen erfüllt. Wir
konstruieren dann ein Integral g{x, |) der inhomogenen Differentialgleichung-
6
L(u) =p{l)n^\x)ri^^{^), jVixfdx = 1,
a
dessen Ableitung an der Stelle x = h, den Abfall — 1 erfährt, das an den
Randpunkten die Randbedingungen erfüllt und die Gleichung
a
fg{x,^)tk'{x)dx = 0
b
befriedigt. Die Funktionen g{x, ^) und -— 4f werden als Greensche Funk-
tionen im enveiterten Sinne bezeichnet. (VLI. S. 44 — 45, XVIII. S. 233.)
Das Symmetriegesetz der Greenschen FunJction G {x, ^) = G (^, x)-
(VII. S. 45).
15. Die Lösung der Bandwertaufgahe.
Die Integralgleichung erster Art
f(x)=fG{x,h)<pmi
XIV C. Anwendung auf gewöhnliche Differentialgleichungen. 16.— 17.
wird durch die Formel
(p{x) = -Lf{{x))
gelöst; und umgekehrt gibt die Integralgleichung dasjenige Integral f{x)
der Differentialgleichung, das dieselben Randbedingungen wie G{x, ^) er-
füUt (VII. S. 45—47).
Die lösende Funktion der Integralgleichung
h
f{x) = ip{x)-XfG{x,l)cp{l)dl
ist gleich der zu denselben Randbedingungen wie G gehörigen Green-
schen Funktion des Differentialausdruckes
A(u) = L{u) + Alt.
<V1I. S. 47—49.)
16. Eigenicert- tind EigenfimMionentheorie der Differentialgleichung.
Die Differentialgleichung ^(m) = 0 besitzt unendlich viele Eigen-
werte, d. h. es gibt unendlich viele Werte des Parameters X, für die die
Differentialgleichung L{i() + 2w = 0 eine nicht identisch verschwindende
Lösung, die zugehörige EigenfunUion, besitzt, die an den Randpunkten
<3ie betr. homogenen Randbedingungen erfüllt (VII. S. 49 — 50).
Sind t''^'^\x), ^^'^\x), ... die zu irgend welchen Randbedingungen
gehörigen Eigenfunktionen von Aiii) = 0, so folgt für jede stetige Funk-
tion li{x) ans j
fh(x)t^'''\x)dx = 0 {m = 1, 2, . . .)
a
stets, daß h{x) identisch Null ist (VII. S. 50).
Jede zweimal stetig diff'erenzierbare und den Randbedingungen ge-
nügende Funktion f{x) ist auf die Fouriersche Weise in eine nach den
Eigenfunktionen fortschreitende gleichmäßig konvergente Reihe entwickel-
bar (VII. S. 51).
Übertragung der Resultate auf die Differentialgleichung
ä^ {p "£) + («w + «w)» - 0,
wobei Jc{x)>0 ist. Beispiele. (2. S. 51—56.)
Differentialgleichungen, für die nur eine Greensche Funktion im er-
weiterten Sinne existiert, und der zugehörige Entwicklungssatz. Beispiele.
(VII. S. 55—56.)
17. Allgemeine Bifferentialgleicimngen.
Mittelst der Theorie der polaren Integralgleichungen werden die
sämtlichen Resultate auf die Differentialgleichung
dx {P dl-) + <^5^^) + ^ ^(^^)" = 0 (p > 0)
C. Anwendung auf gewöhnliche Differentialgleicbungeii. 18. XY
ausgedehnt, wobei l-(x) eine endliche Anzahl von Malen sein Vorzeichen
ändert. Existenz von unendlich vielen Eigenwerten (XVI. S. 205 — 206).
18. Systeme von simnltanen Differentialgleichungen.
Aus dem Variationsproblem
I,
JQ{ii\, u'o, Ui, u.^)dx = Min.,
a
WO
-f 2q^^u\u^ + >*uMi^+ 2^12 Ml ^2 + r^iU^^,
entspringen die linearen Differentialgleichungen 2. Ordnung (XVI. S. 206
bis 207):
/,(«„ «,) = 1 {± 0-) - y^ = 0, L,K, „.) . ... (,1 (;^) - ^A^ = 0.
Die Greensche Formel für diese Differentialgleichungen (XVI. S. 207):
a
Das Greensche Funktionensystem für diese Differentialgleichungen ist
ein System von Funktionen:
(?n («,!), Gi^{x,h,),
G^i^X, t,), (r22(:3:'', 5),
die paarweise die Differentialgleichungen L^ = 0, Z^ = 0 sowie die Rand-
bedingungen in bezug auf x befriedigen, und deren Ableitungen für x = h,
einen gegebenen Abfall erfahren. (XVI. S. 207 — 208.)
Das Symmetriegesets dieses Funktionensjstems lautet: (XVI. S. 208)
G^^{x,^) = 6^22(1, a;).
Die Lösung der Eandwertaufgahe: diejenigen Lösungen der Differential-
gleichungen
Li (fi , fi) = — (pi, L.2 ifi, Q = - 9'2 ;
die bestimmte homogene Randbedingungen erfüllen, werden durch
t\{x) =/{ G,,{x, ^)cp,(X) + G,,{x, ^)cf,mdl,
a
Ux) =f{G,,ix, ^)cp,{^) + G,.M ^)g>S)](^'^
a
dargestellt, und umgekehrt, diese Integralgleichungen erster Art werden
durch jene Funktionen (f^ix), (p^2{^) gelöst. (XVL S. 208.)
XM D. Anwendung auf partielle Differentialgleichungen. 19.— 20.
Eigenuoi- uni^ Eigmfunktimientheorie: diejenigen Funktioneupaare^
Uj(a:), n^{x), die an den Randpunkten homogene Randbedingungen erfüllen
und das Gleichungssystem:
A^ = A(Wi, Wg) + ^ (^'ii(^)«i + ^"12 (^) «2) = 0,
y/g = Loi}^!, %) + ^ (^"2l(^)"l + ^'22 (^) "2) = 0
befriedigen, sind Eigenfunktionen der Integralgleichungen:
a
I,
U^{X) = A J{ (r2i(a:, ^){lnU, + ^-igWo) + Ö22(^, l)(^21«l + ä-22«*2)/<^I-^
a
(XVI. S. 209 — 211.) Die Existenz unendlich vieler Eigenwerte und Eigen-
fimktionen; Entwicklungssätze. (XVI. S. 211.)
Greensche Funktionen im ericeiierten Sinne (XVI. S. 211 — 212).
19. Eine ^weipammetrige Bandivertaufgahe (Kleins Oszillationsiheorem).
Treten in den Differentialgleichungen
;i (- äi) - (>■" + .«") •' - "
(2){x) > 0, a(x) > 0, für x^ ^x ^ x^)
(n{^)>0, cc{i)>0, für l,£^<k)
die Parameter X, n nicht bloß in der Verbindung X + Cf^i auf (C = const.)
auf, so existieren unendlich viele Paare von Werten l, [i, für welche das
Diä'erentialgleichnngssystem ein Lösuugssystem y/,(x), >?/,(|) besitzt, derart
daß y^{x) an den Enden und nicht überall im Inneren des Intervalles
x^, x^, Vh{^) ^^ den Enden und nicht überall im Inneren des Intervalles
li, I2 verschwindet; zugehöriger Entwicklungssatz. (XXI. S. 262 — 267.)
D. Amvendiiug auf partielle Differential gleithiiiigen.
20. Die Greensche Formel.
Für die allgemeinste sich selbst adjungierte Differentialgleichung
zweiter Ordnung von elliptischem Typus
lautet die Greensche Formel, wie folgt (VIII. S. 59):
j { vUu) - uL{y) }dJ=^Jp (ti j;^-v^ ds,
wo J ein Gebiet der a;«/- Ebene mit der Randkurve C ist.
D. Anwendung auf partielle Differentialgleichungen. 21. — 23. XVIT
Die Grundlösung ist eine Lösung der Differentialgleichung L(it) = 0
von der Gestalt
y{.x, y-, I, v) = ni^, ?/; 1. v) ^ log Vi^ — iY +{y- vY + y^i^c, y- |, tj),
wobei Yi, y, zweimal stetig differenzierbare Funktionen sind, und außer-
dem identisch in i,, >;
ist (VIII. S. 59-60).
21. Randbedingungen.
Es kommen fünf Arten von Randbedingungen in Betracht (VIII. S. 60
bis 61):
I. f{x, y) = 0 für alle Punkte ./ , y der Randkurve C;
II ^ = 0
dn " " " " " "
III. |^ + ;,^=o„
IV. (Ax,y)),-(M../)) ,. (|{\=-(^) für »Ue s,
"wobei s die Bogenlänge von einem beliebigen Punkte von C, l die Ge-
samtlänge bedeutet;
V. f(x, y) soll bei der Annäherung an die Randkurve endlich bleiben.
22. Greensclie Funldion.
Eine Grundlösung g(x,y] ^.,1]), die als Funktion von x, y identisch
in t], h, an der Randkurve C eine homogene Randbedingung befriedigt,
heißt Greensche Funktion der Differentialgleichung L(u) = 0; ferner heißt
der Quotient ^'f.^'^l die Greensche Funktion des Differentialausdruckes
L{u). (VIII. S. 61.) Symmetriegesetz der Greenschen Funktion. (VIII.
S. 62.)
Greensche Funktion im erweiterten Sinne. (XVIII. S. 233.)
23. Die Lösung der Randivertaufgahe.
Die Integralgleichung erster Art
wird durch die Funktion
^'{x,y) = -T^L{f{x,y))
gelöst; umgekehrt stellt /"(jf, y) diejenige Lösung der Differentialgleichung
dar, die denselben Randbedingungen genügt wie G{xy:,^i]). (^VUI. S. 62)
Die lösende Funktion der Integralgleichung
f{x, y) = cp(x, y) - kj\r{xy; ^y])cp(^r})d^dr]
Math. Monogr. ;t: Hubert, lin. Iiitegralgleichungeu. D
XVIII D. Anwendung auf partielle Differentialgleichungen. 24.-25.
ißt die zu den nämlichen Randbedingungen gehörige Greensche Funktion
der Differentialgleichung
A(u) = (Lu) + lH = 0.
Beweis der Existenz der Greenseben Funktion und der Lösbarkeit
der Randwertaufgabe bei den Randbedingungen 1 und II (IX. S. 70 — 77).
Existenz der Greenschen Funktion für die Randbedingung UI (IX. S. 78).
Andere Beispiele. Die sich gegenseitig auflösenden Integralgleichungen
erster Art:
+ x
"(I) = V- I v{x) cot g (;r ^ ^ ) '^^
-1
+ 1
V (I) = V- / w(^) cot g (ti ^~!^ ) dx.
(IX. S. 75.)
24. Eigenwert- und EigenfunJctionentheorie der partiellen Differential-
gleichung.
Es gibt abzählbar unendlichviele reelle Werte — die Eigenwerte —
des Parameters A, für die die Differentialgleichung
L{u) + Xu = 0
eine nicht identisch verschwindende Lösung — die Eigenfunktion — l)e-
sitzt und die auf einer geschlossenen Randkurve homogene Randbedin-
gungen erfüllt (VIII. S. 63); jede willkürliche Funktion ist auf die
Fouriersche Weise in eine nach diesen Eigenfunktionen fortschreitende
gleichmäßig konvergente Reihe entwickelbar. (VUI. S. 64.)
Auftreten eines Parameters in der Randbedingung. Es gibt unendlich
viele Werte X, bei denen die vorgelegte DiÖ'erentialgleichuug L^u) = 0
eine nicht identisch verschwindende Lösung besitzt, die der Randbedingung
du . ^
cn
genügt; der zugehörige Entwicklungssatz (IX. S. 77 — 80).
25. Allgemeinere partielle Differentialgleichungen.
Verallgemeinerung auf partielle Differentialgleichungen, die zu Ge-
bieten auf einer beliebigen krummen Fläche (statt zu ebenen Gebieten)
gehören (VIII. S. 64—65).
Die Randwertaufgabe für das folgende System partieller Differential-
gleichungen erster Ordnung von elliptischem Typus:
du dv ,
V,- = pu -f qv,
du . dv , , ,
dy dx
D. Anwendung auf partielle Differentialgleichungen. 25. XIX
Wenn diese Differentialgleichungen außer u = 0, v = 0, kein Lösuugs-
system u, v besitzen, derart, daß u auf der gegebenen geschlossenen
Kandkurve C verschwindet, so besitzen sie ein Lösungssystem u, v derart,
daß u auf C die vorgeschriebenen Werte f{s) annimmt; im entgegen-
gesetzten Falle existiert ein solches Lösungssystem dann und nur dann,
Avenn/'(s) gewissen, endliehvielen Integralbediugungen genügt (XVII. S. 213
bis 219).
Definition des auf der Vollkugel regulären Differentialausdruckes ; seine
Transformation und der adjungierte Diiferentialausdruck. (XVIII. S. 219
bis 223.) Die Methode der Parametrix. Die Parametrix ist eine symmetrische
Funktion des Argumentpunktes s, t und des Parameterpunktes a, x auf
der Kugel, die in allen 4 Veränderlichen beliebig oft differenzierbar ist,
außer wenn Parameterpunkt und Argumentpunkt zusammenfallen, in
welchem Falle sie in bestimmter Weise logarithmisch unendlich wird (XVIII.
S. 223 — 2241 Konstruktion der Parametrix einer auf der VoUkugel resrulären
Differentialgleichung und Nachweis ihrer Eigenschaften (XVIII. S.224 — 226).
Wenn die auf der Vollkugel reguläre Differentialgleichung vom elliptischen
Typus L{z) = 0 keine von Null verschiedene, auf der ganzen Kugel stetige
Lösung besitzt, so hat die Differentialgleichung L{z)^=f, wo f irgend
eine gegebene Funktion auf der Kugel bedeutet, stets eine solche Lösung.
Yerallgemeinerung dieses Satzes für den Fall, daß L{z) =0 solche
Lösungen besitzt (XVIII. S. 226 — 232). Konstruktion der Greenschen Funk-
tion, d. h. einer Parametrix, die die vorgelegte Diffei*entialgleichung be-
friedigt. (XVIII. S. 232 — 234.) Beweis der Existenz der Greenschen Funktion
im „erweiterten Sinne". (XVIII. S. 233.) Es gibt unendlichviele Werte von X,
■derart daß L{z) + Xs ^= 0 eine auf der VoUkugel stetige Lösung, die
zu diesem „Eigenwerte" gehörige „Eigenfunktion", besitzt; jede willkür-
liche Funktion ist nach diesen Eigenfunktionen auf die Fouriersche
Weise entwickelbar. (XVIII. S. 234 — 235.) Die sich selbst adjungierte ellip-
tische Differentialgleichung Li/) -\- Iz = 0 hat nur eine endliche Anzahl
negativer Eigenwerte (XVIII. S. 235—237).
Hängen die Koeffizienten in L{z) = {) von einem Parameter u ana-
lytisch ab, so ist der /i-te Eigenwert eine stetige Funktion von ^
(XVIII. S. 238—241).
Mittelst der Theorie der polaren Integralgleichungen werden die
sämtlichen in 23., 24. erwähnten Resultate auf die partielle Differential-
gleichung
ausgedehnt, wobei k{x, y) in einer endlichen Anzahl von Teilgebieten
verschiedene Vorzeichen besitzt (XVI. S. 206).
XX E. Anwendung auf die Theorie der Funktionen einer komplexen Yariabeln. 26.
E. Auwemluiig auf die Theorie der Fuuktionen einer komplexen
Yariabeln.
26. Allgemeines Riemannsches Problem.
Formulierung desselben: man soll Funktionen einer komplexen
Variablen bestimmen, wenn zwischen den Real- und Imagiüärteilen der
Funktionen auf einer gegebenen geschlossenen Randkurve C gegebene
Relationen gelten sollen. Man bezeichne die Greenschen Funktionen
zweiter Art der Poteutialgleichung ^(ii) = 0 für das Innere und Äußere
der Kurve C bzw. mit Gj{x,y] !,■);) und G^{x,ij\, ^,7]) und definiere dann
zwei Inteyralausdrücite, wie folgt
(C)
Mw = jr- / — " iv(6)d6,
(C)
wobei «((j) irgend einen komplexen Ausdruck auf der Kurve C bedeutet.
Die Bedingung dafür, daß ein auf C definierter komplexer Ausdruck fj(s)
die Randwerten einer innerhalb C regulären Funktion darstellt, ist
fj(s) = M/,+ \ffj{a)d6,
(C)
wobei l die Gesamtlänge der Kui-ve C bezeichnet; ein analoger Satz gilt
für die Opei-ation M^w und das Äußere von C. Die Ausdrücke
IV -f Mjtv bzw. iv — Mg^iv
stellen stets Randwerte einer innerhalb bzw. außerhalb C regulären Funk-
tion dar. (X. S. 81—88.)
Durch die erlangten Hilfsmittel wird der Satz bewiesen, daß, wenn
c{s) ein gegebener stetiger komplexer Ausdruck auf der Kurve C ist und
c{s) den konjugierten Ausdruck bedeutet, entweder ein Paar von Funk-
tionen fj{z), faiß) existiert, von denen die erstere innerhalb, die zweite
außerhalb C regulär analytisch ist und welche auf C die Relation
faiß) = C{s)f^{s)
erfüllen, oder ein Funktionenpaar ^r^ (^) und ^^{z) von demselben Charakter^
deren Randwerte die Relation
9a{s) = c{s)gj(s)
erfüllen (X. S. 89 — 91). Von diesen beiden Fällen tritt der erste bzw.
der zweite ein, je nachdem log c{s) beim Umlauf in positivem Sinne ent-
lang C eine negative bzw. positive Änderung erfährt (X. S. 91).
E. Anwendung auf die Theorie der Funktionen einer komplexen Variabein. 27. XXI
Es gibt stets ein Paar von Funktionen f^z), fj{z), von denen die
erste außerhalb C, die zweite innerhalb C den Charakter einer rationalen
Funktion besitzt, während auf C die Relation
erfüllt ist (X. S. 91—92).
Untersuchung des Falles, wo c{s) an einer endlichen Anzahl von
Stellen eine Unterbrechung der Stetigkeit aufweist (X. S. 92 — 94).
Aufstellung der Aufgabe: zwei außerhalb C und zwei innerhalb C
reguläre analytische Funktionen f\, f\ bzw. f., f .^ sollen so bestimmt
werden, daß sie auf C die Relationen
/;(s) = ^i(5)/'/^^) + c2(5)r/s)
faiß)-ö,{s)f,{s)^c\{s)f,{s)
erfüllen, wobei q, f,? ^'i? c'2 gegebene komplexe zweimal stetig differen-
zierbare Ausdrücke in s sind, deren Determinante
für alle i> von Null verschieden ausfällt (X. S. 94 — 95).
Es wird bewiesen, daß entweder die genannte Aufgabe eine Lösunsr
besitzt, oder zwei Funktionenpaare ^^, g ^, g-^ g ■ existieren, die auf C
die Relationen
9'a- c\g^ + c\g^
erfüllen, wobei c^, c,, c\^ c\ die zu den gegebeneu Ausdrücken Cj, c^, c\, c^
konjugiert komplexen Ausdrücke bedeuten. (X. S. 95 — 98.)
Die Randwerte der soeben konstruierten Funktionen f^, f'^, fj^ /"-.
bzw. g^, g'^, g^, g' ■ sind auf C stetig diÖ'erenzierbare Funktionen von s,
und die gestellte Aufgabe besitzt nur eine endliche Anzahl linear von-
einander unabhängiger Systeme von Lösungen. (X. S. 98 — 100.)
Beweis des Satzes, daß es stets Funktionen f^, f'^, fj, f'j gibt, die
innerhalb bzw. außerhalb C regulär analytisch sind mit etwaiger Aus-
nahme einer Stelle innerhalb C, die für eine der Funktionen /"-, f'j oder
für beide ein Pol ist, und die auf C die Relationen
fa = (^ifj + c^f'j
erfüUen (X. S. 100—102.)
27. Das liiemannsclie Gruirpenprohlcm.
Das speziellere Riemannsche Problem, die Existenz linearer Differential-
gleichungen mit vorgeschriebener Monodromiegruppe zu beweisen, ist
für Differentialgleichungen zweiter Ordnung äquivalent mit der folgenden
Aufgabe: man verbinde die gegebenen singulären Punkte z^^\ 2'^^\ . . . z^"'^
der Differentialgleichung zweiter Ordnung durch eine reguläre analytische
XXII F. Anwendung auf Variationsrecbnuug, Geometrie und Hydrodynamik. 27. — 29.
Kurve C; dann sollen zwei Fuuktioneupaare f]^, f a ^'^^- fp f'j bestimmt
werden, die außerhalb bzw. innerhalb C vom Charakter rationaler Funk-
tionen sind, derart, daß ihre Randwerte auf C überall stetig sind und
auf dem Kurvenstücke zwischen s'^''^ und '' + ^) (// = 1, 2 . . . m) die Relationen
fa = n"% + 7,''rj
erfüllen, wobei }\^''\ 'y.2^''\ y\^''\ j'V'"' gej^ebene Konstante mit nicht ver-
schwindender Determinante sind. (X. S. 102 — 1U4.)
Diese Aufgabe wird durch Einführung neuer Funktionen auf die
in 26. am Schluß gelöste (wo die Substitutionskoeffizienten stetige
Funktionen des Ortes sind) zurückgeführt (X. S. 104 — 106).
Durchführung des Existenzbeweises (Riemannsches Gruppenproblem)
{X. S. 106—108).
28. Problem aus der Theorie der automorphen Funldionen.
Automorphe Funktionen mit reeller Substitution, die vier gegebene
Werte oo, a, h, c auslassen. Beweis des Satzes: es gibt uneudlichviele
Werte A, so daß der Quotient zweier Lösungen der Differentialgleichung
A ((^ -a){x- h) {X - c) ^^) +{x-Vl)y^O
beim Umlauf der Variabein x um die singulären Stellen a, b, c Sub-
stitutionen mit reellen Koeffizienten erfährt. (XX. S. 258 — 262.)
F. Anwendung auf Variationsrechnung, Geometrie,
Hydrodynamik und Gastheorie.
29. Variationsprobleme.
Zusammenhang zwischen dem Dirichletschen Variationsproblem
b
/[i>(f3-2«^>' = Min.
a
bei der Nebenbedingung
b
Ju^dx = 1
a
und dem Gaußschen Variationsproblem (s. oben, 10)
6 6
ffG{x, ^)a{x)o3{^)dxd^ = Max.
bei der Nebenbedingung
fa^dx = 1.
F. Anwendung auf Variationsrechnung, Geometrie und Hydrodynamik. 30. XXUI
(VII. S. 56 — 58.) Das gleiche Problem für zwei unabhängige Variable.
(VIII. S. 66.)
Das Dirichletschc Variationsprohlem auf der Kugel: das absolute
Minimum des über die Vollkugel erstreckten Integrals
^ J Veg-f-
bei der Nebenbedingung
JzHh = 1
ist gleich dem kleinsten Eigenwert der Differentialgleichung
j^U\ = «-^s.s- + 2&g^, + eztt + {a, + b^z» + JK + Q^:^ + »^^ _l A^ = 0
Veg-r-
Verallgemeinerung dieses Satzes. (XVIII. S. 237—238.)
30. Minlxowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
Das Volumen V eines konvexen Körpers K ist
V=ifH{H,H)dk,
wobei H(cc, ß, y) diejenige auf der Kugel definierte homogene Funktion
bedeutet, die die Entfernung der Tangentialebene des Körpers vom Null-
punkt mit den Richtungskosinus cc, ß, y angibt, und wobei allgemein
für zwei beliebige homogene Funktionen V(x, y, z), W{x, y, z)
{yv, V)
^Vyy y^z — 2 W,z Vy, + W,, F,
yy
W,, Vy,j - 2 W,y V^y + Wyy F„
gesetzt ist. (XIX. S. 242—245.) Das gemischte Volumen dreier konvexer
Körper
und ihre S\'mmetrieeigenschaften. (XIX. S. 245.)
Ist H eine gegebene homogene Funktion, so stellt
L{Sl) = ( W, H), W{x, y, z) = ^/x''^f^z'-£l{x, y, z)
einen für ü linearen Difierentialausdruck auf der Kugel dar, der sich
selbst adjungiert und vom elliptischen Typus ist. (XIX. S. 245 — 247.)
Beweis der Sätze: Jede auf der Vollkugel stetige Lösung von
i(ü) = 0 ist eine lineare Kombination der drei Lösungen
i^ = a;, i^ = ?/, il = z.
(XIX. S. 247 — 250.) Die partielle Differentialgleichung
L{Sl) + X ^^^^^ ' P- = 0, {H= l/a;2 + F+ <^^H)
XXIV F. Anwendung auf Variationsrechnung, Geometrie und Hydrodynamik. 31.— 32.
besitzt A = — 1 als einfaclien, A = 0 als dreifachen Eigenwert, und die
zugehörigen Eigenfunktionen sind H bzw. x, y, z\ die übrigen Eigen-
werte sind positiv. (XIX. 250 — 2ö4.)
Beweis der Minkowskischen Ungleichung
F(fi, H, Gy ^ V{H, H, H) V{H, G, G),
wobei das Gleichheitszeichen nur dann statthat, wenn der eine Körper
aus dem anderen durch Parallelverschiebung und Ahnlichkeitstransforniation
hervorgeht. (XIX. S. 254—257.)
Die Ungleichungen:
0-^3 V3I, HP ^ 4-T 0, 0- ^ 36 .-r T'-,
Avobei 0 die Obertiäche, V das Volumen und
^^= ■'/(>:>'
03
die mittlere Krümmung eines konvexen Körpers bedeutet, und das Gleich-
heitszeichen nur statthaft, wenn der konvexe Körper die Kugel ist.
<XIX. S. 257—258.)
31. Ein Problem der Hydrodynamik.
Anwendung des Entwicklungssatzes in 23. (Parameter A in der Rand-
bedingung) auf das Problem der kleinen Schwingungen einer der Schwere
unterworfenen Flüssigkeit. (IX. S. 80 — 81.)
32. Begründang der Gastheorie.
Aus der Maxwell-Boltzmannschen Stoßforuiel entspringt eine lineare
(orthogonale) Integralgleichung zweiter Art mit symmetrischem Kern;
diese spielt beim Aufbau der Gastheorie die fundamentale RoUe, indem
sie die Lösung der Stoßformel durch sukzessive Approximationen ermög-
licht. (S. 268 tf.)
Inhalt.
E rster Abschnitt.
Allgemeine Theorie der linearen Integralgleicliungen.
Seite
Kapitel I. Lösung des algebraischen Problems 4
„ U. Lösung des transzendenten Problems 8
„ in. Das transzendente Problem, welches der orthogonalen Transformation
der quadratischen Form in eine Quadratsumme entspricht .... 13
,, IV. Entwicklung einer willkürlichen Funktion nach Eigenfunktionen. . 21
„ V. Das Variationsproblem, das der algebraischen Frage nach den
Minima und Maxima einer quadratischen Form entspricht .... 28
„ VI. Ergänzung und Erweiterang der Theorie 30
Zweiter Abschnitt.
Anwendung der Theorie auf lineare Differentialgleichungen.
„ VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung 39
„ VIII. Sich selbst adjungierte partielle Differentialgleichungen zweiter
Ordnung von elliptischem Typus 58
„ IX. Existenz der Greenschen Funktion. Auftreten eines Parameters in
der Randbedingung bei partiellen Differentialgleichungen 66
Dritter Abschnitt.
Anwendung der Theorie auf Probleme der Fuiiktionentheorie,
„ X. Riemanns Problem in der Theorie der Funktionen einer komplexen
Veränderlichen 81
Vierter Abschnitt.
Theorie der Funktionen von unendlich vielen Variabein.
„ XI. Theorie der orthogonalen Transformation einer quadratischen Form
mit unendlich vielen Variabein lOi)
„ XII. Simultanes System quadratischer Formen, die Hermitesche Form, die
schiefsymmetrische Form und die Bilinearform mit unendlich vielen
Variabein Iö6
Fünfter Abschnitt.
Neue Begründung und Erweiterung der Theorie der
Integralgleichungen.
,, XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern ....... 174
„ XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung 185
XXVI Inhalt.
Kapitel XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung 195
„ XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen auf Diffe-
rentialgleichungen und auf Sj'steme von simultanen Differential-
gleichungen 205
Sechster Abschnitt.
Auwendung der Theorie auf verschiedene Probleme der Analysis,
Geometrie und Gastheorie.
J Seite
,, XVI. Die Randwertaufgabe für ein System simultaner partieller Diffe-
rentialgleichungen erster Ordnung von elliptischem Typus . . . 213
,, XVni. Eine neue Methode der Zurück fübrung von Differentialgleichungen
auf Integralgleichungen. Begriff der Parametrix 219
„ XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche 242
,, XX. Anwendung auf ein Problem der Theorie der automorphen Funk-
tionen 258
„ XXI. Eine zweiparametrige Randwertaufgabe (Kleins Oszillations-
theorem") 262
„ XXn. Begründung der kinetischen Gastheorie 2G7
Erster Abschnitt.
Allgemeine Theorie der linearen Integralgleichungen.
Es sei K(s, t) eine Funktion der reellen Veränderlichen >, t] f(s) sei
eine gegebene Funktion von s und (p{s) werde als die zu bestimmende
Funktion .von s angesehen; jede der Veränderlichen s, t möge sich in dem
Intervalle a bis h bewegen: dann heiße
b
f{s-) = fK(s,t)cp{t)dt
a
eine Integralgleichung erster Äri und
6
f(s) = cp{s)- lfE(s, t) (p (t) dt
<i
eine Integralgleichung zweiter Art] dabei bedeutet k einen Parameter.
Die Funktion K{s,t) heiße der Kern der Integralgleichung.
Durch die Randwertaufgabe in der Potentialtheorie wurde zuerst
(jauß auf eine besondere Integralgleichung geführt; die Benennung
„Integralgleichung" hat bereits P. du Bois-Reymond^) angewandt. Die
erste Methode zur Auflösung der Integralgleichung zweiter Art rührt von
C. Xeumann-) her; dieser Methode zufolge erscheint die Funktion (p{s)
direkt als eine unendliche Reihe, die nach Potenzen des Parameters X fort-
schreitet und deren Koeffizienten gewisse durch mehrfache Integrale
definierte Funktionen von s sind. Eine andere Formel zur Auflösung der
Integralgleichung zweiter Art fand Fredholm ^j, indem es ihm gelang,
(p (s) als Bruch darzustellen , dessen Zähler eine beständig konvergente
Potenzreihe in l mit gewissen von .s abhängigen Koeffizienten ist, während
als Nenner eine beständig konvergente Potenzreihe in A mit numerischen
Koeffizienten auftritt. Den direkten Nachweis der tjbereinstimmung der
1) Bemerkungen über Jz = 0. Journ. f. Math. Bd. 103 (1888..
2) Über die Methode des arithmetischen Mittels. Leipz. Abb. Bd. 13 (1887).
3) Sur une classe d'equations fonctionnelles. Acta mathematica Bd. 27 (1903),
und die daselbst zitierte Abhandlung über denselben Gegenstand ans dem Jahre 1899.
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 1
2 Einleitung zu Kap. I— YI.
Formeln von C. Neumann und Fi-edbolm erbrachte auf meine Anreffunor
hin Kellogg*). In dem besonderen Falle gewisser Randwertaufgaben
in der Potentialtheorie hat Poiucare-) als der Erste den Parameter A
eingeführt, und ihm gelang es auch zuerst nachzuweisen, daß die Lösung
notwendig als Quotient zweier beständig konvergenter Potenzreihen in X
darstellbar sein muß. Eine dritte Methode zur Lösung der Integralgleichung
zweiter Art, die auch zugleich auf die Inteorralgleichung erster Art an-
wendbar ist, werde ich in Kapitel XIII auseinandersetzen. Die Auflösung
besonderer Integralgleichungen gelang Volterra^). In gewissen Fällen
läßt sich die Integralgleichung erster Art auf die zweiter Art nach einer
von mir angegebenen Methode'*) zurückführen.
Die nähere Beschäftigung mit dem Gegenstande führte mich zu der
Erkenntnis, daß der systematische Aufbau einer allgemeinen Theorie der
linearen Integralgleichungen für die gesamte Analysis, insbesondere für
die Theorie der bestimmten Integrale und die Theorie der Entwicklung
willkürlicher Funktionen in unendliche Reihen, femer für die Theorie der
linearen Differentialgleichungen und der analytischen Funktionen sowie
für die Potentialtheorie und Variationsrechnung von höchster Bedeutung
ist. Ich beabsichtige in diesem Buche die Frage nach der Lösung der Integral-
gleichungen zu behandeln, vor aUem aber den Zusammenhang und die
allgemeinen Eigenschaften der Lösungen aufzusuchen, wobei ich meist die
für meine Resultate wesentliche Voraussetzung mache, daß der Kern K{s^ t)
der Integralgleichung eine symmetrische Funktion der Veränderlichen s, ^
ist. Insbesondere im vierten Kapitel gelange ich zu Formeln, die die
Entwicklung einer willkürlichen Funktion nach gewissen ausgezeichneten
Funktionen, die ich Eigenfunktionen nenne, liefern: es ist dies ein
Resultat, in dem als spezielle Fälle die bekannten Entwicklungen nach
trigonometrischen, Besselschen, nach Kugel-, Lameschen und Sturm-
schen Funktionen, sowie die Entwicklungen nach Funktionen mit mehreren
Veränderlichen enthalten sind, wie sie zuerst Poincare (a.a.O.) bei seinen
Untersuchungen über gewisse Randwertaufgaben in der Potentialtheorie
nachwies. Meine Untersuchung tvird zeigen, daß die Theorie der Ent-
ivicliung tvillkürlicher Fanltionen durchaus nicht die Heranziehung von
gewöhnlichen oder partiellen Diff'erentialgleichungon erfordert, sondern daß
1) Zur Theorie der Integralgleicbunj^en. (xött. Nachr. 1902.
2) Sur les equations de la physique mathematique. Kendiconti del circolo di
Palermo t. 8 (1894). La methode de Neuraann et le probleme de J)irichlet. Acta
mathematica Bd. 20 (189(5—97).
3) 8opra alcune questioni di inversione di integrali definiti. .\nnali di mate-
matica 8 2 t. 25 (1897.)
4) Vgl Kellogg, Zur Theorie der Integralgleichungen. Inangural-Dissertation,
(Jöttingen 1902, sowie Math. Ann. Bd. 5«.
Einleitung zu Kap. I— VI. 3
die Integralgleichung es ist, die die notwendige Grundlage und den
natürlichen Ausgangspunlt für eine Theorie der ^Reihenentivicklung bildet
und daß eben jene eruiihnten Enticicldungen nach Orthxjoncdfunliioncn
nur Spezialfälle eines allgemeinen Integralsatzes sind — eines Satzes
überdies, der als die direkte Erweiterung des bekannten algebraischen
Satzes von der orthogonalen Transformation einer quadratischen Form in
die Summe von Quadraten anzusehen ist. Das merkuärdigde h'esulfat
ist, daß die EntwicJcelharkeit einer Funktion nach den zu einer Integral-
gleichung sn-eiter Art zugehörigen Eigenfnnktionen als ahhängig erscheint
von der Lösharkeit der entsprecliendcn Integralgleichung erster Art.
Zugleich erhält dabei die Frage nach der Existenz der Eigenfunk-
tionen eine neue und vollständigere Beantwortung. In dem besonderen
Fall der Randwertaufgaben der Potentialtheorie hat bekanntlich die Existenz
der Eigenfunktionen zuerst H. Weber^J auf Grund des Dirichlet-
ThomsonsL'hen Minimalprinzipes zu beweisen gesucht, und sodann hat
Poincare (a. a. 0.) den Existenzbeweis mit Benutzung der von H. A. Schwarz
ausgebildeten Methoden wirklich erbracht. Durch Amvendung meiner
Theoreme folgt flicht nur die Existenz der Eigenfunktionen im allgemeinsten
Falle, sondern meine Theorie liefert zugleich in einfacher Form eine not-
icendigc und hinreichende Bedingung für die Existenz unendlich vieler
Ei gen funkt iomn.
Die Methode, die ich in den folgenden Kapiteln I— VI anwende,
besteht darin, daß ich von einem algebraischen Problem, nämlich dem
Problem der orthogonalen Transformation einer quadratischen Form von n
Variabein in eine Quadratsumme, ausgehe und dann durch strenge Aus-
führung des Grenzüberganges für n = <x> zur Lösung des zu behandeln-
den transzendenten Problemes gelange.^) Dieselben Theoreme über Integral-
gleichungen mit symmetrischem Kern werde ich in Kapitel XIV auf einem
anderen Wege mittels der Methode der unendlichvielen Variabein entwickeln.
Der leichteren Faßlichkeit und der kürzeren Darstellung wegen habe
ich mich bei Darlegung der allgemeinen Theorie stets auf den Fall einer
Integralgleichung mit einfachem Integrale beschränkt. Doch sind die
Methoden und Resultate auch gültig, wenn in den oben angegebenen
Integralgleichungen an Stelle der einfachen Integrale Doppel- oder mehr-
fache Integrale stehen und K sodann entsprechend eine symmetrische
Funktion zweier Reihen von Variabein bedeutet.
1) Über die Integration der partiellen Differentialgleichung _/*< -f- /.-« = 0.
Math. Ann. Ed. 1. (1868.)
2) Die Grundidee dieser Methode habe ich seit W.-S. 1900 — 1901 wiederholt im
Seminar und in Vorlesungen zum Vortrag gebracht.
1*
4 Kap. I. Lösung des algebraischen Problems.
Erstes Kapitel.
Lösung des algebraischen Problems.
Es mögen K(s, t), f(s), (f'{s) die zu Anfang dieser Mitteilung an-
gegebene Bedeutung haben; jedoch nehmen wir das Intervall der Variabein s, f
der Einfachheit halber als das Intervall 0 bis 1 an; außerdem sei K(6, t)
eine symmetrische Funktion in s,f. Ferner verstehen wir unter ^i eine
bestimmte positive ganze Zahl und benutzen für die folgenden Beweis-
führungen die abkürzenden Bezeichnungen:
A;, = z(f, :) o,,2=i, 2, ...,«)
Kxij = A'nX,!/, + K^,.r,y, + Iü,x,y, -!-■■■ + ^„.a.i/,.
J\.X^ = Jy^iX^ -\- J\.22^'2 I ■ ■ ■ "t" -"-in^n}
Es ist offenbar
Kxy = [Kx, ij\ = \Ky, x'].
Wir legen nun das algebraische Problem zugrunde: es seien aus den
n linearen Gleichungen
/"l = 9^1 - K^U<5Pl H h J^XaVn),
f. = Cp2- KK^^ffl + • • • 4- Kln^n),
(1)
oder kürzer
fn-Vn-(^Vv
die n Unbekannten q)^, c/.^, .... y,^ zu ermitteln, während die Werte f^
und die Koeffizienten /C gegeben sind und l ebenfalls als ein bekannter
Parameterwert anzusehen ist. Wir ziehen zugleich die Eigenschaften der
Lösungen und den Zusammenhang mit dem Problem der orthogonalen
Transformation der quadratischen Form Kxx in Betracht.
Kap. I. Lösung des algebraischen Problems. 5
Um dieses algebraische Problem zu lösen, gebrauchen wir die Deter-
minanten
il-/Ä',,, -IK,, -IIk„\
-
-iJku -
-IK,
,2? ■ ■ ■>
1 -
-IK,.
0
^1,
^iJ
• • •
^n
(^'
1 =
Vi,
1 -
. . .,
■ • -7
—
IK
IK
deren erste die Diskriminante der quadratischen F'orm
[x, x\ — IKxx
ist. Bezeichnen wir mit D il, j^ j diejenige Determinante, die aus Dil,)
entsteht, wenn man darin allgemein y durch
^yp = ^piyi + ^^2?/2 + • • • + i'^p„y„
ersetzt, so gilt, wie leicht ersichtlich ist, identisch in x, y und / die
Gleichung:
(3) d{l) ix, y]+B [l, ^) - ID (I, ^^ = 0.
Unser Problem bestand nun darin, aus den Gleichungen (1) oder (2)
die n Unbekannten y^, cp^, . . ., 9?„ zu ermitteln, d. h. eine Linearform
[x, (p] = x^cpi + x.,cp.^ H h ä:,,^„
zu finden, die identisch in x die Gleichung
[f, ^] = [f, ^] — K^^ff, -^1
erfüllt.
Diese Gleichung wird, wie aus (3) immittelbar einleuchtet, durch die Formel:
(4) [x,<p] = -- y^
gelöst. Wenn also der Parameterwert / so beschaffen ist, daß d{l) 4= 0
ausfällt, so sind die Koeffizienten der Linearform (4) die gesuchten Werte
der Unbekannten qp^, q)^, . . ., cp„. Dieses Resultat ist von der Voraus-
setzung der Symmetrie K = K unabhängig.
Bekanntlich sind die Wurzeln der Gleichung
d(l) = 0
ßämtlieh reell; wir bezeichnen sie mit
U'\ W, . . ., ZW
und nehmen an, daß sie voneinander verschieden sind.
Q Kap. I. Lösung des algebraischen Problems.
Bedeuten d^^(l), . . ., d^^(l) die Unterdeteraiinanten der Determinante rf(Z)
in bezug auf ihre n Diagonalelemente und ist d'(I) die Ableitung von d{l)
nach /, so gilt identisch in / die Gleichung
dnil^ + -- + d^Äi) = ndil)-ld'il),
und hieraus folgt für / = Z^''^
(5) ,/^^(/('.)j + ... + rf,j/(/0) = _/(/-),/'(;(")).
Da unserer Annahme zufolge d'{W'h nicht Null sein kann, so sind auch
die links stehenden Unterdeterminanten gewiß nicht sämtlich Null, d. h.
die homogenen Gleichungen
q)^ — lK(pi = 0,
(6) • •
besitzen für / = !'■'''> ein gewisses Lösungssystem
9, = <\ . . ., T,. = ^i'^,
das bis auf einen allen diesen n Größen geraeinsamen Faktor eindeutiff
bestimmt ist. Da wegen (3) die Koeffizienten von i/j, . . ., y^^ in dem
Ausdruck
D (i<«), ;)
unabhängig von den Werten x^, ... x^^ Lösungen der homogenen Glei-
chungen (6j sein müssen, so gilt der Ansatz
D{U"\^) = [rP^"\x][<pi"\yl
Avo der erste Faktor rechts eine lineare Form in x^, . . ., x^ bedeutet.
Hieraus folgt wegen der Symmetrie des Ausdrucks linker Hand bei Ver-
tauschung von X mit y
wo unter C eine von x, y unabhängige Konstante zu verstehen ist, und
wenn wir den vorhin erwähnten gemeinsamen Faktor geeignet gewählt
denken, so finden wir
(7) n{i'"\^) = ±[cp^"\^][cp^"\yl
Aus dieser Gleichung schließen wir durch Vergleich der Koeffizienten
der Produkte
iCj^/j , . . ., x^y^
auf beiden Seiten die speziellere Formel
(8) d,,{m)-^...i-d,,,{m)^ + [g>^''\cpi%
und wegen (5) ist somit
(9) [(p^"\ cp^"y\ = ± li")d\m), {h=l, 2, .. ., n)
Kap. I. Lösung des algebraischen Problems. 7
und sodann nach (7)
(10) ""^LlyUM'i^^J^^y} fk==i ^> n)
Die Gleichung (0) zeigt an, daß in den Gleichungen (7), (8) das obere
bzw. das untere Vorzeichen auf der rechten Seite zu nehmen ist, je nach-
dem W''>d\W''>) positiv oder negativ ausfällt. Die Gleichungen (6) schreiben
wir als Identität in x, wie folgt
(11) [cp^''\x] = l^''\(p^''\Kx]
und entnehmen daraus, weil W'^ und U^^ bei ungleichen Indizes verschieden
sind, die Beziehung
Um endlich den Zusammenhang mit der Theorie der orthoo-onalen
Transformation der quadratischen Form zu erhalten, gehen wir von dem
Ausdruck
HK)
w
d(J) V
aus. Da der Zähler eine Funktion (w — l)-ten Grades in / und der
Nenner vom wten Grade in l ist, so erhalten wir nach den Regeln der
Partialbruchentwicklung unter Benutzung von (10)
D {', ■;) ini^,^ ^ D{i'%;) .
'd{l) d'(Z'i') l — V^>'^ ■■+ d'il.^"^) l — ¥''i
eine Formel, die identisch in x, y, l erfüllt ist. Für Z = 0 gehen hieraus
die Formeln
(12) [X, y] — nvd'^Hl)^ + • • • + In) d' (l(n)^
^ ^ • f(p<i), 9)<i'j ~r • • • -r j-^(„,^ ^,„)j
hervor. Setzen wir hier an Stelle von y die lineare Kombination Ky ,
so erhalten wir mit Rücksicht auf (11) die Identität
(14) Kxy = [Kx, y] == [x, Ky] = ^^a^-^^r^ + • • • + ^jin^WW^)
,1Ö^ _[<P';^.£l[?"i2/] , ^W'"\x\W'^\y]
Wir fügen noch die besonderen Formeln hinzu, die aus den beiden letzteren
durch Gleichsetzen der x mit den y hervorgehen:
Kap. II. Lösung des transzendenten Problems.
„(1)1 I ■ ■ ■ 1 i(H) r („)
Zweites Kapitel.
Lösung des transzendenten Problems.
Wir erinnern an die Bedeutung der Größen K^^^^, wie sie am Anfange
vom ersten Kapitel aus der Funktion K{s, t) gebildet worden sind, und
nehmen an, daß K{s, t) eine stetige Funktion der Variabelu s, t in den be-
trachteten Intervallen 0 bis 1 sein möge. Unsere Methode erheischt die
strenge Durchführung des Grenzüberganges für n = <x>. Der im ersten
Kapitel zunächst erledigten algebraischen Aufgabe entspricht das tran-
szendente Problem, die Integralgleichung zweiter Art
1
f{s) = (p(s) - ljK{s, t)(p{t)dt
Q
aufzulösen. Wir beschränken uns in diesem zweiten Kapitel im wesent-
lichen darauf, nach unserer Methode die zur Auflösung der Integral-
gleichung nötigen Formeln zu gewinnen, wie sie von Fredholm zuerst
angegeben worden sind. Hierbei wird die Symmetrie von K(s, t) noch
nicht vorausgesetzt.
Entwickeln wir d(l) nach Potenzen von ?, wie folgt:
d{l)== 1 -dj + dP ±dj%
so ist, wenn Jt irgendeinen der Indizes 1, 2, . . ., n bedeutet.
d^ = _^ "^PiP^^^p-iPi '^P".Ph
(.Pi,Pi, ■ ■ ^p/i)
PhPi PhPi ' ' ' PhPh
u
~PvP2,- • ■,Pn= ^,'^,- ■ ■, «
Die Summe rechter Hand besteht aus L ] Determinanten; nach einem be-
kannten Satze ^) überschreitet der absolute Wert einer jeden Determinante
1) Hadamard, Bulletin des sciences mathematiques (2) XVII (1893).
Kap. II. Lösung des transzendenten Problems. 9
gewiß nicht die Grenze yh!'K'', wo K das Maximum der absoluten Be-
träge der Funktionswerte K{s, t) bedeutet. Hieraus entnehmen wir
H„iä(:)v//-A".^>;';'(»iQ'.^('^f)'
d. h. es ist
' d'' /eK\l<
Andererseits finden wir leicht, wenn // festgehalten wird, in der
Grenze bei unendlich wachsendem n
119) L^, = S„
WO d,^ die Bedeutung eines /i- fachen Integrales hat:
1 1 K{s„ s,), K{s^, s,), ■■■, K{s„ sj
ö;,= ;';j--J ds,-ds,.
« " , ^(s,, 5i), K{s„ So), ■ ■ ■, K[s^ sj
Aus (18) und (19) folgt auch
(^«) :**^(i)"-
Wir führen nun die von Fredholm zuerst angegebene und Avegeu (20)
beständig konvergente Potenzreihe
8{X) = 1 - d^A + ö.,l- - d-^X' + • • •
ein und stellen dann folgenden Hilfssatz auf:
Hilfssatz 1. Der Ausdruck d i — \ konvergiert bei unendlich wachsen-
_dem n gegen di^l), und zwar ist diese Konvergenz eine gleichmäßige
für alle Werte von l, deren absoluter Betrag unterhalb einer beliebig
gewählten positiven Grenze A gelegen ist. In demselben Sinne konver-
giert der Ausdruck — d' i — ) gegen <5'(/l).
Um diesen Hilfssatz zu beweisen, nehmen wir inl Gegensatz zu dem-
selben an, es existiere eine positive Größe e derart, daß für unendlich
viele ganzzahlige n und zugehörige Werte von X mit absoluten Beträgen
unterhalb A stets
ausfällt. Nunmehr wählen wir die ganze Zahl m so groß, daß folgende
Bedingungen erfüllt sind: es soll für alle X, deren absoluter Betrag unter-
halb A liegt,
sein; ferner sollen die Ungleichungen
10
(22)
(23)
Kap. II. Lösung des transzendenten Problems.
m > (ßeKAf
' < ^
erfüllt sein-, dann ist gewiß im Hinblick auf (1.^) und (22) für jedes n
auch
"[':.) =
' i +
1 - "' ;. +
"1 im I
m+ 1
'S-
+ '\ A«
(O^^^l)
oder wegen (23)
(^4) 'Ml)-'(i
H — n I A
Nachdem die ganze Zahl m in dieser Art bestimmt worden ist,
wählen wir die ganze Zahl n so groß, daß
(25)
n H- — w
-(i -d,A ^b^}? ±b„i"^ < l
ausfällt; wegen der Gleichung (19) ist eine solche Bestimmung von n
gewiß möglich. Die Ungleichungen (21), (24), (25) zeigen nun, daß der
Unterschied zwischen d ( ) und ö (A) absolut genommen weniger als s
betragen muß; diese Folgerung widerspricht unserer Annahme, und damit
ist Hilfssatz 1 bewiesen.
Um zu erkennen, wie sich für die Determinante Dil/ j der Grenz-
übergang zum transzendenten Problem gestaltet, verstehen wir unter x{s)
und y{s) zwei willkürliche stetige Funktionen der reellen Variabein s im
Intervall 0 bis 1 und setzen allgemein
in jene Determinante D (l, ) ein. Sodann entwickeln wir dieselbe nach
Potenzen von /, wie folgt:
und finden leicht in der Grenze bei unendlich wachsendem n, wenn A
festbleibt,
D,
L
1
z/,
C).
wo z/j i 1 die Bedeutung eines /<■ fachen Integrales hat:
Kap. II. Lösung des transzendenten Problems. 11
, ^1 0, x{Si), x{s,^,) ... x(s,)
i,{s,), Kis„s,), K{s„ 62), . . ., K{s„ s,) i
Führen wir nun die beständig konvergente Potenzreihe ein:
^K)=m;)-m;)>-+^'0^'----'
so folgt durch einen entsprechenden Beweis wie vorhin der folgende
Hilfssatz :
Hilfssatz 2. Der Ausdruck —Di , ) konvergiert bei unendlich
n \n ' y / °
wachsendem n gegen ^ (l, \, und zwar ist diese Konvergenz eine gleich-
mäßige für alle A, deren absoluter Betrag unterhalb einer beliebig ge-
wählten positiven Grenze A gelegen ist.
Wie man sieht^ ist z/ (l, j eine Potenzreihe in A, deren Koeffizienten
noch von den willkürlichen Funktionen x{s), y^s) abhängen.
Wir gehen dazu über, in der Formel (ß) den Grenzübergang für
n = 00 zu vollziehen.
Bedenken wir, daß zufolge der eingangs eingeführten Abkürzungen
Ky,, == Kp, !h + ^^22/2 + • • • + Kp,y„
-^(;:'-^)n'.)+^'(r':)^(:)+- ■+M^:>(^)
ist, so erhalten wir durch das nämliche Verfahren, das zu den Hilfs-
sätzen 1 und 2 führte, die Formel
ZVn'-^in' Ky) ^^ Jj^T. ^ [n^ }_Ky)
n
\ \ ' y J \y(s)=(K{s,t),j{t)dt
0
^ \ \ 'y l\Tj(s) = K[..t) ^"^ '
Setzen wir daher in der Formel (3) Z = ein und dividieren dieselbe
durch w, so liefert der Grenzübergang für unendlich wachsende n\
(26) 8{}:)jx{s)y{,)äs + ^(a,;) - ij \a (^,^)l,,)^^(,,,y(0^^^ = 0.
Diese Formel ist eine Identität in l und gilt, wenn 2'(.s-), y{s) irgend-
welche stetige Funktionen ihres Argumentes sind.
Setzen wir in dieser Formel (26)
12 Kap. II. Lösung des transzendenten Problems.
x{r) = K{s, r) und ijfr) = KU, t)
ein und benutzen die Abkürzung
(27) ^a; s,t)==k [^{l, y))^^^^^,^,^^^ - öa)K{s, t),
SO geht (26) über in
1
(28) d{X) K(s, t) + z/(A; s, t) - Xjzl{l; s, r) K{r, t) dr = 0.
0
Setzt mau endlich
so erhält man
1
(29) K{s,t)^K(s,t)-kfK(s, r) K(r, t) dr.
0
Ebenso erhält man, von der zu (3) analogen Identität
.m[^,y] + [D{1, ;)] - ; [D{1, ;)],^.j,^,,^= 0,
der D gleichfalls genügt, ausgehend, die Gleichung
1
(29') , K(s, t) = K(5, t) - xJK{s, r) K(r, t) dr.
0
Im vorstehenden sind zl{X]S,t) und K(5, ^) Funktionen der reellen
Veränderlichen s, t, die noch den Parameter A enthalten; die Formeln (28),
(29) und (29') gelten identisch in s, t und X.
Die Funktion K{s, t) heiße die lösende Funktion für den Kern
K{s, t); mittels derselben läßt sich nämlich die zugrunde gelegte Integral-
gleichung zweiter Art
1
/•(s) = (p{s)- Xj'K{s, 0 9>(0 ^^
0
auflösen, wie folgt:
1
(f(s) == fis) + Xj'K(s,t) f{t) dt.
0
Man erkennt dies sofort durch Einführung der rechten Seite der letzten
Formel in die voranstehende Integralgleichung; zugleich erkennen wir,
da auch umgekehrt die zweite Integralgleichung durch die erste auf-
gelöst wird, die Eindeutigkeit der Auflösung der Integralgleichung zweiter
Art für solche X, die nicht Nullstellen von d{X) sind.
Für z/(X; s, t) erhalten wir aus den obigen Angaben die Reihen-
entwicklung
z/(A; .s, t) = - K(s, t) + ^,{s, t) X - /l.^{s, t) X' + ,
wo
Kap. III. Transzendentes Analogou zur Orthogonaltransfonnation. 13
^ ^ K{s, t), K{s, s,), ..., K{s, s,)
^^^'^ 0 = ^ /• • •/ j ^^'''^^' ^^''''^^' '■■' ^^'^^'"^ : ds, . . . ds,
bedeutet. Aus dieser Formel folgt leicht die Identität in l:
1
(30) d'(X)=fzJ{X-s,s)ds.
0
Die so erhaltenen Formeln sind nichts anderes als die bereits mehr-
mals erwähnten Formeln von Fredholm.
Drittes Kapitel.
Das transzendente Problem, welches der orthogonalen Trans-
formation der quadratischen Form in eine Quadratsumme
entspricht.
Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, diejenigen algebraischen
Untersuchungen im ersten Kapitel, welche die orthogonale Transformation
der quadratischen Form Kxx betreffen, durch Ausführung des Grenz-
überganges für n = oo auf das transzendente Gebiet zu übertragen. Von
hier ab machen wir die wesentliche Voraussetzung, daß K(s, t) eine
symmetrische Funktion in s und t ist.
Zu dem Zwecke beweisen wir zunächst folgeiide Sätze über die XuU-
stellen von d(V).
Satz 1. Die Funläion d{X) besitzt Jceine komplexen Nullstellen.
Zum Beweise nehmen wir im Gegenteil das Vorhandensein einer
solchen Nullstelle- an, schlagen dann um dieselbe als Mittelpunkt in der
komplexen A- Ebene einen Kreis, auf dessen Peripherie und in dessen
Inneres keine weitere Nullstelle von d(A) fällt und auf dessen Peripherie
überdies Ö'{X) von Null verschieden ist. Da d (— | nach Hilfssatz 1 für
unendlich wachsendes n gleichmäßig gegen ö{l) und — "''(—) g^g^D '^ (^)
konvergiert, so müßte für genügend große Werte von n auf der ganzen
Peripherie jenes Kreises der Quotient Tyv ^^^^ ^^^ ^^^ Werten des
fi' (V\
Quotienten -~r- um beliebig wenig unterscheiden, und ebenso würde dann
auch der Unterschied der über die Kreisperipherie erstreckten Integrale
14 Kap. III. Transzendentes Analogen zur Orthogonaltransfonnation.
vi
" ~ rs'm
/^^,-T- dl und / ""
. „(1) -'^'''
beliebig nahe an Null liegen; dies aber wäre unmöglich; denn das erste
Integral hat den Wert Null, da die Nullstellen von d i — ) sämtlich reell
sind, das letzte Integral dagegen wird derjenigen ganzen Zahl gleich, die
die Vielfachheit der Nullstelle von d(A) im Kreismittelpunkt angibt.
In ähnlicher Weise erkennen wir auf Grund der in Hilfssatz 1 an-
gegebenen gleichmäßigen Konvergenz auch folgende Tatsache:
Satz 2. Wir denlcn uns für jede der Gleiclimiyen d{I) = 0 ihre
n Wurzeln dem absoluten Betrage nach geordnet
IW, ..., ^('0
derart, daß, wenn entgegengesetzt gleiche Wurzeln vorhanden sind, die
positive vorangeht und überdies beim Vorhandensein mehrfacher Wurzeln
jede so oft gesetzt werden soll, als ihre Vielfachheit beträgt. Ebenso ordne
man die Niillstellen von 8{X), soiveit solche da sind: alsdann ist
X wZW = kW, L nV-^ = 2(2), L nm = )S''\ ....
«=00 n=00. H=M
Man darf jedoch aus Satz 2 keineswegs auf die Existenz von Null-
stellen von 8{).) schließen, da sehr wohl der Fall eintreten könnte, daß
bereits nl^ für unendlich wachsendes n absolut über alle Grenzen zu-
nimmt.
Wir führen hier noch folgende Bezeichnungen ein: die Nullstellen
von d(X) mögen die zum Kern K{s, t) gehörigen Eigenwerte heißen.
Unter K{s, t) wurde bisher irgendeine symmetrische Funktion der
reellen Veränderlichen s, t verstanden; wir machen nun in diesem dritten
Kapitel durchweg die Annahme, daß die zu K{s, t) gehörige Funktion d{X)
keine mehrfache Nullstelle besitzen möge, so daß für eine jede
Wurzel der Gleichung d(k) = 0 gewiß d\l) von Null verschieden ausfällt.
Wir haben ferner zu beachten, daß die gegen Schluß des ersten
Kapitels entwickelte Transforuiationstheorie der quadratischen aus K(^s, t)
gebildeten Form
Kxx=:^Ki^, -Dx^x,^ (p, q = 1,2 . . ., n)
zur Voraussetzung hatte, daß die Determinante d{l) keine mehrfache Null-
stelle besitzt. Sollte nun für irgendwelche Werte von n die zu K{s, t)
gehörige Determinante d(l) eine mehrfache Nullstelle aufweisen, so ver-
fahre man in folgender Weise: man denke sich für jeden solchen Wert
von n an Stelle von K{s, t) eine modifizierte Funktion K{s, t) gesetzt,
Kap. III. Transzendentes Analogon zur Orthogonaltranaformation.
15.
so daß die Nullstellen der entsprechend gebildeten Determinante d{l) für
K(s, t) sämtlich einfach ausfallen; doch sollen die Werte der modifizierten
Funktion K{s, t) sich von denen des ursprünglichen Kerns K{s, t) nur
so wenig unterscheiden, daß für alle Werte der Variabein s,t, für alle
Indizes [h= 1,2, . . . , n) und für alle Paare von stetigen Funktionen x{s),
y(s) die Ungleichungen
\K{s,t)-K(s,t)\<^,
I (h-d, I < 1,
I /('')- ZW I <
D,{l)-D,{l)\<3I(x).3I(y)
(/.= l,2,...,n)
erfüllt sind; dabei bedeuten d^, D,i j die Koeffizienten der entsprechend
für K(s,t) gebildeten Determinanten dQ,), Dil, ' ), ferner l*^''^ die ent-
sprechenden Nullstellen von d(l) und 31 {x), 3i{y) sollen die Maxima
der absoluten Werte der Funktionen x{s) bzw. y{s) sein. Offenbar nälieru
sich dann die Ausdrücke
^ ' ^ \ /( / ' n \ n ' y j
für unendlich wachsendes n gleichmäßig; den Grenzen bzw.
d. h. den nämlichen Grenzen, wie die mittels des nicht modifizierten
Kernes gebildeten Ausdrücke. Wir sind dadurch in den Stand gesetzt,
auch diejenigen Formeln der im ersten Kapitel entwickelten Theorie der
quadratischen Form Kxx anzuwenden, zu deren Gültigkeit das Nicht-
vorhandensein mehrfacher Nullstellen von d(l,) eine notwendige Voraus-
setzung war. Obwohl wir in den fraglichen Fällen mit den modifizierten
Ausdrücken operieren müssen, wollen wir doch fortan bei unserer Dar
Stellung der größeren Übersicht halber die ursprünglichen Ausdrücke ohne
die Querstriche beibehalten.
Es bezeichne A^''' die //"^ Nullstelle von 0(1) unter Beachtung der
S. 14 festgesetzten Reihenfolge; aus (26) folgt
(31) ^ (i«, -) = .»./{^ (a«, ;).)_^^,^^.,, ,^Korf«,
und wegen der Symmetrie des Ausdruckes d il, ' ) in bezug auf x{s),
y{s) ist daher auch:
j (Xi') ^) = ;.(/') ?(z/ (a(''), ^)] x(s)ds
16 Kap. III. Transzendentes Analogen zur Orthogonaltransformation,
lind, wenn wir hierin y(r)^= K{r,t) einsetzen:
J^(aw/^)1 = l('')f\^Uw^)] x(s)ds
\ \ ' .V ' J;/(r) = A-(r,0 J l \ ' V / ) i(r) = K{r, ,) ^''
0 ,j(r) = K{r,t)
oder im Hinblick auf (27)
(32) j J (aO), ;) j ^^^^^ __ ^^^ ^^ ./^Ci«; ,, t^ ,is) ,U.
Aus (31) und (32) erhalten wir
(33) J U''\ ^) = ;W/ /z/(;W; s, t)x{s)y{t)dsdt.
^ 0 0
Zugleich ergiebt sich, wenn wir in (32) x{r) = K(r. s) einführen, im
Hinblick auf (27)
(34) z/(F'); s, t) = Z('')/z/(;L('')5 r, t) K{r, s) dr.
0
Nunmehr bezeichne W'^ die A*® Nullstelle von d(l) unter Beachtung
der oben festgesetzten Reihenfolge. Wegen Formel (7) ist allgemein
und hieraus folgt in der Grenze für unendlich wachsendes n
(a(^^)^(a("),^;) = z^(zw ;,)^(aw
y
y / \ y / \ or/ \ ' if
wenn hierin a;*, ?/* ebenso wie x, y stetige Funktionen ihres Argumentes
vorstellen, und folglich im Hinblick auf (27)
(35) ^(X(''); s, t) z/(A(''); s* i*) = z/(;.W; s, 5*) z/(A('"; /, /*).
Wegen (30) ist
(36) /z/(/lW; 5, s) ds = (JX^^^''^,
6
und da unserer Annahme zufolge die NuUstellen von d(Ä) sämtlich ein-
fach sind, so fällt d'(/l('')) von Null verschieden aus, und folglich ist auch
gewiß z/ (/.(''); 6', s) nicht identisch für alle Werte von s Null; es sei s* ein
solcher spezieller Wert, daß z/(Z(''); s*, s*) von Null verschieden ausfällt.
Alsdann setzen wir
dadurch ist (p^'''>(s) als eine stetige Funktion der Variabein s definiert: sie
heiße die ßu dem Eigenwerfe X^''^ gehörige EigenfimMion. Wir ge-
winnen aus (35), (37), wenn wir noch f^ durch s* ersetzen, die Gleichung
(38) X(") z/(AW; s, 0 = + (p^''Ks) ^^'\t).
Kap. III. Transzendentes Analogon zur Orthogonaltransformation. 17
Mit Hilfe von (06) folgt mitbin
0
und daraus erkennen wir, daß in den beiden letzten Gleichungen das
obere oder untere Vorzeichen gilt, je nachdem k^''^ö'(X'^'>) positiv oder
negativ ausfällt.
Unter Hinzuziehung von (33) leiten wir noch die Formeln ab:
^ (aW, ^^) = ±f<p^''\s)x{s)ds ■f(p^''\s)y(s)ds
^0 0
und
X(A) , * ) f (p"') (s) xis)ds • fcp^'>^ (s) II is) d i
y } h 0
I
Endlich ergibt die Formel (34) in Verbindung mit (38) nach Weglassung
des Faktors (p^''\t)
9,(A)(s) = li'Of K{s, t) (p^''\t) dt,
0
und hieraus leiten wir, wenn (p^''\s) die zu einem anderen Eigenwerte A'*)
gehöricre Eigenfunktion bezeichnet, sofort die Gleichung ab:
jV'^(s)9^*^(s)^s = 0, (h^lc).
0
Oftmals ist es im Interesse einer kürzeren Schreibweise vorzuziehen,
an Stelle der Eigenfunktionen cp^''\s) die Funktionen
<p"'>(s)
t^''\s) =
]/.Acp
"'>(«))« ds
einzuführen; dieselben mögen normierte EigenfunJctionen oder, wenn
ein Mißverständnis ausgeschlossen erscheint, Eigenfunktionen schlecht-
weg heißen: sie genügen den Gleichungen ^
(39) WöcSf =ft^"Ks) x{s) ds .ft^"\s) y{s) ds,
^ ' Q 0
1
f(t^''\s)yds=- 1,
D
J^('')(s)^(*)(s)f?s = 0, (h^l-)
0
1
(40) tp^'^^s) = A('')/ä'(s, 0 ^^"^(0 d*-
0
Math. Monogr. 3: Hilbert, IIa. Integralgleichvmgea.
18
Kap. III. Transzendentes Analo{?on zur Ürthogonaltransformation.
Nunmehr haben wir die Vorbereitungen beendet, um diejenige Frage-
stellung zu erledigen, welche aus dem alfi^ebraischen Problem der ortho-
gonalen Transformation der quadratischen Form beim Grenzübergange für
unendlich wachsendes n entsteht.
Wir haben am Schluß des ersten Kapitels die Formeln erhalten:
[x, x] =
+
(h=l,2,...,n).
Die letzte Formel zeigt, daß jedes Glied der Summe rechter Hand im
Ausdruck für [x, x] positiv ausfällt; mithin gilt, wenn m irgendeine
ganze Zahl unterhalb n bedeutet, die Ungleichung:
(41)
B{f-^\l) V[,i«*'\l)
l)^'(7{m+l)\ +
+ ••• +
Da wegen
notwendig
^ [^> ^]-
i)(>)
X
ly^
<^r
ist, so folgt, indem wir (41) anwenden
i)(z('"+^^) d(/('"+^^)
i('»+i)d'(z("'+i))
+
Z("'+2)d'(z("'+2))
+ ••• +
D U"
'y
zC^d'Cze«))
<^([x,x] + [y,y]),
und mithin ist um so mehr die Summe der n — m letzten Glieder auf der
rechten Seite der Formel (14) absolut nicht größer als
demnach ist mit Rücksicht auf jene Formel (14) auch
(42)
Kxy —
In dieser Formel wollen wir, wie bereits früher geschehen ist,
P'i \n ' n / P \n/' ^p -^ \n /
I
Kap. III. Transzendentes Analogen zur Orthogonaltransformation. 19
eingesetzt denken und sodann nach Division durch n^, während ni fest-
bleibt, den Grenzübergang für « = oo ausführen. Berücksichtigen wir
die Grenzgleichungen:
n =00
" - ~ 0 0
und beachten wir, daß den Hilfssätzen 1 und 2 gemäß die Ausdrücke
^ D{~, J und Vr^'(yr) gleichmäßig für alle unterhalb einer festen
Grenze liegenden X gegen ^ U, ) bzw. d'(A) konvergieren, so geht die
Ungleichung (42) in die folgende über:
(43) I j J Eis, 0 x{s) y{f) dsdt- -^^^^ - (X^^^^ - • • •
a"»))2ä'(A("'>)
Nunmehr benutzen wir die Tatsache, daß die Eigenwerte A^'"), falls
es ihrer unendlich viele gibt, mit unendlich wachsendem m absolut ge-
nommen selbst über jede Grenze wachsen, und erkennen dann mit Hilfe
der Formel (39), indem wir noch statt der Integrationsgrenzen 0,1 die
allgemeineren Grenzen a, h einführen, folgendes grundlegende Theorem:
Tlieorem. Es sei der Kern K(s, t) einer Integralgleichung
zweiter Art
b
f{s) = (p{s) — ljK{s, t)(p(t) dt
a
eine symmetrische stetige Funktion von s, t-^ ferner seien A^'') die
zu K{s,i) gehörigen Eigenwerte und ijj^''\s) die zugehörigen nor-
mierten Eigenfunktionen; endlich seien x{s), y{s) irgendwelche
stetige Funktionen von s: alsdann gilt die Entwicklung
h Ij h b
(44) J jK{s,t)x{s)yit)dsdt = ^4) ß^'Ks)xis) ds •ß('\s)yis)ds
< 9 lii^v [Ax(ß)fds + j {y{sj)-ds)
+ I?2) f¥'Ks)^{s)ds ■ß^\s)yis)ds + ■■;
wobei die Reihe rechter Hand absolut und gleichmäßig für alle
Funktionen x{s), yis) konvergiert, für welche die Integrale
20 Kap. III. Transzendentes Analogen zur Orthogonaltransformation.
b b
f{x{s)yds, f(y(s)yds
a a
unterhalb einer festen endlichen Grenze bleiben.
Dies ist dasjenige Theorem, das für x{s) = y(s) dem im ersten Kapitel
genannten algebraischen Satze über die Transformation einer quadratischen
Form in die Quadratsumme von linearen Formen entspricht.
Einige unmittelbare Folgerungen dieses Theorems sind folgende:
Die nämlichen Eigenwerte 2*''^ und Eigenfunktionen ^•(''^(s) können
nicht noch zu einem anderen von K{s, t) verschiedenen Kern gehören;
die A^*' und ^(''^(s) bestimmen vielmehr in ihrer Gesamtheit den
Kern K{s,t) vollständig.
Setzt man in die Formel des Theorems an Stelle von y(t) das Inte-
gral fK{r,f)y()-)dr ein, so entsteht mit Rücksicht auf (40) die folgende
Formel :
h b h b
J jKK{s,t)x{s)y{t)dsdt = ^^^^, ß^'\s)x{s)ds •/^(i)(s)i/(s)rfs
a a a a
b h
+ äk^ f^^'Ks)x{s)ds .ft^'\s)y{s)ds + • . •,
a a
wobei zur Abkürzung
6
KKis, t) =JK{s, r) Kit, r) dr
a
gesetzt ist; diese Funktion KK{s,t) möge der aus K{s,t) zweifach zu-
sammengesetzte Kern heißen. Aus Formel (44) erkennen wir, daß der
aus K[s, t) zweifach zusammengesetzte Kern dieselben Eigenfunktioneu
besitzt, wie K(s,t), während die Eigenwerte die Quadrate der zu K{s,t)
gehörigen Eigenwerte sind.
Es möge hier noch eine Verallgemeinerung der Formel (29) Platz
finden. Bringen wir nämlich die Abhängigkeit der lösenden Funktion K (s, t)
vom Parameter ). zum Ausdruck, indem wir für dieselbe die Bezeichnung
K{l]S,t) anwenden, und setzen wir zur vorübergehenden Abkürzung
h
F{s, t) == K(>1; s, i) - K(/t; S, t) + (/t - A)/K(A; s, r) K(.(i; r, t) dr,
a
so erhalten wir mittelst wiederholter Anwendung von (29') die Identität
b
F{s, t) - lfK{r, s) F{r, t) dr = 0
a
und diese zeigt zu Folge einer Bemerkung am Schluß von II, daß F{s, t)
jedenfalls für jeden solchen Wert von A verschwindet, der von den Eigen-
Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktionen. 21
werten )S'''> verschieden ausfällt. Daher ist F{s, t) notwendig für alle
Argumente X, n, s, t identisch Null, d. h. es gilt die allgemeine Formel
b
(45) K{l-s,t)- K(.a; s, f) = {^ - i[t)/K(A; s, r) K(/t; r, t) dr.
a
Diese Foi-mel können wir auch in der Gestalt schreiben:
b
(46) K(.u; s, t) = K(;/ + /t; s, t) - kfK{X + .u; s, r) K(.(t; r, t) dr-
a
hieraus folgt, daß, wenn wir K (« \ s,i) als Kern für eine Integralgleichung
zweiter Art nehmen, die zugehörige lösende Funktion notwendig K(A -r i^; s, 0
ist. Zugleich finden Avir
a
und erkennen hieraus, daß zum Kern K(,a;5, ^) dieselben Eigenfunktionen
wie zum Kern K(s, t) gehören, während die zugehörigen Eigenwerte die
Größen A^''^ — u sind.
Viertes Kapitel.
Entwicklung einer willkürlichen Funktion nach
Eigenfunktionen.
Die erste wichtige Anwendung des im dritten Kapitel bewiesenen
Theorems geschehe zur Beantwortung der Frage nach der Existenz der
Eigenwerte A^^l Diese Frage ist von besonderem Interesse, weil die ent-
sprechende speziellere Aufgabe in der Theorie der linearen partiellen
Differentialgleichungen, nämlich der Nachweis der Existenz gewisser aus-
gezeichneter Werte für die in der Differentialgleichung oder in der Rand-
bedingung auftretenden Parameter bisher wesentliche Schwierigkeiten ver-
ursacht hat. Durch Heranziehung unseres Theorems wird die weit all-
gemeinere Frage nach der Existenz der Eigenwerte, die zu einer Integral-
gleichung zweiter Art gehören, auf einfache und vollständige Weise
beantwortet. Nehmen wir nämlich an, ee gäbe keine oder nur eine
endliche Anzahl, etwa m Eigenwerte, so ist die in dem Theorem auftretende
Reihe (44) eine endliche mit m Gliedern und, da die Formel (44) des
Theorems für alle stetigen Funktionen x(s) und y[s) gelten soU, so folgt
aus derselben mit Notwendigkeit
Kis, 0 = ^ t^'\s)n,i'\t) + • ■ • + ^ ^('»)(s)^('»)(0,
22 Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktionen.
d. h. K(s, t) vermag, weun man eine der beiden Variablen, etwa f , als
Parameter auffaßt und diesem irgendwelche konstante Werte erteilt, nur
tn linear unabhängige Funktionen der anderen Variabein s darzustellen.
Umgekehrt, wenn K(s, t) diese Besonderheit aufweist, so verschwinden,
wie man sieht, alle Koeffizienten der Potenzreihe Ö{X), die mit einer
höheren als der w-ten Potenz von l multipliziert sind, d. h. d{l) wird
eine ganze rationale Funktion in A, und es gibt dann gewiß nur m Eigen-
werte. Wir sprechen somit den Satz aus:
Satz 3. Die zu K(s,t) gehörigen Eigenuerte sind stets in unendlicher
Anzahl vorhanden — es sei denn, daß K{s. i) als eine endliche Summe
von Produkten darstellbar ist, deren einer Faktor nur von s, deren anderer
nur von t ahhängt; tritt dieser Fall ein, so ist die Zahl der Eigenwoie
gleich der Anzahl der Summanden in jener Summe, und d(/,) ist eine
ganze rationale Funktion von einem Grade gleich dieser Anzahl.^)
Wir wenden uns nunmehr zu der Frage der Entwicklung jener will-
kürlichen Funktion in eine unendliche Reihe, die nach Eigenfunktionen
fortschreitet. Führen wir in die Formel (44) unseres Theorems
yit)=^K{r,t)
ein und setzen
6 h
/•(r) ==ffK{s, t) K(r, t) x (s) ds dt,
a a
bedenken wir sodann, daß mit Rücksicht auf (40 )
ff(r) t^C") (r j dr = ^^L^J'^is) ?^-('") (s) (7..-
a a
wird, so geht die Formel (44) unseres Theorems über in
/, h
f{r) ^Jf{s)^^'\s)ds - t^'Hr) + ff{s)4>^'){s)ds-i^^'\r) -f • • •,
a a
d. h. es gilt der Satz:
Satz 4. Wenn eine Funktion f(s) sich in der Gestalt
b h
f(s) =JjK(:r, t) K(s, t) h{r) drdt
a a
do/rstellen läßt, wo h(r) eine stetige Funktion von r ist, so läßt sie sich auf
1) Der von mir hier zuerst aufgestellte und bewiesene Satz von der Existenz eines
Eigenwertes für jeden nicht identisch verschwindenden Kern bildet einen integrieren-
den Bestandteil meiner Theorie und ist, als ich meine Untersuchungen über Integral-
gleichungen begann, eines meiner frühesten Ergebnisse gewesen; in neueren Arbeiten
findet sich — offenbar versehentlich — eine gegenteilige Behaui^tung ausgesprochen.
Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktionen. 23
die Fouriersche Weise in eine nach EigcnfarMionen des Kernes K (s, t)
fortschreitende Beihe entwickeln, ivie folgt
f{s) = c,^,^'){s)^c,xl>(%s) + ...-
h
c„,-ffis)tp('-){s)ds.
a
Diese Reihe konvergiert ahsolut und gleichmäßig})
Die in diesem Satze gemachte Voraussetzung über f(s) ist gleich-
bedeutend mit der Forderung, es soll eine stetige Funktion h{s) geben,
so daß die Integraldarstellung
/.
f{s)=jKK{s,t)h{t)dt
a
gilt, oder auch mit der Forderung, es soll zwei stetige Funktionen g{s)
und li{s) geben, so daß
b
f(s)^jK{s,t)g{t)dt,
a
b
g{s)=jK{s,t)h{t)dt
a
wird.
Wenn K{s, t) eine solche symmetrische Funktion von s, t ist, daß
die Gleichung
b
fK(s,t)g{s)ds^O
a
sich niemals durch eine stetige von Null verschiedene Funktion g{s)
identisch in t erfüllen läßt, so heiße K{s^ t) ein abgeschlossener Kern.
Es ist leicht, aus Satz 3 zu erkennen, daß zu einem abgeschlossenen Kern
stets unendlich viele Eigenwerte gehören. Ferner können wir für einen
abgeschlossenen Kern folgende Behauptungen aufstellen:
Satz 5. Es sei K(s, t) ein abgeschlossener Kern und i'^^'^s) die
zugehörigen Eigen funltionen: trenn dann h{s) eine stetige Funktion ist, so
daß für alle m die Gleichung
I,
Jh{s)xp^"'\s)ds = 0
a
erfüllt ist, so ist h(s) identisch Null.
1) Das soll heißen: die Reihe der absolut genommenen Glieder konvergiert
gleichmäßig.
24 Kap, IV. Entwicklung nach Eigenfimktionen.
Um diesen Satz zu beweisen, setzen wir
g{s)=fK(s,t)h{t)dt,
a
f{s)=jK{s,t)g{t)dt.
a
Nach Satz 4 gestattet f{s) die Entwicklung nach den Eigenfunktionen
t/^<'")(s), und zwar erhält man für die Koeffizienten dieser Entwicklung
a a a
folglich ist f[s) identisch Null. Da K{s, t) ein abgeschlossener Kern sein
sollte, so folgt hieraus zunächst g{s) = 0 und sodann auch ^(5) = 0.
Satz 6. Es sei K{s,t) ein abgeschlossener Kern und f(s) irgend-
eine stetige Funktion: wenn sich alsdann herausstellt, daß die in Fourier-
scher Weise gebildete Beihe
c^tl,W(s) + c,i>('\s)-^-'-,
h
c,,=ffis)ip^'^)(s)ds
a
gleichmäßig konvergiert, so stellt sie die Funktion f(s) dar.
In der Tat erweist sich die DiiFerenz von f(s) und der durch jene
Reihe dargestellten Funktion von s unter Benutzung des Satzes 5 als Null.
Für die Entwickelbarkeit einer willkürlichen Funktion f(s) nach
Eigenfunktionen haben wir in den Sätzen 4 und (3 gewisse Kriterien auf-
gestellt. Wir können die Bedingungen des Satzes 4 wesentlich verein-
fachen; es gilt nämlich der Satz:
Satz 7.^) Jede unter Vermittlung einer stetigen Funktion g{s) durch
das Integral
f{s)=jK{s,t)g{t)dt
darstellbare Funktion ist in eine nacli Eigenfunktionen fortschreitende Beute
auf Fouriersche Weise enttvickelbar, ivie folgt
6
c,,=Jf{s)i'^"'\s)ds.
a
Diese Beihe konvergiert absolut und gleichmäßig.
1) Vgl. die auf E. Schmidt bezügliche Anmerkung in Kapitel XIV sowie den
von n
Variabein.
Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktionen. 25
Den Beweis führen wir liier nur unter einer gewissen Voraussetzung
über den Kern K{s, t). Wir wollen nämlich eine symmetrische stetige
Funktion K(s, t) dann einen allgemeinen Kern nennen, wenn es möglich
ist, zu jeder stetigen Funktion g{s) und zu jedem beliebig kleinen posi-
tiven £ stets eine stetige Funktion h{s) zu ermitteln, so daß, wenn
h
x{s)^g (s) -jK{s, t) h {t) dt
a
gesetzt wird, die Ungleichung
6
» f{x{s)y(ls < s
a
gilt, d. h. der Kern K(s, t) heißt allgemein, wenn das Integral
jK{s,t)}i{t)dt
a
bei geeigneter Wahl der stetigen Funktion h (s) jede stetige Funktion g (s)
in dem eben bezeichneten Sinne angenähert darzustellen fähig ist. Nun-
mehr bezeichnen wir mit s irgendeine beliebig kleine positive Größe-,
sodann bedeute M das Maximum der Funktion
b
J{K{s,t)ydt,
a
wenn die Variabele s sich im Intervall a bis h bewegt. Da K{s, t) ein
allgemeiner Kern und g (s) eine stetige Funktion sein soll, so läßt sich
eine stetige Funktion li (s) finden, so daß, wenn
h
x{s)^g (s) -J'K{s, t) h (0 dt
a
gesetzt wird, die Ungleichung
a
erfüllt ist. Wir setzen
b
g*{s)=jK{s,t)h{t)dt,
a
r{s)^jK{s,t)g*{t)dt
a
Nach Satz 4 gestattet die Funktion f*{s) die Reihenentwicklung nach
Eigenfunktionen
26
Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktiouen.
und wecen der gleichmäßigen und absoluten Konvergenz dieser Reihe ist
es gewiß möglich, eine ganze Zahl 7n zu finden, so daß für alle 6^
(48) l/'*(s) - c\i'^'Ks) - cln^^'Hs) Cxp^'-\s)\< l
ausfällt und auch die Ungleichungen noch gelten, die entstehen, wenn
man m hierin durch eine größere Zahl ersetzt.
Nun ist
I fKis, t)x{t)dt ' £ y J\K{s, t)fdt Jixitifdt
und mit Rücksicht auf (47) mithin
Wegen
(49) f(s) = r'is) -\-j'K(s, t) X [t) dt
haben wir folglich die Ungleichung
(50) \fis)-r-{s)\£l-
Andererseits ist wegen (49)
c, - c/ ^ffKis, t) tpO\s) X (t) dt = ^ JVW(0^(0 dt
a a «■
und folglich
h b
(51) (c,. - c/) i>^^{s) =JV'Ks)x{s)ds -jKis, t) xlj^^\t)dt.
a CL
Nehmen wir
/,
^^<^{s)x{i)ds 4 /T 6
A = " ,-^ =^ , B = y J{x{s)Y ds fKis, t) i^W (t) dt,
y f{x{s)y'ds
a
so folgt wegen
aus (51) die Ungleichung
(52)
AB 1 ^ V {A^ + B^)
(c.-c/)i/;W(s)|^
yl{x{s)yds
{x{s)yds (fK{s,t)rlJ^>\t)dt
Kap. IV. Entwicklung nach Eigenfunktionen. 27
Wir wenden uns nunmehr zu der Formel (16) zurück. Da jedes
Glied der Summe auf der rechten Seite dieser Formel (16) ^ 0 ausfällt,
so ojilt für m < n die Unc^leichuncr
D (,.. -) D (ir,, -) D (,„.,, -)
Denken wir uns in dieser Formel wieder, wie früher
P'i \n' n / ' P \n /
eingesetzt und sodann nach Division durch n, während m festbleibt, den
Grenzübergang für w = oo ausgeführt, so entsteht die Ungleichung
lft^'^{s)x{s)ds\ + \ß^'\s)x{s)ds\ + • • •
(53) ^" \^ ^
4- /^-C") (6-) a; (s) (?s ^ /(.r (s))^ rfs .
U J 0
Mit Benutzung dieser Ungleichung, in der wir wieder die lutegrations-
grenzen a bis h eingeführt annehmen, folgt, wenn wir (52) für j = 1, 2, . . ., m
bilden und summieren:
V
2; (<j - c*) i/;W (5) 1 ^ i- ]/ j{x {s)y ds (l-f 31)
j = 1, . . ., 711 a
oder im Hinblick auf (47)
d. h. es ist auch
(54) qT^(i)(s) + • • ■ + c„M"'Hs) - c>(i)(s) ^^^(s) I ^ J •
Aus (48), (50), (54) folgt für alle s
I fis) - c, i/;(^)(s) - c,^^^^^{s) c,„i/;("0(s) ] < e,
und man sieht zugleich, daß diese Ungleichung gültig bleibt, wenn man
auf der linken Seite statt m eine größere Zahl wählt; damit ist der Be-
weis für unseren Satz unter den gemachten Voraussetzungen erbracht.
Auf Grund des eben bewiesenen Satzes 7 läßt sich auch zeigen, daß
die unendliche Reihe
, h .2,h V 2
J^^'\s)x{s)ds\ + (Jxl;^''\s)x{s)ds\ + • • •
konvergiert und den Wert
h
f{x{s)yds
a
besitzt; dabei ist wiederum K{s, t) als allgemeiner Kern vorausgesetzt,
und x(s) bedeutet eine beliebige stetige Funktion.
28 Kap. V. Das zugehörige Variationsproblem.
Fünftes Kapitel.
Das Variationsproblem, das der algebraischen Frage nach
den Minima und Maxima einer quadratischen Form entspricht.
Die im dritten uud vierten Kapitel entwickelte Theorie ist für die
Variationsrechnung von besonderer Bedeutung. Ich möchte jedoch hier
nur dasjenige transzendente Problem behandeln, welches der algebraischen
Frage nach den relativen Maxima und Minima einer quadratischen Form
bei Konstanz einer zweiten anderen Form entspricht: es ist dies das
Problem, diejenigen Funktionen a:(s) zu finden, für welche das Doppelintegral
b b
J (a;) = JjK{s, t) x{s)x{t)dsdt
a a
minimale oder maximale Werte besitzt, Avähreud die Nebenbedingung
h
(55) J{x{S)fds = 1
a
erfüllt ist.
Wenn der Kern K{s, t) die Eigenschaft hat, daß das Integral J(x)
nur positive Werte besitzt, was auch x{s) für eine stetige Funktion sei,
und Null nur für x(s) = 0 wird, so heiße der Kern K(s, t) definif. Wir
machen im folgenden die Annahme, daß K{s, i) ein definiter Kern sei.
Wenn für eine gewisse stetige Funktion x{s) identisch in allen s
h
jKis,t)x{t)dt = 0
a
wird, so folgt offenbar J{x) = 0 und hieraus auch x{s) = 0, d. h. ein
definiter Kern ist stets auch ein abgeschlossener Kern; es gibt für ihn also
gewiß unendlich viele Eigenwerte und Eigenfunktionen.
Die Eigenwerte eines defhiiten Kerns sind stets positiv. Denn fiele im
Gegenteil etwa X^''^ negativ aus, so würde sich aus
(56) J{x) = ^4 { J V^'' (s) ^ (s) ds I + ^4 { j V^-) (s) x {s) ds I + • •
für x{s) = ip^'''>(s) der Wert des Doppelintegrals J(x) negativ ergeben.
Betreffs der Minima und Maxima von J(x) gelten folgende Sätze:
Satz 8. Es gibt keine stetige Funktion x(s)f welche das Doppcl-
integral J{x) zu einem Minimum macht, während die Nebenbedingung (55)
erfidlt ist.
In der Tat, die Eigenfunktionen iIj^^^s), ^(-^(s), . . . erfüllen sämtlich
die Nebenbedingung (55); wegen
Kap. Y. Das zugehörige Variationsproblem. 29
könnte daher der gewünschte Minimalwert nur gleich Null sein; diesen
Wert nimmt J{x) aber nur für x{s) = 0 an.
Satz 9. De)' größte Wert, dett das Boppelintegral J{x) annimmt,
falls x{s) eine stetige der Nebenhedinguny (55) genügende FunJdion sein soll,
ist Y(T)', denselben nimmt das Doppel integral für a;(s) = i^(^)(s) an.
Sei nämlich im Gegenteil x{s) eine Funktion, die der Nebenbedingung
(55) genügt und für welche
ausfiele, so müßte sich eine ganze Zahl m so wählen lassen, daß auch die
Summe S(x) der ersten m Glieder rechter Hand in (5(i) größer als iyj-,
wird. Nunmehr setzen wir
x(s) = q^(^)(s) 4- c^tl^^'Ks) + • • • + r,„t/;("')(s) + tj(s),
wo zur Abkürzung
Ck -f¥"\s) X (s) ds (/» = 1, 2, . . ., m)
a
gesetzt ist und demnach
6
/^(*)(s) y (s) ds = 0 (h = 1,2,..., m)
a
ausfällt; wir finden dann leicht
h h
(57) f(x(ß)yds = c^ -I- c^, + . . . + cl +f(y(s)yds,
a a
(58) S{x) = ^ + §, + ...-Vp,-
Aus (57) folgt mit Rücksicht auf (55)
um so mehr ist also
^1 -f -£i j + S'_ < J_
und diese Gleichung steht mit (58) in Widerspruch, da S{x) größer als
rjY) sein sollte; die ursprünglich gemachte Annahme trifft mithin nicht zu.
In analoger Weise erkennen wir die Richtigkeit des folgenden all-
gemeineren Satzes:
30 Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
Satz 10. Der größte Wert, den das Doppelintegral J(x) annimmt,
falls x(s) eine stetige FiinWvn sein soll, die den Nehenhedingungen
h
J{x{s)yds = i,
a
./>('') (s) X (s) r75 = 0 (Ä = 1, 2, . . . . w - 1)
a
genügt, ist ,,„, ; denselben nimmt das Doppelintegral für 3c{s) = t^"'\s) an.
Durch ähnliche Schlüsse erlangen wir auch die Lösung weiterer
Maximalprobleme. Beispielsweise gelingt ohne wesentliche Schwierigkeit
die Auffindung der Funktion x(s), die das Integral J{x) zu einem Maximum
macht, wenn außer der Nebenbedingung (55) noch die folgende Nebeu-
bedingung
(59) ff{s)x{s)ds = 0
a
erfüllt sein soll, wobei f(s) irgendeine gegebene Funktion bedeutet.
Wenn der Kern K{s, t) die Eigenschaft besitzt, stets positive Werte
anzunehmen, sobald x(s) eine dieser Nebenbedingung (59) genügende
stetige Funktion ist, so heiße er kurz relativ definit.
Unter den Eigenwerten eines relativ definiten Kernes ist höchstens einer
negativ. Denn wären etwa 1^^) und X^^^ negativ, so bestimme man die
Konstanten Cj, Co derart, daß die Funktion
rc(s) = Ci 1/^(1) (s) + c^i)^^\s)
der Nebenbedingung (59) genügt, und überdies c\ -\- c\ = 1 ausfällt: als-
dann fällt nach (56) gewiß J{x) negativ aus.
Sechstes Kapitel.
Ergänzung und Erweiterung der Theorie.
Wir haben bisher im ersten bis fünften Kapitel stets vorausgesetzt,
daß K{s, t) eine stetige Funktion der Veränderlichen s, t sei; es ist unsere
nächste Aufgabe, festzustellen, inwie^veit sich diese Annahme beseitigen läßt.
Wenn es eine endliche Anzahl von analytischen Linien L
s = F(t) oder t= G{s)
in der s^-Ebene gibt, so daß K(s, t) in den Punkten dieser Linien unstetig
oder unendlich wird, während für einen gewissen positiven, unterhalb .V
liegenden Exponenten a das Produkt
(s - F{t)yK{s, t) bzw. {t - G{s)YK(s, t)
Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
31
daselbst stetig bleibt, so sagen wir, daß K{s, t) Singularitäten von
niederer als der -l^ten Ordmirif/ besitzt. Dabei setzen wir voraus, daß
K{s, t) außerhalb der Linien L durchweg stetig sei. Nunmehr stellen wir
die Behauptung auf:
Die sämtlichen im dritten bis fünften Kapitel bewiesenen Resultate sind
gültig, auch ivenn der Kern K(s, t) der zugrunde gelegten Integralgleichung
Singularitäten von niederer als der Iten Ordnung besitzt. Zugleich dürfen
auch die in unserer Theorie auftretenden Funldionen x(s), y{s) solche Funk-
tionen sein, die an einer endlichen Anzahl von Stellen von niederer als der
^ien Ordnung unendlich iverden, wenn sie sonst stetige FtmMionoi von s sind.
Die Methode, mittelst der wir die Gültigkeit dieser Behauptung er-
kennen, besteht darin, daß wir die Linien L durch Gebietsstreifen der
s^-Ebene von beliebig geringer Breite s ausschließen und alsdann eine
Funktion ^"^(5, t) konstruieren, die innerhalb jener Gebietsstreifen Null ist,
während sie außerhalb derselben mit K(s, t) übereinstimmt. Die Funktion
KJs, t) ist überall stetig mit Ausnahme der Grenzlinien jener Gebiets-
streifen, in denen sie, wie man sieht, sprungweise Wertänderungen erfährt.
Für einen solchen Kern wie K^(s, t), dessen Werte überall unterhalb einer
endlichen Grenze bleiben und nur in gewissen Linien unstetig werden,
sind unsere früheren Beweise unverändert gültig. Um ihre Gültigkeit für
den Kern K{s, t) zu erkennen , bedarf es der Ausführung des Grenzüber-
ganges für £ = 0. Wir wollen im folgenden auseinandersetzen, wie dies
zu geschehen hat.
Zu dem Zwecke wenden wir uns zunächst zu den Potenzreihen d{X)
S. 9 und z/ il, n S. 11. Die Koeffizienten d,^ bzw. -^hi) derselben
lassen sich für den Kern K{s, t) gewiß dann nicht bilden, wenn K{s, s)
als Funktion von s keine Bedeutung hat, d. h. sobald die Linie s = t oder
ein Teil derselben zu den singulären Linien des Kerns gehört. Diesem
Übelstande helfen wir dadurch ab, daß wir an Stelle der früher angewandten
Formeln für d\ S. 9 bzw. z/^ r\ S. 11 die folgenden eingesetzt denken
j 0 , K{s„ Sg), . . ., K{s^, sj
K{s^,s^), 0, . .., K{s^,s,)
hf- ■ f
ds,-- ds,^,
K{s^ sj, K{s,, S2), . . ., 0
I 0 , x{s^) , x{s^) , ..., x{s^)
1 1 1 2/(sj, 0 , K{s„ S2), . . ., K{s,, s,.)|
ds,.
y{h\ J<^{.h, h), ^{s„ S2),
0
32 Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
Wie man sieht, unterscheiden sich die neuen Ausdrücke für d^ bzw.
z/j ( ) von den frühereu nur dadurch, daß in der Determinante die Ele-
mente der Diagonalreihe überall 0 sind. Die mit den neuen Koeffizienten
gebildeten Potenzreihen ö(k) bzw. zJ Ix, ) stimmen mit den früheren bis
auf einen unwesentlichen Exponeutialfaktor übereiu, der für ö(A) und
\ y) derselbe ist und daher bei der Bildung des Quotienten — x(r^~
wegfällt.^)
Hilfssatz 3. Die neuen Ausdrücke d^ und z/,^ ( j haben für unsern
Kern K{s, t) stets einen Sinn und die mit ihnen gebildeten Potenz-
reihen d{l) und .i:/ (/l, I in k sind beständig konvergent.
Wir wollen der Einfachheit halber den Beweis hierfür nur in dem
Falle erbringen, daß s = t die einzige singulare Linie von K(s, t) ist.
In dem Ä-fachen Integrale für d,^ sollen die Integrationsveränderlichen
Sj, . . ., s^ alle Werte zwischen 0 und 1 durchlaufen. Wir betrachten
zunächst den M-ten Teil T dieses A-dimensionalen Integrationsgebietes,
der durch die Ungleichungen
«1 > §2 > • • • > S^
charakterisiert ist. Wir denken uns dann in der /<- reihigen Determinante,
die im Ausdruck für d,^ auftritt, die Elemente
der ersten Horizontalreihe mit | (s^ — s^" j
„ zweiten „ „ { | {s^ - s,)-" i + ! («2 - hY" I } "^
„ dritten „ „ { | {s, - .s,)"' \ + {s, - s, )"« } "^
„ ^'-ten „ . „ I (s,,_i - 5,)'^ i
multipliziert; dadurch entsteht eine Determinante, deren Elemente, wie
man leicht sieht, gewiß sämtlich für alle Werte der Variabein absolut
genommen unterhalb einer endlichen positiven Größe K liegen. Der Wert
der letzteren Determinante ist gewiß ^ ]////' K\ und folglich ergibt sich
für das über T erstreckte A- fache Integral als obere Grenze der Ausdruck
(60) y}7'K"f. . ./ {s, - s,)-" I { I (5, - s,)-" ; + i (s, - s,)- 1 }
{ 1 («2 - Sa)"" ' + I (^3 - h)~" ]■•■ (S/.-1 - S/.)~" ^s,ds., ■ ■ ■ ds,„
l > «1 > 5. > • ■ • > 5, > 0.
Wenn wir in dem /i- fachen Integral hier die neuen Veränderlichen
1) Vgl. Kellogg, Zur Theorie der Integralgleichungen, §5. Göttinger Nachr. 1902.
Kap. VI. Ergänzung der Theorie. 33
einführen und die Produkte uuter den Integralzeichen ausmultiplizieren,
so erkennen wir, daß jenes Integral sich aus 2''~- /«-fachen Integralen von
folgender Gestalt zusammensetzt:
(61) /• • -Jö^' ag» • • • ö^i' dö^ da,- ■ ■ do^,
'6^ > 0, (52 > 0, . . ., 6,^ > On
Ö,-\-0,^ h (?A < 1>
wo die Exponenten a^, a», . . ., a,^ die Werte 0, — a oder — 2cc haben,
ihre Summe a^-\- a^-\- • • • + «^ jedoch stets gleich — ha ausfällt. Die
Berechnung des Integrals (61) liefert für dasselbe als obere Grenze einen
Ausdruck
r(l_|- /,_«/,) < h/,n-a)>
wo Ä, B gewisse von h unabhängige positive Größen bedeuten, und
hieraus folgt für (60) eine obere Grenze
(62
JM^-oc)'
wo C wiederum eine von ]i unabhängige positive Größe darstellt. Der
Ausdruck (62) ist zugleich eine obere Grenze für den über T erstreckten
Teil des /i- fachen Integrales, das in ^^ auftritt. Da aber alle übrigen
Jil — 1 Teile jenes /<- fachen Integrales, wie sich bei Vertauschung der
Integrationsveränderlichen zeigt, den gleichen Wert besitzen, so folgt,
daß das vollständige /(-fache Integral, das in d,^ auftritt, den mit /<!
multiplizierten Ausdruck (62) zur oberen Grenze hat, d. h. es ist
Wegen cc < i- folgt hieraus die Richtigkeit des Hilfssatzes 3 in betreff
der Potenzreihe ö(l)})
Die nämliche Beweisführung gelingt für die Potenzreihe ^ U, j •
Wir kehren nun zu dem Kern K^(s, t) zurück; erinnern wir uns, wie
KJ^s, t) aus K{s, t) durch Ausschalten der singulären Stellen entstand,
so erhellt, daß K^{s, t) als abhängig von der Streifenbreite e zu betrachten
ist. Da für ein bestimmtes e KJs, t) absolut genommen stets unterhalb
einer endlichen Grenze bleibt, so ist unsere frühere Theorie für /^^s, t)
unverändert gültig. Wir bezeichnen die hier zu K^{s, t) gehörigen Potenz-
reihen in l mit 0^(1) bzw. z/^ (l, J. Da offenbar die Ungleichung (63)
1) Die Darstellung dieses Beweises in den früher genannten Dissertationen von
Kellogg und Andrae ist unrichtig.
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 3
34 Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
und die entsprechende für jJ,^ i ) um so mehr für die Koeffizienten der
Potenzreihen ö^{).) bzw J^ iX, ' ) gültig sind, so erkennen wir durch das
nämliche Schlußverfahren, wie wir es zum Beweise des Hilfssatzes 1 (Kap. II)
angewandt haben, die Richtigkeit der folgenden Tatsache:
Hilfssatz 4. Die Funktionen d^l) bzw. ^, (A, ) konvergieren für
£ = 0 gegen d{X) bzw. z/ (A, |, und zwar ist diese Konvergenz eine gleich-
mäßige für alle Werte von l, deren absoluter Betrag unterhalb einer
beliebig gewählten positiven Grenze A gelegen ist.
Es ist nicht schwer, nach diesen Vorbereitungen die Gültigkeit unseres
ijrundleorenden Theorems S. 19 auf den Fall auszudehnen, daß der Kern
K{s,t) Singularitäten von niederer als der ^-ten Ordnung aufweist.
Für den Kern K^(s, t) ist unser Theorem bereits als gültig erkannt,
vorausgesetzt, daß die Nullstellen der zugehörigen Funktion dX^) sämt-
lich einfach sind. Sollte diese Voraussetzung für einen Kern K^s^ t)
nicht zutreffen, so denke man sich — ähnlich wie zu Beginn des dritten
Kapitels ausgeführt worden ist — den betreffenden Kern /^(s, t) ein wenig
modifiziert, so daß jener Voraussetzung genügt wird und doch die modi-
fizierten Ausdrücke für £ = 0 nach denselben Gi-enzeu K(s,t) bzw. diX)
z/ (A, ) gleichmäßig konvergieren.
Es sei jetzt A irgendeine positive Größe; aus Hilfssatz 4 kann dann
geschlossen werden, daß diejenigen Xullstellen A"'' von d^X), deren ab-
solute Beträge auch für f = 0 unterhalb A bleiben, in der Grenze für
£ = 0 in die Xullstellen ?S''^ von ö(A), die absolut genommen unterhalb yl
liegen, übergehen, und daß die zu jenen Nullstellen A^''' zugehörigen Werte
von z:/j \^f\ ) bei diesem Grenzübergang £ = 0 in die bezüglichen Werte
von z/ (X'^''\ ) übergehen.
Wir bezeichnen nun die zum Kern K^s, t) gehörigen Eigenfuuktionen
mit tp'f\s), i^'f''(sj, .... Da wegen (53) S. 21 für jedes noch so große m
die Ungleichung.
P^'{s)x{s)ds\ + Ji'f{s)x{s)ds\ +■■■■
+ \jM^'f{s)x{s)ds\ £f{x{s)yds
gilt, so ist auch gewiß:
Kap. VI. Ergänzung der Theorie. 35
(64) ^ \ß["\s)x{s)ch\ £f{x{^j)-\ls.
Nunmehr setzen wir in der Formel (44) unseres Theorems an Stelle von
y(s) die Funktion x{s) ein und schreiben die entstehende Formel dann
in der Gestalt
(65) fjX{s,t)x{s)xit)dsdt=^ ^i\fn.l'-\s)x{s)ds
+ 2 ^r.\h\s)x{s)ds\
dabei soll die erstere Summe rechter Hand über alle Eigenfunktionen ip'^''(s)
erstreckt werden, deren zugehörige Eigenwerte X'^" absolut genommen
unterhalb A bleiben, während die zweite Summe rechter Hand ebenso
wie die Summe linker Hand in (04) alle übrigen Glieder enthält. Wegen
(64) folgt aus (65) die Gleichung:
J jKXs,t)x{s)x(t)dsdt = V ^Aj^T{s)x{s)ds\ ± ^f{x(s)yds,
und durch Grenzübergang für £ = 0 entsteht hieraus:
f fK(s,t)x{s)x{t)dsdt= ^ j^Afi<('0(^s)x{s)ds\±^f{x(s)fds.
Wenn wir nun ^ über jede Grenze zunehmen lassen, so ergibt sich die
Formel (44) unseres Theorems für den Kern ^(5, t), im Falle x(s) = t/{s)
benommen wird. Die letzte Einschränkung läßt sich sofort beseitigen.
Wir erkennen ohne Schwierigkeit auch alle früheren Folgerungen
unseres Theorems für den Kern K(s, t) als gültig, insbesondere die Sätze 4
und 7 über die Entwickelbarkeit willkürlicher Funktionen nach den Eigen-
funktionen, die zu K(s^ t) gehören.
Sollte der vorgelegte Kern K(s, t) singulare Linien von höherer als
der .Vten und niederer als erster Ordnung besitzen, so bedürfen unsere
Sätze gewisser Modifikationen; man erkennt diese leicht, wenn man die
zweifach bzw. mehrfach aus K(s, t) zusammengesetzten Kerne (vgl. S. 20)
biklet: bedenkt man, daß unter diesen Kernen stets solche Kerne vor-
handen sein müssen, für die unsere oben dargelegte Theorie gültig ist,
so ergeben sich die gewünschten Folgerungen für den Kern K(s, t).
Wir haben bisher durchweg — auch in den Entwicklungen dieses
Kapitels VI — die Voraussetzung gemacht, daß für den zugrunde
3*
36 Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
gelegten Kern K(s, t) die Potenzreihe d(A) nur einfache NulLstellen be-
sitzt. Es sind nunmehr die Modifikationen zu ermitteln, die unsere
Theorie erfährt, wenn wir diese beschränkende Annahme fallen lassen.
Zu dem Zwecke sei Ä"(.s, t) ein solcher Kern, zu dem X'^''^ als
w^-facher Eigenwert gehört, d. h. X^''^ sei genau eine w^-fache
Xullstelle von 0(1). Sodann bietet es keine erhebliche prinzipielle
Schwierigkeit, einen Kern 7ir^,(.s, <) von folgenden Eigenschaften zu finden:
/^„(s, t) sei eine solche Potenzreihe von ju, deren Koeffizienten stetige
symmetrische Funktionen von s, t sind, die für genügend kleine Werte
von /t konvergiert und für /i = 0 in K{s,t) übergeht. Es sei d^Xl) die
fragliche zum Kern K^^{s,t) gehörige Potenzreihe, so daß ÖJX) für ,u = 0
in die zu K{s, t) gehörige Potenzreihe ö{X) übergeht; ö^^).) wird, wie man
aus dem früheren Beweise leicht erkennt, eine Potenzreihe in X, die für
alle X und genügend kleine ,u konvergiert; diese Konvergenz ist außer-
dem für alle absolut unterbalb einer endlichen Grenze A liegenden X bei
genügend kleinem u gewiß eine gleichmäßige, so daß d (/) auch als Potenz-
reihe in X und fx darstellbar ist. Endlich gestatte — so sei der Para-
meter a gewählt — die Gleichung
in der Umgebung von X = A^'') die folgenden «^ Auflösungen:
hierin sollen ^(ft), ^i(/i), ••• ^«/,_i(.u) Potenzreihen in u bedeuten, und
unter diesen seien keine zwei in ^i einander identisch gleich.
Die letztere Festsetzung bringt die für die nachfolgenden Entwicklungen
wesentliche Eigenschaft der Funktion K {s,t) zum Ausdruck, die darin
besteht, daß für alle genügend kleinen, von Null verschiedenen Werte des
Parameters /i die Funktion K^^{s, t) einen Kern darstellt, der lauter ein-
fache Eigenwerte besitzt. Wir bilden nunmehr für K^^ {s, f) nach Art
von (27) die Potenzreihe ^^^{X]S,t), die für ,u = 0 in die zu K{s,t) ge-
hörige Potenzreihe ^{X-^s,i) übergeht. z/„(A: s, i^) ist gewiß für alle X
und genügend kleine ,u ebenso wie ö^^(X) gleichmäßig konvergent und auch
als Poteuzreihe von X und /t darstellbar. Endlich konstruieren wir für
K^{s, t) die zu
Ah) (A + l) (/, + „/,_!)
gehörigen normierten Eigenfunktionen
Kap. \l. Ergänzung der Theorie. 37
indem wir in (3„(/l) und zJ ^^{l-^ s, t) an Stelle von l der Reihe nach aus
{<d&) die Werte für Xf, X'y'\ . . ., Alf + "'--'> als Potenzreihen in .u ein-
setzen; wir erhalten zunächst
darin bedeuten e, ßj, ... e„^,_i gewisse ganze rationale Exponenten, die
^ 0 sind; ferner bedeuten die Ausdrücke ^(s, t) auf der rechten Seite
stetige Funktionen von s, t. Es fällt nicht schwer, hieraus für die ge-
suchten Eigenfunktionen Formeln von folgender Art abzuleiten:
(<57)
darin bedeuten wiederum f, f^,. . . ., /"«/,-! gewisse ganze rationale Ex-
ponenten, die ^ 0 sind. Ferner bedeuten die Ausdrücke i/;(')(s) auf der
rechten Seite stetige Funktionen von s, und insbesondere dürfen wir an-
nehmen, daß von den Funktionen
(68) t^''Ks), t/'^^ + '^Cs), • • •, T/^('' + "''-^)(s)
keine für alle s identisch gleich Null sei. Da andererseits für alle ge-
nügend kleinen von Null verschiedenen ^i die Gleichungen
6 h
J{xi^'l:' (jsjf ds^i, ..., /(^(f + «^ - ^) {s)y ds = 1
a a
bestehen müssen, so folgt, daß die Exponenten /", f^, . . ., fn^^-i sämtlich
Null sind, und die Formeln (67) lehren dann, daß die Funktionen
für n = 0 stetig in die Funktionen (68) übergehen. Diese Funktionen (68)
heißen die zum rif-fachen Eigenicert X^''> gehörigen FAgenfunhtionen;
sie erfüllen, wie man aus den Formeln für die Eigenfunktionen i'u\s), ^If* (s), . . .
durch Grenzübergang zu u = 0 sofort erkennt, die folgenden Gleichungen:
/(t^W(5))2rf6-=l,
a
h
/l/,(*)(s)l/;(*')(s)c?S = 0,
a
ik^h,hi-l, ... h-^n,-l- /c' + A-).
38 Kap. VI. Ergänzung der Theorie.
Wir wenden nunmehr die Formel (43) auf den Kern K^^^j 0 ^ii>
wobei ji einen genügend kleinen von Null verschiedenen Wert bedeutet.
Mit Rücksicht auf (39) erhalten wir
11 11
,\'jKJs,t)x{s)ij{t)dsdt - ^ ßl^\s)x{s)ds-ß[,}'(s)tj(s)ds
0 0
1
-:^/ß'i^'(s)x(s)ds-ß',V(s)y(s)ds ^Ji;l':%^)x(s)ds-ft\T'(s)y(s)ds
'^ 0 0 0 0
^2y4'^i {M'^y'^' ^j\y{s)yds^ ;
wenn wir hierin zur Grenze jii = 0 übergehen und alsdann 7n über jede
Grenze wachsen lassen, so erkennen wir, daß auch für den Kern K{s, t)
die P"'ormel (44) des grundlegenden Theorems unverändert gültig bleibt;
man hat nur nötig, für den Fall eines n,^-faclien Eigenwertes X^''^ rechter
Hand in (44) der Reihe nach jede der n^^ verschiedenen, zu X^'''^ gehörigen
Eigenfunktionen zu berücksichtigen, so daß in jedem dieser »^ Glieder der
reziproke Wert desselben Eigemvertes ?S'''^ als Faktor zti stehen kommt.
Eine einfache Methode zur Berechnung der Eigenfuuktionen (68)
gewinnen wir, indem wir von der Formel
h b « f>
ffK(X;s,t)x{s)y{t)dsdt = ^ ^^,,^ß^''\s)x(s)ds-ß''\s)y{s)ds
" « (/( = 1, 2, . . .) "■ "■
ausgehen. Setzen wir hierin
ein, multiplizieren dann die Formel mit X — 2^'') und gehen zur Grenze
X = X^''"! über, so erhalten wir schließlich :
\-^?rr, = ^^"HsW\t) + ^(" + ^)(.)t^(^ + i)(0 + • • •
I M ^W ). = ;<") +t/,("+"/--i)(,),^(" + «.-i)(0.
Durch diese Gleichung sind die zu dem ?/-^- fachen Eigenwerte A<'') gehörigen
Eigenfunktionen (68) eindeutig bestimmt, wenn man von einer unwesent-
lichen orthooronalen Kombination derselben mit konstanten Koeffizienten
absieht.
Mittelst der eben bewiesenen Verallgemeinerung unseres grund-
legenden Theorems sind wir imstande, auch die anderen im Falle mehr-
facher Eigenwerte entstehenden Fragen ohne Schwierigkeit zu beantworten.
Kap. VII. Gewöhnliche DifiFerentialgleichungen. 39
Zweiter Abschnitt.
Anwendung der Theorie auf lineare
Differentialgleichungen.
In dem ersten Abschnitt haben wir die Theorie der Integralglei-
chungen zweiter Art
b
f(s) = (jp(s) — xJK(s, t)(p{t)dt
a
behandelt und sind dabei zu einer Reihe allgemeiner Resultate über die
Entwicklung willkürlicher Funktionen nach den zum Kern K{s, {) ge-
hörigen Eigenfunktionen gelangt; wir behaupteten in der Einleitung, daß
in diesen Resultaten als spezielle Fälle die Entwicklungen nach trigono-
metrischen, Besselschen, nach Kugel-, Lameschen und Sturmschen Funk-
tionen, sowie die Entwicklungen nach denjenigen Funktionen mit mehr
Veränderlichen enthalten sind, wie sie zuerst H. Poincare bei seinen
Untersuchungen über gewisse Randwertaufgaben in der Potentialtheorie
nachwies. In dem folgenden zweiten Abschnitt, soll diese Behauptung
durch Erörterung einiger Anwendungen der Theorie im Gebiete der ge-
wöhnlichen und partiellen DifiFerentialgleichungen begründet werden; dabei
werden die schönen und wichtigen Resultate E. Picards^), soweit diese
die linearen Diiferentialgleichunoren betreflFen, auf das engste berührt.
Siebentes Kapitel.
Gewöhnliclie Differentialgleichungen zweiter Ordnung.
Es sei u eine Funktion der Veränderlichen x, deren zwei erste Ab-
leitungen innerhalb des Intervalles x = a bis x ^ h sowie an den Grenzen
dieses Intervalles stetig sind; ferner sei p irgendeine innerhalb jenes
Intervalles nebst der ersten Ableitung stetige Funktion von x, die überdies
innerhalb des Intervalles positiv ausfällt; endlich sei q irgendeine inner-
halb jenes Intervalles stetige Funktion von x: dann ist der allgemeinste
homogene lineare, sich selbst adjuugierte Differentialausdruck zweiter
Ordnung von der Gestalt
T / \ \ dxj , d^u , dp du ,
1) Vgl. insbesondere Trait»5 d'analyse t. III chap. VI.
40 Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
Bedeutet v ebenfalls eine Funktion' von x mit stetiger erster und
zweiter Ableitung, so gilt die sogenannte Greensche Formel
(1) ßvL(,u)-uL(v)]d.^[p[v'^^-u''/Jl
il
Der Kürze halber benutzen wir folgende Ausdrucksweise: Wenn eine
Funktion die erste Ableitung besitzt und diese Ableitung stetig ist, so
heiße die Funktion (einmal) stetig differenzierbar und, wenn auch
ihre zweite Ableitung existiert und stetig ist, so heiße sie ztveimal
stetig differentiierbar.
Es sei ylx, |) eine Funktion der Yariabeln x und des Parameters |,
die in bezug auf x zweimal stetig differenzierbar ist und für alle von h,
verschiedenen Werte von x innerhalb des Intervalles a bis h der Differential-
gleichung
L(u) = 0
genügt, die ferner für x = i, stetig verläuft, während ihre erste Ableitung
für a? = ^ den Abfall — 1 aufweist^), so daß
i^L^^4=^+. .ü(,L^4
= - 1
wird: eine solche Funktion y^Xfh,) werde eine Grundlösung der Diffe-
rentialgleichung L(ii) = 0 für das Intervall x = a bis x = b genannt.
Sind u^^x), «2(^) zwei unabhängige partikuläre Lösungen von L(u) = 0,
so läßt sich eine Grundlösung offenbar in der Gestalt darstellen
So besitzt beispielsweise die Differentialgleichung
die Grundlösung
y{x,^) = --\'x-l',
ferner besitzen die Differentialgleichungen .
d^u du ^
dx^ dx '
1) Diese Unstetigkeit hat wohl E. Picard (1. c), den Begriff der Greenschen
Funktion einer Veränderlichen dagegen H. Burkhardt zuerst eingeführt, Bull. soc.
math. de France Bd. 22 (1894). Vgl. ferner die Inauguraldissertation von Ch. M.
Mason, Randwertaufgaben bei gewöhnlichen Differentialgleichungen, Göttingen 1903,
sowie dessen Arbeit ,,Zur Theorie der Randwertaufgaben" Math. Ann. Bd. 58.
Kap. VII. Gewöhnliche Ditferentialgleichungen. 41
, , — t( = 0
bzw. die Gruudlösungen
Zu einer vorgelegten Differentialgleichung gibt es offenbar unendlich
viele Grundlösungen; diese werden sämtlich aus einer von ihnen erhalten,
wenn man derselben ein beliebiges Integral der Differentialgleichung
hinzufügt, das an jeder Stelle innerhalb des Intervalles stetig differenzier-
bar ist. Für unsere weiteren Entwicklungen sind diejenigen Grundlösungen
von besonderer Bedeutung, die an den Randpunkten x = a und x = b des
IntervaUes gewisse homogene Bedingungen erfüllen. Die besonders in
Betracht kommenden homogenen Randbedingungen sind folgende:
I. m-o, m-o,
IV. fia)-km, P«^m,.r'f'\^.J ■
Bei der Anwendung dieser Randbedingungen I — IV* ist stets die Annahme
zu machen, daß die Funktionen p(x) und q(x) auch in den Randpunkten
X = a und x = h stetig sind und ebenda die Funktion i>(a;) von Null ver-
schieden ausfällt. Ist diese Voraussetzung für einen Randjmnkt oder beide
Randpunkte nicht erfüllt, so wähle man als Randbedingung eine solche
Forderung, durch welche an dem betreffenden Randpunkt ein Integral von
L(h) = 0 bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt wird. Die
einfachsten in unseren späteren Beispielen zur Anwendung kommenden
Randbedingungen dieser Art bestehen für den Randpunkt x = a in einer
der Forderungen:
V. fix) soll bei der Annäherung an den Randpunkt x = a
endlich bleiben.
42 Kap. VII. Gewöhnliche Diifereatialgleichungen.
Diese Randbedingung ist zulässig, falls die Differentialgleichung
L(u) = 0 an der Stelle a: = a ein endlich bleibendes Integral besitzt und
außerdem die Funktion 2^ in der Nähe von x = a sich in der Gestalt
p{x) = (a; — ayE{x)
*
darstellen läßt, wo s einen Exponenten ^ 1 und E{x) eine für x = a
endlich bleibende Funktion bedeutet. In der Tat, bezeichnet ii^ ein end-
lich bleibendes Integral, so stellen sich die von Uy unabhängigen Integrale
der Differentialgleichung L{ii) = 0 in der Form
/dx
dar, und diese wachsen wegen 5^1 gewiß über alle Grenzen; die Be-
dingung der Endlichkeit bestimmt mithin ein Integral von L{u) = 0 bis
auf einen konstanten Faktor eindeutig.
V*. f{x) soll in der Nähe des Randpunktes x = a sich in der
Form (x — aye(x) darstellen lassen, wo e(x) eine für x = a end-
lich bleibende Funktion bedeutet.
Diese Randbedingung ist zulässig, falls die Differentialgleichung
L(u) == 0 an der Stelle x = a Integrale von eben jener Form (x — a^eix)
besitzt und außerdem die Funktion^ in der Nähe von x = a sich in der
Gestalt
p{x) = (rc — ayE(x)
darstellen läßt, wo s einen Exponenten ^1 — 2r und E(x) eine für
X = a endlich bleibende Funktion bedeutet. Der Beweis dafür, daß unter
diesen Umständen die Forderung V* ein Integral von L(u) = 0 bis auf
einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt; wird leicht wie im vorigen
spezielleren Falle geführt.
Die Randbedingungen I — V (V*j sind stets so zu verstehen, daß
f[x) (bzw. e{x)) in dem betreffenden Randpunkt einmal stetig differenzier-
bar ist.
Die genannten Randbedingungen können noch in verschiedenster
Weise miteinander kombiniert werden.
Eine Grundlösung g(x, |) für das Intervall x = a bis x = h, die an
den llandpunktcn zwei homogene Randbedingungen der genannten Art
erfüllt, heiße die zu diesen Randbedingungen gehörige Greensche
Funktion der Differentialgleichung L{u) = 0] ferner heiße der Quotient
die zu jenen Randbedingungen gehörige Greensche Funktion des
Differentialausdruckes L(u)] wir bezeichnen die Greenschen Funktionen
Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 43
je nach den Randbedingungen, zu denen sie gehören, auch als GreenscJie
Funlfio7ien G\ G'\ G^\ (9^^ oder G^.
Beispielsweise lautet die Gi-eensche Funktion G^ für den Differential-
ausdruck
d. h. die zu den Randbedingungen I gehörige Greensche Funktion, für
das Intervall 0 bis 1
= (l-:r)|, (a;>|).
Noch einfacher wird die Greensche Funktion für jenen Differential-
ausdruck, wenn wir am Randpunkt x = 0 die Bedingung I und am Rand-
punkt X = 1 die Bedingung II wählen; sie lautet dann
G(x, I) = X, (x ^ I),
= 1, (x>^).
Ferner wird die Greensche Funktion G^ desselben Differentialausdruckes
für das Intervall — 1 bis -f 1 durch die Formel
G{x,l)^-^\x-t + xl-\]
dargestellt.
Die Greensche Funktion G^^ (Ji = — 1 ) für denselben Differential-
ausdruck und das Intervall 0 bis 1, die also den Randbedingungen
genügt, lautet
Die Greensche Funktion des Differentialausdruckes
-r / , d'^ii , du
für das Intervall x = 0 bis x = 1, die am Randpunkt x = 0 der Be-
dingung Y und am Randpunkt x = 1 der Bedingung I genügt, lautet:
G{x,i)==l^, {x£^),
= lx, (^^^j-
Ein weiteres sehr interessantes Beispiel liefert der Differentialausdruck:
d I /^ ox du] 4a^
L(u) = ^- 1(1 — X^)-^] — y~" ^U,
^ ^ dx [ ' dx) 1 — a;" '
WO u irgendeine positive Konstante bedeuten soll; die Greensche
Funktion G^ für das Intervall x = — 1 bis x = -{- 1 ist:
44 Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
Für die unendliche Gerade x = — -yj bis a = -f oo besitzt der
Differentialausdruck
die Greensche Funktion (r^"
Es kann vorkommen, daß für einen Differentialausdruck L(u) bei
gewissen Randbedingungen keine Greensche Funktion im eben definierten
Sinne vorhanden ist; in diesem P'alle existiert, wie aus den späteren all-
gemeinen Entwicklungen im Kap. IX sowie Kap. XVIII folgt, eine nicht
identisch verschwindende Lösung tp^'^Hx) der Differentialgleichung L(u) = 0,
die überall innerhalb des Intervalles stetig differenzierbar ist und den
betreffenden Randbedingungen genügt; dabei sei der noch willkürliche kon-
stante Faktor so bestimmt, daß
/(i/;W(a;))2^j;= 1
wird. Wir konstruieren dann ein Integral (j{x, |) der inhomogenen
Differentialgleichung
dessen Ableitung an der Stelle x = ^ den Abfall — 1 erfährt, während
g(x, I) an allen anderen Stellen innerhalb des Intervalles stetig differenzier-
bar ist, an den Randpunkten die betreffenden Randbedingungen und über-
dies die Gleichung
b
Jg{x,lW\x)dx=^0
erfüllt; die Funktion
genügt der Differentialgleichung
X(m) = t/;(»)(^)^W(|).
Diese Funktionen g(x, |) bzw. G(.r, |) leisten die nämliche;i Dienste wie
sonst die Greensche Funktion und werden daher in dem vorliegenden
besonderen Falle als Greensche Funktionen im erweiterten Sinne
bezeichnet. Existiert auch diese Funktion nicht, so kann man einen ana-
logen weiteren Schritt tun, um zu einer geeigneten Greenschen Funktion
zu ffelangen.
Kap. VII. Ge"wöhnliche Diiferentialgleichungen, 45
Als Beispiel diene der Differentialausdruck
mit den Randbedingungen IV (Ji = 1) für das Intervall — 1 bis -f- 1, so
daß die Bedingungen lauten:
In der Tat existiert hier eine von Null verschiedene Lösung der homogenen
Differentialgleichung, nämlich t^o(a;) = — , die die Randbedingungen er-
füllt, und die Greensche Funktion im eben erklärten erweiterten Sinne wird:
Ein anderes Beispiel für das letztere Vorkommnis liefert der Differential-
ausdruck
^{(l_^.j^l
7- / \ i dx\
^^''^ = J-x
für das Intervall — 1 bis -]- 1 bei den Randbedingungen V. Auch hier
ist xL'Ax) = — =, und die Greensche Funktion im erweiterten Sinne lautet
G{x, rj = - -vM(i - ^) (1 + 1)} + c, (^ ^ ij,
wo c den numerischen Wert 12 — -|- bedeutet.
Setzen wir in der Greenschen Formel (\) an Stelle von u{x), v(x)
bzw. die Funktionen G{x, |j, G{x, ^*) und berücksichtigen die Unstetigkeit
der Ableitungen dieser Funktionen an der Stelle a; = | in gehöriger Weise,
indem wir dieselbe in ein kleines Intervall einschließen und dann den
Grenzübergang zum verschwindenden Intervall ausführen, so finden wir
leicht das Symmetriegesetz der Greenschen Funktion eines Diffe-
rentiahi usdruckes
In allen oben berechneten Beispielen bestätigt sich dieses Symmetrie-
gesetz.
Bezeichnet q)(x) eine gegebene stetige Funktion der Variabein x, und
verstehen wir unter f eine überall stetig differenzierbare Lösung der in-
homogenen Differentialgleichung
(2) L(f) = -cp{x),
die einem Paar unserer Randbedingungen I — V genügt, setzen wir dann
in der Greenschen Formel (Ij an Stelle von u die Lösung f und an Stelle
46 Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
von V die zu jenen Randbedingungen gehörige Greensehe P'unktion des
Differentialausdruckes L(u), so finden wir für jede der fünf Arten von
Randbedingungen
a
und hieraus ersehen wir mit Rücksicht auf das Symmetriegesetz der
Greenschen Funktion, daß die Lösung f(x) sich folgendermaßen durch ein
bestimmtes Integral darstellt:
(3) fix)=fG(x,^)cpi^)dl
a
Daß die so dargestellte Funktion f(x) wirklich den betreffenden Rand-
bedingungen genügt, ist offenbar, weil G{x,t) denselben genügt; die durcli
(3) dargestellte Funktion /"uj genügt aber auch der Differentialgleichung! 2 i,
wie durch Rechnung leicht gezeigt wird. Wenn somit eine zweimal stetig
differenzierbare und einem Paar unserer Randbedingungen I — Y genügende
Funktion f(x) und irgendeine stetige Funktion (f(x) durch die Relation (2)
miteinander verknüpft sind, so folgt für dieselben notwendig auch die
Relation (3), und umgekehrt, wenn für zwei solche Funktionen f{x) und
q)(x) die Relation (3) besteht, so folgt für sie notwendig auch die Relation (2).
Hieraus entnehmen wir sofort, daß einerseits die Funktion /' unter Hinzu-
nahme der betreffenden Randbedingungen durch die Differentialgleichung (2),
wobei q) gegeben, und andrerseits die Funktion (p(x) durch die Integral-
gleichung (3j, wobei /" gegeben, eindeutig bestimmt ist.
Die Gleichung (3) ist eine als Integralgleichung erster Art; G[X, ^)
ist der Kern dieser Integralgleichung und wegen des Symmetriegesetzes
eine symmetrische Funktion der Argumente.
Wir fassen die Ergebnisse der vorstehenden Entwicklungen, wie folgt,
zusammen:
Satz 11. Wemi die Greensehe Funktion eines Differentialausdrmlies
L(u) für irgendein Paar der Randbedingunyen I — V als Kern einer Integral-
gleichung erster Art
f{x)=jG{x,l)cp{l)dl
a
genommen wird, wo f{x) eine gegebene zweimal stetig dijfercnzierhare Funktion
ist, die den betreffenden Randbedingungen genügt, so besitzt diese Integral-
gleichung eine und nur eine Lösung (fix), und man erhält ihre Lösung
durch die Formel
(p(x) =^ - Lifix));
Kap. \U. Ge-wöhnliche Differentialgleichungen. 47
umgekehrt, ivenn fp(x) irgendeine stetige Funktion ist, und eine Lösung f{x)
der Differentialgleichung
L(f{xj) + (p(x) = 0
gefunden werden soll, die einem ausgeivählten Paar von Bandhedingungen I — V
genügt, so ist diese Lösung dadurch eindeutig hestimmt, und man erhält sie
durch die Formel
f(x)^JG{x,l)q>{i)dl.
a
Aus diesem Satze entnehmen wir leicht, daß die Greensche Funktion
G{cc, Ij einen Kern darstellt, der nach der im ersten Abschnitt Kap. IV
einojeführten Ausdrucksweise sowohl abgeschlossen wie auch all-
gemein ist.
In der Tat, sei (p(x) eine solche Funktion, daß
jG{x,l)<p{l)di
a
identisch für alle x verschwindet, so müßte die Funktion f'(x) = 0 der
Differentialgleichung L(f) = — q) genügen, und hieraus folgt, daß cp(x)
identisch für alle x verschwindet, d. h. G(x, |) ist ein abgeschlossener Kern.
Andrerseits sei g(x) irgendeine stetige Funktion; wir wählen dann
eine zweimal stetig differenzierbare und den Randbedingungen genügende
Funktion g'^ix) derart, daß
b
f(g{x)— g*{x)ydx
kleiner als die beliebig kleine positive Größe e ausfällt: die stetige
Funktion h{x) = — Lig^ixj) erfüllt dann dasjenige Erfordernis, das unserer
Definition zufolge einen allgemeinen Kern charakterisiert.
In den vorstehenden Betrachtungen spielte die Integralgleichung
erster Art eine wesentliche RoUe: wir werden zu einer Integralgleichung
zweiter Art gelangen, wenn wir neben L(ti) noch den Differentialausdruck
A(u) ^ L{u) -\- Xu
betrachten, wo l einen Parameter bezeichnet. Es sei wie bisher Gix, ^)
die zu gewissen Randbedingungen gehörige Greensche Funktion des Aus-
druckes L(u), und r(x, ^) die zu den nämlichen Randbedingungen gehörige
Greensche Funktion des Ausdruckes yl(u). Sodann wenden wir die
Greensche Formel (1) an; nehmen wir
u(x) = G{x, i), v(x) = rix, I*),
so erhalten wir
48 K!ap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
-[p(.){r(.j*)?^^»-G(.,l;^-r&l!))X.
Wir erörtern zunächst die Randbedingungen I — lY; wenn wir dem-
gemäß die Annahme machen, daß die Funktionen p, q in den Randpunkten
sich regulär verhalten und daß überdies ^j in den Randpunkten von XuU
verschieden ausfällt, so verhalten sich auch die Integrale der DiflFerential-
gleichungen L(u) = 0 und yi(u) = 0 und somit auch die Funktionen G{x,^)
und r(x, ^*) in den Randpunkten regulär, und wir erkennen hieraus, daß
die eckige Klammer auf der rechten Seite der Formel (4) verschwindet.
Nunmehr erörtern wir den Fall, daß für den Randpunkt x = a die
Bedingung V bzw. V* gestellt sei; demgemäß nehmen wir an, daß die
Difierentialgleichungen L(u) = 0 und yi{i() = 0 je ein partikuläres Integral
besitzen, welches in der Nähe des Randpunktes x = a sich in der Form
u(x) = (x — ay'e{x)
darstellt, und daß p in der Nähe des Randpunktes x = a von der Form
{x — aYE(x) sei, wo s einen Exponenten ^1 — 2r bedeutet. Es wird
dann
r{x, ^*) ^-^^ - G(x, ^) ^i-^ = (x - are^ix) ,
wo e* wiederum für x = a endlich bleibt, und es ist daher gewiß
L^PW [n., ?*) ^-'^) - G(x, i, ?^^il))] = 0.
Nehmen wir schließlich, damit das bestimmte Integral in (4) gewiß einen
endlichen Wert erhält, den Exponenten r > — .V an, so erhalten wir in
jedem Falle aus (4) die Formel
ni r) - (?(i* I) = xfG(x, ^)rix, r) (ix
a
oder, wenn wir die Buchstaben K, K bzw. an Stelle von G, F setzen:
K(>^, I) - K{x, l) = kjKix, r)K(|, r)^l*.
a
Dabei werde hervorgehoben, daß K{x, |j und Kix, |) stetige Funktionen
ihrer Argumente sind, außer für die Randbedingung V*; in diesem Falle
aber sind wegen unserer Annahme r > — ^ die auftretenden Singularitäten
von K(x,^) und K(a:, |) von niederer als der Vteu Ordnung, und daher
erscheinen jene Greenschen Funktionen als Kerne von Integralgleichungen
zweiter Art unmittelbar zulässig. Die eben erlangte Formel stimmt genau
Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 49
mit derjenigen überein, die wir im ersten Abschnitt untersucht haben.
Wir sprechen somit den Satz aus:
Satz 12. Wenn die Greensclic Funktion des Diff'crentialausdruckcs L(u)
für irgendein Paar der Uandbcdinfjungen I — V als Kern der Integral-
gleichung ^Heiter Art
I,
(5) fix) = cp{x)- lfK{x, I) (p{^)dl
a
genommen icird, so erhält man die lösende Funktion K{x, |) dieser Integral-
gleichung, indem man die zu den nämlichen Bandbedingungen gehörende
Greensche Funktion des Differentialansdruckes
^{ii) = L{u) + Xu
bildet.
Da nach Satz 11 die den Randbedingungen genügende Lösung der
Differentialgleichung
(6) A(u) -\-<p(x) = 0
unmittelbar aus der Greenschen f'unktion des Differentialausdruckes yl{u)
gefunden wird, so erweisen sich also die Integration dieser Differential-
gleichung (6) bei gegebenen Randbedingungen und die Lösung der
Integralgleichung (5) zweiter Art als äquivalente Probleme.
Indem wir die in Kapitel I — VI entwickelte Theorie der Integral-
gleichungen heranziehen, gelangen wir zu einer Reihe bemerkenswerter
Resultate über lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung und er-
kennen zugleich die Bedeutung, die den Eigenwerten und Eigenfunktionen
der Intesralcrleichuno- (5) für die lineare Differentialgleichung y4(u) == 0
zukommt.
Da die lösende Funktion K(x, |) sich in der Form eines Bruches
in\ darstellt, dessen Nenner nur für die Eigenwerte A =^ k^''^ ver-
schwindet, so folgt unter der Voraussetzung, daß der Differentialausdruck
L{ii) eine Greensche Funktion für die betreffenden Randbedingungen be-
sitzt, daß es auch stets eine solche für den Differentialausdruck A{u) gibt,
es sei denn X ein Eigenwert A^"'^ der Integralgleichung (5); in dem letzteren
Falle bezeichne ijj^"'\x) eine normierte zum Eigenwert A^'") gehörige Eigen-
funktion des Kerns K(x, |); dann ist
b
' ^^i'")(x) = l'^"-^fKix, |)^("*)(|) d^,
a
und wegen
K{x, l) = G{x, I)
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 4
50 Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
folgt aus Satz 11, daß i^("'^(a;J ein überall innerhalb des Intervalles stetig
difFerenzierbares Integral der homogenen Differentialgleichung
(7) L(u) + A("')n = 0
ist, welches die betreffenden Randbedingungen erfüllt. Umgekehrt, wenn
die homogene Differentialgleichung yi(u) = 0 für den Wert A = A^'") ein
Integral besitzt, das die betreffenden Randbedingungen erfüllt, so ist X'-'"^
ein Eigenwert, und das Integral ist eine zugehörige Eigeufunktion für
den Kern K{x, h,); der Differentialausdruck ^i(») aber besitzt für diesen
Wert A = A("'^ keine Greensche Funktion im ursprünglichen engeren Sinne.
Wir bezeichnen den Wert A^"'^ auch kurz als einen Eigentvert der
Biffcrentialgleicliung A[ii) = 0 und jene Lösungen T/;('")(.r) auch als
Eigcnfunkiion dieser Differentialgleichang für die hetreffenden
Randbedingungen.
Da die Differentialgleichung (7) überhaupt nur zwei voneinander
unabhängige Lösungen besitzt, so ist A^'") höchstens ein zweifacher
Eigenwert. Ist A^"') ein zweifacher Eigenwert, so müßten sämtliche Integrale
der Differentialgleichung (7) die betreffenden Randbedingungeu erfüllen,
und da dies offenbar nur im Falle der Randbedingung IV statthaben
kann, so ist in allen anderen Fällen jeder Eigenwert gewiß nur ein ein-
facher.
Da der Kern K(x, ^) ein abgeschlossener ist, so gibt es jedenfalls
unendlich viele Eigenwerte der Differentialgleichung ^(«) = 0. (Vgl.
Kapitel IV.) Wegen desselben Umstandes entnehmen Avir aus den Sätzen 5
und 6 in Kapitel IV die Tatsachen:
Satz 13. Wenn 'h{x) eine stetige Funktion von x bezeichnet, so daß
für alle EigenfunMionen ^('"^(a:) der Differentialgleichung A(ti) = 0 die
Gleichung
I,
Jh{x)i^^"'\x)dx = 0
a
erfüllt ist, so ist h(x) identisch Nidl.
Satz 14. Wenn die in Fourierscher Weise gebildete Beihe
c,il;^'\x) + c,t^%x) -{-■■■,
h
c^=ffix)t^"^\x)dx
a
gleichmäßig konvergiert, so stellt sie die Funktion f(x) dar.
Nach S. 47 ist K(x, |) auch ein allgemeiner Kern. Da ferner
wegen Satz 11 jede zweimal stetig differenzierbare und den Randbedingungen
genügende P^unktion f{x) die Darstellung
Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 51
a
gestattet, sobald raari
<p(x) = - L(f\x))
wählt, so folgt aus Satz 7 der ersten Mitteilung das folgende wichtige
Resultat:
Satz 15. Jede ziveimdl stetig differcnzierhare und den betreffenden
HandhedingHngen f/enügende FunMion f{x) ist auf die Fouriersche Weise
in eine BeiJie entwicTiclhar, die nach den Eigen fnnktionen i<^"'Hx) der Differential-
gleichung A{ii) = 0 fortschreitet; diese Beihe konvergiert absolut und gleichmäßig.
Die Sätze 13, 14, 15 schließen den wesentlichen Teil der in neuerer
Zeit insbesondere von W. Stekloff^) und A. Kneser^) gefundenen Re-
sultate über die Entwickelbarkeit willkürlicher Funktionen in Sturm-
Liouvillesche Reihen ein.
Ist statt des Ditferentialausdruckes A(u) ein Differentialausdruck von
der allgemeineren Gestalt
L(u) + Iku ^ -\f^ + {l + U-) u
vorgelegt, wo h irgendeine innerhalb des Intervalles positive Funktion
von X bedeutet, so setze man
V
M = — =
und multipliziere dann den erhaltenen Ausdruck mit —_•. dann entsteht
ein Ausdruck von der früheren Gestalt, nämlich
^*(ü) = L*-{v) + Iv,
wo
^ p
ist.
"■* " Vi <a V - ä.-\ + 1 = ^: ^ (iTi)
1) Vgl. z. B. Annales de la faculte des sciences de Toulouse (2) III (1901).
2) Math. Ann. Bd. 58 (.l'JOS).
4*
52 Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
Als erstes Beispiel dienen die Differentialausdrücke
die zur Randbedingung I gehörige Greenscbe Funktion für den Differential-
ausdruck L{u) im Intervall a; = 0 bis j; = 1 ist bereits oben (S. 43) auf-
gestellt worden; wir nehmen sie als Kern:
Die zur Randbedingung I gehörige Greenscbe Funktion J(u) in demselben
Intervall lautet
^ sin [VH^ ij}_pyU) (, ^ 5)
yx sm yl
= ^'AVb'^^ - ^)}-sin(|/Ü) , a; > n
Nach Satz 12 ist sie zugleich die lösende Funktion für den Kern K(Xj |)
und werde als solche mit K{x, |) bezeichnet. Um die Eigenwerte und
Eigenfunktionen der Differentialgleichung y/(w) = 0 zu berechnen, setzen wir
T-!/ j-\ !• / -\ J(X: X, ä)
r(x, I) = K{x, 5) = — ^~^.
Hier bestimmen sich z/ als Funktion von 2, x, | und d als Funktion von k
allein eindeutig durch die Forderungen
/^(A; X, x) dx = '^ und d(0) = 1,
0
und zwar ergibt sich
sin { "j/X (1 — a;) ) • sin (j/i |)
(^^1),
^ ^ yx
Hieraus folgen die Eigenwerte
2(1) = I^t;^ A(2) = 2'^ii\ A(3) = S^-r^ . . .
und vermöge
A("')z/(/l('»); a:, I) = + g)("')(a;)^("')(|)
die bzw. zu jenen Eigenwerten gehörigen Eigenfunktionen
sin nx , sin 2'jtx, sin Sjtä;, . . ..
Unser Satz 15 über die Entwicklung nach Eigenfunktionen der Differential-
gleichung A{u) = 0 läuft auf die Aussage hinaus, daß jede zweimal stetig
Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 53
differenzierbare Funktion von x, die für x = 0 und x = 1 verschwindet,
sich in eine absolut und gleichmäßig konvergente Reihe entwickeln läßt,
die nach den Sinus der ganzen Vielfachen von jtx fortschreitet.
Als weiteres Beispiel wählen wir die Diiferentialgleichung
d^u , du , . r^
x -,- . -\- -, — \- Ixu = 0
dx- dx
und fragen nach ihren Eigenwerten und Eigenlimktionen für das Intervall
X = 0 bis .r = 1, wenn an dem Randpunkte x = 0 die Bedingung V
und an dem Randpuukte x = 1 die Bedingung I erfüllt sein soll.
Nach einer früheren Bemerkung (S. 51) haben wir die Substitution
II = _ anzuwenden; wir gewinnen so die Differentialausdrücke
yx
^(^) = ^^ + iV^ ^' ^*C^') ^ ^*(^) + ^^-
dx- ix^
Die Greensche Funktion des Differentialausdruckes L*{v), die in a; = 0
der Randbedingung V* i'" = y) nnd in x=l der Randbedingung I ge-
nügt, lautet:
K(x, i) = v^m, (x ^ I),
und die zu den nämlichen Randbedingungen gehörige Greensche Funktion
des Differentialausdruckes yi(v) ist, wenn in der üblichen Weise
J(x) und K(x) = J{x)l{x) + F{x)
die Besselschen Funktionen erster und zweiter Art bezeichnen:
_ -,/:;:? /(IT/I) } j{Vl)K{xyl) - j{xyi)K{yi) ] .
Diese Funktion K(x, |) ist mithin nach Satz 12 die lösende Funktion des
Kerns K, und wir finden hieraus
mithin sind die NuUstellen ?S"'^ von j{yT) die gesuchten Eigenwerte und,
wenn mau diese für A in den Zähler des Ausdruckes für K{x, ^) einführt,
so ergeben sich die zugehörigen Eigenfunktionen
Unser Satz über die Entwicklung nach Eigenfunktionen des Differential-
ausdruckes u4(h) läuft, wenn wir nachträglich die zu entwickelnde Funktion
durch yx dividieren und den Faktor "/.r ebenfalls in allen Eigenfunktionen
54 Kap. YII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
fortlassen, auf die Aussage hinaus, daß im Intervalle 0 bis 1 jede zweimal
stetig differenzierbare Funktion von x, die für x = 1 verschwindet, sich
in eine absolut und gleichmäßig konvergente Reihe entwickeln läßt, die
nach den Besselschen Funktionen j{xyx^"'^) foi-tschreitet.^)
Weitere interessante Beispiele für unsere Theorie erhalten wir, wenn
wir die Differentialgleichungen der Zylinder- und Kugelfunktionen höherer
Art heranziehen; so führt die früher (S. 44) aufgestellte Greensche
Funktion:
zu der neuen Definition der Kugelfunktion P«"'
-1
und zu der Tatsache der Entwickelbarkeit einer jeden zweimal stetig differen-
zierbaren Funktion in eine Reihe, die nach den Kugelfunktionen P«"*
fortschreitet.
Tritt der oben (S.' 44) behandelte besondere Fall ein, daß zum
Ditferentialausdruck L bei den betreffenden Randbedingungen eine Green-
sche Funktion im engeren Sinne nicht existiert, so gelten unsere Ent-
wicklungen für die Greensche Funktion in dem dort erklärten erweiterten
Sinne. Bezeichnet nämlich wie oben t/;(*^)(a;) die alsdann vorhandene, den
Randbedingungen genügende, überall stetig differenzierbare Lösung der
Gleichung L{u) = 0, so ergibt sich durch Anwendung der Greenschen
Formel (1) an Stelle des Satzes 11 leicht die folgende Tatsache:
Satz 16. Wenn f eine zweimal stetig differensierbare, den Band-
hediwjungen und der Bedingung
b
Jf{x)^^''\x)dx = Q
a
genügende Funldion bedeutet, so ist die Integralgleichung erster Art
h
f{x)^jG{x,^)cp{l)dX
a
lösbar und ihre Lösung gewinnt man durch die Formel
q>{a^ = -L(m).
1) Neuerdings hat A. Kneser die Entwickelbarkeit einer willkürlichen Funktion
nach Besselschen Funktionen nach einer Methode bewiesen, die derjenigen analog
ist, die er in der oben genannten Abhandlung auf die Sturm -Liouvillescheu
Reihen angewandt hat. Archiv der Math, und l'hys. 1903.
Kap. VIT. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 55
Diesem Satze IG entsprechend müssen wir auch in den Voraus-
setzungen des Satzes 15 über die Entwickelbarkeit nach Eigenfunktionen
der Differentialgleichung //(«) = 0 für die zu entwickelnde Funktion f{x)
die Bedincpung .
a
hinzufügen; lassen wir jedoch im vorliegenden Falle 1 = 0 als Eigenwert
und die Funktion ^^^Hx) als zugehörige Eigenfunktion gelten, so bleibt
unser früherer Satz 15 auch bei unverändertem Wortlaut sültiff.
Als einfachstes Beispiel für das zuletzt behandelte Vorkommnis dienen
die Differentialausdrücke
Wenn wir die Randbedingungen IV (h = 1) für das Intervall — 1 bis -f 1
wählen, nämlich
/■(+i) = A-i), /•'(+!) =r(-i),
dauu wird tp^^^x) = 1, und der Ausdruck der Greenschen Funktion im
weiteren Sinne ist bereits oben (S. 45) angegeben worden. Wir erhalten
dieselben Eigenwerte wie im ersten Beispiel (S. 52); jedoch ist jeder
dieser Eigenwerte zweifach: allgemein gehören zu X^'"'^ = m'^Tc- die
zwei Eigenfunktionen sin miix, cos rnnx. Zu diesen kommt, den letzten
Ausführungen entsprechend, / = 0 als einfacher Eigenwert der Differential-
gleichung yl{ii) = 0 mit der zugehörigen Eigenfunktion il)^^\x) = —^ hinzu.
y2
Als zweites Beispiel für das in Rede stehende besondere Vorkommnis
mögen die Differentialausdrücke
mit den Randbedingungen V für das Intervall — 1 bis + 1 dienen. Wir
haben bereits oben (S. 45) für L{u) die Greensche Funktion G{x, |) im
erweiterten Sinne aufgestellt. Da die Legendreschen Polynome P^"'^
{m = 0, 1, 2, 3, . . .) die Differentialgleichungen
erfüllen und an den Randpunkten endlich bleiben, so sind sie die zu den
Eigenwerten ,, , , ^.
o X("') = m (m + 1)
gehörigen Eigenfunktionen; die so entstehende neue Definition für die
Kugelfunktion P('"):
PW(^) = A(™)/G^(a:, |)P('")(|) d^, (m = 0, 1, 2, . . .)
-1
oder einfacher:
56 Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen.
+ 1
pH(a;) = X^^^jG^-{x, |)P("')(|) dl, {m = 1, 2, . . .)
-1
wo
G*{x,l) = -U{{\-x){\Jrl)], {x£i),
ist, kann als Grundlage für die Theorie der Kugelfunktionen dienen.
Unser soeben verallgemeinerter Satz 15 liefert die Entwicklung einer
beliebigen zweimal stetig differeiitiierbaren und an den Randpunkten + 1,
— 1 endlich bleibenden Funktion nach Legendreschen Polynomen.
Wir haben im Vorstehenden den engen Zusammenhang zwischen der
Theorie des DifFerentialausdruckes
A{ii) = L{u) -j- )At
und der Theorie der Integralgleichung zweiter Art mit dem Kern K{.i', i)
kennen gelernt. Dieser enge Zusammenhang zeigte sich am klarsten
in der Übereinstimmung der Eigenfunktionen der Differentialgleichung
A{u) = 0 mit denjenigen jener Integralgleichung.
Nun erscheint bekanntlich die Differentialgleichung A{u) = 0, wenn
man nach den Regeln der Variationsrechnung das folgende (Dirichletsche)
Variationsproblem löst: man soll eine den Randbedingungen I genügende
Funktion u von x derart bestimmen, daß das Integral
(8) i)(«)=/{;,(^j:y-,»=jrfx
a
ZU einem Minimum wird, während die Nebenbedingung
(9) Ju^dx = 1
a
erfüDt ist. Andererseits haben wir in Kapitel V allgemein erkannt, wie
durch meine Theorie der Integralgleichungen zweiter Art das folgende
(Gaußsche) Variationsproblem gelöst wird: es ist ein definiter Kern ge-
geben; man soU diejenige Funktion (x}(x) finden, für welche das Integral
/) h
(10) J(a) -JjK{x, I) a {x) a (|) dxdi,
a a
seinen größten Wert besitzt, während die Nebenbedingung
b
(11) /(o(a;))2f7a;= 1
n
erfüllt ist.
Kap. VII. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 57
Wir wollen den engen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variations-
problemen kurz darlegen. Zu dem Zwecke bestimmen wir zunächst eine
Konstante c derart, daß für alle Punkte x, y innerhalb J
c-q>0
ausfällt. Denken wir uns dann in (8) an Stelle von — q die Funktion
c — q eingesetzt, so unterscheidet sich das Variatiousproblem, das so
modifizierte Integral bei der Nebenbedingung (9) zum Minimum zu machen,
in nichts von dem ursprünglichen Variationsproblem; d. h. wir dürfen in
unserem ersten Variationsproblem von vornherein — q^O annehmen, ohne
die Allgemeinheit zu beeinträchtigen.
Nunmehr setzen wir zwischen irgend zwei Funktionen n und co, mit
denen wir die Integrale (8) bzw. (10) bilden, die Beziehung
(12) L{u{x)) = - a{x)
fest. Bedenken wir, daß
G(x, I) = K{x, I)
die Greensche Funktion des Differentialausdruckes L(it) ist, so folgt nach
Satz 11 aus (12)
/>
(13) u(x)=^jK(x,i)o3{^)d^,
a
und hieraus entnehmen wir wegen (10), (12) und (13), da
b
I)(u) = — JuL{u)dx
a
ist, die Gleichung
B{u) = J{a).
Wegen — 2' ^ 0 ist D{u) nur positiver Werte fähig; mithin ist K{x, |)
ein definiter Kern und seine Eigenwerte X^'^\ l^^\ X^^\ . . . sind sämtlich
positiv (vgl. Abschnitt 1, Kap. V). Setzen wir nun
6
C;, = Cc3{x)tp^''\x)dx,
a
wo ^(^^(ic), tl)^^\x\ il}^^\x), . . . die normierten Eigenfunktionen des Kerns
K(x, I) bezeichnen, und entwickeln wir u(x) in eine nach diesen Eigen-
funktionen fortschreitende Reihe, so erhalten wir unter Berücksichtigung
der Gleichung
die Reihe
a
58 Kap. VIII. Partielle Differentialgleichungen.
und folglich
* c* c-
f(u{x))-dx = ^-^Y* + (T(^)p + • ■ ■•
a
Andererseits ist wegen (10)
<^(ö) = inr + ;t(') +••••
Nunmehr wird die Reihe rechter Hand, wenn wir die Nebenbedingung (9)
1_ J 2_ I . . . _ 1
stellen, ihren Minimalwert für
Cl = /^^'^, C2 = 0, 6'3 = 0, ...
und, wenn wir die Nebenbedingung (11)
^ r 2 r 1
CJ + q + • ■ • = 1
stellen, ihren Maximalwert für
Cy= \, C^ = 0, Cg = 0, ...
erhalten, wobei X^^^ den kleinsten Eigenwert bedeutet. Demnach werden
u{x) = •^(^)(.'r) und co{x) = i/;(^^(a;)
die gesuchten Lösungen der beiden Variationsprobleme.
Wir sehen also, daß vermöge der Transformation (12) oder (13) das
Integral (8) in das Integral (10) übergeht, dagegen nicht zugleich die
Nebenbedingung (9) in die Nebenbedingung (11). Wollen wir letztere
Nebenbedingung erhalten, so müssen wir vielmehr in dem ersten Variations-
problem an Stelle von (9) die Nebenbedingung
/,
f(Liu)ydx= 1,
a
wählen, wobei it an den Randpunkten x = a und x = h verschwinden soll;
in der Tat überzeugt mau sich leicht, daß die daraus nach den Regeln
der Variationsrechnung entspringende Differentialgleichung wiederum keine
andere als jd(co) = 0 wird, wo co = — L(u) ist. Das letztgenannte Variations-
problem erscheint in diesem Sinne mit dem erstgenannten Variations-
probleme äquivalent.
Achtes Kapitel.
Sich selbst adjungierte partielle Differentialgleichungen
zweiter Ordnung von elliptischem Typus.
Die in Kapitel VII entwickelte Theorie der gewöhnlichen Differential-
gleichungen zweiter Ordnung läßt sich vollkommen auf die sich selbst
Kap. VIII. Partielle Differentialgleichungen. 59
adjungierten partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung von eUip-
tisehem Typus übertragen, da ja, wie wir in der Einleitung zu Kapitel I
bemerkt haben, unsere Methoden und Resultate über die Integralgleichungen
auch gültig sind, wenn in denselben an Stelle der einfachen Integrale
mehrfache Integrale stehen und dementsprechend der Kern K eine
symmetrische Funktion zweier Reihen von Variabein bedeutet.
In der a:?/-Ebene sei eine geschlossene Kurve C durch die Gleichungen
X = a{s), y = h (s)
gegeben, wo a(s), h(s) stetige Funktionen der Bogenlänge s sind, deren
Ableitungen — von einer endlichen Anzahl von Werten s abgesehen —
ebenfalls stetig ausfallen. Das von dieser Kurve C umschlossene endliche
Gebiet der xy-^hene werde mit J bezeichnet, die Kurve C heiße die
Randkurve des Gebietes J. Der allgemeinste homogene lineare, sich selbst
adjungierte, partielle Differentialausdruck zweiter Ordnung von elliptischem
Typus kann stets auf die Form
^^-"^^ + "17-' + ^"
. , dp du . dp du ,
^^^'' + dxdx-^d^d^^^''
gebracht werden. Wir machen über die in L(u) auftretenden Funktionen
folgende Annahmen. Es sei u eine Funktion der Veränderlichen x, y,
deren zwei erste Ableitungen innerhalb des Gebietes ./, sowie an der
Randkurve C stetig sind; ferner sei p irgendeine innerhalb jenes Gebietes
einmal nach x und y stetig differenzierbare Funktion von x^ y, die über-
dies innerhalb «7 positiv ausfällt; endlich sei q irgendeine innerhalb J
stetige Funktion von x, y.
Bedeutet v wie u eine zweimal stetig differenzierbare Funktion
von x, y, so gilt die sogenannte Greensche Formel
(14) f{vL(u) - uL{v)}dJ=^fp[u^^- V ^]ds;
iJ) (C)
darin ist das Integral links über das Gebiet J, das Integral rechts über
die Randkurve C zu erstrecken, und t^— , ^r- bedeuten die Ableitungen nach
der ins Innere gerichteten Noi-male der Randkurve C; dJ bedeutet das
Flächenelement von J, und ds das Längenelement von C.
Es seien /j, y^ solche Funktionen der Variabein x, y und der Para-
meter ^, rj, die innerhalb J und auf der Randkurve C in beziig auf x, y
zweimal stetig differenzierbar und von der Art sind, daß der Ausdi'uck
QQ Kap. Till. Partielle Differentialgleichungen.
yixy, |ry) = - yj(y{x -iy-+ (r/^^;?) + n
in bezug auf das Variabelnpaar x, y — wenn nicht gerade x = ^, y = i]
wird — der Differentialgleichung
L{ii) = 0
genügt; außerdem sei identisch für alle |, iq
Ein solcher Ausdruck y{xy,i,ri) werde eine Grundlösung der Diffe-
rentialyleichung L(u) = 0 für das Gebiet J" genannt.^)
So besitzt zJ(ii) = 0 die Grundlösung — /(p), und für die Differential-
gleichung zJ(u)-\-u = 0 ist — K{q) eine Grundlösung, wenn K die be-
reits oben (S. 53) benutzte Besselsche Funktion zweiter Art bedeutet.
Setzen wir in der Greenschen Formel (14) für u irgendeine Lösung
der inhomogenen Differentialgleichung
L{u{xy)) = — 2n(p{xy)
und an Stelle von v eine Grundlösung y(xy, ^tj) ein, wobei |, r^ einen
festen Punkt innerhalb J darstellt, so ergibt sich die Formel
(15) u{iri) = ->~- fyi^y, kri)(p(xy) dJ
(CO 2' = ''(•')
Zu einer vorgelegten Differentialgleichung L(u) = 0 werden offenbar
aus einer Grundlösuug unendlich viele erhalten, wenn man ein beliebiges
Integral von L{u) = 0 hinzufügt, das an jeder Stelle innerhalb J stetig
ist. Für unsere weiteren Entwicklungen sind diejenigen Grundlösungen
von besonderer Bedeutung, die an der Randkurve C gewisse homogene
Randbedingungen erfüllen, und zwar kommen dabei insbesondere diejenigen
Randbedingungen in Betracht, die den Randbedingungen I — V* (S. 41)
in der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen entsprechen. Wir
heben hier nur folgende fünf Arten von Randbedingungen für eine Funk-
tion f{xy) hervor:
I. f{xy) = 0 für alle Punkte x, y der Randkurve C.
n -^ = 0
1) Dieser Begriff der Grundlösung ist zuerst von A. Sonamerfeld eingeführt
worden, vgl. Mathematische Enzyklopädie Bd. II, S. 515. Hinsichtlich ihrer Existenz
vgl. E. Holmgren, Math. Ann. Bd. 58 S. 404.
Kap. VIII. Partielle Differentialgleichungen. 61
lU. j^ + hf = 0 für aUe Punkte x, y der Randkurve C.
dabei bedeutet der Parameter s die Bogenlänge der Randkurve C von
einem festen Punkte s = 0 an bis zu einem beliebigen Punkte derselben
gerechnet, während l die Gesamtlänge der Randkurve C bezeichnet.
V. Ist die Randkurve C singulare Linie der Difif'erentialgleichung
L{u) = 0 von gewisser Art (NuUinie von p), so ist als Randbedingung
die Forderung zulässig: es soll f{xy) bei der Annäherung an die
Randkurve endlich bleiben.
V*. Wird die bisherige Betrachtungsweise in der Weise verall-
gemeinert, daß an Stelle der a;?/-Ebene eine beliebige geschlossene
singnlaritätenfreie Fläche tritt (vgl. diesen Abschnitt S. 64), so kann die
Randbedingung für f{xy) durch die Forderung ersetzt werden, daß die
Funktion fixy^ sich überall auf der Fläche regulär verhalten soll.
Diese Randbedingungen können noch in verschiedenster Weise mit-
einander kombiniert werden derart, daß auf einem Teile der Randkurve C
die eine, auf einem anderen Teile eine andere Randbedingung erfüllt ist.
Eine Grundlösung g(xy,i,i]) für das Gebiet J, die als Funktion von
X, y an der Randkurve C eine homogene Randbedingung der genannten
Arten erfüllt, heißt die zu dieser Eandhedingung gehörige Green-
scJte Funktion der Differentialgleichung L(ii) = 0; ferner heiße
der Quotient
die zu jener Bandbedingung gehörige Greensche Funktion des
Bifferentialausdruckes L(u).
Wenn für einen Differentialausdruck L(u) keine Greensche Funktion
im eben definierten Sinne existiert, so verfahren wir genau analog, wie
in dem entsprechenden Falle in der Theorie der gewöhnlichen Differential-
gleichungen (S. 44): ist dann nämlich ip^^^xy) eine von Null verschiedene
überall stetige Lösung der Differentialgleichung L{iC) = 0, die die be-
treffende Randbedinguno;, sowie die Relation
J{ti,m{xy)ydJ= 1
erfüllt, so konstruieren wir eine Lösung g(xy, ^r]) der inhomogenen
Differentialgleichung
L(u) = 27cpar^)ip'^'){xy)i^^'K^v),
die an der Stelle a; = |, y = r] in derselben Weise wie eine Grundlösung
62 Kap. Vni. Partielle DifFerentialgleichung^n.
loo-arithmiscli unendlich wird, auf C die betreffende Randbedinorunor und
überdies die Gleichung
erfüllt. Die Funktion
genügt der Differentialgleichung
i(M) = 2:r^W(a:.v)^W(|i?).
Die Funktionen g{xy, ^tj), G{xy, ^tj) werden als Greensche Funktionen
im erweiterten Sinne bezeichnet. Man sieht leicht ein, wie die Definition
der Greenschen Funktion weiter zu verallgemeinern ist, wenn auch im
eben definierten Sinne eine Greensche Funktion nicht existiert.*)
Wie oben (S. 45) gewinnen wir leicht das Symmetriegesetz der
Greenschen Funktion eines Differentialausdruckes
und sodann unter Heranziehung der Formel (15) die folgende Tatsache:
Satz 17. Wenn die Greensche Funliion eines Differentialausdruckes
L{u) für eine gewisse Randbedingung als Kern eitler Integralgleichung
erster Art
fixy) = fG{xtj, t,ri)ip{i ri) dJ
(•>)
genonmien wird, wo f(xy) eine gegebene ziveimal sielig differenzierbare, jener
Randbedingung genügende Funldion ist, so besitzt diese Integralgleichung
eine und nur eine Lösimg <p{xy), und man erhält diese Lösung durch
die Formel
(p{xy) = - ^^ L(f{xy)y,
umgeJcehrt, ivenn (p(xy) irgendeine stetig differenzierbare Funktion ist und
eine Lösung der Differentialgleichung
Lifixy)) -\-2n(p (xy) = 0
gefunden werden soll, die der getvählten Randbedingung genügt, so ist diese
Lösung dadurch eindeutig bestimmt, und man erhält sie durch die Formel
f{xy) = fG{xy, iri) (p{^rj) dJ.
{J)
Aus diesem Satze entnehmen wir leicht wie oben (S. 47), daß die
Greensche Funktion G(xy, ^1]) einen Kern darstellt, der nach der im
1) Über den Existenzbeweis der erweiterten Greenschen Funktion vergleiche
Kap. IX, und Kap XVIII.
Kap. VIII. Partielle Differentialgleichungen. (33
ersten Abschnitt eingeführten Ausdrucksweise sowohl abgeschlossen
als auch allseniein ist.
Nunmehr gehen wir zur Behandlung des Differentialausdruckes
J{i() = L{u) + 27cXu
über und erhalten genau wie oben (S. 46—51) durch die analogen Schlüsse
der Reihe nach folgende Sätze:
Satz 18. Wenn die Greensche FunMion eines Differentialausdruckes
L{u) für eine geivisse Bandbedingung als Kern der Integralgleichung
zn-eiter Art
(16) f{xy) = cp{xy)- l fK{xy, ^ i?) qo (5 r[) dJ
0)
genommen wird, so erhält man die lösende Funldion K{xy, l^rf) dieser Integral-
gleichung, indem man die zu der nämlichen Eandhedingung gehörende
Greensche Fwiktion des Dijferentialausdruclies
A{u) -ZI: L{ii) + 2%ku
bildet.
Wir bezeichnen die Eigenwerte X^'"^ und Eigenfunktionen ■4j'''"\xy)
der Integi-algleichung zweiter Art (16) auch als die Eigeniverte bzw.
Eigen funJctionen der Differentialgleichung J{u) = 0 für die be-
treffende Bandbedingung})
Satz 19. Wenn h(xy) eine stetige Funliion von x, y bezeichnet, so
daß für alle Eigenfunliionen xl;^'^\xy) der Differentialgleichung A{u) = 0
die Gleichung „
Jh(xij)7lJ^"'\xy)dJ=0
erfüllt ist, so ist h(xy) identisch 0.
Satz 20. Wenn die in Fourierscher Weise gebildete Beilie
c^xi^^'-\xy) + c^i^^^\xy) -\- ■ ■ ■ ,
c,,==Jf{xy)i>^-^\xy)dJ
iJ)
gleichmäßig Iconvergiert, so stellt sie die Funldion f(xy) dar.
1) Die Eigenfunktionen der Differentialgleichung ^ a -\-lu^ 0 hat H. Poincare
untersucht und als „fonctions harmoniques" bezeichnet. Seit dem Erscheinen seiner
grundlegenden Abhandlung „Sur les equations de la physique mathematique,
Rendiconti del Circolo matematico di Palermo (1894) haben sich zahlreiche Forscher
mit dem Beweise für die Existenz jener fonctions harmoniques und mit dem Problem
der Entwickelbarkeit willkürlicher Funktionen nach denselben erfolgreich beschäftigt:
u a. Le Roy (Annales de TEcole normale superieure 1898), W. Stekloff (Annales
de la faculte de Toulouse 1900), S Zaremba (Annales de l'Ecole normale superieure
1899, Journ. de Math. 1900), A. Korn (Abhandlungen zur Potentialtheorie i. Berlin 1902).
Wie es scheint, umschließen die im folgenden gewonnenen allgemeinen Sätze die
wesentlichen Resultate der genannten Forscher.
64 Kap. YIIT. Partielle Differentialgleichungen.
Satz 21. Jede ziveimal stetig differenzierbare und den betreffenden
Mandbedingungen genügende FunJction ({xxj) ist auf die Fouriersche Weise
in eine Beihe entuicl'elbar, die nach den Eigenfunkt iouen ip^'^\xy) der
Differentialgleichung A(u) = 0 fortschreitet; diese Reihe konvergiert absolut
und gleichmäßig.
Ist statt des Differentialausdruckes A{u) ein Differentialausdruck von
der allgemeineren Gestalt
./ du\ „/ du\
L{u) + Xku = '-^^-^ + ^1^ + (g + AÄ;)m
vorgelegt, wo k irgendeine innerhalb des Gebietes J positive Funktion
von X, y bedeutet, so setze man
V
u = -—
und multipliziere dann den erhalteneu Ausdruck mit - ; dann entsteht
ein Ausdruck von der früheren Gestalt, nämlich
J*(v) = L*(v) -\- Iv,
wo
I A
i
(.) =
d
dx)
X "^
dy
2)* =
p
k'
q* =
^h^
(i^)
ist.
Die Betrachtungen dieses Kapitels VIII lassen sich leicht auf den
Fall übertragen, daß das Integrationsgebiet J auf einer beliebigen Fläche
im Räume gelegen ist: an Stelle des bisherigen Differentialuusdruckes für
das ebene Gebiet J inii dann eine gewisse Verallgemeinerung des Beltra-
mischen Differentialparameters, nämlich der Differentialausdruck
rr \ 1 \di ^dx~'dy\, dl ^dy~'d^']\,
darin bedeuten x, y die krummlinigen Koordinaten der Fläche und e, f g
in bekannter Weise die Koeffizienten des Quadrates des Linienelementes
ds^ = edx^ + 2fdxdy -f- gdy^
der Fläche; p bedeutet eine innerhalb J positive stetig differentiierbare
Funktion und q irgendeine stetige Funktion auf der Fläche. Die Green-
sche Formel (14) gilt für irgendein Gebiet J auf der Fläche mit der
Randkurve C unverändert in der bisherigen Gestalt.^)
1) Vgl. G. Darboux, Theorie generale des surfaces liv. VII chap. I.
I
Kap. YIII, Partielle Differentialgleichungen. 65
Ist insbesondere die Fläche geschlossen und singularitätenfrei, so
kann die Randbedingung für eine Funktion f{xy) durch die Forderung
ersetzt werden, daß die Funktion f{xy) sich überall auf d6r Fläche regulär
verhalten soll (Randbedingung V* S. 42). Auch in diesem Falle lehrt
unsere Theorie die Existenz der Eigenfunktioneu und die Entwickelbarkeit
einer willkürlichen Funktion auf der Fläche nach jenen Eigenfunktioneu
der Fläche.^)
Als Beispiel diene die Kugel K mit dem Radius 1. Wählen wir für
X, y die Polarkoordinaten %-, cp, so erhält wegen
f=0,
g = sin^-O"
unser DiflFerentialausdruck für jo = ir-? <7 = 0 die Gestalt:
■^ 2 TT ^ ^
^W = 2^ Un-^ ä^ («^^ ^aW + sin^ m'
Die Greensche Funktion gißcp, -9^*9?*) im erweiterten Sinne hat wegen
w,(o) = ^ (Jer Gleichung
L(g) = ^
■^"^ 4 TT
ZU genügen. Bedeutet q die kleinste sphärische Entfernung der Punkte d-, cp
und d-*, (p* auf der Kugel, so ergibt sich
5r(^^,^*9*) = -?(2sin 5);
dieselbe erfüllt in der Tat- das Symmetriegesetz.^)
Die Eigenwerte zum Kern G = 2ng d. h. die Eigenwerte der Diffe-
rentialgleichung
A{u) = L{ii) -\- Xu = 0
sind
,« = «(?L±;), („ = 0, 1, 2, . . .)
und zwar wird allgemein A^"^ ein 2n 4- 1 facher Eigenwert, indem zu A^"'
als Eigen funktionen die 2n -\- l Kugelflächenfunktionen P(") vom titen
Grade gehören; die letzteren erfüllen mithin die Differentialgleichung
L{u) + yl(")«. = 0
1) Vgl. Kap. XVm.
2) Diese Greensche Funktion für die Kugelfläche haben bereits E. Zermelo,
Hydrodynamische Untersuchungen über die Wirbelbewegungen in einer Kugelfläche,
Zeitschrift für Math, und Phys. Bd. 47 (1902) und J. Hadamard, Propagation des
ondes, Paris 190.3, berechnet. Bezüglich der Existenz eines Potentials auf einer ge-
schlossenen Fläche vgl. E. Picard C. K. (Paris, 1900 und 1903.)
Math. Monogr. ä: Hubert, lin. Integralgloichungon. 5
66 Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion.
und die Integralgleichung
;(n) Jp («)(>* ^*) G(>g^, ^*<p*) dK = PW(^9))
oder
!« n
- m(w + 1) / /P("^(^*95*) / (2 sin-|-) sin ^^(prf^ = P^''\^(p).
0 0^
Unser Satz 21 lehrt, daß jede zweimal stetig diiferenzierbare Funktion
auf der Kugel nach den Kugelflächeufunktionen eutwiekelbar ist.
Schließlich sei noch erwähnt, daß die Bedeutung der Eigenfunktionen
als Lösungen gewisser Variationsprobleme, sowie alle hiermit in Zu-
sammenhang stehenden Tatsachen, wie sie für den Fall gewöhnlicher
Differentialgleichungen am Schluß des Kapitels VII angedeutet sind, ent-
sprechend auch für den gegenwärtigen Fall der partiellen Differential-
gleichungen zutreffen.
Neuntes Kapitel.
Existenz der Greenschen Funktion.
Auftreten eines Parameters in der Randbedingung
bei partiellen Differentialgleichungen.
Auch die Untersuchungen dieses Kapitels betreffen die Integration
partieller Differentialgleichungen mit zwei unabhängigen Yariabeln x, //;
doch soll nicht wie in Kapitel VIII die Differentialgleichung den Para-
meter X enthalten, sondern wir nehmen vielmehr an, daß der Parameter A
in der Randbedingung auftritt. Es wird sich zeigen, daß auf gewisse
dann entstehende Fragen ebenfalls die im ersten Abschnitt entwickelte
Theorie der Integralgleichungen erfolgreiche Anwendung findet.
Wenn die zu einer Randbedingung gehörige Greensche Funktion G
bekannt ist, so wird stets eine gewisse zuorehörisre Randwertaufgabe lösbar.
Setzen wir beispielsweise in der Formel (15) (S. 60)
wo G^{xy, |r/) die zur Randbedingung I gehörige Greensche Funktion
des Differentialausdruckes L{u) bezeichnet, und wählen dann für u irgend-
eine Lösung der Differentialgleichung L{ii) = 0, so entsteht die Gleichung
diese Formel löst die Aufgabe, das stetige Integral u jeuer Differential-
gleichung L{u) = 0 im Innern des Gebietes J zu finden, wenn seine Werte
auf der Randkurve G gegeben sind.
Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion. 67
In entsprechender Weise bezeichnen wir mit G^^(xy, ^tj) die zur
Randbedingung II gehörige Greensche Funktion des Differentialausdruckes
Z/(m) und setzen in Formel (15) (S. 60j
wählen wir dann für u wiederum eine Lösung der Differentialgleichung
Z(?t) = 0, so wird
(17) «,lv) — lf[p^^y) '-'^f^G^'i^y, iv)l.^,äs;
(C) y = 6(,)
diese Formel löst die Aufgabe, das Integral u jener Differentialgleichung
L(ti) = 0 im Innern des Gebietes J zu finden, wenn die Werte »seiner
normalen Ableitung auf der Randkurve C cregeben sind.
Umgekehrt sieht man sofort wie in der Potentialtheorie ein, daß,
wenn die letztgenannten Randwertaufgaben als lösbar erkannt sind, daraus
mit Hilfe einer Grundlösung stets die Existenz der Greenschen Funk-
tionen G^ bzw. G^^ folgt.
Ehe wir nun der Frage nach der Existenz der Greenschen Funktionen
näher treten, schicken wir einige Betrachtungen voraus, die sich auf
den Zusammenhang zwischen gewissen Kernen von Integral-
gleichungen beziehen. Wie in Kapitel III werde, wenn K{s,t) irgend-
ein Kern ist, die Funktion
6
KK{s, t) =JK{s, r) K{t, r) dr
a
als der aus K(s, t) ziveifach zusammengesetzte Kern bezeichnet.
Eine Reihe von Eigenschaften lassen sich von dem Kern K{s, t) aussagen,
wenn die entsprechenden Eigenschaften von KK(s, t) bekannt sind; hier
mögen nur folgende Sätze erwähnt werden:
Satz 20. Wenn der aus K(s,t) zweifach zusammengesetzte Kern
ahgescJdossen oder allgemein ist, so ist stets auch der Kern K(s, t) ab-
geschlossen hzzv. allgemein.
Satz 21. Wenn K(s, t) ein abgeschlossener Kern ist und die Integral-
gleichung erster Art mit dem Kern KK(s, t) lösbar ist, so ist es aucA
die Integralgleichung erster Art mit dem Kern Kis, i).
In der Tat, aus
1)
f{s)^fK{s, t)(p(t)dt
a
folgt durch Multiplikation mit K{r, s) und Integration nach s die Gleichung
b h
fK{r, s) f{s) ds =fKK{r, t) cp {t) dt.
a a
6*
ß8 Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion.
Wenn f{s) eine gegebene Funktion ist, so wird die linke Seite dieser
Gleichung ebenfalls eine bestimmte Funktion, und aus dieser folgt die
Funktion (p(t) durch Lösung der Integralgleichung erster Art mit dem
Kern KK(s, t).
Satz 22. Wenn KK{s, f) ein allgemeiner Kern ist, so läßt er sich
stets in eine Reihe cntiviclceln:
KK(S, t) = ^^Yi) 1 xiif 1 >
wobei l^^\ )S^\ . . . imd H>^^\s), ip^^\s), . . . die zn KK{s, t) gehörigen Eigen-
fmiktionen hziv. Eigenwerte bedeuten.
Zum Beweise wende man Satz 7 des ersten Abschnittes auf den
Kern K{s, t) an und setze in der so entstehenden Entwicklung an Stelle
der Funktion g(t) den Kern K{t, r) ein.
Da in den Entwicklungen des Kapitels II imd in Kap. VI die Sym-
metrie des Kernes K{s, t) nirgends vorausgesetzt wurde, so existiert für
eine Integralgleichung zweiter Art, auch wenn ihr Kern K{s, t) un-
symmetrisch ist, eine lösende Funktion, d. h. eine Funktion K(s, /) von
der Art, daß
b
K{s, t) = K (s, t) - ljK{s, r) K (r, t) dr
a
wird, aUemal dann, wenn K{s, t) nur Singularitäten von niederer als der
•|-ten Ordnung besitzt. Ebenso folgt, daß eine Integralgleichung zweiter
Art, deren Kern K{xy, ^ri) eine Funktion zweier Variabeinpaare ist, ge-
wiß eine lösende Funktion besitzt, wenn der Kern K{xy, ^iq) nur Singulari-
täten von niederer als erster Ordnung besitzt.
Wenn der Kern K{s, t) bzw. K{xy, ^ri) einer Integralgleichung nicht
symmetrisch ist, so verstehen wir unter dem aus K(^s, i) bzw. K{xy, t,ri)
zweifach zusammengesetzten Kern die Funktionen
h
KK{s, t) =JK{s, r) K{r, t) dr
a
bzw.
KK{xy, U) =jK(xy, l\))K{ii), bi)dJ.
iJ)
Auch die BegrifiFe Eigenivert und Eigenfunktion sind unmittelbar auf
den unsymmetrischen Kern übertragbar. Es kann nun vorkommen, daß
der zweifach zusammengesetzte Kern KK{s, t) bzw. KKixy, |»j) an den
SteUen
5 = ^ bzw. a; = ^, y = rj
nur von niederer als der ^teu. bzw. der ersten Ordnung singulär ist,
während dies für den ursprünglichen Kern Kis, t) bzw. K(xy, 1?^) nicht
Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion. 69
zutrifft.-') In diesem Falle können wir von folgenden Sätzen Gebrauch
machen, die von dem Zusammenhange zwischen den Integral-
gleichungen zweiter Art mit dem ursprünglichen und dem
zweifach zusammengesetzten Kern handeln:
Satz 23. Wenn A = 1 ein Eigenivert der lntegral(jleicliung zweiter
Art mit dem Kern KK{s, t) ist, so gibt es unter den zu diesem Eigen-
ucrt gehörigen Eigenfmiktionen geiviß eine solche EigenfunMion q){s), die
entweder die Integralgleichung
h
(p(s) = +JK{s, t) (p(t) dt
a
oder die Integralgleichung
b
cp{s) = -fK(s,t)(p{t)dt
a
befriedigt.
Zum Beweise setzen wir
b
(18) jp(s)^fK{s,t)cp{t)dt;
a
dann wird
6 h
fK(r, s) tis) ds ^fKK{r, t)(p{t) dt
a a
oder, da (p(s) als Eigenfunktion von KK{s,t) der Gleichung
h
(19) tp{s) ==jKK{s, t) (fit) dt
a
o;enüo;t:
b
(20) cf{r)=jK{r,s)tp{^ds.
a
Tragen wir diesen Wert von ^(r) in die rechte Seite von (18) ein, so
entsteht
b
iP{s)=^fKK{s,t)i^(t)dt,
a
d. h. die Funktion i^(s) erfüUt die nämliche Integralgleichung wie cp{s).
AVir nehmen der Kürze wegen an, es gäbe nicht zwei voneinander linear
unabhängige Lösungen cp{s) der Gleichung (19); alsdann folgt notwendig
^{s) = c(p{s),
1) Diese Tatsache ist bereits von I. Fred ho Im bemerkt und in ähnlicher Weise
wie hier zur Auflösung von Integralgleichungen benutzt worden, wenn der Kern für
s = t bzw. «^1, y = r\ sich singulär verhält, vgl. Acta math. Bd. 27 S. 384.
70 Kap. IX. Existenz der Gieenschen Funktion.
wo c eine Konstante bedeutet. Die Berücksichtigung dieser Beziehung in
(18) und (20) führt zu der Gleichung c- = 1, womit die in Satz 23 auf-
gestellte Behauptung bewiesen ist. Ebenso leicht gestaltet sich der Nach-
weis ohne jene Annahme.
Satz 24. Wenn die Integralgleichung zweiter Art mit dem Kern
KK{s, t) für den Parameterwert 1 = 1, d. h. die Integral gleichimg
I,
(21) F{s) = (p{s) -fKK{s, t) <p(t) dt
a
lösbar ist und ?. = 1 nicht gerade einen Eigenwert des Kerns KK{s, t)
hedeutet, so ist auch die Integralgleicliung zweiter Art mit dem Kern K{s, i),
nämlich die Integralgleichung
(22) fis) = <p(s)-jK{s,t)cp{t)dt
a
lösbar.
Zum Beweise setzen wir, wenn /"(s) eine gegebene Funktion bedeutet,
6
F(s) = f(s)+ffif)K{s,t)dt
a
und bezeichnen mit q)(s) die Lösung der mit diesem F(s) gebildeten
Integralgleichung (21). Bilden wir dann die Funktion
h
(23) t{s) =jK{s, t)cp{t) dt + f{s)
a
und setzen dieselbe in (21) an Stelle von ^{s) ein, so ist die entstehende
Gleichung genau dieselbe wie die, die man aus (21) durch Multiplikation
mit K{r, s) und Integration nach 5 erhält. Daraus folgt, daß auch i\>{s)
eine Lösung von (21) sein muß. Da aber A = 1 kein Eigenwert des
Kerns KK{s, t) sein sollte, so besitzt diese Integralgleichung nur eine
Lösung; daher muß (p{s) mit t/^(s) übereinstimmen, d. h. wegen (23): (p{s)
ist zugleich die gesuchte Lösung der Integralgleichung [22).
Nach diesen Vorbereitungen stellen wir uns nunmehr die Aufgabe,
für ein beliebiges Gebiet J mit der Randkurve C die Greensche
Funktion erster Art, d.h. diejenige Greensche Funktion G^{xy, |tj),
die zu der Randbedingung I gehört, für einen beliebigen Diffe-
rentialausdruck L{ii) zu konstruieren.
Zu dem Zwecke betrachten wir zunächst den Differentialausdruck
^ -' dx^ dy ox dx dy cy '
Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion. 71
wo P eine beliebige innerhall) J und auf der Randkurve C stetig diffe-
renzierbare Funktion sein möge. Wir nehmen nun an, es sei die zur
Randbedingung I gehörige Greensche Funktion für den DiflFerentialausdruck
x-y + ]g-^ bekannt, und bezeichnen dieselbe mit r{xy, h,ri). Ist dann u
eine innerhalb J zweimal stetig differenzierbare und auf C verschwindende
Funktion, und setzen wir
(24) D(iO = f{xy),
so entnehmen wir aus der Formel (15) die Gleichung
und unter Anwendung der Regel für die Integration eines Produktes:
, ^jg(r(.,,^,)||) a(r(.,,|,)||)
'y^"^)- 2nJ I dx ^ dy '
u{xy)dJ
(J)
d. h. die der Randbedingung I genügende innerhalb J stetige Lösung u(x, y)
der Differentialgleichung (24) genügt der Integralgleichung
(25) F(|r?) = u(^rj) - J K{xy, It?) u{xy) dJ,
wo zur Abkürzung
{J)
K(xy, In)--^ I äi- + ry 1
gesetzt ist.
Wir betrachten nun den aus K{xy, i,ri) zweifach zusammengesetzten
Kern KK{xy, |^). Da der Kern K{xy, 1?;) für x = t,, y = i] von der
ersten Ordnung unendlich wird, so folgt leicht, daß der Kern KK(xy, i,rj)
für a; = I, y ^ yj nur logarithmisch unendlich wird. Nach dem oben
Gesagten (S. 68) ist daher die Integralgleichung zweiter Art
F*(xy) = u*(xy) — ij KK{xy, i,ri)u*{^ri)dJ
(J)
für den variablen Parameter X auflösbar.
Wäre l = \ ein Eigenwert für diesen Kern KK{xy, |>?), so müßte
nach Satz 23 eine Eigenfuuktion (p{xy) existieren, die zugleich auch eine
der Integralgleichungen
fp{xy) = ±jK{xy, lri)(p{i,i])dJ
(J)
72 Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion.
befriedigt; daim aber wäre cp^'i]) ein auf der Randkurve C verschwindendes
Integi"al einer der beiden Difierentialgleicbungen
a^* , ^M /dP du_ dP^ cu\ ^ Q
cx^ dy^ — \dx dx dy dy)
Da aber für jede auf C verscbvrindende Funktion u die Identität
(J) (J)
gilt, so würde sich (f{xy) notwendig als Konstante und mithin gleich Null
ergeben, was nicht der Fall sein sollte. Die Annahme, daß A = 1 ein
Eigenwert für den Kern KK{xy, |»;) sei, ist somit als unzutreffend erkannt.
Nunmehr lehrt Satz 24, daß auch die Integralgleichung (25) eine
Lösung besitzt; diese Lösung u{xy) ist das gewünschte Integral der
Differentialgleichung (24), welches auf der Randkurve C verschwindet.
Es sei zur Abkürzung gesetzt:
T> " -^ \-o •!/
p d'Pi^ri)
'in cr\^
+ lU 3 P/ + P ,r - 2 P^ , + 2 P,^„^. } (:. - I) 2
h .^6 { P|^ + 3P,; + 2P^^ - 2P,^,^ ] {y - ,^y.
Wegen
folgt durch eine leichte Rechnung, daß Dlf^l—j eine auch an den
Stellen x = ^, y ^^ V stetige Funktion wird. Wir bezeichnen mit y^
irgendeine Funktion von x, y, die innerhalb J zweimal stetig differenzier-
bar ist und auf der Randkurve C dieselben Werte wie y^l—: annimmt,
und konstruieren alsdann nach dem Vorstehenden die auf C verschwindende
Lösung der Differentialgleichung (24) für
f{xy) = J)(y^l~-y.^',
ist ^3 diese Lösung, so stellt offenbar
G^ = Yi^— — r2 — Yz
die zur Randbedingung I gehörige Greensche [Funktion der Differential-
gleichung D{ii) = 0 dar.
Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion. 73
Mit Hilfe des Satzes 18 und unter Berücksiclitigung einer früheren
Bemerkung (S. 64^ folgt dann aucli die Existenz der zur Randbedingung I
gehörigen Greenschen Funktion für den beliebigen Differentialausdruck Z(zt).
Wir wenden uns nun zu der Frage nach der Existenz der zur
Randbedingung II gehörigen Greenschen Funktion und betrachten
zunächst den spezielleren Differentialausdruck
./ du\ r.1 du\
der aus L(;u) entsteht, wenn man q = 0 nimmt. Ist u eine der Differen-
tialgleichung i*(w) = 0 genügende Funktion, so gibt es offenbar eine
Funktion v der nämlichen Veränderlichen x, y von der Art, daß
d u d V
■^ dx dy '
du cv
^ly^ ~Jx
■wird. Die Funktion v ist hierdurch bis auf eine additive Konstante be-
stimmt; sie genügt der Differentialgleichung
^ ■' ex dy
und heiße die zu u konjugierte Funktion.
Wenn durch s, n irgend zwei von einem Punkte ausgehende Rich-
tungen bezeichnet werden, die in dem Sinne wie die positiven Richtungen
der X' und !/- Achse zueinander senkrecht stehen, so ist stets
du dv du 1 dv
^ CS dn ' cn p es
Nehmen wir nun an, es gäbe für den Differentialausdruck ilf*(ü)
eine zur Randbedingung I gehörige Greensche Funktion (r-"-, so existiert
notwendig für den Differentialausdruck L*(ii) eine zur Randbedingung II
s;ehörige Greensche Funktion G^^.
In der Tat läßt sich die zweite Randwertaufgabe für L^iii) = 0 auf
die erste Randwertaufgabe für Ji"*(v) = 0 zurückführen. Bezeichnen wir
nämlich mit f(s) die für ^r— vorgeschriebenen Werte auf der Randkurve C,
SO muß notwendig
Jpf(s) ds = 0
ausfallen, und daher stellt
9(ß) = -fpf{s)ds
74 Kap. IX. Existenz der Greenscben Funktion.
eine stetige Funktion auf der Randkurve C dar. Wir bestimmen nun das
Integral v der Difierentialgleichung 31* (v) = 0 mit den Randwerten g{s)]
ist alsdann — ii die zu v konjugierte Funktion, so besitzt u offenbar die
vorgeschriebenen normalen Ableitungen auf der Randkurve C.
Wir wenden jetzt die Greenscbe Formel (14) an, indem wir in der-
selben für V die eben konstruierte Greenscbe Funktion G^^ und für u
irgendeine stetige Lösung von L*(u) = 0 nehmen. G^^ ist im gegen-
wärtigen Falle der Differentialgleichung L*(u) = 0 eine Greenscbe Funk-
tion im erweiterten Sinne, da die Konstante eine Lösung von L*{ii) == 0
mit verschwindender normaler Ableitung liefert; wir haben demgemäß
L*{G^') = ^,
fG^{xy,lri)dJ=0,
(J)
worin J den Flächeninhalt des Gebietes J bedeutet. Die Greenscbe
Formel (14) liefert
nnri) = - ^ f\pt^ G'A ds + 4- fudJ.
^^ '-' '■Inj [J- cn Jx = a(«) J J
Setzen wir
(C) y=b{,s) [J)
[u{xy)\x = a{B) = ^l(s),
y=6(«)
[Vixy)]x = a(s) =V{S),
y=b{s)
[G^\xy, iri)'\^ = a{A, l = aio) = G^\s, a),
g=b (*), >; = 6 (o)
so folgt
(26) u{0) = ^/^^ G^\s, a)ds + c„,
wo c„ eine durch die Funktion u bestimmte Konstante bedeutet.
Andererseits gehen wir von der Gleichung 31* (v) = 0 aus und be-
zeichnen mit II^^[xy, |?j) die zugehörige Greenscbe Funktion für die Rand-
bedingung II und mit IP^(s, ö) die betreffende aus ihr entsprechend
hervorgehende Funktion von s, 6. Da offenbar die zu v(xy) konjugierte
Funktion — ii{x,y) wird, so erhalten wir nunmehr die Gleichung
(27) v{6) = - ^J'^H^^s, a) ds -f c,,
wo c^ wiederum eine Konstante bedeutet.
Die gefundenen Gleichungen (ß6), (27) sind Integralgleichungen erster
Art mit den symmetrischen Kernen G"(s, &), H^-^i^^ ß). Diese Kerne
sind von der Gestalt
Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion. 75
Cl{\s — (?|) + S(S, 6),
WO c eine Konstante und S(s, (?) eine stetige Funktion von s, a bedeutet.
Mittelst (27) folgern wir dann, daß v(6) gewiß einmal stetig diiferentiier-
bar ist, sobald " einmal, d. h. sobald u{s) zweimal stetig differentiier-
bar ist. Da unter dieser Voraussetzung die Formel (27) die Integral-
gleichung (26) auflöst, so schließen wir leicht, daß der Kern (r^^{s, 6)
der Integralgleichung (26) sowohl abgeschlossen wie allgemein ist.
Als Beispiel wählen wir den Fall ^ = 1, wo die Gleichung L*'[ii) = 0
~ die bekannte Potentialgleichuug wird; als Gebiet J diene der Kreis mit
dem Radius 1. Die Rechnung ergibt das Statthaben der Relationen
— n
/ \ 1 Cduis) 1 (c ■ * — ^\\ j
wobei u{s) die Werte des Realteiles, v{s) diejenigen des Imaginärteiles
einer analytischen Funktion auf der Kreisperipherie bedeuten, während
die Gleichungen
ß
u(s)ds = 0,
j v(s)ds =
0
erfüllt sind.
Setzen wir an Stelle der Veränderlichen s, 6 bzw. ^x, -x |, so nehmen
die gefundenen Formeln die Gestalt an
(28) z<|)= ^/-^|^?(2|8in^^,)rf^ = -i/K^)cotg(:r^y^,
-1 -1
+ 1 +1
(29) HI) = -^/^^f «(^1^^^^^)^^= l/H(^)cotg(^V^)rf:r.
-1 -1
Die letztere Formel (29) geht durch Produktintegration und Differentiation
nach X in die Formel
^.^(|) = _ L C^'ff l (2 ' sin ^ ^--^l) dx
d^ nj dx* \ 2 |/
76 Kap. IX. Existenz der Greenschen Funktion.
über. Die Einsetzung dieses Wertes von -j— in die erstere Formel (28)
liefert
(30) u(^ = -^,ß^[ß (2 sin. t;y)l {2 sin.^") rf, ) rf.;
-1 -1
diese Formel gilt für jede zweimal stetig differenzierbare Funktion u, die
von — 1 bis -f 1 integriert Null liefert.
Wenden wir nun Satz 11 (S. 46) auf den Diflferentialausdruck , »
an, indem wir als Greensche Funktion die zu den Randbedingungen IV
gehörige, oben (S. 45) berechnete Funktion wählen, so' folgt für jede
zweimal stetig differenzierbare, jenen Randbedingungen genügende Funk-
tion u die Identität
+ 1
(31) u(x) = - J{ -X x-l-]-i[x-^iy+^} ^ dx.
-1
Aus den Formeln (30) und (31) entnehmen wir durch eine sehr leichte
Überlegung, daß notwendig
--1- a;-| -f i(a;-^)^+^ = ^Jz(2'sin;r^^^)z(2Jsin;r"^-^j)(^y
-1
sein muß; wenn wir also die symmetrischen Funktionen
Z'(^,|) = i-?(2sin:r^^i),
als Kerne auffassen, so ist der letztere derjenige Kern, der aus dem
erstercn durch zweifache Zusammensetzung entsteht. Der Kern K{x, ^)
muß mithin dieselben Eigenfunktionen besitzen, wie KK{x, |); dieselben
sind nach dem Obigen (S. 55j
sin niTix, cos mnx, (m = 1, 2, 3, . . .).
Die Eigenwerte von K(x, |) sind die Quadratwurzeln aus den Eigenwerten
des Kerns KK{x, |), d. h. da jener Kern definit ist, gleich den ganzen
positiven Vielfachen von tc. Diese Eigenwerte sind zweifach; doch ist
der Eigenwert Null, zu dem die Konstante als Eigenfunktion gehört, noch
als einfacher Eigenwert hinzuzurechnen.
Die Formeln (28), (29) sind wegen ihrer fruchtbaren Anwendung auf
die Theorie der analytischen Funktionen von besonderer Wichtigkeit.-^)
1) Vgl. 0. D. Kellogg, Zur Theorie der Integralgleichungen, Inauguraldisser-
tation Göttingen 1902, wo einige der in den Vorlesungen des Verfassers dargelegten
Anwendungen berührt werden.
Kap. IX. Parameter in den Randbedingungen. 77
Wir haben oben die Greensche Funktion G^^ipcy, |?/) für den Differential-
ausdruck L*(h) konstruiert. Wenn aber die Gleichung i*(«) = 0 eine
zur Randbedingung II gehörige Greensche Funktion besitzt, so folgt aus
Satz 18 unter Heranziehung einer früheren Bemerkung (S. 64) auch die
Existenz der Greenschen Funktion G^^{xy, |7j) für den allgemeinen
Differeutialausdruck
L{u) = L*{u) + qn.
Wir kommen endlich auf das zu Beginn dieses Kapitels in
Aussicht gestellte Problem zurück.
Es sei für das Gebiet J der it;?/- Ebene die sich selbst adjungierte
Differentialgleichung L{u) = 0 vorgelegt; man soU dasjenige Integral
dieser Differentialgleichung finden, welches auf der Randkurve C des
Gebietes J die Randbedingung
(32) f^ + Z.. + /Ks) = 0
erfüllt, wo X den Parameter und ]i{s) eine gegebene Funktion der Bogen-
länge s auf der Raudkurve C bedeutet. G^{xy, |r;) bezeichne wiederum
die zur Randbedingung II gehörige Greensche Funktion, so daß überall
auf der Randkurve C
dn
wird; alsdann gilt die Formel (18) und wegen (32) erhält diese die
Gestalt
u{i,Tfl) = -^ \\j){xy){lu{xy) + Ms)) G^\xy, b]y]x=a{s)ds'^
(^) /
diese Formel werde mit yi^d"»?) multipliziert und in ihr ^ = «((?), ?/ = &((?)
genommen. Setzen wir dann zur Abkürzung
ri = b{a)
y = b(s\ i] = b(a)
'/ 2/ =6(4), n-=b[a)
(C)
SO erhält sie die einfache Gestalt
(33) fip) = (p ((?) - ljK{s, 6) cp (s) ds .
Da wegen des Symmetriegesetzes der Greenschen Funktion auch die
Funktion K{s, g) in den Veränderlichen s, a symmetrisch wird, so er-
78 Kap. IX. Parameter in den Randbedingungen.
kennen wir in der Gleichung (33) eine Integralgleichung zweiter Art, die
genau von derjenigen Gestalt ist, wie wir sie im ersten Abschnitt be-
handelt haben. Der Kern K{s, 6) dieser Integralgleichung ist in den
Variabein s, 6 stetig außer für s = 6, wo K{s, a) wie der mit einer Kon-
stanten multiplizierte Logarithmus von \s — 6\ unendlich wird.
Wir bezeichnen die Eigenwerte ?S"''> und Eigenfunktionen il}^"'\s) der
Integralgleichung (33) auch als die Eigenwerte bzw. Eigenfunktionen
der Randbedingung
du . . f.
■^ — \- Xu = 0
on
für die Differentialgleichung L(u) = 0.
Da K(s, ö) nach der obigen Bemerkung (S. 75) ein abgeschlossener
und allgemeiner Kern ist, so folgen, wenn wir die oben (S. 74) gefundene
Auflösung der Integralgleichung erster Art (26) berücksichtigen, aus den
Sätzen 3 — 7 des Abschnittes I eine Reihe von Tatsachen, unter denen der
Kürze halber nur die folgende hervoroehoben werde:
Satz 25. Jede zweimal stetig differenzierbare FunMion auf der Rand-
Jcurve C ist in der Fourierschen Weise in eine Reihe entivickelbar, die nach
den EigenfunJctionen der Randbedingung
du ^
on
fortschreitet; die Reihe konvergiert absolut und gleichmäßig.
Aus den letzten Betrachtungen kann zugleich die Existenz einer zur
Randbedingung III gehörigen Greenschen Funktion G^^ gefolgert werden.
Da wir oben unter der Annahme der Greenschen Funktion G^ für die
Potentialgleichung ^^ ^" ä' 2 ^ ^ ^^^ Existenz von G^ und G^^ für den all-
gemeinen Differentialausdruck L{ii) bewiesen haben, so können wir zu-
sammenfassend folgendes Resultat aussprechen:
Satz 2Q. Für einen Differential ausdruck L(ti) gibt es stets die Green-
schen Funktionen G^, G^^, G^^, die zu den Randbedingungen bzw. \, II, III
gehören, wobei besonderenfalls der Begriff der Greenschen Funktion im er-
tveiterten Sinne zu verstehen ist.
Um noch kurz das zugehörige Variationsproblem zu berühren, nehmen
wir an, es sei q eine innerhalb J nirgends positive Funktion-, alsdann
wird das Integral
^w=/{'K(i-:/+(i-:))-«-i'*'^
gewiß niemals negative Werte erhalten. SoUen wir nun diejenige Funk-
Kap. IX. Parameter in den Randbedingungen. 79
tion u bestimmen, die !)(«) zu einem Minimum macht, während für die
Randwerte von u die Bedingung
l'pu^ds = 1
(C)
erfüllt ist, so führt die Variationsrechnung auf die Differentialgleichung
L(ii) = 0, während am Rande die Gleichung
■^ — \- lu = 0 (A = konst.)
gelten muß. (Dirichletsches Variationsproblem.)
Setzen wir, wenn ii(xy) irgendeine Lösung der Differentialgleichung
L{iC) = 0 bedeutet, zur Abkürzung
so ist wegen Formel (17)
n = b(o) ./ '- ^^' Jx=a(«), § = a((T)
' ^' tfi) t/ = b(>),'l = H")
= —JK{s, 6)(x){s)ds.
(C)
Andererseits wird
D(ti) = — I uL(u)dJ— j pu -^ ds
= J JK{s, ö) a (s) G}{6)dsd6.
iC) {C)
Hiernach geht das vorige Variationsproblem in folgende Aufgabe
über: man soll eine Funktion (a(s) bestimmen, für welche das Integral
J JK{s, <s) c3 (s) 03 (ö) dsdö
((■) in
ein Minimum wird, wenn die Nebenbedingung
J{fK{s,6)o{s)dsyd6 = l
iC) (C)
erfüllt ist. (Gaußsches Variationsproblem).
Die Formel (34) lehrt, daß bei unseren Annahmen der Kern K{s, 6)
definit ist und daher die Eigenwerte sämtlich positiv ausfallen; wir be-
zeichnen die Eigenwerte und die Eigenfunktionen des Kerns K{s, ö) mit
A(^), 2(2), . . . bzw. i^(i)(s), ^(2)(s), ....
In ganz analoger Weise, wie in Kapitel VII (S. 57 — 58) ausgeführt
wurde, erkennen wir nunmehr leicht, daß
(d(s) = iWti^W^s)
80 Kap. IX. Parameter in den Randbedingungen.
das gewünschte Minimum liefert; mitbin ist:
[Vpixy)u{xy)]r=a{i) = t^^\s).
Eine interessante Anwendung findet unser Satz 25 zur Lösung des
Problems der kleinen Schwingungen einer in einem Gefäße befindlichen,
der Schwere unterworfenen Flüssigkeit.-^) Hierbei handelt es sich um
die Auffindung des Geschwindigkeitspotentiales V. Dasselbe ist eine
Funktion des Ortes x, y und der Zeit t, die im Innern der Flüssigkeit
für alle Zeiten t der Gleichung
.TT d-U . d'U ^
-^^^a.^ + aV^^'
an der festen Wand für alle t der Bedingung
on
und auf der Horizontalen y = 0 für alle t der Gleichung
a- C/ _ aü _ ^
dt^ dy
genügt, während für t = 0 die freie Oberfläche in der Horizontalen y = 0
liegen und daselbst die vertikale Geschwindigkeit ,.- als Funktion von x
etwa == f{x) gegeben sein soll.
Der Ansatz
U = u cos ()/Ä t)
liefert für die von t unabhängige Funktion u an der festen Wand die
Bedingung
an
und an der Horizontalen y ^ 0 die Bedingung
^ + ;.M = 0, (A = konst.),
während im Inneren der Flüssigkeit überall yJu = 0 sein muß. In der
voransteheuden allgemeineren Entwicklung haben wir mithin 2) = 1, q = 0
zu nehmen und das Randintegral nicht über die ganze Randkurve C,
sondern nur über die Horizontale y = 0 zu erstrecken. ' Bedeutet also
G^^(xy, h,r/) die zur Randbedingung II gehörige Greensche Funktion für
das von der Gefäßwand und der Horizontalen y = 0 begrenzte Gebiet, so
lautet der in Betracht kommende Kern
1) Vgl. insbe.gondere Poincare, Journ. de Math., 1896.
Kap. X. Eiemanns Probleme in der Funktionentheorie. 81
Bezeichnen wir mit l^'^\ X^^\ . . ., ^(^^(a;), ip^^'>(x), . . . die Eigenwerte bzw.
die Eigenfunktionen dieses Kerns und entwickeln wir die gegebene
Funktion f\x) nach diesen Eigenfunktionen, wie folgt
so wird das hydrodynamische Problem durch die Formeln
r|^1 = c,xp^'){x) cos (VXWt) + c.,ilj(''\x) cos (Y^S^H) + • • •
[P],=« = "4^"^ '^os (Vm) + '^^^ cos (^0 + . .
gelöst.
Die Ausdehnung unserer Untersuchungsmethode auf mehr als zwei
Veränderliche bietet keine prinzipielle Schwierigkeit.
Dritter Abscliuitt.
Anwendungen auf Pi'oblenie der Funktionentheorie.
Zehntes Kapitel.
Riemanns Probleme in der Theorie der Funktionen
einer komplexen Veränderlichen.
Riemanu hat in seiner Inauguraldissertation (Abschnitt 19) die all-
gemeine Aufgabe gestellt, Funktionen einer komplexen Veränderlichen
innerhalb eines von einer gegebenen Randkurve begrenzten Gebietes der
komplexen Ebene zu bestimmen, wenn zwischen den Real- und Imaginär-
teilen der Funktionen auf jener Randkurve Relationen gelten sollen, deren
Koeffizienten auf der Randkurve sich stetig ändernde gegebene Funktionen
sind. Die Theorie der Integralgleichungen bietet die Mittel zur Lösung
dieser Riemannschen Fragestellung für den Fall, daß die auf der Rand-
kurve ffegebenen Relationen lineare sind.^)
Die Methode der Integralgleichungen ist auch auf weit allgemeinere
Probleme anwendbar; sie führt insbesondere nicht nur zum Ziele, wenn
für die Werte der gesuchten Funktionen selbst auf der Randkurve lineare
homogene oder inhomogene Relationen vorgeschrieben sind, sondern auch,
wenn noch die Ableitungen erster oder höherer Ordnung der gesuchten
1) Man vgl. einen Vortrag des Verfassers „Über eine Anwendung der Integral-
gleichungen auf ein Problem der Funktionentheorie. Verhandlungen des III. Inter-
nationalen Mathematiker-Kongresses Heidelberg 1904", sowie die Dissertationen von
Kellogg und Haseman, Göttingen VJ02 u. 1907; vgl. auch den Auszug aus der Disser-
tation von Haseman: Math. Ann. Bd. 66.
Math. Monogr. 3; Hubert, lin. Integralgleichungen. 6
82 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
Funktionen mit den Funktionswerten auf der Randkurve in linearer Weise
verknüpft auftreten. Durch Behandlung solcher Aufgaben wird, wie mir
seheint, der Theorie der Funktionen einer komplexen Variabein ein neues
dankbares Kapitel hinzugefügt.
Die in dem oben zitierten Vortrage zur Erläuterung der Methode
gewählte Aufgabe ist freilich Avegen ihrer besonderen Einfachheit auch
ohne dieses Hilfsmittel lösbar, und zwar, indem man zweimal die ge-
wöhnliche Randwertaufgabe aus der Theorie des logarithmischen Potentials
anwendet.
Das dort behandelte Problem besteht darin, innerhalb einer ge-
schlossenen Kurve C mit stetig sich ändernder Tangente und von der
Gesamtbogenlänge l eine regulär analytische Funktion der komplexen
Veränderlichen 2 = x -]- iy
f{z) = u{xy) -\- iv(xy)
zu finden, deren Real- und Imaginärteil m(s) bzw. v(s) auf C der linearen
Relation
a{s)u{s) i- h{s)v(s) -f c(s) = 0
genügen; dabei sind a{s), ?>(s), c(s) als stetig differenzierbare Funktionen
der Bogenlänge s mit der Periode l — die erstereu beiden o(s), b(s) ohne
gemeinsame Nullstelle — gegeben.^)
Ich will nun kurz zeigen, wie man eine dieser Aufgabe genügende
Funktion findet, die innerhalb C (nicht notwendig auf C) den Charakter
einer ganzen Funktion besitzt. Zu dem Zwecke bezeichne ich mit 2ni7t
die Änderung, die l(a{Sj + ih{s)) beim positiven Umlauf längs der ge-
schlossenen Kurve C erfährt. Durch den Imaginärteil von I{a(ß) -\- ih{s)),
d. h. durch einen Zweig des Ausdruckes
(1) ^^W>'
wird dann eine reelle Funktion auf C dargestellt, die von .5 stetig ab-
hängt mit Ausnahme eines Punktes, etwa des Punktes 5 = 0, wo ein
Sprung ihrer Werte um 2njt stattfindet.
Mittelst der bekannten Randwertaufgabe in der Theorie des logarith-
1) Aus dem oben zitierten Heidelberger Vortrage geht unmittelbar nur hervor,
daß überhaupt eine der Aufgabe genügende Funktion vom Charakter einer rationalen
Funktion existiert. Es ist jedoch leicht möglich, durch eine geringe Modifikation des
dort angegebenen Verfahrens die etwa innerhalb C auftretenden Pole auf die Kurve C
selbst zu verlegen. Ebenso leicht kann man übrigens, indem man den Begrifl" des
Cauchy sehen Index heranzieht oder wie hier weiterhin im Text verfährt, feststellen,
wann eine Funktion der Aufgabe genügt, die überall innerhalb und auf dem Rande
von C den Charakter einer ganzen Funktion hat, und wie groß die Mannigfaltigkeit
solcher Lösungen ist.
Kap. X. Eiemanns Probleme in der Funktionentheorie. 83
misclaeii Potentials bestimme man nun eine analytische Funktion F{s)^
die sich innerhalb der Kurve C wie eine ganze Funktion verhält und
deren Imaginärteil die Randwerte (1) besitzt. Wird dann
G{s) = e^(^) = ü{xy) + i V{xif)
gesetzt, während
die Randwerte dieser Funktion G{z) bezeichnen, so erkennen wir auf der
Kurve C die Übereinstimmung der Imaginärteile von
KUis) + iV{s)) und l{a{s) + ib{s)),
d. h. es ist auf der Kurve C
a{s)V(s)-h{s)Uis) = 0.
Endlich konstruieren wir eine analytische Funktion f*{s), die inner-
halb C den Charakter einer ganzen Funktion hat und deren Realteil
auf C die Randwerte
c{s) ü{s) e{s) Vis)
besitzt; dann ist
a{s){ü'{s) + VHs)) b{s)iUHs) + VHs))
eine analytische Funktion, die das vorgelegte Problem löst.
Die gefundene Funktion f{z) hat innerhalb C den Charakter einer
ganzen Funktion; sie besitzt jedoch, wenn n negativ ausfällt, auf C im
Punkte s = 0 einen Pol — 2n ter Ordnunff.
Wir wenden uns nunmehr zu einer Aufgabe, welche als eine der
einfachsten Aufgaben in der Theorie der Funktionen einer komplexen Ver-
änderlichen im Sinne der Riemannschen Fragestellung angesehen werden
kann: es ist dies die Aufgabe, eine außerhalb der geschlosseneu Kurve C
regulär analytische Funktion /'„(^) und eine innerhalb C regulär analy-
tische bzw. sich wie eine rationale Funktion verhaltende Funktion /,,(^)
zu finden, so daß die Randwerte beider Funktionen auf der Kurve C
selbst iji einem gegebenen komplexen Verhältnis stehen, d. h. daß
wird, wo in dem komplexen Ausdrucke
c{s) = a(s) -f ih(s)
Real- und Imaginärteil (i(s), b(s) als zweimal stetig diflFerenzierbare
Funktionen der Bogenlänge s — ohne gemeinsame Xullstelle — gegeben
sind. Die Kurve C werde der Einfachheit halber analytisch vorausgesetzt.
Um diese Aufgabe zu lösen, konstruieren wir zunächst eine Green-
sche Funktion Gj(xij, |jj) von folgender Art: sie soll in bezug auf .rp
innerhalb C überall der Gleichung
6*
34 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
dx- c}i-
genügen, ferner au der innerhalb C gelegenen Stelle 1?; logarithmisch
unendlich werden derart, daß bei dem Ansätze
(2) G^{xy, U) = - log VW-^Y^i.y - nf' + ^{^y, U)
die Funktion A{xy, ^tj) regulär analytisch in cc, y, |, ?; ausfällt, und end-
lich soll die in Richtung der inneren Normalen genommene Ableitung
von GAxy, ^1]) auf C einen von s unabhängigen Wert x besitzen. Lassen
wir den Punkt xy bzw. die Punkte xy und ^y] in die Randpunkte s bzw. 5
und 6 wandern, so mögen die betreffenden Werte der Greenschen Funktion mit
Gj(s, ^7y) bzw. Gj(s, 6)
bezeichnet werden.
Wenn Uj{xy) irgendeine innerhalb G der Gleichung
d-uj d~uj ^ /.
genügende stetige Funktion, ^^^ ibre in Richtung der inneren Normalen
genommene Ableitung auf G und Uj{s) ihre Randwerte auf C bezeichnen,
so liefert die Greensche Formel in bekannter Weise:
(3)
' «A^/) =
i
0
' '^ dn
+
0
s)ds,
WO l
die
Gesamtlänge
von C bedeutet. Für
«r
= 1 folg
t hieraus
X =
27r
" T'
Nunmehr sei Vj(xy) eine zu Uj(xy) konjugierte Poteutialfunktion,
so daß , \ , • / \
eine innerhalb G reguläre analytische Funktion der komplexen Variabein z
bedeutet. Bezeichnet v(s) deren Randwerte, so ist
cuj dvj{s)
dn ds
Mit Rücksicht hierauf entsteht aus der Gleichung (3), Aveun wir den
Punkt i,!] in den Randpunkt 6 wandern lassen:
; i
0 0
oder bei Yertauschung von s, o:
i i
(4) n,(s) = + ,^J'öX^, s) ';^ da + ^j\ij{6)da.
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 85
Aus (2) entnehmen wir^)
Giipy s) = - 2 log ^ sin y (ff - s) + A*-{6, s),
wo A*{ö, s) eine reguläre analytische Funktion von 6, s ist. Demnach wird
(o) -- -- ^ = 2 y cotg y (s - ö) + -^/-^^ .
Unter Anwendung der Formel für die Produktintegration nimmt (4)
die Gestalt an:
i i
0 0
wo für das erste Integral rechter Hand sein Cauchyscher Hauptwert zu
nehmen ist; derselbe existiei't gewiß stets dann, wenn vXe) eine stetig
differenzierbare Funktion von 6 ist.
Die eben gefundene Formel (6; gilt, wenn Uj{s) -\- ivj(s) die Rand-
werte auf C irgendeiner Funktion der komplexen Veränderlichen 2
fjiz) =Uj{x,y) + iv^{xy)
sind, die innerhalb C den Charakter einer ganzen Funktion hat. Wenden
wir diese Formel auf die Funktion ifjiß) an, so entsteht:
i i
0 0*
wo wieder für das erste Integral rechter Hand der Cauchysche Hauptwert
zu nehmen ist.
Ist also der Realteil Uj(s) einer innerhalb C regulären Funktion auf
C bekannt, so findet man die Randwerte des Imagiuärteiles v-(s) durch
die Formel
0
wobei über die additive Konstante in Vj{s) alsdann derart verfügt ist, daß
Vj(6)d6 = 0
0
ausfällt. Ist andererseits der Imaginärteil Vj{s) einer innerhalb C regulären
Funktion auf C bekannt, so findet man die Randwerte des Realteiles Uj{s)
durch die Formel
1) Vgl. E. E. Levi, Nachr. der Kgl. Ges. der Wiss. zu Göttingen 1908, S. 249.
In meiner ursprünglichen VeröflFentlichung war im folgenden irrtümlich der Faktor 2
weggeblieben.
ß
gß Kap. X. Riemanus Probleme iu der Funktionentheorie.
(7**) «,(.) = - .'J"'^^!^ v,{.)d<,,
0
wobei über die additive Konstante in w,(s) alsdann derart verfügt ist, daß
1 U^{6)d6 = 0
0
ausfallt.
Wir führen nunmebr, wenn W{s) irgendeinen komplexen Ausdruck
auf C bedeutet, die Abkürzung ein:
i
0
Die Formeln (6) und (7) lassen sich dann in die folgende zusammen-
fassen
Us)==M/, + {ff,{a)d6,
wobei
fjis) = Uj{s) + ivj{s)
gesetzt ist. Hiernach stellt also das Integral
wiederum wesentlich die Funktion fj{s) dar, diese nur um eine komplexe
Konstante derart vermehrt, daß das über die Kurve C erstreckte Integral
verschwindet. Man sieht auch zugleich, daß diese letztere Dar-
stellung eine hinreichende Bedingung dafür ist, daß der kom-
plexe Ausdruck
fj{s) = m/s) + ivj{s)
den Randwerten einer innerhalb C regulären Funktion der
komplexen Veränderlichen gleich ist.
Endlich gilt die Tatsache, daß, wenn iv(s) einen willkürlichen kom-
plexen Ausdruck auf ü bedeutet, der Ausdruck
w + Mjiv
stets die Randwerte einer innerhalb C regulären Funktion der
komplexen Variabein darstellt. Wir erkennen dies, indem wir für
w(s) erst einen reellen und dann einen rein imaginären Ausdruck nehmen
und jedesmal bzw. (7*), (7**) anwenden.
Nunmehr konstruieren wir eine Greensche Funktion G^{xy, 1?;) von
folgender Art: sie soU in bezug auf x, ij außerhalb G überall der Gleichung
Kap. X. Riemanus Probleme in der Funktionentheorie. 87
genügen, ferner an der außerhalb C gelegenen Stelle |?; logarithmisch
unendlich werden, derart daß bei dem Ansätze
Gai^y, U) = - log i Vix - ly +{y- rjY ! + B(xy, |^)
die F wnkt'ion B(xy, ^rj) regulär analytisch in x,y,l,ri ausfällt, und end-
lich sollen die in Richtung der äußeren Normalen genommenen Ab-
leitungen von G^{xy, ^r^) auf C einen von s unabhängigen Wert l besitzen.
Lassen wir den Punkt xy bzw. die Punkte xy und i,r] in die Raudpunkte 5
bzw. s und 6 wandern, so mögen die betreuenden Werte der Greenschen
Funktion mit
Ga(s, h) bzw. G^{s, ö)
bezeichnet werden.
Wenn u^(xy) irgendeine außerhalb C der Gleichung *
genügende stetige (auch im Unendlichen endlich bleibende) Funktion,
-TT-^ ihre in Richtung der äußeren Normalen genommenen Ableitungen
du ° o o
auf C und Ua{s) ihre Randwerte auf C bezeichnen, so erhalten wir in
bekannter Weise
i i
(8) uj^^rj) = - -JgSs, bl) '^ ds + {Ju^{s)ds.
0 0
Nunmehr sei v^{xij) eine zu Uai^y) konjugierte Potentialfunktion,
so daß
^a{^y) + ^v^ixy)
eine außerhalb G reguläre Funktion der komplexen Veränderlichen z be-
deutet. Bezeichnet t\{s) die Randwerte von v^(xy), so ist
dn ds '
und mit Rücksicht hierauf folgt aus (8)
/ i
(9) u^{s) = - ^J^G^{6, s) %i^-) da + ^Ju^{a)d6.
0 0
Setzen wir
G^ {6, s) = - 2 log I ^ sin ^ (ö - s) I -f ^ {6, s),
wo B*{6, s) eine stetig differenzierbare Funktion von a, s ist, so wird
(10) - -^-^— = 2 -^- cotg y (5 - (5) + - -^^— •
Die Formel (9) transformieren wir in die Gestalt
88 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
/ I
(11) uM = 2^/^"'?!?" ''^^'^'^^ + ]ß'a(^)d^
0 u
und fügen dieser die entsprechende Formel für ?„(s) hinzu:
i i
0 0
In den beiden letzten Formeln sind für die er.sten Integrale rechter Hand
die Cauchyschen Hauptvverte zu nehmen.
Wir führen nunmehr, wenn W{s) irgendeinen komplexen Ausdruck
auf C bedeutet, die Abkürzung ein: ^
34 W = J- ß^^- W{6)da.
"■ 231,/ CG ^ ^
0
Die beiden Formeln (11) und (12) lassen sich dann in die folgende zu-
sammenfassen
a^)--Mj^ + \Jfj6)d6,
wobei
gesetzt ist. Hiernach stellt also das Integral
ai a
wiederum wesentlich die Funktion fa{s) dar, diese nur um eine komplexe
Konstante derart vermehrt, daß das über die Kurve C erstreckte Integral
verschwindet. Man sieht auch zugleich, daß diese Darstellung eine
hinreichende Bedingung dafür ist, daß der komplexe Ausdruck
den Randwerten einer außerhalb C regulären Funktion der
komplexen Veränderlichen gleich ist.
Endlich erkennen wir noch, daß, wenn iv{s) einen wiUkürlicheu
komplexen Ausdruck auf C bedeutet, der Ausdruck
w — Jf, i.C
a
stets die Randwerte einer außerhalb C regulären Funktion der
komplexen Veränderlichen darstellt.
Wegen (5) und (10) ist für jeden komplexen Ausdruck W identisch
i
(13) BI^ W = 3Ij W -\-fn{6, s) W(6)d6,
0
wo D(6, s) eine regulär analytische Funktion der reellen Variabelu a, s
mit rein imaginären Werten bedeutet.
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. y9
Nuniuehr kehren wir zu unserer Aufgabe zurück, die Funktionen
fa{z), f^{z) zu finden derart, daß ihre Randwerte auf C die Relation
(14) fa(s) - <s)t){s)
erfüllen. Wir setzen — unter Fortlassung des Argumentes s —
F = f 4- M f
^^^ ' F,=^-f,+ 3I/. + y,
wo y eine noch zu bestimmende Konstante Ijedeutet, und ferner
(16) c(6) = c(s) + c(ö, s) sin y (s — ^),
wo c((j, s) eine komplexe Funktion bedeutet, die wegen der angenommenen
zweimaligen stetigen Differenzierbarkeit von €(s) gewiß einmal stetig
differenzierbar nach s, 6 wird.
Wenden wir nun auf (14) die Operation il/^ an, so entsteht mit
Rücksicht auf (13) die Gleichung
Kfa = mcQ +jDiP, S)c{0)f,{6)d6,
0
und hieraus entnehmen wir wegen (16)
(17) MJ^ = c{s) M/, ^Je{6, S^f,{6)d6,
0
wo E{6, s) eine stetig differenzierbare Funktion von 6, s wird.
Multiplizieren wir die zweite der Gleichungen (15) mit — c(s) und
addieren sie zur ersten, so folgt mit Rücksicht auf (17) und (14)
i
Fa - cF^ = /•, + c/-, +jE{0, s)f,{6)da - cy
(18) \
0
Da c(s) unserer Annahme zufolge nirgends verschwindet, so stellt
eine stetig differenzierbare Funktion von <?, s dar. Wir betrachten die
Integralgleichung zweiter Art mit dem komplexen Kern K{^, s)
i
(20) \=^f)-JK{6,S)t)(6)d6',
0
auf dieselbe sind die Fredliolmschen Formeln in gleicher Weise anwend-
bar, wie wenn der Kern eine reelle Funktion von a, s wäre, und wir
schließen hieraus, daß diese Integralgleichung gewiß eine Lösung
90 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
besitzen muß, und zwar entweder, indem wir die Konstaute y von Null
verschieden setzen oder — falls gerade 1 eine Wurzel der transzendenten
zu jener Integralgleichung zweiter Art gehörigen Gleichung, d. h. ein
Eigenwert für den Kern K{6, s) wird — indem wir für die Konstante y
den Wert Null setzen. Aus der Tatsache, daß der Kern der Integral-
gleichung stetig differenzierbar ist, folgt — , wie leicht zu erkennen ist —
daß gewiß auch die Lösung der Integralgleichung d. h. die Funktionen
w(s), Vj(s) stetig differenzierbare Funktionen sind.
Nunmehr bilden wir aus /^(s) nach (14) den Ausdruck fjs) und
alsdann nach (15) die Ausdrücke FJs), Fj{s). Ergeben sich diese beiden
Ausdrücke F^{s), Fj(s) identisch gleich Null, so zeigen die vorhin ge-
fundenen Resultate (vgl. S. 86 und S. 88), daß die Ausdrücke f^ bzw. /^ die
Randwerte einer außerhalb bzw. innerhalb C regulären Funktion der
komplexen Veränderlichen darstellen; unsere Aufgabe ist mithin in diesem
Falle gelöst.
Ergeben sich nicht beide Ausdrücke F^{s), Fj{s) identisch gleich
Null, so betrachten wir die zu fj bzw. f^^ konjugiert komplexen Aus-
drücke fj bzw. f\. Nach den oben gefundenen Resultaten (vgl. S. 86 und
S. 88) stellen für beliebige tv die Ausdrücke
tv -f Mjtf bzw. iv — M^^iv
stets Randwerte gewisser innerhalb bzw. außerhalb C regulär analytischer
Funktionen dar. Nehmen wir für iv die komplexen Ausdrücke fj bzw. f^,
so erkennen wir hieraus, daß gewiß die zu Fj bzw. F^^^ konjugiert kom-
plexen Ausdrücke F, bzw. F^ Randwerte gewisser innerhalb bzw. außer-
halb C regulär analytischer Funktionen gj{z) bzw. g^{2) sind. Da anderer-
seits unter Vermittlung von (19), (20) aus (18)
F^-cF, = 0,
d. h. wenn c den zu c konjugiert komplexen Ausdruck bedeutet,
F. = cF,
folgt, sü sind gj{3), Hai/) analytische Funktionen der komplexen Variabein,
die die Bedingungen unserer Aufgabe erfüllen, wenn wir in der für den
Rand vorgeschriebenen Relation an Stelle von c{s) den konjugiert imagi-
nären Ausdrucjü c{s) setzen, d. h. unsere Aufgabe ist alsdann bei dieser
Modifikation lösbar.
Zusammenfassend sprechen wir das Resultat aus:
Satz 27. Wenn c{s) ein gegebener Iwmplexer Ausdruck auf der
Kurve C ist, so gibt es entweder ein Paar von Funkfionrn f/ß), fai^), von
Kap. X. Kiemanns Probleme in der Funktionentheorie. 91
denen die erste innerhalb, die ziveite außerhalb der Kurve C regulär
analytisch ist, deren Randiverte auf C stetig sind und die Relation
fa(s) = C{s)fj{s)
er fidlen, oder ein Funktionenpaar g^{z), gjß) von demselben Charakter, deren
Randiverte auf C stetig sind und die Relation
9a{s) = c{s)gj{s)
erfüllen.
Um zu entscheiden, welcher von beiden FäRen eintritt, bedenken wir
daß die Änderung, die log/^(s) bzw. log fj(s), beim positiven Umlauf
entlang der Kurve C erfährt, gleich — 2i7tn_^ bzw. 2ixnj ist, wo n^, n^ die
Anzahl der Nullstellen der Funktionen f^{z) bzw. f^iz) bezeichnen. Dem-
nach ist — 2i:t(ji^ + n^) gleich der Änderung, die
log^«|==logc(s)
beim Umlauf im positiven Sinne erfährt, und es wird demnach der erste
Fall eintreten, wenn die Änderung von log c(s) beim Umlauf im positiven
Sinne entlang C negativ ausfällt, dagegen tritt der zweite Fall ein, wenn
jene Änderung positiv ausfällt.
Ist insbesondere jene Änderung von log c{s) gleich Null, so existiert
sowohl ein Paar außerhalb bzw. innerhalb C holomorpher Funktionen
fa{^\fj(/), die die Relation
(21) /;(s) = c{s)f.{s)
erfüllen, als auch ein Funktionenpaar ^^(.e), (5r^(^) von diesem Charakter
mit der Relation
(22) g^s) = c(s)ör,(s).
Um dies einzusehen, bedenken wir, daß nach dem vorhin bewiesenen
Satze jedenfalls ein Funktionenpaar FJ^z), F^{ß) existieren muß, das die
Relation
F^s) = c{s)c{s)F,{s)
erfüllt, da ja c{s]c{s) mit dem konjugierten Ausdrucke übereinstimmt.
Ist nun etwa die Gleichung (21) lösbar, so ist wegen unserer Annahme
über c{s) notwendig die Anzahl n^-{- nj = 0, d. h. fa{ß),fj{^) besitzen
keine Nullstellen, und folglich sind
ebenfalls regulär analytische Funktionen; dieselben befriedigen die
Relation {22).
Die Funktionenpaare jf^(^),/'^.(^) und gai^), gj(ß) sind, wie man über-
dies sofort sieht, im eben betrachteten besonderen Falle bis auf je einen
konstanten Faktor eindeutig bestimmt.
92 Kap. X. Riemauns Probleme in der Funktionentheorie.
Die gleiche Überlegung dient zum Nachweise, daß es stets bei be-
liebig gegebenem c(s) ein Paar von Funktionen fai^),fji^) giht, von denen
die erste außerhalb C, die zweite innerhalb C den Charakter einer ratio-
nalen Funktion hat, während auf C die Relation
erfüllt ist.
Wenn ^(s) = log c{s) eine eindeutige Funktion von s wird, so ge-
hingen wir durch Logarithmierung zu der Aufgabe, ein Paar von Funk-
tionen f„(2), fj(^) zu finden, von denen die erstere außerhalb C, die letztere
innerhalb C regulär analytisch ist und für die die Differenz ihrer Randwerte
auf C einem gegebenen komplexen Ausdrucke y{s) gleich wird. Wie wir
sehen, hat diese Aufgabe stets eine Lösung. Im Falle die Kurve C ein
Kreis ist, läßt sich die Lösung auch durch die Entwicklung von y(s)
in eine trigonometrische Reihe ableiten.
Es bedarf endlich noch der Umstand einer näheren Untersuchung,
daß die Funktion c(s) an einer endlichen Anzahl von Stelleu eine Unter-
brechung ihrer Stetigkeit aufweist.
Wir fassen zunächst einen Punkt der Kurve C ins Auge; derselbe
sei der Koordinatenanfang und zugleich der Anfangspunkt für die Ab-
messung der Bogenlänge s. Da die Kurve C keine Ecke besitzt, so er-
halten wir die Punkte auf C in der Umgebung des Koordinatenanfangs
für genügend kleine positive oder negative Werte von s durch die Formel
(23) ^(s) = C,s + C,s'- + C353 + . . .
dargestellt, wo rechter Hand eine Potenzreihe steht, deren erster Koeffi-
zient C^ von Null verschieden ausfällt.
Alsdann handelt es sich zunächst darum, irgendeine innerhalb C
nirgends verschwindende, regulär analytische Funktion f*{ß) und irgend-
eine außerhalb C nirgends verschwindende, regulär analytische Funktion
f^{z) zu bestimmen, so daß der Quotient der Randwerte dieser beiden
Hilfsfunktionen auf C
in der Umgebung von ^ = 0 den folgenden Bedingungen genügt: £i(s)
soll für genügend kleine positive s durch eine nach Potenzen von s fort-
schreitende Reihe D^fs) und für genügend kleine negative s durch eine
andere nach Potenzen von s fortschreitende Reihe 0_(s) darstellbar sein
derart, daß der Quotient dieser beiden Potenzreihen die Kongruenz
(24) ^^^^qo + QiS^q,sMs')
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 93
erfüllt; dabei sind q^, q^, q^ gegebene komplexe Konstante, q^^^O, und
diese Kongrueuz bedeutet, daß
eine durch s^ teilbare Poteuzreihe werden soll.
Um die Bestimmung solcher Funktionen //'f-^), /"„*(^) zu ermöglichen
betrachten wir die Funktion
cpj[z) = log(0)
innerhalb der Kurve C; die Werte derselben in der Umgebung von z = 0
auf C stellen sich, wie folgt, dar:
<Pj{s) = - i7t + l(s) + J, + J,s + JoS^ + • • •, (s > 0),
wo l{s), l{— s) die reellen Logarithmen und J^, J^, J^^ ... gewisse
komplexe Koeffizienten bedeuten. Ferner betrachten wir außerhalb der
Kurve C die Funktion
'P„(^) = log(^--^-^),
wo Pj einen innerhalb C gelegenen Punkt bedeutet; die Werte dieser
Funktion in der Umgebung von s = 0 auf C stellen sich, wie folgt, dar:
9'«(s) = i^ + Ks) + A + As + Ä,s' + . . .^ (s > 0),
= Z(- 5) + A + As + As' + • • •, (s < 0),
wo l{s), l{— s) wiederum die reellen Logarithmen und J^, Ä^, Ä^, ...
gewisse komplexe Koeffizienten bedeuten.
Nunmehr bestimmen wir die ganze rationale Funktion K^^(2) vom
zweiten Grade in der komplexen Veränderlichen .* derart, daß vermöge (23)
(25) -|f^|i - „i, li% + ?,,. + i,s% (s")
wird, und ferner die ganze rationale Funktion Kj{2) zweiten Grades in
der komplexen Veränderlichen ^ derart, daß vermöge (23)
(26) K^i^is)) ^ ^ l{q, + q,s + q.s'), (s^)
wird.
Setzen wir nunmehr
SO erfüllen diese Funktionen der komplexen Veränderlichen 2 alle ver-
langten Bedingungen. In der Tat haben wir auf C in der Umgebung
von 0 = 0
94 Kap. X. Hiemanns Probleme in der Funktionentheorie.
fais) - 9P>(*0 = 2/;r + (A- «^o) + (-^i - Jx)s + {A.^-J.^s''+ ■ • ■ (s>0)
(A- Jo) 4- (A -Ji)s + (A -J^)s'+... (s<0);
folglich gilt mit Rücksiclit auf (25) und (26) auch die Kongruenz (24).
Die gefundenen Funktionen fj^'{s)jf^'{^) sind, wie man sieht, auch
auf der Kurve C, vom Punkte s = 0 abgesehen, regulär analytisch.
Es sei nun in dem vorgelegten, oben behandelten Problem c{s) ein
komplexer Ausdruck, der an einer Stelle, etwa für s = 0, eine Unter-
brechung seiner Stetigkeit bzw. stetigen Differenzierbarkeit erleidet derart,
daß die Darstellung der Werte von c{s) in der Umgebung von s = 0
durch zwei voneinander verschiedene Potenzreihen ^^.(s) und ^_(s) be-
wirkt wird, je nachdem s > 0 oder s < 0 ist. Alsdann bestimmen wir drei
Konstante q^, q^, r/, aus der Kongruenz
(27) ^io+?i^ + ^As2^|i|j
und bilden dann in der eben angegebenen Weise zu diesen Konstanten
loy Q.ii Q.2 d^® analytischen Funktionen f*{z), fj^'{z), so daß deren Rand-
wertquotient 0(s) die Kongruenz (24) erfüllt und folglich mit Rücksicht
auf (27) auch
C_(s) - H5-(«)
oder.
wird. Setzen wir
so lehrt (28), daß C{s) auch für s = 0 zweimal stetig differenzierbar
wird; mithin ist nach dem Früheren das Problem, eine innerhalb und
eine außerhalb der Kurve C reguläre Funktion F^^{z) bzw. F^{z) mit der
Randbedingung
F,Xs) = C{s)F,{s)
zu finden, lösbar; wegen
e(.) = D(:s)/;*(s)
erfüllen die P^unktionen
die Randbedingung
und lösen daher unser vorgelegtes Problem.
Die Aufgabe, die wir nunmehr in Angriff nehmen, besteht darin,
zwei außerhalb der geschlossenen Kurve C regulär analytische Funktionen
/„(^), fä{^) lind zwei innerhalb C regulär analytische bzw. sich wie
Kap. X. Eiemanns Probleme in der Funktionentheorie.
95
(29)
rationale Funktionen verhaltende Funktionen fj{z), fji/) zu finden, so daß
die Randwerte dieser beiden Fuuktionenpaare auf der Kurve C selbst eine
gegebene lineare Transformation mit komplexen Koeffizienten erfahren,
d. h. daß
fa{s)=-C,{s)f,{s)+C,{s)f;{s\
f:(.s) = c,'{s)f,{s)-{-c,\s)f;{s)
wird, wo c^{s), €2(8), Cj^{s), c./(s) gegebene komplexe, zweimal stetig
differenzierbare Ausdrücke in s sind, deren Determinante
c,(s)c.;is)--C2(s)c,'{s)
für alle *" von Null verschieden blei))t. Die Kurve C werde der Einfach-
heit halber wiederum analytisch vorausgesetzt.
Zur Lösung der Aufgabe setzen wir, indem wir der Kürze halber
das Argument *• fortlassen:
wo y eine noch zu bestimmende Konstante bedeutet, und ferner
( Tt
(30)
(31)
c^{p) = c^is) + c^X(5, s) sin y (s — (?),
c/((?) = c/(s) + Ci'((?, s) sin y (s - (?),
wo nun die Funktionen c^((j, s), Cg ((?,.<>), c^'{(3,s), c.2\(}, s) gewiß für alle
Argumente <3, s einmal stetig differenzierbar nach diesen Argumenten sind.
Wenden war auf (29), indem wir uns die Randwerte fa,fa,fpfj als
stetig differenzierbare Funktionen von s denken, die Operation J/^ an,
so entsteht mit Rücksicht auf (13) und (31)
(32)
0
l
wo E^{6,s),E^{<5,s),E{{(3,s),E.y'{a,s) stetig differenzierbare Funktionen
von (?, s sind und das Argument s wiederum der Kürze halber weg-
gelassen worden ist.
Multiplizieren wir die in der unteren Zeile von (30) stehenden zwei
Gleichungen einmal mit — Cj, — Cg und ein anderes Mal mit —c^, — c^'
und addieren sie das erste Mal zu der ersten und das zweite Mal zu der
96
Kap. X, Kiemanns Probleme in der Funktionentheorie.
m
zweiten der darüber stehenden Gleichungen, so ergibt sich mit Rücksicht
auf (32)
K - <^xF-c,F;==t\ + cj^ + c,f; +f(E,{ö,s)fj{ö) + E,{6,s)f;ip))ä6-c,y,
f:-c,'f.- c:f;= /•;+ c;t) + c:f;+fiE,'{ö, sf^io + e,\6, s)f;{6))d6-c,'r,
0
und mit Hilfe von (29)
K - c,Fj - c,F; = 2{cJ) + c,f;) +f(E, 6, s)f,{6, + E,'6, s)f;iö))d6-c, y,
b
F^-c;F^-C^F;=2{c,'f,+ C.y;)+J{E^{6,S)f^{6)+E^{6)f;{6,S))d6-C,'y.
Setzen wir die rechten Seiten dieser beiden letzten Formeln gleich
Null, so erhalten wir durch Kombination der so entstehenden Gleichungen
— da ja die Determinante c^c^ — CoC/ unserer Annahme zufolge für
keinen Wert von s verschwindet — Gleichungen von der Form
(34)
0
/
wo K^iöjS), K^{6,s), K^(6,s), K.^{a^s) ebenfalls stetig differenzierbare
Funktionen von 6, s sind. Diese Gleichungen lassen sich in eine einzige
Integralgleichung zweiter Art
2/
(35) y{s) = cp{s) -JK{6, S)cp{ö)d6
6
zusammenfassen, indem wir die Funktionen y(s), (p{s), K(6, s), wie folgt
definieren:
= 0, l<s£2l-
^^{s) = f\(s), 0£s£l
= f;(s-i), l<s£2l-
0<s<l
n
Kap. X. Riemanus Probleme in der Funktionentheorie. 97
Die Anwendung der Fredholmsclien Formeln zeigt, daß die Integral-
gleichung (35) stets eine Lösung gp(s) besitzen muß, und zwar entweder,
indem wir der Konstanten y irgendeinen von Null verschiedenen Wert
erteilen oder — falls gerade 1 ein Eigenwert für den Kern -E^((?, s) wird
— indem wir für die Konstante y den Wert Null wählen, wodurch die
Integralgleichung zu einer homogenen wird. Diese Lösung <f{s) liefert
die Lösungen /],(s), f'jis) der Gleichungen (34), und die so gewonnenen
Funktionen fj{s\ f'jis) sind gewiß ebenfalls stetig differenzierbar — wie
aus der stetigen Differenzierbarkeit der Funktionen K-^^ß^s), K^{6,s),
K^{(5, s), K^'ip, s) sofort zu erkennen ist, indem man allgemein zeigt, daß
Integrale von der Gestalt
fK*(ö, s)q){a)d6
0
gewiß notwendig stetig differenzierbare Funktionen von s darstellen, so-
bald q){(3) stetig in ö und K*(0, s) stetig differenzierbar in bezug auf
beide Variable 6, s ist.
Nunmehr bilden wir aus fj(s), f/{s) nach (29) die Ausdi'ücke /'^(s), fJis)
und alsdann nach (30) die Ausdrücke F^(s), F^'(s), Fj{s), Fj'(s). Ergeben
sich diese vier Ausdrücke F^(s), FJ{s), Fj(s), Fj(s) sämtlich identisch
gleich Null, so zeigen unsere obigen Resultate (vgl. S. 86 und S. 88), daß
die Ausdrücke f^, fj und fj, fj die Randwerte außerhalb bzw. innerhalb C
regulärer analytischer Funktionen der komplexen Veränderlichen darstellen;
unsere Aufgabe ist mithin in diesem Falle gelöst.
Ergeben sich nicht alle vier Ausdrücke F^^{s), FJ(s), Fj(s), Fj(s)
identisch gleich Null, so betrachten wir die zu f^, f- und f^, f^ konjugiert
komplexen Ausdrücke f j, f '. bzw. f^, f ^. Nach den oben gefundenen
Resultaten (vgl. S. 86 und S. 88) stellen für beliebige iv die Ausdrücke
■W -f- M^V bzw. IV — ^a'^v
stets Randwerte gewisser innerhalb bzw. außerhalb G regulärer analytischer
Funktionen dar. Nehmen wir für iv die komplexen Ausdrücke f ^y f '■ bzw.
f a') f ai '^^ erkennen wir hieraus, daß gewiß die zu jP^-, F- bzw. F^, F^
konjugiert komplexen Ausdrücke F j, F ■, F^, Fj Randwerte gewisser
innerhalb bzw. außerhalb C regulärer analytischer Funktionen ^y(^), 9j'{^)
bzw. g^{z), (läiz) sind. Da andererseits unter Vermittlung von (32), (34)
aus (33) offenbar
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 7
98 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
folgt und mithin, wenn Cj, c«, c/, r.,' die zu q, c^, c^', c^' konjugiert
komplexen Ausdrücke bedeuten, auch
f, = c,Fj + c,f;,
f:=c,'f;+c,'f;
wird, so sind offenbar g/z), ()-{z), f/„(^), oäi^) analytische und auf C
gewiß stetige Funktionen der komplexen Variabein z, die die Bedingungen
unserer Aufgabe erfüllen, wenn wir in den für den Rand vorgeschriebenen
linearen Relationen an Stelle der Koeffizienten c^, Cg, q', c^ die konjugiert
komplexen Ausdrücke c,, c^, c/, Cg' setzen, d. h. unsere Aufgabe ist als-
dann bei dieser Modifikation gewiß lösbar.
Zusammenfassend sprechen wir das Resultat aus:
Satz 28. Wenn Cj, c^, c^', c^ gegebene Lomplexe ziveimal stetig differen-
zierhnre Ausdrücke auf der Kurve C sind, so gibt es entweder zwei Funlc-
tionenpaare fj(z), f/{^) und fa(/), fa{^)j ^'^^ denen die ersteren innerhalb,
die letzteren außerhalb der Kurve C regulär analytisch sind, deren Rand-
werte auf G stetig sind und die Relationen
fä=Cifj+C,'f;
erfüllen, oder zwei Funldionenpaare ebenfalls von regulärem Charakter inner-
halb bzw. außerhalb C: gj{z), g/i^) und gjz), g,^{z), deren Randwerte
auf C stetig sind und die Relationen
üa = Ci gj + H 9j',
erfüllen, ivo c^, c^', c^', c^ die zu den gegebenen Ausdrücken q, Cg, c/, c^ bzw.
konjugiert komplexen Ausdrücke bedeuten.
Wir fügen diesem Resultate noch folgende Bemerkungen hinzu.
Es seien f^{z), f^^iz), fji/), f-{z) außerhalb bzw. innerhalb von C
stetig differenzierbare Funktionen, deren Randwerte auf C stetig differen-
zierbare Funktionen von s seien und den Betlingungen (29) genügen
mögen: dann gelten, wie vorhin gezeigt, für die Randwerte f^^, f^, fj, fj
die Gleichungen (32). Ferner ist unseren früheren Ausführungen (vgl. S. 86
bis S. 88) zufolge
i i
fa + Mj, - \ffMda = 0, f: -f Mj:-\Jf:(ö)d6 = o,
ü 0
l l
fj- ^'>f>- lfm''« = 0. /;- w; - ^ffH'^y« = o-
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 99
Multiplizieren wir hier die in der unteren Zeile stehenden zwei Glei-
chungen einmal mit Cj, Cg und ein anderes Mal mit q', c^ und addieren sie
das erste Mal zu der ersten und das zweite Mal zu der zweiten der
darüber stehenden Gleichungen, so gelangen wir mit Rücksicht auf (32)
und bei Benutzung von (29) zu Gleichungen der Gestalt
i
2(ci/- + c^fl) +J\G,{6,S)fj{^) + G,{6,s)f;{6))d6 = 0,
0
l
K<fj + <-\f;) +f{GiiG,s)f^i&) + G,'(6,s)f;(6))d6 = 0:
0
und durch deren Kombination entstehen die Integralcrleichungen:
(36)
fj -J\L,{6,s)f){ö) + mö,s)fj\a))da = 0,
/•; -J{L,'{ö,S)fj{6) + L^{a,S)f;{6))d6 = 0;
dabei sind G^{a,s), G2{ö,s), Gi{o,s) G^{6jS) und mithin auch L^{6,s)j
L^iö^s), L^i6,s), L.2{6,s) stetig differenzierbare Funktionen von 6,s.
Die Integralgleichungen (36) lassen sich wieder in analoger Weise wie
früher die Integralgleichungen (34) in eine homogene Integralgleichung
zweiter Art zusammenfassen, wenn wir wie dort an Stelle der Funktionen
/^, f- eine Funktion cp(ß) einführen. Da aber eine Integralgleichung
zweiter Art gewiß nur eine endliche Anzahl linear von einander unab-
hänfficrer Lösungen besitzt, so folgt, daß es auch nur eine endliche Anzahl
von Funktionenpaaren /"_,, f- und zugehörigen f^, f^ von der in Rede
stehenden Beschaffenheit geben kann.
Setzen wir von den Randwerten f^, f^, f- f' der analytischen Funk-
tionen f^{z), f^{/), fj{^), fj{^) nicht die stetige Differenzierbarkeit, sondern
nur Stetigkeit in s voraus, so können wir diese Randwerte f^, f^, f., f^
doch stets durch gewisse Ausdrücke f^''\ /^'('"^ fl^''\ f-^''^ in s gleichmäßig
annähern, welche die Randwerte von analytischen außerhalb und auf G
bzw. innerhalb und auf C regulären Funktionen in z sind und welche
daher in s analytisch ausfallen.
Um dies etwa für die Randwerte fjj f- einzusehen, seien
Z=^{z) oder z = (f{Z)
die analytischen Beziehungen zwischen den komplexen Veränderlichen
z, Z, vermöge derer das Innere der Kurve C in der komplexen ^-Ebene
auf das Innere des Einheitskreises in der komplexen Z-Ebene konform
abgebildet wird. Alsdann stellen für r < 1 die Ausdrücke
/;.(9P(r0(^r))), f:((p{r0(M)
7*
] 00 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
innerhalb und auf C regulär analytische Funktionen von z dar, deren
Randwerte auf C
W = fj{(Pir^is))) , /"/e-) = f;(cp(r 0{s)))
beim Grenzübergange zu r = 1 gleichmäßig gegen die Randwerte fj, fj
konvergieren.
Entsprechend gelangen wir für die Randwerte f^, f^ zu gleichmäßig
annähernden Randwerten fJ;-''\ fj^''^ von der gewünschten Art.
Bestimmen wir nun vier Funktionen c/'"), Cg^''^ c/^'"^ Cg'^'"^ auf C, die
noch von dem Parameter r abhängen und für r = 1 bzw. iu c^, r-^, c^', c^'
übergehen, während für alle r die Relationen
gelten, so müssen unserer obigen Überlegung zufolge die Werte f^^''\ fj^'''>
gewisse entsprechende Integralgleichungen von der Gestalt (36) erfüllen,
die für >• = 1 in die Integralgleichungen (o6) übergehen. Hieraus er-
kennen wir, daß die Funktionen /'., fj die Integralgleichungen (36) be-
friedigen, und erschließen so ihre stetige Differenzierbarkeit.
Wir fassen diese Bemerkungen in folgendem Satze zusammen:
Satz 29. Wenn t\{z), fäi/), fji/)} f/i^) außerJtalb hzw. innerlialh C
regulär analytische Funktionen von z und ihre Randwerte auf C stetige,
den Relationen (29) genügende Funktionen von s sind, so sind diese Rand-
werte auf C notwendig auc1h stetig differenzierhare Funktionen von s.
Es gibt gar keine oder nur eine endliche Anzahl linear voneinander
unabhängiger Systeme von Funktionen fa(z), f^'i^), fj{^), fjiß)j ^^^^ außer-
halb bziv. innerhalb C regulär analytisch sind und auf G stetige, den Re-
lationen (29) genügende Randwerte besitzen. —
Wir wenden uns nun zu der Frage, ob es stets Funktionen f^i^),
fa(.^)f fji.^)} fji^) ^^^ stetigen und den Relationen (29) genügenden Rand-
werten auf C gibt, wenn wir von fg(z), fj{z) wiederum regulär analyti-
schen Charakter außerhalb C, dagegen von den Funktionen fXz), f-{z)
nur verlangen, daß sie innerhalb C den Charakter rationaler Funktionen
besitzen.
Um diese Frage zu beantworten, fassen wir diejenigen Systeme von
Funktionen gjz), gä(/), 9j{^)j 9j(/) ^^^ -^^ge, die außerhalb bzw. inner-
halb C regulär analytischen Charakter besitzen, deren Randwerte auf C
stetig sind und den Relationen
9a = c^g. + c^g'
^9a -Cl9j+C29j
genügen, wo c^, Cg, c/, Cg' die zu den gegebenen Ausdrücken bzw. Cy,
Hl ^i> ^i konjugiert imaginären Ausdrücke bedeuten. Nach dem eben
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 101
bewiesenen Satze gibt es nur eine endliche Anzahl linear unabhängiger
P'unktionensysteme solcher Art, und deswegen fällt es uns leicht, wenn
3=p. einen irgendwie gegebenen Punkt innerhalb 0 bedeutet, eixie ganze
positive Zahl n zu finden, so daß gewiß kein Funktionensystem g^i/)}
9 '(^)> 9{^)} 9- {^) ^^^ ^^ Rede stehenden Art existiert, wobei die Funk-
tionen g{/), g'i/) ioi Punkte ^ = Pj von der wten Ordnung Null sind.
Bezeichnen wir nun die Randwerte der Funktion (2 — p^)" auf C mit
ö, so gibt es sicherlich kein System von Funktionen g*{2), g^'*(z\
g*{3), g'*{^), <lie außerhalb bzw. innerhalb C regulär analytisch sind
und stetige, den Relationen
gj^- = c^ß)gf-^c^&gj*,
^./* = c^'iogf" + c^'äg
'*
genügende Randwerte auf C besitzen; denn andernfalls wären
9a(^) = 9a*i^) ; 9a'i^) = 9a"^{^)
g.{z) = {z-p;)-gf^{ß), g/iz) = (z-p;)-g;%z)
regulär analytische Funktionen, deren Randwerte den Relationen (37) ge-
nügen und von denen gj{z), gji^) im Punkte z = Pj eine Nullstelle nter
Ordnung besitzen, was nicht der Fall sein sollte.
Auf Grund der eben festgestellten Tatsache schließen wir wegen
Satz 28, daß es gewiß ein System von Funktionen f,^^'{z), fä*{^)j tT^)'
f'*{z) geben muß, die außerhalb bzw. innerhalb C sich regulär analytisch
verhalten und stetige, den Relationen
genügende Randwerte auf C besitzen, wobei tö den zu ö konjugiert kom-
plexen Ausdruck auf C bedeutet.
Nunmehr bestimmen wir — was unseren Ausführungen auf S. 91
zufolge möglich ist — eine außerhalb G und eine innerhalb C regulär
analytische Funktion t„(^) bzw. tj{^), deren Randwerte auf C stetig sind
und der Relation
genügen.
F'unktionen der verlangten Art mit stetigen und den Relationen (29) ge-
nügenden Randwerten auf C.
ta =
WM
Dann sind
offenbar
a^) =
^aC^)/"/
i^l
fa'i^) =
= u^)f:
%0)
m =
{^-P.i)"
f*(^),
/•;(^) =
(^-Pjr
fr{^)
102 Kap. X. Eiemanns Probleme in der Funktionentheorie.
Wir sprechen daher den Satz aus:
Satz 30: Es gibt stets Funldionen fj^z), fäiß)^ fji^)} fj'i^) der kojn-
plexen Variahein z, die auf der Kurve C stetige, den Belationen (29) ge-
nügende liandiccrte besitzen und die außerhalb bzw. innerhalb C von regulär
analytischem Charalier sind — mit etwaiger Ausnahme einer Stelle inner-
halb C, die für eine der Funktionen fj(z), fj{z) oder für beide ein Pol ist.
Zum Schhiß mache ich von dem eben bewiesenen Satze eine An-
wendung auf den Beweis für die Existenz linearer Differentialgleichungen
mit vorgeschriebener Monodromiegruppe, d. h. auf die Lösung des beson-
deren der Theorie der linearen Differentialgleichungen entsprungenen Rie-
mannschen Problems^). Zu dem Zwecke verbinde ich die gegebenen
singulären Punkte z^^\ z^^\ . . . z^"*^ der linearen Differentialgleichung in der
komplexen ^'- Ebene in dieser Folge zyklisch mittels einer geschlossenen
analytischen Kurve C: es kommt dann darauf an — wir haben der Ein-
fachheit halber den Fall einer linearen Differentialgleichung zweiter Ord-
nung im Sinn^) — , ein Paar von Funktionen f(z), f'{z) zu konstruieren,
die sich überall in der Ebene, insbesondere auch auf dem zwischen z'^'"^
und ^W = ^^('"■'"1) verlaufenden Stücke der Kurve C wie rationale Funktio-
nen der komplexen Veränderlichen z verhalten und nur in den zwischen
^(^) und z^^\ z^^^ und z^^\ . . . , ^r('"~^) und ^('"^ verlaufenden Kurvenstückeu
ein singuläres Verhalten zeigen, insofern ihre Werte auf der äußeren
Seite dieser Kurvenstücke aus defi Werten auf der inneren Seite durch
lineare homogene Kombinationen mit oregebenen konstanten Koeffizienten
abzuleiten sind. Bezeichnen wir die Funktionen f{z), f'iz) innerhalb bzw.
außerhalb C mit fjiz), fj{^) ^^^iw. f„{^), f„'{z) und bedenken, daß die für
das Kurvenstück zwischen z'-"''> und z'-^'' geltende Forderung
1) Diesen Gedanken zur Lösung des besonderen lliemannschen Problems bat
der Verfasser bereits in Vorlesungen über Integralgleichungen (Wintersemester 1901/02)
entwickelt; 0. Kellogg hat ihn dann in einer Note („Unstetigkeiten bei den linearen
Integralgleichungen mit Anwendung auf ein Problem von Riemann", Math. Ann.
Bd. tJO) auszuführen gesucht. — Kürzlich hat L. Schlesinger (,.Zur Theorie der linearen
DiflFerentialgleichungen im Anschlüsse an das Riemannsche Problem", Journ. für Math.,
Bd. 130 und Math. Ann., 63) die Kontinuitätsmethode zum Beweise für die Lösbarkeit
des besonderen Riemannschen Problems heranzuziehen gesucht. — Man vgl. ferner
die Abhandlung von Plemelj „Riemannsche Funktionenscharen mit gegebener Monodro-
miegruppe", Monatshefte für Math, und Phys. XIX., wo eine vereinfachte Darstellung
meiner Lösung des speziellen Riemannschen Problems gegeben wird.
2) Für den Kenner der Determinanteutheorie gilt dann die Schlußweise zugleich
für den Fall einer linearen Differentialgleichung j(ter Ordnung.
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 103
Ja ^^ ij '
f ' = f
der identischen Substitution gleich kommt, so gelangen wir zu der fol-
genden Aufgabe:
Man soll außerhalb der Kurve C die Funktionen f^{z), f^{z) und
innerhalb C die Funktionen fj{z), f-{z) vom Charakter rationaler Funk-
tionen derart bestimmen, daß die Randwerte f^^, fj, fj, fj dieser Funktio-
nen auf C überall stetig sind und bzw. für die Kurvenstücke
zwischen z^''^ und .^(^^^^ (A = 1, 2, . . . , m)
die Relationen
erfüllen, wobei
y/^\ J.,(^), y/("), y^^") (h = 1, 2, . . . , m)
ö-esrebene Konstanten mit nicht verschwindender Determinante sind. Der
doppelten Schreibweise des Punktes
entsprechend werde noch
gesetzt.
Zur Lösung dieser Aufgabe setzen wir zunächst
wo Z"^^*, Z"^'* Hilfsausdrücke in s sind, berechnen hieraus die Werte von
f., f und führen dieselben rechter Hand in (38) ein. Die so aus (38)
und (39) entstehende Substitution
f,: = r^^'^fa^ + r/(^)/-;*
schreiben wir nun in der Form
indem wir der Kürze halber annehmen, daß die Elementarteiler der zu
jener Substitution gehörigen charakteristischen Determinante demgemäß
ausfallen. Bei Gebrauch von (39) werde identisch:
104
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
dabei bedeuten die Größen T, F' bzw. M, M' bzw. iV, Is' Konstante
jede.smal mit nicbt verschwindender Determinante und u, u von Null
verschiedene Konstante.
Nunmehr konstruieren wir in ähnlicher Weise, wie dies oben (vergl.
S. 92) geschehen ist, innerhalb bzw. außerhalb von C regulär analytische
Hilfsfunktionen, deren Raudwertquotienten auf C in den Punkten z^'''> ge-
wisse Uustetigkeiten aufweisen.
Zunächst bilden wir die innerhalb bzw. außerhalb G regulär analy-
tischen Funktionen
cp/'K^) = l{z - ^(")) bzw. 9>,/")(,) = l (? T^) ,
wo p wiederum irgendeinen, innerhalb C gelegenen Punkt bedeutet.
Setzen wir dann •
WO für Z/i-C'), Ifi'^''^ diejenigen Werte des Logarithmus zu nehmen sind, für
die — unter 91 (fC')), %l(a^''^) Realteil von e^''\ e'^''^ verstanden —
0<9i (£(''))<!, 0<^(£'W)^1
ausfällt, und bilden die Funktionen:
so sind die Funktionen i'J''\s), ta'^''K^) außerhalb C, die Funktionen
'tl}S''\z), ^y'^z) innerhalb C und sämtliche Fimktioneu überdies auch auf
C regulär analytisch mit Ausnahme jedesmal des Punktes s = z^''\
Ferner bestimmen wir die ganzen rationalen Funktionen von z
A^''){z), Ä^'-\z), J(''\z), J'^''\z), (/i = 1, 2, . . . , m)
in der Weise, daß sie folgende Kongruenzen erfüllen:
A^''){z) = \, {z-z^^^Y'
^W(^) = 0, (z-z^'^^Y
Ä^''){z)^l, {z-z^'''^f
A'^''){z) = 0 , {z- z^'^y fh, /.• = 1, 2, . . . , m
Ji''){z) = l, (z-zC'^y' \ h^k
J-('')(^) = 0, {z-z^'^f
J'i>'){z)^l, (z-z^'^y
j'W{z) = o, {z-z^'^y,
(42)
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie,
und setzen dann der Kürze halber
105
(43)
J/2'(^) = ^W(5)lf/W +
isr^(^) = ,7(i)(^)iVjW +
t^,(^)=J-(i)(^)^/)(^) +
+ ^("')(^)^^W(^),
Endlich denken wir uns nötigenfalls die Kurve C ein wenig variiert
derart, daß auf der variierten Kurve — die wiederum analytisch sei, die
Punkte 0^^^, . . . , ^("') enthalte und auch kurz mit C bezeichnet werde —
die Funktionen
^/^),t/;;(^),t^,(4t^;(^),Jf,(^),iTf/(^); 3I,(,),M,X^),N,(,)N,X,)- N,(z),N,\z)
überall mit etwaiger Ausnahme dieser Punkte ^(^), . . . , ^("') von NuU ver-
schieden ausfallen.
Bezeichnen wir dann mit 5^''^ den zu 0^''^ gehörigen Wert der Bogen-
länge s, so gelten wie oben (vgl. S. 93) auf C in genügender Nähe
von s = s^^^ die Entwickelungen
M")
(44)
9>,
{'')
- i% + lis - .sW) + Ji^>) + J^(.''){s - s(^)) + . . . , (s > s("))
1% + ?(S - sC')) + A'''^ + ^1^''^(S - S^'O + • • • ; (5 > S^''0
Z(s('') - s) + ^0^'' + ^^''\s - s^'O + •••,(«< s^''\) »
wo Z(s — s('')), Z(s('') — s) die reellen Logarithmen und JqC'^ J^^'^, . . . A^'-''^
Ä^^''\ . . . gewisse komplexe Koeffizienten bedeuten.
Bezeichnen wir die Randwerte ^r Funktionen '4>J''\s), H^ä''''\z), {/'.('')(-?),
■4)-''''\z) auf C bzw. mit 1^^/''), t\y'\ i'/'\ ^j'^''\ so gelten demnach auf C
in genügender Nähe des Punktes s = s^''^ die Entwickelungen
106
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
(45)
_g£"'^Z(s'A'-s)5p(/,)
_ gf'A>Z(s"'' — S)m (A)
(s > sC'))
(s<sW),
(S > 6-(''^)
(s<sW),
(s > sC'))
(s<s('')),
(s > s(''))
(s<s('')),
wo ^/'), ^/W, ^/'), ^„'(') reguläre, nach Potenzen von .s - s<''^ fort-
schreitende, für s = .s<'') nicht verschwindende Potenzreihen sind.
Wenden wir uns nach diesen Vorbereitungen zu der ursprünglich
vorgelegten Aufgabe zurück und führen statt der gesuchten Funktionen
fai^)} fai^) ^^® Funktionen g„{^)} oäi^) vermöge der Gleichungen
(48)
(49)
M.'WSz) + M^{z)f:{z)^rl.:{z)g:{z)
und statt der gesuchten Funktionen fj{z), f-iz) die Funktionen gjiz),
g'iß) vermöge der Gleichungen
^;{z)f,{z) + h\:{z)f;{z) = i^;{z)g;{z)
ein, so geht die ursprünglich vorgelegte Aufgabe in die Aufgabe über,
die Funktionen ga{z), gä^z), 9j{^)'.^ 9j^^) außerhalb bzw. innerhalb der
Kurve G vom Charakter rationaler Funktionen derart zu bestimmen, daß
ihre Randwerte g^, gj, g^ g^' auf G die Relationen
9a = c,gj-{-c^gj',
9a = ^i'r/i + (^^9j
erfüllen, wobei die Koeffizienten q, c,, c/, Cj' gewisse endliche Ausdrücke
in s mit von Null verschiedener Determinante sind, die leicht aus (38)
vermittels (48) und (49) berechnet werden können.
Zur Lösung dieser letztereu Aufgabe können wir unseren Satz 30
anwenden, da die Koeffizienten c^, i\, c^, Cg' zweimal stetig differenzierbare
Ausdrücke in .9 werden. Den Nachweis hierfür erbringen wir, wie folgt.
Da die Kurve C als analytisch angenommen war, so erhalten wir die
Punkte auf G in der Umgebung von z = z^''^ durch die Formel
z{s) = ^('0 + G,{s- sC')) -\-G,{s- s(''))2 + . • .,
(50)
Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie. 107
wo rechter Hand eine reguläre nach Potenzen von s — s^''^ fortschreitende
Reihe steht. Die Kongruenzen (42) werden demnach, wenn wir die Variable z
in die Umgebung von 2^'''> auf C wandern lassen, unmittelbar in Kon-
gruenzen für die entsprechenden Randwerte nach dem Modul (s — s^''^)*
übergehen.
Wir erweitern noch den Begriff der Kongruenz auf allgemeinere
Ausdrücke S^^, S,^ in s, indem wir, wenn in einer Formel
8,- S,=^{s- 6C'))C ^ + (s - s^'Y'^'
beide Exponenten e, e' Realteile ^ 3 bzw. ^ 4 besitzen und ^, Sß' reguläre
Potenzreihen in s — s^''^ sind, ebenfalls
S,^S,, (s-sW)3
bzw.
schreiben.
Alsdann folgt aas (48), wenn wir die Variable 2 in die Umgebung
von ^(^) auf C wandern lassen, mit Rücksicht auf die Kongi'uenzen (42)
und (43):
Andererseits folgt aus (49) mit Rücksicht auf (42) und (43):
Ni^'^j + N^^'^f/ ^ ^;^'^9;, {s - s^"yy,
und hieraus ergibt sich wegen (41)
Nunmehr unterscheiden wir die beiden Fälle, ob s < s'^''^ oder s > s^*^
ausfällt. Im ersteren Falle liefert (38) die Relationen
d. h. mit Benutzung der Hilfsausdrücke (3*')
f =f*
I a I a 1
I a I a 1
folglich ergeben (51) und (52) die Kongruenzen
K'"^9a = ^P9p (s - sW)*
und, wenn wir hier die Bedeutung der Ausdrücke tj^''^ ta^''K ^'/'^ ^/^''^
bei s < «('') aus (45) berücksichtigen und bedenken, daß die Realteile der
Exponenten von s^''\ f'C') zwischen 0 und 1 liegen.
108 Kap. X. Riemanns Probleme in der Funktionentheorie.
Ferner, im jsiveiten Falle s > s^''^, liefert (38) die Relationen
dies sind mit Benutzung der Hilfsausdrücke (39) die Formeln (40), und
folglich ergeben jetzt (51) und (52) die Kongruenzen
Berücksichtigen wir hierin die Bedeutung der Ausdrücke i>J'''\ ^,/^''^ 4'j ''
4'.'^''^ bei s '^ s^''^ aus (45) und bedenken, daß die Realteile der Ex-
ponenten s^''\ a'^''^ zwischen 0 und 1 liegen, so wird bei Forthebung von
^^''\ ft'C') wiederum
Da ^/'), ^,W, '^/\ ^,J') reguläre nach Potenzen von s - s^'') fort-
schreitende und überdies für s = s^'') nicht verschwindende Potenzreihen
sind, so erkennen wir aus (58) und (54), daß, gleichviel ob s < s^''^ oder
s > s^''^ ausfällt, die Kongruenzen
gelten müssen. Durch Vergleichung dieser Kongruenzen mit der Sub-
stitution (50) folgen für die Koeffizienten dieser Substitution die Kongru-
enzen
C2 = 0, (S-SW)3,
und diese zeigen, daß die Ausdrücke c^, c.j, c/, c^' beim Durchgang durch
den Punkt s = s'-''- gCAviß zweimal stetig differenzierbare Funktionen sind.
Damit haben wir unsere Behauptung, wonach c^, c^, c/, c^ in (50)
zweimal stetig differenzierbar in s sind, als richtig erkannt und zugleich
das besondere liiemannsclte Problem der Auffh>dung von FunJdionensysßfnen
mit vo7-geschriebener Monodrom}egrup];)e vollständiy gelöst.
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 109
Vierter Abschnitt.
Theorie der quadratischen Formen mit unendlich
vielen Variahein.
In diesem und dem folgenden Abschnitt wollen wir eine neue Methode
zur Behandlung der Integralgleichungen entwickeln, die auf einer Theorie
der quadratischen Formen mit unendlich vielen Variabein beruht.
Die systematische Behandlung der quadratischen Formen mit unend-
lich vielen Variabelu ist auch an sich von großer Wichtigkeit und bildet
eine wesentliche Ergänzung der bekannten Theorie der quadratischen
Formen mit endlicher Variabeinzahl. Die Anwendungen der Theorie
der quadratischen Formen mit unendlich vielen Variabein sind nicht
auf die Integralgleichungen beschränkt: es bietet sich nicht minder eine
Berührung dieser Theorie mit der schönen Theorie der Kettenbrüche
von Stieltjes') dar, wie andererseits mit der Frage nach der Auf-
lösung von Systemen unendlich vieler linearer Grleichungen, deren Unter-
suchung Hill, Poincare, H. v. Koch und andere erfolgreich in Angriff
genommen haben. Auch zu den Untersuchungen Minkowskis über
Volumen und Oberfläche findet in methodischer Hinsicht nahe Beziehung
statt. Vor allem aber eröffnet die Theorie der quadratischen Formen
mit unendlich vielen Variabeln einen neuen Zugang zu den allgemeinsten
Entwicklungen willkürlicher Funktionen in unendliche Reihen nach Fourier-
scher Art, wie am Schlüsse von Kapitel XI angedeutet werden wird.^)
Elftes Kapitel.
Theorie der orthogonalen Transformation einer quadratischen
Form mit unendlichvielen Variabein.
Es seien
Kl ^ hp'
wo jeder der beiden Indizes p, q die Reihe aller ganzen Zahlen 1, 2, . . .
durchläuft, beliebig gegebene reelle Konstanten, dann stellt
K{x) =^Jc XX
eine quadratische Form mit den unendlich vielen Variabein x^, x^, . . ,
dar; die Konstanten Ti heißen die Koeffizienten dieser quadratischen
Form. Ein Ausdruck
1) Recherches sur le3 fractions continues, Ann. de Toulouse Bd. 8 (1894).
2) Man vergleiche zu der hier entwickelten Theorie die Habilitationsschrift von
Hellinger „Neue Begründung der Theorie der quadratischen Formen von unendlich
vielen Veränderlichen". Journal für Math. Bd. 136.
110 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
^(^, y) =2%<i^py,
mit irgendwelchen Koeffizienten a heißt ein hilinearer Ausdruck oder
eine bilineare Form der unendlich vielen Variabein x^, x^, . . ., y^, y.^, . . ..
Der Ausdruck
K{:x, y) ^^k X y
(p, 5 = 1,2,..?) ^
heißt die zu K(x) gehörige Bilinearform der unendlich vielen Variabein
x^, x^, . . ■, Pi) y2f • • ••
Lassen wir die Indizes jj, q nur die Werte 1, . . ., )i, durchlaufen, wo
n eine endliche Zahl bedeutet, so entspringen die Formen mit der end-
lichen Variabeinzahl n, wie folgt:
{p,q = l, . . .,7t)
K„{x, y) =-2\,,Xj,y^.
{p,q=l,..., 7f)
Die Formen K^(x), K^(x, y) mögen die Abschnitte der Form K(x)
bzw. K(x, y) heißen und auch, mitunter, ohne den Index n ausdrücklich
hinzuzusetzen, mit [^K] bezeichnet werden.
Wenn irgendein bilinearer Ausdruck mit endlicher Variabeinzahl
Ai^, y) =2%,Xpy.,
{p. q = \, . . ., n)
vorgelegt ist, so heiße die Summe aller Koeffizienten der Glieder x y^
die Faltung des Ausdruckes A^{oc,y^ und werde mit A^{.,^ bezeichnet;
es ist also
(p=l, ...,«)
und insbesondere
-^»(•;-) = ^'iiH ^- ^'«n-
Ist
Bn{x,y)=2\qXpyq
(P,q=l,2, ..nf
eine zweite Bilinearform, so bilden wir in diesem Sinne die Faltung des
als Bilinearform der z^ und z' betrachteten Produktes A^{x, z)-Bj^iz',y):
{p, g,r=l,..n)
und bezeichnen diese Bilinearform der x^, y kurz als Faltung von A,,
und B^,
Außer den allgemeinen quadratischen Formen K, K^ ziehen wir noch
die besonderen quadratischen Formen
{x, x) = x^^ + x^^ ^ ,
[X, x)„ = X^' -\- ■ • ' -t x„
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. H]
und die besonderen Bilinearformen
{x, y) = x^y^ + x^y, ■ • ■
in Betracht.
Die Diskriminaute der Form
{x,x\-XK,^{x)
d. b. die Determinante
1 — lli^^, — lk\,^, . . ., — AA'j„ I
n) D (X) = ~ ^\n 1 ~ ■^^'"•22) ■ • -J ~ ^\n
ist bekauutlicb eine ganze rationale Funktion wten Grades in A mit lauter
reellen Nullstellen; diese mögen mit
bezeichnet werden und die Eigenwerte der Form K^ heißen; die Ge-
samtheit dieser n Eigenwerte heiße das Spektrum der Form K^. Wenn
ein reeller Wert l so beschaffen ist, daß in ihm oder in beliebiger Nähe
desselben noch für unendlich viele n Eigenwerte von K^ liegen, so heiße
die.ser Wert X ein Verdichtungswert von K. Wenn die Beträge der
absolut größten Eigenwerte von K^^ mit wachsendem n über alle Grenzen
wachsen, so soll der Wert X = oo ebenfalls als Verdichtungswert der
Form K gerechnet werden.
Wir bilden nun aus (1) durch Ränderung die Determinante
1 Xk^^, . . ., ^'hn' ^i
I^n{^\ ^; y) =
— A/i-,^^, . . ., 1 — Xk^^, x„
yi7 ■ • • } y/i)
0
und nennen den Quotienten
bzw.
die Besolvente der quadratisclien Form Ä",/, die Koeffizienten von
x^^, . . ., x^ in KJ^{X•, X, y) geben, wenn X kein Eigenwert ist, die Lösung
der linearen Gleichungen
Xp- X{k^,x, + • • • + k^,^x„) = y^, (p = 1, . . ., w);
wir drücken dies durch die Identität aus:
K„(A; X, y) - XK,^{x, .)K„(A; . , y) = {x, y).-
|]^2 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation."
Es ist offenbar
(2) K„{l;x, y) = {x, y\ + XK,{x, y) + l'^KX^, v) + X'K^K^^i^> !/) + ••%
wo K^.K^, E^K^^K,,, . . . die aus Z^, durch fortgesetzte Faltungen ent-
stehenden Formen
K„K^{x, y) = KJx, .)K„{. , y) ^y^rK^^^y,,
{p,g,r = l,...,n)
K„K„KJx, y) = K^x, .)E„K„{. , y) -2V<rA,^,y,,
(p, ■:, r, s = l, . . ., n)
bedeuten. Für die Resolvente K„ gilt die Partialbruchdarstellung
(3) K„(A; X, y) = A^i^J^/) + . . . + ^'« J^^ W^
WO L/"), . . ., X„^") gewisse lineare Formen der Variabein rCj, . . ., x^ mit
reellen Koeffizienten, die „Eigenformen" von K,^ bedeuten. Insbesondere
gelten mithin die Formeln:
(^, y\ = ^-1^1 + • • • + ^nVn = W%x)L,^^\y) + ■ • . + i„(")(^)i„(")(t/),
(4) A„(a:, «/) = ^^ + • • • H ;^-(-«)
{x, x\=x,^-V--- + x,:- = {L,^'Hx)y + • • • + (A/"n^))^
Z r:r^ - (^/1(^^ , . . . , (^..''^(^^
(5) TTÄ-rr^ {W-\x)r- {WHx)? ■
TT TT TT r.'^ - (-^i^"'(^))' 4- -U (V^M*
Aus (4) folgen die Orthogoualitätseigenschaften der Linearformen
LM\ . . ., LJ^h
wo L^QL,j{.) die Faltung der Bilinearform LJ^^^x) LJ-'^^y) bedeutet,
und alsdann wiederum ergibt sich durch Faltung
^ ^ ^n-'^nV)-) '^^'^pr'^rp "^ n («n2 "T" ' ' ' ' H («jf«'
■"-n-'^n-'^ni' f) "^ ^ '' pr'^r s'^sp^^ n {n)\S "^ ' ' ' ' (l <-")\S>
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 113
Unsere erste wichtige Aufgabe besteht darin, den Begriff
der Resolvente der Form K^^ auf die Form K zu übertragen und
zu der Partialbruchdarstellung (3) das Analogon für die Form ^
mit unendlich vielen Variabein aufzusuchen.
Zu dem Zwecke bedienen wir uns eines allgemeinen Hilfssatzes aus
dem Gebiete der stetigen (gleichmäßigen) Konvergenz.^)
Hilfssats 1. Es sei J ein ganz im Endlichen gelegenes Intervall für
die Variable s, ferner
(7) fMUi^lfM,---
eine unendliche Reihe von Funktionen der Variabein s, die in J stetig
sind, deren Werte absolut genommen unterhalb einer endlichen Grenze
bleiben und deren Differenzenquotienten sämtlich unterhalb einer endlichen
Grenze bleiben, so daß für alle s, ^ in J" und für alle h
<E
s — t
gilt, wo E eine endliche von h und von der Wahl der Argumente s, t
unabhängiffe Größe bedeutet:
Alsdann lassen sich aus ebendieser Reihe von Funktionen (7) un-
endlich viele Funktionen
/•i*(4/'2*(4/"3*(^),---
auswählen derart, daß die Reihe dieser Funktionen für jeden beliebigen
Punkt in J gegen einen endlichen Grenzwert, und zwar stetig (mithin
auch gleichmäßig) konvergiert, woraus ersichtlich ist, daß der Limes
x/;*(5)
^ = 00
eine in J" stetige Funktion von s darstellt.
Zum Beweise bestimmen wir auf die Art, wie es in § 5 der oben
zitierten Abhandlung über das Dirichletsche Prinzip geschehen ist, aus
der Reihe (7) eine Reihe von Funktionen fi*{s), f2*(s], . . . derart, daß die
Reihe dieser Funktionen für jeden Punkt einer in J überall dichten ab-
zählbaren Punktmeuge P* sregen einen endlichen Grenzwert kouvergiert :
die so ausgewählten Funktionen sind, wie wir nun zeigen woUen, von
der im Hilfssatze verlangten Art.
In der Tat bezeichnen wir mit s^, Sg, . . . irgendeine unendliche Reihe
von Punkten aus J, die gegen einen bestimmten Punkt s konvergiert.
Bedeutet dann e irgendeine beliebig kleine positive Größe, so bestimmen
wir zunächst einen Punkt s* der Punktmenge P* derart, daß
1) Vgl. die Abhandlung des Verf. „Über das Dirichletsche Prinzip", Math. Ann.
Bd. 59 (1904).
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 8
114 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation,
wird; wegen der Konvergenz der VVertreihe
läßt sich alsdann gewiß eine Zahl JN' finden, so daß für alle N über-
schreitenden Indizes p, q
(9) /,*(^*)-/:;(^)l<Y
wird; wegen der Konvergenz der Punktreihe s^, So, ■ . • kann diese ganze
Zahl N zugleich auch so groß gewählt werden, daß für alle N über-
schreitenden Indizes p, q
ausfällt. Mit Hilfe von (8) folgt hieraus für alle N überschreitenden
Indizes p, q
(10) i«*-^. <r^. \s^-s^[< '
4.E
Andrerseits ist nun wegen der Voraussetzung unseres Hilfssatzes
*{s*)
S ' ^^ Sn I • S So
S' ^^ 5« I s Sq
und folglich mit Hilfe von (10)
I /.*(^*) - /p*(^.) i< i J /;*(^*) - /:;(^v) ' < 4-
Addieren wir diese Gleichungen zu (9), so folgt für alle N überschreiten-
den Indizes 2^, Q
\f*is*) - /;*(s*) I + I4*(s*) ! - /,*(.,) I + |/;*(s*) - /;*(5^) ■ < s,
und um so mehr
i/;*(s.)-/;*(^,) <^-
Da £ eine beliebig kleine Größe war, so folgt hieraus, daß die Wertreihe
gegen einen endlichen Grenzwert konvergiert, d. h. die Funktionenreihe
h*{s\ f,\s), . . .
konvergiert stetig an jeder Stelle s des Intervalles J", womit der Hilfssatz
vollständig erwiesen ist.
Wir kehren zur Theorie der quadratischen Formen zurück, und zwar
nehmen wir im folgenden zunächst an, es sei A = oo nicht Ver-
dichtungswert von K, d. h. es sei K eine solche Form, daß die
sämtlichen Eigenwerte von K, für alle n in dem endlichen
Intervalle J liegen. Wir definieren sodann gewisse zu K^^ gehörige
Funktionen der Variabein X, wie folgt: es werde allgemein
J
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 115
an V"^W = o für x^V") j ^
V^('^) = (V"^(^))'('^ - V"0 für i > a;-) r '■■"**
und
gesetzt; dann sind x^^") und folglich auch x^") stetige Funktionen von X,
die nirgends negativ ausfallen und bei wachsendem Argument X und fest-
gehaltenem n niemals abnehmen; die Differenzenquotienten dieser Funk-
tionen, d. h. die Ausdrücke
X — u
sind, wie wir ebenfalls sofort sehen, nirgends negativ und nehmen, wenn
eines der Argumente A, \i fest bleibt und das andere wächst, niemals ab,
und zwar gelten die Gleichungen
= ;r^(i;")(a;)y
und folglich
% — a
wo ;ri, . . ., %^ zwischen 0 und 1 liegende, von A, [i abhängige Größen
bedeuten. Aus dieser Gleichung folgt unmittelbar die Ungleichung
oder Avegen (5)
(12) I — ^[_^ \^x^^^■■■^r x,^.
Endlich bemerken wir noch, daß auf jeder Strecke, die keinen der
Eigenwerte A^(") von K^ enthält, die Funktionen xJ-"'>{X) und folglich auch
die x*"^(A) lineare Funktionen von l sind. Für alle außerhalb auf der
negativen Seite von J gelegenen l ist 3t(")(A) identisch Null; daher ist
mit Rücksicht auf (12) stets:
wo J" die Länge des Intervalles J bezeichnet. Auf der positiven Seite
außerhalb von J ist
x('')(A) = A(V+--- + a:/)+C„(^),
wo C„(^) eine von A unabhängige Form bedeutet. In bezug auf die
Variabein x^, . . ., x^^ ist x^") eine quadratische Form.
Es seien nunmehr unendlich viele Variable a\, x^, ... vorgelegt; wir
ziehen dann diejenigen speziellen Wertsysteme in Betracht, die entstehen,
wenn wir irgendeine dieser Variabein gleich 1 und alle übrigen gleich 0,
116 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
oder wenn wir irgend zwei dieser Variabein gleich —= und alle übrigen
gleich 0 setzen. Wir denken un.s alle diese speziellen Wertsysteme der
unendlich vielen Variabein x^, x^, ... in bestimmter Weise in eine Reihe
geordnet und bezeichnen sie in dieser Reihenfolge als erstes, zweites,
drittes usf. spezieües Wertsystem der unendlich vielen Variabein a\, x^, . . .
Für alle diese speziellen Wertsysteme gilt wegen (12) die Ungleichung
(13) . ^'"'W-^'"'(f^) I < i_
Wir betrachten nun die Formenreihe
(14) x^')(X), x(2)^A), x^')(?^, ...
und wenden, indem wir für die Variabein x^, x^, ... das erste spezielle
Wertsystem eingesetzt denken, unsern Hilfssatz 1 an: wir sehen, daß
dann im Intervalle J für A die Werte der Formeureihe (14) sämtlich
unterhalb einer endlichen Grenze liegen müssen und wegen (13) auch
die weitere Voraussetzung unseres Hilfssatzes erfüllt ist. Diesem Hilfssatz
zufolge läßt sich daher aus (14) gewiß eine unendliche Reihe von Formen
(15) x(^*)(;L), ü^'*\k), «(3*)(;t), . . .
auswählen, die, wenn wir darin für die Variabein x^, x^, ... das erste
spezielle Wertsystem einsetzen, gegen eine gewisse stetige Funktion von ?.
in dem Intervalle J gleichmäßig konvergiert.
Sodann wenden wir unsern Hilfssatz auf die -Formenreihe (15) an.
Diesem Hilfssatz zufolge läßt sich aus jener Formenreihe gewiß eine
unendliche Reihe
(16) '^^'**K^\ x(2**)(A), ;c(3**)(yl), . . .
auswählen, die, wenn wir darin für die Variabein x^, Xo, ... das zweite
spezielle Wertsystem einsetzen, gegen eine gewisse stetige Funktion von A
gleichmäßig konvergiert. Indem wir ferner unsern Hilfssatz auf die
Funktionenreihe (IG) anwenden, gelangen wir durch Auswahl zu einer
Funktionenreihe
5,(i-*)(2)^ ;.(2-*)(A), x(3*-)(;.), . . .,
die nach Einsetzung des dritten speziellen Wertsystems gegen eine ge-
wisse stetige Funktion von l gleichmäßig konvergiert.
Endlich betrachten wir, indem wir uns das Verfahren unbegrenzt
fortgesetzt denken, die Formenreihe
(17) yß*\X), xi-^-)(l), x(^-*)(A), . . .;
dieselbe konvergiert in X gleichmäßig, sowohl wenn wir darin für die
Variabein ä;^, x.^, ... das erste, als auch wenn wir das zweite, als auch
wenn wir das dritte spezielle Wertsystem usf einsetzen. Da sich aber
aUgeniein der Koeffizient von x x, einer quadratischen Form linear aus
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Trane form ation. 117
den drei Werten zusammensetzen läßt, die die quadratische Form für
x„, X , = 1,0 bzw. 0,1, bzw. -^, — = annimmt, während man alle übrisren
P i t/2 1/'2
Variabein gleich 0 setzt, so folgt, daß auch allgemein der Koeffizient von
XX in der Formenreihe (17) gegen eine gewisse in k stetige Funktion
X (A) konvergiert. Wir setzen
^,9 = 1,2. ..
so daß y.{X^ eine quadratische Form der unendlich vielen Variabein x^, x^, . .
bedeutet, deren Koeffizienten stetige Funktionen von A sind. Diese
Funktionen von X sind zunächst nur innerhalb J definiert; da wir aber
statt J ein beliebig großes, J enthaltendes Intervall wählen dürfen, so ist
damit die Definition jener Funktionen für alle endlichen Werte von l
gegeben.
Die Werte irgendeines Abschnittes einer quadratischen Form mit
unendlich vielen Variabelu sind als lineare Kombinationen derjenigen Werte
darstellbar, die die quadratische Form für unsere speziellen Wertsysteme
annimmt. Daraus folgt, daß, wenn wir in den Formen der Formenreihe (17)
a\, . . ., Xj^ beliebig lassen, die übrigen Variabein a^^^i, ^„ + 2? • • * sämt-
lich = 0 setzen, d. h. von jeder Form in (17) denselben Abschnitt nehmen,
diese aus den Abschnitten gebildete Reihe gewiß ebenfalls gleichmäßig
konvergiert, und zwar gegen denjenigen Wert, den der betreffende Ab-
schnitt von x(/l) annimmt. Wenn wir noch
1* = nii, 2** = Wg, 3*** = Wg, . . .
setzen, so gilt also die Gleichung:
X [x('"A)(A)] = [<A)].
A =00
Der Kürze und Übersicht halber wollen wir im folgenden bei
einer Gleichung oder einer Ungleichung die eckigen Klammern
fortlassen, d. h. nach dieser Festsetzung ist eine Gleichung oder Un-
gleichung zwischen Formen mit unendlich vielen Variabein stets so zu ver-
stehen, daß sie identisch für aUe Variabein gilt, wenn man in der Formel
auf beiden Seiten die gleichen Abschnitte der Formen nimmt; so lautet
die letzte Gleichung
(18) L x('"/')(A) = x{X).
/l =00
Zugleich bemerken wir, daß die obengenannten Eigenschaften der
Funktionen x^"\X) als Funktion von A sich sofort auf einen beliebigen
Abschnitt [z(l)] der Form x(A) übertragen, wenn wir diesen als Funktion
von A betrachten. Wir erkennen so, daß die Funktion [3<(A)] ebenfalls
nirgends negativ ausfällt und bei wachsendem Argument A niemals ab-
I 18 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
nimmt, ferner, daß der Differenzenquotient dieser Funktion d. b. der Aus-
druck
[xa)]-[x(^)]
wiederum nirgends negativ wird, und, wenn eines der Argumente )., u
fest bleibt, wäbrend das andere wäcbst, niemals abnimmt. Wegen (12)
folgt für jenen Diöerenzenquotienten die Ungleicbung
(19) ü(|ri^) ^ (^, ^).
Innerhalb eines Intervalles, das keinen Verdichtungswert der Form K
enthält, wird [j£(A)] eine lineare Funktion von /l. Außerhalb J ist auf
der negativen Seite [3<(A)] identisch Null, auf der jjositiven Seite gleich
?.[{x,x)] + Cix).
Wir denken uns nun in der Form x(V) das erste spezielle Wert-
system eingesetzt und bezeichnen die so entstehende Funktion von A mit
x(A)i. Nach den obigen Ausführungen wird, wenn wir l festhalten und
[i einen A übersteigenden Wert beilegen, der Differenzen quotient von oi{X)^,
sobald ^ gegen A hin abnimmt, gewiß nicht wachsen und mithin, wenn
II nach A fällt, einem Grenzwert zustreben, d. h. Jc(A)^ besitzt gewiß für
jedes A einen vorderen Differentialquotienteu; wir bezeichnen denselben
mit f(+)(A)i. In derselben Weise wird gezeigt, daß J£(A)^ für jedes A einen
hinteren Differentialquotienten besitzt; wir bezeichnen denselben mit !(~)(A)j.
Aus den obengenannten Tatsachen über die Differenzeuquotienten
von y,{l\ folgt zugleich, daß sowohl !(+)(A)i, wie !^")(AX Funktionen von A
sind, die nirgends negativ ausfallen, mit wachsendem Argument A nicht
abnehmen und überdies stets den Ungleichungen
.20) !(-)(AX ^ !(+)(/.), für A^ it.,
!(+)(AX £ t^-Kl^\ für A < iii
genügen.
Da ferner wegen (13) die Differentialquotienten t^'^\X\, i^~K^\ den
Wert 1 nicht überschreiten können, so gilt dasselbe um so mehr für die
Differenz vom vorderen 'und hinteren Differentialquotienten an der näm-
lichen Stelle A, und wir ersehen hieraus, daß, wenn m irgendeine ganze
Zahl bedeutet, höchstens m Stellen A vorhanden sind, für welche
fW(A),-f(-)(A),^i
gilt. Wegen dieser Tatsache ist die Menge derjenigen Werte A, für welche
vorderer und hinterer Differentialquotient voneinander verschieden aus-
fallen, notwendig abzählbar.
Nunmehr denken wir uns in x(X) das zweite spezielle Wertsystem
eingesetzt, verfahren mit der so entstehenden Funktion x(A)o, wie vorhin
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. 119
mit y.(X\ geschehen ist, und suchen diejenige Menge von Stellen A, für
welche der vordere und hintere Differentialquotient voneinander ver-
schieden ausfallen. Die Menge dieser Stellen Ä ist gewiß wiederum ab-
zählbar. Mit Benutzung des dritten speziellen Wertsystems erhalten wir
entsprechend eine abzählbare Menge von Stellen ?. usf. Die Gesamtheit
aller solchen Stellen ist wiederum abzählbar; sie mögen die Eigcniverte
der Form K heißen und mit X^, Ag, ... bezeichnet werden. Die Stellen
/j, A,, ... und ihre Verdichtungsstellen sind gewiß Verdi chtungs werte
der Form K, da ja 3f(AX, ii{k\, • • • außerhalb der Verdichtungs werte
lineare Funktionen von X sind und folglich die vorderen und hinteren
Differentialquotienten daselbst einander gleich ausfallen. Die Gesamtheit
der Stellen Aj, X^, ... werde das PnnJctspelfrum oder das dislcon-
ti Ulli crl't che Spehtrum der Form ^ genannt.
Da die Koeffizienten einer quadratischen Foi-m sich linear aus den
Werten zusammensetzen lassen, die die quadratische Form für die Reihe
der speziellen Wertsysteme der Variabein annimmt, so schließen wir, daß
die sämtlichen Koeffizienten 7,^,^ der Form %{X) ebenfalls sowohl vordere
wie hintere Differentialquotienten besitzen, und daß dieselben für jede
SteUe mit Ausnahme der Stellen A^, Ao, ... einander gleich sind; die
vorderen und hinteren Diöerentialquotieuten von y. mögen mit f^,"^ bzw.
f^~j bezeichnet werden. Für jede von A^, X.-^, ... verschiedene Stelle A
stimmen diese beiden Differentialquotienten miteinander überein; wir
setzen daselbst
« «(+) t(-).
^pq ^P1 '■PI '
die quadratischen Formen mit den Koeffizienten fp,j, fp^ mögen mit !(+)(A)
bzw. !'~^(A) bezeichnet werden. Für jede von Aj, X^, ... verschiedene
Stelle setzen wir
!(A) = f(+)(A) = !(-)(A).
Wir bilden nun allgemein für die Stelle A^ die Differenz f^,! — f^~'
und nehmen diese Differenz als Koeffizient von x^x,^-^ die so entstehende
quadratische Form mit unendlich vielen Variabein, deren Koeffizienten
jedenfalls nicht sämtlich verschwinden, werde die zum Eigenivert X^^
gehörige quadratische Eigenform von K genannt und mit Ej^ be-
zeichnet. Offenbar ist für jeden Eigenwert A^
(21) !W(V - i^-^ W = £,,
und da auch zu (20j analog
!(-)(A) ^ !(+)(/.) für A^a,
^ ^ fW(A) ^ !(-)Ca) für A < a
gelten muß, so fällt gewiß
(23) i;^o
120 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
aus. Andererseits folgt aus (19), wenu wir für f< einen X übersteigenden
Wert wählen und diesen gegen A konvergieren lassen,
(24) f(+)(;yl)^(a-, a;).
Wir betrachten nunmehr irgend m nach zunehmender Größe ge-
ordnete Eigenwerte der Form jfiT, etwa
und die diesen zugehörigen Eigeuformen
^Pi' •••' -^Pm-
Wegen (21) haben wir
(25) !(+)(A,; - t-\l,) = E^^ (/. = 1, 2 . . , m)
und wegen (22)
(26)
Die Addition von (25) und (26) ergibt
(27) tW(;iJ_f(-)(iJ^i;^ + ... + £,___,
und diese Ungleichung lehrt, da [f^~^(A)] nirgends negativ ist, wegen (24)
die weitere Ungleichung
(28) E^^+.---\-E^^^<(x,x).
Aus (23) und (28) erkennen wir, daß die über alle Indizes p er-
streckte Summe ^\ßp\ konvergiert, und zwar gegen eine quadratische Form
der n Variabein x^, , . ., a;„, die ^ x^' -\- ■ • • -\- xj ausfällt, d. h. es ist
:se^£(x,x).
Wir definieren jetzt folgende Formen der unendlich vielen Variabein
^i> -^2; • • ••
tW-2E^,
vW=yE^U-X^,
wo die Summen rechter Hand über alle diejenigen Indizes p zu erstrecken
sind, für die A < A ausfällt. Die Koeffizienten von rj (A) sind stetige
Funktionen von A. Die Abschnitte [efA)], ['»?(A)] dieser Formen sind
Funktionen von A, die, wie sich ohne Schwierigkeit mit Benutzung von
(23) und der Konvergenz von ^[-EJ ergibt, folgende Eigenschaften
besitzen :
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. 121
[e(X)] ist nirgends negativ nnd nimmt mit wachsendem X niemals
ab; außerhalb J ist [e(A)] auf der negativen Seite Null, auf der positiven
gleich ^\E^.
[e(>l)] ist an allen Stellen stetig, die nicht Eigenwerte sind; für den
Eigenwert A^ besitzt [e(A)] einen endlichen Sprung, und zwar ist bei
positivem gegen Null abnehmendem t:
r=0
r = 0 ff
[jj(/l)] hat sowohl einen vorderen, wie einen hinteren Differential-
quotienten; diese stimmen an allen Stellen, die nicht Eigenwerte sind,
miteinander überein und haben den Wert [e(A).j; für den Eigenwert l
ist der hintere Differentialquotient ie(X^iJ. der vordere [e (A.)] -f- [-E' ] , so
daß der Überschuß des vorderen Differentialquotienten über den hinteren
\E^ beträgt.
Aus (27) folgt, wenn )! , /l">/l' keine Eigenwerte sind:
!(r) -!(;/)> >^£:;
(/■'< 'p < n
nun ist
a'<;.^;<;/^
und folglich auch
(29) f(;/') - f(A') ^ e(r) - e(/l').
Ist eine der Größen /', A" ein Eigenwert, bzw. sind beide Eigen-
werte von K^ so folgt ebenso statt (29) eine entsprechende Ungleichung.
Setzen wir nun
p(;0 = x.a)-7?(A),
so besitzt mit Rücksicht auf (21) die Funktion [q ().)] vordere und hintere
Differentialquotienten, die für jede Stelle A miteinander übereinstimmen,
und dieser Differentialquotient ist überdies, wie aus (29) bzw. aus der
entsprechenden Ungleichung folgt, eine mit wachsendem Argument nicht
abnehmende Funktion von A; daher stellt dieser Differentialquotient eine
Funktion dar, die in A stetig ist. Setzen wir also
(30) <A) = ya^^^x^^x.^ = '"^^ = !(A) - e(A),
so ist jeder Abschnitt der Form ö'(A) eine stetige, nicht negative, mit
wachsendem A nicht abnehmende Funktion von A. Die Form (?(A) der
unendlich vielen Variabein, deren Koeffizienten 6 , stetige Funktionen von A
sind, heiße die Speliiralform von K.
122 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
Wegen (24) gilt die Ungleichung
(31) 6{l) + ^{X)£{x,x).
Die Formen t(X), e(A), a{?J) werden für alle außerhalb auf der nega-
tiven Seite von J liegenden Werte X identisch gleich Null; auf der positiven
Seite gehen sie in von A unabhängige Formen über, die wir bzw. mit
f(-f- oü), e(4- oc), (j(-f oc) bezeichnen wollen. Wegen (30) haben wir
(32) (?(+ oo) = !(•+ oo) - e(+ oo).
Da [»«(A)] rechts von J in l[[x, x)] -f- C(x) übergeht, so haben wir
(33) !(+ oo) = {x, X)
und, wie früher bemerkt ist,
e(+ ^) =^J^^-
Wir wählen jetzt solche reelle Werte / aus, in deren beliebiger
Nähe noch Punkte A' existieren, für die nicht identisch in allen Variabein
*</ j , Xt) , . . .
^(;j = 6(k')
ausfällt. Die Menge s aller solchen Punkte l ist perfekt (abgeschlossen
und in sich dicht); sie heiße das Strechenspehtrum oder das kontinuier-
liche Speldrum der Form K. Außerhalb der Verdichtungswerte von K
sind die Koeffizienten von x(/l) sämtlicii linear in A, diejenigen von e(A)
konstant, und folglich werden auch die Koeffizienten von (J(A) konstant,
d. h. das Streckenspektrum liegt gewiß innerhalb der Verdichtungswerte
der Form K. Das Punktspektrum nebst den Häufungsstellen der Eigen-
werte und das Streckenspektrum zusammengenommen heiße das Speiet mm
der Form K.
Setzen wir nun
+ 00
ö(+ oo) =Jd6{l) = fdöiX),
so erhalten wir aus (32), (33)
(x, x) = e(+ oo) +Jd6{l)
oder
(34) ix,x) = :SE^-i-fdö(X),
wo die Summe über alle ]) zu erstrecken ist.
Wir kehren nunmehr zu der quadratischen Form K^ mit endlicher
Variabeinzahl n zurück. Bedeutet X eine komplexe oder eine von sämt-
lichen Eigenwerten Xj"'' der Form 7f^ verschiedene reelle Größe, so er-
halten wir aus der Definition (11) der Funktion y.J-"^ sofort die Gleichung
Kap. XI. Theorie der orfchogoualea Transformation. ] 93
+ 00 + X
die Integration ist hier reell von ^t = — oc bis a = + oo , im Falle eines
reellen A jedoch mit kurzer Umgehung des Punktes A in der komplexen
/(-Ebene auszuführen, wobei man beachte, daß x ^"\^) in der Umgebung
des Punktes A als lineare Funktion auch für komplexe fi definiert ist.
Durch Summation über p = 1, . . . , n finden wir
(35) r j^M. ,7„ _ 1 I (W"\^)y- , , (Lj-Hxr- \
^ ^ J {(^-xr'^^ ~ 2 \ii,^^iy^T + ■■■+ v^^rzrrj .
— 50
wobei die Integration wie vorhin auszuführen ist. Andererseits ist, wie
aus (3) und (5) folgt,
foa-^ K„{X,x)-{x,x)„ _ (L^^^^xy {W^\x)Y
i^^J i - '\^-^r + • • • + X^'^nrr-
Wenn wir in (35), (36) für n die besonderen Zahlen m^, m^, . . .
einsetzen und auf beiden Seiten einen bestimmten Abschnitt nehmen, ferner
unter l irgendeine komplexe Größe oder eine solche reeUe Größe ver-
stehen, die nicht zum Spektrum der Form K gehört, so erhalten wir
wegen (18) durch Grenzübergang die Formel
+ 00
-r [K»i^(^,a;)] — [(a;,a;)mj r [«(u)]
(37) Jj i -^/ (j,z:iy3«f^;
^=~ -=0
die Integration ist hier wiederum reell von /i = — oo bis ja = -|- oo, im
Falle eines reellen A jedoch mit kurzer Umgehung des Punktes A in der
komplexen /i- Ebene auszuführen, wobei man l)eachte, daß z([i) in der
Umgebung des Punktes A als lineare Funktion auch für komplexe ^ de-
finiert ist. Infolgedessen stellt das Integral rechter Hand eine Funktion
von A dar, die für alle komplexen und für die nicht zum Spektrum von
K gehörigen reellen A regulär analytischen Charakter in bezug auf A
besitzt.
Wir setzen
+ 09
(38) K(A, x) = {x, x) -f 2lJ-~^^^ d^i
— 00
und nennen diesen Ausdruck die Resolvente der Form K; jeder Ko-
effizient oder Abschnitt derselben ist ebenfaUs für alle komplexen und
für die nicht zum Spektrum von K gehörigen endlichen reellen Werte
von A regulär analytisch, und man sieht auch, daß derselbe für A = oo
regulär analytisch ist.
124 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
Die oben gefundene Gleichung (37) geht über in
Aus der Definition der Form 7;(X) entnehmen wir die Gleichung
(39) J>i,''. = ^W"H<'''=iiT;^' ,
wobei unter A irgendeine komplexe Größe oder eine solche reelle Größe
zu verstehen ist, die nicht zum Spektrum der Form K gehört, und die
Intecrration nach ^ im Falle eines reellen X mit kurzer Umgehung des
Punktes A in der komplexen |U--El)eue ausgeführt werden soll.
^(^) = - dl
erhalten wir durch wiederholte Produktintegratiou und Einführung einer
naturgemäßen Erweiterung des Integi-albegriffes
4-a, +00 +00 +00
J i^xr '^^' -J iu - 1? '^^' ^ J ¥^=^^^^ 2 J i^rrip ^^^ - T j 7_T
(40)
Aus (38), (39) ergibt sich
und hieraus mit Rücksicht auf (34)
ß
ip tj II
(*■)
Diese Formel ist das gesuchte Analogon zu der Partial-
bruchdarstellung (3) der Resolvente K„(A, a;) der Form K^ mit
der endlichen Variabeinzahl n.
Wir fassen die gefundenen Resultate in folgender Weise zusammen:
Satz 31: Die Resolvente einer quadratischen Form K, für ivelche
A = oo niclit Verdichtimgsuert ist, ist eine cßiadratiscJie Form mit unendlich
vielen Variahein ,.., ^ x^ix /i\
7'. y
deren Koeffisienten für alle außerhalb des SpeJctrums der Form K gelegenen
Argumente A regulär analytische FunJctionen dieses Argumentes sind.
Ist m^, mo, . . . eine geivisse Reihe ms Unendliche zunehmender ganzer
Zahlen, so gilt für jeden Abschnitt der Resolvente die Gleichung
(41) L K„,^{X, X) = K{X, x) ,
/( = 00
ivo K,nf, die Resolvente der Form Km,, bcdeutd.
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 125
Die Resolvente K yestattet folgende Barstellung (für jeden Abschnitt)
(42) Hi,x) = :s—'j-+ r^;
dabei ist die Summe über das gesamte Funldspelärum von K, d. h. über
alle Eigenwerte von K zu erstrecken; E^ bezeichnet allgemein die zu l
gehörige quadratische Eigenform; sie ist eine Form, deren Abschnitte für
leinen Wert der Variahein x^, x^, . . . negativ sind. Das Integral ist über
das Streclicnspelitrum von K zu erstrerl'en. Die Spelitralform ö{X) ist eine
Form, deren Koeffizienten stetige Funlctionen in X, und deren Abschnitte
bei wachsenden Argument X innerhalb des Streckenspelärums s — von be-
sonderen Werten der x^, x^ ... abgesehen — nachsende Fnnläionen von X,
in jedem außerhalb s gelegenen Intervcdle aber sämtlich Iwnstant sind.
Endlich gilt die Gleichung (für jeden Abschnitt)
(43) (x,x)=-2E^+fd<j(X).
iP) (s)
Wenn die sämtlichen Abschnitte einer quadratischen oder einer bi-
linearen Form mit unendlich vielen Variabein x^, x.2, . . . , y^, y2, • • ■ absolut
genommen unterhalb einer von der Wahl des Abschnittes unabhängigen
endlichen Grenze liegen^ sobald man die Variabein den Bedingungen
(44) ix,x)<l, (y,y)<l
unterwirft, so heiße die quadratische bzw. bilineare Form eine beschränkte
Form.
Die zu einer beschränkten quadratischen Form gehörige bilineare
Form ist ebenfalls eine beschränkte Form.
Beispielsweise sind wegen (23) und (28) die Eigenformen E^ stets
beschränkte Formen, und da nach (31) die Ungleichung
(?(2) + e(A) <(x,x)
gilt, so sind auch die Spektralformen (j[X), ebenso wie die Formen f(A)
und e(A) beschränkte Formen. Endlich ist, wenn X einen außerhalb des
Spektrums von K{x) liegenden Wert bedeutet, die Resolvente K(A, x),
und zwar sowohl der Summen- wie der Integralbestandteil von K{X, x)
für sich, eine beschränkte Form.
Ein wichtiges spezielles Beipiel einer beschränkten quadratischen
Form ist y*>;^'^ .i)
1) Die von mir gegebene und zuerst von H. Weyl (Inauguraldissertation, Göttingeu
1908, S. 83) publizierte Beweisidee hierfür ist kurz folgende: Es gibt identisch in
126 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
Die Begriffe „Abschnitt" und „beschränkt" können offenbar in gleichem
Sinne auch für lineare Formen mit unendlich vielen Variabein angewandt
werden. Eine lineare Form
L{x) = \x^ + Ux^ + • • •
ist dann und nur dann eine beschränkte P^oim, wenn die Summe der
Quadrate ihrer Koeffizienten
V^ +/,- + ■••
endlich bleibt.
Die Richtigkeit hiervon erkennt man leicht mit Hilfe der beiden
folgenden Tatsachen:
L Wenn Wj, u^, . • . und i\, y«, . . . irgendwelche Größen sind, so
gilt stets die Ungleichung
{ti, t-)^ ^ («, li) (y, v).
II. Wenn u^, u.^, . . . irgendwelche Größen sind, ferner 31 eine end-
liche positive Zahl bedeutet und überdies für alle der Bedingung (44)
genügenden Werte x^, x^, . . . die Ungleichung
(ii, x) ^ M
stattfindet, so ist stets
Fortan ziehen wir durchweg nur solche Wertsysteme der
unendlich vielen Variabein x^, x^, . . . y^, y.,, ... u. s. f. in Betracht,
die der Bedingung (44) genügen. Ist a^, a^, . . . ein solches Wert-
sjstem, so existiert, wenn L{x) eine beschränkte lineare Form ist, gewiß
der Limes des «ten Abschnittes [i(a)]„ derselben für n = oo; Avir setzen
Ua) = L [X(a)L;
n = oc
somit haben wir erkannt, daß eine beschränkte Linearform der unendlich
vielen Variabein ä\, x.,, . . . für alle in Betracht kommenden Wertsysteme
^ ^pV'i { ""4:7 ~~ ; _ f j "= / 17 [~ ■*'! ^^° ^ + 2/1 cos e + x,_ sin 2t — y^ cos 2t 1 dt,
(j), S = 1, 2, . . . n) - 71
wobei für » = q anstatt linker Hand 0 zu nehmen ist. Die rechte Seite dieser
P — (l
Identität ergibt sich, indem wir unter dem Integral t vor der Klammer durch Tt er-
setzen, durch kurze Rechnung kleiner als ■x{.i\^-\- x., *-|- — |- .'•„*+ y, *+ J/s*-] h ?/«*)i
d. h. kleiner als 2«. Setzen wir Xp = yp, so erhalten wir daher unmittelbar
Qu, V = 1, . . ?/)
Andere Beweise sowie Erweiterungen dieses Satzes sind gegeben worden von F. Wiener
(Math. Ann. Bd. 68, S. 361), J. Schur (Journ. f. Math. Bd. 140, S. 16), 0. Toeplitz
(Gott. Nachr. 1910, S. 489).
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 127
dieser Variabein einen bestimmten endlichen Wert annimmt und demnach
eine Funltion der unendlich vielen Variabein x^^, x^, . . . darstellt.
Es heiße allgemein eine Funktion F(Xi, x^, . . .) der unendlich vielen
Variabein x^, x^, . . . an der Stelle a^, a^, . . . stetig, wenn der Wert von
F{a^ + fj, «2 + fg, . . .) gegen den Wert von -F(ai, %,-•■) konvergiert,
sobald die Summe der Quadrate der Größen f^, fj, . . . nach Null abnimmt,
d. h. wenn
L F{a^ + hy «2 + «2; • • •) = -^(«U %; • • •)
(fi- + ^2^ + • • • = 0)
wird.
Wir sehen sofort, daß die beschränkte Linearform L{x) eine stetige
Funktion der unendlich vielen Variabein darstellt.
Die entsprechenden Sätze gelten auch für eine dcschränlie Bilinear-
form. Um dies zu erkennen, bezeichnen wir mit A{x, y) eine beschränkte
Bilinearform und mit a^, a.2, . . . und &j, h^, . . ■ besondere Wertsysteme
der unendlich vielen Variabein, sodann setzen wir
r ' = 0 r' = 0 r' = ""+ - r — "^+* t — -^ t — 0 t' — 0
nia "-nm "■nm
Vi = K •■■, yn = K, Vn+l = ö, 2/„+2 = 0, . . .
, , ' = 0 ?/' = 0 w' = ^^^+^ ?v' = ^"+- 7/' _ - ^'L „' _ 0 ?/' — 0
Vi — ^} • • -y if n ^; y n+1 fl y y n+2 ß y • • -y y m~ ß y V m+i — ^y y m+2 — ^y
rn rii rn m rn m
^nra = V^'n+l + «'n+2 + " ' ' + a^„ , ^ra = y?>';+l + ^^'„+2 + ••• + &'«,
worin w und m > n irgendwelche ganze Zahlen bedeuten. Nun ist, wenn
wir mit [^],„, [^]„ die betreffenden Abschnitte von A bezeichnen,
\A{<^y &)L = -^(^ + ^n^a^'y y + ßn,ny')y
= {.M<^y ^)\ + ('nmA^'y y) + ßnv^^{^y /) + ^arnßn.Ai^'y /)•
Da Ä(x',y), Ä{x,y'), Ä(x',y') absolut unterhalb einer von n, m unab-
hängigen Grenze bleiben und überdies «„„^, ß^^^^ mit wachsenden w, m
verschwinden, so folgt, daß [Ä{a, fe)]^, mit wachsendem )i gegen einen
Grenzwert konvergieren muß; derselbe werde kurz mit Ä(a,h) bezeichnet.
In analoger Weise folgt, daß die durch A{x,y) dargestellte Funktion der
unendlich vielen Variabein x^, x^, . . . und y-i, y-jy • • ■ stetig ist.
Insbesondere schließen wir, daß auch eine beschränkte, quadratische
Form unendlich vieler Veränderlichen x^, a^g, ... stets eine stetige Funktion
derselben darstellt.
Wir entnehmen aus den eben bewiesenen Sätzen noch folgende Tat-
sache: Wenn auf beiden Seiten einer Formel eine endliche Anzahl
128 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
quadratischer oder bilinearer bescliränkter Formen von unendlich vielen
Variabein steht und die durch die Formel dargestellte Gleichung oder
Ungleichung für alle Abschnitte beider Seiten gültig ist, so ist sie über-
haupt für alle Wertsysteme der unendlich vielen Variabein gültig — wobei
stets nur solche Wertsysteme dieser Variabein gemeint sind, die den Be-
dingungen (44) genügen.
Wenn wir in der beschränkten Bilinearform A{x, y) die Variabein
Vi} V-'j • ■ • sämtlich Null setzen mit alleiniger Ausnahme der einen Varia-
bein y , der wir den Wert 1 erteilen, so entsteht eine beschränkte Linear-
form der Variabein x,, .r,, . . .; dieselbe werde mit . — bezeichnet.
Da A(x, y) beschränkt ist, so folgt auch, daß für n ^ m
c[A{x,xj)]„ d[_A{x,y)\
absolut unter einer endlichen, von n und m unabhängigen Grenze liegt,
und mit Rücksicht auf die oben angeführte Tatsache II liegt mithin auch
unterhalb einer von n und ni unabhängigen Grenze. Nehmen wir nun
zuerst n = oo und dann m = oo, so erkennen wir, daß die Quadratsumme
/dÄ{x,y)y ^ /dÄ{x,y)y ^
gegen eine endliche Größe konvergiert. Ist nun B(x, y) ebenfalls eine
beschränkte Bilinearform, so bleibt auch die Quadratsumme
/dBix,y)y ^ /dB{x,y)y ^
unterhalb einer endlichen Grenze, und folglich muß mit Rücksicht auf die
oben angeführte Tatsache I auch die unendliche Reihe
dÄ{Xj^y) dB{x,y) dA{x,y) dB{x^ -[-••.
absolut konvergieren; dieselbe stellt dann notwendig wiederum eine Bi-
linearform der Variabelu x^, x.^,.,., y^, y.2, • • ■ dar, die wir analog wie
oben bei endlichen Formen mit
Ä(X,.)B(.,2J)
bezeichnen und die Faltung der Bilinearformen A, J? nennen.
Die Faltung ist gewiß eine beschränkte Bilinearform, und zwar er-
kennen wir mit Rücksicht auf die oben angeführten Tatsachen I und II
aus der voranfjehenden Betrachtung? die Richtiofkeit des folejenden Satzes:
o o o o
Hilfssatz 2. Wenn ili, N zwei positive Konstanten bedeuten, so daß
für alle Xi^, x.,, . . . und y^, y.,, . . .
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 129
\Ä{x,y)\£3I, \B{x,y) £N
ausfällt, so genügt die Faltung notwendig der Ungleichung
\Ä(x,.)Bi.,y)\£3IN.
Zugleich stellen wir folgende Hilfssätze auf, deren Richtigkeit un-
mittelbar einleuchtet.
Hilfssatz 3. Für jeden Abschnitt der Faltung zweier beschränkter
Bilinearformen Ä, B gilt
[A{x,:)B{.,y)\^== L [AJx,)B,X.,y)\,
W = 00
wo rechts unter dem Limes der mio, Abschnitt der Faltung der wten Ab-
schnitte von A, B steht. Der Wert der Faltung ist demnach:
A{x,.)B{.,y)= L L [AS^,)BS-Mm-
111 = CO n = 00
Es folgt daraus insbesondere:
A{x,.){.,ij) = A{x,y),
d. h. jede Bilinearform reproduziert sich durch Faltung mit (ic, y) ; wir
können daher auch den Wert der Bilinearform darstellen als:
A/ \ dA , dA . SA , dA ,
A {X, y) = y^^^+y,~-^-^+...^X, -^- + cc, j^^ + ■ ■ ■ •
Hüfssats 4. Wenn A, B, C, . . . beschränkte Bilinearformen sind und
mit denselben wiederholt der Prozeß der Faltung ausgeführt wird, so ist
das Resultat von der Reihenfolge der einzelnen Faltungen unabhänorior ;
es ist beispielsweise
{A{x,.)B{.,.))C{.,y) =^ A{x,.){B{.,.)Ci.,y<).
Wir entwickeln nunmehr die einfachsten Begriffe und Tatsachen über
orthogonale Transformationen unendlich vieler Variabler.
Bedeuten
{p, 2 = 1, 2, . . .)
irgendwelche unendlich viele, den Relationen
(5 = 1,2,...)
und
(/. = 1,2,...)
2 %rO,r = 0 (P + ü)
('• = 1,2,...)
genügende Konstanten, so definieren die Formeln
Math. Monogr. ;i: Hubert, lin. Integralgleichungon.
130 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
(45)
und
U/2 — ^^21 ^ 1 i~ ^22 2 l" ' ' ' ?
^ 1 =^ ^11 ^l \ ^21 ^^2 I * ' " ?
je eine orthogonale Transformation; die letztere Transformation ist die
Umkehrung der ersteren. Die Ausdrücke rechter Hand sind beschränkte
Linearformen der unendlich vielen Variabein x^', x.^, . . . bzw. x^, X2, ■ . .■
Die Bilinearform
0(X,X) = ^Op^XpX,^
heiße die zur orthogonalen Transformation (45) zugehörige Bilinearform;
dieselbe ist, wie man leicht aus der oben angeführten Tatsache I erkennt,
gewiß eine beschränkte Form. Es gelten nach Hilfssatz 3 die Formeln
(46) 0[,,x)0(,,y) = {x,y), 0{.,x)0{. ,y) = {x,y)-
insbesondere wird:
^{0pix\ + 0 ga:'^ H y = {x, x),
(p)
^{OipX^ 4- o^pX^ H )- = {x, x).
ip)
Wenn wir auf irgendeine beschränkte Linearform L[x) die ortho-
gonale Transformation (45) anwenden, so entsteht die Linearform
L'{x)==LQO{.,x');
mithin entsteht, wenn wir beide Variabeinreihen irgendeiner beschränkten
Bilinearform Ä(x, y) jener Transformation unterwerfen, die Bilinearform
Ä'{x,y') = Ä{.,.)Oi.,x)0{.,y).
Sind Ä{x, y), B{x, y) irgend zwei beschränkte Bilinearformen, setzen
C{x,y) = A{x,.)B{.,y)
und berechnen die orthogonal transformierten Formen
A'{x',y) = A{.,.)0(,,x')0{.,y'),
B{x', y) = J?(o , *) 0(o , x) 0{^ , y') ,
C'{x',y') = C{.,.)0(,,x)0{.,y'),
so finden wir als Faltung der transformierten Formen
Ä'{x, o)JB'(o, y) = Ä(.,.)Oi., x) 0(. , o)5,L :.) OU, o) 0(„ y)
und mit Benutzung des Hilfssatzes 3 und 4 und der Formel (46)
Ä{x,,)B'{^,y)^A{.,,)B{,,,.^)0{.,x)0{^,y) = C{.,^)0{.,x)0{^,y)
und mithin
(47) Ä{x,)B\.,y)^C\x,y)
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. 131
d. h. die Faltung zweier Bilinearformen ist eine Kovariante gegenüber
einer orthogonalen Transformation.
Wenn die Summe der Koeffizienten von x^y^ einer Bilinearform
A{x,y) konvergiert, so bezeichnen wir diese Summe allgemein wie bei end-
lichen Formen mit ^4(. ,.).
Wir erwähnen hier noch folgende ebenfalls leicht zu beweisende
Tatsache:
Hilfssatz 5. Wenn
K{x) = ^ K1V9
eine quadratische Form von solcher Art ist, daß
(p,q = l,2,...)
2
gegen einen endlichen Grenzwert konvergiert, so stellt derselbe eine In-
variante gegenüber einer orthogonalen Transformation von K(x) dar;
d. h. jener Grenzwert stimmt mit
überein, wobei
(p,q = l,2,-..)
K'{X')= 2 Kq^>'q
(j),q = 1,2,...)
die durch orthogonale Transformation aus K(x) hervorgehende quadratische
Form bedeutet.
Wir kehren nunmehr zu der oben entwickelten Theorie der quadra-
tischen Form K(x) zurück und nehmen an, daß diese quadratische
Form K{x) eine beschränkte Form sei.
Bedeutet wiederum -r^ , ^ r-r^/ \-.
den «ten Abschnitt von K{x), so ist der größte Wert, den K^{x) absolut
genommen annimmt, gleich („, , wenn A^^") den absolut kleinsten der
n Eigenwerte von £„(«■) bezeichnet. Da K{x) eine beschränkte Form
sein soll, so gibt es eine positive Konstante M, so daß für alle Werte n
und iedes Variabeinsystem , ^-. , . , . ,,
ausfällt, und mithin gilt auch
oder
d. h. die absoluten Beträge der Eigenwerte von K^{x) bleiben sämtlich
oberhalb einer von NuU verschiedenen positiven Größe, und es gehört
132 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
somit A = 0 ge^'iß nicht zum Spektrum von K{x). Nehmen wir um-
gekehrt von einer quadratischen Form Kix) au, daß A = 0 nicht zu ihrem
Spektrum gehöre, so müssen sämtliche Eigenwerte l^^^ ihrer Abschnitte
KJ^{x) von einem gewissen n an absolut genommen oberhalb einer von
Null verschiedenen positiven Grenze m bleiben, und hieraus wiederum
foM daß die Maxima , („, . der absolut genommenen Abschnitte K^ix)
unterhalb der Grenze — bleiben müssen, d. h. die Form Kix) ist not-
wendig eine beschränkte.
Die soeben gemachte und im folgenden stets beibehaltene Annahme,
daß K{x) eine beschränkte Form sei, ist also damit völlig äquivalent,
daß A = 0 nicht zum Spektrum von K{x) gehöre, während die absoluten
Beträge der Eigenwerte von K{x) sehr wohl über alle Grenzen wachsen
dürfen.
Wir bestimmen nun eine Größe a so klein, daß auch X = ic nicht
dem Spektrum von K{x) angehört. Da dann die Nullstelleu der Diskrimi-
nanten der Abschnitte von
{x, x') — XK(x)
sich an der Stelle X = a nicht häufen, so werden diejenigen der Ab-
schnitte von / \ 1 f / \ x-/ M
{x, X) — X{ {x, X) — aK{x) ]
absolut genommen nicht über alle Grenzen wachsen, d. h. die quadratische
K*{x) = [x, x) — aK{x)
hat >l = oo nicht zum Verdichtungswert; diese ist zugleich auch be-
schränkt. Bezeichnen wir mit K^{X'^x,y) die Resolvente von K^^ix) und
mit K*j^{X\x,y) diejenige von K^^ipc), so finden wir unmittelbar aus der
Definition der Resolvente die Gleichung:
(48)
K„a;^,!/) =— ~r •^n* {x-^'^^>y)'
Wenden wir nun unseren Satz I auf die Form K^{x) an und be-
zeichnen die Eigenwerte, Eigenformen, ferner das Streckenspektrum und
die Spektralform von K*{x) bzw. mit
80 ergibt sich* für alle außerhalb des Spektrums von K* liegenden Werte
von A* die für jeden Abschnitt bestehende Gleichung
(49) ;,f^„'^™^^'^'^^ t^l__^* ' / l_>*
(»*)
und ebenso
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 133
Setzen wir in (49)
ein, wobei
X*
X
~ X-a'
1 *
Ip
Xp-a'
1
1-A
II* = -
1 '-^
X* X
1 ^ 1 —
wird, inid bezeichnen mit s die Menge der Punkte ^, die der Menge 6*
der Punkte ,it* entspricht, so ergibt sich mit Rücksicht auf (48) die für
jeden Abschnitt bestehende Gleichung:
'' (P,»)l -
X,
dabei sind dann A als die Eigenwerte, Ep = E^* als die zugehörigen
Eigenformen, s als das Streckenspektrum, 6{}l) = 6'\{ii*) als die Spektral-
form von K{x) zu bezeichnen, und* es ist A = oo als Eigenwert, E^^ als
zugehörige Eigenfunktion von K{x) mitzurechnen, falls 2* = 1 Eigenwert
von K*(x) war. Aus der obigen Formel für (x, x) wird
(50) (^' .^) = ^.^ -^j« + Jd6{l).
Die beiden letzten Formeln stimmen mit (42), (43) überein, wenn
K{x) nicht X = oo zum Verdichtungswert hat; in der Tat folgt dann
aus der Definition von K*{x), daß A* = 1 nicht Verdichtungswert und
daher auch nicht Eigenwert von K* ist; demnach ist A = oo gewiß nicht
Eigenwert von K{x).
' Bleibt K{x, y) für alle Variabein x absolut unterhalb der endlichen
Grenze M, so entnehmen wir aus (2) und Hilfssatz 2, daß auch für alle m
K (^5 ^, y) = (*•; y)<n + ^^rn(.^, V) + ^^K.l^m{x, «/) + •••
gilt, wo
«<m, A| <^, - 1<'^„<+ 1
ist. Mit Rücksicht auf Hilfssatz 3 erhalten wir dann, wenn wir für x, y
solche feste Werte nehmen, die von einem endlichen Index an sämtlich
verschwinden, für m = m,^ in der Grenze h = oo die Formel
134 Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation.
L k«a(^; ^> y) ^ (^; y) + ^-^''^^ y) + ^-^^ipc, y) + ■■■
und hieraus für n = oo
X K«,(A; a:, ^) = (a:y) + kK(x, y) + ^^^^^(a:, y) + --- •
A = oo
Die so gewonnene Formel sowie die Tatsache, daß jeder Abschnitt der
Resolvente außerhalb des Spektrums regulär analytisch in k ist, zeigt,
daß die Resolvente
K{l;x,ij) = L Y.,n^{l; X, y)
A = 00
der Form K(x, y) eindeutig durch K{x) bestimmt ist, und hieraus
wiederum folgt, indem wir auf den Beweis für die Existenz des Grenz-
wertes
L K,n,,{l; X, y)
A = 00
zurückgreifen, daß auch allgemein der Grenzwert
L K„.(^; X, y)
m = 00
existiert und dem obigen Grenzwert gleich sein muß. Die letzten Formeln
gelten stets für jeden Abschnitt der in Betracht kommenden 'Formen.
Aus (51) schließen wir, daß die Differenz
(52) K(A;x,i/)- {{x,y)-^XK{x,y)^l'KK{x,y) + --- + )-KK...K{x,y)\
eine Form ist, bei welcher der absolute Betrag jedes Abschnittes für
1 ^ I < nr unterhalb der Größe
1 — ''IM\
bleibt. Durch Faltung jenes Ausdruckes (52) mit K{x, y) ergibt sich
dann nach Hilfssatz 2, daß der Ausdruck
K{x,)K{k-.,y) - [K{x,y) + lKK{x,y)
^ ^ + X'KKKix, y) 4- • • • + V'KKK . . . K{x, y) \
absolut genommen im gleichen Sinne die Größe
nicht überschreitet. Setzen wir in (52) die Zahl n -f 1 an Stelle von n
und subtrahieren dann davon das A- fache des Ausdruckes (53), so ent-
steht der Ausdruck
K(A; X, y) - lK{x, .)K(A; .,y)- {x, y),
und dieser Ausdruck bleibt demnach absolut genommen unterhalb der
Größe
2 \XM\''+-
1 — IIMI
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 135
Da nun diese Größe für n = oc gegen Null konvergiert, so ist damit die
Gültigkeit der Gleichung
(54) K(yl; x,ij) - lK{x,.)K{X- .,y) = (x, y)
für A I < -^ und für jeden Abschnitt, und einer oben gemachten Be-
merkung (S. 127) zufolge daher auch für beliebige Werte der unendlich
yielen Variabein bewiesen.
Wir sind vorhin zu der Gleichung
(55) K(X; X, y) = {x, y) + lK{x, y) + X-KK(x, ?/) + •••
gelangt und haben die Gültigkeit derselben für jeden Abschnitt und für
I A I < ,^ erkannt. Aus diesem Umstände wiederum schließen wir, daß
für beliebige Werte der Variabein und 'f- < ^ jeder Abschnitt von
(56) K(A: x,y)-[ {x, y) -f XK{x, y) + • • • + l^KK . . . K{x, y) ]
absolut kleiner als
(57) "'*^'
1—X3I
ausfällt, und daher muß einer oben (S. 127) gemachten Bemerkung zufolge
auch jener Ausdruck (56) selbst für beliebige Werte der unendlich vielen
Variabein absolut kleiner oder gleich der Größe (57) bleiben. Hieraus
folgt, indem wir n ins Unendliche zunehmen lassen, daß die Gleichung (55)
für beliebige Werte der unendlich vielen Variabein x^^, x^, . . . und y^yy^, • • >
und für ; A ] < y, gültig ist. •
Die Gleichung
(58) K(A, a:)
ist — ebenso wie (50) — vorhin nur in dem Sinne als gültig erkannt
worden, daß man darin auf beiden Seiten die nämlichen Abschnitte ge-
nommen denkt; wir wollen nun zeigen, daß diese Gleichung für beliebige
Werte der unendlich vielen Variabein gilt — vorausgesetzt, daß l einen
außerhalb des Spektrums von K gelegenen Wert bedeutet.
Es sei «j, agj--- ein bestimmtes Wertsystem der unendKch vielen
Variabein x^, x^, . . .\ dann bezeichne
den Wert, den E^ bzw. der nie und mte Abschnitt von Ep für jenes be-
stimmte Wertsystem annimmt. Wegen (50) liegt
2 [^p(«)]n
(p = l /')
136 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
unterhalb der von n und F unabhängicren endlichen Grenze {a, a); wir
setzen
2 [^p^a)\n = ^(n, P),
(p = /' + 1, P + 2, . . .)
WO s{n,P) eine Größe ist, die bei festem )i für P = oo nach Null kon-
vergiert. Da bei festem, außerhalb des Spektrums gelegenen ?. die Größen
1
sämtlich eine endliche obere Grenze G haben, so ist, wenn
V t^''";!" - n(n, P)
^ , '■
(p = P + l,P + 2,...) - j^
1 —
1
gesetzt wird, die Größe rj/w, P) ebenfalls eine solche, die bei festem n
für P = oo nach Null konvergiert.
Da andererseits
^V -^/'(^)
Zj , i
eine beschränkte Form ist, und zwar derart, daß die absohiten Beträge
ihrer Werte sämtlich unterhalb der von P unabhängigen Grenze G bleiben,
so folgt aus unseren früheren Betrachtungen (S. 127), daß
(j)= i,...,p)l —
> X" = WV^^ « + 1 + Ö^ « + 2 H 1- « m >
p
l {p = i,...,P) 1 ^^
(m > n)
wird, worin {G) eine zwischen endlichen von n, m, P unabhängigen
Grenzen gelegene Größe bedeutet.
Aus den beiden letzten Gleichungen ergibt sich
(p= 1, ...,/') 1 —y"' (i'=i,2...)l — y-
und wenn wir hierin zuerst m = oo und zuletzt n = oo werden lassen,
so erhalten wir
Ä..,i-
(p = l,2,...) A — , " ~(p = l,,2,...)l— y-
Andererseits wenden wir die oben (S. 127) zum Beweise der Konver-
genz von Ä(a, h) dargelegte Schlußweise auf die Bilinearform ff(Z; x, y)
an. Da mit Rücksicht auf (31)
[6{ii;x,y)\<l
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 137
folgt und mithin für alle Werte von ^v bei beliebigen x^, x.^, . . . und
sein muß, so folgt durch jene Schlußweise zugleich in bezug auf alle ^
die Gleichmäßigkeit der Konvergenz von [(3(ß-, x, y)]^ gegen 6{}i; x, y);
mithin stellt die Bilinearform ö(ii]X,y) für jedes Wertsystem der un-
endlich vielen Variabein x^, x.^, . . . und yi,y2,--- eine stetige Funktion
von /i dar, und hieraus wiederum folgt
Mit den beiden letzteren Limesgleichungen ist unsere Behauptung er-
wiesen, d. h. die Gültigkeit der Partialbruchdarstellung von K(A; x) auf
beliebige Werte der unendlich vielen Variabelu erweitert.
Die soeben als allgemeingültig erwiesene Partialbruchdarstellung von
K(il;a;) läßt zugleich erkennen, daß der Wert der Resolvente K(A, a;) für
jedes beliebige System der unendlich vielen Variabein rr^jiCg, ... eine in
X außerhalb des Spektrums regulär analytische Funktion ist.
Setzen wir in K(2;a:, y) allgemein an Stelle von x den Ausdruck
— ^ ' -, so entsteht die Faltung:
dyp ' °
und daher stellt auch diese für jedes Wertsystem der unendlich vielen
Variabein x^, x.^, • ■ . und ^1,^0,... eine in X außerhalb des Spektrums
regulär analytische Funktion dar.
Aus diesen Tatsachen folgern wir die Gültigkeit der Gleichung f54)
nicht nur für beliebige Wertsysteme der unendlich vielen Variabein a:"j, x^, ...
und y-iiy^, ■ • •■) sondern auch für alle außerhalb des Spektrums liegenden
Werte von X.
Wir fassen die wichtigsten der gewonnenen Resultate, wie folgt,
zusammen:
Satz 32. Es sei K{x) eine beschränkte quadratische Form der un-
endlich vielen Variahein x^, x^, . ... Die Resolvente K(A; rc) vom K{x) ist
eine eindeutig bestimmte quadratische Form eben dieser Variabein x^, x^, . . ■
K{X,x)==2K^{X)x^x,^,
deren Koeffizienten Kj,^(A) für alle außerhalb des Spektrums von K gelegenen
Wert^ X regulär anahjtische Funktionen von X sind.
Die Besolvente K(/l; x) ist, icenn X einen außerlialb des Spektrums von
K gelegenen WeH bedeutet, eine beschränkte Form; sie stellt für jedes he-
138 Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation.
liebige Wertsystem der unendlich vielen Variabein x^, Xo, . . . eine analytische
Fmiktion von A dar.
Die Resolvente Y<[^k, x) gestattet für beliebige Werte der unendlich vielen
Variahein x^, x^, . • . und für genügend Meine Werte von k die Potenz-
reihenentwicldung
(59) K(A, x) = {x, x) + XK{x) + )}KK{x) + '■■,
und ferner gilt ebenfalls für beliebige Werte der unemllicli vielen Variabein
und überhaupt für alle außerhalb des Spektrums von K gelegenen Werte l
die Partialbruchdarstellung
(60) K{L x)=2 — ^,- + T-'^'^V •
(i».»)! - J i i
ip (") fi
Dabei ist die Summe über das gesamte PunJctspeMrum von K, d. h. über
alle Eigeniierte eventuell mit Einschluß des Eigenwertes oo zu erstrechen;
E bezeichnet allgemein die zu A^ gehörige quadratische Eigenform; sie ist
eine beschränJcte Form, die für kein Wertsystem der Variabein x^^, x^, . . .
negativ ausfällt. Die Spektralform (?(A) ist eine beschränkte Form der
unendlich vielen Variabein x^, Xo, . . ., und zwar stellt sie für jedes Wert-
system derselben in bezug auf X eine Funktion dar, die stetig ist und bei
ivachsendem A innerhalb des Streckenspektrums s — von besonderen Werten
der x^, x^, . ■ ■ abgesehen — ivächst, in jedem außerhalb s gelegenen Intervalle
aber konstant bleibt.
Insbesondere gelten die Gleichungen
(61) {x,x)==^E^+Jdö{X),
iß, «>) w
(62) ^w=2:t+y-i^-
Die Resolvente K(X, x) ist mit K{x) durch die Relation
(63) K(A; X, y) - XK{x, .)K(A; .,y) = (x, y)
verknüpft, die für alle außerhalb des Spektrums von K liegenden Werte
von X gültig ist.
Setzen wir
K(A; X, y) = (c^x^ -{- cc^x.^ -\ ,
wo «1, «2) • • • gewisse lineare Funktionen von yi,y2, ■ - • niit konvergenter
Quadratsumme sind, so folgt aus (63) durch Gleichsetzung der Koeffizienten
von X :
ccp - X ^kp,^a^ = yp (p = 1, 2, . . .),
(?)
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 139
d. h. a^, Ko, . ■ . lösen diese inhomogenen*, aus der quadratischen Form
(x, x) — XK{x) (wo X außerhalb des Spektrums liegt) entspringenden un-
endlich vielen Gleichungen, wenn xj^, y^, ... irgendwelche Größen mit
konvergenter Quadratsumme sind; sie sind die einzige Lösung mit kon-
vergenter Quadratsumme. —
Wir wollen nunmehr das Verhalten der Resolvente K(il, x) für einen
innerhalb des Spektrums von K liegenden Wert von X untersuchen.
Zu dem Zwecke setzen wir
X = V -\- iv j
wo V, V reelle Zahlen bedeuten, und fragen, ob das Produkt
für v' = 0 einem Grenzwerte zustrebt.
Es sei zunächst v eine Verdi chtungsstelle der Eigenwerte von K{x),
aber nicht gleich einem Eigenwerte von K(x)-^ dann setzen wir
ip)
und bezeichnen mit r,„ denjenigen unter den Eigenwerten Xj, . . ., A,,^, der
dem Werte v am nächsten liegt. Nehmen wir nunmehr m so groß, daß
gerade noch
ist, so wird
lUr « < m \-. r < -. < j : < Vv
Xf-p A t-p V I V,„ V\ '
und für |j ^ m gewiß '■. ^ 1
und daher auch
l'' - ^2j^ ^ ^^^-^^ + • • • + ^J + K. <V7-\-B,^.
(p)
Da nun für v = 0 notwendig m über alle Grenzen wächst und daher i?„,
gegen Null konvergiert, so folgt
(64) ,.L{(—>-)2^->.]-^-
(P)
Die letztere Grenzgleichung gilt gewiß auch, wenn v weder Verdichtungs-
stelie der Eigenwerte von K(x) noch selbst gleich einem Eigenwert ist.
Aus diesen Tatsachen entnehmen wir andererseits, daß, wenn v dem
Eigenwerte X gleich ist, stets notwendig
(p)
ausfällt.
140 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
Es sei jetzt v ein Punkt des Streckenspektrums s und ju' eine reelle
Zahl > V. Nehmen wir alsdann
V = (v — ii'Y,
so erhalten wir durch eine ähnliche Abschätzung des bis /t' erstreckten
Integrales
(66) L{(v-«7f^')) = 0.
a(i)
Ebenso folgt auch
(67) ij(,_,)jl«(.)) = 0.
f7(-oo)
Wegen
folgt aus (64), (65), (66), (67), daß
(68) ' ' = 0
bzw. = /l„E„
ist, je nachdem v keiner der Eigenwerte von K{x) ist bzw. dem Eigen-
wert A„ gleich wird.
Als Ergänzung hierzu tritt, wenn
A = «'v'
gesetzt wird, die Grenzgleichung
iK(/l, a;) = 0
(69) »'==0 ^
bzw. = jE"« ,
je nachdem A = oo kein Eigenwert ist oder als solcher gerechnet werden
muß. Um dies einzusehen, dienen die analogen tJberlegungen wie vorhin:
man nehme bei der Untersuchung der Summe m so groß, daß gerade noch
V > vj'y wenn v^ den absolut größten der Eigenwerte Aj , . . . 2„, bedeutet,
und nehme bei der Untersuchung des Integrale v = [i^.
Bedeutet [i irgendeinen außerhalb das Spektrums von K^ liegenden
Wert, so folgt aus (6l>) durch Faltung mit K(.«; a', i/)
A^(.,.)K(A;.,a;)K(.«;.2/) = Ka;.,r^-)K(u;.,y)-KCu;:r,«/).
Aus dieser Formel und derjenigen, welche aus ihr durch gleichzeitige Ver-
tauschung von A; rTj, a'g, ... mit ii-^ Vi, V»' ■ ■ - entsteht, finden wir die Formel
(70) (A - iu)K(A; rr,.)K(/i; i/, .) = AK(A; x, y) - .«K(/t; x, y).
Bedenken wir nun, daß die Faltung
K(A;^,.)K(^;.,?/)
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. 141
denjenigen Ausdruck bedeutet, der entsteht, wenn wir in K(A; x, y) an
Stelle der Variabein ^1,2/2, • • • bzw. die Werte
eintragen, so erkennen wir aus (68), daß bei festgehaltenem u und für
X = X -\- iv'' die Limesgleichung
(71) Lil^- 2)K(A: x,.)K(^r,.,y) = l^E/x,.)K(ß', . ,y)
gelten muß. Da andererseits ebenfalls mit Rücksicht auf (68) in gleichem
Sinne
(72) i:(A^- ;0 { AK(Z; x, y) - .«K(a-, x,y)] = l^E^^x, y)
v'= 0 /' >'
wird, so folgt aus (71), (72) wegen (70), wenn wir noch X statt u
schreiben;
(73) E^ix, .) K(A; jy , .) = ^^-^^ E^{x, y).
Setzen wir in dieser Gleichung wiederum l = X -}- iv', so folgt aus
ihr durch Multiplikation mit l — X und Anwendung von (68) die Formel
('4) E^{x,:)E^{.,y)=^E^{x,y).
Nehmen wir jedoch zuvor in (73) an Stelle von p den von p ver-
schiedenen Index ci und verfahi-en dann in gleicher Weise, so folgt
(75) E^(x,)E,^{.,y) = 0, (p^q).
Mit Benutzung von (69) erkennen wir in gleicher Weise, daß die
Formeln (74), (75) auch gültig sind, wenn statt E die ev. zu X = 00
gehörige Eigeuform E^ gesetzt wird.
Setzt man den Wert von K{X; x, y) aus (60) in (73) ein, so folgt
aus (74), (75), daß identisch in X die Gleichung
(76) E/x,.)p-^^-0
w
erfüllt ist; dieselbe Gleichung gilt auch ev. für die Eigenform E^.
In der nachfolgenden Betrachtung verstehen wir allgemein unter
einer Eiyizelform eine solche beschränkte quadratische Form E, deren
Punktspektrum im Endlichen nur aus dem einen Punkte 1 besteht und
die kein Streckenspektrum besitzt. Wenden wir unsere Darstellung {Q2)
auf die Einzelform E an, so folgt, daß E selbst die zum Eigenwert 1
gehörige Eigenform ist und mithin wegen (74) der Relation
(77) E{x,)E{.,y)=^E{x,y)
142 Kap. X[. Theorie der orthogonalen Transformation.
genügen muß. Umgekehrt, wenn eine beschränkte quadratische Form E
der Relation (77) genügt, so erhalten wir für ihre Resolvente bei An-
wendung der Formel (59) den Ausdruck
(x, x) + lE+r-E + (x, x)-E-\- ^^^^,
und hieraus erkennen wir mit Rücksicht auf (68), (69), daß E nur den
einen endlichen Eigenwert 1 besitzt, und sodann folgt auch das Nicht-
vorhandensein eines Streckenspektrums; d. h. E ist eine Einzelform.
Wenn
irgendwelche Linearformen in endlicher oder unendlicher Zahl bedeuten,
deren Koeffizienten den Relationen
{>■)
L,(,)L^(.) = yi,rhr=0 ip + q)
{'■)
genügen, so heiße jenes Formensystera ein System orthogonaler Linear-
formen oder kurz ein orthogonales System.
Der enge Zusammenhang des so definierten Begriffes mit dem Be-
griff der Einzelform wird erkennbar durch den folgenden Satz:
Jede Einzelform ist als Summe von Quadraten der Linearformen eines
orthogonalen Systems darstellbar, und umgekehrt stellt die Summe der Quadrate
der Linearformen eines orthogonalen Systems stets eine Einzelform dar.
Zum Beweise der ersten Aussage bedenken wir, daß, wenn
E{x) =^2ep,x^x^
gesetzt wird, wegen (77)
^11 ^^ ^ll' ~r ^12"" r ^13 "!"•■■
sein muß; wenn daher die Variabele Xy in E überhaupt vorkommt, so ist
gewiß der Koeffizient von x^^ in E positiv. Setzen wir
so erhalten wir wegen (77)
L,(,)E{x,.)^L,(x),
AQA(.) = i-
Bilden wir daher
(78) E,ix) = Eix)-rL,{xy,-
80 ergibt sich
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 143
(^^^ ■ E,{x,.)E,(,,y)^E,(x,y),
d. h. E^ ist ebenfalls eine Einzelform; da E^ als solche eine definite
Form ist und wegen (78) der Koeffizient von x^^ in E^ den Wert Null hat,
so kommt die Variable x^ in E^ überhaupt nicht vor.
Wenden wir das nämliche Verfahren statt auf E nunmehr auf E^
an, so gelangen wir zu einer Linearform L^ und der Einzelform
E,{x) = E,(x) - L,(xy = E(x) - L,(xf - L.ixf,
die die Variablen x^, x., nicht enthält; zugleich folgt aus (79)
Schließlich ergibt sich der Ausdruck
E{x) - L,(xy - L,(xf
als eine definite beschränkte Form, die keine der Variabein x^^, x.^, • • •
enthält und daher identisch NuU ist, d. h. es ist
E{x) = L,(xf ^L,(xf + ---
Um die umgekehrte Aussage des Satzes zu beweisen, bilden wir zu-
nächst aus den ersten 7n Linearformen X,,...,iv,„ des vorgelegten ortho-
gonalen Systems den in x^fX^,... linearen Ausdruck
3I(x) = (x, y) - L,(x)L,(ij) L^{x)LJy).
Da die Quadratsumme der Koeffizienten von M{x)
M{:)M(:) = (tj, y) - L,(yf LJy?
wird, so folgt, daß hier auch die rechte Seite positiv ausfällt; mithin
stellt auch die endliche bzw. unendlich fortgesetzte Formenreihe
L,{yf + L,{j)-f + ■ - ■
eine beschränkte quadratische Form dar, und wegen der Orthogonalitäts-
eigenschaften der Linearformen L^, L^, . . ■ folgt sodann, daß diese Form
die Relation (77) erfüUt.
Die Einzelform (x, x) und nur diese besitzt auch A = oo nicht als
Eigenwert.
Wir wenden nun die vorstehenden Ergebnisse auf die Eigenformen
der quadratischen Form K{x) an. Lidern wir die sämtlichen Eigen-
formen Ep bzw. Ej^, E^ von K(x), die wegen (74) Einzelformen sind,
als Summen von Quadraten linearer orthogonaler Formen :c/, x^', . . •
darsestellt denken, orelansen wir in iolojender Weise zu einer orthogonalen
Substitution der Variabein j\, x^, ....
Wir bilden zunächst die Form
(Xf Xj x^ ~ x^ ■ ■ ■ 1
144 K^ap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
dieselbe genügt der Relation (77) und ist daher eine Einzelform der
Yariabeln x.^, Ci\, . . .: setzen wir dieselbe in die Gestalt t^- -f ^g" + " ' '?
wo I,, Ig? • • • ebenfalls ein orthogonales System linearer Formen bedeuten,
die auch zu x^, x{ . . . orthogonal sind, so haben wir
{X, X) = xC'^Xp^- . • + 1^2^ 1,2^ . . .,
und mithin definieren die linearen Formen x^, x^^ . . ., 1^, ^2> • • • zusammen-
genommen eine orthogonale Substitution der Variabein x^, x^, . . .
Da die Gleichung (7G) gewiß für alle in genügend kleiner Umgebung
von A = 0 liegenden Werte von l gelten soll, so schließen wir, da man
jede stetige Funktion w{)x) in dem 0 nicht enthaltenden Intervall s durch
lineare Aggregate von Funktionen 1 — gleichmäßig approximieren kann,
daß auch für jede stetige Funktion iv{\i)
Ep{x,.)fw(ß)d6i)L',.,y)=^0
(')
und folglich auch für alle /t
(80) E/x,.)ö(ß',.,y) = 0
sein muß. Denken wir nun hierin an Stelle der Variabein x^jX^, ... die
Variabein x{, x^, ■ . ., $1,^2» • • • eingeführt, so lehrt (80) mit Rücksicht
auf die Kovarianz der Faltung bei orthogonaler Transformation, daß die
so transformierte Spektralform von den Variabein x^, x.^', . . . frei ist; wir
bezeichnen sie mit ^f/t; |). Die Formel (60^ nimmt alsdann die Gestalt an
wo \, A"2, • . . die betreffenden reziproken Eigenwerte bedeuten, nachdem
sie in eine einfach unendliche Reihe gebracht worden sind, wobei derselbe
Wert mehrfach vorkommen kann.
Um die charakteristischen Eigenschaften der Spektralform l(ji-, |) zu
finden, tragen wir in (70) den eben gefundenen Ausdruck (81) für die
Resolvente ein; wir erhalten
J 9 J Q
'rfr(pj,»l) .. /^d^(Q;^,ri)
^ ^ I . l^
-J Q 'J Q
und mit Rücksicht auf die Identität
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 145
X ^ a
1 1 — —
Q e 1 1
Q Q
folgt
Da diese Gleichung für alle Werte von X, ^ gültig sein soll, so schließen
wir wie oben, daß auch für beliebige stetige Funktionen u{q), v(q)
fu{Q)d^{Q] ^,.)J'v(Q)dti9].,v) -ß(.Q)v(Q)dt(Q] I, v)
gilt; für u(q) = v{q), | = f? nimmt die gefundene Relation die Form an
f(tliQ)ydt(Q] I) =fu{Q)dtiQ] l.)fuliQ)dt{Q;.,^).
Weiterhin folgt aus (81), für 1 = 0
(|,|)=pe(^;|).
W
Da umgekehrt aus der vorletzten Relation die vorhergehenden und
mithin schließlich auch (70) und daraus mit Hilfe der letzten Gleichung
auch (63) gefolgert werden kann, so erkennen wir, daß die beiden zuletzt
gefundenen Bedingungen zur Charakterisierung der Spektralform t, auch
hinreichend sind. Aus (68), (69), (74) folgt die eindeutige Bestimmtheit
von 2 , E,,, und andererseits schließen wir, daß auch die Spektralform
durch die obigen für sie charakteristischen Relationen und durch die
Forderung, es solle K die Darstellung (62) gestatten, eindeutig bestimmt
ist; denn die eben angedeutete von den Eigenschaften der Spektralform
ausgehende Betrachtungsweise ergibt, daß die Resolvente durch (60) dar-
gestellt ist, und daß also wegen deren eindeutiger Bestimmtheit auch
/— ^ y für aUe A und daher auch die Spektralform selbst eindeutig
W
bestimmt ist.
Wir fassen die orewonnenen Resultate wie folgt zusammen:
Satz 33. Jede beschränJde quadratische Form K unendlich vieler
Variablen läßt sich stets und nur auf eine Weise durch eine orthogonale
Substitution in die Gestalt bringen
K = iw+'W+---+ß~^t'^''
Math. Monogr. 3: Hubert, Ud. lategralgloichungcu. 10
146 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
WO l\, Jc2, ... gewisse absolut iinterhalh einer endlichen Grenze liegende
Größen {die reziproJcen Eigemverte) bedeuten und die Speliralform (j(ju; ^)
die zu ihrer Charakterisierung hinreichenden Belationen
(82) f{ui[i)yd6ir, 5) =fuifi)da{^;^,.)fu(^u)da{p-.,l),
(*) {*) (.")
(I, I) = fda{^', I)
(h
identisch für alle stetigen Fmikiionen «(ft) erfüllt
Setzen wir in (63) X = X -\- iv, so folgt uacli Multiplikation mit
Ajj — A für V = 0 wegen (68) :
Wenn wir E als Quadratsurnnje eines orthogonalen Systemes darstellen:
so ergibt sich durch Faltung mit Lp,^(y):
d. h. die Gleichung
lLQK(x,.) = L{x)
kann durch eine beschränkte Linearform L gewiß dann identisch in
x^^a'o,... befriedigt werden, wenn l einer der Eigenwerte von K ist.
Ebenso folgt aus (69), daß
L{.)K(x,.)==0
gewiß dann befriedigt werden kann, wenn X = oo ein Eigenwert ist.
Wir können uns jetzt auch umgekehrt davon überzeugen, daß die obige
Gleichung nur in diesem Falle durch eine beschränkte Linearform lösbar
ist. Mit Rücksicht auf Satz 33 bedarf es dazu nur des Nachweises, daß,
wenn L eine beschränkte Linearform der Variabein |j, 1,; • • • ist, die
Relation
w
für keinen Wert von X statthaben kann. Bezeichnen wir die Koeffizienten
von L mit l, so nimmt die letztere Relation die Gestalt an
aJ^^'') = (I,0-
Hiervon subtrahieren wir die Relation
p<^t;|,Z) = (|,Z)
und erhalten so die Relation
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 147
J(l- '^)da{^-ll)-0,
(■*)
die ebenfalls identisch in |j, I2? • • • erfüllt wäre. Nehmen wir nun in (82)
n(ii) = 1 , so folort hieraus
/(
i--^ydö(^i',i)=o,
und dies ist, da
fdadr, l) = (l, l)
ist und da 6 nie abnimmt, nur möglich für (?, ^) = 0; wir gewinnen so
folgende Tatsache:
Satz 34. Wenn K irgendeine 'beschränJde quadratische Form ist, so
ist die Belation
XL{.)K{x,.) = L(x)
durch eine heschränJcte Linearform L dann und nur dann lösbar, wenn l
ein Eigenwert von K ist.
Insbesondere ist die Gleichung
L(.)Kix,.) = 0
dann und nur dann lösbar, wenn A = oo ein Eigenwert von K ist. Ist
A = 00 kein Eigenwert, diese Gleichung also nicht lösbar, so heiße die
quadratische Form abgeschlossen.
Wir wollen uns fortan in diesem Kapitel XI mit gewissen
zwei Spezialfällen des Satzes 33 ausführlicher beschäftigen.
Wir nennen eine Funktion F(x^, oc^, . . .) der unendlich vielen Variabein
x^^, x^, . . . für ein bestimmtes Wertsystem derselben vollstetig, wenn die
Werte von F(x^ + ^i? ^2 + ^2» • • •) g®»®^ ^®^^ Wert F(x^, X2, . . .) kon-
vergieren, wie man auch immer s^, ^2; • • • ^^^ ^^^^ ^^ Null werden läßt
d. h. wenn
LF{X^ + £1, 0^2 + «2» • • •) = F(^U ^27 • • •)
f 1 = 0, f j = 0, . . .
wird, sobald man £^, e^, . . . irgend solche Wertsysteme £^^''\ £3'^^ • • • durch-
laufen läßt, daß einzeln
h = oa h — aa
i.st. Wenn eine Funktion für jedes Wertsystem der Variabein mit kon-
vergenter Quadratsumme vollstetig ist, so heiße sie schlechthin vollstctig.
An den Begriff der Vollstetigkeit knüpfen sich unmittelbar folgende Schlüsse.
10*
148 Ka^p. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
Hat eine rollstetige Funktion F die Eigen.scliaft, absolut genommen
für alle Werte der Yariabeln unterhalb einer endlichen Größe zu bleiben,
so besitzt sie — wie leicht durch das bekannte für endliche Variabeln-
zahl angewandte Verfahren bewiesen werden kann — ein Maximum. Be-
deuten ferner L^{x), . . ., i„,(^) noch m weitere vollstetige Funktionen
der Variabein x^, x^, ... und werden nur diejenigen Wertsjsteme dieser
Variabein zugelassen, die den Bedingungen
genügen, so besitzt F ein relatives Maximum; dabei sind die Variabein
stets an die Ungleichung
{x, x) -^l
gebunden.
Eine beschränkte Linearform der Varial)eln x^, Xc^, ... ist, wie man
sofort sieht, auch vollstetig in diesen Variabelu. Wir schließen daraus
leicht, daß eine vollstetige Funktion der Variabein x^, x^, ... durch
orthogonale Transformation derselben wiederum eine voUstetige Funktion
der neuen Variabein wird.
Ist eine beschränkte quadratische Form K vollstetig, so ist offenbar,
daß ihre Eigenwerte sich im Endlichen nicht häufen; zugleich läßt sich
zeigen, daß ein Streckenspektrum überhaupt nicht vorhanden sein kann.
Aus Satz 33 gewinnen wir mithin folgendes Resultat:
Satz 35. Wenn eine hescJiränJde Form K vollstetig ist, so läßt sie
sich stets durch eine orthogonale Substitution in die Gestalt bringen
(83) K{x) = \ x^- -^-^x^--] ;
dabei sind die Größen \, 1:^, . . . die reziproken Eigenwerte von K und
besitzen, falls sie in unendlicher Anzahl vorkommen, Null als einzige Vir-
dichtungsstclle.
Wegen der mannigfaltigen und wichtigen Anwendungen dieses Satzes
O Od o O
geben wir hier für ihn einen sehr einfachen und von der obigen Theorie
unabhängigen Beweis.
Wir nehmen zunächst an, daß K eine positiv definite Form sei;
alsdann seien
Xj ^= 11; ^2 12? • • •
solche Werte der Variabein, für welche K{x) das Maximum l\ erlangt.
Offenbar fällt die Quadratsumme dieser Werte gleich 1 aus, da wir ja
sonst den Wert der Form ohne Verletzung der Bedingung (x, x) ^ 1
vergrößern könnten.
Wir setzen
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. 149
und bestimmen, indem wir nunmehr den Variabelu die Bedingung
auferlegen, das relative Maximum /r« von K(x)'^ dasselbe werde für die
Werte
X^ = t2i j -^2 ^^ ^22 > • • •
erlangt, deren Quadratsumme wiederum gleich 1 ausfallen muß. Ferner
setzen wir
J-'2 \^) '^^ '21 *^i ~r ^22 '^2 ~r ■ ■ ■
und bestimmen, indem wir den Variabein die Bedingungen
L,{x) = 0, L^{x)==0
auferlegen, das relative Maximum Ä'g von K{x)-^ dasselbe werde für
'^l "^^ ^31 j ^2 ^^ '32 ; • * •
erlangt. Wir setzen dann
■^SV^) ^^ ''31 "^1 "r '32''^2 I ■ * ■
und erhalten durch Portsetzung dieses Verfahrens ein System von linearen
Formen L^, L^, L^, . . . mit den Orthogonalitätsei genschaften
L,{.)L,i.) = 0 0 + g).
Auf Grund der früheren Betrachtungen (S. 143) bestimmen wir zu
diesen Linearformen ein solches System von Linearformen
3I,ix), M,ix), ...,
daß
»A/i — -^-^1 V / J
X2 = 1^2 i."^) f
y^-=3I^(x),
y^^M^ix),
eine orthogonale Substitution der Väriabeln x^, x^, . . . bilden. Die ver-
möge dieser orthogonalen Substitution transformierte Form K{x) be-
zeichnen wir mit K(x', y). Der Koeffizient von xp in K{x, y) muß offen-
bar gleich Ä:^ ausfallen. Andererseits dürfen weitere x^ enthaltende Glieder
in K{x', y) nicht vorkommen, da ja die Differenz
K{:»f, y) - \ {x^' + x;^ + . . . -^- ^^2 ^ ^^^ _^ . . .) = K{x) - \ (x, x)
für alle Werte der Variabein x^, x^, . ■ ., y^, y2, ■ ■ • negativ oder Null
ausfallen soU. Da die nämlichen Überlegungen für x.2, x^, . . . gelten, so
haben wir
Kix, y) = l^.xC- + A-2<2 -h • • • + R{y),
150 Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation.
■WO jR(y) eine quadratische Form bedeutet, die allein die Variabein y^yy^, . . ■
enthält.
Da K vollstetig ist, so gilt dies auch von der Form
K{x% 0) = h^x^^ + h^xp + • • •,
und mithin müssen die Größen /.j, Ic^, . . ., falls sie in unendlicher Anzahl
vorkommen, gegen Null konvergieren; denn sonst würde es eine Reihe
von Werten von K{x'0) geben, die gegen einen von Null verschiedenen
Wert konvergiert, während jedes der Argumente x^', a;/, . . . für sich gegen
Null konvergiert.
Gäbe es nun ein Wertsystem y^ == m^, y^ = m^, . . ., für welches
Il{'»i) > 0 ausfiele, so könnte man q so bestimmen, daß auch IKjn) > A'
wird. Alsdann würde für
V = 0, < = 0, . . ., 7j^= m^, y.^ = m,, . . .
auch K^li^ ausfallen; die Gleichungen
A(^) = ^j •^2(^) = ö> • • •• M^{x) = m^, M^ioc) = Wg, . . .
würden mithin ein Wertsystem der Variabelu x^, x<^, ... bestimmen, für
welches insbesondere die Bedingungen
L,{x) = Q, ..., Ivi(^) = 0
erfüUt sind und zugleich K^l;^ ausfällt; dies widerspricht der Be-
stimmungsweise von k^, und mithin ist Il(y) nicht positiver Werte fähig.
Wegen „.„ . ,-,. .
K{0, y) = R{y)
ist jR(y) gewiß auch negativer Werte nicht fähig, und folglich ist B,{y)
identisch gleich Null; d. h. es ist
K{x) = hW{x) + \W{x) + • • •.
Wird K{x) nicht als eine definite Form angenommen, so führt die
nämliche Überlegung auf die Darstellung
K{x) = \L,\x) + h,W{x) + • • • + B{y),
wo jR(«/) positiver Werte nicht fähig ist. Da sodann — -R(«/) als positiv
definite Form eine Darstellung derselben Art zuläßt, so erhalten wir schließ-
lich auch für K eine Darstellung durch die Quadrate orthogonaler Linear-
formen, und damit ist der Beweis für den Satz 35 vollständig erbracht. —
Ein hinreichendes Kriterium für die Vollstetigkeit einer Form ge-
winnen wir durch folgenden Satz.
Satz 36. Wenn für eine quadratische Form K eine der Summen
(P, <j) {P, 9)
p, q, r, «)
Kap. XL Theorie der orthogonalen Transformation. ]51
endlich bleibt oder wenn für eine definite quadratische Form K eine der
Summen
(p)
(P. <1, '■)
endlich bleibt, so ist K eine beschränkte vollstetige Form.
lu der Tat, ist K eine quadratische Form, deren Koeffizienten eine
endliche Quadratsumme besitzen, so folgt wegen
notwendig
^(^)!^V'JV
{p,g)
Durch Anwendung dieser Tatsache auf die quadratische Form
Rix) - K^ix) =2^\,x^x^,
ip.'j)
wo rechts p, q alle ganzzahligen Wertepaare, abgesehen von solchen, für
die zugleich jj ^ n und q^n ist, durchläuft, finden wir
\K{x)-K^{x)\<-\/2^r,)T,^,\
und hieraus entnehmen wir, da doch
wird, die verlangte Vollstetigkeit von K{x).
Ist K eine definite Form, so muß
sein, und es ist mithin
(p, g) (p)
wenn also bei einer definiten Form ^k„„ endlich bleibt, so haben ihre
Koeffizienten gewiß auch eine endliche Quadratsumme, und die Form ist
nach der vorigen Betrachtung wiederum eine vollstetige Funktion der
Variabein.
Nunmehr erkennen wir leicht der Reihe nach folgende Tatsachen:
1. Wenn eine beschränkte quadratische Form K nicht vollstetig ist,
so ist sie auch für das besondere Wertsystem 0, 0, . . . nicht vollstetig.
Diese Behauptung folgt durch Anwendung der Formel
K{x + a) = K{x) + 2K{x, a) + K{a),
]^52 Kap XL Theorie rier orthogonalen Transformation.
wenn darin für a, , a^, ■ . . ein Wertsystem genommen wird, für welches K
nicht vollstetig ist — mit Berücksichtigung des Umstandes, daß K(x, a)
als eine beschränkte Linearform gewiß vollstetig ist.
2. Wenn K eine vollstetige quadratische Form ist, so ist es auch
die Form KK] dies ergibt unmittelbar der Satz 35.
3. Wenn K eine vollstetige, 7l* irgendeine quadratische Form ist
und für alle Wertsysteme x^, x^, . . ■ die Ungleichung
K*(x) £\K{x)\
gilt, so ist auch K''- vollstetig; denn aus dieser Ungleichung folgt die
Vollstetigkeit für das Wertsystem 0, 0, ....
4. Wenn K eine vollstetige, Ä^* eine beschränkte Form ist, so ist
die Faltung beider Formen vollstetig; wegen
I K{x, .)K'^{x, .) ^ V{KK{x)){K''K*{x))
ist nämlich diese Faltung für das Wertsystem 0, 0, . . . gewiß vollstetig,
da nach 2 die Form KK vollstetig ist.
5. Wenn die Faltung KK einer quadratischen Form K mit sich selbst
vollstetio- ist, so ist es auch die Form K selbst; dies ergibt sich ebenso
vermöge 1 aus der Ungleichung
\K{x)\^yKK{x).
6. Ist eine der Formen, die durch wiederholte Faltung aus der be-
schränkten Form K entstanden sind:
K^^)=KKK, K^')=KKKK, K'^)=KKKKK, ...
vollstetig, so ist auch K vollstetig. Denn ist etwa K^^'> vollstetig, so
sind wegen 4 auch die Formen
^(/+i\ K(^+'\ ...
vollstetig; wählen wir unter diesen eine Form aus, für die die Faltungs-
zahl eine Potenz von 2 ist, etwa ÜT'^ \ so schließen wir durch ^- malige
Anwendung von 5 auf die Vollstetigkeit von K.
7. Wenn K eine beschränkte definite Form ist, so sind auch die
Faltungen K'-^\ K'^^\ . . . definit; denn es entsteht beispielsweise X'^^ aus K,
indem wir in K{x) an Stelle der Variabein x^ die Ausdrücke g^ "
einsetzen.
Da nun allgemein s^ nichts anderes als die Invariante Ä''-^^(. , .) d. h.
die Summe der Koeffizienten von xj^ in K'-^^ ist, so folgt aus 6 und 7,
da der Fall /"= 1 bereits zuvor erledigt worden ist, die Richtigkeit des
Satzes 36 allgemein.
Aus Satz 35 und 36 entnehmen wir die folgende Tatsache:
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. 153
Satz 37. Eine quadratische Form K, die eine der Voraussetzungen
des Satzes 36 erfüllt^ gestattet gewiß die orthogonale Transformation (83) auf
eine Quadratsumme.
Ein (Tegenstück zu dem iu deu Sätzen 35 — 37 behandelten
Fall bildet die Annahme, daß die Form K kein Punktspektrum,
sondern nur ein Streckenspektrum besitzt. Um hier nur deu ein-
fachsten Fall — der überdies typisch ist — ins Auge zu fassen, fügen
wir dieser Annahme noch die weiteren hinzu, daß das Streckenspektrum s
aus einer endlichen Anzahl von Intervallen bestehen möge, daß ferner die
Koeffizienten der Spektralform a{n, |) stetig differenzierbare Funktionen
von n seien und endlich, daß, wenn
d6{iL,i)
= ^C«J)=^v,,(/^)l,l,0
gesetzt wird, i'^iß) innerhalb s nirgends verschwindet und, wenn der
Kürze halber
^,(a) = ^iM, ^, = -%^, ...
ist, diese unendlich vielen Funktionen i-'ii^), il'^i^), . . . linear voneinander
unabhängig ausfallen, in dem Siune, daß bei willkürlicher Wahl von u(ji)
zwischen den Integralen
(84) Ju (ji) i^'j (fi) da , Ju (ju-) j^'2 (jit) du, ...
keine lineare Relation bestehen soll, deren Koeffizienten Konstanten mit
endlicher Quadratsumme sind.
Führen wir in die Relation (82) diese Annahmen ein und setzen
g,= l, ^,= 0, ^3 = 0, ...,
und an Stelle von n((i) die Funktion
so ergibt sich
(85) J{u(g)Ydii= 2 [Ju{iv)i,/p.)d^i}\
und hieraus entnehmen wir die allgemeinere Formel
(86) fu(fi)v{(i)dti = ^ fu([i)ip^Xf^)d^ifv(fi)ii;^{ii)d^.
W (p=l. 2, ...)w M
Für
^■(/*) = %(^)
folgt mithin
1) Diese Gleichungen und die daraus entspringenden gelten nur für jeden
Abschnitt, da i|)(/x, |) nicht beschränkt ist.
154 Kap. XI, Theorie der orthogonalen Transformation.
(87) fu(^i)t,(ti)dii= ^ ftj,(fi)%((i)d(iftl;^((i)u([i)dii.
W (p = l, 2, ...)W (,,)
Aus unserer Anmihme über die lineare Unabhängigkeit der Integrale (84)
erkennen wir, daß die Relation (87) identisch für alle Funktionen u(fi)
nicht anders erfüllt sein kann, als wenn
(88) fitl^^wyd^^h
(')
Jt,{li)%{li)dii = 0 (j)^q)
ist.
Wegen des positiv definiten Charakters der Form il'{ii, ^) ist
(^u(^)^i + ^i2C")l2 H y£ ti^i, ^)tn
oder
(89) (t, (^) I, + t, (^)S3 +---y£ii^, !)•
Andererseits haben wir wegen (88)
/(z^i^i + j/',§2 -i )-d^ = (^, I),
und, da auch
ist, so wird
(■0
/{ tlj(^, I) - (rpM^, + t2(^% + ■ ■ ■y]d^ = 0.
(*)
Da aber der hier unter dem Integralzeichen stehende Ausdruck nach (89)
für keinen Wert von (i negativ ausfällt, so ist er stets gleich Null, d. h.
es ist
tili, I) = (^1 '»§1 + t2(f^\l, + • • •)'■
Wir ersehen hieraus, daß unter den gemachten Annahmen die
charakteristische Eigenschaft der Spektralform ö{u, ^) darin
besteht, daß ihre Ableitung nach /a das Quadrat einer Linear-
form wird, deren Koeffizienten die Orthogonalitätseigen-
schaften (85) und (88) besitzen. Da umgekehrt eine solche Form
alle charakteristischen Eigenschaften einer Spektralform erfüllt, so ist es
hiernach leicht, eine quadratische Form K zu konstruieren, deren Spektrum
aus einer Zahl gegebener Intervalle besteht: man bestimme für die Inter-
valle s ein vollständiges System von orthogonalen Funktionen j/^^, t^, ...
d. h. ein System solcher Funktionen, die den Relationen (85) und (88)
genügen, — was leicht geschehen kann (vgl. Kap. XIII) — und setze dann
m) =ß
Kap. XI. Theorie der orthogonalen Transformation. X55
Als einfachstes Beispiel diene die quadratische Form
(90) K(x) = x^x^ + x^x^ + x-^x^ H ;
diese besitzt kein Punktspektrum, und ihr Streckenspektrum besteht aus
den Intervallen
A = — oü bis — 1 und -f 1 bis -]- oo.
Wir finden
^/>")=]/~,7^sini?^,
'^ ' " j/sm t
WO t den zwischen 0 und jr crelegenen Wert von arc cos — bedeutet.
In der Tat bestätigt sich dann durch Rechnung
(+1- ■•+~j
In Bestätigung von Satz 34 haben ferner, wie man erkennt, die unendlich
vielen Gleichungen
X,-
Y ^2 =^,
x^
Y (^1 + ^s) = 0,
x^
j (x, + x^) = 0,
für keinen Wert von X Lösungen x^^, x^, . . ., deren Quadratsumme end-
lich bleibt.
Ein anderes Beispiel liefert die quadratische Form
.(... 2 , 4 , 6
( y 1 ) ■ " Xi Xn "T" , Xa Xa ~\- Xo Xa -p ■ * ■ 1
das Spektrum ist das nämliche wie im ersten Beispiel. Wir finden
wo die P die Legendreschen Polynome sind. Setzen wir noch
wo die Q die zugehörigen Kugelfunktionen zweiter Art bedeuten, so er-
hält die Resolvente von K folgende Gestalt:
K(A, x) = 2'^^t,{^)%,{^)Vr
156 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
Die beiden quadratischen Formen (90) und (91) lassen sieh durch
eine orthogonale Substitution der Yariabeln in einander überführen, wie
aus ihrer Dar»telluug durch die Spektralform hervorgeht.
Läßt man die oben gemachte Annahme der linearen Unabhängigkeit
der Funktionen i\(}i), 4'-2{^)) ■ ■ ■ fallen, so wird die Ableitung der Spektral-
form nicht ein Quadrat, sondern eine Summe von Quadraten linearer
Formen von entsprechender Art.
Zwölftes Kapitel.
Simultanes System quadratischer Formen, die Hermitesche
Form, die schief symmetrische Form und die Bilinearform
mit unendlich vielen Variabein.
Die in Kapitel Xi entwickelten Methoden und Resultate lassen sich
ohne prinzipielle Schwierigkeit auf allgemeinere Formen mit unendlich
vielen Variabein ausdehnen. Wir betrachten zunächst den Fall eines
simultanen Systems zweier quadratischer Formen, von denen die eine
definiten Charakter hat, die andere als Aggregat von positiven und
negativen Quadraten der Yariabeln vorgelegt ist. Mit Hilfe unserer
Methode des Grenzüberganges, ausgehend von Formen mit endlicher
Yariabelnzahl, können wir leicht die entsprechende Theorie entwickeln;
wir heben nur folgendes Resultat hervor:
Satz 38. Es sei eine positiv deflnite, vollstetige, abgeschlossene quadra-
tische Form K{x) und außerdem eine quadratische Form von der Gestalt
V{x) = ViX{^ + v^x^^ + • • •
vorgelegt, tvo v^, v.^, ... bestimmte Werte -\- 1 oder — 1 sind: alsdann gibt
es stets eine unendliche Reihe von Null verschiedener Größen x^, x^, . . .,
deren Vorzeichen bzw. v^, v^, . . . sind und die gegen JSidl Jconvergieren —
ihre reziproken Werte mögen Eigenwerte von K in bezug auf V heißen —
und von zugehörigen beschränkten Linearformen L^{x), L^{x), ... — sie
mögen die zugehörigen Eigenformen heißen — von solcher Art, daß die
„Polaritätsrelationen"
L^QVi.,.)L^(,) = v^,
erfüllt sind und daß ferner die vorgelegte quadratische Form die Darstellung
K{x) =\x, (Zi {x)f + 1 X2 : {U{x)f 4- • ■ ■
gestattet.
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 157
Man kann diesen Satz 38 auch ohne den Grenzübergano^ von end-
licher zu unendlicher Variabeinzahl leditrlich auf Grund des Satzes 35 mit
Ausschluß neuer Konvergenzbetrachtung-en beweisen.
Zu dem Zwecke bringen wir die Form K{x) nach Satz 35 durch eine '
orthogonale Transformation der Variabein a\, ^r,, ... in die Gestalt einer
Quadratsumme; wir bezeichnen die neuen Variabein mit x\, x\, ... und
finden
K{x) = \a:'^- -\- l\x'^- + • • •,
wo dann l\, /lo, . . . lauter positive Griißen sind, die gegen Null konver-
gieren. Ferner bezeichnen wir mit V'{x) die durch jene orthogonale
Transformation aus V{x) hervorgehende quadratische Form der Variabein
x\, x\, ... und endlich mit F'("|/Ä'|) diejenige quadratische Form der
Variabein |j, Ig? • • •> ^^^ f^us V {x') hervorgeht, wenn wir in derselben
an Stelle von x\, x'.^, ■ ■ ■ die Ausdrücke "l/A'^^j, "[//;., t,? ■ • • einsetzen.
Wir können nun leicht zeigen, daß V'iyic^) eine vollstetige Form
der Variabein ^j, So, ... ist. In der Tat ist, wie man sieht, F'(a:') als
Differenz zweier Eiuzelformen E^{x) und E^^x') darstellbar: diese ge-
nügen als solche den Ungleichungen
JE*! {x) ^ (x, x'), E^{x') ^ {x', x).
Setzen wir an Stelle von x\, x\, . . . wieder "j/^'j^lj, "//.'olo? • • ^^^} so
gehen diese Ungleichungen über in
E,(VH)<J^\'.^'+h^^+■■■, ■
E,{yii)<\l,'+h,l,'^---.
Wären nun diese Einzelformen nicht vollstetig in den Variabein t,^,^,.-,, . . .,
so müßten sich auch Wertsysteme «/"), a.^^"\ . . . finden lassen, für die
7i = 00 n =x '
wird, während die Einzelformen, die ja positiv definit sind, für
1,= «/"), §2 =«,(«), ...
Werte erhalten müßten, die oberhalb einer positiven von n unabhängigen
Größe bleiben; dies aber widerspräche den obigen Ungleichungen, da K{a^
vollstetig ist. Da demnach E^{'^hf), E.2{yii^ vollstetig in 1^, t^, ... sind,
so ist dies auch F'(|'''Ä-|). Die Tatsache der Vollstetigkeit von E^y^h^,
jBgd/^'b) in den Variabein |j, ^o, . . . folgt auch unmittelbar aus 4. auf
S. 152.
Nunmehr transformieren wir nach Satz 35 die Variabein |^, Ig? • • •
orthogonal in die neuen Variabein ^j', So', • • ■ derart, daß die Form
V'iykl) die Gestalt
158 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
erhält, worin x^, x,, . . . gewisse reelle Größen sind, die gegen NuU kon-
vergieren. Bezeichnen wir nun diejenigen Linearformen von x^,x^, . . .y
die aus den Formen £ '(^) hervorgehen, wenn wir darin für ^j, I2; • • •
bzw. die Ausdrücke yk^x^, y\x^j . . . einsetzen, mit %^\^)ix'\ so ist, da
jene Formen eine orthogonale Transformation definieren,
K{x) = (A^;)2 + ^hx-f + • • •
ferner wird:
.p (•) y iK^i, y^ ■) = " ^^^ a^^ + -^i; ^^ + • • •
= i;(l/L)r(|/A'|,.),
und folglich wird
Aus dieser Formel schließen wir in gleicher Weise
'^;iVk .) r (. , .^;(Vk .) = x^.V(-.^ V(-)-
Wenn wir nun wieder zu den Variabein x^, x^, . . . zurückkehren und all-
gemein mit A (x) diejenige Linearform von x^, x.2, - ■ ■ bezeichnen, die
dabei aus i,'\ykx') wird, so erhalten wir
und das ist wegen der Orthogonalität der Formen |/(|) gleich x^ (p = q)
oder gleich NuU (p+ö); andererseits wird
K(x) = yl^\x) + A^\x) + ■■'.
Wäre Kp = 0, so müßte für alle x^, x^, . . .
sein, was der Abgeschlossenheit von K und von V widerspräche; folglich
sind jCj, Xo, . . . lauter von Null verschiedene Größen.
W^ir können nunmehr die Summanden x^l^'^, Xglo'^i • • • in der obigen
Darstellung von F'()/A'|) derart angeordnet denken, daß allgemein -Ap das
Vorzeichen von Vp besitzt. In der Tat: eine solche Anordnung jener
Summanden wäre nur dann nicht ausführbar, wenn entweder die Anzahl
der negativen (bzw. positiven) Einheiten in der Reihe i\,i\,... endlich
und zugleich die Anzahl der negativen (bzw. positiven) Größen, die in der
Reihe Xj, Xg, . . . vorkommen, größer als die erstere Anzahl ausfiele, oder
wenn die Anzahl der negativen (bzw. positiven) Größen in der Reihe
Xj, X2, . . . endlich und zugleich die Anzahl der negativen (bzw. positiven)
Einheiten in der Reihe v^yV^, . ■ ■ größer als die erstere Anzahl ausfiele.
Wenn wir nun mit x^iyic^, x^i^k^, . . . diejenigen Linearformen in
Ij, ^2,... bezeichnen, die aus x^{x'), x.2{x'), . . . entstehen, wenn wir für
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 159
a;/, x^', ... die Ausdrücke yh^^^, Ylc^i,^, . . . einsetzen, so ist identisch in
bl; &2> • • •
da beide Seiten dieser Gleichung F'(}/^|) darstellen.
Wir nehmen — entsprechend dem ersten Falle — an, es seien
t\, . . .,r^, negativ (bzw. positiv), v^^^, ^^^2? • • • sämtlich positiv (bzw. ne-
gativ), ferner x^, ...,x^^i negativ (bzw. positiv). Da die Formen |/(^),
^g'd), . • • eine orthogonale Substitution bestimmen, d. h. ein vollständi-
ges orthogonales System von Linearformen — wie wir sagen wollen —
bilden, so ist jede beschränkte Linearform von ^^, ^3, . . . als lineare Kom-
bination der F6rmen li'(^)j l-/(.^)f ■ • ■ darstellbar; wir setzen insbesondere
x.iVH) =«1 Jx'(^) + «12^2'a) + ■'->
wo «ji, »12» • • •} ^ei} ^e2; • • • gewissc Koeffizienten bedeuten. Sodann be-
stimmen wir solche nicht sämtlich verschwindende Größen a^,..., a^^^,
die den e Gleichungen
genügen, und bilden die Gleichungen
re^2(l) = 0,
Die durch Auflösung dieser Gleichungen entstehenden Werte von |^, 12, ■ • •
würden einen Widerspruch ergeben, da sie in die vorhin aufgestellte
Identität
v,{x,{ymy -f v,{x,{yk\)y -f • • • = ^^{i,'{i)y + '^,{^^{i)T + • • •
eingesetzt der linken Seite einen nicht negativen ('bzw. nicht positiven)
Wert, der rechten Seite dagegen gewiß einen negativen (bzw. positiven)
Wert erteilen würden.
Um den zweiten der oben genannten Fälle zu behandeln, gehen wir
von der in a/, x^, . . • identischen Gleichung
v,{x,{x)f + v,{x,(x)y + . • . = X, (li'(^))V yc,[l,i^,j))' + . .:
160 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
aus, wo l^'l -| I '(-~=\, . . . diejenigen Linearformen von x^', x^, . . . be-
deuten, die aus li'(|), IgX^); • • • entstehen, wenn wir an Stelle von Ij,
t.,, . . . die Ausdrücke "^, -*^, . . . setzen. Da iedoch die Linearformen
tormen in x.
S/l _ 1 , 1, I ),... nicht notwendicr beschränkte Linearfc
-' \Vk )' '^ Via-/
x^', . . . werden, so hat obige Identität nur als Abschnittsgleiehung einen
Sinn, und das im ersten Falle eingeschlagene Verfahren bedarf der fol-
genden Modifikation.
Wir nehmen an, es seien jCi,...,x^ negativ (bzw. positiv), y-^^i,
Xg^2f • ■ • sämtlich positiv (bzw. negativ), ferner i\, . . ., v^*^ negativ (bzw.
positiv). Alsdann setzen wir
\i/t) ''^li'^i ' '^<^12^2 r ■ ■ ■?
t'(^) = «a< + «.2^2' + • • •
Ferner denken wir uns die Gleichungen
x^(x) = «j , . . . , x^^^(x) = a,^i, x^^^{x) = 0, x^^s(x') = 0, ...
nach x^', x^, . . . aufgelöst und stellen die Lösungen als Funktionen von
«1, . . ., «x^^i, wie folgt, dar:
Endlich bestimmen wir für jedes 11 solche e + 1 Größen a^''"\ . . ., a^'^\^i ,
daß nach Eintragung dieser Werte von x^', x^, ... die e + 1 Gleichungen
«11^1' + • • • + ^hn^n = 0,
für
«1 = V^; ..., a,+i = a("U
erfüllt sind.
Wählen wir nun solche n = n,^ aus, daß die Grenzwerte von a^"^^, . . . ,
^^"''W ^^^ h = 00 existieren, und setzen die durch diese Werte a^'''^'>\ . . .,
<^^"''\+i vermittelten Größen x^', . . . , x'^ in den «,^ten Abschnitt der obigen
Identität
v,{x,ix')y + v,{x,(x)y + ■ • • = >^i(^t'(^.)) V ^^2 (I2' (^^))'+ • • •
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 161
ein, so erkennen wir, daß die linke Seite dieser Identität, da sie eine be-
schränkte Form der A'^ariabeln x^, x^, . . darstellt und als solche nach
S. 127 stetig in diesen Yariabeln ist, in der Grenze für h = oo den Wert
— 1 erhält, während die rechte Seite beständig > 0 ausfüllt.
Hiernach sind beide Fälle als unmöglich erkannt, und wir dürfen
also von vorneherein allgemein x^, vom .selben Vorzeichen wie i\, an-
nehmen.
Setzen wir daher jetzt
y %p'
so sind die Linearfoi'men L^{x), L^ix), . . . von der im Satze 38 ver-
langten Beschaffenheit.
Das nämliche Schlußverfahren ermöglicht die Behandlung einer nicht
abgeschlossenen Form K.
Um dies einzusehen, bringen wir wiederum die Form K nach Satz 35
durch eine orthogonale Transformation der Variabein x^, x^, . . ■ in die
Oestalt einer Quadratsumme. Wir setzen
K{x) = l\X^'' + Ji2X.2^ + • • • .
WO /.j,/..,,.. . teils positive, teils verschwindende Größen sind.
Wir bezeichnen wiederum mit V\x') die durch jene orthogonale
Transformation aus V[x) hervorgehende quadratische Form der Variabein
A\', X.2, . . . und endlich mit F'(]/Ä'|) diejenige quadratische Form der Vari-
abein ^j, |o,- • •, die aus V'(x') hervorgeht, wenn wir in derselben an Stelle
Ton x^, X2 . . . die Ausdrücke Yk^h.^, Yk^^^j ■ • • einsetzen. Da F'(|/Ä|)
«ine vollstetige Form in |^, ^g; • • • ist, so können wir nach Satz 35 die
Yariabeln 1^, ^g? • • • orthogonal in die neuen Variabein 1^', |./, . . . trans-
formieren derart, daß
sind, worin x^, x», . . . gewisse teils positive oder negative teils verschwin-
dende Größen sind, die, wenn in unendlicher Anzahl vorhanden, gegen
Null konvergieren. Bilden wir endlich entsprechend wie vorhin die Aus-
drücke S/(]/Ä"ic'j und bezeichnen allgemein mit Ap{x) diejenige Linearform,
die aus ti'iykx) wird, wenn wir darin statt der Yariabeln Xy, x^, . . .
wieder die ursprünglichen Yariabeln x^, x^, . . . einführen, so wird wie
vorhin
K(x) = A,\x) + A,\x)+---,
yi^(.)F(.,.)4/.) = 0 04=?), bzw. =;., (jp = q).
Wir sprechen dieses den Satz 38 ergänzende Resultat wie folgt aus:
3Iath. Monogr. :!: Hubert, lin, Integralgleichungen 11
162 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
Satz 38*. Es sei eine positiv definite vollstetige quadratische Form
K{x) und außerdem eine quadratische Form von der Gestalt
'V{x) = v^i\^ -\- v^xj^ + • • •
vorgelegt, ico v^.v^,. . . hestimmte Werte + 1 oder — 1 sind: alsdann gibt
es stets eine Beihe von teils positiven odei' negativen, teils verschuindendcn
Größen y.^,y^, . . ., die, wenn in unendlicher Anzahl vorhanden, gegen Null
Jionvergieren, und von ztigehörigen heschränlden Linearformen A^{x), A^ix), . . .
derart, daß die Polarität srelationeti
M-)V{.,.)A,i.) = H„
A,{)A{.,.)A,{.) = 0, (p^q)
erfüllt sind, und daß ferner die vorgelegte quadratische Form die Dar-
stellung
K(x) = A,\x) + A,\x) + • . •
gestattet.
Unter einer Her mit eschen Form der unendlich vielen Variabein x^,.
^ij • ■ -filuy^y ■ ■ • verstehen wir eine Bilinearform dieser Variabein von
der Gestalt
H{x,y)= yh x„y
deren Koeffizienten hp,j komplexe der Bedingung
genügende Größen sind. Stellt sowohl Real- wie Imaginärteil von H(x, y)
eine vollstetige Funktion der reellen Variabein x^,x.2....,y^,y.2,--. dar^
so lassen sich reelle, im Endlichen nirgends sich verdichtende Werte
1^, X^, ... — die Eigenwerte von H — und zugehörige Linearformen mit
komplexen Koeffizienten L^{x),L^{x), ... — die Eigenformen von H —
finden, so daß _ _
{x, y) = L, (x)L,{y) + L^{x)LM + ■'■>
H{x, y) = h(^\^^y\ + hMLM 4. . . .
wird, und daß die Orthogonalitätseigenschafteu
erfüllt sind; die horizontalen Striche deuten die Vertauschung von / mit
— i an. — Der Beweis dieser Tatsache kann aualog wie unten der Be-
weis des spezielleren Satzes 39 geführt werden.
Nehmen wir die Koeffizienten der Hermiteschen Form rein imaginär
an und unterdrücken alsdann den Faktor /, so entspringt die schief-
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 163
symmetrische Form; unter einer schiefsymmetrischen Form verstehen
wir mithin eine Bilinearform der Variabein x^, x.^^ . . . , yi,y<>, • ■ ■ von der
Gestalt
^{x,y)= yisp.x y
deren Koeffizienten reelle der Bedingung
genügende Größen sind. Die vorhin für eine Herraitesche Form aus-
gesprochene Tatsache drückt sich für den besonderen Fall der schief-
symmetrischen Form, wie folgt, aus:
Satz 39: Wenn die schiefsymmetrische Form S(x,y) vollstetig ist, so
gibt es eine orthogonale Transformation der Variahein
/VI /y /y» /y.
•^1) ■^2> '*'3j ^4:! • • ■
in die neuen Variahein
SO daß, wenn die Variahein y^, y^, Vi, Va,, • • • wiitteJst derselben orthogonalen
Transformation simultan in die Variabein rj^, tj/, rj^, rj^', . . . übergehen, die
Form S die Gestalt
S(x, y) = /ii(^i^?i' — ^i'r^i) + A-^da^' - l^i]^) + • • •
erhält; dabei sind l\^ A'o, . . . Größen, die, falls sie in unendlicher Zahl
vorJiommen, Null als einzige Verdichtungsstelle besitzen.
Zum Beweise betrachten wir 2S(x, y) als quadratische Form der
unendlich vielen Variabein x^, y^, x^, y,^, . . . und erkennen sodann aus
Satz 35 das Vorhandensein von Größen A*j, Ä'^, . . . und zugehörigen Linear-
formen L^{x, y), L.2{x, y), . . . jener Variabein, so daß
2S(x;y) = \(L,(x, ij)y + i,{mx, y)y ^- • • •
und
(x, x) + {y, y) = (Li {x, yjf + (4 {x, ißf ^
wird. Mit Rücksicht auf die Eigenschaften der schiefsymmetrischen Form
S{x, y)= - S{y, x) ,
S(x,y) = -Si-x,y)
folgt leicht, daß in der obigen Darstellung für 2S(x, y) zu jedem kp, Lp
stets noch die Eigenwerte und zugehörigen Linearformen •
K' = - ^v y h' (^' y) = ^i> (^' ^) 7
kp„ = - h , L^,.{x, y) = Lp{- X, y) ,
'•)'••• = - ''y = ^'p ^/""(•^'^ y^ = ^/>'(~ *■' ^) = A^(y' " *■)
vorhanden sein müssen, deren Vereinigung in der Darstellung von 2S(x, y)
die Glieder
kp{{Lp(x, y)f - {Lpiy, x)y - (L/- x, y)f + (L^iy, - x))'}
11*
164 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
und in der Darstellung von [x, x) + {y, y) die Glieder
{L,{x, y)Y + (L/y, x)f + {Lp{- X, y))' + (L,(y, - x))'
liefert.
Setzen wir nun für jedes solche Quadrupel
L,(x,y)==^^^^(0,(x)-\- 0;(y)), ^
wo Op{x) eine lineare Form von x^, x^, . . . und 0/'(y) eine lineare Form
von Vi, y^, • • • ist, so gehen die obigen Darstellungen über in
S{x, y) = ^kp{Op{x)0;(tj) - 0;(.x)Op(y)),
(x, x) + (y, y) = 2{0,{x))' + {0;{x)y + {0,{y)f + {0;{y)y,
und da L^{x,y), L^(x,y),... zueinander orthogonal sind, folgt leicbt
auch die Orthogonalität der Formen Oj, O2, . . ., 0/, Og', . . .: mithin be-
stimmen i,. - 0,.(x) , ?„' = Ö;(.-)
eine orthogonale Ti*ansformation von der verlangten Beschaffenheit.
Aus dieser Darstellung folgt durch eine einfache Überlegung, wie sie
später ähnlich angestellt werden wird (S. 171), daß die aus (x, y) — XS{x, y)
entspringenden inhomogenen Gleichungen eindeutig lösbar sind, außer
wenn '^^1. , ,. , ■■• ist; für diese rein imaginären Eigenwerte der
Form S(x, y) haben die homogenen Gleichungen eine nicht identisch ver-
schwindende Lösung, und zwar ist die Anzahl der voneinander unab-
hängigen Lösungen stets endlich.
Was schließlich die Theorie der Bilinearform betrifft, so sehen wir
zunächst ohne Schwierigkeit folgende Tatsachen ein:
Wenn die Bilinearform Ä{x,y) eine vollstetige Funktion der unend-
lich vielen Variabein x^, x^, . . . , yi,y-,, • • - darstellt, so ist, wenn Ä^ den
wten Abschnitt der Bilinearform A bezeichnet, für jedes Wertsystem der
unendlich vielen Variabein
L A„{.,x)A,X.,x) = Ä{.,x)A{,,x),
n = 00
und zwar im Sinne gleichmäßiger Konvergenz, d. h. es ist
(92) \A{.,x)A{.,x)-A,S,,x)A^{.,x) <e„,
wo s^ gewisse von den Variabein a;^ , x'g , ■ . . unabhängige, mit unendlich
Avachsendem n gegen NuU abnehmende Größen sind. Daraus folgt, daß
die quadratische Form A(. ,x)A(. ,x) stets vollstetig ist, wenn die Bilinear-
form A{x,y) vollstetig ist.
Eine Bilinearform A{x, y) ist stets vollstetig, wenn die quadratische
Form A(.,x)A{.,x) vollstetig ist, also beispielsweise gewiß, wenn die
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 165
Summe der Quadrate der Koeffizienten von A endlich bleibt. In der Tat,
fassen wir von Ä(x, y) als quadratische Form der Variabein x^^jX^,...,
?/i?!/a?-- ^"^j ^° ^°^o^ ^^^*^ '■^^^' Ungleichung
\Äix,y) £VAi.,x)Ä(.,lc),
durch die in 4. und 5. (S. 152) angewandte Schluß weise, daß Ä{x, y) voll-
stetig ist.
Diesen Abschnitt wollen wir mit der Entwickelung eines Satzes be-
schließen, der — wie sieh im folgenden Abschnitt zeigen wird — auf
die einfachste Weise zur Auflösung der Integralgleichungen zweiter Art
mit unsymmetrischem Kern verwandt werden kann; derselbe lautet:
Satz 40. Wenn
eine voUstetige Bilinearform der unendlich vielen Variahein x^, x^, . . .,
Pi) y2) ■ • • ^^^j ^^ Itahen geiviß eidtceder die unendlichvielen Gleichungen
(1 -f a^^)x^ -\- ttj^x^ + ••• = «!,
(93) a.2iXy -f (1 + «22)^2 + • • ■ = «2 7
für alle möglichen Größen a^, «,,... mit konvergenter Quadratsumme eine
eindeutig bestimmte Lösung x^, x^, . . . mit konvergenter Quadratsumme
— oder die entsprechenden homogenen Gleichungen
(94) aoia^i + (1 + «22)^2 + • • • = 0;
lassen eine Lösung x^, x^, . . . mit der Quadratsumme 1 zu.
Zum Beweise betrachten wir zunächst irgendein System von n line-
aren Gleichungen und yi Unbekannten mit nicht verschwindender Deter-
minante von der Gestalt
Bezeichnen ß^, . . ., ß^ die Lösungen dieser Gleichungen, so ist
(^11^1 + • • • + hjj' + . • • + {h,^,ß, + ■ • • + b„j„y
= hihlßl + ■■■+ hnßj + ■ • • + KiKJi + • • • + Knßn)>
und folglich wird
(hlßl + • • • + ^nßnf + ■■■ + i^n.ß, + " " " + KJJ
Nunmehr sei m das Minimum der quadratischen Form
1QQ Kap. XII. Simultanes System quadratisclier Formen.
(b,,x, + • • • + h,„xj + • • ■ + (b^,x, + . • • + h„,^xy
bei der Nebenbedingung
(95) X,'- + ■■■-{- x„-=l
und M das Maximum der quadratischen Form
{h,,x, + • • • 4- b„,xj + . • • + (h,„x, -f . . . + 6,,^„y
bei derselben Nebenbedingung: dann folgt aus der vorigen Ungleichung
die Ungleichung
(96) ß^2_^...^ßJ^^(h^^^^...^h/)^_.
Wir wenden dieses Resultat auf die Gleichungen
(1 +«ii)^l +••• + «l„^« = «l;
(97)
«.1^1 H + (1 +««J^n = ««
an und bezeichnen zu dem Zwecke mit m^ das Minimum der quadra-
tischen Form
((1 + a,,)X, + • • • + a, ,xj + • • • + {a^^x, + • . . + (1 + a^jxj^
bei der Nebenbedingung (95) und mit M^, das Maximum der quadratischen
Form
((1 + a,,)x^ + • • • + a„,xj + • • • + (ai„^i + • • • + -1 + a„^)xj
bei derselben Nebeubedingung.
Wegen der vorausgesetzten Vollstetigkeit der Biliuearform Ä(x, y)
ist die quadratische Form der unendlich vielen Variabein rr^ , x^, ...
((1 + «1 Ja:i + «a^a^a H f -\- 1X2^1 + (1 + «22)-^2 H f H
gewiß eine beschränkte Form, und daraus ersehen wir, daß auch die
Maxima il/,^ unterhalb einer endlichen, von n unabhängigen Größe M
bleiben.
Was die Minima m^ betrifft, so sind zwei Fälle zu unterscheiden:
Erstens gebe es unendlich viele n, für die die Minima tn^^ sämtlich
größer als eine feste positive Größe m sind: dann sind für solche n die
Gleichungen (97) lösbar, und es folgt aus (96), daß die Quadratsumme
ihrer Lösungen unterhalb der endlichen von n unabhängigen Größe
(98) (a,a)^
liegt.
Bezeichnen wir nun für solche n mit
"1 7 • • •; "n
die Lösungen von (97), so können wir aus jenen n nach dem von uns
oft angewandten Verfahren solche ganzen Zahlen Wj , »2, ■ • ■ herausgreifen,
daß die Grenzwerte
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 167
■existieren; die Größen cc^, a^, . . . haben eine ebenfalls unterhalb der Grenze
(98) liegende Quadratsumme und müssen wegen der Vollstetigkeit der
Linearformen
gewiß jede der Gleichungen des voi-gelegten Systems (93) befriedigen.
Zweitens mögen die Minima ))i^, nio, ■ ■ ■ gegen Null konvergieren;
die Werte der Variabein mit der Quadratsumme 1, für welche diese
Minima eintreten, seien
Xun ist
((1 + a,,)x, + • . • + a,„x,y + • ■ . + ia,^,x, + • • • + (1 + a„„)xj
= AJ,,x)Ä„(.,x) -j- 2Ä,Xx, X) + (x, xX
und folglich
(99) ÄS.,l^^"^)Ä„(.,^i"^) + 24,(^("),^a(")) + 1 = m„.
Nun denken wir uns wieder eine solche Reihe ganzer Zahlen u^, n.2, . . .
herausscegriffen, daß die Grenzwerte
."l = L f^i^"''\ ^-2 = L i"2^"''^ • •
/; = 30 /l =30
existieren; die Größen ß^, a.^, . . . genügen dann der Bedingung
(100) Cti, /^)^i-
Mit Rücksicht auf (92) und wegen der Vollstetigkeit der quadratischen
Form Ä(x, x) folgt aus (99), wenn wir darin n^ an Stelle von n ein-;
setzen und zur Grenze h = oo übergehen,
(101) Ä{.,ii)Ä{.,ß)-{-2A(u,ß)+l==0.
Wir betrachten nun die quadratische Form
((1 + ai^)x^ + «123-2 -i y + (a^iXj^ + (1 4- «22)^2 H T
^ "-^ = A{.,x)Ä(., x) + 2A{x, x) + {x, x) ;
<la dieselbe positiv definit ist, so folgt insbesondere
(103) A{. , 11) A(, , .u) + 2A{ß, ß) + (j(i, (i)>0:
hieraus entnehmen wir wegen (101)
mithin ist wegen (100):
(/i, ^) = 1 .
Nunmehr erkennen wir wegen (101), daß auch
A(,,ii)A{.,ti) + 2A{^, ii) + (u, u) = 0
ist, d. h. im Hinblick auf (102), die Größen .Uj, Ug, . • • befriedigen die
homogenen Gleichungen (94). Damit ist gezeigt, daß stets mindestens
einer der in Satz 40 unterschiedenen Fälle stattfindet.
168 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
Wenn die homogenen Gleietungen (94) eine Lösuug mit der Quadrat-
simime 1 besitzen, so können die durch Transposition entstehenden in-
homogenen Gleichungen
(1 + an)Xi + «21^2 H = f'i }
(104) «i2^'i + (1 + «22 '-^2 + ■ ■ • = f'2>
gewiß nicht für alle a^, a.2, . . . mit endlicher Quadratsumme eine Lösung
von endlicher Quadratsumme besitzen, da ja zwischen ihren linken Seiten
eine lineare Identität besteht: es müssen daher dem eben Bewiesenen zu-
folge alsdann die transponierten homogenen Gleichungen
(1 + rtii)a;i + ttai^o + • • • = 0,
(105) a^^_Xi + (1 + «22)^2 H = *^'? i
eine Lösung mit der Quadratsumme 1 zulassen. Also können die in
homogenen Gleichungen (93) gewiß nicht für alle a^, a.^. . . . eine Lösung
mit endlicher Quadratsumme besitzen; daher schließen sich die beiden
Fälle des Satzes 40 wirklich aus, und die Lösung im ersten Falle ist ein-
deutig. Damit ist der Beweis für unsern Satz völlig erbracht.
Um die Mannigfaltigkeit der Lösungen der homogenen Gleichungen
(94) festzustellen, haben wir nur nötig, die in Kapitel XI entwickelte
Theorie der orthogonalen Transformation der quadratischen Formen auf
die Form (102) anzuwenden. Da ä(.,x)ä(. ,x) und A(XfX) vollstetige
quadratische Formen sind, so ist dies auch die Form
A{.,x)A(.,x) + 2ä{x,x)',
dieselbe besitzt daher den Wert — 1 höchstens als Eigenwert von end-
licher Vielfachheit; mithin besitzt die quadratische Form (102) den Wert
oü nur als Eigenwert von endlicher Vielfachheit, d. h. es gibt eine ortho-
gonale Transformation der Veränderlichen x^, x.2, . . . in x^,x,^,..., so
daß jene quadratische Form (102) die Gestalt
'•'f + l^ e + l + ^'e + 2^ c + 2 + ' ' '
erhält, wo Ag^i, ^^^j^^, ■ • ■ lauter positive, von Null verschiedene, gegen 1
konvergierende Größen und e eine endliche ganze Zahl bedeuten. Die
Lösungen der homogenen Gleichungen (94) erhält man aus
1 ^^ 1 > • ■ ■ > e ^^^ e } e+l ^^^ ' f + 2 ^^ / ' ' ' >
WO u^, . . . , 11^ willkürliche Konstanten sind, und wir ersehen daraus, daß
es nur eine endliche Anzahl, und zwar genau e linear unabhängige
Lösungen von (94 j gibt.
Wir erkennen ferner, daß, wenn e die genaue Anzahl der linear un-
abhängigen Lösungssysteme der homogenen Gleichungen
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 169"
(106) Li,{x) = X/, + ttpi x^ + rt/,2 A'o H = 0 , (2? = 1, 2, . . .)
sind, zwischen den Linearformen L^^{x), L2{x), . . . genau e voneinander
unabhängige lineare Identitäten von der Gestalt
(107) ß.C'^L, (x) + ß/U.,{x) + • • . = 0 , (h=l,..,e}
bestehen müssen, wobei die Koeffizienten ßi'''\ ßj^''^ ... in diesen Identi-
täten eine endliche Qnadratsumme besitzen, und ferner, daß die inhomo-
genen Gleichungen (18)
X,, -f- x^a^^ 4- x.^nj,^^ -j = a^,, [p = 1,2,. . .)
nur dann und stets dann lösbar sind, wenn die Größen a^, a.y, . . . die
e Bedingungen
(108) ß,^")a, + ß.<^'')a, + • • • = 0 , (/;, = 1, . . . , e).
erfüllen.
In der Tat, es sei wie oben e die genaue Zahl der linear unab-
hängigen Lösungen der homogenen Gleichungen (106) und f die Zahl der
voneinander unabhängigen Identitäten von der Gestalt (107): dann lassen
sich aus den Variabein x^^,x.^,... gewiß e solche auswählen, daß die
Gleichungen (106) keine Lösung mehr besitzen, bei der die e ausgewähl-
ten Variabelu sämtlich Null sind; wir bezeichnen die übrigbleibenden
Variabein mit x^, x^', .... Wäre nun /"> e, so müßten sich aus den
Linearforraen L^{cc), L^ix), . . . e solche aussuchen lassen, die lineare Kom-
binationen der übrigen sind, während die übrigbleibenden unendlich vielen
Linearformen, die mit L^'{x), L^'^x), . . . bezeichnet werden mögen, gewiß-
noch einer linearen Identität von der Gestalt
(109) ß,L,'{x)i-ß,L,'{x) + ..- = 0
genügen, wo die Koeffizienten ß^, ß.^, . . . eine endliche Quadratsumme
haben und nicht sämtlich NuU sind. Wir setzen nun in den Linear-
formen L^'{x), L^{pc), ... die vorhin ausgewählten e Variabein Null und
bezeichnen die so entstehenden Linearformen der Variabein x.^, x.^, ■ ■ ■
mit Ly{x'), L^ {x), .... Endlich bestimmen wir irgendwelche Größen
a^, ttg, . . . mit endlicher Quadratsumme, für welche
(110) ß,a,+ß,a,-^---^0
ausfällt.
Wir betrachten nun das Gleichungssystem
mx') = «1 ,
(111) L^{x')^a^,
mit den Unbekannten x^', x^, . . . ; dasselbe nimmt bei geeigneter Anord-
nung der Gleichungen wieder die Gestalt des Gleichungssystems (9;5).
170 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
an. Wir sehen dies am leichtesten ein, indem wir zum Gleichungs-
System (106) den zugehörigen Bilinearausdruck
(112) y,L,{a^ ^ y,L,{x) -{■ ■ ■ ■ = {x, y) + A{x, y)
bilden;, darin ist A{x, y) eine stetige Bilinearlbrm der Variabein x^
^2} ' ■ '7 y^yll^} ■ • • ■ ^6^ entsprechende Bilinearausdruck für das Gleichuugs-
system flll)
y^L^ix) + y^'mx) H
entsteht dem Obigen zufolge, indem wir in [\\2) gewisse e von den Va-
riabein x^, x^, . . . und gewisse e von den Variabein y^, y-2} • • ■ Null setzen
und die übrigbleibenden Variabein mit x^', x.^, . . . bzw. y^', y.^\ . . . be-
zeichnen. Hierbei verwandelt sich nun {x,y), wenn wir noch nötigenfalls
gewisse Produkte x,'y,'^ in endlicher Anzahl addieren, in
{x,y') = x^y^ -rxjy.: + •■■,
und da sich zugleich A{x, y) in eine vollstetige Bilinearform der Variabein
j;/, x^ . . . , yi, y.y ', • • • verwandelt, so haben wir
y^L^{x) -f y^Uix) ^ = [x\ y) -f A' {x\ y) ,
wo Ä{x,y) gewiß ebenfalls eine vollstetige Bilinearform von x^', x./ . . .,
Vi 7 Vi • ■ ■ wird; daraus folgt die behauptete Gestalt des Gleichungssystems
(111). Aus (109), (110) erkennen wir, daß das Gleichungssystem (111)
keine Lösung besitzt; da aber das aus ihm durch Nullsetzen der linken
Seiten entstehende homogene Gleichungssvstem ebenfalls keine Lösung
zuläßt, so zeigt dieser Widerspruch mit dem Satze 40 (S. 165), daß
die Annahme fy-e unzutreffend war. Da die Anwendung des eben Be-
wiesenen auf das transponierte Gleichungssystem zeigt, daß auch e > /'
unzutreffend sein muß, so ist notwendig e = f. Zugleich erkennen wir
auch die Richtigkeit der letzten oben gemachten Aussage.
Bei der Voraussetzung daß A(x, y) eine vollstetige Bilinear-
form ist, kommen also dem Gleichungssysteme (93) alle wesent-
lichen Eigenschaften eines Systemes von endlich vielen Glei-
chungen mit endlich vielen Unbekannten zu. —
Zum Schluß möge noch gezeigt werden, mit Avelch überraschender
Elecjanz und Einfachheit der Satz 40 ohne irgendeine neue Kon-
vergenzbetraohtung bewiesen werden kann, indem mau sich der Sätze
35 und 39 bedient.
In der Tat, aus Satz 39 leiten wir sofort folgende Tatsache ab:
Hilfssatz 6. Wenn Xj, Xg, . . . eine unendliche Reihe positiver Größen
ist, die gegen 1 konvergieren und
S{x,y) = ysj,,jx^y,^
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formeu. 171
eine vollstetige schiefsyrametrische Form der unendlich vielen Variabein
a'i, Xc^, . . ., y^, 1J2, . • • bedeutet, so gibt es stets eine vollstetige Bilinear-
form T{x, y) der nämlichen Yariabeln, so daß
(113) [x(x,) + .S^(^,.)} {{.,y) + T{.,y)] = {x, y)
wird, wo xix) die quadratische Form
x(a;) = y.^Xy' + y-^x^^ H
bedeutet. Die Relation (113) ist damit gleichbedeutend, daß das Gleichungs-
systeni
'^l'^l I ^12'^2 ~r ^13'^3 "r ' " ' ^^ .'A '
(114) «21 a?! + Xo^o + «23^3 + • • • = ?/2 ^
311 "T" ^so'^a "1 ^ä'^z I ■ ■ ■ ^^ i/3 >
die Auflösungen
^1
=
^1 +
d T{x, y)
CXy '
•
X,
=
^2 +
c T{x, y)
dx^ '
besitzt.
Zum
Beweise
setzen
wir
in
>S'(a:,
y)
a:i =
1
^1'
■, X,
1
j — X.2 j ...
2/1 =
1
/x~
Pi
, V:
ein und erhalten dann eine schiefsymmetrische vollstetige Form S\x,y),
während y.{x) in (x',x') übergeht. Aus (114) wird ein Grleichungssystem
von folgender Gestalt
^'1 1 S 1 2 '^'l I ^ 1 3 "^3 I ■ ■ ' ^ ^1 " 7
, . . _, S 21 Ä' 1 -j- % + S 23 .'^'3 + • • • = ^2 ;
(115) , / , , / _ *
^ 3 1 "^1 "T ^ 3 2 ^2 "T '^3 T ■ ■ ■ ^^ 1/3 " ?
Führen wir nunmehr in S' nach Satz 39 die orthogonale Transformation
aus, so geht das zu S' gehörige Gleichungssystem (115) in ein Gleichungs-
system von folgender Gestalt über:
li + KI1 -ni,
?2 ~l~ ''2 ^2 ^ '^2 >
~~ ""2^2 I '?2 "^ '^2 f
172 Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen.
Dieses Gleichungssystem besitzt, wie man sieht, die Auflösungen
.1 - '/l + ^^^ _ ,
?1 ~ '11 "T p fc ' }
^2 — '/2 I - fc' >
wenn
Ä* * />• -
- 1 _p*"^2(^i%' - ^i ^h) — r+^A^^ds^' — ^2'%) —
gesetzt wird. Da die Größen l\, J,\, . . . gegen Null konvergieren, so ist
T eine vollstetige Form.
Die Rückkehr zu den Variabein x^', a\', . . . , ?//, ^/g', . . . und von
diesen zu den ursprünglichen Yariabeln x^, x.2, . . . , y^, y^, . . ■ , wobei aus
T die Form T entsteht, lehrt die Richtigkeit des Hilfssatzes.
Um nunmehr Satz 40 zu beweisen, bedenken wir, daß das Gleichungs-
system (93) in Satz 40 seine Gestalt behält, wenn wir auf die Yariabeln
iCj, X», . . . irgendeine orthogonale Transformation ausführen und zugleich
entsprechend die linken Seiten jener Gleichungen orthogonal kombinieren,
da dies ja auf eine simultane orthogonale Transformation beider Yariabeln-
reihen in Ä{x, y) hinausläuft. Der Einfachheit halber nehmen wir an,
es sei bereits eine solche orthogonale Transformation der Bilinearform
Ä{x,y) ausgeführt, daß die aus A(x, y) durch Gleichsetzimg der beiden
Variabeinreihen entspringende quadratische, vollstetige Form A{x, x) nur
die Quadrate der Yariabeln enthält und demnach in der Gestalt
Ä(x, x) = a.a,\" -f «^^"2^ + • • •
oder
(116) A(x, y) + Ä{y, a;>= '2{a^x^y^ + a^x^y, + • • •)
erscheint. Da hierin a^, a^, . . . gegen Null konvergierende Größen sind,
so gibt es gewiß nur eine endliche Anzahl unter ihnen, die ^ — 1 ausfallen;
es sei etwa e eine ganze Zahl, so daß
(117) c.,+.>-l, (i)=l,2,...)
ausfallt.
Alsdann sondern wir von den Gleichungen (93) in Satz 40 zunächst
die ersten e Gleichungen ab und schreiben die übrigen in der Gestalt:
Kap. XII. Simultanes System quadratischer Formen. 1 73
(11^) ««+2,e+l ^e+l + K+2,.+2 + l)^.+2 + • • • = y,+2 >
wobei zur Abkürzung
(11^) Ve+i = «.+2 - «.+2,1^1 «.+2,«^.;
gesetzt ist; diese Gleichungen (118) siud dann, da wegen (116)
a^, + a,^j, = 0 (29 + q)
p p p
wird, mit Rücksicht auf (117) von der Gestalt (114) und gestatten dem-
nach die Anwendung des vorhin bewiesenen Hilfssatzes.
Diesem zufolge gibt es eine vollstetige Bilinearform T(x, y) der
Variabein x^^^, x^,^^, . . ., y^^^i, 2/^+2? • • ■ derart, daß die Gleichungen (118)
die Auflösungen
_ A_ _1ZL
'^ "^ e+ 1
(l^Ö) X =v +-^-
besitzen. Tragen wir diese Auflösungen unter Berücksichtigung der
Werte (119) von y^j^^^, ye+-2} • • • in die e ersten vorhin abgesonderten Glei-
chungen des vorgelegten Systems (93) ein, so entsteht ein System von
e Gleichungen mit den e Unbekannten x^, . . ., x^, wie folgt:
J^ii^i + ■ • • + -Ai e ^c = -i^l ?
(121)
E^,x, + -.- + E^^x, = E^,
wo Ej^, . . . , E^ homogene Linearformen von a^, a.^, . . . sind, während
J?^!, . . ., Egg in bekannter Weise durch die Koeffizienten von Ä(x, y) sich
ausdrücken. Haben nun diese Gleichungen Lösungen x^, . . ., x^, so be-
rechnen sich daraus vermöge (119) und (120) die Werte x^_^_i, aj^^, ? • • ■>
und wir gelangen so zu den Lösungen des ursprünglich vorgelegten
Gleichungssystems (93); im anderen Falle lassen sich gewiß die homo-
genen Gleichungen
Eg,x,i-----{-EggXg = 0
durch solche Werte x^, . . ., x^ befriedigen, die nicht alle Null siud; neh-
men wir alsdann an Stelle von a^, a», ■ . ■ überall die Werte Null, wodurch
in der Tat ^ ,^ ^
E,=0, ..., J5, = ()
174 Kap. Xin. Die Integralgleichung mit unBymmetriBchem Kern.
wird, so gelangen wir vermöge (119) und (120) zu solchen Werten
*\.+i 7 ^e+2 7 • ■ ■ 7 ^^^ zuj^ammeu mit den gefundenen a.\, . . ., a\. ein Lösungs-
system der homogenen Gleichungen (94) in Satz X ausmachen.
Damit ist Satz 40 Tollständig bewiesen.
Da oben auch der Satz 39 über die schiefsymmetrischen Formen
lediglich mit Hilfe des Satzes 35 über die orthogonale Transformatioa
Tollstetiger quadratischer Formen ohne irgendeine neue Konvergenz-
beb-achtung bewiesen worden ist, so ergibt sich, daß auch die Theorie
der Gleichungen von der Gestalt (93) und damit überhaupt die Theorie
der vollstetigen Bilinearform lediglich auf die Theorie der orthogonalen
Transformation vollstetiger quadratischer Formen ohne neue Konvergenz-
betrachtungen l)egründet werden kann — eine bemerkenswerte Tat-
sache, die der Theorie der vollstetigen Formen von unendlich
vielen Variabein eine wunderbare Durchsichtigkeit und Ein-
heitlichkeit verleiht.
Fünft tT Abschnitt.
Neue Begriiiidiiiig der allgemeinen Theorie der
linearen Integralgleiclinngen.
In den folgenden Kapiteln XIII — >vVI wollen wir die in den Kapiteln
XI — XII entwickelte Theorie der linearen, der quadratischen und bilinearen
Formen mit unendlich vielen Variabein auf die Theorie der linearen
Integralgleichungen anwenden. Es werden durch dieses neue einfachere
und durchsichtigere Verfahren nicht nur alle bekannten Resultate über
Integralgleichungen wieder gewonnen werden, sondern es gelingt auch
die Theorie der Integralgleichungen wesentlich auszudehnen und zu ver-
vollkommnen. — Weiterhin entsteht dann die Aufgabe, die Methode der
unendlich vielen Variabein direkt ohne Vermittlung der Integralgleichungen
in die Theorie der Differentialgleichungen einzuführen.
Dreizehntes Kapitel.
Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern.
In Kapitel XP) haben wir den Begriff „vollstetig" für eine Funk-
tion der unendlich vielen Variabein x^, x^, . . ■ definiert^): wir nennen
1) Die in Kapitel XI und diesem Kapitel XIII angeregten Fragen aus der Theorie
der Funktionen von unendlich vielen Variabein habe ich in meiner Abhandlung:
Wesen und Ziele einer Analysis der unendlich vielen Variabein, Rendiconti del Circolo
matematico di Palermo t. XXVII (1909), weiter ausgeführt.
2) In dem ursprünglichen Abdruck meiner „fünften Mitteilung-' hatte ich an
Stelle des jetzt durchweg gebrauchten Wortes „vollstetig" das AVort „stetig" eingeführt.
Kap. XIII. Die Integralgleichung mit nnsymmetrischem Kern. 1 75
somit eiue Funktion F{x^, a^g? • ■ ■) ^^^ unendlich vielen Variabein Xi, x^, . . .
für ein bestimmtes Wertsystem derselben vollstetig, wenn die W^rte
von F{Xi + fi, x^ 4- fg, . . . ) gegen den Wert -F(Xj, x^, . . .) konvergieren,
wie mau auch immer f^, e^, ... für sich zu Null Averden läßt, d. h. wenn
LF{Xi + s^, X2+ e2> • • •) = ^'X^U ^2> • • •)
f j = 0, f I = 0, ...
wird, sobald man fj, fg? • • • irg^fd solche Wertsysteme £j(''\ £./''\ . . .
durchlaufen läßt, daß einzeln
/( = 00 // = oo
ist; dabei sind die Variabein stets an die Ungleichuns;
x,'^x,'+---£l
gebunden.
Wenn eine Funktion für jedes dieser Ungleichung genügende Wert-
system der Variabein stetig ist, so heiße sie schlechthin vollstetig. Eine
solche Funktion bleibt, wie man unmittelbar durch das bei endlicher
Variabeinzahl angewandte Verfahren erkennt, für alle Werte der Variabein
absolut genommen unterhalb einer endlichen "Grenze und besitzt stets ein
Maximum.
Wenn wir in der Funktion F den Variabein x^_^^, ^n + 2> • • • sämtlich
den Wert 0 erteilen, so heiße die so entstehende Funktion der n Variabein
^if • • -7 ^n ^^^** '^"^^ Äh schnitt von F] derselbe werde mit [F]^^ oder
mit F„ bezeichnet.
n
Ist F eine vollstetige Funktion von x^, x^, . . ., so konvergiert das
Maximum von
F-F^\
mit unendlich wachsendem n gewiß gegen Null. Im entgegengesetzten
Falle nämlich müßte es unendlich viele Wertsysteme
a ("^ a ("'
1 J 2 ) ' ' '
gehen, so daß die Differenz
(1) \F{a^^)) - F^{ai^^)
für alle n oberhalb einer von Null verschiedenen positiven Größe ausfällt.
Wählen wir aus jenen Wertsystemen nach einem im 4. Abschnitt oft an-
gewandten Verfahren solche unendlich viele Wertsysteme
h^C') == a^^"n), &/') = «,("/-), . . .
aus, daß
existiert, wo ft^, &2> ■ • • gewisse Werte bedeuten, so ist wegen der Voll-
stetigkeit der Funktion F
(2) LF{U')) = F{})).
A = 00
176 Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern.
Setzen wir mm allgemein
so ist
und folglieh auch
(3) L F(f')) = L i\ m) = Fih),
die Grenzgleichungen (2), (3) widersprechen aber der obigen Annahme,
wonach (1) stets oberhalb einer von Null verschiedenen positiven Größe
ausfallen sollte.
Aus der eben bewiesenen Tatsache, daß das Maximum von F — F^
mit unendlich wachsendem n gegen Null konvergiert, folgern wir leicht
folgende Sätze:
1. Die Abschnitte F^^(x) einer vollstetigen Funktion F{x) konvergieren
gleichmäßig für alle x^, x^, ... gegen F{x).
2. Ist F{x^, X.2, . . ■) eine vollstetige Funktion von Xj^, x^, . . und
werden a:^ (|), iCg (|), . . . solche vollstetige Funktionen der endlich vielen
oder unendlich vielen Variabein |j, Ig, . . ., daß stets
{x,(^)y+{x,{i.y-+-..^i
ausfällt, so geht F in eine vollstetige Funktion der neuen Variabein
über. Insbesondere geht daher eine vollstetige Funktion durch orthogonale
Transformation der Variabelu wieder in eine vollstetige Funktion über.
Wird allgemein
F{x,'%x,{^),...) = F(x{i)),
F„{x,{i),...,x^{^) = FSx{^i)
gesetzt, so konvergiert die Funktionenreihe
F,{x{^)), F^{x{i)), ...
gleichmäßig für alle ^ gegen F(x(i,)).
3. Ist insbesondere eine vollstetige Linearform
vorgelegt, so ist der nie Abschnitt nichts anderes als die Summe der n
ersten Glieder der unendlichen Reihe rechter Hand. Nach Satz 1 kon-
vergiert diese Summe mit wachsendem n gleichmäßig für alle x^jX.,,...
gegen L(x). Die Konvergenz jener unendlichen Reihe ist zugleich eine
absolute; denn wenn wir die Variabein x^, x.2, . . . in irgendeiner anderen
Anordnung mit x\, x^, . . . benennen, so müssen nach 1, da L[x)
in eine vollstetige Funktion von x\, x'.^, • ■ . übergeht, die dieser neuen
Benennung entsprechend gebildeten Abschnitte der Funktion L{x), d. h.
Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern. 177
die Summen der n ersten Glieder der entsprechend umgeordneten unend-
lichen Reihe, ebenfalls gegen den Wert L{x) konvergieren. Ebenso lehrt 2,
daß, wenn wir an Stelle von x^, i\, . . . stetige Funktionen von endlich
vielen oder unendlich vielen Variabein h,^, ^2, . . . setzen, die der Bedinguno-
genügen, die Reihe
gleichmäßig luid absolut konvergiert. Wegen des linearen und homogenen
Charakters von L(x) kann jene Bedingung auch durch die Bedingung
(x,{^)f+ix,{^)y-h---<M
ersetzt werden, wenn 31 irgendeine von den Yariabeln ^j, I.3, . , . unab-
hängige Größe bedeutet.
Die in 3 aufgestellten Behauptungen sind auch leicht direkt be-
weisbar.
Als Bindeglied zwischen der Theorie der Funktionen und Gleichungen
mit unendlich vielen Yariabeln, wie sie im vierten Abschnitt entwickelt
ist, und andererseits der Theorie der Integralgleichungen, die doch Rela-
tionen für Funktionen einer Variabein s ausdrücken, bedarf es irgend-
eines Systems von unendlich vielen stetigen Funktionen
der Variabein s, die im Intervalle s = a bis s = h die folgenden Eigen-
Schäften erfüllen:
I. die sogenannte Orthogonalitäfs-Eigenscliaft:
h
CL
(4)
J{%(s)fds =1;
a
IL die VollständigJieits-Belation, die darin besteht, daß identisch
für jedes Paar stetiger Funktionen u(s), v{s) der Variabebi s
h b b
Ju{s)v{s)ds =Ju{s)^^{s)dsJv{s)^^{s)ds
a a a
h b
-\-Ju{s) ^^{s)dsj'ü{s) 0.2{s)ds -i
a a
wird.
Wir bezeichnen ein solches System von Funktionen ^i(s), ^^(s), . .
als ein orthogonales vollständiges Funhtionensystem für das Inter
vall s = a bis s = b.
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen 12
178 Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern.
Ist u(s) irgendeine im Intervall s = a bis s = h stetige Funktion
von 8, so mögen die Integrale
0 b
a "
die Fourier- Koeffizienten der Funktion u{s) in bezug auf das
orthogonale vollständige Funktionensystem ^1(5), 0^{s), . . . heißen und
kurz bzw. mit
bezeichnet werden, so daß allgemein
b
{u(*)}^=fu(s)0^(s)ds, {p=l,2,...)
a
ist. Bei Benutzung dieser Bezeichnungsweise nimmt die obige Voll-
stäudigkeits-Relation die Gestalt an:
b
(5) fuis)v{s)ds = {u{*)],[vi*)},+ {u{*)},[v{*)},+ . . ..
a
Um für ein gegebenes Intervall s = a bis s = h ein orthogonales
vollständiges Funktionensystem zu konstruieren, bestimme man zunächst
irgendein System von stetigen Funktionen
die die Eigenschaft besitzen, daß für eine endliche Anzahl von ihnen
niemals eine lineare Relation mit konstanten Koeffizienten besteht, und
die überdies von der Art sind, daß, wenn u{s) irgendeine stetige Funktion
von s, und f eine beliebig kleine positive Größe bedeutet, allemal eine
endliche Anzahl von Konstanten q, c^, . . ., c,„ gefunden werden kann^
so daß
(6) f(u (s) - c, P, (s) - c, P, (ß) c„, P,„ (s)yds < £
a
ausfällt. Wie man sieht, bildet beispielsweise das System aller ganzen
Potenzen von s
Pi(s) = l, P,{s) = s, P,{s) = s', . . .
ein Funktionensystem von der verlangten Art.
Wir setzen
und können dann, wie leicht ersichtlich, der Reihe nach die Konstanten
7i7 y^} Y'i'i ^3» ^3'; ?%"'■) • • • so bestimmen, daß die Funktionen ^j, (P«» ^3^ •• -
Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern. 179
den Orthogonalitäts-Relationen (4) sämtlich Genüge leisten.^) Die so
konstruierten Funktionen O^, 0^, ... erfüllen alsdann auch die Voll-
ständigkeits-Relation (5 I.
Um dies einzusehen, bedenken wir zunächst, daß, wenn ii[s) eine
stetige Funktion von s ist, die Summe der Quadrate aller Fourier-
Koeffizienten von u[s) konvergiert und den Wert des Integrals
h
f(u(s)yds
a
niemals übersteigen kann. In der Tat ist für eine beliebige ganze
Zahl n gewiß
b
a
und mithin, wie die Rechnung lehrt,
also auch für die so entstehende konvergente Reihe
6
a
Wir zeigen sodann, daß genau
(7) {<*)],'+ {w(*)}/+ • • • =fiu(s)rds
a
ausfällt. Wäre nämlich im Gegenteil
{ui*)}^' -¥ {ui*)],' + ■ ■ ■ <f(u{s)yds
a
d. h.
(8) s =f(u{s)yds - {t<*)}i'- {<*)\2' > 0,
a
SO denken wir uns zu ti\s) und s in (ß) die Koeffizienten c^, . ... c„, be-
stimmt; setzen wir
(9) U'(S) = C,P,(S) + • • • + C^Prnis) = C;0,{S) + • • • + C„;0,^is),
WO Cj', . . ., cj ebenfalls gewisse Konstanten bedeuten, so fällt
b
(10) /(m(s) — u{s)yds < e
a
aus. Andererseits ergibt .sich mit Rücksieht auf (9) und (8)
1) Vgl. hiermit E. Schmidt, Entwicklung willkürlicher Funktionen usw.,
Inaugural-Dissertation (Göttingen 1905), § 3. Abgedruckt in Math. Ann. 63, S 442.
12*
180 Kap. XUI. Die Integi*algleicbung mit uuejmmetrischem Kern
h h
J{u(s) - u\s)yds =f(u{s) - c,'o,{s) c,;0jß)y-ds
a a
=ju{syds -2c;[ w(*) h 2c „, { ^<*) } ^ + c^ + • • • + C'
a
= ^ + ({^*(*)}i-0^'+--- + ({<*)}.-0'+{<*)}Vi+{^(*)}^..2+-,
und folglich
6
J{u(ß) — u'(ß)fds>e,
a
was der Ungleichung (10) widerspricht.
Damit ist die Gleichung (7) bewiesen, und aus dieser folgt, wenn
wir einmal für u{s) die Summe und dann die Differenz irgend zweier
stetiger Funktionen nehmen und die erhaltenen Gleichungen subtrahieren,
auch die allgemeine Vollständigkeits-Relation (5).
Es sei noch erwähnt, daß man in analoger Weise auch für beliebige
Intervallsysteme, ferner für mehrere unabhängige Variable und auf einer
beliebigen Fläche ein vollständiges orthogonales Funktionensystem kon-
struieren kann.
Wir zeigen zunächst, wie die Fredholmschen Sätze^) über
die Lösung der Integralgleichungen mit unsymmetrischem Kern
aus der im vierten Abschnitt entwickelten Theorie der linearen
Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten folgen.
Es sei die Integralgleichung zweiter Art
(11) f{s) = cp{s)+jK{s,t)cp(t)dt
a
vorgelegt; in derselben bedeute der Kern K{s, f) eine stetige nicht not-
wendig symmetrische Funktion von s, t, und f{s) sei ebenfalls als eine
stetige Funktion gegeben-, f{s) möge überdies nicht identisch für alle
Werte der Variabein Null sein; qp(s) ist die zu bestimmende Funktion.
Wir bilden die Fourier-Koeffizienten von K{s, t), als einer Funktion von t
und alsdann die Fourier-Koeffizienten der so entstandenen Funktion von s,
wie folgt:
\(s) = {K(s,*)]^^jK(s,t)0fi)dt,
a
«.,= W*)], =ffK(s,t)0^{s)0^{t)dsdt.
1) Sur une classe d'equations foactionnelles. Acta mathematica Bd. 27 (1903).
Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern. 181
Setzen wir in der Yollständigkeits-Relation (5), indem wir t als Integrations-
variable nehmen
u(t) = v(^) = K{s, t)
ein, so finden wir
(12) J(K{s,t)fdt = {k,{s)f+ {Kis))'^- ■■..
a
Setzen wir andererseits in (5)
u{s) = v{s) = Ä-^(s),
so ergibt sich
b
a
Aus (12) entnehmen wir die Ungleichung
{h^s)f+ • • • + iKMf£f{Kis, t)fdt-
a
mithin folgt aus der zuletzt gefundenen Gleichung für jedes m
^aJ<ff{K{s,t)ydsdt,
/p = l,2, . . .\ a a
\q = l, . . ., Vi)
und daher ist auch
2 «>,/ ^SJi^'s^ t)ydsdt.
{p, q — \,2, . . .) a a
Diese Ungleichung lehrt mit Rücksicht auf eine Bemerkung in Kapitel XII
(S. 165), daß die mit den Größen a^,^ als Koeffizienten gebildete Bilinearform
M^, y) = S^.^pVq
gewiß vollstetig in den unendlich vielen Variabein x^, x.^, • ■ •, y^, y^, • ■ •
ist. Setzen wir endlich noch
a
so wird
/(/■(S))2(/5 = <+«/+••••
Wegen der Stetigkeit der Bilinearform Ä(x, y) und der eben be-
wiesenen Endlichkeit der Quadratsumme der a^, %, • • ■, ist die An-
wendung des Satzes 40 (S. 165) in Kapitel XII auf jene Bilinearform
A{x, y) und dieses Größensystem a^, a^, ... gestattet: es sei — dem
ersten Falle des Satzes 40 entsprechend —
Ji'^ — Cti « •X'Q 2? ' ' *
182 Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern.
ein Lösungssystem der Gleichungen (93) daselbst, d. h. es sei
(13) a^ + a^i «1 + a^gttg + • • = a^^, (p = 1, 2, . . .).
Wegen der Endlichkeit der Quadratsumme der «j, a,, ... stellt die
Linearform
(14) ai:ri+ «2^2 + • • •
eine stetige Funktion der unendlich vielen Variabein x^, x^, ■ ■ ■ dar.
Bezeichnen wir mit M eine endliche obere Grenze für die Werte des
Integrales
f{K(s, fifdt
a
als Funktion von ,s, so sind wegen (12)
l\{s), h^{s), ...
eine unendliche Reihe stetiger Funktionen von s, deren Quadratsumme
den Wert M nicht übersteigt. Setzen wir daher diese' Funktionen in die
Linearform (14) an Stelle der Variabein x^, x^. ... ein, so wird dieselbe
nach dem zu Anfang dieses Kapitels XIII bewiesenen Satze 3 (S. 176)
eine stetige Funktion von s: wir setzen
(15) a(s) = ßi/.-i(s) + «2^2(5) H •
Hier konvergiert nach Satz 3 (176) die Reihe rechter Hand gleich-
mäßig für alle s; multiplizieren wir demnach (15) mit ^ (s) und inte-
grieren nach s zwischen den Grenzen s = a und s = &, so erhalten wir
6
und wegen (13)
^p-^f^pi^X^)'^^=^^'p
oder, wenn
(16) ^(s)=fis)-a{s)
gesetzt wird,
S= (/■(*)},-{<*)}.= {g'W},
d. h. die Lösungen a^, «2, ... unserer linearen Gleichungen ergeben sich
als die Fourier-Ko effizienten einer in s stetigen Funktion (p(s).
Nunmehr folgt unmittelbar, daß q){s) eine Lösung der ursprünrilich
vorgelegten Integralgleiclmng (11) ist. In der Tat, setzen wir in der A'oll-
ständigkeitsrelation (5), indem wir / als Integrations variable nehmen,
u(t) = cp{t), v{t)==K{s,t),
so ergibt sich aus derselben
b
(17) J(p{t)K{s,t)dt = «1 Ä'i (s) + «2 A:2 {s)^ ,
Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsymmetrischem Kern. 133
d. h. wegen (15) und (16)
(18) Jcp(t)K(s,t)dt = f(s)-cp{s).
a
Umgekehrt, wenn cp(s) irgendeine in s stetige Lösung der Integral-
gleictung (11) oder (18) bezeichnet und dann u^, cc^, . . . die Fourier-
Koeffizienten dieser Lösung rp{s) bedeuten, so folgt nach der Vollständig-
keits-Relation (5) zunächst (17) und wegen (18)
a^\{s) + cc^h^^s) -\- ■ ■ • = f(s) — (p(s).
Da wegen
b
CC^- H- «2^ -f • • • =J(g)(s)ydS
a
die Quadratsumme der a^, u.^., ... endlich ist, so stellt
eine vollstetige Funktion der unendlich vielen Yariabeln x^, x^, . . . dar,
und somit entnehmen wir, wie vorhin, aus der letzten Gleichung durch
Multiplikation mit ^^{s) und Litegration nach s das Gleichungssystem
«1 V + «2 «,.2 4- ■ • • = ^,; - S' (P = 1, 2, . . .).
Wir erkennen somit, daß die Fourier- Koeffizienten einer Lösung der
Integralgleichung stets auch ein System von Lösungen unserer linearen
Gleichungen (13) und zwar ein solches mit endlicher Quadratsummc liefert.
Zugleich ist klar, daß, wenn irgend e linear unabhängige Lösungen
der Litegralgleichung vorliegen, die aus diesen durch Bildung der Fourier-
Koeffizienten entstehenden e Lösungssvsteme der linearen Gleichungen
•ebenfalls voneinander linear unabhäno-jo- sind.
Trifft für die aus A{x, g) entspringenden linearen Gleichungen der
zweite Fall des Satzes 40 im vierten Abschnitte (S. 165) zu, so
gibt es diesem Satze zufolge ein Lösuugssystem der homogenen linearen
Gleichungen (94) (S. 165); es sei alsdann
Xj^ = ßj , A 2 =^ C1C2 f ...
«in solches Lösungssystem mit der Quadratsumme 1. Nehmen wir nun-
mehr in der vorigen Betrachtung
f(s) = 0, a^ = 0, «^ = 0, . . .,
so erweisen sich genau wie vorhin, die Lösungen a^, a.,, ... als die
Fourier-Koeffzienten einer in s stetigen Lösung der homogenen hitegral-
gleicliung
b
(19) cp{s)+jK{s,t)^{t)dt = i),
a
und wegen
184 Kap. XIII. Die Integralgleichung mit unsYmnietriscliem Kern.
n
erkennen wir, daß <p{s) nicht identisch verschwindet.
Umgekehrt, wenn (p{s) eine nicht identisch verschtvindende Lösung der
homogenen Integralgleichung (19) ist, so liefern deren Fourier-Koefflzienten
ein Lösungssystem unserer homogenen linearen Gleichungen.
Nunmehr sei, wie in Kapitel XII S. 168, e die genaue Anzalil der
linear unabhängigen Lösungssysteme der homogenen Gleichungen
(20) L^{x) = x^, -f a^,,x, + a^,^x, + • • • = 0 {p=l,2,..).
Die dort bewiesenen e linearen Relationen (107) sagen dann aus, daß die
aus (20) durch Transposition entstehenden linearen homogenen Gleichungen
die e Lösungssysteme
(21) ^i = /3/'^ ^2-ß,^''\ ••• (A = l,,...,e>
zulassen. Dieselben Schlüsse, die Avir oben auf die ursprünglichen
linearen Gleichungen und deren Lösungssystem «j, a^, ... angewandt
haben, lassen uns erkennen, daß die Größen (21) die P'ourier-Koeffizien-
ten gewisser e linear voneinander unabhängiger in s stetiger Funktionen
iiM\s), . . ., xp^^\s) sind, die der homogenen Integralgleichung mit dem
transponierten Kern K(t, s) genügen. Infolge dieses Umstandes erhalten
die e Bedingungen (108) die Gestalt
h b
(22) / t^'\s)fis)ds = 0, . . ., /^'W(5)/-(s)^s = 0.
a a
Nach den obigen Ausführungen zieht unsere Annahme, daß die
homogenen Gleichungen (20) genau e linear unabhängige Lösungen be-
sitzen, die Folge nach sieb, daß auch die homogene Integralgleichung (19)
genau e linear unabhängige stetige Lösungen besitzt. Da ferner jedes
System von Lösungen der inhomogenen linearen Gleichungen (13) eine
Lösung der inhomogenen Integralgleichung (11) liefert und umgekehrt,
so erweisen sich alsdann die e Bedingungen (22) /'///• die Funldion f(s) als
notivendig und hinreichend für die Lösbarkeit der ursprünglich vorgelegten-
inhomogenen hitegralgleicJmng (11); dabei sind die il^^^\s), . . ., ^(*)(s) die
Lösmigen der homogenen Integralgleichung mit dem transponierten Kern K(t,s),
Die erhaltenen Lösungen der Integralgleichungen (11), (19) sind von,
der Wahl des gerade benutzten besonderen orthogonalen vollständigen
Funktionensystems fP^is), fP^Js), . . . wesentlich unal)hängig: in der Tat
jede aus K{s, t) unter Vermittlung eines anderen orthogonalen vollständigen
Funktionensystems entspringende Bilinearform geht aus der Bilinearformi
Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung. 185
A{x,y) durch eine simultane orthogonale Transformation der Variabein
X-^, X2, . . .; v/^; y^, . . . hervor, so daß auch das neue Gleichungssystem
und dessen Lösungen sich von dem ursprünglichen Gleichungssysteme
und dessen Lösungen nicht wesentlich unterscheidet.
Vierzehntes Kapitel.
Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung.
Derselbe Grundgedanke, der uns in Kapitel XIII zur Herleitung der
Fredholmschen Sätze über die Lösung von Inteijralcrleichuncfen zweiter
Art gedient hat, ermöglicht auch die Neubegründung der im ersten Abschnitt
entwickelten Theorie der Integralgleichung zweiter Art mit symmetrischem
Kern. Um dies einzusehen, sei eine Integralgleichung von der Gestalt
ö
(23) /■(«) = (p (s) - lfK{s, t) (p {t)dt
a
vorgelegt, worin K{s, t) eine stetige symmetrische Funktion von s, t, f(s)
eine ebenfalls gegebene stetige Funktion von s, g)(s) die zu bestimmende
Funktion von s und X einen Parameter bedeute. Der Kürze halber werde
eine Integralgleichung von der Gestalt (23) mit symmetrischem Kern als
orthogonale Integralgleichung bezeichnet.
Wir bilden zunächst durch Vermittlung des orthogonalen vollständigen
Funktionensystems ^i(s), ^2(^0; ••• ^^^ ^®^ Kern K{s,t) eine Bilinear-
form, indem wir wie in Kapitel XIII
(24) k^is) = {Kis, *)],=fKis, t)^fi)dt,
a
h b
(2d) h^^ ={/.-,(*)}, ^ffE{s,t)0^{s)^^(t)dsdt
a a
setzen. Wegen der Symmetrie des Kerns K{s, t) in s, t haben wir
und demnach ist die mit den Koeffizienten Je gebildete Bilinearform
eine solche symmetrische Form, wie sie aus der quadratischen Form
(27) Kix) = :S^,^,^,
iP,'/)
abgeleitet wird.
Analog wie vorhin in Kapitel XIII (S. 181) schließen wir aus der
wie dort folgenden Ungleichung
(26) K(^',y) = ^k„x^y,
186 Kap. XI V. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung.
mit Hilfe des Satzes 36 in Kapitel XI, daß die aus K(s, t) entsprungene
quadratische Form Kix) eine vollstetige Funktion der unendlich vielen
Variabein x^, X2, ... ist. Infolgedessen ist die Anwendung des Satzes 35
in Kapitel XI gestattet, und dieser Satz ergibt, daß jene quadi-atische
Form durch eine orthogonale Substitution der Variabein i\, x^, . . . in
die Variabein x^, x^, . . . die Gestalt
(28) K(x) = l\ a;/- + k^x^"- + • • •
erhält. Die Variabein x^', x^', ■ . ■ sind lineare Formen der ursprünglichen
Variabein x^, X2, ■ ■ ■■ Falls nun unter den Größen I,\, /r._,, . . . solche vor-
handen sind, die den Wert Null haben, sondern wir die diesen Größen Je
zugehörigen Liuearformen ab: es seien dies die Linearformen
x\^= 3Ii(x) = rn^^x^ -f m^^x^ -\ ,
x',^ = M2{x) = Wgi-^'i + m.,.2X.2 + • • •,
Die übrigbleibenden Größen /.■ bezeichnen wir mit Xj, y..,, . . r^ die zu
•diesen Größen x zugehörigen Linearformen seien
^■',/, = Li (x) = /ji Xi + /i2.r,, H ,
a? — Ld^yx) ^^ '21 '^i ~r '22*^2 I ' ' 'j
Die Formel (28) nimmt dann die Gestalt au
K{x) = y.i(L,(x)Y ^ X2{L.,{x)f + •■■,
und da die Liuearformen Ly{x), L^ix), . . ., 3Ii(x), M^ix), ... ein voll-
ständiges orthogonales System bilden, so haben wir
(29) L/.)L/.) = 0, (j^^^q)
(30) Z/.)i^(.) = l,
i^(.)iJi-,(.) = 0,
Xi'+X2'+ • • • = (AGr))2+ (4(^'))^4- • . . + (jf^(a;))2+ (ilf^^^))2+ . . ..
C31^ ^1^1 + ^2^2 H = A(^) A W + ^2(^)^2(2/) H
. . + Miix)M2(y) + M,(x)3I,{y) + • . .;
überdies ist
(32) K(x,.)L^{.) = x^^L^ix),
(33) K{x,.)3I^X-) = 0.
Da die Quadratsumme der Koeffizienten der Linearform L (x) nach
(30) den Wert 1 hat, also endlich bleibt, so ist diese Linearform eine
vollstetige Funktion der unendlich vielen Variabein x^, x^, . . ., und wir
Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung. 187
können sie daher in derselben Weise wie oben S. 1S2 die Linearform (14)
behandeln: wir finden dann, daß die Reihe
<34) L,im)^l,nK(s)-^l,Ms) + ---
gleichmäßig für aUe s konvergiert und also eine stetige Funktion von s
bestimmt. Durch Multiplikation mit ^ (s) und Integration nach s er-
halten wir wegen (24), (25)
I,
a
Andererseits liefert die Vergleichung der Koeffizienten von x auf beiden
Seiten von (32)
und fololich ist
Setzen wir
(35) Z/,/.(s)) = x^,^/5),
so ist, da ja >f^, + 0 ausfällt, (p (s) eine ebenfalls in s stetige Funktion,
die die Gleichung
a
«rfüllt, d. h. die Koeffizienten l ., l <^, . . . der Linearform L (x) sind die
Fourier-Koeffizienten einer gewissen stetigen Funktion (p {s) in bezug auf
das vollständige orthogonale Funktionensystem ^^, (Pg? •• •
Nehmen Avir nun in der VoUstäudigkeits-Relation (5)
so lehrt diese
/,
a
und folglieh wegen (29) und (30)
i>
f%>(s)(p,{s)ds = 0 (p=^q),
a
(37) fl<p,(s)yds =1,
a
d. h. die FunJdionen q}^ (s), gp^ (s), . . . bilden ein orthogonales FunMionensystcm.
Nehmen wir ferner in der Vollständigkeits-Relation (Ji) t als Inte-
grationsvariable und setzen
188 Kap. XIV. Die Theone der orthogonalen Integralgleichung,
so folgt mit Rücksicht auf (34) und (35)
b
(38) fK(s, t)cpß)dt = Jc,is)l^, + h(s)J^, + • • • = x^cp^is),
a
oder, wenn wir
P
einfüLren,
b
(39) cp^is) = xjK{s, t)^ß)dt,
a
d. h. die zu unserer ursprünglich vorgelegten Integralgleichung (23) gehörige
homogene Integralgleichung
b
(40) (p{s)-k fK(s, t) (f (t) dt = ()
a
besitzt für X = A^ die tvegen (37) geiviß nicht identisch verschivindende
Lösung q:'(s) = (pp(s).
Wir wenden uns nun zu der wichtigsten Frage, nämlich zur Frage
nach der Entwickelbarkeit einer willkürlichen Funktion in eine
Reihe, die nach den Funktionen des orthogonalen Systems (Pi{s), (Pi{s), . ■ .
fortschreitet.
Da die Linearform M (x) eine vollstetige Funktion der unendlich-
vielen Variabein x^, x^, ... darstellt, so erkennen wir genau wie oben
S. 182, daß ., ., ^
M^X^Üs)) = m^, l; (s) + m^^^l; («) + •••
gleichmäßig für alle s konvergiert und eine stetige Funktion von s be-
stimmt, und hieraus wiederum schließen wir wie oben
b
fM^,{Jc{sj)0^^(s)ds = m^,\, 4- ni^,k,^ +■'■■
a
Durch Vergleichung der Koeffizienten von x, auf beiden Seiten von (33)
erhalten wir
und folglich ist auch
6
f3I^XJc{s)) 0.^{s)ds = 0, (g = 1, 2, . . .);
a
hieraus aber schließen wir sofort, indem wir in der Vollständigkeits-
Relation (5)
• u{s) = v(s) = 3I^{Jc{s))
einsetzen,
f(M^{Ms)yds=^0,
Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung. 189
d. h. es ist identisch für alle Werte s
Nunmehr wenden wir die Identität (31) an; wir betrachten zunächst
den darin rechter Hand vorkommenden Ausdruck
(41) L,{x)LM + mx)my) + • • ..
Wenn wir hierin den Variabein x^, x^, . ■ . irgendwelche konstante Werte
mit endlicher Quadratsumme erteilen, so stellt wegen
{L,{x)y+{L,ix)y + --'£ix,x)
der Ausdruck (41) eine vollstetige lineare Funktion von L^dj), L^dj), . ■ .
dar; der Tatsache 3 (S. 176) zufolge muß (41) demnach gleichmäßig und
absolut konvergieren für alle Wei'te von Pi, 1/2, • • ■, für die
unterhalb einer von y^^, y^, • • • unabhängigen Grenze bleibt, und dies ist
wegen
{L,(:y)y+{L,{y)y+---<{y,y)
gewiß immer der Fall, wenn {tj, y) unterhalb einer endlichen Grenze bleibt.
Wir verstehen nunmehr unter y(s) eine willkürliche in s stetige
Funktion und setzen in der Identität (31) an SteEe der Variabein
x^, X2, ... die Konstanten
(42) ^,= {9i*)},,
deren Quadratsumme
a
endlich ist, und an Stelle der Variabein y^, y.2, • • • die in s stetigen
Funktionen
(43) y,= \{^)-{K{s,*]^,
deren Quadratsumme
h
{\{s)y -{- {h,{s)Y + • • • =/(^(s, tifdt
a
gewiß unterhalb einer von s unabhängigen Grenze, nämlich dem maxi-
malen Werte M des rechts stehenden Integrales liegt. Mit Rücksicht
auf die VoUständigkeits- Relation erhält dann die linke Seite jener
Identität (31) den Wert
h
fK{s,t)y{t)dt.^
a
Andererseits wird bei Heranziehung der Gleichung (36) und der Voll-
ständigkeits-Relation
190 Kap. XIY. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung.
b
a
und da 3I^(k{Sj) identisch verschwindet, so geht die rechte Seite jener
Identität (31) mit Rücksicht auf (35) nach der Substitution (42 j, (43) in
ij9(s)g^i(s)ds] (xi(3Pi(5:) + lfg(s)(pi(s)ih\ (x,(p^^{s)) + • • •
über. Setzen wir daher
(44) f(s)=fK(s,t)g(t)dt
a
und, indem wir (38) berücksichtigen,
c^=ff(ß)(p^(s)ds = y^pj9{t)(Pp{t)dt,
a a
SO führt die Vergleichung beider Seiten jeuer Identität zu der Formel
f(s) = Cj9i(s) + c^cp^iß) H ,
wo die Reihe rechter Hand nach den obigen Ausführungen gleichmäßig
und absolut konvergiert; d. h. jede durch Vermittlung einer stetigen
Funktion g{s) in der Gestalt (44) darstellbare Funktion f{s) läßt sich auf
Fouriersche Weise in eine nach den orthogonalen Funktionen q^ (s), (p^ (s), . . .
fortschreitende, gleichmäßig und absolut konvergente Ficihe entivickeln})
Wir haben oben erkannt, daß die homogene Integralgleichung (40)
für X ^ X eine nicht verschwindende Lösung besitzt; sie besitzt auch nur
für diese Werte X = X^^ eine nicht verschwindende Lösung. In der Tat, ist
X ein von X^, X^, ... verschiedener Wert und qp(s) eine stetige jener
Integralgleichung (40) genügende Funktion, so lehrt diese Integralgleichung,
daß (p{s) eine in der Gestalt (44) darstellbare Funktion ist: nach dem
eben bewieseneu Entwicklungssatze haben wir mithin
b b
(45) (p (s) = gpi (s) J(p (s) (p^ (s) ds + (pc, (s) f(p (s) cp. (s) ds -\ .
a a
Nun finden wir andererseits, indem wir (39) mit X(p{s) multiplizieren
und nach s integrieren, ferner (40) mit X w (s) multiplizieren und nach s
integrieren imd endlich die so entstehenden Gleichungen voneinander
subtrahieren
1) Diesen Entwicklungssatz hatte ich in der ursprünglichen Veröft'entlichung
meiner „ersten Mitteilung" lediglich unter der Annahme eines „allgemeinen" Kerns
bewiesen bzw. bei beliebigem Kern noch die Darstellbarkeit von f\si durch den
zweifach zusammengesetzten Kein KK(s,t) als Bedingung hingestellt; E.Schmidt
ist es zuerst in seiner Inaugural-Dissertation (Göttingen, 1905) gelungen, diese Ein-
schränkung zu beseitigen.
Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung. 19t
d. h. wegen A =f= A
6
ffpis)(Pp(s)ds = 0;
a
und folglieh wegen (45)
qp(s) = 0.
Da die oben S. 186 eingeführten Größen Ji\, Jc^, . . . dem dort an-
gewandten Satze 40 in Kapitel XII zufolge notwendig gegen Xull kon-
vergieren, so können die Werte A^, Ao, . . . im Endlichen keine Verdichtungs-
stelle haben, und es kann daher insbesondere jedesmal nur eine endliche-
Anzahl von gleichem Werte unter ihnen geben. Sei etwa
; ; ; ..._;
^•p~ % + l "~ % + 2 — — 'V-|-«-l
und jeder andere Eigenwert von A verschieden, so sind die n linear von
einander unabhängigen Funktionen
(46) (Pj,, (Pj, + i, ..., (pj,+,,.i
gewiß Lösungen der homogenen Integralgleichung für A = A . Es gibt
nun für X = A aucJi keine andere Lösung jener Integralgleichung, die nicht
eine lineare Kombinat ton der n Lösungen (46) teure. In der Tat, ist <p(s)
irgendeine Lösung der Integralgleichung (40) für A = A , so könnten wir
wie vorhin den Ansatz (45) machen; das entsprechende Verfahren führt
dann zu der Gleichung
>,
i^,-K)f9^(s)(p^(s)ds==0
a
d. h. es wird
h
ffp(s)%is)ds = 0
a
für alle Werte von q mit Ausnahme der n Werte
<1=P, i? + 1, ■ ■ ■, P + n- 1;
damit ist die Behauptung bewiesen.
Was die inhomogene Integralgleichung (25) betrifft, so hat die-
selbe nach den aUgemeiuen Ausfühiningen im vorigen Kapitel XIII für
jedes von Xp verschiedene A eine und nur eine Lösung qp(s); für A = Ap
jedoch ist sie nur lösbar, wenn f(s) genau n lineare von einander unab-
hängige Litegralbedingungen erfüUt. Nun ergibt sieh aber, wenn wir die-
Gleichung
6
(47) f(s) = cp{s)- 1,SK{s, t) <p (0 dt
a
mit (f,Js) multiplizieren und nach s integrieren
192 Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung.
b I, I, I,
f(Pg(s)f{s)ds==f(p,j(s)(p(s)ds — kpj JK{s, f)(p,j{s)(p{t)dsdt
a a a a
uiid mit Rücksicht auf die Symmetrie von K(s, f) wegen (39), wenn (pp(s)
eine der n Funktionen (46) bedeutet:
b
f<p,jis)f(s)ds = 0 (q=p^pJ^l^.,,^p^u-l).
a
Biese n Bedingungen sind daher notivendig und hinreichend zur Lösbarkeit
der inhomogenen Integralgleichung (47).
Die Werte Aj, Ag, . . . und die zugehörigen Funktionen cp^{s), (p^{s), . . .
sind wesentlich durch den Kern K{s, t) bestimmt; ich habe sie Eigen-
■iverte bzw. Eigenfiinktionen des Kerns K{s,t) genannt.
Aus dem Entwickelungssatze folgt wegen
Jf(s)(pp{s)ds = ±Jg(t)(pp{t)dt (p = 1; . . ., n)
a a
i> b
f{s)=jK{s, t)g{t)dt = > I g{t)cp,(t)dt.ip,{s)
a a
b
+ l^j y{t)fpS) dt . (p,{s) H .
sofort
(48)
Besitzt ein Kern K(s, t) nur eine endliche Anzahl von Eigeniverten
Xi, . . ., A„, so bricht die Reihe rechts beim wten Gliede ab, und da diese
Gleichung für jede stetige Funktion g(t) statthaben muß, so ergibt sich
K(s, t) = fii']l-^S*l 4. . . . ^. ^nS^l^ii) ^
d. h. 'K{s, t) vermag , wenn man eine der beiden Variabein, etwa t, als
Parameter auffaßt und diesem irgendwelche konstanten Werte erteilt, nur
n linear unabhängige FunJäionen der anderen Variahein s darzustellen; ins-
besondere ist gewiß ein Eigenivert immer vorhanden, ivenn nicht K(s, t)
identisch in s, t verschivindet.
Schreibt man in (48) an Stelle von g{t) die willkürliche Funktion
u(t), multipliziert diese Formel mit u{s) und integriert nach s, so entsteht
6 6 b
1 1 K{s, t) u (s) u{t)dscU = ^ { / w (0 9'i (0 dt
a a a
b
a
Setzen wir zur Abkürzung
Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung. 193
J(u) = ffK{s, () u (s) u{t) dsdt,
a a
h
np=fu{t)(pp(f)dt,
so nimmt jene Formel die Gestalt an
i, ^ L,
J^w = t + 5" +
Andererseits haben wir
b
J{n{s))'ds ^ Mi^ + Wg^ + • • .
a
und folglich
6
J{u) - j-f(uis)yäs ^ {l - j-) u.f + ((- - Ij „3« + . . . . .
a
Nehmen wir nun an, daß die Eigenwerte nicht sämtlich negativ seien und
bedeutet dann l^ den kleinsten positiven Eigenwert, so fällt die rechte
Seite dieser Formel gewiß nicht positiv aus; hieraus folgt, daß der größte
Wert, den das Doppelintegral J{ti) annimmt, ivenn u{s) eine stetige, der
Bedingung
b
f{uis)yds = 1
a
genügende FunMion sein soll, gleich dem reziproken Werte des kleinsten
positiven Eigenwertes von K{s, t) ist; dieses Maximum tritt ein, trenn u(s)
gleich der zugehörigen Eigenfunktion genommen wird.
Zum Schlüsse dieses Kapitels berühren wir noch die wichtige Frao-e,
unter welchen Umständen die Eigenfunktionen (p^is), (p^is), . . . des Kerns
K(s, t) ein vollständiges orthogonales Funktionensytem bilden. Wie
schon in Kapitel IV angegeben ist, hilden die Eigenfunktionen gewiß
dann ein vollständiges orthogonales Funktionensystem, tvenn der Kern
K(s, t) der orthogonalen Integralgleichung allgemein (Kapitel IV S. 25) ist.
In der Tat, ist g(s) irgendeine stetige Funktion von s, so gibt es dann
eine stetige Funktion h(s), so daß die Ungleichung
f\g{s) —jK{s, t)h(t)dt \ ds<s
gilt; daher wird, indem wir
JK{s, t)h{t)dt = c^(p^{s) + C2 9Po(s) -\
a
einsetzen, auch
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. IS
194 Kap. XIV. Die Theorie der orthogonalen Integralgleichung.
b
f{9{s) - Ci9?i(s) - c.ip, (s) }'dt<s.
a
Da die linke Seite durch Subtraktion der positiven Größe
(ci — f9is)(pi(s)dsj + (co — fij(s)(p.2(s)ds\ -\
sicher nicht vergrößert wird, so folgt leicht
J(9{s)yds - (ffj{s)(p,{s)ds\ - (fg(s)(p,{s)ds\ <£.
Bedenken wir, daß diese Ungleichung für beliebig kleine positive e gelten
muß, so ergibt sich sofort die zu beweisende Yollständigkeits- Relation.
Eine andere Bedingung dafür, daß die Eigenfunktioneu von K{s, i)
ein vollständiges orthogonales Funktionensystem bilden, ist die Ab-
geschlossenheit der aus K entspringenden quadratischen Form K(x). Man
erkennt auch leicht, daß die aus einem allgemeinen Kerne K(s, t) ent-
springende quadratische Form stets abgeschlossen sein muß, womit die
soeben bewiesene Behauptung übereinstimmt.
Wie wir sehen, sind die Eigenwerte A^, Ag, . . . und Eigenfunktionen
^^(s), 9^2(^)7 • • • ^^^^ deren Eigenschaften von der Wahl des gerade be-
nutzten besonderen orthogonalen vollständigen Funktionensystems ^i{s)y
^2(5), •• • wesentlich unabhängig: in der Tat, jede aus K(s, t) unter Ver-
mittelung eines anderen orthogonalen vollständigen Funktionensystems
entspringende quadratische Form geht aus der quadratischen Form K{pc}
durch eine orthogonale Transformation der Variabein x^, x,^, . . . hervor,,
so daß die neuen Linearformen von den ursprünglichen sich nicht wesent-
lich unterscheiden.
Ist U{s, t) eine nicht symmetrische Funktion der im Intervall a bis h
sich bewegenden Variabein s, t und setzt man
X{s, i) =0 für a ^ s < ft , a ^t < h,
= k{s,t-h^a) „ a^s< h, h£f £2h — a,
= ^{tyS — h + a) „ h£s£2h- a, a ^t<b,
= 0 „ b£s£2b-a, h£t^2h-a,
so stellt K{s, t) eine symmetrische Funktion der im Intervall a bis 2h — a
sich bewegenden Variabein s, t dar. Die Anwendung meiner Theorie auf
diesen Kern K(s, t) führt unmittelbar zu den Entwickelungssätzen von
E. Schmidt^), betreffend den unsymmetrischen Kern ^(s, t).
]) a. a. 0. 6 12— § 14
Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung. 195
Fünfzehntes Kapitel.
Die Theorie der polaren Integralgleichung.
Wenn Jc{s) irgendeine gegebene Funktion von s bedeutet, so möge
allgemein
fj
f(s) = Jc(s)(p(s) - xjK{s, t)(p{t)(U
a
eine Integralgleichung dritter Art heißen. Es sei im folgenden K{s, t)
eine symmetrische Funktion von s, t mit der Eigenschaft eines positiv
definiten Kerns, d. h., wenn u(s) irgendeine stetige Funktion bedeutet,
so möge immer
b b
JJK{s, t) u {s) u(t)dsdt^O
a II
ausfallen; ferner setzen wir insbesondere
wo y{s) eine Funktion von s bedeutet, die streckenweise abwechselnd
die konstanten Werte + 1 oder — 1 und überhaupt keine anderen Werte
annimmt und zwar so, daß V^s) wenigstens an einer SteRe innerhalb des
Intervalls a bis & und sicher nur an endlich vielen Stellen sein Zeichen
ändert; die so entstehende Integralgleichung
6
(49) f{s) = Vis) cp (s) - xJK{s, t) cp (t) dt
a
mit symmetrischem definitem Kern werde der Kürze halber als polare
Integralgleichung bezeichnet.
Mit Hilfe unserer Theorie der quadratischen Formen unendlich vieler
Variabler gelingt es, für die polare Integralgleichung eine analoge Theorie
zu entwickeln wie für die orthogonale Integralgleichung. Dabei bedarf es
als Bindeglied und zur Verraittelung zwischen Integralgleichung und qua-
dratischer Form irgendeines Systems von unendlichvielen Funktionen
n,{s), n,{s),...
der Variabein s, die im Intervall 5 = a bis s = 1) stetig ev. abteilungs-
weise stetig mit endlichvielen Sprungstellen an bestimmten Punkten des
Intervalles sind und die folgenden Eigenschaften erfüllen :
I. die Polaritäts-Eigenschaft
b
J v{s) Ji, iß) n, (s) ds = 0 (ij + q),
im
Jv{s){n^{s)yds =vp,
a
13*
196 Kap. X\'. Die Theorie der polaren Integralgleichung,
wobei zur Abkürzung
t'l = + 1 , V., = —l, V3 = + 1 , V^ = — l, Vr, = + 1, ...
gesetzt ist-,
II. die VollständigJceits-Iielation, die darin besteht, daß identisch
für jedes Paar stetiger Funktionen u{s), v{s) der Variabein s
h h h
fV{s)u(s)ds = v^f V(s)u(s) ni(s)ds fV(s)v{s) ni{s)ds
a a a
h h
+ ^2 / V{s) II iß) JTg {s)dsj V{s) V (s) TTg (s) ds + ■'-
a a
wird.
Wir bezeichnen ein solches System von Funktionen n^(s), IJ^is), . . .
als ein polares vollständiges FunJitionensystem für das Intervall
s = a bis s = h.
Ist u(s) irgendeine im Intervall s = a bis s = & stetige Funktion
von 5, so mögen die Integrale
h I,
^1 J V{s) ii{s) 77i (s) ds , V., f V{s) a (s) 11^ (s) ds, ...
a (I
die Fourier -Koeffizienten der Funktion u{s) in bezug auf das polare
vollständige Funktionensystem n^{s), U^is), . . . heißen und mit
[w(*)]l, [m(*)12,---
bezeichnet werden, so daß allgemein
/<
[**(*)]p = VpfV(s)u(s)n,(s)ds {p = 1,2,...)
a
wird.
Bei Benutzung dieser Bezeichnungs weise nimmt die obige Voll-
ständigkeits-Relation die Gestalt an:
(51) Jr{s)u(s)v(s)ds = v,[ri{*)l\vi*)\ -\- ik[u{*M^i*)] + •••••
a
Um für das Intervall a bis h ein polares vollständiges Funktionen-
system zu konstruieren, fassen wir einmal die Teilintervalle ins Auge, in
denen
Vis) = + 1
ausfällt, und bestimmen für dieses IntervaUsystem ein orthogonales voll-
ständiges Funktionensystem:
0P(s), 0,i'Ks), ...;
sodann fassen wir die Teilintervalle ins Auge, in denen
Vis) = - 1
Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung. 197
ausfällt, und bestimmen für dieses Intervallsystem ebenfalls ein ortho-
gonales vollständiges Funktionensystem
0/-)(s), ^,i-\s), ....
Setzen wir nunmehr
77,(s)=*,(-)(s),
77.,(s) = 0,
JT,(s) = 0,
sobald s in einem der ersteren Teilintervalle liegt, und
77,(5) = ^,(-)(s),
773(5) = 0,
n,{s) = o,
sobald s in einem der letzteren Teilintervalle liegt, so erkemien wir sofort^
daß die so definierten Funktionen n^{s), 773(5), . . . sowohl die Polaritäts-
Eigenschaft besitzen, als auch die Vollständigkeits-Relation erfüllen.
Wir bilden nun durch Vermittelung des polaren vollständigen Funk-
tionensystems 77^ (s), Tljs), ... aus dem Kern K(s,t) der vorgelegten
polaren Integralgleichung eine Bilinearform, indem wir analog wie in
Kapitel XIV
k,{s) = [^(5, *)], = vJ'V{t)Kis,t)n,{t)dt,
(52)
K'j = [K(*)']p = ^P^'JfHs) y(t)^(ß, t)n^{s)n^{t)dsdt
a a
setzen. Wegen der Symmetrie von 7^(5, t) in 5, t haben wir
und demnach ist die mit den Koeffizienten h^^ gebildete Bilinearform
eine solche, wie sie aus der quadratischen Form
(53) K{x) = ^k^,jXpX^
(p, 9)
abgeleitet wird.
198 Kap. XV. Die Theorie der polafen Integralgleichung.
Nun ist unser spezielles Polarsystem /7i(5), H^is), . . ., wie sich un-
mittelbar aus seiner Definition ergibt, auch zugleich ein orthogonales voll-
ständicres Funktiouensvstera für das Intervall a bis b: für den in dieser
Auffassung gel)ildeten Fourier- Koeffizienten einer Funktion u{s) ergibt
sich leicht
/. b
{u{*)]p = fu{t)n^{t)dt = v,fv(t)u(t)nj,{t)dt = [ii{*)]p,
n n
und daher sind insbesondere auch Ä^^ als Fourier-Koeffizienteu von K{s, t)
in bezug auf ein orthogonales System anzusehen; wir können also genau
wie in Kapitel XIV (S. 186) schließen, daß K{x) eine vollstetige Funk-
tion der unendlichvielen Variabein ist. Überdies ist K{x) eine positiv
definite Form; denn der nte Abschnitt derselben läßt sich in die Gestalt
bringen
h b
Kip) = 2 VpV.XpXg ff Vis) V{t)K{s, t)np{s)n,{t)dsdt
{p,q=l,2,...,n) ^^
b b
= JJK{s, t)P{s)P(t)dsdt,
a a
worin zur Abkürzung
' (p = l,2,...,n)
gesetzt ist; das letztere Doppelintegral besitzt aber gewiß keine nega-
tiven Werte, da K(s, t) nach Voraussetzung ein positiv definiter Kern ist.
Infolge dieser Tatsachen ist die Anwendung des Satzes 38* in Ka-
pitel XII (S. 162) auf die Form K{x) und die mit abwechselnden Vor-
zeichen gebildete Form
V{x) = v^x^^ + v^x^^ -\- ■ ■ • = x.^^ ~ x^^ -\ • ■ •
gestattet, und dieser Satz liefert für jene quadratische Form eine Dar-
stellung
(54) Kix) = J^\x) + J,Hx) + • • • ;
darin sind ^i(^), ^d^(x) . . . stetige Linearformen, die den Relationen
(55) ^,(.)F(.,.;4X.) = 0 ip + q\
(56) J,{.)V(.,,)J,i.) = t,
genügen, wo f^, fg» • • •? wenn in unendlicher Anzahl vorhanden, gegen
Null konvergente Größen sind. Aus (54), (55), (56) folgt überdies
(57) J,{.)V(.,.)K{,,x) = %J,{x).
Aus den obigen Bemerkunoren über die orthogonale Natur des Funk-
tionensystems n^(s), /7o(s), . . . folgt auch wie oben
b
f((K(s, {)ydt = \\s) + i,\s) + .....
Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung. 199
Setzen wir daher
Jp{x) = XpiX^ -f Xp^x^ -\ (i>.= 1, 2, • • •),
so finden wir analog wie in Kapitel XIV, daß die Reihe
(58) ylp{vl-{s)) = Xp,vjc,{s) + Xp,v,l-2{s) + •••
gleichmäßig konvergiert und also eine stetige Funktion in s bestimmt.
Durch Multiplikation mit ü,^ F(s) TZ^ (s) und Integration nach .s erhalten
wir wegen (52)
[Ap{vk(*))\ = Ipivjci + Ip^v^kj^ + ••••.
Andererseits liefert die Vergleichung der Koeffizienten von x.^ auf beiden
Seiten von (57)
V^i^'yi + ^p2^2^\ß + • • • = ^pXpj,
und folglich ist
(59) [M^k(*))l=%2,^^.
Ist nun insbesondere f = 0, so folgt aus (59) — da ja nach einer
obigen Bemerkung die Größen [^„(y^'C*))],^ auch zugleich Fourier-Koeffi-
zienten in bezug auf ein orthogonales vollständiges System sind — wie
oben (S. 189), daß die Funktion A^^vhiß)) identisch Null ist. Anderer-
seits bezeichnen wir die von Null verschiedenen Größen f^; mit x (p= 1,2,...)
und die entsprechenden Linearformen A > mit A' sowie deren Koeffizienten
mit yl' j, A' 2j • • •; setzen wir dann
(60) A'^ivk{s))=^ xjris)7t^is),
so sind :/rj(s), ^^2(^)7 • • • abteilungsweise stetige Funktionen von s, für die
wegen (59)
[n*)^(*«=(+i), '^
wird, wo (+ 1) den Wert + 1 oder — 1 bedeuten soll, je nachdem y.
positiv oder negativ ist.
Nehmen wir nun in der Vollständigkeits-Relation (51)
u(s) = V(s)7i^Xs), v(8) = F(s);r,/s),
so lehrt dieselbe
fV(s):r.^Xs)^,^{s)ds = (± l)/± i\~^{v,X],,l',^, + v,k'^,,l\^, + • • •}
= (±iX(±i),-^^;(-)F(.,.)^;(.)
und folglich wegen (55) und (56)
fV{s)7t/s)7t,^(s)ds = 0 (i?H=7),
(61)
fr{s){^^{s)yds =(±1)/.
200 Kap. XY. Die Theorie der polaren Integralgleichung.
uegm des Bestehens dieser Gleichungen sagen wir, daß die Fmiktionen
n^{s), Tt^{s), . . . ein polares FmiJiHonensystem hilden.
Nehmen wir ferner in der Vollständigkeits-Relation (51) / als Inte-
grationsvariable und setzen
u{t) = K(s,t), i'(0=^(0^(0,
so folgt mit Rücksicht auf (58), (60)
*
(62) fK(s] t)7t^(t)dt = (± 1)^--^ (vAis)^',, + v,k,{s)k'^, + . • 0
= ^ V{s)Xp{s),
einführen,
(63) F(5)^/5) = kjK{s, t)7t^(t)dt-
a
d. h. die zu unserer ursprünglichen vorgelegten polaren Integralgleichung (49)
gehörige homogene polare Integralgleichung
h
(64) V(s) (p (s) - ifKis, f) (p (t) dt = 0
a
besitzt für l = A die wegen (61) geiriß nicht identisch verschuindende
Lösung (p{s) = ^ Js).
oder wemi wir
1
Wir wenden uns nun zu der wichtigsten Frage, nämlich der Frage
nach der Entwickelbarkeit einer willkürlichen Funktion in eine
Reihe, die nach den Funktionen des polaren Systems n^^{s)f 7t^{s)f . . . fort-
schreitet.
Bei dieser Untersuchung legen wir die aus (54) hervorgehende
Identität
(65) K{x, y) = A, (x) A, (y) + A, (x) A,{y) + • • ■
zugrunde und wenden auf den hier rechts stehenden Ausdruck die
analoge Betrachtung an, wie sie in Kapitel XIY auf den Ausdruck (41)
angewandt worden ist. Wir verstehen dann wiederum unter g{s) eine
willkürliche in s stetige Funktion und setzen in die Identität (65)
ein. Da mit Rücksicht auf die Vollständigkeits- Relation (51) mit Hilfe
von (52)
Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung. 201
b
a
= \ fK{s,*)g{s)ds
wird, so bekommt die linke Seite jener Identität (65) nach Einsetzung^
von (66) den Wert
i\\{s)
+ vJ{Js)
fK(t, *)g(t)dt
+
l> 0
=JjK{s, r) V{r)K{r, t)y{i)drdt.
Andererseits wird bei Heranziehung von (59) und der Vollständigkeits-
Relation (51)
- ^J j;{v]c(s))9{s)ds
a
? /
= ^-^jy{s)^,{^)cj{s)ds.
Folglich geht die rechte Seite jener Identität (65) nach der Substitution (66)
mit Rücksicht auf die Tatsache, daß A^{vli{s)) verschwindet, sobald !^
NuU ist, und mit Bemerkung von (60) in
V{s) Ui I Jfi i / V{s) %^ {s)g{s) ds ■ ;tj (s) + Xg | JCg I /^(^) ^2 («) 9 («) ds • ti^ (s) +
' a a
über. Setzen wir daher
(67) /•(«) =jjv{s)K{s, t) V{t)K{t, r)g{r)dtdr
a a
b
=JVKVK(s,r)g{r)dr,
a
WO zur Abkürzung
6
VKVK{s, r) ==fr(s)K(s, t) V(t)K(t, r)dt
a
gesetzt ist, und setzen wir ferner, indem wir (62) berücksichtigen,
202 Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung.
SO führt die Vergleichung beider Seiten der Identität (65) nach Multi-
plikation mit V(s) zu der Formel
f(s) = Ci7li(s) -\- C^_7t.2{s) + ■ ■ ■ ,
WO die Reihe rechter Hand nach den obigen Ausführungen stleichmäßig
und absolut konvergiert; d. h. wir erhalten den Satz:
Satz 41. Jede durch Vermittlung einer stetigen Funktion g(s) in der
Gestalt (()7) darstellbare Funktion f(s) läßt sich auf Fouriersche Weise in
eine nach den FiinJctionen jt^i's), n.^{s), . . . fortsei ireit ende gleichmäßig und
absolut konvergente Reihe
f{s) = Cialis) -\-c,:t,{^ + •••,
a
entivickeln.
Die Werte A^, I.2, ... wachsen, wenn in unendlicher Zahl vorhanden,
absolut genommen über alle Grenzen; sie und die zugehörigen polaren
Funktionen ^liß), n^is), . . . sind wesentlich durch K(s, t) und V{s) be-
stimmt; wir nennen sie die Eigentverte bzw. Eigenfunktionen der polaren
Integralgleichung (49). Den Eigenwerten und Eigenfunktionen einer polaren
Integralgleichung kommen die entsprechenden Eigenschaften zu, wie wir
sie oben in Kapitel XIV im Falle der orthogonalen Integralgleichung
gefunden haben. Insbesondere erkennen wir durch ganz analoge Betrach-
tungen folgenden Satz:
Satz 42. I)ie zur polaren Integralgleiclmng (49) gehörige homogene
polare IntcgralgleicJiung (G4) besitzt nur für diese Eigenwerte l = X eine
nicht verschuindende Lösung, und die zu X gehörigen polaren Eigenfunktionen
bzw. deren lineare Komlnnationen sind auch die einzigen Lösungen der
homogenen Integralgleichung (64).
Besitzt eine polare Integralgleichung nur eine endliche Anzahl von
Eigenwerten Aj, . . ., A,,, so folgt aus dem Entwicklungssatze wegen
b h
(± %l'm Vis)7t^is)ds = ^fv{s)7t^Xs)9is)ds ip = 1, . . ., n)
a a
sofort
b
f{s) =^ JVKVKis, r)g{r)dr
a
b b
= XjV" J '^i'')^i(:^)9{r)dr.x^{s) -|- ■■■+xj^,j yi?-)^rh'^9(.r)dr-:ij^s\
a a
und da diese Gleichung für jede stetige Funktion g{r) statthaben muß,
so ercfibt sich
Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung. 203
VKrKis, t) = F(0{,-\~|;r,(s);r,(0 + • • • + ,^ ,\^^ ^Js)^Ji)]
oder nach Multiplikation mit V{s)
h
jK{s,r) V(:r)K{r,t)dr=V(s)V{t) {^^-^;r,(5);r,(^) + ...+^-i^;r„(s);r„(0),
d. h. Kis, t) ist eine derartige Funktion von s, t, daß, ivcnn man die Funktion
b
K VK{s, t) =fK(s, f) V{r)K(r, t)dr
a
bildet und darin eine der beiden Variahein, etiva t, als Parameter auffaßt,
diese Funktion KVK{s, t) für beliebige t nur n linear unabhängige Funktionen
der anderen Variabein darzustellen vermag; insbesondere ist gewiß ein
Eigeniveti der polaren Integralgleichung immer vorhanden, ivenn nicht
K VK{s, i) identisch in s, t verschwindet.
Die letzte Aussage gestattet die Umkelirung. In der Tat, verschwindet
KVK{s, t) identisch in s, f und besäße dann die homogene polare Integral-
gleichung (64) für irgendeinen Wert von X eine Lösung ^(5), so würde
durch Multiplikation derselben mit Kir, s) V(s) und Integration nach s
b h
jK{r, s)(p{s)ds - ijKVKir, t)cp{t)dt = 0,
a a
mithin
h
fK{r,s)(p(s)ds^O
a
und wegen (64)
' ^{s) = 0
folgen, d. h. die polare Integralgleichung besitzt geiviß keinen Eigenwert,
wenn KVK{s, t) identisch verschtvindet.
Nehmen wir beispielsweise das Intervall a = 0 bis b = \,
Vis) = + 1 für 0 ^ s < I,
V{s) = - 1 für \£s^l
und
K{s, t) = K{s + -h t) = K{s, t + X),
so gewinnen wir eine polare Integralgleichung mit nicht verschwindendem
Kern ^(5, t), die keinen Eigenwert besitzt, da, wie leicht erkannt wird,
die Funktion KVK{s, t) identisch verschwindet.
Wird von dem Kern ^(5, t) der vorgelegten polaren Integralgleichung
vorausgesetzt, daß er ein allgemeiner ist, so läßt sich leicht zeigen, daß,
wenn f{s) eine beliebige stetige Funktion und £ irgendeine noch so kleine
positive Größe bedeutet, stets mittelst geeigneter Koeffizienten eine solche
204 Kap. XV. Die Theorie der polaren Integralgleichung,
lineare Kombination f*{s) aus einer endlichen Anzahl der Eigeufimktionen
:rj(s), ^2(^)7 • • • gebildet werden kann, daß
/,
J'(fis)-risjyds<e
a
ausfällt. Ferner ist dann die quadratische Form K{x) abgeschlossen
(S 194), und wir können daher in der obigen Entwicklung an Stelle des
Satzes 38* in Kapitel XII den Satz 38 ebenda (S. 156) anwenden; wir
finden so, daß in diesem Falle die polare Integralgleichung sonohl unend-
lich viele positive als auch unendlich viele negative FAyemrerte besitzt.
Wie man unmittelbar sieht, bleiben die sämtlichen Entwicklungen
und Resultate der Kapitel XIII, XIV, XV gewiß dann gültig, wenn der
Kern K{s,t) Singularitäten von niederer als der .Vten Ordnung besitzt —
in dem Sinne, den wir in Kapitel VI (S. 31) festgesetzt haben; denn dann
bleibt {Kis, tff integrierbar und daher die aus K{s, t) entstehende bilineare
bzw. quadratische Form stetig.
Aber es zeigt sich sogar, daß im wesentlichen die al)solute
Integrabilität des Kerns — wenn dieser bei s -= t unendlich Avird —
für die Gültigkeit der Theorie genügt. Hier sei nur erwähnt,
daß der Beweis hierfür wiederum in der einfachsten Weise mittelst
der Methode der unendlich vielen Variabein durch eine geringe Modi-
fikation des obigen Verfahrens gelingt, während, wie es scheint, alle
bisher zur Auflösung der Integralgleichungen benutzten Methoden , ins-
besondere auch die Methode von Fredholm nicht anwendbar sind, da für
einen solchen Kern die im Nenner der „Fi-edholmschen Resolvente" auf-
tretende Potenzreihe nicht konvergieren muß und auch für keinen der
durch Iteration entstehenden Kerne die Konvergenz der entsprechenden
Potenzreihe stattzufinden braucht. Um mittelst der Methode der un-
endlich vielen Variabein die Lösung der Integralgleichung in diesem Falle
zu erzielen, bedienen wir uns des Satzes, daß die aus einem Kern Kis, t)
entspringende Bilinearform mit unendlich vielen Variabein gewiß voll-
stetig ausfällt, sobald die Singularität des Kerns von der Art wie f{s — t)
ist, wo f{x) eine bei x = 0 absolut integrable, sonst stetige Funktion be-
deutet. Man hat alsdann zum Beweise nur nötig, diejenige Integral
gleichung heranzuziehen, der die Funktion
s
^(s) =J(p{s)ds
a
genügt.
Kap. XYI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen. 205
Sechszehntes Kapitel.
Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen auf
Differentialgleichungen und auf Systeme von simultanen
Differentialgleichungen.
Die im vorigen Kapitel XV gefundene Entwicklung willkürlicher
Funktionen, die nach polaren Funktionen fortschreiten, bildet eine wesent-
liche Ergänzung der bekannten Entwicklungen nach orthogonalen Funk-
tionen; insbesondere kommen in der Theorie der Diiferentialgleichungen
polare Funktionensysteme neben den orthogonalen Systemen zur An-
wendung und erweisen sich dann als ein ebenso notwendiges Hilfsmittel,
wie die in der Literatur bisher allein behandelten orthogonalen Funktionen-
systeme.
So ist bisher in der bekannten Sturm-Liouvilleschen Theorie der
Differentialffleichung ^)
(68) -^p +iq-{-Xk)u = 0
stets die Voraussetzung gemacht worden, daß A* eine im betrachteten
Intervalle a bis b positive Funktion sei.^j Lassen wir diese Voraus-
setzung fallen und nehmen vielmehr an, daß Je eine stetige Funktion sei,
die im Intervalle a bis b eine endliche Anzahl von Malen ihr Vorzeichen
wechselt, so führt, wenn q ^0 ausfällt, die in Kapitel VII— VIII dargelegte
Methode nicht wie dort auf eine orthogonale, sondern auf eine polare
Integralgleichung mit definitem Kern, und da dieser Kern überdies all-
gemein ist, so zeigt die im vorigen Kapitel XV begründete Theorie, daß
die DiflFerentialgleichung (68) nunmehr sowohl für unendlich viele positive,
wie für unendlich viele negative Werte des Parameters X — die so-
genannten Eigenwerte — Lösungen besitzt, die den betreffenden homo-
genen Randbedingungen genügen und die Eigenfunktionen der Diffe-
rentialgleichung heißen mögen. Diese Eigenfunktionen bilden, von dem
Faktor y\k abgesehen, ein polares Funktionensystem, und es folgt der
Satz, daß jede viermal stetig differenzierbare Funktion, die in den lland-
punkten a, b und den Nullpunkten von Ic gewisse Bedingungen erfüllt,
sich in eine nach jenen Eigenfunktionen fortschreitende Reihe entwickeln
läßt. Wir erkennen somit, daß aUe wesentlichen Aussagen der Sturm-
1) Vgl. Kapitel VII.
2) Vgl. indes Bücher, Bulletin of tlie Amer. Math. Soc, Vol. IV (1898), pag. 307,
wo das die Gleichung )j" = (p{x,X)y betreffende Oszillationstheorem bewiesen wird.
206 Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleicliuugen.
Liouvilleschen Theorie unabhängig von der Voraussetzung des definiten
Charakters der Funktion Je gültig bleiben, wenn nur die Funktion ^9 den
definiten Charakter besitzt und q ^0 ist.
Die in Kapitel VIII gegebene Theorie der partiellen Differential-
gleichung
. du ^ du
^- + ^ + (« + ">-o
gestattet nunmehr die entsprechende Erweiterung auf den Fall, daß die
stetige Funktion /.• in einer endlichen Anzahl von regulär begrenzten
Teilgebieten innerhalb des Gebietes J verschiedene Vorzeichen besitzt.
Wir erkennen wiederum genau auf dem eben angedeuteten Wege, daß
diese partielle Differentialgleichung sowohl für unendlich viele positive,
wie für unendlich viele negative Werte des Farameters A der betreffenden
homogenen Randbedingung genügende Lösungen besitzt*), nach denen
sich gewiß eine jede viermal stetig differenzierbare Funktion entwickeln
läßt, wenn sie auf dem Rande sowie in den Grenzkurveu jener Teilgebiete
gewisse leicht anzugebende Bedingungen erfüllt.
Die in Kapitel VII— VIII entwickelte Theorie der linearen gewöhnlichen
und partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung läßt sich auch auf
Systeme von simultanen linearen Differentialgleichungen aus-
dehnen. Dies soll an dem Beispiel des Systems zweier Differential-
gleichungen zweiter Ordnung mit einer unabhängigen Variabein gezeigt
werden.
Es seien Ui{x), ««aC^) die zu bestimmenden Funktionen der unab-
hängigen Variabein x und
+ 2qij^{x)Ui'u^ -f 2q^^Uy'u^ + 2q^^H^'u^ -\- 2q,,^u.2U^
ein homogener quadratischer Ausdruck in u^, u^ und den ersten Ableitungen
, dn^ {x) , du^ (x)
^^1 ^ d^' *'2 = -'i-^ y
dessen Koeffizienten Jhi^ P12; Ihiy '/m '/u'? 'hn ^22? ''m ^"12? ^22 gegebene
stetige Funktionen von x sind und worin überdies p-^^^p^^ — Pi-,^ für keinen
Wert des Intervalles x ^^ a bis x = h verschwinden soll.
1) Die Existenz dieser Funktionen für die partielle Ditferentialgleichung
^u -\-Xku = (i hat bereits M. Mason nach einer von mir herrührenden Methode
gezeigt; Journ. de Math. 1904.
Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen. 207
Durch Xullsetzen der ersten Variation des Intesfrals
D{ui, u.,) =jQ(uy, u^', Ui, u^dx
entsteht das System der zwei linearen Differentialgleichungen
(69) L^{u^, Wo) = 0, 1-2 ("i? %) = 0,
Avenn zur Abkürzung
dQ
(70)
' dQ
gesetzt wird.
Bedeuten v^, i\ wiederum zwei Funktionen von x, so finden wir
durch Anwendung der Produktiutegration das Analogon der Greenschen
Formel, wie folgt
b
(71) J[v^L^{ii) — u^L^{v) + v^UiiC) — iL-^L^{v)\dx
_ 1 r, s3- 13 \ . '^^ ^<?t
- L ^ dii'i ^ dVi • ou^ - dv^ Ja
Wir wollen nun die Lösungen u^^s), u^is) der Differentialgleichungen (69)
bei homogenen Randbedingungen nach Analogie der in Kapitel VII
(S. 41 — 42) aufgestellten Bedingungen I — V unterwerfen. Der Kürze
halber ziehen wir jedoch hier nur die Forderung des Verschwindens beider
Funktionen an den Randpunkten a, h, also die Randbedingungen
^ ^ ii^{a) = 0, «2(6) = 0
in Betracht. Wir nehmen nunmehr an, es gäbe zwei den Parameter ^
enthaltende Systeme von Lösungen der Differentialgleichungen (69)
.-gx «1 = <^n{^, ^), i «1 = ^12 (^; !>),
U. = 6^21 {^, I), U.2 = G^,^{x, I)
von folgender Beschaffenheit:
1. Die vier Funktionen G^^, G^i, G^^, G.^.^ ^^^^ sämtlich zweimal
stetig differenzierbare Funktionen für alle x mit Ausnahme der Stelle x = ^
innerhalb des IntervaUes a bis ?>; für x = 'i sind jene vier Funktionen
vielmehr von der Gestalt
Gj , (x, I) = - i.Tu (I) A' - I + >S;i {x), (?i2 {x, I) = - -i-;ri2 (I) -r - £ + S,^ {x\
Gn{x,i,) = -^r:t,,{t)\x-i> +S^,{x), G,,{x,i)==-^:i^,{t)\x-k\-^S,,{x\
wo rTij, -Tj2, HTgi, :r22 die aus den Gleichungen
208 Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen.
'"^iiPu + ^2ii'i2 = 1 j ^nlhi + -T22P12 == Ö'
zu bestimmenden Funktionen des Parameters |, und ^u, S^^, S^^, S.,^
stetig differenzierbare Funktionen von .r sind.
2. Die beiden Funktionenpaare G^, (?.2i und (tjj, G^a genügen
identisch in | den Randbedingungen (72).
Das System der vier Funktionen (73) heiße dann das Greensche
System für die Differentialausdrücke L^, L^ hei den Rand-
bedingungen (72).
Setzen wir in der Greenschen Formel (71)
ih=(x^i{x,^), Vi=6^i,(a;, ^*),
«2 = G^2i (^j ^) ; ^'2 = ^21 (^> ^'') j
ferner
und endlich
Wj = Gii{x, I), i\ = Gi2(ä;, I*),
*<'2 =■ G^2i (^j ^) ; «'2 = ^22 (^' ^*)
«2 = Ö22(^, I), «^2 = ^22 (^; ^*)>
SO finden wir leicht das Symmetriegesetz des Greenschen Systems
der Differentialausdrücke L^, L.2,
^11 V^'} to) = ^11 (b; J^)}
G^^ix, I) = Gc^^i^^x),
Go^.2(x, I) = 6r22(|, ^).
Bezeichnen nun cp^(x), (p-iix) gegebene stetige Funktionen der Varia-
bein X und verstehen wir unter fi(x), f^i^) Lösungen der inhomogenen
Differentialcrleichungen
.^^x L,(f„f,) = -9>i(^),
die durchweg innerhalb des lutervalles stetig difierenzierbar sind und den
Randbedingungen (72) genügen, so finden wir mit Hilfe der Greenschen
Formel (71) ebenfalls leicht
f,(x) =/{ GJx, l)cp,{^) + G,.Xx, i)^-S)]dl,
(75)
f,{x) =f{ G,,{x, ^cp.ii) + G,,{x, ^)cpS)}dl
tt
Umgekehrt, die so dargestellten Funktionen fi(x), fJx) sind Lösungen
von (74) und genügen zugleich den Randbedingungen (72).
Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen. 209
Wir definieren jetzt folgende Funktion von x l)zw. .r, % in dem Inter-
valle a bis 2& — a\
fix) = /i {x) für a^x < h
= i\{x — h -{- a) „ h ^x ^2h — a,
(p (x) = (p^{x) „ a ^x <i h,
= q}2{x — b -\- a) „ h ^x ^2b — a,
G{x, ^) = G^^{x,l) „ a£x< h, a£^< h,
= 6ri2(a:, I — 6 + a) „ a ^ x < b, & ^ | ^ 26 — a,
= G21 (x — b -i- a, ^) „ b^x^2b — a, a^i,<.b,
= (to, (a: — 6 -f a, I — 6 + «) „ b ^x ^2b — a, b ^ ^ ^2b — a.
Alsdann stellen sich die Integralgleichungen (75) in der Gestalt der
einen Integralgleichung dar (vgl. Kap. XIV, S. 194):
(76) fix)=fG{x,i)cp{l)dl
a
Die Funktion G{x, |) ist nach dem vorhin aufgestellten Symmetriegesetz
symmetrisch in bezug auf die beiden Variabein x, |; sie stellt überdies
einen Kern dar, der, wie wir aus (74) schließen, abgeschlossen und all-
gemein ist.
Wir betrachten nun die durch Einfügung eines Parameters X er-
weiterten simultanen Difierentialausdrücke
-^iK, ''2) = -^1(^1, M2) + l{kn{x)u^ + \^{x)n^^,
A{^h> ^2) = ^2(^*1» w^) + l{Ji2i(x)u^ + \2{x)u2),
wo Ä"^^, ^12 = ^''21 ; ^''22 gegebene stetige Funktionen von x sein mögen, deren
Determinante A^^^A^g — A:^2^ ^^^ i^^ einer endlichen Zahl von Teilintervallen
verschiedene Vorzeichen besitzt.
Wir lösen nun die Gleichungen
^1= ^''11^1 + A-i2«2J
(78)
nach n^, n.^ auf, wie folgt
(79)
^2 = ^^21 '1 I %2^'27 \^12 ^^ '^21/7
und bestimmen dann a^^, «jg, Uo^, a.^^ als irgendwelche Funktionen von x
derart, daß, wenn
«2 = «21 9^1 + ^22 ^2
gesetzt wird, in ^j, (jp, die Identität
(81) ><n^i"+ 2xi2rir2-(- x22V.2-= Fi(a;)9:i2-f- r2(a;)9J22 **
Hatb. Monogr 3: Hubert, lin. lutegralgleichungen. 14
210 Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen.
besteht, wo Vi{oc), V^(x) Funktionen von .r sein sollen, die nur die
Werte -f 1 oder — 1 annehmen. Die Substitution (80) möge ferner
die Identität
/g9X (^ll'^l{^)^\{^) + ^12*'l(^)^'2(^) + ^21^"2(^)^l(^) + ^22^2(^)^'2(b)
liefern, wo H^^, H^^, -öoi? -^22 Funktionen von x, ^ werden; endlich be-
zeichne H{x, I) diejenige symmetrische Funktion von x, | im Intervalle a
bis 2b — a, die aus H^i, Uy,, H^^, H^^ ebenso gebildet ist, wie vorhin
G{X, I) aus (tji, (ti2, Cr^^, (^22-
Damit haben wir die Mittel zur Erledigung der Frage gewonnen,
ob die homoffenen Differentialgleichungen
(83) A^iii^, a^) = 0, j1^{u^, 11^ = 0
außer Null Lösungen besitzen, die zugleich den Randbedingungen genügen.
In der Tat, aus
ig i^h ,^2) = — l (Ä'2i «1 + ^-22 «2)
. folgt nach (74), (75)
u,{x)==xf{G,,(x,l^)(k,,{^)u,{^)-hl\.A)u2{^)) + G,,{x,^
a
b
n2{x) = kf[G,,(x,l)ß-,,{i)u,{t>-\-Jc,2i^ni2{^)) + G2^^^^^
a
oder nach Ausführung der Substitution (78), (79)
0lii{x)v^{x) -f JCi2(^)^2(^) = ^J [G-ni^, i)^'i(^) + ^12 (^; 1)^2(1) }^^r
a
b
J«2l(^)«^l(^) + 5f22(^)^2(^) = ^f{ 0^21 (^. 1)^1 U) + ^22(^; D^gd)}^!.
a
Wenden wir endlich auf die Funktionen v^, v^ die Substitution (80) an
und kombinieren diese Gleichungen entsijrechend, so erhalten dieselben
unter Zuziehung von (81), (82) die Gestalt
b
\\{x)cp,{x) = lf{H,,{x, ^)cp,{^) + H,,{x, l)cpS)]di,
a
},
\\{x)^.{x) = lj'{H,,{x, ^)^i(l) + H,,{x, |)(jP2(|)}^l,
a
oder
26 — a
(84) V{x)q>{x) - xjH{x, l)(p{l)dl = 0,
a
wo (p, H die festgesetzte Bedeutung haben und V{x) durch die Gleichungen
Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen. 211
r(x) = V^{x), ((£x£ h,
= V.,{x — h ^ d) , h^x<2h — a
definiert ist.
Aus (84) haben wir zimäclist (p zu bestimmen und daraus die Funk-
tionenpaare 9?!, (p.^, alsdann nach (80) v^, v^ und schließlich aus (79) die
gesuchten Integrale u^, u^ von (83) zu entnehmen. Hinsichtlich des
Charakters der Integralgleichung (84) sind zwei FäUe zu unterscheiden,
je nachdem Tix) für alle x dasselbe Vorzeichen darstellt oder nicht.
Der erste Fall tritt ein, wenn die quadratische Form
^'"ll'^l" "T 2Z\2«iW2 + ^"22 ^'2"
für alle Argumente x positiv oder negativ definit ausfällt, d. h. wenn für
alle X
(85) \^ {x) ^"22 ipc) — \^^ {x) > 0
ist. Die Integralgleichung (84) ist dann eine orthogonale, und es gibt
unserer Theorie zufolge loieiicllicJi viele Werte von X — die EigemveHe A^^^ — ,
für die Lösungen der verlangten Art vorhanden sind — die zugehörigen
Eigenfunktionenpaare Uj^\ u^^^ jenes DifferenUalgleiclmngssijtems (83). Jedes
Paar zweimal stetig differenzierbarer, in den Randpunkten verschwinden-
der Funktionen t\{^^} f-ii^) ^^^^ ^^^^ i^ Reihen nach jenen Eigenfunktionen-
paaren simultan mit gleichen Fourier-Koeffizienten entwickeln wie folgt
f,{x) = c,u,^%x) ^ c,u,^')(x) + ■ ■ ■,
f,{x) =^ c,u,('\x) + c,ii,('){x) -{- ■ ■ ■.
Ist die Bedingung (85) nicht erfüllt, so wird V(x) gewiß beide
Werte + 1 und — 1 annehmen. Die Integralgleichung (84) ist dann
eine polare Integralgleichung mit definitem Kern, sobald die quadra-
tische Form Q{iii, 1(2', Kl, «2) ^^^*' ^li® Variabeinwerte x hinsichtlich der
vier Argumente u/, u.^, u^^ iL, positiv definiten oder negativ definiten
Charakter hat. Ist diese Bedingung erfüllt, so findet die in Kapitel XV
entwickelte Theorie der polaren Integralgleichung Anwendung, und wir
erkennen, daß es wiederum unendlich viele und zwar sowohl unendlich
viele positive als aucli unendlich viele negative Werte von k — die Eigen-
werte — gibt, für die Lösungen von der verlangten Art vorhanden sind —
die. zugehörigen Eigenfunldionenpaare jenes Differentialghicliungssystems (83).
Jedes Paar viermal stetig differenzierbarer Funktionen, die in Rand-
punkten und in den Nullstellen von /'■iiÄ'22— ^12^ gewissen Bedingungen
genügen, läßt sich in Reihen nach jenen Eigenfunktionenpaaren simultan
mit gleichen Fourier-Koeffizienten entwickeln.
Daß es für die simultanen Differentialgleichungen (69) stets ein
Greensches Funktionensystem ev. im erweiterten Sinne (vgl. Kapitel VII
14*
212 Kap. XVI. Anwendung der Theorie der polaren Integralgleichungen.
S. 44) gibt, wird in derselben Weise gezeigt, wie im Falle einer einzigen
Differentialgleichung.
Eine genau entsprechende Behandlung gestatten die Systeme simul-
taner partieller Differentialgleichungen.
Was die Konstruktion Greenscher Funktionen für simultane partielle
Differentialausdrücke betrifft, so können wir uns desselben Verfahrens
bedienen, das ich im zweiten Abschnitt für einen einzelnen linearen
partiellen Differentialausdruck entwickelt habe.*) Dieses Verfahren er-
fordert aber nicht nur, daß der vorgelegte Differentialausdruck die Normal-
form besitzt, sondern es setzt auch die Kenntnis der Greenschen Funktion
für den Ausdruck A voraus — zwei Umstände, die die Verallgemeinerungs-
fähigkeit des Verfahrens erheblich beeinträchtigen. Es ist daher die Be-
merkung von Wichtigkeit, daß bei jenem Verfahren die Eigenschaft der
Greenschen Funktion, der Gleichung z/ = 0 zu genügen, gar nicht wesent-
lich benutzt wird und daher in demselben die Greensche Funktion sich
durch irgendeine Funktion der Variabeinpaare xy^ t,ri ersetzen läßt, die
nur die übrigen für das Verfahren wesentlichen Eigenschaften der Green-
schen Funktion besitzt. Auf diese Weise entsteht ein neues Verfahren,^)
welches, wie mir scheint, eine sehr weite Anwendungsfähigkeit besitzt,
indem es auch zum Ziele führt, wenn die Glieder zweiter Ordnung in
den partiellen Differentialgleichungen nicht in der üblichen Normal-
form vorgelegt sind, ja sogar auch auf Differentialgleichungen erster
Ordnung, sowie auf partielle Differentialgleichungen von parabolischem
und hyperbolischem Typus mit voUem Erfolge anwendbar ist. — Im
folgenden Abschnitt wird diese Methode an dem Beispiel der partiellen
Differentialgleichung auf der Kugel ausführlich dargelegt werden (Kap. XVIII).
1) Betreffs der hier angedeuteten Methode der „Parametrix" vgl. den Bericht
über einen von mir in der mathematischen (Gesellschaft zu Göttingen gehaltenen
Vortrag, Jahresbericht der deutschen Mathematiker -Vereinigung, Bd. 16 (1907),
S. 77—78.
2) Dieses von mir in Kapitel IX (zuerst Gott. Nachr. 1904, S. 247—250)
dargelegte Verfahrfen ist dasselbe, dessen sich neuerdings auch E. Picard (Rendiconti
del circolo matematico di Palermo, t. XXII, 1906, S. 2.ö0 — 254) zur Lösung der linearen
partiellen Differentialgleichung, die auch erste Ableitungen enthält, bedient hat.
Kap. XVII. Simultane partielle Differentialgleichungen erster Ordnung. 213
Sechster Abscliniti
Ainveiiduiig der Theorie auf verseliiedeiie Probleme
der Aiialysis und Geometrie.
In den folgenden Kapiteln XVU — XXI behandeln wir zunächst die
Randwertaufgabe für ein simultanes System von linearen Differential-
gleichungen erster Ordnung von elliptischem Typus, sodann wird die
Methode der „Parametrix^' zur Zurückführung von Differentialglei-
chungen auf Integralgleichungen auseinander gesetzt \md zur Integration
der allgemeinsten elliptischen linearen Differentialgleichung zweiter (3rd-
nung auf der Kugel verwandt, wobei die Theorie der Eigenwerte und
der Eigenfunktiouen auf der Kugel sowie das zugehörige Variations-
problem vollständig erledigt wird. Die dann folgenden letzten drei Ab-
schnitte beschäftigen sich mit besonderen, ganz verschiedenartigen Pro-
blemen aus der Geometrie und Analysis, nämlich mit Minkowskis Theorie
von Volumen und Oberfläche, mit einem Problem aus der Theorie
der automorphen Funktionen und endlich mit einer gewissen zweipara-
metrigen Randwertaufgabe, die mit Kleins Oszillationstheorem in engster
Beziehung steht: ich wollte durch die Auswahl dieser Beispiele die
mannigfache Verwendbarkeit meiner Theorie der orthogonalen
und polaren Integralgleichungen offenbar machen.
Siebzehntes Kapitel.
Die Randwertaufgabe für ein System simultaner partieller
Differentialgleichungen erster Ordnung
von elliptischem Typus.
In Kapitel VIII habe ich eine Methode angegeben, wie die Rand-
wertaufgaben für eine partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung
von elliptischem Typus mittels der Theorie der Integralgleichungen gelöst
werden können. Diese Methode ist auch anwendbar, wenn ein System
von simultanen partiellen Differentialgleichungen erster Ordnung vorliegt:
nur bedarf es dann einer entsprechenden Greenschen P'ormel, und an Stelle
der früheren Greenschen Funktion mit logarithmischer Unendlichkeits-
stelle X = ^, y = t] tritt ein System von Greenschen Funktionen, die an
jener Stelle gewisse Singularitäten erster Ordnung aufweisen. Wir woUen
hier die damit augedeuteten Modifikationen der Methode an dem folgen-
den speziellen Probleme erläutern.
214 Kap. XVn. Simultane partielle Differentialgleichungen erster Ordnung.
In der ari/- Ebene sei eine geschlossene Kurve C durch die Gleichungen
X = a{s), y = h{s)
gegeben, wo a{s), h{s) zweimal stetig differenzierbare Funktionen der
Bogenlänge s sind; das von C umschlossene Gebiet der xy-Yihene werde
mit J bezeichnet. Es seien die zwei simultanen partiellen Differential-
gleichungen
du dv
du , dv -, ^ j
dy ex
vorgelegt, wo jj, q, k, l gegebene innerhalb J einschließlich C zweimal
stetig differenzierbare Funktionen der unabhängigen Variabelu x, y be-
deuten; es wird nun nach zwei solchen Funktionen uixy), v{xy) ge-
fragt, die innerhalb J den partiellen Differentialgleichungen (1) genügen,
während u{xy) auf der Randkurve C gegebene viermal stetig differen-
zierbare Werte
m(s) =/■(«)
annimmt.*)
Für die linker Hand in (1) stehenden Differentialausdrücke erster
Ordnung führen wir zur Abkürzung die Bezeichnungen
^ ' ^ dx dy'
n/rr \ du dv
^K ^)-Ty-^d-x
ein. Alsdann stellen wir die folgende, der bekannten Greenschen Formel
entsprechende, für zwei willkürliche Funktionenpaare u{xy), v{xy), u*{xy).
v*(xy) gültige Identität auf:
(2) f{ if" L {u, v) — V* M{u, v) + u L (»*, if^) — v 7l/(?**, ?;*) } dJ
wo das Doppelintegral linker Hand über J oder irgendein innerhalb J
gelegenes Gebiet und das einfache Integral rechter Hand über die Rand-
kurven dieses Gebietes zu erstrecken ist.
Es mögen nun G^(xy, %ri), G^{xy, ^/j) für die Differentialgleichung
. d-u . d*u ^
dx- dy
1) Die hier dargelegte Methode ist in der Inauguraldissertation von W. A. Hurwitz
(Göttingen lülO) auch auf Systeme partieller Diöerentialgleichungen erster Ordnung
von nicht elliptischem Typus sowie auf kompliziertere Randbedingungen ausgedehnt
worden.
Kap. XVU. Simultane partielle Differentialgleichungen erster Ordnung. 215
die Greensehen Funktionen erster Art bzw. zweiter Art im erweiterten
Sinne ^) sein; dies sind solche Funktionen der Variabeinpaare x, y. |, t/,
deren jede die Form besitzt
- V log { {X - if + (y - 7i)^ } + r{xy, I ri)
— unter y eine für jeden innerhalb J liegenden Punkt t„ r, und für jeden
innerhalb J oder auf C liegenden Punkt x, y zweimal stetig diöerenzier-
bare Funktion verstanden — , die ferner identisch in |, rj den Ditferential-
gleichungen
dx^ + dy^
= 0,
dx^ oy-
2n
~ J
sowie den Randbedingungen bzw. der Integralbedingung
[G^{xy, |r?)]x=aw=0,
(3) r-^?n=.„rO' So^\«J.lnW=^
genügen, wo J den Flächeninhalt des Gebietes J bedeutet und unter n
die Richtung; der inneren Normalen auf der Kurve C zu verstehen ist.
Wir nehmen jetzt erstens
* _ _ ^ ^,, _ ggi
ex ' dy '
sodaß
i(M* V*) = 0,
wird, und führen diese Werte in die Formel (2) ein, indem wir zuvor
die ünendlichkeitsstelle t, r^ durch einen kleinen Kreis ausschließen. Der
Grenzübergang bei Zusammenziehung dieses Kreises auf den Mittelpunkt ^, >;
liefert dann die Gleichung
(>) (C)
•wo das Doppelintegral linker Hand über das Gebiet J und das einfache
Integral rechts über dessen Randkurve C zu erstrecken ist^ während )i
die Richtung der inneren Normale auf C bezeichnet.
Nehmen wir zweitens
oy dx '
■wobei
1) Vgl. Kapitel IX, S. 70—75.
216 Kap. XVIi. Simultane pai-tielle Differentialgleichungen erster Ordnung,
wird, so führt das entsprechende Verfahren zu der Formel
(5) f[^f^L{u,v)-^^^^M{u,v)-'-^ijdJ=ß{sf^^^
Hilfssatz. Wenn zwei Funktionen A(xy), B{xy) innerhalb J ein-
schließlich des Randes C zweimal stetig differenzierbar und überdies von
der Beschafi'enheit sind, daß für sie identisch in £, y] die zwei Integral-
gleichungen
(6) <•"
erfüllt sind, so sind A und B selbst identisch Null.
Zum Beweise dieses Hilfssatzes bestimmen wir durch Berechnung
des ebenen Flächenpotentials auf die in der Potentialtheorie übliche Weise
eine Funktion u{xij), die innerhalb J einschließlich C der Differential-
gleichung
. dA . dB
ex dy
genügt. Alsdann finden wir durch Integration sofort eine zugehörige
Funktion c, so daß
{ L(ti, V) = A,
^'^^ i M{ii, v) = B
wird. Führen wir nun die so gefundenen Funktionen u{xy), v{xy) in
(4) und (5) ein, so erhalten wir mit Rücksicht auf (7) und (6) die
Gleichungen
^(^'^) = ^j ^(^) T^^ ^^^ + ]tJ ^{^y)dJ''
(O [J)
Die erstere Gleichung zeigt, daß n(xy) nichts anderes als dasjenige ebene
Potential ist, das in J der Gleichung z/m = 0 genügt und auf C die
Werte u(s) aufweist. Bringen wir andererseits die letzte Gleichung auf
die Form
((■) {J)
80 erkennen wir, daß v dasjenige ebene Potential ist, dessen normale
/^ u d'ii ( ^) •
Ableitungen ^ auf C gleich den AVerten — r- sind, d. h. es ist v genau
Kap. XVII. Simultane partielle DiflFerentialgleichungen erster Ordnung. 217
ein zu ii konjugiertes ebenes Potential, so daß überall innerhalb ./ die
Differentialgleichungen
L{u,v) = 0,
31{u, V) = 0
gelten. Wegen (7) folgt hieraus, daß Ä und B identisch Null sind, und
damit ist unser Hilfssatz bewiesen. —
Um nunmehr die anfangs gestellte liandwertaufgabe für die Differential-
gleichungen (1) zu lösen, betrachten wir das folgende System von Integral-
gleichungen
V) in
(/) (f)
das sich auch in die Gestalt
(10)
i-n (to
.(^r?) + ([K,{bl,xy)u{xy) + K,{lri,xy)v{xy)]dJ=~^ß^^ G^'ds,
(J) in
bringen läßt, wo zur Abkürzung
2.TÄ^i(^j, xy) = -^p{xy) - -.- l^ixy),
27cK,{i7i, xy) = -^ q{xy) - ^ l{xy),
27cKs{i 1], xy)= ^ p (xy) - -^ k (xy) ,
2n-A^(|r?, xy) = .^ q(xy) - -.^ l(xy) - -j
gesetzt ist. Nehmen wir in (10) rechter Hand Null, so entstehen die
zu (10) zugehörigen homogenen Integralgleichungen.
Wir machen nun zunächst die Annahme, daß diese homogenen Integral-
gleichungen keine Lösung- besitzen. Nach dem bekannten von Fredholm
aufgestellten Satze haben dann die inhomogenen Integralgleichungen (10)
gewiß eine Lösung, d. h. es gibt stetige Funktionen u (h]), v{h,i]), die den
Gleichungen (10) genügen. Da wegen der dreimal stetigen Differenzierbar-
keit der Funktionen f(s), —^- auch die rechten Seiten in (10) dreimal
stetig differenzierbare Funktionen von t, r, innerhalb J und auf C siud^
80 folgt in der üblichen Weise durch dreimalige Iteration der Formeln (10),
wonach sich u{tri), i'(|r/) schließlich als achtfache Integrale darstellen^
^18 Kap. XVII. Simultane partielle Differentialgleichungen erster Ordnung,
daß diese Funktionen «(!»/)> ^'(.^v) ebenfalls dreimal stetig differenzierbar
innerhalb J und auf C sind.
Wegen der Symmetrie der Greeuschen Funktion G^ in den Variabein-
paaren X, y und |, tj folgt nach (3), daß sie identisch in x, y verschwindet,
sobald der Punkt t, i] in einen Punkt a der Randkurve C rückt, und mit-
hin müssen dann auch K^(a, xy) und K.,{6, xy) identisch in x, y ver-
schwinden; die erstere der beiden Gleichungen i lOj liefert mithin für die
Funktion u die vorgeschriebenen Randwerte
(11) u{6) = aa).
Nunmehr fähren wir die eben als Lösung der Integralgleichungen (10)
erhaltenen Funktionen u, v sowohl in die Formeln (4), (5) wie in die
Formeln (8), (9) ein. Subtrahieren wir dann (8) von (4) und anderer-
seits (9) von (5), so entstehen unter Benutzung' von (11) Gleichungen
von der Gestalt
f{^ ^(^^) + fy B(xy)]dJ= 0,
"WO zur Abkürzung
^^*'^) = dl ~ dy ~ ^P^ + ^^^'
^(-^) = 1^ + H - (^•" + ^^0,
gesetzt ist. Da hier offenbar Ä, B zweimal stetig differenzierbare Funk-
tionen der Variabein x, y innerhalb J und auf C werden, so sind die-
selben mit Rücksicht auf den oben bewiesenen Hilfssatz identisch Null,
<1. h. die Funktionen, m, v genügen den anfangs vorgelegten partiellen
Differentialgleichungen (1) erster Ordnung.
Nunmehr mögen entgegen der oben gemachten Annahme die zu (10)
gehörigen homogenen Integralgleichungen eine Lösung «(^>?), v[h,ij) be-
sitzen, so daß nicht zugleich u = 0, f = 0 ist. Dann zeigen die eben dar-
gelegten Überlegungen, daß diese Funktionen Lösungen der Differential-
gleichungen (1 ) sind, von denen die erstere, u(xy), die Randwerte Null
besitzt. Ferner sind in diesem Falle — wie die Theorie der Integral-
gleichungen lehrt — , die inhomogenen Integralgleichungen (10) «gewiß
lösbar, sobald ihre rechten Seiten gewisse lineare Integralbedingungen
erfüllen, d. h. bei der gegenwärtigen Annahme gibt es gewiß dann eine
Lösung der partiellen Differentialgleichungen (1), wobei u die Rand-
werte /'(s) hat, wenn f\s) gewissen linearen Integralbedinguugen ge-
nügt. Doch sei bemerkt, daß unter besonderen Umstäntlen diese Integral-
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 219
bedingungen identisch von allen Funktionen f{s) erfüUt sein können; so
besitzt offenbar das für
p = 0, q^O, /.=(», ? = 0
aus (1) hervorgehende Gleichungssystem stets Lösungen, wobei u beliebicr
vorgeschriebene Randwerte f(s) aufweist, obwohl dieses Gleichungssy.stem
die von m = 0, f = 0 verschiedenen Lösungen u = 0, v = 1 mit den
Randwerten f(s) = 0 zuläßt.
Durch Zusammenfassung der erhaltenen Resultate gewinnen wir
den Satz:
Satz 43. Wenn die partiellen Differentialgleichungen (1) außer m = 0,
V = 0 liein Lösungssystem u, v besitzen, derart daß u auf der Randkurve G
verschnindet, so besitzen sie stets notivendig ein Lösungssystem u, v derart,
daß u auf der Handkurve^ C irgend vorgeschriebene Werte f{s) annimmt.
Im entgegengesetzten Falle, d. h. ivenn es ein Lösungssystem u, v der
partiellen Diff'erentialgleicliungen (1) derart gibt, daß u auf C verschwindet
und die Funktionen u, v nicht beide überall in J Null sind, so existiert
ein Jjösungssystem u, v, tiobei u auf C die vorgeschriebenen Randtverte f{s)
einnimmt, sicher immer dann, wenn f{s) yetvissen linearen Integralbedingungen
in endlicher Anzahl genügt.
Achtzehntes Kapitel.
Eine neue Methode der Zurückführung von Differential-
gleichungen auf Integralgleichungen.
Begriff der Parametrix.
Zum Schluß von Kapitel XVI habe ich auf eine neue Methode^)
hincrewiesen , durch welche sich die Lösung linearer Differentialglei-
«hungen mit Hilfe von Inteofralgleichuntren bewerkstelligen läßt. Diese
Methode unterscheidet sich von dem in Kapitel VII — VIII entwickelten Ver-
fahren wesentlich dadurch, daß an Stelle der dort benutzten Greenschen
Funktion die „Parametrix" tritt, d. h. eine Funktion, die ebenso, wie
<]ie Greensche Funktion außer von den Variabein noch von Parametern
abhängt, und auch die Unstetigkeits- und Randbedingungen wie die
Greensche Funktion erfüllen muß, aber keineswegs Avie diese einer Diffe-
1) Vgl. auch die inzwischen erschienene scharfsinnige Abhandlung von E. E. Levi:
I problemi dei valori al contorno per le equazioni lineari totalmente ellittiche alle
derivate parziali. Rom 1909.
220 Kap. XVIII. Methode der Parametris.
rentialgleichmig zu genügen braucht. Die hierdurch gekennzeichnete
Modifikation bringt den Vorteil mit sich, daß man bei der Integration der
Differentialgleichung nicht nötig hat, zuvor die Lösbarkeit einer anderen
Differentialgleichung vorauszusetzen, und daß es daher auch gelingt, solche
partielle Differentialgleichungen auf Integralgleichungen zurückzuführen,,
die nicht in derjenigen Normalform vorliegen, wie wir sie im zweiten
Abschnitt stets angenommen haben.
Ich entwickle in diesem Kapitel die neue Methode an dem Beispiel
der allgemeinsten linearen partiellen Differentialgleichung vom elliptischen
Typus, während das Integrationsgebiet die Vollkugel ist.
Es seien s, t die unabhängigen Variabein und z, iv irgendwelche
Funktionen derselben; als untere Indizes an einer Funktion mögen s, t
bedeuten, daß die partiellen Ableitungen der Funktion nach s, t zu nehmen
sind. Wir gehen aus von dem allgemeinsten linearen partiellen Ditterential-
ausdruck zweiter Ordnung
2(^) = a^^^ + 2bz^f-{- cZf;-\- Iz^ + mz,-\- nz,
wo a, 6, c, I, m, n gegebene Funktionen von s, t sind. Der zu 2(^')
adjungierte Differentialausdruck ist
m{z) ^ («4,+ 2(&4,+ {cz\- {lz\- (jnz\-^ nz;
ferner mögen
^ = a{wz,— zn\) + b{irZf— zu\) + (Z — «,— hf)wz,
£l= h{ivz^— zw^ + ciwZt— ztVf) + (m — h^— c^ivz
die zu 2(^) gehörigen Bilinearausdrücke heißen: es gilt dann bekannt-
lich die Identität
(12) iv^{z) - zm{tv) = ^\ + D,.
Wenn wir in 2 (2') statt .s, / irgendwelche neue Variable s, f' ein-
führen und den Differentialausdruck dann mit der Funktionaldeterminante
der ursprünglichen Variabein nach den neuen d. h. mit
multiplizieren, so heiße der so entstehende Diö'erentialausdruck
£'(^) = a'z/; + 2h'z^'f--\- c'Zf'i' + l'z^' + m'zi' + nz
der transformierte Ausdruck von £(^); desgleichen heiße der aus
W{2) durch Einführung der neuen Variabein /, f und Multiplikation mit
jener Funktionaldeterminante entstehende Ausdruck ÜJi'(^) der trans-
formierte Ausdruck von 9)Z(^). Endlich mögen die Ausdrücke
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 221
wenn man rechter Haud iu ^, C die neuen Variabein s-', f an Stelle
von s, f einführt, die transformierten Ausdrücke von '^P, C heißen.
Indem wir in der Identität statt s, t die neuen Variabein s', t' einführen,
gelangen wir zu der Identität
tv2'i2) - 2m'(w) = ^v + DV
und von dieser führen leichte Überlegungen unter Berücksichtigung der
Bauart der Ausdrücke ^, £<,, 'l^', C zum Beweise des folgenden Satzes:
Der transformierte Ausdruck Wt'{2) ist genau der zu ^'(z)
adjungierte Ausdruck, und die transformierten Ausdrücke ^', O'
sind genau die zu 2'(/) gehörigen Bilinearausdrücke.
Im folgenden wollen wir der Kürze halber die Koeffizienten a, h, c, l, m, n
des Differentialausdruckes 2, desgleichen alle anderen vorkommenden Funk-
tionen stets als beliebig oft differeuzierbar voraussetzen — soweit nicht
ausdrücklich Ausnahmen festgesetzt werden.
Es seien nun auf der Kugel mit dem Radius 1 irgend zwei einfach
zusammenhängende Gebiete K^ und K^ gegeben, die in dem Gebiete K^^
übereinaudergreifen; s^, t^ seien irgendwelche krummlinige Koordinaten
für das Gebiet K^ und s^, t^ irgendwelche krummlinige Koordinaten für
J?o; ferner sei ^1^(2) ein Differentialausdruck in den Variabein s^, f^ und
SgC-) ein Differentialausdruck in den Variabein s^, f. 2- Bezeichnen wir
das Linienelement auf der Kugel in üblicher Weise mit
bzw. e.2ds^^-\- ^f^ds^dt^ -\- g^dt^^,
so ist das Flächenelement der Kugel
dli = Ve^g^ — f^^ds^dt^,
bzw. = y'e^g^ — f^-ds^dt^\
femer wird innerhalb des Gebietes K^^
ds^ dti asi dti _ Ve^g^—f^
r "1 Hl i\
und wegen . .,. . . . ^
folgt mithin _g,(.) __" g\(.)
Wenn nun der besondere Umstand zutrifft, daß der auf die Variabein
^2, ^2 transformierte Differentialausdruck Q\ mit ^2 identisch ist, so stellt
die Formel
V^i 9i—fx
y^s 9i — 1\
in Zg
222 Kap. XVIII. Methode der Parametiix.
in dem gemeinsamen Gebiete Ky^ (^en nämliclien Dilterentialausdruck dar;
zugleich erweist sich der Wert dieses Ditl'erentialausdruckes Ll^z), wenn s
eine Funktion einer innerhalb 7ij oder Ju gelegenen Stelle auf der Kugel
bedeutet, als unabhängig von der Wahl der krummlinigen Koordinaten s, t.
Ist die Vollkugel mit einer endlichen Anzahl von übereinandergreifenden
Gebieten /i^, K^, . . . bedeckt und in diesen je ein regulärer Differential-
ausdruck bzw. Sj, S2, . . . gegebeL von der Art, daß immer in dem ge-
meinsamen Teile von je zwei übereinandergreifenden Gebieten der trans-
formierte Differentialausdruck des einen Gebietes mit dem Differential-
ausdrucke des anderen übereinstimmt, so definieren die Formeln
— -^^ in lU,
Ve,g,-A'
eindeutig und widerspruchslos überall auf der Kugel einen Differential-
ausdruck, dessen Wert, wenn z eine Funktion der Stelle auf der Kugel
bedeutet, ebenfalls unabhängig von der Wahl der krummlinigen Koordi-
naten s, t ausfällt; der Differentialausdruck L{z) heiße ein auf der Voll-
Tiwjel regulärer Differentialausdrucl^. Wie man leicht erkennt, bestimmen
die zu Sj, ßg, • ■ • hzw. in K^, K^, ... adjuugierten Dififerentialausdrücke
äRj, ü)?2, ... vermöge der Formeln
M(/) = ~^My.An K„
m A2,
y^ä 92 - /2
ebenfalls einen auf der Yollkugel regulären Differentialausdruck M(z)'j
dieser heiße der zu L{z) adjungierte Dijferentialausdruck.
Wenn wir die Formel (12) in einem von beliebigen geschlossenen
Kurven berandeten Gebiete G der Kugel mit den krummlinigen Koordi-
naten s, t integrieren, so erhalten wir die Integralformel
(14) /■/{ H-^{z) - zm(iv)]dsdt =fißdt - £lds),
\<') w
wo das Doppelintegral linker Hand über das Innere von G und das
Linienintegral rechter Hand über sämtliche Randkurven R und zwar jedes-
mal in der Richtung hin zu erstrecken ist, daß das Gebiet G zur linken
Hand bleibt.
Wenn wir in dem Liuienintegral rechter Hand an Stelle der Variabein
s, t beliebig neue Variable s', t' einführen, so sind nach dem oben be-
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 223
wiesenen Satze die trauslbrmierten Ausdrücke ^\ D,' genau die zu S^"^)'
gehörigen Biliuearausdrücke; mittels der Formeln (13) folgt hieraus die
wichtige Tatsache, daß der Integrand des Linieniutegrals rechter Hand in
(14) derselbe bleibt, wenn wir bei der Bildung derselben an Stelle von 2
den beliebig transformierten Ausdruck Ö' zugrunde leo-en.
Teilen wir jetzt die Vollkugel etwa durch den Äquator in die zwei
Hälften K^, /C und wenden auf jede derselben die Formel (14) an, so
entsteht — wegen der eben bewiesenen Invarianz der Integranden in den
Linieniutegraleu und da in dem Linieuintegral der zweiten Formel der
Äquator in entgegengesetzter Richtung zu durchlaufen ist, wie bei der
ersten Formel — durch Addition die Formel
J'f{ ivQi^) - .^m(tv) } dsdt = 0,
wo das Doppelintegral über beide Kugelbälften zu erstrecken ist. Führen-
wir hierin die auf der Kugel regulären Differentialausdrücke L(2), M{z)
und das Flächenelement dli der Kugel ein, so erhalten wir
(15) J{icL {z) — z M{w) \ dh = 0 ,
wo das Integral über die Vollkugel zu erstrecken ist.
Der Diff'erentialausdruck L heiße von ellipUscliem Typus, wenn überall
in jedem der Ausdrücke ö für alle Werte der Variabein s, t die Ungleichung
(16) ac-&2>0.
erfüllt ist; wir nehmen zugleich a und c positiv an.
Unser Hauptproblem besteht zunächst in der Integration
der Differentialgleichung von elliptischem Typus
L{z) = f,
wo f eine überall auf der Kugel definierte Funktion bedeutet.
Um dieses Problem auf ein Problem der Theorie der lutegralglei-
chungen zurückzuführen, bedarf es des Begriffes der Parametrix. Für den
vorliegenden Fall verstehen wir unter einer Varametrix eine Funktion
p{st, 6t) des Argumentpunktes s, t und des Param«terpunktes 6, r auf
der Kugel von folgenden Eigenschaften:
1. Die Parametrix p{st, at) ist überall in den Koordinaten des
Argumentpuuktes s, t und des Parameterpunktes 6, t stetig und beliebig
oft differenzier bar, außer wenn der erstere mit dem letzteren zusammen-
fällt, d. h. wenn gleichzeitig 5 = (7, t=x wird: alsdann wird p{st,6ry
logarithmisch unendlich, wie folgt:
' 4wya(CT)c(<rT) — ^&(ffT))* ^ '
224 Kap. X\1II. Methode der Parametrix.
•WO S{st, 6r) eine Funktion vom Argumeutpunkt s, t und vom Parameter-
punkt 6, X auf der Kugel bedeutet, die für s = ö, t = r zwar stetig sein
muß, deren zweite Ableitungen aber für s = <?, t = t von erster Ordnung
uneudlicli werden dürfen — während sonst überall mindestens dreimal
stetige Dilferenzierbarkeit statt haben soll.
2. Die Parametrix ist symmetrisch in bezug auf Argumentpunkt und
Parameterpunkt, d. h. es ist
p{st, 6x) — p{Gt, st).
Um eine Parametrix zu konstruieren, betrachten wir die räumlichen
Koordinaten .r, y, z eines Punktes der Kugel als Funktionen der krumm-
linigen Koordinaten .s, t — indem wir immer in jedem Teilgebiet auf
der Kugel die demselben eigenen Koordinaten s, / derart wählen, daß
überall auf der Kugel
(17) Vs^t-^^Vt^^i ^s^-^s^t^^^ ^sVt-Vs^t^^
ausfällt. Dann bestimmen wir aus den drei Gleichungen
Ax^' + By,' + Cz:^ = c{st)Veg-f\
(18) Ax,x, + By^y, + Cs,z, = - h{st)Veg-f,
Axf + %; + Cz:^ = a{st)Veg - f
die Größen A, B, C als Funktionen des Argumentpunktes s, t] dieselben
sind o-ecrenüber einer Transformation der Koordinaten ,s, t invariant und
stellen daher Funktionen auf der Kugel dar; aus (17) folgt leicht, daß
die Determinante dieser Gleichungen
^/
Vs'
^/
^s^t
VsVt
^s^t
^/
yf
^/
stets von Null verschieden ist.
Nunmehr verstehen wir unter ^, ?;, t, die räumlichen Koordinaten des
Parameterpunktes ö, x auf der Kugel, so daß |, ?/, t, bzw. ebenso von (>, r
abhängen, wie x, y, z von s, i, und bilden dann den Ausdruck
rpißt, 6x) = A{x - lY + B{y - >;)' + C{z - ^)l
Setzen wir hierin
x — l = xXs — ö) + x^t — x)-i ,
y-n = Vsis - Ö-) + Ptii - -f) + • • •,
Z - t = ^si^ — ^) + ^t{i - '^) -\
ein, so ergibt sich mit Benutzung von (18) die Entwicklung
ip{st,6x) = yeg-p{c{st){s-6y-2h{st){s-6)(t-x)^a{st){t-xy]i-{s-0,t-S
= Veg-f{c{6x){s-6y-2b(6x){s-6){t-T)-]-a(6t){t-xy}-\-{s-0,t-
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 225
Vo beidemal (s — ö, t — r)~^ Ausdrücke mit Gliedern von dritter und
höherer Ordnung in s — 6, t — x bezeichnen. Mit Rücksicht hierauf ist
wegen (16) gewiß
(19) iist, ax) > 0,
sobald die Differenzen s — <J, t — x absolut genügend klein gewählt, aber
nicht beide Null sind: es sei s eine so kleine Konstante, daß die Un-
gleichung (19) statt hat, sobald
0 < (^- - |)^+ (2/ - r;)-^+ iz - ^f<B^
ist. Endlich sei y der absolut größte Wert, den il^ist, öx) annimmt, wenn
der Argumentpunkt s, t und der Parameterpunkt ((?, t) beliebig auf der
Kugel variieren: alsdann stellt der Ausdruck
W^sf, ör) = tisf, ax) + ]l { (X - 1)^ + (y - i^f + (z - ^f ] -
eine Funktion dar, die stets positiv ausfällt und nur für s = a, t = x
verschwindet. Da andererseits
st,6x)='\/eg-f[c{6x){s-6y-2h{6x){s-i5){t-x) + a{6x){t-xy] {\-^\s-6,t-x\
wird, wo {s — 6, t ^ x)^ einen für s = ö, ^ = r mindestens von der ersten
Ordnung in s — ö, t — x verschwindenden Ausdruck bedeutet und, wie
man sofort sieht, W(6x, st) sich in die gleiche Gestalt bringen läßt, so
besitzt der Ausdruck
V(st öx) = ^ (_Jo^^gt^aT)^^ logWiat^st) \
-' ^ ' ^ Sii\ya{aT)ciar) — (b{aT)y- ya{st)c{st) — {b(st))-\
die für die Parametrix geforderten Eigenschaften; die Existenz einer
Parametrix ist damit bewiesen.
Aus der oben aufgestellten Definition der Parametrix folgern wir
«ine Reihe von Tatsachen — analog wie dies in der bekannten Theorie
des logarithmischen Potentials geschieht.
Erstens: der Ausdruck
M{p{st, 6x))
steUt eine Funktion dar, die für s = 6, t = x höchstens von der ersten
Ordnung unendlich wird. Wenn man nämlich aUe diejenigen Glieder, die
allein von der zweiten Ordnung unendlich werden, ausrechnet, so erkennt
man, daß sie sich gegenseitig zerstören.
Zweitens: Wenn z^sf) irgendeine überall zweimal stetig differen-
2;ierbare Funktion auf der Kugel bedeutet, so ist stets
(20) J[pL{z) - zM(p)}dJc = - z(6x),
wo das Integral über die VoUkugel zu erstrecken ist.
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 15
226 ^^P- XVin. ]\Iethode der Parametrix.
Zum Beweise dieser Formel beschreiben wir um den Punkt 6, r au
der Kugel einen Kreis A^ mit dem kleinen Radius r und zerlegen dadurch
die Oberfläche der Vollkugel in das kreisförmig begrenzte Gebiet k^ und
das außerhalb k^ gelegene Gebiet K/, dann wenden wir die Integral-
formel (14), indem wir ic(sf) = p(stf öt) nehmen, auf das Gebiet K^ an
und führen den Grenzübergang zu r == 0 aus.
Drittens: wenn wir unter 2 (st), wie soeben, eine Funktion auf der
Kugel verstehen und ferner mit M denjenigen Ditferentialausdruck be-
zeichnen, der aus 31 hervorgeht, wenn wir darin die Variabein s, t durch
die Parameter 6, r ersetzen, so gilt die Formel
(21) N\{fzpdk} = ßM{p)dk — z(6r),
wo die Integrale wiederum über die VoUkugel zu erstrecken sind.
Zum Beweise haben wir die in dem Ausdruck M linker Hand ge-
forderten Differentiationen erster und zweiter Ordnung auszuführen. Da
die Parametrix p(st, 6x) für s = 6, t = t nur logarithmisch unendlich
wird, so sind die einmaligen Differentiationen nach (5, x linker Hand
ohne weiteres durch Differentiationen unter dem Integralzeichen ausführ-
bar. Aus der ersten Eigenschaft der Parametrix entnehmen wir nun die
Gültigkeit von Gleichungen der Gestalt
(22) P.--PS+S
wo S, T solche Funktionen von s, t] ö, r sind, deren erste Ableitungen
für s = ö, t = r höchstens von erster Ordnung unendlich werden. Zerlegen
wir jetzt wiederum die Oberfläche der Vollkugel in die zwei Teile K^
und Zy und setzen dann in dem über k^ zu erstreckenden Integral die
letzteren Ausdrücke für p^, p^ aus (22) ein, so entstehen bei geeigneter
Anwendung der Produktintegration (partiellen Integration) Integralaus-
drücke, bei denen eine nochmalige Diflerentiation nach (?, r unmittelbar
durch Differentiation unter dem Integralzeichen möglich ist. Der Grenz-
übergang zu r = 0 führt schließlich zu der angegebenen Formel. —
Nunmehr sind wir imstande, das oben bezeichnete Integrations-
problem zu lösen, indem wir den folgenden Satz aufstellen und beweisen.
Satz 44. Wenn die homogene Differentialgleichung
(23) i(^) = 0
keine von Null verschiedene, auf der ganzen Kugel stetige Lösung besitzt ^
so hat die Differentialgleichung
(24) L{z) = f,
tvo f irgendeine gegebene Funktion auf der Kugel bedeutet, stets eine stetige
Lösung; die adjungierte Differentialgleichung
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 227
(25) M{z) = 0
läßt in diesem Falle geiciß Iceine Lösung su.
Besiizt dagegen die homogene Differentialgleichung (23) Lösungen, so
lassen sich aus diesen stets eine gewisse endliche Anzahl, n, linear von ein-
ander unabhängiger Lösungen auswählen, so daß jede Lösung von (23) eine
lineare Kombination derselben ivird; die adjungierte Differentialgleichung (25)
besitzt in diesem Falle auch genau n linear unabhängige Lösungen, und die
Differentialgleichung (24) ist dmm und nur dann lösbar, tvenn die gegebene
Funktion f die n Integralbedingungen
\26) jf^^dl^O (/i = l,2,3...w)
erfiält, tvo 4-\, . . ., il<^^ jene linear voneinander unabhängigen Lösungen von
(25) bedeuten.
Zum Beweise setzen wir zunächst voraus, daß die Diöerential.
gleicliung (23) keine Lösung besitzt. Eine Lösung z der Differential-
gleichung (24) muß wegen (20) die Integralgleichung
f{2}f-zM{p)}dJc = — z{6t)
oder
(27) ßM{p)dJc - z{ax) =fpfdJc
befriedigen; der Kern 31(2)) dieser Integi'algleichung ist der ersten Be-
merkung auf S. 225 zufolge eine solche Funktion von s, i, 6, x, die für
8 = 6, t = X von der ersten Ordnung unendlich wird. Die Gesetze über
die Auflösung von Integralgleichungen sind, wie bereits Fredholm gezeigt
hat, in diesem Falle in gleicher Weise gültig, wie wenn der Kern eine
durchweg stetige Funktion wäre. Andrerseits läßt sich auch, ähnlich wie
dies auf S. 217 — 218 geschehen ist, zeigen, daß eine Lösung der Integral-
gleichung (27) beliebig oft stetig diflerenzierbar ist, falls diese Annahme
für f zutrifft.
Nach der allgemeinen Theorie der Integralgleichungen hängt die
Lösbarkeit der Integralgleichung (27) von der Beschaffenheit der ent-
sprechenden homogenen Integralgleichung
(28) fzM(p)d]c -z{ax) = 0
ab. Die Anzahl der linear unabhängigen Lösungen dieser homogenen
Integralgleichung sei JSl, und die Lösungen seien 0^, . . ., 0^- Wegen (20)
haben wir dann
JpL{0,)dJc = O (A = l, ..., Ä),
oder wenn
(29) X,= Z(^J {h^l,...,N)
gesetzt wird, ,
15*
228 Kap. XVIII. Methode der Parametrix.
(30) fpX.ca- = 0 Qi = 1, . . ., X),
d. h. die iV Funktionen X^, . . ., X.v genügen, für z eingesetzt, der Gleichung
(31) f2y2dk = 0,
und wegen (21) sind sie demnach auch Lösungen der homogenen Integral-
gleichung
(32) ßM(i})dl--z{6T) = 0.
Diese homogene Integralgleichung ist aber diejenige, die aus der
homogenen Integralgleichung (28) entsteht, wenn man in deren Kern die
Argumente 5, t mit den Parametern ö, r vertauscht. Nun sind die
N Funktionen X^, voneinander linear unabhängig, da ja sonst wegen (29)
eine von Null verschiedene Lösung der Differentialgleichung (^23) existieren
müßte. Nach den allgemeinen Sätzen über Integralgleichungen besitzt
die Integralgleichung mit dem transponierten Kern M(p) genau ebenso
viele linear unabhängige Lösungen wie die ursprüngliche; es ist mithin
jede Funktion z, die der Gleichung (31) genügt, da sie dann auch (32)
erfüllt, notwendig in der Gestalt
^ = 6;x, + -.- + avX.v
darstellbar, wo C^, . . . , Cx geeignete Konstante bedeuten.
Da hiernach die N Funktionen X^, die sämtlichen Lösungen der
homogenen Integralgleichung (32) ausmachen, so sind nach der all-
gemeinen Theorie der Integralgleichungen die notwendigen und hinreichen-
den Bedingungen für die Lösbarkeit der inhomogenen Integralgleichung (27)
die folgenden . „
J JX,{6t)pf(st)dkdz = 0, {h = l,...,N)
wo die Vollkugel sowohl bei der Integration nach dem Argumentpunkt s, t,
als auch bei der Integration nach dem Parameterpuukt (?, r als Integrations-
gebiet zu nehmen ist. Da aber wegen (30) diese Bedingungen stets er-
füllt sind, so besitzt (27) stets eine Lösung; es sei g)* diese Lösung, so daß
(33) /V* M(p) dl- - 95* (öt) = Jpfdh
wird. Setzen w^ir dann andererseits in (20) z = 9?* ein und addieren
die so entstehende Gleichung zu (33), so ergibt sich
Jp[L{cf^-f]dl^Q.
Wegen der vorhin gefundenen Tatsache folgt hieraus
L{q>*) - f = CW + ■ ■ ■ + CyXx,
wo Cj, . . ., Ca- geeignete Konstanten sind. Wegen (29) ist demnach
eine Lösung der Diö'erentialgleichung (24).
Kap. XYEI. Methode der Parametrix. 229
0
Wir erkennen nunmehr auch leicht, daß (25) keine von Null ver-
schiedene Lösung besitzt. Wäre nämlich i/- eine solche Lösung und be-
stimmen wir dann — was nach dem eben Bewiesenen stets möglich ist —
eine Funktion qp derart, daß
L{sf) = t^'
ist, so wird aus (15) für tv = ip, z = (p die Gleichung
J^^dh = 0,
die nicht statthaben kann, da ja t/- nicht identisch verschwinden sollte.
Damit ist der erste Teil unseres Satzes bewiesen.
Zum Beweise des zweiten Teiles des Satzes bezeichnen wir mit (p^, ■ ■ ■, <Pn
ein vollständiges System von n linear unabhängigen Lösungen der Diffe-
rentialgleichung (23). Sodann betrachten wir wiederum die inhomogene
Integralgleichung (27) und die zu ihr zugehörige homogene Integral-
gleichung (28), Die letztere läßt, wie aus (20) sofort folgt, die Lösungen
qpj, . . .^ (pJ^ zu. Außer diesen n Lösungen und deren linearen Kom-
binationen kann die Integralgleichung (28) noch weitere Lösungen be-
sitzen; unter diesen wählen wir ein System untereinander und von den
Funktionen g?^, . . ., cp^ linear unabhängiger Lösungen 0^, . . ., ^n derart
aus, daß alle Lösungen von (28) durch gj^, . . ., ^„, ^^, . . ., ^y linear
darstellbar sind. Wir bilden nun, wie vorhin beim Beweise des ersten
Teils unseres Satzes, die N Funktionen
(34) X,= iW (/.= !, ...,iY);
dieselben genügen, wie aus (20) folgt, den Gleichungen
(35) Ji>X,(7Ä; = 0 {li = \,...,N)
und sind demnach, für z eingesetzt, wegen (21) auch Lösungen der
homogenen Integralgleichung (32). Die jV Funktionen X^, . . ., X.v sind
voneinander linear unabhängig, da sonst entgegen unserer Annahme
aus (34) sofort das Bestehen einer linearen Relation zwischen gj^, . . ., y„,
0j, . . ., Os folgen würde.
Da die homogene Integralgleichung (28) genau n + N linear un-
abhängige Lösungen besitzt, so muß nach der allgemeinen Theorie die
Integralgleichung (32) mit dem transponierten Kern ebenfalls genau
n + JS linear unabhängige Lösungen besitzen, d. h. außer den Funktionen
X^, . . ., X,v gibt es noch genau n Funktionen %i, ■ ■ ., %„, die ebenfalls
der Integralgleichung (32) genügen und mit X^, . . ., X.v zusammen ein
volles System von n ■]- N Lösungen der Integralgleichung (32) bilden.
Die w Funktionen x^, . . ., %„ denken wir uns nun durch geeignete
lineare Kombinationen ihrer selbst derart ersetzt, daß gerade für die
V Funktionen i^, . . ., x^ {0 ^v ^n) ^\e Gleichungen
230 Kap. XVin. Methode der Parametrix.
(36) ■fpXndh=0 {h=^l,...,v)
statthaben und überdies, falls Avir aus den übrigen n — v Funktionen
Xy + 17 ■ ■ -j Xn di^ n — V Funktionen
^A -JpXfM {h = v+l, . ..,n)
bilden, diese n — v Funktionen i\.j^i, • . ., ^„ noch linear voneinander
unabhängig ausfallen. Wegen (21) sind i^^+i, . . ., J/^'„ Lösungen der
Differentialgleichung (25).
Nunmehr nehmen wir an, daß der zu beweisende Satz für alle Fälle,
in denen die Anzahl der linear unabhängigen Lösungen der vorgelegten
Differentialgleichung kleiner als n ausfällt, bereits als richtig erkannt sei;
dann folgt, daß die Differentialgleichung (25) mindestens n linear unab-
hängige Lösungen besitzen muß-, denn wäre ihre Anzahl kleiner als n,
so würde unser Satz, auf (25) angewandt, aussagen, daß die zu (25) ad-
jungierte Differentialgleichung (23) nur ebensoviel, gewiß also nicht n
linear unabhängige Lösungen besitzen könnte, wie wir doch gegenwärtig
vorausgesetzt haben. Es ist hiernach gewiß möglich zu den n — v Funk-
tionen ^,,^1, . . ., ^,1 noch V weitere Funktionen tx, • • -, i\. hinzuzufügen,
derart, daß die Funktionen i^, . . ., i^„ ein System von n linear unab-
hängigen Lösungen der Differentialgleichung (25) bilden.
Aus (15) folgt sofort, daß, wenn die Differentialgleichung (24) lösbar
sein soll, notwendig die Integralbedingungen (26) erfüllt sein müssen.
Andererseits besitzt die inhomogene Integralgleichung (27) der allgemeinen
Theorie zufolge gewiß eine Lösung, wenn die n -\- N Bedingungen
(37) fJX,(ar)pf(st)dMy, = 0 (^ = 1, • • ., N),
(38) ffx,{6t)pfXst)dldx = 0 (h = l,...,v),
(39) J Jx,{6x)pfist)dhdx = 0 {h = v+\,...,n)
bestehen. Nun sind aber wegen (35), (36) die Gleichimgen (37), (38)
für jede Funktion f erfüllt und die Gleichungen (39) erhalten die Gestalt
(40) fft,dk = 0 {h = v+l,...,7i).
Bedeutet also f eine diesen n — v Bedingungen (40) genügende Funktion,
80 gibt es gewiß eine Funktion 2 = qp*, die der Integralgleichung (27)
genügt. Addieren wir diese Gleichung zu derjenigen, die aus (20) für
ja = (f* entsteht, so erhalten wir
(41) fp{L{<p*)-f}dk = 0,
und hieraus entnehmen wir wie vorhin
Hcp*)-f=ca^ + ■■■ + c„x„+ c,x,+ . . . + c^x,v,
Kap. X.YÜI. Methode der Parametrix. 231
wo Cj, . . ., c,, C\, . . ., Cs geeignete Konstante bedeuten. Setzen wir
aber diesen Ausdruck für L{(p'^) — f m (41) ein, so folgt sofort mit Rück-
sicht auf (35), (36 ) wegen der linearen ^Unabhängigkeit der n -- v Funk-
tionen 1^'/^, daß
^v + i = 0, . . ., c„ = 0
sein muß. Wegen (34) befriedigt mithin
9? = ()t* — Ci 01 Cs^x
die Differentialgleichung
Wir woUen nun zeigen, daß die weiteren der Funktion f aufzuer-
legenden V Bedingungen
(43) Jfi^.dh = 0 {h=\,..., v)
notwendig
(44) c, = 0, ..., 6v=0
zur Folge haben. Zu dem Zwecke setzen wir in (15) m,' = ^^^ (/i = 1, . . ., v)
und z = (p-^ dann erhalten wir wegen (42)
J^jdh + cjtai^ijc + • • • + cJtaJ^- = 0 ih = 1, . . ., 1^)
oder
(45) «;,ic, + • • • + a,^c^. = A; (h = 1, . . ., v),
wenn zur Abküi'zung
ßjdk = -Ä, {h=^l,...,v),
Jxp,j^d'k= a,j (h,l = l,...,v)
gesetzt ist. Da wir nun offenbar durch geeignete Wahl der Funktion f
unter Wahrung der Bedingungen (40) den Größen A,^ beliebige Werte
«rteilen können und nach dem eben Bewiesenen die Gleichungen (45) für
alle solchen A^^ Lösungen q, . . ., c,, haben, so muß die Determinante der
Größen a^^. notwendig von Null verschieden sein. Legen wir daher der
Funktion /' noch die weiteren v Bedingungen (43) auf, d. h. nehmen wir
^ = 0, ..., ^,= 0,
so folgt aus (45) notwendig (44), d. h. wegen (42) ist g? eine Lösung
■der Differentialgleichung (24).
Um den Beweis unseres Satzes zu vollenden, bleibt nur noch übrig
■zu bemerken, daß die Gleichung (25) auch nicht mehr als n linear un-
abhängige Lösungen haben kann. In der Tat, gäbe es noch eine von
i^j, . . ., t^'^ linear unabhängige Lösung von (25), etwa tn + if ^^ würde,
wie aus (15) sofort folgt, die Gleichung
232 Kap. XYIII. Methode der Parametrix.
noch eine weitere notwendige Bedingung für die Lösbarkeit von (24)
darstellen, was dem eben Bewiesenen Aviderspricht.
Für die weitere Entwicklung unserer Theorie ist eine Bemerkung
über die Beschaö'enheit der Funktion /' wichtig. Wenn nämlich /' in (24)
eine nicht durchweg stetige Funktion ist, so bleiben bei geeigneten Voraus-
.Setzungen dennoch alle bisher angestellten Überlegungen gültig: es sei etwa
/' eine solche Funktion des Argumentpunktes s, t auf der Kugel, die überall
stetig ist mit Ausnahme der Stelle s = 6, t = r, wo sie von der ersten
Ordnung unendlich wird. Um bei dieser Annahme den Charakter der Lösung z
der Integralgleichung (24) an der Stelle a, r festzustellen, bedenken wir, —
wie dies aus der Fredholmschen Methode der inhomogenen Litegralgleichung
ersichtlich ist — daß für die Beurteilung des Verhaltens jener Lösung z
von (24) das Verhalten der rechten Seite der Integralgleichung (27) den
Ausschlag geben muß. Nun ist diese rechte Seite, wie man durch eine
leichte Untersuchung feststellen kann, bei der über /' gemachten Annahme
eine solche Funktion des Argumentpunktes s, f, die an der Stelle a, r
stetig ist und deren zweite Ableitungen daselbst von der ersten Ordnung
unendlich werden; den gleichen Charakter an der Stelle (?, r zeigt also
in diesem Falle die Lösung der Differentialgleichung (24).
Wir wollen dieses Ergebnis zur Konstruktion der Greenschen
Funktion des Differentialausdruckes iu) anwenden; dabei sei der Kürze
halber L{2) als ein sich selbst adjungierter Differentialausdruck voraus-
gesetzt.
Es sind wie im obigen Satze 44 (S. 226 — 227) zwei Fälle zu unter-
scheiden, je nachdem die Differentialgleichung (23) stetige Lösungen besitzt
oder nicht. In letzterem Falle ist jederzeit eine geeignet gewählte Lösung
der Integralgleichung (27), wenn wir darin f = L{p) nehmen, zugleich
die Lösung der Differentialgleichung
L{z) = L{p).
Bezeichnen wir diese Lösung mit (p, so befriedigt offenbar die Funktion
G{st, 6t) =i> — 9>
die Differentialgleichung (23); G heiße die Greensche Furiktion des
Diff'erentiakmsdrnckes L(z). Aus den obigen Darlegungen über das Ver-
halten der Lösung (p an der Stelle 6, x erkennen wir, daß die Greensche
Funktion G an der Stelle 6, x gerade die logarithmische Unstetigkeit be-
sitzt, wie sie für die Parametrix verlangt worden ist; sie ist durch diese
Eigenschaft, sowie durch die Forderung, der Differentialgleichung (23) zu
genügen, völlig eindeutig bestimmt.
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 235
Die Symmetrieeigenschaft der Greenschen Funktion
G{st,6r) = G{6r,st)
folgt iu der üblichen Weise ^) mit Benutzung des Umstandes, daß der
Diiferentialausdruck M{z) nach Voraussetzung mit L{s) identisch ausfällt.
Xunmehr nehmen wir im Gegenteil an, die Differentialgleichung (2.'))
besitze genau n voneinander linear unabhängige Lösungen g)j, . . ., 9? •
wir denken uns diieselben derart normiert, daß die Orthogonalitätsrelationen
f(f,cp,dl- = U {h,l=l,.. ., n, h H= T),
jVrf/.-=l {h=l,...,n)
gelten. Nehmen wir dann
f(st) = L{p) - (p^{6x)(p,{st) 9'„(ö^)9'„(sO.
so erfüllt f, wie aus (20) sofort zu ersehen ist, die n Bedingungen
ff(pJJc = 0 {h = l,...,H),
und nach dem Früheren besitzt mithin die Differentialgleichung (24) eine
Lösung z = (p, die an der Stelle <?, r stetig ausfällt und deren zweite
Ableitungen daselbst von der ersten Ordnung unendlich werden. Wir
setzen nunmehr
G{st, 6t)=p — (p -f{p — (p)(p^dk-(pi f(p-(p)(p^ßJc-(p,,-
dann erfüllt G die n lutegralbedingungen
(46) - J'G{st, ör)(p,(ist)dk = 0 (Ä = 1, . . ., n)
und genügt überdies der Differentialgleichung
(47) L{G) = (p^(6r)(p^{st) + • • • + (pjör)(p,(st).
G heiße die Greensche Funktion (im erweiterten Sinne) des Differential-
ausdruckes L(z). Die Greensche Funktion G besitzt an der Stelle 0, x
gerade die logarithmische Unstetigkeitsstelle, wie sie für die Parametrix
verlangt worden ist; sie ist durch diese Eigenschaft, sowie durch die
Forderung, der Differentialgleichung (47) und den Integralbedingungen (40 )
zu genügen, völlig eindeutig bestimmt. Auch gilt für sie das Symmetrie-
°®^^ ^ G(st, 6r) = G(0T, st).
Endlich zeigt man iu üblicher Weise, daß stets vermittels der
Greenschen Funktion die Lösung der Differentialgleichung (24) durch
die Formel
(48) z = -jGf{6r)dx
1) Vgl. den Beweis dieses Symmetriegesetzes im Falle einer Variabein, wie er
iu Kapitel VII S. 45 angedeutet worden ist.
234 Kap. XVIII. Methode der Parametrix.
geliefert wird, und zwar in dem zuletzt erörterten Falle diejenige Lösung^
die die n Orthogonalitätsrelationen
(49) Jzq>„dh==Q {li = \,...,n)
■erfüllt.
Nachdem im Vorstehenden die Theorie der Integration der linearen
partiellen Differentialgleichung vom elliptischen Typus auf der Kugel er-
ledigt worden ist, soll nunmehr die in Kapitel I — VI und XIV dar-
gelegte Theorie der Integralgleichungen mit symmetrischem Kern und
zwar die der orthogonalen Integralgleichungen auf die lineare Differential-
angewandt werden, wo L{s) einen sich selbst adjungierten elliptischen
Differentialausdruck auf der Kugel bedeutet. Die Greensche Funktion
G{st, 6t) dieses Differentialausdrucks L{z) wird nach dem Obigen sym-
metrisch in bezug auf den Argumentpuukt s, t und den Parameterpunkt 6, x
der Kugel. Unsere Theorie liefert nun, wenn wir G{st, 6x) als Kern einer
orthogonalen Integralgleichung auf der Kugel nehmen, folgende Sätze:
Es gibt gewiß einen oder beliebig viele Werte }y^\ l^\ . . . und zu-
gehörige Funktionen il.'^^\ Tp^'\ . . . auf der Kugel, so daß
(50) ^^'^^st) = X^"'^fG{st, öT)t^"'\6r)d}c
wird, die sogenannten Eigenwerte und EigenfunMioneu des Kerns G] die
letzteren besitzen die Orthogonalitätseigenschaft.
Jede Funktion, die sich bei geeigneter Wahl der Funktion g{(3x) in
der Gestalt
(51) f{st) =jG{st, 6x)g{6t)d^
darstellen läßt, ist in eine auf Fouriersche Weise gebildete Reihe nach
den Eigenfunktionen i^(^\ ^(^*, . . . entwickelbar:
(52) /•=,^^w + ,,,^(2)+...,
wo Cj, Cg, . . . die Fourier-Koeffizienten von f in bezug auf das Orthogonal-
system 7^^^\ ^l}^^\ . . . bedeuten.
Wir stellen nunmehr die Bedeutung der Bedingung (51) fest. Es
seien (p^, (p^, . . ., tp^ die n zueinander orthogonalen Integrale der Gleichung
i(~^) = 0,
dann muß wegen (46) jede in der Gestalt (51) darstellbare Funktion /
die n Bedingungen
(53) fcp, ist)tXst)dk = 0, (A = 1, . . ., n)
erfüllen. Umgekehrt ist jede diesen n Bedingungen genügende mindestens
zweimal stetig differenzierbare Funktion /' in der Gestalt (51) darstellbar.
Kap. XVm. Methode der Parametrix. 235
Setzen wir nämlich g = — L{f), so genügt, wie aus (15) folgt, die Funktion g
<ien n Bedingungen
fcp,gdk = 0 (/*=l,...,w),
und daher wird nach (48)
f^-^J'G^st, 6r)g{öt)dx
eine den Bedingungen (49) genügende Lösung der Differentialgleichun»-
L{z)=g(st).
Da aber diese Gleichung nur eine diesen n Bedingungen genüo-ende
Lösung besitzen kann, so ist genau f* = f und mithin f in der Gestalt (51)
darstellbar. Aus (50) und (46) schließen wir leicht, daß
f(p,t^'^dJc = 0
ausfällt; mithin bilden die Punktionen
(54) ^„ . . ., ^,„ ^W ^(2), . . .
€in System von Orthogonalfunktionen auf der Kugel.
Wir setzen
A, = 0, ..., A,= 0, A„^,= AW A„^2=n---
und bezeichnen die Konstanten X^, X^, . . . als die Eigenwerte und die
Funktionen cp^, (p^, ... als die zugehörigen Eigenfunktionen der Differential-
gleichung
(55) L{z)-{-lz = 0,'
da sie das volle System stetiger Lösungen dieser Differentialgleichung
bilden. Nach dem Obigen ergibt sich sofort:
Satz 45. Jede mindestens zweimal stetig differenzierbare Funktion auf
der Kugel läßt sich in der Fourierschen Weise in eine nach den Eigen-
fimktionen (p^, q)^, . . . fortschreitende Reihe entivickeln; die Anzahl der
Eigenwerte und der Eigenfunktionen der Differentialgleichung (55) ist mithin
unendlich.
Wir gehen nun dazu über, das zur Differentialgleichung (55) ge-
hörige Dirichletsche Variationsproblem aufzustellen und zu unter-
suchen.^) Da der Differentialausdruck
2{z) = a^,,+ ^hz^t-\- c^tt+ /^*+ ^~f+ "^
als sich selbst adjungiert angenommen worden ist, so haben wir
a,-^ht= l,
h^^c,= m,
1) Vgl. die den Fall einer "Variabein betreffenden analogen Entwicklangen
in Kapitel VII, S. 57 f.
236 Kap. XYUI. Methode Tier Parametrix. '
und es gilt die Identität
wo
der zu I2(^) gehörige quadratische DiflFerentialausdruck und
die zu ^(z) gehörigen Nebenausdrücke heißen mögen. Führen wir in
%{z) an Stelle von s, t neue Variable s, f ein, so heiße der durch
Multiplikation mit der Funktionaldeterminante
entstehende Ausdruck %'{z) der transformierte Ausdruck von %{z)\ ferner
mögen die Ausdrücke
wenn man rechter Hand in ^, O die neuen Variabein .s', t' an Stelle von
5, t einführt, die transformierten Ausdrücke von ^, C heißen. Es besteht
dann die Tatsache:
Der transformierte Ausdruck W{z) ist genau der zu 2'(~)
gehörige quadratische Differenti'alausdruck, und die trans-
formierten Ausdrücke ^s', C sind genau die zu ß'(^') gehörigen
Nebenausdrücke.
Aus der DiflFerentialformel (56) ergibt sich durch Integration über
ein Gebiet G mit der Randkurve B die Integralformel
JJ[z^{^) + %{z)]dsdt=^f{^dt-^ds),
CO («)
und indem wir diese — entsprechend wie wir oben auf S. 222 — 223 beim
Beweise der Formel (15) verfahren — auf die zwei Hälften der Vollkugel
anwenden, gelangen wir auf Grund der eben gewonnenen Tatsache zu
der Formel
j J{z^{z) + %{z)]dsdt = (),
wo das DoppelintegTal über beide Kugelhälften zu erstrecken ist. Setzen
wir nun — entsprechend wie oben S. 222 bei der Definition des
Ausdruckes L{z) —
^ Veg-r Veg-r'
so ist, — ebenso wie oben der Ausdruck L(z) — , der quadratische
Difierentialausdruck Ä(z) eindeutig und widerspruchslos überall auf der
Kugel definiert, und, wenn z eine Funktion des Ortes auf der Kugel be-
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 237
deutet, so stellt Ä(2) einen von der Wahl der krummlinigen Koordinaten .v, t
unabhängigen Wert dar. Durch Einführung von L(2) und Ä(z) nimmt
die obige Integralformel die Gestalt an
wo das Integral über die Vollkugel zu erstrecken ist. Das Integral
(57) D{z) =fÄ(z)dk = -JzL{z)dh
heiße das zu Ij{s) gehörige Dirichletsclie Integral. Durch Variation von
(57) erhalten wir leicht mit Rücksicht auf (15)
dD{z) = -2jL{z)8zdk.
Wegen (16) ist, wenn wir noch a > 0 annehmen, gewiß stets
az;-\-2hz^z,^cz;'>0.
Bestimmen wir sodann eine solche Konstante C, die überall auf der Kugel
die Werte der Funktion
Veg - r- Veg - f"-
übertrifft, so ist gewiß für alle Funktionen z
Ä(z) + Cz'>0
und folglich auch
f{Ä(z) 4- Cz'}dk =J{-zL{z) + Gz'^]dk > 0.
Insbesondere ergibt sich hieraus für z = g^^, mit Rücksicht auf die
Oleichungen
f%rdk = 1
die Ungleichung
A, + C ^ 0 oder A, ^ - C,
d. h. es gibt zur Differentialgleichung (55) nur eine endliche Anzahl
negativer Eigeniierte.
Wir denken uns die Eigenwerte von (55) der Größe nach geordnet,
so daß l^ der kleinste wird und allgemein
ist.
Das zur Difierentialgleichung (55) gehörige Variationsproblem lautet
nun: man soU eine Funktion z auf der Kugel derart bestimmen, daß D{z)
zum Minimum wird, während die Nebeubedingung
(58) JzHk = 1
«rfüllt ist. Zur Lösung dieses Problems setzen wir an
238 Kap. XVni. Methode der Parametrix.
Wegen
D(2) = -JzL{z)dh
wird
während die Nebenbedingung (58) die Gestalt
€,'+(^-+-■• = 1
erhält. Daraus entnehmen wir sofort den
Satz 46. Das Minimum des Dirichletsclien Integrals Di/) hei der
Nebenhedingung (58) ist gleich dem Ueinstcn Eigenteert l^ der Differential-
gleichung (55) und uird für z = cp^ angenommen, ao (p^ die zu k^ gehörige
Eigenfunhtion von (55) bedeutet. Werdeti zu der yehenhedingung (55) nocJi
die weiteren h — 1 Nehenhedingungen
ftp^zdk = 0, . . ., fq),,_izdk = 0
hinzugefügt, so ist X,^ der Minimahvert von D{z); derselbe tvird für z = (p^^
angenommen.
Als einfachstes Beispiel für die vorstehende Theorie können die be-
reits in Kapitel VIII behandelten Kugelfunktionen dienen.
Zum Schluß dieses Abschnittes beweisen wir noch folgenden Satz^
welcher besonders für die Anwendungen dieser Theorie von Wichtigkeit ist.
Satz 47. Wenn die Koeffizienten des linearen Differentialausdruckes
L{z) für alle innerhalb und auf die Grenzen des Intervalles
fallenden Werte von fi regidär analytische Funktionen eines Parameters fi
sind, und tvenn für eben diese Werte ^ auch stets die Ungleichung (16) gilt,,
so ist allemal der h-te Eigenwert A,^ eine stetige Funktion von fi.
Da nach den oben bewiesenen Sätzen für jeden besonderen Wert
iu = juq stets l^^ eine endliche und eindeutig bestimmte Größe darstellt, so
kommt es nur darauf an, zu zeigen, daß A^^ als Funktion von u an der
Stelle fi = ^Q auch stetig ausfällt. Zu dem Zwecke bezeichnen wir mit
Lq(z) den Differentialausdruck L{z) für fi = juq und nehmen zunächst
der Kürze halber an, daß die Eigenwerte der Differentialgleichung
(59) L,(z) -\-kz = 0
sämtlich positiv ausfallen, so daß die Differentialgleichung
gewiß keine stetige Lösung besitzt; es sei Gq die zu Lq{z) gehörige
Greensche Funktion, ferner p die nach der Vorschrift auf S. 224—225
konstruierte von .u abhängige Parametrix für L{z), und endlich bedeute
Kap. XVIII. Methode der Parametrix. 239
Pq den aus ^) für ii = ^^ entstehenden Ausdruck, so daß Pq zugleich die
nach jener Vorschrift gebildete Parametrix für Lq ist.
Um nun die Greensche Funktion für L{z) zu bilden, wenden wir
das oben S. 232f. eingeschlagene Verfahren an, indem wir in (27) an
Stelle der dort mit p bezeichneten Parametrix den Ausdruck
p* = p-\- Gq- Po
nehmen, der ebenfalls die Eigen.«!chaften einer Parametrix für L(2) besitzt.
Die so aus (27) entstehende Integralgleichung
(60) ßL(jp*)dJc - ^((?r) =fp^fdk
besitzt den Kern
K{st, 6v) = L{p^-) = L{p) + L(G,-p,)
^ ^ - L{l>) + L,{G, - p,) + Ca - ^i,)L{G, - p,),
wo L einen gewissen noch vom Parameter ^ abhängigen Differential-
ausdruck zweiter Ordnung bedeutet. Da Gq — p^ eine Funktion von
s,f-^ 6,r ist, deren zweite Ableitungen für s = 6, t = r höchstens von der
ersten Ordnung unendlich werden, so stellt L{Gq — p^) eine Funktion
dar, deren Produkt mit yis — rf-^it — xy gewiß absolut genommen
für alle s, f; ö, r unterhalb einer von a unabhängigen Schranke bleibt.
Andererseits ist, wenn wir
Hp) + h(Go-Po) = L(p) - L^ijpo) = (ft - ii^yL
setzen, L ebenfalls eine Funktion, deren Produkt mit |/(s — 6y -\- {t — r)^
absolut genommen gewiß für alle s, t-, 6, r unterhalb einer von /t unab-
hängigen Schranke bleibt — da ja L(p) für s == ö, f = r nur höchstens
von der ersten Ordnung unendlich wird und Lq{pq) den Wert von L(p}
für }i = .Uq bedeutet. Wegen (61) ist demnach auch
K{st, 6r) = (ß — a^K{st, 6t),
wo K eine Funktion ist, deren Produkt mit "/(s — öf -\- (t — xf absolut
genommen für alle s,t\ 6, r unterhalb einer von ,a unabhängigen Schranke
bleibt. Infolge der letzteren Eigenschaft erkennt man, daß der aus K
gebildete dreifach zusammengesetzte Kern KKK eine stetige Funktion
von s, ^; 6, X wird, deren absolute Werte für alle s, t-^ a, x unterhalb einer
von a abhängigen Schranke bleiben. Hieraus wiederum folgt-, daß der
aus K gebildete dreifach zusammengesetzte Kern KKK ebenfalls stetig
ist und überdies für ihn eine positive Zahl s gefunden werden kann derart,,
daß die absoluten Werte von KKK für aUe s, t-, 6, x kleiner als .V bleiben,,
sobald nur ;t innerhalb des durch die Ungleichung
{6'2) \ji. — }if,\^£
bestimmten Intervalles bleibt. Die so gefundene Tatsache bedingt, daß
240 Kap. XYIII. Methode der Parametrix.
unter dieser einschränkenden Bedingung (62) für u die inhomogene
Integralgleichung
ßKdk - z(6t) = F(6r)
stets nach der Neumannschen Methode lösbar ist, und daß die Lösuns: z
gleichmäßig für alle s, t- 6, r in jti stetig wird, während die entsprechende
homogene Integralgleichung
ßKdk - z(6r) = 0
keine Lösung besitzt. Wenden wir dieses Resultat auf die lQte;^Talgleiehuiig(60)
für f= L{p*) an, so erkennen wir, daß dieselbe, falls a der Bedingung (62)
genügt, gewiß eine und nur eine Lösung (p besitzt, und daß diese Lösung
für ^ = Hq gleichmäßig für alle s,t\ 6, r gegen Xull konvergiert — da
ja p* für ,u = jHq in Gq und demnach L{p^) für s,t =\= 6,x in Null über-
geht. Nach dem von uns befolgten Verfahren ist
G = ^* _ ^
die Greensche Funktion von L{z), falls u der Bedingung (62) genügt.
Hieraus folgt wegen der eben erkannten Beschaffenheit von (p, daß der
aus G zweifach zusammengesetzte Kern GG gleichmäßig für alle s, /; 6,t
in /t stetig ausfällt. Bilden wir daher nach Fredholm den Nenner der
lösenden Funktion für die Integralgleichung
kJzGGdh - z{6x) = F{6r),
so erkennen wir, daß diese beständig konvergente Potenzreihe in l über-
dies gleichmäßig für aUe der Bedingung (62) genügenden Werte von ^u.
konvergiert. Da andererseits die Nullstellen dieser Potenzreihe sämtlich
reell, und zwar die Eigenwerte des Kerns GG sind, diese aber nichts
anderes als die Quadrate der Eigenwerte /Ij, X.2, . . . sind, so folgt, daß
allgemein der // te Eigenwert l,'^ sich stetig in /i ändert; das gleiche gilt
mithin auch von A^^, solange n auf das Intervall (62) beschränkt bleibt.
Trifft die zu Anfang dieser Beweisführung gemachte Annahme, wonach
die Eigenwerte der Differentialgleichung (59) sämtlich positiv ausfallen,
nicht zu, so bezeichnen wir" mit l\ den kleinsten Eigenwert von Lq{z)'^
sodann setzen wir
Tß{z) = L{z) +[l\-l)z,
L*iz)^L,{z) + {l^,-l)z.
Die Eigenwerte der Differentialgleichung
X*(^r) i- lz = 0
sind offenbar
A,-;.;+i (Ä = i,2,...),
und diejenigen von
L^'(z) + lz = 0
Kap. XYIII. Methode der Parametrix. 241
sind dalier sämtlich ^ 1; folglich läßt sich unsere bisherige Betrachtung
auf den Diö'erentialaiisdruck L*{z) anwenden und lehrt, daß allgemein
1^ — A^*'-|- 1 und mithin auch l,^ sich in der Umgebung von .u^ stetig
mit II ändert.
Da /<j) Avillkürlich gewählt werden kann, so ist damit der Beweis des
aufgestellten Satzes vollständig erbracht.
Endlich sei noch bemerkt, daß die eben entwickelte Theorie sich
unmittelbar auf die Differentialgleichung
(63) L{z) + lqz = 0
übertragen läßt, wenn q eine beliebige überall positive (oder negative)
Funktion auf der Kugel bedeutet. Es ist nämlich leicht ersichtlich, daß
der Differentialausdruck
^ ^ V<i \Vd
wiederum sich selbst adjungiert ist, und durch Einführung dieses Differential-
ausdruckes erhält die Differentialgleichung (63) die vorhin der Unter-
suchung zugrunde liegende Gestalt
L*(2) + A^ = 0.
Wir führen die wesentlichen Sätze über die Differentialgleichung (G3)
hier kurz, wie folgt, an.
Satz 48. Die Differentialgleichung (63) besitzt unendlichviele Eigen-
werte A^, z,,, . . ., von denen jedoch nur eine endliche Anzahl negativ ausfällt.
Die zu diesen EigemveHen gehörigen EigenfunJctionen besitzen die OrtJio-
gomditätseigenschaft
fqcp^cp^dh = 0 (/* + 0,
fqcp.^dk = 1.
Jede ztveimal stetig differenzierbare Funliion f auf der Kugel läßt sich
nach den zu jenen Eigenwerten gehörigen EigenfunJctionen (p^, ^,, ... auf
Fouriersche Weise wie folgt
f=Ci(pi + c.2(p2-{ (c, = fqfcp, dk)
entivicheln.
Das Minimum des Dirichletschen Integrals D{z) hei den Nehen-
bedingungen
Jqz^dk =1,
fq(p^zdk = 0, ..., fq(p,_i2dk = 0
ist A^^; dasselbe ivird für z = q),^ angenommen.
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 16
242 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
Hängen die Koeffizienten in L{z) von einem Parameter ,u atmlytiscJi
ab und denken fcir uns für jeden Wert von u die Eigeniverte yli, A,, . . .
der Größe nach geordnet, so ist allgemein der hte Eigenicert X,^ eine stetige
Funktion von u.
Neunzehntes Kapitel.
Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
Der folgende Abschnitt enthält eine Neubegründung der Minkowski-
schen Theorie von Volumen und Oberfläche. Der Gedanke, die Kugel
der gewöhnlichen Raumgeonietrie als Ort der Punkte gleicher Entfernungen
von einem festen Punkte durch eine beliebige konvexe Fläche, die so-
genannte „Eichfläche," zu ersetzen, bildet die Grundlage der arithmetischen
Untersuchungen Minkowkis.^) Die mehr geometrische Verfolgung dieses
Gedankens hat ihn zu dem fundamentalen Begrifi"e des gemischten Volumens
Fj23 von drei Körpern geführt^), und den Kernpunkt seiner Theorie von
Volumen und Oberfläche bildet dann die Entdeckung der Ungleichung
'112 ^ '^ 111 '^122>
einer Ungleichung, welche lediglich quadratischen Chai-akter besitzt,
während der Beweis derselben von Minkowski auf Grund einer kubischen
Ungleichung geführt wird. Die nachfolgende neue Begründung der
Minkowskischen Theorie greschieht mittels der im vorigen Abschnitt ent-
wickelten Sätze über die lineare sich selbst adjungierte partielle Diti^^'erential-
gleichung auf der Kugel, und insbesondere der Nachweis jener quadra-
tischen Ungleichung gelingt hierbei direkt auf Grund der Mininialeigen-
schaft des Dirichletschen Integrals. Insofern gerade allein die quadratische
Ungleichung es ist, die sich eines direkten Beweises mittels der Theorie
der linearen Diiferentialgleichungen fähig erweist — die kubische Un-
gleichung erscheint als leichte Folge der quadratischen — , scheint mir
die Bedeutung der Minkowskischen Entdeckung durch den hier folgenden
Beweis noch in helleres Licht gesetzt, und zugleich liefert diese Begrün-
dung der Minkowskischen Theorie von Volumen und Oberfläche ein glänzen-
des Beispiel für die Anwendung meiner Theorie der orthogonalen Integral-
gleichungen.
Im folgenden wollen wir allgemein unter einer homogenen Funktion
vten Grades der Variabein x, y, z eine solche Funktion W{x, y, z) ver-
stehen, die für alle positiven Werte von // der Gleichung
W{iix, ^y, // z) = ;i'' W{x, y, z)
1) Vgl. meinen Vortrag auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß za
Taris 1900, Nr. 4. Gott. Nachr. 1900.
2i Vgl. meine Gedächtnisrede auf Minkowski. Gott. Nachr. 1909, S. 16—17.
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 243
genügt. Ist insbesondere W eine homogene Funktion ersten Grades und
werden wieder partielle Ableitungen durch Indizes bezeichnet, so gölten
die Identitäten
(64) xW,-{-y]\\+,\\\= ir,
(65) U'^^x.+ ^^..+ ^^.,= 0,
Aus den Identitäten (65) folgt leicht
W^:,Wyy-W^y^ _ WyyW,,-Wy,^
und hieraus entnehmen wir, wenn V irgendeine andere homogene Funktion
ersten Grades in x, y, z bedeutet, die weitere Identität
TFx-r Vyy - 2 W^y V^, + Wyy V^CX _ WyyV,, - 2Wy, Vy, + TT.. Vyy
Z^ x^
Wir setzen zur Abkürzung
(66) (W, F) =
x^
Wy,
F..-
2TTV
Vy.
+
TT.,
^yy
x^
w,.
r^cx-
2W,^
V,x
+
W:ox
V,,
y-
W^a
■^y'j~
-2W^y
Vx,
^^Vl
,Vxx
Es sei nunmehr im Xl'-Z'-Raum ein konvexer Körper gegeben, der
den Nullpunkt im Inneren enthält; wir bezeichnen die Entfernung des
NuUpunktes von derjenigen Tangentialebene dieses Körpers, deren Normale
die Richtungskosinus a, ß, y besitzt, mit H{a, ß, y) und denken uns die
so bestimmte Funktion H auf der Kugel mit dem Radius 1 ausgebreitet.
Wir nehmen an, daß H eine mindestens zweimal stetig differenzierbare
Funktion des Parameters auf der Kugeloberfläche sei. Die Gleichung
jener Tangentialebene ist
aX+ ßY+yZ=H
oder, wenn wir
Hix,y,z)==Yx^ + y^ + z''H( -^ ^ -, ~-=Ä..=.. , ~ ' \
V ,J, ) y ^j ^ Vya;*+2/* + ^»' ya;*+y*+^''' ya;* + 2/*+W
setzen,
xX-\-xjY -Y zZ= H{x, y, z),
wo H eine homogene Funktion ersten Grades in x^ y, z ist. Aus dieser
Gleichung erhalten wir durch Differentiation nach x, y, z sofort die Koor-
dinaten des Berührungspunktes der Tangentialebene als homogene Funk-
tionen nullten Grades von x, y, z, wie folgt:
16*
244
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
diese Gleichungen liefern zugleich eine Parameterdarstellung der Ober-
fläche des Körpers.
Bezeichnen wir mit ^' ein ganz auf der oberen Hälfte .ä" > 0 der
Einheitskugel verlaufendes Gebiet und lassen wir in den Gleichungen
den Faktor [i die Werte 0 bis 1 und .r, \j, z alle Punkte von S durch-
laufen, so durchläuft der Punkt X, Y^ Z denjenigen Raumteil Q, der durch
einen gewissen Kegel mit der Spitze im Nullpunkte aus unserem konvexen
Körper ausgeschnitten wird. Um das Volumen von Q zu berechnen,
führen wir statt der Koordinaten X, Z, Y die Variabein
ß, s = — , f =
ein und erhalten dann
Vq =fffdXdYdZ = fffzJdiidsdt,
(,« =0, ..., 1)
i^2^2
XX7 yxi zx
TT TT TT
■"■xy: ^yyy ^ty
wo die Funktionaldeterminante den Wert
^ = ^^xs^ l^HysJ ^H^^
i*'Kt7 l^Hy^, liH^t
besitzt. Multiplizieren wir nun in der letzten Determinante die Elemente
der ersten Vertikalreihe mit -, die der zweiten mit ; und addieren sie
dann zur dritten, so erhalten wir mit Rücksicht auf (64), (65), genommen
für W^H,
und demnach wird bei Ausführung der Integration nach ,a
V^-i- ffH(KxH,„ - H,;)zdsdt.
'(■^)
Wie eine leichte Rechnung zeigt, ist für die Kugel bei Verwendung der
Parameter s, t
(67) /,^— p_^3^
und demnach drückt sich das Oberflächenelement dh der Einheitskugel
durch die Koordinaten s, t wie folgt aus
dJc = z^dsdt;
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 245
wir ».rbalten daher schließlich
(68)
(•5)
(■^)
Da nun [H, H), wie aus der Definition (66) hervorgeht, überall auf der
Kugel wohl definiert ist, so läßt sich in (68) jetzt das Integral über die
ganze Oberfläche der Einheitskugel ausdehnen, und wir erhalten das
Gesamtvolumen unseres konvexen Körpers in der Gestalt
V=^fH{H,H)dJc.
Ist Sl eine willkürliche Funktion auf der Einheitskugel, so stellt
W{x, y, z) = -|/^'' + y- + z^flipc, y, z)
eine willkürliche homogene Funktion ersten Grades von x, y, z dar.
Nach (66) ist
(TF,i7) = ;, (Ti;,i/..,- 2 K;,fi,,+ W,..H^,\
und da hier der erste Ausdruck rechter Hand überall auf der Kugel für
a; =1= 0, der zweite für ^ 4= Ö, der dritte für z =^^) definiert ist, so erkennen
im Sinne der Festsetzung zu Beginn des vorigen Kapitels XVIII ein
auf der Kugel regulärer linearer Differentialausdruck ist; derselbe ist durch
die Funktion H eindeutig bestimmt. Es gilt ferner
Satz 49. Der lineare Diff'erentialausdrucTi L(Sl) auf der Kugel ist
sicJi seihst adjungiert und von elliptischem Typus.
Um die erstere Behauptung zu beweisen, denken wir uns wie vorhin
auf einem Teilgebiet S der Kugel als krummlinige Koordinaten die Variabein
eingeführt und wollen dann den zu L(ß) gehörigen Differentialausdruck 2 (5i)
in den Variabein s, t aufstellen. Zu dem Zwecke bedenken wir, daß in
unserem Ausdrucke {W, H) die Differentiationen nach x, y, z so zu ver-
stehen sind, daß dabei x, y, z drei unabhängige Variabele sind. Nun
gewinnen wir W, H aus den ii, H, indem wir diese als Funktionen der
krummlinigen Koordinaten s, f auf dem Teilgebiet S der Kugel auffassen,
durch die Formeln
246 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
W(x, y, z) = yx''+y^-\-^Sl
= zyY^s'^-fi^^{s, t),
H{x,y,z)==^yx'-^f-^z'H
und da hiernach
^v^. = l (^ yi + s'+t'si{s, o),„
w^, = j, (zyTTs'-TT'sKs, t)l,
wird, so gelangen wir schließlich mit Rücksicht auf (67) zu dem Ergebnis
(69) S(ii) = yeg-PL{a) = z\W, H)
= yi + s^Jrt' { {ViV^Vfsi),xvr+^^^' ^)tt
- 2{yi + s'+t' Sil, iyi-\-s'+f hX,
+ {yi + s'+ f ß),x/r+^5M^ Hj,, 1 .
Nehmen wir in dem allgemeinsten linearen Differentialausdruck ^(s)
(S. 220) — unter a irgendeine Funktion von s, t verstanden —
a = «,,, h = - a,„ c = a,^,
Z = 0, m = 0, w = 0,
so sind die Bedingungen dafür, daß 2(^) sich selbst adjungiert ist, näm-
lich die Gleichungen
m = h^ + c,,
erfüllt; demnach ist der Ausdruck
und folglich mit Rücksicht auf eine S. 241 gemachte Bemerkung auch der
Ausdruck (69) sich selbst adjungiert; das gleiche gilt mithin nach uuserer
Festsetzung auch für den linearen Differentialausdruck L{fl) auf der Kugel.
Um ferner den elliptischen Charakter des Differentialausdruckes
L{ßl) zu erkennen, haben wir offenbar den Nachweis der Ungleichung
aO) H,.IIyy-ü.y'>^
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 247
nötig. Nach den ÜberleguDgen, wie wir sie zu Anfang dieses Kapitels XIX
(S. 243) angestellt haben, wurden die Tangentialebenen unseres konvexen
Körpers durch die Gleichung
xX + j/Y-\-zZ= H{x, ij, z)
•dargestellt. Dividieren wii diese Gleichung durch s und führen dann
^ X y
z z
ein, so erhält jene Gleichung die Gestalt
sX + tY ^ Z=^H{s,t, 1),
und folglich wird
X = ^,,
Wie wir hieraus ersehen, ist der Übergang von der Darstellung der
Oberfläche unseres Körpers durch Punktkoordinaten, wobei Z als Funktion
der unabhängigen Variabein X, 1' betrachtet wird, zu der Darstellung
durch Ebenenkoordinaten, wobei H als Funktion der unabhängigen Varia-
bein s, t betrachtet wird, nichts anderes als die in der Theorie der par-
tiellen Differentialgleichungen übliche Legendresche Transformation. Die
Theorie der Legendresehen Transformation lehrt bekanntlich, daß zwischen
den Ableitungen zweiter Ordnung die Gleichunsf
^XX^Y)
gilt, und da wegen der Konvexität unserer Fläche der Nenner des Bruches
rechter Hand positiv ausfällt, so folgt das gleiche für die linke Seite,
und mithin gilt auch die Ungleichung (70).
Wir sind nunmehr in der Lage, die allgemeine Theorie des vorigen
Kapitels XVIII auf den linearen Differentialausdruck L{ßl) anzuwenden.
Was zunächst das Integrationsproblem betrifft (vgl, den allgemeinen
S. 226 — 227 aufgestellten Satz 44), so bedarf es zu dessen Erledigung
Tor allem der Kenntnis der folgenden wichtigen Tatsache:
Satz 50. Jede stetige Lösung der homogenen Differentialgleichmig auf
der Kugel
(71) L{SI) = 0
ist eine lineare Kombination der drei Lösungen
Sl = X, Sl = y, Sl = z.
Zum Beweise nehmen wir an, es sei co eine stetige Funktion auf
der Kugel, die der Differentialgleichung (71) genügt. Setzen wir sodann
248 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
so wird /(• eine homogene Funktion ersten Grades von x, y, z^ die der
Gleichung
(w,H) = 0
und daher wegen (ßQ) auch als Funktion der drei unabhängigen Yariabelni
X, y, z den Gleichungen
genügt. Es sei jetzt x^, y^, z^ eine Stelle auf der Einheitskugel, an der
die Funktion iv^ den kleinsten Wert auf der Kugel annimmt. Da iv^
homogen vom nullten Grade ist, so wird dieser kleinste Wert /.• zugleich
auch das Minimum der Funktion u\ im Räume für die drei nuabhängigen,
Variabehi x, y, z. Wir setzen
^ = X X-^y
l=- z - z^
und entwickeln iv^ in eine nach Potenzen von i,, -q, t, fortschreitende
Reihe wie folgt
(73) iv^=h + N{%ri,l) + ----
hier bezeichne ^^ die in der Entwicklung vorkommenden Glieder niedrigster
Dimension, und n sei der Grad dieses homogenen Ausdruckes N in ^, >/, t:
dabei ist die Annahme gemacht, daß ii\ nicht konstant sei. Da w^ an
der Stelle | = 0, 7^ = 0, ^ = 0 ein Minimum haben soU, so ist ^' not-
wendig eine definite Form: es gilt für alle |, r], t, die Ungleichung
N{1 ij, t) > 0.
Andererseits entwickeln wir auch w in eine nach Potenzen von §, r], ^
fortschreitende Reihe, wie folgt
(T4) iv = c+ l{l, ri, t) + M{1, ^, 0 + • • •;
dabei bezeichne c eine Konstante, / die homogenen linearen Glieder und
endlich M die nächst den linearen in der Entwicklung vorkommenden
Glieder niedrigster Dimension; m sei der Grad dieses homogenen Aus-
druckes M in ^, Ti, t,.
Wir bezeichnen nun die Werte der Ausdrücke
^xrJ ^yy> ^zzJ ^yzJ ^:x> ^xy
für £ = 0, >} = 0, ^ = 0 d. h. X = Xj^, y = y^, z = z^ bzw. mit
«; ß, y, ^j Ih ^\
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 249
dann ergibt sich, indem wir (74) in die beiden letzten Gleichungen (72)
einführen, durch Berücksichtigung der Glieder niedrigster Dimension
(75)
Es werde erstens angenommen, daß M ein Glied mit der Variabein |
enthält: alsdann lehrt der Vergleich von (73) mit (74), daß
wird, und daraus wiederum ersehen wir, indem wir (75) nach | differen-
zieren, daß auch N denselben Gleichung-en
(76)
iV..« - 2N^,^ + N^,y = 0
(77)
N^'^ß-2N^lv + N,^,^r,= 0
genügt.
Wir setzen nun
(78)
X=N,t'+Z
{0£h£ n),
wo N^ eine nicht identisch verschwindende Funktion vom n — h-ten Grade
in t, T; und Z eine Funktion von ^, ri, ^ ist, die den Faktor ^'' + ^ enthält.
Indem wir diesen Ausdruck für N in (77) einführen, erkennen wir, daß
auch N,^ der Gleichung (77) genügen muß.
Wegen der Konvexität der durch H dargestellten Fläche gelten für
die Konstanten a, ß, y, jtt, v die Ungleichungen
«y - i"^>Ö,
ccß - V- > 0;
die letztere zeigt, daß jede nicht konstante Lösung der partiellen Differential-
gleichung (77) notwendig eine indefinite Funktion d. h. eine solche Funktion,
von I, ')] ist, die sowohl positive wie negative Wei'te annimmt. Wenn
aber Nj^ indefinit wäre, so wäre wegen (78) auch iV^ gewiß bei genügend
kleinen Werten von ^ sowohl positiver, wie negativer Werte fähig, was
dem oben festgestellten definiten Charakter von 'N widerspricht. Demnach
müßte 'Ny^ notwendig eine nicht verschwindende Konstante und zugleich
sein. Die Einsetzung dieses Wertes für X in (76) lehrt aber, da « =1= 0
ist, die Unmöglichkeit hiervon.
Es bleibt also noch die zweite Annahme zu untersuchen übrig, daß
31 nur von |, rj abhängt. Die Einführung von M^ = 0 in (75) lehrt
M,: = 0, 31,^, =0
d. h.
(79) M=Cvi,
wo C eine von Null verschiedene Konstante bedeutet. Nun genügt w
als homogene Funktion ersten Grades in x, y, z der Identität
250 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
X tc^ + y IV -\- ziv.= tc
<1. h.
{pc^ -\- ^)iv, + (1/1 + 7i)w,^ + {z^ + ^)w:. = w
oder unter Berücksichtigung von (73), (74), (79)
(80) (a:,+^)(A- + .Y+---) + (!/x + ^)(^, + t7i; + --) + (% + e)(^^+C7; + --0
Sammeln wir auf beiden Seiten dieser Identität die Glieder erster Ordnung
in I, 7;, l, so ergibt sich
y,Ct + z,Crt = 0,
2/1=0, z, = 0
und wegen
folgt
<i. h.
und folglich
Xi= ±1.
Durch Einführung dieser Werte verwandelt sich (80) in
{±l-^i){k + N4-...)-\-7j{l,. + Ct-{--) + t(l:+Cr, + -) = c-{-l + Cr,t+--
und wenn wir hierin die Glieder zweiten Grades auf beiden Seiteli
«ammeln, so wird, je nachdem der Grad n von N gleich 2 oder größer
als 2 ausfällt, die Gleichung
±N+C>]t+Cr,t-C>it
oder die Gleichung
C7^t+Cy,t=Cy,t
«rfüUt sein müssen. Die letztere Gleichung ist unmöglich; die erstere
■ergibt
N= + Cr^t,
was dem definiten Charakter von N widerspricht.
Damit ist unsere ursprüngliche Annahme widerlegt: in der Entwick-
lung (73) darf ein Glied N nicht auftreten, d. h. ir^ ist eine Konstante.
Da in gleicher Weise auch tv und ir. Konstanten sein müssen, so folgt,
daß tv nichts anderes als eine lineare Kombination der drei Funktionen
j:, y, z ist.
Aus dem eben Bewiesenen folgt auf Grund des in Kapitel* XVIII
(S. 226—227) aufgesteUten Satzes 44:
Satz 51. Die inhomogene Differentialgleichung auf der Kugel
L(ß)=-f,
ist dann und nur dann lösbar, ivenn die gegebene Funltion f auf der Kugel
die drei Integralhedingungen
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen uud Oberfläche 251
Jfxdlc = 0,
Jfydli = 0,
Jfzdlc^O
erfüllt.
Nehmen wir in X(ü) insbesondere
so wird
Z(5^) = ( W, E) = f, { (1 - y') Tr,, + 2xy W^,^ + (1 - x') W^^ ] (^ + 0);
da, wie eine einfache Rechnung lehrt, der Ausdruck rechts hier nichts
anderes als die Summe der beiden Hauptkrüramungsradien der durch W
gegebenen Fläche darstellt, so geht in diesem Falle unser allgemeiner Satz
in einen bekannten von A. Hurwitz ^) aufgestellten und mittelst der Theorie
■der Kugelfunktionen bewiesenen Satz über.
Dem obigen Ausdruck V (S. 245) für das Volumen eines konvexen
Körpers stellt Minkowski einen allgemeineren für das gemischte Volumen
von drei konvexen Körpern zur Seite: sind Ii^^, H^, H^ die diese Körper
bestimmenden homogenen Funktionen ersten Grades, so definiert Minkowski
das gemischte Volumen dreier Körper durch das über die ganze Ein-
heitskugel zu erstreckende Integral
V{H„ ff,, ff,) = F,,3 = ifffjff,, H,)dh.
"Setzen wir in Formel (15)
w = H^, 2 = ff 2
und berücksichtigen, daß unser DiflFerentialausdruck
L{Si) = iW,ff,)
sich selbst adjungiert ist, so zeigt dieselbe unmittelbar die Richtigkeit,
der Gleichung
fH,{H„ Hs)dk ==Jff,{ff„ ff^)dl
d. h. es ist
V = V
' 123 ' 213 >
und da offenbar auch
' 123 ^^ ' 132
wird, so findet sich damit der Minkowskische Satz bestätigt, daß das
gemischte Volumen dreier Körper hei den Permutationen derselben seinen
Wert beibehält.
1) Vgl. Ann. Ec. Norm. Sup. 19 (l'J02), S. 4U4.
252 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
Da überall auf der Kugel
H > 0, (H,H)>0
ausfällt, so ist auch ^- eine durchweg positive Funktion, und daher
läßt sich unsere Theorie der partiellen Differentialgleichung auf der Kugel,
wie sie in dem zum Schlüsse des Kapitels XVllI S. 241 — 2-J2 ausgesproche-
nen Satze 48 gipfelt, auf die Differentialgleichung
(81) Lisi) + l ^^^ ß = 0
anwenden. Aus jenem allgemeinen Satze entnehmen wir unmittelbar^
daß diese Gleichung nur endlichviele negative, dagegen unendlichviele
positive Eigenwerte hat. Nach dem vorhin Bewiesenen wissen wir ferner,
daß X = 0 ein dreifacher Eigenwert ist. Außerdem sehen wir, daß
A = — 1 jedenfalls ein Eigenwert jener Differentialgleichung und ii = H
eine zugehörige Eigenfunktion ist. Wir wollen nunmehr zeigen, daß
A = — 1 nur ein einfacher Eigenwert ist und außer ihm keine weiteren
negativen Eigenwerte vorhanden sind. Zu dem Zwecke führen wir in (81)
ein; wegen
(i?, B) = 2
erhalten wir so die speziellere Differentialgleichung
(82) io(-ß) + 2Aß = 0,
wo
(83) L,{Sl) = (W,R)=l-Ail-inW^^-^2xyW,,,+ {l-x')W^^^ (^ + 0)
ist.
Diese Differentialgleichung ist mit der Differentialgleichung der Kugel-
funktionen identisch. Bezeichnet nämlich V eine homogene Funktion
A-ten Grades, die der Potentialgleichung
(84) F,, + T;^ -f F., = 0
genügt, und setzen wir
so wird
-f {(A - 1)I{''-'^ {h - l)(h - 'd)x'R''-''] W.
Addieren wir hierzu die entsprechenden Ausdrücke für V^y, V^. und be-
rücksichtigen dann die Identitäten (64), (65) — entsprechend dem Um-
stände, daß TF eine homogene Funktion ersten Grades ist — , so erhalten
wir auf der Kugel wegen 7^ = 1 die Gleichung
V.. -\-Vyy+V,= W^, -f- M\^ + TF, -f Qi - l){li + 2) W.
Kap. XTX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 253
Nun ist wegen (65) für i? = 1
W^^ + TT,^ + TF,, = ^{(l- f) W^^ + 2xy Ti;, + (1 - x'-) W^,^ ] ,
und mithin geht wegen (S3) die Potentialgleichung (84) über in die
Ditfereutialgleichung
oder wenn
W = R^
gesetzt wird, iu
Zo(ß) + {h - l){h + 2)ß = 0.
Die Theorie der Kugelfunktionen lehrt, daß diese Gleichung keine anderen
auf der Kugel stetigen Lösungen zuläßt als eben jene aus den homogenen
Potentialen von den Graden
h = 0,l,2,...
•entspringenden Funktionen Sl, und da die Potentialgleichung (84) genau
2/^ + 1 solche Lösungen /t-ten Grades besitzt, so folgt, daß die Differential-
gleichung (82) allgemein für h = 0, 1, 2, . . . die Größe
A = -H/*-l)(/i + 2)
als 2/i -f 1 fachen Eigenwert besitzt. Für h = 0 erhalten wir A = — 1,
für h = 1 ergibt sich X = 0 als dreifacher Eigenwert, womit sich das
vorhin für die allgemeine Differentialgleichung (81) gefundene Resultat
bestätigt. Darüber hinaus aber erkennen wir die wichtige Tatsache, daß
die spezielle Differentialgleichung (82) den Eigenwert A = — 1 als ein-
fachen Eigenwert besitzt, und daß, von diesem Werte und 1 = 0 ab-
gesehen, alle übrigen Eigenwerte positiv ausfallen, daß insbesondere der
kleinste positive Eigenwert A = 2 (für h = 2) wird.
Es ist nun leicht vermöge des Satzes 47 über die stetige Änderung
der Eigenwerte bei stetiger Änderuncr eines Parameters in der Differential-
gleichung (S. 238) die eben gefundene Tatsache auf die allgemeine Diffe-
rentialgleichung (81) zu übertragen.
Wegen (70) hat die in t quadratische Gleichung
keine reelle Wurzel, und da das gleiche von der quadratischen Gleichung
gilt, so besitzt auch die Gleichung
(/^-0,,-f- (1 - ^)It..y'+ 2(/^i4, -f (1 -.^)^.,)^ + .u.^^^+ (1 -.u)7?,,= 0,
wo II einen reellen auf das Intervall
(85) 0 ^ itt ^ 1
beschränkten Parameter bedeutet, keine reelle Wurzel t, und demnach ist
254 Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Tolumen und Oberfläche.
(i^^xx + (1 - M)^..) (l'H^y + vi - ." i?,,) - i^H^, + (1 - itt)i?.,)^ > 0;
d. h. die sämtlichen durch die Funktionenschar
dargestellten Flächen sind konvex; mithin gelten die vorhin für L{Sl)
entwickelten Tatsachen auch für den Ditferentialausdruck
und für die Differentialgleichung
(86) L^X^) + X ^"'-^y '^ = 0.
Die Differentialgleichung (86) geht für .a = 0 in (82), für .u = 1 in (81)
über. Die Differentialgleichung (82) besitzt, wie wir sahen, vom kleinsten
an der Größe nach geordnet, die folgenden Eigenwerte
A,= -l, X,= 0, l,= 0, A,= 0, ^5=2.
Die Heranziehung des vorhin genannten Satzes über die stetige Ände-
rung der Eigenwerte (S. 238) und die Berücksichtigung des Umstandes,
daß X = 0 für alle Werte des Parameters ,u genau ein dreifacher Eigen-
wert sein muß, zeigt, daß, während ^ das Intervall (85) durchläuft, der
fünfte Eigenwert stets positiv bleiben muß, insbesondere auch für ,a = 1.
Wir fassen die gefundenen Resultate, wie folgt, zusammen:
Satz 52. Die partielle Bifferentialgleiclimig (81) auf der Kugel besitzt
X = — 1 als einfachen Eigemvert: die zugehörige Eigenfiinktion ist iß = H ;
ferner ist für sie 2 = 0 ein dreifacher Eigemvert: die zugehörigen Eigen-
fmiktionen auf der Kugel sind x, y, z; die übrigen Eigemverte sind positiv.
Das System der Eigenfunldionen von (81)
c^,= H, ß, = ^, i\ = y, fl,= z, Sl,, .%, ...
bildet ein System von Funktionen, welches für H = 1 iti das System der
Kugelf unldionen übergeht und als die Verallgemeinerung des letzteren an-
zusehen ist, ivenn man im Sinne der Minhousliischen Geometrie die Kugel
durch eine beliebige konvexe Fläche ersetzt. Denkt man ßj, Sl.^, ^3, • • •,
tvie üblich, orthogonal normiert, so ist jede ivillkiirliche ztveimal stetig diffe-
renzierbare Funldion f auf der Kugel nach jenen Eigenfunktionen auf Fourier-
sche Weise enttvickelbar wie folgt:
f = c,i^, + c,^, + ^-3^3 + .. ., c, =/-^H^ f^^dk.
Nunmehr sind wir imstande, diejenige fundamentale quadratische
Ungleichung zwischen den gemischten Volumina zweier Körper abzuleiten,
die bereits in der Einleitung zu diesem Abschnitte erwähnt worden ist;
dieselbe wird uns als Ausfluß der Tatsache erscheinen, daß der fünfte
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 255
Eigenwert A5 der Differentialgleichung (81) positiv ausfällt. In der
Tat, zufolge des am Schlüsse des Abschnittes XVIII aufgestellten all-
gemeinen Satzes ist A5 das Minimum des Dirichletschen Integrales
D{Si) = -fH{W, W)dk
bei den Nebenbedingungen
(87) ß^J^- Si'dk =1,
(88) i{H,H)Sldli =0,
(89)
ß-'^ xSldl- = 0,
ß^^^y^dh = 0,
J
^-^ z^dk = 0.
Es sei nun G eine beliebige homogene Funktion ersten Grades, die auf
der Kugel, für ß eingesetzt, der Bedingung (88) genügt. Die durch G
bestimmte Funktion auf der Kugel bezeichnen wir mit F. Wir wählen
dann die drei Konstanten a, h, c derart, daß die Funktion
(90) ^ = r + ax ^ hy i- C2
auf der Kugel die drei Bedingungen (89) erfüllt. Dies ist gewiß mög-
lich, da im entgegengesetzten Falle solche Konstante a, &, c, die nicht
sämtlich Null sind, existieren müßten, daß die lineare Verbindung
ax -{■ hy -\- cz für ü eingesetzt die drei Bedingungen (89) erfüllt; dann
aber wäre als Folge davon, wie man sofort sieht, auch
/'
(TT TT\
jj— (ax -\- hy -\- czfdk = 0,
und dies ist nicht der Fall, da der Integrand positiv ausfällt.
Wegen
J{H, H) {ax -\-by + cz)dk -=JH{H, ax -{- hy + cz)dk = 0
erfüllt die in (90) dargestellte Funktion ü auch die Bedingung (88). Ist-
nun die Funktion ü nicht identisch für alle Punkte der Kugel Null, —
was nur möglich ist, wenn G einer linearen Kombination von x, y, z
gleich wird — so können wir sie mit einer Konstanten derart multi-
pliziert denken, daß auch die Bedingung (87) erfüllt wird. Wegen A5 > 0
folgt alsdann D{fl) > 0. Da aber
i)(i^) = _ fB(G + ax + by + cz, G -\- ax -\- hy -{- cz)dk
= -fH{G, G)dk
256 Kap, XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche.
wird, so gelangen wir zu dem Ergebnis: es gilt stets die Ungleichung
(91) fH{G,G)dJc£0,
wenn G eine beliebige homogene Funktion ersten Grades bedeutet, für die
fG{H, H}dl: = n
ausfällt, und dabei gilt in jener Ungleichung (91) das Gleichheitszeichen
nur, wenn G eine lineare Verbindung der drei Funktionen x, y, z ist.
Aus dieser Tatsache entnehmen wir, indem wir G = H — F setzen,
unmittelbar das weitere Ergebnis: es gilt stets die Ungleichung
(92) j'^(^' ^)^^^ >SH{F, I)dk,
wenn F eine beliebige homogene Funktion ersten Grades bedeutet, für die
fH{H, H)dli =JF(H, H)dk
ausfällt, und dabei gilt in jener Ungleichung (92) das Gleichheitszeichen
nur, wenn drei Konstanten a, h, c existieren, derart daß
(93) F=H-h ax + hy -{-C2
wird.
Die Formeln für die Punktkoordiuaten X, Y, Z der Fläche, wie sie
zu Anfang dieses Abschnittes S. 244 aufgestellt worden sind, lehren, daß,
wenn zwei zu konvexen Körpern gehörige Funktionen F, H durch eine
Relation der Gestalt (93) mit einander verbunden sind, der eine Körper
durch eine bloße Parallel Verschiebung aus dem anderen Körper hervor-
gegangen ist. Verstehen wir daher unter F eine zu einem konvexen
Körper geh<)rige homogene Funktion ersten Grades, wie es H ist, so
spricht sich das vorhin gefundene Resultat auch wie folgt aus: Wenn
für zwei konvexe Körper, die durch R, F bestimmt sind,
(94) V{H, H, H) = V{H, H, F)
ist, so gilt stets die Ungleichung
(95) V(H,H,H)^V{H,F,F),
und hier hat das Gleichheitszeichen nur statt, wenn der eine Körper durch
eine bloße Parallelverschiebung aus dem anderen Körper hervorgegangen ist.
Nunmehr seien irgend zwei konvexe Körper vorgelegt; die zu ihnen
gehörigen Funktionen seien H, G. Wegen (r>0 ist die Konstante
}\H, H, G) = hfG{H, H)dk
positiv und folglich auch die Funktion
V{H, H, G)
Der durch F definierte Körper geht aus dem durch G definierten Körper,
•wie man sieht, durch eine Ähnlichkeitstransformation hervor. Da außer-
I
Kap. XIX. Minkowskis Theorie von Volumen und Oberfläche. 257
dem F offenbar die Bedingung (94) erfüllt, so folgt aus dem Vorigen
die Gültigkeit der Ungleichung (95), d. h. es ist
r{H, H, H) ä (;§f 4>)V(if, G, G)
oder
(96) V{H, H, Gf > V{H, H, H) V{H, G, G).
Es gilt mithin der folgende Satz, der den Kernpunkt der Minkowskischen
'Theorie von Volumen und Oberfläche ausmacht.
Für sivei Jcorivexe Körper besteht stets die quadratische Ungleichung (96),
wobei das Gleichheitszeichen nur dann statt hat, wenn der eine Körper aus
■dem anderen durch Parallelverschiebung und Ähnlichheitstransformation
hervorgeht.
Durch Vertauschung der beiden Körper folgt aus (96) die Ungleichung
<97) V{E, G, GY ^ V(G, G, G) V{H, H, G).
Durch Quadrieren von (96) und Multiplikation mit (97) folgt nach Fort-
liebung des positiven Faktors V{H, G, Gf V{H, B, G) die Ungleichung
(98) V{H, U, Gf ^ V{H, H, Hf V{G, G, G);
•d. h. es gilt der Satz:
Für zwei l'onvexe Körper besteht stets die lubische Ungleichung (98),
wobei das Gleichheitszeichen nur dann statt hat, wenn der eine Körper aus
dem anderen durch Parallelverschiebung und AJmlichJceitstransformation
hervorgeht.
Ist wie früher
so stellt H -\- sB eine ParaUelfläche zu dem durch H definierten Körper
im Abstände s dar. Da nun offenbar die Oberfläche 0 des durch H
•definierten Körpers
^ _ V(H-\-£B, H-\-£B, H-\- sB) — VjH, H, H)
O — L
« = o *
^wird, so erhalten wir
0 = 3 V(H, H, R) = l-f{E, IPjdk.
Andererseits ist
V{R, R, R) = ^fHdJc
= {j{R,H)dlc
-vvenn (>j, p, ^'^^ Hauptkrümmungsradien der durch H definierten Fläche
amd da deren Oberflächenelement bedeutet; wir setzen
Math. Monogr. 3: Hilbert, lin. Integralgleichungen. 17
258 Kap. XX. Zur Theorie der automorphen Funktionen.
31=}, I (^ +-]d(o
'J \Qi QiJ
und bezeichnen dieses Integral als das Integral der mittleren Krümmung
und des konvexen Körpers.
Nehmen wir in den Ungleichungen (90), (97), (98) G = R imd
nennen V das Volumen des Körpers, so erhalten wir
(100) 03^36^F^
und in diesen Ungleichungen gilt das Gleichheitszeichen nur, wenn der
konvexe Körper aus der Einheitskugel durch Parallelverschiebimg und
Alinlichkeitstransformation hervorgegangen ist, d. h. wenn er selbst eine
Kugel ist. Hiernach drücken die Ungleichungen (99), (100) gewisse leicht
zu formulierende charakteristische Minimaleigenschaften der Kugel aus.
Die Minkowskischen Ungleichungen (96), (98) sind hiemach Verall-
gemeinerungen solcher Eigenschaften, wie sie in einer Minkowskischen
Geometrie gelten, wo statt der Kugel eine beliebige konvexe Fläche als
Eichfläche genommen ist.
Zwanzigstes Kapitel.
Anwendung auf ein Problem der Theorie der automorphen
Funktionen,
In diesem Abschnitte will ich kurz an einem speziellen Beispiele
zeigen, wie die orthogonalen Integralgleichungen auch in der Theorie der
automorphen Funktionen erfolgreiche Anwendung finden können.
Die nächstliegende Verallgemeinerung der elliptischen Modulfunktion
ist die einfachste automorphe Funktion mit reellen Substitutionen, die
vier gegebene reelle Werte oo, a, h, c ausläßt. Die Aufgabe, diese zu
konstruieren, führt zu der' allgemeineren, in der linearen Differential-
gleichung zweiter Ordnung mit den vier singulären Stellen oo, a, h, c
den Parameter X so zu bestimmen, daß der Quotient zweier partikulärer
Lösungen bei den Umläufen der komplexen Variabein x um die singulären
Punkte stets Substitutionen mit reellen Koeffizienten erfährt.
Wir konstruieren nun diejenigen Potenzreihen, die bzw. nach Potenzen
von X — a, x — h, X — c fortschreiten, für ic = a, x = h, x = c den Wert 1
annehmen und in der Umgebung dieser Stellen reguläre anal3^tische
Kap. XX. Zur Theorie der automorphen Funktionen. 259
Lösungen der Differentialgleichung (101) darstellen. Diese Potenzreihen
sind, wie die allgemeine Theorie der Differentialgleichungen zweiter Ord-
nung lehrt, durch jene Forderungen eindeutig bestimmt; sie mögen bzw.
mit y^, ijf^, m bezeichnet werden. Die anderen Lösungen der Differential-
gleichungen sind dann in der Umgebung jener Stellen x = a, x = h, x = c
bzw. in der Gestalt
-4y„ log (a: - a) + ^^{x-a),
By,log(x-h)-\-%{x-l),
Cy,\og{x-c) +^^{x-c)
darstellbar, wo Ä, B, C Konstante sind und '^_^, ^,,, ^^ Potenzreihen
mit reellen Koeffizienten bedeuten. Hieraus folgt, daß insbesondere die
Lösung y^, wenn wir x von a bis h zunehmen lassen, in der Nähe von
h für X <.b die Darstellung
(102) y^ = ßy, \og{h - x) + £i(x - h)
gestattet, wo ß eine bestimmte Konstante, O eine Potenzreihe mit reellen
Koeffizienten bedeutet und der Logarithmus reell zu nehmen ist. Nun-
mehr setzen wir die Lösung y^ reell über den Punkt h hinaus in der
Weise fort, daß wir für x > h unter y^ diejenige Lösung verstehen, die
in der Nähe des Punktes h durch die Formel
Va -ßVb log {x-h)^£i{x - 6)
gegeben ist. Sodann stellen wir die Frage, ob der Parameter X in der
Differentialgleichung (101) sich so bestimmen läßt, daß für denselben die
in Rede stehende Lösung y^^ wenn x von h aus in den Punkt c hinein-
wandert, dort endlich bleibt d. h. bis auf einen konstanten Faktor mit y^
übereinstimmt.
Ehe wir diese Frage untersuchen, woUen wir ihre Bedeutung für das
vorhin gestellte, die reellen Substitutionen betreffende Problem feststellen.
Zu dem Zwecke nehmen wir an, es sei /l = A^ ein Parameterwert, für den
die Lösung y^ die obengenannte Eigenschaft besitzt; diese Lösung y^
die wir nunmehr kurz mit y bezeichnen wollen, hat dann die folgenden
Eigenschaften: sie ist eine reelle stetige Funktion innerhalb des lutervalles
a ^x ^c
einschließlich der Grenzen, mit Ausnahme des Punktes x = h, in dessen
Nähe sie sich in der Gestalt
(103) y = ßy,\og x-h + C,(:r - &)
darstellen läßt. Hierbei ist die Konstante ß gewiß nicht Null. Denn in
diesem Falle wäre y als Funktion der komplexen Variabein x in den
Punkten o. h, c regulär analytisch und könnte daher auch nicht im Un-
endlichfernen logarithmisch singulär sein; mit Rücksicht hierauf ergibt
17*
260
Kap. XX. Zur Theorie der automorphen Funktionen.
sich aber aus der Differentialgleichung, daß für y im Unendlichfernen die
Entwicklung ^ .
!'-^ + *(^) C^+O)
gilt, d. b, y hätte den unendlicbfernen Punkt zur Nullstelle und wäre
demnach überall gleich der Konstanten Null, was nicht angeht.
Neben dieser Lösung y betrachten wir nun die bei x = h reguläre
Lösung y^, die nach dem eben Bewiesenen gewiß von Cy, wo C eine
Konstante ist, verschieden ausfällt; lassen wir x von h nach a wandern,
so wird in der Umgebung von x = a
(104) y, = ay log {x - a) + D^(a; - d) {x> a),
wenn andererseits x auf den Punkt c zu geht, haben wir
Vb = y*yc log {c -x)-{- £l,(a; - c) (x< c),
oder da y^ bis auf eine Konstante mit y übereinstimmen muß,
Vb = Vy log {c-x) + D,(ä: - c).
Nunmehr untersuchen wir den Quotienten
riix)
iVb
an einer zwischen a und h gelegenen Stelle d als Funktion der komplexen
d
Variabein x: es zeigt sich dann, daß die analytische Funktion 7j(:r) beim
Umlauf der Variabein x um eine jede der Stellen a, h, c stets eine lineare
Substitution mit reellen Koeffizienten erfährt. In der Tat, bezeichnen
wir mit S^ das Ergebnis des Umlaufes um den Punkt a, so wird
überdies ist wegen (104)
SaVb-yb+^^^c^y
und folglich
*^aV l_23ra7]'
Bezeichnet ferner S^ das Ergebnis des Umlaufes um den Punkt b, so wird
wegen (102)
S,y = y + ^i^ßyb',
überdies ist
^byb = yb
und folglich
Nun lassen wir y von d aus einen Halbumlauf in positivem Sinne um &j
machen bis zu einem zwischen h und c gelegenen Punkte e, dann eineiij
Kap. XX. Zur Theorie der automorphen Funktionen. 261
vollen Umlauf in positivem Sinne um c und alsdann einen Halbumlauf
in negativem Sinne um h zum Punkte d zurück: dabei verwandelt sich
der Reihe nach y in
y + i^ßVb,
y + ^^ß{yi> + "^i^yy) = (i - '^^^ßr)y + i^ßy^,
{1 - 2n'ßy){y - ixßy,) + iTißy,,
= {l-27i'-ßy)y + 2i7t'ß'yy,.
Bei derselben Wanderung der Variabein x wird aus y^^ der Reihe nach
yt,,
y,+ 2izyy,
y, + 2ijty{y - inßy^) = 2inyy -]- (1 + 2n^ßy)y,,
und folglich wird, wenn wir mit aS'^ das Ergebnis des Umlaufes um c
bezeichnen:
Wie wir sehen, haben die sämtlichen drei Substitutionen /S,,, B,^, S^ reelle
Koeffizienten, und wir können auch leicht schließen, daß umgekehrt dieser
Umstand, wonach der Quotient zweier Partikularlösungen der Differential-
gleichung (101) beim Umlauf der Variabein um die singulären Stellen
Substitutionen mit reellen Koeffizienten erfährt, nur dann eintritt, wenn
eine Lösung von den Eigenschaften wie y — Endlichkeit in a, c und
logarithmisches Verhalten gemäß (103) in & — vorhanden ist.
Um nun die Frage nach der Existenz der Funktion y in Angriff
zu nehmen, beweisen wir zunächst, daß es gewisse Werte von ?. gibt, für
die die Lösung y^ der Differentialgleichung (101) nach ihrer reellen Fort-
setzung gemäß (103) über b hinaus im Paukte c endlich bleibt. Wir
beweisen erstens, daß dieses Verhalten gewiß nicht für jeden Wert
von l stattfindet. In der Tat, nehmen wir dies an und bestimmen wir
alsdann einen Wert von A, für den y^ im Punkte b endlich bleibt —
nach den Darlegungen des zweiten Abschnittes S. 55 am Beispiel der
Kugelfunktion gibt es solcher Werte X notwendig unendlich viele — so
würde für einen Wert von l die Lösung y^ in allen Punkten a, b, c endlich
sein, was nach dem vorhin Bewiesenen nicht zutreffen kann.
Es sei A = z (> — c) ein Wert von der Art, daß y^, über b hinaus
gemäß (103) fortgesetzt, in c nicht endlich bleibt: dann bleibt auch y^,
über b hinaus gemäß (103) fortgesetzt, nicht endlich. Aus dem Umstände,
daß y^, y^ Lösungen der Differentialgleichung
L(«) - /. {P "') + (- + -^)'J = (>
sind, folgt leicht die Konstanz des Ausdruckes
262 Kap. XXI. Eine zweiparametrige Randwertaufgabe.
im ganzen Intervall a bis c. Da aber als Folge unserer Annahme über x
der Quotient nicht konstant ist, so fällt die Konstante JN' von Xull
verschieden aus. Setzen wir nun
so wird
und folglich ist G[x, |) die Greensche Funktion des Ditfereutialaus-
druckes L{y), wenn man als Randbedingungen das Endlichbleiben in a
und c und reelle Fortsetzung über h hinweg gemäß (K'3) verlangt.
Nehmen wir G{x, |) als Kern einer Integralgleichung zweiter Art,
so führt die Anwendung meiner Theorie der orthogonalen Integral-
gleichungen zu dem Satze:
Satz 53. Es gibt unendlich viele Werte X (die Eigemrerte des Froblems),
so daß die Differentialgleichung (101) eine Lösung (die zugehörige Eigcn-
funldion) besitzt, die bei reeller Fortsetzung über den Punkt b hinweg in den
Punlien a und c endlich bleibt; für eben diese Werte X ist der Quotient
ztveier Lösungen der Differentialgleichung eine analytische Funldion, die
beim Umlauf der Variabein x um die singidären Stellen der Differential-
gleichung Substitutionen mit reellen Koeffizienten erfäJtrt.
Die Kennzeichnung^ der unendlichvielen Eigenfunktionen durch
OsziUationseigenschaften, sowie den Zusammenhang mit dem Problem der
konformen Abbildung der nuUwinkligen Kreisbogenvierecke mit Orthogonal-
kreis hat F. Klein ^) untersucht.
Eiuundz wanzigstes Kapitel.
Eine zweiparametrige Randwertaufgabe (Kleins Oszillations-
theorem).
Bei aEen bisherigen Anwendungen der Theorie der orthogonalen
und polaren Integralgleichungen handelte es sich um Randwertaufgaben
für gewöhnliche oder partielle Differentialgleichungen, wobei jedesmal ein
Parameter X, sei es in der Differentialgleichung selbst, sei es in der Rand-
bedinsuns als zu bestimmende Größe auftrat. Im folgenden möchte ich
1) Math. Ann. Btl. Ü4 (1907), S. 175.
Kap. XXT. Eine parametrige Randwertaufgabe. 263
an einem Beispiel zeigen, wie auch im Falle zweier zu bestimmender
Parameter X, ,u die Theorie sich als anwendbar erweist.
Es seien für y als Funktion von x und für i] als Funktion von |
zwei gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung vorgelegt von
der Gestalt
(105) ^£^ + ila^!ih}i/ = 0 ix,£x£x,),
worin jj, a, b Funktionen der unabhängigen Yariabeln x und n:. a, ß
Funktionen der unabhängigen Variabein £ bedeuten; diese Funktionen
mögen sämtlich der Kürze halber als regulär analytisch angenommen
werden, und die Funktionen p^ a; ;r, cc mögen überdies die Bedingungen
erfüllen :
(107) j;(a;) > 0, a{x)>0 i^i^x^x^),
(108) ^a)>0, 0.(1) >0 (ii^i^y-
Alsdann multiplizieren wir die Differentialgleichung (105) mit ccy] und
(106) mit ay: durch Addition erhalten wir für die Funktion
die partielle Differentialgleichung
<109) <P^X-^ «(^^1)1+ ^{cch - aß)z = 0;
dieselbe ist wegen (107), (108) von elliptischem Typus und überdies, wie
man leicht erkennt, sich selbst adjungiert. Da das zu dem Differential-
ausdruck ,
(HO) c,{pzX-\- a(7th\
gehörige Dirichletsche Integral
ff{cip^J-\- a7izf)dxdi,
nur positiver Werte fähig ist, so besitzt auch die Greensche Funktion
zu (110) definiten Charakter. Endlich ist
ah — aß = 0
nur für eine endliche Anzahl analytischer Kurven erfüllt — es sei denn, daß
(IJ^j h{x) = Ca{x), ß{^) = Ca{l)
lusfäUt, wo C eine geeignete Konstante bedeutet; dieser Fall (111) ist
iber auszuschließen, da ja alsdann die beiden ursprünglichen Differential-
gleichungen (105j, (106) nur die eine Verbindung A + C^i der beiden
Parameter enthielten.
264 Kap. XXI. Eine zweiparametrige Randwertaufgabe.
Wie diese Überlegungen zeigen, erfüllt die partielle Difterential-
gleichung (109), in der der lineare Parameter ,a auftritt, alle Voraus-
setzungen für die Gültigkeit des Satzes, den ich in Kap. XXI, S. 206
ausgesprochen habe. Diesem Satze zufolge besitzt die partielle Ditfe-
rentialgleichung (109) für unendlich viele Werte des Parameters /t, die
Eigenwerte, jU^, }i^, . . . Lösungen, die zugehörigen Eigenfunktioneu z^^
^2, • • •, deren jede innerhalb des durch die Ungleichungen
bestimmten Rechteckes stetig ist und auf den Seiten dieses Rechteckes
verschwindet: nach diesen Eigenfunktionen ist die Entwicklung einer will-
kürlichen (gewissen Voraussetzungen unterworfenen) Funktion in diesem
Rechteck auf die Fouriersche Weise möglich.
Ich betrachte nun die gewöhnliche Differentialgleichung
(113) ^^-f.u,?.y + Aay = 0,
die aus (105) entsteht, wenn darin für ^ der besondere Eigenwert /i^
von (109) eingesetzt wird. Da hierin p(x) und a{x) nach der Voraus-
setzung (107) positive Funktionen sind, so folgt auf Grund meiner Theorie
der orthogonalen Integralgleichungen, daß (113) unendlich viele positive
Eigenwerte und zugehörige Eigenfunktionen
A — A| • A() ■ • ■ ■
^^^^^ 3/(0;) = y,W(^), y,^"Kx),...
besitzt, wenn wir als Randbedingung das Verschwinden für x = a\ und
X = Xo nehmen. Entwickeln wir insbesondere die zu u^^ gehörige Eigen-
funktion Zf^ der partiellen Differentialgleichung (109), indem wir sie als.
Funktion von x betrachten, auf Fouriersche Weise nach den Funktionen.
yi^''\ y2''\ ■ ■ ■■> ^*^ ergibt sich
(115) < z,(x, I) == ri,^'Kl)y:"\x) + ri,^%i)y,^%x) -f • • .,
wo allgemeÄi
< 116) nJ\i) =Ja{x)z,{x, i)yj%x)dx
ist.
Wir setzen nun zur Abkürzung
Kap. XXI. Eine zweiparametrige Randwertaufgabe. 265
dann ist die linke Seite der partiellen Differentialgleichung (109), ge-
nommen für ;/ = ,u^, identisch mit dem Ausdrucke
da Zj^ eine Lösung von (109) ist, so haben wir
«Z(")(^,) + aA^"\z^ = 0
und, wenn wir mit yj''' multiplizieren und zwischen den Grenzen a:,
und x^ nach x integrieren
fam{z;)yJ^Hx +JaA^"\z,)yJ")dx = 0.
ar, Xi
Wenden wir hier auf das erste Integral die Greensche Formel an und
führen wir sodann mittelst (116) die Funktion tj^''^ der Variabein | ein,
so erhalten wir
ajh''\yj'))z,dx+ AMjlz,yJ')dx\ = 0
oder, indem wir berücksichtigen, daß
(in) Li"\%:) + K<^yJ"-o
wird, und alsdann vermittelst (116) die Funktion i^J''' der VariabeLn |
einführen,
(118) ^'"Kri^'^) + <^KnnJ'^ = ^-
Da wegen (116) ^ij^'^^ eine für | = S^ und | = 1» verschwindende
Funktion ist, so wird das Produkt
riJmyJ'K^)
eine auf den Kanten unseres Rechteckes (112) in der x — ^- Ebene ver-
schwindende Funktion; dieselbe genügt, wie aus (117), (118) unmittelbar
folgt, der partiellen Differentialgleichung (109) für ^u = ^,^. Andererseits
besitzt diese Differentialgleichung gewiß nur eine endliche Anzahl linear
unabhängiger Lösungen, nämlich die zu fi/^ gehörigen Eigenfunktionen;
mithin dürfen unter den Funktionen zweier Variabein x, ^
%^"W, v/V\ ■ ■ ■
gewiß nur eine endliche Anzahl linear voneinander unabhängiger Funk-
tionen vorkommen. Da aber unter den Funktionen der Variabein x
yA y-A ■ ■ •
gewiß keine lineare Abhängigkeit statt hat, so folgt, daß nur eine end-
liche Anzahl von Funktionen der Variabelu t in der Reihe
'ix f 'li ) ■ ■ ■
von Null verschieden ist, und die Gleichung (115) zeigt mithin, daß eine
266 Kap. XXI. Eine zweiparametrige Randwertaufgabe.
jede zu 2^ gehörige Eigenfunktion .2;^ der partiellen Differentialgleichung (109)
sich durch eine endliche Summe von Produkten der Gestalt
darstellen läßt, wo jedes einzelne Produkt ebenfalls eine zu ,u^^ gehörige
Eigeufunktion jener partiellen Differentialgleichung (113j ist. Wir denken
uns nun in solcher Weise alle zu (1,^ gehörigen Eigenfunktionen von (109)
durch Produkte dargestellt und alsdann aus den sämtlichen auftretenden
Produkten solche ausgewählt, die voneinander linear unabhängig sind
und durch die die übrigen Produkte sich linear ausdrücken lassen; die
so ausgewählten Produkte bilden nach dem eben Bewiesenen offenbar ein
volles System von Eigenfunktionen der partiellen Differentialgleichung (109 )
für den Eigenwert .«;,.
Die wesentlichsten der bisher gefundenen Resultate fassen wir wie
folgt zusammen:
Satz 54. Ist ein System von zwei gewöhnlichen Differentialgleichiinfjen
von der Gestalt (105), (106) vorgelegt, für die die Bedingungen (107), (108)
erfüllt sind, und treten in denselben die zwei Parameter l, .it nicht bloß in der
Verbindung l + C.u auf — unter C eine Konstante verstanden, — so
existieren unoidlichviele Paare von Werten X, fi, für welche die Differential-
gleichungen solche simultane Lösungen y,,{x), ■»?;,(l) haben, daß y,,[x) an
den Enden und nicht überall im Inneren des Intervallcs x^x.^ und ebenso
rij^i^ an den Enden und nicht überall im Innern des Intervalles l^^, ^■^'*'
schivindet. Eine tvillkürliche (gewissen Voraussetzungen unterworfene) Funktion
der Variabelti x, ^ ist in Fourierscher Weise in eine nach den Produlden
yhi^)Vhi^) fortschreitende Reihe entwickelbar.
Ist noch die Bedingung erfüllt, daß die Funktion ccb — aß innerhalb
und auf dem Rande des Rechteckes nirgends verschwindet, so bedarf es
zur Behandlung der partiellen Differentialgleichung (109) nur der Theorie
der orthogonalen Integralgleichungen, und es ergibt sich dann, daß
jede zweimal stetig differenzierbare Funktion der Variabein ./;, ^ in Fourier-
scher Weise nach den Produkten der Lösungen der simultanen Differential-
gleichungen (105), (106) entwickelbar ist.
Wir betrachten zum Schluß als Beispiel die Lamesche Differential-
gleichung
^'y + 1 ( J I _i j_ 1 \ dy At-\-B ^ Q
dt- ~ - \t — e,^ t — e., t — ej dt 4:{t — e,)'.t — e,) {t — e,) ^
Wie die Anwendung unseres Theorems zeigt, lassen sieh hierin die Para-
meter Ä, B auf unendlichviele Weisen so bestimmen, daß die Differential-
gleichung eine Lösung y besitzt, die an den Endpunkten eines gegebeneu
Intervalles t^t^ verschwindet und zugleich eine solche, die an den End-
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 267
punkten eines anderen Intervalles t^ r, verschwindet — ein Resultat,
welches, wie wir sehen, im engsten Zusammenhange mit der Aussage des
Kleinschen Oszillationstheorems steht. — Dabei sind die Intervalle ^i /o
und r^T, nur der Einschränkung unterworfen, daß sie einander ausschließen
und keinen der Punkte 61,^2,63 enthalten; dagegen ist es für die Gültig-
keit meines Theorems nicht nötig anzunehmen, daß die Intervalle durch
einen der Punkte e^, e.^, e^ getrennt sind. Um dies einzusehen, nehmen
wir etwa
e^ < 63 < ^3 < ^1 < ^2 < •^i < T2
an, wählen dann einen zwischen f^ und r^ gelegenen Punkt a und setzen
einmal
t = a — X (Xi = a — t.2, x.2= a — tj)
und andererseits
t = a -{- ^ (li = Tj — ff, I2 = '^2 ~ «)•
Nehmen wir endlich
l = Ä, IX = aÄ + B,
so entstehen aus der Lameschen Gleichung die folgenden:
'^(41)
dl 4« ^ ^' ^5i^5^§2;
wo
I
j) = ]/(«. — X — e-^ia — X — Co) (a — x — e^,
71 = y{a + I — ej (a -f- t — ^o) (a + ^ — e^)
gesetzt ist. Da x und | in ihren Intervallen x^x., bzw. I^lg stets positiv
bleiben, so sind die Bedingungen unseres Theorems erfüllt und damit die
Existenz unendlich vieler Parameterpaare A, B von der verlangten Be-
schaffenheit erwiesen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Begründung der kinetischen Gastheorie.
In allen bisher erörterten Anwendungen der Theorie der Integral-
•gleichungen — sei es auf analytische oder geometrische Probleme oder
im Gebiete der theoretischen Physik — war es stets eine gewöhnliche
oder partielle Differentialgleichung oder ein System von solchen Differential-
gleichungen, das uns bei der Aufstellung der Integralgleichung zur Ver-
268 Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie.
mittelung diente. Im folgenden mache ich eine neue direkte Anwen-
dung der Theorie der linearen Integralgleichungen, indem ich zeige, daß-
es eine gewisse lineare Integralgleichung zweiter Art mit sym-
metrischem Kern ist, die die mathematische Grundlage der
kinetischen Gastheorie bildet und ohne deren Erforschung nach
den modernen Methoden der Integralgleichungstheorie eine
systematische Begründung der Gastheorie unmöglich ist.
Wir führen zunächst folgende Bezeichnungen und Annahmen ein. Es
seien x, y, z die rechtwinkligen Raumkoordinaten und i die Zeit: |, t^, t,
seien die Geschwindigkeitskompoueuten der Moleküle; die Moleküle seien
Kugeln vom Durchmesser 6. Zur Abkürzung werde ferner das Volumen-
element im ./w/^- Räume mit
(U) = dxdy dz
und das Volumeuelement in ^);^-Raume mit
dio = di, dl] dt,
bezeichnet. Den gesamten Zustand des Gases sehen wir als gegeben an
durch die Funktion F der sieben Argumente |, >;, t, x, y, z, t, wobei die
Bedeutung dieser Funktion die ist, daß
Fdodco
die Anzahl der Moleküle angibt, deren Mittelpunktskoordinaten zur Zeit ^ bzw.
zwischen x und x + dx
„ y „ y + dy
„ z „ z -\- dz
und deren Geschwindigkeitskomponenten zugleich bzw.
zwischen ^ und | + d^
„ V „ ^ + ^^
liegen oder kurz, die zur Zeit t in da und deren Geschwindigkeitspunkte
I, 7j, l in dio fallen. Wir nennen diese Funktion F die Maxwellsche
Fundame ntalfunktion.
Es .seien ferner J, t), § die Koordinaten eines Punktes der Einheitskugel
?' + t)- + S' = l (1)
und d% das Oberflächenelement dieser Einheitskugel. Bringen wir nun
zwei Moleküle mit den Geschwindigkeiten ^, ri, t, und Ij, t/^, ^^ zum Zu-
sammenstoß derart, daß im Moment ihrer Berührung die Richtungskosinusse
ihrer Zentrilinie y, \), 5 sind, so werden die Geschwindigkeiten der beiden
Moleküle nach dem Zusammenstoß durch die Formeln gegeben:
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie.
269
und
wobei zur Abkürzung
r
= ^ + t) TT,
= n^ - l) 1^,
(2)
(3)
gesetzt ist. Diese Formebi (2), (3) stellen eine lineare homogene Trans-
formation der sechs Variabein ^, i], t,, Ij, >;j, ^^ dar, die folgende Eigen-
schaft besitzt:
Satz 1. Die Transformation ist mit ihrer inversen identisch; ihre
Determinante ist gleich 1.
Satz 2. Vertauscht man in einem Ausdrucke, welcher |', ?/, ^', |j', 7^^', t,^
enthält, die Größen %, j], ^ bzw. mit |j, ij^, ^^ und umgekehrt, so ver-
tauschen sich in jenem Ausdrucke gegenseitig |', tj', l' bzw. mit t,^, 1]^', ^/.
Satz 3. Unsere Transformation besitzt die vier Invarianten
l + ^n
e + ^i,
während TF bei ihrer Anwendung das Vorzeichen ändert.
Auch setzen wir noch fest, daß, wenn (b'/fc) irgend einen Ausdruck
in I, 7], t, bedeutet, stets die folgenden abkürzenden Bezeichnungen gelten
sollen :
und endlich definieren wir die Klammersymbole:
[F, G] = ^6\ W {F' G,' + F; G' - FG,- F,G)
[F, F\ = \6^\W' {F'F^ - ff;)
<75 07] C f,
dF . dF . . cF . dF
in letzterer Formel bedeuten rechts die Größen X, Y, Z die Komponenten
der äußeren auf das Gas wirkenden Kraft, bezogen auf die Masseneiuheit;
sie sind gegebene Funktionen von x, y, z, t.
Nunmehr lege ich meiner Untersuchung die Maxwell-Boltzmannsche
P'undamentalformel
JJ[F,F]do.,cU^[F] (4)
270 Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie.
zugrunde; darin ist links die Integration da^ über den gesamten Ge-
sell windigkeitsraum
bi; 'ä? ^1 = — oo bis + c»
und die Integration (H- über die gesamte Oberfläche der Einheitskugel ( 1)
zu erstrecken. Diese Gleichung (4) muß identisch für alle ^, ij, t., x, y, z, t
erfüllt sein: sie stellt eine notwendige Bedingung dafür dar, daß die
Funktion F der sieben Argumente |, i], t., a;, y, z, t die Maxwellsche Funda-
mentalfunktion unseres einatomigen Gases ist.
Hierzu fügen wir für F noch folgende Bedingungen hinzu:
1. F darf keinenfalls negative Werte annehmen.
2. F muß verschwinden, sobald eines der Argumente |, i], t, positiv
oder negativ unendlich wird.
3. F soll für alle Zeiten t endlich und stetig bleiben.
Die Bedingungen 1. und 2. ergeben sich unmittelbar aus der Be-
deutung von F'^ die Bedingung 3. ist der Ausdruck für die Stabilität des
Bewegungszustandes unseres Gases.
Um F auf die allgemeinste Weise als Lösung der Gleichung (4) zu
bestimmen, könnte der Ansatz dienen:
^= ^0 + ^i(^ - V "rF.it- f,y -f- . . .. (5)
Da -^ in (4) nur rechter Hand auftritt, so folgen, wenn Fq eine willkür-
lich gewählte Funktion von |, ij, ^, x, y, z ist, aus (4) offenbar in ein-
deutiger Weise die weiteren Koeffizienten F^^, F^, ■ . . als Funktionen eben-
dieser sechs Argumente. Durch Abschätzung dieser Koeffizienten werden
wir jedoch eine Konvergenz der Potenzreihe (5) nur dann erwarten dürfen^
wenn t ^ t^ absolut genügend klein ausfällt, und solche Lösungen würden
der obigen Stabilitätsbedingung 3. widersprechen. Daher verwerfen wir
die Entwicklung (5) und erzielen vielmehr die Auflösung dadurch, daß
wir einen positiven Parameter l mittels des Ansatzes
in die Gleichung (4) einführen und die so entstehende Gleichung
[G, G) da'^d^ = A[(5] (6)
vermöge der nach Potenzen von X fortschreitenden Reihe
G= = O + ?p-A -f XA- H {!)
lösen — was darauf hinausläuft, in der ursprünglichen Gleichung (4)
i^=y + ^+A'A -!-•■• (8)
einzusetzen; dabei bedeuten ^, W, X, . . . zu bestimmende Funktionen der
sieben Argumente |, tj, ^, x, y, z, t, von denen jedenfalls die erste 0 noch
JJc
$
.
l
}
l
+ 'i^,
X
+ ^ +
XX,
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 271
den obigen Bedingungen 1., 2., 3. zu genügen hat. In dem Poten/reihen-
ansatze (8) erblicke ich die strenge Formulierung des Maxwellsclien Ge-
dankens einer sukzessiven Approximation zur Berechnung seiner Funda-
nientalfunktiou F: in der Tat sollen späterhin beim systematischen Aufbau
der Gastheorie sukzessive die Abschnitte
(9)
in erster, zweiter, dritter Annäherung usw. als Ersatz an Stelle der
Fundamentalfunktiou F genommen werden. Die Potenzreihe (8), die
die Fundamentalgleichung (4) befriedigt, ist der allgemeinste
Ausdruck für die Maxwellsche Fundamentalfunktion eines in
stabilem Bewegunofszustand befindlichen Gases.
Unsere wichtigste allgemeine Aufgabe besteht darin, die Mannigfaltig-
keit aller derjenigen Lösungen der Fundamentalgleichung (4) zu ermitteln,,
die durch die Potenzreihenentwicklung (8) dargestellt werden.
Zu dem Zwecke tragen wir (7) in (6) ein; dann finden wir durch
Vergleichung der Koeffizienten der Potenzen von l auf beiden Seiten
JJ[O,Q\d(a^d% = 0, (10)
Jj[^,W^d(o,rU = \[^], (11)
\0, X] + \{_W, W-\) dco, d^ = i[^], (12)
//([^
Die Gleichung (10) ist bereits von Boltzmann vollständig gelöst worden,
wie folgt, Weo-en Satz 1. und Satz 2. auf S. 269 haben wir, wenn H
ebenso wie F und G Funktionen der Argumente |, rj, t, bedeuten:
ffJ'H[F, G] d(D dc3, d§ = JJJH, [F, G'] dco dco, d^
= -JJJH'{F, G^] da da, d§, = -JJJh; \F, G'] da da, cZg,
und daher wird
SfjH[F, G] da da, d^ = \JJJ{H-\- H- H'- H,')[F, G]da da,d^. (13)
Aus dieser Formel folgt für
ir=iog^,
F= 0),
G=0,
mit Rücksicht auf (10)
272 Kap. XXn. Begrüadung der kinetischen Ga^theorie.
\JJJQ-o% 0 4- log ^1 — log 0' — log 0^') [^, 0] (7gj dco^ d§> = 0
JJf\ W log ^S (^' ^/ - 0 0,) dco dco, d^ = 0
4
oder
d. h., da der Integrand hier nirgends positiv ausfalleu kann,
0'O/- 00, =0.
Die allgemeinste dieser Gleichung genügende Funktion von |, i], ^,
x, z, y, t mit den Eigenschaften 1. und 2. auf S. 270 ist, wie aus dem Satze 3.
auf S. 269 leicht ei-kannt wird:
O = ae-*l(^-")' + (''-'')'+(^^-"')'l, (14)
wenn u, v, iv beliebige Funktionen von x, y, z, t und a, h solche Funk-
tionen derselben Variabein x, y, z, t bedeuten, die nirgends negativ ausfallen.
Nunmehr haben wir den soeben aus (10) gefundenen Ausdruck (14)
für 0 in (11) einzutragen und aus der so entstehenden Gleichung die
Funktion W zu ermitteln. Setzen wir zu dem Zwecke
•wo i\> eine neue zu bestimmende Funktion ist, und berücksichtigen die
obige Relation
00^ = 0' 0^,
SO nimmt (11) die Gestalt an
4 ö^jjl W\ 00^ (i/^/ + t/^' - 1/^1 - V) da^ d^^\ \0]. (15)
Führen wir hier in dem Ausdrucke linker Hand an Stelle von
^; '/> ^j ^U '/l? ^1
bzw. die Argumente
ein, so geht derselbe über in
wo zur Abkürzung
J ^ff W\e- ^^' + '>' + '^^ + ^^^ + 'h' + -^) ((p-\.cp^-(p'- cp,') da^d^i (16)
gesetzt worden ist; darin hat q) die Bedeutung
. "^«"» = *(» + ;/^'" + ;r"' + jl;)-
Es ist nun für die Begründung der kinetischen Gastheorie
von entscheidender Bedeutung, daß der Ausdruck (16) in die
Gestalt
J=k(p +fK(lri^', li^eO'jPi^rai (1')
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 273
CTebraclit werden kann und daß sieh daher die zur Bestimniuncr
von i^' dienende Gleichung (15) als eine lineare (orthogonale)
Integralgleichung zweiter Art herausstellt.
Um dies zu zeigen, bemerken wir zunächst, daß
wird, und setzen
\\o)
so daß k eine gewisse nur von |- + ^/^ + ^ abhängige stets positive Funk-
tion bedeutet:
Ferner führe ich in dem Integralausdrucke
J* =Jf W e- ^'r + '"^ + -') (p'dco, d^
statt des Integrales über die Oberfläche der Einheitskugel ein solches über
das Innere derselben ein, indem ich in
1
0
statt r und der Richtungskosinusse die drei unabhängigen rechtwinkligen
Koordinaten nehme j:, t), §. Wegen
r^drd^ = did\)di
wird dann
J J J J I Vl^ + ^^ + i^
{Ü S J- + 11- + ä- ^ 1)
wo nunmehr
zu nehmen ist. Führen wir jetzt im Integral J* statt i,,, ij^, ^^ die neuen
Integrationsvariablen
' J* + ^* + 3"
Vi—n
^i-E* + tj« + j»
"' i' + r + h'
ein, so erhalten wir
(0 ^ j^ + ir^ + j= g 1)
ß-!('i.(s' + n'-i-ä^-) + Sp + c.'i(£^-i-t,^+ä')-i-.!)'+(.'.(r- + n^- + ^^) + ;vi (p' dl^ d ^^d i'^ d):d\]d'i,
wo
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 18
274 Kap. XXn. Begründung der kinetischen Gastheorie.
zu nehmen ist. Sodann wählen wir statt J, t), § die neuen Integrations-
variablen
wegen
A2 + ^2 ^ ^2 _ (j2 _^ ^2 ^ g2) (^^^ ^ ^^^ ^ ^^^)
und da die Funktioualdeterminante
5>li , 5."i , i'^i + ij^i + ^svj I
wird, erhalten wir mit Rücksicht darauf, daß zu jedem Wertsystem A, a, v
zwei Wertsysteme i, t), 5 gehören:
J J e/ J J J (iJ-i +fi.Ui + vvjä
(0 ^ r- + n'' + >■* ä i A, + ,« /'i + V 11) (ly)
9p (I + ^ ^ + i^j ^ + 1') f^^ d^ dv dX^ d^i di\ .
Um hierin die Integration nach X^, ^^, j^j auszuführen, bedenken wir,
daß das Inteoral
IIA
'-niTTTT^T^n •*" V + ("' ;i^;+/.^,. + v., + '') + ("^ -(;!,+,«,.. + ,.., + ^) ] dX^ d^i, dv,
eine Orthogonalinvariante der beiden Variabeinreihen
X, jit, V und l, T], ^
ist und folglich nur eine Funktion der drei Ausdrücke
x' + ii^^v', xi + ^7j + v^, V+n'^^'
werden kann. Um diese Funktion zu ermitteln, nehmen wir u = 0^
V = 0. Für A > 0 geht jenes Integral (20) dann über in:
*" '"° "°— . -^ - { <' + Ö' + ('■" + ")'^ (X * ')' } ''-li ''f. ä>,,
(U,)T
+ OC + 00 + «
• OC — 00 /
00_
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 275
^ind mithin wird das Integral (20) notwendigerweise gleich
2 Jr . _ {^a + g) + /t(^ + i?) + i-(»' + ,^r
SiV' -\- ii' + vy
da ja dieser Ausdruck für u = 0, v = 0 den eben berechneten Wert bekommt.
Infolgedessen wird, wenn wir endlich in J* anstatt k, jw, v die Argumente
Ton qp, nämlich
li = I + A,
Vi =V -\- .«;
als Integrationsvariable einführen,
J*=fK^i^rj^',^^,ri,t,)cp,do,, (21)
wo
Tj^^ 2« { gl (gl - ^) + 'h i'h - '/) + ^1 (^1 - ?) } "
^ "t/(i.-i)'+fa^.)-+a -;)''" *-«-H.-,,.Hi-o.
gesetzt ist.
Nunmehr behandeln wir das Integral
ähnlich, wie soeben das Integral t7*. Zunächst finden wir genau wie vorhin
0 s E^ + 1)- + a'^ ^ 1
^ - ( ^1 {f + 1)^ + ä^) + '?)- + ("X (r- + D^- + ä^-) + ';r- + ("i (r- + 1)^- + s^) + 0= i ^/ f/ a^ d/i^ (7 v^ ^? j d\) rf§,
wo jetzt
/*i(5'+ if + ä") - 9(i-^i + i)i^i + an) + n,
v,{f + 9' + s') - lirM + 9>«i + S^^i) + 0
2:u nehmen ist. Sodann wählen wir statt j, ^, 5 die neuen Integrations-
variablen
^ = ^i(E^+ tf + ä^) - 0(i-A, + tl^a, + IV,),
V = n(?' + t)2 + s') - l{iK + 9^1 + an);
wegen
j/l + t).a + 5^ = 0,
und da die Funktionaldeterminante, abgesehen vom Vorzeichen,
9it*i+än, J.tti-2t)X„ Ej/i-2äAi I
t)Ai-2E^i, jAi + sv,, l)Vi-25ai =2(AAi4-u.«i+vvO(i-/li+l)^i + 5n)
5A,-2ei/„ ä/ii-2t)vi, jAj + l^.Ui
18*
276 Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie.
wird, erhalten wir durch Vergleich mit (19) das einfache Resultat
Mit Rücksicht auf (18), (21), (22) erhält der Integralausdruck (16)
die Gestalt (17), wie oben behauptet worden ist, wo der Kern K die
Bedeutung hat:
2 _ (li(gi-g) + '?i(vi- ';) + 1, (n - 0 } _M (2^\
^ (s-,-l)' + (.;,-.;P + (fi-,T • ^ ^
Unter Benutzung der Identität
(5; - F)^+S{S+S, - 2P) (S+ S, - P)*- ÄS.
(4i - ^Y + (rji - n? + (Ji - ^)' (li - ^r- + (^1 - rj)* + (?x - ö* '
wo
bedeutet, ersehen wir, daß K ein symmetrischer Kern der beiden Yariabeln-
reihen ^, jy, t, und ^j, 7;^, ^^ ist Außerdem zeigt der eben gefundene
Ausdruck (23), daß der Kern K für
nur von der ersten Ordnuncj unendlich wird und daher die gesamte Theorie
der Integralgleichungen auf ihn anwendbar ist.
Insbesondere entnehmen wir hieraus, daß die Frage der Auflösung
der Integralgleichung
J=mril), (24)
wenn /' eine gegebene Funktion von |, ?/, t, ist, notwendig durch die Kennt-
nis der Lösungen der homogenen Integralgleichung
J = 0 (25)
bedingt ist. Um diese Lösungen zu ermitteln, multipliziere man den Aus-
druck (16) für J mit qp und integriere nach ^, 1], t, über den unendlichen
Geschwindigkeitsraum; nach Formel (13) wird dann, wenn wir in derselben
nehmen:
ftpJda = iffj W e- («^+ '^+^'+ >V-+ -;,= + ^.^) ((^ + g:^ _ ^' _ (p^yda da, d§.
Soll nun q) eine Lösung von (25) sein, so muß für ein solches q) auch
das Integral rechts hier verschwinden, und dies ist nur möglich, wenn
der Integrand Null ist, d. h. wenn
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 277
wird. Dem Früheren zufolge gibt es lediglich die fünf linear voneinander
unabhäncrigeu Funktionen
^(^) = 1,
#) = e,-
die jene Gleichung erfüllen, und damit ist bewiesen, daß die lineare
homogene Integralgleichung (25) keine anderen Lösungen be-
.sitzt als diejenigen, die aus jenen fünf Lösungen durch lineare
hombination mit konstanten Koeffizienten entstehen.^)
Hiermit ist die Untersuchung der linearen Integralgleichung (24),
auf welche wir durch die Gleichung (11) geführt wurden, beendet, und
ich fasse die gefundenen Resultate, wie folgt, zusammen:
Die zur Bestimmung der FunMion tp dienende Gleichung (24) ist eine
lineare {orthogonale) Integralgleichung zweiter Art mit symmetrischem Kern.
Die zugehörige homogene Integralgleichung (25) hat genau die fünf linear
voneinander unabhängigen Lösungen (26), und mitliin besitzt (24) dann und
nur dann eine Lösung (p, wenn f die fünf Integralbedingungen {Orthogonalitäts-
bedingungen)
fr^fdco = 0, (i = 1, 2, 3, 4, 5)
erfüllt.
Auf Grund dieses Satzes ergibt sich als notwendige und hinreichende
Bedingung für die Möglichkeit, 4.< aus (15) d. h. ^P aus (11) zu bestimmen,
das Bestehen der fünf Gleichungen:
ft<')[0]d(o = 0, {i = 1, 2, 3, 4, 5). (27)
Dies sind, wie die Ausrechnung zeigt und schon von Maxwell erkannt
worden ist, nichts anderes als die hydrodynamischen Gleichungen ein-
schließlich der Kontinuitätsgleichung und der thermodynamischen Grund-
gleichung für ein ideales Gas in erster Annäherung: die hydrodynami-
schen Gleichungen erscheinen somit als die Orthogonalitäts-
bedingungen für die Lösbarkeit unserer linearen Integral-
gleichung; es sind fünf partielle Differentialgleichungen für die fünf
Größen a, b, u, v, w (bez. Dichte, Temperatur und Geschwindigkeit) als
li Den schönen Beweis dieses Satzes hat zuerst Herr Dr. E. Hecke gefunden,
dessen Hilfe — er war in der von mir im Wintersemester 1911 12 über (.iastheorie
<,'ehaltenen Vorlesung mein Assistent — mir auch sonst bei der Ausarbeitung der hier
entwickelten Theorie von g-roßem Werte war.
278 Kap. XXn. Begründung der kinetischen Gastheorie.
Funktionen von x, y, z^ f. Da die Determinante ihrer linken Seiten in
bezug auf die zeitlichen Ableitungen
da dh cu cv dw oq\
dt' dt' dt' Ji' dt ^'^^^
— sie ist im wesentlichen die aus den Elementen
/i/;W^W^r/«, 0;i=l, 2, 3, 4, 5)
gebildete Determinante — nicht Null ist, so sind die Lösungen der fünf
partiellen Differentialgleichungen (27) eindeutig bestimmt, wenn man die
Werte von a, h, u, v, iv oder auch — was offenbar auf das nämliche
hinausläuft — die Werte von
frp^^0da, {i = 1, 2, 3, 4, 5) (29)
für t = tQ als Funktionen von x, y, z willkürlich — etwa gleich /"('^ —
vorschreibt; wir wollen die so erhaltenen allgemeinsten Lösungen von (27)
mit a*, fe*, M*, v"^, «•* bezeichnen und überdies
setzen.
Nachdem wir so das erste Glied in der Entwicklung (8) von F auf
die allgemeinste Weise bestimmt haben, führen wir die nämliche Aufgabe
für das zweite Glied durch.
Es sei jetzt i\}^'^ diejenige völlig bestimmte Lösung der aus (15) hervor-
gehenden linearen Integralgleichung
i(J-JJ W 0* 0* (ti + t' - ti- il') dco.cH = K^*];
für welche
yV«^"0*f^« = 0, (i = 1, 2, 3, 4, 5)
wird; dann ist
diejenige völlig bestimmte Lösung der aus (11) hervorgehenden Integral-
gleichung
fJ[0*,W]dco,cH = ^[0^], (30)
für welche
/t/;« W' da = 0, (^• = 1, 2, 3, 4, 5) (31)
wird, und die allgemeinste Lösung von (30) ist
W=W+0* ^cW ^w, (j = 1, 2, 3, 4, 5) (32)
wobei die fünf Größen d^^ willkürliche Funktionen von x, y, z, t bedeuten.
Nunmehr schreiben wir die zur Bestimmung von X dienende Gleichung (12)
wie folsrt
Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie. 279
//[0, X\ dco, ./§ = i [^] - Ifßw, W\ dco, d%, (33)
und tragen darin ^* an Stelle von 0 und den Ausdruck (32) an Stelle
von W ein. Da diese Gleichung dieselbe Gestalt wie (11) oder (30^ auf-
weist und daher ebenfalls auf die lineare Integralgleichuno- (24j zurück-
führbar ist, so erhalten wir als notwendige und hinreichende Bedingung
für die Möglichkeit, X zu bestimmen, die Gleichungen
/i^C) ['^] dco -jJß(^)[W, ^] dcodco.d^ = 0, (>• = 1, 2, 3, 4, 5)
oder, da wegen (13) das zweite Integral verschwindet,
ß^^lWjdco^O, (^• = 1, 2, 3, 4, 5) (34)
d. h. wenn (32) an Stelle von y^ eingetragen wird:
ß{'-)[W'+ 0*^cWt/;W](?ö = 0. (i = 1, 2, 3, 4, 5)
Dies sind fünf lineare partielle Differentialgleichungen für die fünf Funk-
tionen c^-'\ Da die Funktionaldeterminante ihrer linken Seiten nach den
zeitlichen Ableitungen (28) genau mit der oben betrachteten Determinante
übereinstimmt und daher von Null verschieden ausfällt, so sind die Lösungen
dieser Differentialgleichungen eindeutig bestimmt, sobald man die Werte
von cW oder auch, — was offenbar auf das nämliche hinausläuft — die
Werte von
JVW Wd(o, {i = 1, 2, 3, 4, 5) (35)
für t = t^ willkürlich als Funktionen von x, y, z — etwa gleich g'^''^ —
vorschreibt; wir wollen die so erhaltene allgemeinste Lösung von (34) mit
^* bezeichnen.
So fortfahrend verstehen wir unter X^ diejenige völlig bestimmte
Lösung der Integralgleichung (33), für welche
ß')X^ da = 0, {i = 1, 2, 3, 4, 5) (36)
wird; die allgemeinste Lösung von (33) ist dann
U)
X = X» -f 0* ^cW t^(», (j = 1, 2, 3, 4, 5)
wobei die Größen c'-^^ willkürliche Funktionen von x, y, z, t bedeuten. Da
jedoch wiederum die Orthogoualitätsbedingungen
/^W [X] da = 0, (/ = 1, 2, 3, 4, 5) (37)
erfüllt sein müssen, so bleiben nur die Werte von c") für ^ = ^q ^^'Ukür-
lich: wir schreiben statt ihrer die Werte von
ß^Xda, (^ = 1, 2, 3, 4, 5) (38)
für f = tfj willkürlich als Funktionen von x, y, z — etwa gleich 7t^'* — vor
und bezeichnen die so erhaltene allgemeinste Lösung von (37) mit X*.
280 Kap. XXII. BegrÜDflung der kinetischen Gastheorie.
Bei diesem Prozesse der Herstellung der allgemeinsten Lösung
F* = ^* + W* + X*A H (39)
der Fundamentalgleichung (4) treten in jedes einzelne Glied jedesmal fünf
neue willkürliche Funktionen von x, y, z, nämlich die Funktionen (29),
(3ö), (38), . . . ein; diese willkürlichen Funktionen erscheinen
aber in dem Gesamtausdruck für /•' in der Weise kombiniert,
daß derselbe in Wahrheit nur fünf willkürliche Funktionen der
Variabein x, y, s enthält.
Um diese wichtige Tatsache einzusehen, bedenken wir, daß (39) eine
der Fundamentalgleichung (4) genügende Potenzreihe von A ist derart, daß
die Ausdrücke
ft^^F^da =-^^_!^ + J^(')?lf*^« + a/i^'«.Y*^cj + --- (i= 1,2, 3, 4,5)
für t = fff bzw. in die Potenzreihen:
^''•) = ^^' + /) + ^/^« 4- • • •, 0 = 1, 2, 3, 4, 5)
übergehen, \md daß es nur eine solche Potenzreihe gibt. Wir bestimmen
jetzt andererseits nach dem eben dargelegten Verfahren eine der Funda-
mentalgleichung (4) genügende Potenzreihe F von X derart, daß wir für
die fünf Ausdrücke (29) für t = t^ nicht wie früher f^^^ sondern die
Werte lA^'^ und sodann für (35), (38), ... an Stelle g^*\ M'\ . . . jedesmal
NuU vorschreiben. Dieser Konstruktion zufolge wird F eine solche Potenz-
reihe von A, daß die fünf Ausdrücke jxl^'^'iFdco ebenfalls für t = t^ iden-
tisch für alle A in A^'^ übergehen. Folglich ist
F=F*-
wir erkennen also, daß auch F die allgemeinste Potenzreihenlösung der
Fundamentalgleichung (4) darstellt, und damit ist unsere Behauptung be-
wiesen. Die gefundenen Resultate fassen wir in folgendem Theorem zu-
sammen:
In der Mannigfaltigheit aller nach Fotenzen von A fortschreitenden
Lösungen der Fundamentalgleichung (4) ist eine Lösung F eindeutig hestijnmt,
sobald, man für sie die Werte der fünf Integrale
ßi^Fda, {i = 1, 2, 3, 4, 5) (40)
für t = ^0 als Funktionen von x, y, z vorschreibt — etwa gleich A^\
Man erhält diese Lösung durch folgendes Verfahren: zunächst nehme
man für 0 den Ausdruck (14) und bestimme darin a, b, u, v, tv als Funk-
tionen von X, y, z, t aus den fünf partiellen DiffcrcntialglcicJiungen (27),
tcobei man für t = t^ die fünf Infegrahvcrte (29) gleich lA^'^ vorschreibt;
Kap. XXU. Begründung der kinetischen Gastheorie. 2*^ 1
sodann bestimme man diejenige Lösung W^ der linearen Integralgleichung
(11), für uelche die fünf Bedingungen (31) erfüllt sind, setze
U)
?if = ?p-o + (D ^cW J/;W 0' = 1; 2, 3, 4, ;■))
und hesiiinme die fünf Funldionen c'-'"> von x, y, s, t aus den fünf linearen
partiellen Differentialgleichungen (34), tvohei man für t = tQ die fünf Integral-
iverte (35) gleicli Null vorschreibe] endlich bestimme man diejenige Lösung X"
der linearen Integralgleichung (12), welche die fünf Bedingungen (36) er-
füllt, setze
0)
und bestimme hierin die fünf Fmiktionen c^^'> von x, y, z, t aus den linearen
imriiellcn Bifferentialgleichmgen (37), tvobei man wiederum für t = t^ die
Integral (certe (38) gleich Null vorschreibe usw. Die Ausdrücke (9) stellen dann
die Fundamentalfwiktion F in erster, zweiter, dritter Annäherung usw. dar.
Nach den Ausführungen auf S. 270 ist die Potenzreiheiientwicklung
(8) nach X der mathematische Ausdruck für die Stabilität des Bewegungs-
zustandes des Gases, und da F den Zustand des Gases für alle Zeit be-
stimmt und die Kenntnis der Integralwerte (40) uns gerade die Dichte,
Temperatur und Geschwindigkeit des Gases liefert, so entnehmen wir aus
dem obigen Theorem das folgende für die Gastheorie grundlegende Resultat.
Der Zustand eines stabilen Gases ist für alle Zeit eindeutig bestimmt,
wenn man für dasselbe zur Zeit t = t^ Dichte, Temperatur und Geschivindig-
Jceit als Funktionen des Ortes kennt.
Wir haben früher auf S. 270 gesehen, daß bei der Entwicklung nach
Potenzen von t — Iq die Mannigfaltigkeit der Lösungen F der Fundamental-
gleichung (4) eine weit höhere ist, als sie sich jetzt bei der Entwicklung
nach Potenzen von X unserem Theorem zufolge herausstellt: damals durfte
i*" für t = tQ willkürlich als Funktion von §, ^, ^, x, y, z vorgeschrieben
werden, jetzt dagegen, nur die fünf Integralwerte (40) als Funktionen von
X, y, z. Es ist also lediglich die Forderung der Stabilität in
der von mir aufgestellten Formulierung auf S. 270, die die
Mannigfaltigkeit der Lösungen der Fundamentalgleichung (4)
so wesentlich einschränkt, daß dadurch eine Gastheorie mög-
lich wird. — Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen, wie sie zur Begründung
der Fundamentalformel selber herangezogen werden, spielen hierbei keine
Rolle. Zur weiteren Begründung der Gastheorie haben wir vielmehr nur
nötig, die Vorschriften unseres oben aufgestellten Theorems auszuführen;
dieses Verfahren bietet keinerlei Schwierigkeit und läßt nirgends einen
Zweifel entstehen, welche Glieder bei Berechnung einer bestimmten An-
näherung zu berücksichtigen sind. So liefert ohne Zuhilfenahme einer
Math. Monogr. 3: Hubert, lin. Integralgleichungen. 18"
282 Kap. XXII. Begründung der kinetischen Gastheorie.
neuen Annahme beispielsweise die Berechnung der zweiten Annäherung
nicht nur den Beweis des zweiten Wärmesatzes und den Boltzmannschen
Ausdruck für die Entropie des Gases, sondern auch die Bewegungs-
gleichungen mit Berücksichtigung der inneren Reibung und der Wärme-
leitung ^)-, dabei erscheinen die Reibungs- und Wärmeleituugskonstanten
als Zahlen, die durch Auflösung gewisser Integralgleichungen numerisch zu
berechnen sind.
Zum Schlüsse sei noch eines Ergebnisses Erwähnung getan, das ich
eben gefunden habe und die elementare Theorie der Strahlung, insbe-
sondere den bekannten Kirchhoffschen Satz über das Verhältnis zwischen
Emission uud Absorption betrifft. Ich erkannte, daß es wiederum eine
gewisse Integralgleichung zweiter Art mit symmetrischem Kern ist, die
den Mittelpunkt dieser Theorie bildet, und während bei näherer Prüfung
alle bisherigen Beweise des Kirchhoffschen Satzes sich als ungenügend
herausstellten, gelingt mittelst jener Integralgleichung dieser Beweis auf
Grund der elementaren Definitionen und Begriffe der Strahlungstheorie
auf die einfachste und vollständigste Weise — ein neues bedeutsames
Zeugnis für die weitreichende Kraft, die der Theorie der linearen Integral-
gleichungen innewohnt.
1) H. A. Lorentz hat in seinen anregenden uud tiefsinnigen Untersuchungen über
Gastheorie das nämliche Ziel verfolgt; er gelangt dort zu einer Gleichung, die die
Rolle der Gleichung (11) in meiner Theorie vertritt, und sucht die Eindeutigkeit
der Lösung derselben durch Berufung auf einen Satz von Boltzmaun zu beweisen (vgl
H. A.. Lorentz, Gesammelte Abhandlungen Bd. I S. 88); diese Schlußweise von H. A.
Lorentz ist aber nicht stichhaltig, und auch seine weiteren Entwicklungen daselbst
sind, selbst für den einfachsten Fall des einatomigen Gases, mathematisch unbegründet,
nicht nur weil sie wesentlich die Tatsache der eindeutigen Bestimmtheit der Lösung
benutzen, sondern vor allem auch weil die Existenz einer Lösung für die Lorentzsche
Gleichung nicht erwiesen wird — und ohne Heranziehung der Theorie der linearen
Integralgleichungen auch nicht erwiesen werden kann.
■;t.
■ ■ JUL 1 ^ laoö
QA Hubert, David
431 Grundzüge einer allgemeinen
H55 Theorie der linearen
Integralgleichungen
PHysical &
Applied Sei.
I
PLEASE DO NOT REMOVE
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