Skip to main content

Full text of "Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen"

See other formats


1 


HANDBOLND 
AT  THE 


LNI\ T.RSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


FORTSCHPilTTE 
DER  MATHEMATISCHEN  WISSENSCHAFTEN 

IN  MONOÜKAPHIEN 

HERAUSGEGEBEN  VON  OTTO  BLUMENTHAL 
^==^^^==1  HEFT  3  r=i=z=^ii=^= 


GRUNDZÜGE 
EINER  ALLGEMEINEN  THEORIE  DER 
LINEAREN  INTEGRALGLEICHUNGEN 

VON 

DAVID  HILBERT 


LEIPZIG  UND  BERLIN  ^  j^ 

DRÜCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.TEUBNER 

1912 


ALLK  RECHTE,  EINSCHLIESSLICH  DES  ÜBERSETZUNGSRECHTS,  VORBEHALTEN. 


Vorwort. 

Im  vorliegenden  Buche  bringe  ich  meine  sechs  Mitteilungen  „Grund- 
züge einer  allgemeinen  Theorie  der  linearen  Integralgleichungen"  im 
wesentlichen  so,  wie  ich  sie  während  der  Jahre  1904 — 1910  in  den 
Nachrichten  der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen  ver- 
öflFentlicht  habe,  zum  Wiederabdruck.^)  Die  in  diesen  Mitteilungen  ent- 
haltene Theorie  ist  seitdem  von  meinen  Schülern  und  anderen  jüngeren 
Mathematikern  durch  wertvolle  Untersuchungen  ergänzt  und  in  wesent- 
lichen Punkten  weitergeführt  worden.  Ich  sehe  von  allen  besonderen  An- 
gaben hinsichtlich  der  an  meine  Mitteilungen  anknüpfenden  Literatur  ab 
und  erwähne  nur,  daß  Herr  0.  Toeplitz  ein  umfassendes  Lehrbuch  der 
Theorie  der  linearen  Integralgleichungen  und  der  unendlichvielen  Variabein 
gegenwärtig  bearbeitet. 

Neu  hinzugefügt  habe  ich  zum  Schluß  ein  Kapitel  über  kinetische 
Ga.stheorie.  Während  es  bisher  bei  allen  zahlreichen  Anwendungen  der 
Theorie  der  Integralgleichungen  stets  eine  Differentialgleichung  gewesen 
ist,  die  die  Theorie  der  Integralgleichungen  vermittelte,  erscheint  in  der 
•Gastheorie  die  lineare  Integralgleichung  primär  als  direkte  Folgerung  aus 
der  Stoßforme],  und  da  sich  überdies  die  Theorie  der  Integralgleichungen 
zur  systematischen  Begründung  der  Gastheorie  als  unentbehrlich  heraus- 
stellt, so  erblicke  ich  in  der  Gastheorie  die  glänzendste  Anwendung  der 
■die  Auflösung  der  Integralgleichungen  betreffenden  Theoreme. 

Die  vorausgeschickte  sachlich  geordnete  Inhaltsangabe^)  soll  zu- 
gleich als  ein  Leitfaden  für  die  gesamte  Theorie  der  Integral- 
gleichungen und  ihrer  Anwendungen  dienen,  wie  sich  diese  gegenwärtig 
systematisch  aufbauen  und  am  übersichtlichsten  darstellen  läßt. 

Göttingen,  Juni  1912. 

David  Hilbert. 


1)  Erste  Mitteilung  (Gott.  Nachr.  1904,  S.  49—91),  zweite  Mitteilung  rGött. 
Nachr.  1904,  S.  213—259),  dritte  Mitteilung  (Gott.  Nachr.  1905,  S.  307—338),  vierte 
Mitteilung  ((iött.  Nachr.  1906,  S.  157—227),  fünfte  Mitteilung  (Gott.  Nachr.  1906, 
S.  439—480),  sechste  Mitteilung  (Gott.  Nachr.  1910,  S.  355—417):  den  sechs  Mit- 
teilungen entsprechen  die  sechs  Abschnitte  dieses  Buches. 

2;  Gott.  Nachr.   1910,  S.  595—618. 

a* 


Sachlich  geordnete  Inhaltsangabe. 

(Die  riiiiiisclieii  Zahleu  bezt-ichuen  di»-  Kapitelnummern.) 
Hauptteile  A — F: 

A.  Tlieorie  der  Funktionen  unendlich  vieler  Veränderlicher  (l.—  l.). 

B.  Tfieorie  der  linearen  Intcgralgldehimgen  fS. — 11.^. 

C.  Annendunii  auf  f/eNÖhnJiche  Bifj'ermtialgleidimujen  (\2. — 19.^. 

D.  Anaendung  auf  partielle  Ditfcrentialgleichungen  (20. — 2b.). 

E.  Anivendung  auf  die  Theori<:  der  Fmiktionen  einer  komplexen  Variabein 
(2Q.—28,)^ 

F.  Anivtndnng   auf    Variationsrechnung,     Geometrie,    Hydrodynamik    und 
Gastheorie  (29.-32.). 

A.  Theorie  der  Funktionen  unendlich  Tieler  Teränderlicher. 

1.  Definition  der  Beschränktheit.  Eine  Funktion  von  unendlich  vielen 
Veränderlichen  Fix^,  x^,  x^,  .  .  .)  heißt  beschränkt,  wenn  ihr  w-ter  Ab- 
schnitt FiXy,  x^,  .  .  .  x^,  0,  0,  .  .  .)  dem  absoluten  Betrage  nach  für  alle 
Wertsysteme  x^,  x^,  .  .  .,  für  die 

(P=l,  2,  •■) 

•ist,  unterhalb  einer  festen,  von  n  unabhängigen  Schranke  M  liegt.    Speziell 
ist  eine  Linearform 

a^x^  -\-  «o.To  +  •  •  • 

dann  und  nur  dann  beschränkt,  wenn 

Ol  Ol 

a^-  +  af  -\ 

konvergiert;  eine  Bilinearform 

(p,  9  =  1,  2/.\.f 

wenn 

p,  7  =  1,2,...« 

unterhalb  einer  von  n  unabhängigen  Grenze  31  liegt. 
Eine  lineare  Transformation 

Vp  =  ^^^y,  (P  =  1,  2,  .  .  .) 

Iv  =  1,2,. .':/ 


A.  Theorie  der  Funktionen  unendlich  vieler  Veränderlicher.    2. — 4.  V 

heißt  beschränkt,  wenn  die  zugehörige  Bilinearform 

(J>,q=l,   2,   .  A)  '^ 

beschränkt  ist.     Eine   solche  Transformation   führt  jedes  Wertsystem  mit 
konvergenter  Quadratsumme  in  ein  ebensolches  über.    (XI.  S.  125 — 126.) 

2.  Die  FaUungssätze  besagen,  daß  die  sukzessive  Ausführung,  d.  h. 
„Faltung",  zweier  oder  mehrerer  beschränkter  Transformationen  selbst 
wieder  eine  beschränkte  lineare  Transformation  ergibt,  (XL  S.  128)  und 
ferner,  daß  dieser  Zusammensetzungsprozeß  assoziativ  ist  (XL  S.  129). 
Wendet  mau  auf  die  Yariabeln  einer  beschränkten  linearen,  quadratischen 
oder  bilinearen  Form  eine  beschränkte  lineare  Transformation  an,  so  ist 
das  Resultat  eine  beschränkte  Form  derselben  Art. 

3.  Eine  orthogonale  Transformation  ist  eine  solche  lineare  Trans- 
formation 

yp  =  ^o^^x^,  [p  =  1,  2, ...), 

(v) 

■die  den  beiden  Bedingungen 

0,  ?^  +  g 


^0      0 

(r)    ^     '          {1,  p  =  q 

^0      0       = 

genügt  (XL  S.  129—130).     Zwei  Linearformen 

(p)  ip) 

heißen  zueinander  orthogonal,  wenn 

ist.  Unendlich  viele  Linearformen  bilden  ein  vollständiges  Orthogonal- 
system, wenn  ihr  Koeffizientenschema  dasjenige  einer  orthogonalen 
Transformation  ist.  Ein  System  von  endlich  oder  unendlich  vielen  ortho- 
gonalen Linearformen  kann  durch  Hinzufügung  von  endlich  oder  abzähl- 
bar vielen  Linearformen  zu  einem  vollständigen  Orthogonalsystem  ergänzt 
werden.     (XL  S.  141—143.) 

Die  Faltunor  zweier  Bilinearformen  ist  orthogonalen  Transformationen 
gegenüber  kovariant.     (XL  S.  *131.) 

4.   VollsfetigJceit.     Es  seien 

^  (1)    ^  (1)    ^  (1) 

■^1     7    '*'2     1    '''Z     }    '  •  • 


VI  A.  Theorie  der  Funktionen  unendlich  vieler  Veränderlicher.    5. 

unendlich  viele  Wertsysteme,  deren  Quadratsumme  kleiner  als  1  ist  und 
die  die  ,,Häufungsstelle"  x^,  x^,  x^,  ...  besitzen  in  dem  Sinne,  daß 

Lx;"^  =  x^ 

n  =  00 

ist:  dann  heißt  eine  Funktion  F{Xi,  x^,  .  .  .)  vollstetig,  wenn  für  jede 
Folge  solcher  Wertsysteme 

LF{x,^"\x,^"\  ..:)  =  F(x„  x„  ...) 

n  =  00 

ist  (XL  S.  147,  XIU.  S.  174—175.)  Jede  beschränkte  Linearform  ist  voU- 
stetig,  indessen  nicht  jede  beschränkte  quadratische  oder  bilineare  Form; 
so  ist 

v^x^^  +  ^2^2'  H 

dann  und  nur  dann  vollstetig,  wenn 

7|    =   00 

während  diese  Form  z.  B.  für 

v^  =  l,     J'2  =  1  j  •  •  ■ 
noch  beschränkt  bleibt.     (XL  S.  148.)     Die  Bilinearform 

(P-  9) 

ist  jedenfalls  dann  voUstetig,  wenn 

(P,  9) 

konvergiert  (XL  S.  150—151,  XIL  S.  164). 

Weitere  hinreichende  Kriterien  für  Vollstetigkeit  beschränkter  quadra- 
tischer Formen  (XL  S.  151.     Satz  36). 

Für  vollstetige  Funktionen  gilt,  wie  bei  endlicher  Variabeinzahl,  der 
Satz  von  der  Existenz  des  Maximums  (XL  S.  148).  Weiteres  über  voll- 
stetige Funktionen  (XIII.  S.  175 — 177). 

5.  Theorie  der  voUsfetigen  Formen.  Jede  vollstetige  quadratische 
Form  läßt  sich  durch  orthogonale  Transformation  ihrer  Veränderlicheii 
auf  die  Form  bringen 

wobei 

n  =  OB 

ist;  die  k^^  sind  die  reziproken  Eigenwerte  (XL  S.  148,  Satz  35).    Direkter 
independenter  Beweis  dieses  Satzes  (XL  S.  148 — 150). 

Analoge  Sätze  gelten  für  die  simultane  Transformation  zweier 
quadratischer  Formen,  deren  eine  vollstetig  und  definit  ist,  während  die 
andere  die  Form  v^x^^ -\-  v^x^^ -\-  ■  •  ■  hat  —  unter  r„  die  Werte  +  1  ver- 
standen —  (XIII.  S.  156 — 162  Satz  38,  38*),  sowie  für  die  Transformation 


A.  Theorie  der  Funktionen  unendlich  vieler  Veränderlicher.    6. — 7.  VII 

der  Hermiteschen    und   der  schiefsymmetrischen   Form   auf  eine   Normal- 
form (XII.  S.  162—164,  Satz  39). 

6.    Vollstetige  lineare  Gleichungssysteme.     Ist 

eine  vollstetige  ßilinearform,  so  hat  das  Gleichungssystem 
(1  +  a^^)x^  +  a^^x,  +  a^^x^  -\ =  a^, 

^21  "^1     I     i^     I     ^22) "^2    I     ^23 "^3  ~r  ■  '  ■  ^^  ^2> 


alle  wesentlichen  Eigenschaften  der  linearen  Gleichungen  mit  endlich 
A'ielen  Unbekannten;  d.  h.  dieses  Gleichungssystem  hat  entweder  für  jedes 
Wertsystem  a^,  a^,  ...  mit  konvergenter  Quadratsumme  eine  und  nur 
eine  Lösung  x^,  x^,  ...  von  konvergenter  Quadratsumme,  oder  das  homo- 
gene Gleichungssystem,  das  aus  ihm  entsteht,  wenn  man 

a^  =0,     »2  =  0,  .  .  . 
setzt,  besitzt  eine  endliche  Anzahl  linear  unabhängiger  solcher  Lösungen; 
im  letzteren  Falle  besitzt  das  „transponierte"  Gleichungssystem 

i'j) 
genau   ebenso  viele   linear  unabhängige  Lösungen,  und  das  ursprüngliche 
inhomogene  Gleichungssystem  ist  dann  und  nur  dann  auflösbar,  wenn  die 
rechten    Seiten  a^,  a^,  ...    ebenso    vielen   linearen    Bedingungen    genügen 
(XII.  S.  164—174,  Satz  70). 

7.  Theorie  der  heschränMen  quadratischen  Farmen.  Im  Gegensatz  zu 
den  voUstetigen  Formen  bieten  die  nicht  vollstetigen  beschränkten  Formen 
Verhältnisse  dar,  die  denen  bei  endlicher  Variabeinzahl  nicht  analog  sind; 
doch  gilt  das  folgende  Theorem,  das  durch  Grenzübergang  vom  algebrai- 
schen Problem  (XL  S.  111—112)  aus  gewonnen  wird  (XL  S.  113ff.):  In 
einer  nicht  vollstetigen  beschränkten  quadratischen  Form 

K{x)  =  K{x^,  Ä'o,  .  .  .) 
lassen    sich  die  Variabein  x^,  x^,  .  .  .    stets    so   orthogonal  in   x^,  x.^,  .  .  . 
£j,  I2;  •  •  •  transformieren,  daß 


ir(.)=^.„.;^+/^^ 


I) 


(») 


wird.     Dabei  ist  das  Integral  (im  Stieltjesschen  Sinne)  über  eine  perfekte 
Punktnienge  s  der  u- Achse,  das  „Streckenspektrum",  zu  erstrecken,  und  die 

Spektralform    öf«;  I)  =^<yp/.«)l^l,^   bedeutet   eine   vom    Parameter  ju. 

(p,  ?) 


VIII  A.  Theorie  der  Funktionen  unendlich  vieler  Veränderlicher.    7. 

abhängige  positiv  definite  quadratische  Form,  deren  Wert  für  jedes  feste 
Wertsystem    der  t  als  Funktion  von  //   von  0  bis  ^b„"  monoton  wächst 

und  die  die  zu  ihrer  Charakterisierung  hinreichenden  Relationen 

(r)  (^)  (»)  W 

{')  {1» 

identisch  für  alle  stetigen  Funktionen  t<(iii)  erfüllt  (XI.  S.  145 — 146,  Satz  33). 
Die  aus   dem   Streckenspektrum,   den   Eigenwerten    ,  ,    ,   ,  .  .  .  d.  h.  dem 

„Pi(nli.^peltru))i^'  (XI.  S.  119)  und  ihren  Häufungsstellen  bestehende  Punkt- 
menge heißt  das  Speldrum  von  K{x)  (XI.  S.  122);  für  jedes  dem  Spektrum 
nicht  angehörige  X  haben  die  aus  der  Form 

(p) 
entspringenden  inhomogenen  Gleichungen 

(7) 

für  jedes  Wertsystem  y  von  konvergenter  Quadratsumme  eine  eindeutig 
bestimmte  Lösung  x^,  x^,  x^,  ...  von  konvergenter  Quadratsumme;  diese 
wird  mit  Hilfe  einer  beschränkten  quadratischen  Form 


K(A;  X)  =  >;'^..W^Ä=2™  + 


'rfg(^;  I) 

{P,<J)  /-  =  1,2,...  J        1-  — 

(■>■) 


der  „Resolvente"  von  K{x),  dargestellt  durch  die  Formeln 

(7) 

Für  jedes  Wertsystem  der  x  ist  K(A;a;)  eine  analytische  Funktion  von  A. 
(XI.  S.  137 — 138,  Satz  32.)     Die  homogenen  Gleichungen 

^,~^2^,x,=0  (2>=1,  2,  ...) 

(7) 

haben  dann  und  nur  dann  eine  Lösung  von  konvergenter  Quadratsumme, 
wenn  X  ein  Eigenwert  ist,  und  so  viele  unabhängige  Lösungen,  als  dessen 
Yielfachheit  angibt  (XL  S.  147,  Satz  34). 

Ein  Beispiel  einer  beschränkten  Form  mit  Streckenspektrum 
(XL  S.  153— ir)5). 

Die  Resolvente  gewisser  nicht  beschränkter  Formen  (XL  S.  124  bis 
125,  Satz  31). 


B.  Theorie  der  linoaren  Tntegralgleichuugeii.    8.-9.  IX 

B.  Theorie  der  linearen  lutegralä^Ieichuiififeii. 

8.  Der  Zusammenhang  zivisclien  unendlich  vielen  Variahein  und  Intefjral- 
gleichimgen  wird  vermittelt  durch  eiu  vollständiges  orthogonales 
Funktionensystem  0^{s),  ^^i^),  ...  für  das  Intervall  a^s-^h,  d.  h. 
ein  System  von  abzählbar  vielen  Funktionen,  die  den  Bedingungen  genügen 

f^(s)<^(s)ds=\  ^,(Orthogonalitätsrelationen), 

^1  fu{s)0^^{s)ds\  -=Ju{s)-ds,  {VollständifjJceitsrelafion)- 

dabei  muß  die  letztere  Relation  für  jede  stetige  Funktion  u(s)  gelten. 
(XIII.  S.  177  — 178.)  Jeder  endlichen  und  stetigen  Funktion  f(s)  sind  in 
bezug  auf  dieses  System  unendlich  viele  Größen,  ihre  „Foiirierkoeffisienten^'  a 
zugeordnet  vermöge  der  Gleichungen 

o  o  o 

b 

a 

jeder  endlichen  und  stetigen  Punktion  K(s,  f)  von  zwei  Variabein  s,  f 
ebenso  zweifach  unendlich  viele  Größen 

6     6 

%'i  -JS^^'^  0  %{^) ^,{i)ds  dt      {p,  ry  =  1,  2,  .  .  .) . 

a     a 

Die  a  sind  Koeffizienten  einer  beschränkten  Linearform,  die  a  Koeffi- 
zienten einer  beschränkten  und  sogar  vollstetigen  Biliuearform  (XIII.  S.  181). 
Ist  K(s,t)  symmetrisch,  so  sind  %q=  ciqp'^  ^^'n.j  Koeffizienten  einer  voll- 
stetigen quadratischen  Form  (XIV.  S.  186). 

9.  Lineare  Integralgleichungen  zweiter  Art.     Setzt  man 

b 
a 

SO  liefert  jede  stetige  Lösung  der  unhomogenen  bzw.  homogenen  Integral- 
gleichung mit  dem  „Kern"  K{s,  /) 

h 

f{s)=^cp{s)+fK(s,t)cpit)dt 

a 

bzw. 

b 

0  =  (p{s)  +  jK{s,t)(p{t)dt 

a 

eine  und  nur  eine  Lösung  des  inhomogenen  bzw.  homogenen  Gleichungs- 
systemes 


X  ,  B.  Theorie  der  linearen  Integralgleichungen.    10. 

(») 
bzw.  \   (}i  =  1,  2,  .  .  .). 

(v)  > 

Umgekehrt  orehört  zu  jeder  Lösung  von  konvergenter  Quadratsumme  des 
einen  dieser  Gleichungssysteme  mit  unendlich  vielen  Variabein  eine  und 
nur  eine   stetige  Lösung  der  entsprechenden  Integralgleichung,   nämlich: 

cp{s)  =  f{s)-2xjK{s,  f)0/t)dt- 

demnach  liefern  die  Sätze  von  6.  die  Fredholmschen  Sätze  über  die  Auf- 
lösung der  unhomogenen  und  homogenen  Litegralgleichung  (XIIL  S.  180 
bis  185). 

Ableitung  der  Lösungsformeln  (Fredholmsche  Formeln)  unab- 
hängig von  der  Theorie  unendlich  vieler  Variabler  durch  Grenzübergang 
vom  algebraischen  Problem  aus  fll.  S.  8 — 13;  IX.  S.  68.) 

Sätze    über    die   aus   K   zusammengesetzten  Kerne    (IX.  S.  67 — 70). 

Ausdehnung  auf  unstetige  Kerne  (XV.  S.  204;  IX.  S.  68). 

Zusammenfassung  zweier  simultaner  Integralgleichungen  in  eine 
Integralgleichung  (XVI.  S.  210). 

10.  Orthogonale  lineare  Integralgleichnny.  In  gleicher  Weise  liefern 
die  Sätze  von  5.  die  Theorie  der  Integralgleichung  mit  stetigem  symmetri- 
schen Kern  K{s,l)  =  K{t,  s)  und  einem  Parameter  X  (XIV.  S.  185—194). 

h 

f{s)  =  (p{s)-  xjK(s,  t)(f{t)dt. 

a 

Jeder  nicht  identisch  verschwindende  Kern  K(s,  t)  hat  mindestens  einen 
„Eigenicetf  A,  für  den  die  gzuehörige  homogene  Integralgleichung  [f  =  0} 
eine  nicht  identisch  verschwindende  Lösung,  die  zugehörige  „EigenfimJition'\ 
besitzt.  (XIV.  S.  188;  zum  ersten  Male  bewiesen  III.  S.  16.)  Jeder  Eigen- 
wert hat  endliche  Vielfachheit,  d.  h.  es  gibt  nur  endlich  viele  zu- 
gehörige linear  unabhängige  Eigenfunktionen.  Falls  der  stetige  Kern  K(^s,  ty 
nicht  eine  Summe  von  endlich  vielen  Produkten  (Pp{s)(p  (t)  ist,  so  gibt  es 
unendlich  viele  Eigenwerte,  die  sich  nur  gegen  co  häufen  (XIV.  S.  192^ 
IV.  S.  22).  Ist  X  kein  Eigenwert,  so  hat  die  homogene  Integralgleichung 
keine,  die  unhomogene  eine  und  nur  eine  Lösung,  die  sich  durch  eine^ 
vom  Parameter  X  analytisch  abhängende  „Resolvente"  K(.s,  t]  X)  in  der  Form 

cp{s)  =  f(s)-hXfK{s,t;X)f{t)dt 

a 

ausdrückt  (II.  S.  12). 


B.  Theorie  der  linearen  Integralgleichungen.    10.  XI 

Das  zugehörige  „Gaußsclie"  Variationsproblem:  das  Maximum  der 
Werte,  die  das  Doppelintegral 

h  b 
J{u)  =JJK{s,  t)u{s)u{t)dsdt, 

a     a 

die  „quadratische  Integralfortn",  für  alle  der  Bedingung 

h 

f(u{s)yds  =  1 

a 

genügenden  stetigen  Funktionen  u  annimmt,  ist  gleich  dem  kleinsten 
positiven  Eigenwert,  die  zugehörige  Funktion  u  ist  irgend  eine  der  zum 
betreffenden  Eigenwert  gehörigen  Eigenfunktionen;  die  weiteren  Eigen- 
werte und  Eigenfunktionen  erhält  man,  indem  man  zu  diesem  Variations- 
problem noch  sukzessive  lineare  Nebenbedingungen  hinzufügt  (XIV.  S.  193; 
V.  S.  28 — 30).  Ist  stets  J{u)  >  0,  so  heißt  der  Kern  definit.  Alle  Eigen- 
werte sind  dann  positiv  (V.  S.  28). 

Die  sämtlichen  Eigenfunktionen  cp^{s),  (f2{s),  ■  ■  ■  bilden  ein  orthogo- 
nales Funktionensystem  (XIV.  S.  187);  unter  Umständen  ist  es  zugleich 
ein  voUständiges  (XIV.  S.  193—194). 

Jede  durch  Vermittlung  einer  stetigen  Funktion  g  in  der  Gestalt 

f{s)=^lK(s,t)g(t)dt 

darstellbare  Funktion  f[s)  läßt  sich  auf  Fouriersche  Weise  in  eine  nach 
den  Eigenfunktionen  (p-^,  (p^,  ...  fortschreitende,  gleichmäßig  und  absolut; 
konvergente  Reihe 

b 

(p)  {p)       « 

b 

(p)    ^p  ^ 

a 

entwickeln.  (XIV.  S.190.)  Speziellere  Entwicklungssätze  über  „a&^esc/iZossme'' 
und  „allgemeine^''  Kerne.     (IV.  S.  24 — 25.) 

Die  quadratische  Integralform  Jiii)  gestattet  für  aUe  stetigen  Funk- 
tionen u{s)  die  Entwicklung 

t 
dieselbe  konvergiert  für  alle  u{s),  für  die  Ju^ds  unterhalb  einer  Schranke 

a 

bleibt,  absolut  und  gleichmäßig.     (IIL,  S.  19—20.) 


XII  C.  Anwendung  auf  gewöhnliche  Differentialgleichungen.    12—13. 

Ableitung  dieser  Theorie  unabhängig  von  der  Theorie  der  Funktionen 
unendlich  vieler  Variabeln  durch  Grenzübergang  vom  entsprechenden 
algebraischen  Problem  aus  (III.  S  13—21;  das  algebraische  Problem: 
I.  s.  4 — 8).  Darstellung  der  Resolvente  K(s,  f;  l)  als  Quotient  zweier 
ganzer  transzendenter  Funktionen  von  k,  d.  h.  die  Fredliohnschen  Formeln 
(II.  S.  11  —  13).  Ergänzung  betreffend  mehrfache  Eigenwerte  (VI.  S.  35 — 38). 

Ausdehnung  auf  unstetige  Kerne  (VI.  S.  30 — 35);  (XV.  S.  204). 

Anwendung  der  Theorie  auf  die  adjungierten  Eigenfunktionen  eines 
unsymmetrischen  Kernes  (XIV.  S.  194). 

11.  Polare  lineare  Integralgleichungen. 

Entwickhing    der    analogen   Eigenwert-    und    Eigenfunktionentheorie 

für  die  Integralgleichung 

I) 

f{s)  =  V{s)ip{s)  -  xjK{s,  tMt)df, 

a 

vro   Vis)   stückweise  +  1  oder  —  1    ist   und  K{s,  t)   einen   symmetrischen 
positiv-definiten  Kern  bedeutet  (XV.  S.  195—204). 

C.  Anweiiduiig:  auf  gewöhnliche  Ditt'ereutialgleiehimgeu. 

12.  Die  Greensche  Formel. 

Für  die  allgemeinste  sich  selb.st  adjungierte  Differentialgleichung 
zweiter  Ordnung 

i(")  -  J.  (p  1^)  +  J»  =  0  ü'>0) 

lautet  die  Greensche  Formel,  wie  folgt  (VII.  S.  40): 

J{vL{u)  -  uL{v) } dx  =  [p[v  "^  -  u  '^.) |- 

a 

Die  Grundlösung  y{x,  ^)  ist  in  bezug  auf  x  zweimal  stetig  differen- 
zierbar und  genügt  für  alle  von  t,  verschiedenen  Werte  x  innerhalb  des 
Intervalles  a  bis  h  der  Gleichung  L('u)  -=  0;  für  x  =  'g  ist  sie  stetig, 
während  ihre  erste  Ableitung  den  Abfall  —  1  aufweist.  Sind  ii^ix),  Mgf^) 
zwei  unabhängige  Lösungen  von  L{ii)  =  0,  so  stellt  sich  eine  Grundlösung 
in  der  Gestalt  dar: 

(VII.  S.  40). 

13.  Bandbedingungen. 

Es  kommen  fünf  Arten  von  homogenen  Randbedingungen  in  Be- 
tracht (VII.  S.  41—42): 


C.  Anwendung  auf  gewöhnliche  Differentialgleichungen.    14. — 15.  XIII 

I.  /•(«)  -  0,     m  -  0; 

V.  f{x)  soll  in  der  Nähe  des  Randpunktes  x  =  a  sich  in  der  Form 
{x  —  aY  e{x)  darstellen  lassen,  wo  e{x)  eine  für  x  =  a  endlich  bleibende 
Funktion  bedeutet; 

V*.  f{x)  soU  bei  der  Annäherung  an  den  Randpunkt  x  =  a  endlich 
bleiben. 

14.  Die  Greensclie  Funliion  G{x,  |). 

Eine  Grundlösung  g{x,  |)  für  das  Intervall  (a,  h),  die  in  bezug  auf  x 
und  identisch  in  |  an  den  Randpunkten  zwei  homogene  Randbedingungen, 
befriedigt,  heißt  die  zu  diesen  Randbedingungen  gehörige  Greensche  Funk- 
tion    der     Differentialgleichung    L{ii)  =  0:     ferner     heißt    der    Quotient 

G(x,  h)  =      ,L     die   Greensche   Funktion   des   Differentialausdruckes  L(u)- 
(VII.  S.  42—43). 

Wenn  eine  Greensche  Funktion  nicht  existiert,  so  besitzt  die  Differen- 
tialgleichung L{ii)  =  0  eine  nicht  identisch  verschwindende  stetig  differen- 
zierbare Lösung  ■^^{x),  die  die  betreffenden  Randbedingungen  erfüllt.  Wir 
konstruieren  dann  ein  Integral  g{x,  |)  der  inhomogenen  Differentialgleichung- 

6 

L(u)  =p{l)n^\x)ri^^{^),  jVixfdx  =  1, 

a 

dessen  Ableitung  an  der  Stelle  x  =  h,  den  Abfall  —  1   erfährt,  das  an  den 
Randpunkten  die  Randbedingungen  erfüllt  und  die  Gleichung 

a 

fg{x,^)tk'{x)dx  =  0 

b 

befriedigt.     Die  Funktionen  g{x,  ^)  und  -— 4f    werden  als  Greensche  Funk- 
tionen im  enveiterten  Sinne  bezeichnet.    (VLI.   S.  44 — 45,  XVIII.  S.  233.) 
Das    Symmetriegesetz    der    Greenschen    FunJction    G  {x,  ^)  =  G  (^,  x)- 
(VII.  S.  45). 

15.  Die  Lösung  der  Bandwertaufgahe. 
Die  Integralgleichung  erster  Art 

f(x)=fG{x,h)<pmi 


XIV  C.  Anwendung  auf  gewöhnliche  Differentialgleichungen.    16.— 17. 

wird  durch  die  Formel 

(p{x)  =  -Lf{{x)) 

gelöst;  und  umgekehrt  gibt  die  Integralgleichung  dasjenige  Integral  f{x) 
der  Differentialgleichung,  das  dieselben  Randbedingungen  wie  G{x,  ^)  er- 
füUt  (VII.  S.  45—47). 

Die  lösende  Funktion  der  Integralgleichung 

h 

f{x)  =  ip{x)-XfG{x,l)cp{l)dl 

ist  gleich  der  zu  denselben  Randbedingungen  wie  G  gehörigen  Green- 
schen  Funktion  des  Differentialausdruckes 

A(u)  =  L{u)  +  Alt. 
<V1I.  S.  47—49.) 

16.  Eigenicert-  tind  EigenfimMionentheorie  der  Differentialgleichung. 

Die  Differentialgleichung  ^(m)  =  0  besitzt  unendlich  viele  Eigen- 
werte, d.  h.  es  gibt  unendlich  viele  Werte  des  Parameters  X,  für  die  die 
Differentialgleichung  L{i()  +  2w  =  0  eine  nicht  identisch  verschwindende 
Lösung,  die  zugehörige  EigenfunUion,  besitzt,  die  an  den  Randpunkten 
<3ie  betr.  homogenen  Randbedingungen  erfüllt  (VII.  S.  49 — 50). 

Sind  t''^'^\x),  ^^'^\x),  ...  die  zu  irgend  welchen  Randbedingungen 
gehörigen  Eigenfunktionen  von  Aiii)  =  0,  so  folgt  für  jede  stetige  Funk- 
tion li{x)  ans  j 

fh(x)t^'''\x)dx  =  0  {m  =  1,  2,  .  .  .) 

a 

stets,  daß  h{x)  identisch  Null  ist  (VII.  S.  50). 

Jede  zweimal  stetig  diff'erenzierbare  und  den  Randbedingungen  ge- 
nügende Funktion  f{x)  ist  auf  die  Fouriersche  Weise  in  eine  nach  den 
Eigenfunktionen  fortschreitende  gleichmäßig  konvergente  Reihe  entwickel- 
bar (VII.  S.  51). 

Übertragung  der  Resultate  auf  die  Differentialgleichung 


ä^  {p  "£)  +  («w  +  «w)»  -  0, 


wobei  Jc{x)>0  ist.     Beispiele.     (2.  S.  51—56.) 

Differentialgleichungen,  für  die  nur  eine  Greensche  Funktion  im  er- 
weiterten Sinne  existiert,  und  der  zugehörige  Entwicklungssatz.  Beispiele. 
(VII.  S.  55—56.) 

17.  Allgemeine  Bifferentialgleicimngen. 

Mittelst  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen  werden  die 
sämtlichen  Resultate  auf  die  Differentialgleichung 

dx  {P  dl-)  +  <^5^^)  +  ^  ^(^^)"  =  0  (p  >  0) 


C.  Anwendung  auf  gewöhnliche  Differentialgleicbungeii.    18.  XY 

ausgedehnt,  wobei  l-(x)  eine  endliche  Anzahl  von  Malen  sein  Vorzeichen 
ändert.    Existenz   von  unendlich  vielen  Eigenwerten   (XVI.  S.  205 — 206). 
18.  Systeme  von  simnltanen  Differentialgleichungen. 

Aus  dem  Variationsproblem 

I, 

JQ{ii\,  u'o,  Ui,  u.^)dx  =  Min., 

a 
WO 

-f  2q^^u\u^  +  >*uMi^+  2^12 Ml ^2  +  r^iU^^, 
entspringen  die  linearen  Differentialgleichungen  2.  Ordnung  (XVI.  S.  206 
bis  207): 

/,(«„  «,)  =  1  {±  0-)  -  y^  =  0,  L,K,  „.) . ...  (,1  (;^)  -  ^A^  =  0. 

Die  Greensche  Formel  für  diese  Differentialgleichungen  (XVI.  S.  207): 

a 

Das  Greensche  Funktionensystem   für  diese  Differentialgleichungen  ist 
ein  System  von  Funktionen: 

(?n («,!),  Gi^{x,h,), 

G^i^X,  t,),   (r22(:3:'',  5), 
die  paarweise  die  Differentialgleichungen  L^  =  0,  Z^  =  0  sowie  die  Rand- 
bedingungen in  bezug  auf  x  befriedigen,  und  deren  Ableitungen  für  x  =  h, 
einen  gegebenen  Abfall  erfahren.     (XVI.  S.  207 — 208.) 

Das  Symmetriegesets  dieses   Funktionensjstems  lautet:   (XVI.  S.  208) 

G^^{x,^)  =  6^22(1,  a;). 
Die  Lösung  der  Eandwertaufgahe:  diejenigen  Lösungen  der  Differential- 
gleichungen 

Li (fi ,  fi)  =  —  (pi,     L.2  ifi,  Q  =  -  9'2 ; 
die  bestimmte  homogene  Randbedingungen  erfüllen,  werden  durch 

t\{x)  =/{  G,,{x,  ^)cp,(X)  +  G,,{x,  ^)cf,mdl, 

a 

Ux)  =f{G,,ix,  ^)cp,{^)  +  G,.M  ^)g>S)](^'^ 

a 

dargestellt,   und    umgekehrt,   diese  Integralgleichungen   erster  Art  werden 
durch  jene  Funktionen  (f^ix),  (p^2{^)  gelöst.     (XVL  S.  208.) 


XM  D.  Anwendung  auf  partielle  Differentialgleichungen.    19.— 20. 

Eigenuoi-  uni^  Eigmfunktimientheorie:  diejenigen  Funktioneupaare^ 
Uj(a:),  n^{x),  die  an  den  Randpunkten  homogene  Randbedingungen  erfüllen 
und  das  Gleichungssystem: 

A^  =  A(Wi,  Wg)  +  ^  (^'ii(^)«i  +  ^"12 (^) «2)  =  0, 

y/g  =  Loi}^!,  %)  +  ^    (^"2l(^)"l  +  ^'22  (^)  "2)   =  0 

befriedigen,  sind  Eigenfunktionen  der  Integralgleichungen: 

a 

I, 

U^{X)  =  A  J{  (r2i(a:,  ^){lnU,  +  ^-igWo)  +  Ö22(^,  l)(^21«l  +  ä-22«*2)/<^I-^ 
a 

(XVI.  S.  209 — 211.)  Die  Existenz  unendlich  vieler  Eigenwerte  und  Eigen- 
fimktionen;  Entwicklungssätze.     (XVI.  S.  211.) 

Greensche  Funktionen  im  ericeiierten  Sinne  (XVI.  S.  211 — 212). 

19.  Eine  ^weipammetrige  Bandivertaufgahe  (Kleins  Oszillationsiheorem). 
Treten  in  den  Differentialgleichungen 

;i  (-  äi)  -  (>■"  + .«")  •'  - " 

(2){x)  >  0,  a(x)  >  0,  für  x^  ^x  ^  x^) 
(n{^)>0,  cc{i)>0,  für   l,£^<k) 

die  Parameter  X,  n  nicht  bloß  in  der  Verbindung  X  +  Cf^i  auf  (C  =  const.) 
auf,  so  existieren  unendlich  viele  Paare  von  Werten  l,  [i,  für  welche  das 
Diä'erentialgleichnngssystem  ein  Lösuugssystem  y/,(x),  >?/,(|)  besitzt,  derart 
daß  y^{x)  an  den  Enden  und  nicht  überall  im  Inneren  des  Intervalles 
x^,  x^,  Vh{^)  ^^  den  Enden  und  nicht  überall  im  Inneren  des  Intervalles 
li,  I2    verschwindet;   zugehöriger  Entwicklungssatz.     (XXI.  S.  262 — 267.) 

D.  Amvendiiug  auf  partielle  Differential gleithiiiigen. 

20.  Die  Greensche  Formel. 

Für  die  allgemeinste  sich  selbst  adjungierte  Differentialgleichung 
zweiter  Ordnung  von  elliptischem  Typus 

lautet  die  Greensche  Formel,  wie  folgt  (VIII.  S.  59): 

j  { vUu)  -  uL{y) }dJ=^Jp  (ti  j;^-v^  ds, 

wo  J  ein  Gebiet  der  a;«/- Ebene  mit  der  Randkurve  C  ist. 


D.  Anwendung  auf  partielle  Differentialgleichungen.    21. — 23.  XVIT 

Die  Grundlösung  ist  eine  Lösung  der  Differentialgleichung  L(it)  =  0 
von  der  Gestalt 


y{.x,  y-,  I,  v)  =  ni^,  ?/;  1.  v)  ^  log  Vi^  —  iY  +{y-  vY  +  y^i^c, y-  |,  tj), 

wobei  Yi,  y,   zweimal  stetig  differenzierbare  Funktionen  sind,  und  außer- 
dem identisch  in  i,,  >; 

ist  (VIII.  S.  59-60). 

21.  Randbedingungen. 

Es  kommen  fünf  Arten  von  Randbedingungen  in  Betracht  (VIII.  S.  60 

bis  61): 

I.  f{x,  y)  =  0     für  alle  Punkte  ./ ,  y  der  Randkurve  C; 

II    ^  =  0 

dn  "       "  "  "       "  " 


III.  |^  +  ;,^=o„ 


IV.  (Ax,y)),-(M../))      ,.   (|{\=-(^)  für  »Ue  s, 

"wobei  s  die  Bogenlänge    von  einem   beliebigen  Punkte   von  C,  l   die  Ge- 
samtlänge bedeutet; 

V.  f(x,  y)  soll  bei  der  Annäherung  an  die  Randkurve  endlich  bleiben. 

22.  Greensclie  Funldion. 

Eine  Grundlösung  g(x,y]  ^.,1]),  die  als  Funktion  von  x,  y  identisch 
in  t],  h,  an  der  Randkurve  C  eine  homogene  Randbedingung  befriedigt, 
heißt  Greensche  Funktion  der  Differentialgleichung  L(u)  =  0;  ferner  heißt 

der  Quotient  ^'f.^'^l  die  Greensche  Funktion  des  Differentialausdruckes 

L{u).     (VIII.    S.  61.)     Symmetriegesetz  der   Greenschen  Funktion.    (VIII. 
S.  62.) 

Greensche  Funktion  im  erweiterten  Sinne.    (XVIII.  S.  233.) 

23.  Die  Lösung  der  Randivertaufgahe. 
Die  Integralgleichung  erster  Art 

wird  durch  die  Funktion 

^'{x,y)  =  -T^L{f{x,y)) 

gelöst;  umgekehrt  stellt  /"(jf,  y)  diejenige  Lösung  der  Differentialgleichung 
dar,  die  denselben  Randbedingungen  genügt  wie  G{xy:,^i]).   (^VUI.  S.  62) 
Die  lösende  Funktion  der  Integralgleichung 

f{x,  y)  =  cp(x,  y)  -  kj\r{xy;  ^y])cp(^r})d^dr] 

Math.  Monogr.  ;t:  Hubert,  lin.  Iiitegralgleichungeu.  D 


XVIII  D.  Anwendung  auf  partielle  Differentialgleichungen.    24.-25. 

ißt  die  zu  den  nämlichen  Randbedingungen  gehörige  Greensche  Funktion 
der  Differentialgleichung 

A(u)  =  (Lu)  +  lH  =  0. 

Beweis  der  Existenz  der  Greenseben  Funktion  und  der  Lösbarkeit 
der  Randwertaufgabe  bei  den  Randbedingungen  1  und  II  (IX.  S.  70 — 77). 
Existenz  der  Greenschen  Funktion  für  die  Randbedingung  UI  (IX.  S.  78). 

Andere  Beispiele.   Die  sich  gegenseitig  auflösenden  Integralgleichungen 

erster  Art: 

+  x 


"(I)  =  V-  I  v{x)  cot  g  (;r  ^  ^    )  '^^ 
-1 

+ 1 

V  (I)  =  V-  /  w(^)  cot  g  (ti  ^~!^   )  dx. 


(IX.  S.  75.) 

24.  Eigenwert-  und  EigenfunJctionentheorie  der  partiellen  Differential- 
gleichung. 

Es  gibt  abzählbar  unendlichviele  reelle  Werte  —  die  Eigenwerte  — 
des  Parameters  A,  für  die  die  Differentialgleichung 

L{u)  +  Xu  =  0 
eine  nicht  identisch  verschwindende  Lösung  —  die  Eigenfunktion  —  l)e- 
sitzt  und  die  auf  einer  geschlossenen  Randkurve  homogene  Randbedin- 
gungen erfüllt  (VIII.  S.  63);  jede  willkürliche  Funktion  ist  auf  die 
Fouriersche  Weise  in  eine  nach  diesen  Eigenfunktionen  fortschreitende 
gleichmäßig  konvergente  Reihe  entwickelbar.     (VUI.  S.  64.) 

Auftreten  eines  Parameters  in  der  Randbedingung.  Es  gibt  unendlich 
viele  Werte  X,  bei  denen  die  vorgelegte  DiÖ'erentialgleichuug  L^u)  =  0 
eine  nicht  identisch  verschwindende  Lösung  besitzt,  die  der  Randbedingung 

du        .  ^ 

cn 

genügt;  der  zugehörige  Entwicklungssatz  (IX.  S.  77 — 80). 

25.  Allgemeinere  partielle  Differentialgleichungen. 

Verallgemeinerung  auf  partielle  Differentialgleichungen,  die  zu  Ge- 
bieten auf  einer  beliebigen  krummen  Fläche  (statt  zu  ebenen  Gebieten) 
gehören  (VIII.  S.  64—65). 

Die  Randwertaufgabe  für  das  folgende  System  partieller  Differential- 
gleichungen erster  Ordnung  von  elliptischem  Typus: 

du       dv  , 
V,-  =  pu  -f  qv, 

du    .    dv        ,       ,    , 
dy       dx 


D.  Anwendung  auf  partielle  Differentialgleichungen.    25.  XIX 

Wenn  diese  Differentialgleichungen  außer  u  =  0,  v  =  0,  kein  Lösuugs- 
system  u,  v  besitzen,  derart,  daß  u  auf  der  gegebenen  geschlossenen 
Kandkurve  C  verschwindet,  so  besitzen  sie  ein  Lösungssystem  u,  v  derart, 
daß  u  auf  C  die  vorgeschriebenen  Werte  f{s)  annimmt;  im  entgegen- 
gesetzten Falle  existiert  ein  solches  Lösungssystem  dann  und  nur  dann, 
Avenn/'(s)  gewissen,  endliehvielen  Integralbediugungen  genügt  (XVII.  S.  213 
bis  219). 

Definition  des  auf  der  Vollkugel  regulären  Differentialausdruckes ;  seine 
Transformation  und  der  adjungierte  Diiferentialausdruck.  (XVIII.  S.  219 
bis  223.)  Die  Methode  der  Parametrix.  Die  Parametrix  ist  eine  symmetrische 
Funktion  des  Argumentpunktes  s,  t  und  des  Parameterpunktes  a,  x  auf 
der  Kugel,  die  in  allen  4  Veränderlichen  beliebig  oft  differenzierbar  ist, 
außer  wenn  Parameterpunkt  und  Argumentpunkt  zusammenfallen,  in 
welchem  Falle  sie  in  bestimmter  Weise  logarithmisch  unendlich  wird  (XVIII. 
S.  223 — 2241  Konstruktion  der  Parametrix  einer  auf  der  VoUkugel  resrulären 
Differentialgleichung  und  Nachweis  ihrer  Eigenschaften  (XVIII.  S.224 — 226). 
Wenn  die  auf  der  Vollkugel  reguläre  Differentialgleichung  vom  elliptischen 
Typus  L{z)  =  0  keine  von  Null  verschiedene,  auf  der  ganzen  Kugel  stetige 
Lösung  besitzt,  so  hat  die  Differentialgleichung  L{z)^=f,  wo  f  irgend 
eine  gegebene  Funktion  auf  der  Kugel  bedeutet,  stets  eine  solche  Lösung. 
Yerallgemeinerung  dieses  Satzes  für  den  Fall,  daß  L{z)  =0  solche 
Lösungen  besitzt  (XVIII.  S.  226 — 232).  Konstruktion  der  Greenschen  Funk- 
tion, d.  h.  einer  Parametrix,  die  die  vorgelegte  Diffei*entialgleichung  be- 
friedigt. (XVIII.  S.  232 — 234.)  Beweis  der  Existenz  der  Greenschen  Funktion 
im  „erweiterten  Sinne".  (XVIII.  S.  233.)  Es  gibt  unendlichviele  Werte  von  X, 
■derart  daß  L{z)  +  Xs  ^=  0  eine  auf  der  VoUkugel  stetige  Lösung,  die 
zu  diesem  „Eigenwerte"  gehörige  „Eigenfunktion",  besitzt;  jede  willkür- 
liche Funktion  ist  nach  diesen  Eigenfunktionen  auf  die  Fouriersche 
Weise  entwickelbar.  (XVIII.  S.  234 — 235.)  Die  sich  selbst  adjungierte  ellip- 
tische Differentialgleichung  Li/)  -\-  Iz  =  0  hat  nur  eine  endliche  Anzahl 
negativer  Eigenwerte  (XVIII.  S.  235—237). 

Hängen  die  Koeffizienten  in  L{z)  =  {)  von  einem  Parameter  u  ana- 
lytisch ab,  so  ist  der  /i-te  Eigenwert  eine  stetige  Funktion  von  ^ 
(XVIII.  S.  238—241). 

Mittelst  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen  werden  die 
sämtlichen  in  23.,  24.  erwähnten  Resultate  auf  die  partielle  Differential- 
gleichung 

ausgedehnt,  wobei  k{x,  y)  in  einer  endlichen  Anzahl  von  Teilgebieten 
verschiedene  Vorzeichen  besitzt  (XVI.  S.  206). 


XX     E.  Anwendung  auf  die  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen  Yariabeln.   26. 

E.  Auwemluiig  auf  die  Theorie  der  Fuuktionen  einer  komplexen 

Yariabeln. 

26.  Allgemeines  Riemannsches  Problem. 

Formulierung  desselben:  man  soll  Funktionen  einer  komplexen 
Variablen  bestimmen,  wenn  zwischen  den  Real-  und  Imagiüärteilen  der 
Funktionen  auf  einer  gegebenen  geschlossenen  Randkurve  C  gegebene 
Relationen  gelten  sollen.  Man  bezeichne  die  Greenschen  Funktionen 
zweiter  Art  der  Poteutialgleichung  ^(ii)  =  0  für  das  Innere  und  Äußere 
der  Kurve  C  bzw.  mit  Gj{x,y]  !,■);)  und  G^{x,ij\,  ^,7])  und  definiere  dann 
zwei  Inteyralausdrücite,  wie  folgt 


(C) 
Mw  =  jr-    /    —  " iv(6)d6, 


(C) 

wobei  «((j)  irgend  einen  komplexen  Ausdruck  auf  der  Kurve  C  bedeutet. 
Die  Bedingung  dafür,  daß  ein  auf  C  definierter  komplexer  Ausdruck  fj(s) 
die  Randwerten  einer  innerhalb  C  regulären  Funktion  darstellt,  ist 

fj(s)  =  M/,+  \ffj{a)d6, 

(C) 

wobei  l  die  Gesamtlänge  der  Kui-ve  C  bezeichnet;  ein  analoger  Satz  gilt 
für  die  Opei-ation  M^w  und  das  Äußere  von  C.     Die  Ausdrücke 

IV  -f  Mjtv  bzw.  iv  —  Mg^iv 

stellen  stets  Randwerte  einer  innerhalb  bzw.  außerhalb  C  regulären  Funk- 
tion dar.     (X.  S.  81—88.) 

Durch  die  erlangten  Hilfsmittel  wird  der  Satz  bewiesen,  daß,  wenn 
c{s)  ein  gegebener  stetiger  komplexer  Ausdruck  auf  der  Kurve  C  ist  und 
c{s)  den  konjugierten  Ausdruck  bedeutet,  entweder  ein  Paar  von  Funk- 
tionen fj{z),  faiß)  existiert,  von  denen  die  erstere  innerhalb,  die  zweite 
außerhalb  C  regulär  analytisch  ist  und  welche  auf  C  die  Relation 

faiß)  =  C{s)f^{s) 

erfüllen,  oder  ein  Funktionenpaar  ^r^ (^)  und  ^^{z)  von  demselben  Charakter^ 
deren  Randwerte  die  Relation 

9a{s)  =  c{s)gj(s) 

erfüllen  (X.  S.  89 — 91).  Von  diesen  beiden  Fällen  tritt  der  erste  bzw. 
der  zweite  ein,  je  nachdem  log  c{s)  beim  Umlauf  in  positivem  Sinne  ent- 
lang C  eine  negative  bzw.  positive  Änderung  erfährt  (X.  S.  91). 


E.  Anwendung  auf  die  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen  Variabein.  27.     XXI 

Es  gibt  stets  ein  Paar  von  Funktionen  f^z),  fj{z),  von  denen  die 
erste  außerhalb  C,  die  zweite  innerhalb  C  den  Charakter  einer  rationalen 
Funktion  besitzt,  während  auf  C  die  Relation 

erfüllt  ist  (X.  S.  91—92). 

Untersuchung  des  Falles,  wo  c{s)  an  einer  endlichen  Anzahl  von 
Stellen  eine  Unterbrechung  der  Stetigkeit  aufweist  (X.  S.  92 — 94). 

Aufstellung  der  Aufgabe:  zwei  außerhalb  C  und  zwei  innerhalb  C 
reguläre  analytische  Funktionen  f\,  f\  bzw.  f.,  f  .^  sollen  so  bestimmt 
werden,  daß  sie  auf  C  die  Relationen 

/;(s)  =  ^i(5)/'/^^)  +  c2(5)r/s) 

faiß)-ö,{s)f,{s)^c\{s)f,{s) 
erfüllen,    wobei  q,  f,?  ^'i?  c'2  gegebene  komplexe  zweimal  stetig  differen- 
zierbare Ausdrücke  in  s  sind,  deren  Determinante 

für  alle  i>  von  Null  verschieden  ausfällt  (X.  S.  94 — 95). 

Es  wird  bewiesen,  daß  entweder  die  genannte  Aufgabe  eine  Lösunsr 
besitzt,  oder  zwei  Funktionenpaare  ^^,  g ^,  g-^  g  ■  existieren,  die  auf  C 
die  Relationen 

9'a-  c\g^  +  c\g^ 

erfüllen,  wobei  c^,  c,,  c\^  c\  die  zu  den  gegebeneu  Ausdrücken  Cj,  c^,  c\,  c^ 
konjugiert  komplexen  Ausdrücke  bedeuten.     (X.  S.  95 — 98.) 

Die  Randwerte  der  soeben  konstruierten  Funktionen  f^,  f'^,  fj^  /"-. 
bzw.  g^,  g'^,  g^,  g' ■  sind  auf  C  stetig  diÖ'erenzierbare  Funktionen  von  s, 
und  die  gestellte  Aufgabe  besitzt  nur  eine  endliche  Anzahl  linear  von- 
einander unabhängiger  Systeme  von  Lösungen.     (X.  S.  98 — 100.) 

Beweis  des  Satzes,  daß  es  stets  Funktionen  f^,  f'^,  fj,  f'j  gibt,  die 
innerhalb  bzw.  außerhalb  C  regulär  analytisch  sind  mit  etwaiger  Aus- 
nahme einer  Stelle  innerhalb  C,  die  für  eine  der  Funktionen  /"-,  f'j  oder 
für  beide  ein  Pol  ist,  und  die  auf  C  die  Relationen 

fa  =  (^ifj  +  c^f'j 

erfüUen  (X.  S.  100—102.) 

27.  Das  liiemannsclie  Gruirpenprohlcm. 

Das  speziellere  Riemannsche  Problem,  die  Existenz  linearer  Differential- 
gleichungen mit  vorgeschriebener  Monodromiegruppe  zu  beweisen,  ist 
für  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  äquivalent  mit  der  folgenden 
Aufgabe:  man  verbinde  die  gegebenen  singulären  Punkte  z^^\  2'^^\  .  .  .  z^"'^ 
der  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  durch  eine  reguläre  analytische 


XXII     F.  Anwendung  auf  Variationsrecbnuug,  Geometrie  und  Hydrodynamik.  27. — 29. 

Kurve  C;  dann  sollen  zwei  Fuuktioneupaare  f]^,  f  a  ^'^^-  fp  f'j  bestimmt 
werden,  die  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  vom  Charakter  rationaler  Funk- 
tionen sind,  derart,  daß  ihre  Randwerte  auf  C  überall  stetig  sind  und 
auf  dem  Kurvenstücke  zwischen  s'^''^  und  ''  +  ^)  (//  =  1,  2  .  .  .  m)  die  Relationen 

fa  =  n"%  +  7,''rj 

erfüllen,  wobei  }\^''\  'y.2^''\  y\^''\  j'V'"'  gej^ebene  Konstante  mit  nicht  ver- 
schwindender Determinante  sind.    (X.  S.  102  — 1U4.) 

Diese  Aufgabe  wird  durch  Einführung  neuer  Funktionen  auf  die 
in  26.  am  Schluß  gelöste  (wo  die  Substitutionskoeffizienten  stetige 
Funktionen  des  Ortes  sind)  zurückgeführt  (X.  S.  104 — 106). 

Durchführung  des  Existenzbeweises  (Riemannsches  Gruppenproblem) 
{X.  S.  106—108). 

28.  Problem  aus  der  Theorie  der  automorphen  Funldionen. 
Automorphe  Funktionen   mit  reeller  Substitution,   die   vier  gegebene 

Werte  oo,  a,  h,  c  auslassen.  Beweis  des  Satzes:  es  gibt  uneudlichviele 
Werte  A,   so  daß   der  Quotient  zweier  Lösungen  der  Differentialgleichung 

A  ((^  -a){x-  h)  {X  -  c)  ^^)  +{x-Vl)y^O 

beim  Umlauf  der  Variabein  x  um  die  singulären  Stellen  a,  b,  c  Sub- 
stitutionen mit  reellen  Koeffizienten  erfährt.     (XX.  S.  258 — 262.) 

F.   Anwendung  auf  Variationsrechnung,  Geometrie, 
Hydrodynamik  und  Gastheorie. 

29.  Variationsprobleme. 

Zusammenhang  zwischen  dem  Dirichletschen  Variationsproblem 

b 

/[i>(f3-2«^>'  =  Min. 

a 

bei  der  Nebenbedingung 

b 

Ju^dx  =  1 

a 

und  dem  Gaußschen  Variationsproblem  (s.  oben,  10) 

6     6 

ffG{x,  ^)a{x)o3{^)dxd^  =  Max. 


bei  der  Nebenbedingung 


fa^dx  =  1. 


F.  Anwendung  auf  Variationsrechnung,  Geometrie  und  Hydrodynamik.    30.     XXUI 

(VII.  S.  56 — 58.)     Das  gleiche  Problem   für  zwei   unabhängige  Variable. 
(VIII.  S.  66.) 

Das    Dirichletschc  Variationsprohlem    auf   der    Kugel:    das    absolute 

Minimum  des  über  die  Vollkugel  erstreckten  Integrals 

^         J  Veg-f- 

bei  der  Nebenbedingung 

JzHh  =  1 

ist  gleich  dem  kleinsten  Eigenwert  der  Differentialgleichung 

j^U\  =  «-^s.s-  +  2&g^,  +  eztt  +  {a,  +  b^z»  +  JK  +  Q^:^  +  »^^  _l  A^  =  0 

Veg-r- 

Verallgemeinerung  dieses  Satzes.     (XVIII.  S.  237—238.) 

30.  Minlxowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 
Das  Volumen  V  eines  konvexen  Körpers  K  ist 

V=ifH{H,H)dk, 

wobei  H(cc,  ß,  y)  diejenige  auf  der  Kugel  definierte  homogene  Funktion 
bedeutet,  die  die  Entfernung  der  Tangentialebene  des  Körpers  vom  Null- 
punkt mit  den  Richtungskosinus  cc,  ß,  y  angibt,  und  wobei  allgemein 
für  zwei  beliebige  homogene  Funktionen  V(x,  y,  z),   W{x,  y,  z) 


{yv,  V) 


^Vyy  y^z  —  2  W,z  Vy,  +  W,,  F, 


yy 


W,,  Vy,j  -  2   W,y  V^y  +    Wyy  F„ 


gesetzt  ist.    (XIX.  S.  242—245.)    Das  gemischte  Volumen  dreier  konvexer 
Körper 

und  ihre  S\'mmetrieeigenschaften.     (XIX.  S.  245.) 

Ist  H  eine  gegebene  homogene  Funktion,  so  stellt 

L{Sl)  =  ( W,  H),     W{x,  y,  z)  =  ^/x''^f^z'-£l{x,  y,  z) 
einen    für    ü    linearen   Difierentialausdruck    auf  der  Kugel   dar,   der   sich 
selbst  adjungiert  und  vom  elliptischen  Typus  ist.    (XIX.  S.  245 — 247.) 

Beweis    der    Sätze:    Jede    auf    der    Vollkugel    stetige    Lösung    von 
i(ü)  =  0  ist  eine  lineare  Kombination  der  drei  Lösungen 

i^  =  a;,     i^  =  ?/,     il  =  z. 
(XIX.  S.  247 — 250.)     Die  partielle  Differentialgleichung 

L{Sl)  +  X  ^^^^^ '  P-  =  0,     {H=  l/a;2  +  F+  <^^H) 


XXIV    F.  Anwendung  auf  Variationsrechnung,  Geometrie  und  Hydrodynamik.  31.— 32. 

besitzt  A  =  —  1  als  einfaclien,  A  =  0  als  dreifachen  Eigenwert,  und  die 
zugehörigen  Eigenfunktionen  sind  H  bzw.  x,  y,  z\  die  übrigen  Eigen- 
werte sind  positiv.     (XIX.  250 — 2ö4.) 

Beweis  der  Minkowskischen  Ungleichung 

F(fi,  H,  Gy  ^  V{H,  H,  H)  V{H,  G,  G), 
wobei    das  Gleichheitszeichen   nur   dann   statthat,    wenn   der    eine    Körper 
aus  dem  anderen  durch  Parallelverschiebung  und  Ahnlichkeitstransforniation 
hervorgeht.     (XIX.  S.  254—257.) 

Die  Ungleichungen: 

0-^3  V3I,     HP ^  4-T  0,     0-  ^  36 .-r T'-, 

Avobei   0  die  Obertiäche,   V  das  Volumen  und 


^^=  ■'/(>:>' 


03 


die  mittlere  Krümmung  eines  konvexen  Körpers  bedeutet,  und  das  Gleich- 
heitszeichen nur  statthaft,  wenn  der  konvexe  Körper  die  Kugel  ist. 
<XIX.  S.  257—258.) 

31.  Ein  Problem  der  Hydrodynamik. 

Anwendung  des  Entwicklungssatzes  in  23.  (Parameter  A  in  der  Rand- 
bedingung) auf  das  Problem  der  kleinen  Schwingungen  einer  der  Schwere 
unterworfenen  Flüssigkeit.    (IX.  S.  80 — 81.) 

32.  Begründang  der  Gastheorie. 

Aus  der  Maxwell-Boltzmannschen  Stoßforuiel  entspringt  eine  lineare 
(orthogonale)  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  symmetrischem  Kern; 
diese  spielt  beim  Aufbau  der  Gastheorie  die  fundamentale  RoUe,  indem 
sie  die  Lösung  der  Stoßformel  durch  sukzessive  Approximationen  ermög- 
licht.   (S.  268  tf.) 


Inhalt. 

E  rster  Abschnitt. 
Allgemeine  Theorie  der  linearen  Integralgleicliungen. 

Seite 

Kapitel      I.  Lösung  des  algebraischen  Problems 4 

„          U.  Lösung  des  transzendenten  Problems 8 

„         in.  Das  transzendente  Problem,  welches  der  orthogonalen  Transformation 

der  quadratischen  Form  in  eine  Quadratsumme  entspricht     ....  13 

,,  IV.  Entwicklung  einer  willkürlichen  Funktion  nach  Eigenfunktionen.  .  21 
„          V.  Das    Variationsproblem,    das    der    algebraischen    Frage    nach    den 

Minima  und  Maxima  einer  quadratischen  Form  entspricht    ....  28 

„        VI.  Ergänzung  und  Erweiterang  der  Theorie 30 

Zweiter  Abschnitt. 
Anwendung  der  Theorie  auf  lineare  Differentialgleichungen. 

„       VII.  Gewöhnliche  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung 39 

„     VIII.  Sich    selbst    adjungierte    partielle    Differentialgleichungen    zweiter 

Ordnung  von  elliptischem  Typus 58 

„        IX.  Existenz   der  Greenschen  Funktion.     Auftreten  eines  Parameters  in 

der  Randbedingung  bei  partiellen  Differentialgleichungen 66 

Dritter  Abschnitt. 
Anwendung  der  Theorie  auf  Probleme  der  Fuiiktionentheorie, 

„  X.  Riemanns  Problem  in  der  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen 

Veränderlichen 81 

Vierter  Abschnitt. 
Theorie  der  Funktionen  von  unendlich  vielen  Variabein. 

„        XI.  Theorie  der  orthogonalen  Transformation  einer  quadratischen  Form 

mit  unendlich  vielen  Variabein lOi) 

„  XII.  Simultanes  System  quadratischer  Formen,  die  Hermitesche  Form,  die 
schiefsymmetrische  Form  und  die  Bilinearform  mit  unendlich  vielen 
Variabein Iö6 

Fünfter  Abschnitt. 

Neue  Begründung  und  Erweiterung  der  Theorie  der 

Integralgleichungen. 

,,     XIII.  Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern    .......     174 

„     XIV.  Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung 185 


XXVI  Inhalt. 

Kapitel  XV.  Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung 195 

„  XVI.  Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen  auf  Diffe- 
rentialgleichungen und  auf  Sj'steme  von  simultanen  Differential- 
gleichungen      205 

Sechster  Abschnitt. 

Auwendung  der  Theorie  auf  verschiedene  Probleme  der  Analysis, 

Geometrie  und  Gastheorie. 

J  Seite 

,,  XVI.  Die  Randwertaufgabe  für  ein  System  simultaner  partieller  Diffe- 
rentialgleichungen erster  Ordnung  von  elliptischem  Typus   .    .    .     213 

,,        XVni.  Eine  neue  Methode  der  Zurück fübrung  von  Differentialgleichungen 

auf  Integralgleichungen.     Begriff  der  Parametrix      219 

„  XIX.  Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche 242 

,,  XX.  Anwendung  auf  ein  Problem  der  Theorie  der  automorphen  Funk- 
tionen  258 

„  XXI.  Eine     zweiparametrige     Randwertaufgabe    (Kleins    Oszillations- 

theorem") 262 

„         XXn.  Begründung  der  kinetischen  Gastheorie 2G7 


Erster  Abschnitt. 
Allgemeine  Theorie  der  linearen  Integralgleichungen. 

Es  sei  K(s,  t)  eine  Funktion  der  reellen  Veränderlichen  >,  t]  f(s)  sei 
eine  gegebene  Funktion  von  s  und  (p{s)  werde  als  die  zu  bestimmende 
Funktion  .von  s  angesehen;  jede  der  Veränderlichen  s,  t  möge  sich  in  dem 
Intervalle  a  bis  h  bewegen:  dann  heiße 

b 

f{s-)  =  fK(s,t)cp{t)dt 

a 

eine  Integralgleichung  erster  Äri  und 

6 

f(s)  =  cp{s)-  lfE(s,  t)  (p  (t)  dt 

<i 

eine  Integralgleichung  zweiter  Art]  dabei  bedeutet  k  einen  Parameter. 
Die  Funktion  K{s,t)  heiße  der  Kern  der  Integralgleichung. 

Durch  die  Randwertaufgabe  in  der  Potentialtheorie  wurde  zuerst 
(jauß  auf  eine  besondere  Integralgleichung  geführt;  die  Benennung 
„Integralgleichung"  hat  bereits  P.  du  Bois-Reymond^)  angewandt.  Die 
erste  Methode  zur  Auflösung  der  Integralgleichung  zweiter  Art  rührt  von 
C.  Xeumann-)  her;  dieser  Methode  zufolge  erscheint  die  Funktion  (p{s) 
direkt  als  eine  unendliche  Reihe,  die  nach  Potenzen  des  Parameters  X  fort- 
schreitet und  deren  Koeffizienten  gewisse  durch  mehrfache  Integrale 
definierte  Funktionen  von  s  sind.  Eine  andere  Formel  zur  Auflösung  der 
Integralgleichung  zweiter  Art  fand  Fredholm ^j,  indem  es  ihm  gelang, 
(p  (s)  als  Bruch  darzustellen ,  dessen  Zähler  eine  beständig  konvergente 
Potenzreihe  in  l  mit  gewissen  von  .s  abhängigen  Koeffizienten  ist,  während 
als  Nenner  eine  beständig  konvergente  Potenzreihe  in  A  mit  numerischen 
Koeffizienten   auftritt.     Den  direkten  Nachweis  der  tjbereinstimmung  der 

1)  Bemerkungen  über  Jz  =  0.     Journ.  f.  Math.  Bd.  103  (1888.. 

2)  Über  die  Methode  des  arithmetischen  Mittels.     Leipz.  Abb.  Bd.  13  (1887). 

3)  Sur  une  classe  d'equations  fonctionnelles.  Acta  mathematica  Bd.  27  (1903), 
und  die  daselbst  zitierte  Abhandlung  über  denselben  Gegenstand  ans  dem  Jahre  1899. 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  1 


2  Einleitung  zu  Kap.  I— YI. 

Formeln  von  C.  Neumann  und  Fi-edbolm  erbrachte  auf  meine  Anreffunor 
hin  Kellogg*).  In  dem  besonderen  Falle  gewisser  Randwertaufgaben 
in  der  Potentialtheorie  hat  Poiucare-)  als  der  Erste  den  Parameter  A 
eingeführt,  und  ihm  gelang  es  auch  zuerst  nachzuweisen,  daß  die  Lösung 
notwendig  als  Quotient  zweier  beständig  konvergenter  Potenzreihen  in  X 
darstellbar  sein  muß.  Eine  dritte  Methode  zur  Lösung  der  Integralgleichung 
zweiter  Art,  die  auch  zugleich  auf  die  Inteorralgleichung  erster  Art  an- 
wendbar  ist,  werde  ich  in  Kapitel  XIII  auseinandersetzen.  Die  Auflösung 
besonderer  Integralgleichungen  gelang  Volterra^).  In  gewissen  Fällen 
läßt  sich  die  Integralgleichung  erster  Art  auf  die  zweiter  Art  nach  einer 
von  mir  angegebenen  Methode'*)  zurückführen. 

Die  nähere  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstande  führte  mich  zu  der 
Erkenntnis,  daß  der  systematische  Aufbau  einer  allgemeinen  Theorie  der 
linearen  Integralgleichungen  für  die  gesamte  Analysis,  insbesondere  für 
die  Theorie  der  bestimmten  Integrale  und  die  Theorie  der  Entwicklung 
willkürlicher  Funktionen  in  unendliche  Reihen,  femer  für  die  Theorie  der 
linearen  Differentialgleichungen  und  der  analytischen  Funktionen  sowie 
für  die  Potentialtheorie  und  Variationsrechnung  von  höchster  Bedeutung 
ist.  Ich  beabsichtige  in  diesem  Buche  die  Frage  nach  der  Lösung  der  Integral- 
gleichungen zu  behandeln,  vor  aUem  aber  den  Zusammenhang  und  die 
allgemeinen  Eigenschaften  der  Lösungen  aufzusuchen,  wobei  ich  meist  die 
für  meine  Resultate  wesentliche  Voraussetzung  mache,  daß  der  Kern  K{s^  t) 
der  Integralgleichung  eine  symmetrische  Funktion  der  Veränderlichen  s, ^ 
ist.  Insbesondere  im  vierten  Kapitel  gelange  ich  zu  Formeln,  die  die 
Entwicklung  einer  willkürlichen  Funktion  nach  gewissen  ausgezeichneten 
Funktionen,  die  ich  Eigenfunktionen  nenne,  liefern:  es  ist  dies  ein 
Resultat,  in  dem  als  spezielle  Fälle  die  bekannten  Entwicklungen  nach 
trigonometrischen, Besselschen,  nach  Kugel-,  Lameschen  und  Sturm- 
schen  Funktionen,  sowie  die  Entwicklungen  nach  Funktionen  mit  mehreren 
Veränderlichen  enthalten  sind,  wie  sie  zuerst  Poincare  (a.a.O.)  bei  seinen 
Untersuchungen  über  gewisse  Randwertaufgaben  in  der  Potentialtheorie 
nachwies.  Meine  Untersuchung  tvird  zeigen,  daß  die  Theorie  der  Ent- 
ivicliung  tvillkürlicher  Fanltionen  durchaus  nicht  die  Heranziehung  von 
gewöhnlichen  oder  partiellen  Diff'erentialgleichungon  erfordert,    sondern   daß 

1)  Zur  Theorie  der  Integralgleicbunj^en.     (xött.  Nachr.  1902. 

2)  Sur  les  equations  de  la  physique  mathematique.  Kendiconti  del  circolo  di 
Palermo  t.  8  (1894).  La  methode  de  Neuraann  et  le  probleme  de  J)irichlet.  Acta 
mathematica  Bd.  20  (189(5—97). 

3)  8opra  alcune  questioni  di  inversione  di  integrali  definiti.  .\nnali  di  mate- 
matica  8   2  t.  25  (1897.) 

4)  Vgl  Kellogg,  Zur  Theorie  der  Integralgleichungen.  Inangural-Dissertation, 
(Jöttingen    1902,  sowie  Math.  Ann.   Bd.  5«. 


Einleitung  zu  Kap.  I— VI.  3 

die  Integralgleichung  es  ist,  die  die  notwendige  Grundlage  und  den 
natürlichen  Ausgangspunlt  für  eine  Theorie  der  ^Reihenentivicklung  bildet 
und  daß  eben  jene  eruiihnten  Enticicldungen  nach  Orthxjoncdfunliioncn 
nur  Spezialfälle  eines  allgemeinen  Integralsatzes  sind  —  eines  Satzes 
überdies,  der  als  die  direkte  Erweiterung  des  bekannten  algebraischen 
Satzes  von  der  orthogonalen  Transformation  einer  quadratischen  Form  in 
die  Summe  von  Quadraten  anzusehen  ist.  Das  merkuärdigde  h'esulfat 
ist,  daß  die  EntwicJcelharkeit  einer  Funktion  nach  den  zu  einer  Integral- 
gleichung sn-eiter  Art  zugehörigen  Eigenfnnktionen  als  ahhängig  erscheint 
von  der  Lösharkeit  der  entsprecliendcn  Integralgleichung  erster  Art. 

Zugleich  erhält  dabei  die  Frage  nach  der  Existenz  der  Eigenfunk- 
tionen  eine  neue  und  vollständigere  Beantwortung.  In  dem  besonderen 
Fall  der  Randwertaufgaben  der  Potentialtheorie  hat  bekanntlich  die  Existenz 
der  Eigenfunktionen  zuerst  H.  Weber^J  auf  Grund  des  Dirichlet- 
ThomsonsL'hen  Minimalprinzipes  zu  beweisen  gesucht,  und  sodann  hat 
Poincare  (a.  a.  0.)  den  Existenzbeweis  mit  Benutzung  der  von  H.  A.  Schwarz 
ausgebildeten  Methoden  wirklich  erbracht.  Durch  Amvendung  meiner 
Theoreme  folgt  flicht  nur  die  Existenz  der  Eigenfunktionen  im  allgemeinsten 
Falle,  sondern  meine  Theorie  liefert  zugleich  in  einfacher  Form  eine  not- 
icendigc  und  hinreichende  Bedingung  für  die  Existenz  unendlich  vieler 
Ei  gen  funkt  iomn. 

Die  Methode,  die  ich  in  den  folgenden  Kapiteln  I— VI  anwende, 
besteht  darin,  daß  ich  von  einem  algebraischen  Problem,  nämlich  dem 
Problem  der  orthogonalen  Transformation  einer  quadratischen  Form  von  n 
Variabein  in  eine  Quadratsumme,  ausgehe  und  dann  durch  strenge  Aus- 
führung des  Grenzüberganges  für  n  =  <x>  zur  Lösung  des  zu  behandeln- 
den transzendenten  Problemes  gelange.^)  Dieselben  Theoreme  über  Integral- 
gleichungen mit  symmetrischem  Kern  werde  ich  in  Kapitel  XIV  auf  einem 
anderen  Wege  mittels  der  Methode  der  unendlichvielen  Variabein  entwickeln. 

Der  leichteren  Faßlichkeit  und  der  kürzeren  Darstellung  wegen  habe 
ich  mich  bei  Darlegung  der  allgemeinen  Theorie  stets  auf  den  Fall  einer 
Integralgleichung  mit  einfachem  Integrale  beschränkt.  Doch  sind  die 
Methoden  und  Resultate  auch  gültig,  wenn  in  den  oben  angegebenen 
Integralgleichungen  an  Stelle  der  einfachen  Integrale  Doppel-  oder  mehr- 
fache Integrale  stehen  und  K  sodann  entsprechend  eine  symmetrische 
Funktion  zweier  Reihen  von  Variabein  bedeutet. 

1)  Über  die  Integration  der  partiellen  Differentialgleichung  _/*< -f- /.-«  =  0. 
Math.  Ann.  Ed.  1.     (1868.) 

2)  Die  Grundidee  dieser  Methode  habe  ich  seit  W.-S.  1900 — 1901  wiederholt  im 
Seminar  und  in  Vorlesungen  zum  Vortrag  gebracht. 

1* 


4  Kap.  I.     Lösung  des  algebraischen  Problems. 

Erstes  Kapitel. 

Lösung  des  algebraischen  Problems. 

Es  mögen  K(s,  t),  f(s),  (f'{s)  die  zu  Anfang  dieser  Mitteilung  an- 
gegebene Bedeutung  haben;  jedoch  nehmen  wir  das  Intervall  der  Variabein  s,  f 
der  Einfachheit  halber  als  das  Intervall  0  bis  1  an;  außerdem  sei  K(6,  t) 
eine  symmetrische  Funktion  in  s,f.  Ferner  verstehen  wir  unter  ^i  eine 
bestimmte  positive  ganze  Zahl  und  benutzen  für  die  folgenden  Beweis- 
führungen die  abkürzenden  Bezeichnungen: 

A;,  =  z(f,  :)      o,,2=i,  2, ...,«) 

Kxij  =  A'nX,!/,  +  K^,.r,y,  +  Iü,x,y,  -!-■■■  +  ^„.a.i/,. 

J\.X^  =  Jy^iX^  -\-  J\.22^'2     I     ■  ■  ■  "t"  -"-in^n} 


Es  ist  offenbar 


Kxy  =  [Kx,  ij\  =  \Ky,  x']. 

Wir  legen  nun  das  algebraische  Problem  zugrunde:  es  seien  aus  den 
n  linearen  Gleichungen 

/"l   =  9^1  -  K^U<5Pl   H h  J^XaVn), 

f.  =  Cp2-  KK^^ffl   +   •   •  •    4-  Kln^n), 


(1) 

oder  kürzer 


fn-Vn-(^Vv 


die  n  Unbekannten  q)^,  c/.^,  ....  y,^  zu  ermitteln,  während  die  Werte  f^ 
und  die  Koeffizienten  /C  gegeben  sind  und  l  ebenfalls  als  ein  bekannter 
Parameterwert  anzusehen  ist.  Wir  ziehen  zugleich  die  Eigenschaften  der 
Lösungen  und  den  Zusammenhang  mit  dem  Problem  der  orthogonalen 
Transformation  der  quadratischen  Form  Kxx  in  Betracht. 


Kap.  I.     Lösung  des  algebraischen  Problems.  5 

Um  dieses  algebraische  Problem  zu  lösen,  gebrauchen  wir  die  Deter- 
minanten 

il-/Ä',,,      -IK,, -IIk„\ 


- 

-iJku    - 

-IK, 

,2?    ■   ■   ■> 

1   - 

-IK,. 

0 

^1, 

^iJ 

•  •  • 

^n 

(^' 

1  = 

Vi, 

1  - 

.  .  ., 

■    •    -7 

— 

IK 
IK 

deren  erste  die  Diskriminante  der  quadratischen  F'orm 

[x,  x\  —  IKxx 

ist.    Bezeichnen  wir  mit  D  il,  j^  j  diejenige  Determinante,  die  aus  Dil,) 
entsteht,  wenn  man  darin  allgemein  y    durch 

^yp  =  ^piyi  +  ^^2?/2  +  •  •  •  +  i'^p„y„ 

ersetzt,    so    gilt,    wie    leicht    ersichtlich    ist,    identisch   in   x,  y  und  /  die 
Gleichung: 

(3)  d{l)  ix,  y]+B  [l,  ^)  -  ID  (I,  ^^  =  0. 

Unser  Problem  bestand  nun  darin,  aus  den  Gleichungen  (1)  oder  (2) 
die  n  Unbekannten  y^,  cp^,  .  .  .,  9?„  zu  ermitteln,  d.  h.  eine  Linearform 

[x,  (p]  =  x^cpi  +  x.,cp.^  H h  ä:,,^„ 

zu  finden,  die  identisch  in  x  die  Gleichung 

[f,  ^]  =  [f,  ^]  —  K^^ff,  -^1 
erfüllt. 

Diese  Gleichung  wird,  wie  aus  (3)  immittelbar  einleuchtet,  durch  die  Formel: 

(4)  [x,<p]  =  --  y^ 

gelöst.     Wenn   also   der  Parameterwert  /  so  beschaffen  ist,  daß   d{l)  4=  0 
ausfällt,  so  sind  die  Koeffizienten  der  Linearform  (4)  die  gesuchten  Werte 
der  Unbekannten  qp^,  q)^,  .  .  .,  cp„.      Dieses   Resultat   ist   von    der  Voraus- 
setzung der  Symmetrie  K    =  K     unabhängig. 
Bekanntlich  sind  die  Wurzeln  der  Gleichung 

d(l)  =  0 
ßämtlieh  reell;  wir  bezeichnen  sie  mit 

U'\  W,  .  .  .,  ZW 
und  nehmen  an,  daß  sie  voneinander  verschieden  sind. 


Q  Kap.  I.     Lösung  des  algebraischen  Problems. 

Bedeuten  d^^(l),  . . .,  d^^(l)  die  Unterdeteraiinanten  der  Determinante rf(Z) 
in  bezug  auf  ihre  n  Diagonalelemente  und  ist  d'(I)  die  Ableitung  von  d{l) 
nach  /,  so  gilt  identisch  in  /  die  Gleichung 

dnil^  +  --  +  d^Äi)  =  ndil)-ld'il), 
und  hieraus  folgt  für  /  =  Z^''^ 

(5)  ,/^^(/('.)j  +  ...  +  rf,j/(/0)  =  _/(/-),/'(;(")). 

Da  unserer  Annahme  zufolge  d'{W'h  nicht  Null  sein  kann,  so  sind  auch 
die  links  stehenden  Unterdeterminanten  gewiß  nicht  sämtlich  Null,  d.  h. 
die  homogenen  Gleichungen 

q)^  —  lK(pi  =  0, 

(6)  •  • 

besitzen  für  /  =  !'■'''>  ein  gewisses  Lösungssystem 

9,  =  <\  .  .  .,  T,.  =  ^i'^, 
das   bis  auf  einen   allen   diesen  n  Größen   geraeinsamen  Faktor  eindeutiff 
bestimmt   ist.     Da    wegen    (3)    die    Koeffizienten    von  i/j,  .  .  .,  y^^    in    dem 
Ausdruck 


D  (i<«), ;) 


unabhängig  von  den  Werten  x^,  ...  x^^  Lösungen  der  homogenen  Glei- 
chungen (6j  sein  müssen,  so  gilt  der  Ansatz 

D{U"\^)  =  [rP^"\x][<pi"\yl 

Avo  der  erste  Faktor  rechts  eine  lineare  Form  in  x^,  .  .  .,  x^  bedeutet. 
Hieraus  folgt  wegen  der  Symmetrie  des  Ausdrucks  linker  Hand  bei  Ver- 
tauschung von  X  mit  y 

wo  unter  C  eine  von  x,  y  unabhängige  Konstante  zu  verstehen  ist,  und 
wenn  wir  den  vorhin  erwähnten  gemeinsamen  Faktor  geeignet  gewählt 
denken,  so  finden  wir 

(7)  n{i'"\^)  =  ±[cp^"\^][cp^"\yl 

Aus  dieser  Gleichung  schließen  wir  durch  Vergleich  der  Koeffizienten 
der  Produkte 

iCj^/j ,  .  .  .,  x^y^ 

auf  beiden  Seiten  die  speziellere  Formel 

(8)  d,,{m)-^...i-d,,,{m)^  +  [g>^''\cpi% 
und  wegen  (5)  ist  somit 

(9)  [(p^"\  cp^"y\  =  ±  li")d\m),         {h=l,  2,  ..  .,  n) 


Kap.  I.     Lösung  des  algebraischen  Problems.  7 

und  sodann  nach  (7) 

(10)  ""^LlyUM'i^^J^^y}       fk==i  ^>        n) 

Die  Gleichung  (0)  zeigt  an,  daß  in  den  Gleichungen  (7),  (8)  das  obere 
bzw.  das  untere  Vorzeichen  auf  der  rechten  Seite  zu  nehmen  ist,  je  nach- 
dem W''>d\W''>)  positiv  oder  negativ  ausfällt.  Die  Gleichungen  (6)  schreiben 
wir  als  Identität  in  x,  wie  folgt 

(11)  [cp^''\x]  =  l^''\(p^''\Kx] 

und  entnehmen  daraus,  weil  W'^  und  U^^  bei  ungleichen  Indizes  verschieden 

sind,  die  Beziehung 

Um  endlich  den  Zusammenhang  mit  der  Theorie  der  orthoo-onalen 
Transformation  der  quadratischen  Form  zu  erhalten,  gehen  wir  von  dem 
Ausdruck 


HK) 


w 

d(J)  V 

aus.      Da    der    Zähler    eine    Funktion    (w  —  l)-ten    Grades    in  /    und    der 

Nenner   vom   wten  Grade   in  l  ist,  so   erhalten  wir  nach  den  Regeln  der 
Partialbruchentwicklung  unter  Benutzung  von  (10) 

D {', ■;)  ini^,^  ^       D{i'%;)  . 

'd{l)  d'(Z'i')      l  —  V^>'^     ■■+     d'il.^"^)      l  —  ¥''i 

eine  Formel,  die  identisch  in  x,  y,  l  erfüllt  ist.    Für  Z  =  0  gehen  hieraus 
die  Formeln 

(12)  [X,  y]  —    nvd'^Hl)^    +   •  •  •  +    In)  d' (l(n)^ 

^  ^  •  f(p<i),  9)<i'j      ~r  •  •  •  -r      j-^(„,^  ^,„)j 

hervor.     Setzen   wir  hier  an  Stelle   von  y  die  lineare   Kombination  Ky , 
so  erhalten  wir  mit  Rücksicht  auf  (11)  die  Identität 

(14)     Kxy  =  [Kx,  y]  ==  [x,  Ky]  =  ^^a^-^^r^  +  •  •  •  +  ^jin^WW^) 

,1Ö^  _[<P';^.£l[?"i2/]  ,        ^W'"\x\W'^\y] 

Wir  fügen  noch  die  besonderen  Formeln  hinzu,  die  aus  den  beiden  letzteren 
durch  Gleichsetzen  der  x  mit  den  y  hervorgehen: 


Kap.  II.     Lösung  des  transzendenten  Problems. 


„(1)1     I     ■  ■   ■     1     i(H)  r    („) 


Zweites  Kapitel. 

Lösung  des  transzendenten  Problems. 

Wir  erinnern  an  die  Bedeutung  der  Größen  K^^^^,  wie  sie  am  Anfange 
vom  ersten  Kapitel  aus  der  Funktion  K{s,  t)  gebildet  worden  sind,  und 
nehmen  an,  daß  K{s,  t)  eine  stetige  Funktion  der  Variabelu  s,  t  in  den  be- 
trachteten Intervallen  0  bis  1  sein  möge.  Unsere  Methode  erheischt  die 
strenge  Durchführung  des  Grenzüberganges  für  n  =  <x>.  Der  im  ersten 
Kapitel  zunächst  erledigten  algebraischen  Aufgabe  entspricht  das  tran- 
szendente Problem,  die  Integralgleichung  zweiter  Art 

1 
f{s)  =  (p(s)  -  ljK{s,  t)(p{t)dt 

Q 

aufzulösen.  Wir  beschränken  uns  in  diesem  zweiten  Kapitel  im  wesent- 
lichen darauf,  nach  unserer  Methode  die  zur  Auflösung  der  Integral- 
gleichung nötigen  Formeln  zu  gewinnen,  wie  sie  von  Fredholm  zuerst 
angegeben  worden  sind.  Hierbei  wird  die  Symmetrie  von  K(s,  t)  noch 
nicht  vorausgesetzt. 

Entwickeln  wir  d(l)  nach  Potenzen  von  ?,  wie  folgt: 

d{l)==  1  -dj  +  dP ±dj% 

so  ist,  wenn  Jt  irgendeinen  der  Indizes  1,  2,  .  .  .,  n  bedeutet. 


d^  =  _^         "^PiP^^^p-iPi        '^P".Ph 
(.Pi,Pi,  ■  ■  ^p/i)       

PhPi     PhPi  '  '  '     PhPh 


u 
~PvP2,-  •  ■,Pn=  ^,'^,-  ■  ■,  « 


Die  Summe  rechter  Hand  besteht  aus  L  ]  Determinanten;  nach  einem  be- 
kannten Satze  ^)  überschreitet  der  absolute  Wert  einer  jeden  Determinante 

1)  Hadamard,  Bulletin  des  sciences  mathematiques  (2)  XVII  (1893). 


Kap.  II.     Lösung  des  transzendenten  Problems.  9 

gewiß  nicht  die  Grenze  yh!'K'',  wo  K  das  Maximum  der  absoluten  Be- 
träge der  Funktionswerte  K{s,  t)  bedeutet.     Hieraus  entnehmen  wir 

H„iä(:)v//-A".^>;';'(»iQ'.^('^f)' 

d.  h.  es  ist 

'  d''  /eK\l< 

Andererseits  finden  wir  leicht,  wenn  //  festgehalten  wird,  in  der 
Grenze  bei  unendlich  wachsendem  n 

119)  L^,  =  S„ 

WO  d,^  die  Bedeutung  eines  /i- fachen  Integrales  hat: 
1        1    K{s„  s,),  K{s^,  s,),  ■■■,  K{s„  sj 
ö;,=  ;';j--J      ds,-ds,. 

«        "     ,  ^(s,,  5i),  K{s„  So),  ■  ■  ■,  K[s^  sj 
Aus  (18)  und  (19)  folgt  auch 

(^«)  :**^(i)"- 

Wir  führen  nun  die  von  Fredholm  zuerst  angegebene  und  Avegeu  (20) 
beständig  konvergente  Potenzreihe 

8{X)  =  1  -  d^A  +  ö.,l-  -  d-^X'  +  •  •  • 
ein  und  stellen  dann  folgenden  Hilfssatz  auf: 

Hilfssatz  1.    Der  Ausdruck  d  i  —  \  konvergiert  bei  unendlich  wachsen- 

_dem  n  gegen  di^l),  und  zwar  ist  diese  Konvergenz  eine  gleichmäßige 
für  alle  Werte  von  l,  deren  absoluter  Betrag  unterhalb  einer  beliebig 
gewählten  positiven  Grenze  A  gelegen  ist.  In  demselben  Sinne  konver- 
giert der  Ausdruck  — d' i — )  gegen  <5'(/l). 

Um  diesen  Hilfssatz  zu  beweisen,  nehmen  wir  inl  Gegensatz  zu  dem- 
selben an,  es  existiere  eine  positive  Größe  e  derart,  daß  für  unendlich 
viele  ganzzahlige  n  und  zugehörige  Werte  von  X  mit  absoluten  Beträgen 
unterhalb  A  stets 

ausfällt.  Nunmehr  wählen  wir  die  ganze  Zahl  m  so  groß,  daß  folgende 
Bedingungen  erfüllt  sind:  es  soll  für  alle  X,  deren  absoluter  Betrag  unter- 
halb A  liegt, 

sein;  ferner  sollen  die  Ungleichungen 


10 

(22) 
(23) 


Kap.  II.     Lösung  des  transzendenten  Problems. 

m  >  (ßeKAf 
'    <  ^ 


erfüllt  sein-,    dann  ist  gewiß   im  Hinblick   auf  (1.^)  und  (22)   für  jedes  n 
auch 


"[':.)  = 


'  i  + 


1  -  "'  ;.  + 


"1    im    I 


m+  1 

'S- 


+  '\  A« 


(O^^^l) 


oder  wegen  (23) 

(^4)  'Ml)-'(i 


H  —  n  I  A 


Nachdem    die    ganze    Zahl    m    in    dieser    Art    bestimmt    worden    ist, 
wählen  wir  die  ganze  Zahl  n  so  groß,  daß 


(25) 


n  H-  —  w 


-(i  -d,A  ^b^}? ±b„i"^  <  l 


ausfällt;    wegen   der    Gleichung  (19)   ist   eine   solche  Bestimmung    von  n 
gewiß  möglich.     Die  Ungleichungen  (21),  (24),  (25)  zeigen  nun,  daß  der 

Unterschied  zwischen  d  (     )   und   ö  (A)    absolut   genommen  weniger  als  s 

betragen  muß;  diese  Folgerung  widerspricht  unserer  Annahme,  und  damit 
ist  Hilfssatz  1  bewiesen. 

Um  zu  erkennen,  wie  sich  für  die  Determinante  Dil/  j  der  Grenz- 
übergang zum  transzendenten  Problem  gestaltet,  verstehen  wir  unter  x{s) 
und  y{s)  zwei  willkürliche  stetige  Funktionen  der  reellen  Variabein  s  im 
Intervall  0  bis  1  und  setzen  allgemein 

in  jene   Determinante  D  (l,    )  ein.     Sodann  entwickeln  wir  dieselbe  nach 
Potenzen  von  /,  wie  folgt: 

und    finden   leicht    in    der  Grenze    bei    unendlich   wachsendem  n,   wenn   A 
festbleibt, 


D, 


L 


1 


z/, 


C). 


wo  z/j  i    1  die  Bedeutung  eines  /<■  fachen  Integrales  hat: 


Kap.  II.     Lösung  des  transzendenten  Problems.  11 

,         ^1    0,         x{Si),      x{s,^,)      ...     x(s,) 

i,{s,),  Kis„s,),  K{s„  62),  .  .  .,  K{s„  s,)  i 
Führen  wir  nun  die  beständig  konvergente  Potenzreihe  ein: 

^K)=m;)-m;)>-+^'0^'----' 

so  folgt  durch  einen  entsprechenden  Beweis  wie  vorhin  der  folgende 
Hilfssatz : 

Hilfssatz  2.     Der  Ausdruck  —Di      ,      )  konvergiert  bei  unendlich 

n         \n  '    y /  ° 

wachsendem  n  gegen  ^  (l,  \,  und  zwar  ist  diese  Konvergenz  eine  gleich- 
mäßige für  alle  A,  deren  absoluter  Betrag  unterhalb  einer  beliebig  ge- 
wählten positiven  Grenze  A  gelegen  ist. 

Wie  man  sieht^  ist  z/  (l,     j  eine  Potenzreihe  in  A,  deren  Koeffizienten 

noch  von  den  willkürlichen  Funktionen  x{s),  y^s)  abhängen. 

Wir   gehen    dazu    über,    in    der   Formel    (ß)    den    Grenzübergang   für 
n  =  00  zu  vollziehen. 

Bedenken  wir,   daß   zufolge   der   eingangs   eingeführten   Abkürzungen 

Ky,,  ==  Kp,  !h  +  ^^22/2  +  •  •  •  +  Kp,y„ 

-^(;:'-^)n'.)+^'(r':)^(:)+- ■+M^:>(^) 

ist,  so  erhalten  wir  durch  das  nämliche  Verfahren,  das  zu  den  Hilfs- 
sätzen 1   und  2  führte,  die  Formel 

ZVn'-^in'  Ky)  ^^  Jj^T.  ^  [n^  }_Ky) 

n 

\  \      '  y  J  \y(s)=(K{s,t),j{t)dt 

0 

^    \        \    'y  l\Tj(s)  =  K[..t)     ^"^  ' 

Setzen  wir  daher  in  der  Formel  (3)  Z  =  ein  und  dividieren  dieselbe 
durch  w,  so  liefert  der  Grenzübergang  für  unendlich  wachsende  n\ 

(26)   8{}:)jx{s)y{,)äs  +  ^(a,;)  -  ij  \a  (^,^)l,,)^^(,,,y(0^^^  =  0. 

Diese  Formel    ist    eine    Identität   in    l   und    gilt,    wenn  2'(.s-),  y{s)  irgend- 
welche stetige  Funktionen  ihres  Argumentes  sind. 
Setzen  wir  in  dieser  Formel  (26) 


12  Kap.  II.     Lösung  des  transzendenten  Problems. 

x{r)  =  K{s,  r)     und     ijfr)  =  KU,  t) 
ein  und  benutzen  die  Abkürzung 

(27)  ^a;  s,t)==k  [^{l,  y))^^^^^,^,^^^  -  öa)K{s,  t), 

SO  geht  (26)  über  in 

1 

(28)  d{X)  K(s,  t)  +  z/(A;  s,  t)  -  Xjzl{l;  s,  r)  K{r,  t)  dr  =  0. 

0 

Setzt  mau  endlich 

so  erhält  man 

1 

(29)  K{s,t)^K(s,t)-kfK(s,  r)  K(r,  t)  dr. 

0 

Ebenso  erhält  man,  von  der  zu  (3)  analogen  Identität 
.m[^,y]  +  [D{1,  ;)]  -  ;  [D{1,  ;)],^.j,^,,^=  0, 

der  D  gleichfalls  genügt,  ausgehend,  die  Gleichung 

1 
(29')  ,    K(s,  t)  =  K(5,  t)  -  xJK{s,  r)  K(r,  t)  dr. 

0 

Im  vorstehenden  sind  zl{X]S,t)  und  K(5,  ^)  Funktionen  der  reellen 
Veränderlichen  s,  t,  die  noch  den  Parameter  A  enthalten;  die  Formeln  (28), 
(29)  und  (29')  gelten  identisch  in  s,  t  und  X. 

Die  Funktion  K{s,  t)  heiße  die  lösende  Funktion  für  den  Kern 
K{s,  t);  mittels  derselben  läßt  sich  nämlich  die  zugrunde  gelegte  Integral- 
gleichung zweiter  Art 

1 

/•(s)  =  (p{s)-  Xj'K{s,  0  9>(0  ^^ 

0 

auflösen,  wie  folgt: 

1 

(f(s)  ==  fis)  +  Xj'K(s,t)  f{t)  dt. 

0 

Man  erkennt  dies  sofort  durch  Einführung  der  rechten  Seite  der  letzten 
Formel  in  die  voranstehende  Integralgleichung;  zugleich  erkennen  wir, 
da  auch  umgekehrt  die  zweite  Integralgleichung  durch  die  erste  auf- 
gelöst wird,  die  Eindeutigkeit  der  Auflösung  der  Integralgleichung  zweiter 
Art  für  solche  X,  die  nicht  Nullstellen  von  d{X)  sind. 

Für  z/(X;  s,  t)  erhalten  wir  aus  den  obigen  Angaben  die  Reihen- 
entwicklung 

z/(A;  .s,  t)  =  -  K(s,  t)  +  ^,{s,  t)  X  -  /l.^{s,  t)  X' + , 

wo 


Kap.  III.     Transzendentes  Analogou  zur  Orthogonaltransfonnation.  13 

^        ^     K{s,  t),  K{s,  s,),   ...,  K{s,  s,) 
^^^'^  0  =  ^  /•  •  •/  j  ^^'''^^'  ^^''''^^'  '■■'  ^^'^^'"^  :  ds,  .  .  .  ds, 

bedeutet.     Aus  dieser  Formel  folgt  leicht  die  Identität  in  l: 

1 
(30)  d'(X)=fzJ{X-s,s)ds. 

0 

Die  so  erhaltenen  Formeln  sind  nichts  anderes  als  die  bereits  mehr- 
mals erwähnten  Formeln  von  Fredholm. 

Drittes  Kapitel. 

Das  transzendente  Problem,  welches  der  orthogonalen  Trans- 
formation der  quadratischen  Form   in   eine   Quadratsumme 

entspricht. 

Unsere  wichtigste  Aufgabe  besteht  darin,  diejenigen  algebraischen 
Untersuchungen  im  ersten  Kapitel,  welche  die  orthogonale  Transformation 
der  quadratischen  Form  Kxx  betreffen,  durch  Ausführung  des  Grenz- 
überganges für  n  =  oo  auf  das  transzendente  Gebiet  zu  übertragen.  Von 
hier  ab  machen  wir  die  wesentliche  Voraussetzung,  daß  K(s,  t)  eine 
symmetrische  Funktion  in  s  und  t  ist. 

Zu  dem  Zwecke  beweisen  wir  zunächst  folgeiide  Sätze  über  die  XuU- 
stellen  von  d(V). 

Satz  1.     Die  Funläion  d{X)  besitzt  Jceine  komplexen  Nullstellen. 

Zum  Beweise  nehmen  wir  im  Gegenteil  das  Vorhandensein  einer 
solchen  Nullstelle- an,  schlagen  dann  um  dieselbe  als  Mittelpunkt  in  der 
komplexen  A- Ebene  einen  Kreis,  auf  dessen  Peripherie  und  in  dessen 
Inneres  keine  weitere  Nullstelle  von  d(A)  fällt  und  auf  dessen  Peripherie 

überdies  Ö'{X)  von  Null  verschieden  ist.     Da  d  (—  |   nach  Hilfssatz  1  für 

unendlich  wachsendes  n  gleichmäßig  gegen  ö{l)  und  — "''(—)  g^g^D '^  (^) 
konvergiert,   so   müßte   für   genügend  große  Werte  von  n  auf  der  ganzen 

Peripherie  jenes  Kreises  der  Quotient         Tyv     ^^^^  ^^^  ^^^  Werten  des 

fi'  (V\ 
Quotienten  -~r-  um  beliebig  wenig  unterscheiden,   und  ebenso  würde  dann 

auch  der  Unterschied  der  über  die  Kreisperipherie  erstreckten  Integrale 


14  Kap.  III.     Transzendentes  Analogen  zur  Orthogonaltransfonnation. 

vi 

"  ~  rs'm 


/^^,-T-  dl     und      / "" 
.    „(1)  -'^''' 


beliebig  nahe  an  Null  liegen;    dies  aber  wäre  unmöglich;    denn  das  erste 

Integral  hat  den  Wert  Null,  da  die  Nullstellen  von  d  i — )   sämtlich    reell 

sind,  das  letzte  Integral  dagegen  wird  derjenigen  ganzen  Zahl  gleich,  die 
die  Vielfachheit  der  Nullstelle  von  d(A)  im  Kreismittelpunkt  angibt. 

In  ähnlicher  Weise  erkennen  wir  auf  Grund  der  in  Hilfssatz  1  an- 
gegebenen gleichmäßigen  Konvergenz  auch  folgende  Tatsache: 

Satz  2.  Wir  denlcn  uns  für  jede  der  Gleiclimiyen  d{I)  =  0  ihre 
n  Wurzeln  dem  absoluten  Betrage  nach  geordnet 

IW,  ...,  ^('0 

derart,  daß,  wenn  entgegengesetzt  gleiche  Wurzeln  vorhanden  sind,  die 
positive  vorangeht  und  überdies  beim  Vorhandensein  mehrfacher  Wurzeln 
jede  so  oft  gesetzt  werden  soll,  als  ihre  Vielfachheit  beträgt.  Ebenso  ordne 
man  die  Niillstellen  von  8{X),  soiveit  solche  da  sind:  alsdann  ist 

X  wZW  =  kW,       L  nV-^  =  2(2),       L  nm  =  )S''\  .... 

«=00  n=00.  H=M 

Man  darf  jedoch  aus  Satz  2  keineswegs  auf  die  Existenz  von  Null- 
stellen von  8{).)  schließen,  da  sehr  wohl  der  Fall  eintreten  könnte,  daß 
bereits  nl^  für  unendlich  wachsendes  n  absolut  über  alle  Grenzen  zu- 
nimmt. 

Wir  führen  hier  noch  folgende  Bezeichnungen  ein:  die  Nullstellen 
von  d(X)  mögen  die  zum  Kern  K{s,  t)  gehörigen  Eigenwerte  heißen. 

Unter  K{s,  t)  wurde  bisher  irgendeine  symmetrische  Funktion  der 
reellen  Veränderlichen  s,  t  verstanden;  wir  machen  nun  in  diesem  dritten 
Kapitel  durchweg  die  Annahme,  daß  die  zu  K{s,  t)  gehörige  Funktion  d{X) 
keine  mehrfache  Nullstelle  besitzen  möge,  so  daß  für  eine  jede 
Wurzel  der  Gleichung  d(k)  =  0  gewiß  d\l)  von  Null  verschieden  ausfällt. 

Wir  haben  ferner  zu  beachten,  daß  die  gegen  Schluß  des  ersten 
Kapitels  entwickelte  Transforuiationstheorie  der  quadratischen  aus  K(^s,  t) 
gebildeten  Form 

Kxx=:^Ki^,  -Dx^x,^         (p,  q  =  1,2  .  .  .,  n) 

zur  Voraussetzung  hatte,  daß  die  Determinante  d{l)  keine  mehrfache  Null- 
stelle besitzt.  Sollte  nun  für  irgendwelche  Werte  von  n  die  zu  K{s,  t) 
gehörige  Determinante  d(l)  eine  mehrfache  Nullstelle  aufweisen,  so  ver- 
fahre man  in  folgender  Weise:  man  denke  sich  für  jeden  solchen  Wert 
von   n   an   Stelle   von  K{s,  t)   eine   modifizierte  Funktion  K{s,  t)  gesetzt, 


Kap.  III.     Transzendentes  Analogon  zur  Orthogonaltranaformation. 


15. 


so  daß  die  Nullstellen  der  entsprechend  gebildeten  Determinante  d{l)  für 
K(s,  t)  sämtlich  einfach  ausfallen;  doch  sollen  die  Werte  der  modifizierten 
Funktion  K{s,  t)  sich  von  denen  des  ursprünglichen  Kerns  K{s,  t)  nur 
so  wenig  unterscheiden,  daß  für  alle  Werte  der  Variabein  s,t,  für  alle 
Indizes  [h=  1,2,  .  .  . ,  n)  und  für  alle  Paare  von  stetigen  Funktionen  x{s), 
y(s)  die  Ungleichungen 

\K{s,t)-K(s,t)\<^, 
I  (h-d,  I  <  1, 


I  /('')- ZW  I  < 


D,{l)-D,{l)\<3I(x).3I(y) 


(/.=  l,2,...,n) 


erfüllt  sind;  dabei  bedeuten  d^,  D,i  j  die  Koeffizienten  der  entsprechend 
für  K(s,t)  gebildeten  Determinanten  dQ,),  Dil,  '  ),  ferner  l*^''^  die  ent- 
sprechenden Nullstellen  von  d(l)  und  31  {x),  3i{y)  sollen  die  Maxima 
der  absoluten  Werte  der  Funktionen  x{s)  bzw.  y{s)  sein.  Offenbar  nälieru 
sich  dann  die  Ausdrücke 

^  '    ^  \  /(  /  '  n        \  n  '  y  j 

für  unendlich  wachsendes  n  gleichmäßig;  den  Grenzen  bzw. 


d.  h.  den  nämlichen  Grenzen,  wie  die  mittels  des  nicht  modifizierten 
Kernes  gebildeten  Ausdrücke.  Wir  sind  dadurch  in  den  Stand  gesetzt, 
auch  diejenigen  Formeln  der  im  ersten  Kapitel  entwickelten  Theorie  der 
quadratischen  Form  Kxx  anzuwenden,  zu  deren  Gültigkeit  das  Nicht- 
vorhandensein mehrfacher  Nullstellen  von  d(l,)  eine  notwendige  Voraus- 
setzung war.  Obwohl  wir  in  den  fraglichen  Fällen  mit  den  modifizierten 
Ausdrücken  operieren  müssen,  wollen  wir  doch  fortan  bei  unserer  Dar 
Stellung  der  größeren  Übersicht  halber  die  ursprünglichen  Ausdrücke  ohne 
die  Querstriche  beibehalten. 

Es    bezeichne   A^'''   die   //"^   Nullstelle    von    0(1)    unter  Beachtung    der 
S.  14  festgesetzten  Reihenfolge;  aus  (26)  folgt 

(31)         ^  (i«,  -)  =  .»./{^  (a«,  ;).)_^^,^^.,,  ,^Korf«, 

und  wegen    der  Symmetrie   des  Ausdruckes  d  il,  '   )    in    bezug   auf  x{s), 
y{s)  ist  daher  auch: 

j  (Xi')   ^)  =  ;.(/')  ?(z/  (a(''),  ^)]  x(s)ds 


16  Kap.  III.     Transzendentes  Analogen  zur  Orthogonaltransformation, 

lind,  wenn  wir  hierin  y(r)^=  K{r,t)  einsetzen: 

J^(aw/^)1  =  l('')f\^Uw^)]  x(s)ds 

\         \         '   .V  '  J;/(r)  =  A-(r,0  J     l         \         '  V  /  )  i(r)  =  K{r, ,)       ^'' 

0  ,j(r)  =  K{r,t) 

oder  im  Hinblick  auf  (27) 

(32)  j  J  (aO),  ;)  j ^^^^^ __ ^^^  ^^  ./^Ci«;  ,,  t^  ,is)  ,U. 

Aus  (31)  und  (32)  erhalten  wir 

(33)  J  U''\  ^)  =  ;W/ /z/(;W;  s,  t)x{s)y{t)dsdt. 

^  0     0 

Zugleich   ergiebt   sich,    wenn    wir    in   (32)   x{r)  =  K(r.  s)   einführen,    im 
Hinblick  auf  (27) 

(34)  z/(F');  s,  t)  =  Z('')/z/(;L('')5  r,  t)  K{r,  s)  dr. 

0 

Nunmehr  bezeichne  W'^   die  A*®  Nullstelle  von  d(l)   unter   Beachtung 
der  oben  festgesetzten  Reihenfolge.     Wegen  Formel  (7)  ist  allgemein 

und  hieraus  folgt  in  der  Grenze  für  unendlich  wachsendes  n 


(a(^^)^(a("),^;)  =  z^(zw  ;,)^(aw 


y 


y  /      \        y  /  \        or/      \      '  if 

wenn  hierin  a;*,  ?/*  ebenso  wie  x,  y  stetige  Funktionen  ihres  Argumentes 
vorstellen,  und  folglich  im  Hinblick  auf  (27) 

(35)  ^(X('');  s,  t)  z/(A('');  s*  i*)  =  z/(;.W;  s,  5*)  z/(A('";  /,  /*). 
Wegen  (30)  ist 

(36)  /z/(/lW;  5,  s)  ds  =  (JX^^^''^, 
6 

und  da  unserer  Annahme  zufolge  die  NuUstellen  von  d(Ä)  sämtlich  ein- 
fach sind,  so  fällt  d'(/l(''))  von  Null  verschieden  aus,  und  folglich  ist  auch 
gewiß  z/ (/.('');  6',  s)  nicht  identisch  für  alle  Werte  von  s  Null;  es  sei  s*  ein 
solcher  spezieller  Wert,  daß  z/(Z('');  s*,  s*)  von  Null  verschieden  ausfällt. 
Alsdann  setzen  wir 

dadurch  ist  (p^'''>(s)  als  eine  stetige  Funktion  der  Variabein  s  definiert:  sie 
heiße  die  ßu  dem  Eigenwerfe  X^''^  gehörige  EigenfimMion.  Wir  ge- 
winnen aus  (35),  (37),  wenn  wir  noch  f^  durch  s*  ersetzen,  die  Gleichung 

(38)  X(")  z/(AW;  s,  0  =  +  (p^''Ks)  ^^'\t). 


Kap.  III.    Transzendentes  Analogon  zur  Orthogonaltransformation.  17 

Mit  Hilfe  von  (06)  folgt  mitbin 

0 
und    daraus    erkennen   wir,    daß    in    den   beiden    letzten    Gleichungen    das 
obere    oder    untere  Vorzeichen    gilt,    je    nachdem    k^''^ö'(X'^'>)   positiv    oder 
negativ  ausfällt. 

Unter  Hinzuziehung  von  (33)  leiten  wir  noch  die  Formeln  ab: 

^  (aW,  ^^)  =  ±f<p^''\s)x{s)ds  ■f(p^''\s)y(s)ds 
^0  0 

und 


X(A) ,  *  )  f  (p"') (s)  xis)ds  •  fcp^'>^ (s)  II is)  d i 

y }         h  0 


I 


Endlich  ergibt  die  Formel  (34)  in  Verbindung  mit  (38)  nach  Weglassung 
des  Faktors  (p^''\t) 

9,(A)(s)  =  li'Of  K{s,  t)  (p^''\t)  dt, 
0 

und  hieraus  leiten  wir,  wenn  (p^''\s)  die  zu  einem  anderen  Eigenwerte  A'*) 

gehöricre  Eigenfunktion  bezeichnet,  sofort  die  Gleichung  ab: 

jV'^(s)9^*^(s)^s  =  0,     (h^lc). 
0 

Oftmals  ist  es  im  Interesse  einer   kürzeren  Schreibweise  vorzuziehen, 

an  Stelle  der  Eigenfunktionen  cp^''\s)  die  Funktionen 

<p"'>(s) 


t^''\s)  = 


]/.Acp 


"'>(«))«  ds 


einzuführen;  dieselben  mögen  normierte  EigenfunJctionen  oder,  wenn 
ein  Mißverständnis  ausgeschlossen  erscheint,  Eigenfunktionen  schlecht- 
weg heißen:  sie  genügen  den  Gleichungen  ^ 

(39)  WöcSf  =ft^"Ks)  x{s)  ds  .ft^"\s) y{s)  ds, 

^        '  Q  0 

1 


f(t^''\s)yds=-  1, 

D 

J^('')(s)^(*)(s)f?s  =  0,        (h^l-) 


0 

1 


(40)  tp^'^^s)  =  A('')/ä'(s,  0  ^^"^(0  d*- 

0 

Math.  Monogr.  3:  Hilbert,  IIa.  Integralgleichvmgea. 


18 


Kap.  III.    Transzendentes  Analo{?on  zur  Ürthogonaltransformation. 


Nunmehr  haben  wir  die  Vorbereitungen  beendet,  um  diejenige  Frage- 
stellung zu  erledigen,  welche  aus  dem  alfi^ebraischen  Problem  der  ortho- 
gonalen Transformation  der  quadratischen  Form  beim  Grenzübergange  für 
unendlich  wachsendes  n  entsteht. 

Wir  haben  am  Schluß  des  ersten  Kapitels  die  Formeln  erhalten: 


[x,  x]  = 


+ 


(h=l,2,...,n). 


Die  letzte  Formel  zeigt,  daß  jedes  Glied  der  Summe  rechter  Hand  im 
Ausdruck  für  [x,  x]  positiv  ausfällt;  mithin  gilt,  wenn  m  irgendeine 
ganze  Zahl  unterhalb  n  bedeutet,  die  Ungleichung: 


(41) 


B{f-^\l)  V[,i«*'\l) 


l)^'(7{m+l)\  + 


+  •••  + 


Da  wegen 
notwendig 


^  [^>  ^]- 


i)(>) 


X 

ly^ 


<^r 


ist,  so  folgt,  indem  wir  (41)  anwenden 


i)(z('"+^^)  d(/('"+^^) 


i('»+i)d'(z("'+i)) 


+ 


Z("'+2)d'(z("'+2)) 


+  •••  + 


D  U" 


'y 


zC^d'Cze«)) 


<^([x,x]  +  [y,y]), 


und  mithin  ist  um  so  mehr  die  Summe  der  n  —  m  letzten  Glieder  auf  der 
rechten  Seite  der  Formel  (14)  absolut  nicht  größer  als 

demnach  ist  mit  Rücksicht  auf  jene  Formel  (14)  auch 


(42) 


Kxy  — 


In  dieser  Formel  wollen  wir,  wie  bereits  früher  geschehen  ist, 
P'i  \n  '  n /  P  \n/'         ^p       -^  \n  / 


I 


Kap.  III.    Transzendentes  Analogen  zur  Orthogonaltransformation.  19 

eingesetzt  denken  und  sodann  nach  Division  durch  n^,  während  ni  fest- 
bleibt, den  Grenzübergang  für  «  =  oo  ausführen.  Berücksichtigen  wir 
die  Grenzgleichungen: 

n  =00 
"  -  ~  0  0 

und  beachten  wir,  daß  den  Hilfssätzen  1  und  2  gemäß  die  Ausdrücke 
^  D{~,  J  und  Vr^'(yr)   gleichmäßig    für    alle    unterhalb   einer  festen 

Grenze  liegenden  X  gegen  ^  U,  )  bzw.  d'(A)  konvergieren,  so  geht  die 
Ungleichung  (42)  in  die  folgende  über: 

(43)  I  j  J  Eis,  0  x{s)  y{f)  dsdt-  -^^^^  -  (X^^^^  -  •  •  • 

a"»))2ä'(A("'>) 

Nunmehr  benutzen  wir  die  Tatsache,  daß  die  Eigenwerte  A^'"),  falls 
es  ihrer  unendlich  viele  gibt,  mit  unendlich  wachsendem  m  absolut  ge- 
nommen selbst  über  jede  Grenze  wachsen,  und  erkennen  dann  mit  Hilfe 
der  Formel  (39),  indem  wir  noch  statt  der  Integrationsgrenzen  0,1  die 
allgemeineren   Grenzen  a,   h   einführen,  folgendes   grundlegende   Theorem: 

Tlieorem.  Es  sei  der  Kern  K(s,  t)  einer  Integralgleichung 
zweiter  Art 

b 

f{s)  =  (p{s)  —  ljK{s,  t)(p(t)  dt 

a 

eine  symmetrische  stetige  Funktion  von  s,  t-^  ferner  seien  A^'')  die 
zu  K{s,i)  gehörigen  Eigenwerte  und  ijj^''\s)  die  zugehörigen  nor- 
mierten Eigenfunktionen;  endlich  seien  x{s),  y{s)  irgendwelche 
stetige  Funktionen  von  s:  alsdann  gilt  die  Entwicklung 

h     Ij  h  b 

(44)  J  jK{s,t)x{s)yit)dsdt  =  ^4)  ß^'Ks)xis) ds  •ß('\s)yis)ds 


<  9  lii^v  [Ax(ß)fds  +  j  {y{sj)-ds) 


+  I?2)  f¥'Ks)^{s)ds  ■ß^\s)yis)ds  +  ■■; 


wobei  die  Reihe  rechter  Hand  absolut  und  gleichmäßig  für  alle 
Funktionen  x{s),  yis)  konvergiert,  für  welche  die  Integrale 


20  Kap.  III.    Transzendentes  Analogen  zur  Orthogonaltransformation. 

b  b 

f{x{s)yds,  f(y(s)yds 

a  a 

unterhalb  einer  festen  endlichen  Grenze  bleiben. 

Dies  ist  dasjenige  Theorem,  das  für  x{s)  =  y(s)  dem  im  ersten  Kapitel 
genannten  algebraischen  Satze  über  die  Transformation  einer  quadratischen 
Form  in  die  Quadratsumme  von  linearen  Formen  entspricht. 

Einige  unmittelbare  Folgerungen  dieses  Theorems  sind  folgende: 

Die  nämlichen  Eigenwerte  2*''^  und  Eigenfunktionen  ^•(''^(s)  können 
nicht  noch  zu  einem  anderen  von  K{s,  t)  verschiedenen  Kern  gehören; 
die  A^*'  und  ^(''^(s)  bestimmen  vielmehr  in  ihrer  Gesamtheit  den 
Kern  K{s,t)  vollständig. 

Setzt  man  in  die  Formel  des  Theorems  an  Stelle  von  y(t)  das  Inte- 

gral  fK{r,f)y()-)dr  ein,  so  entsteht  mit  Rücksicht  auf  (40)  die  folgende 
Formel : 

h     b  h  b 

J  jKK{s,t)x{s)y{t)dsdt  =  ^^^^,  ß^'\s)x{s)ds  •/^(i)(s)i/(s)rfs 

a    a  a  a 

b  h 

+  äk^  f^^'Ks)x{s)ds  .ft^'\s)y{s)ds  +  •  .  •, 

a  a 

wobei  zur  Abkürzung 

6 

KKis,  t)  =JK{s,  r)  Kit,  r)  dr 

a 

gesetzt  ist;  diese  Funktion  KK{s,t)  möge  der  aus  K{s,t)  zweifach  zu- 
sammengesetzte Kern  heißen.  Aus  Formel  (44)  erkennen  wir,  daß  der 
aus  K[s,  t)  zweifach  zusammengesetzte  Kern  dieselben  Eigenfunktioneu 
besitzt,  wie  K(s,t),  während  die  Eigenwerte  die  Quadrate  der  zu  K{s,t) 
gehörigen  Eigenwerte  sind. 

Es  möge  hier  noch  eine  Verallgemeinerung  der  Formel  (29)  Platz 
finden.  Bringen  wir  nämlich  die  Abhängigkeit  der  lösenden  Funktion  K  (s,  t) 
vom  Parameter  ).  zum  Ausdruck,  indem  wir  für  dieselbe  die  Bezeichnung 
K{l]S,t)  anwenden,  und  setzen  wir  zur  vorübergehenden  Abkürzung 

h 

F{s,  t)  ==  K(>1;  s,  i)  -  K(/t;  S,  t)  +  (/t  -  A)/K(A;  s,  r)  K(.(i;  r,  t)  dr, 

a 

so  erhalten  wir  mittelst   wiederholter  Anwendung  von  (29')  die  Identität 

b 

F{s,  t)  -  lfK{r,  s)  F{r,  t)  dr  =  0 

a 

und  diese  zeigt  zu  Folge  einer  Bemerkung  am  Schluß  von  II,  daß  F{s,  t) 
jedenfalls  für  jeden  solchen  Wert  von  A  verschwindet,  der  von  den  Eigen- 


Kap.  IV.    Entwicklung  nach  Eigenfunktionen.  21 

werten  )S'''>  verschieden  ausfällt.  Daher  ist  F{s,  t)  notwendig  für  alle 
Argumente  X,  n,  s,  t  identisch  Null,  d.  h.  es  gilt  die  allgemeine  Formel 

b 

(45)  K{l-s,t)-  K(.a;  s,  f)  =  {^  -  i[t)/K(A;  s,  r)  K(/t;  r,  t)  dr. 

a 

Diese  Foi-mel  können  wir  auch  in  der  Gestalt  schreiben: 

b 

(46)  K(.u;  s,  t)  =  K(;/  +  /t;  s,  t)  -  kfK{X  +  .u;  s,  r)  K(.(t;  r,  t)  dr- 

a 

hieraus  folgt,  daß,  wenn  wir  K  (« \  s,i)  als  Kern  für  eine  Integralgleichung 
zweiter  Art  nehmen,  die  zugehörige  lösende  Funktion  notwendig  K(A  -r  i^;  s,  0 
ist.     Zugleich  finden  Avir 

a 

und  erkennen  hieraus,  daß  zum  Kern  K(,a;5,  ^)  dieselben  Eigenfunktionen 
wie  zum  Kern  K(s,  t)  gehören,  während  die  zugehörigen  Eigenwerte  die 
Größen  A^''^  —  u  sind. 

Viertes  Kapitel. 

Entwicklung  einer  willkürlichen  Funktion  nach 
Eigenfunktionen. 

Die  erste  wichtige  Anwendung  des  im  dritten  Kapitel  bewiesenen 
Theorems  geschehe  zur  Beantwortung  der  Frage  nach  der  Existenz  der 
Eigenwerte  A^^l  Diese  Frage  ist  von  besonderem  Interesse,  weil  die  ent- 
sprechende speziellere  Aufgabe  in  der  Theorie  der  linearen  partiellen 
Differentialgleichungen,  nämlich  der  Nachweis  der  Existenz  gewisser  aus- 
gezeichneter Werte  für  die  in  der  Differentialgleichung  oder  in  der  Rand- 
bedingung auftretenden  Parameter  bisher  wesentliche  Schwierigkeiten  ver- 
ursacht hat.  Durch  Heranziehung  unseres  Theorems  wird  die  weit  all- 
gemeinere Frage  nach  der  Existenz  der  Eigenwerte,  die  zu  einer  Integral- 
gleichung zweiter  Art  gehören,  auf  einfache  und  vollständige  Weise 
beantwortet.  Nehmen  wir  nämlich  an,  ee  gäbe  keine  oder  nur  eine 
endliche  Anzahl,  etwa  m  Eigenwerte,  so  ist  die  in  dem  Theorem  auftretende 
Reihe  (44)  eine  endliche  mit  m  Gliedern  und,  da  die  Formel  (44)  des 
Theorems  für  alle  stetigen  Funktionen  x(s)  und  y[s)  gelten  soU,  so  folgt 
aus  derselben  mit  Notwendigkeit 

Kis,  0  =  ^  t^'\s)n,i'\t)  +  •  ■  •  +  ^  ^('»)(s)^('»)(0, 


22  Kap.  IV.    Entwicklung  nach  Eigenfunktionen. 

d.  h.  K(s,  t)  vermag,  weun  man  eine  der  beiden  Variablen,  etwa  f ,  als 
Parameter  auffaßt  und  diesem  irgendwelche  konstante  Werte  erteilt,  nur 
tn  linear  unabhängige  Funktionen  der  anderen  Variabein  s  darzustellen. 
Umgekehrt,  wenn  K(s,  t)  diese  Besonderheit  aufweist,  so  verschwinden, 
wie  man  sieht,  alle  Koeffizienten  der  Potenzreihe  Ö{X),  die  mit  einer 
höheren  als  der  w-ten  Potenz  von  l  multipliziert  sind,  d.  h.  d{l)  wird 
eine  ganze  rationale  Funktion  in  A,  und  es  gibt  dann  gewiß  nur  m  Eigen- 
werte.   Wir  sprechen  somit  den  Satz  aus: 

Satz  3.  Die  zu  K(s,t)  gehörigen  Eigenuerte  sind  stets  in  unendlicher 
Anzahl  vorhanden  —  es  sei  denn,  daß  K{s.  i)  als  eine  endliche  Summe 
von  Produkten  darstellbar  ist,  deren  einer  Faktor  nur  von  s,  deren  anderer 
nur  von  t  ahhängt;  tritt  dieser  Fall  ein,  so  ist  die  Zahl  der  Eigenwoie 
gleich  der  Anzahl  der  Summanden  in  jener  Summe,  und  d(/,)  ist  eine 
ganze  rationale  Funktion  von  einem  Grade  gleich  dieser  Anzahl.^) 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  der  Frage  der  Entwicklung  jener  will- 
kürlichen Funktion  in  eine  unendliche  Reihe,  die  nach  Eigenfunktionen 
fortschreitet.     Führen  wir  in  die  Formel  (44)  unseres  Theorems 

yit)=^K{r,t) 
ein  und  setzen 

6     h 

/•(r)  ==ffK{s,  t)  K(r,  t)  x  (s)  ds  dt, 

a  a 

bedenken  wir  sodann,  daß  mit  Rücksicht  auf  (40 ) 

ff(r)  t^C")  (r  j  dr  =  ^^L^J'^is)  ?^-('")  (s)  (7..- 

a  a 

wird,  so  geht  die  Formel  (44)  unseres  Theorems  über  in 

/,  h 

f{r)  ^Jf{s)^^'\s)ds  -  t^'Hr)  +  ff{s)4>^'){s)ds-i^^'\r)  -f  •  •  •, 

a  a 

d.  h.  es  gilt  der  Satz: 

Satz  4.     Wenn  eine  Funktion  f(s)  sich  in  der  Gestalt 

b     h 

f(s)  =JjK(:r,  t)  K(s,  t)  h{r)  drdt 

a     a 

do/rstellen  läßt,  wo  h(r)  eine  stetige  Funktion  von  r  ist,  so  läßt  sie  sich  auf 


1)  Der  von  mir  hier  zuerst  aufgestellte  und  bewiesene  Satz  von  der  Existenz  eines 
Eigenwertes  für  jeden  nicht  identisch  verschwindenden  Kern  bildet  einen  integrieren- 
den Bestandteil  meiner  Theorie  und  ist,  als  ich  meine  Untersuchungen  über  Integral- 
gleichungen begann,  eines  meiner  frühesten  Ergebnisse  gewesen;  in  neueren  Arbeiten 
findet  sich  —  offenbar  versehentlich  —  eine  gegenteilige  Behaui^tung  ausgesprochen. 


Kap.  IV.     Entwicklung  nach  Eigenfunktionen.  23 

die  Fouriersche  Weise  in  eine  nach  EigcnfarMionen  des  Kernes  K  (s,  t) 
fortschreitende  Beihe  entwickeln,  ivie  folgt 

f{s)  =  c,^,^'){s)^c,xl>(%s)  +  ...- 

h 

c„,-ffis)tp('-){s)ds. 

a 

Diese  Reihe  konvergiert  ahsolut  und  gleichmäßig}) 

Die  in  diesem  Satze  gemachte  Voraussetzung  über  f(s)  ist  gleich- 
bedeutend mit  der  Forderung,  es  soll  eine  stetige  Funktion  h{s)  geben, 
so  daß  die  Integraldarstellung 

/. 
f{s)=jKK{s,t)h{t)dt 

a 

gilt,  oder  auch  mit  der  Forderung,  es  soll  zwei  stetige  Funktionen  g{s) 
und  li{s)  geben,  so  daß 

b 

f(s)^jK{s,t)g{t)dt, 

a 
b 

g{s)=jK{s,t)h{t)dt 

a 

wird. 

Wenn  K{s,  t)  eine  solche  symmetrische  Funktion  von  s,  t  ist,  daß 
die  Gleichung 

b 

fK(s,t)g{s)ds^O 

a 

sich  niemals  durch  eine  stetige  von  Null  verschiedene  Funktion  g{s) 
identisch  in  t  erfüllen  läßt,  so  heiße  K{s^  t)  ein  abgeschlossener  Kern. 
Es  ist  leicht,  aus  Satz  3  zu  erkennen,  daß  zu  einem  abgeschlossenen  Kern 
stets  unendlich  viele  Eigenwerte  gehören.  Ferner  können  wir  für  einen 
abgeschlossenen  Kern  folgende  Behauptungen  aufstellen: 

Satz  5.  Es  sei  K(s,  t)  ein  abgeschlossener  Kern  und  i'^^'^s)  die 
zugehörigen  Eigen funltionen:  trenn  dann  h{s)  eine  stetige  Funktion  ist,  so 
daß  für  alle  m  die  Gleichung 

I, 
Jh{s)xp^"'\s)ds  =  0 

a 

erfüllt  ist,  so  ist  h(s)  identisch  Null. 


1)  Das    soll    heißen:    die    Reihe    der  absolut  genommenen  Glieder  konvergiert 
gleichmäßig. 


24  Kap,  IV.     Entwicklung  nach  Eigenfimktionen. 

Um  diesen  Satz  zu  beweisen,  setzen  wir 

g{s)=fK(s,t)h{t)dt, 

a 

f{s)=jK{s,t)g{t)dt. 

a 

Nach   Satz  4   gestattet  f{s)    die  Entwicklung   nach   den  Eigenfunktionen 
t/^<'")(s),  und  zwar  erhält  man  für  die  Koeffizienten  dieser  Entwicklung 

a  a  a 

folglich  ist  f[s)  identisch  Null.    Da  K{s,  t)  ein  abgeschlossener  Kern  sein 
sollte,  so  folgt  hieraus  zunächst  g{s)  =  0  und  sodann  auch  ^(5)  =  0. 

Satz  6.  Es  sei  K{s,t)  ein  abgeschlossener  Kern  und  f(s)  irgend- 
eine stetige  Funktion:  wenn  sich  alsdann  herausstellt,  daß  die  in  Fourier- 
scher   Weise  gebildete  Beihe 

c^tl,W(s)  +  c,i>('\s)-^-'-, 

h 

c,,=ffis)ip^'^)(s)ds 

a 

gleichmäßig  konvergiert,  so  stellt  sie  die  Funktion  f(s)  dar. 

In  der  Tat  erweist  sich  die  DiiFerenz  von  f(s)  und  der  durch  jene 
Reihe  dargestellten  Funktion  von  s  unter  Benutzung  des  Satzes  5  als  Null. 

Für  die  Entwickelbarkeit  einer  willkürlichen  Funktion  f(s)  nach 
Eigenfunktionen  haben  wir  in  den  Sätzen  4  und  (3  gewisse  Kriterien  auf- 
gestellt. Wir  können  die  Bedingungen  des  Satzes  4  wesentlich  verein- 
fachen; es  gilt  nämlich  der  Satz: 

Satz  7.^)  Jede  unter  Vermittlung  einer  stetigen  Funktion  g{s)  durch 
das  Integral 

f{s)=jK{s,t)g{t)dt 

darstellbare  Funktion  ist  in  eine  nacli  Eigenfunktionen  fortschreitende  Beute 
auf  Fouriersche   Weise  enttvickelbar,  ivie  folgt 

6 

c,,=Jf{s)i'^"'\s)ds. 

a 

Diese  Beihe  konvergiert  absolut  und  gleichmäßig. 


1)  Vgl.  die   auf  E.  Schmidt   bezügliche  Anmerkung  in   Kapitel  XIV   sowie   den 
von  n 
Variabein. 


Kap.  IV.     Entwicklung  nach  Eigenfunktionen.  25 

Den  Beweis  führen  wir  liier  nur  unter  einer  gewissen  Voraussetzung 
über  den  Kern  K{s,  t).  Wir  wollen  nämlich  eine  symmetrische  stetige 
Funktion  K(s,  t)  dann  einen  allgemeinen  Kern  nennen,  wenn  es  möglich 
ist,  zu  jeder  stetigen  Funktion  g{s)  und  zu  jedem  beliebig  kleinen  posi- 
tiven £  stets  eine  stetige  Funktion  h{s)  zu  ermitteln,  so  daß,  wenn 

h 
x{s)^g  (s)  -jK{s,  t)  h  {t)  dt 

a 

gesetzt  wird,  die  Ungleichung 

6 

»  f{x{s)y(ls  <  s 

a 

gilt,  d.  h.  der  Kern  K(s,  t)  heißt  allgemein,  wenn  das  Integral 

jK{s,t)}i{t)dt 

a 

bei  geeigneter  Wahl  der  stetigen  Funktion  h  (s)  jede  stetige  Funktion  g  (s) 
in  dem  eben  bezeichneten  Sinne  angenähert  darzustellen  fähig  ist.  Nun- 
mehr bezeichnen  wir  mit  s  irgendeine  beliebig  kleine  positive  Größe-, 
sodann  bedeute  M  das  Maximum  der  Funktion 

b 

J{K{s,t)ydt, 

a 

wenn  die  Variabele  s  sich  im  Intervall  a  bis  h  bewegt.  Da  K{s,  t)  ein 
allgemeiner  Kern  und  g  (s)  eine  stetige  Funktion  sein  soll,  so  läßt  sich 
eine  stetige  Funktion  li  (s)  finden,  so  daß,  wenn 

h 

x{s)^g  (s)  -J'K{s,  t)  h  (0  dt 

a 

gesetzt  wird,  die  Ungleichung 

a 

erfüllt  ist.     Wir  setzen 

b 

g*{s)=jK{s,t)h{t)dt, 

a 

r{s)^jK{s,t)g*{t)dt 

a 

Nach  Satz  4  gestattet  die  Funktion  f*{s)  die  Reihenentwicklung  nach 
Eigenfunktionen 


26 


Kap.  IV.  Entwicklung  nach  Eigenfunktiouen. 


und  wecen  der  gleichmäßigen  und  absoluten  Konvergenz  dieser  Reihe  ist 
es  gewiß  möglich,  eine  ganze  Zahl  7n  zu  finden,  so  daß  für  alle  6^ 

(48)  l/'*(s)  -  c\i'^'Ks)  -  cln^^'Hs) Cxp^'-\s)\<  l 

ausfällt  und  auch   die   Ungleichungen   noch   gelten,    die   entstehen,   wenn 
man  m  hierin  durch  eine  größere  Zahl  ersetzt. 
Nun  ist 

I  fKis,  t)x{t)dt '  £    y  J\K{s,  t)fdt  Jixitifdt 
und  mit  Rücksicht  auf  (47)  mithin 

Wegen 

(49)  f(s)  =  r'is)  -\-j'K(s,  t) X [t) dt 

haben  wir  folglich  die  Ungleichung 

(50)  \fis)-r-{s)\£l- 

Andererseits  ist  wegen  (49) 

c,  -  c/  ^ffKis,  t)  tpO\s)  X  (t)  dt  =  ^  JVW(0^(0  dt 

a    a  «■ 

und  folglich 

h  b 

(51)  (c,.  -  c/) i>^^{s)  =JV'Ks)x{s)ds  -jKis,  t) xlj^^\t)dt. 

a  CL 

Nehmen  wir 
/, 

^^<^{s)x{i)ds  4 /T 6 

A  =  "  ,-^ =^ ,  B  =  y J{x{s)Y ds  fKis,  t) i^W (t) dt, 

y  f{x{s)y'ds 

a 

so  folgt  wegen 

aus  (51)  die  Ungleichung 

(52) 


AB  1  ^  V  {A^  +  B^) 


(c.-c/)i/;W(s)|^ 

yl{x{s)yds 


{x{s)yds  (fK{s,t)rlJ^>\t)dt 


Kap.  IV.     Entwicklung  nach  Eigenfunktionen.  27 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  der  Formel  (16)  zurück.  Da  jedes 
Glied  der  Summe  auf  der  rechten  Seite  dieser  Formel  (16)  ^  0  ausfällt, 
so  ojilt  für  m  <  n  die  Unc^leichuncr 


D  (,..  -)      D  (ir,,  -)  D  (,„.,,  -) 


Denken  wir  uns  in  dieser  Formel  wieder,  wie  früher 

P'i  \n'     n  /  '        P  \n  / 

eingesetzt  und  sodann  nach  Division  durch  n,  während  m  festbleibt,  den 
Grenzübergang  für  w  =  oo  ausgeführt,  so  entsteht  die  Ungleichung 

lft^'^{s)x{s)ds\  +  \ß^'\s)x{s)ds\  +  •  •  • 

(53)  ^"  \^      ^ 

4-     /^-C")  (6-)  a;  (s)  (?s  ^  /(.r  (s))^  rfs . 
U  J         0 

Mit  Benutzung  dieser  Ungleichung,  in  der  wir  wieder  die  lutegrations- 
grenzen  a  bis  h  eingeführt  annehmen,  folgt,  wenn  wir  (52)  für  j  =  1,  2, . . .,  m 
bilden  und  summieren: 


V 


2;    (<j  -  c*)  i/;W  (5)  1  ^  i-  ]/  j{x  {s)y  ds     (l-f  31) 

j  =  1, . .  .,  711  a 

oder  im  Hinblick  auf  (47) 

d.  h.  es  ist  auch 

(54)      qT^(i)(s)  +  •  •  ■  +  c„M"'Hs)  -  c>(i)(s) ^^^(s)  I  ^  J  • 

Aus  (48),  (50),  (54)  folgt  für  alle  s 

I  fis)  -  c,  i/;(^)(s)  -  c,^^^^^{s) c,„i/;("0(s)  ]  <  e, 

und  man  sieht  zugleich,  daß  diese  Ungleichung  gültig  bleibt,  wenn  man 
auf  der  linken  Seite  statt  m  eine  größere  Zahl  wählt;  damit  ist  der  Be- 
weis für  unseren  Satz  unter  den  gemachten  Voraussetzungen  erbracht. 

Auf  Grund  des  eben  bewiesenen  Satzes  7  läßt  sich  auch  zeigen,  daß 
die  unendliche  Reihe 

,     h  .2,h  V  2 

J^^'\s)x{s)ds\  +  (Jxl;^''\s)x{s)ds\  +  •  •  • 

konvergiert  und  den  Wert 

h 

f{x{s)yds 

a 

besitzt;  dabei  ist  wiederum  K{s,  t)  als  allgemeiner  Kern  vorausgesetzt, 
und  x(s)  bedeutet  eine  beliebige  stetige  Funktion. 


28  Kap.  V.     Das  zugehörige  Variationsproblem. 

Fünftes  Kapitel. 

Das  Variationsproblem,  das  der  algebraischen  Frage  nach 
den  Minima  und  Maxima  einer  quadratischen  Form  entspricht. 

Die  im  dritten  uud  vierten  Kapitel  entwickelte  Theorie  ist  für  die 
Variationsrechnung  von  besonderer  Bedeutung.  Ich  möchte  jedoch  hier 
nur  dasjenige  transzendente  Problem  behandeln,  welches  der  algebraischen 
Frage  nach  den  relativen  Maxima  und  Minima  einer  quadratischen  Form 
bei  Konstanz  einer  zweiten  anderen  Form  entspricht:  es  ist  dies  das 
Problem,  diejenigen  Funktionen  a:(s)  zu  finden,  für  welche  das  Doppelintegral 

b    b 

J (a;)  =  JjK{s,  t) x{s)x{t)dsdt 

a    a 

minimale  oder  maximale  Werte  besitzt,  Avähreud  die  Nebenbedingung 

h 

(55)  J{x{S)fds  =  1 

a 

erfüllt  ist. 

Wenn  der  Kern  K{s,  t)  die  Eigenschaft  hat,  daß  das  Integral  J(x) 
nur  positive  Werte  besitzt,  was  auch  x{s)  für  eine  stetige  Funktion  sei, 
und  Null  nur  für  x(s)  =  0  wird,  so  heiße  der  Kern  K(s,  t)  definif.  Wir 
machen   im  folgenden   die  Annahme,    daß   K{s,  i)  ein   definiter  Kern   sei. 

Wenn  für  eine  gewisse  stetige  Funktion  x{s)  identisch  in  allen  s 

h 

jKis,t)x{t)dt  =  0 

a 

wird,  so  folgt  offenbar  J{x)  =  0  und  hieraus  auch  x{s)  =  0,  d.  h.  ein 
definiter  Kern  ist  stets  auch  ein  abgeschlossener  Kern;  es  gibt  für  ihn  also 
gewiß  unendlich  viele  Eigenwerte  und  Eigenfunktionen. 

Die  Eigenwerte  eines  defhiiten  Kerns  sind  stets  positiv.  Denn  fiele  im 
Gegenteil  etwa  X^''^  negativ  aus,  so  würde  sich  aus 

(56)  J{x)  =  ^4  {  J V^''  (s)  ^  (s)  ds  I  +  ^4  {  j V^-)  (s) x  {s)  ds  I  +    •  • 

für  x{s)  =  ip^'''>(s)  der  Wert  des  Doppelintegrals  J(x)  negativ  ergeben. 
Betreffs  der  Minima  und  Maxima  von  J(x)  gelten  folgende  Sätze: 
Satz   8.      Es  gibt   keine   stetige   Funktion   x(s)f   welche   das   Doppcl- 
integral J{x)  zu  einem  Minimum  macht,  während  die  Nebenbedingung  (55) 
erfidlt  ist. 

In  der  Tat,  die  Eigenfunktionen  iIj^^^s),  ^(-^(s),  .  .  .  erfüllen  sämtlich 
die  Nebenbedingung  (55);  wegen 


Kap.  Y.     Das  zugehörige  Variationsproblem.  29 

könnte   daher   der   gewünschte  Minimalwert   nur  gleich  Null  sein;    diesen 
Wert  nimmt  J{x)  aber  nur  für  x{s)  =  0  an. 

Satz  9.     De)'  größte    Wert,   dett    das  Boppelintegral  J{x)   annimmt, 
falls  x{s)  eine  stetige  der  Nebenhedinguny  (55)  genügende  FunJdion  sein  soll, 

ist  Y(T)',  denselben  nimmt  das  Doppel  integral  für  a;(s)  =  i^(^)(s)  an. 

Sei  nämlich  im  Gegenteil  x{s)  eine  Funktion,  die  der  Nebenbedingung 
(55)  genügt  und  für  welche 


ausfiele,  so  müßte  sich  eine  ganze  Zahl  m  so  wählen  lassen,  daß  auch  die 


Summe  S(x)   der   ersten  m  Glieder  rechter  Hand  in   (5(i)   größer   als   iyj-, 


wird.     Nunmehr  setzen  wir 

x(s)  =  q^(^)(s)  4-  c^tl^^'Ks)  +  •  •  •  +  r,„t/;("')(s)  +  tj(s), 
wo  zur  Abkürzung 

Ck  -f¥"\s) X  (s)  ds         (/»  =  1,  2,  .  .  .,  m) 

a 

gesetzt  ist  und  demnach 

6 

/^(*)(s) y  (s)  ds  =  0         (h  =  1,2,...,  m) 

a 

ausfällt;  wir  finden  dann  leicht 

h  h 

(57)  f(x(ß)yds  =  c^  -I-  c^,  +  .  . .  +  cl  +f(y(s)yds, 

a  a 

(58)  S{x)  =  ^  +  §,  +  ...-Vp,- 
Aus  (57)  folgt  mit  Rücksicht  auf  (55) 

um  so  mehr  ist  also 

^1  -f  -£i  j +  S'_  <  J_ 

und  diese  Gleichung  steht  mit  (58)  in  Widerspruch,   da  S{x)  größer  als 

rjY)  sein  sollte;  die  ursprünglich  gemachte  Annahme  trifft  mithin  nicht  zu. 

In  analoger  Weise   erkennen   wir   die  Richtigkeit   des   folgenden   all- 
gemeineren Satzes: 


30  Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie. 

Satz  10.  Der  größte  Wert,  den  das  Doppelintegral  J(x)  annimmt, 
falls  x(s)  eine  stetige  FiinWvn  sein  soll,  die  den  Nehenhedingungen 

h 

J{x{s)yds  =  i, 

a 

./>('') (s)  X  (s)  r75  =  0  (Ä  =  1,  2, .  .  . .  w  -  1) 

a 

genügt,  ist    ,,„, ;  denselben  nimmt  das  Doppelintegral  für  3c{s)  =  t^"'\s)  an. 

Durch  ähnliche  Schlüsse  erlangen  wir  auch  die  Lösung  weiterer 
Maximalprobleme.  Beispielsweise  gelingt  ohne  wesentliche  Schwierigkeit 
die  Auffindung  der  Funktion  x(s),  die  das  Integral  J{x)  zu  einem  Maximum 
macht,  wenn  außer  der  Nebenbedingung  (55)  noch  die  folgende  Nebeu- 
bedingung 

(59)  ff{s)x{s)ds  =  0 

a 

erfüllt  sein  soll,  wobei  f(s)  irgendeine  gegebene  Funktion  bedeutet. 

Wenn  der  Kern  K{s,  t)  die  Eigenschaft  besitzt,  stets  positive  Werte 
anzunehmen,  sobald  x(s)  eine  dieser  Nebenbedingung  (59)  genügende 
stetige  Funktion  ist,  so  heiße  er  kurz  relativ  definit. 

Unter  den  Eigenwerten  eines  relativ  definiten  Kernes  ist  höchstens  einer 
negativ.  Denn  wären  etwa  1^^)  und  X^^^  negativ,  so  bestimme  man  die 
Konstanten  Cj,  Co  derart,  daß  die  Funktion 

rc(s)  =  Ci  1/^(1)  (s)  +  c^i)^^\s) 

der  Nebenbedingung  (59)  genügt,  und  überdies  c\  -\-  c\  =  1  ausfällt:   als- 
dann fällt  nach  (56)  gewiß  J{x)  negativ  aus. 

Sechstes  Kapitel. 

Ergänzung  und  Erweiterung  der  Theorie. 

Wir  haben  bisher  im  ersten  bis  fünften  Kapitel  stets  vorausgesetzt, 
daß  K{s,  t)  eine  stetige  Funktion  der  Veränderlichen  s,  t  sei;  es  ist  unsere 
nächste  Aufgabe,  festzustellen,  inwie^veit  sich  diese  Annahme  beseitigen  läßt. 
Wenn  es  eine  endliche  Anzahl  von  analytischen  Linien  L 
s  =  F(t)  oder  t=  G{s) 
in  der  s^-Ebene  gibt,  so  daß  K(s,  t)  in  den  Punkten  dieser  Linien  unstetig 
oder  unendlich  wird,  während  für  einen  gewissen  positiven,  unterhalb  .V 
liegenden  Exponenten  a  das  Produkt 

(s  -  F{t)yK{s,  t)  bzw.  {t  -  G{s)YK(s,  t) 


Kap.  VI.  Ergänzung  der  Theorie. 


31 


daselbst  stetig  bleibt,  so  sagen  wir,  daß  K{s,  t)  Singularitäten  von 
niederer  als  der  -l^ten  Ordmirif/  besitzt.  Dabei  setzen  wir  voraus,  daß 
K{s,  t)  außerhalb  der  Linien  L  durchweg  stetig  sei.  Nunmehr  stellen  wir 
die  Behauptung  auf: 

Die  sämtlichen  im  dritten  bis  fünften  Kapitel  bewiesenen  Resultate  sind 
gültig,  auch  ivenn  der  Kern  K(s,  t)  der  zugrunde  gelegten  Integralgleichung 
Singularitäten  von  niederer  als  der  Iten  Ordnung  besitzt.  Zugleich  dürfen 
auch  die  in  unserer  Theorie  auftretenden  Funldionen  x(s),  y{s)  solche  Funk- 
tionen sein,  die  an  einer  endlichen  Anzahl  von  Stellen  von  niederer  als  der 
^ien  Ordnung  unendlich  iverden,  wenn  sie  sonst  stetige  FtmMionoi  von  s  sind. 

Die  Methode,  mittelst  der  wir  die  Gültigkeit  dieser  Behauptung  er- 
kennen, besteht  darin,  daß  wir  die  Linien  L  durch  Gebietsstreifen  der 
s^-Ebene  von  beliebig  geringer  Breite  s  ausschließen  und  alsdann  eine 
Funktion  ^"^(5,  t)  konstruieren,  die  innerhalb  jener  Gebietsstreifen  Null  ist, 
während  sie  außerhalb  derselben  mit  K(s,  t)  übereinstimmt.  Die  Funktion 
KJs,  t)  ist  überall  stetig  mit  Ausnahme  der  Grenzlinien  jener  Gebiets- 
streifen, in  denen  sie,  wie  man  sieht,  sprungweise  Wertänderungen  erfährt. 
Für  einen  solchen  Kern  wie  K^(s,  t),  dessen  Werte  überall  unterhalb  einer 
endlichen  Grenze  bleiben  und  nur  in  gewissen  Linien  unstetig  werden, 
sind  unsere  früheren  Beweise  unverändert  gültig.  Um  ihre  Gültigkeit  für 
den  Kern  K{s,  t)  zu  erkennen ,  bedarf  es  der  Ausführung  des  Grenzüber- 
ganges für  £  =  0.  Wir  wollen  im  folgenden  auseinandersetzen,  wie  dies 
zu  geschehen  hat. 

Zu   dem  Zwecke  wenden  wir  uns  zunächst  zu  den  Potenzreihen  d{X) 

S.  9    und    z/  il,  n    S.   11.      Die    Koeffizienten   d,^    bzw.    -^hi)  derselben 

lassen  sich  für  den  Kern  K{s,  t)  gewiß  dann  nicht  bilden,  wenn  K{s,  s) 
als  Funktion  von  s  keine  Bedeutung  hat,  d.  h.  sobald  die  Linie  s  =  t  oder 
ein  Teil  derselben  zu  den  singulären  Linien  des  Kerns  gehört.  Diesem 
Übelstande  helfen  wir  dadurch  ab,  daß  wir  an  Stelle  der  früher  angewandten 

Formeln  für  d\  S.  9   bzw.  z/^  r\  S.  11   die  folgenden  eingesetzt  denken 

j         0      ,  K{s„  Sg),  .  .  .,  K{s^,  sj 
K{s^,s^),     0,      .  ..,  K{s^,s,) 


hf-  ■  f 


ds,--  ds,^, 


K{s^  sj,  K{s,,  S2),  .  .  .,       0 

I    0   ,     x{s^)  ,      x{s^)   ,  ...,     x{s^) 
1        1 1 2/(sj,       0       ,  K{s„  S2),  .  .  .,  K{s,,  s,.)| 


ds,. 


y{h\  J<^{.h,  h),  ^{s„  S2), 


0 


32  Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie. 

Wie  man  sieht,  unterscheiden  sich  die  neuen  Ausdrücke  für  d^  bzw. 
z/j  (  )  von  den  frühereu  nur  dadurch,  daß  in  der  Determinante  die  Ele- 
mente der  Diagonalreihe  überall  0  sind.  Die  mit  den  neuen  Koeffizienten 
gebildeten  Potenzreihen  ö(k)  bzw.  zJ  Ix,  )  stimmen  mit  den  früheren  bis 
auf   einen    unwesentlichen  Exponeutialfaktor    übereiu,    der    für  ö(A)  und 

\     y)   derselbe  ist  und  daher  bei  der  Bildung  des  Quotienten  — x(r^~ 
wegfällt.^) 

Hilfssatz  3.    Die  neuen  Ausdrücke  d^  und  z/,^  (   j  haben  für  unsern 

Kern  K{s,  t)  stets  einen  Sinn  und  die  mit  ihnen  gebildeten  Potenz- 
reihen  d{l)  und  .i:/  (/l,     I  in  k  sind  beständig  konvergent. 

Wir  wollen  der  Einfachheit  halber  den  Beweis  hierfür  nur  in  dem 
Falle  erbringen,  daß  s  =  t  die  einzige  singulare  Linie  von  K(s,  t)  ist. 
In  dem  Ä-fachen  Integrale  für  d,^  sollen  die  Integrationsveränderlichen 
Sj,  .  .  .,  s^  alle  Werte  zwischen  0  und  1  durchlaufen.  Wir  betrachten 
zunächst  den  M-ten  Teil  T  dieses  A-dimensionalen  Integrationsgebietes, 
der  durch  die  Ungleichungen 

«1  >  §2  >  •  •  •  >  S^ 

charakterisiert  ist.  Wir  denken  uns  dann  in  der  /<- reihigen  Determinante, 
die  im  Ausdruck  für  d,^  auftritt,  die  Elemente 

der  ersten  Horizontalreihe  mit  |  (s^  —  s^"  j 

„     zweiten  „  „      { |  {s^  -  s,)-"  i  +  !  («2  -  hY"  I  }  "^ 

„     dritten  „  „      { |  {s,  -  .s,)"'  \  +    {s,  -  s, )"«     }  "^ 

„     ^'-ten  „  .       „        I  (s,,_i  -  5,)'^  i 

multipliziert;  dadurch  entsteht  eine  Determinante,  deren  Elemente,  wie 
man  leicht  sieht,  gewiß  sämtlich  für  alle  Werte  der  Variabein  absolut 
genommen  unterhalb  einer  endlichen  positiven  Größe  K  liegen.  Der  Wert 
der  letzteren  Determinante  ist  gewiß  ^  ]////'  K\  und  folglich  ergibt  sich 
für  das  über  T  erstreckte  A- fache  Integral  als  obere  Grenze  der  Ausdruck 

(60)  y}7'K"f.  .  ./  {s,  -  s,)-"  I  { I  (5,  -  s,)-"  ;  +  i  (s,  -  s,)- 1 } 

{ 1  («2  -  Sa)""  '  +  I  (^3  -  h)~"  ]■•■   (S/.-1  -  S/.)~"  ^s,ds.,  ■  ■  ■  ds,„ 

l  >  «1  >  5.  >  •  ■  •  >  5,  >  0. 

Wenn  wir  in   dem  /i- fachen  Integral  hier  die  neuen  Veränderlichen 


1)  Vgl.  Kellogg,  Zur  Theorie  der  Integralgleichungen,  §5.  Göttinger  Nachr.  1902. 


Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie.  33 

einführen  und  die  Produkte  uuter  den  Integralzeichen  ausmultiplizieren, 
so  erkennen  wir,  daß  jenes  Integral  sich  aus  2''~-  /«-fachen  Integralen  von 
folgender  Gestalt  zusammensetzt: 

(61)  /•  •  -Jö^'  ag»  •  •  •  ö^i'  dö^  da,-  ■  ■  do^, 

'6^  >  0,  (52  >  0,  .  . .,  6,^  >  On 

Ö,-\-0,^ h   (?A  <   1> 

wo  die  Exponenten  a^,  a»,  .  .  .,  a,^  die  Werte  0,  —  a  oder  — 2cc  haben, 
ihre  Summe  a^-\-  a^-\-  •  •  •  +  «^  jedoch  stets  gleich  —  ha  ausfällt.  Die 
Berechnung  des  Integrals  (61)  liefert  für  dasselbe  als  obere  Grenze  einen 
Ausdruck 

r(l_|- /,_«/,)  <  h/,n-a)> 

wo  Ä,  B  gewisse  von  h  unabhängige  positive  Größen  bedeuten,  und 
hieraus  folgt  für  (60)  eine  obere  Grenze 


(62 


JM^-oc)' 


wo  C  wiederum  eine  von  ]i  unabhängige  positive  Größe  darstellt.  Der 
Ausdruck  (62)  ist  zugleich  eine  obere  Grenze  für  den  über  T  erstreckten 
Teil  des  /i- fachen  Integrales,  das  in  ^^  auftritt.  Da  aber  alle  übrigen 
Jil  —  1  Teile  jenes  /<- fachen  Integrales,  wie  sich  bei  Vertauschung  der 
Integrationsveränderlichen  zeigt,  den  gleichen  Wert  besitzen,  so  folgt, 
daß  das  vollständige  /(-fache  Integral,  das  in  d,^  auftritt,  den  mit  /<! 
multiplizierten  Ausdruck  (62)  zur  oberen  Grenze  hat,  d.  h.  es  ist 

Wegen  cc  <  i-  folgt  hieraus  die  Richtigkeit  des  Hilfssatzes  3  in  betreff 
der  Potenzreihe  ö(l)}) 

Die  nämliche  Beweisführung  gelingt  für  die  Potenzreihe  ^  U,    j  • 

Wir  kehren  nun  zu  dem  Kern  K^(s,  t)  zurück;  erinnern  wir  uns,  wie 
KJ^s,  t)  aus  K{s,  t)  durch  Ausschalten  der  singulären  Stellen  entstand, 
so  erhellt,  daß  K^{s,  t)  als  abhängig  von  der  Streifenbreite  e  zu  betrachten 
ist.  Da  für  ein  bestimmtes  e  KJs,  t)  absolut  genommen  stets  unterhalb 
einer  endlichen  Grenze  bleibt,  so  ist  unsere  frühere  Theorie  für  /^^s,  t) 
unverändert  gültig.  Wir  bezeichnen  die  hier  zu  K^{s,  t)  gehörigen  Potenz- 
reihen in  l  mit  0^(1)  bzw.  z/^  (l,  J.     Da  offenbar  die  Ungleichung  (63) 


1)  Die  Darstellung  dieses  Beweises  in  den  früher  genannten  Dissertationen  von 
Kellogg  und  Andrae  ist  unrichtig. 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  3 


34  Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie. 

und  die  entsprechende  für  jJ,^  i   )    um   so   mehr  für  die  Koeffizienten  der 

Potenzreihen    ö^{).)  bzw    J^  iX,  '  )  gültig  sind,  so  erkennen  wir  durch  das 

nämliche  Schlußverfahren,  wie  wir  es  zum  Beweise  des  Hilfssatzes  1  (Kap.  II) 
angewandt  haben,  die  Richtigkeit  der  folgenden  Tatsache: 

Hilfssatz  4.    Die  Funktionen  d^l)  bzw.  ^,  (A,     )    konvergieren  für 

£  =  0  gegen  d{X)  bzw.  z/  (A,  |,  und  zwar  ist  diese  Konvergenz  eine  gleich- 
mäßige für  alle  Werte  von  l,  deren  absoluter  Betrag  unterhalb  einer 
beliebig  gewählten  positiven  Grenze  A  gelegen  ist. 

Es  ist  nicht  schwer,  nach  diesen  Vorbereitungen  die  Gültigkeit  unseres 
ijrundleorenden  Theorems  S.  19  auf  den  Fall  auszudehnen,  daß  der  Kern 
K{s,t)  Singularitäten  von  niederer  als  der  ^-ten  Ordnung  aufweist. 

Für  den  Kern  K^(s,  t)  ist  unser  Theorem  bereits  als  gültig  erkannt, 
vorausgesetzt,  daß  die  Nullstellen  der  zugehörigen  Funktion  dX^)  sämt- 
lich einfach  sind.  Sollte  diese  Voraussetzung  für  einen  Kern  K^s^  t) 
nicht  zutreffen,  so  denke  man  sich  —  ähnlich  wie  zu  Beginn  des  dritten 
Kapitels  ausgeführt  worden  ist  —  den  betreffenden  Kern  /^(s,  t)  ein  wenig 
modifiziert,  so  daß  jener  Voraussetzung  genügt  wird  und  doch  die  modi- 
fizierten Ausdrücke    für  £  =  0  nach   denselben  Gi-enzeu  K(s,t)  bzw.  diX) 

z/  (A,     )  gleichmäßig  konvergieren. 

Es  sei  jetzt  A  irgendeine  positive  Größe;  aus  Hilfssatz  4  kann  dann 
geschlossen  werden,  daß  diejenigen  Xullstellen  A"''  von  d^X),  deren  ab- 
solute Beträge  auch  für  f  =  0  unterhalb  A  bleiben,  in  der  Grenze  für 
£  =  0  in  die  Xullstellen  ?S''^  von  ö(A),  die  absolut  genommen  unterhalb  yl 
liegen,  übergehen,  und  daß  die  zu  jenen  Nullstellen  A^'''  zugehörigen  Werte 

von  z:/j  \^f\  )  bei  diesem  Grenzübergang  £  =  0  in  die  bezüglichen  Werte 
von  z/  (X'^''\    )  übergehen. 

Wir  bezeichnen  nun  die  zum  Kern  K^s,  t)  gehörigen  Eigenfuuktionen 
mit  tp'f\s),  i^'f''(sj,  ....  Da  wegen  (53)  S.  21  für  jedes  noch  so  große  m 
die  Ungleichung. 


P^'{s)x{s)ds\  +     Ji'f{s)x{s)ds\  +■■■■ 

+  \jM^'f{s)x{s)ds\  £f{x{s)yds 
gilt,  so  ist  auch  gewiß: 


Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie.  35 

(64)  ^    \ß["\s)x{s)ch\  £f{x{^j)-\ls. 

Nunmehr  setzen  wir  in  der  Formel  (44)  unseres  Theorems  an  Stelle  von 
y(s)  die  Funktion  x{s)  ein  und  schreiben  die  entstehende  Formel  dann 
in  der  Gestalt 

(65)  fjX{s,t)x{s)xit)dsdt=^    ^i\fn.l'-\s)x{s)ds 

+  2  ^r.\h\s)x{s)ds\ 

dabei  soll  die  erstere  Summe  rechter  Hand  über  alle  Eigenfunktionen  ip'^''(s) 
erstreckt  werden,  deren  zugehörige  Eigenwerte  X'^"  absolut  genommen 
unterhalb  A  bleiben,  während  die  zweite  Summe  rechter  Hand  ebenso 
wie  die  Summe  linker  Hand  in  (04)  alle  übrigen  Glieder  enthält.  Wegen 
(64)  folgt  aus  (65)  die  Gleichung: 

J jKXs,t)x{s)x(t)dsdt  =    V   ^Aj^T{s)x{s)ds\  ±  ^f{x(s)yds, 

und  durch  Grenzübergang  für  £  =  0  entsteht  hieraus: 

f  fK(s,t)x{s)x{t)dsdt=    ^  j^Afi<('0(^s)x{s)ds\±^f{x(s)fds. 

Wenn  wir  nun  ^  über  jede  Grenze  zunehmen  lassen,  so  ergibt  sich  die 
Formel  (44)  unseres  Theorems  für  den  Kern  ^(5,  t),  im  Falle  x(s)  =  t/{s) 
benommen  wird.     Die  letzte  Einschränkung  läßt  sich  sofort  beseitigen. 

Wir  erkennen  ohne  Schwierigkeit  auch  alle  früheren  Folgerungen 
unseres  Theorems  für  den  Kern  K(s,  t)  als  gültig,  insbesondere  die  Sätze  4 
und  7  über  die  Entwickelbarkeit  willkürlicher  Funktionen  nach  den  Eigen- 
funktionen, die  zu  K(s^  t)  gehören. 

Sollte  der  vorgelegte  Kern  K(s,  t)  singulare  Linien  von  höherer  als 
der  .Vten  und  niederer  als  erster  Ordnung  besitzen,  so  bedürfen  unsere 
Sätze  gewisser  Modifikationen;  man  erkennt  diese  leicht,  wenn  man  die 
zweifach  bzw.  mehrfach  aus  K(s,  t)  zusammengesetzten  Kerne  (vgl.  S.  20) 
biklet:  bedenkt  man,  daß  unter  diesen  Kernen  stets  solche  Kerne  vor- 
handen sein  müssen,  für  die  unsere  oben  dargelegte  Theorie  gültig  ist, 
so  ergeben  sich  die  gewünschten  Folgerungen  für  den  Kern  K(s,  t). 

Wir  haben  bisher  durchweg  —  auch  in  den  Entwicklungen  dieses 
Kapitels   VI    —     die    Voraussetzung     gemacht,     daß    für    den    zugrunde 

3* 


36  Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie. 

gelegten  Kern  K(s,  t)  die  Potenzreihe  d(A)  nur  einfache  NulLstellen  be- 
sitzt. Es  sind  nunmehr  die  Modifikationen  zu  ermitteln,  die  unsere 
Theorie  erfährt,  wenn  wir  diese  beschränkende  Annahme  fallen  lassen. 

Zu  dem  Zwecke  sei  Ä"(.s,  t)  ein  solcher  Kern,  zu  dem  X'^''^  als 
w^-facher  Eigenwert  gehört,  d.  h.  X^''^  sei  genau  eine  w^-fache 
Xullstelle  von  0(1).  Sodann  bietet  es  keine  erhebliche  prinzipielle 
Schwierigkeit,  einen  Kern  7ir^,(.s,  <)  von  folgenden  Eigenschaften  zu  finden: 
/^„(s,  t)  sei  eine  solche  Potenzreihe  von  ju,  deren  Koeffizienten  stetige 
symmetrische  Funktionen  von  s,  t  sind,  die  für  genügend  kleine  Werte 
von  /t  konvergiert  und  für  /i  =  0  in  K{s,t)  übergeht.  Es  sei  d^Xl)  die 
fragliche  zum  Kern  K^^{s,t)  gehörige  Potenzreihe,  so  daß  ÖJX)  für  ,u  =  0 
in  die  zu  K{s,  t)  gehörige  Potenzreihe  ö{X)  übergeht;  ö^^).)  wird,  wie  man 
aus  dem  früheren  Beweise  leicht  erkennt,  eine  Potenzreihe  in  X,  die  für 
alle  X  und  genügend  kleine  ,u  konvergiert;  diese  Konvergenz  ist  außer- 
dem für  alle  absolut  unterbalb  einer  endlichen  Grenze  A  liegenden  X  bei 
genügend  kleinem  u  gewiß  eine  gleichmäßige,  so  daß  d  (/)  auch  als  Potenz- 
reihe  in  X  und  fx  darstellbar  ist.  Endlich  gestatte  —  so  sei  der  Para- 
meter a  gewählt  —  die  Gleichung 

in  der  Umgebung  von  X  =  A^'')  die  folgenden  «^  Auflösungen: 

hierin  sollen  ^(ft),  ^i(/i),  •••  ^«/,_i(.u)  Potenzreihen  in  u  bedeuten,  und 
unter  diesen  seien  keine  zwei  in  ^i  einander  identisch  gleich. 
Die  letztere  Festsetzung  bringt  die  für  die  nachfolgenden  Entwicklungen 
wesentliche  Eigenschaft  der  Funktion  K  {s,t)  zum  Ausdruck,  die  darin 
besteht,  daß  für  alle  genügend  kleinen,  von  Null  verschiedenen  Werte  des 
Parameters  /i  die  Funktion  K^^{s,  t)  einen  Kern  darstellt,  der  lauter  ein- 
fache Eigenwerte  besitzt.  Wir  bilden  nunmehr  für  K^^  {s,  f)  nach  Art 
von  (27)  die  Potenzreihe  ^^^{X]S,t),  die  für  ,u  =  0  in  die  zu  K{s,t)  ge- 
hörige Potenzreihe  ^{X-^s,i)  übergeht.  z/„(A:  s,  i^)  ist  gewiß  für  alle  X 
und  genügend  kleine  ,u  ebenso  wie  ö^^(X)  gleichmäßig  konvergent  und  auch 
als  Poteuzreihe  von  X  und  /t  darstellbar.  Endlich  konstruieren  wir  für 
K^{s,  t)  die  zu 

Ah)         (A  +  l)  (/,  +  „/,_!) 

gehörigen  normierten  Eigenfunktionen 


Kap.  \l.     Ergänzung  der  Theorie.  37 

indem  wir  in  (3„(/l)  und  zJ ^^{l-^  s,  t)  an  Stelle  von  l  der  Reihe  nach  aus 
{<d&)  die  Werte  für  Xf,  X'y'\  .  .  .,  Alf +  "'--'>  als  Potenzreihen  in  .u  ein- 
setzen; wir  erhalten  zunächst 

darin  bedeuten  e,  ßj,  ...  e„^,_i  gewisse  ganze  rationale  Exponenten,  die 
^  0  sind;  ferner  bedeuten  die  Ausdrücke  ^(s,  t)  auf  der  rechten  Seite 
stetige  Funktionen  von  s,  t.  Es  fällt  nicht  schwer,  hieraus  für  die  ge- 
suchten Eigenfunktionen  Formeln  von  folgender  Art  abzuleiten: 

(<57)  

darin  bedeuten  wiederum  f,  f^,.  .  .  .,  /"«/,-!  gewisse  ganze  rationale  Ex- 
ponenten, die  ^  0  sind.  Ferner  bedeuten  die  Ausdrücke  i/;(')(s)  auf  der 
rechten  Seite  stetige  Funktionen  von  s,  und  insbesondere  dürfen  wir  an- 
nehmen, daß  von  den  Funktionen 

(68)  t^''Ks),  t/'^^  +  '^Cs),  •  •  •,  T/^(''  +  "''-^)(s) 

keine  für  alle  s  identisch  gleich  Null  sei.  Da  andererseits  für  alle  ge- 
nügend kleinen  von  Null  verschiedenen  ^i  die  Gleichungen 

6  h 

J{xi^'l:' (jsjf ds^i, ...,   /(^(f + «^ - ^) {s)y ds  =  1 

a  a 

bestehen  müssen,  so  folgt,  daß  die  Exponenten  /",  f^,  .  .  .,  fn^^-i  sämtlich 
Null  sind,  und  die  Formeln  (67)  lehren  dann,  daß  die  Funktionen 

für  n  =  0  stetig  in  die  Funktionen  (68)  übergehen.  Diese  Funktionen  (68) 
heißen  die  zum  rif-fachen  Eigenicert  X^''>  gehörigen  FAgenfunhtionen; 
sie  erfüllen,  wie  man  aus  den  Formeln  für  die  Eigenfunktionen  i'u\s),  ^If*  (s), . . . 
durch  Grenzübergang  zu  u  =  0  sofort  erkennt,  die  folgenden  Gleichungen: 

/(t^W(5))2rf6-=l, 
a 
h 

/l/,(*)(s)l/;(*')(s)c?S  =  0, 
a 

ik^h,hi-l,  ...  h-^n,-l-  /c'  +  A-). 


38  Kap.  VI.     Ergänzung  der  Theorie. 

Wir  wenden  nunmehr  die  Formel  (43)  auf  den  Kern  K^^^j  0  ^ii> 
wobei  ji  einen  genügend  kleinen  von  Null  verschiedenen  Wert  bedeutet. 
Mit  Rücksicht  auf  (39)  erhalten  wir 

11  11 

,\'jKJs,t)x{s)ij{t)dsdt  -  ^  ßl^\s)x{s)ds-ß[,}'(s)tj(s)ds 


0     0 


1 


-:^/ß'i^'(s)x(s)ds-ß',V(s)y(s)ds ^Ji;l':%^)x(s)ds-ft\T'(s)y(s)ds 

'^     0  0  0  0 

^2y4'^i  {M'^y'^'  ^j\y{s)yds^ ; 

wenn  wir  hierin  zur  Grenze  jii  =  0  übergehen  und  alsdann  7n  über  jede 
Grenze  wachsen  lassen,  so  erkennen  wir,  daß  auch  für  den  Kern  K{s,  t) 
die  P"'ormel  (44)  des  grundlegenden  Theorems  unverändert  gültig  bleibt; 
man  hat  nur  nötig,  für  den  Fall  eines  n,^-faclien  Eigenwertes  X^''^  rechter 
Hand  in  (44)  der  Reihe  nach  jede  der  n^^  verschiedenen,  zu  X^'''^  gehörigen 
Eigenfunktionen  zu  berücksichtigen,  so  daß  in  jedem  dieser  »^  Glieder  der 
reziproke   Wert  desselben  Eigemvertes  ?S'''^  als  Faktor  zti  stehen  kommt. 

Eine  einfache  Methode  zur  Berechnung  der  Eigenfuuktionen  (68) 
gewinnen  wir,  indem  wir  von  der  Formel 

h  b  «  f> 

ffK(X;s,t)x{s)y{t)dsdt  =   ^  ^^,,^ß^''\s)x(s)ds-ß''\s)y{s)ds 

"  «  (/( =  1,  2, . . .)  "■  "■ 

ausgehen.     Setzen  wir  hierin 

ein,  multiplizieren  dann  die  Formel  mit  X  —  2^'')  und  gehen  zur  Grenze 
X  =  X^''"!  über,  so  erhalten  wir  schließlich : 

\-^?rr, =  ^^"HsW\t)  +  ^("  +  ^)(.)t^(^  +  i)(0  +  •  •  • 

I       M  ^W       ).  =  ;<")  +t/,("+"/--i)(,),^("  +  «.-i)(0. 

Durch  diese  Gleichung  sind  die  zu  dem  ?/-^- fachen  Eigenwerte  A<'')  gehörigen 
Eigenfunktionen  (68)  eindeutig  bestimmt,  wenn  man  von  einer  unwesent- 
lichen orthooronalen  Kombination  derselben  mit  konstanten  Koeffizienten 
absieht. 

Mittelst  der  eben  bewiesenen  Verallgemeinerung  unseres  grund- 
legenden Theorems  sind  wir  imstande,  auch  die  anderen  im  Falle  mehr- 
facher Eigenwerte  entstehenden  Fragen  ohne  Schwierigkeit  zu  beantworten. 


Kap.  VII.     Gewöhnliche  DifiFerentialgleichungen.  39 


Zweiter  Abschnitt. 

Anwendung  der  Theorie  auf  lineare 
Differentialgleichungen. 

In  dem  ersten  Abschnitt  haben  wir  die  Theorie  der  Integralglei- 
chungen zweiter  Art 

b 

f(s)  =  (jp(s)  —  xJK(s,  t)(p{t)dt 

a 

behandelt  und  sind  dabei  zu  einer  Reihe  allgemeiner  Resultate  über  die 
Entwicklung  willkürlicher  Funktionen  nach  den  zum  Kern  K{s,  {)  ge- 
hörigen Eigenfunktionen  gelangt;  wir  behaupteten  in  der  Einleitung,  daß 
in  diesen  Resultaten  als  spezielle  Fälle  die  Entwicklungen  nach  trigono- 
metrischen, Besselschen,  nach  Kugel-,  Lameschen  und  Sturmschen  Funk- 
tionen, sowie  die  Entwicklungen  nach  denjenigen  Funktionen  mit  mehr 
Veränderlichen  enthalten  sind,  wie  sie  zuerst  H.  Poincare  bei  seinen 
Untersuchungen  über  gewisse  Randwertaufgaben  in  der  Potentialtheorie 
nachwies.  In  dem  folgenden  zweiten  Abschnitt,  soll  diese  Behauptung 
durch  Erörterung  einiger  Anwendungen  der  Theorie  im  Gebiete  der  ge- 
wöhnlichen und  partiellen  DifiFerentialgleichungen  begründet  werden;  dabei 
werden  die  schönen  und  wichtigen  Resultate  E.  Picards^),  soweit  diese 
die  linearen  Diiferentialgleichunoren  betreflFen,  auf  das  engste  berührt. 

Siebentes  Kapitel. 

Gewöhnliclie  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung. 

Es  sei  u  eine  Funktion  der  Veränderlichen  x,  deren  zwei  erste  Ab- 
leitungen innerhalb  des  Intervalles  x  =  a  bis  x  ^  h  sowie  an  den  Grenzen 
dieses  Intervalles  stetig  sind;  ferner  sei  p  irgendeine  innerhalb  jenes 
Intervalles  nebst  der  ersten  Ableitung  stetige  Funktion  von  x,  die  überdies 
innerhalb  des  Intervalles  positiv  ausfällt;  endlich  sei  q  irgendeine  inner- 
halb jenes  Intervalles  stetige  Funktion  von  x:  dann  ist  der  allgemeinste 
homogene  lineare,  sich  selbst  adjuugierte  Differentialausdruck  zweiter 
Ordnung  von  der  Gestalt 

T  /  \  \    dxj    ,  d^u    ,    dp  du    , 


1)  Vgl.  insbesondere  Trait»5  d'analyse  t.  III  chap.  VI. 


40  Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

Bedeutet  v  ebenfalls  eine  Funktion'  von  x  mit  stetiger  erster  und 
zweiter  Ableitung,  so  gilt  die  sogenannte  Greensche  Formel 

(1)  ßvL(,u)-uL(v)]d.^[p[v'^^-u''/Jl 

il 

Der  Kürze  halber  benutzen  wir  folgende  Ausdrucksweise:  Wenn  eine 
Funktion  die  erste  Ableitung  besitzt  und  diese  Ableitung  stetig  ist,  so 
heiße  die  Funktion  (einmal)  stetig  differenzierbar  und,  wenn  auch 
ihre  zweite  Ableitung  existiert  und  stetig  ist,  so  heiße  sie  ztveimal 
stetig  differentiierbar. 

Es  sei  ylx,  |)  eine  Funktion  der  Yariabeln  x  und  des  Parameters  |, 
die  in  bezug  auf  x  zweimal  stetig  differenzierbar  ist  und  für  alle  von  h, 
verschiedenen  Werte  von  x  innerhalb  des  Intervalles  a  bis  h  der  Differential- 
gleichung 

L(u)  =  0 

genügt,  die  ferner  für  x  =  i,  stetig  verläuft,  während  ihre  erste  Ableitung 
für  a?  =  ^  den  Abfall  —  1  aufweist^),  so  daß 


i^L^^4=^+.  .ü(,L^4 


=  - 1 


wird:  eine  solche  Funktion  y^Xfh,)  werde  eine  Grundlösung  der  Diffe- 
rentialgleichung L(ii)  =  0  für  das   Intervall  x  =  a  bis  x  =  b  genannt. 
Sind  u^^x),  «2(^)  zwei  unabhängige  partikuläre  Lösungen  von  L(u)  =  0, 
so  läßt  sich  eine  Grundlösung  offenbar  in  der  Gestalt  darstellen 

So  besitzt  beispielsweise  die  Differentialgleichung 

die  Grundlösung 

y{x,^)  =  --\'x-l', 

ferner  besitzen  die  Differentialgleichungen   . 

d^u       du       ^ 

dx^       dx         ' 


1)  Diese  Unstetigkeit  hat  wohl  E.  Picard  (1.  c),  den  Begriff  der  Greenschen 
Funktion  einer  Veränderlichen  dagegen  H.  Burkhardt  zuerst  eingeführt,  Bull.  soc. 
math.  de  France  Bd.  22  (1894).  Vgl.  ferner  die  Inauguraldissertation  von  Ch.  M. 
Mason,  Randwertaufgaben  bei  gewöhnlichen  Differentialgleichungen,  Göttingen  1903, 
sowie  dessen  Arbeit  ,,Zur  Theorie  der  Randwertaufgaben"  Math.  Ann.  Bd.  58. 


Kap.  VII.     Gewöhnliche  Ditferentialgleichungen.  41 

,  ,  —  t(  =  0 
bzw.  die  Gruudlösungen 

Zu  einer  vorgelegten  Differentialgleichung  gibt  es  offenbar  unendlich 
viele  Grundlösungen;  diese  werden  sämtlich  aus  einer  von  ihnen  erhalten, 
wenn  man  derselben  ein  beliebiges  Integral  der  Differentialgleichung 
hinzufügt,  das  an  jeder  Stelle  innerhalb  des  Intervalles  stetig  differenzier- 
bar ist.  Für  unsere  weiteren  Entwicklungen  sind  diejenigen  Grundlösungen 
von  besonderer  Bedeutung,  die  an  den  Randpunkten  x  =  a  und  x  =  b  des 
IntervaUes  gewisse  homogene  Bedingungen  erfüllen.  Die  besonders  in 
Betracht  kommenden  homogenen  Randbedingungen  sind  folgende: 

I.  m-o,    m-o, 

IV.         fia)-km,    P«^m,.r'f'\^.J    ■ 

Bei  der  Anwendung  dieser  Randbedingungen  I — IV*  ist  stets  die  Annahme 
zu  machen,  daß  die  Funktionen  p(x)  und  q(x)  auch  in  den  Randpunkten 
X  =  a  und  x  =  h  stetig  sind  und  ebenda  die  Funktion  i>(a;)  von  Null  ver- 
schieden ausfällt.  Ist  diese  Voraussetzung  für  einen  Randjmnkt  oder  beide 
Randpunkte  nicht  erfüllt,  so  wähle  man  als  Randbedingung  eine  solche 
Forderung,  durch  welche  an  dem  betreffenden  Randpunkt  ein  Integral  von 
L(h)  =  0  bis  auf  einen  konstanten  Faktor  eindeutig  bestimmt  wird.  Die 
einfachsten  in  unseren  späteren  Beispielen  zur  Anwendung  kommenden 
Randbedingungen  dieser  Art  bestehen  für  den  Randpunkt  x  =  a  in  einer 
der  Forderungen: 

V.  fix)  soll  bei  der  Annäherung  an  den  Randpunkt  x  =  a 
endlich  bleiben. 


42  Kap.  VII.     Gewöhnliche  Diifereatialgleichungen. 

Diese  Randbedingung  ist  zulässig,  falls  die  Differentialgleichung 
L(u)  =  0  an  der  Stelle  a:  =  a  ein  endlich  bleibendes  Integral  besitzt  und 
außerdem  die  Funktion  2^  in  der  Nähe  von  x  =  a  sich  in  der  Gestalt 

p{x)  =  (a;  —  ayE{x) 
* 
darstellen   läßt,   wo   s   einen  Exponenten   ^  1   und  E{x)   eine  für  x  =  a 

endlich  bleibende  Funktion  bedeutet.  In  der  Tat,  bezeichnet  ii^  ein  end- 
lich bleibendes  Integral,  so  stellen  sich  die  von  Uy  unabhängigen  Integrale 
der  Differentialgleichung  L{ii)  =  0  in  der  Form 

/dx 

dar,  und  diese  wachsen  wegen  5^1  gewiß  über  alle  Grenzen;  die  Be- 
dingung der  Endlichkeit  bestimmt  mithin  ein  Integral  von  L{u)  =  0  bis 
auf  einen  konstanten  Faktor  eindeutig. 

V*.  f{x)  soll  in  der  Nähe  des  Randpunktes  x  =  a  sich  in  der 
Form  (x  —  aye(x)  darstellen  lassen,  wo  e(x)  eine  für  x  =  a  end- 
lich bleibende  Funktion  bedeutet. 

Diese  Randbedingung  ist  zulässig,  falls  die  Differentialgleichung 
L(u)  ==  0  an  der  Stelle  x  =  a  Integrale  von  eben  jener  Form  (x  —  a^eix) 
besitzt  und  außerdem  die  Funktion^  in  der  Nähe  von  x  =  a  sich  in  der 
Gestalt 

p{x)  =  (rc  —  ayE(x) 

darstellen  läßt,  wo  s  einen  Exponenten  ^1  —  2r  und  E(x)  eine  für 
X  =  a  endlich  bleibende  Funktion  bedeutet.  Der  Beweis  dafür,  daß  unter 
diesen  Umständen  die  Forderung  V*  ein  Integral  von  L(u)  =  0  bis  auf 
einen  konstanten  Faktor  eindeutig  bestimmt;  wird  leicht  wie  im  vorigen 
spezielleren  Falle  geführt. 

Die  Randbedingungen  I — V  (V*j  sind  stets  so  zu  verstehen,  daß 
f[x)  (bzw.  e{x))  in  dem  betreffenden  Randpunkt  einmal  stetig  differenzier- 
bar ist. 

Die  genannten  Randbedingungen  können  noch  in  verschiedenster 
Weise  miteinander  kombiniert  werden. 

Eine  Grundlösung  g(x,  |)  für  das  Intervall  x  =  a  bis  x  =  h,  die  an 
den  llandpunktcn  zwei  homogene  Randbedingungen  der  genannten  Art 
erfüllt,  heiße  die  zu  diesen  Randbedingungen  gehörige  Greensche 
Funktion  der  Differentialgleichung  L{u)  =  0]  ferner  heiße  der  Quotient 

die  zu  jenen  Randbedingungen  gehörige  Greensche  Funktion  des 
Differentialausdruckes  L(u)]  wir  bezeichnen  die  Greenschen  Funktionen 


Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  43 

je  nach  den  Randbedingungen,  zu  denen  sie  gehören,  auch  als  GreenscJie 
Funlfio7ien  G\  G'\  G^\  (9^^  oder  G^. 

Beispielsweise  lautet  die  Gi-eensche  Funktion  G^  für  den  Differential- 
ausdruck 

d.  h.    die    zu    den  Randbedingungen  I   gehörige   Greensche   Funktion,   für 
das  Intervall  0  bis   1 

=  (l-:r)|,         (a;>|). 

Noch  einfacher  wird  die  Greensche  Funktion  für  jenen  Differential- 
ausdruck, wenn  wir  am  Randpunkt  x  =  0  die  Bedingung  I  und  am  Rand- 
punkt X  =  1   die  Bedingung  II  wählen;  sie  lautet  dann 

G(x,  I)  =  X,        (x  ^  I), 
=  1,         (x>^). 

Ferner  wird  die  Greensche  Funktion  G^  desselben  Differentialausdruckes 

für  das  Intervall  —  1  bis  -f  1  durch  die  Formel 

G{x,l)^-^\x-t  +  xl-\] 
dargestellt. 

Die  Greensche  Funktion  G^^  (Ji  =  —  1 )  für  denselben  Differential- 
ausdruck und  das  Intervall  0  bis  1,  die  also  den  Randbedingungen 

genügt,  lautet 

Die  Greensche  Funktion  des  Differentialausdruckes 
-r  /    ,  d'^ii    ,    du 

für    das    Intervall    x  =  0    bis    x  =  1,    die    am    Randpunkt  x  =  0   der   Be- 
dingung Y  und  am  Randpunkt  x  =  1   der  Bedingung  I  genügt,  lautet: 

G{x,i)==l^,         {x£^), 
=  lx,        (^^^j- 
Ein  weiteres  sehr  interessantes  Beispiel  liefert  der  Differentialausdruck: 
d    I  /^  ox  du]  4a^ 


L(u)  =  ^-    1(1  —  X^)-^]    —  y~"  ^U, 
^   ^        dx   [  '  dx)  1  —  a;"     ' 


WO    u    irgendeine     positive    Konstante    bedeuten    soll;     die     Greensche 
Funktion  G^  für  das  Intervall  x  =  —  1  bis  x  =  -{-  1  ist: 


44  Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

Für     die    unendliche    Gerade    x  =  —  -yj    bis    a  =  -f  oo    besitzt    der 
Differentialausdruck 

die  Greensche  Funktion  (r^" 


Es  kann  vorkommen,  daß  für  einen  Differentialausdruck  L(u)  bei 
gewissen  Randbedingungen  keine  Greensche  Funktion  im  eben  definierten 
Sinne  vorhanden  ist;  in  diesem  P'alle  existiert,  wie  aus  den  späteren  all- 
gemeinen Entwicklungen  im  Kap.  IX  sowie  Kap.  XVIII  folgt,  eine  nicht 
identisch  verschwindende  Lösung  tp^'^Hx)  der  Differentialgleichung  L(u)  =  0, 
die  überall  innerhalb  des  Intervalles  stetig  differenzierbar  ist  und  den 
betreffenden  Randbedingungen  genügt;  dabei  sei  der  noch  willkürliche  kon- 
stante Faktor  so  bestimmt,  daß 


/(i/;W(a;))2^j;=  1 


wird.  Wir  konstruieren  dann  ein  Integral  (j{x,  |)  der  inhomogenen 
Differentialgleichung 

dessen  Ableitung  an  der  Stelle  x  =  ^  den  Abfall  —  1  erfährt,  während 
g(x,  I)  an  allen  anderen  Stellen  innerhalb  des  Intervalles  stetig  differenzier- 
bar ist,  an  den  Randpunkten  die  betreffenden  Randbedingungen  und  über- 
dies die  Gleichung 

b 

Jg{x,lW\x)dx=^0 


erfüllt;  die  Funktion 


genügt  der  Differentialgleichung 

X(m)  =  t/;(»)(^)^W(|). 

Diese  Funktionen  g(x,  |)  bzw.  G(.r,  |)  leisten  die  nämliche;i  Dienste  wie 
sonst  die  Greensche  Funktion  und  werden  daher  in  dem  vorliegenden 
besonderen  Falle  als  Greensche  Funktionen  im  erweiterten  Sinne 
bezeichnet.  Existiert  auch  diese  Funktion  nicht,  so  kann  man  einen  ana- 
logen weiteren  Schritt  tun,  um  zu  einer  geeigneten  Greenschen  Funktion 
zu  ffelangen. 


Kap.  VII.     Ge"wöhnliche  Diiferentialgleichungen,  45 

Als  Beispiel  diene  der  Differentialausdruck 

mit  den  Randbedingungen  IV  (Ji  =  1)  für  das  Intervall  —  1  bis  -f-  1,  so 
daß  die  Bedingungen  lauten: 

In  der  Tat  existiert  hier  eine  von  Null  verschiedene  Lösung  der  homogenen 
Differentialgleichung,  nämlich  t^o(a;)  =  — ,  die  die  Randbedingungen  er- 
füllt, und  die  Greensche  Funktion  im  eben  erklärten  erweiterten  Sinne  wird: 

Ein  anderes  Beispiel  für  das  letztere  Vorkommnis  liefert  der  Differential- 
ausdruck 


^{(l_^.j^l 


7-  /  \             i                   dx\ 
^^''^  = J-x 

für  das  Intervall  —  1   bis  -]-  1    bei   den   Randbedingungen  V.     Auch   hier 

ist  xL'Ax)  =  — =,  und   die  Greensche  Funktion  im  erweiterten  Sinne  lautet 

G{x, rj  =  - -vM(i  - ^)  (1  + 1)}  +  c,  (^ ^ ij, 

wo  c  den  numerischen  Wert  12  —  -|-  bedeutet. 

Setzen  wir  in  der  Greenschen  Formel  (\)  an  Stelle  von  u{x),  v(x) 
bzw.  die  Funktionen  G{x,  |j,  G{x,  ^*)  und  berücksichtigen  die  Unstetigkeit 
der  Ableitungen  dieser  Funktionen  an  der  Stelle  a;  =  |  in  gehöriger  Weise, 
indem  wir  dieselbe  in  ein  kleines  Intervall  einschließen  und  dann  den 
Grenzübergang  zum  verschwindenden  Intervall  ausführen,  so  finden  wir 
leicht  das  Symmetriegesetz  der  Greenschen  Funktion  eines  Diffe- 
rentiahi  usdruckes 

In  allen  oben  berechneten  Beispielen  bestätigt  sich  dieses  Symmetrie- 
gesetz. 


Bezeichnet  q)(x)  eine  gegebene  stetige  Funktion  der  Variabein  x,  und 
verstehen  wir  unter  f  eine   überall  stetig   differenzierbare  Lösung   der  in- 
homogenen Differentialgleichung 
(2)  L(f)  =  -cp{x), 

die  einem  Paar  unserer  Randbedingungen  I — V  genügt,   setzen  wir  dann 
in  der  Greenschen  Formel  (Ij  an  Stelle  von  u  die  Lösung  f  und  an  Stelle 


46  Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

von  V  die  zu  jenen  Randbedingungen  gehörige  Greensehe  P'unktion  des 
Differentialausdruckes  L(u),  so  finden  wir  für  jede  der  fünf  Arten  von 
Randbedingungen 

a 

und  hieraus  ersehen  wir  mit  Rücksicht  auf  das  Symmetriegesetz  der 
Greenschen  Funktion,  daß  die  Lösung  f(x)  sich  folgendermaßen  durch  ein 
bestimmtes  Integral  darstellt: 

(3)  fix)=fG(x,^)cpi^)dl 

a 

Daß  die  so  dargestellte  Funktion  f(x)  wirklich  den  betreffenden  Rand- 
bedingungen genügt,  ist  offenbar,  weil  G{x,t)  denselben  genügt;  die  durcli 
(3)  dargestellte  Funktion /"uj  genügt  aber  auch  der  Differentialgleichung!  2  i, 
wie  durch  Rechnung  leicht  gezeigt  wird.  Wenn  somit  eine  zweimal  stetig 
differenzierbare  und  einem  Paar  unserer  Randbedingungen  I — Y  genügende 
Funktion  f(x)  und  irgendeine  stetige  Funktion  (f(x)  durch  die  Relation  (2) 
miteinander  verknüpft  sind,  so  folgt  für  dieselben  notwendig  auch  die 
Relation  (3),  und  umgekehrt,  wenn  für  zwei  solche  Funktionen  f{x)  und 
q)(x)  die  Relation  (3)  besteht,  so  folgt  für  sie  notwendig  auch  die  Relation  (2). 
Hieraus  entnehmen  wir  sofort,  daß  einerseits  die  Funktion  /'  unter  Hinzu- 
nahme der  betreffenden  Randbedingungen  durch  die  Differentialgleichung  (2), 
wobei  q)  gegeben,  und  andrerseits  die  Funktion  (p(x)  durch  die  Integral- 
gleichung (3j,  wobei  /"  gegeben,  eindeutig  bestimmt  ist. 

Die  Gleichung  (3)  ist  eine  als  Integralgleichung  erster  Art;  G[X,  ^) 
ist  der  Kern  dieser  Integralgleichung  und  wegen  des  Symmetriegesetzes 
eine  symmetrische  Funktion  der  Argumente. 

Wir  fassen  die  Ergebnisse  der  vorstehenden  Entwicklungen,  wie  folgt, 
zusammen: 

Satz  11.  Wemi  die  Greensehe  Funktion  eines  Differentialausdrmlies 
L(u)  für  irgendein  Paar  der  Randbedingunyen  I — V  als  Kern  einer  Integral- 
gleichung erster  Art 

f{x)=jG{x,l)cp{l)dl 

a 

genommen  wird,  wo  f{x)  eine  gegebene  zweimal  stetig  dijfercnzierhare  Funktion 
ist,  die  den  betreffenden  Randbedingungen  genügt,  so  besitzt  diese  Integral- 
gleichung eine  und  nur  eine  Lösung  (fix),  und  man  erhält  ihre  Lösung 
durch  die  Formel 

(p(x)  =^  -  Lifix)); 


Kap.  \U.     Ge-wöhnliche  Differentialgleichungen.  47 

umgekehrt,  ivenn  fp(x)  irgendeine  stetige  Funktion  ist,  und  eine  Lösung  f{x) 
der  Differentialgleichung 

L(f{xj)  +  (p(x)  =  0 
gefunden  werden  soll,  die  einem  ausgeivählten  Paar  von  Bandhedingungen  I — V 
genügt,  so  ist  diese  Lösung  dadurch  eindeutig  hestimmt,  und  man  erhält  sie 
durch  die  Formel 

f(x)^JG{x,l)q>{i)dl. 

a 

Aus  diesem  Satze  entnehmen  wir  leicht,  daß  die  Greensche  Funktion 
G{cc,  Ij  einen  Kern  darstellt,  der  nach  der  im  ersten  Abschnitt  Kap.  IV 
einojeführten  Ausdrucksweise  sowohl  abgeschlossen  wie  auch  all- 
gemein  ist. 

In  der  Tat,  sei  (p(x)  eine  solche  Funktion,  daß 

jG{x,l)<p{l)di 

a 

identisch  für  alle  x  verschwindet,  so  müßte  die  Funktion  f'(x)  =  0  der 
Differentialgleichung  L(f)  =  —  q)  genügen,  und  hieraus  folgt,  daß  cp(x) 
identisch  für  alle  x  verschwindet,  d.  h.  G(x,  |)  ist  ein  abgeschlossener  Kern. 
Andrerseits  sei  g(x)  irgendeine  stetige  Funktion;  wir  wählen  dann 
eine  zweimal  stetig  differenzierbare  und  den  Randbedingungen  genügende 
Funktion  g'^ix)  derart,  daß 

b 

f(g{x)—  g*{x)ydx 

kleiner  als  die  beliebig  kleine  positive  Größe  e  ausfällt:  die  stetige 
Funktion  h{x)  =  —  Lig^ixj)  erfüllt  dann  dasjenige  Erfordernis,  das  unserer 
Definition  zufolge  einen  allgemeinen  Kern  charakterisiert. 


In  den  vorstehenden  Betrachtungen  spielte  die  Integralgleichung 
erster  Art  eine  wesentliche  RoUe:  wir  werden  zu  einer  Integralgleichung 
zweiter  Art  gelangen,  wenn  wir  neben  L(ti)  noch  den  Differentialausdruck 

A(u)  ^  L{u)  -\-  Xu 
betrachten,  wo  l  einen  Parameter  bezeichnet.  Es  sei  wie  bisher  Gix,  ^) 
die  zu  gewissen  Randbedingungen  gehörige  Greensche  Funktion  des  Aus- 
druckes L(u),  und  r(x,  ^)  die  zu  den  nämlichen  Randbedingungen  gehörige 
Greensche  Funktion  des  Ausdruckes  yl(u).  Sodann  wenden  wir  die 
Greensche  Formel  (1)  an;  nehmen  wir 

u(x)  =  G{x,  i),     v(x)  =  rix,  I*), 
so  erhalten  wir 


48  K!ap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

-[p(.){r(.j*)?^^»-G(.,l;^-r&l!))X. 

Wir  erörtern  zunächst  die  Randbedingungen  I — lY;  wenn  wir  dem- 
gemäß die  Annahme  machen,  daß  die  Funktionen  p,  q  in  den  Randpunkten 
sich  regulär  verhalten  und  daß  überdies  ^j  in  den  Randpunkten  von  XuU 
verschieden  ausfällt,  so  verhalten  sich  auch  die  Integrale  der  DiflFerential- 
gleichungen  L(u)  =  0  und  yi(u)  =  0  und  somit  auch  die  Funktionen  G{x,^) 
und  r(x,  ^*)  in  den  Randpunkten  regulär,  und  wir  erkennen  hieraus,  daß 
die   eckige  Klammer   auf  der  rechten  Seite  der  Formel  (4)  verschwindet. 

Nunmehr  erörtern  wir  den  Fall,  daß  für  den  Randpunkt  x  =  a  die 
Bedingung  V  bzw.  V*  gestellt  sei;  demgemäß  nehmen  wir  an,  daß  die 
Difierentialgleichungen  L(u)  =  0  und  yi{i()  =  0  je  ein  partikuläres  Integral 
besitzen,   welches   in  der  Nähe  des  Randpunktes  x  =  a  sich  in  der  Form 

u(x)  =  (x  —  ay'e{x) 

darstellt,  und  daß  p  in  der  Nähe  des  Randpunktes  x  =  a  von  der  Form 
{x  —  aYE(x)  sei,  wo  s  einen  Exponenten  ^1  —  2r  bedeutet.  Es  wird 
dann 

r{x,  ^*)  ^-^^  -  G(x,  ^)  ^i-^  =  (x  -  are^ix) , 

wo  e*  wiederum  für  x  =  a  endlich  bleibt,  und  es  ist  daher  gewiß 
L^PW  [n.,  ?*)  ^-'^)  -  G(x,  i,  ?^^il))]  =  0. 

Nehmen  wir  schließlich,  damit  das  bestimmte  Integral  in  (4)  gewiß  einen 
endlichen  Wert  erhält,  den  Exponenten  r  >  —  .V  an,  so  erhalten  wir  in 
jedem  Falle  aus  (4)  die  Formel 

ni  r)  -  (?(i*  I)  =  xfG(x,  ^)rix,  r) (ix 

a 

oder,  wenn  wir  die  Buchstaben  K,  K  bzw.  an  Stelle  von  G,  F  setzen: 
K(>^,  I)  -  K{x,  l)  =  kjKix,  r)K(|,  r)^l*. 

a 

Dabei  werde  hervorgehoben,  daß  K{x,  |j  und  Kix,  |)  stetige  Funktionen 
ihrer  Argumente  sind,  außer  für  die  Randbedingung  V*;  in  diesem  Falle 
aber  sind  wegen  unserer  Annahme  r  >  —  ^  die  auftretenden  Singularitäten 
von  K(x,^)  und  K(a:,  |)  von  niederer  als  der  Vteu  Ordnung,  und  daher 
erscheinen  jene  Greenschen  Funktionen  als  Kerne  von  Integralgleichungen 
zweiter  Art  unmittelbar  zulässig.    Die  eben  erlangte  Formel  stimmt  genau 


Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  49 

mit  derjenigen  überein,  die  wir  im  ersten  Abschnitt  untersucht  haben. 
Wir  sprechen  somit  den  Satz  aus: 

Satz  12.  Wenn  die  Greensclic  Funktion  des  Diff'crentialausdruckcs  L(u) 
für  irgendein  Paar  der  Uandbcdinfjungen  I — V  als  Kern  der  Integral- 
gleichung ^Heiter  Art 

I, 

(5)  fix)  =  cp{x)-  lfK{x,  I) (p{^)dl 

a 

genommen  icird,  so  erhält  man  die  lösende  Funktion  K{x,  |)  dieser  Integral- 
gleichung,  indem  man  die  zu  den  nämlichen  Bandbedingungen  gehörende 
Greensche  Funktion  des  Differentialansdruckes 

^{ii)  =  L{u)  +  Xu 
bildet. 

Da  nach  Satz  11  die  den  Randbedingungen  genügende  Lösung  der 
Differentialgleichung 

(6)  A(u)  -\-<p(x)  =  0 

unmittelbar  aus  der  Greenschen  f'unktion  des  Differentialausdruckes  yl{u) 
gefunden  wird,  so  erweisen  sich  also  die  Integration  dieser  Differential- 
gleichung (6)  bei  gegebenen  Randbedingungen  und  die  Lösung  der 
Integralgleichung  (5)  zweiter  Art  als  äquivalente  Probleme. 


Indem  wir  die  in  Kapitel  I — VI  entwickelte  Theorie  der  Integral- 
gleichungen heranziehen,  gelangen  wir  zu  einer  Reihe  bemerkenswerter 
Resultate  über  lineare  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  und  er- 
kennen zugleich  die  Bedeutung,  die  den  Eigenwerten  und  Eigenfunktionen 
der  Intesralcrleichuno-  (5)  für  die  lineare  Differentialgleichung  y4(u)  ==  0 
zukommt. 

Da   die   lösende    Funktion  K(x,  |)    sich   in   der   Form    eines   Bruches 

in\  darstellt,  dessen  Nenner  nur  für  die  Eigenwerte  A  =^  k^''^  ver- 
schwindet, so  folgt  unter  der  Voraussetzung,  daß  der  Differentialausdruck 
L{ii)  eine  Greensche  Funktion  für  die  betreffenden  Randbedingungen  be- 
sitzt, daß  es  auch  stets  eine  solche  für  den  Differentialausdruck  A{u)  gibt, 
es  sei  denn  X  ein  Eigenwert  A^"'^  der  Integralgleichung  (5);  in  dem  letzteren 
Falle  bezeichne  ijj^"'\x)  eine  normierte  zum  Eigenwert  A^'")  gehörige  Eigen- 
funktion des  Kerns  K(x,  |);  dann  ist 

b 

'      ^^i'")(x)  =  l'^"-^fKix,  |)^("*)(|) d^, 

a 

und  wegen 

K{x,  l)  =  G{x,  I) 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  4 


50  Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

folgt  aus  Satz  11,  daß  i^("'^(a;J  ein  überall  innerhalb  des  Intervalles  stetig 
difFerenzierbares  Integral  der  homogenen  Differentialgleichung 

(7)  L(u)  +  A("')n  =  0 

ist,  welches  die  betreffenden  Randbedingungen  erfüllt.  Umgekehrt,  wenn 
die  homogene  Differentialgleichung  yi(u)  =  0  für  den  Wert  A  =  A^'")  ein 
Integral  besitzt,  das  die  betreffenden  Randbedingungen  erfüllt,  so  ist  X'-'"^ 
ein  Eigenwert,  und  das  Integral  ist  eine  zugehörige  Eigeufunktion  für 
den  Kern  K{x,  h,);  der  Differentialausdruck  ^i(»)  aber  besitzt  für  diesen 
Wert  A  =  A("'^  keine  Greensche  Funktion  im  ursprünglichen  engeren  Sinne. 

Wir  bezeichnen  den  Wert  A^"'^  auch  kurz  als  einen  Eigentvert  der 
Biffcrentialgleicliung  A[ii)  =  0  und  jene  Lösungen  T/;('")(.r)  auch  als 
Eigcnfunkiion  dieser  Differentialgleichang  für  die  hetreffenden 
Randbedingungen. 

Da  die  Differentialgleichung  (7)  überhaupt  nur  zwei  voneinander 
unabhängige  Lösungen  besitzt,  so  ist  A^'")  höchstens  ein  zweifacher 
Eigenwert.  Ist  A^"')  ein  zweifacher  Eigenwert,  so  müßten  sämtliche  Integrale 
der  Differentialgleichung  (7)  die  betreffenden  Randbedingungeu  erfüllen, 
und  da  dies  offenbar  nur  im  Falle  der  Randbedingung  IV  statthaben 
kann,  so  ist  in  allen  anderen  Fällen  jeder  Eigenwert  gewiß  nur  ein  ein- 
facher. 

Da  der  Kern  K(x,  ^)  ein  abgeschlossener  ist,  so  gibt  es  jedenfalls 
unendlich  viele  Eigenwerte  der  Differentialgleichung  ^(«)  =  0.  (Vgl. 
Kapitel  IV.)  Wegen  desselben  Umstandes  entnehmen  Avir  aus  den  Sätzen  5 
und  6  in  Kapitel  IV  die  Tatsachen: 

Satz  13.  Wenn  'h{x)  eine  stetige  Funktion  von  x  bezeichnet,  so  daß 
für    alle   EigenfunMionen    ^('"^(a:)    der   Differentialgleichung    A(ti)  =  0    die 

Gleichung 

I, 

Jh{x)i^^"'\x)dx  =  0 

a 

erfüllt  ist,  so  ist  h(x)  identisch  Nidl. 

Satz  14.     Wenn  die  in  Fourierscher   Weise  gebildete  Beihe 

c,il;^'\x)  +  c,t^%x) -{-■■■, 

h 

c^=ffix)t^"^\x)dx 

a 

gleichmäßig  konvergiert,  so  stellt  sie  die  Funktion  f(x)  dar. 

Nach  S.  47  ist  K(x,  |)  auch  ein  allgemeiner  Kern.  Da  ferner 
wegen  Satz  11  jede  zweimal  stetig  differenzierbare  und  den  Randbedingungen 
genügende  P^unktion  f{x)  die  Darstellung 


Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  51 

a 

gestattet,  sobald  raari 

<p(x)  =  -  L(f\x)) 

wählt,   so   folgt   aus  Satz  7    der   ersten  Mitteilung   das   folgende   wichtige 
Resultat: 

Satz  15.  Jede  ziveimdl  stetig  differcnzierhare  und  den  betreffenden 
HandhedingHngen  f/enügende  FunMion  f{x)  ist  auf  die  Fouriersche  Weise 
in  eine  BeiJie  entwicTiclhar,  die  nach  den  Eigen fnnktionen  i<^"'Hx)  der  Differential- 
gleichung A{ii)  =  0  fortschreitet;  diese  Beihe  konvergiert  absolut  und  gleichmäßig. 

Die  Sätze  13,  14,  15  schließen  den  wesentlichen  Teil  der  in  neuerer 
Zeit  insbesondere  von  W.  Stekloff^)  und  A.  Kneser^)  gefundenen  Re- 
sultate über  die  Entwickelbarkeit  willkürlicher  Funktionen  in  Sturm- 
Liouvillesche  Reihen  ein. 

Ist  statt  des  Ditferentialausdruckes  A(u)  ein  Differentialausdruck  von 
der  allgemeineren  Gestalt 

L(u)  +  Iku  ^  -\f^  +  {l  +  U-)  u 

vorgelegt,    wo  h    irgendeine    innerhalb    des    Intervalles   positive   Funktion 
von  X  bedeutet,  so  setze  man 

V 

M  =  — = 

und   multipliziere    dann    den   erhaltenen   Ausdruck  mit  —_•.   dann    entsteht 

ein  Ausdruck  von  der  früheren  Gestalt,  nämlich 

^*(ü)  =  L*-{v)  +  Iv, 


wo 


^       p 


ist. 


"■* "  Vi <a  V  - ä.-\  + 1  =  ^:  ^  (iTi) 


1)  Vgl.  z.  B.  Annales  de  la  faculte  des  sciences  de  Toulouse  (2)  III  (1901). 

2)  Math.  Ann.  Bd.  58  (.l'JOS). 

4* 


52  Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

Als  erstes  Beispiel  dienen  die  Differentialausdrücke 

die  zur  Randbedingung  I  gehörige  Greenscbe  Funktion  für  den  Differential- 
ausdruck L{u)  im  Intervall  a;  =  0  bis  j;  =  1  ist  bereits  oben  (S.  43)  auf- 
gestellt worden;  wir  nehmen  sie  als  Kern: 

Die  zur  Randbedingung  I  gehörige  Greenscbe  Funktion  J(u)  in  demselben 
Intervall  lautet 

^  sin  [VH^       ij}_pyU)  (,  ^  5) 

yx  sm  yl 

=  ^'AVb'^^  -  ^)}-sin(|/Ü)  , a;  >  n 

Nach  Satz  12  ist  sie  zugleich  die  lösende  Funktion  für  den  Kern  K(Xj  |) 
und  werde  als  solche  mit  K{x,  |)  bezeichnet.  Um  die  Eigenwerte  und 
Eigenfunktionen  der  Differentialgleichung  y/(w)  =  0  zu  berechnen,  setzen  wir 

T-!/       j-\  !•  /        -\  J(X:  X,  ä) 

r(x,  I)  =  K{x,  5)  =  — ^~^. 

Hier  bestimmen  sich  z/  als  Funktion  von  2,  x,  |  und  d  als  Funktion  von  k 
allein  eindeutig  durch  die  Forderungen 

/^(A;  X,  x)  dx  =  '^  und  d(0)  =  1, 

0 

und  zwar  ergibt  sich 


sin  { "j/X  (1  —  a;)  )  •  sin  (j/i  |) 


(^^1), 


^  ^         yx 

Hieraus  folgen  die  Eigenwerte 

2(1)  =  I^t;^     A(2)  =  2'^ii\     A(3)  =  S^-r^     .  .  . 
und  vermöge 

A("')z/(/l('»);  a:,  I)  =  +  g)("')(a;)^("')(|) 

die  bzw.  zu  jenen  Eigenwerten  gehörigen  Eigenfunktionen 
sin  nx ,     sin  2'jtx,     sin  Sjtä;,     .  .  .. 

Unser  Satz  15  über  die  Entwicklung  nach  Eigenfunktionen  der  Differential- 
gleichung A{u)  =  0  läuft  auf  die  Aussage  hinaus,  daß  jede  zweimal  stetig 


Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  53 

differenzierbare  Funktion  von  x,   die    für  x  =  0  und  x  =  1    verschwindet, 
sich   in  eine  absolut  und  gleichmäßig  konvergente  Reihe  entwickeln  läßt, 
die  nach  den  Sinus  der  ganzen  Vielfachen  von  jtx  fortschreitet. 
Als  weiteres  Beispiel  wählen  wir  die  Diiferentialgleichung 

d^u   ,    du   ,    .  r^ 

x  -,- .  -\-  -, — \-  Ixu  =  0 
dx-        dx 

und  fragen  nach  ihren  Eigenwerten  und  Eigenlimktionen  für  das  Intervall 
X  =  0  bis  .r  =  1,  wenn  an  dem  Randpunkte  x  =  0  die  Bedingung  V 
und  an  dem  Randpuukte  x  =  1  die  Bedingung  I  erfüllt  sein  soll. 
Nach    einer    früheren    Bemerkung    (S.    51)    haben    wir    die    Substitution 

II  =     _  anzuwenden;  wir  gewinnen  so  die  Differentialausdrücke 


yx 


^(^)  =  ^^  +  iV^  ^'      ^*C^')  ^  ^*(^)  +  ^^- 


dx-        ix^ 

Die  Greensche  Funktion  des  Differentialausdruckes  L*{v),  die  in  a;  =  0 
der  Randbedingung  V*  i'"  =  y)  nnd  in  x=l  der  Randbedingung  I  ge- 
nügt, lautet: 

K(x,  i)  =  v^m,   (x  ^  I), 

und  die  zu  den  nämlichen  Randbedingungen  gehörige  Greensche  Funktion 
des  Differentialausdruckes  yi(v)  ist,  wenn  in  der  üblichen  Weise 

J(x)  und  K(x)  =  J{x)l{x)  +  F{x) 

die  Besselschen  Funktionen  erster  und  zweiter  Art  bezeichnen: 

_  -,/:;:?  /(IT/I) }  j{Vl)K{xyl)  -  j{xyi)K{yi) ]      . 

Diese  Funktion  K(x,  |)  ist  mithin  nach  Satz  12  die  lösende  Funktion  des 
Kerns  K,  und  wir  finden  hieraus 

mithin  sind  die  NuUstellen  ?S"'^  von  j{yT)  die  gesuchten  Eigenwerte  und, 
wenn  mau  diese  für  A  in  den  Zähler  des  Ausdruckes  für  K{x,  ^)  einführt, 
so  ergeben  sich  die  zugehörigen  Eigenfunktionen 

Unser  Satz  über  die  Entwicklung  nach  Eigenfunktionen  des  Differential- 
ausdruckes u4(h)  läuft,  wenn  wir  nachträglich  die  zu  entwickelnde  Funktion 
durch  yx  dividieren  und  den  Faktor  "/.r  ebenfalls  in  allen  Eigenfunktionen 


54  Kap.  YII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

fortlassen,  auf  die  Aussage  hinaus,  daß  im  Intervalle  0  bis  1  jede  zweimal 
stetig  differenzierbare  Funktion  von  x,  die  für  x  =  1  verschwindet,  sich 
in  eine  absolut  und  gleichmäßig  konvergente  Reihe  entwickeln  läßt,  die 
nach  den  Besselschen  Funktionen  j{xyx^"'^)  foi-tschreitet.^) 

Weitere  interessante  Beispiele  für  unsere  Theorie  erhalten  wir,  wenn 
wir  die  Differentialgleichungen  der  Zylinder-  und  Kugelfunktionen  höherer 
Art  heranziehen;  so  führt  die  früher  (S.  44)  aufgestellte  Greensche 
Funktion: 

zu  der  neuen  Definition  der  Kugelfunktion  P«"' 

-1 
und  zu  der  Tatsache  der  Entwickelbarkeit  einer  jeden  zweimal  stetig  differen- 
zierbaren Funktion   in  eine   Reihe,     die   nach  den   Kugelfunktionen   P«"* 
fortschreitet. 

Tritt  der  oben  (S.'  44)  behandelte  besondere  Fall  ein,  daß  zum 
Ditferentialausdruck  L  bei  den  betreffenden  Randbedingungen  eine  Green- 
sche Funktion  im  engeren  Sinne  nicht  existiert,  so  gelten  unsere  Ent- 
wicklungen für  die  Greensche  Funktion  in  dem  dort  erklärten  erweiterten 
Sinne.  Bezeichnet  nämlich  wie  oben  t/;(*^)(a;)  die  alsdann  vorhandene,  den 
Randbedingungen  genügende,  überall  stetig  differenzierbare  Lösung  der 
Gleichung  L{u)  =  0,  so  ergibt  sich  durch  Anwendung  der  Greenschen 
Formel  (1)  an  Stelle  des  Satzes  11  leicht  die  folgende  Tatsache: 

Satz  16.  Wenn  f  eine  zweimal  stetig  differensierbare,  den  Band- 
hediwjungen  und  der  Bedingung 

b 

Jf{x)^^''\x)dx  =  Q 

a 

genügende  Funldion  bedeutet,  so  ist  die  Integralgleichung  erster  Art 

h 

f{x)^jG{x,^)cp{l)dX 

a 

lösbar  und  ihre  Lösung  gewinnt  man  durch  die  Formel 

q>{a^  =  -L(m). 

1)  Neuerdings  hat  A.  Kneser  die  Entwickelbarkeit  einer  willkürlichen  Funktion 
nach  Besselschen  Funktionen  nach  einer  Methode  bewiesen,  die  derjenigen  analog 
ist,  die  er  in  der  oben  genannten  Abhandlung  auf  die  Sturm -Liouvillescheu 
Reihen  angewandt  hat.     Archiv  der  Math,  und  l'hys.  1903. 


Kap.  VIT.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  55 

Diesem  Satze  IG  entsprechend  müssen  wir  auch  in  den  Voraus- 
setzungen des  Satzes  15  über  die  Entwickelbarkeit  nach  Eigenfunktionen 
der  Differentialgleichung  //(«)  =  0  für  die  zu  entwickelnde  Funktion  f{x) 
die  Bedincpung  . 

a 

hinzufügen;  lassen  wir  jedoch  im  vorliegenden  Falle  1  =  0  als  Eigenwert 
und  die  Funktion  ^^^Hx)  als  zugehörige  Eigenfunktion  gelten,  so  bleibt 
unser  früherer  Satz  15  auch  bei  unverändertem  Wortlaut  sültiff. 

Als  einfachstes  Beispiel  für  das  zuletzt  behandelte  Vorkommnis  dienen 
die  Differentialausdrücke 

Wenn  wir  die  Randbedingungen  IV  (h  =  1)  für  das  Intervall  —  1  bis  -f  1 
wählen,  nämlich 

/■(+i)  =  A-i),    /•'(+!) =r(-i), 

dauu  wird  tp^^^x)  =  1,  und  der  Ausdruck  der  Greenschen  Funktion  im 
weiteren  Sinne  ist  bereits  oben  (S.  45)  angegeben  worden.  Wir  erhalten 
dieselben  Eigenwerte  wie  im  ersten  Beispiel  (S.  52);  jedoch  ist  jeder 
dieser  Eigenwerte  zweifach:  allgemein  gehören  zu  X^'"'^  =  m'^Tc-  die 
zwei  Eigenfunktionen  sin  miix,  cos  rnnx.  Zu  diesen  kommt,  den  letzten 
Ausführungen  entsprechend,  /  =  0  als  einfacher  Eigenwert  der  Differential- 
gleichung yl{ii)  =  0  mit  der  zugehörigen  Eigenfunktion  il)^^\x)  =  —^  hinzu. 

y2 

Als  zweites  Beispiel  für  das  in  Rede  stehende  besondere  Vorkommnis 
mögen  die  Differentialausdrücke 

mit  den  Randbedingungen  V  für  das  Intervall  —  1  bis  +  1  dienen.  Wir 
haben  bereits  oben  (S.  45)  für  L{u)  die  Greensche  Funktion  G{x,  |)  im 
erweiterten  Sinne  aufgestellt.  Da  die  Legendreschen  Polynome  P^"'^ 
{m  =  0,  1,  2,  3,  .  .  .)  die  Differentialgleichungen 

erfüllen  und  an  den  Randpunkten  endlich  bleiben,  so  sind  sie  die  zu  den 

Eigenwerten  ,,  ,  ,  ^. 

o  X("')  =  m  (m  +  1) 

gehörigen  Eigenfunktionen;  die  so  entstehende  neue  Definition  für  die 
Kugelfunktion  P('"): 

PW(^)  =  A(™)/G^(a:,  |)P('")(|)  d^,     (m  =  0,  1,  2, .  . .) 
-1 
oder  einfacher: 


56  Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen. 

+  1 
pH(a;)  =  X^^^jG^-{x,  |)P("')(|) dl,     {m  =  1,  2,  .  .  .) 
-1 
wo 

G*{x,l)  =  -U{{\-x){\Jrl)],     {x£i), 

ist,  kann  als  Grundlage  für  die  Theorie  der  Kugelfunktionen  dienen. 
Unser  soeben  verallgemeinerter  Satz  15  liefert  die  Entwicklung  einer 
beliebigen  zweimal  stetig  differeiitiierbaren  und  an  den  Randpunkten  +  1, 
—  1  endlich  bleibenden  Funktion  nach  Legendreschen  Polynomen. 


Wir  haben  im  Vorstehenden  den  engen  Zusammenhang  zwischen  der 
Theorie  des  DifFerentialausdruckes 

A{ii)  =  L{u)  -j-  )At 

und  der  Theorie  der  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  dem  Kern  K{.i',  i) 
kennen  gelernt.  Dieser  enge  Zusammenhang  zeigte  sich  am  klarsten 
in  der  Übereinstimmung  der  Eigenfunktionen  der  Differentialgleichung 
A{u)  =  0  mit  denjenigen  jener  Integralgleichung. 

Nun  erscheint  bekanntlich  die  Differentialgleichung  A{u)  =  0,  wenn 
man  nach  den  Regeln  der  Variationsrechnung  das  folgende  (Dirichletsche) 
Variationsproblem  löst:  man  soll  eine  den  Randbedingungen  I  genügende 
Funktion  u  von  x  derart  bestimmen,  daß  das  Integral 

(8)  i)(«)=/{;,(^j:y-,»=jrfx 

a 

ZU  einem  Minimum  wird,  während  die  Nebenbedingung 

(9)  Ju^dx  =  1 

a 

erfüDt  ist.  Andererseits  haben  wir  in  Kapitel  V  allgemein  erkannt,  wie 
durch  meine  Theorie  der  Integralgleichungen  zweiter  Art  das  folgende 
(Gaußsche)  Variationsproblem  gelöst  wird:  es  ist  ein  definiter  Kern  ge- 
geben; man  soU  diejenige  Funktion  (x}(x)  finden,  für  welche  das  Integral 

/)    h 

(10)  J(a)  -JjK{x,  I) a {x) a (|)  dxdi, 

a  a 

seinen  größten  Wert  besitzt,  während  die  Nebenbedingung 

b 

(11)  /(o(a;))2f7a;=  1 

n 

erfüllt  ist. 


Kap.  VII.     Gewöhnliche  Differentialgleichungen.  57 

Wir  wollen  den  engen  Zusammenhang  zwischen  diesen  beiden  Variations- 
problemen kurz  darlegen.  Zu  dem  Zwecke  bestimmen  wir  zunächst  eine 
Konstante  c  derart,  daß  für  alle  Punkte  x,  y  innerhalb  J 

c-q>0 

ausfällt.  Denken  wir  uns  dann  in  (8)  an  Stelle  von  —  q  die  Funktion 
c  —  q  eingesetzt,  so  unterscheidet  sich  das  Variatiousproblem,  das  so 
modifizierte  Integral  bei  der  Nebenbedingung  (9)  zum  Minimum  zu  machen, 
in  nichts  von  dem  ursprünglichen  Variationsproblem;  d.  h.  wir  dürfen  in 
unserem  ersten  Variationsproblem  von  vornherein  —  q^O  annehmen,  ohne 
die  Allgemeinheit  zu  beeinträchtigen. 

Nunmehr  setzen  wir  zwischen  irgend  zwei  Funktionen  n  und  co,  mit 
denen  wir  die  Integrale  (8)  bzw.  (10)  bilden,  die  Beziehung 

(12)  L{u{x))  =  -  a{x) 
fest.     Bedenken  wir,  daß 

G(x,  I)  =  K{x,  I) 

die  Greensche  Funktion  des  Differentialausdruckes  L(it)  ist,  so  folgt  nach 

Satz  11  aus  (12) 

/> 

(13)  u(x)=^jK(x,i)o3{^)d^, 

a 

und  hieraus  entnehmen  wir  wegen  (10),  (12)  und  (13),  da 

b 

I)(u)  =  —  JuL{u)dx 

a 

ist,  die  Gleichung 

B{u)  =  J{a). 

Wegen  —  2'  ^  0  ist  D{u)  nur  positiver  Werte  fähig;  mithin  ist  K{x,  |) 
ein  definiter  Kern  und  seine  Eigenwerte  X^'^\  l^^\  X^^\  .  .  .  sind  sämtlich 
positiv  (vgl.  Abschnitt  1,  Kap.  V).     Setzen  wir  nun 

6 

C;,  =  Cc3{x)tp^''\x)dx, 

a 

wo  ^(^^(ic),  tl)^^\x\  il}^^\x),  .  .  .  die  normierten  Eigenfunktionen  des  Kerns 
K(x,  I)  bezeichnen,  und  entwickeln  wir  u(x)  in  eine  nach  diesen  Eigen- 
funktionen fortschreitende  Reihe,  so  erhalten  wir  unter  Berücksichtigung 
der  Gleichung 


die  Reihe 


a 


58  Kap.  VIII.     Partielle  Differentialgleichungen. 

und  folglich 

*  c*  c- 

f(u{x))-dx  =  ^-^Y*  +  (T(^)p  +  •  ■  ■• 

a 

Andererseits  ist  wegen  (10) 

<^(ö)  =  inr  +  ;t(')  +•••• 
Nunmehr  wird  die  Reihe  rechter  Hand,  wenn  wir  die  Nebenbedingung  (9) 

1_    J 2_     I     .  .   .   _   1 

stellen,  ihren  Minimalwert  für 

Cl  =  /^^'^,     C2  =  0,     6'3  =  0,      ... 
und,  wenn  wir  die  Nebenbedingung  (11) 

^       r         2      r  1 

CJ    +   q    +    •    ■    •    =    1 

stellen,  ihren  Maximalwert  für 

Cy=   \,        C^  =  0,       Cg   =  0,        ... 

erhalten,   wobei  X^^^   den  kleinsten  Eigenwert  bedeutet.     Demnach  werden 

u{x)  =  •^(^)(.'r)  und  co{x)  =  i/;(^^(a;) 
die  gesuchten  Lösungen  der  beiden  Variationsprobleme. 

Wir  sehen  also,  daß  vermöge  der  Transformation  (12)  oder  (13)  das 
Integral  (8)  in  das  Integral  (10)  übergeht,  dagegen  nicht  zugleich  die 
Nebenbedingung  (9)  in  die  Nebenbedingung  (11).  Wollen  wir  letztere 
Nebenbedingung  erhalten,  so  müssen  wir  vielmehr  in  dem  ersten  Variations- 
problem an  Stelle  von  (9)  die  Nebenbedingung 

/, 
f(Liu)ydx=  1, 

a 

wählen,  wobei  it  an  den  Randpunkten  x  =  a  und  x  =  h  verschwinden  soll; 
in  der  Tat  überzeugt  mau  sich  leicht,  daß  die  daraus  nach  den  Regeln 
der  Variationsrechnung  entspringende  Differentialgleichung  wiederum  keine 
andere  als  jd(co)  =  0  wird,  wo  co  =  —  L(u)  ist.  Das  letztgenannte  Variations- 
problem erscheint  in  diesem  Sinne  mit  dem  erstgenannten  Variations- 
probleme äquivalent. 

Achtes  Kapitel. 

Sich  selbst  adjungierte  partielle  Differentialgleichungen 
zweiter  Ordnung  von  elliptischem  Typus. 

Die  in  Kapitel  VII  entwickelte  Theorie  der  gewöhnlichen  Differential- 
gleichungen  zweiter  Ordnung   läßt   sich   vollkommen   auf  die   sich   selbst 


Kap.  VIII.     Partielle  Differentialgleichungen.  59 

adjungierten  partiellen  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  von  eUip- 
tisehem  Typus  übertragen,  da  ja,  wie  wir  in  der  Einleitung  zu  Kapitel  I 
bemerkt  haben,  unsere  Methoden  und  Resultate  über  die  Integralgleichungen 
auch  gültig  sind,  wenn  in  denselben  an  Stelle  der  einfachen  Integrale 
mehrfache  Integrale  stehen  und  dementsprechend  der  Kern  K  eine 
symmetrische  Funktion  zweier  Reihen  von  Variabein  bedeutet. 

In  der  a:?/-Ebene  sei  eine  geschlossene  Kurve  C  durch  die  Gleichungen 
X  =  a{s),    y  =  h  (s) 

gegeben,  wo  a(s),  h(s)  stetige  Funktionen  der  Bogenlänge  s  sind,  deren 
Ableitungen  —  von  einer  endlichen  Anzahl  von  Werten  s  abgesehen  — 
ebenfalls  stetig  ausfallen.  Das  von  dieser  Kurve  C  umschlossene  endliche 
Gebiet  der  xy-^hene  werde  mit  J  bezeichnet,  die  Kurve  C  heiße  die 
Randkurve  des  Gebietes  J.  Der  allgemeinste  homogene  lineare,  sich  selbst 
adjungierte,  partielle  Differentialausdruck  zweiter  Ordnung  von  elliptischem 
Typus  kann  stets  auf  die  Form 

^^-"^^  +  "17-'  +  ^" 
.      ,    dp  du    .    dp  du    , 
^^^''  +  dxdx-^d^d^^^'' 

gebracht  werden.  Wir  machen  über  die  in  L(u)  auftretenden  Funktionen 
folgende  Annahmen.  Es  sei  u  eine  Funktion  der  Veränderlichen  x,  y, 
deren  zwei  erste  Ableitungen  innerhalb  des  Gebietes  ./,  sowie  an  der 
Randkurve  C  stetig  sind;  ferner  sei  p  irgendeine  innerhalb  jenes  Gebietes 
einmal  nach  x  und  y  stetig  differenzierbare  Funktion  von  x^  y,  die  über- 
dies innerhalb  «7  positiv  ausfällt;  endlich  sei  q  irgendeine  innerhalb  J 
stetige  Funktion  von  x,  y. 

Bedeutet    v    wie    u    eine    zweimal    stetig    differenzierbare    Funktion 
von  x,  y,  so  gilt  die  sogenannte  Greensche  Formel 

(14)  f{vL(u)  -  uL{v)}dJ=^fp[u^^-  V  ^]ds; 

iJ)  (C) 

darin   ist  das  Integral  links  über  das  Gebiet  J,   das  Integral  rechts  über 

die  Randkurve  C  zu  erstrecken,  und  t^— ,  ^r-  bedeuten  die  Ableitungen  nach 

der  ins  Innere  gerichteten  Noi-male  der  Randkurve  C;  dJ  bedeutet  das 
Flächenelement  von  J,  und  ds  das  Längenelement  von  C. 


Es  seien  /j,  y^  solche  Funktionen  der  Variabein  x,  y  und  der  Para- 
meter ^,  rj,  die  innerhalb  J  und  auf  der  Randkurve  C  in  beziig  auf  x,  y 
zweimal   stetig   differenzierbar  und   von   der  Art  sind,   daß   der  Ausdi'uck 


QQ  Kap.  Till.     Partielle  Differentialgleichungen. 

yixy,  |ry)  =  -  yj(y{x  -iy-+  (r/^^;?)  +  n 

in   bezug   auf  das  Variabelnpaar  x,  y  —  wenn  nicht  gerade  x  =  ^,  y  =  i] 
wird  —  der  Differentialgleichung 

L{ii)  =  0 
genügt;  außerdem  sei  identisch  für  alle  |,  iq 

Ein   solcher  Ausdruck  y{xy,i,ri)  werde   eine    Grundlösung  der  Diffe- 
rentialyleichung  L(u)  =  0  für  das  Gebiet  J"  genannt.^) 

So  besitzt  zJ(ii)  =  0  die  Grundlösung  —  /(p),  und  für  die  Differential- 
gleichung zJ(u)-\-u  =  0  ist  —  K{q)  eine  Grundlösung,  wenn  K  die  be- 
reits oben  (S.  53)  benutzte  Besselsche  Funktion  zweiter  Art  bedeutet. 

Setzen  wir  in  der  Greenschen  Formel  (14)  für  u  irgendeine  Lösung 
der  inhomogenen  Differentialgleichung 

L{u{xy))  =  —  2n(p{xy) 

und    an  Stelle   von    v   eine  Grundlösung  y(xy,  ^tj)   ein,   wobei  |,  r^    einen 
festen  Punkt  innerhalb  J  darstellt,  so  ergibt  sich  die  Formel 


(15)      u{iri)  =  ->~-  fyi^y,  kri)(p(xy) dJ 

(CO  2' =  ''(•') 

Zu  einer  vorgelegten  Differentialgleichung  L(u)  =  0  werden  offenbar 
aus  einer  Grundlösuug  unendlich  viele  erhalten,  wenn  man  ein  beliebiges 
Integral  von  L{u)  =  0  hinzufügt,  das  an  jeder  Stelle  innerhalb  J  stetig 
ist.  Für  unsere  weiteren  Entwicklungen  sind  diejenigen  Grundlösungen 
von  besonderer  Bedeutung,  die  an  der  Randkurve  C  gewisse  homogene 
Randbedingungen  erfüllen,  und  zwar  kommen  dabei  insbesondere  diejenigen 
Randbedingungen  in  Betracht,  die  den  Randbedingungen  I — V*  (S.  41) 
in  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Differentialgleichungen  entsprechen.  Wir 
heben  hier  nur  folgende  fünf  Arten  von  Randbedingungen  für  eine  Funk- 
tion f{xy)  hervor: 

I.  f{xy)  =  0       für  alle  Punkte  x,  y  der  Randkurve  C. 

n   -^  =  0 


1)  Dieser  Begriff  der  Grundlösung  ist  zuerst  von  A.  Sonamerfeld  eingeführt 
worden,  vgl.  Mathematische  Enzyklopädie  Bd.  II,  S.  515.  Hinsichtlich  ihrer  Existenz 
vgl.  E.  Holmgren,  Math.  Ann.  Bd.  58  S.  404. 


Kap.  VIII.     Partielle  Differentialgleichungen.  61 

lU.  j^  +  hf  =  0  für  aUe  Punkte  x,  y  der  Randkurve  C. 

dabei  bedeutet  der  Parameter  s  die  Bogenlänge  der  Randkurve  C  von 
einem  festen  Punkte  s  =  0  an  bis  zu  einem  beliebigen  Punkte  derselben 
gerechnet,  während  l  die  Gesamtlänge  der  Randkurve  C  bezeichnet. 

V.  Ist  die  Randkurve  C  singulare  Linie  der  Difif'erentialgleichung 
L{u)  =  0  von  gewisser  Art  (NuUinie  von  p),  so  ist  als  Randbedingung 
die  Forderung  zulässig:  es  soll  f{xy)  bei  der  Annäherung  an  die 
Randkurve  endlich  bleiben. 

V*.  Wird  die  bisherige  Betrachtungsweise  in  der  Weise  verall- 
gemeinert, daß  an  Stelle  der  a;?/-Ebene  eine  beliebige  geschlossene 
singnlaritätenfreie  Fläche  tritt  (vgl.  diesen  Abschnitt  S.  64),  so  kann  die 
Randbedingung  für  f{xy)  durch  die  Forderung  ersetzt  werden,  daß  die 
Funktion  fixy^  sich  überall  auf  der  Fläche  regulär  verhalten  soll. 

Diese  Randbedingungen  können  noch  in  verschiedenster  Weise  mit- 
einander  kombiniert  werden  derart,  daß  auf  einem  Teile  der  Randkurve  C 
die  eine,   auf  einem  anderen  Teile  eine  andere  Randbedingung  erfüllt  ist. 

Eine  Grundlösung  g(xy,i,i])  für  das  Gebiet  J,  die  als  Funktion  von 
X,  y  an  der  Randkurve  C  eine  homogene  Randbedingung  der  genannten 
Arten  erfüllt,  heißt  die  zu  dieser  Eandhedingung  gehörige  Green- 
scJte  Funktion  der  Differentialgleichung  L(ii)  =  0;  ferner  heiße 
der  Quotient 

die  zu  jener  Bandbedingung  gehörige  Greensche  Funktion  des 
Bifferentialausdruckes  L(u). 

Wenn  für  einen  Differentialausdruck  L(u)  keine  Greensche  Funktion 
im  eben  definierten  Sinne  existiert,  so  verfahren  wir  genau  analog,  wie 
in  dem  entsprechenden  Falle  in  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Differential- 
gleichungen (S.  44):  ist  dann  nämlich  ip^^^xy)  eine  von  Null  verschiedene 
überall  stetige  Lösung  der  Differentialgleichung  L{iC)  =  0,  die  die  be- 
treffende Randbedinguno;,  sowie  die  Relation 

J{ti,m{xy)ydJ=  1 

erfüllt,  so  konstruieren  wir  eine  Lösung  g(xy,  ^r])  der  inhomogenen 
Differentialgleichung 

L(u)  =  27cpar^)ip'^'){xy)i^^'K^v), 

die  an  der  Stelle  a;  =  |,  y  =  r]  in  derselben  Weise  wie  eine  Grundlösung 


62  Kap.  Vni.     Partielle  DifFerentialgleichung^n. 

loo-arithmiscli  unendlich  wird,  auf  C  die  betreffende  Randbedinorunor  und 
überdies  die  Gleichung 

erfüllt.     Die  Funktion 

genügt  der  Differentialgleichung 

i(M)  =  2:r^W(a:.v)^W(|i?). 

Die  Funktionen  g{xy,  ^tj),  G{xy,  ^tj)  werden  als  Greensche  Funktionen 
im  erweiterten  Sinne  bezeichnet.  Man  sieht  leicht  ein,  wie  die  Definition 
der  Greenschen  Funktion  weiter  zu  verallgemeinern  ist,  wenn  auch  im 
eben   definierten  Sinne   eine  Greensche  Funktion   nicht  existiert.*) 

Wie    oben    (S.   45)    gewinnen    wir    leicht    das    Symmetriegesetz    der 
Greenschen  Funktion  eines  Differentialausdruckes 

und   sodann   unter  Heranziehung  der  Formel  (15)   die  folgende  Tatsache: 
Satz  17.     Wenn  die  Greensche  Funliion   eines  Differentialausdruckes 
L{u)    für    eine  gewisse   Randbedingung   als   Kern   eitler   Integralgleichung 
erster  Art 

fixy)  =  fG{xtj,  t,ri)ip{i ri)  dJ 
(•>) 

genonmien  wird,  wo  f(xy)  eine  gegebene  ziveimal  sielig  differenzierbare,  jener 
Randbedingung  genügende  Funldion  ist,  so  besitzt  diese  Integralgleichung 
eine  und  nur  eine  Lösimg  <p{xy),  und  man  erhält  diese  Lösung  durch 
die  Formel 

(p{xy)  =  -  ^^  L(f{xy)y, 

umgeJcehrt,  ivenn  (p(xy)  irgendeine  stetig  differenzierbare  Funktion  ist  und 
eine  Lösung  der  Differentialgleichung 

Lifixy))  -\-2n(p  (xy)  =  0 

gefunden  werden  soll,  die  der  getvählten  Randbedingung  genügt,  so  ist  diese 
Lösung  dadurch   eindeutig  bestimmt,  und  man  erhält  sie  durch  die  Formel 

f{xy)  =  fG{xy,  iri)  (p{^rj)  dJ. 
{J) 
Aus   diesem  Satze   entnehmen  wir  leicht  wie   oben   (S.  47),   daß  die 
Greensche    Funktion   G(xy,  ^1])    einen    Kern   darstellt,    der    nach    der    im 


1)  Über   den   Existenzbeweis    der    erweiterten    Greenschen   Funktion    vergleiche 
Kap.  IX,  und  Kap  XVIII. 


Kap.  VIII.     Partielle  Differentialgleichungen.  (33 

ersten    Abschnitt    eingeführten    Ausdrucksweise    sowohl    abgeschlossen 
als  auch  allseniein  ist. 


Nunmehr  gehen  wir  zur  Behandlung  des  Differentialausdruckes 
J{i()  =  L{u)  +  27cXu 
über  und  erhalten  genau  wie  oben  (S.  46—51)  durch  die  analogen  Schlüsse 
der  Reihe  nach  folgende  Sätze: 

Satz  18.     Wenn  die  Greensche  FunMion  eines  Differentialausdruckes 
L{u)    für    eine    geivisse    Bandbedingung    als    Kern    der    Integralgleichung 
zn-eiter  Art 
(16)  f{xy)  =  cp{xy)-  l  fK{xy,  ^  i?)  qo  (5  r[)  dJ 

0) 
genommen  wird,  so  erhält  man  die  lösende  Funldion  K{xy,  l^rf)  dieser  Integral- 
gleichung,   indem    man    die   zu    der    nämlichen    Eandhedingung   gehörende 
Greensche  Fwiktion  des  Dijferentialausdruclies 

A{u)  -ZI:  L{ii)  +  2%ku 
bildet. 

Wir  bezeichnen  die  Eigenwerte  X^'"^  und  Eigenfunktionen  ■4j'''"\xy) 
der  Integi-algleichung  zweiter  Art  (16)  auch  als  die  Eigeniverte  bzw. 
Eigen funJctionen  der  Differentialgleichung  J{u)  =  0  für  die  be- 
treffende Bandbedingung}) 

Satz  19.  Wenn  h(xy)  eine  stetige  Funliion  von  x,  y  bezeichnet,  so 
daß   für  alle  Eigenfunliionen  xl;^'^\xy)   der  Differentialgleichung  A{u)  =  0 

die  Gleichung  „ 

Jh(xij)7lJ^"'\xy)dJ=0 

erfüllt  ist,  so  ist  h(xy)  identisch  0. 

Satz  20.     Wenn  die  in  Fourierscher   Weise  gebildete  Beilie 

c^xi^^'-\xy)  +  c^i^^^\xy)  -\-  ■  ■  ■ , 

c,,==Jf{xy)i>^-^\xy)dJ 
iJ) 
gleichmäßig  Iconvergiert,  so  stellt  sie  die  Funldion  f(xy)  dar. 

1)  Die  Eigenfunktionen  der  Differentialgleichung  ^ a  -\-lu^  0  hat  H.  Poincare 
untersucht  und  als  „fonctions  harmoniques"  bezeichnet.  Seit  dem  Erscheinen  seiner 
grundlegenden  Abhandlung  „Sur  les  equations  de  la  physique  mathematique, 
Rendiconti  del  Circolo  matematico  di  Palermo  (1894)  haben  sich  zahlreiche  Forscher 
mit  dem  Beweise  für  die  Existenz  jener  fonctions  harmoniques  und  mit  dem  Problem 
der  Entwickelbarkeit  willkürlicher  Funktionen  nach  denselben  erfolgreich  beschäftigt: 
u  a.  Le  Roy  (Annales  de  TEcole  normale  superieure  1898),  W.  Stekloff  (Annales 
de  la  faculte  de  Toulouse  1900),  S  Zaremba  (Annales  de  l'Ecole  normale  superieure 
1899,  Journ.  de  Math.  1900),  A.  Korn  (Abhandlungen  zur  Potentialtheorie  i.  Berlin  1902). 
Wie  es  scheint,  umschließen  die  im  folgenden  gewonnenen  allgemeinen  Sätze  die 
wesentlichen  Resultate  der  genannten  Forscher. 


64  Kap.  YIIT.     Partielle  Differentialgleichungen. 

Satz  21.  Jede  ziveimal  stetig  differenzierbare  und  den  betreffenden 
Mandbedingungen  genügende  FunJction  ({xxj)  ist  auf  die  Fouriersche  Weise 
in  eine  Beihe  entuicl'elbar,  die  nach  den  Eigenfunkt iouen  ip^'^\xy)  der 
Differentialgleichung  A(u)  =  0  fortschreitet;  diese  Reihe  konvergiert  absolut 
und  gleichmäßig. 

Ist  statt  des  Differentialausdruckes  A{u)  ein  Differentialausdruck  von 
der  allgemeineren  Gestalt 

./     du\        „/     du\ 

L{u)  +  Xku  =  '-^^-^  +  ^1^  +  (g  +  AÄ;)m 

vorgelegt,   wo  k  irgendeine  innerhalb    des    Gebietes  J  positive    Funktion 
von  X,  y  bedeutet,  so  setze  man 

V 

u  =  -— 

und   multipliziere   dann   den   erhalteneu   Ausdruck   mit     -  ;   dann  entsteht 
ein  Ausdruck  von  der  früheren  Gestalt,  nämlich 

J*(v)  =  L*(v)  -\-  Iv, 
wo 

I  A 


i 


(.)  = 

d 

dx) 

X          "^ 

dy 

2)*  = 

p 

k' 

q*  = 

^h^ 

(i^) 

ist. 

Die  Betrachtungen  dieses  Kapitels  VIII  lassen  sich  leicht  auf  den 
Fall  übertragen,  daß  das  Integrationsgebiet  J  auf  einer  beliebigen  Fläche 
im  Räume  gelegen  ist:  an  Stelle  des  bisherigen  Differentialuusdruckes  für 
das  ebene  Gebiet  J  inii  dann  eine  gewisse  Verallgemeinerung  des  Beltra- 
mischen  Differentialparameters,  nämlich  der  Differentialausdruck 

rr  \       1         \di     ^dx~'dy\,     dl      ^dy~'d^']\, 

darin  bedeuten  x,  y  die  krummlinigen  Koordinaten  der  Fläche  und  e,  f  g 
in  bekannter  Weise   die  Koeffizienten   des  Quadrates   des  Linienelementes 

ds^  =  edx^  +  2fdxdy  -f-  gdy^ 
der  Fläche;  p   bedeutet   eine    innerhalb  J  positive  stetig   differentiierbare 
Funktion  und  q  irgendeine   stetige  Funktion  auf  der  Fläche.    Die  Green- 
sche   Formel   (14)    gilt    für   irgendein   Gebiet  J  auf  der   Fläche  mit   der 
Randkurve  C  unverändert  in  der  bisherigen  Gestalt.^) 

1)  Vgl.  G.  Darboux,  Theorie  generale  des  surfaces  liv.  VII  chap.  I. 


I 


Kap.  YIII,    Partielle  Differentialgleichungen.  65 

Ist  insbesondere  die  Fläche  geschlossen  und  singularitätenfrei,  so 
kann  die  Randbedingung  für  eine  Funktion  f{xy)  durch  die  Forderung 
ersetzt  werden,  daß  die  Funktion  f{xy)  sich  überall  auf  d6r  Fläche  regulär 
verhalten  soll  (Randbedingung  V*  S.  42).  Auch  in  diesem  Falle  lehrt 
unsere  Theorie  die  Existenz  der  Eigenfunktioneu  und  die  Entwickelbarkeit 
einer  willkürlichen  Funktion  auf  der  Fläche  nach  jenen  Eigenfunktioneu 
der  Fläche.^) 

Als  Beispiel  diene  die  Kugel  K  mit  dem  Radius  1.  Wählen  wir  für 
X,  y  die  Polarkoordinaten  %-,  cp,  so  erhält  wegen 

f=0, 
g  =  sin^-O" 

unser  DiflFerentialausdruck  für  jo  =  ir-?  <7  =  0  die  Gestalt: 

■^  2  TT  ^    ^ 

^W  =  2^  Un-^  ä^  («^^  ^aW  +  sin^  m' 
Die    Greensche  Funktion  gißcp,  -9^*9?*)   im   erweiterten   Sinne   hat   wegen 
w,(o)  =  ^     (Jer  Gleichung 

L(g)  =  ^ 

■^"^  4  TT 

ZU  genügen.    Bedeutet  q  die  kleinste  sphärische  Entfernung  der  Punkte  d-,  cp 
und  d-*,  (p*  auf  der  Kugel,  so  ergibt  sich 


5r(^^,^*9*)  =  -?(2sin  5); 


dieselbe  erfüllt  in  der  Tat-  das  Symmetriegesetz.^) 

Die  Eigenwerte  zum  Kern  G  =  2ng  d.  h.  die  Eigenwerte  der  Diffe- 
rentialgleichung 

A{u)  =  L{ii)  -\-  Xu  =  0 
sind 

,«  =  «(?L±;),    („  =  0, 1, 2, . . .) 

und  zwar  wird  allgemein  A^"^  ein  2n  4-  1  facher  Eigenwert,  indem  zu  A^"' 
als  Eigen funktionen  die  2n -\-  l  Kugelflächenfunktionen  P(")  vom  titen 
Grade  gehören;  die  letzteren  erfüllen  mithin  die  Differentialgleichung 

L{u)  +  yl(")«.  =  0 

1)  Vgl.  Kap.  XVm. 

2)  Diese  Greensche  Funktion  für  die  Kugelfläche  haben  bereits  E.  Zermelo, 
Hydrodynamische  Untersuchungen  über  die  Wirbelbewegungen  in  einer  Kugelfläche, 
Zeitschrift  für  Math,  und  Phys.  Bd.  47  (1902)  und  J.  Hadamard,  Propagation  des 
ondes,  Paris  190.3,  berechnet.  Bezüglich  der  Existenz  eines  Potentials  auf  einer  ge- 
schlossenen Fläche  vgl.   E.  Picard  C.  K.  (Paris,  1900  und  1903.) 

Math.  Monogr.  ä:  Hubert,  lin.  Integralgloichungon.  5 


66  Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion. 

und  die  Integralgleichung 

;(n)  Jp  («)(>*  ^*)  G(>g^,  ^*<p*)  dK  =  PW(^9)) 


oder 


!«    n 


-  m(w  +  1)  /  /P("^(^*95*)  /  (2  sin-|-)  sin  ^^(prf^  =  P^''\^(p). 
0    0^ 

Unser  Satz  21  lehrt,  daß  jede  zweimal  stetig  diiferenzierbare  Funktion 
auf  der  Kugel  nach  den  Kugelflächeufunktionen  eutwiekelbar  ist. 

Schließlich  sei  noch  erwähnt,  daß  die  Bedeutung  der  Eigenfunktionen 
als  Lösungen  gewisser  Variationsprobleme,  sowie  alle  hiermit  in  Zu- 
sammenhang stehenden  Tatsachen,  wie  sie  für  den  Fall  gewöhnlicher 
Differentialgleichungen  am  Schluß  des  Kapitels  VII  angedeutet  sind,  ent- 
sprechend auch  für  den  gegenwärtigen  Fall  der  partiellen  Differential- 
gleichungen zutreffen. 

Neuntes  Kapitel. 

Existenz  der  Greenschen  Funktion. 

Auftreten  eines  Parameters  in  der  Randbedingung 

bei  partiellen    Differentialgleichungen. 

Auch  die  Untersuchungen  dieses  Kapitels  betreffen  die  Integration 
partieller  Differentialgleichungen  mit  zwei  unabhängigen  Yariabeln  x,  //; 
doch  soll  nicht  wie  in  Kapitel  VIII  die  Differentialgleichung  den  Para- 
meter X  enthalten,  sondern  wir  nehmen  vielmehr  an,  daß  der  Parameter  A 
in  der  Randbedingung  auftritt.  Es  wird  sich  zeigen,  daß  auf  gewisse 
dann  entstehende  Fragen  ebenfalls  die  im  ersten  Abschnitt  entwickelte 
Theorie  der  Integralgleichungen   erfolgreiche  Anwendung  findet. 

Wenn  die  zu  einer  Randbedingung  gehörige  Greensche  Funktion  G 
bekannt  ist,  so  wird  stets  eine  gewisse  zuorehörisre  Randwertaufgabe  lösbar. 
Setzen  wir  beispielsweise  in  der  Formel  (15)  (S.  60) 

wo  G^{xy,  |r/)  die  zur  Randbedingung  I  gehörige  Greensche  Funktion 
des  Differentialausdruckes  L{u)  bezeichnet,  und  wählen  dann  für  u  irgend- 
eine Lösung  der  Differentialgleichung  L{ii)  =  0,  so  entsteht  die  Gleichung 

diese  Formel  löst  die  Aufgabe,  das  stetige  Integral  u  jeuer  Differential- 
gleichung L{u)  =  0  im  Innern  des  Gebietes  J  zu  finden,  wenn  seine  Werte 
auf  der  Randkurve  G  gegeben  sind. 


Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion.  67 

In  entsprechender  Weise  bezeichnen  wir  mit  G^^(xy,  ^tj)  die  zur 
Randbedingung  II  gehörige  Greensche  Funktion  des  Differentialausdruckes 
Z/(m)  und  setzen  in  Formel  (15)  (S.  60j 

wählen  wir  dann  für  u  wiederum  eine  Lösung  der  Differentialgleichung 
Z(?t)  =  0,  so  wird 

(17)         «,lv)  —  lf[p^^y)  '-'^f^G^'i^y, iv)l.^,äs; 

(C)  y  =  6(,) 

diese  Formel  löst  die  Aufgabe,  das  Integral  u  jener  Differentialgleichung 
L(ti)  =  0  im  Innern  des  Gebietes  J  zu  finden,  wenn  die  Werte  »seiner 
normalen  Ableitung  auf  der  Randkurve  C  cregeben  sind. 

Umgekehrt  sieht  man  sofort  wie  in  der  Potentialtheorie  ein,  daß, 
wenn  die  letztgenannten  Randwertaufgaben  als  lösbar  erkannt  sind,  daraus 
mit  Hilfe  einer  Grundlösung  stets  die  Existenz  der  Greenschen  Funk- 
tionen G^  bzw.   G^^  folgt. 

Ehe  wir  nun  der  Frage  nach  der  Existenz  der  Greenschen  Funktionen 
näher  treten,  schicken  wir  einige  Betrachtungen  voraus,  die  sich  auf 
den  Zusammenhang  zwischen  gewissen  Kernen  von  Integral- 
gleichungen  beziehen.  Wie  in  Kapitel  III  werde,  wenn  K{s,t)  irgend- 
ein Kern  ist,  die  Funktion 

6 

KK{s,  t)  =JK{s,  r)  K{t,  r)  dr 

a 

als  der  aus  K(s,  t)  ziveifach  zusammengesetzte  Kern  bezeichnet. 
Eine  Reihe  von  Eigenschaften  lassen  sich  von  dem  Kern  K{s,  t)  aussagen, 
wenn  die  entsprechenden  Eigenschaften  von  KK(s,  t)  bekannt  sind;  hier 
mögen  nur  folgende  Sätze  erwähnt  werden: 

Satz  20.  Wenn  der  aus  K(s,t)  zweifach  zusammengesetzte  Kern 
ahgescJdossen  oder  allgemein  ist,  so  ist  stets  auch  der  Kern  K(s,  t)  ab- 
geschlossen hzzv.  allgemein. 

Satz  21.  Wenn  K(s,  t)  ein  abgeschlossener  Kern  ist  und  die  Integral- 
gleichung erster  Art  mit  dem  Kern  KK(s,  t)  lösbar  ist,  so  ist  es  aucA 
die  Integralgleichung  erster  Art  mit  dem  Kern  Kis,  i). 

In  der  Tat,  aus 

1) 

f{s)^fK{s,  t)(p(t)dt 

a 

folgt  durch  Multiplikation  mit  K{r,  s)  und  Integration  nach  s  die  Gleichung 

b  h 

fK{r,  s)  f{s)  ds  =fKK{r,  t)  cp  {t)  dt. 

a  a 

6* 


ß8  Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion. 

Wenn  f{s)  eine  gegebene  Funktion  ist,  so  wird  die  linke  Seite  dieser 
Gleichung  ebenfalls  eine  bestimmte  Funktion,  und  aus  dieser  folgt  die 
Funktion  (p(t)  durch  Lösung  der  Integralgleichung  erster  Art  mit  dem 
Kern  KK(s,  t). 

Satz  22.  Wenn  KK{s,  f)  ein  allgemeiner  Kern  ist,  so  läßt  er  sich 
stets  in  eine  Reihe  cntiviclceln: 

KK(S,  t)  = ^^Yi) 1 xiif 1 > 

wobei  l^^\  )S^\  .  .  .  imd  H>^^\s),  ip^^\s),  .  .  .  die  zn  KK{s,  t)  gehörigen  Eigen- 
fmiktionen  hziv.  Eigenwerte  bedeuten. 

Zum  Beweise  wende  man  Satz  7  des  ersten  Abschnittes  auf  den 
Kern  K{s,  t)  an  und  setze  in  der  so  entstehenden  Entwicklung  an  Stelle 
der  Funktion  g(t)  den  Kern  K{t,  r)  ein. 

Da  in  den  Entwicklungen  des  Kapitels  II  imd  in  Kap.  VI  die  Sym- 
metrie des  Kernes  K{s,  t)  nirgends  vorausgesetzt  wurde,  so  existiert  für 
eine  Integralgleichung  zweiter  Art,  auch  wenn  ihr  Kern  K{s,  t)  un- 
symmetrisch ist,  eine  lösende  Funktion,  d.  h.  eine  Funktion  K(s,  /)  von 
der  Art,  daß 

b 

K{s,  t)  =  K (s,  t)  -  ljK{s,  r)  K (r,  t)  dr 

a 

wird,  aUemal  dann,  wenn  K{s,  t)  nur  Singularitäten  von  niederer  als  der 
•|-ten  Ordnung  besitzt.  Ebenso  folgt,  daß  eine  Integralgleichung  zweiter 
Art,  deren  Kern  K{xy,  ^ri)  eine  Funktion  zweier  Variabeinpaare  ist,  ge- 
wiß eine  lösende  Funktion  besitzt,  wenn  der  Kern  K{xy,  ^iq)  nur  Singulari- 
täten von  niederer  als  erster  Ordnung  besitzt. 

Wenn  der  Kern  K{s,  t)  bzw.  K{xy,  ^ri)  einer  Integralgleichung  nicht 
symmetrisch  ist,  so  verstehen  wir  unter  dem  aus  K(^s,  i)  bzw.  K{xy,  t,ri) 
zweifach  zusammengesetzten  Kern  die  Funktionen 

h 

KK{s,  t)  =JK{s,  r)  K{r,  t)  dr 

a 

bzw. 

KK{xy,  U)  =jK(xy,  l\))K{ii),  bi)dJ. 
iJ) 
Auch   die  BegrifiFe  Eigenivert  und  Eigenfunktion  sind  unmittelbar  auf 
den  unsymmetrischen  Kern   übertragbar.     Es   kann  nun  vorkommen,   daß 
der  zweifach   zusammengesetzte  Kern  KK{s,  t)  bzw.  KKixy,  |»j)   an   den 
SteUen 

5  =  ^    bzw.    a;  =  ^,    y  =  rj 

nur  von  niederer  als  der  ^teu.  bzw.  der  ersten  Ordnung  singulär  ist, 
während   dies  für  den   ursprünglichen  Kern  Kis,  t)   bzw.  K(xy,  1?^)   nicht 


Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion.  69 

zutrifft.-')  In  diesem  Falle  können  wir  von  folgenden  Sätzen  Gebrauch 
machen,  die  von  dem  Zusammenhange  zwischen  den  Integral- 
gleichungen zweiter  Art  mit  dem  ursprünglichen  und  dem 
zweifach  zusammengesetzten  Kern  handeln: 

Satz  23.  Wenn  A  =  1  ein  Eigenivert  der  lntegral(jleicliung  zweiter 
Art  mit  dem  Kern  KK{s,  t)  ist,  so  gibt  es  unter  den  zu  diesem  Eigen- 
ucrt  gehörigen  Eigenfmiktionen  geiviß  eine  solche  EigenfunMion  q){s),  die 
entweder  die  Integralgleichung 

h 

(p(s)  =  +JK{s,  t)  (p(t)  dt 

a 

oder  die  Integralgleichung 

b 

cp{s)  =  -fK(s,t)(p{t)dt 

a 

befriedigt. 

Zum  Beweise  setzen  wir 

b 

(18)  jp(s)^fK{s,t)cp{t)dt; 

a 

dann  wird 

6  h 

fK(r,  s)  tis)  ds  ^fKK{r,  t)(p{t) dt 

a  a 

oder,  da  (p(s)  als  Eigenfunktion  von  KK{s,t)  der  Gleichung 

h 

(19)  tp{s)  ==jKK{s,  t)  (fit)  dt 

a 

o;enüo;t: 

b 

(20)  cf{r)=jK{r,s)tp{^ds. 

a 

Tragen  wir  diesen  Wert  von  ^(r)  in  die  rechte  Seite  von  (18)  ein,  so 
entsteht 

b 

iP{s)=^fKK{s,t)i^(t)dt, 

a 

d.  h.  die  Funktion  i^(s)  erfüUt  die  nämliche  Integralgleichung  wie  cp{s). 
AVir  nehmen  der  Kürze  wegen  an,  es  gäbe  nicht  zwei  voneinander  linear 
unabhängige  Lösungen  cp{s)  der  Gleichung  (19);  alsdann  folgt  notwendig 

^{s)  =  c(p{s), 

1)  Diese  Tatsache  ist  bereits  von  I.  Fred  ho  Im  bemerkt  und  in  ähnlicher  Weise 
wie  hier  zur  Auflösung  von  Integralgleichungen  benutzt  worden,  wenn  der  Kern  für 
s  =  t  bzw.  «^1,  y  =  r\  sich  singulär  verhält,  vgl.  Acta  math.  Bd.  27  S.  384. 


70  Kap.  IX.     Existenz  der  Gieenschen  Funktion. 

wo  c  eine  Konstante  bedeutet.  Die  Berücksichtigung  dieser  Beziehung  in 
(18)  und  (20)  führt  zu  der  Gleichung  c-  =  1,  womit  die  in  Satz  23  auf- 
gestellte Behauptung  bewiesen  ist.  Ebenso  leicht  gestaltet  sich  der  Nach- 
weis ohne  jene  Annahme. 

Satz  24.      Wenn   die    Integralgleichung   zweiter   Art  mit   dem    Kern 
KK{s,  t)  für  den  Parameterwert  1  =  1,  d.  h.  die  Integral gleichimg 

I, 

(21)  F{s)  =  (p{s)  -fKK{s,  t)  <p(t) dt 

a 

lösbar  ist  und  ?.  =  1  nicht  gerade  einen  Eigenwert  des  Kerns  KK{s,  t) 
hedeutet,  so  ist  auch  die  Integralgleicliung  zweiter  Art  mit  dem  Kern  K{s,  i), 
nämlich  die  Integralgleichung 

(22)  fis)  =  <p(s)-jK{s,t)cp{t)dt 

a 

lösbar. 

Zum  Beweise  setzen  wir,  wenn  /"(s)  eine  gegebene  Funktion  bedeutet, 

6 

F(s)  =  f(s)+ffif)K{s,t)dt 

a 

und  bezeichnen  mit  q)(s)  die  Lösung  der  mit  diesem  F(s)  gebildeten 
Integralgleichung  (21).     Bilden  wir  dann  die  Funktion 

h 

(23)  t{s)  =jK{s,  t)cp{t)  dt  +  f{s) 

a 

und  setzen  dieselbe  in  (21)  an  Stelle  von  ^{s)  ein,  so  ist  die  entstehende 
Gleichung  genau  dieselbe  wie  die,  die  man  aus  (21)  durch  Multiplikation 
mit  K{r,  s)  und  Integration  nach  5  erhält.  Daraus  folgt,  daß  auch  i\>{s) 
eine  Lösung  von  (21)  sein  muß.  Da  aber  A  =  1  kein  Eigenwert  des 
Kerns  KK{s,  t)  sein  sollte,  so  besitzt  diese  Integralgleichung  nur  eine 
Lösung;  daher  muß  (p{s)  mit  t/^(s)  übereinstimmen,  d.  h.  wegen  (23):  (p{s) 
ist  zugleich  die  gesuchte  Lösung  der  Integralgleichung  [22). 


Nach  diesen  Vorbereitungen  stellen  wir  uns  nunmehr  die  Aufgabe, 
für  ein  beliebiges  Gebiet  J  mit  der  Randkurve  C  die  Greensche 
Funktion  erster  Art,  d.h.  diejenige  Greensche  Funktion  G^{xy,  |tj), 
die  zu  der  Randbedingung  I  gehört,  für  einen  beliebigen  Diffe- 
rentialausdruck L{ii)  zu  konstruieren. 

Zu  dem  Zwecke  betrachten  wir  zunächst  den  Differentialausdruck 

^  -'       dx^        dy         ox  dx        dy  cy  ' 


Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion.  71 

wo  P  eine  beliebige  innerhall)  J  und  auf  der  Randkurve  C  stetig  diffe- 
renzierbare  Funktion  sein  möge.  Wir  nehmen  nun  an,  es  sei  die  zur 
Randbedingung  I  gehörige  Greensche  Funktion  für  den  DiflFerentialausdruck 

x-y  +  ]g-^  bekannt,  und  bezeichnen  dieselbe  mit  r{xy,  h,ri).     Ist  dann  u 

eine  innerhalb  J  zweimal  stetig  differenzierbare  und  auf  C  verschwindende 

Funktion,  und  setzen  wir 

(24)  D(iO  =  f{xy), 

so  entnehmen  wir  aus  der  Formel  (15)  die  Gleichung 

und  unter  Anwendung  der  Regel  für  die  Integration  eines  Produktes: 


,    ^jg(r(.,,^,)||)      a(r(.,,|,)||) 

'y^"^)-        2nJ     I  dx  ^  dy    ' 


u{xy)dJ 


(J) 

d.  h.  die  der  Randbedingung  I  genügende  innerhalb  J  stetige  Lösung  u(x,  y) 
der  Differentialgleichung  (24)  genügt  der  Integralgleichung 

(25)  F(|r?)  =  u(^rj)  -  J K{xy,  It?)  u{xy)  dJ, 

wo  zur  Abkürzung 

{J) 

K(xy,  In)--^  I äi- + ry 1 

gesetzt  ist. 

Wir  betrachten  nun  den  aus  K{xy,  i,ri)  zweifach  zusammengesetzten 
Kern  KK{xy,  |^).  Da  der  Kern  K{xy,  1?;)  für  x  =  t,,  y  =  i]  von  der 
ersten  Ordnung  unendlich  wird,  so  folgt  leicht,  daß  der  Kern  KK(xy,  i,rj) 
für  a;  =  I,  y  ^  yj  nur  logarithmisch  unendlich  wird.  Nach  dem  oben 
Gesagten  (S.  68)  ist  daher  die  Integralgleichung  zweiter  Art 

F*(xy)  =  u*(xy)  —  ij  KK{xy,  i,ri)u*{^ri)dJ 
(J) 
für  den  variablen  Parameter  X  auflösbar. 

Wäre  l  =  \  ein  Eigenwert  für  diesen  Kern  KK{xy,  |>?),  so  müßte 
nach  Satz  23  eine  Eigenfuuktion  (p{xy)  existieren,  die  zugleich  auch  eine 
der  Integralgleichungen 

fp{xy)  =  ±jK{xy,  lri)(p{i,i])dJ 
(J) 


72  Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion. 

befriedigt;  daim  aber  wäre  cp^'i])  ein  auf  der  Randkurve  C  verschwindendes 
Integi"al  einer  der  beiden  Difierentialgleicbungen 

a^*   ,  ^M       /dP  du_       dP^  cu\  ^  Q 
cx^       dy^  —  \dx   dx        dy  dy) 

Da  aber  für  jede  auf  C  verscbvrindende  Funktion  u  die  Identität 

(J)  (J) 

gilt,  so  würde  sich  (f{xy)  notwendig  als  Konstante  und  mithin  gleich  Null 
ergeben,  was  nicht  der  Fall  sein  sollte.  Die  Annahme,  daß  A  =  1  ein 
Eigenwert  für  den  Kern  KK{xy,  |»;)  sei,  ist  somit  als  unzutreffend  erkannt. 

Nunmehr  lehrt  Satz  24,  daß  auch  die  Integralgleichung  (25)  eine 
Lösung  besitzt;  diese  Lösung  u{xy)  ist  das  gewünschte  Integral  der 
Differentialgleichung  (24),  welches  auf  der  Randkurve  C  verschwindet. 

Es  sei  zur  Abkürzung  gesetzt: 


T>                 "  -^    \-o  •!/ 

p           d'Pi^ri) 

'in  cr\^ 

+  lU  3  P/  +  P  ,r  -  2  P^ ,  +  2  P,^„^. }  (:.  -  I) 2 

h  .^6  { P|^  +  3P,;  +  2P^^  -  2P,^,^  ]  {y  -  ,^y. 
Wegen 

folgt    durch    eine   leichte    Rechnung,    daß    Dlf^l—j    eine    auch    an    den 

Stellen  x  =  ^,  y  ^^  V  stetige  Funktion  wird.  Wir  bezeichnen  mit  y^ 
irgendeine  Funktion  von  x,  y,  die  innerhalb  J  zweimal  stetig  differenzier- 
bar   ist   und   auf  der  Randkurve  C  dieselben  Werte  wie  y^l—:   annimmt, 

und  konstruieren  alsdann  nach  dem  Vorstehenden  die  auf  C  verschwindende 
Lösung  der  Differentialgleichung  (24)  für 

f{xy)  =  J)(y^l~-y.^', 

ist  ^3  diese  Lösung,  so  stellt  offenbar 

G^  =  Yi^—  —  r2  —  Yz 

die  zur  Randbedingung  I  gehörige  Greensche  [Funktion  der  Differential- 
gleichung D{ii)  =  0  dar. 


Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion.  73 

Mit  Hilfe  des  Satzes  18  und  unter  Berücksiclitigung  einer  früheren 
Bemerkung  (S.  64^  folgt  dann  aucli  die  Existenz  der  zur  Randbedingung  I 
gehörigen  Greenschen  Funktion  für  den  beliebigen  Differentialausdruck  Z(zt). 


Wir  wenden  uns  nun  zu  der  Frage  nach  der  Existenz  der  zur 
Randbedingung  II  gehörigen  Greenschen  Funktion  und  betrachten 
zunächst  den  spezielleren  Differentialausdruck 

./    du\       r.1    du\ 

der  aus  L(;u)  entsteht,  wenn  man  q  =  0  nimmt.  Ist  u  eine  der  Differen- 
tialgleichung i*(w)  =  0  genügende  Funktion,  so  gibt  es  offenbar  eine 
Funktion  v  der  nämlichen  Veränderlichen  x,  y  von  der  Art,  daß 

d  u  d  V 

■^   dx  dy  ' 

du  cv 

^ly^  ~Jx 

■wird.  Die  Funktion  v  ist  hierdurch  bis  auf  eine  additive  Konstante  be- 
stimmt; sie  genügt  der  Differentialgleichung 

^  ■'  ex  dy 

und  heiße  die  zu  u  konjugierte  Funktion. 

Wenn  durch  s,  n  irgend  zwei  von  einem  Punkte  ausgehende  Rich- 
tungen bezeichnet  werden,  die  in  dem  Sinne  wie  die  positiven  Richtungen 
der  X'  und  !/- Achse  zueinander  senkrecht  stehen,  so  ist  stets 

du        dv  du  1    dv 

^    CS         dn  '  cn  p    es 

Nehmen  wir  nun  an,  es  gäbe  für  den  Differentialausdruck  ilf*(ü) 
eine  zur  Randbedingung  I  gehörige  Greensche  Funktion  (r-"-,  so  existiert 
notwendig  für  den  Differentialausdruck  L*(ii)  eine  zur  Randbedingung  II 
s;ehörige  Greensche  Funktion   G^^. 

In  der  Tat  läßt  sich  die  zweite  Randwertaufgabe  für  L^iii)  =  0  auf 
die  erste  Randwertaufgabe  für  Ji"*(v)  =  0  zurückführen.     Bezeichnen  wir 

nämlich  mit  f(s)  die  für  ^r—  vorgeschriebenen  Werte  auf  der  Randkurve  C, 
SO  muß  notwendig 

Jpf(s)  ds  =  0 

ausfallen,  und  daher  stellt 


9(ß)  =  -fpf{s)ds 


74  Kap.  IX.     Existenz  der  Greenscben  Funktion. 

eine  stetige  Funktion  auf  der  Randkurve  C  dar.  Wir  bestimmen  nun  das 
Integral  v  der  Difierentialgleichung  31* (v)  =  0  mit  den  Randwerten  g{s)] 
ist  alsdann  —  ii  die  zu  v  konjugierte  Funktion,  so  besitzt  u  offenbar  die 
vorgeschriebenen  normalen  Ableitungen  auf  der  Randkurve  C. 

Wir  wenden  jetzt  die  Greenscbe  Formel  (14)  an,  indem  wir  in  der- 
selben für  V  die  eben  konstruierte  Greenscbe  Funktion  G^^  und  für  u 
irgendeine  stetige  Lösung  von  L*(u)  =  0  nehmen.  G^^  ist  im  gegen- 
wärtigen Falle  der  Differentialgleichung  L*(u)  =  0  eine  Greenscbe  Funk- 
tion im  erweiterten  Sinne,  da  die  Konstante  eine  Lösung  von  L*{ii)  ==  0 
mit  verschwindender  normaler  Ableitung  liefert;  wir  haben  demgemäß 

L*{G^')  =  ^, 

fG^{xy,lri)dJ=0, 
(J) 
worin    J    den    Flächeninhalt    des    Gebietes    J    bedeutet.      Die    Greenscbe 
Formel  (14)  liefert 

nnri)  =  -  ^  f\pt^  G'A  ds  +  4-  fudJ. 

^^  '-'  '■Inj    [J-   cn         Jx  =  a(«)  J J 


Setzen  wir 


(C)  y=b{,s)  [J) 


[u{xy)\x  =  a{B)  =  ^l(s), 

y=6(«) 

[Vixy)]x  =  a(s)  =V{S), 
y=b{s) 

[G^\xy,  iri)'\^  =  a{A,  l  =  aio)  =  G^\s,  a), 

g=b (*),  >;  =  6  (o) 

so  folgt 

(26)  u{0)  =  ^/^^  G^\s,  a)ds  +  c„, 

wo  c„  eine  durch  die  Funktion  u  bestimmte  Konstante  bedeutet. 

Andererseits  gehen  wir  von  der  Gleichung  31*  (v)  =  0  aus  und  be- 
zeichnen mit  II^^[xy,  |?j)  die  zugehörige  Greenscbe  Funktion  für  die  Rand- 
bedingung II  und  mit  IP^(s,  ö)  die  betreffende  aus  ihr  entsprechend 
hervorgehende  Funktion  von  s,  6.  Da  offenbar  die  zu  v(xy)  konjugierte 
Funktion  — ii{x,y)  wird,  so  erhalten  wir  nunmehr  die  Gleichung 

(27)  v{6)  =  -  ^J'^H^^s,  a)  ds  -f  c,, 

wo  c^  wiederum  eine  Konstante  bedeutet. 

Die  gefundenen  Gleichungen  (ß6),  (27)  sind  Integralgleichungen  erster 
Art  mit  den  symmetrischen  Kernen  G"(s,  &),  H^-^i^^  ß).  Diese  Kerne 
sind  von  der  Gestalt 


Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion.  75 

Cl{\s  —  (?|)  +  S(S,  6), 

WO  c  eine  Konstante  und  S(s,  (?)  eine  stetige  Funktion  von  s,  a  bedeutet. 
Mittelst  (27)  folgern  wir  dann,  daß  v(6)  gewiß  einmal  stetig  diiferentiier- 

bar  ist,  sobald     "       einmal,  d.  h.  sobald  u{s)  zweimal  stetig  differentiier- 

bar  ist.  Da  unter  dieser  Voraussetzung  die  Formel  (27)  die  Integral- 
gleichung (26)  auflöst,  so  schließen  wir  leicht,  daß  der  Kern  (r^^{s,  6) 
der  Integralgleichung  (26)  sowohl  abgeschlossen  wie  allgemein  ist. 


Als  Beispiel  wählen  wir  den  Fall  ^  =  1,  wo  die  Gleichung  L*'[ii)  =  0 
~  die   bekannte  Potentialgleichuug  wird;    als  Gebiet  J  diene   der  Kreis   mit 
dem  Radius  1.     Die  Rechnung  ergibt  das  Statthaben  der  Relationen 


—  n 
/   \  1     Cduis)  1  (c      ■     *  —  ^\\  j 


wobei  u{s)  die  Werte  des  Realteiles,  v{s)  diejenigen  des  Imaginärteiles 
einer  analytischen  Funktion  auf  der  Kreisperipherie  bedeuten,  während 
die  Gleichungen 


ß 


u(s)ds  =  0, 


j  v(s)ds  = 


0 


erfüllt  sind. 

Setzen  wir  an  Stelle  der  Veränderlichen  s,  6  bzw.  ^x,  -x  |,  so  nehmen 
die  gefundenen  Formeln  die  Gestalt  an 

(28)    z<|)=     ^/-^|^?(2|8in^^,)rf^  =  -i/K^)cotg(:r^y^, 


-1  -1 

+  1  +1 


(29)    HI)  =  -^/^^f  «(^1^^^^^)^^=     l/H(^)cotg(^V^)rf:r. 

-1  -1 

Die  letztere  Formel  (29)  geht  durch  Produktintegration  und  Differentiation 
nach  X  in  die  Formel 

^.^(|)  =  _  L  C^'ff  l  (2  '  sin  ^  ^--^l)  dx 

d^  nj      dx*        \  2     |/ 


76  Kap.  IX.     Existenz  der  Greenschen  Funktion. 

über.  Die  Einsetzung  dieses  Wertes  von  -j—  in  die  erstere  Formel  (28) 
liefert 

(30)  u(^  = -^,ß^[ß  (2  sin.  t;y)l  {2   sin.^")  rf,  )  rf.; 

-1  -1 

diese  Formel  gilt  für  jede  zweimal  stetig  differenzierbare  Funktion  u,  die 
von  —  1  bis  -f  1  integriert  Null  liefert. 

Wenden    wir  nun   Satz  11   (S.  46)   auf   den    Diflferentialausdruck    ,  » 

an,  indem  wir  als  Greensche  Funktion  die  zu  den  Randbedingungen  IV 
gehörige,  oben  (S.  45)  berechnete  Funktion  wählen,  so'  folgt  für  jede 
zweimal  stetig  differenzierbare,  jenen  Randbedingungen  genügende  Funk- 
tion u  die  Identität 

+  1 

(31)  u(x)  =  -  J{  -X  x-l-]-i[x-^iy+^}  ^  dx. 

-1 
Aus   den  Formeln  (30)  und  (31)   entnehmen  wir   durch   eine  sehr  leichte 
Überlegung,  daß  notwendig 

--1-  a;-|   -f  i(a;-^)^+^  =  ^Jz(2'sin;r^^^)z(2Jsin;r"^-^j)(^y 

-1 
sein  muß;  wenn  wir  also  die  symmetrischen  Funktionen 

Z'(^,|)  =  i-?(2sin:r^^i), 

als  Kerne  auffassen,  so  ist  der  letztere  derjenige  Kern,  der  aus  dem 
erstercn  durch  zweifache  Zusammensetzung  entsteht.  Der  Kern  K{x,  ^) 
muß  mithin  dieselben  Eigenfunktionen  besitzen,  wie  KK{x,  |);  dieselben 
sind  nach  dem  Obigen  (S.  55j 

sin  niTix,     cos  mnx,  (m  =  1,  2,  3,  .  .  .). 

Die  Eigenwerte  von  K(x,  |)  sind  die  Quadratwurzeln  aus  den  Eigenwerten 
des  Kerns  KK{x,  |),  d.  h.  da  jener  Kern  definit  ist,  gleich  den  ganzen 
positiven  Vielfachen  von  tc.  Diese  Eigenwerte  sind  zweifach;  doch  ist 
der  Eigenwert  Null,  zu  dem  die  Konstante  als  Eigenfunktion  gehört,  noch 
als  einfacher  Eigenwert  hinzuzurechnen. 

Die  Formeln  (28),  (29)  sind  wegen  ihrer  fruchtbaren  Anwendung  auf 
die  Theorie  der  analytischen  Funktionen  von  besonderer  Wichtigkeit.-^) 


1)  Vgl.  0.  D.  Kellogg,  Zur  Theorie  der  Integralgleichungen,  Inauguraldisser- 
tation Göttingen  1902,  wo  einige  der  in  den  Vorlesungen  des  Verfassers  dargelegten 
Anwendungen  berührt  werden. 


Kap.  IX.     Parameter  in  den  Randbedingungen.  77 

Wir  haben  oben  die  Greensche  Funktion  G^^ipcy,  |?/)  für  den  Differential- 
ausdruck  L*(h)  konstruiert.  Wenn  aber  die  Gleichung  i*(«)  =  0  eine 
zur  Randbedingung  II  gehörige  Greensche  Funktion  besitzt,  so  folgt  aus 
Satz  18  unter  Heranziehung  einer  früheren  Bemerkung  (S.  64)  auch  die 
Existenz  der  Greenschen  Funktion  G^^{xy,  |7j)  für  den  allgemeinen 
Differeutialausdruck 

L{u)  =  L*{u)  +  qn. 


Wir  kommen  endlich  auf  das  zu  Beginn  dieses  Kapitels  in 
Aussicht  gestellte  Problem  zurück. 

Es  sei  für  das  Gebiet  J  der  it;?/- Ebene  die  sich  selbst  adjungierte 
Differentialgleichung  L{u)  =  0  vorgelegt;  man  soU  dasjenige  Integral 
dieser  Differentialgleichung  finden,  welches  auf  der  Randkurve  C  des 
Gebietes  J  die  Randbedingung 

(32)  f^  +  Z..  +  /Ks)  =  0 

erfüllt,  wo  X  den  Parameter  und  ]i{s)  eine  gegebene  Funktion  der  Bogen- 
länge s  auf  der  Raudkurve  C  bedeutet.  G^{xy,  |r;)  bezeichne  wiederum 
die  zur  Randbedingung  II  gehörige  Greensche  Funktion,  so  daß  überall 
auf  der  Randkurve  C 

dn 

wird;  alsdann  gilt  die  Formel  (18)  und  wegen  (32)  erhält  diese  die 
Gestalt 

u{i,Tfl)  =  -^  \\j){xy){lu{xy)  +  Ms))  G^\xy,  b]y]x=a{s)ds'^ 

(^)      / 

diese  Formel  werde  mit  yi^d"»?)  multipliziert  und  in  ihr  ^  =  «((?),  ?/  =  &((?) 
genommen.     Setzen  wir  dann  zur  Abkürzung 


ri  =  b{a) 


y  =  b(s\  i]  =  b(a) 
'/  2/ =6(4),  n-=b[a) 


(C) 

SO  erhält  sie  die  einfache  Gestalt 

(33)  fip)  =  (p  ((?)  -  ljK{s,  6)  cp  (s)  ds . 

Da    wegen    des    Symmetriegesetzes    der    Greenschen    Funktion    auch    die 
Funktion  K{s,  g)   in   den   Veränderlichen  s,  a   symmetrisch   wird,   so    er- 


78  Kap.  IX.     Parameter  in  den  Randbedingungen. 

kennen  wir  in  der  Gleichung  (33)  eine  Integralgleichung  zweiter  Art,  die 
genau  von  derjenigen  Gestalt  ist,  wie  wir  sie  im  ersten  Abschnitt  be- 
handelt haben.  Der  Kern  K{s,  6)  dieser  Integralgleichung  ist  in  den 
Variabein  s,  6  stetig  außer  für  s  =  6,  wo  K{s,  a)  wie  der  mit  einer  Kon- 
stanten multiplizierte  Logarithmus  von  \s  —  6\  unendlich  wird. 

Wir  bezeichnen  die  Eigenwerte  ?S"''>  und  Eigenfunktionen  il}^"'\s)  der 
Integralgleichung  (33)  auch  als  die  Eigenwerte  bzw.  Eigenfunktionen 

der  Randbedingung 

du    .    .  f. 

■^ — \-  Xu  =  0 
on 

für  die  Differentialgleichung  L(u)  =  0. 

Da  K(s,  ö)  nach  der  obigen  Bemerkung  (S.  75)  ein  abgeschlossener 
und  allgemeiner  Kern  ist,  so  folgen,  wenn  wir  die  oben  (S.  74)  gefundene 
Auflösung  der  Integralgleichung  erster  Art  (26)  berücksichtigen,  aus  den 
Sätzen  3 — 7  des  Abschnittes  I  eine  Reihe  von  Tatsachen,  unter  denen  der 
Kürze  halber  nur  die  folgende  hervoroehoben  werde: 

Satz  25.  Jede  zweimal  stetig  differenzierbare  FunMion  auf  der  Rand- 
Jcurve  C  ist  in  der  Fourierschen  Weise  in  eine  Reihe  entivickelbar,  die  nach 
den  EigenfunJctionen  der  Randbedingung 

du  ^ 

on 

fortschreitet;  die  Reihe  konvergiert  absolut  und  gleichmäßig. 

Aus  den  letzten  Betrachtungen  kann  zugleich  die  Existenz  einer  zur 
Randbedingung  III  gehörigen  Greenschen  Funktion  G^^  gefolgert  werden. 
Da   wir   oben   unter   der   Annahme   der   Greenschen   Funktion  G^  für  die 

Potentialgleichung  ^^  ^"  ä'  2  ^  ^  ^^^  Existenz  von  G^  und  G^^  für  den  all- 
gemeinen Differentialausdruck  L{ii)  bewiesen  haben,  so  können  wir  zu- 
sammenfassend folgendes  Resultat  aussprechen: 

Satz  2Q.  Für  einen  Differential ausdruck  L(ti)  gibt  es  stets  die  Green- 
schen Funktionen  G^,  G^^,  G^^,  die  zu  den  Randbedingungen  bzw.  \,  II,  III 
gehören,  wobei  besonderenfalls  der  Begriff  der  Greenschen  Funktion  im  er- 
tveiterten  Sinne  zu  verstehen  ist. 


Um  noch  kurz  das  zugehörige  Variationsproblem  zu  berühren,  nehmen 
wir  an,  es  sei  q  eine  innerhalb  J  nirgends  positive  Funktion-,  alsdann 
wird  das  Integral 

^w=/{'K(i-:/+(i-:))-«-i'*'^ 

gewiß   niemals  negative  Werte  erhalten.     SoUen  wir  nun  diejenige  Funk- 


Kap.  IX.     Parameter  in  den  Randbedingungen.  79 

tion  u  bestimmen,  die  !)(«)  zu  einem  Minimum  macht,  während  für  die 
Randwerte  von  u  die  Bedingung 

l'pu^ds  =  1 

(C) 

erfüllt   ist,    so    führt  die  Variationsrechnung  auf  die  Differentialgleichung 
L(ii)  =  0,  während  am  Rande  die  Gleichung 

■^ — \-  lu  =  0      (A  =  konst.) 

gelten  muß.     (Dirichletsches  Variationsproblem.) 

Setzen  wir,  wenn  ii(xy)  irgendeine  Lösung  der  Differentialgleichung 
L{iC)  =  0  bedeutet,  zur  Abkürzung 

so  ist  wegen  Formel  (17) 

n  =  b(o)  ./    '-  ^^'     Jx=a(«),  §  =  a((T) 

'       ^'  tfi)  t/  =  b(>),'l  =  H") 

=  —JK{s,  6)(x){s)ds. 

(C) 

Andererseits  wird 

D(ti)  =  —  I  uL(u)dJ—  j  pu  -^  ds 

= J JK{s,  ö) a (s) G}{6)dsd6. 

iC)  {C) 

Hiernach  geht  das  vorige  Variationsproblem  in  folgende  Aufgabe 
über:  man    soll  eine  Funktion  (a(s)  bestimmen,   für  welche  das  Integral 

J JK{s,  <s)  c3  (s) 03 (ö)  dsdö 

((■)  in 

ein  Minimum  wird,  wenn  die  Nebenbedingung 

J{fK{s,6)o{s)dsyd6  =  l 

iC)    (C) 

erfüllt  ist.     (Gaußsches  Variationsproblem). 

Die  Formel  (34)  lehrt,  daß  bei  unseren  Annahmen  der  Kern  K{s,  6) 
definit  ist  und  daher  die  Eigenwerte  sämtlich  positiv  ausfallen;  wir  be- 
zeichnen die  Eigenwerte  und  die  Eigenfunktionen  des  Kerns  K{s,  ö)  mit 
A(^),  2(2),  .  .  .  bzw.  i^(i)(s),  ^(2)(s),  .... 

In  ganz  analoger  Weise,  wie  in  Kapitel  VII  (S.  57 — 58)  ausgeführt 
wurde,  erkennen  wir  nunmehr  leicht,  daß 

(d(s)  =  iWti^W^s) 


80  Kap.  IX.     Parameter  in  den  Randbedingungen. 

das  gewünschte  Minimum  liefert;  mitbin  ist: 

[Vpixy)u{xy)]r=a{i)  =  t^^\s). 


Eine  interessante  Anwendung  findet  unser  Satz  25  zur  Lösung  des 
Problems  der  kleinen  Schwingungen  einer  in  einem  Gefäße  befindlichen, 
der  Schwere  unterworfenen  Flüssigkeit.-^)  Hierbei  handelt  es  sich  um 
die  Auffindung  des  Geschwindigkeitspotentiales  V.  Dasselbe  ist  eine 
Funktion  des  Ortes  x,  y  und  der  Zeit  t,  die  im  Innern  der  Flüssigkeit 
für  alle  Zeiten  t  der  Gleichung 

.TT      d-U  .   d'U       ^ 

-^^^a.^  +  aV^^' 

an  der  festen  Wand  für  alle  t  der  Bedingung 

on 
und  auf  der  Horizontalen  y  =  0  für  alle  t  der  Gleichung 

a- C/ _  aü  _  ^ 

dt^        dy 

genügt,  während  für  t  =  0  die  freie  Oberfläche  in  der  Horizontalen  y  =  0 
liegen  und  daselbst  die  vertikale  Geschwindigkeit    ,.-    als  Funktion  von  x 
etwa  ==  f{x)  gegeben  sein  soll. 
Der  Ansatz 

U  =  u  cos  ()/Ä  t) 

liefert  für  die  von  t  unabhängige  Funktion  u  an  der  festen  Wand  die 
Bedingung 

an 
und  an  der  Horizontalen  y  ^  0  die  Bedingung 

^  +  ;.M  =  0,      (A  =  konst.), 

während  im  Inneren  der  Flüssigkeit  überall  yJu  =  0  sein  muß.  In  der 
voransteheuden  allgemeineren  Entwicklung  haben  wir  mithin  2)  =  1,  q  =  0 
zu  nehmen  und  das  Randintegral  nicht  über  die  ganze  Randkurve  C, 
sondern  nur  über  die  Horizontale  y  =  0  zu  erstrecken. '  Bedeutet  also 
G^^(xy,  h,r/)  die  zur  Randbedingung  II  gehörige  Greensche  Funktion  für 
das  von  der  Gefäßwand  und  der  Horizontalen  y  =  0  begrenzte  Gebiet,  so 
lautet  der  in  Betracht  kommende  Kern 


1)  Vgl.  insbe.gondere  Poincare,  Journ.  de  Math.,  1896. 


Kap.  X.     Eiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  81 

Bezeichnen  wir  mit  l^'^\  X^^\  .  .  .,  ^(^^(a;),  ip^^'>(x),  .  .  .  die  Eigenwerte  bzw. 
die  Eigenfunktionen  dieses  Kerns  und  entwickeln  wir  die  gegebene 
Funktion  f\x)  nach  diesen  Eigenfunktionen,  wie  folgt 

so  wird  das  hydrodynamische  Problem  durch  die  Formeln 

r|^1       =  c,xp^'){x)  cos  (VXWt)  +  c.,ilj(''\x)  cos  (Y^S^H)  +  •  •  • 

[P],=« = "4^"^  '^os  (Vm)  +  '^^^  cos  (^0  + .  . 

gelöst. 

Die  Ausdehnung  unserer  Untersuchungsmethode   auf  mehr  als  zwei 
Veränderliche  bietet  keine  prinzipielle  Schwierigkeit. 


Dritter  Abscliuitt. 
Anwendungen  auf  Pi'oblenie  der  Funktionentheorie. 

Zehntes  Kapitel. 

Riemanns  Probleme  in  der  Theorie  der  Funktionen 
einer  komplexen  Veränderlichen. 

Riemanu  hat  in  seiner  Inauguraldissertation  (Abschnitt  19)  die  all- 
gemeine Aufgabe  gestellt,  Funktionen  einer  komplexen  Veränderlichen 
innerhalb  eines  von  einer  gegebenen  Randkurve  begrenzten  Gebietes  der 
komplexen  Ebene  zu  bestimmen,  wenn  zwischen  den  Real-  und  Imaginär- 
teilen der  Funktionen  auf  jener  Randkurve  Relationen  gelten  sollen,  deren 
Koeffizienten  auf  der  Randkurve  sich  stetig  ändernde  gegebene  Funktionen 
sind.  Die  Theorie  der  Integralgleichungen  bietet  die  Mittel  zur  Lösung 
dieser  Riemannschen  Fragestellung  für  den  Fall,  daß  die  auf  der  Rand- 
kurve ffegebenen  Relationen  lineare  sind.^) 

Die  Methode  der  Integralgleichungen  ist  auch  auf  weit  allgemeinere 
Probleme  anwendbar;  sie  führt  insbesondere  nicht  nur  zum  Ziele,  wenn 
für  die  Werte  der  gesuchten  Funktionen  selbst  auf  der  Randkurve  lineare 
homogene  oder  inhomogene  Relationen  vorgeschrieben  sind,  sondern  auch, 
wenn  noch  die  Ableitungen  erster  oder  höherer  Ordnung  der  gesuchten 

1)  Man  vgl.  einen  Vortrag  des  Verfassers  „Über  eine  Anwendung  der  Integral- 
gleichungen auf  ein  Problem  der  Funktionentheorie.  Verhandlungen  des  III.  Inter- 
nationalen Mathematiker-Kongresses  Heidelberg  1904",  sowie  die  Dissertationen  von 
Kellogg  und  Haseman,  Göttingen  VJ02  u.  1907;  vgl.  auch  den  Auszug  aus  der  Disser- 
tation von  Haseman:  Math.  Ann.  Bd.  66. 

Math.  Monogr.  3;  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  6 


82  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

Funktionen  mit  den  Funktionswerten  auf  der  Randkurve  in  linearer  Weise 
verknüpft  auftreten.  Durch  Behandlung  solcher  Aufgaben  wird,  wie  mir 
seheint,  der  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen  Variabein  ein  neues 
dankbares  Kapitel  hinzugefügt. 

Die  in  dem  oben  zitierten  Vortrage  zur  Erläuterung  der  Methode 
gewählte  Aufgabe  ist  freilich  Avegen  ihrer  besonderen  Einfachheit  auch 
ohne  dieses  Hilfsmittel  lösbar,  und  zwar,  indem  man  zweimal  die  ge- 
wöhnliche Randwertaufgabe  aus  der  Theorie  des  logarithmischen  Potentials 
anwendet. 

Das  dort  behandelte  Problem  besteht  darin,  innerhalb  einer  ge- 
schlossenen Kurve  C  mit  stetig  sich  ändernder  Tangente  und  von  der 
Gesamtbogenlänge  l  eine  regulär  analytische  Funktion  der  komplexen 
Veränderlichen  2  =  x  -]-  iy 

f{z)  =  u{xy)  -\-  iv(xy) 
zu  finden,  deren  Real-  und  Imaginärteil  m(s)  bzw.  v(s)  auf  C  der  linearen 
Relation 

a{s)u{s)  i-  h{s)v(s)  -f  c(s)  =  0 

genügen;  dabei  sind  a{s),  ?>(s),  c(s)  als  stetig  differenzierbare  Funktionen 
der  Bogenlänge  s  mit  der  Periode  l  —  die  erstereu  beiden  o(s),  b(s)  ohne 
gemeinsame  Nullstelle  —  gegeben.^) 

Ich  will  nun  kurz  zeigen,  wie  man  eine  dieser  Aufgabe  genügende 
Funktion  findet,  die  innerhalb  C  (nicht  notwendig  auf  C)  den  Charakter 
einer  ganzen  Funktion  besitzt.  Zu  dem  Zwecke  bezeichne  ich  mit  2ni7t 
die  Änderung,  die  l(a{Sj  +  ih{s))  beim  positiven  Umlauf  längs  der  ge- 
schlossenen Kurve  C  erfährt.  Durch  den  Imaginärteil  von  I{a(ß)  -\-  ih{s)), 
d.  h.  durch  einen  Zweig  des  Ausdruckes 

(1)  ^^W>' 

wird  dann  eine  reelle  Funktion  auf  C  dargestellt,  die  von  .5  stetig  ab- 
hängt mit  Ausnahme  eines  Punktes,  etwa  des  Punktes  5  =  0,  wo  ein 
Sprung  ihrer  Werte  um  2njt  stattfindet. 

Mittelst  der  bekannten  Randwertaufgabe  in  der  Theorie  des  logarith- 


1)  Aus  dem  oben  zitierten  Heidelberger  Vortrage  geht  unmittelbar  nur  hervor, 
daß  überhaupt  eine  der  Aufgabe  genügende  Funktion  vom  Charakter  einer  rationalen 
Funktion  existiert.  Es  ist  jedoch  leicht  möglich,  durch  eine  geringe  Modifikation  des 
dort  angegebenen  Verfahrens  die  etwa  innerhalb  C  auftretenden  Pole  auf  die  Kurve  C 
selbst  zu  verlegen.  Ebenso  leicht  kann  man  übrigens,  indem  man  den  Begrifl"  des 
Cauchy sehen  Index  heranzieht  oder  wie  hier  weiterhin  im  Text  verfährt,  feststellen, 
wann  eine  Funktion  der  Aufgabe  genügt,  die  überall  innerhalb  und  auf  dem  Rande 
von  C  den  Charakter  einer  ganzen  Funktion  hat,  und  wie  groß  die  Mannigfaltigkeit 
solcher  Lösungen  ist. 


Kap.  X.     Eiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  83 

misclaeii  Potentials  bestimme  man  nun  eine  analytische  Funktion  F{s)^ 
die  sich  innerhalb  der  Kurve  C  wie  eine  ganze  Funktion  verhält  und 
deren  Imaginärteil  die  Randwerte  (1)  besitzt.     Wird  dann 

G{s)  =  e^(^)  =  ü{xy)  +  i  V{xif) 
gesetzt,  während 

die  Randwerte  dieser  Funktion  G{z)  bezeichnen,  so  erkennen  wir  auf  der 
Kurve  C  die  Übereinstimmung  der  Imaginärteile  von 

KUis)  +  iV{s))  und  l{a{s)  +  ib{s)), 
d.  h.  es  ist  auf  der  Kurve  C 

a{s)V(s)-h{s)Uis)  =  0. 

Endlich  konstruieren  wir  eine  analytische  Funktion  f*{s),  die  inner- 
halb C  den  Charakter  einer  ganzen  Funktion  hat  und  deren  Realteil 
auf  C  die  Randwerte 

c{s)  ü{s)  e{s)  Vis) 


besitzt;  dann  ist 


a{s){ü'{s)  +  VHs))  b{s)iUHs)  +  VHs)) 


eine  analytische  Funktion,  die  das  vorgelegte  Problem  löst. 

Die  gefundene  Funktion  f{z)  hat  innerhalb  C  den  Charakter  einer 
ganzen  Funktion;  sie  besitzt  jedoch,  wenn  n  negativ  ausfällt,  auf  C  im 
Punkte  s  =  0  einen  Pol  —  2n  ter  Ordnunff. 


Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  einer  Aufgabe,  welche  als  eine  der 
einfachsten  Aufgaben  in  der  Theorie  der  Funktionen  einer  komplexen  Ver- 
änderlichen im  Sinne  der  Riemannschen  Fragestellung  angesehen  werden 
kann:  es  ist  dies  die  Aufgabe,  eine  außerhalb  der  geschlosseneu  Kurve  C 
regulär  analytische  Funktion  /'„(^)  und  eine  innerhalb  C  regulär  analy- 
tische bzw.  sich  wie  eine  rationale  Funktion  verhaltende  Funktion  /,,(^) 
zu  finden,  so  daß  die  Randwerte  beider  Funktionen  auf  der  Kurve  C 
selbst  iji  einem  gegebenen  komplexen  Verhältnis  stehen,  d.  h.  daß 

wird,  wo  in  dem  komplexen  Ausdrucke 

c{s)  =  a(s)  -f  ih(s) 
Real-  und  Imaginärteil  (i(s),  b(s)  als  zweimal  stetig  diflFerenzierbare 
Funktionen  der  Bogenlänge  s  —  ohne  gemeinsame  Xullstelle  —  gegeben 
sind.  Die  Kurve  C  werde  der  Einfachheit  halber  analytisch  vorausgesetzt. 
Um  diese  Aufgabe  zu  lösen,  konstruieren  wir  zunächst  eine  Green- 
sche  Funktion  Gj(xij,  |jj)  von  folgender  Art:  sie  soll  in  bezug  auf  .rp 
innerhalb  C  überall  der  Gleichung 

6* 


34  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

dx-         c}i- 
genügen,   ferner   au   der   innerhalb    C  gelegenen   Stelle  1?;   logarithmisch 
unendlich  werden  derart,  daß  bei  dem  Ansätze 

(2)         G^{xy,  U)  =  -  log  VW-^Y^i.y  -  nf'  +  ^{^y,  U) 

die  Funktion  A{xy,  ^tj)  regulär  analytisch  in  cc,  y,  |,  ?;  ausfällt,  und  end- 
lich soll  die  in  Richtung  der  inneren  Normalen  genommene  Ableitung 
von  GAxy,  ^1])  auf  C  einen  von  s  unabhängigen  Wert  x  besitzen.  Lassen 
wir  den  Punkt  xy  bzw.  die  Punkte  xy  und  ^y]  in  die  Randpunkte  s  bzw.  5 
und  6  wandern,  so  mögen  die  betreffenden  Werte  der  Greenschen  Funktion  mit 

Gj(s,  ^7y)  bzw.  Gj(s,  6) 
bezeichnet  werden. 

Wenn  Uj{xy)  irgendeine  innerhalb  G  der  Gleichung 

d-uj       d~uj  ^  /. 

genügende  stetige  Funktion,  ^^^   ibre   in  Richtung  der  inneren  Normalen 

genommene  Ableitung  auf  G  und  Uj{s)  ihre  Randwerte  auf  C  bezeichnen, 
so  liefert  die  Greensche  Formel  in  bekannter  Weise: 


(3) 

'  «A^/)  = 

i 

0 

'  '^  dn 

+ 

0 

s)ds, 

WO    l 

die 

Gesamtlänge 

von  C  bedeutet.     Für 

«r 

=  1  folg 

t  hieraus 

X  = 

27r 

"  T' 

Nunmehr    sei   Vj(xy)    eine   zu    Uj(xy)    konjugierte   Poteutialfunktion, 
so  daß  ,     \    ,    •    /     \ 

eine  innerhalb  G  reguläre  analytische  Funktion  der  komplexen  Variabein  z 

bedeutet.     Bezeichnet  v(s)  deren  Randwerte,  so  ist 

cuj dvj{s) 

dn  ds 

Mit   Rücksicht    hierauf    entsteht    aus    der   Gleichung  (3),   Aveun    wir   den 
Punkt  i,!]  in  den  Randpunkt  6  wandern  lassen: 

;  i 

0  0 

oder  bei  Yertauschung  von  s,  o: 

i  i 

(4)  n,(s)  =  +  ,^J'öX^,  s)  ';^  da  +  ^j\ij{6)da. 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  85 

Aus  (2)  entnehmen  wir^) 

Giipy  s)  =  -  2  log   ^  sin  y  (ff - s)   +  A*-{6,  s), 
wo  A*{ö,  s)  eine  reguläre  analytische  Funktion  von  6,  s  ist.    Demnach  wird 
(o)  -- --  ^  =  2  y  cotg  y  (s  -  ö)  +  -^/-^^ . 

Unter  Anwendung  der  Formel  für  die  Produktintegration  nimmt  (4) 

die  Gestalt  an: 

i  i 

0  0 

wo  für  das  erste  Integral  rechter  Hand  sein  Cauchyscher  Hauptwert  zu 
nehmen  ist;  derselbe  existiei't  gewiß  stets  dann,  wenn  vXe)  eine  stetig 
differenzierbare  Funktion  von  6  ist. 

Die  eben  gefundene  Formel  (6;  gilt,  wenn  Uj{s)  -\-  ivj(s)  die  Rand- 
werte auf  C  irgendeiner  Funktion  der  komplexen  Veränderlichen  2 

fjiz)  =Uj{x,y)  +  iv^{xy) 
sind,  die  innerhalb  C  den  Charakter  einer  ganzen  Funktion  hat.     Wenden 
wir  diese  Formel  auf  die  Funktion  ifjiß)  an,  so  entsteht: 

i  i 

0  0* 

wo  wieder  für  das  erste  Integral  rechter  Hand  der  Cauchysche  Hauptwert 
zu  nehmen  ist. 

Ist  also  der  Realteil  Uj(s)  einer  innerhalb  C  regulären  Funktion  auf 
C  bekannt,  so  findet  man  die  Randwerte  des  Imagiuärteiles  v-(s)  durch 
die  Formel 

0 

wobei  über  die  additive  Konstante  in  Vj{s)  alsdann  derart  verfügt  ist,  daß 

Vj(6)d6  =  0 

0 

ausfällt.  Ist  andererseits  der  Imaginärteil  Vj{s)  einer  innerhalb  C  regulären 
Funktion  auf  C  bekannt,  so  findet  man  die  Randwerte  des  Realteiles  Uj{s) 
durch  die  Formel 

1)  Vgl.  E.  E.  Levi,  Nachr.  der  Kgl.  Ges.  der  Wiss.  zu  Göttingen  1908,  S.  249. 
In  meiner  ursprünglichen  VeröflFentlichung  war  im  folgenden  irrtümlich  der  Faktor  2 
weggeblieben. 


ß 


gß  Kap.  X.     Riemanus  Probleme  iu  der  Funktionentheorie. 

(7**)  «,(.)  =  -  .'J"'^^!^  v,{.)d<,, 

0 

wobei  über  die  additive  Konstante  in  w,(s)  alsdann  derart  verfügt  ist,  daß 

1  U^{6)d6  =  0 
0 

ausfallt. 

Wir  führen  nunmebr,  wenn   W{s)   irgendeinen  komplexen  Ausdruck 
auf  C  bedeutet,  die  Abkürzung  ein: 

i 

0 

Die  Formeln  (6)  und  (7)  lassen  sich  dann  in  die  folgende  zusammen- 
fassen 


Us)==M/,  +  {ff,{a)d6, 


wobei 

fjis)  =  Uj{s)  +  ivj{s) 

gesetzt  ist.     Hiernach  stellt  also  das  Integral 

wiederum  wesentlich  die  Funktion  fj{s)  dar,  diese  nur  um  eine  komplexe 
Konstante  derart  vermehrt,  daß  das  über  die  Kurve  C  erstreckte  Integral 
verschwindet.  Man  sieht  auch  zugleich,  daß  diese  letztere  Dar- 
stellung eine  hinreichende  Bedingung  dafür  ist,  daß  der  kom- 
plexe Ausdruck 

fj{s)  =  m/s)  +  ivj{s) 

den  Randwerten  einer  innerhalb  C  regulären  Funktion  der 
komplexen  Veränderlichen  gleich  ist. 

Endlich  gilt  die  Tatsache,  daß,  wenn  iv(s)  einen  willkürlichen  kom- 
plexen Ausdruck  auf  ü  bedeutet,  der  Ausdruck 

w  +  Mjiv 
stets  die  Randwerte  einer  innerhalb  C  regulären  Funktion  der 
komplexen  Variabein   darstellt.     Wir   erkennen  dies,  indem  wir  für 
w(s)  erst  einen  reellen  und  dann  einen  rein  imaginären  Ausdruck  nehmen 
und  jedesmal  bzw.  (7*),  (7**)  anwenden. 

Nunmehr  konstruieren  wir  eine  Greensche  Funktion  G^{xy,  1?;)  von 
folgender  Art:  sie  soU  in  bezug  auf  x,  ij  außerhalb  G  überall  der  Gleichung 


Kap.  X.     Riemanus  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  87 

genügen,    ferner    an    der   außerhalb  C  gelegenen   Stelle  |?;   logarithmisch 
unendlich  werden,  derart  daß  bei  dem  Ansätze 


Gai^y,  U)  =  -  log  i  Vix  -  ly  +{y-  rjY  !  +  B(xy,  |^) 

die  F wnkt'ion  B(xy,  ^rj)  regulär  analytisch  in  x,y,l,ri  ausfällt,  und  end- 
lich sollen  die  in  Richtung  der  äußeren  Normalen  genommenen  Ab- 
leitungen von  G^{xy,  ^r^)  auf  C  einen  von  s  unabhängigen  Wert  l  besitzen. 
Lassen  wir  den  Punkt  xy  bzw.  die  Punkte  xy  und  i,r]  in  die  Raudpunkte  5 
bzw.  s  und  6  wandern,  so  mögen  die  betreuenden  Werte  der  Greenschen 
Funktion  mit 

Ga(s,  h)  bzw.  G^{s,  ö) 
bezeichnet  werden. 

Wenn  u^(xy)  irgendeine  außerhalb  C  der  Gleichung  * 

genügende    stetige    (auch    im    Unendlichen    endlich    bleibende)    Funktion, 

-TT-^  ihre   in  Richtung    der   äußeren  Normalen   genommenen   Ableitungen 

du  °  o  o 

auf  C  und   Ua{s)   ihre  Randwerte  auf  C  bezeichnen,   so   erhalten  wir  in 

bekannter  Weise 

i  i 

(8)  uj^^rj)  =  -  -JgSs,  bl)  '^  ds  +  {Ju^{s)ds. 

0  0 

Nunmehr    sei   v^{xij)   eine   zu   Uai^y)    konjugierte   Potentialfunktion, 
so  daß 

^a{^y)  +  ^v^ixy) 

eine  außerhalb  G  reguläre  Funktion  der  komplexen  Veränderlichen  z  be- 
deutet.    Bezeichnet  t\{s)  die  Randwerte  von  v^(xy),  so  ist 

dn  ds     ' 

und  mit  Rücksicht  hierauf  folgt  aus  (8) 

/  i 

(9)  u^{s)  =  -  ^J^G^{6,  s)  %i^-)  da  +  ^Ju^{a)d6. 

0  0 

Setzen  wir 

G^  {6,  s)  =  -  2  log  I  ^  sin  ^  (ö  -  s)  I  -f  ^  {6,  s), 

wo  B*{6,  s)  eine  stetig  differenzierbare  Funktion  von  a,  s  ist,  so  wird 

(10)  -  -^-^—  =  2  -^-  cotg  y  (5  -  (5)  +  -  -^^—  • 
Die  Formel  (9)  transformieren  wir  in  die  Gestalt 


88  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

/  I 

(11)  uM  =  2^/^"'?!?"  ''^^'^'^^  +    ]ß'a(^)d^ 

0  u 

und  fügen  dieser  die  entsprechende  Formel  für  ?„(s)  hinzu: 

i  i 

0  0 

In  den  beiden  letzten  Formeln  sind  für  die  er.sten  Integrale  rechter  Hand 
die  Cauchyschen  Hauptvverte  zu  nehmen. 

Wir   führen  nunmehr,    wenn  W{s)   irgendeinen    komplexen  Ausdruck 
auf  C  bedeutet,  die  Abkürzung  ein:  ^ 

34  W  =  J-  ß^^-  W{6)da. 

"■  231,/  CG  ^    ^ 

0 

Die  beiden  Formeln  (11)   und  (12)   lassen   sich   dann  in  die  folgende  zu- 
sammenfassen 


a^)--Mj^  +  \Jfj6)d6, 


wobei 

gesetzt  ist.     Hiernach  stellt  also  das  Integral 

ai  a 

wiederum  wesentlich  die  Funktion  fa{s)  dar,  diese  nur  um  eine  komplexe 
Konstante  derart  vermehrt,  daß  das  über  die  Kurve  C  erstreckte  Integral 
verschwindet.  Man  sieht  auch  zugleich,  daß  diese  Darstellung  eine 
hinreichende  Bedingung  dafür  ist,  daß  der  komplexe  Ausdruck 

den  Randwerten  einer  außerhalb  C  regulären  Funktion  der 
komplexen  Veränderlichen  gleich  ist. 

Endlich    erkennen    wir   noch,    daß,    wenn    iv{s)    einen    wiUkürlicheu 
komplexen  Ausdruck  auf  C  bedeutet,  der  Ausdruck 

w  —  Jf,  i.C 

a 

stets  die  Randwerte  einer  außerhalb  C  regulären  Funktion  der 
komplexen  Veränderlichen  darstellt. 

Wegen  (5)  und  (10)  ist  für  jeden  komplexen  Ausdruck   W  identisch 

i 
(13)  BI^  W  =  3Ij  W  -\-fn{6,  s)  W(6)d6, 

0 

wo  D(6,  s)  eine  regulär  analytische  Funktion  der  reellen  Variabelu  a,  s 
mit  rein  imaginären  Werten  bedeutet. 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  y9 

Nuniuehr   kehren   wir   zu   unserer    Aufgabe    zurück,   die   Funktionen 
fa{z),  f^{z)  zu  finden  derart,  daß  ihre  Randwerte  auf  C  die  Relation 

(14)  fa(s)  -  <s)t){s) 

erfüllen.     Wir  setzen  —  unter  Fortlassung  des  Argumentes  s  — 

F  =      f  4-  M  f 


^^^  '    F,=^-f,+  3I/.  +  y, 

wo  y  eine  noch  zu  bestimmende  Konstante  Ijedeutet,  und  ferner 

(16)  c(6)  =  c(s)  +  c(ö,  s)  sin  y  (s  —  ^), 

wo  c((j,  s)  eine  komplexe  Funktion  bedeutet,  die  wegen  der  angenommenen 
zweimaligen  stetigen  Differenzierbarkeit  von  €(s)  gewiß  einmal  stetig 
differenzierbar  nach  s,  6  wird. 

Wenden    wir   nun    auf  (14)    die   Operation  il/^   an,    so   entsteht  mit 
Rücksicht  auf  (13)  die  Gleichung 

Kfa  =  mcQ  +jDiP,  S)c{0)f,{6)d6, 
0 

und  hieraus  entnehmen  wir  wegen  (16) 

(17)  MJ^  =  c{s)  M/,  ^Je{6,  S^f,{6)d6, 

0 

wo  E{6,  s)  eine  stetig  differenzierbare  Funktion  von  6,  s  wird. 

Multiplizieren    wir   die   zweite   der  Gleichungen  (15)   mit  —  c(s)  und 
addieren  sie  zur  ersten,  so  folgt  mit  Rücksicht  auf  (17)  und  (14) 

i 
Fa  -  cF^  =  /•,  +  c/-,  +jE{0,  s)f,{6)da  -  cy 

(18)  \ 

0 

Da  c(s)  unserer  Annahme  zufolge  nirgends  verschwindet,  so  stellt 

eine  stetig  differenzierbare  Funktion  von  <?,  s  dar.  Wir  betrachten  die 
Integralgleichung  zweiter  Art  mit  dem  komplexen  Kern  K{^,  s) 

i 

(20)  \=^f)-JK{6,S)t)(6)d6', 

0 

auf  dieselbe  sind  die  Fredliolmschen  Formeln  in  gleicher  Weise  anwend- 
bar, wie  wenn  der  Kern  eine  reelle  Funktion  von  a,  s  wäre,  und  wir 
schließen  hieraus,  daß  diese  Integralgleichung  gewiß  eine  Lösung 


90  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

besitzen  muß,  und  zwar  entweder,  indem  wir  die  Konstaute  y  von  Null 
verschieden  setzen  oder  —  falls  gerade  1  eine  Wurzel  der  transzendenten 
zu  jener  Integralgleichung  zweiter  Art  gehörigen  Gleichung,  d.  h.  ein 
Eigenwert  für  den  Kern  K{6,  s)  wird  —  indem  wir  für  die  Konstante  y 
den  Wert  Null  setzen.  Aus  der  Tatsache,  daß  der  Kern  der  Integral- 
gleichung stetig  differenzierbar  ist,  folgt  — ,  wie  leicht  zu  erkennen  ist  — 
daß  gewiß  auch  die  Lösung  der  Integralgleichung  d.  h.  die  Funktionen 
w(s),  Vj(s)  stetig  differenzierbare  Funktionen  sind. 

Nunmehr  bilden  wir  aus  /^(s)  nach  (14)  den  Ausdruck  fjs)  und 
alsdann  nach  (15)  die  Ausdrücke  FJs),  Fj{s).  Ergeben  sich  diese  beiden 
Ausdrücke  F^{s),  Fj(s)  identisch  gleich  Null,  so  zeigen  die  vorhin  ge- 
fundenen Resultate  (vgl.  S.  86  und  S.  88),  daß  die  Ausdrücke  f^  bzw.  /^  die 
Randwerte  einer  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  regulären  Funktion  der 
komplexen  Veränderlichen  darstellen;  unsere  Aufgabe  ist  mithin  in  diesem 
Falle  gelöst. 

Ergeben  sich  nicht  beide  Ausdrücke  F^{s),  Fj{s)  identisch  gleich 
Null,  so  betrachten  wir  die  zu  fj  bzw.  f^^  konjugiert  komplexen  Aus- 
drücke fj  bzw.  f\.  Nach  den  oben  gefundenen  Resultaten  (vgl.  S.  86  und 
S.  88)  stellen  für  beliebige  tv  die  Ausdrücke 

tv  -f  Mjtf  bzw.  iv  —  M^^iv 

stets  Randwerte  gewisser  innerhalb  bzw.  außerhalb  C  regulär  analytischer 
Funktionen  dar.  Nehmen  wir  für  iv  die  komplexen  Ausdrücke  fj  bzw.  f^, 
so  erkennen  wir  hieraus,  daß  gewiß  die  zu  Fj  bzw.  F^^^  konjugiert  kom- 
plexen Ausdrücke  F,  bzw.  F^  Randwerte  gewisser  innerhalb  bzw.  außer- 
halb C  regulär  analytischer  Funktionen  gj{z)  bzw.  g^{2)  sind.  Da  anderer- 
seits unter  Vermittlung  von  (19),  (20)  aus  (18) 

F^-cF,  =  0, 

d.  h.  wenn  c  den  zu  c  konjugiert  komplexen  Ausdruck  bedeutet, 

F.  =  cF, 

folgt,  sü  sind  gj{3),  Hai/)  analytische  Funktionen  der  komplexen  Variabein, 
die  die  Bedingungen  unserer  Aufgabe  erfüllen,  wenn  wir  in  der  für  den 
Rand  vorgeschriebenen  Relation  an  Stelle  von  c{s)  den  konjugiert  imagi- 
nären Ausdrucjü  c{s)  setzen,  d.  h.  unsere  Aufgabe  ist  alsdann  bei  dieser 
Modifikation  lösbar. 

Zusammenfassend  sprechen  wir  das  Resultat  aus: 
Satz    27.     Wenn    c{s)    ein    gegebener    Iwmplexer   Ausdruck    auf  der 
Kurve  C  ist,  so  gibt  es  entweder  ein  Paar  von  Funkfionrn  f/ß),  fai^),  von 


Kap.  X.     Kiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  91 

denen  die  erste  innerhalb,  die  ziveite  außerhalb  der  Kurve  C  regulär 
analytisch  ist,  deren  Randiverte  auf  C  stetig  sind  und  die  Relation 

fa(s)  =  C{s)fj{s) 

er  fidlen,  oder  ein  Funktionenpaar  g^{z),  gjß)  von  demselben  Charakter,  deren 
Randiverte  auf  C  stetig  sind  und  die  Relation 

9a{s)  =  c{s)gj{s) 
erfüllen. 

Um  zu  entscheiden,  welcher  von  beiden  FäRen  eintritt,  bedenken  wir 
daß  die  Änderung,  die  log/^(s)  bzw.  log  fj(s),  beim  positiven  Umlauf 
entlang  der  Kurve  C  erfährt,  gleich  —  2i7tn_^  bzw.  2ixnj  ist,  wo  n^,  n^  die 
Anzahl  der  Nullstellen  der  Funktionen  f^{z)  bzw.  f^iz)  bezeichnen.  Dem- 
nach ist  —  2i:t(ji^  +  n^)  gleich  der  Änderung,  die 

log^«|==logc(s) 

beim  Umlauf  im  positiven  Sinne  erfährt,  und  es  wird  demnach  der  erste 
Fall  eintreten,  wenn  die  Änderung  von  log  c(s)  beim  Umlauf  im  positiven 
Sinne  entlang  C  negativ  ausfällt,  dagegen  tritt  der  zweite  Fall  ein,  wenn 
jene  Änderung  positiv  ausfällt. 

Ist  insbesondere  jene  Änderung  von  log  c{s)  gleich  Null,  so  existiert 
sowohl  ein  Paar  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  holomorpher  Funktionen 
fa{^\fj(/),  die  die  Relation 

(21)  /;(s)  =  c{s)f.{s) 

erfüllen,   als   auch   ein   Funktionenpaar  ^^(.e),  (5r^(^)   von   diesem   Charakter 

mit  der  Relation 

(22)  g^s)  =  c(s)ör,(s). 

Um  dies  einzusehen,  bedenken  wir,  daß  nach  dem  vorhin  bewiesenen 
Satze  jedenfalls  ein  Funktionenpaar  FJ^z),  F^{ß)  existieren  muß,  das  die 
Relation 

F^s)  =  c{s)c{s)F,{s) 

erfüllt,  da  ja  c{s]c{s)  mit  dem  konjugierten  Ausdrucke  übereinstimmt. 
Ist  nun  etwa  die  Gleichung  (21)  lösbar,  so  ist  wegen  unserer  Annahme 
über  c{s)  notwendig  die  Anzahl  n^-{-  nj  =  0,  d.  h.  fa{ß),fj{^)  besitzen 
keine  Nullstellen,  und  folglich  sind 

ebenfalls  regulär  analytische  Funktionen;  dieselben  befriedigen  die 
Relation  {22). 

Die  Funktionenpaare  jf^(^),/'^.(^)  und  gai^),  gj(ß)  sind,  wie  man  über- 
dies sofort  sieht,  im  eben  betrachteten  besonderen  Falle  bis  auf  je  einen 
konstanten  Faktor  eindeutig  bestimmt. 


92  Kap.  X.     Riemauns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

Die  gleiche  Überlegung  dient  zum  Nachweise,  daß  es  stets  bei  be- 
liebig gegebenem  c(s)  ein  Paar  von  Funktionen  fai^),fji^)  giht,  von  denen 
die  erste  außerhalb  C,  die  zweite  innerhalb  C  den  Charakter  einer  ratio- 
nalen Funktion  hat,  während  auf  C  die  Relation 

erfüllt  ist. 

Wenn  ^(s)  =  log  c{s)  eine  eindeutige  Funktion  von  s  wird,  so  ge- 
hingen wir  durch  Logarithmierung  zu  der  Aufgabe,  ein  Paar  von  Funk- 
tionen f„(2),  fj(^)  zu  finden,  von  denen  die  erstere  außerhalb  C,  die  letztere 
innerhalb  C  regulär  analytisch  ist  und  für  die  die  Differenz  ihrer  Randwerte 
auf  C  einem  gegebenen  komplexen  Ausdrucke  y{s)  gleich  wird.  Wie  wir 
sehen,  hat  diese  Aufgabe  stets  eine  Lösung.  Im  Falle  die  Kurve  C  ein 
Kreis  ist,  läßt  sich  die  Lösung  auch  durch  die  Entwicklung  von  y(s) 
in  eine  trigonometrische  Reihe  ableiten. 


Es  bedarf  endlich  noch  der  Umstand  einer  näheren  Untersuchung, 
daß  die  Funktion  c(s)  an  einer  endlichen  Anzahl  von  Stelleu  eine  Unter- 
brechung ihrer  Stetigkeit  aufweist. 

Wir  fassen  zunächst  einen  Punkt  der  Kurve  C  ins  Auge;  derselbe 
sei  der  Koordinatenanfang  und  zugleich  der  Anfangspunkt  für  die  Ab- 
messung der  Bogenlänge  s.  Da  die  Kurve  C  keine  Ecke  besitzt,  so  er- 
halten wir  die  Punkte  auf  C  in  der  Umgebung  des  Koordinatenanfangs 
für  genügend  kleine  positive  oder  negative  Werte  von  s  durch  die  Formel 

(23)  ^(s)  =  C,s  +  C,s'-  +  C353  +  . .  . 

dargestellt,  wo  rechter  Hand  eine  Potenzreihe  steht,  deren  erster  Koeffi- 
zient C^  von  Null  verschieden  ausfällt. 

Alsdann  handelt  es  sich  zunächst  darum,  irgendeine  innerhalb  C 
nirgends  verschwindende,  regulär  analytische  Funktion  f*{ß)  und  irgend- 
eine außerhalb  C  nirgends  verschwindende,  regulär  analytische  Funktion 
f^{z)  zu  bestimmen,  so  daß  der  Quotient  der  Randwerte  dieser  beiden 
Hilfsfunktionen  auf  C 

in  der  Umgebung  von  ^  =  0  den  folgenden  Bedingungen  genügt:  £i(s) 
soll  für  genügend  kleine  positive  s  durch  eine  nach  Potenzen  von  s  fort- 
schreitende Reihe  D^fs)  und  für  genügend  kleine  negative  s  durch  eine 
andere  nach  Potenzen  von  s  fortschreitende  Reihe  0_(s)  darstellbar  sein 
derart,  daß  der  Quotient  dieser  beiden  Potenzreihen  die  Kongruenz 

(24)  ^^^^qo  +  QiS^q,sMs') 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  93 

erfüllt;  dabei  sind  q^,  q^,  q^  gegebene  komplexe  Konstante,  q^^^O,  und 
diese  Kongrueuz  bedeutet,  daß 

eine  durch  s^  teilbare  Poteuzreihe  werden  soll. 

Um  die  Bestimmung  solcher  Funktionen  //'f-^), /"„*(^)  zu  ermöglichen 
betrachten  wir  die  Funktion 

cpj[z)  =  log(0) 

innerhalb  der  Kurve  C;  die  Werte  derselben  in  der  Umgebung  von  z  =  0 
auf  C  stellen  sich,  wie  folgt,  dar: 

<Pj{s)  =  -  i7t  +  l(s)  +  J,  +  J,s  +  JoS^  +  •  •  •,  (s  >  0), 

wo  l{s),  l{— s)  die  reellen  Logarithmen  und  J^,  J^,  J^^  ...  gewisse 
komplexe  Koeffizienten  bedeuten.  Ferner  betrachten  wir  außerhalb  der 
Kurve  C  die  Funktion 

'P„(^)  =  log(^--^-^), 

wo  Pj  einen  innerhalb  C  gelegenen  Punkt  bedeutet;  die  Werte  dieser 
Funktion  in  der  Umgebung  von  s  =  0  auf  C  stellen  sich,  wie  folgt,  dar: 

9'«(s)  =  i^  +  Ks)  +  A  +  As  +  Ä,s'  +  . .  .^  (s  >  0), 
=      Z(-  5)  +  A  +  As  +  As'  +  •  •  •,  (s  <  0), 

wo  l{s),  l{— s)  wiederum  die  reellen  Logarithmen  und  J^,  Ä^,  Ä^,  ... 
gewisse  komplexe  Koeffizienten  bedeuten. 

Nunmehr    bestimmen    wir    die    ganze    rationale   Funktion  K^^(2)   vom 
zweiten  Grade  in  der  komplexen  Veränderlichen  .*  derart,  daß  vermöge  (23) 

(25)  -|f^|i  -  „i,  li%  +  ?,,.  +  i,s%  (s") 

wird,  und  ferner  die  ganze  rationale  Funktion  Kj{2)  zweiten  Grades  in 
der  komplexen  Veränderlichen  ^  derart,  daß  vermöge  (23) 

(26)  K^i^is))  ^  ^  l{q,  +  q,s  +  q.s'),  (s^) 

wird. 

Setzen  wir  nunmehr 

SO  erfüllen  diese  Funktionen  der  komplexen  Veränderlichen  2  alle  ver- 
langten Bedingungen.  In  der  Tat  haben  wir  auf  C  in  der  Umgebung 
von  0  =  0 


94  Kap.  X.     Hiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

fais)  -  9P>(*0  =  2/;r  +  (A-  «^o)  +  (-^i  -  Jx)s  +  {A.^-J.^s''+  ■  •  ■  (s>0) 
(A-  Jo)  4-  (A  -Ji)s  +  (A  -J^)s'+...  (s<0); 
folglich   gilt   mit  Rücksiclit  auf  (25)  und  (26)  auch  die  Kongruenz  (24). 

Die  gefundenen  Funktionen  fj^'{s)jf^'{^)  sind,  wie  man  sieht,  auch 
auf  der  Kurve  C,  vom  Punkte  s  =  0  abgesehen,  regulär  analytisch. 

Es  sei  nun  in  dem  vorgelegten,  oben  behandelten  Problem  c{s)  ein 
komplexer  Ausdruck,  der  an  einer  Stelle,  etwa  für  s  =  0,  eine  Unter- 
brechung seiner  Stetigkeit  bzw.  stetigen  Differenzierbarkeit  erleidet  derart, 
daß  die  Darstellung  der  Werte  von  c{s)  in  der  Umgebung  von  s  =  0 
durch  zwei  voneinander  verschiedene  Potenzreihen  ^^.(s)  und  ^_(s)  be- 
wirkt wird,  je  nachdem  s  >  0  oder  s  <  0  ist.  Alsdann  bestimmen  wir  drei 
Konstante  q^,  q^,  r/,  aus  der  Kongruenz 

(27)  ^io+?i^  +  ^As2^|i|j 

und  bilden  dann  in  der  eben  angegebenen  Weise  zu  diesen  Konstanten 
loy  Q.ii  Q.2  d^®  analytischen  Funktionen  f*{z),  fj^'{z),  so  daß  deren  Rand- 
wertquotient 0(s)  die  Kongruenz  (24)  erfüllt  und  folglich  mit  Rücksicht 
auf  (27)  auch 

C_(s)  -  H5-(«) 
oder. 

wird.     Setzen  wir 

so  lehrt  (28),  daß  C{s)  auch  für  s  =  0  zweimal  stetig  differenzierbar 
wird;  mithin  ist  nach  dem  Früheren  das  Problem,  eine  innerhalb  und 
eine  außerhalb  der  Kurve  C  reguläre  Funktion  F^^{z)  bzw.  F^{z)  mit  der 
Randbedingung 

F,Xs)  =  C{s)F,{s) 
zu  finden,  lösbar;  wegen 

e(.)  =  D(:s)/;*(s) 

erfüllen  die  P^unktionen 

die  Randbedingung 

und  lösen  daher  unser  vorgelegtes  Problem. 


Die  Aufgabe,  die  wir  nunmehr  in  Angriff  nehmen,  besteht  darin, 
zwei  außerhalb  der  geschlossenen  Kurve  C  regulär  analytische  Funktionen 
/„(^),  fä{^)    lind    zwei    innerhalb    C    regulär    analytische    bzw.    sich    wie 


Kap.  X.     Eiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 


95 


(29) 


rationale  Funktionen  verhaltende  Funktionen  fj{z),  fji/)  zu  finden,  so  daß 
die  Randwerte  dieser  beiden  Fuuktionenpaare  auf  der  Kurve  C  selbst  eine 
gegebene  lineare  Transformation  mit  komplexen  Koeffizienten  erfahren, 
d.  h.  daß 

fa{s)=-C,{s)f,{s)+C,{s)f;{s\ 

f:(.s)  =  c,'{s)f,{s)-{-c,\s)f;{s) 

wird,  wo  c^{s),  €2(8),  Cj^{s),  c./(s)  gegebene  komplexe,  zweimal  stetig 
differenzierbare  Ausdrücke  in  s  sind,  deren  Determinante 

c,(s)c.;is)--C2(s)c,'{s) 
für  alle  *"  von  Null  verschieden  blei))t.     Die  Kurve  C  werde  der  Einfach- 
heit halber  wiederum  analytisch  vorausgesetzt. 

Zur  Lösung   der  Aufgabe   setzen   wir,    indem   wir   der  Kürze  halber 
das  Argument  *•  fortlassen: 

wo  y  eine  noch  zu  bestimmende  Konstante  bedeutet,  und  ferner 

(  Tt 


(30) 


(31) 


c^{p)  =  c^is)  +  c^X(5,  s)  sin  y  (s  —  (?), 
c/((?)  =  c/(s)  +  Ci'((?,  s)  sin  y  (s  -  (?), 


wo  nun  die  Funktionen  c^((j,  s),  Cg  ((?,.<>),  c^'{(3,s),  c.2\(},  s)  gewiß  für  alle 
Argumente  <3,  s  einmal  stetig  differenzierbar  nach  diesen  Argumenten  sind. 
Wenden  war  auf  (29),  indem  wir  uns  die  Randwerte  fa,fa,fpfj  als 
stetig  differenzierbare  Funktionen  von  s  denken,  die  Operation  J/^  an, 
so  entsteht  mit  Rücksicht  auf  (13)  und  (31) 


(32) 


0 

l 


wo  E^{6,s),E^{<5,s),E{{(3,s),E.y'{a,s)  stetig  differenzierbare  Funktionen 
von  (?,  s  sind  und  das  Argument  s  wiederum  der  Kürze  halber  weg- 
gelassen worden  ist. 

Multiplizieren  wir  die  in  der  unteren  Zeile  von  (30)  stehenden  zwei 
Gleichungen  einmal  mit  —  Cj,  —  Cg  und  ein  anderes  Mal  mit  —c^,  —  c^' 
und  addieren  sie  das  erste  Mal  zu  der  ersten  und  das  zweite  Mal  zu  der 


96 


Kap.  X,     Kiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 


m 


zweiten  der  darüber  stehenden  Gleichungen,  so  ergibt  sich  mit  Rücksicht 
auf  (32) 

K  -  <^xF-c,F;==t\  +  cj^  +  c,f;  +f(E,{ö,s)fj{ö)  +  E,{6,s)f;ip))ä6-c,y, 


f:-c,'f.-  c:f;=  /•;+  c;t) + c:f;+fiE,'{ö,  sf^io  +  e,\6,  s)f;{6))d6-c,'r, 

0 

und  mit  Hilfe  von  (29) 

K -  c,Fj -  c,F;  =  2{cJ)  +  c,f;)  +f(E,  6,  s)f,{6,  +  E,'6, s)f;iö))d6-c, y, 

b 

F^-c;F^-C^F;=2{c,'f,+  C.y;)+J{E^{6,S)f^{6)+E^{6)f;{6,S))d6-C,'y. 


Setzen  wir  die  rechten  Seiten  dieser  beiden  letzten  Formeln  gleich 
Null,  so  erhalten  wir  durch  Kombination  der  so  entstehenden  Gleichungen 
—  da  ja  die  Determinante  c^c^ — CoC/  unserer  Annahme  zufolge  für 
keinen  Wert  von  s  verschwindet  —  Gleichungen  von  der  Form 


(34) 


0 

/ 


wo  K^iöjS),  K^{6,s),  K^(6,s),  K.^{a^s)  ebenfalls  stetig  differenzierbare 
Funktionen  von  6,  s  sind.  Diese  Gleichungen  lassen  sich  in  eine  einzige 
Integralgleichung  zweiter  Art 

2/ 

(35)  y{s)  =  cp{s)  -JK{6,  S)cp{ö)d6 

6 

zusammenfassen,  indem  wir  die  Funktionen  y(s),  (p{s),  K(6,  s),  wie  folgt 
definieren: 

=  0,   l<s£2l- 

^^{s)  =  f\(s),       0£s£l 

=  f;(s-i),       l<s£2l- 

0<s<l 


n 


Kap.  X.    Riemanus  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  97 

Die  Anwendung  der  Fredholmsclien  Formeln  zeigt,  daß  die  Integral- 
gleichung (35)  stets  eine  Lösung  gp(s)  besitzen  muß,  und  zwar  entweder, 
indem  wir  der  Konstanten  y  irgendeinen  von  Null  verschiedenen  Wert 
erteilen  oder  —  falls  gerade  1  ein  Eigenwert  für  den  Kern  -E^((?,  s)  wird 
—  indem  wir  für  die  Konstante  y  den  Wert  Null  wählen,  wodurch  die 
Integralgleichung  zu  einer  homogenen  wird.  Diese  Lösung  <f{s)  liefert 
die  Lösungen  /],(s),  f'jis)  der  Gleichungen  (34),  und  die  so  gewonnenen 
Funktionen  fj{s\  f'jis)  sind  gewiß  ebenfalls  stetig  differenzierbar  —  wie 
aus  der  stetigen  Differenzierbarkeit  der  Funktionen  K-^^ß^s),  K^{6,s), 
K^{(5,  s),  K^'ip,  s)  sofort  zu  erkennen  ist,  indem  man  allgemein  zeigt,  daß 
Integrale  von  der  Gestalt 

fK*(ö,  s)q){a)d6 

0 

gewiß  notwendig  stetig  differenzierbare  Funktionen  von  s  darstellen,  so- 
bald q){(3)  stetig  in  ö  und  K*(0,  s)  stetig  differenzierbar  in  bezug  auf 
beide  Variable  6,  s  ist. 

Nunmehr  bilden  wir  aus  fj(s),  f/{s)  nach  (29)  die  Ausdi'ücke  /'^(s),  fJis) 
und  alsdann  nach  (30)  die  Ausdrücke  F^(s),  F^'(s),  Fj{s),  Fj'(s).  Ergeben 
sich  diese  vier  Ausdrücke  F^(s),  FJ{s),  Fj(s),  Fj(s)  sämtlich  identisch 
gleich  Null,  so  zeigen  unsere  obigen  Resultate  (vgl.  S.  86  und  S.  88),  daß 
die  Ausdrücke  f^,  fj  und  fj,  fj  die  Randwerte  außerhalb  bzw.  innerhalb  C 
regulärer  analytischer  Funktionen  der  komplexen  Veränderlichen  darstellen; 
unsere  Aufgabe  ist  mithin  in  diesem  Falle  gelöst. 

Ergeben  sich  nicht  alle  vier  Ausdrücke  F^^{s),  FJ(s),  Fj(s),  Fj(s) 
identisch  gleich  Null,  so  betrachten  wir  die  zu  f^,  f-  und  f^,  f^  konjugiert 
komplexen  Ausdrücke  f  j,  f '.  bzw.  f^,  f ^.  Nach  den  oben  gefundenen 
Resultaten  (vgl.  S.  86  und  S.  88)   stellen  für  beliebige  iv   die  Ausdrücke 

■W  -f-  M^V   bzw.    IV  —  ^a'^v 

stets  Randwerte  gewisser  innerhalb  bzw.  außerhalb  G  regulärer  analytischer 
Funktionen  dar.  Nehmen  wir  für  iv  die  komplexen  Ausdrücke  f  ^y  f  '■  bzw. 
f  a')  f  ai  '^^  erkennen  wir  hieraus,  daß  gewiß  die  zu  jP^-,  F-  bzw.  F^,  F^ 
konjugiert  komplexen  Ausdrücke  F j,  F ■,  F^,  Fj  Randwerte  gewisser 
innerhalb  bzw.  außerhalb  C  regulärer  analytischer  Funktionen  ^y(^),  9j'{^) 
bzw.  g^{z),  (läiz)  sind.  Da  andererseits  unter  Vermittlung  von  (32),  (34) 
aus  (33)  offenbar 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  7 


98  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

folgt  und  mithin,  wenn  Cj,  c«,  c/,  r.,'  die  zu  q,  c^,  c^',  c^'  konjugiert 
komplexen  Ausdrücke  bedeuten,  auch 

f,  =  c,Fj  +  c,f;, 
f:=c,'f;+c,'f; 

wird,  so  sind  offenbar  g/z),  ()-{z),  f/„(^),  oäi^)  analytische  und  auf  C 
gewiß  stetige  Funktionen  der  komplexen  Variabein  z,  die  die  Bedingungen 
unserer  Aufgabe  erfüllen,  wenn  wir  in  den  für  den  Rand  vorgeschriebenen 
linearen  Relationen  an  Stelle  der  Koeffizienten  c^,  Cg,  q',  c^  die  konjugiert 
komplexen  Ausdrücke  c,,  c^,  c/,  Cg'  setzen,  d.  h.  unsere  Aufgabe  ist  als- 
dann bei  dieser  Modifikation  gewiß  lösbar. 

Zusammenfassend  sprechen  wir  das  Resultat  aus: 

Satz  28.  Wenn  Cj,  c^,  c^',  c^  gegebene  Lomplexe  ziveimal  stetig  differen- 
zierhnre  Ausdrücke  auf  der  Kurve  C  sind,  so  gibt  es  entweder  zwei  Funlc- 
tionenpaare  fj(z),  f/{^)  und  fa(/),  fa{^)j  ^'^^  denen  die  ersteren  innerhalb, 
die  letzteren  außerhalb  der  Kurve  C  regulär  analytisch  sind,  deren  Rand- 
werte auf  G  stetig  sind  und  die  Relationen 

fä=Cifj+C,'f; 

erfüllen,  oder  zwei  Funldionenpaare  ebenfalls  von  regulärem  Charakter  inner- 
halb bzw.  außerhalb  C:  gj{z),  g/i^)  und  gjz),  g,^{z),  deren  Randwerte 
auf  C  stetig  sind  und  die  Relationen 

üa  =  Ci  gj  +  H  9j', 

erfüllen,  ivo  c^,  c^',  c^',  c^  die  zu  den  gegebenen  Ausdrücken  q,  Cg,  c/,  c^  bzw. 
konjugiert  komplexen  Ausdrücke  bedeuten. 

Wir  fügen  diesem  Resultate  noch  folgende  Bemerkungen  hinzu. 

Es  seien  f^{z),  f^^iz),  fji/),  f-{z)  außerhalb  bzw.  innerhalb  von  C 
stetig  differenzierbare  Funktionen,  deren  Randwerte  auf  C  stetig  differen- 
zierbare Funktionen  von  s  seien  und  den  Betlingungen  (29)  genügen 
mögen:  dann  gelten,  wie  vorhin  gezeigt,  für  die  Randwerte  f^^,  f^,  fj,  fj 
die  Gleichungen  (32).  Ferner  ist  unseren  früheren  Ausführungen  (vgl.  S.  86 

bis  S.  88)  zufolge 

i  i 

fa + Mj,  -  \ffMda  =  0,  f:  -f  Mj:-\Jf:(ö)d6 = o, 

ü  0 

l  l 

fj-  ^'>f>-  lfm''« = 0.  /;-  w; -  ^ffH'^y« = o- 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  99 

Multiplizieren  wir  hier  die  in  der  unteren  Zeile  stehenden  zwei  Glei- 
chungen einmal  mit  Cj,  Cg  und  ein  anderes  Mal  mit  q',  c^  und  addieren  sie 
das  erste  Mal  zu  der  ersten  und  das  zweite  Mal  zu  der  zweiten  der 
darüber  stehenden  Gleichungen,  so  gelangen  wir  mit  Rücksicht  auf  (32) 
und  bei  Benutzung  von  (29)  zu  Gleichungen  der  Gestalt 

i 
2(ci/-  +  c^fl)  +J\G,{6,S)fj{^)  +  G,{6,s)f;{6))d6  =  0, 

0 

l 

K<fj  +  <-\f;)  +f{GiiG,s)f^i&)  +  G,'(6,s)f;(6))d6  =  0: 

0 

und  durch  deren  Kombination  entstehen  die  Integralcrleichungen: 


(36) 


fj  -J\L,{6,s)f){ö)  +  mö,s)fj\a))da  =  0, 


/•;  -J{L,'{ö,S)fj{6)  +  L^{a,S)f;{6))d6  =  0; 


dabei  sind  G^{a,s),  G2{ö,s),  Gi{o,s)  G^{6jS)  und  mithin  auch  L^{6,s)j 
L^iö^s),  L^i6,s),  L.2{6,s)  stetig  differenzierbare  Funktionen  von  6,s. 
Die  Integralgleichungen  (36)  lassen  sich  wieder  in  analoger  Weise  wie 
früher  die  Integralgleichungen  (34)  in  eine  homogene  Integralgleichung 
zweiter  Art  zusammenfassen,  wenn  wir  wie  dort  an  Stelle  der  Funktionen 
/^,  f-  eine  Funktion  cp(ß)  einführen.  Da  aber  eine  Integralgleichung 
zweiter  Art  gewiß  nur  eine  endliche  Anzahl  linear  von  einander  unab- 
hänfficrer  Lösungen  besitzt,  so  folgt,  daß  es  auch  nur  eine  endliche  Anzahl 
von  Funktionenpaaren  /"_,,  f-  und  zugehörigen  f^,  f^  von  der  in  Rede 
stehenden  Beschaffenheit  geben  kann. 

Setzen  wir  von  den  Randwerten  f^,  f^,  f-  f'  der  analytischen  Funk- 
tionen f^{z),  f^{/),  fj{^),  fj{^)  nicht  die  stetige  Differenzierbarkeit,  sondern 
nur  Stetigkeit  in  s  voraus,  so  können  wir  diese  Randwerte  f^,  f^,  f.,  f^ 
doch  stets  durch  gewisse  Ausdrücke  f^''\  /^'('"^  fl^''\  f-^''^  in  s  gleichmäßig 
annähern,  welche  die  Randwerte  von  analytischen  außerhalb  und  auf  G 
bzw.  innerhalb  und  auf  C  regulären  Funktionen  in  z  sind  und  welche 
daher  in  s  analytisch  ausfallen. 

Um  dies  etwa  für  die  Randwerte  fjj  f-    einzusehen,  seien 
Z=^{z)     oder     z  =  (f{Z) 

die  analytischen  Beziehungen  zwischen  den  komplexen  Veränderlichen 
z,  Z,  vermöge  derer  das  Innere  der  Kurve  C  in  der  komplexen  ^-Ebene 
auf  das  Innere  des  Einheitskreises  in  der  komplexen  Z-Ebene  konform 
abgebildet  wird.     Alsdann  stellen  für  r  <  1  die  Ausdrücke 

/;.(9P(r0(^r))),     f:((p{r0(M) 


7* 


]  00  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

innerhalb  und  auf  C  regulär  analytische  Funktionen  von  z  dar,  deren 
Randwerte  auf  C 

W  =  fj{(Pir^is))) ,     /"/e-)  =  f;(cp(r  0{s))) 
beim   Grenzübergange  zu  r  =  1   gleichmäßig   gegen   die   Randwerte  fj,  fj 
konvergieren. 

Entsprechend  gelangen  wir  für  die  Randwerte  f^,  f^  zu  gleichmäßig 
annähernden  Randwerten  fJ;-''\  fj^''^  von  der  gewünschten  Art. 

Bestimmen  wir  nun  vier  Funktionen  c/'"),  Cg^''^  c/^'"^  Cg'^'"^  auf  C,  die 
noch  von  dem  Parameter  r  abhängen  und  für  r  =  1  bzw.  iu  c^,  r-^,  c^',  c^' 
übergehen,  während  für  alle  r  die  Relationen 

gelten,  so  müssen  unserer  obigen  Überlegung  zufolge  die  Werte  f^^''\  fj^'''> 
gewisse  entsprechende  Integralgleichungen  von  der  Gestalt  (36)  erfüllen, 
die  für  >•  =  1  in  die  Integralgleichungen  (o6)  übergehen.  Hieraus  er- 
kennen wir,  daß  die  Funktionen  /'.,  fj  die  Integralgleichungen  (36)  be- 
friedigen, und  erschließen  so  ihre  stetige  Differenzierbarkeit. 

Wir  fassen  diese  Bemerkungen  in  folgendem  Satze  zusammen: 

Satz  29.  Wenn  t\{z),  fäi/),  fji/)}  f/i^)  außerJtalb  hzw.  innerlialh  C 
regulär  analytische  Funktionen  von  z  und  ihre  Randwerte  auf  C  stetige, 
den  Relationen  (29)  genügende  Funktionen  von  s  sind,  so  sind  diese  Rand- 
werte auf  C  notwendig  auc1h  stetig  differenzierhare  Funktionen  von  s. 

Es  gibt  gar  keine  oder  nur  eine  endliche  Anzahl  linear  voneinander 
unabhängiger  Systeme  von  Funktionen  fa(z),  f^'i^),  fj{^),  fjiß)j  ^^^^  außer- 
halb bziv.  innerhalb  C  regulär  analytisch  sind  und  auf  G  stetige,  den  Re- 
lationen (29)  genügende  Randwerte  besitzen.  — 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  Frage,  ob  es  stets  Funktionen  f^i^), 
fa(.^)f  fji.^)}  fji^)  ^^^  stetigen  und  den  Relationen  (29)  genügenden  Rand- 
werten auf  C  gibt,  wenn  wir  von  fg(z),  fj{z)  wiederum  regulär  analyti- 
schen Charakter  außerhalb  C,  dagegen  von  den  Funktionen  fXz),  f-{z) 
nur  verlangen,  daß  sie  innerhalb  C  den  Charakter  rationaler  Funktionen 
besitzen. 

Um  diese  Frage  zu  beantworten,  fassen  wir  diejenigen  Systeme  von 
Funktionen  gjz),  gä(/),  9j{^)j  9j(/)  ^^^  -^^ge,  die  außerhalb  bzw.  inner- 
halb C  regulär  analytischen  Charakter  besitzen,  deren  Randwerte  auf  C 
stetig  sind  und  den   Relationen 

9a  =  c^g.  +  c^g' 


^9a    -Cl9j+C29j 

genügen,   wo  c^,   Cg,   c/,   Cg'  die  zu   den   gegebenen  Ausdrücken  bzw.  Cy, 
Hl  ^i>    ^i    konjugiert    imaginären   Ausdrücke   bedeuten.     Nach   dem   eben 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  101 

bewiesenen  Satze  gibt  es  nur  eine  endliche  Anzahl  linear  unabhängiger 
P'unktionensysteme  solcher  Art,  und  deswegen  fällt  es  uns  leicht,  wenn 
3=p.  einen  irgendwie  gegebenen  Punkt  innerhalb  0  bedeutet,  eixie  ganze 
positive  Zahl  n  zu  finden,  so  daß  gewiß  kein  Funktionensystem  g^i/)} 
9  '(^)>  9{^)}  9-  {^)  ^^^  ^^  Rede  stehenden  Art  existiert,  wobei  die  Funk- 
tionen g{/),  g'i/)  ioi  Punkte  ^  =  Pj  von  der  wten  Ordnung  Null  sind. 
Bezeichnen  wir  nun  die  Randwerte  der  Funktion  (2  —  p^)"  auf  C  mit 
ö,  so  gibt  es  sicherlich  kein  System  von  Funktionen  g*{2),  g^'*(z\ 
g*{3),  g'*{^),  <lie  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  regulär  analytisch  sind 
und  stetige,  den  Relationen 

gj^-  =  c^ß)gf-^c^&gj*, 


^./*  =  c^'iogf"  +  c^'äg 


'* 


genügende  Randwerte  auf  C  besitzen;  denn  andernfalls  wären 

9a(^)  =  9a*i^)  ;       9a'i^)  =  9a"^{^) 

g.{z)  =  {z-p;)-gf^{ß),    g/iz)  =  (z-p;)-g;%z) 

regulär  analytische  Funktionen,  deren  Randwerte  den  Relationen  (37)  ge- 
nügen und  von  denen  gj{z),  gji^)  im  Punkte  z  =  Pj  eine  Nullstelle  nter 
Ordnung  besitzen,  was  nicht  der  Fall  sein  sollte. 

Auf  Grund  der  eben  festgestellten  Tatsache  schließen  wir  wegen 
Satz  28,  daß  es  gewiß  ein  System  von  Funktionen  f,^^'{z),  fä*{^)j  tT^)' 
f'*{z)  geben  muß,  die  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  sich  regulär  analytisch 
verhalten  und  stetige,  den  Relationen 

genügende  Randwerte  auf  C  besitzen,  wobei  tö  den  zu  ö  konjugiert  kom- 
plexen Ausdruck  auf  C  bedeutet. 

Nunmehr  bestimmen  wir  —  was  unseren  Ausführungen  auf  S.  91 
zufolge  möglich  ist  —  eine  außerhalb  G  und  eine  innerhalb  C  regulär 
analytische  Funktion  t„(^)  bzw.  tj{^),  deren  Randwerte  auf  C  stetig  sind 
und  der  Relation 


genügen. 


F'unktionen  der  verlangten  Art  mit  stetigen  und  den  Relationen  (29)  ge- 
nügenden Randwerten  auf  C. 


ta  = 

WM 

Dann  sind 

offenbar 

a^)  = 

^aC^)/"/ 

i^l 

fa'i^)   = 

=  u^)f: 

%0) 

m  = 

{^-P.i)" 

f*(^), 

/•;(^)  = 

(^-Pjr 

fr{^) 

102  Kap.  X.     Eiemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

Wir  sprechen  daher  den  Satz  aus: 

Satz  30:  Es  gibt  stets  Funldionen  fj^z),  fäiß)^  fji^)}  fj'i^)  der  kojn- 
plexen  Variahein  z,  die  auf  der  Kurve  C  stetige,  den  Belationen  (29)  ge- 
nügende liandiccrte  besitzen  und  die  außerhalb  bzw.  innerhalb  C  von  regulär 
analytischem  Charalier  sind  —  mit  etwaiger  Ausnahme  einer  Stelle  inner- 
halb C,  die  für  eine  der  Funktionen  fj(z),  fj{z)  oder  für  beide  ein  Pol  ist. 


Zum  Schhiß  mache  ich  von  dem  eben  bewiesenen  Satze  eine  An- 
wendung auf  den  Beweis  für  die  Existenz  linearer  Differentialgleichungen 
mit  vorgeschriebener  Monodromiegruppe,  d.  h.  auf  die  Lösung  des  beson- 
deren der  Theorie  der  linearen  Differentialgleichungen  entsprungenen  Rie- 
mannschen  Problems^).  Zu  dem  Zwecke  verbinde  ich  die  gegebenen 
singulären  Punkte  z^^\  z^^\  .  .  .  z^"*^  der  linearen  Differentialgleichung  in  der 
komplexen  ^'- Ebene  in  dieser  Folge  zyklisch  mittels  einer  geschlossenen 
analytischen  Kurve  C:  es  kommt  dann  darauf  an  —  wir  haben  der  Ein- 
fachheit halber  den  Fall  einer  linearen  Differentialgleichung  zweiter  Ord- 
nung im  Sinn^)  — ,  ein  Paar  von  Funktionen  f(z),  f'{z)  zu  konstruieren, 
die  sich  überall  in  der  Ebene,  insbesondere  auch  auf  dem  zwischen  z'^'"^ 
und  ^W  =  ^^('"■'"1)  verlaufenden  Stücke  der  Kurve  C  wie  rationale  Funktio- 
nen der  komplexen  Veränderlichen  z  verhalten  und  nur  in  den  zwischen 
^(^)  und  z^^\  z^^^  und  z^^\  .  .  .  ,  ^r('"~^)  und  ^('"^  verlaufenden  Kurvenstückeu 
ein  singuläres  Verhalten  zeigen,  insofern  ihre  Werte  auf  der  äußeren 
Seite  dieser  Kurvenstücke  aus  defi  Werten  auf  der  inneren  Seite  durch 
lineare  homogene  Kombinationen  mit  oregebenen  konstanten  Koeffizienten 
abzuleiten  sind.  Bezeichnen  wir  die  Funktionen  f{z),  f'iz)  innerhalb  bzw. 
außerhalb  C  mit  fjiz),  fj{^)  ^^^iw.  f„{^),  f„'{z)  und  bedenken,  daß  die  für 
das  Kurvenstück  zwischen  z'-"''>  und  z'-^''  geltende  Forderung 


1)  Diesen  Gedanken  zur  Lösung  des  besonderen  lliemannschen  Problems  bat 
der  Verfasser  bereits  in  Vorlesungen  über  Integralgleichungen  (Wintersemester  1901/02) 
entwickelt;  0.  Kellogg  hat  ihn  dann  in  einer  Note  („Unstetigkeiten  bei  den  linearen 
Integralgleichungen  mit  Anwendung  auf  ein  Problem  von  Riemann",  Math.  Ann. 
Bd.  tJO)  auszuführen  gesucht.  —  Kürzlich  hat  L.  Schlesinger  (,.Zur  Theorie  der  linearen 
DiflFerentialgleichungen  im  Anschlüsse  an  das  Riemannsche  Problem",  Journ.  für  Math., 
Bd.  130  und  Math.  Ann.,  63)  die  Kontinuitätsmethode  zum  Beweise  für  die  Lösbarkeit 
des  besonderen  Riemannschen  Problems  heranzuziehen  gesucht.  —  Man  vgl.  ferner 
die  Abhandlung  von  Plemelj  „Riemannsche  Funktionenscharen  mit  gegebener  Monodro- 
miegruppe", Monatshefte  für  Math,  und  Phys.  XIX.,  wo  eine  vereinfachte  Darstellung 
meiner  Lösung  des  speziellen  Riemannschen  Problems  gegeben  wird. 

2)  Für  den  Kenner  der  Determinanteutheorie  gilt  dann  die  Schlußweise  zugleich 
für  den  Fall  einer  linearen  Differentialgleichung  j(ter  Ordnung. 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  103 

Ja  ^^  ij ' 
f '  =  f 
der  identischen  Substitution  gleich  kommt,  so  gelangen   wir   zu  der  fol- 
genden Aufgabe: 

Man  soll  außerhalb  der  Kurve  C  die  Funktionen  f^{z),  f^{z)  und 
innerhalb  C  die  Funktionen  fj{z),  f-{z)  vom  Charakter  rationaler  Funk- 
tionen derart  bestimmen,  daß  die  Randwerte  f^^,  fj,  fj,  fj  dieser  Funktio- 
nen auf  C  überall  stetig  sind  und  bzw.  für  die  Kurvenstücke 

zwischen  z^''^  und  .^(^^^^     (A  =  1,  2,  .  .  . ,  m) 
die  Relationen 

erfüllen,  wobei 

y/^\   J.,(^),  y/("),   y^^")      (h  =  1,  2,  . . . ,  m) 

ö-esrebene  Konstanten  mit  nicht  verschwindender  Determinante  sind.     Der 
doppelten  Schreibweise  des  Punktes 

entsprechend  werde  noch 

gesetzt. 

Zur  Lösung  dieser  Aufgabe  setzen  wir  zunächst 


wo  Z"^^*,  Z"^'*  Hilfsausdrücke  in  s  sind,  berechnen  hieraus  die  Werte  von 
f.,  f  und  führen  dieselben  rechter  Hand  in  (38)  ein.  Die  so  aus  (38) 
und  (39)  entstehende  Substitution 

f,:  =  r^^'^fa^  +  r/(^)/-;* 

schreiben  wir  nun  in  der  Form 

indem  wir  der  Kürze  halber  annehmen,  daß  die  Elementarteiler  der  zu 
jener  Substitution  gehörigen  charakteristischen  Determinante  demgemäß 
ausfallen.     Bei  Gebrauch  von  (39)  werde  identisch: 


104 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 


dabei  bedeuten  die  Größen  T,  F'  bzw.  M,  M'  bzw.  iV,  Is'  Konstante 
jede.smal  mit  nicbt  verschwindender  Determinante  und  u,  u  von  Null 
verschiedene  Konstante. 

Nunmehr  konstruieren  wir  in  ähnlicher  Weise,  wie  dies  oben  (vergl. 
S.  92)  geschehen  ist,  innerhalb  bzw.  außerhalb  von  C  regulär  analytische 
Hilfsfunktionen,  deren  Raudwertquotienten  auf  C  in  den  Punkten  z^'''>  ge- 
wisse Uustetigkeiten  aufweisen. 

Zunächst  bilden  wir  die  innerhalb  bzw.  außerhalb  G  regulär  analy- 
tischen Funktionen 

cp/'K^)  =  l{z  -  ^("))  bzw.  9>,/")(,)  =  l  (?  T^)  , 

wo  p  wiederum  irgendeinen,  innerhalb  C  gelegenen  Punkt  bedeutet. 
Setzen  wir  dann  • 

WO  für  Z/i-C'),  Ifi'^''^  diejenigen  Werte  des  Logarithmus  zu  nehmen  sind,  für 
die  —  unter  91  (fC')),  %l(a^''^)  Realteil  von  e^''\  e'^''^    verstanden  — 

0<9i  (£(''))<!,    0<^(£'W)^1 

ausfällt,  und  bilden  die  Funktionen: 

so    sind    die    Funktionen    i'J''\s),    ta'^''K^)    außerhalb   C,    die    Funktionen 
'tl}S''\z),  ^y'^z)  innerhalb   C  und  sämtliche  Fimktioneu  überdies  auch  auf 
C  regulär  analytisch  mit  Ausnahme  jedesmal  des  Punktes  s  =  z^''\ 
Ferner  bestimmen  wir  die  ganzen  rationalen  Funktionen  von  z 

A^''){z),  Ä^'-\z),  J(''\z),  J'^''\z),     (/i  =  1,  2,  .  . . ,  m) 

in  der  Weise,  daß  sie  folgende  Kongruenzen  erfüllen: 

A^''){z)  =  \,  {z-z^^^Y' 

^W(^)  =  0,  (z-z^'^^Y 

Ä^''){z)^l,  {z-z^'''^f 

A'^''){z)  =  0 ,  {z-  z^'^y      fh,  /.•  =  1,  2, .  .  . ,  m 

Ji''){z)  =  l,  (z-zC'^y'    \  h^k 

J-('')(^)  =  0,  {z-z^'^f 

J'i>'){z)^l,  (z-z^'^y 

j'W{z)  =  o,  {z-z^'^y, 


(42) 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie, 
und  setzen  dann  der  Kürze  halber 


105 


(43) 


J/2'(^)  =  ^W(5)lf/W  + 

isr^(^)  =  ,7(i)(^)iVjW  + 

t^,(^)=J-(i)(^)^/)(^)  + 


+  ^("')(^)^^W(^), 


Endlich  denken  wir  uns  nötigenfalls  die  Kurve  C  ein  wenig  variiert 
derart,  daß  auf  der  variierten  Kurve  —  die  wiederum  analytisch  sei,  die 
Punkte  0^^^,  .  .  .  ,  ^("')  enthalte  und  auch  kurz  mit  C  bezeichnet  werde  — 
die  Funktionen 

^/^),t/;;(^),t^,(4t^;(^),Jf,(^),iTf/(^);  3I,(,),M,X^),N,(,)N,X,)-  N,(z),N,\z) 

überall  mit  etwaiger  Ausnahme  dieser  Punkte  ^(^), .  . . ,  ^("')  von  NuU  ver- 
schieden ausfallen. 

Bezeichnen  wir  dann  mit  5^''^  den  zu  0^''^  gehörigen  Wert  der  Bogen- 
länge s,  so  gelten  wie  oben  (vgl.  S.  93)  auf  C  in  genügender  Nähe 
von  s  =  s^^^  die  Entwickelungen 


M") 


(44) 


9>, 


{'') 


-  i%  +  lis  -  .sW)  +  Ji^>)  +  J^(.''){s  -  s(^))  +  .  .  . ,  (s  >  s(")) 

1%  +  ?(S  -  sC'))  +  A'''^  +  ^1^''^(S  -  S^'O   +  •  •  •  ;  (5  >  S^''0 

Z(s('')  -  s)  +  ^0^''  +  ^^''\s  -  s^'O  +  •••,(«<  s^''\) » 


wo  Z(s  —  s('')),  Z(s('')  —  s)   die   reellen  Logarithmen   und  JqC'^  J^^'^,  .  .  .  A^'-''^ 
Ä^^''\  .  .  .  gewisse  komplexe  Koeffizienten  bedeuten. 

Bezeichnen  wir  die  Randwerte  ^r  Funktionen  '4>J''\s),  H^ä''''\z),  {/'.('')(-?), 
■4)-''''\z)  auf  C  bzw.  mit  1^^/''),  t\y'\  i'/'\  ^j'^''\  so  gelten  demnach  auf  C 
in  genügender  Nähe  des  Punktes  s  =  s^''^  die  Entwickelungen 


106 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 


(45) 


_g£"'^Z(s'A'-s)5p(/,) 

_  gf'A>Z(s"''  — S)m    (A) 


(s  >  sC')) 
(s<sW), 

(S  >  6-(''^) 

(s<sW), 
(s  >  sC')) 
(s<s('')), 
(s  >  s('')) 
(s<s('')), 


wo    ^/'),   ^/W,  ^/'),    ^„'(')    reguläre,    nach   Potenzen    von  .s  -  s<''^    fort- 
schreitende, für  s  =  .s<'')  nicht  verschwindende  Potenzreihen  sind. 

Wenden  wir  uns  nach  diesen  Vorbereitungen  zu  der  ursprünglich 
vorgelegten  Aufgabe  zurück  und  führen  statt  der  gesuchten  Funktionen 
fai^)}  fai^)  ^^®  Funktionen  g„{^)}  oäi^)  vermöge  der  Gleichungen 


(48) 


(49) 


M.'WSz)  +  M^{z)f:{z)^rl.:{z)g:{z) 

und  statt  der  gesuchten  Funktionen  fj{z),  f-iz)  die  Funktionen  gjiz), 
g'iß)  vermöge  der  Gleichungen 

^;{z)f,{z)  +  h\:{z)f;{z)  =  i^;{z)g;{z) 

ein,  so  geht  die  ursprünglich  vorgelegte  Aufgabe  in  die  Aufgabe  über, 
die  Funktionen  ga{z),  gä^z),  9j{^)'.^  9j^^)  außerhalb  bzw.  innerhalb  der 
Kurve  G  vom  Charakter  rationaler  Funktionen  derart  zu  bestimmen,  daß 
ihre  Randwerte  g^,  gj,  g^  g^'  auf  G  die  Relationen 

9a  =  c,gj-{-c^gj', 

9a  =  ^i'r/i  +  (^^9j 

erfüllen,  wobei  die  Koeffizienten  q,  c,,  c/,  Cj'  gewisse  endliche  Ausdrücke 
in  s  mit  von  Null  verschiedener  Determinante  sind,  die  leicht  aus  (38) 
vermittels  (48)  und  (49)  berechnet  werden  können. 

Zur  Lösung  dieser  letztereu  Aufgabe  können  wir  unseren  Satz  30 
anwenden,  da  die  Koeffizienten  c^,  i\,  c^,  Cg' zweimal  stetig  differenzierbare 
Ausdrücke  in  .9  werden.     Den  Nachweis  hierfür  erbringen  wir,  wie  folgt. 

Da  die  Kurve  C  als  analytisch  angenommen  war,  so  erhalten  wir  die 
Punkte  auf  G  in  der  Umgebung  von  z  =  z^''^  durch  die  Formel 

z{s)  =  ^('0  +  G,{s-  sC'))  -\-G,{s-  s(''))2  +  .  • ., 


(50) 


Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie.  107 

wo  rechter  Hand  eine  reguläre  nach  Potenzen  von  s  —  s^''^  fortschreitende 
Reihe  steht.  Die  Kongruenzen  (42)  werden  demnach,  wenn  wir  die  Variable  z 
in  die  Umgebung  von  2^'''>  auf  C  wandern  lassen,  unmittelbar  in  Kon- 
gruenzen für  die  entsprechenden  Randwerte  nach  dem  Modul  (s  —  s^''^)* 
übergehen. 

Wir  erweitern  noch  den  Begriff  der  Kongruenz  auf  allgemeinere 
Ausdrücke  S^^,  S,^  in  s,  indem  wir,  wenn  in  einer  Formel 

8,-  S,=^{s-  6C'))C  ^  +  (s  -  s^'Y'^' 
beide  Exponenten  e,  e'  Realteile  ^  3  bzw.  ^  4  besitzen  und  ^,  Sß'  reguläre 
Potenzreihen  in  s  —  s^''^  sind,  ebenfalls 

S,^S,,     (s-sW)3 
bzw. 

schreiben. 

Alsdann  folgt  aas  (48),  wenn  wir  die  Variable  2  in  die  Umgebung 
von  ^(^)  auf  C  wandern  lassen,  mit  Rücksicht  auf  die  Kongi'uenzen  (42) 
und  (43): 

Andererseits  folgt  aus  (49)  mit  Rücksicht  auf  (42)  und  (43): 

Ni^'^j  +  N^^'^f/  ^  ^;^'^9;,     {s  -  s^"yy, 

und  hieraus  ergibt  sich  wegen  (41) 

Nunmehr  unterscheiden  wir  die  beiden  Fälle,  ob  s  <  s'^''^  oder  s  >  s^*^ 
ausfällt.     Im  ersteren  Falle  liefert  (38)  die  Relationen 

d.  h.  mit  Benutzung  der  Hilfsausdrücke  (3*') 

f  =f* 

I  a  I  a    1 

I  a  I  a      1 

folglich  ergeben  (51)  und  (52)   die  Kongruenzen 

K'"^9a  =  ^P9p        (s  -  sW)* 

und,  wenn  wir  hier  die  Bedeutung  der  Ausdrücke  tj^''^  ta^''K  ^'/'^  ^/^''^ 
bei  s  <  «('')  aus  (45)  berücksichtigen  und  bedenken,  daß  die  Realteile  der 
Exponenten  von  s^''\  f'C')  zwischen  0  und  1  liegen. 


108  Kap.  X.     Riemanns  Probleme  in  der  Funktionentheorie. 

Ferner,  im  jsiveiten  Falle  s  >  s^''^,  liefert  (38)  die  Relationen 

dies  sind  mit  Benutzung  der  Hilfsausdrücke  (39)  die  Formeln  (40),  und 
folglich  ergeben  jetzt  (51)  und  (52)  die  Kongruenzen 

Berücksichtigen  wir  hierin  die  Bedeutung  der  Ausdrücke  i>J'''\  ^,/^''^  4'j '' 
4'.'^''^  bei  s '^  s^''^  aus  (45)  und  bedenken,  daß  die  Realteile  der  Ex- 
ponenten s^''\  a'^''^  zwischen  0  und  1  liegen,  so  wird  bei  Forthebung  von 
^^''\  ft'C')  wiederum 

Da  ^/'),  ^,W,  '^/\  ^,J')  reguläre  nach  Potenzen  von  s  -  s^'')  fort- 
schreitende und  überdies  für  s  =  s^'')  nicht  verschwindende  Potenzreihen 
sind,  so  erkennen  wir  aus  (58)  und  (54),  daß,  gleichviel  ob  s  <  s^''^  oder 
s  >  s^''^  ausfällt,  die  Kongruenzen 

gelten  müssen.  Durch  Vergleichung  dieser  Kongruenzen  mit  der  Sub- 
stitution (50)  folgen  für  die  Koeffizienten  dieser  Substitution  die  Kongru- 
enzen 

C2  =  0,        (S-SW)3, 


und  diese  zeigen,  daß  die  Ausdrücke  c^,  c.j,  c/,  c^'  beim  Durchgang  durch 
den  Punkt  s  =  s'-''-  gCAviß  zweimal  stetig  differenzierbare  Funktionen  sind. 
Damit  haben  wir  unsere  Behauptung,  wonach  c^,  c^,  c/,  c^  in  (50) 
zweimal  stetig  differenzierbar  in  s  sind,  als  richtig  erkannt  und  zugleich 
das  besondere  liiemannsclte  Problem  der  Auffh>dung  von  FunJdionensysßfnen 
mit  vo7-geschriebener  Monodrom}egrup];)e  vollständiy  gelöst. 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  109 

Vierter  Abschnitt. 

Theorie  der  quadratischen  Formen  mit  unendlich 
vielen  Variahein. 

In  diesem  und  dem  folgenden  Abschnitt  wollen  wir  eine  neue  Methode 
zur  Behandlung  der  Integralgleichungen  entwickeln,  die  auf  einer  Theorie 
der  quadratischen  Formen  mit  unendlich  vielen  Variabein  beruht. 

Die  systematische  Behandlung  der  quadratischen  Formen  mit  unend- 
lich vielen  Variabelu  ist  auch  an  sich  von  großer  Wichtigkeit  und  bildet 
eine  wesentliche  Ergänzung  der  bekannten  Theorie  der  quadratischen 
Formen  mit  endlicher  Variabeinzahl.  Die  Anwendungen  der  Theorie 
der  quadratischen  Formen  mit  unendlich  vielen  Variabein  sind  nicht 
auf  die  Integralgleichungen  beschränkt:  es  bietet  sich  nicht  minder  eine 
Berührung  dieser  Theorie  mit  der  schönen  Theorie  der  Kettenbrüche 
von  Stieltjes')  dar,  wie  andererseits  mit  der  Frage  nach  der  Auf- 
lösung von  Systemen  unendlich  vieler  linearer  Grleichungen,  deren  Unter- 
suchung Hill,  Poincare,  H.  v.  Koch  und  andere  erfolgreich  in  Angriff 
genommen  haben.  Auch  zu  den  Untersuchungen  Minkowskis  über 
Volumen  und  Oberfläche  findet  in  methodischer  Hinsicht  nahe  Beziehung 
statt.  Vor  allem  aber  eröffnet  die  Theorie  der  quadratischen  Formen 
mit  unendlich  vielen  Variabeln  einen  neuen  Zugang  zu  den  allgemeinsten 
Entwicklungen  willkürlicher  Funktionen  in  unendliche  Reihen  nach  Fourier- 
scher  Art,  wie  am  Schlüsse  von  Kapitel  XI  angedeutet  werden  wird.^) 

Elftes  Kapitel. 

Theorie  der  orthogonalen  Transformation  einer  quadratischen 
Form  mit  unendlichvielen  Variabein. 

Es  seien 

Kl  ^  hp' 
wo  jeder  der  beiden  Indizes  p,  q  die  Reihe  aller  ganzen  Zahlen  1,  2,  .  .  . 
durchläuft,  beliebig  gegebene  reelle  Konstanten,  dann  stellt 

K{x)  =^Jc    XX 

eine  quadratische  Form  mit  den  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  , 
dar;  die  Konstanten  Ti  heißen  die  Koeffizienten  dieser  quadratischen 
Form.     Ein  Ausdruck 


1)  Recherches  sur  le3  fractions  continues,  Ann.  de  Toulouse  Bd.  8  (1894). 

2)  Man  vergleiche  zu  der  hier  entwickelten  Theorie  die  Habilitationsschrift  von 
Hellinger  „Neue  Begründung  der  Theorie  der  quadratischen  Formen  von  unendlich 
vielen  Veränderlichen".     Journal  für  Math.  Bd.  136. 


110  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

^(^,  y)  =2%<i^py, 

mit  irgendwelchen  Koeffizienten  a  heißt  ein  hilinearer  Ausdruck  oder 
eine  bilineare  Form  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  .,  y^,  y.^,  .  .  .. 
Der  Ausdruck 

K{:x,  y)  ^^k   X  y 

(p,  5  =  1,2,..?)    ^ 

heißt  die  zu   K(x)   gehörige  Bilinearform   der  unendlich   vielen  Variabein 

x^,  x^,  .  .  ■,  Pi)  y2f  •  •  •• 

Lassen  wir  die  Indizes  jj,  q  nur  die  Werte  1,  .  .  .,  )i,  durchlaufen,  wo 
n  eine  endliche  Zahl  bedeutet,  so  entspringen  die  Formen  mit  der  end- 
lichen Variabeinzahl  n,  wie  folgt: 

{p,q  =  l,  .  .  .,7t) 

K„{x,  y)  =-2\,,Xj,y^. 

{p,q=l,...,  7f) 

Die  Formen  K^(x),  K^(x,  y)  mögen  die  Abschnitte  der  Form  K(x) 
bzw.  K(x,  y)  heißen  und  auch,  mitunter,  ohne  den  Index  n  ausdrücklich 
hinzuzusetzen,  mit  [^K]  bezeichnet  werden. 

Wenn    irgendein    bilinearer    Ausdruck    mit    endlicher    Variabeinzahl 

Ai^,  y)  =2%,Xpy., 

{p.  q  =  \,  .  .  .,  n) 

vorgelegt  ist,  so  heiße  die  Summe  aller  Koeffizienten  der  Glieder  x  y^ 
die  Faltung  des  Ausdruckes  A^{oc,y^  und  werde  mit  A^{.,^  bezeichnet; 
es  ist  also 

(p=l,  ...,«) 

und  insbesondere 

-^»(•;-)  =  ^'iiH ^-  ^'«n- 

Ist 

Bn{x,y)=2\qXpyq 

(P,q=l,2,  ..nf 

eine  zweite  Bilinearform,  so  bilden  wir  in  diesem  Sinne  die  Faltung  des 
als  Bilinearform  der  z^  und  z'  betrachteten  Produktes  A^{x,  z)-Bj^iz',y): 

{p,  g,r=l,..n) 

und  bezeichnen  diese  Bilinearform  der  x^,  y  kurz  als  Faltung  von  A,, 
und  B^, 

Außer  den  allgemeinen  quadratischen  Formen  K,  K^  ziehen  wir  noch 
die  besonderen  quadratischen  Formen 

{x,  x)  =  x^^  +  x^^  ^ , 

[X,  x)„  =  X^'  -\-  ■  •  '  -t  x„ 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  H] 

und  die  besonderen  Bilinearformen 

{x,  y)  =  x^y^  +  x^y,  ■  •  ■ 

in  Betracht. 

Die  Diskriminaute  der  Form 

{x,x\-XK,^{x) 
d.  b.  die  Determinante 

1  —  lli^^,      —  lk\,^,  .  .  .,      —  AA'j„  I 

n)  D    (X)  =  ~  ^\n    1   ~  ■^^'"•22)  ■  •  -J         ~  ^\n 

ist  bekauutlicb  eine  ganze  rationale  Funktion  wten  Grades  in  A  mit  lauter 
reellen  Nullstellen;  diese  mögen  mit 

bezeichnet  werden  und  die  Eigenwerte  der  Form  K^  heißen;  die  Ge- 
samtheit dieser  n  Eigenwerte  heiße  das  Spektrum  der  Form  K^.  Wenn 
ein  reeller  Wert  l  so  beschaffen  ist,  daß  in  ihm  oder  in  beliebiger  Nähe 
desselben  noch  für  unendlich  viele  n  Eigenwerte  von  K^  liegen,  so  heiße 
die.ser  Wert  X  ein  Verdichtungswert  von  K.  Wenn  die  Beträge  der 
absolut  größten  Eigenwerte  von  K^^  mit  wachsendem  n  über  alle  Grenzen 
wachsen,  so  soll  der  Wert  X  =  oo  ebenfalls  als  Verdichtungswert  der 
Form  K  gerechnet  werden. 

Wir  bilden  nun  aus  (1)  durch  Ränderung  die  Determinante 

1  Xk^^,  .  .   .,  ^'hn'  ^i 


I^n{^\  ^;  y)  = 


—  A/i-,^^,  .  .  .,  1  —  Xk^^,      x„ 


yi7  ■  •  • }         y/i) 


0 


und  nennen  den  Quotienten 

bzw. 

die  Besolvente  der  quadratisclien  Form  Ä",/,  die  Koeffizienten  von 
x^^,  .  .  .,  x^  in  KJ^{X•,  X,  y)  geben,  wenn  X  kein  Eigenwert  ist,  die  Lösung 
der  linearen  Gleichungen 

Xp-  X{k^,x,  +  •  •  •  +  k^,^x„)  =  y^,  (p  =  1,  .  .  .,  w); 

wir  drücken  dies  durch  die  Identität  aus: 

K„(A;  X,  y)  -  XK,^{x,  .)K„(A; . ,  y)  =  {x,  y).- 


|]^2  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation." 

Es  ist  offenbar 
(2)    K„{l;x, y)  =  {x, y\  +  XK,{x, y)  +  l'^KX^, v)  +  X'K^K^^i^> !/)  +  ••% 
wo    K^.K^,  E^K^^K,,,  .  .  .  die   aus   Z^,    durch    fortgesetzte    Faltungen   ent- 
stehenden Formen 

K„K^{x,  y)  =  KJx,  .)K„{. ,  y)  ^y^rK^^^y,, 

{p,g,r  =  l,...,n) 

K„K„KJx,  y)  =  K^x,  .)E„K„{. ,  y)  -2V<rA,^,y,, 

(p,  ■:,  r,  s  =  l,  .  .  .,  n) 


bedeuten.     Für  die  Resolvente  K„  gilt  die  Partialbruchdarstellung 

(3)  K„(A;  X,  y)  =  A^i^J^/)  +  .  .  .  +  ^'«  J^^  W^ 

WO  L/"), .  .  .,  X„^")  gewisse  lineare  Formen  der  Variabein  rCj,  .  .  .,  x^  mit 
reellen  Koeffizienten,  die  „Eigenformen"  von  K,^  bedeuten.  Insbesondere 
gelten  mithin  die  Formeln: 

(^,  y\  =  ^-1^1  +  •  •  •  +  ^nVn  =  W%x)L,^^\y)  +  ■  •  .  +  i„(")(^)i„(")(t/), 

(4)  A„(a:, «/)  = ^^  +  •  •  •  H ;^-(-«) 

{x,  x\=x,^-V---  +  x,:-  =  {L,^'Hx)y  +  •  •  •  +  (A/"n^))^ 

Z  r:r^  -  (^/1(^^   ,    .  .  .    ,    (^..''^(^^ 

(5)  TTÄ-rr^      {W-\x)r-  {WHx)?     ■ 

TT   TT  TT  r.'^  -  (-^i^"'(^))'  4-  -U  (V^M* 

Aus    (4)    folgen    die    Orthogoualitätseigenschaften    der    Linearformen 

LM\  .  .  .,  LJ^h 

wo  L^QL,j{.)  die  Faltung  der  Bilinearform  LJ^^^x)  LJ-'^^y)  bedeutet, 
und  alsdann  wiederum  ergibt  sich  durch  Faltung 

^    ^  ^n-'^nV)-)  '^^'^pr'^rp  "^    n    («n2  "T"  '   '  '     '     H    («jf«' 

■"-n-'^n-'^ni'  f)  "^  ^ '' pr'^r  s'^sp^^     n    {n)\S  "^   '   '  '     '     (l   <-")\S> 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  113 

Unsere  erste  wichtige  Aufgabe  besteht  darin,  den  Begriff 
der  Resolvente  der  Form  K^^  auf  die  Form  K  zu  übertragen  und 
zu  der  Partialbruchdarstellung  (3)  das  Analogon  für  die  Form  ^ 
mit  unendlich  vielen  Variabein  aufzusuchen. 

Zu  dem  Zwecke  bedienen  wir  uns  eines  allgemeinen  Hilfssatzes  aus 
dem  Gebiete  der  stetigen  (gleichmäßigen)  Konvergenz.^) 

Hilfssats  1.  Es  sei  J  ein  ganz  im  Endlichen  gelegenes  Intervall  für 
die  Variable  s,  ferner 

(7)  fMUi^lfM,--- 

eine  unendliche  Reihe  von  Funktionen  der  Variabein  s,  die  in  J  stetig 
sind,  deren  Werte  absolut  genommen  unterhalb  einer  endlichen  Grenze 
bleiben  und  deren  Differenzenquotienten  sämtlich  unterhalb  einer  endlichen 
Grenze  bleiben,  so  daß  für  alle  s,  ^  in  J"  und  für  alle  h 


<E 


s  —  t 

gilt,  wo  E  eine  endliche  von  h  und  von  der  Wahl  der  Argumente  s,  t 
unabhängiffe  Größe  bedeutet: 

Alsdann  lassen  sich  aus  ebendieser  Reihe  von  Funktionen  (7)  un- 
endlich viele  Funktionen 

/•i*(4/'2*(4/"3*(^),--- 

auswählen  derart,  daß  die  Reihe  dieser  Funktionen  für  jeden  beliebigen 
Punkt  in  J  gegen  einen  endlichen  Grenzwert,  und  zwar  stetig  (mithin 
auch  gleichmäßig)  konvergiert,  woraus  ersichtlich  ist,  daß  der  Limes 

x/;*(5) 

^  =  00 

eine  in  J"  stetige  Funktion  von  s  darstellt. 

Zum  Beweise  bestimmen  wir  auf  die  Art,  wie  es  in  §  5  der  oben 
zitierten  Abhandlung  über  das  Dirichletsche  Prinzip  geschehen  ist,  aus 
der  Reihe  (7)  eine  Reihe  von  Funktionen  fi*{s),  f2*(s],  .  .  .  derart,  daß  die 
Reihe  dieser  Funktionen  für  jeden  Punkt  einer  in  J  überall  dichten  ab- 
zählbaren Punktmeuge  P*  sregen  einen  endlichen  Grenzwert  kouvergiert : 
die  so  ausgewählten  Funktionen  sind,  wie  wir  nun  zeigen  woUen,  von 
der  im  Hilfssatze  verlangten  Art. 

In  der  Tat  bezeichnen  wir  mit  s^,  Sg,  .  .  .  irgendeine  unendliche  Reihe 
von  Punkten  aus  J,  die  gegen  einen  bestimmten  Punkt  s  konvergiert. 
Bedeutet  dann  e  irgendeine  beliebig  kleine  positive  Größe,  so  bestimmen 
wir  zunächst  einen  Punkt  s*  der  Punktmenge  P*  derart,  daß 

1)  Vgl.  die  Abhandlung  des  Verf.  „Über  das  Dirichletsche  Prinzip",  Math.  Ann. 
Bd.  59  (1904). 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  8 


114  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation, 

wird;  wegen  der  Konvergenz  der  VVertreihe 

läßt  sich  alsdann  gewiß  eine  Zahl  JN'  finden,  so  daß  für  alle  N  über- 
schreitenden Indizes  p,  q 

(9)  /,*(^*)-/:;(^)l<Y 

wird;  wegen  der  Konvergenz  der  Punktreihe  s^,  So,  ■  .  •  kann  diese  ganze 
Zahl  N  zugleich  auch  so  groß  gewählt  werden,  daß  für  alle  N  über- 
schreitenden Indizes  p,  q 

ausfällt.  Mit  Hilfe  von  (8)  folgt  hieraus  für  alle  N  überschreitenden 
Indizes  p,  q 

(10)  i«*-^.  <r^.  \s^-s^[<  ' 


4.E 
Andrerseits  ist  nun  wegen  der  Voraussetzung  unseres  Hilfssatzes 

*{s*) 

S '    ^^  Sn  I  •  S  So 


S'  ^^  5«  I  s        Sq 


und  folglich  mit  Hilfe  von  (10) 

I  /.*(^*)  -  /p*(^.)  i<  i  J  /;*(^*)  -  /:;(^v) '  <  4- 

Addieren  wir  diese  Gleichungen  zu  (9),  so  folgt  für  alle  N  überschreiten- 
den Indizes  2^,  Q 

\f*is*)  - /;*(s*)  I  +  I4*(s*) !  -  /,*(.,) I  +  |/;*(s*)  - /;*(5^) ■  <  s, 

und  um  so  mehr 

i/;*(s.)-/;*(^,)  <^- 

Da  £  eine  beliebig  kleine  Größe  war,  so  folgt  hieraus,  daß  die  Wertreihe 
gegen  einen   endlichen   Grenzwert  konvergiert,   d.  h.  die   Funktionenreihe 

h*{s\  f,\s), . . . 

konvergiert  stetig  an  jeder  Stelle  s  des  Intervalles  J",  womit  der  Hilfssatz 
vollständig  erwiesen  ist. 


Wir  kehren  zur  Theorie  der  quadratischen  Formen  zurück,  und  zwar 
nehmen  wir  im  folgenden  zunächst  an,  es  sei  A  =  oo  nicht  Ver- 
dichtungswert von  K,  d.  h.  es  sei  K  eine  solche  Form,  daß  die 
sämtlichen  Eigenwerte  von  K,  für  alle  n  in  dem  endlichen 
Intervalle  J  liegen.  Wir  definieren  sodann  gewisse  zu  K^^  gehörige 
Funktionen  der  Variabein  X,  wie  folgt:  es  werde  allgemein 


J 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  115 

an      V"^W  =  o  für  x^V")  j    ^ 

V^('^)  =  (V"^(^))'('^  -  V"0  für  i  >  a;-)  r      '■■"** 

und 

gesetzt;  dann  sind  x^^")  und  folglich  auch  x^")  stetige  Funktionen  von  X, 
die  nirgends  negativ  ausfallen  und  bei  wachsendem  Argument  X  und  fest- 
gehaltenem n  niemals  abnehmen;  die  Differenzenquotienten  dieser  Funk- 
tionen, d.  h.  die  Ausdrücke 


X  —  u 
sind,  wie  wir  ebenfalls  sofort  sehen,  nirgends  negativ  und  nehmen,  wenn 
eines  der  Argumente  A,  \i  fest  bleibt  und  das  andere  wächst,  niemals  ab, 
und  zwar  gelten  die  Gleichungen 

=  ;r^(i;")(a;)y 

und  folglich 


%  —  a 

wo  ;ri,  .  .  .,  %^  zwischen  0   und   1    liegende,    von   A,  [i   abhängige  Größen 
bedeuten.     Aus  dieser  Gleichung  folgt  unmittelbar  die  Ungleichung 

oder  Avegen  (5) 

(12)  I  — ^[_^         \^x^^^■■■^r  x,^. 

Endlich  bemerken  wir  noch,  daß  auf  jeder  Strecke,  die  keinen  der 
Eigenwerte  A^(")  von  K^  enthält,  die  Funktionen  xJ-"'>{X)  und  folglich  auch 
die  x*"^(A)  lineare  Funktionen  von  l  sind.  Für  alle  außerhalb  auf  der 
negativen  Seite  von  J  gelegenen  l  ist  3t(")(A)  identisch  Null;  daher  ist 
mit  Rücksicht  auf  (12)  stets: 

wo  J"  die   Länge   des   Intervalles  J  bezeichnet.     Auf  der   positiven    Seite 
außerhalb  von  J  ist 

x('')(A)  =  A(V+---  +  a:/)+C„(^), 

wo    C„(^)    eine  von   A    unabhängige   Form    bedeutet.     In    bezug    auf   die 
Variabein  x^,  .  .  .,  x^^  ist  x^")  eine  quadratische  Form. 

Es  seien  nunmehr  unendlich  viele  Variable  a\,  x^,  ...  vorgelegt;  wir 
ziehen  dann  diejenigen  speziellen  Wertsysteme  in  Betracht,  die  entstehen, 
wenn  wir  irgendeine  dieser  Variabein  gleich  1  und  alle  übrigen  gleich  0, 


116  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

oder  wenn  wir  irgend  zwei  dieser  Variabein  gleich  —=  und    alle    übrigen 

gleich  0  setzen.  Wir  denken  un.s  alle  diese  speziellen  Wertsysteme  der 
unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  ...  in  bestimmter  Weise  in  eine  Reihe 
geordnet  und  bezeichnen  sie  in  dieser  Reihenfolge  als  erstes,  zweites, 
drittes  usf.  spezieües  Wertsystem  der  unendlich  vielen  Variabein  a\,  x^,  .  .  . 
Für  alle  diese  speziellen  Wertsysteme  gilt  wegen  (12)  die  Ungleichung 

(13)  .  ^'"'W-^'"'(f^)  I  <  i_ 

Wir  betrachten  nun  die  Formenreihe 

(14)  x^')(X),  x(2)^A),  x^')(?^,  ... 

und  wenden,  indem  wir  für  die  Variabein  x^,  x^,  ...  das  erste  spezielle 
Wertsystem  eingesetzt  denken,  unsern  Hilfssatz  1  an:  wir  sehen,  daß 
dann  im  Intervalle  J  für  A  die  Werte  der  Formeureihe  (14)  sämtlich 
unterhalb  einer  endlichen  Grenze  liegen  müssen  und  wegen  (13)  auch 
die  weitere  Voraussetzung  unseres  Hilfssatzes  erfüllt  ist.  Diesem  Hilfssatz 
zufolge  läßt  sich  daher  aus  (14)  gewiß  eine  unendliche  Reihe  von  Formen 

(15)  x(^*)(;L),  ü^'*\k),  «(3*)(;t),  .  .  . 

auswählen,  die,  wenn  wir  darin  für  die  Variabein  x^,  x^,  ...  das  erste 
spezielle  Wertsystem  einsetzen,  gegen  eine  gewisse  stetige  Funktion  von  ?. 
in  dem  Intervalle  J  gleichmäßig  konvergiert. 

Sodann  wenden  wir  unsern  Hilfssatz  auf  die  -Formenreihe  (15)  an. 
Diesem  Hilfssatz  zufolge  läßt  sich  aus  jener  Formenreihe  gewiß  eine 
unendliche  Reihe 

(16)  '^^'**K^\  x(2**)(A),  ;c(3**)(yl),  .  .  . 

auswählen,  die,  wenn  wir  darin  für  die  Variabein  x^,  Xo,  ...  das  zweite 
spezielle  Wertsystem  einsetzen,  gegen  eine  gewisse  stetige  Funktion  von  A 
gleichmäßig  konvergiert.  Indem  wir  ferner  unsern  Hilfssatz  auf  die 
Funktionenreihe  (IG)  anwenden,  gelangen  wir  durch  Auswahl  zu  einer 
Funktionenreihe 

5,(i-*)(2)^  ;.(2-*)(A),  x(3*-)(;.),  .  .  ., 

die  nach  Einsetzung  des  dritten  speziellen  Wertsystems  gegen  eine  ge- 
wisse stetige  Funktion  von  l  gleichmäßig  konvergiert. 

Endlich  betrachten  wir,  indem  wir  uns  das  Verfahren  unbegrenzt 
fortgesetzt  denken,  die  Formenreihe 

(17)  yß*\X),  xi-^-)(l),  x(^-*)(A),  .  .  .; 

dieselbe  konvergiert  in  X  gleichmäßig,  sowohl  wenn  wir  darin  für  die 
Variabein  ä;^,  x.^,  ...  das  erste,  als  auch  wenn  wir  das  zweite,  als  auch 
wenn  wir  das  dritte  spezielle  Wertsystem  usf  einsetzen.  Da  sich  aber 
aUgeniein   der  Koeffizient   von  x  x,   einer    quadratischen  Form   linear   aus 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Trane  form  ation.  117 

den    drei    Werten    zusammensetzen   läßt,   die    die    quadratische   Form    für 

x„,  X ,  =  1,0  bzw.  0,1,  bzw.    -^,   — =  annimmt,  während   man  alle  übrisren 

P        i  t/2      1/'2 

Variabein  gleich  0  setzt,  so  folgt,  daß  auch  allgemein  der  Koeffizient  von 
XX  in  der  Formenreihe  (17)  gegen  eine  gewisse  in  k  stetige  Funktion 
X    (A)  konvergiert.    Wir  setzen 

^,9  =  1,2.  .. 

so  daß  y.{X^  eine  quadratische  Form  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  . 
bedeutet,  deren  Koeffizienten  stetige  Funktionen  von  A  sind.  Diese 
Funktionen  von  X  sind  zunächst  nur  innerhalb  J  definiert;  da  wir  aber 
statt  J  ein  beliebig  großes,  J  enthaltendes  Intervall  wählen  dürfen,  so  ist 
damit  die  Definition  jener  Funktionen  für  alle  endlichen  Werte  von  l 
gegeben. 

Die  Werte  irgendeines  Abschnittes  einer  quadratischen  Form  mit 
unendlich  vielen  Variabelu  sind  als  lineare  Kombinationen  derjenigen  Werte 
darstellbar,  die  die  quadratische  Form  für  unsere  speziellen  Wertsysteme 
annimmt.  Daraus  folgt,  daß,  wenn  wir  in  den  Formen  der  Formenreihe  (17) 
a\,  .  .  .,  Xj^  beliebig  lassen,  die  übrigen  Variabein  a^^^i,  ^„  +  2?  •  •  *  sämt- 
lich =  0  setzen,  d.  h.  von  jeder  Form  in  (17)  denselben  Abschnitt  nehmen, 
diese  aus  den  Abschnitten  gebildete  Reihe  gewiß  ebenfalls  gleichmäßig 
konvergiert,  und  zwar  gegen  denjenigen  Wert,  den  der  betreffende  Ab- 
schnitt von  x(/l)  annimmt.     Wenn  wir  noch 

1*  =  nii,  2**  =  Wg,  3***  =  Wg,  .  .  . 
setzen,  so  gilt  also  die  Gleichung: 

X  [x('"A)(A)]  =  [<A)]. 

A  =00 

Der  Kürze  und  Übersicht  halber  wollen  wir  im  folgenden  bei 
einer  Gleichung  oder  einer  Ungleichung  die  eckigen  Klammern 
fortlassen,  d.  h.  nach  dieser  Festsetzung  ist  eine  Gleichung  oder  Un- 
gleichung zwischen  Formen  mit  unendlich  vielen  Variabein  stets  so  zu  ver- 
stehen,  daß  sie  identisch  für  aUe  Variabein  gilt,  wenn  man  in  der  Formel 
auf  beiden  Seiten  die  gleichen  Abschnitte  der  Formen  nimmt;  so  lautet 
die  letzte  Gleichung 
(18)  L  x('"/')(A)  =  x{X). 

/l  =00 

Zugleich  bemerken  wir,  daß  die  obengenannten  Eigenschaften  der 
Funktionen  x^"\X)  als  Funktion  von  A  sich  sofort  auf  einen  beliebigen 
Abschnitt  [z(l)]  der  Form  x(A)  übertragen,  wenn  wir  diesen  als  Funktion 
von  A  betrachten.  Wir  erkennen  so,  daß  die  Funktion  [3<(A)]  ebenfalls 
nirgends   negativ   ausfällt   und   bei   wachsendem  Argument  A   niemals   ab- 


I  18  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

nimmt,  ferner,  daß  der  Differenzenquotient  dieser  Funktion  d.  b.  der  Aus- 
druck 

[xa)]-[x(^)] 

wiederum  nirgends  negativ  wird,  und,  wenn  eines  der  Argumente  ).,  u 
fest  bleibt,  wäbrend  das  andere  wäcbst,  niemals  abnimmt.  Wegen  (12) 
folgt  für  jenen  Diöerenzenquotienten  die  Ungleicbung 

(19)  ü(|ri^)  ^  (^,  ^). 

Innerhalb  eines  Intervalles,  das  keinen  Verdichtungswert  der  Form  K 
enthält,  wird  [j£(A)]  eine  lineare  Funktion  von  /l.  Außerhalb  J  ist  auf 
der  negativen  Seite  [3<(A)]  identisch  Null,  auf  der  jjositiven  Seite  gleich 
?.[{x,x)]  +  Cix). 

Wir  denken  uns  nun  in  der  Form  x(V)  das  erste  spezielle  Wert- 
system eingesetzt  und  bezeichnen  die  so  entstehende  Funktion  von  A  mit 
x(A)i.  Nach  den  obigen  Ausführungen  wird,  wenn  wir  l  festhalten  und 
[i  einen  A  übersteigenden  Wert  beilegen,  der  Differenzen quotient  von  oi{X)^, 
sobald  ^  gegen  A  hin  abnimmt,  gewiß  nicht  wachsen  und  mithin,   wenn 

II  nach  A  fällt,  einem  Grenzwert  zustreben,  d.  h.  Jc(A)^  besitzt  gewiß  für 
jedes  A  einen  vorderen  Differentialquotienteu;  wir  bezeichnen  denselben 
mit  f(+)(A)i.  In  derselben  Weise  wird  gezeigt,  daß  J£(A)^  für  jedes  A  einen 
hinteren  Differentialquotienten  besitzt;  wir  bezeichnen  denselben  mit  !(~)(A)j. 

Aus  den  obengenannten  Tatsachen  über  die  Differenzeuquotienten 
von  y,{l\  folgt  zugleich,  daß  sowohl  !(+)(A)i,  wie  !^")(AX  Funktionen  von  A 
sind,  die  nirgends  negativ  ausfallen,  mit  wachsendem  Argument  A  nicht 
abnehmen  und  überdies  stets  den  Ungleichungen 

.20)  !(-)(AX  ^  !(+)(/.),  für  A^  it., 

!(+)(AX  £  t^-Kl^\  für  A  <  iii 
genügen. 

Da  ferner  wegen  (13)  die  Differentialquotienten  t^'^\X\,  i^~K^\  den 
Wert  1  nicht  überschreiten  können,  so  gilt  dasselbe  um  so  mehr  für  die 
Differenz  vom  vorderen 'und  hinteren  Differentialquotienten  an  der  näm- 
lichen Stelle  A,  und  wir  ersehen  hieraus,  daß,  wenn  m  irgendeine  ganze 
Zahl  bedeutet,  höchstens  m  Stellen  A  vorhanden  sind,  für  welche 

fW(A),-f(-)(A),^i 

gilt.  Wegen  dieser  Tatsache  ist  die  Menge  derjenigen  Werte  A,  für  welche 
vorderer  und  hinterer  Differentialquotient  voneinander  verschieden  aus- 
fallen, notwendig  abzählbar. 

Nunmehr  denken  wir  uns  in  x(X)  das  zweite  spezielle  Wertsystem 
eingesetzt,  verfahren  mit  der  so  entstehenden  Funktion  x(A)o,  wie  vorhin 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  119 

mit  y.(X\  geschehen  ist,  und  suchen  diejenige  Menge  von  Stellen  A,  für 
welche  der  vordere  und  hintere  Differentialquotient  voneinander  ver- 
schieden ausfallen.  Die  Menge  dieser  Stellen  Ä  ist  gewiß  wiederum  ab- 
zählbar. Mit  Benutzung  des  dritten  speziellen  Wertsystems  erhalten  wir 
entsprechend  eine  abzählbare  Menge  von  Stellen  ?.  usf.  Die  Gesamtheit 
aller  solchen  Stellen  ist  wiederum  abzählbar;  sie  mögen  die  Eigcniverte 
der  Form  K  heißen  und  mit  X^,  Ag,  ...  bezeichnet  werden.  Die  Stellen 
/j,  A,,  ...  und  ihre  Verdichtungsstellen  sind  gewiß  Verdi chtungs werte 
der  Form  K,  da  ja  3f(AX,  ii{k\,  •  •  •  außerhalb  der  Verdichtungs werte 
lineare  Funktionen  von  X  sind  und  folglich  die  vorderen  und  hinteren 
Differentialquotienten  daselbst  einander  gleich  ausfallen.  Die  Gesamtheit 
der  Stellen  Aj,  X^,  ...  werde  das  PnnJctspelfrum  oder  das  dislcon- 
ti Ulli crl't che  Spehtrum  der  Form  ^  genannt. 

Da  die  Koeffizienten  einer  quadratischen  Foi-m  sich  linear  aus  den 
Werten  zusammensetzen  lassen,  die  die  quadratische  Form  für  die  Reihe 
der  speziellen  Wertsysteme  der  Variabein  annimmt,  so  schließen  wir,  daß 
die  sämtlichen  Koeffizienten  7,^,^  der  Form  %{X)  ebenfalls  sowohl  vordere 
wie  hintere  Differentialquotienten  besitzen,  und  daß  dieselben  für  jede 
SteUe  mit  Ausnahme  der  Stellen  A^,  Ao,  ...  einander  gleich  sind;  die 
vorderen  und  hinteren  Diöerentialquotieuten  von  y.  mögen  mit  f^,"^  bzw. 
f^~j  bezeichnet  werden.  Für  jede  von  A^,  X.-^,  ...  verschiedene  Stelle  A 
stimmen    diese    beiden   Differentialquotienten    miteinander    überein;    wir 

setzen  daselbst 

«    «(+) t(-). 

^pq        ^P1         '■PI ' 

die  quadratischen  Formen  mit  den  Koeffizienten  fp,j,  fp^  mögen  mit  !(+)(A) 
bzw.  !'~^(A)  bezeichnet  werden.  Für  jede  von  Aj,  X^,  ...  verschiedene 
Stelle  setzen  wir 

!(A)  =  f(+)(A)  =  !(-)(A). 

Wir  bilden  nun  allgemein  für  die  Stelle  A^  die  Differenz  f^,! — f^~' 
und  nehmen  diese  Differenz  als  Koeffizient  von  x^x,^-^  die  so  entstehende 
quadratische  Form  mit  unendlich  vielen  Variabein,  deren  Koeffizienten 
jedenfalls  nicht  sämtlich  verschwinden,  werde  die  zum  Eigenivert  X^^ 
gehörige  quadratische  Eigenform  von  K  genannt  und  mit  Ej^  be- 
zeichnet.    Offenbar  ist  für  jeden  Eigenwert  A^ 

(21)  !W(V  -  i^-^  W  =  £,, 

und  da  auch  zu  (20j  analog 

!(-)(A)  ^  !(+)(/.)  für  A^a, 
^     ^  fW(A)  ^  !(-)Ca)  für  A  <  a 

gelten  muß,  so  fällt  gewiß 

(23)  i;^o 


120  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

aus.  Andererseits  folgt  aus  (19),  wenu  wir  für  f<  einen  X  übersteigenden 
Wert  wählen  und  diesen  gegen  A  konvergieren  lassen, 

(24)  f(+)(;yl)^(a-,  a;). 

Wir  betrachten  nunmehr  irgend  m  nach  zunehmender  Größe  ge- 
ordnete Eigenwerte  der  Form  jfiT,  etwa 

und  die  diesen  zugehörigen  Eigeuformen 

^Pi'  •••'  -^Pm- 
Wegen  (21)  haben  wir 

(25)  !(+)(A,;  -  t-\l,)  =  E^^     (/.  =  1,  2  .  .  ,  m) 
und  wegen  (22) 

(26)  

Die  Addition  von  (25)  und  (26)  ergibt 

(27)  tW(;iJ_f(-)(iJ^i;^ +  ...  +  £,___, 

und  diese  Ungleichung  lehrt,  da  [f^~^(A)]  nirgends  negativ  ist,  wegen  (24) 
die  weitere  Ungleichung 

(28)  E^^+.---\-E^^^<(x,x). 

Aus  (23)  und  (28)  erkennen  wir,  daß  die  über  alle  Indizes  p  er- 
streckte Summe  ^\ßp\  konvergiert,  und  zwar  gegen  eine  quadratische  Form 
der  n  Variabein  x^,  ,  .  .,  a;„,  die  ^  x^'  -\-  ■  •  •  -\-  xj  ausfällt,  d.  h.  es  ist 

:se^£(x,x). 

Wir  definieren  jetzt  folgende  Formen  der  unendlich  vielen  Variabein 

^i>  -^2;  •  •  •• 

tW-2E^, 

vW=yE^U-X^, 

wo  die  Summen  rechter  Hand  über  alle  diejenigen  Indizes  p  zu  erstrecken 
sind,  für  die  A  <  A  ausfällt.  Die  Koeffizienten  von  rj  (A)  sind  stetige 
Funktionen  von  A.  Die  Abschnitte  [efA)],  ['»?(A)]  dieser  Formen  sind 
Funktionen  von  A,  die,  wie  sich  ohne  Schwierigkeit  mit  Benutzung  von 
(23)  und  der  Konvergenz  von  ^[-EJ  ergibt,  folgende  Eigenschaften 
besitzen : 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  121 

[e(X)]  ist  nirgends  negativ  nnd  nimmt  mit  wachsendem  X  niemals 
ab;  außerhalb  J  ist  [e(A)]  auf  der  negativen  Seite  Null,  auf  der  positiven 
gleich  ^\E^. 

[e(>l)]  ist  an  allen  Stellen  stetig,  die  nicht  Eigenwerte  sind;  für  den 
Eigenwert  A^  besitzt  [e(A)]  einen  endlichen  Sprung,  und  zwar  ist  bei 
positivem  gegen  Null  abnehmendem  t: 

r=0 

r  =  0  ff 

[jj(/l)]  hat  sowohl  einen  vorderen,  wie  einen  hinteren  Differential- 
quotienten; diese  stimmen  an  allen  Stellen,  die  nicht  Eigenwerte  sind, 
miteinander  überein  und  haben  den  Wert  [e(A).j;  für  den  Eigenwert  l 
ist  der  hintere  Differentialquotient  ie(X^iJ.  der  vordere  [e (A.)] -f- [-E' ] ,  so 
daß  der  Überschuß  des  vorderen  Differentialquotienten  über  den  hinteren 
\E^  beträgt. 

Aus  (27)  folgt,  wenn  )! ,  /l">/l'  keine  Eigenwerte  sind: 

!(r) -!(;/)>  >^£:; 
(/■'<  'p  <  n 
nun  ist 

a'<;.^;<;/^ 
und  folglich  auch 

(29)  f(;/')  -  f(A')  ^  e(r)  -  e(/l'). 

Ist  eine  der  Größen  /',  A"  ein  Eigenwert,  bzw.  sind  beide  Eigen- 
werte von  K^  so  folgt  ebenso  statt  (29)  eine  entsprechende  Ungleichung. 
Setzen  wir  nun 

p(;0  =  x.a)-7?(A), 

so  besitzt  mit  Rücksicht  auf  (21)  die  Funktion  [q  ().)]  vordere  und  hintere 
Differentialquotienten,  die  für  jede  Stelle  A  miteinander  übereinstimmen, 
und  dieser  Differentialquotient  ist  überdies,  wie  aus  (29)  bzw.  aus  der 
entsprechenden  Ungleichung  folgt,  eine  mit  wachsendem  Argument  nicht 
abnehmende  Funktion  von  A;  daher  stellt  dieser  Differentialquotient  eine 
Funktion  dar,  die  in  A  stetig  ist.     Setzen  wir  also 

(30)  <A)  =  ya^^^x^^x.^  =  '"^^  =  !(A)  -  e(A), 

so  ist  jeder  Abschnitt  der  Form  ö'(A)  eine  stetige,  nicht  negative,  mit 
wachsendem  A  nicht  abnehmende  Funktion  von  A.  Die  Form  (?(A)  der 
unendlich  vielen  Variabein,  deren  Koeffizienten  6 ,  stetige  Funktionen  von  A 
sind,  heiße  die  Speliiralform  von  K. 


122  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

Wegen  (24)  gilt  die  Ungleichung 

(31)  6{l)  +  ^{X)£{x,x). 

Die  Formen  t(X),  e(A),  a{?J)  werden  für  alle  außerhalb  auf  der  nega- 
tiven Seite  von  J  liegenden  Werte  X  identisch  gleich  Null;  auf  der  positiven 
Seite  gehen  sie  in  von  A  unabhängige  Formen  über,  die  wir  bzw.  mit 
f(-f-  oü),  e(4-  oc),  (j(-f  oc)  bezeichnen  wollen.     Wegen  (30)  haben  wir 

(32)  (?(+  oo)  =  !(•+  oo)  -  e(+  oo). 

Da  [»«(A)]  rechts  von  J  in  l[[x,  x)]  -f-  C(x)   übergeht,   so   haben   wir 

(33)  !(+  oo)  =  {x,  X) 
und,  wie  früher  bemerkt  ist, 

e(+  ^)  =^J^^- 

Wir  wählen  jetzt  solche  reelle  Werte  /  aus,  in  deren  beliebiger 
Nähe  noch  Punkte  A'  existieren,  für  die  nicht  identisch  in  allen  Variabein 

*</ j ,   Xt) ,    .  .  . 

^(;j  =  6(k') 

ausfällt.  Die  Menge  s  aller  solchen  Punkte  l  ist  perfekt  (abgeschlossen 
und  in  sich  dicht);  sie  heiße  das  Strechenspehtrum  oder  das  kontinuier- 
liche Speldrum  der  Form  K.  Außerhalb  der  Verdichtungswerte  von  K 
sind  die  Koeffizienten  von  x(/l)  sämtlicii  linear  in  A,  diejenigen  von  e(A) 
konstant,  und  folglich  werden  auch  die  Koeffizienten  von  (J(A)  konstant, 
d.  h.  das  Streckenspektrum  liegt  gewiß  innerhalb  der  Verdichtungswerte 
der  Form  K.  Das  Punktspektrum  nebst  den  Häufungsstellen  der  Eigen- 
werte und  das  Streckenspektrum  zusammengenommen  heiße  das  Speiet  mm 
der  Form  K. 

Setzen  wir  nun 

+  00 

ö(+  oo)  =Jd6{l)  =  fdöiX), 

so  erhalten  wir  aus  (32),  (33) 

(x,  x)  =  e(+  oo)  +Jd6{l) 

oder 

(34)  ix,x)  =  :SE^-i-fdö(X), 

wo  die  Summe  über  alle  ])  zu  erstrecken  ist. 

Wir  kehren  nunmehr  zu  der  quadratischen  Form  K^  mit  endlicher 
Variabeinzahl  n  zurück.  Bedeutet  X  eine  komplexe  oder  eine  von  sämt- 
lichen Eigenwerten  Xj"''  der  Form  7f^  verschiedene  reelle  Größe,  so  er- 
halten wir  aus   der  Definition  (11)  der  Funktion  y.J-"^  sofort  die  Gleichung 


Kap.  XI.     Theorie  der  orfchogoualea  Transformation.  ]  93 

+  00  +   X 

die  Integration  ist  hier  reell  von  ^t  =  —  oc  bis  a  =  +  oo ,  im  Falle  eines 
reellen  A  jedoch  mit  kurzer  Umgehung  des  Punktes  A  in  der  komplexen 
/(-Ebene  auszuführen,  wobei  man  beachte,  daß  x  ^"\^)  in  der  Umgebung 
des  Punktes  A  als  lineare  Funktion  auch  für  komplexe  fi  definiert  ist. 
Durch  Summation  über  p  =  1,  .  .  . ,  n  finden  wir 

(35)  r j^M. ,7„  _  1  I (W"\^)y-  ,       ,  (Lj-Hxr-  \ 

^  ^  J  {(^-xr'^^ ~  2  \ii,^^iy^T  +  ■■■+  v^^rzrrj . 

—  50 

wobei  die  Integration  wie   vorhin  auszuführen  ist.     Andererseits  ist,    wie 

aus  (3)  und  (5)  folgt, 

foa-^  K„{X,x)-{x,x)„  _  (L^^^^xy  {W^\x)Y 

i^^J  i  -  '\^-^r  +  •  •  •  +  X^'^nrr- 

Wenn  wir  in  (35),  (36)  für  n  die  besonderen  Zahlen  m^,  m^,  .  .  . 
einsetzen  und  auf  beiden  Seiten  einen  bestimmten  Abschnitt  nehmen,  ferner 
unter  l  irgendeine  komplexe  Größe  oder  eine  solche  reeUe  Größe  ver- 
stehen, die  nicht  zum  Spektrum  der  Form  K  gehört,  so  erhalten  wir 
wegen  (18)  durch  Grenzübergang  die  Formel 

+   00 

-r  [K»i^(^,a;)]  — [(a;,a;)mj  r    [«(u)] 

(37)  Jj  i  -^/  (j,z:iy3«f^; 

^=~  -=0 

die  Integration  ist  hier  wiederum  reell  von  /i  =  —  oo  bis  ja  =  -|-  oo,  im 
Falle  eines  reellen  A  jedoch  mit  kurzer  Umgehung  des  Punktes  A  in  der 
komplexen  /i- Ebene  auszuführen,  wobei  man  l)eachte,  daß  z([i)  in  der 
Umgebung  des  Punktes  A  als  lineare  Funktion  auch  für  komplexe  ^  de- 
finiert ist.  Infolgedessen  stellt  das  Integral  rechter  Hand  eine  Funktion 
von  A  dar,  die  für  alle  komplexen  und  für  die  nicht  zum  Spektrum  von 
K  gehörigen  reellen  A  regulär  analytischen  Charakter  in  bezug  auf  A 
besitzt. 

Wir  setzen 

+  09 

(38)  K(A,  x)  =  {x,  x)  -f  2lJ-~^^^  d^i 

—  00 

und  nennen  diesen  Ausdruck  die  Resolvente  der  Form  K;  jeder  Ko- 
effizient oder  Abschnitt  derselben  ist  ebenfaUs  für  alle  komplexen  und 
für  die  nicht  zum  Spektrum  von  K  gehörigen  endlichen  reellen  Werte 
von  A  regulär  analytisch,  und  man  sieht  auch,  daß  derselbe  für  A  =  oo 
regulär  analytisch  ist. 


124  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

Die  oben  gefundene  Gleichung  (37)  geht  über  in 

Aus  der  Definition  der  Form  7;(X)  entnehmen  wir  die  Gleichung 

(39)         J>i,''.  =  ^W"H<'''=iiT;^'  , 

wobei  unter  A  irgendeine  komplexe  Größe  oder  eine  solche  reelle  Größe 
zu  verstehen  ist,  die  nicht  zum  Spektrum  der  Form  K  gehört,  und  die 
Intecrration  nach  ^  im  Falle  eines  reellen  X  mit  kurzer  Umgehung  des 
Punktes  A  in  der  komplexen  |U--El)eue  ausgeführt  werden  soll. 

^(^)  =  -  dl 

erhalten  wir   durch  wiederholte  Produktintegratiou  und  Einführung  einer 
naturgemäßen  Erweiterung  des  Integi-albegriffes 

4-a,  +00  +00  +00 


J  i^xr  '^^'  -J  iu  - 1?  '^^'  ^     J  ¥^=^^^^         2  J  i^rrip  ^^^    -  T  j  7_T 

(40) 


Aus  (38),  (39)  ergibt  sich 
und  hieraus  mit  Rücksicht  auf  (34) 

ß 


ip    tj         II 

(*■) 


Diese  Formel  ist  das  gesuchte  Analogon  zu  der  Partial- 
bruchdarstellung  (3)  der  Resolvente  K„(A,  a;)  der  Form  K^  mit 
der  endlichen  Variabeinzahl  n. 

Wir  fassen  die  gefundenen  Resultate   in  folgender  Weise  zusammen: 

Satz  31:  Die  Resolvente  einer  quadratischen  Form  K,  für  ivelche 
A  =  oo  niclit  Verdichtimgsuert  ist,  ist  eine  cßiadratiscJie  Form  mit  unendlich 
vielen  Variahein  ,..,     ^        x^ix  /i\ 

7'.  y 
deren  Koeffisienten  für  alle  außerhalb  des  SpeJctrums  der  Form  K  gelegenen 
Argumente  A  regulär  analytische  FunJctionen  dieses  Argumentes  sind. 

Ist  m^,  mo, .  .  .  eine  geivisse  Reihe  ms  Unendliche  zunehmender  ganzer 
Zahlen,  so  gilt  für  jeden  Abschnitt  der  Resolvente  die  Gleichung 
(41)  L  K„,^{X,  X)  =  K{X,  x) , 

/(    =    00 

ivo  K,nf,  die  Resolvente  der  Form  Km,,  bcdeutd. 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  125 

Die  Resolvente  K  yestattet  folgende  Barstellung   (für  jeden  Abschnitt) 

(42)  Hi,x)  =  :s—'j-+  r^; 

dabei  ist  die  Summe  über  das  gesamte  Funldspelärum  von  K,  d.  h.  über 
alle  Eigenwerte  von  K  zu  erstrecken;  E^  bezeichnet  allgemein  die  zu  l 
gehörige  quadratische  Eigenform;  sie  ist  eine  Form,  deren  Abschnitte  für 
leinen  Wert  der  Variahein  x^,  x^,  .  .  .  negativ  sind.  Das  Integral  ist  über 
das  Streclicnspelitrum  von  K  zu  erstrerl'en.  Die  Spelitralform  ö{X)  ist  eine 
Form,  deren  Koeffizienten  stetige  Funlctionen  in  X,  und  deren  Abschnitte 
bei  wachsenden  Argument  X  innerhalb  des  Streckenspelärums  s  —  von  be- 
sonderen Werten  der  x^,  x^  ...  abgesehen  —  nachsende  Fnnläionen  von  X, 
in  jedem  außerhalb  s  gelegenen  Intervcdle  aber  sämtlich  Iwnstant  sind. 
Endlich  gilt  die  Gleichung  (für  jeden  Abschnitt) 

(43)  (x,x)=-2E^+fd<j(X). 

iP)  (s) 


Wenn  die  sämtlichen  Abschnitte  einer  quadratischen  oder  einer  bi- 
linearen Form  mit  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x.2,  .  .  . ,  y^,  y2,  •  •  ■  absolut 
genommen  unterhalb  einer  von  der  Wahl  des  Abschnittes  unabhängigen 
endlichen  Grenze  liegen^  sobald  man  die  Variabein  den  Bedingungen 

(44)  ix,x)<l,    (y,y)<l 

unterwirft,  so  heiße  die  quadratische  bzw.  bilineare  Form  eine  beschränkte 
Form. 

Die    zu    einer    beschränkten    quadratischen   Form    gehörige    bilineare 
Form  ist  ebenfalls  eine  beschränkte  Form. 

Beispielsweise   sind    wegen   (23)    und  (28)   die   Eigenformen  E^   stets 
beschränkte  Formen,  und  da  nach  (31)  die  Ungleichung 

(?(2)  +  e(A)  <(x,x) 

gilt,  so  sind  auch  die  Spektralformen  (j[X),  ebenso  wie  die  Formen  f(A) 
und  e(A)  beschränkte  Formen.  Endlich  ist,  wenn  X  einen  außerhalb  des 
Spektrums  von  K{x)  liegenden  Wert  bedeutet,  die  Resolvente  K(A,  x), 
und  zwar  sowohl  der  Summen-  wie  der  Integralbestandteil  von  K{X,  x) 
für  sich,  eine  beschränkte  Form. 

Ein    wichtiges    spezielles    Beipiel    einer    beschränkten    quadratischen 

Form  ist   y*>;^'^  .i) 

1)  Die  von  mir  gegebene  und  zuerst  von  H.  Weyl  (Inauguraldissertation,  Göttingeu 
1908,  S.  83)  publizierte  Beweisidee  hierfür   ist   kurz   folgende:   Es   gibt   identisch   in 


126  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

Die  Begriffe  „Abschnitt"  und  „beschränkt"  können  offenbar  in  gleichem 
Sinne  auch  für  lineare  Formen  mit  unendlich  vielen  Variabein  angewandt 
werden.     Eine  lineare  Form 

L{x)  =  \x^  +  Ux^  +  •  •  • 

ist    dann    und    nur   dann   eine   beschränkte   P^oim,    wenn   die   Summe   der 
Quadrate  ihrer  Koeffizienten 

V^  +/,-  +  ■•• 
endlich  bleibt. 

Die  Richtigkeit  hiervon  erkennt  man  leicht  mit  Hilfe  der  beiden 
folgenden  Tatsachen: 

L  Wenn  Wj,  u^,  .  •  .  und  i\,  y«,  .  .  .  irgendwelche  Größen  sind,  so 
gilt  stets  die  Ungleichung 

{ti,  t-)^  ^  («,  li)  (y,  v). 

II.  Wenn  u^,  u.^,  .  .  .  irgendwelche  Größen  sind,  ferner  31  eine  end- 
liche positive  Zahl  bedeutet  und  überdies  für  alle  der  Bedingung  (44) 
genügenden  Werte  x^,  x^,  .  .  .  die  Ungleichung 

(ii,  x)  ^  M 
stattfindet,  so  ist  stets 

Fortan  ziehen  wir  durchweg  nur  solche  Wertsysteme  der 
unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  .  y^,  y.,,  ...  u.  s.  f.  in  Betracht, 
die  der  Bedingung  (44)  genügen.  Ist  a^,  a^,  .  .  .  ein  solches  Wert- 
sjstem,  so  existiert,  wenn  L{x)  eine  beschränkte  lineare  Form  ist,  gewiß 
der  Limes  des  «ten  Abschnittes  [i(a)]„  derselben  für  n  =  oo;  Avir  setzen 

Ua)  =  L  [X(a)L; 

n  =  oc 

somit  haben   wir   erkannt,  daß  eine  beschränkte  Linearform  der  unendlich 
vielen  Variabein  ä\,  x.,,  .  .  .  für  alle  in  Betracht  kommenden  Wertsysteme 


^  ^pV'i  { ""4:7  ~~  ;  _  f  j  "=  /  17  [~  ■*'!  ^^°  ^  +  2/1  cos  e  +  x,_  sin  2t  —  y^  cos  2t 1  dt, 

(j),  S  =  1,  2,  .  .  .  n)  -  71 

wobei  für  »  =  q  anstatt  linker  Hand  0  zu  nehmen  ist.    Die  rechte  Seite  dieser 

P  —  (l 
Identität  ergibt  sich,  indem  wir  unter  dem  Integral  t  vor  der  Klammer  durch  Tt  er- 
setzen, durch  kurze  Rechnung  kleiner  als  ■x{.i\^-\- x., *-|-  — |-  .'•„*+  y, *+  J/s*-] h ?/«*)i 

d.  h.  kleiner  als  2«.     Setzen  wir  Xp  =  yp,  so  erhalten  wir  daher  unmittelbar 

Qu,  V  =  1,  .  .  ?/) 

Andere  Beweise  sowie  Erweiterungen  dieses  Satzes  sind  gegeben  worden  von  F.  Wiener 
(Math.  Ann.  Bd.  68,  S.  361),  J.  Schur  (Journ.  f.  Math.  Bd.  140,  S.  16),  0.  Toeplitz 
(Gott.  Nachr.  1910,  S.  489). 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  127 

dieser  Variabein  einen  bestimmten  endlichen  Wert  annimmt  und  demnach 
eine  Funltion  der  unendlich  vielen  Variabein  x^^,  x^,  .  .  .  darstellt. 

Es  heiße  allgemein  eine  Funktion  F(Xi,  x^,  .  .  .)  der  unendlich  vielen 
Variabein  x^,  x^,  .  .  .  an  der  Stelle  a^,  a^,  .  .  .  stetig,  wenn  der  Wert  von 
F{a^  +  fj,  «2  +  fg,  .  .  .)  gegen  den  Wert  von  -F(ai,  %,-•■)  konvergiert, 
sobald  die  Summe  der  Quadrate  der  Größen  f^,  fj,  .  .  .  nach  Null  abnimmt, 
d.  h.  wenn 

L  F{a^  +  hy  «2  +  «2;  •  •  •)  =  -^(«U  %;  •  •  •) 

(fi-  +  ^2^  +  •  •  •  =  0) 

wird. 

Wir  sehen  sofort,  daß  die  beschränkte  Linearform  L{x)  eine  stetige 
Funktion  der  unendlich  vielen  Variabein  darstellt. 

Die  entsprechenden  Sätze  gelten  auch  für  eine  dcschränlie  Bilinear- 
form.  Um  dies  zu  erkennen,  bezeichnen  wir  mit  A{x,  y)  eine  beschränkte 
Bilinearform  und  mit  a^,  a.2,  .  .  .  und  &j,  h^,  .  .  ■  besondere  Wertsysteme 
der  unendlich  vielen  Variabein,  sodann  setzen  wir 

r  '  =  0  r'    =  0    r'         =  ""+ -     r         —  "^+*  t     —  -^    t         —  0     t'        —  0 

nia  "-nm  "■nm 

Vi  =  K  •■■,   yn  =  K,    Vn+l  =  ö,  2/„+2  =  0, .  .  . 

, ,  '  =  0  ?/'    =  0    w'       =  ^^^+^      ?v'       =  ^"+-  7/'    _  -  ^'L    „'        _  0    ?/'       —  0 

Vi    —  ^}  •  •  -y  if  n        ^;  y  n+1        fl       y    y  n+2         ß       y  •  •  -y  y  m~  ß      y  V  m+i  —  ^y  y  m+2  —  ^y 

rn  rii  rn  m  rn  m 


^nra  =  V^'n+l   +  «'n+2  +  "  '  '  +  a^„  ,       ^ra  =  y?>';+l  +  ^^'„+2  +  •••  +  &'«, 

worin  w  und  m  >  n  irgendwelche  ganze  Zahlen  bedeuten.  Nun  ist,  wenn 
wir  mit  [^],„,  [^]„  die  betreffenden  Abschnitte  von  A  bezeichnen, 

\A{<^y  &)L  =    -^(^  +  ^n^a^'y  y  +  ßn,ny')y 

=  {.M<^y  ^)\  +  ('nmA^'y  y)  +  ßnv^^{^y  /)   +  ^arnßn.Ai^'y    /)• 

Da  Ä(x',y),  Ä{x,y'),  Ä(x',y')  absolut  unterhalb  einer  von  n,  m  unab- 
hängigen Grenze  bleiben  und  überdies  «„„^,  ß^^^^  mit  wachsenden  w,  m 
verschwinden,  so  folgt,  daß  [Ä{a,  fe)]^,  mit  wachsendem  )i  gegen  einen 
Grenzwert  konvergieren  muß;  derselbe  werde  kurz  mit  Ä(a,h)  bezeichnet. 
In  analoger  Weise  folgt,  daß  die  durch  A{x,y)  dargestellte  Funktion  der 
unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  .  und  y-i,  y-jy  •  •  ■  stetig  ist. 

Insbesondere  schließen  wir,  daß  auch  eine  beschränkte,  quadratische 
Form  unendlich  vieler  Veränderlichen  x^,  a^g, ...  stets  eine  stetige  Funktion 
derselben  darstellt. 

Wir  entnehmen  aus  den  eben  bewiesenen  Sätzen  noch  folgende  Tat- 
sache:   Wenn    auf  beiden   Seiten  einer  Formel  eine    endliche    Anzahl 


128  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

quadratischer  oder  bilinearer  bescliränkter  Formen  von  unendlich  vielen 
Variabein  steht  und  die  durch  die  Formel  dargestellte  Gleichung  oder 
Ungleichung  für  alle  Abschnitte  beider  Seiten  gültig  ist,  so  ist  sie  über- 
haupt für  alle  Wertsysteme  der  unendlich  vielen  Variabein  gültig  —  wobei 
stets  nur  solche  Wertsysteme  dieser  Variabein  gemeint  sind,  die  den  Be- 
dingungen (44)  genügen. 

Wenn  wir  in  der  beschränkten  Bilinearform  A{x,  y)  die  Variabein 
Vi}  V-'j  •  ■  •  sämtlich  Null  setzen  mit  alleiniger  Ausnahme  der  einen  Varia- 
bein y  ,  der  wir  den  Wert  1  erteilen,  so  entsteht  eine  beschränkte  Linear- 
form  der  Variabein  x,,  .r,,  .  .  .;  dieselbe  werde  mit       .  —     bezeichnet. 

Da  A(x,  y)  beschränkt  ist,  so  folgt  auch,  daß  für  n  ^  m 

c[A{x,xj)]„  d[_A{x,y)\ 

absolut  unter  einer  endlichen,  von  n  und  m  unabhängigen  Grenze  liegt, 
und  mit  Rücksicht  auf  die  oben  angeführte  Tatsache  II  liegt  mithin  auch 


unterhalb   einer  von  n  und   ni   unabhängigen   Grenze.     Nehmen   wir  nun 
zuerst  n  =  oo  und  dann  m  =  oo,  so  erkennen  wir,  daß  die  Quadratsumme 
/dÄ{x,y)y  ^    /dÄ{x,y)y  ^ 

gegen   eine   endliche   Größe   konvergiert.      Ist  nun   B(x,  y)   ebenfalls    eine 
beschränkte  Bilinearform,  so  bleibt  auch  die  Quadratsumme 
/dBix,y)y  ^    /dB{x,y)y  ^ 

unterhalb  einer  endlichen  Grenze,  und  folglich  muß  mit  Rücksicht  auf  die 
oben  angeführte  Tatsache  I  auch  die  unendliche  Reihe 
dÄ{Xj^y)  dB{x,y)       dA{x,y)  dB{x^  -[-••. 

absolut  konvergieren;  dieselbe  stellt  dann  notwendig  wiederum  eine  Bi- 
linearform der  Variabelu  x^,  x.^,.,.,  y^,  y.2,  •  •  ■  dar,  die  wir  analog  wie 
oben  bei  endlichen  Formen  mit 

Ä(X,.)B(.,2J) 

bezeichnen  und  die  Faltung  der  Bilinearformen  A,  J?  nennen. 

Die  Faltung  ist  gewiß  eine  beschränkte  Bilinearform,  und  zwar  er- 
kennen wir  mit  Rücksicht  auf  die  oben  angeführten  Tatsachen  I  und  II 
aus  der  voranfjehenden  Betrachtung?  die  Richtiofkeit  des  folejenden  Satzes: 

o  o  o  o 

Hilfssatz  2.  Wenn  ili,  N  zwei  positive  Konstanten  bedeuten,  so  daß 
für  alle  Xi^,  x.,,  .  .  .  und  y^,  y.,,  .  .  . 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  129 

\Ä{x,y)\£3I,     \B{x,y)    £N 
ausfällt,  so  genügt  die  Faltung  notwendig  der  Ungleichung 

\Ä(x,.)Bi.,y)\£3IN. 
Zugleich   stellen  wir   folgende  Hilfssätze   auf,  deren  Richtigkeit  un- 
mittelbar einleuchtet. 

Hilfssatz  3.  Für  jeden  Abschnitt  der  Faltung  zweier  beschränkter 
Bilinearformen  Ä,  B  gilt 

[A{x,:)B{.,y)\^==  L  [AJx,)B,X.,y)\, 

W  =  00 

wo  rechts  unter  dem  Limes  der  mio,  Abschnitt  der  Faltung  der  wten  Ab- 
schnitte von  A,  B  steht.     Der  Wert  der  Faltung  ist  demnach: 

A{x,.)B{.,y)=  L     L  [AS^,)BS-Mm- 

111  =  CO  n  =  00 

Es  folgt  daraus  insbesondere: 

A{x,.){.,ij)  =  A{x,y), 

d.  h.  jede   Bilinearform  reproduziert    sich    durch   Faltung    mit   (ic,  y) ;    wir 

können  daher  auch  den  Wert  der  Bilinearform  darstellen  als: 

A/        \  dA    ,         dA    .  SA    ,  dA    , 

A  {X,  y)  =  y^^^+y,~-^-^+...^X,  -^-  +  cc,  j^^  +  ■  ■  ■  • 

Hüfssats  4.  Wenn  A,  B,  C,  .  .  .  beschränkte  Bilinearformen  sind  und 
mit  denselben  wiederholt  der  Prozeß  der  Faltung  ausgeführt  wird,  so  ist 
das  Resultat  von  der  Reihenfolge  der  einzelnen  Faltungen  unabhänorior ; 
es  ist  beispielsweise 

{A{x,.)B{.,.))C{.,y)  =^  A{x,.){B{.,.)Ci.,y<). 


Wir  entwickeln  nunmehr  die  einfachsten  Begriffe  und  Tatsachen  über 
orthogonale  Transformationen  unendlich  vieler  Variabler. 
Bedeuten 


{p,  2  =  1,  2, .  .  .) 


irgendwelche  unendlich  viele,  den  Relationen 

(5  =  1,2,...) 


und 

(/.  =  1,2,...) 


2        %rO,r  =  0  (P  +  ü) 


('•  =  1,2,...) 


genügende  Konstanten,  so  definieren  die  Formeln 

Math.  Monogr.  ;i:  Hubert,  lin.  Integralgleichungon. 


130  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

(45) 


und 


U/2  —  ^^21  ^  1      i~  ^22       2     l"   '   '   '  ? 
^  1   =^  ^11  ^l      \     ^21  ^^2     I     *  '  "  ? 

je   eine   orthogonale  Transformation;   die   letztere   Transformation    ist   die 
Umkehrung  der  ersteren.     Die  Ausdrücke  rechter  Hand  sind  beschränkte 
Linearformen  der  unendlich  vielen  Variabein  x^',  x.^,  .  .  .  bzw.  x^,  X2,  ■  .  .■ 
Die  Bilinearform 

0(X,X)  =  ^Op^XpX,^ 

heiße  die  zur  orthogonalen  Transformation  (45)  zugehörige  Bilinearform; 
dieselbe  ist,  wie  man  leicht  aus  der  oben  angeführten  Tatsache  I  erkennt, 
gewiß   eine   beschränkte  Form.     Es   gelten  nach  Hilfssatz  3   die  Formeln 

(46)  0[,,x)0(,,y)  =  {x,y),     0{.,x)0{.  ,y)  =  {x,y)- 

insbesondere  wird: 

^{0pix\  +  0  ga:'^  H y  =  {x,  x), 

(p) 

^{OipX^  4-  o^pX^  H )-  =  {x,  x). 

ip) 

Wenn  wir    auf  irgendeine    beschränkte  Linearform   L[x)   die   ortho- 
gonale Transformation  (45)  anwenden,  so  entsteht  die  Linearform 

L'{x)==LQO{.,x'); 

mithin  entsteht,  wenn  wir  beide  Variabeinreihen  irgendeiner  beschränkten 

Bilinearform  Ä(x,  y)  jener  Transformation  unterwerfen,  die  Bilinearform 

Ä'{x,y')  =  Ä{.,.)Oi.,x)0{.,y). 

Sind  Ä{x,  y),  B{x,  y)  irgend  zwei  beschränkte  Bilinearformen,  setzen 

C{x,y)  =  A{x,.)B{.,y) 
und  berechnen  die  orthogonal  transformierten  Formen 
A'{x',y)  =  A{.,.)0(,,x')0{.,y'), 
B{x',  y)  =  J?(o , *) 0(o , x) 0{^ , y') , 
C'{x',y')  =  C{.,.)0(,,x)0{.,y'), 
so  finden  wir  als  Faltung  der  transformierten  Formen 

Ä'{x, o)JB'(o,  y)  =  Ä(.,.)Oi., x) 0(. , o)5,L :.) OU,  o) 0(„  y) 
und  mit  Benutzung  des  Hilfssatzes  3  und  4  und  der  Formel  (46) 
Ä{x,,)B'{^,y)^A{.,,)B{,,,.^)0{.,x)0{^,y)  =  C{.,^)0{.,x)0{^,y) 

und  mithin 

(47)  Ä{x,)B\.,y)^C\x,y) 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  131 

d.  h.  die   Faltung    zweier   Bilinearformen    ist    eine    Kovariante    gegenüber 
einer  orthogonalen  Transformation. 

Wenn  die  Summe  der  Koeffizienten  von  x^y^  einer  Bilinearform 
A{x,y)  konvergiert,  so  bezeichnen  wir  diese  Summe  allgemein  wie  bei  end- 
lichen Formen  mit  ^4(. ,.). 

Wir  erwähnen  hier  noch  folgende  ebenfalls  leicht  zu  beweisende 
Tatsache: 

Hilfssatz  5.     Wenn 

K{x)  =      ^     K1V9 

eine  quadratische  Form  von   solcher  Art  ist,  daß 


(p,q  =  l,2,...) 


2 


gegen  einen  endlichen  Grenzwert  konvergiert,  so  stellt  derselbe  eine  In- 
variante gegenüber  einer  orthogonalen  Transformation  von  K(x)  dar; 
d.  h.  jener  Grenzwert  stimmt  mit 


überein,  wobei 


(p,q  =  l,2,-..) 


K'{X')=  2  Kq^>'q 

(j),q  =  1,2,...) 


die  durch  orthogonale  Transformation  aus  K(x)  hervorgehende  quadratische 
Form  bedeutet. 

Wir  kehren  nunmehr  zu  der  oben  entwickelten  Theorie  der  quadra- 
tischen Form  K(x)  zurück  und  nehmen  an,  daß  diese  quadratische 
Form  K{x)  eine  beschränkte  Form  sei. 

Bedeutet  wiederum  -r^  ,  ^       r-r^/  \-. 

den  «ten  Abschnitt  von  K{x),  so  ist  der  größte  Wert,  den  K^{x)  absolut 

genommen  annimmt,  gleich       („,  ,    wenn   A^^")   den   absolut   kleinsten  der 

n  Eigenwerte  von  £„(«■)  bezeichnet.  Da  K{x)  eine  beschränkte  Form 
sein  soll,  so  gibt  es  eine  positive  Konstante  M,  so  daß  für  alle  Werte  n 
und  iedes  Variabeinsystem         ,  ^-.  ,  .  ,     .  ,, 

ausfällt,  und  mithin  gilt  auch 
oder 


d.  h.  die   absoluten  Beträge   der  Eigenwerte   von  K^{x)   bleiben   sämtlich 
oberhalb    einer    von    NuU    verschiedenen   positiven   Größe,  und    es   gehört 


132  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

somit  A  =  0  ge^'iß  nicht  zum  Spektrum  von  K{x).  Nehmen  wir  um- 
gekehrt von  einer  quadratischen  Form  Kix)  au,  daß  A  =  0  nicht  zu  ihrem 
Spektrum  gehöre,  so  müssen  sämtliche  Eigenwerte  l^^^  ihrer  Abschnitte 
KJ^{x)  von  einem  gewissen  n  an  absolut  genommen  oberhalb  einer  von 
Null   verschiedenen    positiven   Grenze  m   bleiben,    und    hieraus    wiederum 

foM    daß  die  Maxima  ,    („, .    der    absolut    genommenen   Abschnitte  K^ix) 

unterhalb   der   Grenze  —   bleiben  müssen,   d.  h.  die   Form   Kix)   ist  not- 

wendig  eine  beschränkte. 

Die  soeben  gemachte  und  im  folgenden  stets  beibehaltene  Annahme, 
daß  K{x)  eine  beschränkte  Form  sei,  ist  also  damit  völlig  äquivalent, 
daß  A  =  0  nicht  zum  Spektrum  von  K{x)  gehöre,  während  die  absoluten 
Beträge  der  Eigenwerte  von  K{x)  sehr  wohl  über  alle  Grenzen  wachsen 
dürfen. 

Wir   bestimmen   nun   eine  Größe   a   so   klein,   daß   auch    X  =  ic   nicht 

dem  Spektrum  von  K{x)  angehört.    Da  dann  die  Nullstelleu  der  Diskrimi- 

nanten  der  Abschnitte  von 

{x,  x')  —  XK(x) 

sich  an  der  Stelle  X  =  a  nicht  häufen,  so  werden  diejenigen  der  Ab- 
schnitte von  /       \       1  f  /       \  x-/  M 

{x,  X)  —  X{  {x,  X)  —  aK{x)  ] 

absolut  genommen  nicht  über  alle  Grenzen  wachsen,  d.  h.  die  quadratische 

K*{x)  =  [x,  x)  —  aK{x) 
hat   >l  =  oo    nicht    zum   Verdichtungswert;    diese   ist    zugleich    auch    be- 
schränkt.    Bezeichnen  wir  mit   K^{X'^x,y)    die  Resolvente  von  K^^ix)  und 
mit  K*j^{X\x,y)  diejenige  von  K^^ipc),  so  finden   wir  unmittelbar  aus  der 
Definition  der  Resolvente  die  Gleichung: 


(48) 


K„a;^,!/)  =— ~r  •^n*  {x-^'^^>y)' 


Wenden  wir  nun  unseren  Satz  I  auf  die  Form  K^{x)  an  und  be- 
zeichnen die  Eigenwerte,  Eigenformen,  ferner  das  Streckenspektrum  und 
die  Spektralform  von  K*{x)  bzw.  mit 

80  ergibt  sich* für  alle  außerhalb  des  Spektrums  von  K*  liegenden  Werte 
von  A*  die  für  jeden  Abschnitt  bestehende  Gleichung 


(49)  ;,f^„'^™^^'^'^^         t^l__^*       '      /     l_>* 


(»*) 

und  ebenso 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  133 

Setzen  wir  in  (49) 


ein,  wobei 


X* 

X 
~  X-a' 

1  * 

Ip 

Xp-a' 

1 

1-A 

II*  =  - 


1  '-^ 


X*  X 

1 ^       1  — 


wird,  inid  bezeichnen  mit  s  die  Menge  der  Punkte  ^,  die  der  Menge  6* 
der  Punkte  ,it*  entspricht,  so  ergibt  sich  mit  Rücksicht  auf  (48)  die  für 
jeden  Abschnitt  bestehende  Gleichung: 


''  (P,»)l - 

X, 


dabei  sind  dann  A  als  die  Eigenwerte,  Ep  =  E^*  als  die  zugehörigen 
Eigenformen,  s  als  das  Streckenspektrum,  6{}l)  =  6'\{ii*)  als  die  Spektral- 
form von  K{x)  zu  bezeichnen,  und* es  ist  A  =  oo  als  Eigenwert,  E^^  als 
zugehörige  Eigenfunktion  von  K{x)  mitzurechnen,  falls  2*  =  1  Eigenwert 
von  K*(x)  war.     Aus  der  obigen  Formel  für  (x,  x)  wird 

(50)  (^'  .^)  =  ^.^  -^j«  +  Jd6{l). 

Die  beiden  letzten  Formeln  stimmen  mit  (42),  (43)  überein,  wenn 
K{x)  nicht  X  =  oo  zum  Verdichtungswert  hat;  in  der  Tat  folgt  dann 
aus  der  Definition  von  K*{x),  daß  A*  =  1  nicht  Verdichtungswert  und 
daher  auch  nicht  Eigenwert  von  K*  ist;  demnach  ist  A  =  oo  gewiß  nicht 
Eigenwert  von  K{x). 

'     Bleibt  K{x,  y)  für  alle  Variabein  x  absolut  unterhalb   der   endlichen 
Grenze  M,  so  entnehmen  wir  aus  (2)  und  Hilfssatz  2,  daß  auch  für  alle  m 

K  (^5  ^,  y)  =   (*•;  y)<n  +   ^^rn(.^,  V)   +   ^^K.l^m{x,  «/)   +  ••• 

gilt,  wo 

«<m,    A|  <^,  -  1<'^„<+  1 

ist.  Mit  Rücksicht  auf  Hilfssatz  3  erhalten  wir  dann,  wenn  wir  für  x,  y 
solche  feste  Werte  nehmen,  die  von  einem  endlichen  Index  an  sämtlich 
verschwinden,  für  m  =  m,^  in  der  Grenze  h  =  oo  die  Formel 


134  Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 


L  k«a(^; ^> y) ^ (^; y)  +  ^-^''^^ y)  +  ^-^^ipc, y)  +  ■■■ 

und  hieraus  für  n  =  oo 

X  K«,(A;  a:,  ^)  =  (a:y)  +  kK(x,  y)  +  ^^^^^(a:,  y)  +  ---  • 

A  =  oo 

Die  so  gewonnene  Formel  sowie  die  Tatsache,  daß  jeder  Abschnitt  der 
Resolvente  außerhalb  des  Spektrums  regulär  analytisch  in  k  ist,  zeigt, 
daß  die  Resolvente 

K{l;x,ij)  =  L  Y.,n^{l;  X,  y) 

A  =  00 

der  Form  K(x,  y)  eindeutig  durch  K{x)  bestimmt  ist,  und  hieraus 
wiederum  folgt,  indem  wir  auf  den  Beweis  für  die  Existenz  des  Grenz- 
wertes 

L  K,n,,{l;  X,  y) 

A  =  00 

zurückgreifen,  daß  auch  allgemein  der  Grenzwert 

L  K„.(^;  X,  y) 

m  =  00 

existiert  und  dem  obigen  Grenzwert  gleich  sein  muß.    Die  letzten  Formeln 
gelten  stets  für  jeden  Abschnitt  der  in  Betracht  kommenden  'Formen. 
Aus  (51)  schließen  wir,  daß  die  Differenz 

(52)  K(A;x,i/)-  {{x,y)-^XK{x,y)^l'KK{x,y)  +  ---  +  )-KK...K{x,y)\ 
eine  Form  ist,  bei  welcher  der  absolute  Betrag  jedes  Abschnittes  für 
1  ^  I  <  nr  unterhalb  der  Größe 

1  —  ''IM\ 
bleibt.     Durch  Faltung   jenes    Ausdruckes   (52)   mit  K{x,  y)   ergibt    sich 
dann  nach  Hilfssatz  2,  daß  der  Ausdruck 

K{x,)K{k-.,y)  -  [K{x,y)  +  lKK{x,y) 
^     ^  +  X'KKKix,  y)  4-  •  •  •  +  V'KKK  .  .  .  K{x,  y)  \ 

absolut  genommen  im  gleichen  Sinne  die  Größe 

nicht  überschreitet.  Setzen  wir  in  (52)  die  Zahl  n  -f  1  an  Stelle  von  n 
und  subtrahieren  dann  davon  das  A- fache  des  Ausdruckes  (53),  so  ent- 
steht der  Ausdruck 

K(A;  X,  y)  -  lK{x,  .)K(A;  .,y)-  {x,  y), 
und   dieser    Ausdruck    bleibt  demnach    absolut  genommen    unterhalb    der 

Größe 

2  \XM\''+- 

1  — IIMI 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  135 

Da  nun  diese  Größe  für  n  =  oc  gegen  Null  konvergiert,  so  ist  damit  die 
Gültigkeit  der  Gleichung 

(54)  K(yl;  x,ij)  -  lK{x,.)K{X-  .,y)  =  (x,  y) 

für  A I  <  -^  und  für  jeden  Abschnitt,  und  einer  oben  gemachten  Be- 
merkung (S.  127)  zufolge  daher  auch  für  beliebige  Werte  der  unendlich 
yielen  Variabein  bewiesen. 

Wir  sind  vorhin  zu  der  Gleichung 

(55)  K(X;  X,  y)  =  {x,  y)  +  lK{x,  y)  +  X-KK(x,  ?/)  +  ••• 

gelangt  und  haben  die  Gültigkeit  derselben  für  jeden  Abschnitt  und  für 
I  A  I  <  ,^  erkannt.  Aus  diesem  Umstände  wiederum  schließen  wir,  daß 
für  beliebige  Werte  der  Variabein  und     'f-    <  ^  jeder  Abschnitt  von 

(56)  K(A:  x,y)-[  {x,  y)  -f  XK{x,  y)  +  •  •  •  +  l^KK  .  .  .  K{x,  y)  ] 
absolut  kleiner  als 

(57)  "'*^' 


1—X3I 


ausfällt,  und  daher  muß  einer  oben  (S.  127)  gemachten  Bemerkung  zufolge 
auch  jener  Ausdruck  (56)  selbst  für  beliebige  Werte  der  unendlich  vielen 
Variabein  absolut  kleiner  oder  gleich  der  Größe  (57)  bleiben.  Hieraus 
folgt,  indem  wir  n  ins  Unendliche  zunehmen  lassen,  daß  die  Gleichung  (55) 
für  beliebige  Werte  der  unendlich  vielen  Variabein  x^^,  x^, .  .  .  und  y^yy^,  •  •  > 

und  für    ;  A  ]  <  y,  gültig  ist.  • 

Die  Gleichung 

(58)  K(A,  a:) 

ist  —  ebenso  wie  (50)  —  vorhin  nur  in  dem  Sinne  als  gültig  erkannt 
worden,  daß  man  darin  auf  beiden  Seiten  die  nämlichen  Abschnitte  ge- 
nommen denkt;  wir  wollen  nun  zeigen,  daß  diese  Gleichung  für  beliebige 
Werte  der  unendlich  vielen  Variabein  gilt  —  vorausgesetzt,  daß  l  einen 
außerhalb  des  Spektrums  von  K  gelegenen  Wert  bedeutet. 

Es    sei    «j,  agj---  ein    bestimmtes  Wertsystem  der  unendKch  vielen 
Variabein  x^,  x^,  .  .  .\  dann  bezeichne 

den  Wert,  den  E^  bzw.  der  nie  und  mte  Abschnitt  von  Ep  für  jenes  be- 
stimmte Wertsystem  annimmt.     Wegen  (50)  liegt 

2         [^p(«)]n 
(p  =  l /') 


136  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

unterhalb    der   von   n   und  F  unabhängicren  endlichen    Grenze  {a,  a);  wir 
setzen 

2  [^p^a)\n  =  ^(n,  P), 

(p  =  /'  +  1,  P  +  2, . . .) 

WO  s{n,P)  eine  Größe  ist,   die    bei   festem  )i  für  P  =  oo   nach  Null  kon- 
vergiert.   Da  bei  festem,  außerhalb  des  Spektrums  gelegenen  ?.  die  Größen 

1 

sämtlich  eine  endliche  obere  Grenze  G  haben,  so  ist,  wenn 


V       t^''";!"  -  n(n,  P) 


^      ,    '■ 


(p  =  P  +  l,P  +  2,...)    -  j^ 


1  — 

1 


gesetzt  wird,  die  Größe  rj/w,  P)  ebenfalls  eine  solche,  die  bei  festem  n 
für  P  =  oo  nach  Null  konvergiert. 

Da  andererseits 

^V      -^/'(^) 

Zj     ,       i 

eine  beschränkte  Form  ist,  und  zwar  derart,  daß  die  absohiten  Beträge 
ihrer  Werte  sämtlich  unterhalb  der  von  P  unabhängigen  Grenze  G  bleiben, 
so  folgt  aus  unseren  früheren  Betrachtungen  (S.  127),  daß 


(j)=  i,...,p)l  — 


> X"  =  WV^^  «  +  1  +  Ö^  «  +  2  H 1-  «  m  > 


p 


l       {p  =  i,...,P)  1 ^^ 


(m  >  n) 

wird,    worin    {G)    eine    zwischen    endlichen   von    n,    m,    P   unabhängigen 
Grenzen  gelegene  Größe  bedeutet. 

Aus  den  beiden  letzten  Gleichungen  ergibt  sich 

(p=  1, ...,/')  1 —y"'    (i'=i,2...)l  — y- 

und  wenn  wir  hierin  zuerst  m  =  oo   und   zuletzt  n  =  oo   werden  lassen, 
so  erhalten  wir 


Ä..,i- 


(p  =  l,2,...)  A  —  ,  "     ~(p  =  l,,2,...)l— y- 


Andererseits  wenden  wir  die  oben  (S.  127)  zum  Beweise  der  Konver- 
genz von  Ä(a,  h)  dargelegte  Schlußweise  auf  die  Bilinearform  ff(Z;  x,  y) 
an.     Da  mit  Rücksicht  auf  (31) 

[6{ii;x,y)\<l 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  137 

folgt   und    mithin    für    alle   Werte    von    ^v  bei   beliebigen  x^,  x.^,  .  .  .   und 

sein  muß,  so  folgt  durch  jene  Schlußweise  zugleich  in  bezug  auf  alle  ^ 
die  Gleichmäßigkeit  der  Konvergenz  von  [(3(ß-,  x,  y)]^  gegen  6{}i;  x,  y); 
mithin  stellt  die  Bilinearform  ö(ii]X,y)  für  jedes  Wertsystem  der  un- 
endlich vielen  Variabein  x^,  x.^,  .  .  .  und  yi,y2,---  eine  stetige  Funktion 
von  /i  dar,  und  hieraus  wiederum  folgt 


Mit  den  beiden  letzteren  Limesgleichungen  ist  unsere  Behauptung  er- 
wiesen, d.  h.  die  Gültigkeit  der  Partialbruchdarstellung  von  K(A;  x)  auf 
beliebige  Werte  der  unendlich  vielen  Variabelu  erweitert. 

Die  soeben  als  allgemeingültig  erwiesene  Partialbruchdarstellung  von 
K(il;a;)  läßt  zugleich  erkennen,  daß  der  Wert  der  Resolvente  K(A,  a;)  für 
jedes  beliebige  System  der  unendlich  vielen  Variabein  rr^jiCg,  ...  eine  in 
X  außerhalb  des  Spektrums  regulär  analytische  Funktion  ist. 

Setzen  wir  in  K(2;a:,  y)   allgemein   an   Stelle  von  x    den  Ausdruck 

— ^   '  -,  so  entsteht  die  Faltung: 
dyp    '  ° 

und  daher  stellt  auch  diese  für  jedes  Wertsystem  der  unendlich  vielen 
Variabein  x^,  x.^,  •  ■  .  und  ^1,^0,...  eine  in  X  außerhalb  des  Spektrums 
regulär  analytische  Funktion  dar. 

Aus  diesen  Tatsachen  folgern  wir  die  Gültigkeit  der  Gleichung  f54) 
nicht  nur  für  beliebige  Wertsysteme  der  unendlich  vielen  Variabein  a:"j,  x^,  ... 
und  y-iiy^,  ■  •  •■)  sondern  auch  für  alle  außerhalb  des  Spektrums  liegenden 
Werte  von  X. 

Wir  fassen  die  wichtigsten  der  gewonnenen  Resultate,  wie  folgt, 
zusammen: 

Satz  32.  Es  sei  K{x)  eine  beschränkte  quadratische  Form  der  un- 
endlich vielen  Variahein  x^,  x^,  .  ...  Die  Resolvente  K(A;  rc)  vom  K{x)  ist 
eine  eindeutig  bestimmte  quadratische  Form  eben  dieser  Variabein  x^,  x^,  .  .  ■ 

K{X,x)==2K^{X)x^x,^, 

deren  Koeffizienten  Kj,^(A)  für  alle  außerhalb  des  Spektrums  von  K  gelegenen 
Wert^  X  regulär  anahjtische  Funktionen  von  X  sind. 

Die  Besolvente  K(/l;  x)  ist,  icenn  X  einen  außerlialb  des  Spektrums  von 
K  gelegenen   WeH  bedeutet,  eine  beschränkte  Form;  sie  stellt  für  jedes  he- 


138  Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

liebige  Wertsystem  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  Xo,  . .  .  eine  analytische 
Fmiktion  von  A  dar. 

Die  Resolvente  Y<[^k,  x)  gestattet  für  beliebige  Werte  der  unendlich  vielen 
Variahein  x^,  x^, .  •  .  und  für  genügend  Meine  Werte  von  k  die  Potenz- 
reihenentwicldung 

(59)  K(A,  x)  =  {x,  x)  +  XK{x)  +  )}KK{x)  +  '■■, 

und  ferner  gilt  ebenfalls  für  beliebige  Werte  der  unemllicli  vielen  Variabein 
und  überhaupt  für  alle  außerhalb  des  Spektrums  von  K  gelegenen  Werte  l 
die  Partialbruchdarstellung 

(60)  K{L  x)=2  — ^,-  +  T-'^'^V  • 

(i».»)! -      J  i i 

ip     (")  fi 

Dabei  ist  die  Summe  über  das  gesamte  PunJctspeMrum  von  K,  d.  h.  über 
alle  Eigeniierte  eventuell  mit  Einschluß  des  Eigenwertes  oo  zu  erstrechen; 
E  bezeichnet  allgemein  die  zu  A^  gehörige  quadratische  Eigenform;  sie  ist 
eine  beschränJcte  Form,  die  für  kein  Wertsystem  der  Variabein  x^^,  x^, .  .  . 
negativ  ausfällt.  Die  Spektralform  (?(A)  ist  eine  beschränkte  Form  der 
unendlich  vielen  Variabein  x^,  Xo,  .  .  .,  und  zwar  stellt  sie  für  jedes  Wert- 
system derselben  in  bezug  auf  X  eine  Funktion  dar,  die  stetig  ist  und  bei 
ivachsendem  A  innerhalb  des  Streckenspektrums  s  —  von  besonderen  Werten 
der  x^,  x^,  .  ■  ■  abgesehen  —  ivächst,  in  jedem  außerhalb  s  gelegenen  Intervalle 
aber  konstant  bleibt. 

Insbesondere  gelten  die  Gleichungen 

(61)  {x,x)==^E^+Jdö{X), 

iß,  «>)         w 

(62)  ^w=2:t+y-i^- 

Die  Resolvente  K(X,  x)  ist  mit  K{x)  durch  die  Relation 

(63)  K(A;  X,  y)  -  XK{x,  .)K(A;  .,y)  =  (x,  y) 

verknüpft,  die  für  alle  außerhalb  des  Spektrums  von  K  liegenden  Werte 
von  X  gültig  ist. 

Setzen  wir 

K(A;  X,  y)  =  (c^x^  -{-  cc^x.^  -\ , 

wo  «1,  «2)  •  •  •  gewisse  lineare  Funktionen  von  yi,y2,  ■  -  •  niit  konvergenter 

Quadratsumme  sind,  so  folgt  aus  (63)  durch  Gleichsetzung  der  Koeffizienten 

von  X  : 

ccp  -  X  ^kp,^a^  =  yp  (p  =  1,  2, .  .  .), 

(?) 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  139 

d.  h.  a^,  Ko,  .  ■  .  lösen  diese  inhomogenen*,  aus  der  quadratischen  Form 
(x,  x)  —  XK{x)  (wo  X  außerhalb  des  Spektrums  liegt)  entspringenden  un- 
endlich vielen  Gleichungen,  wenn  xj^,  y^,  ...  irgendwelche  Größen  mit 
konvergenter  Quadratsumme  sind;  sie  sind  die  einzige  Lösung  mit  kon- 
vergenter Quadratsumme.  — 

Wir  wollen  nunmehr  das  Verhalten  der  Resolvente  K(il,  x)  für  einen 
innerhalb  des  Spektrums  von  K  liegenden  Wert  von  X  untersuchen. 

Zu  dem  Zwecke  setzen  wir 

X  =  V  -\-  iv  j 
wo  V,  V    reelle  Zahlen  bedeuten,  und  fragen,  ob  das  Produkt 

für  v'  =  0  einem  Grenzwerte  zustrebt. 

Es  sei  zunächst  v  eine  Verdi chtungsstelle  der  Eigenwerte  von  K{x), 
aber  nicht  gleich  einem  Eigenwerte  von  K(x)-^  dann  setzen  wir 

ip) 

und  bezeichnen  mit  r,„  denjenigen  unter  den  Eigenwerten  Xj,  .  .  .,  A,,^,  der 
dem  Werte  v  am  nächsten  liegt.  Nehmen  wir  nunmehr  m  so  groß,  daß 
gerade  noch 

ist,  so  wird 

lUr    «  <  m         \-. r    <    -. <  j :  <   Vv 

Xf-p  A     t-p V     I  V,„ V\    ' 

und  für  |j  ^  m  gewiß   '■. ^  1 

und  daher  auch 

l'' -  ^2j^  ^ ^^^-^^  +  •  •  •  +  ^J  +  K. <V7-\-B,^. 
(p) 
Da  nun  für  v  =  0  notwendig  m  über  alle  Grenzen  wächst  und  daher  i?„, 
gegen  Null  konvergiert,  so  folgt 

(64)  ,.L{(—>-)2^->.]-^- 

(P) 

Die  letztere  Grenzgleichung  gilt  gewiß  auch,  wenn  v  weder  Verdichtungs- 
stelie   der  Eigenwerte   von  K(x)   noch   selbst  gleich   einem  Eigenwert  ist. 

Aus  diesen  Tatsachen  entnehmen  wir  andererseits,  daß,  wenn  v  dem 
Eigenwerte  X    gleich  ist,  stets  notwendig 

(p) 
ausfällt. 


140  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

Es  sei  jetzt  v  ein  Punkt  des  Streckenspektrums  s  und  ju'  eine  reelle 
Zahl  >  V.     Nehmen  wir  alsdann 

V  =  (v  —  ii'Y, 

so  erhalten  wir  durch  eine  ähnliche  Abschätzung  des  bis  /t'  erstreckten 
Integrales 

(66)  L{(v-«7f^'))  =  0. 

a(i) 

Ebenso  folgt  auch 

(67)  ij(,_,)jl«(.))  =  0. 

f7(-oo) 

Wegen 

folgt  aus  (64),  (65),  (66),  (67),  daß 

(68)  ' '  =  0 

bzw.  =  /l„E„ 

ist,  je  nachdem  v  keiner  der  Eigenwerte  von  K{x)  ist  bzw.  dem  Eigen- 
wert A„  gleich  wird. 

Als  Ergänzung  hierzu  tritt,  wenn 

A  =  «'v' 
gesetzt  wird,  die  Grenzgleichung 

iK(/l,  a;)  =  0 

(69)  »'==0  ^ 

bzw.  =  jE"«  , 

je  nachdem  A  =  oo  kein  Eigenwert  ist  oder  als  solcher  gerechnet  werden 
muß.  Um  dies  einzusehen,  dienen  die  analogen  tJberlegungen  wie  vorhin: 
man  nehme  bei  der  Untersuchung  der  Summe  m  so  groß,  daß  gerade  noch 
V  >  vj'y  wenn  v^  den  absolut  größten  der  Eigenwerte  Aj ,  .  .  .  2„,  bedeutet, 
und  nehme  bei  der  Untersuchung  des  Integrale  v  =  [i^. 

Bedeutet  [i   irgendeinen    außerhalb    das   Spektrums   von  K^   liegenden 
Wert,  so  folgt  aus  (6l>)  durch  Faltung  mit  K(.«;  a',  i/) 

A^(.,.)K(A;.,a;)K(.«;.2/)  =  Ka;.,r^-)K(u;.,y)-KCu;:r,«/). 

Aus  dieser  Formel  und  derjenigen,  welche  aus  ihr  durch  gleichzeitige  Ver- 
tauschung von  A;  rTj,  a'g,  ...  mit  ii-^  Vi,  V»'  ■  ■  -  entsteht,  finden  wir  die  Formel 

(70)  (A  -  iu)K(A;  rr,.)K(/i;  i/, .)  =  AK(A;  x,  y)  -  .«K(/t;  x,  y). 
Bedenken  wir  nun,  daß  die  Faltung 

K(A;^,.)K(^;.,?/) 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  141 

denjenigen  Ausdruck    bedeutet,    der    entsteht,    wenn    wir    in    K(A;  x,  y)  an 
Stelle  der  Variabein  ^1,2/2,  •  •  •  bzw.  die  Werte 

eintragen,   so   erkennen  wir  aus  (68),   daß  bei  festgehaltenem  u  und  für 
X  =  X  -\-  iv''  die  Limesgleichung 

(71)  Lil^-  2)K(A:  x,.)K(^r,.,y)  =  l^E/x,.)K(ß',  .  ,y) 

gelten  muß.    Da  andererseits  ebenfalls  mit  Rücksicht  auf  (68)  in  gleichem 
Sinne 

(72)  i:(A^-  ;0  { AK(Z;  x,  y)  -  .«K(a-,  x,y)]  =  l^E^^x,  y) 

v'=  0  /'       >' 

wird,    so    folgt    aus   (71),    (72)   wegen   (70),    wenn    wir    noch    X    statt    u 
schreiben; 

(73)  E^ix, .)  K(A;  jy , .)  =  ^^-^^  E^{x,  y). 

Setzen  wir  in  dieser  Gleichung  wiederum  l  =  X  -}-  iv',  so  folgt  aus 
ihr  durch  Multiplikation  mit  l  — X  und  Anwendung  von  (68)  die  Formel 

('4)  E^{x,:)E^{.,y)=^E^{x,y). 

Nehmen  wir  jedoch  zuvor  in  (73)  an  Stelle  von  p  den  von  p  ver- 
schiedenen Index  ci  und  verfahi-en  dann  in  gleicher  Weise,  so  folgt 

(75)  E^(x,)E,^{.,y)  =  0,         (p^q). 

Mit  Benutzung  von  (69)  erkennen  wir  in  gleicher  Weise,  daß  die 
Formeln  (74),  (75)  auch  gültig  sind,  wenn  statt  E  die  ev.  zu  X  =  00 
gehörige  Eigeuform  E^  gesetzt  wird. 

Setzt  man  den  Wert  von  K{X;  x,  y)  aus  (60)  in  (73)  ein,  so  folgt 
aus  (74),  (75),  daß  identisch  in  X  die  Gleichung 

(76)  E/x,.)p-^^-0 

w 

erfüllt  ist;   dieselbe  Gleichung  gilt  auch  ev.  für  die  Eigenform  E^. 


In  der  nachfolgenden  Betrachtung  verstehen  wir  allgemein  unter 
einer  Eiyizelform  eine  solche  beschränkte  quadratische  Form  E,  deren 
Punktspektrum  im  Endlichen  nur  aus  dem  einen  Punkte  1  besteht  und 
die  kein  Streckenspektrum  besitzt.  Wenden  wir  unsere  Darstellung  {Q2) 
auf  die  Einzelform  E  an,  so  folgt,  daß  E  selbst  die  zum  Eigenwert  1 
gehörige  Eigenform  ist  und  mithin  wegen  (74)  der  Relation 
(77)  E{x,)E{.,y)=^E{x,y) 


142  Kap.  X[.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

genügen  muß.  Umgekehrt,  wenn  eine  beschränkte  quadratische  Form  E 
der  Relation  (77)  genügt,  so  erhalten  wir  für  ihre  Resolvente  bei  An- 
wendung der  Formel  (59)  den  Ausdruck 

(x,  x)  +  lE+r-E  + (x,  x)-E-\-  ^^^^, 

und   hieraus   erkennen  wir  mit  Rücksicht  auf  (68),  (69),   daß  E  nur  den 
einen   endlichen  Eigenwert  1    besitzt,   und   sodann   folgt   auch   das   Nicht- 
vorhandensein eines  Streckenspektrums;  d.  h.  E  ist  eine  Einzelform. 
Wenn 


irgendwelche  Linearformen  in  endlicher  oder  unendlicher  Zahl  bedeuten, 
deren  Koeffizienten  den  Relationen 

{>■) 

L,(,)L^(.)  =  yi,rhr=0  ip  +  q) 

{'■) 

genügen,  so  heiße  jenes  Formensystera  ein  System  orthogonaler  Linear- 
formen oder  kurz  ein  orthogonales  System. 

Der  enge  Zusammenhang  des  so  definierten  Begriffes  mit  dem  Be- 
griff der  Einzelform  wird  erkennbar  durch  den  folgenden  Satz: 

Jede  Einzelform  ist  als  Summe  von  Quadraten  der  Linearformen  eines 
orthogonalen  Systems  darstellbar,  und  umgekehrt  stellt  die  Summe  der  Quadrate 
der  Linearformen  eines  orthogonalen  Systems  stets  eine  Einzelform  dar. 

Zum  Beweise  der  ersten  Aussage  bedenken  wir,  daß,  wenn 

E{x)  =^2ep,x^x^ 

gesetzt  wird,  wegen  (77) 

^11  ^^  ^ll'  ~r  ^12""    r  ^13    "!"•■■ 
sein  muß;  wenn  daher  die  Variabele  Xy  in  E  überhaupt  vorkommt,  so  ist 
gewiß  der  Koeffizient  von  x^^  in  E  positiv.     Setzen  wir 

so  erhalten  wir  wegen  (77) 

L,(,)E{x,.)^L,(x), 

AQA(.)  =  i- 

Bilden  wir  daher 

(78)  E,ix)  =  Eix)-rL,{xy,- 

80  ergibt  sich 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  143 

(^^^  ■     E,{x,.)E,(,,y)^E,(x,y), 

d.  h.  E^  ist  ebenfalls  eine  Einzelform;  da  E^  als  solche  eine  definite 
Form  ist  und  wegen  (78)  der  Koeffizient  von  x^^  in  E^  den  Wert  Null  hat, 
so  kommt  die  Variable  x^  in  E^  überhaupt  nicht  vor. 

Wenden   wir   das   nämliche  Verfahren   statt   auf  E  nunmehr   auf  E^ 
an,  so  gelangen  wir  zu  einer  Linearform  L^  und  der  Einzelform 

E,{x)  =  E,(x)  -  L,(xy  =  E(x)  -  L,(xf  -  L.ixf, 
die  die  Variablen  x^,  x.,  nicht  enthält;  zugleich  folgt  aus  (79) 

Schließlich  ergibt  sich  der  Ausdruck 

E{x)  -  L,(xy  -  L,(xf 

als  eine  definite  beschränkte  Form,  die  keine  der  Variabein  x^^,  x.^,  •  •  • 
enthält  und  daher  identisch  NuU  ist,  d.  h.  es  ist 

E{x)  =  L,(xf  ^L,(xf  +  --- 
Um  die  umgekehrte  Aussage  des  Satzes  zu  beweisen,  bilden  wir  zu- 
nächst  aus  den  ersten  7n  Linearformen  X,,...,iv,„  des  vorgelegten  ortho- 
gonalen Systems  den  in  x^fX^,...  linearen  Ausdruck 

3I(x)  =  (x,  y)  -  L,(x)L,(ij) L^{x)LJy). 

Da  die  Quadratsumme  der  Koeffizienten  von  M{x) 

M{:)M(:)  =  (tj,  y)  -  L,(yf LJy? 

wird,  so  folgt,  daß  hier  auch  die  rechte  Seite  positiv  ausfällt;  mithin 
stellt  auch  die  endliche  bzw.  unendlich  fortgesetzte  Formenreihe 

L,{yf  +  L,{j)-f  +  ■  -  ■ 
eine  beschränkte  quadratische  Form  dar,   und  wegen  der  Orthogonalitäts- 
eigenschaften  der  Linearformen  L^,  L^,  .  .  ■   folgt  sodann,  daß  diese  Form 
die  Relation  (77)  erfüUt. 

Die  Einzelform  (x,  x)   und   nur   diese   besitzt    auch  A  =  oo   nicht   als 
Eigenwert. 


Wir  wenden  nun  die  vorstehenden  Ergebnisse  auf  die  Eigenformen 
der  quadratischen  Form  K{x)  an.  Lidern  wir  die  sämtlichen  Eigen- 
formen Ep  bzw.  Ej^,  E^  von  K(x),  die  wegen  (74)  Einzelformen  sind, 
als  Summen  von  Quadraten  linearer  orthogonaler  Formen  :c/,  x^',  .  .  • 
darsestellt  denken,  orelansen  wir  in  iolojender  Weise  zu  einer  orthogonalen 
Substitution  der  Variabein  j\,  x^,  .... 

Wir  bilden  zunächst  die  Form 

(Xf  Xj       x^  ~       x^         ■  ■  ■  1 


144  K^ap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

dieselbe  genügt  der  Relation  (77)  und  ist  daher  eine  Einzelform  der 
Yariabeln  x.^,  Ci\,  .  .  .:  setzen  wir  dieselbe  in  die  Gestalt  t^- -f  ^g"  +  "  ' '? 
wo  I,,  Ig?  •  •  •  ebenfalls  ein  orthogonales  System  linearer  Formen  bedeuten, 
die  auch  zu  x^,  x{  .  .  .  orthogonal  sind,  so  haben  wir 

{X,  X)  =  xC'^Xp^-  .  •  +  1^2^  1,2^  .  .  ., 

und  mithin  definieren  die  linearen  Formen  x^,  x^^  .  .  .,  1^,  ^2>  •  •  •  zusammen- 
genommen eine  orthogonale  Substitution  der  Variabein  x^,  x^,  .  .  . 

Da  die  Gleichung  (7G)  gewiß  für  alle  in  genügend  kleiner  Umgebung 
von  A  =  0  liegenden  Werte  von  l  gelten  soll,  so  schließen  wir,  da  man 
jede  stetige  Funktion  w{)x)  in  dem  0  nicht  enthaltenden  Intervall  s  durch 

lineare  Aggregate  von  Funktionen  1  —  gleichmäßig  approximieren  kann, 
daß  auch  für  jede  stetige  Funktion  iv{\i) 

Ep{x,.)fw(ß)d6i)L',.,y)=^0 
(') 
und  folglich  auch  für  alle  /t 

(80)  E/x,.)ö(ß',.,y)  =  0 

sein  muß.  Denken  wir  nun  hierin  an  Stelle  der  Variabein  x^jX^,  ...  die 
Variabein  x{,  x^,  ■  .  .,  $1,^2»  •  •  •  eingeführt,  so  lehrt  (80)  mit  Rücksicht 
auf  die  Kovarianz  der  Faltung  bei  orthogonaler  Transformation,  daß  die 
so  transformierte  Spektralform  von  den  Variabein  x^,  x.^',  .  .  .  frei  ist;  wir 
bezeichnen  sie  mit  ^f/t;  |).    Die  Formel  (60^  nimmt  alsdann  die  Gestalt  an 


wo  \,  A"2,  •  .  .  die  betreffenden  reziproken  Eigenwerte  bedeuten,  nachdem 
sie  in  eine  einfach  unendliche  Reihe  gebracht  worden  sind,  wobei  derselbe 
Wert  mehrfach  vorkommen  kann. 

Um  die  charakteristischen  Eigenschaften  der  Spektralform  l(ji-,  |)  zu 
finden,  tragen  wir  in  (70)  den  eben  gefundenen  Ausdruck  (81)  für  die 
Resolvente  ein;  wir  erhalten 

J  9  J  Q 


'rfr(pj,»l)         ..      /^d^(Q;^,ri) 


^  ^    I       .         l^ 


-J  Q  'J  Q 


und  mit  Rücksicht  auf  die  Identität 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  145 

X         ^         a 
1 1  —  — 

Q  e  1  1 


Q  Q 


folgt 


Da  diese  Gleichung  für  alle  Werte  von  X,  ^  gültig  sein  soll,  so  schließen 
wir  wie  oben,  daß  auch  für  beliebige  stetige  Funktionen  u{q),  v(q) 

fu{Q)d^{Q]  ^,.)J'v(Q)dti9].,v)  -ß(.Q)v(Q)dt(Q]  I,  v) 

gilt;   für  u(q)  =  v{q),   |  =  f?   nimmt   die  gefundene  Relation  die  Form  an 
f(tliQ)ydt(Q]  I)  =fu{Q)dtiQ]  l.)fuliQ)dt{Q;.,^). 

Weiterhin  folgt  aus  (81), für  1  =  0 

(|,|)=pe(^;|). 
W 

Da  umgekehrt  aus  der  vorletzten  Relation  die  vorhergehenden  und 
mithin  schließlich  auch  (70)  und  daraus  mit  Hilfe  der  letzten  Gleichung 
auch  (63)  gefolgert  werden  kann,  so  erkennen  wir,  daß  die  beiden  zuletzt 
gefundenen  Bedingungen  zur  Charakterisierung  der  Spektralform  t,  auch 
hinreichend  sind.  Aus  (68),  (69),  (74)  folgt  die  eindeutige  Bestimmtheit 
von  2  ,  E,,,  und  andererseits  schließen  wir,  daß  auch  die  Spektralform 
durch  die  obigen  für  sie  charakteristischen  Relationen  und  durch  die 
Forderung,  es  solle  K  die  Darstellung  (62)  gestatten,  eindeutig  bestimmt 
ist;  denn  die  eben  angedeutete  von  den  Eigenschaften  der  Spektralform 
ausgehende  Betrachtungsweise  ergibt,  daß  die  Resolvente  durch  (60)  dar- 
gestellt  ist,   und    daß    also    wegen    deren    eindeutiger    Bestimmtheit    auch 

/— ^  y  für   aUe   A    und   daher   auch   die  Spektralform   selbst   eindeutig 

W 

bestimmt  ist. 

Wir  fassen  die  orewonnenen  Resultate  wie  folgt  zusammen: 

Satz    33.      Jede    beschränJde    quadratische   Form  K  unendlich   vieler 

Variablen  läßt  sich  stets  und  nur  auf  eine  Weise  durch  eine  orthogonale 

Substitution  in  die  Gestalt  bringen 


K  =  iw+'W+---+ß~^t'^'' 


Math.  Monogr.  3:  Hubert,  Ud.  lategralgloichungcu.  10 


146  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

WO  l\,  Jc2,  ...  gewisse  absolut  iinterhalh  einer  endlichen  Grenze  liegende 
Größen  {die  reziproJcen  Eigemverte)  bedeuten  und  die  Speliralform  (j(ju;  ^) 
die  zu  ihrer  Charakterisierung  hinreichenden  Belationen 

(82)  f{ui[i)yd6ir,  5)  =fuifi)da{^;^,.)fu(^u)da{p-.,l), 

(*)  {*)  (.") 

(I,  I)  =  fda{^',  I) 

(h 
identisch  für  alle  stetigen  Fmikiionen  «(ft)  erfüllt 

Setzen  wir  in  (63)  X  =  X  -\-  iv,  so  folgt  uacli  Multiplikation  mit 
Ajj  —  A  für  V  =  0  wegen  (68) : 

Wenn   wir  E    als  Quadratsurnnje  eines  orthogonalen  Systemes  darstellen: 

so  ergibt  sich  durch  Faltung  mit  Lp,^(y): 

d.  h.  die  Gleichung 

lLQK(x,.)  =  L{x) 

kann  durch  eine  beschränkte  Linearform  L  gewiß  dann  identisch  in 
x^^a'o,...  befriedigt  werden,  wenn  l  einer  der  Eigenwerte  von  K  ist. 
Ebenso  folgt  aus  (69),  daß 

L{.)K(x,.)==0 

gewiß  dann  befriedigt  werden  kann,  wenn  X  =  oo  ein  Eigenwert  ist. 

Wir  können  uns  jetzt  auch  umgekehrt  davon  überzeugen,  daß  die  obige 
Gleichung  nur  in  diesem  Falle  durch  eine  beschränkte  Linearform  lösbar 
ist.  Mit  Rücksicht  auf  Satz  33  bedarf  es  dazu  nur  des  Nachweises,  daß, 
wenn  L  eine  beschränkte  Linearform  der  Variabein  |j,  1,;  •  •  •  ist,  die 
Relation 

w 
für  keinen  Wert  von  X  statthaben  kann.    Bezeichnen  wir  die  Koeffizienten 
von  L  mit  l,  so  nimmt  die  letztere  Relation  die  Gestalt  an 


aJ^^'')  =  (I,0- 


Hiervon  subtrahieren  wir  die  Relation 

p<^t;|,Z)  =  (|,Z) 

und  erhalten  so  die  Relation 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  147 

J(l-  '^)da{^-ll)-0, 
(■*) 
die  ebenfalls  identisch  in  |j,  I2?  •  •  •  erfüllt  wäre.    Nehmen  wir  nun  in  (82) 

n(ii)  =  1 ,  so  folort  hieraus 


/( 


i--^ydö(^i',i)=o, 


und  dies  ist,  da 

fdadr,  l)  =  (l,  l) 

ist  und  da  6  nie  abnimmt,  nur  möglich  für  (?,  ^)  =  0;  wir  gewinnen  so 
folgende  Tatsache: 

Satz  34.     Wenn  K  irgendeine  'beschränJde  quadratische  Form  ist,  so 
ist  die  Belation 

XL{.)K{x,.)  =  L(x) 

durch  eine  heschränJcte  Linearform  L  dann  und  nur  dann  lösbar,  wenn  l 
ein  Eigenwert  von  K  ist. 

Insbesondere  ist  die  Gleichung 

L(.)Kix,.)  =  0 

dann  und  nur  dann  lösbar,  wenn  A  =  oo  ein  Eigenwert  von  K  ist.  Ist 
A  =  00  kein  Eigenwert,  diese  Gleichung  also  nicht  lösbar,  so  heiße  die 
quadratische  Form  abgeschlossen. 


Wir  wollen  uns  fortan  in  diesem  Kapitel  XI  mit  gewissen 
zwei  Spezialfällen  des  Satzes  33  ausführlicher  beschäftigen. 

Wir  nennen  eine  Funktion  F(x^,  oc^,  . . .)  der  unendlich  vielen  Variabein 
x^^,  x^,  .  .  .  für  ein  bestimmtes  Wertsystem  derselben  vollstetig,  wenn  die 
Werte  von  F(x^  +  ^i?  ^2  +  ^2»  •  •  •)  g®»®^  ^®^^  Wert  F(x^,  X2, .  .  .)  kon- 
vergieren, wie  man  auch  immer  s^,  ^2;  •  •  •  ^^^  ^^^^  ^^  Null  werden  läßt 
d.  h.  wenn 

LF{X^  +  £1,  0^2  +  «2»  •  •  •)  =  F(^U  ^27  •  •  •) 
f  1  =  0,  f  j  =  0,  .  .  . 

wird,  sobald  man  £^,  e^,  .  .  .  irgend  solche  Wertsysteme  £^^''\  £3'^^  •  •  •  durch- 
laufen läßt,  daß  einzeln 

h  =  oa  h  —  aa 

i.st.  Wenn  eine  Funktion  für  jedes  Wertsystem  der  Variabein  mit  kon- 
vergenter Quadratsumme  vollstetig  ist,  so  heiße  sie  schlechthin  vollstctig. 
An  den  Begriff  der  Vollstetigkeit  knüpfen  sich  unmittelbar  folgende  Schlüsse. 

10* 


148  Ka^p.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

Hat  eine  rollstetige  Funktion  F  die  Eigen.scliaft,  absolut  genommen 
für  alle  Werte  der  Yariabeln  unterhalb  einer  endlichen  Größe  zu  bleiben, 
so  besitzt  sie  —  wie  leicht  durch  das  bekannte  für  endliche  Variabeln- 
zahl  angewandte  Verfahren  bewiesen  werden  kann  —  ein  Maximum.  Be- 
deuten ferner  L^{x),  .  .  .,  i„,(^)  noch  m  weitere  vollstetige  Funktionen 
der  Variabein  x^,  x^,  ...  und  werden  nur  diejenigen  Wertsjsteme  dieser 
Variabein  zugelassen,  die  den  Bedingungen 

genügen,  so  besitzt  F  ein  relatives  Maximum;  dabei  sind  die  Variabein 
stets  an  die  Ungleichung 

{x,  x)  -^l 
gebunden. 

Eine  beschränkte  Linearform  der  Varial)eln  x^,  Xc^,  ...  ist,  wie  man 
sofort  sieht,  auch  vollstetig  in  diesen  Variabelu.  Wir  schließen  daraus 
leicht,  daß  eine  vollstetige  Funktion  der  Variabein  x^,  x^,  ...  durch 
orthogonale  Transformation  derselben  wiederum  eine  voUstetige  Funktion 
der  neuen  Variabein  wird. 

Ist  eine  beschränkte  quadratische  Form  K  vollstetig,  so  ist  offenbar, 
daß  ihre  Eigenwerte  sich  im  Endlichen  nicht  häufen;  zugleich  läßt  sich 
zeigen,  daß  ein  Streckenspektrum  überhaupt  nicht  vorhanden  sein  kann. 
Aus  Satz  33  gewinnen  wir  mithin  folgendes  Resultat: 

Satz  35.  Wenn  eine  hescJiränJde  Form  K  vollstetig  ist,  so  läßt  sie 
sich  stets  durch  eine  orthogonale  Substitution  in  die  Gestalt  bringen 

(83)  K{x)  =  \ x^-  -^-^x^--] ; 

dabei  sind  die  Größen  \,  1:^,  .  .  .  die  reziproken  Eigenwerte  von  K  und 
besitzen,  falls  sie  in  unendlicher  Anzahl  vorkommen,  Null  als  einzige  Vir- 
dichtungsstclle. 

Wegen  der  mannigfaltigen  und  wichtigen  Anwendungen  dieses  Satzes 

O  Od  o  O 

geben  wir  hier  für  ihn  einen  sehr  einfachen  und  von  der  obigen  Theorie 
unabhängigen  Beweis. 

Wir  nehmen  zunächst  an,  daß  K  eine  positiv  definite  Form  sei; 
alsdann  seien 

Xj  ^=     11;       ^2  12?    •   •  • 

solche  Werte   der  Variabein,   für   welche  K{x)    das   Maximum  l\    erlangt. 
Offenbar   fällt   die  Quadratsumme    dieser  Werte   gleich   1    aus,   da   wir  ja 
sonst    den    Wert    der    Form    ohne    Verletzung    der    Bedingung    (x,  x)  ^  1 
vergrößern  könnten. 
Wir  setzen 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  149 

und  bestimmen,  indem  wir  nunmehr  den  Variabelu  die  Bedingung 

auferlegen,   das   relative   Maximum  /r«   von   K(x)'^    dasselbe   werde   für   die 
Werte 

X^  =  t2i  j       -^2  ^^  ^22  >    •  •  • 

erlangt,  deren  Quadratsumme  wiederum   gleich  1  ausfallen  muß.     Ferner 
setzen  wir 

J-'2  \^)  '^^  '21  *^i  ~r  ^22  '^2  ~r  ■  ■  ■ 

und  bestimmen,  indem  wir  den  Variabein  die  Bedingungen 

L,{x)  =  0,    L^{x)==0 
auferlegen,  das  relative  Maximum  Ä'g  von  K{x)-^  dasselbe  werde  für 

'^l  "^^  ^31  j      ^2  ^^  '32 ;   •  *  • 
erlangt.     Wir  setzen  dann 

■^SV^)  ^^  ''31  "^1  "r  '32''^2     I     ■  *  ■ 

und  erhalten  durch  Portsetzung  dieses  Verfahrens  ein  System  von  linearen 
Formen  L^,  L^,  L^,  .  .  .  mit  den  Orthogonalitätsei genschaften 

L,{.)L,i.)  =  0  0  +  g). 

Auf  Grund  der  früheren  Betrachtungen  (S.  143)   bestimmen   wir  zu 
diesen  Linearformen  ein  solches  System  von  Linearformen 

3I,ix),  M,ix),  ..., 
daß 

»A/i       —    -^-^1    V        /  J 

X2    =  1^2  i."^)  f 


y^-=3I^(x), 
y^^M^ix), 


eine  orthogonale  Substitution  der  Väriabeln  x^,  x^,  .  .  .  bilden.  Die  ver- 
möge dieser  orthogonalen  Substitution  transformierte  Form  K{x)  be- 
zeichnen wir  mit  K(x',  y).  Der  Koeffizient  von  xp  in  K{x,  y)  muß  offen- 
bar gleich  Ä:^  ausfallen.  Andererseits  dürfen  weitere  x^  enthaltende  Glieder 
in  K{x',  y)  nicht  vorkommen,  da  ja  die  Differenz 

K{:»f,  y)  -  \  {x^'  +  x;^  +  .  .  .  -^-  ^^2  ^  ^^^  _^  . .  .)  =  K{x)  -  \  (x,  x) 

für  alle  Werte  der  Variabein  x^,  x^,  .  ■  .,  y^,  y2,  ■  ■  •  negativ  oder  Null 
ausfallen  soU.  Da  die  nämlichen  Überlegungen  für  x.2,  x^,  .  .  .  gelten,  so 
haben  wir 

Kix,  y)  =  l^.xC-  +  A-2<2  -h  •  •  •  +  R{y), 


150  Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

■WO  jR(y)  eine  quadratische  Form  bedeutet,  die  allein  die  Variabein  y^yy^,  . .  ■ 
enthält. 

Da  K  vollstetig  ist,  so  gilt  dies  auch  von  der  Form 

K{x%  0)  =  h^x^^  +  h^xp  +  •  •  •, 
und  mithin  müssen  die  Größen  /.j,  Ic^,  .  .  .,  falls  sie  in  unendlicher  Anzahl 
vorkommen,  gegen  Null  konvergieren;  denn  sonst  würde  es  eine  Reihe 
von  Werten  von  K{x'0)  geben,  die  gegen  einen  von  Null  verschiedenen 
Wert  konvergiert,  während  jedes  der  Argumente  x^',  a;/,  .  .  .  für  sich  gegen 
Null  konvergiert. 

Gäbe  es  nun  ein  Wertsystem  y^  ==  m^,  y^  =  m^,  .  .  .,  für  welches 
Il{'»i)  >  0  ausfiele,  so  könnte  man  q  so  bestimmen,  daß  auch  IKjn)  >  A' 
wird.     Alsdann  würde  für 

V  =  0,  <  =  0,  .  .  .,     7j^=  m^,  y.^  =  m,,  .  .  . 
auch  K^li^  ausfallen;  die  Gleichungen 

A(^)  =  ^j  •^2(^)  =  ö>  •  •  ••     M^{x)  =  m^,  M^ioc)  =  Wg,  .  .  . 
würden  mithin  ein  Wertsystem   der  Variabelu  x^,  x<^,  ...  bestimmen,  für 
welches  insbesondere  die  Bedingungen 

L,{x)  =  Q,  ...,     Ivi(^)  =  0 
erfüUt    sind    und    zugleich   K^l;^    ausfällt;    dies    widerspricht    der   Be- 
stimmungsweise von  k^,  und  mithin  ist  Il(y)  nicht  positiver  Werte  fähig. 

Wegen  „.„     .        ,-,.  . 

K{0,  y)  =  R{y) 

ist  jR(y)  gewiß  auch  negativer  Werte  nicht  fähig,   und  folglich  ist  B,{y) 

identisch  gleich  Null;  d.  h.  es  ist 

K{x)  =  hW{x)  +  \W{x)  +  •  •  •. 

Wird  K{x)   nicht   als  eine   definite  Form  angenommen,   so  führt  die 
nämliche  Überlegung  auf  die  Darstellung 

K{x)  =  \L,\x)  +  h,W{x)  +  •  •  •  +  B{y), 
wo  jR(«/)  positiver  Werte  nicht  fähig  ist.     Da  sodann  —  -R(«/)  als  positiv 
definite  Form  eine  Darstellung  derselben  Art  zuläßt,  so  erhalten  wir  schließ- 
lich auch  für  K  eine  Darstellung  durch  die  Quadrate  orthogonaler  Linear- 
formen, und  damit  ist  der  Beweis  für  den  Satz  35  vollständig  erbracht.  — 

Ein   hinreichendes  Kriterium   für   die  Vollstetigkeit   einer  Form   ge- 
winnen wir  durch  folgenden  Satz. 

Satz  36.     Wenn  für  eine  quadratische  Form  K  eine  der  Summen 

(P,  <j)  {P,  9) 

p,  q,  r,  «) 


Kap.  XL     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  ]51 

endlich  bleibt  oder  wenn  für  eine  definite  quadratische  Form  K  eine  der 
Summen 

(p) 

(P.  <1,  '■) 

endlich  bleibt,  so  ist  K  eine  beschränkte  vollstetige  Form. 

lu   der  Tat,   ist  K  eine  quadratische  Form,  deren  Koeffizienten  eine 
endliche  Quadratsumme  besitzen,  so  folgt  wegen 


notwendig 


^(^)!^V'JV 


{p,g) 


Durch  Anwendung  dieser  Tatsache  auf  die  quadratische  Form 


Rix)  -  K^ix)  =2^\,x^x^, 
ip.'j) 


wo  rechts  p,  q  alle  ganzzahligen  Wertepaare,  abgesehen  von  solchen,  für 
die  zugleich  jj  ^  n  und  q^n  ist,  durchläuft,  finden  wir 


\K{x)-K^{x)\<-\/2^r,)T,^,\ 
und  hieraus  entnehmen  wir,  da  doch 

wird,  die  verlangte  Vollstetigkeit  von  K{x). 
Ist  K  eine  definite  Form,  so  muß 

sein,  und  es  ist  mithin 

(p,  g)  (p) 

wenn   also   bei   einer  definiten  Form  ^k„„  endlich  bleibt,   so   haben  ihre 

Koeffizienten   gewiß  auch  eine  endliche  Quadratsumme,  und  die  Form  ist 

nach    der    vorigen   Betrachtung   wiederum    eine    vollstetige   Funktion   der 

Variabein. 

Nunmehr   erkennen   wir   leicht   der  Reihe   nach   folgende  Tatsachen: 
1.  Wenn   eine  beschränkte  quadratische  Form  K  nicht  vollstetig  ist, 

so   ist   sie  auch  für  das   besondere  Wertsystem  0,  0,  .  .  .  nicht  vollstetig. 

Diese  Behauptung  folgt  durch  Anwendung  der  Formel 
K{x  +  a)  =  K{x)  +  2K{x,  a)  +  K{a), 


]^52  Kap    XL     Theorie  rier  orthogonalen  Transformation. 

wenn  darin  für  a, ,  a^,  ■  .  .  ein  Wertsystem  genommen  wird,  für  welches  K 
nicht  vollstetig  ist  —  mit  Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  K(x,  a) 
als  eine  beschränkte  Linearform  gewiß  vollstetig  ist. 

2.  Wenn  K  eine   vollstetige  quadratische   Form   ist,   so   ist   es   auch 
die  Form  KK]  dies  ergibt  unmittelbar  der  Satz  35. 

3.  Wenn  K  eine    vollstetige,    7l*    irgendeine    quadratische   Form    ist 
und  für  alle  Wertsysteme  x^,  x^,  .  .  ■  die  Ungleichung 

K*(x)  £\K{x)\ 
gilt,   so    ist   auch  K''-  vollstetig;   denn   aus   dieser  Ungleichung  folgt   die 
Vollstetigkeit  für  das  Wertsystem  0,  0,  .... 

4.  Wenn  K  eine   vollstetige,   Ä^*  eine   beschränkte  Form  ist,   so  ist 
die  Faltung  beider  Formen  vollstetig;  wegen 


I  K{x,  .)K'^{x, .)  ^  V{KK{x)){K''K*{x)) 

ist  nämlich  diese  Faltung  für  das  Wertsystem  0,  0,  .  .  .  gewiß  vollstetig, 
da  nach  2  die  Form  KK  vollstetig  ist. 

5.  Wenn  die  Faltung  KK  einer  quadratischen  Form  K  mit  sich  selbst 
vollstetio-  ist,  so  ist  es  auch  die  Form  K  selbst;  dies  ergibt  sich  ebenso 
vermöge  1  aus  der  Ungleichung 

\K{x)\^yKK{x). 

6.  Ist  eine  der  Formen,  die  durch  wiederholte  Faltung  aus  der  be- 
schränkten Form  K  entstanden  sind: 

K^^)=KKK,    K^')=KKKK,     K'^)=KKKKK,    ... 

vollstetig,  so  ist  auch  K  vollstetig.  Denn  ist  etwa  K^^'>  vollstetig,  so 
sind  wegen  4  auch  die  Formen 

^(/+i\  K(^+'\  ... 

vollstetig;  wählen  wir  unter  diesen  eine  Form  aus,  für  die  die  Faltungs- 
zahl  eine  Potenz  von  2  ist,  etwa  ÜT'^  \  so  schließen  wir  durch  ^- malige 
Anwendung  von  5  auf  die  Vollstetigkeit  von  K. 

7.  Wenn  K  eine  beschränkte  definite  Form  ist,  so  sind  auch  die 
Faltungen  K'-^\  K'^^\  .  .  .  definit;  denn  es  entsteht  beispielsweise  X'^^  aus  K, 

indem  wir  in  K{x)   an  Stelle   der  Variabein  x^   die  Ausdrücke        g^  " 

einsetzen. 

Da  nun  allgemein  s^  nichts  anderes  als  die  Invariante  Ä''-^^(. , .)  d.  h. 
die  Summe  der  Koeffizienten  von  xj^  in  K'-^^  ist,  so  folgt  aus  6  und  7, 
da  der  Fall /"=  1  bereits  zuvor  erledigt  worden  ist,  die  Richtigkeit  des 
Satzes  36  allgemein. 

Aus  Satz  35  und  36  entnehmen  wir  die  folgende  Tatsache: 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  153 

Satz  37.  Eine  quadratische  Form  K,  die  eine  der  Voraussetzungen 
des  Satzes  36  erfüllt^  gestattet  gewiß  die  orthogonale  Transformation  (83)  auf 
eine  Quadratsumme. 

Ein  (Tegenstück  zu  dem  iu  deu  Sätzen  35 — 37  behandelten 
Fall  bildet  die  Annahme,  daß  die  Form  K  kein  Punktspektrum, 
sondern  nur  ein  Streckenspektrum  besitzt.  Um  hier  nur  deu  ein- 
fachsten Fall  —  der  überdies  typisch  ist  —  ins  Auge  zu  fassen,  fügen 
wir  dieser  Annahme  noch  die  weiteren  hinzu,  daß  das  Streckenspektrum  s 
aus  einer  endlichen  Anzahl  von  Intervallen  bestehen  möge,  daß  ferner  die 
Koeffizienten  der  Spektralform  a{n,  |)  stetig  differenzierbare  Funktionen 
von   n  seien  und  endlich,  daß,  wenn 


d6{iL,i) 


=  ^C«J)=^v,,(/^)l,l,0 


gesetzt  wird,  i'^iß)  innerhalb  s  nirgends  verschwindet  und,  wenn  der 
Kürze  halber 

^,(a)  =  ^iM,      ^,  =  -%^,     ... 

ist,  diese  unendlich  vielen  Funktionen  i-'ii^),  il'^i^),  .  .  .  linear  voneinander 
unabhängig  ausfallen,  in  dem  Siune,  daß  bei  willkürlicher  Wahl  von  u(ji) 
zwischen  den  Integralen 

(84)  Ju  (ji)  i^'j  (fi)  da ,     Ju  (ju-)  j^'2  (jit)  du,     ... 

keine  lineare  Relation  bestehen  soll,  deren  Koeffizienten  Konstanten  mit 
endlicher  Quadratsumme  sind. 

Führen  wir  in  die  Relation  (82)  diese  Annahmen  ein  und  setzen 
g,=  l,     ^,=  0,     ^3  =  0,     ..., 
und  an  Stelle  von  n((i)  die  Funktion 

so  ergibt  sich 

(85)  J{u(g)Ydii=    2   [Ju{iv)i,/p.)d^i}\ 

und  hieraus  entnehmen  wir  die  allgemeinere  Formel 

(86)  fu(fi)v{(i)dti  =   ^   fu([i)ip^Xf^)d^ifv(fi)ii;^{ii)d^. 

W  (p=l.  2,  ...)w  M 

Für 

^■(/*)  =  %(^) 
folgt  mithin 

1)  Diese    Gleichungen    und   die    daraus    entspringenden    gelten    nur   für  jeden 
Abschnitt,  da  i|)(/x,  |)  nicht  beschränkt  ist. 


154  Kap.  XI,     Theorie  der  orthogonalen  Transformation. 

(87)  fu(^i)t,(ti)dii=    ^    ftj,(fi)%((i)d(iftl;^((i)u([i)dii. 

W  (p  =  l,  2,  ...)W  (,,) 

Aus  unserer  Anmihme  über  die  lineare  Unabhängigkeit  der  Integrale  (84) 
erkennen  wir,  daß  die  Relation  (87)  identisch  für  alle  Funktionen  u(fi) 
nicht  anders  erfüllt  sein  kann,  als  wenn 

(88)  fitl^^wyd^^h 

(') 

Jt,{li)%{li)dii  =  0  (j)^q) 

ist. 

Wegen  des  positiv  definiten  Charakters  der  Form  il'{ii,  ^)  ist 

(^u(^)^i  +  ^i2C")l2  H y£  ti^i,  ^)tn 

oder 

(89)  (t,  (^)  I,  +  t,  (^)S3  +---y£ii^,  !)• 

Andererseits  haben  wir  wegen  (88) 

/(z^i^i  +  j/',§2  -i )-d^  =  (^,  I), 


und,  da  auch 
ist,  so  wird 


(■0 


/{ tlj(^,  I)  -  (rpM^,  +  t2(^%  +  ■  ■  ■y]d^  =  0. 

(*) 
Da  aber  der  hier  unter  dem  Integralzeichen  stehende  Ausdruck  nach  (89) 
für  keinen  Wert  von  (i  negativ  ausfällt,  so  ist  er  stets  gleich  Null,  d.  h. 
es  ist 

tili,  I)  =  (^1  '»§1  +  t2(f^\l,  +  •  •  •)'■ 

Wir  ersehen  hieraus,  daß  unter  den  gemachten  Annahmen  die 
charakteristische  Eigenschaft  der  Spektralform  ö{u,  ^)  darin 
besteht,  daß  ihre  Ableitung  nach  /a  das  Quadrat  einer  Linear- 
form wird,  deren  Koeffizienten  die  Orthogonalitätseigen- 
schaften  (85)  und  (88)  besitzen.  Da  umgekehrt  eine  solche  Form 
alle  charakteristischen  Eigenschaften  einer  Spektralform  erfüllt,  so  ist  es 
hiernach  leicht,  eine  quadratische  Form  K  zu  konstruieren,  deren  Spektrum 
aus  einer  Zahl  gegebener  Intervalle  besteht:  man  bestimme  für  die  Inter- 
valle s  ein  vollständiges  System  von  orthogonalen  Funktionen  j/^^,  t^,  ... 
d.  h.  ein  System  solcher  Funktionen,  die  den  Relationen  (85)  und  (88) 
genügen,  —  was  leicht  geschehen  kann  (vgl.  Kap.  XIII)  —  und  setze  dann 


m)  =ß 


Kap.  XI.     Theorie  der  orthogonalen  Transformation.  X55 

Als  einfachstes  Beispiel  diene  die  quadratische  Form 

(90)  K(x)  =  x^x^  +  x^x^  +  x-^x^  H ; 

diese  besitzt  kein  Punktspektrum,   und   ihr  Streckenspektrum  besteht  aus 
den  Intervallen 

A  =  —  oü  bis  —  1   und  -f  1   bis  -]-  oo. 
Wir  finden 


^/>")=]/~,7^sini?^, 
'^  '     "   j/sm  t 


WO   t   den   zwischen   0   und   jr    crelegenen   Wert    von  arc  cos  —  bedeutet. 
In  der  Tat  bestätigt  sich  dann  durch  Rechnung 

(+1- ■•+~j 

In  Bestätigung  von  Satz  34  haben  ferner,  wie  man  erkennt,  die  unendlich 
vielen  Gleichungen 


X,- 

Y  ^2                     =^, 

x^ 

Y  (^1  +  ^s)  =  0, 

x^ 

j  (x,  +  x^)  =  0, 

für  keinen  Wert  von  X  Lösungen  x^^,  x^,  .  .  .,   deren   Quadratsumme   end- 
lich bleibt. 

Ein  anderes  Beispiel  liefert  die  quadratische  Form 
.(...  2  ,         4  ,         6 

(  y  1   )  ■  "    Xi  Xn   "T"  , Xa  Xa    ~\-  Xo  Xa   -p    ■    *    ■  1 

das  Spektrum  ist  das  nämliche  wie  im  ersten  Beispiel.     Wir  finden 


wo  die  P  die  Legendreschen  Polynome  sind.     Setzen  wir  noch 

wo  die  Q  die  zugehörigen  Kugelfunktionen  zweiter  Art  bedeuten,  so  er- 
hält die  Resolvente  von  K  folgende  Gestalt: 

K(A,  x)  =  2'^^t,{^)%,{^)Vr 


156  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

Die  beiden  quadratischen  Formen  (90)  und  (91)  lassen  sieh  durch 
eine  orthogonale  Substitution  der  Yariabeln  in  einander  überführen,  wie 
aus  ihrer  Dar»telluug  durch  die  Spektralform  hervorgeht. 

Läßt  man  die  oben  gemachte  Annahme  der  linearen  Unabhängigkeit 
der  Funktionen  i\(}i),  4'-2{^))  ■  ■  ■  fallen,  so  wird  die  Ableitung  der  Spektral- 
form nicht  ein  Quadrat,  sondern  eine  Summe  von  Quadraten  linearer 
Formen  von  entsprechender  Art. 


Zwölftes  Kapitel. 

Simultanes  System   quadratischer  Formen,   die   Hermitesche 

Form,   die  schief  symmetrische   Form   und    die   Bilinearform 

mit  unendlich  vielen  Variabein. 

Die  in  Kapitel  Xi  entwickelten  Methoden  und  Resultate  lassen  sich 
ohne  prinzipielle  Schwierigkeit  auf  allgemeinere  Formen  mit  unendlich 
vielen  Variabein  ausdehnen.  Wir  betrachten  zunächst  den  Fall  eines 
simultanen  Systems  zweier  quadratischer  Formen,  von  denen  die  eine 
definiten  Charakter  hat,  die  andere  als  Aggregat  von  positiven  und 
negativen  Quadraten  der  Yariabeln  vorgelegt  ist.  Mit  Hilfe  unserer 
Methode  des  Grenzüberganges,  ausgehend  von  Formen  mit  endlicher 
Yariabelnzahl,  können  wir  leicht  die  entsprechende  Theorie  entwickeln; 
wir  heben  nur  folgendes  Resultat  hervor: 

Satz  38.  Es  sei  eine  positiv  deflnite,  vollstetige,  abgeschlossene  quadra- 
tische Form  K{x)  und  außerdem  eine  quadratische  Form  von  der  Gestalt 

V{x)  =  ViX{^  +  v^x^^  +  •  •  • 

vorgelegt,  tvo  v^,  v.^,  ...  bestimmte  Werte  -\-  1  oder  —  1  sind:  alsdann  gibt 
es  stets  eine  unendliche  Reihe  von  Null  verschiedener  Größen  x^,  x^,  .  .  ., 
deren  Vorzeichen  bzw.  v^,  v^,  .  .  .  sind  und  die  gegen  JSidl  Jconvergieren  — 
ihre  reziproken  Werte  mögen  Eigenwerte  von  K  in  bezug  auf  V  heißen  — 
und  von  zugehörigen  beschränkten  Linearformen  L^{x),  L^{x),  ...  —  sie 
mögen  die  zugehörigen  Eigenformen  heißen  —  von  solcher  Art,  daß  die 
„Polaritätsrelationen" 

L^QVi.,.)L^(,)  =  v^, 

erfüllt  sind  und  daß  ferner  die  vorgelegte  quadratische  Form  die  Darstellung 

K{x)  =\x,  (Zi {x)f  +  1  X2 :  {U{x)f  4-  •  ■  ■ 
gestattet. 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  157 

Man  kann  diesen  Satz  38  auch  ohne  den  Grenzübergano^  von  end- 
licher  zu  unendlicher  Variabeinzahl  leditrlich  auf  Grund  des  Satzes  35  mit 
Ausschluß  neuer  Konvergenzbetrachtung-en  beweisen. 

Zu  dem  Zwecke  bringen  wir  die  Form  K{x)  nach  Satz  35  durch  eine ' 
orthogonale  Transformation  der  Variabein  a\,  ^r,,  ...  in  die  Gestalt  einer 
Quadratsumme;   wir   bezeichnen  die  neuen  Variabein  mit  x\,  x\,  ...  und 
finden 

K{x)  =  \a:'^-  -\-  l\x'^-  +  •  •  •, 

wo  dann  l\,  /lo,  .  .  .  lauter  positive  Griißen  sind,  die  gegen  Null  konver- 
gieren. Ferner  bezeichnen  wir  mit  V'{x)  die  durch  jene  orthogonale 
Transformation  aus  V{x)  hervorgehende  quadratische  Form  der  Variabein 
x\,  x\,  ...  und  endlich  mit  F'("|/Ä'|)  diejenige  quadratische  Form  der 
Variabein  |j,  Ig?  •  •  •>  ^^^  f^us  V {x')  hervorgeht,  wenn  wir  in  derselben 
an  Stelle  von  x\,  x'.^,  ■  ■  ■  die  Ausdrücke  "l/A'^^j,  "[//;., t,?  ■  •  •  einsetzen. 

Wir  können  nun  leicht  zeigen,  daß  V'iyic^)  eine  vollstetige  Form 
der  Variabein  ^j,  So,  ...  ist.  In  der  Tat  ist,  wie  man  sieht,  F'(a:')  als 
Differenz  zweier  Eiuzelformen  E^{x)  und  E^^x')  darstellbar:  diese  ge- 
nügen als  solche  den  Ungleichungen 

JE*! {x)  ^  (x,  x'),    E^{x')  ^  {x',  x). 

Setzen  wir  an  Stelle  von  x\,  x\,  .  .  .  wieder  "j/^'j^lj,  "//.'olo?  •  •  ^^^}  so 
gehen  diese  Ungleichungen  über  in 

E,(VH)<J^\'.^'+h^^+■■■,      ■ 

E,{yii)<\l,'+h,l,'^---. 

Wären  nun  diese  Einzelformen  nicht  vollstetig  in  den  Variabein  t,^,^,.-,,  .  .  ., 
so  müßten  sich  auch  Wertsysteme  «/"),  a.^^"\  .  .  .  finden  lassen,  für  die 

7i  =  00  n  =x  ' 

wird,  während  die  Einzelformen,  die  ja  positiv  definit  sind,  für 

1,=  «/"),        §2  =«,(«),       ... 

Werte  erhalten  müßten,  die  oberhalb  einer  positiven  von  n  unabhängigen 
Größe  bleiben;  dies  aber  widerspräche  den  obigen  Ungleichungen,  da  K{a^ 
vollstetig  ist.  Da  demnach  E^{'^hf),  E.2{yii^  vollstetig  in  1^,  t^,  ...  sind, 
so  ist  dies  auch  F'(|'''Ä-|).  Die  Tatsache  der  Vollstetigkeit  von  E^y^h^, 
jBgd/^'b)  in  den  Variabein  |j,  ^o,  .  .  .  folgt  auch  unmittelbar  aus  4.  auf 
S.  152. 

Nunmehr  transformieren  wir  nach  Satz  35  die  Variabein  |^,  Ig?  •  •  • 
orthogonal  in  die  neuen  Variabein  ^j',  So',  •  •  ■  derart,  daß  die  Form 
V'iykl)  die  Gestalt 


158  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

erhält,  worin  x^,  x,,  .  .  .  gewisse  reelle  Größen  sind,  die  gegen  NuU  kon- 
vergieren. Bezeichnen  wir  nun  diejenigen  Linearformen  von  x^,x^, .  .  .y 
die  aus  den  Formen  £  '(^)  hervorgehen,  wenn  wir  darin  für  ^j,  I2;  •  •  • 
bzw.  die  Ausdrücke  yk^x^,  y\x^j  .  .  .  einsetzen,  mit  %^\^)ix'\  so  ist,  da 
jene  Formen  eine  orthogonale  Transformation  definieren, 

K{x)  =  (A^;)2  +  ^hx-f  +  •  •  • 

ferner  wird: 

.p  (•)  y  iK^i,  y^  ■)  =  "  ^^^  a^^ +  -^i; ^^ +  •  •  • 

=  i;(l/L)r(|/A'|,.), 

und  folglich  wird 

Aus  dieser  Formel  schließen  wir  in  gleicher  Weise 

'^;iVk .)  r  (. ,  .^;(Vk .)  =  x^.V(-.^  V(-)- 

Wenn  wir  nun  wieder  zu  den  Variabein  x^,  x^,  .  .  .  zurückkehren  und  all- 
gemein mit  A  (x)  diejenige  Linearform  von  x^,  x.2,  -  ■  ■  bezeichnen,  die 
dabei  aus  i,'\ykx')  wird,  so  erhalten  wir 

und  das  ist  wegen  der  Orthogonalität  der  Formen  |/(|)  gleich  x^  (p  =  q) 
oder  gleich  NuU  (p+ö);  andererseits  wird 

K(x)  =  yl^\x)  +  A^\x)  +  ■■'. 
Wäre  Kp  =  0,  so  müßte  für  alle  x^,  x^,  .  .  . 

sein,  was  der  Abgeschlossenheit  von  K  und  von  V  widerspräche;  folglich 
sind  jCj,  Xo,  .  .  .  lauter  von  Null  verschiedene  Größen. 

W^ir  können  nunmehr  die  Summanden  x^l^'^,  Xglo'^i  •  •  •  in  der  obigen 
Darstellung  von  F'()/A'|)  derart  angeordnet  denken,  daß  allgemein  -Ap  das 
Vorzeichen  von  Vp  besitzt.  In  der  Tat:  eine  solche  Anordnung  jener 
Summanden  wäre  nur  dann  nicht  ausführbar,  wenn  entweder  die  Anzahl 
der  negativen  (bzw.  positiven)  Einheiten  in  der  Reihe  i\,i\,...  endlich 
und  zugleich  die  Anzahl  der  negativen  (bzw.  positiven)  Größen,  die  in  der 
Reihe  Xj,  Xg,  .  .  .  vorkommen,  größer  als  die  erstere  Anzahl  ausfiele,  oder 
wenn  die  Anzahl  der  negativen  (bzw.  positiven)  Größen  in  der  Reihe 
Xj,  X2,  .  .  .  endlich  und  zugleich  die  Anzahl  der  negativen  (bzw.  positiven) 
Einheiten  in  der  Reihe  v^yV^,  .  ■  ■   größer  als   die  erstere  Anzahl  ausfiele. 

Wenn  wir  nun  mit  x^iyic^,  x^i^k^,  .  .  .  diejenigen  Linearformen  in 
Ij,  ^2,...  bezeichnen,  die  aus  x^{x'),  x.2{x'),  .  .  .  entstehen,    wenn    wir   für 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  159 

a;/,  x^',  ...  die  Ausdrücke  yh^^^,  Ylc^i,^,  .  .  .  einsetzen,   so   ist  identisch  in 

bl;  &2>  •  •  • 

da  beide  Seiten  dieser  Gleichung   F'(}/^|)  darstellen. 

Wir  nehmen  —  entsprechend  dem  ersten  Falle  —  an,  es  seien 
t\,  .  .  .,r^,  negativ  (bzw.  positiv),  v^^^,  ^^^2?  •  •  •  sämtlich  positiv  (bzw.  ne- 
gativ), ferner  x^,  ...,x^^i  negativ  (bzw.  positiv).  Da  die  Formen  |/(^), 
^g'd),  .  •  •  eine  orthogonale  Substitution  bestimmen,  d.  h.  ein  vollständi- 
ges orthogonales  System  von  Linearformen  —  wie  wir  sagen  wollen  — 
bilden,  so  ist  jede  beschränkte  Linearform  von  ^^,  ^3, .  .  .  als  lineare  Kom- 
bination der  F6rmen  li'(^)j  l-/(.^)f  ■  •  ■  darstellbar;  wir  setzen  insbesondere 

x.iVH)  =«1  Jx'(^)  +  «12^2'a)  +  ■'-> 


wo  «ji,  »12»  •  •  •}  ^ei}  ^e2;  •  •  •  gewissc  Koeffizienten  bedeuten.  Sodann  be- 
stimmen wir  solche  nicht  sämtlich  verschwindende  Größen  a^,...,  a^^^, 
die  den  e  Gleichungen 


genügen,  und  bilden  die  Gleichungen 


re^2(l)  =  0, 


Die  durch  Auflösung  dieser  Gleichungen  entstehenden  Werte  von  |^,  12,  ■  •  • 
würden  einen  Widerspruch  ergeben,  da  sie  in  die  vorhin  aufgestellte 
Identität 

v,{x,{ymy  -f  v,{x,{yk\)y  -f  •  •  •  =  ^^{i,'{i)y  +  '^,{^^{i)T  +  •  •  • 

eingesetzt  der  linken  Seite  einen  nicht  negativen  ('bzw.  nicht  positiven) 
Wert,  der  rechten  Seite  dagegen  gewiß  einen  negativen  (bzw.  positiven) 
Wert  erteilen  würden. 

Um  den  zweiten  der  oben  genannten  Fälle  zu  behandeln,  gehen  wir 
von  der  in  a/,  x^,  .  .  •  identischen  Gleichung 

v,{x,{x)f  +  v,{x,(x)y  +  .  •  .  =  X,  (li'(^))V  yc,[l,i^,j))' +  .  .: 


160  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

aus,  wo  l^'l  -|  I  '(-~=\,  .  .  .  diejenigen  Linearformen  von  x^',  x^,  .  .  .  be- 
deuten, die  aus  li'(|),  IgX^);  •  •  •  entstehen,  wenn  wir  an  Stelle  von  Ij, 
t.,, .  .  .  die  Ausdrücke    "^,  -*^,  .  .  .  setzen.     Da  iedoch  die  Linearformen 


tormen    in  x. 


S/l     _  1 ,  1,  I        ),...  nicht    notwendicr   beschränkte  Linearfc 

-'  \Vk  )'  '^  Via-/ 

x^',  .  .  .  werden,  so  hat  obige  Identität  nur  als  Abschnittsgleiehung  einen 
Sinn,  und  das  im  ersten  Falle  eingeschlagene  Verfahren  bedarf  der  fol- 
genden Modifikation. 

Wir  nehmen  an,  es  seien  jCi,...,x^  negativ  (bzw.  positiv),  y-^^i, 
Xg^2f  •  ■  •  sämtlich  positiv  (bzw.  negativ),  ferner  i\, .  .  .,  v^*^  negativ  (bzw. 
positiv).     Alsdann  setzen  wir 

\i/t)         ''^li'^i      '    '^<^12^2     r  ■  ■  ■? 

t'(^)  =  «a<  +  «.2^2' +  •  •  • 

Ferner  denken  wir  uns  die  Gleichungen 

x^(x)  =  «j ,  .  .  . ,  x^^^(x)  =  a,^i,     x^^^{x)  =  0,     x^^s(x')  =  0,  ... 

nach  x^',  x^,  .  .  .  aufgelöst  und  stellen  die  Lösungen  als  Funktionen  von 
«1, .  .  .,  «x^^i,  wie  folgt,  dar: 


Endlich  bestimmen  wir  für  jedes  11  solche  e  +  1   Größen  a^''"\  .  .  .,  a^'^\^i , 
daß  nach  Eintragung  dieser  Werte  von  x^',  x^,  ...  die  e  +  1  Gleichungen 

«11^1'  +  •   •  •   +  ^hn^n    =  0, 


für 


«1  =  V^;  ...,  a,+i  =  a("U 


erfüllt  sind. 

Wählen  wir  nun  solche  n  =  n,^  aus,  daß  die  Grenzwerte  von  a^"^^,  .  .  . , 
^^"''W  ^^^  h  =  00  existieren,  und  setzen  die  durch  diese  Werte  a^'''^'>\  .  .  ., 
<^^"''\+i  vermittelten  Größen  x^',  .  .  . ,  x'^  in  den  «,^ten  Abschnitt  der  obigen 
Identität 

v,{x,ix')y  +  v,{x,(x)y  +  ■  •  •  =  >^i(^t'(^.))  V  ^^2  (I2'  (^^))'+  •  •  • 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  161 

ein,  so  erkennen  wir,  daß  die  linke  Seite  dieser  Identität,  da  sie  eine  be- 
schränkte Form  der  A'^ariabeln  x^,  x^,  .  .  darstellt  und  als  solche  nach 
S.  127  stetig  in  diesen  Yariabeln  ist,  in  der  Grenze  für  h  =  oo  den  Wert 
—  1   erhält,  während  die  rechte  Seite  beständig  >  0  ausfüllt. 

Hiernach  sind  beide  Fälle  als  unmöglich  erkannt,  und  wir  dürfen 
also  von  vorneherein  allgemein  x^,  vom  .selben  Vorzeichen  wie  i\,  an- 
nehmen. 

Setzen   wir  daher  jetzt 

y    %p' 

so  sind  die  Linearfoi'men  L^{x),  L^ix),  .  .  .  von  der  im  Satze  38  ver- 
langten Beschaffenheit. 

Das  nämliche  Schlußverfahren  ermöglicht  die  Behandlung  einer  nicht 
abgeschlossenen  Form  K. 

Um  dies  einzusehen,  bringen  wir  wiederum  die  Form  K  nach  Satz  35 
durch  eine  orthogonale  Transformation  der  Variabein  x^,  x^,  .  .  ■  in  die 
Oestalt  einer  Quadratsumme.     Wir  setzen 

K{x)  =  l\X^''  +  Ji2X.2^  +  •   •  •  . 

WO  /.j,/..,,..  .  teils  positive,  teils  verschwindende  Größen  sind. 

Wir  bezeichnen  wiederum  mit  V\x')  die  durch  jene  orthogonale 
Transformation  aus  V[x)  hervorgehende  quadratische  Form  der  Variabein 
A\',  X.2,  .  .  .  und  endlich  mit  F'(]/Ä'|)  diejenige  quadratische  Form  der  Vari- 
abein ^j,  |o,-  •  •,  die  aus  V'(x')  hervorgeht,  wenn  wir  in  derselben  an  Stelle 
Ton  x^,  X2  .  .  .  die  Ausdrücke  Yk^h.^,  Yk^^^j  ■  •  •  einsetzen.  Da  F'(|/Ä|) 
«ine  vollstetige  Form  in  |^,  ^g;  •  •  •  ist,  so  können  wir  nach  Satz  35  die 
Yariabeln  1^,  ^g?  •  •  •  orthogonal  in  die  neuen  Variabein  1^',  |./,  .  .  .  trans- 
formieren derart,  daß 

sind,  worin  x^,  x»,  .  .  .  gewisse  teils  positive  oder  negative  teils  verschwin- 
dende Größen  sind,  die,  wenn  in  unendlicher  Anzahl  vorhanden,  gegen 
Null  konvergieren.  Bilden  wir  endlich  entsprechend  wie  vorhin  die  Aus- 
drücke S/(]/Ä"ic'j  und  bezeichnen  allgemein  mit  Ap{x)  diejenige  Linearform, 
die  aus  ti'iykx)  wird,  wenn  wir  darin  statt  der  Yariabeln  Xy,  x^,  .  .  . 
wieder  die  ursprünglichen  Yariabeln  x^,  x^,  .  .  .  einführen,  so  wird  wie 
vorhin 

K(x)  =  A,\x)  +  A,\x)+---, 

yi^(.)F(.,.)4/.)  =  0     04=?),       bzw.  =;.,     (jp  =  q). 
Wir  sprechen  dieses  den  Satz  38  ergänzende  Resultat  wie  folgt  aus: 

3Iath.  Monogr.  :!:  Hubert,  lin,  Integralgleichungen  11 


162  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

Satz  38*.     Es  sei  eine  positiv  definite  vollstetige   quadratische  Form 
K{x)  und  außerdem  eine  quadratische  Form  von  der  Gestalt 

'V{x)  =  v^i\^  -\-  v^xj^  +  •  •  • 
vorgelegt,  ico  v^.v^,.  .  .  hestimmte  Werte  +  1  oder  —  1  sind:  alsdann  gibt 
es  stets  eine  Beihe  von  teils  positiven  odei'  negativen,  teils  verschuindendcn 
Größen  y.^,y^,  .  .  .,  die,  wenn  in  unendlicher  Anzahl  vorhanden,  gegen  Null 
Jionvergieren,  und  von  ztigehörigen  heschränlden  Linearformen  A^{x),  A^ix), . . . 
derart,  daß  die  Polarität srelationeti 

M-)V{.,.)A,i.)  =  H„ 

A,{)A{.,.)A,{.)  =  0,  (p^q) 

erfüllt  sind,  und  daß  ferner  die  vorgelegte  quadratische  Form  die  Dar- 
stellung 

K(x)  =  A,\x)  +  A,\x)  +  •  .  • 
gestattet. 

Unter  einer  Her  mit  eschen  Form  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,. 
^ij  •  ■  -filuy^y  ■  ■  •  verstehen  wir  eine  Bilinearform  dieser  Variabein  von 
der  Gestalt 

H{x,y)=  yh    x„y 

deren  Koeffizienten  hp,j  komplexe  der  Bedingung 

genügende  Größen  sind.  Stellt  sowohl  Real-  wie  Imaginärteil  von  H(x,  y) 
eine  vollstetige  Funktion  der  reellen  Variabein  x^,x.2....,y^,y.2,--.  dar^ 
so  lassen  sich  reelle,  im  Endlichen  nirgends  sich  verdichtende  Werte 
1^,  X^,  ...  —  die  Eigenwerte  von  H  —  und  zugehörige  Linearformen  mit 
komplexen  Koeffizienten  L^{x),L^{x),  ...  —  die  Eigenformen  von  H  — 
finden,  so  daß  _  _ 

{x,  y)  =  L,  (x)L,{y)  +  L^{x)LM  +  ■'■> 

H{x,  y)  =  h(^\^^y\  +  hMLM  4.  .  .  . 

wird,  und  daß  die  Orthogonalitätseigenschafteu 

erfüllt  sind;  die  horizontalen  Striche  deuten  die  Vertauschung  von  /  mit 
—  i  an.  —  Der  Beweis  dieser  Tatsache  kann  aualog  wie  unten  der  Be- 
weis des  spezielleren  Satzes  39  geführt  werden. 


Nehmen  wir  die  Koeffizienten  der  Hermiteschen  Form  rein  imaginär 
an    und    unterdrücken    alsdann    den    Faktor   /,    so    entspringt    die   schief- 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  163 

symmetrische  Form;  unter  einer  schiefsymmetrischen  Form  verstehen 
wir  mithin  eine  Bilinearform  der  Variabein  x^,  x.^^  .  .  . ,  yi,y<>,  •  ■  ■  von  der 
Gestalt 

^{x,y)=   yisp.x  y 

deren  Koeffizienten  reelle  der  Bedingung 

genügende  Größen  sind.  Die  vorhin  für  eine  Herraitesche  Form  aus- 
gesprochene Tatsache  drückt  sich  für  den  besonderen  Fall  der  schief- 
symmetrischen  Form,  wie  folgt,  aus: 

Satz  39:    Wenn  die  schiefsymmetrische  Form  S(x,y)  vollstetig   ist,  so 
gibt  es  eine  orthogonale  Transformation  der  Variahein 

/VI  /y  /y»  /y. 

•^1)    ■^2>    '*'3j    ^4:!    •  •  ■ 


in  die  neuen  Variahein 


SO  daß,  wenn  die  Variahein  y^,  y^,  Vi,  Va,,  •  •  •  wiitteJst  derselben  orthogonalen 
Transformation  simultan  in  die  Variabein  rj^,  tj/,  rj^,  rj^', . .  .  übergehen,  die 
Form  S  die  Gestalt 

S(x,  y)  =  /ii(^i^?i'  —  ^i'r^i)  +  A-^da^'  -  l^i]^)  +  •  •  • 
erhält;   dabei   sind  l\^  A'o, .  . .    Größen,    die,   falls  sie  in  unendlicher  Zahl 
vorJiommen,  Null  als  einzige   Verdichtungsstelle  besitzen. 

Zum  Beweise  betrachten  wir  2S(x,  y)  als  quadratische  Form  der 
unendlich  vielen  Variabein  x^,  y^,  x^,  y,^,  .  .  .  und  erkennen  sodann  aus 
Satz  35  das  Vorhandensein  von  Größen  A*j,  Ä'^,  .  .  .  und  zugehörigen  Linear- 
formen L^{x,  y),  L.2{x,  y),  .  .  .  jener  Variabein,  so  daß 

2S(x;y)  =  \(L,(x,  ij)y  +  i,{mx,  y)y  ^-  •  •  • 
und 

(x,  x)  +  {y,  y)  =         (Li  {x,  yjf  +  (4  {x,  ißf  ^ 

wird.     Mit  Rücksicht  auf  die  Eigenschaften  der  schiefsymmetrischen  Form 

S{x,  y)=  -  S{y,  x) , 

S(x,y)  =  -Si-x,y) 
folgt  leicht,  daß  in  der  obigen  Darstellung   für  2S(x,  y)   zu  jedem  kp,  Lp 
stets  noch  die  Eigenwerte  und  zugehörigen  Linearformen  • 

K'  =  -  ^v  y  h'  (^'  y)  =  ^i>  (^'  ^)  7 

kp„  =  -  h ,  L^,.{x,  y)  =  Lp{-  X,  y) , 

'•)'•••  =  -  ''y  =  ^'p      ^/""(•^'^  y^  =  ^/>'(~  *■'  ^)  =  A^(y' "  *■) 

vorhanden  sein  müssen,  deren  Vereinigung  in  der  Darstellung  von  2S(x,  y) 
die  Glieder 

kp{{Lp(x,  y)f  -  {Lpiy,  x)y  -  (L/-  x,  y)f  +  (L^iy,  -  x))'} 

11* 


164  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

und  in  der  Darstellung  von  [x,  x)  +  {y,  y)  die  Glieder 

{L,{x,  y)Y  +  (L/y,  x)f  +  {Lp{-  X,  y))'  +  (L,(y,  -  x))' 
liefert. 

Setzen  wir  nun  für  jedes  solche  Quadrupel 

L,(x,y)==^^^^(0,(x)-\-  0;(y)),       ^ 

wo  Op{x)  eine  lineare  Form  von  x^,  x^,  . .  .  und  0/'(y)  eine  lineare  Form 
von  Vi,  y^,  •  •  •  ist,  so  gehen  die  obigen  Darstellungen  über  in 

S{x,  y)  =  ^kp{Op{x)0;(tj)  -  0;(.x)Op(y)), 
(x,  x)  +  (y,  y)  =  2{0,{x))'  +  {0;{x)y  +  {0,{y)f  +  {0;{y)y, 
und    da    L^{x,y),  L^(x,y),...    zueinander    orthogonal  sind,    folgt   leicbt 
auch  die  Orthogonalität  der  Formen  Oj,  O2,  .  .  .,  0/,  Og',  .  .  .:  mithin  be- 

stimmen  i,.  -  0,.(x) ,     ?„' =  Ö;(.-) 

eine  orthogonale  Ti*ansformation  von  der  verlangten  Beschaffenheit. 

Aus  dieser  Darstellung  folgt  durch  eine  einfache  Überlegung,  wie  sie 
später  ähnlich  angestellt  werden  wird  (S.  171),  daß  die  aus  (x,  y)  —  XS{x,  y) 
entspringenden    inhomogenen    Gleichungen    eindeutig    lösbar    sind,    außer 

wenn  '^^1.   ,   ,.   ,  ■■•    ist;    für    diese    rein    imaginären    Eigenwerte    der 

Form  S(x,  y)  haben  die  homogenen  Gleichungen  eine  nicht  identisch  ver- 
schwindende Lösung,  und  zwar  ist  die  Anzahl  der  voneinander  unab- 
hängigen Lösungen  stets  endlich. 


Was  schließlich  die  Theorie  der  Bilinearform  betrifft,  so  sehen  wir 
zunächst  ohne  Schwierigkeit  folgende  Tatsachen  ein: 

Wenn  die  Bilinearform  Ä{x,y)  eine  vollstetige  Funktion  der  unend- 
lich vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  . ,  yi,y-,,  •  •  -  darstellt,  so  ist,  wenn  Ä^  den 
wten  Abschnitt  der  Bilinearform  A  bezeichnet,  für  jedes  Wertsystem  der 
unendlich  vielen  Variabein 

L  A„{.,x)A,X.,x)  =  Ä{.,x)A{,,x), 

n  =  00 

und  zwar  im  Sinne  gleichmäßiger  Konvergenz,  d.  h.  es  ist 
(92)  \A{.,x)A{.,x)-A,S,,x)A^{.,x)  <e„, 

wo  s^  gewisse  von  den  Variabein  a;^ ,  x'g ,  ■  .  .  unabhängige,  mit  unendlich 
Avachsendem  n  gegen  NuU  abnehmende  Größen  sind.  Daraus  folgt,  daß 
die  quadratische  Form  A(.  ,x)A(.  ,x)  stets  vollstetig  ist,  wenn  die  Bilinear- 
form A{x,y)  vollstetig  ist. 

Eine  Bilinearform  A{x,  y)  ist  stets  vollstetig,  wenn  die  quadratische 
Form   A(.,x)A{.,x)   vollstetig   ist,    also    beispielsweise    gewiß,    wenn    die 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  165 

Summe  der  Quadrate  der  Koeffizienten  von  A  endlich  bleibt.  In  der  Tat, 
fassen  wir  von  Ä(x,  y)  als  quadratische  Form  der  Variabein  x^^jX^,..., 
?/i?!/a?--    ^"^j   ^°   ^°^o^    ^^^*^    '■^^^'    Ungleichung 

\Äix,y)   £VAi.,x)Ä(.,lc), 
durch  die  in  4.  und  5.  (S.  152)  angewandte  Schluß  weise,  daß  Ä{x,  y)  voll- 
stetig ist. 

Diesen  Abschnitt  wollen  wir  mit  der  Entwickelung  eines  Satzes  be- 
schließen, der  —  wie  sieh  im  folgenden  Abschnitt  zeigen  wird  —  auf 
die  einfachste  Weise  zur  Auflösung  der  Integralgleichungen  zweiter  Art 
mit  unsymmetrischem  Kern  verwandt  werden  kann;  derselbe  lautet: 

Satz  40.      Wenn 

eine  voUstetige  Bilinearform  der  unendlich  vielen  Variahein  x^,  x^,  .  .  ., 
Pi)  y2)  ■  •  •  ^^^j  ^^  Itahen  geiviß  eidtceder  die  unendlichvielen  Gleichungen 

(1  -f  a^^)x^  -\-  ttj^x^  +  •••  =  «!, 
(93)  a.2iXy  -f  (1  +  «22)^2  +  •  •  ■  =  «2  7 


für  alle  möglichen  Größen  a^,  «,,...  mit  konvergenter  Quadratsumme  eine 
eindeutig  bestimmte  Lösung  x^,  x^,  .  .  .  mit  konvergenter  Quadratsumme 
—  oder  die  entsprechenden  homogenen  Gleichungen 

(94)  aoia^i  +  (1  +  «22)^2  +  •  •  •  =  0; 


lassen  eine  Lösung  x^,  x^,  .  .  .  mit  der  Quadratsumme  1  zu. 

Zum  Beweise  betrachten  wir  zunächst  irgendein  System  von  n  line- 
aren Gleichungen  und  yi  Unbekannten  mit  nicht  verschwindender  Deter- 
minante von  der  Gestalt 


Bezeichnen  ß^,  .  .  .,  ß^  die  Lösungen  dieser  Gleichungen,  so  ist 

(^11^1  +  •  •  •  +  hjj'  + .  •  •  +    {h,^,ß,  +  ■  •  •  +  b„j„y 

=  hihlßl  +  ■■■+  hnßj     +  ■  •  •  +  KiKJi    +  •  •  •  +  Knßn)> 

und  folglich  wird 

(hlßl   +  •  •   •  +  ^nßnf  +   ■■■  +   i^n.ß,   +  "   "   "   +  KJJ 

Nunmehr  sei  m  das  Minimum  der  quadratischen  Form 


1QQ  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratisclier  Formen. 

(b,,x,  +  •  •  •  +  h,„xj  +  •  •  ■  +  (b^,x,  + .  •  •  +  h„,^xy 

bei  der  Nebenbedingung 

(95)  X,'- +  ■■■-{- x„-=l 
und  M  das  Maximum  der  quadratischen  Form 

{h,,x,  +  •  •  •  4-  b„,xj  +  .  •  •  +  (h,„x,  -f  . . .  +  6,,^„y 
bei   derselben  Nebenbedingung:   dann   folgt  aus   der  vorigen  Ungleichung 
die  Ungleichung 

(96)  ß^2_^...^ßJ^^(h^^^^...^h/)^_. 

Wir  wenden  dieses  Resultat  auf  die  Gleichungen 

(1  +«ii)^l  +•••  +  «l„^«  =  «l; 

(97)  

«.1^1  H +  (1  +««J^n  =  «« 

an  und  bezeichnen  zu  dem  Zwecke  mit  m^  das  Minimum  der  quadra- 
tischen Form 

((1  +  a,,)X,  +  •  •  •  +  a,  ,xj  +  •  •  •  +  {a^^x,  +  •  .  .  +  (1  +  a^jxj^ 
bei  der  Nebenbedingung  (95)  und  mit  M^,  das  Maximum  der  quadratischen 

Form 

((1  +  a,,)x^  +  •  •  •  +  a„,xj  +  •  •  •  +  (ai„^i  +  •  •  •  +  -1  +  a„^)xj 

bei  derselben  Nebeubedingung. 

Wegen    der    vorausgesetzten    Vollstetigkeit    der  Biliuearform   Ä(x,  y) 
ist  die  quadratische  Form  der  unendlich  vielen  Variabein  rr^ ,  x^,  ... 

((1  +  «1  Ja:i  +  «a^a^a  H f  -\-  1X2^1  +  (1  +  «22)-^2  H f  H 

gewiß  eine  beschränkte  Form,  und  daraus  ersehen  wir,  daß  auch  die 
Maxima  il/,^  unterhalb  einer  endlichen,  von  n  unabhängigen  Größe  M 
bleiben. 

Was    die   Minima  m^  betrifft,    so   sind   zwei  Fälle  zu   unterscheiden: 

Erstens  gebe  es  unendlich  viele  n,  für  die  die  Minima  tn^^  sämtlich 

größer  als  eine  feste   positive  Größe  m  sind:   dann  sind  für  solche  n  die 

Gleichungen   (97)   lösbar,   und   es  folgt  aus  (96),  daß  die   Quadratsumme 

ihrer  Lösungen  unterhalb  der  endlichen  von  n  unabhängigen  Größe 

(98)  (a,a)^ 
liegt. 

Bezeichnen  wir  nun  für  solche  n  mit 

"1     7  •  •  •;    "n 

die  Lösungen  von  (97),  so  können  wir  aus  jenen  n  nach  dem  von  uns 
oft  angewandten  Verfahren  solche  ganzen  Zahlen  Wj ,  »2,  ■  •  ■  herausgreifen, 
daß  die  Grenzwerte 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  167 

■existieren;  die  Größen  cc^,  a^,  .  .  .  haben  eine  ebenfalls  unterhalb  der  Grenze 

(98)  liegende   Quadratsumme    und    müssen    wegen    der   Vollstetigkeit   der 
Linearformen 

gewiß  jede  der  Gleichungen  des  voi-gelegten  Systems  (93)  befriedigen. 

Zweitens  mögen  die  Minima  ))i^,  nio,  ■  ■  ■  gegen  Null  konvergieren; 
die  Werte  der  Variabein  mit  der  Quadratsumme  1,  für  welche  diese 
Minima  eintreten,  seien 

Xun  ist 

((1  +  a,,)x,  +  • .  •  +  a,„x,y  +  •  ■  .  +  ia,^,x,  +  •  •  •  +  (1  +  a„„)xj 

=  AJ,,x)Ä„(.,x)  -j-  2Ä,Xx,  X)  +  (x,  xX 
und  folglich 

(99)  ÄS.,l^^"^)Ä„(.,^i"^)  +  24,(^("),^a("))  +  1  =  m„. 

Nun  denken  wir  uns  wieder  eine  solche  Reihe  ganzer  Zahlen  u^,  n.2, .  .  . 
herausscegriffen,  daß  die  Grenzwerte 

."l  =  L  f^i^"''\      ^-2  =  L  i"2^"''^  •  • 

/;  =  30  /l  =30 

existieren;  die  Größen  ß^,  a.^,  .  .  .  genügen  dann  der  Bedingung 

(100)  Cti, /^)^i- 

Mit  Rücksicht  auf  (92)  und  wegen  der  Vollstetigkeit  der  quadratischen 
Form  Ä(x,  x)  folgt  aus  (99),  wenn  wir  darin  n^  an  Stelle  von  n  ein-; 
setzen  und  zur  Grenze  h  =  oo  übergehen, 

(101)  Ä{.,ii)Ä{.,ß)-{-2A(u,ß)+l==0. 

Wir  betrachten  nun  die  quadratische  Form 

((1  +  ai^)x^  +  «123-2  -i y  +  (a^iXj^  +  (1  4-  «22)^2  H T 

^     "-^  =  A{.,x)Ä(., x)  +  2A{x,  x)  +  {x,  x) ; 

<la  dieselbe  positiv  definit  ist,  so  folgt  insbesondere 
(103)  A{. ,  11)  A(, ,  .u)  +  2A{ß,  ß)  +  (j(i,  (i)>0: 

hieraus  entnehmen  wir  wegen  (101) 

mithin  ist  wegen  (100): 

(/i,  ^)  =  1 . 

Nunmehr  erkennen  wir  wegen  (101),  daß  auch 

A(,,ii)A{.,ti)  +  2A{^,  ii)  +  (u,  u)  =  0 

ist,  d.  h.  im  Hinblick  auf  (102),  die  Größen  .Uj,  Ug,  .  •  •  befriedigen  die 
homogenen  Gleichungen  (94).  Damit  ist  gezeigt,  daß  stets  mindestens 
einer  der  in  Satz  40  unterschiedenen  Fälle  stattfindet. 


168  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

Wenn  die  homogenen  Gleietungen  (94)  eine  Lösuug  mit  der  Quadrat- 
simime  1  besitzen,  so  können  die  durch  Transposition  entstehenden  in- 
homogenen Gleichungen 

(1  +  an)Xi  +  «21^2  H =  f'i } 

(104)  «i2^'i  +  (1  +  «22  '-^2  +  ■  ■  •  =  f'2> 


gewiß  nicht  für  alle  a^,  a.2,  .  .  .  mit  endlicher  Quadratsumme  eine  Lösung 
von  endlicher  Quadratsumme  besitzen,  da  ja  zwischen  ihren  linken  Seiten 
eine  lineare  Identität  besteht:  es  müssen  daher  dem  eben  Bewiesenen  zu- 
folge alsdann  die  transponierten  homogenen  Gleichungen 

(1  +  rtii)a;i  +  ttai^o  +  •  •  •  =  0, 
(105)  a^^_Xi  +  (1  +  «22)^2  H =  *^'?  i 


eine  Lösung  mit  der  Quadratsumme  1  zulassen.  Also  können  die  in 
homogenen  Gleichungen  (93)  gewiß  nicht  für  alle  a^,  a.^.  .  .  .  eine  Lösung 
mit  endlicher  Quadratsumme  besitzen;  daher  schließen  sich  die  beiden 
Fälle  des  Satzes  40  wirklich  aus,  und  die  Lösung  im  ersten  Falle  ist  ein- 
deutig.    Damit  ist  der  Beweis  für  unsern  Satz  völlig  erbracht. 

Um  die  Mannigfaltigkeit  der  Lösungen  der  homogenen  Gleichungen 
(94)  festzustellen,  haben  wir  nur  nötig,  die  in  Kapitel  XI  entwickelte 
Theorie  der  orthogonalen  Transformation  der  quadratischen  Formen  auf 
die  Form  (102)  anzuwenden.  Da  ä(.,x)ä(.  ,x)  und  A(XfX)  vollstetige 
quadratische  Formen  sind,  so  ist  dies  auch  die  Form 

A{.,x)A(.,x)  +  2ä{x,x)', 
dieselbe  besitzt  daher  den  Wert  —  1  höchstens  als  Eigenwert  von  end- 
licher Vielfachheit;  mithin  besitzt  die  quadratische  Form  (102)  den  Wert 
oü  nur  als  Eigenwert  von  endlicher  Vielfachheit,  d.  h.  es  gibt  eine  ortho- 
gonale Transformation  der  Veränderlichen  x^,  x.2,  .  .  .  in  x^,x,^,...,  so 
daß  jene  quadratische  Form  (102)  die  Gestalt 

'•'f  +  l^    e  +  l  +  ^'e  +  2^    c  +  2  +  '  '  ' 

erhält,  wo  Ag^i,  ^^^j^^,  ■  •  ■  lauter  positive,  von  Null  verschiedene,  gegen  1 
konvergierende  Größen  und  e  eine  endliche  ganze  Zahl  bedeuten.  Die 
Lösungen  der  homogenen  Gleichungen  (94)  erhält  man  aus 

1     ^^      1  >       •  ■  ■  >  e  ^^^      e }  e+l  ^^^       '  f  +  2  ^^       /       '  '  '  > 

WO  u^,  .  .  . ,  11^  willkürliche  Konstanten  sind,  und  wir  ersehen  daraus,  daß 
es  nur  eine  endliche  Anzahl,  und  zwar  genau  e  linear  unabhängige 
Lösungen  von  (94 j  gibt. 

Wir  erkennen  ferner,  daß,  wenn  e  die  genaue  Anzahl  der  linear  un- 
abhängigen Lösungssysteme  der  homogenen  Gleichungen 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  169" 

(106)  Li,{x)  =  X/,  +  ttpi  x^  +  rt/,2  A'o  H =  0 ,       (2?  =  1,  2, .  .  .) 

sind,  zwischen  den  Linearformen  L^^{x),  L2{x),  .  .  .  genau  e  voneinander 
unabhängige  lineare  Identitäten  von  der  Gestalt 

(107)  ß.C'^L,  (x)  +  ß/U.,{x)  +  •  •  .  =  0 ,  (h=l,..,e} 

bestehen  müssen,  wobei  die  Koeffizienten  ßi'''\  ßj^''^  ...  in  diesen  Identi- 
täten eine  endliche  Qnadratsumme  besitzen,  und  ferner,  daß  die  inhomo- 
genen Gleichungen  (18) 

X,,  -f-  x^a^^  4-  x.^nj,^^  -j =  a^,,  [p  =  1,2,.  .  .) 

nur  dann  und  stets  dann  lösbar  sind,  wenn  die  Größen  a^,  a.y,  .  .  .  die 
e  Bedingungen 

(108)  ß,^")a,  +  ß.<^'')a,  +  •  •  •  =  0 ,  (/;,  =  1,  .  .  . ,  e). 
erfüllen. 

In  der  Tat,  es  sei  wie  oben  e  die  genaue  Zahl  der  linear  unab- 
hängigen Lösungen  der  homogenen  Gleichungen  (106)  und  f  die  Zahl  der 
voneinander  unabhängigen  Identitäten  von  der  Gestalt  (107):  dann  lassen 
sich  aus  den  Variabein  x^^,x.^,...  gewiß  e  solche  auswählen,  daß  die 
Gleichungen  (106)  keine  Lösung  mehr  besitzen,  bei  der  die  e  ausgewähl- 
ten Variabelu  sämtlich  Null  sind;  wir  bezeichnen  die  übrigbleibenden 
Variabein  mit  x^,  x^',  ....  Wäre  nun  /">  e,  so  müßten  sich  aus  den 
Linearforraen  L^{cc),  L^ix),  .  .  .  e  solche  aussuchen  lassen,  die  lineare  Kom- 
binationen der  übrigen  sind,  während  die  übrigbleibenden  unendlich  vielen 
Linearformen,  die  mit  L^'{x),  L^'^x),  .  .  .  bezeichnet  werden  mögen,  gewiß- 
noch  einer  linearen  Identität  von  der  Gestalt 

(109)  ß,L,'{x)i-ß,L,'{x)  +  ..-  =  0 

genügen,  wo  die  Koeffizienten  ß^,  ß.^,  .  .  .  eine  endliche  Quadratsumme 
haben  und  nicht  sämtlich  NuU  sind.  Wir  setzen  nun  in  den  Linear- 
formen L^'{x),  L^{pc),  ...  die  vorhin  ausgewählten  e  Variabein  Null  und 
bezeichnen  die  so  entstehenden  Linearformen  der  Variabein  x.^,  x.^,  ■  ■  ■ 
mit  Ly{x'),  L^ {x),  ....  Endlich  bestimmen  wir  irgendwelche  Größen 
a^,  ttg,  .  .  .  mit  endlicher  Quadratsumme,  für  welche 

(110)  ß,a,+ß,a,-^---^0 
ausfällt. 

Wir  betrachten  nun  das  Gleichungssystem 

mx')  =  «1 , 

(111)  L^{x')^a^, 


mit  den  Unbekannten  x^',  x^, .  .  . ;  dasselbe   nimmt  bei   geeigneter  Anord- 
nung   der    Gleichungen    wieder    die    Gestalt    des    Gleichungssystems    (9;5). 


170  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

an.  Wir  sehen  dies  am  leichtesten  ein,  indem  wir  zum  Gleichungs- 
System   (106)   den   zugehörigen   Bilinearausdruck 

(112)  y,L,{a^  ^  y,L,{x) -{■  ■  ■  ■  =  {x,  y)  +  A{x,  y) 

bilden;,   darin    ist    A{x,  y)    eine    stetige    Bilinearlbrm    der    Variabein    x^ 
^2}  '  ■  '7  y^yll^}  ■  •  •  ■  ^6^  entsprechende  Bilinearausdruck  für  das  Gleichuugs- 
system  flll) 

y^L^ix)  +  y^'mx)  H 

entsteht  dem  Obigen  zufolge,  indem  wir  in  [\\2)  gewisse  e  von  den  Va- 
riabein x^,  x^,  .  .  .  und  gewisse  e  von  den  Variabein  y^,  y-2}  •  •  ■  Null  setzen 
und  die  übrigbleibenden  Variabein  mit  x^',  x.^,  .  .  .  bzw.  y^',  y.^\  .  .  .  be- 
zeichnen. Hierbei  verwandelt  sich  nun  {x,y),  wenn  wir  noch  nötigenfalls 
gewisse  Produkte  x,'y,'^    in  endlicher  Anzahl  addieren,  in 

{x,y')  =  x^y^  -rxjy.:  +  •■■, 

und  da  sich  zugleich  A{x,  y)  in  eine  vollstetige  Bilinearform  der  Variabein 
j;/,  x^  .  .  . ,  yi,  y.y ',  •  •  •  verwandelt,  so  haben  wir 

y^L^{x)  -f  y^Uix)  ^ =  [x\  y)  -f  A' {x\  y) , 

wo  Ä{x,y)  gewiß  ebenfalls  eine  vollstetige  Bilinearform  von  x^',  x./ .  .  ., 
Vi  7  Vi  •  ■  ■  wird;  daraus  folgt  die  behauptete  Gestalt  des  Gleichungssystems 
(111).  Aus  (109),  (110)  erkennen  wir,  daß  das  Gleichungssystem  (111) 
keine  Lösung  besitzt;  da  aber  das  aus  ihm  durch  Nullsetzen  der  linken 
Seiten  entstehende  homogene  Gleichungssvstem  ebenfalls  keine  Lösung 
zuläßt,  so  zeigt  dieser  Widerspruch  mit  dem  Satze  40  (S.  165),  daß 
die  Annahme  fy-e  unzutreffend  war.  Da  die  Anwendung  des  eben  Be- 
wiesenen auf  das  transponierte  Gleichungssystem  zeigt,  daß  auch  e  >  /' 
unzutreffend  sein  muß,  so  ist  notwendig  e  =  f.  Zugleich  erkennen  wir 
auch  die  Richtigkeit  der  letzten  oben  gemachten  Aussage. 

Bei  der  Voraussetzung  daß  A(x,  y)  eine  vollstetige  Bilinear- 
form ist,  kommen  also  dem  Gleichungssysteme  (93)  alle  wesent- 
lichen Eigenschaften  eines  Systemes  von  endlich  vielen  Glei- 
chungen mit  endlich  vielen  Unbekannten  zu.  — 

Zum  Schluß  möge  noch  gezeigt  werden,  mit  Avelch  überraschender 
Elecjanz  und  Einfachheit  der  Satz  40  ohne  irgendeine  neue  Kon- 
vergenzbetraohtung  bewiesen  werden  kann,  indem  mau  sich  der  Sätze 
35  und  39  bedient. 

In  der  Tat,  aus  Satz  39  leiten  wir  sofort  folgende  Tatsache  ab: 

Hilfssatz  6.  Wenn  Xj,  Xg,  .  .  .  eine  unendliche  Reihe  positiver  Größen 
ist,  die  gegen   1  konvergieren  und 

S{x,y)  =  ysj,,jx^y,^ 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formeu.  171 

eine  vollstetige  schiefsyrametrische  Form  der  unendlich  vielen  Variabein 
a'i,  Xc^,  .  .  .,  y^,  1J2,  .  •  •  bedeutet,  so  gibt  es  stets  eine  vollstetige  Bilinear- 
form  T{x,  y)  der  nämlichen  Yariabeln,  so  daß 

(113)  [x(x,)  +  .S^(^,.)}  {{.,y)  +  T{.,y)]  =  {x,  y) 
wird,  wo  xix)  die  quadratische  Form 

x(a;)  =  y.^Xy'  +  y-^x^^  H 

bedeutet.  Die  Relation  (113)  ist  damit  gleichbedeutend,  daß  das  Gleichungs- 
systeni 

'^l'^l     I    ^12'^2  ~r  ^13'^3  "r  '  "  '  ^^  .'A  ' 

(114)  «21  a?!   +  Xo^o  +  «23^3  +  •  •  •  =  ?/2  ^ 

311  "T"  ^so'^a  "1    ^ä'^z    I    ■  ■  ■  ^^  i/3  > 


die  Auflösungen 

^1 

= 

^1  + 

d  T{x,  y) 

CXy                ' 

• 

X, 

= 

^2  + 

c  T{x,  y) 

dx^    ' 

besitzt. 

Zum 

Beweise 

setzen 

wir 

in 

>S'(a:, 

y) 

a:i  = 

1 

^1' 

■,       X, 

1 

j  —            X.2  j    ... 

2/1  = 

1 

/x~ 

Pi 

,         V: 

ein  und  erhalten  dann  eine  schiefsymmetrische  vollstetige  Form  S\x,y), 
während  y.{x)  in  (x',x')  übergeht.  Aus  (114)  wird  ein  Grleichungssystem 
von  folgender  Gestalt 

^'1       1     S  1 2  '^'l       I     ^  1  3  "^3      I     ■  ■   '  ^  ^1 "  7 
,  .  .  _,  S  21  Ä'  1  -j-  %    +  S  23  .'^'3     +   •  •  •  =  ^2    ; 

(115)  ,        /        ,        ,  /  _     * 

^  3  1  "^1     "T    ^  3  2  ^2     "T    '^3      T    ■    ■    ■    ^^  1/3  "  ? 


Führen  wir  nunmehr  in  S'  nach  Satz  39  die  orthogonale  Transformation 
aus,  so  geht  das  zu  S'  gehörige  Gleichungssystem  (115)  in  ein  Gleichungs- 
system von  folgender  Gestalt  über: 

li  +  KI1  -ni, 

?2  ~l~  ''2  ^2    ^  '^2  > 
~~  ""2^2     I     '?2     "^   '^2  f 


172  Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen. 

Dieses  Gleichungssystem  besitzt,  wie  man  sieht,  die  Auflösungen 

.1  -  '/l  +     ^^^    _ , 

?1      ~    '11     "T  p  fc   '  } 

^2    —   '/2       I  -  fc'  > 


wenn 

Ä*  *  />•  - 

- 1  _p*"^2(^i%'  -  ^i  ^h)  —  r+^A^^ds^'  —  ^2'%)  — 

gesetzt  wird.  Da  die  Größen  l\,  J,\,  .  .  .  gegen  Null  konvergieren,  so  ist 
T  eine  vollstetige  Form. 

Die  Rückkehr  zu  den  Variabein  x^',  a\',  .  .  . ,  ?//,  ^/g',  .  .  .  und  von 
diesen  zu  den  ursprünglichen  Yariabeln  x^,  x.2,  .  .  . ,  y^,  y^,  .  .  ■ ,  wobei  aus 
T  die  Form  T  entsteht,  lehrt  die  Richtigkeit  des  Hilfssatzes. 

Um  nunmehr  Satz  40  zu  beweisen,  bedenken  wir,  daß  das  Gleichungs- 
system (93)  in  Satz  40  seine  Gestalt  behält,  wenn  wir  auf  die  Yariabeln 
iCj,  X»,  .  .  .  irgendeine  orthogonale  Transformation  ausführen  und  zugleich 
entsprechend  die  linken  Seiten  jener  Gleichungen  orthogonal  kombinieren, 
da  dies  ja  auf  eine  simultane  orthogonale  Transformation  beider  Yariabeln- 
reihen  in  Ä{x,  y)  hinausläuft.  Der  Einfachheit  halber  nehmen  wir  an, 
es  sei  bereits  eine  solche  orthogonale  Transformation  der  Bilinearform 
Ä{x,y)  ausgeführt,  daß  die  aus  A(x,  y)  durch  Gleichsetzimg  der  beiden 
Variabeinreihen  entspringende  quadratische,  vollstetige  Form  A{x,  x)  nur 
die  Quadrate  der  Yariabeln  enthält  und  demnach  in  der  Gestalt 

Ä(x,  x)  =  a.a,\"  -f  «^^"2^  +  •  •  • 
oder 

(116)  A(x,  y)  +  Ä{y,  a;>=  '2{a^x^y^  +  a^x^y,  +  •  •  •) 

erscheint.  Da  hierin  a^,  a^,  .  .  .  gegen  Null  konvergierende  Größen  sind, 
so  gibt  es  gewiß  nur  eine  endliche  Anzahl  unter  ihnen,  die  ^  —  1  ausfallen; 
es  sei  etwa  e  eine  ganze  Zahl,  so  daß 

(117)  c.,+.>-l,  (i)=l,2,...) 
ausfallt. 

Alsdann  sondern  wir  von  den  Gleichungen  (93)  in  Satz  40  zunächst 
die  ersten  e  Gleichungen  ab  und  schreiben  die  übrigen  in  der  Gestalt: 


Kap.  XII.     Simultanes  System  quadratischer  Formen.  1 73 

(11^)  ««+2,e+l  ^e+l  +  K+2,.+2  +   l)^.+2  +  •  •  •  =  y,+2  > 


wobei  zur  Abkürzung 

(11^)  Ve+i  =  «.+2  -  «.+2,1^1 «.+2,«^.; 


gesetzt  ist;  diese  Gleichungen  (118)  siud  dann,  da  wegen  (116) 

a^,  +  a,^j,  =  0  (29  +  q) 

p  p        p 
wird,  mit  Rücksicht  auf  (117)  von  der  Gestalt  (114)  und  gestatten  dem- 
nach die  Anwendung  des  vorhin  bewiesenen  Hilfssatzes. 

Diesem  zufolge  gibt  es  eine  vollstetige  Bilinearform  T(x,  y)  der 
Variabein  x^^^,  x^,^^,  .  .  .,  y^^^i,  2/^+2?  •  •  ■  derart,  daß  die  Gleichungen  (118) 
die  Auflösungen 

_  A_  _1ZL 

'^  "^  e+ 1 

(l^Ö)  X      =v      +-^- 


besitzen.  Tragen  wir  diese  Auflösungen  unter  Berücksichtigung  der 
Werte  (119)  von  y^j^^^,  ye+-2}  •  •  •  in  die  e  ersten  vorhin  abgesonderten  Glei- 
chungen des  vorgelegten  Systems  (93)  ein,  so  entsteht  ein  System  von 
e  Gleichungen  mit  den  e  Unbekannten  x^,  .  .  .,  x^,  wie  folgt: 

J^ii^i  +  ■  •  •  +  -Ai e ^c  =  -i^l  ? 
(121)  

E^,x,  +  -.-  +  E^^x,  =  E^, 
wo  Ej^,  .  .  . ,  E^  homogene  Linearformen  von  a^,  a.^,  .  .  .  sind,  während 
J?^!,  .  .  .,  Egg  in  bekannter  Weise  durch  die  Koeffizienten  von  Ä(x,  y)  sich 
ausdrücken.  Haben  nun  diese  Gleichungen  Lösungen  x^,  .  .  .,  x^,  so  be- 
rechnen sich  daraus  vermöge  (119)  und  (120)  die  Werte  x^_^_i,  aj^^,  ?  •  •  ■> 
und  wir  gelangen  so  zu  den  Lösungen  des  ursprünglich  vorgelegten 
Gleichungssystems  (93);  im  anderen  Falle  lassen  sich  gewiß  die  homo- 
genen Gleichungen 


Eg,x,i-----{-EggXg  =  0 
durch  solche  Werte  x^,  .  .  .,  x^  befriedigen,  die  nicht  alle  Null  siud;  neh- 
men wir  alsdann  an  Stelle  von  a^,  a»,  ■  .  ■  überall  die  Werte  Null,  wodurch 

in  der  Tat  ^        ,^  ^ 

E,=0,     ...,     J5,  =  () 


174  Kap.  Xin.     Die  Integralgleichung  mit  unBymmetriBchem  Kern. 

wird,  so  gelangen  wir  vermöge  (119)  und  (120)  zu  solchen  Werten 
*\.+i  7  ^e+2  7  •  ■  ■  7  ^^^  zuj^ammeu  mit  den  gefundenen  a.\,  .  .  .,  a\.  ein  Lösungs- 
system der  homogenen  Gleichungen  (94)  in  Satz  X  ausmachen. 

Damit  ist  Satz  40  Tollständig  bewiesen. 

Da  oben  auch  der  Satz  39  über  die  schiefsymmetrischen  Formen 
lediglich  mit  Hilfe  des  Satzes  35  über  die  orthogonale  Transformatioa 
Tollstetiger  quadratischer  Formen  ohne  irgendeine  neue  Konvergenz- 
beb-achtung  bewiesen  worden  ist,  so  ergibt  sich,  daß  auch  die  Theorie 
der  Gleichungen  von  der  Gestalt  (93)  und  damit  überhaupt  die  Theorie 
der  vollstetigen  Bilinearform  lediglich  auf  die  Theorie  der  orthogonalen 
Transformation  vollstetiger  quadratischer  Formen  ohne  neue  Konvergenz- 
betrachtungen l)egründet  werden  kann  —  eine  bemerkenswerte  Tat- 
sache, die  der  Theorie  der  vollstetigen  Formen  von  unendlich 
vielen  Variabein  eine  wunderbare  Durchsichtigkeit  und  Ein- 
heitlichkeit verleiht. 

Fünft tT  Abschnitt. 

Neue  Begriiiidiiiig  der  allgemeinen  Theorie  der 
linearen  Integralgleiclinngen. 

In  den  folgenden  Kapiteln  XIII — >vVI  wollen  wir  die  in  den  Kapiteln 
XI — XII  entwickelte  Theorie  der  linearen,  der  quadratischen  und  bilinearen 
Formen  mit  unendlich  vielen  Variabein  auf  die  Theorie  der  linearen 
Integralgleichungen  anwenden.  Es  werden  durch  dieses  neue  einfachere 
und  durchsichtigere  Verfahren  nicht  nur  alle  bekannten  Resultate  über 
Integralgleichungen  wieder  gewonnen  werden,  sondern  es  gelingt  auch 
die  Theorie  der  Integralgleichungen  wesentlich  auszudehnen  und  zu  ver- 
vollkommnen. —  Weiterhin  entsteht  dann  die  Aufgabe,  die  Methode  der 
unendlich  vielen  Variabein  direkt  ohne  Vermittlung  der  Integralgleichungen 
in  die  Theorie  der  Differentialgleichungen  einzuführen. 

Dreizehntes  Kapitel. 

Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern. 

In  Kapitel  XP)  haben  wir  den  Begriff  „vollstetig"  für  eine  Funk- 
tion  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  ■    definiert^):    wir    nennen 

1)  Die  in  Kapitel  XI  und  diesem  Kapitel  XIII  angeregten  Fragen  aus  der  Theorie 
der  Funktionen  von  unendlich  vielen  Variabein  habe  ich  in  meiner  Abhandlung: 
Wesen  und  Ziele  einer  Analysis  der  unendlich  vielen  Variabein,  Rendiconti  del  Circolo 
matematico  di  Palermo  t.  XXVII  (1909),  weiter  ausgeführt. 

2)  In  dem  ursprünglichen  Abdruck  meiner  „fünften  Mitteilung-'  hatte  ich  an 
Stelle  des  jetzt  durchweg  gebrauchten  Wortes  „vollstetig"  das  AVort  „stetig"  eingeführt. 


Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  nnsymmetrischem  Kern.  1 75 

somit  eiue  Funktion  F{x^,  a^g?  •  ■  ■)  ^^^  unendlich  vielen  Variabein  Xi,  x^,  . . . 
für  ein  bestimmtes  Wertsystem  derselben  vollstetig,  wenn  die  W^rte 
von  F{Xi  +  fi,  x^  4-  fg,  .  .  . )  gegen  den  Wert  -F(Xj,  x^,  .  .  .)  konvergieren, 
wie  mau   auch  immer  f^,  e^,  ...  für  sich  zu  Null  Averden  läßt,  d.  h.  wenn 

LF{Xi  +  s^,  X2+  e2>  •  •  •)  =  ^'X^U  ^2>  •  •  •) 

f  j  =  0,  f  I  =  0,  ... 

wird,  sobald  man  fj,  fg?  •  •  •  irg^fd  solche  Wertsysteme  £j(''\  £./''\  .  .  . 
durchlaufen  läßt,  daß  einzeln 

/(  =  00  //  =  oo 

ist;  dabei  sind  die  Variabein  stets  an  die  Ungleichuns; 

x,'^x,'+---£l 
gebunden. 

Wenn  eine  Funktion  für  jedes  dieser  Ungleichung  genügende  Wert- 
system der  Variabein  stetig  ist,  so  heiße  sie  schlechthin  vollstetig.  Eine 
solche  Funktion  bleibt,  wie  man  unmittelbar  durch  das  bei  endlicher 
Variabeinzahl  angewandte  Verfahren  erkennt,  für  alle  Werte  der  Variabein 
absolut  genommen  unterhalb  einer  endlichen  "Grenze  und  besitzt  stets  ein 
Maximum. 

Wenn  wir  in  der  Funktion  F  den  Variabein  x^_^^,  ^n  +  2>  •  •  •  sämtlich 
den  Wert  0  erteilen,  so  heiße  die  so  entstehende  Funktion  der  n  Variabein 
^if  •  •  -7  ^n  ^^^**  '^"^^  Äh schnitt  von  F]  derselbe  werde  mit  [F]^^  oder 
mit  F„  bezeichnet. 

n 

Ist  F  eine  vollstetige  Funktion  von  x^,  x^,  .  .  .,   so   konvergiert   das 

Maximum  von 

F-F^\ 

mit  unendlich  wachsendem  n  gewiß  gegen  Null.  Im  entgegengesetzten 
Falle  nämlich  müßte  es  unendlich  viele  Wertsysteme 

a  ("^    a  ("' 

1      J       2     )    '  '  ' 

gehen,  so  daß  die  Differenz 

(1)  \F{a^^))  -  F^{ai^^) 

für  alle  n  oberhalb  einer  von  Null  verschiedenen  positiven  Größe  ausfällt. 
Wählen  wir  aus  jenen  Wertsystemen  nach  einem  im  4.  Abschnitt  oft  an- 
gewandten Verfahren  solche  unendlich  viele  Wertsysteme 

h^C')  ==  a^^"n),     &/')  =  «,("/-),     .  .  . 
aus,  daß 

existiert,  wo  ft^,  &2>  ■  •  •  gewisse  Werte  bedeuten,  so  ist  wegen  der  Voll- 
stetigkeit der  Funktion  F 

(2)  LF{U'))  =  F{})). 

A  =  00 


176  Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern. 

Setzen  wir  mm  allgemein 

so  ist 

und  folglieh  auch 

(3)  L  F(f'))  =  L  i\  m)  =  Fih), 

die  Grenzgleichungen  (2),  (3)  widersprechen  aber  der  obigen  Annahme, 
wonach  (1)  stets  oberhalb  einer  von  Null  verschiedenen  positiven  Größe 
ausfallen  sollte. 

Aus  der  eben  bewiesenen  Tatsache,  daß  das  Maximum  von    F  —  F^ 
mit  unendlich  wachsendem  n  gegen  Null  konvergiert,  folgern  wir  leicht 
folgende  Sätze: 

1.  Die  Abschnitte  F^^(x)  einer  vollstetigen  Funktion  F{x)  konvergieren 
gleichmäßig  für  alle  x^,  x^,  ...  gegen  F{x). 

2.  Ist  F{x^,  X.2,  .  .  ■)  eine  vollstetige  Funktion  von  Xj^,  x^,  .  .  und 
werden  a:^  (|),  iCg  (|),  .  .  .  solche  vollstetige  Funktionen  der  endlich  vielen 
oder  unendlich  vielen  Variabein  |j,  Ig,  .  .  .,  daß  stets 

{x,(^)y+{x,{i.y-+-..^i 

ausfällt,    so    geht    F  in    eine   vollstetige    Funktion    der    neuen  Variabein 
über.  Insbesondere  geht  daher  eine  vollstetige  Funktion  durch  orthogonale 
Transformation    der  Variabelu    wieder   in    eine   vollstetige  Funktion   über. 
Wird  allgemein 

F{x,'%x,{^),...)  =  F(x{i)), 
F„{x,{i),...,x^{^)  =  FSx{^i) 
gesetzt,  so  konvergiert  die  Funktionenreihe 

F,{x{^)),  F^{x{i)),  ... 
gleichmäßig  für  alle  ^  gegen  F(x(i,)). 

3.  Ist  insbesondere  eine  vollstetige  Linearform 

vorgelegt,  so  ist  der  nie  Abschnitt  nichts  anderes  als  die  Summe  der  n 
ersten  Glieder  der  unendlichen  Reihe  rechter  Hand.  Nach  Satz  1  kon- 
vergiert diese  Summe  mit  wachsendem  n  gleichmäßig  für  alle  x^jX.,,... 
gegen  L(x).  Die  Konvergenz  jener  unendlichen  Reihe  ist  zugleich  eine 
absolute;  denn  wenn  wir  die  Variabein  x^,  x.2,  .  .  .  in  irgendeiner  anderen 
Anordnung  mit  x\,  x^,  .  .  .  benennen,  so  müssen  nach  1,  da  L[x) 
in  eine  vollstetige  Funktion  von  x\,  x'.^,  •  ■  .  übergeht,  die  dieser  neuen 
Benennung  entsprechend  gebildeten  Abschnitte  der  Funktion  L{x),  d.  h. 


Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern.  177 

die  Summen  der  n  ersten  Glieder  der  entsprechend  umgeordneten  unend- 
lichen Reihe,  ebenfalls  gegen  den  Wert  L{x)  konvergieren.  Ebenso  lehrt  2, 
daß,  wenn  wir  an  Stelle  von  x^,  i\,  .  .  .  stetige  Funktionen  von  endlich 
vielen  oder  unendlich  vielen  Variabein  h,^,  ^2,  .  .  .  setzen,  die  der  Bedinguno- 

genügen,  die  Reihe 

gleichmäßig  luid  absolut  konvergiert.  Wegen  des  linearen  und  homogenen 
Charakters  von  L(x)  kann  jene  Bedingung  auch  durch  die  Bedingung 

(x,{^)f+ix,{^)y-h---<M 

ersetzt  werden,  wenn  31  irgendeine  von  den  Yariabeln  ^j,  I.3,  .  ,  .  unab- 
hängige Größe  bedeutet. 

Die  in  3  aufgestellten  Behauptungen  sind  auch  leicht  direkt  be- 
weisbar. 

Als  Bindeglied  zwischen  der  Theorie  der  Funktionen  und  Gleichungen 
mit  unendlich  vielen  Yariabeln,  wie  sie  im  vierten  Abschnitt  entwickelt 
ist,  und  andererseits  der  Theorie  der  Integralgleichungen,  die  doch  Rela- 
tionen für  Funktionen  einer  Variabein  s  ausdrücken,  bedarf  es  irgend- 
eines Systems  von  unendlich  vielen  stetigen  Funktionen 

der  Variabein  s,  die  im  Intervalle  s  =  a  bis  s  =  h  die  folgenden  Eigen- 
Schäften  erfüllen: 

I.  die  sogenannte  Orthogonalitäfs-Eigenscliaft: 

h 

CL 

(4) 

J{%(s)fds        =1; 

a 

IL  die   VollständigJieits-Belation,  die  darin  besteht,  daß  identisch 
für  jedes  Paar  stetiger  Funktionen  u(s),  v{s)  der  Variabebi  s 

h  b  b 

Ju{s)v{s)ds  =Ju{s)^^{s)dsJv{s)^^{s)ds 

a  a  a 

h  b 

-\-Ju{s)  ^^{s)dsj'ü{s)  0.2{s)ds  -i 

a  a 

wird. 

Wir  bezeichnen  ein  solches  System  von  Funktionen  ^i(s),  ^^(s),  .  . 
als  ein  orthogonales  vollständiges  Funhtionensystem  für  das  Inter 
vall  s  =  a  bis  s  =  b. 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen  12 


178  Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern. 

Ist  u(s)  irgendeine  im  Intervall  s  =  a  bis  s  =  h  stetige  Funktion 
von  8,  so  mögen  die  Integrale 

0  b 

a  " 

die  Fourier- Koeffizienten  der  Funktion  u{s)  in  bezug  auf  das 
orthogonale  vollständige  Funktionensystem  ^1(5),  0^{s),  .  .  .  heißen  und 
kurz  bzw.  mit 

bezeichnet  werden,  so  daß  allgemein 

b 

{u(*)}^=fu(s)0^(s)ds,  {p=l,2,...) 

a 

ist.  Bei  Benutzung  dieser  Bezeichnungsweise  nimmt  die  obige  Voll- 
stäudigkeits-Relation  die  Gestalt  an: 

b 

(5)  fuis)v{s)ds  =  {u{*)],[vi*)},+  {u{*)},[v{*)},+  .  .  .. 

a 

Um  für  ein  gegebenes  Intervall  s  =  a  bis  s  =  h  ein  orthogonales 
vollständiges  Funktionensystem  zu  konstruieren,  bestimme  man  zunächst 
irgendein  System  von  stetigen  Funktionen 

die  die  Eigenschaft  besitzen,  daß  für  eine  endliche  Anzahl  von  ihnen 
niemals  eine  lineare  Relation  mit  konstanten  Koeffizienten  besteht,  und 
die  überdies  von  der  Art  sind,  daß,  wenn  u{s)  irgendeine  stetige  Funktion 
von  s,  und  f  eine  beliebig  kleine  positive  Größe  bedeutet,  allemal  eine 
endliche  Anzahl  von  Konstanten  q,  c^,  .  .  .,  c,„  gefunden  werden  kann^ 
so  daß 

(6)  f(u  (s)  -  c,  P,  (s)  -  c,  P,  (ß) c„,  P,„  (s)yds  <  £ 

a 

ausfällt.  Wie  man  sieht,  bildet  beispielsweise  das  System  aller  ganzen 
Potenzen  von  s 

Pi(s)  =  l,     P,{s)  =  s,     P,{s)  =  s',     .  .  . 
ein  Funktionensystem  von  der  verlangten  Art. 
Wir  setzen 


und  können  dann,  wie  leicht  ersichtlich,   der  Reihe  nach  die  Konstanten 
7i7  y^}  Y'i'i  ^3»  ^3';  ?%"'■)  •  •  •  so  bestimmen,  daß  die  Funktionen  ^j,  (P«»  ^3^  ••  - 


Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern.  179 

den  Orthogonalitäts-Relationen  (4)  sämtlich  Genüge  leisten.^)  Die  so 
konstruierten  Funktionen  O^,  0^,  ...  erfüllen  alsdann  auch  die  Voll- 
ständigkeits-Relation (5  I. 

Um  dies  einzusehen,  bedenken  wir  zunächst,  daß,  wenn  ii[s)  eine 
stetige  Funktion  von  s  ist,  die  Summe  der  Quadrate  aller  Fourier- 
Koeffizienten  von  u[s)  konvergiert  und  den  Wert  des  Integrals 

h 

f(u(s)yds 

a 

niemals  übersteigen  kann.  In  der  Tat  ist  für  eine  beliebige  ganze 
Zahl  n  gewiß 

b 
a 

und  mithin,  wie  die  Rechnung  lehrt, 

also  auch  für  die  so  entstehende  konvergente  Reihe 

6 
a 

Wir  zeigen  sodann,  daß  genau 

(7)  {<*)],'+  {w(*)}/+  •  •  •  =fiu(s)rds 

a 

ausfällt.     Wäre  nämlich  im  Gegenteil 

{ui*)}^' -¥  {ui*)],'  +  ■  ■  ■  <f(u{s)yds 

a 

d.  h. 

(8)  s  =f(u{s)yds  -  {t<*)}i'-  {<*)\2' >  0, 

a 

SO  denken  wir  uns  zu  ti\s)  und  s  in  (ß)  die  Koeffizienten  c^,  .  ...  c„,  be- 
stimmt; setzen  wir 

(9)  U'(S)  =  C,P,(S)  +  •  •  •  +  C^Prnis)  =  C;0,{S)  +  •  •  •  +  C„;0,^is), 

WO  Cj',  .  .  .,  cj  ebenfalls  gewisse  Konstanten  bedeuten,  so  fällt 

b 

(10)  /(m(s)  —  u{s)yds  <  e 

a 

aus.     Andererseits  ergibt  .sich  mit  Rücksieht  auf  (9)  und  (8) 


1)    Vgl.    hiermit    E.    Schmidt,    Entwicklung    willkürlicher    Funktionen    usw., 
Inaugural-Dissertation  (Göttingen  1905),  §  3.     Abgedruckt  in   Math.  Ann.  63,  S  442. 

12* 


180  Kap.  XUI.     Die  Integi*algleicbung  mit  uuejmmetrischem  Kern 

h  h 

J{u(s)  -  u\s)yds  =f(u{s)  -  c,'o,{s) c,;0jß)y-ds 

a  a 

=ju{syds  -2c;[  w(*)  h 2c  „,  { ^<*) }  ^  +  c^  +  •  •  •  +  C' 

a 

=  ^  +  ({^*(*)}i-0^'+---  +  ({<*)}.-0'+{<*)}Vi+{^(*)}^..2+-, 

und  folglich 

6 

J{u(ß)  —  u'(ß)fds>e, 

a 

was  der  Ungleichung  (10)  widerspricht. 

Damit  ist  die  Gleichung  (7)  bewiesen,  und  aus  dieser  folgt,  wenn 
wir  einmal  für  u{s)  die  Summe  und  dann  die  Differenz  irgend  zweier 
stetiger  Funktionen  nehmen  und  die  erhaltenen  Gleichungen  subtrahieren, 
auch  die  allgemeine  Vollständigkeits-Relation  (5). 

Es  sei  noch  erwähnt,  daß  man  in  analoger  Weise  auch  für  beliebige 
Intervallsysteme,  ferner  für  mehrere  unabhängige  Variable  und  auf  einer 
beliebigen  Fläche  ein  vollständiges  orthogonales  Funktionensystem  kon- 
struieren kann. 

Wir  zeigen  zunächst,  wie  die  Fredholmschen  Sätze^)  über 
die  Lösung  der  Integralgleichungen  mit  unsymmetrischem  Kern 
aus  der  im  vierten  Abschnitt  entwickelten  Theorie  der  linearen 
Gleichungen  mit  unendlich  vielen  Unbekannten  folgen. 

Es  sei  die  Integralgleichung  zweiter  Art 

(11)  f{s)  =  cp{s)+jK{s,t)cp(t)dt 

a 

vorgelegt;  in  derselben  bedeute  der  Kern  K{s,  f)  eine  stetige  nicht  not- 
wendig symmetrische  Funktion  von  s,  t,  und  f{s)  sei  ebenfalls  als  eine 
stetige  Funktion  gegeben-,  f{s)  möge  überdies  nicht  identisch  für  alle 
Werte  der  Variabein  Null  sein;  qp(s)  ist  die  zu  bestimmende  Funktion. 
Wir  bilden  die  Fourier-Koeffizienten  von  K{s,  t),  als  einer  Funktion  von  t 
und  alsdann  die  Fourier-Koeffizienten  der  so  entstandenen  Funktion  von  s, 
wie  folgt: 

\(s)  =  {K(s,*)]^^jK(s,t)0fi)dt, 

a 

«.,=  W*)],     =ffK(s,t)0^{s)0^{t)dsdt. 


1)  Sur  une  classe  d'equations  foactionnelles.     Acta  mathematica  Bd.  27  (1903). 


Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern.  181 

Setzen  wir  in  der  Yollständigkeits-Relation  (5),  indem  wir  t  als  Integrations- 
variable nehmen 

u(t)  =  v(^)  =  K{s,  t) 
ein,  so  finden  wir 

(12)  J(K{s,t)fdt  =  {k,{s)f+  {Kis))'^-  ■■.. 

a 

Setzen  wir  andererseits  in  (5) 

u{s)  =  v{s)  =  Ä-^(s), 
so  ergibt  sich 

b 
a 

Aus  (12)  entnehmen  wir  die  Ungleichung 

{h^s)f+  •  •  •  +  iKMf£f{Kis,  t)fdt- 

a 

mithin  folgt  aus  der  zuletzt  gefundenen  Gleichung  für  jedes  m 

^aJ<ff{K{s,t)ydsdt, 

/p  =  l,2,  .  .  .\  a     a 

\q  =  l,  .  .  .,  Vi) 

und  daher  ist  auch 

2  «>,/  ^SJi^'s^  t)ydsdt. 

{p,  q  —  \,2,  .  .  .)  a     a 

Diese  Ungleichung  lehrt  mit  Rücksicht  auf  eine  Bemerkung  in  Kapitel  XII 
(S.  165),  daß  die  mit  den  Größen  a^,^  als  Koeffizienten  gebildete  Bilinearform 

M^,  y)  =  S^.^pVq 

gewiß  vollstetig  in  den  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x.^,  •  ■  •,  y^,  y^,  •  ■  • 
ist.     Setzen  wir  endlich  noch 

a 

so  wird 

/(/■(S))2(/5  =  <+«/+•••• 

Wegen  der  Stetigkeit  der  Bilinearform  Ä(x,  y)  und  der  eben  be- 
wiesenen Endlichkeit  der  Quadratsumme  der  a^,  %,  •  •  ■,  ist  die  An- 
wendung des  Satzes  40  (S.  165)  in  Kapitel  XII  auf  jene  Bilinearform 
A{x,  y)  und  dieses  Größensystem  a^,  a^,  ...  gestattet:  es  sei  —  dem 
ersten  Falle  des  Satzes  40  entsprechend  — 

Ji'^  —   Cti  «        •X'Q  2?        '     '     * 


182  Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern. 

ein  Lösungssystem  der  Gleichungen   (93)   daselbst,   d.  h.   es  sei 

(13)  a^  +  a^i «1  +  a^gttg  +  •  •  =  a^^,  (p  =  1,  2,  .  .  .). 
Wegen   der  Endlichkeit   der  Quadratsumme  der  «j,  a,,  ...   stellt  die 

Linearform 

(14)  ai:ri+ «2^2  + •  •  • 

eine  stetige  Funktion  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  ■  ■  ■  dar. 
Bezeichnen  wir  mit  M  eine  endliche  obere  Grenze  für  die  Werte  des 
Integrales 

f{K(s,  fifdt 

a 

als  Funktion  von  ,s,  so  sind  wegen  (12) 

l\{s),  h^{s),  ... 
eine  unendliche  Reihe  stetiger  Funktionen  von  s,  deren  Quadratsumme 
den  Wert  M  nicht  übersteigt.  Setzen  wir  daher  diese'  Funktionen  in  die 
Linearform  (14)  an  Stelle  der  Variabein  x^,  x^.  ...  ein,  so  wird  dieselbe 
nach  dem  zu  Anfang  dieses  Kapitels  XIII  bewiesenen  Satze  3  (S.  176) 
eine  stetige  Funktion  von  s:  wir  setzen 

(15)  a(s)  =  ßi/.-i(s)  +  «2^2(5)  H • 

Hier  konvergiert  nach  Satz  3  (176)  die  Reihe  rechter  Hand  gleich- 
mäßig für  alle  s;  multiplizieren  wir  demnach  (15)  mit  ^  (s)  und  inte- 
grieren nach  s  zwischen   den  Grenzen  s  =  a  und  s  =  &,   so   erhalten   wir 

6 


und  wegen  (13) 


^p-^f^pi^X^)'^^=^^'p 


oder,  wenn 

(16)  ^(s)=fis)-a{s) 
gesetzt  wird, 

S=  (/■(*)},-{<*)}.=  {g'W}, 

d.  h.  die  Lösungen  a^,  «2,  ...   unserer  linearen  Gleichungen  ergeben  sich 
als  die  Fourier-Ko effizienten  einer  in  s  stetigen  Funktion  (p(s). 

Nunmehr  folgt  unmittelbar,  daß  q){s)  eine  Lösung  der  ursprünrilich 
vorgelegten  Integralgleiclmng  (11)  ist.  In  der  Tat,  setzen  wir  in  der  A'oll- 
ständigkeitsrelation  (5),  indem  wir  /  als  Integrations variable  nehmen, 

u(t)  =  cp{t),     v{t)==K{s,t), 
so  ergibt  sich  aus  derselben 

b 

(17)  J(p{t)K{s,t)dt  =  «1  Ä'i  (s)  +  «2  A:2  {s)^ , 


Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsymmetrischem  Kern.  133 

d.  h.  wegen  (15)  und  (16) 

(18)  Jcp(t)K(s,t)dt  =  f(s)-cp{s). 

a 

Umgekehrt,  wenn  cp(s)  irgendeine  in  s  stetige  Lösung  der  Integral- 
gleictung  (11)  oder  (18)  bezeichnet  und  dann  u^,  cc^,  .  .  .  die  Fourier- 
Koeffizienten  dieser  Lösung  rp{s)  bedeuten,  so  folgt  nach  der  Vollständig- 
keits-Relation (5)  zunächst  (17)  und  wegen  (18) 

a^\{s)  +  cc^h^^s)  -\-  ■  ■  •  =  f(s)  —  (p(s). 
Da  wegen 

b 
CC^-  H-  «2^  -f   •  •  •  =J(g)(s)ydS 
a 

die  Quadratsumme  der  a^,  u.^.,  ...  endlich  ist,  so  stellt 

eine  vollstetige  Funktion  der  unendlich  vielen  Yariabeln  x^,  x^,  .  .  .  dar, 
und  somit  entnehmen  wir,  wie  vorhin,  aus  der  letzten  Gleichung  durch 
Multiplikation    mit    ^^{s)    und   Litegration   nach   s   das   Gleichungssystem 

«1  V  +   «2  «,.2  4-   ■   •   •   =   ^,;  -  S'  (P  =   1,  2,  .   .  .). 

Wir  erkennen  somit,  daß  die  Fourier- Koeffizienten  einer  Lösung  der 
Integralgleichung  stets  auch  ein  System  von  Lösungen  unserer  linearen 
Gleichungen  (13)  und  zwar  ein  solches  mit  endlicher  Quadratsummc  liefert. 

Zugleich  ist  klar,  daß,  wenn  irgend  e  linear  unabhängige  Lösungen 
der  Litegralgleichung  vorliegen,  die  aus  diesen  durch  Bildung  der  Fourier- 
Koeffizienten  entstehenden  e  Lösungssvsteme  der  linearen  Gleichungen 
•ebenfalls  voneinander  linear  unabhäno-jo-  sind. 

Trifft  für  die  aus  A{x,  g)  entspringenden  linearen  Gleichungen  der 
zweite  Fall  des  Satzes  40  im  vierten  Abschnitte  (S.  165)  zu,  so 
gibt  es  diesem  Satze  zufolge  ein  Lösuugssystem  der  homogenen  linearen 
Gleichungen  (94)  (S.  165);  es  sei  alsdann 

Xj^  =  ßj  ,       A  2  =^  C1C2  f       ... 

«in  solches  Lösungssystem  mit  der  Quadratsumme  1.  Nehmen  wir  nun- 
mehr in  der  vorigen  Betrachtung 

f(s)  =  0,     a^  =  0,     «^  =  0,     .  .  ., 

so  erweisen  sich  genau  wie  vorhin,  die  Lösungen  a^,  a.,,  ...  als  die 
Fourier-Koeffzienten  einer  in  s  stetigen  Lösung  der  homogenen  hitegral- 
gleicliung 

b 

(19)  cp{s)+jK{s,t)^{t)dt  =  i), 

a 

und  wegen 


184  Kap.  XIII.     Die  Integralgleichung  mit  unsYmnietriscliem  Kern. 

n 

erkennen  wir,  daß  <p{s)  nicht  identisch  verschwindet. 

Umgekehrt,  wenn  (p{s)  eine  nicht  identisch  verschtvindende  Lösung  der 
homogenen  Integralgleichung  (19)  ist,  so  liefern  deren  Fourier-Koefflzienten 
ein  Lösungssystem  unserer  homogenen  linearen  Gleichungen. 

Nunmehr  sei,  wie  in  Kapitel  XII  S.  168,  e  die  genaue  Anzalil  der 
linear  unabhängigen  Lösungssysteme  der  homogenen  Gleichungen 

(20)  L^{x)  =  x^, -f  a^,,x,  +  a^,^x,  +  •  •  •  =  0  {p=l,2,..). 

Die  dort  bewiesenen  e  linearen  Relationen  (107)  sagen  dann  aus,  daß  die 
aus  (20)  durch  Transposition  entstehenden  linearen  homogenen  Gleichungen 

die  e  Lösungssysteme 

(21)  ^i  =  /3/'^  ^2-ß,^''\  •••  (A  =  l,,...,e> 
zulassen.  Dieselben  Schlüsse,  die  Avir  oben  auf  die  ursprünglichen 
linearen  Gleichungen  und  deren  Lösungssystem  «j,  a^,  ...  angewandt 
haben,  lassen  uns  erkennen,  daß  die  Größen  (21)  die  P'ourier-Koeffizien- 
ten  gewisser  e  linear  voneinander  unabhängiger  in  s  stetiger  Funktionen 
iiM\s),  .  .  .,  xp^^\s)  sind,  die  der  homogenen  Integralgleichung  mit  dem 
transponierten  Kern  K(t,  s)  genügen.  Infolge  dieses  Umstandes  erhalten 
die  e  Bedingungen  (108)  die  Gestalt 

h  b 

(22)  /  t^'\s)fis)ds  =  0,     .  .  .,    /^'W(5)/-(s)^s  =  0. 

a  a 

Nach  den  obigen  Ausführungen  zieht  unsere  Annahme,  daß  die 
homogenen  Gleichungen  (20)  genau  e  linear  unabhängige  Lösungen  be- 
sitzen, die  Folge  nach  sieb,  daß  auch  die  homogene  Integralgleichung  (19) 
genau  e  linear  unabhängige  stetige  Lösungen  besitzt.  Da  ferner  jedes 
System  von  Lösungen  der  inhomogenen  linearen  Gleichungen  (13)  eine 
Lösung  der  inhomogenen  Integralgleichung  (11)  liefert  und  umgekehrt, 
so  erweisen  sich  alsdann  die  e  Bedingungen  (22)  /'///•  die  Funldion  f(s)  als 
notivendig  und  hinreichend  für  die  Lösbarkeit  der  ursprünglich  vorgelegten- 
inhomogenen  hitegralgleicJmng  (11);  dabei  sind  die  il^^^\s),  .  .  .,  ^(*)(s)  die 
Lösmigen  der  homogenen  Integralgleichung  mit  dem  transponierten  Kern  K(t,s), 

Die  erhaltenen  Lösungen  der  Integralgleichungen  (11),  (19)  sind  von, 
der  Wahl  des  gerade  benutzten  besonderen  orthogonalen  vollständigen 
Funktionensystems  fP^is),  fP^Js),  .  .  .  wesentlich  unal)hängig:  in  der  Tat 
jede  aus  K{s,  t)  unter  Vermittlung  eines  anderen  orthogonalen  vollständigen 
Funktionensystems   entspringende  Bilinearform   geht  aus  der  Bilinearformi 


Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung.  185 

A{x,y)  durch  eine  simultane  orthogonale  Transformation  der  Variabein 
X-^,  X2,  .  .  .;  v/^;  y^,  .  .  .  hervor,  so  daß  auch  das  neue  Gleichungssystem 
und  dessen  Lösungen  sich  von  dem  ursprünglichen  Gleichungssysteme 
und  dessen  Lösungen  nicht  wesentlich  unterscheidet. 


Vierzehntes  Kapitel. 

Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung. 

Derselbe  Grundgedanke,  der  uns  in  Kapitel  XIII  zur  Herleitung  der 
Fredholmschen  Sätze  über  die  Lösung  von  Inteijralcrleichuncfen  zweiter 
Art  gedient  hat,  ermöglicht  auch  die  Neubegründung  der  im  ersten  Abschnitt 
entwickelten  Theorie  der  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  symmetrischem 
Kern.     Um  dies  einzusehen,  sei  eine  Integralgleichung  von  der  Gestalt 

ö 

(23)  /■(«)  =  (p  (s)  -  lfK{s,  t) (p {t)dt 

a 

vorgelegt,  worin  K{s,  t)  eine  stetige  symmetrische  Funktion  von  s,  t,  f(s) 
eine  ebenfalls  gegebene  stetige  Funktion  von  s,  g)(s)  die  zu  bestimmende 
Funktion  von  s  und  X  einen  Parameter  bedeute.  Der  Kürze  halber  werde 
eine  Integralgleichung  von  der  Gestalt  (23)  mit  symmetrischem  Kern  als 
orthogonale  Integralgleichung  bezeichnet. 

Wir  bilden  zunächst  durch  Vermittlung  des  orthogonalen  vollständigen 
Funktionensystems  ^i(s),  ^2(^0;  •••  ^^^  ^®^  Kern  K{s,t)  eine  Bilinear- 
form,  indem  wir  wie  in  Kapitel  XIII 

(24)  k^is)  =  {Kis,  *)],=fKis,  t)^fi)dt, 

a 

h     b 

(2d)  h^^     ={/.-,(*)},     ^ffE{s,t)0^{s)^^(t)dsdt 

a     a 

setzen.     Wegen  der  Symmetrie  des  Kerns  K{s,  t)  in  s,  t  haben  wir 
und  demnach  ist  die  mit  den  Koeffizienten  Je      gebildete  Bilinearform 

eine  solche  symmetrische  Form,  wie  sie  aus  der  quadratischen  Form 

(27)  Kix)  =  :S^,^,^, 

iP,'/) 
abgeleitet  wird. 

Analog   wie   vorhin   in   Kapitel  XIII    (S.  181)   schließen   wir   aus   der 

wie  dort  folgenden  Ungleichung 


(26)  K(^',y)  =  ^k„x^y, 


186  Kap.  XI V.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung. 

mit  Hilfe  des  Satzes  36  in  Kapitel  XI,  daß  die  aus  K(s,  t)  entsprungene 
quadratische  Form  Kix)  eine  vollstetige  Funktion  der  unendlich  vielen 
Variabein  x^,  X2,  ...  ist.  Infolgedessen  ist  die  Anwendung  des  Satzes  35 
in  Kapitel  XI  gestattet,  und  dieser  Satz  ergibt,  daß  jene  quadi-atische 
Form  durch  eine  orthogonale  Substitution  der  Variabein  i\,  x^,  .  .  .  in 
die  Variabein  x^,  x^,  .  .  .  die  Gestalt 

(28)  K(x)  =  l\  a;/-  +  k^x^"-  +  •  •  • 

erhält.  Die  Variabein  x^',  x^',  ■  .  ■  sind  lineare  Formen  der  ursprünglichen 
Variabein  x^,  X2,  ■  ■  ■■  Falls  nun  unter  den  Größen  I,\,  /r._,,  .  .  .  solche  vor- 
handen sind,  die  den  Wert  Null  haben,  sondern  wir  die  diesen  Größen  Je 
zugehörigen  Liuearformen  ab:  es  seien  dies  die  Linearformen 

x\^=  3Ii(x)  =  rn^^x^  -f  m^^x^  -\ , 

x',^  =  M2{x)  =  Wgi-^'i  +  m.,.2X.2  +  •  •  •, 


Die    übrigbleibenden    Größen  /.■    bezeichnen    wir    mit   Xj,  y..,,  .  .  r^    die    zu 
•diesen  Größen  x  zugehörigen  Linearformen  seien 

^■',/,  =  Li  (x)  =  /ji  Xi  +  /i2.r,,  H , 

a?    —  Ld^yx)  ^^  '21 '^i  ~r  '22*^2  I   '  '  'j 


Die  Formel  (28)  nimmt  dann  die  Gestalt  au 

K{x)  =  y.i(L,(x)Y ^  X2{L.,{x)f  +  •■■, 

und   da    die   Liuearformen  Ly{x),  L^ix),  .  .  .,  3Ii(x),  M^ix),  ...   ein   voll- 
ständiges orthogonales  System  bilden,  so  haben  wir 

(29)  L/.)L/.)  =  0,  (j^^^q) 

(30)  Z/.)i^(.)  =  l, 

i^(.)iJi-,(.)  =  0, 

Xi'+X2'+  •  •  •  =  (AGr))2+  (4(^'))^4-  • .  .  +  (jf^(a;))2+  (ilf^^^))2+  . .  .. 

C31^  ^1^1  +  ^2^2  H =  A(^)  A  W  +  ^2(^)^2(2/)  H 

.      .  +  Miix)M2(y)  +  M,(x)3I,{y)  +  •  .  .; 

überdies  ist 

(32)  K(x,.)L^{.)  =  x^^L^ix), 

(33)  K{x,.)3I^X-)  =  0. 

Da  die  Quadratsumme  der  Koeffizienten  der  Linearform  L  (x)  nach 
(30)  den  Wert  1  hat,  also  endlich  bleibt,  so  ist  diese  Linearform  eine 
vollstetige  Funktion  der  unendlich  vielen  Variabein  x^,  x^,  .  .  .,   und   wir 


Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung.  187 

können  sie  daher  in  derselben  Weise  wie  oben  S.  1S2  die  Linearform  (14) 
behandeln:  wir  finden  dann,  daß  die  Reihe 

<34)  L,im)^l,nK(s)-^l,Ms)  +  --- 

gleichmäßig  für  aUe  s  konvergiert  und  also  eine  stetige  Funktion  von  s 
bestimmt.     Durch   Multiplikation   mit    ^  (s)   und   Integration  nach  s  er- 
halten wir  wegen  (24),  (25) 
I, 

a 

Andererseits  liefert  die  Vergleichung  der  Koeffizienten  von  x    auf  beiden 


Seiten  von  (32) 
und  fololich  ist 


Setzen  wir 

(35)  Z/,/.(s))  =  x^,^/5), 

so  ist,  da  ja  >f^, +  0  ausfällt,   (p  (s)   eine   ebenfalls  in  s  stetige  Funktion, 
die  die  Gleichung 

a 

«rfüllt,  d.  h.  die  Koeffizienten  l  .,  l  <^,  .  .  .   der  Linearform  L  (x)  sind  die 
Fourier-Koeffizienten  einer  gewissen  stetigen  Funktion  (p  {s)  in  bezug  auf 
das  vollständige  orthogonale  Funktionensystem   ^^,  (Pg?  ••  • 
Nehmen  Avir  nun  in  der  VoUstäudigkeits-Relation  (5) 

so  lehrt  diese 

/, 

a 

und  folglieh  wegen  (29)  und  (30) 

i> 
f%>(s)(p,{s)ds  =  0  (p=^q), 

a 

(37)  fl<p,(s)yds       =1, 

a 

d.  h.  die  FunJdionen  q}^  (s),  gp^  (s),  . . .  bilden  ein  orthogonales  FunMionensystcm. 
Nehmen   wir  ferner  in   der   Vollständigkeits-Relation   (Ji)   t  als  Inte- 
grationsvariable und  setzen 


188  Kap.  XIV.     Die  Theone  der  orthogonalen  Integralgleichung, 

so  folgt  mit  Rücksicht  auf  (34)  und  (35) 

b 

(38)  fK(s,  t)cpß)dt  =  Jc,is)l^,  +  h(s)J^,  +  •  •  •  =  x^cp^is), 

a 

oder,  wenn  wir 

P 
einfüLren, 

b 

(39)  cp^is)  =  xjK{s,  t)^ß)dt, 

a 

d.  h.  die  zu  unserer  ursprünglich  vorgelegten  Integralgleichung  (23)  gehörige 

homogene  Integralgleichung 

b 

(40)  (p{s)-k  fK(s,  t) (f  (t) dt  =  () 

a 

besitzt  für   X  =  A^    die   tvegen    (37)   geiviß    nicht    identisch   verschivindende 
Lösung  q:'(s)  =  (pp(s). 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  wichtigsten  Frage,  nämlich  zur  Frage 
nach  der  Entwickelbarkeit  einer  willkürlichen  Funktion  in  eine 
Reihe,  die  nach  den  Funktionen  des  orthogonalen  Systems  (Pi{s),  (Pi{s),  .  ■  . 
fortschreitet. 

Da   die   Linearform  M  (x)    eine   vollstetige   Funktion   der  unendlich- 

vielen  Variabein  x^,  x^,  ...   darstellt,    so    erkennen   wir  genau   wie   oben 

S.  182,  daß  .,  .,     ^ 

M^X^Üs))  =  m^,  l;  (s)  +  m^^^l;  («)  +  ••• 

gleichmäßig  für   alle  s  konvergiert   und   eine   stetige  Funktion   von  s  be- 
stimmt, und  hieraus  wiederum  schließen  wir  wie  oben 

b 
fM^,{Jc{sj)0^^(s)ds  =  m^,\,  4-  ni^,k,^  +■'■■ 

a 

Durch  Vergleichung  der  Koeffizienten  von  x,   auf  beiden  Seiten  von  (33) 
erhalten  wir 

und  folglich  ist  auch 

6 

f3I^XJc{s)) 0.^{s)ds  =  0,  (g  =  1,  2, .  .  .); 

a 

hieraus    aber    schließen    wir    sofort,    indem    wir    in    der   Vollständigkeits- 
Relation  (5) 

•  u{s)  =  v(s)  =  3I^{Jc{s)) 
einsetzen, 

f(M^{Ms)yds=^0, 


Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung.  189 

d.  h.  es  ist  identisch  für  alle  Werte  s 

Nunmehr  wenden  wir  die  Identität  (31)  an;  wir  betrachten  zunächst 
den  darin  rechter  Hand  vorkommenden  Ausdruck 

(41)  L,{x)LM  +  mx)my)  +  •  •  .. 

Wenn  wir  hierin  den  Variabein  x^,  x^,  .  ■  .  irgendwelche  konstante  Werte 
mit  endlicher  Quadratsumme  erteilen,  so  stellt  wegen 

{L,{x)y+{L,ix)y  +  --'£ix,x) 

der  Ausdruck  (41)  eine  vollstetige  lineare  Funktion  von  L^dj),  L^dj),  .  ■  . 
dar;  der  Tatsache  3  (S.  176)  zufolge  muß  (41)  demnach  gleichmäßig  und 
absolut  konvergieren  für  alle  Wei'te  von  Pi,  1/2,  •  •  ■,  für  die 

unterhalb  einer  von  y^^,  y^,  •  •  •  unabhängigen  Grenze  bleibt,  und  dies  ist 
wegen 

{L,(:y)y+{L,{y)y+---<{y,y) 

gewiß  immer  der  Fall,  wenn  {tj,  y)  unterhalb  einer  endlichen  Grenze  bleibt. 
Wir    verstehen    nunmehr    unter  y(s)    eine    willkürliche   in   s   stetige 
Funktion    und    setzen    in    der   Identität    (31)    an    SteEe    der    Variabein 
x^,  X2,  ...  die  Konstanten 

(42)  ^,=  {9i*)},, 
deren  Quadratsumme 

a 

endlich  ist,  und  an  Stelle  der  Variabein  y^,  y.2,  •  •  •  die  in  s  stetigen 
Funktionen 

(43)  y,=  \{^)-{K{s,*]^, 

deren  Quadratsumme 

h 

{\{s)y -{- {h,{s)Y  +  •  •  •  =/(^(s,  tifdt 

a 

gewiß  unterhalb  einer  von  s  unabhängigen  Grenze,  nämlich  dem  maxi- 
malen Werte  M  des  rechts  stehenden  Integrales  liegt.  Mit  Rücksicht 
auf  die  VoUständigkeits- Relation  erhält  dann  die  linke  Seite  jener 
Identität  (31)  den  Wert 

h 

fK{s,t)y{t)dt.^ 

a 

Andererseits  wird  bei  Heranziehung  der  Gleichung  (36)  und  der  Voll- 
ständigkeits-Relation 


190  Kap.  XIY.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung. 

b 
a 

und  da  3I^(k{Sj)  identisch  verschwindet,  so  geht  die  rechte  Seite  jener 
Identität  (31)  mit  Rücksicht  auf  (35)  nach  der  Substitution  (42 j,  (43)  in 

ij9(s)g^i(s)ds]  (xi(3Pi(5:)  +  lfg(s)(pi(s)ih\  (x,(p^^{s))  +  •  •  • 

über.     Setzen  wir  daher 

(44)  f(s)=fK(s,t)g(t)dt 

a 

und,  indem  wir  (38)  berücksichtigen, 

c^=ff(ß)(p^(s)ds  =  y^pj9{t)(Pp{t)dt, 

a  a 

SO  führt  die  Vergleichung  beider  Seiten  jeuer  Identität  zu  der  Formel 

f(s)  =  Cj9i(s)  +  c^cp^iß)  H , 

wo  die  Reihe  rechter  Hand  nach  den  obigen  Ausführungen  gleichmäßig 
und  absolut  konvergiert;  d.  h.  jede  durch  Vermittlung  einer  stetigen 
Funktion  g{s)  in  der  Gestalt  (44)  darstellbare  Funktion  f{s)  läßt  sich  auf 
Fouriersche  Weise  in  eine  nach  den  orthogonalen  Funktionen  q^  (s),  (p^  (s), .  .  . 
fortschreitende,  gleichmäßig  und  absolut  konvergente  Ficihe  entivickeln}) 

Wir  haben  oben  erkannt,  daß  die  homogene  Integralgleichung  (40) 
für  X  ^  X  eine  nicht  verschwindende  Lösung  besitzt;  sie  besitzt  auch  nur 
für  diese  Werte  X  =  X^^  eine  nicht  verschwindende  Lösung.  In  der  Tat,  ist 
X  ein  von  X^,  X^,  ...  verschiedener  Wert  und  qp(s)  eine  stetige  jener 
Integralgleichung  (40)  genügende  Funktion,  so  lehrt  diese  Integralgleichung, 
daß  (p{s)  eine  in  der  Gestalt  (44)  darstellbare  Funktion  ist:  nach  dem 
eben  bewieseneu  Entwicklungssatze  haben   wir  mithin 

b  b 

(45)  (p  (s)  =  gpi  (s)  J(p  (s)  (p^  (s)  ds  +  (pc,  (s)  f(p  (s)  cp.  (s)  ds -\ . 

a  a 

Nun  finden  wir  andererseits,  indem  wir  (39)  mit  X(p{s)  multiplizieren 
und  nach  s  integrieren,  ferner  (40)  mit  X  w  (s)  multiplizieren  und  nach  s 
integrieren  imd  endlich  die  so  entstehenden  Gleichungen  voneinander 
subtrahieren 


1)  Diesen  Entwicklungssatz  hatte  ich  in  der  ursprünglichen  Veröft'entlichung 
meiner  „ersten  Mitteilung"  lediglich  unter  der  Annahme  eines  „allgemeinen"  Kerns 
bewiesen  bzw.  bei  beliebigem  Kern  noch  die  Darstellbarkeit  von  f\si  durch  den 
zweifach  zusammengesetzten  Kein  KK(s,t)  als  Bedingung  hingestellt;  E.Schmidt 
ist  es  zuerst  in  seiner  Inaugural-Dissertation  (Göttingen,  1905)  gelungen,  diese  Ein- 
schränkung zu  beseitigen. 


Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung.  19t 


d.  h.  wegen  A  =f=  A 


6 

ffpis)(Pp(s)ds  =  0; 

a 

und  folglieh  wegen  (45) 

qp(s)  =  0. 

Da  die  oben  S.  186  eingeführten  Größen  Ji\,  Jc^,  .  .  .  dem  dort  an- 
gewandten Satze  40  in  Kapitel  XII  zufolge  notwendig  gegen  Xull  kon- 
vergieren, so  können  die  Werte  A^,  Ao,  .  .  .  im  Endlichen  keine  Verdichtungs- 
stelle haben,  und  es  kann  daher  insbesondere  jedesmal  nur  eine  endliche- 
Anzahl  von  gleichem  Werte  unter  ihnen  geben.  Sei  etwa 
;    ;         ;         ..._; 

^•p~  %  +  l  "~   %  +  2  —  —   'V-|-«-l 

und  jeder  andere  Eigenwert  von  A  verschieden,  so  sind  die  n  linear  von 
einander  unabhängigen  Funktionen 

(46)  (Pj,,  (Pj,  +  i,  ...,  (pj,+,,.i 

gewiß  Lösungen  der  homogenen  Integralgleichung  für  A  =  A  .  Es  gibt 
nun  für  X  =  A  aucJi  keine  andere  Lösung  jener  Integralgleichung,  die  nicht 
eine  lineare  Kombinat  ton  der  n  Lösungen  (46)  teure.  In  der  Tat,  ist  <p(s) 
irgendeine  Lösung  der  Integralgleichung  (40)  für  A  =  A  ,  so  könnten  wir 
wie  vorhin   den  Ansatz  (45)   machen;   das  entsprechende  Verfahren  führt 

dann  zu  der  Gleichung 

>, 

i^,-K)f9^(s)(p^(s)ds==0 

a 

d.  h.  es  wird 

h 

ffp(s)%is)ds  =  0 

a 

für  alle  Werte  von  q  mit  Ausnahme  der  n  Werte 

<1=P,    i?  +  1,     ■  ■  ■,    P  +  n-  1; 
damit  ist  die  Behauptung  bewiesen. 

Was  die  inhomogene  Integralgleichung  (25)  betrifft,  so  hat  die- 
selbe nach  den  aUgemeiuen  Ausfühiningen  im  vorigen  Kapitel  XIII  für 
jedes  von  Xp  verschiedene  A  eine  und  nur  eine  Lösung  qp(s);  für  A  =  Ap 
jedoch  ist  sie  nur  lösbar,  wenn  f(s)  genau  n  lineare  von  einander  unab- 
hängige Litegralbedingungen  erfüUt.  Nun  ergibt  sieh  aber,  wenn  wir  die- 
Gleichung 

6 

(47)  f(s)  =  cp{s)-  1,SK{s,  t) <p  (0 dt 

a 

mit  (f,Js)  multiplizieren  und  nach  s  integrieren 


192  Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung. 

b  I,  I,        I, 

f(Pg(s)f{s)ds==f(p,j(s)(p(s)ds  —  kpj  JK{s,  f)(p,j{s)(p{t)dsdt 

a  a  a      a 

uiid  mit  Rücksicht  auf  die  Symmetrie  von  K(s,  f)  wegen  (39),  wenn  (pp(s) 
eine  der  n  Funktionen  (46)  bedeutet: 

b 

f<p,jis)f(s)ds  =  0  (q=p^pJ^l^.,,^p^u-l). 

a 

Biese  n  Bedingungen  sind  daher  notivendig  und  hinreichend  zur  Lösbarkeit 
der  inhomogenen  Integralgleichung  (47). 

Die  Werte  Aj,  Ag,  .  .  .  und  die  zugehörigen  Funktionen  cp^{s),  (p^{s),  .  .  . 
sind  wesentlich  durch  den  Kern  K{s,  t)  bestimmt;  ich  habe  sie  Eigen- 
■iverte  bzw.  Eigenfiinktionen  des  Kerns  K{s,t)  genannt. 

Aus  dem  Entwickelungssatze  folgt  wegen 

Jf(s)(pp{s)ds  =  ±Jg(t)(pp{t)dt  (p  =  1; . . .,  n) 

a  a 

i>  b 

f{s)=jK{s,  t)g{t)dt  =  >    I  g{t)cp,(t)dt.ip,{s) 

a  a 

b 

+  l^j  y{t)fpS)  dt .  (p,{s)  H . 


sofort 


(48) 


Besitzt  ein  Kern  K(s,  t)  nur  eine  endliche  Anzahl  von  Eigeniverten 
Xi,  .  .  .,  A„,  so  bricht  die  Reihe  rechts  beim  wten  Gliede  ab,  und  da  diese 
Gleichung  für  jede   stetige  Funktion  g(t)  statthaben  muß,   so   ergibt  sich 

K(s,  t)  =  fii']l-^S*l  4.  .  .  .  ^.  ^nS^l^ii)  ^ 

d.  h.  'K{s,  t)  vermag ,  wenn  man  eine  der  beiden  Variabein,  etwa  t,  als 
Parameter  auffaßt  und  diesem  irgendwelche  konstanten  Werte  erteilt,  nur 
n  linear  unabhängige  FunJäionen  der  anderen  Variahein  s  darzustellen;  ins- 
besondere ist  gewiß  ein  Eigenivert  immer  vorhanden,  ivenn  nicht  K(s,  t) 
identisch  in  s,  t  verschivindet. 

Schreibt  man  in  (48)  an  Stelle  von  g{t)  die  willkürliche  Funktion 
u(t),  multipliziert  diese  Formel  mit  u{s)  und  integriert  nach  s,  so  entsteht 

6     6  b 

1 1  K{s,  t) u (s) u{t)dscU  =  ^  {  /  w (0 9'i (0 dt 

a    a  a 

b 


a 

Setzen  wir  zur  Abkürzung 


Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung.  193 

J(u)  =  ffK{s,  () u (s) u{t) dsdt, 

a    a 
h 

np=fu{t)(pp(f)dt, 


so  nimmt  jene  Formel  die  Gestalt  an 

i,    ^    L, 


J^w  =  t  +  5"   + 


Andererseits  haben  wir 

b 

J{n{s))'ds  ^  Mi^  +  Wg^  +  •  • . 

a 

und  folglich 

6 

J{u)  -  j-f(uis)yäs  ^  {l  -  j-)  u.f  +  ((-  -  Ij  „3«  +  . .  .  .  . 

a 

Nehmen  wir  nun  an,  daß  die  Eigenwerte  nicht  sämtlich  negativ  seien  und 
bedeutet  dann  l^  den  kleinsten  positiven  Eigenwert,  so  fällt  die  rechte 
Seite  dieser  Formel  gewiß  nicht  positiv  aus;  hieraus  folgt,  daß  der  größte 
Wert,  den  das  Doppelintegral  J{ti)  annimmt,  ivenn  u{s)  eine  stetige,  der 
Bedingung 

b 

f{uis)yds  =  1 

a 

genügende  FunMion  sein  soll,  gleich  dem  reziproken  Werte  des  kleinsten 
positiven  Eigenwertes  von  K{s,  t)  ist;  dieses  Maximum  tritt  ein,  trenn  u(s) 
gleich  der  zugehörigen  Eigenfunktion  genommen  wird. 

Zum  Schlüsse  dieses  Kapitels  berühren  wir  noch  die  wichtige  Frao-e, 
unter  welchen  Umständen  die  Eigenfunktionen  (p^is),  (p^is),  .  .  .  des  Kerns 
K(s,  t)  ein  vollständiges  orthogonales  Funktionensytem  bilden.  Wie 
schon  in  Kapitel  IV  angegeben  ist,  hilden  die  Eigenfunktionen  gewiß 
dann  ein  vollständiges  orthogonales  Funktionensystem,  tvenn  der  Kern 
K(s,  t)  der  orthogonalen  Integralgleichung  allgemein  (Kapitel  IV  S.  25)  ist. 
In  der  Tat,  ist  g(s)  irgendeine  stetige  Funktion  von  s,  so  gibt  es  dann 
eine  stetige  Funktion  h(s),  so  daß  die  Ungleichung 

f\g{s)  —jK{s,  t)h(t)dt  \  ds<s 


gilt;  daher  wird,  indem  wir 

JK{s,  t)h{t)dt  =  c^(p^{s)  +  C2  9Po(s)  -\ 

a 

einsetzen,  auch 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  IS 


194  Kap.  XIV.     Die  Theorie  der  orthogonalen  Integralgleichung. 

b 

f{9{s)  -  Ci9?i(s)  -  c.ip, (s) }'dt<s. 

a 

Da  die  linke  Seite  durch  Subtraktion  der  positiven  Größe 

(ci  —  f9is)(pi(s)dsj  +  (co  —  fij(s)(p.2(s)ds\  -\ 

sicher  nicht  vergrößert  wird,  so  folgt  leicht 

J(9{s)yds  -  (ffj{s)(p,{s)ds\  -  (fg(s)(p,{s)ds\ <£. 

Bedenken  wir,  daß  diese  Ungleichung  für  beliebig  kleine  positive  e  gelten 
muß,   so   ergibt  sich   sofort   die  zu   beweisende   Yollständigkeits- Relation. 

Eine  andere  Bedingung  dafür,  daß  die  Eigenfunktioneu  von  K{s,  i) 
ein  vollständiges  orthogonales  Funktionensystem  bilden,  ist  die  Ab- 
geschlossenheit der  aus  K  entspringenden  quadratischen  Form  K(x).  Man 
erkennt  auch  leicht,  daß  die  aus  einem  allgemeinen  Kerne  K(s,  t)  ent- 
springende quadratische  Form  stets  abgeschlossen  sein  muß,  womit  die 
soeben  bewiesene  Behauptung  übereinstimmt. 

Wie  wir  sehen,  sind  die  Eigenwerte  A^,  Ag,  .  .  .  und  Eigenfunktionen 
^^(s),  9^2(^)7  •  •  •  ^^^^  deren  Eigenschaften  von  der  Wahl  des  gerade  be- 
nutzten besonderen  orthogonalen  vollständigen  Funktionensystems  ^i{s)y 
^2(5),  ••  •  wesentlich  unabhängig:  in  der  Tat,  jede  aus  K(s,  t)  unter  Ver- 
mittelung  eines  anderen  orthogonalen  vollständigen  Funktionensystems 
entspringende  quadratische  Form  geht  aus  der  quadratischen  Form  K{pc} 
durch  eine  orthogonale  Transformation  der  Variabein  x^,  x,^,  .  .  .  hervor,, 
so  daß  die  neuen  Linearformen  von  den  ursprünglichen  sich  nicht  wesent- 
lich unterscheiden. 

Ist  U{s,  t)  eine  nicht  symmetrische  Funktion  der  im  Intervall  a  bis  h 
sich  bewegenden  Variabein  s,  t  und  setzt  man 

X{s,  i)  =0  für  a  ^  s  <     ft ,  a  ^t  <    h, 

=  k{s,t-h^a)  „  a^s<    h,  h£f  £2h  —  a, 

=  ^{tyS  —  h  +  a)  „  h£s£2h-  a,  a  ^t<b, 

=  0  „  b£s£2b-a,  h£t^2h-a, 

so  stellt  K{s,  t)  eine  symmetrische  Funktion  der  im  Intervall  a  bis  2h  —  a 
sich  bewegenden  Variabein  s,  t  dar.  Die  Anwendung  meiner  Theorie  auf 
diesen  Kern  K(s,  t)  führt  unmittelbar  zu  den  Entwickelungssätzen  von 
E.  Schmidt^),  betreffend  den  unsymmetrischen  Kern  ^(s,  t). 

])  a.  a.  0.   6  12— §  14 


Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung.  195 

Fünfzehntes  Kapitel. 

Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung. 

Wenn   Jc{s)   irgendeine   gegebene  Funktion  von   s  bedeutet,  so  möge 

allgemein 

fj 

f(s)  =  Jc(s)(p(s)  -  xjK{s,  t)(p{t)(U 

a 

eine  Integralgleichung  dritter  Art  heißen.  Es  sei  im  folgenden  K{s,  t) 
eine  symmetrische  Funktion  von  s,  t  mit  der  Eigenschaft  eines  positiv 
definiten  Kerns,  d.  h.,  wenn  u(s)  irgendeine  stetige  Funktion  bedeutet, 
so  möge  immer 

b   b 

JJK{s,  t) u {s) u(t)dsdt^O 

a  II 

ausfallen;  ferner  setzen  wir  insbesondere 

wo  y{s)  eine  Funktion  von  s  bedeutet,  die  streckenweise  abwechselnd 
die  konstanten  Werte  +  1  oder  —  1  und  überhaupt  keine  anderen  Werte 
annimmt  und  zwar  so,  daß  V^s)  wenigstens  an  einer  SteRe  innerhalb  des 
Intervalls  a  bis  &  und  sicher  nur  an  endlich  vielen  Stellen  sein  Zeichen 
ändert;  die  so  entstehende  Integralgleichung 

6 

(49)  f{s)  =  Vis)  cp  (s)  -  xJK{s,  t)  cp  (t)  dt 

a 

mit  symmetrischem  definitem  Kern  werde  der  Kürze  halber  als  polare 
Integralgleichung  bezeichnet. 

Mit  Hilfe  unserer  Theorie  der  quadratischen  Formen  unendlich  vieler 
Variabler  gelingt  es,  für  die  polare  Integralgleichung  eine  analoge  Theorie 
zu  entwickeln  wie  für  die  orthogonale  Integralgleichung.  Dabei  bedarf  es 
als  Bindeglied  und  zur  Verraittelung  zwischen  Integralgleichung  und  qua- 
dratischer Form   irgendeines   Systems    von  unendlichvielen  Funktionen 

n,{s),  n,{s),... 

der  Variabein   s,  die   im  Intervall  5  =  a  bis  s  =  1)   stetig  ev.   abteilungs- 
weise stetig   mit  endlichvielen  Sprungstellen  an   bestimmten  Punkten  des 
Intervalles  sind  und  die  folgenden  Eigenschaften  erfüllen : 
I.  die  Polaritäts-Eigenschaft 

b 

J  v{s)  Ji,  iß)  n,  (s)  ds  =  0  (ij  +  q), 

im 

Jv{s){n^{s)yds      =vp, 

a 

13* 


196  Kap.  X\'.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung, 

wobei  zur  Abkürzung 

t'l   =   +    1  ,        V.,   =  —l,        V3   =  +    1  ,        V^  =  —   l,        Vr,   =    +    1,        ... 

gesetzt  ist-, 

II.  die  VollständigJceits-Iielation,  die  darin  besteht,  daß  identisch 
für  jedes  Paar  stetiger  Funktionen  u{s),  v{s)  der  Variabein  s 

h  h  h 

fV{s)u(s)ds  =  v^f  V(s)u(s) ni(s)ds  fV(s)v{s) ni{s)ds 

a  a  a 

h  h 

+  ^2  /  V{s)  II  iß)  JTg  {s)dsj  V{s)  V  (s)  TTg  (s)  ds  +  ■'- 

a  a 

wird. 

Wir  bezeichnen  ein  solches  System  von  Funktionen  n^(s),  IJ^is),  .  .  . 
als  ein  polares  vollständiges  FunJitionensystem  für  das  Intervall 
s  =  a  bis  s  =  h. 

Ist  u(s)  irgendeine  im  Intervall  s  =  a  bis  s  =  &  stetige  Funktion 
von  5,  so  mögen  die  Integrale 

h  I, 

^1 J  V{s) ii{s) 77i (s)  ds ,     V.,  f  V{s) a (s)  11^ (s) ds,     ... 

a  (I 

die   Fourier -Koeffizienten   der  Funktion  u{s)   in  bezug  auf  das   polare 
vollständige  Funktionensystem  n^{s),  U^is),  .  .  .  heißen  und  mit 

[w(*)]l,    [m(*)12,--- 

bezeichnet  werden,  so  daß  allgemein 

/< 
[**(*)]p  =  VpfV(s)u(s)n,(s)ds  {p  =  1,2,...) 

a 

wird. 

Bei  Benutzung  dieser  Bezeichnungs weise  nimmt  die  obige  Voll- 
ständigkeits-Relation die  Gestalt  an: 

(51)      Jr{s)u(s)v(s)ds  =  v,[ri{*)l\vi*)\  -\-  ik[u{*M^i*)]  +  ••••• 

a 

Um  für  das  Intervall  a  bis  h  ein  polares  vollständiges  Funktionen- 
system zu  konstruieren,  fassen  wir  einmal  die  Teilintervalle  ins  Auge,  in 
denen 

Vis)  =  +  1 

ausfällt,  und   bestimmen  für  dieses  IntervaUsystem   ein  orthogonales  voll- 
ständiges Funktionensystem: 

0P(s),  0,i'Ks),  ...; 

sodann  fassen  wir  die  Teilintervalle  ins  Auge,  in  denen 

Vis)  =  -  1 


Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung.  197 

ausfällt,    und   bestimmen   für   dieses  Intervallsystem    ebenfalls   ein   ortho- 
gonales vollständiges  Funktionensystem 

0/-)(s),  ^,i-\s),  .... 
Setzen  wir  nunmehr 

77,(s)=*,(-)(s), 

77.,(s)  =  0, 

JT,(s)  =  0, 


sobald  s  in  einem  der  ersteren  Teilintervalle  liegt,  und 

77,(5)  =  ^,(-)(s), 
773(5)  =  0, 

n,{s)  =  o, 


sobald  s  in  einem  der  letzteren  Teilintervalle  liegt,  so  erkemien  wir  sofort^ 
daß  die  so  definierten  Funktionen  n^{s),  773(5),  .  .  .  sowohl  die  Polaritäts- 
Eigenschaft  besitzen,  als  auch  die  Vollständigkeits-Relation  erfüllen. 

Wir  bilden  nun  durch  Vermittelung  des  polaren  vollständigen  Funk- 
tionensystems  77^ (s),  Tljs),  ...  aus  dem  Kern  K(s,t)  der  vorgelegten 
polaren  Integralgleichung  eine  Bilinearform,  indem  wir  analog  wie  in 
Kapitel  XIV 

k,{s)  =  [^(5,  *)],  =  vJ'V{t)Kis,t)n,{t)dt, 
(52) 

K'j  =  [K(*)']p  =  ^P^'JfHs)  y(t)^(ß,  t)n^{s)n^{t)dsdt 

a     a 

setzen.     Wegen  der  Symmetrie  von  7^(5,  t)  in  5,  t  haben  wir 

und  demnach  ist  die  mit  den  Koeffizienten  h^^  gebildete  Bilinearform 

eine  solche,  wie  sie  aus  der  quadratischen  Form 

(53)  K{x)  =  ^k^,jXpX^ 

(p,  9) 
abgeleitet  wird. 


198  Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polafen  Integralgleichung. 

Nun  ist  unser  spezielles  Polarsystem  /7i(5),  H^is),  .  .  .,  wie  sich  un- 
mittelbar aus  seiner  Definition  ergibt,  auch  zugleich  ein  orthogonales  voll- 
ständicres  Funktiouensvstera  für  das  Intervall  a  bis  b:  für  den  in  dieser 
Auffassung  gel)ildeten  Fourier- Koeffizienten  einer  Funktion  u{s)  ergibt 
sich  leicht 

/.  b 

{u{*)]p  =  fu{t)n^{t)dt  =  v,fv(t)u(t)nj,{t)dt  =  [ii{*)]p, 

n  n 

und  daher  sind  insbesondere  auch  Ä^^  als  Fourier-Koeffizienteu  von  K{s,  t) 
in  bezug  auf  ein  orthogonales  System  anzusehen;  wir  können  also  genau 
wie  in  Kapitel  XIV  (S.  186)  schließen,  daß  K{x)  eine  vollstetige  Funk- 
tion der  unendlichvielen  Variabein  ist.  Überdies  ist  K{x)  eine  positiv 
definite  Form;  denn  der  nte  Abschnitt  derselben  läßt  sich  in  die  Gestalt 
bringen 

h    b 

Kip)  =  2  VpV.XpXg  ff  Vis)  V{t)K{s,  t)np{s)n,{t)dsdt 

{p,q=l,2,...,n)  ^^ 

b   b 

=  JJK{s,  t)P{s)P(t)dsdt, 

a   a 

worin  zur  Abkürzung 

'   (p  =  l,2,...,n) 

gesetzt  ist;  das  letztere  Doppelintegral  besitzt  aber  gewiß  keine  nega- 
tiven Werte,  da  K(s,  t)  nach  Voraussetzung  ein  positiv  definiter  Kern  ist. 
Infolge  dieser  Tatsachen  ist  die  Anwendung  des  Satzes  38*  in  Ka- 
pitel XII  (S.  162)  auf  die  Form  K{x)  und  die  mit  abwechselnden  Vor- 
zeichen gebildete  Form 

V{x)  =  v^x^^  +  v^x^^  -\-  ■  ■  •  =  x.^^  ~  x^^  -\ •  ■  • 

gestattet,  und  dieser  Satz  liefert  für  jene  quadratische  Form  eine  Dar- 
stellung 

(54)  Kix)  =  J^\x)  +  J,Hx)  +  •  •  • ; 

darin  sind  ^i(^),  ^d^(x)  .  .  .  stetige  Linearformen,  die  den  Relationen 

(55)  ^,(.)F(.,.;4X.)  =  0  ip  +  q\ 

(56)  J,{.)V(.,,)J,i.)  =  t, 

genügen,  wo  f^,  fg»  •  •  •?  wenn  in  unendlicher  Anzahl  vorhanden,  gegen 
Null  konvergente  Größen  sind.     Aus  (54),  (55),  (56)  folgt  überdies 

(57)  J,{.)V(.,.)K{,,x)  =  %J,{x). 

Aus  den  obigen  Bemerkunoren  über  die  orthogonale  Natur  des  Funk- 
tionensystems  n^(s),  /7o(s),  .  .  .  folgt  auch  wie  oben 

b 

f((K(s,  {)ydt  =  \\s)  +  i,\s)  +  ..... 


Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung.  199 

Setzen  wir  daher 

Jp{x)  =  XpiX^  -f  Xp^x^  -\ (i>.=  1,  2,  •  •  •), 

so  finden  wir  analog  wie  in  Kapitel  XIV,  daß  die  Reihe 

(58)  ylp{vl-{s))  =  Xp,vjc,{s)  +  Xp,v,l-2{s)  +  ••• 

gleichmäßig   konvergiert   und   also   eine  stetige  Funktion   in  s  bestimmt. 

Durch  Multiplikation  mit  ü,^  F(s)  TZ^ (s)  und  Integration    nach    .s  erhalten 

wir  wegen  (52) 

[Ap{vk(*))\  =  Ipivjci  +  Ip^v^kj^  +  ••••. 

Andererseits  liefert  die  Vergleichung  der  Koeffizienten  von  x.^  auf  beiden 

Seiten  von  (57) 

V^i^'yi  +  ^p2^2^\ß  +  •  •  •  =  ^pXpj, 
und  folglich  ist 

(59)  [M^k(*))l=%2,^^. 

Ist  nun  insbesondere  f  =  0,  so  folgt  aus  (59)  —  da  ja  nach  einer 
obigen  Bemerkung  die  Größen  [^„(y^'C*))],^  auch  zugleich  Fourier-Koeffi- 
zienten  in  bezug  auf  ein  orthogonales  vollständiges  System  sind  —  wie 
oben  (S.  189),  daß  die  Funktion  A^^vhiß))  identisch  Null  ist.  Anderer- 
seits bezeichnen  wir  die  von  Null  verschiedenen  Größen  f^;  mit  x  (p=  1,2,...) 
und  die  entsprechenden  Linearformen  A  >  mit  A'  sowie  deren  Koeffizienten 
mit  yl'  j,  A'  2j  •  •  •;  setzen  wir  dann 

(60)  A'^ivk{s))=^    xjris)7t^is), 

so  sind  :/rj(s),  ^^2(^)7  •  •  •  abteilungsweise  stetige  Funktionen  von  s,  für  die 
wegen  (59) 

[n*)^(*«=(+i),  '^ 


wird,  wo  (+  1)     den  Wert  +  1    oder  —  1  bedeuten  soll,  je  nachdem  y. 
positiv  oder  negativ  ist. 

Nehmen  wir  nun  in  der  Vollständigkeits-Relation  (51) 

u(s)  =  V(s)7i^Xs),     v(8)  =  F(s);r,/s), 
so  lehrt  dieselbe 

fV(s):r.^Xs)^,^{s)ds  =  (±  l)/±  i\~^{v,X],,l',^,  +  v,k'^,,l\^,  +  •  •  •} 

=  (±iX(±i),-^^;(-)F(.,.)^;(.) 

und  folglich  wegen  (55)  und  (56) 

fV{s)7t/s)7t,^(s)ds  =  0  (i?H=7), 

(61) 

fr{s){^^{s)yds    =(±1)/. 


200  Kap.  XY.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung. 

uegm   des  Bestehens    dieser    Gleichungen  sagen  wir,    daß   die  Fmiktionen 
n^{s),  Tt^{s), . .  .  ein  polares  FmiJiHonensystem  hilden. 

Nehmen  wir  ferner   in  der  Vollständigkeits-Relation  (51)  /  als  Inte- 
grationsvariable und  setzen 

u{t)  =  K(s,t),     i'(0=^(0^(0, 

so  folgt  mit  Rücksicht  auf  (58),  (60) 
* 

(62)  fK(s]  t)7t^(t)dt  =  (±  1)^--^  (vAis)^',,  +  v,k,{s)k'^,  +  .  •  0 

=  ^  V{s)Xp{s), 

einführen, 

(63)  F(5)^/5)  =  kjK{s,  t)7t^(t)dt- 

a 

d.  h.  die  zu  unserer  ursprünglichen  vorgelegten  polaren  Integralgleichung  (49) 
gehörige  homogene  polare  Integralgleichung 

h 

(64)  V(s)  (p (s)  -  ifKis,  f)  (p  (t) dt  =  0 

a 

besitzt  für   l  =  A     die    wegen    (61)    geiriß    nicht   identisch   verschuindende 
Lösung  (p{s)  =  ^  Js). 


oder  wemi  wir 

1 


Wir  wenden  uns  nun  zu  der  wichtigsten  Frage,  nämlich  der  Frage 
nach  der  Entwickelbarkeit  einer  willkürlichen  Funktion  in  eine 
Reihe,  die  nach  den  Funktionen  des  polaren  Systems  n^^{s)f  7t^{s)f  .  .  .  fort- 
schreitet. 

Bei    dieser    Untersuchung    legen    wir    die    aus    (54)    hervorgehende 
Identität 
(65)  K{x,  y)  =  A, (x) A, (y)  +  A, (x)  A,{y)  +  •  •  ■ 

zugrunde  und  wenden  auf  den  hier  rechts  stehenden  Ausdruck  die 
analoge  Betrachtung  an,  wie  sie  in  Kapitel  XIY  auf  den  Ausdruck  (41) 
angewandt  worden  ist.  Wir  verstehen  dann  wiederum  unter  g{s)  eine 
willkürliche  in  s  stetige  Funktion  und  setzen  in  die  Identität  (65) 

ein.  Da  mit  Rücksicht  auf  die  Vollständigkeits- Relation  (51)  mit  Hilfe 
von  (52) 


Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung.  201 

b 

a 

=  \  fK{s,*)g{s)ds 


wird,   so    bekommt    die   linke  Seite  jener  Identität  (65)   nach   Einsetzung^ 
von  (66)  den  Wert 


i\\{s) 


+  vJ{Js) 


fK(t,  *)g(t)dt 


+ 


l>        0 

=JjK{s,  r)  V{r)K{r,  t)y{i)drdt. 


Andererseits    wird   bei   Heranziehung  von   (59)   und   der  Vollständigkeits- 
Relation  (51) 


-  ^J  j;{v]c(s))9{s)ds 

a 

?      / 

=  ^-^jy{s)^,{^)cj{s)ds. 


Folglich  geht  die  rechte  Seite  jener  Identität  (65)  nach  der  Substitution  (66) 
mit  Rücksicht  auf  die  Tatsache,  daß  A^{vli{s))  verschwindet,  sobald  !^ 
NuU  ist,  und  mit  Bemerkung  von  (60)  in 


V{s)  Ui  I  Jfi  i  /  V{s)  %^  {s)g{s)  ds  ■  ;tj  (s)  +  Xg  |  JCg  I  /^(^)  ^2  («)  9  («)  ds  •  ti^  (s)  + 

'  a  a 

über.     Setzen  wir  daher 

(67)  /•(«)  =jjv{s)K{s,  t)  V{t)K{t,  r)g{r)dtdr 


a    a 
b 


=JVKVK(s,r)g{r)dr, 

a 

WO  zur  Abkürzung 

6 

VKVK{s,  r)  ==fr(s)K(s,  t)  V(t)K(t,  r)dt 

a 

gesetzt  ist,  und  setzen  wir  ferner,  indem  wir  (62)  berücksichtigen, 


202  Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung. 

SO   führt   die  Vergleichung  beider   Seiten   der  Identität   (65)   nach  Multi- 
plikation mit   V(s)  zu  der  Formel 

f(s)  =  Ci7li(s)  -\-  C^_7t.2{s)  +  ■  ■  ■ , 

WO   die  Reihe   rechter  Hand  nach   den    obigen  Ausführungen  stleichmäßig 
und  absolut  konvergiert;  d.  h.  wir  erhalten  den  Satz: 

Satz  41.  Jede  durch  Vermittlung  einer  stetigen  Funktion  g(s)  in  der 
Gestalt  (()7)  darstellbare  Funktion  f(s)  läßt  sich  auf  Fouriersche  Weise  in 
eine  nach  den  FiinJctionen  jt^i's),  n.^{s),  .  .  .  fortsei ireit ende  gleichmäßig  und 
absolut  konvergente  Reihe 

f{s)  =  Cialis)  -\-c,:t,{^  +  •••, 

a 

entivickeln. 

Die  Werte  A^,  I.2,  ...  wachsen,  wenn  in  unendlicher  Zahl  vorhanden, 
absolut  genommen  über  alle  Grenzen;  sie  und  die  zugehörigen  polaren 
Funktionen  ^liß),  n^is),  .  .  .  sind  wesentlich  durch  K(s,  t)  und  V{s)  be- 
stimmt; wir  nennen  sie  die  Eigentverte  bzw.  Eigenfunktionen  der  polaren 
Integralgleichung  (49).  Den  Eigenwerten  und  Eigenfunktionen  einer  polaren 
Integralgleichung  kommen  die  entsprechenden  Eigenschaften  zu,  wie  wir 
sie  oben  in  Kapitel  XIV  im  Falle  der  orthogonalen  Integralgleichung 
gefunden  haben.  Insbesondere  erkennen  wir  durch  ganz  analoge  Betrach- 
tungen folgenden  Satz: 

Satz  42.  I)ie  zur  polaren  Integralgleiclmng  (49)  gehörige  homogene 
polare  IntcgralgleicJiung  (G4)  besitzt  nur  für  diese  Eigenwerte  l  =  X  eine 
nicht  verschuindende  Lösung,  und  die  zu  X  gehörigen  polaren  Eigenfunktionen 
bzw.  deren  lineare  Komlnnationen  sind  auch  die  einzigen  Lösungen  der 
homogenen  Integralgleichung  (64). 

Besitzt  eine  polare  Integralgleichung  nur  eine  endliche  Anzahl  von 
Eigenwerten  Aj,  .  .  .,  A,,,  so  folgt  aus  dem  Entwicklungssatze  wegen 

b  h 

(±  %l'm  Vis)7t^is)ds  =  ^fv{s)7t^Xs)9is)ds        ip  =  1, . .  .,  n) 

a  a 

sofort 

b 

f{s)  =^  JVKVKis,  r)g{r)dr 

a 

b  b 

=  XjV"  J  '^i'')^i(:^)9{r)dr.x^{s)  -|-  ■■■+xj^,j  yi?-)^rh'^9(.r)dr-:ij^s\ 

a  a 

und   da  diese  Gleichung  für  jede   stetige   Funktion  g{r)   statthaben   muß, 
so  ercfibt  sich 


Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung.  203 

VKrKis,  t)  =  F(0{,-\~|;r,(s);r,(0  +  •  •  •  +  ,^  ,\^^   ^Js)^Ji)] 
oder  nach  Multiplikation  mit   V{s) 

h 

jK{s,r)  V(:r)K{r,t)dr=V(s)V{t)  {^^-^;r,(5);r,(^)  +  ...+^-i^;r„(s);r„(0), 

d.  h.  Kis,  t)  ist  eine  derartige  Funktion  von  s,  t,  daß,  ivcnn  man  die  Funktion 

b 
K  VK{s,  t)  =fK(s,  f)  V{r)K(r,  t)dr 

a 

bildet  und  darin  eine  der  beiden  Variahein,  etiva  t,  als  Parameter  auffaßt, 
diese  Funktion  KVK{s,  t)  für  beliebige  t  nur  n  linear  unabhängige  Funktionen 
der  anderen  Variabein  darzustellen  vermag;  insbesondere  ist  gewiß  ein 
Eigeniveti  der  polaren  Integralgleichung  immer  vorhanden,  ivenn  nicht 
K  VK{s,  i)  identisch  in  s,  t  verschwindet. 

Die  letzte  Aussage  gestattet  die  Umkelirung.  In  der  Tat,  verschwindet 
KVK{s,  t)  identisch  in  s,  f  und  besäße  dann  die  homogene  polare  Integral- 
gleichung (64)  für  irgendeinen  Wert  von  X  eine  Lösung  ^(5),  so  würde 
durch   Multiplikation   derselben   mit  Kir,  s)  V(s)   und   Integration   nach  s 

b  h 

jK{r,  s)(p{s)ds  -  ijKVKir,  t)cp{t)dt  =  0, 

a  a 

mithin 

h 

fK{r,s)(p(s)ds^O 

a 

und  wegen  (64) 

'        ^{s)  =  0 

folgen,    d.  h.  die  polare  Integralgleichung  besitzt  geiviß  keinen  Eigenwert, 

wenn  KVK{s,  t)  identisch  verschtvindet. 

Nehmen  wir  beispielsweise  das  Intervall  a  =  0  bis  b  =  \, 

Vis)  =  +  1     für     0  ^  s  <  I, 

V{s)  =  -  1     für     \£s^l 
und 

K{s,  t)  =  K{s  +  -h  t)  =  K{s,  t  +  X), 

so  gewinnen  wir  eine  polare  Integralgleichung  mit  nicht  verschwindendem 
Kern  ^(5,  t),  die  keinen  Eigenwert  besitzt,  da,  wie  leicht  erkannt  wird, 
die  Funktion  KVK{s,  t)  identisch  verschwindet. 

Wird  von  dem  Kern  ^(5,  t)  der  vorgelegten  polaren  Integralgleichung 
vorausgesetzt,  daß  er  ein  allgemeiner  ist,  so  läßt  sich  leicht  zeigen,  daß, 
wenn  f{s)  eine  beliebige  stetige  Funktion  und  £  irgendeine  noch  so  kleine 
positive  Größe  bedeutet,  stets  mittelst  geeigneter  Koeffizienten  eine  solche 


204  Kap.  XV.     Die  Theorie  der  polaren  Integralgleichung, 

lineare  Kombination  f*{s)  aus  einer  endlichen  Anzahl  der  Eigeufimktionen 

:rj(s),  ^2(^)7  •  •  •  gebildet  werden  kann,  daß 

/, 
J'(fis)-risjyds<e 

a 

ausfällt.  Ferner  ist  dann  die  quadratische  Form  K{x)  abgeschlossen 
(S  194),  und  wir  können  daher  in  der  obigen  Entwicklung  an  Stelle  des 
Satzes  38*  in  Kapitel  XII  den  Satz  38  ebenda  (S.  156)  anwenden;  wir 
finden  so,  daß  in  diesem  Falle  die  polare  Integralgleichung  sonohl  unend- 
lich viele  positive  als  auch  unendlich  viele  negative  FAyemrerte  besitzt. 

Wie  man  unmittelbar  sieht,  bleiben  die  sämtlichen  Entwicklungen 
und  Resultate  der  Kapitel  XIII,  XIV,  XV  gewiß  dann  gültig,  wenn  der 
Kern  K{s,t)  Singularitäten  von  niederer  als  der  .Vten  Ordnung  besitzt  — 
in  dem  Sinne,  den  wir  in  Kapitel  VI  (S.  31)  festgesetzt  haben;  denn  dann 
bleibt  {Kis,  tff  integrierbar  und  daher  die  aus  K{s,  t)  entstehende  bilineare 
bzw.  quadratische   Form  stetig. 

Aber  es  zeigt  sich  sogar,  daß  im  wesentlichen  die  al)solute 
Integrabilität  des  Kerns  —  wenn  dieser  bei  s  -=  t  unendlich  Avird  — 
für  die  Gültigkeit  der  Theorie  genügt.  Hier  sei  nur  erwähnt, 
daß  der  Beweis  hierfür  wiederum  in  der  einfachsten  Weise  mittelst 
der  Methode  der  unendlich  vielen  Variabein  durch  eine  geringe  Modi- 
fikation des  obigen  Verfahrens  gelingt,  während,  wie  es  scheint,  alle 
bisher  zur  Auflösung  der  Integralgleichungen  benutzten  Methoden  ,  ins- 
besondere auch  die  Methode  von  Fredholm  nicht  anwendbar  sind,  da  für 
einen  solchen  Kern  die  im  Nenner  der  „Fi-edholmschen  Resolvente"  auf- 
tretende Potenzreihe  nicht  konvergieren  muß  und  auch  für  keinen  der 
durch  Iteration  entstehenden  Kerne  die  Konvergenz  der  entsprechenden 
Potenzreihe  stattzufinden  braucht.  Um  mittelst  der  Methode  der  un- 
endlich vielen  Variabein  die  Lösung  der  Integralgleichung  in  diesem  Falle 
zu  erzielen,  bedienen  wir  uns  des  Satzes,  daß  die  aus  einem  Kern  Kis,  t) 
entspringende  Bilinearform  mit  unendlich  vielen  Variabein  gewiß  voll- 
stetig ausfällt,  sobald  die  Singularität  des  Kerns  von  der  Art  wie  f{s  —  t) 
ist,  wo  f{x)  eine  bei  x  =  0  absolut  integrable,  sonst  stetige  Funktion  be- 
deutet. Man  hat  alsdann  zum  Beweise  nur  nötig,  diejenige  Integral 
gleichung  heranzuziehen,  der  die  Funktion 

s 

^(s)  =J(p{s)ds 

a 

genügt. 


Kap.  XYI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen.        205 
Sechszehntes  Kapitel. 

Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen  auf 

Differentialgleichungen  und  auf  Systeme  von  simultanen 

Differentialgleichungen. 

Die  im  vorigen  Kapitel  XV  gefundene  Entwicklung  willkürlicher 
Funktionen,  die  nach  polaren  Funktionen  fortschreiten,  bildet  eine  wesent- 
liche Ergänzung  der  bekannten  Entwicklungen  nach  orthogonalen  Funk- 
tionen; insbesondere  kommen  in  der  Theorie  der  Diiferentialgleichungen 
polare  Funktionensysteme  neben  den  orthogonalen  Systemen  zur  An- 
wendung und  erweisen  sich  dann  als  ein  ebenso  notwendiges  Hilfsmittel, 
wie  die  in  der  Literatur  bisher  allein  behandelten  orthogonalen  Funktionen- 
systeme. 

So  ist  bisher  in  der  bekannten  Sturm-Liouvilleschen  Theorie  der 
Differentialffleichung  ^) 


(68)  -^p  +iq-{-Xk)u  =  0 

stets  die  Voraussetzung  gemacht  worden,  daß  A*  eine  im  betrachteten 
Intervalle  a  bis  b  positive  Funktion  sei.^j  Lassen  wir  diese  Voraus- 
setzung fallen  und  nehmen  vielmehr  an,  daß  Je  eine  stetige  Funktion  sei, 
die  im  Intervalle  a  bis  b  eine  endliche  Anzahl  von  Malen  ihr  Vorzeichen 
wechselt,  so  führt,  wenn  q  ^0  ausfällt,  die  in  Kapitel  VII— VIII  dargelegte 
Methode  nicht  wie  dort  auf  eine  orthogonale,  sondern  auf  eine  polare 
Integralgleichung  mit  definitem  Kern,  und  da  dieser  Kern  überdies  all- 
gemein ist,  so  zeigt  die  im  vorigen  Kapitel  XV  begründete  Theorie,  daß 
die  DiflFerentialgleichung  (68)  nunmehr  sowohl  für  unendlich  viele  positive, 
wie  für  unendlich  viele  negative  Werte  des  Parameters  X  —  die  so- 
genannten Eigenwerte  —  Lösungen  besitzt,  die  den  betreffenden  homo- 
genen  Randbedingungen  genügen  und  die  Eigenfunktionen  der  Diffe- 
rentialgleichung  heißen  mögen.  Diese  Eigenfunktionen  bilden,  von  dem 
Faktor  y\k  abgesehen,  ein  polares  Funktionensystem,  und  es  folgt  der 
Satz,  daß  jede  viermal  stetig  differenzierbare  Funktion,  die  in  den  lland- 
punkten  a,  b  und  den  Nullpunkten  von  Ic  gewisse  Bedingungen  erfüllt, 
sich  in  eine  nach  jenen  Eigenfunktionen  fortschreitende  Reihe  entwickeln 
läßt.     Wir   erkennen   somit,   daß   aUe   wesentlichen  Aussagen   der   Sturm- 


1)  Vgl.  Kapitel  VII. 

2)  Vgl.  indes  Bücher,  Bulletin  of  tlie  Amer.  Math.  Soc,  Vol.  IV  (1898),  pag.  307, 
wo   das   die  Gleichung  )j"  =  (p{x,X)y  betreffende  Oszillationstheorem   bewiesen  wird. 


206        Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleicliuugen. 

Liouvilleschen  Theorie  unabhängig  von  der  Voraussetzung  des  definiten 
Charakters  der  Funktion  Je  gültig  bleiben,  wenn  nur  die  Funktion  ^9  den 
definiten  Charakter  besitzt  und  q  ^0  ist. 

Die    in    Kapitel  VIII    gegebene    Theorie    der    partiellen    Differential- 
gleichung 

.     du        ^     du 

^-  +  ^  +  («  +  ">-o 

gestattet  nunmehr  die  entsprechende  Erweiterung  auf  den  Fall,  daß  die 
stetige  Funktion  /.•  in  einer  endlichen  Anzahl  von  regulär  begrenzten 
Teilgebieten  innerhalb  des  Gebietes  J  verschiedene  Vorzeichen  besitzt. 
Wir  erkennen  wiederum  genau  auf  dem  eben  angedeuteten  Wege,  daß 
diese  partielle  Differentialgleichung  sowohl  für  unendlich  viele  positive, 
wie  für  unendlich  viele  negative  Werte  des  Farameters  A  der  betreffenden 
homogenen  Randbedingung  genügende  Lösungen  besitzt*),  nach  denen 
sich  gewiß  eine  jede  viermal  stetig  differenzierbare  Funktion  entwickeln 
läßt,  wenn  sie  auf  dem  Rande  sowie  in  den  Grenzkurveu  jener  Teilgebiete 
gewisse  leicht  anzugebende  Bedingungen  erfüllt. 


Die  in  Kapitel  VII— VIII  entwickelte  Theorie  der  linearen  gewöhnlichen 
und  partiellen  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  läßt  sich  auch  auf 
Systeme  von  simultanen  linearen  Differentialgleichungen  aus- 
dehnen. Dies  soll  an  dem  Beispiel  des  Systems  zweier  Differential- 
gleichungen zweiter  Ordnung  mit  einer  unabhängigen  Variabein  gezeigt 
werden. 

Es  seien  Ui{x),  ««aC^)  die  zu  bestimmenden  Funktionen  der  unab- 
hängigen Variabein  x  und 

+  2qij^{x)Ui'u^  -f  2q^^Uy'u^  +  2q^^H^'u^  -\-  2q,,^u.2U^ 

ein  homogener  quadratischer  Ausdruck  in  u^,  u^  und  den  ersten  Ableitungen 

,       dn^  {x)  ,       du^  (x) 

^^1  ^     d^'      *'2  =  -'i-^    y 

dessen  Koeffizienten  Jhi^  P12;  Ihiy  '/m  '/u'?  'hn  ^22?  ''m  ^"12?  ^22  gegebene 
stetige  Funktionen  von  x  sind  und  worin  überdies  p-^^^p^^  —  Pi-,^  für  keinen 
Wert  des  Intervalles  x  ^^  a  bis  x  =  h  verschwinden  soll. 


1)  Die  Existenz  dieser  Funktionen  für  die  partielle  Ditferentialgleichung 
^u  -\-Xku  =  (i  hat  bereits  M.  Mason  nach  einer  von  mir  herrührenden  Methode 
gezeigt;  Journ.  de  Math.  1904. 


Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen.        207 
Durch  Xullsetzen  der  ersten  Variation  des  Intesfrals 


D{ui,  u.,)  =jQ(uy,  u^',  Ui,  u^dx 


entsteht  das  System  der  zwei  linearen  Differentialgleichungen 
(69)  L^{u^,  Wo)  =  0,     1-2 ("i?  %)  =  0, 

Avenn  zur  Abkürzung 

dQ 


(70) 

'     dQ 


gesetzt  wird. 

Bedeuten  v^,  i\  wiederum  zwei  Funktionen  von  x,  so  finden  wir 
durch  Anwendung  der  Produktiutegration  das  Analogon  der  Greenschen 
Formel,  wie  folgt 

b 

(71)        J[v^L^{ii)  —  u^L^{v)  +  v^UiiC)  —  iL-^L^{v)\dx 

_  1  r,  s3-        13   \   .   '^^         ^<?t 

-  L  ^  dii'i  ^  dVi  •  ou^  -  dv^  Ja 

Wir  wollen  nun  die  Lösungen  u^^s),  u^is)  der  Differentialgleichungen  (69) 
bei  homogenen  Randbedingungen  nach  Analogie  der  in  Kapitel  VII 
(S.  41 — 42)  aufgestellten  Bedingungen  I — V  unterwerfen.  Der  Kürze 
halber  ziehen  wir  jedoch  hier  nur  die  Forderung  des  Verschwindens  beider 
Funktionen  an  den  Randpunkten  a,  h,  also  die  Randbedingungen 

^     ^  ii^{a)  =  0,     «2(6)  =  0 

in  Betracht.      Wir   nehmen  nunmehr   an,   es   gäbe   zwei    den   Parameter  ^ 

enthaltende  Systeme  von  Lösungen  der  Differentialgleichungen  (69) 

.-gx  «1  =  <^n{^,  ^),    i    «1  =  ^12 (^;  !>), 

U.  =  6^21  {^,  I),       U.2  =  G^,^{x,  I) 
von  folgender  Beschaffenheit: 

1.  Die  vier  Funktionen  G^^,  G^i,  G^^,  G.^.^  ^^^^  sämtlich  zweimal 
stetig  differenzierbare  Funktionen  für  alle  x  mit  Ausnahme  der  Stelle  x  =  ^ 
innerhalb  des  IntervaUes  a  bis  ?>;  für  x  =  'i  sind  jene  vier  Funktionen 
vielmehr  von  der  Gestalt 

Gj ,  (x,  I)  =  -  i.Tu (I)  A'  -  I  +  >S;i {x),  (?i2 {x,  I)  =  -  -i-;ri2 (I)  -r  -  £  +  S,^ {x\ 
Gn{x,i,)  =  -^r:t,,{t)\x-i>  +S^,{x),  G,,{x,i)==-^:i^,{t)\x-k\-^S,,{x\ 
wo  rTij,  -Tj2,  HTgi,  :r22  die  aus  den  Gleichungen 


208        Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen. 
'"^iiPu  +  ^2ii'i2  =  1  j       ^nlhi  +  -T22P12  ==  Ö' 

zu    bestimmenden    Funktionen    des  Parameters  |,    und    ^u,  S^^,   S^^,   S.,^ 
stetig  differenzierbare  Funktionen  von  .r  sind. 

2.  Die  beiden  Funktionenpaare  G^,  (?.2i  und  (tjj,  G^a  genügen 
identisch  in  |  den  Randbedingungen  (72). 

Das  System  der  vier  Funktionen  (73)  heiße  dann  das  Greensche 
System  für  die  Differentialausdrücke  L^,  L^  hei  den  Rand- 
bedingungen (72). 

Setzen  wir  in  der  Greenschen  Formel  (71) 

ih=(x^i{x,^),     Vi=6^i,(a;,  ^*), 
«2  =  G^2i  (^j  ^) ;    ^'2  =  ^21  (^>  ^'')  j 


ferner 


und  endlich 


Wj  =  Gii{x,  I),     i\  =  Gi2(ä;,  I*), 
*<'2  =■  G^2i  (^j  ^) ;     «'2  =  ^22  (^'  ^*) 


«2  =   Ö22(^,  I),       «^2  =   ^22  (^;  ^*)> 

SO  finden  wir  leicht  das  Symmetriegesetz  des  Greenschen  Systems 
der  Differentialausdrücke  L^,  L.2, 

^11  V^'}  to)   =    ^11  (b;  J^)} 

G^^ix,  I)  =  Gc^^i^^x), 

Go^.2(x,  I)  =  6r22(|,  ^). 

Bezeichnen  nun  cp^(x),  (p-iix)  gegebene  stetige  Funktionen  der  Varia- 
bein X  und  verstehen  wir  unter  fi(x),  f^i^)  Lösungen  der  inhomogenen 
Differentialcrleichungen 

.^^x  L,(f„f,)  =  -9>i(^), 

die  durchweg  innerhalb  des  lutervalles  stetig  difierenzierbar  sind  und  den 
Randbedingungen  (72)  genügen,  so  finden  wir  mit  Hilfe  der  Greenschen 
Formel  (71)  ebenfalls  leicht 

f,(x)  =/{  GJx,  l)cp,{^)  +  G,.Xx,  i)^-S)]dl, 
(75) 

f,{x)  =f{  G,,{x,  ^cp.ii)  +  G,,{x,  ^)cpS)}dl 

tt 

Umgekehrt,  die  so  dargestellten  Funktionen  fi(x),  fJx)  sind  Lösungen 
von  (74)  und  genügen  zugleich  den  Randbedingungen  (72). 


Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen.        209 

Wir  definieren  jetzt  folgende  Funktion  von  x  l)zw.  .r,  %  in  dem  Inter- 
valle a  bis  2&  —  a\ 

fix)  =  /i {x)  für  a^x  <    h 

=  i\{x  —  h -{- a)  „     h  ^x  ^2h  —  a, 

(p  (x)  =  (p^{x)  „    a  ^x  <i    h, 

=  q}2{x  —  b -\- a)  „     h  ^x  ^2b  —  a, 

G{x,  ^)  =  G^^{x,l)  „    a£x<    h,         a£^<    h, 

=  6ri2(a:,  I  —  6  +  a)  „    a  ^  x  <    b,           &  ^  |  ^  26  —  a, 

=  G21  (x  —  b  -i-  a,  ^)  „     b^x^2b  — a,  a^i,<.b, 

=  (to,  (a:  —  6  -f  a,  I  —  6  +  «)    „     b  ^x  ^2b  —  a,  b  ^  ^  ^2b  —  a. 

Alsdann  stellen  sich  die  Integralgleichungen  (75)  in  der  Gestalt  der 
einen  Integralgleichung  dar  (vgl.  Kap.  XIV,  S.  194): 

(76)  fix)=fG{x,i)cp{l)dl 

a 

Die  Funktion  G{x,  |)  ist  nach  dem  vorhin  aufgestellten  Symmetriegesetz 
symmetrisch  in  bezug  auf  die  beiden  Variabein  x,  |;  sie  stellt  überdies 
einen  Kern  dar,  der,  wie  wir  aus  (74)  schließen,  abgeschlossen  und  all- 
gemein ist. 

Wir    betrachten   nun   die   durch   Einfügung   eines   Parameters  X    er- 
weiterten simultanen   Difierentialausdrücke 

-^iK,  ''2)  =  -^1(^1,  M2)  +  l{kn{x)u^  +  \^{x)n^^, 

A{^h>  ^2)  =  ^2(^*1»  w^)  +  l{Ji2i(x)u^  +  \2{x)u2), 

wo  Ä"^^,  ^12  =  ^''21 ;  ^''22  gegebene  stetige  Funktionen  von  x  sein  mögen,  deren 

Determinante  A^^^A^g  —  A:^2^  ^^^  i^^  einer  endlichen  Zahl  von  Teilintervallen 

verschiedene  Vorzeichen  besitzt. 

Wir  lösen  nun  die  Gleichungen 

^1=  ^''11^1  +  A-i2«2J 


(78) 

nach  n^,  n.^  auf,  wie  folgt 

(79) 


^2  =  ^^21 '1     I     %2^'27       \^12  ^^  '^21/7 


und  bestimmen  dann  a^^,  «jg,  Uo^,  a.^^  als  irgendwelche  Funktionen  von  x 
derart,  daß,  wenn 

«2  =  «21 9^1  +  ^22  ^2 
gesetzt  wird,  in  ^j,  (jp,  die  Identität 
(81)  ><n^i"+ 2xi2rir2-(- x22V.2-=  Fi(a;)9:i2-f-  r2(a;)9J22  ** 

Hatb.  Monogr    3:  Hubert,  lin.  lutegralgleichungen.  14 


210        Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen. 

besteht,  wo  Vi{oc),  V^(x)  Funktionen  von  .r  sein  sollen,  die  nur  die 
Werte  -f  1  oder  —  1  annehmen.  Die  Substitution  (80)  möge  ferner 
die  Identität 

/g9X  (^ll'^l{^)^\{^)  +    ^12*'l(^)^'2(^)  +    ^21^"2(^)^l(^)  +   ^22^2(^)^'2(b) 

liefern,  wo  H^^,  H^^,  -öoi?  -^22  Funktionen  von  x,  ^  werden;  endlich  be- 
zeichne H{x,  I)  diejenige  symmetrische  Funktion  von  x,  |  im  Intervalle  a 
bis  2b  —  a,   die  aus  H^i,  Uy,,  H^^,  H^^   ebenso    gebildet    ist,    wie    vorhin 

G{X,  I)    aus    (tji,  (ti2,    Cr^^,    (^22- 

Damit   haben   wir   die   Mittel   zur   Erledigung    der   Frage   gewonnen, 
ob  die  homoffenen  Differentialgleichungen 

(83)  A^iii^,  a^)  =  0,     j1^{u^,  11^  =  0 

außer  Null  Lösungen  besitzen,  die  zugleich  den  Randbedingungen  genügen. 
In  der  Tat,  aus 

ig  i^h  ,^2)  =  —  l  (Ä'2i  «1  +  ^-22  «2) 

.     folgt  nach  (74),  (75) 
u,{x)==xf{G,,(x,l^)(k,,{^)u,{^)-hl\.A)u2{^))  +  G,,{x,^ 

a 
b 

n2{x)  =  kf[G,,(x,l)ß-,,{i)u,{t>-\-Jc,2i^ni2{^))  +  G2^^^^^ 

a 

oder  nach  Ausführung  der  Substitution  (78),  (79) 

0lii{x)v^{x)  -f  JCi2(^)^2(^)  =  ^J  [G-ni^,  i)^'i(^)  +  ^12  (^;  1)^2(1)  }^^r 

a 
b 

J«2l(^)«^l(^)  +  5f22(^)^2(^)  =  ^f{  0^21  (^.  1)^1  U)  +   ^22(^;  D^gd)}^!. 

a 

Wenden  wir  endlich  auf  die  Funktionen  v^,  v^  die  Substitution  (80)  an 
und  kombinieren  diese  Gleichungen  entsijrechend,  so  erhalten  dieselben 
unter  Zuziehung  von  (81),  (82)  die  Gestalt 

b 

\\{x)cp,{x)  =  lf{H,,{x,  ^)cp,{^)  +  H,,{x,  l)cpS)]di, 

a 

}, 

\\{x)^.{x)  =  lj'{H,,{x,  ^)^i(l)  +  H,,{x,  |)(jP2(|)}^l, 

a 

oder 

26  — a 

(84)  V{x)q>{x)  -  xjH{x,  l)(p{l)dl  =  0, 

a 

wo  (p,  H  die  festgesetzte  Bedeutung  haben  und  V{x)  durch  die  Gleichungen 


Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen.        211 

r(x)  =  V^{x),  ((£x£    h, 

=  V.,{x  —  h  ^  d) ,     h^x<2h  —  a 
definiert  ist. 

Aus  (84)  haben  wir  zimäclist  (p  zu  bestimmen  und  daraus  die  Funk- 
tionenpaare 9?!,  (p.^,  alsdann  nach  (80)  v^,  v^  und  schließlich  aus  (79)  die 
gesuchten  Integrale  u^,  u^  von  (83)  zu  entnehmen.  Hinsichtlich  des 
Charakters  der  Integralgleichung  (84)  sind  zwei  FäUe  zu  unterscheiden, 
je  nachdem  Tix)  für  alle  x  dasselbe  Vorzeichen  darstellt  oder  nicht. 
Der  erste  Fall  tritt  ein,  wenn  die  quadratische  Form 

^'"ll'^l"  "T   2Z\2«iW2  +  ^"22  ^'2" 

für  alle  Argumente  x  positiv  oder  negativ  definit  ausfällt,  d.  h.  wenn  für 

alle  X 

(85)  \^  {x) ^"22  ipc)  —  \^^  {x)  >  0 

ist.  Die  Integralgleichung  (84)  ist  dann  eine  orthogonale,  und  es  gibt 
unserer  Theorie  zufolge  loieiicllicJi  viele  Werte  von  X  —  die  EigemveHe  A^^^  — , 
für  die  Lösungen  der  verlangten  Art  vorhanden  sind  —  die  zugehörigen 
Eigenfunktionenpaare  Uj^\  u^^^  jenes  DifferenUalgleiclmngssijtems  (83).  Jedes 
Paar  zweimal  stetig  differenzierbarer,  in  den  Randpunkten  verschwinden- 
der Funktionen  t\{^^}  f-ii^)  ^^^^  ^^^^  i^  Reihen  nach  jenen  Eigenfunktionen- 
paaren   simultan   mit   gleichen  Fourier-Koeffizienten   entwickeln   wie  folgt 

f,{x)  =  c,u,^%x)  ^  c,u,^')(x)  +  ■  ■  ■, 

f,{x)  =^  c,u,('\x)  +  c,ii,('){x)  -{-  ■  ■  ■. 

Ist  die  Bedingung  (85)  nicht  erfüllt,  so  wird  V(x)  gewiß  beide 
Werte  +  1  und  —  1  annehmen.  Die  Integralgleichung  (84)  ist  dann 
eine  polare  Integralgleichung  mit  definitem  Kern,  sobald  die  quadra- 
tische Form  Q{iii,  1(2',  Kl,  «2)  ^^^*'  ^li®  Variabeinwerte  x  hinsichtlich  der 
vier  Argumente  u/,  u.^,  u^^  iL,  positiv  definiten  oder  negativ  definiten 
Charakter  hat.  Ist  diese  Bedingung  erfüllt,  so  findet  die  in  Kapitel  XV 
entwickelte  Theorie  der  polaren  Integralgleichung  Anwendung,  und  wir 
erkennen,  daß  es  wiederum  unendlich  viele  und  zwar  sowohl  unendlich 
viele  positive  als  aucli  unendlich  viele  negative  Werte  von  k  —  die  Eigen- 
werte —  gibt,  für  die  Lösungen  von  der  verlangten  Art  vorhanden  sind  — 
die. zugehörigen  Eigenfunldionenpaare  jenes  Differentialghicliungssystems (83). 
Jedes  Paar  viermal  stetig  differenzierbarer  Funktionen,  die  in  Rand- 
punkten und  in  den  Nullstellen  von  /'■iiÄ'22— ^12^  gewissen  Bedingungen 
genügen,  läßt  sich  in  Reihen  nach  jenen  Eigenfunktionenpaaren  simultan 
mit  gleichen  Fourier-Koeffizienten  entwickeln. 

Daß  es  für  die  simultanen  Differentialgleichungen  (69)  stets  ein 
Greensches  Funktionensystem  ev.   im   erweiterten  Sinne   (vgl.  Kapitel  VII 

14* 


212        Kap.  XVI.     Anwendung  der  Theorie  der  polaren  Integralgleichungen. 

S.  44)  gibt,  wird  in  derselben  Weise  gezeigt,  wie  im  Falle  einer  einzigen 
Differentialgleichung. 

Eine   genau   entsprechende  Behandlung  gestatten  die  Systeme  simul- 
taner partieller  Differentialgleichungen. 


Was  die  Konstruktion  Greenscher  Funktionen  für  simultane  partielle 
Differentialausdrücke  betrifft,  so  können  wir  uns  desselben  Verfahrens 
bedienen,  das  ich  im  zweiten  Abschnitt  für  einen  einzelnen  linearen 
partiellen  Differentialausdruck  entwickelt  habe.*)  Dieses  Verfahren  er- 
fordert aber  nicht  nur,  daß  der  vorgelegte  Differentialausdruck  die  Normal- 
form besitzt,  sondern  es  setzt  auch  die  Kenntnis  der  Greenschen  Funktion 
für  den  Ausdruck  A  voraus  —  zwei  Umstände,  die  die  Verallgemeinerungs- 
fähigkeit des  Verfahrens  erheblich  beeinträchtigen.  Es  ist  daher  die  Be- 
merkung von  Wichtigkeit,  daß  bei  jenem  Verfahren  die  Eigenschaft  der 
Greenschen  Funktion,  der  Gleichung  z/  =  0  zu  genügen,  gar  nicht  wesent- 
lich benutzt  wird  und  daher  in  demselben  die  Greensche  Funktion  sich 
durch  irgendeine  Funktion  der  Variabeinpaare  xy^  t,ri  ersetzen  läßt,  die 
nur  die  übrigen  für  das  Verfahren  wesentlichen  Eigenschaften  der  Green- 
schen Funktion  besitzt.  Auf  diese  Weise  entsteht  ein  neues  Verfahren,^) 
welches,  wie  mir  scheint,  eine  sehr  weite  Anwendungsfähigkeit  besitzt, 
indem  es  auch  zum  Ziele  führt,  wenn  die  Glieder  zweiter  Ordnung  in 
den  partiellen  Differentialgleichungen  nicht  in  der  üblichen  Normal- 
form  vorgelegt  sind,  ja  sogar  auch  auf  Differentialgleichungen  erster 
Ordnung,  sowie  auf  partielle  Differentialgleichungen  von  parabolischem 
und  hyperbolischem  Typus  mit  voUem  Erfolge  anwendbar  ist.  —  Im 
folgenden  Abschnitt  wird  diese  Methode  an  dem  Beispiel  der  partiellen 
Differentialgleichung  auf  der  Kugel  ausführlich  dargelegt  werden  (Kap.  XVIII). 


1)  Betreffs  der  hier  angedeuteten  Methode  der  „Parametrix"  vgl.  den  Bericht 
über  einen  von  mir  in  der  mathematischen  (Gesellschaft  zu  Göttingen  gehaltenen 
Vortrag,  Jahresbericht  der  deutschen  Mathematiker -Vereinigung,  Bd.  16  (1907), 
S.  77—78. 

2)  Dieses  von  mir  in  Kapitel  IX  (zuerst  Gott.  Nachr.  1904,  S.  247—250) 
dargelegte  Verfahrfen  ist  dasselbe,  dessen  sich  neuerdings  auch  E.  Picard  (Rendiconti 
del  circolo  matematico  di  Palermo,  t.  XXII,  1906,  S.  2.ö0 — 254)  zur  Lösung  der  linearen 
partiellen  Differentialgleichung,  die  auch  erste  Ableitungen  enthält,  bedient  hat. 


Kap.  XVII.     Simultane  partielle  Differentialgleichungen  erster  Ordnung.      213 

Sechster  Abscliniti 

Ainveiiduiig  der  Theorie  auf  verseliiedeiie  Probleme 
der  Aiialysis  und  Geometrie. 

In  den  folgenden  Kapiteln  XVU — XXI  behandeln  wir  zunächst  die 
Randwertaufgabe  für  ein  simultanes  System  von  linearen  Differential- 
gleichungen erster  Ordnung  von  elliptischem  Typus,  sodann  wird  die 
Methode  der  „Parametrix^'  zur  Zurückführung  von  Differentialglei- 
chungen auf  Integralgleichungen  auseinander  gesetzt  \md  zur  Integration 
der  allgemeinsten  elliptischen  linearen  Differentialgleichung  zweiter  (3rd- 
nung  auf  der  Kugel  verwandt,  wobei  die  Theorie  der  Eigenwerte  und 
der  Eigenfunktiouen  auf  der  Kugel  sowie  das  zugehörige  Variations- 
problem  vollständig  erledigt  wird.  Die  dann  folgenden  letzten  drei  Ab- 
schnitte beschäftigen  sich  mit  besonderen,  ganz  verschiedenartigen  Pro- 
blemen aus  der  Geometrie  und  Analysis,  nämlich  mit  Minkowskis  Theorie 
von  Volumen  und  Oberfläche,  mit  einem  Problem  aus  der  Theorie 
der  automorphen  Funktionen  und  endlich  mit  einer  gewissen  zweipara- 
metrigen  Randwertaufgabe,  die  mit  Kleins  Oszillationstheorem  in  engster 
Beziehung  steht:  ich  wollte  durch  die  Auswahl  dieser  Beispiele  die 
mannigfache  Verwendbarkeit  meiner  Theorie  der  orthogonalen 
und  polaren  Integralgleichungen  offenbar  machen. 


Siebzehntes  Kapitel. 

Die  Randwertaufgabe  für  ein  System  simultaner  partieller 

Differentialgleichungen  erster  Ordnung 

von  elliptischem  Typus. 

In  Kapitel  VIII  habe  ich  eine  Methode  angegeben,  wie  die  Rand- 
wertaufgaben für  eine  partielle  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung 
von  elliptischem  Typus  mittels  der  Theorie  der  Integralgleichungen  gelöst 
werden  können.  Diese  Methode  ist  auch  anwendbar,  wenn  ein  System 
von  simultanen  partiellen  Differentialgleichungen  erster  Ordnung  vorliegt: 
nur  bedarf  es  dann  einer  entsprechenden  Greenschen  P'ormel,  und  an  Stelle 
der  früheren  Greenschen  Funktion  mit  logarithmischer  Unendlichkeits- 
stelle X  =  ^,  y  =  t]  tritt  ein  System  von  Greenschen  Funktionen,  die  an 
jener  Stelle  gewisse  Singularitäten  erster  Ordnung  aufweisen.  Wir  woUen 
hier  die  damit  augedeuteten  Modifikationen  der  Methode  an  dem  folgen- 
den speziellen  Probleme  erläutern. 


214     Kap.  XVn.     Simultane  partielle  Differentialgleichungen  erster  Ordnung. 

In  der  ari/- Ebene  sei  eine  geschlossene  Kurve  C  durch  die  Gleichungen 

X  =  a{s),     y  =  h{s) 

gegeben,  wo  a{s),  h{s)  zweimal  stetig  differenzierbare  Funktionen  der 
Bogenlänge  s  sind;  das  von  C  umschlossene  Gebiet  der  xy-Yihene  werde 
mit  J  bezeichnet.  Es  seien  die  zwei  simultanen  partiellen  Differential- 
gleichungen 

du       dv 

du    ,    dv        -,       ^    j 

dy       ex 

vorgelegt,  wo  jj,  q,  k,  l  gegebene  innerhalb  J  einschließlich  C  zweimal 
stetig  differenzierbare  Funktionen  der  unabhängigen  Variabelu  x,  y  be- 
deuten; es  wird  nun  nach  zwei  solchen  Funktionen  uixy),  v{xy)  ge- 
fragt, die  innerhalb  J  den  partiellen  Differentialgleichungen  (1)  genügen, 
während  u{xy)  auf  der  Randkurve  C  gegebene  viermal  stetig  differen- 
zierbare Werte 

m(s)  =/■(«) 
annimmt.*) 

Für  die  linker  Hand  in  (1)  stehenden  Differentialausdrücke  erster 
Ordnung  führen  wir  zur  Abkürzung  die  Bezeichnungen 

^  '    ^       dx       dy' 

n/rr       \        du       dv 
^K  ^)-Ty-^d-x 

ein.  Alsdann  stellen  wir  die  folgende,  der  bekannten  Greenschen  Formel 
entsprechende,  für  zwei  willkürliche  Funktionenpaare  u{xy),  v{xy),  u*{xy). 
v*(xy)  gültige  Identität  auf: 

(2)     f{  if"  L  {u,  v)  —  V*  M{u,  v)  +  u  L  (»*,  if^)  —  v  7l/(?**,  ?;*) }  dJ 

wo  das  Doppelintegral  linker  Hand  über  J  oder  irgendein  innerhalb  J 
gelegenes  Gebiet  und  das  einfache  Integral  rechter  Hand  über  die  Rand- 
kurven dieses  Gebietes  zu  erstrecken  ist. 

Es  mögen  nun   G^(xy,  %ri),  G^{xy,  ^/j)   für  die  Differentialgleichung 

.  d-u    .    d*u       ^ 

dx-       dy 

1)  Die  hier  dargelegte  Methode  ist  in  der  Inauguraldissertation  von  W.  A.  Hurwitz 
(Göttingen  lülO)  auch  auf  Systeme  partieller  Diöerentialgleichungen  erster  Ordnung 
von  nicht  elliptischem  Typus  sowie  auf  kompliziertere  Randbedingungen  ausgedehnt 
worden. 


Kap.  XVU.     Simultane  partielle  Differentialgleichungen  erster  Ordnung.      215 

die  Greensehen  Funktionen  erster  Art  bzw.  zweiter  Art  im  erweiterten 
Sinne ^)  sein;  dies  sind  solche  Funktionen  der  Variabeinpaare  x,  y.  |,  t/, 
deren  jede  die  Form  besitzt 

-  V  log  { {X  -  if  +  (y  -  7i)^ }  +  r{xy,  I  ri) 
—  unter  y  eine  für  jeden  innerhalb  J  liegenden  Punkt  t„  r,  und  für  jeden 
innerhalb  J  oder  auf  C  liegenden  Punkt  x,  y   zweimal   stetig  diöerenzier- 
bare  Funktion  verstanden  — ,  die  ferner  identisch  in  |,  rj  den  Ditferential- 
gleichungen 


dx^    +    dy^ 

=  0, 

dx^          oy- 

2n 
~    J 

sowie  den  Randbedingungen  bzw.  der  Integralbedingung 

[G^{xy,  |r?)]x=aw=0, 

(3)  r-^?n=.„rO'    So^\«J.lnW=^ 

genügen,  wo  J  den  Flächeninhalt   des  Gebietes  J  bedeutet  und  unter   n 
die  Richtung;  der  inneren  Normalen  auf  der  Kurve  C  zu  verstehen  ist. 
Wir  nehmen  jetzt  erstens 

*  _  _  ^        ^,,  _  ggi 
ex  '  dy  ' 

sodaß 

i(M*    V*)  =  0, 

wird,  und  führen  diese  Werte  in  die  Formel  (2)  ein,  indem  wir  zuvor 
die  ünendlichkeitsstelle  t,  r^  durch  einen  kleinen  Kreis  ausschließen.  Der 
Grenzübergang  bei  Zusammenziehung  dieses  Kreises  auf  den  Mittelpunkt  ^,  >; 
liefert  dann  die  Gleichung 

(>)  (C) 

•wo  das  Doppelintegral  linker  Hand  über  das  Gebiet  J  und  das  einfache 
Integral    rechts    über    dessen  Randkurve  C   zu    erstrecken   ist^    während  )i 
die  Richtung  der  inneren  Normale  auf  C  bezeichnet. 
Nehmen  wir  zweitens 

oy  dx   ' 

■wobei 


1)  Vgl.  Kapitel  IX,  S.  70—75. 


216     Kap.  XVIi.     Simultane  pai-tielle  Differentialgleichungen  erster  Ordnung, 
wird,  so  führt  das  entsprechende  Verfahren  zu  der  Formel 

(5)  f[^f^L{u,v)-^^^^M{u,v)-'-^ijdJ=ß{sf^^^ 

Hilfssatz.  Wenn  zwei  Funktionen  A(xy),  B{xy)  innerhalb  J  ein- 
schließlich des  Randes  C  zweimal  stetig  differenzierbar  und  überdies  von 
der  Beschafi'enheit  sind,  daß  für  sie  identisch  in  £,  y]  die  zwei  Integral- 
gleichungen 

(6)  <•" 

erfüllt  sind,  so  sind  A  und  B  selbst  identisch  Null. 

Zum  Beweise  dieses  Hilfssatzes  bestimmen  wir  durch  Berechnung 
des  ebenen  Flächenpotentials  auf  die  in  der  Potentialtheorie  übliche  Weise 
eine  Funktion  u{xij),  die  innerhalb  J  einschließlich  C  der  Differential- 
gleichung 

.  dA    .    dB 

ex        dy 

genügt.  Alsdann  finden  wir  durch  Integration  sofort  eine  zugehörige 
Funktion  c,  so  daß 

{   L(ti,  V)  =  A, 

^'^^  i  M{ii,  v)  =  B 

wird.  Führen  wir  nun  die  so  gefundenen  Funktionen  u{xy),  v{xy)  in 
(4)  und  (5)  ein,  so  erhalten  wir  mit  Rücksicht  auf  (7)  und  (6)  die 
Gleichungen 

^(^'^)  =  ^j  ^(^)  T^^  ^^^  +  ]tJ  ^{^y)dJ'' 

(O  [J) 

Die  erstere  Gleichung  zeigt,  daß  n(xy)  nichts  anderes  als  dasjenige  ebene 
Potential  ist,  das  in  J  der  Gleichung  z/m  =  0  genügt  und  auf  C  die 
Werte  u(s)  aufweist.  Bringen  wir  andererseits  die  letzte  Gleichung  auf 
die  Form 

((■)  {J) 

80    erkennen    wir,    daß   v   dasjenige    ebene   Potential   ist,    dessen   normale 

/^  u  d'ii  ( ^)  • 

Ableitungen  ^     auf  C  gleich  den  AVerten  — r-  sind,  d.  h.  es  ist  v  genau 


Kap.  XVII.     Simultane  partielle  DiflFerentialgleichungen  erster  Ordnung.     217 

ein   zu    ii    konjugiertes    ebenes  Potential,   so  daß  überall  innerhalb  ./  die 

Differentialgleichungen 

L{u,v)  =  0, 
31{u,  V)  =  0 

gelten.    Wegen  (7)  folgt  hieraus,  daß  Ä  und  B  identisch  Null  sind,  und 
damit  ist  unser  Hilfssatz  bewiesen.   — 

Um  nunmehr  die  anfangs  gestellte  liandwertaufgabe  für  die  Differential- 
gleichungen (1)  zu  lösen,  betrachten  wir  das  folgende  System  von  Integral- 
gleichungen 


V)  in 


(/)  (f) 

das  sich  auch  in  die  Gestalt 


(10) 


i-n  (to 

.(^r?)  +  ([K,{bl,xy)u{xy)  +  K,{lri,xy)v{xy)]dJ=~^ß^^  G^'ds, 
(J)  in 

bringen  läßt,  wo  zur  Abkürzung 

2.TÄ^i(^j,  xy)  =  -^p{xy)  -  -.-  l^ixy), 
27cK,{i7i,  xy)  =  -^  q{xy)  -  ^  l{xy), 
27cKs{i  1],  xy)=      ^  p (xy)  -  -^   k (xy) , 
2n-A^(|r?,  xy)  =         .^    q(xy)  -  -.^    l(xy)  -  -j 

gesetzt  ist.  Nehmen  wir  in  (10)  rechter  Hand  Null,  so  entstehen  die 
zu  (10)  zugehörigen  homogenen  Integralgleichungen. 

Wir  machen  nun  zunächst  die  Annahme,  daß  diese  homogenen  Integral- 
gleichungen keine  Lösung- besitzen.  Nach  dem  bekannten  von  Fredholm 
aufgestellten  Satze  haben  dann  die  inhomogenen  Integralgleichungen  (10) 
gewiß  eine  Lösung,  d.  h.  es  gibt  stetige  Funktionen  u  (h]),  v{h,i]),  die  den 
Gleichungen  (10)  genügen.    Da  wegen  der  dreimal  stetigen  Differenzierbar- 

keit  der  Funktionen  f(s),  —^-    auch   die  rechten   Seiten   in  (10)   dreimal 

stetig  differenzierbare  Funktionen  von  t,  r,  innerhalb  J  und  auf  C  siud^ 
80  folgt  in  der  üblichen  Weise  durch  dreimalige  Iteration  der  Formeln  (10), 
wonach   sich   u{tri),  i'(|r/)    schließlich    als    achtfache    Integrale    darstellen^ 


^18     Kap.  XVII.     Simultane  partielle  Differentialgleichungen  erster  Ordnung, 

daß   diese  Funktionen  «(!»/)>  ^'(.^v)   ebenfalls  dreimal  stetig  differenzierbar 
innerhalb  J  und  auf  C  sind. 

Wegen  der  Symmetrie  der  Greeuschen  Funktion  G^  in  den  Variabein- 
paaren X,  y  und  |,  tj  folgt  nach  (3),  daß  sie  identisch  in  x,  y  verschwindet, 
sobald  der  Punkt  t,  i]  in  einen  Punkt  a  der  Randkurve  C  rückt,  und  mit- 
hin müssen  dann  auch  K^(a,  xy)  und  K.,{6,  xy)  identisch  in  x,  y  ver- 
schwinden; die  erstere  der  beiden  Gleichungen  i  lOj  liefert  mithin  für  die 
Funktion  u  die  vorgeschriebenen  Randwerte 
(11)  u{6)  =  aa). 

Nunmehr  fähren  wir  die  eben  als  Lösung  der  Integralgleichungen  (10) 
erhaltenen  Funktionen  u,  v  sowohl  in  die  Formeln  (4),  (5)  wie  in  die 
Formeln  (8),  (9)  ein.  Subtrahieren  wir  dann  (8)  von  (4)  und  anderer- 
seits (9)  von  (5),  so  entstehen  unter  Benutzung'  von  (11)  Gleichungen 
von  der  Gestalt 


f{^  ^(^^)  +  fy   B(xy)]dJ=  0, 


"WO  zur  Abkürzung 

^^*'^)  =  dl  ~  dy  ~  ^P^  +  ^^^' 

^(-^)  =  1^  +  H  -  (^•"  +  ^^0, 

gesetzt  ist.  Da  hier  offenbar  Ä,  B  zweimal  stetig  differenzierbare  Funk- 
tionen der  Variabein  x,  y  innerhalb  J  und  auf  C  werden,  so  sind  die- 
selben mit  Rücksicht  auf  den  oben  bewiesenen  Hilfssatz  identisch  Null, 
<1.  h.  die  Funktionen,  m,  v  genügen  den  anfangs  vorgelegten  partiellen 
Differentialgleichungen  (1)  erster  Ordnung. 

Nunmehr  mögen  entgegen  der  oben  gemachten  Annahme  die  zu  (10) 
gehörigen  homogenen  Integralgleichungen  eine  Lösung  «(^>?),  v[h,ij)  be- 
sitzen, so  daß  nicht  zugleich  u  =  0,  f  =  0  ist.  Dann  zeigen  die  eben  dar- 
gelegten Überlegungen,  daß  diese  Funktionen  Lösungen  der  Differential- 
gleichungen  (1 )  sind,  von  denen  die  erstere,  u(xy),  die  Randwerte  Null 
besitzt.  Ferner  sind  in  diesem  Falle  —  wie  die  Theorie  der  Integral- 
gleichungen lehrt  — ,  die  inhomogenen  Integralgleichungen  (10)  «gewiß 
lösbar,  sobald  ihre  rechten  Seiten  gewisse  lineare  Integralbedingungen 
erfüllen,  d.  h.  bei  der  gegenwärtigen  Annahme  gibt  es  gewiß  dann  eine 
Lösung  der  partiellen  Differentialgleichungen  (1),  wobei  u  die  Rand- 
werte /'(s)  hat,  wenn  f\s)  gewissen  linearen  Integralbedinguugen  ge- 
nügt.    Doch  sei  bemerkt,  daß  unter  besonderen  Umstäntlen  diese  Integral- 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  219 

bedingungen  identisch  von  allen  Funktionen  f{s)  erfüUt  sein  können;  so 
besitzt  offenbar  das  für 

p  =  0,     q^O,     /.=(»,     ?  =  0 

aus  (1)  hervorgehende  Gleichungssystem  stets  Lösungen,  wobei  u  beliebicr 
vorgeschriebene  Randwerte  f(s)  aufweist,  obwohl  dieses  Gleichungssy.stem 
die  von  m  =  0,  f  =  0  verschiedenen  Lösungen  u  =  0,  v  =  1  mit  den 
Randwerten  f(s)  =  0  zuläßt. 

Durch  Zusammenfassung  der  erhaltenen  Resultate  gewinnen  wir 
den  Satz: 

Satz  43.  Wenn  die  partiellen  Differentialgleichungen  (1)  außer  m  =  0, 
V  =  0  liein  Lösungssystem  u,  v  besitzen,  derart  daß  u  auf  der  Randkurve  G 
verschnindet,  so  besitzen  sie  stets  notivendig  ein  Lösungssystem  u,  v  derart, 
daß  u  auf  der  Handkurve^  C  irgend  vorgeschriebene  Werte  f{s)  annimmt. 
Im  entgegengesetzten  Falle,  d.  h.  ivenn  es  ein  Lösungssystem  u,  v  der 
partiellen  Diff'erentialgleicliungen  (1)  derart  gibt,  daß  u  auf  C  verschwindet 
und  die  Funktionen  u,  v  nicht  beide  überall  in  J  Null  sind,  so  existiert 
ein  Jjösungssystem  u,  v,  tiobei  u  auf  C  die  vorgeschriebenen  Randtverte  f{s) 
einnimmt,  sicher  immer  dann,  wenn  f{s)  yetvissen  linearen  Integralbedingungen 
in  endlicher  Anzahl  genügt. 


Achtzehntes  Kapitel. 

Eine  neue  Methode  der  Zurückführung  von  Differential- 
gleichungen auf  Integralgleichungen. 
Begriff  der  Parametrix. 

Zum  Schluß  von  Kapitel  XVI  habe  ich  auf  eine  neue  Methode^) 
hincrewiesen ,  durch  welche  sich  die  Lösung  linearer  Differentialglei- 
«hungen  mit  Hilfe  von  Inteofralgleichuntren  bewerkstelligen  läßt.  Diese 
Methode  unterscheidet  sich  von  dem  in  Kapitel  VII — VIII  entwickelten  Ver- 
fahren wesentlich  dadurch,  daß  an  Stelle  der  dort  benutzten  Greenschen 
Funktion  die  „Parametrix"  tritt,  d.  h.  eine  Funktion,  die  ebenso,  wie 
<]ie  Greensche  Funktion  außer  von  den  Variabein  noch  von  Parametern 
abhängt,  und  auch  die  Unstetigkeits-  und  Randbedingungen  wie  die 
Greensche  Funktion  erfüllen  muß,  aber  keineswegs  Avie  diese  einer   Diffe- 


1)  Vgl.  auch  die  inzwischen  erschienene  scharfsinnige  Abhandlung  von  E.  E.  Levi: 
I  problemi  dei  valori  al  contorno  per  le  equazioni  lineari  totalmente  ellittiche  alle 
derivate  parziali.     Rom  1909. 


220  Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametris. 

rentialgleichmig  zu  genügen  braucht.  Die  hierdurch  gekennzeichnete 
Modifikation  bringt  den  Vorteil  mit  sich,  daß  man  bei  der  Integration  der 
Differentialgleichung  nicht  nötig  hat,  zuvor  die  Lösbarkeit  einer  anderen 
Differentialgleichung  vorauszusetzen,  und  daß  es  daher  auch  gelingt,  solche 
partielle  Differentialgleichungen  auf  Integralgleichungen  zurückzuführen,, 
die  nicht  in  derjenigen  Normalform  vorliegen,  wie  wir  sie  im  zweiten 
Abschnitt  stets  angenommen  haben. 

Ich  entwickle  in  diesem  Kapitel  die  neue  Methode  an  dem  Beispiel 
der  allgemeinsten  linearen  partiellen  Differentialgleichung  vom  elliptischen 
Typus,  während  das  Integrationsgebiet  die  Vollkugel  ist. 


Es  seien  s,  t  die  unabhängigen  Variabein  und  z,  iv  irgendwelche 
Funktionen  derselben;  als  untere  Indizes  an  einer  Funktion  mögen  s,  t 
bedeuten,  daß  die  partiellen  Ableitungen  der  Funktion  nach  s,  t  zu  nehmen 
sind.  Wir  gehen  aus  von  dem  allgemeinsten  linearen  partiellen  Ditterential- 
ausdruck  zweiter  Ordnung 

2(^)  =  a^^^  +  2bz^f-{-  cZf;-\-  Iz^  +  mz,-\-  nz, 

wo  a,  6,  c,  I,  m,  n    gegebene    Funktionen    von    s,   t    sind.      Der    zu    2(^') 
adjungierte  Differentialausdruck  ist 

m{z)  ^  («4,+  2(&4,+  {cz\-  {lz\-  (jnz\-^  nz; 
ferner  mögen 

^  =  a{wz,—  zn\)  +  b{irZf—  zu\)  +  (Z    —  «,—  hf)wz, 
£l=  h{ivz^—  zw^  +  ciwZt—  ztVf)  +  (m  —  h^—  c^ivz 

die  zu  2(^)  gehörigen  Bilinearausdrücke  heißen:  es  gilt  dann  bekannt- 
lich die  Identität 
(12)  iv^{z)  -  zm{tv)  =  ^\  +  D,. 

Wenn  wir  in  2  (2')  statt  .s,  /  irgendwelche  neue  Variable  s,  f'  ein- 
führen und  den  Differentialausdruck  dann  mit  der  Funktionaldeterminante 
der  ursprünglichen  Variabein  nach  den  neuen  d.  h.  mit 

multiplizieren,  so  heiße  der  so  entstehende  Diö'erentialausdruck 

£'(^)  =  a'z/;  +  2h'z^'f--\-  c'Zf'i'  +  l'z^'  +  m'zi'  +  nz 
der    transformierte    Ausdruck    von   £(^);    desgleichen    heiße   der   aus 
W{2)  durch  Einführung  der  neuen  Variabein  /,  f  und  Multiplikation  mit 
jener    Funktionaldeterminante    entstehende    Ausdruck    ÜJi'(^)    der    trans- 
formierte Ausdruck  von  9)Z(^).     Endlich  mögen  die  Ausdrücke 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  221 

wenn  man  rechter  Haud  iu  ^,  C  die  neuen  Variabein  s-',  f  an  Stelle 
von  s,  f  einführt,  die  transformierten  Ausdrücke  von  '^P,  C  heißen. 
Indem  wir  in  der  Identität  statt  s,  t  die  neuen  Variabein  s',  t'  einführen, 
gelangen  wir  zu  der  Identität 

tv2'i2)  -  2m'(w)  =  ^v  +  DV 

und  von  dieser  führen  leichte  Überlegungen  unter  Berücksichtigung  der 
Bauart   der  Ausdrücke  ^,  £<,,  'l^',  C   zum   Beweise   des   folgenden   Satzes: 

Der  transformierte  Ausdruck  Wt'{2)  ist  genau  der  zu  ^'(z) 
adjungierte  Ausdruck,  und  die  transformierten  Ausdrücke  ^',  O' 
sind  genau  die  zu  2'(/)  gehörigen  Bilinearausdrücke. 

Im  folgenden  wollen  wir  der  Kürze  halber  die  Koeffizienten  a,  h,  c,  l,  m,  n 
des  Differentialausdruckes  2,  desgleichen  alle  anderen  vorkommenden  Funk- 
tionen stets  als  beliebig  oft  differeuzierbar  voraussetzen  —  soweit  nicht 
ausdrücklich  Ausnahmen  festgesetzt  werden. 

Es  seien  nun  auf  der  Kugel  mit  dem  Radius  1  irgend  zwei  einfach 
zusammenhängende  Gebiete  K^  und  K^  gegeben,  die  in  dem  Gebiete  K^^ 
übereinaudergreifen;  s^,  t^  seien  irgendwelche  krummlinige  Koordinaten 
für  das  Gebiet  K^  und  s^,  t^  irgendwelche  krummlinige  Koordinaten  für 
J?o;  ferner  sei  ^1^(2)  ein  Differentialausdruck  in  den  Variabein  s^,  f^  und 
SgC-)  ein  Differentialausdruck  in  den  Variabein  s^,  f. 2-  Bezeichnen  wir 
das  Linienelement  auf  der  Kugel  in  üblicher  Weise  mit 

bzw.  e.2ds^^-\-  ^f^ds^dt^  -\-  g^dt^^, 
so  ist  das  Flächenelement  der  Kugel 


dli  =  Ve^g^  —  f^^ds^dt^, 
bzw.  =  y'e^g^  —  f^-ds^dt^\ 

femer  wird  innerhalb  des  Gebietes  K^^ 


ds^  dti        asi  dti  _  Ve^g^—f^ 


r  "1  Hl        i\ 

und  wegen  .      .,.         .      . .  ^ 


folgt  mithin  _g,(.)  __"    g\(.) 

Wenn  nun  der  besondere  Umstand  zutrifft,  daß  der  auf  die  Variabein 
^2,  ^2  transformierte  Differentialausdruck  Q\  mit  ^2  identisch  ist,  so  stellt 
die  Formel 

V^i  9i—fx 


y^s  9i — 1\ 


in  Zg 


222  Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametiix. 

in  dem  gemeinsamen  Gebiete  Ky^  (^en  nämliclien  Dilterentialausdruck  dar; 
zugleich  erweist  sich  der  Wert  dieses  Ditl'erentialausdruckes  Ll^z),  wenn  s 
eine  Funktion  einer  innerhalb  7ij  oder  Ju  gelegenen  Stelle  auf  der  Kugel 
bedeutet,  als  unabhängig  von  der  Wahl  der  krummlinigen  Koordinaten  s,  t. 
Ist  die  Vollkugel  mit  einer  endlichen  Anzahl  von  übereinandergreifenden 
Gebieten  /i^,  K^,  .  .  .  bedeckt  und  in  diesen  je  ein  regulärer  Differential- 
ausdruck  bzw.  Sj,  S2,  .  .  .  gegebeL  von  der  Art,  daß  immer  in  dem  ge- 
meinsamen Teile  von  je  zwei  übereinandergreifenden  Gebieten  der  trans- 
formierte Differentialausdruck  des  einen  Gebietes  mit  dem  Differential- 
ausdrucke des  anderen  übereinstimmt,  so  definieren  die  Formeln 

—  -^^      in  lU, 


Ve,g,-A' 


eindeutig  und  widerspruchslos  überall  auf  der  Kugel  einen  Differential- 
ausdruck, dessen  Wert,  wenn  z  eine  Funktion  der  Stelle  auf  der  Kugel 
bedeutet,  ebenfalls  unabhängig  von  der  Wahl  der  krummlinigen  Koordi- 
naten s,  t  ausfällt;  der  Differentialausdruck  L{z)  heiße  ein  auf  der  Voll- 
Tiwjel  regulärer  Differentialausdrucl^.  Wie  man  leicht  erkennt,  bestimmen 
die  zu  Sj,  ßg,  •  ■  •  hzw.  in  K^,  K^,  ...  adjuugierten  Dififerentialausdrücke 
äRj,  ü)?2,  ...  vermöge  der  Formeln 

M(/)  =  ~^My.An  K„ 
m  A2, 


y^ä  92  -  /2 


ebenfalls  einen  auf  der  Yollkugel  regulären  Differentialausdruck  M(z)'j 
dieser  heiße  der  zu  L{z)  adjungierte  Dijferentialausdruck. 

Wenn  wir  die  Formel  (12)  in  einem  von  beliebigen  geschlossenen 
Kurven  berandeten  Gebiete  G  der  Kugel  mit  den  krummlinigen  Koordi- 
naten s,  t  integrieren,  so  erhalten  wir  die  Integralformel 

(14)  /■/{  H-^{z)  -  zm(iv)]dsdt  =fißdt  -  £lds), 

\<')  w 

wo  das  Doppelintegral  linker  Hand  über  das  Innere  von  G  und  das 
Linienintegral  rechter  Hand  über  sämtliche  Randkurven  R  und  zwar  jedes- 
mal in  der  Richtung  hin  zu  erstrecken  ist,  daß  das  Gebiet  G  zur  linken 
Hand  bleibt. 

Wenn  wir  in  dem  Liuienintegral  rechter  Hand  an  Stelle  der  Variabein 
s,  t   beliebig  neue  Variable  s',  t'  einführen,   so   sind  nach   dem   oben  be- 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  223 

wiesenen  Satze  die  trauslbrmierten  Ausdrücke  ^\  D,'  genau  die  zu  S^"^)' 
gehörigen  Biliuearausdrücke;  mittels  der  Formeln  (13)  folgt  hieraus  die 
wichtige  Tatsache,  daß  der  Integrand  des  Linieniutegrals  rechter  Hand  in 
(14)  derselbe  bleibt,  wenn  wir  bei  der  Bildung  derselben  an  Stelle  von  2 
den  beliebig  transformierten  Ausdruck  Ö'  zugrunde  leo-en. 

Teilen  wir  jetzt  die  Vollkugel  etwa  durch  den  Äquator  in  die  zwei 
Hälften  K^,  /C  und  wenden  auf  jede  derselben  die  Formel  (14)  an,  so 
entsteht  —  wegen  der  eben  bewiesenen  Invarianz  der  Integranden  in  den 
Linieniutegraleu  und  da  in  dem  Linieuintegral  der  zweiten  Formel  der 
Äquator  in  entgegengesetzter  Richtung  zu  durchlaufen  ist,  wie  bei  der 
ersten  Formel  —  durch  Addition  die  Formel 

J'f{  ivQi^)  -  .^m(tv)  }  dsdt  =  0, 

wo  das  Doppelintegral  über  beide  Kugelbälften  zu  erstrecken  ist.  Führen- 
wir  hierin  die  auf  der  Kugel  regulären  Differentialausdrücke  L(2),  M{z) 
und  das  Flächenelement  dli  der  Kugel  ein,  so  erhalten  wir 

(15)  J{icL  {z)  —  z  M{w)  \  dh  =  0 , 

wo  das  Integral  über  die  Vollkugel  zu  erstrecken  ist. 

Der  Diff'erentialausdruck  L  heiße  von  ellipUscliem  Typus,  wenn  überall 
in  jedem  der  Ausdrücke  ö  für  alle  Werte  der  Variabein  s,  t  die  Ungleichung 

(16)  ac-&2>0. 

erfüllt  ist;  wir  nehmen  zugleich  a  und  c  positiv  an. 


Unser  Hauptproblem  besteht  zunächst  in  der  Integration 
der  Differentialgleichung  von  elliptischem  Typus 

L{z)  =  f, 
wo  f  eine  überall  auf  der  Kugel  definierte  Funktion  bedeutet. 

Um  dieses  Problem  auf  ein  Problem  der  Theorie  der  lutegralglei- 
chungen  zurückzuführen,  bedarf  es  des  Begriffes  der  Parametrix.  Für  den 
vorliegenden  Fall  verstehen  wir  unter  einer  Varametrix  eine  Funktion 
p{st,  6t)  des  Argumentpunktes  s,  t  und  des  Param«terpunktes  6,  r  auf 
der  Kugel  von  folgenden  Eigenschaften: 

1.  Die  Parametrix  p{st,  at)  ist  überall  in  den  Koordinaten  des 
Argumentpuuktes  s,  t  und  des  Parameterpunktes  6,  t  stetig  und  beliebig 
oft  differenzier  bar,  außer  wenn  der  erstere  mit  dem  letzteren  zusammen- 
fällt, d.  h.  wenn  gleichzeitig  5  =  (7,  t=x  wird:  alsdann  wird  p{st,6ry 
logarithmisch  unendlich,  wie  folgt: 

'  4wya(CT)c(<rT)  — ^&(ffT))*  ^  ' 


224  Kap.  X\1II.     Methode  der  Parametrix. 

•WO  S{st,  6r)  eine  Funktion  vom  Argumeutpunkt  s,  t  und  vom  Parameter- 
punkt 6,  X  auf  der  Kugel  bedeutet,  die  für  s  =  ö,  t  =  r  zwar  stetig  sein 
muß,  deren  zweite  Ableitungen  aber  für  s  =  <?,  t  =  t  von  erster  Ordnung 
uneudlicli  werden  dürfen  —  während  sonst  überall  mindestens  dreimal 
stetige  Dilferenzierbarkeit  statt  haben  soll. 

2.  Die  Parametrix  ist  symmetrisch  in  bezug  auf  Argumentpunkt  und 
Parameterpunkt,  d.  h.  es  ist 

p{st,  6x)  —  p{Gt,  st). 

Um  eine  Parametrix  zu  konstruieren,  betrachten  wir  die  räumlichen 
Koordinaten  .r,  y,  z  eines  Punktes  der  Kugel  als  Funktionen  der  krumm- 
linigen Koordinaten  .s,  t  —  indem  wir  immer  in  jedem  Teilgebiet  auf 
der  Kugel  die  demselben  eigenen  Koordinaten  s,  /  derart  wählen,  daß 
überall  auf  der  Kugel 

(17)  Vs^t-^^Vt^^i     ^s^-^s^t^^^     ^sVt-Vs^t^^ 

ausfällt.     Dann  bestimmen  wir  aus  den  drei  Gleichungen 


Ax^'  +  By,'  +  Cz:^      =       c{st)Veg-f\ 

(18)  Ax,x,  +  By^y,  +  Cs,z,  =  -  h{st)Veg-f, 

Axf  +  %;  +  Cz:^       =      a{st)Veg  -  f 

die  Größen  A,  B,  C  als  Funktionen  des  Argumentpunktes  s,  t]  dieselben 
sind  o-ecrenüber  einer  Transformation  der  Koordinaten  ,s,  t  invariant  und 
stellen  daher  Funktionen  auf  der  Kugel  dar;  aus  (17)  folgt  leicht,  daß 
die  Determinante  dieser  Gleichungen 


^/ 

Vs' 

^/ 

^s^t 

VsVt 

^s^t 

^/ 

yf 

^/ 

stets  von  Null  verschieden  ist. 

Nunmehr  verstehen  wir  unter  ^,  ?;,  t,  die  räumlichen  Koordinaten  des 
Parameterpunktes  ö,  x  auf  der  Kugel,  so  daß  |,  ?/,  t,  bzw.  ebenso  von  (>,  r 
abhängen,  wie  x,  y,  z  von  s,  i,  und  bilden  dann  den  Ausdruck 

rpißt,  6x)  =  A{x  -  lY  +  B{y  -  >;)'  +  C{z  -  ^)l 
Setzen  wir  hierin 

x  —  l  =  xXs  —  ö)  +  x^t  —  x)-i , 

y-n  =  Vsis  -  Ö-)  +  Ptii  -  -f)  +  •  •  •, 

Z  -  t  =  ^si^  —  ^)  +  ^t{i  -  '^)  -\ 

ein,  so  ergibt  sich  mit  Benutzung  von  (18)  die  Entwicklung 


ip{st,6x)  =  yeg-p{c{st){s-6y-2h{st){s-6)(t-x)^a{st){t-xy]i-{s-0,t-S 
=  Veg-f{c{6x){s-6y-2b(6x){s-6){t-T)-]-a(6t){t-xy}-\-{s-0,t- 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  225 

Vo  beidemal  (s  —  ö,  t  —  r)~^  Ausdrücke  mit  Gliedern  von  dritter  und 
höherer  Ordnung  in  s  —  6,  t  —  x  bezeichnen.  Mit  Rücksicht  hierauf  ist 
wegen  (16)  gewiß 

(19)  iist,  ax)  >  0, 

sobald  die  Differenzen  s  —  <J,  t  —  x  absolut  genügend  klein  gewählt,  aber 
nicht  beide  Null  sind:  es  sei  s  eine  so  kleine  Konstante,  daß  die  Un- 
gleichung (19)  statt  hat,  sobald 

0  <  (^-  -  |)^+  (2/  -  r;)-^+  iz  -  ^f<B^ 
ist.     Endlich  sei  y  der  absolut  größte  Wert,  den  il^ist,  öx)  annimmt,  wenn 
der  Argumentpunkt  s,  t  und   der   Parameterpunkt  ((?,  t)    beliebig   auf  der 
Kugel  variieren:  alsdann  stellt  der  Ausdruck 

W^sf,  ör)  =  tisf,  ax)  +  ]l  { (X  -  1)^  +  (y  -  i^f  +  (z  -  ^f  ]  - 

eine  Funktion  dar,  die  stets  positiv  ausfällt  und  nur  für  s  =  a,  t  =  x 
verschwindet.     Da  andererseits 


st,6x)='\/eg-f[c{6x){s-6y-2h{6x){s-i5){t-x)  +  a{6x){t-xy]  {\-^\s-6,t-x\ 

wird,  wo  {s  —  6,  t  ^  x)^  einen  für  s  =  ö,  ^  =  r  mindestens  von  der  ersten 
Ordnung  in  s  —  ö,  t  —  x  verschwindenden  Ausdruck  bedeutet  und,  wie 
man  sofort  sieht,  W(6x,  st)  sich  in  die  gleiche  Gestalt  bringen  läßt,  so 
besitzt  der  Ausdruck 

V(st  öx)  =  ^  (_Jo^^gt^aT)^^       logWiat^st)        \ 

-' ^    '       ^       Sii\ya{aT)ciar)  —  (b{aT)y-       ya{st)c{st)  —  {b(st))-\ 

die  für  die  Parametrix  geforderten  Eigenschaften;  die  Existenz  einer 
Parametrix  ist  damit  bewiesen. 


Aus  der  oben  aufgestellten  Definition  der  Parametrix  folgern  wir 
«ine  Reihe  von  Tatsachen  —  analog  wie  dies  in  der  bekannten  Theorie 
des  logarithmischen  Potentials  geschieht. 

Erstens:  der  Ausdruck 

M{p{st,  6x)) 

steUt  eine  Funktion  dar,  die  für  s  =  6,  t  =  x  höchstens  von  der  ersten 
Ordnung  unendlich  wird.  Wenn  man  nämlich  aUe  diejenigen  Glieder,  die 
allein  von  der  zweiten  Ordnung  unendlich  werden,  ausrechnet,  so  erkennt 
man,  daß  sie  sich  gegenseitig  zerstören. 

Zweitens:  Wenn  z^sf)  irgendeine  überall  zweimal  stetig  differen- 
2;ierbare  Funktion  auf  der  Kugel  bedeutet,  so  ist  stets 

(20)  J[pL{z)  -  zM(p)}dJc  =  -  z(6x), 

wo  das  Integral  über  die  VoUkugel  zu  erstrecken  ist. 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  15 


226  ^^P-  XVin.     ]\Iethode  der  Parametrix. 

Zum  Beweise  dieser  Formel  beschreiben  wir  um  den  Punkt  6,  r  au 
der  Kugel  einen  Kreis  A^  mit  dem  kleinen  Radius  r  und  zerlegen  dadurch 
die  Oberfläche  der  Vollkugel  in  das  kreisförmig  begrenzte  Gebiet  k^  und 
das  außerhalb  k^  gelegene  Gebiet  K/,  dann  wenden  wir  die  Integral- 
formel (14),  indem  wir  ic(sf)  =  p(stf  öt)  nehmen,  auf  das  Gebiet  K^  an 
und  führen  den  Grenzübergang  zu  r  ==  0  aus. 

Drittens:  wenn  wir  unter  2 (st),  wie  soeben,  eine  Funktion  auf  der 
Kugel  verstehen  und  ferner  mit  M  denjenigen  Ditferentialausdruck  be- 
zeichnen, der  aus  31  hervorgeht,  wenn  wir  darin  die  Variabein  s,  t  durch 
die  Parameter  6,  r  ersetzen,  so  gilt  die  Formel 

(21)  N\{fzpdk}  =  ßM{p)dk  —  z(6r), 

wo  die  Integrale  wiederum  über  die  VoUkugel  zu  erstrecken  sind. 

Zum  Beweise  haben  wir  die  in  dem  Ausdruck  M  linker  Hand  ge- 
forderten Differentiationen  erster  und  zweiter  Ordnung  auszuführen.  Da 
die  Parametrix  p(st,  6x)  für  s  =  6,  t  =  t  nur  logarithmisch  unendlich 
wird,  so  sind  die  einmaligen  Differentiationen  nach  (5,  x  linker  Hand 
ohne  weiteres  durch  Differentiationen  unter  dem  Integralzeichen  ausführ- 
bar. Aus  der  ersten  Eigenschaft  der  Parametrix  entnehmen  wir  nun  die 
Gültigkeit  von  Gleichungen  der  Gestalt 

(22)  P.--PS+S 

wo  S,  T  solche  Funktionen  von  s,  t]  ö,  r  sind,  deren  erste  Ableitungen 
für  s  =  ö,  t  =  r  höchstens  von  erster  Ordnung  unendlich  werden.  Zerlegen 
wir  jetzt  wiederum  die  Oberfläche  der  Vollkugel  in  die  zwei  Teile  K^ 
und  Zy  und  setzen  dann  in  dem  über  k^  zu  erstreckenden  Integral  die 
letzteren  Ausdrücke  für  p^,  p^  aus  (22)  ein,  so  entstehen  bei  geeigneter 
Anwendung  der  Produktintegration  (partiellen  Integration)  Integralaus- 
drücke, bei  denen  eine  nochmalige  Diflerentiation  nach  (?,  r  unmittelbar 
durch  Differentiation  unter  dem  Integralzeichen  möglich  ist.  Der  Grenz- 
übergang zu  r  =  0  führt  schließlich  zu  der  angegebenen  Formel.  — 

Nunmehr  sind  wir  imstande,  das  oben  bezeichnete  Integrations- 
problem zu  lösen,  indem  wir  den  folgenden  Satz  aufstellen  und  beweisen. 

Satz  44.     Wenn  die  homogene  Differentialgleichung 

(23)  i(^)  =  0 

keine  von  Null  verschiedene,  auf  der  ganzen  Kugel  stetige  Lösung  besitzt ^ 
so  hat  die  Differentialgleichung 

(24)  L{z)  =  f, 

tvo  f  irgendeine  gegebene  Funktion  auf  der  Kugel  bedeutet,  stets  eine  stetige 
Lösung;  die  adjungierte  Differentialgleichung 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  227 

(25)  M{z)  =  0 

läßt  in  diesem  Falle  geiciß  Iceine  Lösung  su. 

Besiizt  dagegen  die  homogene  Differentialgleichung  (23)  Lösungen,  so 
lassen  sich  aus  diesen  stets  eine  gewisse  endliche  Anzahl,  n,  linear  von  ein- 
ander unabhängiger  Lösungen  auswählen,  so  daß  jede  Lösung  von  (23)  eine 
lineare  Kombination  derselben  ivird;  die  adjungierte  Differentialgleichung  (25) 
besitzt  in  diesem  Falle  auch  genau  n  linear  unabhängige  Lösungen,  und  die 
Differentialgleichung  (24)  ist  dmm  und  nur  dann  lösbar,  tvenn  die  gegebene 
Funktion  f  die  n  Integralbedingungen 

\26)  jf^^dl^O  (/i  =  l,2,3...w) 

erfiält,  tvo  4-\,  .  .  .,  il<^^  jene  linear  voneinander  unabhängigen  Lösungen  von 
(25)  bedeuten. 

Zum  Beweise  setzen  wir  zunächst  voraus,  daß  die  Diöerential. 
gleicliung  (23)  keine  Lösung  besitzt.  Eine  Lösung  z  der  Differential- 
gleichung (24)  muß  wegen  (20)  die  Integralgleichung 

f{2}f-zM{p)}dJc  =  —  z{6t) 
oder 

(27)  ßM{p)dJc  -  z{ax)  =fpfdJc 

befriedigen;  der  Kern  31(2))  dieser  Integi'algleichung  ist  der  ersten  Be- 
merkung auf  S.  225  zufolge  eine  solche  Funktion  von  s,  i,  6,  x,  die  für 
8  =  6,  t  =  X  von  der  ersten  Ordnung  unendlich  wird.  Die  Gesetze  über 
die  Auflösung  von  Integralgleichungen  sind,  wie  bereits  Fredholm  gezeigt 
hat,  in  diesem  Falle  in  gleicher  Weise  gültig,  wie  wenn  der  Kern  eine 
durchweg  stetige  Funktion  wäre.  Andrerseits  läßt  sich  auch,  ähnlich  wie 
dies  auf  S.  217 — 218  geschehen  ist,  zeigen,  daß  eine  Lösung  der  Integral- 
gleichung (27)  beliebig  oft  stetig  diflerenzierbar  ist,  falls  diese  Annahme 
für  f  zutrifft. 

Nach  der  allgemeinen  Theorie  der  Integralgleichungen  hängt  die 
Lösbarkeit  der  Integralgleichung  (27)  von  der  Beschaffenheit  der  ent- 
sprechenden homogenen  Integralgleichung 

(28)  fzM(p)d]c  -z{ax)  =  0 

ab.  Die  Anzahl  der  linear  unabhängigen  Lösungen  dieser  homogenen 
Integralgleichung  sei  JSl,  und  die  Lösungen  seien  0^,  .  .  .,  0^-  Wegen  (20) 
haben  wir  dann 

JpL{0,)dJc  =  O  (A  =  l,  ...,  Ä), 

oder  wenn 

(29)  X,=  Z(^J  {h^l,...,N) 

gesetzt  wird,  , 

15* 


228  Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix. 

(30)  fpX.ca-  =  0  Qi  =  1,  .  .  .,  X), 
d.  h.  die  iV  Funktionen  X^,  .  .  .,  X.v  genügen,  für  z  eingesetzt,  der  Gleichung 

(31)  f2y2dk  =  0, 

und  wegen  (21)  sind  sie  demnach  auch  Lösungen  der  homogenen  Integral- 
gleichung 

(32)  ßM(i})dl--z{6T)  =  0. 

Diese  homogene  Integralgleichung  ist  aber  diejenige,  die  aus  der 
homogenen  Integralgleichung  (28)  entsteht,  wenn  man  in  deren  Kern  die 
Argumente  5,  t  mit  den  Parametern  ö,  r  vertauscht.  Nun  sind  die 
N  Funktionen  X^,  voneinander  linear  unabhängig,  da  ja  sonst  wegen  (29) 
eine  von  Null  verschiedene  Lösung  der  Differentialgleichung  (^23)  existieren 
müßte.  Nach  den  allgemeinen  Sätzen  über  Integralgleichungen  besitzt 
die  Integralgleichung  mit  dem  transponierten  Kern  M(p)  genau  ebenso 
viele  linear  unabhängige  Lösungen  wie  die  ursprüngliche;  es  ist  mithin 
jede  Funktion  z,  die  der  Gleichung  (31)  genügt,  da  sie  dann  auch  (32) 
erfüllt,  notwendig  in  der  Gestalt 

^  =  6;x,  +  -.-  +  avX.v 

darstellbar,  wo  C^,  .  .  .  ,  Cx  geeignete  Konstante  bedeuten. 

Da  hiernach  die  N  Funktionen  X^,  die  sämtlichen  Lösungen  der 
homogenen  Integralgleichung  (32)  ausmachen,  so  sind  nach  der  all- 
gemeinen Theorie  der  Integralgleichungen  die  notwendigen  und  hinreichen- 
den Bedingungen  für  die  Lösbarkeit  der  inhomogenen  Integralgleichung  (27) 

die  folgenden  .  „ 

J  JX,{6t)pf(st)dkdz  =  0,  {h  =  l,...,N) 

wo  die  Vollkugel  sowohl  bei  der  Integration  nach  dem  Argumentpunkt  s,  t, 
als  auch  bei  der  Integration  nach  dem  Parameterpuukt  (?,  r  als  Integrations- 
gebiet zu  nehmen  ist.  Da  aber  wegen  (30)  diese  Bedingungen  stets  er- 
füllt sind,  so  besitzt  (27)  stets  eine  Lösung;  es  sei  g)*  diese  Lösung,  so  daß 

(33)  /V* M(p) dl-  -  95* (öt)  =  Jpfdh 

wird.  Setzen  w^ir  dann  andererseits  in  (20)  z  =  9?*  ein  und  addieren 
die  so  entstehende  Gleichung  zu  (33),  so  ergibt  sich 

Jp[L{cf^-f]dl^Q. 

Wegen  der  vorhin  gefundenen  Tatsache  folgt  hieraus 
L{q>*)  -  f  =  CW  +  ■  ■  ■  +  CyXx, 
wo  Cj,  .  .  .,  Ca-  geeignete  Konstanten  sind.     Wegen  (29)  ist  demnach 

eine  Lösung  der  Diö'erentialgleichung  (24). 


Kap.  XYEI.     Methode  der  Parametrix.  229 

0 

Wir  erkennen  nunmehr  auch  leicht,  daß  (25)  keine  von  Null  ver- 
schiedene Lösung  besitzt.  Wäre  nämlich  i/-  eine  solche  Lösung  und  be- 
stimmen wir  dann  —  was  nach  dem  eben  Bewiesenen  stets  möglich  ist  — 
eine  Funktion  qp  derart,  daß 

L{sf)  =  t^' 

ist,  so  wird  aus  (15)  für  tv  =  ip,  z  =  (p  die  Gleichung 

J^^dh  =  0, 

die  nicht  statthaben  kann,  da  ja  t/-  nicht  identisch  verschwinden  sollte. 
Damit  ist  der  erste  Teil  unseres  Satzes  bewiesen. 

Zum  Beweise  des  zweiten  Teiles  des  Satzes  bezeichnen  wir  mit  (p^,  ■  ■  ■,  <Pn 
ein  vollständiges  System  von  n  linear  unabhängigen  Lösungen  der  Diffe- 
rentialgleichung (23).  Sodann  betrachten  wir  wiederum  die  inhomogene 
Integralgleichung  (27)  und  die  zu  ihr  zugehörige  homogene  Integral- 
gleichung (28),  Die  letztere  läßt,  wie  aus  (20)  sofort  folgt,  die  Lösungen 
qpj,  .  .  .^  (pJ^  zu.  Außer  diesen  n  Lösungen  und  deren  linearen  Kom- 
binationen kann  die  Integralgleichung  (28)  noch  weitere  Lösungen  be- 
sitzen; unter  diesen  wählen  wir  ein  System  untereinander  und  von  den 
Funktionen  g?^,  .  .  .,  cp^  linear  unabhängiger  Lösungen  0^,  .  .  .,  ^n  derart 
aus,  daß  alle  Lösungen  von  (28)  durch  gj^,  .  .  .,  ^„,  ^^,  .  .  .,  ^y  linear 
darstellbar  sind.  Wir  bilden  nun,  wie  vorhin  beim  Beweise  des  ersten 
Teils  unseres  Satzes,  die  N  Funktionen 

(34)  X,=  iW  (/.=  !,  ...,iY); 
dieselben  genügen,  wie  aus  (20)  folgt,  den  Gleichungen 

(35)  Ji>X,(7Ä;  =  0  {li  =  \,...,N) 

und  sind  demnach,  für  z  eingesetzt,  wegen  (21)  auch  Lösungen  der 
homogenen  Integralgleichung  (32).  Die  jV  Funktionen  X^,  .  .  .,  X.v  sind 
voneinander  linear  unabhängig,  da  sonst  entgegen  unserer  Annahme 
aus  (34)  sofort  das  Bestehen  einer  linearen  Relation  zwischen  gj^,  .  .  .,  y„, 
0j,  .  .  .,  Os  folgen  würde. 

Da  die  homogene  Integralgleichung  (28)  genau  n  +  N  linear  un- 
abhängige Lösungen  besitzt,  so  muß  nach  der  allgemeinen  Theorie  die 
Integralgleichung  (32)  mit  dem  transponierten  Kern  ebenfalls  genau 
n  +  JS  linear  unabhängige  Lösungen  besitzen,  d.  h.  außer  den  Funktionen 
X^,  .  .  .,  X,v  gibt  es  noch  genau  n  Funktionen  %i,  ■  ■  .,  %„,  die  ebenfalls 
der  Integralgleichung  (32)  genügen  und  mit  X^,  .  .  .,  X.v  zusammen  ein 
volles  System  von  n  ■]-  N  Lösungen  der  Integralgleichung  (32)  bilden. 

Die  w  Funktionen  x^,  .  .  .,  %„  denken  wir  uns  nun  durch  geeignete 
lineare  Kombinationen  ihrer  selbst  derart  ersetzt,  daß  gerade  für  die 
V  Funktionen  i^,  .  .  .,  x^  {0  ^v  ^n)  ^\e  Gleichungen 


230  Kap.  XVin.     Methode  der  Parametrix. 

(36)  ■fpXndh=0  {h=^l,...,v) 
statthaben  und  überdies,  falls  Avir  aus  den  übrigen  n  —  v  Funktionen 
Xy  +  17  ■  ■  -j  Xn  di^  n  —  V  Funktionen 

^A  -JpXfM  {h  =  v+l,  .  ..,n) 

bilden,  diese  n  —  v  Funktionen  i\.j^i,  •  .  .,  ^„  noch  linear  voneinander 
unabhängig  ausfallen.  Wegen  (21)  sind  i^^+i,  .  .  .,  J/^'„  Lösungen  der 
Differentialgleichung  (25). 

Nunmehr  nehmen  wir  an,  daß  der  zu  beweisende  Satz  für  alle  Fälle, 
in  denen  die  Anzahl  der  linear  unabhängigen  Lösungen  der  vorgelegten 
Differentialgleichung  kleiner  als  n  ausfällt,  bereits  als  richtig  erkannt  sei; 
dann  folgt,  daß  die  Differentialgleichung  (25)  mindestens  n  linear  unab- 
hängige Lösungen  besitzen  muß-,  denn  wäre  ihre  Anzahl  kleiner  als  n, 
so  würde  unser  Satz,  auf  (25)  angewandt,  aussagen,  daß  die  zu  (25)  ad- 
jungierte  Differentialgleichung  (23)  nur  ebensoviel,  gewiß  also  nicht  n 
linear  unabhängige  Lösungen  besitzen  könnte,  wie  wir  doch  gegenwärtig 
vorausgesetzt  haben.  Es  ist  hiernach  gewiß  möglich  zu  den  n  —  v  Funk- 
tionen ^,,^1,  .  .  .,  ^,1  noch  V  weitere  Funktionen  tx,  •  •  -,  i\.  hinzuzufügen, 
derart,  daß  die  Funktionen  i^,  .  .  .,  i^„  ein  System  von  n  linear  unab- 
hängigen Lösungen  der  Differentialgleichung  (25)  bilden. 

Aus  (15)  folgt  sofort,  daß,  wenn  die  Differentialgleichung  (24)  lösbar 
sein  soll,  notwendig  die  Integralbedingungen  (26)  erfüllt  sein  müssen. 
Andererseits  besitzt  die  inhomogene  Integralgleichung  (27)  der  allgemeinen 
Theorie  zufolge  gewiß  eine  Lösung,  wenn  die  n  -\-  N  Bedingungen 

(37)  fJX,(ar)pf(st)dMy,  =  0  (^  =  1,  •  •  .,  N), 

(38)  ffx,{6t)pfXst)dldx  =  0  (h  =  l,...,v), 

(39)  J Jx,{6x)pfist)dhdx  =  0  {h  =  v+\,...,n) 

bestehen.  Nun  sind  aber  wegen  (35),  (36)  die  Gleichimgen  (37),  (38) 
für  jede  Funktion  f  erfüllt  und  die  Gleichungen  (39)  erhalten  die  Gestalt 

(40)  fft,dk  =  0  {h  =  v+l,...,7i). 

Bedeutet  also  f  eine  diesen  n  —  v  Bedingungen  (40)  genügende  Funktion, 
80  gibt  es  gewiß  eine  Funktion  2  =  qp*,  die  der  Integralgleichung  (27) 
genügt.  Addieren  wir  diese  Gleichung  zu  derjenigen,  die  aus  (20)  für 
ja  =  (f*  entsteht,  so  erhalten  wir 

(41)  fp{L{<p*)-f}dk  =  0, 
und  hieraus  entnehmen  wir  wie  vorhin 

Hcp*)-f=ca^  +  ■■■  +  c„x„+  c,x,+  . . .  +  c^x,v, 


Kap.  X.YÜI.     Methode  der  Parametrix.  231 

wo  Cj,  .  .  .,  c,,  C\,  .  .  .,  Cs  geeignete  Konstante  bedeuten.  Setzen  wir 
aber  diesen  Ausdruck  für  L{(p'^)  —  f  m  (41)  ein,  so  folgt  sofort  mit  Rück- 
sicht auf  (35),  (36 )  wegen  der  linearen  ^Unabhängigkeit  der  n  --  v  Funk- 
tionen 1^'/^,  daß 

^v  +  i  =  0,  .  .  .,  c„  =  0 

sein  muß.     Wegen  (34)  befriedigt  mithin 

9?  =  ()t*  —  Ci  01 Cs^x 

die  Differentialgleichung 

Wir  woUen  nun  zeigen,  daß  die  weiteren  der  Funktion  f  aufzuer- 
legenden V  Bedingungen 

(43)  Jfi^.dh  =  0  {h=\,...,  v) 
notwendig 

(44)  c,  =  0,  ...,  6v=0 

zur  Folge  haben.  Zu  dem  Zwecke  setzen  wir  in  (15)  m,'  =  ^^^  (/i  =  1,  . . .,  v) 
und  z  =  (p-^  dann  erhalten  wir  wegen  (42) 

J^jdh  +  cjtai^ijc  +  •  •  •  +  cJtaJ^-  =  0    ih  =  1, . . .,  1^) 

oder 

(45)  «;,ic,  +  •  •  •  +  a,^c^.  =  A;  (h  =  1, . . .,  v), 
wenn  zur  Abküi'zung 

ßjdk  =  -Ä,  {h=^l,...,v), 

Jxp,j^d'k=      a,j  (h,l  =  l,...,v) 

gesetzt  ist.  Da  wir  nun  offenbar  durch  geeignete  Wahl  der  Funktion  f 
unter  Wahrung  der  Bedingungen  (40)  den  Größen  A,^  beliebige  Werte 
«rteilen  können  und  nach  dem  eben  Bewiesenen  die  Gleichungen  (45)  für 
alle  solchen  A^^  Lösungen  q,  .  .  .,  c,,  haben,  so  muß  die  Determinante  der 
Größen  a^^.  notwendig  von  Null  verschieden  sein.  Legen  wir  daher  der 
Funktion  /'  noch  die  weiteren  v  Bedingungen  (43)  auf,  d.  h.  nehmen  wir 

^  =  0,  ...,  ^,=  0, 

so  folgt  aus  (45)  notwendig  (44),  d.  h.  wegen  (42)  ist  g?  eine  Lösung 
■der  Differentialgleichung  (24). 

Um  den  Beweis  unseres  Satzes  zu  vollenden,  bleibt  nur  noch  übrig 
■zu  bemerken,  daß  die  Gleichung  (25)  auch  nicht  mehr  als  n  linear  un- 
abhängige Lösungen  haben  kann.  In  der  Tat,  gäbe  es  noch  eine  von 
i^j,  .  .  .,  t^'^  linear  unabhängige  Lösung  von  (25),  etwa  tn  +  if  ^^  würde, 
wie  aus  (15)  sofort  folgt,  die  Gleichung 


232  Kap.  XYIII.     Methode  der  Parametrix. 

noch    eine    weitere    notwendige   Bedingung   für    die   Lösbarkeit    von  (24) 
darstellen,  was  dem  eben  Bewiesenen  Aviderspricht. 


Für  die  weitere  Entwicklung  unserer  Theorie  ist  eine  Bemerkung 
über  die  Beschaö'enheit  der  Funktion  /'  wichtig.  Wenn  nämlich  /'  in  (24) 
eine  nicht  durchweg  stetige  Funktion  ist,  so  bleiben  bei  geeigneten  Voraus- 
.Setzungen  dennoch  alle  bisher  angestellten  Überlegungen  gültig:  es  sei  etwa 
/'  eine  solche  Funktion  des  Argumentpunktes  s,  t  auf  der  Kugel,  die  überall 
stetig  ist  mit  Ausnahme  der  Stelle  s  =  6,  t  =  r,  wo  sie  von  der  ersten 
Ordnung  unendlich  wird.  Um  bei  dieser  Annahme  den  Charakter  der  Lösung  z 
der  Integralgleichung  (24)  an  der  Stelle  a,  r  festzustellen,  bedenken  wir,  — 
wie  dies  aus  der  Fredholmschen  Methode  der  inhomogenen  Litegralgleichung 
ersichtlich  ist  —  daß  für  die  Beurteilung  des  Verhaltens  jener  Lösung  z 
von  (24)  das  Verhalten  der  rechten  Seite  der  Integralgleichung  (27)  den 
Ausschlag  geben  muß.  Nun  ist  diese  rechte  Seite,  wie  man  durch  eine 
leichte  Untersuchung  feststellen  kann,  bei  der  über  /'  gemachten  Annahme 
eine  solche  Funktion  des  Argumentpunktes  s,  f,  die  an  der  Stelle  a,  r 
stetig  ist  und  deren  zweite  Ableitungen  daselbst  von  der  ersten  Ordnung 
unendlich  werden;  den  gleichen  Charakter  an  der  Stelle  (?,  r  zeigt  also 
in  diesem  Falle  die  Lösung  der  Differentialgleichung  (24). 

Wir  wollen  dieses  Ergebnis  zur  Konstruktion  der  Greenschen 
Funktion  des  Differentialausdruckes  iu)  anwenden;  dabei  sei  der  Kürze 
halber  L{2)  als  ein  sich  selbst  adjungierter  Differentialausdruck  voraus- 
gesetzt. 

Es  sind  wie  im  obigen  Satze  44  (S.  226 — 227)  zwei  Fälle  zu  unter- 
scheiden, je  nachdem  die  Differentialgleichung  (23)  stetige  Lösungen  besitzt 
oder  nicht.  In  letzterem  Falle  ist  jederzeit  eine  geeignet  gewählte  Lösung 
der  Integralgleichung  (27),  wenn  wir  darin  f  =  L{p)  nehmen,  zugleich 
die  Lösung  der  Differentialgleichung 

L{z)  =  L{p). 
Bezeichnen   wir  diese  Lösung  mit  (p,   so  befriedigt  offenbar  die  Funktion 

G{st,  6t)  =i>  —  9> 

die  Differentialgleichung  (23);  G  heiße  die  Greensche  Furiktion  des 
Diff'erentiakmsdrnckes  L(z).  Aus  den  obigen  Darlegungen  über  das  Ver- 
halten der  Lösung  (p  an  der  Stelle  6,  x  erkennen  wir,  daß  die  Greensche 
Funktion  G  an  der  Stelle  6,  x  gerade  die  logarithmische  Unstetigkeit  be- 
sitzt, wie  sie  für  die  Parametrix  verlangt  worden  ist;  sie  ist  durch  diese 
Eigenschaft,  sowie  durch  die  Forderung,  der  Differentialgleichung  (23)  zu 
genügen,  völlig  eindeutig  bestimmt. 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  235 

Die  Symmetrieeigenschaft  der  Greenschen  Funktion 

G{st,6r)  =  G{6r,st) 

folgt  iu  der  üblichen  Weise ^)  mit  Benutzung  des  Umstandes,  daß  der 
Diiferentialausdruck  M{z)  nach  Voraussetzung  mit  L{s)  identisch  ausfällt. 
Xunmehr  nehmen  wir  im  Gegenteil  an,  die  Differentialgleichung  (2.')) 
besitze  genau  n  voneinander  linear  unabhängige  Lösungen  g)j,  .  .  .,  9?  • 
wir  denken  uns  diieselben  derart  normiert,  daß  die  Orthogonalitätsrelationen 

f(f,cp,dl-  =  U  {h,l=l,.. .,  n,  h  H=  T), 

jVrf/.-=l  {h=l,...,n) 
gelten.     Nehmen  wir  dann 

f(st)  =  L{p)  -  (p^{6x)(p,{st) 9'„(ö^)9'„(sO. 

so  erfüllt  f,  wie  aus  (20)  sofort  zu  ersehen  ist,  die  n  Bedingungen 

ff(pJJc  =  0  {h  =  l,...,H), 

und  nach  dem  Früheren  besitzt  mithin  die  Differentialgleichung  (24)  eine 
Lösung  z  =  (p,  die  an  der  Stelle  <?,  r  stetig  ausfällt  und  deren  zweite 
Ableitungen  daselbst  von  der  ersten  Ordnung  unendlich  werden.  Wir 
setzen  nunmehr 

G{st,  6t)=p  —  (p  -f{p  —  (p)(p^dk-(pi f(p-(p)(p^ßJc-(p,,- 

dann  erfüllt  G  die  n  lutegralbedingungen 

(46)  -  J'G{st,  ör)(p,(ist)dk  =  0  (Ä  =  1, . . .,  n) 
und  genügt  überdies  der  Differentialgleichung 

(47)  L{G)  =  (p^(6r)(p^{st)  +  •  •  •  +  (pjör)(p,(st). 

G  heiße  die  Greensche  Funktion  (im  erweiterten  Sinne)  des  Differential- 
ausdruckes  L(z).  Die  Greensche  Funktion  G  besitzt  an  der  Stelle  0,  x 
gerade  die  logarithmische  Unstetigkeitsstelle,  wie  sie  für  die  Parametrix 
verlangt  worden  ist;  sie  ist  durch  diese  Eigenschaft,  sowie  durch  die 
Forderung,  der  Differentialgleichung  (47)  und  den  Integralbedingungen  (40 ) 
zu  genügen,  völlig  eindeutig  bestimmt.    Auch  gilt  für  sie  das  Symmetrie- 

°®^^  ^  G(st,  6r)  =  G(0T,  st). 

Endlich  zeigt  man  iu  üblicher  Weise,  daß  stets  vermittels  der 
Greenschen  Funktion  die  Lösung  der  Differentialgleichung  (24)  durch 
die  Formel 

(48)  z  =  -jGf{6r)dx 

1)  Vgl.   den   Beweis   dieses  Symmetriegesetzes   im  Falle  einer  Variabein,   wie  er 
iu  Kapitel  VII  S.  45  angedeutet  worden  ist. 


234  Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix. 

geliefert  wird,  und  zwar  in  dem  zuletzt  erörterten  Falle  diejenige  Lösung^ 
die  die  n  Orthogonalitätsrelationen 

(49)  Jzq>„dh==Q  {li  =  \,...,n) 
■erfüllt.                                             

Nachdem  im  Vorstehenden  die  Theorie  der  Integration  der  linearen 
partiellen  Differentialgleichung  vom  elliptischen  Typus  auf  der  Kugel  er- 
ledigt worden  ist,  soll  nunmehr  die  in  Kapitel  I — VI  und  XIV  dar- 
gelegte Theorie  der  Integralgleichungen  mit  symmetrischem  Kern  und 
zwar  die  der  orthogonalen  Integralgleichungen  auf  die  lineare  Differential- 

angewandt  werden,  wo  L{s)  einen  sich  selbst  adjungierten  elliptischen 
Differentialausdruck  auf  der  Kugel  bedeutet.  Die  Greensche  Funktion 
G{st,  6t)  dieses  Differentialausdrucks  L{z)  wird  nach  dem  Obigen  sym- 
metrisch in  bezug  auf  den  Argumentpuukt  s,  t  und  den  Parameterpunkt  6,  x 
der  Kugel.  Unsere  Theorie  liefert  nun,  wenn  wir  G{st,  6x)  als  Kern  einer 
orthogonalen  Integralgleichung  auf  der  Kugel  nehmen,  folgende  Sätze: 

Es  gibt  gewiß  einen  oder  beliebig  viele  Werte  }y^\  l^\  .  .  .  und  zu- 
gehörige Funktionen  il.'^^\  Tp^'\  .  .  .  auf  der  Kugel,  so  daß 

(50)  ^^'^^st)  =  X^"'^fG{st,  öT)t^"'\6r)d}c 

wird,  die  sogenannten  Eigenwerte  und  EigenfunMioneu  des  Kerns  G]  die 
letzteren  besitzen  die  Orthogonalitätseigenschaft. 

Jede  Funktion,  die  sich  bei  geeigneter  Wahl  der  Funktion  g{(3x)  in 
der  Gestalt 

(51)  f{st)  =jG{st,  6x)g{6t)d^ 

darstellen  läßt,  ist  in  eine  auf  Fouriersche  Weise  gebildete  Reihe  nach 
den  Eigenfunktionen  i^(^\  ^(^*,  .  .  .  entwickelbar: 

(52)  /•=,^^w  +  ,,,^(2)+..., 

wo  Cj,  Cg,  .  .  .  die  Fourier-Koeffizienten  von  f  in  bezug  auf  das  Orthogonal- 
system 7^^^\  ^l}^^\  .  .  .  bedeuten. 

Wir  stellen  nunmehr  die  Bedeutung  der  Bedingung  (51)  fest.  Es 
seien  (p^,  (p^, .  .  .,  tp^  die  n  zueinander  orthogonalen  Integrale  der  Gleichung 

i(~^)  =  0, 
dann  muß   wegen  (46)  jede   in   der  Gestalt  (51)   darstellbare   Funktion  / 
die  n  Bedingungen 

(53)  fcp,  ist)tXst)dk  =  0,  (A  =  1, . . .,  n) 

erfüllen.  Umgekehrt  ist  jede  diesen  n  Bedingungen  genügende  mindestens 
zweimal  stetig  differenzierbare  Funktion  /'  in  der  Gestalt  (51)  darstellbar. 


Kap.  XVm.     Methode  der  Parametrix.  235 

Setzen  wir  nämlich  g  =  —  L{f),  so  genügt,  wie  aus  (15)  folgt,  die  Funktion  g 
<ien  n  Bedingungen 

fcp,gdk  =  0  (/*=l,...,w), 

und  daher  wird  nach  (48) 

f^-^J'G^st,  6r)g{öt)dx 
eine  den  Bedingungen  (49)   genügende   Lösung   der  Differentialgleichun»- 

L{z)=g(st). 
Da    aber    diese    Gleichung    nur    eine    diesen    n  Bedingungen    genüo-ende 
Lösung  besitzen  kann,  so  ist  genau  f*  =  f  und  mithin  f  in  der  Gestalt  (51) 
darstellbar.     Aus  (50)  und  (46)  schließen  wir  leicht,  daß 

f(p,t^'^dJc  =  0 
ausfällt;  mithin  bilden  die  Punktionen 

(54)  ^„  .  . .,  ^,„  ^W  ^(2),  .  . . 

€in  System  von  Orthogonalfunktionen  auf  der  Kugel. 
Wir  setzen 

A,  =  0,  ...,  A,=  0,  A„^,=  AW    A„^2=n--- 

und  bezeichnen  die  Konstanten  X^,  X^,  .  .  .  als  die  Eigenwerte  und  die 
Funktionen  cp^,  (p^,  ...  als  die  zugehörigen  Eigenfunktionen  der  Differential- 
gleichung 

(55)  L{z)-{-lz  =  0,' 

da  sie  das  volle  System  stetiger  Lösungen  dieser  Differentialgleichung 
bilden.     Nach  dem  Obigen  ergibt  sich  sofort: 

Satz  45.  Jede  mindestens  zweimal  stetig  differenzierbare  Funktion  auf 
der  Kugel  läßt  sich  in  der  Fourierschen  Weise  in  eine  nach  den  Eigen- 
fimktionen  (p^,  q)^,  .  .  .  fortschreitende  Reihe  entivickeln;  die  Anzahl  der 
Eigenwerte  und  der  Eigenfunktionen  der  Differentialgleichung  (55)  ist  mithin 
unendlich. 

Wir  gehen  nun  dazu  über,  das  zur  Differentialgleichung  (55)  ge- 
hörige Dirichletsche  Variationsproblem  aufzustellen  und  zu  unter- 
suchen.^)    Da  der  Differentialausdruck 

2{z)  =  a^,,+  ^hz^t-\-  c^tt+  /^*+  ^~f+  "^ 
als  sich  selbst  adjungiert  angenommen  worden  ist,  so  haben  wir 

a,-^ht=  l, 
h^^c,=  m, 

1)  Vgl.  die  den  Fall  einer  "Variabein  betreffenden  analogen  Entwicklangen 
in  Kapitel  VII,  S.  57  f. 


236  Kap.  XYUI.     Methode  Tier  Parametrix.  ' 

und  es  gilt  die  Identität 

wo 

der  zu  I2(^)  gehörige  quadratische  DiflFerentialausdruck  und 

die  zu  ^(z)  gehörigen  Nebenausdrücke  heißen  mögen.  Führen  wir  in 
%{z)  an  Stelle  von  s,  t  neue  Variable  s,  f  ein,  so  heiße  der  durch 
Multiplikation  mit  der  Funktionaldeterminante 

entstehende  Ausdruck  %'{z)  der  transformierte  Ausdruck  von  %{z)\  ferner 
mögen  die  Ausdrücke 

wenn  man  rechter  Hand  in  ^,  O  die  neuen  Variabein  .s',  t'  an  Stelle  von 
5,  t  einführt,  die  transformierten  Ausdrücke  von  ^,  C  heißen.  Es  besteht 
dann  die  Tatsache: 

Der  transformierte  Ausdruck  W{z)  ist  genau  der  zu  2'(~) 
gehörige  quadratische  Differenti'alausdruck,  und  die  trans- 
formierten Ausdrücke  ^s',  C  sind  genau  die  zu  ß'(^')  gehörigen 
Nebenausdrücke. 

Aus  der  DiflFerentialformel  (56)  ergibt  sich  durch  Integration  über 
ein  Gebiet  G  mit  der  Randkurve  B  die  Integralformel 

JJ[z^{^)  +  %{z)]dsdt=^f{^dt-^ds), 

CO  («) 

und  indem  wir  diese  —  entsprechend  wie  wir  oben  auf  S.  222 — 223  beim 
Beweise  der  Formel  (15)  verfahren  —  auf  die  zwei  Hälften  der  Vollkugel 
anwenden,  gelangen  wir  auf  Grund  der  eben  gewonnenen  Tatsache  zu 
der  Formel 

j  J{z^{z)  +  %{z)]dsdt  =  (), 

wo  das  DoppelintegTal  über  beide  Kugelhälften  zu  erstrecken  ist.  Setzen 
wir  nun  —  entsprechend  wie  oben  S.  222  bei  der  Definition  des 
Ausdruckes  L{z)  — 

^         Veg-r       Veg-r' 

so  ist,  —  ebenso  wie  oben  der  Ausdruck  L(z)  — ,  der  quadratische 
Difierentialausdruck  Ä(z)  eindeutig  und  widerspruchslos  überall  auf  der 
Kugel  definiert,  und,  wenn  z  eine  Funktion  des  Ortes  auf  der  Kugel  be- 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  237 

deutet,  so  stellt  Ä(2)  einen  von  der  Wahl  der  krummlinigen  Koordinaten  .v,  t 
unabhängigen  Wert  dar.  Durch  Einführung  von  L(2)  und  Ä(z)  nimmt 
die  obige  Integralformel  die  Gestalt  an 

wo  das  Integral  über  die  Vollkugel  zu  erstrecken  ist.     Das  Integral 

(57)  D{z)  =fÄ(z)dk  =  -JzL{z)dh 

heiße  das  zu  Ij{s)  gehörige  Dirichletsclie  Integral.  Durch  Variation  von 
(57)  erhalten  wir  leicht  mit  Rücksicht  auf  (15) 

dD{z)  =  -2jL{z)8zdk. 
Wegen  (16)  ist,  wenn  wir  noch  a  >  0  annehmen,  gewiß  stets 
az;-\-2hz^z,^cz;'>0. 
Bestimmen   wir  sodann  eine  solche  Konstante  C,  die  überall  auf  der  Kugel 
die  Werte  der  Funktion 


Veg  -  r-        Veg  -  f"- 

übertrifft,  so  ist  gewiß  für  alle  Funktionen  z 

Ä(z)  +  Cz'>0 
und  folglich  auch 

f{Ä(z)  4-  Cz'}dk  =J{-zL{z)  +  Gz'^]dk  >  0. 

Insbesondere    ergibt    sich    hieraus    für    z  =  g^^,    mit    Rücksicht    auf    die 
Oleichungen 

f%rdk  =  1 
die  Ungleichung 

A,  +  C  ^  0     oder     A,  ^  -  C, 

d.   h.    es   gibt   zur   Differentialgleichung    (55)    nur   eine   endliche   Anzahl 
negativer  Eigeniierte. 

Wir  denken  uns  die  Eigenwerte  von  (55)  der  Größe  nach  geordnet, 
so  daß  l^  der  kleinste  wird  und  allgemein 

ist. 

Das  zur  Difierentialgleichung  (55)  gehörige  Variationsproblem  lautet 
nun:  man  soU  eine  Funktion  z  auf  der  Kugel  derart  bestimmen,  daß  D{z) 
zum  Minimum  wird,  während  die  Nebeubedingung 

(58)  JzHk  =  1 

«rfüllt  ist.     Zur  Lösung  dieses  Problems  setzen  wir  an 


238  Kap.  XVni.     Methode  der  Parametrix. 

Wegen 

D(2)  =  -JzL{z)dh 
wird 

während  die  Nebenbedingung  (58)  die  Gestalt 

€,'+(^-+-■•  =  1 

erhält.     Daraus  entnehmen  wir  sofort  den 

Satz  46.  Das  Minimum  des  Dirichletsclien  Integrals  Di/)  hei  der 
Nebenhedingung  (58)  ist  gleich  dem  Ueinstcn  Eigenteert  l^  der  Differential- 
gleichung (55)  und  uird  für  z  =  cp^  angenommen,  ao  (p^  die  zu  k^  gehörige 
Eigenfunhtion  von  (55)  bedeutet.  Werdeti  zu  der  yehenhedingung  (55)  nocJi 
die  weiteren  h  —  1  Nehenhedingungen 

ftp^zdk  =  0,     .  .  .,      fq),,_izdk  =  0 

hinzugefügt,  so  ist  X,^  der  Minimahvert  von  D{z);  derselbe  tvird  für  z  =  (p^^ 
angenommen. 

Als  einfachstes  Beispiel  für  die  vorstehende  Theorie  können  die  be- 
reits in  Kapitel  VIII  behandelten  Kugelfunktionen  dienen. 


Zum  Schluß  dieses  Abschnittes  beweisen  wir  noch  folgenden  Satz^ 
welcher  besonders  für  die  Anwendungen  dieser  Theorie  von  Wichtigkeit  ist. 

Satz  47.  Wenn  die  Koeffizienten  des  linearen  Differentialausdruckes 
L{z)  für  alle  innerhalb  und  auf  die  Grenzen  des  Intervalles 

fallenden  Werte  von  fi  regidär  analytische  Funktionen  eines  Parameters  fi 
sind,  und  tvenn  für  eben  diese  Werte  ^  auch  stets  die  Ungleichung  (16)  gilt,, 
so  ist  allemal  der  h-te  Eigenwert  A,^  eine  stetige  Funktion  von  fi. 

Da  nach  den  oben  bewiesenen  Sätzen  für  jeden  besonderen  Wert 
iu  =  juq  stets  l^^  eine  endliche  und  eindeutig  bestimmte  Größe  darstellt,  so 
kommt  es  nur  darauf  an,  zu  zeigen,  daß  A^^  als  Funktion  von  u  an  der 
Stelle  fi  =  ^Q  auch  stetig  ausfällt.  Zu  dem  Zwecke  bezeichnen  wir  mit 
Lq(z)  den  Differentialausdruck  L{z)  für  fi  =  juq  und  nehmen  zunächst 
der  Kürze  halber  an,  daß  die  Eigenwerte  der  Differentialgleichung 
(59)  L,(z)  -\-kz  =  0 

sämtlich  positiv  ausfallen,  so  daß  die  Differentialgleichung 

gewiß  keine  stetige  Lösung  besitzt;  es  sei  Gq  die  zu  Lq{z)  gehörige 
Greensche  Funktion,  ferner  p  die  nach  der  Vorschrift  auf  S.  224—225 
konstruierte  von  .u  abhängige  Parametrix   für  L{z),  und  endlich  bedeute 


Kap.  XVIII.     Methode  der  Parametrix.  239 

Pq  den  aus  ^)  für  ii  =  ^^  entstehenden  Ausdruck,  so  daß  Pq  zugleich  die 
nach  jener  Vorschrift  gebildete  Parametrix  für  Lq  ist. 

Um  nun  die  Greensche  Funktion  für  L{z)  zu  bilden,  wenden  wir 
das  oben  S.  232f.  eingeschlagene  Verfahren  an,  indem  wir  in  (27)  an 
Stelle  der  dort  mit  p  bezeichneten  Parametrix  den  Ausdruck 

p*  =  p-\-  Gq-  Po 

nehmen,  der  ebenfalls  die  Eigen.«!chaften  einer  Parametrix  für  L(2)  besitzt. 
Die  so  aus  (27)  entstehende  Integralgleichung 

(60)  ßL(jp*)dJc  -  ^((?r)  =fp^fdk 

besitzt  den  Kern 

K{st,  6v)  =  L{p^-)  =  L{p)  +  L(G,-p,) 
^     ^  -  L{l>)  +  L,{G,  -  p,)  +  Ca  -  ^i,)L{G,  -  p,), 

wo  L  einen  gewissen  noch  vom  Parameter  ^  abhängigen  Differential- 
ausdruck zweiter  Ordnung  bedeutet.  Da  Gq  —  p^  eine  Funktion  von 
s,f-^  6,r  ist,  deren  zweite  Ableitungen  für  s  =  6,  t  =  r  höchstens  von  der 
ersten  Ordnung  unendlich  werden,  so  stellt  L{Gq  — p^)  eine  Funktion 
dar,  deren  Produkt  mit  yis  —  rf-^it  —  xy  gewiß  absolut  genommen 
für  alle  s,  f;  ö,  r  unterhalb  einer  von  a  unabhängigen  Schranke  bleibt. 
Andererseits  ist,  wenn  wir 

Hp)  +  h(Go-Po)  =  L(p)  -  L^ijpo)  =  (ft  -  ii^yL 


setzen,  L  ebenfalls  eine  Funktion,  deren  Produkt  mit  |/(s  —  6y  -\-  {t  —  r)^ 
absolut  genommen  gewiß  für  alle  s,  t-,  6,  r  unterhalb  einer  von  /t  unab- 
hängigen Schranke  bleibt  —  da  ja  L(p)  für  s  ==  ö,  f  =  r  nur  höchstens 
von  der  ersten  Ordnung  unendlich  wird  und  Lq{pq)  den  Wert  von  L(p} 
für  }i  =  .Uq  bedeutet.  Wegen  (61)  ist  demnach  auch 
K{st,  6r)  =  (ß  —  a^K{st,  6t), 


wo  K  eine  Funktion  ist,  deren  Produkt  mit  "/(s  —  öf  -\-  (t  —  xf  absolut 
genommen  für  alle  s,t\  6,  r  unterhalb  einer  von  ,a  unabhängigen  Schranke 
bleibt.  Infolge  der  letzteren  Eigenschaft  erkennt  man,  daß  der  aus  K 
gebildete  dreifach  zusammengesetzte  Kern  KKK  eine  stetige  Funktion 
von  s,  ^;  6,  X  wird,  deren  absolute  Werte  für  alle  s,  t-^  a,  x  unterhalb  einer 
von  a  abhängigen  Schranke  bleiben.  Hieraus  wiederum  folgt-,  daß  der 
aus  K  gebildete  dreifach  zusammengesetzte  Kern  KKK  ebenfalls  stetig 
ist  und  überdies  für  ihn  eine  positive  Zahl  s  gefunden  werden  kann  derart,, 
daß  die  absoluten  Werte  von  KKK  für  aUe  s,  t-,  6,  x  kleiner  als  .V  bleiben,, 
sobald  nur  ;t  innerhalb  des  durch  die  Ungleichung 
{6'2)  \ji.  —  }if,\^£ 

bestimmten   Intervalles    bleibt.     Die  so   gefundene  Tatsache  bedingt,   daß 


240  Kap.  XYIII.     Methode  der  Parametrix. 

unter  dieser  einschränkenden  Bedingung  (62)  für  u  die  inhomogene 
Integralgleichung 

ßKdk  -  z(6t)  =  F(6r) 

stets  nach  der  Neumannschen  Methode  lösbar  ist,  und  daß  die  Lösuns:  z 
gleichmäßig  für  alle  s,  t-  6,  r  in  jti  stetig  wird,  während  die  entsprechende 
homogene  Integralgleichung 

ßKdk  -  z(6r)  =  0 

keine  Lösung  besitzt.  Wenden  wir  dieses  Resultat  auf  die  lQte;^Talgleiehuiig(60) 
für  f=  L{p*)  an,  so  erkennen  wir,  daß  dieselbe,  falls  a  der  Bedingung  (62) 
genügt,  gewiß  eine  und  nur  eine  Lösung  (p  besitzt,  und  daß  diese  Lösung 
für  ^  =  Hq  gleichmäßig  für  alle  s,t\  6,  r  gegen  Xull  konvergiert  —  da 
ja  p*  für  ,u  =  jHq  in  Gq  und  demnach  L{p^)  für  s,t  =\=  6,x  in  Null  über- 
geht.    Nach  dem  von  uns  befolgten  Verfahren  ist 

G  =  ^*  _  ^ 

die  Greensche  Funktion  von  L{z),  falls  u  der  Bedingung  (62)  genügt. 
Hieraus  folgt  wegen  der  eben  erkannten  Beschaffenheit  von  (p,  daß  der 
aus  G  zweifach  zusammengesetzte  Kern  GG  gleichmäßig  für  alle  s,  /;  6,t 
in  /t  stetig  ausfällt.  Bilden  wir  daher  nach  Fredholm  den  Nenner  der 
lösenden  Funktion  für  die  Integralgleichung 

kJzGGdh  -  z{6x)  =  F{6r), 

so  erkennen  wir,  daß  diese  beständig  konvergente  Potenzreihe  in  l  über- 
dies gleichmäßig  für  aUe  der  Bedingung  (62)  genügenden  Werte  von  ^u. 
konvergiert.  Da  andererseits  die  Nullstellen  dieser  Potenzreihe  sämtlich 
reell,  und  zwar  die  Eigenwerte  des  Kerns  GG  sind,  diese  aber  nichts 
anderes  als  die  Quadrate  der  Eigenwerte  /Ij,  X.2,  .  .  .  sind,  so  folgt,  daß 
allgemein  der  // te  Eigenwert  l,'^  sich  stetig  in  /i  ändert;  das  gleiche  gilt 
mithin  auch  von  A^^,  solange  n  auf  das  Intervall  (62)  beschränkt  bleibt. 
Trifft  die  zu  Anfang  dieser  Beweisführung  gemachte  Annahme,  wonach 
die  Eigenwerte  der  Differentialgleichung  (59)  sämtlich  positiv  ausfallen, 
nicht  zu,  so  bezeichnen  wir"  mit  l\  den  kleinsten  Eigenwert  von  Lq{z)'^ 
sodann  setzen  wir 

Tß{z)  =  L{z)  +[l\-l)z, 

L*iz)^L,{z)  +  {l^,-l)z. 
Die  Eigenwerte  der  Differentialgleichung 

X*(^r)  i-  lz  =  0 
sind  offenbar 

A,-;.;+i  (Ä  =  i,2,...), 

und  diejenigen  von 

L^'(z)  +  lz  =  0 


Kap.  XYIII.     Methode  der  Parametrix.  241 

sind  dalier  sämtlich  ^  1;  folglich  läßt  sich  unsere  bisherige  Betrachtung 
auf  den  Diö'erentialaiisdruck  L*{z)  anwenden  und  lehrt,  daß  allgemein 
1^  —  A^*'-|-  1  und  mithin  auch  l,^  sich  in  der  Umgebung  von  .u^  stetig 
mit  II  ändert. 

Da  /<j)  Avillkürlich  gewählt  werden  kann,  so  ist  damit  der  Beweis  des 
aufgestellten  Satzes  vollständig  erbracht. 


Endlich   sei   noch   bemerkt,    daß    die    eben   entwickelte  Theorie   sich 
unmittelbar  auf  die  Differentialgleichung 

(63)  L{z)  +  lqz  =  0 

übertragen  läßt,  wenn  q  eine  beliebige  überall  positive  (oder  negative) 
Funktion  auf  der  Kugel  bedeutet.  Es  ist  nämlich  leicht  ersichtlich,  daß 
der  Differentialausdruck 


^  ^      V<i     \Vd 


wiederum  sich  selbst  adjungiert  ist,  und  durch  Einführung  dieses  Differential- 
ausdruckes erhält  die  Differentialgleichung  (63)  die  vorhin  der  Unter- 
suchung zugrunde  liegende  Gestalt 

L*(2)  +  A^  =  0. 

Wir  führen  die  wesentlichen  Sätze  über  die  Differentialgleichung  (G3) 
hier  kurz,  wie  folgt,  an. 

Satz  48.  Die  Differentialgleichung  (63)  besitzt  unendlichviele  Eigen- 
werte A^,  z,,,  .  .  .,  von  denen  jedoch  nur  eine  endliche  Anzahl  negativ  ausfällt. 
Die  zu  diesen  EigemveHen  gehörigen  EigenfunJctionen  besitzen  die  OrtJio- 
gomditätseigenschaft 

fqcp^cp^dh  =  0  (/*  +  0, 

fqcp.^dk    =  1. 

Jede  ztveimal  stetig  differenzierbare  Funliion  f  auf  der  Kugel  läßt  sich 
nach  den  zu  jenen  Eigenwerten  gehörigen  EigenfunJctionen  (p^,  ^,,  ...  auf 
Fouriersche   Weise  wie  folgt 

f=Ci(pi  +  c.2(p2-{ (c,  =  fqfcp,  dk) 

entivicheln. 

Das  Minimum  des  Dirichletschen  Integrals  D{z)  hei  den  Nehen- 
bedingungen 

Jqz^dk     =1, 

fq(p^zdk  =  0,     ...,    fq(p,_i2dk  =  0 

ist  A^^;  dasselbe  ivird  für  z  =  q),^  angenommen. 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  16 


242  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

Hängen  die  Koeffizienten  in  L{z)  von  einem  Parameter  ,u  atmlytiscJi 
ab  und  denken  fcir  uns  für  jeden  Wert  von  u  die  Eigeniverte  yli,  A,,  .  .  . 
der  Größe  nach  geordnet,  so  ist  allgemein  der  hte  Eigenicert  X,^  eine  stetige 
Funktion  von  u. 

Neunzehntes  Kapitel. 

Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

Der  folgende  Abschnitt  enthält  eine  Neubegründung  der  Minkowski- 
schen  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  Der  Gedanke,  die  Kugel 
der  gewöhnlichen  Raumgeonietrie  als  Ort  der  Punkte  gleicher  Entfernungen 
von  einem  festen  Punkte  durch  eine  beliebige  konvexe  Fläche,  die  so- 
genannte „Eichfläche,"  zu  ersetzen,  bildet  die  Grundlage  der  arithmetischen 
Untersuchungen  Minkowkis.^)  Die  mehr  geometrische  Verfolgung  dieses 
Gedankens  hat  ihn  zu  dem  fundamentalen  Begrifi"e  des  gemischten  Volumens 
Fj23  von  drei  Körpern  geführt^),  und  den  Kernpunkt  seiner  Theorie  von 
Volumen  und  Oberfläche  bildet  dann  die  Entdeckung  der  Ungleichung 

'112     ^    '^  111  '^122> 

einer  Ungleichung,  welche  lediglich  quadratischen  Chai-akter  besitzt, 
während  der  Beweis  derselben  von  Minkowski  auf  Grund  einer  kubischen 
Ungleichung  geführt  wird.  Die  nachfolgende  neue  Begründung  der 
Minkowskischen  Theorie  greschieht  mittels  der  im  vorigen  Abschnitt  ent- 
wickelten  Sätze  über  die  lineare  sich  selbst  adjungierte  partielle  Diti^^'erential- 
gleichung  auf  der  Kugel,  und  insbesondere  der  Nachweis  jener  quadra- 
tischen Ungleichung  gelingt  hierbei  direkt  auf  Grund  der  Mininialeigen- 
schaft  des  Dirichletschen Integrals.  Insofern  gerade  allein  die  quadratische 
Ungleichung  es  ist,  die  sich  eines  direkten  Beweises  mittels  der  Theorie 
der  linearen  Diiferentialgleichungen  fähig  erweist  —  die  kubische  Un- 
gleichung erscheint  als  leichte  Folge  der  quadratischen  — ,  scheint  mir 
die  Bedeutung  der  Minkowskischen  Entdeckung  durch  den  hier  folgenden 
Beweis  noch  in  helleres  Licht  gesetzt,  und  zugleich  liefert  diese  Begrün- 
dung der  Minkowskischen  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche  ein  glänzen- 
des Beispiel  für  die  Anwendung  meiner  Theorie  der  orthogonalen  Integral- 
gleichungen. 

Im  folgenden  wollen  wir  allgemein  unter  einer  homogenen  Funktion 
vten  Grades   der  Variabein  x,  y,  z   eine   solche  Funktion   W{x,  y,  z)   ver- 
stehen, die  für  alle  positiven  Werte  von  //  der  Gleichung 
W{iix,  ^y,  //  z)  =  ;i''  W{x,  y,  z) 

1)  Vgl.  meinen  Vortrag  auf  dem  internationalen  Mathematiker-Kongreß  za 
Taris  1900,  Nr.  4.     Gott.  Nachr.  1900. 

2i  Vgl.  meine  Gedächtnisrede  auf  Minkowski.     Gott.  Nachr.  1909,  S.  16—17. 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  243 

genügt.  Ist  insbesondere  W  eine  homogene  Funktion  ersten  Grades  und 
werden  wieder  partielle  Ableitungen  durch  Indizes  bezeichnet,  so  gölten 
die  Identitäten 

(64)  xW,-{-y]\\+,\\\=  ir, 

(65)  U'^^x.+  ^^..+  ^^.,=  0, 
Aus  den  Identitäten  (65)  folgt  leicht 

W^:,Wyy-W^y^   _     WyyW,,-Wy,^ 

und  hieraus  entnehmen  wir,  wenn  V  irgendeine  andere  homogene  Funktion 
ersten  Grades  in  x,  y,  z  bedeutet,  die  weitere  Identität 

TFx-r  Vyy  -  2  W^y  V^,  +    Wyy  V^CX    _     WyyV,,   -   2Wy,  Vy,   +     TT..  Vyy 

Z^  x^ 

Wir  setzen  zur  Abkürzung 

(66)  (W,  F)  = 


x^ 

Wy, 

F..- 

2TTV 

Vy. 

+ 

TT., 

^yy 

x^ 

w,. 

r^cx- 

2W,^ 

V,x 

+ 

W:ox 

V,, 

y- 

W^a 

■^y'j~ 

-2W^y 

Vx, 

^^Vl 

,Vxx 

Es  sei  nunmehr  im  Xl'-Z'-Raum  ein  konvexer  Körper  gegeben,  der 
den  Nullpunkt  im  Inneren  enthält;  wir  bezeichnen  die  Entfernung  des 
NuUpunktes  von  derjenigen  Tangentialebene  dieses  Körpers,  deren  Normale 
die  Richtungskosinus  a,  ß,  y  besitzt,  mit  H{a,  ß,  y)  und  denken  uns  die 
so  bestimmte  Funktion  H  auf  der  Kugel  mit  dem  Radius  1  ausgebreitet. 
Wir  nehmen  an,  daß  H  eine  mindestens  zweimal  stetig  differenzierbare 
Funktion  des  Parameters  auf  der  Kugeloberfläche  sei.  Die  Gleichung 
jener  Tangentialebene  ist 

aX+  ßY+yZ=H 
oder,  wenn  wir 


Hix,y,z)==Yx^  +  y^  +  z''H(    -^     ^      -,  ~-=Ä..=.. ,  ~      ' \ 

V  ,J,   )       y      ^j  ^         Vya;*+2/*  +  ^»'   ya;*+y*+^'''   ya;*  +  2/*+W 

setzen, 

xX-\-xjY -Y  zZ=  H{x,  y,  z), 

wo  H  eine  homogene  Funktion  ersten  Grades  in  x^  y,  z  ist.  Aus  dieser 
Gleichung  erhalten  wir  durch  Differentiation  nach  x,  y,  z  sofort  die  Koor- 
dinaten des  Berührungspunktes  der  Tangentialebene  als  homogene  Funk- 
tionen nullten  Grades  von  x,  y,  z,  wie  folgt: 

16* 


244 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 


diese  Gleichungen  liefern  zugleich  eine  Parameterdarstellung  der  Ober- 
fläche des  Körpers. 

Bezeichnen    wir   mit   ^'   ein   ganz   auf   der   oberen   Hälfte  .ä"  >  0   der 
Einheitskugel  verlaufendes  Gebiet  und  lassen  wir  in  den  Gleichungen 

den  Faktor  [i  die  Werte  0  bis  1  und  .r,  \j,  z  alle  Punkte  von  S  durch- 
laufen, so  durchläuft  der  Punkt  X,  Y^  Z  denjenigen  Raumteil  Q,  der  durch 
einen  gewissen  Kegel  mit  der  Spitze  im  Nullpunkte  aus  unserem  konvexen 
Körper  ausgeschnitten  wird.  Um  das  Volumen  von  Q  zu  berechnen, 
führen  wir  statt  der  Koordinaten  X,  Z,   Y  die  Variabein 


ß,  s  =  — ,     f  = 


ein  und  erhalten  dann 


Vq  =fffdXdYdZ  =  fffzJdiidsdt, 


(,«  =0,  ...,  1) 


i^2^2 


XX7         yxi         zx 

TT        TT        TT 

■"■xy:    ^yyy    ^ty 


wo  die  Funktionaldeterminante  den  Wert 

^  =       ^^xs^    l^HysJ    ^H^^ 

i*'Kt7  l^Hy^,  liH^t 

besitzt.    Multiplizieren  wir  nun  in  der  letzten  Determinante  die  Elemente 

der  ersten  Vertikalreihe  mit    -,  die  der  zweiten  mit    ;    und  addieren  sie 

dann  zur  dritten,  so  erhalten  wir  mit  Rücksicht  auf  (64),  (65),  genommen 
für   W^H, 

und  demnach  wird  bei  Ausführung  der  Integration  nach  ,a 

V^-i-  ffH(KxH,„ -  H,;)zdsdt. 
'(■^) 
Wie  eine  leichte  Rechnung  zeigt,  ist  für  die  Kugel  bei  Verwendung  der 
Parameter  s,  t 
(67)  /,^— p_^3^ 

und    demnach    drückt    sich   das   Oberflächenelement  dh  der  Einheitskugel 
durch  die  Koordinaten  s,  t  wie  folgt  aus 

dJc  =  z^dsdt; 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  245 

wir  ».rbalten  daher  schließlich 


(68) 


(•5) 


(■^) 

Da  nun  [H,  H),  wie  aus  der  Definition  (66)  hervorgeht,  überall  auf  der 
Kugel  wohl  definiert  ist,  so  läßt  sich  in  (68)  jetzt  das  Integral  über  die 
ganze  Oberfläche  der  Einheitskugel  ausdehnen,  und  wir  erhalten  das 
Gesamtvolumen  unseres  konvexen  Körpers  in  der  Gestalt 

V=^fH{H,H)dJc. 

Ist  Sl  eine  willkürliche  Funktion  auf  der  Einheitskugel,  so  stellt 

W{x,  y,  z)  =  -|/^''  +  y-  +  z^flipc,  y,  z) 

eine  willkürliche  homogene  Funktion  ersten  Grades  von  x,  y,  z  dar. 
Nach  (66)  ist 

(TF,i7)  =  ;,  (Ti;,i/..,-  2  K;,fi,,+  W,..H^,\ 

und  da  hier  der  erste  Ausdruck  rechter  Hand  überall  auf  der  Kugel  für 
a;  =1=  0,  der  zweite  für  ^  4=  Ö,  der  dritte  für  z  =^^)  definiert  ist,  so  erkennen 

im  Sinne  der  Festsetzung  zu  Beginn  des  vorigen  Kapitels  XVIII  ein 
auf  der  Kugel  regulärer  linearer  Differentialausdruck  ist;  derselbe  ist  durch 
die  Funktion  H  eindeutig  bestimmt.     Es  gilt  ferner 

Satz  49.  Der  lineare  Diff'erentialausdrucTi  L(Sl)  auf  der  Kugel  ist 
sicJi  seihst  adjungiert  und  von  elliptischem  Typus. 

Um  die  erstere  Behauptung  zu  beweisen,  denken  wir  uns  wie  vorhin 
auf  einem  Teilgebiet  S  der  Kugel  als  krummlinige  Koordinaten  die  Variabein 

eingeführt  und  wollen  dann  den  zu  L(ß)  gehörigen  Differentialausdruck 2  (5i) 
in  den  Variabein  s,  t  aufstellen.  Zu  dem  Zwecke  bedenken  wir,  daß  in 
unserem  Ausdrucke  {W,  H)  die  Differentiationen  nach  x,  y,  z  so  zu  ver- 
stehen sind,  daß  dabei  x,  y,  z  drei  unabhängige  Variabele  sind.  Nun 
gewinnen  wir  W,  H  aus  den  ii,  H,  indem  wir  diese  als  Funktionen  der 
krummlinigen  Koordinaten  s,  f  auf  dem  Teilgebiet  S  der  Kugel  auffassen, 
durch  die  Formeln 


246  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 


W(x,  y,  z)  =  yx''+y^-\-^Sl 

=  zyY^s'^-fi^^{s,  t), 
H{x,y,z)==^yx'-^f-^z'H 


und  da  hiernach 

^v^.  =  l  (^  yi  +  s'+t'si{s,  o),„ 

w^,  =  j,  (zyTTs'-TT'sKs,  t)l, 

wird,  so  gelangen  wir  schließlich  mit  Rücksicht  auf  (67)  zu  dem  Ergebnis 
(69)         S(ii)  =  yeg-PL{a)  =  z\W,  H) 

= yi  +  s^Jrt'  { {ViV^Vfsi),xvr+^^^'  ^)tt 

-  2{yi  +  s'+t'  Sil,  iyi-\-s'+f  hX, 
+ {yi  +  s'+  f  ß),x/r+^5M^  Hj,,  1 . 

Nehmen  wir  in  dem  allgemeinsten  linearen  Differentialausdruck  ^(s) 
(S.  220)  —  unter  a  irgendeine  Funktion  von  s,  t  verstanden  — 
a  =  «,,,     h  =  -  a,„     c  =  a,^, 
Z  =  0,     m  =  0,  w  =  0, 

so  sind  die  Bedingungen  dafür,  daß  2(^)  sich  selbst  adjungiert  ist,  näm- 
lich die  Gleichungen 

m  =  h^  +  c,, 
erfüllt;  demnach  ist  der  Ausdruck 

und  folglich  mit  Rücksicht  auf  eine  S.  241  gemachte  Bemerkung  auch  der 
Ausdruck  (69)  sich  selbst  adjungiert;  das  gleiche  gilt  mithin  nach  uuserer 
Festsetzung  auch  für  den  linearen  Differentialausdruck  L{fl)  auf  der  Kugel. 
Um  ferner  den  elliptischen  Charakter  des  Differentialausdruckes 
L{ßl)  zu  erkennen,  haben  wir  offenbar  den  Nachweis  der  Ungleichung 

aO)  H,.IIyy-ü.y'>^ 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  247 

nötig.  Nach  den  ÜberleguDgen,  wie  wir  sie  zu  Anfang  dieses  Kapitels  XIX 
(S.  243)  angestellt  haben,  wurden  die  Tangentialebenen  unseres  konvexen 
Körpers  durch  die  Gleichung 

xX  +  j/Y-\-zZ=  H{x,  ij,  z) 
•dargestellt.     Dividieren  wii   diese  Gleichung  durch  s  und  führen  dann 

^      X       y 

z  z 

ein,  so  erhält  jene  Gleichung  die  Gestalt 

sX  +  tY ^  Z=^H{s,t,  1), 


und  folglich  wird 


X  =  ^,, 


Wie  wir  hieraus  ersehen,  ist  der  Übergang  von  der  Darstellung  der 
Oberfläche  unseres  Körpers  durch  Punktkoordinaten,  wobei  Z  als  Funktion 
der  unabhängigen  Variabein  X,  1'  betrachtet  wird,  zu  der  Darstellung 
durch  Ebenenkoordinaten,  wobei  H  als  Funktion  der  unabhängigen  Varia- 
bein s,  t  betrachtet  wird,  nichts  anderes  als  die  in  der  Theorie  der  par- 
tiellen Differentialgleichungen  übliche  Legendresche  Transformation.  Die 
Theorie  der  Legendresehen  Transformation  lehrt  bekanntlich,  daß  zwischen 
den  Ableitungen  zweiter  Ordnung  die  Gleichunsf 


^XX^Y) 


gilt,  und  da  wegen  der  Konvexität  unserer  Fläche  der  Nenner  des  Bruches 
rechter  Hand  positiv  ausfällt,  so  folgt  das  gleiche  für  die  linke  Seite, 
und  mithin  gilt  auch  die  Ungleichung  (70). 


Wir  sind  nunmehr  in  der  Lage,  die  allgemeine  Theorie  des  vorigen 
Kapitels  XVIII  auf  den  linearen  Differentialausdruck  L{ßl)  anzuwenden. 
Was  zunächst  das  Integrationsproblem  betrifft  (vgl,  den  allgemeinen 
S.  226 — 227  aufgestellten  Satz  44),  so  bedarf  es  zu  dessen  Erledigung 
Tor  allem  der  Kenntnis  der  folgenden  wichtigen  Tatsache: 

Satz  50.  Jede  stetige  Lösung  der  homogenen  Differentialgleichmig  auf 
der  Kugel 

(71)  L{SI)  =  0 

ist  eine  lineare  Kombination  der  drei  Lösungen 

Sl  =  X,     Sl  =  y,     Sl  =  z. 

Zum  Beweise  nehmen  wir  an,  es  sei  co  eine  stetige  Funktion  auf 
der  Kugel,  die  der  Differentialgleichung  (71)  genügt.     Setzen  wir  sodann 


248  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

so   wird  /(•  eine  homogene  Funktion   ersten  Grades  von  x,  y,  z^   die  der 
Gleichung 

(w,H)  =  0 

und  daher  wegen  (ßQ)  auch  als  Funktion  der  drei  unabhängigen  Yariabelni 
X,  y,  z  den  Gleichungen 


genügt.  Es  sei  jetzt  x^,  y^,  z^  eine  Stelle  auf  der  Einheitskugel,  an  der 
die  Funktion  iv^  den  kleinsten  Wert  auf  der  Kugel  annimmt.  Da  iv^ 
homogen  vom  nullten  Grade  ist,  so  wird  dieser  kleinste  Wert  /.•  zugleich 
auch  das  Minimum  der  Funktion  u\  im  Räume  für  die  drei  nuabhängigen, 
Variabehi  x,  y,  z.     Wir  setzen 

^     =     X  X-^y 

l=-  z  -  z^ 

und  entwickeln  iv^  in  eine  nach  Potenzen  von  i,,  -q,  t,  fortschreitende 
Reihe  wie  folgt 

(73)  iv^=h  +  N{%ri,l)  +  ---- 

hier  bezeichne  ^^  die  in  der  Entwicklung  vorkommenden  Glieder  niedrigster 
Dimension,  und  n  sei  der  Grad  dieses  homogenen  Ausdruckes  N  in  ^,  >/,  t: 
dabei  ist  die  Annahme  gemacht,  daß  ii\  nicht  konstant  sei.  Da  w^  an 
der  Stelle  |  =  0,  7^  =  0,  ^  =  0  ein  Minimum  haben  soU,  so  ist  ^'  not- 
wendig eine  definite  Form:  es  gilt  für  alle  |,  r],  t,  die  Ungleichung 

N{1  ij,  t)  >  0. 
Andererseits   entwickeln    wir   auch  w   in   eine   nach  Potenzen   von  §,  r],  ^ 
fortschreitende  Reihe,  wie  folgt 
(T4)  iv  =  c+  l{l,  ri,  t)  +  M{1,  ^,  0  +  •  •  •; 

dabei  bezeichne  c  eine  Konstante,  /  die  homogenen  linearen  Glieder  und 
endlich  M  die  nächst  den  linearen  in  der  Entwicklung  vorkommenden 
Glieder  niedrigster  Dimension;  m  sei  der  Grad  dieses  homogenen  Aus- 
druckes M  in  ^,  Ti,  t,. 

Wir  bezeichnen  nun  die  Werte  der  Ausdrücke 

^xrJ    ^yy>    ^zzJ    ^yzJ    ^:x>    ^xy 

für  £  =  0,  >}  =  0,  ^  =  0  d.  h.  X  =  Xj^,  y  =  y^,  z  =  z^  bzw.  mit 

«;    ß,    y,    ^j    Ih    ^\ 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  249 

dann  ergibt  sich,   indem   wir  (74)  in  die   beiden  letzten  Gleichungen  (72) 
einführen,  durch  Berücksichtigung  der  Glieder  niedrigster  Dimension 


(75) 

Es  werde  erstens  angenommen,  daß  M  ein  Glied  mit  der  Variabein  | 
enthält:  alsdann  lehrt  der  Vergleich  von  (73)  mit  (74),  daß 

wird,  und  daraus  wiederum  ersehen  wir,  indem  wir  (75)  nach  |  differen- 
zieren, daß  auch  N  denselben  Gleichung-en 


(76) 

iV..«  -  2N^,^  +  N^,y  =  0 

(77) 

N^'^ß-2N^lv  +  N,^,^r,=  0 

genügt. 

Wir  setzen  nun 

(78) 

X=N,t'+Z 

{0£h£  n), 

wo  N^  eine  nicht  identisch  verschwindende  Funktion  vom  n  —  h-ten  Grade 
in  t,  T;  und  Z  eine  Funktion  von  ^,  ri,  ^  ist,  die  den  Faktor  ^''  +  ^  enthält. 
Indem  wir  diesen  Ausdruck  für  N  in  (77)  einführen,  erkennen  wir,  daß 
auch  N,^  der  Gleichung  (77)  genügen  muß. 

Wegen   der  Konvexität   der   durch  H  dargestellten  Fläche  gelten  für 
die  Konstanten  a,  ß,  y,  jtt,  v  die  Ungleichungen 

«y  -  i"^>Ö, 
ccß  -  V-  >  0; 

die  letztere  zeigt,  daß  jede  nicht  konstante  Lösung  der  partiellen  Differential- 
gleichung (77)  notwendig  eine  indefinite  Funktion  d.  h.  eine  solche  Funktion, 
von  I,  ')]  ist,  die  sowohl  positive  wie  negative  Wei'te  annimmt.  Wenn 
aber  Nj^  indefinit  wäre,  so  wäre  wegen  (78)  auch  iV^  gewiß  bei  genügend 
kleinen  Werten  von  ^  sowohl  positiver,  wie  negativer  Werte  fähig,  was 
dem  oben  festgestellten  definiten  Charakter  von  'N  widerspricht.  Demnach 
müßte   'Ny^  notwendig  eine  nicht  verschwindende  Konstante  und   zugleich 

sein.  Die  Einsetzung  dieses  Wertes  für  X  in  (76)  lehrt  aber,  da  «  =1=  0 
ist,  die  Unmöglichkeit  hiervon. 

Es   bleibt  also  noch  die  zweite  Annahme  zu  untersuchen  übrig,   daß 
31  nur  von  |,  rj  abhängt.     Die  Einführung  von  M^  =  0  in  (75)  lehrt 

M,:  =  0,     31,^,  =0 
d.  h. 
(79)  M=Cvi, 

wo  C  eine  von  Null  verschiedene  Konstante  bedeutet.  Nun  genügt  w 
als  homogene  Funktion  ersten  Grades  in  x,  y,  z  der  Identität 


250  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

X tc^  +  y  IV  -\-  ziv.=  tc 
<1.  h. 

{pc^  -\-  ^)iv,  +  (1/1  +  7i)w,^  +  {z^  +  ^)w:.  =  w 

oder  unter  Berücksichtigung  von  (73),  (74),  (79) 

(80)    (a:,+^)(A-  +  .Y+---)  +  (!/x  +  ^)(^,  +  t7i;  +  --)  +  (%  +  e)(^^+C7;  +  --0 

Sammeln  wir  auf  beiden  Seiten  dieser  Identität  die  Glieder  erster  Ordnung 
in  I,  7;,  l,  so  ergibt  sich 


y,Ct  +  z,Crt  =  0, 
2/1=0,     z,  =  0 


und  wegen 

folgt 

<i.  h. 

und  folglich 

Xi=  ±1. 

Durch  Einführung  dieser  Werte  verwandelt  sich  (80)  in 

{±l-^i){k  +  N4-...)-\-7j{l,.  +  Ct-{--)  +  t(l:+Cr,  +  -)  =  c-{-l  +  Cr,t+-- 
und  wenn  wir  hierin  die  Glieder  zweiten  Grades  auf  beiden  Seiteli 
«ammeln,  so  wird,  je  nachdem  der  Grad  n  von  N  gleich  2  oder  größer 
als  2  ausfällt,  die  Gleichung 

±N+C>]t+Cr,t-C>it 
oder  die  Gleichung 

C7^t+Cy,t=Cy,t 

«rfüUt   sein    müssen.     Die   letztere   Gleichung   ist   unmöglich;    die    erstere 

■ergibt 

N=  +  Cr^t, 

was  dem  definiten  Charakter  von  N  widerspricht. 

Damit  ist  unsere  ursprüngliche  Annahme  widerlegt:  in  der  Entwick- 
lung (73)  darf  ein  Glied  N  nicht  auftreten,  d.  h.  ir^  ist  eine  Konstante. 
Da  in  gleicher  Weise  auch  tv  und  ir.  Konstanten  sein  müssen,  so  folgt, 
daß  tv  nichts  anderes  als  eine  lineare  Kombination  der  drei  Funktionen 
j:,  y,  z  ist. 

Aus  dem  eben  Bewiesenen  folgt  auf  Grund  des  in  Kapitel*  XVIII 
(S.  226—227)  aufgesteUten  Satzes  44: 

Satz  51.     Die  inhomogene  Differentialgleichung  auf  der  Kugel 

L(ß)=-f, 
ist  dann  und  nur  dann  lösbar,  ivenn  die  gegebene  Funltion  f  auf  der  Kugel 
die  drei  Integralhedingungen 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  uud  Oberfläche  251 

Jfxdlc  =  0, 

Jfydli  =  0, 

Jfzdlc^O 
erfüllt. 

Nehmen  wir  in  X(ü)  insbesondere 


so  wird 

Z(5^)  =  ( W,  E)  =  f,  {  (1  -  y')  Tr,,  +  2xy  W^,^  +  (1  -  x')  W^^  ]      (^  +  0); 

da,  wie  eine  einfache  Rechnung  lehrt,  der  Ausdruck  rechts  hier  nichts 
anderes  als  die  Summe  der  beiden  Hauptkrüramungsradien  der  durch  W 
gegebenen  Fläche  darstellt,  so  geht  in  diesem  Falle  unser  allgemeiner  Satz 
in  einen  bekannten  von  A.  Hurwitz  ^)  aufgestellten  und  mittelst  der  Theorie 
■der  Kugelfunktionen  bewiesenen  Satz  über. 


Dem  obigen  Ausdruck  V  (S.  245)  für  das  Volumen  eines  konvexen 
Körpers  stellt  Minkowski  einen  allgemeineren  für  das  gemischte  Volumen 
von  drei  konvexen  Körpern  zur  Seite:  sind  Ii^^,  H^,  H^  die  diese  Körper 
bestimmenden  homogenen  Funktionen  ersten  Grades,  so  definiert  Minkowski 
das  gemischte  Volumen  dreier  Körper  durch  das  über  die  ganze  Ein- 
heitskugel zu  erstreckende  Integral 

V{H„  ff,,  ff,)  =  F,,3  =  ifffjff,,  H,)dh. 

"Setzen  wir  in  Formel  (15) 

w  =  H^,     2  =  ff 2 
und  berücksichtigen,  daß  unser  DiflFerentialausdruck 

L{Si)  =  iW,ff,) 

sich   selbst   adjungiert   ist,   so   zeigt   dieselbe   unmittelbar  die  Richtigkeit, 

der  Gleichung 

fH,{H„  Hs)dk  ==Jff,{ff„  ff^)dl 

d.  h.  es  ist 

V     =  V 

'  123  '  213 > 

und  da  offenbar  auch 

'  123  ^^    '  132 

wird,  so  findet  sich  damit  der  Minkowskische  Satz  bestätigt,  daß  das 
gemischte  Volumen  dreier  Körper  hei  den  Permutationen  derselben  seinen 
Wert  beibehält. 


1)  Vgl.  Ann.  Ec.  Norm.  Sup.  19  (l'J02),  S.  4U4. 


252  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

Da  überall  auf  der  Kugel 

H  >  0,     (H,H)>0 

ausfällt,  so  ist  auch    ^-     eine   durchweg  positive  Funktion,  und  daher 

läßt  sich  unsere  Theorie  der  partiellen  Differentialgleichung  auf  der  Kugel, 
wie  sie  in  dem  zum  Schlüsse  des  Kapitels  XVllI  S.  241 — 2-J2  ausgesproche- 
nen Satze  48  gipfelt,  auf  die  Differentialgleichung 

(81)  Lisi)  +  l  ^^^  ß  =  0 

anwenden.  Aus  jenem  allgemeinen  Satze  entnehmen  wir  unmittelbar^ 
daß  diese  Gleichung  nur  endlichviele  negative,  dagegen  unendlichviele 
positive  Eigenwerte  hat.  Nach  dem  vorhin  Bewiesenen  wissen  wir  ferner, 
daß  X  =  0  ein  dreifacher  Eigenwert  ist.  Außerdem  sehen  wir,  daß 
A  =  —  1  jedenfalls  ein  Eigenwert  jener  Differentialgleichung  und  ii  =  H 
eine  zugehörige  Eigenfunktion  ist.  Wir  wollen  nunmehr  zeigen,  daß 
A  =  —  1  nur  ein  einfacher  Eigenwert  ist  und  außer  ihm  keine  weiteren 
negativen  Eigenwerte  vorhanden  sind.    Zu  dem  Zwecke  führen  wir  in  (81) 


ein;  wegen 

(i?,  B)  =  2 

erhalten  wir  so  die  speziellere  Differentialgleichung 

(82)  io(-ß)  +  2Aß  =  0, 
wo 

(83)  L,{Sl)  =  (W,R)=l-Ail-inW^^-^2xyW,,,+  {l-x')W^^^  (^  +  0) 

ist. 

Diese  Differentialgleichung  ist  mit  der  Differentialgleichung  der  Kugel- 
funktionen identisch.  Bezeichnet  nämlich  V  eine  homogene  Funktion 
A-ten  Grades,  die  der  Potentialgleichung 

(84)  F,,  +  T;^  -f  F.,  =  0 
genügt,  und  setzen  wir 

so  wird 

-f  {(A  -  1)I{''-'^  {h  -  l)(h  -  'd)x'R''-'']  W. 

Addieren  wir  hierzu  die  entsprechenden  Ausdrücke  für  V^y,  V^.  und  be- 
rücksichtigen dann  die  Identitäten  (64),  (65)  —  entsprechend  dem  Um- 
stände, daß  TF  eine  homogene  Funktion  ersten  Grades  ist  — ,  so  erhalten 
wir  auf  der  Kugel  wegen  7^  =  1   die  Gleichung 

V.. -\-Vyy+V,=  W^,  -f-  M\^  +  TF, -f  Qi  -  l){li  +  2)  W. 


Kap.  XTX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  253 

Nun  ist  wegen  (65)  für  i?  =  1 

W^^  +  TT,^  +  TF,,  =  ^{(l-  f)  W^^  +  2xy  Ti;,  +  (1  -  x'-)  W^,^ ] , 

und  mithin  geht  wegen  (S3)  die  Potentialgleichung  (84)  über  in  die 
Ditfereutialgleichung 

oder  wenn 

W  =  R^ 

gesetzt  wird,  iu 

Zo(ß)  +  {h  -  l){h  +  2)ß  =  0. 

Die  Theorie  der  Kugelfunktionen  lehrt,  daß  diese  Gleichung  keine  anderen 
auf  der  Kugel  stetigen  Lösungen  zuläßt  als  eben  jene  aus  den  homogenen 
Potentialen  von  den  Graden 

h  =  0,l,2,... 

•entspringenden  Funktionen  Sl,  und  da  die  Potentialgleichung  (84)  genau 
2/^  +  1  solche  Lösungen  /t-ten  Grades  besitzt,  so  folgt,  daß  die  Differential- 
gleichung (82)  allgemein  für  h  =  0,  1,  2,  .  .  .  die  Größe 

A  =  -H/*-l)(/i  +  2) 

als  2/i  -f  1  fachen  Eigenwert  besitzt.  Für  h  =  0  erhalten  wir  A  =  —  1, 
für  h  =  1  ergibt  sich  X  =  0  als  dreifacher  Eigenwert,  womit  sich  das 
vorhin  für  die  allgemeine  Differentialgleichung  (81)  gefundene  Resultat 
bestätigt.  Darüber  hinaus  aber  erkennen  wir  die  wichtige  Tatsache,  daß 
die  spezielle  Differentialgleichung  (82)  den  Eigenwert  A  =  —  1  als  ein- 
fachen Eigenwert  besitzt,  und  daß,  von  diesem  Werte  und  1  =  0  ab- 
gesehen, alle  übrigen  Eigenwerte  positiv  ausfallen,  daß  insbesondere  der 
kleinste  positive  Eigenwert  A  =  2  (für  h  =  2)  wird. 

Es  ist  nun  leicht  vermöge  des  Satzes  47  über  die  stetige  Änderung 
der  Eigenwerte  bei  stetiger  Änderuncr  eines  Parameters  in  der  Differential- 
gleichung  (S.  238)  die  eben  gefundene  Tatsache  auf  die  allgemeine  Diffe- 
rentialgleichung (81)  zu  übertragen. 

Wegen  (70)  hat  die  in  t  quadratische  Gleichung 

keine  reelle  Wurzel,  und  da  das  gleiche  von  der  quadratischen  Gleichung 

gilt,  so  besitzt  auch  die  Gleichung 

(/^-0,,-f-  (1  -  ^)It..y'+  2(/^i4,  -f  (1  -.^)^.,)^  +  .u.^^^+  (1  -.u)7?,,=  0, 

wo  II  einen  reellen  auf  das  Intervall 

(85)  0  ^  itt  ^  1 

beschränkten  Parameter  bedeutet,  keine  reelle  Wurzel  t,  und  demnach  ist 


254  Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Tolumen  und  Oberfläche. 

(i^^xx  +  (1  -  M)^..) (l'H^y  +  vi  -  ."  i?,,)  -  i^H^,  +  (1  -  itt)i?.,)^  >  0; 
d.  h.  die  sämtlichen  durch  die  Funktionenschar 

dargestellten  Flächen  sind  konvex;  mithin  gelten  die  vorhin  für  L{Sl) 
entwickelten  Tatsachen  auch  für  den  Ditferentialausdruck 

und  für  die  Differentialgleichung 

(86)  L^X^)  +  X  ^"'-^y  '^  =  0. 

Die  Differentialgleichung  (86)  geht  für  .a  =  0  in  (82),  für  .u  =  1  in  (81) 
über.  Die  Differentialgleichung  (82)  besitzt,  wie  wir  sahen,  vom  kleinsten 
an  der  Größe  nach  geordnet,  die  folgenden  Eigenwerte 

A,=  -l,     X,=  0,     l,=  0,     A,=  0,     ^5=2. 

Die  Heranziehung  des  vorhin  genannten  Satzes  über  die  stetige  Ände- 
rung der  Eigenwerte  (S.  238)  und  die  Berücksichtigung  des  Umstandes, 
daß  X  =  0  für  alle  Werte  des  Parameters  ,u  genau  ein  dreifacher  Eigen- 
wert sein  muß,  zeigt,  daß,  während  ^  das  Intervall  (85)  durchläuft,  der 
fünfte  Eigenwert  stets  positiv  bleiben  muß,  insbesondere  auch  für  ,a  =  1. 
Wir  fassen  die  gefundenen  Resultate,  wie  folgt,  zusammen: 

Satz  52.  Die  partielle  Bifferentialgleiclimig  (81)  auf  der  Kugel  besitzt 
X  =  —  1  als  einfachen  Eigemvert:  die  zugehörige  Eigenfiinktion  ist  iß  =  H ; 
ferner  ist  für  sie  2  =  0  ein  dreifacher  Eigemvert:  die  zugehörigen  Eigen- 
fmiktionen  auf  der  Kugel  sind  x,  y,  z;  die  übrigen  Eigemverte  sind  positiv. 
Das  System  der  Eigenfunldionen  von  (81) 

c^,=  H,     ß,  =  ^,     i\  =  y,     fl,=  z,     Sl,,     .%,     ... 

bildet  ein  System  von  Funktionen,  welches  für  H  =  1  iti  das  System  der 
Kugelf unldionen  übergeht  und  als  die  Verallgemeinerung  des  letzteren  an- 
zusehen ist,  ivenn  man  im  Sinne  der  Minhousliischen  Geometrie  die  Kugel 
durch  eine  beliebige  konvexe  Fläche  ersetzt.  Denkt  man  ßj,  Sl.^,  ^3,  •  •  •, 
tvie  üblich,  orthogonal  normiert,  so  ist  jede  ivillkiirliche  ztveimal  stetig  diffe- 
renzierbare Funldion  f  auf  der  Kugel  nach  jenen  Eigenfunktionen  auf  Fourier- 
sche  Weise  enttvickelbar  wie  folgt: 

f  =  c,i^,  +  c,^,  +  ^-3^3  +  .. .,  c,  =/-^H^  f^^dk. 

Nunmehr  sind  wir  imstande,  diejenige  fundamentale  quadratische 
Ungleichung  zwischen  den  gemischten  Volumina  zweier  Körper  abzuleiten, 
die  bereits  in  der  Einleitung  zu  diesem  Abschnitte  erwähnt  worden  ist; 
dieselbe   wird    uns   als  Ausfluß    der   Tatsache   erscheinen,   daß   der   fünfte 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  255 

Eigenwert  A5  der  Differentialgleichung  (81)  positiv  ausfällt.  In  der 
Tat,  zufolge  des  am  Schlüsse  des  Abschnittes  XVIII  aufgestellten  all- 
gemeinen Satzes  ist  A5  das  Minimum  des  Dirichletschen  Integrales 

D{Si)  =  -fH{W,  W)dk 

bei  den  Nebenbedingungen 

(87)  ß^J^-  Si'dk  =1, 

(88)  i{H,H)Sldli    =0, 


(89) 


ß-'^  xSldl-  =  0, 
ß^^^y^dh  =  0, 

J 


^-^  z^dk  =  0. 


Es  sei   nun  G   eine  beliebige  homogene  Funktion  ersten  Grades,   die  auf 
der  Kugel,  für  ß  eingesetzt,  der  Bedingung  (88)  genügt.     Die  durch  G 
bestimmte  Funktion   auf  der  Kugel   bezeichnen   wir  mit  F.     Wir  wählen 
dann  die  drei  Konstanten  a,  h,  c  derart,  daß  die  Funktion 
(90)  ^  =  r  +  ax  ^  hy  i-  C2 

auf  der  Kugel  die  drei  Bedingungen  (89)  erfüllt.  Dies  ist  gewiß  mög- 
lich, da  im  entgegengesetzten  Falle  solche  Konstante  a,  &,  c,  die  nicht 
sämtlich  Null  sind,  existieren  müßten,  daß  die  lineare  Verbindung 
ax  -{■  hy  -\-  cz  für  ü  eingesetzt  die  drei  Bedingungen  (89)  erfüllt;  dann 
aber  wäre  als  Folge  davon,  wie  man  sofort  sieht,  auch 


/' 


(TT  TT\ 

jj—  (ax  -\-  hy  -\-  czfdk  =  0, 


und  dies  ist  nicht  der  Fall,  da  der  Integrand  positiv  ausfällt. 
Wegen 

J{H,  H)  {ax  -\-by  +  cz)dk  -=JH{H,  ax -{- hy  +  cz)dk  =  0 

erfüllt  die  in  (90)  dargestellte  Funktion  ü  auch  die  Bedingung  (88).  Ist- 
nun  die  Funktion  ü  nicht  identisch  für  alle  Punkte  der  Kugel  Null,  — 
was  nur  möglich  ist,  wenn  G  einer  linearen  Kombination  von  x,  y,  z 
gleich  wird  —  so  können  wir  sie  mit  einer  Konstanten  derart  multi- 
pliziert denken,  daß  auch  die  Bedingung  (87)  erfüllt  wird.  Wegen  A5  >  0 
folgt  alsdann  D{fl)  >  0.     Da  aber 

i)(i^)  =  _  fB(G  +  ax  +  by  +  cz,  G  -\-  ax  -\- hy  -{-  cz)dk 

=  -fH{G,  G)dk 


256  Kap,  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche. 

wird,  so  gelangen  wir  zu  dem  Ergebnis:  es  gilt  stets  die  Ungleichung 

(91)  fH{G,G)dJc£0, 

wenn  G  eine  beliebige  homogene  Funktion  ersten  Grades  bedeutet,  für  die 

fG{H,  H}dl:  =  n 

ausfällt,   und  dabei  gilt  in  jener  Ungleichung  (91)  das  Gleichheitszeichen 
nur,   wenn  G   eine   lineare  Verbindung    der   drei   Funktionen  x,  y,  z  ist. 
Aus   dieser  Tatsache  entnehmen  wir,   indem  wir  G  =  H  —  F  setzen, 
unmittelbar  das  weitere  Ergebnis:  es  gilt  stets  die  Ungleichung 

(92)  j'^(^'  ^)^^^  >SH{F,  I)dk, 

wenn  F  eine  beliebige  homogene  Funktion  ersten  Grades  bedeutet,  für  die 

fH{H,  H)dli  =JF(H,  H)dk 

ausfällt,  und  dabei  gilt  in  jener  Ungleichung  (92)  das  Gleichheitszeichen 
nur,  wenn  drei  Konstanten  a,  h,  c  existieren,  derart  daß 

(93)  F=H-h  ax  +  hy -{-C2 
wird. 

Die  Formeln  für  die  Punktkoordiuaten  X,  Y,  Z  der  Fläche,  wie  sie 
zu  Anfang  dieses  Abschnittes  S.  244  aufgestellt  worden  sind,  lehren,  daß, 
wenn  zwei  zu  konvexen  Körpern  gehörige  Funktionen  F,  H  durch  eine 
Relation  der  Gestalt  (93)  mit  einander  verbunden  sind,  der  eine  Körper 
durch  eine  bloße  Parallel  Verschiebung  aus  dem  anderen  Körper  hervor- 
gegangen ist.  Verstehen  wir  daher  unter  F  eine  zu  einem  konvexen 
Körper  geh<)rige  homogene  Funktion  ersten  Grades,  wie  es  H  ist,  so 
spricht  sich  das  vorhin  gefundene  Resultat  auch  wie  folgt  aus:  Wenn 
für  zwei  konvexe  Körper,  die  durch  R,  F  bestimmt  sind, 

(94)  V{H,  H,  H)  =  V{H,  H,  F) 
ist,  so  gilt  stets  die  Ungleichung 

(95)  V(H,H,H)^V{H,F,F), 

und  hier  hat  das  Gleichheitszeichen  nur  statt,  wenn  der  eine  Körper  durch 
eine  bloße  Parallelverschiebung  aus  dem  anderen  Körper  hervorgegangen  ist. 
Nunmehr  seien  irgend  zwei  konvexe  Körper  vorgelegt;   die  zu  ihnen 
gehörigen  Funktionen   seien  H,  G.     Wegen  (r>0  ist  die  Konstante 

}\H,  H,  G)  =  hfG{H,  H)dk 
positiv  und  folglich  auch  die  Funktion 

V{H,  H,  G) 
Der  durch  F  definierte  Körper  geht  aus  dem  durch  G  definierten  Körper, 
•wie  man  sieht,  durch  eine  Ähnlichkeitstransformation  hervor.     Da  außer- 


I 


Kap.  XIX.     Minkowskis  Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche.  257 

dem  F  offenbar  die  Bedingung  (94)  erfüllt,  so  folgt  aus  dem  Vorigen 
die  Gültigkeit  der  Ungleichung  (95),  d.  h.  es  ist 

r{H,  H,  H)  ä  (;§f  4>)V(if,  G,  G) 

oder 

(96)  V{H,  H,  Gf  >  V{H,  H,  H)  V{H,  G,  G). 

Es  gilt  mithin  der  folgende  Satz,  der  den  Kernpunkt  der  Minkowskischen 
'Theorie  von  Volumen  und  Oberfläche  ausmacht. 

Für  sivei  Jcorivexe  Körper  besteht  stets  die  quadratische  Ungleichung  (96), 
wobei  das  Gleichheitszeichen  nur  dann  statt  hat,  wenn  der  eine  Körper  aus 
■dem  anderen  durch  Parallelverschiebung  und  Ähnlichheitstransformation 
hervorgeht. 

Durch  Vertauschung  der  beiden  Körper  folgt  aus  (96)  die  Ungleichung 

<97)  V{E,  G,  GY  ^  V(G,  G,  G)  V{H,  H,  G). 

Durch  Quadrieren  von  (96)  und  Multiplikation  mit  (97)  folgt  nach  Fort- 
liebung  des  positiven  Faktors  V{H,  G,  Gf  V{H,  B,  G)  die  Ungleichung 
(98)  V{H,  U,  Gf  ^  V{H,  H,  Hf  V{G,  G,  G); 

•d.  h.  es  gilt  der  Satz: 

Für  zwei  l'onvexe  Körper  besteht  stets  die  lubische  Ungleichung  (98), 
wobei  das  Gleichheitszeichen  nur  dann  statt  hat,  wenn  der  eine  Körper  aus 
dem  anderen  durch  Parallelverschiebung  und  AJmlichJceitstransformation 
hervorgeht. 

Ist  wie  früher 

so  stellt  H  -\-  sB  eine  ParaUelfläche  zu  dem  durch  H  definierten  Körper 
im  Abstände  s  dar.  Da  nun  offenbar  die  Oberfläche  0  des  durch  H 
•definierten  Körpers 

^  _       V(H-\-£B,  H-\-£B,  H-\-  sB)  —  VjH,  H,  H) 
O  —  L 

«  =  o  * 

^wird,  so  erhalten  wir 

0  =  3  V(H,  H,  R)  =  l-f{E,  IPjdk. 

Andererseits  ist 

V{R,  R,  R)  =  ^fHdJc 

=  {j{R,H)dlc 

-vvenn  (>j,  p,  ^'^^  Hauptkrümmungsradien  der  durch  H  definierten  Fläche 
amd  da  deren  Oberflächenelement  bedeutet;  wir  setzen 

Math.  Monogr.  3:  Hilbert,  lin.  Integralgleichungen.  17 


258  Kap.  XX.     Zur  Theorie  der  automorphen  Funktionen. 

31=},  I  (^  +-]d(o 

'J   \Qi         QiJ 
und  bezeichnen  dieses  Integral  als  das  Integral  der  mittleren  Krümmung 
und  des  konvexen  Körpers. 

Nehmen  wir  in  den  Ungleichungen  (90),  (97),  (98)  G  =  R  imd 
nennen   V  das  Volumen  des  Körpers,  so  erhalten  wir 

(100)  03^36^F^ 

und  in  diesen  Ungleichungen  gilt  das  Gleichheitszeichen  nur,  wenn  der 
konvexe  Körper  aus  der  Einheitskugel  durch  Parallelverschiebimg  und 
Alinlichkeitstransformation  hervorgegangen  ist,  d.  h.  wenn  er  selbst  eine 
Kugel  ist.  Hiernach  drücken  die  Ungleichungen  (99),  (100)  gewisse  leicht 
zu  formulierende  charakteristische  Minimaleigenschaften  der  Kugel  aus. 
Die  Minkowskischen  Ungleichungen  (96),  (98)  sind  hiemach  Verall- 
gemeinerungen solcher  Eigenschaften,  wie  sie  in  einer  Minkowskischen 
Geometrie  gelten,  wo  statt  der  Kugel  eine  beliebige  konvexe  Fläche  als 
Eichfläche  genommen  ist. 

Zwanzigstes  Kapitel. 

Anwendung  auf  ein  Problem  der  Theorie  der  automorphen 

Funktionen, 

In  diesem  Abschnitte  will  ich  kurz  an  einem  speziellen  Beispiele 
zeigen,  wie  die  orthogonalen  Integralgleichungen  auch  in  der  Theorie  der 
automorphen  Funktionen  erfolgreiche  Anwendung  finden  können. 

Die  nächstliegende  Verallgemeinerung  der  elliptischen  Modulfunktion 
ist  die  einfachste  automorphe  Funktion  mit  reellen  Substitutionen,  die 
vier  gegebene  reelle  Werte  oo,  a,  h,  c  ausläßt.  Die  Aufgabe,  diese  zu 
konstruieren,  führt  zu  der'  allgemeineren,  in  der  linearen  Differential- 
gleichung zweiter  Ordnung  mit  den  vier  singulären  Stellen  oo,  a,  h,  c 

den  Parameter  X  so  zu  bestimmen,  daß  der  Quotient  zweier  partikulärer 
Lösungen  bei  den  Umläufen  der  komplexen  Variabein  x  um  die  singulären 
Punkte  stets  Substitutionen  mit  reellen  Koeffizienten  erfährt. 

Wir  konstruieren  nun  diejenigen  Potenzreihen,  die  bzw.  nach  Potenzen 
von  X  —  a,  x  —  h,  X  —  c  fortschreiten,  für  ic  =  a,  x  =  h,  x  =  c  den  Wert  1 
annehmen    und    in    der   Umgebung   dieser   Stellen    reguläre   anal3^tische 


Kap.  XX.     Zur  Theorie  der  automorphen  Funktionen.  259 

Lösungen  der  Differentialgleichung  (101)  darstellen.  Diese  Potenzreihen 
sind,  wie  die  allgemeine  Theorie  der  Differentialgleichungen  zweiter  Ord- 
nung lehrt,  durch  jene  Forderungen  eindeutig  bestimmt;  sie  mögen  bzw. 
mit  y^,  ijf^,  m  bezeichnet  werden.  Die  anderen  Lösungen  der  Differential- 
gleichungen sind  dann  in  der  Umgebung  jener  Stellen  x  =  a,  x  =  h,  x  =  c 
bzw.  in  der  Gestalt 

-4y„  log  (a:  -  a)  +  ^^{x-a), 

By,log(x-h)-\-%{x-l), 

Cy,\og{x-c)  +^^{x-c) 

darstellbar,  wo  Ä,  B,  C  Konstante  sind  und  '^_^,  ^,,,  ^^  Potenzreihen 
mit  reellen  Koeffizienten  bedeuten.  Hieraus  folgt,  daß  insbesondere  die 
Lösung  y^,  wenn  wir  x  von  a  bis  h  zunehmen  lassen,  in  der  Nähe  von 
h  für  X  <.b  die  Darstellung 

(102)  y^  =  ßy,  \og{h  -  x)  +  £i(x  -  h) 

gestattet,  wo  ß  eine  bestimmte  Konstante,  O  eine  Potenzreihe  mit  reellen 
Koeffizienten  bedeutet  und  der  Logarithmus  reell  zu  nehmen  ist.  Nun- 
mehr setzen  wir  die  Lösung  y^  reell  über  den  Punkt  h  hinaus  in  der 
Weise  fort,  daß  wir  für  x  >  h  unter  y^  diejenige  Lösung  verstehen,  die 
in  der  Nähe  des  Punktes  h  durch  die  Formel 

Va  -ßVb  log  {x-h)^£i{x  -  6) 

gegeben  ist.  Sodann  stellen  wir  die  Frage,  ob  der  Parameter  X  in  der 
Differentialgleichung  (101)  sich  so  bestimmen  läßt,  daß  für  denselben  die 
in  Rede  stehende  Lösung  y^^  wenn  x  von  h  aus  in  den  Punkt  c  hinein- 
wandert, dort  endlich  bleibt  d.  h.  bis  auf  einen  konstanten  Faktor  mit  y^ 
übereinstimmt. 

Ehe  wir  diese  Frage  untersuchen,  woUen  wir  ihre  Bedeutung  für  das 
vorhin  gestellte,  die  reellen  Substitutionen  betreffende  Problem  feststellen. 
Zu  dem  Zwecke  nehmen  wir  an,  es  sei  /l  =  A^  ein  Parameterwert,  für  den 
die  Lösung  y^  die  obengenannte  Eigenschaft  besitzt;  diese  Lösung  y^ 
die  wir  nunmehr  kurz  mit  y  bezeichnen  wollen,  hat  dann  die  folgenden 
Eigenschaften:  sie  ist  eine  reelle  stetige  Funktion  innerhalb  des  lutervalles 

a  ^x  ^c 
einschließlich   der  Grenzen,  mit  Ausnahme   des  Punktes  x  =  h,   in  dessen 
Nähe  sie  sich  in  der  Gestalt 

(103)  y  =  ßy,\og  x-h  +  C,(:r  -  &) 

darstellen  läßt.  Hierbei  ist  die  Konstante  ß  gewiß  nicht  Null.  Denn  in 
diesem  Falle  wäre  y  als  Funktion  der  komplexen  Variabein  x  in  den 
Punkten  o.  h,  c  regulär  analytisch  und  könnte  daher  auch  nicht  im  Un- 
endlichfernen  logarithmisch    singulär   sein;    mit   Rücksicht   hierauf  ergibt 

17* 


260 


Kap.  XX.     Zur  Theorie  der  automorphen  Funktionen. 


sich  aber  aus  der  Differentialgleichung,  daß  für  y  im  Unendlichfernen  die 
Entwicklung  ^  . 

!'-^  +  *(^)  C^+O) 

gilt,   d.  b,   y   hätte    den   unendlicbfernen   Punkt   zur  Nullstelle   und    wäre 
demnach  überall  gleich  der  Konstanten  Null,  was  nicht  angeht. 

Neben  dieser  Lösung  y  betrachten  wir  nun  die  bei  x  =  h  reguläre 
Lösung  y^,  die  nach  dem  eben  Bewiesenen  gewiß  von  Cy,  wo  C  eine 
Konstante  ist,  verschieden  ausfällt;  lassen  wir  x  von  h  nach  a  wandern, 
so  wird  in  der  Umgebung  von  x  =  a 

(104)  y,  =  ay  log  {x  -  a)  +  D^(a;  -  d)  {x>  a), 

wenn  andererseits  x  auf  den  Punkt  c  zu  geht,  haben  wir 

Vb  =  y*yc  log  {c  -x)-{-  £l,(a;  -  c)  (x<  c), 

oder  da  y^  bis  auf  eine  Konstante  mit  y  übereinstimmen  muß, 

Vb  =  Vy  log  {c-x)  +  D,(ä:  -  c). 
Nunmehr  untersuchen  wir  den  Quotienten 


riix) 


iVb 


an  einer  zwischen  a  und  h  gelegenen  Stelle  d  als  Funktion  der  komplexen 

d 


Variabein  x:  es  zeigt  sich  dann,  daß  die  analytische  Funktion  7j(:r)  beim 
Umlauf  der  Variabein  x  um  eine  jede  der  Stellen  a,  h,  c  stets  eine  lineare 
Substitution  mit  reellen  Koeffizienten  erfährt.  In  der  Tat,  bezeichnen 
wir  mit  S^  das  Ergebnis  des  Umlaufes  um  den  Punkt  a,  so  wird 

überdies  ist  wegen  (104) 

SaVb-yb+^^^c^y 

und  folglich 

*^aV         l_23ra7]' 

Bezeichnet  ferner  S^  das  Ergebnis  des  Umlaufes  um  den  Punkt  b,  so  wird 
wegen  (102) 

S,y  =  y  +  ^i^ßyb', 

überdies  ist 

^byb  =  yb 

und  folglich 

Nun  lassen  wir  y  von  d  aus  einen  Halbumlauf  in  positivem  Sinne  um  &j 
machen    bis   zu  einem  zwischen  h  und  c  gelegenen  Punkte  e,   dann  eineiij 


Kap.  XX.     Zur  Theorie  der  automorphen  Funktionen.  261 

vollen  Umlauf  in  positivem  Sinne  um  c  und  alsdann  einen  Halbumlauf 
in  negativem  Sinne  um  h  zum  Punkte  d  zurück:  dabei  verwandelt  sich 
der  Reihe  nach  y  in 

y  +  i^ßVb, 

y  +  ^^ß{yi>  +  "^i^yy)  =  (i  -  '^^^ßr)y  +  i^ßy^, 

{1  -  2n'ßy){y  -  ixßy,)  +  iTißy,, 
=  {l-27i'-ßy)y  +  2i7t'ß'yy,. 
Bei    derselben  Wanderung   der  Variabein  x   wird   aus   y^^   der   Reihe   nach 

yt,, 

y,+  2izyy, 

y,  +  2ijty{y  -  inßy^)  =  2inyy  -]-  (1  +  2n^ßy)y,, 

und  folglich  wird,  wenn  wir  mit  aS'^  das  Ergebnis  des  Umlaufes  um  c 
bezeichnen: 

Wie  wir  sehen,  haben  die  sämtlichen  drei  Substitutionen  /S,,,  B,^,  S^  reelle 
Koeffizienten,  und  wir  können  auch  leicht  schließen,  daß  umgekehrt  dieser 
Umstand,  wonach  der  Quotient  zweier  Partikularlösungen  der  Differential- 
gleichung (101)  beim  Umlauf  der  Variabein  um  die  singulären  Stellen 
Substitutionen  mit  reellen  Koeffizienten  erfährt,  nur  dann  eintritt,  wenn 
eine  Lösung  von  den  Eigenschaften  wie  y  —  Endlichkeit  in  a,  c  und 
logarithmisches  Verhalten  gemäß  (103)  in  &  —  vorhanden  ist. 

Um  nun  die  Frage  nach  der  Existenz  der  Funktion  y  in  Angriff 
zu  nehmen,  beweisen  wir  zunächst,  daß  es  gewisse  Werte  von  ?.  gibt,  für 
die  die  Lösung  y^  der  Differentialgleichung  (101)  nach  ihrer  reellen  Fort- 
setzung gemäß  (103)  über  b  hinaus  im  Paukte  c  endlich  bleibt.  Wir 
beweisen  erstens,  daß  dieses  Verhalten  gewiß  nicht  für  jeden  Wert 
von  l  stattfindet.  In  der  Tat,  nehmen  wir  dies  an  und  bestimmen  wir 
alsdann  einen  Wert  von  A,  für  den  y^  im  Punkte  b  endlich  bleibt  — 
nach  den  Darlegungen  des  zweiten  Abschnittes  S.  55  am  Beispiel  der 
Kugelfunktion  gibt  es  solcher  Werte  X  notwendig  unendlich  viele  —  so 
würde  für  einen  Wert  von  l  die  Lösung  y^  in  allen  Punkten  a,  b,  c  endlich 
sein,  was  nach  dem  vorhin  Bewiesenen  nicht  zutreffen  kann. 

Es  sei  A  =  z  (>  —  c)  ein  Wert  von  der  Art,  daß  y^,  über  b  hinaus 
gemäß  (103)  fortgesetzt,  in  c  nicht  endlich  bleibt:  dann  bleibt  auch  y^, 
über  b  hinaus  gemäß  (103)  fortgesetzt,  nicht  endlich.  Aus  dem  Umstände, 
daß  y^,  y^  Lösungen  der  Differentialgleichung 

L(«)  -  /.  {P  "')  +  (-  +  -^)'J  =  (> 
sind,  folgt  leicht  die  Konstanz  des  Ausdruckes 


262  Kap.  XXI.     Eine  zweiparametrige  Randwertaufgabe. 

im  ganzen  Intervall  a  bis  c.  Da  aber  als  Folge  unserer  Annahme  über  x 
der  Quotient  nicht  konstant  ist,  so  fällt  die  Konstante  JN'  von  Xull 
verschieden  aus.     Setzen  wir  nun 


so  wird 


und  folglich  ist  G[x,  |)  die  Greensche  Funktion  des  Ditfereutialaus- 
druckes  L{y),  wenn  man  als  Randbedingungen  das  Endlichbleiben  in  a 
und  c  und  reelle  Fortsetzung  über  h  hinweg  gemäß  (K'3)   verlangt. 

Nehmen  wir  G{x,  |)  als  Kern  einer  Integralgleichung  zweiter  Art, 
so  führt  die  Anwendung  meiner  Theorie  der  orthogonalen  Integral- 
gleichungen zu  dem  Satze: 

Satz  53.  Es  gibt  unendlich  viele  Werte  X  (die  Eigemrerte  des  Froblems), 
so  daß  die  Differentialgleichung  (101)  eine  Lösung  (die  zugehörige  Eigcn- 
funldion)  besitzt,  die  bei  reeller  Fortsetzung  über  den  Punkt  b  hinweg  in  den 
Punlien  a  und  c  endlich  bleibt;  für  eben  diese  Werte  X  ist  der  Quotient 
ztveier  Lösungen  der  Differentialgleichung  eine  analytische  Funldion,  die 
beim  Umlauf  der  Variabein  x  um  die  singidären  Stellen  der  Differential- 
gleichung Substitutionen  mit  reellen  Koeffizienten  erfäJtrt. 

Die  Kennzeichnung^  der  unendlichvielen  Eigenfunktionen  durch 
OsziUationseigenschaften,  sowie  den  Zusammenhang  mit  dem  Problem  der 
konformen  Abbildung  der  nuUwinkligen  Kreisbogenvierecke  mit  Orthogonal- 
kreis hat  F.  Klein  ^)  untersucht. 

Eiuundz wanzigstes  Kapitel. 

Eine  zweiparametrige  Randwertaufgabe  (Kleins  Oszillations- 

theorem). 

Bei  aEen  bisherigen  Anwendungen  der  Theorie  der  orthogonalen 
und  polaren  Integralgleichungen  handelte  es  sich  um  Randwertaufgaben 
für  gewöhnliche  oder  partielle  Differentialgleichungen,  wobei  jedesmal  ein 
Parameter  X,  sei  es  in  der  Differentialgleichung  selbst,  sei  es  in  der  Rand- 
bedinsuns   als   zu   bestimmende  Größe  auftrat.    Im  folgenden  möchte   ich 


1)  Math.  Ann.  Btl.  Ü4  (1907),  S.  175. 


Kap.  XXT.    Eine  parametrige  Randwertaufgabe.  263 

an  einem  Beispiel  zeigen,  wie  auch  im  Falle  zweier  zu  bestimmender 
Parameter  X,  ,u  die  Theorie  sich  als  anwendbar  erweist. 

Es  seien  für  y  als  Funktion  von  x  und  für  i]  als  Funktion  von  | 
zwei  gewöhnliche  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung  vorgelegt  von 
der  Gestalt 

(105)  ^£^  +  ila^!ih}i/  =  0  ix,£x£x,), 

worin  jj,  a,  b  Funktionen  der  unabhängigen  Yariabeln  x  und  n:.  a,  ß 
Funktionen  der  unabhängigen  Variabein  £  bedeuten;  diese  Funktionen 
mögen  sämtlich  der  Kürze  halber  als  regulär  analytisch  angenommen 
werden,  und  die  Funktionen  p^  a;  ;r,  cc  mögen  überdies  die  Bedingungen 
erfüllen : 

(107)  j;(a;)  >  0,     a{x)>0  i^i^x^x^), 

(108)  ^a)>0,    0.(1)  >0  (ii^i^y- 

Alsdann    multiplizieren    wir   die   Differentialgleichung   (105)    mit  ccy]   und 

(106)  mit  ay:  durch  Addition  erhalten  wir  für  die  Funktion 

die  partielle  Differentialgleichung 

<109)  <P^X-^  «(^^1)1+  ^{cch  -  aß)z  =  0; 

dieselbe  ist  wegen  (107),  (108)  von  elliptischem  Typus  und  überdies,  wie 
man  leicht  erkennt,  sich  selbst  adjungiert.  Da  das  zu  dem  Differential- 
ausdruck    , 

(HO)  c,{pzX-\- a(7th\ 

gehörige  Dirichletsche  Integral 

ff{cip^J-\-  a7izf)dxdi, 

nur  positiver  Werte  fähig  ist,  so  besitzt  auch  die  Greensche  Funktion 
zu  (110)  definiten  Charakter.     Endlich  ist 

ah  —  aß  =  0 
nur  für  eine  endliche  Anzahl  analytischer  Kurven  erfüllt  —  es  sei  denn,  daß 
(IJ^j  h{x)  =  Ca{x),     ß{^)  =  Ca{l) 

lusfäUt,  wo  C  eine  geeignete  Konstante  bedeutet;  dieser  Fall  (111)  ist 
iber  auszuschließen,  da  ja  alsdann  die  beiden  ursprünglichen  Differential- 
gleichungen (105j,  (106)  nur  die  eine  Verbindung  A  +  C^i  der  beiden 
Parameter  enthielten. 


264  Kap.  XXI.     Eine  zweiparametrige  Randwertaufgabe. 

Wie  diese  Überlegungen  zeigen,  erfüllt  die  partielle  Difterential- 
gleichung  (109),  in  der  der  lineare  Parameter  ,a  auftritt,  alle  Voraus- 
setzungen für  die  Gültigkeit  des  Satzes,  den  ich  in  Kap.  XXI,  S.  206 
ausgesprochen  habe.  Diesem  Satze  zufolge  besitzt  die  partielle  Ditfe- 
rentialgleichung  (109)  für  unendlich  viele  Werte  des  Parameters  /t,  die 
Eigenwerte,  jU^,  }i^,  .  .  .  Lösungen,  die  zugehörigen  Eigenfunktioneu  z^^ 
^2,  •  •  •,  deren  jede  innerhalb  des  durch  die  Ungleichungen 

bestimmten  Rechteckes  stetig  ist  und  auf  den  Seiten  dieses  Rechteckes 
verschwindet:  nach  diesen  Eigenfunktionen  ist  die  Entwicklung  einer  will- 
kürlichen (gewissen  Voraussetzungen  unterworfenen)  Funktion  in  diesem 
Rechteck  auf  die  Fouriersche  Weise  möglich. 

Ich  betrachte  nun  die  gewöhnliche  Differentialgleichung 

(113)  ^^-f.u,?.y  +  Aay  =  0, 

die  aus  (105)  entsteht,  wenn  darin  für  ^  der  besondere  Eigenwert  /i^ 
von  (109)  eingesetzt  wird.  Da  hierin  p(x)  und  a{x)  nach  der  Voraus- 
setzung (107)  positive  Funktionen  sind,  so  folgt  auf  Grund  meiner  Theorie 
der  orthogonalen  Integralgleichungen,  daß  (113)  unendlich  viele  positive 
Eigenwerte  und  zugehörige  Eigenfunktionen 

A  —   A|    •  A()   ■    •   ■   ■ 

^^^^^  3/(0;)  =  y,W(^),    y,^"Kx),... 

besitzt,  wenn  wir  als  Randbedingung  das  Verschwinden  für  x  =  a\  und 
X  =  Xo  nehmen.  Entwickeln  wir  insbesondere  die  zu  u^^  gehörige  Eigen- 
funktion Zf^  der  partiellen  Differentialgleichung  (109),  indem  wir  sie  als. 
Funktion  von  x  betrachten,  auf  Fouriersche  Weise  nach  den  Funktionen. 
yi^''\  y2''\  ■  ■  ■■>  ^*^  ergibt  sich 

(115)    <        z,(x,  I)  ==  ri,^'Kl)y:"\x)  +  ri,^%i)y,^%x)  -f  •  • ., 

wo  allgemeÄi 


<  116)  nJ\i)  =Ja{x)z,{x,  i)yj%x)dx 

ist. 

Wir  setzen  nun  zur  Abkürzung 


Kap.  XXI.     Eine  zweiparametrige  Randwertaufgabe.  265 

dann  ist  die  linke  Seite  der  partiellen  Differentialgleichung  (109),  ge- 
nommen für  ;/  =  ,u^,  identisch  mit  dem  Ausdrucke 

da  Zj^  eine  Lösung  von  (109)  ist,  so  haben  wir 

«Z(")(^,)  +  aA^"\z^  =  0 

und,  wenn  wir  mit  yj'''  multiplizieren  und  zwischen  den  Grenzen  a:, 
und  x^  nach  x  integrieren 

fam{z;)yJ^Hx  +JaA^"\z,)yJ")dx  =  0. 

ar,  Xi 

Wenden  wir  hier  auf  das  erste  Integral  die  Greensche  Formel  an  und 
führen  wir  sodann  mittelst  (116)  die  Funktion  tj^''^  der  Variabein  |  ein, 
so  erhalten  wir 

ajh''\yj'))z,dx+ AMjlz,yJ')dx\  =  0 
oder,  indem  wir  berücksichtigen,  daß 

(in)  Li"\%:)  +  K<^yJ"-o 

wird,  und  alsdann  vermittelst  (116)  die  Funktion  i^J'''  der  VariabeLn  | 
einführen, 

(118)  ^'"Kri^'^)  +  <^KnnJ'^  =  ^- 

Da  wegen  (116)  ^ij^'^^  eine  für  |  =  S^  und  |  =  1»  verschwindende 
Funktion  ist,  so  wird  das  Produkt 

riJmyJ'K^) 

eine  auf  den  Kanten  unseres  Rechteckes  (112)  in  der  x  —  ^- Ebene  ver- 
schwindende Funktion;  dieselbe  genügt,  wie  aus  (117),  (118)  unmittelbar 
folgt,  der  partiellen  Differentialgleichung  (109)  für  ^u  =  ^,^.  Andererseits 
besitzt  diese  Differentialgleichung  gewiß  nur  eine  endliche  Anzahl  linear 
unabhängiger  Lösungen,  nämlich  die  zu  fi/^  gehörigen  Eigenfunktionen; 
mithin  dürfen  unter  den  Funktionen  zweier  Variabein  x,  ^ 

%^"W,  v/V\  ■  ■  ■ 

gewiß  nur  eine  endliche  Anzahl  linear  voneinander  unabhängiger  Funk- 
tionen vorkommen.     Da  aber  unter  den  Funktionen  der  Variabein  x 

yA  y-A  ■  ■  • 

gewiß  keine  lineare  Abhängigkeit  statt  hat,  so  folgt,  daß  nur  eine  end- 
liche Anzahl  von  Funktionen  der  Variabelu  t  in  der  Reihe 

'ix     f    'li    )  ■  ■  ■ 
von  Null   verschieden  ist,  und  die  Gleichung  (115)  zeigt  mithin,  daß  eine 


266  Kap.  XXI.     Eine  zweiparametrige  Randwertaufgabe. 

jede  zu  2^  gehörige  Eigenfunktion  .2;^  der  partiellen  Differentialgleichung  (109) 
sich  durch  eine  endliche  Summe  von  Produkten  der  Gestalt 

darstellen  läßt,  wo  jedes  einzelne  Produkt  ebenfalls  eine  zu  ,u^^  gehörige 
Eigeufunktion  jener  partiellen  Differentialgleichung  (113j  ist.  Wir  denken 
uns  nun  in  solcher  Weise  alle  zu  (1,^  gehörigen  Eigenfunktionen  von  (109) 
durch  Produkte  dargestellt  und  alsdann  aus  den  sämtlichen  auftretenden 
Produkten  solche  ausgewählt,  die  voneinander  linear  unabhängig  sind 
und  durch  die  die  übrigen  Produkte  sich  linear  ausdrücken  lassen;  die 
so  ausgewählten  Produkte  bilden  nach  dem  eben  Bewiesenen  offenbar  ein 
volles  System  von  Eigenfunktionen  der  partiellen  Differentialgleichung  (109  ) 
für  den  Eigenwert  .«;,. 

Die  wesentlichsten  der  bisher  gefundenen  Resultate  fassen  wir  wie 
folgt  zusammen: 

Satz  54.  Ist  ein  System  von  zwei  gewöhnlichen  Differentialgleichiinfjen 
von  der  Gestalt  (105),  (106)  vorgelegt,  für  die  die  Bedingungen  (107),  (108) 
erfüllt  sind,  und  treten  in  denselben  die  zwei  Parameter  l,  .it  nicht  bloß  in  der 
Verbindung  l  +  C.u  auf  —  unter  C  eine  Konstante  verstanden,  —  so 
existieren  unoidlichviele  Paare  von  Werten  X,  fi,  für  welche  die  Differential- 
gleichungen solche  simultane  Lösungen  y,,{x),  ■»?;,(l)  haben,  daß  y,,[x)  an 
den  Enden  und  nicht  überall  im  Inneren  des  Intervallcs  x^x.^  und  ebenso 
rij^i^  an  den  Enden  und  nicht  überall  im  Innern  des  Intervalles  l^^,  ^■^'*' 
schivindet.  Eine  tvillkürliche  (gewissen  Voraussetzungen  unterworfene)  Funktion 
der  Variabelti  x,  ^  ist  in  Fourierscher  Weise  in  eine  nach  den  Produlden 
yhi^)Vhi^)  fortschreitende  Reihe  entwickelbar. 

Ist  noch  die  Bedingung  erfüllt,  daß  die  Funktion  ccb  —  aß  innerhalb 
und  auf  dem  Rande  des  Rechteckes  nirgends  verschwindet,  so  bedarf  es 
zur  Behandlung  der  partiellen  Differentialgleichung  (109)  nur  der  Theorie 
der  orthogonalen  Integralgleichungen,  und  es  ergibt  sich  dann,  daß 
jede  zweimal  stetig  differenzierbare  Funktion  der  Variabein  ./;,  ^  in  Fourier- 
scher Weise  nach  den  Produkten  der  Lösungen  der  simultanen  Differential- 
gleichungen (105),  (106)  entwickelbar  ist. 

Wir  betrachten  zum  Schluß  als  Beispiel  die  Lamesche  Differential- 
gleichung 

^'y  +  1  ( J     I  _i    j_    1  \ dy At-\-B  ^ Q 

dt-  ~  -  \t  —  e,^  t  —  e.,        t  —  ej  dt        4:{t —  e,)'.t  —  e,)  {t  —  e,)  ^ 

Wie  die  Anwendung  unseres  Theorems  zeigt,  lassen  sieh  hierin  die  Para- 
meter Ä,  B  auf  unendlichviele  Weisen  so  bestimmen,  daß  die  Differential- 
gleichung eine  Lösung  y  besitzt,  die  an  den  Endpunkten  eines  gegebeneu 
Intervalles  t^t^   verschwindet  und  zugleich   eine   solche,   die  an   den  End- 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  267 

punkten  eines  anderen  Intervalles  t^  r,  verschwindet  —  ein  Resultat, 
welches,  wie  wir  sehen,  im  engsten  Zusammenhange  mit  der  Aussage  des 
Kleinschen  Oszillationstheorems  steht.  — Dabei  sind  die  Intervalle ^i /o 
und  r^T,  nur  der  Einschränkung  unterworfen,  daß  sie  einander  ausschließen 
und  keinen  der  Punkte  61,^2,63  enthalten;  dagegen  ist  es  für  die  Gültig- 
keit meines  Theorems  nicht  nötig  anzunehmen,  daß  die  Intervalle  durch 
einen  der  Punkte  e^,  e.^,  e^  getrennt  sind.  Um  dies  einzusehen,  nehmen 
wir  etwa 

e^  <  63  <  ^3  <  ^1  <  ^2  <  •^i  <  T2 
an,  wählen  dann  einen  zwischen  f^  und  r^  gelegenen  Punkt  a  und  setzen 
einmal 

t  =  a  —  X     (Xi  =  a  —  t.2,     x.2=  a  —  tj) 
und  andererseits 

t  =  a  -{-  ^      (li  =  Tj  —  ff,     I2  =  '^2  ~  «)• 
Nehmen  wir  endlich 

l  =  Ä,     IX  =  aÄ  +  B, 

so  entstehen  aus  der  Lameschen  Gleichung  die  folgenden: 


'^(41) 


dl  4«      ^        ^'  ^5i^5^§2; 


wo 


I 


j)  =  ]/(«.  —  X  —  e-^ia  —  X  —  Co)  (a  —  x  —  e^, 

71  =  y{a  +  I  —  ej  (a  -f-  t  —  ^o)  (a  +  ^  —  e^) 

gesetzt  ist.  Da  x  und  |  in  ihren  Intervallen  x^x.,  bzw.  I^lg  stets  positiv 
bleiben,  so  sind  die  Bedingungen  unseres  Theorems  erfüllt  und  damit  die 
Existenz  unendlich  vieler  Parameterpaare  A,  B  von  der  verlangten  Be- 
schaffenheit erwiesen. 


Zweiundzwanzigstes  Kapitel. 

Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

In  allen  bisher  erörterten  Anwendungen  der  Theorie  der  Integral- 
•gleichungen  —  sei  es  auf  analytische  oder  geometrische  Probleme  oder 
im  Gebiete  der  theoretischen  Physik  —  war  es  stets  eine  gewöhnliche 
oder  partielle  Differentialgleichung  oder  ein  System  von  solchen  Differential- 
gleichungen, das  uns  bei  der  Aufstellung  der  Integralgleichung  zur  Ver- 


268  Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

mittelung  diente.  Im  folgenden  mache  ich  eine  neue  direkte  Anwen- 
dung der  Theorie  der  linearen  Integralgleichungen,  indem  ich  zeige,  daß- 
es  eine  gewisse  lineare  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  sym- 
metrischem Kern  ist,  die  die  mathematische  Grundlage  der 
kinetischen  Gastheorie  bildet  und  ohne  deren  Erforschung  nach 
den  modernen  Methoden  der  Integralgleichungstheorie  eine 
systematische  Begründung  der  Gastheorie  unmöglich  ist. 

Wir  führen  zunächst  folgende  Bezeichnungen  und  Annahmen  ein.  Es 
seien  x,  y,  z  die  rechtwinkligen  Raumkoordinaten  und  i  die  Zeit:  |,  t^,  t, 
seien  die  Geschwindigkeitskompoueuten  der  Moleküle;  die  Moleküle  seien 
Kugeln  vom  Durchmesser  6.  Zur  Abkürzung  werde  ferner  das  Volumen- 
element im  ./w/^- Räume  mit 

(U)  =  dxdy  dz 

und  das  Volumeuelement  in  ^);^-Raume  mit 

dio  =  di,  dl]  dt, 

bezeichnet.  Den  gesamten  Zustand  des  Gases  sehen  wir  als  gegeben  an 
durch  die  Funktion  F  der  sieben  Argumente  |,  >;,  t,  x,  y,  z,  t,  wobei  die 
Bedeutung  dieser  Funktion  die  ist,  daß 

Fdodco 

die  Anzahl  der  Moleküle  angibt,  deren  Mittelpunktskoordinaten  zur  Zeit  ^  bzw. 

zwischen  x  und  x  +  dx 
„        y    „     y  +  dy 

„  z     „      z  -\-  dz 

und  deren  Geschwindigkeitskomponenten  zugleich  bzw. 

zwischen  ^  und  |  +  d^ 

„         V     „     ^  +  ^^ 

liegen  oder  kurz,  die  zur  Zeit  t  in  da  und  deren  Geschwindigkeitspunkte 
I,  7j,  l  in  dio  fallen.  Wir  nennen  diese  Funktion  F  die  Maxwellsche 
Fundame  ntalfunktion. 

Es  .seien  ferner  J,  t),  §  die  Koordinaten  eines  Punktes  der  Einheitskugel 

?'  +  t)-  +  S'  =  l  (1) 

und  d%  das  Oberflächenelement  dieser  Einheitskugel.  Bringen  wir  nun 
zwei  Moleküle  mit  den  Geschwindigkeiten  ^,  ri,  t,  und  Ij,  t/^,  ^^  zum  Zu- 
sammenstoß derart,  daß  im  Moment  ihrer  Berührung  die  Richtungskosinusse 
ihrer  Zentrilinie  y,  \),  5  sind,  so  werden  die  Geschwindigkeiten  der  beiden 
Moleküle  nach  dem  Zusammenstoß  durch  die  Formeln  gegeben: 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 


269 


und 


wobei  zur  Abkürzung 


r 

=  ^  +  t)  TT, 

=  n^  -  l)  1^, 

(2) 


(3) 


gesetzt  ist.  Diese  Formebi  (2),  (3)  stellen  eine  lineare  homogene  Trans- 
formation der  sechs  Variabein  ^,  i],  t,,  Ij,  >;j,  ^^  dar,  die  folgende  Eigen- 
schaft besitzt: 

Satz  1.  Die  Transformation  ist  mit  ihrer  inversen  identisch;  ihre 
Determinante  ist  gleich  1. 

Satz  2.  Vertauscht  man  in  einem  Ausdrucke,  welcher  |',  ?/,  ^',  |j',  7^^',  t,^ 
enthält,  die  Größen  %,  j],  ^  bzw.  mit  |j,  ij^,  ^^  und  umgekehrt,  so  ver- 
tauschen sich  in  jenem  Ausdrucke  gegenseitig  |',  tj',  l'  bzw.  mit  t,^,  1]^',  ^/. 

Satz  3.    Unsere  Transformation  besitzt  die  vier  Invarianten 

l  +  ^n 

e  +  ^i, 

während    TF  bei  ihrer  Anwendung  das  Vorzeichen  ändert. 

Auch  setzen  wir  noch  fest,  daß,  wenn  (b'/fc)  irgend  einen  Ausdruck 
in  I,  7],  t,  bedeutet,  stets  die  folgenden  abkürzenden  Bezeichnungen  gelten 
sollen : 

und  endlich  definieren  wir  die  Klammersymbole: 

[F,  G]  =  ^6\  W  {F'  G,'  +  F;  G'  -  FG,-  F,G) 

[F,  F\  =  \6^\W'  {F'F^  -  ff;) 


<75  07]  C  f, 


dF   .       dF   .    .  cF   .    dF 


in  letzterer  Formel  bedeuten  rechts  die  Größen  X,  Y,  Z  die  Komponenten 
der  äußeren  auf  das  Gas  wirkenden  Kraft,  bezogen  auf  die  Masseneiuheit; 
sie  sind  gegebene  Funktionen  von  x,  y,  z,  t. 

Nunmehr  lege  ich  meiner  Untersuchung  die  Maxwell-Boltzmannsche 
P'undamentalformel 

JJ[F,F]do.,cU^[F]  (4) 


270  Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

zugrunde;  darin  ist  links  die  Integration  da^  über  den  gesamten  Ge- 
sell windigkeitsraum 

bi;   'ä?  ^1  =  —  oo  bis  +  c» 

und  die  Integration  (H-  über  die  gesamte  Oberfläche  der  Einheitskugel  ( 1) 
zu  erstrecken.  Diese  Gleichung  (4)  muß  identisch  für  alle  ^,  ij,  t.,  x,  y,  z,  t 
erfüllt  sein:  sie  stellt  eine  notwendige  Bedingung  dafür  dar,  daß  die 
Funktion  F  der  sieben  Argumente  |,  i],  t.,  a;,  y,  z,  t  die  Maxwellsche  Funda- 
mentalfunktion unseres  einatomigen  Gases  ist. 

Hierzu  fügen   wir  für  F  noch  folgende  Bedingungen  hinzu: 

1.  F  darf  keinenfalls  negative  Werte  annehmen. 

2.  F  muß  verschwinden,  sobald  eines  der  Argumente  |,  i],  t,  positiv 
oder  negativ  unendlich  wird. 

3.  F  soll  für  alle  Zeiten  t  endlich  und  stetig  bleiben. 

Die  Bedingungen  1.  und  2.  ergeben  sich  unmittelbar  aus  der  Be- 
deutung von  F'^  die  Bedingung  3.  ist  der  Ausdruck  für  die  Stabilität  des 
Bewegungszustandes  unseres  Gases. 

Um  F  auf  die  allgemeinste  Weise  als  Lösung  der  Gleichung  (4)  zu 
bestimmen,  könnte  der  Ansatz  dienen: 

^=  ^0  +  ^i(^  -  V  "rF.it-  f,y  -f-  .  .  ..  (5) 

Da  -^  in  (4)  nur  rechter  Hand  auftritt,  so  folgen,  wenn  Fq  eine  willkür- 
lich gewählte  Funktion  von  |,  ij,  ^,  x,  y,  z  ist,  aus  (4)  offenbar  in  ein- 
deutiger Weise  die  weiteren  Koeffizienten  F^^,  F^,  ■  .  .  als  Funktionen  eben- 
dieser  sechs  Argumente.  Durch  Abschätzung  dieser  Koeffizienten  werden 
wir  jedoch  eine  Konvergenz  der  Potenzreihe  (5)  nur  dann  erwarten  dürfen^ 
wenn  t  ^  t^  absolut  genügend  klein  ausfällt,  und  solche  Lösungen  würden 
der  obigen  Stabilitätsbedingung  3.  widersprechen.  Daher  verwerfen  wir 
die  Entwicklung  (5)  und  erzielen  vielmehr  die  Auflösung  dadurch,  daß 
wir  einen  positiven  Parameter  l  mittels  des  Ansatzes 

in  die  Gleichung  (4)  einführen  und  die  so  entstehende  Gleichung 

[G,  G)  da'^d^  =  A[(5]  (6) 

vermöge  der  nach  Potenzen  von  X  fortschreitenden  Reihe 

G=  =  O  +  ?p-A  -f  XA-  H {!) 

lösen  —  was  darauf  hinausläuft,  in  der  ursprünglichen  Gleichung  (4) 

i^=y  +  ^+A'A -!-•■•  (8) 

einzusetzen;  dabei  bedeuten  ^,  W,  X,  .  .  .  zu  bestimmende  Funktionen  der 
sieben  Argumente  |,  tj,  ^,  x,  y,  z,  t,  von  denen  jedenfalls  die  erste  0  noch 


JJc 


$ 

. 

l 

} 

l 

+  'i^, 

X 

+  ^  + 

XX, 

Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  271 

den  obigen  Bedingungen  1.,  2.,  3.  zu  genügen  hat.  In  dem  Poten/reihen- 
ansatze  (8)  erblicke  ich  die  strenge  Formulierung  des  Maxwellsclien  Ge- 
dankens einer  sukzessiven  Approximation  zur  Berechnung  seiner  Funda- 
nientalfunktiou  F:  in  der  Tat  sollen  späterhin  beim  systematischen  Aufbau 
der  Gastheorie  sukzessive  die  Abschnitte 


(9) 


in  erster,  zweiter,  dritter  Annäherung  usw.  als  Ersatz  an  Stelle  der 
Fundamentalfunktiou  F  genommen  werden.  Die  Potenzreihe  (8),  die 
die  Fundamentalgleichung  (4)  befriedigt,  ist  der  allgemeinste 
Ausdruck  für  die  Maxwellsche  Fundamentalfunktion  eines  in 
stabilem  Bewegunofszustand  befindlichen  Gases. 

Unsere  wichtigste  allgemeine  Aufgabe  besteht  darin,  die  Mannigfaltig- 
keit aller  derjenigen  Lösungen  der  Fundamentalgleichung  (4)  zu  ermitteln,, 
die  durch  die  Potenzreihenentwicklung  (8)  dargestellt  werden. 

Zu  dem  Zwecke  tragen  wir  (7)  in  (6)  ein;  dann  finden  wir  durch 
Vergleichung  der  Koeffizienten  der  Potenzen  von  l  auf  beiden  Seiten 

JJ[O,Q\d(a^d%  =  0,  (10) 

Jj[^,W^d(o,rU  =  \[^],  (11) 

\0,  X]  +  \{_W,  W-\)  dco,  d^  =  i[^],  (12) 


//([^ 


Die  Gleichung  (10)  ist  bereits  von  Boltzmann  vollständig  gelöst  worden, 
wie  folgt,  Weo-en  Satz  1.  und  Satz  2.  auf  S.  269  haben  wir,  wenn  H 
ebenso  wie  F  und   G  Funktionen  der  Argumente  |,  rj,  t,  bedeuten: 

ffJ'H[F,  G]  d(D  dc3,  d§  =  JJJH,  [F,  G']  dco  dco,  d^ 

=  -JJJH'{F,  G^]  da  da,  d§,  =  -JJJh;  \F,  G']  da  da,  cZg, 

und  daher  wird 

SfjH[F,  G]  da  da,  d^  =  \JJJ{H-\-  H-  H'-  H,')[F,  G]da  da,d^.  (13) 

Aus  dieser  Formel  folgt  für 

ir=iog^, 

F=  0), 
G=0, 

mit   Rücksicht  auf  (10) 


272  Kap.  XXn.     Begrüadung  der  kinetischen  Ga^theorie. 

\JJJQ-o%  0  4-  log  ^1  —  log  0'  —  log  0^')  [^,  0]  (7gj  dco^  d§>  =  0 

JJf\  W  log  ^S    (^'  ^/  -  0  0,)  dco  dco,  d^  =  0 


4 

oder 


d.  h.,  da  der  Integrand  hier  nirgends  positiv  ausfalleu  kann, 

0'O/-  00,   =0. 

Die  allgemeinste  dieser  Gleichung  genügende  Funktion  von  |,  i],  ^, 
x,  z,  y,  t  mit  den  Eigenschaften  1.  und  2.  auf  S.  270  ist,  wie  aus  dem  Satze  3. 
auf  S.  269  leicht  ei-kannt  wird: 

O  =  ae-*l(^-")'  +  (''-'')'+(^^-"')'l,  (14) 

wenn  u,  v,  iv  beliebige  Funktionen  von  x,  y,  z,  t  und  a,  h  solche  Funk- 
tionen derselben  Variabein  x,  y,  z,  t  bedeuten,  die  nirgends  negativ  ausfallen. 
Nunmehr  haben  wir  den  soeben  aus  (10)  gefundenen  Ausdruck  (14) 
für  0  in  (11)  einzutragen  und  aus  der  so  entstehenden  Gleichung  die 
Funktion  W  zu  ermitteln.    Setzen  wir  zu  dem  Zwecke 

•wo   i\>   eine  neue   zu  bestimmende  Funktion   ist,  und   berücksichtigen   die 
obige  Relation 

00^  =  0'  0^, 

SO  nimmt  (11)  die  Gestalt  an 

4  ö^jjl  W\  00^  (i/^/  +  t/^'  -  1/^1  -  V)  da^  d^^\  \0].  (15) 

Führen  wir  hier  in  dem  Ausdrucke  linker  Hand  an  Stelle  von 

^;       '/>       ^j       ^U       '/l?       ^1 

bzw.  die  Argumente 

ein,  so  geht  derselbe  über  in 

wo  zur  Abkürzung 

J  ^ff  W\e- ^^'  +  '>'  +  '^^ + ^^^  +  'h'  +  -^)  ((p-\.cp^-(p'-  cp,')  da^d^i      (16) 

gesetzt  worden  ist;  darin  hat  q)  die  Bedeutung 

.  "^«"»  =  *(»  +  ;/^'"  +  ;r"'  +  jl;)- 

Es  ist  nun  für  die  Begründung  der  kinetischen  Gastheorie 
von  entscheidender  Bedeutung,  daß  der  Ausdruck  (16)  in  die 
Gestalt 

J=k(p  +fK(lri^',  li^eO'jPi^rai  (1') 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  273 

CTebraclit   werden  kann  und  daß  sieh  daher  die  zur  Bestimniuncr 
von    i^'    dienende    Gleichung    (15)   als   eine   lineare    (orthogonale) 
Integralgleichung  zweiter  Art  herausstellt. 
Um  dies  zu  zeigen,  bemerken  wir  zunächst,  daß 


wird,  und  setzen 

\\o) 

so  daß  k  eine  gewisse  nur  von  |-  +  ^/^  +  ^  abhängige  stets  positive  Funk- 
tion bedeutet: 

Ferner  führe  ich  in  dem  Integralausdrucke 

J*  =Jf  W  e-  ^'r  +  '"^  +  -')  (p'dco,  d^ 

statt  des  Integrales  über  die  Oberfläche  der  Einheitskugel  ein  solches  über 
das  Innere  derselben  ein,  indem  ich  in 

1 

0 

statt  r  und  der  Richtungskosinusse  die  drei  unabhängigen  rechtwinkligen 
Koordinaten  nehme  j:,  t),  §.    Wegen 

r^drd^  =  did\)di 
wird  dann 

J  J  J  J   I  Vl^  +  ^^  +  i^ 

{Ü  S  J-  +  11-  +  ä-  ^  1) 

wo  nunmehr 

zu  nehmen  ist.    Führen  wir  jetzt  im  Integral  J*  statt  i,,,  ij^,  ^^  die  neuen 
Integrationsvariablen 

'       J*  +  ^*  +  3" 

Vi—n 

^i-E*  +  tj«  +  j» 


"'    i'  +  r  +  h' 


ein,  so  erhalten  wir 


(0  ^  j^  +  ir^  +  j=  g  1) 
ß-!('i.(s'  +  n'-i-ä^-)  +  Sp  +  c.'i(£^-i-t,^+ä')-i-.!)'+(.'.(r-  +  n^-  +  ^^)  +  ;vi  (p' dl^  d ^^d i'^  d):d\]d'i, 

wo 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  18 


274  Kap.  XXn.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

zu  nehmen   ist.    Sodann  wählen   wir  statt  J,  t),  §  die  neuen  Integrations- 
variablen 

wegen 

A2  +  ^2  ^   ^2  _  (j2  _^   ^2  ^  g2)  (^^^   ^  ^^^  ^   ^^^) 

und  da  die  Funktioualdeterminante 

5>li  ,  5."i  ,  i'^i  +  ij^i  +  ^svj  I 

wird,  erhalten  wir  mit  Rücksicht  darauf,  daß  zu  jedem  Wertsystem  A,  a,  v 
zwei  Wertsysteme  i,  t),  5  gehören: 

J  J  e/  J  J  J    (iJ-i  +fi.Ui  +  vvjä 

(0  ^  r-  +  n''  +  >■*  ä  i A,  + ,« /'i  +  V 11)  (ly) 

9p  (I  +  ^  ^  +  i^j  ^  +  1')  f^^  d^  dv  dX^  d^i  di\ . 
Um  hierin  die  Integration  nach  X^,  ^^,  j^j  auszuführen,  bedenken  wir, 
daß  das  Inteoral 


IIA 


'-niTTTT^T^n  •*"  V  +  ("'  ;i^;+/.^,.  +  v.,  + '')  +  ("^  -(;!,+,«,..  +  ,..,  +  ^)  ]  dX^  d^i,  dv, 
eine  Orthogonalinvariante  der  beiden  Variabeinreihen 

X,  jit,  V  und  l,  T],  ^ 
ist  und  folglich  nur  eine  Funktion  der  drei  Ausdrücke 

x'  +  ii^^v',    xi  +  ^7j  +  v^,    V+n'^^' 

werden   kann.     Um    diese   Funktion    zu    ermitteln,    nehmen    wir    u  =  0^ 
V  =  0.    Für  A  >  0  geht  jenes  Integral  (20)  dann  über  in: 

*" '"° "°— .  -^ -  { <'  +  Ö'  +  ('■"  +  ")'^  (X * ')' }  ''-li  ''f.  ä>,, 

(U,)T 


+  OC  +  00  +  « 


•  OC  —  00      / 


00_ 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  275 

^ind  mithin  wird  das  Integral  (20)  notwendigerweise  gleich 

2 Jr  . _  {^a  +  g)  +  /t(^  +  i?)  +  i-(»'  +  ,^r 


SiV' -\- ii' +  vy 

da  ja  dieser  Ausdruck  für  u  =  0,  v  =  0  den  eben  berechneten  Wert  bekommt. 
Infolgedessen  wird,  wenn  wir  endlich  in  J*  anstatt  k,  jw,  v  die  Argumente 
Ton  qp,  nämlich 

li  =  I  +  A, 

Vi  =V  -\-  .«; 

als  Integrationsvariable  einführen, 

J*=fK^i^rj^',^^,ri,t,)cp,do,,  (21) 

wo 

Tj^^  2«  { gl  (gl  -  ^)  +  'h  i'h  - '/)  +  ^1  (^1  -  ?) }  " 

^  "t/(i.-i)'+fa^.)-+a -;)''"    *-«-H.-,,.Hi-o. 

gesetzt  ist. 

Nunmehr  behandeln  wir  das  Integral 

ähnlich,  wie  soeben  das  Integral  t7*.   Zunächst  finden  wir  genau  wie  vorhin 

0  s  E^  + 1)-  +  a'^  ^  1 
^ -  ( ^1  {f  + 1)^  +  ä^)  + '?)-  +  ("X (r- + D^-  +  ä^-)  +  ';r-  +  ("i  (r-  + 1)^-  +  s^)  +  0=  i  ^/  f/ a^  d/i^  (7 v^  ^? j  d\)  rf§, 

wo  jetzt 

/*i(5'+  if  +  ä")  -  9(i-^i  +  i)i^i  +  an)  +  n, 
v,{f  +  9'  +  s')  -  lirM  +  9>«i  +  S^^i)  +  0 

2:u  nehmen  ist.  Sodann  wählen  wir  statt  j,  ^,  5  die  neuen  Integrations- 
variablen 

^  =  ^i(E^+  tf  +  ä^)  -  0(i-A,  +  tl^a,  +  IV,), 

V  =  n(?'  +  t)2  +  s')  -  l{iK  +  9^1  +  an); 

wegen 

j/l  +  t).a  +  5^  =  0, 

und  da  die  Funktionaldeterminante,  abgesehen  vom  Vorzeichen, 

9it*i+än,     J.tti-2t)X„  Ej/i-2äAi  I 

t)Ai-2E^i,    jAi  +  sv,,     l)Vi-25ai   =2(AAi4-u.«i+vvO(i-/li+l)^i  +  5n) 
5A,-2ei/„    ä/ii-2t)vi,  jAj  +  l^.Ui 

18* 


276  Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

wird,  erhalten  wir  durch  Vergleich  mit  (19)  das  einfache  Resultat 

Mit  Rücksicht  auf  (18),  (21),  (22)  erhält  der  Integralausdruck  (16) 
die  Gestalt  (17),  wie  oben  behauptet  worden  ist,  wo  der  Kern  K  die 
Bedeutung  hat: 

2  _  (li(gi-g)  +  '?i(vi-  ';)  + 1,  (n  -  0  }  _M         (2^\ 
^  (s-,-l)'  +  (.;,-.;P  +  (fi-,T  •      ^      ^ 


Unter  Benutzung  der  Identität 


(5;  -  F)^+S{S+S,  -  2P)  (S+  S,  -  P)*-  ÄS. 


(4i  -  ^Y  +  (rji  -  n?  +  (Ji  -  ^)'     (li  -  ^r-  +  (^1  -  rj)*  +  (?x  -  ö* ' 


wo 


bedeutet,  ersehen  wir,  daß  K  ein  symmetrischer  Kern  der  beiden  Yariabeln- 
reihen  ^,  jy,  t,  und  ^j,  7;^,  ^^  ist  Außerdem  zeigt  der  eben  gefundene 
Ausdruck  (23),  daß  der  Kern  K  für 

nur  von  der  ersten  Ordnuncj  unendlich  wird  und  daher  die  gesamte  Theorie 
der  Integralgleichungen  auf  ihn  anwendbar  ist. 

Insbesondere   entnehmen   wir  hieraus,   daß   die  Frage   der  Auflösung 
der  Integralgleichung 

J=mril),  (24) 

wenn  /'  eine  gegebene  Funktion  von  |,  ?/,  t,  ist,  notwendig  durch  die  Kennt- 
nis der  Lösungen  der  homogenen  Integralgleichung 

J  =  0  (25) 

bedingt  ist.  Um  diese  Lösungen  zu  ermitteln,  multipliziere  man  den  Aus- 
druck (16)  für  J  mit  qp  und  integriere  nach  ^,  1],  t,  über  den  unendlichen 
Geschwindigkeitsraum;  nach  Formel  (13)  wird  dann,  wenn  wir  in  derselben 

nehmen: 

ftpJda  =  iffj  W  e- («^+  '^+^'+  >V-+  -;,=  +  ^.^)  ((^  +  g:^  _  ^'  _  (p^yda  da,  d§. 

Soll  nun  q)  eine  Lösung  von  (25)  sein,  so  muß  für  ein  solches  q)  auch 
das  Integral  rechts  hier  verschwinden,  und  dies  ist  nur  möglich,  wenn 
der  Integrand  Null  ist,  d.  h.  wenn 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  277 

wird.  Dem  Früheren  zufolge  gibt  es  lediglich  die  fünf  linear  voneinander 
unabhäncrigeu  Funktionen 

^(^)  =  1, 

#)  =  e,- 

die  jene  Gleichung  erfüllen,  und  damit  ist  bewiesen,  daß  die  lineare 
homogene  Integralgleichung  (25)  keine  anderen  Lösungen  be- 
.sitzt  als  diejenigen,  die  aus  jenen  fünf  Lösungen  durch  lineare 
hombination  mit  konstanten  Koeffizienten  entstehen.^) 

Hiermit  ist  die  Untersuchung  der  linearen  Integralgleichung  (24), 
auf  welche  wir  durch  die  Gleichung  (11)  geführt  wurden,  beendet,  und 
ich  fasse  die   gefundenen  Resultate,  wie  folgt,  zusammen: 

Die  zur  Bestimmung  der  FunMion  tp  dienende  Gleichung  (24)  ist  eine 
lineare  {orthogonale)  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  symmetrischem  Kern. 
Die  zugehörige  homogene  Integralgleichung  (25)  hat  genau  die  fünf  linear 
voneinander  unabhängigen  Lösungen  (26),  und  mitliin  besitzt  (24)  dann  und 
nur  dann  eine  Lösung  (p,  wenn  f  die  fünf  Integralbedingungen  {Orthogonalitäts- 
bedingungen) 

fr^fdco  =  0,     (i  =  1,  2,  3,  4,  5) 
erfüllt. 

Auf  Grund  dieses  Satzes  ergibt  sich  als  notwendige  und  hinreichende 
Bedingung  für  die  Möglichkeit,  4.<  aus  (15)  d.  h.  ^P  aus  (11)  zu  bestimmen, 
das  Bestehen  der  fünf  Gleichungen: 

ft<')[0]d(o  =  0,     {i  =  1,  2,  3,  4,  5).  (27) 

Dies  sind,  wie  die  Ausrechnung  zeigt  und  schon  von  Maxwell  erkannt 
worden  ist,  nichts  anderes  als  die  hydrodynamischen  Gleichungen  ein- 
schließlich der  Kontinuitätsgleichung  und  der  thermodynamischen  Grund- 
gleichung für  ein  ideales  Gas  in  erster  Annäherung:  die  hydrodynami- 
schen Gleichungen  erscheinen  somit  als  die  Orthogonalitäts- 
bedingungen  für  die  Lösbarkeit  unserer  linearen  Integral- 
gleichung; es  sind  fünf  partielle  Differentialgleichungen  für  die  fünf 
Größen  a,  b,  u,  v,  w   (bez.   Dichte,   Temperatur  und  Geschwindigkeit)    als 


li  Den  schönen  Beweis  dieses  Satzes  hat  zuerst  Herr  Dr.  E.  Hecke  gefunden, 
dessen  Hilfe  —  er  war  in  der  von  mir  im  Wintersemester  1911  12  über  (.iastheorie 
<,'ehaltenen  Vorlesung  mein  Assistent  —  mir  auch  sonst  bei  der  Ausarbeitung  der  hier 
entwickelten  Theorie  von  g-roßem  Werte  war. 


278  Kap.  XXn.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

Funktionen  von  x,  y,  z^  f.  Da  die  Determinante  ihrer  linken  Seiten  in 
bezug  auf  die  zeitlichen  Ableitungen 

da      dh      cu      cv      dw  oq\ 

dt'     dt'     dt'    Ji'     dt  ^'^^^ 

—  sie  ist  im  wesentlichen  die  aus  den  Elementen 

/i/;W^W^r/«,     0;i=l,  2,  3,  4,  5) 

gebildete  Determinante  —  nicht  Null  ist,  so  sind  die  Lösungen  der  fünf 
partiellen  Differentialgleichungen  (27)  eindeutig  bestimmt,  wenn  man  die 
Werte  von  a,  h,  u,  v,  iv  oder  auch  —  was  offenbar  auf  das  nämliche 
hinausläuft  —  die  Werte  von 

frp^^0da,     {i  =  1,  2,  3,  4,  5)  (29) 

für  t  =  tQ  als  Funktionen  von  x,  y,  z  willkürlich  —  etwa  gleich  /"('^  — 
vorschreibt;  wir  wollen  die  so  erhaltenen  allgemeinsten  Lösungen  von  (27) 
mit  a*,  fe*,  M*,  v"^,  «•*  bezeichnen  und  überdies 

setzen. 

Nachdem  wir  so  das  erste  Glied  in  der  Entwicklung  (8)  von  F  auf 
die  allgemeinste  Weise  bestimmt  haben,  führen  wir  die  nämliche  Aufgabe 
für  das  zweite  Glied  durch. 

Es  sei  jetzt  i\}^'^  diejenige  völlig  bestimmte  Lösung  der  aus  (15)  hervor- 
gehenden linearen  Integralgleichung 

i(J-JJ  W  0* 0*  (ti  +  t'  -  ti-  il')  dco.cH  =  K^*]; 
für  welche 

yV«^"0*f^«  =  0,     (i  =  1,  2,  3,  4,  5) 
wird;  dann  ist 

diejenige  völlig  bestimmte  Lösung  der  aus  (11)  hervorgehenden  Integral- 
gleichung 

fJ[0*,W]dco,cH  =  ^[0^],  (30) 

für  welche 

/t/;«  W'  da  =  0,     (^•  =  1,  2,  3,  4,  5)  (31) 

wird,  und  die  allgemeinste  Lösung  von  (30)  ist 

W=W+0*  ^cW ^w,     (j  =  1,  2,  3,  4,  5)  (32) 

wobei  die  fünf  Größen  d^^  willkürliche  Funktionen  von  x,  y,  z,  t  bedeuten. 
Nunmehr  schreiben  wir  die  zur  Bestimmung  von  X  dienende  Gleichung  (12) 
wie  folsrt 


Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  279 

//[0,  X\  dco,  ./§  =  i  [^]  -  Ifßw,  W\  dco,  d%,  (33) 

und  tragen  darin  ^*  an  Stelle  von  0  und  den  Ausdruck  (32)  an  Stelle 
von  W  ein.  Da  diese  Gleichung  dieselbe  Gestalt  wie  (11)  oder  (30^  auf- 
weist und  daher  ebenfalls  auf  die  lineare  Integralgleichuno-  (24j  zurück- 
führbar ist,  so  erhalten  wir  als  notwendige  und  hinreichende  Bedingung 
für  die  Möglichkeit,  X  zu  bestimmen,  die  Gleichungen 

/i^C) ['^]  dco  -jJß(^)[W,  ^]  dcodco.d^  =  0,     (>•  =  1,  2,  3,  4,  5) 

oder,  da  wegen  (13)  das  zweite  Integral  verschwindet, 

ß^^lWjdco^O,     (^•  =  1,  2,  3,  4,  5)  (34) 

d.  h.  wenn  (32)  an  Stelle  von    y^  eingetragen  wird: 

ß{'-)[W'+  0*^cWt/;W](?ö  =  0.     (i  =  1,  2,  3,  4,  5) 

Dies  sind  fünf  lineare  partielle  Differentialgleichungen  für  die  fünf  Funk- 
tionen c^-'\  Da  die  Funktionaldeterminante  ihrer  linken  Seiten  nach  den 
zeitlichen  Ableitungen  (28)  genau  mit  der  oben  betrachteten  Determinante 
übereinstimmt  und  daher  von  Null  verschieden  ausfällt,  so  sind  die  Lösungen 
dieser  Differentialgleichungen  eindeutig  bestimmt,  sobald  man  die  Werte 
von  cW  oder  auch,  —  was  offenbar  auf  das  nämliche  hinausläuft  —  die 
Werte  von 

JVW  Wd(o,     {i  =  1,  2,  3,  4,  5)  (35) 

für  t  =  t^  willkürlich  als  Funktionen  von  x,  y,  z  —  etwa  gleich  g'^''^  — 
vorschreibt;  wir  wollen  die  so  erhaltene  allgemeinste  Lösung  von  (34)  mit 
^*  bezeichnen. 

So    fortfahrend    verstehen   wir   unter    X^   diejenige    völlig   bestimmte 
Lösung  der  Integralgleichung  (33),  für  welche 

ß')X^  da  =  0,     {i  =  1,  2,  3,  4,  5)  (36) 

wird;  die  allgemeinste  Lösung  von  (33)  ist  dann 

U) 
X  =  X»  -f  0*  ^cW  t^(»,     (j  =  1,  2,  3,  4,  5) 

wobei  die  Größen  c'-^^  willkürliche  Funktionen  von  x,  y,  z,  t  bedeuten.  Da 
jedoch  wiederum  die  Orthogoualitätsbedingungen 

/^W  [X]  da  =  0,     (/  =  1,  2,  3,  4,  5)  (37) 

erfüllt  sein  müssen,  so  bleiben  nur  die  Werte  von  c")  für  ^  =  ^q  ^^'Ukür- 
lich:  wir  schreiben  statt  ihrer  die  Werte  von 

ß^Xda,     (^  =  1,  2,  3,  4,  5)  (38) 

für  f  =  tfj  willkürlich  als  Funktionen  von  x,  y,  z  —  etwa  gleich  7t^'*  —  vor 
und    bezeichnen   die   so   erhaltene   allgemeinste  Lösung   von  (37)   mit  X*. 


280  Kap.  XXII.     BegrÜDflung  der  kinetischen  Gastheorie. 

Bei  diesem  Prozesse  der  Herstellung  der  allgemeinsten  Lösung 

F*  =  ^*  +  W*  +  X*A  H (39) 

der  Fundamentalgleichung  (4)  treten  in  jedes  einzelne  Glied  jedesmal  fünf 
neue  willkürliche  Funktionen  von  x,  y,  z,  nämlich  die  Funktionen  (29), 
(3ö),  (38),  .  .  .  ein;  diese  willkürlichen  Funktionen  erscheinen 
aber  in  dem  Gesamtausdruck  für  /•'  in  der  Weise  kombiniert, 
daß  derselbe  in  Wahrheit  nur  fünf  willkürliche  Funktionen  der 
Variabein  x,  y,  s  enthält. 

Um  diese  wichtige  Tatsache  einzusehen,  bedenken  wir,  daß  (39)  eine 
der  Fundamentalgleichung  (4)  genügende  Potenzreihe  von  A  ist  derart,  daß 
die  Ausdrücke 

ft^^F^da  =-^^_!^  +  J^(')?lf*^«  +  a/i^'«.Y*^cj  +  ---  (i=  1,2, 3, 4,5) 

für  t  =  fff  bzw.  in  die  Potenzreihen: 

^''•)  =  ^^'  +  /)  +  ^/^«  4-  •  •  •,     0  =  1,  2,  3,  4,  5) 

übergehen,  \md  daß  es  nur  eine  solche  Potenzreihe  gibt.  Wir  bestimmen 
jetzt  andererseits  nach  dem  eben  dargelegten  Verfahren  eine  der  Funda- 
mentalgleichung (4)  genügende  Potenzreihe  F  von  X  derart,  daß  wir  für 
die  fünf  Ausdrücke  (29)  für  t  =  t^  nicht  wie  früher  f^^^  sondern  die 
Werte  lA^'^  und  sodann  für  (35),  (38),  ...  an  Stelle  g^*\  M'\  .  .  .  jedesmal 
NuU  vorschreiben.  Dieser  Konstruktion  zufolge  wird  F  eine  solche  Potenz- 
reihe von  A,  daß  die  fünf  Ausdrücke  jxl^'^'iFdco  ebenfalls  für  t  =  t^  iden- 
tisch für  alle  A  in  A^'^  übergehen.    Folglich  ist 

F=F*- 

wir  erkennen  also,  daß  auch  F  die  allgemeinste  Potenzreihenlösung  der 
Fundamentalgleichung  (4)  darstellt,  und  damit  ist  unsere  Behauptung  be- 
wiesen. Die  gefundenen  Resultate  fassen  wir  in  folgendem  Theorem  zu- 
sammen: 

In  der  Mannigfaltigheit  aller  nach  Fotenzen  von  A  fortschreitenden 
Lösungen  der  Fundamentalgleichung  (4)  ist  eine  Lösung  F  eindeutig  hestijnmt, 
sobald,  man  für  sie  die   Werte  der  fünf  Integrale 

ßi^Fda,     {i  =  1,  2,  3,  4,  5)  (40) 

für  t  =  ^0  als  Funktionen  von  x,  y,  z  vorschreibt  —  etwa  gleich  A^\ 

Man  erhält  diese  Lösung  durch  folgendes  Verfahren:  zunächst  nehme 
man  für  0  den  Ausdruck  (14)  und  bestimme  darin  a,  b,  u,  v,  tv  als  Funk- 
tionen von  X,  y,  z,  t  aus  den  fünf  partiellen  DiffcrcntialglcicJiungen  (27), 
tcobei  man  für  t  =  t^  die  fünf  Infegrahvcrte  (29)  gleich   lA^'^  vorschreibt; 


Kap.  XXU.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie.  2*^  1 

sodann  bestimme  man  diejenige  Lösung  W^  der  linearen  Integralgleichung 
(11),  für  uelche  die  fünf  Bedingungen  (31)  erfüllt  sind,  setze 

U) 
?if  =  ?p-o  +  (D  ^cW  J/;W     0'  =  1;  2,  3,  4,  ;■)) 

und  hesiiinme  die  fünf  Funldionen  c'-'">  von  x,  y,  s,  t  aus  den  fünf  linearen 
partiellen  Differentialgleichungen  (34),  tvohei  man  für  t  =  tQ  die  fünf  Integral- 
iverte  (35)  gleicli  Null  vorschreibe]  endlich  bestimme  man  diejenige  Lösung  X" 
der  linearen  Integralgleichung  (12),  welche  die  fünf  Bedingungen  (36)  er- 
füllt, setze 

0) 

und  bestimme  hierin  die  fünf  Fmiktionen  c^^'>  von  x,  y,  z,  t  aus  den  linearen 
imriiellcn  Bifferentialgleichmgen  (37),  tvobei  man  wiederum  für  t  =  t^  die 
Integral (certe  (38)  gleich  Null  vorschreibe  usw.  Die  Ausdrücke  (9)  stellen  dann 
die  Fundamentalfwiktion  F  in  erster,  zweiter,  dritter  Annäherung  usw.  dar. 

Nach  den  Ausführungen  auf  S.  270  ist  die  Potenzreiheiientwicklung 
(8)  nach  X  der  mathematische  Ausdruck  für  die  Stabilität  des  Bewegungs- 
zustandes des  Gases,  und  da  F  den  Zustand  des  Gases  für  alle  Zeit  be- 
stimmt und  die  Kenntnis  der  Integralwerte  (40)  uns  gerade  die  Dichte, 
Temperatur  und  Geschwindigkeit  des  Gases  liefert,  so  entnehmen  wir  aus 
dem  obigen  Theorem  das  folgende  für  die  Gastheorie  grundlegende  Resultat. 

Der  Zustand  eines  stabilen  Gases  ist  für  alle  Zeit  eindeutig  bestimmt, 
wenn  man  für  dasselbe  zur  Zeit  t  =  t^  Dichte,  Temperatur  und  Geschivindig- 
Jceit  als  Funktionen  des  Ortes  kennt. 

Wir  haben  früher  auf  S.  270  gesehen,  daß  bei  der  Entwicklung  nach 
Potenzen  von  t  —  Iq  die  Mannigfaltigkeit  der  Lösungen  F  der  Fundamental- 
gleichung (4)  eine  weit  höhere  ist,  als  sie  sich  jetzt  bei  der  Entwicklung 
nach  Potenzen  von  X  unserem  Theorem  zufolge  herausstellt:  damals  durfte 
i*"  für  t  =  tQ  willkürlich  als  Funktion  von  §,  ^,  ^,  x,  y,  z  vorgeschrieben 
werden,  jetzt  dagegen,  nur  die  fünf  Integralwerte  (40)  als  Funktionen  von 
X,  y,  z.  Es  ist  also  lediglich  die  Forderung  der  Stabilität  in 
der  von  mir  aufgestellten  Formulierung  auf  S.  270,  die  die 
Mannigfaltigkeit  der  Lösungen  der  Fundamentalgleichung  (4) 
so  wesentlich  einschränkt,  daß  dadurch  eine  Gastheorie  mög- 
lich wird.  —  Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen,  wie  sie  zur  Begründung 
der  Fundamentalformel  selber  herangezogen  werden,  spielen  hierbei  keine 
Rolle.  Zur  weiteren  Begründung  der  Gastheorie  haben  wir  vielmehr  nur 
nötig,  die  Vorschriften  unseres  oben  aufgestellten  Theorems  auszuführen; 
dieses  Verfahren  bietet  keinerlei  Schwierigkeit  und  läßt  nirgends  einen 
Zweifel  entstehen,  welche  Glieder  bei  Berechnung  einer  bestimmten  An- 
näherung  zu    berücksichtigen    sind.     So    liefert   ohne    Zuhilfenahme  einer 

Math.  Monogr.  3:  Hubert,  lin.  Integralgleichungen.  18" 


282  Kap.  XXII.     Begründung  der  kinetischen  Gastheorie. 

neuen  Annahme  beispielsweise  die  Berechnung  der  zweiten  Annäherung 
nicht  nur  den  Beweis  des  zweiten  Wärmesatzes  und  den  Boltzmannschen 
Ausdruck  für  die  Entropie  des  Gases,  sondern  auch  die  Bewegungs- 
gleichungen mit  Berücksichtigung  der  inneren  Reibung  und  der  Wärme- 
leitung ^)-,  dabei  erscheinen  die  Reibungs-  und  Wärmeleituugskonstanten 
als  Zahlen,  die  durch  Auflösung  gewisser  Integralgleichungen  numerisch  zu 
berechnen  sind. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  eines  Ergebnisses  Erwähnung  getan,  das  ich 
eben  gefunden  habe  und  die  elementare  Theorie  der  Strahlung,  insbe- 
sondere den  bekannten  Kirchhoffschen  Satz  über  das  Verhältnis  zwischen 
Emission  uud  Absorption  betrifft.  Ich  erkannte,  daß  es  wiederum  eine 
gewisse  Integralgleichung  zweiter  Art  mit  symmetrischem  Kern  ist,  die 
den  Mittelpunkt  dieser  Theorie  bildet,  und  während  bei  näherer  Prüfung 
alle  bisherigen  Beweise  des  Kirchhoffschen  Satzes  sich  als  ungenügend 
herausstellten,  gelingt  mittelst  jener  Integralgleichung  dieser  Beweis  auf 
Grund  der  elementaren  Definitionen  und  Begriffe  der  Strahlungstheorie 
auf  die  einfachste  und  vollständigste  Weise  —  ein  neues  bedeutsames 
Zeugnis  für  die  weitreichende  Kraft,  die  der  Theorie  der  linearen  Integral- 
gleichungen innewohnt. 

1)  H.  A.  Lorentz  hat  in  seinen  anregenden  uud  tiefsinnigen  Untersuchungen  über 
Gastheorie  das  nämliche  Ziel  verfolgt;  er  gelangt  dort  zu  einer  Gleichung,  die  die 
Rolle  der  Gleichung  (11)  in  meiner  Theorie  vertritt,  und  sucht  die  Eindeutigkeit 
der  Lösung  derselben  durch  Berufung  auf  einen  Satz  von  Boltzmaun  zu  beweisen  (vgl 
H.  A..  Lorentz,  Gesammelte  Abhandlungen  Bd.  I  S.  88);  diese  Schlußweise  von  H.  A. 
Lorentz  ist  aber  nicht  stichhaltig,  und  auch  seine  weiteren  Entwicklungen  daselbst 
sind,  selbst  für  den  einfachsten  Fall  des  einatomigen  Gases,  mathematisch  unbegründet, 
nicht  nur  weil  sie  wesentlich  die  Tatsache  der  eindeutigen  Bestimmtheit  der  Lösung 
benutzen,  sondern  vor  allem  auch  weil  die  Existenz  einer  Lösung  für  die  Lorentzsche 
Gleichung  nicht  erwiesen  wird  —  und  ohne  Heranziehung  der  Theorie  der  linearen 
Integralgleichungen  auch  nicht  erwiesen  werden  kann. 


■;t. 


■  ■  JUL  1  ^  laoö 


QA      Hubert,  David 

431       Grundzüge  einer  allgemeinen 

H55     Theorie  der  linearen 

Integralgleichungen 
PHysical  & 

Applied  Sei. 


I 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY